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Full text of "Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft"

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Jeiudsche  Zeitsehrift 


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NATURWISSENSCHAFT 


heransgegebeD 


voh  der 


medicinisch-mturwissenschaftliclien  GeseHtchaft 

zu  Jena. 


Zehnter  Band. 

Neue  Folge,  I>ritter  Hand. 


Mtt  22  TtMn  und  5  Holiwiiiimm. 

I 


Jena, 

Verlag  von  Hermann  Dufft 

1876. 


Inhalt 


Seite 

Einige  Worte  über  LeptalLi.   Von  Fritz  Müller 1 

Aeglea  Odebrechtii  n.  sp.  Von  Fritz  Müller.   Hierzu  Tafel  L  .    .    .      18 
Bemerkungen    über    die    Kerne   der    Ganglienzellen.     Von   Prof.  G. 

Schwalbe 26 

Bemerkungen  zur  Organisation  und  systematiflchen  Stellung  der  Foramini- 

feren.  Von  Richard  Hertwig.  Hierzu  Tafel  II 41 

Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  Von  E.  K  Schmid.  Hierzu  Tafel  III — V.      66 
(Jeber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  Eine  akademische  Preis- 
schrift von  Dr.  Paul  Mayer.    Hierzu  Tafel  VI  u.  VI»- 1>-  c      .    .    126 
lieber  die  Intensität  der  Wärmestrahlen  der  Sonne  unter  hohen  Breiten, 

nach  thermometrischen  Beobachtungen.  Von  EmilBessels.    .    .    223 
Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.    Von  Dr.  ReinhQld  Teu- 

scher.  Hierzu  Tafel  VII  n.  VIII 243 

Ueber  das  Haarkissen  am  Blattstiel  der  Imbauba  (Cecropia),  das  Gemüse- 
beet der  Imbauba-Ameise.  Von  Fritz  Müller 261 

Ueber  die  Entstehung  des  Schwärmsprösslings  der  Podophrya  quadri- 

partita  Clp.  u.  Lehm.  Von  O.  Bütschli.    Hierzu  Tafel  IX.     .    .    287 
Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermuschel.  Von  Carl  BabL 

Hierzu  Tafel  X-  XII 310 

Studien  über  das  Protoplasma.  Von  Dr.  Eduard  Strasburger.  Hierzu 

Tafel  Xin  u.  XIV 396 

Die  Vermehrung  der  Begoniaoeen  ans  ihren  Blättern.    Von  Dr.  Fritz 

RegeL  Hierzu  Tafel  XV-XVIL 447 

Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen«    Von  Dr.  Reinhold  Teu- 

,       scher.  Hierzu  Tafel  XVIII-XXII 496 


Einige  Worte  über  Leptalis. 

Von 

Fritz  Müller. 

„Für  gewisse  Fälle  der  Mimicry.  oder  der  Bildung  der  na- 
türlichen schützenden  Masken  und  Nachahmungen  .  .  .  scheint 
die  natürliche  Züchtung  nicht  auszureichen."  *)  „Nur  da,  wo 
die  Stammform,  von  welcher  die  Umwandlung  zur  natürlichen 
Maske  ausgeht,  der  nachgeahmten  Species  ohnehin  schon  so 
ähnlich  sieht,  dass  eine  Verwechselung  von  Seiten  ihrer  Feinde 
möglich  ist,  nur  da  ist  die  natürliche  Zuchtwahl  im  Stande, 
die  Aehnlichkeit  zu  vervollkommnen  und  immer  täuschender  zu 
machen.  Da  dies  aber  nur  bei  einem  Theil  der  bis  jetzt  be- 
kannteVi  Beispiele  von  Mimicry  zutrifft,  so  müssen  in  den  übrigen 
Fällen  noch  andere  bis  jetzt  unbekannte  Ursachen  thätig  ge- 
wesen sein."^)  Aehnliche  Bedenken  gegen  die  Entstehung  der 
Mimicry  durch  natürliche  Züchtung  sind  auch  anderwärts  laut 
geworden  und  verdienen  wohl  eine  eingehende  Besprechung. 

Die  Mimicry,  die  täuschende  Nachahmung  anderer  Arten, 
ist,  insoweit  sie  der  nachahmenden  Art  Sicherheit  vor  Feinden 
gewährt,  nur  ein  besonderer  Fall  der  schützenden  Aehnlichkeit, 
von  deren  gewöhnlichster,  einfachster  Form,  der  schützenden 
Färbung,  die  allmählichsten  Uebergänge  zu  den  wundervollsten 
Beispielen  täuschender  Nachahmung  führen,  wie  z.  B.  von  einem 
gewöhnlichen  einfach  grünen  Heuspringer  zu  einer  Ptero- 
chroza,  deren  Flügel  ein  welkendes  Blatt  bis  ins  Einzelnste 
in  unübertreflflicher  Weise  nachahmen. 

Die  schützende  Färbung  kann  aber  offenbar  von  jedem 

')  Oscar  Schmidt,  Descendenztheorie  und  Darwinismus.  187.3.   S.  147. 
')  Das  Unbewusste,  vom  Standpuncte  der  Physiologie   und  Descen- 
denztheorie. 1873.  S.  11. 

Bd.  X,  N.  F.  lu.  1 


FVitx  Müller, 

beliebigen  Pancte  aus  durch  natürliche  Züchtung  sich 
bilden.  Nehmen  wir  z.  B.  einen  Schmetterling,  der  die  Ge- 
wohnlieit  hat,  mit  ausgebreiteten  Flügeln  an  Baumstämmen  zu 
ruhen,  wie  viele  Nachtschmetterlinge  und  unter  den  Tagfaltern 
die  Ageronien  und  die  ihnen  verwandte  Ectima  Liria. 
Selbst  die  riesigste  Art,  —  etwa,  um  einen  dieser  ausfliessende 
Baumsäfte  siiugenden  Schmetterlinge  zu  nennen,  Erebus  Strix, 
—  würde,  und  wenn  sie  im  blendendsten  Weiss  prangte,  doch 
nur  von  einer  bestimmten  Entfernung  her  für  Vögel  unterscheid- 
bar sein  und  auf  eine  weit  geringere  Entfernung  hin  die  Auf- 
merksamkeit iichtlos  vorüberfliegender  Vögel  auf  sich  ziehen. 
Jede  kleinst«'  Abänderung,  die  ihre  Färbung  derjenigen  der 
Baumrinde  nder  der  sie  bedeckenden  Flechten  näher  brächte, 
würde  die  eine  wie  die  andere  Entfernung  und  damit  die  Wahr- 
scheinlichkeit, von  Feinden  bemerkt  und  verzehrt  zu  werden,  ver- 
ringern und  also  „die  Grundlage  für  weitergehende  Abweichungen 
nach  derselben  Richtung  in  den  folgenden  Generationen  bil- 
den können."  (Das  ünbewusste,  S.  10.)  Von  jedem  beliebigen 
Ausgangs jumcte  aus  würde  sich  also  auf  dem  Wege  der  natür- 
lichen Äu.'jlesi'  Jene  täuschende  Aehnlichkeit  mit  Baumflechteu 
en-eichen  hissen,  durch  welche  a.  B.  Ageronia  Epinome 
plötülich  den  Augen  des  Verfolgers  entschwindet,  wenn  sie  sich 
au  einem  Biiumstamme  niedersetzt  und  die  Flügel  demselben 
anschmiegt. 

Ganz  eben  so  würde  von  jedem  beliebigen  Ausganga- 
puncte  ;ius  die  natürliche  Züchtung  dahin  wirken  können,  ein 
Thier  unter  einem  zahlreichen  Schwärm  emer  anderen  Art  für 
die  AuKon  seiner  Feinde  verschwinden  zu  lassen,  etwa  einen 
weissen  Picriden  unter  einem  Schwanne  bunter  Ithomien. 
Würden  die  ersten  unerheblichen  Abweichungen  von  der  ur- 
sprünglichen weissen  Färbung  auch  nur  dadurch  nützen,  dass 
ihre  Inhaber  auf  minder  weite  Entfernung  hin  die  Aufmerksam- 
keit achthis  voniberfliegender  Feinde  auf  sich  zögen,  sie  würden 
eben  iiunicrhiu  nützen  und  „ihre  Inhaber  concurrenzfähiger  im 
Verhältniss  zur  Stammform  machen" ;  sie  würden  mitliin  als 
Grundlage  dienen  können  für  die  allmähliche  Herausbildung  einer 
Aehnlichkeit.  die  selbst  die  scharfen  Augen  der  den  Ithomien- 
schwai-m  nach  Beute  durchspähenden  Vögel  zu  täuschen  im 
Stande  wäre.  Möglicherweise  haben  so  die  Weibchen  der 
Perrhyhris  (Pieris)  Pyrrha,  deren  Männchen  jetzt  eine 
vorwiegend  weisse  Oberseite  haben,  von  einer  weissen  Stamm- 


Einige  Worte  über  Leptalis.  3 

form  aus  ihre  Heliconienähnlichkeit  entwickelt,  worin  nach  dem 
eben  Gesagten  gewiss  keine  „sehr  schwer  wiegende  Schwierig- 
keit" für  die  natürliche  Züchtung  zu  erblicken  wäre. 

Handelte  es  sich  in  den  erwähnten  Fällen  zunächst  darum, 
das  zu  schützende  Thier  weniger  auffallend  aus  seiner  Um- 
gebung hervortreten  zu  lassen,  und  konnte  dies  durch  natürliche 
Auslese  von  jedem  beliebigen  Puncte  aus  erreicht  werden,  so 
stellt  sich  die  Sache  etwas  anders  in  den  Fällen,  in  welchen  ein 
einzelner  Gegenstand  als  Vorbild  der  schützenden  Nachahmung 
diente,  wie  z.  B.  bei  der  Nachahmung  einer  Grabwespe  (P  e  p  s  i  s), 
oder  eines  Laufkäfers  (Oicindela)  durch  Heuschrecken  (S c a - 
phura,  Phylloxyrtus).  Hier  ist  allerdings  von  vornherein 
eine  gewisse  Aehnlichkeit  der  nachahmenden  und  der  nachge- 
ahmten Art  unerlässlich ;  doch  wird  auch  hier  diese  Aehnlich- 
keit, um  dem  Eingreifen  der  natürlichen  Auslese  als  Anhalt 
dienen  zu  können,  eben  nur  gross  genug  zu  sein  brauchen,  um 
gelegentlich  einen  in  der  Ferne  achtlos  vorübereilenden  Feind 
zu  täuschen.  Ein  wie  geringes  Mass  kaum  angedeuteter  Aehn- 
lichkeit genüge,  um  gelegentlich  einem  Thiere  das  Leben  zu 
retten,  mag  ein  Fall  beweisen,  in  welchem  ich  selbst  der  Be- 
trogene war.  Am  Stamme  einer  Gassia,  deren  ausfliesender 
Saft  die  mannichfaltigsten  Kerfe  anlockt,  pflegte  vor  einiger 
Zeit  auch  eine  schwarze  Wespe  mit  weissen  Flügelspitzen  sich 
einzufinden,  deren  Stich  ich  als  besonders  schmerzhaft  fürchten 
gelernt  hatte.  Eines  Tages  traf  ich  nun  an  dem  Stamme  eine 
Wanze,  die  höchstens  durch  die  blasseren  Spitzen  der  Flügel 
an  die  Wespe  erinnerte;  als  ich  sie  fassen  wollte,  hob  sie  die 
Flügel  in  ähnlicher  Weise,  wie  Wespen  zu  thun  pflegen ;  unwill- 
kürlich zog  ich  die  Hand  einen  Augenblick  zurück  und  die 
Wanze  entwischte. 

Die  Annahme  einer  so  fernen  anfänglichen  Aehnlichkeit 
als  Ausgangspunct  für  die  Entstehung  der  Mimicry  durch  na- 
natürliche  Zuchtwahl  dürfte  kaum  in  irgend  einem  der  bekannten 
Fälle  einem  Bedenken  unterliegen.  Es  ist  dabei  nicht  ausser 
Acht  zu  lassen,  dass  die  Scharfsichtigkeit  der  Feinde,  auf  die 
man  sich  berufen  hat,  um  von  vornherein  einen  erheblichen 
Grad  von  Aehnlichkeit  zwischen  nachahmender  und  nachge- 
ahmter Art  zu  verlangen,  ja  doch  auch  eine  erst  allmählich  im 
Kampfe  ums  Dasein  erworbene  JSigenschaft  ist,  die  eben  dadurch 
sich  steigern  musste,  dass  die  verfolgten  Arten  durch  schützende 
Färbung,  durch  Mimicry  u.  s.  w.  sich  den  minder  scharfsichtigen 

1* 


4  Fritz  Müller, 

Verfolgern  entzogen.  Diese  immer  wachsende  Klugheit  nnd 
Scharfsichtigkeit  der  Verfolger  erklärt  einerseitB  die  wunder- 
bare Vollendung  vieler  natürlichen  Nachahmungen,  macht  aber 
ebenso  andrerseits  die  Annahme  einer  anfangs  sehr  geringen 
Aehnliehkeit  um  so  unbedenklicher, 

Naeli  diesen  Vorbemerkungen  wende  ich  mich  zur  Be- 
Bprecluing  des  einzigen  mir  bekannten  Falles,  für  welchen  man 
die  Uniiiüglichkeit  der  Entstehung  der  Mimicry  durch  natürliche 
Zuclitwjilil  näher  zu  begi-iinden  versucht  hat.  Er  betrifft  die 
L  e  11 1  ausarten  des  Amazonas,  welche  sich  unter  die  Schwärme 
der  Ithomiei»  mengen  und  diese  durch  üblen  Geruch  und 
GeBchmack  gescliützten  Schmetterlinge  aufs  Täuschendste  nach- 
ahmen. Ich  will  zunächst  die  betreffende  „Ausstellung  gegen 
die  Triigweite  der  natürlichen  Zuchtwahl"  wörtlich  her- 
setzen. ') 

„Gewisse  weisse  Schmetterlinge  ans  der  Familie  der 
Pieriden  (Leptalis)  ahmen  diejenigen  Arten  derHelico- 
niden^),  in  deren  Bezirk  sie  leben,  so  täuschend  nach,  dass 
man  sie  äusserlich  fast  nur  durch  die  Structur  der  PüBse  unter- 
scheiden kann.  Die  copirteu  Heliconiden  besitzen  einen  unan- 
genehmen Geruch  und  Geschmack,  welcher  sie  vor  Verfolgungen 
der  Vögel  schützt,  und  da  nur  etwa  eine  Leptalis  auf  1000 
Heliconiden  vorkommt,  so  reicht  dieser  Schutz  für  die  ersteren 
vullkoiiuuen  mit  aus.  Nun  stehen  sich  aber  beide  Gattungen 
mindestens  so  fern,  wie  etwa  Fleischfresser  und  Wiederkäuer 
unter  den  Vierfüssern,  man  kann  sich  daher  leicht  denken,  eine 
wie  gi-osse  Zahl  von  Zwischenformen  für  den  Uebergang  nöthig 
war,  wenn  dieser  nui-  durch  Addition  zufalliger  Individual- 
ahwcidinngen  erfolgen  sollte.  Flügel,  Fühler  und  Abdomen 
haben  sich  verlängert,  die  Farben  der  nachgeahmten  Arten  von 
CioU)    imil  Orange   bis   Braun   und  Schwarz   werden  bis  auf  die 


')   n«.-  Unbi^wusstf,  S.   Hl.   M. 

')  Uie  von  Leptali»  nachgeuhmteii  „Heliuouideu"  (Ithomia,  Me- 
uliauitis  a.  s.  w.)  sind  nenerdiogg  Dnd  mit  vollem  Reicht«  aue  der  Gruppe 
der  llulii^anineii  nuiigescliiedeu  und  mit  derjenigen  der  DanHiiien  ver- 
einigt worden.  Die  (Jattangen  Helionius  und  Eueidcs,  auf  die  man 
jot«  die  Ueliconinen  beschränkt  bat,  enthalten,  go  viel  mir  bekannt,  keine 
nftcbgealiiiilen,  wohl  nhor  verschiedene  nachahmende  Arten.  So  istEueides 
Puvanii  die  gclungenetu  Nachahmung  der  so  manchen  anderen  Schmetter- 
lingen [Caslnia  acraeoides,  Dyschema  Amphiasa,  Leptalj»  sp.) 
uU  Vorhild  dienenden  Acraea  Thalia. 


Einige  Worte  über  Leptalis.  5 

Grade  der  Durchsichtigkeit  und  die  Zeichnung  der  kleinsten 
Flecken  und  Streifen  treulich  copirt  und  seihst  die  Gewohn- 
heiten sind  derart  modificirt,  dass  die  Leptaliden  dieselben 
Orte  wie  ihre  Vorbilder  besuchen  und  sogar  dieselbe  Flugart 
angenommen  haben.  —  Es  ist  klar,  dass  die  Aehnlichkeit  nütz- 
lich ist,  aber  eben  so  klar,  dass  sie  erst  dann  einen  gewissen 
Schutz  gewähren  kann,  wenn  sie  gross  genug  wird,  um  das 
scharfe  Auge  der  Vögel  zu  täuschen.  Es  würde  also  bei  der 
grossen  Differenz  der  äusseren  Erscheinung  eine  Zwischenstufe, 
welche  immerhin  dem  Aussehn  der  Heliconiden  schon  näher 
steht  als  dem  der  Leptaliden,  doch  noch  hinreichend  deutliche 
Abweichungen  von  den  Heliconiden  zeigen,  um  von  den  Vögeln 
deutlich  erkannt  zu  werden,  also  den  Inhabern  wenig  oder  gar 
nichts  nützen,  und  jedenfalls  würden  solche  Zwischenstufen, 
welche  den  gewöhnlichen  weissen  Pieriden  noch  näher  stehen, 
als  dem  Aussehn  der  Heliconiden,  in  keiner  Weise  irgend  wel- 
chen Schutz  gemessen,  also  auch  ihre  Inhaber  nicht  concurrenz- 
fähiger  im  Verhältniss  zur  Stammform  machen."  — 

Wie  man  sieht,  geht  die  ganze  Beweisführung  von  der 
Voraussetzung  aus,  dass  die  Stammform  der  nachahmenden 
Leptalis  arten  ein  „gewöhnlicher  weisser  Pieride"  gewesen 
sei.  Wäre  das  erwiesen,  so  würde  ich  darin  immer  noch  keine 
„sehr  schwer  wiegende  Schwierigkeit"  für  die  Selectionstheorie 
sehen  können;  allein  unbegreiflicherweise  ist  auch  nicht  mit 
einem  Worte  der  Versuch  gemacht,  die  Zulässigkeit  und  Wahr- 
scheinlichkeit jener  Voraussetzung  zu  prüfen..  Weil  sie  mit  den 
deutschen  Weisslingen  in  dieselbe  Familie  gestellt  wird,  soll 
etwa  deshalb  die  Stammform  der  südamericanischen  Gattung 
Leptalis  auch  weiss  gewesen  sein?  Aber  fliegen  nicht  selbst 
in  Deutschland  neben  dem  Kohlweissling  der  Oitronenvogel  und 
gelbe  Coli as arten?  Mag  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  für 
die  Gattung  Pieris  eine  weisse  Stammform  annehmen  dürfen, 
da  sie  neben  gelben,  rothen,  schwarzen  und  bunten  Arten  doch 
auch  fast  in  aller  Welt  weisse  Vertreter  hat,  so  lässt  sich  diese 
Annahme  doch  keineswegs  auf  alle  Gattungen  der  Familie  aus- 
dehnen, z.  B.  schon  nicht  auf  die  deutschen  Gattungen  Gone- 
pteryx  und  Oolias,  eben  so  wenig  auf  Terias,  CallidryaS; 
Euterpe,Pereuteu.  8.  w.,  und  am  allerwenigsten  auf  die  Gat- 
tung Leptalis,  die  „jedenfalls  an  die  äusserste  Peripherie  der 
Pieriden  gehört."  (Herrich-Schaeffer.)  Zu  sehr  Laie  auf 
dem  Gebiete  der  Schmetterlingskunde,  um  niclit  meinem  eigenen 


6  Frite  Mülfef, 

tJrtheile  zu  misstrauen,  will  ich  noch  einige  bewährte  Meister 
auf  diesem  Felde  sich  hierüber  aussprechen  lassen.  „Oe  genre," 
sagt  ßuisdiival')  von  Leptalis,  „est  assez  anomal  et  il  se 
pourrait  qiie  plus  tard  lorsque  l'on  connaitra  see  m^tamorphoses 
il  constituät  une  tribu  particuli^re  prös  des  H^liconides." 
„Thfe  neuration  of  the  posterior  wings,"  sagt  Douhleday*) 
„and  tlie  five-branched  suhcostal  nerrnrc,  with  four  of  its  ner- 
vules  very  short  running  almost  directly  to  the  Costa,  the  long 
slender  ab;loioen,  the  elongate  wings  and  other  charactere,  bring 
this  genus  vei7  near  to  the  Heliconidae."  Dase  man  der 
Stammform  einer  so  abweichenden  G-attung,  deren  Zugehörigkeit 
zur  Familie  noch  nicht  einmal  über  allen  Zweifel  erhaben  ist  *)j 
niclit  ohne  Weiteres  Farbe ,  Gestalt  und  Flugweise  der  „ge- 
wöhnlichen weissen  Pieriden"  beilegen  darf,  liegt  auf  der  Hand. 
Es  fehlt  somit  der  ganzen  obigen  „Ausstellung  gegen  die  Trag- 
weite der  natürlichen  Zuchtwahl"  die  unentbehrlichste  that- 
säcblichste  Uuterlage.  Die  versäumte  Erörterung  der  Frage 
nach  der  Stammform  der  nachahmenden  Leptalisarten  würde 
schwerlich  auf  einen  „gewöhnlichen  weissen  Pieriden",  sie  würde 
wahrscheinlich  auf  den  Heliconinen  und  heliconier  -  ähnlichen 
Danaineu  im  Aussehen  ziemlich  nahe  stehende  Schmetterlinge 
hingeführt  habeti. 

Versuclieii  wir  das  Versäumte  nachzuholen.  Von  den  65 
Leptalisarten,  die  Kirby  in  seinem  Verzeichnisse  der  Tag- 
falter aufzählt  *),  überschreiten  freilich  nur  wenige  den  südlichen 
Wendekleis ;  es  sind  mir  hier,  unter  27"  8.  B.,  nur  fünf  Arten 
vorgekommen  und  nur  von  vier  kann  ich  sagen,  dass  ich  sie 
kenne,  an  ich  die  fünfte  (Leptalis  Thermesia)  nur  zwei 
oder  dreimal  gesehen  habe.  Die  vier  häufigeren  Arten  sind 
indess  wie    eigens  für  die  Erörterung   der  Frage  nach   ihrer 


')  Boiailuv.il,  SpBciea  g^odral  des  Läpidopttrei.     Tom.  I.   1836.  p,  413. 

*;  UoubleilayetHewitsoä,  Genera  of  Uiurnikl  l^pidopMra,  pag.  Afi. 

')  Stolt  hut  alR  Raupe  der  Leptalis  Amphene  eine  Raupe  abge- 
bildet, die  kaum  einer  anderen  Familie,  als  derjenigen  der  Danaiden  an- 
gehören kann.  Möglich,  dass  Stoll  in  dJMem  Falle  die  Leptalis  mit 
ihrem  Vorbilde  verwechselt  und  die  Raupe  dei  letztereD  aJi  die  der  erstcren 
abgebildet  hnt.  Ist  die  betrelTende  Raupe  »irklich  die  der  Leptalis,  so 
ntirde  maji,  trotz  ihrer  eutwickellen  Vorderfüsse  und  zneispaltigen  Fussklauen, 
kaum  iin  der  nahen  Verwandtschaft  dieser  Gattung  mit  den  von  ao  vielen 
ihrer  Arten  njicbgeahmten  heliconierähnlichen  Danainen  zweifeln  können. 

')  Kirbf,  A  Bjfnonymic  cstalogue  of  Uiumal  Lepidoptera.  1871.  p.  439. 


Einige  Worte  übert»eptali8.  7 

Stammform  ausgelesen  und  so  lässt  sich  vielleicht  trotz  ihrer 
so  dürftigen  Zahl  eine  leidlich  sichere  Antwort  hoffen.  Eine 
unserer  Arten,  Leptalis  Melia,  trägt  ihr  eigenes  Gewand, 
(hat  wenigstens  unter  den  hiesigen  Schmetterlingen  kein  Vor- 
bild); die  drei  übrigen  sind  nachahmende  Arten  und  haben 
ihre  Vorbilder  in  eben  so  viel  verschiedenen  Familien.  Leptalis 
Astynome  trägt  die  Maske  eines  heliconier-ähnlichen  Danainen, 
der  Mechanitis  Polymnia  var.  Lysimnia.  Eine  Art, 
deren  Namen  ich  nicht  erfahren  konnte  *),  und  die  im  Folgenden 
als  Leptalis  Thalia  bezeichnet  werden  mag,  ist  eine  so  gute 
Nachahmung  der  Acraea  Thalia,  dass  mir  ihre  Flügel  als 
die  einer  unbekannten  Acraea  bestimmt  wurden.  Von  Lep- 
talis Melite  endlich  ahmt  das  Weibchen  einen  „gewöhnlichen 
weissen  Pieriden",  die  Daptonoura  Lycimnia  (Pieris 
Flippantha)  nach. 

Beginnen  wir  mit  dem^ ,  was  in  der  obigen  Ausstellung  als 
letzte  und  höchste  Leistung  der  Mimicry  betrachtet  zu  werden 
scheint:  ^selbst  die  Gewohnheiten  sind  derart  modificirt,  dass 
die  Leptaliden  dieselben  Orte  wie  ihre  Vorbilder  besuchen  und 
sogar  deren  Flugart  angenommen  haben."  Vollständiger  hätte 
der  Sachverhalt  nicht  auf  den  Kopf  gestellt  werden  können. 
Das  Besuchen  derselben  Orte  ist  ja  selbstverständliche  noth- 
wendige  Vorbedingung  der  Mimicry;  nie  findet  sich  ein  Thier 
von  einer  anderswo  lebenden  Art  nachgeahmt.  Hätten  die  nach- 
ahmenden mit  den  nachgeahmten  Arten  nicht  von  vornherein 
an  denselben  Orten  gelebt,  dann  würde  allerdings  die  Nach- 
ahmung nicht  durch  natürliche  Zuchtwahl  und  wohl  überhaupt 
nicht  naturwissenschaftlich  zu  erklären  sein ;  wir  würden  Herrn 
Eduard  Hartmann  mit  seinem  wunderthätigen  hellsehenden 
Unbewussten  zu  Hülfe  rufen  müssen.  Was  aber  die  Plugart 
betrifft,  so  sind  doch  wohl  nicht  deshalb  die  Leptalis  schlechte 
Flieger  geworden,  weil  sie  dadurch  den  schlecht  fliegenden 
1 1  h  o  m  i  e  n  ähnlicher  nnd  besser  gegen  Feinde  geschützt  wurden ; 
sondern  umgekehrt  ist  deshalb  für  sie  das  Verstecken  hinter 
eine  schützende  Maske  zur  Nothwendigkeit  geworden,  weil  sie 
so  jämmerliche  Flieger  sind.  Ein  Schmetterling  mit  dem  kräf- 
tigen Flügelschlage  einer  Prep o na  kann  getrost  sein  eigenes 
glänzendes  Blau  zur  Schau  tragen. 


>)  Die  Nameu  der  anderen  Arten,  wie  der  übrigen  hier  genannten  Schroetter' 
linge  danke  ich  der  Güte  des  Herrn  Dr.  A.  Gerstaecker  in  Berlin. 


r 


Pritz  MüUer, 


Nachühraende  Arten  stehen  natürlich  immer  zwischen  ihrer 
Stammform  und  ihrem  Vorbilde ;  sie  können  nicht  über  letzteres 
hinausgehen.  Nicht  selten  beschränkt  sieb  die  Nachahmung 
auf  die  Weibchen,  oder  ist  doch  bei  diesen  besser  durchgeführt. 
Wo  also  merkliche  Geschlechtsverschiedenheiten  bei  nachahmen- 
den Arten  vorkommen,  wird  man  folgende  Reihe  haben:  Stamm- 
form, Männchen,  Weibchen  der  nachahmenden  Ai-t,  nachgeahmte 
Art.  Das  gibt  einigen  Anhalt  für  die  Ermittelung  der  Stamm- 
form. 

Nun  Keigt  ein  einziger  Blick  auf  die  Abbildung  der  L  e  p  - 
talis  Äm|)hione')  oder  besser  noch  der  Leptal is Enno e  *), 
dass  der  Sulinitt  ihrer  Vorderflügel  nicht  etwa  mitten  inne  steht 
zwischen  dtinivon  Pieris  und  dem  von  Ithomia  oder  Mecha- 
nitis,  und  uach  Doubleday*)  sind  bei  Leptalis  „im  All- 
gemeinen diu  Vorderflügel  der  Männchen  kleiner  und  mehr 
sichelförmig;  oder  spitz,  als  die  der  Weibchen".  In  Bezug  auf 
die  VordeiflÜgel  wird  sich  im  Allgemeinen  folgende  Keihe 
herausstellen:  Pieris,  Ithomia,  Leptalis  f,  Leptalis  d. 
—  Darnach  würde  man  als  Stammform  der  nachahmenden 
Leptalisjirten  nicht  etwa  einen  ,, gewöhnlichen  weissen  Pie- 
riden",  sonderu  eher  einen  Schmetterling  vermuthen,  der  im 
Plügelschiiitt  mehr  noch,  als  die  Heliconier  sich  von  Pieris 
entfernt.  —  Doch  fassen  wir  unsere  hiesigen  nachahmenden 
Leptalisjirten  etwas  schärfer  ins  Auge;  vergleichen  wir  sie 
einerseits  mit  ihrem  Vorbilde,  andrerseits  mit  der  nicht  nach- 
ahmenden Leptalis  Melia  und  einem  ,, gewöhnlichen  weissen 
Pieriden",  etwa  der  Pieris  Aripa  oder  der  Daptonoura 
L  y  c  i  m  n  i  ;i ,  um  zu  sehen,  nach  welcher  Seite  hin  wir  wohl  die 
Stammform  zu  suchen  haben. 

Besonders  eigentbümlich  ist  bei  Leptalis  Melia  die 
Grestalt  dor  Hinterflügel,  ihre  grösste  Breite  liegt  bei  dieser 
Art  ganz  in  der  Nähe  der  Flügelwurzel,  bei  Pieris  Aripa 
und  Daptonoura  dagegen  fast  am  Ende  des  Flügels.  Ver- 
gleicht man  nun  die  Hinterflügel  dieser  Arten  mit  denen  unsrer 
übrigen  Leptalis  und  ihrer  Vorbilder,  so  ergeben  sich  folgende 
Eeihen: 


■)  äoiailuvxl,  Spedea  g^Q^rnt  de  I^pidoptiree.  Tom«  T.  pt.  18,  6g.  ?. 
')  Doubleday  et  Howitson,  Genera  of  Diurnal  Lepidopterft.  Tab.  V, 
flg.  s. 

■j  Doabledit;  et  Hewitson,  a.  ».  ü.  pag.  3e. 


Einige  Worte  über  LeptalLs. 


9 


l.Pieris  oder  Daptonour  a.  Mechanitis  Lysimnia. 
Leptalis  Astynome  $  Leptalis  Astynome  cJ^. 
Leptalis  Melia. 

a.Pieris  oder  Daptonoura.  Acraea  Thalia.  Lep- 
talis Melia. 

S.Pieris  oder  Daptonoura.  Leptalis  Melite  ?. 
Leptalis  Melite  S»    Leptalis  Melia. 


Umrisse  von  Hinterflügeln : 

L  Pieris  Aripa  Boisd.  2.  Daptonoura  Lycimnia  Cram.  S.  Mecha- 
nitis  Folymnia  Linn.  var.  Lysimnia  Fabr.  4.  Acraea  Thalia  L. 
5.  Leptalis  Melia  Godt.  6.  Leptalis  Melite  L.  7.  Leptalis  Asty- 
nome  Dalm.    8.  Leptalis  Thalia. 


Die  Endpunote  der  Reihen  sind  immer  dieselben :  einerseits 
Pieris  und  Daptonoura,  andrerseits  Leptalis  Melia;  die 
nachahmenden  Arten  stehen  immer  zwischen  letzterer  und  ihrem 
Vorbilde,  und  zwar,  wo  ein  auffallender  Unterschied  der  Ge- 
schlechter sich  findet,  die  Weibchen  näher  dem  Vorbilde,  die 
Männchen  näher  der  Leptalis  Melia.  In  Bezug  auf  die 
Gestalt  der  Hinterflügel  darf  man  daher  mit  voller  Zuversicht 
aussprechen,  dass  die  Stammform  unsererer  nachahmenden 
Arten  nicht  den  „gewöhnlichen  weissen  Pieriden",  sondern  viel- 
mehr der  am  entgegengesetztesten  Ende  der  Reihe  stehenden 
Leptalis  Melia  ähnlich  gewesen  sei. 

Zu  dem  gleichen  Ergebniss  führt  die  Vergleichung  der 
Gestalt  der  Vorderflügel.  Besonders  lehrreich  ist  hier  Lep- 
talis Melite.    Die  Männchen  (Fig.  3)  haben  noch  ziemlich 


den  Pltigelschnitt  der  Leptatis  Melia  (Fig.  4) ;  einzelne 
Weibchen  (Fig.  2  d)  haben  fast  schon  die  Flügelform  ihres  Vor- 
bildes, der  Daptonoura  Lycimnja  (Fig.  1)  erreicht,  wäh- 
rend andere  (Fig.  2  a)  sehr  raerklich  dahinter  zurückbleiben. 
Selbst  das  Flügelgeäder  bleibt  von  dieser  Umwandlung  des 
FlilgP.lschnitts  nicht  unberührt.  Bei  Leptalis  Astynome, 
Thalia  und  Melia  entspringen  die  Tier  Äeste,  die  TOn  der 
Subcoata  zum  Vorderrande  gehen  (8,  9,  10  und  11  nach  Her- 
rich-Scliiief fer),  aämmtlich  jenseits  der  Flügelzelle;  ebenso 
bei  Iiept  i\l  is  MeliteJ,  obwohl  einer  der  Aeste  (11)  oft  scbon 
dicht  an  lilt'  Zelle  heranrückt;  ebenso  auch  noch  bei  denjenigen 
Weibchen ,  die  den  Männchen  im  Flügelschnitt  näher  stehen ; 
bei  denj('iii;,f6U  Weibchen  aber,  deren  Vorderflügel  am  meisten 
der  Daptonoura  sich  nähern,  pflegt  jener  Ast  (11)  vor  dem 
Ende  dur  Zelle  oder  doch  an  deren  Ende  abzugeben. 


VorderQugel: 
I,  Daptonciurs  LyuiBtni»  Cnm.    e.  Leptaüa  Melite  L.  $.    3.  Lap- 
talU  Melite  L.  d'      *.  heptulis  MelU  GoHt.     f>.  LeptaHi  Tbalift. 

Von  der  Form  wenden  wir  uns  zur  Zeichnung  der  Flügel. 
Leptalis  Thalia  steht  in  dieser  Beziehung  mitten  inne 
zwischen  ilucm  Vorbilde,  Acraea  Thalia,  und  Leptalis 
Melia;  iiiil  letzterer  stimmt  sie  fast  vollständig  in  der  Zeich- 
nung dor  A  I  ir Jerflügel  (Fig.  4  und  5),  mit  ersterer  in  der  der 
Hinterfiiigil  überein.  Leptalis  Melite,  bei  der  wir  schon 
im  Flügobclniitt  ein  gewisses  Schwanken  bemerkten,  zeigt  sich 
weit  melir  noch  in  der  Flügelzeichnung  als  noch  im  Werden 
begriffene,  unfertige,  noch  nicht  zur  Kühe  gekommene  Art.   Von 


Einige  Worte  über  l>6pt^Up.  11 

Männchen  (Fig.  3  a),  die  sich  in  der  Zeichnung  der  Vorder- 
flügel noch  ziemlich  eng  an  Leptalis  Melia  (Fig.  4)  an- 
schliessen,  bis  zu  Weibchen  (Fig.  2),  die  schon  der  Dapto- 
noura  (Fig.  1)  ganz  nahe  kommen,  findet  man  eine  eng  ge- 
schlossene Reihe  von  Uebergängen,  aber  unter  vielen  Dutzenden 
von  Thieren  oft  kaum  zwei  gleich  gezeichnete.  Der  Fortschritt 
der  Zeichnung  hält  mit  dem  des  Plügelschnittes  nicht  immer 
gleichen  Schritt ;  so  zeigen  die  in  der  Gestalt  vorgeschrittensten 
Flügel  (Fig.  2  c  und  d)  oft  noch  in  der  dunkeln  Vorderecke 
ansehnliche  helle  Flecke,  die  bisweilen  bei  anderen  in  der  Ge- 
stalt dem  Vorbilde  femer  stehenden  (Fig.  2  a,  b)  schon  fast  oder 
selbst  völlig  verschwunden  sind.  Was  sich  aus  der  Vergleichung 
des  Flügelschnittes  in  Betreff  der  Stammform  ergeben  hatte, 
wird  durch  die  Betrachtung  der  Zeichnung  nur  bestätigt. 

Endlich  die  Färbung.  Bei  LeptalisMeliaist  die  Ober- 
seite der  Flügel  dottergelb  und  schwarz ;  auf  den  Vorderflügeln 
herrscht  das  Schwarz,  auf  den  Hinterflügeln  das  Gelb  vor.  Bei 
den  Männchen  der  Leptalis  Melite  finden  wir  dieselben 
beiden  Farben;  aber  das  Schwarz  tritt  mehr  zurück,  in  sehr 
verschiedenem  Grade  bei  verschiedenen  Thieren  (Fig.  3  a — d), 
und  das  Gelb  ist  ein  weit  matteres  unreines  Oitronengelb ;  bei 
den  Weibchen  dieser  Art  zeigt  die  Oberseite  der  Flügel  fast 
genau  dasselbe  unreine  Weiss,  wie  ihr  Vorbild,  Daptonoura 
Lycimnia.  Bei  Leptalis  Thalia  schwankt  wie  bei  ihrem 
Vorbilde,  Acraea  Thalia,  die  Farbe  innerhalb  ziemlich 
weiter  Grenzen;  sie  kommt  der  des  Vorbildes  täuschend  nahe, 
ist  jedoch  meist  weniger  gesättigt  und  pflegt  einen  Stich  ins 
Gelbliche  zu  zeigen ;  bisweilen  sieht  es  aus,  als  ob  auf  gelben 
Grund  die  Farbe  der  Acraea  aufgepinselt  worden  wäre.  Ein- 
mal fing  ich  mitten  im  Winter  (28.  Juli),  wo  sonst  weder 
Acraea  noch  Leptalis  flogen,  eine  vereinzelte  Leptalis 
Thalia,  bei  der  die  helleren  Stellen  der  Hinterflügel  rein 
schwefelgelb,  die  der  Vorderflügel  weisslich  gelb  waren.  —  So 
weist  auch  die  Färbung  nicht  auf  einen  „gewöhnlichen  weissen 
Pieriden",  sondern  auf  einen  gelb  und  schwarzen  Schmetterling 
als  Stammform  der  nachahmenden  Lept ausarten  hin. 

Die  Vorfahren  der  jetzt  unter  der  Maske  anderer  Gattungen 
auftretenden  Leptalis  arten  haben  ohne  Frage  schon  als  sie  noch 
ihr  eigenes  Gewand  trugen,  mehrere  vielleicht  in  Zeichnung  und 
Farbe  ziemlich  verschiedene  Arten  gebildet,  für  die  wir  jedoch 
den  schmächtigen  Leib,   die  langen  schmalen  Vorderflügel,  die 


lg  Friu  Müller,  Einige  Worte  über  Leptalis. 

nahe  der  Wuizel  sehr  breiten  flinterflUgel  und  eine  hauptsäch- 
lich in  Schwarz  und  Gelb  ausgeführte,  in  ähnlicher  "Weise,  wie 
bei  den  heliiioni erähnlichen  Danainen  angeordnete  Zeichnung 
mit   leidlicher  Wahrscheinlichkeit   als    gemeinsame  EigenthUm- 

lichkeiten  annehmen  dürfen. 


Lcptalis  dürfte  also  jedenfalls  kein  glücklich  gewähltes 
Beispiel  sein,  um  darauf  eine  „Ausstellung  gegen  die  Tragweite 
der  natürlichen  Zuchtwahl"  zu  begründen,  und  ich  bezweifle, 
dasB  andere  Fälle  schlitzender  Aehnlichkeit  sieb  besser  dazu 
eignen  würden.  Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  alle  Fälle  von 
Mimicry,  uamentlich  bei  den  Schmetterlingen,  als  schützende 
Aehnlichkeit  anizufassen  sind,  und  ob  nicht  vielleicht  bei  diesen 
mit  so  ausgeiirägtem  Farbensinn  begabten  Thieren  die  geschlecht- 
liche Auslese  bisweilen  zur  Nachahmung  eines  augenfälligen 
schönen  Yurbildes  geführt  habe.  Doch  auch  in  letzterem  Falle, 
dessen  Vorkommen  mir  nicht  unwahrscheinlich  ist,  wUrden  wir 
uns  nicht  nach  „bis  jetzt  unbekannten  Ursachen"  umzusehen 
brauchen. 

Itajahy,  April  1875. 


Aeglea  Odebrechtii  n.  sp. 

Von 

Frito  ülfiller. 

Hiem  Tafel  I. 

In  den  Bächen  ^  die  von  der  Serra  do  Mar  ostwärts  dem 
Itajahy,  westwärts  dem  Rio  das  Marombas  und  durch  ihn  dem 
La  Plata  zufliessen,  lebt  auf  sandigem  Grunde  ein  flinker,  flacher 
Krebs;  stellenweise  so  häufig,  dass  sich  um  ins  Wasser  gehängtes 
Fleisch  in  kurzem  ihrer  20  bis  30  sammeln.  Durch  die  Güte 
des  Entdeckers,  des  Herrn  Emil  Odebrecht,  erhielt  ich  ein 
(wie  er  mir  sagte,  etwa  halbwüchsiges)  Männchen,  und  selten 
hat  mich  ein  Thier  mehr  überrascht.  Denn  der  nächste  Ver- 
wandte dieses  in  den  Gebirgsbächen  nahe  der  Ostküste  von  Süd- 
america  hausenden  Krebses  lebt  im  Meere  an  der  Westküste; 
es  ist  die  Aeglea  laevis,  die  nach  der  von  Milne  Edwards 
gegebenen  Beschreibung^)  kaum  von  unserm  Gebirgskrebs  zu 
unterscheiden  ist.  —  In  süssem  Wasser  ist  wohl  überhaupt  aus 
der  ganzen  Abtheilung  der  Anomuren  noch  keine  Art  gefunden, 
und  ebenso  von  den  nächstverwandten  meerbewohnenden  Gat- 
tungen (Galathea  und  den  davon  abgetrennten Pleuroncodes 
Stimps.,  Muni  da  und  Grimothea)  noch  keine  an  der  Ost- 
ktiste  von  Südamerica.  —  Wie  kommt  nun  diese  Krebsform  des 
Stillen  Meeres  auf  unsere  Berge?  — 

Schon  seines  Vorkommens  willen  ist  dieser  Krebs  wohl  der 
Beschreibung  werth. 

Von  oben  betrachtet  (Fig.  1)  bildet  der  Umriss  des  Körpers 
eine  ziemlich  regelmässige  Ellipse,  die  reichlich  um  die  Hälfte 
länger  als  breit  ist,  und  deren  Vorderende  in  drei  Zähne,  einen 
längeren  mittleren   und   zwei   kürzere   seitliche   ausläuft.     Die 


■)  Hist.  nat.  dei  CruiUc^s.  II,  S.  258. 


14  Friti  Mültcr, 

boidcn  vorderen  Drittel  dieser  Ellipse  nimmt  die  Kopfbruet, 
das  hintere  der  Anfang  des  Hinterleibes  ein,  dessen  Schwänz- 
ende nach  unten  umgeschlagen  ist.  Der  Panzer  ist  flach,  mit 
tiefer,  sehr  nugenfältiger  Nackenfurche  versehen.  Seine  Rücken- 
wand BtÖsat  mit  den  Seitenwänden  in  scharfen  Seitenkanten 
zasammen.  Der  Vorderrand  ist  mit  einem  geraden,  auf  der 
Oberseite  gekielten  Stimschnabel  und  mit  einem  Zahne  an  jeder 
Seitenecke  bewehrt;  zwischen  beiden  liegt  jederseita  eine  Augen- 
bucht, Ubor  die  der  Stinisebnabel  etwa  doppelt  so  weit  (4  Mm.) 
vorspringt .  als  die  Seitenzähne.  Am  Seitenrand  des  Panzers 
sieht  man  ausserdem  noch  zwei  kleine,  kaum  über  denselben 
vorspringende  Zähne,  den  einen  dicht  hinter  der  Nackenfurche, 
den  anderen  weiter  nach  vom,  etwa  um  die  Hälfte  weiter  von 
dem  liintercu  Zahne,  als  von  der  Vorderecke  entfernt.  Der 
Hinterrand  des  Panzers  ist  seicht  ausgebuchtet.  Die  Oberfläclie 
des  Panzers  ist  mit  kleinen  Grübchen  ziemlich  dicht  bestreut, 
im  üel>rigen  glatt  und  ohne  auffallende  Erhabenheiten;  nur 
im  vorderen  Theile  des  Kopfgürtels  (arceau  c^phalique  M."  Edw.) 
liegen  jederaeits  hinter  der  Augenbucht  zwei  flache  Buckel 
hinter  einander,  der  hintere  der  Mittellinie  etwas  näher.  Länge 
des  Panzers  (bis  zur  Spitze  des  Stimschnabels) :  23  Mm. ;  Breite 
zwischen  den  Vorderecken:  7,6  Mm.;  zwischen  den  Vorderecken 
des  Stlmltergürtels  (den  hinteren  Seitenzähnen):  16  Mm. ;  in 
der  Mitte  di;B  Schultergürtels:  20Mm. ,  am  Hinterende:  18  Mm, 
—  Die  viiH  den  scharfen  Seitenkanten  schief  nach  unten  und 
innen  steit;i>nden  Seitenwände  des  Panzers  haben  ihre  grÖsete 
Breite  (7  Htm.)  an  der  hinteren  Ecke  des  Mundrahmens;  von 
da  verschtnülem  sie  sich  allmählich  nach  hinten  (bis  auf  2  Mm.), 
rasch  nacli  vorn,  wo  der  Rand  des  Mundrahmens  auf  die  Vorder- 
ecke zuläuft,  aber  durch  eine  tiefe  Bucht,  in  der  das  erste 
Glied  der  UusBern  Fühler  Hegt,  davon  getrennt  ist.     (Fig.  4.) 

Furchen  und  Nähte  des  Panzers.  Die  Nackenfurche 
(sillnn  ceivical  M.  Edw.)  fällt  nicht  mit  der  Grenznaht  zwischen 
Kopf-  und  Schultergürtel  zusammen;  sie  berührt  dieselbe  nur 
auf  knrKc  Strecken  und  liegt  sonst  vor  derselben,  also  auf  dem 
Kopl'gürtoi.  Ihr  mittlerer,  sehr  tief  eingedrückter  Theil  bildet 
einen  nach  vom  offenen  Halbkreis  und  verbindet  sich  durch 
eine  flacliere  und  etwas  breitere  Stelle  mit  den  wieder  tief  ein- 
gedrückten ,  gradlinig  zum  Rande  laufenden  Seitentheilen.  — 
Auf  dem  Schultergürtel  laufen  zwei  etwas  gebogene,  sehr  augen- 
fällige Furchen  von  dessen  Vorderrande  nach  hinten,  aber  nicht 


L 


Aeglea  CMßbreclitü  n.  sp.  X5 

bis  zum  Sinterrande, .  aoBdern  nur  bis  zu  einer  nahe  an  dem- 
selben hinziehenden,  nicht  ininder  tiefen  Furche.  Alle  diese 
Furchen  sind  nicht  etwa  Nahte,  in  denen  ursprünglich  getrennte 
Stücke  des  Panzers  zusammenstossen ,  sondern  vielmehr  durch 
den  Ansatz  verschiedener  Theile  an  dessen  Insienseite  bedingte 
JBindrücke.  Nähte  sind  dagegen  unverkennbar  schmälere  liinien, 
die  flaoh,  aber  scharf  eingedrückt  auf  der  Aussenfläch^,  schwach 
vorspringend  auf  der  Innenfläche  des  Panzers  verlaufen  und  als 
belle  Linien  erscheinen,  wenn  man  den  Panzer  gegen  das 
Licht  hält. 

Die  Naht,  welche  Kopf-  und  Schultergürtel  scheidet,  fällt 
in  ihrem  mittleren  Theile  mit  der  Nackenfurche  zusummen ;  wo 
diese  sich  nach  vorn  krümmt,  geht  jene  ziemlich  gerade  nach 
aussen  weiter  bis  etwa  halbwegs  zwischen  Mittellinie  und  Seiten- 
rand und  geht  dann  in  schwach  nach  vorn  gewölbtem  Bogen 
schief  nach  vorn  zum  Seitenrande,  wo  sie  wieder  mit  der  hier 
endenden  Nackenfurche  zusammentrifft ;  darauf  läuft  sie  auf  der 
Seiten  wand  des  Panzers  schief  nach  vom,  um  im  Grunde  der 
Fühlerbucht  zu  enden.  (Fig.  4.)  —  Der  Kopfgürtel  zeigt  keine 
deutlichen  Nähte,  um  so  zahlreicher  sind  sie  auf  dem  Schulter- 
gürtel.  Zunächst  wird  ein  mittleres,  etwa  ein  Drittel  der  Breite 
einnehmendes  Rückenfeld  abgegrenzt  durch  zwei  nach  aussen 
von  den  Längsfurchen  in  gerader  Linie  vom  vordem  zum  hintern 
Rande  des  Schultergürtels  verlaufende  Nähte.  Dieselben  laufen 
bis  zum  Hinterrande  selbst,  nicht  blos,  wie  die  Längsfurchen, 
bis  zur  hinteren  Randfurche.  Etwas  nach  aussen  von  diesen 
Längsnähten  entspringt  von  der  vorderen  Quernaht,  da  wo  sich 
diese  schief  nach  vorn  wendet ,  eine  schief  nach  aussen  und 
hinten  zur  Mitte  der  Seitenkante  des  Schultergürtels  verlaufende 
Naht,  welche  die  Seitentheile  des  Rückens  in  ein  dreieckiges 
vorderes  und  ein  viereckiges  hinteres  Feld  scheidet.  Als  be- 
sonderes Stück  ist  von  dem  vorderen  Felde  der  Schulterzahn 
durch  Naht  abgegrenzt.  Nach  aussen  ist  das  vordere  Seiten- 
feld begrenzt  durch  eine  Naht,  die  vom  Schulterzahne  aus  dicht 
an  der  Seitenkante  sich  hinzieht;  am  Anfang  des  hinteren 
Seitenfeldes  geht  diese  Naht  vom  Rücken  ^uf  die  Seitenwand 
über  und  läuft  hier  in  der  Nähe  der  Seitenkante  bis  zum 
Hinterrande.  So  gehört  von  der  Seitenkante  des  Schultergürtels 
der  vordere  Tbeil  der  Seitenwand,  der  hintere  der  Rücken- 
wand an.  \ 

Auf  den  Seitenwänden  (Fig.  4)  wird  zunächst  ein  schmaler^ 


16  Fritz  Malier, 

über  tieiu  Füssen  liegender  Streifen  durch  eine  Länganabt  ab- 
gesondert, die  kurz  vor  dem  Hinterende  mit  der  das  bintere 
Seitenfeld  des  Kückens  nach  Eiussen  begrenzenden  Naht  zueammen- 
äiesst.  so  dfiBB  das  hintere,  etwas  breitere,  abgerundete  Bnde 
jenes  Streifens  anmittelbar  an  die  Rückenwand  atösst.  Ausser- 
deui  tindßii  sich  zwei  Quemähte.  Die  vordere  geht  Ton  der 
hinteren  Ecke  des  SchulterzahnstÜckes  schief  nach  hinten  und 
trifft  über  dem  ersten  Paare  der  Lauffüsse  die  Längsnaht;  die 
liiutere  begrenzt  nach  vom  ein  kleines  dreieckiges,  zwischen 
Rückenwaiid  und  den  unteren  Längsstreifen  der  Seitenwand  ein- 
getbeilteH  Peldchen. 

Der  Punzer  unserer  Äeglea  ist  in  hohem  Grade  merk- 
würdig dadurch,  dass  an  ihm  neben  einander  und  beide  in  un- 
gewöhnliclier  Deutlichkeit  ausgeprägt,  die  Nackenfurche  und  die 
Grenünabt  zwischen  Kopf-  und  Schultergürtel  sich  finden,  und  dass 
ebenso  auf  letzterem  ein  Mittelfeld  durch  Längsfurchen  und  gleich- 
zeitig ein  anderes  durch  Längsnähte  abgegrenzt  wird.  Dieselben 
Nähte  finden  sich  nach  Milne  Edwards')  unter 'anderen  bei 
Birgua  latro;  dieselben  oder  ähnliche  Furchen  mehr  oder 
minder  deutlich  bei  vielen  Krabben  und  Krebsen.  Dass  man 
nun  aber  nicht  ohne  Weiteres,  wie  man  zu  thun  pflegt,  Furchen 
und  Nähte  als  einander  entsprechend  betrachten  darf,  dass  man 
keineswegs  immer  gleichwertbige  Abschnitte  erhält,  wenu  man 
z.  E,  einmal  einen  „sulcus  cervicalis",  ein  andermal  eine  „sutura 
cervicalis"  als  Grenze  zwischen  Kopf-  und  Schultergürtel  an- 
nimmt, be^v<?ist  das  gleichzeitige  Vorhandensein  von  Naht  und 
Furche  hei  Aeglea. 

Ich  k<')ire  zur  Beschreibung  meines  Krebses  zurück.  Augen- 
höhlen siTiil  selbst  nicht  in  der  unvollständigen  Weise,  wie  sie 
bei  P  n  V  c  e  1 1  a  n  a  vorkonjmen,  vorhanden ;  die  kurzen  Augenstiele 
sind  scliii'l  vorwärts  gerichtet.  Die  inneren  Fühler  sitzen 
unter  und  liinter  den  Augenstielen  (Fig.  3),  ihr  kurzes  dickes, 
nacli  dem  Ende  zu  breiteres  Grundglied  trägt  keinerlei  Dornen 
oder  Zähni? ;  das  zweite  Glied  sitzt  an  der  inneren  vorderen 
Ecke  dos  ersten,  ist  schlank,  walzenförmig,  leicht  gebogen, 
iiheiTagt  kaum  die  Augen  und  legt  sich  in  der  Ruhe  zwischen 
Augenstiele  und  Stimschnabel ;  das  dritte  ist  etwas  kürzer  und 
wird  nach  unten  eingeschlagen;  von  den  Endgeissein  ist  die 
dickere  (13  gliedrig)    etwa  so  lang,    als   das  dritte  Glied  des 


■j  Annal.  det  Sc.  nat,  8.  S^e.    Zooig.  XVI.  fo].  S,  pag.  3. 


Aegloa  Odebrechtii  n.  sp.  .17 

Stieles,  die  andere  (10  gliedrig)  kürzer.  Der  Stiel  der  äusseren 
Eühler  ist  viergliedrig ;  das  erste  Glied  ist  unbeweglich  und 
seine  Umgrenzung  kaum  deutlich  zu  erkennen;  der  diesem 
Gliede  eigenthümliche  Höcker  liegt  nahe  der  vorderen  Ecke 
des  Mundrahmens,  seine  Oeffnung  ist  nach  hinten  gerichtet. 
Das  zweite  Glied  liegt  in  derselben  Querlinie  mit  dem  Grund- 
gliede  der  inneren  Fühler;  aussen  trägt  es  einen  durch  Naht 
deutlich  abgesetzten  spitzen,  kegelförmigen  Vorsprung  (Fig.  4), 
wahrscheinlich  ein  Ueberbleibsel  des  äusseren  Astes  (der  Schuppe 
des  Garneelenfülüers) ;  es  ist  wie  das  folgende  Glied  dick  und 
kurz ;  das  vierte  Glied  ist  weit  dünner,  walzenförmig,  etwa  so 
lang,  wie  die  beiden  vorigen  zusammen.  Die  vielgliedrige,  un- 
behaarte Geissei  ist  34  Mm.  lang. 

Der  Mundrahmen  (cadre  buccal)  ist  vorn  um  die  Hälfte 
breiter  als  hinten  (Fig.  3)  und  nicht  durch  scharfe  Grenzen  von 
dem  vorderen  Mundschilde  (Eßistom)  geschieden.  Die  inneren 
Mundtheile  übergehe  ich,  da  ich  sie  nicht  mit  denen  der  nächst- 
verwandten Gattungen  vergleichen  kann.  Die  äusseren 
Kiefer füsse  (Fig. 5)  reichen  ausgestreckt  etwa  bis  zur  Spitze 
des  Stirnschnabels ;  das  zweite  Glied  des  inneren  Astes  ist  ohne 
blattförmigen  Vorsprung  nach  innen,  dreikantig,  die  innere  vordere 
Kante  bewimpert,  die  innere  hintere  Kante  mit  einer  Beihe 
kegelförmiger  Zähne  bewehrt  (wie  bei  den  ächten  Galathea 
im  Sinne  von  Stimpson);  das  dritte  Glied  etwa  von  Länge 
des  zweiten,  nicht  breiter  als  das  kurze  vierte ;  das  fünfte  Glied 
walzenförmig,  länger  als  seine  Nachbarn. 

Die  Brustplatte  bildet  ein  gleichschenkliges  Dreieck 
mit  nach  vom  gerichteter  Spitze,  dessen  Grundlinie  (10  Mm.) 
fast  der  Höhe  (12  Mm.)  gleich  kommt.  Die  Grenzen  der  fünf 
Stücke,  durch  deren  Verschmelzung  sie  gebildet  ist,  sind  durch 
breite,  seichte  Furchen  bezeichnet.  An  den  Hinterecken  jedes 
dieser  Stücke  sjjringen  Gelenkhöcker  vor  für  die  betrefifenden 
fünf  Fusspaare  (äussere  Kieferfüsse,  Scheerenfüsse  und  drei 
Paar  Lauffüsse).  Der  Hinterrand  hat  eine  breite,  flache,  vom 
geradlinige  Bucht,  in  die  sich  der  letzte  freie  Brustring  einlegen 
kann. 

Die  Scheerenfüsse  sind  von  massiger  Länge  (möglichst 
gestreckt  30  Mm.),  kräftig,  mehr  nach  vorn  als  nach  aussen 
gerichtet,  nach  unten  sich  einschlagend;  die  linke  Scheere  ein 
wenig  stärker,  als  die  rechte.  Oberarm  dreikantig,  die  innere 
kürzeste  Kante  mit   fünf  spitzen   Zähnchen   bewehrt;   winzige 

Bd.  X,  M.  F.  IIL  ^ 


Friu  Miillar, 

Zähnclien  an  der  Endhiilfte  der  beiden  anderen  Kanten,  die 
obere  die  längste  (7  Mm.).  Vorderarm  weit  kürzer  als  der 
Oberarm ,  innen  h  Mm,  lang ;  Vorder-  und  Hinterrand  nach 
aussen  fast  in  einen  Punct  zusammenlaufend.  Innenrand  stark 
gewölbt,  mit  5  Zülmen,  von  denen  der  vierte  der  längste;  oben 
trägt  der  Vorderarm  üine  aus  kleinen  Höckern  gebildete,  dem 
,  Innenraud  gleichlaufende  Leiste,  unten  zwei  Zähne.  Hand, 
links:  14  Mm.  laug.  11  breit,  5  dick;  rechts:  14  Min.  lang, 
9  breit,  4  dick.  Obere  Fläche  körnig  rauh,  ohne  Zähne  oder 
Domen;  der  kurze  Innenrand  fast  halbkreisförmig  vorspringend, 
fein  Bägezähnig;  untere  Fläche  mit  einer  von  der  Spitze  zum 
äusseren  Gelenkhöcker  laufenden,  aus  verschmelzenden  Höckern 
gebildeten  Leiste.  Greifrand  in  seinem  oberen  Theile  schwach 
löffelformig  ausgelioblt,  darunter  mit  einer  zahnartig  vor- 
springenden dreieckigen  Fläche  (diese  an  der  linken  Hand  weit 
stärker).  Oberer  Rand  der  löffeiförmigen  Aushöhlung  fein  ge- 
kerbt (links)  oder  gezähnelt  (rechts) ;  an  der  rechten  Scheere 
setzt  sich  diese  Zälinelung  auch  auf  den  Rand  des  zahnartigen 
Vorsprunga  fort.  Daumen  8  Mm.  lang,  ziemlich  gerade,  sein 
Greifrnnd  dem  des  feststehenden  Fingers  ähnlich. 

Die  drei  Paar  Lauffüese  sind  schlank,  schwach  zusammen- 
gedrückt, keins  ihrer  Glieder  verbreitert;  sie  sind  unbewehrt, 
nur  die  Kanten  mit  besser  fühlbaren  als  sichtbaren,  endwärts 
gerichteten  Dörnclien  oder  Börstchen  besetzt.  Das  Klauenglied 
fast  so  lang  als  die  beiden  vorhergehenden  zusammen ,  dünn, 
nur  schwach  gebogen,  in  eine  harte  scharfe  Spitze  auslaufend. 
Möglichst  gestreckt  sind  die  vorderen  Lanffüsse  30  Mm.'  lang, 
(Oberschenkel  9,  Unterschenkel  4,  Fussglied  5,  Klauenglied 
7  Mm.),  die  mittleren  29  Mm.,  die  hinteren  27  Mm. 

Die  Putzfüsae  (Fig.  7)  sind  sehr  beweglich  an  dem 
ebenfalls  sehr  beweglichen  freien  letzten  Bruatringe  eingelenkt; 
das  erste  dicke  kur^e  Glied  ist  fast  ganz  häutig  und  trägt  nach 
innen  die  Kuthe  (Fig.  7,  r);  dann  folgen  vier  dünne  lang- 
streckige Glieder,  von  denen  in  der  Ruhe  das  erste  schief  nach 
hinten  und  aussen,  das  zweite,  längste  (Oberschenkel)  schief 
nach  vorn  und  aussen,  das  dritte  und  vieil«  (Unterschenkel  und 
Fussglied)  gerade  nach  innen  gerichtet  sind,  so  dass  die  Spitze 
des  FusBgliedes  die  Euthe  von  unten  deckt.  Ein  deutlich  ab- 
gesetztes Fiiigerglied  konnte  ich  nicht  unterscheiden;  ich  sah 
nur  am  Ende  deH  Fuasgliedes  zwei  rundliche  mit  je  einer  Reihe 
zierlicher  Zähnchen  besetzte  Höcker  (Fig.  8)  oder  Knöpfchen, 


Aeglea  Odebrechtii  n.  sp.  19 

als  dürftige  Beste   der  Scheerenfinger  an  den  Putzfiissen  der 
verwandten  Gattungen. 

Der  Hinterleib  (Fig.  2)  ist  gross  und  kräftig,  reichlich 
so  lang,  als  die  Kopfbrust;  er  lässt  sich  nicht  völlig  ausstrecken; 
sein  hinteres  Ende  ist  nach  unten  geschlagen,  wobei  die  Grenze 
zwischen  viertem  und  fünftem  King  den  hinteren  Rand  bildet. 
Von  der  Brust  wird  durch  den  nach  unten  geschlagenen  Schwanz 
nur  der  letzte  freie  Ring  mit  Putzfüssen  und  Ruthe  bedeckt. 
Der  Rücken  der  vorderen  Ringe  ist  gewölbt  (Höhe  des  Bogens 
fast  Vs  der  Sehne),  der  des  Schwanzes  flach.  Die  Breite  sinkt 
vom  2.  bis  6.  Ring  von  17  auf  11  Mm. 

Die  Rückenplatte  des  ersten  Ringes  ist  sehr  kurz;  ihr 
gewölbter  Vorderrand  passt  in  die  seichte  Bucht  am  Hinter- 
rande des  Panzers.  Dieser  Ring  ist  der  einzige,  dessen  Bauch- 
seite durch  einen  dünnen,  queren,  verkalkten  Stab  gestützt  ist; 
die  Bauchseite  der  übrigen  ist  ganz  häutig;  am  zweiten  Ring 
fand  ich  ihren  mittleren  Theil  beutel-  oder  bruchsackartig  vor- 
getrieben. 

Am  zweiten  bis  seohsten  Ringe  sind  die  Seitenstücke 
der  Rückenplatte  durch  sehr  augenfällige  Furchen  vom  Mittel- 
stücke geschieden ;  die  Seitenstücke  des  zweiten  Ringes  haben 
einen  4  Mm.  langen  Seitenrand,  die  der  folgenden  laufen  in  eine 
schwach  vorwärts  gebogene  Spitze  aus;  ihr  zugeschärfter,  ein- 
gebogener Vorderrand  legt  sich  unter  den  gewölbten  Hinterrand 
des  vorhergehenden;  am  sechsten  Ring  ist  der  Hinterrand  der 
Seitenstücke  gerade.  Der  2.  bis  5.  Ring  sind  etwa  gleich  lang 
(3  Mm.),  der  6.  und  7.  länger  (5  Mm.).  Am  sechsten  Ringe 
nehmen  die  Seitenstücke  nur  etwa  Vs  der  Länge  ein ;  das  vierte 
Drittel  bleibt  für  die  Einlenkung  der  Schwanzfüsse. 

Der  siebente  Ring  ist  in  seiner  vorderen  Hälfte  ziem- 
lich gleich  breit  (7  Mm.);  dann  laufen  die  Seitenränder  bogig 
nach  dem  schwach  eingekerbten  Hinterende  zusammen;  in  der 
Mittellinie  dieses  Ringes  verläuft  eine  seichte  Furche.  Der 
Hinterrand  ist  bewimpert. 

Die  fünf  ersten  Hinterleibsringe  sind  vollkommen  anhang- 
los; der  sechste  trägt  die  blattförmigen  Schwanzfüsse,  die  mit 
dem  siebenten  Ringe  eine  sehr  ansehnliche  (etwa  22  Mm.  breite, 
10  Mm.  lange)  Flosse  bilden. 

Das  Grundglied  der  Schwanzfüsse  ist  von  ansehnlicher 
Grösse,  dreieckig;  sein  Vorderrand  legt  sich  dem  Seitenstücke 
des  6.  Ringes  an,  überragt  dasselbe  etwas,  und  reicht,  wenn  der 


20  Fritz  Müller, 

Schwanz  eingesclilagen  ist,  bis  zur  Spitze  des  Seitenstücks  des 
5.  Ringes ;  der  Innenrand  schiebt  sich  unter  den  vorderen  Theil 
des  7.  Ringes;  der  Augenrand  trägt  in  seiner  vorderen  Hälfte 
die  beiden  Endblätter;  diese  sind  von  nahezu  gleicher  Grösse 
und  Gestalt,  eiförmig,  7  Mm.  lang,  das  vordere  (äussere,  untere) 
3,5  Mm.,  das  hintere  (innere,  obere)  4  Mm.  breit.  Aussen  und 
hinten  sind  sie  bewimpert.  Eine  Quernaht  zeigt  keines  der* 
Blätter,  dagegen  die  Oberseite  des  inneren  einen  fast  bis  zum 
Ende  desselben  zu  verfolgenden  Kiel. 

Die  Kiemen,  die  bei  Porcellana  und  nach  Milne  \ 
Edwards^)  auch  bei  Galathea  die  gewöhnliche  Form  der 
Krabbenkiemen  haben,  zeigen  bei  unserer  Aeglea  einen  ganz 
eigenthümlichen  Bau  (Fig.  9,  10);  jede  Kieme  besteht  aus  einem 
schmalen  Blatt,  das  nahe  seinem  unteren  Ende  angeheftet  und 
an  seinem  freien  äusseren  Rande  dicht  mit  langen  Fäden  be- 
setzt ist.  Nach  beiden  Enden  des  Blattes  zu  werden  die  Fäden 
kürzer.  Es  scheinen  stets  drei  Reihen  von  Fäden  vorhanden 
zu  sein,  eine  mittlere,  eine  hintere,  deren  Fäden  ein  wenig 
kürzer,  und  eine  vordere,  deren  Fäden  weit  dünner  und  nur 
etwa  V3  so  lang  sind,  als  die  der  mittleren  Reihe.  Der  faden- 
lose innere  Rand  der  Kieme  legt  sich  der  Leibeswand  an,  die 
Fäden  sind  nach  vorn  gerichtet,  so  dass  die  hinteren  Kiemen 
die  vorderen  decken.  Von  hinten  beginnend,  findet  man  zuerst 
zwei  grössere,  dann  eine  etwa  dreimal  so  kleine  Klieme,  und  so 
wechseln  immer  zwei  grosse  mit  einer  kleinen  Kieme.  Im  Ganzen 
zählte  ich  jederseits  zwölf.  (Für  Porcellana  gibt  Milne 
Edwards  vierzehn  an;  möglich,  dass  mir  beim  Herausnehmen 
der  Mundtheile  ein  paar  winzige  vordere  Kiemen  unbemerkt  ver- 
loren gegangen.) 


Vergleicht  man  diese  Beschreibung  der  Aeglea  unserer 
Gebirgsbäche ,  die  ich  na^ch  ihrem  Entdecker  Aeglea  Ode- 
brechtii  nenne,  mit  der  Beschreibung,  die  Milne  Edwards-) 
von  der  chilenischen  Aeglea  laevis  gibt,  so  findet  man  kaum 
folgende  Unterschiede: 

Der  Panzer  der  Aeglea  laevis  ist  viel  länger  als  breit, 
der  Hinterleib  weniger  lang  als  der  Panzer,  sein  siebenter 


>)  Hist.  nat  des  Crustacös.  I,  S.  88. 
»;  a,  a.  0.  II,  S.  259, 


Aeglem  Odebreclitu  n.  fip.  Sl 

Simg  klein,  mit  den  auf  sehr  langem  Grundgliede  sifzenden 
Blättern  der  Schwanzflosse  keinen  Fächer  bildend.  Bei  Aeglea 
Odebrechtii  ist  weder  der  siebente  Hinterleibsring  auffallend 
klein  im  Vergleich  mit  G-alathea  und  Porcellana,  noch 
das  Grundglied  der  Schwanzfiisse  auffallend  lang  im  Vergleich 
mit  Galathea  strigosa.  *)  Femer  ist  bei  Aeglea  laevis 
der  Stimschnabel  leicht  gekrümmt  und  die  Bland  der  Scheeren 
oben  mit  mehreren  kleinen  Zähnen  bewaffnet. 


Die  Grattung  Aeglea  hat  in  den  bisherigen  Anordnungen 
der  Krebse  eine  sehr  wechselnde  Stellung  eingenommen.  Von 
Latreille  als  Galathea  laevis  beschrieben,  wurde  der 
chilenische  Vetter  unseres  Gebirgskrebses  durch  Leach  als 
eigene  Gattung  Aeglea  neben  Galathea  gestellt.  Mi  Ine 
Edwards  entfernte  ihn  nicht  nur  aus  der  Familie  der  Gala- 
theiden,  die  er  zu  den  Panzerkrebsen,  also  zu  den  Macruren 
steljte,  sondern  brachte  ihn  sogar  in  eine  andere  Hauptabthei- 
lung, zu  den  Anomuren  in  die  Familie  der  Porcellanen. 
Dabei  blieben  jedoch  Aeglea  und  Galathea  nächste  Nach- 
barn; denn  es  schloss  (von  den  Larvenformen  Megalops  und 
Monolepis  abgesehen)  mit  Aeglea  die  Reihe  der  Ano- 
muren, undGalathea  begann  die  der  Macruren.  —  Dana 
brachte  auch  Galathea  zu  den  Anomuren  und  gab  ihr 
wieder  Aeglea  als  Nachbarn,  schob  aber  zwischen  diese  und 
Porcellana  mehrere  andere  Familien,  deren  Zahl  Stimpson 
noch  vermehrte;  Dieser  ordnet*)  die  Anomuren  mit  freiem 
letaten  Brustring  (Schizosomi)  in  folgende  Reihe:  Porcella- 
niden,  Hippiden,  Lithodiden,  Paguriden,  Aegleiden,  Galatheiden, 
—  Thomas  Bell  vereinigt  dagegen  wieder^)  die  Porcella- 
uiens  (Porcellana,  Aeglea)  und  die  Galatheides 
(Galathea,  Grimothea)  von  Milne  Edwards  in  eine 
einzige  Familie,  die  er  zu  den  Anomuren  stellt,  welche  Auf- 
fassung auch  unter  den  deutschen  Kennern  dieser  Klasse  jetzt 
die  herrschende  zu  sein  scheint. 

Am  verkehrtesten  ist  jedenfalls  die  Anordnung  von  Milne 


')  Nach    der  Abbildang    in   Th.  Bell,    British    stalk-eyed  Crustacea 
S.  200. 

*)Troceed.  Acad.  Nat.  S«.  Decbr.  1858.    S.  65.  — 
*)  British  Stalk-eyed  Crustaeca,  185.3.  S.  196, 


FnU  Muller, 

Edwards.  Znaächat  deshalb,  weil  sich  Aegiea  fast  in  allen 
Stücken  weit  enger  an  Gralatliea  anschlieset,  als  an  Por- 
cellana.  Von  dem  glatten  Panzer  mit  scharfem  Seitenrand 
und  dem  nach  anten  geschlagenen  Schwänze  abgesehen,  die 
allerdings  dem  Thiere  ein  ziemlich  Forcellana- ähnliches  An- 
sehen geben,  hat  Aegiea  mit  Porcellana  im  Gegensatz  zu 
Galathea  kaum  etwas  gemein,  als  das  kurze,  dicke,  unbe- 
wehrte  Grundglied  der  inneren  Fühler  nnd  den  (bei  Por- 
cellana nicht  vollständigen)  Mangel  der  Strudelfiisse  am 
Hinterleibe  des  Männchens;  dagegen  mit  Galathea  im  Gegen- 
satz 7.U  Porcellana  den  völligen  Mangel  der  Augenhöhlen, 
die  nach  unten  sich  einschlagenden  inneren  Fühler,  den  Bau 
der  iiugseron  Kieferfüsse,  die  Form  der  Brustplatte,  den  kurzen 
Vorderarm  der  Scheerenfüsse  u.  s.  w,  —  Ja  selbst  der  kräftige, 
gewölbte  Hinterleib  mit  ganz  ähnlich  gestalteten  Seitenstücken 
und  ähnlich  gebauter  Schwanzflosse  steht  dem  von  Galathea 
weit  näher,  als  dem  von  Porcellana.  Weit  schlimmer  ist  es, 
dass  die  eine  der  beiden  nächstverwandten  Gattungen  zu  den 
Anomnren,  die  andere  zu  den  Macruren  gestellt  ist.  Die  ganze 
Unnatur  dieses  Verfahrens  springt  sofort  in  die  Augen,  sobald 
man  Mihie  Edwards'  Anordnung  der  Decapoden  in  die  Form 
eines  Stammbaumes  bringt. 


Poroellina.    Acglei 


Aeglea  Odebrechtii  n.  Bp.  93 

Danach  würden  also  Galathea  und  Aeglea  erst  an  der 
gemeinsamen  Wurzel  der  Macruren  und  Anomuren  zusammen- 
hangen und  alle  diesen  beiden  Gattungen  gemeinschaftlichen 
Merkmale  mtisste  im  Wesentlichen  schon  der  Urahn  der  Ma- 
cruren und  Anomuren  besessen  haben!  Bei  der  gewöhnlichen 
reihenweisen  Anordnung  tritt  dieser  Widersinn  nicht  so  schreiend 
zu  Tage,  da  ja  dabei  Aeglea  und  Galathea  immerhin  nächste 
Nachbarn  bleiben.  *) 

Für  das  Richtigste  möchte  ich  es  halten ,  wie  Bell, 
Gerstäcker,  Claus  u.  s.  w.,  Galathea,  Aeglea  und  Por- 
cellana  mit  den  neuerdings  davon  abgezweigten  Gattungen  in 
eine  gemeinsame  Gruppe  zusammenzufassen,  wobei  es  natürlich 
gleichgültig  ist,  ob  man  diese  als  Familie  bezeichen  oder  in  die 
drei  Familien  der  Galatheiden,  Aegleiden  und  Por- 
cellaniden  spalten  will.  Ein  endgültiges  Urtheil  wird  sich 
jedoch  ohne  Kenntniss  der  Jugendformmen  von  Galathea  und 
Aeglea  nicht  fällen  lassen.  Die  überaus  dürftige  Abbildung 
einer  Galathea-larve  bei  Bell^)  erinnert  weit  mehr  an  die 
Zoea  der  Einsiedlerkrebse,  als  an  die  der  Porcellanen. 

Itajahy,  S*  Catharina,  Brazil 
Ende  Mai  1875. 


^)  Der  nahen  Verwandtscbaft  zweier  Formen,  die  man  ans  irgend  wel- 
chem Grunde  auieinander  reissen  zu  müfison  glaubt,  dadurch  Rechnung  zn 
tragen,  dasa  man  sie,  wenn  auch  in  verschiedene  Gruppen,  so  doch  neben* 
einanderstellt.  ist  ein  beliebter  Kunstgriff  der  alten  Schule.  Es  bt  im  Grunde 
ein  einfacher  Betrug,  wenn  auch  nur  Selbstbetrug.  Hätten  die  vielverspotteten 
Stammbäume  keinen  weiteren  Nutzen,  als  derlei  Täuschungen  sofort  zu  ent- 
larven und  dadurch  unmöglich  zu  machen,  so  wäre  auch  dies  schon  nicht 
gering  anzuschlagen.  Hier  noch  ein  dem  obigen  ganz  ähnliches  Beispiel  aus 
neuester  Zeit(Kirby,  A  synonymic  catalogue  of  diurnal  Lepidoptera.  1871): 

®  ©  ® 
o  S  S  2  3  S  Ueliconius.  Eueides  Colaeni8,Dione  und  über  100  andere  Gattungen, 

.2.5  c^  ©.S 

C^^S^£<       Heliconinae  Nymphalinae 


Nymphalidae 

Danach  hätten  Eueides  und  Colaenis  ihren  gemeinsamen  Stamm- 
vater erst  in  dem  gemeinsamen  Ahnen  der  Heliconinen  und  Nymphalinen,  und 
dieser  müsste  alle  den  Gattungen  Eueides  und  Colaenis  gemeinschaft- 
lichen Merkmale  besessen  haben!  — 

*)  British  Stalk-eyed  Crustacea,  S.  203. 


24  Fntx  Müller,  Aegleu  Odebrechtii  n.  »^. 

ErklSrung  der  Abblldnngen. 

1.  Aeglea  üdebrechtii,  halbwüchsiges  MänncheD,  nftt-Gr. 

2.  Hinterleib,  möglichst  gestreckt,  DHt.  Gr. 

3.  Die  Gegend  vor   dem   Munde,   nach   Entfernung   der   Kiefer   und  Kiefer- 

függe  (3:1) 
i.-  Seitenwand  des  Paniers  und  Stiel  der  äusseren  Fühler  (2  :  i). 
b.  Aeusserer  EieferiliBS  der  linken  Süte  (3 ;  i). 

6.  Die  Zahne  am  2.  Gliede  des  inneren  Astes  dieses  Fuases  (12':  1). 

7.  Putzfuss  der  Unken  Seite  (ü  :  0  r  ßuthe. 

".  Enile  ilicws  Futzfusaea  (100:1).     Die  Borsten  sind  weggelassen 
w  LeUlG  Kit'iiie  der  linken  Seite,  nat  Gr. 

10,  Stück   eintr    Kieme  (5:1).     h.  hintere,   m.  mittlere,  v.  vordere  Reihe  der 
Kiciiienfäden. 


Bemerkungen  über  die  Kerne  der  Ganglienzellen. 

Von 

Prof.  Gt.  ifcliwalbe. 

In  nachfolgenden  Zeilen  theile  ich  einige  Beobachtungen 
mit;  die  gelegentlich  an  den  Ganglienzellen  der  Netzhaut,  des 
Rückenmarks  und  der  Spinalganglien  angestellt  wurden  und 
geeignet  erscheinen,  einerseits  einige  streitige  Punkte  der  Textur 
der  Nervenzellen  zu  klären,  andererseits  der  jetzt  vielfach  dis- 
cutirten  Frage  nach  dem  Bau  und  der  Bedeutung  des  Zellkernes 
einiges  brauchbare  neue  Material  hinzuzuführen. 

Die  Kerne  der  Ganglienzellen  sind  nach  den  gewöhnlichen 
Darstellungen  der  Lehrbücher  klare  Bläschen  mit  rundem  matt- 
glänzendem Nucleolus,  in  dessen  Inneren  zuweilen  noch  eine 
kleine  mit  Flüssigkeit  erfüllte  Höhle,  der  sog.  Nucleololus 
(Mauthner)  gefunden  wird.  In  selteneren  Fällen  finden  sich 
zwei  Kernkörperchen ,  noch  seltener  eine  grössere  Zahl,  wie 
z,  B.  in  den  Ganglienzellen  des  Sympathicus  vom  Meerschwein- 
chen, in  denen  des  unteren  Schlundganglions  von  Arion  empi- 
ricorum  (vergl.  meine  Arbeit  über  den  Bau  der  Spinalganglien, 
Arch.  f.  mikr.  Anat.  IV.,  S.  63).  Auch  Auerbach,  der  in  neuester 
Zeit  in  den  verschiedensten  Zellen  eine  grössere  Zahl  von  Kern- 
körperchen  sehr  verbreitet  nachwies '),  vermochte  in  den  Gang- 
lienzellen (Spinalganglien  von  Proteus,  Sympathicus  und  Rücken- 
mark von  Rana  esculenta)  für  gewöhnlich  nur  ein  bis  zwei 
Nucleoli  und  nur  ausnahmsweise  drei  bis  vier  etwas  kleinere  zu 
finden.    Bei  Embryonen  war  eine  Duplicität  des  Nucleolus  häu- 


*)  L.  Auerbach,  Organologische  Studien.  Zweiter  Abschnitt:  Ueber 
Entstehung,  Vermehrung  und  einige  Lebenseigenschaften  der  Nucleoli.  Bres- 
laa  1874. 


G.  Schwalbe, 

anziiti-effen '),  ja  selbst  drei  bis  vier  Kemkörperchen  hier 
und  dn,  zu  bfinerken.  Es  war  Auerbach  letztere  Thatsache  um 
so  auffallender,  als  er  an  anderen  embryonalen  Zellen  im  Gcgen- 
tlicil  eine  geringere  Anzabl  von  Kernkörpereben  bemerkte,  als 
in  entwickelten,  und  in  den  Zellen  der  frühesten  Stadien  embryo- 
naler Entwicklung  sogar  die  Kerne  ganz  ohne  Kernköri)erchen 
antraf. 

Meine  Untörsuchungen,  die  zunächst  an  der  frischen  Netz- 
haut dt's  Schafes,  Kaninchens,  Kalbes  und  Ochsen  angestellt 
wurden,  helelirten  mich  bald,  dass  die  gewöhnlichen  Beschrei- 
bungen eine  vollkommen  ungenügende  Vorstellung  von  der  Be- 
schaffenheit de3  Ganglien  Zellen  kern  es  geben,  dass  derselbe  bei 
demselben  lüdividuum  ein  sehr  wechselndes  Bild  darbieten  kann 
und  ferner  auf  verschiedenen  Entwickelungastufen  sehr  ver- 
schieden organisirt  ist. 

Wenn  man  die  frische,  noch  vollkommen  durchgiclttige 
Netzhaut  des  Schafes  vorsichtig,  mit  ihrer  inneren  Oberfläche 
nach  oben,  in  Humor  vitreus  auf  dem  ObjecttrSger  ausgebreitet 
hat,  so  gelingt  es  leicht,  in  den  peripheren,  der  Ora  serrata 
benachbarten  Partien  die  Ganglienzellen  in  allen  ihren  Organi- 
sati ons  Verhältnissen  klar  und  scharf  wahrzunehmen,  da  hier 
bekanntlich  die  Nervenfaserlage  auf  dünne  zerstreute  Bündel 
reducirt  ist.  '  Es  ist  dies  ein  Verfahren,  das  schon  M.  Schnitze 
zu  diesem  Zweck  empfohlen  hat, ')  An  vollkommen  frischen, 
durchsichtigen,  in  der  beschriebenen  "Weise  ausgebreiteten  Netz- 
häuten erkennt  man  nun  bei  Einstellung  auf  die  Ebene  der 
Ganglienzcllenschicht  in  eine  matt  glänzende  vollkommen  homo- 
gene Masse  eingebettet  kreisrunde ,  ovale  oder  unregelmässig 
begrenzte  K™sse  helle  Flecke,  die  mit  äusserst  scharfen  Ooa- 
turen  ge;-rn  die  oben  erwähnte  Substanz  abgegrenzt  sind.  Auf 
den  ersten  Anblick  glaubt  man  helle  mit  Flüssigkeit  erfüllte 
Räume  vor  &ich  zu  haben,  zwischen  denen  jene  mattglänzendc 
Substanz  ein  Netzwerk  bildet.  Allein  bei  genauerer  Untersuchung 
überzongt  man  sich,  dass  man  es  mit  denselben  Ränmen  zu 
thun  hat,  in  denen  die  Ganglienzellen  liegen,  da  im  Innern 
jedes  hellen  Fleckes  ein  kreisrunder  Kern  mit  allen  Abzeichen 
eines  Ganglicnzellenkemes  sichtbar  wird.  Der  ganze  übrige 
Raum  ist  vollkommen   klar   mit  Ausnahme  eines  kleinen  Hofes 


*J  Die  tietina.  Stricker'a  Handbaoh  der  LeliTO  von  den  Geweben,  S.  965, 


fiemerkungen  über  die  Kerne  der  Ganglienzellen.  27 

äusserst  feinkörniger  Substanz,  welcher  den  Kern  umgibt  Es 
konnte  deshalb  anfangs  zweifelhaft  erscheinen,  ob  der  ganze 
helle  Raum  einer  Ganglienzelle  entspricht  oder  nur  der  Kern 
mit  seinem  feinkörnigen  Hofe,  allein  schon  nach  kurzer  Behand- 
lung ipit  sogenannten  indiflFerenten  Flüssigkeiten,  z.  B.  mit  Jod- 
serum, trübte  sich  der  ganze  vorher  durchsichtige  Raum  und 
erschien  nun  so,  wie  man  gewöhnlich  den  Granglienzellkörper  zu 
beschreiben  pflegt,  fein  granulirt.  Von  einer  Anordnung  der 
feinen  Körnchen  in  Reihen,  von  einer  Diflferenzirung  der  nicht 
kömigen  Zellsubstanz  in  feine  Faserzüge  vermochte  ich  entgegen 
den  Angaben  M.  Schultzens  an  solchen  Ganglienzellen  der  Netz- 
haut nie  etwas  zu  sehn. 

Ehe  ich  auf  den  Hauptgegenstand  dieser  Mittheilung,  auf 
die  Beschreibung  des  Kernes  der  frischen  Nervenzellen  eingehe^ 
mögen  hier  noch  zwei  Bemerkungen  Platz  fincfen.  Die  eine  be- 
trifft die  Frage  nach  dem  Verhalten  der  Ganglienzellen  der 
Retina  zur  Substanz  der  inneren  granulirten  Schicht.  Ich  habe 
mich  schon  in  meiner  Abhandlung  über  die  Netzhaut  im  Haud- 
buche  der  Ophthalmologie  von  Graefe  und  Saemisch  I,  S.  388 
dahin  geäussert,  dass  die  Annahme  eines  Ueberganges  der 
Ganglienzellen  durch  ihre  feinsten  Ausläufer  in  die  granulirte 
Sul)stanz  oder  mit  anderen  Worten  die  Auffassung  der  letzteren 
als  Nervensubstanz  sehr  viel  gegen  sich  hat.  'Ich  kann  jetzt 
als  ein  weiteres  Argument  gegen  diese  Theorie  das  völlig 
differente  optische  Verhalten  frischer  Ganglienzellen  und  frischer 
granulirter  Substanz  anführen.  Die  Substanz  der  frischen  Netz- 
bautganglienzelle  erscheint  mit  Ausnahme  eines  schmalen  den 
Kern  umgebenden  Hofes  vollkommen  homogen  und  durchsichtig, 
die  granulirte  Substanz  dagegen,  wie  ich  bereits  an  einem 
anderen  Orte  ausgeführt  habe  *),  von  zahllosen  kleinen  hellen 
Kügelchen,  welche  nichts  Anderes  wie  Vacuolen  sind,  durch- 
setzt und  überdies  von  stärkerem  Glänze.  Der  Unterschied 
beider  ist  in  der  That  an  frischen  Netzhäuten  ein  sehr  auffal- 
lender. —  Meine  zweite  Bemerkung  betrifft  die  glänzende  homo- 
gene Substanz,  welche  die  Zwischenräume  zwischen  den  Gang- 
lienzellen ausfüllt.  Sie  lässt  keine  Spur  von  Formelementen 
erkennen,  erscheint  vielmehr  wie  ein  vollkommen  homogener 
Ausguss  der  Zell-Interstitien.  Offenbar  haben  wir  es  hier  mit 
einer  der  Kittsubstanz   der  Epithelzellen  vergleichbaren  Masse 


*)  Artikel  Retina,  im  Handbuch  von  Graefe  und  Saemisch.    S.  386, 


28  G.  Schwafca, 

zu  thun.  Sie  ist  es,  welche  an  Zupfpräparaten  aus  Müller'scliei' 
Lösung  in  Form  glänzeader  homogener  schalenförmiger,  mit 
den  Abdrücken  der  Ganglienzellen  versehener  BmchBtücke  auf- 
tritt.    (L.  c,  p.  384.) 

Teil  wende  mich  nunmehr  zur  Beschreibung  der  Kerne. 
Dieselben  sind  kuglig,  durch  einen  schmalen  Reifen  glänzender 
Masse,  die  sog.  Kemmemhran,  von  der  Granglienzellaubstanz 
abgegrenzt.  Dieser  Keifen  iet  nach  aussen  gegen  letztere  glatt 
conturii-t,  gegen  das  Innere  des  Kernes  dagegen  mit  mannig- 
fachen grösseren  und  kleineren  Hervorragungen  ver- 
sehn, aus  derselben  glänzenden  Masse  bestehend,  wie  die  Kern- 
membran und  mit  ihr  continuirlich.  Sehr  häufig  sind  diese 
Fortsätze  im  optischen  Durchschnitt  von  dreieckiger  Q«atalt, 
mit  der  Basis  der  Kemmemhran  aufsitzend,  mit  der  Spitze  nach 
innen  gerichtet;  in  anderen  Fällen  sind  sie  von  unregelmässiger 
Form.  Das  Innere  des  Kernes  erscheint  in  allen  Fällen  an 
frischen  Präparaten  vollkommen  klar.  Wo  die  eben  beschrie- 
henen  Prominenzen  sehr  ausgehildet  sind,  enthält  der  Kern  kein 
weiteres  Inhaltskörperchen ,  sondern  ist  vollständig  homogen. 
Es  existiren  hier  also  Ganglienzellenkenie  ohneKernkörper- 
Cheu.  Ist  ein  Kernkörperchen  vorhanden,  so  erscheint  es 
frisch  nie  knglig  oder  elUpsoidisch ,  mit  glatten  Conturen, 
sondern  stets  mehr  oder  weniger  zackig  (vgl.  M.  Schnitze,  1.  c. 
Fig.  346  A.)  und  sehr  häufig  mit  feinen  fadenförmigen 


Fig.  I. 
fl,  b  tiiiJ  c  GangUencellan  aus  der  Netzhaut  des  Schafes.  Frisch  in  Hnmor 
titreus.  a  nnd  b  mit  radienartigen  Fortsätzen  des  Nucleolus  und  unregel- 
iiiüNigen  Verdickungen  der  Kernmeuibran,  c  mit  2  grössereo  „«Badstäadigen 
Nuclooliii".  d  Ganglienzelle  aus  der  Netzhaut  des  Kaninchens,  Nucleolus 
mit  einem  fadenfiirmigen  Fortsätze. 


Bemerkangen  über  die  Kerne  der  Gangliensellen.  29 

Ausläufern  versehen,  die  in  sehr  wechselnder  Zahl,  Länge 
und  Dicke  auttreten  können.  Fig.  1  d  zeigt  einen  feinen,  Fig. 
1  a  6,  Fig.  1  b  deren  7,  darunter  zwei  längere.  Oft  lassen  sich 
die  Ausläufer  bis  in  die  Nähe  der  Kemperipherie  verfolgen, 
wo  sie  zugespitzt  enden.  Ueber  die  Umrisse  des  Kernes  hinaus 
in  das  Gebiet  des  Ganglienzellenkörpers  sah  ich  sie  nie  ein- 
dringen. Sie  beginnen  meist  mit  breiterer  Basis  aus  der  Sub- 
stanz des  Nucleolus  sich  zu  entwickeln  und  enden  fein  zugespitzt. 
Ihre  Substanz  stimmt  in  allen  Eigenschaften  mit  der  des  Kern- 
körperchens  vollständig  überein  und  ist  mit  ihr  continuirlich. 
Ebenso  ist  aber  kein  materieller  Unterschied  wahrzunehmen 
zwischen  dem  im  Innern  des  Kernes  gelegenen  Kernkörperchen 
und  dem,  was  ich  vorhin  als  Kemmembran  bezeichnet  habe, 
sowie  deren  mannigfachen  inneren  Excrescenzen.  Alle  diese 
Gebilde  bestehen  aus  derselben  glänzenden  homogenen  Substanz. 
Man  könnte  in  dem  Falle,  wo  ein  innerer  Nucleolus  fehlt, 
geradezu  davon  reden,  dass  als  Ersatz  dafür  wandständige 
Kernkörperchen  vorhanden  seien ;  man  muss  freilich  dann  hinzu- 
setzen, dass  letztere  mit  der  Kernmembran  vollkommen  ver- 
schmolzen sind,  ihr  also  nicht  blos  anliegen,  wie  dies  in  den 
Formen  wandständiger  Nucleolis  der  Fall  ist,  die  Auerbach 
beschreibt. 

.  Die  ganze  Configuration  der  eben  beschriebenen  Kerne 
wiederholt  im  Kleinen  das  Bild  gewisser  Zellen,  wie  z.  B.  vieler 
Püanzenzellen,  wo  wir  es  mit  einer  dünnen  Schicht  wandstän- 
digen Protoplasmas  und  mit  einer  den  Kern  enthaltenden  An- 
sammlung desselben  zu  thun  haben,  von  welch'  letzterer  Fäden 
derselben  Substanz  zur  Peripherie  verlaufen,  um  sich  dort  mit 
der  Wandschicht  zu  vereinigen.  Die  letztere  würde  in  unserem 
Falle  durch  die  sog.  Kernmembran  und  ihre  inneren  Hervor- 
ragungen, der  Kern  mit  seinen  Protoplasmastrahlen  durch  den 
Nucleolus  mit  seinen  feinen  Fäden  repräsentirt.  Abweichend 
vom  Baue  jener  Pflanzenzellen  ist  hier  nur,  dass  bei  unseren 
Kernen  die  Wandschicht  direkt  die  Oberfläche  des  Kernes 
bildet,  dass  sie  nicht  einer  von  ihr  gebildeten  Membran  an- 
liegt; sie  ist  somit  einer  Zellmembran  nicht  zu  vergleichen. 
Sodann  ist  von  mir  eine  Verschmelzung  der  feinen  Fäden  mit 
der  Wandschicht  nicht  direkt  beobachtet  worden.  Ich  halte 
es  aber  für  sehr  wahrscheinlich,  dass  eine  solche  Verbindung 
ab  und  zu  vorkommt.  Sollte  sich  diese  Vermuthung  bewahr- 
heiten^ so  hätten  wir  hier  im  Kerne  der  Nervenzelle  die  Difife- 


30  G-  Schwalbe, 

renzii'uiigcn,  die  innerhalb  des  Protoplasmas  der  Zellkörper 
auftreten,  im  Kleinen  wiederholt.  Es  fehlte  zur  Gleichstellung 
uui-  der  N:ic)LWnis,  dass  die  glänzende  peripher  (sog.  Kernmem- 
bran)  nnd  central  (Nucleolus  mit  Fäden)  vertheilte  Substanz  in 
Bau  nnd  Leben seigenschaften  dem  Protoplasma  entspricht.  In 
orsterer  Bczieliung  ist  bekannt,  dass  sie  jedenfalls  in  ihrer 
grösseren  Masse  aus  Eiweisskörpern  aufgebaut  ist.  In  letzterer 
Hinsicht  liandelt  es  sich  um  den  Nachweis  von  Bewegungs- 
erscheinungun.  Direlft  habe  ich  nun  zwar  Form-  resp.  Orts- 
verändorungen  ara  Kernkörperchen  nicht  beobachten  können, 
halte  aber  wcuij^stens  erst^'re  für  sicher  nachgewiesen  durch  die 
veränderte  Form,  unter  der  die  Kernkörperchen  sich  im 
irischen  Zustande  und  nach  Behandlung  mit  Reagentien  zeigen. 
Die  feinen  Fortsätze,  welche  an  frischen  Kernkörperchen  so 
leicht  wahrzuntihmen  sind,  ja  sogar  die  bereits  von  M.  Schnitze 
beschriebene  zackige  Form  fehlen  an  künstlich  isolirten  (Jod- 
serum ,  MiÜler'sche  Lösung)  Ganglienzellen  vollkommen.  Es 
lässt  sich  dies  nur  so  erklären,  dass  die  Kernkörperchen  bei 
Berührung  mit  jenen  heterogenen  Substanzen  geradeso  wie  die 
Protophismakiirper  ihre  Fortsätze  einziehen  und  kuglig  werden. 
Dies  liiast  ninsckehrt  auch  auf  ein  ähnliches  physiologisches 
Verhalten  der  Ivernkörpercben-Fortsätze  im  Leben  schliessen. 
Ueherdies  liaben  ja  neuere  Untersuchungen  bereits  mehrfach 
Bewegungscrscl) einungen  des  Kernkörperchen s  in  anderen  Zellen, 
vor  allen  in  Eizellen  der  verschiedensten  Wirbellosen  ')  und 
kürzlich  auch  der  Fische ')  constatirt;  ganz  neuerdings  be- 
obachtete Kidd ')  derartige  Veränderungen  sogar  innerhalb 
epithelialer  Zellen  vom  Frosch.  Es  zeigt  also  die  Substanz 
der  Nucleoli  und  wahrscheinlich  auch  die  damit  vollkommen 
übereinstimmende  der  sogenannten  Kemmembran  und  ihrer  Ver- 
dickungen älmliche  Bewegungserscheinungen  wie  das  Proto- 
plasma. Bei  Pllanzenzellkernen  ist  ein  schaumiger  Zustand  der 
Kernsuhstanz,  die  von  den  Botanikern  als  protoplasmatisch  be- 
trachtet wird,  nichts  Seltenes  und  in  diesem  Falle  kann  sogar 
eine  strömende  Bewegung  derselben  wahrgenommen  werden,  wie 


')  Vgl,    rlio    Zus; 

dem    citirten   Werke 

von  Anorbach, 

S.    IRS. 

^  Tl..  Eimor  im 

Archiv  f. 

mikrosk. 

325  ff. 

•i  P.  Ki.id,  Ob 

i^ervationii 

OD  HpontaneouR   movement  of  Dodeoli. 

Quart. 

Jonrn.  of  mior.  ncien' 

ce.    April" 

I87ä,  p. 

133. 

Bemerkungen  über  die  Kerne  der  Ganglienzellen.  31 

A.  Weiss  *)  für  die  Kerne  junger  Haare  von  Hyoscyamus  niger 
angibt. 

Noch  nach  einer  anderen  specielleren  Richtung  hin  dürften 
meine  Beobachtungen  an  den .  Kernen  der  Ganglienzellen  von 
Interesse  sein.  Es  scheint  mir  unzweifelhaft,  dass  manche  der 
in  der  Literatur^)  vorhandenen  Angaben  über  die  Existenz 
feiner  nervöser  Kernkörperchenfäden,  die  nach  Durchsetzung 
des  Kerns  und  Zellkörpers  zu  austretenden  Nervenfasern  werden 
oder  in  solche  übergehen  sollen,  sich  zurückführen  lassen  auf 
falsch  gedeutete  Beobachtungen  der  von  mir  beschriebenen 
Kemkörperfaden,  welche  nichts  Anderes  sind  als  Portsätze  der 
contractilen  Nucleolussubstanz.  Nie  sah  ich  dieselben  die 
Grenzen  des  Kernes  überschreiten. 

Ganz  ähnliche  Resultate  wie  bei  der  Retina  des  Schafes 
erhielt  ich  durch  Untersuchung  der  Netzhaut  -  Ganglienzellen 
vom  Kaninchen  (Fig.  1  d)  und  Ochsen.  Interessante  Aufschlüsse 
über  Bedeutung  und  Herkunft  der  sog.  Kernmembran  und  der 
Nucleoli  ergaben  Untersuchungen  der  Ganglienzellen  aus  der 
Netzhaut  des  Kalbes.  Diese  Zellen  unterscheiden  sich  von  den 
entsprechenden  Elementen  des  Ochsen  zunächst  durch  ihre 
ausserordentlich  verschiedene  Grösse.  Es  ist  dies  ein  sehr  auf- 
fallendes, für  die  Entwickelungsgeschichte  der  Ganglienzellen 
bedeutungsvolles  Verhalten.  Beim  ausgewachsenen  Thiere  sind 
die  Differenzen  in  der  Grösse  der  einzelnen  Zellen  verhältniss- 
mässig  geringe,  beim  Kalb  dagegen  ausserordentlich  grosse  und 
ebenso  verhalten  sich  die  kugligen  Kerne.  Beim  Ochsen  messen 
sie  alle  ungefähr  14,5  /«  im  Durchmesser,  beim  Kalbe  finden 
wir  von  7  ^i  an  alle  Grössen  bis  14,5  iti  vertreten  und  diesen 
verschiedenen  Grössen  der  Kerne  entsprechen  nun 
ganz  verschiedene  Organisationsverhältnisse.  Da 
beim  erwachsenen  Thiere  fast  alle  Zellen  nahezu  gleich  gross 
und  sowohl  in  Zellkörper  als  Kern  von  der  Ausdehnung  der 
grössten  Kerne  des  Kalbes  sind,  so  ist  anzunehmen,  dass  die 
kleineren  Zellen  des  letzteren  allmälig  heranwachsen  zur  Grösse 
derer  des  erwachsenen  Rindes,  dass  also  die  verschiedenen 
Grössen  der  Nervenzellen  und  Kerne  eben  so  viele  Entwicklungs- 


*)  Wiener  acad.  Sitzungsberichte«  Bd.  54.  Juliheft. 

*)  Vgl  J.  Arnold,  Ein  Beitrag  «u  der  feineren  Structur  der  Ganglien- 
zellen. Virchow's  Archiv,  Bd.  41.  1867,  sowie  meine  Arbeit  über  Spinalgang- 
Uen,  L  c.  S.  64  ^,  65. 


32  G.  Schwalbe, 

stufen  darstellen.  Für  die  Frage  nach  dem  Modus  des  W:iehs- 
thnitix  der  Ganglienzellenschicht  der  Retina  rliirt'te  siok  darairs 
nj«  walirscheilich  ergehen,  dasB  dasselbe  nicht  durch  eine  Ver- 
niehniiig  der  nervösen  Elemente,  sondern  durch  ein  Heran- 
wiidiH<?n  der  bereits  bestehenden  vermittelt  werde. 

Wie  dem  auch  sein  mag,  die  Annahme,  dass  die  kleinsten 
Kerne  resp.  kleinsten  Zellkörper  (beide  scheinen  in  nahezu  con- 
Htantem  Verhiiltniss  zn  wachsen)  den  jüngsten  Stadien  entsprechen, 
dürfte  wenig  gegen  sich  haben  und  die  Veränderungen,  welche 
die  KerQe  von  den  kleinsten  bis  zu  den  grössten  erkennen  lassen 
bestätigen  die  Ansicht,  dass  wir  es  mit  verschiedenen  Entwick-, 
lungK|iha8en  derselben  zu  thun  haben.  Die  kleinsten  Kerne, 
( 7  /(  h'ig.  2  a)  gewähren  ein  ganz  anderes  Bild  ihres  inneren  Baues, 


Fig.  3. 

ji  Tjixl  b  Ganglienzellen   aus  der   Netzhaut  dca  Kalbes;   a  jüngste  Stadien;  b 

cIwhji  allere  Zelle  mit  4  Nucleolia,  darunter  3  wandatändigeu,  c  Gauglionzetle 

IUI«  il'jr  Netzhaut  des  üchann.    Kein  centraler  Nucleolua,  nur  eine  liemwand- 

verdickung. 

wie  diiK  oben  beschriebene  der  Ganglienzellen  vom  Schaf,  Kanin- 
chen, Ochsen.  Sie  sind  ohne  jede  Spur  von  Kemkörperchen 
unti  scheinen  aus  einer  gleichraässig  vertheilten  granulirten 
Miisse  2U  bestehen.  Eine  Differenzirung  in  Kemmembran  und 
Kerninlialt  ist  nicht  vorhanden.  Wahrscheinlich  ist  die  feine 
Körni.ilung  der  Kemsubstanz  auf  eine  netzförmige  Structur  der- 
selben aurUckzufUhren,  etwa  in  ähnlicher  Weise,  wie  ich  dies 
für  die  innere  granulirte  Substanz  der  Netzhaut  oder  Heitzmanu 
für  das  Protoplasma  der  Amöben  und  weissen  Blutkörperchen 
beschrioben  hat.  In  Kernen  von  10,8  bis  11,7  /i  (Fig.  2  b) 
finden  wir  bereis  deutliche  Kemkörperchen  innerhalb  einer 
hellen  Masse,  die  ihrerseits  von  einem  in  seinem  Aussehen  den 
Kemkörperchen  vollständig  gleichenden  Ringe  umgeben  wird, 
einer  sog.  Kernmembran.    Was  aber  diesen  Zustand  von  den 


^ 


Bemerkungen  über  die  Kerne  der  Ganglienzellen.  33 

späteren  unterscheidet,  ist  abgesehen  von  dem  geringeren 
Durchmesser  des  Kerns  bei  gleicher  Masse  der  Nucleolar- 
substanz  die  Vertheilung  letzterer  auf  mehrere,  2 — 4,  Kern- 
körperchen,  von  denen  aber  gewöhnlich  mehrere,  bis  3,  als 
dreieckige  wandständige  Verdickungen  des  Kernconturs  er- 
scheinen, ein  oder  zwei  frei  im  Innern  liegen.  Gerade  dieses 
Stadium  ist  also  ausgezeichnet  durch  das  Vorkommen  mehrerer 
sog.  wandständiger  Kernkörperchen.  Beim  Wachsen  des  Kernes 
(12,5  ^.)  nimmt  die  Höhe  und  Zahl  dieser  Wandverdickungen 
immer  mehr  ab,  während  im  Innern  ein  gut  ausgebildeter 
zackiger  oder  eckiger  Nucleolus  von  2,7  bis  3,6  fi.  das  Gewöhn- 
liche ist.  In  den  grössten  Kernen  (14,5  ^.)  können  die  Wand- 
verdickungen bis  auf  unbedeutende  Höckerchen  verstreichen; 
dieselben  gewähren  dann  ganz  das  bekannte  Bild  der  uninucleo- 
lären  Ganglienzellen,  wie  wir  sie  in  denen  der  Netzhaut  des 
Ochsen  constant  antreffen. 

Ueberblicken  wir  die  ganze  Reihe  der  beschriebenen  Ver- 
änderungen, so  werden  wir  uns  folgendes  übersichtliches  Bild 
von  denselben  entwerfen  können.  Die  Substanz,  aus  der  die 
spätere  Kernmembran  und  die  Nucleoli  bestehen ,  ist  anfangs 
gleichmässig  durch  den  ganzen  Kern  vertheilt  und  füllt  den- 
selben mehr  oder  weniger  vollkommen  aus,  indem  sie  von  zahl- 
reichen kleinen  mit  einer  anderen  Masse  erfüllten  Vacuolen 
durchsetzt  ist.  Beim  Wachsthum  des  Kernes  nimmt  die  Va- 
cuolensubstanz  zu,  ohne  dass  eine  wesentliche  Zunahme 
des  anderen  Kernbestandtheiles  zu  constatiren  wäre.  Die 
Folge  davon  ist,  dass  letzterer  in  verschiedene  Portionen  zer- 
rissen wird,  von  denen  eine  stets  die  Oberfläche  des  Kernes 
einnimmt,  zur  sog.  Kernmembran  wird,  mit  einer  Anzahl 
zackiger  Vorsprünge,  den  wandständigen  Kernkörperchen,  in 
das  Innere  des  Kernes  hineinragt,  während  andere  Portionen 
sich  zu  einem  oder  mehreren  Nucleolis  zusammenballen.  In 
dem  Maasse,  als  die  helle  Substanz  im  Innern  des  Kernes,  zu- 
nimmt, werden  die  inneren  Prominenzen  der  Kernmembran  in 
Folge  zunehmender  Ausdehnung  der  letzteren  immer  mehr  ver- 
streichen. Man  kann  also  den  ganzen  Process  als  eine  Vacuo- 
lisirung  auffassen,  ähnlicher  Art,  wie  sie  innerhalb  der  Pflanzen- 
zellen zur  Scheidung  von  Protoplasma  und  Zellsaft  führt.  Ich 
werde  hinfort  den  glänzenden,  die  Kemmembran  und  die  Kern- 
körperchen constituirenden  Bestandtheil  der  fertigen  Kerne  als 
Nucleolarsubstanz  bezeichnen,  den  wasserklaren  das  Innere 
B4.  z,  N.  r.  ni.  S 


A*^  K'rn,-.  '.rtaüf^'fo  als  K£rn<aft  iSoltiko-.  GevebelefaFe). 
Km  t*t  wit'urtrh'iialit:h .  da^s  Wtzterer  älsst<scr  Satai  ist.  in 
knntftn  Halle  al>^  üt  er  rein««  Wajs^r.  soniimi  jeden&Ug  von 
«■br  *:"tnijli«rter  chfcmiicber  Bw^haffeDfceh ,  enthält  Eiweiss- 
kdriKT,  f*.iiz«  iri  h'i-aae.  Spn^Lt^n  doth  schon  die  Sieder- 
•cblüffi!.  dit'  BiiD  Äp'iiiLd.n.  ftroer  durch  Ein virknn^  tob  Sänren  etc. 
in  ihm  <:iit>it«bf;u  »i'rht.  d^iür.  da.^4  der  Kemsaft  durchaus  nicht 
dem  fnhaiw  gewöhnlicher  Protofilasma-Tacnolen  zn  vergleichen 
iiit.  Kine  genaue  ifiikrochemisrhe  Untersnchang  habe  icb  bisher 
niclit  angf-pif-llt  !>*«■  eben  gpschilderte  Ifodiis  der  inneren 
ßntwirkluiii;  der  bfiHchriebenen  Ganglieozellenkeme  macht  aocb 
einige  Ahweirliungen  vom  normalen  Typus  der  aosgebildeteu 
Knnif!  leicht  venttUndlich-  Es  kann  die  ^esammt«  Xacleolai- 
■nbitliiriz  'Itireli  dt-ii  znnehmeuden  Kemsaft  an  die  Peripherie 
Kedriingt  werden,  ko  dasK  aUo  ein  i^olcher  Kern  entgegen  Allem, 
wah  wir  HiiuKt  von  GanglienzellenkerDen  wissen,  ohne  Nucleolns 
ixt.  In  h'ii^,  2  c  bilde  ich  einen  solchen  Kern  ans  einer  Betina- 
GfttjglKrti/ülle  de»  Ochsen  ab,  in  welchem  nur  in  einer  spitz 
nuch  innen  vorapringenden  dreieckigen  Verdickung  der  j^Kem- 
memhiiiii"  eine  Andeutung  einer  Nucleolarbildong  vorliegt. 

Mit  it(  a  beschriebenen  Ganglienzellen  der  Betina  habe  ich 
nun  cini-  Anzahl  Nervenzellen  anderer  Localitäten  verglichen 
und  zwar  ilio  grossen  Zellen  der  Vorderhörner  des  Riickenmarks 
Vom  Kiiriiridhen  und  Schwein,  die  Ganglienzellen  des  Ganglion 
GaKRori  vniti  Kaninchen,  der  Spinal-  und  sympathischen  Gang- 
lien von  U.inft  teraporaria.  Alle  diese  Zellformen  zeigen  etwas 
Ohfiriikti'ii'tiüclioH,  was  sie  sofort  von  den  Retina-Nervenzellen 
iint(>i'N<'lii'iil{it.  Es  fehlt  nämlich  die  sog.  Kernmembran  und 
mit  dii'NiM'  natürlich  auch  die  sog.  wandständigen  Kemkörper- 
cl]^^».  Hci  hello  klare  Kernsaft  wird  unmittelbar  von  der  Zell- 
HuliNtiiii/  licgronzt.  Im  Innern  findet  sich  meist  ein  grÖBserer 
kiiKÜK''!'  "<l<'i'  oIlipsoidiBcher  NucIeoluB,  in  welchem  ich  bei  den 
Ni'ivnn/rllnii  dcis  Kilckenmarks  häuüg  kleine Vacuolen,  die  sog. 
Niii'.l>'o)i)li  Hftli,  Ntich  Allem  sind  diese  kleinen  Vacuolen  mit 
dcrNi'lIxiii  Knbstiinz  erfüllt,  wie  die  Kerne,  also  mit  Kemsaft. 
Die  (liingliiinKoUon  dos  Rückenmarks  untersuchte  ich  an  Schnitten 
gpfrori'Mi'i'  Stücke  ohne  Zusatz  oder  mit  Chlomatrium  ^/j  %. 
Sil'  tnili'ii  diuui  nlw  helle  Flecke  aus  der  grauen  Substanz  her- 
vor, dii'  hiilbst  boi  Anwendung  der  grössten  Vorsicht  und  ohne 
joiU<  XuHjil/:HltHsigkt'it  nntcrmieht,  doch  nicht  homogen  erscheinen^ 
yondorn,    wio    nniii  hei  starker  VergrÖsserung  deutlich  erkennt, 


Bemerkungen  über  die  Kerne  der  Ganglienzellen.  35 

von  zahlreichen  grösseren  und  kleineren  Tropfen  durchsetzt 
sind,  ähnlich  wie  die  granulirte  Substanz  der  Retina  nach  der 
von  mir  gegebenen  Beschreibung.  Der  Kern  ist  im  frischen 
Zustande  völlig  unsichtbar;  nur  das  glänzende,  kuglige 
oder  ellipsoidische  Kemkörperchen  deutet  die  Stelle  an,  wo 
man  ihn  zu  suchen  hat.  Kernkörperchenfortsätze  habe  ich  nicht 
gesehen.  ^)  —  Die  Zellen  der  Spinalganglien  des  Kaninchens 
zeigten  den  Kern  als  hellen,  vollkommen  homogenen  Hof  um 
das  gewöhnlich  kuglige  Kemkörperchen,  letzteres  war  zuweilen 
eckig  oder  leicht  zackig.  Eine  Kemmembran  und  wandständige 
Nucleoli  waren  auch  hier  nicht  vorhanden.  Ein  ganz  ähnliches 
Bild  gewähren  die  Kerne  der  Spinalganglienzellen  von  Bana 
temporaria,  sowie  der  sympathischen  desselben  Thieres,  Ein 
Kemkörperchen  ist  hier  das  Gewöhnliche;  nie  ist  dasselbe 
zackig,  dagegen  sieht  man  bei  der  Beobachtung  frischer  Zellen 
auf  dem  heizbaren  Objecttisch  auf  der  Oberfläche  des  Kern- 
körperchens  kleine  buckeiförmige  Erhebungen  auftreten  und  zu- 
gleich die  peripheren  Theile  des  Nucleolus  dunkler  werden,  als 
die  centralen.  In  einem  Falle  hatte  das  Kemkörperchen  einen 
längeren  stumpfen  Fortsatz  getrieben.  Es  ist  hieraus  auf  active 
Formveränderungen  der  Nucleoli  zu  schliessen,  die  aber  jeden- 
falls sehr  langsame  sind,  da  es  mir  nicht  gelang,  diese  Fortsätze 
direct  entstehen  zu  sehen.  Es  ist  endlich  zu  bemerken,  dass 
auch  frische  Spinalganglienzellen  vom  Frosch  nie  homogen  ge- 
sehen werden,  sondern  stets  eine  feine  moleculäre  Trübung  er- 
kennen lassen.  Dieselbe  ist  leichter,  wie  bei  den  beschriebenen 
Zellen  des  Rückenmarks,  auf  eine  netzförmige  Anordnung 
der  Ganglienzellsubstanz  zurückzuführen ;  die  Knotenpuncte  der 
feinen  Netzfäden  imponiren  bei  flüchtiger  Betrachtung  als 
Kömchen. 

Soweit  meine  Beobachtungen.  Wir  ersehen  aus  ihnen, 
dass  schon  innerhalb  der  Gruppe  der  Nervenzellen  die  Kern- 
gebilde  in  ihrem   inneren   Aufbau  beträchtliche    Verschieden- 


')  Nur  an  nicht  mehr  ganz  frischen  Nervenzellen  des  Rückenmarkes  habe 
ich  das  Kemkörperchen  von  einem  dem  Eimer'schen  Körncbcnkrcise  ent- 
sprechenden Kreise  kleiner  Kügelchen  umgeben  gesehen,  die  aber  der  Ober- 
fläche des  Nncleolos  dicht  aufsassen  und  von  demselben  Glänze  wie  dieser 
waren,  so  dass  es  schien,  als  hätten  sie  sich  von  der  Oberfläche  des  Kern- 
körperchens  abgeschnürt.  Nie  habe  ich  an  Kernen  frischer  Spinal-  oder 
B«tina-Giinglienzellen  etwas  Aehnliches  wahrgenommen;  stets  war  der  Kern- 
saft vollkommen  homogen. 

3* 


G.  Schwülbc, 

heiten  erkennen  lassen,  selbst  wenn  man  nur  die  Ai-t  und  Weise 
der  VertheiUmg  und  Massen  Verhältnisse  Ton  Kemsaft  und 
Nncleolarsubstanz  berücksichtigt.  Dass  eine  genaue  mikro- 
chemische TIn:eisuchung  noch  weitere  Differenzen  im  Bau  der 
Kerne  der  vcrrcliiedenen  G-anglienzellen  aufdecken  wird,  scheint 
mir  unzweifeUKift.  Unter  diesen  Umständen  wäre*  es  ein  grosser 
Missgi'iff,  das,  was  die  Beobachtungen  an  G-anglieuzellen  über 
die  Entstehung  des  Nucleolus  gelehrt  haben,  einfach  auf  die 
Kerne  andGror  entwickeiter  Zellen  (Epithelien,  Bindegewebs- . 
zelleu,  Muskelzolten)  zu  übertragen,  ohne  Weiteres  die  Kern- 
körperchen  diepci-  denen  der  Q-angUenzellen  gleich  zu  stellen. 
Dies  wird  erat  nach  vergleichender  mikrochemischer  Prüfung, 
sowie  nach  genauer  Untersuchung  der  Entwicklung  dieser  Kerne 
geschehen  können.  Ich  wage  es  deshalb  nicht,  schon  jetzt  nach 
den  wenigen  eigenen  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand, 
ein  allgemeines  Gesetz  über  den  Bau  und  die  Differenzirung 
der  Zellkerne  aufzustellen.  Wohl  aber  wird  es  nöthig,  meine 
Erfahrungen  iihi'r  die  Kerne  der  Nervenzellen  zu  vergleichen 
mit  dem,  was  vieuerdings  von  zwei  Seiten  in  sehr  differenter 
Weise  über  Bildung  der  Kerne  und  Kernkörperchen  gesagt 
worden  ist,  mit  den  Angaben  von  Auerbach  und  Heitzmann. 

Mit  des  Ersteren  Anschauungen ')  stimmen  meine  Beobach- 
tungen nur  insnlcrn  üherein,  als  auch  ich  den  enucleoläreu  Zu- 
stand hei  Gangiienzellen  dem  nucleolären  vorausgehen  sah ; 
sie  weichen  aber  ah  in  Betreff  des  Modus  der  KemkÖrperchen- 
Bildung.  Auerbach  lässt  die  Nucleoli  wie  neuerdings  Klebs  ^) 
aus  dem  Proto]dasma  der  Zelle  in  den  Kern  einwandern;  es 
seien  anfangs  nur  einer  oder  wenige  vorhanden,  die  sich  durch 
Theilung  vermeliren;  nach  meinen  Beobachtungen  an  Ganglien- 
zellen entstehpK  dagegen  die  Kernkörperchen  wie  die  Kern- 
memhran  aus  der  ursprünglichen  Kernsubstanz,  indem  diese 
durch  Ansammlung  und  Zunahme  des  hellen  Kemsaftes  in 
mehrere  Portionen  zersprengt  wird,  Es  findet  ferner  keine 
Zunahme  der  Nu cleolarsub stanz  Statt,  sondern  diese  bleibt  con- 
stant,  nimmt  alsii  heim  Wachsthum  des  Kernes  sogar  relativ  ab. 
Daher  kommt  es,  dass  wir  in  den  Ganglienzellen  entgegen 
Auerbach's  Angaben  für  andere  Zellkerne  einen  plurinucleolären 
Zustand  dem  uninucleoläreo  vorausgehn  sehn  und  dass  letzterer 

')  L.  c  p.   75-161. 

')  Die  Regeneration  des  PUttenepithels.  Archiv  f.  experim.  Patiiologie. 
ßd.  m.  S.   153.   I87J. 


Bemerkangen  über  die  Kerne  der  Ganglieozelleii.  37 

sogar  in  einen  enucleolären  übergehen  kann,   in  welchem  die 
gesammte  Nucleolarsuhstanz    als   Kernmenihran  verwendet  ist. 
Man  sieht  also,  dass  Auerbach^s  Angaben  über  Entstehung  und 
Vermehrung  der  Nucleoli  durchaus   nicht   zu   verallgemeinern' 
sind. 

Viel  besser  lassen  sich  meine  Beobachtungen  an  Ganglien- 
zellen-Kernen mit  den  Anschauungen  Heitzmann's  *)  über  den 
Bau  der  Zellkerne  und  die  Entstehimg  der  Kernkörperchen 
vereinigen.  In  den  Kernen  älterer  Amöben,  in  den  Kernen  der 
weissen  Blutkörperchen  beobachtete  er  eine  netzförmige  An- 
ordnung der  Kernsubstanz  (Protoplasma),  innerhalb  deren  häufig 
solide  Körperchen  derselben  Substanz  auftreten,  die  durch  ein 
feines  Netz  mit  der  Protoplasmarinde  des  Kernes  verbunden 
sind ;  dies  sind  die  Kernkörperchen.  Kern  und  Kernkörperchen 
bestehen  aus  dichteren  Ansammlungen  von  Protoplasma  und 
gehen  in  ihrer  Substanz  continuirlich  in  die  ebenfalls  netzförmig 
angeordnete  Substanz  des  Zellkörpers  über.  Soweit  Heitzmann's 
Angaben  sich  auf  die  Differenzirung  der  Kerne  beziehen,  kann 
ich  mich  nach  dem  oben  Mitgetheilten  ihnen  für  die  Ganglien- 
zellen im  Allgemeinen  anschliessen,  dagegen  habe  ich  mich  von 
der  Identität  der  Substanz  der  Kernmembran  und  des  Kern- 
körperchens  mit  der  des  Zellkörpers  nicht  überzeugen  können. 
In  den  Ganglienzellen  der  Retina  ist  die  Kernmembran  scharf 
gegen  den  klaren  Zellkörper  abgegrenzt,  innerhalb  der  übrigen 
Ganglienzellen  fehlt  sie,  und  nie  sah  ich  Fortsätze  des  Kern- 
körperchens  hier  bis  zur  Peripherie  dringen  und  etwa  dort  mit 
der  Ganglienzellensubstanz  verschmelzen.  Eine  netzförmige 
Anordnung  des  Zeil-Protoplasmas  dagegen  kann  ich  für  die 
Blutzellen  des  Plusskrebses,  die  weissen  Blutkörperchen  von 
Triton  bestätigen.  Heitzmann  beschreibt  einen  solchen  reticu- 
lären  Bau  aber  von  allen  thierischen  Zellen,  gleichgültig  wel- 
chem Gewebe  sie  angehören,  sich  stützend  auf  Gold-  und  Silber- 
bilder, und  gelangt  unter  weiteren  Verallgemeinerungen  sogar 
zur  Annahme  zahlreicher  feiner  Verbindungsfäden  zwischen  den 
zelligen  Elementen  aller  Gewebe.  Es  ist  nicht  meine  Auf- 
gabe, die  durch  Gold  und  Silber  erhaltenen  Trugbilder,  welche 
Heitzmann  zu  einer  so  weit  gehenden  Verallgemeinerung,  zu 
einem  Aufgeben  der  Zelle  als  Elementarorganismus  führten,  zu 


')  Untersuchungen   über  das  Protoplasma.    I  bis  Ili.    Wiener   aradeu). 
SiUungsber.  Bd.  ^^1  u.  «8.  III.  Abth.  April  bis  Juni  1873. 


IcrHtsiren.  es  ist  Solches  bereits  für  einige  G«webe  geschelieii ; 
M>  ist  ffir  den  Knorpel  von  Colomiatti  and  Brackner  das  Irr- 
tbBnliche  der  Heitzmann'^tlien  Angaben  &ber  die  Existenz  feiner 
Ketze  in  der  örandsabt9t<iij/  nacbgewieeen.  Niemand  hat  femer 
tu  anderen  Geweben  die  f,xistenz  der  feinen  speichenförmigen 
Fcrrtüätxe  der  Zeilen«berliii-:he  nachweißen  können,  dnrch  welche 
die  einzelnen  Zellen  nntcr  einander  entweder  direct  oder  durch 
Vermitllunt!  eines  feinen  in  der  Gnindsubstanz  gelegenen  Netzes 
in  Verbinriung  Ktehen  sollen.  Ich  selbst  habe  an  der  Peripherie 
der  Ganglienzellen  der  K-tina  keine  Spar  solcher  Speichen  ge- 
sehen, obwüld  dieselben  l'i  rade  hier  in  der  optisch  differenten 
Kittmasae  leicht  Latten  sjf- ;hen  werden  müssen. 

Anders  scheint  es  mit  der  Angabe  Heitzmann's  Über  einen 
netzförmigen  Bau  auch  dtT  Zellkörper  differenzirter  Zellen,  wie 
der  Epithel-  und  Nfjrveriz.'ilen  zu  stehen.  Allerdings  sind  Heitz- 
mann's Abbildungen  wegen  ihrer  schablonenmassigen  Ausfüh- 
rung, seine  Anguben.  weil  sie  sich  nicht  auffrische,  sondern 
stark  veränderte  Gewt'bselemente  beziehen,  wenig  geeignet,  zu 
seiner  Anschauung  zu  brkr:hi:en,  um  so  mehr,  als  er  dieselbe 
netitförniig  angeordnete  Hubstanz  in  allen  Zellen  wiederfindet, 
gleicligiiltig,  welclies  ihr  ihemischer  und  physiologischer  Cha- 
rakter sei.  Allein  die  kürzlich  publicirten  sorgfältigen  Unter- 
suchungen Kupffcr's ')  üliir  den  feineren  Aufbau  der  Leber- 
zellen des  Frosches,  der  E]>itbelien  der  Hamkanälcben  und  der 
Drüaeuzellen  von  Periplaneta')  lehren  ähnliehe  von  der  Um- 
gebung der  Kerne  aufgellende  Netze  innerhalb  einer  ganzen 
Reihe  epithelialer  Gebilde  kennen.  Die  Substanz  dieser  feinen, 
Körnchen  führenden  Netze  wird  von  Kupffer  als  Protoplasma 
bezeichnet,  sowohl  wegen  ihrer  mikrochemischen  Reactionen  als 
der  BiiweRungBersclieinungin,  welche  er  an  denselben  wahrnahm. 
Die  Lücken  des  Protopic snianetzes  werden  von  einer  anderen 
homogenen  Masse  ausgefüllt,  die  Kupffer  Paraplasma  nennt, 
und  der  Kern  ist  sowohl  von  diesem  als  dem  Protoplasma 
chemisch  verscliieden. 

In  analoger  Weise  fand  ich  im  Körper  der  Spinalganglien- 

')  Ueber  DilTereiiziniDg  iIpm  Protoplasma  an  den  Zellen  thierischer  Ge- 
webe. 8clmftBTi  dos  naturw.  Vereine  fiir  Sclileawig  -  HoUtein,  III.  ISTS. 
B.  aS9  K. 

*)  C.  KupITer,  Die  Spnirlicldrüteii  von  Periplaneta  orientHÜs  aod  iliT 
KurvennppDrul  Builrugu  sur  Aiiutomie  u.  FhyMologie,  als  Festgabe  C.Ludwig 
cum  in.  October  ifT4  gewidmet  von  »einen  Scbülem.  S.  77    8i, 


BemerkuB^n  über  die  Kerne  der  Ganglienzellen.  39 

Zellen  vom  Frosch  zwei  Substanzen  vertheilt,  von  denen  die  eine 
ein  sehr  zartes  Netzwerk  formirte,  das  von  der  Oberfläche  des 
wandungslosen  Kernes  bis  zur  Zellenoberfläche  reichte,  die 
andere  hellere  die  Maschenräume  ausfüllte.  Die  Substanz  des 
Kemkörperchens  erwies  sich  optisch  verschieden  von  jenen  beiden 
Substanzen,  dagegen  schien  der  Kemsaft  mit  der  Ausfüllungs- 
masse der  Maschenräume  übereinzustimmen.  Ist  dies  richtig,  so 
werden  wir  auch  hier  drei  Substanzen  zu  unterscheiden  haben: 
die  Nucleolarsubstanz,  den  Kemsaft  und  die  reticuläre  Substanz. 
Genauere  mikrochemische  Untersuchungen  habe  ich  bisher  nicht 
angestellt.  Die  Ganglienzellen  der  Retina  scheinen  fast  in 
ihrem  ganzen  Umfange  aus  der  hellen  dem  Kernsafte  oben 
gleichgestellten  Masse  zu  bestehen  und  reticulirte  Substanz  nur 
in  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Kernes  zu  besitzen.  Auch 
Heitzmann  spricht  sich  in  Uebereinstimmung  mit  seinem  Schema 
für  einen  netzförmigen  Bau  der  Ganglienzellen  aus  (1.  c.  11,  p.  13), 
seine  Abbildung  in  Fig.  11  stimmt  aber,  da  sie  einem  Präparate 
aus  chromsaurem  Kali  entnommen  ist,  durchaus  nicht  mit  dem 
Bilde  überein,  welches  vollkommen  frische  Ganglienzellen  ge- 
währen. Nur  diese  sind  zu  Entscheidung  der  Frage  geeignet, 
da  jene  Reagentien  durch  Erzeugung  von  Niederschlägen  das 
Bild  trüben. 

Ich  hätte  schliesslich  noch  kurz  auf  die  Frage  einzugehen, 
wie  sich  obige  Anschauung  vom  Baue  der  Ganglienzellen  zu  der 
M.  Schultzens  *),  welche  einen  fibrillären  Bau  derselben  statuirt, 
verhalte.  In  dieser  Beziehung  ist  hervorzuheben,  dass  die  fibril- 
Uire  Substanz  M.  Schultzens  offenbar  unserem  Reticulum  ent- 
spricht. Dies  geht  aus  Schultzens  Beschreibung  in  seinem 
Retina- Aufsatze  in  Stricker's  Handbuche  S.  985,  sowie  aus  den 
dort  gegebenen  Abbildungen  A.  Fig.  346  unzweifelhaft  hervor, 
wenn  auch  hier  wiederholt  zu  betonen  ist,  dass  diese  Figuren 
das  Bild  frischerRetin  a-Ganglienzellen  nicht  wiedergeben, 
weil  letijtere  abgesehen  von  einem  den  Kern  umgebenden  Hofe 
vollkommen  homogen  erscheinen ;  diese  Figuren  passen  aber  auf 
die  vorhin  von  mir  beschriebenen  Spinal-Ganglienzellen.  Die 
pinselförmige  Ausstrahlung  der  Axencylinder  in  die  Substanz  der 
Ganglienzelle  ist  ferner  einfach  auf  eine  regelmässigere  Anord- 
nung der   Netzbälkchen,    auf  Bildung   regelmässig  gegen   den 


^}  L.  c    p.  9d5  und  OÖBervationes  de  structura  cellularum   fibrarumque 
nervearum.    Bonnae  1869, 


r 


40       G.  Scbwslbe,  BemerkoDgeo  ober  die  Kerne  der  Gaugtieozenen. 

Anfang  der  Nervenlaser  convergirender  Fäden  zurnckzuführen, 
ähnlicli  wie  "dies  Kopffer  für  die  Fäden  des  Protoplasmanetzes 
in  den  Leberzelien  des  Frosches  beschreibt.  Ans  Allem  geht 
hervor,  dass  innerhalb  der  GaDglienzellen  selbst  is  olirte 
Fibrillen  nicht  anzanehmen  sind;  ob  die  Ausläufer  des  Bälk- 
chennetzes  in  den  Axencylindem  isolirt  Terlaofen  oder  ebenfalls 
durch  feine  Seitenzweige  yerbonden  sind,  müssen  künftige  Unter- 
suchungen lehren. 

Endlich  sei  am  Schlüsse  dieser  Hittheilung  die  Aufmerk- 
samkeit der  Forscher  noch  einmal  auf  die  wichtige  Tbatsacfae 
gelenkt,  dtiHs  die  Ganglienzellen  der  verschiedenen  Bezirke  des 
Nervensystems,  abgesehen  von  ihrer  Form  und  der  Zahl  ihrer 
Ausläufer  in  ihrem  inneren  Aufbaue  sehr  verschieden 
sind.  Man  vergleiche  das  was,  ich  oben  von  der  Vertheilung 
der  Nucleohiisubstanz,  von  der  Beschaffenheit  des  Zellkörpers 
über  die  Ganglienzellen  der  Netzhaut,  des  Btickenmarks  und 
der  Spinalgaiiglien  gesagt.habe,  und  wird  Grund  genug  für  meine 
Behauptung  ünden.  Eine  weitere  dankbare  Aufgabe  wird  es 
sein,  dies  eingohender  zu  untersuchen,  die  Vertheilung  der  am 
Autliau  einer  Granglienzelle  betheiligten  Substanzen  und  ihr 
miknxheniisrlies  Verhalten  in  den  Nervenzellen  der  verschie- 
densten Bezirke  des  Nervensystems  einer  genauen  vergleichenden 
Uutersuohuiig  zu  unterwerfen. 

Jena,  im  Mai  1875. ') 

')  Dil'  iliodL-r  Arbeit  tu  Grunde  liegenden  Bcobiicbtungen  wurden  bereits 
im  HL-rliBt  l  -71  t;i-tiiacht.  Pie  Zeit  der  Ei n gäbe 'i um  Uni<:k  (im  Mai)  erklürt  es, 
VeübHlli  ilif.^  liizwiBihen  erauhienenen  Untersuchungen  von  C.  Frommnnn  „Zur 
Lehre  von  clor  Struktur  der  Zellen"  (dieae  Zeil*chrift  Bd.  XI.  S.  18ü)  nicht 
wehr  vcrwartliut  wurden  konntun. 


Bemerkungen  zur  Organisation  und  systematischen 

Stellung  der  Foraminiferen. 

Von 

Richard  Merturlg. 

Hierin  Tafel  IT. 

Durch  Untersuchung  der  Süsswasserrhizopoden,  deren  Re- 
sultate in  einem  Supplementheft  zum  10.  Bande  des  Archivs 
für  mikroskopische  Anatomie  mitgetheilt  worden  sind,  wurde 
meine  Aufmerksamkeit  auf  das  Yerhältniss  der  Monothalamien 
des  süssen  Wassers  (Lepamöben  Hkl  pro  parte)  zu  den  marinen 
Mono-  und  Polythalamien  gelenkt,  welche  man  unter  dem  wenig 
zutreffenden  Namen  „Foraminiferen^'  zusammengefasst  hat.  Beide 
Gruppen  schienen  mir  in  ihrem  gesammten  Bau  viel  Verwandt- 
schaftliches zu  besitzen,  wie  sie  denn  auch  schon  von  Duj  ardin , 
noch  mehr  von  M.  Schnitze  in  engen  systematischen  Zusammen- 
hang gebracht  worden  sind.  Dagegen  schienen  mir  die  Charaktere, 
auf  welche  die  meisten  Forscher  in  der  Neuzeit  eine  Trennung 
beider  Gruppen  begründet  haben:  die  verschiedene  Form  der 
Pseudopodien  und  das  verschiedene  Verhalten  der  Vacuolen, 
weder  die  systematische  Bedeutung  zu  besitzen,  welche  man 
ihnen  beimisst,  noch  überhaupt  so  durchgreifend  zu  sein,  als 
man  gewöhnlich  annimmt.  Denn  alle  die  verschiedenen  Formen 
der  Pseudopodien  sind,  wie  ich  schon  bei  der  Besprechung  der 
Monothalamien  näher  durchzuführen  versucht  habe,  durch  con- 
tinuirliche  Uebergänge  mit  einander  verknüpft  und  in  gleicher 
Weise  sind  auch  die  Unterschiede  zwischen  nicht  contractilen 
Vacuolen  und  contractilen  Behältern  nur  graduelle.  Ich  war 
zum  Schluss  gekommen,  dass  nur  ein  Merkmal  geeignet  sei, 
die  SüBswassermonothalamien  von  den  Foraminiferen  systematisch 


42  Richard  Hertwig, 

ZU  trennen ,  der  Mangel  eines  Kerns  bei  den  letzteren  und  die 
Anwesenheit  dieses  wichtigen  Gebildes  bei  den  erstem.  ') 

Denn  bildeten  in  der  That  die  Poraminiferen ,  wie  die 
Mehrzahl  der  Forscher  es  darstellt,  eine  undifferenzirte,  kern- 
lose, beschälte  Protoplasmamasse,  so  mussten  sie  vom  histo- 
logischen Gesichtspunkt  aus  als  Cytoden  angesehen  werden, 
während  die  Süsswasserformen  den  morphologischen  Wertb  einer 
oder  mehrerer  Zellen  besitzen..  Wir  würden  dann  den  Fora- 
miniferen  eine  wesentlich  niedrigere  Organisationsstufe  zuer- 
kennen und  sie  vielmehr  Häckel's  Moneren  aufs  Innigst« 
anschlicsseu  iiiüBsen. 

Von  einer  definitiven  Entscheidung  für  oder  wider  eine 
systematische  Vereinigung  der  fraglichen  Organismen  glaubte 
ich  damals  absehen  zu  müssen,  da  mir  die  Oytodennatur 
des  PoramiiiiferenweichkörperB  nicht  genügend  erwiesen  schien. 
Unsere  Kenntnisse  vom  Bau  des  Weichkörpers  der  Poramini- 
feren besrhiiüiken  sich  im  Grossen  und  Ganzen  auch  jetzt  noch 
auf  das.  was  wir  durch  die  in  den  fünfziger  Jahren  erschienenen 
Arbeiten  M.  Schnitze 's  erfahren  haben.  Alle  späteren  Publi- 
cationon  behandeln  fast  ausschliesslich  die  Structur  der  Schale 
und  lassen  den  Schaleninhalt  so  gut  wie  unberücksichtigt  Es 
fehlt  somit  an  einer  Arbeit ,  welche  mit  den  verbesserten 
neueren  Unteisuchungsmethoden  und  optischen  Hilfsmitteln  die 
Präge,  ob  Kerne  vorhanden  sind  oder  nicht,  zu  entscheiden 
versucht  hätte.  Deshalb  konnte  die  Möglichkeit,  daea  etwa 
vorhandene  Kerne  der  Ungunst  der  Beobachtungsverbältnisse 
halber  übersehen  worden  seien,  nicht  ohne  Weiteres  von  der 
Hand  gewiesen  werden.  —  Hierzu  kam  noch,  dass  die  An- 
nahme von  Kernen  im  Protoplasma  der  Poraminiferen  in  einigen 


')  Il-1i  beiiutze  die  sich  mir  bier  bietende  Gelegenheit  zu  der  B>inei^aiii.', 
iläss  schon  .Stein,  trie  ich  erat  später  bemerkt  habe,  sich  in  gleicher  Weise 
über  die  Systematik  der  Bhizopoiien  auagesprochen  hat.  In  dem  zweiten 
Theii  seiner  Infuaorienioonographie  (Stein,  der  Organismus  der  Inrusions- 
thiere.  Leipzig  1M67,  S.  *,  8  u.  1W)  tadelt  derselbe  mit  Becht  die  unnatür- 
liche Trennung  der  Gattungen  Gromia  und  Cyphoderi«  von  den  ÄroclUoen 
(Arcella,  Kuglypha,  Uiraagia  etc.),  spricht  sich  dagegen  mit  grosser  Ent- 
scbieilenheit  für  ihre  Trennung  von  den  Foraminiferen  aus,  weil  bei  letzteren 
„von  denen  doch  manche  Arten  in  Hunderten  von  Individuen  auFe  Sorg- 
fältigste unteräucht  worden  seien,  bis  jetzt  noch  nii^ends  jitit  Sicherheit 
weder  Zellen  noch  Kerne  hätten  im  Weichkörper  nachgewiesen  werden 
können." 


Bemerk,  zur  Organisatioa  n.  Byitem.  Stellong  der  Foraminiferen.      43 

von  ILSchultze  mitgetlieilteii Beobachtungen  eine  Stfitze  fand. 
M.  Schnitze  war  zwar  der  Meinung,  dass  die  Foraminiferen 
ihrer  Mehrzahl  nach  kernlos  seien,  bei  einigen  derselben,  z.B. 
den  Miliolen,  glaubte  er  sogar,  gestützt  auf  die  Beobachtung 
junger  Exemplare,  die  Existenz  derselben  aufs  Sicherste  in 
Abrede  stellen  zu  können^);  indessen  machte  er  selbst 
schon  einige  Ausnahmen  namhaft.  So  beschrieb  er  in  der 
hintersten  Kammer  eines  Exemplars  der  Botalia  Yeneta  ^)  einen 
hellen  Körper,  welche  auf  Essigsäurezusatz  hin  deutlicher  her- 
Tortrat  und  den  er  geneigt  war,  für  einen  Kern  zu  halten, 
wenn  er  ihn  auch  nicht  genauer  untersuchen  konnte.  Aehn- 
liebes  beobachtete  er  bei  einem  Exemplar  Yon  Textilaria  picta, 
wo  es  ihm  gelang,  „aus  jeder  der  beiden  letzten  Kammern  ein 
kemartiges  Gebilde  zu  isoliren.'*  Ausserdem  hat  er  bei  Gromia 
oviformis  Kerne  beschrieben,  zuerst  in  seiner  Monographie, 
später  ausführlicher  in  einem  seiner  kleinen  Aufsätze. ')  Es 
sollten  hier  in  wechselnder  Zahl  (1 — 60)  und  wechselnder  Grösse 
(0,02 — 0,07  Mm.)  runde,  von  runden  Körnern  vollkommen  er- 
füllte Kugeln  vorhanden  sein.  Bei  Essigsäurezusatz  sollten  die 
Kömer  schärfere  Contouren  annehmen  und  eine  sie  umschlies- 
sende  Membran  deutlich  werden.  Nach  der  Grösse  der  Kömer 
unterschied  M.  Schnitze  grobkörnige,  mittelkömige  und  fein- 
kömige  Kerne. 

Diesen  Angaben  schliesst  sich  eine  ganz  neuerdings  von 
F.  E.  Schulze  mitgetheilte  Beobachtung  an.  Genanntem  Forscher 
gelang  es,  beim  Zerquetschen  einer  von  ihm  als  Quinquelocu- 
lina  fusca  beschriebenen  Foraminifere  in  der  Sarkode  ein  ovales 
bläschenförmigeB  Gebilde  sichtbar  zu  machen,  welches  einen 
nucleolusartigen  Centralkörper  umschloss.  Schulze  ist  geneigt, 
das  Gebilde,  welches  er  indessen  nur  einmal  nachweisen  konnte, 
für  einen  Kern  zu  halten. 

Wie  aus  den  mitgetheilten  Beobachtungen  hervorgeht,  muss 
die  Frage,   ob  den  Foraminiferen  Kerne  zukommen  oder  nicht, 


*)  M.  Scholtxe,  lieber  den  OrganismoB  der  Polythalamien.  Leipzig  1854. 
S.  92—26. 

*)  Ebendaa.  S.  22,  Taf.  VII,  Fig.  24. 

";  L.  c.  S.  22,  Taf.  I,  Fig.  l  a.  2,  Taf.  VII,  Fig.  8— l'J  und:  Reichert 
and  die  Gromien,  Archiv  f.  mikrosk.  Anat.,  Bd.  II,  S.  140. 

*)  F.  £.  Schulae,  Rlnzopodenstadien  III.  Archiv  f.  raikroak.  Anat ,  Bd.  XI, 
S   94.  Tai:  V-VU. 


44  Richud  Hertwig, 

ab  unentschieden  angesehen  werden  and  kann  daher  aucb  ein 
sicheres  ürtheil  über  die  SteUting  derselben  im  Kreise  der 
übrigen  SarkodeoffeanismeD  znr  Zeit  noch  nicht  gegeben  werden. 
Dies  bestimmte  mich,  die  günstige  Gelegenheit,  welche  mir  im 
Sommer  des  vergangenen  Jahres  darch  einen  mehrwöchentlichen 
Aufenthalt  auf  Helgoland  geboten  wnrde,  zn  einer  erneuten 
Untersuchung  des  Protoplasmakörpers  der  Foraminiferen  zu  be- 
nutzen. Die  schon  damals  gewonnene  Ansicht,  dass-in  der 
That  überall  Kerne  vorhanden  sind,  dass  dieselben  nur  wegen 
der  Ungunst  der  Beobachtungs Verhältnisse  nicht  in  allen  Fällen 
nachgewiesen  werden  können,  habe  ich  im  Laufe  des  Sommers 
in  Jena  weiterhin  bestätigt  gefunden  bei  der  Beobachtung  von 
Foramiuiferen.  welche  Herr  Prof.  Häckel  lebend  vom  Mittel- 
meer mitgebracht  und  mir  freundlichst  zur  Untersuchung  über- 
lassen hatte. 

Da  ich  im  Laufe  meiner  Untersuchung  mich  bald  davon 
überzeugte,  da^s  durch  die  Beobachtung  im  frischen  Zustand 
keine  aiciieren  Resultate  würden  zu  gewinnen  sein,  wandte  ich 
mein  Haujitait^'iumerk  auf  die  Anwendung  von  Keagentien. 
Hierhpi  fand  icli,  dass  die  sonst  als  Kemreagens  so  vortreffliche 
Essigsäure,  welciie  M.  Schnitze  ausschliesslich  benutzt  hatte, 
mir  wenig  oder  gar  keine  Dienste  leistete.  Sie  verdunkelt  das 
Präparat  zu  sehr  durch  Gerinnung,  was  um  so  unangenehmer 
ist,  als  die  Ohjciote  an  und  für  sich  gerade  nicht  zu  den  durch- 
sichtigsten gehören.  —  Bessere  Resultate  ergaben  dünne  Chrom- 
säurelösungen (i',l  "/fl— 0,5%),  bald  in  den  ersten  Minuten  ihrer 
Einwirkuug,  hahi  auch  erst  nach  längerer  Daner  derselben,  wo- 
bei dann  ein  tüclitiges  Auswaschen  der  stark  tingirten  Präparate 
nöthig  war.  In  dünnen  Chromsäurelösungen  quillt  das  Proto- 
plasma und  wird  zum  Theil  aus  dem  Innern  der  Schale  bervor- 
gepresst.  Zuuiichst  bleibt  es  ziemlich  durchsichtig.  Dann  tritt 
zwar  eine  sehr  intensive,  das  Präparat  verdunkelnde  Gerinnung 
ein,  mit  derselhen  vergesellschaftet  sich  aber  eine  vollkommene 
Entfärbung  des  in  den  meisten  Fällen  sehr  störenden  braunen 
Pigments,  so  liur-s  hierdurch  die  der  Beobachtung  nachtheiligen 
Folgen  des  Reagens  wieder  ausgeglichen  werden.  Was  die 
Intensität  der  Gerinnung  der  Kernsubstanz  anlangt,  so  steht 
die  Chromsäure  in  keiner  Weise  der  Essigsäure  nach. 

In  den  moisten  Fällen  genügte  Chromsäure,  um  die  Kerne 
sichtbar  zu  m;uhen,  in  anderen  wiederum  musste  ich  meine 
Zuflucht  zu  Tiiictionsmethoden  nehmen.    Hier  ompftdü  sich  mir 


ßemerk.  cur  Organisation  u.  systetn.  Stellung  der  B^oramimferen.        45 

zunächst  das  Beale'sche  Carmin,  welches  schon  Archer  mit 
Vortheil  bei  der  Untersuchung  von  Rhizopoden  verwandt  hatte ; 
ich  erhielt  mit  demselben  günstige  Resultate  bei  Präparaten, 
welche  einen  Tag  lang  in  Ohromsäure  gelegen  hatten  und  dann 
während  mehrerer  Stunden  unter  häufiger  Erneuerung  des 
Wassers  ausgewaschen  waren.  Dagegen  erwies  sich  das  essig- 
saure Carmin,  welches  mir  bei  der  Untersuchung  der  Podophrya 
gemmipara  von  wesentlichem  Vortheil  gewesen  war,  als  ganz 
unbrauchbar. 

Die  überzeugendsten  Bilder  lieferten  mir  junge  Miliolen 
(Taf.  n,  Fig.  1 — 4),  welche  ich  am  Blasentang  der  Westküste 
Helgolands  auffand.  Dieselben  ähnelten  in  dem  Bau  ihrer 
Schale  am  meisten  den  von  F,  E.  Schulze  neuerdings  als 
Spiroloculina  hyalina  beschriebenen  Formen.  ^)  Wie  bei  diesen, 
so  war  auch  bei  den  von  mir  untersuchten  Exemplaren  jede 
Kammer  in  ihrem  dem  Schalenhintergrund  zugewandten  An- 
fangstheil  bauchig  erweitert  und  umfasste  mit  dieser  Erweiterung 
die  vorhergehende  Windung  mehr  oder  minder  vollständig. 
Ausserdem  stimmte  die  Gestalt  des  zahnförmigen  Vorsprungs 
überein,  den  man  bei  vielen  Miliolen  an  den  Windungen  der 
Kammern  beobachtet;  er  fehlte,  wie  auch  F.  E.  Schulze  an- 
gibt, an  der  Windung  der  ersten  Kammer.  Schalen,  welche  mit 
der  Schulze 'sehen  Fig.  14  auf  Taf.  VI  im  Wesentlichen 
übereinstimmten,  habe  ich  selbst  öfters  beobachtet.  —  Nur  in 
einigen  nebensächlichen  Puncten  ergaben  sich  Verschiedenheiten. 
Während  die  Schalen  der  Spiroloculina  hyalina  als  farblos  und 
glasartig  durchsichtig  geschildert  werden,  waren  diejenigen  der 
von  mir  beobachteten  Miliolide  gelblich  bis  kaffeebraun.  Ferner 
war  die  spiralige  Anordnung  der  Kammern  in  einer  Ebene  nicht 
in  allen  Fällen  so  regelmässig  entwickelt,  als  es  F.  E.  Schulze 
abbildet.  Bei  der  grossen  Variabilität,  welcher  die  Schalen  der 
Foraminiferen  unterworfen  sind,  wie  Oarpenter  in  seiner 
Monographie  ausführlich  nachgewiesen  hat  ^),  lässt  sich  indessen 
auf  diese  unwesentlichen  Verschiedenheiten  hin  keine  Trennung 
in  zwei  verschiedene  Species  durchführen. 

Die  jüngsten  von  mir  untersuchten  Miliolen  waren  ein- 
kammerig.  Im  frischen  Zustande  konnte  ich  an  denselben  trotz 
ihrer  Durchsichtigkeit  nicht  mit   Sicherheit  einen   Kern    ent- 


>)  L.  c  S.  132,  Taf.  VI,  Fig.  14-16. 

*)  Carpentcr:  Introdaction  to  the  Study  of  Foraminif era.  London  1862| 


46  Kichud  Hertwig, 

decken;  nur  eine  liomogene,  kemähnlich  aussehende  Stelle  fand 
sich  in  der  Nahe  des  Ueberganga  des  kugeligen  Theils  der  ersten 
Kammer  in  das  halsartig  verlängerte,  zur  ersten  Spir^'windutig 
umgebogene  Ende  derselben.  Diese  Stelle  gerann  bei  Ohrom- 
sriurezusatz  zu  einem  scharf  contoorirten  0,01  Mm.  im  Dnrch- 
niesser  messenden  Kreis,  in  dem  ein  0,004  Mm.  groHser  schaxf- 
contourirter  Körper  lag.  (Fig.  1  u,  2.)  Noch  deutlicher  wurde 
die  Structur  bei  Anwendung  von  Beale'schem  Carmin,  welches 
durch  Imbibition  das  Ganze,  besonders  aber  den  BinnenkÖrper 
rubinroth  gefärbt  ioi  Protoplasma  deutlich  herrortreten  Hess. 
Ob  nun  die  vorliegende  Bildung  einen  in  Nucleolus  und  Elem- 
membran  differeiizirten  Keni  darstellt  oder  ob  ein  in  friBcken 
Zustand  homogener  Kern  durch  unregelmässige  3eriasuiig  der 
Kenisubstanz  das  Aussehen  eines  Nucleus  mit  Nucleolus 
angenommen  hat,  lasse  ich  unentschieden.  Letzteres  will  mir 
jedoch  wenig  wahrscheinlich  erscheinen  und  bin  ich  vielmehr 
geneigt  anzunehmen,  d;isa  der  Kern  der  jungen  Miliolen  seinem 
Bau  nach  mit  dem  Kern  der  SUsswasserrhizopoden  iiberein- 
atinunt. 

Bei  dreikammerigen  Miliolen  konnte  ich  in  einem  Falle 
nur  einen  Kern  nachweisen,  in  zwei  anderen  Exemplaren  waren 
jedesmal  zwei  vorhanden,  welche  in  ihrer  Grösse  wie  auch  sonst 
in  ihrem  Aussehen  mit  den  beschriebenen  Kernen  ob  er  ein- 
stimmten. (Fig.  3.)  Bei  einer  vierkammerigen  MiUola  endlich 
wurden  bei  Chrom  säurebejiaodlung  sieben  Kerne  sichtbar,  von 
denen  drei  auf  die  erste,  einer  auf  die  zweite  und  drei  auf  die 
dritte  Kammer  kamen ,  so  dass  nur  die  mit  der  Endmündung 
versehene  letzte  Kammer  kernlos  war.  Die  Kerne  waren  alle 
noch  gleich  gebaut,  aber  um  ein  Beträchtliches  kleiner  als  die 
der  übrigen,  indem  sie  nur  0,007  Mm.  masseu.  (Fig.  4.) 

Bei  grossen  Exemplaren  der  Miliola  obesa  bin  ich  dagegen 
mit  dem  Kemnachweis  nicht  zum  Ziele  gelangt.  Nur  einmal 
isolirte  ich  hier  durch  Zerquetschen  einen  Körper,  der  einem 
Kerne  ähnlich  sah.  Die  Erfolglosigkeit  der  Untersuchung  ist 
hier  leicht  verständlich,  da  der  Organismus  von  beträchtUcher 
Grösse  und  sein  Farenchym  von  Fremdkörpern  meist  ganz  er- 
füllt ist. 

Die  zweite  Foraminifere  (Taf.  II,  Fig.  5 — 9),  bM  weicher 
mir  der  Kernnachwcia  glückte,  gehört  zu  den  Perforaten.  Es 
war  eine  kleine  Rotalia,  welche  ich  mit  der  Spiroloculiaa  gesell- 
scbaftet  vorfand  und  welche  in   ihrem  Bau  am  meisten  Aehn- 


bemerk,  zur  Organisation  a.  Bystem.  Stellung  der  Foraminiferen.       47 

lichkdt  mit  den  von  M.  Schnitze  anf  Taf.  VII,  Fig.  22—24 
seiner  Monographie  abgebildeten  jnngen  Exemplaren  der  Rotalia 
Veneta  besass.  Die  Blammern  waren  nahezn  rundlich  und 
nahmen  nur  unbedeutend  von  der  0,02 — 0,03  Mm.  messenden 
Anfangskammer  bis  zur  Endkammer  an  Grösse  zu.  Sie  waren 
unregelmässig  in  einer  flachen  Spirale  angeordnet  in  der  Art, 
dass  auf  einer  Seite  stets  eine  grössere  Anzahl  Kammern  zu 
sehen  war  als  auf  der  andern.  Die  Schalenöffnung  war  von 
beträchtlicher  Grösse,  das  Protoplasma  braunkömig  und  un- 
durchsichtig, nur  in  den  letzten  Kammern,  wie  es  ja  bei  den 
meisten  Foraminiferen  zu  sein  pflegt,  lichter  und  arm  an  Pig- 
mentkömem.  Die  kömchenfuhrenden  Pseudopodien  strahlten 
nach  allen  Richtungen  aus.  Sie  erreichten  keine  beträchtliche 
Grösse  und  bildeten  selten  Verästelungen,  noch  seltener  Anasto- 
mosen. Gleichwohl  war  die  Bewegung,  welche  durch  sie  ver- 
mittelt wurde,  eine  ausserordentlich  lebhafte. 

Selten  konnte  ich  am  lebenden  Organismus  eine  Andeutung 
des  Kernes  in  Form  einer  hellen  vom  braunkörnigen  Proto- 
plasma sich  unterscheidenden  Stelle  erkennen.  (Fig.  5  u.  6.) 
Am  häufigsten  gelang  es  noch  bei  jungen  einkammerigen 
Exemplaren.  (Fig.  6.)  Bei  denselben  war  ausser  der  Anfangs- 
kammer noch  ein  Stück  der  zweiten  Kammer  in  Form  eines 
kleinen  henkeiförmig  aussehenden  Aufsatzes  angelegt,  doch  ent- 
hielt nur  die  Anfangskammer  den  Weichkörper;  in  demselben 
war  in  allen  Fällen  nur  ein  0,01  Mm.  messender  runder  Kern 
erkennbar.  Mit  Chromsäure  behandelt,  erschien  im  Innern 
desselben  ein  Nucleolus,  ebenso  wie  ich  es  oben  von  einkam- 
merigen Miliolen  geschildert  habe.  (Fig.  7.) 

Bei  den  mehrkammerigen  Rotalien  musste  ich  Carmintinction 
zum  Kemnachweis  zu  Hilfe  nehmen.  Hierbei  stellte  es  sich 
heraus,  dass  mit  dem  Wachsthum  auch  eine  Vermehrung  der 
Kerne  stattfindet.  In  einer  vierkammerigen  Rotalia  fand  ich 
das  eine  Mal  4,  das  andere  Mal  3  Kerne  (Fig.  8  u.  9),  in  einer 
dreikammerigen  3,  und  zwar  ganz  wie  bei  den  Miliolen  auf  die 
ersten  Kammern  beschränkt.  In  anderen  Fällen  war  bei  mehr- 
kammerigen Individuen  nur  1  Kern  erkennbar.  Hieraus  folgt 
jedoch  keineswegs,  dass  deren  nicht  mehrere  vorhanden  waren. 
Wie  leicht  können  dieselben  durch  irgend  einen  Zufall,  welcher 
ihre  Imbibition  verhinderte,  verborgen  geblieben  seini 

Der  dritte  Fall,  in  welchem  es  mir  gelang,  bei  Foramini- 
feren Kerne  nachzuweisen,  betrifft  jimge  Rotalien,  welche  ich  in 


46 

Jena  za  miiei^ucben  G^lefenheit  liatte.  Dm  die  beKügUchen 
BeobafrLtnLjeen  auch  nach  einer  anderen  Richtimg  hin  Ton  In- 
teresM>  sind«  in  so  fem  sie  zur  Kenntniss  der  hisher  nnr  in 
wenigen  Fällen  be<^bachteten  Fortpflanzimg  beitragen,  gehe  ich 
&n{  AiH  Dar^ellong  denelben  naher  ein. 

An  der  Wand  meiner  Foraminiferengliser  fand  ich  zwei 
3fal  KSrper,  velche  ich  bei  Betrachtong  mit  nnbewaffineteni 
Aoge  f&r  Botalien  hielt.  Unter  dem  Mikroskop  erwiesen  sich 
dieMülben  beide  Kaie  als  Anhanfiingen  von  wohl  30 — 40  kleinen 
dreikammerigen  Rotalien,  welche  nicht  mehr  in  ein^  gemein- 
samen Matterschale  lagerten.  In  einem  Falle  wurde  der  Zu- 
sammenhalt der  kleinen  Körper  durch  eine  gemeinsame  Proto- 
plaiimaraasse  bedingt,  von  welcher  Pseudopodienbüschel  aus- 
stralilten  von  solcher  Mächtigkeit,  dass  ich  sie  schon  mit  blossem 
Auge  an  der  Wand  des  Glasgefasses  hatte  erkennen  können. 
Die  kleinen  Rotalien  bildeten  somit  eine  Colonie,  wie  ich  sie 
von  der  Microgromia  socialis  >)  beschrieben  habe.  Die  Einzel- 
indiriduen  (Fig.  10  u.  11)  waren  von  nahezu  übereinstimmender 
GrfSsse,  in  einem  Falle  durschnittlich  etwas  grösser  als  im 
andern.  Die  £ammem  nahmen,  wenn  auch  unbedeutend,  so 
doch  immerbin  messbar  an  Grrösse  zu.  Die  erste  Kammer  be- 
itrug 0,027  im  einen,  0,035  Mm.  im  anderen  Falle,  die  zweite 
0,03  resp.  0,04  Mm.,  die  dritte,  welche  die  nicht  sehr  grosse,  der 
()(!ffnung  eines  flachen  Brückenbogens  ähnliche  Schalenmündung 
trug,  0,032  und  0,042  Mm.  Die  Schale  war  relativ  dick  und 
hatte  ein  rauhes  Ansehen,  wie  es  auchM.  Schnitze  von  jungen 
Hotalion  beschreibt');  zehn  bis  fünfzehn  kleinere  Foramina 
warcm  über  ihre  Oberfläche  unregelmässig  vertheilt.  Das  Pro- 
toplasma füllte  die  beiden  ersten  Kammern  m  der  Mehrzahl 
dor  Källo  vollkommen  aus,  die  dritte  nur  theilweise.  Wie  auch 
sonst  waren  die  braunen  Farbstoffkörnchen  in  der  hintersten 
Kanunor  am  dichtesten  gelagert  und  bedingten  die  vollkommene 
IJndurchsichtigkeit  derselben. 

In  diesen  dreikammerigen  jungen  Rotalien  konnte  ich  nur 
mit  Hilfe  von  Reagentien  Kerne  entdecken.  In  den  meisten 
Füllen   genügte    schon    längere   Einwirkung   von   Ohromsäure, 


<)  Arch.  f.  mikroflk.  Annt.,  Bd.  X  Supl.-Heft. 

')M.  Sühultse:  Die  Gattung  Cornuspira  unter  den  Monothalamien 
und  Bemerk iingen  Über  die  Organisation  und  FortpAansung  der  Polythalamien. 
Aroh.  f.  Naturg.  iS'^o,  8.  ao9. 


Bemerk,  zur  OrganUation  u.  syttem.  Stellung  der  Foraminifereiu       49 

ausserordentlich  viel  deutlicfaer  wurden  die  Bilder  jedoch  durch 
Garminfarbung.    Ein  Nucleolus  schien  nicht  vorhanden  zu  sein, 
vielmehr  schien  der  Kern  eine  homogene  Masse  zu  bilden,  deren 
ungleichmässige  Grerinnung  jedoch  zu  nucleolusartigen  Bildern 
führte.    Bei  allen  Rotalien  war  nur  ein  Kern  vorhanden  von 
0,009 — 0,011  Mm,  Durchmesser  und  dieser  Kern  lag  stets  in  der 
Anfangskammer.    Die  Möglichkeit,   dass  noch  ausserdem  vor- 
handene Kerne  aus  Mangel  an  Imbibition  der  Beobachtung  sich 
entzogen  hätten ,  glaube  ich  hier  auf  das  Bestimmteste  in  Ab- 
rede stellen  zu  können.    Einer  derartigen  Annahme  würde  schon 
die    grosse  Gleichmässigkeit    der   an   zahlreichen   Exemplaren 
erzielten  Resultate  widersprechen.    Vor  Allem  würde  es  ganz  un- 
erklärlich sein,  dass  überall  nur  der  Kern  der  Anfangskammer, 
welche  für  den  Kemnachweis  in  mehr  denn  einer  Beziehung  am 
ungünstigsten  ist,  sich  gefärbt  haben  sollte.    Wir  können  somit 
mit  grosser  Bestimmtheit  die  dreikammerigen  Rotalien  als  ein- 
zellig ansehen. 

Offenbar  haben  wir  in  den  beiden  von  mir  beobachteten 
Fällen  den  Ausgang  des  von  M.  Schnitze  und  Anderen  bei 
Rotalien,  Miliolen  etc.  beobachteten  Fortpflanzungsprozesses  vor 
uns.  Das  Wesentliche  desselben  besteht  darin,  dass  innerhalb 
der  mütterlichen  Schale  sich  in  einer  noch  nicht  näher  beob- 
achteten Weise  Tochterindividuen  entwickeln,  welche  sich  mit 

r 

einer  eigenen  Schale  umgeben.  Bei  Milio  laund  Nonionina 
silicea  sind  die  Tochterindividuen  einkammerig,  bei  Rotalia 
gleich  von  Anfang  an  dreikammerig.  Von  besonderem  Interesse 
aber  ist  der  bei  Miliolen  und  Rotalien  geführte  Nachweis,  dass 
die  jungen  Organismen  einkernig  und  demgemäss,  wenn  wir  den 
Kern  als  Individualitätscentrum  der  Zelle  auffassen,  auch  ein- 
zellig sind. 

Aus  den  über  die  Fortpflanzung  der  Foraminiferen  bisher 
bekannt  gewordenen  Thatsachen  können  wir  uns  jetzt  schon 
ein  ungefähres  Bild  von  derselben  entwerfen.  Wahrscheinlich 
zerfallt  der  protoplasmatische  Mutterkörper  nach  Anzahl  der 
Kerne  in  Theilstücke  und  jedes  dieser  letzteren  bildet  sich 
innerhalb  der  mütterlichen  Schale  seine  eigene  Umhüllung.  Die 
jungen  Tochterindividuen  scheinen  bei  Miliola  einzeln  die 
Schale  zu  verlassen,  bei  Rotalia  durch  den  Zerfall  der  Schale 
frei  zu  werden  und  noch  eine  Zeit  lang  vereint  zu  leben,  was 
jedenfalls  nur  den  Zweck  hat,  die  Nahrungsaufnahme  zu  er- 
leichtem. In  dieser  Fortpflanzungsweise,  welche  sich  aufs  e: 
Bd.  z,  H.  F.  in.  4 


50  Bichard  Hertwig, 

HU  dio  Yermehning  aller  übrigen  Rhizopoden  anachliesst, 
fiude  ich  Nichts ,  was  uns  berechtigen  kdnnte ,  sie  als  ein 
„Lebendig-(Jebären"  za  bezeichnen,  wie  es  Gervais  und 
M.  Scbnltze  getban  haben.  Äaffallend  an  ihm  ist  nur  das 
Eine,  dass  die  jungen  Organismen  so  frühzeitig  sich  ihre  Schale 
ausbilden. 

Schliesslich  sei  noch  korz  erwähnt,  daas  ich  auch  bei  einer 
Rini'kainmerigen  jungen  Textilaria  einen  Kern  aufgefunden  habe; 
deraelhe  lag  in  der  hintepten  Schalenkammer.  Bei  einer  grösseren 
dreJÄelmkammerigen  lag  ein  Kern  ungefähr  in  der  Mitte  zwischen 
vorderem  und  hinterem  Ende,  doch  waren  möglicherweise  hier 
noch  andere  Kerne  vorhanden,  welche  ich  nicht  deutlich  machen 
konnte.  —  Bei  Exemplaren  von  Rotalia  omata  habe  ich  mich 
einige  Male  vergeblich  bemüht.  Die  dichte  Membran,  welche 
hier  den  Binnenraum  der  entkalkten  Schale  auskleidet,  verhindert 
offenbar  in  hohem  Maasse  das  Eindringen  von  Keagentien,  ein 
Umstand,  welcher  wohl  auch  hei  zahlreichen  anderen  Foramini- 
feren  in  Berechnung  gezogen  werden  muss.  — 

Aus  dem  Mitgetheilten  ist  ersichtlich,  dass  sowohl  bei  Ver- 
tretern der  Foraminifera  perforata  als  auch  der  P.  imperforata 
Keine  haben  nachgewiesen  werden  können.  Ich  glaube  hieraus 
schon  jetzt  den  Schluss  ziehen  zu  dürfen,  dass  im  "Weichkörper 
aller  Foraminiferen  5eme  vorhanden  sind,  wenn  es  auch  wegen 
der  Schwierigkeit  des  Nachweises  bis  jetzt  noch  nicht  geglückt 
ist,  dieselben  überall  zu  beobachten.  Denn  es  muss  als  im 
höchsten  (Jrade  unwahrscheinlich  angesehen  werden,  dass  inner- 
halb einer  Gruppe,  welche  im  Uebrigen  Übereinstimmt,  bei  den 
einzelnen  Arten  Verschiedenheiten  in  so  wichtigen  Organisations- 
verliältnissen  herrschen  sollten. 

Wenn  wir  nunmehr  als  sicher  annehmen  können,  dass  die 
Foraminiferen  Kerne  besitzen,  so  kommt  hiermit  das  einzige 
Merkmal  in  Wegfall,  auf  welches  man  eine  Trennung  der  Fora- 
miniferen von  unseren  Monothalaraien  begründen  könnte.  Wir 
müsaen  somit  beide  Gruppen  zu  einer  gemeinsamen  grossen 
Classe  vereinigen ;  in  derselben  würden  sich  dann  die  Süss- 
wasserraonothalamien  aufs  unmittelbarste  den  einkam  mengen 
Foraminiferen,  Gromien,  Gomuspiren  u.  s.  w.  anscbliessen,  von 
denen  namentlich  die  erstgenannten  rücksichtlich  ihres  Schalen- 
haus ihnen  ausserordentlich  nahe  stehen. 

AVenn  ich  nun  dieser  Classe  einen  gemeinsamen  Namen 
2i'b'^n  soll,  so  muss  ich  mich  zunächst  gegen  die  Verwendung 


Bemerk,  zur  Organisation  o.  System.  Stellang  der  Foraminiferen.       51 

der  beiden  in  der  Neuzeit  häufig  in  sehr  weitgehendem  Sinne 
angewandten  Bezeichnungen  „Polythalamien**  und  „Foramini- 
feren" aussprechen.  Denn  die  erstere  (Polythalamien)  würde 
streng  genommen  alle  einkammerigen,  die  letztere  (Foramini- 
feren) alle  Formen  mit  solider,  nicht  durchlöcherter  Schale 
ausschliessen.  Ich  kann  mich  aber  mit  der  in  der  systema- 
tischen Zoologie  vielfältig  herrschenden  Praxis,  Olassennamen 
beizubehalten,  denen  ein  Theil  der  unter  ihnen  zusammenge- 
fassten  Organismen  geradezu  widerspricht,  nicht  einverstanden 
erklären. 

Zweckmässiger  schon  würde  es  sein,  sich  des  Namens 
„Acytaria**  zu  bedienen,  den  HäckeP)  zuerst  in  seiner  Habi- 
litationsschrift, später  in  seiner  Monographie  der  Radiolarien 
und  seiner  generellen  Morphologie  angewandt  hat.  Häckel 
bezeichnet  mit  demselben  die  Foraminiferen  mit  Ausschluss  der 
Süsswassermonothalamien,  welch  letztere  er  unter  den  Lepa- 
moeben  aufführt.  Obwohl  nun  der  Ausdehnung  des  Namens  auf 
die  Monothalamien  Seitens  seiner  Bedeutung  Nichts  entgegen- 
stehen würde,  so  trage  ich  gleichwohl  Bedenken,  mich  für  ihn 
zu  entscheiden.  Häckel  wählte  die  Bezeichnung  „Acytaria", 
d.  h.  Organismen,  welche  keine  Oentralkapsel  besitzen,  im 
Gegensatz  zu  den  mit  einer  Oentralkapsel  versehenen  Badto- 
larien.  Nun  kann  man  aber  eine  ganze  Reihe  von  Sarkode- 
organismen namhaft  machen,  welche  in  diesem  Punkte  mit  den 
Foraminiferen  übereinstimmen,  die  man  demgemäss  ebenfalls 
zu  den  Acytaria  rechnen  könnte.  Es  fehlt  somit  dem  Namen 
^Acytaria"  das  Oharakteristische,  um  welches  es  uns  bei  syste- 
matischen Bezeichnungen  zu  thun  sein  sollte.  Aus  diesem 
Grunde  halte  ich  es  für  zweckmässig,  einen  neuen  Namen  für 
die  Gruppe  in  Vorschlag  zu  bringen,  und  bezeichne  sie,  da  bei 
allen  Formen  die  Kammerbildung  der  Schale  das  Oharakteris- 
tische ist,  als  „Kammerträger"  oder  „Thalamophora".  Dieser 
Name  scheint  sich  mir  um  so  mehr  zu  empfehlen,  als  er  sich 
an  die  alten  Bezeichnungen  „Polythalamia"  und  „Monothalamia" 
anlehnt. 

Was  nun  die  weitere  Eintheilung  der  Thalamophora  an- 
langt, so  kann  man  hierbei  von  zwei  verschiedenen  Gesichts- 
puncten  ausgehen.  Entweder  man  macht  die  Anordnung  der 
Kammern  zum  Eintheilungsprinzip ,  oder  man  legt  das  Haupt- 


')  Häckel,  De  Rhixopodum  finibns  aiqtie  onlinibus.    Jena  1861. 

4* 


ß2  BiehBrd  Hertwig, 

gewicht  auf  die  feinere  Stractnr  der  K^mmerwandong.  Im 
ersteieo  Falle  würden  wir  im  Anschlnss  an  H.  Schultze  die 
Tbalamophora  in  Modo-  and  Polythaiamien  eintheilen,  im 
aBdeieri  Falle  mit  Carpentec  in  Imperforata  und  Perforata. 
Letztere  Eintheilongsweise  ist  wohl  in  der  Neuzeit  die  allgemein 
gültige  tind,  wie  Carpentet  aasführlich  gezeigt  hat,  anch  die 
wissen  E-chaftlich  empfehlenswerthere.  Im  Systeme  Carpenter's 
würden  vlie  SüsswassermonothalamieD  selhstrerständlicb  zu  den 
Imperfor^Lta  zu  stellen  sein  und  hier  loit  den  Gromidae  gemein- 
sam eine  Gruppe  hilden,  welche  sich  durch  den  Mangel  der 
Kalkimprägnation  der  Schale  von  den  kalkschaligen  Milioliden 
untei.sclieidet.  Die  Gattung  Gromia  würde  sich  unmittelbar  an 
die  Gattungen  Microgromia,  Lecytbium  und  Oypboderia  an- 
achliessen. 

Noch  nach  einer  anderen  Bicfatung  hin  sind  die  ohen  mit- 
getheiltt-ii  Beobachtungen  von  Intfiresse,  in  so  fem  sie  uns  näm- 
lich Gesichtspunkte  für  die  morphologische  Beurtheiluug  der 
Kamnieriing  bieten.  —  Rücksichtlich  des  Verhältnisses,  in  dem 
die  Kammerung  zur  Kemvertheilung  im  Körper  der  Polytha- 
lamien  >teht,  sind  a  priori  zwei  Möglichkeiten  denkbar.  Ent- 
weder i-^hen  Kammerung  und  Kemvertheilung  Hand  in  Hand, 
d.  h.  in  ilomBelhen  Maaeee  als  die  Kammerung  zunimmt,  wächst 
auch  die  Kernanzahl,  indem  jede  nengehildete  Kammer  einen 
oder  iiielirere  ebenfalls  neuentstandene  Kerne  erhält;  oder  — 
beide  Yirliältnisse  sind  von  einander  unabhängig  und  die  An- 
zahl der  Kerne  steht  in  keiner  bestimmten  Beziehung  zur  Anzahl 
der  Kammern.  Im  ersten  Falle  würde  der  Kammerung  eine 
grössere  morphologieche  Bedeutung  zuzuschreiben  sein;  sie  würde 
uuB  die  Aufeinanderfolge  morphologisch  gleichwerthiger  und  von 
einandei'  unabhängiger  Theile  veranschaulichen  und  würden  wir 
gestütitt  iiierauf  einen  polythalamen  Organismus  als  eine  colonie- 
älmliclie  Vereinigung  monothalamer  Formen  auffassen  können. 
Im  zweiten  Falle  würde  die  Kammerung  als  etwas  Unwesent- 
liches ari.^csehen  werden  müssen,  als  eine  Folgeerscheinung  eines 
eigentiiiiinlichen  Schaleuwachsthums.  Wir  würden  somit  auf 
den  Staiidpinct  kommen,  denCarpenter  in  seiner  Monographie 
einnimmt,  wenn  er  dem  Unterschied  zwischen  ein-  und  viel- 
kamnieri^'en  Foraminiferen  jede  grössere  Bedeutung  abspricht. 
Ca rpe Titer  erklärt  die  Kammerung  der  Foraminiferen  aus 
einem  imi^leichmässigen  Wachsthum,  welches  in  Intervallen  zu 
EiusehEiLJrungen  an  den  jeweiligen  Schalenöffnungen  führt  und 


Bemerk,  zur  Organisation  u.  Bestem.  Stellung  der  Foraminiferen.       53 

hierdurch  G-renzmarken  zwischen  zwei  aufeinander  folgenden 
Schalentheilen  (Kammern)  bildet.  Die  einkammerigen  in  der 
Spirale  weiter  wachsenden  Schalen  der  Comuspiren  nennt  Car- 
p  enter  von  diesem G-esichtspuncte  aus  als  potentia  vielkammerig. 
Die  S[ammerung  würde  als  Q-liederung  eines  einheitlichen  Orga- 
nismus zu  Terstehen  sein. 

Nach  den  mitgetheilten  Beobachtungen  kann  es  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  nur  die  letzt  besprochene  Auffassung 
Berechtigung  besitzt.  Bei  den  untersuchten  Foraminiferen  war 
meist  die  Anzahl  der  Kerne  geringer  als  die  der  Kammern, 
selten  grösser.  Stets  war  nur  ein  Theil  der  Kammern  (die 
hinteren)  mit  Kernen  ausgestattet,  während  die  anderen  (die 
vorderen)  kernlos  waren.  Besonders  beweiskräftig  waren  hier 
die  jungen  Botalien.  Dieselben  besassen  drei  Kammern,  aber 
stets  nur  einen  Kern,  wie  ich  mit  Bestimmtheit  behaupten  kann. 
Hier  ^ar  es  ganz  augenscheinlich,  dass  die  Kammerung  nur  als 
eine  äusserliche  Gliederung  der  Schale  angesehen  werden  kann, 
welche  nicht  durch  eine  Q-liederung  des  Weichkörpers  bedingt  ist. 

Zum  Schluss  resümire  ich  noch  einmal  kurz,  in  welcher 
Weise  ich  mir  die  systematische  Zusammenfassung  der  hier  in 
Frage  kommenden  Organismen  vorstelle  und  in  welcher  Weise 
ich  die  einzelnen  Gruppen  charakterisirt  wissen  möchte. 

Thalamophora. 

Die  Thalamophoren  sind  Organismen,  deren  Weichkörper 
aus  undifferenzirter  Sarkode  besteht  und  zum  Zweck  der  Orts- 
bewegung und  Nahrungsaufnahme  wechselnde  Fortsätze  von  ver- 
schiedenster Form,  Pseudopodien,  aussendet.  Zellkerne  sind  bei 
jungen  Organismen  in  Einzahl  vorhanden,  können  sich  aber  im 
Laufe  des  Wachsthumes  ausserordentlich  vermehren.  Flüssig- 
keitsansammlungen sind  fast  stets  im  Innern  des  Körpers  vor- 
handen, entweder  in  der  Form  von  einfachen  Vacuolen  oder  von 
contractilen  Blasen.  — 

Alle  Thalamophoren  besitzen  ein  Skelet,  welches  entweder 
rein  chitinös  oder  mit  Kalk  impraegnirt  oder  mit  kleinen  Kiesel- 
stückchen beklebt  ist.  Das  Charakteristische  desselben  besteht 
in  der  monazonen  Grundform,  d.  h.  die  vom  Skelet  gebildete 
Schale  lässt  stets  eine  Hauptaxe  erkennen,  deren  Enden  einer- 
seits durch  den  Schalenhintergrund,  andemseits  durch  die 
Schalenöffnung  (in  den  wenigen  Fällen,  wo  zwei  Schalenöffnungen 
vorhanden    sind    —  Amphistomata  —  beiderseits   durch   die 


Eiebud  Hertwig, 

Schalenöffnungen)  beBtimmt  werden.  Diese  Schalenlianptaxe ') 
ist  in  den  einfacheren  Fällen  gerade  (Gromiden,  Kodosarien  etc.), 
in  den  meisten  Fällen  krümmt  sie  sich  spiralig  (Hiliola,  Kotalia, 
Polystomella  etc.},  häufig  erfolgt  diese  Krümmung  sehr  unregel- 
mässig und  giebt  so  Veranlassung  zu  einer  scheinbar  regelloseo, 
gehäuften  Anordnung  der  Schalenabschnitte  (hierher  würden  die 
von  M.  Schultze  im  Genas  Acerralina  vereinten  Arten  ge- 
hören). 

Durch  senkrecht  zur  Schalenaxe  erfolgende  £iii8clmfirungen 
kann  die  Schale  iu  hinter  einander  gelagerte  Absohnitte  oder 
Kammern  zerfallen,  welche  in  sehr  verschiedener  Weise  mit 
eiuüuder  in  Verbindung  stehen  können  (polythalame  Formen). 

Nach  der  Structur  der  Schale  theilen  wir  die  Classe  der 
Thalamopboreo  in  zwei  Ordnungen:  Imperforata  und  Per£orata. 

1.  Imperforata.  • 

In  der  Schalpnwand  finden  sich  ausser  der  stets  ansehnlichen 
Schale nöfTn II  ng  keine  Commnnicationen  zwischen  dem  Schalen- 
innern  und  der  Aussenwelt. 

2.  Perforata. 
Zahlreiche   feine  Canälchen  durchbohren  die  Schalenwaod; 
in  Folge  dessen  ist  die   eigentliche  Schalenöffnung  meist  klein 
und  rudimentär. 

')  Was  die  nähere  Begründung  der  hier  gegebenen  Hückfühmiig  der  ver- 
Bcbieileneii  ttuhuliMj  formen  auf  eine  -Gmodform  anlangt,  ao  muss  ich  auf  die 
eingebende  Besprecliung  verweisen,  welche  Carpenter  den  verechiedenen 
Wacbatbiim^plÄDGii  «tpr  ThalamopborenBchalen  (rectilineal,  Bpiral.  acervulinc 
plan  of  gronlh)  in  seiner  Monographie  S.  49— B&  wiiimoL  Ganz  besonders 
mache  icb  noch  nuf  ilie  KückfUhrung  der  bo  schwer  verstündlicben  nach  einen 
(^clischeii  Wath^thiimiplan  entatandenen  Schalen  von  OrbitolitCB  aaf  eine 
gpirale  Si^hulenform  aafmerksam  (S.  94-67,  lOS- 110). 


Bemerk,  zar  Organiaation  n.  System.  Stellung  der  Foraminiferen.       56 


Erklämng  der  AbbildoDgen  auf  Tafel  II. 

Fig.  1 — 4  Junge  Miliolen  (Quinqueloculina),  Chromsaurepräparate.  Fig.  1 
einkernige,  einkammerige  Miliola  von  vorn,  Fig.  2  von  der  Seite 
gesehen;  Fig.  3  zweikerniges,  dreikammeriges  Exemplar;  Fig.  4 
Exemplar  von  4  Kammern  mit  mindestens  7  Kernen. 

Fig.  ö — 9  Rotalien.  Fig.  ö  u..  6.  im  ^oHod  Zustand;  Fig.  7 — 9  nach  Be- 
handlung mit  Chromsäure  und  Imbibition  in  Carmin;  n  Kern 
am  lebenden  Organismus  als  homogene  Stelle  erkennbar;  o  Scha- 
lenmündung; Fig.  7  einkammeriges  Exemplar  mit  einem  einen 
Nucleolas  umiohliesenden  Kern;  Fig.  8  vierkammer^e  Rotalia 
mit  3,  Fig.  9  fünfkammerige  mit  vier  gleichmässig  geronnenen 
Kernen. 

Fig.lO—  1 1  Exemplare  einer  Rotalienbrut;  Fig.  10  im  frischen  Zustand,  Fig.  1 1 
nach  Behandlung  mit  Chromsäure  und  Imbibition  in  Carmin. 


§.  1.    Lage  des  Ehrenbei^s. 


Der  E  li  r  e  n  b  e  1-  K  (b.  Täf.  III)  zieht  sich  als  flacher  Rücken 
zwischen  der  Niedpiiing  der  Teiche  im  Osten  von  Ilmenau  und 
den  obersten  Hausern  des  MarktSeckens  Langewileeen  nahe 
'Ig  Meilen  hin  mit  einer  Breite  von  noch  nicht  '/s  Meile.  Durch 
zwei  Einsenbungen  ist  er  in  drei  Kuppen  getheüt,  von  denen 
die  westliche  die  höchste  (1633  par.  F.  =  530,4  Meter)  and 
breiteste,  die  östliche  die  niedrigste  und  schmälste  ist.  Die 
Abhänge  gegen  W..  NTV.  und  NNO.  sind  flach  und  ebenmÄssig, 
derjenige  gegen  S.  iallt  steil  und  an  einigen  Stellen  felsig  gegen 
diellmaue  ein.  Ein  felsiger  Vorsprung  (1548  par.  !".  =  614,6  M.) 
am  südwestlichen  Ablmng,  früher  dieHammerkuppe  genannt, 
ist  jetzt  mit  dem  ^^nmen  der  Schillershöhe  beehrt  worden. 
Der  Fuss  des  Eliicnbergs  wird  bezeichnet  durch  die  Lage  des 
Neuhauses  (14H«  par.  P.  =482,6  Meter)  im  Westen,  des 
Kesselteiches  (1489  par.  F.  =  483,6  Meter)  im  Norden, 
und  die  obersten  Hüuser  von  Langewiesen  (1388  par.  F.  => 
45(1,9  Meter)  im  Osten.  Gegen  Süden  schneidet  ihn  der  Um- 
lauf scliarf  und  gerade  ab.  Rings  um  den  Fuss  herum  zieht 
sich  demnach  eine  Niederung,  die  einen  fast  zusammenhängenden 
Wiesengrund  bildet.  Jenseits  dieses  Wiesengrundes  erhebt  sich 
im  Süden  das  Waldgebirge,  im  Nordnordosten  der  aufgeworfene 
Rand  der  thüringer  Mulde.  Der  Umlauf,  so  weit  er  den  Fuss 
des  Ehrenhergs  bespült,  ist  von  Alters  her  technisch  ausgebeutet 
worden,  namentlich  zaio  Betrieh  von  Hammerwerken,  daher  der 
Name  Harn merg rund!  Die  Wasserwerke  folgen  flussabwärts 
auf  einander:  oberhalb  der  Einmündung  der  Schürte  die  Loh- 
mühle, die  Schneidemühle  —  sonst  Zainhammer  und 
Saigerhütte  —  die  Herrenmühle;  heim  Zusammenfluss 
von  Scborte  und  lim  der  Leftlershammer  und  der  Grenz- 
hammer; unterhalb  dieses  Zusammenflusses  die  Schneide- 


Der  Ehreüberg  bei  IlmenaiL  59 

mühle,  die  Spinnerei-,  sonst  ebenfalls  Zainhammer*,  die 
Schwärze-Fabrik-  sonst  Langewiesener-Hammer  oder 
Eisenwerk  „Gottes-Segen". 

Die  angegebenen  Höhenmaasse  sind  von  A.  W.  Fils  ^)  entlehnt. 

Geographisch  gehört  der  Ehrenberg  zu  den  Yorbergen  des 
Thüringer  Waldes,  von  dem  er  jedoch  nur  durch  den  schmalen 
Hammergrund  getrennt  ist.  Und  unter  den  Vorbergen  ist  er 
weder  durch  seine  Höhe  und  Ausdehnung,  noch  als  Ansichts- 
punkt und  Aussichtspunkt  so  ausgezeichnet,  dass  er  in  den 
Keisebüchern  eine  besondere  Erwähnung  fände. 


§.  2.    Gesteine  des  Ehrenbergs. 


Verwitterungs-Schutt,  Acker-  und  Wald-Boden  bedecken 
den  grössten  Theil  der  Oberfläche  des  Ehrenbergs  so  dicht  und 
hoch,  dass  eine  geognostische  Karte,  welche  von  dieser  äussersten 
Decke  als  unwesentlich  absehend,  erst  den  Untergrund  berück- 
sichtigt, nicht  ohne  Ergänzung  der  Anschauungen  durch  Wahr- 
scheinlichkeitsschlüsse  zu  Stande  kommen  konnte. 

Die  Aufschlusspunkte,  an  denen  die  unmittelbar  der  Karte 
zu  Grunde  liegenden  Anschauungen  genommnn  werden  konnten, 
sind  di^  folgenden.  Am  unteren  Steilrande  des  Abhangs  über  der 
Um  vom  Grenzhammer  bis  nach  Langewiesen  stehen  die  Gesteine 
in  nackten  Felsenwänden  an  und  sind  durch  Steinbruch  und 
Bergbau,  sowie  durch  die  Anlage  von  Badstuben  und  Mühl- 
gerinnen noch  mehr  entblösst.  Auch  ragen  über  die  höheren 
Abhänge  gegen  Süden,  namentlich  an  der  Schillershöhe  und  im 
Marienholze  einzelne  nackte  Pelsenflächen  und  Klippen  hervor. 
Alte  und  neue  Gruben,  die  aber  selten  lange  Zeit  betrieben 
worden  sind  und  werden,  finden  sich  mehrere ;  ihre  Halden  liefern 
brauchbares  Material.  Durch  die  chausseemässige  Verbreiterung 
des  Fahrweges  von  Ilmenau  nach  Langewiesen  sind  einige  Ab- 
schürfungen nothwendig  geworden,  die  bis  auf  anstehendes  Ge- 
stein niedergehen.  Lange  Zeit  wurde  in  einem  Steinbruch 
Material  zur  Chausseebeschüttung  gewonnen,  der  etwa  in  der 
Mitte  des  südlichen  Abhangs ,   noch  auf  Weimarischem  Gebiet 


')  A.  W.  Fils,  Höhenmessungen  in  den  Schwarzburgischen  Oberherrschaften 
Rsdolitadt  and  Arnstadt  und  in  dem  Weimaruchen  Amte  Ilmenau.  Sonders- 
haosen  1834. 


60  ^  ^  Schmid, 

aber  knapp  an  der  Sondersliäuser  Grenze  gelten,  die  interessan- 
testen Contactverhältnisse  aufdeckte.  Derselbe  ist  leider  seit 
gonuiiiipi'  Zeit  aufgegeben,  grÖBstentheils  durch  Aufschüttung 
eingeebnet  und  urbar  gemacht.  Als  Ersatz  dafür  konnten  bis 
in  die  neueste  Zeit  die  Ausrodungen  des  Marienholzes  an  seinem 
Westniiide  benutzt  werden,  in  Folge  deren  die  grossen  und 
Itiiiitig  hervorragenden  Steinblöcke  arusgebrochen  und  za  tech- 
nischer Verwendung  weggeführt  wurden.  Aber  auch  ein  guter 
Theil  dieser  Aufachlüaso  ist  bereits  unter  der  Aufschüttung  und 
Einebenung,  durch  welche  der  Boden  zur  Kultur  vorbereitet 
werden  soll,  verschwunden. 

Die  Gesteine,  welche  man  am  Ehrenberge  anstehend  findet, 
sind  theils  geschichtet,  tlieUs  massig. 

Von  geschichteten  Gesteinen  nimmt  Thonschiefer  einen 
ansehnlichen  Theil  des  ßUckens  ein;  Zechstein  und  Bnnt- 
Sandstein  legen  sich  nur  an  den  fuBS  an. 

Von  massigen  Gesteinen  treten  Grünsteine,  Granite 
und  Quarzporphyre  in  den  Bau  des  Ehrenberges  ein. 


§.  3.  Geologische  Bedentnng  des  Ehrenbei^. 

Nicht  nur  wegen  der  angedeuteten  Manuicbfaltigkeit  der  vor- 
kommenden Gesteine,  sondern  auch  wegen  ihres  Verhältnisses 
zu  einander  und  zu  denen  des  Thüringer  Waldes  verdient  der 
Ehronberg  die  besondere  Beachtung  der  Geologen  und  hat  sie 
auch  gefunden. 

Am  Ehrenberge  berühren  sich  Thonschiefer  und  Porphyr 
welche  sich  als  die  herrschenden  Gesteine  der  südöstlichen 
und  der  nordwestlichen  Hälfte  des  Thüringer  Waldes  in  der 
Bichtung  von  Amtgehren  nach  Eisfeld  von  einander  scheiden. 
Zu  Thonschiefer  und  Porphyr  treten  GrUnsteine  und  Granite 
hinzu,  welche  neben  ihnen  recht  charakteristiBche  Gebirgs- 
glieder  des  Thiiringer  Waldes  sind;  damit  rechtfertigt  sich 
die  geologische  Zugehörigkeit  des  Ebrenbergs  zum  Thüringer 
Wald-Gebirge;  darauf  begründet  es  sich,  wenn  Heim')  — 
1803  —  den    Ehrenberg  zu   denjenigen   Situationen  rechnete. 


')  Heim,    GeoiogiBcho  BeBchrdbnng  de»  Thüringer  W»ldea.  Th.  1,  Äbth. 
3  und  t,  S.  133  und  194. 


1 

i 
I 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenaii.  61 

welche   von   der  Natur  angelegt  sind,  um  bei  ihren  grösseren 
Werken  als  Indices  zu  dienen. 

Die  erste  monographische  Beschreibung  des  Ehrenbergs 
erschien  bereits  im  Jahre  1789.  Sie  rührt  von  J.  C.  W.  Voigt  ^) 
her  und  enthält  viele  noch  gegenwärtig  sehr  beachtenswerthe 
Nachrichten,  wenn  auch  die  beigegebene  Karte  nur  wenig  natur- 
getreu ausgefallen  ist.  Als  Credner  sen.  ^)  im  Jahre  1846,  und 
K.  V.  Pritsch  *)  im  Jahre  1860  ausführliche  Schilderungen  der 
Gkgend  von  Ilmenau  gaben,  fand  auch  der  Ehrenberg  die  ihm 
gebührende  Berücksichtigung;  beiden  Schilderungen  sind  geo- 
gnostisch  -  colorirte  Karten  beigegeben.  Wenn  ich  nach  ihnen 
meine  Wahrnehmungen  zusammenfasse,  so  glaube  ich  dazu  durch 
die  darin  enthaltenen  Nachträge  und  Berichtigungen  und  mit 
Bücksicht  auf  den  inzwischen  vollzogenen  Umschwung  eben  so 
wohl  der  Gksteinslehre,  als  auch  der  Kartographie  berechtigt 
zu  sein. 


§.  4.    Oeschlchtete  Gesteine  d^  Ehrenbergs. 


Von  geschichteten  Gesteinen  geht  allein  Thonschiefer 
als  wesentliches  Glied  in  den  Bau  des  Ehrenbergs  ein.  Derselbe 
findet  sich  am  Ehrenberge  selbst  in  zwei  gesonderten  Parthien. 
Die  grossere  Parthie  nimmt  das  östliche  reichliche  Dritttheil  des 
Rückens  selbst  ein  bis  unmittelbar  zum  Fusse  bei  Langewiesen ; 
die  kleinere  Parthie  breitet  sich  am  westlichen  Abhang  aus. 
Sein  Vorkommen  wiederholt  sich  jenseits  der  Dm,  der  Spinnerei 
gegenüber  am  Burgstein ;  dasselbe  gehört  zwar  nicht  mehr  zum 
Ehrenberg,  steht  aber  doch  zu  ihm  in  so  naher  Beziehung,  dass 
es  nicht  unerwähnt  bleiben  darf;  es  ist  nur  von  sehr  geringer 
Ausbreitung. 

Die  Lagerung  des  Thonschiefers  ist  nur  zur  Seite  der 
Chaussee  am  Südfusse  des  Berges  deutlich  wahrnehmbar.  Die 
Schichten  streichen  hier  in  7^\  und  fallen  mit  33 ^  gegen  SO. 


')  J.  C.  W.  Voigt,  MinemlogiBche  und  bergmännische  Abhandlungen. 
I^ipzig  1780. 

')  Neues  Jahrbuch  für  Mineralogie  u.  s.  w.,  herausgegeben  von  ▼.  Leon- 
hardt  und  Bronn.    Jahrgang  1846,  S.  127  fgd. 

')  Zeitschrift  der  deutschen  geologischen  Qeselbchaft.  Bd.  XU,  S.  97. 
fgd.  Jahrgang  1860« 


(i2  E.E.Stfa-id, 

Scfai«feniDg  1^1  in  mdiremi  Btchtnafeii  Toriianden.  Die  Hanpt- 
scbiefening  und  die  Schichtimg  schoeidai  sich  onter  einem 
Winket  Ton  etwa  110**.  Die  Schichtnngsflicben  sind  ranh,  die 
SGiriefernngsfiacneo  eben  bis  parallel  gefaltet 

Der  ThotL'M  liiefer  ist  roD  sehr  Tencfaiedener  Entwickelo&g. 
feinkörnig  bis  hUtterig,  grünlich  uid  rSthlich-^ran  bis  brännlich- 
roth,  gleicfaf<^>nni^  bis  geädert  and  gefleckt.  Die  rothe  Farbe  der 
Ädern  nnd  Flecke  geht  von  Klüften  und  Spalten  ans  nnd  breitet 
sich  von  da  bi<  aof  ä^  ans.  Dieselbe  rührt  von  beigemengtem 
Eisenoxyd  her  tind  diese  Beimengung  ist  mitunter  sehr  reichlich. 
Blätterig  wird  der  Thonschiefer  dnrch  öngestrente  Qlimmer- 
täfekhen.  Die^e  sind  jedoch  stets  sehr  klein  nnd  wenig  scharf 
umgrenzt,  mitunter  verdrückt.  Eine  mechanische  Anssondemng 
derselben  ist  mit-  nicht  gelungen.  Die  Glimmertäfelchen  schieben 
sieb  oft  60  nabe  aneinander,  dass  ein  dem  Glimmerschiefer  ähn- 
lichem Gestein  entsteht.  Die  Aehnlichkeit  mit  Glimmerschiefer 
wird  durch  das  Hervortreten  von  Qnarzkömchen  noch  entschie- 
dener. Durch  A'^erbindung  von  Eisenoxyd-  imd  Glimmerfuhmng 
entstehen  dunk<liothe  GUimmerschiefer. 

Dasft  dic'.c  letzten  Gesteine  als  Metamorphosen  des 
gleicliförmigen  talkartigen  Thonschiefers  anzusehen  sind,  geht 
au»  ihrem  Äuitreten  besonders  in  der  Nähe  der  Eruptivgesteine 
und  innerhalb  ikr  von  Eruptivgesteinen  fast  ringsum  eingeschlos- 
senen Räume ,  wie  namentlich  am  westlichen  Abhänge  des 
Ehrenbergs,  bcrvnr. 

In  unmittelbarer  Berührung  mit  den  Eruptivgesteinen  steigert 
sich  die  Metamorphose  nicht  viel  weiter.  An  einem  Stücke  von 
der  Grenze  dos  Grünsteins,  oberhalb  der  Schneidemühle  waren 
auch  im  Tlionsehiefer  röthliche  und  gelbliche,  matte  Feldspath- 
ulmliclie  und  blatterige,  grüne,  Chlorit-ähnliche  Einschlüsse  zu 
erkennen.  Iti  Berührung  mit  dem  Granitgange  der  Schneide- 
mühle erhält  sicli  die  Grenzscbeide  scharf.  Der  Thonschiefer 
ist  hier  sehr  olien  geklüftet  und  zugleich  schiefrig  aufgeblättert. 
Bio  Klufttläcben  sind  matt,  braunroth,  die  Schieferungsfläcben 
etwas  duuklci',  ins  Grünliche.  Mit  der  Lupe  unterscheidet  man- 
dunklere  Hciiiniiiiemde  Blättchen  in  einer  helleren  Grundmasse. 
Der  Granit  selliHt  ist  von  einer  schiefriglettigen  Platte  durch- 
setzt, deren  Ui-ijtein  milde  ist,  und  so  weich,  dass  es  sich  mit 
dem  Messer  seliaben  lässt;  es  fühlt  sich  lettig  an.  Die  längere 
Zeit  au  der  Liil't  gestandene  oder  abgeriebene  Oberfläche  ist 
matt,  brauurutii,   die  frische  Schieferungsfläche  schimmert  von 


Der  Bhrenberg  bei  Ilmenacu  63 

eingestreuten  dunkelen  Blättchen.  Dieses  Ghestein  ist  etwas 
wasserhaltig;  aber  frei  von  Kohlensäure.  In  Wasser  eingelegt 
wird  es  schlüpfrig,  ohne  zu  zerweichen.  Es  'stimmt  in  allem 
Wesentlichen  mit  dem  Thonschiefer  überein,  wie  er  unmittelbar 
neben  dem  Gange  ansteht. 

Der  Thonschiefer  zwischen  dem  Porphyr  des  Burgsteins  und 
dem  westlich  daTon  durchsetzenden  Grünsteingang  ist  voll  von 
Pyrit-und  daraus  entstandenem  Brauneisenstein,  auf  welchen  vor 
längerer  Zeit  ein  Bergbau  versucht  wurde. 

Der  nicht  metamorphosirte  Thonschiefer,  wie  er  neben  der 
Chaussee  über  dem  Ilmthale  ansteht,  hat  sehr  grosse  Aehnlich- 
keit  mit  demjenigen,  welcher  sich  südöstlich  dem  Möhrenbach 
über  den  Kücken  des  Thüringer  Waldes  ausbreitet,  nur  dass 
dort  das  Gestein  häufig  von  Quarzadem  durchzogen  wird  und 
sich  mitunter  zu  eigentlichem  Quarzit  entwickelt.  Richter*) 
hat  diefien  Thonschiefer  als  dem  cambrischen  und  azoischen 
Systeme  zugehörig  erkannt.  Und  demselben  muss  wohl  auch 
das  Vorkommen  am  Ehrenberg  zugetheüt  werden,  sowie  andere 
von  mir  in  der  Nähe  aufgefundene,  nämlich  eines,  zwischen  den 
Porphyriten  des  hinteren  und  vorderen  Schmiedehauptes  einge- 
keilt und  ein  anderes  unter  dem  Porphyrit  zwischen  dem  Wohl- 
roserberge  und  dem  Gickelsberge  auf  der  Thalsohle  der  Wohl- 
rose hervortretend. 

Etwa  70  Schritt  unterhalb  des  Grtinsteinganges  der' 
Bchwärzfabrik  durchsetzt  eine  steil  gegen  O.  einfallende  Kluft 
mit  einer  seitlich  abgehenden  Verzweigung  den  Thonschiefer; 
die  steil  aufgerichtete  Kluft  ist  reichlich  2%  M.  weit.  Beide 
Klüfte  sind  mit  Thonschiefer-  und  Porphyr-Schutt,  dessen  Brocken 
nicht  über  Faustgrösse  haben,  erfüllt;  an  der  Kluftwand  wird 
die  Ausfüllung  lettig-bröckelig. 

Der  Zechstein  und  Buntsandstein  lehnen  sich  nur  so  an  den 
nordwestlichen  und  nordöstlichen  Euss  des  Ehrenbergs  an ,  dass 
man  durch  ihr  Auftreten  das  zu  diesem  Berge  gehörige  Gebiet 
begrenzen  kann. 

Der  Zechstein  füllt  eine  Mulde  zwischen  dem  Ehrenberg 
und  der  Stürmheide  aus,  aber  am  Fusse  des  ersten  tritt  nur 
eines  seiner  obersten  Glieder  zu  Tage,  —  der  Plattenkalk 
des  oberen  Zechsteins.    Er  legt  sich  unmitelbar  an  die  älteren 


')  Zeitscbr.  iet  6etitBC\ien  geo).  Gesellscb.  Bd.  IXX,  S.  34S,  Jabrg.  1869. 


64  EL  £.  Schmid, 

O-esteine  deg  Ehrenbergs  an,  ohne  eine  Hebung  durch  sie  anzu- 
zeigen. 

Der  Plattenkalk  ist  dunkelgrau;  er  löst  »ich  in  verdünnter, 
kalter  Säure  unter  lebhaftem  AnfbrauBen  auf  unter  Zoritcklassung 
eines  beträchtlichen  thonigen  KUckstandes.  Er  enthält  neben 
Kalkerde  auch  ansehnliche  Mengen  von  Talkerde  und  Eisen- 
oxydul.  Das  nächst  tiefere  Glied  des  Zechsteins:  Mergel  und 
Letten  mit  Gyps,  welcher  letzte  bei  Ilmenau  sehr  mächtig 
entwickelt  ist,  wurde  auf  der  Karte  nur  der  Uebersicht  wegen 
mit  angegeben. 

Die  O-reuze  zwischen  dem  Gebiete  des  Ehrenbergs  und  dem 
sich  gegen  NO.  weit  ausbreitenden  Bunt  Sandstein  ist  nirgends 
.'Ulfgeschlossen,  sie  wird  von  zusammengerollten  und  zusammen- 
geschwemmten Yerwitterungsproducten  ganz  nahe  anstehenden 
Gesteins  bedeckt,  welche  einen  ebenen  Wiesenboden  geliefert 
haben.  Der  Buntsandstein  jenseits  der  Wiese  trägt  ganz  die 
Charaktere  des  mittleren  Buntsandsteins,  in  welchem  meist  lichte, 
starke  Sandsteinbänke  vorwalten. 

Die  Grenze  kommt  auf  eine  Verwerfungakluft  hinaus,  welche 
mit  Thon  und  Trümmern  erfüllt  ist.  Der  Thon  ist  fett  bis 
sandig,  gelb,  roth,  braun  und  grau ;  kömige  und  dichte  Carbonat- 
gesteine  sind  ihm  reichlich  eingemengt.  Am  Holzrande  oberhalb 
des  Wiesengrundea  finden  sich  theils  verlassene,  theils  noch  im 
Betrieh  stehende  Gruben  auf  diesen  Thon,  der  als  Ziegelerde 
reiclüich  verwendet  wird.  Die  unter  das  Niveau  der  Thongruben 
hinabgehenden  Schächte  dienen  zur  Wasserabführung.  Bei  einigen 
Lachteni  Tiefe  erfolgt  der  Wasserabfluss  durch  sie  rasch  und 
vollständig. 


§.  5.    Xassige  Ctestelne  des  Ehrenbei^ 

unter  den  am  Ehrenherge  auftretenden  Eruptivgesteinen 
sind  die  GrUnsteine  die  ältesten,  dann  folgen  die  Gkanite  und 
hierauf  die  Quarzporphyre.  Diese  relative  Altersbestimmung 
ergiebt  sich  ganz  unleugbar  aus  den  am  Ehrenberge  selbst  sich 
darWetenden  Durchsetzungen.  Die  Grünsteine  durchsetzen 
den  Thonschiefer  und  sind  demnach  jünger,  ah  das  cambriscbe 
System.  Die  GrUnsteine  werden  wiederum  von  den  Graniten 
durchsetzt,   und  gerade  diese  Durchsetzung  ist  mit  sehr  inter- 


Der  £)urenberg  bel.Ilxnenaa.  66 

essanten  Erscheinungen  verbunden.  Endlich  die  Quarz- 
porphyre  schieben  sich  als  ein  breites  Band  zwischen  Qrün- 
steine  und  Granite  ein,  und  ihre  Eruption  fallt  sehr  wahr- 
scheinlich, ja  sicher  in  die  Zeit  des  Absatzes  vom  Kothliegenden. 
Sie  haben  nämlich  so  viele  Aehnlichkeit  mit  denen  des  Gückel- 
hahns,  dass  man  sie- auch  Aem  Alter  nach  damit  identificiren  kann. 
Die  Quarzporphyre  des  Gückelhahns  aber  sind  bankweise  zwischen 
die  Conglomerate  und  Tuffe  des  Rothliegenden  eingelagert,  und 
umgekehrt  greifen  solche  Tuffe  und  Conglomerate  zwischen  seine 
Bänke  zurück.  Die  Ergüsse  der  Quarzporphyre  und  die  Ab- 
lagerungen der  Tuffe  und  Conglomerate  des  Rothliegenden  haben 
mit  einander  abgewechselt.  Man  überzeugt  sich  davon  leicht 
durch  Untersuchung  des  Gebietes  zwischen  dem  Gückelhahn 
und  Elgersburg.  Allein  auf  diese  ins  Einzelne  einzugehen,  ist 
nicht  meine  Absicht. 

Mit  welchem  Sedimentärgestein,  zwischen  der  azoischen 
Grauwacke  und  dem  Rothliegenden  Grünsteine  und  Granite 
gleichalterig  sind,  darüber  geben  die  Lagerungsverhältnisse 
auch  in  der  weiteren  Umgebung  von  Ilmenau  keinen  Aufschluss. 


§.  6.   Grflnstelne.   Literatur. 


Die  Grünst  eine  des  Ehrenbergs  sind  zuerst  von  Voigt 
beschrieben  worden  und  theils  unter  diesem  *)  Namen  angeführt, 
th^s  als  Hornblendeschiefer  >)  bezeichnet.  Heim  3)  erwähnt 
ihrer  in  derselben  Weise.  Credner  sen.  ^)  erkennt  in  ihnen  theils 
Hornblende- y  theils  Augit  -  Plagioklasgo^tein.  v,  Pritsch*)  be- 
zeichnet sie  theils  als  Amphibolite,  theils  als  Diorite,  theils  als 
Gabbros. 

Die  erste  kajrtographische  Darstellung  gab  Voigt  ^);  sie  ist 
topographisch  wie  geologisch  sehr  mangelhaft.    Ebenfalls  noch 


>)  Voigt,    Mineralogisehe  und  bergtnänniiche  Abhandlangen.    S.  9. 

•)  Voigt,    Ebenda«.    S.  12. 

*)  Heim«    Geologische  Beschreibung  des  Thüringer  Waldgebirges.   Th.  2. 
Abth.  S  nnd  4.    S.  125  und  126. 

*)  Leonhard  and  Bronn,    Neues  Jahrbuch   für  Mineralogie  etc.    Jahrg. 
184(1.    S.  U»  und  184. 

*)  Zeitfchrif^i  der  deutschen  geolog.  Geselbchaft.    Jahrg.  1S60.    Bd.  19. 
S.  9»— 102. 

*)  S.  oben  anter  1,  Karte. 
B4.  X.  N.  F.  ni.  ö 


ungenau  und  unToUständis  ist  die  Karte  von  t.  Ootta')  in  Be- 
.  «lg  auf  diese  Gesteine.     Oredner ')  und  t.  Fritach  *)  gaben  fast 
mehr  Detail  als  ich  wiederfinden  konnte. 


§.  7.    Griinstclno.    AuHbrdtfUig;  der  StOeke  wmA  CtSn^. 

Wie  es  die  beiliegende  Karte  zeigt,  nehmen  die  GJrUnateine 
durchaus  keinen  zuaaniTncnliStigenden  Baum  ein,  sondern  ver- 
theilen  sich  auf  fünf  getrennte  Parthien. 

Die  beiden  grösstcn  unter  denselben,  welche  durch  eine 
Quarz-Porphyr-Znnge  von  einander  getrennt  werden,  können  als 
Stöcke  bezeichnet  werden ;  sie  nehmen  einen  ansehnlichen 
Theil  der  Kuppe  und  der  nordwestlichen  wie  südwestlichen 
Abhänge  des  Elirenliergs  ein.  Die  dritte  Parthie  steht  ober- 
halb der  Schneidemlilile  zwischen  der  Um  und  der  OhauBsee  in 
einer  Breite  von  40  Schritt  an  und  ist  durch  einen  Steinbruch 
entblösst." 

Die  vierte  und  fünfte  Parthie  setzen  beide  gangförmig 
durch  die  ganze  Breite  des  Ehrenbergs.  Am  steilen  Dfergebänge 
der  Um  stehen  sie  felsig  ;in;  hier  igt  auch  an  mehreren  Stellen 
der  Gontact  mit  demTtioiischiefer  sichtbar.  Die  Contactfläcben 
fallen  senkrecht  und  vollaufen  eben.  Der  westliche  0ang  unter- 
halb der  Spinnerei  hat  eine  Mächtigkeit  von  18  Schritten,  der 
östliche  bei  der  Schwärz  t'abrik  von  30  Schritten.  Das  Port- 
streichen dieser  Gange  iiher  den  Rticken  und  die  Streichungs- 
richtung  wird  durch  Grünsteinbrocken  in  der  Ackerkrame  an- 
gezeigt. Der  Gang  bei  dei'  Schwärzfabrik  steht  ausserdem  noch 
in  einem  Feldwege  unmittelbar  an. 

Der  Thonschiefer  zeigt  sich  nicht  blos  unmittelbar  an  der 
Contactääche  stark  metainorphosirt,  sondern  bis  in  solche  Ent- 
fernung davon,  dass  zwisc^hen  den  zwei  Gängen  kein  anderes  als 
Glimmerschiefer  ähnliches  Gestein  zu  finden  ist. 

Wenn  Oredner*)  und  v.  Fritsch*)  vier  Gänge  aufführen, 
80   ist   die  massige  Paithte    oberhalb    der  Schneidemähle   auch 


>)  V.  Cottu,  geognostische  Karte  von  ThüringeD.    Section  1.  1844. 

')  Neues  Jahrbuch  fiir  Mineralogie  etc.    T»f.  I  iMid  II. 

>}  Zeitschrift  der  ileutaclien  geol.  GetsliHfa.     Taf.  III  and  IV. 

*)  Neuea  Jahrbuch  (.  Mineralogie  «tc    J»hrg.  1846.  S.  138. 

>J  Zeitschcift  der  deutschen  geol.  GewIlKh.    Bd.  KIL  Tftf  III. 


Der  Ehrenberg  bei  Dmenau.  €7 

•als  Ghang  gerechnet,  und  wahrscheinlich  ein  Granitgang,  von 
dem  später  die  Rede  sein  soll,  als  Grünsteingang  genommen. 
Die  Bezeichnung  der  Gänge  als  Lager  ähnliche,  deren  sich 
Credner  ^)  bedient,  entspricht  nicht  meiner  Anschauung. 

Der  Meinung  v.  Fritsch's  %  die  Genesis  dieser  Gesteine  sei 
unklar,  wahrscheinlich  seien  sie  metamorphische  Gebilde,  kann 
ich  nicht  beipflichten. 


§.  8.  Orttnatefne.  Makroskopisehe  Beschreibmig. 


Die  Grünsteine  des  Ehrenbergs  enthalten  nur  zwei  Mine- 
ralien als  wesentliche  Gemengtheile:  ein  rabenschwarzes 
und  ein  trübweisses. 

Das  rabenschwarze  Mineral  ist  sehr  deutlich  blätterig,  in 
Folge  seiner  Spaltbarkeit  nach  zwei  Richtungen ;  es  ist  mir  jedoch 
nicht  gelungen,  Spaltungsprismen  mit  so  breiten  und  glatten 
Flächen  herzustellen,  dass  der  Spaltungswinkel  mit  dem  Anlege- 
Goniometer  hätte  gemessen  werden  können;  er  weicht  jedoch' jeden- 
falls sehr  weit  von  einem  rechten  ab.  Die  Dichte  mittels  der 
Schaffg^ttsch'schen  Schwebmethode  (s.  weiter  unten)  bestimmt, 
schwankt  zwischen  3,07  und  3,12.  Die  Härte  ist  etwas  unter 
6 ;  sie  ist  verbunden  mit  einer  gewissen  Zähigkeit.  Die  Schmelz- 
barkeit  gleicht  der  des  Actinots;  das  Schmelzproduct  ist  ein 
schwarzes  Glas ,  in  welchem  jedoch  häufig  weisse  Flecken  und 
Wolken  Einschlüsse  des  zweiten  wesentlichen  Gemengtheils  an- 
zeigen; das  Glühlicht  ist  ziegelroth,  es  zieht  sich,  wenn  der 
Schmelzfluss  weisse  Stellen  hat,  ins  Gelbe.  Von  Salzsäure  wird 
das  Mineral  angegriffen. 

Man  kann  demnach  das  rabenschwarze  Mineral  als  Horn- 
blende in  Anspruch  nehmen,  mit  Vorbehalt  derjenigen  Er- 
gänzungen der  Charakteristik,  welche  die  mikroskopische  und 
chemische  Analyse  noch  liefern  wird. 

Das  weisse  Mineral  lässt  weder  krystallinische  Begrenzung 
erkennen,  noch  deutliche  Spaltbarkeit.  Seine  Dichte,  nach  der 
Schaffgottsch'schen  Schwebmethode  (s.  weiter  unten)  bestimmt, 
beträgt  2,70 — 2,78.  Seine  Härte  ist  nahe  6,  eher  etwas  darunter 
als  darüber.    Es  schmilzt  etwas  leichter  als  Orthoklas  zu  schau- 


*)  Neues  Jahrb.  f.  Mineral,  etc.    Jahrg.  1846.  S.  182. 
*)  Zeitichr.  der  deatschen  geol.  GeaeUach.    Bd.  XJI,  S.  101. 

6* 


migem  weissem  Ölase.  Beim  Schmelzen  entwickelt  es  ein  starkes 
Ölühlicht  zuerst  gelb,  dann  gelbrath  in  das  Violette.  Von  Salz- 
säure wird  es  nicht  sichtlich  angegriffen.  Es  ist  danach  gestattet, 
das  weisse  Mineral  für  einen  Feldspath  und  zwar  von  mittlerem 
Kieselsäuregehalt,  d.  h.  Oligoklas  oder  Labrador  zu  nehmen. 
Indem  ich  die  Kesultate  namentlich  der  chemischen  Analyse 
vorgreife,  bezeichne  ich  es  der  Kürze  wegen  achou  hier  als  La- 
brador-Feldspat h. 

Innerhalb  der  breiteren  Parthien  des  Vorkommens  an 
den  westlichen  Abhängen  und  anf  der  Kuppe  walten  solche 
Mengungs Verhältnisse  vor,  bei  welchen  makroskupisch  der  La- 
brador bis  zur  Unerkenntlichkeit  zui-üektritt,  theils, wegen  Ge- 
ringfügigkeit der  Beimengung,  theils  wegen  Kleinkömigkeit. 
Dann  entstehen  sehr  düstere  bis  rabenschwarze  Gesteine,  welche 
meist  sehr  feinkörnig  und  mehr  oder  minder  schiefrig  Bind.  Ihre 
Dichte  fand  ich  nicht  über  3,02.  Sie  sind  es,  die  man  bis- 
her für  Amphibolite  oder  Hornblende-Schiefer  ge- 
nommen hat. 

Dieselben  gehen  durch  Zunahme  der  Beimengung  oder  Ver- 
grösaerung  des  Korns  des  Labradors  in  lichtere,  aber  immer 
noch  grünlich-Bchwarz-graue  Gesteine  über,  deren  Dichte  von 
etwa  2,97  bis  auf  2.91  herabgeht.  Sie  sind  theils  bis  zum 
Aphanitischen  feinkörnig,  theils  deutlich-  bis  grobkörnig.  Die 
Gemengtheile  der  letzten   erreichen    bis  1  Om.  grössten  Durch- 


Accessorische  Gemengtheile  von  makroskopischer 
Grösse  finde  ich  nur  wenige. 

Metallglänzende ,  eisenschwarze  Flecke ,  welche  auf  der 
Bruchfläche  nicht  sehr  deutlich  liervortreten ,  entsprechen  so 
kleinen  Bröckchen  des  gekörnten  Minerals,  dass  nur  die  grössten 
unter  ihnen  mit  einer  feinen  Pincette  gefaast  werden  können. 
Dem  Magnete  sind  nur  sehr  wenige  und  kleine  Bröckchen  folg- 
sam. Die  Nachweisung  von  Magneteisen  erscheint  mir  dadurch 
nicht  sicher.  Denn  obgleich  das  Zerschlagen  der  Grünsteine 
in  dichter  Papierhülle  vorgenommen  wurde,  so  doch  mit  eisernem 
Hammer  und  auf  eiserner  Unterlage.  Die  Beimengung  von 
Eisenspänen  ist  also  kaum  zu  vermeiden.  Die  ausgelesenen 
m etal lg] an zeiiden Blöckchen  erwiesen  sich  als  Eisenglanz  und 
zwar  Titanhaitigen  oder  Titaneisenerz. 

Metallglänzende  gelbe  Körnchen  von  Pyrit  sind  selten; 
Kupferkies,    den   Credner  und   v.  Fritsch  als   einen   gewöhn- 


Der  Ebrenberg  bei  Ilmenau.  69 

liehen  üebergemengtheil  bezeichnen,  habe  ich  nicht  ge- 
funden. 

Bräunlich-  bis  blut-rothe,  glasglänzende,  krystallinische 
Körnchen  und  zeisiggrüne  ebensolche  sind  sehr  sparsam  einge- 
streut. Die  ^sten  verhalten  sich  wie  Granat,  die  andern  wie 
Pistazit. 

Häufiger  noch  als  diese  letzten,  aber  eben  noch  makxosko^ 
pisch  erkeinnbar,  und  aus  dem  zerschlagenen  Gestein  mittels 
Pincette  und*  Lupe  sehr  schwer  auslesbar  sind  gelbe  bis  hja- 
cinthrothe,  diamantartig  glänzende  Körnchen,  die  sich  ganz  un- 
zweifelhaft als  Titanit  herausstellen. 

Dunkelrothe  Blättchen  und  Füttern  lassen  sich  schwer  ab- 
lösen; sie  verhalten  sich  wie  Eisenoxyd. 

Glimmer  und  Apatit  sollen  nach  Oredner  und  v.  Fritsch 
gewöhnliche  üebermengthefle  sein;  es  ist  mir  nicht  gelungen,  sie 
nachzuweisen. 

Endlich  habe  ich  das  von  v.  Fritsch  erwähnte  Vorkommen 
eines  Prehnitartigen  Minerals,  und  die  Imprägnation  mitCarbonat 
nicht  wieder  finden  können. 

Sämmtliche  Grtinsteine  sind  schwer  zersprengbar  und  sehr 
zähe;  sie  eignen  sich  desshalb  sehr  wohl  zur  Strassenbe- 
schüttung. 

Dünnschliffe  lassen  sich  aus  eben  diesem  Grunde  sehr  leicht 
und  vollkommen  herstellen. 


§.  9.    Orttnsteine.    Bereeimniig  ihrer  Mengnng  ans  der 

Dichte. 


Da  die  Ehrenberger  Grünsteine  ausser  Hornblende  und 
Feldspath  keine  weiteren  wesentlichen  und  reichlichen  Gemeng- 
theile  enthalten,  und  da  gerade  diese  beiden  Mineralien  sehr 
verschiedene  Dichte  haben,  so  schien  mir  der  Versuch  geboten, 
das  Mengungsverhältniss  aus  der  Dichte  abzuleiten. 

Aus  dem  gekörnten  GMtein,  ausgenommen  das  ganz 
rabenschwarze,  Hess  sich  die  Hornblende  in  grösseren  scheinbar 
reinen  Stückchen  auslesen,  allein  wenn  man  dieselben  nochmals 
zerdrückte,  zeigten  sich  immer  wieder  weisse  Einsprenglinge. 
Der  Labrador-Peldspath  konnte  zwar  von  vornherein  nur  in 
sehr  kleinen  Stückchen  erlangt  werden,  aber  diese  erwiesen  sich 
dann  auch  nach  wiederholtem  Zerdrücken  als  rein* 


bei  der  dtistern  (resamint&rbe  der  GeBtelne  erwartet,  und  dass 
von  eigentlichen  Amphibolitea  noch  keine  fiede  sein  kann. 


L  §.  10.    OrfliiBteine.    Ukroskophdie  AnalsrM.   Hornblende. 

k  Die  Hornblende  bietet  sich  in  sehr  verschiedeneD  £nt- 

''  tfickelungsstufen  dar  vom  voIlkommeD  Kiystallimschen  bis  zum 

Kryatalloidischen. 
'  Die  vollkommensten  onter  den  grossen  Krystallen  (s.  Fig.  1 

I  Taf.  rV)  erscheinen  im  Qaerschnitt  als  Sechsecke  am  so  regel- 

■  müssiger,  je  mehr  sich  die  Neigung  des  Schnittes  zu  den  Seiten- 

^  flächen  dem  E«chten  nähert.   Die  Seitenflächen  entsprechen  also 

y  der  an  den  HomWende-Krystallen  so  gewöhnlichen  Combination : 

rx.  P  und  oc  A*  sc.  Prismatische  Spaltbarkeit  parallel  zu  zweien 
der  Seitenflächen,  oder  nach  oc  P,  ist  so  deutlich,  dass  die 
den  Spaltungsrichtongen  entsprechenden  Discontinoitäten  als 
schwarze  Schraffinmg  erscheinen.  Im  vollkommenen  Längs- 
schnitte sind  die  Krystalle  nar  von  parallelen  Streifen  dorch- 
zogen,  die  mehr  oder  wenigerlinear  und  scharf  oder  breit  und 
matt  hervortreten,  je  nachdem  die  Schlifffläche  eine  der  Spal- 
tungsriclitnngen  mehr  oder  weniger  rechtvrinkelig  achneidet. 
Mitunter  sind  die  Krystalle  gebogen  oder  gestaucht,  dann  ver- 
laufen die  Blätterdnrcbgänge  wellig,  klaffen  auch  wohl.  Parallel 
der  Streifnng  sind  dann  cüe  EryBtalle  einfach  begrenzt;  quer 
dagegen  beobachtet  man  an  grösseren  ErystaUen  fast  nur  ge- 
bogene, unebene  bis  abgesetzte  und  ausgezackte  Begrenzung. 

Unter  den  mittleren,  kleinen  und  kleinsten  Krystallen  — 

s.  Fig.  2  Taf.  IV  —  finden  eich  sehr  vollkommen  entwickelte.    Sie 

sind  stets  leistenfdrmjg  mit  einer  schrägen  Endkante,  oder  zwei 

..  nahe  symmetrisch  zu  einander  gestellten.  Die  Längskanten  und  das 

^  eine  schräge  Endkanten-Paar  sind  dunkel  gesäumt.  Deutet  man 

diese  Krystalle  monoklinisch,  so   muss  die  breite  Leietenfläche 

dem  klinodiagonalen  Hauptschnitte   entsprechen,    die    dunkel- 

gesiuiniten  Kanten  kommen  auf  prismatische,  die  nicht  gesäumten 

auf  piiiako'i'dische  Begrenzung  hinaus;  speciell  auf  die  Krystall- 

reihe   der  Hornblende   bezogen,    stellen    sie   die  gewöhnliche 

Combination  oo  P  co.  oo  F.  P.  oP  dar.     Sehr  schmale,    dünne 

iiiid  liinge  so  geformte  Krystalle  sind  nicht  selten  gebogen. 

Durch  Ahrundung  der  Ecken  und  Kanten  gehen  die  Krystalle 


> 


Der  Ehrenberg  bei  Dmenau.  73 

in  £ry8tallo'ide  —  s.  Fig.  S,  4  u.  5^  Tat  IV  —  über.  Der  Uebergang 
ist  ein  ganz  allmählicher  bis  zu  Schollen,  in  deren  Umgrenzung 
keine  geraden  Linienelemente  mehr  vorkommen,  auch  wenn  in 
ihrer  Mitte  bereits  Spaltungsrichtungen  erkennbar  sind.  Diese 
Schollen  erreichen  eine  Ausdehnung,  grösser  als  die  der  deut- 
lichen £j7stalle. 

Die  Krystalle  gruppiren  sich  parallelstängelig,  facherforniig 
und  sternförmig,  sie  sind  auch  häufig  ganz  regellos  zu  filzartig- 
dichten  Massen  —  s.  Fig.  6,  Taf.  IV  —  angehäuft,  welche  erst  bei 
starker  Vergrösserung  den  Schein  des  Gleichförmigen  verlieren. 
Die  Bjrystalloide  —  s.  Fig.  7,  Taf.  IV  —  vereinigen  sich  zu 
vielfach  aus-  und  eingebuchteten  Massen. 

Erystalle  und  Krystalloide  liegen  häufig  nahe  neben-  und 
untereinander. 

Wahre  Einlagerungen  in  der  Hornblende  sind  nicht  mannig- 
faltig. Sie  sind  theils  opak  und  füllen  namentlich  die  E^üfte 
zwischen  Spaltungsflächen  aus,  theils  erscheinen  sie  als  lang- 
gezogene, nach  aussen  scharf  umgrenzte,  nach  innen  sehr  schmal 
umsäumte  Schläuche,  häufiger  parallel  hintereinander  oder  neben- 
einander geordnet,  als  umgebogen,  und  die  Spaltungsrichtungen, 
wo  solche  erkennbar  sind,  durchkreuzend  —  s.  Fig.  8,  Taf.  IV  — . 
Die  opaken  Einlagerungen  für  etwas  Anderes  zu  nehmen,  als  für 
Eisenoxyd  und  etwa  noch  Eisenoxydhydrat,  liegt  kein  Grund  vor. 
Die  Schläuche  können  wegen  der  Schmalheit  der  dunkeln  um-  * 
randung  nicht  Gas-Cavemen  sein;  ob  sie  von  einem  Liquidum 
oder  einer  starren  Substanz  herrühren,  muss  dahin  gestellt 
bleiben. 

.  Die  Farbe  der  Hornblenden  ist  gras-  bis  span-grün  ins  Gelbe 
und  Braune.  Je  dünner  die  Ej*ystalle  und  Krystalloi'de,  desto 
blasser  wird  die  Farbe,  bis  zurFarblosigkeit.  Doppelte  Brechung 
zeigen  sie  durchgängig.  Ihr  Dichroismus  ist  sehr  ausgezeichnet, 
er  tritt  nur  dann  zurück,  wennn  die  Farbe  blass  ist.  Ist  ein 
Krystall  nahe  rechtwinklig  gegen  die  Hauptaxe  durchschnitten, 
so  erscheint  er  girünlich-gelb  bis  gelblich-grün,  wenn  der  Haupt- 
schnitt des  polarisirenden  Nikols  der  kurzen  Diagonale  des 
Spaltungsprismas  entspricht,  bräunlich-  bis  schwärzlich-grün, 
wenn  derselbe  der  langen  Diagonale  entspricht.  Ist  ein  Ejrystall 
paraflel  der  Hauptaxe  durchschnitten ,  so  «erscheint  er  hellgelb 
bis  grünlichgelb,  wenn  der  Hauptschnitt  des  polarisirenden 
Nikols   rechtwinklig  zur  Hauptaxe  steht,  bläulich-  bis  bronze- 


grün,   wenn  derselbe  parallel  da^u  ist.    Die  krystalloidischen 
Schollen  verlialtea  sich  wie  KrystaUe  in  dieser  letzten  Lago. 


§.  11.    OrttDBtelne.    Htkroskoplsehe  Analyse.    Einfiteh 
blStterlges-fiueriges  Mineral. 


Namentlich  im  dunklen  Grünetein  bei  der  Herrenmtihle 
findet  sich  neben  der  Hornblende  noch  ein  anderes  prismatiscbes 
Mineral.  Es  ist  nur  nach  einer  Richtung  parallel  der  Längs- 
axe  spaltbar,  mitunter  aufgeblättert.  Seine  Farbe  ist  braun. 
Es  ist  deutlicli  doppelthrecbend  und  dichroitisch ;  der  Bichrois- 
muB  ist  analog  entwichelt,  wie  bei  der  Hornblende,  indem  die 
Farbe  hell  undgelb  wird,  wenn  der  Hauptschnitt  des  polarisirenden 
Nikols  rechtwinklig  zur  Spaltungsrichtung  steht,  dunkel  und 
braun,  wenn  derselbe  damit  parallel  ist.  Solche  Prismen — 8.Fig.9. 
Taf.  IV  —  aggregiren  sich  meist  fächer-  und  sternförmig  am 
häufigsten  um  einen  opaken  Eisenerzkem;  aber  eben  so  wohl, 
wie  Eisenerzkorne  ohne  braune  Umgehung  vorkommen,  findet  man 
auch  braune  Prismengruppen  ohne  Eisenerzkerne. 

Diesem  blätterigen  Mineral  ist  faseriges  aus  den  Griln- 
steinen  boi  der  Schneidemühle  und  bei  der  Spinnerei  verwandt 
—  8.  Fig.  fi,  Taf.  TV  —  von  grünlicher  und  bräunlicher  Farbe,  nur 
schwach  doppelthrecbend  und  noch  schwächer  dichroitisch.  Es 
zieht  sich  eben  so  wohl  zwischen  Feldspathen  und  Hornblenden 
hindurch,  als  es  Eisenerzkerne  umgiebt. 

Beide  letzterwähnte  Mineralien  könnten  für  Diallage  gelten, 
wenn  sie  nicht  so  deutlich  dichroitisch  wären.  Bei  der  Un- 
möglichkeit, sie  zur  genaueren  Untersuchung  zu  isoliren,  und 
bei  der  Unbestimmtheit  der  Krystallform,  ist  die  Ansicht,  sie 
seien  ein  Glied  der  Bisilicatreihe,  nur  Vermuthung. 


§.  13.    (irHnsteine.    Mikroskopische  Analyse.    CHaslges 
Mineral. 


Noch  weniger  bestimmbar  ist  eine  amorphe,  wasBerklare, 
einfach  brechende  Substanz  mit  traubiger  Oberfläche,  welche 
in  dem  Qrünstein  hei  der  Schneidemühle  opake  Eisenerzkerne 
umschUesst  —  s.  Fig.  10.  Taf.  IV  — .  Ein  Glas  ist  sie  jedenfalls. 


^ 


Der  Ehrehberg  bei  Ilmenaa.  75 

Zwischen  den  Hornblenden,  den  braunen  blätterigen  und 
faserigen  und  den  glasigen  Mineralien  lassen  sich  manche  Vor- 
kommnisse als  üebergangsbildungen  einordnen,  und  machen  es 
wahrscheinlich,  dass  sie  alle  zu  einer  Entwickelungsreihe  mit 
der  Hornblende  gehören. 

§.  13.    Grflnsteine.    likroskopisclie  Analyse.    Labrador. 

Feldspath. 


Die  Labrador-Feldspathe  treten  in  viel  zusammen- 
hängenderen, grösseren  Parthien  auf,  als  die  Hornblenden.  Ihre 
äussere  Umgränzung  lässt  jedoch  viel  seltener  Durchschnitte 
durch  ebene  Flächen  au^  der  Eaystallreihe  des  Labradors  er- 
kennen. Die  Spaltbarkeit  zeigt  sich  mitunter  vollkommen  deut- 
lich; den  zwei  Spaltungsrichtungen  entsprechen  oft  haarscharfe 
Linien;  dieselbe  tritt  jedoch  mitunter  bis  »zur  Unkenntlichkeit 
zurück. 

Die  Labrador-Feldspathe  bieten  das  für  die  älteren  Eruptiv- 
gesteine gewöhnliche  mikroskopische  Bild —  s.  Fig.  11.  Taf.  IV  — . 
Sie  sind  fleckig  durch  den  Wechsel  farbloser,  wasserklarer  und 
bräunlich-grauer,  trüber  Stellen.  Die  Trübung  löst  sich  auch 
bei  den  stärksten  Vergrösserungen  nicht  immer  in  einzelne 
Staubkömchen  auf,  sondern  bleibt  auch  dann  häufig  noch  gleich- 
förmig. Die  klaren  und  trüben  Stellen  sind  bald  scharf  getrennt, 
bald  gehen  sie^  stetig  in  einander  über.  Zu  der  Krystallisation 
hat  ihre  Ausbreitung  und  Vertheilung  durchaus  keine  Beziehung ; 
die  Spaltungsklüfte  und  Striche  ziehen  sich  gerade  durch  sie 
hindurch. 

Die  klaren  Stellen  zeigen  sich  deutlich  doppeltbrechend; 
zwischen  den  Nikols  färben  sie  sich  mitunter  recht  lebhaft. 
Liegt  die  eine  der  Spaltungsrichtungen  in  der  optischen  Axe 
des  Mikroskops,  so  erscheint  eine  oft  gar  schöne  zweifarbige 
Streifung.  Dadurch  ist  lamellere  Zwillingsbildung  bestimmt  ange- 
zeigt und  man  wird  schwerlich  irren,  wenn  man  die  Zusammen- 
setzungsfläche auf  den  brachydiagonalen  Hauptschnitt  bezieht, 
dem  sie  bei  den  makroskopischen  Zwillingen  der  plagioklastischen 
Feldspathe  gewöhnlich  entspricht.  Die  trüben  Stellen  ändern 
in  der  für  den  in  Zersetzung  begriffenen  Feldspath  älterer 
Bmptivgesteine  eigenthflmlichen  Weise  zwischen  den  Nikols 
weder  Beleuchtung  noch  Färbung. 


76  ^  B.  Sohmid, 

Einschlüsae  siad  in  den  Feldspathen  selten.  Die  meisten 
derselben  stimmen  ganz  überein  mit  den  kleinen,  blsss-grünen 
bis  farblosen  Krjfltallen  und  Krystallo'iden  der  Hornblende. 
Ausserdem  erscheinen  gelbrotbe  Tüpfel,  Flecken  und  Wolken. 
deren  Bestimmung  als  Rotheisensteiu  unbedenklicb  ist.  Am 
seltensten  sind  Züge  und  Schwärme  von  scharf  und  schmal  ein- 
gesäumten Schläuchen,  die  wenigstens  keine  Gas-Cavemen  sein 
können,  um  so  weniger,  als  die  grösseren  mitunter  feststehende 
Libellen  einschiiessen  —  s.  Fig.  12.  Taf.  IV  ^. 


§.  14.     GrJiuKtdne.     Hlkroskoplscbe   ia&lyse.     Elsenglaiiis 
oder  Titane  isenent,  Roth-  nnd  BraonelBßusteln.    Pyrit. 

Die  im  durchfallenden  Licht  ganz  schwarzen,  im  auffallenden 
dunkel  -  violett  -  metallisch  glänzenden ,  allgemein  verbreiteten 
EisenglanzeoderTitaneisenerze  — Fig.2,6,9,  lO.Taf.IV 

—  der  Ehreiiberger  Grünsteine  sind  von  sehr  verschiedener  Grosse, 

—  jedoch  wohl  nicht  über  l,&Mm.  Durchmesser — .  Ihre  Quer- 
schnitte lassen  kristallinische  Formen  nicht  erkennen,  ja  nicht 
einmal  wesentlich  geradlinige  Umgrenzung.  Ihre  Vertheilung 
ist  eine  sehr  ungleichmässige.  Von  der  Umhüllung  derselben 
durch  blätterige,  faserige  und  glasige  Mineralien  war  bereits 
die  Rede  (s.  §.  11  u.  12). 

Eisenoxyd  und  Eisenoxyd-Hydrat  zeigen  sieb  in 
Tüpfeln,  Flecken  —  s.  Fig.  13.  Taf.  IV  —  and  Flammen  nicht  nnr 
als  Einschlüsse  in  den  Peldspathen,  wie  bereits  erwähnt,  und  in 
andern  Mineralien,  sondern  auch  als  Ausscheidung  an  Grenz-, 
Trennungs-  und  Spaltnngs-Flächen. 

Der  Pyrit  tritt  mikroskopisch  sehr  zurück.  Nur  einmal 
fand  ich  ihn  in  einem  Dünnschliff  vom  Grrünstein  bei  der  Spinnerei 
mit  quadratischem  Querschnitt,  bei  Beleuchtung  von  oben,  gelb, 
metallisch-glänzend. 

§.  15.   Grflnstctae.   Mikroskopische  Analyse.   Oranat,  Epidot 
and  Tltanit. 


~~  ~ÖT  a  n  ä  ir  und  Epidot  dürften  nur  sehr  vereinzelt  in 
makroskopischen  Massen  vorkommen;  bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  der  Dünnschliffe  sind  sie  mir  nicht  aufgefallen, 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  77 

umgekehrt  wie  mit  Granat  und  Epidot  steht  es  mit  T  i  t  a  n  i  t , 
der  makroskopisch  selten  und  mikroskopisch  überall  auffindbar  ist, 
namentlich  aber  in  dem  Grünsteine  des  Ganges  bei  der  Spinnerei. 
Die  Form  des  Titanits  —  s.  Fig.  14  Tat  V  und  Fig.  16.  Taf.  IV  — 
ist  zwar  meist  geradlinig  umgrenzt,  aber  sehr  mannigfaltig  ein- 
und  ausgezackt ;  auf  einheitliche  Erystalle  lässt  sie  sich  durch- 
aus nicht  beziehen  und  auch  nach  dem  gewöhnlichen  Gesetze 
gebildete  Zwillinge  oder  Yiellinge  lassen  sich  darin  nicht  er- 
kennen. Diese  äussere  Form  ist  gar  nicht  erklärlich^  wenn  man 
nur  den  Titanit  ins  Auge  fasst,  wird  es  aber  wohl,  wenn  man 
von  den  Nachbarkrystallen  ausgeht.  Feldspathe  und  Horn- 
blenden schieben  sich  mit  den  ihnen  eigenthümlichen  Formen 
in  die  Hasse  der  Titanite  hinein.  Der  Titanit  hat  danach  hier 
keine  frei  entwickelten^  eigenthümlichen  Formen;  er  füllt  nur 
Zwischenräume,  die  Feldspathe  und  Hornblenden  übrig  gelassen 
haben,  aus. 

Damit  stimmt  auch  überein,  dass  Spaltungsklüfte  wenigstens 
in  einer  Richtung  deutlich  als  scharfe  Linien  sichtbar  sind, 
aber  zm  den  äusseren  Girenzen  keine  Beziehung  haben. 

Neben  den  Spaltungslinien  erscheinen  noch  andere  etwas 
breitere,  die  man  bei  geringer  Vergrösserung  für  gewundene 
Sprünge  zu  nehmen  geneigt  ist,  die  sich  aber  meist  bei  starker 
Vergrösserung  als  bestäubte  oder  getrübte  Flächen  ausweisen. 
Von  ihnen,  wenn  sie  nahe  in  der  Kichtung  der  Focalebene 
durchstreichen,  rührt  auch  die  eigenthümliche,  in  das  Braune 
spielende  Schattirung  her,  durch  welche  der  Schnittfläche  der 
Anschein  der  Unebenheit  gegeben  wird. 

Der  Titanit  der  Ehrenberger  Grünsteine  weicht  demnach 
wesentlich  von  dem  Habitus  ab,  den  ZirkeP)  als  bezeichnend 
annimmt,  namentlich  giebt  er  sich  nicht  als  „verhältnissmässig 
früh  erfolgte  Ausscheidung"  zu  erkennen. 


§.  16.  Grflnsteine  des  fihrenbergs.    Mlkroskoplsehe  Analyse. 

Quarz. 


Man  wird  viele  Proben  der  Ehrenberger  Grttnsteine  ver- 
geblich auf  einen  Quarzgehalt  untersuchen.  An  einzelnen  Stellen 

')  2&irk^  Die  mikN^kopiaohe  Beachaffenlieit  der  Mineralien  n.  Gesteine, 
Leipzig  1878.  S.  218. 


7S  E.  B.  Sdimid, 

a^er,  namentlich  in  den  Gt-riinsteinen  bei  der  Spinnerei  und  bei 
der  SchwärBlabrik  —  e,  Fig.  16.  Taf.  V — liegen  wasserklare,  aber 
Oaveme II- reiche,  staa-k  doppelthrechende,  zwischen  den  Nikols 
lebhaft  gefärbte,  am  Rande  regenbogenfarbig  eingesäumte 
Körner  nahe  neben  einander;  das  sind,  wenn  mim  die  an- 
gegebenen Merkmale  mit  Becht  als  zureicheDd  zur  Bestimmnng 
ansieht.  Quarze.  Solche  Stellen  haben  auch  bereits  Zirkel') 
vorgelegen  und  ihn  zu  der  nicht  ganz  richtigen  Behauptung, 
die  Eliroitberger  &rfinsteine  seien  reich  an  Quarz,  veranlasat. 

In  der  Umgrenzung  der  Qnarzkömer  zeigt  sich  keine  Ad- 
dentung  von  Krystallisation. 

Die  Cavemen  der  Quarze  sind  sehr  klein,  nach  aussen 
scharf  umgrenzt,  nach  innen  schmal  und  schwach  umsäumt; 
die  grösseren  —  s.  Fig.  17,  Taf.  IV  —  enthalten  häufig  unbeweg- 
liche Libellen.  Neben  ihnen  finden  sich  auch  kleinste  Hom- 
blendelcrystalle  und  Eisenoxjd-Flittern  häufig. 


§.  17,    GlTflitst«ine.   MlkrodcopfMlie  Aiud^e.    fiMilBBs. 

Die  drtlnsteine  des  Ehrenbergs  geben  ein  nur  in  wenigen 
Hauptziigen  übereinstimmendes  Bild. 

Äu  einzelnen  Stellen  sind  sie  Aggregate  vollkommen  kry- 
stalHni5i(;h  entwickelter  Mineralien,  an  anderen  Stellen  liegen 
vollkommen  krystallinische  «nd  nur  krystalloidische  Mineralien 
dicht  und  bunt  nebeneinander,  an  noch  anderen  sieht  man  nnr 
krystalloidische  Entwickelung,  aber  nie  krystallitische  und  nur 
sehr  selten  hyaline. 

Die  G-rÖBse  der  einzelnen  Gemengtheile  und  das  Mengungs- 
verliältniss  schwanken  innerhalh  sehr  weiter  Grenzen. 

Bei  alledem  '  ist  aus  der  mikroskopischen  Analyse  kein 
Gi-und  dafür  zn  entnehmen,  dass  die  Ehrenberger  Grünsteine 
spccifisch  von  einander  verschieden  seien. 

Verglichen  mit  anderen  ähnlichen,  d.  h.  dioritischen  Qriin- 
steiuen,  bietet  die  Mikrostructur  der  am  Ehrenberge  vorkom- 
menden zwar  recht  bemerkenswerthe  Eigentbümlichkeiten  und 
Neuheiten  dar,  bewahrt  aber  doch  im  Grossen  und  Ganzen  den 
bereits  durch  Behrens  u.  A.  bezeichneten  Charakter. 

■)  Zirkel,  Die  mikroikopuche  BeochaffeiihBit  d«r  Miner&lien  d.  Qeiteiae. 
l^ipxig  1873.  S.  4ÖS. 


Der  Bhränberg  bei  Ilmenau.  79 


§.  18.    C^rfiasteine.   Chemische  Analyse. 


Von  den  Gemengtheilen  der  G-rünsteine  konnten  nur  die 
beiden  wesentlichen,  die  Hornblenden  und  die  Feldspathe, 
mechanisch  so  ausgesondert  werden,  wie  es  zur  Ausführung 
einer  chemischen  Analyse  erforderlich  ist. 


§.  19.    Grfinstelne.   Chemlsehe  Analyse.   Hornblende,  hom- 

blendereiche  Grfinsteine. 


Da  die  Hornblende  in  den  Grünsteinen  des  Ehrenbergs 
meist  erheblich  yorwaltet  und  makroskopisch  deutlich  blätterig 
ist,  so  erwartet  man  nicht,  dass  es  schwierig  sei,  genügende 
Quantitäten  davon  rein  auszulesen.  In  der  That  ergab  sich 
aus  dem  gekörnten  Gestein  eine  reiche  Auslese  rundum  grüner 
Kömchen.  Wurden  aber  dieselben  weiter  zerschlagen,  so  traten 
auf  den  neuen  Bruchflächen  weisse  Flecken  ron  neuem  hervor 
und  die  Quantität  der  scheinbar  reinen  Homblendekömchen 
hatte  nach  Entfernung  der  weiss  gefleckten  beträchtlich  ab- 
genommen. Diese  Kömchen  wurden  nun  im  Stahlmörser  ge- 
pulvert und  zur  weiteren  Untersuchung  verwendet.  Indessen 
lieas  bereits  das  im  Stahlmörser  gewonnene  Pulver  erkennen, 
dass  doch  noch  Feldspath  beigemengt  war.  Nach  gehöriger 
Verfeinerung  im  Achatmörser  hatte  das  Pulver  eine  graugrüne 
Farbe.  Nach  anhaltendem  Verweilen  im  Wasserbade  hatte  es 
Vs — IVs^an  hygroskopischem  Wasser  verloren.  Nach  massigem 
Glühen  verfärbte  es  sich  in  das  Ockergelbe  und  verlor  noch- 
mals bis  über  S^lo  am  Gewichte.  Der  G-ewichtsverlust  steigerte 
sich  durch  stärkeres  und  längeres  Glühen  nicht  mehr.  Durch 
Berechnung  des  G-lühverlustes  als  Wasser,  und  Aufschliessung 
des  GlüfarUckstandes  mittels  kohlensauren  Natrons  stellte  sich 
die  Zusammensetzung  der  Hornblende  folgendermaassen  heraus : 


Hornblende  aus  den  GrünsteineD  des  Ehren  berga. 


L 

IL 

III. 

IV. 

Bei  der 

Oberhnlb  der 

Obethslb  der 

Bei  der 

Herreamühle 

Schneide- 
leäUe 

Spinnerei 

fftbrik 

Kieselsäure 

43,26 

46,36 

43,19 

46,07 

Titansäure 

0,63 

0,46 

0,66 

0,00 

Eisenoxyd 

16,44 

13,10 

19,03 

12,93 

Thonerde 

12,18 

19,07 

19,66 

19,89 

Kalkerde 

10,93 

10,39 

11,69 

10,69 

Talkerde 

10,84 

4,19 

ä,62 

6,00 

Wasser 

ä,67 

t,63 

3,18 

1,63 

Summe 

97,04 

96,08 

99,81 

96,11 

Da  die  mit  Salzsäure  versetzte  Bohmelee  nach  dem  Bin- 
dampfeii  anhaltend  über  100"  erhitat  war,  durfte  vorausgeaetit 
werden,  dasa  die  etwa  vorhandene  Titansäare  unlöslich  geworden 
sei  und  ganz  bei  der  Kieselsäure  geblieben;  was  aus  dieser 
letzten  durch  saures  schwefelsaures  Kali  ausgeschieden  werden 
konnte,  ist  als  der  vollständige  Titansäuregehalt  angegeben;  diese 
Angilbe  ist  demnach  eher  zu  gering  als  zu  hoch.  Das  unge- 
gliihete  Material  enthielt  das  Eisen  nicht  nur  als  Oxyd,  sondern 
auch  ak  Oxydul.  Dem  Bisenoxyd  war  etwitö  Manganozyd  bei- 
gemengt; die  Beimengung,  obgleich  qualitativ  sicher  nachweisbar. 
ist  jedoch  qu&Dtitiv  nur  als  Spur  zu  bezeichnen.  Die  Kalk- 
erde, &h  Oxalat  gefällt,  war  mangan&ei.  Aof  PhoBphorsäure 
wurde  vergeblich  angefragt 

Zufolge  der  bereits  angedenteten  Beimei^ping  von  FeldapaÜi 
ergiebt  die  An^yse,  ohne  Rücksicht  aaf  die  Alkalien,  einen 
Verlust,  der  nur  bei  III.  innerhalb  der  gewöhnlichen  Fehler- 
grenzen liegt. 

Ist  diese  Erklärung  des  Yerlustes  der  Analysen  richtig,  so 
steht  zu  vennuthen,  die  makroskopisch  feldspathfreien,  bisher 
als  Hornbleodeacbiefer  bezeichneten  Ghünsteine  des  Ehrenbergs 
haben  dieselbe  Zusammensetzung,  wie  diese  scheinbar  reinen 
Hornblendekömcfaen  aus  dem  dioritischen  ärtlnsteiae.  Diese 
Vermuthung  wird  durch  folgende  vollständige ,  durch  Ana- 
schliessung nicht  nur  mittels   kohlensauren  Natrons,  sondern 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau. 


81 


auch   mittels  Fluorwasserstoffsäure    ausgeführte  Analysen    als 
richtig  bewährt. 


Hornblendereiche  Grünsteine  des  Ehrenbergs. 


L 

IL 

D—  3,02 

D  =  2,93 

Kieselsäure 

47,26 

52,37 

Titansäure 

0,30 

0,69 

Eisenoxyd 

16,40 

14,60 

Thonerde 

■ 

14,26     . 

15,66  ■ 

Ealkerde 

. 

9,98 

8,21 

Talkerde 

7,87 

6,12 

Natron 
Kali 

1 

3,00 

2,46 
0,13 

Wasser 

0,37 

1,07 

Summe 


99,59 


99,89 


Das  feine  Pulver  dieser  sogenannten  Homblendeschiefer 
war  graugrün ;  es  enthielt  Vj  %  hygroskopisches  Wasser.  Durch 
massiges  Glühen  wurde  es  ockergelb  und  yerlor  am  Gtewicht 
zwischen  0,5  und  1,1  %  ^^  hydratischem  Wasser. 

Der  Titansäure-Ghehalt  ist  hier,  wie  vorhin,  bestimmt.  Eisen- 
oxydul fehlt  nicht,  sondern  auf  dasselbe  ist  nur  nicht  Rücksicht 
genommen  worden.  Mangan  liess  sich  qualitativ  sehr  deutlich 
nachweisen.  In  11  war  auch  Phosphorsäure  nicht  nur  qualitativ, 
sondern  auch  quantitativ  (0,7%)  bestimmbar. 

Die  eben  angeführten  Analysen  stimmen  mit  einer  Mehrzahl 
derer  überein,  welche  von  gemeinen  als  G-esteinsgemengtheile 
vorkommenden  Hornblenden  vorliegen  und  bei  welchen  auf  die 
Scheidung  von  Eisenoxyd  und  Eisenoxydul  noch  nicht  Bedacht 
genommen  wurde.  Namentlich  die  jedenfalls  nahe  feldspathfreie 
Hornblende  bei  der  Spinnerei  vergleicht  sich  sehr  gut  mit  einer 
Hornblende  von  Kimito,  die  Moberg  ^)  untersuchte.  Eine  ein- 
gehendere, die  Oxydationsstufe  des  Eisens  berücksichtigende 
Untersuchung  wurde  nicht  ausgeführt,   weil  die  Zugehörigkeit 


■)  Ramm^tberg,  Handbuch  der  Mineralchemie.  S.  491  n.  492. 
Bd.  X,  N.  F.  ni.  6 


K  B.  Sclmtkl, 

des  rabenschwarzen  Mineralgemengtheils  zur  Hornblende  bereits 
nicht  mehr  hezweifelt  werden  kann,  und  das  Torkommen  viel 
weniger  dazu  geeignet  ist,  eine  Entscheidung  fiber  das  cbemische 
Wesen  der  Hornblende  herbei  zu  führen,  als  vielmehr  die  ge- 
nauesten Angaben  über  die  chemische  Zusammensetzung  auch 
einer  Mehrzahl  anderer  Vorkommnisse  als  unmaassgeblich  zu 
bezeichnen.  Denn  wie  in  diesen  so  in  fast  allen  Fällen  mengt 
sich  die  Hornblende  bei  der  Gesteinsbildung  mit  Feldspath  und 
dürfte  wie  in  diesem,  so  auch  in  anderen  Fällen  bei  scheinbarer, 
d.  h.  makroskopischer  Reinheit,  mikroskopische  Feldspathe  ein- 
schlieBsen  und  demnach  vielThonerde  enthalten.  Die  Thonerde, 
die  der  clieinischeo  Charakteristik  der  gemeinen  Hornblenden 
so  viele  Schwierigkeiten  darbietet,  hSrt  dann  —  wenigstens 
zum  Theil  —  auf  ein  Bestandtheil  zu  sein;  sie  zeigt  vielmebr 
einen  Einschluss  von  Feldspath  an. 

Während  die  Thonerde  und  mit  ihr  die  Kalkerde  nur  zum 
Theii,  so  ist  die  Titansäure  ganz  aus  der  Zusammensetzung  der 
Hornblende  ausgeschlossen.  Die  Titansäure  kann  aber  eben  so 
wohl  von  eingeschlossenem  Titaneisenerz,  als  Titanit  heiTÜhren, 
welche  beide  makroskopisch  wie  mikroskopisch  in  inniger  Ver- 
knüpfung mit  der  Hornblende  wahrnehmbar  sind.  Dadurch  ent- 
steht ein  weiteres,  noch  schwieriger  zu  beseitigendes  Hindemiss 
gegen  die  Formutirung  der  Zasammensetzung  dieser  Horn- 
blenden. 

Vergleicht  man  mit  einander  die  Analysen  der  Hornblenden 
aus  den  ärünsteinen  und  der  hornblendereichen  Grünsteine  des 
Fbrenbergs ,  so  sind  beträchtliche  unterschiede  nicht  m  ver- 
kennen ,  besonders  in  Bezug  auf  den  Talkerde-Gehalt  Es  ist 
nicht  ebenso  einerlei  Hornblende,  die  in  diesen  Grünsteinen  vor- 
kommt, wie  es  einerlei  Feldspath  zu  sein  acheint. 

Schliesslich  darf  es  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  die  ana- 
lysirten  homblendereichen  Grüusteine  dieselben  sind ,  deren 
Feldspathgelialt  aus  Dichtigkeitsverhältnissen  oben  (s.  §.  9)  zu 
12  "/o  und  zu  38  %  berechnet  wurde. 


Orfinstelnr.  Chemische  Analyse.  Labrador-Feldspath. 


Der   Name  Labrador •  Feldspath    ist    bis  jetzt  nur 
vorgreiflich   gebraucht  worden;  denn  wenn  auch  die  minera- 


i 


Der  Ebrenberg  bei  Umenao. 


83 


logischen  Merkmale  einen  Eeldspath  anzeigen,  nnd  die  mikro- 
skopische Analyse  einen  plagioklastischen ,  so  kann  doch  in 
diesem,  wie  in  allen  anderen  Fällen,  erst  die  chemische  Zu- 
sammensetzung die  Stellung  in  der  Beihe  der  plagioklastischen 
Feldspstthe  genauer  bestimmen. 

Die  Feldspathe  liessen  sich  am  bequemsten  aus  zwei  Probe- 
stücken gewinnen,  von  denen  das  eine  bei  dei;  Herrenmühle,  das 
andere  bei  der  Spinnerei  geschlagen  war.  Die  ausgelesenen 
Kömchen  waren  in  der  That  so  rein,  dass  sie  unter  der  Lupe 
YoUkommen  homogen  erschienen. 

Die  Analysen  wurden  im  Laboratorium  des  mineralogischen 
Museums  von  Herrn  Dr.  Brockhoff  ausgeführt.  Die  Aufschliessimg 
wurde  einmal  mittels  kohlensauren  Natrons,  ein  zweites  Mal 
mittels  Fluorwasserstoffsäure  ausgeführt.  Die  Resultate  sind 
folgende : 

Labrador-Feldspathe  aus  den  Dioriten  bei  der 


Herrenmüble 


Procente 


Sauerstoff 
Gebalt     Quotient 


Frocente 


Spinnerei 


Sauerstoff 
Gebalt     Quotient 


Kieselsäure 

60,96 

Tbonerde  mit 

etwJüsenoxyd 

29,11 

Ealkerde 

13,22 

Natron 

3,81 

Kali 

1,26 

Wasser 

1,46 

27,18 

13,66 
3,78 
0,98 
0,21 


5,97 

3 

1,09 


28,13        6,06 


13,49 
1,90 
1,60 
0,63 


J  0,90 


Summe 


99,80 


99,38 


Die  Resultate  'weisen  mit  unzweideutiger,  ich  möchte  sagen, 
ungewöhnlicher  Schärfe  auf  diejenige  Stufe  in  der  Reihe  der 
plagioklastischen  Feldspathe,  welcher  man  den  Namen  Labrador 
als  Speciesnamen  beizulegen  noch  immer  gewohnt  ist.  Dieselben 
erscheinen  dazu  geeignet,  sie  zur  Prüfung  der  Tschermack'schen 
Hypothese  über  die  chemische  Znsammensetzung  der  Feldspathe 
zu  verwenden.  Dazu  sind  die  Kalkerde  auf  Anorthit,  d.  i.  sin- 
gulosilicatisch,  die  Alkalien  auf  Albit,  d.  i.  trisilicatisch  zu  be- 

6* 


81  B.  E.  Sohniid, 

reebnen,  oder  die  Summe  ans  dem  Vierfachen  des  Sauerstoffs 
in  der  Kalkerde  und  dem  Zwölffachen  des  Sauerstoffs  in  den 
Alkalien  nius»  gleich  sein  dem  Sauerstoff  in  der  Eieseleänre. 
Es  ist  aber  für  den  Labrador-Feldspath: 

der  Hen«nmüble  der  Spinnerei 

4  X  3,78                   =  15,12;   4  X  1,90                   =     7,60 

12  X  (0,9ö  +  0,21)  =■  14,28 1 12  X  (1,00  +  0,53)  =  25,56 

29,40  33,16 

Das  ist  beträchtlich  mehr  als  die  Analyse  ergiebt.  Indessen 
treten  etwaige  Abweichungen  bei  dieser  Art  der  Berechnung 
sehr  stark  hervor,  da  ein  kleiner  Fehler  in  der  Bestimmung  der 
Basen,  namentlich  der  Alkalien,  einen  grossen  Fehler  in  der 
Angabe  des  Sauerstoff-Gehaltes  der  Kieselsäure  mit  sich  bringt; 
und  dann  ist  eben  der  Feldspath  nicht  mehr  frisch,  sondern 
stark  in  Veränderung  begriffen;  das  zeigt  diese  Prüfung  be- 
stimmter an,  als  die  gewöhnliche  Berechnung. 

Die  beiden  Feldspathe,  deren  Analyse  eben  gegeben  ist, 
stammen  aus  den  ihrem  Anstehen  nach  verschiedenartigsten 
Grünateinen  des  Ehrenbergs.  Ihre  sehr  nahe  üehereinstimmung 
erlaubt  es,  auch  die  Feldspathe  der  übrigen  Grünstein-Vor- 
kommnisse  auf  Labrador  zu  bezieben. 


§.  21    drflnstelne  des  Ehrenbei^.    SeUuss. 

Dem  Vorstehenden  gemäss  stellen  sich  die  Grünsteine  des 
Ehrenbergs  als  Glieder  einer  einheitlichen  Reihe  dar,  allerdings 
unter  sieb  nach  Quantität  und  Qualität  der  Gemengtheile  ver- 
schieden, aber  doch  nicht  so  sehr,  dass  sie  nicht  mehr  als  das 
Product  einer  Eruption  angesehen  werden  könnten. 

Sie  gehören  unstreitig  zu  den  Homblende-Grünsteinen  und 
können  als  Lahrador-Diorite  bezeichnet  werden,  wenn  man 
den  Namen  Diorit  auf  alle  Hornblende-Feldspathgesteine  ans- 
breiten  will.  Man  müsste  dann  die  Mehrzahl  der  bisherigen 
Diorite  als  Oligoklas-Diorite  bezeichnen,  den  Kugel-Diorit  oder 
Corait.  wie  auch  schon  häufig  geschehen  ist,  als  Auorthit-Diorit, 

Die  lange  gehegte  Meinung,  Hornblende  vertrage  sich  nicbt 
mit  einem  kieselsäureärmeren  Feldspath  als  Oligoklas,  gehörte 
ja  der  Kenntniss  des  Kugel-Diorites  gegenüber  schon  sn  dea 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenaa.  85 

verwerflichen  Irrthümern.  Und  das  Vorkommen  von  Labrador- 
Dioriten ,  welches  Erdmann  ^)  auf  Grund  qualitativer  Unter- 
suchungen für  Schweden  geltend  gemacht  hat,  ist  bereits  mehr- 
fach exact  bewährt,  namentlich  durch  Delesse  *)  für  Pont- Jean 
bei  St.  Maurice  im  Moselthale  und  durch  König  ^)  für  Diluvial- 
geschiebe, die  bei  Berlin  gefunden  waren. 

Der  neue  Fundort  des  Labrador-Diorits  am  Ehrenberg  ist 
in  den  Sammlungen  als  Diorit  schechthin  und  als  Amphibolit 
ziemlich  verbreitet;  er  zeichnet  sich  durch  seine  frische  Be- 
schaffenheit aus. 

Vergleicht  man  den  Labrador-Diorit  des  Ehrenbergs  mit 
den  andern  am  Thüringer  Wald  vorkommenden  Grünsteinen,  so 
last  sich  Uebereinstimmung  mit  denen  erwarten,  welche  bei 
Schmiedefeld  anstehen.  Dagegen  sind  von  den  Grünsteinen  des 
östlichen  Thüringer  Waldes  nur  etwa  die  vor  Kurzem  von 
Oümbel  aufgestellten  Epidiorite  vergleichbar.  Die  grosse  Mehr- 
zahl der  Grünsteine  des  östlichen  Thüringer  Waldes  gehört  zu 
den  Augit-Grünsteinen,  und  noch  specieller  zum  Diabas.  Der 
Epidiorit^)  hingegen  ist  'ein  Homblende-Grünstein,  der  Augit 
nur  selten  führt,  dem  er  auch  wohl  ganz  fehlt ;  derselbe  schliesst 
anregelmässig  begrenzte  Putzen  von  plagioklastischem  Feldspath 
ein,  der  nach  Gümbel's  Yermuthung  sogar,  wenigstens  ursprüng- 
lich, Labrador  ist;  allein  der  charakteristische  Gemengtheil  des 
Epidiorits  ist  weder  die  Hornblende,  noch  der  Feldspath,  sondern 
ein  chloritisches  Mineral,  welchem  Gümbel  den  Namen  Chloropit  ^) 
beigelegt  hat.  Dieser  Chloropit  ist  durch  die  Reihe  der  Dia- 
base weit  verbreitet,  wenn  man  Liebe's*)  Diabantochronnyn  als 
Varietät  mit  hinzunimmt.  Nach  einem  solchen  Gemengtheil  aber 
sucht  man  in  den  Ehrenberger  Grünsteinen  vergebens.  ^  Unter 
den  Fundpuncten  des  Epidiorits,  und  zwar  den  hervorragenden 
führt  Gümbel    übrigens    einen    dem  Ehrenberg   benachbarten 


■}  Verhandlungen  der  Stockholmer  Academie  1S47.  Nach  König,  Zeit- 
scluift  der  deutschen  geol.  Gesellsch.  Bd.  20.  S.  867.  1868. 

*)  Ann.  d.  mines.  3.  ser.  t.  XVL  p.  339.  sniv. 

*)  Zeitschrift  der  deutschen  geo).  Gesellsch.    Bd.  90.  S.  365.  fg.  1868. 

*)  Gümbel,  Die  palaeolithischen  Eruptivgesteine  des  Fichtelgebirges.  1874. 
S.  10  fgde. 

*)  s.  oben.    S.  27. 

*)  Liebe,  Die  färbenden  Mineralien  der  Diabase  des  Voigtlandes  und 
Frankenwaldes.    Programm  des  Gymnasiums  zu  Gera.  1869. 


Griinstem-DuTchbruch,  nämlich  den  vom  Sauerstem  bei  König- 
see  auf. 


§.  23.    Oruitte  d«8  Ehrenbergg. 

Die  Yorkommnisse  von  Granit  am  Ehrenberg  zerfallen 
io  Kwei  Gruppen  von  allerdings  räumlich  sehr  ungleicher  Be- 
deutung. Die  eine  am  Ehrenberge  breit  auftretende  Gruppe 
tiudet  sieh  auch  an  andern  Stellen  des  Thüringer  Waldes  wieder, 
uamentlich  im  oberen  Bmthale  und  in  den  westlichen  Ausläufern 
desselben;  sie  entwickelt  sich  nach  mehreren  Bichtungen  zu 
recht  rerBchiedenartigen  Gesteinen,  zwischen  denen  ich  zwar 
niclit  ganz  stetige  Uebergänge,  aber  noch  weniger  Gh-enzscheiden 
iiiiL^lizuweisen  vermag;  diese  Gesteine  sind  bereits  von  Voigt, 
Heim,  Oredner  und  v.  Fritsch  heschrieben  worden.  Die  andere 
GiujjpB  beschränkt  sich  auf  einen  kleinen  Baum,  auf  ein  gang- 
aitiges  Vorkommen  am  Burgstein  und  bei  der  Spinnerei ;  am 
erst  genannten  Orte  ist  sie  von  v.  Fritsch  aufgefunden  worden. 
Der  KUrze  wegen  seien  sie  als  Granit  der  Saigerhütte 
und  des  Burgsteins  bezeichnet. 


%.  33.  Oranlt  der  Satgerhüttc,  mlttolkSniiger.    Hakro- 
skoplsehe  BeBchielbimg. 

Am  südwestlichen  Fasse  des  Ehrenbergs,  wo  ehedem  die 
Ilnienauer  Saigerhütte  stand,  neben  der  jetzigen  Chaussee  von 
IlnioDau  nach  Langewiesen,  ragen  Granitfelsen  ans  einem  nie- 
dri{;en,  aber  steilen  Abhänge  heraus.  Dieser  Abhang  wurde 
für  die  Anlage  der  Saigerhütte,  namentlich  für  die  Badstube 
derselben  durch  Anschürfnog  erzeugt  und  bot  ti-üher  ein  schönes 
Profil,  an  dem  Voigt')  eine  Zerklüftung  nach  drei  Haupt- 
richtungen erkannte.  „Einige  Klüfte  ziehen  sich  von  S.  nach 
N.,  andere  von  SW.  nach  NO.,  noch  andere  fallen  von  N.  nach  S." 
Derselbe  Granit  ist  ausserdem  durch  einen  noch  jetzt,  aber  nur 
schwach  betriebenen  Steinbruch  entblösst  und  steht  auch  im 
Iltuliett  und  auf  der  Sohle  eines  Hohlwegs  jenseits  der  Ihn  an. 


'i  J.  C  Vi,  Voigt,    Miner  alogiiche  tmd  bergmäniüsche  AbhaadlangeD. 
Leipzig  1788.  8.  I. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  87 

Der  Granit  ist  von  mittlerem  Korn,  im  Ganzen  ziemlich 
lichte,  graulich  und  röthlich.  Auch  die  frischesten  Stücke,  die 
man  bei  der  Saigerhütte  davon  findet,  sind  ziemlich  leicht  zer- 
sprengbar. Der  Verwitterung  ist  das  Gestein  sehr  zugänglich; 
es  yerfärbt  sich  dabei  stark  ins  Bothe  und  wird  mürbe.  Die 
Verwitterung  geht  von  den  Glimmerblättchen  aus,  welche  einen 
metallartigen  Glanz  annehmen  und  um  sich  einen  rothen  Hof 
verbreiten.    Seine  mittlere  Dichte  ist  2,7. 

Der  vorwaltende  Gemengtheil  ist  Peldspath.  Derselbe 
ist  nicht  deutlich  spaltbar,  hat  eine  Härte  etwas  unter  6  und 
eine  Dichte  von  2,681.  Dieselbe  wurde  wegen  der  Kleinheit 
der  Kömchen  mittels  der  Schaffgottsch'schen  Schwebmethode 
bestimmt.  Seine  Farbe  ist  weiss  ins  Grauliche,  Grünliche  und 
Gelbliche ;  er  entwickelt  nur  einen  schwachen  Glas-  bis  Perl- 
mutterglanz. Er  schmilzt  nahe  eben  so  schwer,  wie  Adular,  zu 
weissem  etwas  schaumigem  Glase.  Gegen  den  Feldspath  t^tt 
der  Quarz  entschieden  zurück;  er  ist  nicht  krystallinisch  um- 
grenzt, trübe  röthlich-grau.  Bräunlich-grüner  Glimmer  und 
rabenschwarze  Hornblende  sind  gewöhnlich  sparsam  bei- 
gemengt; in  der  Mehrzahl  der  Brocken  erkennt  man  nur 
Glimmer,  in  der  Minderzahl  nur  Hornblende,  in  verhältniss- 
mässig  wenigen  Brocken  beide  neben  einander.  Unter  diesen 
als  wesentlich  anzusehenden  Gemengtheilen  erreicht  allein  der 
Feldspath  eine  hervorragende  Grösse^liis  über  26  Hm.  längsten 
Durchmesser;  so  grosse  Feldspathe  sind  aber  von  Glimmer 
durchsetzt ;  sie  geben  dem  Gestein  ein  porphyrartiges  Aussehen. 
Nicht  selten  sondert  sich  der  Glimmer  in  eiförmigen  Massen 
aus  von  6  bis  30  Cm.  Durchmesser,  die  aber  durch  allmähliche 
üebergänge  fest  mit  dem  übrigen  Granite  verbunden  sind.  Der 
einzige  accessorische  Gemengtheil  von  allgemeinerer  Verbreitung 
ist  Titanit  in  kleinen,  aber  deutlichen  Krystallen  der  gewöhn- 
lichen Oombination  %  :P  2,  oP  und  V«  ^  ^  (nach  G.  Rose). 
Als  einen  ferneren  accessorischen  Gemengtheil  bezeichnete 
Oredner^)  den  Orthit  in  einer  brieflichen  Mittheilung  an 
V.  Leonhard.  Die  Bestimmung  beruht  freilich  fast  nur  auf  dem 
Verhalten  vor  dem  Löthrohr,  hat  aber  vieles  Interesse  erregt 
und  ist  von  Vielen  nicht  sowohl  als  wahrscheinlich,  sondern 
vielmehr    als   ausgemacht    angesehen    worden.     So   wiederholt 


*)  Neuea  Jahrbach  für  Mitieralogie  etc.    Jahrgang  184S.  S.199« 


88  ^  B.  Schmid, 

V.  Fritsch*)  sämmtliche  Angaben  Oredner's  über  das  Orthit- 
Vorkommen,  welche  mit  demjenigen  im  Syenit  d^  Plauensclien 
Grundes  bei  Meissen  bis  ins  Einzelne  übereinstimmen,  nnd  he-  ^ 
hauptet  sogar ;  man  finde  den  Orthit ,  wie  den  Titanit,  zwar  | 
untergeordnet,  aber  in  grosser  Menge.  Ich  habe  mir 
sehr  viele  Mühe  gegeben  und  viele  Zeit  aufgewandt,  an  dem 
Stellen,  welche  Credner  mir  als  die  ergiebigsten  Fundstä4^ten  zu 
bezeichnen  die  Güte  hatte,  das  Vorkommen  des  Orthit^  zu  con- 
statiren,  bin  aber  nicht  so  glücklich  gewesen,  auch  nur  ein  Exem- 
plar finden  zu  können,  und  ich  habe  auch  in  denjenigen  Samm-- 
lungen,  in  welchen  der  mittlere  Thüringer  Wald  sonst  gut  ver- 
treten war,  keines  bemerkt.  Man  wird  gut  thun,  bei  der 
Behauptung  Credner's,  der  Orthit  sei  ein  wahrscheinlicher  Ein-» 
schluss  im  Granit  der  Saigerhütte,  stehen  zu  bleiben,  ihn  aber 
nicht  als  unzweifelhaft  constatirt  und  noch  weniger  als  häufig 
vorkommend  zu  bezeichnen. 


§.  24.    Granit  der  SaigerMtte,  mittelkSmiger.    Mlkro- 

skopische  Analyse. 


Dünnschliffe  dieser  mittelkömigen  Granite  zeigen  unter  dem 
Mikroskope  den  Feldspath  theils  bestäubt,  theils  gleichmässig 
getrübt,  theils  wasserklaff  Die  bestäubten  und  namentlich  die 
trüben  Stellen  ändern  zwischen  den  Nicols  weder  Farbe  noch 
Beleuchtung,  die  wasserklaren  werden  lebhaft  gefärbt.  Spaltbar- 
keit und  lamellare  Zwillingsbildung,  in  der  für  die  plagioklastischen  [ 
Feldspathe  charakteristischen  Weise,  d.  h.  mit  der  Hauptspaltungs-  i 
Fläche  als  Zusammensetzungs-Fläche  treten  deutlich  hervor.                 \ 

Der  Quarz  erscheint  als  Ausfüllung  zwischen  den  übrigen 
Gemengtheilen  völlig  farblos,  zwischen  den  Nicols  ninunt  er 
sehr  intensive  und  lebhafte  Färbung  an  mit  irisirenden  Säumen. 
Er  ist  sehr  reich  an  Cavemen,  die  jedoch  nur  selten  und  nur 
unbewegliche  Libellen  einschliessen ;  die  Cavemen  sind  linear, 
streifweise  und  als  Schwärme  neben  einander  angeordnet. 

Der  Glimmer  bildet  meist  breite  Tafeln  und  dicke 
Säulen  von  ausgezeichneter  Blätterigkeit,  seltner  Fächer  und 
Büschel. 

^)  Zeitschrift  der  deatschen  geol.  Gesellsch.  Bd.  XIL  S.  102  and  104, 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  89 

Die  Hornblende  zeigt  sich  unverkennbar  in  Form  sechs- 
seitiger dicker  Tafeln  und  kurzer  Säulen,  erzeugt  durch  die 
Combination  der  Geradendfläche  oP  mit  dem  Prisma  oo  P  und 
dem  klinodiagonalen  Hauptschnitt  oo  :ß  oc;  die  prismatische 
Spaltbarkeit  ist  durch  Haarspalten  angedeutet.  Jhre  Farbe  ist 
dunkelgrün  ins  Braune.  '  Daneben  erscheinen  in  grosser  Zahl 
schmal-  und  dünnleistenf örmige  Bjystalle  —  s.  Fig.  18.  Taf.  IV.  — 
und  krystalloidische  Schollen  und  Schuppen  —  s.  Fig.  19. 
Taf.  ly.  — ,  als  Einschlüsse  in  den  Feldspathen  und  Quarzen, 
die  ich  ebenfalls  auf  Hornblende  glaube  beziehen  zu  müssen. 
Sie  haben  mit  den  kleinen  Hornblende -Krystallen  und  Kry- 
stallo'iden,  die  im  Labrador-Diorit  so  gewöhnlich  sind,  au]ffal- 
lende  Aehnlichkeit,  wenn  auch  im  Granit  die  TJebergänge 
zwischen  ihnen  und  vollkommenen  Krystallen  nicht  vorliegen. 

Glimmer  und  Hornblende  verhalten  sich  ausgezeichnet 
dichromatisch. 

Die  Titanite,  makroskopisch  eben  noch  als  Krystalle  er- 
kennbar, treten  unter  dem  Mikroskope  als  selbständig  entwickelte 
Krystalle  hervor. 

Nicht  gar  selten  erscheinen  Säulen,  von  zwar  sehr  geringer 
Breite,  aber  durch  die  seitliche  Schattirung  kaum  zweifelhaft 
als  sechsseitig  bestimmbar,  mit  gerader  Endfläche  —  s.  Fig.  20 
und  21.  Taf.  IV.  —  oder  pyramidaler  Endung  —  s.  Fig.  22. 
Taf.  rV.  — ,  so  jedoch,  dass  zwischen  der  Geradendfläche  oder 
der  Pyramidenspitze  eine  Abrundung  statthat.  Wahrscheinlich 
sind  sie  Apatite. 


§.  25.   Granit  der  Salgerhfltte,  mlttelkOmlger.    Cbemlsche 

Analyse  des  Feldspaths. 

Von  den  Gemengtheilen  des  Granits  der  Saigerhütte  lässt 
sich  nur  der  Feldspath  in  solcher  Menge  und  Reinheit  auslesen, 
dass  er  zur  chemischen  Analyse  verwendet  werden  kann.  Die 
Resultate  derselben  sind  die  folgenden: 


K  E.  Schmid, 


Feldspath  aus  dem  Granitbei  der  Saigerbütte. 


Procento 

SaaeratofT 

Gehalt 

VerhiiltniM 

Kieselsäure 

61,62 

32,81 

9,37 

Thonetde 

21,68 

"'•'"  1     ,„=„ 

EiKenoxyd 

1,42 

0,43  H».™ 

3 

Kalkerde 

4,d2 

Sl-.-, 

Talkerde 

0,36 

NatroQ 
Kali 

6,94 
2,29 

JSHH"^ 

,76 

-1,07 

Glülivertat 

1,23 

Sumine 


I  100,26  I 


I 


Nacli  seiner  chemischen  Zusammensetzung  ist  also  der 
Feldspiith  Oligoklas  und  damit  stimmt  die  plagioklastischc 
Zwillingsbilduug  Uberein;  die  gefondene  Dichte  tob  3,681  ist 
allerdings  etwas  hoher,  als  man  für  Oligoklas  anzunehmen  pflegt. 
Für  Oligoklas  nahm  ihn  auch  schon  v.  Fritsch '),  jedoch  ohne 
weitere  Begründung. 

Wendet  man  die  Tschermak'sche  Hypothese  auf  diesen 
Feldspatli  an,  so  bewährt  sie  sich  mit  überraschender  Genauig- 
keit.   Es  ist  nämlich: 

4  X  (1,23  +  0,36)  =     6,32 
13  X  (1,79  +  0,39)  =  26,16 
32,48 
Der  Unterschied   zwischen  der  Berechnung  und  der  Beob- 
achtung des  Sauertoffs  Kieselsäure  beträgt  also  nur  0,32. 


§.  36.   Oniiilt  der  SafgerhQtte,  oiitfelkSrniger.    Hclilius. 


Lept  man  den  Nachdruck  auf  das  Vorkommen  von  Hom- 
l)le.ud(>,  neben  dem  Glimmer,  so  hat  man  ein  Recht,  diesen 
Granit   mit  Oredner  sen.    einen    Syenit-Granit  zu  nennen. 


')  ZeitKchrift  der  deotochea  gML  Getellich.  Bd.  XU.  S.  tOS. 


D^  Ebrenberg  bei  Ilmenau.  91 

Räumt  man  der  Rücksicht  auf  den  Feldspath  den  Vorrang  ein^ 
so  moss  man  demselben  mit  v.  Fritsch^  nach  6.  Bose's  Vor- 
gang, den  Namen  Granitit  beilegen.  Einstweilen,  d.  h.  so 
lange  kein  Grundsatz  der  Nomenclatur  für  die  Gruppe  der 
Granite  durchschlagende  Anerkennung  gefunden  hat,  ist  es  er- 
spriesslicher,  den  mineralogischen  Bestand  eines  Granites  fest- 
zustellen, als  einen  Namen  dafür  zu  suchen. 


§.  27.    Granit  der  Salgerhfltte,  feinkOmlger,  OUmmer- 

armer. 


Auf  der  Höhe  des  Ehrenbergs  tritt  neben  dem  eben  be- 
schriebenen Glimmer-  und  Hornblende  -  führenden  Oligoklas- 
Granit  ein  sehr  lichtes,  feinkörniges,  mitunter  in  das  geradezu 
Aphanitische  übergehendes  Gestein  auf,  ohne  dass  zwischen  ihnen 
irgend  welche  Grenze  angedeutet  wäre.  Es  ist  deshalb  als  eine 
Entwickelung  aus  dem  Granit  anzusehen,  und  die  Entwicklung 
vielleicht  zu  dem  knapp  anliegenden  Diorit  und  Porphyr  in 
Beziehung  zu  bringen.  Derselbe  ist  sehr  zähe  und  hat  die 
Dichte  2,6. 

Makroskopisch  lassen  sich  als  seine  wesentlichen  Gemeng- 
theile  nur  Feldspath  und  Quarz  erkennen.  Der  Feldspath 
ist  blassroth,  deutlich  spaltbar,  der  Quarz  grau,  fettglänzend. 
Nur  accessorisch  treten  Glimmerblättchen,  Titanitkömchen  und 
dunkle,  schillernd  angelaufene  Parthien  wahrscheinlich  von 
Voigtit  hinzu. 

Im  Dünnschliffe  erscheint  der  Feldspath  unter  dem 
Mikroskope  meist  getrübt  und  bräunlich  durchscheinend,  seltner 
klar  und  farblos,  hin  und  wieder  gestreift.  Zwischen  den  Nicols 
färben  sich  nur  die  klaren  Stellen,  i^rährend  die  trüben  einen 
Wechsel  der  Beleuchtung  und  Färbung  wenig  oder  gar  nicht 
wahrnehmen  lassen.  Der  Quarz  ist  vielfach  zerklüftet;  bei 
schwacher  Vergrösserung  erscheint  er  in  Folge  schwärm-  und 
streifenweise  eingestreuter  Cavemen  getrübt,  bei  starker  klärt 
sich  der  Zwischenraum  zwischen  den  Cavemen;  die  Cavemen 
selbst  erhalten  dunkle  Säume,  theils  breit,  theils  schmal.  Die 
röthlich-gelben  Titanite  sind  deutlich  krystallisirt.  Neben  den 
grünen  Glimmerblättchen  treten  braun  -  durchscheinende  bis 
opake  Blättchen  hervor,    entsprechend  den  makroskopisch  als 


98  E.  E.  Sohmid, 

braun  und  schillernd  hervortretenden  Parthieu,  welche  ich  oben 
als  Yoigtit  bezeichnete,  nnd  auf  welche  ich  im  folgenden  §. 
aueführlich  eingehen  werde. 

Aus  diesem  feinkörnigen  &ranite  lässt  sich  ausser  etwa  dem 
Quarz,  dessen  weitere  Untersuchung  kein  Interesse  gewährt, 
kein  Gemengtheil  in  solcher  ^Reinheit  und  Menge  auslesen,  wie 
es  zu  einer  quantitativ  chemischen  Untersuchung  erfordert  wird. 


eranlt  der  Snigerlifittc.  SchilftgraDit  mit  Volgtlt 
Makroskopische  Bosehrelbiing. 


Auf  der  Oipfelääche  des  Ehrenbergs  und  an  seinem  west- 
lichen Abhänge  findet  sich  ein  recht  eigenthümlicher  Scbrift- 
granit,  der  als  eine  weitere  Entwickelung  aus  der  mittel- 
kömigen  BeschafiFenheit  anzusehen  ist.  Seine  Dichte  ist  noch 
etwas  unter  derjenigen  der  eben  beschriebenen  feinkörnigen 
Entwickelung ;  sie  sinkt  unter  2,6  bis  nahe  2,5. 

Dieser  Schriftgranit  ist  massig  leicht  zersprengbar  nach 
breiten  rauhen  bis  höckerigen,  oft  nahezu  ebenen  Flächen,  die 
unter  den  verschiedensten  Winkeln  zusanunenstossen.  Seine 
wesentlichen  Qemengtheile  sind  Feldspath,  Quarz  und  Yoigtit. 
Der  Feldspath  ist  sehr  breitblätterig,  blassroth,  auf  der 
Blätterungsfläche  perlmutterglänzend.  Der  Quarz  ist  ihm 
untergeordnet  und  durchsetzt  ihn  in  bald  mehr  bald  minder 
breiten  und  langen  Leisten,  deren  Längsaxen  nahe  parallel  zu 
einander  gerichtet  sind.  Die  Flächen,  nach  welchen  das  Gestein 
zerspringt,  entsprechen,  so  weit  sie  eben  sind,  den  Spaltungs- 
flächen des  Feldspathes.  Meist  zwischen  ihnen  sind  die  Leisten 
des  Yoigtits  eingelagert;  dieselben  sind  bei  äusserster  Dünne 
1  bis  10  Mm.  breit  und  oft  zwanzig  Mal  so  lang.  Sie  stosseu 
oft  winklig,  aber  ohne  constante  Neigung  zusammen.  Sie  tragen 
übrigens  deutlich  die  Kennzeichen  der  Verwitterung  an  sich 
nnd  sind  aus  einem  Mineral  hervorgegangen,  welches  ich  nur 
einmal'  als  unverwitterten  Eem  auffand,  und  in  so  geringer 
Menge,  dass  dieselbe  eben  für  die  Analyse  ausreichte.  Eigent- 
lich diesem  Mineral  legte  ich ')  den  Namai  Yoigtit  bei ,  den 
ich  der  Kürze  wegen  hier  auch  anf  sein  Yerwitterungsproduct 
übertrage.    Der  eigentliche,  d.  b.  frische  Yoigtit  ist  sehr  voU- 


■)  Pogg.  Ann.  Bd.  »7.  8.  108  fgd. 


Der  Ebrenberg  bei  Umenaa.  93 

kommen  blätterig  parallel  der  breiten  Leistenfläche.   Seine  Härte 
ist  etwas  über  2,   seine  Dichte  2,91.    Er  ist  lauchgrün,  nur  in 
sehr  dünnen  Blättchen  durchscheinend  und  hat  einen  perlmutter- 
artigen Fettglanz.    Die  Stelle,   wo    ich   ihn  fand,    liegt  rechts 
neben  dem  Wege  vom  neuen  Hause  nach  der  Höhe,  welche  auf 
der  Karte  durch  einen  Stern  bezeichnet  ist.    Sie  ist  jetzt  noch 
von  Gebüsch  eingenommen ;  aber  die  Schriftgranitblöcke,  welche 
ehedem   zwischen  den   Büschen  lagen,   sind  fast   bis  auf  den 
letzten  Best  weggeführt.    Was  man  gegenwärtig  noch  von  diesem 
Glesteine  erhält,  ist  aus  dem  Untergründe  ausgeschürft. 
Nur  accessorisch  tritt  weisser  Glimmer  hinzu. 


§.  39.    Schrmgranit  der  Saigerhfitte  mit  Yolgtit.    Hlkro- 

skopisebe  Besehreibiing. 


Dünnschliffe  geben  unter  dem  Mikroskope  ein  sehr  nettes 
Bild  —  8.  Flg.  23.  Taf.  V.  — . 

Der  Feldspath  ist  zwar  bis  auf  wenige  Stellen  stark  ge- 
trübt und  scheint  nur  bräunlich  durch,  aber  seine  blätterige 
Structur  ist  theils  durch  gerade,  scharfe  Linien,  theils  durch 
gerade  Streifen  deutlich  angezeigt.  Diese  Linien  und  Streifen 
behalten  ihre  Richtung  über  ziemlich  ausgedehnte  Flächen. 
Zwischen  den  Nikols  nehmen  die  klaren  Stellen  ziemlich  leb- 
hafte Färbung  an,  die  jedoch  gleichmässig  über  die  Linien  der 
Blätterdurchgänge  ausgebreitet  ist.  Die  Spaltungsebene  ist  dem- 
nach nicht  Zusammensetzungsebene  für  solche  Zwillinge,  wie  sie 
bei  den  plagioklastischen  Feldspathen  so  gewöhnlich  sind.  Man 
darf  aber  nicht  vergessen,  dass  diese  Zwillingsbildung  nicht  bei 
allen  Plagioklasen  nothwendig  ist,  und  dass  mit  Bezug  auf  das 
optische  Verhalten  die  Bestimmung  als  Orthoklas  nur  eine  mög- 
liche ^  höchstens  dass  sie  eine  wahrscheinliche  ist.  Wenn  ich 
den  Feldspath  in  diesem  Falle  als  Orthoklas  in  Anspruch  nehme, 
so  finde  ich  die  Berechtigung  dazu  in  der  Analyse  des  Feld- 
spathes  aus  der  nachfolgend  zu  beschreibenden  Granitvarietät, 
in  welche  die  Yorliegende  stetig  übergeht. 

Der  Quarz  scheidet  sich  vom  Feldspathe  an  vielen,  aber 
nicht  allen  Stellen  geradlinig  und  die  geradlinigen  Grenzen  lassen 
sich  auf  Durchschnitte  von  Quarzkrystallen  beziehen.  Der  Quarz 
hat  sich  also  in  einigermaassen  selbstständigen  Ej*ystallen  ent* 


94  B.  £.  Schmid, 

wickelt.  Darin  liegt  eben  die  wesentliclie  Eigenthämlichkeit 
der  Scliriftgranite.  OaTemen  vertheÜen  eicli  zahlreich  Btrich- 
und  Bchwaimweise  durch  den  Quarz,  durch  sie  erscheint  er  bei 
schwacher  Vergrösserung  getrübt.  Die  CaTernen  sind  nur  von 
geringem  Durchiuessei' ;  einige  scharf  linear  umgrenzt,  andere 
von  einem  schmaleren  oder  breiteren,  dunkeln  Saum  umzogen ; 
innerhalb  der  scharf  umgrenzten  und  der  schmal  umsäumten 
Cavemen  werden  mitunter,  aber  doch  selten  unbewegliche  Li- 
bellen bemerkt. 

Die  braunroth  durchscheinenden  bis  opaken  Leisten  des 
verwitterten  Voigtits  durchschneiden  den  Quarz  wie  denFeld- 
spath ;  ihre  Enden  blättern  sich  auf  und  verzweigen  sich  zwischen 
den  Fugen  des  G-esteins;  braunrothe  stetig  abschattirte  Höfe 
schliessen  sich  daran  au. 


Granit  der  Halgerhfltte;  Schrlftgraiilt  mit  Tol^Ht; 
chemische  Analyse  des  Yolgtlts. 


Zur  gesonderten  Analyse  eignet  sich  der  Feldspath  gar 
nicht,  der  Voigtit  wenig.  Den  ersten  kann  mau  nicht  frei  er- 
halten von  eingeschloBsenem  Quarz,  der  andere  bietet  sich  in  zu 
geringfügiger  Menge  dar.  Der  glückliche  Fund  frischen  Voigtits, 
den  ich  im  Jahre  1855  machte,  hat  sich  leider  nicht  wiederholt. 
Zu  den  Resultaten,  zu  denen  dieser  Fund  geführt  hat,  habe  ich 
deshalb  keine  neuen  hinzuzufügen,  muss  aber  die  alten  nochmals 
besprechen,  weil  der  Voigtit  inzwischen  eine  grössere  Bedeutung 
gewonnen  hat. 

Bei  Erhitzung  verliert  der  Voigtit  viel  Wasser,  blättert  sich 
dabei  auf,  wird  braun  und  nimmt  metaUiscben  G-lanz  an.  Vor 
dem  Löthrohr  schmilzt  er  leicht  zu  einem  schwarzen  Glase. 
In  Borax  und  Phosphorsalz  löst  er  sich  leicht  und  reichlich 
auf;  die  Perle  fUrht  sich  wie  von  Eisen.  Salzsäure  zersetzt  ihn 
leicht  und  vollständig.  Aus  den  Ergebnissen  einer  quantitativen 
Analyse  leitete  ich  folgende  Zahlen  für  seine  Zusammen- 
setzung ab. 


Der  Ehrenberg  bei  Umenau. 


96 


Voigtit 


Proc«nte 

Sauerstofi- 

Gehalt 

Verhältnias 

Kieselsäure 

33,83 

18,04 

2,06 

Thonerde 
Eisenozyd 

13,40 
8,42 

2,53   1       ®'^® 

1,00 

Eisenoxydul 

23,01 

5,11   \ 

Talkerde 
Kalkerde 

7,54 
2,04 

3»02  («=8,96 
0,88  f 

1,02 

Natron 

0,96 

0,25  ) 

Wasser 

9,87 

8,77 

1,00 

Summe 


99,07 


Dieses  Eesultat  besticht  durch  seine  Einfachheit.  Nach 
ihm  ist  der  Voigtit  ein  wasserhaltiges  Singulosilicat,  analog  dem 
öranate.  PreiUch  beruht  die  Vertheilung  des  Eisens  auf  Oxyd 
und  Oxydul  nicht  auf  einer  experimentellen  Feststellung,  sondern 
auf  einer  rechnungsmässigen  Möglichkeit.  Das  zu  Gebote  stehende 
Material  war  sehr  geringfügig  und  die  Methode  der  Ausschei- 
dung Yon  Eisenoxyd  und  Eisenoxydul  in  den  Silicaten  im  Jahre 
1855  kaum  angedeutet.  Trotz  dieser  wesentlichen  Lücke  in  der 
Eenntniss  des  Yoigtits,  ist  seine  mineralogische  Selbstständig- 
keit sichergestellt.  Er  steht  zwischen  der  Gruppe  der  glimmer- 
artigen und  der  chloritartigen  Mineralien.  Von  der  ersten 
Gruppe  muss  er  schon  des  hohen  und  locker  gebundenen  Wasser- 
gehaltes wegen  getrennt  werden,  von  der  andern  wegen  der  Leicht- 
Bchmelzbarkeit.  Mit  beiden  stimmt  weder  die  langgestreckte 
Lamellenform,  noch  die  chemische  Zusammensetzung. 

Der  gewöhnliche,  d.  h.  verwitterte  Voigtit  verhält  sich  bei 
Erhitzung  im  Glaskolben  und  vor  dem  Löthrohre,  sowie  gegen 
Salzsäure  wie  der  frische.  Er  enthält  dieselben  Elemente,  ist 
aber  eisenreicher  und  siliciumämfer.  Aber  auch  nicht  vom  ver- 
witterten Voigtit  konnte  ich  die  zu  einer  vollständigen  Unter- 
suchung erforderliche  Menge  zusammen  bringen. 

Der  Voigtit  ist  ein  wesentlicher  Gemengtheil  nicht  nur  des 
Schriftgranites  von  der  einen  Fundstätte  am  westlichen  Abhang 


96  E.  £.  Schmid, 

des  Ehrenbergs,  von  welcher  in  meiner  Notiz  *)  vom  Jahre  1856 
die  Rede  war,  sondern  auch  aller  Schriftgranite  des  Ehrenbergs 
und  nicht  der  Schriftgranite  allein,  sondern  auch  der  eben  be- 
schriebenen äusserst  feinkörnigen  Granite  und  der  eben  zu  be- 
schreibenden äusserst  grobkörnigen  desselben  Berges.  XTeber 
sein  anderweites  Vorkommen  liegen  Angaben  von  Ullrich,  Fuchs  ^) 
und  Streng  *)  vor.  Sie  erkennen  ihn  in  einem  Gemengtheile  der 
Schriftgranit-Gänge^  die  den  Qabbro  des  Eadauthales  im  Harze 
durchsetzen,  wieder.  Derselbe  ist  in  oft  30  Mm.  langen  und 
kaum  1  Mm.  breiten  Individuen  von  kaum  messbarer  Dloke  aus- 
gebildet. Seine  Farbe  ist  schwärzlich -grün  und  wird  etwas 
bräunlich,  wenn  die  Verwitterung  beginnt. 

Herr  Professor  Streng  hatte  die  freundliche  Güte,  mir  ein 
Handstück  dieses  Badauthaler  Schriftgranits  mitzutheilen.  Das- 
selbe ist  dem  Ehrenberger  Schriftgranite  zum  Verwechseln  ähn- 
lich, und  namentlich  die  das  Gestein  durchziehenden  Leisten 
bieten  den  vollkommen  gleichen  Habitus,  das  gleiche  Verhalten 
vor  dem  Löthrohre  und  bei  Digestion  mit  Salzsäure  und  — 
wenigstens  qualitativ  —  dieselbe  chemische  Zusammensetzung. 
Herr  Professor  Streng  fügt  seiner  Mittheilung  die  interessante 
Bemerkung  hinzu,  dass,  wenn  er  recht  gesehen  habe,  Voigtit- 
Ausscheidungen  auch  im  Schriftgranite  des  Bairischen  Waldes 
vorkommen. 


§.  31.  Granit  der  Saigerhtttte;  grobkOmiger  Yoigtit-eranit. 


Aus  dem  Schriftgranite  entwickelt  sich  an  der  Grenze  gegen 
den  Labrador-Diorit  und  Quarz-Porphyr,  man  kann  wohl  auch 
sagen  in  Berührung  mit  denselben,  häufig  ein  äusserst  grob- 
körniges Gestein.  Zugleich  sondert  sich  Feldspath  und 
Quarz  so  von  einander,  dass  nussgraue  Proben  eben  so  wohl 
reinen  Feldspathes  als  reinen  Quarzes  herausgeschlagen  werden 
können.  Die  wesentlichen  Gemengtheile  dieses  Granites  sind 
Feldspath,  Quarz  ui\d  Voigtit. 

Der  Feldspath  ist  vollkommen   orthoklastisch  spaltbar; 


')  Pogg.  Ann.  Bd.  97.  S.  LOS. 

*)  Neues  Jahrbuch  für  Mineralogie  etc.  Jahrg.  1862.  S.  909. 

')  8.  oben.  S.  959. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau. 


97 


seine  Harte  ist  nahe  6,  seine  Dichte  ==  2,529.    Seine  Farbe  ist 
meist  fleischroth,  selten  grünlich- weiss ;  diese  Farben  sind  jedoch 
niclit  scharf  von  einander  abgesetzt,  sondern  verlaufen  in  einander. 
Er    ist  nur  durchscheinyd  und  glänzt  schwach  perlmutterartig. 
Beim  Erhitzen  verknistert  er  und  verliert  Wasser.    Er  schmilzt, 
wie  Adular,  zu  einem  etwas  schaumigen  Glase.    Von  concen- 
trirter  Salzsäure  wird  er  nicht  angegriffen;  was  die  Salzsäure 
an  Eisenoxyd  aufninmit,  rührt  von  eingestreutem  Eisenglanz  her. 
Diese  Einstreuung   findet  in  Richtung    der  Blätterdurchgänge 
statt  und  erzeugt  die  fleischrothe  Färbung.    Die  Substanz  des 
Feldspathes  selbst  ist  eisenfrei;  d.  h.  durch  Digestion  mit  Salz- 
säure kann  das  Eisen  voUständig  ausgezogen  werden.    Die  Sub- 
stanz des  Feldspathes  selbst  ist  getrübt  und  die  Trübung  löst 
sich  auch  bei  starker  Yergrösserung  nur  theilweise  in  körnigen 
Staub  auf;  sie  ist  jedoch  nicht  ganz  gleichförmig,  lässt  einzelne 
durchsichtige,  deutlich  doppeltbrechende  Flecken  übrig,  die  sich 
zwischen   den   Nicols   färben.     Die   chemische   Analyse   ergab 
folgende  Besultate: 

Feldspath    aus    grosskörnigem  G-ranit  vom 

Ehrenberg. 


Procente 

Sanentoff- 
Gehalt             Verhültniu 

Kieselsäure 

66,03 

34,68 

11,16 

Thonerde 

19,96 

9,32 

3 

Eisenoxyd 

0,51 

Kalkerde 

0,43 

0,12  1 

Talkerde 
Kali 

0,10 
7,20 

0,04  ( 
1,21  j 

>  —  2,63 

0,85 

Natron 

4,89 

1,26  ; 

GHühverlust 

1,16 

Summe 

99,27 

Die  Gesammtheit  der  angegebenen  Merkmale  weist  auf 
Orthoklas  hin,  der  etwas  kaolinisirt  ist  und  in  Folge  davon 
etwas  von  den  Monoxyden  und  von  der  Kieselsäure  verloren 
hat;  allerdings  mit  einem  ansehnlichen  Natrongehalte. 

Der  Quarz  ist  gemeiner  ohne  krystallinische  Umgrenzung. 

DerYoigtit  ist  stets  verwitteil.  Seine  Leisten  sind  breit, 
Bd.  X,  M.  F.  m.  7 


98  £•  £^  Schmid, 

aber  um  das  Vielfache  der  Breite  lang,  sehr  dünn,  mitunter 
noch  deutlich  blätterig,  röthlich-bronzegelb  bis  schwarz,  metal- 
lisch schimmernd  bis  matt.  Im  TJebrigen  stimmt  ihr  Verhalten 
mit  dem  bereits  beschriebenen. 

Die  nicht  gar  seltenen  Hohlräume  %ind  mitunter  von  einem 
amorphen  Mineral  ausgekleidet,  dessen  Farbe  schön  grün  ist, 
etwas  lichter  als  die  des  Malachites ;  bei  Erhitzung  giebt  es  viel 
Wasser  aus,  Salzsäure  nimmt  reichlich  Kupfer  daraus  auf;  man 
darf  es  wohl  als  Kupfergrün  bezeichnen. 


§.  32.    Granit  der  Saigerbfitte ;  flaserlger,  kaoUnisirter. 


In  der  südöstlichen  Ecke  des  von  dem  Granit  der  Saiger- 
hütte  eingenommenen  Raumes,  an  der  Grenze  gegen  den  La- 
brador-Diorit  ändert  sich  das  Gestein  nochmals  in  ganz  anderer 
Weise;  es  wird  flaserig  und  kaolinisch.  Frei  anstehend  findet 
man  dasselbe  nicht;  es  wird  aber  aus  einem  Stollen  herausge- 
fördert, der  knapp  über  dem  Gerinne  der  Schneidemühle  aus- 
mündet. Die  Grundmasse  des  Gesteins  ist  weiss ;  in  diese  Bind 
grünliche  und  bräunliche  Kömchen  eingestreut;  gelbbraune 
Dendriten  durchziehen  es.  Es  ist  mürbe,  cavemös  und  zer- 
klüftet. Einzelne  Klüfte  sind  mit  einer  mürben  grünen  Kruste 
überzogen,  die  sich  durch  Rothbraun  in  die  weisse  Grundmasse 
abschattirt. 

Sein  Hauptgemengtheil  ist  ein  weisses  bröckliches  Mineral 
von  der  Härte  6,  welches  bei  Erhitzung  reichlich  Wasser  ent- 
bindet, mit  Salzsäure  gar  nicht  braust  und  von  ihr  auch  nicht 
angegriffen  wird.  Vor  dem  Löthrohre  schmilzt  es  zu  einem 
farblosen  Glase  unter  anfangs  rein  gelber,  nachher  gelbrother 
Färbung  der  Flamme.  Danach  iöt  es  als  kaoUnisirter,.  aber 
noch  nicht  ganz  in  Kaolin  übergegangener  Feldspath  anzu- 
sehen. Man  hat  es  auch  bereits  bei  der  PorcellanfabriöÄtion 
angewendet.  Daneben  ist  gemeiner  Quarz  deutlich  zu  erkennen. 
Die  grüne  Kruste  der  Klüfte  braust  schwach  mit  Salzsäure, 
welche  sich  gelb  färbt.  Beim  Glühen  verliert  sie  viel  Wasser; 
vor  \m  Löthrohre  schmilzt  sie  leicht  zu  einem  schwarzen 
Glase;  in  Phosphorsalz  löst  sie  sich  leicht  unter  Hinterlassung 
eines  Kieselskelets  und  giebt  der  Perle  die  Farbe  des  Eisens. 
Ich  halte  es  für   ein    glaukonitisches  Verwitterungs- 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenaa.  99 

Prodnct  des  dem  Kranit  ursprünglich  zugehörigen  Glimmers 
oder  der  Hornblende. 


§.  33.    Cfranlt  des  Burgsteina. 


Der  Granit  des  Burgsteins,  .oder  vielmehr  des  Ab- 
hangs,  welcher  sich  an  den  Porphyr-Felsen   des   eigentlichen 
Burgsteina   Bmaufwärts   anschliesst,   war  ehedem  durch  einen 
Bergbau-Versuch  auf  Bauneisenstein  (s.  §.  4)  viel  mehr  aufge- 
schlossen,  als   1860,   zur  Zeit  von    v.  Fritsch's  Untersuchung, 
jetzt  ist  er  durch  G-raswuchs  und  Buschholz  noch  mehr  verdeckt. 
Zu  der  Beschreibung  v.  Pritsch's  *)  habe  ich  wenig  hinzuzufügen. 
Das  Vorkommen  ist  ein  gangartiges.    Der  Hauptgang  setzt  mit 
einer  Mächtigkeit  von   wenigen  Füssen   fast  senkrecht  an  der 
Grenze  zwischen  Grauwacke  und  Porphyr  nieder;   ein  zweiter 
nur  etwa   1*/^  Pubs  mächtiger  unter  etwa  30  <>  gegen  NW.  fal- 
lender Gang,  der  sich  kartographisch  wegen  des  Maassstabes  der 
Karte  gar   nicht  hat  darstellen  lassen,  durchsetzt   die  östlich 
anliegende  Grauwacke.    Das  Gestein  ist  stark  angewittert  und 
in  Folge  davon  sehr  kurzklüftig,    v.  Fritsch  bezeichnet  es  als 
echten,    d.  h.  Orthoklas-Granit.     Dem  schliesse  ich  mich 
an,  kann  aber  nicht  zweierlei  Feldspath,  d.  i.  neben  Orthoklas 
noch  Oligoklas  erkennen,  und  finde  nicht  silberweissen,  sondern 
grünen  Glimmer.     In  DünnschlifiP  unter   dem  Mikroskope  er- 
scheint der  Feldspath  bei  schwacher  Vergrösserung  bräunlich 
getrübt  bis  auf  wenige  klare  Zwischenräume;  bei  starker  Ver- 
grösserung löst   sich  die  Trübung  in  Durchstäubung  auf.    Der 
Quarz  hat  bei  schwacher  Vergrösserung  ein  zersprungenes  Aus- 
sehen ;  die  scheinbaren  Sprünge  sind  aber  in  der  That  Flächen, 
auf  denen  sich  Cavemen  dicht  zusammendrängen.   Die  Cavemen 
sind  rund,  sehr  klein,  schmal  umsäumt  und  schliessen  sehr  selten 
Libellen  ein.    Solche  Cavemen   sind   auch   schwarmweise  ver- 
theilt.    Neben  ihnen  kommen  auch  aus-  und  eingestülpte  Formen 
vor  und  diese  erreichen  beträchtlichere  Grössen.    Die  Glimmer- 
blättchen  aggregiren  sich  zu  Fächern  und  Rosetten.  Ihre  Farbe 
geht  aus  dem  Grünen  häufig  in  das  Braune  über;  sie  sindj»  Mst 


*)  Zeituchrift  der  deutschen  geol.  Gesellscliaft.    Bd.  19,    S.  109  and  141. 
T»f.  IV.  Fig.  l. 


100  E.  E.  Schinid, 

von  rothbraunen  Höfen  und  Wolken  umgeben.  Eben  so  gefärbte 
Flecke  und  Fetzen  sind  durch  das  ganze  Gestein  zerstreut;  sie 
gehen  in  das  Dunkelbraune  und  Opake  über.  Regelmässig 
sechsseitige  Säulchen  von  geringer  Breite  mit  geraden  End- 
flächen, oder  rhomboedrischen  Endigungen,  oder  abgerundeten 
Enden  sind  sehr  seltene  Einschlüsse;  dieselben  sind  nie  gross 
und  gehen  bis  zu  Strich-förmigen  Stäbchen  herab.  Schwerlich 
sind  sie  mineralogisch  gleichartig;  Apatit  dürfte  darunter  sein. 

Dem  Burgsteine  gegenüber  hinter  der  Spinnerei  ist 
ein  Gang  durch  Anschürfung  entblöst,  der  mit  einer  Mächtig- 
keit von  mehr  als  5V2  Meter  den  Thonschiefer  über  die  Yolle 
Breite  des  Ehrenbergs  durchsetzt,  so  weit  die  kleinen  im  Boden 
erhaltenen  Bröckchen  das  bestimmen  lassen.  Er  streicht  von 
S.  nach  N.  —  wie  die  Grünsteingänge  —  und  fallt  82  ^  gegen 
W.  Eben  so  wohl  das  Ganggestein  wie  der  Thonschiefer  sind 
der  Grenzfläche  parallel  zerklüftet.  Die  lettige  Thonschiefer- 
platte,  von  der  bereits  die  Bede  war  (s.  §.  4),  ist  nahe  in  der- 
selben Richtung  zwischen  das  Ganggestein  eingekeilt,  indem  sie 
unter  76  ^  gegen  W.  einfällt.  Die  zu  Tage  tretende  Oberfläche  des 
Ganggesteins  und  des  angrenzenden  Thonschiefers  hat  die  Farbe 
des  Rotheisensteins.  Dieser  durchzieht  alle  Absonderungsflächen 
von  den  feinsten  Haarspalten  bis  zu  den  weiteren  Klüften  und 
imprägnirt  auch  die  Gesteine  selbst.  Das  Ganggestein  ist  des- 
halb makroskopisch  kaum  als  ein  Granit  zu  erkennen;  Dünn- 
schliffe, aber  stellen  es  sogleich  als  solchen  dar  von  derselben 
Mengung  und  Structur,  wie  der  Granit  des  Burgsteins,  nur 
sind  gelbrothe,  rothbraune,  braune  und  opake  Eisenerze  noch 
viel  reichlicher  eingemengt  und  die  Yerwitterungserscheinungen 
viel  auffalliger.  Besonders  der  Glimmer  ist  der  Verwitterung 
so  weit  erlegen,  dass  seine  grüne  Farbe  nur  an  wenigen  Flecken 
geblieben,  an  den  meisten  durch  dunkles  Braun  ersetzt  ist,  dass 
Eisenoxyd  und  Eisenoxydhydrat  ihn  umhüllt,  von  ihm  aus  sich 
ausbreitet  und  weithin  längs  der  feinsten  Absonderungs-Flächen 
verfolgen  lässt. 

Ich  zweifle  nicht  daran,  dass  dieses  Ganggestein  es  ist,  von 
welchem  Voigt  *)  als  von  einem  eisenschüssigen  Granit  redet, 
und  auf  welches  als  einen  Rotheisensteingang  schon  vor  seiner 
Zeit  ein  vergeblicher  Bergbau  betrieben  worden  war.  Auf 
Cotta's,  Oredner's  und  v.  Fritsch's  Karten  ist   der  Gang  nicht 


0  ^<>ig^  Mineralogische  und  bergmännische  Abhandlungen.  &  3^. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  IQl 

verzeichnet;  die  beiden  letzten  erwähnen  seiner  auch  nicht  in 
ihren  Abhandlungen  über  den  Ehrenberg.  Indem  ich  ihn  als 
eine  Fortsetzung  des  Ganges  am  Burgstein  ansehe,  muss  ich 
freilich  eine  Verschiebung  zwischen  den  linken  und  rechten 
XJferabhängen  der  Um  annehmen. 


§.  34.    Qnarz-Porpbyre. 


Von  der  grossen  Mannichfaltigkeit  porphyrischer,  sowohl 
quarzfreier,  als  quarzführender  Gesteine,  welche  sich  in  der 
Umgegend  von  Ilmenau  zusammendrängen,  nähern  sich  zwar 
die  quarzfreien  dem  Fusse  des  Ehrenbergs  so,  dass  sie  auf  der 
Karte  der  üebersicht  wegen  mit  angegeben  werden  mussten, 
gehen  jedoch  in  den  Aufbau  des  Berges  selbst  nicht  mit  ein. 
Einigermaassen  zweifelhaft  bleibt  die  kleine  Porphyrparthie, 
welche  in  sehr  geringer  Ausdehnung  zwischen  der  Schwärzfabrik 
und  Langewiesen  ansteht.  Das  Gestein  derselben  ist  so  gründ- 
lich verwittert,  dass  die  reichlich  eingeschlossenen  Feldspathe 
kaolinisirt  sind.  Quarz  ist  sparsam  eingemengt  und  nicht  einmal  ^ 
an  allen  Handstücken  zu  erkennen.  Alle  übrigen  Porphyre 
fuhren  Quarz  und  bilden  trotz  ihres  verschiedenen  Aussehens 
eine  einheitliche  Entwickelungsreihe,  zu  welcher  auch  noch  eine 
Mehrzahl  anderer  Porphyr-Durchbrüche  am  Thüringer  Walde, 
namentlich  derjenige  des  Gückelhahns  gehört.  Ihre  Lagerungs- 
verhältnisse am  Gückelhahn  lassen  die  Zeit  ihrer  Eruption  ausser 
allem  Zweifel.  Tuffe  stehen  dort  in  eben  so  inniger  Beziehung 
zu  dem  Porphyr  wie  zu  dem  Bothliegenden  und  müssen  gleich- 
zeitiger Entstehung  sein. 

Die  Porphyre,  welche  am  rechten  Ufer  der  Um  zwischen 
dem  Burgstein  und  der  Einmündung  der  Oehre  und  Bchorte 
anstehen,  am  linken  Ufer  oberhalb  der  Schneidemühle  und 
unterhalb  des  Grenzhammers,  sich  von  da  aus  quer  über  den 
Ehrenberg  erstreckend,  sind  sämmtlich  sehr  hart,  aber  zugleich 
spröde  und  deshalb  nicht  schwer  zersprengbar.  Ihre  Dichte 
schwankt  zwischen  2,66  und  2,69,  so  zwar,  dass  mit  einer  Ver- 
dunkelung der  Farbe,  d.  i.  Zunahme  des  eingestreuten  Eisen- 
oxydes eine  Zunahme  der  Dichte  verbunden  ist.  Ihre  Grund- 
masse ist  homsteinartig,  wenig  glänzend  bis  matt;  sie  waltet 
sehr  vor,  indem  die  Einschlüsse  weder  gross  sind,   noch  dicht 


102  B-  ^'  Schmid, 

neben  einander  liegen.  A-ls  Einschlüsse  kommen  Quarz  und 
Feldspath  vor,  der  erste  häufiger  als  der  zweite,  beide  kry- 
stallisirt. 

Durch  Erhitzung  wird  nur  wenig  Wasser  aus  ihnen  aus- 
getrieben. In  Säuren  eingelegt,  entwickeln  sie  keine  Spur  von 
Kohlensäure ;  die  Säuren  färben  sich  aber  von  aufgelöstem  Eisen- 
oxyd rasch  gelb. 

Sie  sind  theils  gleichförmig,  theils  gebändert  oder  gestreift, 
theils  geflossen,  theils  quarzitisch. 


§.  35.    Quarz-Porphyre;  glolchfSrmigo. 


Gleichförmig  ist  bei  weitem  der  meiste  Quarz- 
Porphyr,  so  derjenige  der  Felsen  des  Burgsteins,  im  Marien- 
holze am  südlichen  Abhänge  des  Ehrenbergs  und  beim  Grenz- 
hammer. Die  Farbe  seiner  Grundmasse  und  damit  seine 
Gesammtfarbe  geht  vom  Graulich-violetten  in  das  Böthlicbe 
und  Bräunliche.  Cavemen  sind  in  ihm  selten  und  nur  klein, 
stets  mit  Quarzkrystallen  ausgekleidet.  Klüfte,  weitere  und 
engere,  bis  zu  Haarspalten  durchziehen  ihn  häufig;  sie  sind 
theils  mit  Eisenoxyd,  theils  mit  Quarz  erfüllt. 

Im  Grossen  zeigen  sie  eine  parallelipipedische  und  prisma- 
tische Klüftung. 

Der  Dünnschlifif  eines  lichten  Quarz-Porphyrs  von  den  Felsen, 
welche  beim  Grenzhammer  unter  der  Chaussee  hervorragen, 
zeigt  eine  granulirte  Grundmasse  von  verworrener  und  schwacher, 
aber  doch  unverkennbarer  Doppelbrechung,  innerhalb  welcher 
sich  mitunter  blassbraune,  kugelige  Concretionen  mit  ver- 
waschenem oder  griessig  aufgelösten  umrissen  aussondern.  Nach 
diesem  Verhalten  würden  hier  nach  Vogelsang  Felsophyre*) 
mit  Cumuliten^)  vorliegen.  Die  eingeschlossenen  Quarze 
sind  meist  deutlich  krystallisirt  und  ihre  Umrisse  entsprechen 
kurzen  Säulen  mit  pyramidaler  Zuspitzung,  mitunter  aber  auch 
unwesentlich  begrenzten  Ausfüllungen.  In  den  Quarzen  sind 
rundliche,  vielleicht  auch  tesseral  krystallisirende,  hellgelbe  bis 
braungelbe  und  opake,  einfach  brechende  Kömchen  und  dunkle 


')  Vogelsang,  Die  Krystalliten.   Bonn  1875.  S.  100. 
>)  Ebendas.    S.  134. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenao. 


103 


ECrümchen,  mitunter  stachelig  durch  strahlig  ansitzende  Nadeln 
eingelagert.  Die  Grundmasse  tritt  mitunter  mittels  sehr  dünner 
Stiele  in  die  Quarze  ein  und  breitet  sich  schlauchartig  darin 
aus,  wie  dies  bei  den  gestreiften  Quarz-Porphyren  noch  aus- 
gezeichneter der  Fall  ist.  Oavemen  sind  sehr  häufig  und  zu- 
gleich verschiedenartig,  theils  breit,  theils  schmal  eingesäumt, 
gross  und  klein,  häufiger  zackig  ausgestülpt,  als  abgerundet 
schlauchförmig,  oft  unbewegliche  Libellen  einschliessend,  deren 
Volumen  in  sehr  verschiedenem  Verhältnisse  zur  ganzen  Caveme 
steht.  Die  Feldspathe  sind  gewöhnlich  parallelipipedisch 
umgrenzt,  deutlich  spaltbar,  durchsichtig  und  deutlich  doppelt- 
brechend ;  auch  sie  sind  cavernös ;  die  Cavernen  ziehen  sich  lang 
und  scheinen  den  Blätterdurchgängen  zu  folgen. 

Der  Grundmasse  und  ihren  Einschlüssen  sind  gelbbraune 
bis  opake  runde  und  längliche  Flecke  eingestreut;  von  den 
länglichen  haben  viele  bei  geringer  Yergrösserung  das  Aussehen 
von  Stäbchen,  lösen  sich  aber  bei  stärkerer  in  einzelne  E^ümp- 
chen  auf. 

Chemisch  analysirt  wurde  der  Quarz-Porphyr  beim  Grenz- 
hammer. Die  analysirte  Probe  war  dunkel  und  hatte  die  Dichte 
2,59.  Die  Analyse  rührt  von  Dr.  Laufer  her;  ihre  Resultate 
sind  die  folgenden: 

Quarz-Porphyr  bei  dem  Grenzhammer. 


Procente 

Saaentoff- 
Grehalt            Verhältnisa 

Kieselsäure 

77,11 

41,13 

23,5 

Thonerde 

10,60 

*'®5    1         .o. 

Eisenoxyd 

1,02 

0,30  j       ^'2^ 

8 

Kali 

11,36 

1,92 

Natron 

0,12 

0,03  }  =  2,05 

1,2 

Talkerde 

0,24 

0,10  1 

Glühverlust 

0,49 

Summe 


100,94 


Von  Kdkerde,  Titansäure  und  Phosphorsäure  war  keine 
Spur  nachzuweisen.  Da  die  Analyse  mit  einem  üeberschuss 
von  nahe  1  %    abschliesst,    so  darf  man  auf  die  aus  ihr  abge- 


104  £.  E.  Schmid, 

leiteten  Zahlen  nicht  allzusehr  drücken ;  das  Verhältniss  zwischen 
den  Monoxyden  und  Sasquioxyden  könnte  dann  als  Feldspath- 
verhältniss  (1 :  3)  immerhin  noch  angenommen  werden ,  auch 
wenn  man  das  Eisenoxyd,  welches  unzweifelhaft  zum  grössten 
Theil  frei  auftritt,  bei  der  Berechnung  ausschliesst.  Im  wesent- 
lichen wäre  danach  dieser  Quarz-Porphyr  aus  Orthoklas  und 
Quarz  gemischt,  so  dass  sehr  nahe  die  eine  Hälfte  der  Kiesel- 
säure dem  Feldspathe,  die  andere  dem  Quarze  angehörte  und 
die  mineralogisshe  Mengung  auf  die  Zahlen  hinauskäme.  38  *^/o 
Quarz,  62<^/o  Orthoklas.  Man  kann  dann  bei  dem  verhältniss- 
mässig  geringen  Volumen  der  Quarzeinschlttsse  gar  nicht  um- 
hin, die  felsitische  Grundmasse',  obgleich  sie  zwischen  den 
Nicols  keine  Quarzkömchen  erkennen  lässt,  doch  noch  als  ein 
Gemenge  von  Orthoklas  mit  Quarz  und  nicht  etwa  nur  als  un- 
vollkommen krystallinischen  Orthoklas  anzusehen. 


§.  36.    Quarz-Porphyre;  gleichförmige;  Breoclen. 


Durch  Vervielfältigung,  Erweiterung  und  Ausfüllung  der 
Klüfte  entstehen  aus  dem  gleichförmigen  Quarz -Porphyr 
Breccien. 

Als  eine  solche  Breccie  stellt  sich  schon  das  Gestein  des 
Vogelheerdes  dar.  Bei  ihm  ist  Eisenoxyd  das  AusfüUungs-  und 
Bindemittel.  Seine  Aussenseite  ist  so  tief  roth  gefärbt,  dass 
sie  das  Aussehen  des  Botheisenerzes  erhält,  und  wie  Voigt  ^)  be- 
richtet, ehedem  mehrfach  daraufhin  angeschürft  worden  ist;  noch 
jetzt  erkennt  man  einige  dieser  Schürfe  an  den  Vertiefungen  im 
Boden.    Mit  dem  Botheisenstein  ist  etwas  Schwerspath  gemengt. 

Gewöhnlich  aber  ist  nicht  Eisenoxyd,  sondern  Kieselsäure 
das  Ausfüllungs-  und  Bindemittel.  Die  Kieselsäure  tritt  kry 
stallinisch  auf  und  bildet  mitunter  recht  schöne  Quarzdrusen. 
Anstehend  habe  ich  freilich  solche  Breccien  nicht  gefunden  und 
das  schöne,  nachfolgend  zu  beschreibende  Stück  nicht  einmal 
selbst  gefunden,  sondern  aus  der  Voigt'schen  Sammlung  ent- 
nommen. 

Dieses  Stück  zeigt  tiefroth-braune  Quarz-Porphyrbrocken 
von  nicht  über  Vs  ^^'  längstem  Durchmesser,  eckig  und  scharf- 


')  ^oigt,  Mineralogische  und  bergmänniBclie  Abhandlongeii.  S«  37. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.    •  105 

» 

kantig,  durch  weissen  Quarz  cämentirt,  dessen  pyramidale  £nden 
in  die  übrig  gebliebenen  Hohlräume  hineinragen. 

Die  Quarz-Porphyrbrocken  werden  erst  in  den  sehr  dünnen 
Blättchen  bräunlich  durchscheinend,  in  den  dünnsten  grau-braun ; 
die  weissen  Quarzadem  bleiben  ebenfalls  in  den  Dünnschliffen 
noch  unklar.  Die  Ursache  der  braunen  Trübung  der  Porphyr- 
brocken liegt  in  der  Einstreuung  opaker,  aus  oblongen  Tafeln 
und  schmalen  Leisten  zusammen  geschobener  Massen.  Neben 
ihnen  bleiben  aber  auch  bei  stärkster  Yergrösserung  Wolken 
von  streifiger  und  kugeliger  Form,  welche  sich  nicht  körnig 
auflösen.  Quarze  mit  kleinen  Cavemen  und  Libellen  sind 
häufiger  eingeschlossen,  als  späthige  Feldspathe  mit  trüben 
Flecken.  Grüne  Parthien  von  unbestimmter  Umgrenzung  häu- 
figer braun  und  verwaschen-umsäumt,  als  scharf-abgeschnitten, 
sind  sehr  selten.  Der  Quarz  der  Adern  oder  Ausfüllungsmittel 
der  Klüfte  zeigt  dünnstängliche  Structur,  wird  daher  auch  im 
dünnsten  Schliff  nicht  gleichmässig  klar  und  färbt  sich  zwischen 
den  Nicols  buntscheckig;  eigenthümlich  zugespitzte  Hohlräume 
bleiben  zwischen  den  einzelnen  Stängelchen.  Oefihet  sich  in- 
mitten der  Ader  ein  Hohlraum,  so  erkennt  man  die  frei  hinein- 
ragenden hexagonalen  Pyramiden-Spitzen. 


§.  87.    Qnara-Porphyre^  gebBnderte,  gestreifte  und 

geflossene. 


Echte  Band-Porphyre,  gebildet  aus  abwechselnd  hellen 
und  dunkeln ,  ebenen,  bis  über  Vs  ^^'  dicken  Lagen ,  fand 
ich  unter  den  Brocken,  mit  denen  der  südliche  Abhang  des 
Ehrenberges  im  Marienholze  überschüttet  ist.  Da  die  Lagen, 
jede  einzeln  für  sich,  in  Allem  den  helleren  und  dunkleren  Ab- 
änderungen des  gleichförmigen  Quarz-Porphyrs  entsprechen,  so 
habe  ich  keine  eingehendere  Untersuchung  vorgenommen. 

Gestreift  sind  die  Quarz-Porphyre,  welche  dem  Marien- 
holze gegenüber  über  der  Ilmaue  felsig  anstehen.  Breite,  sehr 
dunkele  und  schmale,  fast  weisse  Streifen  wechseln  mit  einander 
ab.  Die  lichten  Streifen  sind  meist  stark  gekräuselt;  aus  ihnen 
entwickeln  sich  einerseits  perlschnurartige  Keihen  von  einander 
getrennter  Linsen,  andererseits  feine  Linien.  Die  breiten  dunkeln 


106  £•  £•  Scbmid, 

Streifen  bestehen  aus  gleichförmigem  Quarz-Porphyr  mit  deut- 
lich erkennbaren  Einschlüssen  von  Quarz  und  Feldspath. 

Beim  Dtinnschleifen  werden  diese  Quarz-Porphyre  sehr  bald 
durchscheinend,  behalten  aber  eine  in  das  Violette  ziehende 
Farbe.  Die  makroskopisch  scharf  hervortretenden  weissen 
Streifen  und  Linien  werden  schon  bei  massiger  Vergrösserung 
undeutlich;  sie  lösen  sich  in  gewundene,  braune,  graue  und 
weisse,  trübe  und  auch  klare,  durch  Schattirung  in  einander 
übergehende  Bänder  auf.  Die  weissen  und  auch  farblosen  Bänder 
verhalten  sich  nicht  etwa  wie  Quarz,  sondern  stimmen  vielmehr 
mit  den  lichteren  und  klareren  Stellen  der  Grundmasse  des 
ganzen  Gesteins  überein.  Die  Grundmasse  löst  sich  erst  bei 
stärkerer  Vergrösserung  in  ein  Haufwerk  von  Krystall-Prismen 
und  Nadeln  auf,  die  seltener  zu  parallelen  Bündeln,  als  zu  con- 
centrischen  Büscheln  zusammen  treten.  Ihre  Beleuchtung  und 
Färbung  zwischen  den  Nicols  ist  deshalb  zwar  eine  unbestimmte, 
verworrene,  aber  ihre  Doppelbrechung  doch  unzweifelhaft.  Die 
Grundmasse  ist  meist  bräunlich  getrübt,  die  Trübung  löst  sich 
jedoch  schon  bei  massiger  Vergrösserung  in  braune  bis  opake 
Tafeln  imd  Prismen  auf.  Die  Tafeln  schieben  sich  vielfach 
zusammen  und  die  Prismen  strahlen  von  diesen  Zusammen- 
schiebungen aus.  Bei  stärkerer  Vergrösserung  zerfallen  auch 
die  meisten  Prismen  in  Beihen  theils  eckiger,  theils  abgerundeter 
Täfelchen  —  s.  Fig.  24,  25,  26.  Taf.  V  — .  Einige,  aber  wenige 
Prismen  erscheinen  bei  schwacher  Vergrösserung  trichitisch,  d.  h. 
gekrümmt,  sind  aber  durchaus  keine  Trichite,  da  sie  bei  stärkerer 
Vergrösserung  in  kürzere  Prismen  und  kleine  Täfelchen  imd 
Krümchen  zerfallen  —  s.  Fig.  27.  Taf.V — .  Gleichmässige  Wolken 
und  Trübungen,  bei  schwacher  Vergrösserung  weit  ausgebreitet, 
verschwinden  auch  bei  den  stärksten  Vergrösserungen  nicht 
ganz,  sondern  trennen  sich  nur  in  einzelnen  Flecken. 

Die  eingeschlossenen  Quarze  sind  stets  krystallinisch 
umgrenzt,  reich  an  Oavernen,  von  denen  viele  unbewegliche 
Libellen  einschliessen ,  und  an  rhombisch  und  rechtwinkelig 
tafelförmigen  Einschlüssen ;  von  der  Grundmasse  dringen  schlauch- 
förmige Einstülpungen  in  sie  ein,  welche  mitunter  von  spiessigen 
Krystall-Lamellen  umgeben  sind  —  s.  Fig.  28.  Taf.  V  — . 

Die  seltenen  Einschlüsse  von  Feldspath-Krystallen  lassen 
Spaltbarkeit  deutlich  erkennen;  sie  sind  meistens  einfach,  selten 
Zwillinge  nach  dem  Bavenoer  Gesetz  —  s.  Fig.  29.  Taf.  V  — . 

Quarz  -  Porphyre    von    vollkommener    Fluidalstructur 


Der  Ehreoberg  bei  IlmenacL  107 

fand  ich,  aber  auch  nicht  anstehend,  sondern  nur  in  losen  Brocken, 
auf  der  Gipfelfläche  des  Ehrenberges.  Sie  sind  von  dunklerer 
Farbe,  als  die  übrigen  Modificationen,  gelb  in's  Braune,  durch- 
zogen Yon  braunen  Streifen  und  Körnerreihen,  welche  sich  um 
die  Quarz-  und  Feldspath-Einschlüsse  herumwinden  und  oft  hart 
an  einander  drängen.  Klüfte  durchziehen  ihn,  erfüllt  entweder 
von  gelb-brauner  oder  von  heller  Substanz. 

Schliffe  müssen  sehr  dünn  sein,  um  viel  Licht  durchscheinen 
zu  lassen.  Dann  zeigt  sich  die  Grundmasse  zusammengesetzt 
aus  unregelmässig  zusammengeschobenen  rhombisch-tafelförmigen 
Krystallen,  welchen  deutliche  Doppelbrechung  eigen  ist,  und 
einem  zwischen  ihnen  sich  durchwindenden  gelben,  einfach- 
brechenden Glase. 

Die  Quarz-  und  Feldspath-Krystalleinschlüsse  sind  von  der- 
selben Beschaffenheit  wie  in  den  gebänderten  und  gestreiften 
Quarz-Porphyren;  nur  sind  im  Quarze  strahlige  Wirtel  von 
feinsten  fast  linearen  Prismen  sichtbar;  dieselben  Wirtel  zeigen 
sich  aber  auch  ausserhalb  des  Quarzes  —  s.  Fig.  30.  Taf.  V  — . 

Opake  Blättchen  und  Kömchen  sind  durch  das  ganze 
Gestein  vertheilt;  sie  ordnen  sich  aber  nicht  reihen-,  sondern 
haufenweise  an. 

Aus  dem  Vorstehenden  ist  es  unzweifelhaft,  dass  die  ge- 
bänderten, gestreiften  und  geflossenen  Quarz-Porphyre  nicht  als 
erhärtete  Tuffe  anzusehen  sind,  sondern  ebenfalls  als  Erstar- 
rungs-Formen einer  zäh -flüssigen  Eruptivmasse  noch  während 
ihrer  Bewegung.  Solche  Schlacken-Formen  verbinden  sich 
übrigens  auch  mit  anderen  Quarz -Porphyren  des  Thüringer 
Waldes. 


§.  38.    Quarz-Porphyre,  quarzitisehe. 


Auf  der  Höhe  des  Ehrenberges  liegen,  namentlich  in  der 
Nähe  seiner  Grenze  gegen  den  Granit,  grobe  Brocken  eines 
feinkörnigen  Gesteins  von  der  Härte  und  Dichte  des  Quarzes 
—  H  =»  7,  D  =  2,60  —  von  unebenem  bis  splitterigem  Bruche 
von  licht-rother  Farbe.  Dasselbe  ist  homogen  bis  auf  feine, 
roth-braune,  vielfach  sich  kreuzende  Linien,  welche  sich  lamellar 
in  das  Innere  des  Gesteins  fortsetzen  und  auf  Bruchflächen 
häufig  blossliegen,   längs  deren  sich  auch  mitunter  Hohlräume 


108  E.  E.  Sohmid, 

mit  fein  krystellinischer  Anekleidang  öffneo.  Man  würde  es  von 
anderem  Fundorte  nnbedeablich  für  körnigen  Quarzit  kalten. 
Auf  der  Gipfelfläche  dea  EhrenbergB,  mitten  zwischen  Quarz- 
Porphyr,  Granit  und  Labrador-Diorit,  ist  Qaarzit  ein  fremd- 
artiges Vorkommen ;  man  mÜBste  ihn  denn  auf  eine  eingeschlossene, 
zur  cambrischen  Grauwacke  gehörige  Scholle  beziehen  und  zu 
dieser  Beziehung  fehlen  zureichende  Aufschlüsse  an  anstehendem 
Gesteine.  Auf  gewöhnlichen  Quarzit  passt  aber  auch  das  che- 
miscljB  Vorhalten  nicht.  Vor  dem  Löthrohre  ist  das  G^esteia 
in  dem  Grade  schmelzbar,  dass  sich  scharfe  Kanten  nicht 
weniger  abrunden  als  bei  Bronzit.  Ea  enthält  nur  82  %  Kiesel- 
säure; der  Rest  ist  vorzüglich  Thonerde  und  Eisenoxyd  mit 
etwaa  Kalkerde,  wahrscheinlich  auch  Alkali.  Das  ist  eine  Zu- 
sammensetzung, die  sich  nach  den  Untersuchungen  des  Dr. 
Laufer  unter  den  Quarz-Porphyren  des  Thüringer  Waldes  mehr- 
fach wiederholt,  z.  B.  bei  dem  hinter  der  Papiermühle  von 
Stützerbai^h  anstehenden  Grenzgestein ;  andere  an  den  Quarz- 
Porphyr  »ich  anschliessende  Gesteine,  anch  mit  deutlicher  Por- 
phyi-strudtur,  sind  sogar  noch  kieselsäurereicher.  Doch  bieten 
sich  Bok'lie  Verhältnisse  vorzugsweise  an  den  Grenzen  von 
Porphyr-Eruptionen  dar. 

Im  Dünnschliff  erweisst  sich  das  Gestein  unter  dem  Mikro- 
skope als  ein  Aggregat  bis  0,3  Mm.  grosser,  wohl  hie  und  da 
geradlinig,  im  Allgemeinen  abgerundet  und  uneben  begrenzter 
Körner,  welche  sich  zwischen  den  Nicola  durchaus  wie  Quarz 
verhalten,  auch  zahlreiche  Cavemen  von  0,02  bis  0,003  Mm. 
Durchmesser  einschliessen.  Die  grösseren  dieser  Cavemen  stülpen 
sich  schhiuchförmig  aus,  die  .kleineren  runden  sich  einfach  ab; 
sie  haben  eine  dunkle  breite  ümsäumung  und  schliessen  keine 
Libellen  ein,  sind  demnach  wohl  nur  mit  Gas  erfüllt.  Gelb- 
rothe,  hrriune  bis  opake  Krümchen,  Klümpchen  und  Flecke 
zusammengehäuft  und  zerstreut,  sind  besonders  dicht  an  einander 
gerückt  längs  der  Grenzen  der  einzelnen  Quarzkomer  und  in 
den  Kiclitungen ,  welche  makroskopisch  als  braune  Lametlen 
erscheinen.  Unbedenklich  ist  ihre  Deutung  als  Eisenoxyd  und 
Eisenoxyilhydrat.  Anderweite  Einscblüaae  sind  zwar  nicht  häufig, 
aber  sehr  mannigfaltig  und  durchaus  krystallinisch.  Dazu  ge- 
hören erstens  grüne,  dichro'itische  Blättchen,  und  zweitens  blät- 
terige, stieifig  getrübte  Täfelchen,  die  sich  zwischen  den  Nicols 
zwar  niclit  lebhaft,  aber  nach  den  Blätterdurchgängen  zweifach 
färben—  a.  Fig.  31.  Taf.V— .In ihnen sindGJimmerundFeld- 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  109 

Späth  zu  erkennen.  Drittens  sind  es  schmale,  farblos-klare 
Nadeln  mit  deutlich  schiefer  Endfläche  oder  schief-prismatischer 
Endigungy  mitunter  gekrümmt,  gewöhnlich  mit  Strahlenbündeln 
vereinigt  und  an  die  vorhin  beschriebenen  braunen  Parthien 
angeschlossen  —  s.  Fig.  32,  33,  34,  35.  Taf.  V  — .  Viertens 
bemerkt  man  schiefe  Doppelpyramiden  mit  einer  abgestumpften 
Ecke  —  s.  Fig.  36.  Taf.  V.  — ,  welche  nur  wenig  durchscheinen, 
fünftens  kurze  schiefe  Prismen  mit  monokliner  Endigung,  welche 
nur  in  der  Mitte  farblos,  hell  sind  —  s.  Fig.  37.  Taf.  V.  — , 
sechstens  dünne,  lange,  wahrscheinlich  sechsseitige  Säulen,  die 
sich  mitunter  auf  blosse  Striche  verschmälem  —  s.  Fig.  38. 
Taf.  V  — .  Ueber  die  mineralogische  Bedeutung  dieser  kleinen, 
aber  immerhin  noch  voUkommnen  Krystalle  wage  ich  noch  kein 
bestimmtes  Urtheil  auszusprechen;  meine  Yermuthimg  geht  auf 
Hornblende  und  Apatit. 

Dem  Vorstehenden  gemäss  ist  die  Schmelzbarkeit  dieses 
G-esteins  nur  eine  scheinbare;  eine  schmelzbare  Modification 
der  Kieselsäure  und  zwar  von  der  Härte  und  Dichte  des  Quarzes, 
ist  nicht  bekannt,  von  der  Schmelzung  der  ganzen  Masse  kann 
demnach  keine  Bede  sein,  sondern  nur  von  der  Bildung  einer 
Kruste  durch  die  Schmelzung  der  Einsprenglinge. 

Zugleich  gewinnen  durch  dieses  Vorkommen  Quarzite 
und  wohl  auch  Hornsteine  eine  neue  bisher  noch  nicht  auf- 
gefallene Beziehung. 


§.  39.    Contact-Erschelnungen  zwischen  den  ErnptiT- 
geatelnen.    Darehbmch  des  Granites  dureli  den  Labrador^ 

Diorit 


Die  Durchbrüche  des  Granites  durch  den  Labrador-Diorit 
und  die  Einschlüsse  von  Labrador-Diorit  im  Granit  sind  sicher- 
lich zahlreicher,  als  sie  wegen  der  Mangelhaftigkeit  der  Auf- 
schlüsse kartographisch  dargestellt  werden  konnten ;  namentlich 
am  Ostrande  des  Marienholzes  sind  die  letzten  nur  qualitativ 
angedeutet  worden. 

Die  Grenze  zwischen  Labrador-Diorit  und  Granit  verläuft, 
wie  bereits  oben  bemerkt  wurde,  durchaus  nicht  einfach,  sondern 
springt  vielfach  ein  und  aus.  Der  Granit  treibt  seine  zu  den 
dünnsten  Lamellen,  bis  unter  1  Mm.  Stärke  sich  auskeilenden 


110  E.  £.  Schmid, 

Apophysen  weit  in  den  Labrador-Diorit  hinein  und  umspinnt 
damit  kleinere  und  grössere  — bis  über  1  M.  Durchmesser  — 
Schollen  von  ihm.  Belegstücke  zu  dieser  Angabe  kann  man  sich 
jetzt  noch  leicht  verschaffen,  wenn  man  unter  den  über  den 
südwestlichen  Abhang  zerstreuten  Brocken  herumsucht.  Die 
skizzirten  Stücke  —  s.  Fig.  39  u.  40.  Taf.  V.  —  sind  ohne  lange 
Auswahl  diesem  Abhänge  entnommen.  Einen  ausgezeichneten 
Ausschluss  hat  bis  vor  etwa  15  Jahren  der  schon  oben  (s.  §.  3) 
bezeichnete  Steinbruch  an  der  Weimarisch-Sondershaüsischen 
Grenze.  Ihm  sind  die  v.  Fritsch  ^)  —  leider  ohne  Maassstab  — 
gegebenen  Darstellungen  entnommen.  Mir  sind  dieselben  ent- 
gangen; wohl  aber  fand  ich  die  Grenze  eines  in  das  alte  Stein- 
bruchsfeld hineinreichenden  Granitkeils  noch  an  vielen  Stellen 
entblösst  und  an  ihr  Granit-Apophysen,  Labrador-Diorit-Bin- 
schlüsse  und  Umwandlungen  dieser  letzten  besonders  schön 
entwickelt.  Jetzt  ist  der  Steinbruch  fast  vollständig  eingeebnet 
und  der  übergestreute  lockere  Schutt  zur  Cultur  vorbereitet. 

Die  kleine  Granitparthie  beim  Grenzhammer  schiebt  sich 
bergaufwärts  mit  geringer  Mächtigkeit  über  den  Labrador-Diorit 
hinweg.  Dies  behauptete  schon  Voigt*)  auf  Grund  der  bei 
einem  Kellerbau  gemachten  Erfahrungen  und  war  darüber  ver- 
wundert, weil  er  eine  einfache  üeberlagerung  des  Granits  vor 
sich  zu  haben  glaubte.  Jetzt  bietet  eine  etwa  4  Meter  tiefe 
Brunnengrube  einen  zweifellosen  Aufschluss  dar.  Auf  ihrem 
Boden  steht  ziemlich  frischer,  dunkler  Labrador-Diorit  an,  über 
ihm  liegt  Granit,  allerdings  sehr  mürbe  und  bis  auf  einige  härtere 
Sphäroide  ganz  zu  Gruss  zerfallen,  und  zu  oberst  Veirwitterungs- 
boden  des  Granits.  Aber  eine  blosse  Üeberlagerung  ist  man  hier 
durchaus  noch  nicht  anzunehmen  genöthigt;  vielmehr  wird  ^ine 
Durchlagerung  des  Granits  durch  sein  Anstehen  an  der  süd- 
westlichen Ecke  des  zum  Grenzhammer  gehörigen  Wohnhauses 
zur  Seite  des  Labrador-Diorites  angezeigt. 


I)  Zeitschrift  der  deutschen  geol.  Gesellschaft.     ISAO.    Bd.  12.    Taf.  V. 
Fig.  1  und  2. 

*)  Voigt,  Mineralogische  und  bergmännische  Abhandlungen.  S.  24. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  .  m 


§.  40.   Durchbrach  des  Granites  durch  den  Labrador-Dlorli 

Contact-YerSndemngen  des  Granites. 


Längs  der  Apophysen  scheiden  sich  Labrador-Diorit  und 
Granit  makroskopisch  scharf,  hängen  aber  so  fest  mit  einander 
zusammen,  dass  ein  Bruch  eben  so  leicht  quer  gegen  die  Tren- 
nungsfläche;  als  nach  ihr  erfolgt.  Auch  mikroskopisch  ist  die 
Verbindung  zwischen  beiden  Gesteinen  so  innig,  dass  nirgends 
eiy  Zwischenraum  zu  bemerken  ist,  oder  eine  Unterbrechung 
der  Gesteinsbildung.  Und  doch  ist  die  Grenze  an  der  Fein- 
komigkeit  des  Labrador-Diorites  und  der  Grobkömigkeit  des 
Granites  und  an  der  oiineralogischen  Natur  der  Kömer  leicht 
zu  erkennen.  Der  Labrador-Diorit  behält  fast  immer  bis  an  die 
Grenze  seine  Eigenthümlichkeit  unverändert  bei,  ohne  jede  auch 
nur  leise  Veränderung.  Der  Granit  dagegen  lässt  Veränderungen 
sicher  bis  auf  25  Mm.  von  der  Grenze  erkennen ;  sie  sind  jedoch 
auch  bei  ihm  nur  schwach.  Enthält  der  Granit  keine  Horn- 
blende neben  dem  Glimmer,  so  beschränkt  sich  dieselbe  darauf, 
dass  in  nächster  Nähe  der  Grenze  neben  dem  durchaus  unver- 
änderten bräunlich  -  grünen  Glimmer  einige  wenige  bläulich- 
grüne Blätter  erscheinen,  von  fremdartigem  Aussehen.  Ist  der 
Granit  homblendereich  —  und  dann  fehlt  mitunter  der  Glimmer 
gänzlich  —  so  ist  die  Veränderung  auffallend  und  bemerkens- 
werth.  Das  Grün  der  im  Granit  eingeschlossenen  Hornblende- 
Krystalle  wird  licht,  fleckweise  gelblich,  und  jede  Spur  von 
Dichroismus  verschwindet  —  s.  Fig.  41.  Taf.  V  — .  Dabei  ist  die 
äussere  Form  der  Hornblende  mitunter  noch  erhalten,  häufiger 
jedoch  tritt  anstatt  ihrer  diejenige  einer  achtseitigen  Säule  ein, 
entsprechend  der  typischen  Combination  von  <x>  P  mit  oo  P  oo 
und  OQ  ^  oo  des  Augits  —  s.  Fig.  42.  Taf.  V.  — ;  diese  äussere 
Augitform  ist  verbunden  mit  der  dem  Augit  eigenen  Spaltbarkeit 
nach  den  genannten  drei  Gestalten,  üebrigens  zeigen  von  den 
Körnern  dieses  lichtgrünen  Minerals,  die  sich  besonders  an  der 
Grenze  selbst  zusammen  drängen,  sehr  viele  deutlich  weder 
äussere  Form  noch  Spaltbarkeit.  Dass  dieses  lichtgrüne  Mineral 
die  Stelle  der  Hornblende  einnehme,  und  dass  es  Augit  sein 
könne,  dagegen  ist  nichts  einzuwenden,  dass  es  wirklich  Augit 
sei,   deshalb   höchst  wahrscheinlich,  weil  —  wie  ja  längst  be- 


112  E.  E.  Schmid, 

kannt  —  Hornblende  und  Augit  im  Wesentlichen  auf  dieselbe 
Zusammensetzung  hinauskommen,  und  geschmolzene  Hornblende 
bei  rascher  Erkaltung  als  Augit  erstarrt.  Damit  soll  nun  durch- 
aus nicht  gesagt  sein,  dass,  was  etwa  jetzt  Augit  ist,  ursprüng- 
lich Hornblende  gewesen  sei,  es  kann  auch  zufolge  der  rascheren 
Abkühlung  innerhalb  der  Grenzkruste  sogleich  als  Augit  erstarrt 
sein.  Ich  fasse  also  die  Erscheinung  nicht  sowohl  als  eine 
Metamorphose  auf,  sondern  vielmehr  als  eine  Oontactwirkung. 
An  einigen  der  Stellen  im  Bereiche  des  alten  Steinbruchs 
am  Südabhange  des  Ehrenbergs,  wo  die  Grenze  zwischen  La- 
brador-Diorit  und  Granit  durch  Apophysen  des  letzteren  verwickelt 
ist,  und  der  Labrador-Diorit  der  nachher  zu  besprechenden 
Veränderung  unterlegen  ist,  ist  der  Granit  sehr  bröcklich  ge- 
worden, von  Ocker  durchdrungen,  mit  ganz  matten,  wenn  auch 
kleinen  Milchquarz  -  Erystallen  überzogen.  Mitunter 
öffnet  sich  dann  längs  der  Grenze  eine  Kluft,  in  welche  keulen- 
förmige Quarz-Krystalle  hineinragen.  Die  Keulenform  wird 
dadurch  erzeugt,  dass  eine  dickere  auf  einer  dünneren  Säule 
aufsitzt  und  zwischen  beiden  die  Flächen  der  unteren  Pjrramide 
eingesetzt  sind. 


§.  41.   Dnrchbrneh  des  Granites  durch  Labrador-Diorit. 
CoBtaetrYer&ndemngeii  des  Labrador-Dlorlts. 


Eine  Veränderung  des  Labrador-Diorits  giebt  sich  zwar 
durchaus  nicht  ununterbrochen  längs  der  Grenzen  kund,  aber 
doch  an  vielen  Stellen  derselben  und  namentlich  in  den  vom 
Granit  eingeschlossenen  Brocken  und  Schollen.  Sie  besteht  in 
dem  innerhalb  der  Breite  höchstens  eines  Millimeters  siqh  voll- 
ziehenden üebergange  zu  einem  aphanitisch-dichten,  grau-grünen 
Gesteine,  aus  welchem  sich  zunächst  eine  grüne  Grundmasse 
mit  röthlich-  oder  gelblich-braunen  Flecken  und  dann  ein  grob- 
kömig-krystallinisches  Gemenge  von  grünem  Epidot  (Pistazit), 
braunem  Granat  und  trüb-weissem  Periklin  mit  Kalk- 
spath  entwickelt.  Zugleich  mit  der  krystallinischen  Entwicke- 
lung,  namentlich  des  Granates,  verbindet  sich  die  Oeffhung  von 
Hohlräumen,  deren  freie  Oberflächen  mit  Krystall-Drusen  be- 
setzt sind. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  113 

Das  grau-grüne  Gestein  hat  die  Dichte  2,98 — 3,07,  ist  also 
im  Vergleich  zu  den  Labrador-Dioriten  entschieden  yerdichtet. 
In  ChlorwasserstoflFsäure  eingelegt  brausen  Bröckchen  von  ihm 
schwach  aber  anhaltend,  unter  gelber  Färbung  der  Säure  durch 
Aufnahme  von  Eisenoxyd.  Dünnschliffe  davon  zeigen  schon  bei 
geringer  Vergrösserung  eine  sehr  complicirte  Zusammenfügung 
aus  einem  gelbrothen,  einem  blassgrünen,  einem  weissen  und 
einem  opaken  Mineral  —  s.  Fig.  43.  Taf.  V  — .  Das  gelbrothe 
Mineral  zeigt  mitunter  ebenflächige,  geradkantige  Umgrenzung, 
d.  h.  echte  Krystallformen ,  die  ungezwungen  als  Rhomben- 
dodekaeder deutbar  sind.  Gewöhnlich  jedoch  ist  die  Begrenzung 
abgerundet  und  geht  in  das  Krystallitisch-globulitische  zurück. 
Das  blassgrüne  Mineral  lässt  ebenflächige,  krystallinische  Um- 
grenzung gar  nicht  erkennen.  Seine  Form  Hesse  sich  auf  das 
Krystallitisch-longulitische  beziehen.  Das  weisse  Mineral  füllt 
die  Zwischenräume  aus,  es  ist  mehr  oder  weniger  deutlich  kry- 
stallinisch-kömig.  Bundliche  nicht  krystallinische,  aber  schwach 
umgrenzte  Klümpchen  des  opaken  Minerals  sind  ungleichmässig 
eingestreut.  Das  gelbrothe  Mineral  bricht  das  Licht  einfach,  das 
blassgrüne  und  das  weisse  doppelt,  das  blassgrüne  Mineral  verhält 
sich  jedoch  durchaus  nicht  dichroitisch.  Das  blassgrüne  Mineral 
waltet  in  der  grünen  Grundmasse,  das  gelbrothe  in  röthlich-  und 
gelblich-braunen  Flecken  der  nächsten  Entwickelungsstufe  vor. 
Der  einfache  Uebergang  in  das  Grobkörnige  lässt  keinen  Zweifel 
darüber,  dass  das  blassgrüne  Mineral  Pistazit,  das  röthlich-gelbe 
Granat,  das  weisse  ein  Gemenge  von  Albit  und  Kalkspath  sei; 
die  opaken  Klümpchen  Eisenoxyd,  wohl  auch  Eisenoxydhydrat. 


§.42.  Contact-YerSndeningen  des  Labrador-Dlorits ;  Granit. 


Das  Vorkommen  des  Granaten  in  dem  grobkörnigen 
Gemenge,  welches  sich  aus  dem  eben  beschriebenen  Gestein 
entwickelt,  ist  schon  von  Voigt*)  nach  dem  damaligen  Stand- 
puncte  der  Mineralogie  erschöpfend  besprochen  worden.  Auf 
Klüften  und  in  Hohlräumen  findet  sich  der  Granat  wohl  nur 
krystallisirt.  An  seinen  Ki'ystallen  waltet  das  Dodekaeder  vor; 
untergeordnet  als  schmale  Abstumpfung  der  Kanten  desselben 


*)  Voigt,   Mineralogische    und    bergmännische    Abhandl.    Leipzig    1789. 
S.  13  fgde. 

Bd.  z,  N.  F.  III.  8 


114 


.  E.  £.  Sclimld, 


tritt  das  Ikositetraeder  2  0  2  hinzu ;  nur  selten  beobachtet  man 
eine  Abstumpfung  der  Combinationskanten  von  (X)  O  u,  2  O  2, 

m 


also  ein  Hexakisoktaeder  aus  der  Beihe  m  O 


Die 


m  —  1 

Flächen  von  oo  O  sind  stets  glatt,  wenn  auch  etwas  uneben^ 
die  Flächen  von  2  0  2  mitunter  gestreift  parallel  den  Combi- 
nationskanten mit  oo  O.  Die  meisten  Bj*ystalle  sind  sehr  klein ; 
nur  einige  wenige  erreichen  die  ansehnliche  Grösse  von  2  Cm. 
Die  meisten  und  besonders  die  grossen  sind  perimorphotisch 
entwickelt  um  eingeschlossene  Albite;  auch  kleinkrystallinisch- 
ausgekleidete  Hohlräume  kommen  innerhalb  derselben  vor.  In 
Folge  dieses  letzten  Umstandes  fällt  die  Dichtigkeitsbestimmung 
recht  verschieden  aus,  je  nachdem  man  grosse  oder  kleine 
Brocken,  oder  nur  die  ausserste,  geschlossene  Krystallkruste 
nimmt.  Die  ersten  geben  niedrige  Zahlen,  bis  3,21  abwärts, 
die  anderen  höhere  bis  3,47  aufwärts,  die  letzten  allein  ergeben 
das  wahre  Maass  mit  3,50  bis  3,52.  Die  Härte  ist  nahe  7.  Die 
Färbung  ist  recht  verschieden  zwischen  bräunlich-erbsengelb  und 
bräunlich-hyacinthroth.  Nur  scharfkantige  Bruchstücke  sind 
durchscheinend.  Der  Glanz  der  Krystallflächen  ist  Glasglanz 
in  den  Fettglanz  geneigt;  Bruchflächen  schimmern  oder  sind 
matt.  Die  Schmelzbarkeit  liegt  etwas  über  derjenigen  des 
Almandin.  Der  dunkelbraune  Schmelzfluss  wird,  fein  gepulvert, 
durck  Salzsäure  vollständig  zersetzt,  während  das  Pulver  des 
nicht  geschmolzenen  Minerals  dadurch  nur  stark  angegriffen  wird ; 
die  Salzsäurelösung  enthält  kein  Eisenoxydul.  Zur  chemischen 
Analyse  wurden  kleine,  homogene  —  wenigstens  an  der  Ober- 
fläche so  erscheinende  —  Brocken  verwendet.  Sie  wurde  von 
Dr.  Brockhoflf  ausgeführt  und  ergab  folgende  Zusammensetzung : 

Granat  vom  Ehrenberg. 


Procente 


Kieselsäure 

Eisenoxyd 

Manganoxyd 

Thonerde 

Kalkerde 

Talkerde 


Sauerstoff- 
Gehalt  Verhältniss 


Summe 


99,2 


Der  Ebrenberg  bei  Dmenau. 


115 


Danach  liegt  ein  Eisen-Thon-Kalk-Granat  vor.  Aber  der 
Ueberschuss  der  Kieselsäure  über  das  Singulo-Silicat-Verhält- 
nisa  deutet  auf  eine  Beimengung  von  Feldspath,  worin  freilich 
das  Zurückbleiben  der  Sesquiopyde  gegen  die  Monoxyde  unter 
das  Yerhältniss  B^O^  i^B^O  nicht  zugleich  seine  Deutung  findet. 


§.  43.  Contact-YerSndenuigen  des  Labrador-Dlorlts.  Plstazlt 


Der  Pistazit  wurde  von  Voigt')  als  grüner  Granat  auf- 
geführt, aber  schon  von  Heim  *)  richtig  als  Akantikon  bestimmt. 
Er  findet  sich  zwar  viel  reichlicher  als  der  Oranat,  aber  zu- 
gleich viel  unvoUkommner  ausgebildet.  Er  bildet  stängliche  bis 
strahlige  E[rystall-Aggregate  ohne  deutliche  Individualisiruug. 
Man  kann  eben  noch  zwei  Spaltungs-Bichtungen  von  ungleichem 
Werthe  erkennen,  die  sich  unter  einem  Winkel  von  115  Vs*^ 
schneiden.  Seine  Härte  ist  6,5,  seine  Dichte  3,45.  Er  ist  meist 
pistazien-grün ,  mitunter  ins  Schwärzlich-grüne,  mitunter  ins 
Zeisig-grüne.  Die  dunkeln  Varietäten  scheinen  nur  an  den 
Kanten  durch,  die  hellen  noch  in  dünnen  Blättchen.  Er  schmilzt 
etwas  schwerer  als  Almandin  zu  einer  schwarzen  etwas  blasigen 
Schlacke.  Durch  ChlorwasserstoflFsäure  wird  das  feine  Pulver 
angegriffen ;  in  der  Auflösung  ist  Eisenoxydul  nicht  nachweisbar. 
Das  Auslesen  reiner  Stücke  zur  chemischen  Analyse  hatte  keine 
Schwierigkeit.  Dieselbe  wurde  von  Dr.  Brockhoff  ausgeführt 
und  ergab  folgende  Resultate: 

Epidot  vom  Ehrenberg. 


Procente 

SauentoiT- 
Gehalt                      Verhültniss 

Kieselsäure 

37,8 

20,2 

13,3   od.   2,94 

Eisenoxyd 

Manganoxyd 

Thonerde 

15,3 
0,2 
19,5     ! 

4,6      1 

0,0     }  13,7 

9,1     1 

9 

2 

Kalkerde 
Talkerde 

24,2 
0,8 

6,9     ) 

0,3     }     7,27 

4,7 

1,06 

Eisenoxydul 
Wasser 

0,3 
2,3 

0,07   1 
2,0 

1,3 

Summe 


100,4 


i 


>)  Voigt,  Bergniänniscbe  nnd  mineralogiscbe  Abbaiidl.    1789.  S.  13  fgde. 
*)  Heim,  Geol.  Beacbr.  des  Tbür.  Waldgeb.  1803.  Tb.  2.  Abtb.  8  u.  4.  8.197. 


116  E.  E.  Schmid, 

Da  auf  einen  etwaigen  Eisenoxydul-Gehalt  viel  ankommt, 
so  habe  ich  denselben  durch  eine  Aufschliessung  in  überhitzter 
Schwefelsäure  —  bei  etwa  160<^  . —  mittels  Titrirens  bestimmt; 
er  ist  so  gering,   dass  er  eine  Berücksichtigung  kaum  verdient. 

Die  Zusammensetzung  dieses  Pistazites  stimmt  am  nächsten 
überein  mit  derjenigen  der  Dauphineer.  Sie  entspricht  genauer 
der  älteren  Rammelsbergischen  *)  Formel,  als  der  neuem  Tscher- 
mack'schen  ^) ;  die  erste  verlangt  nämlich  als  Verhältniss  zwischen 
dem  Sauerstoff  der  Monoxyde,  Sesquioxyde  imd  der  Kieselsäure 
1:2:3,  die  andere  4:9:12;  —  wenn  auf  das  Wasser  keine 
Rücksicht  genommen  wird.  Man  hat  nun  allerdings  nicht  mehr 
daran  zu  zweifeln  3),  dass  die  Tschermack'sche  Formel  dem 
Pistazit  von  Sulzbach  in  Tyrol  zugehört,  und  noch  weniger,  dass 
das  Sulzbacher  Vorkommen  ein  ganz  typisches  ist.  Für  den 
vorliegenden  Fall  dürfte  das  Zusammenvorkommen  mit  Granat 
und  in  Folge  davon  die  Beimengung  von  etwas  Granatmasse 
die  nähere  Annäherung  an  die  Zusammensetzung  des  Granaten 
erklären. 


§.  44.    Contact-TerSnderimgeii  des  Labrador-Dlorltes. 

Perlklln. 


Das  Vorkommen  des  Periklins  ist  bereits  von  v.  Fritsch  *) 
vermuthet  worden,  indem  er  Albit  mit  beigesetztem  Fragezeichen 
unter  den  secundären  Mineral- Vorkommnissen  an  der  Grenze 
zwischen  Labrador-Diorit  und  Granit  aufführt,  ohne  jedoch  eine 
weitere  Begründung  hinzuzufügen. 

Der  Periklin  erscheint  nur  krystallinisch,  aber  die  Klrystalle 
sind  nicht  eben  schön  entwickelt.  Dieselben  sind  breit  leisten- 
förmig,  nach  drei  Richtungen  spaltbar.  Die  erste  Spaltungs- 
Richtung  ist  der  breiten  Leistenfläche  parallel,  die.  zweite 
nahe  rechtwinklig  gegen  die  Länge  der  Leiste,  die  dritte  wohl 
nahe  rechtwinklig  gegen  die  breite  Leistenfläche  aber  schräg 
gegen  ihre  Längs-Axe.    Nach  der  ersten  Richtung  ist  die  Spal- 


>)  Zeitschrift  der  deutschen  geol.  Gesellschaft  1872.  Bd.  24.  S.  69. 
*)  Berichte  der  kaiserl.  Acad.  der  Wissensch.  zu  Wien.  Bd.  50.  S.  585. 
')  Zeitschrift  der  deutschen  geol.  Gesellschaft.  1872.  Bd.  24.  S.  650. 
*)  Zeitschrift  der  deutschen  geol.  Gesellschaft.  1860.  Bd.  122.  S.  100. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau. 


117 


tung  sehr  vollkommen  und  wird  durch  viele  Haarspalten  ange- 
zeigt; die  Spaltungsflächen  sind  glatt  und  glänzend,  zeigen  auch 
keine  Spur  von  Streifung,  welche  auf  Zwillings-Bildungen  hin- 
deutete. Nach  der  zweiten  Richtung  ist  die  Spaltbarkeit  viel 
weniger  vollkommen  und  nicht  durch  Haarspalten  angedeutet. 
Nach  der  dritten  Richtung  ist  die  Spaltung  noch  unvoUkommner. 
Obgleich  ich  genaue  Messungen  nicht  habe  vornehmen  können, 
so  nehme  ich  doch  keinen  Anstand,  diese  Spaltungs-Richtungen 
auf  das  oP,  oo  P  oo  und  oo  P'  des  Periklins  (bei  Naumann)  zu 
beziehen.  Zur  Bestimmung  der  Dichte  dienten  Bröckchen  von 
höchstens  1  Mm.  Durchmesser,  an  denen  weder  ein  Einschluss, 
noch  ein  Anflug  von  etwas  Fremdartigem  zu  bemerken  war; 
dieselbe  ergab  sich  zu  2,86.  Die  Härte  ist  die  des  Adulars, 
mitunter  etwas  geringer.  Die  Farbe  ist  weiss,  mitunter  in 
das  Blass-fleischrothe.  Nur  ganz  dünne  Kanten  lassen  etwas 
Licht  durchscheinen.  Vollkommene  Spaltungsflächen  haben 
schwachen  Perlmutterglanz,  die  übrigen  sind  fast  matt.  Die 
Schmelzbarkeit  kommt  derjenigen  des  Adulars  nahe,  steht  jedoch 
ein  wenig  unter  ihr.  Die  Schmelze  ist  sehr  schaumig,  weiss, 
das  Q-lühlicht  gelb.  Eine  quantitative  von  mir  ausgeführte 
Analyse  fährte  zu  folgenden  Zahlen: 

Periklin  vom  Ehrenberg. 


Procente 

Sauerstofl- 

Gohalt 

Verbältnisfl 

Kieselsäure 

68,01 

36,27 

11,79 

Thonerde 

19,75 

9,22 

3 

Eisenoxyd  mit 

0,78 

etw.Manganoxyd 

Kalkerde 

(»,08 

0,02   ) 

Talkerde 

0,12 

0,05   [    3,04 

0,98 

Natron 

11,50 

2,97   ) 

ölühverlust 

0,40 

Summe 


100,64 


Das  Sauerstoff- Verhältniss  kann  ohne  wesentliche  Vernach- 
lässigung auf  dasjenige  eines  trisilicatischen  Natron-Feldspathes 
gebracht  werden.  Ihm  entspricht  auch  die  Spaltbarkeit.  Will 
man  Periklin  neben  Albit  als  Name  einer  eigenthümlicheu  Ent- 


^f^ 


118  E.  E.  Schmid, 

Wickelung  stehen  lassen,  so  ist  das  Vorkommen  dem  ersten  und 
nicht  dem  letzten  zuzurechnen  wegen  der  weissen  Farbe  und 
der  sehr  geringen  Durchscheinenheit.  Bemerkenswerth  ist  jedoch 
die  absolute  Abwesenheit  des  Kalis,  wovon  die  übrigen  Peri- 
kline  in  ganzen  Procenten  ausdrückbare  Mengen  zu  enthalten 
pflegen. 


§.  45.    Contact-Yeränderangen  des  Labrador-Blorites. 

Ealkspath. 


Der  Kalkspath  ragt  zwar  nicht  mit  selbständigen  Kjy- 
stallen  in  den  freien  Baum  der  Klüfte  und  Hohlräume  hinein, 
sondern  füllt  die  Zwischenräume  zwischen  den  übrigen  Krystallen 
aus,  ist  aber  so  yoUkommen  spaltbar,  dass  Bhomboeder  bis  über 
\'g  Cm.  Seite  als  Spaltungs  -  Stücke  leicht  gewonnen  werden 
können.     Er  ist  ziemlich  klar  und  ganz  rein. 


§•  46.    Contaet-YerSnderungen  des  Labrador-Biorltes. 

Sehlass. 


Im  Allgemeinen  schliesst  sich  der  Pistazit  am  engsten  an 
den  Labrador-Diorit  an  und  der  Periklin  nimmt  die  äussersten 
Lagen  ein;  der  Kalkspath  füllt  nur  Hohlräume  aus.  Danach 
ist  im  Allgemeinen  die  Altersfolge  der  Entstehung:  Pistazit, 
Granat,  Periklin,  Kalkspath.  Jedoch  ist  in  einzelnen  Fällen  die 
zeitliche  Ordnung  der  Bildung  von  Granat  und  Periklin  auch 
die  umgekehrte;  indem  sich  nicht  nur  Abdrücke  von  Granat- 
Krystallen  im  Periklin  finden,  sondern  auch  Umhüllungen  von 
Periklin  durch  Granat. 

Braucht  man  wohl  nicht  viele  Worte  darüber  zu  verlieren, 
dass  das  beschriebene  Gemenge  von  Pistazit,  Granat,  Periklin 
—  den  Kalkspath  vorläufig  unbeachtet  gelassen  —  eine  Ent- 
wickelung  aus  dem  Labrador-Diorit,  oder  noch  bestimmter  eine 
Umwandlung  desselben  sei,  so  kann  dieselbe  doch  nicht  auf  eine 
blosse  Umsetzung  der  Silicate  ohne  Aufnahme  und  Abgabe  von 
Stofifen  hinaus  gedeutet  werden.  Man  könnte  eine  solche  Deu- 
tung kurzweg  damit  zurückweisen,    dass  man  daran  erinnerte, 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau. 


119 


die  Hornblende  sei  ein  Bisilicat,  der  Labrador-Feldspath  ein 
Sesquisilicat;  der  Periklin  hingegen  allerdings  ein  Trisilicat, 
aber  der  Granat  ein  Singulosilicat  und  der  Pistizit  ein  noch 
tiefer  stehendes  Silicat^  und  dass  aus  einem  Gemenge  von  viel 
Bisilicat  mit  wenig  Sesquisilicat,  nicht  ein  Gemenge  von  viel 
Singulosilicat  mit  wenig  Trisilicat  hervorgehen  könne,  ohne 
Entfernung  eines  Theils  der  Kieselsäure,  wenn  nicht  der  Thon- 
erde  in  der  Hornblende  eine  wesentlich  andere  Stellung  zukäme, 
als  in  den  übrigen  der  genannten  Silicate.  Nimmt  man  deshalb 
aus  den  beiden  Analysen  (s.  §.  20)  der  dunkeln,  Amphibolit- 
ähnlichen  Labrador-Diorite,  welche  denjenigen,  deren  Umwand- 
lungen vorliegen,  jedenfalls  sehr  nahe  stehen,  das  arithmetische 
Mittel  und  berechnet  daraus  den  Sauerstoff-Gehalt  und  das 
Sauerstoff -Yerhältniss,  so  findet  man: 


Procente 


Sauerstoff- 


Gehalt 


Verhaltuiss 


Kieselsäure 

Eisenoxyd 

Thonerde 

Kalkerde 

Talkerde 

Natron 


49,81 

26,66 

16,53 

4,66 

14,91 

6,91 

9,09 

2,60 

6,49 

2,60 

2,79 

0,72 

1 

0,17 
0,26 
0,10 
0,10 
0,03 


0,66 


Der  dunkle  Labrador-Diorit  stellt  also  im 
Ganzen,  wenn  man  die  Thonerde  als  Basis  in  Kechnung  zieht, 
ein  Sesquisilicat  dar. 

Nun  kann  allerdings  ein  Sesquisilicat  geradezu  sich  spalten 
in  Singulosilicat  und  Trisilicat.  Dass  aber  eine  solche  Spal- 
tung im  vorliegenden  Falle  nicht  stattgefunden  hat,  ist  nicht 
zweifelhaft,  da  den  Spaltungsproducten  die  im  dunkeln  Labrador- 
Diorit  reichlich  vorhandene  Talkerde  fast  ganz  fehlt.  Mit  der 
Entfernung  der  Talkerde,  als  eines  ansehnlichen  Theils  der 
Basen  des  dunkeln  Labrador-Diorites,  steht  aber  die  Entfernung 
eines  Theiles  der  Kieselsäure  in  nothwendiger  Verbindung.  Sie 
wird  ja  auch  durch  die  eben  erwähnten  Quarz-Krystallisationen 
an  der  Grenze  zwischen  Labrador-Diorit  und  Granit  angezeigt. 
Während  die  Talkerde  in  den  Grenzgebilden  fehlt,  ist  die  Kalk- 
erde um  so  reichlicher  vorhanden,  nicht  nur  als  Bestandtheil  der 
Silicate,    sondern    auch    als  Carbonat.     Dieses  Vorwiegen    der 


A\ 


120  E.  B.  Schmid, 

Kalkerde  in  den  Contact-Bildungen,  namentlich  vor  der  Thon- 
erde,  findet  seine  einfachste  Erklärung  in  einer  Zufuhr  derselben 
durch  das  bei  den  Contact-Bildungen  offenbar  thätig  gewesene 
Wasser. 


§.  47.    Durchbrach  des  Quarz-Porphyrs  durch  Labrador- 

Dlorlt  und  Granit 


Obgleich  die  Grenzen  des  Quarz-Porphyrs,  so  wie  sie  auf 
der  Karte  aufgezeichnet  sind,  nur  innerhalb  eines  Spielraums 
von  wenigen  Schritten  unsicher  sind,  so  fand  ich  sie  doch  an 
keiner  Stelle  so  entblösst,  dass  ich  von  Gtenz-Bildungen  oder 
Oontact-Erscheinungen  reden  könnte.  Wenn  der  grobkörnige 
Voigtit-Granit  knapp  zur  Seite  des  Quarz-Porphyrs  auf  dem 
Gipfel  des  Ehrenbergs  am  grobkörnigsten  ist,  so  hat  das  noch 
keine  nothwendige  Beziehung  zu  der  Eruption  des  Porphyrs, 
sondern  kann  auch  eine  Gesteins-Entwickelung  sein,  welche  in 
dem  viele  Labrador-Diorit-Stücke  einschliessenden  und  sich 
apophytisch  in  den  Labrador-Diorit  vertheilenden  Granit-Keile 
schon  vollzogen  war,  ehe  der  Quarz-Porphyr  sich  dazwischen 
eindrängte. 

In  überraschender  Weise  steht  der  Granit  auf  der  Gipfel- 
fläche des  Ehrenbergs  in  einer  offenbar  künstlichen  Vertiefung 
an,  welche  zwar  der  westlichen  Grenze  des  Quarz-Porphyrs  und 
Granites  sehr  nahe,  aber  dennoch  vom  letzten  noch  durch  einen 
schmalen  Streif  des  ersten  getrennt  ist,  —  wenigstens  nach 
meinen  Untersuchungen  der  auf  der  Boden-Oberfläche  zersreuten 
Brocken.  Ich  muss  diesen  Granit  für  einen  Einschluss  im 
Porphyr  halten.  Ueber  diesen  Granit  lässt  sich  nichts  weiter 
sagen,  als  dass  er  sehr  mürbe,  ja  fast  zu  Gruss  zerfallen  ist. 
Schon  zu  Voigt's^)  Zeiten  bestand  diese  Vertiefung;  von  ihm 
wurde  sie  unbedenklich  für  einen  alten  Schacht  genommen.  Zu 
welchem  Zwecke  derselbe  abgeteuft  worden  sei,  war  ihm  uner- 
findlich ;  er  meinte,  darin  eine  der  vielen  zwecklosen  Bergbauten 
zu  erkennen,  die  früher  namentlich  von  Eigenlöhnern  so  häufig 
am  Thüringer  Walde  unternommen  sind. 


^)  Voigt,  Mineralogische  und  bergmännische  Abhandlangen.  Leipzig  1789. 
S.  28. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau.  121 


§.  48.    Schlnss. 


Wie  am  Ehrenberge,  so  ist  auch  über  den  ganzen 
Rücken  des  Thüringer  Waldes  die  azoische  Grau- 
wacke  das  älteste,  der  Quarz-Porphyr  das  jüngste 
Gestein.  Der  Bildungszeitraum  des  ersten  und  letzten  fallen 
also  zusammen.  Nur  die  untere  Ponnation  der  Dyas,  das  Roth- 
liegende  ,  deren  Absatz  mit  der  Eruption  des  Quarz-Porphyrs 
gleichzeitig  erfolgte,  geht  in  den  Bau  des  Thüringer  Waldes 
ein;  die  obere  Formation  hingegen,  der  Zechstein  lagert  sich 
nur  an  den  Fuss  an,  indem  er  entweder  durch  Hebung  nach 
aufwärts  gebogen,  oder  durch  eine  Verwerfungs-Kluft  getrennt 
ist.  Das  letzte  Anlagerungs  -  Verhä^tniss  gilt  für  den  nörd- 
lichen und  nordwestlichen  Fuss  des  Ehrenbergs.  Hier  ist  durch 
die  Verwerfung  nicht  blos  oberer  Zechstein,  sondern  auch  mitt- 
lerer Buntsandstein  in  gleiches  Niveau  gebracht  mit  azoischer 
Grauwacke  und  Quarz-Porphyr. 

Gewöhnlich  folgen  die  Flussauen  am  Fusse  des  Thüringer 
Waldgebirges  auf  längere  Strecken  diesen  mit  Verwerfungen 
in  Verbindung  stehenden  Grenzen,  indem  sie  ihr  Bett  nach 
der  Seite  der  minder  widerstandfähigen  jüngeren  Sediment- 
Gesteine  ausbreiten.  Die  Dm  macht  davon  am  Ehrenberge  eine 
Ausnahme.  Sie  fliesst  zwischen  dem  Thüringer  Waldgebirge 
und  dem  abgetrennten  Vorsprung  des  Ehrenbergs  hindurch. 
Diesem  Durchfluss  muss  eine  schon  frühe  vorhandene  Kluft  be- 
sonders günstig  gewesen  sein.  Wie  tief  diese  hinabreichte,  wie 
weit  sie  klaffte,  darüber  liegt  kein  Aufschluss  vor.  Um  auf- 
wärts setzt  sie  sich  zwar  nicht  fort,  kann  aber  wohl  mit  dem 
jähen  Aufsteigen  des  Rothliegenden  zur  linken  Seite  der  um  in 
Zusammenhang  ge\2racht  werden. 


ErklKrnnr  der  AbbUdnnren  auf  Taf.  IV.  n.  V. 

Schwarz  entspricht  dem  Upakea;  bo  erscheinen  also  fast  alle  EiseDsrze. 
Die  Farben  alod  nicht  gaoz  naturgetreu,  sonilern  geben  blos  eine  Aniüberung 
an  die  Natur,  welche  die  Uiiturscheidang  der  Arten  erleichtern  soll.  Die 
grüne  Farbe  gehört  der  Hornblende  und  dem  ^stazit,  die  braune  den  blät- 
terigen und  faserigen  Mineralien,  welche  sich  an  die  Hornblende  anschliesfen 
die  rottk-gelbe  dem  Titanit  und  Granat. 

Fi(;.  I,  Taf.  IV.  l>abrador- Diorit;  Gang  bu  der  Spinnerei,  Vergr.  9  mal. 
Entwickelang  der  Hornblende  vom  KrystalloidischeD  bii 
zum  Tollkoiamen  Krystallisirten. 

Fig,  2.  Taf.  IV.  UunklerLBlA^dor-Diorit(Amphibolitscliiefer);  südwestlicher 
Abbang  des  Blirenbergs,  Vergr.  9Q  mal.  Hornblende  in 
krystallotdiBchen  Schuppen  und  in  krystalliniachen  Lasten; 
die  letzten  mitunter  gebogen;  kleine  Krümchen  von  titan- 
haltjgem  Eisenglanze  eingestreut;  tiabrador-Feldspath  ata 
Ausfüllung,  durch  die  Zeichnung  nur  angedeutet. 

Fig.  3.  Taf.  IV.  Krystalloidiscbe  Schuppe  von  Hornblende.  Vergr.  600  mal 
Labrador-Diorit  der  Schwarzfabrik. 

Fig.  i.    Taf.  IV.  Dieselbe.  Vergr.  250  mal;  ebendaher. 

F^g.  5.    Taf.  IV.  IKeselbe.  Vergr.  SfiO  mal,  ebendaher. 

Fig.  6.  Taf.  IV.  Labrador-Üiorit;  Gang  bei  der  Spinaerei.  Vei^.  82  mal. 
Hornblende.  Hornblende  in  blätterigen  KrjBtallen,  in  Büscheln, 
Btrahligen  und  verfilzten  Aggregaten.  Labrador-Feldspath, 
stark  getrübt      Titanhaltigcr  Eisengliinz.     Faseriges  Sili(;Bt. 

Fig.  7.  Taf.  IV.  Hornblende.  Aggregat  krystalloidi scher  Svhiippeu.  Vergr. 
fo  mal.     Labrador'Diorit  der  Spionerei. 

Fif;.  «.  Taf.  IV.  Cavernen  in  der  Hornblende,  parallel  und  quer  zn  den 
Blatterdurcbgüngen.  Verg.  SOO  mal.  Labrador-Diorit  ober- 
halb der  Schneidern  üble. 

Fig.  9.  Taf.  IV.  Dunkler  Labrador-Diorit  (Aniphibolitl.  Südwestlicher  Ab- 
hang des  Ehrenbergs.  Vergr.  !•«  mal.  Titanhalliger  Eisen- 
glanz. Blätteriges  Silicat.  Hornblende  krystalüsirt.  1>abradot- 
'  Fcldspah  als  Anarüilung  der  Zwischenräume   durch  Zeich- 

nung nicht  weiter  ansgeführt. 

Fig.  10.  Taf.  IV.  Ijabrador-Diorit  oberhiilb  der  Spinnerei  Vergr.  IBO  mal. 
Titanhaitiger  Bisenglanz.  Glasiges  Mineral.  Hornblende 
und  Labrador-Feldspath  durch  Zeichnung  nicht  weiter  auo- 
geführt. 

Fig.  1 1.  Taf.  IV.  Grobkörniger  Labrador-Diorit  bä  der  Herrenmithte.  Vergr. 
14  mal.  Labrador-Felds patb  deutlich  krystallisirt;  Vielling. 
Hornblende  deutlich  krystalliairl  und  blätterig. 


Der  Ehrenberg  bei  Ilmenaa.  123 

Fig.  12.  Taf.  IV.  Cavemen  mit  feststehenden  Libellen  im  Labrador-Feldspath. 

Vergr.  350  mal.    Labrador-Diorit  der  Schwärzfabrik. 

Fig.  13.  Taf.  IV.  Hyacinthrothe  Flecke  von  Eisenozyd,  Einschlüsse  im  Labra- 
dor-Feldspath. Vergr.  350  mal.  Labrador-Diorit  bei?;der 
Schwärzfabrik. 

Fig.  14.  Taf.    V.  Labrador-Diorit  bei  der  Spinnerei  Vergr.  29  mal.    Titanit 

in  negativen  Krystall-Formen.  Hornblende  in  Fächer-  und 
Stem-förmigpn  Krystall- Aggregaten.  Labrador-Feldspath. 
Titanhaitiger  Eisenglanz. 

Fig.  16.  Taf.  IV.  Titenit,    negativer  Krystell.     Vergr.  92  mal.     Labarador- 

Diorit  bei  der  SpinnereL 

Fig.  16.  Taf.  V.  Labrador-Diorit  bei  der  Spinnerei.  Vergr.  350  mal.  Horn- 
blende, blätterig;  dunkle  Einschlüsse  längs  der  Blätter- 
Durchgänge.  Quarz  mit  vielen  Cavemen  und  Hornblende- 
Einschlüssen.    Fetzen  von  Rotheisenerz. 

Flg.  17.  Taf.  IV.  Cavemen  mit  feststehenden  Libellen  im  Quarz  des  Labrador- 

Diorites  bei  der  Spinnerei.    Vergr.  220  mal. 

Fig.  18.  Taf.  IV.  Hornblende;  leistenförmige  Krystalle.  Vergr.  250  mal.  Granit 

der  Saigerhütte. 

Fig.  19.  Taf.  IV.  Hornblende;  krystalloidische Schollen  und  Schuppen.  Vergr. 

950  mal.    Granit  der  Saigerhütte. 

Flg.  20.  Taf.  IV.  Hexagonale  Säule.     Apatit?    Vergr.  150  mal.    Granit  der 

Saigerhütte. 

Fig.  91.  Taf.  IV.  Hexagonale  Säule.    Apatit?    Vergr.  950  mal.    Granit  der 

Saigerhütte. 

Fig.  29.  Taf.  IV.  Hexagonale  Säule.     Apatit?    Vergr.    150  mal.    Granit  der 

Saigerhütte. 

Fig.  23.  Taf.    V.  Schriftgranit   mit  Voigtit.     Vergr.    11»/«  mal.     Westlicher 

Abhang  des  Ehrenbergs.  Feldspathe,  sehr  deutlich  blät- 
terig, meist  trüber  Quarz  in  demselben,  nicht  ausgeführt. 
Voigtit* 

Fig.  94.  Taf.    V.  Eisenerz.    Vergr.  250  mal.    Gestreifter  Quarz-Porphjr  vom 

Fusse  des  Tragbergs. 

Fig.  25.  Taf.    V.  Dasselbe.    Ebenso.    Von  ebendaher. 

Fig.  96.  Taf.    V.  Dasselbe.    Ebenso.    Von  ebendaher. 

Fig.  97.  Taf.    V.  Dasselbe.    Ebenso.    Von  ebendaher. 

Fig.  28.  Taf.    V.  Schlauchförmige    Einstülpung    von   Grundmasse    in    einem 

Quarz-Krystall  mit  ansitzenden  Krystnllnadeln.  Vergr.  250 
mal.    Gestreifter  Quarz-Porphyr  am  Fusse  des  Tragbergs. 

Fig.  29.  Taf     V.  Orthoklas.    Zwilling  nach   dem  Ba?enoer  Gesetze.    Vergr. 

60  mal.  Gestreifter  Quarz-Porphyr  am  Fusse  des  Tragbergs. 

Fig.  SO.  Taf.    V.  Wirtel  von  Krystall-N adeln.    Vergr.  350  mal.    Geflossener 

Quarz-Porphyr.  Kuppe  des  Ehrenbergs. 

Fig.  31.  Taf.  V.   KrysUllinische    (Feldspath-?)    Scholle      Vergr.    350    mal. 

Quarzitbcher  Quarz- Porphyr.    Kuppe  des  Ehrenbergs. 

Fig.  89.  Taf.    V.  Krystall -Nadeln,    strahlig    aggregirt.     Vergr.    350     mal. 

Quarzitischer  Quarz-Porphyr.    Kuppe  des  Ehrenbergs. 

Fig.  33.  Taf.    V.  Krystall-Nadeln ,  einzeln   mit  klino-rhombischer  Endigung. 

Vergr.  500  mal.    Ebendaher. 


124  E.  E.  Schmid,  Der  Ehrenberg  bei  Ilmenau. 

Fig.  34.  Taf.   V.   Krystall-Nadeln  gebogen.    Vergr.  500  mal.    Ebendaher. 

Fig.  35.  Taf.   V.   Krystall-Nadeln  gebogen.    Vergr.  350  mal.    Ebendaher. 

Fig.  36.  Taf.  V.  Krystall,  wenig  durchscheinend.  Vergr.  350  mal.  Ebendaher. 

Fig.  37.  Taf.    V.    Klinorhomb.    Krystalle.    Vergr.  350  mal.    Ebendaher. 

Fig.  38.  Taf.  V.   Uexagonale  Säulen.   Vergr.  360  mal.    Ebendaher. 

Fig.  39.  Taf.   V.  Labrador -Dtorit-Einschluss  in   Granit    Verkleinerung  Vjo* 

Südlicher  Abhang  des  Ehrenbergs. 

Fig.  40.  Taf    V.  Granit  -  Apophyse  im   Labrador -Diorit.  Verkleinerung  y^^ 

Südlicher  Abhang  des  Ehrenbergs. 

Fig.  41.  Taf.   V.  Grenze  zwischen  dunkelm  Labrador-Diorit  (Amphibolit)  und 

Granit.    Vergr.  14  mal.    Südlicher  Abhang  des  Ehrenbergs. 

Fig.  42.  Taf.  V.  Augit?  aus  dem  Granit  nahe  der  Grenze  gegen  den  Labrador- 
Diorit.    Vergr.  75  mal.    Südlicher  Abhang  des  Bhrenbergs. 

Fig.  43.  Taf.  V.   Graugrünes  aphanitisches  Gestein  an  der  Grenze  zwischen 

Labrador-Diorit  und  Granit.  Vergr.  120  mal.  Südlicher 
Abhang  des  Ehrenbergs.  Krystalloi'dc  und  Krystallite  von 
Granat  und  Fistazit. 


^enaische  Zeilsehnftßd  X 


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Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten. 

Eine  akademische  Preisschrift 

von 

Dr.  Paul  IHayer  in  JFena. 

Hiem  Tafel  VI  n.  VI  a,  b,  e. 

yyLorsqne  le  rapprochement  gön^rique  des  insectes,  fondä  snr 
rötnde  des  caractöres  extörienrs,  se  tronve  confinn6  par  le  genre 
de  viC;  les  mötamorphoses  et  l'anatomie,  on  peut  dire  que  la 
Classification  est  vöritablement  naturelle/'  Dieser  Ausspruch  ^)  des 
eifrigsten  aller  Entomotomen  bedarf  nur  eines  kleinen  Zusatzes, 
um  auch  heute,  also  nach  über  dreissig  Jahren,  noch  gültig  zu 
sein,  ja  eigentlich  jetzt  wieder  zu  Ehren  zu  kommen.  Wenn  näm- 
lich Dufour  die  Embryologie  ganz  mit  Stillschweigen  übergeht, 
so  lag  es  einfach  daran,  dass  zu  der  damaligen  Zeit  eben  erst 
durch  Eölliker  der  Versuch  gemacht  wurde,  dieses  bis  dahin  für 
die  Insekten  so  gut  wie  unbearbeitete  Feld  in  Angriff  zu  nehmen. 
Die  Resultate  seiner  Arbeit  waren  daher,  so  bedeutend  sie  auch 
an  und  für  sich  sein  mochten,  nicht  dazu  angethan,  auf  die  funda- 
mentale Wichtigkeit,  welche  ihnen  noch  zu  Theil  werden  sollte, 
auch  nur  hinzuweisen.  Heute  zu  Tage  verfällt  man  nun  wohl  in 
den  entgegengesetzten  Fehler:  man  classificirt,  ohne  sich  um  die 
reife  Form  gross  zu  kümmern,  einzig  und  allein  nach  dem  Modus 
der  Entwicklung  im  Eie.  So  spricht  sich  z.  B.  Salensky ')  dahin 
ans :  „Wenn  das  phylogenetische  Grundgesetz  richtig  ist,  so  muss 
die  Verwandtschaft  der  Thiere  erst  aus  der  Ontogenie  aufgefunden 


')  Annal.  Scienc.  natnr.  Zool.  1843.  I.  290. 

*)  Bemerkungen  über  Haeckers  Gastraeatheorie.    Troschers  Archiv  1874. 
XI.  1  pag.  137  ff. 


126  Paul  Mayer, 

werden,  sonst  ist  der  Begriff  der  Verwandtschaft ....  eine  vor- 
gefasste  Meinung'^  (p.  173),  parallelisirt  darauf  hin  die  Entwick- 
lung der  Ascidie  mit  der  des  Hydrophilus  ,, .  r, .  bei  den  Insekten 
entsteht  ebenfalls  dieselbe  Blase^  die  sich  nur  dadurch  von  der 
ersten  unterscheidet;  dass  sie  mit  Dotter  erftUIt  ist''  (p.  164)  und 
formt  darnach  die  Verwandtschaftsbezeichnungen  zwischen  diver- 
genten Thierklassen.  Hierbei  überträgt  er  noch  ohne  Weiteres 
die  am  Hydrophilus  beobachteten  Erscheinungen  auf  alle  Insekten, 
obwohl  er  die  Störung  der  Entwicklung  durch  den  Nahrungsdotter 
in  thesl  anerkennt  und  daher  eine  ^^Blase^^  mit  demselben  nicht 
mit  einer  ohne  solchen  Inhalt  hätte  vergleichen  dürfen.  Dem 
gegenüber  ist  es  vielleicht  nicht  überflüssig,  wenn  ich  auseinander* 
setze,  in  welcher  Weise  meiner  Ansicht  zufolge  bei  phylogene- 
tischen Untersuchungen  die  einzelnen  Urkunden,  welche  uns  zu 
Gebote  stehen,  zu  verwerthen  sein  werden.  In  erster  Linie  wichtig 
ist  theoretisch  ohne  Zweifel  die  Palaeontologie,  mit  deren 
Besultaten  wir  uns  so  wenig  wie  möglich  und  überhaupt  nur  dann 
in  Widerspruch  setzen  dürfen,  wenn  gute  Gründe  fUr  den  Glauben 
vorliegen,  die  Differenz  werde  bei  genauerer  Kenntniss  der  Ver- 
steinerungen von  selbst  schwinden.  In  der  Praxis  freilich  gestaltet 
sich  eben  wegen  der  UnvoUkommenheit  des  uns  überlieferten 
Materials,  sowie  die  ältesten  Schichten  in  Frage  kommen,  die 
Sache  dahin,  dass  wir  die  Palaeontologie  einstweilen  nur  zur 
Bestätigung  der  auf  anderem  Wege  ermittelten  Sätze  verwenden 
können.  Zur  Abstrahirung  dieser  Sätze  dient  aber  vor  allem  die 
Systematik  s.  Str.,  welche  die  reichste  und  bei  richtiger  An- 
wendung auch  die  zuverlässigste  der  zu  unserer  VerfHgung  stehenden 
Notizeusammlungen  ist.  Bisher  ist  sie  zwar  vielfach  nur  als 
Schlüssel  zum  Bestimmen  der  einzelnen  Thiere,  also  zu  einem 
eminent  praktischen  Zwecke  verwendet  worden,  hat  aber,  da  sie 
hierzu  vorwiegend  scheinbar  unbedeutende  Merkmale  in  den  Vor- 
dergrund schob,  eine  Menge  werthvoUer  Angaben  geliefert  Hätten 
die  Systematiker  von  Fach  ausschliesslich  dieses  Verfahren  ge- 
wählt, d.  h.  blos  solche  Theile  des  Insektenkörpers  berücksichtigt, 
welche  als  für  den  Organismus  unerheblich  der  Anpassung  wenig 
oder  gar  nicht  erlagen  und  sich  oonstant  forterbten,  so  würden 
wir  die  Aufstellung  des  Stammbaumes  bei  weitem  leichter  finden, 
als  jetzt,  wo  sie  ohne  bestimmtes  Princip  bald  mehr  die  Ver- 
erbungs-,  bald  mehr  die  Anpassungsmomente  zu  Hülfe  nehmen. 
Diese  letzteren  zeigen  uns  eben  nur  an,  bis  zu  welchem  Grade  die 
Differenzirung  des  Insektenkörpers  von  einer  Grundform  aus  nach 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekteii.  127 

allen  irgendwie  zulässigen  Bichtnngen  gediehen  ist,  und  geben; 
am  einen  bekannten  Vergleich  anzuwenden,  ein  Bild  der  feinsten 
Veizweigungen  des  Baumes  zugleich  mit  der  absoluten  Höhe  der« 
selben  ttber  dem  Erdboden ;  den  Ort  der  Vereinigung  eben  dieser 
Zweige  zu  einem  Aste  und  dem  Insertionspunkt  der  letzteren  am 
Stamme,  die  relative  Höhe  also,  bestimmen  wiederum  nur  die 
Gonstanzmerkmale.  Sind  nun,  weil  die  exclusive  Systematik  sich 
hinüber  keine  Rechenschaft  abgelegt  hat,  bei  manchen  Klassen 
die  einen,  bei  manchen  die  andern  vorzugsweise  benutzt  worden, 
so  liegt  auf  der  Hand,  dass  auch  diese  Discipiin,  welche  doch 
von  jeher  am  eifrigsten  gepflegt  worden,  in  ihrem  Materiale  grosse 
Lttcken  aufzuweisen  hat.  6ik  aber  eine  solche  ungleiche  Behand- 
lungsweise  der  einzelnen  Gruppen  und  die  hiermit  verbundene 
Dürftigkeit  der  vorliegenden  Notizen  bereits  von  der  Systematik, 
so  ist  das  in  noch  weit  höherem  Maasse  mit  der  Anatomie 
der  Fall,  deren  Ergebnisse  natürlich  nur  selten  bei  der  Aufstel- 
lung des  Systems  verwendet  worden  sind.  Noch  mehr :  die  Quelle 
unserer  entomotomi^chen  Kenntnisse  rinnt  nicht  nur  äusserst 
spärlich,  sie  rinnt  auch  trübe  und  ist  nur,  wenn  sie  vorher  das 
Filter  der  Kritik  passirt  hat,  ftlr  unsere  Zwecke  dienlich.  Wir 
brauchen  blos  zu  bedenken,  dass  wirklich  umfassende  Arbeiten 
bisher  eigentlich  fast  nur  von  L^n  Dufour  gemacht  worden  sind, 
dessen  Hauptthätigkeit  in  das  dritte,  vierte  und  fünfte  Decennium 
unseres  Jahrhunderts  fiel  und  dessen  Methode,  unter  Wasser  zu 
seoiren,  bei  feineren  Objecten  ohne  Weiteres  zu  Irrthümem  führen 
musste,  die,  wie  ich  später  zeigen  werde,  oft  genug  noch  jetzt 
nicht  ausgerottet  sind.  So  bemerkt  ganz  richtig  Schiödte  ^)  bei 
Gelegenheit  seiner  Untersuchungen  ttber  die  Stigmen  der  Rhyn- 
chota:  „It  is  of  still  les  use  to  consult  the  general  manuals  in 
eomparative  anatomy,  as  all  they  contain  in  this  respect  concerning 
the  structure  of  Insecta  and  Articulata  in  general  is  a  confused 
mixture  of  a  little  that  is  true  and  a  great  mass  of  error.^'  So 
weit  wenigstens  meine  Kenntnisse  reichen,  muss  ich  diesen  Aus- 
Spruch  als  begründet  anerkennen. 

Die  Entwickelungsgeschichte  ist  selbstverständlich 
noch  ungenügender  bearbeitet  und  fordert  die  Kritik  bei  weitem 
mehr  heraus,  als  dies  schon  die  Anatomie  thut.  Indessen  auch 
ihr  principieller  Werth  bei  phylogenetischen  Untersuchungen 
ist   ein  durchaus  anderer.    Denken  wir  uns  zwei  Thierformen, 


'}  ÄDnals  and  magazine  of  natural  hiBtory.  4.  Ser.  VI.  1870.  p.  2B8. 


128  Paul  Mayer, 

welche  sich  bis  auf  anbedeutende  Einzelheiten  nahe  kommen  und 
im  System  unbedenklich  als  zwei  Arten  derselben  Gattung  auf- 
gefUhrt  werden;  so  kann  gleichwohl  die  Ontogenese  derselben 
äusserst  verschieden  sein.  Wollte  man  nun,  wie  dies  Salenskj 
vorhat;  auf  Grund  der  entwicklungsgeschichtlichen  Vorgänge  die 
Verwandtschaft  beider  Formen  als  Schein  betrachten  und  diese 
von  zwei  verschiedenen  Ausgangspunkten  ableiten,  so  wttrde  man 
zu  einer  hOchst  unwahrscheinlichen  Annahme  gedrängt  werden, 
dass  nämlich  die  Anpassung  in  beiden  Fällen  enorm  gewesen  sei 
und  in  gleichem  Sinne  gewirkt  habe,  um  zwei  in  ihren  Grund» 
formen  differente  Organismen  innerlich  und  äusserlich  fast  zur 
Uebereinstimmung  zu  bringen.  Ftthrt  aber  diese  Consequenz 
wegen  ihrer  Ungeheuerlichkeit  zur  Ablehnung  der  Salensky'schen 
Auffassung;  so  hat  auf  der  andern  Seite  die  Annahme;  dass  die 
Ontogenese  der  einen  Form  mehr  verkürzt  oder  verschoben  sei» 
als  die  der  andern;  nichts  Befremdendes;  da  solche  ;;Fälschungen^ 
nicht  nur  vorkommen  können;  sondern  auch  vorkommen  müssen; 
insofern  die  Entwicklungsstufen  selbst  ja  der  Anpassung  auch 
unterliegen.  Somit  wird  man  die  Ontogenie  nur  mit  Vorsicht  zu 
verwenden  haben  und  ihrer  zur  Feststellung  der  Verwandtschafts- 
beziehungen überhaupt  erst  in  zweiter  Linie  bedürfen. 

Mit  Rücksicht  anf  diese  Auseinandersetzungen  werde  ich  bei 
der  vorliegenden  Untersuchung  in  der  Art  verfahren;  dass  ich 
zunächst  vorzüglich  mit  Hülfe  der  Morphologie,  unter  welchem 
Begriffe  Anatomie  und  Systematik  zusammenfallen';  die  Gestalt 
des  Urinsekst  zu  ermitteln  suchC;  darauf  die  einzelnen  Gruppen, 
wie  sie.  die  heutige  Systematik  liefert;  auf  ihre  Zusammengehörig- 
keit prüfe  und  fUr  die  Glieder  einer  jeden  ebenfalls  eine  Stamm- 
form aufstelle;  um  sodann,  indem  ich  auf  die  Entwicklungs- 
geschichte eingehe;  diese  Stammformen  von  dem  Urinsekte 
abzuleiten.  Zum  Schlüsse  wird  dann  auch  dieses  seinen  Platz 
in  dem  natürlichen  Systeme  angewiesen  erhalten  müssen;  wozu 
wiederum  die  Entwicklungsgeschichte  befragt  werden  wird.  Die 
Unzulänglichkeit  der  einzelnen  Dokumente  bringt  es  aber  mit 
sich,  dass  weitaus  die  meisten  Behauptungen,  die  ich  aufzustellen 
habC;  eines  unumstösslichen  Beweises  entbehren  und  oft  genug 
nur  vermuthungsweise  vorgebracht  werden  können.  Trotz  dieser 
manchmal  recht  bedeutenden  Unsicherheit,  über  deren  Grösse  ich 
mir  selbst  nicht  im  Zweifel  bin,  glaube  ich  doch  den  Versuch  zur 
Aufstellung  eines  Stammbaumes  der  Insekten  wagen  zu  dürfen, 
da  er  selbst  dann,  wenn  er  sich  als  theilweise  unhaltbar  erweisen 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  129 

sollte I  in  den  Untereucbangen ,  welche  er  zu  seiner  Widerlegung 
herTormfen  muss^  für  unsere  Eenntniss  and  wissenschafüiche 
Auffassung  einigen  Nutzen  haben  wird. 


I. 

Wenn  man  es  unternimmt,  die  Körperform,  welche  das  Ur- 
insekt  besass,  zu  reconstruireU;  so  muss  man  offenbar  von  den 
Imagines  ausgehen,  da  man  a  priori  nicht  wissen  kann,  wie  weit 
die  Gestalt  der  Larven  ursprünglich  oder  nachträglich  erworben 
ist  Ich  stelle  diesen  Satz  als  Fundament  der  nachfolgenden 
Untersuchung  an  deren  Spitze.  Di^enigen,  welche  vor  mir  die 
Phylogenie  der  Insekten  mehr  oder  weniger  eingehend  behandelt 
haben,  sind  über  allgemein  gehaltene  Betrachtungen  und  Ver- 
muthungen  deswegen  nicht  hinaus  gekommen,  weil  sie  ohne 
Weiteres  auch  die  Larven  mit  heranzogen  und  nun,  indem  sie 
ziemlich  willkürlich  bald  diese,  bald  jene  unter  ihnen  als  abge- 
ändert ausschieden,  zu  Folgerungen  gelangten,  welche  sich  bei 
genauerem  Zusehen  als  unhaltbar  erweisen  müssen.  Gerade  aber 
die  präcise  Fassung  des  Begriffes  Urinsekt  schafft  zunächst  einen 
festen  Punkt,  von  dem  sich  rückwärts  und  vorwärts  schauen  lässt 
Ich  definire  dieses  daher  ausdrücklich  als  den  Stammvater  sämmt- 
licher  Imagines,  keineswegs  aber  auch  sämmtlicher  Larven.  Das 
Protentomon  nun»  von  dem  alle  andere  ^)  Insekten  abzuleiten  sind, 
besass 

1)  einen  gegliederten  KOrper,  an  welchem  Kopf,  Thorax  und 
Abdomen  zu  unterscheiden  waren.  Der  Kopf  trug  ein  Paar  faden- 
förmige Antennen,  drei  Paar  Kiefer,  ein  Paar  zusammengesetzte 
Augen  [und  wahrscheinlich  drei  Ocellen].  Der  Thorax  bestand 
aus  drei  deutlich  getrennten  Metameren,  deren  jedes  einen  Yen- 
tralanhang  —  Bein  -^  und  mit  Ausnahme  des  ersten  auch  einen 
Dorsalanhang  —  Flügel  —  trug.  Das  Abdomen  hatte  11  unter  sich 
bomonome  Metamere.  Eine  Verschmelzung  einzelner  Segmente  hatte 
nicht  statt  [ebenso  wenig  aber  auch  eine  deutlich  ausgesprochene 
Lockerung  der  Verbindung  zwischen  Kopf  und  Thorax  oder 
zwischen  diesem  und  dem  Abdomen]. 

>)  Ich  schliesse  einstweilen  absichtlicli  die  Thysannra  von  der  Betrachtung 
aal  und  werde  lie  erst  am  Schlüsse  der  Arbeit  besprechen. 

Bd.  X,  N.  F.  m,  3.  9 


130  Pa»il  Mayer, 

2)  Die  äusserste  Schicht  des  Körpers  bildete  die  Chitindecke, 
welche  als  eioe  Abscheidüng  der  Epidermiszellen  auch  überall 
dort  sich  vorfand,  wo  echte  Epidermis  vorhanden  war.  Die  Mus- 
culatar  war,  wie  aus  dem  Vorhandensein  beweglicher  Anhänge 
hervorgeht;  schon  weit  differencirt.  Diese  Anhänge  waren  hohle, 
röhrenförmige  Fortsätze  der  Eörperwandnng ;  die  Flügel,  unter 
sich  gleichartig,  erschienen  als  dttnnC;  flachgedrückte  Blasen,  deren 
äusserste  Schicht  eine  homogene  Chitinlamelle  bildete.  Die  Beine 
waren  unter  sich  nahezu  gleichartig  und  bestanden  aus  den 
typischen  fünf  Abschnitten.  [Der  Tarsus  war  fttnfgliedrig ;  ob 
Klauen  und  Pulvillen  existirten,  ist  nicht  mit  Sicherheit  anzu- 
geben.] 

3)  Der  Darm  bestand  aus  dem  Magen  und  den  beiden  mit 
einer  chitinigen  Cuticula  versehenen  Einstülpungen  der  Epidermis : 
Mund-  und  Enddarm.  Der  Magen  besass  eine  einfache  Lage 
Verdauungszellen.  In  den  Munddarm  ergoss  sich  das  Secret  von 
einem  Paare  einfacher,  schlauchförmiger  Speicheldrüsen.  Eine 
Leber  fehlte.  In  den  Anfang  des  Enddarms  mündeten  zwei 
Paar  einfache,  schlauchförmige  Excretionsorgane,  die  sog.  vasa 
Malpighii. 

4)  Das  Nervensystem  wurde  von  einem  Schlundring  nebst 
3  Thoracal-  und  9  [vielleicht  11]  Abdominalganglien  gebildet, 
welche  durch  je  zwei  Längscommissuren  verbunden  waren. 

5)  Das  Herz  (Rückengefäss)  erstreckte  sich  mit  Flügelmuskeln 
und  Kammern  durch  das  Abdomen,  während  seine  Thoracalpartie 
eine  schlauchförmige  „aorta'^  bildete. 

6)  Die  Tracheen  waren  unmittelbar  unter  der  Epidermis  mit 
einem  Verschlussapparate  versehen  und  liefen  von  den  Stigmen 
aus  direct  zu  den  Organen  in  der  Körperhöhle,  während  eine 
geringe  Communication  der  einzelnen  Querstämme  durch  ein  Paar 
Längsstämme  hergestellt  wurde.  Stigmenlos  waren  Kopf  und 
Prothorax.  Die  zwei  Thoracalstigmen  besassen  einen  anderen 
Bau  als  die  Abdominalstigmen,  deren  9  [vielleicht  11]  vorhanden 
waren. 

7)  Ein  Fettkörper  füllte  einen  Theil  der  Leibeshöhle  aus ;  in 
den  Zwischenräumen  desselben  circulirte  Blut. 

8)  Das  Protentomon  war  gonochoristisch.  Die  Genitalien 
bestanden  aus  paarigen  Keim-  und  Anfangsdrüsen  und  einem 
unpaaren  Ausführgang.  Das  atrium  genitale  lag  zwischen  dem 
8.  und  9.  Ventralringe  des  Abdomens. 

9)  Primäre  sexuelle  Charactere  existirten  in  Gestalt  eines 


Üeber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten«         '  131 

chitiniflirten  Penis  beim  Männchen  und  einer  chitinisirten  Scheide 
beim  Weibchen;  secundäre  fehlten  wahrscheinlich  durchaus. 

An  diese  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Merkmale,  welche 
das  Protentomon  auszeichnen ,  wird  sich  jetzt  der  Nachweis  fär 
die  Richtigkeit  derselben  zu  schliessen  haben.  *)  Ich  beginne 
ausser  der  Beihe  mit  dem  einzigen  Punkte  von  principieller  Be- 
deutung, mit  der  Frage  nach  dem  Zustande  der  Athmungsorgane 
bei  dem  Protentomon  (Nr.  6).  Indem  ich  behaupte,  Tracheen  und 
Stigmen  seien  bereits  bei  dem  Stamminsekte  vorhanden  gewesen, 
setze  ich  mich  in  schroffen  Gegensatz  zu  den  Ausführungen 
Gegenbaur^s  und  Packard's,  und  muss  daher  meinen  Standpunkt 
eingehend  zu  rechtfertigen  suchen. 

Da,  wie  bekannt,  weitaus  die  meisten  Insekten  Tracheen  und 
Stigmen  besitzen,  so  sind  von  vorneherein,  um  das  Fehlen  der- 
selben bei  dem  verschwindend  kleinen  Beste  zu  erklären,  zwei 
Möglichkeiten  gegeben :  entweder  ist  die  Form  der  Athmungs- 
organe, wie  sie  uns  die  Tracheenlosen  vorftihren,  die  ursprüngliche 
und  hat  durch  Differencirung  die  fast  allgemein  verbreitete  An- 
ordnung hervorgerufen  —  oder  aber,  sie  ist  durch  Verkümmerung 
aus  dem  Zustande,  welchen  die  grosse  Mehrzahl  darbietet,  ab- 
leitbar. Für  den  ersteren  Weg  hat  sich  Packard  (und  mit  ihm 
Lubbock)  erklärt  und  lässt  daher  aus  diesen  und  anderen  Gründen 
die  Thysanura  als  die  dem  Protentomon  nächste  Klasse  gelten.  Zu 
seiner  Vertheidigung  zieht  Packard  das  Verhalten  des  Athmungs- 
apparates  bei  den  Insektenlarven  herbei  und  beruft  sich  zugleich 
auf  Gegenbaur,  welcher  in  der  II.  Auflage  ^)  seiner  „Grundzüge 
der  vergleichenden  Anatomie^'  eine  fbrmliche  Theorie  dieser  Er- 
scheinung liefert  Dieser  ist  der  Ansicht,  die  Tracheen  dienten 
analog  der  Schwimmblase  der  Fische  ursprünglich  hydrostatischen 
Zwecken,  während  die  Bespiration  an  der  Eörperoberfläche  ge- 
schah. Die  Kiemen  waren  zunächst  indifferente,  vielleicht  als 
Gliedmaassen  auftretende  Anhänge  und  bei  der  Athmung  nicht 
mehr  betheiligt,  als  auch  die  übrige  Haut ;  später  erst  verbreiteten 
sich  von  den  beiden  Längsstämmen  aus  auch  in  sie  hinein  die 
Tracheen.  Die  Bildung  der  Stigmen  —  das  dritte  oder  auch 
vierte  Stadium  —    resultirte  aus  der  Anpassung  an  ein  neues 

')  Für  die  mit  einer  [  ]  versehenen  unerheblichen  Punkte  ei|^bt  er  sich 
später  im  Laufe  der  Untersuchung  von  selbst. 

')  Auch  in  dem  „Grundriss  der  vergl.  Anatomie^'  von  1874  wird  „das 
geschlossene  Tracheensystem  als  Vorläufer  des  offenen*'  betrachtet  (p.  313), 
wobei  ausdrücklich  auf  das  genannte  Werk  recurrirt  wird. 


132  Paul  Mayer, 

Medium,  die  Luft,  iudem  ^^unter  Aenderung  der  Lebensverhält« 
nisse ...  ein  Verlust  der  zu  Kiemen  umgewandelten  Anhänge  mit 
dem  ersten  Häutungsprocess  stattzufinden  haben  wird,  so  dass 
an  der  Austrittsstelle  des  zum  Eiemenblättchen  gelangenden 
Tracheenastes  eine  Oeffnung,  das  Stigma,  sich  vorfindet^'  (p.  441). 
Als  Beweis  ftlhrt  Gegenbanr  an,  wie  „die  Larven  der  Käfer^ 
Schmetterlinge,  Hymenopteren  und  die  mit  einem  Kopfe  versehenen 
Larven  der  Dipteren  am  Meso-  und  Metathorax,  also  an  jenen 
Metameren,  an  denen  später  Anhangsgebilde  entstehen^  keine 
Stigmata  besitzen^'  und  somit  „die  Flügel  Gebilde  sind,  welche 
an  der  Stelle  von  Traoheenkiemen  entstehen'^  (p.  442).  i)  Dann 
können  auch  die  Stigmen  als  „Narben  von  abgefallenen  Glied- 
maassen^'  gedeutet  werden. 

Indessen  dieser  Beweis,  auf  den  Gegenbanr  eingestandener- 
maassen  grosses  Gewicht  legt,  ist  neuerdings  von  W.  Rolph^) 
und  schon  vor  sehr  langer  Zeit  von  V.  Audouin^),  E.  Perris*) 
und  E.  Grube  ^)  widerlegt  worden.  Ersterer  gibt  an ,  dass  am 
Mesothorax  Stigmen  auftreten  bei  nieht  weniger  als  zwölf,  dar- 
unter mehreren  im  Wasser  lebenden,  Larven  von  Käfern  (denen 
ich  eine  13.,  die  von  Ergates,  hinzufüge).  Perris  sagt  das  Näm- 
liche mit  Bezug  auf  Strangalia  und  Audouin  weist  schon  1839 
unter  Anführung  von  Polistes  und  Odynerus  ausdrücklich  auf  die 
Unhaltbarkeit  der  Erklärung  der  Flügel  aus  den  Tracheenkiemen 
hin.  Auch  Grube  gibt  bei  Vespa  crabro  und  vulgaris  zehn  Stigmen 
an.  Bei  genaueren  Nachforschungen  wird  sich  zweifellos  die  Zahl  der 
mit  Mesothoracalstigmen  versehenen  Larven  als  viel  grösser  heraus- 
stellen.  Aber  auch  ganz  abgesehen  hiervon  leidet  die  Aufstellung 
Gegenbaur's  an  erheblichen  Mängeln.  Während  wir  die  Schwimm- 
blase der  Fische  als  eine  Ausbuchtung  aus  dem  Darme  entstehen 


^)  Als  Curiosum  erzäUt  Gerstäcker  (Zeitschr.  wiss.  Zool.  1874  p.  23Sadn.), 
wie  Plateau  (Stettiner  entomol.  Zeitg.  XXXII  33  Ü'.)  die  Flügel  sogar  als 
„des  stigmates  profondement  modifi^'^  ansehe.  „L*aile  est  un  stigmate  hjrper- 
trophi^^M  Derselbe  Plateau  behauptet  sogar,  bei  den  Imugines  fehlen  an 
Meso-  und  Metathorax  die  Stigmen. 

*)  Beitrag  zur  Kenntniss  einiger  Insektenlarven.  Troschel's  Archiv  1874. 
XL  l  p.  1-40. 

')  Sur  les  Odynöres.    Ann.  Sc.  nat  Zool.  1839  I  p.  109. 

*)  Observations  sur  quelques  larves  xylophages.  Annal.  Sa  nat.  ZooK 
1840  II  p.  81-96. 

*)  Fehlt  den  Wespen-  und  Hornissenlarven  ein  After  oder  nicht?  MüUer's 
Archiv  1849  p.  47—74.  Tab.  I. 


: 


Ueber  Ontogenie  uud  Fhylogenie  der  Insekten.  133 

lasseD;  schweben  die  hydrostatischen  Tracheen! ängsstämnie  gene- 
tisch ganz  in  der  Lnft,  da  ihr  Auftreten  mitten  im  Fettkörper  so 
ohne  Weiteres  sich  schwer  begreifen  lässt.  Grob-mechanisch  and 
darnm  zn  verwerfen  ist  femer  die  Narben theorie.  Der  Uebergang 
vom  Anfenthalt  im  Wasser  zn  dem  in  der  Luft  würde  von  den 
Insekten  phylogenetisch  jedenfalls  nicht  anders^  als  von  den  Verte* 
braten,  also  gradweise  bewerkstelligt  worden  sein^  so  dass  zuerst 
amphibiote  Formen  aufgetreten  wären;  hieraus  wäre  dann  ein 
allmähliches  Schwinden,  nicht  ein  plötzlicher  Verlust  der  Kiemen 
hervorgegangen,  ßei  der  ontogenetischen  Wiederholung  mttsste 
aber  dann  dem  Abwerfen  der  Larvenhaut  ein  Obliteriren  der  zu 
den  Kiemen  führenden  Tracheenäste  vorhergehen,  so  dass  an  ein 
Stigma  nicht  zu  denken  wäre. 

Etwas  anders  fasst  Packard  ^)  die  Sache  auf.  Er  nimmt  auch 
die  Hautathmang  an,  adoptirt  die  hydrostatischen  Tracheen,  lässt 
aber  darauf  bei  dem  grösseren  Bedürfnisse  nach  Luft  eine  Ver- 
bindung der  Tracheen  mit  der  Körperoberfläche  „by  a  minute 
branch  on  each  side  of  the  body  with  some  minute  pore . . .  trough 
the  skin^'  geschehen,  „which  finally  became  specialized  into  a  Stigma 
or  breathiBg  pore'  (p.  172).  Ein  weiteres  Eingehen  auf  seine 
Theorie,  welche  sich  im  Uebrigen  an  diejenige  Gegenbaur's  anlehnt, 
scheint  nicht  geboten  zu  sein.  Sehen  wir  lieber  zu,  ob  sich  nicht 
Besseres  ausfindig  machen  lässt,  und  befragen  wir  zu  dem  Behufe 
die  ontogenetischen  Arbeiten.  Kovalevsky  ^)  hat  am  Hydrophilus 
gezeigt,  dass  der  Embryo  bereits  sehr  früh  mit  deutlichen  Anlagen 
zn  7^)  Paar  Abdominalstigmen  verseben  ist,  während  bei  der 
Larve  nur  eins  am  Hinterleibsende  persistirt  und  functionirt.  Da 
nun  der  Embryo  als  solcher  von  seinen  Stigmen  keinen  Gebrauch 
machen  und  sie  demnach  nicht  durch  Anpassung  erworben  haben 
kann,  ganz  im  Gegentheil  sie  im  Verlaufe  der  Ontogenese  bis  auf 
eins  wieder  einbüsst,  so  zeigt  dies  Verhalten  auf  das  Deutlichste, 
wie  die  Stigmen  zu  den  ältesten  Einrichtungen  des  Insekten- 
körpers gehören.    Weil  wir  aber  in  der  Image  dieselben  Stigmen 


')  The  ancestry  of  insecte.  Chapter  XIII  of  „Oor  Common  Insects**  by 
A.  S.  Packard  jun.    Salem  Mass.  IS7«H. 

*)  Embryologische  Studien  von  Würmern  und  Arthropoden.  Mdm.  de 
l'acad.  d.  St.  P^tersbourg  XVI  1871  Nr.  13.  üydrophiluB  p.  81—44.  Apis 
p.  44—52. 

*)  Auf  Taf.  VIII  Fig.  10  befinden  sich  nicht  7,  sondern  9  Stigmata  an- 
gegeben ;  die  folgende  Abbildung  zeigt  sogar  1 1,  von  denen  die  beiden  ersten 
dem  Meso-  und  Methathorax  angehören! 


134  Paul  Mayer, 

wiederam  antreffen^  so  ist  der  Zustand  des  TracheeDsyst^ns  in  der 
Larve  ein  secundärer  and  nur  durch  Anpassung  an  das  Leben  im 
Wasser  entstanden.  Bei  Apis  ^)  finden  sich  an  fast  allen  Meta- 
meren  Stigmenanlagen  (und  zwar  das  erste  auf  der  Höhe  des 
2.  Rumpfsegmentes;  das  12.  und  13.  Segment  sind  davon  frei). 
Im  Uebrigen  sprechen  die  Sätze:  ^^Schon  ein  Eeimstreif  ohne 
jeden  deutlichen  Segmentanhang . . .  zeigt  die  Stigmata  in  der 
Zahl  von  10  Paaren,  der  definitiven  Zahl^^  (p.  536)  und:  ^^Ebenso 
wie  ich  nicht  zweifle,  dass  diese  10  Paar  Stigmata  gleichzeitig 
oder  doch  in  unwesentlichen  Zeitdi£ferenzen  angelegt  werden, 
ebenso  glaube  ich  auch,  dass  sich  die  Anlagen  der  Segment- 
anhänge an  sämmtlichen  Segmenten  fast  gleichzeitig  bilden'' 
(p.  537)  fOr  ein  sehr  frühes  und  gleichmässiges  Auftreten  der 
Stigmen.  Wir  dürfen  es  also  ahs  erwiesen  betrachten,  dass  die 
Stigmen  bereits  bei  sehr  alten  Formen  vorhanden  waren  und 
ontogenetisch  selbst  da  vorkommen,  wo  sie  nicht  direct  zur  Ver- 
wendimg gelangen.  ^)    Ferner  geht  die  Bildung  der  Tracheen  im 


>)  Zur  Entwicklangsgescbichte  der  Biene  von  O.  Bütschli.  Zeitschr.  wibs. 
ZooL  XX  p.  519—564.  Ich  folge  hier  der  DarsteUiing  Bütschli*8,  welche  sich 
durch  Genauigkeit  auszeichnet,  was  von  der  Arbeit  Kovalevsky's,  wenigstens 
mit  Bezug  auf  den  Text  derselben,  nicht  behauptet  werden  kann.  Die  übrigen 
embryologischen  Abhandlungen  berücksichtigen  die  Entstehung  der  einzelnen 
Organe  nicht,  mit  Ausnahme  der  Weismann'schen  Untersuchungen  an  Musca 
und  Chironomus.  Bei  den  Dipteren  liegen  aber,  wie  ich  weiter  unten  zeigen 
werde,  die  Verhältnisse  durchaus  anders,  auch  fehlt  jegliche  Andeutung  von 
Stigmen  am  Embryo,  so  dass  ich  hier  nicht  darauf  einzugehen  brauche. 

*)  Hierhin  sind  denn  auch  ohne  Zweifel  alle  die  Fälle  zn  rechnen,  in 
denen  man  bei  Larven  Stigmen  vorfindet,  welche  mit  den  Tracheenlängs- 
Stämmen  entweder  gar  nicht  oder  durch  einen  hohlen  Schlauch,  der  aber  mit  dem 
Lumen  der  Tracheen  nicht  communicirt,  in  Verbindung  stehen.  So  sieht  man 
bei  den  Raupen  der  Lepidoptercn  mehr  oder  weniger  deutlich  an  den  Stellen 
des  Meso-  und  Metathorax,  an  denen  der  Lage  nach  ein  Stigma  zu  erwarten 
ist,  eine  wie  ein  solches  geformte  und  nach  innen  ragende  Chitinlamelle; 
ähnlieh  verhält  es  sich  mit  den  Larven  vieler  Käfer,  so  dass  man  hieraus  den 
Schluss  ziehen  darf,  dass  am  Embryo  bereits  Stigmen  vorhanden  waren, 
welche  sich  später  (ähnlich  wie  bei  Hydrophilus)  schlössen  und  erst  während 
der  Verpuppung  für  ihre  Function  umgestaltet  werden.  Die  genauere  Kennt- 
niss  dieser  Verhältnisse  hat  für  die  Fhylogenie  sicher  bedeutenden  Werth,  da 
sie  uns  ein  Mittel  an  die  Hand  gibt,  den  Grad  der  Anpassung,  welche  die 
Larven  erlitten,  zu  bestimmen. 

Wollte  man  trotz  dieser  Angaben  hartnäckig  an  den  Längsstämmen  als 
Vorläufern  der  offenen  Tracheen  festhalten,  so  würde  man  bei  Hydrophilus 
und  Apis,  wie  überhaupt  in  allen  ähnlichen  Fällen  einen  völligen  Ausfall 
jenes  ersten  Stadiums  in  der  Ontogenese  annehmen  müssen;  um  aber  eine  so 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  135 

Embryo  von  Apis  und  Hydrophilns  von  den  Stigmenanlagen  aus, 
indem  diese  Hanteinstttlpungen  tiefer  werden^  sieh  zu  Röhren  ans- 
ziehen^  sich  verzweigen  und  auch  miteinander  verschmdzeo;  so  dass 
die  Längsstämme  entstehen.  Die  Einzelheiten^  namentlich  das 
ontogenetisch  frühe  Erscheinen  der  so  wichtigen  und  charakte- 
ristischen Längsstämme  y  werde  ich  später  berücksichtigen  und 
will  jetzt  nur  vorgreifend  bemerken,  dass  die  Tracheen  mit  der 
grössten  Wahrscheinlichkeit  als  Homologa  der  Segmeutalorgane 
der  Anneliden  zu  betrachten  sind.  Ist  dies  richtig;  so  ist  eine 
morphologische  (organologische)  Basis  für  sie  gefunden^  wie  sie 
die  Gegenbaur'sche  Theorie  vermissen  Hess;  aber  auch  wenn  das 
nicht  der  Fall  sein  sollte,  ist  doch  das  offene  Tracheensystem  mit 
möglichst  viel  Stigmen  als  der  Vorläufer  des  halb  offenen  (Hydro- 
philns- und  viele  andere  Larven)  anzusehen.  Das  geschlossene 
aber  in  seinen  zahlreichen  Modificationen  ist  aus  der  Anpassung 
der  Larven  an  das  Leben  im  Wasser  hervorgegangen  und  phylo- 
genetiBch  eine  sehr  junge  Erwerbung.  Das  gänzliche  Fehlen  der 
Tracheen,  wie  es  vielleicht  bei  einigen  Insekten  statthat,  erklärt 
sich  dann  leicht  aus  einer  Rückbildung,  welcher  dann  auch  noch 
andere  Organe  unterworfen  worden  sind,  zumal  bei  dem  kleinen, 
schmächtigen  Körper  eine  Hautathmung  leicht  den  Bedürfnissen 
des  Thieres  zu  genügen  vermag.  (Vergl.  weiter  unten  die  Hyme- 
noptera.)  Von  Interesse  wird  übrigens  sein,  was  Fritz  Müller,  der 
schon  so  viel  auf  dem  Gebiete  der  Phylogenie  geleistet,  über 
Flügel-  und  indirect  auch  Stigmen-Bildung  der  Insekten  beibringt. 
In  seiner  neuesten  Arbeit  ^)  liefert  er  eine  genaue  Darstellung  der 
anatomischen  Verhältnisse  von  Calotermeslarven  in  verschiedenen 
Stadien.  Die  jüngsten  Larven  tragen  an  den  Thoracalsegmenten 
flügeiförmige  Fortsätze,  welche  die  Gestalt  des  Körpers  ver- 
breitem ;  diese  sind  nicht  durch  Anpassung  erworben,  da  sie  für 
die  in  engen  Holzgängen  lebenden  Thierchen  nur  unbequem  sein 
können,  und  sind  somit  „von  Vorfahren  ererbt,  die  unter  andern 
äusseren  Verhältnissen  lebten'^  (p.  243).  Später  nun  bilden  sich 
während  mehrerer  Häutungen  die  Fortsätze  des  Prothorax  zurück, 


anwahncheinliche  Behauptung  zu  rechtfertigen,  müssen  wirklich  zwingende 
Gründe  vorhanden  sein,  an  denen  es  eben  durchaus  mangelt.  Von  einer  ab- 
soluten Gewissheit  wird  bei  phylogenetischen  Untersuchungen  wohl  nie  die 
Rede  sein  können,  wohl  aber  wird  man,  so  lange  eine  einfache  Erklärung 
ausreicht,  keine  complicirte  heranziehen  dürfen. 

')  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Termiten.  Jenaische  Zeitschr.  IX.  p.  241 — 264. 
Tab.  X-XIIL 


136  Paul  Mayer, 

die  des  Meso-  und  Metathorax  hingegen  werden  zu  Flügelansätzen. 
In  diese  wachsen  auch  schon  sehr  früh  Tracheen  hinein,  welche 
den  späteren  Flügelrippen  entsprechen.  Aus  diesen  seinen  Be- 
obachtungen zieht  nun  Fritz  Müller  den  Schluss:  „i)  Die  Flügel 
der  Insekten  sind  nicht  aus  ^^Tracheenkiemen'^  entstanden.  Die 
flügeiförmigen  Fortsätze  der  jüngsten  Larven  sind  gerade  die 
einzigen  Theile ,  denen  Luftröhren  gänzlich  fehlen  ...  2)  Die 
Flügel  der  Insekten  sind  entstanden  aus  seitlichen  Fortsätzen  der 
Rückenplatten  der  betreffenden  Seitenringe''  (p.  253). 

Die  übrigen  Behauptungen  in  Nr.  6  verstehen  sich;  wie  es 
scheinen  möchte,  nun  von  selbst  Haben  wir  nachgewiesen,  dass 
das  vollkommene  Tracheensystem  das  ursprünglichere  war,  so 
müssen  wir  auch  eine  Reihe  kleinerer  Angaben  in  den  Kauf 
nehmen,  welche  uns  die  jetzt  lebenden  Imagines  in  Bezug  auf 
das  Protentomon  vorführen.  So  wird  die  Verschiedenheit  der 
Thorax-  und  Abdominalstigmen  —  letztere  sind  meist  rund,  erstere 
meist  zweilippig  —  durch  die  differente  Ausbildung  der  betreffenden 
Segmente  nothwendig  und  findet  daher  ihren  vollgültigen  Beweis 
unter  Nr.  1;  ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Angabe  über  die 
Zahl  der  Hinterleibsstigmen. 

Dass  der  Kopf  stigmenlos  war,  dürfte  wohl  Niemand  be- 
streiten, aber  schon  der  Prothorax  kann  zu  Differenzen  Veranlas- 
sung geben,  wie  denn  auch  das  Thema  von  der  Anzahl  der 
Thoracalstigmen  überhaupt  vielfältig  und  stets  in  anderer  Weise 
und  mit  anderem  Resultate  behandelt  worden  ist.  Lägen  diese 
innerhalb  der  Segmente,  wie  die  Abdominalstigmen  es  thun,  so 
würde  natürlich  die  Frage,  ob  dem  Prothorax  ein  eigenes  Stigma 
angehöre,  gar  nicht  aufgeworfen  worden  sein;  die  Zweideutigkeit 
wird  eben  dadurch  veranlasst,  dass  sich  das  erste  und  zweite 
Stigmenpaar  in  der  weichen  Verbindungshaut  zwischen  dem  Pro- 
und  Mesothorax  resp.  dem  Meso-  und  Metathorax  befinden.  Dazu 
kommt  noch,  dass  das  3.  Paar,  zum  Theil  erst  in  neuerer  Zeit 
durch  Schiödte's  Untersuchungen  aufgefunden,  meist  an  einer 
wahrhaft  kritischen  Stelle  auftritt,  nämlich  da,  wo  das  Metanotum 
sich  mehr  oder  weniger  deutlich  von  dem  Rückentheile  des  Ab* 
domens  abgrenzt  und  das  erste  Tergit  in  der  Iroago  meist  nur 
rudimentär  als  das  sogenannte  segment  mödiaire  Latreille's  vor- 
kommt. Um  daher  eine  sichere  Entscheidung  treffen  zu  können, 
muss  man,  da  auch  das  Protentomon  schon  einen  vom  Hinterleib 
abgesetzten  Thorax  mit  Beinen  und  Flügeln  besass,  auf  frühere 
Entwickelungsstufen  zurückgehen,  in  denen  die  Körpersegmente 


Ueber  Ontogenie  and  Fhylogenie  der  Insekten.  137 

noch  nicht  heteronom  geworden  sind.  Hier  ersieht  man  nnn  ans 
den  Zeichnungen  Btttschli's  nnd  Kovalevsk/s ,  wie  die  Thorax- 
stigmen allerdings  ursprünglich  mitten  in  den  Segmenten  liegen 

• 

nnd  erst  im  weiteren  Verlaufe  der  Ontogenese  eine  Verschiebung 
erleiden.  Nun  ist  durchaus  kein  Grund  für  die  Annahme  vor- 
handen, diese  Lage  Veränderung  sei  nicht  bei  allen  Insekten  in 
dem  gleichen  Sinne  erfolgt,  vielmehr  ist,  weil  schon  das  Proten- 
tomon  die  fraglichen  Stigmen  nicht  mehr  auf  der  Höhe  der 
Segmente  tragen  konnte,  die  bei  diesem  eingetretene  Verschiebung 
fllr  alle  seine  Nachkommen  maassgebend  gewesen.  Es  sagt  aber 
Btttschli  ^)  mit  Rücksicht  auf  die  Biene  ausdrücklich :  „Die  erste 
Stigmentasche  entsteht  auf  der  Höhe  des  L\  Rumpfsegmcntes/^ 
also  is^  wie  Larve  und  Imago  von  Apis  beweisen,  das  betreffende 
Stigma  nach  vorne  gerückt.  Dieser  Vorgang  gilt  demnach  für 
alle  Insekten  ohne  Ausnahme,  so  dass  das  erste  Stigma  in  Wirk- 
lichkeit dem  Mesothorax  zugehört  In  dieser  rein  morphologischen 
Auffassung  darf  man  sich  durch  physiologische  Gründe  nicht  irre 
machen  lassen.  Wenn  also  Schiödte  zeigt,  dass  bei  den  Hymen- 
optera  eben  so  wohl  wie  bei  den  Goleoptera  und  den  Hemiptera 
das  dritte  Stigma  den  Metathorax  versorgt  und  in  seiner  Grösse 
und  der  Mächtigkeit  der  von  ihm  ausgehenden  Tracheen  mit  dem 
Grade  der  Entwicklung  der  Hinterflügel  correspondirt ,  so  ist 
hieraus  noch  keineswegs  zu  schliessen,  dass  nun  auch  dieses 
Stigma  wirklich  zum  Metathorax  zu  rechnen  sei.  Man  müsste  ja 
sonst  auch  das  erste  Stigma,  weil  es  Kopf  nnd  Prothorax  gleich- 
zeitig veiBorgt,  diesen  beiden  Abtheilungen  gemeinschaftlich  sein 
lassen  nnd  ebenso  das  letzte  Abdominalstigma  als  eine  Summe 
mehrerer  y  allmählich  eingegangener  Stigmen  betrachten.  Ein 
eigenthflmliches  Argument  führt  Gerstäcker  ^)  neuerdings  wieder 
vor.  Er  gibt  an,  bei  Nemura  seien  die  drei  Thoraxstigmen  „in 
ganz  normaler  Weise,  wie  es  bei  den  Insekten  die  allgemeine 
Regel  ist''  vorhanden,  und  meint  femer,  das  metathoracale,  ge- 
wöhnlich als  erstes  abdominales  bezeichnet,  finde  sich  „bei  allen 
Hymenopteris  apocritis,  bei  welchen  der  erste  Hinterleibsring  mit 
dem  Brustkasten  verschmilzt,  sogar  am  Thorax  selbst  vor.''  Offen- 
bar beweist  dies  Vorkommen  von  drei  Stigmenpaaren  in  vier 
Segmenten  gewiss  nicht,  was  Gerstäcker  will,  sondern  eher  das 


>)  1.  c,  p.  598. 

*)  lieber  das  Vorkommen  von  Tracheenkiemen  bei  aasgebildoten  Insekten. 
Zeitschr.  wiss.  ZooL  1874.  p.  204  ff. 


138  Paul  Mayer, 

Gegentheil ;  denn  falls  das  3.  Stigma  pur  in  einem  solch  abnormen 
Falle  der  Thoraxbildnng  am  Brustkasten  vorkommt^  so  gehört  es 
von  Hause  aus  nicht  zu  diesem^  sondern  zum  Abdomen. 

£in  TracheenverschlussappaVat  existirt  bei  allen  Insekten, 
welche  darauf  untersucht  worden  sind  ^),  darf  also  wohl  als  all- 
gemein vorkommend  oder  als  schon  bei  Protentomon  vorhanden 
angesehen  werden. 

Was  die  Gliederung  des  Körpers  in  der  unter  Nr.  1  ange- 
gebenen Weise  betri£ft;  so  ist  kein  Grund  vorhanden,  sie  dem 
Protentomon  abzusprechen.  ^)  Sie  kommt  allen  normalen  Insekten, 
d.  h.  solchen,  die  nicht  nachweisbar  abgeändert  oder  sogar  rück- 
gebildet  sind,  ohne  Ausnahme  zu.  Wie  aber  die  Ont(>genie  in 
einer  ganzen  Reihe  von  Fällen  nachweist,  ist  der  Kopf  aus  der 


')  Dies  hat  Fritz  MüUer  bei  seinen  Termeslarven  offenbar  nicht  gethan, 
wenigstens  erwähnt  er  eines  solchen  Apparates  dorchaus  nicht.  Und  doch 
scheint  er  auch  hier  nicht  zu  fehlen.  Müller  zeichnet  nämlich  eine  von  ihm 
„S-förmiges  Bohr^'  genannte  Ausbuchtung  gleich  am  Anfange  des  TVacheen- 
Stammes,  welche  „am  Hinterleibe  nirgends  zu  fehlen,  an  den  beiden  Paaren 
der  Brust  nirgends  vorzukommen  scheint,  so  wenig  wie  bei  Calotermes"  (1.  c 
p.  259).  Abbildung  und  Beschreibung,  so  wie  die  Angabe,  dass  dieses  „8- 
förmige  blinde  Bohr  fast  gar  nicht  weiter  wächst'*,  passen  vortrefflich  aof 
einen  Verschlusskegel,  wie  er  z.  B.  an  den  Abdominalstigmen  der  Hemiptera 
vorkommt)  so  dass  man,  auch  ohne  diese  Larven  untersucht  zu  haben,  mit 
ziemlicher  Grewissheit  einen  an  das  blinde  Bohr  sich  inserirenden  Verschluss- 
muskel  hinzufügen  darf.  Fritz  Müller  meint  nun:  „dasselbe  ist  ein  aus  ent- 
legener Vorzeit  vererbtes,  den  heutigen  Termiten  fast  oder  völlig  nutzloses 
Gebilde**,  und  hofft  bei  Erforschung  der  embryonalen  Entwicklung  würde  es 
vielleicht  „ein  Streiflicht  auf  den  Ursprung  der  Luftröhren  der  Insekten 
werfen**.  Wenngleich  nun  auch  das  Blindrohr  in  früheren  Perioden  der 
Phylogenese  eine  andere  Bedeutung  für  das  Thier  gehabt  haben  kann,  so 
ist  dies  mit  Bücksicht  auf  die  Function,  welche  es  gegenwärtig  wahrscheinlich 
erfüllt,  doch  nicht  eher  anzunehmen,  als  bis  die  Nutzlosigkeit  für  Larve  und 
Image  wirklich  nachgewiesen  worden  ist. 

*)  Beiläufig  erwähne  ich,  dass  Packard  in  einem  Artikel :  Observations  on 
the  development  and  position  of  the  Hymenoptera  (Annais  and  Magaz.  nat 
bist.  XVIII 1866.  p.  82  —  99)  den  Kopf  aus  sieben  Bingen  bestehen  lässt.  Und 
warum?  „As  in  the  thorax  there  are  three  rings  bearing  three  pairs  of  ap- 
pendages  or  legs,  it  follows  that  in  the  head,  where  there  are  seven  pairs  of 
appendages,  there  must  be  seven  rings**  (p.  92).  Zu  den  sieben  Paar  An- 
hängen rechnet  er  ausser  den  drei  Paar  Kauwerkzeugen  noch  die  Augen  und 
zwei  Paar  Ocellen,  indem  er  das  unpaare  ocellum  als  ein  aus  zweien  ver- 
schmolzenes ansieht.  Weshalb  aber  die  Augen  mit  aller  Gewalt  den  Füssen 
und  nicht  den  Flügeln  homodynam  sein  sollen,  ist  nicht  einzusehen;  eben  so 
wenig  lässt  sich  begreifen,  warum  nicht  für  den  Thorax  fünf  Binge  postulirt 
werden. 


Ueber  Ontogenie  und  Fhylogenie  der  Insekten.  139 

VeiBchmelzang  von  vier  Segmenten  entstanden,  deren  jedes  ein 
Paar  Anhänge  trag. ')  Die  Antennen  möchte  man  ihrer  Form  und 
Gliederung  znfolge  als  ventrale  Extremitäten  ansehen,  wenn  nicht 
die  Entwicklungsgeschichte  ihnen  einen  anderen,  seitlichen,  Ur- 
sprung anwiese.  Ohnehin  entscheidet  auch  die  Innervation  vom 
oberen  Schlundganglion  aus  ganz  positiv  gegen  die  Auffassung 
derselben  als  ventraler  Anhänge.  Die  Kiefer  sind  natürlich  auf 
Orund  der  ontogenetischen  Nachweise  als  modificirte  Beine  zu  be- 
trachten, wie  denn  auch  namentlich  das  zweite  Maxillenpaar  bei 
seinem  ersten  Auftreten  grössere  Aehnlicbkeit  mit  den  Locomotions- 
als  mit  den  Kauwerkzeugen  verräth.  So  sind  z.  B.  bei  Agrion 
und  Calopteryx  nach  den  Angaben  von  Alexander  Brandt  jr.  ^) 
die  Fflsse  und  das  zweite  Maxillenpaar  gleich  gerichtet  und  bilden 
mit  den  ttbrigen  Kopfanhängen  einen  bedeutenden  Winkel.  Dies 
ist  nach  Packard')  auch  bei  Diplax  geraume  Zeit  hindurch  der 
Fall.  Die  Thoracalfttsse  werden  femer  nicht  bestritten  werden 
können ;  ontogenetisch  treten  sie  meist  friLher  auf,  als  die  Mund- 
werkzeuge, doch  ?rill  sich  diese  Thatsache,  wie  mir  scheint,  zur 
Zeit  noch  nicht  phylogenetisch  verwerthen  lassen.  Wirkliche 
Flügel  haben  auf  dem  Prothorax  wohl  nie  bestanden-,  allenfalls 
spräche  fUr  ihr  Vorkommen  die  Bildung  der  „Prothoracalhörner'^ 
in  der  Entwicklung  der  Dipteren.  Zwar  lässt  sich  hier  bestimmt 
nachweisen,  dass  diese  „Hömer^^  nachträglich  erworben  sind,  doch 
könnte  man  dabei  an  Atavismus  denken.  Jedenfalls  sind  die 
Flflgel  nicht  rein  dorsal,  also  nicht  homodynam  den  Antennen, 
sondern  seitliche  Ausstülpungen  der  Körperwandung.  In  wie 
weit  die  Trennung  der  einzelnen  Metamere  in  die  bekannten  sechs 
Stücke  schon  das  Protentomon  berührte  und  wie  sich  die  Anhänge 
dazu  verhielten,  lasse  ich  dahingestellt  sein.  Was  das  Abdomen 
angeht,  so  ist  die  höchste  Zahl  der  bei  den  Imagines  beobachteten 
freien  Segmente  11.  Die  beiden  letzten  scheinen  aber  insofern 
doch  nicht  ganz  homonom  den  übrigen  gebildet  zu  sein,  als  sie 
höchst   wahrscheinlich   der  Stigmen   entbehrten.     Mit  Sicherheit 


')  Vergl.  unter  Anderem  die  Darstellung  Kovalevsky^s  über  llydrophilus, 

L     Cy     p.     35. 

')  Beitrüge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Libellulida  und  Hemiptcra 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Embryonalhüllen  derselben.  M^m.  Pötersb. 
1S69.  Auch  die  Fig.  11  der  Kovalevsky'schen  Untersuchungen  über  Hydro- 
philns  zeigt  dies  Verhalten  an. 

'}  Embryological  stndies  on  Diplax,  Perithemis  and  the  Thysanurous 
genus  Isotoma«    (Memoirs  of  the  Peabody  academy  of  sdence  L  2.  1871.) 


140  PauI  Mayer, 

wird  sich  dieser  Pankt  erst  entscheiden  lassen,  wenn  genaue 
Untersuchungen  über  die  Zahl  der  Abdominalstigmen  bei  Ortho- 
pteren u.  s.  w.  vorliegen.  Weil  der  Hinterleib  des  Protentomon 
anhanglos  war  (vergLtibrigens  Nr.  9)  so  war  eine  Heteronomität 
desselben  und  des  Thorax  nattlrlich  vorhanden,  die  dann  unter 
anderm  auch  auf  die  Bildung  und  Lage  der  Stigmen  Einflnss 
haben  musste. 

Punkt  2  bedarf  kaum  einer  Erläuterung,  indem  das  Gesagte 
sich  auf  die  wirklich  vollkommenen  Imagines  anwenden  lässt. 
Die  Gleichartigkeit  der  Flügel  und  das  Fehlen  von  Schuppen  und 
Haaren  auf  ihnen  war  ohne  Zweifel  der  ursprüngliche  Zustand. 
Die  Beinpaare  brauchen  natürlich  bei  den  Vorfahren  des  Proten- 
tomon nicht  ungleich  gewesen  zu  sein,  zeigen  aber  bei  allen  In- 
sekten grössere  oder  kleinere  Differenzen  unter  sich,  so  dass  auch 
das  Stamminsekt  davon  nicht  frei  gewesen  sein  wird.  Wie  weit 
ich  die  echte  Epidermis  sich  erstrecken  lasse,  ergibt  sieh  zum 
Theile  aus  den  folgenden  Ausfuhrungen;  ich  bemerke  hier  mir 
noch,  dass  ich  auch  die  Vagina  als  eine  Einstülpung  der  äusseren 
Körperwandung  auffasse  und  ebenso  die  Tracheen  mit  Rücksicht 
auf  die  schon  citirteu  Angaben  der  Embryologen  von  der  Epidermis 
ableite. 

Der  Darm  (Nr.  3)  als  das  wichtigste  der  inneren  Organe 
macht  eine  genauere  Besprechung  nöthig.  Er  ist  im  Laufe  der 
Zeit  bei  den  verschiedenen  Insektengruppen  in  Correlation  zu  der 
Aenderung  der  Mundtheile  bedeutend  modificirt  worden,  doch  zeigt 
der  eigentliche  Magen  relativ  grosse  Gonstanz.  Leider  herrscht  bei 
den  Entomotomen  durchaus  keine  Uebereinstimmung  in  Bezug  auf 
Benennung  und  auf  die  Ansichten  über  die  Function  der  einzelnen 
Darmabschnitte,  sodass  eine  Verständigung  auf  Grund  der  Theorie 
gesucht  werden  muss.  Pie  drei  Theile,  welche  ich  als  typisch 
hinstelle,  sind  überall  nachzuweisen  und  charakterisiren  sich  leicht 
durch  den  Mangel  oder  das  Vorkommen  der  Ghitinauskleidung. 
Wenn  behauptet  wird,  auch  dem  Magen  komme  eine  Cuticula  zu, 
so  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  noch  nicht  jegliches  Oberhäutchen 
aus  Chitin  besteht.  Mit  dem  Verdauungsgeschäfk  würde  sich  diese 
verhältnissmässig  undurchlässige  Schicht  auch  schlecht  vertragen. 
Aehnlich    argumentirt  S.  Basch  >) ,    dessen    genaue   auf  Durch- 


'}  Untersuchungen  über  das  chylopoetische  und  uropoetische  System  der 
BlatU  orienUlis.  Wiener  Sitzungsberichte  XXXIII  1858.  p.  234—260. 
Taf.  I  --V. 


lieber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  141 

schnitte  der  Dannwandangen  sich  stützende  Beobachtungen  die 
soeben  theoretisch  entwickelte  Ansicht  lediglich  bestätigen.  Wäh- 
rend er  nämlich  in  der  Speiseröhre  und  im  Kanmagen  als  innerste 
Aaskleidang  eine  Chitinschicht  findet,  welche  sogar  als  „eine  dünne 
zarte  Röhre'^  ans  der  Einstülpung  des  Eaumagens  in  den  ^^Chylus- 
magen^'  herausgezogen  werden  kann  und  somit  eine  „scharfe 
Grenze^'  zwischen  diesen  beiden  Theilen  markirt  (p.  238),  und 
während  er  „die  Structur  der  Darmabschnitte,  die  hinter  dem 
Chylusmagen  liegen^^  als  „der  der  vor  demselben  gelegenen  ganz 
gleich''  bezeichnet  (p.  251),  beschreibt  er  im  eigentlichen  Magen 
ein  Epithel;  welches  durch  seine  Beschaffenheit  an  dasjenige  im 
Dünndarme  der  Säugethiere  erinnert.  Sonach  ist  „die  Ghitin- 
membran  im  ganzen  Darm  mit  Ausnahme  des  Chylusmagens  vor- 
handen'' (p.  258).  Im  Uebrigen  sind  weitaus  die  meisten  in 
Betreff  des  Insektendarmes  gemachten  Angaben  nur  mit  der 
grössten  Vorsicht  aufzunehmen,  da  bei  den  Sectionen  gar  zu 
leicht  Eunstproducte  mit  unterlaufen.  Wenn  man  bedenkt,  dass 
manche  Zeichnung,  namentlich  von  den  vielfach  copirten  Dufour'- 
sehen,  nach  dem  Befunde  einer  einzigen  Zergliederung  —  und 
diese  geschah  noch  dazu  meistentheils  in  Flüssigkeiten,  welche 
die  Gewebe  mehr  oder  weniger  alterirten  —  aufgenommen  ist, 
wo  dann  zufallige  Anschwellungen  für  zweite  Mägen  etc.  erklärt 
werden  können,  so  leuchtet  das  Gesagte  ein.  -—  Ein  proventriculus 
mit  stark  chinitisirten  Wandungen  (Kauladen  etc.)  ist  von  Weis- 
mann  ^)  bei  Musca  als  Einstülpung  der  Speiseröhre  erwiesen 
worden  (p.  196) ;  dass  er  dem  Protentomon  zukam,  ist  nicht  Wahr- 
scheinlich. Der  Enddarm  beginnt  morphologisch  mit  der  Mündung 
der  ]\|ralpighi*8chen  Gefäßse.  Bei  den  einfachen  Formen  des  Tractus 
intestinalis  bedarf  dieser  Satz  keines  Beweises;  bei  den  gewun- 
denen und  complicirten  ist  er  zwar  auf  Grund  histologischer 
Forschungen  noch  zu  führen,  doch  spricht  ausser  der  Berechtigung, 
nach  Analogie  zu  schliei^sen,  auch  die  Entwickelungsgeschicfate 
dafUr.  Bei  Apis  entstehen  nämlich  nach  Bütschli  *)  die  Malpighi'- 
schen  Gefässe  ,Jederzeit  zu  zweien  als  Ausstülpungen  der  Decke 
der  blindgeschlossenen  Aftereinstülpung;  von  Beginn  ihrer  Ent- 
stehung an  mit  deutlichem  Lumen".    Nach  der  Darstellung  von 


')  Die  Dachembryonale  Entwicklung  der  Musciden  nach  Beobachtnngen 
an  MuBca  vomitoria  und  Sarcophaga  carnaria.  Zeitschr.  wiss.  Zool.  1864. 
p.  187—336. 

*)  1.  c.  p.  541. 


142  Paul  Mayer, 

Grabe  0  finden  sich  neben  ihnen  (bei  Vespa)  in  kranzförmiger  An- 
ordnung y,in  Gestalt  winziger  birnförmiger  Hervorragangen  die 
noch  sehr  unscheinbaren  Anfänge''  der  fUr  die  Imago  bestimmten 
Malpighi'schen  Gefässe.  In  einem  späteren  Stadium  sind  alsdann 
jene  vier  merklich  verkürzt,  die  anderen  hingegen  ,,zu  kurzen 
Fädchen  verlängert".  Hierbei  ist  der  „früher  kurze  blasenjR5rmige 
Darm''  in  die  Form  eines  Canales  übergegangen,  der  aber  noch 
kurz  und  gerade  bleibt.  Hiemach  ist  es  kaum  zweifelhaft,  dass 
wirklich  die  Einstülpung  sich  allmählich  verlängert  und  dabei  in 
Windungen  zusammenlegt.  Aber  auch  von  einem  noch  älteren 
Forscher  ist  diese  Anschauung  bereits  mit  voller  Klarheit  aus- 
gesprochen worden.  Bei  Blatta  nämlich  findet  Rathke  %  die  frag- 
lichen Organe  sprossen,  „wenn  das  hintere  Darmrohr  eine  .... 
geringe  Länge  hat;  aus  demselben  in  geringer  Entfernung  von 
dem  Dotterschlauche  [eigentlichen  Magen]  als  mehrere  einen  Kranz 
darstellende  Kegel  hervor  .  .  .  Gleichzeitig  auch  verlängert  sich 
hinter  ihnen  das  Darmrohr,  dem  sie  ihre  Entstehung  verdanken 
(aus  dem  sie  sich  aussacken)  .  .  /'  Ebenso  verhält  es  sich  nach 
Rathke  mit  Gryllotalpa.  ^)  Gegenüber  diesen  Zeu^issen  dürfte 
die  Ansicht  Graber's  *)  wenig  in's  Gewicht  fallen,  welche  in  den 
Worten  gipfelt :  „sie  sind  im  Allgemeinen  nur  Fortsetzungen  des 
Darmperitoneums ;  die  Zelllage  so  gut  wie  die  Intima  stehen  mit 
den  analogen  Gebilden  des  Darmes  in  gar  keiner  Verbindung.^' 

Der  phylogenetisch  und  ontogenetisch  älteste  Zustand  der 
Exoretionsorgane  ist,  wie  aus  dem  Angeführten  hervorgeht,  natür- 
lich der,  dass  die  Enden  derselben  blind  geschlossen  ft-ei  in  die 
Leibeshöhle  hineinragen ;  erst  später  tritt  eine  Verwachsung  der- 
selben und  Bildung  jon  Schlingen  und  ähnlichen  Eigenthümlich- 
keiten,  wie  sie  namentlich  die  Käfer  zeigen,  auf.  Dass  die  An- 
zahl der  Paare  bei  Protentomon  zwei  betrag,  ist  so  gut  wie 
sicher.  Sind  nämlich  auch  bei  manchen  Imagines  sehr  viele 
HarngefUsse  vorhanden,  so  zeigt  es  sich  doch  in  allen  Fällen,  in 
denen  überhaupt  Beobachtungen  vorliegen,  dass  bei  Embryonen 
oder  Larven  die   ursprüngliche  Anzahl  der  vasa  Malpighii  vier 


')  L.  c  p.  63  und  67. 

')  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Blatta  germanica.  Meckel's  Archiv 
1832.  p.  377. 

')  Zur  Entwickelungsgeschichte  der  Maulwurfsgrille  (Gryllotalpa  vulgaris). 
Müllers  Archiv  1844.  p.  35. 

^)  Anatomisch -physiologische  Studien  über  Phthirius  inguinalis  Leach. 
Zeitschr.  wiss.  Zool.  1872.  p.  152  adn. 


Üeber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  143 

ausmacht.  So  bei  den  Hymenoptera  nach  dem  Zengnisse  Grabe'^B, 
Btttschli's  nnd  auch  Uljanin's.  ^)  Letzterer  behauptet  sogar  aas- 
drttcklioh;  die  vier  primären  Schlänche  zerfallen  und  schwinden; 
an  ihrer  Stelle  entsteht  sodann  eine  grosse  Anzahl  bleibender 
Gefässe  als  Aaswüchse  des  vorderen  Theiles  der  Darm  wand 
zwischen  Pyloras  and  Darm  [also  immer  noch  aas  dem  DarmO; 
nicht  aus  dem  Magen].  Ferner  gibt  Rathke')  bei  Oiyllotalpa; 
welche  sich  bekanntlich  darch  eine  absonderliche  Gonfiguration 
der  in  Rede  stehenden  Gebilde  aaszeichnet,  ganz  positiv  an: 
,y  .  .  .  über  seine  Mitte  hinaas  sendet  er  [der  Darm]  einen  sehr 
karzen  Seitenkanal  ab;  der  in  vier  verschiedentlich  lange  Malpi- 
ghi'sche  Gefässe  übergeht  .  .  .  Za  den  vier  Malpighi'schen  Ge- 
fltesen;  die  von  der  Larve  aas  dem  Ei  mitgebracht  wurden,  kommen 
immerfort  neue  hinzu  .  .  .''  Bei  Blatta  spricht  er  zwar  von  einem 
;,Kranze''  Malpighi'scher  Gefässe,  zeichnet  aber  wiederum  nur  vier 
hin.  Endlich  constatirt  Fritz  Müller  ^)  mit  Bezug  auf  Galotermes : 
;;Die  jüngste  Latve  besitzt  vierHamgefässe;  doch  bald  sieht  man 
neben  ihnen  ein  drittes  Paar  hervorsprossen  .  .  /' 

Im  Anschlüsse  hieran  gedenke  ich  noch  der  sogenannten 
Boutons  chamus,  welche  ganz  kürzlich  von  C.  Chun  *)  von  Neuem 
untersucht  worden  sind.  Es  stellt  sich  heraus,  dass  sie  ,,nur 
eigenihümlich  modificirte  Partien  des  Mastdarmepithels  repräsen- 
tiren'',  welche  gewissermassen  als  Ersatz  ftlr  das  an  den  anderen 
Theilen  des  Bectums  fehlende  Epithel  fungiren.  Da  sie  grossen 
Gruppen  der  Imagines  gänzlich  fehlen,  so  sind  sie  meiner  Ansicht 
nach  als  nachträglich  erworbene  Bildungen  aufzufassen,  welche 
das  Protentomon  noch  nicht  besass.  In  der  Structur  bieten  sie 
grosse  Aehnlichkeit  mit  den  Darmkiemen  der  Libellulidenlarven, 
dürften  aber  doch  nur  dann  als  wirkliche  Homologa  derselben 
gelten,  wenn  die  betreffenden  Imagines  von  einer  nur  ihnen  ge- 
meinsamen Stammform  herrührten.  Ich  komme  weiter  unten 
hierauf  zurück. 

Was  die  Speicheldrüsen  betrifft,  so  ist  die  aufgestellte  Be- 


')  Pofltembryonale  Entwioklang  der  Biene.  Moskauer  Gesellschaft  für 
Natur  erkenntniss  etc.  X  1.  p.  17 — 32.  Citat  nach  Hof  mann  und  Schwalbe, 
Jahresbericht  etc.  I.  p.  843  if. 

■)  1.  c.  p.  85. 

*)  1  c.    Jenaische  Zeitschrift  IX,  p.  257. 

*)  Bau,  Entwicklung  und  physiologische  Bedeutung  der  Rectaldrüsen. 
Frankfurt  1875. 


144  Pftul  Mayer, 

hauptung  einstweilen  ans  dem  vorlian^enen  Beobachtnngsmateriale 
nicht  strictzn  beweisen.  Es  gründet  sich  eben  unsere  KenntnisB 
von  dem  speciellen  Verhalten  dieser  Organe  bei  den  Insekten- 
klassen wiederum  zumeist  auf  Läon  Dufour's  Abhandlungen.  Nun 
aber  öffnete  Dufour  bei  seinen  Sectionen  das  Kopfschild  nicht 
(wie  er  auch  die  letzten  Hinterleibsringe  intact  liess)  und  war  so 
im  Stande,  eine  Reihe  von  drüsigen  Körpern  als  Speicheldrüsen 
aufzuführen,  ohne  ihren  Zusammenhang  mit  der  Mundhöhle  über- 
haupt nachzuweisen.  Nach  ihm  scheint  sich  kaum  Jemand  an 
die  mühevolle  Arbeit  des  Verfolgens  von  so  feinen  Kanälen 
inmitten  des  Kopfpanzers  und  der  harten  Kauwerkzeuge  gewagt 
zu  haben.  Für  die  Heteroptera  z.  B.  besteht  auch  heute  noch  die 
aus  einem  Lehrbuche  in  das  andere  ruhig  übertragene  Ansieht 
von  der  Dupli-  oder  auch  Triplicität  der  glandulae  salivales, 
während  ^ie  grösste  Wahrscheinlichkeit  dafür  spricht,  dass  nur 
Ein  Paar  vorhanden  ist.  ^)  Endlich  ist  Mund  und  After  stets  durch 
Einsttilpung  entstanden,  so  dass  also  Beginn  und  Ende.des  Darmes 
mit  echter  Epidermis  ausgekleidet  sind.  Dies  lehrt  die  Entwick- 
lungsgeschichte in  allen  Fällen  mit  seltener  Uebereinstimmung, 
so  dass  ausser  dem  schon  angeführten  Satze  Btttsohli's  über  Apis 
fernere  Gitate  überflüssig  sind.  Bei  manchen  Insditm  rücken 
freilich  die  vasa  Malpighii  so  weit  am  Darme  herauf,  dass  man 
auf  den  ersten  Blick  kaum  an  eine  solche  enorme  Länge  des 
eingestülpten  Theiles  glauben  möchte.  Indessen  ist  auch  hier  die 
Arbeit  von  Basch  sowie  die  bereits  erwähnte  Stelle  von  Rathke 
über  Blatta  beweiskräftig  genug;  im  Uebrigen  werden  weitere 
ontogenetische  und  anatomische  Untersuchungen  schon  bald  über 
diesen  Punkt  den  gewünschten  Aufschluss  geben  und  ohne  Zweifel 
in  unserem  Sinne  ausfallen. 

In  Bezug  auf  das  Nervensystem  (Nr.  4)  wird  ein  näherer 
Nachweis  wohl  überflüssig  sein,  da  selbst  bei  denjenigen  Im^o- 
Formen,  bei  denen  die  Verschmelzung  der  Ganglien  schon  weit 
gediehen  ist,  doch  meist  noch  die  einzelnen  Knoten  zu  erkennen 
sind.  Aehnliches  gilt  in  Betreff  des  Herzens  (Nr.  5),  dessen 
Schema  nach  den  verhältnissmässig  wenig  genauen  Angaben, 
welche  bis  jetzt  darüber  vorliegen,  construirt  worden  ist.  Mit  der 
Ausbildung  eines  vom  Abdomen  wesentlich  verschiedenen  Thorax 


')  Eingehender  besprochen  in  meiner  Monographie  von  Pyrrhocoris  aptenis. 
Archiv  f.  Anat.  und  Phys.  von  Da  Bois-Beymond  and  Reichert.  1874.  p.  313  fT. 
1875.  p.  321   ff. 


lieber  ODiogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  145 

hängt  auch  der  Mangel  der  Flttgelmuskeln  und  Klappen  im  Be- 
reiche des  letzteren  zusammen.  ^) 

Punkt  7  und  der  Anfangtheil  von  Nr.  8  werden  auch  kaum 
eine  Anfechtung  erleiden.  In  dem  Ausdrucke  ;,paarige  Keim-  und 
Anhangsdrtlsen''  liegt  weiter  nichts,  als  dass  unpaare  Organe  dieser 
Art  durch  Verschmelzung  nachträglich  entstanden  sind.  Wie 
gross  aber  die  Anzahl  dieser  Paare  war,  darüber  bin  ich  weder 
durch  die  anatomischen  noch  die  ontogenetischen  Angaben  mit 
mir  selbst  ins  Reine  gekommen.  Am  wahrscheinlichsten  ist  auch 
hier  ftir  Protentomon  je  Ein  Paar  anzunehmen,  doch  darf  man, 
wenn  z.  B.  nach  E.  Sessels  ^)  bei  Schmetterlingsembryonen  die 
^enitalanlagen  zuerst  einfach  sind  und  später  erst  eine  Vier- 
theilung erfahren,  dies  nicht  gleich  auf  das  Protentomon  über- 
tragen. —  lieber  die  Lage  des  atrium  genitale  hat  Lacaze-Duthiers 
im  Anfang  der  fünfziger  Jahre  umfassende  Untersuchungen  an- 
gestellt, welche  ihn  zu  dem  Resultate  führten,  dass  die  Qeschlechts- 
5ffnung  des  Weibchens  sich  am  Hinterrande  des  8.  Segmentes 
befinde  und  dass  dfe  armure  genitale  aus  dem  9.  Segmente  ge- 
bildet werde.  Die  letztere  Behauptung  ist  allerdings  gegenwärtig 
nicht  mehr  haltbar,  nachdem  neuere  Beobachtungen  gezeigt  haben, 
dass  auch  die  rudimentären  Bauchftisse  dabei  eine  grosse  Rolle 
spielen.  (Vgl.  weiter  unten  bei  den  Hymenoptera.)  Dagegen  ist  nach 
wie  Tor  zu  betonen,  dass  sich  am  Hinterleibe  des  Weibchens  8 
sogenannte  prägenitale  Segmente  vorfinden.  Diese  sind,  wie  auch 
schon  Lacaze  hervorhebt,  vielfach  nur  noch  auf  dem  Rücken 
deutlich  zu  erkennen,  während  ein  oder  mehrere  Stemite  ein- 
gehen, d.  h.  mehr  oder  weniger  innig  mit  dem  Metasternum  ver- 
wachsen können. ')    Selbst  wenn  nun  auch   die  Annahme  einer 


')  Die  neneste  Arbeit,  welche  dieses  Organ  betri£f1t  (über  den  propulsa- 
torischen  Apparat  der  Insekten  von  V.  Graber  im  Arch.  mikrosk.  Anat  von 
Max  SchulUe  1873,  p.  129—196,  Tab.  VIII— X)  zeigt  nur,  wie  vielgestaltig 
dasselbe  sein  kann,  liefert  aber,  da  aacl^in  ihr  mehrere  Ordnungen  (Neu- 
roptera,  Diptera,  Hemiptera)  nicht  eingehend  behandelt  sind,  kein  klares  Bild 
Yon  dem,  was  nun  eigentlich  Typisches  sich  am  Herzen  vorfindet  und  wie 
dasselbe  rein  morphologisch  betrachtet  aufzufassen  ist. 

*)  Studien  über  die  Entwicklung  der  Sezualdrüsen  bei  den  Lepidopteren. 
Zeitschr.  wiss.  Zool.  1867,  p.  545—64. 

*)  Er  sagt:  „En  g^nöral,  l'avortement  des  sternites  porte  sur  lespremiers, 
et  soavent  il  est  caus^  par  un  d^veloppement  plus  ou  moins  grand  des  parties 
steruales  des  m^so-  et  m^tathorax".  (Ann  Sc.  nat.  Zool.  1853  I,  p.  281.) 
Wenn  es  dann  weiter  heisst:  „Mais  les  sternites  des  autres  parties  de  Tab- 
dornen  peuvent  aussi  avorter.  Ainsi,  les  Hym^nopteres  et  les  H^mipt^res 
Bd.  X,  N.  F.  III,  «.  10 


146  P&ul  Mayer, 

» 
solchen  Verschmelzung  mitunter  gezwungen  erscheinen  möchte, 
so  ist  sie  doch  immer  noch  weniger  gewagt ,  als  wenn  man  an 
eine  Verlegung  des  atrium  genitale  vom  8.  zum  7.  Segmente 
denken  wollte  oder  gar  sich  der  Ansicht  zuneigte,  die  ursprüng- 
liche Lage  sei  am  Hinterrande  des  7.  Ringes  zu  suchen  und  nur 
in  Ausnahmefällen  sei  sie  durch  Einschiebung  eines  Segmentes 
weiter  nach  hinten  gertlckt.  Dies  glaubt  aber,  wenn  ich  ihn  richtig 
verstanden  habe,  Gerstäcker;  wenigstens  heisst  es  in  seiner  neuesten 
Publication  ^) :  „Zwischen  Ferla  und  Nemura  einerseits  und  Ptero* 
narcys  und  Diamphipnoa  andererseits  existirt  nur  der  —  aller- 
dings recht  auffallende  —  Unterschied,  dass  während  bei  jenen 


[das  atrium  genitale 
Ventralringes  fällt, 


auf  den  Hinterrand  des  7.  (?)  resp.  8.  (S) 
es]  bei  diesen  beiden  Gattungen  —  durch 
eine  Einschiebung  eines  Segmentes  an  der  Basis  des  Hinterleibes 
auf  der  Grenze  zum  Metathorax  —  auf  den  8.  resp.  9.  verlegt 
>ist/^  Bei  Pteronarcys  und  Diamphipnoa  gibt  also  Gerstäcker 
eine  Verschmelzung  des  i.  Sternites  zu,  da  sich  bei  Zählung  „der 
frei  abgesetzten  Ventralplatten  die  Genitalplatte  als  die  7.  ergeben 
würde^'  (p.  247,  Anm.  2).  Dagegen  hält  er  dies  bei  den  nahe- 
stehenden Gattungen  Ferla  und  Nemura  nicht  fUr  zulässig,  weil 
„aus  der  Frofilzeichnung  zu  ersehen,  dass  .  .  .  hier  nicht  ...  im 
Anschluss  an  das  Metanotum  ein  Dorsalhalbring  vorhanden  ist, 
welchem  keine  selbständige  Ventralplatte  entspricht'^  (p«  246).  Und 
doch  beweist  gerade  diese  Abbildung  (Taf.  XXIII,  Fig.  8),  dass 
ein  solches  erstes  Tergit  (das  segment  mödiaire  von  Latreille) 
existirt,  dessen  Grenzen  bei  Behandlung  des  Chitins  mit  Ghemi- 
calien  auch  sicher  hervortreten  werden.  In  ähnlicher  Weise 
sucht  auch  Meinert  ^)  das  anscheinende  Fehleo  zweier  Abdominal- 
segmente bei  dem  Weibchen  von  Forficula  dadurch  zu  erklären, 
dass  er  annimmt,  ,,that  the  vagina  has  been  placed  behind  the 
sixth  instead  of  behind  the  eighth  ventral  shield.^'  Man  sieht 
aber  ohne  Mühe  unmittelbar  hinter  dem  Metanotum  zwei  deutlich 
getrennte  Ghitinlamellen,  welche  man  unbedenklich  als  die  ersten 
beiden  Abdominaltergite  auffassen  darf,  denen  kein  Stemit  ent- 


homopt^es  manquent  toujours  d'hogdosternite  oa  sternite  preg^nital^^  so  bt 
aach  hierin  nicht  gesagt,  dass  das  atrium  nicht  am  Ende  des  8.  Segmentes 
liege. 

1)  Zeitschr.  wiss.  Zool.  1874,  p.  244. 

*)  Ann.  Mag.  Nat  Hist.  1865  XV,  p.  484.  (Auszug  aus  dem  dänischen 
Originale,  welches  mir  nicht  zu  Gebote  stand.) 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Inaekten.  147 

spricht.  So  wird  das  scheinbar  erste  Stemit  zam  dritten^  das 
sechste  zum  achten;  gleichzeitig  ist  dann  das  letzte  Segment; 
welches  die  Zange  trägt;  als  9.  Tergit  oder  mit  Rücksicht  anf  die 
zwei  schon  Westwood  ^)  bekannten  Qnerstreifen  als  Gomplex  des 
9.;  10.  und  11.  Tergites  sammt  ihren  Seitentheilen  zu  bezeichnen, 
während  die  postgenitalen  Stemite  gleichfalls  alle  vorhanden  sind. 
Sonach  ist  auch  hier  kein  zwingender  Grnnd  znr  Annahme  einer 
Verlegung  der  Genitalöffnnng  vorhanden;  vielmehr  fügen  sich  die 
scheinbaren  Ausnahmen  völlig  dem  Satze  von  Lacaze-Dnthiers. 

Was  die  Legescheide  angeht;  so  möchte  ich  sie  unter  Nr.  9 
und  zwar  bei  den  primären  sexuellen  Kennzeichen  aufführen;  dabei 
aber  hervorheben;  dass  sie  dem  Protentomon  nicht  eigen  gewesen 
ist.  Waren  sonstige  geschlechtliche  Differenzirungen  vorhanden 
—  secondaiy  sexual  characters  —  so  beschränkten  sie  sich  ohne 
Zweifel  auf  ein  höchst  bescheidenes  MaasS;  da  ja  bei  sehr  vielen 
Insekten  keine  Spur  von  ihnen  vorhanden  zu  sein  scheint. 

Mit  Rücksicht  auf  diese  so  gut  wie  irgend  möglich  durch 
Gründe  gestützte  Charakteristik  des  Protentomon  will  ich  nun 
einige  allgemeine  Sätze  aufstellen;  welche;  ohne  gerade  viel  Neues 
zu  bieten,  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Insektengruppen  von 
Nutzen  sein  werden.  Ich  bemerke  ausdrücklich;  dass  sie  nur  die 
Imagines  im  Auge  haben. 

1)  Insekteu;  welche  im  Wasser  lebeu;  sind  von  Formen  ab- 
zuleiten; die  noch  die  ursprüngliche  Lebensweise  auf  dem  Lande 
besassen.  Je  grösser  die  Modificationen  sind,  welche  der  ver- 
änderte Aufenthalt  mit  sich  bringt,  desto  länger  hat  bereits  die 
Einwirkung  desselben  gedauert  und  desto  älter  ist  die  Form; 
welche  das  Leben  im  Wasser  begann. 

2)  Aehnliches  gilt  von  Insekten;  welche  sich  im  Innern  von 
pflanzlichen  Stoffen  aufhalten. 

3)  Parasiten  sind  von  der  Untersuchung  zunächst  ganz  aus- 
zuschliessen  und  sind  jedenfalls  jünger;  als  ihre  nächsten  Ver- 
wandten; selbstredend  auch  jünger  als  ihre  Wirthe. 

4)  Der  Anpassung  relativ  am  meisten  unterworfen  sind  die 
Kauwerkzeuge  und  Locomotionsorgane. 

a)  Insekten  mit  saugenden  oder  stechenden  Mundtheilen 
sind  im  Allgemeinen  jünger;  als  die  mit  beissenden 
versehenen. 


')  Classification  of  Insects  1839.  I,  p.  401. 

10* 


148  Paul  Mayer, 

b)  Insekten  mit  ungleichen  oder  fehlenden  Flttgelpaaren 
sind  jünger  als  ihre  nächsten  Verwandten  mit 
undifferenzirten  Flugwerkzeugen. 

c)  rudimentäre  Beine  weisen  auf  ein  relativ  geringes 
Alter  hin. 

5)  Der  Anpassung  wenig  unterworfen  sind  die  Excretions- 
Organe^  das  Nervensystem  und  die  Sinnesorgane. 

a)  Bttschel-,  quirl-;  schlingenförmige  vasa  Malpighii  sind 
nachträglich  entstanden. 

b)  Die  Gontraction  der  Ganglienkette  und  die  Ver- 
schmelzung der  einzelnen  Knoten  verräth  abgeleitete 
Formen. 

c)  Antennen  von  complicirtem  Bau  sind  Zeichen  eines 
geringen  Alters. 

6)  Sehr  constant  ist  gleichfalls  die  Gliederung  des  Rumpfes. 
Hier  sind  als  spätere  Modificationen  hauptsächlich  zu  erwähnen 

a)  Die  freie  Beweglichkeit  des  Kopfes  am  Thorax  und  die 
stielförmige  Insertion  des  Hinterleibes. 

b)  Die  Verwachsung  des  Pro-  und  Mesothorax,  sowie  die 
Verkümmerung  des  ersteren  zum  sog.  Halskragen 
(coUare). 

c)  Die  Verschmelzung  und  Abänderung  namentlich  der 
letzten  Abdominalsegmente  zu  Gunsten  des  Genital- 
apparates. 

7)  Parthenogenese  und  verwandte  Erscheinungen  auf  ge- 
schlechtlichem Gebiete  beweisen  zwar  grosse  Veränderungen  in 
der  Oekonomie  des  Einzelinsekts,  berechtigen  aber  zu  keinen  weit- 
reichenden phylogenetischen  Schlüssen. 

Eine  Reihe  weiterer  Thesen  gewinnen  wir,  sobald  wir  die 
Entwicklungsstadien  in  Betracht  ziehen,  welche  wir  bis  jetzt 
absichtlich  unberücksichtigt  gelassen  haben.  Wir  müssen  aber 
hier  um  Vieles  behutsamer  vorgehen,  da  wir  ja  nicht  wissen 
können,  in  wie  weit  die  Larven  wirklich  frühere  Phasen  der  Imago 
repräsentiren  oder  nur  nachträglich  erworbene  Eigenschaften  zur 
Geltung  bringen. 

Bekanntlich  ist  bei  den  Insel^ten  das  Wachsthum;  sobald  es 
ein  gewisses  Maass  überschreitet,  an  Häutungen  gebunden.  Diese 
wollen  wir,  insofern  genau  genommen  nichts  als  die  Guticula  dabei 
abgeworfen  wird,  Wachsthumshäntungen  nennen.    Aber  auch  alle 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  149 

Aendernngen;  so  weit  sie  das  Ektoderm  ^)  betreffen;  hängen  von 
solchen  Häutungen  ab,  da  sowohl  neue  Organe  nicht  eher  in 
Wirksamkeit  treten^  als  auch  ttberflttssig  gewordene  erst  bei  einer 
solchen  Gelegenheit  entfernt  werden.  Nehmen  wir  nun  an^  das 
Protentomon  sei  larvenlos  gewesen;  d.  h.  es  sei  direct  aus  dem 
Ei  ein  Insekt  hervorgegangen;  welches  alle  früheren  Zustände ,  des 
Protentomon  bereits  als  Embryo  durchgemacht  habe,  so  wird  es 
sich  während  seiner  völligen  Ausbildung  nur  noch  einer  Anzahl 
Wachsthumshäutungen  unterziehen.  Erst  dann,  wenn  in  Folge 
der  Anpassung;  welche  das  junge  Thier  im  Laufe  seiner  Orössen- 
zunahme  erleidet;  eine  spätere  Generation  in  wesentlich  verän- 
derter Form  das  Ei  verlässt;  wird  bei  Gelegenheit  einer  Häutung 
auch  ein  Theil  des  Ektoderms  sich  ändern  müssen.  Wir  können 
aber  hier,  wo  diese  Modificatiouen  flir  unser  Auge  scheinbar 
sprungweise  vor  sich  gehen ;  von  einem  Larvenzustande  bereits 
dann  reden,  wenn  das  wachsende  Insekt  von  dem  erwachsenen 
in  Bezug  auf  nur  Ein  Organ  nach  der  positiven  oder  negativen 
Seite  abweicht;  d.  h.  entweder  ein  (später  auftretendes)  Organ 
entbehrt  oder  ein  (provisorisches)  Organ  zu  viel  besitzt.')  In 
Bezug  auf  ihre  Bedeutung  flir  die  Imagines  ist  nun  jegliche  Larve 
von  zweierlei  Natur:  entweder  —  und  dies  ist  verhältnissmässig 
selten  —  alterirt  sie  die  Imago  so  wenig,  dass  keine  neue  Art 
entsteht;  oder  —  was  bei  Weitem  häufiger  sein  muss  —  sie  wirkt 
so  umgestaltend  darauf  ein,  dass  hierdurch  eine  neue  Art  ge- 
schaffen wird.  Im  letzteren  Falle  geht  die  Larve  phylogenetisch 
der  Imago  voraus,  ist  also  primär;  im  ersteren  secundär.  Es 


')  Die  inneren  Genitalien,  so  weit  sie  hierher  gehören  sollten,  aas- 
genommen. 

*)  Nach  der  gebräuchlichen  Definition  muss  die  Larve,  um  ihren  Namen 
zu  verdienen,  mindestens  ein  (provisorisches)  Organ  zu  viel  besitzen.  Ent- 
steht nämlich  ein  dem  jungen  Thiere  fehlendes  Organ  allmählich  vor 
unsem  Augen,  so  mangelt  uns  eine  Unterscheidung  zwischen  anscheinend  nor- 
maler Entwicklung  und  einem  Larvenstadium,  da  sich  nirgends  eine  scharfe 
Grenze  ziehen  lässt.  Diese  ist  aber  sofort  gegeben,  wenn  zu  irgend  einer 
Zeit  die  Jugendform  ein  Organ  zu  viel  besitzt,  mag  sie  es  nun  auch  noch  so 
langsam  einbüssen.  Bei  den  Insekten  bedingt  hingegen  die  Cuticula  die  schein- 
baren Sprünge  und  ermöglicht  uns  eine  scharfe  Auseinanderhaltung  der  Ent- 
wicklungsstadion.  Sagt  man  sonst  z.  B.,  das  junge  Thier  ist  augenlos  und 
erlangt  seine  Sehorgane  allmählich,  so  heisst  es  hier:  es  erlangt  sie  bei  der 
ersten  Häutung  und  ist  bis  dahin  als  augenlose  Larve  anzusehen.  Die  ab- 
geworfene Cuticula  möchte  ich  jedenfalls  nicht  einem  provisorischen  Organe 
aequivalent  sein  lassen. 


150  P»"l  Mayer, 

ergibt  sich  ohne  Weiteres,  dass  ein  und  dieselbe  Larve  für  eine 
Imago  primär,  für  eine  andere  secandär  sein  kann  und  moss.  ^) 
Lassen  wir  nun  im  Laufe  der  Zeit  das  Protentomon  yerschiedene 
Larvenformen  annehmen,  so  erlangen  wir  schon  hierdurch  neben 
der  unveränderten  Imago  mit  einer  Seihe  ausschliesslich  secun- 
därer  Larven  eine  eben  so  grosse  Reihe  neuer  Arten,  die  blos 
primäre  Larven  besitzen,  und  eine  noch  grössere  Menge  nener 
Species,  bei  denen  die  Larven  gemischter  Natur  sind.  ^)  In  aller 
Strenge  brauchen  nun  die  einzelnen  Larven,  welche  eine  Art  be- 
sitzt, unter  sich  nur  um  je  Ein  Organ  verschieden  zu  sein  und 
zugleich  sind  die  phylogenetisch  ältesten  auch  die  ontogenetisch 
frühsten.  Da  aber  nach  dem  Müller'schen  Satze  Kürzungen  in 
der  Entwicklung  auftreten,  so  werden  nach  und  nach  ganze  Reihen 
von  Larvenzuständen  zusammen  fallen  und  bei  Gelegenheit  Einer 
Häutung   erledigt    werden.    So   wird    mit  der  Zeit   ein   immer 


')  Die  Begrifi'e  secundär  und  primär  stehen,  wie  ich  hier  nachtxüglich 
bemerke,  in  einem  directen  Zusammenhange  mit  den  von  Haeckel  gewählten 
Bezeichnungen  cenogenetisch  und  palingenetisch.  Um  ein  Beispiel  zu  bringen, 
so  sind  die  Flossen  der  Corethralarve  cenogenetisch  und  sie  selbst  ist  mit  Be- 
zug auf  dieses  Organ  secundär.  Dagegen  sind  die  Kiemen  der  Pteronarcys- 
larre  gegenwärtig  palingenetisch,  weil  sie  mittlerweile  von  den  Imaginea 
adoptirt  worden  sind;  diejenigen  Larven,  welche  sie  cenogenetisch  erwarben, 
waren  in  Bezug  auf  die  damals  kiemenlose  Imago  secundär,  die  jetzigen  aber 
sind  primär. 

*)  Alle  diese  neuen  Arten  werden  die  Genitalien  des  Protentomon  entweder 
ganz  unverändert  oder  doch  nur  gemäss  der  „correlation  of  growth"  wenig 
modificirt  besitzen,  da  sie  ja  aus  der  Anpassung  von  nicht  geschlechtsreifen 
Individuen  hervorgegangen  sind.  Zwar  werden  diese  umbildnngsfähiger  sein, 
als  die  bereits  ausgewachsenen,  doch  ändern  sich  auch  diese  durch  den  Kampf 
um's  Dasein.  Nur  mischen  sich  die  hierdurch  hervorgerufenen  Larvenzustände, 
als  ontogenetische  Wiederholungen  des  Protentomon  den  neu  entstandenen 
Arten  gegenüber  secundär,  mit  den  aus  der  Anpassung  des  jungen  Insekts 
hervorgegangenen  derart,  dass  einstweilen  die  (Jnterscheidung  nur  für  die 
Theorie  von  Werth  sein  mag.  Jedenfalls  sollten  hiernach  die  Grenitalien  sich 
constanter  vererben,  als  die  andern  Organe.  In  einem  gewissen  Sinne  ist  aber 
der  übrige  Körper  von  den  Aenderungen  der  Genitalien  relativ  unabhängig, 
da  alle  Anpassungen  derselben  sich  in  erster  Linie  auf  die  Erzielnng  einer 
möglichst  zahlreichen,  nicht  einer  irgendwie  abgeänderten  Nachkommenschaft 
richten  werden.  Demnach  involvirt  eine  Modification  dieser  Organe  bei 
Weitem  weniger  die  Bildung  einer  neuen  Art;  mit  andern  Worten :  nahe  ver- 
wandte Arten  können  sehr  verschieden  gebildete  Genitalien  besitzen.  Am 
meisten  betriift  dieser  Satz  die  eigentlichen  Keimdrüsen,  weniger  schon  die 
für  gewbse  Verhältnisse  eigens  nothwendig  gewordenen  Einrichtungen,  wie 
z.  B.  das  receptaculum  seminis  oder  die  Legescheide. 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  151 

grösserer  Theil  ded  Ektodenns  auf  Ein  Mal  verändert  and  es 
kommt  nnter  Umständen  schliesslich  dahin,  dass  das  ganze  Ekto- 
denn  abgeworfen  wird  und  ein  nenes  mit  wesentlich  andern 
Organen  an  seine  Stelle  tritt.  Dies  wird  natürlich  nar  dann  der 
Fall  sein^  wenn  im  Laufe  der  Phylogenese  wirklich  auch  die 
ganze  Eörperoberfläche  eine  völlige  Umgestaltung  erlitten  hat 
Dies  ist  aber,  vne  sich  bald  zeigen  soU^  meist  nur  auf  der  Bauch- 
seite eingetroffen;  während  der  Kücken  verhältnissmässig  constant 
geblieben  ist.  Eine  solche  Mauserung  als  pntogenetische  Summe 
einer  grossen  Reihe  von  Larven  kann  nun,  wenn  sich  die  Ent- 
wicklang noch  mehr  verkürzt,  in  die  Periode  des  Eilebens  fallen 
and  den  Embryo  zu  einer  Abwerfung  seines  Ektoderms  veran- 
lassen. 

Während  sich  diese  Vorgänge  aus  der  Anpassung  des 
wachsenden  Insekts  ableiten  lassen,  sorgt  die  Anpassung,  welche 
das  Ei  und  in  ihm  der  Embryo  erleidet,  fttr  eine  Verkürzung  der 
Embryonalperiode.  Im  Allgemeinen  nämlich  muss  eine  solche 
vortheilhaft  wirken,  indem  der  Embryo  nur  passiv  im  Kampfe 
nm's  Dasein  vorgehen  kann,  das  ausgeschlüpfte  Thier  aber  activ. 
Zwar  kann  sie,  indessen  nur  auf  Kosten  der  Grösse  und  Kraft 
des  Embryo,  durch  Verminderung  des  Nahrungsdotters  erzielt 
werden;  gefahrloser  hingegen  wird  sie  durch  eine  Vermehrung 
desselben  erreicht,  weil  diese  ja  eine  Becapitulation  der  frühsten 
Stadien  nach  Möglichkeit  verhindert.  Das  kann  nun  unter  dem 
Einflasse  dieser  Lethe  in  Oestalt  von  Dotterkömehen  so  weit 
gehen,  dass  der  sich  bildende  Embryo  gewissermaassen  nichts 
Eiligeres  zu  thun  hat,  als  sein  ganzes,  eben  erst  fertig  gewordenes 
Ektoderm  abzulegen.  Solche  enorme  Kürzangen  verwischen  dann 
auch  so  ziemlich  jede  Spur  von  den  Vorfahren  des  Protentomon.  ^) 
Anders  gestaltet  sich  die  Sache,  wenn  wir  die  Entwicklungs- 
geschichte von  solchen  Insekten  studiren ,  deren  Eier  ohne  Nah- 
rangsdotter einen  Embryo  mit  stärkerem  Gedächtniss  enthalten. 
Wir  können  dann  a  priori  erwarten,  Stadien  in  der  Entwicklang 
anzutrefifen,  welche  der  erwähnten  totalen  Abwerfung  des  Ekto- 
derms voraasgehen  und  uns  über  die  Vorgeschichte  des  Insekten- 
stammes deutliche  Auskunft  zu  geben  im  Stande  sind.  Bis  jetzt 
hat  erst  ein  einziger  Beobachter  sich  mit  der  Ontogenie  solcher 


')  Die  Annahme,  da«  Protentomon  habe  keine  Larven  besessen,  geschah 
der  Einfachheit  wegen.  Die  Auseinandersetzung  leidet  aber  auch  bei  dem 
Gegentheilo  durchaus  nicht. 


152  ^V^^  Mayer, 

Arten  beschäftigt ,  die  ihm  ein  glücklicher  Zufall  in  die  Hände 
spielte,  es  aber  unterlassen,  die  Oonseqnenzen  daraas  zn  ziehen  ^), 
wenngleich  er  den  Werth  seiner  Arbeit  viel  richtiger  würdigt,  als 
es  Andere  gethan.  Dass  Salensky  seine  Anschauungen  wesent- 
lich nach  dem  Hydrophilus,  dessen  Ei  eine  enoime  Menge  Nah- 
rungsdotler  enthält,  gemodelt  hat,  führte  ich  schon  an;  aber  auch 
Bütschli  (L  c,  p.  519)  ist  sich  über  die  wirkliche  Bedeutung  der 
Ganin'schen  Entdeckungen  nicht  klar  geworden,  wenn  er  hervor- 
hebt, dass  die  Ichneumoniden,  eine  Abtheilung  also  der  Hymen- 
optera,  „ihrer  eigenthümlichen  Lebensweise  halber  wenn  auch  sehr 
interessante  Thatsachen  boten,  doch  uns  nicht  denjenigen  Ent- 
wicklungsgang darbieten  konnten,  der  als  ein  regelmässiger,  in 
jener  Ordnung  weit  verbreiteter  zu  betrachten  gewesen  wäre",  und 
nun  noch  gar  hinzufügt :  „Die  parasitische  Lebensweise,  gar  schon 
die  der  Eier,  ist  stets  mit  mannigfachen  Eigenthümlichkeiten  und 
Absonderlichkeiten  verknüpft."  Es  braucht  wohl  nicht  erst  betont 
zu  werden,  dass  der  Parasitismus  der  Imago  auf  die  frühsten 
Stadien  der  embryologischen  Entwicklung  nur  einen  verschwin- 
denden Einfluss  ausüben  wird,  und  dass  derjenige  des  Eies,  wenn 
und  indem  er  den  Nahrungsdotter  überflüssig  macht,  gerade  für 
die  Erkenntniss  der  Ontogenie  nur  vortheilhaft  sein  kann.  Wir 
müssen  nun  auf  die  Arbeit  Ganin's  näher  eingehen.  Am  aus- 
führlichsten beschreibt  Ganin  die  Entwicklung  bei  Platygaster 
und  reiht  daran  die  der  übrigen  untersuchten  Formen:  Ophioneums, 
Polynema  und  Teleas  an.  Das  ist,  wie  sich  gleich  ausweisen 
wird,  in  mancher  Beziehung  zu  bedauern,  weil  das  erstgenannte 
Insekt  noch  nicht  das  einfachste  Schema  für  die  ganze  Gruppe 
bietet  Das  Ei  von  Platygaster  zeigt  während  des  Verlaufes  der 
Embryonalperiode  auf  Kosten  seiner  Wirthe,  nämlich  gewisser 
Cecidomyidenlarven,  eine  enorme  Grössenzunahme,  indem  das 
Volumen  auf  das  10—15fache  wächst;  im  Einklang  hiermit 
„fehlt  der  sogenannte  Ernährnngsdotter  fast  gänzlich"  (p.  383). 
Das  erste  beobachtete  Stadium  lässt  —  ich  folge  hier  lediglich 
der  Beschreibung,  welche  Ganin  gibt  —  in  dem  gahz  homogenen 
Protoplasma   des   Eies  eine   Zelle    mit    einem    Kerne   erkennen 


*)  M.  Ganin,  Beiträge  zur  Erkenntniss  der  Entwicklungsgeschichte  der 
Insekten.  Zeitschr.  wiss.  Zool.  1869,  p.  381  451,  Tab.  30^38;  p.  447:  „Da 
die  vergleichende  Embryologie  als  Wissenschaft  noch  nicht  existirt,  so  glaabc 
ich,  dass  alle  genetischen  Theorien  zu  frühzeitig  und  ohne  strenge,  wissen- 
schaftliche Begründung  sind.'* 


Üeber  Ontogenie  and  Phylogenie  der  Insekten.  153 

(Taf.  I.  Fig.  5).   Der  genetische  Zusammenhang  dieser  ^^Central- 
zelle'^  mit  dem  Keimbläschen  wird  völlig  geleugnet,  indem  das 
,;darch8ichtige,  sehr  kleine  und   fast  ganz  der  Fetttropfen  ent- 
behrende Ei  diese  Frage  ganz  bestimmt  zu  entscheiden  erlaubt/' 
Neben  dieser  CentralzeUe  und  vielleicht  auch  aus  ihr  durch  Thei- 
lung  bilden  sich  zwei  peripherische  Zellen ;  der  Dotter  fungirt  als 
Intercellularsubstanz.    ^^Indem  die  CentralzeUe  .  .  .  den  Ursprung 
der  Embryonalanlage  des  Flatygasterkörpers  gibt,  vermehren  sich 
die  beiden  andern  .  .  .  Zellen  auch  und  verwandeln  sich  in  eine 
EmbryonalhüUC;  die  ihrer  physiologischen  Bedeutung  zufolge  als 
Amnionhfllle  zu  bezeichnen  ist''  (p.  387).     Die  CentralzeUe  ver- 
mehrt sich  durch  endogene  Zellbildung,   die  peripherischen  thnn 
dies  auf  gewöhnliche  Weise  (Taf.  I.  Fig.  6) ;  die  Grenzen  dieser 
Tochterzellen  fliessen  bald  zusammen.    Hingegen  bilden  die  aus 
der  CentralzeUe  hervorgegangenen  Zellen    eine   äussere  Schicht 
,,CyUnderepithel''  und   einen  inneren   Haufen   rundlicher  Zellen; 
erstere  hat  Aehnlichkeit  mit  dem  ,;61astoderm''  der  andern  In- 
sekten, persistirt  jedoch  als  solches  nicht;  sondern  dient;  nachdem 
ihre  Zellen   sich  wiederum  abgerundet  haben,   zum  Aufbau  des 
Embryo.    Der  bis  jetzt  in  seinen  allgemeinen  Umrissen  kugel- 
förmige ZeUhaufen  wird  darauf  oblong  und  erhält  an  der  späteren 
Bauchseite  eine  tiefe  Einbuchtung  (Taf.  1.  Fig.  8),  welche  jedoch 
nicht  zur  MundOfihung  wird,  sondern  nur  die  ventrale  und  dorsale 
Seite  deutlich  hervortreten  lässt.    Auch  Kopf  und  Schwanz  ent- 
wickeln sich  jetzt  verschieden ;  auf  der  Höhe  des  ersteren  bildet 
sich  durch  eine  Einstülpung  der  Mund,  rückt  aber  allmählich  auf 
die   Bauchseite.    Gleichzeitig  vergrössern  sich  die  inneren,   von 
Anfang  an  rundlichen  Zellen  und  gestalten  sich  zu  den  Wandungen 
des  Magens.    Nun  treten  auch  die  Metamere  auf,  während  die 
Antimere  bereits  früher   am   Schwanzanhange  angedeutet  sind. 
Kurze  Zeit  darauf  verlässt  der  Embryo  das  Ei  und  besitzt  als 
,,cycIopsähnliche  Larve^'  eia  Kopfschild,  d.  h.  ein  sehr  grosses 
Kopfsegment  mit  Krallenflissen  (welche  durch  Muskeln  bewegt 
werden)  und  rudimentären  Antennen,  ferner  5  Abdominalsegmente 
(mit  Längsmuskeln)  und  am  letzten  derselben  einen  Gabelschwanz, 
welcher  während  des  Eilebens  unter  den  Bauch  geschlagen  war. 
Die   mit  einer  Cuticula  versehene  Epidermis  stammt  von  dem 
„Cylinderepithel^'   her,  während  „die  im  Innern  des  Embryonal- 
körpers übrig  bleibenden  Zellen,  mit  Ausnahme  der  grossen  Cen- 
tralzellen,  welche  in  die  zelligen  Wände  des  Verdanungscanales 
sich  metamorphosiren,  sich  zu  cylindrischen  Strängen  an  einander 


154  Paul  Mayer, 

reihen,  die  dann  den  Muskelanlagen  des  Larvenkörpers  ihren 
Ursprnng  geben^'  (1.  c,  p.  392).  Der  Darm  ist  afterlos;  seine 
Wandnngen  bestehen  ans  ,;grossen  runden  Zellen,  welche  mittels 
einer  homogenen,  dicken  Intercellularsubstanz  verbunden  sind;  es 
gibt  [an  ihm]  bis  jetzt  weder  Muskelschicht  noch  äussere  and 
innere  Guticularschicht  .  .  .  von  anderweitigen  inneren  Organen, 
wie  man  sie  sonst  bei  den  Insektenlarven  findet,  bemerkt  man  bei 
unserer  Larve  keine  Spur''  (p.  398). 

So  weit  Ganin.  Ich  will  nun  eine  ZurückfÜhrung  seiner  Be- 
obachtungen auf  ihren  richtigen  Werth  versuchen,  und  zeigen, 
wie  weit  sie  für  die  Theorie  brauchbar  erscheinen.  Wenn  man 
die  Art  und  Weise,  in  welcher  diese  Untersuchungen  gemacht 
wurden  und  auch  nur  gemacht  werden  konnten,  berücksichtigt, 
wenn  man  also  bedenkt,  dass  eine  continuirliche  Verfolgung  der 
Entwicklang  an  dem  unverletzten  Eie  unter  dem  Mikroskope  nicht 
möglich  war,  vielmehr  der  genetische  Zusammenhang  der  ein- 
zelnen wirklich  beobachteten  Stadien  durch  Vergleichung  er- 
erschlossen werden  musste,  so  wird  man  nicht  allzu  ängstlich  auf 
dem  Wortlaut  zu  bestehen  brauchen.  So  darf  man  also  in  der 
der  „Centralzelle"  und  ihrem  „Kerne"  nichts  weiter  erblicken, 
als  das  Keimbläschen  mit  dem  Keimflecke.  Aehnlich  denkt 
auch  Metschnikoff  0>  welcher  bereits  früher  die  Entwicklang 
einer  verwandten  Art  beobachtete  und  nun  mit  Rücksicht  auf  die 
Ganin'schen  Behauptungen  sagt:  „Die  ganze  Sache  findet  darin 
ihre  Erklärung,  dass  Ganin  den  Nucleus  ftlr  die  ganze  „Central* 
zelle'^,  den  protoplasmatischen  Eiinhalt  fttr  ein  die  Zelle  um- 
gebendes Protoplasma  genommen  hat.''  Es  findet  demnach  eine 
Theilung  des  Keimbläschens  und  eine  bereits  sehr  früh  eintretende 
functionelle  Differenzirung  der  entstandenen  Kerne  statt:  eine 
Reihe  derselben  tritt  an  die  Peripherie  des  Eies  und  bildet  mit 
der  äussersten  Schicht  Protoplasma  die  „Amnionhttlle'',  an  welcher 
man  mit  Reagentien  auch  ohne  Zweifel  die  Grenzen  der  einzelnen 
Zellen  hätte  erkennen  können,  was  Ganin,  der  sogenannte  indiffe- 
rente Flüssigkeiten  verwendete,  nicht  zu  Stande  gebracht  hat. 
Lässt  man  dieses  Amnion  einstweilen  ausser  Acht,  so  erblickt 
man  in  dem  „Cylinderepithel",  welches  aus  einem  Theile  der 
übrigen  Kerne  sammt  dem  zugehörigen  Protoplasma  hervorgio^^ 
das  Hautsinnesblatt,   in  den  „rundlichen  Zellen''    dagegen  die 


*)  Embryologie  der  doppelfüssigen  Myriapoden.     Zeitschrifb  wIbs.  t^ 
1874,  p,  276. 


üeber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  155 

Anlage  des  Hesoderms  und  des  Entodeims.  Es  liegt  nan  sehr 
nahe,  hier  eine  Bildung  des  letzteren  durch  Einstülpung;  also 
eine  reine  Gastmla  anzunehmen^  welche  Ganin  nicht  aufgefunden 
hat;  und  femer  der  Theorie  zu  Liebe  ein  Stadium  der  Abtrennung 
des  Hesoderms  von  den  primären  Keimblättern  einzuschieben,  so 
dass  der  Embryo,  wie  ihn  die  nach  Ganin  copirte  ^)  Figur  7  dar- 
stellt, bereits  diese  drei  Keimblätter  in  sich  enthält  Man  thut 
hiermit  allerdings  den  Beobachtungen  durchaus  keinen  Zwang 
an,  indessen  ist  man,  so  lange  nicht  solche  Stadien  wirklich 
nachgewiesen  werden,  auf  Grund  des  Vorkommens  des  Amnion 
flberiiaupt  viel  eher  zu  der  Vermuthung  berechtigt,  auch  hier  trete 
in  der  Ontogenese  keine  Archigastrula  mehr  auf.  Immerhin  ist 
diese  Larve  eine  höcht  einfache  Form,  etwa  dem  Nauplius  der 
Crnstaceen  vergleichbar,  wie  sie  denn  auch  Ganin  cyclopsähnlich 
nennt.  Wenn  daher  die  Anwesenheit  des  Amnion  nicht  störend 
wirkte,  so  wäre  eine  ZurttckfUhrung  der  bis  jetzt  besprochenen 
Entwicklungsvorgänge  auf  das  Schema  so  ziemlich  geglttckt. 
Nun  zeigt  es  sich  aber,  dass  die  Larven  von  Polynema  noch  viel 
primitiver  sind.  „Das  allerfrttheste  Entwicklungsstadium  ...  ist 
ein  sehr  kleiner,  unbeweglicher  Embryo  von  sehr  einfacher  Form 
und  ohne  jede  Spur  von  Organisation.  Derselbe  war,  wenn  ich 
ihn  sah,  immer  schon  aus  dem  Ei  ausgetreten'^  (p.  418).  Dieser 
„infusorienartige  Embryo'^  richtiger  diese  Larve,  ist  völlig  solide 
und  besteht  aus  lauter  gleichartigen  Zellen,  deren  äusserste  Lage 
sich  durch  Abscheidung  einer  Cuticula  als  Hautsinnesblatt  kenn- 
zeichnet. Später  erst  bildet  sich  ein  Kopffortsatz  und  provi- 
sorischer Schwftnzanhang ;  der  Mund  entsteht  durch  Einsttllpung, 
der  Darm  ist  blind  geschlossen  und  nimmt  wieder  aus  den  innem 
Zellen  seinen  Ursprung.  Aehnlich  ist  die  erste  Larve  von  Ophi- 
oneurus  gebaut  (Taf.  L  Fig.  10  und  11);  nur  entsteht  hier  Mund 
und  After  gleichzeitig  und  „ebenso  gleichzeitig  oder  noch  etwas 
früher^'  (p.  42U)  der  Darm.  *)  Auch  hier  ist  die  Larve  ungegliedert 
und  ohne  alle  Anhänge.  Leider  ist  die  embryonale  Entwicklung 
dieser  interessanten  Larven  nicht  beobachtet,  so  dass  tiber  die 
Bildung  der  Gastmla  auch  hier  nur  Vermuthungen  gestattet  sind. 
Höchst  wichtig  ist  aber  der  Umstand,  dass  bei  Ophioneurus  und 


')  Die  Farbang  der  Keimblätter  findet  sich  bei  Ganin  natürlich  nicht  vor, 
während  im  Uebrigen  die  Zeichnungen  getreu  nachgebildet  sind. 

')  Die  Cuticula  ,,geht  sehr  deutlich  in  die  beiden  Oeffnungen  über  und 
überzieht  die  Höhle  des  Oesophagus  und  Enddarmes**  (p.  429). 


156  ^^^  Mayer, 

wahrschemlich  auch  bei  Polynema  kein  Amnion  anftritt  Was 
endlich  die  Larve  von  Teleas  angeht,  so  besteht  sie  ans  nnr  zwei 
Metameren:  einem  Kopfschilde  mit  Antennen  nnd  Krallenftissen 
nnd  dem  Abdomen  mit  Schwanzstachel  nnd  einem  Kranze  von 
Borsten  in  der  Mitte  des  Segmentes.  Anch  hier  kennt  Ganin  die 
frühesten  Stadien  nicht  ans  eigner  Anschauung,  schliesst  aber  | 
wegen  der  gleichartigen  Metamorphose  nnd  der  systematischen 
Stellung  auf  Aehnlichkeit  jener  mit  denen  von  Platygaster.  Nun 
hat  Metschnikoff  ^)  dieselbe  Gattung  untersucht  und  sagt  darüber 
unter  Anderem :  ,^Das  Ei  enthält  an  den  frühesten  von  mir  ge- 
sehenen Entwicklungsstadien  bereits  eine  entwickelte  Keimhant, 
welche  eine  centrale  Höhle  umgibt  Diese  Höhle,  welche  an  Stelle 
des  fehlenden  Nahrungsdotters  liegt  ....  flillt  sich  mit  Zellen, 
welche  dem  Keimstreife  ihren  Ursprung  verdanken  und  später  die 
Wandungen  des  Mitteldarmes  liefern.^  Dagegen  erklärt  Ganin, 
die  Existenz  einer  solchen  Höhle  sei  für  ihn  ;,undenkbar'' ;  auch 
bei  Teleas  entstehe  der  Darm  aus  den  grossen  inneren  Zellen,  die 
Ansicht  MetschnikofTs  aber  gehöre  zu  denjenigen,  welche  „auf 
unmittelbare  Beobachtungen  nicht  gegründet  sind''  (1.  c,  p.  432). 
Man  gewahrt  aber  ohne  Mühe,  dass  Metschnikoff  eine  Blasto- 
sphaera  vor  sich  hatte,  aus  deren  einer,  später  zum  Bauche  des 
Embryo  werdenden  Hälfte  (dem  Keimstreife)  die  Zellen  des 
Darmes,  also  das  Entoderm  hervorgingen.  Ganin  hingegen  hat 
dieses  Stadium  eben  nicht  gefunden,  sondern  nur  die  späteren, 
wo  bereits  das  Mesoderm  gebildet  war.  Demnach  ist,  wenn 
irgendwo,  bei  Teleas  und  Verwandten,  die  echte,  durch  Einstül- 
pung entstehende  Gastrula  zu  erwarten  und  wird  durch  einen  vom 
Glücke  begünstigten  Beobachter  auch  aufgefunden  werden. 

Ich  habe  die  ersten  Vorgänge  der  Entwicklung  bei  den  ge- 
nannten Pteromalinen  so  eingehend  besprochen,  weil  ich  zeigen 
wollte,  wie  sich  aus  Untersuchungen,  welche  lange  vor  der  Por- 
mulirung  der  Gastraeatheorie  angestellt  wurden  und  deshalb  nach 
dieser  Richtung  hin  vorurtheilsfrei  und  unparteiisch  genannt 
werden  dürfen,  durch  kritische  Vergleichung  der  Angaben  die 
Existenz  einer  der  Gastrula  noch  sehr  nahestehenden  Form,  viel- 
leicht sogar  noch  der  Archigastrula  ohne  Zwang  darthun  lassen 
und  wie  auch  manche  scheinbare  Widersprüche  auf  solche  Weise 


')  Embryologische  Studien  an  Insekten.  Zeitschrift  wiss.  Zoologie  1866, 
p.  289 — 493.  Simulia,  Miastor,  Corixa,  Aphis,  Aspidiotus,  Coccos,  Fsylla, 
Gerris,  Teleas.    Citat  aaf  S.  479  und  481. 


lieber  Ontogenie  ond  Phylogenie  der  Insekten.  157 

gehoben  werden.  Bei  der  Besprechung  der  nun  folgenden  Stadien 
kann  ich  mich  um  bo  kürzer  fassen.    In  sämmtlichen  Larven  wird 
auf  durchaus  identische  Weise  die  Bildung  der  Beine  und  des 
Nervensystems  dadurch  eingeleitet,  dass  auf  der  Bauchseite  des 
Embryo  die  oberste  Zellschicht  eine  Wucherung  und  Trennung  in 
mehrere  übereinander  befindliche  Lagen  erführt,  während  auf  dem 
Rücken  die  Epidermis  einschichtig  bleibt  (Taf.  L  Fig.  6).    Vor- 
her jedoch  zieht  sich  bei  Platygaster  der  Körper  von  der  Cuticula 
zurück,  wobei  das  letzte  Segment  und  die  ftircula  sammt  ihrer 
Epidermis  und  den  Muskeln  ausser  Zusammenhang  mit  der  Larve 
gerathen  und  auch  die  Gliederung  des  Abdomens  schwindet  ^) 
Zugleich  bildet  sich   durch  Einstülpung   der  Enddarm,  welcher 
aber  gegen  den  Magen  zu  blind  geschlossen  ist  und  es  auch  noch 
lange  Zeit  hindurch  bleibt;  die  Abdominalmuskeln  gehen  sämmt- 
lich  ein  und  der  nun  zweigliedrige  Larvenkörper  kommt  dem  von 
Teleas  nahe.    Während  aber  hier  und  bei  Polynema  eine  echte 
Larvenhäutung  erfolgt,  löst  sich  bei  Ophioneurus  nur  die  Cuticula 
ab,  so  dass  eine  blosse  Wachsthumshäutung  vorliegt  Im  Uebrigen 
tritt  auch  hier   die  Verdickung   auf  der  Bauchseite  in  gleicher 
Weise  auf  und  zugleich  mit  ihr  bildet  sich  der  blinde  Enddarm, 
wo  er  nicht  schon  vorher  existirte.    Bemerkenswerth  ist  die  That- 
saehe,  dass  diese  Veränderungen  vom  Schwänze  nach  dem  Kopfe 
zu  fortschreiten.    Die  Differenzirung ,  welche  die  Zellwucherung 
erfuhrt,  braucht  indessen  hier  nicht  näher  betrachtet  zu  werden; 
es  genüge  die  Angabe,  dass  sie  während  des  gesammten  Larven- 
lebens nicht  eben  weit  führt.    „Die  ganze  Nervenmasse  besteht 
aus  den  früheren  embryonalen  Zellen  des  Keimstreifes.    Und  in 
diesem  indifferenzirten  Zustande  bleibt  das  Nervensystem  während 
des  ganzen  Larvenlebens  von  Platygaster^'  (1.  c,  p.  406).    Seine 
Ausbildung  erhält  es  erst  kurz  vor  der  Verpuppung  oder  auch 
während  derselben. 

Anscheinend  in  schroffem  Gegensatze  zu  der ,  embryonalen 
Entwicklung  der  Pteromalinen  steht  nun  diejenige  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Insekten.  Die  genauesten  und  schon 
ihrer  Methode  (directe  Beobachtung)  nach  plausibelsten  Unter- 
suchungen namentlich  in  Betreff  der  frühesten  Phasen  rühren  von 


I)  Höchst  wahrscbeinlich  haben  wir  es  hier  nicht  mit  echten  Metamereü 
zu  thun,  während  allerdings  die  Trennung  in  Kopf  und  Abdomen  nicht  blos 
ausser  lieh  zu  sein  scheint. 


158  Paul  Mayef, 

Weifimann  ^)  her  and  verlangen  ebenfalls  eine  kurze  Besprechnng'. 
Die  ersten  zur  Beobachtung  gelangten  Vorgänge  an  den  frisch- 
gelegten  Eiern  von  Musca  und  Ghironomus  bestehen  in  einer  Zu- 
sammenziehung  des  Eiinhaltes  und  in  einer  Scheidung  desselben 
in  zwei  Schichten^  eine  oberflächliche  und  eine  tiefe,  welche  als 
Eeirohautblastem  resp.  Dotter  bezeichnet  werden.  In  dem  durch- 
aus homogenen  und  hellen  Blastem  treten  ziemlich  gleichzeitig 
an  der  ganzen  Peripherie  Kerne  auf,  deren  erstes  Hervorkommen 
und  Wachslhum  sich  ohne  Schwierigkeit  genau  beobachten  lässt 
Um  sie  herum  gruppirt  sich  das  Blastem  in  der  Art,  dass  seine 
bis  dahin  glatte  Oberfläche  eben  so  viele  halbkugelige  Erhebungen 
zeigt,  als  Kerne  vorhanden  sind;  gleichzeitig  theilen  sich  diese 
primären  Kerne  und  mit  ihnen  die  Biastempartien  ein  und  viel- 
leicht auch  mehrere  Male»  so  dass,  indem  nun  auch  die  Erhebungen 
sich  wieder  ebnen,  schliesslich  eine  einschichtige  Zelllage  von  nor- 
malem Bau  den  Dotter  umgibt  Diese  erhält  den  Namen  Blasto- 
derm.  Weismann  sagt  nun :  „mit  dem  Nachweis  einer  allmählichen 
Entstehung  der  Kerne  im  Blastem  ist  zugleich  festgestellt,  dass 
sie  Neubildungen,  dass  sie  nicht  Abkömmlinge  des 
Keimbläschens  sind''  (p.  206)  und  femer:  „wir  werden 
sagen,  dass  die  Zellen  der  Keimhaut  bei  den  Insekten  .  .  .  durch 
freie  Zellbildung  entstanden  sind''  (p.  207).  Bestätigt  werden 
seine  Beobachtungen  darauf  bald  zum  Theil  von  Kupfier^)  und 
Metschnikoff  und  später  ohne  jeglichen  Mckhalt  von  0.  v.  Grimm  ^) 
an  Ghironomus;  doch  gelingt  es  dem  Letztern,  bei  jungen  Eiern 
ein  Keimbläschen  und  auch  noch  die  erste  vollendete  Zweitheilung 
desselben  zu  sehen,  während  freilich  die  Kluft  zwischen  diesem 
Stadium  und  dem  der  Blastodermbildung  unausgeftlUt  bleibt 
Analog  den  Verhältnissen  von  Musca  und  Ghironomus  verläuft 
nach  Leuckai't  der  betre£fende  Vorgang  bei  Melophagus  ^),  nach 


')  fintwicklang  der  Dipteren  im  EL  Zeitschr.  wissenschaftl.  Zool.  1863, 
p.  108—220. 

*)  Faltenblatt  an  den  Embryonen  der  Gattung  Cbironomas.  Arch.  mikr. 
Anat  von  Max  Schnitze  II  1866,  p.  885—898,  Tab.  XX. 

')  Ungescblecbtlicbe  Fortpflanzung  einer  Chironomns-Art  und  deren  £nt* 
wicklang  aus  dem  unbefruchteten  Ei«    M^m.  St.  P^tersbourg  1870. 

*)  Fortpflanzung  und  Entwicklung  der  Fupiparen  nach  Beobachtungen 
an  Melophagus  ovinus.  Abhandl.  naturf.  Gesellsch.  Halle  1858,  p.  145 — 226. 
Tab.  I-III. 


Üeber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  l59 

Ganin  ^)  bei  Formica-  und  Bombyx-Arten;  nach  Melnikow  ^)  bei 
Donacia  G^ildnng  der  Eeimkeme  frei  in  der  Peripherie  des 
Dotters^',  p.  140),  nach  Eovalevsky  (1.  C;  p«  45)  bei  Apis,  nach 
Balbiani  bei  Aphis. ')  Dieser  Ansicht  entschieden  gegenüber  steht 
Metschnikoff.  Nach  ihm  ^)  treten  bei  Miastor  zuerst  im  Innern 
des  Dotters  zwei  Kerne  auf,  deren  genetischen  Zusammenhang 
mit  dem  Keimbläschen  er  nicht  beobachtet  hat,  sondern  erschliesst ; 
dann  bilden  sich  durch  fortgesetzte  Theilung  12 — 15  Kerne,  die 
sich  jeder  fttr  sich  mit  Protoplasma  umgeben,  an  die  Peripherie 
des  Dotters  treten  und  so  das  Blastoderm  darstellen.  Dieser  Ent- 
wicklungsmodus hat  also  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  dem  bereits 
geschilderten  des  Platygasterembryos.  Aehnlich  geht  diese  Bildung 
bei  Aphis  ^)  vor  sich,  während  bei  Aspidiotus  wiederum  der  Ritus 
von  Musca  auftritt  Alle  übrigen  Insekten,  deren  Ontogenese  be* 
schrieben  worden,  sind  mit  Bezug  auf  diese  ersten  Stadien  nicht 
untersucht,  so  dass  demnach  das  der  Kritik  vorliegende  Material 
dürftig  genug  ausfällt  Metschnikoff  nun  behauptet,  die  mit 
grossem  Dotter  versehenen  Eier  ,,können  keine  passenden  Objecte 
für  die  Untersuchung  der  Blastodermbildung  liefern''  (p,  413), 
weil  die  Undurchsichtigkeit  des  Dotters  die  Vorgänge  im  Innern 
verdeckt,  und  verwirft  darauf  ganz  dogmatisch  die  Bichtigkeit 
der  Ansicht  Weismann's.  In  Wirklichkeit  lassen  sich  aber  gerade 
mit  Berufung  auf  die  Haupteigenschaft  des  Kahrungsdotters, 
welche  weniger  eine  Verdunklung  des  Eiinhaltes  als  eine  Trübung 


')  Bmbryonalhülle  der  Uymenopteren  -  und  Lepidopteren  -  Embryonen. 
M^m.  St.  P^tersboarg  1669. 

')  Beiträge  zur  embryologiscben  Entwicklang  der  Insekten.  Troscbers 
Archiv  1869  XXXV  1,  p.  136—189. 

')  Memoire  sar  la  g^n^ration  des  Aphides.  Der  Abschnitt:  D^veloppe- 
roent  de  Toeuf  ponda  in  Annal.  Scienc.  natnr.  Zool.  1872  I.  Nr.  4,  p.  1—63« 

*)  L.  c,  p.  411. 

')  Balbiani  beschäftigt  sich  in  seiner  umfangreichen  Arbeit  zwar  nur  mit 
den  Oviparen  Aphiden,  gibt  aber  (1.  c,  p.  9)  in  Betreu'  der  viviparen  an,  dass 
in  ihren  kleinen  and  durchsichtigen  Eiern  zu.  gleicher  Zeit  mit  den  an  der 
Peripherie  gelegenen  Blastodermkernen  anch  noch  das  Keimbläschen  „plus 
ou  moins  altMe  dans  sa  forme,  raais  n^anmoins  parfaitement  reconnaissable 
encore  au  centre  de  TceuT'  vorhanden  sei.  Obwohl  nun  (abgesehen  von  dem 
wenig  glücklichen  Versuche  Balbiani's,  die  Aphiden  zu  einer  Art  Hermaphro- 
diten zu  machen)  die  ganze  Abhandlung  den  Eindruck  grösserer  Genauigkeit 
macht,  als  diejenige  von  Metschnikofi',  so  ist  doch  aus  theoretischen  Gründen 
die  von  letzterem  angegebene  Darstellung  der  Bildung  des  Blastodermes  wohl 
ab  die  richtigere  anzusehen. 


160  I*aul  Mayei*, 

der  ontogenetischen  Vorgänge  zur  Folge  hat,  beide  Behauptungen 
leicht  vereinigen.  Wir  brauchen  nur  darauf  hinzuweisen;  dass  die 
Aphis-  und  Miastor-Eier  während  der  Bildung  des  Blastoderms 
noch  wachsen  und  ihren  Dotter  zum  Theile  erst  in  dieser  Zeit 
aus  dem  Mutterleibe  in  sich  aufnehmen.  So  können  wir  ohne 
Weiteres  bei  den  normalen  Dipteren  und  mit  einem  AnalogieschluBS 
auch  bei  allen  Insekten^  deren  Eier  eine  grosse  Menge  Dotter 
enthalten;  voraussetzen;  dass  das  Keimbläschen  vor  Bildung  des 
Blastoderms  schwindet  und  seine  Elemente  dann  zur  Bildung  der 
einzelnen  Kerne  verwendet  werden,  in  der  Art,  dass  hier  die  sonst 
langsam  verlaufenden  wiederholten  Theilungen  des  Keimbläschens 
auf  einmal  erfolgen.  Eine  solche  Zusammenziehung  der  ersten 
Stufen  in  der  Entwicklung  harmonirt  auch  vortrefflich  mit  der, 
wie  gleich  gezeigt  werden  soll,  überhaupt  so  enorm  und  abnorm 
gekürzten  Ontogenese  der  Insekten.  Einen  ähnlichen  Versuch  zur 
Erklärung  dieser  Differenzen  zwischen  Weismann  und  Metschnikoff; 
welche  Beide  aus  ihren  Specialbeobachtungen  zu  allgemeine 
Schlüsse  gezogen  haben,  hat  übrigens  auch  0.  v.  Grimm  ^)  gemacht, 
wenngleich  ohne  Beziehungen  auf  Phylogenie. 

Ueber  die  weiteren  Vorgänge  am  Blastoderm  und  den  An- 
theil,  welchen  es  an  dem  Aufbau  des  Embryo  nimmt,  sind  gleich- 
falls Angaben  und  Ansichten  grundverschieden,  so  dass  auch  hier 
eine  kritische  Sichtung  nothwendig  wird,  aber  auch  zu  einem 
einigermaassen  befriedigenden  Resultate  führt.  Fast  alle  Beobachter 
stimmen  darin  überein ,  dass  sich  aus  einem  mehr  oder  minder 
grossen  Theile  des  Blastoderms  der  „Keimstreif  bilde.  Hierbei 
ist  zunächst  nur  eine  Verlängerung  der  Gylinderepithelzellen  des 
Blastoderms  auf  der  Seite,  welche  zum  Bauche  des  Embryo  wird; 
zu  constatireU;  keineswegs  eine  Trennung  desselben  in  zwei 
Schichten.  Die  Kfickenpartie  der  Keimhaut  bleibt  wie  sie  war 
oder  ihre  Zellen  verflachen  sich  zu  einem  exquisiten  Plaster- 
epithel.  ^)     Dann  erst   spaltet   sich   von   dem    Bauchblastoderm, 


')  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Fortpflanzung  und  Entwicklung  der  Arthro- 
poden.   M^m.  St.  P^tersbourg  1872. 

')  Weismann  nimmt  sogar  für  „aUe  Larven  mit  beissenden  Mundtheilen 
und  alle  Insekten  mit  unvoUkommner  oder  fehlender  Metamorphose^^  (1.  c, 
p.  210)  einen  völligen  Riss  des  Blastoderms  an,  durch  welchen  der  Dotter 
frei  zu  Tage  trete  (sogenannter  regmagener  Keimstreif).  Indessen  hat 
schon  Kupifer  (1.  c,  p.  890  fi'.)  gezeigt,  wie  Weismann  die  sich  bildende  seröse 
Hülle  für  die  Dotterhaut  angesehen  hat  und  wie  er  überhaupt  zu  der  An- 
nahme eines  Spaltes  im  Blastoderme  gelangen  konnte,  ohne  dass  ein  solcher 


Üeber  Ontogonie  und  Phylogenie  der  Insekten.  Ißl 

welches  hierdurch  den  Namen  ^^Eeimstreif  erlangt ,  eine 
Schicht  ab,  deren  Zellen  allem  Anscheine  nach  anf  verschiedene 
Weise  entstehen.  Wir  verfolgen  aber  zunächst  die  weiteren 
Schicksale  des  Blastoderms  selbst.  Sie  sind  differenter  Natur,  je 
nachdem  der  Eeimstreif,  d.  h.  die  Verdickung  der  Bauchseite,  den 
ganzen  Meridian  bedeckt,  oder  nur  einen  kleinen  Theil  der  Peri- 
pherie in  Anspruch  nimmt ,  um  sich  darauf  vom  Blastoderm  zu 
entfernen  und  in  den  Dotter  hinein  zu  wachsen.  Hiernach  unter- 
scheidet man  bekanntlich  zwischen  äusserem  und  innerem 
Keimstreif.  Bemerkenswerth  ist  es  nun,  dass  bei  letzterer  Form 
die  Stelle,  an  welchem  er  mit  dem  Blastoderm  zusammenhängt, 
zum  Kopfe  des  Embryo  wird  und  sonach  dieser  Theil  des  Körpers 
sich  zuerst  anlegt  Der  in  den  Dotter  hineinwachsende,  an  seinem 
Schwanzende  demnach  freie  Eeimstreif  ist  nun  nicht  massiv,  viel- 
mehr entsteht  gleich  zu  Anfang  in  der  durch  Zellwucherung  ver- 
dickten, mehr  oder  weniger  scharf  umschriebenen  Stelle  der 
Keimhaut  eine  Höhlung,  so  dass  der  Keimstreif,  oder  wie  er  in 
diesem  Falle  auch  genannt  wird,  der  Keimhttgel  oder  das 
Keimschild  die  Form  eines  Handschuhfingers  annimmt.  Die 
eine  am  meisten  nach  der  Peripherie  des  Eies  gerichtete  Wandung 
ist  dünn,  besteht  aus  Einer  Schicht  und  trägt  bei  den  Autoren 
die  Namen :  innere  HttUe,  Faltenblatt  (Deckblatt),  Amnion  oder 
viscerales  Blatt;  die  andere  wird  mehrschichtig  und  ist  eben  der 
eigentliche  Keimstreif.  ^)  Beide  Theile  stehen  natürlich  mit  dem 
Blastoderm  in  Verbindung  und  bilden  gewissermaassen  nur  eine 
Einstülpung  desselben.  Nachdem  dies  geschehen,  wächst  die 
Keimhaut  mittels  einer  Falte,  welche  sich  ringförmig  erhebt,  noch 
über  den  Kopf  hinaus  und  bildet  so  zum  zweiten  Male  eine  durch- 
aus geschlossene  Blase,  deren  innerer  Wandung  an  einer  Stelle 
der  Handsohnhfinger  aufsitzt    Bei  Pediculiden  und  Mallophagen 


wirklich  vorliegt.  Zu  gleichem  Resultate  ist  auch  Metschnikoff  (1.  c,  p.  485) 
gekommen.  Dagegen  redet  Bütschli  bei  Apis  von  einem  Auseinanderweichen 
der  Blastodermzellen  auf  dem  Rücken  und  einem  Austritt  des  Dotters,  fügt  aber 
einschränkend  hinzu,  dass  „wahrscheinlich  einzelne  schwer  wahrnehmbare 
Zellen  die  grösstentheils  entblösste  Rückenfläche  des  Dotters  bedecken*^  (I.  c, 
p.  525).  Hiemach  erscheint  es  im  ttussersten  Grade  fraglich,  ob  wirklich 
irgendwo  bei  den  Insekten  ein  Riss  des  Blastodermes  vorkommt;  man  hat 
es  wohl  in  aUen  derartigen  Fallen  nur  mit  optischen  Täuschungen  zu  thun. 

*)  Die  einzelnen  Autoren  stimmen  in  der  Anwendung  dieses  Ausdruckes 
eben  so  wenig  mit  einander  überein,  wie  in  der  Bezeichnung  der  Keimhülien. 

Bd.  z,  N.  F.  m,  2.  11 


162  Paul  Mayer, 

soll  indessen  nach   den  Beobachtungen  von  Grimm  ^)   nnd  ron 
Melnikow    diese  üeberwachsung  nicht   eintreten,    sondern   „die 
Einstülpungsöfi&iung  bleibt  vorhanden"  (M.  p.  164),  nur  wird  sie 
so   eng,  dass  d^r  Schein   eines  Zusammenhanges  der  Ränder 
entsteht.    Hat  sich  später  aus  dem  Eeimstreif  die  Bauchseite  des 
Embryo  durch  Differenzirung  gebildet,  so  stülpt  er  sich  --  and 
dies  macht  natürlich  nur  bei  den  Pediculiden  und  Mallophagen 
einen  Riss  des  Blastoderms  unn5thig  —  wieder  aus,  das  Blasto- 
derm  aber  bildet  nun  den  Verschluss  des  Rückens.   Somit  befindet 
sich  der  Dotter  im  Innern  des  Embryoleibes  und  yerßlllt  alsdann 
der  Resorption.    Nach   dieser  Auseinandersetzung  geht  zwar  ans 
dem  Blastoderm  die  ganze  Eörperwand  des  Embryo,  allein 
direct  doch  nur  Kopf  und  Rücken  desselben  hervor;  während  des 
eigentlichen  Aufbaues  aber  fungirt  es  nur  als  eine  nicht  unmittel- 
bar betheiligte  Decke  und  hat  hiernach  im  Gegensatze  zur  innem 
Hülle  die  Bezeichnungen :  äussere  Hülle,  Amnion,  seröse  HttUe  und 
parietales  Blatt  empfangen.  ^) 

Etwas  anders  verlaufen  diese  Vorgänge  bei  den  Insekten 
mit  äusserem  Eeimstreife.  Hier  bleibt  die  ganze  Bauchseite  des 
Embryo  zunächst  mit  dem  Blastoderm  in  Verbindung;  bald 
aber  wölbt  sich  dieses  auf  der  Bauchseite  an  beiden  Endpunkten 
derselben,  also  an  den  Eipolen,  zu  je  einer  Falte  in  die  Höhe, 
welche  den  ganzen  Embryo  umwachsen  und  beim  Zusammentreffen 


Dies  beweist  deutlich,  wie  man  bei  der  Darstellung  der  embryologischen  Vor- 
gänge sich  mehr  darum  bemühte,  eine  genaue  Beschreibung  zu  liefern,  als 
ein  Verstandniss  namentlich  mit  Bezug  auf  Zellschichten  (Keimblätter)  zu  er- 
zielen. Nun  tritt  zwar  die  Bauchseite  des  Blastodermes,  sowie  ihre  Zellen 
höher  werden,  bei  Beobachtung  mit  auffallendem  Lichte  durch  grössere  Weisse 
vor  der  übrigen  Eeimhaut  als  ein  Streifen  hervor;  indessen  wird  man,  falls 
man  überhaupt  das  Wort  Eeimstreif  noch  beibehalten  will,  es  erst  dann  an- 
wenden dürfen,  wenn  eine  Trennung  der  betreifenden  Blastodermpartie  in 
mehrere  Schichten  eingetreten  ist,  weil  nur  in  diesem  Falle  die  Worte  „innerer 
und  äusserer  KeimstreiP*  wirklich  das  Resultat  der  nämlichen  Vorgänge  be- 
zeichnen. Alsdann  ist  der  Keimstreif  nichts  Anderes  als  diejenige  Stelle  des 
Blastoderms,  welche  die  Anlage  des  Nervensystemes  und  des  Mesoderms 
enthält.  Noch  besser  freilich  sieht  man  von  dem  Gebrauche  eines  solchen 
ungenauen  Ausdruckes  ab. 

')  Entwicklung  der  Arthropoden  (Docophorus). 

')  Natürlich  ist  dies  Blastoderm  (innere  und  äussere  Hülle)  viel  zu  weit 
gedehnt,  um  direct  zur  Schliessung  des  Rückens  verwendet  zu  werden.  Eine 
Contraction,  d.  h.  eine  Näherung  seiner  Zellen  muss  also  eintreten  und  nur 
von  ihrer  Intensität  wird  es  abhängen,  welcher  Theil,  ob  die  innere  oder  die 
äussere  Hülle,  mit  dem  Embryo  in  Verbindung  tritt. 


Ueber  Ontogenie  und  Pbylogenie  der  Insekten.  163 

verschmelzen.  Gleichzeitig  trennen  sich  die  beiden  Wandungen 
der  Falten  allmählich  von  einander  und  so  entstehen  zwei  Kapseln, 
von  denen  die  innere  blos  den  Embryo  einhtlllt  oder  richtiger  ge- 
sagt; mit  ihren  Bändern  überall  in  den  Keimstreif  übergeht;  die 
äussere  aber  den  ganzen  Eiinhalt  umgibt.  Sonach  steht  die 
letztere  nun  mit  dem  Keimstreif  in  gar  keiner  Verbindung 
mehr;  sondern  schmiegt  sich  der  Eischale  von  innen  dicht  an. 
Ist  dann  die  Bauchseite  des  Embryo  differenzirt;  so  reisst  die 
äussere  Hülle  ein  und  wird  zuweilen  zur  Bildung  der  Bücken- 
Wandung  verbraucht,  während  der  Verbleib  der  inneren  nicht 
immer  mit  Sicherheit  festzustellen  ist.  Uebrigens  sind  die  Be- 
schreibungen, welche  die  Autoren  liefern;  so  erheblich  unter  sich 
verschieden  und  mehr  oder  weniger  unklar  —  Beides  in  viel 
höherem  Grade,  als  die  Schilderungen  der  Entwicklung  mit  innerem 
Keimstreif  es  sind  —  dass  es  nicht  leicht  wird,  sich  in  ihnen  zu 
Orientiren.  So  lässt  Melnikow  nicht  nur  bei  Donacia,  sondern 
auch  bei  Musca  und  Chironomus  entgegen  den  Anschauungen  der 
andern  Beobachter  die  innere  Hülle  sich  gleichfalls  über  den  ge- 
sammten  Dotter  hinziehen,  während  Bütschli  bei  Apis  und  Ganin 
bei  Formica  und  Bombyx  gar  keine  innere  Hülle  bemerkt  haben. 
Kovalevsky  beschreibt  hingegen  bei  Apis  beide  Hüllen  als  ;;ge- 
schlossene  Säcke''.  Bei  Musca  vermisst  dann  wieder  Mecznikow 
die  äussere  Hülle,  dafür  versichert  aber  Kovalevsky  ganz  bestimmt, 
sie  gefunden  zu  haben  etc.  etc.  Vergleichen  wir  daher,  um  diesem 
Wirrwarr  zu  entgehen,  zunächst  die  fraglichen  Stadien  mit  denen 
der  Pteromalinen.  Wir  sehen,  dass  bei  der  ersten  Larve  derselben 
die  Bauchseite  der  Körperwandung  eine  Verdickung  erfährt; 
während  die  Bückenfläche  ungeändert  bleibt.  Aus  dieser  ver- 
dickten Schicht  gehen  dann  hervor:  Bauchstrang,  Gehirn,  Kopf 
und  die  ventralen  Extremitäten,  also  ganz  dieselben  Theile,  welche 
sich  aus  dem  Keimstreif  der  übrigen  Insekten  bilden.  Somit  ist, 
wie  schon  Ganin  ^),  wenn  auch  in  etwas  sonderbarer  Weise 
ausspricht,  die  ganze  Embryonalperiode  von  Platygaster  ftlr  die 
andern  Insekten  verloren  gegangen.  Demnach  ist  das  Blastoderm 
nichts  weiter  als  das  Ektoderm,  welchem  direct  kein  Entoderm 
correspondirt ,  sondern  welches  in  Einklang  mit  unsem  theore- 
tischen Darlegungen  einer  Summe  von  einzelnen  Larvenhäutungen 


')  L.  c  p.  440:  „Es  scheint,  als  ob  die  erste' Fteromalinenlanre  ein  echtes 
Ei  sei,  in  welchem  eben  solche  embryologische  Vorgänge  ablaufen,  wie  sie  den 
andern  Arthropoden  während  der  Embryonalentwicklnng  eigenthümlich  sind.^^ 

IX* 


164  I^aul  Mayeic,  . 

oniogenetisch  gleichkommt.  Wenn  dies  der  Fall  ist;  so  dftrfen 
wir  erwarten,  dass  wie  sich  vor  jeglicher  einzelnen  LarFenhäutnng 
aus  den  betreffenden  Partien  des  Ektoderms  und  im  Znsammen- 
hang mit  ihnen  die  neaen  Organe  bilden ,  so  auch  bei  diesen 
Sammenlarven  aus  dem  gesammten  alten  Ektoderm  das  neue 
hervorgeht.  Nur  behält,  wie  auch  die  Pteromalinen  lehren,  der 
Bücken,  weil  fttr's  Erste  keine  neuen  Organe  an  ihm  auftreten, 
lange  Zeit  hindurch  seine  ursprüngliche  Form  bei  und  so  zeigt 
sich  der  Keimstreif  zuerst  nur  auf  der  Bauchseite,  um  dort  das 
Material  für  die  Neubildungen  zu  liefern.  ^)  Er  deutet  also  auf 
diejenige  phylogenetische  Periode  hin,  in  welcher  die  Vorfahren 
des  Protentomon  ohne  Beine  und  ohne  Ganglienkette  beide  Organ- 
systeme erlangten  —  eine  Periode,  deren  eben  nur  noch  wenige 


ft  

')  Was  die  Keimblätter  angeht,  so  bemerke  ich  Folgendes.  BeA  den 
Pteromalinen  ist  nach  Ganin  die  Verdickung  der  Baucbepidermis  der  Anfang 
zur  Bildung  des  Nervensystemes,  der  mächtigen  Speicheldrüsen  und  der  ven- 
tralen Extremitäten.  Letztere  entstehen  als  „solide,  zellige  Verdickungen  der 
Epidermis^S  ^1^  sogenannten  Imaginalscheiben  Weismann's,  höhlen  und  stülpen 
sich  erst  später  aus  und  erhalten  alsdann  ihre  Muskulatur  von  dem  Meso- 
derm.  Dieses  ist,  wie  schon  oben  angegeben,  bereits  im  Embryo  entstanden. 
Auch  bei  denjenigen  Insekten,  deren  Ontogenese  an  Schnitten  verfolgt  worden, 
also  bei  Hydrophilus  und  Apis,  vollzieht  sich  die  Bildung  des  Mesodermes  in 
einer  sehr  frühen  Periode  vom  Blastoderme  aus;  letzteres  wird  nur  dort,  wo 
kein  Mesoderm  aus  ihm  hervorgeht,  zum  Amnion,  muss  also  später  durch  ein 
neugebildetes  Epiderm  (Hautsinnesblatt)  ersetzt  werden.  Auch  hier  ist  das 
Nervensystem  ein  Abkömmling  des  letzteren.  Es  ist  daher  nur  noch  die 
Frage  nach  der  Herkunft  des  Entoderroes  zu  erledigen.  Kovalevsky  leitet 
es  aus  dem  Mesoderme  ab;  die  Zellen  dieses  Blattes,  welche  sich  immer 
weiter  nach  dem  Rücken  hin  ausbreiten,  biegen  nach  innen  zu  um  und 
wachsen,  indem  sie  zwischen  sich  und  dem  Mesoderme,  welches  nun  schärfer 
als  Hautfaserblatt  auftritt,  einen  Hohlraum  bestehen  lassen,  auf  dem  Dotter 
hin  wieder  nach  der  Mediane  des  ^Bauches  zu.  So  entsteht  Leibeshöhle  und 
Ventraltheil  des  Darmfaserblattes.  Von  dem  letztern  aber  spaltet  sich  geradezu 
das  Entoderm  als  eine  unmittelbar  den  Dotter  bedeckende  Schicht  'ab  und 
nimmt,  indem  sie  allmählich  auch  zum  Rücken  sich  ausbreitet,  den  Dotter  in 
sich  auf.  Mir  scheint  diese  Herleitung  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die 
Zeichnungen,  welche  Kovalevsky  gibt,  wenig  plausibel;  und  so  bin  ich  im 
Gegensätze  zu  der  eben  geschilderten  Auffassung,  welche  das  Entoderm  zu- 
letzt entstehen  lässt,  aus  theoretischen  Gründen  der  Ansicht,  dass  es  bereits 
vor  dem  Mesoderme  auftritt  Ich  sehe  in  den  Dotterballen  oder  Dotterschollen, 
welche  Kovalevsky  selbst  als  kernhaltig  ^bei  Apis)  bezeichnet,  die  Anfänge 
des  Entoderms.  Man  könnte  nun  geneigt  sein,  die  Einstülpung,  welche  das 
Blastoderm  auf  der  ganzen  Länge  der  Bauchseite  erleidet,  für  den  modificirten 
Gastrula-Mund  zu  halten  und  aus  der  durch  sie  gebildeten  tiefer  liegenden 
Zellschicht  erst  das  Entoderm  und  darauf  das  Mesoderm  hervorgehen  lassen, 


Ueber  Ontogenie  and  Phylogenie  der  Insekten.  Ig5 

Insekten  hente  zu  Tage  ontogenetisch  gedenken.  *)  Offenbar  sind 
also  diejenigen  Formen  älter,  bei  denen  die  gesammte  Neu- 
bildungszone i.  e.  Keimstreif  noch  mit  dem  alten  Ektoderm  i.  e. 
Eeimhaut  in  Berührung  bleibt  —  und  das  sind  die  Insekten  mit 
äusserem  Eeimstreif.  Späterhin  wird  dieser  durch  Kürzung  der 
Entwicklung  selbständiger,  so  dass  nur  noch  der  Kopf  in  Connex 
mit  dem  Blastoderm  steht  —  die  Insekten  mit  innerm  Keimstreif 
—  bis  endlich,  wenn  überhaupt  die  Beobachtungen  Ganin's  richtig 
sind,  bei  Formica  und  Bombyx  der  Keimstreif  vöUig  unabhängig 
vom  Blastoderm  neu  aus  dem  Dotter  entsteht.    Demnach  ist  die 


wobei  die  Zellen  des  Darmdrüsenblattes  unter  enormer  Grossenzanabme  den 
eigenüicben  Nahmngsdotter  verzehren  und  so  die  Dotterscbollen  darstellen 
würden.  Da  aber  diese  Ansicht  andere  Schwierigkeiten  darbietet,  so  scheint 
mir  auch  sie  nicht  die  richtige.  Ich  sehe  vielmehr  in  der  genannten  Ein- 
stülpung nur  eine  Vorbereitung  zur  Bildung  der  Embryonalhüllen  und  lasse 
aas  ihr  nur  das  Mesoderm  entstehen;  das  Entoderm  hingegen  wird  sich  an 
dem  (mit  Bezug  auf  den  Embryo)  hinteren  Eipole  vom  Blastoderm  aus  ein- 
stülpen, falls  überhaupt  noch  von  einer  Einstülpung  die  Rede  sein  kann.  So- 
nach wird  man  nicht  auf  Quer-,  sondern  auf  Längsschnitten  die  erste  Anlage 
des  Entodermes  gewahren  können.  In  dieser  Meinung  bestärkt  mich  das 
Auftreten  der  sogenannten  Polzellen  bei  den  Dipteren,  welche  ich  nicht  wie 
Grimm  zu  den  inneren  Genitalien,  sondern  zu  dem  Entoderm  in  Beziehung 
bringen  möchte.  Eine  ganz  eigenthümliche  Ansicht  über  die  Entstehung  des 
Dsrmdrüsenblattes  hat  Ganin  durch  Untersuchung  von  Blatta  gewonnen.  Er 
lässt  es  nämlich  geradezu  aus  den  Einstülpungen  des  Oesophagus  und  End- 
darmes, also  aus  dem  Epiderme  hervorgehen,  welches  sich  direct  durch  den 
Dottersack  hindurch  verbreitet.  Dabei  hat  er  aber  in  einer  viel  früheren 
Periode  bereits  „sehr  grosse,  runde  und  ovale  Kerne  mit  Membran  und  Kern- 
körperchen^,  also  wohl  zellige  Elemente  in  dem  Dottersacke  bemerkt;  nur 
soUea  diese  vom  Amnion  herrühren  und  sich  an  der  Entodermbildung  durch- 
aas nicht  betheiligen,  ohne  dass  freilich  Ganin  über  ihren  Verbleib  etwas 
aussagt.  Wenn  man  nun  bedenkt,  dass  alle  diese  Resultate  nicht  durch  Be- 
obachtungen an  Schnitten  erlangt  wurden,  somit  auch  schon  der  Methode 
nach  eine  ganz  andere  Auffassung  zulassen,  so  braucht  man  nur  an  diesen 
schon  früh  auftretenden  Zellen  festzuhalten,  um  in  ihnen  die  Anlage  des 
Entodermes  zu  sehen,  welche  demnach  schon  „gleich  in  den  ersten  Stadien 
der  Entwicklung  des  Dottersackes''  vor  sich  gehen  würde.  Eine  Entstehung 
des  Entodermes  aber  aus  dem  Epiderm,  wie  Ganin  sie  will,  müsste,  um  glaub- 
haft zu  erscheinen,  in  ganz  anderer  Weise  dargethan  werden,  als  es  in  der 
russisch  geschriebenen)  Arbeit  Ganin's  dem  Referate  zufolge,  welches  Hoyer 
liefert  (Hofmann's  und  Schwalbe*s  Jahresbericht  f.  1874,  p.  395 — 397)  der  Fall 
zu  sein  scheint. 

')  Hiernach  sind  die  Rückenneubildungen,  d.  h.  die  Flügel,  viel  jüngere 
Erscbeinungen,  als  die  Beine,  eine  Thatsache,  die  phylogenetischen  Werth 
besitzt. 


166  Paul  Mayer, 

Keimhant  ontogenetisch  eine  provisorische  EmbryonalhttUe  (analog 
ähnlichen  Erscheinungen  bei  den  Vertebrata  ^)^  phylogenetisch 
aber  ein  Ektoderm.  Als  solches  wird  es  von  Hanse  ans  zur 
Schliessung  des  Kückens  beim  Embryo  verwendet  werden.  Bei 
Platygaster  wird  ohnehin;  da  die  Flügel  erst  später  auftreten^  der 
Rückentheil  anverändert  von  einer  Larve  in  die  andere  herüber- 
genommen. Erst  wenn  eine  Einstülpung  des  Eeimstreifs  sich 
geltend  macht  —  innerer  Eeimstreif  —  ist  eine  Contraction  der 
äusseren  Hülle  nothwendig,  die  aber  offenbar  nur  wiederherstellt, 
was  die  vorhergegangene  Verflachung  der  Rückenzellen  am  Blasto- 
derm  verändert  hatte.  Hier  sind  innere  und  äussere  Hüllen  mor- 
phologisch völlig  gleich  und  fliessen  auch  ohne  scharfe  Grenze 
in  einander.  Die  spätere  Bildung;  für  die  sich  bei  den  Ptero- 
malinen  nichts  Äehnliches  findet,  ist  nur  derjenige  Theil  der 
äusseren  HüUc;  welcher  die  Einstülpungsöffiiung  überwächst.  Beim 
äusseren  Keimstreif  hingegen  löst  sich  die  innere  Hülle  von  der 
äussern  völlig  ab  und  zwar  ist  auch  nur  der  Rückentheil  der 
letztem  noch  das  ursprüngliche  Blastoderm ;  ihr  Bauchtheil  hin- 
gegen und  die  ganze  innere  Hülle  sind  Neubildungen.  Hiemach 
wäre  es  möglich,  dass  unter  Umständen  die  letztere  völlig  fehlte, 
weil  sie  dem  gleichnamigen  Gebilde  bei  den  Insekten  mit  innerem 
Eeimstreif  nur  analog  ist.  Dies  scheint  bei  Apis  der  Fall  za 
sein,  wenigstens  wenn  man  der  Darslellung  Bütschli's  Glauben 
schenken  will.    Hiernach^)   entstände   die  äussere  Hülle  ;;darch 


')  Ofienbar  ist  es  für  den  vorliegenden  Fall  ganz  und  gar  ohne  Belang, 
ob  bei  den  amnioten  Wirbelthieren  ebenfalls  eine  phylogenetbche  Begründung 
der  Embryonalhüllen  möglich  ist  oder  nicht.  Wenn  hier  nämlich  diese  Häate, 
über  deren  physiologische  Bedeutung  man  keineswegs  im  Klaren  ist,  auch 
lediglich  aus  der  Anpassung  des  Embryo  an  die  Umgebung  hervorgegangen 
sein  sollten,  so  kann  dort  eine  bereits  bestehende  Einrichtung  —  die  Larven- 
häutung —  von  dem  Embryo  benutzt  worden  sein,  um  sich  einen  Schatz  im 
Eie  zu  verschaffen.  Indessen  ist  selbst  das  noch  fraglich,  ob  wirklich  die 
Hüllen  dem  werdenden  Insekte  von  Nutzen  sind  oder  ob  sie  ihm  nicht  viel- 
mehr als  phylogenetisches  Erbstück  zur  Last  gereichen.  Für  den  letzteren 
Fall,  den  man  gewöhnlich  nicht  berücksichtigt,  wäre  selbstverständlich  nur 
eine  Erklärung,  wie  ich  sie  oben  gegeben,  möglich.  Bei  dem  meist  dicken 
und,  wie  vielfältig  constatirt  wird,  ausserordentlich  undurchlässigen  Cborion 
des  Insekteneies  scheinen  besondere,  aus  dünnen  und  weit  auseinandergezogenen 
Zellen  gebildete  Hüllen  für  den  Embryo  allerdings  nicht  gerade  notbwendig 
zu  sein.  Andererseits  kann  die  totale  Abwerfung  des  Ektodermes,  welche  zur 
Bildung  der  äusseren  Hülle  führt,  nicht  befremden,  wenn  man  die  enorme 
Vorfahrenreihe  des  Protentomon  bedenkt.     • 

*)  1.  c,  p.  534. 


Ueber  Ontogenie  und  Fhylogenie  der  Insekten.  167 

ein  allmähliches  Abheben  von  dem  Eeimstreif/^  so  dass  also  auch 
aller  Grund  znr  Entstehang  einer  innem  Hülle  wegfiele.  Nach 
Eovalevsky  hingegen  ist  zu  Anfang  dieselbe  vorhanden;  schwindet 
aber  später  sparlos ,  indem  ;,ihre  Zellen  sich  auflösen^  d.  h.  ver- 
schwinden'^  (I.  c.,  p.  46).  Anderererseits  darf  die  äussere  Hülle 
nie  fehlen  ^)  und  m  u  s  s  zur  Schliessung  des  Rückens  verwendet 
werden^  falls  sie  überhaupt  noch  dem  Ectoderm  von  Platygaster 
entsprechen  soll.  Bei  Apis  geschieht  dies  nach  Bütschli  indessen 
auch  nicht,  vielmehr  schliesst  sich  der  Rücken  durch  Verbreitung 
des  Keimstreifs  über  den  ganzen  Dotter  hin.  Zur  richtigen  Be- 
urtheilung  dieses  Vorganges  müssen  wir  die  Untersuchungen 
Melnikow^s  zu  Hülfe  nehmen.  Bei  Donacia,  Mystacides,  Simulia 
und  GhironomuS;  also  Vertretern  ganz  verschiedener  Insekten- 
gruppeu;  wächst  auch  die  innere  Hülle  über  das  ganze  Ei  hin, 
was  offenbar  nur  durch  Loslösung  ihrer  Ränder  vom  Eeimstreif 
geschehen  kann;  sie  persistirt  noch,  wenn  bereits  der  Rücken 
geschlossen  ist,  so  dass  eine  Betheiligung  der  äusseren  Hülle  am 
Aufbaue  des  Embryo  ganz  ausgeschlossen  ist.  Hieraus  ist  zu 
entnehmen^  dass  zwei  Abwerfangen  des  gesammten  Ektoderms 
erfolgten,  von  denen  zwar  die  letzte  in  zwei  verschiedenen  Zeit- 
abschnitten vor  sich  geht,  immerhin  aber  auch  die  Rückenhaut 
mit  betrifiPt.  Bei  Apis  ist  alsdann  diese  doppelte  totale  Häutung 
in  eine  einzige  zusammengezogen,  so  dass  das  Blastoderm  nicht 
mehr  demjenigen  der  Insekten  mit  innerem  Eeimstreif  homolog 
ist  und  natürlich  auch  nicht  zur  Schliessung  des  Rückens  ge- 
braucht wird.  Entsteht  aber  bei  Formica  nach  Qanin  der  Eeim- 
streif völlig  unabhängig  von  dem  Blastoderm  als  Neubildung  aus 
dem  Dotter,  so  darf  hier  ebenfalls  nur  Eine  Hülle  vorhanden 
sein  und  diese  sich  auch  nicht  an  dem  Aufbau  des  Dorsaltheils 
des  Embryo  betheiligen.  Beides  stimmt  mit  den  Beobachtungen 
überein. 

Ob  nun  überhaupt  die  so  eben  besprochenen  Verhältnisse  in 
Betreff  der  Hüllen  wirklich  vorkommen*,  oder,  was  ich  eher 
glaube,  nur  gezwungene  Deutungen  von  unvollständigen  Be- 
obachtungen darstellen,  ist  eine  Frage,  deren  Beantwortung  sich 
nur  durch  neue  Untersuchungen  geben  lässt.  Möglich  sind 
aber  diese  wiederholten  Häutungen,  wie  mir  aus  dem  Gesagten 
hervorzugehen  scheint,  vom  Standpunkte  der* Theorie  aus  ohne 


^)  Die  Behauptung  MetschnikofTs,  dass  bei  den  Mufciden  dies  der  Fall 
sei,  widerlegt  Eovalevsky  (1.  c.,  p.  2). 


168  P^"^  Mayer, 

Zweifel ;  natürlich  sind  auch  jetzt  viele  Schwierigkeiten  noch  nicht 
beseitigt,  so  dass  eine  richtige  Auffassung  aller  ontogenetischen 
Vorgänge  der  Zukunft  vorbehalten  bleibt.  Indessen  gewinnt  man 
aus  dem  Angeführten  doch  ein  phylogenetisch  verwendbares  Re- 
sultat. Es  zeigt  sich  nämlich,  dass  im  Allgemeinen  die  In- 
sekten mit  äusserem  Eeimstreif  älter  sind,  als  die  mit  innerem, 
(und  dass  die  letztern  eine  viel  grössere  Uebereinstimmung  auch 
in  den  Details  der  Entwicklung  zeigeu,  als  die  erstem).  Bestätigt 
wird  dieser  Satz  auch  durch  den  Umstand,  dass  bei  Platygaster 
die  Eeimstreifbildung  vom  Schwänze  nach  dem  Kopfe  zu  fort- 
schreitet, bei  den  mit  innerem  Eeimstreif  versehenen  (Endoblasten) 
hingegen  umgekehrt  vom  Kopfe  zum  Schwänze;  bei  den  Ekto- 
blasten  sind  beide  Sichtungen  zu  verzeichnen. 

Haben  uns  die  Pteromalinen  den  Schlüssel  zum  Yerständniss 
der  Insektenentwicklung  im  Grossen  und  Ganzen  zu  liefern  ver- 
mocht, so  sind  sie  auch  nach  einer  andern  Sichtung  noch  von  In- 
teresse für  uns.  Es  ist  nämlich  nicht  wahrscheinlich,  dass  Eier, 
welche  durch  eine  Fülle  von  Nahrungsdotter  charakterisirt  sind  und 
80  alle  Erinnerung  an  frühere  Epochen  haben  aufgeben  müssen, 
plötzlich  zur  regelrechten  Entwicklung  zurückkehren  sollten,  wenn 
jener  durch  ihren  Parasitismus  überflüssig  geworden  wäre.  Es  hiesse 
das  einen  Atavismus  wunderbarer  Art  zu  Hülfe  rufen.  Sonach  lässt 
sich  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  behaupten,  dass  die  Insekten- 
eier ursprünglich  mit  wenigem  (oder  gar  keinem?)  Dotter  aus- 
gerüstet waren;  ferner,  dass  sehr  bald  nach  der  Entstehung  des 
Protentomon  eine  kleine  Gruppe  unter  seinen  Abkömmlingen  die 
Gewohnheit  annahm,  ihre  Eier  in  die  Larven  der  übrigen  Insekten 
abzulegen.  In  dem  Maasse,  als  der  ganze  Stamm  zunahm  und 
die  Eier  mit  grösseren  Mengen  Nahrung  versehen  wurden,  konnten 
dann  auch  die  Eischmarotzer  entstehen  und  im  Laufe  der  Zeit 
variiren.  Hieraus  lässt  sich  mit  der  gehörigen  Vorsicht  wohl  ein 
Schluss  auf  das  Alter  der  einzelnen  Gruppen,  welche  diese  Ver- 
sorgung ihrer  Eier  acceptirten,  erzielen. 

Ich  will  nun,  indem  ich  die  Einzelheiten  in  der  Ontogenese 
erst  später  bei  den  betreffenden  Gruppen  besprechen  werde,  die 
Resultate,  welche  sich  aus  dem  Gesagten  für  die  Phylogenie  ge- 
winnen lasseu,  in  folgenden  Thesen  zusammenfassen: 

8)  ^)  Insekten  mit  äusserem  Keimstreif  sind  im  Allgemeinen 
älter,  als  die  mit  innerem. 


')  Nr.  1 — 7  über  die  Imagines,  8.  p.  147. 


Ueber  Ontogenie  nnd  Phylogenie  der  Insekten.  169 

9)  Insekten  mit  sog«  nnyoUkommener  Verwandlung  sind  im 
Allgemeinen  älter,  als  solche  mit  vollkommener. 

10)  Das  Protentomon  besass  Eier  mit  geringem  Nahrangsdotter. 

11)  Larvenformen  ohne  oder  mit  wenigen  Stigmen  sind  nach- 
träglich entstanden  und  somit  jünger,  als  die  verwandten 
Larven  ohne  solche  Abänderungen.  Aus  der  Grösse  derartiger 
Anpassungserscheinungen  wird  sich  der  Zeitpunkt,  in  .welchem 
die  Larven  sich  der  Lebensweise  ihrer  Vorfahren  entfremdeten, 
abschätzen  lassen. 

12)  Larven  mit  Tracheenkiemen  sind  jünger,  als  die  ver- 
wandten kiemenlosen  Larven. 

13)  Dasselbe  gilt  von  kopflosen  Larven  im  Gegensatze  zu  den 
mit  einem  Kopfe  versehenen. 

14)  Welche  Larven  ihren  Imagines  gegenüber  primär  oder 
secundär  sind,  ist  nicht  nach  einer  allgemeinen  Regel  zu  ent- 
scheiden, sondern  für  jeden  Spezialfall  zu  untersuchen. 


IL 

Ich  gehe  jetzt  zur  Besprechung  der  einzelnen  Insektenord 
nungen  über  und  beginne  mit  den  Hymenoptera,  weil  sie  uns 
durch  Platygaster  eine  Art  von  Verständniss  für  die  Ontogenese 
aller  Ordnungen  eröfinet  haben. 

Hymenoptera. 

Sie  stellen  eine  Gruppe  dar,  welche  zwar  nach  aussen  scharf 
abgegrenzt  erscheint,  in  sich  aber  viele  Verschiedenheiten  dar- 
bietet. Während  jedoch  diejenigen  Eigenschaften,  welche  ihnen 
allen  zukommen,  vorzugsweise  dazu  dienen  werden,  der  ganzen 
Ordnung  ihren  Platz  im  Stammbaum  anzuweisen,  interessiren  uns 
zunächst  nur  die  Verschiedenheiten  in  der  Ausbildung  der  einzelnen 
Formen  und  zwar  auch  nur  die  der  Imagines.  Die  Larven  sind 
nach  Satz  14  zu  beurtheilen  und  dürfen  also  hier  nicht  heran- 
gezogen werden.  Am  wenigsten  von  dem  Typus  des  Protentomon 
haben  sich  offenbar  diejenigen  Familien  0  entfernt,  deren  Mund- 
theile  noch  ausschliesslich  zum  Beissen  eingerichtet  sind,  deren 


')  Ich  führe  sie  nach  dem  Handbache  Ton  Caroa  and  Gerstäcker  aqf« 


170  Paal  Mayer, 

Hinterleib  die  grösste  Anzahl  von  freien  Metameren  besitzt  and 
deren  Thoraxringe  nicht  mit  einander  verwachsen  sind.  (VergL 
die  Sätze  4  a  und  b  auf  Seite  147.)  Von  den  drei  grossen  Gruppen 
der  Hymenoptera;  den  Aculeata^  Entomophaga  und  Phytophaga 
erfilllen  die  letzten  diese  Bedingungen  noch  am  besten.  Während 
nämlich  bei  jenen  Beiden  die  Zahl  der  Abdominalringe  höchstens 
7  beträgt;  finden  hier  wir  8  bei  den  TenthredinidaC;  9  bei  den 
Uroceridae;  während  dort  der  Hinterleib  gestielt  ist,  d.  h.  wenig- 
stens sein  erstes  Segment  zu  einem  mehr  oder  minder  deutlichen 
Stiele  umgewandelt  zeigt,  ist  er  hier  in  seiner  ganzen  Breite  mit 
dem  Thorax  verbunden.  Dazu  kommt,  noch,  dass^  wie  schon 
Bütschli^)  angedeutet  hat,  der  Bienenstachel  hervorgegangen  ist 
nicht  etwa  blos  aus  dem  12.  und  13.  Hinterleibssegmente,  sondern 
aus  ihnen  in  Gemeinschaft  mit  den  sogenannten  ,,AfterfUssen^'  der 
Larve.  Kraepelin  ^)  zeigt  nun,  dass  dies  bei  allen  Aculeaten  und 
auch  bei  den  Ichneumoniden  mit  einer  Legescheide  der  Fall  ist  ^) 
Da  aber  sicherlich  der  ganze  Apparat  ursprtinglich  als  ovipositor 
auftrat,  so  ist,  da  einmal  die  Homologie  nachgewiesen,  der  Stachel, 
wie  er  in  Verbindung  mit  der  Giftdrüse  als  Schutzmittel  fungirt, 
als  eine  secundäre  Erscheinung  zu  betrachten.  Sonach  sind  im 
Grossen  und  Ganzen  die  Aculeata  die  jüngsten ,  die  Phytophaga 
die  ältesten  Hymenoptera.  Ein  weiterer  Beweis  hierftlr  liegt  auch 
noch  darin,  dass  bei  den  letztgenannten  allein  von  den  drei 
Gruppen  das  Mesonotum  noch  am  Metanotum  beweglich  bleibt» 
während  im  Uebrigen  der  Thorax  bei  der  ganzen  Ordnung  ver- 


')  1.  c,  p.  545:  Die  Afterfüsse  stehen  „zur  GenitalbewafTnung  der  Imago 
in  genereller  [genetbcher?]  Bezlebung.^^ 

')  Untersuchungen  über  den  Bau,  Mechanismus  und  die  Entwicklnngs- 
gesohichte  des  Stachels  der  bienenartigen  Thiere.  Zeitschr.  wiss.  Zool.  1873, 
p.  399  ff. 

')  Fackard  entwickelt  freilich  in  sdner  bereits  erwähnten  Abhandlung 
über  die  Hjmenoptera  andere  Ansichten.  Er  lässt  zwar  auch  den  ovipositor 
aus  Anhängen  des  8.  u.  9.  Segmentes  entstehen,  sieht  aber  in  diesen  „tubercles** 
keine  homologa  mit  den  Füssen,  weil  jene  aus  den  Sterniten,  diese  zwischen 
Sterniten  und  Fleuriten  hervorsprossen  sollen.  Dagegen  sind  ihm  wahre  homo- 
loga mit  den  Füssen  die  appendices  anales  der  Ephemeridae,  vieler  Ortho- 
ptera  etc.  Durch  die  letzteren  werde  eine  Art  von  Symmetrie  zwischen  Anfang 
und  Ende  des  Insektenleibes  hergestellt  („we  perceive  faint  traces  of  antero- 
posterior  symmetry  .  .  .  involving  a  repetition  of  homologous  appendages  at 
the  two  opposite  poles  of  the  body"  (1.  c,  p.  85).  So  seien  die  entgegen- 
gesetzten Körperpole  „morphologically  simply  repetitions  of  each  other^^ 
(p.  94)!    Es  wird  nicht  nothwendig  sein,  hierauf  weiter  einzugehen. 





Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  171 

wachsen  ist.  Mit  Rücksicht  nun  auf  den  eigCDthttmlichen  Bau 
der  Uroceridae  (Spaltung  des  Prothorax  and  des  ersten  Abdo- 
minaltergites  etc.)  wird  man  wohl  die  Tenthredinidae  oder 
richtiger  gesagt,  eine  zwischen  ihnen  und  den  Uroceridae  stehende, 
ausgestorbene  Gruppe  als  die  ältesten  Hautflügler  zu  bezeichnen 
haben  (Prothymenoptera),  von  denen  alsdann  die  Uroceridae  als  ein 
durch  Gewöhnung  an  das  Holzbohren  abgeänderter  Zweig  sich  seitlich 
entfernt,  während  der  Hauptstamm  zu  den  Tenthredinidae  weiter 
verläuft.  Der  Uebergang  von  den  Phytophaga  zu  den  Entomo* 
phaga  könnte  man  in  den  Cynipidae  vermuthen,  welche  zwar 
in  ihrer  Organisation  bereits  wesentlich  mit  den  Letzteren  über- 
einstimmen, jedoch  meist  noch  eine  ähnliche  Versorgung  ihrer  Eier 
wie  die  Erstem  betreiben.  Da  indessen  ihr  Hinterleib  eine  be- 
sondere, femrohrartige  Anordnung  der  einzelnen  Segmente  zeigt, 
so  sind  auch  sie  als  bedeutend  modificirt  anzusehen.  Daher  stehen 
wohl  den  Tenthredinidae  eben  so  nahe  die  Chalcididae  und 
Proctotrypidae(zu  denen Ophioneurus,  Platygaster  und  Teleas 
gehören).  Vo^  diesen  sind  aber  die  Letztgenannten,  wie  schon 
der  Name  besagt,  wiederum  weiter  von  dem  Stamm  entfernt, 
indem  sich  offenbar  der  Legebohrer  ursprünglich  auf  der  Bauch- 
seite befand.  Ob  die  Ichneumonidae  älter  oder  jünger,  als 
die  beiden  eben  erwähnten  Familien  sind,  muss  durch  genauere 
Untersuchungen  festgestellt  werden,  doch  spricht  der  Umstand, 
dasB  bei  Manchen  von  ihnen  der  Hinterleib  nicht  eigentlich  ge- 
stielt ist,  für  eine  verhältnissmässig  früh  erfolgte  Abtrennung  vom 
Stamme.  Die  Verbindung  mit  den  Aculeata  vermitteln  die  Pom- 
pilidae  und  Crabronina  in  so  fern,  als  die  Weibchen  in  diesen 
Familien  ihre  Eier  nicht  mehr  in  lebende,  sonder  an  zuvor 
getOdtete  oder  wenigstens  gelähmte  Larven  legen.  Da  aber 
nicht  anzunehmen  ist,  dass  diese  Gruppen  wirklich  zuerst  ihre  Eier 
in  der  bei  den  Entomophaga  gebräuchlichen  Weise  abgesetzt 
hätten,  so  wird  man  wohl  die  Linien  der  Entomophaga  und 
Aculeata  sich  gleich  unten  am  Stamme  trennen  lassen.  Dann 
hätte  der  ältere  Zweig  die  Eier  nach  wie  vor  i  n  das  Nährmaterial 
gelegt,  wie  das  auch  die  Phytophaga  thaten ;  der  andere  würde 
allmählich  seine  Larven  der  Fleischkost  entwöhnt  haben,  wie  dies 
bei  den  Bienen  der  Fall  ist.  Eine  directe  Ableitung  der  Aculeata 
von  einer  der  noch  jetzt  lebenden  Familien  der  Entomophaga 
erscheint  mir  wenigstens  als  verfehlt.  Die  Pompilidae  stehen 
durch  ihren  oft  grossen  Prothorax  den  Phytophaga  am  nächsten 


172  Paol  Mayer, 

und  mögen  als  seitliche  Abzweigungen  die  Heterogyna  (durch 
sexual  selection  entstanden)  und  die  Chrysididae  aufzuweisen 
haben,  während  dieCrabroninazu  den  eigentlichen  Apiariae 
und   Vespariae   hinleiten.  ^    Während   aber  bei  den  Bienen 
und  Wespen   der   Stachel  als   solcher  sich  so  weit  differenzirt, 
dass  er  mit  Widerhaken   besetzt   ist;   die   nach   Kraepelin    bei 
den  Crabronina  wenn  auch  nur  in  geringerem  Orade  vorhanden 
sind y  ist  bei  den  Formicariae  der  Stachel   umgekehrt  häufig: 
rückgebildet ;  obwohl  noch  stets  nachweisbar.    Dafür  ist  aber 
die  sonst  kleine  Giftblase   oft  enorm  gross  geworden.     Da  non 
die  Vorderflttgel   nicht   faltbar  sind;  so   wird  man  die  Ameisen 
jedenfalls  nicht  zu  den  Wespeu;  sondern  höchstens  in  die  Nähe 
der  Bienen  setzen  dürfen.    Auf  die  ausgesprochene  Analogie  in 
der  Arbeitstheilnng  darf  maU;  wie  schon  die  Termiten  beweisen, 
nicht  allzuviel  Werth  legen.    Wahrscheinlich  wird  man  ihnen  aber 
eine  noch  tiefere  Ursprungsstelle;  vielleicht  in  der  Höhe  des  Pom- 
pilidenzweiges  anweisen  mttsseu;  was  allerdings  gegenwärtig  nicht 
mit  Sicherheit  zu  entscheiden  ist. 

Die  Ontogenese  der  Hymenoptera  ist;  abgesehen  von  den 
Arbeiten  Oanin's  und  Btttschli'S;  wenig  bekannt.  Bei  einigen  auf 
Madeira  lebenden  Arten  von  Formica  soll  nach  Metschnikoff  ^)  an 
Stelle  der  äusseren  Hülle  des  Embryo  eine  ;;Anzahl  lose  liegender 
Zellen^'  treten  —  ein  Beweis  mehr  für  die  gewaltig  abgeänderte 
Entwicklungsweise  der  Ameisen.  In  wie  weit  diese  übrigens  von 
den  niedrigen  Formicariae  getheilt  wird;  bleibt  abzuwarten.  Die 
abnorme  Stellung  des  Legebohrers  bei  den  Proctotrypidae  wird 
durch  die  Angabe  Oanin's  aufgeklärt,  dass  bei  Platygaster  auch 
das  elfte  Segment  sammt  seinen  Fussanlagen  zu  den  Genitalien 
in  Beziehung  tritt.  Die  Larven  der  Entomophaga  sind  bekannt- 
lich ;;fusslos'^  und  haben  auch  an  den  Segmenten  (mit  Ausnahme 
eben  der  letzten)  keine  Füsse  während  des  Eilebens  besessen. 
Bei  den  Aculeata  ist  anscheinend  das  Gleiche  der  FaU;  aber,  wie 
die  Ontogenie  von  Apis  beweist;  sind  die  Füsse  im  Embryo  an- 
gelegt. Sonach  ist  die  Larve  der  Apiden  nicht  gleichzustellen 
derjenigen  von  Platygaster  etc.;  vielmehr   ein  nachträglich  ein- 


')  Den  genauen,  auf  sorgfältige  Beobachtungen  gegründeten  Nachweis 
für  die  Ableitung  der  Bienen  von  den  Grabwe^pen  liefert  Hermann  IttüHer  in 
seiner  gehaltreichen  Schrift :  Anwendung  der  Darwin'schen  Lehre  auf  Bienen. 
(Verhandl.  naturh.  Ver.  Bheinprovinz  u.  Westfalen«  Jahrg.  1873,  p.  1—96, 
Tab.  I,  IL) 

')  Elntwicklung  der  etc.  Myriapoden,  p.  278. 


Üeber  Ontogenie  and  Phjlogenie  der  Insekten.  173 

geschobenes  Stadiam.  Endlich  besitzen  bei  den  Phytophaga  die 
Larven  noch  9 — 11  Paar  Beine  und  zeichnen  sich  zum  Theile 
(diejenigen  der  Tenthredinidae)  anch  dnrch  Färbung  der  Eörper- 
haut  vor  den  sonst  weissen  Jugendzuständen  aus ;  mithin  nähern 
sie  sich  der  Imago  bedeutend,  sind  also  verhältnissmässig  wenigen 
Änpassangen  ausgesetzt  gewesen.  Bei  Polynema  sollen  während 
der  ganzen  Entwicklung  und  auch  bei  dem  vollendeten  Insekte 
keine  Tracheen  existiren;  die  Flügel  scheinen  bei  den  dicht  über 
dem  Wasser  fliegenden  oder  sogar  schwimmenden*)  Thierchen 
als  Kiemen  zu  fuugiren,  indem  sie  nach  Ganin  ^^in  ihrem  Innern 
eine  einfache  (mit  Blut  gefüllte)  Höhle  umschliessen^'  (1.  C;  p.  427). 

Mit  Bücksicht  auf  die  eben  ausgesprochenen  Vermuthungen 
über  den  Zusammenhang  der  einzelnen  Familien  der  Hymenoptera 
unter  einander  zeichne  ich  nun  den  hypothetischen  Stammbaum 
derselben  in  der  Form  auf,  in  welcher  er  auf  Taf.  VI  a  wiedergegeben 
ist  und  knüpfe  daran  eine  kurze  Charakteristik  des  Prothymeno- 
pteron,  indem  ich  diejenigen  Merkmale  als  bestimmend  annehme, 
welche  entweder  allen  oder  den  ältesten  Hautflüglem  zukommen. 
In  gleicher  Weise  werde  ich  bei  den  andern  Insektenordnungen 
verfahren. 

Prothymenopteron:  9  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax 
bereits  mit  dem  Mesothorax  verwachsen.  Mundtheile  beissend. 
Flttgelpaare  gleich,  ohne  Schuppen.  Kopf  frei  wendbar,  mit  3 
OceUen.  Beine  mit  5  Tarsen.  3  Thorakal-,  6  Abdominalganglien. 
Sehr  viele  vasa  Malpighii.  Beim  Weibchen  eine  Legescheide.  Ent- 
wicklung mit  äusserem  Eeimstreif,  Larve  gefärbt,  mit  wenigstens 
9  Beinpaaren. 

Lepidoptera. 

Sie  bieten  zur  Aufstellung  ihres  Stammbaumes  wenig  Hand* 
haben.  Die  innem  Organe  erscheinen,  so  weit  die  Untersuchungen 
reichen,  im  Wesentlichen  bei  allen  gleich  gebaut;  überhaupt  ein- 
förmiger, als  bei  irgend  einer  andern  Ordnung  unter  den  Insekten. 
Auch  mit  der  äusseren  Beschaffenheit  des  Körpers  und  seiner 
Anhänge  sieht  es  nicht  anders  aus.  Das  Abdomen  besteht  aus 
7 — 9  freien  Bingen;  genaue  Angaben  über  diesen  Punkt  unter 
Berücksichtigung  der  einzelnen  Familien  waren  mir  leider  nicht 
zugänglich  und  fehlen  vielleicht  überhaupt,  da  sie  in  den  Augen 
der  Systematiker  keinen  klassifikatorischen  Werth  haben.    Aus 

')  Nach  Lubbock  (monograph  of  the  Collembola  and  Thysanura,  p.  54) 
ut  dies  der  Fall  bei  Polynema  natans. 


174  Paul  Mayer, 

diesen  Gründen  wohnt  auch  den  folgenden  Anseinandersetztingen 
viel  weniger  Sicherheit  inne,  als  denen  über  die  Hymenoptera. 
Von  Wichtigkeit  ist  übrigens  der  Umstand,  dass  die  Baupen  darch 
ihre  grosse  Beinzahl  (meist  8  Paare)  und  die  ihnen  zukommende 
Färbung  wesentlich  übereinstimmen ;  es  lässt  sich  hieraus  mit  ziem- 
licher Gewissheit  der  Schluss  ziehen ;  dass  sie  in  dieser  Form 
bereits  bei  dem  Protolepidopteron  vorhanden  waren  und  somit  bei 
der  Aufstellung  des  Stammbaumes  verwendet  werden  dürfen. 

Zunächst  die  Macrolepidoptera.  Als  ein  äusserst  wichtiges, 
obwohl  unscheinbares  Merkmal  muss  das  retinaculum  an  den 
Hinterflügeln  angesehen  werden,  da  es  offenbar  zur  Erleichte- 
rung des  Fluges  dient  und  daher  als  eine  nachträgliche  Bil- 
dung erscheint.  Da  es  bei  den  Familien,  welche  es  besitzen^ 
in  durchaus  gleicher  Form  auftritt,  so  fehlt  jeder  Grund  zu  der 
Annahme,  es  sei  von  ihnen  auf  verschiedenem,  für  jede  Gruppe 
selbständigen  Wege  erworben  werden.  Auch  die  Coconfabrication 
seitens  der  Baupen  ist  als  eine  spätere  Anpassungserscheinung 
anzusehen,  kann  aber  von  jeder  Familie  besonders  erlernt  und 
abgeändert  worden  sein  und  besitzt  daher  nicht  die  phylogene- 
tische Bedeutung,  wie  sie  den  Flügelhaltern  innewohnt  Ohne 
eigentlichen  Cocon  sind  nur  die  Baupen  der  Diuma,  Sphingidae 
und  Xylotropha.  Da  aber  die  beiden  ersten  Familien  stets  ein 
retinaculum  besitzen,  so  bleiben  nur  die  Xylotropha  als  ver- 
hältnissmässig  alt  übrig.  Unter  diesen  treten  durch  ihre  nackten 
Flügel  die  Sesiariae  hervor,  deren  oft  aussergewöhnliche  Aehn- 
lichkeit  mit  Hymenoptera  und  Diptera  stets  erwähnt  wird.  Wenn 
nun  auch  dieses  Phaenomen  zum  Theil  sicherlich  nur  Schein  ist, 
zum  Theil  auch  wohl  seinen  Ursprung  der  Mimicry  verdankt,  so 
glaube  ich  doch  nicht,  dass  die  geringe  Beschuppung  der  Flügel 
eine  Bückbildung  darstellt,  und  stehe  daher  nicht  an,  die  Sesien 
als  die  dem  Protolepidopteron  am  nächsten  befindliche  Abtheilung 
der  Macrolepidoptera  zu  bezeichnen.  Durch  ihre  Vermittelung 
würden  sich  an  die  Xylotropha  direct  die  Sphingidae  an- 
schliessen,  zu  welchem  man  sie  früher  ohnehin  rechnete,  während 
die  Cossina  zu  den  Bombycina  üWleiten  würden  würden.  In 
dieser  Familie  sind  die  Gruppen  ohne  retinaculum,  die  Bomby- 
cidae  und  Satumidae  älter,  als  die  mit  einem  solchen  versehenen 
Liparidae  und  die  durch  ihre  Fortpfianzungsweise  merkwürdigen 
Psychidae.  Die  hier  vorkommende  Parthenogenesis  ist  selbstver- 
ständlich jüngeren  Datums  und  kann  nach  Satz  7  bei  der  Auf- 


üeber  Ontogenie  und  Fhylogenie  der  Insekten.  175 

Btellang  dieses  allgemeinen  Stammbaumes  anberücksichtigt  gelassen 
werden,  während  bei  einer  monographischen  Bearbeitung  der  ein- 
zelnen Gattungen  und  Arten  natürlich  Gewicht  auf  sie  zu  legen 
sein  wird.  Die  Diurna  (Rhopalocera)  sind  wegen  ihrer  Flügel- 
haltung und  Ftthlerbildung  jedenfalls  eine  homogene  und  in  ihren 
jetzt  bestehenden  Formen  verhältnissmässig  junge  Abtheilung;  so 
dass  das  Protorhop aloceron  von  den  Xylotropha  um  ein  Bedeu- 
tendes absteht.  Selbstverständlich  sind  von  geringem  Alter  unter 
den  Tagschmetterlingen  diejenigen  kleineren  Gruppen,  welche  ent- 
weder an  beiden  Geschlechtem  oder  nur  beim  Männchen  ver- 
kümmerte Vorderbeine  (sog.  Pntzpfoten)  aufweisen.  Bechnen  wir 
diese  und  ausserdem  die  Equites  wegen  ihrer  ^^geschwänzten'' 
Flügel  ab;  so  bleibt  nur  noch  zvnschen  den  Hesperiadae^  den 
Acraeidae  und  den  Pieridae  zu  entscheiden.  Für  die  letzteren 
spricht  die  weisse  Farbe  der  Flügel^  da  offenbar  die  Schuppen 
bei  ihrem  phylogenetischen  Auftreten  zuerst  farblos  waren  und 
erst  später  meist  durch  sexual  selection  farbige  Wandungen  er- 
hielten. Andererseits  finden  sich  die  zwei  sehr  charakteristischen 
Sporenpaare  an  den  Hinterschienen  der  Xylotropha  bei  den  Diurna 
nur  noch  unter  ;den  Hesperiadae.  Sonach  hat  die  zu  suchende 
Verbindung,  das  Protorhopaloceron,  wahrscheinlich  in  der  Mitte 
zwischen  den  Weisslingen  und  Dickköpfen  gestanden.  —  Die 
Gheloniariae  scheinen  den  Bombycidae  nahe  zu  stehen. 
Endlich  vermitteln  unzweideutig  zwischen  diesen  letztem  einer- 
seits und  den  Geometridae  andererseits  die  Noctuina. 

Unter  den  Microlepidoptera  sind  die  Pterophoridae  und 
die  Tineina  wegen  ihrer  Flügelbildung  sicher  nicht  als  die  ur^ 
sprünglichen  Formen  anzusehen.  Wenn  die  Behauptung  Suckow's  % 
dass  bei  Hyponomeuta  und  Pterophorns  nur  4  vasa  Malpighii 
vorkämen,  nicht  von  vomherein  unwahrscheinlich  wärC;  so  würde 
für  alle  Kleinschmetterlinge  ein  grosses  Alter  feststehen.  Jeden- 
falls ist  die  Angabe  desselben  Autors  ^),  bei  Hyponomeuta  seien 
zwei  getrennte  Hoden  vorhanden,  wie  ich  durch  Autopsie  weiss, 
nnrichtig;  vielmehr  findet  sich  auch  hier  die  gemeinschaftliche 
Hülle  —  eine  secundäre  Erscheinung  —  vor.  So  mangelt  einst- 
weilen jeder  Anhalt,  die  Stellung  der  Ti)rtricina,  welche  den 
ursprünglichen  Microlepidoptera  am  nächsten  zu  kommen  scheinen^ 


')  Verdannngsorgane  der  Insekten.    liooBinger'fl  ZeiUchr.  für  organische 
Physik  1833,  Tab.  IX. 

*)  Geschlechtsorgane  der  Insekten.    Dies.  Zeitschr.  1838,  Tab.  X. 


176  ^a«l  Mayei», 

genau  zu  fixiren.  Die  Sporen  an  den  Hinterschienen  felilen  auch 
hier  nirgends^  doch  ist  damit  eine  Ableitung  der  Eleinschmetter* 
linge  von  den  Xylotropha  oder  dieser  von  jenen  noch  nicht  dar- 
gethan. 

lieber  die  Ontogenese  liegen  nur  Notizen  vor.  Von  Ptero- 
phorns  gibt  Eovalevsky  an^  die  äussere  HttUe  werde  zur  Schliessung 
des  Rückens  nicht  verwendet^  sondern  von  der  Larve  aufgezehrt. 
Dasselbe  behauptet  Oanin  von  der  Bombyxlarve.  Auch  hiemach 
ist  die  enge  Zusammengehörigkeit  der  Macro-  und  Microlepidoptera 
zweifellos.  Was  die  Larven  betrifil,  so  repräsentiren  die  16ftlssigen 
den  irüheren  Zustand;  während  bei  den  Noctnina  bereits  14-  und 
12ftt8sige  und  bei  den  von  ihnen  abgeleiteten  Geometridae  sogar 
lOfOssige  vorkommen.  Weiteren  Anpassungen  sind  die  Raupen 
nach  dieser  Richtung  hin  nicht  ausgesetzt  gewesen.  Auch  bei 
Tineina  und  Pyralida  kommen  14beinige  Larven  vor. 

Protolepidopteron:  9  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax 
bereits  verwachsen.  Echt  saugende  Mundtheile.  Flügelpaare 
gleich;  mit  zerstreuten  farblosen  Schuppen  oder  Haaren  besetzt. 
Kopf  frei  wendbar.  Nur  noch  2  OceUen.  Beine  mit  5  Tarsen. 
3  Thoracal-;  5  Abdominalganglien.  6  vasa  Malpighii.  4  Ovaria^ 
2  Hoden.  Legescheide  nicht  vorhanden.  Entwicklung  mit  äusserm 
Keimstreife;  Larven  farbig,  mit  8  Beinpaiuren. 

Diptera. 

Sie  bilden;  wenn  wir  einstweilen  von  den  Pulicidae  und 
Pupipara  abseheu;  eine  scharf  umgrenzte  Gruppe.  Die  stechenden 
Mundtheile  in  Verbindung  mit  einer  Reihe  anderer  Abänderungen; 
wie  die  seltsame  Flttgelbildung;  der  verwachsene  Prothorax  und 
der  völlig  freie  Kopf;  lassen  sie  als  eine  Abtheilung  erscheinen; 
die  seit  ihrem  Auftreten  vielen  Anpassungen  unterworfen  worden 
und  so  in  ihren  noch  lebenden  Repraesentanten  bedeutend  modi- 
ficirt  ist  In  anderer  Beziehung  stehen  sie  hingegen  dem  Proten- 
tomon  noch  ziemlich  nahe.  Der  freien  Abdominalringe  finden 
sich  zum  Theil  noch  9  vor;  während  ein  Herabsinken  wie  bei  den 
Käfern  auf  5  nur  selten  vorkommt.  Dagegen  zeigt  das  Nerven- 
system nur  noch  höchstens  6  Abdominalganglien.  Die  vasa  Mal- 
pighii sind  äusserst  constant^)  an  Zahl  4  und  enden  entweder 


*)  Dafour,  memoire  sur  les  vaisscaux  biliaires  oa  le  foie  des  Inscctes 
(Annal.  Sc*  natur.  Zool.  1843  I,  p«  145—182)  findet  bei  den  Culicidae  5 
,)Comme  je  me  plais  ä  le  redire.^^ 


Üeber  Oatogenie  und  Phyiogenie  der  Insekten.  177 

YöUig  frei  oder  paarweise  in  Schlingen.  EÜlnfig  besitzen  sie  zu 
je  zwei  einen  gemeinschaftlichen  Ansftihrgang.  Als  Ansstttlpang 
des  Oesophagus  scheint  überall  ein  ELropf  vorzukommen.  Im 
Rectum  befinden  sich  stets  4  Papillen.  Besonders  charakteristisch 
für  eine  grosse  Anzahl  von  Familien  sind  3  mit  meist  dunkel  ge- 
färbten Wandungen  versehene  Receptacula  seminiS;  die  jedenfalls 
ein  brauchbares  Mittel  ftir  phylogenetische  Untersuchung  abgäben, 
wenn  nicht  die  Eenntniss  derselben  viel  zu  wünschen  übrig  liesse. 
Namentlich  ist  hier  Dufour  völlig  unzuverlässig^  da  er  die  Be- 
deutung der  Behälter  durchaus  verkannt  hat  und  so  häufig  Ver- 
wecfaselungen  mit  andern  Anhangsgebilden  der  weiblichen  Geni- 
talien sich  zu  Schulden  kommen  lässt. 

Die  grösste  Anzahl^reier  EGnterleibsringe^  nämlich  8  oder  9, 
finden  wir  bei  den  Tipulariae.  Unter  ihnen  sind  die  Fungi- 
colae  und  Gallicolae  als  abgeleitete  Formen  zu  betrachten,  deren 
Larven  e^e  Lebensweise  eigenthümlicher  Art  angenommen  haben 
und  daher  auch  auf  die  Imagines  wiederum  einwirkten.  Der 
directe  Beweis  hierfür  liegt  darin,  dass  unter  den  pilzbewohnenden 
Dipterenlarven  kopftragende,  zu  den  Tipulariae  gehörige  und 
kopflose  Muscidenlarven  vorkommen.  Sonach  fand  die  Gewöhnung 
an  die  Pilze  erst  statt,  als  bereits  eine  Trennung  der  Muscariae 
und  Tipulariae  erfolgt  war  und  die  Larvenform  im  Allgemeinen 
feststand.  Höchst  wahrscheinlich  sind  die  Culiciformia  und  Culicina 
wegen  ihrer  Wasserlarven  mit  kiemenförmigen  Anhängen  eben- 
falls spätere  Abzweigungen  und  so  bleiben  als  Grundform  nur  die 
Muscaeformia  übrig,  deren  Larven  in  der  Erde  sich  entwickeln. 
Es  ist  allerdings  möglich,  dass  die  Larve  des  Protodipteron  be- 
reits das  feste  Element  mit  dem  flüssigen  vertauscht  hatte,  mit 
andern  Worten,  das  Protodipteron  seine  Eier  in  das  Wasser  ab- 
zulegen gewohnt  war;  dann  wären  diejenigen  Tipulariae  die 
ältesten,  deren  Jugendzustände  noch  jetzt  sich  im  Wasser  ent- 
wickeln, dann  müsste  man  aber  auch  annehmen,  dass  die  Larven 
der  übrigen  Dipteren  sich  wiederum  dem  Leben  auf  dem  Lande 
anbequemt  hätten.  So  lange  indessen  keine  zwingenden  Gründe 
für  diese  complicirte  Hypothese  sprechen,  wird  man  mit  der  ein- 
facheren vorlieb  nehmen  und,  wie  schon  erwähnt,  unter  den 
Bfusciformia  oder  vielmehr  in  der  Nähe  dieser  kleinen  Schaar 
das  Protodipteron  suchen.  Es  ist  nun  neuerdings  „auf  Grundlage 
der  von  Brauer  vorgeschlagenen  Eintheilung  der  Dipterenlarven 
nach  ihrem  Verpuppungsprocess  in  Orthorhapha  und  C^clorhapha'' 

BdL  X,  M.  F.  UI,  S.  12 


178  faul  Mayer, 

von  Schmer  ein  System  der  Dipteren  entworfen  worden.  *)  Dieses 
musB  nach  Brauer,  da  es  y,auf  physiologischen  Grondpfeilem  mht, 
als  nattlrlicher  angesehen  werden,  als  alle  jene,  welche  einseitig 
nur  die  Charaktere  der  vollendeten  Insekten  berücksichtigten.'' 
An  und  für  sich  betrachtet  sind  zwar  die  Abweichungen,  welche 
sich  durch  die  neue  Anordnung  ergeben,  nicht  so  sehr  bedeutend; 
dagegen  ist  das  Eintheilungsprincip  selbst  unhaltbar  und  moss 
in  seinen  Gonsequenzen  zu  den  schon  oben  widerlegten  An- 
schauungen Salensky's  führen.  So  lange  nämlich  eine  blosse 
Nebeneinanderstellung  der  einzelnen  Familien  diesem  wie  den 
früheren  Systemen  genügt,  ist  bei  der  Gruppirung  nach  den 
Larvenformen  der  Yortheil  darin  zu  suchen,  dass  man  aus  dem 
Platze,  welchen  jede  Familie  einnimmt,  ohne  Weiteres  auf  die  ihr 
zukommende  Larvenform  einen  Schlnss  ziehen  kann ;  es  ist  also 
gegenüber  der  ziemlich  regellosen  Aneinanderreihung,  wie  sie  in 
andern  Systemen  herrscht,  ein  Fortschritt  nicht  zu  verkennen. 
Dagegen  lässt  sich  a  priori  durchaus  nicht  beweisen,  dass  zwei 
nahe  verwandte  Fliegenfamilien  auch  ähnliche  Larven  haben 
müssen,  und  umgekehrt,  dass  einander  nahestehende  Larven  auch 
eine  Annäherung  der  Imagines  bedingen.  Ich  werde  weiter  unten 
zeigen,  dass  sämmtliche  Larvenformen  der  Dipteren  in  ihren 
charakteristischen  Theilen  dem  Protentomon  gegenüber  secundär 
sind  und  es  also  auch  ihren  Imagines  gegenüber  sein  können; 
in  wie  weit  das  letztere  Verhalten  zutrifft;,  hat  bei  jeder  Gruppe 
V  die  Entwicklungsgeschichte  aufzudecken.  Viel  richtiger  schdut 
es  mir,  ein  System  —  selbstverständlich  ein  phylogenetisch  be- 
gründetes —  möglichst  auf  kleine,  unbedeutende  Merkmale  zu 
fundiren,  welche  zwar  bei  ihrem  Auftreten  ihrem  Träger  von 
Nutzen  waren  (denn  sonst  würden  sie  sich  wohl  nicht  bis  zur 
Gegenwart  haben  erhalten  können),  im  Lauf  derZeit  jedoch  ihren 
Werth  verloren,  der  Anpassung  nicht  ausgesetzt  waren  und  somit 
nur  noch  durch  Vererbung  sich  bis  auf  unsere  Zeit  fortsetzten« 

.  Unter  den  Musciformia  (Bibionidae  und  Simulidae  nach 
Brauer)  vermittelt  nun  wahrscheinlich  Simulia  ohne  Ocellen  den 
Uebergang  zu  dem  Reste  der  Mücken,  während  vielleicht  in  Bibio 
mit  Ocellen  der  Zusammenhang  mit  den  Tabanina  und  somit 
zu  den  übrigen  Diptera  'gegeben  ist.  Der  genannten  Familie 
machen    übrigens   die   Asilina,    deren  Fühler  indessen  schon 


')  Braaer,  Kurze  Charakteristik  der  Diptereniarven  u.  a.  w.  Verband!,  zool. 
botun.  Gesellscb.    Wien  XIX  1869,  p.  843. 


tJeber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  179 

meist  nicht  mehr  als  3  Glieder  anfweisen,  in  etwas  den  Platz  streitig, 
da  ihr  Nervensystem  noch  2  Banchknoten  mehr  besitzt;  als  das 
der  Tabanina  und  so  jedenfalls  eine  directe  Ableitung  von  ihnen 
als  unmöglich  erscheinen  lässt  Mit  den  Tabanina  stehen  durch  das 
Vorkommen  von  zwei  eigenthümlichen  Blindschläuchen  am  Magen, 
was  sonst  bei  den  Diptera  nicht  der  Fall  zu  sein  scheint,  in  Ver- 
bindung die  Leptidae,  Bombyliidae  und  Sjrphidae,  von 
welchen  die  ersteren  mit  Rücksicht  auf  ihre  8  freien  Abdominal- 
ringe als  sehr  alt,  die  letzteren  mit  nur  5  als  sehr  jung  und  die 
Bombyliidae  mit  6—7  als  in  der  Mitte  befindlich  angesehen  werden 
müssen.  In  die  Nähe  dieser  Familien  gehören  auch  durch  ihre 
Organisation  die  Stratiomyidae;  da  nun  unter  ihnen  sich 
zwar  wesentlich  verschiedene  Formen,  die  älteren 'Xylophagi  mit 
7 — 8  Abdominalringen  und  die  jüngeren  eigentlichen  Wasserfliegen 
mit  nur  5  Ringen  vorfinden,  so  wäre  es  recht  gut  denkbar,  dass 
gerade  auch  den  ersteren  das  Merkmal  der  Blindschläuche  zukäme. 
Bis  dieser  Beweis  erbracht  ist,  wird  die  Stellung  der  Familie  zu 
den  Tabanina,  mit  denen  sie  sonst  auch  durch  das  geringelte 
Endglied  der  Fühler  übereinstimmen,  nicht  mit  Sicherheit  festzu- 
setzen sein.  Wohin  die  Muscariae  zu  bringen  sind,  unterliegt 
gleichfalls  einigem  Bedenken.  Sie  stehen  den  Syrphiden  und 
Stratiomyiden  durch  die  5  Hinterleibsringe  und  die  pupa  coarctata, 
den  ersteren  überdies  durch  Zusammenziehung  der  Brustganglien 
auf  eine  Centralmasse  sehr  nahe.  Doch  sind  dies  alles  Anpas- 
sungsverhältnisse, welche  nicht  recht  entscheidend  sind,  da  sie 
immerhin  durch  ähnliche  Lebensbedingungen  getrennt  erworben 
sein  können.  Vor  der  Hand  stelle  ich  sie  zu  den  Syrphidae.  Was 
den  Rest  der  Diptera  betrifft,  so  wage  ich  über  die  abnormen 
Inflata,  Scenopinidae,  Platypezidae  und  Therevidae 
kein  Urtheil  (und  betone  nur  auf  Grund  der  8  Abdominalringe 
das  grosse  Alter  der  Scenopinidae  und  Therevidae),  während  ich 
die  Dolichopodidae  und  Empidae  wegen  ihres  enormen 
Copulationsapparates,  den  sie  mit  den  Asilidae  und  verschiedenen 
Tipulariae  nach  Schnmmel  ^)  theilen,  in  die  Nähe  der  Asilidae 
bringen  möchte. 

Die  Ontogenese  der  Diptera  ist  überaus  schwierig  zu  verstehen, 
zumal  sie  noch  so  wenig  studirt  worden  ist.  Genaue  Unter- 
suchungen sind  über  die  Vorgänge  im  Ei  bei  Chironomus  und 
Mnsca  von  Weismann  und  bei  Miastor  und  Simulia  von  Mecznikow 


')  Siebold,  TgU  Anatomie  der  Wirbellosen,  p.  660  adn.  3. 

12* 


180  I^aul  Mayer, 

und  auch  von  Orimm  angestellt  worden,  doch  ist  eine  Dentniig 
der  hierbei  auftretenden  Seltsamkeiten^  so  weit  diese  wirklich  yor- 
kommen  und  nicht  auf  ßeobachtungsfehlem  beruhen,  einstweilen 
noch    nicht    möglich.     Die  Entwicklung  geschieht    ttberall   mit 
äusserem  Eeimstreif ;  dabei  finden  aber  in  räthselhafter  Weise  bei 
einigen  Arten  nacheinander  zwei  Umdrehungen  des  Embryo   um 
seine  Längsaxe  in  einem  Betrage  von  je  180^  statt,  von  denen 
die  erste  nach  Weismann  mit  einem  Riss   des  Blastoderms  ver- 
bunden sein  sollte.    Die  Larven  der  Diptera  sind  sehr  verschieden 
und  lassen  sich  allgemein   in  sogen,  kopflose  und  kopftragende 
sondern,  welchen  eine  pupa  coarctata  resp.  obtecta  entspricht    Bei 
der   ersten  vollzieht  sich  die  Häutung,  welche  den  Uebergang 
zum  Puppenstadium  anbahnt,   in  der  Weise,  dass  sich  die  Haut 
nur  abhebt,  verhärtet  und  dann  zur  Puppenhülle  wird«    Darunter 
aber  häutet  sich  die  Puppe  nochmals  und  erhält  erst  dann  ihre 
richtige  Cuticula,   so  dass  also   3  Chitinmembranen  in  einander 
stecken.    Bei  der  pupa  obtecta  hingegen  geht  die  Häutung  normal 
von   Statten.     Allmähliche  Uebergänge   verbinden   übrigens   die 
extremsten  Fälle,  welche   bei  dieser  Einrichtung  vorkommen,  in 
der  Art,  dass  während  bei  den  Syrphidae  und  den  Muscariae  die 
Pnppenhaut  (Tonne)  durch  eine  praeformirte  Bogennath  aufspringt 
(Gjclorhapha  Brauer*s),  bei  den  Lonchopteridae   nur  noch  eine 
T-förmige  Spalte  vorhanden  ist,   bei  den  Stratiomjidae  ein  ein- 
facher dorsaler  Längsriss  vorkommt,   wie  er  auch  bei  der  pupa 
obtecta  eintritt;  selbst  innerhalb  der  kleinen  Gruppe  der  Cecido- 
myidae  finden  sich  beide  Einrichtungen  vertreten.    Betrachten  wir 
nun  die  Vorgänge  an  Musca,  welche  dem  ersten,  und  Gorethra, 
welche  dem  zweiten  Typus  entspricht,  gemäss  den  Untersuchungen 
Weismann's  ^)  näher,  so  können  wir  zunächst  mit  Sicherheit  dar- 
thun,  dass  sämmtliche  Larvenformen  secundär  sind.    Im  Ei  von 
Musca  entstehen   die  Mundtheile   in  normaler  Weise  als  Eopf- 
anhänge  (1.  Stadium),  bald  aber  gehen  die  zweiten  Maxillen  ein 
und    die   Mandibeln    verschmelzen    zu    einem  unpaaren   Haken 
(2.  Stadium).    Diesen  wirft   die  Larve  bei  der  ersten  Häutung 
ab  und  erhält  dafür  2  Haken  (3.  Stadium);  in  der  Puppe  fallen 
auch  diese,  (4.  Stadium)  und  der  Rüssel  entsteht  nun  direct,  in- 
dem seine  Theile  von  vornherein  als  das  angelegt  werden,  was 


')  Die  nachembryonale  Entwicklung  der  Museiden  nach  Beobachtungen 
an  M.  vomitoria  und  Sarcophaga  carnaria.  Zeitschr.  wiss.  Zool.  1864,  p.  187 
biü  336  und:  Die  Metamorphose  der  Corethra  plumicornis.  Zeitschr,  wiss. 
Zool.  1866,  p.  46--127. 


Ueber  Ontogenie  und  Phjlogenie  der  InBekten.  Igj^ 

sie  werden  sollen.  ^)  Demnach  sind  Stadinm  2,  3  nnd  4  einge- 
schoben nnd  bereits  im  Ei  wird  eine  Einleitung  zu  der  1.  Larven- 
form  getroffen,  so  dass  wir  hier  eine  unterdrückte  Larvenhäutung 
vor  uns  haben.  Hiemach  macht  Musca  vom  Embryo  bis  zur 
Imago  5  Häutungen  durch;  von  denen  aber  die  erste  in  die  Em- 
bryonalperiode fällt  nnd  auch  nicht  eigentlich  mehr  zur  Abwerfung 
einer  Cuticula  führt,  und  von  denen  die  4.,  wie  schon  oben  erwähnt, 
unter  dem  Schutze  der  3.  geschieht  und  eine  reine  Wachsthums- 
häutung  ist.  Bei  Gorethra  finden  gleichfalls  5  Häutungen  statt, 
dagegen  persistiren  die  normalen  Mnndtheile  und  gehen,  wie  auch 
die  Antennen,  direct  in  die  der  Imago  über.  Neubildungen,  welche 
die  Larven  als  secnndär  erscheinen  lassen,  sind  aber  auch  hier 
vorbanden,  beschränken  sich  indessen  fast  ganz  auf  die  Respira- 
rationsorgane  und  dienen  zur  Anpassung  an  das  Leben  im  Wasser. 
Dahin  gehören  2  Tracheenblasen  „vorwiegend  Schwimmblasen^' 
(1.  c,  p.  55),  während  Stigmen  gänzlich  fehlen  (und  auch  die 
Andeutung  derselben  im  Ei  ausfällt).  Dagegen  ist  freilich  das 
gesammte  Tracheensystem  der  Mücke  „bereits  in  der  jüngsten 
Larve  in  der  Anlage  vorhanden.^'  Bei  der  Puppe  bilden  sich 
anf  dem  Pronotum  die  sog.  Stigmenkiemen  im  Zusammenhange 
mit  einem  Tracheenstämmchen,  nnd  werden  mit  der  5.  Häutung 
wieder  entfernt.  Ausser  den  Anhängen  des  Kopfes  gehen  auch  die 
Körpersegmente  direct  in  die  der  Imago  über,  nur  die  Beine  nnd 
Flügel  resp.  Halteren  sind  insofern  Neubildungen,  als  ihre  ersten 
Anlagen  erst  in  der  Puppe  als  sog.  Imaginalscheiben  auftreten. 
Sie  sind  aber  nichts  als  Ausstülpungen  des  Hautsinnesblattes  im 
Umkreise  eines  Nerven,  nnd  die  „Füllungszellen  gehen  aus  einer 
Wucherung  des  Nenrilems'^  (p.  79),  also  aus  dem  Hautfaserblatte 
hervor.  Sonach  ist  die  Gontinuität  des  Exoderms  nachgewiesen, 
wie  denn  auch  die  abgeworfenen  Theile  —  Stigmenkiemen,  Ruder- 
flossen, Proventriculus  (vergl.  oben  p.  141),  Muskeln  —  nur  das 
obere  primäre  Keimblatt*)  betreffen  und  somit  unseren  theore- 
tischen Deductionen  nicht  entgegen  stehen.    Wir  gewinnen  aber 


')  Weismann,  nachembryonale  Entwicklung  etc.,  p.  275. 

*)  Ich  bemerke  hier,  dass  WeiBmann  schlechterdings  von  Keimblättern 
nichts  wissen  will,  obwohl  es  ein  Leichtes  ist,  aus  seinen  Beobachtungen  nnd 
seinen  Worten  den  Beweis  ftir  ihre  Existenz  zu  führen.  Zum  Ueberfluss  zeigt 
Grimm  (Chironomn«,  p.  16),  dass  das  Hautsinnesblatt  als  Cylinderepithel  von 
dem  Mesoderme,  welches  sich  öfters  theile,  gut  zu  unterscheiden  sei.  „In 
Folge  dessen  ist  es  leicht,  die  Grenze  zwischen  diesen  beiden  Blastoderm- 
schichten  zu  erkennen.'^ 


182  Paal  Mayer, 

durch  Corethra  die  Erklärang  für  Mnsca,  bei  der  eine  totale 
^^Histolyse'^  eintritt  Hier  geht  nämlich  nnr  das  Abdomen  direct 
ans  einer  Umwandlung  der  8  hinteren  Larvensegmente  herror, 
während  der  ganze  Kopf  und  Thorax  sich  neu  bilden.  Die 
Imaginalscheiben  treten  auch  hier  entweder  im  Bereiche  eines 
Nerven  oder  eines  Tracheenstammes,  also  stets  am  Hautsinnes- 
blatt auf,  nur  dienen  sie  zugleich '  zur  Bildung  der  Anhänge  und 
des  betreffenden  Theiles  der  Eörperwandung.  Hiernach  verliert 
der  Satz  Weismann's:  ,,Thorax  und  Kopf  der  Fliege  sammt 
ihren  Anhängen  entwickeln  sich  im  Innern  der  Leibeshöhle  .  .  . 
und  zwar  in  organischer  Verbindung  mit  physiologisch  und  mor- 
phologisch ganz  heterogenen  Theilen  des  Larvenkörpers'^  (p.  222) 
schon  viel  von  seinem  räthselhaften  Inhalte.  Dazu  kommt  nocl^ 
dass  diese  Imaginalscheiben  bereits  sämmtlich  im  Ei  (p.  223) 
angelegt  sind.  Die  Prothoracalhälften  hingegen  sammt  ihren 
^^StigmenhOmern^'  haben  Bildungsscheiben,  die  erst  während  des 
Larvenlebens  entstehen  (p.  237);  was  aber  im  Hinblick  auf  die 
ihnen  homologen  Stigmenkiemen  bei  Corethra  ganz  erklärlich 
wird.  In  die  Lumina  nun  der  so  gebildeten  Anhänge  treten  nicht 
unmittelbar;  wie  bei  Corethra;  Partien  des  Mesodermes  zur  Bildung 
der  MuskelU;  vielmehr  werden  ;;die  Zerfallproducte  des  Fettkörpers 
hineingeschwpmmt'^  (p.  268)  und  gestalten  sich  erst  später  zu  ge- 
ordneten Faserzttgen.  Vorher  sind  nämlich  Epidermis^  Muskelo; 
Proventriculus  etc.  zerfallen;  so  dass  sich  der  Inhalt  des  Puppen- 
körpers ;;Sehr  wohl  mit  dem  Inhalte  des  befruchteten  Eies  ver- 
gleichen lässt^' . .  .  Ein  wesentlicher  Unterschied  bleibt  nur  immer 
der,  dass  zu  keiner  Zeit  alle  Innern  Organe  fehlen"  (p.  3J8).  Der 
echtC;  eigentliche  Darm  nämlich  persistirt  in  seiner  Form  und 
bekommt  nun  einen  neuen  Zellbelag  von  innen  und  später  einen 
Muskelbelag  von  aussen.  Sonach  ist  eine  Betheiligung  des  Ento- 
dermos  an  der  Bildung  der  Eörpermusculatur  sicher  ausgeschlossen. 
Der  Fettkörper  aber  ist;  wie  auch  aus  Ganin's  Beobachtungen  an 
Platygaster  (1.  c,  p.  402)  hervorgeht,  ein  Product  des  Mesodermes. 
Hiernach  ist  die  ;,totale  Histolyse'^  bei  Musca  ihrer  Schrecknisse 
in  morphologischer  Beziehung  beraubt  und  der  richtigen  Auffas- 
sung zugänglich  gemacht.  Zum  Wenigsten  ist  nachgewiesen;  dass 
die  Keimblätter  getrennt  bleiben.  Warum  nun  gerade  bei  Musca 
diese  Entwicklungsweise  auftritt,  welche  so  bedeutende  Umwege 
im  Larvenleben  einschlägt,  lässt  sich  allerdings  zur  Zeit  noch 
nicht  einsehen,  doch  darf  man  auf  die  enorme  Verkürzung  des 
Hinterleibes  (5  Ringe  gegenüber  den  9  von  Corethra)  hindeuten, 


Ueber  Ontogenie  and  Fhjlogenie  der  Insekten.  133 

am  gewaltige  Veränderangen  begreiflich  zn  finden^,  ein  völliges 
Veretändniss  können  nur  ontogenetische  Untersuchnngen  an  Ta- 
banidae  mit  Papa  obtecta  and  an  Syrphidae  oder  noch  besser  an 
Stratiomyidae  mit  Papa  coarctata  bringen.  Zagleich  müssen  dann 
anter  den  Mtlcken  die  Masciformia  (Bibio)  zar  Vergleichnng 
dienen,  weil  hier  wahrscheinlich  die  Entwicklang  noch  ziemlich 
regelmässig  verlanfen  wird. 

Ich  bemerke  übrigens  hier  noch,  dass  diese  Histolyse  viel 
häufiger  Yorkommen  mass,  als  man  bis  jetzt  vielleicht  glauben 
mag.  Aach  Chan  ^  ist  dnrch  seine  Untersachangen  an  Liparis 
Salicis  and  Vanessa  articae  in  Betreff  dieser  Erscheinang  za  der- 
selben Aaffassang  gelangt  wie  Weismann.  Nach  ihm  ,,ist  bereits 
am  2.  Tage  der  Verpnppang  von  Oesophagus  und  Mastdarm  keine 
Spur  mehr  aufzufinden  ....  Dagegen  tritt  der  Cbylusmagen, 
wenigstens  in  seiner  mittleren  Abtheilung;  noch  deutlich  her- 
vor .  .  .  Später  fallen  auch  seine  Gewebe  der  Histolyse  anheim.^' 
Die  Anlage  des  neuen  Darmrohres  geschieht  ;,im  Anschluss  an  die 
früheren  Zerfallprodncte,  die  bei  vorsichtiger  Präparation  immer  noch 
die  Form  des  Organes  erkennen  lassen^  weil  sie  sich  nicht  zerstreuen.'^ 

Was  die  Parasitae  angeht,  so  sind  dieAphaniptera  grund- 
verschieden von  den  Pupipara  und  zeigen  durch  ihre  gesammte 
Organisation^  dass  sie  sich  von  den  echten  Diptera  äusserst  früh 
abzweigten  und  so  Zeit  besassen,  ihren  Körper  der  neuen  Thätig- 
keit  nach  besten  Kräften  anzupassen.  In  der  That  sind  die 
homonomen  Thoraxringe  und  die  gespaltene  Unterlippe  Zeichen 
eines  hohen  Alters,  dem  die  8  Hinterleibsringe  nebst  der  gleichen 
Zahl  von  Abdominalganglien  ^)  durchaus  nicht  widersprechen. 
Man  könnte  sogar  geneigt  sein,  sie  gänzlich  von  den  echten 
Zweiflüglern  zu  entfernen,  wenn  nicht  ihre  Embryonalentwicklung 
nach  dem  Zeugnisse  von  Weismann  (und  Packard)  im  Wesentlichen 
mit  der  der  der  Tipulariae  übereinstimmte.  Da  übrigens  die  On- 
togenese noch  zu  wenig  bekannt  ist,  so  lässt  sich  kein  weit- 
reichender Schluss  aus  ihr  ziehen.  Die  Pupipara  hingegen  besitzen 
höchstens  noch  6  freie  Abdominalringe  und  erlauben  so  eine  Ab- 
leitung von  jüngeren  Dipteren.  Doch  muss  auch  hier  die  Tren- 
nung vom  Stamme  derselben  schon  frühzeitig  vor  sich  gegangen 
sein.  Während  nämlich  bei  Mnsca  das  Nervensystem  auch  in 
seinen  ersten  Stadien  schon  sehr  concentrirt  auftritt,  zeigt  sich  bei 

*)  L  c.,  p.  26. 

*)  L.  Landois,  Anatomie  des  Hnndeflohes.    Noya  acta  Acad.  Leop.  Carol. 
1866,  p.  51. 


184  Paal  Mayer, 

jungen  Melophagaslarven  nach  den  Beobachtungen  von  Leuekart  ^) 
noch  ein  deutlich  gegliedertes,  aus  11  Ganglien  bestehendes 
Bauchmark,  welches  erst  allmählich  sich  zu  der  bekannten  cen- 
tralen Masse  gestaltet  Bemerkenswerth  ist  hierbei  der  Umstand, 
dass  von  vorneherein  schon  die  drei  Thoracalganglien  viel  stärker 
sind,  als  die  8  Abdominalganglien;  obwohl  die  Larve  im  Körper 
der  Mutter  keine  Bewegungen  ausfuhrt,  welche  diese  Präponderans 
verstehen  lehrten.  Hier  gibt  offenbar  nur  die  Phylogenie  eine 
Erklärung.  Aus  der  Ontogenie,  wie  sie  Leuekart  darstellt^  hebe 
ich  noch  Folgendes  heraus.  Ein  Amnion  und  Faltenblatt  ist  nicl^t 
beobachtet  worden,  dagegen  häutet  sich  die  Larve  selbst  min- 
destens zwei  Male  und  zwar  einmal  unmittelbar  nach  dem  Ver- 
lassen der  Eihülle.  Die  Bildung  des  Tracheensystems  geht  von 
der  Stigmentasche  aus,  welche  schon  sehr  früh  im  Embryo  als 
eine  Querspalte  am  hinteren  Leibesende  auftritt  Die  junge  Larve 
besitzt  nur  ein  Stigmenpaar,  welches  in  Bezug  airf  den  After 
dorsal  gelegen  ist,  obwohl  es  die  scheinbare  Hinterleibsspitze  ein- 
nimmt. Bis  dahin  sind  8  Abdominalsegmente  unterscheidbar. 
Nach  einer  alsdann  auftretenden  zweiten  Häutung  sind  3  Stigmen- 
paare vorhanden,  deren  Tracheen  allerdings  sofort  jederseits  zu 
einem  Längsstamme  verschmelzen,  welcher  sich  dann  erst  wieder 
theilt,  die  mir  aber  doch  die  drei  letzten  Segmente  anzudeuten 
scheinen.  Dass  gerade  diese  Stigmen  zur  Ausbildung  kommen, 
erklärt  sich  aus  der  Lage  der  Larve  in  der  Vagina  des  Mutter- 
thieres.  Der  Magen  ist  auch  hi^r  hinten  geschlossen;  die  vasa 
Malpighii  hangen  mit  dem  Enddarme  zusammen,  sollen  jedoch 
nicht  als  Ausstülpungen  desselben  entstehen,  vielmehr  glaubt 
Leuekart  beobachtet  zu  haben,  dass  sie  sich  „als  lange  Zellen- 
stränge aus  der  tiefen  Schicht  der  Muskelhaut  absondern^'  (p.  223). 
Man  wird  auf  diese  nur  vermuthungsweise  ausgesprochene  Ansicht 
jedenfalls  nicht  mehr  Werth  zu  legen  haben,  als  auf  die  Meinung 
Leuckart's  über  den  Antheil,  welchen  die  Keimblätter  an  dem 
Aufbau  des  Embryos  nehmen  sollen.  Er  unterscheidet  zwei 
„Keimschichten^^,  doch  entsteht  nach  ihm  aus  der  oberen  nur  die 
Epidermis,  aus  der  unteren,  „weit  dickeren  .  .  .  theils  die  anima- 
lischen Organe  der  Larve,  Nervensystem  und  Muskeln,  theils  aber 
auch  die  Umhüllungen  des  Darmkanales,  der  Fettkörper  und  die 
Tracheen"  (p.  216).   Bei  der  Schwierigkeit  der  Untersuchung,  wie 

')  Fortpflanzung  and  Entwicklung  der  Pupiparen  nach  Beobachtungen 
an  Melophagua  ovinus.  Ahhandl.  naturforsch.  Gesellsch.  Halle  1858,  p.  145 
bis  22G,  tabb.  HI. 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  J85 

sie  Leuckart  selbst  oft  betont,  sind  solche  Irrthtimer  auch  anver- 
meidlich. 

Als  die  ältesten  Pupiparen  sind  der  Wohnthiere  wegen  wahr- 
scheinlich die  Branlina  zu  betrachten;  ob  übrigens  die  Verwandt- 
schaft der  drei  Hanptklassen  wirklich  eine  so  innige  ist;  wie  man 
für  gewöhnlich  annimmt;  würde  nur  die  Ontogenie  lehren  können, 
welche  aber  mit  Ausnahme  von  Melophagns  noch  bei  keiner  ein- 
zigen Art  bekannt  ist 

Protodipteron:  9  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax  be- 
reits mit  dem  Mesothoraz  verwachsen;  dagegen  Kopf  schon  frei 
wendbar.  3  Ocellen.  Stechende  MandtheilC;  FlUgelpaare  un- 
gleich. Beine  mit  5  Tarsen.  3  Thoracal-;  5  Abdominalganglien; 
4  rasa  Malpighii.  Eine  Legescheide  fehlte.  Entwicklang  mit 
änsserem  Keimstreif,  Larven  farbloS;  ohne  Beine. 

Goleoptera. 

Gleich  den  vorigen  Ordnungen  ist  diejenige  der  Käfer  nach 
allöb  Seiten  hin  abgeschlossen  und  kann,  ohne  dass  irgend  welche 
Aendemngen  in  Bezug  auf  ihren  Umfang  vorzunehmen  sind;  zur 
Besprechung  gelangen.  Charakterisirt  werden  die  ihr  zugehörigen 
Insekten  bekanntlich  in  erster  Linie  durch  die  Bildung  ihrer 
Flügel:  das  vordere  Paar  ist  hart  und  hornig  und  dient  zum 
Schutze  des  zweiten;  welches  meist  sehr  gross  ist  und  fast  überall 
vielfach  gefaltet  in  der  Ruhe  den  Hinterleib  ganz  bedeckt.  Ver- 
gegenwärtigt man  sich  nun,  dass  die  dorsaleu;  als  Flugorgane 
auftretenden  Anhänge  ursprünglich  gewiss  nicht  länger  als  der 
Köiper  gewesen  sind;  um  in  der  Ruhe  demselben  dicht  anliegend 
vor  Beschädigung  gesichert  zu  sein,  dass  aber  mit  zunehmender 
Länge  eine  Faltung  nöthig  wurde;  so  wird  man  die  Gruppe  der 
Kurzflttgler;  falls  man  nicht  an  eine  nachträgliche  Verkümmerung 
der  Flügel  zu  glauben  hat,  zu  den  ältesten  Formen  zählen  müssen. 
Aehnliches  gilt  von  den  Flügeldecken.  Eine  Verwachsung  der 
letzteren;  welche  sich  aus  der  Entwöhnung  vom  Fluge  erklären 
lässt;  ist  eben  so  sicher  ein  Zeichen  geringen  AlterS;  wie  die  noch 
weiche  Beschaffenheit  eine  Annäherung  an  die  ursprüngliche; 
homoptere  Grundform  der  Insekten  verräth.  Der  Kopf  ist  fast 
allgemein  frei  wendbar.  Die  Zusammenziehung  des  Hinterleibes 
von  den  11  freien  Ringen  des  Protentomon  ist  bei  allen  Käfern 
bis  auf  8  herab  erfolgt  und  geht  auf  der  Bauchseite  noch  be- 
deutend weiter;  es  verschmelzen  hier  die  ersten  Sternite  mit  dem 
Metastemum  und  werden  .auf  dem  Rücken  sehr  klein  und  bedeu- 


186  Paul  Mayer, 

tungslos.  Im  AUgememen  darf  man  also  die  Zahl  der  freien 
Ventralringe  als  einen  höchst  wichtigen  Factor  bei  der  Bestimmung 
des  Alters  benutzen.  Beim  Nervensystem  ^)  kommen  im  Einklang 
hiermit  Znsammenziehungen  vor,  welche  bekanntlich  so  weit 
gehen  können^  dass  sämmtliche  Abdominalganglien  unter  sich 
verschmelzen  und  sich  den  Thoracalganglien  dicht  anlagern;  so 
dass  nur  die  Anzahl  der  Nervenpaare  einen  Schluss  auf  die 
potentia  vorhandenen  Knoten  erlaubt.  Besonders  häufig  ist  die 
mehr  oder  weniger  innige  Verbindung  des  ersten  Abdominal-  mit 
dem  Metathoracalganglion ,  welche  der  Verschmelzung  der  be- 
treffenden Körperaegmente  entspricht.  Offenbar  sind  nun  die 
erstgenannten  Erscheinungen  secundärer  Natur  und  lassen  sich 
aus  der  steigenden  Präponderanz  der  Bewegungsorgane  ohne 
Mühe  erklären.  In  dem  Maasse,  wie  der  Hinterleib ,  um  einen 
rascheren  Flug  zu  ermöglichen,  sich  verkleinerte  und  so  die 
Körpeimasse  verringerte^  rückten  auch  die  entsprechenden  Ganglien 
nach  vorne  und  geriethen  in  ein  immer  grösseres  Abbängigkeits- 
verhältniss  zu  den  nun  bedeutend  werdenden  Thoracalganglien; 
analoge  Verhältnisse  bieten  die  Schwimmkäfer  dar.  Dies  drückt 
schon  Blanchard  ^)  aus,  wenn  er  sagt :  ;;0n  peut  considörer  les 
t}rpes  offrant  le  systöme  nerveux  le  plus  centralis^  comme  les 
plus  parfaits/^  nur  wird  man  statt  des  vieldeutigen  ;;parfait''  jetzt 
wohl  das  Wort  ,Jeune'^  setzen  müssen.  Neuerdings  bat  nun 
Roger  ^)  einen  „fragmentären  Versuch  zur  Auffassung  der  Käfer 
im  Sinne  der  Descendenztheorie'^  gemacht,  in  welchem  er  nach- 
weist, wie  mit  der  Verkürzung  der  Ganglienkette  eine  Ver- 
ringerung der  Adern  in  den  Flügeln  parallel  geht  und  eine  Ver- 
stärkung der  Flugkraft  daraus  resultirt.  Indem  er  den  Grund 
dieser  Gorrelation  nicht  weiter  erörtert,  begnügt  er  sich  damit, 
sämmtliche  wirklich  vorkommende  Aderungen  von  einem  hypo- 
thetischen „Urflügel''  mit  regelmässig  anastomosirenden  Adern 
abzuleiten,  und  legt  namentlich  dar,  wie  ein  Gelenk  zum  Um- 
schlagen der  Flügel  entstehen  konnte.  Es  zeigt  sich  also  auch 
hier,  dass  die  Concentration  des  Nervensystems  nur  die  Folge  ist 
von  den  Einrichtungen,  welche  im  Laufe  der  Zeit  im  Interesse 
gesteigerter  Bewegungsßlhigkeit  Platz  greifen. 

^)  Es  sind  höchstens  3  ThoracaW  and  8  Abdominalganglien  vorhanden. 
Vgl.  Blanchard,  systöme  nerveux  des  Goldoptöres.  Ann.  Sc.  natur.  Zool.  1846 
I,  p.  273     379,  pl.  8—15. 

^  1.  c,  p    283. 

")  Flügelgeäder  der  Käfer.    Erlangen  1875, 


Ueber  Ontogeuie  und  Phylogenie  der  Insekten.  187 

Die  früher  allgemein  gültige  Eintheilnng  der  Coleopteren 
nach  der  Zahl  der  Tarsen  hat  man  in  neuerer  Zeit  als  künstlich 
verwerfen  wollen;  es  zeigt  sich  aber,  dass  eine  ganz  eigenthüm- 
liehe  Lagerung  der  vasa  Malpighii  —  ein  Hinkriechen  derselben 
zwischeü  der  Mnskellage  und  der  Membrana  propria  des  Bectums  - 
den  nicht  fünfzehigen  Käfern  zukommt,  und  so  wird  dieses  Merkmal 
im  System  nicht  geringgeschätzt  werden  dürfen.  Eine  Modification 
hat  es  ohnehin  schon  nach  der  Bichtung  hin  erfahien,  dass  man 
z.  B.  zu  den  Brachelytra  selbst  trimere  Arten  rechnet.  Mit  einer 
solchen  Einschränkung  aber  wird  es,  bis  genauere  Arbeiten  über 
die  vasa  Malpighii  es  entbehrlich  machen,  einstweilen  bei  phylo- 
genetischen Untersuchungen  dienlich  sein  können. 

Aus  dem  Gesagten  scheint  mir  übrigens  hervorzugehen,  dass 
bei  der  im  Allgemeinen  so  grossen  Gleichförmigkeit  der  Organi- 
sation der  Stammbaum  der  Käfer  vorläufig  nur  in  den  allge- 
meinsten Umrissen  entworfen  werden  kann.  Unter  den  Pentamera, 
deren  vasa  Malpighii  überhaupt  noch  einfache  Formen  zeigen, 
sind  bei  nur  wenigen  Familien  deren  2  Paare  vorhanden  und 
zwar  haben  sie  auch  nut  bei  den  Silphidae,  Malacodermata,  EUa- 
teridae  und  den  Dermestina  noch  freie,  zu  keiner  Schlinge  ver- 
bundene Enden  aufzuweisen.  Hier  besitzen  nun  die  Malacoder- 
mata die  grösste  Anzahl  freier  Abdominalringe,  nämlich  7,  und 
zugleich  noch  ebenso  viele  und  weit  von  einander  entfernte  Bauch- 
ganglien. Somit  darf  man  sie,  was  auch  ihr  Name  befürwortet, 
unbedenklich  als  eine  der  ältesten  Käferfamilien  dem  Protocoleo- 
pteron  nahe  stellen.  Die  gegenwäitig  lebenden  Arten  zerfallen  in 
5  Gruppen,  von  denen  die  Lampyridae  wegen  ihrer  Leuchtorgane, 
die  Drilidae  wegen  der  beim  Weibchen  fehlenden  Flügel  und  die 
Melyridae  durch  die  meist  vorhandenen  ausstülpbaren  Garunkeln 
als  abgeleitete  Formen  erscheinen,  während  die  Telephoridae  und 
Lycidae  schon  eher  zu  berücksichtigen  sind.  ^)  Namentlich  zeichnen 
sich  die  letzteren  dadurch  aus,  dass  ihre  Flügeldecken  den 
Körper  nicht  umschliessen,  sondern  ihm  nur  aufliegen,  auch  wohl 
durch  Längsrippen  in  Felder  getheilt  sind. 

Mit  den  Malacodermata  lassen  sich  wohl  ohne  grossen  Zwang 
die  Cyphonidae  (mit  gleichfalls  7  Abdominalganglien)  ver- 
einigen, welche  häufig  noch  direct  bei  ihnen  im  Systeme  unter- 
gebracht werden ;  doch  erscheinen  sie  als  ein  ziemlich  aberranter 


')  Hier  enden  auch  die  Tasa  Malpighii  noch  frei,  bei  Malachioa  und  Drilus 
hingegen  schon  nicht  mehr. 


188  Paul  Mayer, 

Seitenzweig.  Die  Elateridae  können  gleichfalls  auf  ein  hohes 
Älter  Anspruch  machen^  wie  dies  ausser  den  frei  endenden  vier 
Malpighi'schen  Gefässeu  ^)  auch  die  8  Abdominalganglien  be- 
weisen; nur  sind  auch  sie  wieder  in  ihren  jetzt  lebenden  Fonnen 
schon  wegen  des  Schnellapparates  als  vielfach  abgeändeft  zu  be- 
trachten. Dies  gilt  in  noch  höherem  Maasse  von  den  ihnen  nahe- 
stehenden Cebrionidae.  Die  Buprestidae  hingegen  bilden 
in  jeder  Beziehung  eine  junge  FamiliO;  deren  directe  Ableitung 
von  den  Elateridae  kaum  möglich  erscheint;  so  dass  die  Gruppe 
der  Stemoxia  als  solche  nicht  haltbar  ist.  ^) 

Mit  den  Malacodermata  stehen  ebenfalls  in  enger  Verbindung 
die  G 1  e  r  i  d  a  e ;  die  jedoch  in  manchen  Punkten  schon  bedeutende 
Veränderungen  aufzuweisen  haben.  Femer  lassen  sich  von  den 
ersteren,  wie  es  scheint^  abzweigen  die  Silphidae  mit  6  freien 
Ventralringen,  deren  Bauchmark  noch  aus  7  Ganglien  besteht  und 
deren  vasa  Malpighii  bei  Silpha  und  Necrophorus  die  ursprüng- 
liche Bildung  gewahrt  haben.  -  Auch  sind  hier  die  FtQiler  zum 
Theile  noch  einfach  fadenförmig;  wie  diejenigen  der  Malacoder- 
mata. Aus  ihnen  haben  sich  dann  die  Glavicomia  entwickelt, 
die  alle  6  Malpighi'schen  Gefässe  zeigen  und  deren  Bauchmark 
höchstens  6  Abdominalganglien  besitzt,  während  diese  bei  einigen 
Familien   sogar  sämmtlich   verschmolzen   sind.     Vor  der  Hand 


')  Nach  Schiödte  (On  the  Classification  of  Baprestidae  and  Elateridae. 
AnnalB  Mag.  Nat«  Hist.  1866  XVIIl,  p.  200)  im  Gegensatze  zu  DafouT)  welcher 
je  zwei  in  einander  übergehen  lässt.  Ueberhaapt  werden  die  Untersuchungen 
des  letzteren  Forschers  immer  nur  bedingungswebe  für  richtig  angesehen 
werden  dürfen. 

*)  In  dieser  Beziehung  stimme  ich  mit  Schiödte  überein,  da  er  nachweist, 
wie  die  Elateridae  und  Buprestidae  „with  regard  to  development,  structure 
and  habitsof  life,  appear  as  widelj  separated  as  two  families  CMnbe*^(p.  207). 
^ill  man  also  eine  Art  von  Zusammenhang  zwischen  ihnen  aufrecht  erhalten, 
so  kann  dies  nur  so  geschehen,  dass  man  beide  gemeinsam  von  den  Mala- 
codermata oder  mit  diesen  zugleich  von  dem  Protopentameron  ableitet  Hierin 
wird  man  sich  auch  durch  Boger,  welcher  nach  wie  vor  an  den  Stemoxia 
festhält  und  sie  für  eine  „durchaus  natürliche  Gruppe*^  ansieht,  nicht  irre 
machen  lassen.  Boger  zeigt,  dass  die  Eigenthümlichkeiten  des  Buprestiden- 
flügels  nur  bei  den  auch  sonst  als  typisch  bezeichneten  Prachtkäfern  völlig 
ausgebildet  sind  und  mehr  und  mehr  schwinden,  je  näher  in  der  gebräuch- 
lichen Beihenfolge  die  einzelnen  Genera  den  Elateriden  zu  stehen  kommen; 
dies  verträgt  sich  aber  offenbar  eben  so  gut  mit  einer  Ableitung  beider 
Familien  von  den  Malacodermata,  welche  aus  den  angeführten  Gründen  wahr- 
scheinlicher bt,  als  die  Auffassung  der  Buprestidae  als  eines  sehr  modificirten 
Zweiges  der  Sternoxia. 


Üeber  Ontogenie  and  Phjlogenie  der  Insekten.  J89 

scheint  es  mir  aber  nicht  möglich,  die  vielen  and  zum  Theil  recht 
eigenthttmlichen  und  an  Artenzahl  kleinen  Unterabtheilungen, 
welche  hier  gemacht  werden,  phylogenetisch  anzuordnen;  doch 
lässt  sich  so  viel  sagen,  dass  die  Silphiden  selbst  vielgestaltig 
genug  sind;  um  die  Ableitung  sämmtlicher  Clavicomia  von  ihnen 
für  wahrscheinlich  halten  zu  dürfen.  In  der  Nähe  der  letzteren 
stehen  noch  die  Brachelytra  mit  Malacodermen-Bauchmark 
und  4  vasa  Malpighii.  Die  Verkürzung  der  Elytra  ist  allmählich 
vor  sich  gegangen  und  von  einer  Reducirung  der  Flügel,  die  aber 
durch  Einschiebung  neuer  Gelenke  immer  gefaltet  bleiben,  be- 
gleitet gewesen.  Den  Uebergang  zwischen  ihnen  und  den  Silphidae 
bahnen  Necrophorus  und  ähnliche  Formen  mit  schon  leidlich 
kurzen  Flügeldecken  an,  doch  ist  eine  directe  Ableitung  von  diesen 
6  ringeligen  Arten  wegen  der  7  freien  Yentralringe  nicht  thunlich 
nnd  so  bleibt  nur  eine  gemeinschafkliche  Abstammung  beider  von 
den  Malacodermata  übrig.  *) 

Unter  den  Lamellicornia  mit  nur  5  Yentralringen  besitzen 
allein  die  Lucanidae,  deren  Fühler  noch  am  wenigsten  durch- 
blättert erscheinen,  eine  Nervenkette  mit  6  Abdominalknoten, 
während  sonst  bereits  das  eine  grosse  Ganglion  auftritt.  Die 
eigenthümliche  Structur  der  Hoden,  wie  sie  unter  den  Käfern  nur 
noch  bei  den  Carabidae  und  Dyticidae  sich  zeigt  —  zwei  sehr 
lange,  gewundene  Schläuche  in  Enäuelform  aufgerollt  —  deutet 
auf  eine  Verwandtschaft  mit  diesen.  Man  geht  daher  wohl  nicht 
fehl,  wenn  man  den  starken  und  weit  verzweigten  Ast  der 
Lamellicornia,  von  denen  beispielsweise  die  Goprophaga  jungen 
Datums  sein  müssen  —  durch  die  Lucanidae  mit  dem  ebenfalls 
bedeutenden  Aste  der  Carabidae  in  Verbindung  bringt.  Denn 
diese  letzteren  besitzen  trotz  der  Vielen  mangelnden  Flugfähigkeit 


')  Ich  gerathe  hierin  einigermassen  mit  Boger  in  'Widerspruch.  Dieser 
lässt  nämlich  die  Silphiden  von  den  Staphylinen  sich  abzweigen  und  gibt  den 
letzteren  neben  einem  grossen  Theile  der  Clavicornier  als  Stammform  yer- 
muthungsweise  die  Nitiduliden,  während  die  Byrrhiden,  Dermestiden  und 
andere  Familien  direct  zu  den  Malacodermata  in  Beziehung  treten  sollen.  Ich 
begnüge  mich  damit,  diese  Ansicht  Boger's  hier  wiederzugeben,  da  mir  die 
nöthigen  anatomischen  Nachweise  dafür  oder  dawider  nicht  zu  Gebote  stehen ; 
immerhin  ist  namentlich  in  Betreff  der  Silphiden  die  Differenz  nicht  so  gross, 
wie  sie  scheinen  mag,  weil  ja  auch  Roger  sie  nicht  von  den  echten  Brache- 
lytrm,  sondern  von  einer  ihnen  nahe  stehenden,  aber  mit  unverkürzten  Flügel- 
decken versehenen  Form  wird  ableiten  wollen. 


190  Paul  Mayer, 

die  Zeichen  eines  sehr  hohen  Alters  in  den  7  freien  Yentralringen 
und  6  Abdominalknoten. 

Von  den  Pentameren  bleiben  nun  noch  zu  besprechen  a)  einige 
kleinere  Abtheilungen  von  meist  eigenthümlichem  Bau^  z.  B.  die 
Trichopterygii,  Pselaphidae^  Paussidae,  Cucujini,  von  deren  Ana- 
tomie aber  herzlich  wenig  bekannt  ist  und  die  ich  einstweilen  als 
Corps  ä  Syrier  nicht  weiter  berühre,  b)  die  Xylophagi  (Anobium^ 
Cis  etc.)  und  c)  die  Wasserkäfer.  Die  Gruppe  b  gehört  ihrer 
ganzen  Organisation  nach  zweifellos  zu  den  Malacodermäta  und 
kann  also  direct  von  ihnen  abgeleitet  werden ;  die  4  vasa  Mal- 
pighü,  6  Abdominalganglien  und  7  Hinterleibsringe  sprechen 
wenigstens  für  ein  sehr  hohes  Alter.  Von  den  Wasserkäfem  sind 
die  Dyticidae  als  caraboide  Käfer  zu  betrachten^  welche  sich 
bereits  früh  an  den  Aufenthalt  im  Wasser  gewöhnten.  Durch 
Anpassung  besitzen  sie  Schwimmbeine,  haben  aber  sonst  nicht 
nur  die  Bildung  der  Mundtheile  mit  den  Garabiden  gemein,  son- 
dern auch  die  Zahl  der  Bauchringe,  der  Ganglienknoten  und,  wie 
schon  bemerkt,  die  seltsame  und  seltene  Form  der  Iloden.  Auch 
die  eigenthümliche  völlige  Verschmelzung  der  Enden  der  4  vasa 
Malpighii  in  der  Art,  dass  ein  auf  dem  Enddarme  gelegenes  Kreuz 
gebildet  wird,  welches  die  Lumina  aller  4  Hamorgane  mit  einander 
communiciren  lässt,  finde  ich  genau  so  bei  Hydaticus  und  Acilius 
wieder,  wie  sie  Sirodot  ^)  für  die  Garabiden  angegeben  hat.  Eben 
so  stehen  als  eine  sehr  verbildete  kleine  Familie  die  Gyrinidae 
trotz  ihres  auf  das  Aeusserste  zusammengezogenen  Nervensystemes 
durch  ihre  6  freien  Yentralringe  und  einige  sonstige  Eigenschaften 
in  der  Nähe  der  Dyticidae,  von  welchen  sie  jedoch  nicht  direct 
abzuleiten  sind.  Die  Hydrophilidae  endlich  haben  ihre 
nächsten  Verwandten  auf  dem  Lande  in  den  Sphaeridiidae  unter 
den  Palpicornia.  Während  aber  die  letzteren  bereits  vielfach 
nur  noch  4  Ventralringe  besitzen,  haben  jene  im  Wasser  sich  noch 
deren  7  zu  bewahren  vermocht;  auch  deuten  die  vasa  Malpighii 
ein  hohes  Alter  an,  so  dass  eine  directe  Beziehung  zu  den  Mala- 
codermäta recht  wohl  möglich  ist.  ^)  Zugleich  mit  den  Palpicornia 


')  Recherches  snr  les  sdcr^tions  chez  les  Insectes.  Annal.  Sc.  natar.  ZooU 
1858  IT,  p.  259. 

*)  Wenn  Boger  auf  dem  Umstände  fassend,  dass  ^das  Gangliensystem 
der  landlebenden  Palpicomier  eine  grössere  Concentration  zeigt,  als  das  der 
wasserlebenden*'  (1.  c.,  p.  35)  nun  die  ersteren  von  letzteren  abstammen  lässt 
und  demzufolge  eine  Entwöhnung  derselben  vom  Lieben  im  Wasser  annehmen 
mnss,  so  vermag  ich  ihm  nicht  beizustimmen.    Denn  einmal  ist  diese  Concen- 


lieber  Ontogenie  und  Phytogenie  der  Insekten.  jQl 

scheinen   Bich  auch  die  ParnidaC;  deren  Larven  so  ttberaus 
sonderbare  Formen  besitzen^  abgezweigt  zn  haben. 

Unter  den  nicht  pentameren  Käfern  gibt  es  ebenfalls  mehrere 
Familien,  welche  uns  in  mancher  Beziehung  recht  ehrwürdig  und 
altersgrau  vorkommen;  nur  darf  keine  unter  ihnen  Anspruch 
darauf  erheben,  als  die  bejahrteste  angesehen  zn  werden.  Zu  den 
Pentamera  finden  keine  directe  Beziehungen  statt.  Zwar  macht 
Dufour  darauf  aufmerksam,  dass  in  der  Larve  von  Cetonia  aurata 
die  vasa  Malpighii  eine  Anordnung  besitzen,  welche  an  die  oben 
beschriebene  der  Apentamera  erinnere,  und  Sirodot  zeigt,  dass  ein 
Hinkriechen  der  Hamorgane  unter  der  Muskelhaut  des  Bectums 
auch  den  Imagines  von  Melolontha  etc.  zukomme;  doch  recht- 
fertigt dies  noch  nicht  den  directen  Anschluss  an  die  Lamellicornia, 
sondern  höchstens  eine  Ableitung  von  gemeinsamem  Stamme. 
Was  die  Heteromera  betrifft,  so  stehen  der  Urform  vielleicht  am 
nächsten  die  Vesicantia  mit  7  und  die  Pyrochroidae  mit  6 
freien  Ventralringen ;  indessen  ist  bei  beiden  Familien  der  Kopf 
durch  einen  deutlichen  Hals  vom  Thorax  abgesetzt,  auch  hat  sich 
in  der  ersteren  die  Zahl  der  Abdominalganglien  auf  4  verringert. 
Andererseits  bleiben  die  Melasoma  mit  8  üinterleibsganglien 
und  mit  ö  Ventralringen,  so  weit  sie  nicht  verkümmerte  Flügel 
und  verwachsene  Elytra  besitzen,  durch  die  bei  einzelnen  Formen 
in  der  Vierzahl  auftretenden  vasa  Malpighii  dem  ursprünglichen 
Verhalten  eben  so  treu  wie  unter  den  Vesicantia  Sitaris  und 
gewiss  auch  noch  andere  Arten.  Im  Allgemeinen  wird  man  also, 
da  bei  den  Lagriariae,  Mordellina,  Pjrochroidae  und  Vesicantia 
der  EOrper  weich  ist,  das  Protheteromeron  in  die  Nähe  der  Ma- 
lacodermata  setzen  können  und  hiervon  nach  der  einen  Richtung 
die  Melasoma,  nach  einer  andern  die  Pyrochroidae  und  Vesicantia 
ausgehen  lassen.  Von  jenen  zweigen  sich  dann  vielleicht  die 
Melandryadae,  Oedemeridae  und  Salpingidae  ab,  während 
sich  zugleich  mit  den  Pyrochroiden  auch  die  Mordellina,  La- 


tration  durchaus  nicht  so  gross,  da  alle  5  Abdominalganglien  noch  deutlich 
von  einander  unterscheidbar  sind,  dann  aber  auch  ist  gar  kein  Grund  dazu 
vorhanden,  beide  Familien  nicht  yon  einer  ihnen  gemeinsamen  Stammform 
abzuleiten,  welche  noch  das  Land  bewohnte.  Ohnehin  btSphaeridium  in  der 
jetzigen  Gestalt  seines  Aufenthaltsortes  wegen  sehr  jung,  mag  sich  also 
vielerlei  Eigenthümlichkeiten  erst  lange  nach  der  Trennung  seiner  Vorfahren 
von  dem  gemeinschaftlichen  Stamme  erworben  haben,  während  Hydrophilus 
als  Wasserthier  geringeren  Anpassungen  ausgesetzt  war. 


192  l?aai  Mayer, 

griariae  und  BhipiphoridaeO  "^^^  der  Urform  entfernt 
haben  mögen.  Genauere  anatomische  Untersachnngen  bleiben  aber 
noch  abzuwarten,  ehe  man  den  einzelnen  Familien  einen  festen 
Platz  anweist. 

In  ähnlicher  Weise  sind  die  heutigen  Tetramera  und  Trimera 
zwar  stark  modificirt;  deuten  aber  durch  einzelne  Züge  auf  einen 
sehr  entfernten  Ausgangspunkt  hin.  Die  höchste  Zahl  der  freien 
Yentralringe  zeigen  die  Endomychidae,  nämlich  6.  Auch  das 
Bauchmark  ist  vielfach  sehr  zusammengezogen  und  weist  z.  B. 
bei  den  Gurculionina  nur  noch  2  Thoracal-  und  einen  Abdominal- 
knoten auf.  Doch  finden  sich  bei  d6n  Longicornia  noch  8 
Abdominalganglien  ^),  so  dass  man  geneigt  sein  könnte^  diese 
Familie  als  die  älteste  anzusehen,  wenn  dies  nicht  unter  Anderen 
auch  der  wohl  entwickelte  Hals  sammt  den  langen  Fühlern  ver- 
bieten würde,  Merkmale,  welche  den  Ghrysomelina  fehlen. 
An  die  Malacodermata  erinnert  nichts.  Ehe  ich  aber  die  Stellung 
des  Prototetrameron  in  Erwägung  ziehe,  muss  ich  die  Ontogenese 
der  Käfer  besprechen,  da  sie  einige  wichtige  Fingerzeige  fttr  die 
Verwandtschaft  dieser  Stammform  darbietet. 

Die  embryonale  Entwicklung  ist  von  Eovalevsky  an  Hydro- 
philus  und  von  Melnikow  an  Donacia  studirt  worden ;  alle  übrigen 
in  den  Kreis  der  Untersuchung  gezogenen  Käfer  sind  mehr  oder 
minder  oberflächlich  behandelt.  Bei  Hydrophilus  bemerkt  Kova- 
levsky  5  Fusspaare  und  11  Abdominalstigmen,  während  die  Larve 
nur  3  resp.  1  zählt,  demnach  eine  bedeutende  Modification  durch 
ihre  Anpassung  an  das  Leben  im  Wasser  erlitten  hat.  Die  Käfer* 
larven  sind  höchst  mannigfaltig  gestaltet  und  bieten  ausser  Formen 
mit  vielen  Stigmen  auch  solche  mit  nur  wenigen  dar.  In  dieser 
Hinsicht  ist  es  nun  von  Interesse,  dass  zu  deigenigen  Larven, 
welche  am  Mesothorax  ebenfalls  ein  Stigma  tragen  (vgl.  p.  132), 
auch  gehören  diejenigen  von  Lycus,  Lampyris,  femer  die  den 
Malacodermata  nahestehenden  Buprestis  und  Elater,  und  Euci- 
netus  und  Dascillus  unter  den  Gyphonidae  (vgl.  p.  187).  Daza 
kommt,  dass  während  die  meisten  Larven,  weil  sie  im  Dunkeln 


')  Die  Bhipiphoridae  haben  zum  Thdl  noch  8  freie  Yentralringe  and 
lassen  daher  das  Protheteromeron  noch  weiter  zarücktreten,  von  welchem  sie 
sich  dann  auch  sehr  früh  entfernt  haben  müssen. 

*)  Nach  Schiödte's  eingehenden  Untersuchungen  (On  the  Classification  of 
the  Cerambyces.  Annais  Mag.  Nat.  Hist.  1865  XV,  p.  2ü0).  Blanchard  gibt 
ausdrücklich  nur  fünf  an,  die  freilich  bis  an  das  Ende  des  Hinterleibes  reichen 
sollen. 


m 

lieber  Ontogenie  und  Fhylogenie  der  Insekten.  193 

JebeDy  farblos  sind,  ausdrücklich  für  farbig  erklärt  werden  die- 
jenigen von  den  Telephoridae  and  Lampyridae  unter  den  Mala* 
codermata,  von  den  Garabidae,  Goccinae  und  Ghrysomelina.  Weil 
aber  dieser  Zustand,  wie  auch  die  Stigmenzahl  darthut,  der  ur- 
sprüngliche und  die  Gewöhnung  der  Larven  an  das  Leben  in  der 
Erde,  in  Holz,  in  Wasser  etc.  eine  nachträgliche  Erscheinung  ist, 
80  dürfen  ¥rir  mit  Recht  auf  die  farbigen  Larven  grosses  Gewicht 
legen«    Demnach  sind  als  Grundformen  für  die  Pentamera 

i)  die  Malacodermata  (welchen  die  Heteromera  nahe  kommen), 
2)  die  Garabidae  s.  ampl.  (oder  die  Adephaga  mancher  Au- 
toren) anzusehen.  Für  die  Tetramera  sind  alsdann  die  Ghryso- 
melina (vgl.  p.  192)  auch  aus  diesem  Grunde  die  nächststehende 
Familie.  Weil  nun  unter  den  Longicornia  die  Gerembycidae  den 
Donacien  unter  den  Ghrysomelina  nahe  kommen,  so  darf  man 
annehmen,  dass  sich  der  Ast  der  Tetramera  gleich  anfangs  gabelig 
spaltete.  Der  Longicorni  er  zweig  leitet  dann  durch  die 
Bruchidae  zu  den  beiden,  sehr  abgeänderten  Familien  der 
Curculionina  und  Bostrichidae;  von  dem  Ghrysomelinen- 
zweig  trennten  sich  ebenfalls  gleich  zu  Anfang  die  Goccinellina 
ab.  Uebrigens  ist  es  eben  so  gut  möglich,  dass  die  Trimera  direct 
von  der  allgemeinen  Stammform,  dem  Protocoleopteron,  herrühren, 
wofür  die  sechs  freien  Ringe  ;der  Endomychidae  zu  sprechen 
scheinen.  ^) 


*)  Za  Resaltaten,  welche  in  mancher  Beziehung  von  den  meinigen  ab- 
weichen, gelangt  Roger.  Er  ist  dazu  geneigt,  die  meisten  Tetramera  von 
den  Lucaniden  abzuzweigen,  indem  er  die  Frioniden  als  „Bildungscentrum^^ 
zu  den  Malacodermata  in  Beziehung  setzt  und  nun  von  ihnen  zwei  Reihen 
ausgehen  lässt:  einerseits  die  Longicornia  s.  str.,  andererseits  die  Lucaniden, 
welche  nicht  nur  den  Lamellicomiern,  sondern  auch  den  Bostrichidenf 
Bruchiden  und  Rhynchophoren  den  Ursprung  gaben.  Letztere  Ableitung  ge- 
schieht übrigens  von  Roger  „mit  allem  Vorbehalt  und  nicht  auf  Grund  des 
Flügelgeäders.**  Wenn  sich  nun  bei  den  Frioniden  die  charakteristische  Uoden- 
form  der  Lucaniden  zeigte,  was  nach  den  Ergebnissen  der  Untersuchungen 
von  Schiödte  nicht  der  Fall  ist,  und  wenn  bei  diesen  die  nämliche  Anordnung 
der  vasa  Malpighü,  wie  sie  die  üeteromera  aufweisen,  sich  vorfände,  was  nicht 
ermittelt  zu  sein  scheint,  so  wäre  nichts  dagegen  einzuwenden;  einstweilen 
wird  man  gut  thun,  sich  so  unbestimmt  wie  möglich  auszudrücken.  Die 
Trimera  stellt  Roger  durch  ihre  weichhäutigen  Formen  (Galeruca)  direct  zu 
den  Malacodermata,  was  ebenfalls  recht  wohl  thunlich  ist.  Völlig  in  Ueber- 
einstimmung  befinde  ich  mich  hingegen  mit  ihm,  wenn  er  sagt  (p.  86): 
n  .  •  .  wir  sahen,  dass  die  dem  System  zu  Grunde  liegenden  anatomischen 
Untersuchungen  die  natürlichen  Verwandtschaften  schon  längst  in  den  meisten 
Fällen  so  klar  erkennen  Hessen,  dass  die  Aufstellung  des  Stammbaumes 
Bd.  x,Jii,¥.ia,  s.  X8 


194  Paul  Mayer, 

Zum  Schlasse  noch  die  Bemerkung,  dass  zwar  die  Entwick- 
lung im  Ei  durch  einen  äusseren  Eeimstreif  vor  sich  geht,  in- 
dessen bei  Telephorns,  also  einer  uralten  Form^  nach  Packard  ^) 
ein  innerer  Eeimstreif  vorhanden  sein  soll.  Wenigstens  heisst  es 
(1.  C;  p.  9) :  ;,The  development  of  the  beetle,  in  its  earliest  stages, 
is  of  remarkable  interest,  since  it  differs  from  the  other  Coleoptera, 
whose  development  is  known,  in  the  primitive  band  [Eeimstreif] 
floating  in  the  centre  of  the  yolk,  instead  of  surrounding  if 
Dieser  Eeimstreif  sei  S-fOrmig  und  gelange  später  auf  die  Ober- 
fläche des  Dotters.  Im  Allgemeinen  sind  aber  die  embryologischen 
Beobachtungen  Packard's  so  wenig  genau  und  zuverlässig;  dass 
man  dieser  Angabe  nicht   ohne  Weiteres  Glauben  schenken  darf. 

Protocoleopteron:  8  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax 
noch  frei  beweglich  und  Eopf  in  ihn  eingesenkt  Beissende 
Mundtheile,  ungleiche  Flttgelpaare.  Nur  noch  2  Ocellen.  Beine 
mit  5  Tarsen.  3  Thoracal-,  8  Abdominalganglien.  4  vasa  Malpighii. 
Beim  Weibchen  keine  Legescheide.  Entwicklung  mit  äusserem 
Eeimstreif.    Larven  farbig;  mit  3  Beinpaaren. 


Hemiptera. 

Ich  charakterisire  zunächst  die  Gruppe  nach  Ausschluss  der 
ihr  angehörigen  Parasitenformen,  der  Pediculida,  Mallophaga  und 
Phytophthires.  Der  Eopf  ist  überall  in  den  Thorax  eingesenkt; 
der  Prothorax  bewegt  sich  frei  am  Mesothorax,  die  Zahl  der  freien 
Abdominalringe  beträgt  am  Bückentheile  höchstens  9;  während 
am  Bauche  mehrere  derselben  völlig  eingehen  können.  Was  die 
stechenden  Mundtheile  betrifft;  so  hat  die  Unterlippe;  welche  zur 


Bchliesslicli  nicht  viel  Anderes  sein  konnte,  als  genealogische  Paraphra* 
sirung  des  schon  bestehenden  natürlichen  Systems,  dessen  ganzer  Mangel 
einzig  und  aUein  in  der  durch  die  Catalogform  bedingten  linearen  Aneinander- 
reihung der  Familien  lag.^^  Die  Systematiker  von  Fach  haben  eben  bei  der 
Zusammenfassung  der  einzelnen  Genera  zu  grösseren  Gruppen  meist  solche 
Charaktere  gewählt,  welche  auch  phylogenetisch  stichhaltig  sind,  während 
allerdings  die  Anordnung  dieser  Gruppen  vielfachen  Wandelungen  unterlag 
und  auch  unterliegen  musste,  so  lange  das  Princip  der  Blutsverwandtschaft 
nicht  anerkannt  wurde. 

')  En^bryological  studies  on  hexapodous  insects.  Memoirs  of  the  Feabody 
academy  of  science  I  3.  1872. 


Ueber  Ontogenie  und  ^hylogenie  der  Insekten.  195 

Rüsselscheide  umgeformt  ist,  nach  Schiödte  ^)  bei  allen  Hemipteren 
ohne  Ausnahme  4  Glieder;  da  indessen  das  Basalglied  oft  so  sehr 
klein  wird;  dass  es  übersehen  werden  kann,  so  ist  einer  sich 
hierauf  gründende  Eintheilung  mit  eben  demselben  Rechte  thun- 
lieh,  wie  die  der  Käfer  nach  den  Tarsen.  Man  darf  also  nach 
wie  vor  zwischen  Tetramera  und  Trimera  oder  Pseudotetramera 
tuterscheiden.  Die  Anzahl  der  Stigmen  ist  bis  vor  wenigen 
Jahren  auf  die  Autorität  Dufour's  hin  völlig  falsch  angegeben 
worden,  so  dass  die  bereits  citirte  Arbeit  von  Schiödte  viele  Irr- 
thttmer  auszurotten  vorfand.  Es  hat  sich  herausgestellt,  dass 
überall,  sogar  bei  den  Wasserwanzen,  10  Stigmen  vorhanden 
sind ;  somit  wird  eine  Verwerthung  dieses  Merkmals  flir  die  Phy- 
logenie  nur  in  Specialfällen  von  Nutzen  sein  können.  In  gleicher 
Weise  sind  die  vasa  Malpighii  keinerlei  Schwankungen  in  Bezug 
auf  die  Zahl  und  nur  sehr  geringen  in  der  Anordnung  unterworfen. 
Ein  brauchbares  Kennzeichen  für  den  Verwandtschaftsgrad  der 
einzelnen  Familien  unter  einander  würden  allerdings  die  Stink- 
drttsen  abgeben,  wenn  nur  nicht  genaue  Untersuchungen  über 
diesen  Punkt  bis  jetzt  völlig  mangelten.  Namentlich  würde  der 
Nachweis  darüber,  in  welchen  Familien  die  Larven  die  von  mir 
so  genannten')  accessorischen  Rückendrüsen  besitzen  (die  bei 
den  erwachsenen  Thieren  nicht  mehr  fungiren)  und  eine  Erörterung 
der  Frage,  ob  nicht  vielleicht  diese  als  ein  Erbtheil  vom  Prothe- 
teropteron  aufzufassen  seien,  die  der  Imagines  hingegen  Neu- 
bildungen vorstellen,  von  grosser  Bedeutung  sein  können.  In 
Bezug  auf  die  Speicheldrüsen  habe  ich  schon  oben  die  gänzliche 
Unbrauchbarkeit  der  bisherigen  Angaben  wahrscheinlich  gemacht. 
Somit  bleiben,  da  auch  das  Bauchmark  grosse  Gonstanz  zeigt, 
eigentlich  nur  wenige  Organisationspunkte  zur  phylogenetischen 
Verwendung  übrig,  und  da  zuverlässige  Specialarbeiten  über 
physiologisch  unwichtige  Organe  vor  der  Hand  gänzlich  fehlen, 
so  lässt  sich  das  Verhältniss  der  einzelnen  Familien  zu  einander 
einstweilen  nur  höchst  problematisch  darstellen.  ^) 


^)  On  somo  new  fundamental  principles  in  the  morphology  and  Classi- 
fication of  Rhynchota.  Annais  and  magazine  of  natural  hiätory.  4.  Ser.  VI 
1870,  p.  225—249. 

*)  Anatomie  von  Pyrrhocoris  apterus. 

')  Die  Systematiker  von  Fach  sind  eben  jetzt  bei  der  ausserordentlichen 
Mannigfaltigkeit  von  Formen  in  Betreff  brauchbarer  Unterscheidungsmerkmale 
sehr  übel  daran  und  haben,  um  mit  Schiödte  (1.  c,  p.  230)  zu  reden,  die 
Eintheilung  so  weit  getrieben,  dass  ihr  Bemühen  zu  dem  selbstmörderischen 

13* 


196  Paul  Mayer, 

Was  vorerst  die  Heteroptera  angeht^  so  sind  als  abgeleitete 
Formen  eo  ipso  anzusehen  die  im  Wasser  lebenden  Hydrocores; 
von  den  übrigen  gelangen  zunächst  in  Wegfall  die  Reduvini  wegen 
ihres  halsartig  abgeschnürten  Kopfes,  die  Pentatomidae  (Scutati) 
wegen  ihres  kolossalen  Schildchens  und  die  Membranacei  wegen 
der  ;,dreigliedrigen''  RüsselscheidC;  so  dass  nur  zwischen  den 
GoreodeS;  Lygaeodes  und  Gapsini  zu  wählen  bleibt  Von 
diesen  lässt  sich  nun  allerdings  vor  der  Hand  nicht  mit  Bestimmt- 
heit eine  Familie  als  die  älteste  bezeichnen.  Von  den  Goreodes 
scheinen  sich  nach  der  einen  Richtung  hin  die  Scutati,  nach 
einer  andern  die  Membranacei  (welche  übrigens  sehr  differente 
Formen  enthalten  und  vielleicht  ganz  anders  zu  gruppiren  sind), 
nach  einer  dritten  die  Reduvini  und  gleichzeitig  mit  ihnen  die 
Ploteres  und  Nepini  s.str.  abgezweigt  zu  haben.  Die  Gapsini 
leiten  hingegen  wohl  zu  den  Galgulini,  den  Belostomaia 
und  NaucorideS;  und  den  Notonecti  über.  Sonach  scheint 
die  Anpassung  an  das  Leben  im  Wasser  an  zwei  verschiedenen 
Punkten  stattgefunden  zu  haben ;  eine  Erscheinung,  die  nicht  mehr 
auffallen  wird,  wenn  man  an  die  Hydrophilidae  und  Dytiscidae 
unter  den  Käfern  denkt.  In  der  That  haben,  wie  Schiödte  dar- 
thut,  die  früher  stets  zusammengeworfenen  Nepae  und  Belostomata 
nicht  mehr  Gemeinsames,  als  die  genannten  Wasserkäfer  unter 
sich  auch  aufweisen  können;  die  Verwandten  aber  der  ersteren 
wird  man  bei  den  Goreodes,  die  der  zweiten  bei  den  Gapsini  zu 
suchen  haben. 

Unter  den  Homoptera  kommen  zunächst  in  Frage  nur  die 
Gicadae  s.  ampl.  und  unter  diesen  sind  jedenfalls  als  secundäre 
Typen  zu  betrachten  dieFulgorina  und  Membracina.  Daher 
kann  man  die  Stridulantia  als  eine  derjenigen  Formen  auf- 
fassen, die  dem  Prothomopteron  möglichst  nahe  kommen,  wofür 
auch  der  einfache  Prothorax  spricht.  So  muss  man  auch  mehr  oder 
weniger  direct  von  diesen,  aber  gewiss  nicht  von  den  Gicadellina 
die  Phytophthires  ableiten,  welche  in  der  Anzahl  der  Ocellen 


Resultate  geführt  hat,  nahezu  jede  Art  als  GattungstTpos  hinzustellen. 
Schiödte's  Versuch,  durchgreifende  und  physiologisch  begründete  Merkmale 
zu  liefern  —  er  baut  sein  System  vorwiegend  auf  die  Art  der  Nahrungsaufnahme 
und  die  damit  im  Zusammenhange  stehenden  morphologischen  Aenderungen 
des  Körpers,  namentlich  aber  der  Vorderhüften  —  ist  nun  freilich  vom  phy- 
logenetischen Standpunkte  aus  nicht  als  gelungen  zu  betrachten,  Uefert  aber 
in  Bezug  auf  einige  Familien  wichtige  Nachweise,  welche  auch  für  die  vor- 
liegende Arbeit  von  Nutzen  sind. 


lieber  Ontogenie  und  Pbylogenie  der  Insekten.  197 

und  der  Ftthlerglieder  Jenen,  nicht  Diesen  nahestehen.  Ein  unmittel- 
barer Znsammenhang  dieser  Familien  findet  natürlich  nicht  statt. 

Die  Ontogenese  ist  nur  wenig  gekannt.  Von  den  echten 
Homoptera  ist  keine  Art,  von  den  Heteroptera  sind  nur  Hydro- 
metra  nnd  Corixa  untersucht  worden,  dagegen  wurden  die 
Aphiden,  ferner  Aspidiotns  und  Lecanium,  auch  Psylla  von  Huxley, 
Metschnikoff,  Brand  und  Balbiani  mehr  oder  weniger  eingehend 
behandelt.  Die  Entwicklung  geschieht  bei  allen  genannten  Arten 
mit  innerem  Keimstreife  und  verläuft  im  Grossen  und  Ganzen 
in  ziemlich  gleicher  Weise;  einige  Eigenthümlichkeiten  scheinen 
indessen  bei  den  Aphiden  im  Zusammenhange  mit  ihrer  absonder- 
lichen Fortpflanzungsweise  Platz  zu  greifen.  Hervorstechend  ist 
schliesslich  bei  der  Ontogenese  der  Hemipteren  der  Umstand,  dass 
die  im  Embryo  vorhandenen  Mundtheile,  welche  auf  die  gewöhn- 
liche Art  entstanden  sind,  mit  Ausnahme  des  zweiten  Maxillen- 
paares  durch  eine  Häutung  in  Wegfall  kommen  und  durch  be- 
sondere, aus  „retortenförmigen  Organen'^  gebildete  Stilette  ersetzt 
werden,  die  zeitlebens  persistiren.  Dies  gilt  mit  Sicherheit  von 
AphiB,  Aspidiotns  und  Psylla,  sonach  von  den  als  Homopteren 
angesprochenen  Phytophthires,  während  es  bei  den  untersuchten 
Heteropteren  nach  MetschnikofTs  ausdrücklicher  Behauptung  nicht 
der  Fall  sein  soll.  Hingegen  finde  ich  bei  Pyrrhocoris,  dass  diese 
retortenartigen  Organe  bereits  im  Embryo  angelegt  werden,  in 
der  Larve  noch  eine  Zeit  lang  in  Zusammenhang  mit  den  fungiren- 
den  Kiefern  verharren  und  erst  nach  der  ersten  Häutung  an  Stelle 
der  nunmehr  abgeworfenen  in  Tbätigkeit  treten.  Hieraus  darf 
man  den  gewiss  berechtigten  Schluss  ziehen,  dass  die  Homoptera 
und  Heteroptera  hinreichend  nahe  mit  einander  verwandt  sind, 
um  gemeinschaftlich  als  Hemiptera  bezeichnet  zu  werden.  Das 
Prothemipteron  besass  demnach  die  geschilderte  Eigenschaft  in 
der  Bildung  der  Mundtheile  jedenfalls;  die  niedriger  stehenden 
Homoptera  haben  sie  getreulich  bewahrt  und  auch  unter  den 
höheren  Heteroptera  hat  erst  die  Anpassung  an  das  Leben  im 
Wasser  eine  solche  Kürzung  der  Ontogenese  eintreten  lassen,  dass 
das  Stadium  provisorischer  Kiefer  einfach  übersprungen  wird. 

Bei  den  Pediculidae  und  Mallophaga,  also  den  von  der  Be- 
sprechung bis  jetzt  absichtlich  ausgeschlossenen  echten  Parasita 
liegen  die  Verhältnisse  ähnlich :  die  zweiten  Mamillen  werden  noch 
regelrecht  zur  Unterlippe  ^),  fallen  aber  dann,  wie  auch  die  andern 


*)  Melnikowy  L  c,  p.  178  fi. 


198  I*ftu^  Mayer, 

sich  rückbildenden  Mnndtheüe^  schon  im  Ei  dnrch  eine  Häatung  ab^ 
^^der  znr  Rinne  gestaltete  Vorderkopf  bildet  die  Scheide  des  RttfiBels'' 
und  so  mnss  der  Rüssel  der  Pediculiden  ^^wie  auch  die  Saugröhre 
der  Mallophaga  als  Bildung  der  Mundhöhle  angesehen  werden^'  und 
der  Saugapparat  kommt  ;;Ohne  Beihülfe  der  Eopftegmente  zu  Stande'^ 
Hieraus  geht  hervor,  dass  diese  beiden  Parasitenklassen,  welche 
ohnehin  im  Uebrigen  die  Hemipteren-Entwicklung  zeigen^  auch 
wirklich  hierher  zu  rechnen  sind ;  ob  sie  indessen  den  Homopteren 
oder  den  Heteropteren  näher  stehen,  lässt  sich  nicht  bestimm^i. 
Jedenfalls  muss  aber  ihre  Abzweigung  von  dem  Reste  der  Halb- 
flügler  mit  Rücksicht  auf  das  8—9  ringlige  Abdomen  der  Mallo- 
phaga und  das  9ringlige  der  Pediculidae  schon  sehr  früh  geschehen 
sein,  und  gewiss  eher,  als  überhaupt  die  Trennung  zwischen 
den  beiden  grossen  Gruppen  erfolgte.  Die  jetzt  noch  lebenden 
Homopteren  haben  sich  von  ihrem  Specialstamminsekt  ohne  Aus- 
nahme weit  entfernt;  dies  gilt  selbst  von  den  Stridulantia,  wie 
schon  der  Name  besagt,  obgleich  diese  kleine  Oruppe  wohl  am 
Wenigsten  von  Allen  abgeändert  wurde.  Mit  Rücksicht  hierauf 
sind  denn  auch  die  Phytophthires  von  einer  zwischen  dem  Prot- 
homopteron  und  der  Cicada  stehenden  ausgestorbenen  Form  ab- 
zuleiten. Offenbar  sind  unter  ihnen  die  Psyllodes  dem  Einflüsse 
des  Parasitismus  nur  wenig  zugänglich  gewesen;  während  die 
Aphidina  und  noch  mehr  die  Goccina  durch  Schmarotzerthum  rück- 
gebildet sind  und  daher  ähnliche  Erscheinungen  darbieten,  wie 
die  weit  von  ihnen  entfernten  Läuse  und  Pelzfresser. 

Prothemipteron:  9  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax  noch 
frei  beweglich  und  Kopf  noch  nicht  wendbar.  Mundtheile  stechend. 
Flügelpaare  gleich.  3  Ocellen.  An  den  Beinen  nur  3  Tarsen. 
Nur  2  Thoracal-,  kein  Abdominalganglion^  aber  zwei  einfache 
Längsstämme  im  Abdomen.  4  vasa  Malpighii.  Weibchen  mit 
Legescheide.  Entwicklung  mit  innerem  Keimstreife,  Larve  mit  nur 
3  Beinpaaren. 

Ueberblicken  wir,  nachdem  wir  so  bereits  fünf  Ordnungen 
eingehend  besprochen,  die  noch  übrigen  Insekten,  so  zeigt  es  sich, 
dass  zur  Zeit  eigentlich  nur  ein  einziger  Charakter  im  Stande  ist, 
uns  über  den  grösseren  oder  geringeren  Verwandtschaftsgrad  der 
restirenden  Gruppen^  wie  sie  von  den  Autoren  ganz  verschieden 
geordnet  werden,  im  Allgemeinen  eine  Anschauung  zu  verschaffen. 
Wir  finden  nämlich  die  Anzahl  der  vasa  Malpighii  entweder  sehr 
gross,  oder  sehr  gering  (4,  6,  8)  oder  keins  von  beiden,  nämlich 
wischen  20 — 50,  und  können  hiemach  unterscheiden : 


^'  Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten.  199 

1)  Insekten  mit  sehr  vielen  Malpighi'schen  Gefösscn:  Or- 
thoptera  gennina, 

2)  mit  einer  Mittelzahl:  Amphibiotica  und  Forficnlina, 

3)  mit  nur  wenigen  nnd  zwar 

a)  mit  6:   Termitina  (?),  Panorpidae,   SiaUdae  *),  Phry- 
ganidae 

b)  mit  8:  Megaloptera,  Sialidae 

c)  mit  4:  Thysanoptera,  Psocina. 

Wir  mtLssen  nun  zusehen;  ob  dieser  mit  Hinblick  auf  These 
5  (vgl.  p.  148)  dorcbgefllhrten  Anordnung  auch  wirklich  natür- 
liche Beziehungen  zu  Grunde  liegen. 

Unter  den  Orthoptera  genuina,  an  .deren  Zusammen- 
gehörigkeit wohl  nicht  zu  zweifeln  ist,  sind  die  Phasmodea  nnd 
](antodea  in  ihrer  heutigen  Gestalt  eben  so  sicher  junge  Formen 
wie  die  Saltatoria  mit  ihren  Spring-  resp.  Grabbeinen.  Somit 
scheinen  die  Blatt ina  für  die  ältesten  Repräsentanten  dieses 
Stammes  gelten  zu  sollen.  Dass  aber  auch  sie  sich  bereits  weit 
von  dem  Protorthopteron  entfernt  haben,  zeigen  ihre  9 — 10  Hinter- 
leibsringe, während  bei  den  Saltatoria  noch  alle  11  vorhanden 
sind.*)  Somit  werden  wir  von  der  Grundform  aus  einen  Seiten- 
zweig als  Cnrsoria  auffahren  und  den  eigentlichen  Stamm  sich,  in 
die  Saltatoria  fortsetzen  lassen.  Unter  den  Ersteren  sind  die 
Phasmodea  durch  Anpassung  (Mimiciy)  offenbar  in  einem 
höheren  Grade  entstellt  worden,  als  die  Mantodea.  Was  die 
Springer  angeht,  so  hat  neuerdings  Y.  Graber')  zu  zeigen  ver- 
sucht, dass  die  Locustina  „die  modificirten  Nachkommen  einer 
den  Achetiden  näher  verwandten  GradflUglersippe  sind/'  Er  weist 
nämlich  nach,  dass  ursprünglich  beide  Flügeldecken  eine  Schrill- 
ader besassen  und  nach  Belieben  zur  Erzeugung  von  Tönen  ge- 
braucht wurden,  wie  dies  bei  den  Achetidae  auch  jetzt  noch 
geschieht,  während  bei  den  Locustina  nur  die  linke  benutzt  wird. 
Doch  verbietet  dieses  Factum  nur  die  directe  Ableitung  der  Grab- 
heuschrecken von  den  Laubheuschrecken,  während  sich  von  der 
gemeinschaftlichen  Stammform   gerade  die  ersteren   bei  Weitem 

')  Nach  Fr.  Brauer,  Beiträge  zur  Kenntnisa  des  innern  Baues  und  der 
Verwandlung  der  Neuropteren  (Verhandl.  zool.  bot.  Gesellsch.  Wien  1855, 
p.  701— 2<;,  777—86)  hat  Corydalis  8  vasa  Malpighii. 

*)  Im  Einklänge  hiermit  haben  die  letzteren  noch  6  Abdominalganglien, 
die  ersteren  nur  5. 

*)  Tonapparat  der  Locustiden,  ein  Beitrag  zum  Darwinismus,  Zeitschr. 
wiss.  Zool.  1872,  p,  100  ff. 


200  ^aul  Mayer, 

mehr  entfernt  haben^  als  die  letzteren.  Somit  trennten  sich  die 
Gryllodea  bereits  früh  vom  Saltatorieraste  und  dieser  fand  sein 
Ende  in  den  Loenstina.  Für  diese  Auffassung  spricht  auch 
der  Umstand;  dass  die  Anzahl  der  Magenblindsäcke  ^)  bei  den  ge- 
nannten Familien  nur  zwei;  bei  den  Mantodea;  Blattina  (ob  auch 
den  Phasmodea?)  und  Acridioidea  hingegen  6—8  beträgt 
Hiernach  erhalten  auch  die  letzteren  ihre  Stellung  angewiesen. 

Die  Ontogenese  der  Orthoptera  ist  bis  dato  übeiiiaupt  nicht 
eingehend  behandelt  worden,  obwohl  interessante  Ergebnisse  nicht 
ausbleiben  können.  Von  älteren  Autoren  hat  nur  Rathke  einige 
Beobachtungen  an  Blatta  und  Gryllotalpa  angestellt;  die  ich  schon 
oben  anzuführen  Veranlassung  hatte.  Hier  erwähne  ich  noch  vor 
Allem;  dass  die  Entwicklung  mit  äusserem  Keimstreife  geschieht, 
was  namentlich  klar  aus  einer  Stelle^)  hervorgeht:  ;;Um  den 
Dotter  herum  bildet  sich  darauf  der  EmbryO;  so  dass  jener  in 
diesen  zu  liegen  kommt."  Femer  wird  über  die  Blindsäcke  be- 
merkt, dass  sie  bei  Blatta  erst  ;;gegen  Ende  des  Fruchtlebens'' ') 
entstehen  und  bei  Gryllotelpa  überhaupt  im  Embryo  nicht  vor- 
handen sind;  vielmehr  erst  in  der  Larve  auftreten. 

Was  die  Forficulina  betrifil;  so  sind  diese  zwar  in 
mancher  Beziehung  sehr  abgeändert  und  durch  Anpassung  von 
ihrer  früheren  Form  abgewichen,  haben  sich  aber  noch  einige  Züge 
von  hohem  Alter  zu  bewahren  gewosst.  So  besitzen  sie  noch  9 
Abdominalsegmente  und  (5  in  ihnen  gelegene  Ganglienknoten;  da- 
gegen haben  sie  bereits  einen  frei  wendbaren  Kopf  erlangt,  auch 
ist  die  Zahl  ihrer  vasa  Malpighii  auf  über  30  gestiegen.  Magen- 
blindsäckC;  wie  die  echten  Orthoptera  sie  zeigen,  kommen  bei 
ihnen  nicht  vor.  Man  wird  sie  nach  allen  diesen  Angaben  nur 
als  eine  für  sich  bestehende  Gruppe  auffassen  dürfen,  welche 
freilich  wegen  der  Bildung  der  Mundtheile  in  die  Nähe  der  Gerad- 
flügler zu  setzen  sein  wird.  Ob  sie  mit  diesen  einen  gemein- 
schaftlichen Vorfahr  in  dem  Protorthopteron  besasseU;  erscheint  zum 
Mindesten  fraglich;  jedenfalls  ist  aber  ihre  Abtrennung  von  den 
Uebrigen  schon  äusserst  früh  vor  sich  gegangen.  Sonach  nehmen 
sie  den  echten  Orthoptera  gegenüber  dieselbe  Stellung  ein  wie 
die  Pulioina  bei  den  Diptera.    Dass  die  Verwandtschaft  mit  den 


>)  Nach  Basch  gehören  sie  bei  Blatta  ihrem  Bau  zafolge  zu  dem  eigent- 
lichen Magen  (1.  c,  p.  251). 
«)  Gryllotolpa,  p.  28, 
•)  1.  c.,  p.  377. 


lieber  Oniogenie  and  Phylogenie  der  Insekten.  201 

Bracheljrtra  anter  den  Käfern  nur  Schein  ist,  geht  darans  henror, 
dass  man  diese  Eurzflügler;  wie  bereits  oben  dargethan  ist,  von 
Formen  mit  normalen  Flügeldecken  ableiten  muss. 

Nach  den  Untersnchangen  von  Meinert  ^)  scheint  Forficnla 
zuweilen  schon  im  £i  eine  Häntang  durchzumachen.  Weitere 
Beobachtungen  tlber  Ontogenese  liegen  nicht  vor. 

Protorthopteron:  11  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax 
frei  beweglich  und  Kopf  noch  nicht  wendbar.  Beissende  Mund- 
tbeile.  Flttgelpaare  ungleich.  3  Ocellen.  Beine  mit  5  Tarsen. 
3  Thoracal-,  7  Abdominalganglien.  Viele  vasa  Malpighii.  Weib- 
chen mit  Legescheide.  Entwicklung  mit  äusserem  Keimstreife. 
Larven  farbig,    mit  3  Beinpaaren,  der  Imago  sehr  ähnlich. 

Die  Amphibiotica  zerfallen  in  die  drei  Familien  der 
Ephemeridae,  Perlidae  und  Libellulidae.  Die  freien  Hinterleibs- 
segmente sind  noch  typisch  bei  den  Erst-  und  Letztgenannten, 
hingegen  auf  10  verringert  bei  den  Perlariae.  Von  Abdominal- 
ganglien  besitzen  diese  8,  die  Eintagsfliegen  9  und  die  Wasser- 
jungfern 7,  doch  sind  diese  Angaben  nicht  ganz  zuverlässig.  Li 
der  Bildung  der  Mundtheile  sind  offenbar  die  Libellulidae  dem 
Protentomon  näher  geblieben,  als  die  beiden  andern  Familien. 
Berttcksichtigt  man  femer  noch  die  Anzahl  der  Tarsen,  welche 
nur  bei  den  Ephemeridae  noch  4—5  beträgt,  während  sonst  die 
Beine  trimer  sind,  so  wird  man  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit 
sagen  können,  dass  die  Ephemeridae  sich  von  dem  Prot- 
amphibi<m  bereits  sehr  früh  abtrennten  und  sich  durch  Anpassung 
stark  verändert  haben,  indess  sich  die  Perlidae  später  ab- 
zweigten und  ebenfalls,  durch  besondere  Vorliebe  für  das  Leben 
am  Wasser,  erhebliche  Hodificationen  erlitten.  Hier  tragen  sogar 
die  Imagines  Kiemen,  wie  aus  den  bereits  angefahrten  Unter- 
suchungen Gerstäcker's  hervorgeht,  in  grösserer  Ausdehnung,  als 
man  frtlher  für  möglich  gehalten.  Die  Libellulidae  endlich 
setzen  den  Stamm  der  Amphibiotica  fort  und  bilden  eine  vorzttg- 
Uoh  durch  sexual  selection  reich  verzweigte  Krone  desselben. 

Die  Ontogenese  hat  durch  die  Entwicklung  im  Wasser  viele 
und  bedeutende  Beeinflussungen  erlitten.  Die  Untersuchungen 
Brandt^s  an  Calopteryx  und  Agrion  [die  von  Packard  an  Perithe- 
mis  und  Diplax  sind  ohne  jegliches  Interesse]  weisen  zwar  die 
Entwicklung  mit  innerem  Keimstreife  nach,  entbehren  aber  aller 
und  jeder  Angabe  ttber  histologische  Verhältnisse  und  die  Bildung 

»)  L  C,  p.  482. 


202  Paul  Mayer, 

namentlicli  der  Re8piratioDS<»'gane.  Die  Larven  sind  mit  Bezug 
auf  diese  selbstrerständlich  im  Allgemeinen  seeundär,  haben  aber, 
wie  es  scheint;  auch  primär  anftreten  können  nnd  so  Kiemen  in 
der  Image  erzeugt  bei  einigen  Periiden.  Bereits  jetzt,  wo  noch 
Details  nirgends  bekannt  sind,  lässt  sich  eine  vollständige  Stufen- 
leiter dieser  Anpassungen  herstellen  von  den  Larven  ohne  Kiemen 

—  die  meisten  Periiden  —  durch  die  mit  6  quastenförmigen 
Kiemeu;  welche  in  ihrer  Lage  den  Thoracalstigmen  entsprechen 

—  Perla  —  bis  zu  den  mit  6  Kiemen  am  Protiiorax  versehenen 

—  Nemura  —  welche  dann  auch  in  der  Image  persistiren,  obwohl 
sie  (nach  Gerstäcker's  Experimenten  zu  schliessen)  nicht  mehr 
benutzt  werden.  Die  Darmathmung  bei  Libellulidae-Larven  ist 
durch  Anpassung  nach  einer  andern  Richtung  entstanden  und  hat 
später  wahrscheinlich  zur  Bildung  der  Abdominalkiemen  geführt. 
Ist  die  Angabe  von  E.  Oustalet  ^)  richtig,  dass  die  Nymphen  und 
Imagines  von  Aeshna  und  Libellula  an  Stigmen  nur  zwei  Paar 
thoracalC;  aber  keine  abdominale  besitzen,  so  ist  auch  hier  ein 
EinfluBs  der  Larvenanpassung  auf  das  vollendete  Insekt  zu  oon- 
statiren.  Eine  enorme  Umbildung,  wie  sie  vielleicht  bei  den  In- 
sekten einzig  desteht,  hat  die  als  Prosopistoma  bezeichnete  und 
wegen  ihrer  äusserlichen  Aehnlichkeit  mit  den  Krebsen  auch 
frtther  zu  diesen  gerechnete  Ephemerinen-Larve  erlitten.  Bei  ihr 
sind  nämlich  die  drei  Nota  mit  den  fünf  ersten  Tergiten  zu  einem 
zweiklappigen  Schilde  verwachsen,  welches  fUnf  Paar  Anhäufungen 
von  fadenförmigen  Tracheenkiemen  bedeckt.  Von  Interesse  ist 
es,  dass  auch  nur  4  vasa  Malpighii  vorkommen.  ^)  Ein  weiteres 
Eingehen  auf  alle  diese  Verhältnisse  bleibt  aber  so  lange  nutzlos, 
als  die  Ontogenese  noch  nicht  genauer  bekannt  ist 

Protamphibion:  11  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax  noch 
frei  beweglich  und  Kopf  noch  nicht  wendbar.  Beissende  Mund- 
theile;  gleiche  Flttgelpaare.  3  Ocellen.  Beine  mit  5  Tarsen.  3 
Thoracal-  und  9  Abdominalganglien.  20-50  vasa  Malpighii.  Lege- 
scheide fehlte.  Entwicklung  mit  innerem  Keimstreife,  Larven  mit 
3  Beinpaaren,  der  Image  ähnlich. 

Es  wird  jetzt  möglich  werden,  auch  die  noch  übrigen  Insekten, 
welche  alle  nur  4-8  vasa  Malpighii  besitzen,  ihrer  Verwandtschaft 


0  Respiration  chez  les  njmpbes  des  Libellales.  Annal.  Sc  nat.  1869, 
ZooL  I,  p.  877. 

')  Vgl.  N.  et  E.  Joly,  sar  le  pr^tenda  crostacd  etc.  Annal.  So.  natar.  1872 
ZooL  IL  Nr.  7,  Tab,  XIIl. 


üeber  Ontogenie  nnd  Phylogenie  der  Insekten.  203 

gemäss  zu  gruppiren.  Die  Zahl  der  freien  Hinteileibsringe  ist  im 
günstigsten  Falle  10  (Phiyganiden),  beträgt  aber  meist  nur  8 
oder  9.  Gleicherweise  hat  das  Nenrensystem  3  Thoracal-  und 
8  Abdominalganglien  bei  der  erstgenannten  Familie,  dagegen 
nur  einen  einzigen  grossen^Enoten  bei  den  Strepsiptera.  Auch  die 
Tarsenzahl  schliesst  sich  im  Allgemeinen  dieser  Stufenfolge  an. 
Kehmen  wir  zunächst  alle  Pentamera,  welche  wir  als  die  ursprüng- 
lichsten Formen  ansehen  dürfen.  Sie  zerfallen  in  zwei  grosse 
Gruppen:  Trichoptera  und  Planipennia.  Von  den  drei  Familien 
der  letzteren  sind  die  Panorpina  mit. ihren  8  zum  Theil  ab- 
normen Hinterleibsringen  und  dem  schnabelförmigen  Kopfe  offenbar 
weit  von  der  Stammform  entfernt.  Ein  Gleiches  lässt  sich  von 
den  Megaloptera  sagen,  wie  die  Verkürzung  des  Abdomens 
auf  8—9  fiinge  und  die  abweichende  Zahl  der  Ganglienknoten 
(10  statt  11)  und  der  vasa  Malpighii  (8  statt  6)  beweist.  Anderer- 
seits haben  gera^ß  die  Panorpina  nur  zwei  Hodenschläuche,  die 
übrigen  Planipennia  hingegen  viele  und  wiederum  sind  allein  von 
Allen  die  S  i  a  1  i  d  a  e  mit  vielen  Ovarien  versehen;  während  sonst 
20  die  constante  Zahl  ist.  Hiemach  zu  urtheilen  haben  die  Phry- 
ganiden  mit  10  freien  Metameren  die  Charaktere  des  Protoneur- 
opteron  am  Getreuesten  bewahrt,  aber  die  übrigen  Familien  sind 
auch  schon  in  sehr  früher  Zeit  von  einander  und  von  den  Trich- 
optera losgerissen  worden.  Wir  werden  also  den  Stammbaum  der 
Neuroptera  sich  gleich  über  der  Wurzel  in  zwei  Aeste  theilen 
lassen,  von  denen  der  eine  durch  Anpassung  an  das  Leben  im 
Wasser  analog  den  Ephemeriden  ^)  sich  wesentlich  modificirt  hat, 
indess  der  andere  gerade  in  diesen  Punkten  der  Urform  näher 
blieb.  Der  ringförmige  Prothorax  der  Phryganiden  und  dieselbe 
Verkümmerung  der  Mundtheile  findet  sich  bei  den  Strepsipteren 
wieder,  deren  Abdomen  allen  Einflüssen  des  Parasitismus  zum 
Trotz  wenigstens  beim  S  noch  9  freie  Hinterleibsringe  aufweist, 
obwohl  freilich  das  gesammte  Bauchmark  sich  zu  einem  Knoten 
vereinigt.  Sonach  kann  man  vorläufig,  bis  genauere  Angaben  über 
die  Anatomie,  namentlich  in  Betreff  der  Malpighi'schen  Gefässe, 
vorliegen,  die  Fächerflügler  vielleicht  als  eine  sich  frühzeitig  von 
den  Phryganiden  abtrennende  Familie  ansehen,  lieber  den  Grad 
dieser  Verwandtschaft  gibt  übrigens  die  Ontogenie  um  deswillen 
keine  Auskunft,  weil  sie  noch   nicht  darum  befragt  worden  ist. 

')  Rückbildang  der  Kauorganel 


204  P»«il  Mayer, 

I 

Die  Entwicklung  der  Trichoptera  s.  str.  geht  nach  Zaddach^) 
sowie  nach  den  dttrftigen  Angaben  von  Eovalevsky  über  Phiyganea 
und  von  Melnikow  über  Mystacides  mit  äusserem  Eeimstreife  vor 
^sich.  Bei  den  Planipennia  liegt  nur  eine  ungenaue  Notiz  von 
Packard  über  Chrysopa  vor,  welche  nicht  recht  recht  verständlich 
ist^  doch  zeigen  die  Figuren  deutlich  den  äusseren  Eeimstreif. 
Die  ältere  Arbeit  von  Hagen  ^)  über  Osmylus  gibt  gleichfalls  einen 
äussern  Eeimstreif  an,  ohne  dass  seine  für  die  Metamorphologie 
werthvoUen  Untersuchungen  für  unseren  Zweck  sonst  noch  viel 
Brauchbares  enthielten.  Er  bemerkt,  am  Embryo  trage  jeder  der 
neun  Hinterleibsringe  ein  Stigma,  so  dass  also,  da  er  d^r  Larve 
nur  acht  zuschreibt,  das  letzte  ähnlich  den  Verhältnissen  bei 
Hydrophilüs  später  nicht  mehr  fnnctionirt. 

Protoneuropteron:  10  freie  Hinterleibsringe.  Prothorax 
noch  frei  und  Eopf  noch  nicht  wendbar.  Beissende  Mundtheile. 
Flügelpaare  gleich.  3  Ocellen.  5  Tarsen.  3  Thoracal-,  8  Ab- 
dominalganglien. 6  (vielleicht  4)  vasa  Malpighii.  Eeine  Lege- 
scheide. Entwicklung  mit  äusserem  Eeimstreife.  Larven  mit  3 
Beinpaaren,  der  Image  ähnlich. 

Nachdem  wir  so  die  Neuroptera  in  ihrem  gegenwärtig  wohl 
meist  angenommenen  Umfange  als  eine  leidlich  homogene  Gruppe 
nachgewiesen  haben ^  handelt  es  sich  darum,  dem  an  Zalil 
verschwindend  kleinen  Beste  der  Insekten  gerecht  zu  werden. 
Hat  es  sich  aber  bereits  von  den  Orthopteren  an  immer  deut- 
licher gezeigt,  dass  wir  es,  je  weiter  wir  in  unsern  Betrachtungen 
vorwärts  schreiten,  mit  stets  ungewisseren  Elementen  zu  thun 
haben,  deren  richtige  Würdigung  im  phylogenetischen  Sinne  zur 
Zeit  kaum  angestrebt  werden  kann,  so  wird  uns  bei  den  Termi- 
tina und  noch  mehr  bei  den  Corrodentia  und  Thysanoptera  die 
Schwierigkeit,  schon  jetzt  definitiv  über  die  Stellung  dieser  Familien 
unter  sich  und  zu  den  Specialstamminsekten  zu  entscheiden,  erst 
recht  einleuchten.  Was  zunächst  die  Termitina  angeht,  so 
unterliegt  es  sicherlich  keinem  Zweifel,  dass  sie  in  ihrer  gegen- 
wärtigen Gestalt  schon  mit  Rücksicht  auf  ihr  sociales  Leben 
jungen  Datums  sind ;  dagegen  deuten  die  9  freien  Hinterleibsringe 
und  die  noch  völlig  typischen  zweiten  Maxillen  auf  ein  hohes 
Alter.    Fritz  Müller,   dem    wir  gerade  in  jüngster  Zeit  sehr  er- 


')  Entwicklung  des  Pbrjganideneies.    Berlin  1854. 
*)  Entwicklung  und  innerer  Bau  von  Osmylufl.  linnaea  entomolQgica  185? 
VII,  p.  368—418,  Tab.  3  und  4. 


w&ischte  An&cUtsK  tbct  tisl^  wkLn^  Pcnkte  in  der  Ana- 
tomie dieser  Tliiare  TcrdaKken  ^eiit  fc^sr  noch  weiter  md  siebt 
in  den  Larren  doselbcc  ^ewisscrcafisei:  das  Pr>xeikU>iL<^  Ter- 
köq^rt  Er  meini  -  •  ron  Cali-ten^s  bc^id'^cs  Ha^.  cnd  m^üscs 
Hag.,  es  seien  -zwei  Merkwürdige,  nahe  Terwaixhe  Arten,  dere« 
sehr  eigenthamli^he  j^r^z^ze  Larren  «£;$  TitH^jttl  in  aiiJkLer 
Weise  die  aliesle  mcßii.  kcec-ie  Ix^s^tziczm  zeigen,  wie  der 
Nanplins  die  iltesce  Cr^ia^eeiiro^m*  zz^  Issgert  »krk  in  seiDer 
neuesten  Pallicanon-  wiü<h  l«üicz:n:;er.  i&c^m  er  sa^:  Jj^ikm  ist 
sehon  Calotenne?  ^iztt  d^r  al^escea.  TieZLei^ii  rerac^exa  die  ihgxi/t 
anter  den  jetzt  kbezfi-^ra  Lj^k^jeL^ran^rrir^s.  f«  wtrie  da«  ecwa 
in  ihren  Jogendzi^aiKk^  erialii^ce  EJ.i  2.r^  Vorrair^w  eüie 
ähnliche  Bed^roscii^  i^  oe  Kiaii^  c«^  Is^rrku^  &<a&^;pni^ies 
dfirfen,  wie  Xaiijüa  ftr  Cje  CnatöKSu*  Lara.^  tfi.  Lat  Fnu 
Müller  diese  Larren  tlutr  ^r^can»  iiac/.ziisH^,^:«^  Uä::^r«:;n::jur 
unterworfen,  d€r»  EaFihaie  ix  E^xiz  ax:  f -t^^v-mijr  w*r 
schon  oben  p.  1 :0  oeaiizs  äa.'<a^  IL.-»r  iil<ir>3bHrs»  cl^  aa£>>^' 
lieh  die  Angaben  cbcr  Cje  va^a  Hüy^^^  X3#t  z«ar  t'^^t^'^c  a.!-^» 
nur  bei  den  Ima^Li^«.  'i^airMii  ia.ti  Lf  ;^^  •  ♦*.ii  iiti  T*rrÄ**Ä 
lucifiigns  b  Harueiir^er  Tiri^i^a-  iai  Cau.oarxÄ*  iia.».a  K:...^  *; 
oder  8,  nnd  Jbei  lirida  At^«l  T:a  Ters«»  i2«t  -tn*KL«K  -*i  L.:r/r:::Äi 
und  Anoplourmes  '^t't;;c  i.^  ZjllL  'Üw  r£arxr*r'i/«Mt  z«r.>^>^^5*i  a'f 
4  beschrankL'-  Soaas'.i  ZK^»a  aiita  a.  'i:.**^Ti  »^swiirrLi^ii^  K*rt- 
male  die  TermLUM  in  A-lr*ai'H-ii*a  ai'^*,a  ti»u  LVxu»sa^i  vi^c  tJ>r,*^ 
somit  dem  Pro<«::.:mf:a  j#»:ir  lao*^  A.v*r  trri/^.  »*^*a.  <>öw* 
Umstandes  wird  naa  &15  tiiai»r  aai^n  »rn;5*t  iavr%if-;i-^,  ly^V' 
mehr  als  eirie  l«»'üii«*rt.  ita  ia-*rL  1.  *.  i»  ar^.»^»^^^/^^:  ^/•'i 
nung  aoftaseen  iLt»ai.  -»»^ii»»:  »aa  :a  ti*r  5iX/u^  -l-^y  ^rrvx/^ic 
von  dem  genLer:!ia2iu*a  .V-uiai '.a-iaii*:  ♦a*  ;r  vr^  rf;u^w>u  «;*-..% 

Die  P§o^;aa  i^t  £jii,ti>.  jr*-» >.ia...*a  4*it  ^/•//."y^^ir^a 
znsanunen^eraM%  j,  jimi^  jvit«*r  'V»*üii»;.V!^'t  aaifc*'."ti'/^''u*  i'  Av-far' 
zeige  so  g^  Wyt  riaai;i*n,  i*m;p*w*u  ■;;i.vt  Si/x^->\\  -^  '*./« 
Psocos  4  t'ntie  ^a^a  ita..;».^.;;  -  U;#*r  imvit  jui*vt  ^-^  iu»rAit  \x'^^ 


p.  33^5. 

IV  JS3rl,  I*.  2r;'. 


206  ^*^l  Üayef, 

snchnngen  in  der  Literatar  vorgefiindeB.  Bis  diese  vorliegen, 
wird  man  gut  thnn^  die  Stellang  dieser  beiden  Familien  unent- 
schieden zu  lassen.  Ein  relativ  hohes  Alter  wird  ihnen  übrigens 
durch  das  8— 9ringlige  Abdomen  in  Verbindung  mit  gleichartigen 
Flügelpaaren  bezeugt.  Die  Thysanoptera  endlich  weisen 
gleichfalls  noch  9  Hinterleibsringe  auf;  gehören  aber  sonst  wohl 
in  die  Nähe  der  Hemiptera;  wenigstens  stehen  sie  ihnen  in  der 
Bildung  der  Mundtheile  näher  als  irgend  eine  der  betrachteten 
Klassen.  Enorme  Abweichungen  sind  natürlich  auch  hier  zu  ver- 
zeichnen; lassen  sich  aber  vorläufig  in  ihrem  Werthe  noch  nicht 
beurtheilen. 

Die  flüchtige  Behandlung  der  erwähnten  Familien,  welche 
man  als  Ueberbleibsel  einer  früheren  Epoche  der  Erdgeschichte 
besonders  genau  studiren  müsste,  rechtfertigt  in  etwa  der  £ifer 
der  EmbryologeU;  über  die  Ontogenese  derselben  so  gut  wie  nichts 
zu  sagen.  Von  Termes  behauptet  Metschnikoff  ^),  es  treten  im 
Bereiche  des  Hautfaserblattes  ;;Urwirbelartige  Körper"  auf.  Hieraus 
lässt  sich  auf  eine  Entwicklung  mit  äusserem  Keimstreife  schliessen. 
Ueber  die  Ontogenese  der  Thysanopteren  liegen  Mittheilungen 
Ulianin's  *)  vor;  welche  darthun;  dass  sich  bei  Thrips  und  Phloeo- 
thrips  ein  innerer  Keimstreif  zeigt  und  demzufolge  auch  eine 
spätere  Umwälzung  des  Embryo  und  eine  Schliessung  seines 
Bückentheiles  durch  die  äussere  und  innere  Hülle  statthat.  Dies 
Verhalten  spricht  ebenfalls  sehr  für  den  engen  Zusammenhang 
der  Blasenfüsse  mit  den  Halbflüglem. 

Der  generelle  Stammbaum ')  der  Insekten  ist  zunächst  mit 
Bücksicht  auf  den  Modus  der  Ontogenese  construirt  worden. 
Hiemach  sind  die  Gruppen  mit  innerem  Keimstreife :  Amphibiotica 
und  Hemiptera  von  den  übrigen  Insekten  abgetrennt  und  zwar 
auf  Grund  des  allgemeinen  Körperbaues  schon  an  der  Wurzel.  ^) 


*)  Mjriapoden,  p.  277. 

')  UntersachuDgen  über  die  Entwicklang  der  Physapoden.  Moskau  1874. 
Die  russisch  gescbriebene  Arbeit  ist  mir  nur  zugänglich  durch  das  dankens- 
werthe  Referat  von  Hoyer  in  Hofmann  und  Schwalbe's  Jahresbericht  f.  1874, 
p.  392—395.  üeber  die  Bildung  der  einzelnen  Organe  scheint  Ulianin  keine 
Angaben  gemacht  zu  haben. 

^)  Ich  bemerke  ausdrücklich,  dass  ich  hiermit  nur  eine  erste  Aufstellung 
desselben  versuche,  die  als  solche  äusserst  hypothetisch  sein  muss,  immerhin 
aber  einigen  Nutzen  haben  wird. 

*)  Ob  die  Berücksichtigung  der  Eeimstreifform  wirklich  in  dem  Maasse 
zulässig  ist,  stelle  ich  in  Frage.    Dies  thue  ich  namentlich  deswegen,  weil  ich 


j 


Ueber  Ontogeme  und  Phylogenie  der  Insekten.  207 

Im  Uebrigen  leiteten  hauptsächlich  die  schon  oben  (p.  128^  dar- 
gelegten Erwägungen,  denen  zufolge  es  lediglich  darauf  ankommen 
muss,  zu  sehen,  was  sich  fiberhaupt  noch  von  dem  Protentomon 
in  den  Specialstammformen  erhalten  hat,  nicht  aber,  wie  weit  die 
Abänderung  derselben  gediehen  ist.  Ich  habe  daher  nächst  der 
Ontogenese  mein  Augenmerk  auf  die  Zahl  der  Hinterleibsringe 
und  der  vasa  Malpighii  gerichtet,  indem  ich  mir  sagte,  es  liege 
kein  Grund  vor,  eine  Verkürzung  und  nachherige  Verlängerung 
des  Abdomens  irgendwo  a  priori  anzunehmen,  vielmehr  mttsse 
man,  falls  nicht  die  schlagendsten  Beweise  des  Gegentheils  vor- 
lägen, an  eine  stetige  Verktlrzung,  geschehe  sie  auch  nur  im  In- 
teresse der  Bewegungsfähigkeit,  denken.  Von  den  vasa  Malpighii 
aber  scheint  mir  festzustehen,  dass  sie  ein  der  Anpassung  wenig 
unterworfenes  Organ  sind,  da  die  Excretion  im  Wesentlichen  bei 
allen  Insekten  eine  annähernd  gleiche  sein  wird.  So  ist  eine 
Vermehrung  ihrer  Zahl  wie  bei  den  Orthoptera  zugleich  mit  einer 
enormen  Verkürzung  der  einzelnen  Schläuche  verbunden  und  so 
wird  auch  die  ganze  Abänderung,  welche  sie  erfahren  haben, 
wohl  nur  eine  Wirkung  der  correlation  of  growth  gewesen  sein. 


aaf  Grand  der  Arbeit  von  Chan  über  die  Rektalpapillen,  wie  schon  oben  an- 
gedeutet, die  morphologische  Gleichwerthigkeit  aller  dieser  Gebilde  von  Neuem 
nachgewiesen  sehe.  Nun  hat  Chan  durchaos  nicht  den  Beweis  dafür  geliefert, 
dass  diese  boatons  charnos  das  sind,  wofür  er  sie  ausgibt,  nämlich  Drüsen, 
hat  im  Gregentheil  durch  seine  Angaben  dafür  gesorgt,  dass  man  sie  mit 
Leydig  jetzt  erst  recht  als  physiologisch  fragwürdig  bezeichnen  muss.  £r- 
fiillen  aber  dieselben  Organe  bei  den  Larven  der  Libellen  u.  s.  w.  ihren  Zweck 
als  Darmkiemen,  was  zweifelsfrei  dasteht,  so  wird  man  dazu  geführt,  sie  für 
wahre  Homologa  der  Rektalpapillen  zu  halten  und  anzunehmen,  dass  diese 
eigenthümliche  Localisirung  des  Darmepithels  nur  Einmal  und  zwar  bei  den 
Imagines  zuerst  auftrat  und  sich  später  bei  den  ohnehin  in  vielen  Punkten 
nachweisbar  secundären  Larven  der  Libellen  dem  Zwecke  der  Athmung  an- 
passte.  Hiermit  würde  aach  der  Umstand  gut  zu  vereinigen  sein,  dass  bei 
den  Schmetterlingsraupen  u.  s.  w.  als  im  Allgemeinen  palingenetischen  Larven 
diese  Organe  fehlen,  während  die  Imagines  sie  in  grosser  Anzahl  besitzen. 
'Während  also  Gregenbaur,  welcher  ebenfaUs  in  den  besprochenen  Gebilden 
Uomologa  erblickt,  seinen  übrigen  Anschauungen  gemäss  ganz  consequent  die 
Darmkiemen  der  Libellen  als  vergleichsweise  alt  hinstellt  und  aus  ihnen  die 
Hektalpapillen  herleitet,  sehe  ich  in  den  ersteren  nur  eine  weitere,  specifischen 
Zwecken  dienstbare  Ausbildung  eines  von  den  meisten  Imagines  (aus  einem 
einstweilen  noch  unbe!<  annten  Grunde)  erworbenen  Einrichtung,  welche  diesen 
gegenwärtig  vielleicht  überflüssig  ist  Ist  diese  Ansicht  richtig,  so  dürfen 
allerdings  die  Hemipteren,  denen  bekanntlich  die  boutons  charnus  gänzlich 
fehlen,  nicht  unmittelbar  zu  den  Amphibioten  gestellt  werden.  Ich  begnüge 
mich  aber  vorläufig  damit,  auf  diesen  Punkt  aufmerksam  gemacht  zu  haben« 


208  pÄul  Maywf,' 

Um  nun  io  Bezug  aaf  diese  beiden  Paukte  den  Ueberblick  zu 
erleichtern;  habe  ich  die  einzelnen  Stammformen^  welche  in  den 
bezeichneten  Merkmalen  übereinstimmen ,  aaf  ein  and  dieselbe 
horizontale  Linie  gestellt  ^  so  dass  z.  B.  das  Protocoleopteron  am 
Weitesten  von  dem  Protentomon  entfernt  steht ,  während  das 
Protodipteron  und  Protohemipteron  demselben  noch  viel  näher 
sind.  Dies  schliesst  natürlich  nicht  aus,  dass  unter  den  gegen- 
wärtig lebenden  Käfern  manche  noch  in  ihrem  Bau  dem  Ur- 
insekt  viel  trener  geblieben  sind;  als  manche  Fliegen  oder  Halb- 
flttgler.  Andererseits  habe  ich  die  Trennung  der  Specialstammformen 
einzig  und  allein  mit  Bücksicht  auf  die  yasa  Malpighii  vorgenommen, 
so  dass  hiemach  also  Fliegen  und  Käfer  sich  von  den  andern 
Nachkommen  des  Protentomon  früher  losgelöst  haben;  als  diese 
unter  sich  in  Gruppen  zerfielen.  Femer  habe  ich;  um  die  Wirkung 
einer  durch  ähnliche  äussere  Umstände  veranlassten;  gleichgerich- 
teten Anpassung  zu  Veranschaulichen;  die  Insekten  mit  beissenden 
Mundtheilen  auf  die  linkC;  den  Best  auf  die  rechte  Seite  gebracht ; 
hierbei  machen  nur  die  Amphibiotica  wegen  ihrer  Ontogenese  dne 
Ausnahme.  Den  Stamm  vertritt  nach  der  einen  Richtung  hin  das 
Protorthopteron;  nach  der  andem  das  Protoneuropteron.  Die  Le- 
pidoptera  habe  ich  auf  Grund  der  Charakteristik  ihrer  Stammform 
(vgl.  p.  176)  durch  die  Trichoptera  mit  den  Neuroptera  in  Ver- 
bindung gesetzt;  was  freilich  die  Ontogenie  noch  gutheissen  soE 
Dass  die  Termitina  in  die  Nähe  des  Prothymenopteron  gerathen 
sind;  mag  andeuten;  dass  ausser  dem  Staatenleben  auch  noch 
andere  Analogien  zwischen  ihnen  und  den  Hautflüglern  be- 
stehen. 

■ 

Mit  Bezug  auf  die  Palaeontologie  hebe  ich  hervor,  dasS;  so  weit 
meine  Kenntnisse  reichen;  die  Dipteren  zur  Zeit  des  Auftretens 
der  ersten  Käfer  und  Halbflügler  noch  nicht  aufgefunden  worden 
sind;  während  sonst  im  Allgemeinen  keine  erheblichen  Einwen- 
dungen zu  machen  sein  werden.  Eine  genauere  Berücksichtigung 
derselben  liegt  übrigens  ja  nicht  im  Plane  der  Arbeit  und  würde 
selbst  dann  nur  gemäss  den  auf  p.  126  aufgestellten  Sätzen  er- 
folgen können. 


_-..,-j 


Ä>? 


HL 


Naehdem  ieh  m  Viakuf^iheadea  itm  Ytrs^eA  g^MiAu  vm 
dem  ProtentoDKm  aDe  bscba   eis  Assaiiae  d«r  TkTs»isral^ 

abziüeiteii^  bleibt  mk  moA  tbcig.  diesem  SsuHKKckt  selbst  dea 
ibn  gebtthrwdeB Baag  mSjreiaK  duarasBea.    Das?  es  m  dea 
Würmern  in  Beoebaa^  itdbe,  ha^  pm  jAct  als  seibstreisliDdti^h 
gegolten^  so  lange  naa  aberiias^a  pbjktgeiiecisdieB  «jSpecidatioae&** 
boldigt;  nar  halte  wum  Tklüatb  ^  McinaBg  aa  den  Tag  gdcgt« 
es  sei  dorcb  V^mittdnag  der  Gntstaeeea  aad  nicht  direct  aiit 
ihnen  yerwandt    Weao  aua  sich   aber  Tergeg»wSit]gt »  dasa 
Krebse  nnd  Traeheeathioe  anaser  der  Gliederang  der  Beiae  oder 
genaaer  gesagt  KOiperaafaänge  aichta  mit  eiaaader  gemein  haben^ 
was  nieht  anch  dner  Beihe  Ton  Wfimem  nkoomt,  im  Uebrigen 
aber  Differencen  erheUieher  Ait  anfweiaen,  so  sollte  man  sich 
billig  eher  firagen,  wie  man  fibeihaopt  inr  Idee  der  Verwandt* 
Schaft  beidtf  Gmppen  gdsommeii  sei    So  lange  noch  Annnlata, 
Crostaeea  nad  Traeheata  nnter  einem  Bnbmm  anfkralen,  war  Alles 
in  Ordnoag;  spSter  schafike  man  die  Enteren  in  den  Vermes, 
liess  aber  die  beiden  andern  Gruppen  als  Arthropoda  ungestört 
neben  einander  und  brachte  sie  dann,  als  die  Lehre  von  der  na* 
tflrUchen  Verwandtschaft  in  der  Praxis  Eingang  fand,  in  das 
Veriiältniss  der  Subordinatiim.    Was  nun  die  Traeheata  vor  Allem 
charakterisirty  ist  das  Vorhandensein  ^)  1)  der  Tracheen,  2)  der 
vasa  Halpighii  3)  der  Speicheldrttsen.    Somit  spitzt  sich  die  Frage 
dahin  zu,  ob  eine  Theorie,  welche  eine  getrennte  Ableitung  der 
Tracheenthiere  von  den  Würmern  verlangt,   im  Stande  ist,   das 
Auftreten  dieser  Organe  in  ihrer  Gleichzeitigkeit  zu  erklären.   In 
dieser  Hinsieht  brauchen  wir   unter  Bezugnahme  auf  dio  Schil- 
derung des  Pfotentomon  und  der  ontogenetischen  Vorgänge  bei 
den  Inaekten  nur  die  Worte  BtttschlFs  zu  den  unsern  zu  machen 
(L  c,  p.  550):    „Ich  möchte  mich  nicht  von  diesem  Gegenstand 
trennen,  ohne  mit  einigen  Worten  der  grossen  Aehnlichkcit  ge- 
dacht zu  haben,  welche  die  11  Paar  Einstülpungen  der  11  ersten 
Bumpfsegmente  in  ihrer  ersten  Anlage  mit  den  Segmontalorganen 
der  Anneliden  haben/'    Wir  sprechen  alsdann  die  Homologie  der 


*)  Andere  Untenchiede  zwischen  den  beiden  IlAupiklAsson  der  Arthropods 
sind  s.  B.  noch  das  Fehlen  Eines  Antennenpaares  bei  den  Traohoaten,  das 
auch  in  der  Ontogenese  vermisst  wird. 

Bd.  z,  N.  F.  %  m,  H 


210  Paul  Mayer, 

Malpighi'schen  Geßlsse  mit  Tracheen,  Spinngefassen  und  Speichd- 
drüseu;  wie  sie  Bütschli  nur  mit  „grösserem  Bedenk^en^'  yorschlägf, 
ebenfalls  bestimmt  aus  und  erblicken  den  Beweis  dafür  sowohl 
in  ihrer  Function,  als  auch  in  ihrem  Auftreten  als  Hautdrüsen 
und  endlich  in  dem  Zahlenverhältniss,  das  sich  in  der  Summe 
dieser  Organwiederholungen  ausdrückt.  Bütschli^)  sagt  selber 
(p.  546) :  ;,Eigenthümlich  bleibt  es  jedoch  immerhin;  dass  die  Zahl 
dieser  sammtlichen  .  .  .  Organe  13  Paar  beträgt,  gerade  so  viel 
Paare  als  wir  [1]  Rumpfsegmente  besitzen/'  Von  diesen  Excre- 
tionsorganen  —  um  einen  allgemeinen  Ausdruck  zu  gebrauchen 
—  wird  bei  Apis  das  erste  Paar,  welches  nachträglich  zur  Unter- 
lippe in  Beziehung  tritt,  gewöhnlich  als  Bpinngefäss  bezeichnet. 
Indessen  macht  schon  Grube  ^)  darauf  aufmerksam,  dass  wahr- 
scheinlich auch  Speichel  von  ihm  secemirt  werde.  Bei  der 
Image  von  Apis  ist  das  hintere  Speicheldrüsenpaar  nach  Lejdig  ^) 
dem  ebengenannten  der  Larve  homolog,  während  das  vordere  die 
eigentlichen  glandulae  salivales  darstellt.  Dies  kann  als  ein  in- 
directes  Argument  dafür  angesehen  werden,  dass  auch  die  echten 
Speicheldrüsen  als  Einstülpungen  des  Ektoderms  hierher  gehören. 
Demnach  existirten  14  Paar  Segmentalorgane,  die  von  Hause  aus 
ihre  Ausführöffnung  mitten  in  den  Metameren  besassen,  allmäh- 
lich aber  dieselbe  in  die  Verbindungshaut  zwischen  je  zwei  Seg- 
menten verlegten.  Wie  Apis  beweist,  ist  diese  Verschiebung  nach 
vorne  zu  vor  sich  gegangen;  während  aber  das  1.  Segmental- 
organ in  der  Ontogenese  der  Lepidoptera  und  Hymenoptera  noch 
als  Sericterium  auftritt,  scheint  es  bei  den  übrigen  Insekten  in 
keiner  Weise  mehr  zu  fungiren,  falls  nicht  genauere  embryologische 
Untersuchungen  das  Gegentheil  darthun. 

Soll  nun  die  angedeutete  Homologie  wirklich  statthaben,  so 
darf  die  Zahl  der  Speicheldrüsenpaare  zwei  nicht  überschreiten 
und  ebenso  dürfen  der  Malpighi'schen  Gefässe  nicht  mehr  sein, 
als  stigmenlose  Segmente  am  Hinterende  des  Körpers  vorhanden 
sind.  Was  den  letzteren  Punkt  angeht,  so  habe  ich  schon 
oben  (p.  142)  nachgewiesen,  wie  in  allen  zur  Beobachtung  ge- 
langten  Fällen   die   vielen  Harnschläuche    der  Orthoptera  und 


')  Neuerdings  hat  Semper  unter  Berufung  auf  RoTalevsky's  Unterscfchangcn 
an  Apis  in  den  Tracheen  gleichfalls  üomologa  der  Segmentalorgane  der 
Anneliden  gefunden,  ohne  Bütschli's  Ausspruch  wie  es  scheint  zu  kennen. 

*)  1.  c,  p.  64. 

»)  MüUer's  Archiv  1859,  p.  451. 


tJeber  Ontogenie  und  Phylo  gerne  der  Insekten.  211 

Hymenoptera  entweder  direct  durch  Enospung  aas  den  4  primären 
hervorgehen  oder  wenigstens  erst  secandär  fttr  sie  auftreten.  Bei 
Larven  von  Forficola  habe  ich  mich  von  einem  ähnlichen  Ver- 
halten ttberzengty  indem  neben  den  schon  vorhandenen,  ziemlich 
langen  Gelassen  (wahrscheinlich  auch  hier  ursprünglich  zwei 
Paar)  kürzere  zu  finden  waren^  so  dass  die  Gesammtzahl  mit  der 
Grösse  der  Larven  zunahm.  Auch  für  die  Amphibiotica  und  Ter- 
mitina (vgl.  p.  202  und  205)  scheint  ein  Gleiches  zu  gelten.  In 
Betreff  der  Speicheldrüsen  waltet  keinerlei  Unklarheit  ob,  da  zwar 
ein  Zerfall  der  ursprünglich  jedenfalls  schlauchförmigen  Drüse  in 
viele  traubenförmige  Läppchen  vorkommt,  die  AusfQhrgänge  aber 
allemal  einfach  bleiben.  Die  Heteropteren^  welche  mit  ihren  drei- 
fachen Speicheldrüsen  eine  für  die  Theorie  gefahrliche  Ausnahme 
machen  würden,  besitzen  in  Wirklichkeit  auch  nur  ein  einziges 
Paar  echter  ductus  salivales.  (Vgl  oben  p.  144.) 

Sonach  leiten  wir  die  Tracheata  von  gegliederten  Würmern 
ab  und  müssen  daher  das  Protentomon  dahin  rückwärts  verfolgen. 
Die  Ontogenie  von  Platygaster  und  Verwandten  zeigte  uns,  dass 
eine  vielfach  an  die  Gastrula  und  den  Nauplius  erinnernde  Larve 
vor  der  Bildung  des  sog.  Keimstreifs  auftritt.  Wir  dürfen  hierin 
getrost  eine  ontogenetische  Wiederholung  eines  Stadiums  sehen^ 
welches  denjenigen  Würmern,  von  denen  sich  die  Crustacea  und 
um  Vieles  später  die  Tracheata  getrennt  entwickelten;  gemein- 
schaftlich zukam.  Dass  die  Erinnerung  hieran  bei  den  meisten 
Insekten  schon  geschwunden  ist,  beweist  das  hohe  Alter  dieser 
Periode.  Wäre  uns  nun  die  weitere  Phylogenese  durch  Platy- 
gaster mit  derselben  Ausführlichkeit  erhalten,  so  würden  wir  auch 
die  späteren  Stadien  und  namentlich  die  Entstehung  der  Proto- 
tracheas-Form  noch  vorfinden.  Hier  helfen  in  etwa  Hydrophilus 
und  Apis  aus  und  zeigen,  wie  zuerst  die  Antimeren,  dann  die  18 
Hetamere  und  gleich  darauf  das  Nervensystem  und  die  Stigmata 
entstehen.  Somit  haben  wir  den  gegliederten  Wurm  mit  homo« 
nomen  Segmenten  und  Bauchmark  vor  uns.  Späterhin  treten  an 
jedem  Metamere  die  Körperanhänge  auf.  ^)  Von  Tracheen  ver- 
lautet bis  dahin  noch  nichts;  dass  aber  die  Excretionsorgane  vor- 


1)  VergL  Kovalevflkj,  L  c,  Tab.  VIII,  Fig.  11.  Bauchfüsse  von  Hydro- 
ptiilafl.  Die  Füsse  der  Schmetterlingsraupen,  Käferlarven  etc.  sind  abo  phy- 
logenetisch gerechtfertigt  Dies  harmonirt  gut  mit  dem  Umstände,  dass  die 
farbigen  Käferlarven  älteren  Coleopteren  entsprechen  und  erst  später  durch 
Anpaspong  farblos  wurden. 

14* 


212  Pa^^  Mayw, 

banden  sind,  beweisen  ihre  AnsfiftlirOftiimgiea.  Wmh  die  Ua« 
wandhing  derselben  in  Respirationsorgane  vt>r  sich  ging,  ist  nieht 
mit  Bestimmtheit  anzugeben.  Es  ist  recht  wohl  dedikbary  d»s 
Anfange  hierzu  bereits  im  Wasser  gemacht  wwden;  sieht  man 
aber,  wie  alte  nach  jetzt  lebende  ImagineS;  so  weit  sie  wiiklkb 
unter  Walser  athmen,  mit  besonderen  Vorkebrnsgen  aum  Sehatee 
der  Stigmen  versehen  sind,  so  kommt  man  zu  der  Ansicht^  4aM 
mit  dem  Auftreten  der  Tracheen  als  solcher  die  PrototracbeasforiDM 
mehr  und  mehr  aufs  Land  wanderten.  Wahrscheinlioh  warn 
damals  schon  Beine  an  allen  Segmenten  voihanden.  Iifit  dem  — 
zeitlich  viel  späteren  —  Hervorsprossen  der  FlVgel  steht  eise 
wichtige  Veränderung  in  Bezug  auf  die  allgemeine  K(>rperfonn 
in  Verbindung.  Wir  dürfen  nämlich  mit  Frite  Mttller  die  FUlgd 
als  seitliche  Forti^tze  der  Rttckenplatten  ansehen;  wie  solche  aof 
jedem  Segmente  entstehen  konnten  und  vielleicht  ursprünglich 
sämmtlieh  als  echte  Kiemen  (nicht  Tracheenkiemen)  fumgirt  haben 
mögen.  Mit  der  Einfahrung  der  Athmung  durch  Trai^een  und 
der  gleichzeitigen  Oew^lhnung  an  das  Lieben  auf  dem  Lande 
wurden  diese  aber  nicht  nur  überflösaiig;  sondern  sogar  hinderlich, 
wofern  sie  nicht  zur  Loeomotion  verwendet  werden  konnten  mdd 
zu  diesem  Zwecke  an  Oberfläche*  zunahmen.  Lubbock  ^)  bemert^t 
hier  ganz  treffend,  die  Flügel  seien  wohl  entstanden  ^^to  enaUe 
the  mature  f^rms  to  pass  from  pond  to  pond|  thus  securing  freak 
habitats  and  avoiding  in  -  and  -  in  -  breeding/'  Daher  ktanten  sie 
zuerst  nur  am  geschlechtsreifen  Thiere  aufgetreten  sein  und  unter- 
lägen jetzt  dem  Satze  von  der  homoqhronen  Vererbung.  Besass 
nun  Frototracheas  noch  seine  sämmtlichen  Beinpaare  zu  der  Zeit, 
als  dies  neue  (anfanglich  wohl  nur  passive)  Bewegungsorgan  sich 
bildete;  so  mussten  entweder  die  Flügel  an  den  mittleren  Kürper- 
segmenten entstehen;  damit  das  Gleichgewicht  eihalten  blieb,  oder 
aber;  es  mussten,  wenn  aus  irgend  welchen  unbekannten  Ursacben 
die  dorsalen  Anhänge  des  Thorax  die  Oberhand  gewannen;  die 
Beine  an  den  Abdominalsegmenten  eingehen,  ehe  die  Flügel 
wirklich  functioniren  konnten.  Sonach  ist  die  Existenz  brauch- 
barer FlugorganO;  wie  sie  gegenwärtig  am  Thorax  vorliegen;  nur 
dadurch  möglich  geworden;  dass  schon  vorher  (oder  spätestens 
gleichzeitig)  das  Frototracheas  die  Zahl  seiner  Beine  auf  sechs  be« 
schränkte.  Ich  bezeiclme  diese  flügellose;  aber  mit  Tracheen  und 
nur  noch  3  Beinpaaren  versehene  Form  als  Archentomon.     So 


')  Od  the  origin  and  metamorphoses  of  Insects.    Londoti  1S74,  p.  74« 


Ueber  Ontogenie  and  Fhylogenie  der  Insekten.  213 

lange  nun  noeh  keine  Flügel  vorhanden  waren,  mochte  die  Um^ 
wandlang  der  Segmentalorgane  mit  ihrer  Hamsäuresecretion  in 
Tracheen,  welche  Kohlensäure  auszascheiden  begannen,  für  die 
Bedürfoiase  der  Respiration  genügen;  später  jedoch,  bei  den 
Zwisehenfonnen  zwischen  Archentomon  und  Protentomon,  machte 
der  stärkte  Verbrauch  yon  Sauerstoff,  wie  er  während  des  Fluges 
stattfindet,  eine  Vergrösserung  der  luftführenden  Organe,  in  specie 
also  die  Tracheenlängsstämme;  nothwendig.  So  darf  es  uns  nicht 
Wunder  nehmen,  dass  bei  Apis,  wo  die  ursprünglichen  Haupt- 
vertreter der  Athmung  zu  dem  Bange  von  Querästchen  an  den 
kolossal  angeschwollenen  und  zu  „Bl^en^^  erweiterten  Längs- 
stämmen herabgesunken  sind,  in  der  Ontogenese  das  Stadium  der 
Tracheen  als  Ezcretionsorgane  (s.  str.)  nicht  mehr  vorliegt,  viel- 
mehr von  den  Stigmenanlagen  aus  die  parallel  der  Hauptaxe  des 
Thieres  verlaufenden  Ausbuchtungen  zuerst  entstehen  Und  sich  erst 
nachträglich  aus  diesen  heraus  die  Queräste  bilden. 

Hiemach  sind  folgende  Entwicklungsstufen  des  Protentomon 
zu  unterscheiden: 

1)  Ungegliederter  Wurm,  ein  gemeinschaftlicher  Ausgangs- 
punkt für  Tracbeata  und  höhere  Wärmer ;  zugleich  ein  naher  Ver- 
wandter der  Urform  fllr  die  Crustacea. 

2)  Gegliederter  Wurm  mit  18  Metameren,  mit  wenigstens 
14  Paar  Segmentalorganen,  vielleicht  auch  mit  Mundwerkzeugen 
in  Gestalt  von  Eaefem;  zugleich  ein  naher  Verwandter  noch  le- 
bender Ringelwttrmer. 

3)  Derselbe  Wurm  mit  ventralen  und  vielleicht  auch  mit 
dorsalen  Anhängen  an  allen  Segmenten;  noch  im  Wasser  lebend. 

4)  Derselbe  Wurm  mit  Tracheen  und  mit  heteronomen  Seg- 
menten (Anhänge  im  Schwinden  begriffen) ;  Sumpfbewohner.  Proto- 
traeheas. 

5)  Prototracheas  mit  drei  Beinpaaren  und  deutlicher  Ab- 
grenzung von  Kopf,  Brust  und  Hinterleib ;  Sumpibewohner.  Archen- 
tomon. 

6)  Archentomon  mit  zwei  Paar  Flügeln;  Landbewohner.  Pro- 
tentomon. 

Was  von  diesen  fictiven  Gestalten  Fleisch  und  Blut  besessen 
haben  mag,  werden  ontogenetische  Untersuchungen  darthun,  die 
zugleich  zeigen  werden,  dass  es  gerathen  war,  sie  ihrer  unver- 
dienten Vergessenheit  zu  entreissen.  So  viel  scheint  mir  nach  dem 
Bisherigen  sicher  gestellt,  dass  eine  directe  Herleitung  der  Tracbeata 
von  den  Crustacea  unmöglich  ist;  somit  wird  der  Stamm  der 


214  '  FBkvl  Mayer, 

Arthropoda  aufzulösen  seio;  während  an  seine  Stelle  die  zwei 
neuen  Stämme  Crustacea  und  Tracheata  als  selbstständige  Ab- 
kömmlinge des  grossen  Würmerstammes  treten  mttssen. 

Es  würde  sich  nun  noch  darum  handeln,  innerhalb  des 
Tracheatenstammes  die  einzelnen  grossen  Gruppen  richtig  zu  ver- 
theilen  und  ihre  gegenseitige  Stellung  zu  ermitteln.  Ich  habe  bis 
jetzt  nur  die  STachkommen  des  Protentomon  besprochen  und  muss 
zur  Ergänzung  noch  die  Definition  hinzufügen,  dass  ich  nur  die- 
jenigen Tracheaten  als  echte  Insekten  bezeichne,  welche  sich  als 
Sprösslinge  eben  dieses  Protentomon  ergeben.  Daraus  folgt  aber, 
dass  ich  sämmtliche  flügellose  Insekten  von  geflügelten  ableite, 
dagegen  diejenigen  Tracheaten,  bei  denen  im  Laufe  der  phyloge- 
netischen Entwicklung  nie  Flugorgane  aufgetreten  sind,  nicht  zu 
den  Insekten  rechne.  Eine  solche  Einschränkung  des  Begriffes 
„insectum"  mag  willkürlich  erscheinen,  gibt  aber  doch  wegen  der 
präciseren  Fassung  eine  grössere  Sicherheit  im  Gebrauche  und  ist 
daher  absichtlich  von  mir  gewählt  worden.  Es  kommt  nun  zuerst 
in  Betracht,  wie  sich  gegenüber  den  Insekten  (in  dem  von  mir 
bezeichneten  Sinne)  die  Thysanura  verhalten,  über  deren  syste- 
matische Stellung  sehr  verschieden  geurtheilt  wird.  Ihr  neuester 
Monograph,  Lubbock  *),  trennt  sie  in  zwei  grosse  Abtheilungen, 
in  die  Thysanura  s.  Str.,  d.  h.  die  Lepismidae  und  Verwandte,  und 
in  die  Gollembola,  d.  h.  die  Poduridae  und  die  ihnen  benachbarten 
Formen.  Was  die  ersteren  betrifit,  so  besitzen  sie  ohne  Ausnahme 
10  freie  Abdominalsegmente,  8  Abdominalganglien  und  zum  Theile 
wenigstens  10  Paar  Stigmata  und  4  vasa  Malpighii*)  —  Alles 
Zeichen  von  hohem  Alter.  Doch  haben  sämmtliche  Genera  bereits 
Eigenthümlichkeiten  erlangt,  die  zum  Theile  sogar  recht  bedeutend 
sind;  hierher  gehören  die  Schuppenbildung  bei  den  Lepismidae, 
der  Mangel  von  Abdominalstigmen  bei  Gampodea  und  das  Auf- 
treten einer  Zange  am  Hinterleibsende  von  Japyx. '  Somit  ist 
keine  der  bekannten,  jetzt  lebenden  Formen  als  die  älteste  zu 
bezeichnen,  am  wenigsten  aber  Gampodea,  zumal  sich  bei  dieser 
Gattung  keine  Augen  vorfinden.  Ueberhaupt  treten  wirkliche 
Netzaugen  nur  bei  Machilis  auf.    Weil  aber  bei  Machilis  auch  die 


')  Monograph  of  the  Gollembola  and  Thysanura.  London,  Ray  Society  1973. 

^)  Gampodea  hat  nach  Meinert  (Annais  Mag.  Nat.  Hist.  1867  XX,  p.  376) 
keine  vasa  Malpighii,  dagegen  an  derselben  Stelle  des  Enddarmes  16  „rather 
large  glandulär  cells.^^  OiSenbar  sind  dies  die  Ilomologa  der  vermissten  Harn- 
gefässe,  welche  sicherlich  bei  den  Larven  sich  vorfinden. 


Ueber  Ontogenie  und  Fhylogenie  der  Infiekten«  215 

Mandtheile  am  deatUchsten  den  beissenden  der  echten  Insekten 
gleichkonunen,  so  ist  es  wohl  kaum  fraglich^  dass  eine  der  Machilis 
nahe  stehende  Form  in  Beziehung  zu  dem  Protentomon  steht   Die 
Schwierigkeit  in  Betreff  der  Phylogenie  liegt  nar  darin,  zu  ent- 
Bcheiden,  ob  die  übrigen  Thysannren  jtinger  oder  älter  sind,  als 
die  genannte  hypothetische  Gattung.    Ehe  ich  aber  hierauf  näher 
eingehe,  mnss  ich  noch  kurz  die  Gollembola  charakterisiren.  Hier 
findet  sich  zwar  auch  die  Trennung  des  Körpers  in  Kopf,  Brust 
and  Hinterleib  yor,  doch  sind  höchstens   6  Abdominalsegmente 
vorhanden  und  auch  diese  sind  bei  den  Smynthuridae  und  Papi- 
riidae  nicht  scharf  gegen  einander  abgesetzt    Der  Springapparat, 
welcher  der  ganzen  Gruppe  ihren  früheren  Namen  verliehen  hat, 
ist  ein  Anhang  des  letzten  oder  vorletzten  Hinterleibsringes,  somit 
bei  den  einzelnen  Familien  durch  gleichgerichtete  Anpassung  ge- 
trennt erworben.    Er  fehlt  gänzlich  den  Lipuridae  und  Anuridae, 
die   man   mit   Rücksicht  hierauf,   so   lange  nicht  ontogenetische 
Untersuchungen  ein  Vorhandensein  desselben  in  früheren  Lebens- 
stadien darthun,  als  die  ältesten  Familien  bezeichnen  darf.    Ueber 
die  anatomischen  Verhältnisse  herrschen  viele  Unklarheiten  und 
Widersprüche  bei  den  einzelnen  Autoren.    Malpighi'sche  Gefässe 
vermisst  Lubbock  gänzlich,  während  nach  Nicolet  sechs  vorhanden 
sein  sollen.  ^)    Die  Anzahl  der  Stigmen  wird  gleichfalls  sehr  ver- 
schieden   angegeben,    doch    scheint    mir    aus    der  Darstellung 
Lubbock's  hervorzugehen,  dass  wirklich  specifische  Differenzen  be- 
stehen und  nicht  lediglich  auf  Beobachtungsfehler  zurückzufahren 
sind.^)    Sogar  das  gänzliche  Fehlen  von  Athmungsapparaten  hat 
bei  diesen  kleinen  Thierchen  nichts  geradezu  Befremdendes,  weil 
ihrem  an  und  für  sich  wohl  nicht  bedeutenden  Bedürfniss  nach 
Luft  die  Respiration  durch  die  Haut  Genüge  leisten  mag.    So  viel 
steht  jedoch  mit  Bücksicht  auf  die  sonstigen  Eigenthümlichkeiten 

<)  Lubbock  spricht  sich  über  die  Resultate  seiner  eigenen  Zergliederungen 
von  Sraynthurus,  Tomocerus  und  Orchesella  etwas  unbestimmt  aus.  „I  think 
there  are  no  Malpighian  vessels*'  (1.  c,  p.  74). 

*)  Smynthurus  soll  nach  Lubbock's  Untersuchungen  zwei  Stigmen  be- 
sitzen, welche  sich  unmittelbar  unter  den  Antennen,  an  der  Unterseite  des 
Kopfes  befinden  (L  c,  p.  77),  doch  fühlt  er  das  Unwahrscheinliche  seiner 
Angabe  selbst  recht  wohl.  Die  Abbildungen,  welche  er  gibt,  sind  durchaus 
nicht  darnach  angethan,  diese  Abnormität  glaubwürdig  zu  machen,  so  dass  in 
diesem  Falle  die  Behauptung  von  Olfcrs,  die  Stigmata  lägen  im  Prothorax, 
als  die  richtigere  anzuerkennen  sein  wird.  Nach  Nicolet  befänden  sich  bei 
Achorates  die  Stigmata  an  den  4  ersten  Abdominalsegmenten,  während  der 
Thorax  keine  besitzt;  dies  ist  ebenfalls  wenig  wahrscheinlich. 


216  Paul  Mayer, 

im  Körperbaue  feet^  dass  der  Mangel  an  Tracheen  ein  nachträg- 
licher; durch  Anpassung  entstandener  ist;  und  dass  die  CoU^abola 
von  einer  mit  Tracheen  und  Stigma  versehenen  Form  abzuleiten 
sind,  fliernach  muss  die  ganze  Gruppe  als  Terhättnissmässig 
jung  und  veimuthlich  als  ein  vielfach  modificirter  Seitenzweig  dar 
echten  Thysanura  aufgefasst  werden.  Jedenfalls  ist  die  Möglich- 
keit der  Ableitung  sämmtlicher  Insekten  von  ihnen  ausgeschlossen. 
Dagegen  entsteht  nun  die  Frage,  ob  die  Thysanura  s.  atr.  directe 
Abkömmlinge  des  Protentomon  oder  des  Archentomon  oder  sogar 
des  Prototracheas  sind,  d.  h.  also,  ob  sie  von  geflügelten  Insekten 
herstammen  oder  diesen  als  gleichwerthige  Grui^e  an  die  Seite 
gesetzt  werden  müssen  oder  endlich  ihre  Vorläufer  gewesen  sind. 
Für  die  letzte  Alternative  haben  sich  ttbereinstimmend  Lubboek  ^) 
und  Brauer^)  ausgesprochen  und  sind  dabei  von  Campodea  als 
der  Urform  für  alle  Insekten  ausgegangen.  Brauer  vergleicht  sie 
geradezu  mit  der  Zoea  der  Krebse.  Da  aber  Campodea,  wie  oben 
gezeigt;  nichts  weniger  denn  einfach  gebaut  ist;  vielmehr  nament- 
lich mit  Bücksicht  auf  die  Malpighi'schen  Gefässe')  und  die 
Stigmen  als  abgeleitet  erscheint;  so  wird  sie  jedenfalls  nicht  als 
Stammform   anerkannt  werden  können.    Packard  betrachtet  als 


')  Origin  etc.,  p.  91  fi'.  Das  typische  Insekt  beschreibt  Lubbook:  ^,Con- 
sistiDg  of  a  head;  a  three-segmented  thorax,  with  tbree  pairs  of  legs;  and 
a  many-jointed  abdomen,  often  whit  anal  appendages.^*  Er  fährt  dann  fort: 
„Now,  18  there  any  matore  animal  which  answers  to  this  description?**  Na- 
türlich lautet  die  Antwort:  Campodea.  Diese  selbst  wird  dann  mit  einiger 
Kühnheit  weiter  rückwärts  su  einer  den  heutigen  Tardigraden  ähnlichen 
Form  verfolgt  und  von  hier  aus  mit  Hülfe  der  zu  den  Botatoria  gehörigen 
Lindia  torulosa  mit  den  Infusorien  in  Verbindung  gesetzt! 

^)  Betrachtungen  über  die  Verwandlung  der  Insekten  im  Sinne  der  De- 
scendenztheorie.  Verhandl.  zool.  botan.  Gesellsch.  zu  Wien  1869,  p.  299-818, 
Tab.  X.  Brauer  lässt  die  Raupenform  der  Schmetterlinge  u.  s.  w.  keine  „ur- 
sprüngliche, sondern  eine  später  erworbene*'  sein  und  aus  dieser  soll  dann  die 
„noch  tiefer  stehende  Madenform  ableitbar  scheinen."  Charakteristisch  ist 
folgender  Passus:  „Man  kann  die  Raupen  vergleichen  mit  den  fabelhaften 
Schlaraffen,  denen  die  gebratenen  Vögel  in  das  Maul  fliegen.  Unter  solchen 
Umständen  würde  selbst  Homo  sapiens  ....  bald  zur  Ranpenform  herab- 
sinken, wie  die  Meloelarve  im  Bienenstock"  (p.  310). 

^)  In  Bezug  auf  die  vasa  Malpighii  findet  sich  bei  Brauer  (1.  c,  p.  811) 
die  Notiz:  „Es  ist  merkwürdig,  dass  die  Insekten  mit  zahlreichen  Hare- 
gefässen  in  ihren  ersten  Stadien  nur  wenige  solche  Gefässe  besitzen,  d.  h.  so 
lange  sie  die  Raupenform  oder  die  Campodeaform  abspiegeln,  weil  auch  die 
tiefer  stehenden  Termiten  und  Poduriden  nur  wenige  Harngefasse  im  Imago* 
Stadium  haben."  Und  nun  muss  gerade  Campodea  sich  so  eigenthümlich 
verhalten!    Uebrigens  sind  die  „Betrachtungen"  Brauer's  voU  von  treffenden 


lieber  Ontogeme  und  Phylogenie  der  Insekten.  217 

die  KlteBte  Fonn  von  Trsc^eaten  den  Leptas  ^),  eine  Milbetdanre 
,>bearing  a  vague  resemblance  to  the  Nauplius  form  among 
Grastaeea.^'  Weil  jedoch  seine  ganze  Theorie  sich  auf  die  schon 
oben  gewürdigte  Ansieht  fiber  die  Entstehung  der  Tracheen  stützt, 
so  erscheint,  nachdrai  diese  ads  unhaltbar  nachgewiesen,  eine  be- 
sondere Widerlegung  an  dieser  Stelle  unnöthig.^)  Wichtiger  ist 
ein  Grund,  welchen  Lubbock  unter  Berufung  auf  Mdnerf  s  Dar- 
stellung der  Mundtheile  Ton  Campodea  und  Japyx  für  seine  Theorie 
irorflihrt.  Er  sagt  ^) :  „I  confess  that  I  feel  great  difficulty  in 
anderstaading  by  what  natural  process  a  suetorial  mouth  like 
tbat  of  a  gnat  or  butteräy  could  be  developed  from  a  powertully 
mandibnlate  type  like  that  of  the  Orthoptera  or  Goleoptera.  At 
fiiBt  the  change  woold  be  a  decided  disadvantage ;  during  the 
period  of  aecessary  quiescence  the  animal  would  be  unable  either 
to  feed  or  to  defend  itself/'  Da  kommt  ihm  nun  Campodea  zu 
HttlfOy  „which  possesses  a  month  neither  distinctly  mandibnlate 
nor  distinctly  suetorial,  but  constitnted  on  a  peculiar  type,  capable 
of  modification  in  either  direction  by  gradual  changes  without 
kMU8  of  utility^^  (L  c.|  p.  52).  Hiernach  würden  die  Sngentia  nicht 
direct  von  den  Masticantia,  sondern  Beide  von  den  Thysanura 
abzuleiten  sein.  Man  braucht  aber  nur  die  eingehende  Schilderung, 
wel<^  Hermann  Müller  von  den  betreffenden  Theilen  bei  Apis  ^) 
gibt,  zu  lesen,  um  einzusehen,  dass  wir  bei  diesem  Insekte  einen 
solchen  directen Uebergang  von  rein beissendenzu  rein  saugenden 
Mundtheilen  verwirklicht  finden,  wie  er,  natürlich  in  nicht  völlig 


Sütien  über  das  VerhültniBS  von  lisrve  und  Image  zu  einander  und  über  die 
phylogenetische  Bedeutung  der  Larvenformen,  so  dass  nur  ihre  zu  allgemeine 
Fassung  und  eine  nicht  genaue  Fragestellung  Brauer  daran  verhindert  hat, 
die  Phylogenie  der  Insekten  richtig  darzusteUen. 

*)  Ancestry  of  Insekts,  p.  159. 

*)  In  den  gleich  noch  näher  zu  besprechenden  embryologischen  Unter- 
suchungen Packard's  fallt  eine  Stelle  besonders  auf,  da  sie  geeignet  scheint, 
den  Schlüssel  zu  den  so  eigenthümlichen  Ideen,  wie  sie  in  der  Ancestry  of 
Insects  uns  entgegentreten,  zu  liefern.  Es  heisst  dort  über  Diplax:  „On 
straightening  the  body  out  .  .  •  .  we  are  strikingly  reminded  of  the  general 
form  of  the  Lepismae,  and  the  inference  is  strongly  soggested,  that  they 
[nämltoh  die  Lepismae]  are  embryonic,  degraded  Neuroptera  and  shonld  there- 
fore  probably  be  considered  as  a  division  standing  at  the  foot  of  that  sub- 
order^'  (p.  9).  Wie.  man  die  gerade  entgegengesetzten  Begriffe  embryonic 
and  degraded  so  mhig  nebeneinander  steUen  kann,  bt  mir  unbegreiflich. 

*)  Monograph  of  the  CoUembola  and  Thysannrai  p.  43. 

*)  Anwendung  der  Darwin'schen  Lehre  auf  Bienen,  L  c,  p.  6  0; 


218  Paul  Mayer, 

gleicher;  aber  doch  ähnlicher  Weise,  während  der  phylogenetischen 
Entwicklung  der  Sugentia  statthaben  konnte.  Es  spricht  sonach 
jener  Grnnd  durchaus  nicht  gegen  eine  Ableitung  sämmtlicher 
echter  Insekten  von  dem  Protentomon.  Im  Gegensatze  zu  der 
Ansicht  Lubbock's  erscheinen  mir  vielmehr  die  in  den  Kopf  zurück- 
gezogenen Fresswerkzeuge  der  Thysanura  analog  den  ebenfalls 
inneren  Saugkiefem  der  Hemiptera  als  Umformungen  der  ur- 
sprünglich als  Ausstülpungen  des  Eopfpanzers  angelegten  Mund- 
beine des  ProtentomoU;  wie  sie  uns  noch  heute  zu  Tage,  freilich 
bedeutend  vervollkommnet;  bei  den  Masticantia  entgegentreten.  ^) 
So  betrachte  ich  auch  aus  den  schon  oben  ang^ebenen  Gründen 
eine  der  Machilis  nahestehende  und  natürlich  schuppenlose  Form 
als  das  Bindeglied  zwischen  den  Insekten  und  den  Thysanura. 
Da  aber  in  der  Ontogenese  der  Letzteren  Andeutungen  von  Flügeln 
durchaus  nicht  vorzukommen  scheinen,  so  liegt  kein  Grund  vor, 
sie  von  dem  Protentomon  abzuleiten^  vielmehr  wird  man  sie  dem 
Archentomon  an  die  Seite  zu  setzen  haben;  so  dass  sich  also  von 
diesem  aus  nach  der  einen  Richtung  das  geflügelte  Protentomon, 
nach  einer  anderen  der  Stammvater  der  Thysanura  und  OoUem- 
bola  entwickelte.  Nehmen  wir  dies  als  feststehend  an,  so  gewinnen 
wir  hierdurch  gleichzeitig  ein  Mittel;  das  Archentomon  in  etwa 
schärfer  zu  definiren.  Da  nämlich  die  Lepismatiden  und  nach  den 
Untersuchungen  Meinert's  auch  die  Gampodeen  dieselbe  Anzahl 
von  Hinterleibsringen  besitzen  wie  das  Protentomon  und  eben  so 
die  Lage  des  atrium  genitale  auf  den  Hinterrand  des  8.  Stemites 
fällt;  so  dürfen  wir  auch  dem  Archentomon  diese  Charaktere  zu- 
ertheileu;  so  dass  das  wesentlichste  Merkmal  desselben  in  seiner 
Flügellosigkeit  besteht.  Indessen  ergibt  sich  doch  ein  Unterschied 
zwischen  den  Thysanuren  und  den  Insekten.  Meinert  *)  behauptet 
nämlich;  die  drei  ersten  und  bei  Campodea  auch  einzigen  Stigmen 
der  Campodeaden  gehörten  dem  Thorax  an  und  zwar  ;;One  for 
each  of  the  thoracic  rings.''  Er  bemerkt  dazu  ganz  richtig:  ;;Thi8 
latter   peculiarity  is   unique   among  insects;   for  in  other  cases 


^)  Meinert  int  (1.  c,  p.  363)  der  Anfiicbt,  bei  den  Saugern  seien  „ihe 
mandibles  and  mazillae  not  articulated  with  tbe  skull  or  otberwise  connected 
wbit  it^^  Dies  ist  entscbieden  unricbtig,  denn  sie  werden  als  cbittniBirte 
Tbeile  eben  so  gut  von  den  Epidermis  aus  gebildet,  wie  der  Kopfpanzer;  nur 
ist  ihre  Verbindung  mit  dem  „Scbädel^*  weniger  intensiv  und  beschränkt  sich 
meist  auf  dünne  und  elastische  Chitinhäute,  welche  wohl  nur  selten  bei  der 
Bewegung  der  Mundtheile  eine  Rolle  spielen  werden. 

*)  1.  c,  p.  365. 


Ueber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekten«  219 

where  tbree  pairs  are  to  be  seen  on  the  thorax^  the  hindenaost 
pair  belongs  really  to  the  segmentnm  mediale  or  to  the  meta- 
thorax  and  segmentum  mediale  in  common  ^),  as  in  Forficnla ;  bnt 
in  this  family  the  third  pair  of  spiracles  belongs  unqaestionably 
to  the  metathorax  alone;  and  when  the  abdomen  is  fumiBhed 
with  spiracles  (in  Japyx)  the  segmentam  mediale  has,  like  the 
other  rings,  its  own  pair,  independently  of  the  one  belonging  to 
the  metathorax/'  Hiemach  würde  das  ursprüngliche  prothoracale 
Stigma  des  Prototracheas,  welches  bei  den  Insekten  zum  Theile 
eingegangen  ist,  zum  Theile  als  Oeffnung  der  Spinndrüsen 
fungirt,  noch  bestehen  und  somit  auch  dem  Archentomon  noch  zu- 
znertheilen  sein. 

Ueber  die  Ontogenese  der  Thysanura  s.  ampl.  ist  bisher  nur 
eine  Arbeit  Packard's,  welche  sich  auf  Isotoma  Walkeri,  also  auf 
ein  CoUembolon  bezieht,  erschienen.  ^)  Darnach  verläuft  die  Ent- 
wicklung mit  äusserem  Eeimstreif,  was  durchaus  nicht  unwahr- 
scheinlich ist.  Tracheen  hat  Packard  weder  beim  Embryo  noch 
bei  der  Larve  gesehen.  Die  Springgabel  erscheint  kurz  nach  der 
Anlage  der  Beine  und  hält  in  der  Entwicklung  gleichen  Schritt 
mit  ihnen.  Von  dem  zweiten  Maxillenpaare  soll  während  der 
ganzen  Embryonalentwicklung  keine  Spur  vorhanden  sein;  da  es 
aber  auch  bei  den  Erwachsenen  rudimentär  ist,  so  glaubt  Packard 
selbst,  ein  „more  skilled  observer''  würde  es  schon  aufgefunden 

')  Bei  Forficnla  liegt  das  dritte  Stigma  in  dem  Seitentbeile  des  rudimen- 
tären ersten  Tergites  und  gehört  somit  auch  seiner  Lage  nach,  ganz  abgesehen 
von  den  oben  geltend  gemachten  Gründen,  zum  Abdomen. 

*)  Memoirs  of  the  Feabody  academy  of  soience  I.  2.  1871.  Diese  bereits 
im  Juli  1870  druckfertige  Arbeit  wird  vom  Autor  selbst  als  fragmentary  be- 
zeichnet und  ist  es  in  der  That  auch  im  höchsten  Grade.  Auf  S.  20  heisst 
es:  The  parietal  layer  [seröse  Hülle]  of  Isotoma  was  readily  perceived,  but 
the  visceral  [Amnion]  layer  was  not  detected.  Dabei  ist  aber  die  seröse 
Hülle  nur  ein  einziges  Mal  (auf  Fig.  8)  und  zwar  als  strukturlose  Membran 
abgebildet  worden,  ohne  dass  man  in  Text  oder  Zeichnungen  etwas  über  ihr 
Auftreten  und  ihren  Verbleib  erfahrt.  Trotzdem  ist  „the  growth  of  the  embryo 
of  Isotoma,  in  the  most  important  points,  almost  identical  with  that  of  the 
Phryganidae,*^  bei  denen  nach  Melnikow  ja  beide  Hüllen  besonders  deutlich 
sind  und  lange  persistiren.  Durchaus  gleichwerthig  sind  die  Beobachtungen 
über  Diplax,  bei  denen  weder  von  Keimblättern  noch  von  Embryonalhüllen, 
noch  von  ZeUen  die  Rede  ist;  was  Packard  Zellen  nennt,  sind  augenschein- 
lich Theile  des  Dotters.  Nachdem  aber  Brandt*s  „admirable  paper  on  tho 
embryology  of  Agrion,  Calopteryx  and  certain  Hemiptera^^  in  den  Besitz 
Packard's  gerathen  ist,  heisst  es :  „we  can  only  infer  from  the  few  data  given 
above  that  Diplax  and  Perithemis  have  the  same  arrangement  of  the  embryonal 
membranea**  u.  s.  w.    Die  im  Januar  1872  dmckfertige  Entwicklungsgeschichte 


220  PAtd  Mayer, 

baben.  Naeb  einer  HitthcnloDg  Uliaiiin^B  an  M^tBobnikoff  ^)  ist 
aber  bei  Podnriden  diese  Eigentbttfiilicbkeit  wirklieb  vorhanden. 
Nan  seigt  sich  naeb  den  Unt^siicbiiBgeii  Metsehnikoff's  über  die 
Entwicklung  einiger  Myriapoden  bei  diesen  ein  iarcbans  gleiehea 
Verhalten,  so  dass  man,  immer  die  Richtigkeit  der  Beobachtungen 
Yoransgesetzt,  mit  Metschnikoff  eine  nahe  VerwandtscbafI  zwisohea 
den  Tansendfllsslem  und  den  Springschwänzen  annehmen  mikkto. 
Einstweilen  will  ich  jedoch  anf  diese  Ansicht  Metsdinikoffa 
nicht  näher  eingehen,  da  ich  mir  eine  Besprechung  der  systema- 
tischen Stellung  der  Myriapoden  und  Arachnidra  überhaupt  für 
eine  andere  Gelegenheit  vorbehalte. 

Jena,  Anfang  August  1875* 


Memoirs  I  S)  von  Nematus  weist  hingegen  in  Text  and  Abbildungen  beraiti 
die  sohönsten  Zellen  und  eine  seröse  Hülle  von  sehener  Vollendung  auf;  hier 
ist  der  Einfliiss  der  Arbeit  von  Bütschli  über  Apis  eben  so  wonig  eu  verkennen, 
wie  bei  der  folgenden  über  Poles  derjenige  der  Weismann*scben.  Doch  ist 
in  keiner  W^se  irgendwo  von  Stigmen  die  Rede.  Ich  bespreche  übrigens 
nur  deswegen  die  embryologischen  Arbeiten  Packard's  so  weitlüuftig,  weil  mir 
daran  liegt,  das  oben  über  sie  ausgesprochene  Urtheil  zu  begründen,  und  femer, 
weil  sie  Lubbock  in  seiner  Monographie  Wort  für  Wort  (sogar  die  Hinweise 
auf  die  Abbildungen  fehlen  nicht,  wehl  aber  diese  selbst)  wiedergibt,  ohne 
irgend  einen  Zweifel  in  ihre  Zuverlässigkeit  auszusprechen.  Auch  Metschnikoff 
nimmt  ihre  Resultate  ohne  Weiteres  ab  völlig  sicherstehend  hin. 
0  Entwicklung  der  Ohilogaathen,  l.  o.,  p.  S80. 


Üeber  Ontogenie  und  Phylogenie  der  Insekieiv.  221 


Erklftnmg  der  Abbildongen« 

Taf  .  VL 

Fig.  1—4.  Ideale  Dantellang  des  ProteBtomon  zur  VeranflchaulicliaDg 
des  Antbeiles,  welchen  die  einzelnen  Keimblätter  am  Aufbau  des  Insekten- 
körpers  nehmen.  Entoderm  roth,  Hantsinnesblatt  (Epiderm)  blau,  Mesoderm 
grau.  Letzteres  ist  in  Flg.  1  durchsichtig  gedacht,  um  die  Grenzen  der  Segmente 
und  die  Lage  der  Stigmen  angeben  zu  können. 

Fig.  1.  Sagittalschnitt  nahe  der  Mediana  geführt.  Es  sind  sämmtliche 
Gliedmaassen  des  einen  Antimeres  getroffen.  Der  Vollständigkeit  halber  ist 
die  Ganglienkette,  welche  nicht  in  den  Schnitt  hineinfällt,  eingezeichnet.  Da- 
gegen sind  die  Organe,  welche  dem  Mesoderme  angehören,  nicht  angegeben 
und  die  inneren  €renitalien  ebenfalls  nicht  berücksichtigt;  von  den  äusseren 
ist  nur  die  Vagina  angedeutet 

Flg.  2.  Querschnitt  durch  den  Meso-  oder  Methathoraz.  Er  trifft  die 
Aorta,  Speiseröhre,  Speicheldrüsen,  Thoracalganglien,  Flügel  und  Beine. 

Fig.  3.  Querschnitt  durch  eines  der  mittleren  Abdominalsegmente.  Er 
trifft  das  Herz,  die  vier  Malpighi'schen  Gefässe,  den  Magen,  die  Abdominal- 
ganglien und  ein  Stigmenpaar, 

Flg.  4.  Querschnitt  durch  das  8.  Abdominalsegment.  Er  trifi't  das  Herz, 
den  Enddarm,  die  Längscommissuren  des  Bauchstranges  und  die  Vagina. 

Fig.  5 — 11.  Gopien  yon  Zeichnungen  Ganin's.  Die  Originale  sind  in: 
Zeitschr.  wiss.  Zool.  1869.  Taf.  XXX,  Fig.  5,  9,  12,  16;  Taf.  XXXI,  Fig.  7; 
Taf.  XXXIII,  Fig.  10,  12.  Von  den  hinzugefügten  Farben  bezeichnet  roth 
überall  das  Entoderm,  blau  in  Fig.  7,  das  Ektoderm,  sonst  das  Epiderm  und 
grau  in  Fig.  8,  10,  11  des  Mesoderm.    Weitere  Erklärung  im  Texte. 

Taf.  VI  a,  b,  c    Stammbäume,  deren  Erklärung  sich  im  Texte  beffndet 


Ueber  die  Intensität  der  Wärmestrahlung  der 
Sonne  unter  hohen  Breiten, 

nach  thermometrischen  Beobachtangen 

Yon 

I.  Einleitung. 

Die  Intensität  der  Sonnenstrahlung  unter  hohen  Breiten  erregt 
sowohl  das  Interesse  des  Physikers  als  des  Botanikers  und  ist 
wegen  der  Gletscherfrage  auch  ftir  den  Geologen  von  nicht  geringer 
Wichtigkeit  Für  die  gemässigte  Zone,  sowie  ftir  einige  Orte  der 
Tropen  liegen  mehr  oder  minder  zahlreiche,  mehr  oder  minder 
brauchbare  Beobachtungen  vor;  das  Material  fdr  die  arctische 
Region  ist  jedoch  sehr  spärlich.  Wenn  wir  von  den  kurzen  Be- 
obachtungsreihen Eane's  ^)  und  Hayes'  ^)  absehen,  besteht  dasselbe 
nur  aus  unzusammenhängenden  Ablesungen  des  geschwärzten 
Thermometers. ')  In  manchen  Fällen  wurden  sogar  nur  gewöhn- 
liche Quecksilberthermometer  mit  blanker  Kugel  in  Anwendung 
gebracht  *) 


*)  Fhyncal  Observaüons  in  the  Arctic  Seas.  By  Elisha  Kent  Kane. 
Smithfloman  Contribations  to  Knowledge.  Washington,  Smithaonian  Inaütntioni 
1869—60,  p.  89-- 52  of  Becord  and  Discuflsion  of  Temperatures. 

*)  Phyaical  ObservationB  in  the  Arctic  Seas.  By  Isaac.  L  Hayes.  ibid. 
1867,  p.  190. 

*)  So  s.  B.  die  Beobachtungen  Parry's,  Scoresby's  a.  A.  Vgl.  Ernst  £rhard 
Schmid,  Lehrbach  der  Meteorologie.  Bd.  XXI  der  allgem.  Encyclopädie  der 
Physik,  heraosg.  von  Gostay  Karsten.    Leipzig  1860,  p.  195  u.  f. 

*)  Beispielsweise  Kane,  ibid.,  p.  38. 


224  ^^^  Bessels, 

Selbstverständlich  sind  diese  BeobachtnDgen  nicht  unter  sich 
vergleichbar,  nnd  wären  es  selbst  dann  nichts  wenn  man  die  mit 
dem  nicht  geschwärzten  Thennometer  erhaltenen  Resultate  bei 
Seite  lassen  würde.  Erstens  waren  die  Instrumente  nicht  vor 
Luftzug  geschützt  und  zweitens  waren  sie  bald  ttber  Eis,  Schnee, 
Felsen  oder  Holz  exponirt.  Letzterer  Umstand  würde  vielleicht 
weniger  in  Betracht  kommen  als  ersterer,  namentlich  dann,  wenn 
die  Thermometer  genügend  weit  von  dem  Grunde  entfernt  waren ; 
allein  über  die  Entfernung  der  Instrumente  von  dem  Boden  lassen 
uns  die  meisten  Beobachter  gänzlich  im  Dunkeln. 

Unsere  Eenntniss  beschränkt  sich  demnach  beinahe  aus- 
schliesslich auf  Werthe,  die  theoretisch  erhalten  wurden. 

Wie  weit  die  aus  thermometrisehen  Beobachtungen  gewon- 
nenen Resultate  mit  der  Theorie  übereinstimmen,  wollen  wir  nun- 
mehr untersuchen. 

Bezeichnet  man  für  irgwd  einen  Punkt  der  Erdoberfläche  mit 
a     die  Höhe 

S    den  scheinbaren  Semidiameter 
s     den  Stundenwinkel  f   der  Sonne 

d     die  Declination  j  und  mit 

q>    die  geographische  Breite  des  betreffenden  Punktes, 

so  ist 

sin  a  «=  sin  q>.    sin  d  +  cos  9).    cos  d.    cos  s. 

Wenn  tiaan  von  der  bekannten  Beziehung  Gebraueh  macht, 
die  zwischen  der  Intensität  der  Strahlung  und  dem  Cosinos  des 
Einfallswinkels  besteht,  so  erhält  man  für  die  Intensität  der  mo- 
mentanen Sonnenstrahlung 

S*  sin  a  a=  S^  sin  q>.  sind  d  +  S  cos  q).    cos  d.    oos  s. 
soBiit  ftlr  die  Intensität  der  täglichen  Sonnenstrahlung 

S  S'  sin  a  t  s  3=:  S'  s  sin  g>.  sin  d  +  S'  cos  9.  cos  d.  sin  s  .  •  . 

oder  auch 

cos  s  B=  tang  9).  tang  d 

also 

.         »n  o).  sin  d 

cos  cp.  cos  d  B»  ^ 

^  cos  s 

S  S^  sin  a  t  s  s=s  S'  sin  9).  sin  d  (s  —  tang  s)  .  .  • 

wobei   das  Integral    zwischen   den  durch   Sonnenaufgang  und 
Sonnenuntergang  vorgeschidebenen  Gteenzen  von  s  zu  aoehea  ist. 


Ueber  die  Intensität  der  WärmestrAhlang  der  Sonne  etc. 


225 


Anf  diese  Weise  lägst  sich  zeigen ,  dass  die  Intensität  der 
Strahlung  dem  Cosinus  der  Breite  proportional  ist.  ^) 


IL  Beobaehtnngen. 

Die  Beobachtungen,  die  uns  zu  der  vorliegenden  Untersuchung 
dienen  sollen,  wurden  während  der  letzten  amerikanischen  Nordpol- 
Expedition  an  zwei  Lokalitäten  Nordwestgrönlands  angestellt^  wo- 
von die  eine  als  der  nördlichste  Punkt  unseres  Planeten  bezeichnet 
werden  kann,  von  welchem  überhaupt  Beobachtungen  existiren. 
Die  in  Anwendung  gebrachten  Instrumente  sind  Thermometer. 

Eines  der  Thermometer,  von  L.  Gasella  in  London  verfertigt, 
ist  ein  Quecksilber  Maximum-Thermometer,  vollständig  in  eine 
luftleer  gemachte  Glasröhre  eingeschlossen,  wie  die  erste  Figur 
unserer  Skizze  zeigt.  Die  Länge  der  Thermometerröhre,  die  von 
0^  Fahrenheit   bis  212<>  getheilt  ist,   beträgt  15  Zoll  engl.    Das 


Quecksilbergefilss  ist  kugelig  und  mit  einem  Ueberzug  aus  Kien- 
russ  versehen,  der  sich  auch  (etwa  1  Zoll)  über  die  Bohre  auf- 


')  Vgl.  die  ziemlich  erschöpfende  theoretische  Behandlung  Meech's:  On 
the  relative  intenBity  of  the  beat  and  light  of  the  son  etc.  in  Smithsonian 
ContribatioiiB  €o  Knowledge  1856. 


Bd.  X,  K.  F.  UI,  3. 


15 


226  ßniil  Befisels, 

wärts  erstreckt.  Die  Befestigung  des  Thermometers  wird  dadurch 
erzielt;  dass  das  der  Kugel  entgegengesetzte  Ende  der  Röhre  an 
die  das  Instrument  umgebende  Glashttlle  angeschmolzen  ist  Ausser- 
dem ist  die  Röhre  an  zwei  Stellen  durch  Eorkscheibchen  unter- 
stützt. Das  andere  Thermometer  ist  ein  gewöhnliches  Queck- 
Silberthermometer  mit  freier  Kugel,  die  gleichfalls  geschwärzt  ist. 
Der  graduirte  Theil  der  Röhre  ist  in  eine  zweite,  weitere  Qlasröhre 
eingeschlossen,  um  die  Scala  vor  Feuchtigkeit  zu  schtttzen.  Beide 
Instrumente  ruhen,  wie  Figur  zeigt,  auf  kleinen  Gestellen.  Der 
obere  Theil  dieser  Gestelle  ist  im  Azimut  drehbar  and  leicht  gegen 
den  Horizont  geneigt.  Die  Thermometerkugeln  befinden  sich  etwa 
12  Zoll  über  dem  Boden.  Um  unsere  Beobachtungen  mit  andern, 
künftig  anzustellenden  vergleichbar  zu  machen,  ist  der  Grand  mit 
oblongen  Stücken  von  Baumwolle -Flanell  bedeckt,  deren  Ober- 
fläche mit  Watte  benäht  ist.  Wegen  der  zeitweise  sehr  heftigen 
Stürme  trägt  der  Flanell  an  seinen  Ecken  Bleigewichte.  Die 
Beobachtungen  in  der  Polaris  Bucht  beginnen  mit  dem  4.  März 
1872  und  endigen  mit  dem  21.  Juni;  die  in  dem  Obseryatorinm 
des  Polaris  Hauses  angestellten  erstrecken  sich  yom  3.  März  1873 
bis  31.  Mai  desselben  Jahres.  Die  Lesungen  geschahen,  so  lange 
die  Sonne  über  dem  Horizont  war,  wenige  Unterbrechungen  aus- 
genommen, stündlich.    Für 

Polaris  Bucht  ist  q>  =  81o  36'  30" 
Polaris  Haus        y  =  78«  23'  24". 

Es  kann  nicht  in  unserer  Absicht  liegen,  die  detaiUirten  Be- 
obachtungen hier  mitzntheilen,  sondern  wir  beschränken  uns  darauf, 
in  den  nachstehenden  Tabellen  die  Differenzen  zwischen  den 
Lesungen  des  geschwärzten  Thermometers  in  vacuo  und  denen 
eines  anderen  Thermometers  zu  geben,  welches,  mit  den  nöthigen 
Vorsichtsmaassregeln  im  Schatten  aufgehängt,  die  Temperatur  der 
Luft  anzeigt.  Die  Werthe  entstammen  an  beiden  Lokalitäten 
einer  Periode  von  der  Zeit  an  gerechnet,  als  die  Sonne  circum- 
polar  wurde,  bis  uns  die  Nothwendigkeit  zwang,  die  Beobachtungen 
zu  unterbrechen.  Die  von  den  Lesungen  des  nackten  Sonnen- 
thermometers abgeleiteten  Werthe  werden  hier  tibergangen,  da  die- 
selben völlig  unzuverlässig  sind,  indem  je  nach  der  Heftigkeit  des 
herrschenden  Windes  und  des  Feuchtigkeitsgehaltes  der  Atmo- 
sphäre, die  von  dem  geschwärzten  Thermometer  angezeigte  Tem- 
peratur niedriger  sein  kann,  als  die  des  andern,  welches  die  Tem- 
peratur der  Luft  anzeigt.   Der  Grund  hiervon  ist  leicht  einzusehen. 


Ueber  die  Intensität  der  Wärmestrahlung  der  Sonne  etc.  227 

Der  Einfachlieit  halber  und  ans  anderen  ^Gründen  worden  die 
aus  den  Beobachtungen  abgeleiteten  Differenzen  in  Orappen  von 
Wochen  getheilt^  aus  welchen  die  Mittel  bestimmt  wurden^  über 
welchen  in  den  folgenden  Tabellen  die  Summen  stehen;  aus 
welchen  dieselben  hervorgingen.  In  Fällen^  in  welchen  die  Be- 
obachtungsreihe nicht  vollständig  ist;  wurden;  um  die  Richtigkeit 
des  Resultats  nicht  zu  trfiben,  keine  Mittel  genommen. 

Wir  geben,  in  dieser  Weise  behandelt,  zuerst  die  Beobachtungen 
aus  der  Polaris  Bucht;  dann  die  in  dem  Observatorium  des  Polaris 
Hauses  angestellten.  Um  der  Mühe  einer  lästigen  Reduction  ent- 
hoben zu  seiU;  sind  die  Fahrenheit'schen  Grade  beibehalten.  Wer 
von  der  einen  oder  anderen  Gruppe  Gebrauch  machen  will;  kann 
leicht  die  Umwandlung  in  die  Röaumur'sche  oder  Celsius'sche  Scala 
vornehmen. 


15* 


228 


Emil  Bessels, 


Polaris  Bucht. 


Datum 


A«  BS« 


Oh     Ih     «h     3h     4h     5h     6h     Yh      8h     Ob    lOh  11h 


1872 
April  20. 
21. 
22. 
23. 
24. 
25 
26. 

Summen 
Mittel   . 

Aprü  27. 
28. 
29. 
30. 

1. 

2. 

3. 


Mai 


Summen 
Mittel   . 

Mai  4. 
5. 
6. 
7. 
8. 
9. 
10. 

Summen 
Mittel  . 

Mai  11 . 
12. 
13. 
14. 
15. 
16. 
17. 

Summen 
Mittel   . 

Mai  18. 
19. 
20. 
21. 
22. 
23. 
24. 

Summen 
Mittel  . 


3.3 
0.4 


0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

— 

17.2 

20.9 

29.8 

39.7 

62.7 

56.7 

63.6 

69.0 

65.5 

— 

4.8 

10.9 

17.0 

14.1 

14.7 

34.2 

38.1 

29.1 

31.7 

— 

— 

— . 

— 

.— 

— 

43.4 

56.4 

23.6 

22.7 

— 

-^ 

— .- 

'— 

.. 

— 

14.7 

22.4 

28.4 

27.6 

— 

_ 

— 

.^ 

.._ 

6.6 

17.5 

20.1 

30.1 

26.0 

6.9 

8.9 

29.3 

18.2 

37.5 

27.9 

64.8 

64.8 

67.1 

32.9 

3.7 

14.2 

28.4 

40.6 

47.7 

50.4 

61.1 

36.4 

34.2 

27.7 

o 
77.4 
21.9 
84.0 
87.4 
24.2 
45J2 
80.0 


3.7 


2.0 

0.2 

11.8 

26.3 
3.6 
7.4 


10.6 


45.1 


12.3 
1.4 
3.7 

28.0 
4.6 
2.8 


17.9 

12.6 

6.1 

41.9 
37.3 
23.9 


89.5 


32.4 
15.0 
15.9 
36.9 
27.0 
43.8 
32.4 


105.6 


38.5 
28.7 
22.0 
39.4 
28.5 
45.1 
39.1 


139.0 


152.3 


292.4 
41.8 


44.4 
33.5 
36.0 
44.1 
35.4 
49.0 
45.4 


44.4 
38.3 
37.3 
46.8 
35.5 
53.4 
55.7 


59.4 
59.1 
40.0 
55.9 
33.7 
59.1 
56.1 


291.3 
41.6 


58.5 
57.6 
53.2 
60.9 
47.3 
56.6 
31.9 


281.5 
40.2 


84.3 
60.7 
30.6 
64.4 
73.4 
59.4 
67.3 


234.0 
33.4 


270.1 
38.6 


26.6 
68.2 
28.7 
64.2 
71.6 
61.2 
60.3 


32.6 
52.7 
64.7 
65.6 
67.1 
71.7 
66.8 


51.3 


52.8 


1.9 

5.9 
15.2 
15.6 

1.7 
27.7 

7.8 


2.8 

5.6 
15.5 
17.9 

6.5 
27.1 

6.5 


139.7 


203.4 
29.1 


241.3 
34.5 


287.8 
41.1 


311.4'363.3l366.0 


44.5 


51.9 


6.3 
43.0 
27.4 
23.3 
12.3 
24.1 

8.5 


9.9 
43.9 
37.5 
13.4 
19.8 
33.0 
17.6 


10.1 
44.8 
47.3 
30.6 
20.4 
31.9 
20.2 


10.9 
51.5 
55.1 
31.0 
18.7 
28.9 
22.8 


13.7 
56.0 
52.1 
40.4 
23.8 
51.3 
30.0 


16.8 
64.0 
22.7 
47,2 
28.1 
56.9 
44.6 


75.8 
10.8 


10.6 
13.5 
16.7 
12.9 
23.0 
33.4 
38.9 


81.9 

144.9 

175.1 

205.3 

218.9 

267.3 

11.7 

20.7 

25.0 

29.3 

31.3 

38.2 

16.6 

31.6 

27,3 

32.2 

39.0 

43.8 

15.9 

17.0 

14.8 

17.9 

23.0 

30.7 

10.2 

11.7 

13.9 

16.3 

17.7 

22.8 

10.1 

11.8 

11.5 

22.2 

22.0 

28.4 

23.1 

42.1 

32.7 

37.1J  34,0   24,8| 

36.6 

36.1 

41.5 

48,3   54.9 

55.7 

31.4 

25.0 

34,0 

1 

51.9 

46.6 

41.4 

280.3 
40.0 


29.9 
34.4 
19.2 
36.3 
42.7 
60.4 
64.6 


52.3 


31.0 
62.7 
31.2 
62.0 
36.9 
61.9 
47.9 


380.1 
54.3 


380.8 
54.4 


28.9 
72.6 
72.0 
48.2 
47.6 
68.2 
62.4 


338.6 
47.8 


41.0 
39.6 
25.3 
40.7 
39.9 
52.5 
63.6 


399.8 
57.1 


46.8 
45.9 
28.4 
44.0 
41.8 
58.4 
69.6 


36.2 
65.8 
76.8 
73.1 
69.4 
63.9 
72.3 


411J2 
68.7 


29.6 
74,6 
64.1 
60.7 
61.2 
68.6 
67.1 


446^ 
63.8 


49.9 
67.2 
28.1 
61.2 
43.3 
66.8 
62J2 


395.9 
66.6 


37.1 
78.3 
20.4 
62.9 
48.6 
69.7 
61.0 


149.0 
21.3 


143.9176.3 
20.6!  25.0 


38.1 
51.1 
38.4 
29.4| 
36.1 
27.7 
10.6 


39.8 
52.6 
30.4 
37,7 
36.2 
33.3 
13.9 


175.7  225.9 
25.1J  32.3 


236.9 
33.8 


231.4243.9 
33.r  34,8 


41.4 
47,6| 
19.0! 
44,7 
37.5' 
14.6 
15.8 


42.5 
45.1 
39.7 
49.4 
35.3 
37.3 
19.0 


43.8' 
39.6 
45.5 
53.5 
40.6 
45.2 
16.7 


39.7 
39.8 
48.2 
45.2 
40.1 
53.7 
23.8 


247.6 
35.4 


277.5  302.6334.9 


39.61  43.2 


47.8 


44.5 
48.9 
54.6 
53.5 
45.1 
30.3 
26.6 


53.1 
37.0 
54.1 
59.3 
51.8 
36.9 
31.3 


54.7 
60.2 
59.8 
68.2 
60.1 
49.2 
34.6 


62.5 
62.0 
64.3 
66.8 
66.7 
52.6 
51.6 


358.7363.0 
51.2   61.9 


67.6 
61.8 
59.2 
70.9 
64.6 
63.4 
30.7 


67.4 
61.9 
67.7 
62.2 
69.9 
54.4 
32.7 


220.6  268.3;284.9 
3I.5I  38.3   40.7 


290.6:303.5 
41.5   43.4 


322.5  876.8  426.0 
46.1    63.8  60,7 


408.1^.2 
58.3  68.0 


lieber  die  Intensität  der  Wärmestrahlang  der  Sonne  etc. 


229 


Polaris  Bacht 


Datum 

P.  M. 

Oh 

Ih     9h      Sh 

4h 

5h     6h     Vh 

8h     Bh    lOh 

11h 

1872 

0 

0 

0 

0 

0 

0        0 

0 

0 

0 

0 

0 

April  20.  .  . 

69.4 

67.8 

31.1 

38.9 

35.0 

19,7,  16,6 

10.8 

7.1 

7.9 

1.4 

0.8 

21.  .  . 

24.7 

25.71  25.0 

16.9 

21.9   13.4   11.5 

12.4 

5.8 

6.6 

3.4 

0.6 

22.  .  . 

16.7 

53.5 

40.1,  33.2   34.7,  43.4   12.8 

a4;    3.0.    2.6!     1.7 

17.1 

23.  .  . 

89.0 

33.2 

29.7;  23.4!  20.4 

21.0 

38.4 

41.2 

— 

.» 

— . 

— 

^nM  ft     •     * 

48.6 

43.1 

49.2i  54.6;  24.6 

19.6 

14.4 

11.2 

8.4 

12.1 

5.6 

3.7 

25.  .  . 

6a2 

45.4 

75.8i  63.6,  66.7 

60.3 

58.2 

35.0 

47.3 

40.6i  27.7 

40.6 

26.  .  . 

79.0 

77.8 

71.3  68.9'  63.2 

t         1 

59.0|  54.5 

20.0 

37,6|  41.8J  34.5 

3.7 

Sammen  .  . 
Mittel   .  .  . 

d34.6{346.& 
47.8  49.5 

322.2I299.5  265.5  236.4  205.4 137.0 109.2 
46.0|  42.8  37.9   33.8  29.3   19.6    — 

110.6 

74.8 

66.6 

April  27.  .  . 

73.7 

72.7   67.9,  65.6 

60.7 

56.5 

65.7 

29.3 

41.6 

43.6!  37.3 

30,7 

28.  .  . 

70.9 

72.9   68.2i  64.4 

60.0 

55.3;  55.6!  51.3 

44.2 

32.6;  19.9 

UJt 

29.  .  . 

59.1 

57.6 

48.0,  58.2 

53.5 

55.4 

54.9i  26.2 

25.3 

26.4 

26.0 

— 

30.  .  . 

74.2 

71.1 

62.4 

63.9 

62.1 

68.4 

69.1 

68.0 

52.6 

49.2 

39.3 

38.1 

Mai      1.  .  . 

80.4 

77.7 

62.6 

68.4 

62.2 

67.1 

57.1 

49,4 

46.1 

49.8 

36.9 

32.9 

2.  .  . 

73.0 

73.0J  66.6 

63.6 

59.2 

56.0 

56.2 

52.6 

44.3 

32.2 

28.1 

27.4 

3.  .  . 

72.4 

72.2   69.1 

66.0 

61.0 

57.3 

58.9 

51.9 

44.4 

24.8 

16.5 

5.6 

Sammen  .  . 

503.7 

497.2 

444.8 

450.0  418.7  405.o!397.5 

318.7  298.6  258.6 

204.0 

143.9 

Mittel   .  .  . 

72.0 

71.0 

63.5 

64.3  59.8   57.9  56.8 

46.5 

42.6 

36.9 

29.1 

— 

Mai      4.  .  . 

32.9 

40.3;  29.1   45.6 

54.4 

55.9'  56.5 

40.1 

46.0 

33.9 

36.8 

30.0 

ö.  .  . 

80.4 

52.1;  77.9  69.0 

61.0 

16.1 

12.7 

10.7 

8.8 

6.9 

8,7 

14.8 

6.  .  . 

58.5   46.8,  67.6;  69.0 

63.1 

63.6 

51.5 

24.9 

38.6 

32.4 

16.0 

7.7 

7.  .  , 

70.8 

72.6  68.1 

64.2 

45.2 

30.8 

45.4 

46.3 

46.2 

34.1 

35.9 

36.9 

8.  .  . 

66.4 

73.0  66.5 

63.9 

63.3|  57.7;  58.2 

45.5 

46.8 

36.4 

86.8 

38.6 

9 .    .    • 

65.0 

65.9  56.1 

56.6   60.5i  43.2'  44.4 

28.4 

37.5 

49.4 

31.7 

14.2 

10.  .  . 

68.8 

67.6  65.4 

61.2  58.9.  56.4  55.7 

47.8 

41.0 

35.8 

31.0 

22.0 

Sammen  .  . 

442.8 

418.3*430.7 

429.5  406.4'313.7'324.4  243.7|263.9!228.9ll96.9|l64.1 

Mittel  .   .  . 

63.3 

59.81  61.5!  61.4  58.1|  44.8  46.3 

1         1         1         . 

34.8 

37.7 

32.7!  28.1 

'      ' '      i 

23.3 

Mai    11.   .  . 

32.4'  51.7   30.41  28.5!  25.6|  26.2'  18.4!  13.2 

12.6 

13.4    10.4^ 

^TSÜ 

12-  .  . 

71.6   71.4'  65.0 

61.1 

59.9'  55.9 

60.2   44.2 

50.7 

29.5 

27.0   18.4 

13-  .  . 

30,8   29.8   28.1 

25.3 

25.9  49.0 

54.9  54.8 

49.8 

47.3 

39.5 

34.2 

14'  .  . 

67.6 

65.4!  62.0,  56.41 

57.1 

57.9 

55.8 

49.5 

47.4 

48.3|  33.4 

20.0 

16.  .  . 

39.0 

51,0 

38.7 

35.0 

46.1 

63.6 

56.6 

41.4 

48.6   41.6 

35.5 

33.7 

16-  .  . 

65.7 

70.4 

67.4  58.7 

58.0 

70.1 

59.6 

57.6 

50.1 

48.7 

39.8 

43.7 

17.  .  . 

65.9 

65.8 

64.9|  60.0 

57.3 

57.9 

56.2 

50.2 

41.4 

29.4 

29.4 

37.2 

Summen  .  . 
Mittel   .  .  . 

373.0,405.5 
53.3|  57.9 

356.5 
50.9 

325.o|329.8 
46.4  47.1 

380.6!861.7 
54.4   51.7 

310.9 
44.4 

300.6!258.2!215.0 
42.9|  36,9  30.7 

203.0 
29.0 

Mai'   18.  .  . 

66.3 1  64.6 

65.9 

65.1    65.7;  66.0'  66.1 

53.9 

45.1 

42.  ll  38.4i  37.9 

19.  .  . 

63.9|  66.2   46.4 

31.21  29.4,  29.1    34.9 

28.4 

13.4  32.7;  29.9!  45.4 

20.  .  . 

63.6   69.9 

65.1 

61.2   58.41  58.4 

59.21 

53.61  50.7  42.6!  32.9 

31.4 

21.  .  . 

61.9   69.6 

66.9   64.8i  59.61  58.7 

51.6;  50.7J  55.4i  43.6  48.01  38.9 

22.  .  . 

46.7   39.8 

40.8   72.2,  28.7,  59.8i  32.8i  11.4'  13.9   26.7,  15.6 

14.1 

23.  .  . 

26.9   24.2 

26.0 

23.5'  19.9;  17.7 

13.1 

13.9    13.4    12.91    8.4 

9.4 

24.  .  . 

36.6   35.5 

1         1 

36.6;  55.8'  47.2   25.3 

1                   1 

25.1 

25.3   22.2 

1 

26.6,  20.4 

8.2 

Summen  .  .  1 
Mittel   .  .  . 

365.9'l 
52.3 

}69.8'l 
52.8 

347.7; 
49.7 

383.81 
57.7 

}08.9'l 
44.1j 

J16.0 1 
45.0 

282.8'! 
40.4 

237.2|{ 
33.9 

J14.1J 
30.6 

827.1  ] 
32.4 

193.6: 
27.7 

185.3 
26.6 

230 


Emil  Sessels, 


P 

olaris  Buc 

ht. 

Datum 

.A.«  .flBL» 

Oh 

Ib 

9b 

3b 

4h 

5h 

6h 

7h 

8h 

•h 

lOhj  1.» 

1872 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0         0 

Mai     25.  .  . 

11.2 

17.4 

20.9 

27.2 

19.7 

24.1 

27.9 

26.1 

24.6 

26.0 

34.2    68.6 

26.  .  . 

7.2 

11.6 

22.2 

29.7 

20.9 

28.8 

31.2 

31.9   30.8| 

33.2 

37.5 

3oJi 

27.  .  . 

11.2 

13.2 

16.1 

17.1 

18.9 

24.9 

14.6 

41.7  39.3;  35.31 

54.0 

69.3 

28.  .  . 

35.2 

37.7 

46.6 

55.0 

47.2 

47.5 

50.8 

39.5 

66.8 

79.8 

57.2 

50.1 

29.  .  . 

44.2 

42.7 

42.9 

42.2 

43.5 

46.3 

40.4 

46.0 

62.7 

71.8 

66.9 

66.d 

30.  .  . 

39.2 

45.4 

38.9 

45.1 

45.7 

52.8 

55.8 

58.5 

61.3 

73.8'  67.0 

63.2 

31.  .  . 

46.4  89.8 

41.8 

40.2 

41.9 

51.8 

55.6 

63.6 

75.1 

57.9  41.0 

56.6 

Summen  .  . 

194.6 

207.8  229.4I256.5 

237.8 

276.2  276.3 

307.3  360.6  377.8  357.81409.2 

Mittel   .  .  . 

27.8 

29.7 

32.8   36.6 

34.0 

38.0 

38.0 

43.9 

51.5 

54.0 

51.1 

58.5 

Juni     1.  .  . 

27.4 

15.4 

27.8 

29.1 

23.7 

28.1 

30.1 

30.4 

35.7 

35.1 

32.4 

34.3 

2.  .  . 

10.2 

12.6 

7.6 

8.9 

13.4 

18.1 

16.9 

22.5 

27.7 

34.4 

67.3 

39.3 

3.  .  . 

38.5 

33.6 

34.4 

41.7 

41.9 

45.7 

47.1 

55.2 

59.8 

59.2 

71.6 

65.8 

4.  .  . 

43.6 

37.3 

33.4 

27.2 

25.6 

32.9 

25.7 

28.7 

40.7 

57.2 

50.2 

53.8 

5.  .  . 

27.6 

27.1 

30.4 

32.3 

42.5 

51.7 

58.9 

63.8 

64.6 

58.9 

61.1 

66.7 

6.  .  . 

83.4 

39.4 

39.6 

41.6 

45.6 

51.5 

55.2 

58.8 

61.8 

55.6 

50.4 

53.1 

7.  .  . 

28.4 

10.4 

27.6 

11.8 

14.1 

14.6 

18.7 

24.9 

32.2 

40.7 

38.9 

37.3 

Summen  .  . 

209.1 

175.8 

200.8 

192.6 

206.8 

242.6 

252.6 

284.3 

322.0 

341.1 371.9 

340.1 

Mittel   .  .  * 

29.9 

25.1 

28.7 

27.5 

29.8 

34.7 

36.1 

40.6 

46.0 

48.7 

53.1 

4a6 

Juni     8.  .  . 

14.3 

17.3 

39.9 

42.3 

44.4 

44.1 

36.0 

48.0 

30.7 

39.3 

60.5 

"56r9 

9.  .  . 

11.9 

10.4 

7.5 

41.9 

61.3 

49.5 

51.6 

57.8 

52.7 

27.3 

36.9 

46.8 

10.  .  . 

10.4 

13.8 

32.9 

30.0 

87.8 

43.8 

52.4 

22.8 

43.2 

60.0 

66.4 

55.1 

11.  .  . 

11.2 

10.4 

11.9 

14.5 

10.2 

19.2 

24.6 

26.3 

29.1 

39.4;  42.6 

29.5 

12.  .  . 

23.1 

27.5 

12.9 

27.5 

37.3 

31.6 

45.9 

58.9 

58.5 

64.9 

62.9 

65.6 

13.  .  . 

10.6 

11.6 

13.4 

9.3 

16.4 

18.4 

21.2 

— 

52.4 

45.2 

56.1 

62.8 

U.  .  . 

12.7 

9.5 

11.6 

12.0 

10.9 

14.6 

23.2 

33.2 

31.6 

37.0 

54.3 

33.1 

Summen  .  . 

94.2 

100.5 

130.1 

177.6 

217.3 

221.1 

254.9 

247.0 

298.2 

313.1 

379.7 

849.3 

Mittel   .  .  . 

13.5 

14.4 

18.6 

25.4 

31.0 

31.6 

36.4 

— 

42.6 

44.7 

54.2 

49.9 

Juni    15.  .  . 

6.4 

9.3 

8.2 

9.5 

12.1 

24.6 

27.6!  25.7 

27.4 

29.3 

28.9 

64.7 

16.  .  . 

40.0 

38.0 

41.8 

40.6 

42.5 

38.2 

49.3;  60.6 

59.0 

62.0 

66.9 

58.1 

17.  .  . 

39.1 

37.3 

27.9 

83.7 

40.2 

40.0 

56.1,  55.9 

71.4 

72.4 

82.3 

71.2 

18.  .  . 

5.0 

5.7 

7.6 

6.9 

8.8 

9.0 

12.9 

16.6 

23.3 

17.2 

78.2 

35.3 

19.  .  . 

7.0 

9.4 

11.4 

13.4 

13.2 

19.3    17.7 

18.1 

17.8 

35.6 

26.6 

24.6 

20.  .  . 

9.7 

17.7 

18.0 

14.7 

17.5 

41.9  36.8 

88.4 

30.1 

40.9 

35.4 

35.4 

21.  .  . 

48.3 

16.2 

14.0 

15.6 

11.7 

15.0 

17.6 

24.4 

21.4 

46.4 

34.2 

40.0 

Summen  .  . 

155.6 

133.6 

128.9 

134.3 

146.0 

188.0 

218.0 

239.7 

250.4  303.8 

352.5 

829.3 

Mittel  .  ,  . 

22.2 

19.1 

18.4 

19.2 

20.9 

26.9 

8J.1 

34.2 

35.8 

43.4 

60.4 

47.0 

Ueber  die  Intensität  der  Wärmestrahlung  der  Sonne  etc. 


231 


Polaris 

Bucht. 

Datum 

P.  H. 

Oh 

Ih 

9h 

8b 

4h 

5h 

6h 

9h 

8h 

9h 

lOh  11h 

1872 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Mai     25.  .  . 

65.4 

34.8 

26.7 

34.01  57.7 

61.0 

25.6 

69.5 

53.9 

61.4 

48.0 

11.9 

26.  .  . 

41.8 

58.6 

47.4 

59.6 

63.6 

34.2 

23.4 

19.4 

16.2 

16.2 

14.7 

13.4 

27.  .  . 

34.3 

69.4 

40.4 

42.5 

66.7 

33.5 

35.4 

28.8 

25.6 

18.6 

'  23.1 

20.8 

28.  .  . 

74.2 

61.2 

61.6 

69.2 

61.9 

62,4 

62.4 

38.4 

49.0 

48.4 

48.6 

45.3 

29.  .  . 

54.8 

64.9 

63.8 

63.8 

63.0 

62.4 

61.7 

45.4 

60.6 

48.2 

47.4 

43.9 

30.  .  . 

81.2 

88.4 

74.5 

79.2 

73.7 

68.6 

68.3   63.9 

44.4 

41.0 

48.4 

43.9 

31.  .  . 

71.4 

70.3 

60.6 

61.4 

63.7 

27.1 

62.3  38.0 

20.6 

16.3 

15.9 

46.9 

Summen  .  . 

422.6447.6 

375.0 

409.7l440.2!349.1  319.1|293.4  260.2|240.o|246.1 

226.1 

Mittel   .  .  . 

60.4|  63.9 

1 

53.6 

58.6|  62.9 

1 

47.7 

45.6 

41.9 

37.2 

34.3 

35.2 

32.3 

Juni      1.  .  . 

33.7 

33.2 

37.4 

35.0 

44.0 

34.9 

27.4 

26.9 

20.2 

21.0 

16.7 

10.1 

2.  .  . 

61.1 

70.1 

69.0 

64.2 

48.6 

71.9 

48.6 

46.2 

42.6 

33.7 

40.9 

40.2 

3.  .  . 

58.4 

51.1 

50.1 

51.9 

49.1 

62.9 

63.2 

51.6 

29.4 

24.9 

43.7 

48.7 

4.  .  . 

60.8 

63.3 

63.6 

57.6 

55.6 

67.4 

66.6 

44.4 

60.9 

43.9 

35.4 

36.8 

5.  .  . 

83.9 

43.0 

48.6 

50.6 

51.0 

66.6 

63.4 

49.2 

47.9 

46.6 

37.4 

36.5 

■  6.  .  . 

42.3 

42.2 

52.4 

50.9 

60.3 

50.4 

39.4,  15.1 

38.2 

31.8 

41.4 

45.4 

7.  .  . 

49.0 

32.9 

52.5 

63.6 

24.8 

21.4 

17.8  48.6 

16.9 

10.7 

10.1 

6.6 

Summen  .  . 

339.2 

335.8  373.6 

363.7 

323.3'344.4 

295.3'282.0 

245.1  212.6  225.6I222.3 

Mittel  .  .  . 

48.5 

47.9'  53.4 

61.9 

46.2 

49.2 

42.2 

40.3 

37.0 

30.4 

32.2 

34.0 

Juni     8.  .  . 

67.1 

27.0 

48.8 

41.8 

33.6 

28.6 

18.1 

41.7 

13.6 

14.0 

7.5 

9.6 

9.  .  . 

46.0 

46.2 

49.1 

42.6 

40.2 

50.3 

63.2 

66.7 

30.0 

16.9 

16.0 

11.7 

10.  .  . 

57.7 

22.0 

23.4 

29.9 

14.2 

14.2 

15.1 

17.6 

12.0 

11.9 

10.3 

12.9 

11.  .  . 

30.9 

46.1 

26.7 

34.0 

48.8 

42.7 

36.4 

38.7 

34.5 

13.8 

13.7 

20.2 

12.  .  . 

68.7 

54.4 

56.7 

54.9 

53.6 

49.3 

45.6 

30.6 

19.3 

19.3 

11.7 

11.0 

13.  .  . 

60.9 

60.8 

54.3 

54.2 

62.6 

60.4 

62.4 

54.6 

61.0 

47.4 

16.1 

18.8 

U.  .  . 

38.8 

51.0 

32.2 

26.4 

26.4 

21.4 

13.7 

13.3 

14.6 

8.8 

10.0 

9.1 

Summen  .  . 

850.1 

307.5  291.2 

282,7 

268.4 

256.8 

234.6 

262.1 

175.0 

131.1 

84.3 

96.3 

Mittel  .  .  . 

60.0 

43.9 

41.6 

40.4 

38.3 

36.7 

33.6 

36.0 

25.0 

18.7 

12.0 

13.3 

Juni    15.  .  . 

36.8 

67.4 

66.7 

65.4 

52.1 

49.7| 

51.7 

54.0 

49.6 

46.3 

45.9 

42.5 

16.  .  . 

61.9 

57.2 

67.3 

53.5 

51.2  49.61 

49.6 

53.3 

53.3 

45.8 

49.1 

43.0 

17.  .  . 

41.6 

65.7 

47.0 

40.4 

63.8 

49.2 

61.1 

19.0 

16.7 

12.0 

7.6 

6.7 

18.  .  . 

48.9 

35.7 

32.6 

33.2 

42.9 

22.9 

19.9 

13.1 

13.6 

15.4 

11.6 

11.2 

19.  .  . 

21.2 

34.0 

30.3 

43.6 

38.4 

46.9 

19.8 

17.2 

12.4 

14.7 

13.3 

9.0 

20.  .  . 

66.2 

41.7 

39.4 

34.6 

26.6 

24.6 

23.6 

13.6 

17.2   19.2 

25.6 

20.6 

21.  .  . 

43.9 

38.9 

31.7 

36.2 

27.7 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Summen  .  . 

300.5 

330.6  295.0 

296.7  291.6 

242.8  215.7 

172.1 

161.6 

153.4 

163.1 132.0 

Mittel  .  .  . 

42.9 

47.2 

42.1 

42.4 

41.7 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

232 


Emil  Besselfl, 


Polaris 

Haas. 

Datum 

Aa  flL* 

Oh 

Ih 

9h     3h 

4h 

6h 

6h 

9h     9h 

9h 

lOb  Uh 

1873 

0 

0 

0 

o 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

o 

0 

April  20.  .  . 

— 

— 

0.9 

2.7 

11.7 

10.1 

12.9 

18.0 

21.2 

23.8 

24.0 

849 

21.  .  . 

— 

0.7 

1.6 

3.3 

8.3 

11.8 

15.8 

20.8 

28.3 

39.0 

43.1 

45.2 

22.  .  . 

7.8 

20.5 

16.4 

8.0 

35.7 

38.7 

44.0 

51.5 

59.1 

60.6 

66.7 

61.8 

23.  .  . 

4.8 

4.1 

27.2 

24.9 

29.5 

49.1 

48.8 

55.3 

56.9 

64.7   65.6!  64.1 

24.  .  . 

— 

0.9 

0.3 

7.8 

8.0 

10.3 

12.2 

23.7 

53.1 

53.1 

54.6 

63.8 

26.  .  . 

1.1 

4.4 

13.9 

25.8 

34.7 

18.3 

20.1 

51.3 

48.7 

47.6 

54.0;  68.6 

26.  .  . 

0.6 

6.9 

17.9 

23.2 

28.5 

46.1 

52.4 

66.8 

66.5 

61.4  58.3 

Summen  .  . 

13.7 

31.1 

66.1 

90.4 151.1 

166.8 199.9  273.0  323.1 346.8  869.4I876.7 

Mittel   .  .  . 

— - 

9.4 

12.9 

21.6 

23.8   28.6  39.0 

46.2 

49.3  51.3  63.8 

April  27.  .  . 

6.1 

14.1 

7.0 

25.8 

36.4 

26.2   49.3 

64.2 

61.0 

66.2 

65.8 

66.9 

28.  .  . 

— 

2.6 

3.3 

3.3 

8.7 

9.2 

12.6 

12.9 

15.7 

17.3 

16.1 

19.8 

29.  .  . 

0.5 

1.0 

3.1 

7.1 

7.1 

7.6 

10.6 

14.0   18.0 

27.1 

29.2 

43.3 

30.  .  . 

3.7 

7.0 

6.9 

9.9 

10.6 

12.6   22.2 

29.9  33.0 

33.01  34.8 

43.7 

Mai       1.  .  . 

1.5 

6.5 

13.0 

17.5 

19.9 

21.9 

25.0 

28.3 

36.3 

38.2 

49.5 

53.4 

2.  .  . 

0.6 

1.9 

2.3 

2.1 

6.1 

10.6 

14.6 

21.8 

21.9 

32.3 

37.0 

42.1 

3.  .  . 

3.2 

2.1 

2.0 

3.3 

4.0 

8.2 

16.7 

18.3 

27.2 

37.8 

41.1 

37.5 

Summen  .  . 

15.6 

35.2i  37.6 

69.0 

92.7 

96.3  160.9  179.4'213.1 250.9272.5  306.7 

Mittel   .  .  . 

5.0 

5.4 

9.9 

13.2 

13.8 

21.6 

25.6 

30.4 

36.8|  38.9  43.7 

Mai      4.  .  . 

3.6 

13.2 

16.6 

23.8 

51.9 

48.3 

52.1 

55.2 

54.8!  30.3 

46.2|  42.5 

5.  .  . 

9.8 

8.1 

7.5 

12.3 

25.6 

47.4 

64.7|  68.0 

69.7 

73.9 

80.7|  80.2 

6.  .  . 

6.0 

6.4   25.2 

29.4 

19.6 

30.0 

46.9   67.0 

64.6 

68.1!  68.9!  76.4 

7.  .  . 

6.7 

8.3 

11.0 

11.7 

17.9 

21.8 

51.3   58.7 

61.6 

66.5   73.3 

76.0 

8.  .  . 

14.7 

14.6 

29.9 

32.6 

34.0 

35.21  59.9'  61.8 

66.1 

67.r  74.2 

77.8 

9.  .  . 

6.1 

8.5 

10.9 

11.7 

10.8 

13.9 

18.7|  35.6 

36.0 

36.7i  32.9  31.6 

10.  .  . 

3.8 

5.9 

(7.4) 

(8.9) 

10.0 

10.3 

19.5j  25.4 

27.2 

83.7 

34.3   36.7 

Summen  .  . 

60.7 

66.0 

108.5 

130.3 

169.8!206.9'312.ll361.7'380.0'376.3'4ia5'421.2 

Mittel   .  .  . 

7.2 

9.3 

15.5 

18.7 

24.3 

29.6   44.6.  51.7   54.3   53.8;  68.6   60.2 

1                                     ' 

Mai    11,  .  . 

(4.8) 

6.0 

8.2 

8.7 

12.3 

23.4!  23.0|  28,4   32.5   31.6   32.8.  36.1 

12.  .  . 

3.4 

4.9 

7.5 

10.5 

14.0 

19.0 

25.7 

30.5'  34.6;  38.7;  59.2 

63.6 

18.  .  . 

24.0 

17.1 

27.4 

40.0 

19.6 

18.5 

23.8 

30.7   56.0  54.91  30.3 

44.4 

14.  .  . 

2.2 

9.0 

9.2 

13.4 

18.0 

22.9 

25.7 

25.6   29.01  39.0)  36.7   31.1 

15.  .  . 

1.4 

2.4!    3.5 

7.8 

10.8 

15.5'  20.4 

24.6:  31.6   44.7 

63.7   67.3 

16.  .  . 

6.7 

6.3,     5.9 

4.8 

8.8 

14.2   22.li  33.7   43.9 

54.7 

56.1   42.1 

17.  .  . 

11.0 

29.5^  22.3 

22.2 

16.3 

25.3;  54.2   57.2   66.0 

76.2 

69.9   68.5 

Summen  .  • 

53.5 

75.2 

84.0 107.4 

99.8 

138.8 194.9230.7  293.6:33a8'887.7 

353.1 

Mittel  .  .  . 

7.6 

10.7    12.0   16.3 

14.2 

19.8;  27.8   32.9   41.8   4a4|  4a2 

60.4 

Mai    18.  .  . 

23.3 

24.6'  27.3'  27.1 

34.4 

'  44.5,  44.7   51.2   53.8   53.6.  64.0  65.2 

19.  .  . 

33.7 

28.7'  15.6 

35.3 

43.4 

42.5|  50.1    51.0 

58.2 

60.3   63.2   64.1 

20.  .  , 

34.1 

36.7 

36.1 

43.7 

43.6 

53.0|  63.7   58.2 

64.7 

61.8   65.5 

65.2 

21.  .  . 

10.3 

22.1 

34.5'  39.8 

41.1 

40.2,  50.3|  54.5   58.1;  61.0!  62.91  63.6 

22.  .  . 

17.2 

21.2 

30.7,  35.0 

38.3 

42.2,  45.4  48.7,  52.5;  58.0.  61.9   62.3 

23.  .  . 

32.5 

18.2   35.71  16.6 

13.9 

10.4   17.7,  17.4'  20.3:  24.0;  23.8   26.7 

24.  ,  . 

0.6 

8.3   35.2j  10.8 

48.5 

47.7 

57.0   23.9   49.5!  63.5   62.6   60.6 

1             '             1             .             ! 

Summen  .  . 

151.7 

159.8 

216.0  208.3 

263.2 

280.5'318.9!304.9  347.1 '382.r  403.9  407.6 

Mittel   .  .  . 

21.7 

22.8 

30.7 

29.8 

37,6 

1 

40.1 

45.6 

43.6 

1 

49.6J 

64.6 

57.7 

1 

68.2 

Ueber  die  Intensität  der  WärmeBtrahlung  der  Sonne  etc. 


233 


Polaris  Haus, 


Datum 


P.  JH. 


Ob     Ih     9h     3h     4h     öh     Sh      9h  I  8h     9h    lOh  11h 


1873 
April  20. 
21. 
22. 
23. 
24. 
25. 
26. 

Summen 
Mittel   . 

April  27. 

28. 

29. 

30. 

Mai       1. 

2. 

3. 

Summen 
Mittel    . 


Mai 


4. 
5. 
6. 
7. 
8. 
9. 
10. 


Summen 
Mittel   . 


Mai 


11. 
12. 
13. 
14. 
16. 
16. 
17. 


Summen 
Mittel   . 


Mai 


18 

19. 

20. 

21. 

22. 

23. 

24. 


Summen 
Mittel   . 


0 

0 

0 

0 

o 

0 

0 

0 

.    25.1 

23.6 

22,0 

17.6 

10.7 

12.2 

9.7 

9.5 

.    35.8 

33.7 

34.2 

34.5 

30.6 

23.9 

38.3 

19.2 

.    42.81  64.5 

65.1 

47.7 

68.3 

46.0 

12.0 

4.0 

.    67.1 

63.5 

37.4 

56.4 

66.6 

52.1 

40.9 

25.8 

.    19.6 

16.7 

60.0 

10.6 

6.1 

4.0 

8.0 

3.5 

.    64.6 

49.2 

56.5 

63.9 

66.7 

49.8 

43.0 

33.2 

.    61.2 

62.5 

68.6 

64.4 

51.8 

17.7 

38.0 

29.6 

0 

1.0 
23.4 
2.1 
3.7 
1.9 
24.2 
9.5 


0 

0 

0.3 

16.4 

12.9 

8.6 

— 

4.6 

1.3 

11.1 

2.5 

9.2 

6.6 

316.1 
46.2 


66.6 
16.9 
23.4 
30.6 
63.8 
45.7 
41.8 


313.7 

333.8 

275.1 

279.8 

44.8 

47.7 

39.3   39.9 

18.5 

26.3 

30.7 

22.8 

16.9,  16.9 

13.3 

13.6 

21.31  17.8 

19.9 

17.1 

33.6 

32.1 

29.9 

25.7 

61.0 

63.3 

34.0 

37.2 

26.8 

26.7 

22.7 

19.8 

48.0 

43.6 

42.1 

62.4 

205.7 
29.4 


16.1 
9.6 
15.8 
23.2 
16.3 
14.9 
41.4 


189.9 
27.1 


124.8 

17.8 


28.2 
6.6 
12.3 
36.1 
16.0 
17.1 
16.7 


9.8 
4.2 
9.6 

18.0 
5.3 

10.4 
9.6 


65.8 

49.9 

22.6 

9.4 

— 

— 

4.8 

0.6 

— . 

2.0 

6.3 

0.4 

6.6 

1.0 

1.6 

6.8 

4.4 

— 

3.2 

1.0 

6.0 

6.6 

3.9 

3.2 

7.4 

3.7 

— 

278.7 
39.8 


216.0 
30.9 


67.6 
81.1 
77.7 
76.2 
78.0 
38.4 
63.8 


27.6 
80.4 
74.2 
74.9 
71.0 
62.2 
68.7 


214.6 
30.7 


27.7 
76.2 
71.8 
64.6 
69.2 
66.1 
42.4 


192.6 
26.1 


36.9 
66.6 
61.7 
72.2 
69.1 
22.0 
19.0 


198.6 
28.4 


31.2 
64.0 
66.6 
66.4 
38.3 
20.9 
15.4 


137.3 

129.9 

66.7 

22.5 

18.6 

9.6 

16.5 

21.8 

14.0 

34.1 

19.3 

11.6 

60.0 

66.2 

23.0 

61.9 

64.5 

44.1 

60.4 

17.6 

8.9 

23.5 

20.8 

8.4 

14.3 

8.7 

5.4 

37.8 

19^ 

11.1 

6.3 

2.8 

6.3 

4.7 

4.2 

6.3 

4.3 

2.4 

5.3 

6.8 

4.7 

44.6 

38.7 

28.2 

14.7 

6.6 

3.0 

8.5 

6.0 

6.9 

6.8 

4.4 

4.0 

68.9!  62.7 


44.9 
63.2 
46.6 
24.9 
60.6 
39.3 
63.4 


31.4 
69.0 
42.4 
33.0 
31.8 
33.3 
61.2 


'408.0'336.6'292.8 

259.7 

198.8 

'  15.3 

92.5 

71.5 

62.4! 

68.3!  48.1 1  41.8 

1 

37.1 

28.41  16.6 

1 

13.2 

10.2     7.6 

25.2,'  24.3 

19.8   17.8 

14.1 1  10.6 

8.3     6.7 

4.6 

52.1 

43.0 

47.9 

47.5 

34.3 

29.9 

48.2 

42.4 

44.3 

40.1 

23.4 

20.9 

18.9 

7.7 

9.6 

4.0 

2.1 

1.5 

24.9 

22.1 

22.8 

15.4 

6.2 

3.8 

0.8 

3.1 

1.8 

26.5 

32.7 

~>. 

26.7  24.6 

53.2 

28.1 

12.3 

6.8 

27.2 

27.1 

20.6 

17.6   10.4 

10.1 

8.6 

7.5 

5.7 

66.9 

68.6 

66.6 

66.6 

54.5 

46.4 

34.7 

38.5 

31.6 

o 

0.4 
8.4 

0.6 

0.6 
49 


14,9 


0.7 
0.7 
5.2 
2.5 


9.1 


16.3 
2.9 
4.6 

18.4 
6.1 
2.4 
3.7 


52.3 
7.6 


2.7 
32.9 
1.3 
0.6 
4.9 
5.8 
24.4 


341.9  302. 
48.8,  43. 


1262.9 
2,  37.6 


231.2197.4 
33.0,    — 


199.6  160.7 
28.5,  21.6 


163.6132.6|111.6|  95.2 
23.4i  18.9.  16.9   16.0 


72.6 
10.4 


64.4 
61.6 
64.7 
67.3 
67.2 
31.61 
63.3 

400.1 
57.2 


61. 
64. 
66. 
60. 
68. 
23. 
60. 


62.3 
63.7 
47.5 
67.3 
69.1 
23.3 
66.1 


62.6 

64.9 

56.0. 

66.1    54.1:  51.9 

29.1 

62.6  66.2 

57.6 

66.6 

65.8 

54.3   68.4 

46.5 

23.4   16.1 

9.8 

69.2 

53.7 

63.0 

49.0, 
48.8 
60.41 
50.1 
49.1' 
8.61 
48.9 


45.5 
43.9 
49.1 
48.7 
43.6 
7.3 
45.8 


44.7 

38.6 

25.3' 

40.3 

36.5i  32.7| 

_ 

38.6 

34.4 

44.0 

38.3 

36.6 

41.0 

38.6 

26.3 

49 

— . 

4.4 

41.7 

38.6 

34.1 

39.1 
32.8 
34.9 
34.9 
32.6 
5.4 
33.6 


376.2|35a3 
63.6,  61.3 


342.2  346.4 
I  48.9,  49.3 


328.2,304.9 
46.9,  43.6 


283.9216.6,229.2 
40.6    — 


193.7  213.1 


27.7 


30.4 


234 

Emil  Bessela, 

Polaris  Haue. 

Datam 

A9  91« 

Oh 

Ih 

9h 

ah 

4h     Ah 

6h 

9h 

Sh 

•h 

lOh  Uh 

1 

1873 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

1 
0  1     0 

Mai     25.  .  . 

32.7 

28.0 

18.1 

40.6 

46.0  46.6 

53.3 

54.5 

59.0 

61.9 

62.5   59.0 

26.  .  . 

31.7 

11.3 

38.1 

35.3 

11.3   46.9 

50.8 

55.3 

58.7 

59.7 

60.0;  60.6 

27.  .  . 

29.7 

33.0 

38.0 

37.0;  40.9   45.9 

51.5 

52.3 

54.2 

57.2 

60.0  65.6 

'     28.  .  . 

1.7 

26.3 

26.7 

3a2 

36.4 

16.7 

15.6 

16.8 

228 

41.6 

41.2  42.7 

29.  .  . 

39.0 

9.7 

21.4 

44.2 

41.4 

21.4 

39.8 

46.8 

61.3 

67.7 

66.9  65.4 

30.  .  . 

37.3 

40.3 

40.0 

43.7 

45.0 

49.4 

46.7 

49.5 

45.1 

59.8 

64.0 

65.1 

31.  .  . 

33.2 

15.9 

44.2 

46.0:  56.4  56.7 

1 

55.6 

49.2 

52.9 

55.5 

64.4 

63.3 

Sommea  •  . 

205.3 164.5  226.5!280.o|277.4  283.6  313.3  I324.4J354.0I4034  419.ot421.7 

Mittel   .  .  . 

29.3 

23.5 

32.6 

40.0 

39.6 

40.5 

44.8 

46.3 

50.6 

57.6 

69.91  60.2 

1 

lieber  die  Intensität  der  Wärmestrahlung  der  Sonne  eto. 


235 


Polaris 

Haus. 

Datum 

P.  H. 

Oh 

Ih. 

9h 

ab 

4b 

5b 

6h 

9h 

8h     Ob    lOh  IIb 

1873 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Mai     25.  .  . 

56.7 

39.7 

58.5 

55.4 

54.1 

55.3 

52.9 

43.4 

37.8 

33.8 

32.9 

34.0 

26.  .  . 

59.6 

58.3 

57.5 

57.8 

56.3 

52.6;  45.9 

42.7 

40.3 

35.5 

29.3 

32.4 

27.  .  . 

62.3!  62.5 

59.0 

57.9 

46.6 

31.4 

30.2 

27.3 

22.6 

17.0 

— 

4.4 

28.  .  . 

62.3 

64.1 

60.8 

59.3 

55.4 

53.7 

49.4 

45.6 

47.4 

38.0 

36.6 

14.4 

29.  .  . 

65.7 

65.6 

57.9 

55.6 

67.7 

56.8 

52.3 

49.5 

44.6 

39.1 

39.7 

39.5 

30.  .  . 

65.2 

68.5 

61.1 

50.4 

58.7 

55.2 

52.5 

47.8 

45.2 

35.4 

40.9 

40.0 

31.  .  . 

61.9 

69.6 

60.1 

59.5 

59.2 

57.6 

53.9 

36.3 

20.1 

11.8 

32.3 

39.9 

Summen  .  . 

433.7  418.3  414.9  395.9  388.0  362.5  337.1  292.6  258.0  210.6  211.7|204.6 

Mittel  .  .  . 

61.9 

59.8 

59.3 

56.6 

55.4 

51.8 

48.2> 

1 

41.8 

36.9 

30.1 

35.3 

29.2 

B«capltiilatIoii. 

Die  folgenden  Tabellen  enthalten  eine  Znaammenstellang  der 
Maximalwerthe  der  Sonnenatralitnng  in  der  Polaris  Bucht  nnd  in 
dem  Obserratoriani  des  Polaris  Hauses.  Die  betreflenden  Woclien 
sind  durch  ihr  mittleres  Datum  (welches,  nebst  dem  Honat,  den 
Kopf  der  resp.  Colamnen  bildet)  bezeichnet,  d.  h.  die  Beobach- 
taagen,  welchen  die  Maxima  entnommen  sind,  worden  3  Tage 
früher  und  3  Tage  später  angestellt,  als  die  betreffenden  Daten 
ani^eigeD.  Einerseits  ist  die  Anwendung  dieser  Methode  sehr  be- 
quem and  anderseits  werden  die  auf  diese  Weise  behandelten 
Werihe  mehr  ron  störenden  Einflüssen  befrei^  als  wenn  man  aaf 
die  gewöhnlich  gebräuchliche  Weise  verfahren  wttrde. 


Haxima  der  Sonnenstrahlong, 
aas  den  Beobachtungen  ron  Polaris  Bucht  abgeleitet. 


April. 

MaL 

Jörn. 

Zeit 

ts 

SO 

7 

■4 

Sl 

M 

4 

■1 

IS 

o 

0 

Oll 

3.3 

2&3 

27.7 

38.9 

61.1 

464 

43.6 

23.1 

48,3 

1 

6.9 

28.0 

27.1 

36.6 

52.6 

46.4 

894 

27.6 

a&o 

a 

i7.a 

41.9 

48.0 

42.1 

47.6 

466 

39.6 

39.9 

41.8 

a 

28.3 

43.8 

43.9 

41.6 

494 

66.0 

41.7 

41.9 

40.6 

4 

40.6 

46.1 

47.3 

48J 

63.6 

47.2 

45.6 

44.4 

42.6 

r. 

47.7 

49.0 

56.1 

64.9 

53.7 

52,8 

51.7 

49.6 

41.9 

e 

68.7 

56.7 

66.0 

66.7 

54.6 

55J 

68.9 

63.4 

66.1 

7 

64.8 

69.4 

64.0 

604 

59.3 

83.6 

63.8 

58.9 

60.6 

64.3 

60.9 

63.7 

63.6 

68,2 

75.1 

64.6 

58.5 

714 

69.0 

73.4 

72.6 

69.6 

66,3 

79.8 

59  2 

84.9 

72^ 

1(1 

6S.6 

71.6 

76.8 

66.8 

70.9 

67.0 

71.6 

66.4 

83.3 

u 

77Ä 

71.7 

74.6 

73.3 

69.9 

69.3 

66.8 

65.6 

714i 

Miria.r 

79X1 

80.4 

70.8 

71.6 

66.3 

81.2 

61.1 

60.9 

66Ji 

Ui 

77.8 

77.7 

72.6 

714 

69.9 

88.4 

70.1 

60.6 

67.4 

3 

76.8 

69.1 

77.9 

67.4 

66.9 

74.6 

69.0 

66.7 

673 

:i 

6a9 

684 

69.0 

61.1 

72,2 

79.2 

64.2 

64.9 

554 

4 

65.7 

62.2 

63.3 

69.9 

66.7 

73.7 

55.6 

53.6 

5S.8 

60.8 

684 

67.7 

70.1 

66.0 

68.5 

719 

504 

49.7 

&8.2 

69.1 

68.2 

60.2 

66.1 

634 

66.5 

68.2 

61.7 

7 

41.2 

6B.0 

47,8 

57.6 

53,9 

63.9 

61.6 

55.7 

64.0 

8 

47.3 

62.6 

46Ji 

50.7 

56,4 

53.9 

60.9 

51.0 

63.3 

Ü 

41.8 

49.2 

49.4 

48.7 

43.5 

514 

46.6 

474 

463 

10 

34.5 

39.3 

36.8 

39.8 

48.0 

48.6 

43.7 

16.0 

49.1 

U 

40.6 

33.1 

38.6 

48.7 

454 

46.9 

48.7 

20.2 

4ao 

Summen  . 

1229.8 

1334.8 

1839,0 

1363.9 

1416.4 

1406.6 

1334.4 

1173.6 

18043 

Mittel   .  . 

61.2 

66.6 

56.8 

664 

69.0 

63.4 

56.6 

48.9 

543 

Ueber  die  Intensität  der  WärmeBtrohlung  der  Sonne  etc. 


237 


Mäxima  der  Sonnenstrahlang 
ans  den  Beobachtangen  von  Polaris  Haas  abgeleitet. 


April. 

Mai. 

Zeit 

98 

ao 

9 

141 

91 

98 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Oh 

7.8 

6.1 

14.7 

24.0 

84.1 

89.0 

1 

20.5 

14.1 

14.^ 

29.5 

36.7 

40.3 

2 

27.2 

13.0 

29.9 

27.4 

36.1 

44.2 

8 

25.8 

25.8 

82.5 

40.0 

43.7 

46.0 

4 

85.7 

86.4 

51.9 

19.6 

48.5 

56.4 

5 

49.1 

26.2 

48.3 

25.1 

53.0 

56.7 

6 

48.8 

49.8 

64.7 

54.2 

57.0 

55.6 

7 

55.3 

54.2 

68.0 

57.2 

58.2 

55.3 

8 

59.1 

61.0 

69.7 

66.0 

58.2 

61.3 

9 

6(3.5 

65.2 

73.9 

75.2 

63.5 

67.7 

10 

65.6 

65.8 

80.7 

69.9 

65.5 

66.9 

11 

64.1 

65.9 

80.2 

68.5 

65.2 

65.6 

Mittag 

67.1 

63.8 

81.1 

63.4 

64.7 

65.7 

Ih*" 

64.5 

51.0 

80.4 

69.0 

64.1 

68.5 

2 

65.1 

53.3 

76.2 

66.9 

62.3 

61.1 

8 

66.4 

42.1 

72.2 

58.6 

62.5 

59.5 

4 

68.3 

62.4 

66.6 

65.5 

58.4 

59.2 

6 

52.1 

41.4 

61.9 

56.6 

56.0 

57.5 

6 

40.9 

35.1 

56.2 

54.5 

50.4 

53.9 

7 

88.2 

18.0 

44.1 

58.2 

49.1 

49.5 

8 

24.2 

7.4 

44.6 

48.2 

44,7 

47.4 

9 

16.4 

53 

38.7 

42.4 

38.6 

89.1 

10 

12.9 

6.0 

28.2 

44.3 

36.5 

40.9 

11 

8.4 

5.2 

18.4 

82.9 

89.1 

40.0 

Summen  . 

1085.0 

874.0 

1297.7 

1212.8 

1246.1 

1297.3 

Mittel  .  . 

48.1 

36.4 

64.1 

50.5 

51.9 

54.1 

IT.  Resultat 

Ein  Blick  auf  die  vorhergebenden  Tabellen  zeigt,  dass  der 
Unterschied  in  der  Intensität  der  Sonnenstrahlang  in  der  Polaris 
Bucht  und  in  der  Intensität  der  Sonnenstrahlang  in  dem  Polaris 
Haase  während  der  in  Bede  stehenden  Zeitperiode  für  3^  latitude 
SH  Fahr,  beträgt,  oder  für  !<>  lat  2^6  Fahr.,  so  dass  die  Inten- 
sität der  Sonnenstrahlang  mit  wachsender  Polhohe  zuznnehmea 
scheint. 

Vergleichen  wir  die  Intensität  der  Sonnenstrahlung  in  Fällen, 
in  welchen  die  Sonne  die  gleiche  Höhe  hat,  so  erhalten  wir  die 
folgenden  Beihen,  in  welchen  zum  Beispiel  die  Sonne  zu  Mittag 
die  gleiche  Höhe  hat,  als  zu  einer  späteren  Zeit  um  Mittemacht 
Für  irgend  einen  Punkt  der  nördlichen  Hemisphäre  ist  die  Höhe 


238 


Emil  Bessels, 


der   Sonne   um   Mittag  =90  —  9  +  S,   und   am   Mitternacht 
=  d  +  q>  —  dO. 

Es  lässt  sich  zeigen^  dass  in  der  Polaris  Bucht  die  Mittags- 
höhe der  Sonne  am  4.  März  die  gleiche  war,  als  die  Mittemachts- 
höhe am  16.  April.  Das  gleiche  Verhältniss  besteht  zwischen  dem 
3.  März  und  dem  4.  Mai  zu  Polaris  Haus;  überhaupt  zwischen 
der  Mittags-  und  Mittemachtshöhe  der  Sonne  an  allen  jenen 
Tagen;  die  sich  in  der  folgenden  kleinen  Tabelle  gegenüber  stehen. 


Intensität  der  Sonnenstrahlung  für  gleiche 
Sonnenhöhen,  um  Mittag  und  Mitternacht 


Polaris  Bucht. 

1 

Polaris  Haus. 

Intensität 

Intensität 

der  Sonnen- 

der Sonnen- 

Datum 

strahlung 

AR 

Datum 

strahlung 

AR 

Mittag 

Mitter- 
nacht 

Mittag 

Mltter- 
naotit 

1872 

0 

0 

0 

1873 

0 

o 

0 

März    4 

ApriJ 

16 

23.4 

4.6 

18.8 

März    3 

Mai 

4 

ia5 

8.6 

14.9 

5 

17 

0.9 

0.7 

0.2 

4 

5 

12.2 

9.8 

24 

7 

20 

4.1 

0.8 

3.3 

5 

7 

38.9 

6.7 

32.2 

8 

21 

37.2 

0.6 

36.4 

6 

8 

40.4 

14.7 

26.7 

9 

22 

42.2 

17.1 

25.1 

7 

10 

42.5 

8.8 

38.7 

11 

24 

44.2 

3.7 

40.0 

8 

12 

36.4 

3.4 

33.0 

13 

27 

43.3 

2.0 

41.3 

10 

14 

17.7 

2.2 

15.5 

14 

28 

47.9 

0.2 

47.7 

11 

16 

9.8 

6.7 

3.1 

15 

29 

47.6 

11.8 

35.8 

12 

18 

(4.5)* 

(23.3)* 

(18.8)* 

16 

Mai 

1 

52.8 

26.3 

26.5 

13 

20 

46.1 

34.1 

12.0 

17 

2 

48.7 

3.6 

45.1 

15 

24 

43.7 

0.6 

43.1 

18 

8 

55.3 

7.4 

47.9 

18 

31 

56.6 

33.2 

23.4 

19 
22 

5 
10 

45.6 
62.7 

5.9 
7.8 

39.7 
54.9 

Süd-Nord  . 

a4*.6 

24 

12 
14 

63.3 
35.1 

13.5 
12.9 

49.8 
22.2 

25 

April   2 
3 

Juni 

80 
2 

61.7 
70.1 

39.2 
10.2 

22.5 
59.9 

*)  Nicht  berücksichtigt 

4 

5 

63.4 

27.6 

35.8 

( 

6 

10 

22.1 

10.4 

11.7 

6 

21 

62.0 

48.3 

13.7 

Süd-N 

ord 

■ 

•    ••••< 

,    32».8 

Die  obige  Tabelle  bedarf  weiter  keiner  Erklämng.  Wie  er- 
siehtlich  ist,  enthalten  die  mit  AR  bezeichneten  Colamnen  die 
Differenzen  der  Intensität  der  Strahlung  fttr  die  obere  nnd  untere 
Culmination  der  Sonne. 

Es  zeigt  sich;  dass  in  der  Polaris  Bucht  die  Intensität  der 
Strahlung  für  die  gleiche  Sonnenhöhe  um  32^3  grösser  ist,  wenn 


üeber  die  Intensität  der  Wännestrahlung  der  Sonne  etc. 


239 


die  Sonne  im  Sflden  als  wenn  sie  im  Norden  steht.  ^)  Um  dieses 
Verhalten  zn  erklären^  nntersnchten  wir  die  gleichzeitig  ange- 
stellten hygrometrischen  Beobachtungen*);  aus  welchen  hervor- 
geht, dass  die  Differenz  in  der  Spannkraft  des  in  der  Atmosphäre 
enthaltenen  Wasserdampfs,  die  diesem  Werthe  entsprechen  würde, 
gleich  0.088"  engl.  ist.  Es  würde  demnach  einer  Zn-  oder  Ab- 
nahme der  Spannkraft  von  0.001"  eine  Zn-  oder  Abnahme  der 
Intensität  der  Strahlung  von  0<^37  gleichkommen. 

Für  Polaris  Haus  stellt  sich  die  oben  erwähnte  Differenz  in 
der  Intensität  der  Strahlung  zu  24<>5  und  die  Differenz  in  der 
Spannkraft  des  Wasserdampfes  zu  0.0063"  heraus.  Als  Coefficient 
der  Intensität  der  Strahlung  fbr  0.001"  Spannkraft  wttrde  sich 
demnach  0<^40  Fahr,  oder  0^22  Cels.  ergeben,  ron  welchem  Werthe 
wir  in  unserem  Falle  Gebrauch  machen  wollen. 

Die  folgende  kleine  Tabelle  enthält  die  nicht  corrigirten  und 
corrigirten  Resultate  fttr  Polaris  Bucht  und  Polaris  Haus. 


Polaris  Bacht,  1872         | 


Polaris  Haas,  1873 


mtUerarTaff 

der 

Wocb» 


Ss 


ja 

o 

•a 


I 


1 


MittlererTtff 

der 

Wocbe 


II 
I 


April  23 
80 

Mai  7 
14 
21 
28 

Jani  4 
11 
18 


0 

0 

0 

61.2 

+11.2 

62.4 

April  23 

66.9 

14.4 

70J 

30 

66.8 

17.6 

73.4 

Mai     7 

6M 

34.0 

90.4 

14 

69.0 

46.0 

106.0 

21 

62.4 

44.4 

106.8 

28 

66.6 

60.0 

116.6 

48.9 

68.8 

107.7 

64.3 

-f69.6 

113.9 

o 
43.1 
36.4 
64.1 
60.4 
61.9 
64.1 


a 
o 


o 

+12.0 
19.2 
13.6 
33.6 
46.8 
+27.2 


o 
66.1 
66.6 
67.7 
84.1 
98.7 
81.3 


o 
73 

14.7 
6.7 
6.3 
6.3 

26.6 


FUr  3<^2  lat  beträgt  aUo  die  mittlere  Differenz  11<«  Fahr. 
«  6^11  CJels. 

somit  für  i^  lat.  A  «>  SH  Fahr.  >»  1<«9  Cels. 


*)  Diejenigen,  die  an  die  Existenz  eines  offenen  Polarmeeres  glauben, 
dürften  Tielleicht  geneigt  sein,  hierin  eine  Stütze  ihrer  Ansicht  zu  suchen. 

*)  Weiter  auf  diese  Beobachtungen  einzugehen  ist  hier  nicht  möglich. 
Wir  wollen  nur  erwähnen,  dass  wir  ständliche  Psyohrometerbeobachtungen 
aoBtellten,  die  selbst  während  der  kalten  Jahreszeit,  bei  den  niedrigsten  Tem- 
peraturen, nicht  unterbrochen  wurden  und  äusserst  zufriedenstellende  Resultate 
lieferten,  vorausgesetct,  dass  mit  der  nöthigen  Vorsicht  und  Geduld  experi- 
meottrt  wurde.    Mangel  hieran  scheint  an  dem  Scheitern  der  Versuche  Schuld 


240  >  £^^1  Bessels, 

Angenommen,  wir  hätten  keine  correspondirenden  hygro- 
metriecheu  Beobachtungen  angestellt  pder  wir  würden  dieselben 
hier  unberücksichtigt  lassen,  so  würde  nach  den  vorliegenden 
Werthen  einer  Breitenznnahme  von  1^,  sogar  eine  Zunahme  der 
Intensität  der  Strahlung  von  2^6  Fahr.  =  1<)44  Gels,  entsprechen. 
Man  darf  indessen  den  hygrometrischen  Daten  keinen  grossen 
Werth  beilegen,  da  die  aus  denselben  abgeleiteten  Elemente  nur 
für  diejenige  Luftschicht  Giltigkeit  haben,  die  sich  unmittelbar 
über  dem  Beobachtungsorte  befindet.  In  grosserer  Höhe  kann 
gleichzeitig  die  Spannkraft  des  Wasserdampfes,  oder  auch  die 
relative  Feuchtigkeit,  grösser  oder  geringer  sein,  je  nach  der  vor- 
herrschenden Windrichtung. 

Da  die  Intensität  der  Sonnenwärme  an  irgend  einem  Punkte 
der  Erdoberfläche  durch  die  Differenz  zwischen  den  Ständen 
zweier  Thermometer  ausgedrückt  wird,  von  welchen  das  eine  die 
Temperatur  der  Luft  im  Schatten  anzeigt,  während  das  andere 
den  Strahlen  der  Sonne  ausgesetzt  ist,  so  wird  ihre  Intensität  in 
hohem  Grade  von  der  Temperatur  der  Luft;  an  dem  Öeobachtungs- 
orte  abhängig  sein.  Es  liesse  sich  demnach  annehmen,  die 
grössere  Intensität  in  Polaris  Bucht,  gegenüber  Polaris  Haus, 
wäre  liur  scheinbar,  wäre  nur  das  Resultat  einer  niedrigeren 
Lufttemperatur  an  eiisterem  Orte.  Ich  ge|be  deshalb  die  mittleren 
Temperaturen  der  beiden  Localitäten  für  die  in  Rede  stehenden 
Monate.    Für: 

Polaris  Bucht  Polaris  Haus  A  T 

April  ....  —  22.090  C  —  20.410  0  1.68«> 

Mai     .    .    .    .  —  08.44  —  06.76  1.68 

Juni     .    .    .    .  +  02.47 


«u  tragen,  die  bis  jetzt  von  anderen  arctischen  Expeditionen  gemacht  warden. 
Der  berechnete  wahrscheinliche  Fehler  einer  EinzelbAobachtung,  bei  den  nie- 
drigsten Temperaturen,  fallt  nahezu  mit  der  Grenze  des  Ablesungsfehlers  zu- 
sammen und  der  Unterschied  zwischen  der  aus  der  Psychrometerdifferenz 
abgeleiteten  Temperatur  des  Thaupunktes  und  der  gleichzeitig  vermittelst 
eines  Begnault'schen  Thaupunktapparates  beobachteten,  betrag  nie  mehr  als 
4.  0^6  Fahr.  Diese  Beobachtungen  sind  in  der  Abtheilung  „Hjgrometrical 
Kesults^'  eines  starken  Quartbandes  niedergelegt,  der  unter  dem  Titel  „Scien- 
tific Results  of  the  U.  S.  Arcüc  Expedition,  under  C.  F.  Hall.  Vol.  I  Geo- 
Fhysical  Observations,  by  Dr.  Emil  Bessels"  erscheinen  wird.  Der  Dmck 
desselben,  von  der  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  Nordamerikas  unter« 
nommen,  begann  schon  Ende  Februar  dieses  Jahres,  dürfte  aber  nicht  so  rasch 
beendigt  werden,  als  wünschenswerth  ist 


üeber  die  Intensität  der  Wärmestrahlung  der  Sonne  etc.  241 

Für  Juni  beBitzen  wir  in  Polaris  Hans  keinerlei  Aufzeich- 
nungen. Fttr  April  und  Mai  zeigt  sich  jedoch  eine  Differenz  von 
1^68,  d.  h.  die  Temperatur  in  Polaris  Bucht  stellt  sich  um  den 
genannten  Werth  niedriger  heraus.  Da  sich  die  Differenz  auf 
3^  lat.  vertheilt,  so  beträgt  AT  für  l^lat.  0^52  Cels.,  was  unser 
Resultat  nicht  wesentlich  ändern  würde. 

Wir  verzichten  darauf,  hier  irgend  welche  Erklärung  fttr 
diese  Thatsache  zu  bieten;  zumal  die  Beobachtungen  an  beiden 
Localitäten  mit  einem  und  demselben  Thermometer  gemacht 
wurden.  Anfangs  glaubten  wir,  die  Differenz  durch  die  ungleiche 
Häufigkeit  der  Sonnenflecken  während  1872  und  73  erklären  zu 
können ;  kamen  jedoch  dadurch  zu  keinem  befriedigenden  Re- 
sultat. Als  uns  durch  die  Liberalität  des  Marineministeriums  der 
Vereinigten  Staaten  zu  Anfang  des  vergangenen  Sommers  ein 
Fahrzeug  zur  Disposition  gestellt  wurde  ^  um  im  Norden  der 
Berings-Strasse  gewisse  Untersuchungen  zu  verfolgen ,  rüsteten 
wir  uns  mit  einer  Anzahl  von  Thermometern,  einer  Thermosäule, 
mit  mehreren  nach  verschiedenen  Principien  construirten  Pyrhelio- 
metem  aus,  um  vergleichende  Beobachtungen  anzustellen.  Wir 
begannen  dieselben  während  der  Reise  quer  über  den  Gonti- 
nent,  von  Washington  nach  San  Francisco,  auf  Höhen  von  1000' 
bis  8000'  und  gedachten  dieselben  von  70^  N.  lat  bis  zur  Breite 
von  Panama  auszudehnen,  allein  ein  unangenehmer  Schiffbruch 
brachte  die  Reise,  nachdem  wir  kaum  10  Tage  auf  See  gewesen, 
zu  einem  plötzlichen  Ende.  Vielleicht  dürften  die  Theilnehmer 
an  künftigen  Polar  -  Expeditionen  Müsse  und  Gelegenheit  f\nden, 
einschlägige  Beobachtungen  anzustellen,  die  selbst  dann,  wenn 
sie  nur  roh,  wie  die  vorliegenden,  mit  geschwärzten  Thermometern 
ausgeführt  würden,  immerhin  interessante  Resultate  liefern  dürften. 

Smithsonian  Institution 
Washington,  D.  C,  22.  October  1875. 


Jenaische Ztihchnn;Bi/.  X. 


Taf.  m 


Nepinl 


BdutotnaüL  Nauemtks    Neiorucii 


FhUm 


Redavini 


GcäguUni 


^SctUaü 


Mtmbnouictt 


Coreodts        LygcuodM    Capsinl 


^ 


SiridxäaMUv 


TvJ^onMt/ 


Membraana 
CicaddUna 


Heteroptora 


'Jicuhda 


lAaüo/ilia^iv 


CoccinW 


jipkidina/ 


Fsyilodes 


Phytüphthires 


Homoptera 


I 


Parasita 

I 


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FroALemipteron 


L''li  Anst.vC'./  MiJil<.r,.)»'tn 


'a/f 


P« 


trepsiptera 

^ 


Taf.  Vik 


Myrmdemdidajt/  Ifemertbidae^     Panarpinor 

Tridioptera  MtgoiapUro/  SiaUdiu/ 


N^ 


Plaidpennia 


Protoneuropteroii 


Ltth.Af»st.y.C.C.Mülltf  »n  Jena. 


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Taf.VI'. 


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TTermUma^ 


OrOwpUnv 


Jjtfidofiou^ 


3Snrn 


^wtenv 


Dipiera/         Hemiptera/ 


yimpkiktia 


Protenlomon 


Lith.An«l.vt.CMül!ci 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen. 

Von 

Dr.  Relnhold  Teuscher. 

Hieriu  Tafel  VII  u.  Vm. 

I.  Comatula  mediterranea. 

Wenn  man  dnrch  den  vorsichtig  entkalkten  Strahl  einer 
wohlerhaltenen,  d.  h.  sogleich  nach  dem  Fang  in  Alcohol  gehärteten 
Comatula  mediterranea  dtlnne  Schnitte  macht ,  so  erhält  man 
constant  das  bei  Fig.  1  dargestellte,  nur  hier  und  da  durch  Ver- 
zerrung der  Weichtheile  unwesentlich  modificirte  Bild.  Von  der 
dorsalen  (aboralen)  Seite  beginnend,  erscheint  zuerst  das  bei 
unserer  Art  mehr  oder  weniger  halbmondförmige  Ealkglied, 
äusserlich  noch  von  der  Hautschicht  umhüllt  und  von  dem  so- 
genannten Centralcanal  durchbohrt,  von  welchem  man  längst 
weiss,  dass  er  keinen  Canal,  sondern  einen  soliden  Strang  enthält. 
Nur  tlber  die  Natur  dieses  Stranges  sind  die  Beobachter  noch 
nicht  einig;  die  einen  halten  ihn  fbr  einen  einfachen  Bindegewebs- 
Strang,  andere  (Semper)  yermuthen,  dass  er  vielleicht  der  Nerv 
sein  konnte.  Die  Histologie  der  Echinodermennerven  ist  trotz  der 
Bemühungen  vieler  Forscher  noch  heute  wenig  bekannt  Der  hier 
in  Rede  stehende  Strang,  rings  von  Kalkmasse  umschlossen,  ist 
kaum  isolirbar,  und  nur  an  Längsschnitten  durch  entkalkte  und 
eingebettete  Strahlen  konnte  ich  eine  Ansicht  erhalten.  Der  Strang 
besteht  aus  einer  fein  granulirten  Masse  mit  entschiedener  Längs- 
faserung,  doch  sind  die  Grenzen  der  Fasern  nicht  scharf  genug, 
um  ihre  Dicke  messen  zu  können.  Ueberall  in  diese  Masse  ein« 
gebettet  liegen  kleine  Körner  —  wahrscheinlich  Zellen,  doch  konnte 
ich  die  Kerne  nicht  s^en  —  deren  grOsste  nicht  über  0,002  M. 
Durchmesser  zeigen,  zerstreut;  doch  findet  man  sie  vorzüglich  an 

Bd.  X,  N.  P.  m,  8.  16 


*f. 


\ 


•   » 


244  Beinhold  Teiucber, 

der  ventralen  Seite  des  Stranges  angehäuft.  Hin  und  wieder  sieht 
man  Haufen  von  bräunlichen  Pigmentkömem.  Die  Histologie 
dieses  Gewebes ^  soweit  ich  dieselbe  ergrflnden  konnte,  giebt 
also  keinen  sichern  Anhaltspunkt  fbr  die  Erkenntniss  seiner  Be- 
deutung. 

Durch  sämmtliche  Glieder  des  Strahls,  sich  in  die  Finnulae 
abzweigend,  setzt  der  Strang  sich  fort  und  tritt  aus  den  ersten 
Radialien  in  den  Eelchknopf  ein ,  wo  er  zur  Bildung  des  so- 
genannten Herzens  beiträgt.  Ich  wende  mich  hier  zur  näheren 
Beschreibung  dieses  zierlichen  Organs,  fUr  welches  ich  den  Namen 
„Gefässcentrum'^  vorschlage.  Nachdem  die  fünf  Centralstränge 
in  die  im  Innern  des  Eelchknopfs  enthaltene  Höhle  getreten  sind, 
verbinden  sie  sich  unter  einander  durch  Gommissuren  und  bilden 
so  einen  geschlossenen  Bing,  ganz  ähnlich  dem  Nervenring  der 
Echinodermen,  welcher  den  Eingang  des  oben  genannten  Gefäss- 
centrums  umschliesst.  Ein  Horizontalschnitt  dieser  Gegend  (Fig.  2) 
zeigt  im  Centrum  dieses  Binges  csr  die  Spitze  einer  vom  Boden 
des  Gefässcentrums  sich  erhebenden  Mittelsäule  (cl);  ein  kreis- 
förmiges Gebilde,  dessen  peripherischer  Theil  fänf  grössere  (k), 
und  dessen  centraler  Theil  eben  so  viele  kleinere  Gefässöfihungen 
darbietet,  alle  an  deutlichen  Epithelien  vollkommen  kenntlich« 
Den  ringförmigen  Baum  zwischen  dem  Bing  des  Gentralstrangs 
und  der  Golumella  fällt  nach  oben  ein  vielfach  verschlungenes 
Gefässnetz  mit  verkalkten  Wänden,  welches  dort  unmittelbar  mit 
den  lacunären  Gefässräumen  um  den  Darm  zusanmienhängt,  in 
seinem  unteren  Baum  in  einen  grösseren,  ebenfalls  ringförmigen 
Behälter  erweitert  ist  (mgr,  Fig.  2)  und  nach  unten  in  zehn  Blind- 
säcke ausläuft,  die  sich  in  die  Ealkmasse  des  Eelchknopfs  nach 
unten  und  aussen  erstrecken  und  dort  endigen.  Fünf  davon  sind 
radial,  fünf  interradial.   Einen  davon  zeigt  Fig.  3,  gb. 

Die  fünf  Centralstränge  haben  sich,  wie  oben  gesagt,  ge- 
spalten, um  die  verbindenden  Gommissuren  zu  bilden.  Von  dem 
Anfang  jeder  Commissur  geht  ein  Zweig  nach  unten  ab,  d.  h.  nach 
dem  Geßlsscentrum  zu,  und  diese  zehn  Zweige  treten  zwischen 
den  zehn  Gefässblindsäcken  hindurch,  um  sich  sogleich  wieder  za 
einer  Masse  zu  vereinigen,  welche  die  gesammte  Peripherie  dieser 
Gefässhöhle  auskleidet  (Fig.  3).  Die  histologische  Beschaffenheit 
dieser  Masse  ist,  soweit  ich  sie  erkennen  konnte,  im  Ganzen 
dieselbe,  wie  die  der  Stränge;  doch  erscheinen  stellenweise  etwas 
schärfer  begrenzte  Fasern,  zahlreichere  und  grobkörnigere 
Pigmenthaufen,  die  äusseren  Theile  färben  sich  mit  Carmin  viel 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodcrmen.  245 

intensiver.  Doch  lassen  sich  verschiedene  Schichten  nicht  unter- 
scheiden. Die  eigentliche  Höhle  des  Gefässcentrums  hat  bei  einer 
erwachsenen  Gomatula  0;15  M.  Höhe  und  0,4  H.  Breite.  In 
ihrer  Mitte  wird  sie  senkrecht  von  einer  Säule  durchsetzt;  etwa 
0,08  M.  dick,  welche  sich  nach  oben  wenig  verdtlnnt,  und  fünf 
Scheidewände  (sw,  Fig.  2)  nach  den  Seiten  aussendet,  die  den 
Raum  in  fCLnf  Kammern  abtheilen.  Diese  Kammern  verengern 
sich  nach  oben  und  laufen  in  die  fünf  Gefässe  aus^  welche  um 
die  Columella  herumliegen  (Fig.  2  und  3,  k).  Die  fttnf  feinern 
Gef3isse,  welche  auf  dem  Querschnitt  im  Innern  der  Columella 
erscheinen,  erweitern  sich  an  der  Basis  derselben  und  entsenden 
ein  im  Ursprung  spindelförmig  erweitertes  Gefäss  in  jede  der 
Cirrhen  (cg,  Fig.  3),  welches  die  ganze  Girrhe  bis  ans  Ende  in 
der  Axe  der  Kalkglieder  durchläuft,  ebenso  wie  es  der  Central- 
Strang  mit  den  Strahlen  und  Finnulis  thut.  Aber  in  jedem  dieser 
Qefässe,  die  übrigens,  sowie  alle  bisher  in  dem  Gefässcentrum 
beschriebenen  Gefässe,  auch  die  fünf  grösseren  Höhlen,  mit  einem 
sehr  deutlichen  Epithelium  ausgekleidet  sind,  sehe  ich  vom  An- 
fang bis  ans  Ende  einen  dünnen  Strang  verlaufen,  von  leicht 
grannlirtem,  längsstreifigem  Ansehen,  kurz  dem  Centralstrang  der 
Strahlen  ganz  ähnlich,  und  offenbar  aus  dessen  Centraimasse  am 
Boden  des  Gefässcentrums  -entspringend.  Den  Di|rchmesser  der 
Cirrhengefässe  finde  ich  0,0135  M.,  den  der  Stränge  0,0045  M., 
den  der  Zellen  des  Gefässepithels  0,0025  M. 

Bekanntlich  dienen  die  Cirrhen  der  Comatula,  um  sich  an 
Seetang  oder  dergl.  zu  befestigen;  da  dieselben  der  Muskeln 
entbehren,  so  könnte  vielleicht  eine  Injection  von  Flüssigkeit  in 
die  beschriebenen  Gefässe  die  Cirrhen  strecken,  während  bei  deren 
Rttckfluss  durch  die  Elasticität  der  Ligamente  die  Krümmung 
von  neuem  hervorgebracht  und  so  ein  Festhalten  ermöglicht 
würde.  Kehren  wir  jetzt  zur  Betrachtung  des  Strahlenquerschnitts 
zurück. 

An  das  Kalkstück  jedes  Strahlengliedes  legen  sich  beiderseits 
die  Muskeln  an  (Fig.  1,  m),  welche  von  den  Vorsprüngen  jedes 
Strahlengliedes  zu  denen  des  folgenden  reichen  und  die  Strahlen 
nach  der  Mundseite  hin  zu  beugen  bestimmt  sind.  Zwischen  den 
beiden  Muskeln  liegt  ein  dreieckiger  Spalt  (Fig.  1,  mg),  von 
einem  Gefäss  gebildet,  welches  ich  zur  Unterscheidung  von  andern 
das  Muskelgefäss  nennen  will.  Es  wird  ringsum  von  einem 
deutlichen  Epithelium  ausgekleidet;  zwischen  diesem  und  den 
Muskeln  liegt  noch  eine  dünne  Schicht  hyalinen  Bindegewebes, 

IG* 


246  Beinhold  Teusclief, 

einige  wellige  Fasern  ^  Körner  und  Pigmenthaufen  enthaltend. 
Dieses  Muskelgefäss  durchläuft  den  ganzen  Strahl  und  giebt  an 
jede  Pinnula  einen  Zweig  ab ;  nach  der  Basis  des  Strahls  hin  er- 
weitert es  sich  etwas  und  begleitet  denselben  an  der  Aussenseite 
des  K^chs  herab  bis  zum  Eelchknopf;  über  den  oben  beschriebenen 
Ring  d^r  Centralstränge  herabtretend,  wo  es  in  die  dort  yielfach 
ansusrtomosirenden  Blutgefässe  und  in'das  Binggefäss  (mgr,  Fig.  2  n.  3) 
eintritt.  Die  Erweiterung,  die  das  Gefäss  an  der  Basis  des  Strahls 
erfahren  hatte,  nimmt  schnell  wieder  ab,  sowie  dasselbe  am  Kelche 
herabläuft;  es  bildet  hier  nur  noch  eine  schmale  Spalte  mit  fast 
parallelen  Wänden. 

Auf  die  beiden  Seitenmuskeln  und  das  eben  beschriebene 
GefUss,  welche  neben  einander  liegend  ungefähr  gleich  weit 
herabreichen,  folgt  im  Querschnitt  des  Strahls  zunächst  eine  Zone 
hyaliner  Bindesubstanz,  die  gewöhnlichen  Elemente  enthaltend 
und  meist  sehr  pigmentreich,  und  dann  treffen  wir  auf  zwei  neben 
einander  liegende  grössere  rundliche  Oefihungen  (sg,  Fig.  1),  nur 
durch  eine  dünne  Scheidewand  von  einander  getrennt  und  Gefässe 
darstellend,  welche  zum  Unterschied  die  Seitengefässe  heissea 
mögen.  Dieselben  sind  ebenso  wie  das  Muskelgefäss  mit  deut- 
lichen Epithelien  ausgekleidet,  laufen  am  Strahl  seiner  ganzen 
Länge  nach  hin  und  geben  an  jede  Pinnula  einen  Zweig  ab ;  aber 
da,  wo  der  Strahl  an  den  Eelch  tritt,  begleiten  sie  denselben 
nicht  nach  der  Basis  hinab,  sondern  trennen  sich  von  ihm,  um  zu 
einem  einzigen  Gefäss  verschmolzen  unter  der  Kelchdecke  und 
zwar  unter  der  betreffenden  Ambulacralrinne  auf  die  Mundtfffnung 
zuzulaufen.  Hier,  unter  der  Kelchdecke,  giebt  das  Gefäss  in 
regelmässigen  sehr  geringen  Abständen  und  nahezu  senkrechter 
Richtung  zum  Hauptstamm  eine  grosse  Zahl  seitlicher  Zweige  ab. 
Diese  Zweige  anastomosiren  vielfach  unter  einander  und  mit  den 
aus  den  benachbarten  Gefassen  entsprungenen  und  bilden  so  ein 
wirres,  lacunäres  Gefassnetz,  welches  den  Raum  zwischen  Kelch- 
decke und  Darm,  sowie  den  zwischen  den  Sarmwindungen  ent- 
haltenen ausfällt,  auch  den  Darm  in  dtlnner  Schicht  äusserlich 
umgiebt,  ohne  aber  mit  der  Bauchhöhle  zu  communiciren.  An  der 
Basis  des  Kelches  gehen  diese  lacunären  Bahnen  unmittelbar  in 
die  Gefässe  des  Gefässcentrums  über;  die  Stammgefässe  selbst 
aber  laufen  unter  den  Ambulacralfurchen  der  Kelchdecke  fort  bis 
an  den  Mund,  wo  sie  sich  unter  einander  zu  einem  Gefässringe 
verbinden. 

Die  drei  hier  beschriebenen  Gefässe   sind  auf  verschiedene 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  247 

Weise  leicht  iDJicirbar.  Bohrt  man  mit  einer  passend  zugeschliffenen 
Nähnadel  vorsichtig  von  der  Mitte  des  Eelchknopfes  aus  ein,  bis 
der  Widerstand  aufhört,  und  injicirt  durch  ein  konisches  rings 
um  das  Bohrloch  aufsitzendes  Glasröhrchen,  so  fallen  sich  c^e  drei 
hier  beschriebenen  GefUsse,  sowie  die  Lacunarräume  um  den 
Darm.  Dasselbe  Resultat,  obgleich  viel  seltener  mit  volls^&dig^m 
Erfolg,  erreicht  man  durch  Einstich  und  Injection  unter  di4  Kelch- 
decke,  wobei  zumal  das  Gefässcentrum  selten  gefüllt  wird.  Am 
besten  aber  ist  es,  einem  starken  Exemplar  emen  Strahl  nahe  am 
Kelch  abzuschneiden  (doch  nicht  nahe  genug,  um  die  Leibeshöhle 
zu  öffhenj  und  mittelst  eines  feinen,  etwas  konischen  Röhrchens 
das  Muskelgefäss  zu  injiciren.  Dies  lässt  sich  eben  so  wohl  in  der 
Richtung  des  Kelches,  als  des  Strahles  ausführen,  und  eine  recht 
vollständige  Injection  des  letzteren  erhält  man  so  am  besten. 

In  dem  zwischen  den  beschriebenen  Gefässen  liegenden  mehr 
oder  T^eniger  dreiseitigen  Räume  findet  sich  eine  Ltlcke  im  Binde- 
gewebe (Tig.  1  und  4,  bl),  meist  rundlich-dreieckig,  oft  etwas 
verzerrt.  In  ihrer  Mitte  verläuft  ein  Rohr,  von  welchem  sogleich 
die  Rede  sein  wird ;  sie  selbst  communicirt  durch  nicht  allzu  feine 
Canäle  mit  jedem  der  drei  beschriebenen  Gefässe,  diese  so  unter 
einander  in  Zusammenhang  bringend;  und  zwar  sind  die  Ver- 
bindungen mit  den  SeitengefUssen  so  häufig,  dass  man  sie  fast  in 
der  Hälfte  der  Schnitte  findet,  wiederholen  sich  also  an  jedem 
Strahlengliede  mehrfach;  die  mit  dem  MuskelgefUsse  sieht  man 
nur  selten  und  nur  an  Injectionspräparaten.  Das  Epithelium  der 
Gefässe  setzt  sich  in  die  Bindegewebslücke  durch  die  Anastomosen 
fort.  Im  Mittelpunkte  der  Bindegewebslücke,  oft  etwas  excen- 
trisch,  befindet  sich  ein  nur  durch  wenige  feine  Fäden  peri- 
pherisch befestigtes  Rohr  (sr,  Fig.  1  und  4),  innerlich,  und  wie 
mir  scheint,  auch  äusserlich  mit  Epithelium  bekleidet.  Dasselbe 
entspricht  seiner  Lage  nach  offenbar  dem  von  J.  Müller  für  Pen- 
tacrinus  abgebildeten  und  für  den  Nerven  gehaltenen  Strange; 
Semper  hat  dasselbe  (Würzb.  zool.  Arbeiten  74,  pag.  26  t)  in  der 
Abbildung  des  Strahlcnschnitts  einer  philippinischen  Comatula 
dargestellt  und  dem  Genitalapparat  zugerechnet  Der  fragliche 
Gegenstand  ist  nicht  ein  solider  Strang,  sodern  eine  Röhre  von 
durchschnittlich  0,036  M.  Durchmesser,  mit  deutlichem  Epithelium 
ausgekleidet  und  in  seinem  Lumen  hie  und  da  einige  lose  Zellen 
von  0,004  M.  Durchmesser  enthaltend. 

An  den  Stellen,  wo  die  Anastomosen  der  Zellgewebslücke  zu 
den  Seitengefässen  abgehen,  sieht  man  fast  immer,  von  der  Röhre 


248  Reinbold  Teuschei:, 

entspringend  and  in  die  Anastomosen  hineinragend;  aber  sehr 
selten  deren  Mtlndung  in  die  Seitengefässe  erreichend,  Erweite- 
rungen, deren  Wände  man  ringsum  als  von  dem  Rohr  ausgehend 
nnd  dahin  zurücklaufend,  zu  den  Seitengefässen  aber  keine  Be- 
ziehung habend;  verfolgen  kann.  In  der  Semper'schen  Figur 
(1.  C;  p.  261)  findet  sich  ein  Strang  (mit  r  bezeichnet),  durch  von 
ihm  ausgehende  Zweige  in  Verbindung  gebracht  mit  zwei  grösseren 
Oeffhungen  (ov'),  welche  er  als  eierhaltig  zeichnet  und  Ovarien 
neI^lt;  während  der  Strang  r  offenbar  meinem  Rohr  (nebst  Zell- 
gewebslücke)  und  seine  Ovarien  ov'  meinen  Seitengefässen  ent- 
sprechen,  in  welchen  ich  in  sehr  zahlreichen  Querschnitten  durch 
alle  Regionen  des  Strahls  niemals  eine  Spur  von  Geschlechts- 
producten  gefunden  habe.  Ausser  Comatula  medit.  von  Triest 
konnte  ich  noch  eine  Comatula  aus  der  Südsee  untersuchen, 
welche  ich  der  Güte  des  H.  Dr.  6.  v.  Koch  verdanke,  ebenso 
eine  Actinometra  von  Prof.  Häckel  im  rothem  Meer  gesammelt  nnd 
mir  freigebigst  zur  Verfttgung  gestellt.  Die  Strahlenquerschnittc 
beider  gleichen  in  allen  wesentlichen  Punkten  dem  der  Comat 
medit.,  und  unterscheiden  sich  nur  in  Nebensachen,  dem  Grössen- 
verhältniss  der  Weichtheile  zu  den  Kalkstücken ,  der  Pigment- 
menge u.  dergl.  Sollte  Semperas  philippinische  Comatula  wirklich 
so  sehr  abweichen,  dass  zweifellose  Gefässe  bei  ihr  in  Ovarien 
umgewandelt  wären,  oder  könnten  sich  bei  der  Behandlung  der 
Schnitte  £ier  von  anderwärts  her  in  dieselben  verirrt  haben?  Ich 
neige  mich  zu  der  letzten  Ansicht. 

Auf  Durchschnitten  durch  das  Ergänzungsstück  eines  ab- 
gebrochenen Strahls,  an  welchem  [die  Pinnulae  noch  wenig  ent- 
wickelt sind  und  die  des  Endes  nur  warzenartig  angedeutet 
erscheinen,  bildet  unsere  Bindegewebslücke  geradezu  ein  viertes 
Gef%ss,  auch  an  Lumen  den  drei  andern  gleich  und  von  ihnen 
nur  durch  sehr  dünne  Wände  geschieden.  In  dem  weiten  Räume 
erscheint  das  Rohr  sehr  deutlich,  Ausstülpungen  fehlen  ihm  ganz, 
und  seine  Seitenzweige  treten  auf  das  Entschiedenste  nicht  zu 
den  Seitengefässen,  sondern  in  das  zwischen  diesen  und  dem 
Muskelgefässe  liegende  Bindegewebe.  Die  in  ihm  enthaltenen 
Zellen  sind  hier  zahlreicher  und  treten  stellenweise  als  wohl  be- 
grenzte Coagula  auf. 

Ehe  ich  hier  weiter  gehen  kann,  [muss  ich  den  Bau  der 
Pinnulae  erörtern,  und  zwar  beginne  ich  mit  der  Beschreibung 
des  Querschnitts  einer  sterilen  Pinnula  von  der  Basis  des  Strahls 
(Fig.  5)  als  dem  einfacheren  Falle.    Wir  finden  in  demselben  alle 


Beiträge  cor  Anatomie  der  Echinodermen.  249 

wesentlichen  Theile  des  Strahls  wieder.  Der  Masse  nach  tritt 
das  Ealkskelett  geg:en  die  Weichtheile  bedeatend  znrtlck.  An 
den  Ealkgliedern  entlang  laufend  finden  wir  ein  Gefäss  (mg), 
das  dem  Mnskelgefäss  des  Strahles  entspricht;  an  der  entgegen- 
gesetzten, ventralen  Seite  der  Weichtheile  ein  anderes  (sg);  die 
Seitengefässe  repräsentirendes ,  aber  einfaches  Gefass.  In  der 
Mitte  der  Weichtheile  befindet  sich  eine  Zellgewebslttcke  (bl)  (ein 
drittes  Gefäss),  welche  mit  jedem  der  beiden  andern  durch  Ana- 
stomosen in  Verbindung  steht  und  in  seinem  Innern  ein  Rohr  (sr) 
enthält,  welches  dem  in  Fig.  1  u.  4  dargestellten  genau  gleicht. 

Den  Durchschnitt  durch  eine  fruchttragende  männliche  Pinnula 
zeigt  Fig.  6.  Man  sieht  die  beiden  Gefässe  wie  vorher;  das 
Rohr  bei  sr,  Fig.  4  ist  aber  weit  ausgedehnt,  hat  das  Binde- 
gewebe der  Pinnula  weit  auseinander  gedrängt  und  enthält  die 
Geschlechtsproducte.  Der  dasselbe  umgebende  Raum  entspricht 
der  Bindegewebsltlcke  bei  bl,  Fig.  4  u.  5  —  derselbe  ist  mit  der 
Flüssigkeit  erfüllt,  welche  die  Gefässe  führen,  deren  Oeffnungen 
wenn  auch  nicht  direct  zu  sehen,  so  doch  durch  Injection  leicht 
nachzuwetisen  sind. 

Die  sogenannten  Eelchpinnen  enthalten  die  beiden  Gefässe, 
aber  keine  Spur  von  Bindegewebslücke  und  Rohr.  An  der  Stelle 
der  Ambulacralrinne  ist  ihr  Innenrand  leicht  abgerundet. 

Die  Verbindung  der  Gefässe  der  Pinnulae  mit  den  ent- 
sprechenden des  Strahls  lässt  sich  direct  darlegen,  wenn  man  an 
gut  ii^jicirten  Exemplaren  Schrägschnitte  durch  den  Strahl  in  der 
Richtung  der  abgehenden  Pinnulae  macht  Ein  solcher  Schuitt 
ist  Fig.  7  dargestellt,  die  Pinnula  ist  in  der  Längsrichtung  ge- 
trofien.  Man  sieht  die  Anastomon  des  Muskelgefässes  des  Strahls 
mit  dem  entsprechenden  der  Pinnula,  ebenso  die  des  Seiten- 
gefässes  mit  dem  vorderen  Gefäss  der  Pinnula,  und  endlich  er- 
streckt sich  von  der  Bindegewebslücke  eine  Communication  zur 
Basis  der  Pinnula,  in  welcher  eine  Abzweigung  der  „Röhre''  eben- 
dahin verläuft.  Die  abgebildete  Pinnula  gehört  einem  männlichen 
Thiere  und  ist  mit  Sperma  gefüllt;  man  sieht  die  Abzweigung  der 
Röhre  an  die  Httllmembran  des  Hodens  herantreten  nur,  durch 
eine  leichte  Einschürung  von  ihr  getrennt 

Ich  halte  also  die  betreffende  „Röhre''  des  Strahls  mit  Semper 
für  ein  Zubehör  der  Sexualorgane,  aber  auf  etwas  verschiedene 
Weise.  Semper  weist  den  Zusammenhaag  derselben  mit  den 
Pinnulis  nicht  nach,  meint  aber,  dass  von  den  in  den  Pinnulis 
enthaltenen  Ovarien  zur  Zeit  der  Geschlechtsreife  Verlängerungen 


250  Reiahold  TeuBcher, 

aasgehen;  welche  sich  in  [die  Weichtheile  des  Strahles  hinein- 
erstrecken^  ^^ehe  sie  sich  mit  einander  darch  den  in  der  Mittellinie 
verlanfenden  Strang  vereinigend^  Dass  in  dem  noch  unvollkommen 
entwickelten  Strahl  die  Röhre  mit  ihren  Abzweigungen  schon  aus- 
gebildet ist,  ehe  nur  die  Pinnulae  fertig  entwickelt  sind,  ist  .oben 
schon  erwähnt.  Ausserdem  finden  wir  aber  bei  allen  Echinodermen- 
ordnungen  ausser  den  Grinoiden  die  Eierstöcke  in  der  Leibeshöhie 
liegend  und  dflrfen  wohl  glauben,  dass  dort  ihre  primitive  Stätte 
sei.  So  muss  es  auch  wohl  bei  den  armlosen  Gystideen  gewesen 
sein,  denen  man  sogar  eine  am  Kelch  liegende  Geschlechtsöffhung 
zuschreibt  Wäre  es  nun  nicht  natürlich  anzunehmen,  dass  die 
Sexualorgane  sich  in  die  anfangs  rudimentären  Strahlen  und  der^n 
Pinnulae  hineinerstreckten,  und  mit  den  allmählich  wachsenden 
Strahlen  sich  vom  Kelch  entfernten?  Die  Bindegewebsltlcke  würde 
also  die  Ausstülpung  der  Sexualhöhle  darstellen,  und  die  fragliche 
Röhre  würde  nichts  sein,  als  ein  rudimentäres  Organ,  sie  würde 
den  Weg  bezeichnen,  den  die  Sexualorgane  bei  ihrer  Dislocation 
genommen  haben.  Gegen  Semper  spricht  auch  die  Thatsache, 
dass  die  „Röhre''  sich  auch  in  den  sterilen  Pinnulis  vorfindet,  und 
dass  sie  nach  der  Spitze  des  Strahles  zu  weit  über  die  frucht- 
tragenden hinausgebt ;  ob  sie  bis  zur  äussersten  Spitze  reicht, 
konnte  ich  nicht  entscheiden.  Nach  dem  Kelch  zu  verfolgt  man 
sie  leicht  bis  zu  der  Stelle,  wo  Muskel-  und  Seitengefässe  aus- 
einanderweichen. Dort  endigt  sie,  soweit  ich  ermitteln  konnte, 
stumpf  und  zwar  ist  das  äusserste  Ende  nicht  hohl,  sondern  solid. 
Nach  der  Basis  des  Strahls  hin  nimmt  ihre  Dicke  zu ;  ob  ihr  Ende 
die  Leibeshöhle  erreicht,  blieb  zweifelhaft.  Auf  keinen  Fall  setzen 
sich  diese  Röhren  unter  der  Kelchdecke  nach  dem  Munde  hin  fort, 
am  wenigsten  bilden  sie  einen  Ring  um  letzteren,  wie  J.  Müller 
annahm. 

Die  in  den  Pinnulis  liegenden  Geschlechtsorgane  sind  bei 
beiden  Geschlechtem  gleichmässig  gebaut.  An  der  Basis  hängen 
sie  mit  dem  Ausläufer  des  Sexuahrohres  des  Strahles  zusammen; 
auch  mit  der  Spitze  haften  sie  an  der  Pinnula  fest,  wie  man  sich 
überzeugen  kann,  wenn  man  durch  einen  scharfen  Schnitt  die 
Pinnula  der  Länge  nach  theilt  und  aus  den  Hälften  die  Ovarien 
unter  dem  Simplex  herauslöst.  Im  Uebrigen  liegen  sie  ganz  frei 
und  werden  rings  von  dem  Inhalt  der  beiden  anliegenden  Gefässe 
umströmt.  Das  Epithelium,  welches  die  Hülle  der  Hoden  inner- 
lich auskleidet,  ist  sehr  fein,  die  einzelnen  Zellen  messen  nicht 
über  0,001  M.,  während  die  kleinsten  des  Ovarialsacks  0,0045 


Beiträge  jmi  Anatomie  der  Echinodermen.  251 

erreichen.  In  den  letztern  liegen  die  Eier,  nicht  sehr  gedrängt, 
in  allen  Reifeznständen.  Die  ältesten  haben  bis  0,22  M.  Durchmesser^ 
der  runde  oder  etwas  ovale  Nucleus  .0,072  M.,  der  scharf  kreisförmige 
Nucleolns  0,009  M.  Der  letztere  enthält  wieder  eine  grosse  Zahl 
ungleich  grosser,  stark  lichtbrechender,'  gelblicher,  kugliger 
Körper,  mit  Oeltröpfchen  vergleichbar.  Aeusserlich  wird  jedes  Ei 
umhüllt  von  der  anscheinend  structurlosen  Eihaut  und  ausserdem 
von  einer  Dnplicatur  des  allen  gemeinschaftlichen  Ovarialsacks, 
mit  seinem  Epithelium.  Nun  iSndet  man  aber  bekanntlich  auch 
Eier,  schon  in  der  Furohung  begriffen,  äusserlich  den  Pinnulis 
anhängend.  Sie  sitzen  den  Seitenwänden  derselben  auf,  oft  dicht 
neben,  aber  nicht  aber  einander,  jedes  in  einer  eignen  Vertiefung 
der  Wand;  die  Eihaut  ist  in  unmittelbarer  Bertthrung  mit  der 
Hautschicht  der  Pinnula  und  adhaerirt  ihr  so  fest,  dass  sie  selbst 
beim  Durchschneiden  nicht  losgerissen  werden. 

Einige  Autoren  haben  den  Austritt  der  reifen  Geschlechts* 
producte  durch  Dehiscenz  der  Piunulae  erklärt,  andere  haben 
permanente  Poren  gesehen.  Bei  Gomatula  mediterranea  finden 
sich  beide  Vorgänge,  der  erstere  bei  den  weiblichen,  der  zweite 
bei  den  männlichen  Thieren.  An  Querschnitten  durch  Pinnulae 
mit  äusserlich  anhaftenden  Eiern  findet  man  nicht  selten  Stellen, 
wie  Fig.  8,  at.  Die  dem  anhängenden  Ei  entsprechende  Stelle  der 
Pinnulawand  (Pw)  ist  von  innen  aus  beträchtlich  verdünnt,  der 
Ovarialsack  (os)  in  die  verdünnte  Stelle  hinein  gezogen  und 
adhaerurt  daselbst.  Hier  ist  der  Durchtritt  erfolgt;  die  Wand 
wurde  dem  Ei  gegenüber  resorbirt,  der  Ovarialsack  hineingestülpt 
und  dann  durchbrochen;  die  geöffnete  Stelle  schloss  sich  wieder. 
An  den  reifen  männlichen  Pinnulis,  und  zwar  nur  auf  ihrer  der 
Spitze  des  Strahles  zugewendeten  Seite,  sieht  man  drei  oder  vier, 
selten  fünf  dunkler  pigmentirte,  in  der  Mitte  aber  hellere  Stellen, 
welche  sich  im  Profil  als  Erhöhungen  darstellen  und  schon  mit 
einer  guten  Lupe  wahrzunehmen  sind.  (Fig.  9)  Schält  man  die 
betreffende  Seitenwand  ab,  so  überzeugt  man  sich  leicht  unter  dem 
Simplex  durch  Auseinanderziehen  mit  Nadeln,  dass  man  wirkliche 
Poren  vor  sich  hat. 

Kehren  wir  jetzt  zu  unserem  ersten  Strahlenquerschnitt 
zurück.  An  dem  untern,  d.  h.  der  Ambulacralfurche  zugewendeten 
Ende  der  Scheidewand,  welche  die  beiden  Seitengefässe  trennt, 
und  meist  noch  etwas  in  dieselbe  hineinragend,  sieht  man  eine 
halbmondförmige  Gefässöffnung,  welche,  je  nachdem  man  einen 
Tentakel  getroffen  hat,  oder  nicht,  entweder  den  zu  demselben 


252  Reinhold  Teoscher, 

führenden  Canal,  oder  einen  kurzen,  randlich  blind  endigenden 
Zweig  abgiebt  Dieses  Ambolacralgefäss  (ag;  Fig.  1,  4,  7)  ist, 
wie  alle  bis  jetzt  beschriebenen  Gefässe,  mit  einem  feinen  aber 
sehr  dentlichen  Epitheliam  ausgekleidet.  Die  nach  den  Tentakeln 
abgehenden  Zweige  werden  nahe  an  ihrer  Abgangsstelle  von 
mehr  oder  weniger  zahlreichen,  feinen  Bindegewebsfäden  durch- 
setzt, welche  die  äusseren  Theile  der  Ambulacralrinne  an  die 
Hauptbindegewebsmasse  des  Strahles  befestigen.  Dies  Gefäss  ist 
in  Semperas  Abbildung  mit  et  bezeichnet,  doch  finde  ich  keine 
Erklärung  der  Buchstaben.  Es  durchzieht  den  ganzen  Strahl 
nebst  Pinnulis  und  begleitet  die  Ambulacralrinne  unter  der  Eelch- 
decke  hin  bis  zum  Mundrande,  wo  sich  die  fünf  Ambulacralgefässe 
unter  einander  verbinden  und  einen  Ring  bilden. 

Edm.  Perrier  (Arch.  de  Zool.  cxp.  1872,  II)  hat  den  Strahl 
der  Comatula  am  lebenden  Thiere,  vorzüglich  an  Neubildungen, 
studirt  und  von  Allem,  was  man  von  aussen  sehen  kann,  eine 
vortreffliche  Beschreibung  geliefert.  Er  hat  gefunden,  dass  immer 
je  drei  Tentakel  aus  einem  gemeinschaftlichen  Stamme  entspringen, 
welche  von  ungleicher  Grösse  sind,  und  zwar  ist  der  nach  der 
Spitze  des  Strahls  zu  gelegene  der  längste.  Dies  lässt  sich  auch 
an  Spiritusexemplaren  gut  beobachten,  wenn  man  die  Endpinnulae 
eines  wenig  pigmentirten  Tliieres,  mit  Carmin  gefärbt,  in  Glycerin 
untersucht.  Aber  in  einem  andern  Punkte  muss  ich  von  ihm  ab- 
weichen. Auf  jeder  Seite  der  Ambulacralrinne,  nach  aussen  von 
den  Tentakeln  und  sie  in  ihrer  ganzen  Länge,  von  der  Spitze  des 
Strahles  bis  zum  Munde  begrenzend,  läuft  nämlich  eine  binde- 
gewebige Leiste,  deren  freier  Band  regelmässig  zackig  ein- 
geschnitten ist:  ich  nenne  sie  die  gezackte  Leiste,  (zl,  Fig,  1.) 
In  der  Mitte  zwischen  je  zwei  Zacken  liegt  jedesmal  eines  der 
bekannten  gelben  Körner,  deren  Bedeutung  noch  immer  räthsel- 
haft  bleibt;  neben  jedem  Pigmentkom  und  in  die  Zacke  hinein- 
ragend jederseits  ein  Ealkstäbchen  von  meist  gablicher  Gestalt 
Der  Mitte  jeder  Zacke  gegenüber  liegt  ein  Seitenzweig  des  Am- 
bulacralgefasses  und  der  aus  ihm  hervorgehende  Tentakelstamm. 
Nun  sagt  Perrier,  dass  der  Tentakelstamm  der  Zacke  nur  lose 
angeheftet  sei ;  auf  Durchschnitten  sieht  man  aber ,  dass  diese 
beiden  zusammen  ein  Ganzes  ausmachen  und  dass  die  Tentakeln 
erst  an  der  Spitze  der  Zacke  frei  werden.  Am  Tentakel  selbst 
unterscheidet  Perrier  drei  Schichten:  die  äussere  Hülle,  eine 
hyaline  und  eine  Längsfaserschicht.    (ng,  Fig.  1,  4,  7.)    Er  hat 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  253 

aber  das  innere  Epithel  übersehen,  das  man  freilich  von  Aussen 
nicht  wahrnimmt. 

Noch  eine  letzte  und  von  allen  die  kleinste  OefMssöffnnng 
finden  wir  nach  Aussen  vom  Ambulacralgefäss ,  der  Mitte  des- 
selben nahe  liegend.  Der  Gestalt  nach  bildet  sie  ein  sehr  lang- 
gestrecktes Oval;  und  von  Zeit  zu  Zeit  sieht  man  von  beiden 
Seiten  aus,  aber  altemirend,  ebenso  wie  die  Zweige  dos  Ambula- 
cralgefiteses,  sich  sehr  enge  spaltenartige  Aeste  (s,  Fig.  4)  in  der 
Richtung  nach  den  Tentakeln  hin  erstrecken,  die  sich  aber  nicht 
weit  verfolgen  lassen.  In  diesem  Gefäss,  im  Gegensatz  zu  allen 
andern,  habe  ich  nie  ein  Epithelium  auffinden  können.  Es  lässt  sich 
leicht  bis  zur  Spitze  des  Strahles  nachweisen,  scheint  sogar  dort 
an  Capacität  zuzunehmen ;  dagegen  sieht  man  es  unter  der  Kelch- 
decke nur  unter  günstigen  Umständen,  dann  aber  ganz  deutlich. 
Ob  auch  die  fUnf  Gefässe  dieser  Art  sich  zu  einem  Mundring  ver- 
einigen, habe  ich  nicht  feststellen  können;  auch  in  den  Pinnulis 
erscheint  dieses  Gefäss,  es  ist  aber  sehr  zart  und  nicht  leicht  zu 
«eben'.  Ferner  sah,  die  Ambulacralrinne  en  face  betrachtend,  in 
deren  Mitte  einen  längsgefaserten  Strang  verlaufen,  dessen  Natur 
er  fUr  musculös  hält,  und  der  sich  wohl  nur  auf  unser  Gefäss  beziehen 
kann ;  in  Semperas  Fig.  1.  c  findet  sich  mit  x  ein  Strang  bezeichnet, 
welcher  seiner  Lage  nach  mit  demselben  identisch  sein  dürfte. 
Semper  hält  es  für  möglich;  dass  er  der  Strahlennerv  sein  könne. 
Die  beiden  zuletzt  beschriebenen  Gefässe  zu  injiciren  ist  mir  nicht 
gelungen.  Bei  Betrachtung  der  bekannten  J.  MüUer'schen  Figur 
vermisst  man  das  Muskelgefäss  (das  er  aber  bei  Pentacrinus 
zeichnet),  das  Ambulacralgefäss  und  das  mit  ng  bezeichnete 
Gefass ;  die  beiden  Seitengefässe,  die  er  als  ein  einziges  zeichnet, 
obgleich  er  angiebt,  bisweilen  eine  Scheidewand  darin  gesehen  zu 
haben,  nennt  er  Ambulacralgefäss. 

Wir  kommen  jetzt  bei  der  äussersten  Gewebsschicht,  welche 
die  ganze  Ambulacralrinne  durchzieht  (Fig.  1  u.  4),  an.  Dieselbe 
besteht  aus  zwei  Lagen,  einer  innem,  helleren  und  einer  äusseren, 
nndurchsichtigern ,  die  sich  im  Garmin  viel  stärker  färbt;  beide 
von  ungefähr  gleicher  Mächtigkeit  Die  innere  Schicht  zeigt  auf 
dem  Querschnitt  eine  kömige,  durchscheinende  Grundsubstanz, 
und  wird  nach  Innen  von  den  Wänden  des  zuletzt  beschriebenen 
Gefässes  begrenzt;  seitlich  stösst  sie  an  die  Bindesubstanz  des 
Strahles  ohne  deutliche  Abgrenzung.  Sie  wird  von  zahlreichen 
scharf  gezeichneten  Fasern  durchzogen,  welche  alle  sie  in  mehr 
oder  weniger  paralleler  Richtung  von  Innen  nach  Aussen  durch- 


254  Eeinhold  Teuscher, 

laufen;  sich  nach  der  äusseren  Schicht  zu  vielfach  gabein  und 
dann  in  die  letztere  eintreten.  Zwischen  diesen  Fasern  liegen 
vereinzelte  Zellen  von  0,0025  M.  Durchmesser  im  Mittel  und 
Pigmenthäufchen.  Betrachtet  man  dieselbe  Schiebt  von  der 
Seite  an  einer  durchsichtigen  in  Glycerin  liegenden  Pinnula^  so 
bemerkt  man  an  ihr  eine  scharfe  Begrenzung  nach  Innen  und 
femer  eine  deutliche  Längsfaserung.  Ebenso  auf  Durchschnitten, 
welche  man  vom  Mund  aus  radial  durch  eines  der  über  die 
Eelchdecke  laufenden  Ambulacren  legt.  Zwischen  dem  fasrigen 
Längsstrange  und  der  Zellenschicht  sieht  man  hier  noch  eine 
Lage  grösserer^  blasser,  mehr  runder  Zeilen;  und  unter  demselben; 
an  den  Wurzeln  der  QuerfaserU;  eine  schmale  hyaline  Bindegewebs- 
schicht;  in  der  auch  einzelne  Zellen  liegen.  Für  eine  genaue  Ab- 
bildung eines  solchen  Längsschnittes  verweise  ich  auf  die  spätere 
Darstellung  der  Ambulacralrinne  der  Ästenden.  In  der  äusseren, 
undurchsichtigen  Schicht  erkennt  man  die  Fortsetzung  der  durch 
Gabelung  sehr  zahlreich  gewordenen  Fasern  der  inneru;  welche  auf 
die  sie  bedeckende  Guticula  zulaufen.  Alle  ihre  Zwischenräume  sind 
so  dicht  mit  ovalen  Zellen  von  0,003  M.  Breite  auf  0,006  M.  Länge 
angefüllt;  dass  man  nur  an  sehr  dünnen  Schnitten  eine  deutliche 
Einsicht  in  die  Verhältnisse  gewinnt.  An  schräg  abfallenden 
Rändern  von  solchen  findet  man  auch  bisweilen  Stellen,  wo 
einzelne  Zellen  frei  aus  der  Masse  hervorragen,  nur  an  eine  Faser 
wie  an  einen  Stiel  befestigt ;  offenbar  stehen  beide  mit  einander 
in  fester  Verbindung.  Der  äusserste  schmale  Saum  dieser  Schicht 
nach  der  Ambulacralrinne  zu  ist  etwas  durchsichtiger  und  ärmer 
an  Zeilen;  als  der  Rest;  zuletzt  folgt  die  sehr  dünne  und  zarte, 
aber  sehr  deutliche  Guticula.  Auch  die  Zellen  ihrer  Matrix  sind 
sehr  klein  und  schwer  messbar,  aber  gut  sichtbar.  Von  den  der 
Guticula  äusserlich  aufsitzenden  und  sie  ohne  Zweifel  durch- 
bohrenden Fiimmerhaaren  sieht  man  deutliche  Reste.  Diese  beiden 
Gewebsschichten  erfüllen  die  Ambulacralrinne  in  ihrer  ganzea 
Breite  und  steigen  beiderseits  bis  zur  Höhe  der  sie  einfassenden 
Zackenleiste  empor,  mit  einigen  Einkerbungen  in  der  Biegung. 
Die  tiefere  Schicht  ist  in  der  Mitte  am  dicksten  und  an  den  um- 
gebogenen Stellen  nur  hier  und  da  noch  erkennbar.  Durch  die 
ganze  Ausdehnung  der  Ambulacralrinne  ist  das  Verhalten  ganz 
das  nämliche;  von  der  Spitze  des  Strahls  und  jeder  Pinnula  an 
erstreckt  sich  das  beschriebene  Gewebe  den  Strahl  entlang,  über 
die  Kelchdecke  hinweg  bis  zum  Mundrande,  wo  es  mit  dem  des 
benachbarten  Strahls  zusammenläuft,  und   continuirlich  in  das 


fieiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  255 

Gewebe  der  oberen  Schicht  der  Mund-,  Magen-  und  Darmhant 
übergeht,  welchem  es  überraschend  ähnlich  ist.  Die  constituirenden 
Elemente  sind  bei  beiden  dieselben;  der  Unterschied  liegt  nur  in 
den  Proportionen.  Die  tiefste  Schicht  der  Darmhant  ist  verhältniss- 
mässig  viel  schmäler  (im  Strahl  0^032  M.,  im  Magen  0;018  M. ; 
die  Zellenschicht  im  Strahl  0,045  M.,  im  Magen  0,085  M. 
durchschnittlich).  In  ihr  fehlt  die  Längsfaserschicht,  sie  besteht 
nnr  ans  der  hyalinen  Bindegewebslage  der  Basis  mit  wenigen 
Zellen.  Die  Zellenschicht  ist  wenig  verschieden,  im  Magen 
doppelt  so  breit,  der  helle  Sanm  breiter,  meist  stark  gelb  gefärbt, 
denüicher  begrenzt,  Gaticula  und  Matrix  schärfer  gezeichnet, 
erstere  viel  dicker.  Dazu  ist  die  Darmhant  fast  ganz  in  grössere 
nnd  kleinere  Lappen  getheilt  darch  Einschnitte,  welche  bis  auf 
die  Faserschicht  herabreichen.  Fast  ganz  denselben  Ban  der 
Darmhant  fand  ich  bei  allen  Echinodermen,  von  denen  mir  gut 
erhaltene  Exemplare  zn  Gebote  standen,  bei  Echinothrix  fragilis, 
Astropecten  anrantiacns  nnd  Holotharia  tubalosa,  wie  wir  später 
sehen  werden.  Aber  in  der  Ambnlacralrinne  findet  sich  eine  ähn- 
liche Schicht  nnr  bei  Astropecten  und  andern  Ästenden.  W^ir 
haben  auch  dort  eine  tiefere,  hellere  Schicht  mit  Längsfasern  nnd 
mit  Qnerfasem,  welche  sich  in  die  höhere,  dunklere  Schicht  hinein 
verästeln  nnd  zahlreiche  Zellen  einschliessen ;  endlich  Matrix  und 
Cnticula. 

Da  nun  dieses  Gewebe  der  Ästenden  von  Jedermann  unbe- 
denklich für  den  Ambnlacralnerven  genommen  wird  und  wohl 
auch  genommen  werden  muss,  warum  sollte  die  ihr  der  Lage  und 
Znsammensetzung  nach  durchaus  entsprechende  Schicht  der  Coma- 
tula  mediterranea  nicht  dieselbe  Bedeutung  haben  können  ?  Wegen 
der  histologischen  Aehnlichkeit  unseres  Gewebes  mit  den  Nerven- 
strängen anderer  Echinodermen  und  wegen  des  Beweises  einer 
vollkommenen  Homologie  in  der  Lage  mit  denselben  muss  ich 
mich  auf  den  weitem  Verlauf  gegenwärtiger  Abhandlung  berufen, 
nur  möchte  ich  noch  ein  Wort  über  die  beiden  von  Semper  auf 
die  Wahlliste  gesetzten  Organe,  von  denen  schon  die  Rede  war, 
sagen.  Das  eine  ist  das  kleine  zwischen  der  Ambulacralschicht 
und  dem  AmbulacralgeiUss  gelegene  Gefäss,  dessen  Homologen 
wir  später  anderwärts  antreffen  werden,  und  welches,  als  evidentes 
Gef&ss,  eben  kein  Nerv  sein  kann.  Schwieriger  ist  die  Entschei- 
dung für  den  Centralstrang.  Der  Beschaffenheit  seines  Gewebes 
nach,  soweit  dasselbe  zu  ergründen  war,  könnte  derselbe,  wie 
oben  gezeigt,  dem  Bindegewebs-  oder  dem  Nervensysteme  an« 


256  Eeinhold  Teüscfaer, 

gehören.  Was  könnte  nan  einv  Bindegewebstrang  bedeuten,  der 
sich  dnrch  sämmtliche  Ealkglieder  hindurchzieht,  ohne  zur  Be- 
festigung zu  dienen;  ist  nicht  das  Zusammenlaufen  der  fünf 
Stränge  in  einem  Mittelpunkt,  der  zierlich  zusammengesetzte  Bau 
dieses  Centralorgans,  die  Ringbildung  um  ein  Oefässcentrum  dem 
Verhalten  der  Neryencentra  bei  andern  Echinodermen  durchaus 
ähnlich?  Das  spricht  für  die  Nervennatur  des  Strangs. 

Auf  der  andern  Seite  liegt  es  nahe,  den  Gentralstrang  als 
eine  Fortsetzung  des  Centralstranges  des  Stieles  der  Crinoiden  zu 
betrachten.  Von  der  Stielbefestigung  ist  ja  doch  auch  der  ganze 
Bau  des  Skelets  der  Crinoiden  herzuleiten,  welches  bei  ihnen 
vom  Bücken  ausgeht,  wohl  nur  ein  Hautskelet  ist,  und  dem  zum 
Mund  laufenden  Skelet  anderer  Echinodermen  nicht  homolog  sein 
dürfte.    Auch  J.  Müller  spricht  diese  Ansicht  aus. 

Auf  der  andern  Seite  würde  aber  die  Annahme,  der  Gentral- 
strang stelle  den  Nerven  dar,  eine  solche  Abweichung  von  allem 
sonst  in  der  Familie  Vorkommenden  voraussetzen,  dass  die  durch 
die  allgemeinen  Charaktere  gegebene  Verwandtschaft  der  Cri- 
noiden zu  den  übrigen  Echinodermen  durch  diese  eine  Thatsache 
schon  bedeutend  gelockert  würde.  Bei  allen  übrigen  Klassen 
liegt  der  Ambulacralnerv  unmittelbar  in  der  Ambulacralrinne, 
ventral  von  dem  AmbulacralgefUss,  und  von  der  Anssenwelt  nur 
durch  Organe  getrennt,  welche  zum  Hautsystem  gehören:  so  bei 
den  Ophiuren  durch  die  Bauchplatten,  bei  den  Holothurien  durch 
das  dicke  Corium,  bei  den  Echinen  durch  die  Ealkachale,  bei 
den  Asteriden  endlich  nur  durch  die  Oberhaut.  Sollte  er  bei  den 
Crinoiden  allein  auf  der  Dorsalseite,  von  der  Ambulacralfnrche 
durch  alle  Gefässe  getrennt,  liegen?  Freilich  giebt  es  bei  den 
Crinoiden  noch  Anderes,  was  sich  für  jetzt  der  Homologisirung 
mit  entsprechenden  Theilen  bei  ihren  Verwandten  entzieht;  so  vor- 
züglich die  oben  beschriebenen  Gefässe,  das  Muskel-  und  das 
doppelte  Seitengefäss,  und  deren  Vereinigung  zu  einem  so  künst- 
lich gebauten  Centralorgan.  Ich  behalte  mir  vor,  später  auf  diesen 
Punkt  zurückzukommen. 

Ich  wende  mich  jetzt  zum  Kelch  der  Comatnla.  Trotz  aller 
Mühe  ist  es  mir  nicht  gelungen,  an  vollkommen  gut  erhaltenen 
Exemplaren,  mit  Ausnahme  der  Ambulacralrinne,  als  äusserste 
Schicht  der  Bedeckungen  weder  am  Kelch  noch  an  den  Strahlen 
eine  Cnticula  aufzufinden.  Die  Hautschicht  besteht  überall  ans 
einer  durchscheinenden  Bindegewebsmasse,  von  zahlreichen  Fasern 
in  allen  Bichtungen  durchkreuzt  und  Zellen  in  grösserer  oder 


beitrage  zur  Anatomie  der  Ecbinodermen.  257 

geriDgerer  Zahl  enthaltend^  welche  nach  der  Oberfläche  zu  zahl- 
reicher, in  deren  unmittelbarer  Nähe  aber  wieder  seltener  werden ; 
ihr  Durchmesser  erreicht  bis  0^007  M.  Pigmentkömer  in  Haufen 
sind  dazwischen  in  grösserer  oder  geringerer  Menge  zerstreut.  Das 
Profil  der  Oberfläche  erscheint  in  Schnitt  nicht  geradlinig,  sondern 
leicht  unregelmässig  gezackt.  Die  Dicke  der  Hautschicht  beträgt 
an  der  Eelchdecke,  wo  sie  am  stärksten  ist,  bis  0,14  M.,  unmittelbar 
unter  ihr  beginnt  das  badeschwammähnliche  Gewebe,  welches, 
ans  den  zahllosen  Anastomosen  der  Oefässe  gebildet,  den  ganzen 
Darm  einhtUIt  Auf  der  Oberfläche  der  Kelchdecke  sieht  man 
unter  günstigen  Verhältnissen  und  besonders  nach  Carminfärbung 
schon  mit  einer  guten  Lupe  zahlreiche  erhabene  Punkte,  unregel- 
mässig  vertheilt,  aber  meist  in  der  Nähe  der  Ambulacralfurchen 
häufiger.  Ihre  Zahl  ist  nicht  bei  allen  Exemplaren  gleich,  beträgt 
aber  gewöhnlich  mehrere  Hunderte,  und  sie  stehen  stellenweise 
so  gedrängt,  dass .  sie  kaum  um  die  Länge  ihres  eignen  Durch- 
messers von  einander  entfernt  sind.  Auch  an  den  Seiten  des 
Kelchs  kommen  einzelne  davon  vor.  Perrier  1.  c.  hat  diese  Punkte 
gesehen  und  vermuthet  in  ihnen  irgend  ein  Sinnesorgan«  Anf 
dem  Darchscbnitt  bei  massiger  Vergrösserung  erscheinen  dieselben 
als  langgezogene.  Trichter  (kp,  Fig.  10),  die  erweiterte  Mttndung 
von  0,03—0,05  M.  nach  Aussen  gewendet  und  offen;  die  Röhre 
durchsetzt  die  ganze  Kelchdecke  und  die  Spitze  mündet  in  eine 
der  darunter  liegenden  Anastomosen  der  SeitengeflUise  (Fig.  10,  sga). 
Sie  vermitteln  also  offenbar  die  Communication  des  Gefässinhalts 
mit  dem  Meerwasser,  und  es  liegt  nahe,  in  ihnen  die  Homologa 
der  bei  den  Gystideen  so  allgemein  verbreiteten  Kelchporen  zu 
sehen.  Ihre  Wände  sind  mit  einem  schönen  Cylinderepithelium 
bekleidet,  dessen  Zellen  an  der  Mttndung  bis  zu  0,009  M.  Höhe, 
bei  0,0033  M.  Breite  haben.  Ihrem  Bau  und  ganzen  Ansehen 
nach  gleichen  sie  durchaus  den  Poren,  welche  an  den  Steinsäcken 
der  Holothuria  tubulosa  die  Verbindung  zwischen  dem  Wasser- 
gefässsystem  und  der  Leibeshöhle  vermitteln,  und  obgleich  sie  bei 
Comatula  nicht  mit  den  Ambulacralgefässen ,  sondern  mit  den 
Anastomosen  der  Seitengefässe  communiciren,  wird  man  sie  doch 
den  sonst  vorkommenden  Ausmtlndnngen  jenes  Systems  an  die 
Seite  stellen  mtLssen.  ^Ueberdies  stehen  sie  wenigstens  mittelbar 
auch  mit  den  Ambulacralgefässen  in  Verbindung.  Auf  Radial- 
schnitten durch  den  Mundrand  erscheinen  nämlich  sehr  häufig  zu 
Bündeln  vereinigte  Röhren  (er,  Fig.  10),  mit  demselben  Cylinder- 
epithelium ausgekleidet,  wie  die  Trichter,  welche  mit  dem  einen 


258  Reinhold  Teuschei', 

etwas  verjflQgten  Ende  sich  an  das  Ambulacralgefäss  ansetzen, 
mit  dem  andern  frei  in  den  Hoblräumen  der  Anastomosen  der 
Seitengefasse  fluctniren.  Ich  kann  in  dieser  Anordnung  nur  eine 
Commanication  beider  Gefösse  sehen^  obgleich  Iiyectionen,  welche 
oft  dnrch  die  Eelchporen  in's  Freie  gelangten ,  nie  durch  jene 
Röhren  in's  Ambulacralgefäss  eindrangen,  was  ihr  Mechanismas 
übrigens  hinreichend  erklärt.  Ueberhaupt  habe  ich  keine  Methode 
auffinden  können,  um  letzteres  oder  das  nach  Aussen  von  ihm 
liegende  kleine  Gefass  zu  injiciren* 

Die  Tentakeln  sind  selbst  an  der  Spitze  des  Strahles  immer 
kürzer,  als  an  den  Pinnulis ;  an  dem  untern  Theile  jedes  Strahles 
und  auf  der  Scheibe  fehlen  sie  ganz.  Dafür  sind  aber  die  Zacken 
der  Leiste  stärker  entwickelt,  um  den  Mundrand  werden  dieselben 
am  längsten,  bis  0,3  Mm.,  nehmen  eine  fingerförmige  Gestalt  an 
und  enthalten  in  ihrem  Innern  die  Abzweigung  des  Ambulacral- 
kankls  (s,  kt,  Fig.  10). 

Ueberall,  wo  sie  auftritt,  enthält  die  Zackenleiste  in  Höhlungen 
ihres  Innern  und  in  der  gleichbleibenden  Entfernung  von  0,14  bis 
0,16  Mm.  die  schon  erwähnten  gelben  Pigmentkugeln;  nur  auf 
der  Scheibe  liegen  sie  gewöhnlich  dichter,  ja  drängen  sich  aus 
der  Reihe.  Zwischen  je  zwei  Zacken  liegt  eine  von  ihnen.  Ihre 
Grösse  ist  fast  überall  dieselbe,  0,05— 0,ö  Mm.,  je  nach  der  Grösse 
des  Thieres,  doch  scheinen  sie  gegen  die  Spitzen  der  Pinnnlae 
hin  etwas  kleiner  zu  werden.  Sie  sind  bräunlichgelb,  stark  licht- 
brechend, harzähnlichen  Ansehens.  Jede  von  ihnen  besteht  aus 
zahlreichen  kleinern  rundlichen  Körnern  von  etwa  0,013  Mm.,  nnd 
jedes  von  diesen  wieder  aus  mehreren  noch  kleinem,  von  nahezu 
0,0045  Mm.  Durchmesser. 

Die  Pigmentkugeln  treten  sehr  früh  auf.  An  ergänzten  noch 
unvollkommenen  Stücken  eines  abgebrochenen  Strahls  erscheinen 
die  Pinnulae  zuerst  als  Wärzchen,  dann  als  Cylinder  mit  um- 
gebogner,  knopfförmiger  Spitze.  Ihr  Gewebe  ist  hyalin  mit  zahl- 
reichen eingelagerten  Zellen.  In  ihrem  Innern  sieht  man  ausser 
den  Ealktheilen  nur  einen  Kanal,  wohl  das  Ambulargefäss. 
Daran  erscheinen  in  zwei  Reihen  die  Zacken  der  Zackenleiste, 
erst  später  die  Tentakeln  als  Wärzchen,  dicht  nach  jenen  an  diesen. 
Noch  ehe  eine  Spur  jener  Zacken  sichtbar  wird,  sieht  man  die 
Zellen  des  hyalinen  Bindegewebes  sich  zu  rundlichen  Gruppen 
zusammen  drängen,  bald  darauf  erscheinen  sie  von  einer  eignen 
Membran  umgeben,  noch  als  farblose,  den  übrigen  gleiche  2iellen, 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Eöhiaodermeo.  259 

und  gleich  darauf  zeigen  sie  die  gelbe  Farbe.    Die  GrOsse  ist  von 
Anfang  an  bedentend^  0,03  M. 

In  der  Oberfläche  der  Eelchdecke  liegen  hier  und  da  Ealk- 
plättchen;  meist  zierlich  durchbrochen;   die  gabelförmigen  Kalk- 
nadeln  der  Zackenleiste  werden  auf  dem  Kelch  durch  grössere, 
vielgestaltige  Kalkconcremente  vertreten.    Die  Seiten  des  Kelches, 
zwischen  den  Strahlen,  gleichen  histologisch  ganz  der  Kelchdecke, 
ihre  Dicke  ist  geringer,  im  Mittel  0,09  M.    Sie  enthalten  einige 
spindelförmige  Kalkspiculae,  die  oft  über  die  Oberfläche  hervor- 
ragen.   Die   innerste  Schicht  der  Wand  des  Kelches  bildet  die 
äussere  Wand  der  Leibeshöhle;  das  innere  Blatt  derselben  liegt 
dem  äusseren   dicht   an  und  wird  durch  sehr  zahlreiche  Binde- 
gewebsfäden  an  dasselbe  befestigt.    Nur  am  obersten  Theile,  rings 
um  die  Grenze  der  Kelchdecke,  da  wo  die  Strahlen  frei  werden, 
entfernen  sich  die  beiden  Blätter  von  einander  und  bilden  eine 
ringförmige  Höhle  (Ih,  Fig.  11).    Nach  jedem  Strahl  zu  geht  ein 
kurzer   Blindsack  ab  (Ihd,  Fig.  11),  von  ihr   durch   eine  zarte 
Membran  geschieden,  die  von  einem  oder  mehreren  Löchern  durch- 
bohrt ist,  der  sich  bis  zur  Theilungsstelle  der  Gefässe  erstreckt, 
so  dass,  wenn  man  an  einem  grösseren  Exemplar  einto  Strahl 
dicht  am  Kelche  abtrennt,  man  in   die  Leibeshöhle   hineinsieht. 
Diese  Leibeshöhle  ist  ringsum  geschlossen  und  communicirt  mit 
keinem  Gefäss,  wie  schon  erwähnt  wurde ;  ihr  Gentrum  adhaerirt 
stark  am  Kelchknopfe  und  dort  werden  ihre  beiden  Blätter  von 
den  Geissen  durchbohrt,  welche,  aus  dem  Gefässcentrum  auf- 
steigend,  in   das  schwammige,   den  Darm   einhüllende  Gewebe 
übergehen.    Das  Innere  der  Leibeshöhle  ist  mit  einem  Platten- 
epithel von  0,004 — 5  M.  Zellendurchmesser   ausgekleidet.     Der 
Bau  des  Darms  von  Gomatula  ist  nicht  so  einfach,  als  die  flbrigens 
treffliche  Darstellung  J.  MüUer's  vermuthen  läsät ;  er  giebt  zahl- 
reiche verästelte  Blinddärme  ab,  deren  Bildung,  da  sie  sehr  zart 
sind  und   in  dem  zähen  spongiösen  Gewebe   eingebettet  liegen, 
durch  Pr^paration  kaum  klar  zu  legen  sein  dürfte.    Wenn  man 
aber   den  Darm  durch  den  After  mit   flüssigem   Blau  iiyicirt, 
dann    entkalkt,    die  Afterseite   behufs  späterer  Orientirung  mit 
einem  kräftigen  Karminstrich  zeichnet,  und  zuletzt  in  Paraffin 
einbettet,  so  lässt   sich  nach  dünnen,  numerirten  Vertical-  und 
Horizontalschnitten  die  Lage  der  Theile  construiren.    Der  Darm 
bildet  bekanntlich  eine  Spiralwindung.    Denkt  man  sich  in  der 
Axe  des  Magens  stehend  mit  dem  After  vor  sich,   so  geht  von 
der  tiefsten  Stelle  des  länglich  ovalen,  senkrecht  hinabsteigenden 
ua.  X,  N.  p.  III,  a.  17 


260  Reinhold  Teascher, 

Magens  der  Darm  nach  rechts  hin,  bis  er  die  obere  Seitenwaiid 
des  Kelchs  trifft;  und  läuft  nun  in  derselben  Richtung  rings  um 
den  Kelch  herum  bis  dicht  an  die  Anfangsstelle  zurück,  wo  er  in 
den  After  ausmündet.  Hier  und  da,  aber  selten,  bildet  er  kleine 
Ausstülpungen  nach  dem  Gentrum  zu,  welche  faltenartig  in  das 
spongiöse  Gewebe  hineinragen,  aber  die  eigentlichen  Blinddärme 
gehen  nahe  bei  seinem  Ursprung  aus  dem  Magen  ab  mit  einer, 
bisweilen  wohl  auch  mehreren  engen,  im  untern  Drittheil  seiner 
Wand  gelegenen  Oeffnungen.  Die  von  hier  ausgehenden  Blind- 
därme nun  drängen  sich  mit  zahlreichen  Ausstülpungen  zwischen 
das  spongiöse  Gewebe  hinein  und  erfüllen  den  Raum  um  den 
Magen  und  innerhalb  der  Darm  Windungen ,  von  wo  sie  bis  zur 
Kelchbasis  abwärts  steigen.  In  der  Müller'schen  Figur,  den  ver- 
ticalen  Durchschnitt  des  Comatulakelches  darstellend,  sind  sie  mit 
k^  k'  bezeichnet  und  als  „Höhlungen  des  spongiösen  Theils''  er- 
klärt. Während  man  den  Darm  meist  stark  gefüllt  antrifft,  sind 
die  Blinddärme  dagegen  immer  leer  und  ihre  Wände,  die  übrigens 
im  Bau  den  Darmwänden  vollkommen  gleichen,  liegen  dicht  an 
einander. 

In  dem  spongiösen  Gewebe  unterscheidet  man  einige  concen- 
trisch  um  den  Mittelpunkt  liegende  Membranen ;  dazwischen  laufen 
unzählige  bindegewebige  Platten  und  Balken  ohne  Regelmässig- 
keit. Das  ganze  Gewebe  enthält  eine  Menge  rundlicher  Kalk- 
plättchen,  meist  siebartig  durchbrochen,  besonders  um  den  Mittel- 
punkt. Von  hellen  Stäbchen,  welche  darin  liegen  und  den  Säuren 
widerstehen  sollen,  konnte  ich  nichts  bemerken.  In  der  Axe  steigt 
aus  dem  Kelchknopf  ein  sehr  starkes  Gefäss  herauf,  welches,  wo 
es  den  Magen  erreicht,  sich  in  drei  bis  fünf  Zweige  theilt,  die, 
seitlich  abbiegend,  sich  in  der  spongiösen  Substanz  verlieren. 

Eine  diesem  Gewebe  angehörende  und  horizontal  in  den  Darm 
vorspringende  Leiste,  wie  sie  von  J.  Müller  abgebildet  wird,  habe 
ich  bei  Comatula  medit.  nicht  vorgefunden ;  vielleicht  war  sie  das 
Product  eines  starken  Druckes  von  oben. 


Beiträge  znr  Anatomie  der  Echifiodermen.  261 


ErklSrnng  der  Flgureii. 


Die  Buchstaben  sind  überall  gleichbedeutend. 

Fig*  !•    Querschnitt  durch  den  Strahl  von  Comatula  mediterranea. 

kg    Kalkglied 

CS    Centralstrang 

m    Muskel 

mg    Muskelgefäss 

bl    Bindegewebslücke 

sr    Sexaalrohr 

sg    Seitengefäss 

ag    Ambttlacralgefass 

pk    Pigmentkugel 

ng    Nervengefäss 

an    Ambulacralnerv, 

zl  Zackenleiste 
Fig.  2.    Horizontabchnitt  durch  das  Gefässcentrum  (Herz)  in  der  (regend 
der  Ringe  des  Centralstrahls  und  des  Muskelgefässes  (bei  mgr,  Fig.  3). 

csr    Ring  des  Centralstrahls 

mgr    Ring  des  Museigefasses 

kg    Kalktheile,  dem  Basalstück  angehörig 

ol    Mittelsättle  mit  ihren  fünf  Grefässen 

k    Kammern  des  Gefässcentrums 
Fig.  3.    Verticalschnitt  durch  das  Gefässcentrum. 

gb    Gefässblindsack 

cg    Abgang  der  Cirrhengefässe 

kk    Grenze  der  Basalstücke  und  des  Kelchknopfs 
Die  übrigen  Buchstaben  wie  Fig.  2. 
Fig.  4.    Die  untere  Hälfte  von  Fig.  1  stärker  vergrössert  (D,  2  Zeiss) 

cu    Cuticula 
Fig.  5.    Sterile  Pinnula,  Querschnitt. 
Fig.  6.    Pinnula  mit  mannlichen  Geschlechtsproducten. 
Fig.  7.    Schrägschnitt  durch  den  Strahl  in  der  Richtung  der  Pinnula,  um 
den  Zusammenhang  zwischen  den  Gefässen  des  Strahls  und  denen  der  Pinnula 
zu  zeigen. 

gp    Geschlechtsproducte. 
Fig.  6.    Austritt  des  Eies  aus  der  Pinnula 

pw    Pinnulawandung 

oe    Ei  an  deren  Aussenseite  angeheftet  in  Furchung  begrifien 

08    Orarialsack 

Ol    Ei  im  Innern  des  Sacks 

at    Austrittsstelle  des  Eies  oe. 
Fig.  9.   Permanenter  Porus  zum  Austritt  des  Sperma. 

17* 


262  Heinhold  Tenscher, 

Fig.  10.    Schnitt  durch  den  Mond,  radial. 

kt    Kelchtentakel 

anr    Ambulacralnervenring 

agr    Ambulacralgefästring 

mh    Magenhaat 

kp    Kelchporen 

er    Communicationsröhren 

8gr    Seitengefässring 

sga    Seitengefaasanastomosen 
Fig«  11.    Verticalschnitt  durch  den  Kelch 

d    Darm,    dd  Darmdivertikel 

Ih    Leibeshöhle,    Ihd  Divertikel  der  Leibeshöhle 

sg    spongiöses  Grewebe 

m    Magen 

mm    Muskeln  des  Strahls 

Ih    Leibeshöhle 

Ihd    Divertikel  der  Leibeshöhle 
Die  übrigen  Buchstaben  wie  in  Fig.  1. 


II.  Ophiuridae. 

Wenn  es  bei  Comatnla  ziemlich  leicht  ist;  durch  Entkalknng 
und  Einbettung  gute  Durchschnitte  durch  alle  Körpertheile  zu 
erhalten,  so  ist  dies  anders  bei  den  Ophiuren.  Hier  liegen  die 
Kalk*  und  die  Weichtheile  so  durch  einander  geschichtet,  dass 
beim  Entkalken  die  Ansätze  der  letzteren  an  erstere  vielfach 
gelöst  werden,  und  beim  Schneiden  Alles  durch  einander  filllt. 
Um  letzteres  zu  verhUten,  habe  ich  mich  folgender  Methode  be- 
dient Die  in  Alkohol  gehärteten  Thiere  wurden  in  passende, 
nicht  zu  grosse  Stücke  zersägt,  diese  in  absolutem  Alkohol  ent- 
wässert und  dann  in  eine  Harzlösung  gebracht.  Von  allen  ver- 
suchten Lösungen  erwies  sich  am  tauglichsten  eine  solche  des 
sogenannten  leichten  Copals  in  Aether  oder  Chloroform.  Nach- 
dem die  Theile  sich  wenigstens  24  Stunden  lang  vollkommen 
durchdrungen  hatten,  wurden  sie  mit  dem  Fimiss  bedeckt  in 
einem  Schälchen  mehrere  Tage  lang  gelinder  Wärme  ausgesetzt 
bis  der  Fimiss  nicht  mehr  klebte,  dann  herausgenommen  und 
weiter  langsam  getrocknet  bis  zu  vollkommener  Sprödigkeit. 
Diese  Stttcke  wurden  nun,  wie  andere  harte  Gegenstände,  durch 
Schleifen  auf  dem  Stein  weiter  bearbeitet,  und  der  Erfolg  der 
Methode  war  so  befriedigend,  dass  nicht  nur  die  Lagerung  der 
einzelnen  Theile,  sondern  auch  manche  histologische  Einzeln- 
heiten, wie  Epithelien,  ja  Nervenzellen  an  wohlgelungenen  Prä- 
paraten zu  erkennen  waren.  Diese  Methode  in  Verbindung  mit 
Iigectionen  hat  mir  die  Mehrzahl  der  Thatsachen  geliefert,  welche 
ich  hier  vorbringen  werde. 

Meine  Untersuchungen  wurden  vorzugsweise  an  einer  grösseren 
Zahl  vortrefflich  erhaltener  Ophiothrix  fragilis  von  Triest  aus- 
geftahrt ;  andere  Ophiuren  zur  Vergleichung  verdanke  ich  der  viel- 
bewährten Liberalität  des  Herrn  Prof.  Häckel,  dem  ich  auch  fUr 
seinen  werthvoUen  Rath  im  Laufe  dieser  Arbeit  zu  vielfachem 
Dank  verpflichtet  wurde. 


264  Reinhold  Teuscher, 

So  ziemlich  Alles,  was  wir  von  den  Ophiuren  wissen,  ver- 
danken wir  den  trefilichen  Arbeiten  Joh.  MüUer's,  dessen  Dar- 
stellung ich  als  bekannt  voraussetze,  und  auf  die  ich  nur  in 
solchen  Funkten  näher  eingehen  kann,  in  welchen  ich  abweiche. 
Wie  bei  Comatula  werde  ich  auch  hier  von  einem  Querschnitt 
des  Strahls  ausgehen  und  die  einzelnen  hier  sichtbaren  Gaukle  in 
das  Körperinnere  zu  verfolgen  suchen.  Aus  den  Durchschnitten 
(Fig.  1—4)  sieht  man,  dass  die  Unterochiede  im  Bau  verschiedener 
Arten  nicht  eben  bedeutend  sind.  Am  meisten  fällt  das  Verhält- 
niss  der  Bindegewebsschichten  zu  den  Ealktheilen  des  Hautskelets 
auf«  Während  bei  Ophiothrix  und  Ophiolepis  das  Bindegewebe 
nur  ausreicht,  um  die  Kalkgebilde  zusammenzuhalten,  erscheint 
dasselbe  bei  den  andern  abgebildeten  Arten  in  mehr  oder  weniger 
mächtiger,  zusammenhängender  Schicht,  bisweilen  ein  vollständiges 
Bohr  im  Innern  der  Haatplatten  um  den  Strahl  bildend;  ja  bei 
Asterophyton  (Fig.  3)  finden  wir  drei  bindegewebige  Schichten. 
Die  beiden  innem,  in  welche  die  Hautplatten  eingebettet  liegen, 
hängen  in  deren  Zwischenräumen  mit  einander  zusammen,  and 
sind  wie  bei  den  andern  Ophiuren  aus  groben,  durch  einander 
laufenden  Fasern  gebildet,  während  die  äussere  fast  hyalin  er- 
scheint, und  zahlreiche  kleine,  meist  über  ihre  Oberfläche  hervor- 
ragende, randliche  Kalkstücke  enthält.  Nur  auf  der  Mitte  der 
Bauchplatte  liegt  auch  bei  Ophiothrix  und  Ophiolepis  eine  Binde- 
gewebsschicht  dicht  unter  dem  Nervenstrang  und  sich  nach  der 
Grenze  je  zweier  Platten  zu  stark  verdünnend.  In  der  Gestalt 
des  Wirbels  weicht  ebenfalls  Asterophyton  am  meisten  ab ;  während 
bei  den  eigentlichen  Ophiuriden  immer  vier  deutlich  abgegrenzte 
Muskelfelder  vorhanden  sind,  welche  bei  dem  bekannten  Bau  der 
Gelenke  eine  seitliche  Bewegung  vermitteln,  findet  sich  bei  ihm 
für  die  Muskelansätze  eine  nicht  sehr  breite  peripherische  Zone, 
nur  undeutlich  in  oberes  und  unteres  Feld  geschieden,  den  Wirbel 
fast  ganz  umgebend,  wodurch  eine  mehr  allseitige  Bewegung  zu 
Stande  kommt.  Diese  wird  erleichtert  durch  den  Bau  des  Ge- 
lenkes, aus  zwei  hervorragenden,  durch  eine  Leiste  verbundenen 
Knöpfen  bestehend,  welche  auf  der  ovalen  Seite  horizontal,  auf 
der  aboralen  vertical  gestellt  sind;  die  Leisten  kreuzen  sich 
im  Gelenk  und  ihre  Mittelpunkte  sind  die  Stützpunkte  der  Be- 
wegung. 

Bei  der  Betrachtung  des  Strahlenquerschnitts  einer  Ophiure 
(Fig.^l— 4)  fällt  nun  zuerst  die  grösste  der  darin  vorhandenen 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  265 

Canalöffnnngen  fng)  auf;  welche  in  dem  ventralen  Wirbelans- 
schnitt  über  dem  Nervenstrang  entlang  läuft  und  von  J.  Mflller 
als  Ambulacraleanal  bezeichnet  wurde;  ich  nenne  ihn  das  Nerven- 
gefäsB.  Es  fllllt  die  Wirbelfnrche  nicht  ganz  aus,  indem  deren 
oberster  Abschnitt  durch  eine  hyaline  Bindegewebsmasse  mit 
halbmondförmigem  Querschnitt  eingenommen  wird.  Nach  unten 
wird  es  von  dem  Nervenstrang  begrenzt  Unmittelbar  über  diesem 
entlässt  das  Nervengeföss  der  Mitte  jedes  Wirbels  gegenüber 
einen  Zweig;  welcher  längs  der  ganzen  Wirbelperipherie  um  den 
Strahl  herumläuft  und  endlich  in  das  Rückengefäss  (rg)  einmündet. 
Dieses  ,yVerbindungsgefäss''  ist  rings  um  die  Peripherie  des  Wir- 
bels in  der  dort  verlaufenden  Furche  angeheftet^  und  reicht  seiner 
Breite  nach  bis  etwa  zum  Dritttheil  des  anliegenden  Intervertebral- 
muskels.  Den  Durchschnitt  dieses  Ganais  sieht  man  in  dem 
Horizontalschliff  eines  Strahls  von  Ophiothrix  fragilis  (Fig.  5,  vg). 
Wo  das  obere  und  untere  Muakelfeld  der  Wirbel  jederseits  an- 
einander stossen,  befindet  sich  ein  Einschnitt  in  der  Wirbel- 
peripherie; in  demselben  liegt  eine  Erweiterung  des  eben  be- 
schriebenen VerbindungsgefässeS;  und  ebenda  communiciren  alle 
diese  Erweiterungen  von  einem  Wirbel  zum  andern  mit  einander 
und  bilden  so  zwei  Seitengefässe,  welche  ebenso  wie  das  Rttcken- 
und  Nervengefäss  dem  ganzen  Strahl  entlang  laufen  (sg,  Fig.  5). 
Die  Tentakel  sind  bekanntlich  in  kleinen^  in  der  Peripherie  der 
Wirbel  befindlichen  Höhlungen  angehefliet.  An  der  Stelle  nun, 
wo  das  Verbindungsgefäss  auf  den  Tentakel  iriSt,  theilt  er  sich 
in  zwei  Aeste^  welche  den  Tentakel  beiderseits  umgebeU;  um  sich 
dann  wieder  zu  vereinigen. 

Dies  ist  durch  sehr  leicht  auszuftlhrende  Injectionen  in  das 
Nervengefäss  unmittelbar  nachzuweisen;  denn  nicht  nur  werden 
durch  eine  solche  die  Tentakel  niemals  gefüllt,  sondern  durch 
Horizontalschliffe  der  betreffenden  Oegend  an  injicirten  Exem- 
plaren lässt  sich  das  Verhältniss  direct  darstellen.  Dadurch  schon 
wird  der  Müller'sche  Name  y^Ambulacralgefäss^'  hinfällig;  ich 
schlage  daftlr  den  Namen  ;,Nervengefäss''  vor,  weil  er  unmittel- 
bar über  dem  Nerven  verläuft  und  sich  in  dieser  Lage  bei  allen 
Echinodermenstämmen  wiederfindet,  wie  ich  später  nachweisen 
werde;  und  wie  wenigstens  für  die  Asteriden  schon  bekannt  ist. 

Aus  jedem  Seitengefäss  geht;  der  Mitte  des  Wirbels  gegen- 
über, ein  Zweig  nach  Aussen  in  die  Substanz  der  Seitenplatte 
ab,  wie  ich  es  (Fig.  4,  eg)  für  Ophiocoma  erassispina  abgebildet 
habe.    Dieses  Nahrungsgefäss  giebt  zahlreiche  Verästelungen  in 


. 


266  Hembold  Teuscher, 

die  EalkmasBe  ab;  sein  Stamm  aber  theilt  sich  in  so  viele  Hanpt- 
zweige,  als  Stacheln  auf  der  Platte  stehen^  nnd  jeder  derselbeni 
nachdem  er  vorher  noch  eine  beckenförmige  Erweiterung  gebildet 
hat;  tritt  durch  das  Gelenk  in  den  Gentralcanal  einer  der  Stacheln 
ein.  Bei  Ophiocoma  ist  diese  Bildung  am  leichtesten  darzustellen ; 
sie  findet  sich  aber  eben  so  wohl  bei  Ophiothrix,  Ophioderma, 
Ophiopholis  und  wohl  bei  allen  übrigen  Ophinren.  In  die  Rficken- 
und  Bauchplatten  sieht  man  nicht  ein  grösseres^  sondern  mehrere 
kleine  Gefässe  eintreten.  Auch  in  jeden  Wirbelkörper  treten  zwei 
sehr  feine  Nahrungscanäle  aus  dem  Nervengefäss  selbst  ein,  welche 
gerade  in  die  Höhe  steigen  und  sich  vielfach  verästeln.  Ausser 
diesen  geschlossenen  Gefässbahnen  sind  übrigens  alle  Gewebe 
aller  Echinodermenclassen  für  Flüssigkeiten  verhältnissmässig 
leicht  durchdringbar;  nächst  den  porösen  Skelettheilen  tränken 
sich  am  leichtesten  die  Nervenstränge  mit  etwaigen  extravasirten 
flüssigen  Farbstoffen.  Noch  ein  anderer  Hohlraum  steht  mit  dem 
Nervengefäss  in  Verbindung,  derjenige  unterhalb,  d.  h.  auf  der 
Yentralseite  des  Ambulacralnerven  gelegene;  es  scheint  mir 
zweckmässig,  darauf  erst  einzugehen,  wenn  ich  den  letzteren  be- 
schreiben werde- 

Bekanntlich  beschreibt  Job.  Müller  bei  den  Ophiuren  zwei 
Ringe  um  den  Mund,  den  Innern,  in  der  Substanz  der  Ambulacral 
und  Interambulacralstücke  ausgehöhlten,  welchen  er  von  dem  Nerven 
allein  ausgefüllt  sein  lässt,  und  einen  äusseren,  häutigen,  au 
welchem  die  in  den  Interambulacris  liegenden  Poli'schen  Blasen 
(wo  solche  vorhanden  sind)  anhängen.  Denn  lelztem  nennt  er 
„Ambulacralring''  und  lässt  ihn  am  centralen  Ende  der  Ambnla- 
cralrinne  mit  unserem  Nervengeiäss,  welches  er  für  das  Ambula- 
cralgefäss  hält,  communiciren.  Nun  lässt  sich  aber  durch  Injec- 
tionen  und  Schnitte  leicht  nachweisen,  dass  dieses  Geföss  nicht 
in  MüIIer's  Ambulacralring,  sondern  in  seinen  Nervenring  mündet, 
und  dass  der  darin  liegende  Nerv,  überall  nur  sehr  lose  angeheftet, 
ringsum  von  der  in  ihm  enthaltenen  Flüssigkeit  umspült  wird. 
Jede  Injection  in  das  NervengefUss  giebt  dieses  Resultat;  die 
Flüssigkeit  strömt  aus  den  Oefinungen  der  andern  Strahlen  heraus, 
hat  also  seine  innern  Verbindungszweige  vollständig  gefüllt, 
ohne  dass  in  Müller's  Ambulacralring  ein  Atom  Farbe  einge- 
drungen wäre. 

Fig.  6  ist  ein  horizontaler  Dünnschliff,  durch  den  Körper 
von  Ophiothrix  fragilis  ein  wenig  nach  Oben  von  der  Ambula- 
cralrinne.    Das  Nervengefäss  (ng),  welches  ja  nach  seinem  Ring 


Beiträge  zur  Anatonne  der  Echinödermen.  *         267 

zn  in  die  Tiefe  steigt,  ersobeint  hier  nur  als  ovale  Oeffhnog 
zwischen  den  beiden  Ambnlacralstttcken;  nach  der  Mnndseite  zn 
nnr  dnrch  Weichtbeile  begrenzt  Die  den  Mnnd  bildenden  Kalk- 
stücke^  von  Joh.  Mttller  vortrefflich  beschrieben ,  nnd  ihre  Ver- 
bindungen nnter  einander  erscheinen  hier  sehr  dentlich.  Die 
beiden  Ambalacralstücke  (as)  die  seitlichen  Hälften  einer  jetheilten 
Wirbels  repräsentirend;  laufen  nach  der  Mittellinie  des  Strahls  zu 
in  abgerundete  Fortsätze  aus,  welche  an  ihrer  Berührnngsstelle 
dnrch  ein  Zahngelenk  verbunden,  beide  zusammen  in  einer  Aus- 
höhlung des  ersten  ganzen  Wirbels  beweglich  sind.  Nach  der 
Körperperipherie  zu  laufen  die  Ambulacralstficke  in  seitliche  dünne 
Platten  aus,  welche  auf  dem  Durchschnitt  als  dttnne  Spitzen  er- 
scheinen. Diese  dienen  als  Ansatzpunkte  ftir  kräftige  Muskeln, 
(mire)  die  ronsculi  interradiales  extemi,  welche  auf  diese  Weise  je 
zwei  benachbarte  Radien  mit  einander  verbinden  und  offenbar 
die  Wirkung  haben  mttssen,  durch  ihre  Zusammenziehung  die 
betreffenden  Mundecken  weiter  nach  Innen  vorzuschieben,  beim 
Zusammenwirken  aller  ftlnf  aber  die  äussere  Mundöffnung  soweit 
möglich  zu  schliessen.  Die  in  diesem  Stück  sichtbaren  runden 
Gefässöffnnngen  (mt)  gehören  der  Verbindung  des  äussern  Mund- 
tentakels mit  dem  Ambulacralring.  (Veiter  nach  Innen  deutet  eine 
dunkle  Linie  die  Verbindung  der  Ambulacral-  und  Interambulacral- 
stttcke  (ias)  an,  eine  vollkommen  unbewegliche  Vereinigung.  Jedes 
Interambulacralstttck  ist  mit  dem  des  benachbarten  Strahls  eben- 
falls durch  eine  Zahnverbindung  vereinigt;  nach  dem  Centrum  zu 
läuft  jedes  Stttok  in  eine  Spitze  aus,  von  denen  je  zwei  zusammen- 
gehörige auf  der  Basis  jedes  Toms  angularis  (ta)  aufsitzen.  Zwischen 
diesen  beiden  Spitzenfortsätzen  ist  ein  kleiner  Muskel  ausgespannt, 
mnsc.  interradialis  internus  (mire),  offenbar  der  Antagonist  des 
mire,  durch  dessen  Zusammenziehung  diese  Fortsätze  einander 
genähert  werden  mttssen,  wobei  sie  an  der  Basis  des  torus  angu- 
laris hingleiten. 

In  dem  nach  der  Leibesperipherie  hingekehrten  Winkel, 
welchen  die  beiden  Interambulacralstttcke  mit  einander  bilden, 
bei  cir,  an  der  Spitze  des  mire  erscheint  nun  eine  dreieckige 
Geftssöfinung,  welche  von  Joh.  Mttller  ttbersehen  worden  ist.  Die- 
selbe bezeichnet  den  Durchschnitt  eines  Canals,  welcher  bei  den 
beiden  mir  zu  Gebote  stehenden  Ophiothrixarten,  0.  fragilis  und 
Hemprichii,  auf  der  Ventralseite  frei  in  den  Mundecken  ausmündet. 
Die  Oeffnungen  sind  dreieckig,  spaltenförroig  und  selbst  ohne 
Lupe  wohl  sichtbar.    In  der  entgegengesetzten  Bichtnng  läuft 


268  Reinbold  Teuscher, 

unser  Oanal  gerade  auf  den  Nervengefässring  zu  und  endigt,  von 
diesem  nur  durch  eine  dOnne,  häutige  und  sehr  permeable  Scheide- 
wand getrennt.  Injectionen  in  die  Mündung  in  der  Mundecke 
gemacht;  bei  Ophiothrix  unmittelbar,  bei  den  andern  genannten 
Ophiuren  nach  Durchbohrung  des  MundschildeS;  füllen  den  Nerven* 
geiUssring  und  die  radialen  Nervengefasse  mit  ihren  Anhängen, 
und  umgekehrt.  Wir  haben  also  hier  eine  directe  Verbindung 
der  Nervengei^ssbahn  mit  der  Aussenwelt,  durch  welche  die 
Menge  der  in  ihr  enthaltenen  Flüssigkeit  vermehrt  oder  vermindert 
werden  kann.  Bei  den  übrigen  Ophiuren,  die  ich  untersuchen 
konnte,  verhält  sich  der  Interradialcanal  ganz  anders.  Bei  Ophio- 
derma,  Ophiocoma,  Ophilepis,  Ophiopholis,  also  bei  allen  den 
Arten,  bei  welchen  ich  Poli'sche  Blasen  vorfand,  welche  der 
Ophiothrix  fehlen,  mündet  der  Canal  nicht  frei  durch  das  Mund- 
Schild  nach  Aussen,  sondern  biegt  sich  hinter  demselben  um  und 
begiebt  sich  zwischen  ihm  und  dem  musc.  interrad.  ext.  in  die 
Leibeshöhle,  in  welche  er  frei  einmündet.  Wenn  man  bei  einem 
injicirten  Exemplar  eines  dieser  Thiere,  am  besten  bei  Ophioderma, 
wo  der  Ganal  am  weitesten  ist,  einen  scharfen  Schnitt  durch  eine 
Mundecke  führt,  so  dass  das  Oelenk  der  Interambnlacralstücke 
getroffen  wird,  erhält  man  das  in  Fig.  9  dargestellte  Bild.  Der 
in  Bede  stehende  Ganal  ist  mit  cir  bezeichnet,  das  Mundschild 
liegt  nach  oben.  Bei  allen  genannten  Ophiuren  ist  der  Bau  der- 
selbe, wie  hier;  nur  bei  Ophiolepis,  wo  ein  an  das  Mundschild 
angehefteter  Steincanal  vorhanden  ist,  theilt  sich  der  Ausftihrungs- 
gang  des  Interradialcanals  und  ftthrt  beiderseits  um  denselben 
herum. 

Die  Seitengefässe  und  das  Rückengefäss  des  Strahls  ergiessen 
sich  unmittelbar  in  die  Leibeshöhle;  die  ersteren,  nachdem  sie 
sich  ungefähr  vom  achten  Wirbel  an  allmählich  nach  oben  und 
unten  verbreitert  haben.  Wenn  man  in  das  Nervengefäss  bei  ge- 
öffneter Leibeshöhle  injicirt,  so  kann  man  das  Einströmen  direet 
beobachten.  Nirgends  in  dem  Nervengefäss  oder  seinen  ver- 
schiedenen Nebenbahnen  habe  ich  einen  Epithelüberzug  wahr- 
nehmen können.  Wohl  aber  existirt  ein  solcher,  und  zwar  ein 
sehr  deutlicher,  überall  in  der  Leibeshöhle,  aus  rundlichen,  etwas 
platten  Zellen  von  durchschnittlich  0,007  M.  Durchmesser  bestehend, 
welche  nicht  sehr  dicht  an  einander  schliessen. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zur  Betrachtung  des  Strahlenquer- 
Schnitts  zurück,  so  finden  wir  die  Ambulacralrinne  des  Wirbels, 
in  welcher  das  Nervengefäss  verläuft,  in  ihrem  innersten  Theile 


Beiträge  sur  Anatomie  der  EchiDodermen.  2G9 

aasgefüllt  darch  hyalines  Bindegewebe  (hb,  Fig.  1),  welches  in 
seiner  Mitte  eine  mit  Epithel  ausgekleidete  enge  Gefässöffnnng 
(ag)  zeigt  Dieses  von  Joh.  Mttller  übersehene  ist  das  Ambnla- 
cralgefäss.  Von  ihm  ans  gehen  die  Seitenasweige  zn  den  Ten- 
takeln ab  durch  die  den  unteren  Theil  des  Wirbels  durchbohrenden 
Canäle,  welche  bekanntlich  bei  manchen  Arten  hori::ontal  ver- 
laufen (Fig.  1;  2),  bei  andern  zuerst  fast  senkrecht  aufsteigen^ 
um  dann  unter  spitzen  Winkeln  wieder  umzukehren  (Ophiocoma, 
Fig.  4).  Auch  diese  Canäle  sind  mit  hyalinem  Bindegewebe  ge- 
füllt, in  dessen  Mitte  der  enge,  mit  Epithelium  bekleidete  Ast  des 
Ambulacralgefässes  verlauft. 

Den  Durchschnitt  eines  Tentakels  von  Qphiothrix  zeigt  Fig.  15. 
Die  innere  Höhlung  ist  mit  eteem  etwas  weitläufig  stehenden 
Epithel  ausgekleidet;  dann  folgt  nach  Aussen  die  Längsmuskel- 
Schicht,  die  einzelnen  Fasern  werden  durch  hyalines  Bindegewebe 
unter  einander  verbunden.  Dann  folgt  eine  breite  Bindegewebs- 
schiebt,  geschlängelte  Fasern  und  Zellen  enthaltend.  Der  Nerv, 
dessen  Abgang  vom  Ambulacralstrang  man  Fig.  1,  tn  sieht,  läuft 
in  ihr  entlang  (n,  Fig.  15).  Der  äussere  Theil  der  Bindegewebs- 
schicht  enthält  eine  dichte  Zellenlage,  aber  der  äusserste  Saum 
ist  hyalin.  Von  der  Zellenschicht  gehen  die  zahlreichen  Zotten 
aus,  deren  Gestalt  Fig.  15  zeigt  Ihre  Grundsubstanz  ist  hyalin, 
zeigt  aber  eine  deutliche  Längsstreifung,  besteht  also  wohl  aus 
Fasern.  Ausserdem  enthält  sie  zahlreiche  Zellen.  Auf  Durch- 
schnitten durch  Tentakel  von  Ophioderma  sehe  ich  im  Wesent- 
lichen denselben  Bau ;  nur  besteht  die  Bindegewebsschicht  äusserlich 
von  den  Längsmuskeln,  die  bei  Ophiothrix  nur  einzelne,  fein  ge- 
zeichnete Fasern  enthielt,  aus  grobgezeichneten  dicken  Bündeln 
von  Bingfasem,  zwischen  denen  der  hier  mehr  abgeplattete  Nerven- 
zweig verläuft.  Die  peripherische  Bindegewebslage  ist  breiter  ent- 
wickelt, und  enthält  sehr  zahlreiche  Zellen.  Der  hyaline  äusserste 
Saum  sieht  einer  Cuticula  sehr  ähnlich,  doch  kann  ich  keine  Matrix 
wahrnehmen.    Zellen  fehlen  ganz.  t 

Das  Ambulacralgefäss  läuft  durch  den  ganzen  Strahl  hin- 
durch im  obersten  Theil  der  Ambulacralrinne  der  Wirbel  entlang, 
von  dem  Nervengefäss  nur  getrennt  durch  die  Schicht  hyaliner 
Bindesubfltanz,  welche  es  einhüllt;  kurz  vor  dem  Austritt  aus  dem 
centralen  Ende  derselben  wird  es  aber  noch  von  dem  Nervengefäss 
durch  einen  Muskel  abgeschieden,  den  ich  „Ambulacralmuskel'^ 
nenne  (am,  Fig.  7  und  8).  Derselbe  spannt  sich  quer  vor  dem 
Ausgange  dieses  Canals,  den  er  in  einen  obem  und  untern  Ab- 


270  Reinhold  Teugcher, 

Bchnitt  trennt;  er  verbindet  die  beiden  beweglichen  Ambalacral- 
stfickey  in  welche  seine  Ansätze  eingesenkt  sind^  nnter  einander 
nnd  kann  sie  gegen  einander  bewegen,  wodurch  der  Ganal  ver- 
engt wird.  Ansserdem  mnss  er  durch  seine  Zosammenziehnng 
den  Interambulacralmnskel  beim  Schliessen  der  Mnndö£fhnng 
unterstützen.  Unmittelbar  nach  seinem  Anstritt  über  diesen  Muskel 
hinweg  mtlndet  das  Ambulacralgefäss  in  den  von  J.  Mttller  richtig 
benannten  Ambulacralring.  Derselbe  besteht  aus  einer  häutigen 
Röhre,  welche  auf  der  innern  Oberfläche  der  den  Mund  bildenden 
Kalkstttcke  um  diesen  herumläuft.  In  Fig.  7,  welche  einen  hori- 
zontalen Durchschnitt  durch  den  Körper  von  Ophiothrix  frag,  auf 
der  Höhe  des  Nerye%efllssrings  (nr)  darstellt,  habe  ich  einen 
Theil  des  Ambulacralrings,  der  ^twas  höher  liegt,  und  hier  nicht 
sichtbar  war,  eingetragen.  Von  dem  Ambulacralcanal  (ac)  wendet 
er  sich  nach  auswärts  zu  einer  OefiFhung  des  Ambulacralstttcks 
(mt),  durch  welche  von  ihm  der  obere  Mundtentakel  entspringt, 
nähert  sich  dann  dem  Nerven^efässring,  ohne  mit  ihm  zu  comuni- 
ciren,  und  begiebt  sich  zu  der  entsprechenden  Tentakelöffhung 
des  benachbarten  Ambnlacralstücks,  von  wo  er  wieder  zur  nächsten 
Ambulacralöffnung  tritt  und  so  fort  rings  herum.  Er  bildet  also 
in  jedem  Interambulacralranm  einen  einspringenden  Bogen,  der 
nach  Aussen  zu  den  bei  den  Ophiothrix  besonders  stark  ent- 
wickelten äussern  Interambulacralmuskel  hat.  Poli'sche  Blasen 
fehlen  hier  sfanz.  Für  Ophiolepis,  wo  dieselben  am  besten  ent- 
wickelt sind,  haben  wir  die  bekannte  schöne  Abbildung  von 
J.  Müller.  Dort  geht  von  der  Mitte  jenes  einspringenden  Bogens 
eine  scharfe  V-förmige  Ausbiegnng  nach  Aussen  bis  über  den 
Rand  des  Muskels  hinaus;  an  der  Spitze  des  Winkels  hängt  die 
Poli'sche  Blase  über  den  Muskel  hinab.  Von  den  mir  bekannten 
Ophiuren  ist  Ophiolepis  ciliata  diejenige,  bei  welcher  der  Ambula- 
cralring nebst  Anhängen  auch  in  nicht  injicirtem  Zustande  am 
leichtesten  durch  einfache  Hinwegnahme  dei  darüber  liegenden 
Thcile  darzustellen  ist,  und  ich  habe  den  Müller'schen  Angaben 
über  dieselbe  nur  einige  Einzelheiten,  den  Steincanal  betreffend, 
hinzuzufügen. 

Bekanntlich  wird  bei  diesem  Thier  eine  jener  Blasen  durch 
einen  Steincanal  ersetzt,  d.  h.  durch  eine  den  andern  ähnliche 
Blase,  welche  aber  in  der  Dicke  ihrer  Wandung  Kalkplättchen 
enthält  und  mit  ihrem  untern  Ende  an  das  betrefiende  Mundschild 
beTestigt  ist,  welche  Befestigungsstelle  sich  auch  äusserlich  durch 
den  ,;Umbo''  sichtbar  macht    Wenn  man  nun  diesen  Sack  der 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Kchinodermen.  271 

Länge  nach  spaltet^  bo  weist  sich  der  heransgenommene  Inhalt 
als  ein  ungeiähr  erdbeerförmiger  Körper  auS;  dessen  dickerer 
Theil;  dem  Ambulacralcanal  aufliegend;  aus  einer  getatinösen 
Masse  besteht ,  welche  zahlreiche  danklere  und  consistentere 
Kömer  enthaltend.  Nach  unten  entspringt  daraus  ein  schlanker 
Stiel;  in  eine  Vertiefung  des  Mundschildes  befestigt.  Derselbe 
zeigt  sich  als  ein  glashelles  Rohr,  im  Innern  mit  einer  dichten 
Zellenlage  besetzt;  die  jedenfalls  einen  Ganal  begrenzen.  Sein  Bau 
ist  ganz  gleich  dem  des  Centralcanals  im  Steinsack  von  Ilolothuria 
tnbulosa;  wovon  später.  Leider  erlaubte  mir  der  Zustand  meiner 
Exemplare  nicht;  den  Bau  dieser  Organe  genauer  zu  untersuchen. 
In  Fig.  lU  gebe  ich  den  Durchschnitt  einer  Mundecke  von 
Ophiolepis  ciliata;  welcher  zugleich  den  betreffenden  Steincanal 
halbirt :  sk  ist  der  umhüllende  Sack;  bk  der  beerenförmige  Körper, 
Bt  der  Stiel,  auf  einer  verdünnten  und  porösen  Stelle  des  Mund- 
Schilds  befestigt  Hier  sieht  man  man  aber  auch;  dass  der  Sack 
mit  seiner  obern  Spitze  (bei  x)  bis  über  den  Nervengefassring 
hinüber  reicht  —  Um  den  Ambulacralring  zu  injicireu;  kann  man 
bei  Ophiothrix  nur  die  Oeffinung  eines  ausgerissenen  ersten  Fuss- 
tentakels  benutzen;  und  man  bekommt  auf  diesem  Wege  bei 
einiger  Beharrlichkeit  ganz  gute  Iigectionen  des  Ambulacralrings, 
der  Ambulacralgefässe  und  der  Tentakeln.  Da  aber;  wie  oben 
gesagt;  sowohl  Tentakelcanäle,  als  das  Ambulaeralgeföss  selbst 
von  einer  Schicht  hyalinen  und  sehr  permeablen  Bindegewebes 
umgeben  sind,  so  wird  durch  dieses  fast  immer  gleichzeitig  auch 
das  Nervengefäss  und  seine  Dependenzien  mit  injicirt  Bei  den 
Ophiuren  mit  Poli'schen  Blasen  benutzt  man  am  besten  eine  solche; 
was  bei  Ophiolepis  besonders  leicht  ist  Die  Resultate  zahlreicher 
Operationen  dieser  Art  waren  nun  constant  folgende:  Der  Stein- 
canal füllte  sich  niemals;  sondern  der  wohl  ii\jicirte  Ambulacral- 
ring lief  scharf  und  gradlinig,  nicht  V-förmig  gebogen;  unter 
denselben  weg  (ar,  Fig.  10).  Wurde  aber  direct  in  den  Steincanal 
iigicirt;  so  füllte  sich  der  Ambulacralring  allerdings;  aber  nur 
schwach  und  in  der  nächsten  Nachbarschaft;  dagegen  erschien 
der  Nervengefilssring  jedesmal  und  sehr  kräftig  injiciit;  während 
eine  Injection  des  letztem  vom  Nervengefäss  aus  niemals  in  den 
Steinsack  eindrang;  trotz  zahlreichen  und  zum  Theil  forcirten 
Versuchen.  Die  hier  obwaltenden  Widersprüche  dürften  nur  mit 
Hülfe  frischer  Thiere  zu  lösen  sein,  und  die  Untersuchung  wäre 
interessant  genug;  da  es  sich  um  die  directe  Verbindung  zweier 
Gefässsysteme  und  sogar  zweier  Gefässringe  handelt.    Dass  hier 


272  Reinhold  Teuscher, 

nicht  von  Extravasaten  die  Rede  Bein  kann,  ist  klar;  erstlich 
wegen  der  C!onstanz  der  Resultate,  dann  aber  hanptsächlieh, 
weil  hier  die  Uebertritte  des  Farbestoffs  nicht  ans  Gef^Lssen 
heraus,  sondern  durch  enge  Oeffnungen  in  dieselben  hinein  Statt 
finden. 

Bei  den  Astenden  ist  durch  die  schönen  Arbeiten  C.  E.  Hoff- 
mann's  (Nieders.  Arch.  für  1871)  und  durch  Notizen  von  R.  Greeff 
(Marb.  Sitzungsb.  für  1871  und  72)  eine  centrale  Verbindung  des 
Wassers-  und  des  Nervengefässsystems  wahrscheinlich  geworden. 
Während  Hoffmann  den  Punkt  der  Communication  beider  Systeme 
unentschieden  lässt,  verlegt  ihn  Greeff  in  die  Poren  der  Madre- 
porenplatte.  Greeff  nimmt  1.  c.  ausser  dem  Ambulacral-  und 
Nervengefässring  noch  einen  dritten  ovalen  Gefässring  an,  den  er 
nicht  näher  charakterisirt,  den  auch  sonst  Niemand  kennt  Die 
von  Hoffmann  und  zum  Theil  schon  von  Tiedemann  beschriebenen 
peripheren  Gefässe,  der  Analring,  die  Sexualgefässe  u.  a.  bilden 
aber  kein  eignes  in  sich  geschlossenes  System  mit  eignem  Schlund- 
ring, sondern  sind  blosse  Anhängsel  des  Nervengefässsystems. 
Am  Darm  der  Astenden  hat  Hoffmann  keine  Gefässe  gefunden, 
obgleich  deren  wahrscheinlich  vorhanden  sind.  Bei  den  Ophiuren 
habe  ich  zweierlei  periphere  Gefässe  gesehen,  beide  unmittelbar 
aus  dem  Nervengefässring  austretend.  Einmal  sieht  man  zwischen 
den  Fasern  der  äussern  Interradialmuskeln  constant  vier  ziemlieh 
weite,  paarweis  angeordnete  Gefässöffnungen  (mg,  Fig.  6),  welche 
nach  abwärts  steigen,  deren  Herkunft  aus  dem  Nervengefässring 
sich  aus  successiven  Schliffen  ergiebt.  Den  weitem  Verlauf  konnte 
ich  nicht  ergründen.  Ferner  entspringt  aus  dem  Nervengefäss- 
ring in  geringer  Entfernung  und  jederseits  von  jedem  Strahl  ein 
ziemlich  starkes,  leicht  zu  füllendes  Gefäss,  und  verläuft  parallel 
mit  ihm  und  oberflächlich,  nur  von  der  äussern  Wand  der  Leibes- 
höhle bedeckt,  in  der  Richtung  der  Geschlechtsorgane.  Ihre  feineren 
Verzweigungen  sind  mir  entgangen. 

Es  liegt  sehr  nahe,  das  Rückengefass  der  Ophiuren  mit  der 
Höhle  des  Strahls  bei  den  Asteriden  zu  vergleichen;  ihre  Lage 
gegen  die  Wirbel  und  ihr  Verhältniss  zur  Leibeshöhle  berechtigen 
dazu.  Ebenso  wird  es  keinem  Bedenken  unterliegen,  die  Nerven- 
gefässe  beider  zu  homologisiren.  Ueber  die  Homologien  der  Seiten- 
gefässe  werde  ich  bei  den  Asteriden  selbst  zurückkommen.  Etwas 
unsicher  ist  der  Vergleich  mit  den  Gefassen  der  Comatula.  Die 
Verschiedenheit  der  Lage  derselben  zu  dem  Ealkskelet  bei  Coma- 
tula würde  keine  Schwierigkeit  bereiten,  da  dieses  (s.  o.)  den 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  273 

WirbelA  der  Ophiaren  nicht  homolog  ist  und  sich  eher  mit  deren 
Rtt'ckenplatten  vergleichen  Hesse.  Aach  der  gegenseitigen  Lage  nach 
entsprechen  die  einen  den  andern  ganz  gut;  das  RtlckengefUss 
der  Ophiaren  versorgt  schon  seiner  Richtung  nach  vorzugsweise 
den  Dorsaltheil  der  Leibeshöhle,  und  obgleich  es  mir  bei  meinem 
Material  nicht  gelangen  ist,  bestimmte  geschlossene  Gefässbahnen 
nachzuweisen,  welche  von  ihm  aus  dahin  ftLhren,  so  ist  mir  doch 
ihr  Vorhandensein  sehr  wahrscheinlich  geworden.  Ein  wirkliches 
Rückengefässcentrum  freilich,  wie  bei  Gomatula,  worein  das 
Muskelgefilss  eintritt,  fehlt  den  Ophiuren  durchaus;  was  sehr  be- 
greiflich ist;  da  sie  dem  Urzustand  aller  Echinodermen,  dem  Fest- 
gewachensein,  schon  unendlich  ferner  stehen,  als  Gomatula. 

Ein  wesentlicher  Unterschied  beruht  auf  dem  Vorhandensein 
eines  Epithels  in  allen  Gefässen  der  Gomatula  mit  alleiniger  Aus- 
nahme des  eigentlichen  Nervengefässes ;  Communioationen  giebt 
es  bei  ihr  zwischen  den  Muskel-  und  den  Seitengefässen ,  aber 
nicht  mit  dem  Nervengefässe.  Dazu  kommt  nun,  dass  bei  den 
Ophiaren  alle  Abtheilungen  des  Nervengefässes  mit  der  Leibes- 
höhle communiciren,  ja  direct  in  dieselbe  ttbergeheu;  während  bei 
Gomatula  von  solcher  Verbindung  keine  Spur  zu  finden  ist.  In- 
dessen ist  das  bei  den  Ästenden  bekannte  Nervengeiäss  dem  der 
Ophiuren  zweifellos  homolog;  bei  Holothurien  und  £chin6n  ist 
dasselbe  Verhältniss  ohne  Schwierigkeit  nachzuweisen,  und  bei 
allen  diesen  Familien  giebt  es  keine  Verbindung  zwischen  Leibes- 
höble  und  NervengefKss ;  also  wird  wohl  auch  der  Mangel  einer 
solchen  bei  Gomatula  nicht  als  Beweis  gegen  eine  Homologie  der 
betreffenden  Gefässe  angesehen  werden  können.  Besteht  dieselbe, 
so  wird  dadurch  die  Glasse  der  Grinoiden  den  übrigen  Echino- 
dermen näher  gebracht,  als  sie  bisher  stand. 

Der  Ambulacralnerv  erscheint  auf  dem  Durchschnitt  als  ein 
platter  Strang,  auf  dem  Boden  des  Nervengefässes  liegend,  welcher 
von  der  Spitze  des  Strahls  bis  zum  centralen  Ende  an  Breite  und 
zumal  an  Dicke  stetig  zunimmt.  Seine  Mitte  zeigt  eine  leichte 
Depression  der  Länge  nach  and  in  dieser  liegt  wieder  ein  andrer, 
rander  Strang,  der  ihn  auf  seiner  ganzen  Länge  begleitet,  den 
ich  aber  im  Nervenring  nicht  habe  wiederfinden  können.  Der 
Ambalacralnerv  ist  abwechselnd  oben  am  Umfang  jedes  Wirbels 
and  unten  in  der  Mitte  jeder  ßauchplatte  angeheftet,  liegt  also 
ziemlich  frei  und  wird  von  dem  Inhalt  des  Nervengefässes  auch 
auf  seiner  untern  Seite,  mit  Ausnahme  der  Befestigongsstellen, 
bespfllt    Bei  Ophioderma  und  Ophiocoma  findet  in  der  Anheftung 


274  Keinhold  Teuflcher, 

eine  Abweichung  statt;  der  freie  Raum  zwischen  Nerv  and  Bancb- 
platten  ist  hier  weiter  und  von  der  die  Unterseite  des  Nerven 
bekleidenden  Bindegewebsschicht  gehen  drei  Blätter  ans,  welche 
ihn  der  ganzen  Mittellinie  entlang,  das  eine  von  der  Mitte,  die 
beiden  andern  von  den  Seiten  der  Nerven  entspringend,  befestigen, 
so  dass  eine  dreieckige  Figur  entsteht  (bb,  Fig.  2  a.  4). 

Macht  man  an  der  Ventralseite  eines  Strahls,  am  leichtesten 
gelingt  es  bei  Ophiolepis,  zwei  Längsschnitte  in  der  Linie  der 
Tentakelöffnnngen ;  so  lassen  sich  gewöhnlich  die  Banchplatten 
als  ein  Ganzes  ablösen,  nnd  man  bekommt  ein  grösseres  Stück 
des  Nervenstrangs  entweder  an  dem  abgelösten  Band,  oder  ge- 
wöhnlicher an  den  Wirbelkörpem  festhaftend;  in  beiden  Fällen 
lässt  es  sich  ablösen  nnd  von  seinen  verschiedenen  Seiten  als 
Ganzes  betrachten.  Auf  der  Oberseite  (Fig.  13)  fällt  sogleich  der 
der  Mitte  entlang  liegende  runde  Strang  (os)  auf,  den  wir  schon 
im  Querschnitt  gesehen  haben ;  er  zeigt  nur  schwachen  Zusammen- 
hang mit  der  darunter  liegenden  Hauptmasse  und  sendet  in  jedem 
Strahlenglied  von  ihr  unabhängige  Zweige  nach  beiden  Seiten, 
deren  weitem  Verlauf  ich  nicht  verfolgen  konnte ;  doch  scheint  es 
mir,  dass  der  Zweig  in  die  Rinne  eintritt,  welche  um  die  Peri* 
pherie  jedes  Wirbels  herumläuft.  Der  Hauptstrang  entsendet 
jedesmal  zwei  Paar  Aeste  für  jedes  Glied  des  Strahls,  von  denen 
der  hintere,  etwas  schwächere,  soviel  ich  sehen  konnte,  d^jenige 
ist,  welcher  zum  Tentakel  tritt  (Fig.  1  und  15,  n);  den  vordem, 
stärkern  aber  halte  ich  fttr  denjenigen,  welcher  nach  oben  in  das 
Innere  jedes  Wirbels  durch  ein  kleines  Loch  in  der  Wölbung  der 
Ambttlacralrinne  eintritt,  in  welchem  schon  J.  Müller  eine  Nerven- 
bahn vermuthete.  Auf  guten  Querschliffen  kann  man  den  Abgang 
und  de  j  Anfang  des  Verlaufs  dieseb  Nervenzweigs  sehr  gut  sehen, 
besonders  an  solchen  Wirbeln,  welche  schon  im  Innern  der 
Leibeswand  liegen;  dort  ist  der  Nerv  und  auch  die  abgehenden 
Zweige  viel  stärker.  Ich  habe  in  Fig.  11  eine  solche  SteUe  ge- 
zeichnet. 

Der  breite  Hauptstrang  des  Ambulacralnerven  von  oben  ge- 
sehen (von  unten  wird  sein  Bau  durch  eine  anliegende  Binde- 
gewebsschicht undeutlich),  zeigt  sich  ganz  aus  zarten  Längsfasem 
zusammen  gesetzt,  von  granulirtem  Ansehn  und  etwas  ver- 
waschenen Grenzen  (Fig.  13).  Eingelagerte  Zellen  fand  ich  hier 
nicht.  Zwischen  diesen  Fasern  und  etwas  unter  der  Oberfläche 
liegt  jedcrseits  ein  dickerer,  etwas  dunklerer  Strang  (df)  (0,009 
bis  0,0 1(>  M.  Durchmesser),  der  sich  bei  stärkerer  VergrOsserung  als 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  275 

ans  vielen  sehr  feinen  Längsfäden  bestehend  answies,  welche 
dnrch  eine  sehr  zarte  dicht  mit  Körnchen  besetzte  Hülle  zn  einem 
Bündel  vereinigt  wnrden.  Querschnitte  dnrch  den  isolirten  Am- 
lucralnerven  zn  machen,  gelang  mir  seiner  grossen  Zartheit  wegen 
nicht;  dagegen  gewährten  solche,  durch  das  neugebildete  Stück 
eines  abgebrochenen  Strahls  von  Ophiothrix  Hemprichii  gemacht, 
welches  wegen  noch  geringen  Ealkgehalts  ohne  weitere  Vorberei- 
tung schnittfahig  war,  einen  guten  Einblick  (Fig.  12).  Der  Quer- 
schnitt erscheint  in  zwei  Schichten  getheilt,  in  eine  obere  blass 
granulirte  (die  Granulationen  sind  der  Ausdruck  des  Querschnitts 
der  Längsfasem),  und  eine  untere,  dicht  mit  ziemlich  grossen 
(Ofi03—i  M.)  kernhaltigen  Zellen  erfüllte,  von  denen  scharf  ge- 
zeichnete Fasern  entspringen,  die  die  Längsfaserschicht  quer 
durchsetzen  und  bis  zu  deren  oberster  Grenze,  alle  nach  der  Mittel- 
linie gerichtet,  hinlaufen.  Die  obersten  Zellen  der  Schicht  liegen 
oft  ziemlich  isolirt  und  spitzen  sich  nach  der  Faserschicht  hin  zu ; 
diese  Spitze  geht  deutlich  in  die  Querfaser  über.  In  der  Mittel- 
linie der  Zellschicht  sehe  ich  überall  eine  Depression  derselben: 
die  ersten  rechts  und  links  davon  entspringenden  Querfasern  sind 
etwas  stärker  und  lassen  zwischen  sich  einen  jener  Depression 
entsprechenden  ^^um,  welcher  keine  Querfasem  zeigt  (s.  Fig.  12). 
Der  obere  runde  Nervenstrang  erscheint  hier  auf  dem  Querschnitte 
als  aus  zwei  Theilen  bestehend:  einer  hyalinen  Hülle  und  einem 
zelligen  Inhalt. 

Vergleichen  wir  den  Bau  dieses  Nervenstrangs  mit  dem  des- 
jenigen Gewebes,  welches  wir  bei  Comatula  fär  den  Ambulacral- 
nerven  erklärt  haben,  so  ist  ihre  Gleichartigkeit  augenfällig.  Bei 
beiden  finden  wir  zwei  Schichten,  eine  innere  Längsfaserschicht 
und  eine  äussere  Lage  von  dicht  gedrängten  Zellen,  von  denen 
Querfasem  entspringen,  welche  die  Längsfaserschicht  durchsetzen. 
Eine  Trennung  des  Ambulacralnerven  in  zwei  gesonderte  Stränge, 
wie  bei  den  Ophiuren,  findet  sich  bei  Comatula  nicht,  wohl  aber 
in  sehr  ausgezeichneter  Weise  bei  den  Holothurien,  nicht  aber  bei 
den  Asteriden. 

Die  Innenseite  der  Etfrperwände  ist  zunächst  mit  einer  aus 
groben,  nach  allen  Richtungen  durcheinander  laufenden  Fasern 
gebildeten  Bindegewebsschicht  ausgekleidet,  welche  bei  ver- 
schiedenen Thieren  und  an  verschiedenen  Stellen  mehr  oder 
weniger  deutlich  ist.  Am  schwächsten  und  kaum  wahrzunehmen 
ist  sie  auf  den  in  das  Innere  des  Leibes  hinneinragenden  Theilen 
der  Strahlen;   deutlicher  schon  in  den  Interradialräumen;  am 

Bd.  Z,  K.  F.  m^  s,  18 


276  Reinhold  Teascber, 

dicksten  und  leicht  als  Ganzes  zu  isoliren  auf  der  Innenseite  der 
Rtlckendecke.  Von  den  mir  bekannten  Thieren  ist  die  Schicht 
bei  Ophioderma  am  stärksten  entwickelt  Die  ganze  Innenseite 
dieser  Faserlage  wird  von  einer  ihr  dicht,  aber  nicht  sehr  fest 
aufliegenden  Membran  ausgekleidet :  der  äussern  Wand  der  Lieibes- 
höhle.  Auch  sie  ist  in  ihrem  Rttckentheil  am  dicksten  und  besteht 
hier  aus  mehreren  Lagen  vorzugsweise  radial  angeordneter  zarter 
Fasern,  während  die  der  ovalen  Eörperseite  anhaftende  Hälfte 
mehr  hyalin  ist  und  seltenere,  mehr  gekreuzte  Fasern  enthält. 
Die  innere  Wand  der  Leibeshöhle  nun,  welche  am  Mundrande  in 
die  eben  beschriebene  äussere  übergehend,  mit  ihr  zusammen 
einen  geschlossenen  Sack  bildet,  liegt  ihr  in  allen  Punkten  an, 
nur  die  im  Leben  zwischen  beiden  ohne  Zweifel  vorhandene 
Fltlssigkeit  trennt  sie.  Dieselbe  bildet  zugleich  die  tiefste  Schicht 
der  Magenhaut,  mit  welcher  sie  untrennbar  vereinigt  ist. 

Das  ganze  Innere  der  Leibeshöhle  ist  mit  einem  Plattenepithel 
ausgekleidet  und    die  beiden  Blätter  werden   durch   zahlreiche 
bindegewebige  Fäden  an    einander  befestigt.    In  dem  ventralen 
Theile  der  Leibeshöhle  ist  die  Anheftung  sehr  lax,  und  die  Fäden» 
so  viel  ich  sehen  konnte,  einfache  Fasern ;  in  dem  dorsalen  Thefl 
dagegen  liegen  beide  Wände  viel  dichter  an  einander.    Von  dem 
Centrum  des  Rttckenstücks ,  wo  in  einem  kreisförmigen  Ranme 
die  Verbindung  vorzugsweise  eng  ist,  laufen  viele  radiale  Falten 
aus,  die  Dicke  der  Innern  Wand  der  Leibeshöhle  und  der  Magen- 
wand begreifend,  von  denen  zehn  bei  weitem  die  stärksten  sind« 
Hier,  in  der  Rttckengegend,  sind  die  Bindegewebsbalken,  welche 
die  Leibeshöhle  durchsetzen,  besonders  kräftig  und  von  eigenthttm- 
lichem  Bau.    Ein  spiralig  aufgerolltes  Faserbttndel  ist  in  einer 
zarten  Httlle  eingeschlossen,  welche  bei  Erythroxylinßlrbung  deut- 
liche Längsstreifung  erkennen  lässt,  auch  mit  Epithelzellen  weit- 
länftig  besetzt  ist.    OfiPenbar  sind  diese  Balken  der  Ausdehnuirg 
und  Zusammenziehnng  fähig;  doch  dtlrfte  dadurch  wohl  nur  der 
fltlssige  Inhalt  von  einer  Stelle  nach  der  andern  gedrängt  werden 
können  (bb,  Fig.  14). 

In  dem  Bau  der  Magenhaut  selbst  finden  wir  die  grösste 
Aehnlichkeit  mit  der  Bildung  derselben  bei  Comatula.  Die  unterste 
Lage  bildet  auch  hier  eine  hyaline  Schicht,  wellige  Fasern  nnd 
Zellen  enthaltend;  aber  hier  finden  sich  in  ihr  ausserdem  noch 
zaUreiche  Ealkstäbchen  (ks,  Fig.  14).  Die  Wand  der  Leibeshöhle 
liegt  ihr  dicht  an,  ihre  beiderseitige  Grenze  ist  nicht  erkennbar. 
Von  dieser  Membran  aus  laufen,  wie  dort;  dicht  liegende  Fasern, 


Beitrage  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  277 

welche  die  ganze  Dicke  der  Magenhaut  durchsetzen,  und  in  ihren 
Zwischenräumen  finden  sich  dieselben  zahlreichen  kleinen  Zellen 
wieder.  Aber  ausserdem  sehea  wir  hier  an  der  Basis  eine,  stellen- 
weis auch  mehrere  Lagen  viel  grösserer,  wasserheller  Zellen  von 
0,012—24  M.  Durchmesser,  während  die  kleinen  nur  0,0045  M. 
haben*  Ich  halte  diese  grösseren  Körper  fttr  Zellen,  obgleich  es 
mir  nicht  gelang,  einen  Kern  in  ihnen  nachzi^weisen,  weil  man 
öfters  an  ihnen  Schrumpfungserscheinnngen  wahrnimmt,  welche 
sich  wohl  nur  durch  das  Vorhandensein  einer  Hüllmembran  er- 
klären lassen.  Auf  die  kleinzellige  Schicht  folgt  dann  eine  Lage 
ziemlich  langer  Cylinderzellen,  welche  die  Matrix  der  den  Magen 
auskleidenden  Cuticula  bildet 

Einen  besondem  Abschnitt  der  Leibeshöhle  bildet  noch  der 
in  der  Lippe  enthaltene  Theil,  d.  h.  in  demjenigen  Stttck  der 
Magenhaut,  welche  die  innere  Mundöffnung  kreisförmig  umgiebt 
und  durch  ihre  Zusammenziehung  dieselbe  zu  schliessen  bestimmt 
ist  Die  Magenhautschicht  ist  hier  etwas  niedriger,  als  ander- 
wärts, und  mehr  lappig  getheilt;  die  innere  Bindegewebsschicht 
enthält  sehr  zahlreiche  Radial-  und  Circulärfasern,  welche  sich  in 
rechten  Winkebu  kreuzen ;  die  einen  mttssen  durch  ihre  Zusammen« 
Ziehung  die  Mundöfinung  erweitem,  die  andern  sie  verengern. 
Es  gelang  mir  nicht,  mich  durch  die  gewöhnlichen  Reagenzien 
ypn  der  musculären  Natur  dieser  Fasern  zu  ttberzeugen,  ihrem 
Aussehen  und  übrigen  Verhalten  nach  scheinen  sie  vielmehr 
elastische  Fasern.  Die  Lippe  setzt  sich  nun  ringsum  zu  beiden 
Seiten  des  Nervengefässrings  fest^  und  umschliesst  so  eine  ring- 
förmige Höhlung  (Fig.  8  u.  9,  1),  welche  zweifellos  einen  Theil 
der  Leibeshöhle  ausmacht,  obgleich  ich  keine  directe  Communi- 
cation  zwischen  den  beiden  nachweisen  konnte.  Der  Lippenhohl- 
raum fUUt  sich  bei  Iigectionen  durch  das  Nervengefäss  ebenso- 
wohl, wie  die  eigentliche  Leibeshöhle;  doch  sah  ich  in  einigen 
Fällen  unvollständiger  Injection  nur  die  Leibeshöhle  sich  füllen. 
Man  muss  daraus  schliessen,  dass  ihr  Zusammenhang  mit  dem 
Nervengefäss  unmittelbar  durch  den  Nervengefässring  Statt  findet, 
obgleich  ich  die  Verbindungsöfinung  nicht  nachweisen  konnte. 

Während  der  Correctur  vorliegenden  Aufsatzes  erhielt  ich 
Greeffs  neueste  Arbeit  über  Comatula  (Marburger  Sitzungsberichte 
vom  Januar  1876),  und  freue  mich,  mit  einem  so  bewährten 
Forscher  fast  in  allen  Punkten  übereinzustimmen.  Der  wesent- 
lichste Unterschied  liegt  in  der  beiderseitigen  Darstellung  der 
Leibeshöhle.    Oreeff  verlefirt  dieselbe  in  das  spongiöse  Gefässnetz, 

18* 


278  Belnhold  Teuscher, 

welches  den  Darm  nmgiebt,  und  in  welches  die  Seitengefässe 
eintreten  (nach  ihm  aach  das  Mnskelgefass),  darum  nennt  er  auch 
diese  Oefässe  ^^die  Leibeshöhle  des  Strahls'^  Aehnlich  haben, 
wenn  ich  mich  recht  erinnere,  Carpenter  und  Perrier  die  Verhält- 
nisse aufgefasst 

Ich  habe  die  wirkliche  Leibeshöhle,  welche  den  Darm  sammt 
den  spongiösen  Gefässen  umschliesst,  beschrieben  und  abgebildet 
(Taf.  VII,  Fig.  2),  und  glaube  nicht,  dass  die  Richtigkeit  meiner 
Darstellung  bezweifelt  werden  kann.  Durchschneidet  man  nahe 
an  der  Peripherie  ringsum  die  Eelchdecke  einer  Gomatula  ohne 
den  Darm  zu  yerlctzen,*so  lässt  sich  mit  einer  in  den  Mund  ein- 
gesetzten Pincette  leicht  der  ganze  Inhalt  des  Kelchs  in  einem 
Stücke  herausheben.  Man  hat  dann  die  beiden  Blätter  der  Leibes- 
höhle von  einander  getrennt;  das  äussere  ist  an  der  Innenseite 
des  Kelchs  haftend  geblieben,  das  innere  überzieht  die  heraus- 
genommene spongiöse  Masse. 

Femer  lässt  Greeff  nicht  nur  die  beiden  Seitengefasse  des 
Strahls  in  das  spongiöse  Gewebe  seiner  Leibeshöhle  eintreten, 
sondern  auch  das  Muskelgefäss,  dessen  Hinabsteigen  in  das  Gefäss- 
centrum  doch  leicht  nachzuweisen  ist;  er  macht  das  letztere  zum 
Mittelpunkte  eines  ganz  getrennten  Girculationssjstems,  und  lässt 
aus  ihm  zehn  Gefässe  entstehen,  fünf  radiale,  welche,  wenn  ich 
ihn  recht  verstehe,  im  Innern  der  Gentralstränge  der  ersten 
Strahlenglieder  yerlaufen  und  dann  an  die  Haut  treten  sollen, 
und  fünf  interradiale,  welche  in  den  Zwischenräumen  der  Strahlen 
an  der  Kelchwand  in  die  Höhe  steigen,  um  sich  dann  ebenfalls 
an  der  Haut  zu  verzweigen.  Macht  man  die  eben  beschriebene 
Darstellung  der  Leibeshöhle  an  einem  farbig  injicirten  Exemplar, 
so  sieht  man  im  Innern  des  Kelchs  die  zehn  Gefässe  GreefTs  sehr 
deutlich  durch  das  äussere  Blatt  der  Leibeshöhle  durchschimmern ; 
aber  die  fünf  radialen  Gefässe  weisen  sich  bei  näherer  Unter- 
suchung als  die  fünf  Muskelgefässe  ^er  Strahlen  aus,  wie  ich  sie 
beschrieben  habe;  die  fünf  interradialen,  welche  ich  zu  erwähnen 
vergessen,  sind  einfach  die  Muskelgefässe  der  Kelchpinnen,  welche 
letztere  sich  dadurch  als  rudimentäre  Strahlen  zu  erkennen  geben. 

Jena,  den  15.  April  1876. 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermenu  279 


ErklSmngr  der  Abbildangren.   Tafel  ü. 


Fig.  U    QaerBchnitt  des  Strahls  von  Ophiothrix  fragilis. 

Fig.  2.    Derselbe  von  Ophioderma  longicaada. 

Fig.  8.    Derselbe  von  Asterophyton  Linkii. 

Fig.  4.    Derselbe  von  Ophiocoma  crassispina. 

Die  Bachstaben  bedeuten  überall  dasselbe,  ng  Nervengefass.  ag  Am- 
bulacralgefass.  t  Tentakel,  tc  Tentakelcanal.  rg  Rückengefäss.  sgSeiten- 
gefäss.  vg  Verbindungsgefass.  an  Ambulacralnerv.  bb  bindegewebige 
Befestigung  des  Nerven,  hb  hyalines  Bindegewebe,  tn  Tentakelnerv, 
om  oberer  Muskel,  um  unterer  MuskeL  afs  äussere  Faserschicht,  ifs 
innere  Faserschicht.    hs  hyaline  Schicht. 

Fig.  6.  Horizontalschliff  durch  den  Strahl  von  Ophiothriz  frag.  Wegen  un- 
gleichen Abschleifens  sieht  man  auf  der  einen  Seite  bei  vg  die  isolirten 
Verbindungsgefasse,  bei  sg  auf  der  andern  Seite  das  durch  ihre  Ver- 
einigung entstandene  Seitengefass.    sp  Seitenplatten. 

Fig.  6.  Horizontalschliff  durch  den  Körper  von  Ophiothrix  frag.,  Mitte  zwischen 
der  ventralen  Oberfläche  und  dem  Nervengefässring.  rw  Wirbel,  as  Am- 
bulacralstück.  ias  Interambulacralstück.  ta  torus  angularis,  pa  palae  angu- 
lares.  mt  Canal  vom  Ambulacralring  zu  den  Mundtentakeln,  miri  Musculus 
interradialis  internus,  mire  Muse,  interradialis  externus.  cir  canalis 
interradialis.  ng  Nervengefass.  n  Ambulacralnerv.  aa  Bichtung  des 
Schnitts  (Fig.  8).    bb  Richtung  der  Schnitte  (Fig.  9  und  10). 

Fig.  7.  Ebensolcher  Schliff  durch  den  Nervengefassnng.  Der  seiner  tiefern 
Lage  wegen  nicht  sichtbare  Ambulacralring  ist  in  einem  Teil  der  Figur 
angredeutet.  s  Text.  Dieselben  Buchstaben  bezeichnen  dieselben  Theile 
wie  Fig.  6.  am  Ambulacralmuskel.  nr  Nervengefassnng.  ac  Ambnlacral- 
canaL  pp  Frästomialplatten  MüUer's,  welche  den  interambulacralen  Theil 
des  Nervengefässes  von  Innen  bedecken,  hier  nur  durcheinend  gesehen, 
mp  die  den  torus  ang.  durchsetzenden  Muskeln,  welche  die  palae  angu- 
lares  bewegen. 

Fig.  8.  Verticalschliff  durch  die  Mitte  des  centralen  Endes  eines  Strahls  von 
Ophiothrix  in  der  Richtung  der  punktirten  Linie  aa,  Fig.  6  u.  7.  1  Lippe, 
mh  Biagenhaut.  Ih  Leibeshöhle,  agr  Ambnlacralgefässring.  nr  Nerven- 
ring, am  AmbulaeralmnskeL  ng  Nervengefass.  an  Ambulacralnerv.  ag 
Ambnlacralgefass. 
Fig.  9»  Verticalschnitt  durch  ^e  Mundecke  von  Ophioderma,  in  der  Rich- 
tung der  punktirten  Linie  bb,  Fig.  6  u.  7.  pa  palae  angulares.  ta  torus 
angularis,  miri  musc  interrad.  int.  mire  musc.  interrad.  externus.  ias 
Interambulacralstttcke  (Gelenk),  dr  canalis  interradialis.  nrg  Nervengefass- 
nng. nr  Nervenring.  Pb  Poli'sche  Blase.  Ih  Leibeshöhle,  mh  Magen- 
hauU    1  Lippe,    pp  Frästomialplatten. 


280      Reinhold  Teoscber,  Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen. 

Fig.  10.    Dasselbe  von  Opliiolepis  ciliata.    ngr  Nervengefassring.    ar  Ambu- 

lacralring.    bk  Beercnförmiger  Körper.   St  Stiel,    sk  Steinsack,  u  Umbo. 

X  Stelle,  wo  der  Steinsack  über  den  Nervengefassring  hinwegragt. 
Fig.  11.    Abgangsstelle  des  in  den  Wirbel  tretenden  Zweigs  (wn)  des  Amba- 

lacralnerven  von  Ophiolepis. 
Fig.  12.    Querschnitt  des  Ambolacralnerven  aus  einem  ergänzten  Strahl  von 

Ophiothriz  Hemprichii.  zs  Zellenscbicht.  fs  Faserschicht  os  oberer  Strang. 
Fig.  13.    Ambalacralnerv  von  Ophiolepis  von  oben,    os  Oberer  Strang,    df 

dunkle  Fasern. 
Fig.  14.    Durchschnitt  durch  Magenwand  und  Leibeshöhle  von  Ophioderma 

von  der  Rückenseite,    fs  untere  Faserschicht,     wlh.  äussere  Wand   der 

Leibeshöhle.  Ih  Leibeshöhle,  mh  Magenhaut,  s  Text   bb  bindegewebige 

Balken. 
¥1g.  15.    Querschnitt  eines  Tentakels  von  Ophiothrix  fragilis.     1ms  Längs- 

muskelschicht    hs  hyaline  Schicht    n  Nerv. 


lieber  das  Haarkissen  am  Blattstiel  der  Imbauba 
(Cecropia),  das  Gemüsebeet  der  Imbauba-Ameise, 

Von 

Fritz  Müller. 

Thomas  Belt  gebührt  das  Verdienst ^  in  seinem  vortreff- 
lichen ;,Natnralist  in  Nicaragua^';  einer  wahren  Fand- 
grabe anadehender  Beobachtangen  and  anregender  Gedanken^  hin- 
gewiesen za  haben  aaf  die  merkwürdigen  and  wichtigen  Wechsel- 
beziehangen  zwischen  gewissen  mit  Honigdrüsen  aasgestatteten 
Pflanzen  and  den  Ameisen^  welche  den  Honig  lecken  and  dafür 
die  Pflanzen  gegen  verscluedene  Feinde  schützen,  anter  denen 
im  wärmeren  America  die  Tragameisen,  Arten  der  Gattang  Oeco« 
doma,  obenan  stehen. 

Belt  gedenkt  bei  dieser  Gelegenheit  aach  der  Imbaaba 
(C  e  c  r  0  p  i  a).  Der  hohle,  darch  Qaerwände  in  Kammern  getheilte 
Stamm  dieses  Baames  ist  stets  von  Ameisen  bewohnt,  die  hier 
Schildläase  halten  and  bei  jeder  Erschütterang  des  Baames  za 
Taasenden  hervorstürzen ,  am,  wen  sie  da  finden,  mit  höchst 
empfindlichen  Bissen  za  verfolgen.  Belt  glaabt,  dass  aach  diesem 
Baame  die  Anwesenheit  der  Ameisen,  denen  derselbe  so  geräamige 
Wohnang  bietet,  von  Natzen  sei.  ^)  Und  darin  hat  er  ohne  Frage 
Recht  and  aach  in  diesem  Falle  sind  es  vornehmlich,  wenn  nicht 
aasschliesslich  die  Tragameisen  (Oecodoma),  gegen  deren  An- 
griffe die  im  Stamm  der  Imbaaba  haasenden  Ameisen  als  treae 
Wacht  and  schützendes  Heer  dienen.  Wiederholt  sah  ich  jange 
Imbaabastämmchen,  in  denen  noch  keine  Ameisen  sich  angesiedelt 
hatten,  nie  aber  solche,  die  bereits  von  Ameisen  bewohnt  waren. 


')  Thomas  Belt,  The  Naturalist  ia  Nicaragua.    London  1874,  p.  299. 


282  Fritz  Müller, 

darch  Tragameisen  ihrer  Blätter^  bis  auf  die  Stiele  und  Haupt- 
nerven,  vollständig  beraubt  werden. 

Was  aber  veranlasst  die  Imbaaba- Ameisen,  so  treue  Waeht 
zu  halten  an  den  Blättern  des  Baumes^  der  ihnen  Obdach  ge- 
währt? —  Erschütterungen  des  Baumes  rufen,  wie  gesagt,  die 
kleinen  Vertheidiger  desselben  zu  Tausenden  hervor;  aber  gerade 
gegen  die  Feinde,  die  Stamm  oder  Aeste  erschüttern,  gegen  das 
Faulthier,  das  ausschliesslich  von  den  Blättern  des  Imbauba  lebt, 
oder  gegen  die  Axt  des  Menschen,  vermögen  sie  trotz  ihrer 
empfindlichen  Bisse  ^)  den  Baum  nicht  zu  schützen.  Das  Anf- 
und  Absteigen  der  Tragameise  kann  weder  auf  diese  Weise,  durch 
Erschütterung,  sich  ihnen  bemerklich  machen,  noch  wird  es  über- 
haupt von  den  im  Innern  des  Stammes  sich  aufhaltenden  Be- 
wohnern desselben  bemerkt  werden  können.  Was  also  veranlasst 
die  Imbauba-Ameise,  die  Blätter,  —  namentlich  die  bei  allen 
Pflanzen  zumeist  den  Angrifien  der  Tragameise  ausgesetzten 
jüngeren  Blätter  zu  bewachen? 

Ich  war  vor  Kurzem  so  glücklich,  die  Antwort  auf  diese 
Frage  zu  finden,  und  hoflfe,  sie  wird  auch  Anderen  nicht  weniger 
Freude  und  Ueberraschung  bereiten,  als  mir  selbst. 

Am  Grunde  des  Blattstiels  der  Imbauba  gewahrt  man  ein 
flaches  Kissen,  das  sich  etwa  1  Mm.  über  seine  Umgebung  erhebt 
und  von  unten  her  reichlich  die  Hälfte  des  Blattstiels  umfasst 
An  dem  Blatte  eines  0,07  M.  dicken  Stammes  war  dieses  Kissen 
in  der  unteren  Mittellinie  des  Blattstieles  23  Mm.  breit,  erstreckte 
sich  von  da,  allmählich  verschmälert,  35  Mm.  nach  jeder  Seite 
und  nahm  eine  Fläche  von  etwa  8  Quadratcentimeter  ein.  So 
lange  dieses  Kissen  von  dem  tütenartigen  Nebenblatte  des  nächst- 
unteren Blattes  umschlossen  wird,  ist  es  weiss ;  an  der  Luft  färbt 
es  sich  bald,  erst  hell,  dann  dann  rehbraun.  Den  Blättern  junger 
Pflanzen  fehlt  dieses  Kissen;  ebenso  den  ersten  Blättern  dünner 
Seitentriebe,  die  aus  geköpften  jüngeren  Stämmen  hervorspriesseu ; 
so  waren  an  dem  8  Mm.  dicken  Triebe  eines  abgehauenen  10  Mm. 
dicken  Stämmchens  die  vier  ersten  Blätter  ganz  ohne  Kissen; 
das  fünfte  und  sechste  zeigten  ein  kleines  Kissen  auf  einer  Seite, 


')  Die  hiesige  Imbauba-Ameise  gehört  zu  den  stacheUosen  Arten,  bei 
denen  nur  der  erste  Hinterleibsring  abgeschnürt  ist;  dasGeäder  ihrer  Vorder- 
flügel  gleicht  dem  der  Formica -Arten  mit  Discoidalzelle ;  sie  unterscheidet 
sich  von  Formica  durch  die  Zahl  ihrer  Tasterglieder:  die  Kiefertaster  haben 
fünf,  die  Lippentaster  drei  Glieder. 


Ueber  das  Haarkissen  der  Imbauba  etc.  283 

das  folgende  jederseits  ein  kleines  Kissen  und  dazwischen^  in  der 
Mittellinie^  einen  schmalen  Zwischenraum;  am  achten  Blatte  war 
ein  vollständiges  Kissen,  das  aber  noch  durch  eine  obere  und 
untere  Bucht  in  der  Hittellinie  auf  die  Entstehung  aus  zwei  Kissen 
hinwies;  das  neunte  Blatt  endlich  trug  ein  Kissen  von  gewöhn- 
licher Form. 

Bei  der  Entwicklung  der  Blätter  zeigt  sich  das  Kissen  zuerst 
als  ein  seidenartig  glänzender  weisslicher  Fleck ,  von  ziemlich 
weitläufig  stehenden,  einzelligen,  borstenartigen,  leicht  gekrtlmmten 
Haaren  gebildet  Zwischen  diesen  spriessen  später,  aufs  dichteste 
gedrängt,  vielzellige  Haare  hervor,  gegen  deren  Zahl  die  der  ein- 
fachen Haare  fast  verschwindet  Sie  erreichen  eine  Länge  von 
reichlich  1  Mm.  und  bestehen  aus  etwa  einem  Dutzend  Zellen ; 
die  untersten  sind  gestreckt  walzenförmig,  die  obern  eiförmig  oder 
kuglig  und  dicker  als  die  unteren;  die  Endzelle  läuft  in  eine 
ktlrzere  oder  längere,  häufig  gekrümmte,  scharfe  Spitze  aus.  Dic'ht 
zusammengedrängt  bilden  diese  Haare  ein  ziemlich  festes  Kissen, 
dessen  Oberfläche  ein  einigermassen  sammetartiges  Ansehen  hat. 
Wasserhell  und  farblos,  bis  sie  an  die  Luft  treten,  beginnen  sie 
an  der  Luft  von  der  Spitze  her  sich  zu  bräunen  und  theilweise  zu 
verschrumpfen. 

Wieder  später,  als  diese  vielzelligen,  am  Ende  perlschnur- 
förmigen  Haare,  und  erst  wenn  die  Enthüllung  des  Blattes  nahe 
rttckt,  entwickeln  sich  in  den  Kissen  keulenförmige  Gebilde,  die 
bis  zu  0,8—1  M.  Länge  heranwachsen,  bei  0,3 — 0,5  M.  Dicke; 
ihr  Ende  ist  abgerundet;  ihr  grösste  Dicke  fällt  bald  nahe  dem 
freien  Ende,  bald  gegen  die  Mitte  hin,  bald  endlich  ist  ihre  Dicke 
eine  fast  gleichbleibende,  so  dass  üire  Gestalt  zwischen  bim- 
fOrmig,  eiförmig  und  walzenförmig  schwankt  Beif  erscheinen 
sie  milchweiss,  glänzend,  etwas  durchscheinend.  Sie  sind  nicht 
saftig  und  weich,  sondern  ziemlich  fest  und  schrumpfen  beim 
Trooknen,  wobei  sie  gelblich  werden,  nur  massig  zusammen.  Sowie 
sie  ihre  volle  Grösse  erlangt  haben,  lösen  sich  diese  Kölbchen 
ab  und  treten  allmählich  ttber  die  Oberfläche  des  Haarkissens  her- 
vor, in  welchem  sie  wäsrend  ihres  Wachsthums  versteckt  lagen. 
Sie  fallen  nun  bei  leichter  Bertthrung  und  endlich  wohl  auch  von 
selbst  ab. 

Dur  Zeit,  wo  das  Haarkissen  durch  das  Abfallen  des  nächst- 
unteren ttttenförmigen  Nebenblattes  enthüllt  wird,  pflegt  schon 
eine  Zahl  dieser  Kölbchen  mehr  oder  weniger  aus  dem  Kissen 
hervorgetreten  zu  sein;   dabei   aber  finden  sich  noch  jüngere 


284 


Fritz  Müller, 


Eölbchen  in  allen  Grössen  im  Innern  des  Kissens.  Der  Nach- 
schub neuer  Eölbclien  dürfte  eine  ganze  Beihe  von  Wochen  an- 
dauern; da  sie  noch  auf  dem  Haarkissen  des  dritt-  oder  selbst 
yiertleteten  Blattes  sich  zeigen.  Die  Haarkissen  der  obersten 
Blätter  iunger  Stämme ,  die  noch  nicht  von  Ameisen   bewohn 


Spitze  eines  jangen,  nicht  von  Ameisen  bewohnten  ImbaabastiunmcheDs, 
nat  Gr.  —  Die  Blätter  sind  abgeschnitten.  Der  oberste  der  drei  Blattstiele 
von  dem  tütenförmigen  Nebenblatte  des  nächst  unteren  Blattes  umhüllt.  Am 
Grunde  der  beiden  unteren  Blattstiele  die  braunen  Haarkissen,  mit  milch- 
weissen  Eölbchen  besetzt. 

sind;  pflegen  reichlich  mit  Eölbchen  geziert  zu  sein,  die  wie  milch- 
weisse  Spargelpfeifen  aus  braunem  Beete  hervortreten ;  man  findet 
ihrer  60  bis  100  auf  einem  einzigen  Kissen.  An  Pflanzen  aber 
die  von  Ameisen  bewohnt  sind  und  das  ist  schon  bei  daumes- 
dicken  Stämmchen  fast  ausnahmslos  der  Fall,  sieht  man  in  der 


Ueber  das  Haarkisaen  der  Imbauba  etc.  285 

Regel  nur  ganz  vereinzelte  kanm  in  halber  Länge  Yonragende 
Kölbchen*  Schon  hieraus  wttrde  sich  mit  befriedigender  Sicher- 
heit schliessen  lassen^  dass  die  Eölbchen^  sowie  sie  reif  aus  dem 
Haarkissen  sich  erheben^  von  den  Ameisen  abgeerntet  werden^  — 
dass  die  Besuche,  welche  die  Ameisen  beständig  bei  den  jttngeren 
Blättern  machen,  den  Haarkissen  am  Grunde  des  Blattstieles, 
ihren  Gemttsebeeten  gelten,  —  und  dass  in  Folge  dieser  steten 
Besuche  die  Tragameisen  nicht  unbemerkt  zu  den  Blättern  der 
Imbauba  gelangen  können.  Es  wurde  mir  indess  auch  Gelegen- 
heit, dem  Abernten  eines  Gemüsebeetes  als  Zeuge  beizuwohnen. 
Ich  hatte  die  Spitze  eines  25  Mm.  dicken  Imbaubastämmchens 
mit  heimgenommen,  welches  von  einem  sehr  schwachen,  wohl 
kaum  einige  hundert  Arbeiter  zählenden,  wahrscheinlich  noch 
jungen  Ameisenvolke  bewohnt  war.  Der  Stiel  des  obersten  be« 
reits  vollständig  entfalteten  Blattes  war  noch  von  dem  nächst- 
unteren Kebenblatte  umschlossen,  und  als  ich  dieses  entfernte, 
zeigte  sich  das  dadurch  blossgelegte  Haarkissen  mit  zahlreichen 
(etwa  50)  Eölbchen  besetzt  Die  Ameisen  hatten  ihren  Eingang 
in's  Innere  des  Stammes  ungewöhnlich  weit  von  der  Spitze,  etwa 
0,5  M.  unter  dem  neuen  Gemttsebeete;  und  doch  hatte  ich  dasselbe 
kaum  zugänglich  gemacht,  so  erschienen  auch  schon  die  Ameisen 
auf  demselben.  Jede  packte  eines  der  weissen  Eölbchen  mit  den 
Kinnbacken  und  lief  damit  stammabwärts,  um  es  heimzutragen. 
Anfangs  ging  das  recht  rasch,  da  die  ganz  losen  Eölbchen  eben 
nur  wegzunehmen  waren.  Bei  denen  aber,  die  noch  fester  sassen, 
und  kaum  Aber  halb  vorsahen,  kostete  es  oft  ziemliche  Zeit  und 
Mühe,  bis  sie  nach  manchem  Ziehen  und  Wackeln  nach  ver- 
schiedenen Seiten  sich  lösten  und  fortgetragen  werden  konnten. 
Nach  etwa  10  bis  15  Hinuten  waren  nur  noch  vier  Eölbchen 
übrig,  an  denen  verschiedene  Ameisen  vergeblich  ihre  Eräfte  ver- 
sucht hatten. 

So  ist  denn  der  Fall  der  Imbauba  dem  der  merkwttrdigen 
Ochsenhom-Aracia^),  den  ThomasBeltso  lebensfrisch  geschildert 
hat,  weit  ähnlicher,  als  Belt  glaubte;  hier  wie  dort  liefert  der 
Baum  seinen  Vertheidigem  neben  Obdach  auch  Nahrung  und  wie 
dort  die  goldenen  Birnen  jedes  Blattes  eine  nach  der  anderen 
reifen  und  so  dem  jungen  Blatte  fUr  längere  Zeit  den  Besuch  der 
schtltzenden  Ameisen  sichern,  so  bietet  auch  das  Gemttsebeet  jedes 
neu  entfalteten  Imbaubablattes  den  Ameisen  eine  Wochen  lang 


')  Thomas  Belt,  a.  a.  O.,  p.  218. 


286  Fritz  Müller,  lieber  das  Haarkissen  der  Imbaaba  etc. 

andauernde,  Wochen  lang  sie  anlockende  Ernte.  Dieser  fort- 
dauernde Nacbschub  junger  Eölbchen  wird  ermöglicht,  —  und 
darin  liegt  dessen  Bedeutung,  —  durch  das  dichte  Haarkissen, 
welches  nicht  nur  den  unter  ihm  sich  entwickelnden  Eölbchen  die 
nöthige  Feuchtigkeit  bewahrt;  sondern  auch  die  Ameisen  hindert, 
dieselben  vor  der  Reife  anzutasten. 

Und  nun  noch  Eins.  In  der  Regel  sind  es  Honigdrttsen,  welche 
die  schützenden  Ameisen  (hier  besonders  einen  kleinen  schwarzen 
Crematogaster)  herbeiziehen.  Dagegen  scheinen  die  Eölbchen 
des  Imbauba  vorwiegend  aus  einem  Eiweissstoffe  zu  bestehen. 
Jodlösung  färbt  sie  dunkel  gelbbraun,  concentrirte  Schwefelsäure 
schön  rosenroth.  —  Da  die  von  ihnen  gezüchteten  Schildläuse  den 
Imbauba-Ameisen  Honig  oder  eine  ähnliche  süsse  Flüssigkeit 
liefern,  dürften  Honigdrüsen  auf  sie  keine  allzugrosse  Anziehungs- 
kraft ausüben  und  so  bietet  ihnen  die  Imbauba  als  Lockspeise 
in  den  von  ihnen  so  eifrig  gesuchten  Eölbchen  nicht  eine  stisse 
saftige  Frucht,  sondern  gewissermassen  ein  Liebig'sches  Fleisch- 
extract,  einen  verdichteten  Eiweissstoff  in  möglichst  handlicher, 
bequemer  Form.  Während  wir  unsere  stickstoffhaltige  Nahrung 
hauptsächlich  den  Thieren,  unsere  stickstofflose  den  Pflanzen  ent- 
nehmen, ist  das  Umgekehrte  also  bei  der  Imbanba-Ameise  der 
FaU. 

Itajahy,  31.  October  1875. 


lieber  die  Entstehung  des  SchwärmsprSsslings 
der  Podophrya  quadripartita  Clp.  u.  Lehm« 

Von 


O.  Bfltochli. 


Hiemi  Tafel  DL 


Die  erste  Eenntniss  von  der  Fortpflanzang  der  Acinetinen 
durch  im  Innern  des  mütterliohen  Leibes  sich  entwickelnde 
Schwärmsprösslinge  verdanken  wir  Stein.  Die  Ermittlang  dieser 
Thatsache  war  eine  der  ersten  and  wichtigsten  Früchte  seiner 
Infnsorienstndien ,  die  er  im  Jahre  1847  begonnen  hatte.  1849 
beschrieb  er  zuerst  ^)  die  Bildung  eines  derartigen  Sprösslings  bei 
der  Acinete  der  Wasserlinsen^)  und  glaubte  die  Ansicht  aus- 
sprechen zu  dürfen,  dass  dieser  Schwärmsprössling  sich  durch 
directe  Umwandlung  eines  sich  abschnürenden  Theils  des  Nucleus, 
mittels  Aufaahme  eines  Theils  der  verflüssigten  Kömermasse  des 
AcinetenkörperS;  hervorbilde.  Er  stand  hierbei  unverkennbar  unter 
dem  Einfluss  einer  im  Jahre  1845  von  v.  Siebold  in  seinem  Lehr- 
buch der  vergl.  Anatomie  geäusserten  Vennuthung ') :  dass  nämlich 
vielleicht  der  sogen.  Nucleus  der  Infusorien  in  einem  ähnlichen 
Verhältniss  zu  dem  ihn  einschliessenden  Infusor  stehe,  wie  die 
schlauchartigen  Larven  des  Monostomum  mutabile  zu  den  sie  um- 


0  Fr.  Stein,  Untersacbnngen  über  die  Entwicklung  der  Infusorien.  Arch. 
f.  Natargeschichte,  15.  Jahrg.  1849.  Bd.  I,  p.  92. 

*)  Stein  nennt  diese  Acinete  spKter  Acineta  Lemnarum;  Clapar^de  and 
Laebmann  hingegen  betrachten  sie  als  identisch  mit  der  aof  Cjclops  quadri- 
corms  schmarotEenden  Podophrya  und  nennen  sie  daher  Fodophrja  Cjclopum 
(Stades  8.  L  infusoires,  I,  p.  382). 

•)  L  c,  p.  25. 


288  O.  BütschU, 

hallenden;  infusorienartigen  Embryonalleibern.  Auch  die  Beob- 
mchtangen  über  yenneintliche  Embryonen  ciliater  Infusorien  (Para- 
maedom  Barsaria),  welche  schon  einige  Zeit  vorher  (1844)  Focke 
angestellt  hatte  nnd  bei  deren  Bildung  gleichfalls  der  Nuclens 
eine  wichtige  Rolle  (als  Uteras)  spielen  soUtC;  mögen  Stein  in 
seiner  Absicht  bestärkt  haben.  — 

Diese  vermeintliche  Entstehung  der  Schwärmsprösslinge  ans 
einem  Theil  des  Nucleus  des  Mutterthiers  sollte  nun  eine  verhäng- 
nissvolle Bedeutung  für  die  gesammte  Kenntniss  der  Fortpflanzung 
sowohl  der  AcineteU;  als  der  ciliaten  Infusorien  erlangen ;  wechsel- 
seitig führte  man  den  vermeintlichen  Nachweis  dieser  Erscheinung 
bei  der  einen  Abtheilung  als  Stütze  für  die  ähnliche  Entstehung 
der  Embryonen  der|  andern  an  und  umgekehrt 

In  seiner  späteren  grösseren  Arbeit  über  die  Entwicklungs- 
geschichte der  Infusorien  ^)  zeigte  Stein  die  ähnliche  Fortpflan- 
zungsweise bei  einer  Beihe  anderer  Acineten,  und  es  gelang  ihm 
nun  auch,  bei  zwei  Arten  dem  Process  der  Embryonenbildung 
etwas  näher  zu  kommen.  Bei  Acineta  Infusionum  Stein  und 
tuberosa  ^)  Ehrbg.  war  es  ihm  geglückt,  nachzuweisen,  dass  sich 
der  im  Mutterthier  bildende  Schwärmsprössling  um  einen  Fortsatz 
des  Nucleus  formire,  so  dass  also  in  diesen  Fällen  nur  der 
Nucleus  des  Schwärmsprösslings  von  dem  des  Mutterthiers  ge- 
liefert werde,  das  Protoplasma  des  ersteren  hingegen  sich  um 
diesen  Nucleus  anlagere,  also  nothwendigerweise  von  dem 
des  Mutterthiers  hergeleitet  werden  müsse.  Es  scheint  mir,  als 
wenn  Stein  damals  dieser  Bildungsweise  des  Schwärmsprösslings 


')  Die  Infusorien  auf  ibre  Entwicklangsgeschiclite  antersacbt.  Leipzig  1854. 

*)  I.  c,  p.  164  und  217.  Stein  hielt  die  Acinete,  bei  welcber  er  diese 
Beobacbtung  zuerst  anstellte,  für  die  Ehrenberg'scbe  Podopbrya  fiza,  erkannte 
jedoch  später  die  Verschiedenheit  derselben  von  dieser  £hrenberg*schen  Art 
und  nannte  sie  daher  (vergl.  Organismus  der  Infusionsthiere  I,  p.  48)  Acineta 
Infusionum.  Hiernach  sind  die  Angaben  bei  Hertwig  (Morphologische  Jahr- 
bücher I)  zu  berichten.  Dagegen  ist  es  jedenfalls  nicht  richtig,  wenn  Hertwig 
bemerkt,  dass  die  von  Stein  als  Acineta  tuberosa  Ehrbg.  beschriebene  Art 
nicht  die  Ehrenberg'sche  sei;  Claparöde  und  Lachmann  erkannten  (fitudes  I, 
p.  388)  die  Identität  der  Stein'schen  Acineta  tuberosa  mit  der  gleichnamigeB 
£hrenberg*sohen  Art  an;  dagegen  bemerken  sie  im  IL  Band,  p.  142,  dass  Stein 
nur  diese  Identität  annehme  und  scheinen  sie  für  unwahrschdnlich  zu  halten, 
da  (vergl.  die  Anmerkung)  Stein*s  Acineta  tuberosa  eine  Süsswasserform  sei, 
die  Ehrenberg'sche  Art  aber  marin.  Diese  Angabe  Clapar&de*s  beruht  jedoch 
nur  auf  einem  Versehen,  da  die  Stein*sche  A.  tuberosa  gleichfalls  eine  marine 
Form  ist. 


üeber  die  Entstehung  der  Schwärmsprösslinge  etc.  289 

eine  ziemlich  allgemeine  Geltung  zngeschrieben  hätte  (ohne  Zweifel 
jedoch  mit  Ausnahme  des  Dendrocometes  paradoxus)  ;^  späterhin 
aber  nnd  namentlich  noch  in  dem  zweite^  Bande  seines  grossen 
Infasorienwerks  *),  vertritt  er  mit  Entschiedenheit  die  Ansicht, 
dass  sich  der  Schwärmsprössling  in  vielen  Fällen  anch  direct 
ans  einem  Theil  des  Nncleus  hervorbilde  nnd  die  oben  erwähnte 
Entstehnngsweise  desselben  bei  Acineta  Infnsionum  und  tuberosa 
nur  ein  besonderer  Fall  sei.  Claparfede  und  Lachmann  ^),  welche 
den  Acineten  bekanntlich  hinsichtlich  ihrer  Fortpflanzung  ein 
sehr  eingehendes  Studium  gewidmet  haben,  hielten  an  der 
Entstehnngsweise  der  Schwärmsprösslinge  aus  Nucleussttlcken 
fest.  Lieberktthn')  hatte  eine  ganz  ähnliche  Entstehungsweise 
des  Schwärmsprösslings  einer  Acineta  der  Fischkieme  wie  Stein 
früher  bei  Acineta  Infnsionum  und  und  tuberosa  beobachtet,  glaubte 
jedoch  sonderbarer  Weise  gerade  hierin  einen  Beweis  f(ir  die  Ent- 
stehung des  Sprösslings  allein  aus  dem  Nudeus  zu  sehen. 

Engelmann  ^)  hat  die  Sprösslinge  bei  Podophrya  Steinii  Gl. 
nnd  L.  (Acineta  Operculariae  Stein),  quadripartita  Gl.  u.  L.,  Astaci 
Gl.  und  L.  und  Acineta  Infnsionum  St.  beobachtet,  und  spricht 
sich  mit  sehr  triftigen  Griinden  dahin  aus,  dass  nur  der  Nucleus 
der  Sprösslinge  von  dem  des  Mutterthiers  herstamme,  die  gesammte 
Eörpermasse  des  oft  ausserordentlich  grossen  Sprösslings 
jedoch  direct  aus  dem  Protoplasma  des  Mutterthiers  hervorgehe.  Bei 
Podophrya  quadripartita  gelang  es  ihm,  zu  beobachten,  dass  der 
mütterliche  Kern,  wie  bei  Acineta  Infnsionum  nnd  tuberosa,  mit 
dem  Kern  des  sich  bildenden  Sprösslings  noch  strangförmig  zn- 
sammenhing. 

Mittlerweile  war  jedoch  auch  zuerst  durch  Gienkowski  ^)  noch 
eine  andere  Art  der  Fortpflanzung  der  Arineten  nachgewiesen 
worden,  nämlich  die  durch  einfache  Theilung,  wobei  sich  die  eine 
Theilhälfte  ebenso  wie  der  Schwärmsprössling  mit  Gilpi  begleitete, 
ihre  Tentakel  einzog  und  sich  vom  andern  Theilsprössling  ent- 
fernte. Diese  zuerst  von  Gienkowski  bei  Podophrya  fixa  Ehrbg. 
beobachtete  Vermehrungsweise  wurde  späterhin  auch  von  GL  u« 


')  Der  Organismns  der  Infusionsthiere,  Bd.  II,  p.  139. 

*)  £tades  sur  les  infasoires,  Bd.  II. 

')  Ueber  Pxittozoen.    Zeitschr.  für  wiesenscb.  Zoologie,  Bd.  VIII,  p.  307. 

*)  Zar  Naturgeschiclite  der  Infusionsthiere.  Zeitschr.  für  wiss.  Zoologie, 
Bd.  XI,  p.  876. 

*)  Bulletins  de  TAcadem.  imp.  de  St  F^tersboorg.  Cl.  phjsicomath.  XIII. 
1855,  p.  297. 


292  O*  Bätacbli, 

sehr  nahe  liegendei  gleichsam  von  selbst  bietet  —  gehe  ich  aber  nr 
Schilderung  einiger  Beobachtungen  ttber  die  Entstehung'  des 
Schwärmsprösslings  der  Podophrya  quadripartita  Gl.  u.  L^  iprorao» 
sich  auch  hinsichtlich  der  allgeineinen  Bedeutung  dieser  Fort- 
pflanzungsweise  ein  nicht  unwichtiger  Schluss  ziehen  lassen  ^rd. 

Die  Podophrya  quadripartita,  eine  schon  im  vorigen  Jahrhundert 
von  Baker  ^)  recht  kennüich  abgebildete  Acinete,  0.  F.  Mitlief's 
Vorticella  tuberosa,  wurde  späterhin  von  Stein  ^)  eine  Zeit    lang 
ftlr  den  Acioetenzustand  der  Epistylis  plicatilis  gehalten,  da  sie 
sich  sehr  häufig  als  Ansiedler  auf  den  Bäumchen  dieser  Vorticel- 
line  findet.    Durch  ClaparMe  und  Lachmann  wieder  in  ihr  Recht 
als  selbstständige  Infusorienform   eingesetzt,   gelang   es    diesen 
Forschem  und  später  Engelmann,  gerade  bei  dieser  Acinete  mehr- 
fach den  Uebergang  des  Schwärmsprösslings  in  eine  dem  Mutter- 
thier  gleiche  Acinetine  zu  verfolgen  und  dadurch  die  Acineten- 
theorie  Stein's  zu  widerlegen.  ^)  Oben  wurde  schon  der  Beobachtung 
Engelmann's  ttber  die  Bildung  des  SprOsslings  gedacht^  woraus 
hervorging,  dass  derselbe  auch  hier  um  eine  Nucleusknospe  dutci 
Abscheidung  eines  Theils  des  mütterlichen  Protoplasmas  entstek 
Es  ist  hinsichtlich  der  einmal  von  Stein  behaupteten  Zusamm» 
gehörigkeit  der  Podophrya  quadripartita  mit  der  Epistylis  plica- 
tilis nicht  ganz  ohne  Interesse,  dass  ich  umgekehrt  bei  meinen 
Thieren  sehr  gewöhnlich  eine  derartige  Vergesellschaftung  mit  der 
Opercularia  articulata  St.  antraf;  dass  jedoch  dieser  Umstand  sich 
nur  durch  den  Nutzen  erkläre,  welchen  die  Podophryen  von  den 
durch  die  Vorticellen  erregten  Strömungen  zieheU;  ergibt  sich  einmal 
daraus,  dass  ich  sehr  häufig  auch  vereinzelte  Podophrjren  auf  den 
Wasserlinsenwurzeln  traf,  eine  ungeheure  Zahl  jedoch  auf  einer 
Bryozoe    (Fredericella?),    wo    sie    sich  jedenfalls  in   noch  viel 
günstigeren  Verhältnissen  bezüglich  der  Nahrungszufuhr  fanden 
als  auf  den  Opercularienstöckchen.  — 

Die  allgemeinen  Bauverhältnisse  unseres  Thieres  sind,  dank 
der  Arbeiten  Stein's,  ClaparMe's  und  Lachmann's,  so  weit  bekannt, 
dass  ich  nicht  näher  auf  sie  einzugehen  nöthig  habe,  um  so  mehr, 
als  ich  sie  auch  nicht  zum  Gegenstand  speciellen  Studiums  machte, 
noch  dies  beabsichtigte.   Nur  einige,  uns  hier  näher  interessirende 


')  Baker,  Beiträge  zam  nützliclieii  und  vergnügenden  Gebrauch  des  Mikro- 
akops.    Aus  dem  Engl,  übers.    Augsburg  1754,  T.  XIII,  Fig.  X— XIL 
*)  Stein,  1.  c,  p.  7  ff". 
•)  1.  c,  II,  p.  119. 


Ueber  die  Entstehung  des  Scfawärmsprösslings  etc.  293 

Pankte  bedürfen  einer  genaueren  Erwähnung.  So  einmal  die 
contractilen  Vac^olen.  Stein  ^3  beschrieb  1  bis  3,  regellos  in  der 
Nähe  des  Randes  gelegene,  contractile  Stellen.  Clapar6de  und  Lach- 
mann hingegen  geben  in  dem  systematischen  Theil  ihres  Werkes  ^) 
aUi  ein  oder  zwei,  manchmal  jedoch  auch  vier  bis  sechs  contractile 
Vacuclen  gefunden  zu  haben ;  in  dem  entwicklungsgeschichtlichen 
Band  ^)  hingegen  bemerken  sie,  dass  sich  eine  contractile  Vacuole 
immer  finde,  zwei  sehr  häufig,  dagegen  drei  sehr  selten.  Ich  traf 
nun  bei  meinen  Thieren  immer  zwei  Vacuolen  an  ganz  bestimmter 
Stelle,  und  als  ich  genauer  und  namentlich  durchsichtigere  Thiere 
untersuchte,  auch  noch  eine  dritte  Vacuole,  an  deren  Constanz 
ich  nicht  zweifle,  da  sie  schon  in  dem  Schwärmsprössling  deut- 
lichst angelegt  wird,  obgleich  ich  sie,  wie  gesagt,  nicht  immer 
sah.  Die  Lage  dieser  drei  Vacuolen  ist  aber  folgende  (Fig.  3). 
Zwei  derselben  liegen  am  Vorderende  der  Podophiye,  wie  ich 
das  der  Anheftungsstelle  entgegengesetzte  Ende  nennen  will,  und 
zwar  sich  genau  gegenüber,  zwischen  je  zwei,  der  die  Tentakel 
tragenden,  kurzen  Zapfen,  welchen  unsere  Podophrya  ihren  Species- 
namen  zu  verdanken  hat.  Die  dritte  Vacuole  hingegen  findet 
sich  etwa  in  der  Leibesmitte  des  Thieres,  und  zwar  um  einen 
rechten  Winkel  von  den  beiden  zuerst  genannten  entfernt.  Alle 
drei  liegen  dicht  unter  der  Oberfläche  dea^  Thieres,  ein  Umstand 
welcher  die  schon  von  Lachmann  ^)  ftir  die  Acinetinen  nachgewiesene 
Entleerung  der  Vacuolen  nach  aus»*  j  (wie  bei  den  cUiaten  In- 
fusorien) nur  bestätigen  kann.  Die  Neubildung  der  Vacuolen  nach 
ihrer  Systole  geschieht  auch  hier,  wie  bei  vielen  ciliaten  Infusorien 
und  Bhizopoden,  durch  das  Zusammenfliessen  einer  grösseren 
Anzahl  neuentstandener,  kleiner.  — 

Der  Nucleus  ist  ein  im  normalen  Zustand  ovaler  bis  drei- 
eckiger, langgestreckter  Körper,  dessen  Längsrichtung  mit  der 
des  Thieres  zusammenfällt.  Hufeisenförmig  gekrümmte  Formen, 
von  welchen  Stein  spricht,  sah  ich  im  normalen  Zustand  eben  so 
wenig  wie  Glaparöde  und  Lachmann,  wenn  nicht  etwa  Stein  solche 

*)  1.  C.,  p.  96. 
*)  1.  C,  p.  382. 

*)  p.  117.  Die  Erklärung  der  Angabe  Cl.  u.  L's.,  dass  sie  zuweilen  sogar 
bis  sechs  contractile  Vacuolen  sahen,  ergiebt  sich  wohl  daraus,  dass  sich,  wie 
weiter  unten  geaeigt  werden  wird,  für  jede  der  drei  Vacuolen  des  Mutter- 
thiers  entsprechende  im  Sprössling  anlegen.  Da  nun  Cl.  u.  L.  die  früheren 
Stadien  der  Sprosslingsbildung  nicht  erkannten,  so  schrieben  sie  die  neugebildeten 
Vacuolen  desselben  noch  dem  Mutterthier  zu. 

*)  Verh.  des  naturf.  Vereins  der  preuss.  Rheinlande  u.  Westph,  XVI,  p,91. 

19* 


294  O.  Bütschli, 

Formen  gesehen  hat,  die,  wie  ich  weiter  nnten  beschreiben  werde, 
der  Nuclens  nach  der  Sprösslingbildnng  annimmt. 

Die  Masse  des  Nncleus  ist  im  gewöhnlichen  Znstand  sehr 
deutlich  dnnkelkömig.  Die  ziemlich  regelmässig  gerundeten,  stark 
lichtbrechenden  Körnchen  liegen  ganz  dicht  zusammen,  in  einer 
hellen  Zwischenmasse  eingebettet.  Aeusserlich  wird  der  gesammte 
Nucleus,  wie  der  der  cUiaten  Infusorien,  noch  von  einer  dicht  auf- 
liegenden, zarten  Httllhaut  umschlossen.  Wie  bekannt,  bildet  sich 
bei  Podophrya  quadripartita  stets  nur  ein  Sprössling  auf  einmal ; 
jedoch  kann  sich,  wie  ich  mich  durch  Untersuchungen  an  dem- 
selben Thiere  überzeugt  habe  und  wie  auch  die  früheren  Forscher 
angenommen  haben,  die  Fortpflanzung  durch  Sprösslinge  mehrfach 
in  kurzen  Zeiträumen  wiederholen. 

Die  erste  Anlage  zur  Bildung  des  Sprösslings  zeigt  sich  nun 
in  einer  sehr  unerwarteten  Weise.  Man  trifft;  nämlich  sehr  häufig 
Thiere,  auf  deren  vorderen  Fläche,  mitten  zwischen  den  Tentakel- 
zapfen, sich  eine  kleine,  trichterförmige  bis  spaltartige  Einsenkang 
findet  (Fig.  1).^)  Bei  andern  Individuen  ist  diese  Einsenknng 
schon  ziemlich  tief  in  das  Innere  vorgedrungen  und  hat  sieb 
innerlich  zu  einer  kleinen  Höhle  erweitert,  während  sie  sidi 
äusserlich  durch  eine  enge  Mündung  öfihet.  Man  könnte  in  Ver- 
suchung kommen,  zu  ^glauben,  dass  sich  hier  eine  Mundöfihnng 
an  der  Podophrya  gebildet  habe ;  dem  ist  jedoch  nicht  so,  sondern 
diese  Oeffhung  ist  diejenige,  durch  welche  der  Sprössling  später 
seinen  Weg  in  die  Aussenwelt  finden  soll,  die  sogen.  Oeburts- 
Öffnung  Stein's.  Unterhalb  dieser  Oefinung,  aus  dem  Boden  der 
Höhle,  in  welche  sie  führt,  wird  sich  zunächst  der  Sprössling  an- 
legen.   Dies  geschieht  in  folgender  Weise.    Die  Höhle  vergrössert 


')  Das  tiefere  Eindringen  in  diese  Vorgänge  wurde  nur  durch  folgende 
Verfabrungsweise  ermöglicht.  Im  normalen  Zustande  sind  die  Individuen  der 
F.  quadripartita  bekanntlich  so  von  dunkeln  und  ziemlich  groben  Kömern 
erfüllt,  dass  es  nicht  möglich  ist,  die  feineren  Bauverhältnisse  des  Kernes 
ohne  Missbandlung  des  Thieres  zu  erkennen.  Lässt  man  jedoch  die  Thiere 
einige  Zeit  in  reinem  Wasser,  z.  B.  auf  dem  Objectglase,  hungern,  so  ver- 
lieren sich  die  störenden  Körner  allmählich  und  die  Acinete  erlangt  die  in 
Fig.  3  wiedergegebene,  durchsichtige  Beschaffenheit.  Das  in  Fig.  4—13  iu 
fortlaufenden  Entwicklungsstadien  dargestellte  Tbier  war  auf  diese  Weise 
auf  dem  Objectglas  seit  etwas  mehr  als  24  Stunden  vor  der  Beobachtung  ge- 
zogen worden.  Bei  der  Isolation  enthielt  das  Thiers  und  seine  Gefährten 
Embryonen,  welche  nach  einiger  Zeit  ausschwärmten;  24  Stunden  später 
bildeten  sie  von  neuem  Sprösslinge,  deren  Formationsgeschichte  in  den  Ab- 
bildungen wiedergegeben  ist. 


Ueber  die  Entstehung  des  Schwärmsprösslings  etc.  295 

sich  unterhalb  der  vordren  Fläche  der  Podophrya^  jedoch  nach 
yerschiedenen  Seiten  in  sehr  ungleicher  Weise.  In  der  Ebne  näm- 
lieh;  in  welcher  die  hintere  Vacnole  liegt,  wächst  sie  nach  beiden 
Seiten  rasch  weiter  zwischen  das  Protoplasma  der  Podophrya 
hinein,  etwa  parallel  mit  der  Oberfläche  des  Acinetenkörpers  ver- 
laufend, so  dass  sie  bald  zu  beiden  Seiten  des  Nucleus  die  Gegend 
der  hintern  Vacuole  erreicht  (Fig.  3).  In  der  hierzu  senkrechten 
Richtung  hingegen,  in  der  Ebne  der  beiden  vordem  Väcuolen, 
hat  sie  sich  vorerst  nur  sehr  wenig  ausgedehnt,  wie  sich  dies 
besser  aus  der  Fig.  3  ersehen,  als  mit  Worten  schildern  lässt. 

Auf  dem  Boden  der  so  vergrösserten  Höhle,  der  ungefähr 
einen  Theil  einer  Kugeloberfläche  bildet,  zeigt  sich  nun  sehr  bald 
eine  mittlere,  in  der  Ebene  der  hinteren  Vacuole  verlaufende 
Furche  (Fig.  3),  deren  Grund  sich  sogleich,  soweit  dies  mit  Sicher- 
heit zu  erkennen  ist»  mit  mehreren  Reihen  von  lebhaft  schlagenden 
Wimpern  bekleidet. 

Der  so  ausgezeichnete  Boden  der  Höhle  ist,  wie  schon 
bemerkt,  ein  Theil  des  zukünftigen  Sprösslings;  die  Furche  mit 
den  Wimpern  dessen  in  Bildung  begriffener  Wimpergürtel. 

Noch  zeigt  der  Kern  der  Podophrye  nicht  die  geringste  Ver- 
änderung. Zunächst  erhält  nun  der  in  dieser  Weise  angelegte 
Sprössling  seine  eigenen  kleinen,  contractilen  Vacuolen  und  zwar 
bildet  sich  in  genau  entsprechender  Lage  in  dem  Sprössling  für 
jede  contract.  Vacuole  der  Mutter  eine  neue  (vergl.  Fig.  4  u.  5). 
Wie  bei  der  Theilung  der  ciliaten  Infusorien  werden  dieselben 
ohne  Zweifel  selbständig  in  dem  Protoplasma  des  Sprösslings  auf- 
tauchen. 

Mittlerweile  vergrössert  sich  die  Höhle  in  der  Richtung  nach 
den  beiden  vorderen  Vacuolen  unablässig,  wenn  auch  langsam 
(Fig.  4  u.  5). 

Ich  trage  nach,  dass  schon  auf  dem  Stadium  der  Fig.  3  die 
Ränder  der  eigentlichen  Einstttlpungsöffnung  der  Höhle  (wenn 
man  so  will)  sich  meist  deutlich  aufgerichtet  haben  und  gewisser- 
massen  einen  kurzen  Rüssel  der  Podophrya  bilden. 

Erst  einige  Zeit  nachdem  die  contractilen  Vacuolen  des 
Sprösslings  entstanden  sind  (Fig.  5),  zeigt  sich  sehr  plötzlich  die 
erste  Veränderung  des  Nucleus.  Zuvor  bemerke  ich  jedoch,  dass 
die  in  Fig.  4  bis  13  dargestellten  Entwicklungszustände  des 
Sprösslings  bis  zu  seiner  völligen  Ausbildung  durch  fortlaufende 
Beobachtung  eines  und  desselben  Thieres  erhalten  worden  sind, 
dass  dalier  auch  sämmtliche  nun  zu  beschreibenden  Veränderungen 


296  O.  Bütschli. 

des  Kernes  am  lebendigen  Nnclens  beobachtet  worden  sind,  also 
nicht  der  Einwarf  künstlich  hervorgerufener  Bildungen  erhoben 
werden  kann.  Plötzlich  nämlich  (Fig.  5)  verändert  der  Kern  seine 
Structur,  indem  die  stark  lichtbrechenden  Kömer,  welche^  wie 
beschrieben,  ihn  zusammensetzen,  auf  einmal  zu  Fäden  auszn- 
wachsen  beginnen,  so  dass  im  Anfange  dieser  Verändeirnng  der 
Kern  das  eigenthümliche  Aussehen  der  Fig.  5  erhält.  Dies  Aus- 
wachsen der  Kemkömer  zu  feinen  Fäden  schreitet  jedoch  weiter 
fort,  so  dass  nach  kurzer  Zeit  der  früher  so  deutlich  kömige 
Kern  als  ein  vielfach  verschlungenes  Geknäuel  feinster  Fäden 
erscheint  (Fig.  6). 

Gleichzeitig  hat  sich  jedoch  auch  die  allgemeine  Gestalt  des 
Kernes  etwas  geändert;  indem  er  sich  in  der  Längsrichtung  ver- 
kürzt und  entsprechend  verbreitert  hat.  Diese  Concentrations- 
bestrebung  des  Kernes  dauert  noch  weiter  fort,  bis  schliesslich 
eine  ziemlich  abgerundete  Form;  wie  in  Fig.  8,  erreicht^  worden 
ist.  Mittlerweile  ist  nun  auch  durch  Ausdehnung  der  Höhle  die 
Ablösung  des  Sprösslings  selbst  bedeutend  weiter  geschritten;  ich 
unterlasse  hier  eine  nähere  Schilderung  dieses  Vorganges  der  all- 
mählichen Herausschälung  des  Sprösslings,  da  die  Vergleichong 
der  Abbildungen  diesen  Process  viel  besser  erläutern  wird.  Jetzt, 
nachdem  etwa  schon  die  eine  Hälfte  des  Sprösslings  sich  Tom 
Mutterthier  abgetrennt  hat,  beginnt  zuerst  eine  auf  den  Zerfall 
hindeutende  Formveränderung  des  Kernes  (Fig.  9).  Sein  vorderes 
Ende  verlängert  und  verschmälert  sich  zu  einem  kolbenfttmigen 
Gebilde,  welches  allein  noch  in  dem,  weiterhin  als  hintere  Hälfte 
des  Sprösslings  sich  abschnürenden  llieil  des  mütterlichen  Proto- 
plasmas verbleibt,  während  der  übrige  Kern  ausserhalb  derselben 
seine  Lagerung  erhält  (Fig.  9  u.  10).  Dabei  beginnt  letzterer 
Theil  des  Kernes  in  sehr  eigenthümlicher  Weise  in  der  Ebne  der 
beiden  vorderen  Vacuolen  sich  zu  strecken,  indem  er  sich  hi^bei 
mehr  und  mehr  im  opt.  Durchschnitt  dreieckig  gestaltet  und  sich 
um  die,  nun  allmählich  zur  Abschnttrung  gelangende,  hintere  Hälfte 
des  Sprösslings  herumkrUmmt  (9—12). 

Der  in  den  Sprössling  hineinragende,  kolbenförmige  Fortsatz 
des  Kernes,  in  dessen  vorderem,  abgerundetem  Ende  die  Kemfasem 
in  recht  deutliche  Verdickungen  auslaufen  (10—11),  schnürt  sich 
nun,  indem  sich  die  Abtrennung  der  hintern  Hälfte  des  Embryo 
immer  mehr  vollzieht,  allmählich  von  der  ausserhalb  des  Spröss- 
lingsanlage  gebliebenen  Kempartie  ab,  indem  sich  der  Verbin. 
dungsstrang  beider  mehr  und  mehr  verdünnt  (Fig.  11  u.  12)  und 


Ueber  die  Entstehung  des  SchwärmsprÖsslings  etc.  297 

«chliesslieh  ganz  einreisst  Lietzteres  geschieht  sicherlich  erst  in 
dem  Moment,  wenn  die  Ablösung  des  Sprösslings  selbst  sich  voll- 
endet (Fig.  12 — 13).  Nach  gänzlicher  Abtrennung  vom  Mntter* 
thier  Hegt  demnach  der  SprössUng  als  ein  nngeflifar  eiförmiger 
Körper  dicht  unter  der  vordem  Fläche  der  Podophrya ;  mit  seiner 
Längsaxe  ist  er  zwischen  die  beiden  vorderen  Vacuolen  gestellt, 
sein  Wimpergttrtel  hingegen  liegt  in  der  Ebene  der  hinteren 
Vacuole.  Er  rotirt  nun  lebhaft  in  der  mit  Fittssigkeit  erfüllten 
Höhle  umher,  welche  durch  die  Geburtsöffhnng  von  jeher  mit  der 
Anssenwelt  in  Verbindung  stand.  Sehr  bald  verliert  nun  der 
Kern  des  Sprösslings  seine  faserige  Beschaffenheit  und  erhält 
wieder  die  kömige  Stmctnr  des  normalen  Zustandes  (Fig.  13). 
Dagegen  bewahrt  der  Kem  des  Mutterthiers  seine  faserige  Be- 
schaffenheit viel  länger.  Ich  habe  die  Btlckbildnng  desselben  zu 
der  normalen  Gestalt  und  Beschaffenheit  nicht  näher  verfolgt, 
doch  geschieht  dieselbe  wohl  ohne  Zweifel  in  umgekehrter  Weise 
wie  die  Veränderungen  während  der  Theilung.  Nachdem  nun 
der  Sprössling  sich  einige  Zeit  in  seiner  Höhle  herumgetummelt 
haty  beginnt  das  Mutterthior  regelmässig^  wie  das  auch  schon 
SteiUy  ClaparMe  und  Lachmann  angegeben  haben,  ziemlich  ener- 
gische Oontractionen  auszuführen,  welche  ohne  Zweifel  mit  dem 
Geburtsact  des  Sprösslings  in  Verbindung  stehen.  Die  Art  dieser 
Oontractionen,  die  vielleicht  besser  als  Zuckungen  bezeichnet 
werden,  erinnert  mich  nicht  etwa  an  die  Gontractionserscheinungen 
ciliater  Infusorien,  sondem  mehr  an  die  amöboiden  Bewegungen 
der  Rhizopoden,  namentlich  solcher  mit  relativ  resistenter  äusserer 
Schicht,  wie  z.  B.  die  der  Amöba  terricola  und  violacea  Greeff's. 
Es  sind  locale,  brochsackartige,  plötzliche  Hervordrängnngen  der 
Leibesmasse  an  verschiedenen  Stellen  des  Podophryenkörpers,  wie 
sie  sich  auch  in  gewöhnlichen  Verhältnissen  häufig,  jedoch  nicht 
so  anhaltend  und  energisch  zeigen.  Wie  schon  von  01apar6de 
und  Lachmann  ^)  hervorgehoben  wurde,  zeigt  die  P.  quadripartita 
die  CircnlationBerscheinung  des  Endoplasmas  der  Infusorien  recht 
deutlich,  was  ich  zu  bestätigen  vermag;  auch  in  den  sogen.  Oon- 
tractionen möchte  ich,  wie  gesagt,  nur  solche  locale  und  ener- 
gischere Strömungen  erkennen. 

Durch  die  Wirkung  dieser  Thätigkeit  des  Mutterthiers,  sowie 
«ueh  durch  seine  eigenen  Anstrengungen,  wölbt  der  Sprössling 
die  Decke  der  Höhle  allmählich  hervor,  wobei  zugleich  die  röhren- 


')  1.  c.  n,  p.  121.  Anmerkung. 


298  O.  Bütsclili, 

artige  Verlängerung  fder  Gebnrtsöffiiiing  allmählich  schwindet. 
Schliesslich  tritt  er  nnter  mächtiger  Ausdehnung  der  Geburts(Mfiiang 
(Fig.  14)  in  die  Aussenwelt. 

Die  Gestalt  des  so  in  Freiheit  gesetzten,  durch  nicht  sehr 
energische  Bewegungen  sich  herumtummelnden  Spr^yssUngg  ist 
etwas  verschieden  von  der  des  noch  in  der  Mutter  eingeschlossenen» 
Die  ursprüngliche  Längsaxe  desselben  hat  sich  nämlich  anfifal- 
lend  verkürzt,  dagegen  die  Ebene  der  Wimperreifen  verbreitert 
(Fig.  16). 

Durch  die  Wimperreifen  wird  der  Sprössling;  wie  namentlicb 
sehr  deutlich  schon  an  dem  noch  im  Mutterthier  eingeschlossenen 
zu  sehen  ist,  in  zwei,  an  Grösse  etwas  differirende  Theile  ge- 
schieden, von  welchen  ich  den  kleinen,  der  eine  contractile  Vacnole 
enthält  (Fig.  13),  den  vorderen  nennen  will,  da  er  bei  der  Be- 
wegung gewöhnlich  vorangeht,  den  grossem  dagegen,  der  zwei 
Vacuolen  einschliesst,  den  hinteren.  Im  letzteren  findet  auch 
meist  der  Kern  seinen  Platz.  Die  Zahl  der  Wimperreifen  beträgt 
sehr  wahrscheinlich  vier.  Dieselben  sind  durch  drei  vorgewölbte 
Bänder  von  einander  geschieden,  in  den  Furchen  zwischen  welchoi 
die  Wimpern  eingepflanzt  sind.  Aehnliche  Ausbildung  der  Wimper- 
reifen wurde  schon  mehrfach,  sowohl  von  Stein  als  Glapar6de  and 
Lachmann,  für  verschiedene  Schwärmsprösslinge  beschrieben. 

Dies  sind  jedoch  nicht  die  einzigen  Wimpern,  welche  sich  bei 
unsem  Sprösslingen  finden;  bei  den  in  Freiheit  getretenen  findet 
man  nämlich  auch  das  Hinterende  deutlich  von  Cilien  besetzt 
(Fig.  16),  obgleich  dieselben  sich  nur  über  eme  sehr  beschränkte 
Stelle  desselben  verbreiten. 

An  einer  Bandstelle  des  Vordertheils  des  Sprösslings  be- 
merkte ich  mehrfach,  dicht  bei  dem  Wimpergürtel,  eine  etwas  ^- 
gedrückte  Stelle,  die  möglicherweise  ähnlichen  Einsenkungen^ 
welche  sich  an  einer  gewissen  Stelle  der  Schwärmsprösslinge 
anderer  Acineten  finden,  entspricht,  und  welche  Stein  ^)  früher  ftr 
saugnapfartige  Bildungen,  mittels  deren  sich  der  Sprössling 
künftighin  anheften  würde,  erklärte,  während  B.  Hertwig  darin 
Rudimente  eines  Cytostoms,  eines  Mundes,  zu  erkennen  glaubt» 
Für  unsere  Sprösslinge  kann  ich  hinsichtlich  dieser  Frage  kdn 
entscheidendes  UrtheU  f&llen ;  ich  muss  jedoch  hervorheben,  dass 
die  Oertlichkeit  dieser  kleinen,  eingesenkten  Stelle  bei  unseren 
Sprösslingen  ziemlich  gut  mit  derjenigen  Stelle  harmonirt,  mittels 


^)  Organismus  der  Infasionsthiere  I,  p.  105. 


Ueber  die  Entstehang  de«  Schwärmsprösslings  etc.  299 

welcher  sie  sich  künftighin  anheften  werden  und  weloher  die 
Ansseheidong  des  Stieles  der  jungen  Podophrye  zukommt 

Ich  glanbe  nämlich,  dass,  obgleich  ich  die  Entwicklang  des 
Schwärmer  zu  der  Podophrya  nicht  direct  beobachtet  habe,  über 
die  Stelle,  mittels  der  sich  der  Schwärmer  festheftet  und  die  die 
Ansscheidnng  des  Stieles  vollzieht,  kaum  ein  Zweifel  sein  kann. 
Wir  sehen  nämlich,  dass  der  Schwärmer  immer  in  ganz  bestimmter 
Weise  za  seinem  Mntterthier  orientirt  ist,  dass  die  Ebene,  in 
welcher  sich  der  Wimpergttrtel  bildet,  immer  genan  der  Ebene 
entspricht,  welche  dar?h  die  hintere  Vacuole  der  Podophrya  and 
deren  Längsaxe  gelegt  werden  kann.  Die  weitere  Vergleichang 
der  Regionen  des  Schwärmers  mit  denen  der  festsitzenden  Podo- 
phrya ist  dnrch  die  Lage  der  drei  Vacuolen  genan  festgestellt. 
Es  kann  daher  meiner  Ansicht  nach  keinem  Zweifel  anterliegen, 
namentlich  da,  wie  sogleich  gezeigt  werden  soll,  der  ganze  Process 
der  Sprösslingsbildnng  sich  nngezwnngen  von  der  einfachen  Thei- 
lang  Wleiten  lässt,  dass  sich  die  Regionen  des  Sprösslings  auch 
bei  dem  Uebergang  in  die  Podophrya  in  ihrer  nrsprtlnglichen 
Bedentong  erhalten  werden  and  dass  daher  der  Sprössling  sich 
in  derselben  Lage  anheften  wird,  die  er  arsprttnglich  bei  seiner 
Entstehang  hatte,  also  die  Abscheidang  des  Stieles  von  einer 
Stelle  ausgehen  mnss,  welche  der  hintern  Vacuole  und  dem 
Wimpergürtel  genähert  liegt.  Diese  Stelle  entspricht  jedoch  recht 
gut  der  oben  erwähnten,  kleinen  Einsenkung. 

Es  dürfte  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  auch  die  Knospen- 
sprösslinge  der  Hertwig'schen  Podophrya  gemmipara  bei  ihrer 
Entstehung  bezüglich  ihrer  Regionen  genau  so  orientirt  sind  wie 
ihre  Mutter.  Es  muss  daher  auffallen,  dass  nach  der  Hertwig'schen 
Beschreibung  des  allmählichen  Uebergangs  des  Sprösslings  in  eine 
junge  Podophrya  eine  Verdrehung  der  Axe  des  Sprösslings  um 
90^  stattfindet,  wo4urch  also  die  Regionen  ganz  verkehrt  würden. 
Würde  sich  dagegen  die  Ausscheidung  des  Stiels  in  der  von 
Hertwif  einem  Cytostom  verglichenen  Einsenkung  vollziehen,  was 
nach  den  so  bestimmten  Angaben  dieses  Beobachters  jedoch  kaum 
möglich  erseheint,  so  würde  die  Orientining  der  ursprünglichen 
Regionen  des  Schwärmers  dieselbe  bleiben,  bezüglich  denen  des 
Mutterthieres. 

Eine  Frage  erhebt  sich  noch,  hinsichtlich  des  Verhaltens  der 
Gebnrtsöifnung  nach  dem  Austritt  des  Sprösslings;  verschwindet 
dieselbe  nämUch  völlig  wieder,  wie  dies  Stein  und  Claparfede- 
Lachmann  behaupten,  oder  bleibt  sie  erhalten  und  kann  gleich 


300  O.  Büttohli, 

zar  Bildnng  eines  zweiten  Embryo  unterhalb  derselben  geschritten 
werden?    Ich  habe  es  versäamt,  diese  Frage  zu  entscheiden. 

Durch  die  yon  mir  geschilderte  Entstehongsweise  des  Schwärm- 
sprösslings  der  Podophr}  a  qnadripartita  werden  nnn  einige,  nicht 
unwichtige  Punkte  einer  Entscheidung  näher  gebracht  Die  Ent- 
stehung des  Sprösslings  dieser  Acinetine  wurde  seither  als  ein 
Beispiel  der  endogenen  Erzeugung  eines  Fortpflanzungskörpen» 
betrachtet,  wie  sie  ja  der  Mehraahl  der  Acinetinen  zugeschrieben 
wird.  Wenn  auch,  wie  in  der  Einleitung  schon  bemerkt,  bei  einer 
kritischen  Untersnchung  d^  frühem  Beobachtungen  die  Ansicht: 
dass  die  SprOsslinge  sich  aus  Theilen  des  Nudeus  direct  hervor- 
bildeten, als  sehr  unwahrscheinlich  sich  darstellen  musste,  so 
musste  dennoch  zugestanden  werden,  dass  die  Entstehung  einer 
endogenen  Knospe,  als  welche  Hertwig  die  innerlich  gebildeten 
SprOsslinge  der  Acinetinen  auffasst,  keineswegs  in  einen  unge- 
zwungenen Zusammenhang  mit  der  äusseren  Knospenbildnng  sich 
bringen  Hess,  sondern  dieser  unvermittelt  und  deshalb  unverständ- 
lich gegenüberstand. 

Dadurch  aber,  dass  gezeigt  wurde,  wie  sich  als  ursprüng- 
lichste Anlage  dieser  vermeintlichen  endogenen  Knospe  die  Oebnrts- 
Öffnung  bildet  —  also  die  Anlage  der  Knospe  sich  so  vollzieht, 
dass  ein,  wenn  auch  nur  sehr  kleiner  Theil  der  Oberfläche  des 
AciEetenkörpere  in  die  Tiefe  sinkt  und  indem  er  in  beständiger 
Communication  mit  der  Aussenwelt  bleibt,  die  erste  Anlage  der 
Knospe  bildet  —  dadurch  tritt  diese  Bildung  des  innerlichen 
Sprösslings  in  den  directesten  Zusammenhang  mit  der  äussern 
Knospenbildung,  wie  sie  von  Hertwig  trefflich  beschrieben  wurden 
mit  dem  einzigen  wesentlichen  Unterschied,  dass  im  letzteren  Fall 
ein  v^hältnissmässig  grosser  Theil  der  ursprünglichen  Oberfläehe 
des  Acinetenkörpers  zur  Oberfläche  des  KnospensprGsshngs  wird, 
während  bei  der  innern  Sprösslingsbildung  der^  Podophry a  qnadri- 
partita nur  ein  sehr  Ueiner  Theil  dieses  Verhalten  zeigt  Bei  d^ 
Bildung  der  Knospe  der  Podophrya  gemmipara  wird  die  untere 
Hälfte  der  Knospe  aus  dem  Protoplasma  des  Mutterthiers  gleich- 
sam herausgeschält,  wie  sich  Hertwig  ausdrückt ;  letztem  Process 
sehen  wir  bei  der  Podophrya  qnadripartita  dagegen  ganz  über- 
wiegen und  durch  ihn  den  grössten  Theil  der  Oberfläehe  de» 
Sprösslings  entstehen,  während  nur  ein  ganz  kleiner  Theil  der- 
selben direct  von  der  der  Mutter  sich  herleitet. 

Wir  bemerken  daher  einen  ganz  allmählichen  Uebergang  von 
der  einfiachen  Theilung  der  Podophrya  fixa  und  Acineta  mystacina 


Ueber  die  Entstehung  des  Schwärmsprösslings  etc.  301 

zar  äusseren  Enospenbildnng  der  Podophrya  gemmipara  and 
schliesslich  der  Entstehung  des  vermeintlichen  inneren  Sprösslings 
der  P.  qnadripartita.  Principiell  ist  der  Bildnngsprooess  in  allen 
Fällen  derselbe.  ^) ' 

Andererseits  aber  beweist  uns  das  beschriebene  Verhalten 
des  Kernes  der  P.  qnadripartita  während  der  Enospenbildnng 
gleichfalls  die  principielle  Uebereinstimmnng  dieses  Vorganges 
mit  der  gewöhnlichen  Theilang  der  Infasorien,  speciell  der  Ciliaten, 
denn  in  beiden  Fällen  ist  das  Verhalten  ganz  das  gleiche.  Ich 
habe  anderwärts  gezeigt^),  dass  bei  der  gewöhnlichen  Theilnng 
der  Ciliaten  die  absolut  gleiche  Ausbildung  des  faserigen  Nucleus 
eine  sehr  allgemein  verbreitete  Erscheinung  ist.  Dass  sich  das 
gleiche  Verhalten  auch  während  der  Theilung  des  Nucleus  der, 
sonst  so  weit  von  den  Ciliaten  sich  entfernenden  Acineten  findet^ 
ist  sicherlich  der  ausreichendste  Beweis,  dass  hier  ein  prin* 
cipielles  und  nicht  nur  ein  besonderes  Verhalten  einzelner  Formen 
vorliegt. 

Gleichzeitig  jedoch  giebt  uns  diese  vollständige  Ueberein- 
stimmung  des  Theilungsmodus  des  Nucleus  der  Podophrya  und 
des  der  ciliaten  Infusorien  auch  die  unumstössliche  Gewissheit 
von  der  völligen  Gleichwerthigkeit  der  beiderlei  Körper  und  damit 
auch  den  Beweis,  dass  der  Acinetennucleus  den  Werth  eines  echten 
Zellkernes  besitzt ,  da  ich  dies  fttr  den  Nucleus  der  Infusorien 
in,  wie  ich  glaube,  überzeugender  Weise  nachgewiesen  habe. 
Diese  Gleichwerthigkeit  des  Kernes  der  Acineten  mit  dem  echten 
Zellkern,  von  allen  Anhängern  der  Einzelligkeitslehre  der  Infu- 
sorien vorausgesetzt,  wurde  auch  neuerdings  von  Hertwig  durch 
das  Verhalten  desselben  gegen  Färbemittel  und  während  der  Thei- 
lung zu  beweisen  versucht,  wobei  ich  mir  zu  bemerken  erlaube, 
dass  schon  Stein  auf  die  Aehnlichkeit  der  verästelten  Kerne  seiner 
Acineta  Operculariae  (Podophrya  Steinii,  Cl.  u.  L.)  mit  den  ver- 
ästelten  Kernen    der    Spinndrttsen   und  Malpighi'schen   Gefässe 


')  Die  principielle  Uebereinstimmang  zeigt  sich  auch  noch  tiefer  gehend 
in  der  ganz  übereinstimmenden  Stellung  des  Sprösslings  zu  dem  Mntterthier. 
In  allen  drei  FiiUen  der  Entstehung  des  Sprösslings  liegt  nämlich  die  Thei* 
Inngsebene  senkrecht  zn  der  Stielaxe  des  Mutterthiers  (vgl.  Cienkowski,  1.  c), 
die  Theilangsebene  der  Acineten  ist  daher  bezüglich  des  Stieles  ganz  anders 
orientirt  wie  bei  den  gestielten,  ciliaten  Infusorien,  den  Vorticellinen,  wo  die 
Stielaxe  des  Thieres  immer  in  die  Theilungsebene  fallt. 

*)  Studien  über  die  ersten  Entwicklungsvorgänge  der  Eizelle  etc.  Abh. 
der  Senkenb.  Gesellsch.  zu  Frankfurt  a.  M.    Bd.  X,  p.  6ft  des  Separatabdr. 


\ 

302  O.  Bütschli, 

mancher  Raupen  hinwies.  ^)  Weit  sicherer  jedoch  erscheint  mir 
dieser  Beweis  durch  das  übereinstimmende  Verhalten  des  Nncleas 
der  Aeineten  und  der  ciliaten  Infusorien,  wie  ich  es  im  Laufe 
dieser  Mittheilung  zeigte^  erbracht  zu  sein. 

Da  jedoch  andererseits  dieser  Theilungsmodus  des  Zellkerns, 
wie  ich  in  meiner  oben  citirten  Abhandlung  gezeigt  habe,  keines- 
wegs ein  allseitig  verbreiteter,  sondern,  soweit  dies  heute  zu  be- 
stimmen ml^glich  ist,  auf  die  ciliaten  Infusorien  und  Acinetinen 
beschränkter  ist,  so  folgt  daraus  auch  sicherer,  als  dies  meiner  An- 
sieht  nach  seither  nachzuweisen  war,  die  nahe  Verwandtschaft 
und  die  Zusammengehörigkeit  beider  Abtheilungen. 

Ein  sehr  wesentlicher  Punkt,  welcher  die  Zusammengehörig- 
keit der  Acinetinen  und  Ciliaten  seither  erweisen  sollte>  nämlich 
die  Fortpflanzung  durch  innerlich  sich  entwickelnde,  sehr  ähnlich 
gestaltete  Sprösslinge,  ist  durch  £ngelmann's  ^)  und  meine  Unter- 
suchungen über  die  ciliaten  Infusorien  als  ganz  illusorisch  nach- 
gewiesen worden,  indem  die  vermeintlichen  Embryonen  sich  in  fast 
allen  Fällen  als  parasitische  Acinetinen  ergeben  haben. 

Ein  zweiter  Punkt  hingegen,  nämlich  die  zeitweise  Bewimperong 
der  Acinetensprösslinge  in  einer  Weise,  welche  sich  der  der  Ciliaten 
nicht  selten  näher  anschliesst,  besitzt  zwar  eine  unleugenbare 
Bedeutung  hinsichüich  der  Frage  nach  den  Verwandtschaftsver- 
hältnissen der  Acinetinen  und  Ciliaten,  dennoch  meiner  Ansicht 
nach  nicht  eine  so  hohe,  als  man  vielleicht  ursprünglich  voraus- 
zusetzen geneigt  ist.  Vom  Darwinistischen  Standpunkte  aus  kann 
man  die  Bewimperung  des  SchwärmsprGsslings  der  Acinetinen 
eben  so  wohl  als  eine  durch  Anpassung  erworbene,  zur  Verbrei- 
tung der  Sprösslinge  geeignete  Einrichtung  betrachten,  als  nm- 
gekehrt  in  dieser  Einrichtung  die  Bückkehr  zu  einem  ehemaligen 
Urzustand  der  Acinetinen  erkennen.  Eine  Berechtigung  scheint  hierzu 
um  so  mehr  vorhanden,  als  sich  die  grosse  Variabilität  der  Be- 
wimperung der  SprOsslinge  bei  ganz  nahe  stehenden  Acinetinen 
sicherlich  leichter  erklären  Hesse  durch  eine  von  grossec  Neigung 
zur  Variation  unterstützte,  spätere  Anpassung,  als  umgekehrt  durch 
die  Annahme,  dass  so  verschiedene  Modi  der  Bewimperung  ihre 
Ursache  in  eben  so  verschieden  gebauten  Ureltem  der  Acinetinen 
linden  würden.  Sehen  wir  doch  in  nicht  allzu  unähnlicher 
Weise  auch  die  Schwärmsporen  der  Algen  hinsichüich  ihrer  Be- 


0  1.  C,  p.  119. 

*)  Kogelmann,  lieber  Entwickl.  a.  Fortpfl.  d.  Inf.  Morph.  Jahrb.  Bd.I.  p.  578« 


Ueber  d\e  Entstehung  des  Schwärmsprösslings  etc.  303 

wimpernng  eine  Reihe  yerschiedenartiger  Bildungen  darbieten,  die 
gewiss  Niemand  zur  Feststellung  ihrer  Phylogenie  zu  verwerthen 
geneigt  sein  wttrde.  Während  uns  dieselben  in  den  meisten  Fällen 
den  Typus  der  Flagellaten  vorftthreu;  treffen  wir  dagegen  bei  den 
Oedogonien  Schwärmsporen  mit  einem  Cilienkranz,  bei  gewissen 
Vaucherien  sogar  solche  mit  totaler  Bewimperung  an. 

Ausserdem  möchte  sich  doch  die  nicht  ungerechtfertigte  Frage 
erheben  lassen,  ob  denn  das  biogenetische  Grundgesetz  ^)  auch 
noch  in  solchen  Fällen  seine  Gültigkeit  bewahrt,  wie  sie  uns  z.  B. 
die  Acinetinen  während  ihrer  Fortpflanzung  vorführen ;  denn  denken 


^)  Hinsichtlich  der  angeregten  Frage,  nach  der  Gültigkeit  des  biogene- 
tifloheD  Grundgesetzes:  dass  die  Ontogenie  eine  kurze  Recapitulation  der 
Phjlogenie  sei,  im  Bereich  der  Protozoen,  muss  ich  mir  hier  noch  eine  nähere 
Ausführung  erlauben. 

Die  uns  bekannten  Fortpflanznngsarten  der  Protozoen  leiten  sich  aner- 
kanntermaassen  sämmtlich  von  der  einfachen  Theilung  ab.  Gerade  bei  den 
höchststehenden  Protozoen,  den  Ciliaten,  sehen  wir,  trotz  des  compliuirten 
Baues  des  Organismus,  diesen  Theilungsprocess  in  der  denkbarst  einfachsten 
Weise  sich  volbdehen.  Das  Resultat  sind  zwei  Sprösslinge  von  derselben  Be- 
schaffenheit wie  die  Mutter.  In  diesem  Falle  lässt  sich  daher  gar  nicht 
von  einer  Ontogenie  des  Organismus  in  dem  Sinne  der  höheren  Thiere 
sprechen.  Bei  letzteren  ist  schon  a  priori  die  Annahme,  dass  der  vielzellige 
Orvanismns,  der  sich  aus  einer  einfachen  FortpflanznngszeUe  heranbildet,  die- 
selben Stufen  der  Entwicklung  durchläuft,  welche  der  Organismus  bei  seiner 
phylogenetischen  Entstehung  aus  einem  einzelligen  Wesen  durchgehen  musste, 
sehr  naturgemäss.  Anders  jedoch  bei  den  Protozoen.  Hier  erscheint  uns 
umgekehrt  der  Zerfall  eines  mütterlichen  Organismus  in  zwei  ihm  gleich- 
werfthige  als  der  natürlichere  Zustand,  wobei  die  jungen  Sprösslinge  den 
mehr  oder  weniger  hoch  differenzirten  Zustand  direct  von  ihrer  Mutter  über- 
kommen. Daraus  erst  abgeleitet  dagegen,  müssen  uns  alle  diejenigen  Fort- 
pflanzungsarten der  Protozoen  erscheinen,  wo  das  in  einfacher  oder  mehr- 
facher Zahl  erzeugte  Theilungs-  respect.  Knospungsproduct  sich  in  auffallender 
Weise  von  dem  mütterlichen  Organismus  unterscheidet.  (Fortpflanzung  durch 
Zoosporen,  Amöbenbrut  be!  Gregarinen  und  Arcella,  Schwärmsprösslinge  der 
Acinetinen  z,  Theil).  Hier  fragt  es  sich  doch  sehr,  ob  die  Ausbildung  dieser 
Fortpflanzungskörper  etwa  als  ein  Rückschlag  zu  einer  früheren  Organisations- 
stufe  der  Protozoen  aufgefasst  werden  dürfe  oder  als  eine,  bestimmter  Zwecke 
wegen,  allmählich  erlangte  besondere  Ausbildung  der  Sprösslinge.  Nur  iui 
ersteren  Falle  liesse  sich  die  allmähliche  Entwicklung  der  Organisatien  des 
Mutterthieres  an  dem  Fortpflanzungskörper  (Sprössling,  Spore  etc.)  als  ein 
der  ontogenetischen  Entwicklung  der  höheren  Organismen  entsprechender 
Vorgang  betrachten;  im  letzteren  Falle  hingegen  könnte  man  höchstens  von 
einer  Metamorphose  sprechen,  in  ähnlicher  Weise  wie  ja  viele  Protozoen  der- 
artige Metamorphosen  in  Folge  des,  sich  in  ihren  Entwicklungsgang  häufig 
einschiebenden  Enoystirungsprocesses  durchmachen. 


304  O.  Bötschli, 

wir  uns  den  einfachsten  Fall,  nämlieh  die  Bildnng  des  SchwSnn- 
sprösslings  dnrch  einfache  Theilang  einer  Podophiya  fixa  ^)  oder 
mystacina,  so  lässt  sich  ja  Yorerst  nicht  einmal  die  Frage  ent- 
scheiden, welche  Theilhälfte  in  diesem  FaU  Matter,  welche  Junges 
sei,  wenn  nämlich  die  Podophrya  fixa,  wie  dies  häofig  der  Fall 
ist,  stiellos  auftritt. 

Hinsichtlich  einer  phylogenetischen  Abstammung  von  be- 
wimperten Infusorien  giebt  uns  daher  meiner  Ansicht  nadi  die 
Bewimperung  der  Schwärmsprösslinge  der  Acinetinen  keinen  Auf- 
schluss,  eben  so  wenig  als  die  Thatsache  des  Vorkommens  flagel- 
lat'^nartiger  Zoosporen  bei  den  Bhizopoden  die  phylogenetische 
Abstammung  der  letzten  von  flagellatenartigen  Organismen  er- 
weisen könnte. 

Das  Einzige,  was  sich  aas  der  Thatsache  der  Bewimperung 
der  Schwärmsprösslinge  der  Acinetinen  ergiebt,  ist,  dass  das 
Piotoplasma  der  Acineten  die  Fähigkeit  besitzt,  unter  Umständen 
und,  wie  dies  auch  durch  eine  Hertmg'sche  Beobachtung  an  Podo- 
phrya fixa  erwiesen  ist,  keineswegs  immer  nur  am  Schwärm- 
sprösslinge zahlreiche  Wimpern  zu  erzeugen.  Hierin,  abgesehen 
von  jeder  Frage  der  Abstammung,  eine  Verwandtschaft  mit  den 
Protoplasma  der  Infusorien  zu  erkennen,  ist,  da  ja  auch  sonstige 
verwandtschaftliche  Beziehungen  existiren,  gewiss  gerechtfertigt 
Mag  daher  auch  die  phylogenetische  Ableitung  der  Acinetinen 
und  ciliaten  Infusorien  sich  späterhin  ergeben,  wie  sie  wolle,  die 
Formation  der  Schwärmsprösslinge,  deren  Entstehung  als  ein  ein- 
facher, wiewohl  zuweilen  sehr  modificirter  Theilungsprocess  be- 
trachtet werden  muss,  entsprechend  der  bis  jetzt  allein  bekannten 
Fortpflanzung  der  Ciliaten  durch  Theilung,  kann  sicherlich  keinen 
Anhaltspunkt  zur  Aufklärung  dieser  Frage  bieten,  eben  so  wenig 
wie  sich  eine  Thatsache  aus  der  Fortpflanzung  der  Ciliaten  durch 
Theilung  zur  Erkenntniss  von  deren  Phylogenie  verwerthen  Hesse. 

Sollten  die  Schwärmsprösslinge  der  Acineten  unter  Umständen 
die  Fähigkeit  vorübergehender  Mundbildung  besitzen,  was  ich 
jedoch  noch  sehr  bezweifeln  muss,  so  würde  dadurch  ihre  Ver- 
wandtschaft mit  den  Ciliaten  im  gleichen  Sinne,  wie  dies  hin- 
sichtlich der  Bewimperung  der  Fall,  erhöht,    ohne   dass  jedoch 


')  Dies  ist  am  so  mehr  der  Fall,  da,  wie  aus  Cienkowski's  Schildermig 
hervorgeht,  nrsprünglich  die  beiden  Theilhälften  der  F.  fiza  mit  Tentakela 
versehen  sind.  Erst  nach  einiger  Zeit  zieht  die  vordere  Theilhälfte  ihre  Ten- 
takel ein,  bedeckt  sich  mit  Wimpern  und  eilt  als  Sprössling  davon.  (L  c) 


Ueber  die  Entstehung  dei  Schwärmsprösslings  etc.  305 

hierdarch  die  AbBtammiing  yon  einem  mit  Mund  yersehenen  ciliaten 
Infnsor  erwiesen  wäre. 

Bei  der  grossen  Uebereinstimmang^  welche  die  Undei  der 
Snetoria  and  CSiliata  zeigen,  erscheint  es  gewiss  gerechtfertigt, 
danach  zu  suchen,  ob  sich  dieselbe  nicht  noch  weiter  erstrecke, 
ob  nämlich  nicht  anch  die  zweite  Art  kleiner  and  rudimentärer 
Kerne  der  Ciliaten,  welche  die  frühere  Forschang  Nadeoli  genannt 
hat  und  die  ich  yorgeschlagen  habe,  die  primären  Nuclei  zu  nennen 
—  ob  die  Acinetinen,  sage  ich,  neben  ihrem  Nncleas  nicht  auch  noch 
solche  primäre  Kerne  enthalten  wie  die  Ciliaten.  Bei  Podophiya 
qnadripartita,  welche  ich  in  dieser  Hinsicht  mehrfach  untersuchte, 
habe  ich  nie  etwas  Derartiges  gesehen;  dagegen  habe  ich  mich 
von  der  Existenz  eines  dunklen,  kleinen  Körperchens  neben  dem 
Nndeus  der  parasitischen  Acinetinen  (Sphaerophrya  GL  und  L.) 
des  Paramtteium  Bursaria  mehrfach  überzeugt.  Ich  glaube  kaum 
fehl  zu  gehen,  wenn  ich  dieses  mehrfach  constatirte  Körperchen 
flir  ein  Homologon  des  sogen.  Nudeolus  der  Ciliaten  halte,  und 
sehe  in  dieser  Beobachtung  wenigstens  die  Aufforderung,  diese 
Frage  künftighin  einer  genaueren  Prüfung  zu  unterziehen. 

Die  geschilderte  Entstehungsweise  des  Schwärmsprösslings 
zeigt  uns  jedoch  noch  eine  Thatsache  mit  grosser  Deutlichkeit, 
die  auf  die  Theüung  der  Infusorien  und  wohl  auch  der  Zelle  im 
Allgemeinen  ein  nicht  unbedentsames  Licht  wirft.  Es  standen 
sich  nämlich  schon  seit  längerer  Zeit,  hinsichtlich  der  Aufeinander- 
folge der  Theilungserscheinungen  und  der  hieraus  zu  folgernden, 
causalen  Beziehungen  derselben  zu  einander,  zwei  Meinungen 
schroff  gegenüber. 

Schon  Stein  sprach  in  dem  ersten  Bande  sdnes  „Organismus 
der  Infusionsthiere''  die  Ansicht  aus:  „Die  Theilung  geht  nicht 
yon  dem  Nudeus  aus,  wie  man  häufig  angenommen  hat;  denn 
sehr  oft  zeigt  derselbe  noch  keine  Spur  yon  Veränderung,  während 
an  der  äusseren  Oberfläche  bereits  mehr  oder  weniger  tief  grei- 
fende Metamorphosen  stattgefunden  haben''  (p.  93).  ClaparMe 
und  Lachmann  sprechen  sich,  meiner  Ansicht  nach,  in  dersdben 
Weise  aus,  wenn  sie  (Bd.  II,  p.  248)  bemerken:  „Ce  n'est  en 
gän^ral  que  fort  tard  que  la  diyision  du  nucleus  a  Heu.''  Es  ist 
daher  nicht  richtig,  wenn  R.  Hertwig  bemerkt  (1.  c,  p.  64)  „so 
lassen  Claparide  und  Lachmann  zwar  die  Theilung  der  Infusorien 
mit  einer  Theilung  des  Kernes  beginnen."  Andererseits  hat  auch 
die  Ansicht  lebhaften  Beifall  gefunden,  welche  die  Theilung  liait 
den  Veränderungen  des  Kernes  anheben  und  durch  diese  erst  die 


306  O.  Bütsdili, 

Theilangserscheiniiiigeii  des  Protoplasmaleibes  der  Zelle  herror- 
gerufen  werden  lässt.    So    sah  sich  anch  Hertwig  durch  seine 
Untersuchungen   an  Podophiya  gemmipara  zu   dieser  Schloss- 
folgemng  veranlasst,  der  er  in  den  nachstehenden  Worten  einen 
deutlichen  Ausdruck  verldht:  ^^so  sind  anch  hier  die  Kemver- 
änderungen  das  Primäre,  das,  was  den  Anstoss  zu  lebhaften,  mit 
der  Ausbildung  neuer  Individuen  endenden  Wucherungen  giebt^' 
(p.  63).    Ob  jedoch  die  Verästelungen^  welche  sich  allmählich  an 
dem  Nudeus  der  Podophiya  gemmipara  ausbilden,  an  und  für  sich 
schon  in  directen  Zusammenhang   mit  der  künftigen  Enoapen- 
bildnng  gebracht  werden  dttrfen,  das  darf  wohl  bezweifelt  werden, 
da  wir  auch  andere  Acineten  mit  verästehem  Nucleus  kennen,  bei 
welchen   die  einzelnen  Zweige  des  Kernes  jedenfalls  nicht  die 
Rolle  spielen,  die  ihnen  Hertwig  bei  der  Podophiya  gemmipara 
bezüglich  der  Veranlassung  der  Knospenbildung  zuschreibt  (man 
vergl.  die  Acineta  Operculariae  Stein  =  Podophiya  Steinii  dp. 
n.  Lachm.).    Hertwig  bemerkt  auch,   dass  es   „in  vielen  Fällen 
den  Eindruck  mache,  als  sttllpe  die  andrängende  Kemknospe  das 
Protoplasma  vor  sich  aus/'    Dies  muss  ich  jedenfalls  für  zu  weif- 
gehend  erachten,  da  sich  bei  Hertwig  selbst  (T.  II,  Fig.  5)  die 
Abbildung   einer  Podophrya   mit    wohl   ausgebildeten  Knospe 
findet,  in  welche  die  Kemknospen  noch  gar  nicht  hineinragen. 

Erinnern  wir  uns  der  Schilderung,  welche  im  Vorhergehenden 
von  der  Entstehung  des  Sprösslings  der  Podophrya  gemmipara 
gegeben  wurde,  so  finden  wir,  dass  die  ersten  Anzeichen  der 
Knospenbildnng  nicht  etwa  am  Kern  des  Mutterthieres,  sondern 
an  dessen  protoplasmatischer  Leibesmasse  auftreten,  dass  die  An- 
lagen der  Qeburtsöffnung,  eines  Theils  des  Sprösslings,  dessen 
Wimpergürtels  und  der  drei  Vacuolen  zu  bemerken  sind,  bevor 
der  Kern  eine  Spur  von  Veränderungen  gezeigt  hat  Wir  sehen 
uns  daher  zu  dem  Schlüsse  genöthigt,  dass  die  ersten,  auf  die 
künftige  Theilung  hindeutenden,  sichtbaren  Veränderungen  sieh  am 
Protoplasma  und  nicht  am  Kern  manifeiftiren  und  dass  die  Knospen- 
bildung unserer  Podophrya  wohl  als  ein  treffendes  Beispiel  anf- 
gefasst  werden  darf,  um  dieses  Verhältniss  zu  iUustriren,  das,  wie 
ich  anderwärts  zu  zeigen  versucht  habe^),  auch  durch  andere 
Erscheinungen  bei  der  Theilung  der  Inftisorien  und  Zellen  wahr- 
scheinlich gemacht  wird. 

^)  1.  c.  Abhandl.  der  Senkenb.  Gresellschaft,  Bd.  X,  p.  306  des  Separat- 
abdrucks. 


Ueber  die  Entstehung  des  Schwärmsprösslings  etc.  307 

Nachdem  ich  das  Vorstehende  niedergeschrieben  nnd  zum 
Druck  gesendet  hatte,  erhielt  ich  Gelegenheit;  die  Acineta  mysta- 
«ina  in  grösserer  Menge  zn  beobachten^  nnd  es  gelang  mir  leicht, 
die  Richtigkeit  der  Glaparöde  -  Lachmann'schen  Beobachtungen 
über  die  Fortpflanzung  dieser  Acinete  zu  bestätigen.  Ich  traf  sehr 
häufig  in  der  Theilung  begriffene  Thiere  an,  und  es  fiel  mir  dabei 
auf,  dass  dieselben  zum  gr()sseren  Theil  zu  den  mittelgrossen  und 
kleinen,  mit  sehr  lichter  EörpersubstanZ;  gehörten,  dagegen  die 
sehr  grossen  und  kömerreicheui  daher  relativ  undurchsichtigen 
Thiere  sehr  selten  in  Theilung  zu  beobachen  waren.  Die  Theilungs- 
«bene  yerläufl;  meist  etwas  schief  von  hinten  nach  vorn,  die  neue 
eontractile  Vacuole  entsteht  seitlich  oder  etwas  mehr  nach  vom. 
Die  zum  Sprössling  werdende  TheiQiälfke  ist  meist  etwas  kleiner 
als  die  in  der  Schale  zurückbleibende  und  stets  tentakellos,  die 
andere  Hälfte  hingegen  reichlich  mit  Tentakeln  versehen.  Die 
genaue  Verfolgung  des  Kernes  während  des  Theilungsactes  gelang 
nicht,  dagegen  liess  sich  mit  Sicherheit  nachweisen,  dass  derselbe 
auch  hier  die  faserige  Umbildung  erfährt  wie  bei  der  Podophrya 
quadripartita.  Nach  geschehener  Theilung  schiebt  sich  der  Spröss- 
ling  allmählich  nach  vom  unter  die  Mündung  des  Gehäuses  und 
bekleidet  sich  allmählich  mit  einem  allseitigen,  anfänglich  äusserst 
schwer  wahrnehmbaren  Wimperkleid;  dies  bildet  sich  allmählich 
deutlicher  aus,  womit  auch  die  Oberfläche  des  Sprösslings  sehr 
merklich  ein  gestreiftes  Aussehen  erhält,  und  schliesslich  setzt  sich 
der  Sprössling  mit  Httlfe  seiner  Wimpern  in  recht  lebhafte  Rotation. 
Trotz  vieler  Mühe  und  langer  Beobachtung  gelang  es  mir  doch 
nie,  das  Ausschwärmen  des  Sprösslings  zu  beobachten. 

Einmal  hatte  ich  auch  Gelegenheit,  wahrzunehmen,  dass  eine 
kleine  Acinete  in  ihrem  Gehäuse  die  Tentakel  eingezogen  und 
sich  mit  Wimpern  bekleidet  hatte.  Auch  liess  sich  nicht  selten 
constatiren,  dass  einzelne  Thiere  aus  ihrem  Gehäuse  heraus- 
gekrochen waren,  ohqe  dass  es  mir  jedoch  gelang,  das  fernere 
Schicksal  dieser  Auswanderer  zu  verfolgen. 

Einige  Beobachtungen  über  eine  i  interessante  Acinetinenform 
mögen  hier  noch  eine  Stelle  finden.  Es  ist  dies  ein  Thierchen,  das 
zu  der  stiellosen  Gattung  Trichophrya  Clp.  und  Lachm.  gehört 
nnd  wohl  auch  mit  der  einzigen,  bis  jetzt  bekannten  Art  dieses 
Genus,  Tr.  Epistylidis  Clp.  und  Lachm.  ^),  als  identisch  betrachtet 
werden  darf.    Claparide  und  Lachmann  fanden  diese  Art  para- 


>)  Stades,  Bd.  II,  p.  131. 

Bd.  X,  N.  F.  III,  8.  20 


/ 


308  O.  BütBchli, 

sitisch  auf  Stöckchen  der  Epistylis  plicatüis^  ich  hingegen  begegnete 
« ihr  sehr  reichlich  auf  Wasserlinsenwurzehi,  wo  sie  zwischen  zahl- 
reichen Vorticella  nebulifera  lebte.  Charakterisirt  wird  diese  Form 
ausser  durch  ihre  Stiellosigkeit  (sie  lag  den  Wasserlinsenwuizeln 
immer  mit  breiter  Fläche  dicht  auf)  durch  die  bedeutende  und, 
wie  ich  mit  Glp.  u.  Lachm.  finde,  schwankende  Zahl  ihrer  con* 
tractilen  Vacuolen.  Die  Zahl  derselben  betrug  mehrfach  sechs, 
bei  manchen  Exemplaren  jedoch  entschieden  mehr.  Das  einzige 
Merkmal,  wodurch  sich  meine  Thiere  von  der  Trichophrya  Episly* 
lidis  Clp.  und  Lachmann's  unterschieden,  war,  dass  die  grossem 
stets  einen  mehrfach  verästelten  Kern  besassen,  die  erstere  jedoch 
nach  ihren  Entdeckern  einen  einfach  hufeisenförmigen  besitzen 
soll,  ein  Unterschied,  den  ich  nicht  für  specifisch  erachten  kann. 
Ueber  die  Fortpflanzung  unseres  Thieres  konnten  Glp.  n«  L. 
nicht  yiel  ermitteln,  sie  sahen  nur  einmal  undeutlich  einen  Embryo 
im  Innern  eines  Thieres.  Ich  fand  sehr  zahlreiche  freischwimmende 
Sprösslinge,  von  sehr  niederer,  linsenförmiger  Gestalt,  mit  einem 
mehrreihigen  Wimpergürtel  um  den  Linsenrand.  Auch  dieM 
Sprösslinge,  deren  Uebergang  in  die  Trichophrya  ich  direct  rer- 
j  folgte,  waren  stets  schon  mit  5—6  contractilen  Vacuolen  yersehea, 

I  die  dicht  an  den  Linsenrand,  etwa  in  der  einen  Hälfte  der  Peri- 

pherie gelagert  waren.  ^ 

Die  eigentliche  Entstehung  dieses  Sprösslings  konnte  ich  nicht 
ermitteln,  jedoch  sah  ich  mehrfach  einen  schon  ziemlich  hoch  aus- 
gebildeten Sprössling  in  einer  Trichophrya  und  fand,  dass  die 
diesen  SprOssling  dicht  umschliessende  HOhle  durch  einen  ziemlich 
langen  und  relativ  engen  Geburtskanal  mit  der  Anssenwelt  in 
Verbindung  stand,  so  dass  ich  auch  hier  dieselbe  Entstehungs- 
weise des  Sprösslings  annehmed  zu  dürfen  glaube,  die  ich  bei 
der  Podophrya  quadripartita  sicher  nachweisen  konnte. 


Ueber  die  Entstehnng  des  ScKwärmsprösslings  etc.  309 


ErklSmng  äet  Abbildnngeii. 


Fig.  1  a.  2.  Zwei  frühe  Stadien  der  Bildung  der  GeburtsÖffnong  and  der 
ersten  Anlage  des  Schwärmsprösslings. 

Figg.  S — 13.  Allmähliche  Ausbildung  des  Sprösslings  nach  Beobachtungen 
an  ein  und  demselben  Thier.  Die  hier  wiedergegebenen  Verenge  vollzogen 
sich  etwa  in  einem  Zeitraum  von  2 — 2'/,  Stunden. 

Fig.  14.    Ein  im  Hervorbrechen  begriffener  Sprössling. 

I^g.  15.  Ein  Thier  etwa  auf  dem  in  Fig.  9  wiedergegebenen  Stadium 
der  Sprösslingsbildung.  Um  90®  gegen  die  Stellung  der  Figg.  1—13  verdreht. 
In  der  punktirten  Linie  erfolgt  demnächst  die  völlige  Lösung  des  Sprösslings 
vom  mütterlichen  Protoplasma. 

Fig.  16.    Ein  frei  umherschwimmender  Sprössling  stärker  vergrössert. 


20* 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Maler- 
muschel. 

Eine  Anwendung  der  Keimblätter-Theorie  auf  die 

Lamellibranchiaten. 

Von 

4 

Carl  Rabl. 

Hierzu  Tafel  X— Xu. 

Die  Entwicklnngsgeschiehte  der  Najaden  ist  schon  mehr- 
mals Gegenstand  eingehender  Untersuchungen  gewesen.  Keinem 
Forscher  ist  es  jedoch  bisher  gelungen,  eine  genaue  und 
zusammenhängende  Darstellung  der  Entwicklungsvorgänge  zu 
geben  und  zu  zeigen,  ob  und  in  welcher  Weise  die  Keimblätter- 
Theorie,  deren  weitgehende  Bedeutung  heute  wohl  Niemand  mehr 
in  Frage  zieht,  auf  die  Entwicklung  der  Najaden  anwendbar  sei 
Erst  in  der  allerjtlngsten  Zeit  hat  sich  wieder  eine  Stimme  erhoben, 
welche  die  Anwendbarkeit  jener  Theorie  als  eine  zum  mindesten 
sehr  fragliche  und  unwahrscheinliche  Sache  erscheinen  lässt  und 
die  ganz  dazu  angethan  ist,  den  Gegnern  der  E  eimblätter-Theorie 
eine  willkommene  und  erwtlnschte  Stütze  zu  bieten.  Es  muss  daher 
um  so  mehr  als  nothwendig  erachtet  werden,  jenen  Angaben,  auf 
deren  Einzelheiten  wir  später  näher  eingehen  werden,  die  Dar- 
legung des  wahren  Sachverhaltes  entgegenzustellen  und  den  Be- 
weis zu  liefern,  dass  auch  hier,  wie  bei  allen  Metazoen, 
die  Keimblätter-Theorie  anwendbar  sei,  ja  ange- 
wendet wer  den  müsse,  falls  man  überhaupt  zu  einem 
Verständnisse  der  Entwicklungsvorgänge  gelangen 
will.  - 


Ueber  die  Entwicklangageschichte  der  Malermnschel.  311 

Die  ersten  Forscher  0,  welche  die  in  den  Kiemen  trächtiger 
Muscheln  befindlichen  Embryonen  genauer  betrachteten,  hielten 
dieselben  bekanntlich  für  Parasiten  (Glochidinm  parasiticum). 
Bald  wurden  jedoch  gegen  diese  Ansicht  von  verschiedenen  Seiten 
Bedenken  erhoben.  Der  Erste,  der  dagegen  auftrat  und  die 
vermeintlichen  Parasiten  für  Muschelembiyonen  erklärte,  war 
de  Blainville. ^)  Ungefähr  gleichzeitig  mit  ihm  trat  auch 
Raspail  jener  Ansicht  gegenüber.  Wie  weit  aber  auch  er  von 
einem  richtigen  Verständnisse  des  Gegenstandes  entfernt  war, 
geht  unter  Anderem  aus  dem  Umstände  hervor ,  dass  er  den 
Byssusfaden  der  Muschelembiyonen  als  Nabelstrang  deutete.  Eben 
so  wenig  wollte  es  de  Quatrefages')  gelingen,  Klarheit  über 
die  Organisation  der  Muschelembryonen  zu  erlangen. 

Am  schlagendsten  und  besten  wurde  die  wahre  Natur  der 
vermeintlichen  Parasiten  von  C  a  r  u  s  ^)  dargethan,  indem  derselbe 
zeigte,  dass  sich  ein  vollkommener  Uebergang  von  den  reifen 
Eierstockseiem  der  Muscheln  bis  zur  Form  eines  sogenannten 
Glochidium  nachweisen  lasse.  Die  ganze  Abhandlung  Carus' 
zeugt  nicht  allein  für  die  grosse  Genauigkeit  der  Beobachtungen 
dieses  Forschers,  sondern  auch  für  die  durchaus  denkende  und 
wissenschaftliche  Betrachtung  der  beobachteten  Thatsachen.  ^) 

')  Die  betrefTende  Abhandlang  des  älteren  Rathke  ist  enthalten  in  den 
„Naturhistorie  Selskabets  Skrifter,  Kjobenhavn  1797,  Tome  IV^  —  Vergl. 
femer  Jacobson,  „Undersögelser  til  naennere  Oplysning  af  den  herskende 
Meoing  9m  Dammuslingernes  Fremarling  og  Udvikling*^;  diese  Abbandlang 
ist  aas  den  Schriften  der  königl.  dänilichen  Akad.  d.  Wissensch.  abgedruckt 
in  „Bidrag  til  Blöddyrenes  Anatomie  og  Physiologie  ved  L u d.  L.  J  a c o b s o n", 
I.  Heft,  Kjobenhavn  1828.  Rathke  and  Jacobson  definiren  das  fragliche 
Genas  Glochidinm  folgendermassen:  „Animal  cirrhis  longissimis  instractam. 
Teata  aeqailatera,  aeqoivalvis,  inter  marginem  ezteriorem  hamata^. 

>)  Siehe  Ann.  d.  Scienc.  natur.  XIV,  Paris  1828. 

')A.de  Qaatrefages,    „Sar  la  vie  interbranohiale  des  petites  Ano- 
dontes".    Ann.  des  scienc.  nat.  Tome  IV  and  V,  1885  and  1836. 

Derselbe,  „Embryologie  von  Unio*',  Comptes  rendas,  1849,  XXIX, 
89—86. 

*)  C.  G.  Caras,  „Nene  Untersachungen  über  die  Entwicklungsgeschichte 
nnserer  Fhissmasohel^.  Nova  acta  physico-medica  academiae  caesareae  Leo- 
poldino-Caro^inae  naturae  curiosorum.  18S2.  SecluEehnter  Band.  (Der  „Ver- 
handlungen der  kaiserl.  L6op.-CaroI.  Akademie  der  Natarforscher*^  achter  Band.) 

*)  Zu  welch'  schönen  phylogenetischen  Schlüssen  unter  Anderem 
Caras  gekommen  ist,  beweisen  folgende  Worte:  „Wie  jede  Thierbildung 
mit  der  einfachen  Kugelbildung,  dem  £y,  anfangen  muss,  so  muss  es 
auch  Thiergattungen  geben,  welche  diese  Entwicklungsstufe  des 
Thierreichs  als  beharrende  Form  darstellen*^  (p.  74). 


312  Carl  Rabl, 

Sechzehn  Jahre  nach  dem  Erscheinen  von  Garns'  treffliche^ 
Abhandinng  machte  Rnd.  Lenckart^)  den  schwierigen  Yer* 
snch;  eine  Uebereinstimmnng  zwischen  den  Embryonen  der  Muschehi 
nnd  denen  anderer  Mollasken  nachzuweisen.  Die  zahlreichen 
Schwierigkeiten^  welche  solchen  nnd  ähnlichen  Versuchen  damals 
hinderlich  im  Wege  standen;  lassen  es  vollkommen  begreiflich  er- 
scheinen,  dass  der  von  Leuckart  unternommene  Versuch  miss- 
lingen  musste.  In  diesem  Misslingen  jedoch,  wie  esFlemming 
gethan,  einen  Grund  zu  finden,  gegen  „die  damalige,  stark  gene- 
ralisirende  Richtung  in  der  Morphologie''  zu  Felde  zu  ziehen, 
Messe  den  Werth  solcher  Versuche  verkennen.  —  Bald  darauf  er- 
schienen die  Untersuchungen  von  0.  Schmidt^),  die  aber  ebenso, 
wie  alle  früheren  Arbeiten  der  Hauptsache  nach  nur  eine  Dar- 
legung der  Veränderungen  der  äusseren  Form  der  Embryonen 
zum  Gegenstande  hatten.  Ausserdem  haben  in  neuerer  Zeit  noch 
ForeP)  und  Ihering*)  Beobachtungen  über  einzelne  Punkte 
der  Najaden-Entwicklung  angestellt. 

Endlich  sind  noch  vor  Kurzem  zwei  Arbeiten  von  W.  Flem- 
m  i  n  g  '^)  erschienen,  welche,  da  sie  die  ausführlichsten  von  alkn 
bisherigen  sind,  unsere  Aufmerksamkeit  am  meisten  in  Ansprud 
nehmen.  Da  aber  Flemming  mit  Ausnahme  einiger  weniger 
werthvoller  Angaben  über  die  Bildung  der  Eier  (Oogenese  FL) 
und  über  die  Art  und  Weise  ihrer  Befruchtung  fast  Alles,  was 
er  in  seiner  ersten  Abhandlung  bringt,  in  seiner  zweiten  wieder- 
bringt, so  werden  wir  uns  im  Folgenden  hauptsächlich  auf  diese 
zweite  beziehen  können.  Hier  möge  nur  vorläufig  bemerkt  sein, 
dass  es  auch  Flemming  trotz  zweijähriger  Beobachtungen,  nicht 
recht  gelingen  wollte,  die  Keimblätter-Theorie  in  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung auf  die  Entwicklung  der  Lamellibranchiaten  anzuwenden. 


M  Rud.  Leuckart,  „Ueber  die  Morphologie  und  Verwandtschafts- 
verhältnisse der  wirbellosen  Thiere^S  Braonschweig  1848,  S.  160 — 168. 

*)  Oscar  Schmidt,  „Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Najaden^%  Sitzb. 
der  kais.  Akad.  der  Wissensch.,  Wien  1856  und  1857. 

*)  F.  A.  Forel,  „Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Najaden^. 
(Einige  Beobachtungen  über  die  Entwicklung  des  zelligen  Muskelgewebes^ 
Inaug.-Abh.  der  med.  Facultät  zu  Würzburg,  1867. 

*)  Herrn,  v.  Ihering,  „Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Najaden^. 
Sitzb.  der  naturf.  Gesellsch.  in  Leipzig,  1874,  N.  1. 

^)  Walther  Flemming.  „Ueber  die  ersten  Entwicklungserscheinungen 
am  Ei  der  Teichmuschel^S    Arch.  für  mikr.  Anat  1874,  3.  Heft. 

Derselbe,  „Studien  in  der  Entwicklungsgeschichte  der  Najaden^^  Sitzb. 
der  kais.  Akad.  der  Wiss.  in  Wien,  LXXI.  Band,  Februarheft,  Jahrg.  1875. 


lieber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermuschel.  313 

Die  vorliegenden  Beobachtungen  wurden  der  Hauptsache  nach 
im  Laufe  des  Sommers  1875  im  zoologischen  Laboratorium  zu 
Jena  angestellt  Als  Untersuchungsobject  dienten  die  Eier  von 
Unio  pictomm^  littoralis  und  tumidus.  Am  vollständigsten  wurde 
die  Entwicklung  an  den  Eiern  von  Unio  pictorum  verfolgt,  wes- 
halb wir  uns  auch  in  der  Beschreibung  hauptsächlich  an  diese 
Art  halten  werden. 

Die  Eier  von  Unio  gelangen,  sobald  sie  befruchtet  sind,  in 
die  äusseren  Kiemen.  Der  Weg,  den  sie  dabei  einschlagen,  ist 
noch  nicht  mit  voller  Sicherheit  erkannt.  Nach  den  Beobachtungen 
Flemming's  scheint  es  jedoch  sehr  wahrscheinlich  zu  sein,  dass 
sie  zuerst  aus  der  ziemlich  weit  vorne  gelegenen  Geschlechts- 
i^ffnung  in  den  inneren  Eiemengang  treten,  dort  befruchtet  werden; 
sodann  den  inneren  Eiemengang  entlang,  vom  Flimmerstrom  ge- 
tragen, bis  zur  Eloake  gelangen,  daselbst  umkehren  und  schliess- 
lich in  den  äusseren  Eiemengang  treten.  Wahrscheinlich  werden 
sie,  wie  schon  C.  E.  v.  Baer  angiebt,  auf  dieser  Wanderung  von 
„wehenartigen  Contractionen'^  des  Mutterthieres  unterstützt. 

Es  scheint,  dass  immer  mehrere,  an  demselben  Orte  befind- 
liche Weibchen  zu  der  gleichen  Zeit  befruchtet  werden.  Ich 
glaube  dies  aus  dem  Umstände  schliessen  zu  dürfen,  dass  ich 
einmal  unter  zehn,  zu  derselben  Zeit  und  an  demselben  Orte  ein- 
gefangenen Weibchen  acht  mit  noch  ungefurchten,  aber  bereits 
befruchteten  Eiern  fand.  Auch  sonst  ist  es  ziemlich  häufig,  dass 
fast  sämmtliche,  an  dem  gleichen  Orte  eingefangene  Weibchen 
gleich  weit  entwickelte  Embryonen  enthalten.. 

Es  ist  mir  leider  nie  gelungen,  die  Thiere  in  der  Gefangen- 
schaft zur  Fortpflanzung  zu  bringen.  Ganz  ebenso  ist  es  auch 
allen  meinen  Vorgängern  ergangen.  Flemming^)  giebt  zwar 
an,  dass  er  einmal  bei  zwei  trächtigen  Muscheln,  welche  erst 
zwölf  Stunden  nach  dem  Fange  geöffiiet  worden  waren,  die  Eier 
noch  im  ungefurchten  Zustande  gefunden  habe,  und  glaubt  daraus 
den  Schluss  ziehen  zu  dürfen,  dass  diese  beiden  Thiere  erst  in 
der  Gefangenschaft  befruchtet  worden  seien;  dagegen  muss  ich 
jedoch  einwenden,  dass  es  durchaus  nichts  Seltenes  ist,  dass  Eier 
abnorm  lange  auf  einem  und  demselben  Entwicklungsstadium 
verharren.  Um  nur  ein  einziges  Beispiel  dieser  Art  anzufahren, 
will  ich  erwähnen,  dass  die  Eier  einer,  von  mir  im  Frühjahre  1875 
in  Triest  eingefangenen  Doto   coronat«  mindestens  dreimal  so 


*)  Flemming,    „Stadien  etc.",  p.  27. 


1 


314  Carl  Babl, 

lange  zur  Furcbang  brauchten,  als  die  za  einer  späteren  Zeit  nnd 
bei  günstigerer  Temperatur  abgelegten;  ja  die  Mehrzahl  dieser 
Eier  blieb  sogar  auf  einem  und  demselben  Furchnngsstadium  einen 
vollen  Tag  lang  stehen,  ohne  auch  nur  die  geringste  wahrnehm- 
bare Veränderung  zu  zeigen.  In  diesem  Falle  konnte  ich  mich 
aufs  klarste  überzeugen,  dass  lediglich  die  kühle  Temperatur  die 
Schuld  an  der  so  bedeutend  verlangsamten  Entwicklung  trug; 
denn  als  ich  die  Eier  für  kurze  Zeit  der  Einwirkung  der  Sonnen- 
strahlen aussetzte,  ging  die  Furchung  sofort  schnell  und  bis  zu 
einem  ziemlich  späten  Stadium  auch  vollkommen  regelmässig 
von  Statten.  Dieser  Fall  lehrt  uns,  dass  wir  in  der  Beurtheilnng 
des  von  Flemming  mitgetheilten  Falles  vorsichtig  sein  müssen. 
Aber  selbst  dann,  wenn  jene  beiden  Muscheln  i}ire  Eier  wirklich 
erst  in  der  Gefangenschaft  abgelegt  hätten,  müsste  dieser  Fall, 
wie  auch  Flemming  zugibt,  als  eine  Ausnahme  von  der  all- 
gemeinen Regel  angesehen  werden. 

In  den  äusseren  Kiemen  liegen  die  Eier,  zu  grösseren  oder 
kleineren  Schollen,  die  wir  als  Eischollen  bezeichnen  können, 
beisammen.  Sie  werden  dabei  durch  eine  klebrig  -  schleimige 
Masse  mit  einander  verbunden.  Die  Gestaltjeder  Eischolle 
entspricht  genau  der  Gestalt  des  zugehörigen  Kiemenfaches.  Da 
aber  die  einzelnen  Kiemenfächer  nicht  sämmtlich  gleich  weit  nnd 
geräumig  sind  ^),  so  besitzen  auch  die  betreffenden  Eischollen 
eine  verschiedene  Grösse  und  Form.  Im  Allgemeinen  kann  als 
Regel  gelten,  dass  niedrige  Eischollen  breiter  als  hohe  oder  dicke 
sind.  Entweder  stellen  die  Eischollen  einfache  zusammenhängende 
Platten  dar,  oder  sie  spalten  sich  in  verschiedener  Entfernung  vom 
freien  Rande  der  Kieme  in  zwei,  bald  gleich,  bald  verschieden  dicke 
Blätter  (Taf.  X,  Fig.  16).  Die  Z  ah  1  der  in  einer  Kieme  enthaltenen 
Eischollen  schwankt  zwischen  20  und  50 ;  desgleichen  ist  auch  die 
Zahl  der  in  einer  Eischolle  enthaltenen  Eier  sehrverschieden.  Nach 
einer  annähernden  2iählung  der  in  einer  massig  grossen  Muschel- 
kieme befindlichen  Eier  schätze  ich  die  Gesammtzahl  der  Eier 
einer  Malermuschel  im  Mittel  auf  etwas  über  Hunderttausend.  ^ 


')  Hinflichtlich  des  Baues  der  Muscheikiemen  verwebe  ich  auf:  Carl 
Posner,  „Ueber  den  Bau  der  Najadenkieme.  Ein  Beitrag  zur  vergleichenden 
Histiologie  und  Morphologie  der  Lamellibranchiaten*^  Inaug.-Diss.  Bonn  1875. 

*)  Ueber  die  Eierzahl  der  Flussmuscheln  vergl.  ferner  F.  Unger,  „Unter- 
suchungen über  die  Teichmuscheln'S  Wien  1827,  p.  98  nnd  C.  Pfeiffer, 
„Naturgeschichte  deutscher  Land-  und  Süsswasser-MoUusken^,  Weimar  1825; 
sowie  auch  die  angeführte  Abhandlung  von  Carus. 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermuschel.  315 

Jedes  Ei  besteht  ans  drei  Theilen:  1)  ans  dem  eigentlichen 
Keim  oder  der  Eizelle,  "2)  ans  einer,  die  Eizelle  umgebenden 
Eiweissmasse  und  3)  aus  einer,  diese  nach  aussen  begrenzenden 
durchsichtigen,  structurlosen  Membran.  Die  Form  der  Eier 
ist  kugelig,  erleidet  jedoch  durch  den  g^enseitigra  Druck  der 
dicht  an  einander  gedrängten  Eier  verschiedene  Modificationen» 
Die  Grösse  der  Eier  beträgt  bei  Unio  pietorum  0,2  Mm.,  die 
GrOsse  des  Keimes  U,15—0,16  Mm.  Bei  U.  tumidus  sind  beide 
Maasse  um  ein  Unmerkliches  geringer.  Die  Farbe  des  Keimes 
ist,  wie  schon  C.  6.  Garns  ganz  riehtig  angibt,  bei  den  ver- 
schiedenen  Arten  verschieden ;  bei  Unio  pietorum  ist  sie  schwefel- 
gelb, bei  Unio  tumidus  r^Hhlichweiss,  bei  U.  littoralis  hoch  orange- 
roth,  zuweilen  fast  zinnoberroth.  Doch  kommen  auch  hierin  zahl- 
reiche individuelle  Schwankungen  vor. 

Nie  findet  sich  in  einem  Ei  mehr  als  ein  Keim. 

Die  Eiweissmasse  ist  immer  nur  in  geringer  Menge  vor-, 
banden.  An  der  Eihtllle  bemerkt  man  bei  richtiger  Einstellung 
eine  kleine  „sehornsteinartige^'  Erhebung  von  0,0025—0,003  Mm. 
Höhe.  Es  ist  dies  die  M  i  k  r  o  p  y  1  e.  In  der  Basis  des  Mikropylen- 
rohres  liegt  ein  flacher,  gelblicher  Körper,  welcher  nach  der  An- 
sicht Flemming's  ^)  bei  dem  Wachsthum  und  der  Entwicklung 
der  Eierstockseier  eine  wichtige  Rolle  zu  spielen  hat  Es  würde 
dieses  Verhalten  an  ähnliche  Verhältnisse  bei  der  Entwicklung 
mancher  Insekteneier  erinnern.  Jedenfalls  ist  die  von  Keber 
aufgestellte  Hypothese,  nach  welcher  man  in  dem  von  ihm  ent- 
deckten und  nach  ihm  benannten  Körper  einen  Spermatozoenkopf 
zu  erblicken  hätte,  unrichtig,  wie  dies  aus  den  Untersuchungen 
v.Bischoff's,  v.Hessling's  und  Flemming's unzweifelhaft 
hervorgeht.  Um  die  Mikropyle  herum  zeigt  die  Eihfllle  eine 
spiralige  Faltung.  Das  kleine  rundliche  Fleckchen,  an  dem  die- 
selbe sichbar  ist,  bezeichnet  man  als  Mikropylenfeld.  Es 
besitzt  einen  Durehmesser  von  0,025  Mm.  und  ist  nur  durch  die  an 
seiner  Peripherie  dichter  angeordneten  Falten  von  der  tlbrigen 
Eimembran  abgegrenzt 

Während  bei  Anodonta  piscinalis  nach  Flemming  des 
Mikropylenrohr  am  reifen  Eie  ganz  eingeht,  bleibt  es  bei  Unio 
während  der  ganzen  Entwicklung  bestehen. 


*)  W.  Flemming,  „Studien"  etc.,  p.  U. 


316  Carl  Rabl, 


I.   Eifurchung  und  Keimblätterbildung. 


lieber  die  Eiftirchnng  finden  sich  blos  bei  W.  Flemming 
genaue  Angaben.    Die  Beschreibung  der  Furchnng;  welche  Forel 
gibt,  sowie  dessen  ganze  Darstellung  der  weiteren  Entwicklung 
bis  zur  Ausbildung  des  fertigen  Embryo,  ist  so  flüchtig  und  un- 
genau ^    dass  sie  auf  eine  eingehende  Berücksichtigung   keinen 
Anspruch  machen  kann.    Wenn  Forel  glaubt,  seine  mangelhaften 
Abbildungen  und  Beobachtungen   seien   im  Stande,   „die  Gesetze 
der  Furchung^'  erkennen  zu  lassen,  so  setzt  dies  in  der  That,  wie 
Flemming  treffend  bemerkt,  ,,viel  Genügsamkeit'^  voraus.  .Binige 
wenige  Angaben  über  die  Eifurchung  finden  sich  auch  bei  Garu& 
Bronn,  Leuckart  und  Anderen. 

Die  jüngsten,  von  mir  beobachteten  Eier  Hessen  weder  auf 
Druck,  noch  auf  Zusatz  von  chemischen  Reagentien  einen  Kern 
in  ihrem  Innern  erkennen.  Die  Keime  waren  eben  im  Begriff, 
sich  mit  ihrem  vegetativen  Pol  von  der  Mikropyle,  an  der  sk 
vor  der  Befruchtung  festgesessen  hatten,  loszulösen.  Dabei  zeigU 
sich  an  dem  genannten  Pol  eine  ziemlich  hohe,  stumpf-kegel- 
ft^rmige  Erhebung  (Taf.  X,  Fig.  5  A),  deren  Spitze  anfangs  nocL 
mit  der  Mikropyle  in  Verbindung  stand.  Diese  Erhebung  war  in 
nichts  von  der  übrigen  Masse  des  Keimes  verschieden ;  geradeso, 
wie  diese,  war  auch  sie  von  zahlreichen,  grösseren  und  kleineres 
Dotterkömehen  dicht  durchsetzt  Bald  nachdem  sie  sich  nun  mit 
ihrer  Spitze  von  der  Mikropyle  losgelöst  hatte  und  an  Unfang 
bedeutend  kleiner  geworden  war,  zogen  sich  die  in  ihr  enthaltenen 
Dotterkömehen  bis  auf  einige  wenige  in  die  übrige  Masse  des 
Keimes  zurück,  so  dass  nur  noch  ein  kleines  unscheinbares  Hügel- 
chen  körnchenfreien  Protoplasmas  zurückblieb  (Taf.  X,  Fig.  5  B). 
Aber  auch  dieses  verschwand  allmählich  und  der  Keim  bekam  sein 
früheres  glattes  Ansehen  wieder. 

Häufig  sieht  man  noch  einige  Zeit  nach  diesem  Vorgange 
einen  zarten,  durchsichtigen«  Strang  von  der  Mikropyle  gegen  den 
vegetativen  Pol  hinziehen,  der  aber  bald  wieder  verschwindet  und 
offenbar  keine  weitere  Bedeutung  besitzt  (Taf.  X,  Fig.  4  s). 

Unterdessen  gingen  auch  am  animalen  Keimpol  mannig- 
fache Verändemngen  von  Statten.  Hier  konnte  man  an  allen, 
noch  ungefurchten,  aber  bereits  befruchteten  Keimen  ein  zartes, 
durchsichtiges  Kügelchen  von  0,0025  Mm.  Durchmesser  erkenneD, 


Ueber  die  Entwicklangsgescbiclite  der  Malermoscliel.  317 

das  dem  Keime  oberflächlich  anlag  and  in  seinem  Inneren  eine 
geringe  Anzahl  Kömchen  enthielt  (Taf.  X,  Fig.  6  A,  r  und  4,  r). 

Unmittelbar  unter  diesem  kugeligen  Körperchen  war  an  der 
Oberfläche  des  Keimes  eine  geringe  Menge  hellen,  durchsichtigen 
Protoplasmas  angesammelt  (Taf.  X,  Fig.  6  A).  Diese  helle  Stelle 
körnchenfreien  Protoplasmas  nahm  im  weiteren  Verlaufe  etwas 
an  Umfang  zu  und  erhob  sich  allmählich  in  Form  eines  kleinen 
flachen  Hügelchens  über  die  Oberfläche  des  Keimes  (Taf.  X, 
Fig.  4,  r^.  In  Folge  dessen  wurde  das  kleine  Körperchen,  das 
über  der  kömchenärmeren  Stelle  des  Keimes  gelegen  war,  von 
diesem  etwas  abgehoben.  Dadurch,  dass  nun  das,  über  die  Ober- 
fläche des  Keimes  etwas  emporragende  Hügelchen  eine  immer 
bedeutendere  Höhe  erlangte  und  sich  sodann  an  seiner  Basis  ring- 
förmig einschnürte,  löste  es  sich  schliesslich  vollkommen  von  dem 
übrigen  Keime  ab,  ohne  nunmehr,  wie  man  dies  früher  einmal 
behauptet  hatte,  irgend  einen  directen  Antheil  an  der  weiteren 
Entwicklung  des  Embryo  zu  nehmen  (Taf.  X,  Fig.  6  B  u.  6  C,  r'). 
Auf  diese  Weise  ist  es  also  zur  Bildung  eines  zweiten  Kügelchens 
gekommen,  das  in  seinem  Aussehen  vollkommen  dem  ersten 
glich,  nur  dass  es  in  der  Regel  eine  etwas  geringere  Grösse 
besass. 

Die  beiden,  so  entstandenen  Körperchen  sind  die  in  letzter 
Zeit  oftmals  und  angelegentlich  besprochenen  „Richtungs- 
bläschen". 

Ich  muss  hier  ausdrücklich  erwähnen,  dass  ich  nie  die  Bil- 
dung eines  zweiten  „Richtungsbläschens"  durchAbschnürung 
vom  ersten  gesehen  habe.  Auch  habe  ich  nie  eine  so  scharfe 
Grenze  zwischen  dem  zum  „Richtungsbläschen"  sich  entwickelnden 
Protoplasma  und  dem  kömchenhaltigen  Keim  gesehen,  wie  sie 
Flemming  auf  seinen  Figuren  darstellt. 

Bei  normal  sich  entwickelnden  Eiern  habe  ich  nie  mehr,  aber 
auch  nie  weniger  als  zwei  „Richtungsbläschen"  beobachtet.  Da- 
gegen habe  ich  einmal  an  einem  abnorm  sich  entwickelnden  Eie 
ein  eben  in  der  Bildung  begriffenes,  ungemein  grosses  „Richtungs- 
bläschen" gesehen,  dessen  Durchmesser  ungefähr  die  Hälfte  des 
ganzen  Keimes  betrug. 

Bald  nachdem  sich  der  Keim  mit  seinem  vegetativen  Pole 
von  der  Mikropyle  losgelöst  und  am  animalen  Keimpol  die  „Rich- 
tungsbläschen"  ausgetreten  sind,  beginnt  die  eigentliche  Furchung. 
Noch  bevor  sich  ein  neuer  Kern,  ein  secundäres  Keimbläschen, 
gebildet  hat,  nimmt  der  Keim  gegen  den  Aequator  hin  merklich 


318  Carl  Rabl, 

an  Umfang  zu,  so  dass  er  nunmehr  einer  Engel  mit  abgeplatteten 
Polen  gleicht  (Taf.  X,  Fig.  4,  o).  Die  Art  nnd  Weise  der  Bildung 
des  neuen  Eemes^  sowie  überhaupt  das  Verhalten  der  Kerne 
während  der  Furchung,  !habe  ich  wegen  der  Ungünstigkeit  des 
Objeetes  zu  derlei  Beobachtungen  nicht  hinlänglich  genau  ver- 
folgen können.  Ich  habe  zwar  mehrmals,  namentlich  an  in 
Ghromsäure  gehärteten  Präparaten  karyolytische  Figuren  gesehen, 
jedoch  die  Art  und  Weise  ihrer  Bildung,  sowie  den  Verlauf  der 
Kemtheilung  selbst,  nicht  mit  der  nöthigen  Sicherheit  und  Genauig- 
keit verfolgen  können.  Die  Eier  von  Anodonta  sind  zwar,  wie 
Flemming  angibt,  zu  derlei  Beobachtungen  günstiger,  scheinen 
mir  aber  nach  den,  von  diesem  Forscher  erzielten  Resultaten 
gleichfalls  nicht  ganz  ausreichend  zu  sein. 

Die  erste  Furche  zieht  vom  animalen  Pol,  in  dessen 
Nähe  die  „Richtungsbläschen^^  liegen,  zum  vegetativen  (Taf.  X, 
Fig.  7).  Sie  theilt  den  Eeim  in  zwei  ungleiche  Hälften.  Die 
grössere  Furchungskugel  fFig.  7,  1)  hat  einen  Durchmesser  von 
0,15  Mm.,  die  kleinere  (Fig.  7,  2)  einen  von  0,02 Mm.  Flemming 
nennt  jene  „Oberzelle"  oder  „Obertheil",  diese  „ünterzelle"  oder 
„Untertheil".  Wir  wollen  jedoch  diese  Bezeichnungen,  welche 
sich  auf  die  Lagerungsverhältnisse  der  daraus  sich  entwickelnden 
Embryonaltheile  beziehen,  da  sie,  wie  Flemming  selbst  zu- 
gesteht, nur  „wenig  besagen'',  lieber  bei  Seite  lassen  nnd 
durch  die,  wie  mir  scheint,  besseren  Bezeichnungen  vegetative 
nnd   animale  Zelle  ersetzen.  ^}    Demnach  bezeichnen  wir  mit 


')  Die  Bezeiclinangen  „oben^^  und  „unten^S  n^o"^^*'  "^^  „hinten^*  sollten 
überhaupt  in  der  Morphologie,  und  selbstverständlich  auch  in  der  Embryo- 
logie nur  mit  grosser  Vorsicht  gebraucht  werden.  Es  gilt  von  ihnen  das, 
was  Rud.  Leuckart  in  seiner  schönen  ,,Morphologie  der  wirbellosen 
Ihiere^^  gesagt  hat:  „Die  Bezeichnungen  von  Oben  and  Unten,  von  Vom 
und  Hinten  sind  nach  der  gewöhnlichen  Weise  des  Gebrauches  nicht  von 
bestimmten  morphologischen  Verhältnissen  abhängig,  sondern  allein  von  der 
Gruppirung  und  der  Wirkungsart  der  Bewegungswerkzeuge.  Das  söge* 
nannte  vordere  oder  obere  Ende  des  einen  Thieres  entspricht  daher  denn 
auch  oft  dem  hinteren  oder  unteren  eines  andern.  Wie  ungenügend  und 
verwirrend  eine  solche  Bezeichnung  sei,  leuchtet  ein.  Indessen 
ist  unsere  Terminologie  gegenwärtig  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten,  die 
betreffenden  Bezeichnungen  überall  entbehren  zu  können*^  (S.  5S,  Anmerk.). 
Diese  Schwierigkeiten  werden  bei  den  Bilaterien  noch  beträchtlich  durch  den 
Umstand  erhöht,  dass  bei  ihnen  während  der  individuellen  Entwicklung  die 
primäre  MundöfFnung  verloren  geht  oder  vielleicht  in  einigen  Fällen  in  den 
After  umgewandelt  wird,   und  dass  somit  das  ursprünglich  orale  Körperende 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Maiermuschel.  319 

jenem  Ansdrncke  die  grosse,  mit  diesem  die  kleine  Farchnngs- 
kttgel.  Es  muss  jedoch  schon  im  Vorhinein  bemerkt  werden,  dass 
aach  diese  BezeichnungeD  nicht  vollkommen  genau  passen  und 
lediglich  deshalb  gewählt  wurden,  um  die  Beschreibung  der 
FarchnngsvorgäDge  zu  vereinfachen  und  das  Verständniss  der- 
selben zu  erleichtern.  Wie  wir  nämlich  später  sehen  werden,  ent- 
wickeln  sich  aus  der  vegetativen  Zelle  auch  Zellen  des  Ectoderms 
und  es  kann  daher  strenge  genommen  nur  ein  Theil  derselben  als 
,,vegetativ''  angesehen  werden;  die  animale  Zelle  dagegen  lässt 
nur  Ectodermzellen  aus  sich  hervorgehen  und  hat  daher  anf 
diesen  Namen  volles  Recht. 

Unmittelbar  nach  der  ersten  Theilung  stehen  die  beiden 
Fnrchnngskugeln  fast  in  ihrem  ganzen  Umfange  deutlich  von 
einander  ab;  sobald  sie  sich  jedoch  zur  weiteren  Theilung  an- 
schicken, treten  sie  wieder  enger  an  einander  und  geben  in 
Folge  dessen  ihre  ursprünglich  kugelförmige  Gestalt  wieder  auf. 
Sodann  bemerkt  man  zwischen  ihnen  eine  dünne,  mit  weniger 
Dotterkömehen  versehene ,  durchsichtigere  Protoplasma  -  Schicht 
(Taf.  X,  Fig.  7, 1).  Diese  kömchenärmere  Partie  ist  jedoch  keines- 
wegs, wie  Flemming  will,  als  der  „erste  Anfang  einer  Binnen- 
höhle  des  Keims'',  also  als  Furchungshöhle,  aufzufassen.  Aehnliche 
kömchenärmere  Stellen  zwischen  zwei  oder  mehreren  Fnrchungs- 
kugeln  treffen  wir  auch  an  den  Keimen  anderer  Thiere,  z.  B. 
mancher  Gastropoden,  wo  doch  die  Furchungshöhle  erst  viel  später 
als  in  unserem  Falle  auftritt. 

Das  innigere  Zusammentreten  der  Furchungskugeln  vor  jeder 
neuen  Furchnng  ist  besonders  deshalb  interessant;,  weil  es  sich 
auch  bei  anderen  —  vielleicht  bei  allen  —  Metazoän  wiederfindet 
Es  hat  zn  dem  sonderbaren  Irrthume  geflthrt,  dass  der  Keim 
vor  jeder  neuen  Furchung  auf  die  vorhergehende  Zahl  der  Fur- 
chungskugeln zusammenschmelze,  —  ein  Irrthum,  in  den  sogar 
Lereboullet  in  seiner  so  ausserordentlich  genauen  und  sorg- 


Bpäter  als  aborales  erscheint,  oder  aber  in  den  Rücken  mit  einbezogen  wird. 
Wir  werden  daher  in  der  Folge  die  Ausdrücke  „orales"  oder  „vorderes^^ 
Körperende  immer  —  falls  nicht  ausdrücklich  das  Gegentheil  angegeben  ist  - 
nur  in  Beziehung  auf  den  bereits  mit  einer  secundären  Mund- 
öffnung ausgestatteten  Embryo  gebrauchen.  —  Dass  man  aber  von 
den  beiden  aus  der  Zweitheilung  hervorgegangenen  Zellen  nicht,  wie  e& 
Flemming  thut,  die  eine  als  obere^  die  andere  als  untere  bezeichnen  darf, 
versteht  sich  wohl  von  selbst. 


320  Carl  Babl, 

fältigen  Abhandlung  über  die  Entwicklungsgeschichte  von  Limnaens 
verfallen  ist.  — 

Die  weitere  Furchung  beginnt  damit,  dass  sich  an  der  vege- 
tativen Zelle  eine  kleine,  buckeiförmige  Hervorwölbung  bildet,  die 
sich  an  ihrer  Basis  ringförmig   einschnürt  und  schliesslich    von 
der  grossen  Zelle  trennt  (Taf.  X,  £ig.  8).    Bald  nach  dieser  Thei- 
lung  streckt  sich  auch  die  animale  Zelle  etwas  in  die  Länge  und 
lässt  gleichzeitig  in  ihrem  Inneren  eine  deutliche,  namentlich  bei 
schwacher  Yergrösserung  gut  sichtbare  karyolytische  Figur    er- 
"kennen  (Taf.  X,  Fig.  9,  2).    Sodann  macht  sich  ungefähr  in  der 
Mitte  dieser  Zelle   eine   anfangs  seichte^  aber  allmählich  tiefer 
werdende  Furche  bemerkbar,   welche   schliesslich  zu  einer  voll- 
ständigen  Trennung  der  Zelle  in  zwei^  nie  ganz  gleich  groeae 
Theile  führt  Der  Keim  besteht  demnach  jetzt  aus  vier  Furchnngs- 
kugeln  (Taf.  X,  Fig.  10).    Die  Grösse  derselben  ist  folgende  :  ZeUe 
1  =  0,12  Mm.,  Zelle  2  =  0,09  Mm.,  Zelle  3  =  0,085—0,09  Mm., 
Zelle  4  =  0,077  Mm.  Zwischen  der  aus  der  Theilung  der  animalen 
Zelle  2  (Fig.  7)  hervorgegangenen  Zelle  4  (Fig.  10)  und  der  vege- 
tativen Zelle  1  bemerkt  man  einen  hellen  Raum,   der  wohl  ak 
die  ersteAnlagederFurchungshöhle,  die  allerdings 
jetzt  noch  nicht  allseitig  geschlossen  ist,  angesehen 
werden  kann. 

Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  dass  der  Furchungsprocess 
der  Malermuschel  nicht  vollkommen  genau  mit  demjenigen  von 
Anodonta,  wie  ihn  Flemming  beschreibt,  übereinstimmt.    Denn 
ftirs  erste  findet  die  Theilung  der  animalen  Zelle  bei  Unio  nicht 
wie  bei  Anodonta  gleichzeitig  mit  der  Theilung  der  vegetativen 
Zelle  statt,  sondern  vielmehr  erst  nach   einer,   wenngleich    nnr 
sehr  kurzen  Zwischenpause.    Der  Vorgang  bei  Anodonta  ist  jedoch 
möglicherweise  deshalb  als  der  ursprünglichere  anzusehen/  weil 
er  sich  in  ganz  derselben  Weise  nach  Loven  auch  bei  Gardium 
findet.    Fürs  zweite  ist  auch  die  relative  Grösse  der  Furchungs- 
kugeln  bei   Anodonta    und   Unio   etwas   verschieden.    Während 
nämlich   bei  Anodonta  die  Zelle  2  (Fig.  10)   gewöhnlich  etwas 
kleiner  ist,   als  die  übrigen,   ist  bei  Unio,  wenn  überhaupt  ein 
Unterschied  in  der  Grösse  der  Zellen  2  und  4  bemerkbar  ist,  meist 
die  Zelle  4  die  kleinere.    Ja  bei  Unio  tumidus  sind  in  der  Regel 
die  Grössenunterschiede  zwischen  den  vier  Zellen  so  ausserordent- 
lich geringe-  dass  man  ganz  wohl,  wie  Flemming  bemerkt,  in 
den  Glauben  verfallen  könnte,  man  hätte  es  hier  mit  einer  gleich- 
massigen  Furchung  zu  thun.    Zur  Bestätigung  dessen  will  ich  die 


Ueber  die  Entwicklangsgeschicbte  der  MalermoscheL  321 

Maasse  der  vier  ersten  Farchungskngeln  bei  Unio  tumidos  anführen ; 
sie  betragen  der  Reihe  nach :  0,11,  0,095,  0,095,  0,08  Mm.    " 

Solche  nnd  ähnliche  Unterschiede  sind  jedoch  deshalb  von 
keiner  fundamentalen  Bedeutung,  weil  der  Furchungsprocess  in 
allen  übrigen,  und  zwar  gerade  in  den  wesentlichsten  Punkteui 
bei  sämmtlichen  Arten  in  der  gleichen  Weise  verläuft. 

Die  weitere  Furchung  geht  zunächst  in  der  Weise  vor  sich, 
dass  sich  von  der  grossen  vegetativen  Zelle  ganz  in  derselben 
Weise,  wie  zuvor,  ein  kleiner  Theil  abschnürt  (Taf.  X,  Fig.  11,  5). 
Der  Process  erfolgt  ganz  so,  wie  ihn  Flemming  bei  Anodonta 
beschreibt.  — 

Um  sich  zu  überzeugen,  dass  ausser  dieser  Theilung  der 
v^etativen  Zelle  nicht  auch  eine  Theilung  einer  anderen  Zelle 
stattgefunden  habe,  ist  es  nothwendig,  den  Keim  nicht  blos,  wie 
bisher,  nur  von  einer  Seite,  sondern  vielmehr  von  beiden  zu 
betrachten.  Man  verfährt  dabei  am  besten  in  der  Weise,  dass  man 
sich  zuerst  ein  möglichst  getreues  Bild  von  der  einen  Seite  des 
Objectes  entwirft,  sodann  den  Objectträger  sammt  dem  Präparate 
umwendet  und  nun  dieses  auch  von  der  anderen  Seite  betrachtet. 
Dabei  ist  es  gerathen,  möglichst  wenig  Wasser  unter  das  Deck- 
gläschen zu  bringen,  damit  das  Ei  nicht  etwa  während  des  Um- 
wendens  seine  Lage  verändere ;  auch  ist  es  gut,  immer  nur  eine 
geringe  Anzahl  von  Eiern  auf  den  Objectträger  zu  geben,  damit 
man  sich  das  betreffende  Präparat  leicht  merke  und  nach  dem 
Umwenden  schnell  wiederfinde.  Am  besten  bedient  man  sich  dabei 
solcher  Objectträger,  welche  an  ihren  beiden  Enden  Schutzleisten 
tragen.  —  Die  Nothwendigkeit  dieses  Verfahrens  tritt  auf  späteren 
Stadien,  wo  die  Furchungsbilder  immer  complicirter  werden,  noch 
viel  schärfer  hervor.  Ein  anderes,  aber  lange  nicht  so  empfehlens- 
werthes  Verfahren  besteht  darin,  dass  man  einen  Wasserstrom 
unter  dem  Deckgläschen  durchleitet  und  dadurch  das  Ei  zum 
Rollen  bringt.  Gewöhnlich  ist  es  jedoch  dabei  sehr  schwierig,  ja 
zuweilen  ganz  unmöglich,  sich  eine  klare  Anschauung  vom  be- 
treffenden Stadium  zu  bilden.  Ich  selbst  habe  meist  nur  das  erstere 
Verfahren  in  Anwendung  gebracht  und  bin  dadurch  —  namentlich 
in  Beziehung  auf  die  Dotterfnrchung  der  Gastropoden  —  zu  sehr 
schönen  Resultaten  gelangt.  — 

Der  Keim  besteht  jetzt  aus  fünf  Zellen.  Nun  theilen  sich 
zunächst  die  zwei,  von  der  grossen  vegetativen  Zelle  abstammenden 
Zellen  3  und  5  in  je  zwei  Theile  (Taf.  X,  Fig.  12).  Der  Keim 
wird  dadurch  siebenzellig.    Unmittelbar  daraaf  scheint  sich 


322  Carl  Rabl, 

auch  die  von  der  animalen  Zelle  abstammende  FnrchnngBkng'el  i 
(Fig.  10—12)  in  zwei  ungefähr  gleich  grosse  Zellen  za  spalten 
und  der  Keim  wird  achtzellig  (Taf.  X,  Fig.  13  A  von 
der  einen,  Fig.  13  B  von  der  andern  Seite;  die  Zellen  4  und  "^ 
auf  Fig.  13  B  stellen  die  Theilnngsprodncte  der  2^1Ie  4  auf  den 
Fig.  10—12  dar).  Auf  dieses  Stadium  folgt  das  auf  den  Figrurcc 
14  A  und  14  B  dargestellte.  Der  Keim  ist  n  e  u  n  z  e  1 1  i  g* ;  die 
einzelnen  Zellen  haben  sieh  jedoch  gegen  einander  etwas  ver- 
schoben. Am  vegetativen  Pol  ist  noch  immer  die  grosse  vege- 
tative Zelle  1  bemerkbar ;  die  Furchungshöhle  fh;  welche  auf  d^, 
bei  auffallendem  Lichte  gezeichneten  Figur  14  A  dunkel  erscheint 
wird  fast  von  allen  Seiten  von  Furchungskugeln  umschlossen. 

Den  weiteren  Verlauf  der  Furchung  kann  man  sich  am  bestes 
vergegenwärtigen,   wenn  man  sich  vorstellt,  dass  einerseits 
sämmtliche  kleinen  Zellen,  —  gleichviel  aus  welcher Thei- 
lung  sie  hervorgegangen  sind,  —    sich  beständig  weiter 
theilen,  während  andererseits  auch  die  grosse  vege- 
tative Zelle  fortwährend    gegen  das  spätere    orale 
Körperende  hin  („Vorderwulst"  nach  Flemming)  Knospe: 
treibt,  welche  sich  jedesmal  kurz  nach  ihrer  Bildung  von  ihitt 
Mutterzelle  ablösen  und  nach    vorne  zu  die  Zahl  der  kleinen 
Furchungskugeln  vermehren.    Diese  von  der  grossen  vegetatives 
Zelle  abstammenden  kleinen  Furchungskugeln  unterscheiden  sich 
von  den  Theilungsproducten  der  animalen  Zelle  stets  durch  ihre 
bedeutendere  Höhe   und  durch  ihre  grössere  Undurchsichtigkeit 
und  setzen  uns  dadurch  in  den  Stand,  schon  jetzt  das  spätere 
Vorderende  von  allen   anderen  Körperregionen  deutlich  zu  unter- 
scheiden. 

Auf  diese  Weise  kommt  es  schliesslich  zur  Bildung  einer 
ovalen  Blase,  deren  längster,  vom  animalen  zum  vegetativen 
Pol  hinziehender  Durchmesser  0,16  Mm.  beträgt  und  deren  Wand 
(von  einigen  unwesentlichen  Verschiedenheiten  abgesehen)  aus 
zwei  Zellenarten  zusammengesetzt  ist.  Der  eine  Pol  der 
Blase  wird  auch  jetzt  noch  von  der  grossen  vegetativen  Zelle 
eingenommen,  die  jetzt,  nachdem  sie  sich  durch  fortgesetzte 
Theilung  nicht  unbeträchtlich  verkleinert  hat,  0,095  Mm.  im  Durch- 
messer besitzt:  der  andere  Pol  und  die  Seitenwände  der 
Blase  werden  von  mehr  oder  weniger  flachen  Zellen  eingenommen, 
die  theils  von  der  grösseren,  theils  von  der  kleineren  der  beiden, 
aus  der  Zweitheilung  hervorgegangenen  Zellen  abstammen  und  von 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermoschel.  323 

denen  die  höchsten  und  undurchsichtigsten,  wie  bereits  erwähnt^ 
gegen  das  künftige  Yorderende  hin  liegen. 

Dieses  Stadium^  welches  Flemming  als  das  ,,Stadiam 

der   definitiven  Theilnng  des  Obertheils''  bezeichnet 

hat,  können  wir  als  Ausgangspunkt  für  eine  Reihe  der 

folgenden  Entwicklungsvorgänge  betrachten.  Wir  haben 

dasselbe  anf  Taf.  X,  Fig.  15  und  16  abgebildet.    Die  erstere  der 

beiden  Figuren  stellt  eine  Oberflächenansicht  dieses  Stadiums  dar 

nnd  gibt  genau  die  Zahl  und  Lagerung  der  zu  dieser  Zeit  auf 

einer  Seite  sichtbaren  Zellen  wieder.    Fig.  16  stellt  einen  optischen 

Querschnitt  durch  dasselbe  dar;  ginge  der  Schnitt  nicht,  wie  auf 

unserer  Figur,   in    querer  Richtung   von  der  einen   Seite   zur 

anderen,  sondern  in  sagittaler  Richtung  von  vorne  nach  hinten^ 

so  würden   wir    ganz   dasselbe  Bild  erhalten,  mit   dem  einzigen 

Unterschiede,  dass  die  Zellen  auf  der,  dem  späteren  Vorderende 

(„Vorderwulst^'Fl.)  entsprec  henden  Seite  etwas  höher  und  dunkler 

wären,  als  auf  der  entgegengesetzten. 

Die  einzelnen  Zellen  sind  zu  dieser  Zeit  noch  nicht  durch 
Membranen  von  einander  geschieden.  Zwischen  den  kleinen,  ab- 
geflachten animalen  Zellen  bemerkt  man  zarte  körnchenlose 
Partien  (Taf.  X,  Fig.  15).  Ganz  ähnliche  kömchenlose  Stellen 
habe  ich  auch  von  den,  relativ  etwas  älteren  Keimen  von  Limnaeus 
an  einem  anderen  Orte  beschrieben.  ^)  Die  Kerne  sind  in  den 
flachen  Zellen  deutlich  und  scharf  umschrieben,  in  den  rund- 
lichen dagegen,  wie  auch  Flemming  angibt,  nicht  oder  doch 
nur  undeutlich  zu  erkennen.  Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  ich 
in  keinem  einzigen  Kerne  ein  Kernkörperchen  finden  konnte, 
während  dies  nach  Flemming  bei  Anodonta  ganz  leicht  und 
ohne  weiteres  möglich  ist 

Dieses  Stadium  wurde  bereits  von  C.  6.  C  a  r  u  s  gesehen  und 
ganz  richtig  abgebildet,  jedoch  irrthttmlicher  Weise  flir  einen 
pathologischen  Entwicklungszustand  gehalten.  — 

Nunmehr  theilt  sich  die  grosse,  am  vegetativen 
Pol  gelegene  Zelle  in  zwei,  nahezu  gleich  grosse 
T heile.  Jeder  derselben  besitzt  einen  Durchmesser  von  0,06& 
bis  0,07  Mm..  Taf.  X,  Fig.  17  gibt  uns  eine  Oberflächenansicht 
dieses  Stadiums;  Fig.  18  stellt  einen  optischen  Querschnitt  durch 


')  Rabl,  „Die  Ontogenie  der  Süsswasser-Pulmonaten'^;  Jen.  Zeitochr.  f. 
Natarw.,  IX.  Band,  2.  Heft,  Jena  1875,  p.  201,  Taf.  VII,  Fig.  15. 
X.  Bd.,  N.  F.  ni,  s.  21 


324  Carl  Rabl, 

dasselbe  dar.    Die  Zellen  I  und  II  sind  die  beiden  Theilangs- 
producte  der  Zelle  1  (Fig.  15  u.  16). 

Bald  darauf  zerföllt  die  Zelle  I  in  zwei,  nie  ganz  gleich 
grosse  Theile  (Taf.  X,  Fig.  19,  la  und  Ib).  Der  grössere  d& 
beiden  hält  im  Durchmesser  0,0575  Mm.,  der  kleinere  0,050  Mol 
Kurze  Zeit  später  theilt  sich  auch  die  Zelle  II  in  zwei  gleichfalls 
ungleiche  Theile  (Fig.  20,  IIa  und  IIb).  Auf  diese  Weise  sind 
aus  der  grossen  vegetativen  Zelle  vier  Zellen  entstanden.  Nun 
theilen  sich  die  zwei  grösseren  derselben  abermals,  so  dass  nun- 
mehr am  vegetativen  Keimpol  sechs  Zellen  zu  liegen  kommen 
(Fig.  21 A  von  der  einen,  Fig.  21 B  von  der  andern  Seite). 

Unterdessen  haben  sich  auch  die  übrigen  Zellen  des  KeimeSt 
welche  wir  jetzt  als  animale  Zellen  bezeichnen  können,  nicht  un- 
beträchtlich vermehrt.  Wie  aus  den  Figuren  21 A  und  21 B  hervor- 
geht, ist  jedoch  die  Grösse  dieser  Zellen  auf  beiden  Seiten  etwas 
verschieden.  — 

F 1  e  m  m  i  n  g  beschreibt  diese  Theilungsvorgänge  bei  Anodonta 
folgendermassen :  Der  Obertheil  oder  die  Oberzelle  „scheidet  sich 
zunächst  in  zwei  annähernd,  aber  nie  genau  gleich  grosse  Zellen 
dann  zuerst  die  eine,  darauf  die  andere  derselbe! 
wiederum  in  zwei,  so  dass  also  dann  immer  eine  nn 
gerade  Anzahl  dieser  dunklen  Oberzellen  vorhanden 
i  s  t'*,  ^)  Dass  diese  letztere  Angabe  unrichtig  ist,  wird  Jedem  auf- 
fallen, der  den  angeführten  Satz  aufmerksam  liest ;  denn  nachdem 
sich  „die  andere  derselben  (nämlich  der  beiden  dunklen  Ober- 
zellen) wiederum  in  zwei"  Zellen  getheilt  hat,  sind  doch  im  Ganzen 
daselbst  vier  Zellen  vorhanden  und  die  Zahl  4  ist  doch  wohl  keine 
ungerade  Zahl.  — 

Ungefähr  bis  zu  diesem  Punkte  stimmen  meine  Beobachtungen 
mit  denjenigen  Flemming's  der  Hauptsache  nach  vollkommen 
überein;  von  da  an  weichen  sie  jedoch  entschieden  von 
denselben  ab.  Die  Uebereinstimmungen  beziehen  sich  nun- 
mehr fast  durchgehends  nur  auf  histologisches  Detail,  während 
gerade  in  den  morphologisch  wichtigsten  Punkten,  nämlich  in  der ' 
Bildung  der  Keimblätter,  die  grössten  und  wesentlichsten 
Differenzen  bestehen. 

Die  sechs,  am  vegetativen  Pole  befindlichen  Zellen,  die  sich 
von  allen  übrigen  Zellen  des  Keims  durch  ihre  viel  bedeutendere 
Grösse  und  Undurchsichtigkeit  auszeichnen,  theilen  sich  im  weiteren 


')  W.  Flemming,  „Studien**  etc.,  p.  53  und  54. 


üeber  die  Entstehung  des  Scbwärmsprösslings  etc.  325 

Verlaufe  der  Entwicklung  abermals ,  so  dass  dann  ungefähr  10 
bis  15  nahezu  gleich  grosse  Zellen  am  vegetativen  Pol  zu  sehen 
sind.    Diese  Theilung  schreitet  jedoch  nicht  immer  gleichmässig 
weiter,   sondern  es  macht  sich  vielmehr  alsbald  ein  sehr  auffal- 
lender und  für  die  ganze  weitere  Entwicklung  höchst  wichtiger 
Unterschied    in    den  Theilungsproducten    bemerkbar.     Während 
nämlich  die  Mehrzahl  der,   aus  der   grossen  vegetativen  Zelle  1 
(Fig.  15)  hervorgegangenen  Zellen   sich  noch  einige  Zeit  gleich- 
mässig der  Länge  nach  weiter  theilt,  bleiben  zwei  —  wie  wir 
später  sehen  werden  —   symmetrisch   rechts  und   links 
von  der  Medianlinie  gelegene  Zellen  zurück,  welche 
einen  von  den  ttbrigen,   bereits  gebildeten  Embryonalzellen  ver- 
schiedenen Entwicklungsgang  einschlagen  und  für  die  Bildung  der 
Keimblätter  von  der  allergrössten  Bedeutung  werden.  Diese  beiden 
Zellen  besitzen  einen  Durchmesser  von  0,025 — 0,03  Mm.  und  sind 
in  ganz  derselben  Weise,  wie  alle  übrigen  Embryonalzellen,  der 
Wand  der  nunmehr  nahezu  kugeligen  Blase  eingefügt.  Sie  treten 
gewöhnlich   erst    auf  Behandlung  mit  stark   verdünnter  lieber- 
osmiumsäure  nebst  einer  kleinen  Beigabe  von  Olycerin  ^)  klar  und 
deutlich  hervor;  auch  Essigsäurebehandlung  liefert  mitunter  ganz 
gute  Bilder. 

Dieses  Entwicklungsstadium  bezeichnen  wir  als  Blasto- 
I»  p  h  a  e  r  a  (Taf .  XI,  Fig.  24  u.  25).  Allerdings  hatte  der  Embryo  schon 
viel  früher  die  Gestalt  einer  nahezu  kugeligen,  allseitig  geschlossenen 
Blase;  wenn  wir  aber  mit  dem  Ausdrucke  „Blastosphaera''  einen  be- 
stimmten, sowohl  von  den  früheren,  als  späteren  Stadien  deutlich 
abgegrenzten  Entwicklungszustand  bezeichnen  wollen,  so  können 
und  dürfen  wir  nur  dasjenige  Stadium  als  Blasto- 
sphaera  bezeichnen,  welches  unmittelbar  der  Ein- 
stülpung vorhergeht.  Die  Blastosphaera  der  Unioniden  und 
wahrscheinlich  auch  aller  anderen  Muscheln  stellt  somit  eine 
nahezu    kugelige,    hohle,    einschichtige    Blase    dar. 


')  Man  verfahrt  hierbei  am  besten  in  der  Weise,  dass  man  zuerst  eine 
grössere  Anzahl  von  Eiern  nebst  einem  Wassertropfen  auf  den  Objectträger 
bringt,  sodann  einen  möglichst  kleinen  Tropfen  einer  halbpercentigen  Ueber- 
osmiamsäare-Lösung  und  eine  Spur  Glycerin  dazu  gibt  und  nun  das  Object 
unter  das  Mikroskop  bringt  und  abwartet,  bis  sich  die  Wirkungen  der  an- 
gewendeten Reagentien  bemerkbar  machen.  Es  wird  sodann  ein  Moment 
eintreten,  wo  die  einzelnen  Zellen  gerade  so  scharf  und  deutlich  hervortreten, 
wie  sie  auf  meinen  Figuren  zu  sehen  sind.  Die  Kerne  der  Zellen  sind  — 
wahrscheinlich  in  Folge  der  Glycerin-Einwirkung  —  nicht  zu  sehen. 

21* 


326  O.  Bütschli, 

deren  Wand  ans  dreierlei  Bestandtheilen  zusammengesetzt 
ist :  1)  aus  kleinen^  flachen  oder  kurz-priemiatischen  Zellen^  die  den 
grössten  Theil  der  Blasenwand  bilden;  2)  aus  einem  kleinen^ 
mehr  oder  weniger  rundlichen  oder  scheibenförmigen  Felde  hoher, 
dunkler  Cy linder zellen ;  und  3)  aus  zwei,  symmetrisch  rechts  und 
links  von  der  Hauptaxe  gelegenen,  grossen,  ovalen  Zellen. 

Die  kleinen,  flachen  oder  prismatischen  Zellen  zeigen  eine 
sehr  charakteristische  und  regelmässige  Anordnung:  die  grösseren 
und  dunkleren  von  ihnen  (welche  von  der  grosseren  der  beiden, 
aus  der  Zweitheilung  hervorgegangenen  Zellen  abstammen)  liegen 
nämlich  stets  dem  späteren  Vorderende  und  den  beiden  grossen 
Zellen  näher,  als  dem  Hinterende;  die  flachsten  Zellen  liegen 
diesen  beiden  Zellen  fast  direct  gegenüber  an  der  anderen  Seite 
der  Blase. 

Dass  in  der  That  die  Wand  der  Blastosphaera  nur  aus  einer 
einzigen  Schichte  von  Zellen  besteht  und  dass  nirgends  —  wie 
Flemming  vermuthet  —  unter  dieser  noch  eine  oder  mehrere 
andere  Schichten  liegen,  davon  kann  man  sich  nicht  allein  durch 
die  angegebene  Behandlung  mit  Ueberosmiumsäure  und  Glycerin, 
sondern  auch  mittelst  Querschnitten  überzeugen.  Wenn  Flemming 
sagt,  die  Wand  der  Blase  sei  „im  Bereich  des  oberen  Theiles 
der  Vorderspange"  *)  bis  vier  Zellen  dick,  so  erklärt  sich  dieser 
Irrthum  ganz  leicht  daraus,  dass  hier  die  Zellen,  wie  bereits  an- 
geführt, nicht  blos  eine  viel  bedeutendere  Höhe  besitzen,  sondern 
auch  viel  dunkler  und  undurchsichtiger  sind,  als  an  allen  anderen, 
von  den  kleinen  Embryonalzellen  eingenommenen  Stellen  der 
Blastosphaera.  — 

Rufen  wir  uns  nun  nochmals  die  Genese  der  drei  Be- 
standtheile  der  Blastosphaera  ins  Gedächtniss  zurück! 
Wir  wollen  dabei  von  dem  auf  Taf.  X,  Fig.  15  u.  16  abgebildeten 
Stadium  ausgehen.  Was  fürs  erste  die  zahlreichen  kleinen, 
theils  prismatischen,  theils  abgeplatteten  Zellen  betriff^  so  haben 
wir  dieselben  von  den  kleinen,  die  Seitenwände  und  den  animalen 
Keimpol  zusammensetzenden  Furchungskugeln  abgeleitet.  Was 
dagegen  ferner  die  beiden  grossen  Zellen  und  das  rundliche,  aus 
hohen,  dunklen  Cylindcrzellen  bestehende  Feld  der  Blastosphaera 
betrifft,  so  hat  sich  bei  unseren  Untersuchungen  herausgestellt, 
dass  sie  sämmtlich  nur  als  die-Theilungsproducte  der  grossen 
Zelle  1  am  vegetativen  Pol  angesehen  werden  müssen. 


*)  W.  Flemming,  „Studien"  etc...  p,  54. 


Ueber  die  Entwicklangsgeecliichte  der  Malermuscliel.        «      327 

Die  nächflteDy  an  der  Blastosphacra  wahrnehmbaren  Ver- 
änderungen bestehen  in  einer  Abflachnng  des  Gylinder- 
zellen-Feldes  und  einer  Ueberwaehsnng  der  beiden 
grossenZellen  durch  die  nebenan  liegenden  kleinen. 

Durch  den  ersteren  der  beiden  Vorgänge  verliert  die  Blasto- 
sphaera  wieder  ihre  kugelige  Gestalt;  sie  erhält  eine,  bei  seit- 
licher Ansicht  mehr  oder  weniger  dreieckige  Form.  Durch  den 
letzteren  gelangen  die  beiden  grossen  Zellen  ins  Innere  der 
Furchungshöhle,  wo  sie  an  der  vordersten  Ecke,  dort,  wo  die 
Cylinderzellen  in  die  kurzprismatischen  Zellen  der  vorderen  Körper- 
wand  übergehen;  wiederzufinden  sind  (Taf.  XI,  Fig.  26,  m).  Diese 
Ueberwaehsnng  geht  in  der  Weise  von  Statten,  dass  sich  einige 
der  unmittelbar  angrenzenden  prismatischen  Zellen  über  die  beiden 
grossen  Zellen  hinüberlegen  und  sie  dadurch  in  die  Furchungshöhle 
hineindrängen.  Dabei  baucht  edch  die  betreffende  Stelle  der  Blasto- 
sphacra in  Form  eines  stumpfen  Höckers  hervor  (Taf.  XI,  Fig.  26) 
und  gibt  dadurch  den  Keimen  ein  sehr  charakteristisches  Ansehen. 

Auch  Flemming,  der,  wie  er  selbst  sagt,  wegen  der  zu- 
nehmenden Undurchsichtigkeit  der  Embryonen  „über  das  Feinere 
dieser  Vorgänge  im  Dunkeln''  blieb,  erwähnt  diese  Hervorwölbung 
der  Blastosphacra  am  oberen  Theile  der  „Vorderspange".  — 

Das  Cylinderzellen-Feld  beginnt  sich  bald  nach 
seiner  Abflachung  der  Quere  nach  in  die  Höhle  der 
Blastosphacra  hineinzustülpen  (Taf.  XI,  Fig.  27  und  28). 
Man  erhüt  die  Richtung,  in  der  diese  Einstülpung  erfolgt,  wenn 
man  sich  die  Mittelpunkte  der  beiden  grossen  Zellen  durch  eine 
gerade  Linie  mit  einander  verbunden  denkt;  die  Richtung  dieser 
Linie  stimmt  genau  mit  jener  der  Lateralaxe  des  Embryo  überein 
(siehe  Taf.  XI,  Fig.  29).  Das  Cylinderzellen  Feld  bleibt  auch 
während  und  nach  dieser  Einstülpung  einschichtig. 

Die  Blastosphaera-Einstülpung  der  Unioniden  unterscheidet 
sich  demnach  von  dem  entsprechenden  Vorgange  bei  der  Mehr" 
zahl  der  übrigen  Metazoen  dadurch,  dass  sie  nicht  eine  na«h 
allen  Seiten  hin  gleichmässig^  ist,  sondern  vielmehr  von  der  Rich- 
tung der  Embiyonal-Axen  bestimmt  wird. 

Der  Embryo  besteht  demnach  der  Hauptsache  nach 
jetzt  aus  zwei,  sowohl  ihrer  Form,  als  ihrer  späteren  functio- 
nellen  Bedeutung  nach  verschiedenen  Zellenschichten.  Die 
äussere  derselben,  welche  theils  aus  abgeflachlen,  theils  aus  kurz 
prismatischen  Zellen  zusammengesetzt  ist,  stellt  das  äussere 
Keimblatt    oder    Ectoderm   dar;  die  innere,   aus   hohen 


328  Carl  Jlabl, 

dunklen  Cylinderzellen  bestehende  dagegen  das  innere  Keim- 
blattoder  Entoderm.  Zwisehen  beiden  befinden  sich  die  zwei 
grossen  Zellen,  die,  wie  erwähnt,  kurz  zuvor  von  den  Ectoderm- 
zellen  überwachsen  wurden  und  nun  vorne  anderUebergangs- 
stelle  der  beiden  primären  Keimblätter  liegen.  Diebreite 
quere  EinstülpungsOfiTnung  können  wir  als  U  r  m  u  n  d  oder  primären 
Mund  bezeichnen,  den  engen,  spaltförmigen  Hohlraum  als  U  r  d  a  r  m 
oder  primären  Darm. 

Der  Zeitpunkt,  wann  sich  die  beiden  grossen  Zellen  zu  theilen 
beginnen,  ist  mir  leider  entgangen.  Es  ist  indess  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  diese  Theilung  schon  kurz  nach  der  Ueberwachsung 
derselben  beginnt.  Optische  Durchschnittsbilder  geben  darüber 
keinen  sicheren  Aufschluss.  Gewiss  ist,  dass  die  Theilung  zu 
dieser  Zeit  bereits  begonnen  hat;  die  Producte  derselben  sind 
stets  sehr  ungleich  gross,,  so  dass  man  noch  lange 
neben  den  kleinen  Zellen  die  zwei,  sich  allmählich  verkleinernden 
grossen  Zellen  wahrnehmen  kann.  Der  Vorgang  bietet  grosse 
Aehnlichkeit  mit  dem  von  Eowalevsky  an  Lumbricus  beob- 
achteten dar;  auch  bei  Euaxes  scheint  sich  nach  demselben  For- 
scher ein  ganz  ähnliches  Verhalten  vorzufinden ;  wenigstens  glaube 
ich  dies  aus  einigen  von  Kowalevsky  gegebenen  Abbildungen 
schliessen  zu  dflrfen.  ^) 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  sich  die  kleinen  Theilungs- 
producte  der  beiden  grossen  Zellen  anfangs  ganz  dicht  an  das  ein- 
gestülpte Entoderm  anlegen  (Taf.  XI,  Fig.  32)  und  erst  allmählich 
durch  die  ganze  Höhle  hin  verbreiten.  —  Zwischen  Ectoderm 
und  Entoderm  befindet  sich  somit  jetzt  eine  dritte  Zel- 
lenschichte, das  Mesoderm  oder  mittlere  Keimblatt. 

An  der,  dem  späteren  Hinterende  entsprechenden  Körperstelle 
machen  sich  zu  dieser  Zeit  drei,  durch  ihre  ausserordent- 
liche Grösse  und  ihre  kugelige  Form  von  allen 
anderen  Ectoderm-Zellen  auffallend  abweichende 
Zellen  bemerkbar;  eine  Verwechslung  derselben  mit  den  beiden 
grossen  Zellen  des  Mesoderms  ist  nicht  blos  wegen  ihrer  ab- 
weichenden Zahl,  sondern  auch  wegen  ihrer  verschiedenen  Lage 
(die  beiden  Mesoderm  -  Zellen  liegen  bekanntlich  am  späteren 
Vorderende)  nicht  möglich.  Man  sieht  sie  auf  den  Fig.  29,  30 
und  31  bei  h  klar  hervortreten. 


')  A.  Kowalevsky,  „Embryol.  Studien  an  Würmern  u.  Arthropoden". 
M^m.  de  TAcademie  de  St-F^tersboorg,  Tome  XVI,  Nr.  12,  1871 ;  Taf.  HI, 
Fig.  11,  13,  13  a.  16. 


Ueber  die  Entstehung  des  Schwärmsprösslings  etc.  329 

Das  Stadinm  der  yollendeten  Einstttlpnngy  das 
wir  audi  als  das  Stadium  der  Keimblätterbildung  be- 
zeichnen können  und  dessen  Entwicklung  wir  eben  geschildert, 
haben  wir  auf  Taf.  XI,  Fig.  28—32  und  Taf.  XII,  Fig.  51  und  52 
abgebildet.  Fig.  28  stellt  einen  optischen  Längsschnitt,  Fig.  29 
einen  optischen  Querschnitt  durch  dasselbe  dar;  Fig.  30  gibt  uns 
eine  Oberflächenansicht  yon  der  linken  Seite  des  Embryo,  Fig.  31 
eine  solche  ron  der  Bauchwand;  Fig.  32  stellt  einen  optischen 
Längsschnitt  durch  ein  etwas  späteres  Stadium  dar.  Taf.  XII, 
Fig.  51  zeigt  uns  einen  Sagittalschnitt,  Fig.  52  einen  Querschnitt 
durch  den  bereits  mit  allen  drei  Keimblättern  ausgestatteten 
Embryo.  Ectoderm  und  Entoderm  sind  überall  einschichtig.  Die 
höchsten  Ectoderm  -  Zellen  liegen  bei  B ;  sie  besitzen  hier  eine 
Länge  von  0,015—0,017  Mm.  Gegen  r  hin  werden  sie  plötzlich 
flach  und  niedrig;  von  hier  gegen  die  Einstttlpungs-Oefihung 
nehmen  sie  wieder  an  Höhe  zu.  Die  Entoderm-Zellen  haben  eine 
Höhe  von  0,020—0,025  Mm.  und  eine  Dicke  von  0,008-  0,01  Mm. ; 
ihre  Kerne  halten  im  Durchmesser  ungefähr  0,006—0,007  Mm.  Die 
beiden  grossen  Mesodermzellen  haben  zu  dieser  Zeit  eine  Länge 
von  0,025  Mm.  und  eine  Dicke  von  0,0175  Mm. ;  ihre  Kerne  messen 
etwa  0,007  Mm.;  in  den  Kernen  bemerkt  man  ganz  deutlich  ein 
kleines,  punktförmiges  Kernkörperchen.  So^hl  bei  den  Ectoderm- 
als  bei  den  Entoderm-Zellen  sind  die,  gegen  die  Furchungshöhle 
gerichteten  Zellenenden  kömchenreicher  und  in  Folge  dessen  un- 
durchsichtiger, als  die  entgegengesetzten.  — 

Ich  habe  dieses  Stadium  deshalb  so  ausführlich  beschrieben, 
weil  es  mir  fttr  die  vergleichende  Entwicklungsgeschichte  der 
MetazoSn  von  der  grössten  Wichtigkeit  zu  sein  scheint  und  weil 
gerade  in  diesem  Funkte  meine  Beobachtungen  von  denjenigen 
Flemming's  am  weitesten  abweichen. 

Was  die  früheren  Beobachter  betri£ft,  so  haben  bereits 
G.  6.  Carus  und  Oscar  Schmidt  ganz  gute  Oberflächen- 
Ansichten  von  diesem  Stadium  gegeben.  Die  Abbildungen,  welche 
Flemming  davon  gegeben  hat,  sind,  wie  dieser  Forscher  wohl 
selbst  zugeben  wird,  etwas  zu  dunkel  und  undeutlich  ausgefallen.  — 

Es  erübrigt  noch,  einige  Worte  über  das  Verhalten  der 
„Richtungsbläschen''  während  und  unmittelbar  nach  der 
Fnrchung  zu  sagen.  Es  wollte  mir  leider  nicht  gelingen,  die 
„Richtungsbläschen''  während  des  ganzen  Furchungsprocesses 
genau  und  mit  der  nöthigen  Sicherheit  zu  verfolgen;  dennoch 
glaube    ich   durch    eine  Zusammenstellung   meiner  und  Fiem- 


330  Carl  Rabl, 

m  i  n  g '  8  Beobachtungen  eine  nahezu  vollfitändige  Geschidite  ihres 
Verhaltens   und  ihrer  LagerungByerhältnisse  zn  den  Fnrchnngs- 
kugeln  geben  zu  können.    Nach  der  Zweitheilung  des  Keims  trifft 
man  sie  in  der  Furche  zwischen  den  beiden  Furchungskugeln  nnd 
zwar,  wie  auch  Flemming  angibt^   etwas  der  vegetativen  ZeUe 
näher,  als  der  animalen.    Nach  der  Viertheilung  liegen  sie  nach 
Flemming  in  dem  einspringenden  Winkel  zwischen  den  Zellen 
i,  3  und  i,  nach  der  Fünftheilnng  zwischen  3,  4  und  5.    Nach 
der  Sieben-  und  Achtheilung,    welche   Flemming  nicht   direct 
beobachtete,   scheinen   sie   zwischen  den   Zellen  3,  6  und  7  zn 
liegen.    Sobald  einmal   der  Keim  die  Blasenform  angenommen 
hat,  liegen  sie  immer  an  der  dünnsten  Stelle  der  Blase,  also  immer 
gerade  den  kleinen  Theilungsproducten  der  grossen  vegetativen 
Zelle  gegenüber.    Ganz  in  derselben  Weise  treffen  wir  sie  noch 
am  Keim  von  Taf.  XI,  Fig.  25  und  den  folgenden.    Von  dem  von 
uns  als  Blastosphaera  bezeichneten  Stadium   angefangen,  liegen 
sie  stets  genau  in  der  Mittellinie  des  Keimes,  an  jener  Stelle,  wo 
sich   die  flachsten  Zellen  befinden.    Bei  Anodonta  verschwinden 
sie  nach  Flemming  ungefähr  auf  dem  Stadium  von  Fig.  28,  bei 
Unio  aber  erst  viel  später. 

Die  Embryonen  von  Anodonta  und  Unio  tumidus  statten  sieh, 
sobald  sie  mit  allen  drei  Keimblättern  versehen  sind,  an  ihren 
vorderen  KOrperenden  mit  langen  Flimmerhaaren  aus^  4iii'ch  deren 
schwingende  Bewegungen  sie  im  Eiweiss  des  Eies  zu  rotiren  be- 
ginnen. Den  Embryonen  der  Malermuschel  fehlen  jedoch  diese, 
als  Velum  bezeichneten  üilien.  — 

Schliesslich  will  ich  noch  bemerken,  dass  ich  nicht  selten  in 
Furchungskugeln,  welche  noch  nicht  die  geringste  Spur  einer  Ein- 
schnürung erkennen  Hessen,  zwei  deutliche,  scharf  umschriebene 
Kerne  gefunden  habe.  Dieselbe  Erscheinung  habe  ich  auch  an 
mehreren  ungefurchten,  aber  bereits  befruchteten  Eiern  von  Unio 
tumidus  beobachtet.  Ich  bin  jedoch  ebenso  wenig,  wie  Flemming, 
der  dieselbe  Erscheinung  bei  Anodonta  beobachtete,  im  Stande, 
mit  Bestimmtheit  anzugeben,  ob  solche  Eier  sich  normal  weiter 
entwickeln  oder  ob  sie  nach  längerer  oder  kürzerer  Zeit  absterben 
und  zu  Grunde  gehen.  ^) 

')  Einige  interessante  Bemerkungen  über  mehrkemige  ZeUen  finden  sich 
auch  in  der  eben  erschienenen  ersten  Hälfte  von  Kolli  ker 's  ,,£ntwicklung8- 
geschichte  des  Menschen  und  der  höheren  Thiere^S  Leipzig  1876,  p.  58. 


lieber  die  Entwicklangsgeschichte  der  Malermaschel.  331 

Bevor  wir  in  der  Beschreibung  der  EntwicklnngSTorgänge 
weiterfahren^  wollen  wir  folgende  drei  Pnnkte  einer  näheren  Be- 
trachtnng  unterziehen: 

1)  Die  ,;Richtung8blä8chen''  und  ihre  Bedeu- 
tung; 

2)  Die  Eifurchung  und  ihr  Verhältniss  zu  den 
anderen  Arten  inaequaler  Furchung,  na- 
mentlich zu  derjenigen  der  Gastropoden; 
und 

3)  Die  Bildungsweise  und  das  Lagerungsver- 
hältniss  der  Keimblätter. 

1)  Die^^Bichtungsbläschen'^  und  ihre  Bedeutung.^) 
Die  Frage  nach  dem  Wesen  und  der  Bedeutung  der  ^^Richtungs- 
bläschen'^  hat  noch  immer  keine  befriedigende  Antwort  gefunden. 
Das  einzig  Sichere,  was  man  in  dem  langen/Hber  diesen  Gegen- 
stand geführten  Streite  bisher  erreichte,  besteht  in  der  Wider- 
legung der,  vor  nahezu  dreissig  Jahren  von  Fr.  Müller  aufgestellten 
Ansicht,  dass  die  „Richtungsbläschen^^  einen  wichtigen  Einfluss 
auf  die  Richtung  der  Furchen  des  Dotters  und  mithin  auch  auf 
das  gegenseitige  Lagerungsverhältniss  der  Furchungskugeln  aus- 
zuüben hätten.    Fast  in  allen  anderen  Beziehungen  hat  der  lange 


*)  Späterer  Zasatz:  Diese  Bemerkungen  worden  im  Herbst  1875  nieder- 
geschrieben. Inzwischen  sind  die  schönen  tJntersuchangen  O.  Bütschli's 
„über  die  ersten  Entwicklongsvorgänge  der  Eizelle,  die  Zelltheilung  und  die 
Conjogation  der  Infusorien"  erschienen,  welche  über  unseren  Gegenstand  ein 
erfreuliches  Licht  verbreiten.  Ich  glaube  aber  dennoch  meine  damaligen  Be- 
merkungen fast  ganz  unverändert  mittheilen  zu  sollen,  einerseits,  weil  durch 
dieselben  auf  mehrere  Verhältnisse  aufmerksam  gemacht  wird,  die  bisher  ent- 
weder ganz  übersehen  oder  nur  ungenügend  berührt  worden  sind,  anderer- 
seits, weil  meine  Ansicht  über  die  physiologische  Bedeutung  der  „Richtungs- 
kläsohen**  Bütschli  Anlass  zu  der  wohlfeilen  Bemerkung  gegeben  hat,  „man 
sehe,  was  die  Anpassung  mit  gutem  Willen  nicht  aUes  zu  leisten  im  Stande 
sei"  und  weil  ich  daher  meine  Ansicht  zu  rechtfertigen  wünsche.  —  Ueber- 
dies  muss  ich  Bütschli  gegenüber  hervorheben,  dass  man  bei  embryolo- 
gischen Untersuchungen,  die  sich  über  eine  lange  Reihe  von  Vorgängen  er- 
strecken, einer  einzelnen  Erscheinung,  die  anerkanntermassen  zu  den  weiteren 
Veränderungen  in  gar  keiner  directen  Beziehung  steht,  nicht  seine  volle 
Aufmerksamkeit  widmen  kann,  sondern  dass  die  Beobachtung  eines  solchen 
Vorganges,  wie  Bütschli  selbst  gezeigt  hat,  eine  Sache  für  sich  ist;  es 
musste  mir  daher  bei  der  Beobachtung  der  Entwicklungsgeschichte  der  Gastro- 
poden die  Bildungsweise  und  das  Lagorungsverhältniss  der  Keimblätter  etc. 
vie(  mehr  am  Herzen  gelegen  sein,  als  das  Austreiben  der  „Richtungs- 
bläschen". 


S32  Carl  Rabl, 

und  heftige  Streit  zu  keinem  nennenswertfaen  Erfolge  g^tthrt. 
Wir  wollen  daher  anf  die  Wandlungen,  welche  die  Ansiditen  der 
Forscher  über  diesen  Gegenstand  im  Laufe  der  Zeit  durchgemacht 
haben,  nicht  näher  eingehen^),  und  nur  die  heute  harr- 
sehenden  und  einander  gegenüberstehenden  An- 
sichten einer  näheren  Beleuchtung  unterziehen. 

Im  Ganzen  und  Grossen  lassen  sich  diese  Ansichten  in  zwei 
Gruppen  theilen,  —  je  nachdem  sie  mehr  die  morpho- 
logische oder  mehr  die  physiologische  Seite  der  Frage 
in  den  Vordergrund  drängen. 

Die  Anhänger  der  ersteren  Richtung  glauben  in  den 
,,Richtungsbläschen'^  das,  vor  dem  Beginn  der  Furchnng 
verschwundene  Keimbläschen  oder  doch  wenigstens 
einen  Theil  desselben  —  allerdings  in  sehr  veränderter 
Form  —  wiederer^ifennen  zu  müssen.  Hierher  gehören  vor  Allem 
Oellacher,  Flemming  und  Btttschli.  Bekanntlich  hatte 
schon  vor  längerer  Zeit  0  eil  ach  er  auf  die  Wahrscheinlichkeit 
eines  solchen  Zusammenhanges  zwischen  Keimbläschen  und 
„Richtungsbläschen''  hingewiesen,  ohne  aber  dafUr  ganz  sichere 
und  unanfechtbare  Belege  beibringen  zu  können.  Dieser  von 
0  eil  ach  er  aufgestellten  Ansicht  schloss  sich  Flemming  — 
freilich,  wie  auch  Bütschli  mit  Recht  bemerkt,  ohne  hiezu 
einen  zwingenden  Grund  zu  besitzen  —  der  Hauptsache  nach 
an.  Er  meinte,  dass  die  „überwiegende  Wahrscheinlichkeif' 
dafär  spreche,  dass  man  es  bei  den  „Richtungsbläschen"  mit 
„ausgetriebener  Kemsubstanz"  zu  thun  habe.  ^)  Um  jedoch  diese 
Annahme  sicher  zu  stellen,  wäre  es  unbedingt  notb- 
wendig  gewesen,  das  Keimbläschen  in  allen  seinen 
Umwandlungen  bis  zum  Austreiben  und  Abschnüren 
der  „"Richtungsbläschen"  zu  verfolgen.  Dies  ist  je- 
doch von  Flemming  nicht  geschehen,  und  wir  müssen  daher 
seine  Annahme  zum  mindesten  für  unerwiesen  erachten.  Auch 
glauben  wir  nicht,  dass  es  mit  unseren  gegenwärtigen  Hilfs- 
mitteln je  einem  Forscher  gelingen  werde,  an  den  Eiern  der 
Najaden  das  Keimbläschen  während  aller  seiner  Umwandlungen 
genau  und  mit  Sicherheit  zu  verfolgen  und  hiedurch  die  vor- 
liegende Frage  endgiltig  zu  entscheiden.    Viel  günstiger  scheinen 


*)  Wir  verweisen  in  dieser  Besieliuxig  auf  Flemming's  ,,Stadieii*S  p.  31 
und  82  und  auf  unsere  „Ontogenie  der  Süsswasser^Fuhnonaten^S  p.  223, 
'  *)  W.  Flemming,  1.  es.,  p.  37. 


Ueber  die  EntwicklungflgOBOliichte  der  Malennoschel.  333 

in  dieser  Hinsicht  die  Eier  Ton  Cyclas  zn  sein,  deren  grosse 
Durchsichtigkeit  viel  leichter  einen  Einblick  in  die  in  ihrem  Inneren 
ablaufenden  Vorgänge  gestattet^  als  dies  an  den  Eiern  von  Ano- 
donta  und  Unio  der  Fall  ist 

Die  genauesten  und  sorgfiUtigsten  Untersuchungen  ttber  die 
Beziehungen  des  Keimbläschens  zu  den  y^Richtungshläsöhen^^  hat 
vor  Kurzem  Btttschli^)  an  den  Eiern  einiger  Nematoden  ange- 
stellt. Aus  seinen  Untersuchungen  scheint  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit hervorzugehen,  dass  zwar  nicht  das  ganze  Keim- 
bläschen, aber  doch  einTheil  desselben^  nämlich  der  Keimfleck, 
nach  der  Befruchtung  ausgetrieben  werde  und  sieh  zu  den  ^^ich- 
tungsbläschen^'  umbilde.*) 

Doch  scheint  es  uns  nach  Allem ,  was  bisher  ttber  diesen 
Gegenstand  bekannt  geworden  ist^  gerathea,  einstweilen  noch  mit 
der  Bildung  eines  bestimmten  Urtheiles  zurückzuhalten  und  vor- 
erst abzuwarten^  bis  weitere  und  über  mehrere  Thierclassen  aus- 
gedehnte Untersuchungen  vorliegen  werden.  Ein  Zusammenhang 
zwischen  Keimbläschen  und  ,,Richtung8bläschen^^  wäre  Übrigens 
a  priori  durchaus  nicht  undenkbar;  ja  die  Sache  würde 
dann  um  so  wichtiger  sein,  als  sie^  wie  Flemming  mit  Recht 
bemerkt,  noch  „eine  hochinteressante  phylogenetische 
Seite''  bekäme'),  insofern  nämlich  der  Keim  durch  das  Ver- 
schwinden des  Keimbläschens  vom  Zustande  einer  einfachen  2ielle 
auf  den  Zustand  einer  üytode  herabsinkt  Freilich  scheint  gegen 
einen  solchen  Zusammenhang  wieder  der  Umstand  zu  sprechen, 
dass  die  „Richtungsbläschen''  bisweilen,  wie  in  dem  oben  ange- 
führten Falle,  eine  ganz  ungewöhnliche  Grösse  erreichen  und  das 
Keimbläschen  im  Durchmesser  um  mehr  als  das  Dreifache  über- 
treffen; andererseits  müssen  wir  aber  wieder  bedenken,  wie  leicht 
namentlich  auf  frühen  Entwicklungsstadien  Quellungserscheinungen 
zu  Stande  kommen  und  wie  grosse  Schwierigkeiten  gemeiniglich 
der  Beurtheilung  solcher  abnormer  Fälle  im  Wege  stehen.  — 

Von  den  Anhängern  der  zweiten,  mehr  physiologischen 
Richtung  müssen  wir  namentlich  Semper  und  Selenka  hervor- 


')0.  Biitschli,  „Vorläufige  Mittheilung  über  Untersuchungen  be- 
tretend die  ersten  Entwicklungsvorgänge  Im  befruchteten  Ei  von  Nematoden 
und  Schnecken'^  Zeitschr.  f.  wiss.  ZooL,  XXV. 

*)"  Nach  Büt8chli*s  neuesten  Beobachtungen  ist  es  „höchst  wahrschein- 
lich das  gesammte  Keimbläschen^^  also  nicht  Mos  der  Keimfleck,  das  zum 
,,RichtnngBbIäschen^^  wird. 

*)  W.  Flemming,  L  c,  p.  85. 


334  Carl  Rabl, 

heben.    Semper,  der  die  „iKi^^h^^i^gsbläscben'^  mit  den  ^^Testa- 
tropfen"  oder  „Testazellen"  der  Ascidien  vergleicht,  sieht  in  dem 
Austreiben  dieser  Gebilde  ^^gewissermaassen  eine  Defäcation^',  ,,eine 
Reinigung^'  der  Eizelle,  ^^eine  Befreiung  von  ofienbar  für  die  ein- 
zuleitenden Vorgänge  unbrauchbaren  Stoffen'^  ^)  Ja  Selenka  g'eht 
so  weit,  die  ,,Richtuiig8bläschen''  geradezu  den  ,;Eoth''  der  Eizelle  zu 
nennen^)!  Wenn  überdies  Semper  an  einer  anderen  Stelle^)  die 
Ansicht  ausspricht,  man  habe  in  den  ^^Richtungsbläschen*'  viel- 
leicht „die  primitivsten  Excretionsorgane^'  zu  erblicken, 
denen  die  Aufgabe  zukomme,  y,unbrauchbar  gewordene  Stoffe  ab- 
zuftlhren'^,  so  haben  wir  es  hier  doch  wohl  nur  mit  einem  Drnck- 
fehler  zu  thun,  der  Semper  zu  der  unliebsamen  Verwechslang 
der  Excretions Organe  mit  den  Excretionsproducten  iUhrte. 

Gegen  die  Ansicht  Semperas  und  Selenka's  haben  wir 
Folgendes  einzuwenden :  fürs  erste  sollte  man  nach  unserer  An- 
sicht gegenwärtig,  wo  man  von  einer  Physiologie  der  Eizelle 
noch  fiE^st  gar  nichts  weiss,  auch  nicht  von  einer  Ausscheidung 
„unbrauchbar  gewordener  Stoffe"  oder  von  einer  „Defätcation^'  der 
Eizelle  reden.  Fürs  zweite  mttsste,  falls  diese  Ansicht  gerecht- 
fertigt wäre,  eine  fundamentale  Verschiedenheit  zwischen  dei 
Entwicklung  derjenigen  Eier,  welche  „Bichtungsbläschen"  oder 
„Testatropfen^^  besitzen,  und  jener,  denen  diese  Gebilde  fehlen, 
angenommen  werden ;  man  müsste  annehmen,  dass  in  den  einen 
Eiern  ganz  andere  physiologische  Processe  während  der  ersten 
Entwicklung  ablaufen,  als  in  den  anderen.  Endlich  drittens 
gibt  Semperas  Ansicht  keine  Erklärung,  sondern  nur 
eine  Umschreibung  der  Thatsachen;  denn  wenn  die 
ausgeschiedenen  Stoffe  brauchbar  und  „für  die  einzuleitenden 
Vorgänge"  nothwendig  wären,  so  würden  sie  doch  gewiss  nicht 
ausgeschieden  werden.  Wenn  ich  daher  von  einer  Ausscheidung 
von  „offenbar  fUr  die  einzuleitenden  Vorgänge  unbrauchbaren 
Stoffen"  spreche,  so  gebe  ich  damit  doch  nur  eine  Umschreibung, 
keine  Erklärung  der  Thatsachen.  —  Demnach  mttssen  wir  die 
von  Semper  und  Selenka  aufgestellte  Ansicht,    da  sie   uns 


')  Carl  Semper,  „lieber  die  Entstehung  der  geschichteten  Cellulose- 
Epidermis  der  Ascidien*^  Arbeiten  aus  dem  asoologisch-zootomischen  Institut 
in  Würzburg;  zweiter  Band,  1.  Heft,  1874,  p    12.  Anm.  2. 

')  Selenka,  .«Eifurchung  und  Larvenbildung  von  Phascolosoma  elon- 
gatum^^    Zeitschr.  für  wiss.  Zool.  1875,  p.  414. 

*)  Semper,  1.  o.,  p.  16,  Anm. 


Ueber  die  EntwicklongsgeBchichte  der  MalermoBcheL  335 

einem  Verständnisse  nnseres  Gegenstandes  nicht  nlUier  bringt| 
zorttckweisen. 

Wir  wollen  nnn  noch  einige  Umstände  henrorheben,  welche 
nns  allem  Anscheine  nach  einige  Anhaltspunkte  fttr  die  Bearthei- 
Inng  der  geschilderten  Vorgänge  zn  geben  vermögen.  Schon 
Flemming^)  hat  eine  Reihe  von  Punkten  namhaft  gemacht, 
welche  beweisen,  dass  die  in  früherer  Zeit  za  wiederholten  Malen 
und  selbst  heute  noch  hie  und  da ')  aufgestellte  Ansicht,  dass  die 
,,Richtung8bläschen'^  nur  ganz  ^^gleichgültige  und  beliebige^'  Ge- 
bilde seien,  entschieden  unrichtig  ist,  und  dass  man  daher  nicht 
so  leichterdings  über  diesen  Gegenstand  hinweggehen  dürfe. 

Vor  Allem  müssen  wir  hervorheben,  dass  die  „Richtungs- 
bläschen'' in  der  Regel  nur  die  Begleiter  der  in- 
aequalen  oder  ungleichmässigen  Furchung  sind, 
während  sie  bei  der  gleichmässigen  oder  primordialen  Furchung 
fehlen.  Ich  brauche  in  dieser  Hinsicht  nur  an  die  Gastropoden 
und  Lamellibranchiateu,  an  zahlreiche  Würmer  (Nephelis,  Lumbri- 
cus  etc.),  sowie  an  die  Säugethiere  zu  erinnern. ')  Von  den  Ascidien 
und  Nemertinen,  welche  von  dieser  Regel  eine  Ausnahme  machen, 
indem  bei  ihnen  neben  primordialer  Furchung  „Richtungs- 
bläschen'' oder  „Testatropfen"  vorkommen,  wollen  wir  einstweilen 
absehen  und  uns  die  Besprechung  dieser  Verhältnisse  auf  weiter 
unten  versparen. 

Ein  zweiter,  nicht  minder  wichtiger  Punkt  besteht  darin,  dass 
die  Austrittsstellc  der  „Richtungsbläschen"  stets 
der  animale  Eeimpol  ist.  Schon  Flemming^)  hat  a'uf 
diese  Gonstanz  der  Lage  und  Austrittsstellc  hingewiesen.  Ich 
erinnere  in  dieser  Beziehung  namentlich  an  die  Verhältnisse  bei 
den  Gastropoden  und  Lamellibranchiateu ;  ein  ganz  ähnliches  Ver- 
halten scheint  sich  auch  bei  Lumbricus  ^)  vorzufinden.   Und  selbst 


*)  W.  Flemming,  1.  c,  p.  84. 

')  Vgl.  Ray-Lankester,  „Obflervations  on  the  development  of  the 
pond-snairs  Quart,  journ.  of  micr.  sdenc.  1S74,  p.  375.  Die  betreffende  Stellf 
wird  aach  von  Flemming  citirt;  s.  1.  c,  p.  31,  Anm.  l. 

')  Die  genaueste  Zusammenstellung  lunsichtüch  der  „Richtungsbläschen^^ 
hat  Bütschli  gegeben  (1.  c,  p.  171). 

*)  Flemming,  1.  c,  p.  34. 

^)  A.  Kowalevsky,  „Embryol.  Studien  an  Würmern  und  Arthropoden'S 
M^m.  de  TAcad.  de  St  P^tersbourg,  Tome  XVI,  Nr.  12,  1871.  Diese  An- 
nahme ist  auf  die  Voraussetaung  basirt,  dass  die  Fig.  2  und  3  auf  Taf.  VI, 
aufweichen  die  „Richtangsbläschen**  nicht  abgebildet  sind,  dieselben  Lagerungs- 
yerhältnisse,  wie  Fig.  1,  zur  Anschauung  bringen. 


386  Carl  RaW, 

in  jenbn  Fällen,  wo  es  noch  zweifelhaft  erscheint,  ob  wir  es  wirk* 
lieh  mit  ^»Bichtungsbläschen'^  zu  thun  haben,  wie  bei  den  Fischen 
(Oellacher)  und  bei  Enaxes  (Eowalevsky);  erscheinen  die 
betreffenden  K^rperchen  regelmässig  am  animalen  Keimpole,  wo 
die  Fnrchang  schneller  von  Statten  geht;  als  an  dem  entgegen- 
gesetzten vegetativen. 

Endlich  müssen  wir  noch  als  einen  dritten^  für  die  Beant- 
wortung unserer  Frage  wichtigen  Umstand  hervorheben ,  dass 
der.  animale  Eeimpol  der  sich  ungleich  furchenden 
Eier  immer  specivisch  leichter  ist,  als  der  entgegen- 
gesetzte vegetative.  Von  den  Eiern  der  Amphibien  nnd 
Vögel  ist  diese  Thatsache  schon  seit  Langem  bekannt.  Von 
den  Lungenschnecken  des  Süsswassers  habe  ich  sie  schon  an 
einem  anderen  Orte  hervorgehoben. ')  In  der  allerschönsten  nnd 
auffallendsten  Weise  tritt  sie  aber  bei  Acera  hervor.  Die  Fnr- 
chung  dieser  Schnecke  bietet  eine  auffallende  Aehnlichkeit  mit 
jener  von  Apiysia  dar,  und  man  darf  daher  erwarten,  dass  ancb 
bei  dieser  dasselbe  Verhalten  vorkomme.  Die  Beobachtung  des 
Furchungsprocesses  von  Acera  wird  auf  späteren  Stadien  ausser- 
ordentlich schwierig  und  es  gelingt  nur  mit  vieler  Mük 
und  Ausdauer,  sich  eine  genaue  Vorstellung  von  den  einzelnen 
Furchungsstadien  zu  bilden;  der  Qrund  dieser  Schwierigkeit  liegt 
i^ber  nicht  so  sehr  darin,  dass  es  an  und  für  sich  schon  eine 
mühevolle  Sache  ist,  sich  ein  getreues  Bild  von  der  Zahl,  Grösse 
und  Lagerung  der  einzelnen  Furchungskugeln  auf  späteren  Stadien 
zu  entwerfen,  sondeni vielmehr  darin,  dass  jedesmal,  sobald 
man  den  Objectträger  mit  dem  Präparate  umkehrt, 
um  dieses  auch  von  der  andern  Seite  zu  betrachten,  fast 
sämmtliche,  am  Objectträger  befindlichen  Eier 
gleichzeitig  diese  Bewegung  mitmachen  und  zwar 
immer  in  der  Weise,  dass  der,  sich  schneller  furchende  animale 
Pol  mit  den  kleineren  Furchungskugeln  nach  oben  zu  liegen 
kommt.  —  Was  endlich  noch  die  Muscheln  betrifft,  so  scheint 
sich  auch  hier  ein  ähnliches  Verhalten  vorzufinden;  allerdings 
wird  eine  directe  Beobachtung  an  den  Eiern  dieser  Thiere  durch 
den  Umstand  bedeutend  erschwert,  dass  die  Keime,  wenn  man 
sie  isolirt,  sehr  rasch  absterben  und  zu  Grunde  gehen;  doch 
glaube  ich  aus  der  Thatsache,   dass  auch  hier  regelmässig  die 


^)  C.  Rabl,    „Ontogenie  der  Süsswasser-Palmonaten^^    Jen.  Zeitsch.  f. 
Nat,  IX.  Bd.,  II.  Heft,  1870,  p.  223. 


tJeber  die  Entwicklangsgeschichte  der  MalennuscheL  387 

y^i^^htungsbläschen^'  an  jener  Stelle  des  Keimes  gelegen  sind,  die 
von  den  kleinsten  und  flachsten  Zellen  eingenommen 
wird,  den  Schlnss  ziehen  zu  dürfen,  dass  auch  bei  den  Mnscbeln 
der  animale  Keimpol  specifisch  leichter,  als  der  vegetative  ist 

Nun  ist  es  aber  klar,  dass  der  specifisch  leichtere  Pol  des 
Keimes  jedesmal^  wenn  das  Ei  längere  Zeit  in  Buhe  gelassen 
wird  und  seine  Gleichgewichtslage  nngest()rt  bleibt,  nach  oben  zu 
liegen  kommt  und  dass  also  die  daselbst  gelegenen  Zellen  un- 
mittelbar an  die  Eimembran  anstossen  und  in  Folge  dessen  einen 
Druck  erleiden,  der,  wenn  er  ununterbrochen  fortwirkte,  noth- 
wendig  den  Keim  in  seiner  normalen  Entwicklung  hindern  müsste. 
Zur  Verminderung  dieses  Druckes  schieben  sich  nun  nach  unserer 
Ansicht  die  „Richtungsbläschen''  gleichsam  ais  elastische 
Ballen  zwischen  Keim  und  Eimembran  ein  und  halten  dadurch 
die  aus  einem  solchen  beständigen  Drucke  nothwendig  erwachsenden 
Schädlichkeiten  von  jenem  nach  Kräften  ferne.  Demnach  hätten 
wir  also  in  den  „Bichtungsbläschen''  nichts  weiter,  als 
durch  Anpassung  an  die  ungleiche  Dotterfurchung 
erworbene  Schutzorgane  des  Embryo  zu  erblicken.^) 

Wir  kommen  nun  auf  die  Nemertinen^)  und  Ascidien^) 
znrttck,  bei  denen  sich,  wie  gesagt,  neben  gleichmässiger  oder 
primordialer  Furchung  „Bichtungsbläschen''  vorfinden.  Diese  That- 
Sache  scheint  auf  den  ersten  Blick  unsere  Ansicht  von  der  Be- 
deutung der  „Richtungsbläschen''  völlig  umzustossen.  Bei  genauerer 
Betrachtung  stellt  sich  jedoch  heraus,  dass  sie  nicht  nur  nicht 
gegen  unsere  Ansicht  spricht,  sondern  vielmehr  als  ein  neuer 
Beweis  für  ihre  Biditigkeit  angesehen  werden  kann.  Wir  finden 
nämlich,  dass  die  „Riehtungsbläschen",  welche  bei  den  Ascidien 
als  „Testazellen'^  oder  „Testatropfen^'  (8  e  m  p  e  r)  bezeichnet  werden» 
nicht,  wie  bei  den  Eiern  mit  inaequaler  Furchung 
nur  in  sehr  beschränkter  Anzahl,  sondern  vielmehr 
in   sehr  grosser  austreten  und   dass  femer    ihre  Aus- 


')  Dieselbe  Ansiebt  habe  ich  schon  früher  ausgesprochen:  I.  c,  p.  223. 

')  GeorgDieck,  „Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Nemertinen'** 
Jen.  Zeitschr.  für  Nat.  VIII,  4.  Heft,  1874,  p.  500. 

')  Vgl.  ausser  Sem  per,  „Ueber  die  Entstehung  der  geschichteten  Cellu- 
lose-Epidermis  der  Ascidien'^  noch  O.  Hertwig,  „Untersuchungen  über  den 
Hau  und  die  Entwicklung  des  Cellulose-Mantels  der  Tunioaten".  Jen,  Zeitschn 
f.  Katurw.  1871,  VII.  Bd.,  sowie  A.  Kowalevsky,  „Entwicklungsgeschichte 
der  einfachen  Aseidien^S  Mi^m.  de  TAcad.  de  St.-Pdtersbourg,  Tome  X, 
Nr.  15,  1866. 


338  Carl  Eabl, 

trittsstellen   keineswegs  genau  bestimmt,  sondern 
vielmehr  ausserordentlich  verschieden;  ja  gewisBer- 
massen  beliebig  sind.   Nnn  sind  aber  auch  die  Bedingungen, 
unter  denen  die  Farchung  verläuft,  bei  den  Nemertinen  und  As- 
cidien  nahezu  die  gleichen  und  weichen  von  denen  bei  anderen 
Thieren  mit  primordialer  Furchung  auffallend  ab.  Diese  Thatsache 
ist  um  so  interessanter,   als  die  beiden  genannten  Thierclassen 
durchaus  keine  nähere  Verwandtschaft  mit  einander  besitzen;  es 
geht  daraus  zugleich  hervor^  dass  in  den  sog.  „Testatropfen'^  aicher 
nur  Anpassnngscharaktere  vorliegen  können.  —  Vor  Allem  müssen 
vdr  hervorheben^  dass  sowohl  bei  den  Nemertinen,  als  bei    den 
Ascidien  die  den  Keim  umgebende  Hülle  eine  doppelte 
ist  und  dass  die  innere  der  beiden  Hüllen  dem  Keime 
ziemlich  enge  anliegt,   so  dass   nur   eine  geringe  Menge 
flüssigen  Eiweisses  zwischen  Keim  und  innerer  Hülle  Platz  findet^) 
Es  ist  daher  einleuchtend,  dass  der,  nach  allen  Richtungen  hin 
gleich  schwere  Keim  hier  grössere  Gefahr  läuft,  an  die  Eimembrao 
anzustossen,  als  dies  bei  anderen  Keimen  mit  primordialer  Fur- 
chung (z.  B.  bei  jenen  des  Amphioxus)  der  Fall  ist    Aber  eben 
deshalb,  weil  der  Keim  nach  allen  Richtungen  hin  gleich  schwa 
ist,   mussten  sich,  um   ihn  vor  Druck   zu  schützen,   zahlreiche, 
gleichmässig  nach  allen  Richtungen  hin  vertheilte  „Richtangs- 
bläschen'^  entwickeln. 

Die  Frage,  ob  und  wie  sich  unsere  Ansicht  von  der  Be- 
deutung der  „Richtungsbläschen''  mit  einem  etwaigen  Zusammen- 
hange zwischen  Keimbläschen  und  „Richtungsbläschen''  in  Ein- 
klang bringen  lasse,  müssen  wir  vorderhand  noch  offen  lassen. 
Vor  Allem  wäre  zu  bedenken,  ob  nicht  möglicherweise  bei  den 
Eiern  mit  primordialer  Furchung  das  Keimbläschen  zwar  aus- 
getrieben, aber  bald  darauf,  weil  unnütz,  im  Eiweiss  wieder  auf- 
gelöst werden  könnte,  wogegen  es  bei  den  Eiern  mit  inaequaler 
Furchnng  noch  einige  Zeit  als  Schutzorgan  bestehen  bliebe.  Aller- 
dings bleibt  dann  das  Verhalten  der  Ascidien-  und  Nemertinen- 
eier  noch  unaufgeklärt. 


*)  Bekanntlich  gibt  Kowalevsky  an,  dass  bei  den  Ascidien  der  Keim 
von  einer  „Schicht  von  Gallerte^*  (1.  c,  p.  3)  nmgeben  werde  und  dass  anaser 
dieser  Gallertschichte  keine  eigentliche  Dotterhaut  vorkomme.  Dagegen  haben 
Hertwig  und  später  Semper  gezeigt,  dass  diese  Gallertschichte  „eher 
flüssig  ist,  da  die  scheinbar  zelligen  Elemente  (die  Testatropfen)  in  ihr  leicht 
hin-  und  herschwanken*^  (Semper,  1.  c,  p.  3).  Nach  aussen  wird  sie  von 
einer  zarten  Dotterhaut  umschlossen  (Semper,  p.  3). 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermoschel.  339 

2)  Die  Eifurchnnf;  und  ihr  Verhältniss  zu  den 
anderen  Arten  inaeqnaler  Furchung.  Was  zunächst  das 
Verhältniss  der  Furchung  der  Muschebi  zu  jener  der  Gastropoden 
betrifft,  so  können  wir  es  am  besten  durch  folgende  Schemata 
zur  Anschauung  bringen : 

Fnrchungs-Schema 

der 
Muscheln :  Schnecken : ' ) 


\  ~Ct--o 


~X) 


V 


Schon  ein  flüchtiger  Blick  auf  diese  beiden  Schemata  genügt, 
um  sich  von  der  grossen  Verschiedenheit  derselben  zu  ttberzengen. 
Dies  ist  um  so  interessanter,  als  bekanntlich  die  beiden  Thier- 


')  Dieses  Schema  wurde  entworfen,  noch  bevor  ich  die  wichtigen  Arbeiten 
FoTs  Über  die  Entwicklung  der  Pteropoden  und  Heteropoden  (,,l£tude8  sur 
d^Teloppement  des  MoUusques:  Sur  le  d^veloppement  des  Pt^ropodes^^  Arch.  de 
Zoologie  experim.  par  Lacaze-Duthiers  1875,  Nr.  1  et  2;  und:  „Sur  le  ddve- 
loppement  des  H^t^ropodes'S  Compt.  irendus  1876,  Tome  LXXXI,  p.  472 — 74) 
kannte.  Ich  war  daher  sehr  erfreut,  als  ich  aus  den  Untersuchungen  dieses 
trefnichen  Forschers  ersah,  dass  die  Furchung  der  Pteropoden  und  Hetero- 
poden der  Hauptsache  nach  vollkommen  mit  jener  der  übrigen  Gastropoden 
übereinstimmt.  Denn  wie  schon  Fol  mit  Recht  hervorgehoben  hat,  liegt  das 
Wesentliche  der  Furchung  der  Gastropoden  lediglich  in  dem  constanten  Vor- 
kommen der  vier  kleinen,  unter  sich  stets  gleich  grossen,  aus  der 
Achttheilung  hervorgegangenen  Zellen.  Uebrigens  stimmt  unser  Schema  auch 
bis  in's  Detail  mit  der  Furchung  von  Limnaeus,  Flanorbis,  Doto  u.  A.  überein 
und  wdicht  von  derjenigen  der  übrigen  Gastropoden,  hinsichtlich  welcher  ich 
als  Haupttjrpen  Faludina  imp.,  Acera  und  Cavolinia  nenne,  nur  mit  Rücksicht 
auf  die  grösseren  Furchungskugeln  ab. 

iid.  X,  N.  F.  in,  8.  22 


340  Carl  Rabl, 

claBsen,   deren  Farchung  sie  uns  vor  Augen   führen  sollen^    im 
Systeme  in  der  nächsten  Nähe  neben  einander  stehen. 

Zur  Anfstellung  der  beiden  Schemata  halten  wir  uns  nach 
allen  bisherigen  Beobachtungen;  soweit  dieselben  Berücksichtigung 
verdienen,  vollkommen  berechtigt.  Dass  wir  hiebei  solchen  An- 
gaben,  wie  sie  z.  B.  Forel  hinsichtlich  der  Muscheln,  oder 
V.  Ihering  hinsichtlich  der  Schnecken  macht,  keinen  Werth  bei- 
legen können,  versteht  sich  von  selbst. 

Was  zunächst  das  Furchungsschema  der  Muscheln 
angeht,  so  ergibt  sich  dasselbe  nicht  blos  aus  meinen  und 
Flemming's  Beobachtungen  an  Unio  und  Anodonta,  sondern 
auch  aus  jenen  Lov^n'sO  &^  Gardium  und  Crenella.  Auch 
habe  ich  selbst  noch  zwei  Furchnngsstadien  von  Cyclas  beobachtet; 
welche  aufs  deutlichste  erkennen  lassen,  dass  auch  hier  derselbe 
Furchungs-Modus  obwaltet.  Das  eine  derselben  habe  ich  auf 
Taf.  XII,  Fig.  58  abgebildet;  es  entspricht  genau  dem  auf  Taf.  X^ 
Fig.  19  von  Unio  abgebildeten.  Es  ist  dieser  Fall  namentlicb 
deshalb  interessant,  weil  fast  die  ganze  ttbrige  Entwicklung^  yod 
Cyclas  möglichst  weit  von  jener  von  Unio  und  Anodonta  ab- 
weicht. *) 

Was  färs  zweite  das  Furchungs-Schema  der  Gastro- 
poden  betrifft,  so  berrechtigen  mich  zur  Aufstellung  desselben 
namentlich  meine  in  Triest  angestellten  Beobachtungen  an  Doto, 
Tergipes,  Aeolis,  Acera  und  anderen.  Bei  allen  diesen  lässt  sich 
die  Furchnng,  wenn  sie  auch  äusserlich  noch  so  verschieden  er- 
scheint, ganz  leicht  und  ungezwungen  auf  das  oben  angegebene 
Schema  zurückführen.  Leider  kann  ich  hier  auf  diesen  Gegen- 
stand nicht  näher  eingehen,  hoffe  aber  in  einer  späteren  Abhand- 
lung meine  Beobachtungen  genauer  auseinandersetzen  zu  können. 
Hier  möchte  ich  nur  erwähnen,  dass  sich  in  der  Glasse  der 
Gastropoden    ein    allmählicher    und    stufenweiser 


*)  In  dieser  Beziehung,  sowie  aacb  hinsichtlich  der  Mytilaceen  und 
Teredo,  verweise  ich  auf  Flemming,  1.  c,  p.  81.  Derselbe  gibt  auf  Taf.  I, 
Fig.  28  nach  LoT^n  vier  Furchungsbilder  von  Cardium.  Er  bemerkt  nu<i- 
drücklich,  dass  „die  Uebereinstimmung  zwischen  dem  Furchnngsvorgang  bei 
Cardium,  wie  ihn  Lovdn  schildert,  und  dem  bei  den  Najaden  im  hohen 
Grade  auffallend*^  sei. 

^)  Es  muss  bemerkt  werden,  dass  bei  dem  Furchungsschema  der  Muscheln 
die  untere  der  beiden,  aus  der  Zweitheilung  hervorgegangenen  Zellen  etwas 
zu  gross  ausgefallen  ist.  Uebrigens  wird  das  Schema  noch  einige  Verbesserung 
erfahren  müssen. 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermuschel.  341 

Uebergang  von  den  Formen  mit  regelmässiger 
Blastosphaera-Einsttilpung  (Gastrulabildung  durch  Em- 
bolien Bildung  einer  ^yArchigastrula'')  bis  zu  jenen  mit  so- 
genannter Umwaehsung  (Gastrulabildung  durch  EpiboliC; 
Bildung  einer  „Amphigastrula'')  nachweisen  lasse.  An  dem  einen 
Ende  der  Reihe  stehen  Limnaeus  und  die  anderen  Sttsswasser- 
Pulmonaten,  darauf  folgen  Doto,  Tergipes,  Aeolis  und  ihre  Ver- 
wandten,  auf  diese  Trochus,  Entoconeha^  Paludina  impura;  Helix  ? 
und  andere,  sodann  Acera,  Aplysia  und  vielleicht  noch  einige  andere 
PleuTobranchier  und  am  Schlüsse  Purpura  mit  ihren  Verwandten. 
Den  ursprünglichsten  Furchungsmodus  scheint  Limnaens  bei- 
behalten zu  haben,  wie  es  denn  überhaupt  eine  allgemein  aner- 
kannte und  bereits  von  Fritz  Müller^)  hervorgehobene  That- 
sache  ist,  dass  die  Bewohner  des  süssen  Wassers  in  vielen 
Punkten  ihrer  Organisation  nnd  Entwicklung  viel  ursprünglichere 
und  einfachere  Zustände  aufweisen^  als  ihre  nächsten  Verwandten 
im  Meere.  *) 


')  Fritz  Müller,   „Für  Darwin",  Leipzig  1864. 

^  Die  Entwicklungsgeschichte  der  Süsswasser-Pulmonaten  wurde  seit  der 
VeröfTentlichung  meiner  Beobachtungen  nur  von  H.  Fol  untersucht  („Sur  le 
d^veloppement  des  Gast^ropodes  pulmon^s*^,  Comptes  rendus,  187A).  Ueber 
die  Dotterfurchnng  und  die  Bildung  der  beideä  primären  Keimblätter  bemerkt 
dieser  treffliche  Forscher:  „La  segmentation  a  liou  d'une  mani^re  conforme 
U  ce  qui  s'observe  chez  les  H^t^ropodes.  Chez  tous,  il  y  a  segmentation  to- 
tale, menant  k  la  formation  d*une  blastosph^re  dont  la  moiti^  nutritive,  com- 
pos^e  d'dl^ments  plus  gros  et  plus  riches  en  protoldcithe,  s*invagine  dans 
Tautre  moiti^/^  Mit  anderen  Worten:  Fol  bestätigt  die  von  mir  gemachte 
Angabe,  dass  bei  Limnaens  und  den  übrigen  Süsswasser-Pulmonaten  eine 
Invaginationsgastrola  vorkomme  und  findet  nur  insofern  eine  Berichtigung 
für  nöthig,  als  nach  ihm  die  Blastosphaera  nicht,  wie  ich  gefunden  zu  haben 
glaubte,  aus  nahezu  gleich  grossen  Zellen  zusammengeset-ct  ist,  sondern  viel- 
mehr die  nutritive  (vegetative)  Hälfte  derselben  aus  grösseren  und  körnchen- 
reicheren Elementen  besteht,  als  die  entgegengesetzte  animale.  Nun  tritt 
aber  Herrn,  v.  Ihering  („Ueber  die  Ontogenie  von  Cyclas  und  die  Homologie 
der  Keimblätter  bei  den  Mollusken^S  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  XXVI)  mit  der 
Behauptung  auf,  Fol  habe  meine  Angabe  ^als  verkehrt  bezeichnet;  er 
sagt:  nOb  die  Darlegung  Rabl's,  welche  auch  von  Fol  als  verkehrt 
bezeichnet  wird,  richtig  ist,  oder  diejenige  von  Ganin  und  Ray-Lan- 
kester  ( —  Umwachsung  der  grossen  Zellen  durch  die  kleinen  — ),  werden 
erst  weitere  Untersuchungen  zeigen  müssen'*  (p.  426).  Das  ist  denn  doch 
empörend)  Schopenhauer  —  wenn  ich  mich  anders  recht  entsinne  -- 
bemerkt  einmal,  dass  es  auch  falsche  Citate  ohne  MGänsefüsse"  gebe, 
welche  ebenso  verwerflich  seien,  als  jene  mit  solchen.  Es  bleibt  dem 
Urtheile  der   Leser  überlassen,  zu  entscheiden,  ob  die  Worte  v.  Ihering^s 

22* 


342  Carl  Rabl, 

Diese  Uebereinstimmnng  im  Furchungs  -  Modus  berechtigt 
uns  zu  dem  Schlüsse;  dass  die  Stammeltem  der  Gastropoden 
eine  Farchang  besessen  haben,  welche  sich  ganz  leicht  and  un- 
gezwungen in  jenes  oben  angegebene  Schema  würde  einreihen 
lassen. 

Wenn  nun  auch  die  Beobachtungen  über  die  Farchang  der 
Muscheln  viel  spärlicher  sind,  als  jene  hinsiohtlich  der  Schnecken 
so  scheint  doch  schon  jetzt  der  Schlnss  nicht  mehr  gimz  un- 
gerechtfertigt zu  sein,  dass  auch  die  gemeinsamen  Vorfahren  der 
Lamellibranchiaten  eine,  jener  der  heute  lebenden  Muscheln  ganz 
ähnliche  Furchung  besessen  haben. 

Ueberhaupt  scheint  es  nach  allen  bisherigen  Beobachtungen 
nicht  unwahrscheinlich  zu  sein,  dass  jede  mehr  oder  weniger 
scharf  umschriebene  Thiergruppe  ein  gemeinsames 
für  alle  Glieder  dieser  Gruppe  giltiges  Furchnngs- 
Schema  besitze,  und  dass  es  daher  durchaus  nicht  undenkbar 
sei,  dass  man  künftig  einmal  aus  der  grösseren  oder  geringeren 
Uebereinstimmnng  im  Fürchungsprocesse  auf  eine  engere  oder 
weitere  Verwandtschaft  zweier  oder  mehrerer  Thierformen  weroe 
sphliessen  können. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  muss  ich  es  als  ein  dringendes 
Erfordemiss  bezeichnen,  dass  man  bei  entwicklungsgeschichtUchen 
Untersuchungen  auch  die  Furchnng  möglichst  genau  beobachte 
und  nicht,  me  es  meistens  geschieht,  mit  ein  paar  kurzen  Worten 
darüber  hinweggehe.  Ich  muss  daher  vollkommen  den  Worten 
Flemming's  beistimmen,  dass  es  nur  als  ein  Zeichen  von  leicht- 
fertiger Beobachtung  angesehen  werden  könne,  wenn  der  Für- 
chungsprocess  mit  den  Worten:  „die  Furchnng  verläuft  in  der 
gewöhnlichen  Weise",  „bietet  nichts  Besonderes",  „nachdem  sich 
der  Dotter  in  eine  Anzahl  gleicher  Kugeln  getheilt  hat"  u.  dgl. 
abgefertigt  wird.  — 

Die  Furchung  der  Muscheln  bietet  uns  aber  auch  noch  in 
einer  anderen  Hinsicht  ein  sehr  hohes  Interesse  dar.  Wir  haben 
nämlich  gesehen,  dass  schon  ausserordentlich  frühzeitig,  —  noch 
lange  vor  der  Bildung  der  Keimblätter-Anlagen,  —  eine  Diffe- 
renzirung  in  d^n  Furchungskugeln  auftritt,  die  immer  weiter  und 


in  diese  Kategorie  falcher  Citate  gehören.  —  Uebrigens  werde  ich  noch  in 
einer  späteren  Abhandlung  Gelegenheit  finden,  auf  die  sonderbaren  Be* 
hauptungen  und  wunderlichen  Hypothesen  dieses  Beobachters  zurückzu- 
kommen. 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermnschel.  o43 

weiter  schreitet  und  geUiesslich  dazn  f&hrt,  dass  die  ganze  An- 
lage des  Entoderms  und  Mesoderms  zusammengenommen  nur  als 
eine  einzige  grosse  Zelle  erscheint^  während  alle  anderen 
Fnrehnngskugeln  lediglich  die  Bausteine  des  äusseren  Keimblattes 
liefern.  Es  tritt  uns  dabei  sofort  die  Frage  entgegen,  ob  und 
wie  wir  uns  wohl  eine  so  weit  gehende  und  schon  so  frühzeitig 
auftretende  DifFerenzirung  erklären  können.  Diese  Frage  hängt 
offenbar  aufs  innigste  mit  der  Frage  nach  der  Entstehung  der 
inaequalen  Furchung  tlberhaupt  zusammen.  Wenn  nun  auch  eine 
umfassende  Antwort  auf  diese  Frage  heute  wohl  noch  kaum  zu 
geben  ist,  so  glauben  wir  doch  schon  jetzt  Einiges  mit  mehr  oder 
weniger  grosser  Sicherheit  behaupten  zu  dürfen. 

Zunächst  mttssen  wir  hervorheben,  dass  die  inaequale  Furchung 
im  Grunde  genommen  nur  in   einer  schon  sehr  frühzeitig 
auftretenden  Differenzirnng  der  Embryonal-Zellen, 
in  einem  frühzeitigen  Auseinandergehen  derselben  nach  ihrer  Form 
und  späteren  Function,  besteht.    Fürs  zweite  mttssen  wir  darauf 
hinweisen,  dass,  je  frühzeitiger  eine  Differenzirnng  in  den  Form- 
elementen des  Embryo  auftritt,   um  so  leichter  eine  Abkürzung 
oder  Beschleunigung  des  Entwicklungsganges  stattfinden  könne; 
denn  während  sich  die  einen  Zellen  nach  irgend  einer  bestimmten 
Richtung  weiter  entwickeln  und  weiter  differenziren,  können  die 
anderen,   mehr  oder  weniger  unabhängig  von  jenen, 
gleichfalls  mit  grösserer  SchneUigkeit  eine  höhere  Entwicklungs- 
stufe erreichen^  als  dies  im  entgegengesetzten  Falle  möglich  wäre. 
Endlich  drittens  wird   es  wohl  kaum   einem  ernstlichen  Zweifel 
unterzogen  werden  können,  dass  eine  Abkürzung  der  ursprüng- 
lichen Entwicklungsdauer  nicht  blos  für  die  sich  entwickelnden 
Embryonen  selbst,   sondern  auch  für  die  Species,  denen  sie  an- 
gehören, von  Vortheil  ist.    Denn  je  kürzer  die  Entwicklung  dauert 
und  je  früher  die  Embryonen  zu  selbstthätigem  Leben  heranreifen, 
desto  grösser  wird  auch  ihre  Aussicht  auf  Erfolg  und  glücklichen 
Fortgang  im  Kampfe  gegen  ihre  Nebenbuhler  und  gegen  die  auf 
sie  eindringenden  feindlichen  Einflüsse  sein.    Mit  anderen  Worten, 
die  Embryonen  haben,    wie  zuerst  Darwin  hervorgehoben  und 
erst  jüngst  wieder  Bai four  nachdrücklich  betont* hat,  einen  eben 
so  schweren  und  hartnäckigen  Kampf  um  ihre  Existenzbedürfnisse 
zu  führen,  wie   die  erwachsenen  Thiere.    Dieser  Kampf  be- 
ginnt mit  dem  Augenblicke,  als  der  Keim  vom  müt- 
terlichen   Organismus    sich    löst    und    einen    mehr 


344  Carl  Rabl, 

oder    weniger    selbstständigen   EstwicklangB^ang 
einschlägt. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich  mit  Nothwendigkeit  der  Schlnss^ 
dass  erstens  die  inaequale  Fnrchung  dem  sich  ent- 
wickelnden Embryo  einen  Yortheil  gewährt,  und  dass 
zweitens  dieser  Vortheil  um  so  grösser  ist,  je  früh- 
zeitiger sich  eine  Ungleichheit  in  den  Furchungs* 
producten  bemerkbar  macht.  — 

Dass  in  der  That  die  Entwicklung  um  so  rascher  vor  sich 
gehen  könne,  je  frühzeitiger  eine  Differenzirung  in  den  Form- 
dementen  des  Embryo  auftritt,  geht  aus  zahlreichen  Beobachtungen 
auf  das  bestimmteste  hervor.  Nehmen  wir,  um  nur  ein  einziges 
Beispiel  dieser  Art  anzuführen,  auf  der  einen  Seite  die  Furchung 
der  Muscheln,  wie  sich  uns  dieselbe  bei  unseren  Beobachtungen 
darbot,  und  auf  der  anderen  die  Furchung  und  Keimblätterbildung 
der  A  s  c  i  d  i  e  n ,  wie  sie  uns  durch  die  wichtigen  Untersuchungen 
Kowalevsky's  bekannt  geworden  sind.  Bei  den  Muscheln 
sehen  wir  schon  sehr  frühzeitig  eine  Differenzirung  in  den  Für- 
chungselementen  auftreten  und  im  engen  Anschlüsse  daran  eine 
Blastosphaera  sich  entwickeln,  deren  Wand  bereits  aufs  dentlic1i8;ii 
die  Anlagen  der  künftigen  Keimblätter  erkennen  lässt.  Bei  dcR 
A seidien  dagegen  geht  die  Furchung  vollkommen  gleichmässig 
von  Statten,  sämmtliche  Formelemente  des  Embryo  haben  die 
gleiche  Grösse  und  Form  und  die  aus  ihnen  sieh  bildende  Blasto- 
sphaera lässt  keinen  Unterschied  in  den  Bausteinen  ihrer  Wan- 
düng  erkennen.  Die  Folgen  dieser  ungleichen  Entwicklung  treten 
schon  auf  dem  nächsten  Stadium  unverkennbar  zu  Tage.  Bei 
den  Muscheln  erscheinen  alle  drei  Keimblätter  gewissermassen 
auf  einen  Schlag;  es  bildet  sich  aus  der  Blastosphaera  keine 
Archigastrula,  auch  keine  vollkommen  reine  Amphigastrula,  son- 
dern sogleich  ein  bereits  mit  den  Anlagen  einer  Muskulatur  ans- 
gestatteter  Embryo.  Bei  den  Ascidien  dagegen  bildet  sich  ans 
der  vollkommen  gleicbmässig  gebauten  Blastosphaera  eine  voll- 
kommen regelmässige,  reine  Archigastrula;  die  Muskulatur,  die  der 
Muschel-Embryo  auf  diesem  Stadium  schon  besitzt,  erhält  der 
Embryo  der  Ascfdien  erst  viel  später.  — 

Diese  ausserordentliche  Zusammenziehung  der  Entwicklang, 
wie  sie  uns  in  der  Furchung  und  Keimblätterbildung  der  Muscheln 
entgegentritt,  ist  aber  noch  deshalb  von  Interesse,  weil  sie  uns 
an  ähnliche,  wenn  auch  meist  nicht  so  scharf  ausge- 
sprochene Verhältnisse  bei  den  übrigen  Metazoen  erinnert.  Auch 


tu 


Ueber  die  Entwicklangsgeschichte  der  Malermuscbel.  345 

hier  tritt  qbs  immer  und  immer  wieder  die  Behon  von  vielen 
Forechem*)  hervorgehobene,  aber  nie  gehörig  gewürdigte 
Thatsaehe  entgegen,  dass  die  Entwicklung  während  der  ersten 
Stadien  einen  verhältnissmässig  viel  rascheren  Schritt  geht,  als 
auf  den  späteren,  und  dass  gerade  die  phylogenetisch  wichtigsten 
Vorgänge  mit  der  grössten  Schnelligkeit  verlaufen.  Ja  es  scheint, 
dass  es  sich  zu  einem  für  alleMetazoen  giltigen  Satze 
erheben  lasse,  dass  die  Dauer  der  ontogenetischen  Ent- 
wicklungsvorgänge im  umgekehrten  Verhältnisse 
zur  Dauer  der  entsprechenden  phylogenetischen 
Vorgänge  stehe.  Bei  der  Entwicklung  mittelst  Metamorphose 
und  bei  den  verschiedenen  Arten  der  Metagenese  erleidet  dieser 
Satz  selbstverständlich  einige  durch  die  gestörten  Entwicklungs- 
verhältnisse verursachte  Modificationen ,  ohne  jedoch  in  seiner 
fundamentalen  Bedeutung  eine  Einbusse  zu  erleiden. 

3)  Bei  der  Beobachtung'  der  Entwicklungsgeschichte  der 
Muscheln  schien  mir  von  allem  Anfang  an  die  Bildungsweise 
der  Keimblätter  der  bei  weitem  wichtigste  und  bedeutungs- 
vollste Vorgang  zu  sein.  Ich  habe  daher  gleich  bei  Beginn 
meiner  Beobachtungen  auf  diesen  Gegenstand  mein  Hauptaugen- 
merk gerichtet.  Da  ich  aber  anfangs  ftlr  eine  Abspaltung  des 
mittleren  Keimblattes  von  einem  der  beiden  primären  Blätter,  wie 
dieselbe  von  den  meisten  Embryologen  fUr  die  Mehrzahl  der 
Thiere  gegenwärtig  angenommen  wird,  etwas  voreingenommen 
war,  so  wird  man  es  begreiflieb  finden,  dass  ich  nicht  wenig 
darüber  in  Erstaunen  gesetzt  wurde,  meine  vorgefasste  Meinung 


')  Man  vergleiche  in  dieser  Hinsicht  namentlich  Heinrich  Rathke, 
„Entwicklungsgeschichte  der  Wirbelthiere^S  1861.  Die  Worte  dieses  Forschers 
fallen  hier  um  so  mehr  in's  Gewicht,  als  sie  zu  einer  Zeit  gesprochen  wurden, 
wo  man  von  den  Kämpfen  und  Streitigkeiten  der  Anhänger  und  Gegner  der 
heutigen  Entwicklungstheorien  wohl  noch  keine  Ahnung  hatte.  Rathke  sagt 
unter  Anderem :  „Unter  den  Vertebraten  eilen  die  Säogethiere  am  schnellsten 
über  ihre  niederen  Entwicklungsstufen  hinweg,  schneller  sogar  als  die  Vögel« 
d.  h.  es  werden  bei  ihnen  im  Verhaltniss  zu  der  ganzen  Dauer  ihrer  Entwick- 
lung die  Organe,  welche  ihnen  mit  anderen  Thieren  gemeinsam  zukommen,  in 
der  kürzesten  Zeit  nach  einander  angelegt  und  demnächst,  wenn  sie  verbleiben 
sollen,  dem  inneren  Baue  nach  auch  in  der  kürzesten  Zeit  bis  zu  einem  recht 
hohen  Grrade  der.Entwicklnng  ausgebildet,  wenn  sie  aber  wieder  vergehen  sollen, 
weil  sie  zwar  gemäss  dem  für  die  Wirbelthiere  geltenden  allgemeinen  Plane 
auftreten  mussten,  doch  durch  das  Hinzukommen  anderer  überflüssig  gemacht 
wurden,  auch  am  schnellsten  (und  rühesten  der  Resorption  preisgegeben" 
(^  73). 


346  Carl  Rabl, 

durch  meine  eigenen  Beobachtungen  nicht  bestätigt  zu  finden.  Da 
man  aber  bekanntlich  eine  einmal  gefasste  Meinung  nicht  so  leicht 
wieder  fahren  lässt;  so  wollte  auch  ich  lieber  an  einen  Beobach* 
tnngsfehler,  wie  ja  ein  solcher  gerade  bei  embryologischen  Ar- 
beiten sehr  leicht  möglich  ist,  glauben;  als  dsiss  ich  meine  An- 
sieht;  die  zu  allen  theoretischen  Betrachtungen  so  schön  zu  passen 
schien;  so  leichtlich  wieder  aufgegeben  hätte.  Ich  fing  daher 
meine  Beobachtungen  wieder  von  vorne  an.  Aber  auch  dieses 
Mal  ergab  sich  mir  dasselbe  Resultat.  Dadurch  wurde  meine 
früher  gefasste  Meinung  schon  etwas  erschüttert.  Aber  erst  als 
sich  mir  nach  mehrtägigem,  je  zehn-  bis  elfstttndigem  Beobachten, 
wobei  alle  Vorgänge  buchstäblich  unter  meinen  Augen  abliefen; 
immer  und  immer  wieder  dasselbe  Besultat  ergab,  liess  ich  end- 
lich meine  vorgefasste  Meinung  fallen. 

Diese  rein  persönlichen  Bemerkungen  sollen  blos  zeigen,  dass 
ich  die  im  Folgenden  auseinandergesetzten  Betrachtungen  nnd 
Schlüsse  erst  nach  eingehender  und  sorgsamer  Prüfung  der  That- 
sachen,  auf  welche  sie  aufgebaut  sind,  gezogen  habe.  Es  wird 
sich;  ¥de  ich  hoffC;  zeigen;  dass  die  Deutung;  welche  ich  meineD 
und  den  ähnlichen  Beobachtungen  Anderer  gebe,  viel  einfaclie 
und  ungezwungener  ist,  als  alle  früheren .  Erklärungen;  welche 
sich  hauptsächlich  auf  vergleichend-anatomische  und  weniger  auf 
entwicklungsgesßhichtliche  Beobachtungen  stützten. 

Bevor  wir  aber  zu  einer  Besprechung  der  Bedeutung  unseres 
Gegenstandes  übergehen;  wollen  wir  uns  noch  kurz  die  Genese 
der  drei  Bestandtheile  der  Blastosphaera  in's  Gedächt- 
niss  zurück  rufen.  Wir  müssen  dabei  von  dem  auf  Taf.  X;  Fig.  15 
und  16  abgebildeten  Stadium  ausgehen.  Der  Embryo  stellt  eine 
länglichrunde  Blase  dar;  deren  einen  Pol  eine  an  Grösse  alle 
anderen  Embryonal-Zellen  übertreffende  Kugel  einnimmt,  während 
der  andere  Pol  und  die  Seitenwände  der  Blase  von  kleineren; 
ziemlich  gleichförmigen  Elementen  zusammengesetzt  werdet. 
Wenn  wir  dimit  das  auf  Taf.  XI,  Fig.  24  und  25  abgebildete 
Stadium  vergleichen,  das  wir;  weil  der  Einstülpung  unmittelbar 
vorausgehend;  als  ;;Bla8tosphaera''  bezeichnet  habeu;  so  finden 
wir;  dass  die  grosse  Furchungskugel  am  vegetativen  Keimpol  in 
eine  Anzahl  länglicher  Zellen  zerfallen  ist,  von  denen  zwei  so- 
wohl durch  ihre  bedeutendere  Grösse,  als  auch  durch  ihre  Lage 
an  der  Uebergangsstelle  der  grossen  Zellen  zu  den  kleinen  sofort 
in  die  Augen  springen.  Diese  beiden;  symmetrisch  rechts  und 
links  von  der  Sagittalebene  gelegenen  Zellen  sind  eS;  welche  als 


lieber  die  Entwicklangflgeschichte  der  MalermascheL  347 

die  Bildnogsheerde  des  mittleren  Keimblattes  ussere 
vollste  Aufmerksamkeit  in  Ansprach  nehmen. 

Was  die  beiden  anderen  Keimblätter  betrifft,  so  entwickelt 
sich  das  innere  durch  Einstttlpung  der  hohen,  von  der  grossen 
Zelle  am  vegetativen  Pol  abstammenden  Cylinderzellen ;  das 
äussere  dagegen  aus  dem  ganzen  ttbrigen,  aus  kleineren  Zellen 
zusammengesetzten  Theil  der  Blastosphaera.  lieber  die  Bedeutung 
dieser  beiden  primären  Keimblätter  wollen  wir,  da  bereits  von 
anderer  Seite  ^)  viel  darfiber  verhandelt  wurde,  nicht  weiter 
sprechen.  Dagegen  mtlssen  wir  uns  auf  eine  Betrachtung  des 
mittleren  Keimblattes  etwas  näher  einlassen. 

Das  mittlere  Keimblatt  entsteht  also  nach  un- 
seren Auseinandersetzungen  aus  zwei,  am  Mund- 
rande der  Gastrula  gelegenen  Zellen,  deren  Ver- 
wandtschaft zu  den  Zellen  des  inneren  Blattes  eine 
viel  innigere  ist,  als  zu  jenen  des  äusseren.  Die 
Lage  dieser  zwei  Zellen  ist  in  Bezug  auf  dieKörper- 
axen  des  Embryo  eine  seitlich-symmetrische. 

Diese  eigenthttmliche  Bildungsweise  des  mittleren  Keimblattes 
i        wäre  nun  von  gar  keinem  weiteren  Belang,  wenn  sie  ganz  ver- 

i 


i 


TJJ 


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einzelt  dastttnde  und  kdnen  Vergleich  mit  der  Bildungsweise  des- 
selben Keimblattes  bei  anderen  Thieren  zuliesse.  Wenn  man  nun 
aber  die  entwicklungsgeschiohtlichen  Arbeiten  der  letzteren  Zeit, 
soweit  dieselben  auf  die  Keimblätter-Theorie  Rtlcksicht  nehmen, 
der  Reihe  nach  durchgeht,  so  findet  man,  dass  ganz  dieselbe 
BUdungsweise  des  Mesoderms  auch  bei  sehr  weit  abstehenden 
Thieren  aus  anderen  Classen  beobachtet  Wurde  und  dass,  was 
das  Wichtigste  ist,  jeder  Stamm  der  Bilaterien,  von  den 
Wttrmern  angefangen  bis  zu  den  Wirbelthieren,  zum 
mindesten  je  einen  Fall  aufweisen  kann,  an  dem 
diese  Beobachtung  angestellt  wurde.  Wer  die  be- 
treffenden Arbeiten  aufmerksam  liest  und  mit  den  anderen  embryo- 
logischen Arbeiten,  welche  sich  auf  die  Bildung  des  mittleren 
Keimblattes  näher  einlassen,  vergleicht,  kann  sich  des  Gefühles 
nicht  erwehren,  dass  gerade  diese  Beobachtungen  am  meisten 
Vertrauen  verdienen  und  kaum  einen  Zweifel  an  ihrer  Richtigkeit 
aufkommen  lassen. 


0  Siehe  Haeckel,    „Die  Gastraea-Theorie"  etc.    Jen.  Zeltschrift  für 
ij>  Naturw.,  VIII.  Band,  1.  Heft  1874   und  Ha  ecke!»    „Die   Gastrula  und  die 

Eifurchung  der  Thiere^^    Jen.  Zeitschrift  für  Naturw.,   IX.  Band,  3.   und 
4.  Heft,  1875. 


348  Carl  Rabl, 

Was  Zunächst  die  Wttrmer  betrifft ,  so  wurde  die  Bildung 
des  Mesoderms  vom  Mnndrande  der  Gastrnla  ans,  bisher  in  zwei 
Fällen  beobachtet.  Der  eine  betrifft  Lumbricns,  dessen  Entwick- 
lung Kowalevsky*)  und  schon  früher ,  jedoch  ^iel  weniger 
genau  Ratzel  und  Warschawsky^)  beobachtet  haben,  der 
andere  Cucullanus,  dessen  früheste  Entwicklungsstadien  erst  vor 
Kurzem  Btttschli^)  einer  genauen  und  aufmerksamen  Unter- 
suchung unterzogen  hat.  —  Bei  Lumbricus  ist  es  nach  Kowa- 
levsky  jederseits  die  dritte  Zelle  des  Entoderms,  vom  Mnnd- 
rande der  Gastrnla  an  gezählt;  die  zu  Mesodermzelle  wird.  ^)  Bei 
Cucullanus  zeichnet  Bütschli  das  Mesoderm  mit  der  ersten 
Entoderm-Zelle  in  Zusammenhangt)  und  bemerkt  dazu:  ^^Vod 
principieller  Bedeutung  ist  nun  wieder  die  Entstehung  des  mittleren 
Blattes.  Ich  hatte  längere  Zeit  geglaubt,  dass  dasselbe  durch 
einen  im  vorderen  Abschnitt  des  inneren  Blattes  statthabenden 
Faltungsprocess  sich  anlege,  musste  diese  Ansicht  jedocli  br 
näherer  Einsicht  fallen  lassen.  Das  mittlere  Blatt  nimmt  jeden- 
falls seinen  Ursprung  von  einigen  ganz  dicht  an  der  Mundöflfhnng 
gelegenen  Zellen  des  inneren  Blattes  tfnd  wächst  von  hier  nach 
dem  Schwanzende  hin^^)  Desgleichen  hält  es  Bütschli  ftr 
wahrscheinlich,  dass  auch  bei  Oxyuris  Diesingi  ein  ganz  ähnliches 
Verhalten  obwalte,  wo  nach  seinen  Untersuchungen  das  mittlere 
Keimblatt  gleichfalls  anfangs  nur  den  vorderen  Abschnitt  des 
Körpers  durchzieht.  Bütschli  macht  femer  noch  ausdrücklich 
auf  die  grosse  Aehnlichkeit  dieser  Entwicklung  mit  jener  von 
Lumbricus,  wie  sie  Kowalevsky  beschrieben  hat,  aufmerksam. 

In  ähnlicher  Weii^  scheint  auch  bei  den  Echinodermen 
die  Bildung  des  mittleren  Keimblattes  zu  erfolgen.  Wenigstens 
sprechen   dafür   die  erst  jüngst   veröffentlichten  Untersuchungen 


')  Kowalevsky,  „Embryol.  Studien*',  M^m.  de  l'Acad.  de  St.-P^t©rsb., 
XVI,  Nr.  12,  1871 

')  FritzRatzel  undM.  Warscbawsky,  „Zur  Entwicklungsgoschiclitc 
des  Regenwurms  (Lumbricus  agricola  Hoffm)'*.  Zeitschr.  für  wiss.  ZooK  ih^h, 
XVIil.  Band.  Batzel  braclite  bereits  die  beiden  grossen  Mesoderm-Zellen 
in  enge  Verbindung  mit  dem  Primitivstreiten  und  war  der  Ansicht^  dass  sich 
dieser  aus  jenen  entwickelt  habe  (p.  557 j. 

')  O.  Uütschli,  „Zur  Entwicklungsgeschichte  des  Cucullanus  elegaii«. 
Zed/*    Zeitschr.  für  wiss.  Zool.,  XXVI.  Band. 

*)  A.  Kowalevsky,  1.  c,  Taf.  VI,  Fig.  10. 

»)  O.  Bütchli,  1.  c,  Taf.  V,  Fig.  8. 

*)  Derselbe,  1.  c,  p.  108. 


Iflli 


Ueber  die  Entwicklangsgeschichte  der  Malennuschel.  349 

Selenka'san  Gacamaria^)  and  Holothuria  tubnlosa.^)  Diese  Unter- 
BQchungen  sind  um  so  wichtiger,  weil  sie  die  einzigen  sind«  die 
Tvir  über  die  Entwicklang  des  Mesoderms  bei  den  Echinodermen 
besitzen,  und  weil  uns  die  Beobachtungen  Kowalevsky's^)  und 
Metschnikoff's^)  hierttber  völlig  im  Dunkeln  lassen.  Auch 
glauben  wir  dieselben  noch  deshalb  hervorheben  zu  mttssen,  weil 
die  Resultate  augenscheinlich  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  von 
uns  bei  Unio  gewonneneu  besitzen.  Nach  Selenka  geht  nämlich 
bei  Holothuria  tubulosa  aus  der  Furchung,  welche  „anfangs  eine 
scheinbar  regelmässige^'  ist,  eine  einschichtige  Blastosphaera  hervor, 
deren  Wand  an  einer  Stelle  eine  geringe  Verdickung  zeigt.  Aus 
dieser  verdickten  Stelle  treten  einige  wenige  Zellen  in  die  Fur- 
chnngshöhle  aus  und  geben  dem  Mesoderm  den  Ursprung*  Die 
übrigen  Zellen  der  verdickten  Stelle  werden  in  das  Innere  der 
Furchungshöhle  eingestülpt  und  entwickeln  sich  zum  Entoderm.^) 
Auch  hinsichtlich  der  Arthropoden  fehlen  ähnliche  Be- 
obachtungen nicht.  Namentlich  verdienen  hier  die  Untersuchungen 
Bobretzky's^)  an  Astacus  und  Haeckels^)  an  Peneus  her- 
vorgehoben zu  werden.  Beide  stimmen  im  Wesen  mit  einander 
überein.  Sowohl  bei  Astacus»  als  bei  Peneus  treten  die  ersten 
Mesoderm- Zellen  am  Mundrande  der  Gastrula  auf;  bei  dem  ersteren 
zeichnet  sogar  Bobretzky  einige  Zellen  des  Mundrandes  noch 
in  der  Theilung  begriffen,  so  dass  wohl  kaum  ^n  der  Richtigkeit 


')  Selenka,  Vorläufige  Mittheilung  über  die  Entwicklungsgeschicbte  von 
Cucumaria  doliolum;  aus  den  Sitzangsberichten  der  pbysikalisch-mediciniflcben 
Societät  zu  Erlangen.    Sitzung  vom  U.  Juni  1875. 

*)  Selenka,  „Zur  Entwicklung  von  Uolotburia  tubulosa;  ein  Beitrag  zur 
Keimblätter-Theorie".  Aus  den  Sitz.-Ber.  der  pbys.-med.  Societät  zu  Erlangen. 
Sitzung  vom  13.  December  1B75. 

*y  A.  Kowalevsky,  „Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Holo- 
thurien".    M^m.  de  TAcad.  de  St.-P^ter8bourg,  Tome  XI.  Nr.  fi,  1867. 

*)  Elias  Metschnikoff,  „Studien  über  die  Entwicklung  der  Echino- 
dermen und  Nemertinen".  M^m.  de  TAcad.  de  St.-P^tersbourg,  Tome  XIV, 
Nr.  H,   1869. 

*)  Diese  Darstellung  ist  nach  der  von  Selenka  über  die  Entwicklung 
der  Holothuria  tubulosa  in  der  Sitzung  vom  1 3.  Dec.  1875  gebrachten  Beschreibung 
wiedergegeben.  Seine  früheren  Angaben  stimmen  nicht  vollkommen  mit  diesen 
späteren  überein,  lassen  aber  auf  einen  ganz  ähnlichen  Bildungsmodus  des 
Mesoderms  bei  Cucumaria  schlie^sen. 

*}  Bobretzky,  Russische  Abhandlung  über  die  Entwicklung  von  Astacus 
und  Falaemon,  Kiew  1873. 

^)  Ernst  Haeckel,  „Die  Gastrula  und  die  Eifurchung  der  Thiere^. 
Jen.  Zeitschr.  f.  Natarw.,  IX.  Band  187Ö.    Separatabdr.,  p.  109. 


350  Carl  Rabl, 

der  betreffenden  Bebbachtangen  geweifelt  werden  kann.  ^)  Diese 
in  der  Theilnng  begriffenen  Zellen  liegen  auch  hier  der  innereo 
Umrandang  des  Gastrula-Mnndes  näher,  als  der  äusseren.  —  An 
Insekten^  Myriapoden  und  Spinnen  konnte  die  Entwicklung'  des 
Mesoderms  bisher  noch  nicht  mit  der  nöthigen  Sicherheit  fest- 
gestellt  werden.  ^) 

In  Beziehung  auf  die  Mesoderm-Entwicklung  bei  den  Mol- 
lusken verweise  ich  auf  die  im  Vorausgehenden  auseinander- 
gesetzten Beobachtungen  an  Unio.  Auch  bei  den  Gephalopoden 
scheint  sich  ein  ähnliches  Verhalten  vorzufinden;  wenigstens 
glaube  ich  einige  Bemerkungen,  die  sich  in  der,  im  Uebriges 
durchaus  unklaren  und  verworrenen  Abhandlung  Ussow's^)  über 
die  Entwicklung  der  Gephalopoden  finden,  in  dieser  Weise  deaten 
zu  dtlrfen. 

Endlich  scheinen  auch  bei  den  Wirbelthieren  die  Ver- 
hältnisse lange  nicht  so  complicirt  zu  liegen,  wie  man  gewöfanlic) 
annimmt.  Man  muss  sich  nur  vergegenwärtigen,  dass  das  Meso- 
derm  der  Wirbelthiere  keineswegs  vollkommen  dem  der  Wirbel- 
losen entspricht,  sondern  dass  es  vielmehr  ein  historisch  bereits 
sehr  modificirtes  Gebilde  ist.  Aus  den  wichtigen  Untersuchungen 
Balfour's^)  und  Kölliker's^)  an  üaifisch-  und  Kaninchen- 
Embryonen  geht  nämlich  hervor,  dass  das  Mesoderm  der  Wirbel- 
thiere nicht,  wie  jenes  der  Wirbellosen,  aus  zwei,  sondern  viel- 
mehr aus  drei,  ursprünglich   getrennt   von  einander 


')  Bobretzky,  1.  c,  Taf.  I.    Vergl.  namentlich  Fig.  lA. 

')  In  Beziehung  auf  die  von  Bobretzky  über  Kowalevky's  Beob- 
achtungen an  Insekten-Embryonen  gemachten  Bemerkungen  verweise  ich  auf 
dessen  Abhandlung:  „Zur  Embryologie  des  Oniscus  murarius".  Zeitschr.  f. 
wiss.  Zool.  1874,  Band  XXIV. 

')  M.  Ussow,  „Zoologisch-embryologische  Untersuchungen;  I.  Theil:  Die 
Kopffüssler^'.  Arch.  f.  Naturgesch.  von  Dr.  F.  H.  Troschel,  40.  Jahrgang, 
I.  Band,  Berlin  1874.  Wir  werden  auf  diese  „zoologisch  -  embryologischen 
Untersuchungen'*  in  einer  späteren  Abhandlung  näher  zu  sprechen  kommen. 
Hier  möge  nur  bemerkt  sein,  dass  Ussow's  Auseinandersetzungeu  an  inneren 
Widersprüchen  sehr  gesegnet  sind  und  dass  man  daher  sehr  weit  fehlgehen 
würde,  wenn  man  sie  in  ausgiebigerer  Weise  zu  vergleichend-embryologischen 
Arbeiten  benützen  wollte. 

*)  Balfour,  „A  preliminary  account  of  the  development  of  tbe  Elasmo- 
branch  fishes";  in  Quarterly  Journal  of  microscopical  science;  vol.  XIV, 
London  1874,  mit  Taf.  XIII  bis  XV. 

*)  A.  Kölliker,  „Ueber  die  erste  Entwicklung  des  Säugethier-Embryo** 
im  IX.  Bande  der  Verhandlungen  der  physikalisch-medicinischen  Geselbcbaft 
zu  Würzburg.    (Vorgetragen  in  der  ISitzung  vom  20.  November  1875.) 


Ueber  die  Entwicklangsgeschiohte  der  Malermaschel.  351 

entstandenen  Theilen  besteht,  von  denen  nur  die  beiden 
'  seitlichen  dem  Mesoderm  der  Wirbellosen  homologisirt  werden 
können;  wogegen  der  mittlere  ein^  den  Wirbeldiieren  allein  cha- 
rakteristisches und  sie  von  den  Wirbellosen  anterscheidendes  Ge- 
bilde vorstellt.  Wenn  daher  bei  den  höheren  Wirbelthieren  das 
Mesoderm  in  der  Mittellinie  mit  dem  äusseren  und  inneren  Eeim- 
blatte  verschmilzt,  so  kann  dieses  Verhalten  höchstens  fttr  die  Ent- 
wicklung des  mittleren,  dem  Axenstrange  Eis'  ungefähr  ent- 
sprechenden Theiles  des  Mesoderms  von  Belang  sein,  keineswegs 
dagegen  für  jene  der  beiden  Seitentheile.  Doch  werden  wir  auf 
diesen  Gegenstand  weiter  unten  nochmals  zurückkommen. 

Hier  möge  nur  erwähnt  sein,  dass  einen  ganz  ähnlichen 
Bildungs •  Modus  des  Mesoderms,  wie  wir  ihn  oben  von 'den 
Wirbellosen  beschrieben  haben ^  Alexander  Götte^)  auch  au 
der  Unke  beobachtete.  Auch  hier  erscheineu  nämlich  die  ersten 
Mesoderm-Zellen  am  Umschlagsrande  der  Gastrula,  in  der  Nähe 
»  des  Rusconi'scben  Afters.    Am  besten  ersieht  man  dies,  wenn 

/  man  seine  Fig.  31  f  u.  f,  Taf.  II  auftnerksam  betrachtet.    Ferner 

glauben  wir  hervorheben  zu  müssen,  dass  auch  bei  den  Haifischen 
das  Mesoderm  anfangs  am  hinteren,  aboralen  Pole  deff  £mbryo,  da, 
wo  sich  das  äussere  Keimblatt  in  das  innere  umschlägt,  also  am 
sogenannten  „Randwulsf  oder  „Embryonalsaum''  mit 
den  beiden  primären  Keimblättern  auf  das  innigste 
zusammenhängt.  Dies  geht  aus  den  Untersuchungen  Bal- 
four's^),  welche  wohl  die  wichtigsten  unter  allen,  in  letzter  Zeit 
erschienenen  embryologischen  Arbeiten  sein  dürften,  auf  das  un- 
zweideutigste hervor.  Die  Worte  Balfour's  lauten:  „Where 
they  join  the  epiblast,  the  Icwer  layer  vella  become  distinctly  di- 
vided ....  into  two  layers ;  a  lower  one,  more  directly  continuous 
with  the  epiblast,  consisting  of  cells  somewhat  resembling  the 
epiblast-cells,  and  an  upper  one  of  more  flattened  cells  (PI.  XIII, 
Fig.  4,  m).  The  first  of  these  forms  the  hypoblast,  and  the  latter 
the  mesoblast". ')  —  Desgleichen  stehen  nach  G  ö  1 1  e  *)  auch  beim 
Forellenkeim  am  Raudwulste  alle  drei  Keimblätter  mit  einander 

')  Alexander  Gölte,  „Entwicklungsgescbicbte  der  Unke  (Bombinator 
igneuB)  als  Grundlage  einer  vergleichenden  Morphologie  der  Wirbel thiere^\ 
Leipzig  1875. 

»)  Balfour,  l.  c,  p.  33fi. 

*)  Balfoar,  „A  preliminary  account  of  the  developmeut  etc.",  p.  386. 

*)  A.  Götte,  „Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Wirbclthiere; 
I.  Der  Keim  des  Foreileneies".    Arch.  f.  mikr.  Anatb,  iX,  S.  fi79. 


352  Carl  Rabl, 

in  Verbindang  und  nach   demselben   Forscher   scheint  sich   ein 
ganz  ähnliches  Verhalten  auch  beim  Htlhnchen  vorzufinden.  ^) 

Demnach  scheint  die  Bildung  des  mittleren  Keimblattes  bei 
den  Wirbelthieren  in  der  Weise  zu  erfolgen,  dass  sich  zuerst  die 
Zeilen  der  unteren  Schichte  am  Randwulste^  der  eben  der 
Umrandung  des  Gastrula-Mundes  entspricht,  in  zwei  getrennte 
Lagen  spalten,  welche  eben  dem  inneren  und  mittleren  Keim- 
blatte entsprechen,  und  dass  diese  Spaltung  allmählich  nach  dem 
entgegengesetzten  Körperende  hin  fortschreitet.  Dies  gilt  jedoch 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  für  die  beiden  Seitentheile  des 
Mesoderms,  während  sich  der  in  der  Axe  gelegene  Theil  auf  eine 
andere  Weise  entwickelt.  Während  Balfour  diesen  lediglich 
vom*  inneren  Keimblatte  ableitet,  nimmt  nach  Kölliker^ 
Waldeyer,  His  n.  A.  auch  das  äussere  Keimblatt  Antheil  an 
seiner  Bildung ;  ja  nach  ersterem  soll  das  ganze  Mesoderm  vom 
äusseren  Keimblatte  stammen.  — 

Aus  diesen  Auseinandersetzungen  geht  hervor,  dass  die  Bil- 
dungsweise des  mittleren  Keimblattes,  wie  wir  sie  an  den  Embryonen 
von  Unio  beobachtet  haben,  keineswegs  vereinzelt  dasteht,  sondern 
dass  vielmehr  die  meisten  genauen  Beobachtungen  auf  das  ent- 
schiedenste für  einen  ganz  ähnlichen  Bildungs-Modus  bei  den 
anderen  Bilaterien  sprechen.  — 

Der  andere  Punkt,  der  uns  bei  der  Bildung  des  mittleren 
Keimblattes  an  Unio  noch  besonders  interessirt,  ist  die  seitlich - 
symmetrischeLagerung  der  erstenMesoderm- Zellen. 
Ich  habe  bereits  in  einer  anderen  Abhandlung^)  die  hohe 
Wichtigkeit  der  seitlich-symmetrischen  Anordnung 
des  Mesoderms  für  alle  Bilaterien  auf  das  nachdrück- 
lichste hervorgehoben ;  seitdem  hat  es  aber,  mit  Ausnahme 
HaeckePs'),  kein  einziger  Forscher  der  Mühe  werth  gehalten, 
der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  auch  nur  mit  einem  einzigen 
Worte  zu  gedenken.  Ich  werde  daher  im  Folgenden  eine  ganz 
kurze  Zusammenstellung  derjenigen  Beobachtungen  geben,  welche 
auf  unseren  Gegenstand  Bezug  haben. 


^)  Derselbe,  „Die  Bildung  der  Keimblätter  und  des  Blutes  im  Hühnerei  *. 
Ibid.  X.  Band.  p.  145. 

^)  C.  Rabl,  „Die  Ontogenie  der  Süsswasser-Pulmonaten*^  Jen.  Zeitscbr. 
f.  Naturw.,  IX.  Band,  p.  236. 

*)  £.  üaeckel,  „Die  Gastrula  und  die  Eifurchung  der  Tbiere".  Ebend. 
IX.  Bd.,  Separatabdr.,  p.  101. 


Ueber  die  Entwicklangsgeschiohte  der  Malermaschel.  353 

Was  znnächBt  wiedernm  die  Würmer  betrifft^  so  musB  vor 
Allem  hervorgehoben  v^erjden,  dass  Kowalevsky^)  die  seitliche 
Symmetrie  des  Hesoderms  bei  allen  von  ihm  auf  ihre  Ent- 
wicklang untersuchten  Würmern  gefunden  hat.  Sowohl 
bei  der;  durch  ihre  eigenthümliche  Organisation  so  hoch  interes- 
santen Sagitta,  als  auch  bei  LumbricuS;  Euaxes  und  dem,  mit 
diesem  nahe  verwandten  Tubifex  stellt  das  Mesoderm  anfangs 
zwei  laterale  Stränge  dar^  welche  den  Körper  des  Embryo  der 
Länge  nach  durchziehen.  Diese  beiden  Stränge  sind  es  auch, 
welche  man  schon  seit  Langem  unter  dem  Namen  des  ,,Keim- 
streifens''  kennt,  und  welche  wohl  in  derselben  Weise  allen 
Würmern  zukommen  dürften.  Auch  gibt  Kowalevsky  noch 
auf  das  bestimmteste  an,  dass  er  dieselbe  Beschaffenheit  des  Keim- 
streifens an  den  Embryonen  von  Nephelis^)  beobachtet  habe. 
Desgleichen  ist  auch  bei  Glepsine^)  die  Anordnung  des  Keim- 
streifens eine  seitlich-symmetrische.  —  Dieselbe  seitliche  Symmetrie 
des  Mesoderms  kommt  endlich  auch  den  phylogenetisch  so  hoch- 
wichtigen Ascidien  zu,  wie  dies  schon  vor  längerer  Zeit  Kowa- 
levsky^) gezeigt  hat 

Bei  den  Echinodermen  wurde  zwar  bis  jetzt  die  seitliche 
Symmetrie  des  Mesoderms  noch  nicht  mit  völliger  Sicherheit  be- 
obachtet; seheint  jedoch  nach  mehreren  von  Metschnikoff^) 
gemachten  Angaben  auch  hier  vorzukommen.  Uebrigens  müssen 
wir  uns  vergegenwärtigen,  dfiss  uns  über  die  erste  Mesoderm- 
Entwicklung  bei  den  Echinodermen  mit  Ausnahme  der  oben  an- 
geführten Untersuchungen  Selenka's  noch  jegliche  genaue  Be- 


^)  A.  Kowalevsky,  ,,Einbryol.  Studien'^  etc. 

•)  Ebend.,  p.  3. 

')  Vergl.  Charles  Bobin,  f,M^moire  sur  le  d^veloppement  embryo- 
g^niqae  des  hirudin^es^^;  M^m.  de  TAcad.  des  sciences  de  Tinstitute  de  France, 
PI.  XV.  Tome  XL. 

*)  A.  Kowaleysky,  „Entwicklungsgescbicbte  der  einfachen  Ascidien'S 
M^m.  de  l'Acad.  de  St.-Ftftersbourg.  Tome  X,  Nr.  15,  1866.  Vergl.  Taf.  I, 
Fig.  16. 

'^f  Elias  Metschnikoff,  „Studien  über  die  Entwicklung  der  Echino- 
dermen und  Ncmertinen".  M^m.  de  l'Acad.  de  St-P^tersbourg.  Tome  XIV, 
Nr.  8,  1869.  Man  vergl.  namentlich  den  auf  Taf.  III.  Fig.  6  abgebildeten 
Embryo  von  Amphiura  squamata.  Die  Vermnthung,  dass  sich  auch  hier  die 
seitliche  Symmetrie  des  Mesoderms  vorfinde,  würde  zur  Gewissheit  werden, 
wenn  nicht  auf  der  erwähnten  Figur  in  der  Nähe  des  vorderen  Körperendes 
einige  dem  Entodenn  aufliegende  Kalkrädchen  gezeichnet  wären,  die  doch 
wohl  nur  dem  Mesoderm  ihren  Ursprung  verdanken  können. 


354  CarlRabl, 

obachtungen  fehlen;  and  wir  kOnnen  daher  hoffen,  dass  auch  hier 
ähnliche  Angaben,  wie  sie  von  allen  übrigen  Bilaterien  vorliegen, 
nicht  audbleiben  werden. 

In  Beziehung  auf  die  Arthropoden  ist  namentlich 
eine  von  Kowalevsky^)  an  Hydrophylns  angestellte  Beob- 
achtung hervorzuheben,  nach  welcher  auch  hier  auf  einem 
frühen  Embryonalstadium  das  Mesoderm  in  Form  zweier,  in  der 
Medianlinie  getrennter,  lateraler  Stränge  den  Körper  des  Embryo 
der  Länge  nach  durchzieht.  Auch  bei  den  Crustaceen  scheint 
dasselbe  Verhalten  obzuwalten,  wie  aus  mehreren  von  Edaard 
van  Beneden ^)  gegebenen  Abbildungen  geschlossen  werden 
darf.  — 

,  Dieselbe  seitliche  Symmetrie  des  Mesoderms  begegnet  uns 
auch  bei  den  Mollusken.  Und  zwar  liegt  hier  —  falls  unsere 
Auffassung  der  Ray  -  Lankester'schen  Beobachtungen  an 
Gephalopoden  richtig  ist  —  der  gewiss  bemerkenswerthe  Fall  vor, 
dass  sämmtliche  Glassen  dieses  Thierstammes  zum  mindesten  e  i  o 
Beispiel  von  seitlich-symmetrischer  Anordnung  des  Mesodeni» 
aufzuweisen  vermögen.  Was  vor  Allem  die  Brachiopoden  betriffl^ 
so  ist  es  auch  hier  wieder  der  unermüdliche  Kowalevaky'), 
dem  wir  die  erste,  hierauf  bezügliche  Beobachtung  an  Argiope 
Neapolitana  verdanken.  Sodann  habe  ich  selbst  die  erste  An- 
ordnung des  Mesoderms  bei  den  Süsswasser-Pulmonaten  als  eine 
seitlich-symmetrische  beschrieben.  ^)  Dieselbe  Beobachtung  ist 
mir,  wie  ich  in  einer  späteren  Abhandlung  genauer  auseinander 


1)  Kowalevsky,  „Embryol.  Studien",  S.  39,  Taf.  X,  Fig.  27. 

*)  Ed.  van  Beneden,  „Recherches  sur  la  compoaition  et  la  aignification 
de  l'cBuf".  BruxeUeB  1870.  Vergl.  Taf.  VIII,  Fig.  11,  Caligus-Einbryo. 
Ferner : 

Derselbe  und E.  Bessels,  „Memoire  sur  la  formation  du blafitoderroe". 
Aus  den  „M^m.  cour.  et  M^m.  des  savants  ^trangers".  XXIV,  1869,  Taf.  V. 
Fig.  4,  Embryo  von  Anchorella  und  Fig.  U,  Embryo  von  Clavella.  Bei 
allen  dreien,  Caligus,  Anchorella  und  Clavella,  scheint  das  Mesoderm  seitlich 
symmetrisch  angeordnet  zu  sein;  wenigstens  darf  dies  aus  den  beiden  seit- 
lichen Verdickungen  des  Blastoderms,  welche  in  ihrem  Aussehen  ganz  dem 
„Keimstreifen"  der  Würmer  gleichen,  geschlossen  werden.  (Nebenbei  möge  be- 
merkt  sein,  dass  man  sonderbarer  Weise  bei  den  Arthropoden  etwas  ganz 
Anderes  als  bei  den  Würmern,  nämlich  eine  am  Bauche  gelegene  Verdickung 
des  Ectoderms  als  „Keimstreif^'  zu  bezeichnen  pflegt.) 

')  A.  Kowalevsky,  Russische  Abhandlung  über  die  Entwicklung  der 
Brachiopoden,  Kasan  187H. 

*)  C.  Rabl,  „Die  Ontogenie  der  Süsswasser-Pulmonaten";  Jen.  Zettschr. 
f.  Naturw.  IX.  Band,  p.  202,  1875. 


Ueber  die  EntwicklungBgeschicbte  der  Malermuschel.  355 

setzen  werde,  an  Tergipes-Embryonen  gelungen.  In  Besdehnng 
anf  die  Lamellibrancbiaten  verweise  ich  auf  die  im  Vorhergehen- 
den auseinandergesetzten  Beobachtungen  an  Unio.  Endlich 
scheint  auch  bei  den  Cephalopoden  dieselbe  Symmetrie  des  Meso- 
derms  Torzukommen ;  wenigstens  glaube  ich  dies  aus  einem  Quer- 
schnitte, den  Ray-Lankester^)  von  einem  Gephalopoden-£m - 
bryo  giebt,  folgern  zu  dttrfen.  Doch  lässt  sich  bei  genauerer 
Einsicht  in  den  Text  der  Ray-Lankester'schen  Abhandlung 
nicht  mit  Bestimmtheit  sagen,  ob  das  Mesoderm  wirklich  ur- 
sprünglich in  dieser  Lagerung  auftrete,  oder  ob  etwa  jenes  Durch- 
schnittsbild die  nrsprünglichen  Verhältnisse  nicht  mehr  in  ihrer 
Reinheit  vor  Augen  fUhre. 

Endlich  sind  auch  hinsichtlich  der  Wirbelthierein  letzter 
Zeit  drei  Fälle  von  seitlicher  Symmetrie  des  Mesoderms  bekannt 
geworden.  Der  erste  von  ihnen  betrifft  Amphioxus,  diesen  letzten 
merkwürdigen  Sprössling  eines  längst  erloschenen  Thiergesohlechtes ; 
der  zweite  die  Haifische,  denen  gleichfalls  Niemand  ihre  hohe 
phylogenetische  Bedeutung  in  Abrede  stellen  wird;  der  dritte 
endlich  das  Kaninchen,  das,  durch  eigenthümliche  glückliche  Um- 
stände geschützt;  die  ursprünglichen  Verhältnisse  treuer  bewahrt 
zu  haben  scheint;  als  viele  seiner  nächsten  Verwandten. 

Was  zunächst  Amphioxus  betrifft;  so  hat  uns  Eowalevsky^) 
in  seinen  wichtigen  UntersuchuDgen  über  ;;die  Entwicklungsge- 
schichte des  Amphioxus  lanceolatus^'  eine  optische  Queransicht 
von  einem  Embryo  gegeben;  aus  der  wir  aufs  deutlichste  er- 
kennen können,  dass  auch  hier  das  Mesoderm  ursprünglich  in 
Form  zweier  lateraler  Stränge  den  Körper  des  Embryo  der  Länge 
nach  durchzieht.  Leider  konnte  aber  Kowalevsky  ungünstiger 
Verhältnisse  wegen  über  die  erste  Entstehung  der  bald  darauf 
in  der  Mitte  zwischen  diesen  Strängen  auftretenden  Chorda  dor- 
salis  nichts  Sicheres  in  Erfahrung  bringen. 

Viel  vollständiger  sind  in  dieser  Beziehung  die  schon  früher 


^)  Ray-Lanketter,  „ObsenratioDa  on  tbe  development  of  tbe  Cepba- 
lopoda'^    Qaarterly  Joamal  of  microsc.  science;  Jaoaary  1875. 

*)  A.Kowalev8ky,  „EatwickluDgsgeBchichte  des  Amphioxus  laoceolatiu'^ 
Mdm.  de  TAcad.  de  St.-P^tenibourg ;  Tome  XI,  Nr.  4^  1867.  Die  diesbezüg- 
liche Fig.  20,  Taf.  II,  ist  in  His,  „Unsere  Korperform*^,  S.  178  bei  £  wieder- 
gegeben; die  Copie  entspricht  jedoch  nicht  genaa  dem  Original;  dessen  an- 
geachtet glauben  wir  ans  Gründen  der  Analogie  die  daselbst  dargesteUten  Ver- 
hältnisse ab  die  orsprünglicberen  ansehen  zu  dürfen. 

Bd.  X,  N.  F.  III,  9.  28 


356  Carl  Rabl, 

hervorgehobenen  Beobachtungen  Balfour's^)  an  Haifisch-Em- 
bryonen. Er  sagt  über  die  ursprüngliche  Anordnung  des  Meso- 
derms:  „There  is  one  peculiarity  in  the  formation  of  the  meso- 
blast;  which  I  wish  to  call  attention  to,  i.  e.  itB  formation  as 
two  lateral  masses,  one  on  each  aide  of  the  middle 
line,  but  not  continuous  acro8S  this  line  (vide  figs.  6a 
and  6b;  and  7a  and  7b).  ^y  Er  bemerkt  dazu  ausdrücklich,  dass 
dies  unzweifelhaft  ein  sehr  früher  Zustand  des  Mesoderms  sei^ 
und  erinnert  zugleich  an  die  ähnlichen  Verhältnisse,  welche 
Kowalevsky  an  Euaxes  und  Lumbricus  beobachtet  hat.  — 
Zwischen  diesen  beiden  Platten  des  mittleren  Keim- 
blattes, welche,  wie  wir  weiter  unten  noch  näher  auBftthren 
werden,  offenbar  den  beiden  Platten  des  Mesoderms  der  anderen 
Bilaterien  homolog  sind,  bildet  sich  einige  Zeit  später 
eine  dritte,  in  der  Mittellinie  des  Körpers  glegene 
und  von  den  beiden  seitlichen  getrennte  Platte, 
welche  Balfour  als  Rückensaite  oder  Chorda  dorsalis  bezeichnet 
und  die  er  vom  inneren  Keimblatte  oder  Hypoblast  ableitet  ^). 

Das  Mesoderm  der  Selachier  besteht  somit  aus  drei  ge 
trennten  Platten,  von  denen  die  beiden  seitlichen  in  ihi«r 
Entstehung  der  Zeit  nach  der  mittleren  vorauseilen.  Auch  Prof. 
Huxley,  dem  Balfour  seine  Präparate  zeigte,  sprach  sich  ent- 
schieden zu  Gunsten  dieser  Auffassung  aus.  ^) 

Endlich  liegt  noch  aus  jüngster  Zeit  eine  Beobachtung  Kol- 
li k  e  r '  s  **)  an  Kaninchen-Embryonen  vor,  nach  welcher  auch  hier 
anfänglich  keine  Chorda  vorhanden  ist,  so  dass  in  ähn- 
licher Weise,  wie  bei  den  Selachicrn,  die  MeduUarplatte  anfangs 
unmittelbar  an  das  Entoderm  anstösst.  Eine  genauere  Besprech- 
ung dieser  wichtigen  Beobachtung  ist  aber  hier  deshalb  nicht  am 
Platze,  weil  für  die  Einzelheiten  der  betreffenden  Vorgänge  von 
Kolli k er  auf  die  demnächst  erscheinende  erste  Hälfte  seiner 
Entwicklungsgeschichte  verwiesen  wird.  — 

So  zahlreichen  Beobachtungen  gegenüber  kann  es  wohl  kaum 
einem  ernstlichen  Zweifel  unterzogen  werden,  dass  wir  hier  einem 


^)  Balfour,  ,,A  preliminary  account  etc^^  Microsc.  Journal  1874. 

«)  Ibid.,  p.  335. 

')  Ibid.,  p.  341,  Fig.  7  a  und  7  b,  ch  und  ch'. 

*)  Ibid.,  p.  342. 

'^)  A.  Kölliker,  „Ueber  die  erste  Entwicklung  des  Saugethier-Embryo^^ 
s.  S.  43,  Anm.  2.  Die  daselbst  gemachten  Angaben  über  den  Ursprung  und 
die  Zeit  der  Entstehung  der  Chorda  widersprechen  einander  etwas. 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malennuschel.  357 

höchst  wichtigen   and  bedeatangsvoUen  Gegenstände  gegenüber- 
stehen.   Dies  wird  um  so  eher  einleuchten,  wenn  man  bedenkt, 
das  diejenigen  Punkte^   auf  welche  es  hier  vorzüglich  ankommt, 
nämlich  die  Bildung  des  Mesoderms  vom  Mundrande  der  Gastrula 
und   die    primitive    Lagerung  desselben  zu   beiden  Seiten  des 
Körpers,  weder  mit  den  Existenzbedingungen    der  Embryonen 
selbst,  noch  auch  mit  denjenigen  der  erwachsenen  Thiere  in  irgend 
einem  denkbaren  Zusammenhang  stehen.    Wir  müssen  daher 
in   der  Aehnlichkeit  jener  Verhältnisse   unbedingt 
den  Ausdruck  von  gemeinsamer  Vererbung  erblicken 
und  können  nur  dann  auf  ein  Verständniss  unseres 
Oegenstandes  hoffen,   wenn  es  uns  gelingt,  die  be- 
sprochenen   Erscheinungen     auf     phylogenetische 
Vorgänge  zurückzuführen. 

Fragen  wir  uns  zuerst,  ob  und  wie  wir  uns  wohl  die  Bil- 
dung des  Mesoderms  vom  Mundrande  der  Gastrula 
phylogenetisch  zu  erklären  vermögen.  Selbstverständlich  müssen 
wir  dabei  von  jener  hypothetischen,  zweischichtigen  Stammform 
der  Metazoen  ausgehen,  welche  Haeckel  mit  dem  Namen  Gas- 
traea  oder  Metazoarchus  bezeichnet  hat. 

Das  wichtigste,  ja  man  könnte  fast  sagen,  das  einzige  Be- 
dttrfniss  der  Gastraea  wird  unzweifelhaft  das  Nahrungsbedürfniss 
gewesen  sein.  Dies  geht  einerseits  schon  aus  ihrem  anatomischen 
Baue  hervor,  andererseits  aber  auch  daraus,  dass  bei  sämmtlichen 
Nachkommen  der  Gastraea,  wie  auch  bei  sämmtlichen  Protozoen, 
das  Bedürfniss  nach  Nahrung  alle  anderen  Bedürfnisse  weit 
überwiegt  Jede  auch  noch  so  geringe  Abänderung,  welche  der 
Befriedigung  dieses  Bedürfnisses  Vorschub  leistete,  wird  daher 
von  der  Gastraea  gewissenhaft  beibehalten  und  befestigt  worden 
sein.  So  lässt  sich  aus  der  Analogie  mit  zahlreichen  anderen 
Thierer,  —  sowohl  Protozoen  als  Metazoen  —  der  Schluss  ziehen, 
dass  sich  um  die  Mundöffnung  herum  ein  Kranz  langer  Wimper- 
haare entwickelte,  durch  deren  schwingende  Bewegung  ein 
Strudel  im  Wasser  erregt  wurde,  der  die  Beute  dem  Munde  zu- 
führte und  in  den  Magen  gelangen  liess.  Der  in  dieser  Weise 
erlangte  und  in  die  Magenhöhle  aufgenommene  Bissen  konnte 
aber  so  lange  an  dem  Entwischen  nicht  gehindert  werden,  als 
der  Gastraea  die  Fähigkeit  mangelte,  ihre  Mundöfinung  zu  ver- 
schliessen  oder  doch  wenigstens  beträchtlich  zu  verengem.  Diese 
offenbar  sehr  nützliche  Fähigkeit  konnte  nun  ganz  einfach  und 
leicht  dadurch  erreicht  werden,  dass  einige,  an  der  inneren  Um- 

88* 


358  Carl  Rabl, 

randnng  der  Mandöfiiiung  gelegene  Zellen  eine  vorwiegende  Con- 
traetilität  erwarben^  so  dass  sie,  sobald  ein  Bissen  an  ihnen  vor- 
über  in  die  Magenhöhle  glitt;  dadurch  gereizt  und  znr  Contraction 
angeregt  wurden.  In  diesen  wenigen,  an  der  inneren  Umrandung 
des  Mundes,  gelegenen  und  durch  eine  besondere  Gontractilität  aus- 
gezeichneten Zellen  haben  wir,  wie  es  scheint,  die  ersten 
muskulösen  Elemente  der  Gastraea  zu  erblicken. 

Wenn  nun  auch  heutzutage  noch  in  der  Keimesgeschichte 
sämmtlicher  Bilaterien  die  ersten  muskulösen  Elemente,  die  ersten 
Mesoderm-Zellen,  an  der  inneren  Umrandung  des  Gastrula-Mun- 
des  auftreten,  so  haben  wir  hierin  offenbar  nur  eine  Wiederholung 
jener  ursprtlnglichen  phylogenetischen  Entwicklungsvorgänge  zo 
erblicken.  Wenn  wir  aber  andererseits  eine  solche  phylogene- 
tische Erklärung  der  entwicklungsgeschichtlichen  Thatsachen  Ton 
der  Hand  weisen,  so  müssen  wir  einfach  auf  ein  Verständnis« 
derselben  verzichten ;  wir  stehen  dann  einem  wunderbaren  Räthse) 
gegenüber,  auf  dessen  Lösung  wir  nie  und  nimmer  hoffen  dürfen. 

In  ähnlicher  Weise  lässt  sich  auch  die  ursprünglicbr 
Lagerung  des  Mesoderms  zu  beiden  Seiten  des  Kör- 
pers auf  ganz  einfache  phylogenetische  Vorgänge  zurückführet 
Denn  offenbar  steht  die  seitlich-symmetrische  Anordnung  der 
Muskulatur  mit  der  allen  Bilaterien,  und  daher  auch  ihren  Vor- 
fahren, gemeinsamen  und  sie  vor  allen  anderen  Metazoen  aus- 
zeichnenden Bewegung  nach  einer  bestimmten  Rich- 
tung in  der  unmittelbarsten  Wechselbeziehung.  Dass  nun  aber 
bei  den  Vorfahren  der  Bilaterien,  deren  nächste  lebende  Ver- 
wandte  wir  in  den  niedrigsten  Würmern  zu  erblicken  haben,  die 
Muskulatur  nicht  allseitig  zwischen  Haut  und  Darm  ange- 
ordnet war,  sondern  vielmehr  nur  an  der  dem  Boden  zugekehrten 
ventralen  Fläche  des  Körpers,  steht  allem  Anscheine 
nach  mit  der,  diesen  niedrigsten,  längst  ausgestorbenen  Bilaterien 
eigenthümlichen  kriechenden  Bewegung  in  Zusammen- 
hang. — 

Wenden  wir  nun  in  ausgedehnter  Weise  das  biogene- 
tische Grundgesetz  auf  die  von  uns  hervorgehobenen  onto- 
genetischen  Erscheinungen  an,  so  gelangen  wir  zu  folgendem 
Schlüsse : 

Das  erste  seitlich-symmetrische  Thier,  von  dem 
zunächst  die  Würmer  und  in  weiterer  Folge  alle 
übrigen  Bilaterien  abstammen,  stellte  einen  läng- 
lichovalen,   hohlen    Körper  dar,   dessen  Wand   aus 


Ueber  die  Entwicklaogsgeschiehte  der  MalermaBchel.  359 

zwei  Zellenschichten  (Ectoderm  und  Entoderm)  be» 
stand,  zwischen  welchen  an  der  dem  Boden  zuge- 
kehrten (^^yentralen'')  Fläche  zwei  symmetrisch  zu 
beiden  Seiten  der  Medianlinie  gelegene  Muskel- 
streifen  (Mesoderm)  sich  befanden.  Die  Mundöff- 
n  u  n  g  dieser  hypothetischen  Stammform  der  Bilaterien  war,  ¥rie 
zahlreiche  ontogenetische  Thatsachen  beweisen,  nach  oben  zu, 
d.  h.  gegen  den  späteren  Rttcken  hin  gelegen.  Wir  haben 
uns,  kurz  gesagt,  eine  bilaterale,  kriechende  und  mit  Muskulatur 
versehene  Gastraea  zu  denken. 

Fragen  wir  uns  nun  weiter,  wie  sich  zu  dieser  hypothe- 
tischen Ur-  oder  Stammform  der  Bilaterien  die  Wirbelthiere 
verhalten.  —  Bei  der  Beantwortung  dieser  Frage  werden  wir  von 
den  wichtigen  Untersuchungen  B  a  1  f  o  u  r's  an  Haifisch-Embiyonen 
ausgehen  müssen ;  einerseits  sind  diese  allem  Anscheine  4iach  die 
genauesten,  welche  in  dieser  Hinsicht  bisher  angesteUt  wurden 
und  geben  daher  auch  die  sicherste  Grundlage  flir  phylogene- 
tische Schlttsse  ab;  andererseits  sind  die  Thiere,  an  denen  sie 
angestellt  wurden,  von  so  hoher  phylogenetischer  Bedeutung,  dass 
auch  die  aus  ihrer  Organisation  und  Entwicklung  sich  ergebenden 
Schlttsse  eine  um  so  höhere  phylogenetische  Bedeutung  besitzen. 

Was  vor  Allem  die  Thatsache  betrifft,  dass  auch  bei  den 
Haifiscl^- Embryonen  das  Mesoderm  ursprünglich  in  Form 
zweier  lateraler  Platten  angelegt  wird,  so  beweist  dieselbe 
auf  das  entschiedenste,  dass  auch  bei  den  Vorfahren  der  Wirbel- 
thiere die  Muskulatur  anfangs  in  Form  zweier  lateraler  Stränge 
den  Körper  der  Länge  nach  durchzog.  Mit  anderen  Worten,  es 
stammen  auch  die  Wirbelthiere  von  derselben  phylogenetischen 
Urform  der  Bilaterien  ab,  von  der  alle  anderen  Bilaterien  ihren 
Ursprung  genommen  haben. 

Was  dagegen  die  in  der  Mitte  zwischen  jenen  beiden  late- 
ralen Platten  und  mehr  oder  weniger  unabhängig  von  denselben 
entstehende  mediane  Platte  des  Mesoderms  betrifft,  welche, 
wie  Balfour  auf  das' bestimmteste  angibt,  der  Chorda  den  Ur- 
sprung gibt,  so  stellt  dieselbe  ein,  den  Wirbelthieren  allein  zu- 
kommendes und  sämmtlichen  Bilaterien  fehlendes  0  Gebilde  dar. 

*)  Die  sogenannte  Chorda  der  Anneliden  kann  mit  der  Chorda  der  Wirbel- 
thiere schon  deshalb  nicht  homologisirt  werden,  weil  sie  kein  primäres  Ge- 
bilde, wie  dieses,  ist,  sondern  sich  erst  secundär,  nachdem  sich  die  beiden 
lateralen  Mesoderm*Platten  in  der  Medianlinie  vereinigt  haben,  durch  eine 
Difierenzirung  einiger,  diesen  angehörender  Zellen,  entwickelt 


360  Carl  Rabl, 

Das  Mesodenn  der  Wirbelthiere  besteht  somit  nach  seiner  yoU- 
ständigen  Ausbildung  ans  drei;  bei  den  Haifiseh-Embryoneo 
noch  völlig  von  einander  getrennten  Platten:  zwei  lateralen, 
welche  dem  Mesoderm  der  Wirbellosen  entsprechen,  and  einer 
medianen;  welche  kein  Homologen  im  Mesoderm  der  Wirbellosen 
besitzt.  Daraus  ergibt  sich  der  phylogenetische  Schluss,  dass  bei 
den  Vorfahren  der  WirbelthierC;  welche  sich  aus  jener  oben  ge- 
kennzeichneten Stammform  sämmtlicher  Bilaterien  hervorbildeten, 
zwischen  den  zu  beiden  Seiten  des  Körpers  verlaufenden  Muskd- 
strängen  auf  der  Bückenfläche  zwischen  Ectoderm  und  Entoderm 
ein  unpaarer;  medianer,  knorpeliger  Stab  als  Stütze  des  Körpen 
sich  entwickelt  hatte,  der  sie  vor  allen  anderen  Bilaterien  aus- 
zeichnete. 

Der  Umstand;  dass  bei  der  Mehrzahl  der  Wirbelthiere  das 
mittlere  Keimblatt  nicht,  wie  bei  den  Haifischen;  ursprünglich  in 
Form  dreier  von  einander  getrennter  Platten  auftritt;  sond^n 
vielmehr  gleich  anfangs  eine  vollkommen  zusammenhäDgende. 
einheitliche  Schicht  bildet,  steht  im  vollsten  Einklänge  mit  dei 
bereits  von  Fritz  Müller  hervorgehobenen  Satze,  dass  ;;die£ 
der  Entwicklungsgeschichte  enthaltene  geschichtliche  Urknnde  li- 
mählich  verwischt  werde ;  indem  die  Entwicklung  einen  immci 
geraderen  Weg  vom  Ei  zum  fertigen  Thiere  einschlägt."  i)  Denn 
dadurch;  dass  einerseits  die  Zeit;  welche  ursprünglich  ^wischen 
der  Bildung  der  beiden  lateralen  und  der  medianen  Platte  des 
Mesoderms  verstrich;  allmählich  reducirt  wurdC;  während  anderer- 
seits die  Verbindung  zwischen  den  drei  Platten  immer  früher  und 
früher  erfolgte;  konnte  es  schliesslich  dazu  kommen;  dass  alle 
drei  Mesoderm-Platten  nicht  blos  zur  gleichen  Zeit,  sondern  aach 
als  einheitliche;  zusammenhängende  Schichte  in  die  Erscheinang 
traten. 

Uebrigens  legen  selbst  bei  den  Embryonen  dieser  höher 
stehenden  Wirbelthiere  nicht  wenige  Erscheinungen  deutliches 
Zeugniss  für  die  phylogenetisch  getrennte  Entstehung  der  drei 
Platten  des  Mesoderms  ab.  Dafür  spricht  namentlich  der  von 
His^)  hervorgehobene  Umstand;  dass  bei  den  Wirbelthieren  der 
mittlere  zum  eigentlichen  Verdauungskanal  bestimmte  Theil  des 
Darmdrüsenblattes    anfangs    keine    Muskulatur   besitzt 


*)  Fritz  Müller,  „Für  Darwin",  Leipzig  1864,  p.  77. 
')  Wilhelm  His,  „Unsere  Körperform  und  das  physiologische  Problem 
ihrer  Entstehung^S    Leipzig  1874,  p.  76. 


Ueber  die  Entwicklungsgescbichte  der  Malermuscbel.  361 

(obwohl  also  unmittelbar  ttber  demselben  ein  Mesodenn  vorhanden 
ist);  und  dass  der  Darmkanal  seine  Muskelwand 
nicht  vom  Stammtheil,  sondern  vom  Parietaltheil 
der  nnteren  Mnskelplatte  erhält  —  Auch  haben  bereits 
vor  längerer  Zeit  HiS;  Waldeyer  u.  A.  die,  von  jener  der 
tibrigen  Embryonal-Anlagen  verschiedene  Bedeutung  des  in  der 
Mitte  verlaufenden  und  der  medianen  Platte  des  Mesoderms  un- 
gefähr entsprechenden  ,,Axenstranges''  klar  und  deutlich  er- 
kannt und  die  Nothwendigkeit  hervorgehoben,  dass  man  „nicht 
die  Keimblätter  allein,  sondern  neben  ihnen  auch 
den  Axenstrang  zu  den  Uranlagen  des  Embryo^) 
rechnen  müsse. 

Aus  allen  diesen  Betrachtungen  ergibt  sich  in  Beziehung  auf 
die  Homologie  des  mittleren  Keimblattes  der  Bila- 
terien  der  Schluss,  dass  das  mittlere  Keimblatt  der 
Wirbellosen  nicht  vollkommen  dem  der  Wirbel- 
thiere  entspricht,  sondern  nur  mit  den  beiden  late- 
ralen Platten  desselben  verglichen  werden  darf; 
die  unpaare  mediane  Platte  des  Mesoderms  der 
Wirbelthiere  ist  ein  diesen  ausschliesslich  zukom- 
mendes und  den  Wirbellosen  fehlendes  Gebilde. 

Daraus  geht  zugleich  hervor,  dass  die  von  Haeckel  als 
Chordonier  bezeichneten  Bilaterien,  d.  h.  die  Wirbelthiere  und 
Tunicaten,  schon  viel  tiefer  unten  vom  gemeinsamen  Stamme  der 
Bilaterien  sich  entfernen,  als  man  gewöhnlich  annimmt  Man  wird 
daher  auch  in  der  Aufstellung  von  Homologien  zwischen  den 
Wirbelthieren  und  Wirbellosen  viel  vorsichtiger  und  sparsamer 
verfahren  müssen,  als  dies  in  jüngster  Zeit  geschehen  ist  — 

Ich  gebe  mich  nicht  der  Hoffnung  hin,  durch  diese  wenigen 
Auseinandersetzungen  bereits  die  Mehrzahl  der  Forscher  für  meine 
Anschauung  gewonnen  zu  haben;  ich  gebe  mich  zufrieden,  wenn 
es  mir  gelungen  sein  sollte,  einige  Anhänger  entgegenstehender 
Ansichten  wankend  und  meiner  Auffassung  nicht  völlig  abgeueigt 
gemacht  zu  haben.  Hier,  im  Anschluss  an  die  Darstellung  der 
Entwicklungsgeschichte  der  Muscheln,  mussten  nothwendig  meine 
Auseinandersetzungen  kurz  und  lückenhaft  sein;  ich  konnte  die 
entgegenstehenden  und  meiner  Anschauung  widersprechenden 
Angaben  keiner  gehörigen  Beleuchtung  unterziehen;  ich  konnte 


')  Wilhelm  Waldeyer,  „Eierstock  und  Ei*'.    Leipzig  1870,  p.  111. 


362  Cftrl  Rabl, 

die;  in  letzter  Zeit  von  S  e  m  p  e  r ')  nnd  D  o  h  r  n  ')  unternommene 
Vereuche  einer  Erklärung  der  Phylogenie  der  WirbelÜiiere  m 
ihren  fundamentalen  Gegensatz  zu  meinen  eigenen  nid 
in's  rechte  Licht  setzen ;  —  doch  dies  Alles  soll  in  einer  späten 
ausführlicheren  Arbeit  geschehen.  Hier  möge  nur  bemerkt  sei 
dass  ich  nicht  übereilt;  sondern  erst  nach  sorgsamer  Prtlfai 
aller  mir  bekannten  Beobachtungen  zu  einem  Abschlüsse  g 
kommen  bin. 

Denjenigen  aber,  die,  ohne  selbst  eine  bessere  Ei 
klärung  der  Erscheinungen  geben  zu  können,  solch 
und  ähnlichen  Versuchen  mit  einigen  nichtssagenden  Sede^e 
düngen  den  Weg  abzuschneiden  pflegen,  rufe  ich  die  Woi 
unseres  unsterblichen  Meisters  AI.  v.  Humboldt  zu:  »i 
geziemt  nicht  dem  Geiste  unserer  Zeit,  jede  Vei 
allgemeinerung  der  Begriffe,  jeden,  auf  Inductio 
und  Analogien  gegründeten  Versuch,  tiefer  in  <) 
Verkettung  der  N  aturerscheinungen  einzudringe: 
;als  bodenlose  Hypothese  zu  verwerfen;  und  unt^ 
denedelnAnlagen,  mit  denen  die  Natur  den  Mensel 
ausgestattet  hat,  bald  die  nach  einem  Causalz 
sammenhang  grübelnde  Vernunft,  bald  die  regsaiii< 
zu  allem  Entdecken  und  Schaffen  nothwendige  a^ 
anregende  Einbildungskraft  zu  verdammen.'^  — 


II.   Von  der  Bildung  der  Keimblätter  bis  zum  Ende  der 

embryonalen  Entwicklung. 


Wir  haben  den  Embryo  auf  einem  Stadium  verlassen,  > 
dem  er  bereits  mit  allen  drei  Keimblättern  ausgestattet  i»j 
Die  nächste  Frage,  die  nun  an  uns  herantritt,  geht  dahin,  ^ 
sich   die   einzelnen  Organe   des  Embryo    aus  den  Keimblatt 


*)  Carl  Semper,    „Die  Stammesverwandtschaft    der  Wirbelthiere^ 
Wirbellosen^^    Arbeiten  aus  dem  zoologisch-zootomiscben  Institut  in 
bürg  1874,  II.  Band,  1.  Heft 

')  Anton  Dohrn,     »I^er  Ursprung  der  Wirbelthiere  r 
des  Functionswecbselfl.    Genealogische  Skizzen*^    Leipzig  If 


Ueber  die  Entwiddangsgeflchiohte  der  Malermaschel.  363 

aufbauen  und  ob  sich  anch  auf  späteren  Entwicklungsstadien 
noch  die  einzeken  Keimblätter  klar  und  deutlich  von  einander 
unterscheiden  lassen.  — 

Die  Veränderungen ,  welche  der  Embryo  in  der  ersten  Zeit 
nach  der  Bildung  der  Keimblätter  erleidet,  sind  von  so  tief- 
greifender Natur  und  gehen  mit  so  grosser  Schnelligkeit  yon 
statten,  dass  man  nach  kaum  vierundzwanzig  Stunden  —  voraus- 
gesetzt, dass  die  Entwicklung  unter  sonst  gtlnstigen  äusseren 
Verhältnissen  verläuft  —  ein  vollständig  anderes  Bild  vor  Augen 
hat.  Diese  Veränderungen  betreffen  weniger  die  äussere  Form 
des  Emifryo,  als  vielmehr  seine  innere  Organisation.  Namentlich 
ist  es  das  innere  Keimblatt,  das  nunmehr  eine  Beihe  von  Um- 
wandlungen zu  durchlaufen  hat,  wie  man  sie  in  ähnlicher  Weise 
wohl  nur  bei  einigen  parasitischen  Würmern,  denen  jede  Spur 
eines  Verdauungskanales  fehlt,  wiederfinden  dürfte. 

Wir  h^ben  gesehen,  dass  die  zwischen  den  beiden  primären 
Keimblättern  gelegene  Höhle,  welche  unmittelbar  aus  der  Fur- 
chungshöhle  der  Blastosphaera  hervorgegangen  ist,  immer  mehr 
und  mehr  von  Mesoderm-Zellen  eritlllt  wird,   die  sich  anfangs 
dicht  an  das  eingestülpte  Entoderm  anlegen,  bald  jedoch  in  der 
ganzen  Höhle  verbreiten.    Anfangs  bleibt  noch  ein  kleiner,  unter 
jener  Stelle,   an  welcher  die  „Richtungsbläschen^^  liegen,  befind- 
licher Baum  von  ihnen  frei,  aber  auch  dieser  wird  alsbald  von 
mehr  oder  weniger  lose  verbundenen  Zellen  erfüllt,   so   dass 
schliesslich  die  ursprüngliche  Höhle  ganz  verschwindet.    Aller- 
dings sind  die  Meso^rm-Zellen  an  einzelnen  Stellen,  so  nament- 
lich in  der  Nähe  des  späteren  Hinterendes  des  Körpers,  viel 
dichter  an  einander  gelagert,  als  an  anderen,  doch  bleibt  keine 
Stelle  ganz  frei  von  ihnen.    Während  dieser  Vorgänge  haben  sich 
die  beiden  grossen  Zellen,   welche  wir  als  die  Bildungsheerde 
des  Mesoderms  kennen  gelernt  haben,  durch  fortgesetzte  Theilung 
so   weit  verkleinert,   dass  man  schliesslich  gar   keinen  Unter- 
schied mehr  zwischen  ihnen  und  ihren  Abkömmlingen  wahrzu- 
nehmen  im  Stande  ist.    Diese  allmähliche  Grössenabnahme  der 
beiden    ursprünglichen    Mesoderm-Zellen   bei    gleichzeitiger  Zu- 
nahme der  Zahl  der  kleinen  Zellen  kann  man  namentlich  gut  an 
Querschnitten  verfolgen. 

Sobald  säramtliche  Zellen  des  mittleren  Keimblattes  eine 
mehr  oder  wea%er  einförmige  Grösse  und  Gestalt  angenommen 
habe^  ^  ^ißk  an  ihnen   eine  allmähliche  Verschiebung 

gep'  F^  ^    zu  bemerkbar  zu  machen.   Hier 


364  Carl  Rabl, 

drängen  sie  sich  in  grösserer  Zahl  zwischen  Ectoderm  nnd  Ento- 
derm  vor  and  strecken  sich  quer  von  einer  Körperwand  zur  an- 
dern ans.  Die  übrigen  Zellen  des  Mesoderms,  welche  an  diesem 
Vorgänge  keinen  Antheil  nehmen,  legen  sich  theils  der  Innen- 
fläche des  Ectoderms  an^  theils  spannen  sie  sich  dnrch  die  neu- 
gebildete,  in  Folge  der  erwähnten  Gruppirung  der  Me- 
soderm-Zellen  entstandene  Höhle  hin  aus.  Diese  Höhle 
ist  keineswegs  der  früheren,  während  der  Furchung  entstandenen 
Keim-  oder  Furchungshöhle  gleichzusetzen,  sondern  ist  vielmehr 
als  Leibeshöhle  oder  Goelom  aufzufassen.  Die  sie  durch- 
setzenden Zellen  besitzen  eine  langgestreckte  Form  und  schicken 
an  beiden  Enden  Fortsätze  aus,  die  sich  meist  wieder  verästdn. 
Eb  sind  das  die  von  Flemming  sogenannten  „Strangzellen'^. 
Von  ihnen  sind  besonders  diejenigen  wichtig,  welche  in  der 
Mittellinie  des  Körpers  entspringen  und  nach  den  beiden  Seiten 
hinziehen.  Sie  treten  fast  auf  allen  Querschnitten  klar  zu  Tage 
(Taf.  Xn,  Fig.  56,  z).  Diejenigen  ZeUen  des  Mesoderms  dagegen, 
welche,  wie  bereits  erwähnt,  in  der  Nähe  des  hinteren  Körper- 
endes von  einer  Körperwand  zur  anderen,  quer  durch  die  Leibes- 
höhle des  Embryo  ausgespannt  liegen,  stellen  die  Zellen  des 
Schliessmukels  dar.  Ihre  Zahl  ist  auf  späteren  Entwickelnngs- 
Stadien  grösser,  als  die  aller  übrigen  Mesoderm-Zellen  zusammen- 
genommen. 

Während  sich  in  dieser  Weise  am  mittleren  Keimblatte 
mannigfache  Differenzirungen  bemerkbar  machen,  gehen  auch  am 
Entoderm  zahlreiche  wichtige  Veränderungop  von  Statten.  Oleich- 
zeitig  mit  der  erwähnten  Verschiebung  der  Mesoderm-Zellen 
gegen  das  hintere  Körperende  zu  und  mit  der  damit  im  Zusam- 
menhang stehenden  Bildung  des  Schliessmuskels  wird  das  in  die 
Leibeshöhle  hineinhängende  Entodermsäckchen  nach  vorne  ge- 
drängt, so  dass  es  hier  einen  kleinen,  schräg  nach  vorne  und 
unten  gerichteten  Zipfel  bildet.  Man  ersieht  diese  Lagerung  am 
besten,  wenn  man  die  nach  einem  Längsschnitte  (u.  z.  einem 
Sagittalschnitte)  angefertigte  Fig.  53,  Taf.  XH  betrachtet.  Ver- 
gleicht man  diese  Figur  mit  der  auf  derselben  Tafel  befindlichen 
Fig.  51,  so  kann  man  sich  ganz  wohl  vergegenwärtigen,  wie 
diese  Verschiebung  des  Entodermsäckchens  nach  vorne  gleich- 
zeitig mit  der  Bildung  des  Schliessmuskels  und  wohl  in  Abhängig- 
keit davon  zu  Stande  kommen  konnte. 

Dieser  nach  vorne  und  unten  in  die  Leibeshöhle  hinein- 
ragende Entodermzipfel  löst  sich  nun  von  den  übrigen  Zellen 


Ueber  die  E  itwicklangsgescbichte  der  Malermuschel.  365 

des  Bückentheiles  ab  (Taf.  Sil,  Fg.  55)  and  bleibt  als  ein  kleines 
Zellenhänfchen  anter  der  äusseren  Eörperwand  am  vorderen 
Eörperende  liegen.  Dieses  Zellenhänfchen  bildet  nnn- 
mehr  das  Entoderm  des  Mnschelembryo.  Die  ttbrigen 
am  Rücken  gelegenen  Zellen  nehmen  an  Höhe  immer  mehr  ab 
and  erlangen  in  Folge  dessen  eine  immer  hellere  and  darcbsich- 
tigere  Beschaffenheit.  Der  Embryo  selbst  wird  dadurch  an  seinem 
Rttckentheile  durchsichtiger  and  gestattet  wieder  einen  leichteren 
Einblick  in  seine  innere  Organisation.  Die  Zellen  des  Rttckens 
sind  zu  jeder  Zeit  an  ihren  grossen ,  in  gewissen  Entfernungen 
Yon  einander  gelegenen  Kernen  deutlich  erkennbar;  doch  sind 
sie  noch  nicht  durch  Membranen  von  einander  geschieden.  — 

Die  Veränderungen,  welche  sich  unterdessen  am  äusseren 
Keimblatte  bemerkbar  machen;  sind  lange  nicht  so  bedeutend  wie 
diejenigen,  welche  wir  an  den  beiden  anderen  Keimblättern  kennen 
gelernt  haben.  Vor  Allem  muss  hervorgehoben  werden,  dass 
dasEcttoderm  während  der  ganzen  embryonalen  Ent- 
wicklung nur  aus  einer  einzigenSchichte  von  Zellen 
besteht.  Allerdings  zeigen  diese  Zellen  an  den  verschiedenen 
Stellen  des  Körpers  eine  sehr  verschiedene  Beschaffenheit.  Am 
Rücken  und  an  den  oberen  Theilen  der  beiden  Seitenwände  des 
Körpers  sind  sie  flach  und  stehen  weit  aus  einander;  man  erkennt 
sie  hier  an  ihren  hellen,  von  der  körnigen  Umgebung  sich  scharf 
abhebenden,  runden  Kernen.  An  allen  übrigen  Theilen  des 
Körpers,  mit  Ausnahme  jener  kleinen  Stelle,  an  der  die  „Rich- 
tung^bläschen''  liegen,  wird  das  Ectoderm  von  hohen,  dicht  neben- 
einander stehenden  Cylinderzellen  zusammengesetzt,  von  denen 
die  höchsten  an  der  Bauchseite,  da  wo  wir  auch  früher  schon 
die  grössten  Zellen  vorgefunden  haben,  gelegen  sind.  Die  Kerne 
dieser  Zellen  liegen  durchwegs  in  der  Mitte  ihrer  Höhe  und 
nicht,  wie  Flemming  will,  „ganz  tief  an  ihrem  Fuss^'.  Das 
Protoplasma  der  Zellen  ist  an  den,  nach  der  Leibeshöhle  gerich- 
teten Zellenenden  viel  körnchenreicher  und  daher  auch  viel  und 
durchsichtiger,  als  an  den  entgegengesetzten  Enden.  Bei  schwachen 
Vergi'össemngen  geben  daher  solche  Schnitte,  wie  die  auf  Taf,  XII. 
Fig.  53  oder  56  abgebildeten,  folgendes  Bild :  zu  äusserst  gewahrt 
man  eine  schwach  durchscheinende,  mehr  feinkörnige  Schichte, 
welche  den  äusseren  Zellenenden  entspricht;  darauf  folgt  eine 
sehr  helle,  den  Zellkernen  entsprechende  und  zu  innerst  wieder 
eine  dunkle,  von  der  hellen  Kemschichte  sehr  scharf  und  schön 


/ 


'M  (^i  lUbl, 


ti^^h  Hhnft^iimtiÖis  iUUU  Hekidite^  welebe  eba  den  umeren,  k5m- 

An  ji^fii^r  Kii^llA,  Ml  df^r  dio  ;^Kichtang$blä8chen''  fingen,  sind 
l\U^  Yti^W^if  wiif  «tiorMt  ^Momtning  bei  Anodonta  gefunden  hat, 
im  ffii'lir  IfttifCK^Mlm'/kior  Form  und  geringerer  Höhe;  aach  be- 
iriM'kt  tfuui  lilor  rnKnlniHNMi^  eine  reichte  Einbuchtung  des  Ecto- 
dMHfiM.  Ich  wnr  nniiuiKN  Konoigt,  diese  schon  ausserordentlich 
rHIImr^llU'  MiilltnliMMln  Vortloinng  des  äusseren  Keimblattes  fUr 
dli^  Aiihitff^  dcir  snoundllron  MundOffnung  zu  halten; 
i«|illl(M«  iii\m  llhnrNdii^lo  ich  mich,  das»  diese  viel  weiter  oben  am 
ViMihMMMutn  doM  KOrprrs,  Hti  dorjonigcn  Stelle,  unter  welcher  das 
\\M\\\y  VA\Us{Um\\fv\W\\\\MM\t>\\  golcgou  ist»  entsteht  und  sich 
^\A\\\\\  niAw  \\W\\M\i^  mit  doit  Kntodcrm*ZeUen  verbindet  Der 
HUtut»  niumttuvtUM  dos  Musoholembryo  besteht  so- 
\\ik\\\\  nun  otuom  kUiuou«  dorn  Vorderende  des  Kör- 
\M^\n  \^\\\\\^\\^<'\\\\K^\\  8liokohou»  das  im  Inneren  eine 
iU^IU^n^^  bontUI  \\\\\{  sich  au  die  vordere  KOrper- 
NVrtU^i  Ä^U^iit  l^TiifvXlt  VV.  f>i\  Au  Horiiontalschnitten  dmrth 
^<i^^^  Kis^Uv>>\  bowuMkt  wäw  dÄb<^r  n^^^lm^lÄSiiir  unter  dem  sehr  ver- 
^h\^Klvi^  VolxSiUmw  <^iww  klcimnu  ähä  yicmlich  niedrigen  Zelloi  vt 
^isywwww^s^^vw'^w  \i\\\^,  dor  <^W«i  nichts  weiter  als  das  dBrek- 

\N^v  ^^t"^  >>N^  Vl<'n\v*,  n-;^  tj'vT  ^k>e  WrcJir*i?e  ^r 
t^'-N'^'V^Äib  y^^  K"*^  Viwi^r  ^  va •V'^>nvr«»/^T.  A  v^lun   iicri  nnc 


Ueber  die  Entwicklungsgeschiolite  der  MalermoBchel.  367 

hinten  folgt  das  y^Mittelschild^';  dasselbe  entspricht  derjenigen 
Stelle,  an  der  sich  die  „Richtungsbläschen''  befinden.  Die  lang- 
gestreckten;  das  ^^Mittelschild''  zusammensetzenden  Zellen  heissen 
yyN ah t Zellen''.  —  Später  glaubte  Flemming  die  Ausdrücke 
„Vorderwulst"  und  ^^Mittelschild"  durch  ^^Entoderm« 
wnlst"  und  ^^Oralepithel"  ersetzen  zu  müssen.  —  Ich  muss 
offen  gestehen,  dass  ich  nicht  recht  begreife,  wozu  man  so  viele 
neue  Namen  nöthig  habe ;  je  einfacher  eine  Beschreibung  ist,  desto 
leichter  kann  sie  von  Anderen  verstanden  werden.  Dass  aber  eine 
80  complicirte  Nomenclatur  das  Verständniss  keineswegs  erleichtert, 
wird  Jeder  zugeben,  der  Flemming 's  Darstellung  liest. 

Was  zunächst  das  Verschwinden  der  FurchungshOhle  betrifft, 
80  bemerkt  Flemming  ganz  richtig,  dass  dieselbe  „relativ  sehr 
klein"  werde,  ohne  aber  bestimmte  Angaben  ttber  die  Ursachen 
dieser  Erscheinung  zu  geben.  Das  gänzliche  Verschwinden 
dieser  Höhle  hat  jedoch  Flemming  nicht  beobachtet;  er  leitet 
vielmehr  die  Leibeshöhle  direct  von  der  FurchungshOhle  ab. 
Später,  auf  Seite  84,  bezeichnet  er  sogar  schon  die  Höhle  der 
,,Eeimbla8e"  als  Leibeshöhle  des  Embryo.  Wie  wir  jedoch  ge- 
sehen haben,  mttssen  Furchuugshöble  und  Leibeshöhle  scharf  von 
einander  unterschieden  werden,  indem  jene  die  Höhle  der  ein- 
schichtigen  Keimhautblase  vorstellt,  während  diese  durch  das 
Aoseinanderweichen  der  Mesoderm-Zellen  entsteht. 

Ueber  die  Art  und  Weise  der  Differenzirung  des  mittleren 
nnd  inneren  Keimblattes  weiss  Flemm!ng  ebenso  wenig  etwas 
Bestimmtes  anzugeben,  wie  ttber  die  Bildung  dieser  Keimblätter 
selbst.  Er  sagt  darttber:  „Was  im  Inneren  des  dunklen  Rücken* 
theils  jetzt  vorgeht,  bleibt  absolut  unsichtbar;  so  viel  ist  sicher, 
dass  hier  gerade  jetzt  sehr  rege  Differenzirungen  statthaben 
mttssen".  Wäre  es  da  nicht  sehr  nahe  gelegen  gewesen,  durch 
Bol<?Jlie  Embryonen  Schnitte  anzufertigen?  —  Doch,  ttber  einen  so 
ttberflttssigen  Gedanken  hilft  uns  die  Entwicklung  selbst  rasch 
hinweg,  denn  —  „inzwischen  lichtet  sich  immer  mehr  nnd  mehr 
der  obere  nnd  mittlere  Theil  der  Rückenzellenmasse".  Auf  dem 
nächsten  von  Flemming  beobachteten  Stadium  ist  bereits  der 
Schliessmuskel  und  die  Leibeshöhle  gebildet  und  auch  die  Schale 
beginnt  sich  schon  am  Rücken  anzulegen.  Das  kleine  Entoderm- 
säckchen  hat  Flemming  sonderbarer  Weise  ganz  übersehen. 
Allerdings  verlegt  er  später  in  seiner  „Notiz  zur  Entwicklungs« 
geschichte  der  Najaden"  die  Anlage  des  Muscheldarmes  an  den 
,, Vorderwulst"  oder  „Entodermwulst"»  jedoch   geht  er  ent« 


368  Carl  Rabl, 

schieden  fehl^  wenn  er  dieselbe  in  den  beiden, 
später  zu  erwähnenden  seitlichen  Graben  snclit. 
Immerhin  verdient  es  jedoch  anerkannt  zu  werden,  dass  er  die 
allgemeinen  Lagerungsverhältnisse  der  Organe  des  Maschelembrjro 
nicht  völlig  verkannte  and  nicht  in  den  von  Forel  begangenen 
Fehler  verfiel,   das  Vorderende  für  das  Hinterende  zu  halten.  — 

Die   nächste  Entwicklang   des  Embryo  ist  durch  die  Bil- 
dung der  Schale  und  der  Byssusdrüse  charakterisirt. 

Die  erste  Anlage  der  Schale  stellt  ein  äusserst  zartes,  homo- 
((eneS;  durchsichtiges  Häutchen  dar,  das  der  Rtlckenfläche  des  Embryo 
wie  ein  Sattel  aufliegt  und  sich   ohne  Unterbrechung  von 
der  einen  Seite  auf  die  andere  hin  fortsetzt  (Taf  XI, 
Fig.  34,  S).  Die  Zeit  ihres  ersten  Auftretens  fällt  unmittelbar  nach 
dem   Verschwinden   der   primären   Einstülpungsöffiaung  und   der 
damit   zusammenhängenden   Abflachung  der  Rückenfläche.     Bei 
Behandlung  mit  verdünnter  Essigsäure  hebt  sich  dieses  Häutchen 
von   seinem  Mutterboden  ab  und  legt  sich  dabei  in   zahlreiche 
Falten.    Kohlensaurer  Kalk  ist  in  ihm  noch  nicht  zur  Abscheidung 
gekommen.  Alsbald  beginnt  sich  aber  an  dieser  primitiven  Schalen- 
anlage dadurch  eine  Dififerenzirung  bemerkbar  zu  machen,  dass 
jederseits  eine  den  oberen  Theil  der  Seitenfläche  des  Körpers  ein- 
nehmende Schalenklappe  zum  Vorschein  kommt.     Diese  besitzt 
die  auf  Taf.  XI,  Fig.  36  angegebene  Form.    Daraus  ist  ersicht- 
lich,  dass  jede  Schalenhälfte  beim   Beginne  ihrer  Entwicklung 
nicht  ein  Dreieck  darstellt,  sondern  dass  vielmehr  der  vordere 
Rand  ganz  allmählich  und  continuirlich  in  den  hinteren  übergeht. 
Doch  ist  derselbe  schon  jetzt  dadurch  ganz  leicht  von  dem  hinteren 
Rande  zu  unterscheiden,  dass  er  einen  viel  schärferen  Bogen  be- 
schreibt, als  dieser.    Der  Schlossrand  ist  gerade  und  sieht  dem 
der  anderen  Seite  entgegen. 

Der  Uebergang  dieser  mehr  rundlichen  Schalenform  in  die 
ungleichseitig  dreieckige  kann  am  besten  aus  den  beigegebenen 
Figuren  ersehen  werden.  Schon  auf  Fig.  38,  noch  mehr  aber  auf 
Fig.  40  tritt  diese  dreieckige  Form  klar  zu  Tage.  Wie  Flem- 
ming  an  Anodonta  beobachtete  und  ich  an  Unio  bestätigt  ge* 
fanden  habe,  ist  „der  Rand  der  Schalen  von  der  Phase  an,  in 
welcher  diese  sich  zuspitzen^',  also  sobald  einmal  die  rundliche 
Schalenform  in  die  dreieckige  übergegangen  ist,  merklich  verdickt 
Am  deutlichsten  tritt  dies  an  den  Schalen  der  erwachsenen  und 
zum  Ausschlüpfen  reifen  Embryonen  hervor.  An  diesen  bemerkt 
man  überdies  auch  bereits  die  erste  Anlage  des  Schlosses 


Ueber  die  Entwicklangsgeschichte   der  MalermuBcheL  369 

(Taf.  Xlly  Fig.  44  n.  47).  Der  an  seinen  beiden  Enden  verdickte 
Schlossrand  zeigt  nämlich  am  £nde  seines  vorderen  Drittels,  da, 
wo  dieses  an  das  mittlere  stösst;  eine  nicht  unbeträchtliche  Ver* 
schmächtignngy  von  welcher  an  sich  derselbe  nach  vorne  und 
hinten  allmählich  verdickt;  um  in  die  beiden  aufgetriebenen  Enden 
überzugehen.  Bei  sehr  weit  geöffoeter  Schale^  wie  man  sie  jedoch 
meist  nur  bei  absterbenden  Embryonen  findet,  legen  sich  die 
einander  zugekehrten  Schlossränder  nicht  nach  ihrer  ganzen 
Länge  an  einander,  sondern  weichen  vorne  und  hinten  etwas  von 
einander  ab. 

An  den  Schalen  reifer  Embryonen  gewahrt  man  überdies 
noch  eine  andere,  höchst  eigenthtlmliche  Bildung,  welche  von 
keinem  der  früheren  Beobachter  übersehen  wurde  und  mit  Recht 
die  Aufmerksamkeit  und  Bewunderung  aller  in  Anspruch  nahm. 
Es  ist  dies  ein,  dem  unteren  Schalenrande  aufsitzender,  schnabel- 
förmiger Hacken,  der,  wie  zuerst  Fl emming  gezeigt  hat,  in  ganz 
ähnlicher  Weise,  wie  die  Schale  selbst  als  Cuticularbildnng 
anfgefasst  werden  muss  und  somit  ein  Prodpct  des  äusseren  Keim- 
blattes darstellt.  Er  besitzt  die  Form  eines  gleichschenkeligen 
Dreieckes,  dessen  Spitze  nach  abwärts  gerichtet  ist  und  dessen 
breite  Basis  sich  mit  dem  unteren  Schalenrande  verbindet  (Taf.  XII, 
Fig.  44  u.  45,  sh).  Die  beiden,  an  der  Spitze  zusammentreffenden 
Bänder  sind  geschweift,  mit  nach  abwärts  gerichteter  Concavität. 
Von  der  Seite  betrachtet,  besitzen  diese  Schalenhacken  oder 
„Schalenaufsätze^^  die  Gestalt  eines  Papageienschnabels,  dessen 
Bücken  mit  zahlreichen  grösseren  und  kleineren  Zacken  besetzt 
ist  (Taf.  XII,  Fig.  48).  Die  in  der  Medianlinie,  also  auf  der  Firste 
des  Schnabels,  sitzenden  Zacken  sind  die  stärksten  und  richten 
ihre  Spitze  mehr  oder  weniger  direct  nach  abwärts;  nach 
beiden  Seiten  hin  werden  sie  kleiner  und  kehren  ihre  Spitze  von 
der  Medianlinie  weg.  In  einiger  Entfernung  von  den  beiden 
Seitenrändem  des  Schnabels  hören  die  Zacken  gänzlich  auf.  Am 
dichtesten  stehen  sie,  wie  zuerst  Fl  emming  an  Anodonta  be* 
obaehtete,  in  der  Nähe  der  Schale.  Der  von  den  Schalenhacken 
beschriebene  Bogen  ist  schärfer  als  jener  der  Schalen  selbst 
(Taf.  Xn,  Fig.  48)  und  geht  daher  nicht  in  einer  Flucht  in  diesen 
über.  Von  einem  Gelenke,  welches  nach  Forel  die  Verbindung 
zwischen  Schale  und  Schalenhacken  vermitteln  soll,  habe  ich  eben 
BO  wenig  wie  Fl  emming  etwas  wahrnehmen  können. 

Eine  weitere  Eigenthttmlichkeit  der  Schalen  erwachsener 
Embryonen  bilden  die  zahlreichen,  äusserst  feinen  Poreneanäle, 


370  Carl  Rabl, 

von  denen  dieselben  durchsetzt  werden,  v.  Ihering  gibt  an^ 
daßs  diese  Porencanäle  Lttcken  seien ;  in  welche  die  schalen- 
bildenden Zellen  des  Ectoderms  knrze,  stumpfe  Fortsätze  hinein- 
schicken,  welche  an  der  Ausscheidung  der  Schale  selbst  keinen 
Antheil  nehmen  sollen.  —  Oanz  ähnliche  Porencanäle  kommen 
bekanntlich  auch  den  Embryonen  von  Cyclas  zu.  Man  kann  sieb 
übrigens  ganz  leicht  überzeugen,  dass  auch  die  Schalen  der  voll- 
ständig erwachsenen  Gyclas  von  zahlreichen,  sich  zum  Theil  dicho- 
tomisch  theüenden  Ganälen  durchsetzt  werden.  Bios  der  änsserste 
Rand  der  Schalen  ist  von  diesen  Ganälen  frei. 

Eben  so  wie  die  ersten  Bildungsstadien  der  Schale  wnrden 
auch  diejenigen  der  Byssusdrüse  von  allen  bisherigen  Be- 
obachtern; selbst  Flemming  und  v.  Ihering  nicht  ausge- 
nommen, vollständig  übersehen.  Nach  meinen  Beobachtungen 
entsteht  diese  Drüse  durch  eine,  zwischen  drei,  am  Hinterende 
des  Körpers  gelegenen  Zellen  auftretenden  Einstülpung  des  Ecto- 
derms (Taf.  XI,  Fig.  37  u.  42).  Ob  diese  drei  Zellen  die  Abkömm- 
linge der  früher  an  dieser  Stelle  gefundenen  drei  grossen  Zellen 
sind,  kann  ich  nicht  mit  Bestimmtheit  angeben.  Die  Einstülpung 
ist  sowohl  bei  der  Betrachtung  der  Embryonen  von  hinten,  als 
auch  bei  jener  von  der  Seite  deutlich  ersichtlich.  Ein  Byssos- 
faden  ist  noch  nicht  zur  Abscheidung  gekommen;  dieser  macht 
sich  vielmehr  erst  dann  bemerkbar,  wenn  die  Einstülpung  mit 
ihrem  blinden  Ende  bereits  bis  in  die  Nähe  des  vorderen  Schalen- 
randes reicht. 

Die  Drüse  selbst  zeigt  den  von  v.  Ihering  angegebenen 
Bau.  Sie  stellt  eine  lange,  dünnwandige  Röhre  dar,  welche  ans 
sehr  flachen  Zellen  zusammengesetzt  ist,  deren  rundliche  £[erne 
in  grossen  Entfernungen  von  einander  gelegen  sind.  Bei  den 
reifen  Embryonen  macht  die  Byssusdrüse  in  der  linken  Körper- 
hälfte des  Embryo  mehrere  (bis  drei)  Windungen,  welche  sich, 
wie  bereits  Forel  richtig  angegeben  hat,  um  den  Schliessmuskel 
herumrollen  (Taf.  XII,  Fig.  44).  Der  Byssusfaden  ist  völUg 
structurlos  und  färbt  sich  bei  Behandlung  mit  Carmin  blassroth. 
Ausserhalb  des  Körpers  ist  er  meist  schmächtiger,  als  in  der 
Drüse  selbst,  und  verflicht  sich  aufs  innigste  mit  den  Fäden 
benachbarter  Embryonen.  Seine  Länge  beträgt,  wie  v.  Ihering 
angibt,  nicht  selten  10—15  Mm« 

Einige  Zeit  nach  der  Büdnng  der  Byssusdrüse  and  der  Schale 
macht  sich  eine  nicht  unbeträchtliche  Abflachung  der  unteren 
Körperwand  bemerkbar.   Bald  darauf  beginnt  sich  in  der  Median- 


Üeber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermuschel.  371 

linie  der  Banchfläche  eine  anfangB  nur  seichte;  aber  allmählich 
tiefer  werdende  Einbachtang  zu  zeigen^  die  schliesslich  bis  an 
den  Schliessmuskel  hinaufrttckt  und  zur  Bildung  zweier  seitlicher, 
am    Rücken    mit    einander    zusammenhängender  Lappen   fährt. 
Diese    beiden   Lappen    sind    die   beiden   Mantelhälften   des 
Embryo.  —  Es  ist  das  Verdienst  Flemming^s,    auf  die  Art 
und  Weise  ihrer  Bildung  zuerst  aufmerksam  gemacht  zu  haben. 
Alle  früheren  Beobachter,  von  Carus  angefangen;  hatten  nämlich 
eine  ^^Dehiscenz  der  Mantel-  und  Schalenhälften'S  ^^eine  förmliche 
Spaltung  des  embryonalen  Leibes''  angenommen  und  dadurch  die 
Schwierigkeiten;  welche  einem  Verständnisse  der  Muschelentwick- 
lung entgegenstehen;  nur  durch  ihre  eigene  Schuld  vermehrt.    Ich 
war  ganz  unabhängig  von  Flemming,  —  noch  bevor  ich  dessen 
Arbeit  in  die  Hand  bekommen  hatte  — ,  zu  fast  ganz  denselben 
Resultaten;    wie   er,    gelangt   und   kann   daher  seine  Angaben 
nur   bestätigen.     Es    wird   demnach    überflüssig   sein,   auf  das 
Detail  der  geschilderten  Vorgänge  näher  einzugehen,  und  kann 
genügen;  in  dieser  Beziehung  auf  Flemming's  Arbeit  zu  ver- 
weisen.  Dagegen  muss  hervorgehoben  werden,  dass  die  Deutung; 
welche  dieser  Forscher  seinen  Beobachtungen  gegeben  hat,  ganz 
gewiss  falsch  ist  und  dass  er  dieselbe  später  selbst  wieder  zurück- 
gezogen hiEit 

Noch  bevor  die  Einstülpung  an  der  Bauchfläche  vollendet 
ist;  beginnen  sich  am  Mantebrande  jederseits  vier  Borsten- 
bündel bemerkbar  zu  machen,  welche  nicht  blos  durch  ihren 
eigenthümlichen  Bau,  sondern  namentlich  auch  dadurch,  dass  an 
den  erwachsenen  Muscheln  keine  Spur  mehr  von  ihnen  zu  finden 
ist,  unsere  vollste  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nehmen.  Von 
diesen  vier  Paar  Borstenbündeln  erscheint;  wie  auch  Flemming 
in  Beziehung  auf  Anodonta  angiebt,  zuerst  das  vorderste;  während 
die  übrigen  drei  erst  einige  Zeit  später  auftreten.  Ihre  gegen- 
seitige Lage  ist  eine  sehr  bestimmte  und  regelmässige;  wenn 
die  Schalen  geschlossen  sind  (Taf  XII,  Fig.  45),  bemerkt  man, 
dass  das  vorderste  Paar  von  den  übrigen  sehr  weit  absteht, 
während  das  zweite  und  dritte  Paar  einander  sehr  nahe  gerückt 
sind  und  das  letzte  wieder  in  einiger  Entfernung  dem  dritten 
nachfolgt.  Die  Angabe  F  o  r  e  Ts ,  dass  bei  Unio  nur  zwei  Paar 
Borstenbündel  vorkommen,  ist  entschieden  falsch.  Auch  seine 
Beschreibung  ihres  Baues  ist  vollkommen  unrichtig.  Forel  giebt 
nämlich  an,  dass  sie  aus  kleinen  Wucherungen  des  Körpers  be« 
stehen,  welche  eine  „kleine  Blase,  vereinigte  oder  getrennte  Haare 

Bd.  X,  N.  F.  ni,  3.  24 


372  Carl  Rabl, 

tragend;  enthalten/'  Dagegen  hat  Flemming  gezeigt;  dass 
die  einzelnen  Bündel  in  der  Guticnla  eigenthttmlich  geformter 
Zellen  stecken;  die  zwischen  den  übrigen  Epithelzellen  des  Man- 
telrandes eingefügt  sind  and  einen  Ban  besitzen,  der  demjenigen 
mancher  Nervenepithelzellen  nicht  unähnlich  ist.  Diese  Zellen 
(Taf.  XII,  Fi^.  oO)  haben  eine  mehr  oder  weniger  langgestreckte 
Form  und  laufen  an  dem  einen,  nach  innen  gerichteten  Ende  in 
einen  langen  Fortsatz  aus,  während  das  andere  eine  sehr  dicke 
Cuticula  trägt,  in  welcher  eben,  wie  gesagt;  die  Borstenbündel 
stecken.  Der  Kern  dieser  Zellen  ist  länglichrund  und  das  Proto- 
plasma zeigt  um  den  Kern  herum  eine  wechselnde  Menge  ver- 
schieden grosser  Körnchen,  lieber  diese  Zellen  und  allem  An- 
scheine nach  auch  über  ihre  nächste  Umgebung  zieht  ein  feines, 
structurloses ,  durchsichtiges  Häutchen,  das  sich  unmittelbar  über 
den  Zellen  selbst  zapfenartig  erhebt  und  an  der  Spitze  dieser  Er- 
hebung eine  grosse  runde  Oeffnung  besitzt,  durch  welche  die,  den 
Zellen  aufsitzenden  Borsten  hindurchtreten. 

Wie  ich  nun  an  Unio  gefunden  habe,  weichen  die  beiden 
Zellen,  welche  das  erste  Paar  Borstenbündel  tragen,  etwas  von 
den  übrigen  ab  (Taf.  XII,  Fig.  49).  Fürs  erste  sind  sie  länger 
als  diese;  sie  besitzen  nämlich  die  Länge  von  etwa  0,03  M.  bei 
einer  Breite  von  nur  0,0055  M.  Fürs  zweite  ist  ihre  Cuticula 
verhältnissmässig  weniger  dick,  als  die  der  anderen  borsten- 
tragenden Zellen.  Fürs  dritte  endlich  lässt  ihr  Protoplasma  eine 
deutliche  Längsstreifung  erkennen,  welche  in  der  Nähe  des 
Kernes  beginnt  und  bis  zur  Cuticula  hinzieht.  Diese  Streifung 
rührt  offenbar  von  der  reihenweisen  Anordnung  der  im  Pro- 
toplasma enthaltenen  Körnchen  her  und  ist  namentlich  des- 
halb von  Interesse,  weil  man  sie  auch  an  anderen  Nervenend-^ 
Zeilen  in  ganz  ähnlicher  Weise  vorgefunden  hat.  So  hat  bei- 
spielsweise Claus  erst  vor  Kurzem  die  Nervenendzellen  des  Ge- 
hörorgans der  Heteropoden  beschrieben,  welche  eine  ganz  ähn- 
liche Längsstreifung  erkennen  lassen  und  die  auch  in  mehreren 
anderen  Punkten  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  unseren  Borsten- 
zellen besitzen.  Es  schien  mir  in  einigen  Fällen,  als  ob  sich  die 
hellen  —  also  körnchenärmeren  —  Längsstreifen  direct  in  die 
von  der  Cuticula  entspringenden  Borsten  verfolgen  Hessen.  Der 
am  inneren  Zellenende  entspringende  Fortsatz  liess  sich  etwas 
weiter  verfolgen,  als  dies  an  den  anderen  borstentragenden  Zellen 
möglich  war.  Doch  wollte  es  mir  nie  gelingen;  seinen  ganzen 
Verlauf  festzustellen.  Der  Kern  der  Zellen  hat  einen  Durchmesser 


Ueber  die  Entwicklungsgeschichte  der  Malermuschel.  373 

von  0,005  Mm,,  liegt  in  der  Nähe  des  nach  innen  gerichteten 
Zellenendes  nnd  nimmt  fast  die  ganze  Breite  der  Zellen  ein.  Das 
über  die  Zellen  hinwegziehende  feine  Häntchen  bildet,  entspre- 
chend der  bedeutenderen  Länge  der  Zellen,  eine  höhere  zapfen- 
förmige  Erhebung,  verhält  sich  aber  im  Uebrigen  ganz  so,  wie 
dasjenige  der  anderen  Borstenzellen. 

Wir  haben  nun  noch  kurz  die  Schicksale  zu  besprechen, 
welche  der  Schliessmuskel  von  dem  Stadium  an,  auf  dem 
wir  ihn  verlassen  haben^  bis  zum  Ende  der  embryonalen  Entwick- 
lung durchzumachen  hat.  Wir  können  uns  dabei  hauptsächlich 
auf  die  Angaben  Flemming's  beziehen,  welche  die  genauesten, 
bisher  über  diesen  Gegenstand  veröffentlichten  sind.  Die  aben- 
teuerlichen Angaben  Margots  und  die  fast  durchweg  falschen 
Behauptungen  PoreTs  hat  bereits  v.  Ihering  in  gebührender 
Weise  gekennzeichnet. 

Wir  haben  gesehen,  dass  sich  der  Schliessmuskel  aus  läng- 
lichen Zellen  entwickelt,  welche  sich  quer  von  einer  Körperwand 
zur  anderen  ausstrecken  und  dabei  eine  mehr  oder  weniger  spin- 
delförmige Gestalt  annehmen.  Untersucht  man  den  Muskel  auf 
sehr  frühen  Stadien,  so  sieht  man,  dass  er  in  der  Mitte^  wo  die 
Zellkerne  liegen,  bedeutend  dicker  ist,  als  an  seinen  beiden  En- 
den (Taf.  XII,  Fig.  50).  Später  scheinen  sich  die  Muskelzellen 
durch  Theilung  zu  vermehren.  Dafür  spricht  nicht  blos  ihre  in 
späterer  Zeit  viel  bedeutendere  Zahl,  sondern  anch  der  Umstand, 
dass  Flemming  einmal  eine  Muskelzelle  mit  zwei  in  einiger 
Entfernung  von  einander  gelegenen  Kernen  fand.  Auf  späteren 
Stadien  —  gegen  das  Ende  der  embryonalen  Entwicklung  — 
gewahrt  man,  wie  ich  v.  Ihering  gegenüber  in  Uebereinstim- 
mnng  mit  Flemming  hervorheben  muss,  eine  deutliche  Fi- 
brillenstructur  der  Muskelfasern.  Man  bemerkt  dieselbe 
am  deutlichsten  an  den  Enden  der  Fasern,  an  welchen  dieselben 
in  ebenso  viele  Fortsätze,  als  Fibrillen  vorhanden  sind,  zerfallen. 
Dass  der  Kern  der  Muskelfaser,  wie  v.  Ihering  angiebt,  „oft 
bruchsackähnlich  der  Zelle  aufsitze^',  habe  ich  nie  zu  beobachten 
Gelegenheit  gehabt  —  Ebenso  wenig  wie  Flemming  konnte 
anch  ich  eine  Querstreifung  der  Muskelfasern,  wie  sie  bekanntlich 
bei  den  erwachsenen  Muscheln  vorkömmt,  beobachten. 

Die  Contractionen   des  Muskels  sind   schon   sehr  frühzeitig 

—  noch  lange  bevor  sich  an  den  Muskelfasern   eine  Fibrillen- 

struetur  bemeikbar  macht  —  ausserordentlich  heftig  und  folgen 

sehr  rasch  auf  einander.    Dabei  bemerkt  man  nicht  selten,  dass 

24* 


374  Carl  Rabl, 

sich  nicht  alle  Moskelfaseru  aaf  einmal  contrahiren,  sondern  dass 
einige  wenige  den  andern  vorausgehen  and  die  Zusammenziehang 
gewissermassen  von  einer  Zelle  auf  die  andere  überspringt.  Die 
rasch  und  häufig  auf  einander  folgenden  Gontractionen  ^wäreu 
offenbar  der  Grund;  weshalb  Garns  den  Schliessmuskel  für  das 
Herz  des  Muschelembryo  ansah.  — 

Endlich  haben  wir  noch  zwei;  am  Vorderende  des  Körpers 
symmetrisch   rechts     und    links    von    der  Mittellinie    geleg^ene^ 
grubenförmige  Vertiefungen  der  äusseren  Haut    zu 
erwähnen,  welche  gegen  das  Ende  der  embryonalen  Entwicklung 
auftreten  und  über  deren  Bedeutung  die  Ansichten  der  Forscher 
sehr  weit  auseinandergehen  (Taf. XII,  Fig.  44  u.  68,  sg.).  Garns 
der  ihrer  zuerst  erwähnte^  brachte  sie  mit  den  ;,Athemspalten  des 
Mantels'^  in  Zusammenhang;  darauf  trat  Quatrefages  mit  der 
Ansicht  hervor,   dass  man  es  hier  mit  zwei  seitlichen  Mägen  zu 
thun  habe;  von  denen  zwei  nach  hinten  verlaufende  Därme  ihren 
Ursprung  nehmen ;  näher  scheint  bereits  L  eu  c  k  a  r  t  der  richtigen 
Auffassung  gekommen  zu  sein,  indem  er  die  beiden  Gruben  mit 
dem  Nervensystem  in  Beziehung  brachte  und  sie  für  die  Anlagen 
der  „Gehörbläschen,   in  denen  der  Otolith  sich  noch  nicht  ent 
wickelt  habe^';  erklärte.   Forel;  der  sich  überhaupt  ganz  sonder- 
bare  Begriffe   über  die  Muschelentwicklung   gebildet  zu   haben 
scheint;  hielt  dieselben,  —  wie  Flemming  mit  Recht  bemerkt^ 
,,ohne  zureichenden  Grund''  für  ,;Athmungs-  oder  Ernährungsorgane'^. 

Die  richtigste  Auffassung  scheint  mir  diejenige  v.  Iheringfs 
zu  sein,   der  in  ihnen,    allerdings  ohne   auch  nur  einen 
einzigen  Grund  anzugeben,  die  Anlage  des  Nerven- 
systems vermuthete.  Für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  scheint 
namentlich  ihre  Lage  vor  dem  rudimentären  Muschel« 
darm  zu  sprechen.    Dieser  selbst,  welcher,  wie  mir  scheint,  der 
mittleren  Grube  ForeTs  entspricht;  liegt  zwischen  und  etwas  hinter 
den  beiden  seitlichen  Gruben  und  besitzt  bei  den  reifen  Embryonen 
zuweilen  eine  deutlich  zweilappige  Form  (Taf.  XII;  Fig.  60;  RD). 
Diese  dritte  mediane  Grube,  welche  also  den  eigentlichen;  aller- 
dings rudimentären  Verdauungscanal  der  Muschelembryonen  dar- 
stellt; wurde  von  Flemming  zwar  gesehen    (vgl.  namentlich 
seine  Fig.  11;  Taf.  III);  jedoch  irrthümlicher  Weise  mit  den  beiden 
seitlichen  Gruben  in  nähere  Beziehung  gebracht.    Daraus  erklärt 
es  sich  auch;  wie  Flemming  dazukam,  diese  beiden  Gruben 
mit  dem  „bilobed  gastrula-stomach^'   Ray  Lankester's  in  Be- 
ziehung zu  bringen. 


üeber  die  Entwicklongsgescbichte  der  Malermascbel.  375 

a 

Was  übrigens  diesen  ^^bilobed  gastrala-stomach''  betrifft;  so 
mnss  ich  gegen  diesen  Ausdruck  aus  verschiedenen  Gründen 
Einspruch  erheben.  Denn  fürs  erste  ist  das,  was  Bay-Lan- 
k  est  er  ^^bilobed  gastrula-stomach^^  nennt,  in  Wirklichkeit  nicht 
mehr  der  Hagen  der  Gastrula,  sondern  vielmehr  jener 
des  bereits  mit  einer  secundären  Mundöfinung  ausgestatteten 
Embryo.  Daher  passt  die  Bezeichnung  ^^Gastrulamagen^'  nicht 
mehr.  Ueberdies  ist  auch  der  Hagen  älterer  Embryonen  von 
Cyclas  (und  wohl  auch  von  Pisidium,  dessen  Entwicklung  mit 
derjenigen  von  Cyclas  ausserordentlich  ttbereinstimmt,)  niemals 
zweilappig  9  sondern  besteht  vielmehr  regelmässig  aus  drei  Ab- 
theilungen. Die  mittlere  davon  ist  die  eigentliche  MagenhöhlC; 
die  beiden  seitlichen  dagegen  sind  die  Anlagen  der  Leber, 
die  hier  in  ganz  analoger  Weise,  wie  bei  den  Wirbelthieren  und 
zahlreichen  Wirbellosen,  ursprünglich  in  Form  zweier,  symmetrisch 
rechts  und  links  dem  eigentlichen  Darmtractus  anhängender 
Säckchen  entsteht.  Dass  diese  Säckchen  wirklich  die  Anlagen 
der  Leber  darstellen,  geht  nicht  blos  aus  ihrer  späteren  Entwick- 
lung, sondern  auch  daraus  hervor,  dass  der  Inhalt  ihrer  Zellen 
eine  ausgesprochene  gelblichbraune  Farbe  besitzt,  während  die 
Zellen  der  eigentlichen  Magenhöhle  hell  und  stark  durchscheinend 
sind.  Auch  sind  die  letzteren  mit  langen,  lebhaft  beweglichen 
Flimmerhaaren  besetzt,  welche  den  Zellen  der  Leberanlagen  ganz* 
lieh  fehlen. 


Sobald  der  Muschelembryo  eine  so  hohe  Organisationsstufe 
erreicht  hat,  wie  sie  uns  auf  Taf.  XII,  Fig.  44  entgegentritt,  er- 
folgt das  Ausstossen  der  Keime.  Wie  Forel  angibt,  werden  die 
Embryonen  noch  von  der  EihüUe  umschlossen  geboren. 

Wie  sich  die  weitere  Entwicklung  gestaltet,  wie  die  einzelnen 
Organe  der  erwachsenen  Muschel  ans  den  einfachen  Anlagen  des 
Embryo  sich  hervorbilden,  —  darüber  herrscht  gegenwärtig  noch 
das  grOsste  Dunkel.  Die  einzige,  einigermassen  wichtige  Ver- 
änderung, welche  man  bisher  an  den  ausgeschltlpften  Embryonen 
wahrgenommen  hat,  besteht  in  der  allmähligen  Bttckbildung  der 
Byssusdrüse  (Forel).  lieber  alle  anderen  Veränderungen  wird 
man  sich  höchstens  Vermuthungen  erlauben  dürfen,  denen  bald 
ein  grösserer,  bald  ein  geringerer  Grad  von  Wahrscheinlichkeit 
zukommt.     So   wird   es  beispielsweise  nicht   allzu   gewagt  er« 


376  Carl  Rabl, 

scheinen;  anzunehmen,  dass  sich  der  ganze  eigentlich  verdaaende 
Abschnitt  des  Darmkanales  aus  dem  kleinen  rudimentären  Dann 
des   Embryo    entwickeln    werde;    auch   wird  es   gestattet   sein, 
anzunehmen;  dass  die  beiden  Schalenhacken  über  kurz  oder  lang 
wieder  abfallen  werden.    Wie  sich  aber  aer  Fuss,  das  Herz,   die 
KiereU;  die  Kiemen  und  alle  anderen  Organe  entwickeln,  darüber 
könnte  man  höchstens  einige  mehr  oder  weniger  unsichere  Schlüsse 
per   analogiam   ziehen,  ohne   aber  in  Wahrheit  damit   viel    ^- 
wonnen  zu  haben.    Selbst  über  die  Bildung  der  beiden  Schliess- 
muskel  und  über  ihr  Verhältnis^  zu  dem  einzigen  Schliessmaskel 
der  Embryonen  kann  man  sich  keine  sichere  Vorstellung  bilden. 
Wie  bereits  Leydig  bekannt  war,  gelangen  die  Embiyonen, 
sobald  sie  geboren  und  von  den  Mutterthieren  im  Schlamme  der 
Gewässer  abgesetzt  worden  sind,  auf  die  Haut  von  Fischen,   wo 
alsbald  an  der  Stelle,   wo  der  Embiyo  sitzt,   eine  „kleine  Ge- 
schwulst von  epithelialen  Zellen  entsteht,  welche  sich  nach  dessen 
Ansiedlung  auf  der  Epidermis  rasch  vermehren  und  den  schma- 
rotzenden Embryo   nach   und   nach  einschliessen^'  (Forel).     lo 
diesem  Zustande  trifit  man  sie,  wie  Forel  angibt,  an  den  Brost- 
und  Schwanzflossen,  dem  Kiemendeckel,  den  Bartfäden  und  Lippen 
verschiedener  Fische.    Wie  lange  ihr  Aufenthalt  hier  dauert,  ist 
nicht  bestimmt;  Forel  glaubt,  dass  sie  nach  „längstens  3 — i 
Monaten"  wieder  ihre  Wirthe  verlassen.  ~ 


Wir  wollen  nun  noch  kurz  und  im  Zusammenhang  unsere 
im  Vorausgehenden  mitgetheilten  BeobachtuDgen,  insoweit  dieselben 
die  Eeimblätterfrage  berühren,  mit  den  betreffenden  Angaben 
F 1  e  m  m  i  n  g  's  vergleichen  und  untersuchen,  .  ob  und  in  wie  weit 
zwischen  beiden  eine  Uebereinstimmung  zu  finden  ist.  Es  er- 
scheint dies  um  so  mehr  als  nothwendig,  als  sich  Flemming, 
wie  wir  bereits  angeführt  haben,  erst  vor  Kurzem  bemtissigt  ge- 
fühlt hat,  in  einer  kurzen  Notiz  den  Gegenstand  noch  einmal  zar 
Sprache  zu  bringen  und  seine  Beobachtungen  mit  denjenigen 
anderer  Forscher  zu  vergleichen,  „damit  nicht  vielleicht  von 
Anderen  auf  den  ersten  Blick  Widersprüche  gesehen  werden,  wo 
in  der  That  Uebereinstimmung  zu  finden  ist'^ 

Dabei  müssen  wir  mit  dem  auf  Taf.  X,  Fig.  16  abgebildeten 
Stadium,  welches  von  Haeckel  in  seiner  „EifurchuDg  und  Gas* 


lieber  die  Entwicklungsgesohichte  der  Malermnschel.  377 

tmlabildnng  der  Thiere^'  Taf.  II,  Fig.  26  wiedergegeben  ist  und 
gegen  dessen  Deutung  sich  Flemming  zuerst  wendet,  den  An- 
fang machen.  Flemming  sagt  darüber:  ^,Wenn  Haeckel 
sogar  schon  für  jenes  von  mir  beschriebene  Stadium^  in  welchem 
erst  eine  grosse,  dunkle  und  eine  grössere  Anzahl  kleiner,  heller 
Zellen  vorhanden  ist  (meine  Fig.  14,  Taf.  II},  die  erstere  allein 
bIb  Entoderm  auffasst,  so  geschieht  dies  mit  Unrecht,  wie  es 
schon  eine  etwas  genauere  Durchsicht  meiner  Angaben  hätte 
lehren  können:  es  ist  in  ihnen  gezeigt,  dass  die  grosse  Zelle  auch 
noch  von  diesem  Stadium  an  dauernd  fortfährt,  durch  ihre  Theil- 
producte  die  Wand  des  hellzelligen  Untertheils  (also  das  Ecto- 
denn)  zu  vergrössem,  dass  also  von  einem  alleinigen  Entoderm- 
eharakter  der  grossen  Zelle  ebenso  wenig  die  Bede  sein  kann, 
wie  von  einem  alleinigen  Ectodermcharakter  der  zweiten  Thei- 
lungszelle  (Fig.  5,  Taf.  II,  p.  87)".  —  An  diesem  Satze  fällt  uns 
fürs  erste  auf,  dass  Flemming  von  einem  Entoderm  spricht, 
obwohl  er  in  Wirklichkeit,  wie  aus  unseren  Auseinandersetzungen 
hervorgeht,  keines  gefunden  hat.  Wenn  er  daher  auf  Grund 
seiner  Beobachtungen  gegen  unsere  Darstellung  jenes  Entwick- 
lungsstadiums auftritt,  so  lässt  er  sich  offenbar  eine  contradictio 
in  se  zu  Schulden  kommen.  —  Fttrs  zweite  entspricht  das  von 
ihm  angeftlhrte  Stadium  (seine  Fig.  14,  Taf.  II)  nicht  vollkommen 
dem  von  Haeckel  abgebildeten,  sondern  stellt  vielmehr  eine 
etwas  frühere  Stufe  dar.  Es  hätte  ihn  das  schon  „eine  etwas 
genauere  Durchsicht'^  seiner  eigenen  Angaben  lehren  können. 
Denn  das  von  Haeckel  abgebildete  Stadium,  das,  wie  auf  den 
ersten  Blick  hervorgeht,  dem  auf  derselben  Tafel  Fig.  27  abge- 
bildeten unmittelbar  vorhergeht,  entspricht  ganz  genau  jenem 
Sti^dium,  das  Flemming  selbst  als  „das  der  definitiven  Theilung 
des  Obertheils^'  bezeichnet  hat  —  Fttrs  dritte  endlich  muss 
hervorgehoben  werden,  dass  die  kleinere  der  beiden,  aus  der 
Zweitheilung  des  Keimes  hervorgegangenen  Zellen,  der  Flem- 
ming den  „alleinigen  Ectodermcharakter^'  streitig  macht,  den- 
noch in  Wirklichkeit  blos  Zellen  des  äusseren  Keim- 
blattes aus  sich  hervorgehen  lässt  Wenn  Flemming  dies 
bestreitet,  so  muss  dies  um  so  sonderbarer  erscheinen,  als  ihm 
sowohl  die  Bildung  des  mittleren,  als  jene  des  inneren  Keim- 
blattes vollständig  entgangen  ist,  und  als  somit  eigentlich  nur 
das  äussere  Keimblatt  übrig  bleibt,  zu  dessen  Bildung  nach 
Flemming's  Beobachtungen  die  kleinere  der  beiden  Zellen 
beitragen  könnte. 


378  Carl  Babl, 

Was    ferner    dasjenige  Stadium    betrifft ,   welches    wir     als 
Blastosphaera  bezeichnet  haben;  so  beschreibt  F 1  e m  m  i  n g 
dessen  Bildung  folgendermassen :    ^^Die  zahlreichen,  hier  soyvahl 
(d.  i.  an  der  vorderen  ZellenspangC;  die  ungefähr  dem  späteren 
Vorderwulst  entspricht)  wie  unten  und  hinten  jetzt  ausgebildeten 
Zellen  finden  nun  nicht  mehr  Platz  als  Glieder  der  einschichtig'en 
Blasenwand,  sonaern  drängen  sich  in's  Innere  der  Höhle,  so  dass 
die  Blase  in  diesem  Stadium  mehrschichtig  wird;  am  dicksten 
—  bis  vier  Zellen  —  ist  ihre  Wand   im  Bereich    des 
oberen  Theiles  der  Vorderspange"  etc.   Von  den  dreierlei 
Formbestandtheilen  der  Blastosphaera  weiss  also  Flemmmin^ 
gar  nichts. 

Er  sagt  nun  weiter:  ,;Nun  sollte  man,  nachdem  das  Material 
zu  einer  Blätteranlage  gegeben  ist,  erwarten,  dass  Keimblatt- 
schichten  sich  gesondert  darstellen  würden.  Die  Sache  ge- 
staltet sich  aber  durchaus  anders".  Zu  dieser  Aeusserang 
scheint  mir  seine  spätere  Auffassung  (p.  86),  nach  welcher  trotz 
des  Umstandcs,  dass  die  Zellen  ^^nicht  in  abgegrenzten  Blätter* 
schichten  geordnet  liegen",  dennoch  „dieses  Stadium  als  das  der 
Keimblätterbildung,  soweit  der  Ausdruck  hier  überhaupt  passt", 
betrachtet  werden  müsse,  wenig  oder  gar  nicht  zu  stimmen. 

Das  Stadium  der  Einstülpung,  das  wir  auf  Taf.  XI, 
Fig.  28  abgebildet  haben  und  das  Haeckel  als  Amphigastmla 
beschrieben  hat,  schildert  Flemming  folgendermassen:  Der 
Embryo  erhält  nun  eine  „ausgeprägte  Profilform  (!) ;  der  Rücken 
streckt  sich  von  vom  nach  hinten  fast  gerade  und  der  helle  Unter- 
theil  erscheint  nach  abwärts  stumpf-zipfelartig  hervorgebaucht^'. 
,>Demnächst  bildet  sich  quer  über  den  Bücken  eine 
seichte  Rinne,  die  ihn  in  zwei  bucklig  hervorragende  Theile 
scheidet"  (p.  55).  Diese  „seichte  Rinne"  verschwindet  aber,  wie 
wir  bereits  früher  angeführt  haben,  alsbald  wieder  und  der  Rücken 
streckt  sich  wieder  gerade  etc.  —  Die  Abbildung,  auf  der  ans 
Flemming  dieses  EinstUlpungsstadium  vor  Augen  führt,  zeigt 
an  Stelle  des  inneren  und  mittleren  Keimblattes  einen  grossen 
schwarzen  Fleck.  — 

Ich  kann  mit  dem  besten  Willen  zwischen  diesen 
Beobachtungen  Flemming's  und  meinen  eigenen 
keinerlei  Uebereinstimmung  herausfinden. 

Mit  jener  Beschreibung  des  Einstülpungsstadiums  stimmt  nun 
das,  was  Flemming  neuerlich  in  seiner  „Notiz  zur  Entwick- 
lungsgeschichte der  Najaden''  sagt,  jedenfalls  sehr  schiecht. 


üeber  die  Entwicklangsgesebicbte  der  MalermoBclieL  379 

Hier  gibt   er  nämlich  za^  dass  jenes,   yon  Haeckel  gegebene 

Darchschnittsbild  ganz  wohl  seine  Bichtigkeit  haben  kOnne  (p.  360) 

und  dass  anch  Haeckel's  Angabe,  das  eingestülpte  Entoderm 

bestehe  ans  hohen  Cylinderzellen,  ganz  wohl  möglich  sei.    Wie 

er  nämlich  an  zerdrückten  Embryonen  oft  gefunden  habe,   ,,er- 

schienen  die  Zellen,  welche  ihrer  Lage   nach   den  Winden   der 

Einsattlung,  entsprachen,   langgestreckt'^    Er  habe  jedoch  „ver- 

säamt,  diesen  Umstand  zu  erwähnen^',  weil  er  ihn  damals  in  eine 

bestimmte  Beziehung  nicht  zu  bringen  wusste  (p.  357).  —  Also 

frtlher  war  der  Embryo  „im  Bereich  des  oberen  Theiles  der 

Yorderspange  vier  Zellen  dick''  und  hatte   eine  „seichte 

Rinne"  am  Bücken,  jetzt  dagegen  wäre  es  ganz  wohl  möglich, 

dass   eine  Einsattlung   eines  einschichtigen  Cylinderzellen-Feldes 

stattfände!!  — 

Da  nun  aber  Flemming  gegen  die  Bichtigkeit  des  von 
Haeckel  mitgetheilten  Einstülpungsstadiums  keine  Gründe  anzu- 
fahren vermag,  —  da  er  vielmehr  die  Möglichkeit  desselben  ganz 
wohl  zugeben  m  u  s  s ,  so  wendet  er  sich  gegen  die  Deutung  des 
beobachteten  Entwicklungsvorganges.  Er  meint,  dass  man  „mehr 
Grund''  zu  der  Annahme  habe,  die  eingestülpte  Zellenmasse  sei 
eine Homologon  der  von Bay  Lankester  sogenannten  „Schalen- 
drttse"  (shell-gland),  als  zu  glauben,  dass  man  es  hier  mit  einem 
wirklichen  Entoderm  zu  thun  habe.  Freilich,  —  für  einen  For- 
scher» dem  es  nicht  schwer  fällt,  die  Gastrula  noch  lange  nach 
der  Bildung  der  Schale^  ja  selbst  noch  zur  2Seit  der  Bildung  des 
Mantels  zu  suchen,  könnte  es  doch  gar  nicht  bedenklich  erscheinen, 
wenn  eine  sogenannte  Schalendrüse  noch  vor  dem  Entoderm 
entstände!  Wie  sonderbar  ist  es  doch  zum  Beispiel,  dass  die 
Furchung  nicht  erst  anfängt,  nachdem  bereits  die  Byssusdrüse 
gebildet  ist!  Hat  doch  erst  kürzlich  Salensky  gefunden,  dass 
bei  Amphilina  die  Embryonalhülle  früher  als  der  Embryo  auftrete 
und  dass  die  ersten  Organe  lange  einzellige  Drüsen  seien!  Wird 
es  uns  da  noch  wundem  können,  wenn  künftig  einmal  ein  For- 
scher mit  der  „Beobachtung"  hervortritt,  dass  sich  bei  manchen 
Säugethieren  zuerst  die  Placenta,  dann  erst  der  Embryo,  oder 
bei  manchen  Vögeln  zuerst  der  Schnabel,  dann  erst  der  Kopf 
entwickle?  — 


380  .   Carl  Rabl, 

Bevor  wir  nun  auf  eine  Betrachtang  des  Baues  der  fertigen 
Embryonen  übergehen^  wollen  wir  in  Kürze  einige  der  wichtig-eren 
Vorgänge  besprechen,  welche  sich  nach  der  Bildung  der  K^eim- 
blätter  am  Embryo  vollziehen. 

Eine   der  merkwürdigsten    und   am    schwierigsten  za    ver- 
stehenden  Erscheinungen   ist  unstreitig    das   Verschwinden 
der  primären    und    das    Auftreten    der  secundäreo 
Mundöffnung.    Diese  Erscheinung  ist  namentlich  deshalb  von 
so  hohem  Interesse,  «weil  sie  sich  bei  den  Embryonen  der  ver- 
schiedensten Thiere  und  unter  den  verschiedensten  äusseren  Ver- 
hältnissen wiederfindet.    Schon   diese  Allgemeinheit    ihrer    Ver- 
breitung und  die  Verschiedenheit   der  Entwicklungsverhältnisse, 
unter  denen   die  betrefienden  Embryonen  leben,  lassen  uns  er 
kennen,  dass  wir  es  hier  nicht  etwa  mit  cenogenetischen,  durch 
Anpassungen  an  die  jeweiligen  Entwicklungsverhältnisse  bervor- 
gerufenen  Vorgängen  zu   thun  haben,  sondern   dass  vielmehr  in 
der  That  palingenetische,  durch  gemeinsame  Verer- 
bung bedingte  Verhältnisse  vorliegen.    Die  richtige  Deu- 
tung dieser  eigenthümlichen  Vorgänge,  das  phylogenetische  Ver- 
ständniss  derselben,  wird  aber  durch  zahlreiche  Hindernisse  in 
hohem  Grade  erschwert.  Die  Angaben  der  verschiedenen  Beobachter 
widerRprechen  sich  nämlich  in  diesem  Punkte  geradezu  in  schau- 
derhafter Weise.    Es  mag  das  einigermassen  in  der  Schwierigkeit 
der  Beobachtungen  seinen  Grund  haben;   doch  ist  es  als  sicher 
anzunehmen,  dass  in  Wirklichkeit  die  Widersprüche  lange  nicht 
so  gross  und  durchgreifend  sind,   als  es  nach  den  Angaben  der 
Mehrzahl   der  Forscher  zu   sein  scheint.    Es  wird   daher  auch 
hier  von  Vortheil  sein,  bei  entwicklungsgeschichtlichen  Beobach- 
tungen von  allgemeinen  Gesichtspunkten  auszugehen,  sich  stets 
alle  Möglichkeiten   vor  Augen  zu  halten  und  beständig  die  be- 
züglichen Beobachtungen  Anderer  im  Gedächtnisse  zu  behalten. 

Vorläufig  möge  es  gestattet  sein,  gestützt  auf  einige  der 
sicherern  Beobachtungen  (Ascidien,  Sagitta,  Holothuria,  Limnaeus, 
Unio  etc.),  eine  Erklärung  der  angeführten  Entwicklungsvorgänge 
zu  geben.  Sie  soll  einerseits  dazu  dienen,  die  Aufmerksamkeit 
der  Forscher  auf  diesen  wichtigen  Gegenstand  zu  lenken,  anderer- 
seits aber  auch  dazu,  den  Beweis  zu  liefern,  dass  man  nicht  völlig 
jede  Hofinung  auf  ein  Verständniss  desselben  aufgeben  müsse. 

Wenn  das  biogenetische  Grundgesetz  richtig  ist,  —  und  es  liegt 
kein  Grund  vor,  daran  zu  zweifeln  — ,  so  war  die  primäre  Mund- 
öffnung der  Bilaterien-Vorfahren  wahrscheinlich  nach  oben  zu,  d.  h. 


Ueber  die  Entwicklangsgeschiclite  der  Malermiuchel.  381 

gegen  die  spätere  Rückenfläche  hin  gelegen.  Diese  Lage  des 
primären  Mundes  stimmt  auch  YoUkommen  zu  der  Vorstellung; 
welche  wir  uns  yon  der  Entwicklung  der  ersten  Bilaterien  aus 
der  Gastraea  gebildet  haben.  Nun  lehrt  uns  aber  nicht  blos  die 
Organisation  der  niedrigsten  Würmer  ^  die  offenbar  jenen  ersten 
Bilaterien  am  nächsten  stehen,  sondern  auch  diejenige  aller 
übrigen  Bilaterien  auf  das  deutlichste^  dass  eine,  auf  der 
Bauchfläche  gelegene  Mundöffnung  bei  der  diesen 
Thieren  eigenthümlichen  Bewegung  nach  einer  bestimmten  Rich- 
tung, und  um  so  mehr  natürlich  bei  der,  den  Würmern  und  jenen 
Bilaterien-Vorfahren  eigenthümlichen  Eriechbewegungeinen 
viel  grösseren  Vortheil  gewährt,  als  eine  an  der 
Dorsalfläche  gelegene  Mundöffnung.  Bei  allen  diesen 
Thieren,  mit  einziger  Ausnahme  einiger  Parasiten,  bei  denen  ent- 
weder, wie  bei  Ascaris,  Oxyuris  etc.  die  Mundöffhung  an  der 
Spitze  des  vorderen  Eörperendes  gelegen  ist,  oder  bei  denen 
überhaupt  jedweder  Verdanungskanal  fehlt,  liegt  ^ nämlich  die 
Mundöffnung  an  der  dem  Boden  zugekehrten,  d.  h.  ventralen 
Fläche  des  Körpers.  Es  wird  daher  nicht  sehr  gewagt  sein,  an- 
zunehmen, dass  sich  auch  bei  unseren  Bilaterien-Vorfahren  an  der 
ventralen  Fläche,  und  zwar  an  dem,  der  primären  Mund- 
Öffnung  entgegengesetzten  Eörperende,  eine  zweite 
Oeffnung  entwickelte,  welche  für  die  Nahrungsaufnahme  offenbar 
viel  günstiger  gelegen  war,  als  jene  dorsal  gelegene  Eörper- 
öffnung.  Ob  sich  aber  der  primäre  Mund  ganz  schloss,  oder  zum 
After  wurde,  das  lässt  sich  nach  den  bisherigen  Beobachtungen 
nicht  mit  Sichorheit  bestimmen.  Die  an  Unio  vorgefundenen 
Verhältnisse  können  uns  deshalb  nicht  zum  Ausgangspunkte 
dienen,  weil  die  Embryonen  keinen  vollkommen  entwickelten, 
sondern  vielmehr  einen  verkümmerten,  rudimentären  Darmkanal 
besitzen. 

Eine  andere  interessante  Erscheinung  ist  das  ausserordentlich 
frühzeitige  Auftreten  der  Schale.  Schon  die  Thatsachc, 
dass  die  Schale  ursprünglich  nicht  in  Form  zweier  von  einander 
getrennter  Hälften,  sondern  vielmehr  als  zusammenhängendes 
Iläutchen  erscheint,  und  dass  ihre  Bildung  ganz  unaj)hängig  von 
der  Entwicklung  des  Mantels  erfolgt,  besitzt  unstreitig  eine 
grosse,  phylogenetische  Bedeutung.  Ihr  frühzeitiges  Auftreten 
steht  überdies  im  vollsten  Einklänge  mit  dem  bereits  oben  ange- 
führten Müller'schen  Satze,  „dass  die  flntwicklung  einen 
immer  geraderen  Weg  vom  Ei  zum  fertigen  Thiere  einschlägt'^ 


382  Carl  Rabl, 

1 

t  

Ueberhaapt  ist  es  eine  Thatsache  von  hohem  allgemeinen  Interesse, 
dass  ein  Organ  während  der    individuellen  Entivi  ck- 
lung  um  so  früherauftritt,je  grösser  seine  Bedeutung 
für  die  erwachsenen  Thiere  ist.    Schon  in  einer  früheren 
Abhandlung  wurde  hervorgehoben,  wie  ausserordentlich  frülizeitig 
die  für  die  Gastropoden  so  charakteristische  Radula  während 
der  individuellen  Entwicklung  dieser  Thiere  erscheint.    Auch  das 
frühzeitige  Auftreten  der  medianen,   ursprünglich  phylogenetisch 
getrennten  Mesodermplatte  der  Wirbelthiere,  die,  wie  wir  gesehen 
haben,  dem  „Axenstrange^^  His'  ungefähr  gleichkommt,    lässt 
sich  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  vollkommen  begreifen.     Das- 
selbe  gilt   nun   auch    von    der    für    die   Lamellibranchiaten    so 
charakteristischen  Schale;  denn  diese  kommt  bekanntlich  allen, 
dieser  Thierklasse  zugehörigen  Arten,   selbst  den   in  ihrer   ge- 
sammten  übrigen  Erscheinung  so  ausserordentlich  von  ihren  Stam- 
mesgenossen abweichenden  Pfahlmuscheln,  in  derselben  charak- 
teristischen Lagerung  und  Anordnung  zu. 

Dieses  frühzeitige  Auftreten  charakteristischer 
Organe  wurde  schon  von  B a er  ganz  richtig  erkannt,  indem  er 
es  als  ein  allgemeines  „Gesetz  der  individuellen  Entwicklung^ 
hinstellte,  „dass  das  Gemeinsame  einer  grösseren 
Thiergruppe  sich  früher  im  Embryo  bildet,  als  das 
Besondere '^  Auch  Bathke  hat  dieses  „Gesetz''  in  seiner 
grossen  Bedeutung  für  die  vergleichende  Entwicklungsgeschichte 
der  Thiere  klar  erkannt  und  desselben  mehrmals  Erwähnung 
gethan.  — 

Wenden  wir  uns  nun  zu  einer  Betrat^htung  der  erwach- 
senen und  zum  Ausschlüpfen  reifen  Embryonen! 
Dabei  müssen  wir  der  Reihe  nach  folgende  Punkte  genauer  in's 
Auge  fassen: 

1.  Die  geringe  Entwicklung  des  Darmes;  2.  Die 
Schalenhacken  oder  „Schalenanfsätze^';  3.  Die 
Byssusdrüse;  4.  Die  Schalen;  5.  Den  Mangel  des 
Fusses;  6.  Die  Borstenzellen  am  Mantelrande.  —  Bei 
der  Betrachtung  dieser  sechs  Punkte  müssen  wir  uns  vor  Allem 
vergegenwärtigen,  dass  die  Embryonen,  mit  denen  wir  es  zu  thnn 
haben,  eine  parasitische  Lebensweise  führen  und  dass 
wir  daher  an  ihnen  Charaktere  zu  finden  erwarten  dürfen,  welche 
lediglich  durch  Anpassung  an  diese  ihre  Lebensweise  erworben 
worden  sein  können.  Auf  der  anderen  Seite  müssen  wir  aber 
auch  im  Auge  behalten,   dass  überall  da,,  wo  wir  es  mit  einer 


Üeber  die  Eatwicklangsgesohiclite  der  MalermascheL  383 

Elntwicklang  mittelst  Metamorphose  (metamorpher  Hypogenese 
Hkl.)  zu  thnn  haben,  die  Embryonen  nnverhältnissmässig  lange 
SLuf  einem  nnd  demselben  Entwicklungsstadinm  verharren  und 
dass  in  Folge  dessen  dieses  Stadium,  welches  bei  einer  Entwick- 
lung ohne  Metamorphose  (epimorpher  Hypogenese  Hkl.)  ebenso 
rasch,  wie  alle  übrigen  verlaufen  würde,  sehr  beträchtlich  in  die 
Länge  gezogen'  wird.  Selbstverständlich  wiederholen  aber*  die 
Embryonen  auf  diesen,  in  die  Länge  gezogenen  Entwicklungs- 
stadien ganz  in  derselben  Weise,  wie  auf  allen  jenen,  die  noch 
innerhalb  der  Eihttlle  durchlaufen  werden,  Entwicklungsstufen, 
welche  die  Vorfahren  der  betreffenden  Thiere  in  früherer  Zeit 
durchlaufen  haben.  Mit  anderen  Worten:  Bei  derEntwick- 
lung  mit  Metamorphose  werden  einzelne  phylogene- 
tische Entwicklungsstufen  ausführlicher  wieder- 
holt, als  bei  solcher  ohne  Metamorphose.  Beispiele 
dafür  liefern  die  Insekten,  Myriapoden,  Crustaceen,  Brachiopoden, 
Ascidien,  Amphibien  etc.  in  Hülle  und  Fülle.  Solche  „active  Em- 
bryonen'^,  wie  sich  Darwin  ausdrückt,  haben  wir  nun  auch  in 
den  Embryonen  von  Unio  vor  uns.  Wir  dürfen  daher  erwarten, 
an  ihnen  nicht  blos  solche  Charaktere  zu  finden,  welche  sich 
durch  Anpassung  an  die  parasitische  Lebensweise  erklären  lassen, 
sondern  auch  solche,  die  lediglich  durch  eine  Zurückfllhrung  auf 
phylogenetische  Entwicklungsvorgänge  verstanden  werden  können. 
1.  Was  nun  zunächst  die  geringe  Entwicklung  des 
Darmkanales  der  Muschelembryonen  betrifft,  so  müssen 
wir  hierin  unbedingt  einen  durch  Anpassung  an  die  para- 
sitische Lebensweise  hervorgerufenen  Charakter  erblicken. 
Denn  einerseits  lehrt  uns  die  Thatsache,  dass  ursprünglich  das 
Entoderm  in  ganz  gewöhnlicher  Mächtigkeit  angelegt  wird,  auf 
das  entschiedenste,  dass  auch  bei  den  Vorfahren  der  Muscheln 
ursprünglich  ein  ganz  wohlentwickelter  Darm  vorhanden  war. 
Andererseits  kennen  wir  aber  nicht  wenige  Parasiten,  denen  jed- 
wede Spur  eines  Verdauungskanales  gänzlich  fehlt  Es  genügt, 
in  dieser  Hinsicht  an  die  Tänien  und  Echinorhynchen ,  an  die 
Wurzelkrebse  und  complimentären  Männchen  der  Cirripedien  zu 
erinnern.  Bei  allen  diesen  war  in  früherer  Zeit  ohne  allen  Zweifel 
ein  wohlentwickelter  Darm  vorhanden,  der  sich  aber  allmählich 
im  Anschlüsse  an  die  parasitische  Lebensweise  rückbildete,  wäh- 
rend gleichzeitig  ein  anderes  Organ,  die  äussere  Haut,  die  Auf- 
nahme der  flüssigen  Nahrung  übernahm.  In  gleicher  Weise 
scheint  sich  auch  bei  den  Embryonen  von  Unio  und  Anodonta, 


384  Carl  Rabl, 

welche  gleichsam  in  einer  Cyste  eingeschlossen  auf  der  äusseren 
Haut   von  Fischen  parasitiren,  der  ursprünglich  in  gewöhnlicher 
Weise  entwickelte  Darm  allmählich  rückgebildet  zu  haben  nad   in 
Folge  von  Nichtgebrauch  atrophisch  geworden  zu  sein,   während 
gleichzeitig  die  äussere  Haut  den  gesammten  Stoffwechsel  und  die 
Ernährung  besorgte. 

,   2.  In  gleicher  Weise  scheint  auch  die  Anwesenheit  der  eigen- 
thümlichen  Schalenhacken  oder  ^^Schalenaufsätze'^,  ttber 
deren  Bedeutung  sich  keiner  der  bisherigen  Beobachter  Rechen- 
schaft zu  geben  vermochte,  ganz  einfach  und  natürlich  durch  die 
Annahme  einer  Anpassung  an  die  parasitische  Lebens- 
weise erklärt  werden  zu  können.    Denn  bekanntlich  führen  die 
Embryonen    mittelst    ihres   Schliessmuskels    sehr    kräftige     und 
vehemente  Bewegungen  aus,  wodurch  die  Schalen  mit  grosser 
Gewalt  zusammengeklappt  werden.    Sobald  nun  ein  Fisch  in  dem 
Schlamme  der  Gewässer,  wo  die  Muschelembryonen  zu  Tausenden 
mit  halbgeöffneter  Schale  nebeneinander  liegen,  wühlt,   werden 
sofort  zahlreiche  Embryonen,  dadurch  gereizt,  mit  grosser  Gewalt 
ihre  Schalen  zusammenklappen,  wobei  es  wohl  dem  einen  oder 
dem  andern  derselben  gelingen  kann,  sich  mit  seinen  Schalen- 
hacken in  die  Haut  des  Fisches  einzuhacken  und  dadurch  auf 
seinen  künftigen  Wirth  zu  gelangen.    Mit  dieser  Annahme  scheint 
mir   auch  der  Umstand   zu  stimmen,   dass  nach   den  Angaben 
Forel's  allem  Anscheine  nach  die  Embryonen  hauptsächlich  am 
vorderen  Eörpertheil,  an  den  Lippen  und  BartfUden,  dem  Eiemen- 
deckel  und  den  Brustflossen  vorkommen;  wenn   sie  ausserdem 
auch  an  der  Schwanzflosse  und  vielleicht  auch  am  Rücken  und  an 
den   anderen    Körpertheilen   gefunden  werden,    so   widerspricht 
dies  keineswegs  unserer  Annahme,  da  ja  mit  dem  aufgewühlten 
Schlamme  jedenfalls  auch  zahlreiche  Embryonen  emporgewirbelt 
werden,  die  sich,  sobald  sie  zu  Boden  sinken,  in  die  Haut  ihrer 
Ruhestörer  einzuhacken  vermögen. 

Nur  bei  dieser  Annahme  scheint  es  mir  verständlich  zu  sein, 
wie  die  sonst  so  trägen  und  unbehülflichen  Embryonen  auf  die 
Haut  ihrer  Wirthe  gelangen. 

3.  Etwas  schwieriger  ist  schon  das  Vorhandensein  einer  so 
gewaltigen  Byssusdrüse  zu  erklären,  die  es  zur  Abschfeidung 
eines  Fadens  bringt,  dessen  Länge  um  mehr  als  das  Fünfzigfache 
die  Länge  der  Embryonen  übertrifft.  Jedenfalls  ist  der  Umstand, 
dass  bei  den  Embryonen  von  Unio  und  Anodonta,  geradeso  wie 
bei  Cyclas,  nur  während  des  embryonalen  Lebens  eine  Byssus- 


üeber  die  Entwicklangsgeschiclite  der  Malermaschel,  385 

drüse  vorkommt;  während  die  meisten  Muscheln  eine  solche  wäh- 
rend der  ganzen  Zeit  ihres  Lebens  besitzen,  von  hohem  Interesse, 
und  ich  stehe  nicht  an,  die  Byssusdrttse  der  Najaden-Embryonen 
f  ttr  ein  Homologon  des  gleichnamigen  Organes  der  übrigen  Muscheln 
anzusehen.  Dagegen  glaube  ich;  dass  dieselbe  ursprünglich  in  viel 
geringerer  Mächtigkeit  entwickelt  war  —  etwa  in  ähnlicher  Weise 
^wie   bei  Gyclas   —   und   dass   sie  erst  langsam  und  allmählich 
durch  Anpassung  an  die  parasitische  Lebensweise  der 
Embryonen  eine  so  kolossale  Grösse  erlangte.    Wie  wir  nämlich 
gesehen  haben,  verfilzen   und   verflechten   sich  die  Byssnsfäden 
benachbarter  Embryonen   mit  einander  so  innig,   dass  es  wohl 
kaum  gelingen  dürfte,  einen  in  solcher  Weise  verflochtenen  Faden 
von  den   übrigen   zu   isoliren.    Wenn   es   nun  in  der  oben  be- 
schriebenen Weise  auch  nur  einem  einzigen  oder  nur  sehr  wenigen 
Embryonen  gelungen  sein  sollte,  sich  in  der  Haut  eines  Fisches 
festzubacken,  so  wird  dennoch  jedesmal  eine  grössere  Menge  von 
Embryonen  mitgerissen,   wodurch   natürlich   ihre  Aussicht,  auf 
ihren  Wirth  zu  gelangen,  in  bedeutendem  Grade  erhöht  wird.    Mit 
dieser  Annahme  scheint   mir  auch  die  von  Forel  mitgetheilte 
Beobachtung  zu  stimmen,  dass  sich  die  Byssusdrüse  während  des 
Parasitirens  allmählich  wieder  rUckbilde  und  später  nur  mehr 
„spurweise"  vorhanden  sei. 

4.  Das,  was  uns  an  den  Schalen  der  reifen  Embryonen 
am  meisten  in  die  Augen  fällt,  sind  die  zahlreichen  feinen  Poren- 
c anale,  von  denen  dieselben  durchsetzt  werden.  Es  ist  dies 
bekanntlich  eine  Eigenthttmlichkeit,  die  sonst  nur  unter  den 
Brachiopoden  eine  weitere  Verbreitung  besitzt.  Die  Paläontologen 
benützen  sie  daher  schon  seit  langer  Zeit  im  Vereine  mit  einigen 
anderen  Merkmalen  als  ein  Mittel,  wodurch  „sich  auch  die  kleinsten 
Stückchen  eines  Brachiopoden-Gehäuses  von  allen  sonstigen  Mol- 
luskenschalen sofort  unterscheiden''  lassen  (Zittel).  Dass  jedoch 
dieses  Mittel  kein  unbedingt  verlässliches  ist,  beweist  der  oben 
angeführte  Umstand,  dass  auch  an  der  Schale  von  Gyclas  ganz 
ähnliche  Poreukanäle  vorkommen.  Immerhin  mag  es  aber  als 
eine  Thatsache  von  hohem  Interesse  angesehen  werden,  dass  die 
Schalen  der  Najaden-Embryonen  einen  Charakter  besitzen,  der 
sonst  hauptsächlich  nur  den  Brachiopoden  eigenthümlich  ist.  Dass 
auch  die  Schalen  von  Gyclas  ein  ganz  ähnliches  Verhalten  auf- 
weisen, mag  vielleicht  mit  dem  von  FritzMüUer  hervorgehobenen 
Umstand  in  Zusammenhang  zu  bringen  sein,  dass  die  Bewohner 


386  Carl  Rabl, 

des  süssen  Wassers  in  sehr  vielen  Fällen  eine  nrsprfiDglichere 
Organisation  bewahrt  haben,  als  ihre  Verwandten  im  Meere. 

Was  weiter  die  Thatsache  betrifit^  dass  die  beiden  Schalea- 
klappen  der  Najaden-Embryonen,  wie  bereits  erwähnt,  nicht  ge- 
trennt und  unabhängig  von  einander,  sondern  vielmehr  in  ^ner 
gemeinsamen  Grundanlage  entstehen,  und  dass  diese  Grundanlage 
ein  continuirlich  zusammenhängendes  Häutchen  bildet,  so  scheint 
uns  dieselbe  einen  Schlttssel  zum  Verständnisse  der  Muschelschalen 
an  die  Hand  zu  geben.     Schon   der  Umstand,   dass  bei    allen 
Muscheln    die    beiden  Schalenklappen    am   Rücken    durch    das 
Schlossband  continuirlich  mit  einander  zusammenhängen,  beweist, 
wie  Gegenbaur  zuerst  hervorgehoben  hat,  auf  das  bestimmtest^ 
dass   beide  Klappen  „nur  als  ein  einheitliches  Organ'' 
aufgefasst  werden  müssen,  „dessen  beide  Hälften  nur  durch  ihr 
Volum,  wie  durch  die  Verkalkung  vom   medianen  Theile    sich 
unterscheiden^^     Die  Richtigkeit   dieser  Auffassung  wird    durch 
die  beschriebene  Bildungsweise   der  Schale  auf  das  vollste   be- 
stätigt.   Es  wird  daher  gestattet  sein,   die  beiden  Klappen 
derLamellibranchiaten  als  ein  dem  dorsalen  Gehäuse 
der  Schnecken  homologes  Gebilde  zu  betrachten,    und 
nicht  etwa  nur  die  eine  oder  die  andere  derselben  dem  Schnecken- 
gehäuse  gleichzusetzen.    Desgleichen  dürfen  wir  nur  die  dor- 
sale Schalenklappe  der  Brachiopoden  mit  den  beiden 
Klappen  der  Lamellibranchiaten  vergleichen  und  nicht  etwa,  wie 
es  z.  B.  von  Bronn  geschehen  ist,  in  beiden  die  Homologa  der 
beiden  Hälften   der  Muschelschalen   erblicken.    Was   femer    die 
Frage   betrifft,  ob  man  auch   zwischen  den  Schalenklappen    der 
Brachiopoden  und  dem  Gehäuse  der  Schnecken  eine  Homologie 
erblicken  dflrfe,  so  scheint  es  nicht  unwahrscheinlich  zu  sein,  dass 
die  dorsale  Schalenklappe  der  ersteren  mit  dem  gl^iehfalls 
dorsalen  Gehäuse   der  letzteren   verglichen  werden  dürfe;    ob 
man  aber  die  ventrale  Schalenklappe  der  Brachiopoden  mit  dem 
bei  den  meisten  Gastropoden  entweder  zeitlebens,  oder  doch  während 
des  Embryonallebens  vorkommenden  Operculum  vergleichen  dürfe, 
oder  ob  letzteres,  wie  es  wohl  wahrscheinlich  ist,  nur  ein  durch 
Anpassung  erworbenes  Gebilde  sei,  muss  dahingestellt  bleiben. 

Wir  könnten  in  unseren  Betrachtungen  noch  weiter  gehen 
und  die  Schalen  der  Mollusken  mit  dem  rührenförmigen  Gehäuse 
der  Tubicolen  vergleichen.  Dieser  Vergleich,  welcher  von  Morse  *) 


^)  Edward  S.  Morse,  „On  the  systematic  position  of  the  6rachiopoda*S 


Ueber  die  Entwicklongsgescbichte  der  MalennoBcbel.  387 

Itinsichtlich  der  Brachiopoden  bereits  dnrchgef&hrt  warde^  wtirde 
uns,  falls  die  yorausgehenden  Betrachtungen  richtig  sind;  zu  der 
Annahme  fähreH;  dass  bei  den  Brachiopoden,  eine  Differenzirung 
des  ringsam  geschlossenen  Tubicolen*6ehäuses  in  eine  dorsale 
und  ventrale  Hälfte  stattgefunden  habe,  während  bei  den  La- 
mellibranchiaten  eine  Differenzirung  in  zwei  laterale  Hälften  ein- 
getreten sei.  Von  den  Brachiopoden  wtirden  dann  Gephalophorei^ 
und  von  diesen  wieder  die  Gephalopoden  abzuleiten  sein. 

Die  Lösung  dieser  und  ähnlicher  Fragen  hängt  aufs  innigste 
mit  der  Frage  nach  der  Phylogenie  der  Mollusken  zu- 
Bammen.  Hoffentlich  wird  es  bei  genauerer  Eenntniss  der  Ent- 
wicklungsgeschichte und  bei  vergleichender  Betrachtung  des  ana- 
tomischen Baues  dieser  Thiere  gelingen;  auch  ftlr  diesC;  gegen- 
wärtig leider  noch  so  dunkle  Frage  eine  befriedigende  Antwort 
zu  finden.  Fttr  die  Erreichung  dieses  Zieles  ist  aber  eine  klare 
und  präcise  Fragestellung  die  erste  Bedingung. 

5.  Ob  der  Hangel  des  Fusses  als  eine  durch  Anpas- 
sung oder  durch  Vererbung  hervorgerufene  Erscheinung  auf- 
gefasst  werden  müsse,  kann  nicht  mit  voller  Sicherheit  entschieden 
werden.  Fttr  die  erstere  Auffassung  scheint  der  Umstand  zu 
sprechen,  dass  die  Byssusdrüse  sonst  regelmässig  eine  mehr  oder 
weniger  innige  Beziehung  zum  Fusse  besitzt;  für  die  letztere  da- 
gegen der  (Jmstand,  dass  sich  an  den  reifen  Najaden-Embryonen 

.  auch  nicht  die  geringste  Spur  eines  Fusses  findet,  während  man 
doch  erwarten  dürfte,  dass,  wenn  ursprünglich  ein  wohlent- 
wickelter Fuss  vorhanden  gewesen  wäre,  man  an  den  Embryonen 
doch  wenigstens  noch  ein  Rudiment  eines  solchen  vorfinden  sollte. 
Vielleicht  Hessen  sich  beide  Auffassungen  in  der  Weise  vereinigen, 
dass  man  annähme,  die  Vorfahren  der  Lamellibranchiaten  hätten 
zwar  einen  Fuss  besessen,  derselbe  hätte  jedoch  eine  relativ  viel 
geringere  Grösse  als  heutzutage  gehabt  und  dieser  relativ  gering 
entwickelte  Fuss,  den  früher  auch  die  Najaden-Embryonen  be- 
sessen, wäre  nun  bei  diesen  in  späterer  Zeit  durch  Anpassung  an 
die  parasitische  Lebensweise  in  Folge  von  Nichtgebrauch  wieder 
verloren  gegangen. 

6.  Was  endlich  noch  die  Borstenzellen  am  Mantel- 


(From  the  Froceedings  of  the  Boston  Society  of  Natural  History,  VoLXV, 
March  19  tk,  ISTd.) 

I  dem,  ,,£mbryology  of  Terebratalina^S  (From  the  Memoirs  of  the  Boston 
Sodety  of  Natural  History,  VoL  II.) 

Bd.  z,  M.  F.  m,  8.  26 


388  Carl  Rabl, 

rande  betrifN;,  so  erinnert  ihr  Anblick  sofort  unwillkttrlioli  ax 
die  BorstenbttBchel ;  welche  am  Mantelrande  der  Brachiaj>ode& 
paarweise  nnd  symmetrisch  angeordnet  sind.  Jedoch  kann  eis 
Vergleich  mit  denselben  schon  deshalb  nicht  gestattet  sein,  ^i^eü 
sie  einen  ganz  anderen  Ban,  als  diese^  besitzen.  Die  Borsten* 
bttschel  der  Brachiopoden  sind  nämlich;  wie  Morse  gezeigt  bat, 
als  Homologa  der  Annelidenborsten  zu  betrachten^  eine  Auffassung, 
welche  anf  die  Borsten  der  Najaden-Embryonen  wegen  ihres  Yi3llig 
verschiedenen  Banes  keine  Anwendung  finden  kann. 

Wir  haben  uns  dagegen  die  Frage  vorzulegen,  ob  die  Borsten- 
zellen,  welche,   wie  zuerst  Flemming  hervorgehoben   hat,     in 
ihrem  Bane  den  Nervenepithelien  ähnlich  sind,  SinneseindrüGke 
zu  vermitteln  vermögen  nnd  ob  sie,  da  den  Embryonen  dadurdi 
unstreitig  ein   Vortheil   erwüchse,    dnrch  Anpassung   erworben 
worden  sein  können.    Gegen  eine  solche  Annahme  scheint  aller- 
dings der  Umstand  zu  sprechen,  dass  zur  Zeit,  als  die  Borsten- 
zellen auftreten,   das  centrale  Nervensystem  selbst  erst  in   der 
Bildung  begriffen  ist  und  in  diesem  Zustande  wohl  kaum  schon 
im  Stande  sein  dürfte,  eine  Bewegung  auszulösen.    Andererseits 
muss  aber  daran  erinnert  werden,  dass  die  Embryonen,  noch  lange 
bevor  auch  nur  die  geringste  Spur  einer  Nervenanlage  vorhanden 
ist,  bereits  lebhafte  Bewegungen  auszuführen  im  Stande  sind,  die 
denn  doch  nur  auf  vorhergehende  Beize  erfolgen  können.     Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  scheint  es  nicht  unwahrscheinlich  zu 
sein,  dass  einzelne  Zellen  der  äusseren  Haut  im  Lauf  der  Zeit 
einen  grösseren  Grad  von  Reizbarkeit  erwarben,  als  die  übrigen. 
Die  Lösung  dieser  und  ähnlicher  höchst  schwieriger  Fragen  mnss 
übrigens  den  Physiologen  überlassen  bleiben  und  es  mag  genügen, 
hier  nur  darauf  aufmerksam  gemacht  zu  haben. 

Unsere  Betrachtungen  haben  uns  demnach  zu  dem  Schlüsse 
geführt,  dass  die  geringe  Entwicklung  des  Darmes,  die  kolossale 
Grösse  der  Byssusdrüse,  die  Schalenhacken  und  wahrscheinlich 
auch  die  Borstenzellen  am  Mantelrande  Charaktere  sind,  welche 
wohl  nur  durch  Anpassung  an  die  parasitische  Lebensweise  der 
Embryonen  erworben  worden  sein  können;  die  Porenkanäle  der 
Schale  und  vermuthlich  auch  zum  Theile  der  vollständige  Mangel 
eines  Fusses  sind  dagegen  Charaktere,  welche  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit auf  frilhere  phylogenetische  Entwicklungsstufen  be- 
zogen werden  müssen.  — 

So  hat  sich  uns  denn  ein  Bild  jener  Entwicklnngsgeschichte 
entrollt,  von  der  man  seit  Langem  nur  mit  einer  gewissen  Scheu 


Ueber  die  Entwicklungsgeschiclite  der  Matermiuchel.  389 

and  ZarflckhaltQDg   zn  sprechen  wagte;  es  schien  fast,  als  wäre 
liber     sämmtliche    Entwicklungsvorgänge     ein    geheimnissyoUer 
Schleier  gebreitet,   den  zu  heben  sich  eine  nicht  unansehnliche 
Zahl    von  Forschem  vergeblich  bemühte.    So   nennt  Forel  die 
Entwicklnngsgeschichte  der  Najaden  geradezu  eine  ^^geheimniss- 
volle''  and  keiner  seiner  Nachfolger  vermochte  an  diesem  Urtheile 
etwas  zä  ändern.  In  Wirklichkeit  aber  ist  die  Najadenentwicklung, 
wie  wir  gesehen  habeii,  lange  nicht  so  complicirt  nnd  geheimnissvoll, 
als  man  stets  annehmen  zu  mttssen  glaubte.    Für  die  Richtigkeit 
unserer  Resultate  scheint  uns  vor   Allem  ihre  Einfachheit    zu 
sprechen.    Immerhin  wird   man  aber  an  unsere  Beobachtungen 
einen   ganz  anderen    und    viel  strengeren   Maassstab   zu  legen 
haben,  als  an  unsere   allgemeinen  Betrachtungen  und  Schlüsse. 
Ich    erinnere    in   dieser  Hinsicht   an   die   Worte  Carl   Ernst 
V.  Baer's:    „Irrige,    aber    bestimmt  ausgesprochene 
allgemeineResultate  haben  durch  die  Berichtigung, 
die   sie  veranlassen,  und    die  schärfere  Beachtung 
aller  Verhältnisse,  zu  der  sie  nöthigen,  der  Wissen- 
schaft fast   immer  mehr  genützt^   als   vorsichtiges 
Zurückhalten   in  dieser  Sphäre.    Anders  ist  es  mit 
der   Beobachtung.      Diese   kann    nie    genau    genug 
sein."  — 


25* 


390  ^^^^  ^^^ 


\ 


Erklänmg  der  Tafeln. 


Taf.  X. 


Pig.  1.  EischoUen  von  Unio  pictorum;  a  eine  Eischolle,  welche  gegen  den 
freien  Rand  der  Kieme  in  zwei  Blätter  gespalten  ist;  b  einfache, 
nicht  gespaltene  Eischolle.    Nat.  Gr. 

Fig.    2.    Mehrere  Eier  von  Unio  pictorum,  schwach  vergr.  ' 

Fig.  8.  Mikropyle;  Fig.  SA  von  der  Seite  gesehen.  Fig.  3B  von  oben  ge- 
sehen.   Vergr.  650. 

Fig.    4.    Befrachtetes,  aber  noch  nicht  gefurchtes  Kiemenei;  m  Mikropyle; 
8  zarter,  durchsichtiger  Strang,  der  von  der  Mikropyle  zum  vege- 
tativen Keimpol  zieht;  h  EihüUe;  e  Eiweissmasse;  o  Keim;  r  erstes 
„Riehtungsbläschen^^;  r'  zweites,  eben  in  der  Bildung  begrifienes 
.^    „Richtungsbläschen".    Vergr.  820. 

Fig.    5.    Vegetativer  Keimpol  nach  der  Ablösung  des  Keimes  von  der  Mikro- 
pyle; Fig.  5A  früheres,  5B  späteres  Stadium. 

Fig.  ß.  Animaler  Keimpol  während  der  Austreibung  der  „Richtungsbläsclien**; 
Fig.  6A  unmittelbar  auf  die  Austreibung  des  ersten  „Richtungs- 
bläschens'^  r  folgendes  Stadium ;  Fig  6  B  ein  späteres,  auf  die  Fig.  4 
angegebene  Stufe  folgendes  Stadium;  Fig.  6  C  ein  noch  etwas  späteres 
Stadium;  r  erstes,  r'  zweites  „Richtungsbläschen*'.  In  beiden  Kör- 
perchen bemerkt  man  einige  Kömchen. 

Fig.  7.  Zweitheilung  des  Keimes.  1  grössere,  2  kleinere  Furchung»- 
kugel;  1  helle  Trennungslinie  zwischen  beiden  Forchungskugeln;  r 
„Richtungsbläschen";  a  animaler,  /^vegetativer  Keimpol.  Vergr.  320« 
Bei  durchf.  Lichte. 

Fig.  8.  Dreitheilung  des  Keimes.  2  und  3  sind  die  Theilnngsproducte 
der  Zelle  2  (Fig.  7).    Bei  auff.  Lichte.    Vergr.  320. 

Fig.  9.  Unmittelbar  vor  der  Viertheilnng.  In  Zelle  2  bemerkt  man  eine 
karyolytische  Figur.    Vergr.  320. 

Fig.  10.  Viertheilung  des  Keimes,  fh  hellere  Stelle  zwischen  den 
Zellen  1  und  4.    Vergr.  320. 

Fig.  11.    Fünftheilung  des  Keimes.    Vergr.  320. 

Fig.  12.    Siebentheilung  des  Keimes.    Vergr.  320. 

Fig.  13.  Achttheilung  des  Keimes;  und  zwar:  Fig.  13A  von  vorne, 
13  B  von  hinten  gesehen.    Vergr.  320. 

Fig.  14.  Neuntheilung  des  Keimes;  die  einzelnen  Fnrchungskageln 
haben  sich  gegen  einander  etwa«  verschoben.    Fig.   14  A  von  der 


I 
I 


lieber  die  Entwiddung^gesc^clite  der  Malermuschel.  391 

eiDeii,.Fjg.  14£  toh  der  andeca  Seite  ge«ebea;  ih  FttrcübLungshöhle, 
welche  bei  auffallendem  Lichte  dunkel  erscheint.  Vergr.  320. 
Fig«  I5s  Etwas  weiter  Torgescbritten^s  jätadinm.  a  a^timiler,  ß  vegetatiy^ 
Pol;  1  grosse  Zelle  am  Tegetativen  Pol,  z  Zellen,  welche  die  Fur- 
chnngihnhle  begrenzen.  Die  F^r  igit  ^o  gezeichnet,  daas  die  Für 
choDgshöhle  diprchschimmert,  Vf^^gc^  320w  —  J)i,e8e0  Stadium 
ist  das  der  definitiven  Theilung  des  Obertheils  nach 
Plemmipg.  —  Sämmtlic^iM  Zellep  .sind  in  natürlicher  Xia^^erung 
«nd  Zahl  geaDeich&et 

Fig.  16.  Dasselbe  Stadium  im  optischen  Durchschnitt  (Transveorsal-Schnitt). 
£h  Furchongshöhle;  o,  ß  etc.  wie  früher.  Vergr.  3  420. 

Fig.  17.  Die  Zelle  1  (Fig.  15),  der  „ObertheU''  nach  Fl.,  hat  sich  in  die 
beiden  Zellen  I  und  II  getheilt.  Alle  übrigen  JBezeichnangen  wie 
früher.  Yergr.  320.  —  Sämmtliche  Zellen  sind  in  natürlicher  La- 
gerung und  Zahl  gezeichnet. 

Fig.  18.  Dasselbe  Stadium  im  optischen  Durchschnitt  (Transveral-Schnitt). 
fh  Furchangshöhle;  a,  ß  etc.  wie  Fig.  17.    Vergr.  320. 

Fig.  19.  Etwas  weiter  vorgeschrittenes  Stadium.  Die  Zelle  I  (Fig.  17)  hat 
sich  in  die  beiden  Zellen  la  und  Ib  getheilt.  Davon,  dass  keine 
weitere  Hieilung  der  grossen  Zellen  stattgefunden  habe,  habe  ich 
mich  durch  Umwenden  des  Präparates  überzeugt,  a,  ß  etc.  wie 
früher.  Vergr.  320. 

Fig.  20.  Die  Zelle  II,  Fig.  17  und  19,  hat  sich  in  die  beiden  Zellen  IIa  und 
IIb  getheilt.  Hinsichtlich  der  Zahl  dieser  grossen  Zellen  gilt  das 
früher  Gesagte,    a,  ß  etc.  wie  früher.    Vergr.  320. 

Fig.  21.  Die  beiden  grösseren  Zellen  la  und  IIa  haben  sich  in  je  zwei 
Theile  getheilt  Fig.  21 A  von  der  einen,  21 B  von  der  anderen  Seite. 
Bezeichnuiigen  wie  in  Fig.  20.    Vergr.  320. 

Fig.  22.  Etwas  späteres  Stadium.  Die  Zellen  VZ  am  vegetativen  Fol  ß  sind 
die  Abköttmlinge  der  Zelle  l  auf  Flg.  15.  Vergr.  320. 

Fig.  V3.  Dasselbe  Stadium  im  optischen  Dnohschnitt  (Transversal-Schnüt). 
fh  Furchtngshöhle.  Alle  übrigen  Bezeichnungen  wie  früher. 
Vergr.  320. 

Die  Contooren  fya^  süauntUcher  itgortn  sind  mit  Hilfe  der  Camera  lucida 
gezeichnet. 

Taf.  XL 

Vergr.  sof  allen  Fig.,  mit  Aomahme  Ton  48  imd  43,  880. 

Fig.  94.  Etwas  späteres  SUdium.  Die  Zellen  VZ,  Fig.  22,  Taf.  I,  haben 
steh  mit  Ausnahme  von  zweien  (m)  abermals  getlheilt  (i).  e  animale 
Zellen,    o,  ß  wie  früher. 

Fig.  96.  Optischer  Sagittalschnitt  durch  dasselbe  Sttdium.  Die  Zellen  i 
(Entodermiellen)  und  m  (Mesodermzelle)  «ind  die  Abkömmlinge  der 
Sfiellen  VZ^  Fig.  22  nd  98,  Ttf.  L  fh  ForohimgBhöhla,  r  ^Bioh- 
tangshlttfelBn*;  das  Uebiige  wie  Mhsr. 

Fig.  96.  Optiacher  Bagittabofanittdoroh  em  etwas  sptfteNs  Stadium.  Die 
beiden  MeMdonn-SelleOf  von  danen  nur  mne  (a)  mhtbar  is^;,  sind 


1 


392  Carl  Rabl, 

Ton  den  Ectoderm-ZeUen  e  überwachsen  worden.  .  Bezeiclinungen 
wie  früher. 

Fig.  27.  Beginn  der  Einstülpung  der  Cylinder-Zellen  i.  Bezeichnangen  wie 
früher. 

Fig.  28.  Stadium  der  vollendeten  Einstülpung,  m grosse Mesoderm- 
Zelle,  m'  kleine  Abkömmlinge  derselben.  Alle  übrigen  Bezeichnungen 
wie  früher. 

Fig.  29,  Dasselbe  Stadium  im  optischen  Querschnitt  („Querschnitt^^  in  Be- 
ziehung auf  den  nur  mit  der  primären  Mundöffnung  ausgestatteten 
Embryo;  wenn  man  den  mit  einer  secundären  Mundöffnung  aus- 
gestatteten Embryo  zum  Ausgangspunkte  der  Beurtheilung  nimmt, 
ist  dieser  Schnitt  ein  Horizontalschnitt),  v.  vorne  in  Beziehung  auf 
den  Embryo  mit  sec.  Mundöffnung.    Alles  Uebrige  wie  früher. 

Fig.  30.  Dasselbe  Stadium  bei  auffallendem  Lichte.  V  Vorderende,  H  Hinter- 
ende, R  Rücken,  B  Bauch,  Alles  in  Beziehung  auf  den  Embryo 
mit  sec  Mundöffnung,  r  „Richtungsbläschen",  h  grosse  Zellen  am 
Hinterende  des  Körpers. 

Fig.  81.  Dasselbe  Stadium  von  der  Bauchseite  gesehen,  um  die  drei  grossen 
Zellen  am  Hinterende  des  Körpers,  h,  zu  zeigen,  d  rechts,  s  links, 
V  vorne,  H  hinten. 

Fig.  32.  Etwas  späteres  Stadium  im  optischen  Sagittalschnitt.  e  Ectodenn 
m  grosse  Mesoderm-Zelle,  m'  kleine  Abkömmlinge  derselben,  i  Ento- 
derm  (primärer  Darm),  fh  Furchungshöhle,  R  iß)  Rückenseite,  früher 
vegetativer  Pol  ß^  B  (a)  Bauchseite,  früher  animaler  Pol  a,  V  Vorder- 
ende, H  Hinterende,  r  „Richtungsbläschen",  h  grosse  Ectoderm-Zelle 
am  hinteren  Körperende.  -^^ 

Fig.  33.  Etwas  späteres  Stadium;  Oberflächenansicht,  ek  Kerne  von  Ecto- 
derm-ZeUen, welche  die  oberen  Abschnitte  der  beiden  Seitenflächen 
des  Körpers  einnehmen.    Alle  übrigen  Bezeichnungen  wie  früher. 

Fig.  34.  Dasselbe  Stadium  vom  hinteren  Körperende  aus  gesehen;  Ober- 
flächenansicht. S  Schale,  als  ein  zusammenhängendes  Häutchen 
sichtbar,  sm  Schliesamuskel  durchschimmernd,  d  rechts,  s  links,  B 
und  B  wie  früher. 

Fig.  35.  Etwas  späteres  Stadium.  Oberflächenansicht,  wobei  die  wichtigeren 
inneren  Theile  durchschimmern,  by  Anlage  der  Byssusdrüse,  by^ 
Mündung  derselben,  z  Mesoderm-ZeUen („Strangzellen'*  Flemming), 
i  Darm;  übrige  Bezeichnungen  wie  früher. 

Flg.  36.  Etwas  späteres  Stadium,  sr  Schalenrand,  E  Einstülpung  an  der 
Bauchfläche;  alle  übrigen  Bezeichnungen  wie  früher. 

Fig.  87.    Dasselbe  Stadium  vom  hinteren  Körperende  gesehen.  Bezeichnungen 

wie  früher. 
Fig.  38.    Späteres  Stadium,  um  die  Formveränderung  der  Schale  zu  zeigen. 

Bezeichnungen  wie  früher. 

Fig.  89.    Dasselbe  Stadium  von  hinten  gesehen.    Bezeichnungen  wie  früher. 
Fig.  40.    Ein  späteres  Stadium  von  der  linken  Seite  gesehen.    Die  Schale 

hat  bereits  eine  dreieckige  Form.    Bezeichnungen  wie  früher. 
Fig.  41.    Späteres  Stadium   von  hinten  gesehen.     ME  Einstülpung  an  der 

Bauchfläche,  welche  zur  Bildung  der  beiden  Mantelhälften  führt 


UeW  die  Entwicklnngsgeflchichte  der  MalemmscheL  393 

• 
An  der  Schale  bemerkt  man  bereits  die  Aiumändangen  der  sahi- 
reichen, sie  dnrchsetzenden  Porenkanäle;  tm  SchlieumaskeL 
Fig.  42.    Eingangiöffnang  der  ByssusdrüBe. 
Fig.  48.    Dieselbe,  späteres  Stadium. 

Taf.  XIL 

Fig.  44.    Reifer  Bmbryo  von  Unio  pictomm  bei  geöffneter  Schale  von  der 
Bauchseite  gesehen.    BD  rudimentärer  Darm,  sg  seitliche  Gruben, 
wp  Wimperschild,  Fl.,  flimmernd;  mt  Büttelschild,  sh  Schalenhacken 
bz^  bis  hl*  Borstenzellen. 
Fig.  45.    Beifer  Bmbryo  von  Unio  tumidus,  bei  geschlossener  Schale  schief 
▼on  der  rechten  Seite  gesehen.  Bz^ — Bz^  erste  bis  vierte  Borstenzelle, 
i  Darm,  8m  Schliessmuskel,  byf  Byssusfaden.    Vergr.  890. 
Fig.  4ß.    Beifer  Bmbryo  von  Unio  tumidus,  bei  geschlossener  Schale  vom 
hinteren  Körperende    aus    gesehen.     Bezeichnungen   wie   Fig.  45. 
Vergr.  810. 
Fig.  47.    Schlossrand  der  Schale;  V  yorne,  H  hinten. 
Fig.  48.    Ansatz  des  Schalenhackens  an  die  Schale. 

Fig.  49.    Erste  Bofstenzelle. 

Fig.  50.    Eine  andere  Borstenzelle. 

Fig.  51.  Sagittals4hnitt  durch  das  Stadium  der  vollendeten  Einstülpung, 
e  äusseret,  i  inneres  Keimblatt,  m  grosse  Mesoderm-Zelle,  Ol  pri- 
märe Muadöfinung,  B  dickste  Stelle  des  Ectoderms.    Vergr.  400. 

Fig.  52.  Querschnitt  durch  dasselbe  Stadium.  Bezeichnungen  wie  früher. 
Vergr.  400. 

Fig.  53.  Sagittalschnitt  durch  ein  etwas  späteres  Stadium,  um  die  Ver- 
schiebung des  Entodermsäckchens  i  nach  vorne  zu  zeigen.  M  Zellen 
von  der  ecundären  Mundeinstnlpung,  e  äusseres  Keimblatt,  z  Meso- 
derm-Zellen  („Strangzellen''  F 1.),  Sm  Schliessmuskel,  L  Leibeshöhle 
Vergr.  400. 

Fig.  54.  Dasselbe  Stadium;  schematisch.  OII  secundärer  Mund;  die  übrigen 
BezeichnoDgen  wie  früher. 

Fig.  55.  Sagittalschnitt  durch  ein  etwas  späteres  Stadium.  Das  Entoderm- 
säckchen  i  hängt  nur  mehr  mittelst  der  Zelle  iz  mit  den  Zellen  des 
Bückens  zusammen.  OII  Zellen  der  secundären  Mnndeinstülpung. 
Die  übrigen  Bezeichnungen  wie  früher.    Vergr.  400. 

Fig.  56.  Querschnitt  durch  ein  späteres  Stadium.  Bezeichnungen  wie  früher. 
Vergr.  401. 

Fig.  57.  Sagittalschnitt  durch  dasselbe  Stadium.  Bezeichnungen  wie  früher. 
Vergr.  400.    Schematisch. 

Fig.  58.  Ein  Fnrchungsstadium,  dem  Stadium  Fig.  19,  Taf.  I  von  Unio  ent- 
sprechend«   fh  Fnrchungshöhle. 

Fig.  59.  Aelterer  Bmbryo.  e  äusseres,  m  mittleres,  i  inneres  Keimblatt,  D 
Darmhöhls. 

Fig.  60.  Unio  pict.  Vorderthetl  des  Körpers  stärker  vergrössert  Bezeichn. 
wie  Fig.  44. 


Druck  Ton  Q.  PXta  In  RMunburB  ^j^ 


Tifm. 


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LiJi.AnstvK.G'ilJct.Jen 


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Studien  über  das  Protoplasma. 

Von 

Dr.  Cidaard  Strasbnrg^er. 

Hiem   Tafel  xni.  u.  XIY. 

Meine  Arbeiten  über  Zelltheilang  bei  Spirogyra  orthospira 
veranlassten  mich,  auch  die  Wachsthumsvorgänge  bei  dieser  Alge 
näher  in's  Aage  zu  fassen.  Es  fiel  mir  besonders  auf,  dass  die 
protoplasmatische  Hautschicht  an  rasch  wachsenden  Stellen  der 
Zelle  eine  radiale  Streifung  zeigt.  Vornehmlich  an  kurz  zuvor 
befreiten  Endflächen  aus  dem  Verbände  getretener  ZeUen  des 
Fadens  war  diese  Structur  leicht  zu  sehen.  Die  Hautschicht 
erschien  hier  etwas  stärker  als  an  anderen  Stellen  derselben  Zelle 
entwickelt  und  wie  aus  radial  gestellten  Stäbchen  aufgebaut. 
Diese  Structur  schwand  bei  künstlichem  Eingriffe  in  das  Präparat. 
Auf  der  Innenseite  der  Hautschicht  fuhren,  wie  ich  das  schon 
früher  beschrieben,  zahlreiche  Ströme  des  Körnerplasma  kleine 
Stärkekörner  an  jene  Orte  starken  Wachsthums  hin,  wo  dieselben 
zur  Bildung  der  Cellulose  verwerthet  werden.  ^) 

Für  die  Pollenkörner  der  Coniferen  schilderte  Tschistiakoff 
einen  ähnlichen  Bau.  Ihr  „Primordialschlauch'^  soll  aus  dicht- 
gedrängten, glänzenden,  radial  angeordneten  Prismen  bestehen.') 

Aus  den  Angaben  von  Sachs  war  andererseits  bekannt,  dass 
auch  die  Hautschicht  der  Schwärmsporen  von  Vaucheria  eine 
radiale  Streifung  zeigt:  dieses  konnte  ich  ebenfalls  bestätigen. 
Bei  Einwirkung  concentrirter  Essigsäure  auf  eben  auijtretende 
Schwärmsporen  zeigte  sich  mir  deren  aufquellende  Hautschicht 
wie  aus  rechteckigen  Kammern  gebildet.  Die  radialen  Wände 
dieser  Kammern  waren  es,  die  am  lebenden  Objecte  die  Er- 
scheinung der  stark  lichtbrechenden  Stäbchen  hervorgerufen  hatten. 
Die  Cilien  schienen  mir  aus  jenen  Stäbchen  zu  entspringen. 


^)  Zellbildung  und  ZelltheUung,  U.  Aufl.,  p.  60  u.  ff. 
')  Botanbche  Zeitung  ld75,  p.  09. 
Bd.  z,  N.  F.  ni,  4.  26 


396  Eduard  Strasburgor, 

So    weit    reichten    meine    früheren    Beobachtungen^):    ich 
wünschte  nun  noch  genauere  Data  diesen  Gegenständen   abzu- 
gewinnen.  Die  Erfahrungen;  die  ich  mit  Osmiumsäure  inzwischen 
gemacht  hatte,  Hessen  mich  hoffen,  dass  es  mit  derer  Hülfe  ge- 
lingen werde  die  Structur  der  Hautschicht  und  auch  die  Cilien, 
die  sie  trägt;  dauernd  zu  fixiren.    Dies  gelang  denn  in  der  That^ 
und  bewährte  sich  die  Osmiumsäure  hier  von  Neuem  in  Tor- 
züglichster  Weise.    Mit  absolutem  Alkohol  gelang  es  mir  zwar 
die  Structur  der  Hautschicht;  doch  nicht  die  Cilien  zu  erhalten; 
in  l^/o  Chromsäure  litt  auch  der  Bau  der  Hautschicht;  nur  die 
Osmiumsäure  fixirte  das  Object  so  momentan,  dass   selbst   die 
Cilien  meist  vollständig  unverändert  blieben.    Die  Osmiumsäure 
wurde  hierbei  in  dem  erfahrungsmässig  beliebten  Concentrations- 
gradC;  nämlich  einprocentig,  gebraucht.    Ich  Hess  dieselbe  nur 
wenige  Minuten  einwirken;  worauf  das  Präparat;  ohne  weitere 
wesentliche  Veränderung;  in  mit  Alkohol  verdünntem  Glycerin 
aufbewahrt  werden  konnte.    Einige  der  fixirten  Objecto  wurden 
noch  mit  Olycerin  und  alkoholhaltiger  CarminlOsung  behandelt, 
um  einige  StructurverhältnissO;  bei  ungleich  erfolgender  Färbung, 
deutlicher  hervortreten  zu  lassen.    Ich  habe  die  Schwärmsporen 
meist  im  Augenblicke  ihres  Austritts  aus  dem  Sporangium  mit 
Osmiumsäure  übergössen;  doch  auch  manche  vergleichsweise  erst 
auf  späteren  Stadien  des  Schwärmens.   Als  Untersuchungsmaterial 
diente  mir  nunmehr  die  echte  Vaucheria  sessiliS;    deren 
Schwärmsporen  viel  länger  in  Bewegung  bleiben;   als   die  der 
früher  von  mir  untersuchten;  der  V.  sessilis  übrigens  sehr  nahe 
verwandten  V.  ornithocephala  Hassal. 

Die  Structur  der  Hautschicht  und  der  CiUen  wird  uns  hier 
in  vollkommenster  Weise  durch  das  Osmiumsäure-Präparat  Fig.  3 
vorgeführt.  Wir  sehen  an  diesem  unzweifelhaft;  dass  die  Haut- 
schicht von  dichteren  Stäbchen  durchsetzt  wird.  Diese  Stäbchen 
stehen  in  relativ  weiten  Abständen  seitlich  von  einander;  die 
Interstitien  zwischen  denselben  müssen  im  frischen  Zustande  mit 
sehr  wasserreichem  Plasma  erfüllt  sein,  da  sie  in  dem  fixirten 
Präparate  nur  sehr  spärlichen;  feinkörnigen  Inhalt  führen.  In 
frischem  Zustande  bricht  nichts  desto  weniger  auch  das  zwischen 
den  Stäbchen  befindliche  Plasma  das  Licht  stark  genug,  um  der 
Hautschicht  das  Aussehen  einer  continuirlicheU;  nur  eben  radial 
gestreiften  Substanz  zu  verleihen.    Die  Stäbchen  setzen,  wie  das 


^)  Vergl.  Zellbildung  und  Zelltbeilung,  II.  Aufl.,  p.  174—185. 


Studien  über  das  Protoplasma.  397 

Osmionuiäore-Präparate  zeigt,  oben  und  nnten  an  eine  äusserst 
zarte,  continnirliche  Plasmaschicht  an.  An  der  Innenseite  ist 
diese  Schicht  übrigens  nicht  scharf  gegen  das  Chlorophyllkörner 
fllhrende .  Eömerplasma  abzugrenzen.  An  schon  erwähnten 
Osmium-Carmin- Präparaten  (Fig.  4)  erschienen  die  Hautschicht- 
Stäbchen  in  mittlerer  Höhe  etwas  aufgequollen,  dort  dann  auch 
am  stärksten  gefärbt,  so  dass  die  Hautschicht  nunmehr,  bei  erster 
Ansicht,  wie  von  einer  mittleren  Lage  rother  Ettgelchen  durch- 
setzt erschien. 

Das  Alkohol  -  Präparat  Fig.  5  a  zeigt  den  Bau  der  Haut- 
schicht fast  eben  so  vollkommen  wie  am  Osmiumsäure-Präparat 
erhalten.  In  der  Oberflächenaussicht  des  gleichen  Präparats 
(Fig.  ob)  war  die  gegenseitige  Yertheilung  Uer  Stäbchen  am 
besten  zu  sehen. 

Das  Osminmsäure-Präparat  Fig.  3  lehrt  uns  nun  auch  auf 
das  Bestimmteste,  dass  die  Cilien  der  Vaucheria-Schwärmspore 
den  dichteren  Stellen  der  Hautschicht  entspringen.  Jedes  Stäb- 
chen scheint  einer  Gilie  zur  Sttttze  zu  dienen.  Die  Cilien  sind 
dünner  als  die  Stäbchen  und  an  den  Osmium-Präparaten  etwa 
2  Mal  länger  wie  diese. 

Auf  verschiedenen  Entwicklungszuständen  fixirte  Sporangien 
lehrten  mich,  dass  die  Structur  der  Hautschicht  gleichzeitig  mit 
deren  messbarer  Ausbildung  kenntlich  wird.  Diese  Ausbildung 
beginnt  aber  am  vorderen  Ende  der  Schwärmspore  und  schreitet 
von  hier  nach  rückwärts  fort  Die  Hautschicht  wird  schliesslich  auch 
am  vorderen  Ende  etwa  doppelt  so  stark  als  am  hinteren  Ende 
entwickelt;  sie  nimmt  gleichmässig  von  vorne  nach  hinten  zu  ab. 

Um  mich  über  die  Entstehungsweise  der  Cilien  zu  orientiren, 
griff  ich  auf  frische  Objecto  zurück,  und  zwar,  weil  es  mir  da 
beliebig  leicht  gelang,  die  Hautschicht  von  der  Sporangiumwand 
zurücktreten  zu  lassen.  Ich  schnitt  das  Ende  eines  Vaucheria- 
Schlauches,  welcher  mir  ein  Sporangium  in  erwünschtem  Ent- 
wicklungszustande zu  tragen  schien,  mit  einer  scharfen  Scheere 
ab,  brachte  das  betreffende  Stück,  für  sich  allein,  in  Wasser 
unter  ein  feines  Deckglas,  stellte  das  Object  bei  starker  Ver- 
grösserung  ein,  und  begann  nun  mit  Fliesspapier  am  Rande  des 
Deckglases  Wasser  zu  entziehen.  Bald  wurde  unter  dem  Drucke 
des  Deckglases  das  Sporangium  abgeflacht,  dann  unter  der  Span- 
nung des  Sporangiuminhaltes  die  Querwand  an  der  Basis  des 
Sporangiums,  seltener,  uud  zwar  meist  nur  bei  relativ  älteren 
Sporangien,   der  Scheitel  desselben    durchbrochen.     Ich   konnte 

26* 


398  Eduard  Strasburger, 

nun  nach  Belieben  mehr  oder  weniger  Inhalt  aus  dem  Sporan- 
gium  austreten  lassen,  da  mit  der  Entfernung  des  Fliesspapiers 
sofort  die  Entleerung  aufhörte;  auch  konnte  ich  bei  Anwendung 
entsprechend  breiter  Fliesspapierstreifen  den  Ausflass  regulireo, 
dass  er  nicht  zu  stürmisch  erfolge.  Wurde  nun  bei  entsprechen- 
der Abflachung  und  theilweiser  Entleerung  eines  Sporangium 
etwas  Wasser  dem  Präparate  vorsichtig  zugefügt;  so  konnte  man 
meist  in  dem  zu  seiner  ursprünglichen  Gestalt  annähernd  zurttck- 
kehrenden  Sporangium  die  Hautschicht  der  Schwärmspore,  an 
vielen  Orten  noch  unversehrt,  von  der  Wand  des  Sporangium  zu- 
rücktreten sehen.  Solche  Objecte  auf  verschiedenen  Zuständen 
und  bei  unzählige  Male  wiederholter,  entsprechender  Behandlnng 
untersu(dit,  lehrten  mich,  dass  die  Bildung  der  Cilien  der  Diffe- 
renzirung  der  Hautschicht  auf  dem  Schritte  folgt  und  nicht  wenig 
an  die  Bildung  der  „Pseudopodien"  erinnert.  Erst  kurz  vor  der 
vollen  Reife  der  Schwärmspore  sind  die  Cilien  völlig  aus- 
gebildet; sie  liegen,  wohl  stets  nach  vom  gerichtet,  der  Ober« 
fläche  der  Hautschicht  dicht  an  und  erheben  sich  zu  sofortigem 
Schwingen,  wenn  die  Hautschicht  von  der  Sporangienwanü  zurück^ 
getreten  ist.  Auf  etwas  jüngeren  Zuständen  findet  man  die 
Cilien  kürzer  und  an  der  Spitze  mit  kleiner,  knopfförmiger  An- 
schwellung versehen.  Das  Knöpfchen  erscheint  im  Verhältniss 
grösser,  je  kürzer  die  Cilien  sind.  In  erster  Anlage  stellen  die 
Cilien  endlich  nur  kleine,  den  inneren  Stäbchen  in  ihrer  Stellung 
entsprechende  Höcker  an  der  Hautschicht  dar. 

Der  Rückzug  der  Hautschicht  von  der  Sporangienwand  ver- 
anlasst für  alle  Fälle  die  rasche  Ausbildung  der  angelegten 
Cilien,  indem  die  Enöplchen  sich  zu  dem  noch  fehlenden  Gilien- 
stücke  strecken.  Daher  das  eigenthümliche  Schauspiel  das  unter 
solchen  Umständen  die  zurückweichende  Hautschicht  gewährt: 
zunächst  dicht  an  ihrer  Oberfläche  kleine,  kurz  gestielte  Tröpf- 
chen, die  immer  kleiner  und  zugleich  länger  gestielt  werden 
und  alle  nach  Verlauf  weniger  Minuten  schwinden.  Die  Ans- 
bildung  der  Cilien  wurde  um  so  rascher  vollendet,  je  vorge- 
schrittener man  deren  Anlage  vorfand,  das  heisst,  je  kleiner  die 
Knöpfchen  und  je  länger  ihre  Stiele  waren.  Bei  relativ  jungen 
Schwärmsporen,  kurz  nach1)ifferenzirung  ihrer  Uautschicht,  zeigen 
die  Cilien  auch  nach  voller,  künstlich  hervorgerufener  Ausbildung 
nicht  die  Länge,  die  sie  sonst  bei  normaler  Ausbildung  erreicht 
hätten;  auch  werden  sie  meist  nur  in  geringer  Zahl  ausgebildet 

Ich  verglich  vorhin  die  Entwickelung  der  Cilien,  wie  sie  sich 


Stadien  über  das  Protoplasma.  399 

hier  ans  der  Beobachtung  ergiebt,  mit  der  Bildung  der  „Psendo- 
podien'^y  und  zwar  weil  letztere  bei  Bhizopoden  in  manchem  Sinne 
ähnlich  fortschreitet.  Anch  dort  zeigen  die  sich  verlängernden 
Pseudopodien  ein  kolbenförmig  angeschwollenes  Ende.  ^)  Das 
Gleiche  fand  ich  übrigens  anch  im  Innern  der  Spirogyra-Zellen, 
wenn  freie  Protoplasmaströme  in  das  Zelllnmen  entsendet  wurden. 
Die  terminale  Anschwellung  lieferte  hier  augenscheinlich  das 
Material  zur  unmittelbaren  Verlängerung  des  Stromes.^) 

Die  für  Anlage  und  Wachsthum  der  Cilien  an  den  Vaucheria- 
Schwärmsporen  gewonnenen  Daten  werden  wohl  auch  in  gleichem 
Maasse  für  die  Cilien  der  Oedogonium-Schwärmspore  gelten, 
wenigstens  lassen  sieb  diese  Daten  mit  meinen  früher  an  den 
Oedogoninm-Schwärmsporen  gemachten  Beobachtungen  sehr  wohl 
vereinigen.  3) 

So  lange  die  Vaucheria-Schwärmspore  der  Sporangium-Wan- 
dung  dicht  anliegt,  kann  man  von  ihren  zarten,  der  Hautschicht 
angedrückten  Cilien  nichts  bemerken,  und  selbst  in  flachgedrückten 
Sporangien  sind  dann  höchstens  feine  Punkte  an  der  äusseren 
Contour  der  Hautschicht  zu  erkennen. 

An  reifen  Schwärmsporen  fangen  die  Cilien  beim  Zurück- 
treten der  Hautschicht  sofort  im  ganzen  Umfang  des  Körpers  und 
zwar  so  rasch  zu  schwingen  an,  dass  sie  unsichtbar  werden.  Die 
noch  in  Ausbildung  begriffenen  Cilien  beginnen  meist  ebenfalls 
sich  zu  bewegen,  doch  um  so  langsamer  und  unvollkommener, 
je  mehr  sie  in  ihrer  Entwickelung  zurückstehen. 

Nach  kürzerem  oder  längerem  Schwingen  werden  die  Cilien 
in  ähnlicher  Weise  eingezogen;  wie  sie  gebildet  wurden.  Man 
sieht  an  der  Spitze  der  Cilien  ein  Knöpfchen  auftreten,  das  an 
Grösse  zunimmt  in  dem  Maasse  als  sich  die  Cilie  verkürzt,  und 
dann  schliesslich  in  die  Hautschicht  aufgenommen  wird. 

Da  es  mir  fraglich  erscheinen  konnte,  ob  der  Vorgang  an 
künstlich  von  der  Sporangiumwand  entfernten  Schwärmsporen  ein 
normaler  sei,  so  fasste  ich  den  Entschluss,  ihn  auch  an  natür- 
lich befreiten  Schwärmsporen  zu  verfolgen.  Um  nicht  auf  die 
jedesmalige  Entleerung  einzelner  Sporangien  warten  zu  müssen, 
fing  ich  schwärmende  Sporen  aus  einem  grossen  Gefässe  auf. 


')  Max  Schaltze,  das  Protoplasma  der  Rhizopoden  und  der  Pflanzenzellen 
1863,  p.  24. 

^)  Ueber  Zellbildung  and  Zelltheilang,  II.  Aufl.,  p.  44—45. 
')  Ebendas.,  p.  17 1. 


400  Eduard  Strasborgcr, 

Die  Schwännspore  wurde  erat  mit  der  Lonpe  aufgesucht  und  dann 
mit  einem  kleinen  elfenbeinernen  Ohrlöffel  aus  dem  Oef&sse  ge- 
hoben. Es  gelingt  das  leicht  wenn  man  den  Löffel  ganz  unter- 
taucht und  ihn  dann  in  horizontaler  Lage  langsam  emporhebt. 
Man  bekommt  so  die  Schwärmspore  meist  völlig  unversehrt  nnd 
kann  sie  leicht  in  den  Tropfen  auf  dem  Objectträger  bringen. 

Die  Schwärmsporen  wurden  hier  so  lange  in  ihrer  Bewegung 
verfolgt;  bis  sie  zur  Kühe  kamen.  Ihre  Cilien  blieben  dann  plötz- 
lich stehen,  um  nach  einer  Weile  eingezogen  zu  werden.  Wie 
ich  weiter  zeigen  will,  hat  die  Schwärmspore  schon  während 
ihrer  Bewegung  eine  äusserst  zarte  Gellulose-Membran  gebildet, 
in  welcher  jedenfalls;  den  Insertionsstellen  der  Cilien  entsprechend^ 
feine  Oeffhungen  zurückgeblieben  sind  ^) ;  durch  diese  nun  werd^i 
die  Cilien  eingezogen.  Ihr  Einziehen  ist  mit  einer  Contraction 
der  Hautschicht  verbunden;  welche  in  jenem  Augenblick  ihr  eine 
gefaltete  Oberfläche  gibt;  einige  Secunden  später  ist  ihre  Ober- 
fläche wieder  völlig  glatt  geworden.  Man  sieht  alle  diese  Er- 
scheinungen am  leichtesten;  wenn  es  gelungen  ist  die  Schwärm- 
spore durch  sehr  leisen  Deckglasdruck  festzuhalten.  Ihre  Cilien 
bewegen  sich  noch  für  eine  kurze  Zeit;  welche  meist  gentigt;  um 
sie  mit  starker  Vergrösserung  einzustellen. 

Aehuliche  Faltungen  beim  Einziehen  der  Cilien  konnte  ich 
auch  hin  und  wieder  an  der  Hautschicht  der  künstlich  von  der 
Sporangiumwand  entfernten  Schwärmspore  sehen. 

Bei  den  Schwärmsporen  von  Oedogonium  liess  die  sog.  Mund- 
stelle; welche  aus  Hautschicht  gebildet  wird  und  deren  Hinterrand 
die  Cilien  trägt,  keine  der  Hautschicht  der  Vaucheria-Schwärm- 
sporen  ähnliche  Structur  erkennen.  ^) 

An  der  Hautschicht  der  Ulothrix -Schwärmspore  ist  am  vor- 
deren Ende  nur  eine  kleine;  knotenförmige  Verdickung  zu  sehen, 
der  die  vier  langen  Cilien  entspringen.^) 

Somit  ergibt  sich  die  geschilderte  Structur  der  Hautschicht 
und  ihr  Verhältniss  zu  den  Cilien  bei  den  Vaucheria-Schwärmsporen 
als  eine  besondere  Anpassung;  wenn  auch  das  Vorkommen  radiärer 
Streifung  in  der  Hautschicht  auch  an  anderen  Orten  die  Vermuthung 


^)  Wie  solche  für  den  Durchgang   der  Cilien    bei  den  Volvocinen  be- 
stehen. 

°)  Ueber  Zellbildung  und  Zelltheilung,  II.  Aufl.,  p.  171. 
^)  Ebendas.,  p.  166. 


Studien  über  das  Protoplasma.  401 

erweckt;  dass  das  Auftreten  derselben  durch  die  Molecularstractnr 
der  Hantschicht  im  Allgemeinen  begünstigt  werde. 

Der  Körper  der  Spermatozoiden  bei  Famen  and  ^qniseten, 
den  ich  wohl  mit  den  stärksten  and  besten  jetzt  vorhandenen 
Linsensystemen  prüfen  konnte,  lässt  weder  besondere  Strnctar  noch 
besondere  Einrichtnngen  f&r  die  Insertion  der  Cilien  auffinden. 
Ich  nntersachte  die  Prothallien  mehrerer  Adiantam-,  Aspleninm- 
nnd  Pteris-Arten  und  Dank  der  Gefälligkeit  des  Herrn  Prof. 
Sadebeck  auch  die  ProthaUien  von  Eqaisetam  arvense.  Um  die 
Spermatozoiden  eingehend  stndiren  zu  können,  fixirte  ich  sie  mit 
l®/o  Osminmsäure,  was  in  der  vorzüglichsten  Weise,  mit  voll- 
ständigster Erhaltung  des  Körpers  und  der  Cilien  gelingt.  Ab- 
gesehen nun  von  der  verschiedenen  Zahl,  der  verschiedenen  Weite 
und  Steilheit  der  Windungen^  der  wechselnden  Dicke  des  Körpers 
bei  den  verschiedenen  Spermatozoiden,  fand  ich  letztere  stets  von 
einem  in  seiner  ganzen  Masse  homogenen,  stark  lichtbrechenden 
Bande  gebildet.  Dieses  Band  ist  nirgends  hohl  und  zeigt  an 
jedem  Punkte  seines  Verlaufes  einen  annähernd  elliptischen  Quer- 
schnitt. Die  Cilien  werden  nur  von  der  vordersten  Windung  des 
Bandes  getragen ;  sie  entspringen  ihr  unmittelbar,  ohne  besonders 
markirte  Anheftungsstellen.  Die  Spermatozoiden  der  Farne  tragen 
zwischen  den  hinteren  Windungen  ihres  Körpers  eine  Blase,  von 
der  ich  früher  zu  zeigen  versuchte  ^),  dass  sie  der  mittleren,  von 
einer  Plasmahöhle  umgebenen  Vacuole  entspricht,  welche  nach 
Auflösung  des  Zellkernes  und  Ansammlung  des  Protoplasma  an 
der  Wand  der  Mntterzelle,  in  deren  Innerem  auftritt  um  diese 
Vacuole  hat  sich  das  Spermatozoid  gebildet,  und  es  nimmt  die- 
selbe nach  Befreiung  aus  der  Mutterzellhaut  mit  auf  den  Weg. 
Ich  halte  diese  Blase  nun  nicht  für  den  integrirenden  Theil  des 
Spermatozoiden '),  wie  ja  das  die  oft  genug  bestätigte  Thatsache 
lehrt,  dass  die  Blase  sich  vom  Spermatozoiden  loslösen  kann  und 
keinesfalls  bei  der  Befruchtung  mit  zur  Verwendung  kommt 
Somit,  da  diese  Blase  allein  kömige  Bildungen  enthält,  bleibt  für 
den  Begriff  des  Spermatozoiden  hier  nur  das  aus  homogenem, 
starklichtbrechendem  Plasma  gebildete,  solide,  mit  Cilien  am 
vorderen  Ende  versehene  Band  zurück.  Ich  hebe  das  ausdrück, 
lieh  hervor,  weil  in  der  letzten  Zeit  wiederholt  von  Zoologen  an 


1)  Jahrb.  f.  wiss.  Bot,  VII,  p.  394. 

')  So  auch  Sachs,  Lehrbach,  IV.  Aufl.,  p.  418. 


402  Edaard  Starasborger, 

mich*  die  Frage  gerichtet  wnrde^  ob  denn  die  Spermatozoiden  im 
Pflanzenreiche  nicht  nothwendig  auch  einen  Zellkern  aufzuweisen 
hätten.  Es  hängt  diese  Frage  mit  der  Bedeutung  zusammen^ 
welche  jüngst  der  Zellkern  bei  der  Befruchtung  gewonnen.  leh 
bin  nun  der  Meinung,  dass  diese  nach  Auflösung  des  Zellkernes 
der  Mutterzelle  gebildeten  Spermatozoiden  in  der  That  die  Ele- 
mente des  Zellkernes  in  sich  aufnehmen;  dass  es  aber  bei  der 
Befruchtung  auf  KemsubstanZ;  nicht  auf  den  morphologisch  als 
solchen  differenzirten  Zellkern,  ankomme. 

Bei  den  Spermatozoiden  von  Eqnisetnm  ist  bekanntlich  der 
hintere  Theil  des  Körpers  sehr  dick  im  Verhältniss  zum  vorderen 
und  seine  Windung  sehr  steil;  im  Uebrigen  ist  auch  hier  der  Körper 
bandförmig,   von  annähernd  elliptischem  Querschnitt  in   seinem 
ganzen  Verlauf;  an  der  vorderen  Windung  mit  langen  Cilien  be- 
setzt.    Der  Innenseite   des   steilen,    hinteren    Körperabschnittes 
klebt  die  Blase  an,  welcher  auch  hier  die  gleiche  morphologische 
Bedeutung  wie  bei  den  Famen  zukommt.    Auch  hier  ist  es  diese 
Blase  allein,  welche  kömige  Bildungen,  wie  bei  den  Farnen,  vor- 
nehmlich Stärkeköraer,  einschliesst,  und  halten  sich  ihre  Körner 
besonders  an  der  dem  Spermatozoiden-Ban'ie  zugekehrten  Seite 
der   Blase  auf    Das  Band  selbst  wird   in   seiner  ganzen  Aus- 
dehnung  von   homogenem,   stark  lichtbrechendem  Plasma,  ohne 
innere  Höhlungen,  gebildet.   Es  endet  gewöhnlich  stumpf  (Fig.  7, 
9,  14),  seltener  verjüngt  (Fig.  8,  10).    Die  Blase  haftet  meist  der 
Innenseite  des  Bandes  an  und  wird  bei  Streckung  desselben  mit 
in  die  Länge  gedehnt.    Daher  Bilder  wie  die  von  mir  in  Fig.  7, 
8  und  10  abgebildeten.    Aehnliche  Bilder  mögen  Hofmeister   zu 
der  Annahme   geführt   haben,    das   wimperlose   Hinterende    sei 
bei    den  Spermatozoiden*  der   Equisetaceen  an   der  Innenkante 
seiner  Schraubenwindung  deutlich  zu  einem  häutigen,  flossenähn- 
liehen    Anhängsel  verbreitet,    welches   während    der  Vorwärts- 
bewegung in  schneller  Undulation  sich  befindet.  ^)  Was  Hoimeister 
zu  dem  weiteren  Aussprach  veranlasste :  „bei  den  Spermatozoiden 
der  Famkräuter  findet  muthmasslich  dasselbe  Verhältniss  statt  ^),^ 
ist  mir  unbekannt. 

In  manchen  Fällen  kann  sich  die  Blase  gegen  die  steile 
Innenfläche  der  Spermatozoiden  abrunden  und  sich  von  derselben 
mehr  oder  weniger  ablösen;  man  findet  sie  manchmal  auch  den 


^)  Zuletzt  in:  Lehre  von  der  Pflanzenzelle  1867,  p.  33. 
^)  Ebendas. 


Studien  über  das  Protoplasma,  ^03 

vorderen,  engen  Windungen  anhaftend  (Fig.  12).  ^)  In  anderen 
Fällen  hat  das  Spermatozoid  dieselbe  ganz  abgeworfen  (Fig.  14). 
Dann  wird^  das  Spermatozoid  nur  noch  von  dem  stark  licht- 
brechenden Bande  gebildet,  dem  an  der  Innenseite  noch  einige 
Körnchen  anhaften  können  (Fi^.  9).  Gegen  das  Ende  der  Schwärm- 
zeit erscheint  die  Blase  an  den  Spermatozoiden  sowohl  bei  Famen 
als  bei  Equiseten  durch  Wasseraufnahme  oft  um  das  Vielfache 
ihres  ursprünglichen  Volumens  ausgedehnt. 

Ich  erlaube  mir  in  den  Figuren  7— J4  eine  Anzahl  Abbildungen 
der  Spermatozoiden  von  Equisetum  arvense  zu  geben  und  zwar 
nach  Präparaten  die  ich  durch  Uebergiessen  eben  ausgeschwärmter 
Spermatozoiden  mit  l^/o  Osmiumsäure  gewann.*) 

Wenn  nun  die  Frage  aufgeworfen  würde:  ob  die  Sperma- 
tozoiden der  Gefässkryptogamen,  da  sie  im  obigen  Sinne  nur  aus 
einem  homogenen  Bande  mit  Cilien  bestehen,  dennoch  als  Zellen 
aufzufassen  seien?  —  so  möchte  ich  die  Frage  bejahen. 

Verfolgt  man  nämlich  die  Spermatozoiden  nach  rückwärts  bis 
in  die  Algen  hinein,  so  kommt  man  zu  der  Ueberzeugung,  dass 
sie  den  dort  vorkommenden  Spermatozoiden,  deren  Zellnatur  gar 
nicht  angezweifelt  werden  darf,  homolog  sind.  Man  kann  sich 
vorstellen,  dass  sie  durch  Modification  solcher  Spermatozoiden,  wie 
etwa  derjenigen  von  Oedogoninm,  langsam  entstanden  sind,  und 
dann  lässt  sich  ihre  Bildung  aus  dem  Inhalte  der  Mutterzelle 
mit  Ausschluss  der  centralen  Blase,  als  eine  Ar^  freier  Zellbildung 
auffassen.  ^) 

Ein  radiärer  Bau,  der  vielleicht  Aehnlichkeit  mit  dem  bei 
Spirogyra  und  Vaucheria  geschilderten  besitzt,  wird  von  Ed.  van 
Beneden  ftlr  die  Hautschicht  der  Eier  der  Seesteme  angegeben. 
„Die  Hautschicht,"  schreibt  er,  „ist  heller  und  weniger  körnig 
als  die  innere  Masse,  sie  zeigt  ausserdem  eine  zarte,  radiale 
Streifung,  die  der  inneren  Masse  zu  fehlen  scheint.''  Ed.  van 
Beneden  gibt  die  Stärke  dieser  Hautschicht  auf  beiläufig  ein 
Drittel  des  Radius  des  Dotters  an.  ^) 

^)  Vergl.  anch  Schacht,  die  Spermatozoiden  im  Pflanzenreiche,  1864,  p.  10. 

')  Alle  Spermatozoiden  von  EquiBetum  arvense  erschienen  mir  in  gleicher 
Richtung  gewunden  Die  umgekehrte  Richtung  in  Fig.  14  rührt  daher,  dass 
dieses  Spermatozoid  mit  seiner  Spitze  nach  unten  liegt. 

')  Vergl.  Zellhildang  nnd  Zelltheilung,  II.  Aafl.,  p.  192. 

^)  Contributions  k  Thistoire  de  la  v^sicale  gerroinative  et  du  premier 
noyan  embryonnaire.  Bulletins  de  l'Acad^mie  rojale  de  Belgique,  2^me  ^^r. 
T.  LXI,  Nr.  1,  Janvier  1876,    Des  Separatabdrnckes,  p.  23. 


404  Eduard  Strasbtirger, 

Mehrere  Beispiele  einer  Streifung  der  Hautschicht  lieasea 
Bich  noch  der  thierischen  Histologie  entnehmen,  doch  sind  £t 
bezüglichen  Angaben  meist  nicht  der  Art,  dass  wir  sie  hier  direci 
verwerthen  könnten. 

Sehr  nahe  lag  es  hingegen,  an  einen  Vergleich  der  in  der 
Hantschicht  yerschiedener  Infusorien  beobachteten  Stäbchen,  der 
sog.  Trichocysten  y  mit  den  Stäbchen  in  der  Hantschicht  der 
Yancheria-Sporen  zn  denken.  Ein  Bild,  wie  es  Paramecinm  anrelia 
an  seiner  Peripherie  bietet,  ist  in  der  That  nicht  anähnlich  dem- 
jenigen der  Peripherie  einer  Vancheria  -  Schwärmspore.  Man 
hätte  meinen  mögen,  dass  anch  bei  den  Infusorien  die  Stabchen 
als  Stütze  der  Cilien  dienen ;  vorhandene  Angaben,  namentlich  die 
von  Wrzesniowski  ^),  beweisen  aber  sicher,  dass  jene  Stäbchen 
in  keinem  Verhältniss  zn  den  Cilien  stehen,  vielmehr  nnter  um- 
ständen ansgestossen  werden  können  und  wohl  als  Waffen 
dienen. 

Auch  an  der  Hautschicht  der  Plasmodien  bei  den  Myxomy- 
ceten  hat  Hofmeister  eine  bestimmte  Structur  beobachtet.  „Hänfig')% 
schreibt  er,  „tritt  eine  radiale,  auf  den  Flächen  senkrechte  Streifung 
hervor,  wenn  das  Mikroskop  auf  den  optischen  Durchschnitt  der- 
selben eingestellt  wird :  eine  Streifung,  die  auf  der  Nebeneinander- 
lagerung stärker  und  schwächer  lichtbrechender,  dichterer  nnd 
minder  dichter,  weniger  und  mehr  Wasser  haltender,  zur  Fläche 
der  Membran  vertical  gestellter  Theilchen  beruht.  Seltener  ist 
eine  Zusammensetzung  aus  der  Fläche  der  Hautschicht  parallelen, 
abwechselnd  stärker  und  schwächer  lichtbrechenden  Lamellen  tu 
erkennen,  doch  kommt  sie  bisweilen  neben  jener  radialen  Streifimg 
oder  auch  ohne  dieselbe  vor/^  Am  deutlichsten  will  Hofmeistet 
diese  Verhältnisse  an  im  Einziehen  begriffenen  dtLnnen  Aesten 
der  Plasmodien  von  Aethalium  septicum  gesehen  haben ;  auch  gibt 
er  an '),  ähnliche  Erscheinungen  habe  de  Bary  unter  gleichen 
Verhältnissen  an  den  Plasmodienästen  von  Didymium  serpula  nnd 
von  Aethalium  beobachtet.  De  Bary  schreibt  an  der  von  Hof- 
meister citirten  Stelle :  „Wo  ein  Zweig  eingezogen  wird,  da  nehmen 
die  centripetalen  Strömungen  an  Energie  stetig  zu,  die  centri- 
fugalen  ab,  und  in  gleichem  Maasse  verschmälert  und  verkürzt 


*)  Archiv  f.  mikr.  Anat.,  Bd.  V,  1869,  p.  41. 

^  Lehre  von  der  Pflanzenzelle,  1867,  p.  24  und  Fig.  8,  p.  25. 

•)  1.  c,  p.  24  Anm. 


State 


V: 


Stadien  über  das  Protoplasma.  405 

sich  der  Zweig.  Bei  Aethalinm  and  Didyminm  serpula  sah  ich 
of^  wie  jede  nenC;  in  einen  Zweig  laufende  centrifngale  Strömnng 
immer  weiter  von  dem  Zweigende  aufhörte,  dem  Zweige  also 
immer  weniger  nnd  znletzt  gar  keine  Kömer  mehr  zngeftthrt 
:  j^  wurden,  während  die  Orundsubstanz  sich  äusserst  langsam  zu- 
sammenzog. Der  zuletzt  ganz  kömerfreie  Ast  nimmt  dabei  oft 
eine  eigenthttmliche  Beschaffenheit  an.  Seine  Peripherie  wird  von 
einer  dicken,  glänzenden  Lage  von  Grundsubstanz  gebildet,  an 
welcher  die  Randschicht  nicht  mehr  kenntlich  ist,  welche  dagegen 
auf  ihrer  ganzen  Aussenfläche  mit  spitzen,  abstehenden  Fort- 
sätzen, wie  mit  feinen  Stacheln  dicht  bedeckt  ist.  Zuweilen  hat 
es  den  Anschein,  als  sei  die  ganze  eben  erwähnte  Lage  der  Grnnd- 
substanz  aus  dicht  gedrängten,  zur  Oberfläche  senkrechten  Stäb- 
chen zusammengefegt,  deren  äussere  Enden  die  stachelähnlichen 
Fortsätze  bilden,  doch  konnte  ich  dies  nicht  bestimmt  er- 
kennen.'' 0 

Diese  von  de  Bary  gegebene  Schilderung  der  Banddifferen- 
zirung  scheint  mit  derjenigen  übereinzustimmen,  welche  Hofmeister 
bei  längerer  Einwirkung  concentrirter  Lösungen  von  Zucker, 
Glycerin,  Kalisalpeter  oder  Kochsalz  auf  Plasmodien  beschreibt  >), 
deren  hyaliner  Saum  sich  dann  mit  stacheligen,  dicht  stehenden 
^Fortsätzen  bedeckt.  Die  am  weitesten  vorragenden  Stellen  der 
Aussenfläche  sollen  dann  diejenigen  grösster,  die  am  tiefsten  ein- 
gesenkten diejenigen  geringster  Dehnbarkeit  sein. 

Die  gleichen  Erscheinungen  hatte  auch  schon  Kühne  unter 
ähnlichen  Einflüssen,  vornehmlich  aber  bei  Einwirkung  einpro- 
centiger  Bhodan-Kalium-Lösung  beobachtet  Dabei  wurden  die 
meisten  Stämme  der  Plasmodien  in  Kugeln  verwandelt,  deren 
hyaliner  Saum  sich  dann  zerklüftete.  „Zuerst  zeigte  sieh  eine 
ungeheure  Menge  feiner,  radiärer  Streifungen, ...  an  der  änssersten 
Peripherie  bildeten  sich  schöne,  stachelige  Fortsätze,  mit  denen 
das  Ganze  dicht  besetzt  erschien,  und  die  Basis  des  Saumes  zog 
sich  zu  einer  schmäleren,  glasglänzenden  Schichte  zusammen.'^ 
„Man  brauchte  die  Salzlösung  nur  durch  destillirtes  Wasser  zu 
verdrängen,  um  sämmtliche  stachelige  Fortsätze  in  die  Kugeln 
zurückzutreiben.  Der  glatte,  hyaline  Saum  bildete  sich  zuerst 
wieder,  verschmälerte  sich  später,  wurde  unregelmässig  nach  innen 
und   aussen   und  die  Gontractionen  mit  der  davon  abhängigen 

^)  Die  Mycetozoen,  II.  Aafl.  1864,  p.  46. 
')  Die  Lehre  von  der  Pflanzenzelle,  p.  27. 


40%  Edoard  Strasborger, 

Körnchens trömn  Dg  begannen  von  Neuem.  Indessen  dauerte  dies 
Alles  nicht  lange^  sondern  unter  Austritt  von  schleimigen^  zittern- 
den Klttmpchen  ging  das  Protoplasma  zu  Grunde/'  ^) 

Meine  eigenen  Untersuchungen  bezogen  sieh  vornehmlich  aaf 
die  Plasmodien  von  Aethalium  septicum,  die  ich  in  unzähligen 
Exemplaren  studirt  habe.  Zum  Zweck  der  Herstellung  von  Prä- 
paraten, die  unmittelbar  auch  bei  stärkster  Vergrösserung  zu  be- 
obachten wären,  liess  ich  die  Plasmodien  von  der  Oerberlohe  auf 
vertical  aufgestellte  Objectträger  kriechen,  über  deren  eine  Fläche 
ein  äusserst  schwacher  Wasserstrom  mit  Hülfe  eines  Saugapparates 
einfachster  Art,  der  aus  einem  Fliesspapierstreifen  bestand,  ge- 
leitet wurde.  In  halber  Länge  der  benetzten  Fläche,  ob  direct 
auf  dem  Objectträger,  ob  durch  zarte  Schutzleisten  von  demselben 
getrennt,  war  je  ein  dünnes  Deckglas  angebracht.  Das  Ganze 
setzte  ich  in  einen  dunklen  Kasten,  um  die  Bewegungsrichtung 
der  Plasmodien  der  Beeinünssung  durch  das  Licht  zu  entziehen. 
Alle  die  reich  verzweigten  Plasmodien,  die  ich  zur  Untersuchung 
wählte,  bewegten  sich  nun  fast  vertical  aufwärts  an  den  befeuch- 
teten Glasflächen  und  es  *  geschah  häufig,  dass  sie  das  Deckglas 
erreichend,  mit  mehreren  Zweigen  unter  dasselbe  krochen,  ja  selbst 
da,  wo  das  Deckglas,  ohne  Schutzleisten,  direct  an  dem  feuchten 
Objectträger  haftete.  In  den  letzten  Fällen  bekam  ich  besonder^ 
zarte  Ströme,  die  vorzüglich  für  die  Beobachtung  geeignet  waren. 
Wenn  ich  während  der  Untersuchung  einen  continuirlichen  Wasser- 
strom unter  dem  Deckglas  durchleitete  und  das  Object  gegen  Druck 
gesichert  war,  so  konnte  es  sich  nach  überwundener,  erster 
Störung  normal  weiter  bewegen.  Wurde  das  Präparat  durch  das 
Deckglas  wenn  auch  noch  so  schwach  gedrückt,  oder  stieg  durch 
fortgesetzte  Verdunstung  des  zngeführten  Brunnenwassers  der 
Salzgehalt  desselben,  so  pflegte  das  bekannte  langsame  Einziehen 
der  Zweige  des  Plasmodiums  zu  beginnen. 

Da  beobachtete  ich  nun  Erscheinungen,  welche  sich  durchaus 
an  die  von  de  Bary  geschilderten  anschlössen.  Sehr  häufig  ge- 
schah es,  dass  die  Enden  der  in  Einziehung  begriffenen  Zweige 
solche  Bilder,  wie  die  in  Fig.  16,  Taf.  II  oder  Fig.  11  und  12, 
Taf.  III,  1.  c.  bei  de  Bary  abgebildeten  zeigten.  Dagegen  wollte 
es  mir  leider  nicht  gelingen,  einen  Zustand  zu  finden,  welcher  der 


')  Untersuchungen  über   das  Protoplasma    und    die  ContractÜität  1864. 
p.  83. 


Studien  über  das  Protoplasma.  407 

FOD  Hofmeister  (1.  c,  p.  25)  dargestellten  Figur  entsprochen  hätte, 
ungeachtet  letztere  auch  von  Aethaiium  septicum  entstammen  soll. 

De  Bary  will  die  stachelige  Differenzirung  der  Peripherie  bei 
den  in  Einziehung  begriffenen  Zweigen  erst  gesehen  haben,  wenn 
die  Grundsubstanz  derselben  ganz  von  Kömchen  entleert  war 
ich  beobachtete  sie  an  Zweigen  noch  vor  deren  Entleerung  und 
kann  auf  das  Bestimmteste  behaupten,  dass  die  auftretenden 
Fortsätze  nicht  der  Grundsubstanz  des  Eömerplasma,  sondern  der 
Hautschicht  des  Plasmodium  angehören.  Meine  Figuren  15 — 19 
zeigen  dies  deutlicL  Ich  habe  manchmal  wie  in  Fig.  15  die 
Fortsätze  schon  sehr  frühzeitig,  gleich  beiih  Beginn  der  Einziehung, 
auftreten  sehen.  Bei  starker  Vergrösserung  war  es  leicht  zu  ver- 
folgen, wie  beim  Zurückweichen  einzelne  Stellen  der  Hautschicht 
hinter  den  anderen  zurückblieben,  so  zu  feinen,  stachelartigen  Ge* 
bilden  werdend. 

Es  ist  wohl  denkbar,  dass  ^ie  zurückbleibenden  Stellen  den- 
jenigen grösserer  Dichtigkeit,  die  zurückweichenden  denjenigen 
geringerer  Dichtigkeit  in  der  Hautschicht  entsprechen.  Die  Be- 
tardirung  wird  nicht  etwa  durch  ein  stärkeres  Anhaften  der  zurück- 
bleibenden Stellen  an  der  Unterlage  bedingt,  da  die  Fortsätze 
im  ganzen  Umfange  des  Zweigendes  gleichmäasig  erzeugt  werden. 
Diese  Fortsätze  können  oft  eine  bedeutende  Länge  erreichen, 
dann  sieht  das  Zweigende  wie  mit  langen  Wimpern  besetzt 
aus  (Fig.  19).  Sehr  eigenthümlich  machten  sich  die  Fortsätze  an 
j^anchen  Verbindungszweigen,  die  in  zwei  entgegengesetzten 
Bichtangen  eingezogen  wurden.  Solche  Zweige  werden  dann  in 
den  von  ihren  Ansatzstellen  gleich  entfernten  Orten  immer  dünner 
und  bestehen  dort  schliesslich  nur  aus  Hautschicht;  gleichzeitig 
erscheinen  sie  dann  mit  kürzeren  oder  längeren  Stacheln  besetzt, 
welche  der  Bichtung  der  rückläufigen  Ströme  entgegen  gerichtet 
sind  und  somit  an  den  beiden  Hälften  des  Verbindungszweiges 
umgekehrte  Orientirung  zeigen  (Fig.  20). 

Bei  beginnendem  Bückzug  eines  Zweiges  kann  die  Hautschicht 
auch  unregelmässige,  wulstige  Auftreibungen  bilden  (Fig.  21). 
Häufig  folgt  letzteren  alsbald  die  Bildung  der  stacheligen  Fort- 
sätze. Oefters  entstehen  derartige  wulstige  Auftreibungen  auch 
tiefer  an  einem  Zweige,  welcher  an  seiner  Spitze  die  stacheligen 
Fortsätze  erzeugt  (Fig.  18  u.  19).  Gewöhnlich  deutet  dann  dieser 
Ort  den  nächsten  Punkt  an,  bis  auf  welchen  der  Zweig  eingezogen 
werden  wird  (Fig.  18). 

Wenn  ein  Zweig  beim  Bückzug   die  stacheligen  Fortsätze 


408  Eduard  Strasbnrger, 

gebildet  hat,  beim  Eintritt  günstiger  Umstände  aber  von  Nenem 
vorzoschreiten  beginnt,  so  werden  die  Fortsätze  in  die  vordringende 
Hautschicht  wieder  aufgenommen.  Sind  die  Fortsätze  kurz  zuTor 
gebildet  worden,  so  erfolgt  ihre  Aufnahme  sehr  leicht;  ist  ihre 
Bildung  etwas  älteren  Datums,  so  scheint  ihre  Aufnahme  in  die 
Hautschicht  mit  Schwierigkeiten  verbunden  zu  sein.  Da  sah  ich 
den  Zweig  an  seinem  Ende  ofi:  erst  bedeutend  anschwellen  und 
dann  die  mit  Fortsätzen  besetzte  Stelle  mit  einem  Ruck  aufgerissen 
werden;  neue  Hautschicht  drang  an  solchen  Orten  hervor,  alsbald 
von  dem  Eömerplasma  gefolgt;  die  stacheligen  Fortsätze  kamen 
dann  zu  den  beiden  Seiten  des  neuen  Zweiges  zu  stehen.  Eine 
Abgrenzung  der  sie  tragenden  Hautschicht  gegen  die  neu  vor- 
gedrungene war  übrigens  bald  nicht  mehr  zu  sehen. 

Die  geringfügigsten  Di£fer<3nzen,  in  ihrem  Vorhan'iensein  kaum 
festzustellen,  beeinflussen  die  Gastalt  der  vordringenden  Zweig- 
enden: bald  sind  letztere  gleichmässig  abgerundet,  bald  verschieden 
ausgebuchtet,  theils  mit  zugespitzten,  theils  mit  rundlichen  Vor- 
sprüngen (Fig.  22).  Solche  Erscheinungen  und  Differenzen  treten 
auch  bei  spontanem  Einziehen  einzelner  Zweige  auf.  Manch- 
mal sieht  man  dann  Bilder,  welche  an  die  Stachelbildung  er- 
innern, nur  dass  die  einzelnen  Stacheln  in  ihrer  ganzen  Länge 
viel  breiter  sind,  als  wären  sie  aus  der  Verschmelzung  je  mehrerer 
hervorgegangen;  die  Zweigspitze  erscheint  dann  wie  gezShnt* 
Zwischen  solchen  gezähnten  Rändern  und  den  unregelmässig  ge- 
buchteten finden  sich  Uebergänge.  ^ 

Ich  fixirte  eine  Anzahl  Plasmodien  mit  1  %  Osmiumsänre, 
was  ebenfalls  in  der  vorzüglichsten  Weise  gelingt.  Fig.  23  zeigt 
einen  im  Vorschreiten  begriffenen  Zweig,  der  auf  diese  Weise  be- 
handelt wurde  und  den  ich  nun  erstarrt  in  Glycerin  aufbewahre. 

Die  merkwürdigsten  Bilder  bekam  ich  bei  Fixirung  der  Plas- 
modien mit  1  7o  Chromsäure.  Wie  Fig.  24  nämlich  zeigt,  war 
unter  dem  Einflüsse  dieses  Reagens  an  den  Zweigenden  oft  das 
Umgekehrte  von  dem,  was  wir  bisher  gesehen,  eingetreten.  Die 
Hautschicht  zeigte  sich  da  nämlich  in  einzelne  Stäbchen  aufgelöst, 
die  aber  nicht  der  gemeinsamen  Unterlage  eingefügt  waren,  viel- 
mehr von  einer  gemeinsamen  Hüllhaut  an  ihren  Spitzen  verbunden, 
an  ihrer  Basis  hingegen  zum  grossen  Theile  &ei  und  so  unmittel- 
bar auf  die  Substanz  des  Kömerplasma  stossend.  Es  mag  durch 
die  Chromsäure  im  ersten  Augenblick  nur  die  Peripherie  des 
Plasmodium  fixirt  werden  und  die  sich  eine  Weile  noch  zurück- 
ziehende Innenmasse  solche  Erscheinungen  veranlassen. 


Stadien  über  das  Protoplaflma.  409 

Ich  behaDdelte  dann  auch  ein  im  stärksten  Bückzug  befind- 
liches, stark  mit  freien,  stäbchenähnlichen  Fortsätzen  bedecktes 
Plasmodium  mit  1  ^/o  Ghromsäure.  Die  Stachel  wurden  erhalten, 
doch  erschienen  sie  häufig  an  ihrer  Spitze  kegelförmig  an- 
geschwollen und  ausgehöhlt;  bei  manchen  geschah  Letzteres  in 
der  ganzen  Höhe,  sie  erschienen  dann  beuteiförmig.  Es  hatten 
hier  eben  Vacuolen  in  den  Fortsätzen  vor  deren  schliess- 
licher  Fixirung  sich  bilden  können  (Fig.  25  und  26).  An  den 
gleichen  Präparaten  war  die  Hautschicht  oft  membranartig  nieder* 
geschlagen  worden  und  das  Eömerplasma  hatte  sich  dann  von 
ihr  an  manchen  Orten  zurückgezogen,  so  dass  nur  noch  feine 
Fäden,  aus  Grundsubstanz  des  Eömerplasma  gebildet,  beide  ver- 
banden (Fig.  26).  Solche  Figuren  erinnern  an  Bilder,  wie  sie 
bei  der  Ausbildung  mancher  Fruchtkörper  der  Myxomyceten  zu 
sehen  sind.  ^) 

Ich  habe  mich  im  Vorhergehenden  auf  die  Schilderung  der 
Strömung  selbst,  als  so  oft  schon  gegeben,  nicht  eingelassen  und 
führe  hier  nur  zum  Schlüsse  die  Figur  27  noch  vor,  welche  ein 
älteres  Stammstück  aus  dem  Inneren  des  Aethalium-Plasmodiums 
zeigt.  Das  Eömerplasma  war  hier  in  Strömung,  so  weit  es  die 
Linien  im  Inneren  andeuten.  Das  Verhältniss  des  Eömerplasma 
zur  Hautschicht  ist  in  der  Abbildung  streng  eingehalten;  ausser- 
dem ist  das  Stammstück  von  einer  Gallertscheide,  de  Baryts  Hülle, 
und  von  den,  derselben  ein-  oder  meist  aufgelagerten  Eörpem 
umgeben,  die  ich  sammt  der  Hülle  für  Ausscheidungen :  fQr  £x- 
cremente  halte. 

Im  Innern  der  Hautschicht  habe  ich  hier  keine  Structur  be- 
obachten können,  weder  an  frischen  noch  an  künstlich  behandelten 
Objecten;  nichtsdestoweniger  möchte  ich  in  der  so  constanten 
Bildung  feiner  Fortsätze  an  den  im  Bttckzug  begriffenen  Zweig- 
enden, mit  Hofhieister,  den  Ausdmck  von  Dichtigkeitsunterschieden 
erblicken,  welche  in  der  Moleculär-Stmctur  dieser  Hautschicht 
ihre  Begrtindung  finden. 

Eh  haben  in  letzter  Zeit  Heitzmann  ^)  und  Frommann ')  darauf 
hingewiesen,  dass  die  Grundsubstanz  des  Eömerplasma  oft  einen 


*)  Vergleiche  Taf.  VITI  der  bereits  erschienenen  polnischen  Ausgabe  der 
MycetOKoen  von  Rostafinski. 

«)  Sitzber.  d.  W.  Ak.  d.  Wiss.  von  April  bis  Juni,  1873, 
*)  Jenaische  Zeitschr.  f.  Naturw.,  JX,  Bd.  1875,  p.  280. 


410  Eduard  Strasburger, 

netzförmigen  Bau  zeige.  Ich  selbst  beobachtete  einen  solchen 
Bau  in  den  Eiern  der  Coniferen  und  Gnetaceen  und  wies  darauf 
hin,  wie  man  zwischen  Vacuolen  und  Kammern  im  Körnerplasma 
unterscheiden  müsse.  0  Vacuolen  sind  Tropfen  einer  wässerigen 
Fltlssigkeit  im  Plasma,  die  Kammern  dagegen  werden  gebildet, 
wenn  das  Plasma  in  dünnen,  netzförmig  verbundenen  Platten  die 
Zellflüssigkeit  durchsetzt. 

Von  derartigen  Protoplasmakammem  wird  auch  der  vordere, 
helle  Raum  im  Inneren  der  Vaucheria-Schwärmsporen  meist  voll- 
ständig durchsetzt  (Fig.  2).*)  Stellt  man  auf  denselben  scharf 
ein,  so  kann  man  leicht  bemerken,  wie  die  Kammern  langsam 
ihre  Gestalt  verändern. 

Eine  ähnliche,  kämmerige  Anordnung  dds  zum  grossen  Theil 
mit  Chlorophyllkörpern  beladenen  Körnerplasma  zeigen  die  Zellen 
der  Gladophora. 

Andererseits  hat  Veiten  auch  eine  entsprechende  Vertheilung 
des  Körnerplasma  in  Pflanzenhaaren  beschrieben.  „Für  einzelne 
Fälle  ist  es  ervriesen,"  schreibt  er  hierauf^),  „dass  das  Proto- 
plasma ein  Kanalsystem  ist.  Die  Plasmakörnchen  bewegen  sich 
in  oder  an  den  Wänden  der  wässerige  Lösungen  einschliessenden 
Kammern ;  niemals  sieht  man  eine  kömchenhaltige  Flüssigkeit  in 
dem  Protoplasma  strömen;  es  sind  nicht  in  sich  zurücklaufende 
Kanälchen  vorhanden,  sondern  dieselben  sind  vielfach  unterbrochen 
durch  Querwände.  Die  Gonfiguration  der  Kammern  wird  durch 
die  Bewegung  der  plasmatischen  Wände  fortwährend  verändert; 
eine  kürzere  Zeit  kann  eine  Form  eingehalten  werden.^^ 

^)  ZellbUdung  und  Zelltheilnng,  II.  Aufl.,  p.  20. 

^)  Ich  meinte  früher,  diese  Kammern  stiessen  in  der  Mitte  des  Zellraumes 
in  einer  gleichmässig-feinkörnigen  Plasmamasse  zusammen,  der  ich  sogar  geneigt 
war,  eine  centrale  Action  zuzuschreiben.  Jetzt  konnte  ich  mich  an  den  zahl- 
reich untersuchten  Schwärmsporen,  die  mir  hin  und  wieder,  namentlich  bei 
leisem  Drucke,  völligen  Einblick  in  ihr  Inneres  gestatteten,  sicher  überzeugen, 
dass  dieser  Raum  von  Zellflüssigkeit  erfüllt  ist.  Meist  ist  diese  Zellflüssigkeit 
von  den  Protoplasmakammem  völlig  durchsetzt,  in  manchen  Fällen  bleibt  die 
Mitte  der  Flüssigkeit  von  denselben  frei.  Ich  habe  also  wohl,  als  ich  im 
Verhalten  dieses  hellen  Raumes  Stützen  für  dessen  centrale  Thätigkeit  finden 
wollte,  Ursache  und  Wirkung  verwechselt,  indem  Verhalten  und  Stellung 
dieses  Raumes  von  der  Hautschicht  aus  bestimmt  werden  dürfte.  (Zellbildung 
und  Zelltheilung,  p.  186.)  Hin  und  wieder  findet  man  auch  in  den  Schwärm- 
Sporen  mehrere  mit  Zellflüssigkeit  erfüllte  Lumina  statt  des  einen.  Wieder- 
holt sah  ich  kleine  Krystalle,  wohl  von  oxalsaurem  Kalk,  in  der  Zellflüssig- 
keit liegen. 

«)  Flora  1873,  p.  Va3, 


Studien  über  das  Protoplasma.  ^^± 

Sehr  verbreitet  innerhalb  mancher  jangen  nnd  der  meisten 
älteren  Pflanzenzellen  ist  die  bekannte  Anordnung  des  Eömer- 
plasma  zu  einer  dünneren  oder  dickeren  Lage  auf  der  Innenseite 
der  Haatschicht;  so  dass  beide  zusammen  einen  Beleg  von  wech- 
selnder Mächtigkeit  an  der  Wand  der  Zelle  bilden.  Wenn  unter 
solchen  Verhältnissen  die  Eömerschicht  eine  grössere  Stärke  er- 
reicht, lassen  sich  oft  gewisse  Differenzen  in  dem  Verhalten  ihrer 
äusseren,  an  die  Hautschicht  grenzenden  und  ihrer  inneren,  an 
die  ZellfliLBsigkeit  anstossenden  Lagen  erkennen,  welche  auf  eine 
etwas  grössere  Dichte  der  äusseren  Lagen  gegen  die  inneren  hin- 
weisen. Dieses  kann  sich  in  der  Verschiedenheit  der  kömigen 
Einschlüsse  äussern,  auch  wohl  darin,  dass  die  inneren  Lagen  des 
Eömerplasma  sich  in  Bewegung  befinden,  wo  die  äusseren  ruhen.  ^) 

In  vielen  Fällen  durchziehen,  von  dem  Wandbelege  ausgehend, 
zahlreiche  bewegliche  Fäden  des  Eömerplasma  das  mit  Fltlssig- 
keit  erfüllte  Zelllumen. 

Bei  Aethalium  septicum  lässt  die  Grandmasse  des  Eömer- 
plasma keinerlei  Schichtungen  erkennen,  sie  führt  gleichmässig 
vertheilten,  kömigen  Inhalt,  sehr  vereinzelt  auch  contractile  Vacuolen. 

Eine  leicht  sichtbare,  radiäre  Anordnung  nimmt  das  Eömer- 
plasma in  sich  theilenden,  thierischen  Zellen,  doch  nicht  proprio 
motu,  sondem  unter  dem  Einflüsse  des  in  Theilung  eintretenden 
Zellkemes  an.  Um  dessen  Pole  erscheint  die  Grundsubstanz  des 
Eömerplasma  strahlig  vertheilt,  ausserdem  bis  zu  einer  gewissen 
Entfemung  kömerlos,  da  ihre  Eömer  von  den  Eempolen  ab- 
gestossen  werden.  —  Die  Strahlen  setzen  bei  ihrer  Bildung  an 
die  Eempole  an  und  wachsen  an  ihren  Enden.  Die  kömerlosen 
Stellen  umgebend,  erscheinen  sie  mit  diesen  wie  zwei  helle 
Sonnen  in  den  sich  theilenden  Zellen.  —  Auch  bei  freier  Zell- 
bildung zeigt,  in  besonders  durchsichtigen  Fällen,  das  Eömer- 
plasma radiäre  Anordnung  um  die  neuentstandenen  Eeme. 

Eine  ganz  bestimmte  Differenzirang  erfährt  das  Eömerplasma 
der  Pflanzenzelle  bei  der  Bildung  der  Chlorophyllkörper.  Diese 
treten,  wie  bekannt,  bei  höheren  Pflanzen  in  Eömerform,  bei  den 
Algen  aber  auch  in  Leisten-  Band-  oder  Stem-Form  auf.  — 
Dass  diese  grüngefärbten  Eörper  wirklich  dem  Eömerplasma  an- 
gehören, das  zeigen  die  Fälle  wo,  wie  bei  manchen  niedersten 
Algen,  das  gesammte  Eömerplasma  grün  gefärbt  erscheint  und 
nur  die  Hautschicht  farblos  ist.    Dasselbe  folgt  überall  aus  der 


^)  Vergl.  hierüber  Pringsheim,  Pflanzenzelle,  1854,  p.  8  u.  9. 
Bd.  X.  N.  E.  m.  4.  27 


412  Eduard  Strasburger, 

Entwicklungsgeschichte,  und  zwar :  dass  die  Ghlorophyllkörper  aus 
der  homogenen  Grundsubstanz  des  Eörnerplasma  hervorgehen. 
Sie  sind  gegen  das  umgebende;  ungefärbte  Eömerplasma  scharf 
abgegrenzt  und  zeigen  sich  an  ihrer  Oberfläche  etwas  dichter  als 
im  Inneren.  Nicht  immer  ist  übrigens  diese  Verdichtung  optisch 
nachweisbar  und  nur  aus  dem  Verhalten  der  Körner  bei  Quellung 
zu  erschliessen. 

Eine  weitergehende  Differenzirung  des  Eömerplasma  als  inner- 
halb der  Pflanzenzellen  hat  bei  vielen  Khizopoden  stattgefunden. 
So  wird  im  Eörper  der  Heliozoen,  den  ich  als  seiner  ganzen 
Masse  nach  aus  Eömerplasma  bestehend  betrachten  möchte,  eine 
Mark-  und  KindensubstanZ;  ein  Endosark  und  Ektosark  beschrieben. 
Beide  Schichten  gehen  unmerklich  in  einander  über,  können  ab«r 
auch  scharf  abgegrenzt  sein;  doch  ist  es  in  allen  Fällen  nur  die 
Verschiedenheit  des  Protoplasma,  keine  besondere  Membran, 
welche  die  Deutlichkeit  der  Contour  bedingt.^)  Im  Endosark 
liegt  stets  der  Eem  oder  die  Kerne,  das  Ektosark  ist  charakte- 
risirt  durch  den  Besitz  der  contractilen  Vacuolen.  —  „Bei  Actino- 
sphaerium  unterscheidet  sich  die  Mark-  von  der  Rindensubstanz 
im  Wesentlichen  durch  ihre  gröbere  Körnelung  und  die  dadurch 
bedingte  beträchtliche  Undurchsichtigkeit.  Ferner  ist  dieselbe 
vorwiegend,  wenn  nicht  ausschliesslich,  der  Sitz  der  Verdauung. 
Das  vollkommene  Gegentheil  ist  bei  den  Heliozoa  Skeletophora 
der  Fall.  Hier  ist  die  zahlreiche  gröbere  und  feinere  Eömchen 
enthaltende  Kinde  allein  der  die  Nahmngsaufnahme  und  Assimi- 
lation versehende  Theil,  während  niemals  die  Nahrungskörper  bis 
in  die  centralen  Partieen  des  Eörpers  hineingelangen.  Dieselbe 
bildet  in  Folge  dessen  eine  feinkörnige  oder  homogene  Masse  von 
mattgraubläulichem  Glanz,  welche  mit  einer  deutlichen  Linie  gegen 
die  Kindensubstanz  sich  absetzt.  ^) 

Manche  Ileliozoen  zeigen  auch  innerhalb  der  von  ihrer  Ober- 
fläche strahlig  entspringenden  Pseudopodien  eine  Differenzirung 
in  einen  „Axenfaden'^  und  die  „Kindenschicht^^  Bei  Actino- 
sphaerium  ist  diese  Sonderung  am  deutlichsten.  Die  „Rinden- 
schicht'' der  Pseudopodien  wird  vom  Eömerplasma  des  Ectosark, 
«kr  „Axeiifaden''  aus  *  einer  homogenen  in  Essigsäure  sich  lösen- 
den Substanz,  „vielleicht  aus  einer  Verdichtung  des  Protoplasma'^ 


^)  R.  Uertwig  u.  £•  Lesser,  Archiv  f.  mikr«  Anat.,  Bd.  X,  Suppl.,  p.  161 
^)  Ebendas.,  p.  190« 


Stadien  über  das  Protoplasma.  413 

gebildet  ^)  und  lässt  sich  durch  das  Ectosark  bis  in  die  Oberfläche 
des  EDdosark  verfolgen.  ^) 

Bei  Monothalamien  kommen  noch  andere  Sonderungen  des 
Eömerplasma  vor. 

Eugl3rpha  alveolata  Duj  ardin  und  ihr  verwandte  Formen 
lassen  z.  B.  im  Protoplasmakörper  eine  hintere,  fast  hyaline 
Masse,  mit  grossem,  wasserhellem;  kugeligem  Kerne,  eine  mittlere 
grob-  und  dunkelkörnige  Partie,  durch  etwa  aufgenommene 
Nahrungsmittel  getrübt,  meist  ganz  undurchsichtig,  und  einen 
vorderen  Abschnitt,  mit  geringer,  feinkörniger  Trübung,  welcher 
meist  ein  oder  mehr  pulsirende  Vacuolen  und  häufig  auch  noch 
Nahrungsmittel  enthält,  unterscheiden. ') 


Wir  wollen  es  nunmehr  versuchen,  das  Verhältniss  des 
Hautplasma  zu  dem  Eömerplasma  näher  zu  beleuchten.  Be- 
kanntlich unterschied  Pringsheim  zuerst  zwischen  Hautschicht  und 
Eömerschicht  des  Protoplasma  und  zwar  bezeichnete  er  auch  das 
Eörnerplasma  als  „Schicht'S  weil  er  dasselbe  zunächst  an  den 
mit  Zellnmen  versehenen  Pfianzenzellen  studirte,  wo  das  Proto- 
plasma nur  einen  stärkeren  oder  schwächeren  Beleg  an  der 
Gellulosewand  bildete.  ^)  Beide  Bezeichnungen  wurden  dann  auch 
auf  Protoplasmamassen  ohne  Lumen  übertragen  und  ich  zog  es 
in  Anbtracht  letzterer  Fälle  vor,  die  Bezeichung  Eömerplasma 
statt  Eömerschicht  des  Protoplasma  zu  brauchen.  ^) 

Die  Hautschicht  gilt  den  meisten  heutigen  Forschem  als  die 
kömchenfreie  Grnndsubstanz  des  Protoplasma.  ^)  Hofmeister  sucht 
ihre  grössere  Dichte  gegen  die  innere  Masse  durch  die  „allgemeine 
Eigenschaft  tropfbarflüssiger  Eörper  einer  die  innere  Masse  weit 
ttbertrefiender  Dichtigkeit  ihrer  Oberfläche''  zu  erklären.^) 

Andererseits  spricht  neuerdings  Pfeffer  die  Ansicht  aus,  der 


^)  Ebendas.,  p.  162. 

')  Franz  Eilhard  Schulze,  Arch.  f.  mikr.  Anat,  Bd.  X,  p.  389. 

^)  Ebendas.,  Bd.  XI,  p.  100  n.  101. 

^)  Untersachungen  über  den  Bau  und  die  Bildung  der  Pflanzenzelle, 
1854,  p.  8. 

*)  Zellbildung  und  Zelltbeilung,  IL  Aufl.,  p.  286. 

*)  Sachs,  Lehrbuch  der  Botanik,  IV.  Aufl.,  1874,  p.  41. 

^  Lehre  von  der  Pflanzenzelle,  p.  3.  Pringsheim  hielt  noch  (Pflanzen- 
zelle p.  8)  die  Kömerschicht  für  dichter  als  die  Hantschicht. 


414  Eduard  Strasburger, 

Primordialschlaach  sei  eine  Niederschlagsmembran.  ^)  ;;Da8  Proto- 
plasma umkleidet  sich/'  schreibt  er,  ,,mit  reinem  Wasser  oder 
mit  wässerigen  Losungen  in  Berührung  gebracht,  allseitig  mit 
einer  zarten  Niederschlagsmembran,  dem  sogenannten  Primordial- 
schlauch,  welcher  sich  übrigens  anch  bei  Beachtung  bestimmter 
Vorsichtsmassregeln  um  beliebige  nicht  lebensfähige  Ballen  von 
Protoplasma  bildet.^)  Pfeffer  versteht  hierbei  jedenfalls  nnter 
Primordialschlauch  das,  was  wir  als  Hautschicht  bezeichneten, 
nicht  den  Primordialschlauch  im  Sinne  Hugo  v.  Mohl's,  wo  der- 
selbe nicht  ausschliesslich  die  Hautschicht,  sondern  auch  das  ganze 
Wandplasma  bedeuten  kann. 

Zunächst  steht  fest,  dass  die  Hautschicht  nicht  scharf  gegen 
da^  Eömerplasma  abgegrenzt  ist  und  somit  nach  der  Definition, 
welche  von  Mohl  für  die  „Pelicula"  an  Chlorophyllkörnem  gibt, 
auch  nicht  als  „Membran^'  zu  bezeichnen  wäre.  Der  Name  Haut- 
schicht für  dieselbe  ist  jedenfalls  sehr  glücklich  gewählt.  ^)  Dass 
die  Hautschicht  nicht  scharf  gegen  das  Kömerplasma  absetzt, 
vielmehr  in  dasselbe  übergeht,  das  zeigt  hinlänglich  der  an  Plas- 
modien zu  beobachtende  Umstand,  dass  Körnchen  des  Eömer- 
plasmas  durch  Ströme  herangedrängt  in  die  homogene  Hant- 
schicht  zeitweise  eintreten  können.  —  Auch  bei  Bildung  der 
Auszweigungen  an  Plasmodien  ergiesst  sich  plötzlich  das  KDr- 
nerplasma  in  die  vorgedrungene  homogene  Hautschichtmasse, 
ohne  irgendwie  bestimmbare  Grenzen  gegen  dieselbe  einzu- 
halten. Ausserdem  sieht  man  an  denselben  Plasmodien  die 
Haütschicht,  je  nach  Umständen  ihre  Stärke  verändern,  als  wenn 
die  Körnchen  näher  zur  Oberfläche  vorgedrungen  oder  von  der- 


^)  In  der  Sitzung  der  niederrheiniscben  Gesellschaft  für  Naturwiss.  und 
Heilkunde  zu  Bonn  am  5.  Juli  1875  (vergl.  Bot.  Zeit.  1875,  p.  660). 

^)  Auf  letztere  Erscheinung  ist  schon  früher  von  W.  Kühne  hingewiesen 
worden.  Untersuchungen  über  das  Protoplasma  und  die  Contractilität,  1864, 
p.  36  u.  ff. 

^)  Häckel  nennt  (Kalkschwämme,  Bd.  I,  p.  138)  die  Hautschicht:  Rinden- 
Bchicht,  Exoplasma,  das  innere  Körperplasma:  Marksubstanz,  Endoplasma. 
„So  deutlich,  schreibt  er,  sich  die  beiderlei  Substanzen  von  einander  scheiden, 
so  sind  sie  dennoch  niemals  scharf  getrennt,  gehen  vielmehr  ohne  bleibende 
Grenzschicht  in  einander  über,  ganz  ähnlich,  wie  die  hyaline  Rindensubstanz 
und  die  körnige  Marksubstanz  des  Infusorienkörpers."  Auch  die  Bezeich- 
nungen: Ektosark  und  Endosark  werden  von  anderen  Zoologen  für  Haüt- 
schicht und  Körnerplasma  gebraucht,  dann  aber,  ebenso  wie  Rindensubstanz 
und  Marksubstauz,  auch  zur  Bezeichnung  von  Uifferenzen  im  Körnerplasma 
(so.  z.  B.  bei  Heliozoen). 


Stadien  über  das  Protoplasma.  415 

selben  sich  zurückgezogen  hätten.  Alle  diese  Thatsachen  scheinen 
nun  in  der  That  dafür  zu  sprechen;  dass  wir  in  der  Hautschicht 
nur  die  verdichtete  Grundsubstanz  des  Protoplasma  vor  uns 
haben. 

Andere  Gründe  lassen  sich  aber  auch  gegen  diese  Auffassung 
anDihren.  Zunächst  solche  Fälle,  wie  in  den  Zellen  der  Spiro- 
gyra^  oder  an  den  Schwärmsporen  von  Vaucheria,  wo  die  Haut- 
schicht eine  ganz  besondere ,  von  dem  nach  innen  folgenden 
Eömerplasma  ganz  verschiedene  Structur  besitzt.  Da  lässt  sie 
sich  doch  unmöglich  mit  der  Grundsubstanz  der  Eömermasse 
identificiren. 

Doch  auch  da,  wo  eine  solche  Structur -Differenz  nicht 
existirt;  deuten  anderweitige  Erscheinungen  auf  die  Verschieden- 
heit des  Hautplasma  und  des  Kömerplasma  hin. 

Wenn  eine  Schwärmspore  der  Vaucheria  sessilis  zur  Ruhe 
gekommen  ist  und  ihre  Cilien  eingezogen  hat,  sehen  wir  die 
Hautschicht  ihre  Structur  aufgeben.  Die  Ghloropbyllkömer  rücken 
gegen  die  Peripherie  der  Schwärmspore  hin  und  scheinen  sie  fast 
zu  erreichen.  Bei  Anwendung  schwacher  Gompression  kann  man 
sich  aber  überzeugen;  dass  die  Hautschicht  nicht  etwa  geschwun- 
den ist;  vielmehr  sich  zu  einer  sehr  dttnneU;  noch  stärker  als 
zuvor  das  licht  brechenden  Schicht  verdichtet  hat.  Wird  der 
Druck  langsam  gesteigert,  so  platzt  die  mit  einer  feinen  Cellulose- 
wand  umhüllte  Schwärmspore  und  ihr  Inhalt  beginnt  hervorzu- 
treten. Dabei  kann  man  seheU;  wie  das  Eömerplasma  längs  der 
Hautschicht  abfliesst,  während  letztere  unbeweglich  an  ihrem 
Orte  beharrt;  wie  Vacuolen  im  Eömerplasma  dicht  an  der  Haut- 
schicht auftreten,  ersteres  von  letzteren  an  einzelnen  Orten  tren- 
nend, ohne  dass  die  stark  lichtbrechendC;  durch  Druck  breiter 
gewordene  Hautschicht  selber 'hierdurch  afficirt  würde.  Die  aus- 
getretenen Ballen  des  Eömerplasma  mnden  sich  zu  Engeln  ab 
in  dem  umgebenden  Wasser  und  wachsen  durch  dessen  Auf- 
nahme; auf  ihrer  Oberfläche  hat  sich  alsbald  eine  Niederschlags- 
membran gebildet.  Sie  erscheinen  nunmehr  als  scharf  conturirte, 
ihrer  Hauptmasse  nach  farblose  und  homogene  Engeln,  deren 
Inhalt  meist  einseitig  der  Eugelwandung  anliegt.  Setzt  man  etwas 
Wasser  zu  dem  Präparate  hinzu  und  hebt  so  den  Dmck  auf  die 
Schwärmspore  auf,  so  sucht  sich  auch  diese,  ihre  Wunde  schliessend, 
wieder  abzurunden,  braucht  aber  dabei  nicht  Eugelgestalt  anzu- 
nehmen. Aehnlich  dem  Hauptkörper  der  Schwärmspore  verhalten 
sich  dann  auch  andere  mit  Hautschicht  umgebene  Plasmaballen^ 


416  Eduard  Strasborger, 


' 


die  es  künstlich  gelang,  von  der  Spore  abzutrennen.  Solche 
Körper  werden  auch  nicht  von  einer  Niederschlagsmembran  nm- 
geben,  scheiden  vielmehr  eine  zarte  Zellstoffhülle  ans;  sie  sind 
anch  zur  weiteren  Existenz  befähigt,  während  die  von  Eömerplasma  | 
allein  gebildeten  Kugeln  alsbald  zu  Grunde  gehen.  Letztere  bersten 
bei  fortgesetzter  Wasseraufnahme,  wobei  ihre  zarte  Niederschlags- 
membran  faltig  zusammenfällt;  ihr  kömiger  Inhalt,  dem^  anmittel- 
baren Einflüsse  des  umgebenden  Wassers  ausgesetzt,  langsam  sich 
desorganisirt.  —  Bei  Mangel  an  hinlänglichem  kömigen  Inhalte 
müssen  auch  von  Hautschicht  umgebene  Plasmastücke  zu  Grande 
gehen,  die  Hautschicht  zersetzt  sich  dann  in  der  Art,  dass  zu- 
nächst Vacuolen  in  ihrem  Inneren  sich  bilden. 

Instructiy  sind  wegen  des  Verhaltens  der  Hautschieht  and 
des  Kömerplasma  auch  die  an  künstlich  verwundeten  Yaucberia- 
Schläuchen  eintretenden  Erscheinungen.  Dieselben  sind  neuer- 
dings von  Hanstein  geschildert  worden.  ^)  Ich  durchschnitt  gleich 
ihm  mit  einer  scharfen  Scheere  die  Schläuche  von  Vaucheria  ses- 
silis  und  konnte  nun  bei  sofortiger  Einstellung  mit  starkem  Im- 
mersionssystem die  ganze  Erscheinung  deutlich  verfolgen.  Aus 
dem  Inneren  des  Schlauches  sieht  man  nun  an  der  Schnittfläche 
eine  blasenförmige  Ausstülpung  hervortreten ;  sie  wird  aus  Kömer- 
plasma und  Zellsaft  gebildet.  Kasch  wachsend  beginnt  sie  sich 
als  freie  Kugel  abzurunden,  hinter  welcher  die  freien  Ränder  der 
sehr  dünnen  Hautschicht  zusammenneigen.  Ib  dem  Augenblicke, 
wo  die  Kugel  eingeschnürt  wird,  haben  sich  auch  die  Hautschicht- 
Ränder  erreicht,  der  Schluss  der  Wunde  durch  Hautschicht  ist 
vollzogen.  Dieser  Schluss  kann  in  den  günstigsten  Fällen  ein 
definitiver  sein,  häufiger  jedoch  wird  er  noch  ein  bis  mehrmals 
durchbrochen.  Dann  sieht  man  den  vorderen  Rand  der  Haut- 
schicht langsam  vorrücken;  die  Zelle  nimmt  jedenfalls  Wasser  in 
ihr  Inneres  durch  die  Hautschicht  auf  und  vergrössert  so  ihr 
Volumen.  Plötzlich  wird  die  Hautschicht  von  Neuem  aufgerissen 
und  es  tritt  eine  neue  blasige  Ausstülpung  aus  dem  Inneren  der 
Zelle  hervor :  auch  diese  wird  als  Kugel  abgeschnürt.  Schliesslich 
bilden  die  vereinigten  Hautschichtränder  einen  bleibenden  Ver- 
schluss. Die  aus  dem  Zellinneren  ausgestossenen  Kugeln  wachsen 
bedeutend  an   und  zeigen  durchaus  dasselbe  Verhalten  wie  die 


^)  Sitzber.  der  niederrh.  (Gesellschaft  für  Natur-  and  Heilkunde  in  Bonn. 
Sitzung  vom  4.  Nov.  1872.  Früher  schon  hatte  Thuret  dieselben  verfolgt.  Ann. 
d.  sc.  nat.  Bot.,  2.  S^r.  1840,  T.  XIV,  p.  65. 


Studien  über  das  Protoplasma.  417 

ans  den  Schwärmsporen  aasgedrückten  Massen  des  Eörnerplasma.^) 
Sie  werden  durclisichtig;  ihr  kömiger  Inhalt  einseitig  angesammelt 
nnd  wenn  sie  bersten,  wird  eine  an  ihrer  Oberfläche  entstandene 
Niederschlagsmembran  kenntlich.  Die  Hautschicht  verhält  sich 
auch  hier  also  anders  wie  das  Kömerplasma.  An  der  Wand- 
fläche wird  ans  ihr  eine  Gellnlosemembran  ausgeschieden,  welche, 
80  wie  es  auch  Hanstein  angibt,  an  die  seitlichen  Cellulose- 
Wände  des  Schlauches  ansetzt.  Zur  Bildung  der  Cellulose  dient 
auch  hier  Stärke  ^) ,  denn  man  sieht  Ströme  des  Körnerplasma 
mit  kleinen  Stärkekömehen  beladen  von  allen  Seiten  der  Haut- 
schicht der  Wundfläche  zueilen.  Zuletzt  sammelt  sich  hier  eine 
starke  Schicht  feinkörnigen  Protoplasmas  an,  durch  welches  die 
Ghlorophyllkömer  zurückgedrängt  werden.  So  erinnert  die  Stelle 
sehr  an  die  normalen  Spitzen  fortwachsender  Schläuche. 

Das  Weitere  über  diese  Vorgänge  bitte  ich  bei  Hanstein 
nachzusehen  und  füge  hinzu,  dass  nach  kürzlich  veröffentlichten 
Untersuchungen  von  Van  Tieghem  die  Mucorineen  sich  in  der 
Fähigkeit,  ihre  Wunden  zu  schliessen,  wie  Vaucheria  verhalten.  ^) 

Wenn  ich  ein  Plasmodium  von  Aethalium  septicum  mit 
scharfem  Messer  senkrecht  gegen  dessen  Oberfläche  in  mehrere 
Stücke  zerschnitt,  zeigten  sich  die  Schnittflächen  zunächst  ohne 
eine  scharfe  Begrenzung.  Die  Hautschicht  fehlte  an  denselben 
lUid  die  Kömchen  reichten  bis  an  die  Peripherie  hin,  oft  sogar 
unregelmässige  Hervorragungen  an  derselben  bildend.  An  ein- 
zelnen Orten  konnte  ich  kugelige  Blasen  aus  dem  Inneren  des 
Plasmodium  hervortreten  sehen.  Oft  lagen  sie  in  grösserer  Zahl 
aneinander  und  erschienen  mehr  oder  weniger  vollständig  mit 
einander  verschmolzen.  Sie  wurden  gebildet  aus  der  Grundsub- 
stanz des  Kömerplasma,  die  meist  nur  wenige  Kömer  eingestreut 
enthielt.  Ihr  Inhalt  war  sehr  dünnflüssig,  jedenfalls  durch  Wasser- 
aufnahme; die  Oberfläche  alsbald  als  Niederscblagsmembran  er- 
härtet Diese  Kugeln  wiederholen  hier  also  im  Allgemeinen  die 
Erscheinungen,  die  uns  für  austretendes  Kömerplasma  schon  be- 
kannt sind.  Ein  Ueberziehen  der  Wundfläche  durch  Hautschicht 
von  den  intacten  Rändem  aus,  war  hier  für  alle  diejenigen  Fälle, 
wo  die  Wundfläche  einige  Ausdehnung  hattte,  ausgeschlossen ;  die 


>)  Vergl.  Zellbildung  und  Zelltheilung,  U.  Aufl. 

*)  Amoeboide  Bewegungen  babe  ich  an  denselben  eben  so  wenig  beobachten 
können  als  Veiten,  Flora  1873,  p.  102. 

')  Ann.  d.  sc.  nat  Botoniquo,  VI.  S^r.  1  T.  1875,  p.  19  u.  ff. 


418  Eduard  Strasborger, 

O 

Hantschicht  wurde  alsO;  wenn  überhaupt,  an  der  Wundfläche  nen 

erzeugt,  was  in  den  von  mir  beobachteten  Fällen  stets  eine  ge- 
raume Zeit  in  Anspruch  nahm.  Bei  der  relativ  grossen  Dichtig- 
keit der  ganzen  Protoplasmamasse  fand  auch  die  Ausstossnng 
der  Kugeln  an  den  Wundflächen  nur  langsam  statt  und  konnte 
sich  lange  an  solchen  Stellen  die  keine  Hautschicht  gebildet 
hatten  wiederholen. 

Wie  Ballen  aus  Eömerplasma  verhalten  sich  auch  die  Chlo- 
rophyllkömer;  die  im  Wasser  quellen.  Wasser  aufnehmend  können 
sie  in  den  prägnantesten  Fällen  schliesslich  zu  einer  Kugel  an- 
schwellen, die,  von  farbloser  Wand  umgeben  und  mit  sonst  farb- 
losem Inhalt  erfüllt,  meist  einseitig  im  Inneren  die  grttngefärbten 
Piasmatheile  und  deren  kömige  Einschlüsse  führt.  ^)  Auch  durch 
dieses  Verhalten  werden  die  Chlorophyllkömer,  als  zum  Kömer- 
plasma  gehörig,  charakterisirt. 

Von  anders  her  wissen  wir,  dass  Kömerplasma  und  Hant- 
schicht nicht  die  gleichen  Beziehungen  zu  den  Zellkernen  zeigen, 
wenn  letztere  in  Action  treten,  die  ursprüngliche  Bolle  bei  der 
Zellbildung  oder  Zelltheilung  sich  aber  bewahrt  haben.  ^)  So 
sehen  wir  bei  der  freien  Zellbildung  im  Embryosack  von  Ephedra 
das  Kömerplasma  radial  um  die  Kerne  sich  gruppiren,  die  Haut- 
schicht hingegen  an  die  Peripherie  der  unter  dem  Einflüsse  des 
Kemes  gebildeten  Sphäre  gedrängt  werden.  Umgekehrt  findeu 
wir,  dass  die  peripherisch  in  den  thierischen  Eiern  bei  der  Be- 
fruchtung auftretenden  Kerne  sich  von  der  Hautschicht  abstossen 
und  mehr  oder  weniger  bis  in  die  Mitte  der  Eier  rücken.  Sie 
erscheinen  alsdann  von  Strahlen  des  Kömerplasma,  die  bib  an  die 
Hautschicht  reichen,  umgeben. 

Bei  der  Theilung  der  pflanzlichen  Zellen  wird  die  Hautschicht 
in  die  Aequatorialebene  zwischen  die  beiden  neugebildeten  Zell- 
kerne gedrängt. 

Alle  diese  Gründe  zusammengenommen  veranlassen  mich, 
die  Hautschicht  nicht  einfach  für  die  kömchenlose  Grundsubstanz 
des  Plasma  zu  halten,  vielmehr  für  eine  bestimmte  Modification 
dieser  Gmndsubstanz,  welche,  vomehmlich  zum  Schutz  und  zum 
Abschluss  des  Plasma  nach  aussen  dienend,  mit  einer  Anzahl 
eigener,  von  der  Grundsubstanz  des  Kömerplasma  verschiedener 
Eigenschaften  begabt  ist.  —  Hiermit  ist  nicht  gesagt,  dass  die 


^)  Vergl.  die  Bilder  von  Naegeli  u.  Scbwendener.  Mikroskop  1867,  p.  553» 
^)  Zellbildang  und  Zelltheilung,  H.  Aufl.  an  verschiedenen  Stellen. 


• 


«      * 


Studien  über  das  Protoplasma.  419 

Haatschicht  ans  der  Orundsabstanz  des  Körnerplasma  nicht  er- 
zeugt werden  könnte,  dass  beide  nicht  leicht  in  einander  tiber- 
gehen sollten,  vielmehr  halte  ich  Beides  fttr  so  gut  wie  sicher. 
Denn  wir  haben  ja  gesehen,  dass  an  durchschnittenen  Plasmodien 
des  Aethalium  septicum  die  Wunde  sich  mit  neuerzeugter  Haut- 
schicht Überziehen  kann;  bei  freier  Zellbildung  findet  sich  Haut- 
schicht um  die  neuen  Zellen  ein^  bei  Zelltheilung  in  der  zu- 
künftigen Theilungsebene. 

Aus  allem  Diesem  geht  auch  hervor,  dass  beide  Substanzen 
mit  einander  mischbar  sind;  direct  lässt  sich  dies  bei  Bildung 
det  Auszweigungen  an  den  Plasmodien  verfolgen.  *)  Daher  auch 
nirgends  im  lebenden  Plasma  die  Hautschicht  gegen  die  Eömer- 
schicht  scharf  abgegrenzt  erscheint 

Das  Angeführte  ergibt  aber  weiter  von  selbst,  dass  die 
Hautschicht  als  durch  Oberflächen-Spannung  entstanden  nicht  ge- 
dacht werden  kann.  Ich  stelle  eine  solche  Verdichtung  der  Ober- 
fläche^  ein  solches  „Oberflächenhäutchen'^  im  Sinne  der  Physiker, 
am  Protoplasma  durchaus  nicht  in  Abrede,  behaupte  aber  nur, 
dass  die  Hautschicht  dieses  Häutchen  nicht  sein  könne.  Denn 
die  Hautschicht  ist  eben  keine  blosse  Verdichtungsschicht  an  der 
Oberfläche  des  Protoplasma,  vielmehr  eine  aus  der  Differenzirung 
desselben  hervorgegangene,  mit  besonderen  Eigenschaften  be- 
gabte Schicht. 

Max  Schnitze  und  später  Kühne  nahmen  das  „Oberflächen- 
häutchen'^  im  richtigen  Sinne  für  die  Erklärung  der  am  Proto- 
plasma beobachteten  Erscheinungen  in  Anspruch  und  zwar  um 
eine  peripherische  Verdichtung  auch  an  solchen  Plasma-Massen 
zu  erhalten,  die  keine  Hautschicht  zu  besitzen  scheinen.  Bei 
den  genannten  Autoren  wird  dieses  „Oberflächenhäutchen^^  com- 
binirt  mit  den  Veränderungen,  welche  die  Oberfläche  einer  Flüs- 
sigkeit erfährt,  wenn  sie  längere  Zeit  mit  Luft  oder  mit  einer 
anderen  Flüssigkeit,  di^  sich  nicht  mit  ihr  mischt,  in  Bertlhrung 
bleibt.  ^)  Diese  Betrachtungen  fährten  Max  Schnitze  zu  der  Vor- 
stellung   einer   „Contactmembran^',   einer   verschwindend   feinen 

*)  Bei  Pelomyxa  palustris  GreefT.  ist  nach  Franz  Eilhard  Schake  das 
,,oft  plötzliche  Eindringen  von  Vacuolen  und  Körnchen  in  eine  eben  yorge- 
quoUene  Welle  des  Rindenplasmas  sehr  auffällig  und  wohl  nur  aus  einer  schon 
Ton  GreefT  angenommenen  zeitweisen  Mischung  oder  Durchdringung  beider 
Substanzen^  der  zähflüssigen  contraotilen  und  der  inneren  dünnflüssigen  zu  er- 
klären."   Archiv  f.  mikr.  Ar  ^43. 

^  Max  Schnitze,  Protr 


420  Eduard  Strasburger, 

Haut,  die  er  übrigens  auch  nur  mit  Vorsicht  anf  die  lebendige 
Substanz  übertragen  wissen  wollte*  ^) 

Erst  Hofmeister  suchte  die  Hautschicht  als  rein  physikalisches 
„Oberflächenhäutehen"  zu  deuten,  da  letzteres  aber  an  Flüssig- 
keiten sicher  nicht  direct  wahrnehmbar  ist,  so  fügte  er  willkürlich 
hinzu:  dass  dasselbe  beim  Protoplasma  in  anschaulichster,  den 
Augen  direct  wahrnehmbarer  Weise  auftrete. 

Meiner  Auffassung  nach  müssen  Hautschicht  und  „Ober- 
fiächenhäutchen^'  durchaus  auseinandergehalten  werden ,  und 
schliesst  das  Vorhandensein  der  ersteren  nicht  die  Existenz  des 
letzteren  an  einem  und  demselben  Gebilde  aus,  andererseits  dflrfte 
aber  gerade  da,  wo  die  Hautschicht  fehlt,  das  Oberfiächen- 
häutchen  kaum  vermisst  werden. 

Diese  Erörterungen  führen  mich  dahin,  auch  die  Frage  nach 
der  physikalischen  Beschaffenheit  des  Protoplasma  hier  zu  be- 
rühren, eine  Frage,  die  neuerdings  wieder  von  Veiten  behandelt 
worden  ist.*) 

Nach  dem  heutigen  Stande  unseres  Wissens  fühle  ich  kein 
Bedenken,  die  Naegeli'sche  Hypothese  von  der  Molecularstructur 
organisirter  Gebilde  auch  auf  das  Protoplasma  zu  übertragen. 
Ich  schliesse  mich  hiermit  der  Auffassung  an,  welche  zuerst  von 
Sachs  in  seiner  Experimental-Physiologie  der  Pflanzen')  ver- 
treten wurde. 

Damit  wird  aber  nur  angenommen,  dass  auch  das  Proto- 
plasma aus  isolirten,  durch  mehr  oder  minder  dicke  WasserhtUlen 
getrennten  Moleculen  aufgebaut  sei,  ohne  über  die  Form  der 
Molecule  irgend  eine  Vermuthung  auszusprechen.  Für  die  Be- 
stimmung der  letzteren  fehlt  es  noch  an  allen  Anhaltspunkten.  ^) 

Durch  die  üebertragung  der  Naegeli'schen  Moleculartheorie 
auf  das  Protoplasma  wird  einerseits  eine  einheitliche  Auffassung 
des  Baues  organisirter  Gebilde  angebahnt,  andererseits  ist  diese 
Hypothese  aber  auch  in  der  That  geeignet»  die  am  Protoplasma 
beobachteten  Erscheinungen  auf  eine  gemeinsame  Grundlage  zu- 
rückzuführen. Denn  die  bestimmte  Gestalt  und  die  activen  Lebens- 
äusserungen des  Protoplasma  lassen  sich  auf  die  Thätigkeit  seiner 
Molecule  zurückführen ;  die  Eigenschaften,  die  es  mit  einer  Flüs- 


-^)  W.  Kühne,  Protoplasma,  p.  85.  M.  Schultze,  1.  c,  p.  61. 

2)  Sitz.  d.  k.  Akad.  d.  Wiss.,  Bd.  LXXIII,  1.  Abth.,  März-Heft  1876. 

3j  1865,  p.  443. 

*)  Vergl.  hierüber  Sachs,  Lehrbuch,  IV.  Aufl.  1874,  p.  637. 


Stadien  über  das  Protoplasma.  421 

sigkeit  gemein  hat,  aber  auf  die  die  Molecule  umgebenden  Wasser- 
hüllen. —  Auch  diese  Gesichtspunkte  sind  bereits  von  Sachs  in 
seiner  Pflanzenphysiologie  geltend  gemacht  worden  und  kann  ich 
daher  Veiten  (1.  c.)  nicht  beistimmen,  wenn  er  in  allen  Erschei- 
nungen, wo  sich  das  Protoplasma  als  Flüssigkeit  gerirt,  mole- 
culare  Aenderungen  desselben  annehmen  wilL  Ich  würde  daher 
auch  keine  Bedenken  tragen,  mit  Naegeli  und  Schwendener  die 
Bezeichnung  halbfiüssig^)  auf  die  Consistenz  des  Protoplasma 
anzuwenden,  wenn  ich  gleichzeitig,  wie  es  von  Naegeli  und 
Schwendener  geschehen,  hinzufügen  könnte,  dass  sich  dieser  Aus- 
druck einzig  und  allein  auf  die  Consistenz,  nicht  aber  auf  den 
inneren  Bau  der  Plasmagebilde  bezieht.  —  In  dem  gleichen  Sinne 
liesse  sich  auch  die  oft  gebrauchte  Bezeichnung  festflüssig  ver- 
wenden. 

Je  wasserreicher  das  Protoplasma  ist,  desto  ausgeprägter 
dürften  die  Eigenschaften  auftreten,  die  es  mit  einer  Flüssigkeit 
theilt,  denn  es  wäre  doch  schwer  in  Abrede  zu  stellen,  dass  die 
Fähigkeit  des  Protoplasma,  zu  fliessen,  mehrere  Plasmakörper  in 
einen  zu  verschmelzen,  Fortsätze  einzuziehen,  auf  die  Eigen- 
schaften einer  Flüssigkeit  hindeuten.  Auch  treten  im  lebenden 
Protoplasma  normaler  Weise  kugelige  Vacuolen  auf,  wenn  nur 
dieses  Protoplasma  wasserreich  genug  ist  und  sonst  keine  anderen 
Kräfte  die  Gestalt  der  Vacuolen  beeinflussen. 

Die  kugelige  Abrundung  freier  Protoplasmamassen  ist  in 
der  That  meist  an  molecular  veränderten  Gebilden,  unter  ab- 
normen Verhältnissen  beobachtet  worden,  nichtsdestoweniger  er- 
fahren eine  solche  Abrundung  auch  normale  Eier,  oder  zur  Kühe 
kommende  Schwärmsporen,  ohne  dass  zur  gleichen  Zeit  ihr  Zell- 
kern in  Thätigkeit  getreten  wäre  und  auf  dessen  Action  die  ge- 
nannten Erscheinungen  sich  zurückführen  Hessen. 

In  den  vorwiegend  eiförmigen  Gestalten  der  in  Bewegung 
begriffenen  Schwärmsporen  möchte  ich  fast  eine  Resultante  zwi- 
schen den  an  einzelnen  Orten  dominirenden  festen  Gestaltungs- 
trieben und  den  Eigenschaften  als  Flüssigkeit  erblicken.  In- 
structiv  ist  gewiss,  dass  eine  Scfawärmspore  von  Vaucheria  die 
verkehrt  eiförmige  Gestalt,  die  sie  während  des  Schwärmens  be- 
sitzt, so  lange  behält,  als  ihre  Hautschicht  die  stäbchenförmige 
Structur  noch  zeigt.  Diese  Hantschicht  ist  stärker  am  vorderen 
Ende  der  Schwärmspore  als  am  hinteren  entwickelt,  und  damit 


')  Mikroskop,  p.  552. 


422  Edaard  Strasbnrger, 

mag  es  züsammenliängen,  dass  das  vordere  Ende  der  Schwärm- 
spore auch  breiter  ist  und  das  Zelllamen  ihm  näher  liegt.  Sobald 
die  Hautschicht  ihre  Stmctar  einbüssend  auf  eine  dünne  Lage 
zusammensinkt,  nnd  die  Eömerschicht  mit  ihren  Chlorophyll- 
kömem  gleichmässig  der  Peripherie  sich  nähert^  rnndet  sich  die 
Schwärmspore  unter  dem  nunmehr  dominirenden  Einflüsse  des 
wasserreichen  Eömerplasmas  zu  einer  Kugel  ab,  in  deren  Mitte 
das  Lumen  rückt  —  Aehnlich  sehen  wir  die  aus  einer  solchen 
Schwärmspore  herausgedrückten  Massen  des  Eömerplasma  sich 
abrunden;  während  es  mir  gelang,  theilweise  entleerte  und  künstlich 
verkleinerte  Schwärmsporen  von  Hautschicht  umgeben  in  den 
abenteuerlichsten  Gestalten  aus  den  Sporangien  zu  befreien- 
Gerade  nun  aber  solche  theilweise  von  Kömerplasma  entleerte 
Schwärmsporen  hatten  eine  besonders  dicke  Hautschicht  aufeu- 
weisen  und  strebten  daher  am  wenigsten,  Eugelform  anzunehmen, 
was  sie  ja  aber  gerade  in  erhöhtem  Masse  thun  müssten,  wenn 
die  Hautschicht  ein  „Oberflächenhäutchen^^  wäre.  Ich  erhielt  sichel- 
förmig gekrümmte  und  bimförmige  Eörper,  die  dem  entsprechend 
auch  die  sonderbarsten  Bewegungen  im  umgebenden  Wasser  aus- 
führten, schliesslich  aber  kugelig  wurden,  nachdem  zuvor  die 
Structur  ihrer  Hautschicht  verschwand  und  das  Eömerplasma  bis 
dicht  an  die  Peripherie  vorrückte. 

Je  dichter  das  Protoplasma,  um  so  ausschliesslicher  kommen 
die  Eigenschaften  seiner  Molecule  zur  Geltung  und  um  so  fester 
ist  dann  seine  Consistenz,  um  so  mehr  treten  die  Eigenschaften, 
der  die  Molecule  umgebenden  Wasserhüllen  zurück.  So  dünnflüssig 
ist  das  Protoplasma  wohl  selten,  dass  es  passiv  die  sphärische  Ge- 
stalt anzunehmen  bestrebt  wäre,  denn  den  an  austretenden  Plasma- 
massen beobachteten  Erscheinungen  der  Eugelbildung  scheint  in 
der  That  eine  Störung  der  molecularen  Verhältnisse  vorauszugehen. 
Man  sieht  nämlich  dasselbe  Plasma,  das,  aus  der  Zelle  entleert, 
sich  sphärisch  abrundet,  im  Inneren  der  Zelle  oft  ganz  bestimmt 
geformte,  freie  Plasmafäden  bilden. 

Doch  wenn  auch  durch  die  Wechselwirkung  der  Molecule 
jenes  Streben  zur  Eugelform  unterdrückt  wird,  bleibt  noch  in 
Folge  der  Wasserhüllen  die  leichte  Verschiebbarkeit  der  Molecule 
gegen  einander,  welche  manche  Aeusserungen  des  Flüssigen  am 
Protoplasma  zulässt. 

Bestimmt  gestaltete  Plasmamassen  zeigen  Strömung  im  In- 
neren, ja  selbst  ihrer  Oberfläche;  sie  verschmelzen  wie  Flüssig- 
keitstropfen unter  einander,  wenn  sie  sich  berühren;  sie  ziehen 


Studien  über  das  Protoplasma.  423 

sich  fadenförmig  ans^  wo  sie  sich  trennen  sollen,  und  nehmen, 
nach  erfolgter  Trennung,  die  Fadenstücke  wieder  in  ihr  Inneres  auf. 

Die  vorliegenden  Beobachtungen  verlangen  auch  an  der 
Oberfläche  bestimmt  geformter  Plasmagebilde  ein  physikalisches 
y,Oberflächenhäatchen'%  wie  es  Flüssigkeiten  zeigen.  Dieses 
Eäntchen  fehlt  vielleicht  nur  auf  der  Oberfläche  sehr  dichter 
Plasmagebilde;  ich  glaube  nicht  dass  die  Existenz  einer  Haut- 
schicht es  für  alle  Fälle  ausschliesst,  wenn  auch  in  der  That  die 
Festigkeit  der  Hautschicht  meist  gross  genug  ist  um  auch  diese 
Aeusserung  des  Flüssigen  zu  unterdrücken. 

Man  kann  sich  denken,  dass  in  Plasmamassen  deren  Gon- 
sistenz  sich  mehr  dem  Festen  nähert,  die  Molecule  grösser  sind 
oder  näher  aneinandergerückt,  die  Wasserhüllen  kleiner;  umgekehrt 
in  wasserreichen  Plasmamassen  die  Molecule  kleiner  oder  mehr 
auseinandergerückt,  die  Wasserhüllen  grösser.  Die  Veränderungen 
der  Consistenz  aus  dem  Flüssigen  in's  Festere  oder  umgekehrt 
wäre  dann  leicht  aus  der  Aenderung  der  Grösse  der  Molecule 
oder  der  Aenderungen  ihrer  gegenseitigen  Entfernung  zu  be- 
greifen und  müsste  Wasserverlust  schon  allein  eine  Festigkeits- 
zunahme zur  Folge  haben.  ^)  —  Freilich  würde  diese  Aenderung 
der  Consistenz  nicht  ausreichen,  um  sonstige  am  Protoplasma 
eintretende  Veränderungen  zu  erklären,  und  beispielsweise  haben 
wir  gesehen,  dass  die  Eigenschaften  der  Hautschicht  sich  nicht 
aus  der  Annahme  allein  erklären  lassen,  dass  sie  die  verdichtete 
Grundsubstanz  des  Protoplasma  sei.  Um  solche  und  noch  weiter- 
gehende Unterschiede  zu  begreifen,  müssen  wir  auch  eine  Ver- 
schiedenheit der  das  Plasma  in  seinen  Theilen  aufbauenden  Mole- 
cule annehmen,  eine  Verschiedenheit,  welche  deren  Eigenschaften 
nach  einer  gewissen  Richtung  beeinflusst. 

Die  Hautschicht  kann  am  Protoplasma  fehlen,  und  da  solche 
FäUe  besonders  instructiv  sind,  so  will  ich  hier  auf  dieselben 
näher  eingehen. 

Eine  Hautschicht  hat  sich  bis  jetzt  nicht  nachweisen  lassen 
bei  der  grössten  Zahl  der  Rhizopoden,  oder  richtiger  gesagt:  bei 
allen  Rhizopoden,  wenn  man  diese  Bezeichnung  mit  R.  Hertwig 
und  E.  Lesser  auf  die  mit  verästelten,  wurzeiförmigen  Pseudo- 
podien versehenen  Organismen  beschränken  will.') 

Wir  wollen  hier  zunächst  die  typischen  Formen  mit  leicht- 


^)  Vergl.  hierüber  auch  Veiten,  Sitzber.  1.  c,  p.  9. 
<)  Arch.  f.  mikr.  Anat,  Bd.  X,  Suppl.  1874,  p.  43. 


424  Eduard  Strasburger, 

fliessendeD,  kömchenreichen  Psendopodien  in's  Ange  fassen.  Diese 
Pseudopodien  werden  von  gleichmässigem  Körnerplasma  gebildet 
and  die  Gonsistenz  ihrer  Oberfläche  ist  eine  ,,so  geringe,  dass 
fremde  Körper,  welche  an  dieselben  anstossen,  fast  augenblicklich 
in  dieselbe  aufgenommen  werden  können'^  ^)  Dabei  streifen  die 
fliessenden  Kömer  dicht  an  die  Oberfläche,  ja  sie  springen  an 
derselben  vor.  Die  ganze  Oberfläche  befindet  sich  mit  in  flies- 
Sender  Bewegung  und  man  kann  sehen,  dass  fremde  Körper^), 
so  dem  Beobachtungswasser  zugefügte  Carmin-  oder  Stärke- 
körner ^),  welche  an  der  Pseudopodien-Oberfläche  haften  geblieben, 
an  derselben  fortgeführt  werden.  Sie  bewegen  sich  dabei  gleich- 
zeitig in  verschiedener  Richtung  an  demselben  Pseudopodium.  Die 
Pseudopodien  verschmelzen  ausserordentlich  leicht  mit  einander.  — 
Hier  gibt  es  keine  andere  Hülle  als  das  physikalische  Ober- 
flächenhäutchen.  Wie  merkwürdig  und  wie  bezeichnend  bleibt 
es  hierbei,  als  Hinweis  auf 'anderweitige  complicirte  Molecular- 
vorgänge  im  Protoplasma,  dass  die  Pseudopodien,  die  bei  einem 
und  demselben  Individuum  so  leicht  mit  einander  verschmelzen, 
sich  fliehen,  wenn  sie  verschiedenen  Individuen  derselben  Art 
angehören.  *)  So  ist  es  wenigstens  in  der  grossen  Mehrzahl  der 
Fälle,  während  doch  andererseits  auch  Beispiele  bekannt  sind, 
wo  das  Umgekehrte  stattfindet,  so  bei  den  colonienbildenden 
Rhizopoden.  *) 

Ganz  wie  die  leichtfliessenden  Pseudopodien  der  Rhizopoden 
verhalten  sich  die  fadenförmigen  Protoplasmaströme  im  Inneren 
der  Pflanzenzellen,  so  wie  sie  in  den  Tradescantia- Haaren  bekannt, 
oder   wie  ich  sie   im  Inneren  der  Spirogyra-Zellen   beobachten 


^)  Max  Schultze,  Protoplasma,  p.  28. 

^)  Johannes  Müller,  Abb.  d.  Ak.  d.  Wiss.  zu  Berlin,  1858,  p.  9.  Haeckel, 
Radiolarien  1862,  p.  91. 

')  Yergl.  Max  Schnitze,  Protoplasma,  p.  26. 

*)  Protoplasma,  p.  26. 

^)  Während  z.  B.  andere  Gromien  sich  nicht  vereinigen,  besitzt  Gromia 
socialis  Carter,  die  Neigung,  mit  anderen  ihrer  Art  zu  kleineren  Gesellschafben 
zu  verschmelzen;  zunächst  verschmelzen  einzelne  Pseudopodien  nahegekommener 
Thiere,  so  dass  Fadennetze  entstehen,  durch  allmähliches  Verkürzen  dieses 
Fadennetzes  kommen  die  Thiere  schliesslich  mit  ihren  Mündungen  an  einandei; 
von  der  verschmolzenen  Protoplasmamasse,  welche  zwischen  den  nebeneinander 
gelegenen  Mündungen  der  so  vereinten  Thiere  gelegen  ist,  strahlen  dann  die 
Pseudopodien  nach  allen  Richtungen  nach  aussen.  (F.  E.  Schulze,  Archiv  f. 
mikr.  Anat.,  Bd.  XI,  p.  121—122.) 


Stadien  über  das  Protoplasma.  425 

konnte.  ^)  Anch  aus  diesen  Strömen  kann  man  einzelne  Körner 
oft  an  der  Peripherie  vorspringen  sehen  und  befindet  sich  diese 
Peripherie  mit  m  Bewegung.  Sehr  schön  sah  ich  das  in  halb 
ausgewalshsenen  Tradescantia-Haaren^  deren  Zellen,  noch  mit  farb- 
losem Zellsaft  erfüllt,  zahlreiche,  relativ  grosse  Stärkekömer  ent- 
hielten. Diese  Stärkekömer  wurden  von  den  Strömen  mitgefllhrt, 
öfters  war  ihr  Durchmesser  grösser  als  der  Durchmesser  des 
Stromes,  sie  ragten  aus  demselben  hervor;  Letzteres  geschah  oft 
auch  aus  stärkeren  Strömen.  Nicht  selten  fiel  ein  Stärkekom  ganz 
aus  dem  Strome  heraus  und  blieb  unbewegt  liegen,  um  nach 
einiger  Zeit  demselben  Strome  oder  einem  anderen  wieder  anzu- 
haften und  an  dessen  Oberfläche  mit  fortgeführt,  ja  bald  auch  in 
dessen  Inneres  aufgenommen  zu  werden.  Somit  zeigte  sich  hier 
das  gleiche  Verhalten,  das  man  an  den  Pseudopodien  der  Bhizo- 
poden  beobachten  kann,  wenn  man  dem  Untersuchungswasser 
Stärkekömer  beigemengt  hat.  Ich  selbst  sah  gelegentlich  die 
Strömung  bei  Gromia  oviformis  und  wüsste  in  der  That  nicht  die 
Strömung  in  ihren  Plseudopodien  von  derjenigen  in  den  Zellen 
der  Tradescantia^Haare  zu  unterscheiden.  Somit  kommt  meiner 
Ueberzeugung  nach  auch  den  die  Tradescantia-Zellen  durchsetzenden 
Strömen  keine  andere  HtUle  als  das  rein  physikalische  „Ober- 
flächenhäutchen'^  zu,  und  ein  solches  dürfte,  auch  hier  und 
anderswo  nur  das  Wandplasma  besitzen  an  der  Fläche,  mit  der 
es  an  die  Zellflttssigkeit  grenzt  Andererseits  wird  aber  zum 
Unterschied  von  den  Pseudopodien  der  Bhizopoden  das  ganze  in 
Bewegung  befindliche  Eömerplasma  der  Tradescantia  nach  aussen, 
gegen  die  Zellwand  hin,  von  der  in  Buhe  befindlichen  ^)  differenten 
Hautschicht  abgegrenzt. 

Bei  Spirogyra  orthospira  fanden  wir  unter  Umständen  die 
ruhende  Hautschicht  ans  radialen  Stäbchen  aufgebaut,  während 
an  ihrer  Innenfläche  das  mit  Stärkekömem  beladene  Eömer- 
plasma sich  in  lebhafter  Strömung  bewegte. 

In  den  Zellen  der  Spirogyra  orthospira  sah  ich  auch  neue 
Stromfäden,   welche  frei  die  Zellflüssigkeit  durchsetzen  sollten, 


1)  Vergl.  hierüber  auch  Max  Schnitze,  Miiller's  Archiv  1858,  p.  885  und 
Haeckel,  Bodiolarien  1869,  p.  98.  Dass  das  Protoplaama  der  Pflanzenzelle 
^wenn  nicht  identijch,  so  doch  in  hohem  Grade  analog''  der  thierischen  Sar- 
code sei,  sprach  zuerst  F.  Cohn  1860  ans.  Kova  Acta  nat.  cur.  Vol.  XXII, 
p»  664. 

*)  Max  Schnitze,  Protoplasma,  p.  41.    Veiten,  Flora  1873,  p.  100. 


426  Eduard  Strasborger, 

sieh  ganz  wie  die  Pseudopodien  der  in  Vergleieh  gezogenen 
Bhizopoden  bilden^  —  „Verfolgt  man/'  schreibt  Max  Schnitze  *), 
„an  einer  eben  auf  den  Objectträger  gebrachten  MUiolide  das 
Ausstrecken  der  Pseudopodien,  so  bemerkt  man,  dass  alle  schnell 
und  in  grader  Linie  sich  verlängernden  Fäden  an  dem  Ende  ab- 
gerundet oder  mit  einer  kolbenförmigen  Anschwellung  versehen 
siüd.  „Letztere  schwankt  im  Vorrücken  wie  tastend  hin  und  her. 
Im  Moment  der  Berührung  mit  einem  anderen  Faden  „zertheilt 
sich  die  knopffi^rmige  Anschwellung  wie  eine  platzende^  mit 
Flüssigkeit  gefüllte  Blase  und  mischt  ihre  Substanz  der  des  be- 
gegnenden Fadens  bei,  genau  wie  wenn  ein  kleiner  Fetttropfen 
in  einem  grösseren  aufgeht.'^  —  „Sehr  oft  begegnet  es  Ein^n, 
dass,  wenn  man  den  Moment  der  Verschmelzung  zweier  einander  ent- 
gegenlaufenden Fäden  erwartet,  dieselben  in  verschiedenen  Ebenen 
übereinander  hinwegziehen.  Ja  die  Verschmelzung  scheint  aus- 
bleiben zu  können  auch  bei  directer  Berührung.  Es  muss  danach 
wahrscheinlich  ein  Act  der  Willkür  mitwirken,  oder  es  ist  ein 
Hindemiss  zu  überwinden,  wie  zwei  Fetttropfen  oft  erst  zu- 
sammenfiiessen,  wenn  sie  mit  einer  Nadel  angestochen  werden/' 
Bei  Spirogyra  orthospira  traten  die  Pseudopodien  am  zahl- 
reichsten aus  dem  den  Kern  umgebenden  Eömerplasma  während 
der  Theilung  hervor.  Sie  wurden  als  Höcker  oft  fast  körnerloser 
Orundsubstanz  sichtbar,  in  welche  bald  neue  Plasmamassen  und 
Körner  einwanderten.  Die  Höcker  verwandelten  sich  so  in  freie 
Fortsätze,  die  frei  in  die  Zellflüssigkeit  hineinragten.  Diese 
Fortsätze  waren  auch  hier  an  ihrer  Spitze  abgerundet,  meist 
keulenförmig  angeschwollen  und  führten  gleichsam  tastende  Be- 
wegungen aus.  Erreichten  sie,  länger  werdend,  andere  Piasma- 
theile, so  sah  man  sie  mit  denselben  verschmelzen,  im  umgekehrten 
Falle  konnten  sie  wieder  eingezogen  werden.  Solche  Pseudopodien 
sah  ioh  auch  an  den  vorspringenden  Innenkanten  der  Ghlorophyll- 
bänder  sich  bilden.  Es  können  auf  diese  Weise  also  freie  Plasma- 
ströme gebildet  werden,  während  dieselben  in  anderen  Fällen 
wohl  auch  entstehen,  wenn  durch  Auftreten  von  Vacuolen  eine 
zusammenhängende  Plasmamasse  zerklüftet  wird.  Meine  Beob- 
achtungen über  die  Bildung  der  Plasmafäden  bei  Spirogyra 
schliessen  sich  also  an  die  Angaben  von  Heidenhein  ^)  Haeckel ') 


*)  1.  C,  p.  24. 

^)  Stadien,  Heft  II  1868,  p.  e?c 

^)  Radiolarien,  p.  98. 


Stadien  über  das  Protoplasma.  427 

und  Hofmeister^)  an^  während  sie  keine  Sttttzen  für  die  Auf- 
fassung Hanstein's  ^)  abgeben^  der  zufolge  die  Fäden  als  seitliche 
Falten  aus  der  Fläche  des  Wandprotoplasma  hervortreten  sollten  ; 
auch  nicht  für  die  Deutung  Velten's  ^),  dass  sie  durch  Anschwellen 
eines  Insuccationskanals  emporgehoben  würden. 

Aus  der  Structur,  wie  sie  hin  und  wieder  an  der  Hautschicht 
beobachtet  wird,  und  der  Art,  wie  letztere  sich  bei  Zelltheilungen 
in  der  zukünftigen  Trennungsebene  ansammelt,  folgt  schon  zur 
Genüge,  dass  sie  nicht  eine  Niederschlagsmembran  sein  kann, 
und  darf  überhaupt  nicht  von  den  Niederschlagsmerobranen  aus, 
wie  sie  künstlich  an  Eiweissmassen  erhalten  werden,  auf  das 
Vorhandensein  derselben  an  der  Oberfläche  des  lebenden  Proto- 
plasma geschlossen  werden.  Das  zeigt  sich  am  augenfälligsten 
in  dem  Verhalten  der  nackten,  nur  aus  EOmerplasma  bestehenden 
Pseudopodien  vieler  Bhizopoden,  denn  während  aus  dem  Inneren 
der  Zellen  herausgetriebenes  Kömerplasma  sich  sofort  mit  einer 
Miederschlagsmembran  überzieht,  lässt  sich  an  jenen  Pseudopodien 
eine  solche  Membran  durchaus  nicht  nachweisen. 

Eine  Niederschlagsmembran  fehlt  aber  auch  an  der  Peripherie 
der  Hautschicht  der  zum  freien  Leben  angepassten  Plasmamassen, 
wie  solche  die  Plasmodien  oder  Schwärmsporen  bilden.  Letztere 
bedecken  sich  schliesslich  mit  einer  Cellulosemembran,  die  ein 
Auscheidungsproduct  des  Protoplasma,  aber  keine  Niederschlags- 
membran desselben  ist 

Zeigt  die  Hautschicht  in  Pflanzenzellen  gewisse  Eigenschaften 
einer  Niederschlagsmembran,  so  sehe  ich  hierin  eben  nur  den 
Beweis,  dass  sie  diese  Eigenschaften  mit  den  Niederschlagsmem- 
branen theilt,  kann  aber  dem  Schluss  nicht  beitreten,  dass  sie 
selbst  nur  als  eine  solche  Membran  aufzufassen  sei.  Letztere 
Deutung  wird  ja  wohl  durch  alle  in  diesem  Aufsatze  niederge- 
legten Beobachtungen  und  Betrachtungen  von  vorne  herein  aus- 
geschlossen. 

Eine  Niederschlagsmembran  können  wir  eben  so  wenig  aui  der 
Innenseite  des  Wandplasma  wo  letzteres  in  Pflanzenzellen  an 
Zellflttssigkeit  grenzt»  noch  an  den  frei  den  Zellsaft  durchsetzenden 
Plasmafäden  gelten  lassen. 


^)  Lehre  von  den  Pflz.,  p.  44  a.  45. 

^)  Sitzb.  d.  niederrh.  Gesellsch.  in  Bonn  i87o,  p.  221. 

»)  Flora  1873,  p.  12:1. 

B(L  Z.  N.  E.  III.  4.  28 


428  Eduard  Strasburger, 

Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  eine  solche  Niederschlagsmem- 
bran auch  an  der  Oberfläche  der  im  Protoplasma  gebildeten 
Vacuolen  fehle.  An  contractilen  Vacuolen  ist  sie  sicher  nicht 
vorhanden,  das  zeigt  ihr  völliges  Schwinden  bei  der  Systole. ') 
Bei  stabilen  Vacuolen  mag  sie  immerhin  auftreten  können,  manche 
Fälle,  die  ich  beobachtet  habe,  sprachen  scheinbar  dafür;  gewöhn- 
lich dürften  aber  auch  solche  Vacuolen  nur  durch  das  physi- 
kalische „Oberflächenhäutchen''  abgegrenzt  sein.  —  Ob  sich  hier 
zu  dem  Oberflächenhäutchen  eine  anderweitige  Verdichtung  der 
Oberfläche  im   Sinne   der  Max  Schultze'schen  „Contactmembran^* 

■ 

gesellen  kann,  will  ich  dahingestellt  lassen. 

Es  muss  hier  mit  Brücke  und  Max  Schnitze  immer  wieder 
davor  gewarat  werden,  die  an  leblosen  Flüssigkeiten  gemachten 
Beobachtungen  ohne  Weiteres  auf  eine  lebende  Substanz  zu  tiber- 
tragen, welche  fortwährenden  Veränderungen  in  ihrer  ganzen 
Masse  ausgesetzt  ist. 

Wie  complicirt  der  moleculare  Bau  der  protoplasmatiBchen 
Substanz  sein  müsse,  das  lehrten  uns  am  besten  die  Erscheinungen, 
die  wir  an  den  in  Theilung  begriffenen  Zellkernen  beobachtet 
haben.  ^)  Zunächst  wird  die  Substanz  des  Zellkernes  ganz  ho- 
mogen, dann  tritt  eine  Sonderling  in  ihr  ein,  indem  gewisse  Be- 
standtheile  deraelben  sich  an  zwei  entgegengesetzten  peripherischen 
Stellen  des  Zellkernes  ansammeln.  Sie  bestehen  ans  der  activen 
Kernsubstanz  und  bilden  die  Pole.  Von  diesen  beiden  Polen 
werden  andere  Bestandtheile  der  Eemsubstanz  abgestossen  und 
sammeln  sich,  fliehend,  in  der  Aequatorialebene  des  Zellkernes 
zur  Kernplatte  an.  Zwischen  Kempolen  und  Kemplatte  bleiben 
endlich  noch  Fäden  einer  anderweitigen  Kernsnbstanz  zurück, 
welche  beide  verbindet.  Auf  solchem  Zustande  hat  der  Kern 
meist  eine  spindelförmige  Gestalt.  Die  active,  an  den  Polen  an- 
gesammelte Kernsubstanz  tritt  ihrer  Masse  nach  gegen  die  übrige 
sehr  zurück.  In  thierischen  Zellen  war  sie  als  ein  besonderes 
Knöpfchen  markirt,  bei  den  Pflanzenzellen  oft  kaum  zu  unter- 
scheiden. Nach  den  Vorgängen  an  thierischen  Eiern  urtheilend, 
habe  ich  es  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  dass  es  vomämlich 


^)  Bei  verschiedenen  Infusorien  treten  an  Stelle  der  geschwundenen  Vacuole 
mehrere  Tropfen  auf,  welche  miteinander  zusammenfliessen  (Wrzesniowski, 
Archiv  f.  mikr.  Anat.  13 d.  V,  p.  34). 

«)  Vergl.  Zellbildung  und  Zelltheilng,  II.  Aufl. 


Stadien  über  daa  Protoplasma.  ^  429 

die  active  Kernsabstanz  ist,  die  bei  der  Befruchtung  als  männ- 
liches Element  in  das  Ei  eingeführt  wird.  Die  Masse  der  Kern- 
platte ist  in  den  pflanzlichen  Zellen  meist  relativ  beträchtlich, 
durchgehend  stärker  als  in  den  thierischen  Zellen,  was  mit  der 
Ausbildung  der  aus  der  Kemplatte  heryorgehenden  Kernfäden 
in  pflanzlichen  Zellen  zusammenhängt.  Die  fadenförmige  Zwi- 
schenmasse,  welche  die  Pole  mit  der  Kemplatte  verbindet;  ist 
stärker  oder  schwächer  vertreten;  meist  steht  sie  sehr  bedeutend 
zurück  gegen  die  Masse  der  Kemplatte.  So  erscheint  uns  der 
Zellkern  aus  verschiedenen  Substanzen  zusammengesetzt;  sicher 
noch  differenter  als  diejenigen;  die  wir  als  Hautplasma  und 
K()merplasma  unterscheiden  konnten. 

Jeder  der  durch  Theilung  entstandenen  oder  auch  in  an- 
deren Fällen  frei  angesetzten  Zellkerne  ist  zunächst  ganz  ho- 
mogen; zeigt  dann  aber  eine  meist  mit  Grössenzunahme  verbun- 
dene Differenzirung ;  die  sehr  häufig  damit  endet;  dass  sich  am 
Zellkern  eine  dichtere  Kernhülle ;  ein  von  dieser  umschlossener 
minder  dichter  ;;Kemsaft'';  wie  ihn  die  Zoologen  nennen^  und  in 
demselben  suspendirte  Kernfäden  unterscheiden  lassen.  Bei  der 
Formausbildung  der  Zellkerne  und  ihrer  Kemkörperchen  mögen 
auch  die  flüssigen  Eigenschaften  des  Protoplasma  zur  Geltung 
kommen  und  es  erklären;  waram  diese  Gebilde  so  häufig  kugel- 
rund sind.  Selbstverständlich  ist  der  Zellkern  deshalb  noch  nicht 
ein  Flüssigkeitstropfen,  denn  ausser  den  Eigenschaften  die  sein 
Plasma  mit  Flüssigkeiten  gemein  hat;  kommen  die  activen  Eigen- 
schaften seiner  Molecule  hinzU;  die  ihn  zu  den  complicirten  Vor- 
gängen befähigen;  die  sich  in  seinem  Inneren  abspielen. 

Mit  der  Unterscheidung  von  Hautplasma  und  Körnerplasma 
haben  wir  eine  so  verbreitete  DiiSferenzirung  des  Protoplasma 
berührt;  dass  eine  allgemeine  Behandlung  derselben  möglich  war. 
Mit  Recht  bemerkt  wohl  Max  Schnitze  ^) ;  dass  ;;eine  Rinde  an 
fast  allen  als  Zellen  fungirenden  Protoplasmamassen  vorzukommen 
scheint.''  —  Dass  aber  diese  Differenzirung  keine  ein  für  alle 
Mal  an  die  Natar  des  Protoplasma  gebundene  sei;  das  zeigten 
uns  die  Rhizopoden  mit  ihren  von  Hautschicht  entblössteu;  wahr- 
haft nackten  Pseudopodien. 

Diese  Pseudopodien;  in  den  typischen  Fällen;  ans  leicht- 
fliessendem,  körnerhaltigem  Plasma  gleichmässig  gebildet;  haben 


^)  Protoplasma,  p.  58. 

28* 


430  Eduard  Strasbnrger. 

Hbrigens  innerhalb  der  Grrnppe  ziemlich  tiefgehende  Modificationen 
erfahren,  deren  Betrachtung  wohl  geeignet  ist;  uns  in  weiter- 
gehende Verändernngen^  welcher  das  Protoplasma  fähig  ist,  ein- 
zuführen. 

,,Wer  viele  verschiedene  Arten  von  Rhizopoden  aufmerksam 
untersucht  hat/'  schreibt  Max  Schnitze  %  ^^ weiss  sehr  wohl;  dasa 
ihre  Pseudopodien  eine  sehr  verschiedene  Gonsistenz  und  demnach 
auch  eine  sehr  verschiedene  Neigung  zum  Zusammenfiiessen  haben 
können/'  Unter  den  Gromiden,  meint  er,  treten  die  Extreme  am 
schärfsten  hervor  bei  den  beiden  Arten:  Gromia  oviformis  und 
Gromia  Dujardini.  Die  Pseudopodien  der  ersten  gehören  zu  den 
kömerhaltigeu;  leicht  fiiessenden,  sie  sind  reich  und  mannigfaltig 
verzweigt  und  zeigen  viele  Anastomosen;  die  Pseudopodien  der 
letzteren  hingegen  sind  völlig  hyalin ,  äusserst  träge  in  ihren 
Bewegungen,  so  starr  und  fest;  dass  sie  keine  Neigung  zum  Zu- 
sammenfliessen  haben ;  auch  wenn  sie  sich  bertthren,  und  ver- 
zweigen sich  kaum. 

;;Die  Pseudopodien  der  Monothalamieu;''  schreiben  B.  Hertwig 
und  E.  Lesser^);  ;,sind  sehr  vielgestaltig.  Einerseits  cylindrische, 
stumpfe,  unverästelte  und  nicht  verschmelzende;  körnchenlose 
Pseudopodien;  andererseits  zarte,  spitz  endende  Fäden,  welche  sich 
vielfach  verästeln  und  mit  benachbarten  confluiren,  sowie  mit 
einer  regen  Eörnchenströmung  und  lebhaften  Gontractilität  be- 
gabt sind.  Zwischen  diesen  Extremen  gibt  es  jedoch  vielfache 
Zwischenstufen.  So  können  die  stumpfen  Pseudopodien  Körnchen 
in  ihr  Inneres  aufnehmen  und  verschmelzen;  die  spitzen  hin- 
wiederum kömchenfrei  ohne  Verästelung  und  ohne  Anastomosen 
auftreten/'  —  ,;Die  Fortsätze  desselben  Thieres  können  sogar 
unter  einem  vielgestaltigen  Bilde  erscheinen.*)  Gleichwohl  kann 
man  im  Grossen  und  Ganzen  zwei  Arten  Pseudopodien,  spitze 
und  stumpfe,  unterscheiden  und  darnach  die  Monothalamien  ein- 
theilen  in  Rhizopoda  und  Lobosa;  wenn  man  sich  dabei  bewusst 
bleibt;  dass  die  hierdurch  ausgedrückten  Unterschiede  keine 
schroffen  und  unvermittelten  sind." 


^)  Protoplasma,  p.  28. 

*)  1.  c,  p.  85. 

^)  Gromia  granulata,  F.  E.  Schulze,  z.  B.,  deren  glashelle,  kömchenlose^ 
fadenförmige,  Tviederholt  sich  spitzwinklich  theilende  Pseudopodien  leicht  netz- 
artig  mit  einander  verschmelzen,  streckt  manchmal  auch  kleine,  lapp^nförmige 
Protoplasmafortsätze  zwischen  den  fadenförmigen  hervor,  zieht  sie  bald  aber 
wieder  ein  (Franz  Eilhard  Schulze,  Archiv  f.  mikr.  Anat.,  Bd.  XI,  p.  118. 


Studien  über  das  Protoplasma.  431 

Unter  den  den  Monothalamien  nächst  verwandten  Heliozoen 
erfahren  dann  die  Pseudopodien  die  schon  früher  erwähnte  DiiSfe- 
renzirang  in  einen  festen,  homogenen  Axenfaden  und  flüssigeren, 
kömchenhaltigen  Ueberzug. 

Bei  den  Monothalamia  Lobosa  andererseits  wird  eine  Diffe- 
renzimng  im  Protoplasma  der  Pseudopodien,  kenntlich ,  die  zu 
dessen  beliebter  Sonderung  in  äussere  Hautschicht  und  inneres 
Eömerplasma  führt.  Während  das  Protoplasma  der  Pseudopodien 
bei  allen  Arcellen  und  dem  grössten  Theile  der  Diffiugien  durch- 
weg homogen  ist,  fiiessen  bei  einem  kleinereu  Theile  der  letzteren 
die  feinsten  Körnchen  der  Körpersubstanz  in  die  centralen  Partien 
der  Pseudopodien  hinein.  ^) 

Die  echten  Amoeben  zeigen  an  ihrem  ganzen  Körper  oft  be- 
«enders  scharf  die  Sonderung  in  Hautschicht  und  Kömerplasma 
durchgeführt.  Diese  Amoeben  sind  wiederum  leichter  oder  schwerer 
flüssig,  und  es  ist  zur  weiteren  Beleuchtung  der  moleculären  Struc- 
turyerhältnisse  des  Protoplasma  von  grossem  Interesse,  zu  yer- 
folgen,  in  welcher  Beziehung  ihre  Consistenz  zu  ihrer  Eörperform 
steht.  Die  leichtfliessenden  Amoeben  kommen  der  Tropfenform 
am  nächsten,  wenn  selbst  auch  bei  diesen  die  Action  innerer 
Kräfte  sich  fortwährend  geltend  macht  und  in  mannigfachem 
Wechsel  der  Gestalt  dieses  Streben  zur  Tropfenform  überwindet. 
Sinkt  die  Thätigkeit  der  Körpermolecule,  kommt  die  Amoebe  zur 
Ruhe,  so  rundet  sie  sich  kugelig  «ab.  —  Die  schwerflüssigen 
Amoeben  haben  andererseits  die  bestimmtesten  und  stabilsten 
Formen  aufzuweisen,  wie  sie  uns  beispielsweise  die  bekannte 
morgenstemfttrroige  Amoeba  radiosa  Ehrenberg's  zeigt.  ^)  Das 
Formbestimmende  scheint  hier  bei  weitem  vorwiegend  die  Haut- 
schicht zu  sein. 


^)  R.  Hertwig  und  E.  Lesser,  1.  c,  p.  93.  Vergl.  auch  Fr.  £.  Schulze 
Archiv  f.  mikr.  Anat.,  Bd.  XI,  p.  337. 

")  In  dieser  Form,  schreibt  L.  Auerbach  (Zeitschrift  f.  wiss.  Zool.  1856, 
£d.  VII,  p.  402),  verhairen  die  Amoeben  oft  sehr  lange  starr  und  regungslos. 
Andere  Male  aber  sieht  man.  sie  einzelne  ihrer  Fortsätze  tasterartig  bewegen 
und  selbst  knieförmig  beugen  und  strecken;  oder  es  fangt  nach  einiger  Zeit 
das  Thier  an  unter  dem  Anscheine  des  Zerfliessens  sich  auszubreiten  und 
dann  herumzukriechen.  Viele  Individuell  trifft  man  andererseits  zu  Anfang 
der  Untersuchung  kugelig  an,  welche  alsbald  Fortsatze  treiben  und  die 
Morgenstemform  annehmen  oder  auch  zu  kriechen  anfangen.  —  Es  ist  wohl 
denkbar,  dass  Wasserabnahme  oder  Wasserzunahme  im  Körper  unmittelbar 
dessen  geschildertes  Verhalten  beeinflussen. 


432  Eduard  Starasburger, 

.  Franz  Eilhard  Schulze  beobachtete  neuerdings  eine  ganz 
merkwürdige  Amoebe:  die  Mastigamoeba  aspera,  welche  eine 
hyaline;  zähflüssige  Hautschicht  nnd  von  dieser  umschlossenes 
dünnflüssiges  Körnerplasma  zeigend,  vorwiegend  bilateral  ent- 
wickelte dicke  Pseudopodien  und  vorn  ausserdem  eine  Geissei 
aufzuweisen  hatte.  0 

Eine  eigene  Diflferenzirung  und  Formgestaltung  zeigt  die 
Hautschicht  an  den  Geisseizellen  der  Schwämme,  wie  das  von 
James  Clark,  Carter  und  vornehmlich  von  Haeckel  *)  beschrieben 
wurde.  An  den  übrigen  Flächen  nur  als  dünne  Schicht  das 
Kömerplasma  überziehend,  schwillt  sie  nämlich  an  der  Endfläche 
der  Geisselzelle  zu  besonderer  Stärke  an.  Sie  bildet  hier  einen 
hyalinen,  cylindrischen  Hals,  der  aus  seinem  Mittelpunkte  eine 
lange,  dünne,  bewegliche  Geissei  hervorsendet,  an  seinen  Rändern 
aber  zu  einem  dünnen  Trichter  sich  ausbildet,  der  kragenförmig 
die  Geissei  umgibt.  Die  Qeisselbewegung  kann  in  amoeboide 
Bewegung  verwandelt  werden  entweder  im  normalen  Verlaufe  der 
späteren  Entwickelung  oder  unter  besonderen  physiologischen  Ver- 
hältnissen, oder  auch  bei  künstlicher  Zerzupfung  des  Endoderms- 
Dann  wird  nicht  nur  die  Geissei,  sondern  auch  Kragen  und  Hals 
der  Geisseizelle  in  die  gleichmässig  sich  um  die  Zelle  vertheilende 
Hautschicht  eingezogen.  Die  längliche,  cylindrisch-konische  Ge- 
stalt der  Geisseizelle  geht  in  eine  rundliche  oder  subsphärische 
über  und  nun  beginnen  überall  auf  der  Oberfläche  der  Hautschieht 
feine,  langsam  sich  bewegende  Fortsätze  aufzutreten,  welche  ihre 
Grösse,  Gestalt  und  Zahl  langsam  ändern.  ^) 

Die  autonomen  Formgestaltungen  der  Plasmakörper,  die  uns 
an  den.  augefUhrten  Beispielen  in  ao  anschaulicher  Weise  ent- 
gegentreten, gestatten  uns  auch  eine  Vorstellung  von  den  manig- 
fachen  Vorgängen,  wie  sie  bei  den  Structurdiflferenzirungen  in 
thierischen  Körpern  sich  abspielen  müssen.  Denn  die  Structur- 
diflferenzirung  der  Thiere  ist  vornämlich  durch  eine  bleibende  Ge- 
staltung ihrer  constituirenden  Plasmamassen  bedingt.  —  Bei  den 
Pflanzen  sind  es  hingegen  mehr  Aussonderungsproducte  des  Pro- 
toplasma, an  welche  auffälligere  Structurdifferenzen  geknüpft  sind, 
während  das  Protoplasma  selbst  in  ziemlich  unveränderter  Form 
uns  hier  fast  überall  entgegentritt.    Nur  in  den  Geschlechtspro- 


^)  Archiv  für  mikr.  Anat.  Bd.  XI,  p.  583. 

')  Die  Ealkschwämme  1872.  Bd.  I,  p.  140  u.  ff.  Vergl.  dort  die  Literatur. 

';  So  Haeckel  1.  c,  p.  408  und  409. 


Studien  über  das  Protoplasma.  433 

dacten  finden  wir  auch  bei  den  Pflanzen  unmittelbare  Erzeugnisse 
des  Protoplasma  y  die  den  entsprechenden  und  anderen  Gebilden 
des  Thierreichs  sich  zur  Seite  stellen  lassen.  -  Die  Protisten  ver- 
halten sich  in  einzelnen  ihrer  Gruppen  sehr  verschieden  und  bald 
zeigt  ihr  protoplasmatischer  Körper  kaum  eine  sichtbare  Sonde- 
rung, bald  erreicht  hier  diese  Sonderung  die  allerhöchsten  Maasse. 
Kunstvoll  dijQferenzirte  Aussonderungsproducte  begleiten  manchmal 
den  mehr  oder  weniger  zusammengesetzten ,  oft  aber  gerade  den 
einfachsten  Protoplasmaleib. 

Abgesehen  von  seinen  inneren  Structurverhältnissen  ist  aber 
das  Protoplasma  im  ganzen,  organisirten  Reiche,  ob  unmittelbar 
oder  mittelbar,  als  der  Träger  der  Gestaltung  anzusehen. 

Wenn  wir  auch,  wie  erwähnt,  die  inneren  Structurverhältnisse 
der  Pflanzen  fast  ausnahmslos  an  Aussonderungsproducte  des  Pro- 
toplasma gebunden  finden,  bleibt  die  Möglichkeit  doch  oiSfen,  dass 
das  Protoplasma  auch  hier  einmal  unmittelbar  in  complicirte 
Sonderungsverhältnisse  eintrete.  Dabei  geht  es  hier  aber  als 
lebende  Substanz  unter,  während  es  bei  den  meisten  seiner  Difife- 
renzirungen  in  thierischen  Körpern,  so  wie  ganz  im  Allgemeinen 
bei  seiner  Umbildung  in  Geschlechtsproducte,  innerhalb  der  lebens- 
fähigen Modificationen  verbleibt.  Eine  Grenze  zwischen  lebenden 
und  leblosen  Producten  des  Protoplasma  wird  übrigens  an  vielen 

Orten  nicht  scharf  zu  ziehen  sein. 

Der  Fall,  um  den  es  sich  hier  handelt,   tritt  uns  bei  relativ 

hoch   organisirten    Pflanzen   und   zwar   in   den   Sporangien    der 
Hydropterideen  (Rhizokarpeen)  entgegen. 

Meine  diesbezüglichen  Angaben  für  Azolla  ^)  fanden  ihre  Stütze 
in  den  gleichzeitig  erschienenen  entwickelungsgeschichtlichen  Unter- 
suchungen von  Enssow  über  Marsilia  ^),  bald  in  ähnlichen  Unter- 
suchungen Juranyi's  über  Salvinia^).  Aus  den  letztgenannten 
Arbeiten  geht  unzweifelhaft  hervor,  dass  das  complicirt  gebaute 
Episporium  an  den  Makrosporen,  sowie  die  Zwischenmasse,  welche 
die  Mikrosporen  der  Hydropterideen  verbindet,  ein  unmittelbares 
Differenzirungsproduct  des  umgebenden  Protoplasma  ist. 


')  Ueber  Azolla,  1873.  p.  62  u.  71. 

')  Histologie  and  EntwicklaDgsgeschichte  der  Sporenfracht  von  Marnlia 
1871  und  Vergleichende  Untersuchungen,  Mdm.  de  TAc.  imp.  d.  sc  de  St. 
P^tewboarg,  Vll^m«  s^rie,  Tome  XIX,  p.  52  u.  ff.  1 872. 

^  Ueber  die  Entwicklang  der  Sporangien  nnd  Sporen  der  Salvinia 
natans,  1873. 


434  Edaard  Straaburger, 

Die  jnnge  Makrospore  von  Marsilia  wird  voo  einer  aas  den 
Specialmutterhäuten  hervorgegangenen,  dünnflüssigen  Hülle  am- 
fasst;  um  welche  sich  alsbald  feinkörniges,  bräunlich  tingirtes 
Protoplasma  zu  einer  Blase  ansammelt.  ^)  Die  Protaplasmablase 
nimmt  EUipsoidform  an.  Fast  an  ihrer  ganzen,  inneren  Peripherie 
tritt  nun  plötzlich  eine  in  zwei  Schichten  differenzirte,  verhältniss- 
massig  äusserst  dicke,  hellbraun  tingirte^)  Haut  auf.  Von  den 
beiden  Schichten  ist  die  innere  structurlos  und  von  geringer 
Mächtigkeit,  die  äussere  aus  sechseckigen,  radialgestellten,  dünn- 
wandigen und  mit  grannlirter  Flüssigkeit  erfüllten  Prismen  zu- 
sammengesetzte, von  einer  Dicke,  welche  dem  dritten  Theile  der 
definitiven  Mächtigkeit  dieser  Schicht  gleichkommt.  In  Wasser 
jetzt  gebracht,  werden  nach  einigen  Minuten  sämmtliche  Contouren 
der  Haut  undeutlich  und  alsbald  in  eine  farblose,  vacuolige  Proto- 
plasmamasse verwandelt.  —  Diese  Haut  wird  also  unzweifelhaft 
aus  dem  Protoplasma  selbst  gebildet.  Hat -sie  die  halbe  Mächtig- 
keit des  definitiven  Zustandes  erreicht,  so  wird  sie  von  Wasser 
nicht  mehr  angegriiSfen.  Das  die  Haut  umgebende  Protoplasma, 
bildet  noch  eine  hyaline,  dünne  Schicht  an  ihrer  Oberfläch  e 
Dann  schwindet  die  die  Spore  umgebende  Flüssigkeit  und  ihre 
Membran  legt  sich  der  aus  Protoplasma  gebildeten  Haut:  dem 
Episporium,  an,  um  mit  ihm  fest  zu  verwachsen.  —  Bei  der 
Reife  wird  der  Inhalt  der  Prismen  des  Episporiums  durch  Luft 
ersetzt. 

Bei  Salvinia  sieht  man  die  junge  Makrospore  ebenfalls  von 
einer  protoplasmatischen  Substanz  umgeben,  welche,  wie  Juranyi 
zeigt  3),  aus  den  zerfallenen  Mantelzellen  des  Sporangium  und  der 
übrigen  Sporen  stammt.  In  dieser  Plasmamasse  beginnt  die  de- 
finitive Diflferenzirung  mit  der  Vermehrung  der  Vacuolen,  welche 
schliesslich  an  allen  Orten  aneinanderstossen  und  das  schaum- 
artige Episporium  bilden.  Bei  Salvinia  ist  dieses  Episporium, 
wie  wir  sehen,  viel  einfacher  gebaut  als  bei  Marsilia,  auch  bei 
letzterer  tritt  es  aber  an  Verwickelung  des  Baues  noch  weit  hinter 
dasjenige  der  AzoUen  zurück. 

Bei  letzteren  besteht  das  Episporium,  welches  die  Makrospore 
umgibt,  aus  zwei  verschiedenen  Theilen:  einer  unteren  mehr  oder 
weniger  kunstvoll   gebauten  Haut  und  einem  oberen,  massigen 


M  RuBsow,  vergl.  Unters.,  p.  53  u.  ff. 
^)  Ebendas.,  p.  53  u.  ff. 
")  1.  c,  p.  14  u.  ff. 


Studien  über  das  Protoplasma.  435 

,  Körper,  den  ich  ah  Schwimmapparat  bezeichnet  habe,  weil  er 
die  Spore  später  schwimmend  auf  der  Oberfläche  des  Wassers 
erhält.  Figur  28^  aas  meiner  Abhandlung  über  Azolla  entnommen, 
zeigt  eine  solche  Makrospore  von  A.  filicnloides  Lam.  in  dem  Soms 
eingeschlossen;  den  sie  nach  Resorbtion  aller  gleichzeitig  mit  ihr 
angelegten  Sporen  und  selbst  des  SporangiumSi  vollständig  er- 
füllt. Der  Schwimmapparat  besteht  hier  ans  drei  annähernd 
birnförmigen  Körpern  von  schaumiger,  derjenigen  des  Episporium 
von  Salvinia  entsprechender  Substanz.  (Fig.  29.)  ^)  An  einzelnen 
Stellen  finden  sich  in  dieser  Substanz  Goncremente.  (Fig.  30.)  Am 
Scheitel  der  birnförmigen  Körper  geht  die  schaumartige  Substanz 
in  feine  Fasern  über.  (Fig.  29.)  —  Der  Bau  der  Haut  an  der 
unteren  Hälfte  des  Episporium  von  Azolla  filicnloides  soll  durch 
unsere  Fig.  31  und  32  vergegenwärtigt  werden,  und  zwar  bei  32 
in  Oberflächenansicht,  bei  31  im  Längsschnitt.  Diese  Haut  grenzt 
au  die  radial  gestreifte,  bräunlich-gelbe  Membran  der  Spore  und 
bildet  warzenförmige  Vorsprünge,  die  theils  einzeln  frei  stehen, 
theils  zu  zwei  verschmolzen  sind.  An  die  Membran  der  Spore  grenzt 
eine  bräunliche,  schaumartig  differencirte  Substanz,  die  auch  die 
Warzen  ausfttllt.  Die  Einsenkungen  zwischen  denselben  sind  von 
einer  soliden,  stark  lichtbrechenden,  gelblichen  Substanz  ausge- 
kleidet. Die  Oberfläche  der  Warzen  wird  von  einer  grumoesen 
Masse  bedeckt ;  endlich  entspringen  von  den  Bändern  der  Warzen 
lange,  peitschenförmige,  farblose  und  homogene,  äusserst  feine 
Fäden. 

Bei  jeder  Species  der  Azollen  ist  nun  der  Bau  dieser  Haut 
verschieden. 

Bei  Azolla  caroliniana  (Fig.  33)  folgt  auf  die  Sporenmembran 
eine  feinfaserige  Zwischenmasse  und  auf  diese  eine  starke,  mit 
unregelmässigen,  knotigen  Vorsprttngen  besetzte  Haut;  von  den 
Vorsprttngen  gehen  feine,  peitschenförmige  Fäden  aus. 

Bei  Azolla  pinnata  R.  Br.  (Fig.  34)  folgt  auf  die  Sporenhant 
eine  starke  Faserschieht  und  auf  diese  eine  dicke,  ans  radial- 
gestellten .Prismen  gebildete  Haut.  An  einzelnen  Stellen  ver- 
wachsen benachbarte  Prismen  zu  einem  starken,  knotigen,  vor- 
springenden Höcker. 

AzoUla  niotica  de  Caisne  (Fig.  35)  endlich  zeigt  in  der  unteren 
Hälfte  ihres  Episporiums  einen  der  A.  pinnata  ähnlichen  Bau,  nur 


^)  Die    meiBten   der   folgenden  Figuren  nochmalB  nach  der  Natur  ge- 
seichnet. 


436  Edaard  Strasburger, 

ist  hier  im  Verhältniss  die  faserige  Zwischenmasse  sehr  reducirt, 
die  Prismen  regelmässiger  ausgebildet  und  breiter,  die  vorsprin- 
genden  Höcker  kleiner. 

Im  Uebrigen  muss  ich  hier  auf  meine  Abhandlung  über  AzoUa 
und  die  dort  gegebenen  Abbildungen  verweisen. 

Die  Mikrosporen  von  Salvinia  sind  in  eine  schaumige  Sub- 
stanz eingebettet,  die  durchaus  derjenigen  des  Episporiums  der- 
selben Pflanze  auch  der  bimförmigen  Körper  der  AzoUen  und  der 
Zwischensubstanz  bei  Azolla  filiculoides  entspricht.  Juranyi  hat 
auch  hier  gezeigt,  dass  diese  Substanz  dem  sich  differenzirenden 
Protoplasma  der  zerfallenen  Mantelzellen  des  Sporangium  ent- 
stammt. ^)  Bei  Azolla  ist  nun  das  Merkwürdige,  dass  diese 
schaumige  Substanz,  in  der  die  Mikrosporen  eingebettet  liegen, 
nicht  einen  Körper  wie  bei  Salvinia,  sondern  stets  mehrere 
Körper  in  jedem  Sporangium  bildet.  Ausserdem  zeigen  hier 
diese  s.  g.  Massulae  oft  sehr  eigenthümliche  Fortsätze  an  ihier 
Peripherie.  In  meiner  Abhandlung  über  Azolla  nahm  ich  an, 
dass  die  schaumartige  Substanz  der  Massulae  von  einer  besonderen 
Haut  umgeben  sei.  Ich  muss  das  jetzt  nach  besserer  Einsicht 
zurücknehmen;  diese  Haut  ist  in  der  That  nichts  als  die  Ab- 
grenzung der  peripherisch  gelegenen  Bläschen  nach  aussen. 

Die  Fortsätze  der  Massulae  treten  uns  in  dem  einfachsten 
Falle  als  directe,  unregelmässige  Vorsprünge  der  schaumigen 
Substanz  entgegen,  so  wie  wir  es  etwa  in  Fig.  37  für  Azolla 
pinnata  sehen  können. 

Bei  Azolla  filiculoides  und  caroliniana  sind  es  hingegen  haar- 
artige Gebilde,  die  s.  g.  Glochiden,  welche  nur  der  Peripherie  der 
schaumigen  Substanz  aufsitzen.  Fig.  38  zeigt  eine  ganze  Massula 
von  Azolla  filiculoides  mit  den  ihr  aufsitzenden  Glochiden.  Fig.  39a 
und  40  eine  solche  Glochide  in  der  Front  und  der  Seitenansicht 
Ich  hatte  früher  einige  Bedenken,  diese  Glochiden,  ihres  merk- 
würdigen Baues  wegen,  auch  weil  sie  ausgebildet  noch  eines 
selbständigen  Wachsthums  fähig  sind,  für  unmittelbare  Differen- 
zirungsproducte  des  Protoplasma  zu  halten;  jetzt  sind  diese  Be- 
denken bei  mir  völlig  geschwunden,  wo  ich  weiss,  dass  bei  Mar- 
silia  die  aus  dem  Protoplasma  difibrenzirte  Prismenschicht  auch 
noch  wachsen  kann,  und  ich  mir  vergegenwärtigte,  dass  nicht 
minder  eigenthümliche  nnmittelbare  Differenzirungsproducte  des 
Protoplasma  bei  den  Mjxomyceten  vorliegen.    Gegen  die  Zellen- 

*)  1.  C,  p,  19. 


Studien  über  das  Protoplasma.  437 

natnr  dieser  Gebilde  sprach  auch  früher  schon  ihre  Insertion  an 
der  Peripherie  der  Massulae,  der  Mangel  der  Zellkerne  nnd  auch 
jeglichen  Inhaltes  in  den  Hohlräumen  ihres  Körpers ;  ihre  inner- 
halb dieser  Hohlräume  sehr  häufig  unvollständigen  Scheidewände.  ^) 
Ich  nahm  früher  auch  Anstand  diese  Glochiden  mit  den  Fortsätzen 
aus  den  Massulae  der  AzoUa  pinnata  und  nilotica  zu  vergleichen; 
nunmehr  neige  ich  auch  zu  dieser  Zusammenstellung;  nachdem 
ich  die  Fortsätze  bei  Azolla  pinnata  einer  nochmaligen;  eingehen- 
den Beobachtung  unterzog.  In  der  That  fand  ich  nämlich  (Vergl. 
Fig.  37);  dass  diese  Fortsätze  sich  in  mancher  Beziehung  den  Glo- 
chiden nähern,  lau/jgestreckte  Formen  wie  diese  annehmen  (Fig.  37 
rechts)  und  sogar  auch  annähernd  ähnliche  Kammern  in  ihrem 
Inneren  zeigen  können.  Die  Glochiden  bleiben  immerhin  noch 
die  extremsten,  sehr  hoch  ausgebildete  Formen  dieser  Fortsätze. 

Alle  nun  diese  Episporieu  und  Massulae  aufbauenden,  aus 
protoplasmatischen  Substanzen  direct  erzengten  Gebilde  zeichnen 
sich  im  fertigen  Zustande  durch  ihre  ausserordentliche  Besistenz- 
fähigkeit  gegen  concentrirte  Säuren  und  Alealien  ans,  so  wie 
durch  ihr  gleichgültiges  Verhalten  gegenüber  gewohnten  mikro- 
chemischen Beagentien.  Nur  dass  ihre  Braunf%rbung  mit  Jod 
gelingt,  nicht  anders  übrigens  als  cuticularisirter  Zellhäute. 

Die  Fruchtkörper  der  Myxomyceten,  die  wir  sicher  ebenfalls 
als  unmittelbare  Producte  des  Protoplasma  aufzufassen  haben, 
verhalten  sich  auch  in  mikrochemischer  Beziehung  jenen  Gebilden 
der  Hydropteriden  gleich.  Auf  die  entwickelungsgeschichtliche 
Aehnlichkeit;  welche  zwischen  diesen  Gebilden  besteht,  hat  auch 
Rostafinski  ^)  in  seiner  Inaugural-Dissertation  hingewiesen. 

Beispielweise  soll  hier  noch  der  Angaben  von  Oscar  Schmidt ') 
gedacht  werden,  dass  auch  die  so  resistenten  Fasern  der  Hom- 
spongien  einer  unmittelbaren  Umwandlung  des  Protoplasma  ihre 
Entstehung  verdanken. 


Der  Zweck  aller  dieser  Schilderungen  war  d^r,  in  uns  die 
Ueberzeugung  zu  erwecken,  dass  das  Protoplasma  als  ein  sehr 
complicirt  gebauter  Körper  aufgefasst  werden  müsse. 

Diese  Ueberzeugung   mnss   uns   leiten,  wenn   wir   uns  das 


^)  Das  Nähere  vergl.  in  meiner  Abhandlung. 

*)  Versach  eines  System»  der  Mycetozoen  187.S,  p.  18. 

')  Supplement  der  Spönnen  des  Adriat.  Meeres.  Leipzig  1864,  p  7  n.  a. 


438  Eduard  Strasborger, 

Protoplasma  eines  Eies  als  Träger  der  specifischen  Eigenschaften 
des  ganzen  zukünftigen  Organismus  yorstellen  sollen. 

Zu  dieser  Vorstellung  kann  uns  die  Betrachtung  einfacherer 
Verbältnisse  bei  den  niederen  Organismen  yerhelfen. 

Bei  Myxomjceten  finden  wir  als  Vorstufe  der  oft  so  complicirt 
gebauten  Fruchtkörper  nur  Protoplasma  als  Plasmodium  vor.  Aus 
diesem  Protoplasma  werden  die  Fruchtkörp^  unmittelbar  dar- 
gestellt. 

So  gering  im  Verhältniss  die  Verschiedenheiten  in  den  Plas- 
modien der  einzelnen  Arten  sind,  so  bedeutend  können  die  Frucht- 
körper derselben  differiren.  Unter  den  sichtbar  gleichförmigen 
Eigenschaften  der  Plasmodien  müssen  also  Verschiedenheiten  ver- 
borgen sein,  die  sich  jeder  directen  Wahrnehmung  entziehen. 

Diese  Verschiedenheiten  können  weder  durch  die  wechselnde 
Grösse  der  hypothetischen  Plasmamolecule,  noch  durch  die  wech- 
selnde Grösse  ihrer  Wasserhüllen,  noch  durch  die  einfache  Steige- 
rung oder  Verringerung  der  Action  der  Molecule  .bedingt  sein, 
denn  diese  Differenzen  äussern  sich  ja,  wie  wir  annehmen  müssen, 
in  den  sichtbar  werdenden  Gonsistenzunterschieden,  die  in  keinem 
Verhältnisse  zu  späteren  Structurverhältnissen  der  Fruchtkörper 
stehen ;  auch  haben  wir  ja  gesehen,  dass  nicht  einmal  die  Eigen- 
schaften der  Hautschicht  sich,  als  solche,  aus  Consistenzdifferenzen 
des  Protoplasma  allein  erklären  lassen.  Andererseits  würde  der 
Wechsel  dieser  Verhältnisse  nicht  den  nöthigen  Specialraum  bieten 
für  die  Erklärung  der  grossen  Manigfaltigkeit  der  Erscheinungen 
am  Protoplasma. 

So  müssen  wir  wohl  die  Molecule  selbst  als  Träger  der  spe- 
cifischen Eigenschaften  uns  denken.  Diese  Molecule  wären  dann 
aber,  wie  von  verschiedenen  Seiten  bereits  angedeutet  wurde,  als 
Einheiten  von  sehr  zusammengesetztem  Bau  aufzufassen. 

Als  active  Plasmacentren  sind  dieselben  neuerdings  von 
Eisberg  ^)  und  Haeckel  ^)  „Plastidule"  benannt  worden. 

Dass  diese  Plastidnlen  die  Träger  der  specifischen  Eigen- 
schaften des  Plasma  sind,  das  zeigt,  schon  der  Umstand,  dass 
aus  einem  Plasmodium  eine  unbestimmte  Zahl  Fruchtkörper  an- 
gelegt werden  kann.  Jedes  Stück  eines  künstlich  zertheilten 
Plasmodiums  ist  befähigt,  einen  Fruchtkörper  zu  erzeugen,  wenn 


^)  Proceed.  of  tbe  American  AsBooiation,  Hartford  1874. 
')  Die  Perigenesis  der  Plasddule  1876. 


Studien  über  das  Protoplasma.  439 

es  nur  die  ausreichende  Masse  hierzu  besitzt.    Jedes  Stttck  eines 
Plasmodiums  hat  also  die  Eigenschaften  des  Ganzen. 

Ebenso  konnte  eine  Vaucheria  -  Schwärmspore  künstlich  in 
mehrere  zerlegt  werden,  welche  sich  nur  in  ihrer  Grösse  von  der 
ursprünglichen  unterschieden. 

So  auch  kann  selbst  bei  höheren  Organismen  das  Protoplasma 
einer  einzelnen  Zelle  befähigt  sein  den  ganzen  Organismus  zu 
wiederholen.  Beispielsweise  werden  bei  gesteckten  Begoniablättem 
neue  Pflanzen  aus  einzelnen  Epidermiszellen  erzengt  und  kann 
fast  jede  peripherische  Zelle  eines  Laubmooses  zu  Protonema 
auswachsen  und  somit  durch  Vermittelung  des  letzteren  neuen 
Pflanzen  den  Ursprung  geben. 

Besonders  zur  Wiederholung  des  Organismus  angepasste  Zellen 
sind  aber  die  Sporen  und  Eier. 

Erstere  reeapituliren  die  Ent Wickelung  unmittelbar,  letztere 
nachdem  ihr  Protoplasma  erst  mit  dem  Protoplasma  einer  anderen 
Zelle  sich  vereinigt  hat. 

Wodurch  aber  die  Erscheinung  bedingt  wird,  die  wir  bei 
den  Organismen  Entwickelung  nennen,  darüber  lässt  sich  nach 
dem  Stande  unseres  Wissens  nicht  einmal  eine  Hypothese  auf- 
stellen. Es  sind  da  jedenfalls  moleculare  Vorgänge  im  Spiele, 
die  sich  jeder  physikalischen  Behandlung  bis  jetzt  entziehen. 

Ebenso  wenig  als  Ober  die  Mechanik  der  Entwickelung  können 
wir  uns  über  die  Mechanik  der  Vererbung  eine  Vorstellung  machen. 
Wir  constatiren  nur  die  Thatsache,  dass  die  Art  der  Entwickelung 
durch  die  Vererbung  bestimmt  wird. 

Wir  nehmen  weiter  an,  dass  äussere  Ursachen  im  Allgemeinen 
das  Auftreten  neuer  Eigenschaften  an  den  Organismen,  als  soge- 
nannter Anpassungserscheinungen,  veranlassen. 

Mit  welch  molecularer  That  aber  ein  Organismus  auf  einen 
äusseren  Einfluss  reagirt,  ist  unbekannt. 

Es  besteht  hier  kein  directes  Verhältniss  zwischen  der  Action 
und  der  Reaction,  daher  man  wohl  auch  so  häufig  die  äussere 
Action  bei  Veränderungen  der  Organismen  in  Abrede  gestellt  hat. 

Vererbt  werden  aber  nur  solche  Veränderungen,  welche  ent- 
weder das  ganze  Protoplasma  des  Organismus,  oder  doch  zum 
Mindesten,  auf  directe  oder  indirecte  Weise,  das  Protoplasma 
seiner  ungeschlechtlich  oder  geschlechtlich  erzeugten  Vermehrungs- 
organe beeinflussen.  ' 

Veränderungen,  welche  nicht  das  ganze  Protoplasma  beein- 
flussen oder  doch  nicht  solche  Theile,  welche  ihrerseits  einen  Ein- 


44U  Eduard  Strasburger, 

flnss  auf  die  VermehruDg^organe  üben;  werden  nicht  vererbt.  So 
die  Varietäten,  die  wohl  durch  Stecklinge  sich  vervielfältigen  lassen^ 
nicht  aber  durch  Samen. 

Die  gegenseitige  Beeinflussung  der  Protoplasmamassen  eines 
Organismus  bei  eingetretenen  Veränderungen  mag  die  Corre- 
lationserscheinungen  zur  Folge  haben. 

Nehmen  wir  aber  auch  an,  dass  äussere  Ursachen  in  der 
phylogenetischen  Entwickelung  das  Auftreten  neuer  Eigenschaften 
veranlasst  haben,  mag  ihre  Aufeinanderfolge  in  der  phylogene- 
tischen Entwickelung  auch  ihre  Aufeinanderfolge  in  der  onto- 
genetischen  Entwickelung  bestimmen,  so  viel  ist  sicher,  dass  die 
ontogenetische  Entwickelung  nun  unabhängig  von  den  frtlheren 
Einflüssen  vor  sich  geht. 

Die  äusseren  Ursachen  sind  es  hier  nicht  mehr  welche  die 
Aufeinanderfolge  der  Entwickelungszustände  veranlassen,  diese 
gehen  vielmehr  selbständig  aus  einander  hervor. 

Es  giebt  also  eine  Mechanik  der  Entwickelung,  wo  jeder 
Zustand,  unter  sonst  in  gewissen  Grenzen  sich  gleich  bleibenden 
Verhältnissen,  einen  nächstfolgenden  mit  Nothwendigkeit  setzt. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Entwickelung  scheint  durch  die 
Eigenschaften  des  Protoplasma  in  gewisse  Schranken  gebannt  zu 
sein,  das  glaube  ich  wenigstens  aus  der  Thatsache  folgern  zu 
müssen,  dass  so  häufig  analoge  Erscheinungen  in  der  Entwicke- 
lung wiederkehren,  auch  wo  eine  Homologie  nicht  anzunehmen  ist 

Trotzdem  halte  ich  es  nicht  für  wahrscheinlich,  denn  darauf 
beruht  ja  die  relativ  so  grosse  Stabilität  der  Arten-Charaktere, 
dass  das  Protoplasma  ohne  äussere  Veranlassung  neue  Eigen- 
schaften annehmen  sollte.  Wird  aber  unter  dem  Einflüsse  eines 
äusseren,  kräftig  genug  wirkenden  Reizes  einer  der  bisherigen 
Charaktere  des  Protoplasma  verändert  oder  das  Auftreten  eines 
neuen  Charakters  veranlasst,  so  scheint  dies  nur  innerhalb  be- 
stimmter Bahnen  erfolgen  zu  können. 

Wir  dürfen  nicht  annehmen,  dass  im  Protoplasma  des  Eies 
alle  Theile  des  Organismus  ihre  „Keimchen"  hätten.  Diese  Vor- 
stellung ist  unverträglich  mit  den  heutigen  Anschauungen  der 
Histologie;  ausserdem  müsste  ja  bei  solchen  Organismen,  wo  das 
Protoplasma  einzelner,  abgeleiteter  Zellen  den  ganzen  Organismas 
wiederholen  kann,  angenommen  werden,  dass  auch  jede  beliebige 
Zelle  die  Keimchen  zu  allen  Theilen  des  Organismus  in  sich 
schliesst.  Das  würde  uns  nur  zu  der  Annahme  zurückführen,  dass 
es  sich  hier  um  die  Eigenschaften  des  Gesammtplasma  des  Or- 


Studien  über  das  Protoplasma.  441 

ganismus,  so  weit  dieses  nicht  etwa  speciellen  Functionen  ange- 
passt  und  in  besondere  Struktur  eingetreten  ist,  handle. 

Eben  so  gut  als  wir  gezwungen  sind,  bei  den  Myxomjceten, 
deren  Fruchtkörper  unmittelbar  aus  dem  Protoplasma  der  Plas- 
modien hervorgehen,  so  viel  verschiedene  Plasmodien  anzunehmen, 
als  es  verschiedene  Arten  Fruchtkörper  gibt,  sind  wir  auch  ge- 
zwungen, so  viel  Protoplasma- Arten  anzunehmen,  als  überhaupt 
verschiedene  Arten  von  Organismen  existiren. 

Man  muss  sich  daher  das  Ei  einer  Organismen- Art  als  von 
den  Eiern  aller  anderen  Organismen-Arten  diJQferent  denken,  wie 
ja  das  auch  schon  aus  dem  Umstände  folgt,  dass  ein  bestimmtes 
Ei  nur  eben  diesen,  aber  keinen  anderen  Organismus  hervor 
bringen  kann. 

Die  Aehnlichkeit  zwischen  den  Eiern  und  den  sich  ent- 
spreeheuden  Entwickelungszuständen  verschiedener  Arten  von 
Organismen  sehen  wir  aber  als  die  Folge  ihrer  Homologie,  d.  h. 
Blutverwandtschaft  an,  so  weit  nichl  etwa  blosse  Analogien  vor- 
liegen, welche  eine  Folge  der  gleichen  Eigenschaften  des  Substrats 
sind,  aus  dem  die  Organismen  sich  entwickelt  haben. 

Dass  aber  trotz  der  nothwendig  anzunehmenden  Verschieden- 
heit des  Protoplasma  der  Eier  solche  Aehnlichkeiten  in  der  Ent- 
wickelung  zwischen  ihren  Entwickelungs  -  Producten  bestehen 
bleiben,  lässt  sich  nur  begreifen,  wenn  wir  weiter  annehmen,  dass 
jeder  Charakter  so  lange  innerhalb  der  molecularen  Sphäre  ver- 
borgen bleibt,  bis  nicht  im  Gange  der  Entwickelung  derjenige 
Znstand  erreicht  worden  ist,  an  dem  er  sich  frei  manifestiren  kann. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  lässt  sich  nur  die  Thatsache 
der  Vererbung  in  correspondirendem  Alter  begreifen,  auf  welcher 
tlberhaupt  die  Möglichkeit  einer  Wiederholung  der  phylogene- 
tischen Entwickelung  durch  die  ontogenetische  basirt 

Tritt  im  Gange  der  Entwickelung  derjenige  Zusand  nicht  ein, 
an  dem  sich  ein  folgender  äussern  kann,  oder  wird  der  letztere 
in  seiner  Manifestation  verhindert,  so  bleibt  es  immerhin  möglich, 
dass  er  als  moleculare  Eigenschaft  des  Protoplasma  auf  die  Nach- 
kommen vererbt  werde  und  sich  dann  unter  günstigen  Umständen 
bei  diesen  als  Atavismus  äussere. 

Diese  Betrachtungen  wurden  durch  ähnliche  Untersuchungen 
von  Charles  Darwin,  Eisberg  und  Haeckel  angeregt;  sie  Hessen 
sich  naturgemäss  einem  Aufsatze  über  Protoplasma  anschliessen. 
Ich  lege  sie  hier  in  rein  hypothetischer  Form  nieder,  als  einen 
weiteren  Versuch  den  Erscheinungen  des  Lebens  näher  zu  treten. 


442  Eduard  Strasbarger, 

Id  seinen  berühmt  gewordenen  ^^mikroskopischen  Unter- 
suchungen^'^)  dachte  sich  Schwann  die  Entstehung  einer  Zelle 
gleichsam  durch  Erystallisation ,  also  ähnlich  deijenigen  eines 
ErystallS;  und  führte  hierauf  eine  Parallele  zwischen  Zelle  und 
Erystall  durch,  indem  er  die  Unterschiede,  die  sswischen  beiden 
bestehen,  aus  der  Natur  der  Stoffe  zu  erklären  suchte,  die  beim 
Erystall  fQr  Flüssigkeiten  undurchdringlich,  bei  der  Zelle  durch- 
dringlich seien. 

Nach  den  neuerdings  an  Zellen  gemachten  Untersuchungen 
dürfte  kaum  noch  die  Bildung  derselben  mit  einem  Erystallisations- 
vorgange  sich  vergleichen  lassen,  und  wo  anders  die  Zelle  noch  mit 
einem  Erystall  verglichen  wird,  so  geschieht  dieses  wohl  nur,  weil 
man  beide  für  gleichwerthige  morphologische  Individualitäten  hält. 

Auch  dieses  lässt  sich  aber  nur  von  einem  ganz  abstracten 
Standpunkte  aus  thun,  etwa  von  der  Ansicht  ausgehend  die 
Zelle  spiele  eine  ähnliche  Rolle  in  der  belebten,  als  der  Erystall 
in  der  leblosen  Natur.  Thatsächlich  entsprechen  sich  aber  Ery- 
stall und  Zelle  nicht,  denn  auch  das  Protoplasma  kann  krystal- 
lisiren;  wo  es  dies  aber  thut,  stehen  seine  Erystalle  in  keinem 
Yerhältniss  zu  den  Zellen. 

Die  Protoplasmakrystalle  beweisen  andererseits,  dass  auch 
imbibitionsfähige  Substanzen  zum  Erystallisiren  beföhigt  sind. 
Ja  diese  Erystalle  bleiben  selbst  imbibitionsfähig  und  sind  ihre 
Winkel  ausserdem  etwas  inconstant,  was  Naegeli  bewog,  sie  als 
„Erystalloide''  zu  bezeichnen. 

Sie  werden  in  Endospermzellen  als  Reservestofie  angetroffen. 
Man  findet  sie  hier  in  ElebermehlkOmchen  eingeschlossen  und 
werden  sie  sammt  jenen  bei  der  Eeimung  gelöst,  um  zur  Proto- 
plasmabildung innerhalb  der  jungen  Pflanze  verwerthet  zu  werden. 

In  anderen  Geweben  der  Pflanze  sind  die  Erystalloide  selten ; 
ihr  merkwürdigstes  Vorkommen  ist  dasjenige  in  den  Zellkernen 
bei  Lathraea  squamaria.  Man  beobachtet  sie  dort,  wie  zuerst 
Radlkofer  zeigte^),  in  den  Oberflächenzellen  der  Samenknospe 
und  aller  zur  Zeit  der  Samenreife  noch  vorhandenen  filflthen- 
theile^)  und  zwar  in  Gestalt  dünner,  quadratischer  oder  rectan- 
gulärer  Plättchen  zu  Agregaten  vereinigt.    (Fig.  41  u.  42.) 

^)  Mikrosk.  Untersuchungen  über  die  Uebereinstimmung  in  der  Structur 
und  dem  Wacbstbum  der  Tbiere  und  Pflanzen,  1839. 

^)  Ueber  Krystalle  proteinartiger  Körper  pflanzlicben  und  tbierischea 
Ursprungs,  1859. 

*)  1.  c,  p.  38. 


Stttdiön  über  das  ProtoplaBma.  44d 

Die  Krystalloide  reagiren  wesentlich  so  wie  das  Protoplasma 
und  konnte  ieli  in  Erfahrung  bringen^  dass  auch  die  Osmiumsäute 
ganz  in  derselben  Weise  auf  sie  einwirkt.  Ich  habe  mir  mit 
Zuhilfenahme  dei*selben  sehr  schöne  Präparate  aus  dem  Endosperm 
von  Bertholletia  excelsa  hergestellt  und  auch  Präparate  der  so 
empfindlichen  im  Wasser  schon  zerfliessenden  Krystalloide  der 
Lathraea  sqnamaria.  (Fig.  41  und  42).  Die  letzteren  färbten 
sich  dann  auch  mit  Beale'schem  Carmin  schön  roth  in  ihrer 
ganzen  Masse. 

Van  Tieghem  hat  neuerdings  auf  die  grosse  Verbreitung  der 
Krystalloide  bei  den  Mucorineen  hingewiesen;  dort  sind  sie  eine 
ausgeschiedene  Substanz.  Sie  werden  aus  dem  Protoplasma  be- 
i^eitigt;  bevor  es  in  das  Sporanginm  oder  in  die  Copulationszelle 
fliesst,  und  grenzen  sich  gegen  dasselbe  dann  durch  eine  Mem- 
bran ab.  ^) 

Zum  Schiasse  möchte  ich  hier  noch  einige  Bemerkungen  an- 
knüpfen über  die  Bildung  der  Cellulose-Membran  an  den  Schwärm- 
Sporen  der  Yaucheria  sessiiis. 

Ich  hatte  bereits  Gelegenheit  zu  erwähnen^  dass  die  Bildung 
dieser  noch  während  des  Schwärmens  beginnt.  Ich  möchte  dies 
für  die  Ursache  des  Aufhörens  der  Bewegung  ansehen.  Mit  Hilfe 
des  früher  beschriebenen  Gompressionsverfahrens  war  ich  in  der 
Lage  mich  von  dem  Vorhandensein  auch  der  zartesten  Membran 
zu  überzeugen.  Wurde  nämlich  die  Schwärmspore  behutsam  bis 
zum  Platzen  zusammengedrückt  und  setzte  man  nun,  nachdem 
ein  Theil  des  Inhaltes  aus  derselben  herausgetreten  war,  ein 
wenig  Wasser  hinzu ,  so  konnte  man  stets  die  Hautschicht 
von  der  oft  unendUeh  zarten  Membran  zurücktreten  sehen.  Auf 
solchem  Zustande  ist  die  Membran  noch  durch  keinerlei  Reagens 
nachzuweisen.  Die  Hautschicht  ist  stets  vorhanden  und  schält 
sich  gleichsam  von  der  Membran  ab,  welche  sich  unregelmässig 
faltet  Eine  solche  Membran  konnte  ich  an  den  Schwärmsporen 
schon  kurze  Zeit,  nachdem  sie  ihr  Sporangium  verlassen  hatten, 
nachweisen.  Sie  schwärmen  trotzdem  noch  fort  und  ziehen,  zur 
Ruhe  gekommen,  ihre  Cilien  wohl  durch  in  der  Cellnlose-Membran 
zurückgebliebene  feine  Oe£fnungen  ein. 

Um  Plasmaballen  die  nur  von  der  Grundsubstanz  des  Kömer- 
plasma  gebildet  werden,  wird  keine  Cellulose-Membran  erzengt, 

1)  Ann.  d.  sc.  nat  Bd.  VI  S^r,  T.  I,  1875,  p.  80. 
Bd.  }L  N.  F.  m.  4.  30 


444  Eduard  Strasborger, 

wohl  aber  nm  hinreichend  grosse,  mit  Hautschicht  nmgrenzte 
Stücke^  insofern  es  an  der  Innenseite  der  Hantschicht  nicht  an 
Material  zur  Bildung  der  Zellhaut  fehlt. 

Ich  habe  folgende  Versuche  angestellt:  eine  eben  znr  Ruhe 
gekommene  Schwärmspore  wnrde  in  der  wiederholt  geschilderten 
Weise  eines  Theiles  ihres  Inhaltes  beraubt,  dann  Wasser  zugesetzt 
und  die  Hautschicht  so  zum  Zurückweichen  von  der  zarten  Cellu- 
lose-Membran  veranlasst.  Nun  wurde  wieder  mit  Fliess-Papier 
Wasser  entzogen  und  die  Schwärmspore  abgeflacht^  doch  nicht 
bis  zum  Mheren  Umfang,  also  nicht  bis  an  die  verlassene 
Cellulose-Wand  heran.  In  einer  feuchten  Kammer  wurde  der  so 
erlangte  Zustand  stabilisirt  und  nach  15  Minuten  abermals  Wasser 
zugesetzt.  Die  sich  abrundende  Schwärmspore  zog  sich  auch 
dieses  Mal  von  einer  äusserst  zarten  Cellulose-Membran  znrQck 
(Fig.  6).  Ich  hatte  somit  die  Bildung  einer  zweiten  Gellulose- 
Membran  um  die  Schwärmspore  veranlasst.  Es  gelang  mir  in 
einem  Falle,  drei  in  einander  geschachtelte,  mehr  oder  weniger 
vollständige  Membranen  auf  diese  Weise  zu  erhalten. 

Auch  innerhalb  eines  ziemlich  reifen  Sporangiums  erhielt 
die  Schwärmspore,  die  ich  in  ähnlicher  Weise  von  der  Sporangium- 
Wand  zurücktreten  liess,  eine  zarte  Zellhaut.  Hier  wnrde  sie 
aber  viel  langsamer  erzeugt. 

Die  Bildung  der  Membran  geht  sonst  äusserst  rasch  von 
Statten,  wie  man  sich  hiervon  unter  günstigen  Bedingungen  leicht 
überzeugen  kann. 

Auch  an  künstlichen  Wundstellen  der  Vaucheria-Schläuche 
lassen  sich  die  geschilderten  Vorgänge  beobachten.  Um  die 
herausgetretenen  Kugeln  von  Orundsubstanz  des  Körnerplasma 
sieht  man  auch  hier  nie  eine  Gellnlose-Membran  auftreten,  nicht 
etwa,  weil  das  Material  zu  ihrer  Bildung  fehlt,  sondern  weil,  wie 
ich  meine,  die  Hautschicht  allein  befähigt  ist  die  Cellulose-Mem- 
bran  an  ihrer  Oberfläche  zu  erzengen.  Aus  der  Hautschicht  hin- 
gegen, sobald  es  ihr  gelungen  die  JVunde  zu  schliessen,  wird 
auch  hier  sehr  rasch  eine  zarte  Cellulose  •  Membran  ausge- 
schieden, die  mit  ihrem  Rande  an  die  Seitenwände  aus  Cellulose 
ansetzt. 


Stadien  über  daa  Protoplasma.  446 


FlflrnrenerUftmiig« 


Taf.  Xm. 

Fig.  1—6.    Vaucheria  sessilis. 

Fig.  1.  Sporanginxn  mit  fast  rdier  Scliwärmspore.  Alkohol -Friiparat 
Vergr.  240. 

Fig.  2.  Vordertheil  einer  Schwärmspore  noch  im  Sporangiam.  Nach  dem 
lebenden  Objecto  entworfen.    Vergr.  600. 

Fig.  S.  Ein  Theil  der  Hautschicht  mit  Cilien.  Osmiumsäare-Friiparat 
Vergr.  600. 

Fig.  4.  Ein  ebensolcher  TheiL  OsmiamBäare-Präparat  mit  Beale'schem 
Carmin  behandelt.    Vergr.  600. 

Fig.  5.  Ein  ebenaolches  Object  mit  absolatem  Alkohol  behandelt.  Bei  a  im 
optiflchen  Darchachnitt,  bei  b  von  oben  gesehen.    Vergr.  600. 

Fig.  6.  Theil  einer  Schwärmspore,  die  zur  wiederholten  MembranbUdong 
veranlasst  worden  war.  Die  Schwärmspore  trat  von  der  zuerst  er- 
zengten Gellulose-Haut  zurück  und  bildete  eine  zweite,  die  man 
auch  theilweise  verlassen  sieht.  Nach  dem  lebenden  Objecto  ent- 
worfen.   Vergr.  600. 

ilg.  7—14.    Equisetnm  arvense. 

Fig.  7—14.  Spermatozoiden  dieser  Pflanze  in  verschiedener  Lage.  Fig.  7 
horizontal  gelegen  von  der  Seite  gesehen.  Fig.  8,  9,  10  mit  etwas 
gegen  den  Beobachter  gehobenem  Vorderende.  Fig.  14  mit  ge- 
senktem Vorderende.  Fig.  11  und  13  Bauchansicht.  Fig.  18.  Bücken 
ansieht.  Fig.  7,  8,  10,  11,  12  mit  Blase.  Fig.  9  u.  14  ohne  Blase. 
Die  Blase  der  Innenfläche  der  hinteren  Windung  anhaftend,  mit 
Ausnahme  der  Fig.  12,  wo  sie  den  vorderen  Windungen  anhängt, 
Vergr.  900. 

Fig.  15—27.    Aethalium  septioum. 

Fig.  15 — 27«  Plasmodienzweige  dieses  Myzomyceten.  Fig.  15—91  im  Ein- 
ziehen begriffen.  Fig.  23  im  Fortschreiten.  Diese  Figoren  sowie 
Fig.' 37,  welche  den  inneren  Theil  eines  Zweiges  mit  lebhafter 
Strömung  (innerhalb  der  Linien)  und  von  Schleimscheide  umgeben^ 
vorführt,  nach  lebenden  Objecten  entworfen.  Fig.  2  ein  im  Fort- 
schreiten begriffen  gewesener  Zweig  mit  Osmiumsänre  und  Cannin 
behandelt.  Fig.  24 — 26  im  Etinsiehen  begriffen  gewesene  Zweige  mit 
Cbromsäure  fisirt.    Vergr.  600. 


446  Edimrd  Stnrimrger,  Stadien  über  dts  Protoplaama. 


Taf.  XIV. 

4 

Flg.  28—40.    Azolla. 

Fig.  28.    Makrospore  von  A.  filiculoides  im  Indosiiim  eingeflchlossen.  Vergr.  loo. 

Fig.  29.  Scheitel  eines  Schwimmkörpers  von  der  Makrospore  derselben  Pflanase. 
Längsschnitt.    Ver^.  6Q0. 

Fig.  30.  Aas  der  Basis  eines  ebensolchen  Schwimmkörpers.  LÄngasclinitt. 
Vergr.  800. 

Fig.  31  a.  32.  Aas  dem  anteren.^^eil^  4e8  Episporiams  derselben  Pflance. 
Fig.  31  im  Längsschnitt,  Fig.  32  von  oben  gesehen.    Vergr.  600. 

Fig.  33.    Unteres  Episponara  van  A.  cafoMniana,  im  Längsschnitt  Vergr.  520. 

Fig^.  34.    Unterea  Episporium  von  A.  pinnata«  im  Längsschnitt.  Vergr.  600. 

Fig.  35.    Unteres  Episporium  von  A.  nilotica,  im  Längsschnitt.  Vergr.  800. 

Fi^.  36.    Obere  Ansicht  des  Massula-Schaumes  von  A.  fiHculoides.  Vergr.  60*^ 

Fig.  37.    Unteres  Stück  einer  Massala  von  A.  pinnata.  Vergr.  600« 

Fi^r  38.    Eine  ganze  Massala  von  A.  fiUoajioides.    Vergr.  240. 

Fig.  39  a.  40.  Glocbide  von  A.  filicaloides  von  vorne  und  von  der  S^te  ge- 
sehen»   Vergr.  520. 

Fig.  41  0.  42.    Lathraea  «qaamaria.    * 
Fig.  41  u.  42.    Zellen  von  der  Oberfläche  der  Samenanlagen.    Verg.  240. 


Die  Vermehrung  der  Begoniaceen  aus  ihren 

BlSttemy 

entwickltmgsgeschichtlich  verfolgt 

rou 

Dr.  Frite  Be^eL 


Die  Entwicklung  nener  Pflanzenindividuen  aus  Blättern  ist 
bei  den  Cormophyten  im  Ganzen  eine  seltene  Erscheinung.  Wir 
kennen  nur  eine  beschränkte  Anzahl  von  Famen,  deren  Wedel 
Knöspchen  erzengen,  und  bei  den  Phanerogamen  zumal  müssen 
die  beobachteten  Fälle  blattbtlrtiger  Adventivsprosse  im  Verhältniss 
zu  der  FflHe  vorhandener  Pfianzenformen  als  Ausnahmen  gelten. 

Sehen  wir  nun  auch  bei  letzteren  nur  aa  vereinzelten 
Beispielen  aus  Blättern,  welche  mit  ihrer  Mutterpflanze  noch  in 
Znsammenhang  stehen,  spontan  Adventivknospen  hervortreten,  so 
sind  wir  doch  in  manchen  Fällen  im  Stande,  aus  einzelnen  ab- 
getroniiien  LattbbUtMhi  auf  ktlnstliobem  Wege  durch  eine 
geeignete  Behandlung  neue  Pflanzen  zu  erzielen. 

Die  gärtnerische  Praxis  hat  hieraus  seit  geraumer  2eit  Nutzen 
gezogen,  da  in  einigen  Pflanzenfamilien  viele  Arten  auf  diese  Weise 
leicht  in  groee^r  Zahl  vennehrt  werden.  kömieB«  ^) 

So  sehr  nun  auch  diese  Bieproduettonsfilfaigkeit  der  Blätter 


^)  Im  Oanien  tritt  jedoch  dieie  VermehrangMii  im  Vergleieb  ■«  den 
übrigtti  MeUiodeii  (Steoklinge  iwn  Slammstfiokea,  Zweigm«  Wonekif  Senker 
et  I.  w.)  sehr  soröek;  ms  besokränkt  sieli  aaf  genws«  WarrnksvipAaiiMB  (s, 
die  Zntammenrtellang  am  SchluM). 


448  ^tz  Begel, 

geeignet  ist,  unser  Interesse  in  Anspruch  zn  nehmen^  so  hat  sie 
doch,  wie  mir  scheint,  von  Seiten  der  Morphologen  noch  keineswegs 
hinreichende  Berücksichtigung  erfahren.  Angeregt  durch  meinen 
hochverehrten  Lehrer  Herrn  Professor  Dr.  Strasburger ,  dem  ich 
für  seine  freundliche  Unterstützung  meinen  ergebensten  Dank  sage, 
stellte  ich  mir  daher  die  Aufgabe,  diese  Regenerationserscheinnngen 
der  Laubblätter  phanerogamer  Pflanzen  zunächst  bei  den  Begonia- 
ceen,  einer  Familie,  in  welcher  bekanntlich  viele  Arten  seit  langer 
Zeit  durch  „Blattstecklinge''  ^)  vermehrt  werden,  näher  zu  studiren. 
Die  gewonnenen  Resultate  erlaube  ich  mir  nachstehend  mitzu- 
theilen. 


Um  Knospen  aus  den  Blättern  der  Begonien  zu  erzielen, 
bedienen  sich  die  Gärtner  eines  sehr  einfachen  Verfahrens*): 
die  von  der  Mutterpflanze  abgetrennten  Blätter  werden  an  den 
Blattrippen  der  Spreite  an  verschiedenen  Stellen,  besonders  an 
den  Verzweigungsstellen  der  Gefässbttndel  durchschnitten  und  bei 
reichlicher  Feuchtigkeit  und  Wärme  in  den  Sand  eines  Ver- 
mehrungskastens mit  dem  Stiel  in  schräger  Richtung  so  weit 
eingesteckt,  dass  die  Lamina  auf  der  Unterseite  aufliegt.  In  den 
Geweben,  welche  den  Schnittflächen  benachbart  sind,  treten  nun 
bald  mannigfache  Veränderungen  auf:  es  bildet  sich  ein  „Callns'' 
und  nach  einiger  Zeit,  welche  je  nach  den  einzelnen  Arten  variirt, 
in  manchen  Fällen  (besonders  im  Frühjahr)  schon  nach  8—10  Tagen, 
zeigen  sich  Wurzeln  und  schliesslich  auch  junge  Knospen  an  den 
gesteckten  Blättern;  die  Wurzeln  am  reichlichsten  an  dem  Stiel 
des  Blattes,  doch  regelmässig  auch  an  der  Unteuseite  der  ange- 
schnittenen Stellen  der  Spreite;  die  Knospen  hingegen  Vorzugs- 


*)  M^t  diesem  Atudruck  bezeichnen  dieGärtnef  zwei  ganz  verachiedene 
Dinge  (cf.  E.  Regel,  AUg.  Gartenbucli) : 

a)  ein  einzelnes  am  Stiel  abgeschnittenes  Blatt,   oline  irgend  welche 
Stammtheile, 

b)  ein  Blatt  mit  zugehöriger  Achselknospe  und    einem    mit    dem 
Blattstiel  zugleich  herausgeschnittenen  The il  der  Mutterachse. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  ich  nur  die  erstere  Bedeutung  im  Sinne  habe; 
zur  scharfen  Unterscheidung  sollte  für  Blattsteckling  in  der  zweiten  Bedeutung 
durchweg  „Blatt augensteckling"  gesagt  werden  (cf.  H.  Jäger,  Allg.  iUustr. 
Gartenbuch,  3.  Aufl.,  p.  208). 

•)  Regel's  Gartenfloi»  1852,  Bd.  I,  p.  124;  Bd.  XVI  1867,  p.  140  ff.  (C. 
Bouch^;  Neubert's  Magaan,  Bd.  1, 1852,  p,  125;  Dlustr.  Gartensekimg,  Bd.  U, 
p,  49  u.  67  n.  a.  a.  0. 


Die  Vermehrung  der  Begoniaceen  etc.  449 

weise  auf  der  Oberseite  der  Lamina  und  zwar  theils  an  den 
durchschnittenen  Stellen,  theils  an  dem  Ponkt,  wo  der  Stiel  in 
die  Spreite  übergeht;  hier  steht  meist  eine  ganze  Anzahl  junger 
Knospen  dichtgedrängt  beisammen.  Häufig  fehlen  indess  die 
Knospen  auch  dem  Blattstiel  nicht,  ja  manche  Arten  sind  sogar 
durch  eine  vorzugsweise  Erzeugung  derselben  aus  dem  Blattstiel 
ausgezeichnet,  (cf.  Fig.  1). 

Ueberhaupt  ist  der  Erfolg  dieser  Vermehrungsart  bei  den 
einzelnen  Arten  der  Begonien  ein  äusserst  verschiedener. 

Es  ist  namentlich  zu  beachten,  dass  diese  Vermehrung  aus 
Blättern  überhaupt  nur  bei  einem  T  h  e  i  1  e  der  Begonien  mit  Erfolg 
betrieben  wird.  Nach  dem  Bau  des  Stammes  hat  Hildebrand  ^) 
die  Familie  in  2  Gruppen  gebracht: 

1)  die  Begoniaartigen  (nach  der  Gattung  Begonia ')),  welche 
die  aufrechten,  ästigen  Arten  umfassen; 

2)  die  Gireoudiaartigen  (nach  der  Gattung  Gireoudia),  d.  h. 
die  grossblättrigen  Arten  mit  rhizomartigen,  niederliegenden  oder 
ansteigenden  Stämmen. 

Während  sich  nun  die  erstere  Gruppe  sehr  leicht  durch 
gewöhnliche  Zweigstecklinge  vermehren  lässt,  schlägt  die  Knospen- 
bildnng  aus  Blättern  nach  der  allgemeinen  gärtnerischen  Er- 
fahrung bei  ihnen  nicht  an,  wie  dies  auch  von  mir  an  mehreren 
Arten,  z.  B.  Beg.  semperfiorens  Link.,  angestellte  Versuche  be- 
stätigen, sondern  beschränkt  sich  wohl  ausschliesslich  auf  die 
zweite  Abtheilnng  der  rhizombildenden  Begonien  mit  meist  grossen 
und  verschiedenfarbigen  Blättern  (vrir  behalten  flir  dieselben  den 
generellen  Namen  Begonia  bei)  ^)  und  zeigt  sich  hier  in  mannig- 
facher Abstnfting.  Da  ich  nur  die  Absicht  hatte,  die  für  die 
mikroskopische  Untersuchung  geeignetsten  Arten  herauszufinden  und 

')  HildebrADd,  Anatomie  der  Begoniaceenstttmme,  Berlin  1859,  p.  7. 

*)  Hildebrand  folgt  der  von  Klotssch  (Begon.  Gatt.  a.  Arten)  eingeführten 
Nomenclator.  Gireoadia  ist  bei  DC.  (Prodromns  Band,  XV)  nur  eine  Unter- 
gattang  von  Begonia.  Während  DC.  die  aämmtlichen  Arten  dieser  Familie 
auf  die  3  Gattungen  Caaparya  (mit  23),  Mesierea  (mit  3)  and  Begonia  (mit 
354  Arten)  vertheilt,  hat  Klotcsch  die  Haaptgattnng  Begonia  in  über  80  aelb- 
itändige  Gattangen  aufgelöst.  —  Zur  Systematik  der  Begoniaceen  Tergleiche 
Ed.  RegePs  Gartenflora,  Bd.  IX,  p.  3fl6  fi. 

')  Wegen  der  Tielen  in  den  letsten  Jahren  nea  eingeführten  Arten  sowie 
der  sahlreichen,  durch  die  Cnltur  ersielten  VarietÜten  ist  eine  sichere  Art- 
bestimmnng  erschwert;  ich  schliesse  mich  daher  im  Folgenden  an  die  in 
den  Gärten  übliche  Beseichnnng  an  und  behalte  die  Nomenclatur  des  bot«« 
nischen  Garten^  su  Jena  bei. 


450  5«to  Qeg^, 

qiich  ansfler^em  4avon  zn  übarseugon ,  4a88  die  ^lnlwicUwag 
bei  yerschiedenen  Arten  im  Wesentlichen  die  gleiebe  ßfA,  wurden 
nur  Ton  einer  kleinen  Answahl  Blätter  cultivirt,  lavge  nicht  90- 
reichend,  um  den  Erfolg  dieser  Vermehrungsart  bei  den  Qinselneii 
Arten  zu  ermitteln,  ein  Zweck,  welcher  mir,  wie  ges^,  gans  fen 
tag.  Kur  einige  beiläufig  gemachte  Beobachtungen  mögen  hier  Platz 
finden  ^) : 

Sehr  langsam  erfolgte  die  Knospenbildung  b^i  dem   Arten 
mit  starken,  fleischige  Blättern,  wie  z.6.  Beg.  Warscewiszii, 
bort ;  die  Knospen  traten  hier  zuerst  am  Stiel  auf,  dicht  über  der 
Schnittfläche.    Auch  bei  der  häufig  cultivirten  Beg.  ricinifolia 
findet   die  Erzeugung  yop  Knospen    zunächst  vorzugsweia^   sm 
dem  Blattstiel  statt;  an  der  Spreite  lassen  sich  jedoch  id  dem 
FaUe  ebenfalls  Knospen  erzeugen,  wenn  man  das  Blatt  in  mehrere 
Stücke  zerschneidet  und   diese  Theile  einzeln,   mit  dem  diireh- 
schnittenen  Blättemerven  nach  unten,  aufrecht  in  den  Sand  ein- 
steckt; es  zeigen  sich  dann  nach  einiger  Zeit  am  Nerven   die 
jungen  Knospen.^)     Leicht    lassen   sich  hingegen  dieselbe   er- 
halten bei  den  meisten  grossblättrigen  Arten,  wie  BegoniaBex, 
Beg.  imperialis,  Lek.;  Beg.^anthina  Hook;  Beg.  Helene 
Uhden^)  bort.  u.  a.  A.,  namentlich  auch  bei  Beg.  quadricolor. 
Bei  dieser  Art  traten  die  Knospen  an  den  im  Spätherbst   ldi74 
gesteckten  Blättern    nicht  nur  an  den  angeschnittenen   Stellen, 
sondern  auch  sonst  allenthalben  auf  den  Blattrippen  der  Ober- 
seite hervor,  ja  ich  sah  sogar  auf  einigen  alten,  noch  am  Mutter- 
stocke  befindlichen  Blättern   Adventivknospen    entwickelt    und 
zwar   sowohl    an   der  Uebergangsstelle   vom   Blattstiel   in    die 
Spreite,  als  auch  auf  den  einzelnen  Nerven  zerstreut 

Es  steht  diese  Beobachtung  übrigens  keineswegs  ganz  ver- 
einzelt da.  Von  Beg.  Möhringii  (einem Bastard  von  B.  m a n i - 


^)  In  der  gärtnerisclien  Litteratar  finde  ich  besonders  namhafi  gemacht 
folgende  durch  Blätter  vermehrbare  Arten :  Begonia  Twaiterii,  xanthina,  xanth. 
Reichenheimii,  Rex,  splendida  argentea,  Madame  Wagner,  Miranda,  Griffithü 
(Neumann,  Pflanzenvermehrung,  p.  36);  ferner  Beg.  ramentacea  maxima, 
st^mosa,  ricinifolia,  cinnabarina,  laetevirens,  manicata,  discolor,  hydrocotylifolia 
(Neubert'a  Magazin,  1852,  p.  125.) 

^)  Schon  Bouchd  (Gartenfl.,  Bd.  XVI,  1867,  p.  HO)  u.  A.  haben  hervor- 
gehoben, dass  bei  manchen  Arten  selbst  aus  Stückchen  der  Lamina  von  nur 
Vi  D  2oU  Grösse  noch  Pflanzen  gezogen  werden  können,  wenn  es  sich  am 
deren  massenhafte  Vermehrung  aus  wenigen  Blättern  handelt  (vergL  auch 
Qartries  in  Nenbert's  Magazin). 

')  Wohl  zum  Formenkreis  der  Beg.  Bex  gehörig. 


Die  Vennehmng  der  Begoniaceen  etc.  451 

cata  und  diapetala)  findet  sich  dasselbe  mehrfach  erwähnt.  ^) 
Ferner  tri^en  pach  Peter  -  Petershansen ')  „die  sohildfönnigen 
Blätter  von  Begonia  coriacea  auf  ihrer  oberen  Fläche  öfter 
kleine  EnOspchen,  die  stets  über  dem  Mittelpunkt,  von  welchem 
die  neun  oder  zehn  nach  dem  Umkreise  der  Blattscheibe  ver- 
laufenden Nerven  ausgehen,  gestellt  sind/'  Bei  Beg.  phyllo- 
maniaca(B.  manicata-incarnata);  wo  zahlreiche  Enöspchen 
den  Stamm  bedecken,  treten  dieselben  auch  häufig  auf  die 
Blätter  hinüber. 3) 

Ueberhaupt  m^  die  charakteristische  Leichtigkeit,  mit  welcher 
bei  den  Begoniaceen  die  künstliche  Vervielfältigung  so  vieler 
Arten  aus  Blättern  oder  selbst  Blatttheilen  bewirkt  werden  kann, 
mit  dem  Umi^tand  in  Zusammenhang  zu  bringen  sein,  dass  im 
Allgemeinen  diese  Gruppe  in  ihren  natürlichen  Lebensverhält- 
nissen mit  den  verschiedensten  Arten  der  ungeschlechtlichen  Ver- 
mehrung (Stolonen,  Bulbillen  in  den  Blattachseln,  Seitenknöllchen 
bei  den  mit  Knollen  versehenen^)  u.  s.  w.)  ausgerüstet  ist 


Bevor  wir  uns  nun  im  Folgenden  mit  den  in  den  Geweben 
der  gesteckten  Blätter  auftretenden  Veränderungen,  speciell  mit 
der  Kntwicklungsgeschiebte  der  Wurzeln  und  Knospen  beschäf- 
tigen, möge  zuvor  eine  kurze  Orientirung  über  das  Wachs- 
thum  der  vegetativen  Organe  im  Allgemeinen,  sowie  über 
die  anatomische  Beschaffenheit  der  Laubblätter 
vorausgehen,  so  weit  dies  das  Verständniss  des  Folgenden  er- 
fordert. 


<)  E.  Regel,  Gartenfioni  1, 1852,  p.  124;  v.  C.Bouchd,  Gartenflora,  ßd.XVI, 
1867,  p.  40. 

*)  Dr.  P^r-Petershanien,  Beitrüge  rar  EntwicklangigeseK  der  Bmt- 
kAospeu,  Hameln  1869,  p.  46, 

*)  Regel,  Allg.  Gartenbach  I,  p.  322;  Gartenflora,  Bd.  XVI,  p.  140. 

«)  cf.  C.  ßouch^,  Gartenflora,  Bd.  XII,  p.  140  ff. 


452  Frits  Regel, 

L  Das  Wachsthmn  der  TegetatiTen  Organe. 

1.    Verhältnisse  am  Vegetationskegel. 

Der  von  Hanstein  ^)  aufgestellten  allgemeinen  Regel  ftir  das 
Spitzenwachsthum  der  Phanerogamen  entspricht  auch  der  Vege- 
tationspunkt der  Begoniaceen:  das  kleinzellige  Urmeristem  des- 
selben sondert  sich  in  Dermatogen,  welches  sehr  dentlich  den 
Scheitel  in  einer  Zellenlage  überzieht^  in  Periblem  und  Plerom. 
Das  Periblem  wurde  am  Scheitel  häufig  zwei  Zellreihen  stark  an- 
getroffen. Die  Initialen  des  Pleroms  treten  zwar  nicht  scharf 
unter  den  übrigen  Zellen  des  Urmeristems  hervor;  sie  kennzeichnen 
sich  jedoch  durch  eine  hier  besonders  lebhaft  sich  vollziehende 
Zelltheilung  und  sodann  durch  die  divergirend  von  ihnen  aus- 
strahlenden Zellreihen  als  Heerd  der  Neubildung. 

Die  Anlage  der  Blätter^)  geschieht  in  der  auch  sonst 
für  die  Phanerogamen  giltigen  Weise  zuerst  durch  lebhafte  Thei- 
lung  des  Periblems;  dieses  erzeugt  hügelartige  Protuberanzen, 
welche  das  Protoderma  als  äusserste  Schicht  continuirlich  ttber- 
wölbt.  Das  Eigenartige  der  Begoniaceen  im  Vergleich  zu  anderen 
Dikotyledonen  liegt  besonders  in  dem  ausserordentlich  starken 
Wachsthum  der  angelegten  Blätter  im  Verhältniss  zum  Vegetations- 
kegel. Zumal  bei  den  grossblättrigen  Arten  nimmt  sich  der 
Vegetationskegel  oft  aus  wie  ein  zur  Seite  gedrängtes  Anhängsel 
der  rasch  sich  entwickelnden  Blätter. 

Die  Blattstellung  ist  die  zweizeilige.  Jedes  Blatt  ist  an  der 
Basis  von  zwei  Nebenblättern  begleitet.  Es  erheben  sich  daher 
zunächst  am  Vegetationskegel  drei  Zellhflgel,  die  Anlagen  des 
Laubblattes  mit  seinen  zwei  Nebenblättern.^)  Indem  nun  zuerst 
die  stipulae  viel  rascher  wachsen,  als  das  mediane  Laubblatt, 
findet  man  letzteres  von  denselben  überwallt;  sie  schliessen  über 
dem  Blatt  aneinander,  so  dass  jedes  Laubblatt  in  einem  Hohlraum 
eingebettet  liegt.  Erst  später  werden  die  stipulae  von  dem  lang- 
samer sich  entwickelnden  Hauptbtatt  weit  überholt.    Dieses  stellt 


^)  J.  Uanstein,  Die  Scheitelzellengruppe  im  Vegetatioxupunkt  der  Phane- 
rogamen, Bonn  18B8. 

')  cf.  G.  Odendall,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Morphologie  der  Begonis- 
ceenphjllome,  Dissertation,  Bonn  1874,  und  Hofmeister,  Allg.  Morphologie, 
p.  539  und  584. 

")  Hofmeister  gibt  eine  nähere  Schilderung  ihrer  Entwicklung  L  c,  p.  585. 


Die  Vermehrung  der  ßegoniaceen  etc.  453 

zuerst  eine  einfache  konische  Erhebung  dar;  durch  lebhafte  Zell- 
bildung an  ihrer  Basis  hebt  sich  die  ganze  Blattanlage  ttber  den 
Vegetationskegel  empor.  Aus  dem  anfangs  einheitlichen  Zellen- 
complex  differenziren  sich  nun  bei  fortschreitender  Entwicklung 
die  einzelnen  Theile  des  Blattes:  die  untere  Partie  wird  zum 
Blattstiel ;  das  Meristem  des  oberen  Theiles  entwickelt  die  Spreite. 
Bei  denjenigen  Begonien,  welche  einen  Hanptnerv  deutlich  aus- 
geprägt zeigen  (z.  B.  Beg.  incamata,  Link  et  Otto),  wird  dieser 
zuerst  angelegt,  die  Seitennerven  entstehen  an  ihm  als  seitliche 
Wucherungen  in  akropetaler  Reihenfolge.  Wo  hingegen  mehrere 
gleichwerthige  Nerven  in  die  Lamina  ausstrahlen;  erscheinen  auch 
in  dem  Bildungsgewebe  an  der  Spitze  der  Blattanlage  mehrere 
Hervorwölbungen,  die  einzelnen  Nerven  darstellend;  an  ihnen 
bilden  sich  als  seitlich  hervortretende  Höcker  die  Secnndämerven 
u.  s.  f.  Während  das  Laubblatt  nach  seiner  Entfaltung  eine  ein- 
fache ungetheilte  Lamina  besitzt  und  höchstens  am  Rande  Ein- 
kerbungen zeigt;  welche  je  nach  den  einzelnen  Arten  verschieden 
stark  ausgeprägt  sind,  hat  dasselbe  auf  dieser  Entwicklungsstufe 
ein  sehr  zackiges,  zerklüftetes  Aussehen;  die  Lamina  besteht  eben 
zunächst  vorzugsweise  aus  den  Anlagen  der  Blattnerven.  Erst 
nach  ihrer  Bildung  entwickelt  sich  zwischen  ihnen  durch  weitere 
Zellvermehrung  das  Mesophyll  der  Blattspreite.  Hierbei  wird  die 
eine  Blatthälfte  vor  der  anderen  in  ihrem  Wachsthum  gefördert; 
wir  erhalten  so  die  auftauende  Asymmetrie,  um  deretwillen  diese 
Pflanzengruppe  den  treffenden  Namen  der  ;,Schiefblätter'^  erhielt. 
Die  jungen  Blätter  liegen  vielfach  zusammengefaltet,  die  spätere 
Oberseite  nach  Innen  gekehrt,  in  der  Knospe:  wir  haben  eine  als 
„vematio  plicativa^'  zu  bezeichnende  Knospenlage.  Das  Blatt  ist, 
auch  wenn  alle  Theile  desselben  der  Anlage  nach  vorhanden  sind, 
immer  noch  sehr  klein  im  Verhältniss  zu  seinem  späteren  Um- 
fang; darch  Zellstreckung  erreicht  es  indess  rasch  eine  bedeutende 
Grösse  und  tritt  aus  der  Knospenlage  hervor.  Alle  Gewebe  zeigen 
nunmehr  ihre  charakteristische  Gestalt:  die  Blattstränge,  welche 
schon  sehr  frühzeitig  aus  einem  Theil  des  Meristems  als  procambiale 
Züge  angelegt  werden  und  an  die  Gefässbündel  des  Stammes  an- 
schliessen,  bilden  nunmehr  ihre  einzelnen  Elemente  aus.  Die 
Hauptmasse  der  Blattanlage  wird  zum  Fttllgewebe(Blattparenchym). 
Die  Epidermis  endlich  ist  bei  den  jungen  Blättern  durch  eine  sehr 
reichliche  Trichombildung  ^)  ausgezeichnet 

<)  Ueber  die  Trichome  cf.  Odendall,  1.  c,  p.  20. 


454  ^tx  R^el, 

In  den  Aduielo  der  Laobblätter  bilden  mh  Knoapea, 
weiche  jedoch  nar  bei  den  anfreohten  Arten  regeimUsiff  aoir  Snt* 
wieklong  gelangen,  bei  den  niederiiegenden  Begonien  hmg^gen 
grosaentheils  Yerktimmeni. 


2.  Anatomie  der  ansgebildeten  Lanbbllltter. ^> 

a)  Der  Blattstiel  (Fig.  2)  zeigt  folgende  Bestandtheile :   zn 
äusserst  die  Epidermis,  bei  vielen  Arten  eine  reichliche  Anzahl 
zusammengesetzter  Haare  bildend.    Spaltöffnungen.^)  findei^  sieb 
am  Stiel  hier  und  da  und  dann  in  grösserer  Menge  beisammen- 
stehend.  Der  Oberhaut  zunächst  treffen  wir  das  1 — i  Zellschichieo 
starke  schön  ausgeprägte  CoUenchym.  Der  ganze  übrige  Blatt- 
stiel  wird  gebildet  von  grossen,  mit  zahlreichen  Stärkek,ömem 
erfüllten  ParenchyrnzelleU;  welche;  zumal  im  ^erbst;    zahl- 
reiche Krystalle  von  oxalsaurem  Kalk  führen,  unterbrochen  vou 
einer  je  nach  der  Stärke  des  Blattes  najittrlich  wechselnden  An- 
zahl von  isolirten  GefässbündelU;  von  denen  die  Mehrzahl, 
etwa  6—8  Zellschichten  von  der  Peripherie  abstehend,  in  einem 
mit  dieser  concentrischen  Kreise  gruppirt  ist,  einige   aber    als 
compacte  Masse,  das  Xylem  nach  Ini)en  gekehrt,  die  Mitte  des 
Blattstieles  einnehmen.    Diese  centralen  Bündel  sind  indess  nicht 
bei  allen  Arten  anzutreffen  und  entsprechen  in  der  St9xke  ihrer 
Entwicklung  im  Allgemeinen  den  Dimensionen  des  Blattes.   Der 
einzelne    Fibrovasalstrang^)    in    seiner  typischen   Aus- 
bildung setzt  sich  zusammen  aus  einem  grossentheils  von  schönen 
Spiralgefässen  und  Holzparenchym  gebildeten  Xylem  auf  der 
Innenseite,  welchem  jedoch  je  nach  den  Arten  auch  getüpfelte 
und  leiterförmige,  sowie  ringförmig  verdickte  Gefässe  nicht  fehlen« 
und  aus  einem  grossentheils  aus  dünnwandigen  Elementen  be- 
stehenden P  h  1 0  e  m  nach  der  Peripherie  des  Stieles  zu.  Hildebrand 
hat   dasselbe  mit  einem  eigenthümlichen  Namen   als  ,yHemm- 
abast'^^)  bezeichnet,  weil  es  gleichsam  auf  einer  Entwicklungs- 
stufe der  echten  Bastfasern,  wie  sie  bei  anderen  Arten  auftreten, 


^)  cf.  Odeadall,  p,  11  u.  ff.  —  Für  meinen  Zweck  hatte  ich  munenUick 
die  später  hinsichtlich  der  Knospenentwicklang  untersachten  Arten,  (Beg«  Res, 
quadricolor,  Helene  Uhden)  im  Auge. 

')  Ueber  die  Stomata  cf.  Odendail,  p.  22. 

')  HUdebrand,  1.  c,  p.  21  u.  ff. 

^)  1.  c,  p.  23. 


t>ie  Vemiehrttkig;  der  H^^oniaceen  etc.  455 

«tehen  gebliebra  iat,  welche  diese  vor  ihrer  definitiven  Ansbitdnng 
bereits  erreichen.  Letztere  finden  sich  bei  viden  Arten  in  der 
flir  die  Gireoudia-artigen  Begoniaceen  charakteristischen  Weise 
nicht  an  einer  bestimmten  Stelle  des  Basttheiles,  sondern  einzeln 
an  der  ganzen  Peripherie  des  Fibrovasalstranges  zerstrent;  bei 
manchen  Arten  kommen  sie  in  den  Blättern^  namentlich  in  den 
schwächeren^  überhaupt  nicht  mehr  zur  Entwicklung.  Das  zwischen 
Phloem  nnd  Xylem  liegende  Cambium,  dessen  Thätigkeit  die 
reihenweise  Anordnung  der  von  ihm  gebildeten  Dauerzellen  oft 
schön  erkennen  lässt;  geht  in  älteren  Blättern  ganz  in  Dauer- 
gewebe über  und  nur  höchstens  in  wenigen  Zellen  sind  noch 
lange  Zeit  Zellkerne  sowie  Protoplasma  anautrefieu;  welche  somit 
ihre  BildnngsiKhigkeit  bewahren.  Die  Stränge  der  Blätter  sind 
alse  geschlossene;  eine  Zellschieht,  welche  sich  nicht  selten  deut- 
lich an  der  ganzen  Peripherie  des  Gefässbündels  markirt,  mit 
etwas  weiteren  Zellen,  welche  aber  hinter  den  Zellen  des  Grund- 
gewebes an  Grösse  zurückstehen,  bildet  die  Abgrenzung  gegen  das 
ungebende  Blattstieiparenchym. 

b)  Spreite.  Aus  dem  Stiel  treten  die  Stränge,  in  die  zahl- 
reichen Blattnerven  ausstrahlend,  in  die  Lamina  ein.  Das  Meso- 
phyll derselben  ist  meist  ö— 6  Zellschichten  stark:  auf  die 
farblose  Epidermis  der  Oberseite  folgt  eine  mit  Ghlorophyllkömem 
erfüllte  Schicht^  sodann  3— &  Zellreihen  stark  das  l'tdlgewebe; 
den  Abschluss  bildet  die  untere  Epidermis  mit  zahlreichen  Spalt- 
öfinungen.  Auf  der  Oberseite  finden  sich  letztere  nicht;  hier  sind 
als  Mündungen  der  letzten  Blattnervenansläufer  am  Rande  der 
Lamina  die  „Neurostomata^^  Odendall's  entwickelt 

Die  nach  der  Blattunterseite  stark  vorspringenden  Blatt- 
nerven zeigen,  wie  zu  erwarten,  eine  dem  Blattstiel  im  Ganzen 
entsprechende  Structnr.  Die  Epidermis  des  Mesophylls,  meist  aus 
grossen  Zellen  gebildet,  setzt  sich  continuirlich  auf  die  Nerven 
fort;  an  sie  sehliesst  sich  genau  unter  der  Mitte  der  Oberseite 
ein  Complex  von  Collenchymzellen  an;  darunter  folgen  die  Chlore« 
phyll  enthaltenden  Zellen,  gleichfalls  die  Fortsetzung  der  ent- 
sprechenden Schicht  des  Mesophylls.  Die  übrjge  Hauptmasse  des 
Nervengewebes  bildet  das  grosszellige  Parenchym,  durchsetzt  von 
den  Gefässbttndeln,  deren  Anzahl  und  Stärke  natürlich  nach  der 
Peripherie  des  Blattes  zu  abnimmt;  alle  Stränge  kehren,  der  An- 
ordnung im  Stiel  entsprechend,  den  Holztheil  nach  bmen.  Die 
Vfiäanoi»  der  Unlers«ite  endliob  ist  d«rA  i--3  ZeUreihen*  sehwach 


456  Fritz  Regel, 

entwickelten  kleinzelligen  CoUenchyms  vom  übrigen  Grnndgewebe 
geschieden  (cf.  Fig.  3). 


3.  Wachsthnm  der  Wurzeln. 

Das  Spitzenwachsthnm  der  Begoniaceenwurzel  ergab 
keine  wesentlichen  Abweichungen  von  den  Verhältnissen,  wie  sie 
von  Beinke  ^)  und  Janczewsky  ^  für  die  Phanerogamen  gewonnen 
wurden ;  zur  Orientirung  diene  hier  Folgendes : 

Das  Wachsthnm  der  Wurzeln  erfolgt  mit  drei  Histogenen: 

1)  Das  centrale  Plerom  hebt  sich  durch  seine  etwas  ge- 
streckten^ prismatischen  Zellen  scharf  von  den  fast  cubischen 
Zellen  deri  peripherischen  Gewebe  ab ;  es  gipfelt  in  mehreren  je 
nach  der  Stärke  der  Wurzel  variirenden^  deutlich  markirten  Ini- 
tialen; welche  durch  fortgesetzte  akrofngale  Abgliedemng  das 
weitere  Wachsthnm  bewirken. 

2)  Das  Periblem  ist  an  der  Seite  4— U  Zellschichten  stark 
und  besteht  aus  fast  isodiametrischen  Zellen;  dasselbe  gipfelt 
über  dem  Pleromscheitel  bei  Begonia  Rex  in  zwei  Initialen,  deren 
Descendenzen,  seitlich  rasch  in  mehrere  Zellreihen  zerfallend,  die 
Schichten  des  Periblems  bilden.  Die  innerste  Rindenschicht  vnrd 
beim  Uebergang  in  den  Dauerzustand  zur  Pleromscheide,  die  anch 
hier  auf  dem  Querschnitt  die  charakteristischen  schwarzen  Punkte 
der  radialen  Wände  zeigt,  welche  bekanntlich  auf  einer  eigen- 
thümlichen  welligen  Faltung  der  Längswände  beruhen. 

3)  Die  äussere  Hülle  des  Wurzelkörpers  wird  am  Scheitel 
gebildet  von  der  Haube,  bestehend  aus  Dermatogen  und 
Wurzelhaube.  Letztere  wird  hier  nicht,  wie  in  manchen 
Fällen  (Gramineen  %  Lycopodium  *•))  von  einem  besonderen  dem 
Dermatogen  dicht  aufliegenden  Bildungsgewebe,  dem  sogenannten 
„Ealyptrogen^^  gebildet,  entsteht  vielmehr  unmittelbar  aus 
dem  Dermatogen  selbst  durch  fortgesetzte  Abgliedemng  von 
Wurzelhaubenschichten,  welche  durch  tangentiale  Theilungen  der 
einzelnen    Epidermiszellen    am    Scheitel    erzeugt    werden.     Die 


^)  Joh.  Reinke,  UnterB.  über  Wachsthumsgeschichte  u.  Morphologie  der 
Phanerogamenworzel,  Bonn  1871. 

')  Janczewsky,  Bot.  Zeitung  Nr.  8,  1874,  und  Ann.  des  scienc.  nat.  1875. 
*)  Ebendaselbst. 

*)  H.  Brachmann,  Wurzeln  von  Ljcopodium  and  Isoetes,  Jen. 
%  1874,  p.  19  des  Separatabdrucks. 


Die  Vermehrung  der  Begoniaceen  etc.  457 

tangentialen  Theilangen  können  sich  auch  in  den  abgegliederten 
Hanbenlagen  wiederholen;  indesB  kommt  es  in  unserem  Falle  zn 
keiner  ausgeprägten  Säulenbildnng  über  dem  Seheitel.  In  Folge 
der  lebhaften  Zelltheilnng  im  Dermatogen  lässt  sich  die  an  der 
Seite  scharf  hervortretende  Epidermis  auch  auf  dem  Scheitel  selbst 
sieht  deutlich  von  den  ttbrigen  Zellen  des  Urmeristems  unter- 
scheiden ;  erst  eine  genauere  Prüfung  ergibt  hier  diejenige  Zellen- 
reihC;  welche,  etwas  entfernter  vom  Gipfel,  nach  der  fieschaflfenheit 
als  Dermatogen  angesprochen  werden  darf. 

Wir  haben  mittiin  bei  den  Begoniaceen  im  Wesentlichen  den 
für  Helianthus  annuus  von  Reinke  aufgestellten  Wachsthumstypus 
der  Hauptwurzel,  welcher  immerhin  für  die  meisten  Phanerogamen 
zu  gelten  scheint. 


Wir  wenden  uns  nach  dieser  einleitenden  Orientirung  nun  zu 
unserem  eigentlichen  Thema. 


II.    Die  Neablldangen  an  den  gesteckten  LanbblBttisrn. 

1.  Veränderungen  der  Gewebe  in  der  Nähe  der 

Schnittflächen. 

£s  ist  eine  bekannte  Erscheinung,  dass  an  ejnem  beliebigen 
Zweigsteckling  der  Bildung  von  Wurzeln ;  neuen  Blättern  und 
Zweigen  die  des  sogenannten  ,,C  a  1 1  u  s^'  vorausgeht,  d.  h.  es  tritt 
an  der  Schnittwunde  ein  Wulst  jungen  Zellgewebes  auf.  Vor  kurzer 
Zeit  ist  durch  Rud.  Stell  ^)  diese  Gallusbildung  für  Zweigstecklinge 
dicotyter  Pflanzen  verfolgt  worden.  StoU  bringt  die  Stecklinge 
nach  ihrem  Verhalten  in  zwei  Gruppen:  der  kleinere  Theil  der 
von  ihm  untersuchten  Stecklinge  bildete  keinen  eigentlichen 
Callus,  sondern  nur  einfach  dicht  über  der  Schnittfläche  einen 
Wundkork,  welcher  zum  Schutz  der  inneren  lebenskräftigen 
Schichten  einen  festen  Abschluss  nach  Aussen  herstellt  Diese 
Stecklinge  treiben  sehr  rasch  neue  Wurzeln,  welche  die  Er- 
nährung übernehmen.  Zu  ihnen  gehörten  auch  nach  StoU  die 
Stecklinge  von  Begonia  fagifolia. 


>)  Bad.  StoU,  CallotbÜdang  an  SleckUngen,  Bot.  Zeitung  1874,  Nr.  46, 
47  and  49. 


458  JfVitz  ftegel, 

Die  Mehrzahl  der  Stecklinge  hingegen  zeigt  an  der  Schnitt- 
fläche eine  viel  tiefer  gehende  Umwandlnn^ :  sie  erzeugen  einen 
mehr  öder  weniger  stark  enttvickelten  Cällüs,  einen  die  Söhnitt- 
flSche  gänzlich  überfallenden^  nnter  ihr  zudämmenschliässenden 
Get^ebecomplex.  An  seiner  Bildung  können  sich  alle  Gewebe 
audser  den  Holz-,  echten  Bast-  und  Epidermiszellen 
betheiligen;  immer  steht  das  Cambinm  hinsichtlich  seiner 
Tbätigkeit  oben  an.  Der  Oallus  zeigt  tach  Form  und  Anordnung 
seiner  Zellen  zunächst  keine  Aehnlichkeit  mit  den  Geweben  des 
Stengels,  erst  später  wird  dieselbe  hergestellt  durch  die  in  ihm 
entstehenden  Meristeme,  theils  Phellogenschiehten  an 
der  Peripherie,  theils  eine  Art  Cambium,  welches  den  Geweben 
des  Stecklings  entsprechende  Schichten  differenzirt.  Die  hier  viel 
langsamer  sich  entwickelnden  Wurzeln  entspringen  nie  direct 
aus  dem  Callus,  sondern  stets  aus  den  darüber  liegenden  Regionen 
des  Stecklings. 

In  Rücksicht  auf  diese  Ergebnisse  von  StolFs  Untersuchungen 
war  es  nun  von  Interesse,  festzustellen,  wie  sich  die  Schnittflächen 
der  gesteckten  Begoniaceenphyllome  verhielten. 

Die  vom  Schnitt  direct  betroffenen  Schichten  färben  sich 
dunkel  und  sterben  rasch  ab.  Die  anstossenden  noch  frischen 
Gewebe  aeigen  einige  Zeit  naeh  dem  Einpflanzen  mancherlei  Um- 
bildungen.   Wir  beobachten  Folgendes: 

Am  Blattstiel  häuft  sich  an  der  freien  Aussenwand  einer 
grossen  Zahl  von  Epidermiszellen  Cellulose  an  und  liefert  das 
Material  für  ein  langes,  aus  dieser  Zelle  sich  hervorstülpendes 
einzelliges  T  r  i  c  h  o  m.  Die  Bildung  dieser  Triehome  erfolgt  indess 
auch  häufig  erst,  nachdem  zuvor  die  erzeugende  Epidermiszelle 
durch  eine  tangentiale  Theilung  in  zwei  Tochterzellen  zerfallen 
ist.  Das  einzelne  Haar  gleicht  in  allen  Details  den  Wurzel- 
haaren,  welche  an  jeder  Wurzel  aus  der  Epidermis  hervor- 
treten; es  ist  meist  als  ein  einfacher  Schlauch  entwickelt,  kann 
sich  indess  auch  an  seiner  Spitze  in  mehrere  gabelförmige  Arme 
spalten.  Jede  Verwechselung  dieser  nachträglich  gebildeten,  höchst 
charakteristisch  gebauten  „Pseudo-Wurzelhaare"  —  wie 
wir  sie  wegen  ihrer  Aehnlichkeit  wohl  bezeichnen  könnten  —  mit 
den  normal  am  Blattstiel  auftretenden  zusammengesetzten  Haaren 
ist  durch  ihren  Bau  total  ausgeschlossen.  Bei  manchen  der  unter- 
suchten Arten  treten  sie  in  sehr  grosser  Zahl  aus  der  Epidermis 
hervor.  Man  kann  sie  in  solchen  Fällen  schon  mit  ünbei^aShetem 
Auge  als  feinen  weissen  Haarfilz  am  Blattstiel  deutlich  erkeimen. 


Die  Vermehrung  der  I^egoniaceen  etc.  459 

Es  ist  wohl  kein  Zweifel,  dass  dieselbeD  big  zu  der  Zeit,  wo 
die  neugebildeten  Wurzeln  aus  den  Geweben  des  BlattBÜeloB 
hervorbrechen,  die  Function  der  Wurzelhaare  ansttben,  wenigstens 
trifft  man  sie  in  der  nämlichen  engen  Verbindung  mit  den  Par- 
tikelchen des  Bodens.  Ganz  die  gleiche  Haarbildung  (besonders 
reichlich  bei  Beg.BeXy  quadricolor)  zeigt  auch  die  Epidermis  auf 
der  Unterseite  der  Blattspreite  an  den  durchschnittenen  Stellen 
der  Nerven  *)  (Pig.  4). 

Dies  ist  aber  keineswegs  die  einzige  Thätigkeit  der  Epi- 
dermis ;  am  Blattstiel  zerfallen  ihre  Zellen  an  vielen  Stellen  durch 
tangentiale  Wände  in  eine  Anzahl  von  Tochterzellen.  Bald  treten 
dann  in  dem  darunterliegenden  Gollenchym  ebenfalls  Thei- 
lungen  im  gleichen  Sinne  auf.  Doch  auch  das  übrige  Grund- 
gewebe  greift  beim  weiteren  Fortgang  in  die  Neubildung  ein: 
viele  der  grossen  ParenchymzeUen  werden  durch  Zellstoffvfände 
oft  in  eine  ganze  Anzahl  von  Tochterzelien  zerklüftet;  ganz  be- 
sonders finden  in  denjenigen  Zellen  des  Gmndgewebes  zahlreiche 
Theilungen  statt,  welche  zwischen  dem  peripherischen  Gefilss- 
bttndelkreise  liegen ;  hier  wird  vielfach  von  der  Gambialregion  des 
einen  Bändels  zu  derjenigen  des  nächsten  u.  s.  f.  im  ganzen 
Kreise  des  Stieles  eine  engere  Verbindung  hergestellt,  eine  Art 
nachträglich  entwickelten  Interfascicularcambiums;  es  entstdien  so 
im  Grundgewebe  cambiale  Zttge,  deren  nach  Innen  gelegene  Zellen 
sich  bei  weiter  fortgeschrittenen  Zuständen  in  schraubenftnmg 
verdickte  Leitbändekellen  von  rosenkranzförmiger  Gestalt,  ähulioh 
denen  vieler  Intemodien,  umwandeln;  bei  weiterer  Ausbildung 
sind  ganze  Nester  solcher  Zellen  im  Gewebe  des  Blattstiels  anzu- 
treffen. 

Analoge  Bildungen  finden  sich  an  der  Spreite.  Die  Epi- 
dermis der  Blattoberseite  erzeugt  hier  unfern  der  Schnitt- 
fläche, besonders  in  ihrem  mittleren  Theil,  wo  die  Gruppe  von 
CoUenchymzellen  unter  derselben  liegt,  unter  lebhafter  Betheiligung 
der  letzteren,  sowie  später  auch  der  noch  tiefer  liegenden  Zellen 
des  Gmndgewebes  eine  ttber  das  Niveau  des  ttbrigen  Blattes  sich 
erhebende  Wucherung;  viele  Epidermiszellen  lOsen  sich  dabei 
durch  tangentiale  Wände  in  eine  ganze  ZeUreihe  auf,  deren  ein- 
zelne ZeUen  auch  noch  durch  radiale  Theilungen  sieh  oft  in  noch 
kleinere  Theile  zerspalten;  ebenso  erfahren  die  anschliessenden 


^)  So  Tiel  mir  bekannt,  sind  derartige  wnrzelhaarKhnliohe  Uohome  an 
ZweigvteoUingen  nicht  beobachtet  worden« 

Bd.  X.  ».  F.  m.  4,  80 


460  Frit»  Regel, 

Collenchymzellen  mannigfache  Theilungen.  In  weiter  fort- 
geschrittenen Entwicklongszofitänden  sind  dann  auch  in  vielen 
der  reichliche  Stärke  fahrenden  Zellen  des  Grnndgewebes 
zahlreiche  Theilungen  zu  bemerken;  auch  hier  erhalten  die  Ge* 
fUssbündel  durch  Theilung  der  zwiachenliegenden  Gewebspartieen 
engere  Fühlung  untereinander;  es  bekommt  so  das  sonst  lockere 
Gewebe  des  Blattnerven  an  diesen  Stellen'  ein  viel  festeres 
Gefttge. 

Auch  an  der  Unterseite  des  Blattnerven  bilden  sich  zumal 
an  schwächeren  Blättern,  wo  solche  zu  den  Gulturen  verwendet 
wurden,  z.  B.  von  Beg.  Rex  und  qnadricolor,  Anschwellungen, 
doch  selten  im  ganzen  Umfange  (meist  nur  als  locale  Zell* 
Wucherungen)  erzeugt  von  der  Epidermis  und  den  anstossenden 
Parenchymschichten ;  diese  Wulste  sind  besonders  durch  eine  reich- 
liche Production  der  geschilderten  wurzelhaarähnlichen  Trichome 
an  ihrem  Bande  ausgezeichnet;  ja  bei  Arten,  wo  dieselben  sich 
nicht  so  reichlich  entwickeln,  treten  sie  dann  sogar  vorzugsweise 
hier  auf.  Weiter  nach  Innen  bildet  sich  in  diesen  Anschwellungen 
häufig  aus  den  getheilten  Zellen  des  Fflllgewebes  eine  cambiale 
Zone,  deren  innere  Zellen  sich  gleichfalls  zu  den  schraubenförmig 
verdickten  Leitbtlndelzellen  umbilden  und  an  das  nächstliegende 
Gefösisbtindel  Anschluss  erhalten. 

Somit  weichen  die  an  den  Schnittflächen  der  Begoniaceen- 
bl^tter  auftretenden  Umwandlungen  der  Gewebe  in  mancher  Be- 
ziehung ab  von  den  Stecklingen  mit  echtem  Callus.  Während 
bei  diesen  ein  aus  der  Schnittfläche  hervorquellender  und  unter 
ihr  zusammenschliessender  Gewebecomplex  auftritt,  findet  dies  hier 
nicht  statt  ^),  obwohl  durch  zahlreiche  Theilungen  in  den  der 
Schnittfläche  benachbarten  Gewebepartieen  eine  Anschwellung  des 
Stieles  und  der  durchschnittenen  Blattrippen  veranlasst  wird, 
welche  die  Gärtner  gleichfalls  als  Callus  bezeichnen.  Ist  es 
dort  vorzugsweise  eine  Gambiumzone,  welche  den  Callus  bildet,  so 
muss  es  auffallen,  dass  in  unserem  Falle  ausser  Cambium  und 
Grundgewebe  besonders  auch  die  Epidermis  sich  energisch  mit 
an  der  Neubildung  betheiligt,  welche  doch  bei  den  von  StoU  unter- 
suchten Zweigsteeklingen  gar  nicht  in  die  Callusbildung  hinein- 
gezogen wird(l). 

Der  Grund  dieser  Differenz  liegt  vielleicht  in  der  verschiedenen 
Function  dieser  Bildungen.  Während  der  gesammte  Callus  höchst 


^)  Vergl.  dagegen  das  S.  486  über  die  gesteckten  Gloxinienblätter  Gesagte. 


Die  Vermehrung  der  ßegoniaceen  etc.  4ßl 

wahrscheinlich  die  Ernährung  des  Stecklings  vermittelt,  bis  zur 
hinlänglichen  Erstarknng  der  nur  langsam  wachsenden  Wurzeln, 
besorgen  in  unserem  Falle  vorzugsweise  die  „Pseudo  -  Wurzel- 
haare'' die  Ernährung,  welche  dann  bald  von  den  rasch  hervor- 
brechenden Adventivwurzeln  übernommen  wird;  alle  ttbrigen  Ver- 
änderungen dienen  wohl  einerseits  dazu,  einen  Abschluss 
gegen  die  Schnittfläche  herzustellen  und  andererseits,  dem 
locker  gefügten  Oewebe  in  der  Nähe  der  Schnittflächen  eine 
grössere  Festigkeit  und  engeren  Zusammenschluss 
zu  verleihen,  um  so  fttr  die  wichtigsten  Neubildungen,  die  Knospen 
und  Wurzeln,  deren  Betrachtung  uns  nunmehr  beschäftigen  soll, 
eine  festere  Grundlage  zu  bilden. 

2.    Entwicklung  der  Wurzeln. 

Die  ersten  Wurzeln  zeigen  sich  nach  8—14  Tagen  am  Blatt- 
stiel und  den  durchschnittenen  Stellen  der  Spreite.  Während  bei 
manchen  Arten  (Beg.  ricinifolia,  B.  imperialis,  Lm.)  nur  dicht 
an  der  Schnittfläche  des  Blattstiels  zahlreiche  Wurzeln  her- 
vorbrechen, treten  dieselben  bei  anderen  Species  (Beg.  quadricolor, 
B.  Helene  Chden)  auch  weiter  hinauf  in  der  ganzen  Aus- 
dehnung des  eingesteckten  Blattstiels  auf. 

Die  Entwicklung  derartiger  Adventivwurzeln  (oder  „Bei- 
wurzeln'' nach  Reinke's  Terminologie  ^))  aus  Blättern  ist  bisher 
noch  nicht  weiter  verfolgt  worden.  Im  Allgemeinen  entstehen 
dieselben  auch  hier,  wie  nach  den  Beobachtungen,  welche  ttber 
ihre  Entwicklung  aus  Stammtheilen  vorliegen,  zu  erwarten  war, 
endogen  aus  dem  Fibrovasalsystem  und  treten  unter 
Durchbrechung  der  entgegenstehenden  Oewebeschichten  nach 
Aussen. 

Jedes  der  im  U  m  k  r  e  i  s  e  des  Blattstieles  liegenden  Qefäss- 
bttndel  kann  sich  bei  der  Erzeugung  adventiver  Wurzeln  betheiligen 
und  zwar  häufig  in  verschiedener  Hohe  zu  wiederholten  Malen ;  das- 
selbe gilt  ftlr  jeden  in  den  Blattnerven  verlaufenden  Strang.  Da 
hier  die  meisten  Bändel  den  Seiten  und  der  Unterseite  des  Blatt- 
nerven näher  liegen,  als  der  Oberseite,  brechen  die  Wurzeln  ge- 
wöhnlich auch  seitlich  oder  nach  Unten  hervor;  tritt  aber  eine 
Anlage  in  einem  der  wenigen  .der  Blattoberseite  nahe  liegenden 
Btlndel  auf,  so  sieht  man  dann  die  Wurzel  an  der  Blattober* 


^)  J.  ReinkO;  Waclistbumsgesch.  a.  Morph,  der  FhanerogamenwnrseL  p.41. 

80« 


462  Fritz  Hegel, 

Seite  zn  Tage  treten  (besonders  hänfig  bemerkte  ieh  es  bei  fieg. 
Helene  Uhden) ;  vermag  dieselbe  nicht  darch  die  Lücke  der  Schnitt- 
fläche hindurch  den  Boden  zu  erreichen;  so  stirbt  sie  bald  ab«  Die 
Bichtong;  in  welcher  die  Adventivwarzel  zu  Tage  tritt ,  richtet 
sich  somit  lediglich  nach  dem  Ort  der  Anlage:  die  jungen  Wuneln 
wachsen  stetS;  von  dem  Xylem  des  Mutterbttndels  sich  entfernend, 
in  der  Richtung  des  BasttheileS;  wie  wir  dies  noch  sehen  werden ; 
wo  daher  der  Basttheil  nach  der  Blattoberseite  zu  geriehtet  ist, 
tritt  eine  an  solchen  Bttndeln  angelegte  Wurzel  auch  an  der  Ober- 
seite zu  Tage. 

Die  Anlage  und  Entwicklung  dieser  Adventivwurzeln  nun 
zeigt  in  mancher  Hinsicht  nicht  unwesentliche  Differenzen  von 
der  Darstellung;  welche  Reinke  für  die  Entwicklung  stengel- 
bürtiger  Adventivwurzeln  am  Schluss  seiner  Untersuchungen  über 
das  Wurzelwachsthum  der  Phanerogamen  gegeben  hat.  Nach 
Reinke  entstehen  dieselben  entweder  aus  dem  Interfascicu- 
larcambium  oder  vor  den  Gefässbttndeln  des  Stengels. 

Vom  Interfascicularcambium  gebildet  fand  er  sie  nur 
bei  Impatiens  parviflora.  ;;Dieselben  entspringen  ^)  zwischen  den 
Oefässbündeln  des  Stammes  und  zwar  verhält  sich  die  äussere 
Zellreihe  des  Interfascicularcambiumringes  in  dieser  Hinsicht  ge- 
nau wie  das  Pericambium  der  Wurzel.  Auch  hier  fttUt  eine  Zell- 
gruppe sich  stärker  mit  Protoplasma  und  stellt  den  Bildungsheerd 
für  die  ganze  Wurzel  dar;  die  Zellen  theilen  sich  tangential,  die 
äussere  Zellschicht  liefert  das  DermatogeU;  während  aus  der 
inneren  im  Verlaufe  weiterer  Theilungen  in  der  bekannten  Weise 
Plerom  und  Periblem  entstehen.  Das  Dermatogen  scheidet  die 
Kappen  der  Wurzelhanbe  ab  und  auch  die  innerste  Rindenschicht 
zeigt  anfangs  einige  Wachsthumserscheinungeu;  wird  aber  bald 
nebst  den  übrigen  resorbirt;  um  der  Wurzel  den  Austritt  ins  Freie 
zu  eröffnen.^' 

,;Was  den  zweiten;  weit  häufigeren  Fall  anlangt;  dass  die 
Wurzeln  vor  Gefässbttndeln  entspringen,  so  scheint  hier 
durchgehends,  wenigstens  an  den  Stengelknoten,  die 
äusserste  Phloemschicht;  die  Weichbastzelleu;  jene 
Rolle  der  Pericambiums  zu  ttbernehmen;  welche  wir  bei 
Impatiens  der  äussersten  Interfascicularcambiumschicht  zuertheilt 
haben.  Mit  Bestimmtheit  wurde  dieser  morphologische  Ort  des 
Ursprungs  erkannt  an  den  Beiwurzeln  von  Veronica  Beccabnnga^ 

^l  L  C.,  p.  42. 


Die  Vermehrang  der  Begoniaceen  etc.  463 

von  Lysimachia  Nnmmnlaria.  Doch  dental  meiirere 
»idere  nntemachte  FflUe  —  z.  B.  Hedera  Helixi  Discbidia  Benga- 
lenaiB  —  daraaf  hin,  dass  dies  Verhalten  ein  verbreitetes  sei.  In 
dieser  änssersten  Phloemsehicht,  deren  Zellen  also  ihre  Entwiek- 
hmgsfähigkeit  bewahren,  füllen  sich  einige  Zellen  stärker  mit 
protoplasmatisehem  Inhalte  an  und  theilen  sieh  tangential;  wodnrch 
in  der  äusseren  Schicht  das  Dermatogen  und  somit  die  ans  ihm 
hervorgehende  Wnrzelhaabe  angelegt  sind.  Die  darunterliegende 
Zellschieht  liefert  snnächst  durch  tangentiale  Fächerung  primäre 
Zellreihen,  deren  äusserste  Zellen  als  Initialen  die  Curven  des 
Periblems  und  Pleroms  erzengen;  man  siriity  die  Erscheinungen 
sind  denen  der  Seitenwurzelbildung  vOllig  gleich.^ 

Meine  Beobachtungen  an  den  Begonienblättem  ergaben  nun 
Folgendes : 

Die  Entwicklung  wurde  vorzugsweise  auf  Querschnitten,  be- 
sonders an  B.  Helene  Uhden,  B.  quadricolor,  auch  an  B.  splendida, 
ricinifolia  und  Rex  verfolgt. 

Ein  Blick  auf  den  Querschnitt  eines  Gefttssbttndels  mit  einer 
schon  vollständig  angelegten  Wurzel,  sei  es  am  Blatt- 
stiel,  oder  an  den  Nerven  der  Spreite  (Fig.  5  u.  6)  zeigt  die  ganze 
Region  von  den  Weichbastzellen  bis  ttber  den  Anfang  des  Xylems 
hinaus  auf  der  einen  Seite  von  der  Wurzel  eingenommen.  Stets 
sehen  wir  das  Plerom  der  Wurzel  in  der  Cambialgegend  des 
Stranges  endigen;  hier  bildet  sich  der  Anschluss  der  aus  dem 
Procambium  des  Wnrzelpleroms  differenzirten  Vasalbtindel  an  die 
aus  dem  Cambium  des  Stranges  gebildeten  Gefässe  oder  netz- 
förmig verdickten  LeitbttndelzeUen.  Die  Pedblem-  und  Dermatogen- 
schichten  der  Adventivwurzel  greifen  aber  beiderseits  ttber  die 
cambiale  Region  des  Bttndels  hinaus;  sie  erstrecken  sich  auf  der 
inneren  azilen  Seite  des  Bttndels  bis  ttber  den  Anfang  der  Spiral- 
gefässe  und  scheinen  aus  einigen  Zellschichten  des  Grundgewebes, 
die  seitlich  eng  an  den  Xylemtheil  anschliessen,  zu  entspringen; 
auf  der  peripherischen  Seite  schliessen  die  Weichbastzellen  sich 
unmittelbar  an  die  Rindenschichten  der  Wurzel  an  und  scheinen 
bei  ihrer  Bildung  betheiligt. 

Die  Entwicklungsgeschichte  erklärt  dieses  Verhalten 
des  ausgebildeten  Zustandes: 

Einige  dem  Xylem  dicht  anliegende  Zellreihen  des  Gambiums 
auf  der  einen  Seite  des  Stranges,  so  wie  die  äusserste  Grenz- 
schicht des  Bttndels  fUllen  sich  mit  Protoplasma.  Die  betheiligten 
Cambialzellen  theilen  sich  hier  nicht,  wie  normal^  durch  Wände 


4Q4  Fritz  Regel, 

parallel  zur  Peripherie  des  Blattstieles,  sondern  in  einer  zu  ihr 
geneigten,  ja  senkrechten  Richtung,  also  nicht  durch  tangentiale, 
sondern  durch  mehr  radial  gerichtete  Wände.  Aas  ihren  Deseen- 
denzen  und  denen  der  gleichfalls  in  Theilzellen  zerfallenden 
äussersten  Zellreihe  entsteht  so  an  dieser  Stelle  eine  in  nicht 
gerade  sehr  regelmässigen  Beihen  angeordnete  htlgelige  Hervor- 
bildang  (Fig.  8).  Durch  die  lebhafte  Zellbildung,  besonders  im 
mittleren  Theile  dieses  neuen  Bildungsherdes  im  OefUssbtlndel, 
hat  sich  ein  nun  auch  schon  bei  geringer  Vergrösserung  wohl 
kenntlicher  Zellhttgel  gebildet,  welcher  bei  weiterem  Fortschritt 
zur  Dififerenzirung  der  Histogene  schreitet  Fig.  9  zeigt  uns  den 
Punkt,  wo  dieselbe  in  der  Hauptsache  bereits  sich  vollzogen  hat; 
dabei  erschien  mir  durchgängig  die  Herausbildung  der  Histogene, 
welche  das  Wachsthum  der  Wurzeln  vermitteln,  aus  dem  indiffe- 
renten Zellencomplex  der  ersten  Anlage  vonlnnennachAussen 
zu  erfolgen,  also  vom  Plerom^)  auszugehen. 

Wenn  die  Plerominitialen  (Fig.  9  pl.  i)  sich  aus  den  primären 
Zellen  herausgebildet  haben  und  in  ihre  Function  eintretend  sich 
zu  theilen  beginnen,  erhält  die  ganze  Anlage  eine  deutlich  aus- 
gesprochene Wachsthumsrichtung ;  sie  streckt  sich  nun  rasch 
hervor.  Die  peripherischen  Schichten  des  Periblems  folgen  durch 
radiale  concentrische  Theilungen  den  vorwärts  drängenden  Plerom- 
Zellen.  Das  Dermatogen  entsteht  ans  den  Theilzellen  der  äussersten 
Zelh*eihe  des  Gefässbtlndels ;  in  dieser  bilden  sich  sodann  Thei- 
langen  parallel  der  Wachsthumsrichtung  der  jungen  Anlage,  welche 
zu  den  ersten  Schichten  der  Wnrzelhaube  werden.  Unter  Re- 
sorption der  entgegenstehenden  Schichten  des  Grundgewebes  ge- 
langt die  Wurzel  an  den  Rand  des  Blattstieles  und  tritt  nach 
Aussen.  Am  Scheitel  der  nach  Aussen  drängenden  Wurzel  finden 
sich  natttrlicb  die  Membranen  der  durchbrochenen  Parenchymzellen 
zusammengedrängt,   deren  innerste  dem  Gefässbttndel  zunächst 


^)  Für  die  Seitenwarzeln  von  Trapa  natans  gibt  Reinke  bekanntlich  das 
Umgekehrte  an:  gleich  der  erste  Theilschritt  trennt  dort  das  einschichtige 
Pericambium  in  zwei  Schichten,  eine  äussere,  das  Dermatogen,  welche  die 
Wurzelhaabensehichten  abgliedert,  und  eine  innere,  aus  deren  weiteren  Thei- 
lungen Periblem  und  Plerom  hervorgehen.  Ist  diese  centripetale  Anlage  der 
Wurzelhistogene  allenPhanerog^men  gemeinsam?  Bei  den  Seitenwurzeln  der 
Begoniaceen  trat  das  Dermatogen  keinesfalls  gleich  bei  den  ersten  Theil- 
schritten  im  Pericambium  so  scharf  hervor,  vielmehr  erst,  wenn  auch  die 
Plerominitialen  deutlich  zn  erkennen  waren.  Jedenfalls  verdient  dieser  Punkt 
noch  weitere  genaue  Prüfung. 


Die  Vermehroiig  der  Begoniaeeen  etc.  465 

befindUohe  Reihe  ttbrigens  in  der  Begel  ebenfalls  einige  TheU«i£pEh 
erBcheinnngen  zeigt 

Die  BetheiUgiing  dieser  den  Strang  abgrenzenden  Zellschicbt  an 
der  Wnrzdanlage in  ihrer  Erstreckong  vom  Weiohbast  bis  an 
d  a  s  X  7 1  e  m  ist  somit  die  Ursaehe,  dass  anf  weiter  vorgeschrittenen 
Entwicklnngsznständen^  wie  oben  geschildert,  die  peripherischen 
Gewebe  der  Wurzel  einerseits  direet  ans  dem  Weichbast,  anderer- 
sdts  ans  dem  Xylem  zn  entspringen  scheinen.  Der  Bast  des 
Bündels  betheiligt  sich  aber  nicht  an  der  Bildung  der  Wurzel, 
nur  wird  er  Öfters  besonders  bei  dürftiger  Ausbildung  in  schwächer 
entwiekelten  Strängen  von  der  kräftig  sich  entfaltenden  Wurzel- 
anlage etwas  zusammengedrückt  und  zur  Seite  geschoben;  an 
stärkeren  Gefässbündeln  indess  ist  er  intact  auch  neben  der  ent- 
wickelten Wurzel  erhalten  (Fig.  5).  Keinesfalls  geht  also  hier, 
wie  dies  Reinke  für  die  von  ihm  geschilderten  Fälle  angibt,  von 
der  äussersten  Phloemschicht  die  Initiative  der  ganzen  Neu- 
bildung aus. 

Es  treten  nun  von  dem  geschilderten  typischen  Verhalten  hie 
und  da  bei  diesen  adventiven  Bildungen  Abweichungen  auf,  je 
nach  der  Ausbildungsstufe  des  Stranges,  welcher  bei  der  Wurzeler- 
zeugung betheiligt  ist.  Unsere  Darstellung  bezog  sich  zunächst  auf 
die  Entwicklung  von  Wurzeln  an  ausgebildeten  Blättern,  deren 
Gefässbttndel  alle  einzelnen  Elemente  bereits  entwickelt  zeigen. 
Steckt  man  hingegen  junge  Blätter  ein,  deren  Fibrovasalstränge 
also  noch  nicht  vollständig  ausgebildet  sind,  so  werden  zwar  auch 
an  diesen  aus  den  viel  schwächeren  Gefössbündeln  Wurzeln  ent- 
wickelt; es  betheiligen  sich  aber  von  dem  überhaupt  nur  aus 
wenigen  Spiralgefässen  und  im  Uebrigen  nur  aus  dünnwandigen 
Elementen  bestehenden  Bündel  ausser  den  Spiralgefässen  fast  alle 
Zellen  desselben  an  der  Neubildung.  Bisweilen  kommt  es  auch 
vor,  dass  eine  Verstärkung  durch  das  nächstliegende  Bündel  ein- 
tritt, indem  die  zwischenliegenden  Parenchymzellen  durch  ein  hier 
auftretendes  Interfascicularcambium  in  TheUzellen  zerfallen,  welche 
sich  theilweise  in  die  charakteristisch  geformten  schraubenartig 
verdickten  Leitzellen  umwandeln  (Fig.  7). 

Es  sind  mir  femer  auch  Fälle  aufgestossen  (z.  B.  bei  Beg. 
ricinifolia),  wo  die  Wurzel  nicht  seitlich  am  Strange,  sondern  in 
der  Richtung  des  B  a  s  t  e  s  sich  entwickelt  hatte.  Obwohl  mir  die 
jüngsten  Zustände  von  derartigen  Wurzeln  nicht  vorlagen,  wird 
auch  hier  jedenfalls  die  erste  Anlage  im  Gambium  stattgefunden 


^B8  Fiits  Regel,  * 

haben,  mA  von  da  ans  bei  weiterer  Auslrildiing  die  dtiim*äiidigeü 
Bastzellen  durchbrochen  haben. 

An  den  durchschnittenen  Stellen  der  Blattspreite  sind  die 
jungen  Entwicklungsstände  der  Wurzel;  welche  übrigens  hi^  ganz 
die  nämliche  Entstehung  aus  der  Gambialregion  des  Bändels 
unter  Betheiligung  eines  Theiles  der  peripherischen  Zellen  zeigen, 
schwieriger  zu  erhalten,  theik  schon,  weil  hier  die  Wurzeln  flber- 
haupt  in  geringerer  Zahl  sich  bilden^  besonders  aber,  weil  sie 
grosseniheils  gerade  in  dem  Winkel  des  sich  in  zwei  Aeste  spal- 
tendm  Blattneryen  angelegt  werden,  wo  die  Ctofässbttndel  ja  nur 
zum  Theil  auf  Querschnitten  senkrecht  getroffra  werden  können. 


Bezüglich  der  Wurzelentwicklung  bei  den  Zweigsteck« 
lingen  der  aufrechten  Begonien  möge  zum  Vergleiche 
noch  Folgendes  hier  Platz  finden.  Die  Beobachtung  Stoll's^), 
dafs  an  den  Stecklingen  von  Beg.  fagifolia  die  Wurzeln  sich  aus 
dem  Interfascicularcambium  gebildet  hatten,  veranlasste  mich,  auf 
die  Bildung  derartiger  Wurzeln  ebenfalls  mein  Augenmerk  zu 
richten.  Da  mir  Beg.  fagifolia  nicht  gerade  zu  Gebote  stand, 
wählte  ich  Beg.  zebrina,  hört,  und  Beg.  argyrostigma,  Link,  zur 
Untersuchung.  Die  Erzeugung  der  Wurzeln  geht  hier  sehr  rasch 
von  Statten,  wie  bei  allen  Stecklingen  ohne  echte  Callusbildong  ; 
schon  nach  4 — 5  Tagen  zeigten  die  in's  Vermehrungsbeet  einge- 
steckten Sprosse  die  ersten  der  in  reichlicher  Anzahl  dicht  über 
der  Schnittfläche  hervortretenden  Wurzeln.  Die  grosse  Mehrzahl 
derselben  entsteht  auch  hier  ans  den  Oefässbtlndeln  in  ganz 
ähnlicher  Weise,  wie  bei  den  Blättern,  mit  der  einzigen  Modi- 
fication,  dass  die  zunächst  an  das  Bündel  anstossenden  Zellen  des 
hier  normal  vorhandenen  Interfascicularcambiums  sich 
mit  an  der  Neubildung  betheiligen.  An  stark  entwickelten  Bündeln 
sieht  man  wohl  auf  beiden  Seiten  derselben  eine  Wurzelanlage 
sich  bilden. 

Daneben  entstehen  indess  auch  nicht  selten  Wurzeln  allein 
aus  dem  Interfascicularcambium;  das  Plerom  der  fertig 
gebildeten  Wurzel  schliesst  dann  immer  durch  Leitbündelzellen 
an  die  zwei  nächsten  Stränge  rechts  und  links  an.  Fig.  10  zeigt 
eine  derartige  junge  Anlage  von  Beg.  argyrostigma,  Link.    Das 

*)  1.  C,  p.  765. 


Die  Vermehning  der  B^goniaceen  etc.  497 

IntofMdonlttoainMiim  ist  an  dieser  Stelle  darch  tangentiale  und 
radiale  Wunde  in  eine  Anzahl  kleiner  Meristeibzellen  zerfallen, 
weiehe  liier  die  i^ätwen  Histog^ne  der  Wursel  noeh  nicht  ans* 
gejf^Agt  erkennen  lassen;  die  änsserste;  der  Stengeloberflttche 
nächste  Zellschicht  hebt  sich  nnter  den  ttbrigen  heraus  nnd  bildet 
eine  Art  Bebeide  nm  die  jnnge  Anlage,  ähnlich  wie  die  Plerom- 
scheide  um  die  jnnge  Nebenwnrzel. 

Wir  sehen  somit  die  beiden  von  Beinke  nnterschiedenen  Fälle 
aü  den  Stecklingen  dieser  Art  nebeneinander  auftreten. 


Naeh  diesen  an  den  Adventivwnrzeln  der  Begonien  gemachten 
Beobacbtangen  mnsste  es  für  mich  von  Interesse  sein,  dnroh 
eigrae  Anschannng  mir  ein  Urtheil  darttber  zu  bilden,  welche 
Bewandtniss  es  mit  der  Entstehung  der  „Beiwurzeln''  in  den  von 
Reinke  beschnebenen  Fällen  aus  dem  Phloem  der  QefässbOndel 
habe,  besond^s  da  Beinke  hierttber  keine  Zeichnungen  beigefbgt 
hat  Geeignete  Präparate  von  Veronica  Beccabunga,  Lysimachia 
Nnmmularia  und  Hedera  Helix  ergaben  hiertlber  Folgendes: 

Die  ersteren  zwei  Arten  verhalten  sich  bezüglich  der  Bildung 
ihrer  Adventivwurzeln  aus  den  Stengelknoten  einander  sehr  ähnlich. 
Bei  Veronica  Beccabunga  ist  das  Fibrovasalsystem  als  ein 
geschlossener  Gylinder  zwischen  das  centrale  Markparenchym  und 
die  peripherischen  Bindenschicfaten  eingeschoben,  und  zwar  von 
diesen  durch  eine  Art  QefiUsbttndelsdieide  scharf  getrennt.  Unter 
dieser  läuft  rings  um  den  Fibrovasalcylinder  eine  Zellreihe  hin, 
welche  unmittelbar  an  die  Pericambiumschicht  des  Pleroracylinders 
der  Wurzel  erinnert.  In  diesen  beiden  Schichten  erfolgt  nun  vorzugs- 
weise, wie  Fig.  11  zeigt,  die  Anlage  der  Wurzeln,  und  zwar  bereits 
so  nahe  am  Gipfel  des  Sprosses,  dass  sich  in  den  Gefässbtlndeln 
die  Ausbildung  der  sämmtliehen  Elemente  noch  nieht  vollzogen 
hat.  Das  Cambium  (Fig.  11,  cc)  ist  hier  ihatsächlich  bei  der  ersten 
Wnrzdaalage  zunächst  in  keiner  Weise  betheiligt;  es  läuft,  durch 
die  Baatregion  getrennt,  unter  der  Wuizelanlage  hinweg.  Ob  aber 
Beinke  mitBecht  die  bei  der  Anlage  thätigen  Zellen  als  Weich - 
hast  bezeichnet,  scheint  mir  zweifelhaft  Allerdings  unterbleibt 
am  Orte  der  Neubildung  grossentheils  die  definitive  Ausbildung 
der  BastEellen,  welche,  in  ihrer  Entwicklung  durch  die  hier  sieh 
ausbreitende  Wurzel  gehemmt,  vielmehr  den  Anschluss  derselben 
an,  den  FibrovasalkOrper  vermitteln  helfen;  aber  die  erste  Anlagd 


468  Fritz  Regel, 

erfolgty  wie  gesagt,  nicht  im  Bereiche  des  Bastes,  sondern 
ansser  in  der  Scheide  gs^  in  der  dem  Pericambinm  analogen  Zell- 
reihe 7t,  welche  schwerlich  als  zum  eigentlichen  Phloem 
gehörig  gelten  kann,  sondern  selbst  deutlich  vor  den  GefSss- 
bündeln  gelegen  ist. 

Bei  Lysimachia  Nnmmularia  sind  die  Verhältnisse  fast 
die  gleichen. 

Dagegen  zeigen  die  Wurzeln  von  Hedera  Helix;  welche 
Beinke  als  bestätigendes  Beispiel  seiner  Angaben  ansieht,  erhebliche 
Abweichungen.  Die  Anlage  der  zahlreichen  Adventivwurzeln;  welche 
hier  meist  in  zwei  Reihen  auf  der  an  der  Unterlage  hinkriechenden 
Seite  des  Epheutriebes  hervortreten;  bildet  sich  ebenfalls  schon 
unfmi  der  Zweigspitze.  Eine  Schutzscheide  fehlt  hier,  ebenso  die 
continuirliche  pericambiumähnlibhe  Schicht  unter  ihr.  Das  Fibro- 
vasalsystem  bildet  ttberhaupt  an  den  Stellen  des  Stengels,  wo  die 
erste  Anlage  der  Wurzeln  stattfindet,  noch  keinen  ^  geschlossenen 
Cylinder,  es  treten  vielmehr  auf  dem  Querschnitt  eine  Anzahl  von 
Oefässbtlndeln  hervor,  zwischen  welche  sich  Parenchymzellen  ein- 
schieben. Die  Wurzeln  bilden  sich  nun  nicht  vor,  d.  h.  auf  der 
Aussenseite,  sondern  an  der  Seite  der  Gefässbttndel,* nicht  aus 
dem  Basttheil  zugehörigen  Zellen,  sondern  aus  der  Garn bial - 
regio n  unter  Betheiligung  der  hieran  angrenzenden  Paren- 
chymzellen.  Die  Analogie  mit  der  Bildung  der  Sdtenwurzeln, 
welche  bei  Veronica  Beccabunga  so  frappant  uns  entgegentrat, 
ist  hier  daher  ganz  verwischt;  noch  bildungsfähige  Theile 
des  Gefässbündels  selbst  vermitteln  hauptsächlich  die  Wurzel- 
bildung. Dieselbe  nähert  sich  mithin  schon  den  uns  bekannten 
Verhältnissen  d^r  Begonienblätter,  wo  nahezu  entsprechende 
Theile  der  allerdings  dort  geschlossenen  und  von  einander  isolirten 
Stränge  die  Wurzeln  erzeugen,  freilich  aus  schon  fertig  gebil- 
deten, erst  secundär  wieder  in  Theilung  übergehenden  Zellen. 

Es  erscheint  mir  durchaus  nothwendig,  dass  erst  noch  eine 
grössereZahl  der  ja  keineswegs  so  seltenen  Fälle,  in  denen 
Adventivwurzeln  aus  den  Gelenkknoten  krautartiger  Pflanzen  ent- 
springen, —  wie  z.  B.  bei  Tradescantia,  Vinca,  Gardamine  amar% 
Grassulaceen  u.  a.  m.  —  eingehende  Berücksichtigung  erfahren,  bevor 
man  allgemeine  Schltlsse  über  den  Ursprungsort  derartiger 
Adventivwurzeln  zieht  Beinke,  der  ja  übrigens  die  Verhältnisse 
mehr  beiläufig  als  Ergänzung  zu  seiner  Arbeit  in  Betrachtung 
gezogen  hat,  ist  wohl  zu  weit  gegangen,  wenn  er  die  aus  der 
Untersuchung  nur  weniger  Fälle  gewonnenen  Resultate  bereits  als 


Die  Vermehrung  der  Begoniaceen  etc.  46d 

allgemein  gültige  hingestellt')  Gewiss  dürften  weitere  ausge- 
dehntere Beobachtungen  noch  manche  Abweiehnng  feststeUen,  da 
es  sich  hier  ja  offenbar  nm  Anpassungen  handelt,  welche,  inner- 
halb der  einzelnen  Fflanzengruppe  selbständig  erworben,  dem 
entsprechend  nach  dem  jeweiligen  histologischen  Bau  derselben 
mancherlei  Differenzen  aufweisen  werden. 

3.  Entwicklung  der  Knospen. 

Die  adventiven  Sprosse  der  Phanerogamen,  sowohl  solche, 
welche  an  Stämmen  entstehen,  als  diejenigen,  welche  an  Wurzeln 
sich  bilden^  werden  nach  allgemeiner  Annahme  endogen  an- 
gelegt; sie  entspringen  „ans  einer  oder  wenigen  Zellen,  welche 
allseitig  vom  Gewebe  umschlossen  sind,  stets  aus  Gewebemassen, 
welche  an  Gefässbttndel  oder  an  den  Holzkörper  unmittelbar  an- 
grenzen; in  der  Regel  an  ihren  nach  Aussen  gekehrten  Flächen'^^ 
Dies  in  zahlreichen  Fällen  beobachtete  Verhalten  ^)  der  Adventiv- 
knospen bestimmte  wohl  auch  Sachs  fein  Gleiches  für  die  blatt- 
bttrtigen  Spr($8se  der  Begoniaceen  und  für  andere  durch  Blatt- 
stecUinge  zu  vermehrende  Pflanzen  anzunehmen.  Er  sagt  ^) : 
„Adventivknospen  entstehen  femer  endogen  unter  besonderen 
Umständen  aus  älteren  abgetrennten  Blättern,  Stamm-  und 
Wurzelstücken,  zumal  wenn  diese  feucht  lind  dunkel  gehalten 
werden,  worauf  die  Yermehrung  vieler  Pflanzen  in  den  Gärten 
beruht,  wie  die  der  Begonien  aus  Blättern,  der  Marattien 
aus  ihren  dicken  Nebenblättern  u.  s.  w.'^  Möglicherweise  stutzt 
sich  Sachs  bei  diesen  Angaben  auf  Hofmeister,  in  dessen  Allgem. 
Morphologie  ich  (p.  423)  die  Stelle  finde:  „Innerlichen  Ur- 
sprungs sind  auf  und  an  Wurzeln  entstehende  Sprosse;  femer  alle 
Zweige  von  Equiseten;  die  Brutpflänzchen,  welche  den 
auf  feuchte  Erde  gelegten  Blättern  von  Begonien, 
den  in  den  Boden  vergrabenen  Stücken  von  den  l^ipeln  der 
Marattiaceen  entspriessen/' 

Diese  Angaben  sind  nun  aber,  so  weit  meine  Beobachtungen 
reichen,  fllr  die  Begonien  durchaus  nicht  richtig;  viel- 
mehr ergab  die  Untersuchung,  dass  bei   allen  berücksichtigten 

^)  L  c.,  p.  42;  cf.  oben  S.  463  das  einBchlagende  Citat 

*)  Hofmeifter,  Allg.  Morph,  p.  421.  cf.  aach  AI.  BranD,  Verjüng,  p.  35; 
das  Indiyidaam  der  Pflance  etc.,  p.  75;  femer  Tr^col,  recherches  aar  Porigine 
des  boorgeons  adventifa  (Annales  d.  sc.  nat.  T.  YIU  (1847),  p.  268)  a.  A.  ul 

*)  Die  Aosnabme  bei  CaUiopsis  tinctoria,  cf.  unter  S.  487. 

*)  Sachs,  Lehrbuch,  UL  Anfl.,  p.  157. 


470  Frits  Begel, 

Arten  die  Knospen  darchans  exogen,  als  ganz  oberflfteh* 
liehe  Sprosanngen  entstcjlien,  ssnäehst  gebildet  ans  der 
Epidermis  unter  Befheilignng  der  näehstliegenden  Partieen  des 
Grandgewebes ;  wie  dies  wenigstens  für  die  Knospen  des 
Blattstieles  F.  Magnus  in  einer  kurzen  Notiz  bereitt  riehtig 
erwähnt  hat  ^ 

Schon  weit  vorgeschrittene  Knospen  documentiren  ihren  exo- 
genen Ursprung  sofort  dadurch,  dass  die  Epidermis  des  Mutter^ 
blattes,  aus  welchem  sie  sioh  entwickeln,  nirgends  in  ihrem 
Zusammenhang  unterbrochen:  wird,  sondern  continuirlich  auf  die 
Gewebe  der  Knospe  übergeht. 

Verfolgen  wir  nunmehr  eingehender  diese  bei  den  Phanero- 
gamen  so  ungewöhnliche  Bildungsweise^  welche  gerade  durch 
ihren  abnormen  Charakter  ein  erhöhtes  Interesse  erhält. 

Zur  Untersuchung  wurden  die  gesteckten  Blätter,  sobald  die 
Knospen  sich  zu  zeigen  begannen,  in  absoluten  Alkohol  gebracht, 
die  Schnitte  dann  sofort  in  verdünntes  Glycerin  gelegt  und  oft 
zur  Aufhellung  noch  mit  Aetzkali  und  Essigsäure  behandelt  Zum 
Studium  der  Knospenentwicklung  wurde  namentlich  Beg.  Hdene 
Uhden,  hört,  benutzt,  deren  Gewebe  an  der  Luft  nicht  so  rascb 
durch  Oxydation  verdunkelt  werden,  als  die  übrigen  Arten;  doch 
wurden  ausserdem  auch  eine  ganze  Anzahl  anderer  Arten,  beson- 
ders Beg.  Bex,  B.  quadricolor,  B.  ricinifolia  und  B.  xanthina  be- 
rttcksichtigt. 

Nachdem  sich  auf  Querschnitten  des  Stiels  und  des  Blatt- 
nerven ergeben  hatte,  dass  die  ersten  Schritte  der  Knospenbildnng 
durch  Theilungen  in  der  Epidermis  selbst  erfolgen,  so  be> 
nutzte  ich   dann   ausser  geeigneten   Querschnitten   auch  Ober- 
flächenansichten  zur  Orientirung  über  diese  Theilungsvor- 
Vorgänge  in  der  Epidermis.    Da  ja  die  Knospen  zumal  an  den 
durchschnittenen  Stellen  der  Lamina,  wie  erwähnt,  stets  in  H  e  b  r- 
zahl  beisammen  sich  bilden,   so  bietet  letzteres  Verfahren  den 
Vortheil,  auf  einem  einzigen  Stück  Blattoberhaut  von  einer  ge- 
eigneten  Stelle  meist  gleich  mehrere  Knospenanlagen  in   ver- 
schiedenen Entwicklungsstufen  beisammen  zu  erhalten  und  hin- 
sichtlich der  in  der  Epidermis  eingetretenen  Theilungen  vergleichen 


^)  In  der  Bot.  Zeitung  1873,  p.  270,  worauf  ich  allerdings  erst  aufmerk- 
sam wurde,  ab  ich  meine  Beobachtungen  bereits  fast  abgeschlossen  hatte , 
bemerkt  F.  Magnus,  dass  f,an  der  Schnittfläche  der  Blattstiele  von  Begonia* 
Arten  oberflächliche  Adventivknospenbildnng  TOrkomniew^* 


Die  VermehniBg  der  fi egoniaceen  etc.  471 

ZQ  kttnneii.  Die  aUereraten  Anf&Qge  sind  indess  mnch  anf  Bonst 
gtlnstigen  Präparaten  nnr  sehr  selten  sicher  zn  beobachten.  Zum 
Theil  Uegt  dies  wohl  daran^  dass  die  ersten  Theiliuigen  sehr  rasch 
durchlaufen  werden.  Hierzu  kommt  aber  noch,  dass  gerade  an 
den  Stellen,  wo  die  Knospen  am  zahlreichsten  sich  bilden,  in  der 
Nähe  der  Schnittflächen,  wie  schon  oben  geschildert  (S.  459),  in 
sehr  vielen  Epidermiszellen  Theiinngen  auftreten,  welche  mit  der 
Knospenbildung  gar  nicht  in  Besiehung  stehen,  so  dass  die  Be- 
nrtheilang  der  getheilten  Epidermiszellen  grosse  Vorsicht  erfordert 
Bestehen  daher  auch  diejenigen  Anlagen,  welche  mit  voller 
Sicherheit  als  werdende  Knospen  gedeutet  werden 
könnten,  bereits  aus  einer  Anzahl  von  Theilzellen,  welche 
indess  meist,  z.  B.  in  der  Beschaffenheit  der  gebildeten  Membranen, 
noch  Anhaltepunkte  bieten  fitr  einen  annähernden  Bttckschluss 
auf  die  zeitliche  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Theilschritte,  so 
ist  die  hierdurch  für  die  Continuität  der  direeten  Untersuchung 
gebliebene  Lücke  um  deswillen  von  wenig  Belang,  weil  aus  dem 
Vergleich  einer  hinreichenden  Anzahl  von  jungen  Anlagen  deut- 
lich hervorgeht,  dass  bei  der  Ausbildung  des  Folgemeristems  der 
jungen  Knospen  in  den  hierbei  betheiligten  Epidermiszellen  eine 
bis  an  fjedeeinzelneXh  eilung  streng  wiederkehrende 
Aufeinander fo Ige  nicht  eingehalten  wird,  dass  vielmehr  nicht 
einmal  die  Zahl  der  fttr  die  erste  Anlage  der  Knospe 
in  Anspruch  genommenen  EpidermiszeUen  die  gleiche  bleibt 
Derartige  Schwankungen  sind  leicht  begreiflich,  wenn  wir  be- 
denken, dass  die  Epidermiszellen  an  den  verschiedenen  Stellen 
des  Blattes,  an  welchen  die  Adventivknospen  auftreten  —  dies 
geschieht,  wie  wir  bereits  oben  sahen,  sowohl  am  Stiel  als  an 
der  Spreite,  an  letzterer  theils  an  der  Stelle,  wo  der  Stiel  in  die 
einzelnen  Blattnerven  ausläuft,  theils  an  den  durchschnittenen 
Stellen  der  Nerven,  hier  auf  der  Ober-  und  Unterseite  derselben  — 
ziemlich  abweichende  Dimensionen  besitzen.  Diejenigen  anf  der 
Blattoberseite,  welche  in  das  MesophyU  auslaufen,  haben  ein  be- 
deutend grösseres  Volumen,  als  die,  welche  die  Oruppe  von 
Collenehymzellen  in  der  Mitte  des  Blattnerven  auf  der  Oberseite, 
sowie  der  Blattunterseite  und  den  Blattstiel  ttbeniehen. 

Es  ist  auch  wohl  zu  berücksichtigen,  dass  wir  es  hier  ja 
nicht  mit  der  Bildung  eines  Organs  zu  thun  haben,  welches  wie 
etwa  die  Archegonien  und  Antheridien  der  höheren  Kryptogamen 
als  wichtige  Fortpflanzungsorgane  durch  ganze  Pflanzej^gmppen 
bis  in  seine  feilsten  Details  streng  vererbt  zu  werden  pflegt, 


47?  ^"ntz  Begel, 

sondern  mit  adyentiyen;  gewissermassen  mehr  ttberzähligen  Bil- 
dungen,  deren  Auftreten  bei  den  verschiedenen  Arten  der  mit 
ihnen  versehenen  Familie  *  selbst,  wie  wir  sahen,  innerhalb  der 
weitesten  Grenzen  schwankt. 


a)  Anlage  der  Knospen. 

Die  vergleichende  Betrachtung  einiger  Knospenanlagen  von 
den  verschiedenen  Partieen  der  Stammblfttter,  welcher  wir  ans 
nunmehr  zuwenden,  wird  die  gemachten  Bemerkungen  bestätigen 
und  zugleich  nachweisen,  wie  trotz  der  DifTerenzen  im  Einzelnen 
doch  bei  allen  Knospen  im  Ganzen  stets  der  gleiche  Entwicklungs- 
gang wiederkehrt. 

Wir  beginnen  mit  der  Schilderung  einiger  Oberfläcben- 
ansichten,  denen  wir  dann  diejenige  der  Querschnitte  anreihen. 

Die  Knospenanlagen  der  Fig.  12  und  13  nehmen  ihren  Ur- 
sprung aus  solchen  Epidermiszellen  der  Oberseite  der  Blattspreite, 
welche  an  der  Grenze  von  Blattnerv  und  Mesophyll  liegen,  b 
Fig.  12  ist  die  centrale  Zelle  C  an  der  Oberfläche  bereits  in  zahl- 
reiche Theile  zerfallen ;  die  ^heilzellen  nach  Innen  entziehen  sich 
natttrlich  der  Beobachtung  von  oben.  Auch  die  an  die  Zelle  C 
anschliessenden  Epidermiszellen  haben  sich  ebenfalls  schon  zn 
theileu  begonnen,  und  zwar  besonders  auf  ihrer  der  Zelle  G  zu- 
gewandten Seite.  Der  Vergleich  mit  weiter  vorgeschrittenen  £nt- 
wicklungszuständen  zeigt,  dass  auch  sie  noch  sämmtlich  in  die 
Bildung  der  Knospe  hineingezogen  werden,  deren  Umkreis  siCb 
somit  von  G  als  Gentrum  aus  centrifngal  erweitert  und  mit  zn- 
nehmender  Erstarkung  noch  mehr  Epidenniszellen  umfasst. 

Neben  der  Zelle  G  entspringt  ein  unregelmässig  gestaltetes 
Trichom,  wie  denn  überhaupt  die  zuerst  in  Theilung  übergehende 
Zelle  einer  derartigen  Trichommutterzelle  häufig  benachbart  ist 
Dieselben  sind  hie  und  da  auf  der  Oberhaut  anzutreffen.  Das 
von  ihr  gebildete  drüsenartige  Trichom  bemerkt  man  auf  den 
Querschnitten  durch  junge  Knospenanlagen  häufig  neben  dem 
Scheitel  (Fig.  22  und  23);  die  Trichommutterzelle  wird  später  in 
die  Knospenentwicklung  hineingezogen,  das  Trichom  selbst  dann 
abgestossen.  Vielleicht  entspringen  die  Knöspchenf  deren  Ver- 
theilung  auf  dem  Blatte  im  Uebrigen  bezüglich  ihres  gegenseitigen 
Abstandes  durchaus  keine  Regelmässigkeit  wahrnehmen  läset; 
gerade  hier  häufiger,  weil  an  diesen  Stellen  Theile  d^  Haut* 
Systems  länger  im  bildungsfähigen  Zustand  verharren. 


Die  Vermelirung  der  Begoniaceen  etc.  473 

Bei  der  Anlage  (In.  II  in  Fig.  13)  ist  nicht  in  eineri  son- 
dern sofort  in  zwei  Epidermiszellen  gleichmässig  das  .Zerfallen  in 
Theilzellen  eingetreten. 

Fig.  14  bis  16  zeigen  Anlagen  ebenfalls  von  der  Oberseite 
der  Blattspreite,  aber  in  der  Nähe  der  Schnittfläche^  wo, 
wie  erwähnt;  die  Oberhant  anch  sonst  zahlreiche  Theilnngen  ein- 
geht In  Fig.  14  nnd  15  ist  die  Anlage  noch  fast  anf  das  Areal 
einer  Zelle  beschränkt,  während  in  Fig.  16  an  einer  im  Ganzen 
nur  wenig  weiter  entwickelten  Knospenanlage  sich  sofort  3  Zellen 
in  nahezu  gleichmässiger  Weise  betheiligt  haben. 

Zum  Vergleich  mit  Fig.  16  von  B.  Helene  Uhden  ist  in  Fig.  17 
eine  (etwas  jttngere)  Anlage  von  Beg.  Rex  dargestellt. 

Von  den  Darchschnittsansichten  sind  Fig.  19  und  29 
dem  Blattstiel  entnommen.  In  Fig.  18  sind  von  den  bei  der  An- 
lage der  Knospe  betheiligten  Zellen  drei  getroffen.  Die  Zelle  B 
war  zuerst  bei  der  Anlage  betheiligt;  sie  war;  wie  sich  noch  an- 
nähernd feststellen  läast,  durch  zwei  tangentiale  Wände  in  drei 
übereinanderliegende  Abtheilungen  zerfallen.  In  der  innersten 
derselben  ist  erst  eine  radiale  Theilung  aufgetreten;  in  der  mitt- 
leren hingegen  hat  schon  eine  viel  lebhaftere  Zelltheilung  statt- 
gefunden und  in  der  äussersteu;  schon  ganz  mit  Protoplasma 
erfüllten  Zone  nimmt  die  Anzfihl  der  Theilzellen  noch  zu.  Diese 
mittlere  Zelle  B  entspricht  etwa  der  Zelle  G  in  Fig.  12,  in  ihr 
beginnt  sich  bereits  deutlich  das  Dermatogen  des  neu  sich  bil- 
denden Vegetationspunktes  abzusondern,  während  die  beiden  an- 
stossenden  Epidermiszellen  erst  wenige  Theilungen  zeigen^  denn 
A  ist  erst  in  drei  und  C  in  zwei  Theilzellen  zerfallen. 

In  Fig.  19,  einem  schon  etwas  weiter  yorgeschrittenen  Ent- 
wicklungsstadinm,  haben  sich  offenbar  zwei  Zellen  der  Blattstiel- 
epidermis  von  Anfang  an  in  gleichmässiger  Weise  an  der  Bildung 
der  Anlage  betheiligt;  hier  lässt  sich  indees  die  Aufeinanderfolge 
der  Theilungen  keineswegs  so  deutlich  wie  im  vorigen  Falle  er- 
echliessen;  wir  haben  bereits  einen  einheitlichen  Complex  von 
Meristemzellen  vor  uns. 

Junge  Knospenanlagen  von  der  Oberseite  der  Lamina  stellen 
Fig.  18,  20—23  dar. 

Fig.  18  zeigt  eine  solche  der  Begonia  Rex^)  entnommene 
von  den  grösseren  Epidermiszellen  zu  beiden  Seiten  des  Blatt- 
nerveni  die  schon  zum  Mesophyll  Überleiten ;  Fig.  21—23  hingegen 


*)  B^.  Helene  Uhden  verlittlt  neh  ganz  znslog. 


474  Pntz  Regel, 

von  der  Mitte  der  Blattnervoberseite;  an  der  Stelle,  wo  die  Collen- 
chymgmppe  unter  der  Oberhaut  hin  fioh  erstreekt. 

Während  im  ersteren  Falle  zuerst  in  einer  einzigen  Zelle 
zahlreiche  Theilung^n  auftreten,  bevor  aueh  die  anstossenden  be- 
ginnen (wie  dies  ja  auch  Fig.  12  uns  von  oben  zeigte),  sind  es  hier 
meist  zwei  oder  drei  der  kleineren  Epidermiszellen ,  welche 
gleichmässig  am  Aufbau  des  neuen  Folgemeristems  Antheil 
nehmen:  ein  Verhalten,  welches  natürlich  eine  directe  Beziehung 
der  allerersten  Theilungen  zweier  derartiger  Bildungen  aufeinander 
ausschliesst. 

Auch  bei  den  Knospen,  welche,  obwohl  im  Ganzen  in  viel  ge- 
ringerer Zahl,  aus  der  Epidermis  der  Blattunterseite  sich  bilden, 
findet,  wie  die  Betrachtung  der  Fig.  24  und  25  von  Beg.  xanthina 
zeigt,  ebenfalls  keine  stets  wiederkehrende  Aufeinanderfolge  der 
einzelnen  Theilschritte  statt.  In  Fig.  25  sind  die  Theilungen 
offenbar  in  anderer  Beihenfolge  vor  sich  gegangen,  als  in  Fig.  24, 
einem  älteren  Zustand.  Letztere  Anlage  ist  eben  hinsichtlich  der 
einzelnen  Theilungen  von  dem  jüngeren  der  Fig.  25  nicht  direet 
abzuleiten. 

Trotz  mancherlei  Variationen,  welche  uns  somit  bei  dem 
Studium  junger  Anlagen  dieser  Adventivknospen  auch  bei  der 
gleichen  Art  aufgestossen  sind,  kehrt  aber  doch,  wie  wir  nunmdir 
ttbersehen,  in  den  wesentlichen  Zttgen  ttberall  der  gleiche  Modus 
der  Bildung  wieder:  stets  sind  es  einige  Epidermiszellen,  welche, 
obwohl  längst  im  Dauerzustand  befindlich,  unter  den  gegebenen 
besonderen  Umständen  sich  mit  Protoplasma  anfüllen  und  nach- 
träglich durch  eintretende  tangentiale  und  radiale  Theilungen  vid- 
fach  zerfallend  in  ein  neues  Folgemeristem  sich  umwandeln; 
frühzeitig  sondert  sich  bei  diesen  Theilungen  eine  Zellenlage  an 
der  Peripherie  der  Epidermis  als  Dermatogen  (Fig.  19)  ab,  wäh- 
rend die  anderen  Histogene  des  sich  neubildenden  Vegetations- 
punktes dann  gleichfalls  allmählich  aus  den  inneren  Theilzellen 
sieh  differenziren. 

b)  Fernere  Ausbildung  der  Knospen. 

Verfolgen  wir  nunmehr  die  weitere  Entwicklung  der 
Knospen :  das  neue  Meristem,  aus  einer  Anzahl  (6—8)  Epidermis- 
zellen durch  ihren  Zerfall  in  zahlreiche  Theilzellen  gebildet,  w5lbt 
sich  unter  fortgesetzter  Theilung  bald  ttber  die  Epidermis  hervor. 
Nachdem  der  neugebildete  Zelleneomplex  sich  vollständig  in  Der- 


Die  Vermehrung  der  Begoniaceen  etc.  475 

matogen^  Periblem  and  Plerom  gegliedert  hat,  tritt  er  nunmehr 
in  seine  Fanetion  als  Vegetationspankt  ein  dnrch  Bildung  eines 
ersten  Phylloms  (Fig.  27).  Dasselbe  gleicht  in  seinem  Ban  den 
Stipulis^  welche  an  der  Basis  der  normal  an  der  Stammspitze 
gebildeten  Lanbblätter  hervortreten  (cf.  p.  9) ;  es  besitzt  daher  wie 
diese  eine  einfache  Strnctnr. 

Fig.  27  ist  dem  Blattstiel  von  B.  Helene  Uhden  entnommen; 
das  erste  Phyllom  einer  ungewöhnlich  stark  über  das  Niveau  der 
Epidermis  hervorgetretenen  Knospe  ist  hier  bereits  weit  ent- 
wickelt; die  Bildung  eines  zweiten  bereitet  sich  schon  am  Enospen- 
scheitel  vor.  Fig.  28  zeigt  ein  Knöspchen  von  der  Unterseite 
des  Blattnerven  mit  zwei  gleichmässig  entwickolten  Phyl- 
lomen,  Fig.  26  ein  eben  solches  noch  etwas  weiter  vorgeschritten. 
Nachdem  so  mehrere  dieser  Vorblätter  gebildet  worden  sind  und 
die  ganze  junge  Knospe  inzwischen  durch  fernere  Zellvermehrung 
sich  noch  weiter  hervorgewölbt  hat,  erhält  sie  mit  fortschreitender 
Erstarkung  mehr  und  mehr  den  Charakter  eines  Vegetationskegels, 
wie  er  bei  der  betreffenden  Art  an  der  Stammspitze  normal  ent- 
wickelt ist:  es  werden  nun  Laubblätter  mit  je  zwei  Stipulis  an 
ihrer  Basis  gebildet  (cf.  p.  9). 

Doch  schon  wenn  die  Knospen  in  ihrer  Entwicklung  noch 
wenig  vorgeschritten  sind^  etwa  in  dem  Stadium^  wo  sie  eben  mit 
der  Bildung  der  Phyllome  begonnen  haben,  wird  bereits  eine 
engere  Vorbindung  mit  den  Übrigen  Theilen  des 
Blattes,  von  denen  aus  ja  das  Material  zur  Bildung  neuer  Zellen 
zugeführt  werden  muss,  insbesondere  mit  dem  zunächst  gelegenen 
G  ef äs 8 bttndel  angebahnt;  bald  nach  erfolgter  erster  Anlage 
der  Knospen  in  der  Epidermis  nimmt  auch  das  unter  der  Epi- 
dermis gelegene  Collenchym  an  ihrer  Bildung  insofern  Antheil, 
als  in  ihm  gleichfalls  Theilnngen  auftreten.  Sind  die  betreffenden 
Zellen  dann  weiterhin  auch  bereits  mit  Protoplasma  angeMIt  und 
in  mehrfache  Theilstttcke  zerfallen,  so  ist  der  Umfang  der  einzelnen 
CoUenchymzellen  noch  an  den  für  dieses  Gewebe  so  charakte- 
ristischen Verdickungen  der  Ecken  zu  erkennen. 

Es  treten  nun  weiter  auch  in  denjenigen  Parenehymzellen 
des  Fttllgewebes,  welche  die  Knospe  von  dem  nächsten  Fibrovasai- 
strang  trennen,  Theilungen  und  zwar  im  Allg^neinen  parallel 
zn  der  Wachethumsrichtnng  der  Knospe  auf.  Jede  der 
Parenehymzellen  spaltet  sich  in  eine  ganze  Anzahl  von  unter- 
einander nahezu  parallel  angeordneten  Theilzellen,  welehe  somit 
mehr  oder  weniger  senkrecht  gegen  die  Peripherie  des  Blatttheila 

Bä.  X.  H.  F.  IlL  4.  81 


476  Fritz  Regel, 

—  sei  es  am  Stiel  oder  an  der  Spreite  —  sich  ordnen.  Vom  zunächst- 
liegenden  Gefässbttndel  sieht  man  daher  auf  dem  Querschnitt 
meist  in  ziemlich  gerader  Richtung^  nicht  selten  jedoch  auch  (be- 
sonders bei  den  Knospen  der  Blattnerren)  in  einer  sich  hin-  und 
herwindenden  Linie  die  Züge  dieser  Theüzellen  bis  zur  Enospen- 
anlage  an  der  Peripherie  verlaufen,  am  ersten  vergleichbar  in 
ihrem  ganzen  Habitus  denjenigen  vom  Stamm  Scheitel  auslaufenden 
ZellreiheU;  aus  welchen  die  Fibrovasalstränge  sich  bilden.  Ein 
Theil  dieser  aus  dem  Parenchym  des  Blattes  erzeugten  Zellen 
verwandelt  sich  dann  weiter  in  sehr  charakteristisch  gestaltete^ 
netzartig  verdickte  Leitbttndelzellen,  welche;  an  das 
Xylem  dea  Stranges  anschliessend,  eine  directe  Verbindung  zwischen 
diesem  und  der  Knospe  vermitteln,  in  welcher  bei  weiterer  Ent- 
wicklung ihrerseits  selbständig  die  Differenzirung  von  GefUss- 
bttndehi  aus  den  äusseren  Pleromschichten  vor  sich  geht  in  ganz 
gleicher  Weise,  wie  an  jedem  Stammscheitel.  Diese  knorrig- 
gewundenen Ztlge  von  Xylemzellen  trafen  wir  schon  frllher  in 
den  dichten  Nestern,  welche  gleich  ttber  der  Schnittfläche  des 
Blattstieles  sieh  an  dem  eingepflanzten  Blatte  nach  einiger  Zeit 
aus  den  peripherischen  Oeweben  desselben  gebildet  haben 
(S.  459). 

Galt  die  bisherige  Darstellung  lediglich  dem  Entwicklungsgang 
der  an  den  gesteckten  Blättern  entstehenden,  also  durch  k tl n s t- 
liehe  Bedingungen  hervorgerufenen  Knospen,  so  lässt  sie  sieb 
jedoch  ohne  Weiteres  auch  auf  die  bei  Beg.  quadricolor  be- 
obachteten Adventivknospen  ausdehnen,  welche  bereits  an  den 
mit  dem  Mutterstock  noch  in  Zusammenhang  befindlichen  Blättern 
angetrofien  wurden  (S.  450).  Dieselben  stimmen  in  ihrer  Ent- 
wicklungsgeschichte mit  den  aus  gesteckten  Blättern  entstandenen 
Knospen  eben  durchaus  ttberein. 

Ja  auch  die  frtther  beiläufig  erwähnten  Knospen  (S.  451), 
welche  bei  Beg.  phyllomaniaca  in  grosser  Zahl  am  Stamm 
entspringen,  haben,  wie  ich  mich  an  Material  aus  dem  Botanischen 
Garten  zu  Berlin  ttberzeugen  konnte,  nicht  aus  inneren  Qewebe- 
theilen,  sondern  gldchfalls  stets  aus  ganz  peripherischen  Zellen 
ihren  Ursprung.  ^) 

Ueberall  also,  wo  in  dieser  Pflanzenfamilie  die  Bildung  der 
Adventivknospen  verfolgt  wurde,  zeigen  dieselben  somit  in  der 
Hauptsache  einen  durchaus  übereinstimmenden  morphologischen 


^)  cf.  H.  Schacht,  Lehrb.  d.  Anat  a.  Phys.  II,  p.  574. 


Die  Vern(kehrung  der  ßegoniaceen  etc.  477 

Charakter.  ^)  In  allen  Fällen  spielt  die  Epidermis  eine  gleich  her- 
vorragende Rolle. 


Wir  haben  uns  in  vorstehender  Betrachtung  ttber  die  ge- 
sammten  Regenerationserscheinnngen,  welche  an  den  gesteckten 
Blättern  der  Begoniaceen  auftreten ,  einen  Ueberblick  zu  ver- 
schaffen gesucht :  wir  sahen,  wie  aus  einem  einzigen  Blatte  junge 
Sprosse  in  Mehrzahl  sich  entwickeln  können ;  wie  zahlreiche  Adven- 
tivwurzeln aus  denselben  hervorbrechen,  welche  den  erstarkenden 
Knospen  die  Nahrung  aus  dem  Boden  zuführen.  Die  Beobachtung 
der  letzteren  zeigte  uns,  dass  sie  an  den  mannigfachsten  Stellen, 
am  Blattstiel,  auf  der  Ober-  und  Unterseite  der  Blattspreite  auf- 
treten .können;  die  Verfolgung  ihrer  Entwicklung  ergab  in  allen 
Fällen  ihren  exogenen  Ursprung:  die  Epidermis  selbst  und  die 
zunächst  anstossenden  Gewebetheile  waren  bei  ihrer  Bildung  be- 
theiligt. 

Wäre  nun  in  allen  Fällen  der  histologische  Ursprung  das 
entscheidende  Kriterium  für  den  morphologischen  Werth  eines  Ge- 
bildes, wie  dies  von  mancher  Seite  vertreten  wird,  so  müsste  man 
ja  fast  die  geschilderten  Knospen  der  Begoniaceenblätter  eben 
ihres  Ursprungs  aus  der  Epidermis  halber  ftlr  Trichome  er- 
klären. Man  sieht,  wie  wenig  stichhaltig  jene  Betrachtungs- 
weise ist. 


III.  literatiirflbersiclit  blatibfirtlger  Adventivknospeii. 

Es  dürfte  von  Interesde  sein,  nunmehr  dasjenige  kurz  zu- 
sammenzustellen, was  überhaupt  bis  jetzt  nach  den  in  der  Lite- 
ratur vorliegenden  Notizen  bei  anderen  Gefässpflanzen  über 
das  Auftreten  and  die  Bildung  von  Adventivknospen  an  Blättern 
bekannt  ist. 


')  Ffv  die  AdvenÜTknospea  von  Beg.  coriaoea  scheint  Peter-Petenhaosen 
(1.  c.,  p.  47)  eine  endogene  Entstehnng  anznnehmen,  er  tagt:  „Um  die 
Stelle  heram,  wo  sie  (sc,  die  Knospe)  die  Blattoberfläche  darchbricht, 
bildet  sie  eine  Peridermasofaiclit.'^  Obgleich  ich  nicht  Gelegeliheit  hatte,  die 
Knospen  dieser  Art  zu  untersuchen,  muss  ich  doch  nach  aUen  von  mir  ge- 
machten Erfahrungen  vorläufig  die  Richtigkeit  dieser  Angabe  bezweifeln. 

51* 


478  Fritz  Regel, 

Wir  werden  der  Uebersichtlichkeit  halber  anterscheiden 
zwischen  denjenigen  Fällen^  wo  Pflanzen  an  ihren  Blättern  bereits 
Knospen  erzeugen^  so  lange  diese  selbst  noch  mit  der 
Mutterpflanze  in  Znsammenhang  stehen  und  anderer* 
seits  solchen,  bei  welchen  die  Enospenbildung  erst  statt  hat,  nach- 
dem die  Blätter  gleich  den  Begonienblättem  abgeschnitten 
und  unter  günstigen  Bedingungen  cultivirt  worden  sind. 


A.    Nattlrlich  an  Blättern  auftretende  Adventiv- 
knospen. 

1.  Gefässkryptogamen. 

Sehr  bekannte  Beispiele  liefern  die  Farne,  wo  bei  einer 
Anzahl  von  Arten  Adventivknospen  beobachtet  sind ;  sie  entspringen 
theils  aus  dem  Stiel  (Aspleninm  filix  femina;  Aspidinm  filix  mas; 
Pteris  aquilina),  theils  aus  der  Spreite  des  Wedels  und  zwar  in 
den  Achseln  der  Lacinien  bei  Aspleninm  decussatum,  Asplenium 
Bellangeri;  Aspl.  caudatum,  Ceratopteris  thalictroides.  ^)  Die- 
selben sind  nach  Hofmeister ^)  in  allen  diesen  Fällen  exogenen 
Ursprungs.  Auch  Asplenium  bulbiferum,  Dryopteris  palmata,  Di- 
plazium  proliferum,  Hemionitis  palmata ') ;  femer  Diplazium  celti- 
difolium,  Gymnogramme  Linkiana  und  Woodwardia  radicans^) 
werden  unter  den  viviparen  oder  proliferirenden  Famen  aufge- 
ftlhrt.  Bei  einigen  Famen  bilden  sich  die  Knospen  auf  der 
rankenförmig  verlängerten  Spitze  der  Blätter,  wie  bei  Chrysodinm 
flagelliferam,  Chr.  repandum  Mtt.,  Asplen.  flabellifolium  u.  flabel- 
latum  var.  cryptopteron  Kz.  u.  a.  m.  ^) 


^)  Sachs,  Lehrb.,  III.  Aufl.,  p.  157.  Gegen  die  Aoffaesang  der  am  Wedel- 
stiel auftretenden  Knospen  als  „Adventivknospen^*  (Hofmeister)  hat  jedoch 
Mettenius  Einspruch  erhoben  (Abh.  der  math.-physik.  Classe  d.  König].  Sachs« 
Ges.  d.  Wiss.  Bd.  V,  1861.    6.  Mettenius,  lieber  Seitenknospen  bei  Farnen). 

*)  üofmeister,  Beitr.  zur  Kenntn.  der  Grefässkrjptog.  II,  1857. 

*)  Siehe  Neumann,  Kunst  der  Pflanzenvermehrung  ed.  Hartwig,  Weimar 
1870,  p.  36. 

^)  £.  Regel,  Allgem.  Gartenbuch  I,  Die  Pflanze  und  ihr  Leben,  p.  321; 
Woodwardia,  auch  bei  Lindley,  Theorie  der  Gartenkunst,  übers,  v.  TreTiranns 
1850,  p.  286. 

^)  AI.  Braun,  Polyembryonie  und  Keimung  von  Coelebogyne,  p.  183. 


Die  Vermebrang  der  Begoniaceen  etc.  479 

8.  Phanerogamen. 

a)  Monocotyledonen. 

Bei  Athernrns  ternataS;  einer  javaniBcheD  A'roidee,  ent- 
springen am  Blattstiel  endogen  angelegte  Adventivwnrzeln.  Peter- 
Petershansen  ^)  hat  ihre  Entwicklung  beschrieben : 

„Am  Blattstiel  des  noch  in  der  Entwicklung  begriffenen 
Blattes  lässt  sich  stets,  und  zwar  an  seiner  oberen  Hälfte,  eine 
kleine  Anschwellung  beobachten,  die  allmählich  stärker  wird,  bis 
endlich  ein  weisses  zugespitztes  Höckerchen  an  dieser  Stelle,  dem 
oberen  Ende  der  Blattstielscheide,  heryortritt  Der  Blattstieltheil 
oberhalb  des  Höckerchens,  welcher  im  Verhältniss  zu  dem  unteren 
Scheidentheil  nur  kurz  war,  hat  sich  inzwischen  bedeutend  ver- 
längert, auch  sind  die  Blättchen  an  seiner  Spitze  mehr  entfaltet, 
die  Längenausdehnung  der  eigentlichen  Scheide  war  dagegen  nur 
gering.  Seinen  Ursprung  nimmt  das  Höckerchen  am  obem  Ende 
der  cylinderförmigen  Bohre  auf  dem  hier  nahe  unter  der  Ober- 
fläche verlaufenden  Gefäcisen,  woselbst  kleine,  später  Stärkekörnchen 
enthaltende  Zellen  auftreten.  Sie  bilden,  indem  sie  sich  durch 
Theilung  vermehren,  die  Form  eines  kegelförmigen,  an  der  Spitze 
abgerundeten  Wärzchens,  welches  in  die  Röhre  hineinragt.  Um 
dieses  erhebt  sich  alsdann  ein  ringförmiger  Wulst,  der  sich  all- 
mählich weit  ttber  ihm  ausdehnt  und  endlich  fast  schliesst.  Zu- 
gleich dehnt  sich  das  Parenchym  unterhalb  dieser  ersten  Blatt- 
anlage fortwährend  durch  Wachsthum  seiner  Zelle  aus.  Eine  neue 
Blattanlage  geht  wie  die  vorige  aus  der  Erhebung  eines  ring- 
förmigen Wulstes,  der  den  Vegetationskegel  fast  ganz  umgibt, 
hervor,  bildet  aber  an  ihrer  Spitze  mehrere  höckerförmige  Wärzchen, 
die  der  älteren  Blattanlage  fehlen,  als  Anlagen  der  Blättchen  aus. 
Die  Anschwellung  des  Blattstiels  an  der  Stelle,  wo  sich  das 
Höckerchen  entwickelt,  ist  jetzt  schon  sehr  merklich,  bald  erscheint 
auch  die  Spitze  des  Höckerchens  deutlich  zwischen  den  beiden 
Kähdem  der  Scheide.  Auf  den  am  Grunde  des  zu  einem  Knöllchen 
sich  verdickenden  Höckerchens  verlaufenden  GefUssbttndeln  des 
Blattstiels  entstehen  jetzt  neue  Gefässe,  durchsetzen  das  Paren- 
chym des  Knöllchens  und  treten  in  das  Zellgewebe  seiner  Blatt- 
anlagen ein.  Allmählich  dehnt  sich  nun  das  Parenchym  des 
EnöUchens  weiter  im  lunern  des  Blattstiels  aus,  nmschliesst  auch 
die  nächstliegenden  Gefässbündel   und  grenzt  sich  gegen   das 

*)  1.  C,  p.  4.1. 


480  Fritz  Regel, 

Parenchym  des  Blattstiels  durch  eine  kleiazelUge  Zdlenschicht, 
die  auch  anter  die  Oberhaut  de9  Enöllchens  sich  fortsetzt^  ab/^ 

Bei  Liliaceen  auftretende  Blattknospen  finde  ich  erwähnt 
bei  Hyaointhus  FouzoUii. ^)  [Ausserdem  traf  Hedwig  die 
Blätter einerEaiBerkrone(Fritillaria  imperialis),  welche 
man  in  eine  Pflanzenpresse  gebracht  hatte  ^  an  ihrer  Oberfläche 
Zwiebeln  austreibend.  Dasselbe  beobachtete  Turpin  (Annal.  des 
scienc.  nat  XXV)  an  Ornithogalum  thyrsoides.]  ^) 

In  derselben  Familie^  bildet  sich  bei  einer  afrikanischen 
Drimia  ^^constant  unter  der  ein  wenig  zusammengezogenen 
Spitze  auf  der  Blattoberseite  eine  Knospe^  die  sich  bald  zu  einer 
kleinen  Zwiebel  entwickelt  und  beim  Welken  des  Blattes  auf  den 
Boden  gelangt|  dort  kräftig  wurzelt  und  zu  einer  neuen  Pflanze 
auswächst/^  ^) 

Schliesslich  liefert  auch  die  Familie  der  Orchideen  in 
Malaxis  paludosaein  bekanntes  Beispiel,  indem  die  Blätter 
dieser  Art  ^^an  ihrem  Vordertheil  kleine  Knospen  abstossen/'  *) 

b)  Dicotyledonen. 

In  dieser  Abtheiiung  des  Pflanzenreichs  sind  die  beobachtet^i 
Fälle  von  Knospen,  die  an  Blättern  auftreten,  noch  zahlreicher. 
Schon  lange  bekannt  sind  blattbürtige  Sprosse  bei  verschiedenen 
Arten  der  Gattung  Cardamine^),  vorzüglich  bei  Cardamine 
pratensis;  sie  treten  hier  auf  den  Fiederblättchen  an  den 
Blattnerven  hervor;  löst  das  Blatt  sich  ab,  so  wachsen  sie  zu 
selbständigen  Pflänzchen  heran.  Ebenso  liegt  für  Cardamine 
h  i  r  s  u  t  a  eine  Beobachtung  von  Ed.  Regel  vor  ^) :  „An  einem  im 
Warmhaus  zufäUig  gekeimten  Exemplar  trug  jedes  Blatt  unmittel- 

^)  DÖII9  Flora  von  Baden,  p.  348. 

')  Citirt  Ton  Lindlej,  1.  c.,  Cap.  XIII.,  Fortpflanz.  durch  Blatter,  p.  22(^. 

')  P.  Magnus,  Bot.  Verein  der  Prov.  Brandenburg,  1873  (30.  Mai),  p.  7. 
Magnus  vergleicht  hier  diese  Knospenbildung  mit  der  von  Hordeum  Aegi* 
ceros  Rojle,  wo  im  Grunde  der  kapuzenformigen  Aussackung  unterhalb  der 
Spitze  der  äussern  Deckspelze  eine  Knospe  entspringt,  die  sich  zu  einer  mehr 
oder  minder  voUkommenen  Blüthe  entwickelt;  und  ferner  mit  den  Knospen 
einiger  Farne  (Chiysodium  u.  s.  w.). 

^)  Lindlej,  L  c,  p.  64 ;  E.  Regel,  Allg.  Gartenbuch  I,  p.  322  u.  a.  A.,  zu- 
letzt Dickie,  cf.  Bot  Jahresbericht  1873,  p.  235  und  1874,  p.  537. 

*)  Bot  Zeitung,  1873,  p.  62  9  ff.;  schon  von  Joh.  Naumburg  und  Henry 
Cassini  beobachtet  Lindley,  1.  c,  p.  396.  cf.  Ascherson,  üeber  eine  biologische 
Eigenthümlichkeit  der  Cardamine  pratensis  1873;  Bot  Zeitung  1874,  p.  621  ff. 

*)  Allg.  Gartenbach  I,  p.  822  u.  323. 


Die  Vermehrtmg  der  Begoniaceen  etc.  481 

h^x  am  Gründe  des  Spita^enblattes  auf  der  oberen  Seite  des  Blattr 
Stieles  ein  Knöspchen;  es  enstand  zunächst  ein  zelliges  Knötchen; 
dieses  wichst  dann  gleichzeitig  nach  unten  in  ein  junges  erstes 
Blättcheui  nach  oben  in  ein  Wttrzelchen  aus;  dieses  krttmmt  sich 
bald  um  und  entwickelt  sich  rasch.  Das  anfangs  nach  unten 
gerichtete  Blättchen  erhebt  sich^  und  am  Grunde  desselben  ent« 
stehen  an  der  wachsenden  Spitze  des  Enöspchens  neue  Blätter 
und  aus  dem  neuen  Achsengebilde  entstehen  seitlich  neue  Neben- 
wurzeln.'^  . 

[Von  einer  anderen  Crucifere^  der  Brunnenkresse,  be- 
richtet Tnrpin  ^),  was  ich  gleich  hier  anfttge,  »^dass  schwimmende 
Blattstttcke  derselben  ^  welche  eine  Phryganea  fUr  ihr  Gehäuse 
abbeissty  unmittelbar  von  ihrer  Basis,  unterhalb  des  gemeinsamen 
Blattstiels  zuerst  zwei  oder  drei  farblose  Wurzeln  treiben  und 
dann  ans  ihrer  Mitte  eine  kleine  kegelförmige  grüne  Knospe''.] 

Andere  Beispiele;  tlber  welche  nähere  Angaben,  die  Entwick- 
lung oder  die  Art  der  Anlage  betreffend,  nicht  vorliegen,  sind 
ausserdem  Tellima  grandiflora  (Saxifrageae) ,  welche  bis- 
weilen aus  dem  Rande  der  Blätter  Knospen  treibt.  ^)  Auch 
Brassica  oleracea  und  Banunculus  bulbosus  werden  als 
Blattknospen  bildend  aufgeführt.') 

Bei  Chelidonium  majus  L.  var.  laciniatum  sind  von 
Bemhardi  mehrblttthige  Blüthenzweige  beobachtet,  welche  aus  den 
Blättern  ohne  alle  yorausgehende  Laubblätter  hervorsprossen.  ^) 

An  Levisticum  officinale  Koch  fand  AI.  Braun ^)  mehr- 
fach an  der  Theilungsstelle  der  oberen  Blätter  einen  oder  häufiger 
zwei  Sprosse,  welche  nach  wenigen  kümmerlichen  Blättern  eine 
kleine  BIttthendolde  trugen.  —  P.  Magnus^)  beobachtete  1872  ein 
Exemplar  von  Siegesbeckia  iberica  Willd.,  welches  auf  der 
Mitte  der  Blattstiele  seiner  unteren  langgestielten  Blätter  kleine 
Häufchen  von  Adventivknospen  trug,  die  sich  zu  Blttthen  entwickelt 
hatten. 

Bei  der  Gattung  Utricularia  erwähnt  Pringsheim^)  das 

^)  Lindley,  L  c.,  p.  226. 
*)  Ebenda^  p.  64. 

•)  In  Ed.  Begers  Gartenbuch,  p.  332. 
^)  AI.  Braon,  Pflanienindividanm,  p.  76. 
■)  Ebenda!.,  p,  60. 

^  Bot.  Verein  für  Brandenburg  1873,  p.  7. 

^  Morphologie  der  Gatl»ag  Utricolaria  in  d.  tfonaUber,  der.  k,  Akad. 
der  Wim.  an  Berlini  Februar  1869. 


482  ^ntz  Regel, 

AuftFeten  kümmerlicher  Blattsprossei  welche  exogen  in  der  Nähe 
des  Winkels  der  oberen  Blattabschnitte  entstehen. 

Unter  den  Grassnlaceen  endlich  zeigen  Galan choe 
pinnata,  Pers.  ^)  (oder  Bryophyllnm  pinnatnm  Salisb., 
nnd  Bryophyllnm  calycinnm')  nicht  selten  Knospen  in 
den  Blattkerben;  letztere  Pflanze  znmal  ist  ein  sehr  bekanntes 
nnd  häufig  citirtes  Beispiel  für  die  Adyentiyknospenbildung:  ans 
Blättern ;  bei  ihr  entstehen  nach  Hofmeister  ^)  ^^die  Knospen  in  des 
Blattrandkerben  schon  vor  völliger  Entfaltung  des  Blattes  ab 
kleine  Massen  von  Urparenchym  in  den  tiefsten  Stellen  der  Blatt- 
schnitte«'' *) 

B.  Kttnstlich  ans  Blättern  erzengte  Adventiv- 
knospen. 

In  directer  Beziehung  zu  den  von  uns  geschilderten  Adventjv- 
knospen  der  Begonien  stehen  diejenigen  Knospenbildungen,  welche 
an  gesteckten;  also  von  der  Mutterpflanze  abgetrennten  Blättern 
erzielt  vrerden. 

Während  bei  vielen  Phanerogamen  ausgewachsene  Blätter, 
abgeschnitten  und  gleich  einem  gewöhnlichen  Zweigsteckling  be- 
handelt;  zwar  an  der  Schnittfläche  Wurzeln  hervorzutreiben  und 
lange  Zeit  hindurch  sich  selbständig  zu  ernähren  vermögen,  wie 
Glianthus  puniceus  ^),  Hoya  ^)  und  Ligeria  Donkelari  (Bastard  von 
Gesneria  discolor  und  G.  rubra  (Ligeria)^)  zeigen^,  so  pflanzen 
sich  dieselben  doch  nur  bei  einer  sehr  beschränkten  Anzahl 


^)  AdTentivknospen  Ton  Calliopsis  tinetoria  in  den  Abb.  des  Bot,  Vereioi 
der  FroY.  Brandenburg  1870;  E.  RegeVs  Gartenflora  1868,  Bd.  XVII,  p.  3O0. 

*)  Sacbs  III,  p.  157;  Seubert  Lebrbucb;  AI.  Braun  Pflanzenindiv.,  p.  76; 
Descaisne  et  Maoüt  Einleitung,  und  zahlreiche  gärtnerische  Schriften,  z,  fi. 
Regel's  Gartenbuch,  p.  321  (mit  Abbildung). 

')  Hofmeister,  Allg.  Morphol,  422  n.  423. 

^)  Die  Knospen  treten  nicht  immer  schon  an  den  noeh  an  der  Mutter- 
pflanze befindlichen  Blättern  auf,  können  dann  aber  aus  jedem  einzelnen 
gesteckten  Blatte  erhalten  werden  (cf.  unten  S.  485).  Kürzlich  ist  über 
diesen  Gegenstand  eine  specielle  Arbeit  erschienen  (Hermann  Berge,  Entwick- 
lung Ton  ßryophyllum  calycinnm  I.  Theil,  Dissertation,  Zürich  1876),  doch 
fehlen  leider  noch  die  Abbildungen  zu  der  daselbst  gegebenen  Stihilderung. 
(Nachträgl.  Bemerkung.) 

^)  Vergl.  Regel's  Gartenbuch,  p.  351.  Eigenthümlich  ist,  dass  krautartige 
Blätter  bisweilen  das  Ansehen  von  immergrünen  erhalten,  wie  Knigbt  an 
Mentha  beobachtete  (Lindley,  1.  c). 

*)  A.  Conrtin,  Die  Pflanzenvermehrung,  Stuttgart,  p.  129. 

')  Ebendas.,  p.  123. 


Die  Vermehrung  der  Begoniaceen  etc.  •  483 

der  hSheren  Pflanzen  selbständig  durch  Adventiyknospen  fort. 
Meist  sind  es  när  dicke  and  fleischige,  oder  auch  sehr  yollsaftige, 
endlich  lederartige,  sehr  resistente  Blätter,  welche  sich  zur  Er- 
zeugung von  Knospen  verwenden  lassen. 

üeber  die  Art  und  Weise  der  Anlage  und  die  Entwicklung 
deiBclben  ist  nur  in  den  wenigsten  Fällen  etwas  Näheres  bekannt. 
Die  hier  gegebene  Aufzählung  der  übrigens  sehr  zerstreuten  No- 
tizen möchte  zu  weiteren  Beobachtungen  in  dieser  Richtung  anregen. 
In  der  Abtheilung  der  Gefässkryptogamen  sind  es  die 
Marattiaceen^),  deren  Vermehrung  fast  ausschliesslich  durch 
Knospen  geschieht,  welche  sich  aus  den  fleischigen  Stipulis  ent- 
wiekeln.  Couftin^  gibtauch  vonSelaginella  paradoxa(!)an, 
dass  sie  sich  durch  einzelne  Blätter  vermehren  lasse.    Unter  den 
Monocotyledonen  liegen,  so  weit  mir  bekannt  geworden,  nur 
aus  der  Familie   der  Liliaceen  mehrere  Beobachtungen  vor. 
Nach  verschiedenen  Angaben ^)  können  Aloe-Arten  Knospen  aus 
einzeln  gesteckten  Blättern  entwickeln,  besonders  Arten  der  Ab- 
theilung Gasteria.    C.  Bouch6   sah  bei  Hyacinthus  corym- 
bosus  und  Ornithogalum,    dass  junge  Blatttriebe,  welche 
halbdurchschnitten  und  mit  Erde  theilweise  bedeckt  wurden,  an 
den   Schnittflächen   Knospen    bildeten.     Ftlr   Eucomis^)    und 
Lachenalia  (Liliaceen)  wird   von  ihm  das  gleiche  Verhalten 
constatirt,  ja  es  wird  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  wohl 
alle  zwiebeltragenden  Liliaceen  auf  diesem  Wege  zu  vermehren 
seien.  (Vergl.  auch  Neumann,  Pflanzenvermehrung,  p.  38.)   Neuer- 
dings hat  P.  Magnus  ^)  die  Entwicklung  derartiger  Adventivknospen 
bei  Hyacinthus  orientalis,  L.  näher  geschildert.    Nachdem 
die  Blätter  eine  Zeit  lang  in  der  Erde  gesteckt  haben,  schwellen 
die  Parenchjrmzellen  der  daselbst  befindlichen  Blatttheile  durch 
Wachsthum  an  und  theilen  sich  durch  successive  Zelltheilung  in 
ein  Fäoherwerk  von   Zellen;   meist  beginnt  dieses  Wachsthum 
nebst  Theilung  in  der  zweiten   oder  dritten  Zellenschicht  von 
Aussen  und  geht  dann  erst  auf  die  Epidermis  ttber  oder  beginnt 
auch  zuerst  in  der  Epidermis  und  schreitet  nach  Innen  fort  „Die 


^)  Sacha  III.  p.  157;  Hofm.,  Beitr.  zur  Kenntn.  d.  Gefässkr.  II,  p.  656. 

^  PflanzenTermelirang,  p.  122. 

')  Gartenflora  1858,  Bd.  VII,  p.  58;  Tergl.  aach  Neabert's  Magazin  1859, 
p.  140. 

^)  Wird  Ton  Ed.  Regel,  AUg.  Gartenbach,  p.  822  anter  den  Blattknospen 
entwickelnden  Pflanzen  ebenfalls  mit  aofgeföhrt. 

*)  Bot.  Verein  der  Provinz  Brandenbarg,  30.  Mai  1873,  p.  6. 


484  Fritz  Regel, 

Schliesszellen   der    über    die    betheiligte  BUttflüQhe  sev&treuten 
Spaltöffnungen  zeigen  nie  Wachsthnm  und  ZeUtheilongr  wie   die 
umgebenden  Zellen/^     I^ierdurch;    sowie   dureh    das    ungleiche 
Längenwacbstbum  der  senkrecht  nach  Aussen  hervortretenden  ZeU- 
reihen  werden  zahlreiche  tief  gegen  einander  abgesetzte  Hll^^el  ge- 
bildet, deren  oberer  und  äusserer  Theil  aus  den  schwach  divergi- 
renden  Zellreihen,  zu  denen  sich  die  Epidermiszellen  ent?rickelt 
haben,  gebildet  jst.     Aus  deq   unteren   dieser  Hügel  ent^tahieii 
Wurzeln,  deren  Entwicklung  Magnus  nicht  verfolgt  hat;  aits  den 
oberen  hingegen  zahlreiche  blattanlegende  Enöspchen,  die  su  Brut" 
zwiebelchen  werden,   zumal  auf  der   Bauchseite  det  Blatte».^) 
Während  der  Bildung  der  Hügel  haben  «ich  auch  die   innerea 
Parenchymzellen  in  zahlreiche  Zellen  getheilt,  die  sieh  zu  einem 
beträchtlichen  Theil   in   spiralig   bis   ringfbnpig  verdickte  Leit- 
bttndelzellen  umbilden ;  diese  fliessen  zu  einem  mannigfach  knorrig 
gewundenen  Gefässbündel  zusammen,  welches  hie  und  da  mit 
den  Oefässbündeln  des  Blattes  anastomosirt. 

Wir  sehen,  diese  Angaben,  welche  absichtlich  zum  Vergleich 
etwap  eingehender  citirt  wurden,  zeigen  in  manchen  Punkten  Ana- 
logieen  mit  den  Begonienknospen:  die  Sprosse  entstehen  aoeh 
hier  aus  den  durch  Wachsthum  und  Theilungen  umgewandelten 
peripherischen  Zellen  des  Blattgewebes;  aus  den  inneren 
Parenchymzellen  bilden  sich  Gruppen  von  Leitbflndelzellen. 

In  der  Praxis  der  Gärtner  längst  bekannt  ist  die  Erscheinung, 
welche  ebenfalls  an  dieser  Stelle  Erwähnung  finden  mag,  das»  dio 
Lilienarten  sich  durch  einzelne  Zwiebelsohuppen  vermehren 
lassen  ^),  indem  sich  an  der  Basis  der  abgebrochenen  Schnppen 
junge  Zwiebeln  bilden.  Eine  grössere  Beschleunigung  der  Zwiebel- 
bildung erfolgt  nach  C.  Bouchö,  wenn  man  die  Schuppen  schon  im 
Sommer  nach  dem  Abblühen  des  Stengels  abbricht  und  an  einem 
trockenen,  aber  schattigen  Orte  bis  zum  Herbst  aufbewahrt,  bis 
wohin  schon  eine  Menge  Zwiebelchen  sichtbar  sind,  die  in's  freie 
Land  etwa  zwei  Zoll  tief  eingepflanzt  im  nächsten  Frühjahr  Blätter 
treiben.  Im  Herbst  abgenommene  Schuppen  erzeugen  hingegen 
die  Zwiebelchen  erst  im  folgenden  Jahr. 

Ausserdem    treten  z.  B.   bei   Lilium   auratum    an  den 
Schuppen  der  Mutterzwiebel,  während  der  Schaft  austreibt,  auf 

^)  Ueber  Anlage  des  ersten  Blattes  u.  a.  m.,  s.  Magnus,  1.  c,  p.  7. 
.      ')  C.  Boucli4  in  Neubert's  Magazin,  Bd.  I,  p.  125.    Neiuai^n,  PHanxen- 
▼ermehrung,  p.  38  (Lilium  japoniouoi)«    Vergleiiihe  Regel's  QartonfloEa)  18a8| 
Bd.  VII,  p.  68. 


Die  Vermehriuig  d^r  Begoniaceen  etc.  485 

deren  innerer  Oberflüehe  kleine  Zwiebeln  ftuf.  An  genannter 
Art  hatte  ich  vorigen  Winter  1874/75  Oelegenheit^  diese  Gebilde 
zu  beobachten: 

Eine  einsige  ans  der  Zwiebd  dcB  schon  keimenden  Triebes 
ausgelöste  Schuppe  war  mit  einer  ganzen  Ansaht  meist  dicht  am 
Bande»  doch  einteln  auch  aus  der  Mitte  der  Schuppe  entspringender 
Zwiebelchen  besetzt  Querschnitte,  durch  eine  solche  Schuppe  an 
den  geeigneten  Stellen  geftihrti  ergaben  auch  hier  einen  durch- 
aus oberflächlichen  Ursprung  der  Knospen:  nur  die  Epi* 
dermis  und  einige  wenige  an  sie  anschliessende  Parenchym- 
Zellen  hatten  sich  bei  der  Bildung  der  Knospe  betheiligt;  ron  einer 
engem  Verbindung  derselben  mit  dem  zunttchstliegenden  sehr  rudi- 
mentären Gefitosbttndel  war  nichts  zu  bemerken;  dagegen  hatte 
sich  im  Plerom  der  schon  älteren  Knospe  eine  compacte  Masse 
von  spiralig  verdickten  Leitbttndelzellen  gebildet  Ganz  junge 
Entwicklungszustände  waren  zwar  an  den  mir  gerade  zu  Gebote 
stehenden  beiden  Schuppen  nicht  aufzufinden,  aber  auch  die  unter- 
saehten  älteren  Knospen  gaben  ganz  sichere  Anhaltspunkte  fttr 
die  angegebene  Bildungsweise.  Wir  hätten  somit  in  derselben 
wiederum  einen  Fall  ganz  exogener  Entstehung  von  Knospen 
ans  einem  Blattgebilde. 

Unter  den  Dicotyledonen  sind  es  ausser  den  Begonien 
hauptsächlich  Pflanzen  aus  den  Familien  der  Crassulaceen 
und  derGesneriaceen,  welche  der  Fortpflanzung  durch  Blatt* 
Stecklinge  fthig  sind;  ihnen  schliessen  sich- noch  vereinzelte 
Vertreter  anderer  Familien  an. 

Von  Crassulaceen  sind  ausser  dem  schon  oben  bertlhrten 
Bryophyllum  calycinum  und  pinnatum  noch  namhaft  zu 
machen  die  Gattungen  Crassula^),  Cotyledon'),  Eche- 
veria'),  Sedum^);  ebenso  bildet  Rochea  falcata  an  der 
Unterseite  der  Blätter  Adventivknospen.  ^)  Die  Knospen  treten  bei 
Arten  von  Grass ula  meist  schon  nach  kurzer  Zeit  am  unteren 
Blattende  an  der  Abtrennungsfläche  hervor,  ohne  einen  sehr  merk- 
lichen Gallus  zu  entwickeln.    Sehr  bekannt  und  schon  längst  in 


^)  Regsl,  Allg.  GarienbttOh,  p.  330  (neben  Eobeveri*). 

*)  C.  Bottck^  in  der  Hendbibliotbek  für  GKriner  von  Lenn^  elo.  I,  p.  3d 
(neben  CrtMiila). 

*)  A.  F.  Lenz,  Zierpflanzen  onserer  Zimmer  und  Fflenienhäaeer,  p.  dS 
(ebenda  ancb  CrasBula). 

*)  Coqrlin«  Pflanzanvennebrang,  p.  1S3. 

*)  Lindlej,  1.  o^  p.  925. 


486  Fritz  B^ed, 

der  giftaeriMlieii  Prsxis  zur  Venndmuig  Terwandl^  uX  die 
bilditDg  ba  vielen  Gesneriaceen.    BesondendieGlo^imiei 
werden   als   typisehee  Beispiel  der  Entsfehong  tob  A^d^cntir- 
knospen  ans  BUUtem  aagefBhit^);  neben  Omen  Aekina^aea^ 
Colnmnea')^  Ckirita  sinensis.^ 

An  einem  soldien  gesteckten  OloximenUatt  Uldet  mA  an  der 
Sehnittfliche  des  Südes  aOmäUieh  ein  betriektlidier   fiber  die* 
sdbe  henrortretender  GaUos,  wdeher  sieh  bis  zu  dneHi  liAsel- 
nassgrossen  Knollen  entwiekdt.    Hatte  man  die  Blattrippes 
der  Lamina  geritst,  so  tritt  an  den  angesehnittraen  Stellai  eben- 
falls Gatlmigewebe  anf.    Zahlreiche  fdne  Wfiraddien  bedeekeo 
die  gebildete  Knolle.    „Diese  Tcrhält  sich^)  anflLngfidi  darduu» 
wie  eine  wahre  Wurzel,  indem  sie  keine  Spur  einer  Knospe  in 
der  gleichen  Vegetationsperiode  zdgi    Erst  wenn  das  Blatt,  was 
dieselbe  erzengt  hat,  abgestorben  ist  nnd  die  Knolle  nnter  dem 
Einflösse  von  Trockenheit  eine  Zeit  lang  gemht  hat,  da  bildet 
sich  im  nächsten  Frtthling  auf  ihrer  Spitze  dne  Adventivkooepe. 
Diese  Eigenthttmlichkeit  zeigt  der  gröeste  Theil  der  Gesneriaceen, 
namentlich  die   Gloxinien ,  Gesnerien  a  s.  w.^     Anch  bei    desk 
Gloxinien  genügen  schon  T heile  eines  Blattes  zur  Erziehm^  von 
Knospen.    Diesen  Beispielen  schliessen  sich  noch  einige  isolirfe 
Notizen  von  anderen  Dicotyledonen  an. 

Vom  Portulak^  erwähnt  Flonrens  einen  Fall,  wo  das 
Blatt,  in  drei  Portionen  getbeilt,  ebenso  viele  neue  Pflanzen  bildete. 

Morren  ftthrt  femer  den  Orangenbaum,  die  Ancnba 
(Caprifoliaceen)  and  den  Feigenbanm  als  andere  Beispiele  von 
Gewächsen  anf,  die  sich  durch  Blätter  vermehren  lassen.  7) 

')  £•  Regel,  Allgemeines  Gartenbach«  H«  Jäger,  Zimmer-  mid  Emus- 
gürtnerei,  1870,  p.  204.  Ueber  das  Verfahren  Yergl.  Neabert's  Magazin, 
1852,  p.  376,  1854,  p.  39.  Ferner  Gartenflora,  Bd.  I,  1852  p.  38,  Bd.  IV, 
18ft5,  p.  67;  Handbibliothek  für  Gärtner,  Bd.  X,  250.  Illnstr.  Gartenzeitung, 
Bd.  Vllf  p.  21.  H.  Schacht,  Anat.  u.  Phys.  d.  Gew.  IL  Th.,  p.  12  n,  p.  134. 

*)  Neamann,  Pflanzenvermehrang,  p.  36. 

*)  Coortin,  1.  c,  p.  122. 

^)  Neabert*8  Magazin,  1854,  p.  39. 

^}  Ed.  Regel,  Die  Pflanze  und  ihr  Leben,  p.  351.  Die  bei  vielen  Gesne- 
riaceen (Gesneria,  Achimenes,  Tydaea  etc.)  mit  Erfolg  benutzte  Vermehnmgs- 
methode  ans  den  Schuppen  der  Knollen  and  Rhizome  gehört  nicht  hierher, 
da  sich  mit  der  Schuppe  die  schon  am  Rhizom  angelegte  Achselknospe 
mit  loslöst  (Neamann,  PflanzenVerm,,  p.  89). 

^)  Lindley,  p.  225. 

^  Li  Morren's  Uebersetzung  von  Lindley's  Umriss  der  ersten  Anfangs- 
gründe der  Gartencultur,  s.  Lindley,  1.  c,  p.  225. 


•   I 

—  A 


T  . 


Die  Vennehrüng  der  B^oniaceen  etc.  487 

Aag.  St  Hilaire  erwähnt  einen  Fall,  wo  von  den  Blattfrag- 
dienten  einer  TheophraBta^)  Blattknospen  erzengt  wurden, 
sowie  eines  anderen  von  jnngen.  Droseren,  welche  aus  den  Blättern 
von  Drosera  intermedia  hervorgebracht  waren. ^ 

Aach  bei  einer  anderen  Droseracee,  der  Dionaea  masci- 
pnia;  hat  man  Pflanzen  ans  Blättern  erzielt.') 

Ausser  den  hier  namhaft  gemachten  Fällen  ist  noch,  so 
'weit  mir  bekannt  geworden,  bei  folgenden  die  Vermehrung  durch 
gesteckte  Blätter  geglückt: 

Nach  Neumann  (Pflanzenverm.  36  u. 37)  bei  Peperomia 
(Piperac.),  selbst  bei  Pelargonien,  Camellien  und  Rosen« 

Nach  Courtin  (Pflanzenvermehrung,  p.  122)  bei  Brexia 
(Aquifoliac.)»  Clavija  (Myrtin.),  Francoa  (Dilleniac),  Strepto- 
carpus  (Bignoniac.  LindL;  eine  andere  durch  Blätter  vermehr- 
bare Bignoniacee  IstAeschinantbus,  RegeFs  Gartenflora),  und 
bei  Leptandra  bicolor  (Gesneriao.  Endl.),  Phyllagathis 
rotundifolia(Melastomac.)  und  diverse  Arten  von  Bertolonia 
(Melastomac). 

Schon  aus  diesen  Angaben,  welche  uns  über  die  Bildung  der 
an  Blättern  entstehenden  Knospen  bei  sehr  verschiedenen  Pflanzen- 
arten vorliegen,  ist  zu  entnehmen,  dass  unter  der  Mannigfaltigkeit 
dieser  Gebilde  manche  Analogien  Hir  die  bei  den  Begonien  ge- 
schilderte Entwicklung  der  Adventivsprosse  existiren  und  sich  bei 
weiterer  Untersuchung  wahrscheinlich  auch  noch  in  manchen 
Fällen  herausstellen  werden. 

Vor  Allem  muss  aber  ein  in  der  Literatur  vorliegender  Fall  von 
Adventivknospenbildung  aus  dem  Stamme  erwähnt  werden,  obwohl 
alle  derartigen  Knospen,  welche  an  Stengeln,  am  hypocotylen 
Gliede  der  Keimpflanzen,  sowie  an  Wurzeln  sich  bilden,  als 
nicht  hierher  gehörig,  geflissentlich  nicht  berücksichtigt  wurden« 
Es  sind  dies  die  von  AI.  Braun  geschilderten  und  von  P.  Magnus 
anatomisch  untersaehten  sehr  merkwürdigen  Adventivknospen, 
die  am  Stengel  und  den  Blttthenstielen  von  Calliopsis  tinc- 
toria  meist  in  grosser  Anzahl  als  eine  „erblich  gewordene  Mon- 


^)  DMselbe  bei  NoiBette,  Handbach  der  Gartenkonde,  1827,  I,  2.  Theil, 
p.  182«  Metiger  (Gsrtenbuch)  erwähnt  neben  Ficos  noch  Xjlophjlla 
(Enphorb.). 

")  Idndlej,  U  c,  p.  226.  Nach  Neomann  (L  c,  p.  37)  liefern  mehrere 
.Xheophraftenarten  Knospen  nnd  Warsein  aas  zerschnittenen  Blättern. 

*)  Bflgers  Gartenflorai  fid.  X,  1861,  p.  361. 


488  ^t2  Rdgel, 

strositäf'  auftreten.^)  Nach  Magnus  entstehen  dieselben  als  T)Hlig 
oberflächliche  Sprossnngen ;  aueh  hier  geht  die  StammepiderDiiB 
unmittelbar  auf  die  Knospen  über.  In  der  primftren  Binde  bilden 
sich  Gefässbtlndel;  aus  Längstheilungen  des  Rindenparenchyms 
hervorgehend;  sie  laufen  oft  ziemliche  Strecken  in  der  primären 
Rinde  parallel  den  LängslinieU;  in  welchen  die  adventiven  Sproflse 
auftreten.  Von  ihnen  aus  entsteht  das  Gefftssbttndelsystem  der 
Knospe  durch  lebhafte  Längstheilung  von  Parenchjmzellen  parallel 
zur  Wachsthumsrichtung  der  Knospe.^) 


Zasammenfassung  der  hauptsächlichsten  Ergehnisse  fiher  die 

Regenerationserscheinungen   der   Begonlaeeeu  -  LaubblStter 

nehst  einigen  gleichzeitigen  Beohaehtungen. 

L  („Callus'O. 

1)  Die  Epidermis  erzeugt  in  der  Nähe  der  Schnittflächen, 
sowohl  am  Blattstiel  als  an  den  durchschnittenen  Stellen  der  Spreite 
zahlreiche  wurzelhaarähnliehe  Trichome. 

2)  Bei  der  an  den  genannten  Stellen  sich  bildenden  An- 
schwellung der  Blattgewebe  sind  betheiligt  die  Epidermis,  das 
GoUenchym,  zahlreiche  Zellen  des  Parenchyms  und  die  Cambial- 
zone  der  Fibrovasalstränge. 

3)  Es  bilden  sich  im  Gewebe  des  Blattstiels  und  der  Nerven 
prooambialeZüge  (besonders  zwischen  den  peripherischen  Strängen), 
welche  sich  zum  Theil  in  schraubenförmig  verdickte  Leitbttndel- 
Zellen  umwandeln. 

IL  (Wurzeln). 

i)  Die  Begoniaceenwurzel  zeigt  an  ihrem  Vegetationskegel 
den  bei  den  Phanerogamen  am  häufigsten  angetroffenen  Wacha- 


^)  Abb.  des  naturf.  Vereins  der  Prov.  Brandenburg,  1870,  p.  157  fl.  Zu- 
weilen treten  die  Sprosse  jedoch  aach  auf  die  Blätter  über,  1.  c,  p.  154. 

^)  Eine  Stelle  in  £.  RegePs  „Die  Pfianze  und  ihr  Leben'S  p,  320:  ^Treten 
diese  (sc,  Adventivknospen)  ian  atisdaoemden  Adiseii  auf,  so  entspringen  sie 
ans  dem  oberflächlich  liegenden  Zellgewebe  and  an  älterem  Stämmen 
aus  den  Markstrahlen"  (späcielle  Angaben  sind  nicht  gemacht),  legt  die  Ver- 
maihung  nahe,  dass  die  Exogene  Bildung  von  Adtentivknospen  auch  an 
Stämmen  eine  grössere  Verbreitung  besitze. 


Die  Vermehrung  der  fiegoniaceen  etc.  489 

thurastypus:  sie  wächst  mit  drei  HiBtogenen  (Plerom^  Peribleoi^ 
Dermatogen) ;  das  Dermatogen  bildet  durch  tangentiale  Theilungen 
die  Schichten  der  Wnrzelhanbe. 

5)  Die  Adventiywnrzehi  entstehen  a)  am  Blattstiel  und  zwar 
je  nach  der  Art  entweder  nnr  dicht  an  der  Schnittfläche,  oder 
htther  hinauf;  b)  an  den  durchschnittenen  Stellen  der  Blattnerven; 
hier  treten  sie  meist  nnten  oder  an  der  Seite,  bisweilen  (Beg. 
Helene  Uhden)  auch  oben  hervor. 

6)  Ihre  Anlage  erfolgt  endogen  seitlich  an  einem  der  dem 
peripherischen  Kreise  angehangen  Oefässbttndel ,  und  zwar  in 
dessen  Cambialregion  unter  Betheiligung  der  das  Bündel  gegen 
das  Obrige  Parenchym  abgrenzenden  Zellschicht. 

7)  In  dem  zuerst  gebildeten  Complex  primärer  Zellen  treten 
Dermatogen  und  Periblem  als  differenzirte  Histogene  nicht  eher 
hervor  y  als  auch  die  Plerominitialen  als  solche  unterschieden 
werden  können. 

8)  Bei  den  Zweigstecklingen  der  aufrechten  Arten  (z.  B.  Beg. 
argyrostigma)  werden  neben  den  zahlreichen  Wurzeln,  welche  aus 
den  Gefässbttndeln  entstehen,  auch  solche  allein  ans  dem  Inter- 
fascicularcambium  gebildet. 

9)  Die  Anlage  der  Adventivwurzeln  an  den  Stengelknoten  von 
Veronica  Beccabunga  L.  und  Lysimachia  Nummularia  geschieht 
vor  den  Oefässbttndeln  in  der  ,,Strangscheide''  und  einer  unter 
dieser  (dem  Pericambium  der  Nebenwurzeln  vergleichbaren)  Zell- 
reihe. 

Bei  Hedera  Helix  L.  hingegen  bilden  sie  sich  an  der  Seite 
eines  Fibrovasalbttndels  aus  dem  Cambium  und  den  an  dieses 
stossenden  Parenchymzellen. 

in.  (Adventivknospen). 

10)  Die  Adventivknospen  treten  bei  den  meisten  grossblättrigen 
Begonien  auf  am  Blattstiel  über  dem  Schnitt  und  an  der  Spreite, 
hier  sowohl  an  der  Stelle,  wo  der  Stiel  in  die  Laminanerven  aus- 
strahlt, als  auch  an  den  durchschnittenen  Stellen  der  letzteren, 
auf  ihrer  Ober-  and  Unterseite. 

11)  Bei  Beg.  quadricolor  finden  sich  bisweilen  die  Knospen 
schon  an  den  mit  der  Mutterpflanze  noch  zusammenhängenden 
Blättern  auf  der  Oberseite  der  Blattrippen  zerstreut 

12)  Die  Anlage  sämmtlicher  beobachteter  Knospen  war  nie- 
mals endogen,  vielmehr  stets  exogen. 


490  Frite  Kegel, 

13)  Die  ersten  Schritte  zur  Knospenbildang  beginnen  in  der 
Epidermis.  Es  füllen  sich  entweder  zunächst  eine  oder  gleich- 
massig  mehrere  (2 — 3)  Epidermiszellen  mit  Protoplasma  und  zer- 
fallen in  zahlreiche  Theilzellen. 

14)  Die  Betheilignng  an  dem  Aufbau  der  Knospe  schreitet 
von  dem  ersten  Bildungsheerde  centrifugal  fort  und  dehnt  sich 
auf  die  umgebenden  Epidermiszellen  aus;  unter  den  Histogenen 
des  sich  bildenden  Folgemeristems  bildet  sich  zuerst  eine  peri- 
pherische Schicht  zum  Dermatogen,  hierauf  aus  den  weiter  nach 
Innen  gelegenen  Theilzellen  Periblem  und  Plerom. 

15)  Ausser  der  Epidermis  treten  nunmehr  auch  in  tiefer 
gelegenen  Zellen  Theilungen  ein,  zunächst  im  CoUenchym,  weiter 
auch  in  den  Parenchymzellen ,  welche  die  junge  Knospe  vom 
nächsten  Gefässbttndel  trennen.  Die  K|aospe  ist  sodann  mit 
letzterem  durch  procambiale  Zttge  verbunden;  deren  Theilzellen 
sich  später  zum  Theil  in  unregelmässig  gestaltete  Xylemzellen 
umwandeln  (yergl.  3). 

16)  In  den  Zellen  der  Histogene  beginnt  im  neug^bildeten 
Vegetationspunkt  nunmehr  die  Anlage  von  Phyllomen. 

17)  Die  ersten  gebildeten  Blätter  zeigen  einen  ähnlichen  Bau, 
wie  die  zweiStipulae  an  der  Basis  jedes  Laubblattes;  mit  weiterer 
Erstarkung  erhält  die  Knospe  den  nämlichen  Charakter,  wie  die 
jüngsten  Theile  der  Stammspitze  der  gleichen  Art 

18)  Auch  die  Adventivknospen  von  Beg.  quadricolor  (cf.  11) 
zeigen  den  gleichen  exogenen  Ursprung. 

IV. 

19)  Die  Zwiebelchen  auf  der  Innenfläche  der  Schuppen  von 
Lilium  auratum  entstehen  ebenfalls  aus  ganz  peripherischen 
Oewebetheilen. 


Die  Vermelirung  der  ßegoniaceen  etc«  .  491 


Brklftnmg  der  AbMldniigeii» 


Taf.  XV. 

Fig.  1.  Laubblatt  üner  Begoniacee  (etwa  B.  Helene  Uhden)  (schematisch) 
nach  eingetretener  Enospenbildnng.  Ana  dem  Stiel  treten  zahl- 
rmohe  Wärzeichen  (w)  heryori  in  der  Nähe  der  Schnittfläche  anch 
Knospen  (k%)«  Letztere  zdgen  ^ch  an  der  Spreite  bei  kn^,  wo  die 
Nerven  in  die  Lamina  aasstrahlen,  and  an  den  zahlreichen  daroh- 
schnittenen  Stellen  der  einzelnen  Blattnerven  (kn,). 

Fig,  2.  Qaerschnitt  des  Blattstiels  von  B.  Helene  Uhden,  die  Anordnang 
der  Gewebe  zeigend,  ep  Epidermis,  coU  Collenchjrm,  gfb  Grefäss- 
bündeL 

Fig.    8.    Qaerschnitt  des  Blattnerven.    Bezeichnnng  ebenso. 

Fig.  4.  Stück  eines  Qaerschnitts  von  Beg.  splendida  argentea.  Ans  den  Epi- 
dermiszellen  der  Unterseite  des  Blattnerven  haben  sich  die  „Pseudo- 
Wnrzelhaare*'  (tr)  gebildet 

Fig.  5—11.    Adventivwarzeln. 

Fig.  5.  Qoersohnitt  de^  Blatferippe  von  Beg.  qnadricolor  mit  einer  nach 
anten  darchbrechenden  Warze!  (Adv.-Wz.)  (etwas  schematisch). 
Yergr.  ^/i-    Fhl  Basttheil,  Camb.  Cambialzone,  Xyl  HobEtheiL 

Fig.  6.  Qaerschnitt  des  Blattstiels  von  Beg.  Helene  Uhden,  hört  mit  einer 
vollständig  angelegten  Warzel  (etwas  schematisch)  ^/j. 

Fig.  7.  Warzelanlage  aus  einem  schwachen  Strange  des  Blattstiels  derselben 
Pflanze;  das  erzeugende  Gefässbündel  gfb.  2  ist  mit  dem  nächst- 
liegenden gfb.  1  in  eine'  engere  Verbindang  getreten. 

Iflg.  8.  Blattstielqaerschnitt  derselben  Art,  mit  einer  jüngeren  Warzelanlage. 
Die  Histogene  sind  noch  nicht  deatlich  za  anterscheiden«    *^/i. 

Fig.  9.  Ein  schwächeres  Bündel  mit  einer  weiter  vorgeschrittenen  Warzel- 
anlage, welche  die  DifTerenzirang  der  Hbtogene  zeigt  pli  Plcrom- 
initialen,  pbi  Peribleminitialen,  dt  Dermatogen,  Mp  Markparenchjm. 

Taf.  XVI. 

Fig.  10.  Jnnge  Warzelanlage  (Wz.)  aas  dem  Interfasdcularcambiam  (Intf. 
Camb.)  eines  Zweigstecklings  von  Beg.  argyrostigma  (Qaerschnitt). 
Eine  deatliche  DifTerenzirang  der  Histogene  ist  noch  nicht  za  er- 
kennen.   Vergr.  ^^. 

Fig.  11.  Veronica  Beccabanga,  Querschnitt  des  Stengels  mit  der  jungen  An- 
lage einer  Adventivwurzel.  B  Parenchym  des  Bindenkörpers,  M  des 
centralen  Markes,  gs  Grefässbündelscheide,  n  darunterliegende  Zellen- 
reibe,  Phl.  Phloem,  cc  Cambium,  g  Gefäss.    "^/j. 

Bd.  X   N.  F.  M.  4.  diu 


492  Fntz  Kegel,  Die  Vermehrung  der  Begoniaceen  etc. 

Fig.  12—28.    AdventiYknospen. 

Fig.  12-17.  Anlage  der  Adventivknospen  in  der  Epidermis  der 
Oberseite  der  Blattnerven  von  der  Fläche  gesehen.  Die- 
selben sind  ausser  Fig.  17  (Heg.  Rox)  sämmtlich  Beg.  Helene  Uhden 
entnommen. 

Fig  12  u.  13.  Epidermiszellen  an  der  Grenze  von  Blattnerv  und  Mesophyll 
liegend.  In  Fig.  12  ist  Zelle  C  bereits  vielfach  getheilt,  neben  ihr 
das  drüsenartige  Trichom  tr;  auch  die  C  angrenzenden  Zellen  be- 
ginnen sich  zu  theilen.  In  Fig.  13  sind  sofort  2  Epidermiszellen  bei 
der  Knospenanlage  betheiligt. 

Fig.  14—16.  Epidermiszellen  der  Blattnervoberseite  in  der  Nähe  der  Schnitt- 
fläche. Hier  hat  eine  lebhafte  Zelltheilung  iauch  in  solchen  Zellen 
begonnen,  welche  bei  der  Knospenbildung  zunächst  nicht  betheiligt 
sind.  Der  Umfang  der  ursprünglichen  Epidermiszellen  ist  überall 
an  der  Stärke  der  Membran  noch  zu  erkennen.  In  Fig.  14  ist  die 
Knospenanlage  noch  fast  ganz  auf  1  Zelle  (I)  beschränkt,  ebemo 
in  Fig.  15,  während  in  Fig.  16  sich  4  Epidermissellen  (I — IV)  in 
nahezu  gleichmässiger  Weise  an  der  Knospenbildung  betheiligt 
haben. 

Fig.  17.  Epidermis  der  Blattobei:seite  von  Beg.  Rex,  etwas  seitlich  von  der 
Blattrippe.  In  Zelle  I  sind  in  der  Ansicht  von  oben  6  Theilzelleo 
gebildet ;  die  umliegenden  Zellen  beginnen  sich  glmchfalls  zu  theileo* 

Fig.  18-— 28.  Adventivknospen  auf  Querschnitten  der  Blätter. 

Fig.  18.    Beg.  Rex,  Oberseite  des  Blattnervs,  etwas  seitlich  von  der  mittleren 

CoUenchymgruppe  (coli)  ^i» 
Fig.  19  ü.  20  vom  Blattstiel  der  Beg.  Helene  Uhden  ^j^]  in  Fig.  19  ist  die 

Knospenanlage  vorzugsweise  in  Zelle  B  eingetreten,  in  Fig.  20  sind 

Zelle  I  und  II  gleichmässig  betheiligt^   Kn.  Knospe,  E.  Epdenni^ 

Coli.  CoUenchym. 
Fig,  21.    Nahezu  entsprechende  Stelle  wie  in  Fig.  18  von  Beg.  Helene  Uhden; 

an  der  Anlage  sind  4  EpidermiszeUen  betheiligt. 

Taf.  XVII. 

W\g,  22  n.  28.  Knospenanlagen  von  Beg.  Helene  Uhden,  ebenfalls  von  der 
Oberseite  des  Blattnerven;  neben  dem  Scheitel  der  Anlage  tritt 
das  Trichom  hervor  (tr)  ^j^. 

Fig.  24  u.  26.    Beg.  xanthina,  Unterseite  des  Blattnerven,  ^i. 

Fig.  26—28.  Weiter  entwickelte  Knospen  von  Beg.  Helene  Uhden.  Fig.  ^^ 
(»«>/i)  und  Fig.  27  (««o/j)  dem  Blattstiel,  Fig.  28  (««»A)  der  Unter- 
seite des  Blattnervs  entnommen. 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen. 

Von 

Dr.  Relnliold  Teascher. 

Hitnni  Tai •!  XYm— XXn. 

ni.   Asteridae. 

Zur  Untersuchnng  der  Astenden  dienten  mir  zunächst  eine 
Anzahl  grosser  und  vollkommen  erhaltener  Exemplare  von  Astero- 
pecten  anrantiacns;  zum  Vergleich  benutzte  ich  verschiedene 
andere  Arten  von  Seestemen,  die  ich  der  Freigebigkeit  der 
Herren  Prof.  Haeckel  nnd  Dr.  G.  v.  Koch  verdanke.  Meine 
Schilderung  bezieht  sich  überall,  wo  ich  keinen  andern  Namen 
nenne,  auf  Asteropecten  aur. 

lieber  das  Ambulacralgefössystem  habe  ich  wenig  zu  sagen. 
Bei  Betrachtung  des  Längsschnitts,  durch  die  Mitte  des  Anfangs 
des  Strahls  bei  Fig.  2  fällt  eine  Eigenthttmlichkelt  in  die  Augen, 
die  ich  nur  bei  Asteropecten  gefunden  habe:  die  untern  Ambn- 
lacralmuskeln  uam  verlaufen  nämlich  fast  ganz  im  Innern  des 
Ambulacralcanals,  und  dieser  letztere  bildet  zwischen  je  zwei 
Muskeln  eine  Art  Divertikel  nach  unten.  Diese  Anordnung  er- 
klärt es,  warum  bei  fast  allen  Querschnitten  der  Ambulacralrinne, 
die  den  Muskel  treffen,  der  Ambulacralcanal  zweimal  durch- 
schnitten wird,  einmal  über  und  einmal  unter  dem  Muskel 
dag  Fig.  10. 

Der  Ambulacralmundring  befindet  sich  nach  innen  von  und 
dicht  neben  dem  ersten  Ambulacralmuskel ,  zwischen  ihm  und 
einem  anderen  sehr  kräftigen  Muskel,  rm  Fig.  2,  welcher  mit 
ihm  rings  um  den  Mund  läuft  und  an  jeden  ersten  Wirbel  durch 

88* 


494  Reinhold  Tenscher) 

ein  starkes  Band  befestigt  ist.  Dass  der  betreffende  Bing  ein 
Muskel  ist,  lehrt  die  Betrachtung  jedes  Querschnitts  desselben; 
er  stimmt  mit  den  Ambulacralmuskeln  aufs  yollkomineiiste  im 
Baue  ttberein.  Er  besteht,  wie  diese,  aus  einem  Gerüst  von  binde- 
gewebigen Blättern;  welche,  von  einem  im  Innern  liegenden  Punkt 
nach  der  Peripherie  auseinanderlaufend;  in  ihren  mehr  oder 
weniger  dreieckigen  Zwischenräumen  die  Muskelfasern  enthalten; 
so  entsteht  bei  beiden  auf  dem  Durchschnitt  eine  sternförmige 
Figur.  Die  Zusammenziehungen  dieses  Muskels  mtlssea  die  ein- 
zel96n  Strahlen  nach  Innen  ziehen  und  die  MundöfliBung  verengen). 
Offenbar  ist  unser  Ringmuskel  der  ,; weisse  Bing''  Tiedemann's, 
in  welchem  dieser  den  Nervenring  vermuthet;  spätere  Beobachter 
halten  ihn  ftir  sehniger  Natur  und  lassen  ihn  aus  dem  Längs- 
septum  des  NervengefSsses  entstehen,  mit  welchem  er  aber,  wie 
wir  bald  sehen  werden,  gar  nicht  in  Bertthrung  kommt. 

Legt  man  den  Stern  bei  abgenommener  Bückendecke  mit 
der  Bauchseite  nach  unten,  und  denkt  sich  der  Beobachter  in  die 
Mitte  der  Mundöffnung  hinem,  g^ode  vor  dem  Steincanal  stehend, 
so  sieht  er  gerade  vor  sich   vom  Mundrand  zwei  Gefässe  auf- 
steigen, links  den  Anfang  des  Steincanals  aus  dem  Ambnlacral- 
ring,  und  rechts  den  Anfang  des  „schlauchförmigen  Canate^'  ans 
dem   Nervengefässrtng.    Der  Steincanal,   nachdem  er  die    Höhe 
der  innem  Fläche  der  untern  Leibeswand  erreicht  hat,  länft  auf 
dieser  horizontal  fort  nach  aussen,  zwischen  die  beiden  Schenkel 
des  sichelförmigen  Bandes  eintretend,  krümmt  sich  dann  mit  der 
Leibeswand  in  die  Höhe  und  setzt  sich  an  die  Madreporenplatte 
fest.    Seine  Gestalt  ist  also  S-fÖrmig.    Auf  der  von  der  Leibes- 
wand abgewendete  Seite  trägt  er  der  Länge  nach  eine  rinnen- 
förmige  Vertiefung,  in  welcher  sich  zwei  bindegewebige  Blätter 
befestigen,  welche  jederseits  von  den  beiden  sichelförmigen  Bändern 
entspringen.    Fig.  5.    Von  ihnen  wird  der  Steincanal  dicht  uro- 
httUt,   und  während   der  innere  Theil   des  Zwischenraums  der 
sichelförmigen  Bänder  eine  offene,  mit  der  Leibeshöhle  frei  com- 
municirende  Höhlung  bildet,  stellt  der  äussere  sc  Theil  desselben 
einen  geschlossenen  Schlauch  dar,  dessen  eines  Ende  sich  rings  um 
die  Madreporenplatte  befestigt,   während  das  andere  bald  nach 
seinem  Austritt  aus  der  Höhlung  der  sichelförmigen  Bänder  sich 
von  dem  Steinkanal  trennt  und  als  besonderes  Gefäss  rechts  von 
demselben  vor  dem  Mundringmuskel  herabsteigt  und  nach  Durch- 
bohrung der  Mundhaut  in  den  NervengefSssring  mündet,  sc  Fig.  ^^• 
Gerade  an  dieser  Einmttndungsstelle  befestigt  sich  in  diesem  der 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Eohinodermen.  495 

dünne  Stiel  des  sogenaAnten  Herzens^  hz  Fig.  16,  wricbeB,  von  da 
in  dem  schlauchförmigen  Ganal  aufwärts  steigend;  anter  dem 
Anfang  des  Steincanals  weggeht;  worauf  es  dessen  linker  Seite 
seiner  Länge  nach  anliegt  und,  nach  oben  sich  wieder  yerschmä- 
lernd  in  die  vorragende  Spitze  des  linken  sichelförmigen  Bandes 
sich  befestigt.  Dasselbe  stellt  ein  flaehes  häutiges  Gebilde  dar, 
dessen  einer,  freier,  Rand  etwas  verdickt  ist;  der  andere  Band 
ist  seiner  ganzen  Länge  nach  in  der  erwähnten  rinnenartigen 
dorsalen  Vertiefung  des  Steincanals  befestigt.  Ich  muss  später 
hierauf  zurückkommen. 

Von  dem  Steincanal  ist  bekannt,  dass  er  aus  mehreren 
röhrenförmig  nach  Ionen  gekrümmten  Ealkstücken  besteht^  Fig.  8 
stellt  einen  Quersehliff  desselben  dar.  Den  Kalklheilen  liegen 
im  Innern  zwei  Gewebsschichten  auf:  zuerst  eine  hyaline  Schicht, 
welche  zahkeiche  längliche  stäbchenartige  Körper  enttiält,  alle 
mit  der  Längsaxe  senkrecht  stehend ;  die  innerste  Schicht  ist  das 
Flimmerepithelium.  Die  Canäle  der  Madreporenplatte  sind  mit 
denselben  beiden  Gewebsschichten  ausgekleidet 

lieber  den  histologischen  Bau  der  Saugfüsschen  haben  in 
neuerer  Zeit  zwei  Forscher  kurze  Beschreibungen  gegeben,  B.  Greeff 
in  den  Marburger  Sitzungsberichten  1871  und  72  und  C.  K.  Hoff- 
mann in  dem  Niederl.  Arch.  f.  Zool.  1871.  Die  beiden  Dar- 
stellungen weichen,  in  der  Deutung  wenigstens,  bedeutend  von 
einander  ab  und  ich  selbst  muss  noch  eine  dritte  hinzufügen.  Die 
FüBSchen  bestehen,  von  aussen  nach  innen,  aus  drei  Schichten: 
der  Haut-,  der  Bindegewebe-  und  der  Muskelschicht  Die 
äusserste  Schicht  wird  von  den  beiden  genannten  Beobachtern 
als  „Nervenschicht^^  bezeichnet  und  soll  nach  ihnen'  von  dem 
Ambulaerakerven  unmittelbar  auf  die  Fttsschen  übergehen,  sie 
änsserlich  überall  überziehen  und  histologisch  mit  der  Nerven- 
substanz identisch  sein.  Bevor  ich  selbst  den  Nervenban  ge- 
schildert haben  werde,  kann  ich  auf  einen  Vergleich  beider  nicht 
eingehen,  sondern  beschränke  mich  für  jetzt  darauf,  den  Bau 
dess^,  was  ich  Hautschicht  nenne,  genau  zu  schildern. 

Die  Fasern,  aus  denen  sie  der  Hauptmasse  nach  besteht, 
entspringen  aus  der  mittleren  Schicht  der  Fttsschen,  der  Binde- 
gewebsschicht ,  und  zwar  büschelweis.  Diese  Btlschel  stehen  in 
Längsreihen,  welche  nur  am  Ursprung  der  Fttsschen  nicht  ganz 
deutlich  sind.  Die  Fasern  der  Büschel  legen  sich  bald  nach 
allen  Richtungen  auseinander  und  bilden  so  ein  verwirrtes  Ge- 
flecht, dessen  Zwischenräume  mit  einer  blassen  granttlirten  Sub- 


496  Reinhold  Teuscher, 

stanz  erfüllt  sind.  Die  Fasern  zertheUen  sich  vielfach  und  werden 
im  Verhältniss  dttnner;  in  der  Nähe  der  Peripherie  ang^elangt, 
laufen  sie  im  Allgemeinen  gerade  auf  diese  zu.  Zwischen  diesen 
transversalen  Fasern  findet  sich  längs  der  ganzen  Aussenwandung 
eine  Schicht  von  ovalen,  gekernten  Zellen ,  aus  einer  doppelten 
oder  dreifachen  Lage  bestehend,  zwischen  denen  und  den  Fasern 
ich  keinerlei  Verbindung  bemerken  konnte.  Nach  aussen  folgt 
zuletzt  die  Cuticula.  Fig.  6,  7,  8.  Die  Fasern  sind  nicht  glatt 
und  durchscheinend,  sondern  rauh  und  opak,  am  meisten  so  nach 
der  Wurzel  der  Fttsschen  zu. 

In  der  eben  beschriebenen  Schicht  finden  sich  zahlreiche 
Drüsen  zerstreut  (hdr,  Fig.  6),  ob  ein-  oder  mehrzellige,  kann  ich  nicht 
entscheiden,  da  keine  Kerne  sichtbar  waren.  Sie  stellen  im  All^- 
meinen  länglich  ovale  Körper  dar,  zahlreiche  glänzende  KOmer 
enthaltend,  welche  nach  den  verschiedenen  Gegenden  einig^e  Unter- 
schiede zeigen.  Am  zahhreichsten  und  grössten  sind  sie  an  der 
Wurzel  der  Füsschen,  ganz  besonders  an  der  Innenseite.  Sie 
liegen  dicht  gedrängt  unter  der  Cuticula,  mit  der  Spitze  dieser 
zugewendet,  ohne  dass  ich  aber  Ausführungsgänge  sichtbar 
machen  konnte.  Dort  nehmen  sie  fast  nur  die  Höhe  der  kreis- 
förmigen Falten  ein,  welche  die  Füsschen  umgeben;  ihre  Länge 
beträgt  im  Mittel  0,013,  die  Breite  0,009  M.  und  sehr  hänfig 
sieht  man  eine  der  Bindegewebsfasern  sich  an  ihr  hinteres  Ende 
befestigen.  Aber  nicht  nur  der  Cuticula  anliegend  findet  man 
»ie  in  dieser  Gegend,  sondern  sie  erfällen  stellenweis  die  ganze 
Dicke  der  Hautschicht.  In  Carmin  färben  sie  sich  sehr  stark 
Weiter  nach  der  Mitte  der  Füsschen  zu  finde  ich  ähnliche  Drüsen, 
aber  von  viel  schlankerer  Gestalt,  ebenfalls  die  Höhe  der  Falten 
einnehmend.  Sehr  zahlreich  kommen  sie  an  der  die  PaxiUen 
überziehenden  Haut  vor;  ebenso  bei  Asteriscus  verruculosus  an 
der  Sohle  der  Saugscheibe. 

Die  mittelste  Gewebschicht  der  Saugfüsschen  Fig.  6  besteht 
aus  Bindegewebsfasern,  und  zwar  ist  sie  dreifach:  zwei  Ring' 
faserlagen,  von  denen  die  eine,  stärkere,  innen,  die  andere,  schwä- 
chere, bisweilen  undeutliche,  an  der  Aussenseite  liegt:  zwischen 
beiden  liegen  die  Längsfasem,  welche  nach  der  Spitze  zu  vor- 
wiegen. R.  Greeff  hält  diese ,  übrigens  nicht  sehr  deutlich  ge- 
faserte Schicht  für  Muskeln:  ein  Tropfen  Essigsäure  lässt  al'^ 
Faserung  sogleich  verschwinden.  Man  sieht  deutlich  die  Fasern 
der  Haut  aus  denen  der  äusseren  Bindegewebs-Querschicht  ent' 
springen..    An  einer,  auch  bisweilen  an  zwei  Stellen  jeden  Q^^^ 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  497 

Schnitts  sieht  man  die  beiden  Ringfaserlagen  auseinander  weichen 
und  einen  Ranm  von  der  Gestalt  eines  flachen  Kreisabschnitts, 
mit  der  Convexität  nach  aussen ;  zwischen  sich  lassen,  welcher, 
bisweilen  leer,  gewöhnlich  Durchschnitte  gröberer,  etwas  grann- 
lirter  Fasern  enthält,  welche  vielleicht  Nervenfasern  sind,  bl  Fig.  6. 
Wahrscheinlich  stellt  die  Lttcke  selbst  ein  Blutgefäss  dar ;  Qreeff 
spricht  von  einem  solchen,  welches  an  einem  nach  innen  vor- 
springenden Wulst  seiner  Nervenschicfat  (meiner  Hautschicht)  hin- 
laufe. Einen  solchen  Längswnlst  habe  ich  bei  keinem  der  von 
mir  untersuchten  Seesterne  wahrgenommen.  Bei  den  Echinen  sieht 
man  etwas,  das  mit  seiner  Beschreibung  Aehnlichkeit  hat 

Nach  innen  folgt  endlich  die  Muskelschicht  des  Füsschens. 
An   der  Innenseite  der  Bindegewebsringfasem  finden  sich  der 
Länge  der  Fttsschen  nach  dünne  Bindegewebsblätter,  wie   die 
Blätter  am  Rttcken  eines  Buches,  angeheftet,  welche  wieder  aus 
sehr  dünnen  querlaufenden  Fasern  bestehen.  Unter  einander  sind 
diese  Blätter    nur   lose  befestigt  und  durch   Zerzupfung  eines 
Querschnitts  leicht  zu  isoliren,  ms  Fig.  6.  An  ihnen  entlang  und 
zwar  nur  einseitig  sind  die  Längsmuskelfasern  angeheftet:  lange, 
gleichbreite,  parallel  laufende  Fasern   von  regelmässig   ovalem 
Querschnitt  von  0,005  -  6  M.  Breite  bei  0,003—4  M.  Dicke,  welche 
im  Zustand  der  Contraction  zickzackfärmig  angeordnet  sind.    Im 
Wesentlichen   ebenso  wie   hier  fand  ich  den  Bau  der  Muskel- 
schicht bei    allen    von    mir   untersuchten   Ästenden,    doch  ist 
der  Zusammenhsng  der  Blätter  meist  fester,  so  besonders  bei 
Asteracanthion,  wo  ausserdem,  auffallender  als  bei  andern  Arten, 
der  innere  Längsrand  derselben  keine  Muskeln  trägt  und,  fest 
znsammengeftigl,  eine  solide  Bindegewebsschicht  darstellt,  deren 
Oberfläche  dann,  wie  anderwärts,  das  Flimmerepithelium  trägt. 
Die   Bindegewebsschicht  der  Füsschen  ist   gewissermassen 
das  stützende  Gerüst  derselben;    an  den    einfach  zugespitzten 
Fttsschen  von  Asteropecten  erweitert  sich  nach  der  Spitze  zu  die 
Längsfaserschicht  zu  einem  verdickten  Ring,  br  Fig.  7,  der  hie 
und  da  Ausläufer  nach  aussen  in  die  Haut  entsendet.    Um  die 
Einstülpung  des  darüber  stehenden  Zipfels  zu  einem  Saugnapf  zu 
erklären,  muss  man  annehmen,  dass  die  innerste  Lage  der  Längs- 
muskelschicht  sich  zuerst  und  unabhängig  von  den  übrigen,  zur 
Verkürzung  des  ganzen  Füsschens  dienenden,  zusammenzieht,  was 
ja  bei  der  unabhängigen  Lage  der  einzelnen  Muskelfasern  sehr 
leicht  möglich  ist.     Die  Saugscheiben   bei  den  sie  besitzenden 
Astenden  sind  nur  eine  weitere  Ausbildung  dieser  Einrichtung: 


498  ^einbold  Teo^cher, 

hier  mi;^  die  Höhlung  des  beBchriebenen  Biogs  dureb  die  Binde- 
gewebfim^sse  ausgefüllt,  und  es  entsteht  eine  Sebeibe,  auf  deren 
Sohlenfläche  die  gewöhnUehe  Haut,  nur  etwas  dicker  und  sahl- 
reichere  Zellen  führend,  auflief.  Fig.  8.  Auch  hier  mtlsa^n  die 
innersten  Muskeln  zuerst  wirken,  um  den  Saugnapf  zu  erzeugen. 
C,  E.  Hoffmann  hat  beobachtet,  dass  die  Füssohen  9(ak  Ende  jedes 
Strahles  von  Asteracauthion  rubens  keine  Saugplatten  tri|g:en, 
sondern  einfach  zugespitzt  sind:  ich  finde  d^selbe  bei  allen  mir 
vorliegenden  Arten.  Bei  Luidia  findet  sich  gewissermassen  ein 
Mittelzustand  zwischen  den  eüifach  zugespitzten  SaugfOsschen 
und  den  ^it  Sf^ugscheibe  versehenen :  bei  ihr  sieht  n^an  statt  des 
einfachen  bin^degewebigen  Bings  von  Asteropecten  eine  kalb- 
kugliche  Masse  desselben  Ursprungs,  deren  Convexität  die  Spitze 
der  Fttssphen  bildet;  dnrph  ihre  £inwärts;Eiehun^  wird  die  Ober- 
fläche des  zu  bildenden  Saugnapfs  zugleich  vergrö9sert  und  eon- 
solidirt 

Die  Muskelschicht  der  Ftlsschen  setzt  sich  nach  deren  Basis 
zu  in  ein  Sehnengewebe  mit  Längsfasem  fort,  an  welches  sieb 
von  oben  und  scharf  abgegrenzt  die  innerste  Gewebsschicht  der 
Ampullen,  die  Muskelschicht  anlegt;  es  findet  also  keine  Con- 
tinuität  der  Gewebe  in  beiden  statt.  Diese  Muskelschickt  der 
Ampullen  ist  bei  Asteropecten  ebenso  dick,  als  die  der  Ftlsschen 
und  von  demselben  Bau;  doch  sind  die  Bindegewebsblätt^  con- 
sistenter  und  laufen  in  horizontaler  Bichtung  kreisförmig  im 
Innern  der  Ampullen  herum.  Dabei  bilden  sie  nicht  eine  einzige 
zusammenhängende  Lage,  sondern  mehrere  vop  einander  geson- 
derte Binge,  in  deren  Zwischenräume  das  Epithel  hinabsteigt 
Die  Muskelquerschnitte  siQd  breiter  und  dttnner,  als  an  den 
Ftlsschen,  0,05  M.  breit  und  0,005  M.  dick.  Sie  sind  sehr  durch- 
sichtig und  aip  besten  durch  Haematoxylinfärbung  zu  erkennen. 
Nach  aussen  folgen  zwei  Bindegewebsschichten,  die  Längsfasem 
liegen  innerlich,  die  Bingfasem  nach  aussen.  Leztere  Schicht 
enthält  viele  Pigementhäufchen  und  ist  meist  wellig  gefaltet  Zu- 
lezt  folgt  das  Epithel 

Nur  bei  der  Asteropecten  nahe  verwandten  Luidia  finde  ich 
die  Wände  der  Ampullen,  besonders  die  Muskelschicht,  von  einer 
ähnlichen,  wenn  auch  nicht  ganz  so  starken  Entwickelung,  wie 
bei  diesem:  bei  allen  andern  mir  zugänglichen  Arten,  welche 
sämmtlich  Saugscheiben  besitzen,  zeigen  sich  die  Ampullen  als 
sehr  zarte,  durchsichtige  Blasen,  deren  einzelne  Ge^ebsschichten 
dttnn  und  schwer  zu  trennen  sind;  die  Muskeln  liegen  der  Innen- 


Beiträge  zur  4JAatomie  der  £Jelunodermen.  499 

Seite  nnQiittelbar  auf  und  sind  wenig  zi^hliseicb.  Es  scheint 
demnach,  dass  der  histologische  Bau  der  Ampullen  zu  der  Bildung 
der  Sangfüsschen  in  einer  gewissen  Beziehung  steht 

Zwischen  dem  Ambulaoralgefäss  und  dem  Nervenbande 
läuft  durch  die  ganze  Länge  des  Strahls  ein  Kanal,  für  welchen 
ioh  den  von  Greeff  gewählten  Namen  ,,Nervengefäs8''  adoptire, 
und  dessen  Homologen  bei  den  Ophiuren  und  bei  Gomatula  ich 
bereits  nachgewiesen  habe.  Dass  sein  Bau  viel  weniger  einfach 
ist,  als  man  früher  glaubte,  ist  schon  von  Greeff  und  Hoffinann 
nachgewiesen  worden;  da  jedoch  diese  Beobachter  sich  auf  die 
Betrachtung  von  nicht  einmal  besonders  dünnen  Querschnitten 
beschränkt  zu  haben  scheinen,  so  musste  ihnen  ein  Theil  der 
wirklichen  Verhältnisse  entgehen.  Um  dünne  Schnitte  zu  er- 
halten, darf  man  nicht  die  ganze  Dicke  des  entkalkten  Strahls 
benutzen,  sondern  nur  die  Weichtheile,  welche  sich  leicht  aus  der 
Ambulacralrinne  herauslösen  lassen.  Aus  einem  kurzen^  nur  drei 
bis  Tier  Wirbel  enthaltenden  Stück  des  Strahls  von  einem  nicht 
zu  kleinen  Seestem  erhält  man  dieselben  ohne  Mühe  vollständig, 
wenn  man  nach  Entfernung  der  Füsschen  etwa  von  der  Mitte 
der  Oeffhung,  welche  diese  gelassen  haben,  an,  von  beiden  Seiten 
mit  einem  scharfen  Basirmesser  immer  an  den  Kalktheilen  hin- 
gleitend bis  in  die  Tiefe  der  Binne  vordringt. 

So  erhaltene  Querschnitte  geben  ganz  verschiedene  Bilder, 
je  nachdem  man  einen  der  unteren  Ambulacralmuskeln  getroffen 
hat,  oder  den  Zwischenraum  zwischen  je  zwei  solchen.  Im  ersten 
Fall  (Fig.  10)  sehen  wir  oben  die  Oefinung  des  Ambulacralge- 
fässes,  ag,  zunächst  von  einer  schmalen  Zone  hyalinen  Binde- 
gewebes eingefasst,  in  welchem  einige  grosse  Zellen  liegen,  das 
Ganze  umgeben  von  einem  Gewebe  grober  Bindegewebsfasern, 
welche  das  Gefäss  am  Wirbel  befestigen;  nach  unten  folgt  der 
Muskel,  aus  groben  parallelen  Fasern  bestehend,  und  dann  zu- 
nächst die  runde  Oefinung  des  unteren  Divertikels  des  Ambula- 
cralgefässes,  dag  (s.  oben),  und  um  diese  herum  zahlreiche  Quer- 
schnitte grober  Längsfasem,  über  deren  Natur,  ob  Bindegewebe, 
ob  Muskeln,  ich  im  Zweifel  geblieben  bin.  An  die  tiefste  Stelle 
der  unteren  Ambulacralgefässöfihung  setzt  sich  dann  das  Längs- 
septum  an,  welches  von  da  zur  Mittellinie  des  Nervenbandes 
geht  uod  so  das  ganze  Nervengefäss  in  eine  rechte  und  linke 
Abtbeilung  scheidet  Das  Vorhandensein  dieses  Septums  ist  be- 
kannt und  an  grösseren  Thieren  selbst  macroscopisch  wahrzu- 
nehpien,  aber  zwei  kleine  GefässOffiiungen,  welche  eonstant  der 


500  Reinhold  Teuscher, 

Mitte    desselben  beiderseitig    angeheftet   erscheinen,    sind    den 
Beobachtern  bisher  entgangen.  Das  Lnmen  eines  jeden  derselben 
beträgt  nahezn  ein  Zehntel  von  dem  des  Ambnlacralgefässes ;  um 
dieselben   herum    sieht    man   ebenfalls  eine    Anzahl  von   Qaer- 
schnitten  grober  Längsfasern.    Nach   aussen  befestigt  sich    das 
Septum  an  eine  Oewebsschicht,  welche  dem  Nervenband  unmittel- 
bar aufliegt,  sich  aber  leicht  von  demselben  trennt  und  am  Sep- 
tum hängen  bleibt.    Das   Septum  selbst  besteht   aus  hyalinem 
Bindegewebe;   enthält  aber  auch  einige  Fasern,  welche  mit  ihm 
vom  Ambulacralrohr  zum  Nerven  verlaufen  und,  wenn  sie  Muskeln 
sind,   den  Nerven  in    die  Ambulacralrinne   hineinzuziehen   ver* 
mögen.     Ein    zartes,    sehr    kleinzelliges  Epithel   bekleidet    die 
Unterseite    des  Ambulacralmuskels    und    die   Seitenwände   des 
Septums. 

Ganz  anders  sieht  ein  Querschnitt  durch  den  Zwischenraum 
zwischen  je  zwei  Muskeln  aus.    Hier  (Fig.  9.)  erscheint  das  Aifi- 
bulacralgefäss  natürlich  einfach  und  an  seine  untere  Mittellinie 
setzt  sich  das '  Längsseptum  an ,  welches  sich  ganz  ebenso  ver- 
hält, wie  in  dem  vorher  beschrieben  Schnitt;  aber  dicht  unter 
seinem  Ansatzpunkt  an  die  Wand  des  Ambnlacralgefässes  und 
zum  Theil  von  dieser  selbst  aus  zieht  sich  nach  jeder  Seite  ein 
horizontales  Blatt,  welches  die  äusserste  seitliche  Wand  des  Ner- 
vcDgefässes  erreicht,  wo  es  sich  befestigt.    So  wird  anscheinend 
das  Lumen  in  vier  Theile  zerlegt,  und  dieses  Bild  ist  es,  welches 
man  von  den  Autoren  dargestellt  und  beschrieben  findet.    Den 
Grund  dieser  Verschiedenheit  gewahrt  man  sofort,  wenn  man  das 
Nervengefäss  von  der  Ambulacralrinne  aus  durch  Wegnahme  des 
Nervenbandes  öfihet,  was  bei  einem  grossen  Asteropecten  keine 
Schwierigkeiten  darbietet.    Man  sieht  dann  ausser  dem  Längs- 
septum noch  eben  so  viele  Quersepta,  als  Wirbel  vorhanden  sind, 
von  denen  jedes  zwischen  je  zwei  Muskeln  und  parallel  mit  ihnen 
von  jedem  Fttsschen  zum  Längsseptum  tritt,  an  allen  Stellen  fest 
an  die  Gefässwand  anschliesst,  und  so  das  Nervengefäss  in  eben 
so  viele  hinter  einander  liegende  Kammern  theilt,  als  der  Strahl 
Wirbel  besitzt,  (qs  Fig.  2  u.  15.)  Bei  Asteropecten  wenigstens  sind 
diese  Kammern  nach  allen  Seiten  geschlossen,  und  eine  Injection, 
welche  man  am  besten  so  ausführt,  dass  man  eine  Querscheide- 
wand mit  einer  spitzen  Nadel  anbohrt  und  in  die  OefiFnung  eine 
feine  etwas  konische  Glasröhre  fest  einsetzt,  findet  keinen  Aus- 
weg.   Diese  Quersepta  nehmen  nicht  genau   die  Mitte  zwischen 
e  zwei  Muskeln  ein,  sondern  liegen  dem   innem  Muskel  etwas 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  501 

näher.  Jedes  von  ihnen  bildet  gleichsam  die  Mittelrippe  eines 
horizontal  liegenden  Blattes,  hb  Fig.  15;  9,  11,  13,  dessen  beide 
Hälften  jederseits  an  dasselbe,  dessen  etwas  breitere  Basis  an 
das  Längsseptum ,  dessen  Spitze  an  die  Seitenwand  des  Nerven- 
gefässes  befestigt  ist,  und  dessen  Seitenränder,  obere  und  untere 
Fläche  aller  Anheftnng  entbehren ;  die  centrale  Befestigung  liegt 
etwas  höher,!  als  die  peripherische.  Der  Breite  nach  nimmt  das 
Blatt  ungefähr  den  Zwischenmuskelraum  ein.  Die  Blätter  selbst 
bestehen  aus  einem  bald  mehr  hyalinen,  bald  mehr  kömigen 
Bindegewebe,  viele  grössere  Pigmenthäufchen  enthaltend;  sie 
werden  vom  Ansatz  an  das  Längsseptnm  bis  zur  Spitze  von 
vielen  groben  Bindegewebsfasern  durchzogen,  welche  sich  als 
solche  bei  Essigsäure-Zusatz  characterisiren  und  in  ihrem  bogigen 
Verlauf  nach  der  Spitze  bei  häufigen  Verbindungen  unter  einander 
mit  den  Rippen  mancher  vegetablischen  Blätter  grosse  Aehnlich- 
keit  zeigen.  Nan  begreift  leicht,  wie  der  Durchschnitt  dieser 
Blätter  auf  intermusculären  Querschnitten  des  Nervengefässes  den 
Anschein  horizontaler  Scheidewände  und  des  Getheiltseins  des 
Gefässlumens  in  vier  Ganäle  hervorbringen  muss.  Injicirt  man 
das  Nervengefäss  von  dem  schlauchföimigen  Canale  aus,  so  er- 
fbllt  die  Flüssigkeit  die  dem  Längsseptnm  beiderseits  anliegenden 
Centralgefässe,  die  Kammern  und  die  von  Hofifmann  und  Greefif 
beschriebenen  Gefässe,  welche  seitlich  zwischen  je  zwei  Fttsschen 
hindurchtreten  and  auf  der  Aussenseite  derselben  sich  wieder  zu 
einem  Längsstamm  vereinigen.  Aus  den  Centralnervengefässen, 
wie  wir  in  Fig.  15.  sehen ,  welche  das  injicirte  Nervengefäss 
nach  Wegnahme  des  Nervenbandes  zeigt,  entspringt  an  jedem 
Qnerseptum  ein  hinterer  und  ein  vorderer  Zweig,  welche  mit  ihm 
zur  Seite  treten;  dort  treten  sie  alle  in  ein  längs  der  äusseren 
Wand  der  Nervengefässkammem  des  ganzen  Strahles  verlaufendes 
Gefass  ein,  isg,  welches  einen  der  Gestalt  dieser  Wand  ent- 
sprechenden etwas  geschlängelten  Verlauf  zeigt;  von  diesem 
gehen  dann  die  zwischen  den  Saugfttsschen  nach  aussen  tretenden 
Gefässe  ab,  vg,  welche  auf  dem  höchsten  Grath  des  Ambulacral- 
stttcks,  in  einer  in  dasselbe  ausgehöhlten  Rinne  verlaufen,  um 
dann  auf  der  Aussenseite  der  Fttsschen  in  das  dort  dem  Strahl 
entlang  laufende  Gefäss  asg  einzutreten.  Hofimann's  Beschrei- 
bung sowohl,  wie  seine  Abbildung  sind  etwas  undeutlich,  und 
ich  bin  nicht  gewiss,  ob  meine  Darstellung  der  seinigen  in  Be- 
treff der  seitlichen  Gefässe  ganz  gleich  ist;  die  Quersepta  und 
die  an  dieselben  befestigten  Btätter  kennt  er  nicht.  Offenbar  ent- 


502  Kanbold  TeoMha, 

spriebt  dieler  Gefitaereriaiif  ydletändig  dem  Yon  mir  bei  den 
Ophinren  nacbgewieseneD ;  wir  haben  die  Toa  dem  Nervengefkss 
ansgebeoden  VerbindmigBgefäafley  Yg,  die  sieb  aber  hier  nnter 
einandOT  verbindeD,  ebe  sie  die  Scblinge  um  jedes  FOssehen 
bilden;  aacb  von  diesen  Schlingen  fallen  die  seiüichea  Zweige, 
welche  zwischen  je  zwei  Füsschen  hindnrdi  gehen,  hier  za  einem 
zusammen:  Alles  ans  dem  engen  Beisammenstehn  der  Asteriden- 
flQssehen  erklArliclL  Den  Ästenden  feUt  das  Bückengefäss  der 
Ophiaren ,  ihm  entspricht  hier  die  Leibeshöhle  des  Strahls ,  in 
welche  kein  directer  Gefässflbergang  vorhanden  ist;  doch  hat 
Oreeff  Gefässe,  von  dem  Seiteng^äss  ausgehend,  zwischen  den 
Ambulacralstttcken  hindarchtreten  nnd  sich  an  der  Oberflache 
der  Leibesböhle  verbreiten  sehen;  ebensolche  Gefässe  konnte  ich 
an  Querschnitten  des  Strahls  bis  zur  Epithelschicht  der  Leibes- 
höhle  verfolgen,  sah  aber  keine  Verästelungen. 

Oeflfnet  man  den  centralen  Theil  des  Nervengefasses,  da  wo 
er  an  die  Mundöffnung  stösst,  durch  Hinwegnahme  des  Nerven- 
bandes und  Ringes,  so  sieht  man,  dass  das  Längsseptnm  bald 
vor  dem  Abgang  des  ersten  Querseptums,  welches  zum  ersten 
Fusspaar  läuft,  aufhört;  die  beiden  Gentralgefasse  erweitern  sich, 
verlieren  ihre  Scheidewand  und  strömen  in  den  Nervengefass- 
Mundring  (ngr  Fig.  15)  aus;  die  weiteste  Stelle  des  letztem  liegt 
im  Ambulacrum,  die  engste  im  Interambulacrum.  Nach  aussen 
von  ihm  läuft  ein  zweiter  Mundring  (ngkr)  weiter  als  er,  welcher, 
wie  aus  Fig.  15  ersichtlich,  nichts  weiter  darstellt,  als  die  vor- 
dersten NervengefUsskammerU;  von  denen  je  zwei  benachbarten 
Strahlen  angehörige  mit  einander  commnniciren ;  das  Seitengeföss 
mündet  in  dieselben  ein.  Auch  Greeff  hat  diese  beiden  Mund- 
ringe  gesehen,  weist  aber,  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  den  einen 
dem  Blut,  den  audern  dem  Nervengefässsystem  zu,  was  nach 
meiner  Auffassung  nicht  zulässig  ist. 

Dies  ist  das  Verhalten  des  Nervengefässes  bei  Asteropecten ; 
bei  andern  Asteriden  kommen  mancherlei  Abweichungen  vor.  Die 
auffallendsten  bei  Asteracanthion  rubens,  derjenigen  Art,  welche 
von  Hoffmann  und  Greefi  ihren  Untersuchungen  zu  Grunde  gelegt 
worden  ist.  Hier  (Fig.  13  und  14)  findet  sich  das  Längsseptnm 
wie  bei  Asteropecten  oben  und  unten  der  ganzen  Länge  nach  an- 
geheftet, wie  es  Greeff  beschreibt,  aber  nicht,  wie  es  Hoffmann 
schildert  und  abbildet.  Letzterer  behauptet,  dass  das  Septum 
nach  innen  nicht  unter  dem  Ambulacralcanal  angeheftet  sei;  es 
ist  leicht,  sich  vom  Gegentheil  zu  überzeugen.    Das  Auffallendste 


Beiträge  ztir  Anatomie  der  Echinodermen.  503 

aber  ist,  dass  diesem  Thiere  sowie  Asteracanthion  tenuispinum  das 
Centralnervengeßlss  gänzlich  fehlt,  während  dasselbe  bei  allen 
übrigen  yon  mir  nntersuchten  Ästenden  deutlich  vorhanden  ist. 
Leider  fehlte  es  mir  an  grösseren  und  gnt  erhaltenen  Exemplaren 
dieser  ThierC;  nnd  es  war  mir  nicht  möglich,  nach  Wegnahme 
des  Ambnlacralnerven  ttber  die  hier  stattfindende  Modification  der 
Circnlation  klar  zn  werden.  Die  Qnersepta  sind  auch  hier  voll- 
ständige vorhanden,  aber  die  an  ihnen  ansitzenden  horizontalen 
Blätter  sind  nicht  von  einander  isolirt,  wie  bei  Asteropecten, 
sondern  setzen  sich  in  eine  schmale  Leiste  längs  des  Längsseptnms 
fort,  wodurch  je  zwei  benachbarte  mit  einander  in  Verbindung 
treten  (s.  Fig.  14,  hb).  Dagegen  fand  ich  den  von  Hoffinann  an- 
gegebenen Zustand,  den  ich  (Fig.  11  und  12)  von  Echinaster 
sepositus  abgebildet  habe,  bei  allen  übrigen  mir  zugänglichen 
Seestemen  mit  Ausnahme  von  Luidia,  welche  ganz  mit  Astero- 
pecten übereinstimmt,  also  bei  Ophidiaster,  Echinaster,  Asteriscus ; 
die  Centralnervengefässe  sind  bei  ihnen  allen  vorhanden,  die 
horizontalen  Blätter  auf  die  Intermuscularräume  beschränkt.  Da- 
gegen erreicht  das  Längsseptum  die  innere  Wand  des  Nerven- 
gefässes  nicht,  also  communiciren  hier  Überall  je  zwei  seitlich 
neben  einander  liegende  Kammern  über  das  Septum  hinweg,  aber 
nicht  die  vorderen  mit  den  hinteren,  da  die  Quersepta  überall  dicht 
anschliessen. 

Auf  welche  Weise  sich  von  dem  Centralgefäss  aus  die  Kam- 
mern füllen,  kann  ich  nicht  angeben;  irgend  welche  Oefihungen 
in  denselben  oder  ihren  Verzweigungen  müssen  vorhanden  sein, 
und  wenn  bei  Greeffs  Injectionen  an  frischen  Thieren  in  die 
Nervengefässkammem  sich,  wie  er  sagt,  alle  Theile  des  Nerven- 
gefässsystems  durch  den  ganzen  Strahl  fällten,  so  begreift  man 
doch,  dass  bei  wenn  auch  gut  erweichten  Spiritusexemplaren  der- 
selbe Erfolg,  des  Zusammenfallens  der  Gefässe  wegen,  nicht  ein- 
trat, zumal  da  die  Verhältnisse  bei  Asteracanthion,  das  er  be- 
nutzte, einfacher  sind,  als  bei  Asteropecten. 

Mir  gelangen  Injectionen  nur  von  dem  Centrum  des  Nerven- 
gefässes  aus.  Wenn  ich  den  oben  beschriebenen  Anfangstheil  des 
schlauchförmigen  Gefässes  nahe  an  seinem  Ursprung  aus  dem 
Mundring  Ofihete  und  die  Ganüle  in  diese  Oeffnung  in  der  Rich- 
tung nach  demselben  einbrachte,  so  füllte  sich  ohne  Schwierigkeit 
der  Mundring  und  alle  Dependenzien  der  Nervengefässe  des  Strahls 
bis  zu  einer  gewissen  Entfernung.  Wurde  dann  das  peripherische 
Ende  eines  so  injicirten  Ambulacrums  in  Querschnitte  zerlegt;  an 


504  Reinbold  Teuach&r, 

ergab  sich  oonstant;  dass  die  Injection  der  Centralgefässe  be^ 
deutend  weiter  reichte,  als  die  der  Kammern  und  der  seitlichen 
Gefässe,  znm  Beweis,  dass  dieselben  die  wirklichen  Hanptcanäle 
der  Nervengefässcirculation  sind  and  die  anderen  Oefässräome 
erst  von  ihnen  ans  gespeist  werden. 

Wenn  man  von  der  Bauchseite  aus  nach  Wegbrechen  der 
betreffenden  Mundecke  an  der  der  Madreporenplatte  gegenüber 
liegenden  Stelle  den  Nervenring  entfernt^  so  findet  man  ohne 
Schwierigkeit  am  inneren  Bande  des  Nervengefässes  die  Oefihung:, 
welche  zum  schlauchförmigen  Ganal  leitet,  und  durch  sie  ist  der 
letztere  sehr  leicht  zu  injiciren.  Dabei  tritt;  wie  Greeff  und  Hoffmann 
schon  gefunden  haben,  die  Injectionsmasse  rings  um  den  Ursprung 
des  Steincanals  herum  in  die  Madreporenplatte  ein  und  von  da 
sowohl  nach  aussen,  als  in  den  Steincanal  und  von  da  jn  das 
Wassergefässsystem,  190  dass  hier  eine  leicht  zu  constatirende 
Communication  zwischen  letzterem  und  dem  Nervengefäss  statt- 
findet. Leider  gelang  es  mir  nicht,  die  Injection  bei  Asteropecten 
von  hier  auch  weiter,  bis  in  den  Analring  zu  treiben,  wohl  aber 
mit  fast  nie  fehlender  Sicherheit  bei  Echinaster.  Da  der  schlauch- 
förmige Ganal  zwischen  dem  Steincanal  und  der  Leibeswand  eine 
vollkommen  geschlossene  Höhlung  bildet,  so  liegt  es  nahe,  durch 
einen  Einstich  nach  aussen  und  dicht  neben  der  Madreporenplatte 
von  der  Körperoberfläche  aus  in  denselben  einzudringen  und  die 
konische  Ganüle  der  Spritze  in  diesen  Stichcanal  einzufahren.  So 
gelang  es,  auch  bei  kleineren  Exemplaren  gute  Injectionen  zu 
erhalten;  der  Analring  zeigte  sich  oft  aus  zwei,  bisweilen  aus 
drei  parallel  laufenden  Gefässen  zusammengesetzt,  welche  nach 
innen  von  den  interradialen  Bändern  verlaufen,  nicht  sie  durch- 
bohren, wie  es  bei  andern  Arten  zu  geschehen  scheint.  Die 
Gefässe  der  Ovarien ,  vom  Analring  entspringend,  füllten  sich  leicht 
und  vollständig,  aber  nie  sah  ich  aus  demselben  anderweite  6e- 
fasse  abgehen,  obgleich  das  Vorhandensein  von  Darmgefässen  sehr 
wahrscheinlich  ist. 

Wir  haben  also  hier,  wie  bei  den  Ophiuren,  eine  Verbindung 
dreier  Gefässsysteme,  der  Eingeweideblut-,  der  Nervenblut-  und 
der  Wassergefässe,  da  ja  bei  diesen  die  nach  den  Eingeweiden 
laufenden  Gefässe  direct  aus  dem  Nervengefässringe  entspringen. 
Die  beiden  von  Tiedemann  auf  seiner  Tafel  VIII  mit  hh  bezeich- 
neten und  „Venenstämme  des  Magens'^  benannten  Stränge,  welche 
im  Innern  des  sichelförmigen  Bandes  längs  beider  Wände  des* 
selben  verlaufen,  sind  leicht  aufi&ufindeui  zeigten  aber  im  Durch- 


i 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Ecliinodennen.  505 

schnitt  kein  Gefasslamen;  sondern  sind  solide,  ans  den  gewöhn- 
lichen Bindegewebselementen  bestehende;  etwas  gelappte  Fäden, 
welche  dnrch  ein  dünneS;  blattartiges  Band,  wie  von  einem  Mesen- 
terium, an  ihrer  Stelle  befestigt  werden,  gerade  wie  manche  Darm- 
gefässe  der  Echinen  und  Holothnrien.  Vielleicht  waren  sie  in 
einer  früheren  Entwicklungsperiode  wirkliche  Gefässe  und  sind 
im  Alter  yerOdet 

Das  sogenannte  Herz  habe  ich  schon  erwähnt  und  beschrieben. 
Eine  Höhlung  enthält  es  nicht.  Auf  Querschnitten  sehe  ich  bei 
erwachsenen  Thieren  nur  die  gewöhnlichen  Bindegewebselemente : 
Fasern,  einzelne  kernhaltige  Zellen,  viele  Körnchen  und  Pigment- 
haufen ;  bei  jungen  Thieren  dagegen  stellt  es  ein  dichtes  Convolut 
von  feinen  Gefässen  dar,  welche  sich  nach  allen  Richtungen 
durcheinanderschlingen.  Ich  vermuthe,  dass  auch  hier  ein  Organ 
vorliegt,  welches  nach  Ablauf  einer  gevrissen  Entwicklungsperiode 
seine  Bedeutung  verliert  und  rttckgebildet  wird. 

Ich  werde  jetzt  versuchen,  den  histologischen  Bau  des  Nerven- 
strangs von  Asteropecten  aurantiacus  zu  schildern.  Dieser  schwierige 
Gegenstand  ist  noch  wenig  behandelt,  und  sind  mir  nur  die  Ar- 
beiten von  Owsjannikow  (Acad.  de  S.  Pet.  71)  und  C.  K.  Hoff- 
mann (l  c.)  bekannt  geworden.  Wir  wissen,  dass  der  Ambula- 
cralnerv  der  Asteriden  einen  platten  Strang  darstellt,  welcher,  bei 
ausgedehnter  Ambulacralrinne  mehr  oder  weniger  eben,  bei 
Verengerung  derselben  durch  die  untern  Ambulacralmuskeln  auf  dem 
Durchschnitt  eine  V-fÖrmige  Gestalt  annimmt.  Ich  unterscheide  an 
demselben  von  innen  nach  aussen  drei  Schichten,  eine  Bindegewebs- 
schicht,  welche  nach  innen  das  Epithel  des  Nervengefässes  trägt, 
eine  eigentliche  Nerven-  und  eine  Hautschicht.  Die  Bindegewebs- 
schicht,  obgleich  bei  allen  Asteriden,  die  ich  gesehen  habe,  sehr 
deutlich,  ist  von  Hofimann  nicht  erwähnt  worden.  Sie  reicht  über 
die  ganze  Breite  des  Nervenbandes,  ist  hyalin  mit  einigen  Längs- 
und Qnerfasem  und  geht  in  der  Mittellinie  direct  in  das  dort  sich 
an  sie  ansetzende  Längseeptum  über,  welches,  wie  wir  gesehen  haben, 
von  derselben  histologischen  Beschaffenheit  ist.  Der  Zusammenhang 
zwischen  beiden  ist  sehr  stark,  und  wenn  man  einen  Querschnitt 
zerfasert,  widersteht  er  hartnäckig,  während  die  Verbindung 
zwischen  Bindegewebs-  und  Nervenschicht  sich  so  leicht  löst,  dass 
solche  partielle  Zerreisungen  in  der  Mehrzahl  der  Querschnitte, 
zumal  von  Asteropecten,  angetroffen  werden.  Bei  Ophidiaster 
findet  sich  in  unsrer  Bindegewebsschicht  zu  jeder  Seite  längs  dem 
Ansatz  des  lüngsseptums  eine  Reihe  zierlicher,  spindelförmiger 


506  Keinhold  Teasclier, 

Kalkspicolae.  Im  Innern  ist  sie  mit  einem  deatlichen  Epithel 
besetzt;  welches  bei  Asteropecten  und  mehreren  andern  Arten  von 
einer  doppelten  Zellenschicht  gebildet  wird^  während  das  Epithel, 
welches  die  übrigen  Theile  der  Nervengefässkammem  anskleidet, 
nur  einschichtig  ist ;  im  Innern  der  Oentralgefässe  habe  ich  kein 
Epithel  wahrgenommen.  I^ervöse  Elemente  finde  ich  in  diesem 
Theil  des  Nervenstrang  s  nicht,  so  wenig  als  an  oder  in  den 
Septen  oder  den  horizontalen  Blättern. 

In  dem  eigentlich  nervösen,    mittleren   Theile   des  Amba- 
lacralnerven  unterscheidet  man  dreierlei  Elemente:  Querfasem, 
Längsfasem  und  Zellen.     Die  Querfasem  laufen  durch  die  ganze 
Dicke  des  Strangs  von  einer  platten  Seite  zur  andern,  und  ge- 
hören eigentlich  allen  drei  Schichten  an;  ihre  Wurzeln  sitzen  in 
der  Bindegewebsschicht  fest  und  reissen  mit  ihr  constant  von  der 
(wgf,  Fig.  17)  Nervenschicht  ab.  Dieselben  sind  an  der  Ansatzstelle 
bei  allen  Arten  angeschwollen,  am  auffallendsten  bei  Asteropecten 
(Fig.  17),  wo  sie  zwiebeiförmigen  Knollen  gleichen.    Die  aus  den 
Knollen  entspringenden  Fasern  zeigen,    besonders  in  der  Nähe 
ihres  Ursprungs,  zahlreiche  Verdickungen,  wie  sie  auch  Hoffinann 
gesehen  hat.    Sie  selbst  sind  durchsichtig,   stark  lichtbrechend, 
stielrund  auf  ihrem  Querschnitt,  und  verlaufen  ziemlich  parallel 
unter  einander   und  mit  leichten  Biegungen,  sich  hie  und  da 
theilend,  bis  zur  Cuticula.    Sie  sind  von  harter  und  steifer  Be- 
schaffenheit, wie  beim  Zerfasern   leicht  wahrzunehmen  ist,   ver- 
ändern sich  kaum  durch  Säuren  und  Alcalien,  färben  sich  auch 
sehr  schwer  in  Karmin  oder  Haematoxylin ;  kurz  sie  zeigen  die 
gewöhnliche  Beschaffenheit  der  Nervenfaser  durchaus  nicht,  aus- 
genommen etwa  die  Varicosität;  viel  eher  verhalten  sie  sich  wie 
elastische  Fasern. 

Die  Zwischenräume  dieser  Querfasern  zeigen  sich  auf  dem 
Querschnitt  erfElilt  mit  einer  opaken,  grob  kömigen  Masse  (Fig.  18,  u. 
19);  die  Kömer  erkennt  man  unschwer  als  Querschnitte  von  Längs- 
faserlagen,  welche  auf  einem  Längsschnitt  (Fig.  17)  sehr  deu^ 
lieh  hervortreten.  Sie  bilden  zarte  Bündel,  wieder  aucr  unendlich 
feinen  Fasern  zusammengesetzt,  von  etwas  verwaschenem  Umiiss 
und  dämm  unmessbarer  Dicke.  Ich  möchte  sie  mit  über  einander 
geschichteten  lockern  Baumwollenfäden  vergleichen.  Diese  ^a^m 
sind  es  wohl,  deren  Hoffinann,  welcher  die  Querfaliem  f&t  die 
eigentlichen  Nervenfasern  hält,  als  „Nervensiäbchen*'  Erwähnung 
thut;  für  mich  sind  sie  wesentliche' Elemente  des  Nervenstranges. 
Nach  aussen  wird  die  Grenze  der  Nervenschicht  duit^b  ein^  Lag^ 


Beiträge  zur  l^iuitcmiie  der  fiotiinodermen.  507 

von  ovalen,  blassen  Zellen  von  0;004--'6  M.  Darchmesser,  tnit 
destlichen  Kernen  yergehen,  begrenzt.  Ich  iMitte  dieselben  mit 
Hoffmann  fiir  die  eigeoftlichen  Oanglienssellen,  habe  fedoeh  keinen 
Zusammenhang  zwischen  ihnen  und  Fasern  gesehen.  Alles,  was 
«aoh  anssen  von  dieser  Zellenreihe  liegt,  rechne  ich  zur  Ober- 
haut. Diese  bildet  eine  ungefähr  V4  bis  Vs  von  der  ganzen  Dicke 
des  Stranges  ausmachende  Schicht,  w«l<^he  sich  schon  im  äussern 
Ansehrn  von  den  anliegenden  Theüen  unterscheidet.  Nach  aussen 
ist  sie  von  der  Cuticula  begrenzt;  die  Querfasem  dringen  dureh 
ihre  ganze  Dicke  bis  zu  dieser  vor.  Zwischen  ihnen  aber  und 
paralM  mit  ihnen  sieht  man  andere  viel  feinere  Fasern  verlaufen, 
von  nicht  glattem,  sondern  etwas  rauhem  Ansehen,  welche  meist 
büschelartig  beisammenstehen  und,  zum  Theil  wenigstens,  von 
den  in  der  Hautsehicht  liegenden,  von  den  oben  beschriebenen 
Ganglienzellen  deutlich  verschiedenen  Zellen  ausgehen.  Diese 
Hautzellen,  nach  aussen  von  jenen  gelegen;  sind  kenntlich  durch 
ihre  geringere  Grösse  (0,003  -  4  M.),  mehr  längliche  Gestalt ,  Un- 
durehsichtigkeit  und  gewöhnlich  deutliche  Pigmentirung,  so  na- 
mentlich bei  Asteropecten.  Während  ^ie  Ganglienzellen  von 
Karmin  und  vorzüglich  von  Haematoxylin  lebhaft  gefärbt  werden, 
bleiben  diese  Tinctionsmittel  auf  die  Hautzellen  fast  ganz  ohne 
Wirkung.  Zwischen  diesen  Fasern  und  Zellen  sieht  man  noch 
zahlreiche  Kämer,  auch  Pigmenthaufen,  daher  die  ganze  Schicht 
ziemlieh  undurchsichtig  erscheint,  und  bei  der  Kleinheit  der  Ge- 
webselemente  nur  an  sehr  'dünnen  Schnitten  klar  zu  Übersehen 
ist  Hoffinann  unterscheidet  die  Hautschicht  nicht  von  der 
Nervenschicht,  und  kennt  darum  nur  eine  Art  von  Zellen,  welche 
er  als  mit  den  Querfasem  in  Zusammenhang  stehend  besehreibt 
und  abbildet  Auf  derselben  Tafel  seiner  Abhandlung  zeichnet 
er  aber  auch  Hautzellen  aus  anderen  Theilen  als  in  Fasern  aus- 
laufend, und  so  darf  ich  wohl  annehmen,  dass  auch  hier  die  dar- 
gestellten Zellen  nur  Hautzelien  waren.  Obgleich  ich  nur  Spiritus- 
exemplare untersuchen  konnte,  so  hube  ich  doch  die  Ueberzeugung 
gewonnen,  dass  die  Qnerfasern  nirgends  mit  meinen  Ganglienzdlen 
in  Verbindung  treten;  ja  ich  meine,  dass  die  Querfasern  über- 
haupt nicht  aus  Nervensubstanz  bestehen,  sondern  einen  binde* 
gewebigen  Stttti^pparat  darstellen,  welcher  dem  Nervenbande 
eine  gewisse  Elaslicität  gibt  und  es  so  gegen  Verletzungen 
sfMtat  Dafiir  spricht  zunächst  ihre  steif-elastisebe,  glaitte,  glän- 
zend durchsichtige  Beschafibnheit,  ihr  Hervorkommen  aus  ehieu' 
zweifellosen  Bindegewebe,  und  endlich  die  Thatsache,  dass  sie 

Bd.  Z.  M.  F.  III.  4.  33 


508  Ronhold  TeuBclier, 

sich  nur  in  den  Nervenstämmen  solcher  EchmodermenGlassen 
finden;  bei  welchen  dieselben  durch  keine  äussere  Ealkschale 
geschützt  werden,  also  bei  Comatula,  Asteriden  und  Holothurien. 

An  dem  Längsschnitt  durch  den  Ambulacralnerren  von 
Comatula,  von  der  Eelchdecke,  den  ich  Fig.  20  zum  Vergleich 
abbilde  y  fällt  die  Uebereinstimmung  mit  Asteropecten  sogleich  in 
die  Augen.  Die  Hautschicht  ist  hier  im  Verhitttniss  dicker,  die 
Hautzellen  zahlreicher  und  grösser;  zwischen  diesen  Hantzellen 
und  den  Querfasem  habe  ich  selbst  hie  und  da  Verbindangen 
wahrgenommen.  Die  Reihe  der  Ganglienzellen  zeigt  nichts  Be- 
sondereS;  die  Nervenfasern  sind  sehr  zart.  An  ihrer  InneoBeite, 
zwischen  ihnen  und  der  Bindegewebsschicht ,  ans  welcher  die 
Querfasem  entspringen,  erscheint  hier  noch  eine  andere,  dünne 
Bindegewebslage ,  welche  einige  Zellen,  Fasern  und  Körner 
enthält. 

Im  ersten  Theile  gegenwärtiger  Abhandlung  habe  ich  einen 
Durchschnitt  durch  den  Nerven  von  Ophiothrix  abgebildet,  wel- 
cher einem  neugebildeten,  noch  schneidbaren  Strahle  entnommen 
war;  bessere  Querschnitte  erhielt  ich  seitdem  durch  den  heraus- 
genommenen Ambulacralnerven  von  Ophilepis,  von  denen  ich  in 
Fig.  21  eine  Abbildung  gebe.  Man  sieht  hier  an  der  ventralen, 
von  einer  dünnen  Bindegewebsschicht  bekleideten  Seite  des  Nerven- 
tsrangs  die  Nervenzellen  in  zwei  bis  dreifacher  Reihe  liegen; 
genau  in  der  Mitte  ist  die  Schicht  am  dünnsten,  aber  zu  beiden 
Seiten  der  Mitte  häufen  sie  sich  zu  zwei  mehr  oder  weniger 
dreiseitigen  Gruppen  an,  aus  welchen  je  zwei  bis  vier  Fasern 
austreten,  welche  geschlängelt  in  der  Richtung  nach  dem  oberen, 
runden  Strang  zu  verlaufen.  Ihr  Ursprung  aus  den  an  der 
Basis  liegenden  Zellen  ist  deutlich,  auch  in  ihrem  Verlauf  sieht 
man  noch  einzelne  runde  Zellen  ihnen  anliegend.  Ausser  diesen 
beiden  Gruppen  finden  sich  hier  keine  Querfasem;  die  Masse 
des  Nervenstrangs  besteht  lediglich  aus  den  Durchschnitten  der 
Längsfasern.  Ich  glaube  nicht,  dass  der  Unterschied  des  Ver- 
haltens von  dem  bei  Ophiothrix  der  Artverschiedenheit  zuzu- 
schreiben sei;  vielmehr  suche  ich  ihn  in  dem  Entwickelungszu- 
Stande. 

Der  histologische  Bau'  des  Nervenstrangs  der  Asteriden  ist 
nicht  bei  allen  Arten  ganz  gleichförmig,  sondern  zeigt  kleine 
Verschiedenheiten.  Nur  bei  Asteropecten  sehe  ich  die  auffallend 
knolligen  Wurzeln  der  Querfasem,  aber  bei  allen  sind  dieselben 
nach  ihrem  Ursprung  zu   deutlich  verdickt,   so   besonders   bei 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermeii.  509 

Asteracanthion ;  bei  diesem  erscheineo  aach  die  Durchschnitte  der 
Längsfasem  am  gröbsten  und  am  regelmässigten  geschichtet, 
(Fig.  18).  Bei  Echinaster  sepositus  (Fig.  19)  liegt  die  Schicht  der 
Nervenzellen  von  den  Hautzellen  mehr  gesondert,  besonders  in 
der  Mittellinie;  und  die  Verschiedenheit  beider  ist  augenfällig; 
einzelne  Nervenzellen  kommen  sogar  mitten  in  der  Nervenschicht 
zerstreut  vor  und  treten  besonders  an  zwei  Stellen  neben  der 
Mittellinie  nach  innen  vor,  an  das  Verhalten  der  Ophiuren  erin- 
nernd. Die  Hautschicht  ist  hier  von  allen  mir  bekannten  Arten 
am  breitesten  und  ihr  Bau  am  deutlichsten  zu  erkennen.  Sie 
tritt  an  den  beiden  eben  erwähnten  Stellen  neben  der  Mittellinie 
in  zwei  scharfen  Ecken  nach  innen  vor;  während  die  Nerven- 
zellen rundlich  und  nur  wenig  oval  erscheinen,  sind  die  Hautzellen 
langgezogen  eifbrmig,  mit  der  Spitze  nach  der  Cuticula  gerichtet, 
und  jede  liegt  eingebettet  in  ein  Bündel  der  zarten  Hautfasern 
wie  ein  Eometenkem  in  seiner  Httlle.  Oefters  sieht  man  im 
weitern  Verlauf  des  Bündels  eine  zweite  noch  mehr  langgetsreckte 
Zelle  eingeschlossen.  Kerne  konnte  ich  in  diesen  Hautzellen 
nicht  nachweisen.  Der  Bau  der  Oberhaut,  welche  den  Rücken 
des  Körpers  überzieht,  zeigt  bei  den  einzelnen  Arten  mancherlei, 
wenn  auch  nur  auf  ein  mehr  oder  weniger  hinauslaufende  Eigen- 
thümlichkeiten,  aber  bei  jeder  Art  finden  sich  diese  Besonderheiten 
in  der  den  Nervenstrang  überziehenden  Haut  wieder,  und  gerade 
durch  ihre  Untersuchung  gewinnt  man  die  sichere  Ueberzeugung, 
dass  auch  dieser  mit  Haut  überzogen  ist,  was  ja  von  vorn  herein 
mehr  als  wahrscheinlich  war. 

An  beiden  Seitenrändem  erstreckt  sich  der  Ambulacralnerv 
zackenartig  zwischen  je  zwei  Saugfüsschen  hinein ;  er  läuft  aber 
auch  eine  Strecke  weit  an  der  Innenseite  eines  jeden  derselben 
herab,  wo  die  Nervenschicht  plötzlich  abgeschnitten  aufzu- 
hören scheint,  wahrscheinlich  aber  in  feine  Fasern  zertheilt  bis 
zur  Spitze  der  Füsschen  verläuft,  während  die  Hautschicht  an- 
fangs unverändert,  später  di^  oben  beschriebenen  Modificationen 
erleidend,  weiter  geht.  Auch  das  Vorhandensein  der  beschriebenen 
Hautdrüsen  setzt  ihre  histologische  Bedeutung  ausser  Zweifel,  ent- 
gegen den  Ansichten  von  Hoffmann  und  Greeff,  welche,  da  sie 
Nerven-  und  Hautgewebe  nicht  unterscheiden,  die  ganze  äussere 
Oberfläche  der  Saugfbsschen  von  Nervensubstanz  eingehüllt  sein 
lassen. 

Das  peripherische  Ende  des  Ambulacralnervenstrangs  bildet 
bekanntlich   der  Fühler  mit  dem  Auge.    Er  ist  auch  an  Wein- 

33* 


510  Reinhold  Teuscher, 

».       *  ■  '        • 

geistexemplaren  leicht  za  finden.     Wenn  man   das  ßnde  eines 
Strahles  abschneidet   und   dann  durch  einen  feinen  S^eschmr. 
die  ventralen  von  den  dorsalen  Theilen  so  trennt,  dass  an  ersterer 
nur  ein  Theil  der  Ambulacralplatten  haften  bleibt,   so  kann  mar 
die  Ambulacralrinne  äüseinanderklappen  wie  ein  Buch  und  sieh' 
dann  unmittelbar'  den  Fühler  in  einer  den  letzten  DorsajiplatteL 
angehörigen  Aushöhlung   liegen.     Durch  Einbetten   in  Gtamini- 
glycerin  lassen  sich  dann  leicht  Querschnitte  in  jeder  gewünschten 
Richtung  erhalten.    Ein  solcher  durch   die  Mittellinie  ist  Fig.  2J 
abgebildet.    Man  sieht  das  Auge  (a)  warzenartig  auf  der  Basi5 
des  Fühlers  aufsitzen.    Hinter  der   Cuticula  in   der  Hantschichi 
finden  sich  eine  Reihe  ovaler  halbdurchsichtiger  Körper,  in  einer 
hyalinen  Masse  zahlreiche  Zellen  enthaltend ;  ihre  Zahl  im  ganzen 
Auge  mag  100 — 150  betragen.  Zwischen  ihnen  treten  die  Fasern 
der  Haut  bis   zur  Cuticula  heran.    Dann   folgt  nach   innen  die 
Nervenschicht,   eine    auf   eine  massige   Einschnürung    folgende. 
etwas  verdickte,  aber  sonst  unveränderte  Fortsetzung  des  Ambu- 
lacralnerven ;  die  von  ihm  nach  den  Krystallkörpern  ohne  Zwei- 
fel abgehenden  Fasern  konnte   ich  nicht  er^Lcnnen.    Dann  folgt 
ein  dickes  Polster  der  Bindegewebsschicht  des  Nerven,  und  end- 
lich das  Epithel.    Ebenso  wie  am  Auge  lassen  sich  auch  an  dem 
Fühler  die  drei  Gewebslagen  des  Nervenstrangs  deutlich  erkennen; 
Querschnitte  lehren^  dass  die  eigentliche  Nervensubstanz  nnr  der 
Obei*seite  und  Spitze  des  Fühlers  angehört,  während  die  nach  der 
Spitze    des  Strahls  gerichtete  Seite    den  Bau   der  Saugfüsschen 
zeigt.    Auch  auf  der  Oberseite  ist  die  Nervenschicht  nur   in  der 
Mitte  sehr  dick,  nach  den  Seiten  flacht  sie  sich  rasch  ab.     Der 
Innenseite  der  Bindegewebsschicht  liegen  zahlreiche  Längsiaserc 
auf,  welche  den  Fühler  hin  und  her  bewegen  und  zurückziehes 
können,  wißirend  die  Ausdehnung  desselben   durch  Injection  von 
Flüssigkeit  aus   dem  Nervengefäss  bewirkt  wird,   dessen  Fort- 
setzung seine  Höhle  bildet. 

Der  Bau  des  Nervenmundrings  unterscheidet  sich  in  nichts 
von  dem  des  Ambulacralnerven,  wie  sich  erwarten  liess,  da  der 
ja  aus  fünf  Gömmissuren  besteht,  deren  jede  die  unmittelbare 
Fortsetzung  der  Hälfte  eines  Ambulacralnerven  zu  der  entspre- 
chenden Hälfte  des  benachbarten  Ambulacralnerven  ist. 

Am  Mundrand  setzt  sich  die  äussere  Schicht  der  Körperhaut 
über  döH  ^ervenring  hinweg  in  die  Magenhaut  fort  (mh  Fig.  25) ; 
sie  nimmt  allmählich  an  Dicke  bedeutend  zu,  erscheint  durcl^  zahl- 
reiche Falten  in  Lappen  getheilt,  und  die  über  den  Kervenring  in 


Beiträge  zur  Anatomie  der  ficbinodermen.  511 

einer  oder  wenigen  Reihen  liegenden  Öantzellen  vertheilen  sieb 
dtircB  iure  ganze  Dicke,  nnr  an  de^  Aussen-  und  Innenseite  einq 
Zone  freilassend.  Die  Fasern  zeichnen  sich  in  der  Darmhant. 
viel  bestimmter  und  zeigen  gegen  die  Ober^ächc^  hin^ahlr^iche 
Verbindun^bn  unter  einander.  Unter  dieser  eigentlichen  Hautr, 
schiebt  folgt  eine  Lagie  grober,  lockerer,  meist,  der  Länge  nach 
veilanfender,  vielfach  wellig  Tcrscblnngener  Bindegewebsfasern 
(bs),  deren  Schlingen  regelmässig  in  die  Hautlappen  eintreten. 
Sie  sind  die  Fortsetzung  der  Bindegewebsschicht,  welche  zwi- 
schen dem  äingmuskel  und  deip  Nervengefässring  liegt,  und, 
die  ihrerseits  wieder  nichts  Anderes  ist,  ^Is  die  Fortsetzung  der 
eigentlichen  dicken,  untern  Cutisschicbt  der  allgemeinen  Körper- 
decke. Darauf  folgt  eine  Lage  kreisförmiger  Fasern  (rm),  welche 
anfangs,  dicht  am  Munde,  im  Querschnitt  nur  vereinzelt  er* 
scheinen,  bald  aber  sich  vermehren  und  zu  einer  kräftigen  Schicht 
anschwellen,  welche  die  Oefihung  der  Weichtheile  fest  zu  schliessen 
vermag,  während  der  Bingmuskel  (rms)  die  Skelettheile  nach 
innen  zieht.  Beide  Spinkteren  haben  in  ihrer  Structur  viel  Aehn- 
Hohes.  Wie  bei  dem  Bingmuskel  der  Ealktheile  eine  strahlige 
Fignt  dadurch  entsteht,  dass  zahlreiche  radial  verlaufende  binde- 
gewebige Stränge  keilförmige  Zwischenräume  einschliessen ,  in 
welchen  die  Muskelfasern  verlaufen,  so  gehen  auch  hier  von  der 
oben  beschriebenen  Bindegewebsschicht  hyaline  Stränge  nach  der 
darunter  liegenden  Längsmuskelschicht,  zwischen  denen  schmalen 
Arcaden  ähnliche  Bäume  übrig  bleiben:  in  diesen  verlaufen  die 
Bingmuskelfasem.  Die  Längsmuskeln  bilden  eine  nicht  unbe- 
deutende Lage  paralleler  Fasern;  zulezt,  nach  der  Leibeshöhle 
zu,  folgt  eine  Lagfe  hyalinen  Bindegewebes,  welches,  dicht  an  den 
Bingmuskeln  anliegend,  zwei  bis  drei  Beihen  zarter,  kernfUhrender 
Zellen  enthält,  von  denen  die  Flimmerfäden  der  Oberfläche 
ausgehen. 

Die  Structur  der  einzelnen  Schichten  der  Magenhaut  ist  in 
allen  Theilen  des  Organs  die  gleiche,  nur  werden  dieselben  gegen 
den  Rttcken  zu  sämmtlich  dünner;  nirgends  sehe  ich  Drüssen, 
fttr  welclie  man  die  kleinen  Läppchen  der  Oberhaut  hier  und  bei 
andern  Echinodermen  bisweilen  angesehen  hat.  Ebenso  haben 
die  oberen  Magenanhänge  bei  Asteropecten  denselben  Bau,  wie 
der  übrige  Magen,  und  fähren  keine  Drüsen,  sie  münden  durch 
einen  weiten  und  kurzen  Gang  in  den  Magen.  Dasselbe  gilt  von 
den  radialen  Coecis,  welche,  so  viel  ich  an  diesen  'so  zerbrech- 
lichen Theilen  wahrnehmen  konnte,  ganz  aus  der  in  unzählige 


512  Reinhold  Teoscher, 

Läppchen  zierlich  zusammengefalteten  Magenhant  boBtehen,  und 
offenbar  znr  Anfiiahme  und  Resorption  der  fiflssigen  Producte  der 
Verdauung  bestimmt  sind,  während  der  Magen  deren  yolomin^se 
Besidua  wieder  auswirft. 

Die  Haut  besteht  bei  den  Asteriden  aus  zwei  ttbereinander- 
liegenden,  getrennten  Schichten:  einer  untern^  dickeren,  aus 
starken,  nach  allen  Richtungen  laufenden  Bindegewebs-  imd 
elastischen  Fasern  bestehenden,  welche  den  dicksten  Theil  der 
Körperwand  ausmacht  und  viele  Ealktheile  eingelagert  enthält, 
und  einer  obem,  dttnnern,  von  jener  überall  durch  eine  scharfe 
Linie  getrennten,  welche  auch  die  Ambulacralnerven  übersi^t» 
und  die  ich  bei  diesen  beschrieben  habe. 

Die  ganze  Dicke  der  Rttckenhaut  wird  von  den  bekannten 
Oeffnungen  der  Hautkiemen  durchbohrt,  welche  bei  Asteropeeten 
in  regelmässigen  Querreihen  stehen;  jede  innere  Oeffnung  theilt 
sich  nach  aussen  in  drei,  selten  vier  Ganäle,  deren  jeder  in  eines 
jener  Bläschen  ausläuft.  Ich  gebe  in  Fig.  24  die  Abbildung 
eines  Schnittes  durch  eines  jener  Organe.  Das  bindegewebige, 
zumeist  aus  Längsfasern  bestehende  Gerüst  der  Kieme,  an  der 
Innenseite  der  Eörperwandung  angeheftet,  wird  sowohl  nach 
innen,  als  nach  aussen  von  einer  Oberhautschicht  bekleidet;  an  der 
Aussenseite  ist  letztere  zur  Vergrösserung  der  Oberfläche  in  zahl- 
reiche Falten  gelegt,  in  deren  jede  die  Bindegewebsschicht  hinein- 
ragt An  seiner  Basis  wird  das  Bläschen  durch  eine  faltige 
Membran  auch  an  der  Aussenseite  der  Eörperwand  befestigt,  nnd 
es  ist  leicht  zu  sehen,  dass  die  beiden  Befestigungsmembranen 
dazu  dienen  müssen,  dasselbe  aus  und  einzustülpen,  obgleich  ich 
als  solche  kenntliche  Muskelfasern  in  ihnen  nicht  wahrnehmen 
konnte.  In  der  Oberhaut  des  Rückens  fand  ich  bei  mehrem  der 
untersuchten  Arten  zahlreiche,  aber  ungleich  vertheilte  Hautdrüsen, 
ganz  denen  ähnlich,  welche  auch  an  den  Füsschen  vorkommen. 
Nur  bei  Echinaster  bemerkte  ich  dergleichen  auch  in  der  tiefen 
Cutisschicht,  aber  von  andrer  Beschaffenheit,  auch  viel  grösser 
(0,3—4  M.)  als  jene,  von  Gestalt  kugelig  und  wenig  durchsichtig 
(Fig.  23).  Sie  liegen  frei  in  einer  Höhlung,  nur  am  Ausführungs- 
gang und  an  der  tiefsten  Stelle  durch  einen  dünnen  Strang  be- 
festigt, und  fallen  darum  leicht  aus  den  Schnitten  heraus.  An 
ihrer  Mündung  ist  die  Oberhaut  deprimirt;  der  Ausführungsgang 
ist  eng  und  oylindrisch.  Der  Drüsenkörper  besteht  aus  nahezu 
gleich  grossen  Ballen  grober  Eömer,  die  sich  mehr  oder  weniger 
polyedrisch  gegen  einander  abplatten ;  eigne  Membran  oder  Kerne 


Beitrüge  zar  Anatomie  der  Echinodermen.  513 

konnte  ich  an  den  Ballen  nicht  wahrnehmen.  Diese  Drttsen 
liegen  zahlreich  ttber  alle  Theile  der  Rttckenhant  von  Echinaster 
zerstrent. 

Als  vorliegende  Arbeit  schon  zum  Druck  bereit  lag,  erhielt 
ich  eine  Abhandlung  von  W.  Lange  ttber  Histologie  der  Ambnla- 
cralnerven  der  Ästenden  nnd  Ophiaren  in  6egenbaar^s  morph. 
Jahrb.  11^  2.  Die  darin  ausgesprochenen  Ansichten,  und  noch 
mehr  die  Deutungen,  als  die  Thatsachen,  weichen  von  den 
meinigen  bedeutend  ab,  ohne  jedoch  mich  in  meiner  Anschauungs- 
weise beirren  zu  können.  Die  ganze  Dicke  des  von  mir  und 
Andern  als  Ambulacralnerv  angesprochenen  Bandes,  von  meiner 
„Bindegewebsschicht'^  nach  aussen  hält  Lange  für  Oberhaut;  zum 
Nervenstrang  rechnet  er  nur  das,  was  ich  als  geschichtetes 
Epithel  auf  der  Innenseite  der  Bindegewebsschicht  beschrieben 
habe.  Ich  sehe  diese  Schicht  an  senkrechten  Schnitten  ttberall 
gleich  dick  und  nicht  nach  der  Mitte  convex,  wie  er  sie  zeichnet, 
auch  die  Zellen,  aus  denen  sie  besteht,  in  nichts  von  den  übrigen 
Epithelzellen  des  Nervengefässes  verschieden.  Dabei  kann  ich 
natttriich  nicht  behaupten,  dass  in  der  betreffenden  Schicht  durch- 
aus keine  nervösen  Elemente  vorkommen,  aber  ich  habe  keine 
gesehen.  Der  Vergleich  mit  dem  Bau  des  Nervenstrangs  der 
Holothurien  könnte  es  wohl  vermuthen  lassen,  obgleich  andere 
Echinodermen,  wie  die  Echiniden,  nichts  von  einer  Verdoppelung 
des  Nervenstrangs  zeigen. 

Es  fehlt  aber  dem  Lange^schen  Nerven  ein  ganz  wesentliches 
Erfordemiss  jeden  Nervenstrangs,  nämlich  die  Längsfaserung ;  wie 
sollte  ohne  sie  eine  Leitung  zwischen  Peripherie  und  Centrum  zu 
Stande  kommen?  In  meinem  Nervenstrang  dagegen  finden  sich 
diese  Längsfasem  als  vorwiegendes  Element,  und  Lange  hat  sie 
gesehen;  an  guten  Querschnitten  wttrde  er  sich  auch  ttberzeugt 
haben,  dass  nur  meine  Hautschicht  seitlich  in  die  Körper-  und 
Fttssehenhaut  continuirlich  ttbergeht,  nicht  aber  meine  Nerven- 
schicht, welche  scharf  abgeschnitten  erscheint.  Die  Nervenzellen 
hat  er  nicht  gesehen,  was  ich  nur  aus  zu  grosser  Dicke  seiner 
Schnitte  erklären  kann,  wenn  es  nämlich  erlaubt  ist,  von  dem 
(Fig.  2a)  abgebildeten  auf  die  übrigen  zu  schliessen. 

Am  wenigsten  kann  ich  dem  beistimmen,  was  Lange  ttber  den 
Ophinrennerven  sagt  Die  von  ihm  gesehenen  Oanglienknoten  mit 
ihren  mehr  vermutheten,  als  gesehenen  Längs-  und  Quercommis- 
suren  sind  sicherlich  nichts,  als  die  abgerissenen  oder  abge- 
schnittenen Ursprünge  der  nach  oben  in  die  Wirbel  eintretenden 


514  Beinliold.TeuiGher, 

Ii&m»i  dereo  eine»  idU  (Jaa«  Zetts^far.  filr76>  3,  Taf»  VIH«.  Fig.  II) 
im.  Qperpchnitt  a]^€Mld0ti  habe«    Di«  Umpruiigfigt^Uett'  sisdf  sehr 
dick,  am  meisten  gegen  den  Discns  zn,  und  enthalten  auch  eioigo 
zeitige  Elemente,  aber-  nicht  zabbralch^»  aU  maa  >  sie  anderwärts 
findet,  und  nicht  reichUoh  genug,  um  von  Ganglienknetetv  8|ireelieii 
zn  könneiju    Von  Gornrnjissoren.  sehe  iok  nichts.    Den  eigmitlieheii 
Nervenstrang  der  Ophiaren>  welcher,  wie  ich  nachgewieseiv  ibb 
wesentlichen  ans  Längsfasem  und  peripherisch  liegenden  Z^en 
besteht,  wie  bei  allen  Ili^inodenneiv  erklärt  Lange,  um  eine  Ueber^ 
einstimmnng  mit  seinea  Ansichten,  über  die  Ästenden  zui  erzielte^ 
für  dnen  Hantstreifen,  der  nur  seinem  Nerven  als  Unterlage  dte&e^ 
indem,  er  eine  von   Greeft   ausgesproobene  HypiotheBe/  anftükrt^ 
woQach  durch  Ueberwachsung   der  offnen  Ambulacndriniie'  der 
Ästenden  mit  Haut  der  bei  gewissen  Echinodermen  (QphMQCieo, 
Echinen)  vorkommende  nach  aussen  vom  Nerven  gelegene.  Gef&e»* 
canal  entstanden  sei.    Diese  Hypothese,  hat  einen  guten  Sinn^  so 
lange  man  mit  Greeff  annimmt,  dass   der  Asteridennenr  gßsa 
nackt^  nur  von  Cuticula  bedeckt,  in  der  Ambulacralrinne*  liege; 
wenn  er  aber  eine  dicke  Hautschicht  über  sieh'  hat,  wie<  Lange 
angibt,   so  kann   niemals   eine  Ueberwachsung  mit  einer  neae« 
Hautschicht  mit  Offenbleiben  eines  Ganais  Statt  finden,  sondern 
nur  eine  Verdickung  der  vorhandenen  Haut;  die  Kalkthale  sind 
ja  nur  Hautelemente.    Und  wie  könnte  ein  Hautstreifen  seitliefa 
durch  einen  solchen  Process  seiner  ganzen  Länge  nach  aus  d^ 
Gontinuität  mit  der  ttbrigien. Haut, abgetrennt  werden,  so' das»  nur 
die  zarten  Sträng^  übrig  blieben,  welche  zu  den  Fttsscdienf  treten 
(welche  Lange  gesehen  hat),,  und  deren  Nervenstrüage  bilden. 
Die   von    unserem  Nerven  abgehenden  und  in  die  Wirbekinne 
tretenden  Zweige  erwähnt  Lange  nicht. 

In. einem  Punkt  bin  ich  sehr  geneigt,  sein^  Ansicht  beizn-* 
treten,  nämlich  darin, ,  dass  er  den  üba-  dem  Nenrenbande  der 
Ophiurßn  liegenden  runden  Strang,  den  ich  dem  Nerven  zuireohnAt^ 
für  ein  Gefäss  ei^klärt.  Durch  direote  Beobachtung  r  wird  kamn 
volle  Gewissheit  über  seine  Bedeutung  zu  erlangen  seia^  aber,  es 
liegt  nahe,  in  ihm  das  Homologon  der  von  mir  bei  den  Asteriden : 
gefundenen  Centralneirvengefässe  zu  vermuthen^ 


Beiträge  zur.  AttaAoiOäie'deif  Bdiinodermeii.  5|5 


ErklKrang.der  Abtilldiuigeiu 

Taf.  XVIir. 

Fig.  1.  QuevteUiff  eines  •  StraUe»  von  Astev^peoteii'  atinMiaoi».  ap  Am- 
bolflcr*l|>laMti,- iap  Intteambiilaeralplitte,  orp  oWe  Raiidplatte,  nrp 
untere  Randplatte,  sf  SsagfÜBich^ii,  agr  Ambül&cMgeAbi,  ng  Nerven- 
gtfte}-  amp-  AmpaUa- 

Fig.  2.  Längsschnitt  neben  der  Mittellinie  diSurohr  den  Aflfa^  eines  Strahls, 
bb  zam  Mnod;  Ton  demei,  mh'  Magenhabt,-  ngr  Nim engef ässring, 
nbr  Nertenkanmeiringf  nk  Nerirengefääikainnfeni,  qg  Qiierseptani, 
ac  Ambi^eriücanal,  ar  Ambulacralgefäsaring,  rtn  Ringtnnskel  des 
Mondes,  aam'  ontsre-AmbalacFalniuskel,  oam  obere  Anibalacralm., 
gf  Gelenkflächen. 

Fig»    3.    Steineanalf  Qüenohnitfc,  von  dems. 

FiC^  4.  MadMpttrenpiatte  und  Anfang  des  6teinotfttals,  raflia)  and  senkrecht 
durch  die  Mitte,  sc  Höhle  des-  sefalanchförmigen'  Canals',  welche 
nnui  mit  dev  Ganälen  der  Madreporenplatte  und  des  Sfeincanals 
communicirenf  slilht. 

Fig.  5.  HornotttolscfaM  durch  die  Mitie-  de§  SteinclinftlB  mit  Umgebung, 
sc  BoUwidifti»niiger  Canal^  sk  Steincanal,  hx  Hett,  sb  sichelförmige 
Bänden* 

Fig»i  6.  Theili  eines  Qvenchnitts  daroh  ein  BaogfUsscJlran'vün  A^teropeoten. 
cu  CatiöuhS'hz  HftatMlen,  bs  Hantschioht,  bs  Bihdegewebsschicht, 
iqs  innere,  aqs  äussere  Bindegew<i^<)aen^elMcht,  Is'dito  IjäHgsschicht, 
bl  Bindegewebslücke,  ms  Muskelschicht,  ep  Epithelium. 

Fig.  7.  Längsschnitt  durch  die  Spitze  eines  Saugfiisschens  von  dems.  hs 
Hautschicht,  bs  Bindegewebsschicht,  gegen  die  Spitze  fast  nur  von 
Längsfasem  gebildet  und  den  Stoff  zum  Bindegewebsring,  br,  ab- 
gebend. 

Fig.  8.  Dasselbe  von  Ophidiaster  ophidianus.  Die  drei  Schichten  wie  in 
Fig.  7,  ks  Kalkspiculae. 

Fig.  9.  Querschnitt  des  Ambulacrums  von  Asteropecten  zwischen  zwei  untern 
Ambulacralmuskeln,  ag  Ambulacralgefäss,  ngk  Nervengefässkammem, 
hb  horizontale  Blätter,  eng  Centralnervengefäss,  nst  Nervenstrang« 

Fig.  1 0.  Dasselbe  von  demselben,  durch  einen  untern  Ambulacralmuskel.  Die 
Buchstaben  wie  in  Fig.  9,  uam  unterer  Ambulacralm ,  dag  Divertikel 
des  Ambnlaoralgefässes. 

Fig.  11  u.  12.    Dieselbe  Darstellung  von  Echinaster  sepositus. 

Fig.  13  u.  U.    Dasselbe  von  Asteracanthion  rubens. 

Taf.  XIX. 

Fig.  15.  Nervengefäss  und  Nervengefässring  bei  Asteropecten,  von  der  Ven- 
tralseite nach  Wegnahme  des  Nerven,  ngr  Nervengefässring,  ngkr 
Nervcngefäsflk.'immerring,  rm  Ringmuskel,  sf  Saugfüsschen,  hb  hori- 


516  Bttnhold  Tetueher, 

zontale  Blätter,  nam  unterer  Ambolacralmoskel,  qs  Qaerseptum,  asg 

äussere  Seitengefässe,  yg  Verbindungsgefäss,  isg  inneres  Seitengefass, 

eng  Centralnervengefäss,  Is  Längsseptum. 
Fig.  16.    Badialschnitt  durch  die  Mundecke  bei  Asteropecten,  Ejinmändangs- 

stelle  des  Steincanals  und  des  schlauchförmigen  Canals,    me  Mand- 

ecke,  rm  Ringmuskel,  mh  Mundhaut,  sc  schlauchförmiger  Canal,  hz 

Herz,  Stk  Steincanal,  ar  Ambulacralgefässring,  nr  Nenrenring,  ngkr 

Nervengefässkammerring,  ngr  Nervengefässring. 
Fig.  17.    Längsschnitt  durch  den  Ambulacralnenren  von  Asteropecten  aur.  — 

hs  Hautschicht,  ns  Nervenschicht,  nz  Nervenzellen,  bws  Bindegewebs- 

Schicht,  wqf  Wurzeln  der  Querfasem. 
Fig.  18.    Querschnitt  durch  den  Ambulacralnenren  von  Asteracanthion  rubens. 

Buchstaben  wie  Fig.  17. 
Fig.  19.    Dasselbe  von  Echinaster  sepositus.    Is  Längsseptum. 
Fig.  20.    Längsschnitt  durch  den  Ambulacralnerven  von  Comatula    mediter- 

ranea,  von  der  Kelchdecke.    Buchstaben  wie  oben. 
Fig.  21.    Querschnitt  durch  den  Ambulacralnerven  von  Ophiolepis  ciliata.    w 

oberer  Strang,  qf  Querfasern. 
Fig.  22.    Senkrechter  Längsschnitt  durch  Fühler  und  Auge  von  Asteropecten. 

a  Auge,  f  Fühler,  ns  Ambulacralnerv,  kk  Krystallkörper,    n  Nerv, 

bp  bindegewebiges  Polster. 
Fig.  23.    Hautdruse  aus  der  Rückenhaut  des  Strahls  von  Echinaster  sep.  — 

ohs  obere  Hautschicht,  uhs  untere  Hautschicht. 
Fig.  24.    Hautkieme  von  Asteropecten.     hk  Höhle  der  Kieme,  ah   äussere 

Hautschicht,  ih  innere,  ab  äussere,  ib  innere  Befestigung. 
Fig.  25.    Radialschnitt  durch  den  Mundrand  von  Asteropecten«    nr  Nerven- 
ring, ngkr  Nervengefässkammerring,  ngr  Nervengefässring,  rms  Bing- 

muskel  des  Skeletts,  rmm  Ringmuskel  des  Magens,  Im  Längsmoskel, 

ep  Epithel,  mh  Magenhaut. 


Beiträge  zur  Amitomie  der  Eohinodermen.  517 


IV.   Echinidae. 

1.  Echinns. 

Das  Material  zur  Untersnchang  der  Echiniden  —  eine  Anzahl 
ziemlich  wohl  erhaltener  Echinns  escnlentos  nnd  Spatangns  meri- 
dionalis  —  verdanke  ich  der  Freigebigkeit  des  H.  Prof.  Haeckel; 
dem  ich  anch  für  seinen  werthvollen  und  freundlichen  Rath  and 
sonstige  Hülfe  vielen  Dank  schulde.  Ausserdem  benutzte  ich  zum 
Vergleich  einige  andere  Arten. 

Die  Untersuchung  dieser  Abtheilung  der  Echinodermen  ist 
besonders  schwierig^  und  nur  den  verbesserten  Methoden  unserer 
Zeit  verdanke  ich  es^  wenn  es  mir  gelungen  sein  sollte^  den  von 
Tiedemann,  Valentin,  Müller,  Hoflmann  und  Agassiz  erhaltenen 
Resultaten  noch  Einiges  hinzuzufügen.  Ich  setze  die  Ergebnisse 
ihrer  Forschungen  als  bekannt  voraus,  und  werde  nur  auf  die- 
selben zurückkommen,  wo  ich  etwa  von  ihnen  abweichen  oder  sie 
genauer  präcisiren  zu  müssen  glaube. 

Um  einen  Seeigel  mit  möglichster  Schonung  seiner  innem 
Theile  zu  öfben,  mache  man  den  Cirkelschnitt  innerhalb  des  An- 
satzes der  untern  Darmwindung,  also  nicht  zu  entfernt  vom  Mund, 
und  durchschneide  den  Oesophagus  nahe  über  der  Laterne.  Wenn 
man  dann  in  die  abgeschnittene  Wölbung  hineinsieht,  erblickt 
man  den  Oesophagus,  wie  er  nach  dem  Anus  hinaufläuft,  wo  er 
sich  befestigt  (meine  Bezeichnung  von  oben  und  unten  bezieht 
sich  auf  die  nattlrliche  Stellung  des  Thieres  mit  dem  After  nach 
oben),  von  da  kehrt  er  nach  unten  zurück,  um  in  den  Anfang 
der  ersten  Darmwindung  einzutreten.  Diese  Darmwindung  läuft 
im  Innem  der  ganzen  Schale  herum,  bis  zurück  zum  Anfang, 
worauf  sie  in  einer  kurzen  Biegung  umkehrt  und  oberhalb  der 
untern  Windung  eine  zweite,  ihr  parallele,  rückläufige  beschreibt, 
welche  dann   in   das  Rectum  übergeht    Der  Umkehrpunkt  der 


518  Belnholcl  TetUieher, 

Darmwindimgeii  liegt  in  demjenigen  Interradins,    i^elcher    die 
Madreporenplatte  enthält. 

Die  ganze  Länge  des  Darms   wird  von  zwei  Blutgefässen 
begleitet,  nnd  zwar  länft  das  stärkere  derselben  an  der   innereUf 
freien  Seite  des  Darms  entlang;  einen  platten,  bandartigen  Vor- 
sprang bildend ;  das  andere,  viel  schwächere;  zieht  sich  an  dessen 
angehefteter  Seite  hin,  an  der  Stelle,  wo  das  Mesenterium  sich 
an  den  Darm  heftet.    Tiedemann  bat  tOr  diese  beiden  Gefässe 
die  Namen  Darmarterie  nnd  Darmvene   eingeführt,  welche    bei 
nnsrer  so  geringen  Eenntnissvon  derCircalation  der  Echinodermen 
jedenfalls  unpassend  ist     Die  einzig  richtige  Bezeichnung:  scheint 
mir  die  von  Kttcken-  und  Baudigefäss,   welche  ich  nach  Hoff- 
mann's  Vorgang  adoptire,  wie  sie  ja  anch  schon  von  Sem  per  fttr 
die  Holothnrien  eingeftlhrt  worden  ist ;  nnd  zwar  nenne  ich  Baach- 
gefäss  das  an  der  freien,  Rttckengefäss  das  an  der  angehefteten, 
der  Schale  zugewendeten  Darmseite  befindliche  Oefäss. 

Das  Banchgefäss  (bg,  Fig.  1)  steigt,  an  den  Oesopha^ii  an- 
geheftet, mit  ihm  von  der  Laterne'  nach  oben  und  danh  wieder 
abwärts,  erweitert  sich  vom  Eintritt  desselben  in  den  Öarni  an 
sehr  schnell  bis  zu  1  Mm.  und  etwas  darttber;  in  dielier  Dicke 
läuft  es  an  der  freien  Seite  der  ersten  Darmwindung  hin^   von 
deren  letztem  Drittel  an  es  sich  allmählich  wieder  verengt.     Die 
obere  Dairmwindung^  und  den  Mastdarm  begleitet  es  unglsfähr  in 
der  gleichen  Dicke,  die  es  am  Oesophagus  hatte.    Die  Wände 
sind  dick,  bestehen  aus  Bindegewebe  mit'PigmentkOmem,  vielen 
Bing-  und  wenigen  Längsfasem,  ttbbr  deren  histologische  Natur 
ich  nicht  zu  entscheiden  wage.    Das  Lumen  dieses,   sowie   der 
andern  Blut^fässe  der  Echined  findet  sieh  bei  Spirituseiemplaren 
von*  einem  sihr  consistenten,  gelblich  weissen  Congülum  erfüllt; 
wfeldicrs  durch  seine  Farbe  die  Gefässe  äusserlich  kenntlidh  macht, 
aber  Injectionen  sdhr  hinderlich  ist.    Dagegen  dttrfken  wegen  der 
Wdte '  ihrer  Lumina  und  der  ConUsten^  ihrer  Wanduügen   die 
Oefässe  friäibher  Echinen  sehr  leicht  zu  injibiren  sdn.    So  musste 
ich   mi6h  darauf  beschränken ,  die  feineren   Blutgefässe  durch 
dtinne  Quelschnitte  zu  verfolgen,  was  sicher  genu^,  aber  mflhsam 
ist.    Das  Rttckengefäss  läuft  längs  defr  angehefteten  Datmstite 
dieht  an  dein'  befestigenden  Mesenterium  hin.    Eiiie  starke  Er- 
weiterung desselben  in  der  Mitte,'  wie  angegeben  wird,  habe  ich 
nicht  wahmehmBn  können;  sein  Luttie}i  ist  eng  und  überall  un- 
gefähr gleich.    Hat  man'  dks  Thier  mit  der  oben  angegebenen 
Vonicfat'gfOlfoet,  so  dtos  der  kni&tz  Afk  Mesenteriums  der  unteiii 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Eohinodermea.  519 

P^rmi^dxmg  an  die  Schale  imyerletzt  ist^  so  bemerkt  man,  wenn 
man  die  Schalenöffhung  nach  oben  kehrt,  einen  längs  iles  grössten 
Theilfl  der  untern  Darmwindnng  frei  herabhängenden  ihr  parallelen 
Strang  (rg^,  Fig.  1);  welcher  durch  zahlreiche  Fäden  mit  dem  be- 
treffenden Tbeil  des  Rttckengefässes  in  Verbindung  steht;  derselbe 
weist  sich  als  ein  zweites,  frei  in  die  Leibeshohle  herabhängendes 
Kttckengetäss  aus,  mit  dem  eigentlichen  durch  zahlreiche  Anasto- 
mosen communicirend  und  etwas  weiter»  als  dasselbe.  Wir  finden 
hier  also  eine  Anbahnung  zu  den  wunderlichen  CirculationsTcr- 
hältnissen  der  meisten  Holothurien,  wo  die  complicirten  Anasto- 
mosen des  Rttckengefässes  eine  Art  Wundemetz  bilden.  Dass  der 
betreffeende  Strang  ein  Qefäss  und  die  Verbindungsfäden  Anasto- 
mosen desselben  mit  dem  Rttckengefäss  sind,  lässt  sich  durch 
Querschnitte  leicht  nachweisen;  dass  noch  kein  Beobachter  das 
so  anfEäUige  Verhältniss  bemerkt  hat,  liegt  wohl  an  der  gewöhn- 
lichen Art,  die  Thiere  nahe  der  Mitte  zu  offnen. 

In  Fig.  2  habe  ich  die  Umgebung  des  Afters  von  der  Innen- 
seite dargestellt.  Den  von  Tiedemann  gefundenen  Analring  konnte 
ich  nicht  erkennen,  doch  bin  ich  von  der  Anwesenheit  eines 
solchen  überzeugt,  weil  wenigstens  das  Ventralgefäss  des  Rectums 
in  gleichbleibender  Stärke  bis  an  den  Ansatz  des  Rectums  ver- 
läuft, und  es  nicht  wahrscheinlich  ist,  dass  es  dort  plötzlich  blind 
endigt  Wir  sehen  in  der  Figur  zwischen  den  fünf  Genitalplatten 
den  Ansatz  des  Rectums  (md)  und  der  andern  von  da  ent- 
q)ringeQden  Theile,  Das  Dorsalgefäss  des  Rectums  ist  äusserst 
fein  und  scheint  mir  sich  allmählich  zu  zertheilen,  ehe  es  den. 
Ansatz  desselben  erreicht.  Rechts  liegt  der  Oesophagus  (oes) 
durch  eine  Mesenterialplatte  (mp)  befestigt ;  sein  oberer  Theil  (zm) 
fuhrt  zur  Laterne,  der  untere  (zd)  zum  Darm.  An  der  Dorsalseite 
des  letzteren  Stückes  (zd)  läuft  das  enge  Dorsalgefäss  und  geht 
von  ihm  in  den  Rand  des  befestigenden  Mesenteriums  über,  theilt 
sich  aber  darin  bald  in  viele  sehr  feine  Zweige  und  erreicht  den 
Analring  sicher  nicht.  An  der  Dorsalseite  des  zum  Mund  fahrenden 
Oesophagusstückes  (zm)  verläuft  zunächst  der  Steincanal  (stk), 
von  der  Madreporenplatte  (mp)  kommend,  und  an  dem  oberen 
Rande  (in  der  Figur)  der  schon  erwähnten  Mesenterialplatte  be- 
festigt Zwischen  ihm  und  dem  Oesophagus  liegt  das  sogenannte 
Herz  (hz)  mit  einem  sehr  feinen  Faden,  wie  mir  scheint,  bis  zum 
An^Qg  reichend«  Dieses  Organ  ist  vielfach  beschrieben.  Bei 
Ecbinen  mit  abgeplatteter  Schale,  deren  Laterne  fast  bis  zum  Anus 
reicht,  bleibt  es  meist  beim  Oeffnen  an  der  Laterne  hängen,  so 


520  Beinhold  TeoBclier, 

wie  68  Tiedemann  gezeichnet  hat;  bei  Thieren   aber   mit  stark 
convexer  Schale,  wie  Echinus  melos  und  esculentus,  überzeuget  man 
sich  leicht,  dasB  sein  eigentlicher  Platz  in  der  Nähe  des  Afters 
ist,  von  welchem  sein  spitzes  Ende  nnr  wenig  absteht.     Fig.  4 
stellt  einen  Querschnitt  desselben  dar.   Es  wird  durch  eine  dünne, 
häutige  Platte  längs  des  Oesophagus  befestigt  und    besteht    aus 
einem  wenig   durchsichtigen  Gewebe,   einige  feine  Fasern    ent- 
haltend, die  an  den  Enden  zahlreicher  werden  und  über   deren 
histologische   Natur  ich   nicht   klar  geworden  bin;    dazwischen 
liegen  zahlreiche  Pi^enthaufen,  einzelne  Zellen,  viele  nicht  näher 
zu  charakterisirende  Kömer,  das  Ganze  in  eine  granulöse  Substanz 
eingebettet.    Hier  und  da  bemerkt  man  in  seinem  Innern  einige 
unregelmässige  Spalten,  nirgends  aber  eine  grössere  Höhle.    Diese 
Spalten  (drs)  mttssen  wohl  als  zum  Bttckengefäss  gehörend  be- 
trachtet werden.    Den  Verlauf  des  Steincanals  am  Herzen  herab 
sieht  man  in  der  Figur. 

Zwischen  dem  Herzen  und  der  Laterne  bemerkt  man  wieder 
ein,  auch  zwei  sehr  enge  Gefässe  ^cht  neben  dem  Steincanal  am 
Oesophagus  herablaufend.    Dass  ein  Organ  von  dem  angegebenen 
Baue,  in  ein  äusserst  feines  Gefäss  eingeschaltet,  auf  die  Be- 
förderung des  Blutkreislaufs  keinen  wesentlichen  Einfluss  aiisttben 
könne,  leuchtet  ein,  und  ich  glaube,  dass  es,  wie  das  Herz  der 
Asteriden,  dem  es  sicher  homolog  ist,  für  die  Functionen  des  er- 
wachsenen Thieres   ohne  Bedeutung  ist  und   ein  Ueberbleibsei 
entweder  aus  der  Jngendentwicklung  des  Thieres,  oder  ans  der 
Entwicklung  seiner  Vorfahren  darstellt. 

An  der  Oberfläche  der  Laterne  angekommen,  treten  nun  beide 
Gefässe,  das  stärkere  Bauchgefäss  mit  Sicherheit,  das  sehr  enge, 
den  Steincanal  begleitende  Bttckengefäss,  wie  mir  scheint,  eben- 
falls, in  den  Blutgefässring  ein.  Irrthümer  sind  hier  leicht  mög- 
lich bei  der  Kleinheit  und  (in  nicht  injicirtem  Zustand)  schlechten 
Erkennbarkeit  der  Theile.  Der  platte  Blutgefässring  umgibt 
den  Oesophagus,  ohne  ihm  unmittelbar  anzuliegen,  und  findet  sich 
überall  an  die  durchsichtige,  die  Laterne  umhtlllende  Haut  an- 
geheftet. Obgleich  durch  Coagulum  weisslich  gefärbt,  erscheinen 
doch  seine  Grenzen  est  dann  deutlich,  wenn  der  unmittelbar  unter 
ihm  liegende  Wassergefässring  farbig  injicirt  wird,  da  er  diesen 
nicht  an  allen  Punkten  deckt. 

In  einem  Versuch,  dem  er  aber  selbst  geringen  Werth  bei- 
zulegen scheint,  bemerkte  Hofimann,  dass  bei  Injection  des  Wasser- 
gefässringes  der  Farbstoff  in  das  Bauchgefäss  übertrat;  nnr  ist 


Beitrüge  zar  Anatomie  der  Echinodermen.  521 

niemals  gelongea;  die  Lösung  der  Frage  muss  künftigen 
Yersnehen  an  frischen  Thieren  vorbehalten  bleiben« 

Den  Abgang  von  Gelassen  aus  dem  Blnt-Schlnndring  nach 
dem  Mnnde  zu  habe  ich  nicht  direct  beobachten  kOnnen.    Be- 
trachtet man  jedoch  einen  Querschnitt  des  Pharynx  (des  innerhalb 
der  Laterne  verlaufenden  Theiles  des  Verdauungscanals)  (Fig.  5)^ 
so  sieht  man  ihm  äusserlich  fest  angeheftet  fbnf  starke  binde- 
gewebige  Leisten  (bl),  welche^  von  den  fQnf  Mundzacken,  wo  sie 
am  dicksten  sind,  entspringend,  längs  des  ganzen  Pharynx^  sich 
allmählich  verdttnnendi  in  die  Höhe  laufen  und  nebst  den  fttnf 
innem  bindegewebigen  Leisten,  welche  die  Darmhaut  tragen,  ihm 
einen  ziemlichen  Grad  von  Steifigkeit  verleihen«    An  den  freien 
Rändern  jeder  äusseren  Leiste  läuft  jederseits  ein  Ligament  ent- 
lang (s),  welches,  nach  oben  frei  werdend,  sich  an  eine  Ecke 
eines  der  die  Zwischenpyramidenräume  deckenden  viereckigen 
Kalkstttcke  ansetzt;  zwischen  je  zweien  dieser  Ligamente,   auf 
der  Mitte  jeder  Leiste,  erscheint  an  jeder  derselben  eine  Gefäss-- 
Öffnung  (bg).  Nach  meiner  Ueberzeugung  gehören  diese  Oefihungen 
fünf  Blutgefässen  an,  welche  nur.  aus  dem  Blutgefässring  ent- 
springen können.    Nach  unten  (Fig.  6)  sieht  man  diese  Gefässe 
sich  von  der  Wand  des  Pharynx  entfernen,  um  über  den  an  der 
Mundbasis  liegenden  Nervenring  (nr)  (wovon  unten)  hinwegzu* 
treten.    Dabei  dehnen  sie  sich  in  die  Breite,  und  ihre  Ränder, 
welche  etwas  weisslicher  erscheinen,  als  die  Mitte,  scheinen  mir 
die  fttnf  Paar  Ligamente  darzustellen,  von  denen  Krohn  bei  der 
Besehreibung  des  Nervenringes  spricht. 

Den  weitem  Verlauf  der  Blutgefässe  erkennt  man  am  besten 
an  einem  Querschnitt  der  Ambulacra  (Fig.  7).  Die  Echinen  be- 
sitzen nämlich,  so  gut  wie  alle  übrigen  Echinodermenfamilien, 
ein  Nervengefäss,  d.  h.  ein  die  ganze  Länge  des  Ambulacral- 
nerven  begleitendes  Blutgefäss,  wie  schon  Greeff  behauptet,  wenn 
auch  nicht  nachgewiesen  hat,  uud  zwar  finden  wir  es  hier  an- 
geordnet wie  bei  den  Ophiuren.  Das  Gefäss  umspttlt  den  Nerven 
beiderseitig,  nicht  blos  auf  der  Innenseite,  wie  bei  Asteriden, 
Grinoiden  und  Holothurien. 

Die  Ambulacralgefässe  und  Nerven  der  Echinen  verlaufen  be- 
kanntlich auf  einer  etwas  hervorragenden  Längslinie  des  Innem  der 
Schale,  welche  sich  vom  Mund  bis  in  die  Nähe  des  Afters  er- 
streckt Gerade  längs  der  Firste  dieser  Leiste  heftet  sich  an  die 
die  Schale  innerlich  auskleidende  und  an  sie  durch  zahlreiche 
Fasern  befestigte  Membran  in  nur  geringer  Breite  die  Gesammt- 


622  fieiBliold  Teofloher, 

heit  der  ambvlacnden  RObr^i  «ammt  dem  NenFea  an,    and  Sire 
Seitenzweige  za  den  Ampallen  spaDnen  isich  Aber  «ine  Ai*t  Bohl- 
ranm  hinweg,  der  mit   dem  Innern  der  Schale   in  Verbindang 
steht,  wie  die  Figar  zeigt.    Das  Nervengefitos  wird   durch  eine 
Scheidewand  in  ein  äasseree  und  inneres  getheilt,  an  deren  Anssen- 
fläche   der  Nervenstrang  befestigt  ist;   mit  den  Seitenft€iteii  des 
Nerven  und  des  Ambnlaordgefässes  gehen  auch  ans  dem  Nerv  en* 
gefäss  Zweige  nach  den  Ampnllen  and  Fttsschen   ab.     An   deo 
Abgangsstelien  fehlt  die  Scheidewand,  wodnrch  die  Binlieit  der 
beiden  Abtheiinngen  des  Kerv^engefksses  hergestellt   wird,      ßei 
den  Ästenden  und  Ophinren,  nnd  wie  wir  später  sehen  werden, 
anch  bei  den  Spatangen  und  Hoiothurien  mttnden  nnn   die   fBof 
Nervengeflli^iie  direot  in  einen  Ring,  welcher  dem  Nervensehlnnd- 
ring  anmittelbar  anliegt;   bei  Ästenden  and  Ophiaren  kat   man 
spärliche  Eingeweide-Blatgefilsse  aas  die$em  Ring  aastreten  sehen, 
währen^  von  Darmblatgef&ssen  bei  ihnen  nichts  sicheres  bekannt 
ist;  Tiedemann,  dessen  Untersachnngen   in  diesem  Punkt   noch 
keine  Bestätigang  geianden  haben,  leitet  sie  überdies  ans  dem 
Analring  her.    Das    hochentwickelte   Darmblatgefässsystem     der 
Hoiothurien  aber  steht  nachweisUch  mit  dem  NerrengefösBring  in 
keinem  Zusammenhang,  während  bei  Spatangus,  wie  wir   sehen 
werden,  ein  solcher  sehr  wahrscheinlidi  ist.    Wir  halten  also  bei 
Bchinus  eine  höchst  auffallige  Abweichung  von  dem,  was  in  der 
ganzen  übrigen  Familie  vorkommt:  bei  ihnen  würde  ein  mit  dem 
Nervengefäss  verbundener  Blntcanal  um  den  Nerv^ving   fetleüf 
dagegen  würden  jene  Blutbahnen  in  unraittelbarem  Zusammen- 
hang mit  einem  höher  am  Oesophagus  liegenden  BlutgefiissriDg 
und  durch  ihn  mit  der  Darmcirculati<m  stehen.  Es  bleibt  künftigen 
Beobachtern,  welche  frisches  Material  untersuchen  können,   vor- 
behalten, diese  Zweifel  zu  lösen. 

Wir  kommen  nun  zum  Wassergefässsystem  der  Echinen.    Der 
Steincanal  (stk,  Fig.  2  u.  3)  entspringt  von  der  Madreporenplatte 
und  steigt  von  ihr  fast  geradlinig  an  der  Dorsalseite  des  Oeso- 
phagus neben  dem  Herzen  zur  Laterne   herab,   wo  ei  in  den 
Wassergefässschlundring  einmündet.    Er  wird  gebildet  dnirch  ein 
bindegewebiges  Bohr,  bei  voHwüchsigem  Eohinus  eseulentns  nicht 
über  Vi  ^^*  ii^  Durchmesser,  welches  keine  Kalkeinlagerungeny 
nur  wenige  Zellen  und  Fasern,  aber  vMe  kömige  Gebilde  eat- 
hält,  zumal  Pi^entiiaufen.     Das  Innere   ist  ausgekleidet  von 
einer  hyalinen,  sich  leicht  ablösenden  Schicht,  welche  zahlreiche 
kleine  mit  Hämatoxylin^  sieh  lei^t  färbende  Zellen  enthält;  also 


Beitrage  znv  Anatomie  der  Echinodermen.  523 

durch  ein  mehrschichtiges  Epithel,  welches  im  Leben  flimmert. 
Die  äussere  Oberfläche  trägt  ein  einfaches  Flimmerepithel.  An 
der  Oberfläche  der  Laterne  angekommen  tritt  der  Steincanal  in 
den  oben  erwähnten  Ambnlacralring  ein,  ein  fUnfeckiges,  plattes 
und  nicht  sehr  breites  Gefäss,  welches  am  leichtesten  an  den 
Ecken  zu  erkennen  ist^  in  welchen  die  Poli'schen  Blasen  ent- 
springen (Fig.  3).  Auch  der  Steincanal  mündet  in  eine  solche 
Ecke.  Am  besten  sieht  man  das  RinggefUss  nach  Injection,  welche 
mir  auf  doppelte  Weise  gelang:  entweder  durch  eines  der  aus- 
gerissenen Mundfttsschen,  oder  leichter  und  besser  in  das  radiale 
Ambulacralgefäss  selbst,  und  zwar  kurz  nachdem  es  aus  dem 
Auricularfortsatz  ausgetreten  ist^  wo  sein  Lumen  mehr  als  genügt 
Nachdem  man  das  Gefäss  gespalten,  fuhrt  man  die  Canule  ein 
und  comprimirt  dann,  um  den  Rücktritt  der  Flüssigkeit  zu  ver- 
hindern, mit  einem  etwas  steifen  Pinsel  die  Weichtheile  gegen 
die  Canüle  und  die  Ealkschale.  So  injicirt  man  leicht  das  Ring- 
getäsB,  die  Poli'schen  Blasen,  die  vier  andern  ambulacralen  Wasser- 
gefässe  und  auch  den  Steincanal. 

Zwischen  je  zweien  der  fünf  Bogenstücke  auf  der  Oberseite 
der  Laterne  (bs  Fig.  3)  sieht  man  ein  plattes,  weissliches  Gebilde 
mit  abgerundeten  Seiten  (Pb)  überall  fest  an  die  die  Laterne  um- 
kleidende Membran  geheftet,  mit  breitem  Stiel  in  den  Ringcanal 
münden :  dies  sind  die  fünf  Poli'schen  Blasen ,  wie  sie  sich  bei 
Valentin  gut  abgebildet  finden.  An  gut  injicirten  Exemplaren  sieht 
man,  dass  nicht  das  ganze  Organ  sich  füllt,  sondern  nur  vom  Stiel 
aus  zwei  bis  drei  enge  Canäle  Farbstoff  einlassen,  welche  sich 
sehr  fein  baumartig  verästeln,  aber  ohne  die  Peripherie  zu  er- 
reichen (Fig.  3).  Die  letztere  erscheint  ausserdem  etwas  verdickt 
und  zeigt  ein  gelblich- weisses,  mattes  Ansehn,  ganz  ähnlich  den 
Goagula  enthaltenden  Blutgefässen.  Auf  Durchschnitten  sieht  man 
ausser  den  feinen  Canälen  die  sehr  stark  verdickten  Wände,  ge- 
bildet aus  einem  Gewebe,  welches  dem  des  Herzens  sehr  ähnlich 
ist :  in  einer  feinkörnigen  Grundsubstanz  erscheinen  einzelne  Fasern, 
Kömer,  Pigmenthaufen.  Soviel  ist  klar,  dass  bei  der  Kleinheit 
ihrer  Höhlung  und  der  geringen  Dehnbarkeit  ihrer  Wände  die 
Poli'schen  Blasen  der  Echinen  nicht  im  Stande  sind,  der  Function 
vorzustehen,  welche  man  diesem  Organ  zuzutheilen  pflegt,  nämlich 
als  Reservoir  für  den  Inhalt  des  Ambulacralsystems  zu  dienen; 
sie  sind  offenbar  ganz  verkümmert  und  ihre  Bedeutung  würde 
ohne  die  Vergleichung  mit  dem,  was  wir  in  andern  Echinodermen- 

Bd.  X.  N.  F.  III,  4.  84 


524  Reinhold  Teusdier, 

Stämmen  findeD,  ebenso  unverständlich  sein^  als  es  ans  die   des 
Ästenden-  nnd  Echinenherzens  ist. 

Aus  dem  Wassergefässring  entspringen  dann  die  fünf  Ambn- 
lacralgefasse.  Sie  treten  dnreh  einen  Canal  (ag  Fig.  6),  welcher 
zwischen  je  zwei  Pyramiden  über  dem  sie  verbindenden  Muskel 
nnd  unter  dem  parallelopipeden  Kalkstück  qs  verläuft,  welches 
den  Zwischenraum  zwischen  je  zwei  Pyramiden  deckt;  an  der 
Aussenfläche  der  Laterne  angekommen,  steigen  sie  an  der  Anssen- 
seite  des  Zwischenpyramidenmuskels  herunter,  wo  man  sie  auch 
im  nicht  injicirten  Zustande  makroscopisch  erkennen  kann,  um 
sich  an  der  Laternenbasis,  wo  sie  den  hervortretenden  Nerven  mit 
seinem  Oefäss  treffen ,  zu  diesen  beiden  zu  gesellen.  In  Fig.  5 
\f>  gebe  ich  die  Abbildung  eines  horizontalen  und  in  Fig.  6  die  eines 

verticalen  Schliffs  durch  die  Mitte  der  Laterne ;  welche  nach  der 
bei  den  Ophiuren  angegebenen  Methode  erhalten  sind,  in  denen 
man  den  Verlauf  sowohl  des  Wasser-  als  des  Nervengefässes  ver- 
folgen kann.  Fig.  7  zeigt  den  weitern  Verlauf  in  den  Ambulacris. 
Zum  Wassergefässsystem  gehören  noch  die  Ampullen  und  die 
Saugfüsschen.  Jede  Ampulle  bildet  einen  Abschnitt  einer  Scheibe 
von  geringer  Dicke ;  so  stehen  sie  dicht  gedrängt  neben  einander, 
die  platten  Seiten  berühren  sich,  die  runden  Känder  ragen  frei 
nach  innen ;  die  ebenen  Abschnitte  .sind  an  der  Schale  befestigt 
Die  dünnen  Wände  tragen  äusserlich  und  innerlich  ein  Flimmer* 

• 

epithel  und  bestehen  aus  einer  Bindegewebschicht;  in  welche  ein- 
gebettet durchscheinende  Fasern  von  rundlichem  Querschnitt  pa- 
rallel mit  einander  und  mit  der  Basis  der  Ampulle  ^  oft  durch 
Abzweigungen  mit  einander  in  Verbindung  tretend  ^  dicht  neben 
einander  verlaufen^  welche  von  Valentin  und  Hofimann  abgebildet 
werden.  Dabei  sieht  man  aber  —  und  man  braucht  nur  eine 
Ampulle  bei  schwacher  Vergrösserung  von  aussen  anzusehen  — 
dass  die  beiden  gegenüberstehenden  Wände  der  Ampullenhöhle 
durch  kurze,  ziemlich  dicke  Faserbündel;  die  schon  beim  ersten 
Anblick  den  Eindruck  von  Muskelfasern  machen ,  mit  einander 
verbunden  werden  (Fig.  11).  Sie  setzten  sich  wie  mit  Wurzeln 
an  den  Wänden  fest^  und  nach  ihren  Ansatzpunkten  scheinen  sich 
die  Wandfasern  enger  zusammenzudrängen.  Diese  Muskeln  sind 
schon  von  Leydig  beschrieben,  wie  ich  aus  einer  Notiz  bei  C.  K.  Hoff'- 
mann  sehe,  werden  aber  von  Letzterem  wieder  geläugnet.  Die  Wand- 
fasern  halte  ich  für  Bindegewebsfasern;  die  Querfasern  für  Muskeln, 
nicht  blos  ihres  Aussehens  wegen.  Die  letzteren  färbt  Karmin  sehr 
stark;  erstere  gar  nicht;  schwache  Säuren  verändern  keine  von 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  525 

beiden,  concentrirter  Salpetersäure  widerstehen  beide  gleich  lange, 
aber  nur  die  Querfasem  werden  Ton  ihr  gelb  gefärbt.  Ausserdem 
spricht  dafür  der  Mechanismus  der  Zusammenziehung  der  Am- 
pullen^ welcher  doch  nur  in  einer  Annäherung  ihrer  parallelen 
Wände  bestehen  kann^  wenn  nicht  die  Bewegung  der  benachbarten 
Ampullen  beeinträchtigt  werden  soll. 

Die  SaugfÜsschen  der  Echinen  sind  von  Valentin  und  Hoff- 
mann beschrieben;  doch  halte  ich  es  nicht  ftir  überflüssig,  noch 
einen  Längs-  und  einen  Querschnitt  abzubilden  (Fig.  8  und  9). 
Die  Aehnlichkeit  mit  den  Asteridenfüsschen  ist  sehr  gross,  und 
doch  sind  einige  wesentliche  Verschiedenheiten  bemerkbar.  Unter 
der  die  Flimmerhaare  tragenden  Cuticula  findet  sich  hier  wie  dort 
eine  aus  wirr  durcheinanderlaufenden  Querfasern  bestehende  Haut- 
schicht (hs);  welche  in  der  darunter  befindlichen  Bindegewebsschicht 
wurzeln,  in  eine  feinkörnige  Masse  eingebettet;  auch  hier  ver- 
laufen die  Hautfasem  an  der  Saugscheibe  mehr  parallel ;  aber  die 
Zellen  der  Hautschicht  sind  nicht,  wie  dort,  in  der  Nähe  der 
Cuticula  zusammengedrängt,  sondern  ziemlich  gleichmässig  über 
ihre  ganze  Dicke  ausgestreut,  wie  es  bei  den  Ästenden  nur  an 
der  Saugscheibe  der  Fall  ist.  Die  nun  folgende  Bindegewebsschicht 
theilt  sich  in  zwei  Lagen,  von  denen  die  äussere,  mächtigere  aus 
Längsfasem  besteht,  welche  im  Zustand  der  Zusammenziehung  in 
regelmässigen  Zickzacklinien  liegen.  Sie  ist  es,  wie  bei  den  Äste- 
nden, welche  das  Material  zu  dem  bindegewebigen  Gerüst  der 
Saugscheibe  liefert,  in  welcher  die  dieser  angehörigen  Ealkstücke 
liegen.  Diese  letzteren  bestehen  bekanntlich  bei  Echinus  esculentus 
in  einem  vier-  bis  siebeneckigen  polygonalen  King,  genauer^  wie 
wir  im  Durchschnitte  sehen,  aus  drei  bis  vier  platten,  übereinander 
liegenden  Ringen  (kr  Fig.  8),  auf  dessen  Polygonseiten  nach  der 
Spitze  zu  die  Kalkplatten  der  Rosette  ks  aufliegen.  Ealkspiculae 
in  andern  Gegenden  der  Füsschen  habe  ich  nicht  gesehen,  obschon 
sie  bei  andern  Arten  vorkommen  mögen.  Die  Ringfasern  der 
Bindegewebsschicht  liegen  den  Längsfasern  innerlich  an,  scharf 
gerundet  und  etwas  voneinander  gesondert  (Fig.  8).  Weiter  nach 
innen  folgt  dann  eine  starke  Muskelschicht  (ms),  die  einzelnen 
Fasern  wie  bei  den  Ästenden  in  eine  hyaline  Bindegewebsmasse 
eingebettet,  welche  nach  der  Höhlung  zu  die  Muskelschicht  um 
etwas  überragt  und  das  Epithel  trägt.  Den  Hauptunterschied  von 
den  Astenden  bildet  das  Verhalten  des  Nerven  (n  Fig.  9).  Dieser 
bildet  hier  einen  deutlich  gesonderten  Strang,  wie  bei  den  Ophiuren 
und  Holothurien,  der  Innenseite  des  Füsschens  entlang  laufend. 

84* 


52G  Reinhold  Teasclier, 

Er  ragt  mit  abgerundeter  Oberfläche  in  die  Haatschicht  hinein^ 
mit  welcher  er  sehr  fest  verbunden  ist,  nnd  reicht  nach  innen, 
die  Längsfasem  ganz  verdrängend,  bis  zu  den  Ringfasem  des 
Bindegewebes,  wo  er  gerade  und  scharf  abgeschnitten  endigt  und 
zwischen  sich  und  diesen  Fasern  einen  schmalen,  aber  deutlichen 
Spalt  lässt,  den  man  wohl  als  eine  Verzweigung  des  Nerven- 
gcfässes  ansehen  muss.  Der  Nerv  des  Fflsschens  besteht  aus  Längs- 
fasem,  deren  Durchschnitte  man  deutlich  erkennt;  dazwischen 
finden  sich  meist  einige  Pigmentkömer.  Der  Mechanismus  des 
Ansaugens  der  Fflsschen  ist  hier  derselbe  wie  bei  den  Astenden. 
Die  innersten  Längsmuskellagen  setzen  sich  durch  die  Oefinung 
der  Rosette  unmittelbar  an  die  Saugscheibe  an,  um  durch  das 
Zurückziehen  von  deren  Mitte  den  Saugnapf  hervorzubringen;  die 
Rosette  verstärkt  die  Wirkung,  indem  sie  die  Oberfläche  ver- 
grössert,  auf  welche  der  äussere  Druck  wirkt. 

Noch  etwas  weiter  ausgebildet  findet  sich  dieser  Mechanismus 
an  den  Ftlsschen  von  Echinus  saxatilis  (Fig.  8).  Hier  ragen  die 
innem  Enden  der  Rosettenstttcke  über  den  Ring  nach  dem  Centrum 
zu  hervor,  und  an  diese  Verlängerungen  setzen  sich  Muskelfasern 
an,  welche  zum  Theil  von  dem  Ring  ausgehen.  So  entsteht  eine 
Hebelwirkung  mit  dem  Ring  als  Stützpunkt,  welche  die  Bildung 
des  Saugnapfes  wesentlich  erleichtern  muss. 

Die  Eenntniss  des  Nervenschlundrings  der  Echinen  verdanken 
wir  Krohn  (Mflll  Arch.  41),  sowie  die  Angabe  einer  guten  Me- 
thode, um  zu  demselben  zu  gelangen.  Eine  Erleichterung  fand 
ich  noch  darin,  dass  ich  nach  dem  Durchschneiden  (besser  Durch- 
sägen) der  Mitte  der  Pyramiden  das  Ganze  in  verdttnnte  Salz- 
säure brachte ;  dann  fielen  die  lästigen  Zwischenpyramidenmuskeln 
wie  von  selbst  ab  und  die  Theile  Hessen  sich  sehr  leicht  ausein- 
ander legen.  Zu  dem  über  den  Nervenring  Gesagten  habe  ich 
nichts  hinzuzufügen.  Die  Gestalt  des  Ambulacralnerven  erkennt 
man  aus  Fig.  7.  Die  beiden  Seitenhälften  sind  im  Verhältniss 
zur  Mittellinie  etwas  verdickt,  darum  sieht  man  bei  der  Ansicht 
des  Nervenstrangs  von  oben  in  der  Mitte  eine  hellere  Linie  ver- 
laufen, welche  als  Gefässlumen  gedeutet  wurde. 

Wenn  man  neben  dem  Nervenstrang  jederseits  einen  ihm 
parallelen  Schnitt  führt,  so  ist  es  leicht,  ihn  nebst  den  ihn  be- 
gleitenden Gefässen  von  der  Schale  abzuheben  und  in  feine  Längs- 
und Querschnitte  zu  zerlegen.  In  Längsschnitten  sieht  man,  wie 
bei  allen  andern  Echinodermen,  zarte  Längsfasem  dicht  neben 
einander  verlaufen;  ihre  etwas  verwaschenen  Grenzen  verhindern 


Beitriige  zar  Anatomie  der  Bchinodennen.  527 

auch  hier  eise  genane  Messiing,  doch  scheinen  sie  mir  entschieden 
grtiber,  als  bei  den  Asteriden.  Zwischen  ihnen  finden  sich  zahl- 
reiche Pigmentkömeri  theils  einzeln^  theils  in  Omppen. 

Der  äasseren,  der  Schale  zugewendeten  Fläche  liegt  auch 
hier  eine  Schicht  von  Zellen  an,  von  0,0035  M.  mittlerem  Durch- 
messer; randlich,  etwas  glänzender,  als  ich  sie  anderwärts  ge- 
sehen, mit  nicht  sehr  deutlichen  Kernen.  (Fig.  7)  Sie  liegen  in  einer 
oder  zwei  Reihen,  oft  einzelne  weiter  nach  innen  vorgeschoben,  und 
gind  offenbar  die  eigentlichen  Nervenzellen.  Die  bei  den  Crinoiden, 
Asteriden  und  Hololhurien  so  auffallenden  Quer£asem  fehlen  ganz, 
was  meine  Meinung  ttber  die  bindegewebige,  sttttzende  Natur 
jener  Fasern,  welche  sich  nur  da  finden,  wo  der  Nervenstrang 
nicht  durch  einen  äusseren  Ealkpanzer  geschtttzt  ist,  bekräftigen 
muss.  Auf  dem  Querschnitt  bemerkt  man,  dass  die  Mitte  des  Nerven 
sich  von  den  Seitentheüen  durch  nichts  unterscheidet,  als  durch 
seine  relative  Dtinnheit;  in  der  Nervensubstanz  bemerkt  man  ein 
grobkörniges  Ansehen,  als  Ausdruck  des  Durchschnittes  der  Längs- 
fasem;  dazwischen  die  andern  genannten  Elemente. 

Zu  jeder  Ampulle  tritt  ein  Seitenzweig  des  Nerven. 

Von  dem  Darm  pflegt  man  als  besondere  Abtheilung  das 
innerhalb  der  Laterne  gelegene  Stttck,  den  Pharynx,  zu  behandeln, 
und  zwar  mit  Recht,  sowohl  seiner  Lage,  als  seines  abweidienden 
Baues  wegen.  Er  besteht  aus  einem  bindegewebigen  Cylinder, 
welcher  der  äusseren  Bindegewebsschicht  des  Echinodermendarms 
entspricht;  ihm  liegen  nach  innen  zu  die  Ringmuskeln  an,  nur 
schwach  vertreten;  ein  eigentlicher  Sphincter  oris  fehlt.  Dagegen 
wird  die  innere  Bindegewebsschicht  durch  fünf  starke  dreikantige, 
interambulacral  gelegene  Längsleisten  dargestellt,  welche  einander 
nicht  berühren  (Fig.  5  ib).  An  ihrer  Basis  sieht  man  eine 
massig  starke  Lage  von  Längsmuskelfasem  verlaufen.  Sie  be- 
stehen aus  hyalinen  Massen  mit  wenigen  feinen  Fasern  nach  allen 
Richtungen  durchzogen,  mit  Körnern,  Pigmenthaufen  und  Zellen. 
Auf  ihnen  und  in  ihren  Zwischenräumen  auf  der  Muskelschicht 
ruht  dann  die  allen  Echinodermen  zukommende  Darmhaut  von 
dem  gewöhnlichen  Bau:  dicht  gedrängte  feine  Querfasem  mit 
dazwischen  eingestreuten  kleinen  Zellen  von  etwa  0,002  M.,  darüber 
die  Cuticula. 

Im  Oesophagus  (Fig.  12),  welcher  von  der  Laterne  zum  After 
und  von  da  zum  Anfang  der  ersten  Darmwindung  reicht,  sind 
ganz  ähnliche  Verhältnisse ;  von  aussen  nach  innen  folgen :  Flim- 
merepithel mit  äusserer  Bin(legewebsschieht,  Ring-  und  Längs- 


528  Reinhold  Teuscher, 

muskeln  und  innere  Bindcgewebsschicht.  Diese  ist  nicht  in  L#ängs- 
leisten  getheilt,  sondern  überall   zusammenhängend;  woU    aber 
bildet  sie  nach  innen  viele  kleine  warzenartige  Vorsprünge,  -welche 
annähernd  Längsreihen  bilden,  deren    ich  bei  E.  Melo   26 — 30 
zähle.   In  diesen  Verdickungen  kommen  die  gewöhnlichen  Binde- 
gewebselemente  vor,  ausserdem  die  bekannten  Ealk-Doppelhaken, 
welche  bei  Melo  sich  in  den  meisten  Geweben  finden,  bei  andern 
Echinen  viel  seltner  sind.    Am  innern  Rand  der  Bindege-webs- 
öchicht  concentrirt  sich  das  Pigment.   Die  innere  Hautschicht  zeigt 
nichts  Eigenthttmliches ;  ihre  Dicke  ist  auf  der  Höhe  der  Warzen 
beträchtlicher,  als  in  den  Zwischenräumen.    Fast  in  allen  Dd^rm- 
theilen  der  Echinodermen  finden  wir  die  innere  Bindegewebslage 
in  Leisten  oder  warzenartigen  Vorsprüngen  nach  innen  vorrag^end ; 
die  Folge  davon  ist  eine  Vergrösserung  der  verdauenden  Ober- 
fläche.  Darum  sind  diese  Hervorragungen  immer  am  Anfang'  des 
Darmcanals  bedeutender  als  gegen  das  Ende,  und  hier,  im  Oeso- 
phagus der  Echinen,  sind  sie  besonders  stark  und  regelmässig 
entwickelt.   Drüsen  habe  ich  nirgends  gesehen. 

Am  Eintritt  des  Oesophagus  in  die  erste  Darmwindung  findet 
sich  eine  sackförmige  Erweiterung,  bei  verschiedenen  Arten  un- 
gleich entwickelt^  aber  immer  viel  weniger  auffallend,  als  das  an 
derselben  Stelle  gelegene  und  ihr  entsprechende  Divertikel  der 
Spatangen.  Von  da  an  zieht  sich  längs  der  Ventralseite  der  ersten 
Darmwindung  hin,  zwischen  ihr  und  dem  Bauchgefäss,  eine  Ver- 
doppelung des  Darms  (HO  Fig.  1),  ein  zweiter  engerer  Darm  von 
überall  gleicher  Weite  (etwas  über  1  Mm.  an  ausgewachsenen  Exem- 
plaren von  Ech.  esc),  welcher  bis  zum  Anfang  des  letzten  Viertels 
der  ersten  Darmwindung  reicht,  und  sowohl  dort  als  dicht  am 
Eintritt  des  Oesophagus  in  den  Darm  einmündet.  Es  ist  klar,  dass 
wir  hier  dasselbe  Organ  vor  uns  haben,  wie  das  von  C.  K.  Hoflf- 
mann bei  den  Spatangen  entdeckte  und  „gewundenes  Organ*'  ge- 
nannte Darmdivertikel,  für  welches  ich,  da  dasselbe  nicht  gewunden 
ist,  den  Namen  „HoflTmann's  Organ*'  vorschlage.  Ein  Divertikel 
ist  es  jedenfalls,  trotz  der  Besonderheit  seiner  doppelten  Ein- 
mündung, und  wenn  die  Echinen  von  den  Asteriden  abstammen, 
wie  wir  nicht  zweifeln  können,  so  werden  wir  es  von  den  Coecis 
der  letzteren  abzuleiten  haben.  Allem  Anschein  nacl^  ist  es  ein  in 
Rückbildung  begriflfenes  Organ,  ein  Rudiment.  Der  innere  Bau 
unterscheidet  sich  in  nichts  von  dem  des  eigentlichen  Darms; 
immer  habe  ich  es  leer  gefunden. 

Dieses  Darmdivertikel  der  Echinen  scheint  schon  von  Monro 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  529 

gesehen  worden  zu  sein,  wie  ich  ans  einer  Gitation  bei  Tiedemann 
vermnthe,  wo  es  heisst :  ^^am  nntem  Bande  von  der  ganzen  Länge 
des  Oekröses  finde  ich  zwei  Gefösse  ohne  Klappen,  ungefähr  von 
derselben  Grösse  und  parallel  liegend^'  etc.,  womit  er  nur  das 
Rttckengefäss  und  das  zwischen  ihm  und  dem  Darm  verlaufende 
Uoffmann'sche  Divertikel  bezeichnen  kann.  Nachdem  dieses  Organ 
von  Hofimann  iUr  Spatangus  purpureus  beschrieben  war,  Hess 
sich  dessen  Vorkommen  bei  den  Echinen  vermuthen;  bei  diesen 
letzteren  ist  sein  Verlauf  einfacher  und  ursprünglicher,  da  es 
seiner  ganzen  Länge  nach  dem  Darm  anliegend  bleibt.  Bei  den 
Spatangen  hat  das  Darmstttck  eine  stärkere,  unregelmässige  Krüm- 
mung gemacht,  und  die  vordere  Hälfte  von  Hoffmann's  Organ 
läuft  dort  sammt  dem  Bauchgefäss  quer  über  den  Schalenraum 
weg,  indem  es  einen  kurzem  Weg  beschreibt,  als  der  Darm  selbst. 

Längs  der  ganzen  ersten  Darmwindung  sehr  häufig,  seltener 
in  der  zweiten,  sieht  man  an  Längsschnitten  in  der  innem  Binde: 
gewebsschicht  des  Darms  zahlreiche  feine  Oeffnungen,  die  Lumina 
der  Gefässverzweigungen,  welche,  vom  Bauchgefäss  entspringend, 
den  Darm  überspinnen  und  wahrscheinlich  jenes  mit  dem  Rücken- 
gefäss  in  Verbindung  bringen ;  natürlich  gehen  sie  dabei  quer  über 
Hoffmann's  Organ  weg.  Ihre  Injection  ist  mir  nur  stückweis 
gelungen. 

In  Fig.  10  sehen  wir  einen  Querschnitt  des  Darms  mit  Hofi- 
mann's  Organ  und  dem  Bauchgefäss.  Zwischen  den  beiden  er- 
steren  erscheint  ausserdem  noch  der  Querschnitt  eines  starken 
Mnskelbündels,  mb,  aus  groben,  durch  Bindegewebe  untereinander 
vereinigten  Fasern  bestehend,  welches  nach  hinten  an  Dicke  ab- 
nimmt und  über  das  anale  Ende  von  H's.  Organ  hinaus  kaum 
noch  wahrzunehmen  ist;  nach  der  Mundseite  zu  aber  geht  es, 
wenn  auch  sehr  verdünnt,  auf  den  Oesophagus  über  und  ist  auf 
dessen  ganzer  Länge  zwischen  ihm  und  dem  Ventralgefäss  nach- 
zuweisen. Die  Spannung  dieses  Muskels  muss  den  innem  Rand 
des  Darms  nach  innen  ziehen,  und  bei  der  dorsalen  Anheftung 
derselben  in  abwechselnd  obern  und  untern  Bogen  dessen  Lumen 
erweitem,  also  durch  Wechselwirkung  mit  den  Ringfasern  zur 
Bewegung  des  Darminhaltes  beitragen. 

Die  Mnndöfinung  der  Echinen  wird  durch  fünf  Spitzen  ge- 
bildet, in  welche  der  Schlund  ausgezogen  ist;  in  jeder  Spitze 
steckt  das  verdickte  Ende  einer  der  fünf  Leisten,  welche,  wie 
wir  oben  sahen,  dem  Pharynx  äusserlich  anliegen.  Um  die  iUnf 
Spitzen  herum  nach  aussen  schlägt  sich  die  Mundhaut,  um  nun 


530  Beinbold  Teoscber, 

eine  ringförmige  nach  innen  vertifte  Falte  auszukleiden  (mf,  Fig.  6), 
welche  den  Raum  zwischen  dem  Pharynx  und  den   Zahnspitzen 
einnimmt  und  beim  Oeffnen  der  Zähne  Zerrungen    des  Pharyni 
verhindert    Vom  Innern  der  Pyramiden  aus  gesehen  erscheint  die 
tiefste  Stelle  der  Falte  in  fünf  bläschenartige  Spitzen  ausgredehnt, 
welche  zwischen  je  zwei  Leisten  liegen,  und  um  deren  Basis  der 
Nenrenring  läuft.    Zwischen  den  Zahnspitzen  hindurch  setzt  sich 
die  Mundhaut  in  ganz  allmählichem  Uebergang  auf  die  Oberhaot 
der  Mundscheibe  fort,  deren  Bau  ganz  dem  der  Bückenhaat  eines 
Seestems  gleicht.    Die  untere  Lage  der  Cutis  besteht  ans  grroben, 
in  allen  Bichtungen  gekreuzten  Fasern,  zwischen  denen  einzelne 
Kalkstttcke  liegen,  von  denen  die  zehn  Platten  der  Mnndfllsscben 
die  grössten  sind ;  über  ihr,  scharf  abgesetzt,  folgt  die  oberste,  die 
Fortsetzung  der  Darmhaut  bildende  Schicht,  von  demselben  Bau, 
wie  bei  den  Asteriden :  zarte,  büschelförmig  gruppirte  Qnerfasem 
mit  besonders  an  der  Basis  zahlreichen  Zellen :  endlich  die  Guti- 
cula.    Nach  der  Peripherie  zu  wird  die  Oberhaut  dünner,   ohne 
ihren  Bau  zu  ändern;  sie  überzieht  noch  die  äusseren  Mundkiemen, 
baumförmig  verzweigte  Bohren,  aus  einem  bindegewebigen  Gerüst 
bestehend  mit  Längs-  und  Querfasern  und  den  gewöhnlichen  Binde- 
gewebselementen. 

Aeusserlich  ist  die  ganze  Laterne  durch  eine  zarte  Membran 
lose  umgeben,  welche  die  in  derselben  enthaltenen  Hohlräume 
von  der  allgemeinen  Leibeshöhle,  wenn  auch  unvollständig,  ab- 
sperrt.   Am  auffallendsten  erscheint  die  Membran  da,  wo  sie  auf 
der  Oberseite  der  Laterne   um    die   fünf  hervorragenden   hinten 
noch  weichen  Enden  der  Zähne  (ze,  Fig.  3)  sich  sackartig  herum- 
schlägt, und,  wenn  mit  Flüssigkeit  gefüllt,  das  Ansehn  länglicher 
Blasen  annimmt,  welche  mehrfach,  auch  noch  von  neueren  Be- 
obachtern, fUr  die  Poli'schen  Blasen  genommen  worden  zu  sein 
scheinen.    Die  von  jener  Membran  umschlossenen  Höhlungen  der 
Laterne,  welche  ich  mit  dem  von  Semper  beschriebenen  Schlund- 
sinus der  Holothurien  für  homolog  halte,  nehmen  vorzüglich  da^, 
Innere  der   Pyramiden   und   den   cylindrischen   Baum   um    den 
Pharynx  ein;  dazu  gehören  femer  noch  schmale  spaltenförmige 
Bäume  zwischen  den  Interpyramidenmuskeln.    Die  einander  zu- 
gewendeten Flächen  je  zweier  Pyramiden  besitzen  bekanntlich 
eng  stehende  horizontale  Leisten,  auf  deren  Höhe  je  eine  doppelte 
Quermuskelschicht  aufsitzt.  Die  den  Furchen  zwischen  den  Leisten 
entsprechenden  Bäume  sind  leer,  mit  Epithel  bekleidet,  und  bilden 
einen  Theil  der  Latemenhöhle. 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Ediinodermen.  531 


2.  Spatangas  meridionalis. 

Von  der  Anatomie  des  Spatangns  hat  C.  K.  Hoffimann  eine 
vortreffliche  Darstellang  gegeben.  Die  Lagerang  der  Eingeweide 
bei  Spatangns  (Fig.  16)  dürfte  jedoch  dnrch  engeren  Ansehlnss 
an  das  bei  Echinns  vorkommende  verständlicher  werden.  Während 
Hoffmann  bei  Spatangns  vier  Darmwindnngen  annimmt,  sehe  ich 
deren  nur  zwei,  welche  ebenso,  wie  bei  Eehinns,  ttbereinander- 
liegen  and  in  entgegengesetzter  Richtang  verlaufen.  Zu  dem 
Anfang  der  untern  Windung  tritt,  allerdings  auf  einem  Umwege, 
der  Oesophagus:  von  dem  Ende  der  obem  geht  der  Mastdarm  ab. 
Ein  wesentlicher  Unterschied  von  den  Echinen  in  Betreff  der 
Darmlagerung  findet  sich  hier  aber  darin,  dass  bei  Eehinus  die 
Stelle,  wo  die  beiden  Darmwindungen  auf  einander  stossen,  um 
wieder  rückläufig  zu  werden  (nennen  wir  diese  Stelle  die  Darm- 
lücke) nach  J.  Müller's  Terminologie  in  dem  unparen  Interradius 
liegt,  d.  h.  in  demjenigen,  welcher  die  Madreporenplatte  enthält 
und  dem  unparen  Kadius  gegenüberliegt,  während  bei  Spatangns 
gerade  dieser  unpare  Badins  durch  die  Mitte  der  betreffenden 
Dannlücke  läuft.  So  liegt  also,  wenn  der  Beobachter  die  Madre- 
porenplatte zwischen  sein  Auge  und  den  Scheitelpol  des  Thieres 
bringt,  die  Darmlücke  bei  Spatangns  von  ihm  abgewendet,  bei 
Eehinus  ihm  zugewendet. 

Den  Oesophagus,  den  ich  hier  in  Ermangelung  eines  hin- 
reichenden Grundes  nicht  vom  Pharynx  trenne,  rechne  ich,  wie 
bei  Eehinus,  bis  zum  Anfang  des  Divertikels.  Er  steigt  nicht, 
wie  dort,  zum  Scheitelpol  empor,  wohl  aber  thut  dies  das  Diver- 
tikel, welches  hier  viel  stärker  entwickelt  ist.  An  diesem  läuft 
dann  der  Steincanal'  herab,  um  sich  längs  dem  Oesophagus  zum 
Munde  zu  begeben.  Am  besten  sieht  man  diese  Verhältnisse, 
wenn  man  einen  Spatangns,  den  man  mit  von  sich  abgewendetem 
Munde  vor  sich  liegen  hat,  durch  zwei  Sägeschnitte  öffinet,  von 
denen  der  eine  vertical,  wenige  Millimeter  rechts  von  der  Mittel- 
linie, der  andere  horizontal  und  nicht  zu  tief  geführt  wird,  um 
den  Darm  zu  schonen.  Nach  Wegnahme  des  Schalenstttcks  sieht 
man  dann  das  Divertikel  senkrecht  an  seinem  Mesenterium  in  der 
Mittellinie  aufgehängt;  über  und  hinter  ihm  steigt  der  Steincanal 
von  der  Madreporenplatte  zwischen  den  beiden  Stützplatten  herab ; 
gerade  nach  hinten  legt  er  sich  ans  Herz  und  verlässt  dasselbe 
wieder,  um  unter  dem  Divertikel  nach  vom  zu  laufen.    Dünne 


•.^_ 


->?2 

Q^encluutle  dartfc  da^  Herz  ztigctt  die  pai«c 
cfaenio  Twtmminfmgcacaty  wie  bei  Ecbli^u:  dne  grsaHl&Be   biiic 
geweciige  XiaK,   Kdrner,   Zeilcm,  Faserm   iiufciltiBi       Ick    se: 
keiaen  Gnnd,  letztere  fftr  Moskefai  n  liaheii,  aadi  crlauibt  il 
genügt  ZaU  imd  mrefeliiiaäsige  Anordnen^  siekt,  m  iTiMi  n  d 
TiSger  einer  Hcntontraedon  xa  tehen.    Hier  findet  ada    jed 
eine  gr^Agere  eentrak  H«>hle  neben  Tet^liiedenen  kkiiwuüai  Osf 
nangen,  wekhe  bei  Eehinus  fehlt.    Die  centrale  HlMe    isa    sei 
anregefaBlasig  gestaltet.  Tielfacfa  durch   Qaentringe  and    dftnr^ 
Meaümnen  getheflt.    Ein   Epithel    sehe   ich  nicht,  ihre  YTünh 
ontaaeheiden .  sieh  nicht  ron  dem  Parenchym.    Der  Steuaeauial. 
welcher  an  aeinem  Cvlinderepithel  leicht  kenntlidi  iat,  Im^S^  dec 
Heixen   änseerlich   an,  aber  naher,  ala  bd   den  Echineo;    eire 
Conunnnieation  zwischen  ihm  nnd  den  Höhlen  im  Innerm    ba'r^ 
ich  nicht  gefunden.    An  dem  nntenten  Thefl  des  Heizens  Jedoch 
wo  sich  der  Steincanal  etwas  erweitert,  sehe  ich  seine  innere 
dem  HerEcn  anliegende  Wand  immer  stark  yerdünnt  nnd  erUärf 
mir  daraus  folgenden  Vorgang  bei  Injectionen  in  das  Hen.    EHeses 
Organ  ist  consistoit  genng,  nm  eine  Ugatnr  zn  ertragen;  bris^ 
man  die  Canole  ron  oben  in   seine  Höhle  ein,  nnfterbindet  und 
injieirt  dann,  so  dringt  die  farbige  Flüssigkeit  in  den  Steincmnai 
ein,  nnd  ich  kann  dies  nnr  dnreh  die  leichte  Zerstöibarkeit  seiner 
Wandung  am  nntem  Theil  des  Herzens  erklären.    Dies  gescbai 
bei  allen  Versuchen,  die  ich   machte,   meiner  Erinnerung    njtch 
sechs  Mal     Der  Steincanal,   nachdem   er  am  Heizen   Torfiber- 
gegangen  ist,  wird  yod  einem  oder  zwei  feinen  Gelassen  begleitet 
Nach   allem  diesen  kann   ich  keinen  wesentlichen  Unterschied 
zwischen  dem  Herzen  der  Spatangen  und  Echinen  finden,    und 
sehe  keinen  Grund,  dieses  Organ  mit  Hoffmann  bei  den  Spatangen 
ein  ,,Wasserherz''  zu  nennen ;  auch  seine  Bedeutung  erscheint  hier 
dieselbe,  wie  dort;   etwas  „drttsenähnliches'^  habe  ich  nirgends 
gefunden. 

Verfolgen  wir  den  Steincanal  weiter  in  seinem  Verlauf  unter 
dem  Divertikel  hin,  so  gelangen  wir  an  die  Stelle,  wo  am  Ur- 
sprung des  Divertikels,  also  da,  wo  der  Oesophagus  anfluigt, 
dieser  mit  der  Stelle  zusammentrifit,  wo  rechts  die  untere  Darm- 
windang  sich  in  die  obere  umbiegt  (immer  die  oben  angegebene 
Stellung  des  Thieres  und  seine  Lage  mit  dem  Bauch  nach  unten 
vorausgesetzt).  An  dieser  Stelle  (oc,  Fig.  16)  geht  der  Steincanal 
zum  Oesophagus  über,  tritt  aber  ebenda  in  Verbindung  mit  dem 
Ventralblutgefäss  der  oberen  Darmwindung,  so  dass  alle  von  mir 


0 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  533 

in  das  Herz  gemachten  Injectionen  mehr  oder  weniger  weit^  meist 
einen  bis  zwei  Zoll;  in  dieses  Gefäss  eindrangen^  während  ich 
eine  Fortsetzung  der  Injection  in  das  entsprechende  Gefäss  der 
nntern  Darmwindnng  niemals  beobachtete.  Ho£fmann  hß,t  bei  den 
Spatangen  das  WassergefSss,  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  nnr 
von  dem  Ventralblutgefäss  der  nntern  Darmwindnng  aus,  ver- 
mittelst eines  von  ihm  entdeckten  Verbindnngszweigs  jenes  Blut- 
gefässes mit  dem  Wassergefässring  injicirt ;  dies  erklärt  eS;  warum 
er  diese  von  jenen  Theilen  ziemlich  entfernt  liegende  Verbindung 
nicht  aufgefunden.  Der  Steincanal  tritt  nun  längs  der  Speiseröhre 
herab  in  den  Wassergeiäss-Mundring  ein  (und  zwar  in  den  rechten 
Mundwinkel),  einen  sehr  feinen  Canal^  auf  den  ich  später  zurück- 
kommen werde. 

Auch  die  fünf  Ambulacra  sind  verhältnissmässig  sehr  feine 
Röhren,  und  das  ganze  Wassergefässsystem  der  Spatangen  scheint 
für  das  Leben  des  Thieres,  wenigstens  fllr  seine  Ortsbewegung, 
ziemlich  bedeutungslos.  Die  so  wenig  zahlreichen  und  winzigen 
Saugfllsschen  sind  zur  Fortbewegung  ziemlich  werthlos,  wogegen 
die  Ambulacralkiemen,  welche  den  Athmungsprocess  gewiss  mehr 
durch  Uebertragung  des  Sauerstoffs  von  den  Ampullen  an  die 
Leibeshöhlenflüssigkeit,  als  durch  die  engen  Ambulacralgefässe 
vermitteln,  besonders  für  die  platten,  dickschaligen  Formen  sehr 
wichtig  werden  mögen.  Fig.  13  zeigt  einen  Durchschnitt  durch 
das  Ambulacrum  von  Spatangus  meridionalis,  wo  man  sieht,  dass 
die  Wände  des  engen  Wassergefässes  dicker  sind,  als  bei  Echinns ; 
an  den  meisten  Querschnitten  findet  sich  noch  ein  sehr  enges 
Geiässlumen  (beig),  an  der  Peripherie  des  Wassergefässes,  das 
ich  nicht  zu  deuten  weiss.  Die  Saugfllsschen  unsrer  Spatangen 
sind  gebaut,  wie  die  der  Echinen.  Aeusserlich  die  Hautschicht, 
zu  stark  pigmentirt,  um  eine  genauere  Untersuchung  zu  erlauben ; 
dann  eine  äussere  longitudinale  und  eine  innere  circnläre  Binde- 
gewebsschicht;  die  erstere  enthält  zahlreiche  Ealkspiculae,  die 
ich  bei  den  mir  bekannt  gewordenen  Echinen  nicht  gefunden; 
endlich  die  Längsmuskelschicht,  in  hyalines  Bindegewebe  ein- 
gebettet, welches  sich  ebenso  verhält,  wie  dort.  Eine  eigentliche 
Saugscheibe  fehlt,  doch  findet  sich  eine  einfache  zarte  Ealkrosette 
aus  einem  Stück,  ohne  centrale  Oeffnung  und  nicht  kreisrund, 
sondern  einer  Maler-Palette  ähnlich.  Die  Ambulacralkiemen  waren 
an  meinen  Exemplaren  leider  nicht  gut  erhalten,  doch  konnte  ich 
durch  Längs-  und  Querschnitte  mich  überzeugen,  dass  aus  jedem 
der  beiden  Schalenporen,  welche  mit  dem  Ambnlacralcanal  com- 


534  Reinbold  Teascher, 

mnniciren,  ein  gesondertes  Bohr  in  die  Kieme  tritt;  beide  ver- 
laufen bis  an  die  Spitze  und  zwischen  ihnen  liegt  der  gekammerte 
nnd  zum  Theil  baumartig  verzweigte  Theil^  welchen  mao    anf 
Abbildungen  sieht.    Die  sehr  kleinen  Ampullen  der  Sangfüsschen 
sind  einfach;   die  der  Ambulacra  petaloidea  dagegen  sind  sehr 
gross  und  zeichnen  sich  durch  stark  vorspringende  Läng^afalten 
aus,  deren  innere  Bänder  durch  eine  Beihe  starker  Querfäden  (die 
mir  aber  hier  nicht  musculös   scheinen)  in   der  Lage  erhalten 
werden;  wodurch  eine  grössere  Anzahl  der  Haupthöhle  der  Am- 
pulle äusserlich    anliegender    spindelförmiger  Nebenhöhlen    ent- 
stehen: offenbar  eine  Vergrösserung  der  •  Sauerstoff  abgebenden 
Oberfläche.    Bezüglich  der  Tastfüsschen^  welche  um  Mund   und 
After  stehen^  habe  ich  der  Hoffmann'schen  Beschreibung   nichts 
hinzuzufügen. 

Wenn  wir  uns  nun  zu  der  Blutcirculation   der  Spataiig:en 
wenden,  so  finden  wir  hier  die  beiden  Gefässsysteme,  das  des 
Darms  und  das  der  Ambulacra,  nur  durch  eine  feine  Anastomose 
mit  einander  verbunden,  und  den  um  den  Mund  gelegenen  Blut- 
gefassring  dem  Ambulacralsystem  fast  ausschliesslich  angehörend : 
ein  Uebergang  zu  dem,  was  wir  später  bei  den  Holothurien  finden 
werden.    Hoffmann  beschreibt  nur  die  Darmgefässe  und  schweigt 
von  einem  Binggefäss  um   den  Mund  gänzUch;  und  da  es  ihm 
bei  unbeschränktem  Vorrath  von  frischem  Material  nicht  hat  ge- 
lingen wollen,  ein  solches  und  seine  Verbindung  mit  den  ersteren 
aufisufinden,  so  hatte  ich  bei  meinen  geringen  Mitteln  wenig  Hoff- 
nung auf  weiteres  Vordringen.    Es  blieb  mir  nur  eine  Methode 
ttbrig,  nämlich  durch  Querschnitte  zu  untersuchen,  ob  ein  Gefi&ss 
am  Oesophagus  herablaufe,  und  wie  weit.   Dies  ist  nun  allerdings 
der  Fall,  und  zwar  läuft  dicht  neben  dem  Steincanal,  welcher  wie 
bei  den  Echinen  an  der  dorsalen  Seite  des  Oesophagus  durch  eine 
schmale  Mesenterialplatte  angeheftet  ist,  ein  grösseres  Gefäss, 
ungefähr  von  demselben  Lumen,  wie  er  selbst,  während  er  bei 
den  Echinen  nur  von  einem  bis  zwei  ganz  feinen  Gefässen  be- 
gleitet war,  wogegen  ich  ein  ventrales  Gefäss,  welches  dort  stark 
ist,  nicht  finden  kann.    Dies  Gefäss  tritt  ohne  merkliche  Ver- 
engerung so  nahe  an  den  Mund  heran,  als  man  überhaupt  unter- 
suchen kann,  und  es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  es  in  den 
ßlutgefässring,  dessen  Vorhandensein  ich  später  nachweisen  werde, 
wirklich  eintritt. 

Auch  den  Analring  lässt  Hoffmann  unerwähnt,  und  obgleich 
es  mir  auch  hier  nicht  vergönnt  war,  ihn  selbst  aufzufinden,  so 


Beiträge  zur  Anatomie  der  EehinodermeiL  535 

sah  ich  doch,  wie  bei  Echinas,  ans  der  uamittelbaren  Nähe  des 
Afters  ein  zartes  Qefäss  mit  dem  Steincanal  zum  Herzen  hinab- 
steigen, weiches  sich  auch  nach  dem  Aastritt  aus  demselben 
wiedererkennen  liess,  und  am  Mastdarm  sehe  ich  zwischen  den 
zwei  Blättern  des  ventralen  Mesenteriums  ein  nicht  unbedeutendes 
Gefäss  dicht  an  jene  Gegend  herantreten ;  also  ist  auch  sein  Vor- 
handensein wahrscheinlich. 

In  Betreff  des  weitem  Verlaufs  der  Darmblutgefässe  schliesse 
ich  mich  ganz  an  Hoffmann  an.    Der  bei  weitem  stärkste  Stamm 
liegt  auch  hier  der  Goncavität  (Ventralseite)  der  untern  Darm- 
windung dicht  an  (Fig.  16)  und  entfernt  sich  erst  von  ihr  etwas 
weiter,  wo  Hoffmann's  Organ  den  Darm  verlässt,  um  fast  im 
rechten  Winkel  quer  über  zu  seiner  EinmtLndungsstelle  am  Ende 
des  Oesophagus  zu  laufen.    Hier  theilt  sich  das  Gefäss  in  drei 
Zweige:  der  eine  nähert  sich  dem  Darm  allmählich  wieder  und 
begleitet  ihn  weiter,  ohne  aber  den  Mund  zu  erreichen;  an  der 
Stelle;  wo  er  mit  dem  Darmvertikel  zusanunentrifft,  gibt  er  einen 
Zweig  an  dieses  ab;  so  weit  gelangten  meine  Injectionen  ohne 
Schwierigkeit.    Nach  Hoffmann's  Beobachtung  aber  schlägt  sich 
ein  anderer  Zweig  desselben  um  den  Darm  herum  und  läuft  als 
Rückengefäss  an  demselben  Darmstttck  wieder  zurück.    Ich  habe 
das  nicht  gesehen,  zweifle  aber  nicht  daran,  trotz  der  grossen 
Abweichung  von  der  Circulation  bei  Echinus,  die  es  voraussetzt 
Der  andere  Zweig  des  Bauchgefässes  begleitet  Hoftaiann's  Organ 
und  gibt  nach  kurzem  Verlauf  einen  dritten  Zweig  nach  vom  ab, 
welcher  dicht  an  der  Innenseite  der  Stützplatte  verlaufend  in  die 
linke  Mundecke  tritt  und  sich  in  den  Wassergefässring  einsenkt. 
Diese  Verbindung  der  beiden  Gefässsysteme  ist  von  Hoffinann 
entdeckt;  ich  konnte  sie  durch  mehrfache  Injectionen  sowohl  in 
das  Veutralgefäss,  als  in  das  Herz  bestätigen.    An  allen  Stellen 
des  Darms  findet  man  auf  Querschnitten  sowohl  ein  Rücken-  als 
ein  Bauchgefäss ;  die  lacunären  Räume  und  feinen  Verzweigungen 
am  Darm  konnte  ich  nicht  injiciren,  sehe  aber  ihre  Lumina  deut- 
lich in  der  innern  Bindegewebsschicht  des  Darms. 

Wenn  man  den  Mund  von  Spatangus  nach  Wegnahme  der 
Schale  von  oben  betrachtet  (Fig.  17),  so  sieht  man  vor  der  queren 
Mundspalte  die  Oberlippe,  aus  einzelnen,  ovalen,  beweglich  ver- 
bundenen Kalkblättchen  zusammengesetzt,  nach  hinten  durch  den 
Anfang  der  Oesophagus,  nach  vom  durch  eine  abgerundet  poly- 
edrische  Figur  begrenzt,  aus  deren  drei  vorderen  Ecken  die  vordem 
Ambulacia,  aus  den  hiutcm  die  beiden  Ambulacra  des  Bauches 


536  Eeinhold  Teuscher, 

abgehen.  Diese  Figur  ist  (mit  Ausnahme  der  Basis  am  Oeso- 
phagus) durch  eine  doppelte  Linie  begrenzt;  die  äussere  (nr),  in 
der  Figur  durch  unterbrochene  Striche  angedeutet,  rührt  vom 
Nervenring,  die  innere  (ar),  von  jener  nur  wenig  abstehende, 
punktirtC;  vom  Wassergefässring  her,  und  man  kann  die  von 
jedem  von  beiden  nach  den  Ämbulacris  abgehenden  Zweige  sehr 
wohl  erkennen.  Die  Unterlippe  mit  der  Ergänzung  dieser  Ringe 
wird  in  der  Figur  durch  den  Oesophagus  verdeckt  Die  ganze 
Oberfläche  jenes  unregelmässigen  Fünfecks  nun  wird  von  einer 
losen  Membran  überspannt,  welche  Hoffmann  für  einen  Theil  der 
innem  Schalenhaut  hält,  die  sich  abgelöst  habe:  aber  die  innere 
Schalenhaut  lässt  sich  unter  ihr,  den  Ealktheilen  wie  überall  fest 
anliegend,  leicht  nachweisen.  Die  lose  Membran  ist  nichts 
Anderes,  als  die  Wand  des  hier  ungeheuer  erweiterten  Blutgefäss- 
rings.  Wenn  man  vorsichtig  eines  der  Ealkplättchen  der  Ober- 
lippe von  aussen  anbohrt  und  die  konische  Spitze  der  Spritze  in 
diese  Oeffnung  einsetzt,  so  gelingt  es  leicht,  diese  Höhlung  und 
ihre  Fortsetzung  am  Bande  der  Unterlippe  anzufüllen.  Jedesmal 
drang  der  Farbstoff  eine  Strecke  weit  in  die  Nervengefässe  der 
Badien;  einmal,  wie  es  mir  schien,  1 — 2  Mm.  in  das  am  Stein- 
canal  herablaufende  Blutgefäss.  Leider  erlaubte  der  Zustand 
meines  Materials  jiur  die  Anwendung  eines  sehr  schwachen  Drucks. 

Die  Unterlippe  des  Spatangus  tritt  unter  der  Oberlippe  nach 
vom  hervor,  und  so  kann  die  ihrem  Band  entlang  laufende  fünfte 
Seite  des  Mundrings  nicht  mit  den  vier  andern  in  derselben  Ebene 
liegen  und  die  Lage  der  Theile  gegen  einander  lässt  sich  kaum 
anders,  als  in  einem  Querschnitt  darstellen.  Einen  solchen  sehen 
wir  in  Fig.  18,  ol  Oberlippe,  ul  Unterlippe.  Wir  sehen  an  der 
Oberlippe  den  grossen  Blutsinus  (ngr),  an  seiner  Grenze  den 
Nervenring  (nr)  einschliessen,  welcher,  nur  mit  einem  Band  be- 
festigt, oben  und  unten  von  der  Blutflüssigkeit  bespült  wird;  der 
enge  Ambulacralgefässring  (ar)  liegt  dem  Blutgefäss  äusserlich 
auf,  und  zeigt  häuflg,  am  deutlichsten  an  der  Unterlippe,  neben 
sich  ein  viel  kleineres  Gefäss,  welches  ihm  dem  Bau  nach  voll- 
kommen gleicht,  und  wahrscheinlich  zu  dem  oben  bei  dem  Am- 
bulacralwassergefäss  erwähnten  feinen  Gefäss  in  Beziehung  steht. 

Ganz  nach  innen,  wo  die  Ealkplatten  am  beweglichsten  und 
bei  geöffnetem  Mund  nach  innen  zurückgeschlagen  sind,  zeigen 
sich  die  Durchschnitte  der  Fasern  eines  kräftigen  Bingmuskels  (rm), 
bestürmt,  den'  Mund  zu  schliessen.  An  der  Unterlippe  treffen 
wir  alle  diese  Theile  wieder  an.    Der  Blutgefassring,   obgleich 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  537 

.(f  _    viel  enger,  als  an  der  Unterlippe^  ist  doch  noch  viel  volnminöser^ 

r .'    als  bei  anderen  Echinodermen ;  nach  aussen  wird  er  hier  nicht 

von  der  Schale  begrenzt^   sondern  vom  Anfang  der  Darmhaut. 

Y^_      Aensserlich  liegt  ihm,  wie  dort,  der  Ambalacralring  (agr)  an,  der 

^  _     Nervenving  (nr)  liegt  in   seinem  Innern,   aber  hier  mit  beiden 

Bändern  befestigt,  obgleich  ebenso  wohl,  wie  auf  der  Oberlippe, 

^  ,     allerseits  vom  Blute  umspült.    Von  dem  Blutgefilssring  gehen  die 

,^       Nervengefässe  nach  den  fünf  Ambulacris  ab  (Fig.  13),  und  zwar 

^       liegt  der  Nerv  ebenso,  wie  bei  den  Eohinen,  in  der  Mitte  derselben, 

durch  die  feine  Platte,  auf  der  es  raht,  nur  an  den  Rändern  in 

7       ihm  befestigt,  und  ist  von  allen  Seiten  mit  Blut  umgeben.    Die 

äussere  Wand  des  Nervengefässes  ist  nicht,  wie  bei  Echinus,  nur 

in  der  Mittellinie  an  die  Schalenhaut  angeheftet,  sondern  macht 

mit  letzterer  in  seiner  ganzen  Breite  ein  Ganzes  aus;  die  obere 

['^^,      Wand  ist  auffallend  dick,  und  zeigt  in  seiner  Continuität  eine  bis 

Z^      drei  Oeffnungen  (bg),  offenbar  Oefasslumina,  welche  mit  Coagulum 

1      dicht  gefallt  zu  sein  pflegen ;  über  Ursprung  und  weitem  Verlauf 

^      dieser  Gtefässe  konnte  ich  nichts  erforschen:  vielleicht  sind  sie 

Anfänge  der  Seitenzweige,  welche  zu  den  Fttsschen  treten.    Bei 

gewissen  Holothurien  werden  wir  etwas  ähnliches  finden,    lieber 

die  Epithelien  der  Blutgefässe,  sowohl  bei  Echinen  als  Spatangen, 

".^        erlaubt   mir  der  Erhaltungszustand   meines   Materials  kein  be- 

^;        stimmtes  Urtheil. 

Der  Querschnitt  des  Nerven  (Fig.  13)  ist  nicht,  wie  bei  den 
Echinen,  in  der  Mitte  verdünnt,  sondern  gleich  breit  und  ver- 
dünnt sich  nar  nach  beiden  Bändern  hin.  In  Betreff  seiner  histo- 
logischen Elemente  verweise  ich  auf  das  bei  den  Echinen  gesagte ; 
^'  er  besteht  aus  zarten  Längsfasem  ohne  Querfasem;  er  enthält 
^  stellenweis  zahlreiche  Pigmentkömer  und  an  seiner  der  Schale 
^,  zugewendeten  Seite  eine  Schicht  Nervenzellen,  welche  den  dort 
"''         beschriebenen  völlig  gleichen. 

lieber  den  Verlauf  des  Darmes  bei  Spatangus  habe  ich  oben 
gesprochen;  es  bleibt  mir  nur  noch  übrig,  einiges  über  seinen 
histologischen  Bau  hinzuzufügen.  Derselbe  weicht  von  dem,  was 
wir  bei  andern  Familienverwandten  gesehen  haben,  in  nichts 
wesentlichem  ab,  nur  ist  im  Allgemeinen  sein  bindegewebiger 
Theil  stärker  entwickelt,  als  bei  irgend  einem  der  bisher  be- 
trachteten Thiere,  offenbar  weil  der  schwere,  sandige  Inhalt  eine 
gewisse  Consistenz  der  Darmwände  voraussetzt.  Auch  hier  wird 
die  äusserste  Schicht  von  einem  Flimmerepithel  gebildet,  in  eine 
dünne  hyaline  Bindegewebsschicht  eingeschlossen,  dann  folgen 


538  Reiiihold  Teoscher, 

die  Bing-  und  die  Längsmuskeln;  yne  immer  am  stärksten  im 
Oesophagus  entwickelt,  aber  im  Oanzen  ziemlich  schwach,  so  dass 
man  erstaunt,  wie  durch  einen  so  unbedeutenden  Apparat  eine 
so  bedeutende  träge  Sandmasse  zum  Theil  aufwärts  befördert 
werden  kann.  Auch  im  Oesophagus  ist  die  Bindegewebsschicht 
am  dicksten  (bs,  Fig.  19);  sie  besteht,  wie  überall,  aus  hyaliner 
Grundsubstanz  mit  vielen  geschlängelten  Fasern,  Zellen  und 
Körnern  und  enthält  Pigment,  welches  besonders  in  den  hinteren 
Theilen  des  Darms  massenhaft  auftritt,  in  schwarzen  und  gelben 
Körnern.  Nach  innen  erhebt  sich  die  Bindegewebsschicht  in  die 
bekannten  Längsleisten,  welche  hier  auffallend  schmal  und  steil 
ansteigend  erscheinen,  besonders  im  Oesophagus,  während  ich 
sie,  zumal  im  Divertikel  und  in  dessen  Nähe,  mehr  abgerundet 
sehe.  Das  Innere  dieser  Gewebslage  enthält  die  den  Darm- 
gefä49sen  angehörenden  feinen  Oeffnungen,  welche  je  nach  der 
Oertlichkeit  von  sehr  verschiedener  Häufigkeit  sind,  am  gedräng- 
testen in  der  untern  Darmwindung,  am  seltensten  im  Mastdarm. 

Die  Darmhaut,  welche,  wie  anderwärts,  die  innere  Fläche 
des  Darms  überzieht,  unterscheidet  sich  im  Bau  in  nichts  von 
dem,  was  wir  bisher  gesehen  haben.  Sie  besteht  aus  Querfasem 
mit  dazwischen  liegenden  Zellen,  aber  ihre  Dicke  ist  hier  geringer, 
als  irgendwo,  und  beträgt  z.  B.  im  Oesophagus  des  Spatangus  nur 
1,  wenn  wir  dieselbe  Schicht  an  derselben  Stelle  bei  Echinen  gleich 
5  setzen.    Im  Divertikel  ist  sie  etwas  stärker  entwickelt. 

Von  der  äussern  Haut  weiss  ich  nichts  zu  sagen.  Die 
Stacheln  der  Spatangen  sind  etwas  anders  gebaut,  als  die  der 
Ediinen.  Letztere  enthalten  bekanntlich  einen  Kern,  ganz  aus 
dem  gewöhnlichen  Schalengewebe  bestehend,  von  welchem  nach 
der  Peripherie  regelmässige,  markstrahlenähnliche  Scheidewände 
ausgehen;  zwischen  diesen  Scheidewänden  liegt  dann  eine  oder 
zwei  Reihen  durchsichtiger  Kalkprismen,  welche  dem  Stachel 
seine  Steifigkeit  und  der  Spitze  ihre  Feinheit  geben,  man  könnte 
sie  Krystallprismen  nennen.  An  der  Basis  des  Stachels  werden 
diese  Prismen  von  der  Harkmasse  auch  äusserlich  eingehüllt.  Bei 
Spatangus  existirt  ein  Markgewebe  nicht  oder  nur  im  Rudiment ; 
das  Centrnm  des  Stachels  wird  von  einer  Höhle  eingenommen 
(Fig.  20),  und  um  diese  herum  liegen  concentrisch  zwei  Lagen 
Krystallprismen,  eine  innere,  kleinere,  und  eine  äussere,  breitere 
und  dickere.  Zwischen  beiden  Lagen  befindet  sich  eine  Reihe  ovaler 
kleiner  Höhlungen,  von  denen  jede  durch  feine  Ganäle  zvnschen 
je  zwei  innem  Prismen  hindurch  mit  der  Centralhöhle,  zwischen 


fieitriige  zur  Anatomie  der  Bchinodermen.  53d 

je  zwei  äassem  Prismen  hindurch  mit  der  Aussenwelt  commnnicirt ; 
ausserdem  stehen  sie  alle  seitlich  mit  einander  in  Zusammenhang : 
also  ist  während  des  Lebens  der  Stachel  mit  Seewasser  angeftiUt 
An  der  Luft  verdunstet  dasselbe  sehr  schnell,  der  Stachel  füllt 
sich  mit  Luft,  welche  ihm  das  bekannte  seidenglänzende  Ansehen 
giebt.  Das  ganze  Innere  ist  Übrigens  mit  einer  äusserst  zarten 
Membran  ausgekleidet  und  zeigt  hier  und  da  Haufen  von  Pigment- 
körnern. Die  Basis  jedes  Stachels  besteht  aus  gewöhnlichem 
Schalengewebe  und  ist  nicht  durchbohrt.  — 


B4.  X.  N.  p.  m.  4.  85 


540  Bßiobold  Tenaeber, 


ErkUnug  der  AMttiaac:». 


Taf.  XX. 

Fig.  J.  Untere  Darmwiodang  von  Echiniu  escnlentos  ¥on  nieten  gesehen, 
oes  Eintritt  des  Oesophagus  in  die  untere  Darmwindung,  odw  deren 
Uebergang  in  die  obere,  HO  Hoffmann's  Organ,  rg  Biickengeftss, 
rg'  zweites,  frei  herabhängendes  Biickengefass,  bg  Banchgefass,  mp 
Andentang  der  Lage  der  Madreporenplatte. 

Fig.  2.  Aftergegend  von  innen,  von  demselben,  gp  Genitalplatten,  mp 
Madreporenplatte,  md  Mastdarm,  oes  Oesophagus,  vtl  Ventrals^te 
des  Darms,  drs  Dorsalseite  desselben,  stk  Steincanal,  hz  Hers,  m 
Mesenterium,  zm  Achtung  des  Oesophagus  zum  Mund,  zd  dessen 
Eichtung  zur  ersten  Darmwindung. 

Fig.  3.  Ein  Stuck  der  Oberfläche  der  Laterne,  von  demselben,  oes  Oeso- 
phagus, stk  Steincanal,  ar  Ambnlacralring,  Pb  Poli*s  Blase:  das 
dunkle  Innere  deutet  an,  wie  weit  Injectionen  eindringen,  se  das 
weiche  Ende  der  Zähne,  bs  Bogenstücke,  py  Pyramiden. 

Fig.  4.  Querschnitt  durch  das  Herz  von  dems.  stk  Steincanal,  drsg  Dorsal- 
gefass. 

Fig.  5.  Querschlifi  durch  die  Laterne  von  dems.  py  Pyramiden,  z  Zähne, 
ipm  Interpyramidalmuskeln,  ag  lYassergefäss,  vom  IVassergefässring 
zum  Ambulacrum  verlaufend,  bg  Blutgefässe,  vom  Blutgefassring 
ebendahin  gehend,  s  Sehnen,  welche  den  Pharynx  an  die  fünf  Deck- 
stücke befestigen,  bl  bindegewebige  Leisten,  ib  innere  Bindegewebs- 
schiebt  des  Pharynx. 

Fig.  6.  Längsschlifi  durch  dieselbe,  ph  Pharynx,  bs  Bogenstücke,  qs  Deck- 
stücke, py  Pyramiden,  stk  Steincanal,  ar  Wassergefässring,  Pb  Poli's 
Blasen,  ag  Verlauf  der  Wassej^efässe  zum  Ambulacrum,  br  Blut- 
gefassring, ng  Nervengefäss,  nr  Nervenring,  mf  Mundfalte,  bl  binde- 
gewebige Leiste. 

Fig.  7.  Durchschnitt  durch  das  Ambulacralgefäss  von  Echinus  esc  ag  Am- 
bulacralgefäsB,  ng  Nervengefäss,  an  Ambulacralnerv. 

Fig.  8.  Längsschnitt  durch  ein  Sangfüsschen  von  Echinus  saxatilis,  hs  Hant- 
schicht, bs  Bindegewebsschicht,  ms  Muskelschicht,  qf  Querfasem, 
If  Längsfasem,  kr  Kalkring,  ks  Kalkrosette. 

Fig.  9.  Theil  eines  Querschnittes  durch  ein  Saugfusschen  von  Echinus  esc 
cu  Cuticula,  hs  Hautschicht,  bwl  longitudionale  Bindegewebsschicht, 
bwq  Querschicht  derselben,  m  Muskeln,  ep  Epithel,  n  Nerv,  bg  Blut- 
gefäss. 

Taf.  XXI. 

Fig.  10.  Durchschnitt  durch  die  untere  Darmwindnng  von  Echinus  esculentos. 
dw  Darmwand,  gl  Gefässlücken,  mb  Muskelbündel,  HO  Hofimann's 
Organ,  bg  Bauchgefäss. 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  541 

Fig.  II.    Querschnitt  durch  eine  Ampulle  von  dems.    mb  Muskelbündel. 

Fig.  12.  Querschnitt  durch  den  Oesophagus  Ton  Echinus  esc.  cu  Cuticula, 
hs  Hautschicht,  bs  Bindegewebsschicht,  Im  Längsmuskeln,  qm  Quer- 
muflkeln. 

Fig.  13.  Querschnitt  durch  das  Ambulacrum  Ton  bpatangus  meridionalis.  ks 
Kalkschale,  an  Ambulacralnerv,  ng  Nervengefäss,  bg  Blutgefäss,  beig 
Nebengefäss  des  Wassergefässes. 

Fig.  14.  Querschnitt  durch  HoiTmann's  Organ,  wo  es  den  Darm  verlassen 
hat,  über  der  untern  Mesenterialplatte.  mp  Mesenterialplatte,  HO 
HoiTmann's  Organ,  bg  Bauchgefäss.  . 

Fig.  15.    Dasselbe  in  Verbindoog  mit  der  untern  Darmwindung. 

Fig.  16.  Schematische  Darstellung  der  Eingeweide  von  Spat.  mer.  nach  Weg- 
nahme der  obem  Schalenhälfte ;  der  Darm  ist  sehr  dünn  gezeichnet, 
um  den  fikiblick  in  die  tiefer  liegenden  Theile  zu  erlauben,  udw 
ti&tere  Darmwindung,  odw  obere  Darmwindung,  dv  DiTertikel,  zn- 
rückgeschlagen,  r  Rectum,  oes  Oesophagus,  stk  Steincanal  punktirt, 
oc  obere  Communication  der  Wasser-  und  Blutgefässe,  bg  Bauch- 
gefäss, HO  Hoffmann's  Organ,  sp  Stützplatte,  Hc  HoiTmann's  Com- 
munication. 

Fig.  17.  Oberlippe  von  oben  gesehen  nach  Wegnahme  der  sie  bedeckenden 
rheile.  ol  Oberlippe.  Das  sohattirte  Stück  wird  vom  Blutgefäss- 
riiig  eingeaonmien,  nr  Nervenring,  ar  Wassergefäsoring,  sp  Stütz- 
platte,  Hc  Hoffmann's  Communication. 

Fig.  18.  Quersclinitt  durch  den  Mund  von  Spat  mer.,  ol  Oberlippe,  ul  Unter- 
lippe, ngr  Nervengefässring,  nr  Nervenring,  ar  Wassergefässiing,  rm 
Ringmuskel,  mh  Mnndhaut. 

Fig.  19.  Querschnitt  durch  den  Oesophagus  von  dems.,  dh  Darmoberhaat,  bs 
Bindegewebsschicbt,  Im  Längsmuskeln,  rm  Quermuskeln,  ep  £pitheL 

Fig.  20.    Querschnitt  durch  einen  Stachel  von  dems. 


86^ 


542  Reinhold  Teuscher, 


V.  Holothuriae. 

Von  allen  Echinodermenclassen  sind  die  Holothurien  wegen 
ihres  geringeren  Kalkgehalts  am  leichtesten  zn  nntersuchen,  und 
daher  durch  die  Arbeiten  von  Tiedemann^  J.  M.  Baar  nnd  Semper 
am  besten  bekannt  geworden.  Mir  selbst  stand  zu  meiner  Arbeit 
eine  grössere  Zahl  von  Holothuria  tnbnlosa  zu  Gebote,  welche  ^ch, 
um  das  Ausstossen  des  Darms  zu  verhüten,  der  Länge  nach  auf- 
geschlitzt hatte,  so  dass  der  Darm,  wenn  auch  yerschoben,  doch 
in  seiner  Gontinuität  erhalten  wurde.  Darauf  ward  jedes  Exem- 
plar in  Flor  eingehüllt  und  in  Alkohol  gehärtet  Für  einige 
seltnere  Thiere  zum  Vergleich,  wie  Cuvieria,  Gaudina,  bin  ich  der 
vielerprobten  Freigebigkeit  des  H.  Prof.  Haeckel  zu  Dank  ver- 
pflichtet. Meine  Schilderung  bezieht  sich  überall  auf  Holothuria 
tub.,  wo  ich  nicht  ein  anderes  Thier  nenne. 

Ich  gehe  von  einem  Durchschnitt  des  Ambulacrums  aus,  in 
dessen  Darstellung  ich  am  meisten  von  den  Arbeiten  meiner  Vor- 
gänger abweiche.  An  der  Innern  Körperoberfläche  ragt  zuerst 
das  Ambulacralgefäss  hervor  (ag,  Fig.  1),  von  mehr  oder  weniger 
dreieckigem  Querschnitt,  mit  den  beiden  flügelartig  von  ihm  aus- 
gehenden Längsmuskeln  (Im).  Die  einzelnen  Muskelfasern  liegen 
getrennt  und  in  hyaline  Bindesubstanz  eingebettet.  Ans  letzterer 
besteht  auch  die  Wand  des  Gefässes  und  enthält  nur  wenige  ge- 
schlängelte Fasern  und  einige  von  den  bekannten  kleinen  kern- 
führenden  Zellen,  welche  man  wohl  in  allen  Geweben  der  Echino- 
dermen,  am  häufigsten  bei  den  Holothurien,  zerstreut  findet,  und 
welche  ich,  da  sie  öfters  zu  erwähnen  sein  werden,  „zerstreute 
Zellen^'  nennen  will.  Das  Innere  des  Gefässes  ist  mit  einem  im 
Leben  flimmernden  Epithelium  ausgekleidet.  Von  den  Seiteneeken 
des  Gefässes  gehen  die  Canäle  zu  den  Saugfüsschen  ab  (sf) ;  zuerst 
eng,  dann  sich  erweiternd,  laufen  sie  parallel  dem  Ringmuskel 
bis  zur  Ampulle  (am),  welche  sich  zwischen  dessen  Fasern  nach 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  543 

inDen  durchdrängt,  worauf  die  HöhluDg  des  FttsscheuB  senkrecht 
nach  aussen  abgeht  Der  Bau  der  Saugftisschen  der  Holoth.  tub. 
weicht  in  keinem  wesentlichen  Punkte  von  dem  bei  andern  Echino- 
dermen constatirten  ab  (Fig.  2).  So  lange  dieselben  im  Innern 
des  Corium  verlaufen,  bemerkt  man  neben  dem  innem  Epithel 
eine  Längsmuskelschicht,  welche,  anfangs  sehr  schwach,  um  so 
mehr  zunimmt,  je  weiter  man  nach  aussen  fortschreitet.  Die 
darauf  folgende  Bindegewebslage  (bs)  zeigt  nicht  die  deutliche 
Ring-  und  Längsfaserung,  die  wir  am  schärfsten  ausgeprägt  bei 
den  Echinen  gefunden  haben;  sie  ist  mehr  hyalin,  ihre  Fasern 
laufen  nach  allen  Richtungen,  wenn  auch  vorwiegend  longitudinal ; 
aber  sie  enthält  zahlreiche  Ealktheile,  bestehend  aus  leicht  ge- 
bogenen Stäbchen,  mit  der  Concavität  nach  innen  gelegen,  welche 
sich  gewöhnlich  nach  einem  Ende  zu  verbreitem  und  dort  man- 
cherlei Zacken  und  Oeffhungen  zeigen.  Vermöge  ihrer  Lage  und 
Oestalt  dürften  sie  bestimmt  sein,  einer  Verengerung  des  innem 
Lumens  entgegenzuwirken.  In  der  Bindegewebsschicht  der  Fttss- 
chen  liegt  auch  der  Nervenstrang,  wovon  später.  Das  reichliche 
schwarzbraune  Pigment,  welches  schon  in  dieser  Lage  hier  und 
da  auftritt,  wird  in  der  eigentlichen  Hautschicht  so  massenhaft, 
dass  es  sehr  schwierig  wird,  deren  feineren  Bau  näher  zu  er- 
gründen; doch  erkennt  man  auch  hier  deutlich  zwei  Schichten, 
eine  innere,  aus  feinen  in  allen  Richtungen  durcheinander  laufen- 
den Fasern,  und  eine  äussere,  deren  Fasern  quer  laufen.  Die 
innere  Hautschicht  enthält  ausschliesslich  die  länglich  ovalen  mit 
zwei  Reihen  von  Löchem  versehenen  gewöhnlichen  Kalkkörper 
der  Holoth.  tub.,  die  äussere  nur  die  sogenannte  Stühlchenform 
in  geringerer  Anzahl.  Das  Pigment  findet  sich  in  feinen  Eömem 
meist  den  Bindegewebsfasern  angelagert,  und  gibt  diesen  ein  perl- 
schnurartiges Ansehn. 

Die  Bindegewebsschicht  erweitert  sich  vor  der  Spitze  zu  einer 
Scheibe,  wie  bei  den  Asterien  und  Echinen,  in  welchen  dann  die 
Kalkrosette  liegt,  eine  von  runden  Löchern  durchbohrte  Scheibe, 
ohne  Centralöffhung.  Durch  jedes  Loch  tritt  ein  Bindegewebs- 
faden,  was  ja  auch  bei  den  gewöhnlichen  Kalkkörpem  der  Cutis 
Statt  hat.  Die  vor  der  Rosette  liegende  Hautschicht  wölbt  sich 
kissenartig  vor  und  zeigt  bei  reichlichem  Pigmentgehalt  die  ge- 
wöhnlichen Zellen  und  transversalen  Fasem  der  Echinodermen- 
haut.  Die  Haut  der  Fttsschen  tritt  an  der  Spitze  ringsherum 
wallartig  vor  (hw,  Fig.  2)  und  bildet  so  den  Rand  des  Saug- 
napfs, während  das  Kissen  mit  der  Rosette  stempelartig  zurück- 


I 

f 


544  Keinbold  Teuflcl^er, 

g^ogen  wird,  am  dits  Yacuum  zo.  bildeo.  Eine  getrennte  Wii:knng 
der  einzieli^n  MuBl^elschichtqn  ist  also  liier  unnOthig.  Die  auf 
Hantpapillen  stehenden  Füsschen  des  Biviums  sind  ap  der  Spitze 
einfach  abgerundet  und  enthalten  keine  Rosette.  Trägt  man  ebe 
solche  Papille  ab,  so  findet  man  die  iQnere  HOhlang  sehr  be- 
trächtlich^ bis  zu  2  ]tf  m.,  vorzüglich  in  der  Nä^e  des  Vorderondes ; 
sie  eignet  sich  gut  zur  Injection  des  Wassergefässsyst^ms. 

Bei  Cucumaria  doliolu^  sehe  ich  keine  Ealkrosette,  wohl 
ab^r  den  Hantwall  um  die  dpitze  der  Füsschen.  Die  verschiedenen 
Kalkgebilde  finden  sich  sehr  reichlich^  wodurch  die  6ewe]i>e  steif 
werden.  Die  Saugfüsschep  von  Cuvieria  besitzen  dei)  Hautwall 
nicht,  ihr  Ende  biidjet  eipe  ebnje  Scheibe;  die  Rosßtte  besteht  aus 
mehreren  Stücken.  Der  weitere  Verlauf  der  Wassei^efäscie  bis 
zum  Schlundring  ist  bekannt  genug;  Semper  rechnet  bei  den 
Holothurien  noch  die  ganze  Leibeshöhle  zum  WassergefässsysteiB, 
wahrscheinlich  wegen  der  Gommunication  durch  die  Poren  des 
Steinsacks:  aber  wie  dann  bei  den  andern  Echinodermenclassen, 
wo  der  Steincanal  in's  Meer  ausmündet? 

Auf  unserem  Querschnitt  sehen  wir  auf  das  Ambulacralgefass 
nach  aussen  ein  viel  engeres,  nur  in  der  Mitte  etwas  erweitertes 
Oefäss  folgen,  das  Nervengefäss  (ng,  Fig.  1).  Die  Scheidewand 
zwischep  beiden  (sw)  besteht  aus  einem  starken  bindegewebigen 
Bande,  in  seiner  Substanz  ausschliesslich  aus  kräftigen  Querfasem 
bestehend;  d.  h.  quer  im  Verhältniss  zur  Richtung  der  Gefässe; 
nur  auf  seiner  äussersten  Oberfläche^  sowohl  nach  innen  als  nach 
aussen,  erscheinen  einige  zarte  Ijängsfäden.  Auf  seiner  ambula- 
oralen  Oberfläche  trägt  es  die  Fortsetzung  des  Epitheliums  des 
Wassergefässes ;  auf  der  äussern  aber,  dem  Nervengefäss  zu- 
gewendeten, eine  höchst  auffallende  Bildung.  Die  Zellen  des 
Epitheliums  ragen  nämlich  auf  deutlichen  Stielen  stehend  frei  in 
das  Lumen  des  Gefässes,  hinein.  Ich  habe  diese  seltsame  Xbat- 
Sache  an  hunderten  von  Schnitten,  von  wenigstens  15  verschiedenen 
Exemplaren  herrührend,  immer  wahrgenommen,  und  bin  voll* 
kommen  sicher,  dass  dabei  keine  Zerreissung  oder  dergli^eben 
vorliegt.  Die  Zellen  sind  oval,  durchschnittlicb  0,065  Mm.  lang 
uud  0,050  breit,  mit  einem  deutlichen  Kern  versehen,  der  Inbalt 
leicht  kömig.  Sie  sind  impier.  der  Länge  nach  angeheftet^  die 
Stiele  sehr  wenig  länger,  als  die  Zellen  selbst,  nicht  über  0,001  Mm. 
im  Durchmesser;  sie  verdicken  sich  ein  wenig,  um  in  die  Spitze 
der  Zelle  ttbenugehen.  Bei  keiner  andern  der  von  mir  untersachten 
Holothnrien,  Gucnmaria,  CSnvieria,  Candina,  Sjnapta  finde  ich  eine 


Beiträge  zur  Anatoihie  der  Eobinodermen.  545 

tthnlidie  Bildung;  überall  zeigt  sich  an  der  betreffenden  Stelle  ein 
eiBÜMiheg  EpUbelinm. 

Wenn  man  einen  Querschnitt  darc&  das  Ambniacrnm  von 
Holoth.  tnb.  nnter  dem  Simplex  so  zenreissl^  däss  man  bei  fixlrter 
Cutis  znerst  dad  Ambnlacralgeftes  abreisst^  ko  folgt  diesem  nnr 
6i6  dünde  BindegewebslagC)  Welche  die  Ringmnskeln  nach  der 
Leibeshöhle  %n  bekleidet  und  dasf  Flimmerepithel  trägt ;  reisst  man 
dwaltf  die  Scheidewand  zwischen  Wasser-  nnd  Ner^engefäss  ab, 
so  folgt  dieser  jedesmal  die  Sfehicht  der  Ringmnskeln;  Welche  tirft 
ibr  in  inniger  Verbindnl^  steht;  ja  man  sieht  die  Bindegewebs- 
fasern  der  Scheidewand  tief  zwischen  die  Mnskelfasem  eindringen. 
Und  nati  begreift  leicht,  dass  die  fttnf  Ringmnskeln  durch  ein 
festes  und  unnAehgiebige»  Band  unter  einander  vereinigt  sein 
mMMUi  soll  nicht  bei  ihren  bekanntlich  sehr  kräftigen  Zusammen- 
ziehnngen  das  Ambnltfcralgefftss  wenigstens  ganz  abgeplattet,  das 
wenig  resistente  Nervenband  zerrissen  werden.  Am  deutlichsten 
erhellt  diette  Bedeutung  der  Scheidewand  aus  ihrem  Verhalten  bei 
da«  Sjmapta  digitata.  Dort  fehlt  das  Ambnlacralgefilss,  aber  nicht 
Nervengefitos,  nnd  der  Ringmnskel  läuft  unverändert  und  ohne 
durch  fünf  Bänder  unterbrochen  zu  sein  ttber  das  Ambniacrnm 
weg,  zwischen  dem  Län^:smiiskel  nnd  dem  Nervengef^s  hinduroh. 

Das  Nervengefftss  ist  bei  Holothuria  tub.  leicht  injicirbar,  ob- 
gleich die  Einführung  der  Ganäle  wegen  der  Starrheit  der  Scheide- 
wand etwas  schwierig  ist  Man  überzeugt  sich  dann  leicht,  dass 
jeder  abgehende  Fttsschennerv  von  ein^m  Zweige  desselben  be- 
gleitet wird;  dasselbe  hat  für  die  Nerven  der  Tentakeln  Statt. 
Auch  der  Nervengeflssring  ist  unschwer  zu  iigiciren.  Das  Nerven- 
gefihBs  begleitet  das  Wassergefäss  nach  dem  Munde  zu  bis  dabin^ 
wo  dasselbe  sieh  sammt  den  Längsmuskeln  an  den  Kalkring  an- 
legt)  um  dicht  an  dessen  Innenfläche  hinab  zum  Wassergefässring 
zn  laufen.  Hier  trennt  sich  das  Nervengefäss  und  der  Nerv  von 
ihm,  um  in  die  äussere  Lage  der  Sclilnndhant  einzutreten,  inner- 
halb deren  sich  der  Nervenring  und  der  ihn  begleitende  Nerven- 
gcffässring  befinden.  Das  Vorlmndensein  des  letztem  ist  an  jedem 
guten'  Radialsehnitt  des  Mundes,  der  den  Kalkring  begreift,  zu 
erkeiliien,  auch  ist  derselbe^  wenn  ich  mich  recht  erinnere,  schon 
an  Synäpta  von  Job.  Malier  aufgeblasen,  aber  unrichtig  gedeutet 
worden.  Der  Nervengeftssring  liegt  nach  innen  ^om  Nervenring, 
d.  h.  oaeh  der  Höhle  des  Schlundes  zu»  also  mit  dem  Ambula- 
erslgefäss  verglichen  auf  der  entgegengesetzten  Seite,  als  dieses, 
was  sich«  durch  die  Thatssche  erklärt,  dass  das  Stück  des  Am- 


546  Reinhold  Teoscher, 

bnlacralnerveDy  welcher  vom  TrennaDgBpnnkt  der  GefÜsse  bis  zum 
Nervenring  verläuft,  ganz  frei  im  Nervengefäss  liegt^  höchstens 
an  den  Seitenwänden  schwach  angeheftet  ist,  wie  es  die  Ambnia- 
cralnerven  der  Ophiaren  und  Echiniden  in  ihrer  ganzen  Länge 
sind«  Bei  den  Ophiaren  liegt  der  Nervenring  in  dem  Nerven- 
gefässring  frei,  beiderseits  von  Flüssigkeit  nmspttlt,  ebenso  bei 
Spatangns.  Bei  den  Asterien  aber  ist  die  Bertthrang  nur  ein- 
seitig, und  zwar  von  der  entgegengesetzten  Seite,  als  bei  Hole- 
thuria.  Die  Frage  über  das  Vorhandensein  eines  Blutgefässes 
längs  des  Am^ulacralnerven  und  seine  Beziehung  zu  diesem  ist 
schon  mehrfach  aufgeworfen  und  von  verschiedenen  Autoren  auf 
verschiedene  Weise  beantwortet  worden.  In  neuerer  Zeit  wurde 
sie  bejaht  von  Greeff,  verneint  von  Semper,  welcher  p.  148  seines 
Holothurienwerks  sagt:  „Blutgefässe  existiren  bei  den  namhaft 
gemachten  Aspidochiroten  nirgends  in  der  Nähe  des  Nerven/'  Er 
sagt  nicht,  dass  er  deren  anderswo  gefunden  habe. 

Der  Ambulacralnervenstrang  bildet  bei  unserem  Thier  ein 
nicht  sehr  breites,  aber  etwas  dickes  Band  (aan  +  ian  Fig.  1),  der 
Länge  nach  je  nach  dem  Contractionszustand  etwas  zusammen- 
gebogen, doch  nie  so  stark,  als  man  es  bei  den  Ästenden  findet 
Von  einem  Seitenrande  zum  andern  wird  es  durch  eine  Binde- 
gewebsplatte  (bp,  Fig.  1)  in  einen  äussern  (aan)  und  einen  innem 
(ian)  Theil  geschieden,  von  denen  der  erstere  bei  weitem  der 
mächtigere  ist,  etwa  wie  1:3.  Diese  Bindegewebsplatte,  welche 
schon  von  Andern  beobachtet  wurde,  verbreitert  sich  etwas  nach 
beiden  Bändern  und  seine  Fasern  schlagen  sich  dort  zum  grossen 
Theil  nach  beiden  SAen  um  das  Nervenband  herum  und  verlieren 
sich  zwischen  den  Gutisfasem.  Das  innere»  dem  Nervengefäss 
anliegende  Band  ist  in  der  Mittellinie  etwas  dünner,  nach  den 
Seiten  ein  wenig  verdickt ;  bei  dem  äusseren,  dickeren,  findet  das 
Gegensheil  statt.  Der  histologische  Bau  beider  ist  im  wesentlichen 
derselbe.  Die  Hauptmasse  beider  wird  wie  bei  allen  andern 
Echinodermennerven  gebildet  durch  zarte  opake  Fäden,  welche 
in  paralleler  Richtung  die  Länge  des  ganzen  Nervenstrangs  durch- 
laufen und  auf  dem  Querschnitt  als  grobe  Körner  erscheinen. 
Beide  Bänder  werden  ihrer  Dicke  nach  quer  von  dttnnen,  scharf- 
gezeichneten, glänzenden  Fasern  durchzogen,  die  ich  schon  bei 
Comatula  und  den  Ästenden  beschrieben  und  dort  als  binde- 
gewebiger Natur  nachgewiesen  habe,  bestimmt,  den  nur  von 
weichen  Theilen  bedeckten  Nerven  consistenter  zu  machen  und 
gegen   Druck    zu  schützen.     Die  Fasern   beider  Schichten   des 


Beitrüge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  547 

Kervenbandes  entspringen  deutlich  aus  der  zwischen  ihnen  ge- 
legenen Bindegewebsplatte  und  laufen  bis  zu  dem  gegenüber- 
liegenden Rande  einer  jeden,  wobei  die  des  äusseren  Bandes  sich 
mehrfach  theilen.  Verbindungen  dieser  Fasern  mit  Zellen  konnte 
ich  nirgends  wahrnehmen.  Als  dritter  Bestandtheil  des  Nerven- 
Strangs  erscheinen  Zellen  (nz,  Fig.  1)  an  der  äusseren  Grenze  des 
äusseren  Nervenbandes ,  im  Allgemeinen  zwei  unregelmässige 
Reihen  bildend;  auf  den  meisten  Schnitten  sieht  man  zu  jeder 
Seite  der  Mittellinie  eine  grössere  Zellengruppe  zu  einer  mehr  oder 
weniger  dreieckigen  Figur  zusammengehäuft,  ähnlich  wie  bei 
Ophiolepis  und  Echinaster.  Die  mittlere  Grösse  dieser  Zellen,  die 
ich  für  Nervenzellen  halten  muss,  beträgt  nicht  mehr  ak  0,005  bis 
6  Mm.,  während  die  Grösse  der  schon  erwähnten,  in  allen  Ge- 
weben sich  vorfindenden  ,,zer8treuten  Zellen'^,  von  denen  sie  sich 
weder  im  Ansehn,  noch  in  ihrem  Verhalten  gegen  Reagentien 
unterscheiden,  im  Mittel  0,004—  5  Mm.  ist  Es  dürfte  kaum  mög- 
lich sein,  eine  isolirte  Zelle  des  in  Rede  stehenden  Gewebes,  von 
ihrer  Lage  abgesehen,  mit  Sicherheit  den  Nerven-,  Epithel-  oder 
zerstreuten  Zellen  zuzurechnen.  Auch  zwischen  den  Nervenfasern 
beider  Abtheilungen  des  Nerven  sieht  man  einzelne  Zellen,  deren 
Natur  ich  unentschieden  lassen  muss.  Der  Rand  des  innem 
Nervenbandes  ist  gegen  das  Nervengef&ss  durch  ein  gewöhn- 
liches Epithel  abgegrenzt;  an  stark  contrahirten  Stächen  erscheinen 
dessen  Zellen  unregelmässig  Übereinander  geschoben. 

Wenn  man  das  Nervengefäss  mit  flüssigem  Carmin  Injicirt, 
so  färbt  sich  vermöge  seiner  grossen  ImbibitionsfUhigkeit  der 
Nervenstrang,  und  zwar  nicht  nur  der  Hauptstamm,  sondern  auch 
die  von  ihm  abgehenden  Zweige.  Von  den  Seitenrändem  des 
Ambulacralnerven  sieht  man  die  Fttsschennerven  abgehen,  welche 
dem  aus  dem  Wassergefäss  abgehenden  Canal  auf  der  Innenseite 
dicht  anliegen;  zwischen  beiden  verläuft  ein  feines  Blutgefäss, 
welches  ans  dem  Nervengefäss  austritt  Die  Hauptmasse  der 
Füsschennerven  wird  entschieden  von  dem  äusseren,  dickeren 
Theile  des  Ambulacralnerven  abgegeben;  doch  scheint  es  mir, 
dass  auch  von  dem  innem,  dünneren  Theil  einige  Fasern  dazu- 
treten.  Semper  behauptet  letzteres  mit  Bestimmtheit  Der  Füss- 
chennerv  besteht  aus  einem  deutlich  gefaserten  Strang  mit  einzelnen 
in  und  an  ihm  liegenden  Zellen.  In  dem  freien  Theile  des  Saug- 
ftlsschens  verläuft  er  im  innersten  Theile  der  Bindegewebsschicht, 
an  den  Muskeln  anliegend;  das  Lumen  des  ihn  begleitenden 
Oefässes  findet  sich  an  seiner  äusseren  Seite,  während  es  bei  den 


548  Reinliold  Teascluir, 

Eohinen  an  der  Inaengeite  des  Nerven  verlätiit.  Die  Tentakel- 
nerven  gehen  wenigstens  tbeilweise  diree4  an»  den  Mervenringe 
ab^  verhalten  sieh  tlbrigeng  im  Baa  and  Verkkaf  genau  wie  die 
Fflaschennerven.  Die  Hantnerven  (Fig.  10)  gehea  nur  ans  der 
breiten  peripherischen  Seite  des  Ambnlacralnerveli  ab,  ktonen  atoo 
auch  nur  ans  dem  blasseren  Band  (aan)  Fasern  erhalten.  Nahe 
am  Ursprung  zerfallen  dieselben  in  mehrere  stSrkete  Zwoge, 
die  sich  dann  erst  wieder  nahe  der  Oberfläche  in  feine  Faaem 
anflösen,  wekhe,  in  sehr  spitzen  Winkeln  abgehend  mid  mit 
Pigmentkömem  besetzt,  sieh  in  dem  sehr  nndiOFchsiehtigen  Cnti»- 
gewebe  verlieren,  ohne  dass  ich  sie  bis  aar  Oberfläche  hätte  Ver- 
folgen können.  Ob  aach  sie  von  einem  Zweig  des  Nervei^efitesea 
begleitet  werden,  habe  ich  nicht  beobachten  können. 

Semperas  Besohreibung  des  Badialnerven  in  seinem  Hole- 
thnrienwerk  weicht  von  der  meinigen  bedentend  ab.  Er  nnt«- 
scheidet  drei  oder  gar  vier  übereinander  liegende  Nervedschiehten, 
indem  er,  das>  Lomen  der  Nervengefässe  ttbersehend,  die  Scheide- 
wand zwischen  diesem  und  dem  Ambnlaoralgeftes  nnd  das  diese 
nach  anssen  begrenzende  Epiflielium  als  besondere  Nervenschiohien 
betrachtet  Wenn  der  Hokthnrienkörper,  wie  es  faeif  iknmer  in 
hidiem  Grade  geschieht,  sich  im  Tode  verktb^zt,  so  köbnen  nnf 
Theiie  von  hoher  Elasticität  ihre  geradlinige  Richtung  behalten, 
aber  anelastische,  und  dazu  gehört  ganz  vorzüglich  jene  Scheide- 
wand zwischen  beiden  Gefässen,  müssen  sich  in  mehr  ode(r  ntmget 
starke  Falten  legen.  Betrachtet  man  den  Längsschnitt  eines  so 
contrahirten  Ambalaerams,  so  erscheint  die  Scheidewtad  so  stark 
geschlängelt,  dass  man.  zwei  Beihen  dicht  über  und  neben  einander 
in  Quincunx  stehender  Nullen  zu  sehen  glaubt,  deren  Rundungen 
eid^  i^eitig  mit  den  unmittelbar  benachbarten  berühren.  Aus 
der  Nichtbeachtung  dieses  Umstands,  sowie  aus  zu  grosser  Dicke 
der  Schnitte  erkläre  ich  mir  die  Semper'schen  Resultate;  denn  es 
ist  klar,  dass  Querschnitte  durch  ein  so  faltig  contrahirtes  Am- 
bulacrum  die  Scheidewand  mehrfach  treffen  werden,  wodurch  so 
seltsame  Gestalten  entstehen  können,  als  sie  auf  Siemper's  Taf.  38, 
besonders  Fig.  5  zu  sehen  sind.  Nach  dem  hier  Gesagten  halte 
ich  es  für  überflüssig,  die  Gontroverse  auf  das  auszudehnen,  was 
Semper  weiterhin  über  den  Bau  des  Centralnervenrings  sagt,  wo 
er  an  seinen  Schnitten  seine  sämmtlichen  vier  Nervenschiditen 
unterscheiden  konnte. 

Von;  dem  hier  Geschilderten  finden  sich  bei  verschiedenen 
Holotburiraarten«  mancherlei  Abweichungen  in  Nebendingeui    Bei 


ßeiträge  zar  Anatomie  der  Ecliinodermen.  549 

Cucumaria  CHciunis  {Fig.  3)  sind  die  aUgemeineu  VerhiUtmsse 
diescillt^^  wie  bei  Holothnria  tub.  Der  L&ngsmxuikel  ist  einfacl^ 
besteht  nicht  aus  zwei  parallelen  Hälften^  und  in  Folge  davon 
erscheint  d^s  AmbnlacralgeßUs  etwas  zusammengedrückt,  mehr 
Bpaltartig..  Das  Auffallendste  ist  eine  Gefässöffuung,  welche  ich 
früher  nur  bei  Spatangos  gesehen  habe:  dieselbe  befindet  sich 
(Fig.  3x)  nngeführ  in  der  Mitte  der  Scheidewand  zwischen  Wasser- 
go^s  und  Nervengefäss>  betnägt  ihrer  Gapacität  nach  ungefähr 
V^bis  V4  des.  letztem  und  ist  meist  mit  einem  homogenen  äusserst 
feinkörnigen  Cioagulum  angefüllt;  wo  dasselbe  in  Folge  der  Be- 
h^dlung  herausgefallen  ist,  zeigt  sich  einj  offiies  Loimen,  in  dem 
ich  kein  Epithel  erkenne,  lieber  Ursprung  und  Bestimmung  dieser 
Gefässe  konnte  ich  nichtß  ergründen.  Vielleicht  dass  auch  diese. 
Besonderheit  zur  Hervorhringung  von  Semper's  dritter  und  vierter 
Neryenschicht  beigetragen  hat  Bei  Cucumaria  doliolum  findet 
sich  von  dieseffa  Gefäss  keine  Spur;  Ambulacral-  und  Nerven- 
gefäss  erscheinen  noch  mehr  zusammengedrückt  und  spaltfbrmig» 
lassen  sich  aber  überall  durch  Auseinanderziehen  eines  Querschnitts 
deutlich  erkennen. 

Caudina  arjenata,  obgleich  fusslos,  zeigt  doch  überall  die 
beiden  GefUsse^  wenn  auch  das  Wassergefilss  entschieden  enger, 
als  man  es  zu  finden  pflegt  Das  Vorhandensein  aber  von  seit- 
lichen Abzweigungen  desselben,  welche  blind  endigen  und  den 
Anfang  der  zu  den  Füsschen  gehenden  Canäle  darstellen  scdlen, 
wie  sie  Semper  a.  a«  0.,  p.  46  fUr  Haplodactyla  und  Caudina  be- 
hauptet, muss  ich  für  letztere  entschieden  in  Abrede  stellen.  Bei 
Candida  findet  sich  in  der  Scheidewand  ein  besonderes  Vorkommen ; 
es  läuft  nämlich  in  ihrer  Substanz  an  jeder  Seite  eine  Beihe  läng- 
licher, anregelmässig  gestalteter  Körper  hin,  deren  je  zwei  dicht 
hintereinander  liegen,  ohne  sich  zn  berühren«  Sie  sind  stark  lieht- 
brechend  und  durchaus  hyalin,  die  Oberfläche  etwas  höckrig,  die 
Consißtenz  von  fast  knorpeliger  Härte.  Alcalien  und  Säuren  machen 
dieselben  nur  wenig  aufqnellen;  conoentrirte  Salpetersäure  verr 
ursacht  einige  unregelmässige  Spalten. 

Cuvieria  squamata  zeigt  verschiedenes  Verhalten  je  nach  der 
Oertliehkeit.  Im  Bivium  kann  ich  keines  von  beiden  Gefässen. 
wahrnehmen,  obgleich  der  Verlauf  des  Wasser^efässes  durch  eine 
Zellenreihe  (das  Epithel)  angedeutet  wird ;  beim  Auseinanderziehen 
einea  Sehnitts  überzeugt  man  sich  vom  völligen  Geschlossensein 
der  Lumina,  an  der  Scheidewand  bleibt  fast  immer  ein  Theil  des 
Nervenaitiiaiigp  hängen,  der  übrigens  sonst  in  niehta  abweicht»  Das 


550  Reinhold  Tenscher, 

Letztere  findet  anch  statt  bei  dem  mittleren  Ambulacram  des 
Trivinms^  während  das  Wassergefäss  vollständig  entwickelt  ist 
An  den  beiden  Seitenambalacris  des  TriviumS;  dagegen  finden  sich 
beide  Gefässe  in  regelmässigen  Proportionen.  Doch  entspringen 
die  Sangflisschen  nur  einseitig;  nämlich  nach  der  Bauchseite  hin, 
sie  fehlen  nach  der  Seite  des  Kückens  zu;  in  der  Scheidewand 
findet  sich  ein  ähnliches  Gefässlumen,  wie  bei  Cucumaria. 

Bei  Synapta  fehlt  bekanntlich  das  Wassergefäss,  doch  ist 
das  Vorhandensein  eines  Gefässes  im  Ambulacrum  derselben  schon 
mehrfach  behauptet  worden.  Baur  verlegt  ein  solches  in's  Innere 
des  Nervenstrangs,  auch  Müller  hat,  wenn  ich  mich  recht  erinnere, 
es  aufgeblasen.  In  Wahrheit  findet  sich  ein  regelmässiges  Nerven- 
gefäss,  zwischen  dem  Ringmuskel,  der  hier  ununterbrochen  ttber 
das  Ambulacrum  hin  wegläuft,  und  dem  Nervenbande  gelegen. 
Diese  Lage  ist  überall  ein  sicheres  Erkennungsmittel  des  Nerven- 
gefUsses,  da  das  Wassergefäss  constant  innerhalb  des  Ring- 
muskels liegt 

Greefi  hat  in  den  Marburger  Sitzungsberichten  ftlr  1872  das 
Vorhandensein  eines  Nervengefässes  bei  den  Holothurien  be- 
hauptet ;  er  spricht  aber  auch  noch  von  dem  Vorhandensein  eines 
zweiten  Gefässes,  nach  aussen  vom  Nervenband,  was  einen  Bau 
ergeben  würde,  wie  der  von  mir  bei  Ophiuren  und  Echiniden 
geschilderte.  Ich  habe  diesen  Canal  bei  den  von  mir  untersuchteo 
Holothurien  öfters  gesehen,  aber  ohne  Ausnahme  bei  fortgesetzter 
Untersuchung  immer  als  Folge  einer  Zerreissung  erkannt,  nnd 
werde  weiter  unten  erklären,  warum  ich  die  Entstehung  solcher 
Zerreissungen  gerade  an  dieser  Stelle  ftir  besonders  leicht  halte. 
Auf  keinen  Fall  aber  kann  ich  GreefiTs  Erklärung  für  diese 
Verhältnisse  annehmen,  die  ja  auch  für  Ophiuren  nnd  Echinen 
Gültigkeit  haben  mtLsste,  dass  nämlich  jenes  äussere  Gefäss  der 
offenen  Ambulacralrinne  der  Seesteme  entspreche,  welche  bei 
Ueberwachsung  durch  die  äussere  Haut  als  Gefäss  erhalten  ge- 
blieben sei.  Nun  glaube  ich  aber  hinreichend  erwiesen  zu  haben, 
dass  die  äussere  Hautschicht,  welche  den  ganzen  Körper  der 
Astenden  überzieht,  sich  auch  über  die  Nervenstränge  hinweg 
erstreckt;  wenn  also  die  untere  Hautschicht,  die  Cutis  der  Holo- 
thurien, oder  die  ihr  entsprechende  Ealkschale  der  Echiniden, 
sich  über  die  Ambulacra  ausdehnt,  so  kann  sie  nur  sich  zwiscben 
der  schon  vorhandenen  äusseren  Hautschicht  und  dem  Nerven 
eindrängen,  und  ein  neues  Gefäss  kann  so  nicht  gebildet  werden. 
Nach  meiner  Ansicht  bilden  der  äussere  und  innere  Theil  des 


Beiträge  zar  Anatomie  der  Echinodermen.  551 

Nervengefäflses  der  Echiniden  und  Ophiuren  nicht  zwei  von  einander 
verschiedene  Gefässe,  sondern  nur  Hälften  eines  nnd  desselben 
Gefässes ;  der  ganze  Unterschied  besteht  in  der  verschiedenen  An- 
heftnng  des  Nervenbandes:  entweder  mit  seiner  ganzen  äusseren 
Fläche  (Grinoideen,  Asterien,  Holothnrien);  oder  mit  bestimmten 
Theilen  derselben  (Ophinren),  oder  mit  beiden  Seitenrändem 
(Eehiniden).  Es  scheint,  dass  überall  da,  wo  die  Ambnlacral- 
furche  nicht  durch  einen  Ealkpanzer  geschützt  ist,  die  Anheftung 
des  Nervenstrangs  eine  besonders  feste  sein  musste. 

Die  Abstammung  der  Echinodermen  kann  von  keinem  andern 
Typus  des  Thierreichs  hergeleitet  werden,  als  von  dem  der 
Würmer.  Das  Blutgefässsytem  der  Würmer,  abgesehen  von  den 
niederen  Formen,  die  hier  nicht  in  Frage  kommen,  besteht  im 
Wesentlichen  aus  einem  Rückengefäss,  welches  an  den  Darm  an- 
geheftet ist,  und  einem  Bauchgefäss,  welches  nach  innen  vom 
Bauchnervenstrang  verläuft  und  an  die  Leibeswandung  befestigt 
ist;  dazu  kommen  Verbindungszweige  dieser  beiden,  sowie  häufig 
ein  zweites,  kleineres  Bauchgefäss,  welches,  wie  das  Rttckengefass, 
der  Darmwand  angehört.  Bei  den  älteren  Echinodermenformen 
(Ästenden,  Oifhiuren)  ist  über  die  eigentliche  Darmcircnlation 
wenig  oder  nichts  bekannt;  bei  den  Echiniden  und  üolothurien 
aber,  wo  in  der  Fortentwicklung  wieder  ein  längeres  Darmrohr 
entstand,  musste  dessen  Bildung  der  des  ursprünglichen  Typus 
wieder  ähnlich  werden.  So  finden  wir  in  diesen  beiden  Classen 
ein  oberes  und  ein  unteres  Darmgefäss;  das  Nervengefäss  aber 
aller  Echinodermen  entspricht  nach  meiner  Ansicht  dem  der  Leibes- 
wand angehörigen  Bauchgefäss  der  Würmer.  Darin  stört  mich 
auch  nicht  der  Umstand,  dass  das  Nervengefäss  der  Echinodermen 
nach  aussen  von  der  Musculatur  der  Leibeswand  liegt,  während 
es  sich  bei  den  Würmern  in  ihrem  Innern  befindet,  lieber  die 
entwicklungsgeschichtliche  Abstammung  der  einzelnen  Blutgefässe 
wissen  wir  noch  sehr  wenig.  So  ist  mir  von  den  Würmern  nicht 
bekannt,  dass  die  Herkunft  des  Bauchgefässes  mit  Bestimmtheit 
ans  der  äussern  oder  innem  Schicht  des  äusseren  Blattes  des 
mittleren  Keimblattes  nachgewiesen  worden  wäre. 

Mit  Hetschnikoffs  Darstellung  der  Auriculariaentwicklung 
würde  übrigens  diese  Vermuthung  nicht  im  Widerspruch  stehen. 
Offenbar,  obgleich  er  selbst  es  nicht  sagt,  sind  seine  „lateralen 
Scheiben^^  (Müller's  wurstförmige  Körper)  nichts  weiter,  als  die 
Ursprünge  des  mittleren  Keimblattes^  denn  aus  ihnen  entstehen 
nach  seiner  Darstellung  alle  diejenigen  Gebilde,  welche  überall 


552  fieiahold  Teuscher, 

ans  dem  mittleren  Keimblattes  abgeleitet  werden;  der  in  ihneD 
von  Anfang  an  sichtbare  Spalt  erweitert  sich  zur  definitiTeo 
Leibeshöhle.  So  hindert  nns  nichts^  anzunehmen,  dass,  wie  die 
Darmgefässe  und  Muskeln  aus  der  iimem  Schicht  des  mittleren 
Blattes  abstammen,  aus  der  äusseren  nebst  den  Ringmuskeln  aacb 
das  Nervengefäss  entstehe. 

Nach  aussen  vom  Ringmuskel  und  Nervenstrang  finden  wir 
die  Haut,  welche  wieder  in  mehrere  Schichtet!  zerfällt.  In  der 
innersten  Lage,  welche  dem  Ambulacrum  gegenüber  am  stärksten 
entwickelt  ist,  finden  wir  Bindegewebsfasern,  welche  einander  nad 
den  Ringinuskeln  ziemlich  parallel  verlaufen,  sich  wenigstens  oqi 
unter  sehr  spitzen  Winkeln  treffen.  In  den  Zwischenräumei 
dieser  Fasern  liegen  Schichten  grosser,  gekernter,  ovaler,  durch 
sichtiger  Zellen,  welche  in  der  übrigen  Hautschicht  nicht  weite 
vorkommen.  Ihr  Längsdurchmesser  beträgt  im  Mittel  0,012  Mm 
der  Querdurchmesser  ein  Viertheil  weniger,  die  Kerne  haben  ein 
Grösse  von  0,003—4  Mm.,  sind  also  den  überall  in  Menge  voi 
kommenden  zerstreuten  Zellen  ungefähr  gleich.  Diese  Zelle 
sind,  wenn  ich  nicht  irre,  die  von  Semper  benannten  „Schleim 
Zellen",  von  denen,  wie  er  glaubt,  der  von  der  Oberhaat  de 
Holothurien  reichlich  abgesonderte  Schleim  herstammt.  Ich  mein 
dass  diese  Schicht,  welcher  offenbar  eine  grosse  Elastieität  zi 
kommt,  bei  den  starken  Gontraetionen  des  Thieres  dazu  dien< 
muss,  Zerrungen  und  Quetschungen  des  Nervenstrangs  zu  massige 
Zugleich  aber  ist  dieser  Schicht  vermöge  ihrer  Structur  eine  g^ros 
Zerreissbarkeit  eigen,  wodurch  Spalten  in  der  Richtung  der  Fase 
entstehen.  Dergleichen  trifft  man  sehr  häufig,  besonders  in  d 
nächsten  Nähe  des  Nervenbandes,  welches  an  diese  Schicht  n 
lose  befestigt  ist;  doch  gelang  es  mir  immer,  bei  einiger  Beha 
lichkeit,  an  Schnitten  durch  andere  Regionen  desselben  Thiei 
mich  zu  überzeugen,  dass  diese  Spalten  pathologischer  Nai 
waren.  In  den  seitlichen  Ambulacris  des  Triviums  von  Cnviei 
sind  solche  Spalten  in  der  Mitte  des  Gewebes  so  häufig  q 
constant,  dass  sie  wohl  normal  sein  konnten. 

Durch  diesen  Umstand  ist,  glaube  ich,  Greeff  irre  %eftt] 
worden,  wenn  er  das  Vorhandensein  eines  äusseren  Nervi 
gefässes  bei  den  Holothurien  annimmt;  doch  ist  es  mOglich,  dj 
bei  mir  unbekannten  Arten  sich  die  Zustände  der  ihnen  so  na 
verwandten  Echiniden  wiederholen.  Zwischen  dieser  elastiscl 
Schicht  und  dem  Ringmuskel  finden  sich  sehr  häufig,  aber  ni^ 
constant  grössere,  platte,  uaregelmässige  Höhlungen,  mit  brai 


"  I 


fieiträge  zur  Anatomie  der  Eehinodermen.  553 

aehwanem  Pigmeat  i|i  sehr  feinen  Körnchen  aageftlUt ;  ihre  Zahl 
UBcl  Grösse  ist  wechselnd;  vielleicht  tragen  aneh  sie  znr  leichteren 
Vmsiehiebbarkeit  der  Gewebe  bei. 

Die  eigentliche  Cntismasse  ist  bekannt  genng;  bd  Holoth. 
tub.  besteht  sie  ans  den  typischen^  nach  allen  Richtungen  ver- 
filflten,  gewundenen  Fasern^  mit  vielen  nnregelm&ssig  in  ihr  zer- 
strenten  Zellen.  Als  änssenite  Schicht  derselben  unterscheide  ich 
aber  auch  hier,  wie  bei  Ästenden  und  Echinen,  noch  eine  zu  ihr 
gehörige,  aber  deutlich  geschiedene  Süssere  Gutislage;  welche  bei 
OBSerHi  Thiev  wegen  des  an  der  übrigen  Körperoberfläche  allsu  reich- 
lieben  Bigments  nur  an  den  Tentaketäsien  deutlich  zu  erkennen 
ist  Ihr  Bau  eiseheimt  hier  dem  bei  den  Asteriden  geschilderten 
duBobaus  ähnlich;  man  sieht  transversak  Fasern  und  Faserbttndel; 
innerhaib  welol^er  letzteren  längliche  Zellen  liegen,  von  deren 
peri[teEischen  Spitzen  ich  hier  deutlich  Fortsätze  ausgehen  sah, 
welche  bis  zw  Gutieiila  reichen.  Der  Bau  der  Tentakeln  ist  wie 
Überall  dem  der  SangfUssehen  ganz  ähnlich:  innen  die  Längs- 
mnakohi,  in  der  Mitte  die  mächtige  Bindegewebssohicht,  welche 
hier  allein  Kalktheile  führte  und  gewöhnlich  mehrte  Nervenquer- 
schnitte  zeigt,  auch  hier  nach  aussen  von  einem  spaltfönnigen 
Gefäsalumen  begven^t;  zu  äusserst  die  Oberhautsohicht  mit  der 
Gutioula.  Die  Form  der  KiUkiheile  des  Körpers  ist  verschieden 
naeh  den  Schichten,  in  denen  sie  liegen,  aber  nicht  nach  den 
Körpergegenden;  doch  ist  am  Bauch  die  Kalkschichl  drei*  bis 
viermal  dicker,  als  am  Bücken,  wie  man  an  scharf  durchschnittenen 
und  dann  getrockneten  Stttoken  macrosoopisch  erkennen  kann.  In 
den  Ankern  von  Synapta  hat  Semper  durch  Beaetion  mit  ver- 
dttnnter  Essigsäure  einen  Centralcanal  gefunden.  Mir  selbst  gelang 
diese  Beaetion  nicht,  doch  sieht  man  oft  einen  ansdieinenden 
Längscanal  an  Balsampräparaten.  Wenn  ich  die  gewöhnlichen 
Kalkkörper  von  Holoth.  tub.,  durch  Kochen  mit  Kali  gereinigt, 
trocknete  und  dann  in  Balsam,  brachte,  so  erhielt  ich  bei  den  meisten 
Köroem  die  (Fig.  5)  daif^estellte  Zeichnung:  eine  höckerige 
schwaiae  Linie  im  Innern  der  Kaikleisten,  die  ich  von  einem  nach 
dem  Trocknen  Luft  fUhrenden  Ganale  ableite,,  von  welchem  dann 
naoh  allen  Seitqn  zahlreiche  sehr  feine  Spalten  nadi  der  Peripherie 
laufen.  Die  gebogenen  Stäbchen  der  Saugfttoschen,  sowie  dB<en 
Elldacheibe  zeigen  dasselbe. 

Etwas  abweichend  von  dem  bei  Holoth.  tuk  vorkommenden 
verhält  sich  die  Haut  der  Synapta  digüata  (Fig.  4).  Die  innere 
üutisaohicht  ist  sehr  duvchsiohtig,  fast  hyaUn,  rfnr  Aer  am  Bing- 


554  Reinhold  Teiuoher, 

mnskel  anliegende  Theil  enthält  Fasern  in  grösserer  Masse,  doch 
von  weniger  verfilztem,  mehr  dem  Bingmuskel  parallelem,  wel- 
ligem  Verlanf ;  ein  Faserbttndel  scheint  regelmässig  an  jeden  Anker 
heranzutreten.  Diese  Schicht  erhebt  sich  nach  dem  Inn^n  der 
Leibeshöhle  zu,  wie  man  in  jedem  Längsschnitt  sieht,  in  kurzen 
Abständen  in  dünne,  ringförmige,  wenig  vorragende  Platten,  wie 
Andeutungen  von  Querscheidewänden,  an  deren  Seitenwänden 
sich  die  Bingmnskeln  in  die  Höhe  ziehen,  und  an  deren  freiem 
Band  die  Längsmuskeln  angeheftet  sind.  In  dem  hyalinen  Theile 
der  Haut  bemerkt  man  häufig  die  von  Semper  erwähnten  Zellen, 
von  denen  2 — 3  Fäden  ausgehen,  sehr  ähnlich  den  Bindegewebs- 
körpem  höherer  Thiere.  Auch  die  von  ihm  beschriebenen  Hant- 
nerven  sind  leicht  zu  finden,  nur  etwas  verschieden  von  denen 
seiner  tropischen  Arten.  Sie  sind  zarte,  etwas  opake,  sehr  feine 
faserige  Stränge  (hn,  Fig.  4),  welche  immer  in  der  Nähe  des 
Ambulacralnerven  aus  den  Gutisfasem  auflAUchen,  um  etwas  schief 
nach  aussen  laufend  unter  der  Oberhaut  mit  einer  leichten  An- 
schwellung zu  endigen,  mit  einigen  zerstreuten  Zellen  besetzt 
Besondere  Papillen,  in  denen  sie  endigen,  oder  eine  veränderte 
Hautstructur  an  der  Endigungsstelle  finden  sich  hier  nicht.  Die 
Oberhautschicht  der  Synapta  ist  von  Leydig  beschrieben,  aber 
wohl  nur  oberflächlich  beobachtet  worden.  Ich  sehe  dort  hinter 
der  Cuticula  sehr  grosse  Zellen,  wohl  die  Leydig'schen  Epidermis- 
zellen,  von  0,0135  Mm.  Höhe,  neben  einander  liegen;  nicht  alle 
zeigen  Kerne  (hd,  Fig.  4).  Zwischen  diesen  Zellen  sehe  ich  ein- 
zelne Querfasem  von  den  gewöhnlichen  kleinen  Zellen  (0,003) 
ausgehend  und  die  Cuticula  erreichend.  Die  grossen  Zellen  halte 
ich  für  einzellige  Hautdrüsen,  die  kleinen  mit  ihren  Querfasem 
fOr  die  gewöhnlichen  hier  sehr  zurückgedrängten  Elemente  der 
äussern  Cutis.  Ausfährungsgänge  durch  die  Cuticula  habe  ich 
nicht  beobachtet.  Die  Aehnlichkeit  dieser  Bildung  mit  der  der 
Haut  des  Sipunculus  (s.  Jenaische  Zeitung  Vm.  Bd.)  ist  augen- 
fällig bis  auf  die  Nervenfäden,  welche  dort  an  das  innere  Ende 
der  Hautdrüsen  herantreten.  Doch  sehe  ich  an  Querschnitten  der 
Tentakeln  von  Synapta  sehr  zarte  Fäden  den  hyalinen  Theil  der 
Cutis  durchkreuzen,  sich  vielfach  theilen  und  an  je  eine  Drüsen- 
zelle  befestigen,  wogegen  ich  hier  die  oben  beschriebenen  gröberen 
Hautnerven  vermisse.  Die  Tentakeln  der  Synapta  digitata  unter- 
scheiden sich  von  denen  der  Holoth.  tub.  dadurch,  dass  in  ihnen 
die  (dort  Ealkstäbchen  enthaltende)  Bindegewebsschicht  fehlt  und 
dafür  die  unveräflderte  Cutis  der  Eörperwand  auch  die  Tentakelii 


Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen.  555 

überzieht :  nacli  innen  zuerst  die  welligen  FaBern,  dann  der  hyaline 
Theil,  zuletzt  die  Aussenscliicht.  Als  zur  Guticula  gehörig  be- 
trachte ich  eine  ihr  überall  unmittelbar  anliegende  protoplasma- 
tische Schicht  mit  kemartigen  Gebilden^  welche  in  der  Nähe  der 
Befestigung  der  Drttsenwände  eine  Verdickung  zeigt. 

An  der   Mundöffiiung  der  Holothuria  tub.  gehen,  gerade  wie 
bei  den  früher  geschilderten  Echinodermenclassen,  die  einzelnen 
Schichten   der  äusseren  Leibeswand  direct  in  die  entsprechenden 
des  Darmes  über.    Die  Guticula  ist  im  Darm  immer  stärker  und 
deutlicher,  als  auf  der  Eörperhaut;   die  unter  ihr  UegendC;   sie 
hervorbringende  Zellenschicht  besteht  aus  deutlichen  Cylinderzellen. 
Die  von  da  nach  innen  folgende  eigentliche  Darmhaut;  der  oberen 
Cutis   entsprechend,   besteht   aus  den  bekannten  Querfasem  mit 
zahlreichen   dazwischen   liegenden  ovalen  Zellen,   die  im  Allge- 
meinen   nach  der  Guticula   zu   dichter  liegen.     Die   Höhe  der 
Schicht  nimmt  vom  Magen  zum  After  hin  ab,  ihre  histologischen 
Elemente  zeigen  mancherlei  unwesentliche  örtliche  Abweichungen. 
Die  Dicke  der  Querfasem  ist  nicht  überall  dieselbe ;  oft  sieht  man 
Verästelungen,  welche  sich  mit  benachbarten  Fasern  verbinden. 
Die    eigentliche  Bindegewebsschicht   des  Darms  ist   nach   innen 
mehr  hyalin  mit  zerstreuten,  oft  verästelten  Zellen  und  einzelnen 
Fasern,  nach  aussen  besteht  sie  zumeist  aus  gewellten  Fasern. 
Ihre    innere  Oberfläche   ist  wie   anderwärts   verschiedentlich  in 
Leisten  erhoben;  am  Schlund,  wo  Semper  „Drüsen''  gesehen  hat, 
sind  diese  Vorsprttnge  noch  keine  continuirlichen  Leisten,  sondern 
in  Reihen  stehende  Papillen,  welche,  mit  einer  starkem  Oberhaut- 
Bchicht  bekleidet,  als  ihre  Zwischenräume,  bei  oberflächlicher  Be- 
trachtung wohl  an  Drüsen    erinnern   können.     Im   Oesophagus 
reihen  sich  diese  Papillen  immer  dichter  an  einander  und  werden 
im  Magen  zu  zahlreichen,  hohen  und  blätterartig  engstehenden 
Längsfalten.    In  diesen  Magenfalten,  und  zwar  vorzugsweise  an 
der  Ventralseite,  finden  sich  viele  bis  0,1  Mm.  grosse  keulenförmige 
Zellen,  welche,  mit  dem  dickeren  Theil  auf  der  Bindegewebs- 
schicht aufsitzend,  nach  der  Guticula  hin   dünn  auslaufen  und 
einen  grossen  Kern  zeigen  (dd,  Fig.  7),   Obgleich  ich  keine  Aus- 
mttndungen  durch  die  Guticula  gesehen  habe,  stehe  ich  nicht  an, 
sie  fdr  Drüsenzellen  zu  halten ;  sie  sind  denen  der  äusseren  Baut 
bei  Synapta  ähnlich,  nur  von  mehr  opakem  Ansehen.   Von  queren 
Darmfalten,  wie  sie  Semper  im  Magen  anderer  Holothurien  ge- 
funden hat,  und  in  denen  er  Darmkiemen  vermuthet,  habe  ich  bei 
Holoth.  tub.  nichts  gesehen;  ein  Einströmen  von  Wasser  durch 

Bd.  X.  N.  F.  ni.  4.  36 


556  .  Beiahold  Teuseher, 

den  After  bis  zum  Hagen,  wie  er  es  annimmt,  ist  hier  ttberhaisj 
wegen  der  Länge  und  beständigen  Füllung  des  Darms  oadenkbar 
auch  bei  Haplodactyla,  wo  er  den  Vorgang  gesehen  hat,  düriu 
derselbe  mit  der  Verdannng  schwer  zu  vereinbaren  sein. 

Nach  dem  After  zu  werden  die  Leisten  der  Bind^'ewebs^ 
Schicht  immer  niedriger.  In  dieser  letztem  finden  sich  die  OeS- 
nongen  der  Darmblutgefösse,  welche  auf  Längsschnitten  de» 
Darms  sehr  gut  wahrzunehmen  sind.  Sie  bilden  einfache  JL«ttckeo 
im  Gewebe  und  erscheinen  je  nach  der  Stelle  entweder  als  äs- 
zelne  oder  wenige  grössere  Oefihungen,  oder  liegen  in  grosser 
iSahl;  aber  dann  mit  kleinerem  Lumen  dicht  neben  einander  wie 
eine  lange  Beihe  kleiner  Nullen^  Nach  aussen  folgt  die  Längs- 
und  Ringmuskelschicht,  welche  letztere  besonders  am  Eingang 
des  Pharynx  sehr  kräftig  sphincterartig  entwickelt  ist ;  zaletzt  das 
Flimmerepithel  mit  der  dasselbe  einschliessenden  hyalinen  Binde- 
gewebsschich  t,  welche  an  contrahirten  Darmstücken  stark  ge- 
kräuselt zu  sein  pflegt.  Alle  diese  Verhältnisse  sind  durch  Quer- 
schnitte leicht  darzustellen ;  auch  von  Semper  in  seinem  Hole- 
thurienwerke  ohne  bedeutende  Abweichung  geschildert  worden;  man 
sieht;  dass  bei  allen  Echinodermenstämmen  der  Darmbau  bis  in'« 
Einzelne  sich  gleich  bleibt. 

Was  das  Darmblutgefässsystem  betrifft^  so  schliesse  ich  mich 
der  Darstellung  Sempefs  an;  mein  Material  erlaubte  mir;^   mich 
von  deren  Richtigkeit  in  allen  Hauptpunkten  zu  überzeugen«    Ad 
den  Wassergefässring  legt  sich  nach  hinten  die  von  ihm  benannte 
Schlundkrause  dicht  an ;  zahlreiche  Ausstülpungen  desselben  rageo 
in  ihre  Substanz  hinein.    Diese  Substanz  besteht  aus  hyalinem^ 
etwas  körnigem  Bindegewebe ,  wellige  FaserU;  zerstreute  Zeilen 
und  Pigmenthaufen  enthaltend ;  dazwischen  erscheinen  die  Lumina 
feiner,  unregelmässiger  Canäle,  oflfenbar  die  letzten  VerzweigungcD 
der  Darmgefässe  darstellend,  aber  nichts  einem  Binggefäss  ähn- 
liches.   Das  Bücken-  und  Bauchgefass  schwellen  nach  der  Mitte 
des  Darms  zu  an,  um  gegen  den  After  hin  wieder  allmählich  ein- 
zuschrumpfen;  neben  den  beiden  ersten  Dritttbeilen  des  Darmes 
verdoppelt  sich  das  Bückengefass  und  zertheilt  sich  von  da  ans 
in  das  Wundernetz,  aus  welchem  das  Blut  sich  zu  einem  dritten 
Bückengefass    wieder    ansammelt.     Der    histologische  Bau  der 
Gefässe  ist  von  Semper  beschrieben;  die  Aufeinanderfolge  der 
Schichten  ist  in  allen  innem  Organen  dieselbe,  so  im  Darm,  wie 
in  deo  Kiemen,  Blutgefässen,  Ovarien :  AeusserUch  Flimmerepithel, 
dann  Bing-  und  Längsmuskeln,  Bindegewebsschicht  mid  iuneres 


Beiträge  zar  Anatomie  der  fichiaodermeii.  5&7 

¥^pitliel.    In  den  Gefässen  des  Wnndernetzes  sehe  ich  kein  Epi« 
tliel ;  die  Bindegewebsschicht  ist  änsserst  dünn,  das  äussere  Epithel 
aber  ausserordentlich  entwickelt.    Seine  Zellen  stellen  Schläuche 
dar   von  0;06  Mm.  Länge  bei  0,012  Mm.  grösster  Dicke  an  der 
Peripherie,   mit   einem   ansehnlichen  Kern   von  0,005  Mm.;   die 
Schläuche  enthalten  eine  feinkörnige  Masse.    Ich  meine,  dass  das 
Wandemetz   dazu  dient,  die  üebertragung  des  zur  Respiration 
bestimmten  Sauerstofis  aus  der  Leibesflüssigkeit  an  das  Blut  zu 
erleichtem  und  dass  diese  (von  Semper  ähnlich  beschriebenen) 
Epithelzellen  vorzugsweise  diesen  Process  vermitteln.    Bei  allen 
Echinodermen  finden  wir  nur  eine  mittelbare  Respiration,  d.  h. 
der  Sauerstoff  wird  dem  Blut  aus  dem  Meerwasser  durch  Ver- 
mittelung^  einer  andern  FIflssigkeit  zugeflihrt.    Bei  den  Crinoiden 
und  Ophiuren  tritt  derselbe  durch  die  Tentakeln  in  das  Wasser- 
gefässsystem  und  von  da  in  die  unmittelbar  anliegenden  Blut- 
gefässe über;  bei  Asterien,   Echinen  und  Holothurien  aber  über- 
nimmt die  Leibeshöhlenfittssigkeit  die  Vermittelung,  obgleich  das 
Wassergefässsystem  durch  die  Saugftlsschen  auch  hier  Sauerstoff 
zuführen  wird.    Bei  den  Asterien  die  Bautkiemen,  bei  den  Echinen 
die  Mundkiemen,  bei  Spatangus  die  Ambulacra  petaloidea  mit 
ihren  sehr  stark    entwickelten   Ampullen,  bei  den   Holothurien 
endlich  die  Kiemen   bereichem  direct  nur  die  Leibesflüssigkeit 
mit  Oxygen,  von  wo  dasselbe  an  das  Blut  treten  kann,  und  es 
ist  verständlieh,  wamm   bei  den  Holothurien,  welche  das   am 
höchsten  entwickelte  OefSsssjrstem  besitzen,  eine  besonders  ver- 
vollkommnete Vorrichtung  dazu  gefunden  wird. 

Was  den  mehrfach  behaupteten  Zusammenhang  des  Wunder- 
netzes mit  der  linken  Kieme  betrifft,  so  fehlt  er  bei  Holoth.  tub. 
ganz  entschieden.  Schneidet  man  ein  Stück  der  betreffenden 
Kieme  heraus,  nachdem  man  die  daran  haftenden  Gefässfäden 
nahe  an  derselben  durchnitten  hat,  und  bringt  das  Ganze  in  Wasser 
unter  das  Simplex,  so  überzeugt  man  sich  mit  sehr  geringer  Mühe, 
dass  diese  Fäden  nur  ganz  lose  zwii^chen  den  Kiemenläppchen 
eingeklemmt  sind  und  bei  blosser  Berühmng  mit  der  Präparir- 
nadel  abfallen.  Semper  glaubt  an  den  festen  Znsammenhang, 
weist  ihn  aber  nirgends  nach ;  mit  fiebtimmtheit  behauptet  er  sein 
Vorhandensein  bei  Caudina  und  Haplodoctyla.  Letztere  stand  mir 
nicht  zu  (Gebote,  bei  Caudina  aber  ist  es  sehr  leicht,  das  G^en- 
theil  mit  voller  Sicherheit  zu  sehen.  Bringt  man  ein  wie  oben 
vorbereitetes  Stück  aus  Alkohol  in  Wasser,  so  genügt  die  blosse 
wirbelnde  Bewegung  der  Flüssigkeit,  welche  durch  däe  Verwandt- 

86^ 


558  Heinhold  Teuscher, 

Bchaft '  des  Wassers  znm  Alkohol  hervorgebracht  wird ,  am  die 
feinen  GefiLsse  zu  lösen  nnd  fortzaschleudern.  Der  histologische 
Ban  der  Kiemen  entspricht;  wie  schon  gesagt,  ganz  dem  des 
DarmSy  von  dem  sie  nur  Ausstülpungen  sind.  Die  innerste  Schicht 
bildet  ein  einfaches  Epithel;  dann  folgt  eine  Bindegewebsschicht, 
aus  leicht  körniger  Grundsubstanz  bestehend  mit  welligen  Fasern, 
eingebetteten  Zellen  von  mancherlei  Gestalt  und  Grösse,  Pigment 
u.  s.  w.;  ihre  Oberfläche  erhebt  sich  in  eben  solche,  etwas  nn- 
regelmässige  Längsleisten^,  wie  die  entsprechende  Schicht  des 
Darms.  Längsfasem  sind  sehr  undeutlich,  die  Ringmuskeln  kräftig 
entwickelt;  nach  aussen  folgt  die  gewöhnliche  hyaline  Bindegewebs- 
schicht mit  dem  Flimmerepithel.  Ausserdem  aber  finde  ich  in  diese 
Schicht  eingebettet  und  vielfach  nach  aussen  über  sie  hervorragend, 
wie  nur  angeheftet,  ein  besonderes  Zellengebilde,  welches,  wie  es 
scheint,  Semper  nicht  von  seinen  „Schleimzellen^^  unterscheidet, 
das  aber  von  dem  oben  unter  diesem  Namen  beschriebenen  be- 
deutend abweicht.  Es  besteht  aus  einer  kugeligen  oder  ovalen 
Anhäufung  kleiner,  gekernter  Zellen  von  0,005—7  Mm.  um  eine 
einzelne  in  der  Mitte  liegende,  so  dass  der  optische  Durchschnitt 
der  Gruppe  einen  centralen  Kreis  mit  5 — 7  regelmässig  um  ihn 
herumliegenden  und  ihn  berührenden  gleich  grossen  Kreisen  bildet 
Eine  gemeinschaftlich  das  Ganze  umhüllende  Membran  habe  ich 
nie  gesehen.  Man  findet  diese  Zellengruppen  in  den  meisten  Or- 
ganen zerstreut,  am  häufigsten  aber,  schichtenweis  zusammen- 
gelagert, im  Parenchym  der  Bindegewebsbalken,  welche  den 
Schlundsinus  an  den  Schlund  heften,  und  in  ersterem  selbst. 

Semper  beschreibt  und  zeichnet  an  der  Spitze  der  Kiemen- 
läppchen trichterförmige  Oefihungen,  welche  das  durch  den  After 
in  die  Kiemen  getretene  Seewasser  in  die  Leibeshöhle  bei  der 
Expansion  des  Holothurienkörpers  ein-  und  bei  der  CJontraction 
auf  demselben  Wege  wieder  ausströmen  lassen  sollen;  doch  stellt 
er  die  Beobachtung  nicht  als  ganz  sicher  hin.  Bei  den  von  mir 
gesehenen  Holothurien  habe  ich  trotz  fleissigen  Suchens  von 
solchen  Oefihungen  keine  Spur  wahrgenommen;  sorgfältige  und 
zahlreiche  Schnitte  zeigten  auch  in  der  Anordnung  der  Gewebs- 
demente  der  betreffenden  Gegenden  nichts,  was  auf  ihr  Vorhanden- 
sein hingfedeutet  hätte.  Ausserdem  scheint  es  mir  unmöglich,  dass 
durch  Compression  des  Holothurienkörpers  ein  Bückfluss  durch 
so  feine  Oefbungen  mit  weichen  Wänden  stattfinden  könnte;  die 
Wirkung  des  äusseren  Drucks  würde  die  Wände  der  Kiemen  an- 
einander pressen  und  so  den  Bückfluss  unmöglich  machen. 


-r»: 


3 


Beiträge  txa  Anatomie  der  fichinodermeiL  559 

Änch  an  den  Ovarien  ist  die  Reihenfolge  der  Schiebten  die- 
selbe^ wie  bei  den  andern  Eingeweiden.  Die  Zellen  des  innem 
Epithels  bilden  sich  zu  Eiern  aus,  man  sieht  an  demselben  Schnitt 
aUe  Uebergangsstufen.  Die  Bindegewebsschicht  hat  ihre  vor- 
springenden Leisten  wie  anderwärts,  und  fast  immer  stehen  auf 
den  Vorsprüngen  die  am  weitesten  entwickelten  Eier,  die  kleinsten 
in  den  Zwischenräumen.  Nach  aussen  folgen  Längs-  und  Bing- 
muskeln  nebst  Epithel.  An  der  Basis  vereinigen  sich  die  ein- 
zelnen Ovarialschläuche  zu  einem  soliden,  platten,  bindegewebigen 
Körper,  in  welchem  die  einzelnen  Ausflihrungsgänge,  mit  schönem 
Epiäiel  ausgekleidet,  noch  ein  grosses  Stflck  weit  neben  einander 
verlaufen,  so  dass  der  Querschnitt  das  Bild  eines  Siebes  darstellt. 


560  Reinbold  Töttirelier, 


ISrklSninir  der  Abl^fldniigen. 


Taf.  XVII. 

Fig.  1.  Querschnitt  durch  das  Ambalacrum  von  Holothoria  tub.  ag  Waaaer- 
gefäss,  rm  Ringmuskel,  hn  Längsmuskel,  sw  Scheidewand,  ng  Nerven- 
gefäss,  ep  Epithelium  (s.  Text)  am  Ampulle,  sf  Saugfüsschen,  fn 
Fösschennerv,  ian  innere  Schicht  des  Ambulacralnerven,  San  üossere 
derselben,  bp  Bindegewebsplatle. 

Fig.  2.  Saugfüsschen  von  Holoth.  tub.,  Längsschnitt,  ohs  obere  Hautschicht, 
uhs  untere  desgleichen,  bs  Bindegewebsschicht,  ms  Muskelschicht, 
ks  Kalkscheibe,  hw  Hautwall. 

Fig.  3.  Querschnitt  durch  das  Ambulacrum  von  Cucumaria  cucumis.  Bach- 
staben wie  Fig.  1. 

Fig.  4.  Dasselbe  von  Sjnapta  digitata.  Dieselben  Buchstaben,  hn  Hautnerr, 
hd  Hautdrüsenzellen. 

Fig.    5.    Kalkkörper  von  Holoth.  tub.,  s.  Text. 

Fig.  6.  Radialschnitt  durch  den  Mund  von  Holoth.  tub.  an  Ambulacralverv. 
ng  Nervengefäss,  ag  Wassergefäss,  Im  Längsmuskel,  kr  Kalkring, 
zwr  Wassergefäss  zum  Schlundring,  ngr  Nervengefässring,  nr  Nenren- 
ring,  sh  Schlundhaut. 

Fig.  7.  Theil  eines  Querschnittes  des  Magens  von  Holoth.  tub.,  cu  Cuticula, 
hs  Hautschicht,  bs  Bindegewebsschicht,  Im  Längs-,  rm  Ringmuskel, 
ep  Epithel,  dd  Drüsenzellen. 

Fig.    8.    Querschnitt  durch  ein  Gefäss  des  Wundernetzes  von  dems. 

Fig.  9.  Ein  Canal  des  Wundemetzes  von  dems.  entwirrt,  ig  vom  Rücken- 
gefäss,  sg  zum  Sammelgefäss,  wn  Wundemetz. 

Fig.  10.    Verzweigung  eines  Hautnerven  von  Holoth.  tub. 


BeitxägiB  xnr  A^Ioiqm  der  i^cbaoodicB»^^  5(>1 


Veberslelit  der  Ergebnisse. 


1.    81tttgefäs88]r8tem. 

.  Bei  allen  Echinodermen  finden  dich  zwei  Blotgefaassysteme,  welche  mit 
einander  in  Verbindung  stehen,  oder  nicht:  das  eine  gehört  den  Eingeweiden, 
das  andere  dem  Nervensystem. 

Das  Eingeweideblntsystem  besitzt  ein  eignes  ringförmiges  Centrum  (um 
den  After),  bei  den  Ästenden  sicher,  bei  den  EcHniden  höchst  wahrscheinlich. 

Das  Nervengefasssystem  besitzt  überall  einen  centralen  Gefässring,  welcher 
mit  dam  Nerwenring  den  Schlund  angibt.  Bei  Comatala  ist  derselbe  noch 
nicht  bestimmt  nachgewiesen;  für  Echinus  existirt  etn  NervengafÜssring  wahr« 
aebeinlidi  nieht  neben  dem  Nerven,  sondern  etwas-  höher,  «eben  dem  Wasser- 
gefässring. 

Commnnication  der  beiden  Oicalationssysteme  ist  nachgewiesen  \m  Aste- 
riden,  Ophiuren,  Eohinideo;  ne  fehlt  bei  den  Holothurien. 

Der  Badialnerr  ist  im  Nenrengefäfls  mit  seiner  äussern  breiten  Fläche 
angeheftet  bei!  Grinoiden,  Echiniden  und  Holothurien  (weiche  Ambulacral« 
rinnen),  mit  den  Seitenrändern,  so  dass  er  beiderseito  von  Blut  umspült  wird ; 
bei  0|^hiuren,  Echinen  und  Spatangen  (verkalkte  Ambulaora). 

Der  Abgang  eines  Zweiges  des  Nervengefösses  za  den  Fässchen  and  an 
diesem  entlang  ist  erwiesen  bei  Ästenden,  Echinen,  Holotliarien;  findet  sich 
aber  wohl  überall. 

Commnnication  desselben  durch  zwischen  den  Fiissdien  hindurch  tretende 
Zweige  mit  einem  seitlichen  Gefässnetz  findet  sich  bei  den  Ophiuren  und 
Ästenden. 

Eine  besondere  Complication  im  Bau  des  Nervengeftsses  findet  sich  bei 
den  Ästenden  durch  das  Vorhandensein  von  durch  Quervefamdewände  getheilten 
seitlichen  Kammern  neben  dem  eigentlichen  Nervengefass. 

Das  bei  den  Asteriden  und  Echiniden  vorkommende  Herz,  welches  immer 
in  der  Verbindungslinie  des  Eingeweidegefässcentrums  (Analring)    und  des 
'Nervengeff&sscentrums  liegt,  stellt  bei  dem  erwachsenen  Thiere  weder  eine 
Drüse,  noch  ein  Pumpwerk  vor,  das  geeignet  wäre,  den  Blntlanf  zu  befördern, 
sondern  bildet  vielleicht  nur  ein  Ueberbleibsel  einer  früheren  Entwicklungs- 
periode. 

Bei  den  Ophiuren  steht  das  Nervengefass  in  directer  Verbindung  mit  der 
Leibeshöhle;  bei  den  Echinothrix  ausserdem  mit  der  Anssenwelt  durch  die 
Canales  interradiftles. 

Das  sogen.  Wundemetz  der  Holothurien  bt  ohne  erwiesenen  organischen 
Zusammenhang  mit  den  Kiemen. 

Bei  Echinus  findet  sich  eine  Verdoppelung  eines  Theils  des  Rückengefässes. 

Das  Nervengefass  der  Echinodermen  ist  dem  Banchgefässe  der  Würmer 
homolog. 

9.    Wassergefässsystem. 

Aue  Echinodermen  besitzen  ein  Wassergefässsystem,  bestehend  ans  einem 
SchlnndriDg  and  Radialgefässen. 


562      Beinhold  Tenscher,  Beiträge  zur  Anatomie  der  Echinodermen. 

Sein  Inhalt  steht  in  mittelbarer  Verbindung  mit  der  Aussenwelt  bei  Coma- 
tola,  in  nnmittelbarer  bei  Ästenden,  Eehinen  und  den  mit  Steincanal  yer- 
sehenen  Ophiuren;  er  communicirt  mit  der  Leibeshöhle  bei  den  Holothorien. 

Das  Wassergefässsjstem  communicirt  mit  den  Blutgefässen  bei  Ciinoidenf 
Ophiuren,  Ästenden  und  Echiniden,  nicht  bei  Holothurien. 

Die  Verbindung  findet  statt  zwischen  Wassergefässring  und  Eingeweide- 
gefässen  bei  Comatula;  zwischen  Wasser-  und  Nervengefässring  durch  den 
Steincanal  bei  den  Ophiuren;  ebenso  bei  den  Ästenden  unter  Vermittelong 
der  Madreporenplatte;  bei  Echinüs  unsicher,  ist  sie  bei  Spatangua  doppelt: 
zwischen  Steincanal  und  Darmgefäss  und  zwischen  Wassergefässring  and 
Darmgefäss. 

3.    Nervensystem. 

Das  Nervensystem  besteht  überall  aus  einem  Nervenring  und  aus  Badial- 
nerven  von  demselben  histologischen  Bau. 

Die  wesentlichen  Elemente  des  Nervensystems  sind  Längsfasem  und  peri- 
pherisch liegende  Zellen. 

Die  Querfasern,  welche  sich  nur  da  finden,  wo  der  Nervenstrang  nach 
ans'sen  nicht  durch  Ealkgewebe  geschützt  wird,  sind  bindegewebiger  Natur, 
stammen  aus  der  dem  Nerven  innerlich  anliegenden  BindegewebsscMcht  und 
dienen  dazu,  die  Resistenz  des  Nervenstrangs  zu  vermehren. 

Die  Nervenzellen  hängen  nicht  mit  den  Quorfasorn  zusammen,  vielleicht 
mit  den  Längsfasem. 

Bei  Eehinen  scheint  der  Nerv  seitlich  doppelt,  weil  seine  Substanz  in  der 
Mittellinie  verdünnt  ist. 

Die  Breite  des  Ambulacralnerven  ist  in  der  Nähe  des  Nervenrings  am 
grössten  und  nimmt  gegen  die  Spitze  allmählich  ab.  Folgende  Maasse  sind 
Mittelzahlen. 

Ursprung  Mitte 

Echinus  sazat.         1,125  0,9 

Luidia  sav.  1,650  1,2 

Holoth.  tub.  0,63  0,60 

4.    Haut. 

Die  Körperbedeckungen  bei  Astenden,  Eehinen  und  Holothurien  bestehen 
ausser  der  Cuticula  aus  einer  Cutis,  welche  in  zwei  auch  durch  ihren  Bau 
verschiedene  Schichten  zerfällt,  eine  untere  und  eine  obere.  Bei  den  Ophiuren 
erlaubte  mein  Material  keine  nähere  Untersuchung. 

Die  obere  Schicht  allein  überzieht  die  Ambulacralrinne  der  Asteriden. 

Bei  Comatula  ist  in  der  allgemeinen  Körperbedeckung  eine  Differenzirung 
in  die  beiden  Cutisschichten  nicht  wahrzunehmen,  auch  die  Cuticula  ist  un- 
deuüieh.  Dagegen  findet  sich  in  der  ganzen  Ambulacralrinne  die  obere  Cutis- 
schicht  und  die  Cuticula  eben  so  ausgebildet,  wie  bei  den  Asteriden. 

Die  innerste  Schicht  des  Darms  ist  eine  unmittelbare  Fortsetzung  der 
äusseren  Cutisschicht,  mit  der  sie  auch  im  Bau  übereinstimmt;  die  mittlere 
Bindegewebsschicht  des  Darms  ist  ebenso  die  directe  Fortsetzung  der  untern 
Cutisschicht. 

Bei  Echinus  sowohl,  als  Spatangus,  findet  sich  ein  Darmdivertikel  mit 
doppelter  Einmündung  in  den  Darm. 


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