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I
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1
Jeiudsche Zeitsehrift
f&r
NATURWISSENSCHAFT
heransgegebeD
voh der
medicinisch-mturwissenschaftliclien GeseHtchaft
zu Jena.
Zehnter Band.
Neue Folge, I>ritter Hand.
Mtt 22 TtMn und 5 Holiwiiiimm.
I
Jena,
Verlag von Hermann Dufft
1876.
Inhalt
Seite
Einige Worte über LeptalLi. Von Fritz Müller 1
Aeglea Odebrechtii n. sp. Von Fritz Müller. Hierzu Tafel L . . . 18
Bemerkungen über die Kerne der Ganglienzellen. Von Prof. G.
Schwalbe 26
Bemerkungen zur Organisation und systematiflchen Stellung der Foramini-
feren. Von Richard Hertwig. Hierzu Tafel II 41
Der Ehrenberg bei Ilmenau. Von E. K Schmid. Hierzu Tafel III — V. 66
(Jeber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. Eine akademische Preis-
schrift von Dr. Paul Mayer. Hierzu Tafel VI u. VI»- 1>- c . . 126
lieber die Intensität der Wärmestrahlen der Sonne unter hohen Breiten,
nach thermometrischen Beobachtungen. Von EmilBessels. . . 223
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. Von Dr. ReinhQld Teu-
scher. Hierzu Tafel VII n. VIII 243
Ueber das Haarkissen am Blattstiel der Imbauba (Cecropia), das Gemüse-
beet der Imbauba-Ameise. Von Fritz Müller 261
Ueber die Entstehung des Schwärmsprösslings der Podophrya quadri-
partita Clp. u. Lehm. Von O. Bütschli. Hierzu Tafel IX. . . 287
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. Von Carl BabL
Hierzu Tafel X- XII 310
Studien über das Protoplasma. Von Dr. Eduard Strasburger. Hierzu
Tafel Xin u. XIV 396
Die Vermehrung der Begoniaoeen ans ihren Blättern. Von Dr. Fritz
RegeL Hierzu Tafel XV-XVIL 447
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen« Von Dr. Reinhold Teu-
, scher. Hierzu Tafel XVIII-XXII 496
Einige Worte über Leptalis.
Von
Fritz Müller.
„Für gewisse Fälle der Mimicry. oder der Bildung der na-
türlichen schützenden Masken und Nachahmungen . . . scheint
die natürliche Züchtung nicht auszureichen." *) „Nur da, wo
die Stammform, von welcher die Umwandlung zur natürlichen
Maske ausgeht, der nachgeahmten Species ohnehin schon so
ähnlich sieht, dass eine Verwechselung von Seiten ihrer Feinde
möglich ist, nur da ist die natürliche Zuchtwahl im Stande,
die Aehnlichkeit zu vervollkommnen und immer täuschender zu
machen. Da dies aber nur bei einem Theil der bis jetzt be-
kannteVi Beispiele von Mimicry zutrifft, so müssen in den übrigen
Fällen noch andere bis jetzt unbekannte Ursachen thätig ge-
wesen sein."^) Aehnliche Bedenken gegen die Entstehung der
Mimicry durch natürliche Züchtung sind auch anderwärts laut
geworden und verdienen wohl eine eingehende Besprechung.
Die Mimicry, die täuschende Nachahmung anderer Arten,
ist, insoweit sie der nachahmenden Art Sicherheit vor Feinden
gewährt, nur ein besonderer Fall der schützenden Aehnlichkeit,
von deren gewöhnlichster, einfachster Form, der schützenden
Färbung, die allmählichsten Uebergänge zu den wundervollsten
Beispielen täuschender Nachahmung führen, wie z. B. von einem
gewöhnlichen einfach grünen Heuspringer zu einer Ptero-
chroza, deren Flügel ein welkendes Blatt bis ins Einzelnste
in unübertreflflicher Weise nachahmen.
Die schützende Färbung kann aber offenbar von jedem
') Oscar Schmidt, Descendenztheorie und Darwinismus. 187.3. S. 147.
') Das Unbewusste, vom Standpuncte der Physiologie und Descen-
denztheorie. 1873. S. 11.
Bd. X, N. F. lu. 1
FVitx Müller,
beliebigen Pancte aus durch natürliche Züchtung sich
bilden. Nehmen wir z. B. einen Schmetterling, der die Ge-
wohnlieit hat, mit ausgebreiteten Flügeln an Baumstämmen zu
ruhen, wie viele Nachtschmetterlinge und unter den Tagfaltern
die Ageronien und die ihnen verwandte Ectima Liria.
Selbst die riesigste Art, — etwa, um einen dieser ausfliessende
Baumsäfte siiugenden Schmetterlinge zu nennen, Erebus Strix,
— würde, und wenn sie im blendendsten Weiss prangte, doch
nur von einer bestimmten Entfernung her für Vögel unterscheid-
bar sein und auf eine weit geringere Entfernung hin die Auf-
merksamkeit iichtlos vorüberfliegender Vögel auf sich ziehen.
Jede kleinst«' Abänderung, die ihre Färbung derjenigen der
Baumrinde nder der sie bedeckenden Flechten näher brächte,
würde die eine wie die andere Entfernung und damit die Wahr-
scheinlichkeit, von Feinden bemerkt und verzehrt zu werden, ver-
ringern und also „die Grundlage für weitergehende Abweichungen
nach derselben Richtung in den folgenden Generationen bil-
den können." (Das ünbewusste, S. 10.) Von jedem beliebigen
Ausgangs jumcte aus würde sich also auf dem Wege der natür-
lichen Äu.'jlesi' Jene täuschende Aehnlichkeit mit Baumflechteu
en-eichen hissen, durch welche a. B. Ageronia Epinome
plötülich den Augen des Verfolgers entschwindet, wenn sie sich
au einem Biiumstamme niedersetzt und die Flügel demselben
anschmiegt.
Ganz eben so würde von jedem beliebigen Ausganga-
puncte ;ius die natürliche Züchtung dahin wirken können, ein
Thier unter einem zahlreichen Schwärm emer anderen Art für
die AuKon seiner Feinde verschwinden zu lassen, etwa einen
weissen Picriden unter einem Schwanne bunter Ithomien.
Würden die ersten unerheblichen Abweichungen von der ur-
sprünglichen weissen Färbung auch nur dadurch nützen, dass
ihre Inhaber auf minder weite Entfernung hin die Aufmerksam-
keit achthis voniberfliegender Feinde auf sich zögen, sie würden
eben iiunicrhiu nützen und „ihre Inhaber concurrenzfähiger im
Verhältniss zur Stammform machen" ; sie würden mitliin als
Grundlage dienen können für die allmähliche Herausbildung einer
Aehnlichkeit. die selbst die scharfen Augen der den Ithomien-
schwai-m nach Beute durchspähenden Vögel zu täuschen im
Stande wäre. Möglicherweise haben so die Weibchen der
Perrhyhris (Pieris) Pyrrha, deren Männchen jetzt eine
vorwiegend weisse Oberseite haben, von einer weissen Stamm-
Einige Worte über Leptalis. 3
form aus ihre Heliconienähnlichkeit entwickelt, worin nach dem
eben Gesagten gewiss keine „sehr schwer wiegende Schwierig-
keit" für die natürliche Züchtung zu erblicken wäre.
Handelte es sich in den erwähnten Fällen zunächst darum,
das zu schützende Thier weniger auffallend aus seiner Um-
gebung hervortreten zu lassen, und konnte dies durch natürliche
Auslese von jedem beliebigen Puncte aus erreicht werden, so
stellt sich die Sache etwas anders in den Fällen, in welchen ein
einzelner Gegenstand als Vorbild der schützenden Nachahmung
diente, wie z. B. bei der Nachahmung einer Grabwespe (P e p s i s),
oder eines Laufkäfers (Oicindela) durch Heuschrecken (S c a -
phura, Phylloxyrtus). Hier ist allerdings von vornherein
eine gewisse Aehnlichkeit der nachahmenden und der nachge-
ahmten Art unerlässlich ; doch wird auch hier diese Aehnlich-
keit, um dem Eingreifen der natürlichen Auslese als Anhalt
dienen zu können, eben nur gross genug zu sein brauchen, um
gelegentlich einen in der Ferne achtlos vorübereilenden Feind
zu täuschen. Ein wie geringes Mass kaum angedeuteter Aehn-
lichkeit genüge, um gelegentlich einem Thiere das Leben zu
retten, mag ein Fall beweisen, in welchem ich selbst der Be-
trogene war. Am Stamme einer Gassia, deren ausfliesender
Saft die mannichfaltigsten Kerfe anlockt, pflegte vor einiger
Zeit auch eine schwarze Wespe mit weissen Flügelspitzen sich
einzufinden, deren Stich ich als besonders schmerzhaft fürchten
gelernt hatte. Eines Tages traf ich nun an dem Stamme eine
Wanze, die höchstens durch die blasseren Spitzen der Flügel
an die Wespe erinnerte; als ich sie fassen wollte, hob sie die
Flügel in ähnlicher Weise, wie Wespen zu thun pflegen ; unwill-
kürlich zog ich die Hand einen Augenblick zurück und die
Wanze entwischte.
Die Annahme einer so fernen anfänglichen Aehnlichkeit
als Ausgangspunct für die Entstehung der Mimicry durch na-
natürliche Zuchtwahl dürfte kaum in irgend einem der bekannten
Fälle einem Bedenken unterliegen. Es ist dabei nicht ausser
Acht zu lassen, dass die Scharfsichtigkeit der Feinde, auf die
man sich berufen hat, um von vornherein einen erheblichen
Grad von Aehnlichkeit zwischen nachahmender und nachge-
ahmter Art zu verlangen, ja doch auch eine erst allmählich im
Kampfe ums Dasein erworbene JSigenschaft ist, die eben dadurch
sich steigern musste, dass die verfolgten Arten durch schützende
Färbung, durch Mimicry u. s. w. sich den minder scharfsichtigen
1*
4 Fritz Müller,
Verfolgern entzogen. Diese immer wachsende Klugheit nnd
Scharfsichtigkeit der Verfolger erklärt einerseitB die wunder-
bare Vollendung vieler natürlichen Nachahmungen, macht aber
ebenso andrerseits die Annahme einer anfangs sehr geringen
Aehnliehkeit um so unbedenklicher,
Naeli diesen Vorbemerkungen wende ich mich zur Be-
Bprecluing des einzigen mir bekannten Falles, für welchen man
die Uniiiüglichkeit der Entstehung der Mimicry durch natürliche
Zuclitwjilil näher zu begi-iinden versucht hat. Er betrifft die
L e 11 1 ausarten des Amazonas, welche sich unter die Schwärme
der Ithomiei» mengen und diese durch üblen Geruch und
GeBchmack gescliützten Schmetterlinge aufs Täuschendste nach-
ahmen. Ich will zunächst die betreffende „Ausstellung gegen
die Triigweite der natürlichen Zuchtwahl" wörtlich her-
setzen. ')
„Gewisse weisse Schmetterlinge ans der Familie der
Pieriden (Leptalis) ahmen diejenigen Arten derHelico-
niden^), in deren Bezirk sie leben, so täuschend nach, dass
man sie äusserlich fast nur durch die Structur der PüBse unter-
scheiden kann. Die copirteu Heliconiden besitzen einen unan-
genehmen Geruch und Geschmack, welcher sie vor Verfolgungen
der Vögel schützt, und da nur etwa eine Leptalis auf 1000
Heliconiden vorkommt, so reicht dieser Schutz für die ersteren
vullkoiiuuen mit aus. Nun stehen sich aber beide Gattungen
mindestens so fern, wie etwa Fleischfresser und Wiederkäuer
unter den Vierfüssern, man kann sich daher leicht denken, eine
wie gi-osse Zahl von Zwischenformen für den Uebergang nöthig
war, wenn dieser nui- durch Addition zufalliger Individual-
ahwcidinngen erfolgen sollte. Flügel, Fühler und Abdomen
haben sich verlängert, die Farben der nachgeahmten Arten von
CioU) imil Orange bis Braun und Schwarz werden bis auf die
') n«.- Unbi^wusstf, S. Hl. M.
') Uie von Leptali» nachgeuhmteii „Heliuouideu" (Ithomia, Me-
uliauitis a. s. w.) sind nenerdiogg Dnd mit vollem Reicht« aue der Gruppe
der llulii^anineii nuiigescliiedeu und mit derjenigen der DanHiiien ver-
einigt worden. Die (Jattangen Helionius und Eueidcs, auf die man
jot« die Ueliconinen beschränkt bat, enthalten, go viel mir bekannt, keine
nftcbgealiiiilen, wohl nhor verschiedene nachahmende Arten. So istEueides
Puvanii die gclungenetu Nachahmung der so manchen anderen Schmetter-
lingen [Caslnia acraeoides, Dyschema Amphiasa, Leptalj» sp.)
uU Vorhild dienenden Acraea Thalia.
Einige Worte über Leptalis. 5
Grade der Durchsichtigkeit und die Zeichnung der kleinsten
Flecken und Streifen treulich copirt und seihst die Gewohn-
heiten sind derart modificirt, dass die Leptaliden dieselben
Orte wie ihre Vorbilder besuchen und sogar dieselbe Flugart
angenommen haben. — Es ist klar, dass die Aehnlichkeit nütz-
lich ist, aber eben so klar, dass sie erst dann einen gewissen
Schutz gewähren kann, wenn sie gross genug wird, um das
scharfe Auge der Vögel zu täuschen. Es würde also bei der
grossen Differenz der äusseren Erscheinung eine Zwischenstufe,
welche immerhin dem Aussehn der Heliconiden schon näher
steht als dem der Leptaliden, doch noch hinreichend deutliche
Abweichungen von den Heliconiden zeigen, um von den Vögeln
deutlich erkannt zu werden, also den Inhabern wenig oder gar
nichts nützen, und jedenfalls würden solche Zwischenstufen,
welche den gewöhnlichen weissen Pieriden noch näher stehen,
als dem Aussehn der Heliconiden, in keiner Weise irgend wel-
chen Schutz gemessen, also auch ihre Inhaber nicht concurrenz-
fähiger im Verhältniss zur Stammform machen." —
Wie man sieht, geht die ganze Beweisführung von der
Voraussetzung aus, dass die Stammform der nachahmenden
Leptalis arten ein „gewöhnlicher weisser Pieride" gewesen
sei. Wäre das erwiesen, so würde ich darin immer noch keine
„sehr schwer wiegende Schwierigkeit" für die Selectionstheorie
sehen können; allein unbegreiflicherweise ist auch nicht mit
einem Worte der Versuch gemacht, die Zulässigkeit und Wahr-
scheinlichkeit jener Voraussetzung zu prüfen.. Weil sie mit den
deutschen Weisslingen in dieselbe Familie gestellt wird, soll
etwa deshalb die Stammform der südamericanischen Gattung
Leptalis auch weiss gewesen sein? Aber fliegen nicht selbst
in Deutschland neben dem Kohlweissling der Oitronenvogel und
gelbe Coli as arten? Mag mit einiger Wahrscheinlichkeit für
die Gattung Pieris eine weisse Stammform annehmen dürfen,
da sie neben gelben, rothen, schwarzen und bunten Arten doch
auch fast in aller Welt weisse Vertreter hat, so lässt sich diese
Annahme doch keineswegs auf alle Gattungen der Familie aus-
dehnen, z. B. schon nicht auf die deutschen Gattungen Gone-
pteryx und Oolias, eben so wenig auf Terias, CallidryaS;
Euterpe,Pereuteu. 8. w., und am allerwenigsten auf die Gat-
tung Leptalis, die „jedenfalls an die äusserste Peripherie der
Pieriden gehört." (Herrich-Schaeffer.) Zu sehr Laie auf
dem Gebiete der Schmetterlingskunde, um niclit meinem eigenen
6 Frite Mülfef,
tJrtheile zu misstrauen, will ich noch einige bewährte Meister
auf diesem Felde sich hierüber aussprechen lassen. „Oe genre,"
sagt ßuisdiival') von Leptalis, „est assez anomal et il se
pourrait qiie plus tard lorsque l'on connaitra see m^tamorphoses
il constituät une tribu particuli^re prös des H^liconides."
„Thfe neuration of the posterior wings," sagt Douhleday*)
„and tlie five-branched suhcostal nerrnrc, with four of its ner-
vules very short running almost directly to the Costa, the long
slender ab;loioen, the elongate wings and other charactere, bring
this genus vei7 near to the Heliconidae." Dase man der
Stammform einer so abweichenden G-attung, deren Zugehörigkeit
zur Familie noch nicht einmal über allen Zweifel erhaben ist *)j
niclit ohne Weiteres Farbe , Gestalt und Flugweise der „ge-
wöhnlichen weissen Pieriden" beilegen darf, liegt auf der Hand.
Es fehlt somit der ganzen obigen „Ausstellung gegen die Trag-
weite der natürlichen Zuchtwahl" die unentbehrlichste that-
säcblichste Uuterlage. Die versäumte Erörterung der Frage
nach der Stammform der nachahmenden Leptalisarten würde
schwerlich auf einen „gewöhnlichen weissen Pieriden", sie würde
wahrscheinlich auf den Heliconinen und heliconier - ähnlichen
Danaineu im Aussehen ziemlich nahe stehende Schmetterlinge
hingeführt habeti.
Versuclieii wir das Versäumte nachzuholen. Von den 65
Leptalisarten, die Kirby in seinem Verzeichnisse der Tag-
falter aufzählt *), überschreiten freilich nur wenige den südlichen
Wendekleis ; es sind mir hier, unter 27" 8. B., nur fünf Arten
vorgekommen und nur von vier kann ich sagen, dass ich sie
kenne, an ich die fünfte (Leptalis Thermesia) nur zwei
oder dreimal gesehen habe. Die vier häufigeren Arten sind
indess wie eigens für die Erörterung der Frage nach ihrer
') Boiailuv.il, SpBciea g^odral des Läpidopttrei. Tom. I. 1836. p, 413.
*; UoubleilayetHewitsoä, Genera of Uiurnikl l^pidopMra, pag. Afi.
') Stolt hut alR Raupe der Leptalis Amphene eine Raupe abge-
bildet, die kaum einer anderen Familie, als derjenigen der Danaiden an-
gehören kann. Möglich, dass Stoll in dJMem Falle die Leptalis mit
ihrem Vorbilde verwechselt und die Raupe dei letztereD aJi die der erstcren
abgebildet hnt. Ist die betrelTende Raupe »irklich die der Leptalis, so
ntirde maji, trotz ihrer eutwickellen Vorderfüsse und zneispaltigen Fussklauen,
kaum iin der nahen Verwandtschaft dieser Gattung mit den von ao vielen
ihrer Arten njicbgeahmten heliconierähnlichen Danainen zweifeln können.
') Kirbf, A Bjfnonymic cstalogue of Uiumal Lepidoptera. 1871. p. 439.
Einige Worte übert»eptali8. 7
Stammform ausgelesen und so lässt sich vielleicht trotz ihrer
so dürftigen Zahl eine leidlich sichere Antwort hoffen. Eine
unserer Arten, Leptalis Melia, trägt ihr eigenes Gewand,
(hat wenigstens unter den hiesigen Schmetterlingen kein Vor-
bild); die drei übrigen sind nachahmende Arten und haben
ihre Vorbilder in eben so viel verschiedenen Familien. Leptalis
Astynome trägt die Maske eines heliconier-ähnlichen Danainen,
der Mechanitis Polymnia var. Lysimnia. Eine Art,
deren Namen ich nicht erfahren konnte *), und die im Folgenden
als Leptalis Thalia bezeichnet werden mag, ist eine so gute
Nachahmung der Acraea Thalia, dass mir ihre Flügel als
die einer unbekannten Acraea bestimmt wurden. Von Lep-
talis Melite endlich ahmt das Weibchen einen „gewöhnlichen
weissen Pieriden", die Daptonoura Lycimnia (Pieris
Flippantha) nach.
Beginnen wir mit dem^ , was in der obigen Ausstellung als
letzte und höchste Leistung der Mimicry betrachtet zu werden
scheint: ^selbst die Gewohnheiten sind derart modificirt, dass
die Leptaliden dieselben Orte wie ihre Vorbilder besuchen und
sogar deren Flugart angenommen haben." Vollständiger hätte
der Sachverhalt nicht auf den Kopf gestellt werden können.
Das Besuchen derselben Orte ist ja selbstverständliche noth-
wendige Vorbedingung der Mimicry; nie findet sich ein Thier
von einer anderswo lebenden Art nachgeahmt. Hätten die nach-
ahmenden mit den nachgeahmten Arten nicht von vornherein
an denselben Orten gelebt, dann würde allerdings die Nach-
ahmung nicht durch natürliche Zuchtwahl und wohl überhaupt
nicht naturwissenschaftlich zu erklären sein ; wir würden Herrn
Eduard Hartmann mit seinem wunderthätigen hellsehenden
Unbewussten zu Hülfe rufen müssen. Was aber die Plugart
betrifft, so sind doch wohl nicht deshalb die Leptalis schlechte
Flieger geworden, weil sie dadurch den schlecht fliegenden
1 1 h o m i e n ähnlicher nnd besser gegen Feinde geschützt wurden ;
sondern umgekehrt ist deshalb für sie das Verstecken hinter
eine schützende Maske zur Nothwendigkeit geworden, weil sie
so jämmerliche Flieger sind. Ein Schmetterling mit dem kräf-
tigen Flügelschlage einer Prep o na kann getrost sein eigenes
glänzendes Blau zur Schau tragen.
>) Die Nameu der anderen Arten, wie der übrigen hier genannten Schroetter'
linge danke ich der Güte des Herrn Dr. A. Gerstaecker in Berlin.
r
Pritz MüUer,
Nachühraende Arten stehen natürlich immer zwischen ihrer
Stammform und ihrem Vorbilde ; sie können nicht über letzteres
hinausgehen. Nicht selten beschränkt sieb die Nachahmung
auf die Weibchen, oder ist doch bei diesen besser durchgeführt.
Wo also merkliche Geschlechtsverschiedenheiten bei nachahmen-
den Arten vorkommen, wird man folgende Reihe haben: Stamm-
form, Männchen, Weibchen der nachahmenden Ai-t, nachgeahmte
Art. Das gibt einigen Anhalt für die Ermittelung der Stamm-
form.
Nun Keigt ein einziger Blick auf die Abbildung der L e p -
talis Äm|)hione') oder besser noch der Leptal is Enno e *),
dass der Sulinitt ihrer Vorderflügel nicht etwa mitten inne steht
zwischen dtinivon Pieris und dem von Ithomia oder Mecha-
nitis, und uach Doubleday*) sind bei Leptalis „im All-
gemeinen diu Vorderflügel der Männchen kleiner und mehr
sichelförmig; oder spitz, als die der Weibchen". In Bezug auf
die VordeiflÜgel wird sich im Allgemeinen folgende Keihe
herausstellen: Pieris, Ithomia, Leptalis f, Leptalis d.
— Darnach würde man als Stammform der nachahmenden
Leptalisjirten nicht etwa einen ,, gewöhnlichen weissen Pie-
riden", sonderu eher einen Schmetterling vermuthen, der im
Plügelschiiitt mehr noch, als die Heliconier sich von Pieris
entfernt. — Doch fassen wir unsere hiesigen nachahmenden
Leptalisjirten etwas schärfer ins Auge; vergleichen wir sie
einerseits mit ihrem Vorbilde, andrerseits mit der nicht nach-
ahmenden Leptalis Melia und einem ,, gewöhnlichen weissen
Pieriden", etwa der Pieris Aripa oder der Daptonoura
L y c i m n i ;i , um zu sehen, nach welcher Seite hin wir wohl die
Stammform zu suchen haben.
Besonders eigentbümlich ist bei Leptalis Melia die
Grestalt dor Hinterflügel, ihre grösste Breite liegt bei dieser
Art ganz in der Nähe der Flügelwurzel, bei Pieris Aripa
und Daptonoura dagegen fast am Ende des Flügels. Ver-
gleicht man nun die Hinterflügel dieser Arten mit denen unsrer
übrigen Leptalis und ihrer Vorbilder, so ergeben sich folgende
Eeihen:
■) äoiailuvxl, Spedea g^Q^rnt de I^pidoptiree. Tom« T. pt. 18, 6g. ?.
') Doubleday et Howitson, Genera of Diurnal Lepidopterft. Tab. V,
flg. s.
■j Doabledit; et Hewitson, a. ». ü. pag. 3e.
Einige Worte über LeptalLs.
9
l.Pieris oder Daptonour a. Mechanitis Lysimnia.
Leptalis Astynome $ Leptalis Astynome cJ^.
Leptalis Melia.
a.Pieris oder Daptonoura. Acraea Thalia. Lep-
talis Melia.
S.Pieris oder Daptonoura. Leptalis Melite ?.
Leptalis Melite S» Leptalis Melia.
Umrisse von Hinterflügeln :
L Pieris Aripa Boisd. 2. Daptonoura Lycimnia Cram. S. Mecha-
nitis Folymnia Linn. var. Lysimnia Fabr. 4. Acraea Thalia L.
5. Leptalis Melia Godt. 6. Leptalis Melite L. 7. Leptalis Asty-
nome Dalm. 8. Leptalis Thalia.
Die Endpunote der Reihen sind immer dieselben : einerseits
Pieris und Daptonoura, andrerseits Leptalis Melia; die
nachahmenden Arten stehen immer zwischen letzterer und ihrem
Vorbilde, und zwar, wo ein auffallender Unterschied der Ge-
schlechter sich findet, die Weibchen näher dem Vorbilde, die
Männchen näher der Leptalis Melia. In Bezug auf die
Gestalt der Hinterflügel darf man daher mit voller Zuversicht
aussprechen, dass die Stammform unsererer nachahmenden
Arten nicht den „gewöhnlichen weissen Pieriden", sondern viel-
mehr der am entgegengesetztesten Ende der Reihe stehenden
Leptalis Melia ähnlich gewesen sei.
Zu dem gleichen Ergebniss führt die Vergleichung der
Gestalt der Vorderflügel. Besonders lehrreich ist hier Lep-
talis Melite. Die Männchen (Fig. 3) haben noch ziemlich
den Pltigelschnitt der Leptatis Melia (Fig. 4) ; einzelne
Weibchen (Fig. 2 d) haben fast schon die Flügelform ihres Vor-
bildes, der Daptonoura Lycimnja (Fig. 1) erreicht, wäh-
rend andere (Fig. 2 a) sehr raerklich dahinter zurückbleiben.
Selbst das Flügelgeäder bleibt von dieser Umwandlung des
FlilgP.lschnitts nicht unberührt. Bei Leptalis Astynome,
Thalia und Melia entspringen die Tier Äeste, die TOn der
Subcoata zum Vorderrande gehen (8, 9, 10 und 11 nach Her-
rich-Scliiief fer), aämmtlich jenseits der Flügelzelle; ebenso
bei Iiept i\l is MeliteJ, obwohl einer der Aeste (11) oft scbon
dicht an lilt' Zelle heranrückt; ebenso auch noch bei denjenigen
Weibchen , die den Männchen im Flügelschnitt näher stehen ;
bei denj('iii;,f6U Weibchen aber, deren Vorderflügel am meisten
der Daptonoura sich nähern, pflegt jener Ast (11) vor dem
Ende dur Zelle oder doch an deren Ende abzugeben.
VorderQugel:
I, Daptonciurs LyuiBtni» Cnm. e. Leptaüa Melite L. $. 3. Lap-
talU Melite L. d' *. heptulis MelU GoHt. f>. LeptaHi Tbalift.
Von der Form wenden wir uns zur Zeichnung der Flügel.
Leptalis Thalia steht in dieser Beziehung mitten inne
zwischen ilucm Vorbilde, Acraea Thalia, und Leptalis
Melia; iiiil letzterer stimmt sie fast vollständig in der Zeich-
nung dor A I ir Jerflügel (Fig. 4 und 5), mit ersterer in der der
Hinterfiiigil überein. Leptalis Melite, bei der wir schon
im Flügobclniitt ein gewisses Schwanken bemerkten, zeigt sich
weit melir noch in der Flügelzeichnung als noch im Werden
begriffene, unfertige, noch nicht zur Kühe gekommene Art. Von
Einige Worte über l>6pt^Up. 11
Männchen (Fig. 3 a), die sich in der Zeichnung der Vorder-
flügel noch ziemlich eng an Leptalis Melia (Fig. 4) an-
schliessen, bis zu Weibchen (Fig. 2), die schon der Dapto-
noura (Fig. 1) ganz nahe kommen, findet man eine eng ge-
schlossene Reihe von Uebergängen, aber unter vielen Dutzenden
von Thieren oft kaum zwei gleich gezeichnete. Der Fortschritt
der Zeichnung hält mit dem des Plügelschnittes nicht immer
gleichen Schritt ; so zeigen die in der Gestalt vorgeschrittensten
Flügel (Fig. 2 c und d) oft noch in der dunkeln Vorderecke
ansehnliche helle Flecke, die bisweilen bei anderen in der Ge-
stalt dem Vorbilde femer stehenden (Fig. 2 a, b) schon fast oder
selbst völlig verschwunden sind. Was sich aus der Vergleichung
des Flügelschnittes in Betreff der Stammform ergeben hatte,
wird durch die Betrachtung der Zeichnung nur bestätigt.
Endlich die Färbung. Bei LeptalisMeliaist die Ober-
seite der Flügel dottergelb und schwarz ; auf den Vorderflügeln
herrscht das Schwarz, auf den Hinterflügeln das Gelb vor. Bei
den Männchen der Leptalis Melite finden wir dieselben
beiden Farben; aber das Schwarz tritt mehr zurück, in sehr
verschiedenem Grade bei verschiedenen Thieren (Fig. 3 a — d),
und das Gelb ist ein weit matteres unreines Oitronengelb ; bei
den Weibchen dieser Art zeigt die Oberseite der Flügel fast
genau dasselbe unreine Weiss, wie ihr Vorbild, Daptonoura
Lycimnia. Bei Leptalis Thalia schwankt wie bei ihrem
Vorbilde, Acraea Thalia, die Farbe innerhalb ziemlich
weiter Grenzen; sie kommt der des Vorbildes täuschend nahe,
ist jedoch meist weniger gesättigt und pflegt einen Stich ins
Gelbliche zu zeigen ; bisweilen sieht es aus, als ob auf gelben
Grund die Farbe der Acraea aufgepinselt worden wäre. Ein-
mal fing ich mitten im Winter (28. Juli), wo sonst weder
Acraea noch Leptalis flogen, eine vereinzelte Leptalis
Thalia, bei der die helleren Stellen der Hinterflügel rein
schwefelgelb, die der Vorderflügel weisslich gelb waren. — So
weist auch die Färbung nicht auf einen „gewöhnlichen weissen
Pieriden", sondern auf einen gelb und schwarzen Schmetterling
als Stammform der nachahmenden Lept ausarten hin.
Die Vorfahren der jetzt unter der Maske anderer Gattungen
auftretenden Leptalis arten haben ohne Frage schon als sie noch
ihr eigenes Gewand trugen, mehrere vielleicht in Zeichnung und
Farbe ziemlich verschiedene Arten gebildet, für die wir jedoch
den schmächtigen Leib, die langen schmalen Vorderflügel, die
lg Friu Müller, Einige Worte über Leptalis.
nahe der Wuizel sehr breiten flinterflUgel und eine hauptsäch-
lich in Schwarz und Gelb ausgeführte, in ähnlicher "Weise, wie
bei den heliiioni erähnlichen Danainen angeordnete Zeichnung
mit leidlicher Wahrscheinlichkeit als gemeinsame EigenthUm-
lichkeiten annehmen dürfen.
Lcptalis dürfte also jedenfalls kein glücklich gewähltes
Beispiel sein, um darauf eine „Ausstellung gegen die Tragweite
der natürlichen Zuchtwahl" zu begründen, und ich bezweifle,
dasB andere Fälle schlitzender Aehnlichkeit sieb besser dazu
eignen würden. Eine andere Frage ist es, ob alle Fälle von
Mimicry, uamentlich bei den Schmetterlingen, als schützende
Aehnlichkeit anizufassen sind, und ob nicht vielleicht bei diesen
mit so ausgeiirägtem Farbensinn begabten Thieren die geschlecht-
liche Auslese bisweilen zur Nachahmung eines augenfälligen
schönen Yurbildes geführt habe. Doch auch in letzterem Falle,
dessen Vorkommen mir nicht unwahrscheinlich ist, wUrden wir
uns nicht nach „bis jetzt unbekannten Ursachen" umzusehen
brauchen.
Itajahy, April 1875.
Aeglea Odebrechtii n. sp.
Von
Frito ülfiller.
Hiem Tafel I.
In den Bächen ^ die von der Serra do Mar ostwärts dem
Itajahy, westwärts dem Rio das Marombas und durch ihn dem
La Plata zufliessen, lebt auf sandigem Grunde ein flinker, flacher
Krebs; stellenweise so häufig, dass sich um ins Wasser gehängtes
Fleisch in kurzem ihrer 20 bis 30 sammeln. Durch die Güte
des Entdeckers, des Herrn Emil Odebrecht, erhielt ich ein
(wie er mir sagte, etwa halbwüchsiges) Männchen, und selten
hat mich ein Thier mehr überrascht. Denn der nächste Ver-
wandte dieses in den Gebirgsbächen nahe der Ostküste von Süd-
america hausenden Krebses lebt im Meere an der Westküste;
es ist die Aeglea laevis, die nach der von Milne Edwards
gegebenen Beschreibung^) kaum von unserm Gebirgskrebs zu
unterscheiden ist. — In süssem Wasser ist wohl überhaupt aus
der ganzen Abtheilung der Anomuren noch keine Art gefunden,
und ebenso von den nächstverwandten meerbewohnenden Gat-
tungen (Galathea und den davon abgetrennten Pleuroncodes
Stimps., Muni da und Grimothea) noch keine an der Ost-
ktiste von Südamerica. — Wie kommt nun diese Krebsform des
Stillen Meeres auf unsere Berge? —
Schon seines Vorkommens willen ist dieser Krebs wohl der
Beschreibung werth.
Von oben betrachtet (Fig. 1) bildet der Umriss des Körpers
eine ziemlich regelmässige Ellipse, die reichlich um die Hälfte
länger als breit ist, und deren Vorderende in drei Zähne, einen
längeren mittleren und zwei kürzere seitliche ausläuft. Die
■) Hist. nat. dei CruiUc^s. II, S. 258.
14 Friti Mültcr,
boidcn vorderen Drittel dieser Ellipse nimmt die Kopfbruet,
das hintere der Anfang des Hinterleibes ein, dessen Schwänz-
ende nach unten umgeschlagen ist. Der Panzer ist flach, mit
tiefer, sehr nugenfältiger Nackenfurche versehen. Seine Rücken-
wand BtÖsat mit den Seitenwänden in scharfen Seitenkanten
zasammen. Der Vorderrand ist mit einem geraden, auf der
Oberseite gekielten Stimschnabel und mit einem Zahne an jeder
Seitenecke bewehrt; zwischen beiden liegt jederseita eine Augen-
bucht, Ubor die der Stinisebnabel etwa doppelt so weit (4 Mm.)
vorspringt . als die Seitenzähne. Am Seitenrand des Panzers
sieht man ausserdem noch zwei kleine, kaum über denselben
vorspringende Zähne, den einen dicht hinter der Nackenfurche,
den anderen weiter nach vom, etwa um die Hälfte weiter von
dem liintercu Zahne, als von der Vorderecke entfernt. Der
Hinterrand des Panzers ist seicht ausgebuchtet. Die Oberfläclie
des Panzers ist mit kleinen Grübchen ziemlich dicht bestreut,
im üel>rigen glatt und ohne auffallende Erhabenheiten; nur
im vorderen Theile des Kopfgürtels (arceau c^phalique M." Edw.)
liegen jederaeits hinter der Augenbucht zwei flache Buckel
hinter einander, der hintere der Mittellinie etwas näher. Länge
des Panzers (bis zur Spitze des Stimschnabels) : 23 Mm. ; Breite
zwischen den Vorderecken: 7,6 Mm.; zwischen den Vorderecken
des Stlmltergürtels (den hinteren Seitenzähnen): 16 Mm. ; in
der Mitte di;B Schultergürtels: 20Mm. , am Hinterende: 18 Mm,
— Die viiH den scharfen Seitenkanten schief nach unten und
innen steit;i>nden Seitenwände des Panzers haben ihre grÖsete
Breite (7 Htm.) an der hinteren Ecke des Mundrahmens; von
da verschtnülem sie sich allmählich nach hinten (bis auf 2 Mm.),
rasch nacli vorn, wo der Rand des Mundrahmens auf die Vorder-
ecke zuläuft, aber durch eine tiefe Bucht, in der das erste
Glied der UusBern Fühler Hegt, davon getrennt ist. (Fig. 4.)
Furchen und Nähte des Panzers. Die Nackenfurche
(sillnn ceivical M. Edw.) fällt nicht mit der Grenznaht zwischen
Kopf- und Schultergürtel zusammen; sie berührt dieselbe nur
auf knrKc Strecken und liegt sonst vor derselben, also auf dem
Kopl'gürtoi. Ihr mittlerer, sehr tief eingedrückter Theil bildet
einen nach vom offenen Halbkreis und verbindet sich durch
eine flacliere und etwas breitere Stelle mit den wieder tief ein-
gedrückten , gradlinig zum Rande laufenden Seitentheilen. —
Auf dem Schultergürtel laufen zwei etwas gebogene, sehr augen-
fällige Furchen von dessen Vorderrande nach hinten, aber nicht
L
Aeglea CMßbreclitü n. sp. X5
bis zum Sinterrande, . aoBdern nur bis zu einer nahe an dem-
selben hinziehenden, nicht ininder tiefen Furche. Alle diese
Furchen sind nicht etwa Nahte, in denen ursprünglich getrennte
Stücke des Panzers zusammenstossen , sondern vielmehr durch
den Ansatz verschiedener Theile an dessen Insienseite bedingte
JBindrücke. Nähte sind dagegen unverkennbar schmälere liinien,
die flaoh, aber scharf eingedrückt auf der Aussenfläch^, schwach
vorspringend auf der Innenfläche des Panzers verlaufen und als
belle Linien erscheinen, wenn man den Panzer gegen das
Licht hält.
Die Naht, welche Kopf- und Schultergürtel scheidet, fällt
in ihrem mittleren Theile mit der Nackenfurche zusummen ; wo
diese sich nach vorn krümmt, geht jene ziemlich gerade nach
aussen weiter bis etwa halbwegs zwischen Mittellinie und Seiten-
rand und geht dann in schwach nach vorn gewölbtem Bogen
schief nach vorn zum Seitenrande, wo sie wieder mit der hier
endenden Nackenfurche zusammentrifft ; darauf läuft sie auf der
Seiten wand des Panzers schief nach vom, um im Grunde der
Fühlerbucht zu enden. (Fig. 4.) — Der Kopfgürtel zeigt keine
deutlichen Nähte, um so zahlreicher sind sie auf dem Schulter-
gürtel. Zunächst wird ein mittleres, etwa ein Drittel der Breite
einnehmendes Rückenfeld abgegrenzt durch zwei nach aussen
von den Längsfurchen in gerader Linie vom vordem zum hintern
Rande des Schultergürtels verlaufende Nähte. Dieselben laufen
bis zum Hinterrande selbst, nicht blos, wie die Längsfurchen,
bis zur hinteren Randfurche. Etwas nach aussen von diesen
Längsnähten entspringt von der vorderen Quernaht, da wo sich
diese schief nach vorn wendet , eine schief nach aussen und
hinten zur Mitte der Seitenkante des Schultergürtels verlaufende
Naht, welche die Seitentheile des Rückens in ein dreieckiges
vorderes und ein viereckiges hinteres Feld scheidet. Als be-
sonderes Stück ist von dem vorderen Felde der Schulterzahn
durch Naht abgegrenzt. Nach aussen ist das vordere Seiten-
feld begrenzt durch eine Naht, die vom Schulterzahne aus dicht
an der Seitenkante sich hinzieht; am Anfang des hinteren
Seitenfeldes geht diese Naht vom Rücken ^uf die Seitenwand
über und läuft hier in der Nähe der Seitenkante bis zum
Hinterrande. So gehört von der Seitenkante des Schultergürtels
der vordere Tbeil der Seitenwand, der hintere der Rücken-
wand an. \
Auf den Seitenwänden (Fig. 4) wird zunächst ein schmaler^
16 Fritz Malier,
über tieiu Füssen liegender Streifen durch eine Länganabt ab-
gesondert, die kurz vor dem Hinterende mit der das bintere
Seitenfeld des Kückens nach Eiussen begrenzenden Naht zueammen-
äiesst. so dfiBB das hintere, etwas breitere, abgerundete Bnde
jenes Streifens anmittelbar an die Rückenwand atösst. Ausser-
deui tindßii sich zwei Quemähte. Die vordere geht Ton der
hinteren Ecke des SchulterzahnstÜckes schief nach hinten und
trifft über dem ersten Paare der Lauffüsse die Längsnaht; die
liiutere begrenzt nach vom ein kleines dreieckiges, zwischen
Rückenwaiid und den unteren Längsstreifen der Seitenwand ein-
getbeilteH Peldchen.
Der Punzer unserer Äeglea ist in hohem Grade merk-
würdig dadurch, dass an ihm neben einander und beide in un-
gewöhnliclier Deutlichkeit ausgeprägt, die Nackenfurche und die
Grenünabt zwischen Kopf- und Schultergürtel sich finden, und dass
ebenso auf letzterem ein Mittelfeld durch Längsfurchen und gleich-
zeitig ein anderes durch Längsnähte abgegrenzt wird. Dieselben
Nähte finden sich nach Milne Edwards') unter 'anderen bei
Birgua latro; dieselben oder ähnliche Furchen mehr oder
minder deutlich bei vielen Krabben und Krebsen. Dass man
nun aber nicht ohne Weiteres, wie man zu thun pflegt, Furchen
und Nähte als einander entsprechend betrachten darf, dass man
keineswegs immer gleichwertbige Abschnitte erhält, wenu man
z. E, einmal einen „sulcus cervicalis", ein andermal eine „sutura
cervicalis" als Grenze zwischen Kopf- und Schultergürtel an-
nimmt, be^v<?ist das gleichzeitige Vorhandensein von Naht und
Furche hei Aeglea.
Ich k<')ire zur Beschreibung meines Krebses zurück. Augen-
höhlen siTiil selbst nicht in der unvollständigen Weise, wie sie
bei P n V c e 1 1 a n a vorkonjmen, vorhanden ; die kurzen Augenstiele
sind scliii'l vorwärts gerichtet. Die inneren Fühler sitzen
unter und liinter den Augenstielen (Fig. 3), ihr kurzes dickes,
nacli dem Ende zu breiteres Grundglied trägt keinerlei Dornen
oder Zähni? ; das zweite Glied sitzt an der inneren vorderen
Ecke dos ersten, ist schlank, walzenförmig, leicht gebogen,
iiheiTagt kaum die Augen und legt sich in der Ruhe zwischen
Augenstiele und Stimschnabel ; das dritte ist etwas kürzer und
wird nach unten eingeschlagen; von den Endgeissein ist die
dickere (13 gliedrig) etwa so lang, als das dritte Glied des
■j Annal. det Sc. nat, 8. S^e. Zooig. XVI. fo]. S, pag. 3.
Aegloa Odebrechtii n. sp. .17
Stieles, die andere (10 gliedrig) kürzer. Der Stiel der äusseren
Eühler ist viergliedrig ; das erste Glied ist unbeweglich und
seine Umgrenzung kaum deutlich zu erkennen; der diesem
Gliede eigenthümliche Höcker liegt nahe der vorderen Ecke
des Mundrahmens, seine Oeffnung ist nach hinten gerichtet.
Das zweite Glied liegt in derselben Querlinie mit dem Grund-
gliede der inneren Fühler; aussen trägt es einen durch Naht
deutlich abgesetzten spitzen, kegelförmigen Vorsprung (Fig. 4),
wahrscheinlich ein Ueberbleibsel des äusseren Astes (der Schuppe
des Garneelenfülüers) ; es ist wie das folgende Glied dick und
kurz ; das vierte Glied ist weit dünner, walzenförmig, etwa so
lang, wie die beiden vorigen zusammen. Die vielgliedrige, un-
behaarte Geissei ist 34 Mm. lang.
Der Mundrahmen (cadre buccal) ist vorn um die Hälfte
breiter als hinten (Fig. 3) und nicht durch scharfe Grenzen von
dem vorderen Mundschilde (Eßistom) geschieden. Die inneren
Mundtheile übergehe ich, da ich sie nicht mit denen der nächst-
verwandten Gattungen vergleichen kann. Die äusseren
Kiefer füsse (Fig. 5) reichen ausgestreckt etwa bis zur Spitze
des Stirnschnabels ; das zweite Glied des inneren Astes ist ohne
blattförmigen Vorsprung nach innen, dreikantig, die innere vordere
Kante bewimpert, die innere hintere Kante mit einer Beihe
kegelförmiger Zähne bewehrt (wie bei den ächten Galathea
im Sinne von Stimpson); das dritte Glied etwa von Länge
des zweiten, nicht breiter als das kurze vierte ; das fünfte Glied
walzenförmig, länger als seine Nachbarn.
Die Brustplatte bildet ein gleichschenkliges Dreieck
mit nach vom gerichteter Spitze, dessen Grundlinie (10 Mm.)
fast der Höhe (12 Mm.) gleich kommt. Die Grenzen der fünf
Stücke, durch deren Verschmelzung sie gebildet ist, sind durch
breite, seichte Furchen bezeichnet. An den Hinterecken jedes
dieser Stücke sjjringen Gelenkhöcker vor für die betrefifenden
fünf Fusspaare (äussere Kieferfüsse, Scheerenfüsse und drei
Paar Lauffüsse). Der Hinterrand hat eine breite, flache, vom
geradlinige Bucht, in die sich der letzte freie Brustring einlegen
kann.
Die Scheerenfüsse sind von massiger Länge (möglichst
gestreckt 30 Mm.), kräftig, mehr nach vorn als nach aussen
gerichtet, nach unten sich einschlagend; die linke Scheere ein
wenig stärker, als die rechte. Oberarm dreikantig, die innere
kürzeste Kante mit fünf spitzen Zähnchen bewehrt; winzige
Bd. X, M. F. IIL ^
Friu Miillar,
Zähnclien an der Endhiilfte der beiden anderen Kanten, die
obere die längste (7 Mm.). Vorderarm weit kürzer als der
Oberarm , innen h Mm, lang ; Vorder- und Hinterrand nach
aussen fast in einen Punct zusammenlaufend. Innenrand stark
gewölbt, mit 5 Zülmen, von denen der vierte der längste; oben
trägt der Vorderarm üine aus kleinen Höckern gebildete, dem
, Innenraud gleichlaufende Leiste, unten zwei Zähne. Hand,
links: 14 Mm. laug. 11 breit, 5 dick; rechts: 14 Min. lang,
9 breit, 4 dick. Obere Fläche körnig rauh, ohne Zähne oder
Domen; der kurze Innenrand fast halbkreisförmig vorspringend,
fein Bägezähnig; untere Fläche mit einer von der Spitze zum
äusseren Gelenkhöcker laufenden, aus verschmelzenden Höckern
gebildeten Leiste. Greifrand in seinem oberen Theile schwach
löffelformig ausgelioblt, darunter mit einer zahnartig vor-
springenden dreieckigen Fläche (diese an der linken Hand weit
stärker). Oberer Rand der löffeiförmigen Aushöhlung fein ge-
kerbt (links) oder gezähnelt (rechts) ; an der rechten Scheere
setzt sich diese Zälinelung auch auf den Rand des zahnartigen
Vorsprunga fort. Daumen 8 Mm. lang, ziemlich gerade, sein
Greifrnnd dem des feststehenden Fingers ähnlich.
Die drei Paar Lauffüese sind schlank, schwach zusammen-
gedrückt, keins ihrer Glieder verbreitert; sie sind unbewehrt,
nur die Kanten mit besser fühlbaren als sichtbaren, endwärts
gerichteten Dörnclien oder Börstchen besetzt. Das Klauenglied
fast so lang als die beiden vorhergehenden zusammen , dünn,
nur schwach gebogen, in eine harte scharfe Spitze auslaufend.
Möglichst gestreckt sind die vorderen Lanffüsse 30 Mm.' lang,
(Oberschenkel 9, Unterschenkel 4, Fussglied 5, Klauenglied
7 Mm.), die mittleren 29 Mm., die hinteren 27 Mm.
Die Putzfüsae (Fig. 7) sind sehr beweglich an dem
ebenfalls sehr beweglichen freien letzten Bruatringe eingelenkt;
das erste dicke kur^e Glied ist fast ganz häutig und trägt nach
innen die Kuthe (Fig. 7, r); dann folgen vier dünne lang-
streckige Glieder, von denen in der Ruhe das erste schief nach
hinten und aussen, das zweite, längste (Oberschenkel) schief
nach vorn und aussen, das dritte und vieil« (Unterschenkel und
Fussglied) gerade nach innen gerichtet sind, so dass die Spitze
des FusBgliedes die Euthe von unten deckt. Ein deutlich ab-
gesetztes Fiiigerglied konnte ich nicht unterscheiden; ich sah
nur am Ende deH Fuasgliedes zwei rundliche mit je einer Reihe
zierlicher Zähnchen besetzte Höcker (Fig. 8) oder Knöpfchen,
Aeglea Odebrechtii n. sp. 19
als dürftige Beste der Scheerenfinger an den Putzfiissen der
verwandten Gattungen.
Der Hinterleib (Fig. 2) ist gross und kräftig, reichlich
so lang, als die Kopfbrust; er lässt sich nicht völlig ausstrecken;
sein hinteres Ende ist nach unten geschlagen, wobei die Grenze
zwischen viertem und fünftem King den hinteren Rand bildet.
Von der Brust wird durch den nach unten geschlagenen Schwanz
nur der letzte freie Ring mit Putzfüssen und Ruthe bedeckt.
Der Rücken der vorderen Ringe ist gewölbt (Höhe des Bogens
fast Vs der Sehne), der des Schwanzes flach. Die Breite sinkt
vom 2. bis 6. Ring von 17 auf 11 Mm.
Die Rückenplatte des ersten Ringes ist sehr kurz; ihr
gewölbter Vorderrand passt in die seichte Bucht am Hinter-
rande des Panzers. Dieser Ring ist der einzige, dessen Bauch-
seite durch einen dünnen, queren, verkalkten Stab gestützt ist;
die Bauchseite der übrigen ist ganz häutig; am zweiten Ring
fand ich ihren mittleren Theil beutel- oder bruchsackartig vor-
getrieben.
Am zweiten bis seohsten Ringe sind die Seitenstücke
der Rückenplatte durch sehr augenfällige Furchen vom Mittel-
stücke geschieden ; die Seitenstücke des zweiten Ringes haben
einen 4 Mm. langen Seitenrand, die der folgenden laufen in eine
schwach vorwärts gebogene Spitze aus; ihr zugeschärfter, ein-
gebogener Vorderrand legt sich unter den gewölbten Hinterrand
des vorhergehenden; am sechsten Ring ist der Hinterrand der
Seitenstücke gerade. Der 2. bis 5. Ring sind etwa gleich lang
(3 Mm.), der 6. und 7. länger (5 Mm.). Am sechsten Ringe
nehmen die Seitenstücke nur etwa Vs der Länge ein ; das vierte
Drittel bleibt für die Einlenkung der Schwanzfüsse.
Der siebente Ring ist in seiner vorderen Hälfte ziem-
lich gleich breit (7 Mm.); dann laufen die Seitenränder bogig
nach dem schwach eingekerbten Hinterende zusammen; in der
Mittellinie dieses Ringes verläuft eine seichte Furche. Der
Hinterrand ist bewimpert.
Die fünf ersten Hinterleibsringe sind vollkommen anhang-
los; der sechste trägt die blattförmigen Schwanzfüsse, die mit
dem siebenten Ringe eine sehr ansehnliche (etwa 22 Mm. breite,
10 Mm. lange) Flosse bilden.
Das Grundglied der Schwanzfüsse ist von ansehnlicher
Grösse, dreieckig; sein Vorderrand legt sich dem Seitenstücke
des 6. Ringes an, überragt dasselbe etwas, und reicht, wenn der
20 Fritz Müller,
Schwanz eingesclilagen ist, bis zur Spitze des Seitenstücks des
5. Ringes ; der Innenrand schiebt sich unter den vorderen Theil
des 7. Ringes; der Augenrand trägt in seiner vorderen Hälfte
die beiden Endblätter; diese sind von nahezu gleicher Grösse
und Gestalt, eiförmig, 7 Mm. lang, das vordere (äussere, untere)
3,5 Mm., das hintere (innere, obere) 4 Mm. breit. Aussen und
hinten sind sie bewimpert. Eine Quernaht zeigt keines der*
Blätter, dagegen die Oberseite des inneren einen fast bis zum
Ende desselben zu verfolgenden Kiel.
Die Kiemen, die bei Porcellana und nach Milne \
Edwards^) auch bei Galathea die gewöhnliche Form der
Krabbenkiemen haben, zeigen bei unserer Aeglea einen ganz
eigenthümlichen Bau (Fig. 9, 10); jede Kieme besteht aus einem
schmalen Blatt, das nahe seinem unteren Ende angeheftet und
an seinem freien äusseren Rande dicht mit langen Fäden be-
setzt ist. Nach beiden Enden des Blattes zu werden die Fäden
kürzer. Es scheinen stets drei Reihen von Fäden vorhanden
zu sein, eine mittlere, eine hintere, deren Fäden ein wenig
kürzer, und eine vordere, deren Fäden weit dünner und nur
etwa V3 so lang sind, als die der mittleren Reihe. Der faden-
lose innere Rand der Kieme legt sich der Leibeswand an, die
Fäden sind nach vorn gerichtet, so dass die hinteren Kiemen
die vorderen decken. Von hinten beginnend, findet man zuerst
zwei grössere, dann eine etwa dreimal so kleine Klieme, und so
wechseln immer zwei grosse mit einer kleinen Kieme. Im Ganzen
zählte ich jederseits zwölf. (Für Porcellana gibt Milne
Edwards vierzehn an; möglich, dass mir beim Herausnehmen
der Mundtheile ein paar winzige vordere Kiemen unbemerkt ver-
loren gegangen.)
Vergleicht man diese Beschreibung der Aeglea unserer
Gebirgsbäche , die ich na^ch ihrem Entdecker Aeglea Ode-
brechtii nenne, mit der Beschreibung, die Milne Edwards-)
von der chilenischen Aeglea laevis gibt, so findet man kaum
folgende Unterschiede:
Der Panzer der Aeglea laevis ist viel länger als breit,
der Hinterleib weniger lang als der Panzer, sein siebenter
>) Hist. nat des Crustacös. I, S. 88.
»; a, a. 0. II, S. 259,
Aeglem Odebreclitu n. fip. Sl
Simg klein, mit den auf sehr langem Grundgliede sifzenden
Blättern der Schwanzflosse keinen Fächer bildend. Bei Aeglea
Odebrechtii ist weder der siebente Hinterleibsring auffallend
klein im Vergleich mit G-alathea und Porcellana, noch
das Grundglied der Schwanzfiisse auffallend lang im Vergleich
mit Galathea strigosa. *) Femer ist bei Aeglea laevis
der Stimschnabel leicht gekrümmt und die Bland der Scheeren
oben mit mehreren kleinen Zähnen bewaffnet.
Die Grattung Aeglea hat in den bisherigen Anordnungen
der Krebse eine sehr wechselnde Stellung eingenommen. Von
Latreille als Galathea laevis beschrieben, wurde der
chilenische Vetter unseres Gebirgskrebses durch Leach als
eigene Gattung Aeglea neben Galathea gestellt. Mi Ine
Edwards entfernte ihn nicht nur aus der Familie der Gala-
theiden, die er zu den Panzerkrebsen, also zu den Macruren
steljte, sondern brachte ihn sogar in eine andere Hauptabthei-
lung, zu den Anomuren in die Familie der Porcellanen.
Dabei blieben jedoch Aeglea und Galathea nächste Nach-
barn; denn es schloss (von den Larvenformen Megalops und
Monolepis abgesehen) mit Aeglea die Reihe der Ano-
muren, undGalathea begann die der Macruren. — Dana
brachte auch Galathea zu den Anomuren und gab ihr
wieder Aeglea als Nachbarn, schob aber zwischen diese und
Porcellana mehrere andere Familien, deren Zahl Stimpson
noch vermehrte; Dieser ordnet*) die Anomuren mit freiem
letaten Brustring (Schizosomi) in folgende Reihe: Porcella-
niden, Hippiden, Lithodiden, Paguriden, Aegleiden, Galatheiden,
— Thomas Bell vereinigt dagegen wieder^) die Porcella-
uiens (Porcellana, Aeglea) und die Galatheides
(Galathea, Grimothea) von Milne Edwards in eine
einzige Familie, die er zu den Anomuren stellt, welche Auf-
fassung auch unter den deutschen Kennern dieser Klasse jetzt
die herrschende zu sein scheint.
Am verkehrtesten ist jedenfalls die Anordnung von Milne
') Nach der Abbildang in Th. Bell, British stalk-eyed Crustacea
S. 200.
*)Troceed. Acad. Nat. S«. Decbr. 1858. S. 65. —
*) British Stalk-eyed Crustaeca, 185.3. S. 196,
FnU Muller,
Edwards. Znaächat deshalb, weil sich Aegiea fast in allen
Stücken weit enger an Gralatliea anschlieset, als an Por-
cellana. Von dem glatten Panzer mit scharfem Seitenrand
und dem nach anten geschlagenen Schwänze abgesehen, die
allerdings dem Thiere ein ziemlich Forcellana- ähnliches An-
sehen geben, hat Aegiea mit Porcellana im Gegensatz zu
Galathea kaum etwas gemein, als das kurze, dicke, unbe-
wehrte Grundglied der inneren Fühler nnd den (bei Por-
cellana nicht vollständigen) Mangel der Strudelfiisse am
Hinterleibe des Männchens; dagegen mit Galathea im Gegen-
satz 7.U Porcellana den völligen Mangel der Augenhöhlen,
die nach unten sich einschlagenden inneren Fühler, den Bau
der iiugseron Kieferfüsse, die Form der Brustplatte, den kurzen
Vorderarm der Scheerenfüsse u. s. w, — Ja selbst der kräftige,
gewölbte Hinterleib mit ganz ähnlich gestalteten Seitenstücken
und ähnlich gebauter Schwanzflosse steht dem von Galathea
weit näher, als dem von Porcellana. Weit schlimmer ist es,
dass die eine der beiden nächstverwandten Gattungen zu den
Anomnren, die andere zu den Macruren gestellt ist. Die ganze
Unnatur dieses Verfahrens springt sofort in die Augen, sobald
man Mihie Edwards' Anordnung der Decapoden in die Form
eines Stammbaumes bringt.
Poroellina. Acglei
Aeglea Odebrechtii n. Bp. 93
Danach würden also Galathea und Aeglea erst an der
gemeinsamen Wurzel der Macruren und Anomuren zusammen-
hangen und alle diesen beiden Gattungen gemeinschaftlichen
Merkmale mtisste im Wesentlichen schon der Urahn der Ma-
cruren und Anomuren besessen haben! Bei der gewöhnlichen
reihenweisen Anordnung tritt dieser Widersinn nicht so schreiend
zu Tage, da ja dabei Aeglea und Galathea immerhin nächste
Nachbarn bleiben. *)
Für das Richtigste möchte ich es halten , wie Bell,
Gerstäcker, Claus u. s. w., Galathea, Aeglea und Por-
cellana mit den neuerdings davon abgezweigten Gattungen in
eine gemeinsame Gruppe zusammenzufassen, wobei es natürlich
gleichgültig ist, ob man diese als Familie bezeichen oder in die
drei Familien der Galatheiden, Aegleiden und Por-
cellaniden spalten will. Ein endgültiges Urtheil wird sich
jedoch ohne Kenntniss der Jugendformmen von Galathea und
Aeglea nicht fällen lassen. Die überaus dürftige Abbildung
einer Galathea-larve bei Bell^) erinnert weit mehr an die
Zoea der Einsiedlerkrebse, als an die der Porcellanen.
Itajahy, S* Catharina, Brazil
Ende Mai 1875.
^) Der nahen Verwandtscbaft zweier Formen, die man ans irgend wel-
chem Grunde auieinander reissen zu müfison glaubt, dadurch Rechnung zn
tragen, dasa man sie, wenn auch in verschiedene Gruppen, so doch neben*
einanderstellt. ist ein beliebter Kunstgriff der alten Schule. Es bt im Grunde
ein einfacher Betrug, wenn auch nur Selbstbetrug. Hätten die vielverspotteten
Stammbäume keinen weiteren Nutzen, als derlei Täuschungen sofort zu ent-
larven und dadurch unmöglich zu machen, so wäre auch dies schon nicht
gering anzuschlagen. Hier noch ein dem obigen ganz ähnliches Beispiel aus
neuester Zeit(Kirby, A synonymic catalogue of diurnal Lepidoptera. 1871):
® © ®
o S S 2 3 S Ueliconius. Eueides Colaeni8,Dione und über 100 andere Gattungen,
.2.5 c^ ©.S
C^^S^£< Heliconinae Nymphalinae
Nymphalidae
Danach hätten Eueides und Colaenis ihren gemeinsamen Stamm-
vater erst in dem gemeinsamen Ahnen der Heliconinen und Nymphalinen, und
dieser müsste alle den Gattungen Eueides und Colaenis gemeinschaft-
lichen Merkmale besessen haben! —
*) British Stalk-eyed Crustacea, S. 203.
24 Fntx Müller, Aegleu Odebrechtii n. »^.
ErklSrung der Abblldnngen.
1. Aeglea üdebrechtii, halbwüchsiges MänncheD, nftt-Gr.
2. Hinterleib, möglichst gestreckt, DHt. Gr.
3. Die Gegend vor dem Munde, nach Entfernung der Kiefer und Kiefer-
függe (3:1)
i.- Seitenwand des Paniers und Stiel der äusseren Fühler (2 : i).
b. Aeusserer EieferiliBS der linken Süte (3 ; i).
6. Die Zahne am 2. Gliede des inneren Astes dieses Fuases (12': 1).
7. Putzfuss der Unken Seite (ü : 0 r ßuthe.
". Enile ilicws Futzfusaea (100:1). Die Borsten sind weggelassen
w LeUlG Kit'iiie der linken Seite, nat Gr.
10, Stück eintr Kieme (5:1). h. hintere, m. mittlere, v. vordere Reihe der
Kiciiienfäden.
Bemerkungen über die Kerne der Ganglienzellen.
Von
Prof. Gt. ifcliwalbe.
In nachfolgenden Zeilen theile ich einige Beobachtungen
mit; die gelegentlich an den Ganglienzellen der Netzhaut, des
Rückenmarks und der Spinalganglien angestellt wurden und
geeignet erscheinen, einerseits einige streitige Punkte der Textur
der Nervenzellen zu klären, andererseits der jetzt vielfach dis-
cutirten Frage nach dem Bau und der Bedeutung des Zellkernes
einiges brauchbare neue Material hinzuzuführen.
Die Kerne der Ganglienzellen sind nach den gewöhnlichen
Darstellungen der Lehrbücher klare Bläschen mit rundem matt-
glänzendem Nucleolus, in dessen Inneren zuweilen noch eine
kleine mit Flüssigkeit erfüllte Höhle, der sog. Nucleololus
(Mauthner) gefunden wird. In selteneren Fällen finden sich
zwei Kernkörperchen , noch seltener eine grössere Zahl, wie
z, B. in den Ganglienzellen des Sympathicus vom Meerschwein-
chen, in denen des unteren Schlundganglions von Arion empi-
ricorum (vergl. meine Arbeit über den Bau der Spinalganglien,
Arch. f. mikr. Anat. IV., S. 63). Auch Auerbach, der in neuester
Zeit in den verschiedensten Zellen eine grössere Zahl von Kern-
körperchen sehr verbreitet nachwies '), vermochte in den Gang-
lienzellen (Spinalganglien von Proteus, Sympathicus und Rücken-
mark von Rana esculenta) für gewöhnlich nur ein bis zwei
Nucleoli und nur ausnahmsweise drei bis vier etwas kleinere zu
finden. Bei Embryonen war eine Duplicität des Nucleolus häu-
*) L. Auerbach, Organologische Studien. Zweiter Abschnitt: Ueber
Entstehung, Vermehrung und einige Lebenseigenschaften der Nucleoli. Bres-
laa 1874.
G. Schwalbe,
anziiti-effen '), ja selbst drei bis vier Kemkörperchen hier
und dn, zu bfinerken. Es war Auerbach letztere Thatsache um
so auffallender, als er an anderen embryonalen Zellen im Gcgen-
tlicil eine geringere Anzabl von Kernkörpereben bemerkte, als
in entwickelten, und in den Zellen der frühesten Stadien embryo-
naler Entwicklung sogar die Kerne ganz ohne Kernköri)erchen
antraf.
Meine Untörsuchungen, die zunächst an der frischen Netz-
haut dt's Schafes, Kaninchens, Kalbes und Ochsen angestellt
wurden, helelirten mich bald, dass die gewöhnlichen Beschrei-
bungen eine vollkommen ungenügende Vorstellung von der Be-
schaffenheit de3 Ganglien Zellen kern es geben, dass derselbe bei
demselben lüdividuum ein sehr wechselndes Bild darbieten kann
und ferner auf verschiedenen Entwickelungastufen sehr ver-
schieden organisirt ist.
Wenn man die frische, noch vollkommen durchgiclttige
Netzhaut des Schafes vorsichtig, mit ihrer inneren Oberfläche
nach oben, in Humor vitreus auf dem ObjecttrSger ausgebreitet
hat, so gelingt es leicht, in den peripheren, der Ora serrata
benachbarten Partien die Ganglienzellen in allen ihren Organi-
sati ons Verhältnissen klar und scharf wahrzunehmen, da hier
bekanntlich die Nervenfaserlage auf dünne zerstreute Bündel
reducirt ist. ' Es ist dies ein Verfahren, das schon M. Schnitze
zu diesem Zweck empfohlen hat, ') An vollkommen frischen,
durchsichtigen, in der beschriebenen "Weise ausgebreiteten Netz-
häuten erkennt man nun bei Einstellung auf die Ebene der
Ganglienzcllenschicht in eine matt glänzende vollkommen homo-
gene Masse eingebettet kreisrunde , ovale oder unregelmässig
begrenzte K™sse helle Flecke, die mit äusserst scharfen Ooa-
turen ge;-rn die oben erwähnte Substanz abgegrenzt sind. Auf
den ersten Anblick glaubt man helle mit Flüssigkeit erfüllte
Räume vor &ich zu haben, zwischen denen jene mattglänzendc
Substanz ein Netzwerk bildet. Allein bei genauerer Untersuchung
überzongt man sich, dass man es mit denselben Ränmen zu
thun hat, in denen die Ganglienzellen liegen, da im Innern
jedes hellen Fleckes ein kreisrunder Kern mit allen Abzeichen
eines Ganglicnzellenkemes sichtbar wird. Der ganze übrige
Raum ist vollkommen klar mit Ausnahme eines kleinen Hofes
*J Die tietina. Stricker'a Handbaoh der LeliTO von den Geweben, S. 965,
fiemerkungen über die Kerne der Ganglienzellen. 27
äusserst feinkörniger Substanz, welcher den Kern umgibt Es
konnte deshalb anfangs zweifelhaft erscheinen, ob der ganze
helle Raum einer Ganglienzelle entspricht oder nur der Kern
mit seinem feinkörnigen Hofe, allein schon nach kurzer Behand-
lung ipit sogenannten indiflFerenten Flüssigkeiten, z. B. mit Jod-
serum, trübte sich der ganze vorher durchsichtige Raum und
erschien nun so, wie man gewöhnlich den Granglienzellkörper zu
beschreiben pflegt, fein granulirt. Von einer Anordnung der
feinen Körnchen in Reihen, von einer Diflferenzirung der nicht
kömigen Zellsubstanz in feine Faserzüge vermochte ich entgegen
den Angaben M. Schultzens an solchen Ganglienzellen der Netz-
haut nie etwas zu sehn.
Ehe ich auf den Hauptgegenstand dieser Mittheilung, auf
die Beschreibung des Kernes der frischen Nervenzellen eingehe^
mögen hier noch zwei Bemerkungen Platz fincfen. Die eine be-
trifft die Frage nach dem Verhalten der Ganglienzellen der
Retina zur Substanz der inneren granulirten Schicht. Ich habe
mich schon in meiner Abhandlung über die Netzhaut im Haud-
buche der Ophthalmologie von Graefe und Saemisch I, S. 388
dahin geäussert, dass die Annahme eines Ueberganges der
Ganglienzellen durch ihre feinsten Ausläufer in die granulirte
Sul)stanz oder mit anderen Worten die Auffassung der letzteren
als Nervensubstanz sehr viel gegen sich hat. 'Ich kann jetzt
als ein weiteres Argument gegen diese Theorie das völlig
differente optische Verhalten frischer Ganglienzellen und frischer
granulirter Substanz anführen. Die Substanz der frischen Netz-
bautganglienzelle erscheint mit Ausnahme eines schmalen den
Kern umgebenden Hofes vollkommen homogen und durchsichtig,
die granulirte Substanz dagegen, wie ich bereits an einem
anderen Orte ausgeführt habe *), von zahllosen kleinen hellen
Kügelchen, welche nichts Anderes wie Vacuolen sind, durch-
setzt und überdies von stärkerem Glänze. Der Unterschied
beider ist in der That an frischen Netzhäuten ein sehr auffal-
lender. — Meine zweite Bemerkung betrifft die glänzende homo-
gene Substanz, welche die Zwischenräume zwischen den Gang-
lienzellen ausfüllt. Sie lässt keine Spur von Formelementen
erkennen, erscheint vielmehr wie ein vollkommen homogener
Ausguss der Zell-Interstitien. Offenbar haben wir es hier mit
einer der Kittsubstanz der Epithelzellen vergleichbaren Masse
*) Artikel Retina, im Handbuch von Graefe und Saemisch. S. 386,
28 G. Schwafca,
zu thun. Sie ist es, welche an Zupfpräparaten aus Müller'scliei'
Lösung in Form glänzeader homogener schalenförmiger, mit
den Abdrücken der Ganglienzellen versehener BmchBtücke auf-
tritt. (L. c, p. 384.)
Teil wende mich nunmehr zur Beschreibung der Kerne.
Dieselben sind kuglig, durch einen schmalen Reifen glänzender
Masse, die sog. Kemmemhran, von der Granglienzellaubstanz
abgegrenzt. Dieser Keifen iet nach aussen gegen letztere glatt
conturii-t, gegen das Innere des Kernes dagegen mit mannig-
fachen grösseren und kleineren Hervorragungen ver-
sehn, aus derselben glänzenden Masse bestehend, wie die Kern-
membran und mit ihr continuirlich. Sehr häufig sind diese
Fortsätze im optischen Durchschnitt von dreieckiger Q«atalt,
mit der Basis der Kemmemhran aufsitzend, mit der Spitze nach
innen gerichtet; in anderen Fällen sind sie von unregelmässiger
Form. Das Innere des Kernes erscheint in allen Fällen an
frischen Präparaten vollkommen klar. Wo die eben beschrie-
henen Prominenzen sehr ausgehildet sind, enthält der Kern kein
weiteres Inhaltskörperchen , sondern ist vollständig homogen.
Es existiren hier also Ganglienzellenkenie ohneKernkörper-
Cheu. Ist ein Kernkörperchen vorhanden, so erscheint es
frisch nie knglig oder elUpsoidisch , mit glatten Conturen,
sondern stets mehr oder weniger zackig (vgl. M. Schnitze, 1. c.
Fig. 346 A.) und sehr häufig mit feinen fadenförmigen
Fig. I.
fl, b tiiiJ c GangUencellan aus der Netzhaut des Schafes. Frisch in Hnmor
titreus. a nnd b mit radienartigen Fortsätzen des Nucleolus und unregel-
iiiüNigen Verdickungen der Kernmeuibran, c mit 2 grössereo „«Badstäadigen
Nuclooliii". d Ganglienzelle aus der Netzhaut des Kaninchens, Nucleolus
mit einem fadenfiirmigen Fortsätze.
Bemerkangen über die Kerne der Gangliensellen. 29
Ausläufern versehen, die in sehr wechselnder Zahl, Länge
und Dicke auttreten können. Fig. 1 d zeigt einen feinen, Fig.
1 a 6, Fig. 1 b deren 7, darunter zwei längere. Oft lassen sich
die Ausläufer bis in die Nähe der Kemperipherie verfolgen,
wo sie zugespitzt enden. Ueber die Umrisse des Kernes hinaus
in das Gebiet des Ganglienzellenkörpers sah ich sie nie ein-
dringen. Sie beginnen meist mit breiterer Basis aus der Sub-
stanz des Nucleolus sich zu entwickeln und enden fein zugespitzt.
Ihre Substanz stimmt in allen Eigenschaften mit der des Kern-
körperchens vollständig überein und ist mit ihr continuirlich.
Ebenso ist aber kein materieller Unterschied wahrzunehmen
zwischen dem im Innern des Kernes gelegenen Kernkörperchen
und dem, was ich vorhin als Kemmembran bezeichnet habe,
sowie deren mannigfachen inneren Excrescenzen. Alle diese
Gebilde bestehen aus derselben glänzenden homogenen Substanz.
Man könnte in dem Falle, wo ein innerer Nucleolus fehlt,
geradezu davon reden, dass als Ersatz dafür wandständige
Kernkörperchen vorhanden seien ; man muss freilich dann hinzu-
setzen, dass letztere mit der Kernmembran vollkommen ver-
schmolzen sind, ihr also nicht blos anliegen, wie dies in den
Formen wandständiger Nucleolis der Fall ist, die Auerbach
beschreibt.
. Die ganze Configuration der eben beschriebenen Kerne
wiederholt im Kleinen das Bild gewisser Zellen, wie z. B. vieler
Püanzenzellen, wo wir es mit einer dünnen Schicht wandstän-
digen Protoplasmas und mit einer den Kern enthaltenden An-
sammlung desselben zu thun haben, von welch' letzterer Fäden
derselben Substanz zur Peripherie verlaufen, um sich dort mit
der Wandschicht zu vereinigen. Die letztere würde in unserem
Falle durch die sog. Kernmembran und ihre inneren Hervor-
ragungen, der Kern mit seinen Protoplasmastrahlen durch den
Nucleolus mit seinen feinen Fäden repräsentirt. Abweichend
vom Baue jener Pflanzenzellen ist hier nur, dass bei unseren
Kernen die Wandschicht direkt die Oberfläche des Kernes
bildet, dass sie nicht einer von ihr gebildeten Membran an-
liegt; sie ist somit einer Zellmembran nicht zu vergleichen.
Sodann ist von mir eine Verschmelzung der feinen Fäden mit
der Wandschicht nicht direkt beobachtet worden. Ich halte
es aber für sehr wahrscheinlich, dass eine solche Verbindung
ab und zu vorkommt. Sollte sich diese Vermuthung bewahr-
heiten^ so hätten wir hier im Kerne der Nervenzelle die Difife-
30 G- Schwalbe,
renzii'uiigcn, die innerhalb des Protoplasmas der Zellkörper
auftreten, im Kleinen wiederholt. Es fehlte zur Gleichstellung
uui- der N:ic)LWnis, dass die glänzende peripher (sog. Kernmem-
bran) nnd central (Nucleolus mit Fäden) vertheilte Substanz in
Bau nnd Leben seigenschaften dem Protoplasma entspricht. In
orsterer Bczieliung ist bekannt, dass sie jedenfalls in ihrer
grösseren Masse aus Eiweisskörpern aufgebaut ist. In letzterer
Hinsicht liandelt es sich um den Nachweis von Bewegungs-
erscheinungun. Direlft habe ich nun zwar Form- resp. Orts-
verändorungen ara Kernkörperchen nicht beobachten können,
halte aber wcuij^stens erst^'re für sicher nachgewiesen durch die
veränderte Form, unter der die Kernkörperchen sich im
irischen Zustande und nach Behandlung mit Reagentien zeigen.
Die feinen Fortsätze, welche an frischen Kernkörperchen so
leicht wahrzuntihmen sind, ja sogar die bereits von M. Schnitze
beschriebene zackige Form fehlen an künstlich isolirten (Jod-
serum , MiÜler'sche Lösung) Ganglienzellen vollkommen. Es
lässt sich dies nur so erklären, dass die Kernkörperchen bei
Berührung mit jenen heterogenen Substanzen geradeso wie die
Protophismakiirper ihre Fortsätze einziehen und kuglig werden.
Dies liiast ninsckehrt auch auf ein ähnliches physiologisches
Verhalten der Ivernkörpercben-Fortsätze im Leben schliessen.
Ueherdies liaben ja neuere Untersuchungen bereits mehrfach
Bewegungscrscl) einungen des Kernkörperchen s in anderen Zellen,
vor allen in Eizellen der verschiedensten Wirbellosen ') und
kürzlich auch der Fische ') constatirt; ganz neuerdings be-
obachtete Kidd ') derartige Veränderungen sogar innerhalb
epithelialer Zellen vom Frosch. Es zeigt also die Substanz
der Nucleoli und wahrscheinlich auch die damit vollkommen
übereinstimmende der sogenannten Kemmembran und ihrer Ver-
dickungen älmliche Bewegungserscheinungen wie das Proto-
plasma. Bei Pllanzenzellkernen ist ein schaumiger Zustand der
Kernsuhstanz, die von den Botanikern als protoplasmatisch be-
trachtet wird, nichts Seltenes und in diesem Falle kann sogar
eine strömende Bewegung derselben wahrgenommen werden, wie
') Vgl, rlio Zus;
dem citirten Werke
von Anorbach,
S. IRS.
^ Tl.. Eimor im
Archiv f.
mikrosk.
325 ff.
•i P. Ki.id, Ob
i^ervationii
OD HpontaneouR movement of Dodeoli.
Quart.
Jonrn. of mior. ncien'
ce. April"
I87ä, p.
133.
Bemerkungen über die Kerne der Ganglienzellen. 31
A. Weiss *) für die Kerne junger Haare von Hyoscyamus niger
angibt.
Noch nach einer anderen specielleren Richtung hin dürften
meine Beobachtungen an den . Kernen der Ganglienzellen von
Interesse sein. Es scheint mir unzweifelhaft, dass manche der
in der Literatur^) vorhandenen Angaben über die Existenz
feiner nervöser Kernkörperchenfäden, die nach Durchsetzung
des Kerns und Zellkörpers zu austretenden Nervenfasern werden
oder in solche übergehen sollen, sich zurückführen lassen auf
falsch gedeutete Beobachtungen der von mir beschriebenen
Kemkörperfaden, welche nichts Anderes sind als Portsätze der
contractilen Nucleolussubstanz. Nie sah ich dieselben die
Grenzen des Kernes überschreiten.
Ganz ähnliche Resultate wie bei der Retina des Schafes
erhielt ich durch Untersuchung der Netzhaut - Ganglienzellen
vom Kaninchen (Fig. 1 d) und Ochsen. Interessante Aufschlüsse
über Bedeutung und Herkunft der sog. Kernmembran und der
Nucleoli ergaben Untersuchungen der Ganglienzellen aus der
Netzhaut des Kalbes. Diese Zellen unterscheiden sich von den
entsprechenden Elementen des Ochsen zunächst durch ihre
ausserordentlich verschiedene Grösse. Es ist dies ein sehr auf-
fallendes, für die Entwickelungsgeschichte der Ganglienzellen
bedeutungsvolles Verhalten. Beim ausgewachsenen Thiere sind
die Differenzen in der Grösse der einzelnen Zellen verhältniss-
mässig geringe, beim Kalb dagegen ausserordentlich grosse und
ebenso verhalten sich die kugligen Kerne. Beim Ochsen messen
sie alle ungefähr 14,5 /« im Durchmesser, beim Kalbe finden
wir von 7 ^i an alle Grössen bis 14,5 iti vertreten und diesen
verschiedenen Grössen der Kerne entsprechen nun
ganz verschiedene Organisationsverhältnisse. Da
beim erwachsenen Thiere fast alle Zellen nahezu gleich gross
und sowohl in Zellkörper als Kern von der Ausdehnung der
grössten Kerne des Kalbes sind, so ist anzunehmen, dass die
kleineren Zellen des letzteren allmälig heranwachsen zur Grösse
derer des erwachsenen Rindes, dass also die verschiedenen
Grössen der Nervenzellen und Kerne eben so viele Entwicklungs-
*) Wiener acad. Sitzungsberichte« Bd. 54. Juliheft.
*) Vgl J. Arnold, Ein Beitrag «u der feineren Structur der Ganglien-
zellen. Virchow's Archiv, Bd. 41. 1867, sowie meine Arbeit über Spinalgang-
Uen, L c. S. 64 ^, 65.
32 G. Schwalbe,
stufen darstellen. Für die Frage nach dem Modus des W:iehs-
thnitix der Ganglienzellenschicht der Retina rliirt'te siok darairs
nj« walirscheilich ergehen, dasB dasselbe nicht durch eine Ver-
niehniiig der nervösen Elemente, sondern durch ein Heran-
wiidiH<?n der bereits bestehenden vermittelt werde.
Wie dem auch sein mag, die Annahme, dass die kleinsten
Kerne resp. kleinsten Zellkörper (beide scheinen in nahezu con-
Htantem Verhiiltniss zn wachsen) den jüngsten Stadien entsprechen,
dürfte wenig gegen sich haben und die Veränderungen, welche
die KerQe von den kleinsten bis zu den grössten erkennen lassen
bestätigen die Ansicht, dass wir es mit verschiedenen Entwick-,
lungK|iha8en derselben zu thun haben. Die kleinsten Kerne,
( 7 /( h'ig. 2 a) gewähren ein ganz anderes Bild ihres inneren Baues,
Fig. 3.
ji Tjixl b Ganglienzellen aus der Netzhaut dca Kalbes; a jüngste Stadien; b
cIwhji allere Zelle mit 4 Nucleolia, darunter 3 wandatändigeu, c Gauglionzetle
IUI« il'jr Netzhaut des üchann. Kein centraler Nucleolua, nur eine liemwand-
verdickung.
wie diiK oben beschriebene der Ganglienzellen vom Schaf, Kanin-
chen, Ochsen. Sie sind ohne jede Spur von Kemkörperchen
unti scheinen aus einer gleichraässig vertheilten granulirten
Miisse 2U bestehen. Eine Differenzirung in Kemmembran und
Kerninlialt ist nicht vorhanden. Wahrscheinlich ist die feine
Körni.ilung der Kemsubstanz auf eine netzförmige Structur der-
selben aurUckzufUhren, etwa in ähnlicher Weise, wie ich dies
für die innere granulirte Substanz der Netzhaut oder Heitzmanu
für das Protoplasma der Amöben und weissen Blutkörperchen
beschrioben hat. In Kernen von 10,8 bis 11,7 /i (Fig. 2 b)
finden wir bereis deutliche Kemkörperchen innerhalb einer
hellen Masse, die ihrerseits von einem in seinem Aussehen den
Kemkörperchen vollständig gleichenden Ringe umgeben wird,
einer sog. Kernmembran. Was aber diesen Zustand von den
^
Bemerkungen über die Kerne der Ganglienzellen. 33
späteren unterscheidet, ist abgesehen von dem geringeren
Durchmesser des Kerns bei gleicher Masse der Nucleolar-
substanz die Vertheilung letzterer auf mehrere, 2 — 4, Kern-
körperchen, von denen aber gewöhnlich mehrere, bis 3, als
dreieckige wandständige Verdickungen des Kernconturs er-
scheinen, ein oder zwei frei im Innern liegen. Gerade dieses
Stadium ist also ausgezeichnet durch das Vorkommen mehrerer
sog. wandständiger Kernkörperchen. Beim Wachsen des Kernes
(12,5 ^.) nimmt die Höhe und Zahl dieser Wandverdickungen
immer mehr ab, während im Innern ein gut ausgebildeter
zackiger oder eckiger Nucleolus von 2,7 bis 3,6 fi. das Gewöhn-
liche ist. In den grössten Kernen (14,5 ^.) können die Wand-
verdickungen bis auf unbedeutende Höckerchen verstreichen;
dieselben gewähren dann ganz das bekannte Bild der uninucleo-
lären Ganglienzellen, wie wir sie in denen der Netzhaut des
Ochsen constant antreffen.
Ueberblicken wir die ganze Reihe der beschriebenen Ver-
änderungen, so werden wir uns folgendes übersichtliches Bild
von denselben entwerfen können. Die Substanz, aus der die
spätere Kernmembran und die Nucleoli bestehen , ist anfangs
gleichmässig durch den ganzen Kern vertheilt und füllt den-
selben mehr oder weniger vollkommen aus, indem sie von zahl-
reichen kleinen mit einer anderen Masse erfüllten Vacuolen
durchsetzt ist. Beim Wachsthum des Kernes nimmt die Va-
cuolensubstanz zu, ohne dass eine wesentliche Zunahme
des anderen Kernbestandtheiles zu constatiren wäre. Die
Folge davon ist, dass letzterer in verschiedene Portionen zer-
rissen wird, von denen eine stets die Oberfläche des Kernes
einnimmt, zur sog. Kernmembran wird, mit einer Anzahl
zackiger Vorsprünge, den wandständigen Kernkörperchen, in
das Innere des Kernes hineinragt, während andere Portionen
sich zu einem oder mehreren Nucleolis zusammenballen. In
dem Maasse, als die helle Substanz im Innern des Kernes, zu-
nimmt, werden die inneren Prominenzen der Kernmembran in
Folge zunehmender Ausdehnung der letzteren immer mehr ver-
streichen. Man kann also den ganzen Process als eine Vacuo-
lisirung auffassen, ähnlicher Art, wie sie innerhalb der Pflanzen-
zellen zur Scheidung von Protoplasma und Zellsaft führt. Ich
werde hinfort den glänzenden, die Kemmembran und die Kern-
körperchen constituirenden Bestandtheil der fertigen Kerne als
Nucleolarsubstanz bezeichnen, den wasserklaren das Innere
B4. z, N. r. ni. S
A*^ K'rn,-. '.rtaüf^'fo als K£rn<aft iSoltiko-. GevebelefaFe).
Km t*t wit'urtrh'iialit:h . da^s Wtzterer älsst<scr Satai ist. in
knntftn Halle al>^ üt er rein«« Wajs^r. soniimi jeden&Ug von
«■br *:"tnijli«rter chfcmiicber Bw^haffeDfceh , enthält Eiweiss-
kdriKT, f*.iiz« iri h'i-aae. Spn^Lt^n doth schon die Sieder-
•cblüffi!. dit' BiiD Äp'iiiLd.n. ftroer durch Ein virknn^ tob Sänren etc.
in ihm <:iit>it«bf;u »i'rht. d^iür. da.^4 der Kemsaft durchaus nicht
dem fnhaiw gewöhnlicher Protofilasma-Tacnolen zn vergleichen
iiit. Kine genaue ifiikrochemisrhe Untersnchang habe icb bisher
niclit angf-pif-llt !>*«■ eben gpschilderte Ifodiis der inneren
ßntwirkluiii; der bfiHchriebenen Ganglieozellenkeme macht aocb
einige Ahweirliungen vom normalen Typus der aosgebildeteu
Knnif! leicht venttUndlich- Es kann die ^esammt« Xacleolai-
■nbitliiriz 'Itireli dt-ii znnehmeuden Kemsaft an die Peripherie
Kedriingt werden, ko dasK aUo ein i^olcher Kern entgegen Allem,
wah wir HiiuKt von GanglienzellenkerDen wissen, ohne Nucleolns
ixt. In h'ii^, 2 c bilde ich einen solchen Kern ans einer Betina-
GfttjglKrti/ülle de» Ochsen ab, in welchem nur in einer spitz
nuch innen vorapringenden dreieckigen Verdickung der j^Kem-
memhiiiii" eine Andeutung einer Nucleolarbildong vorliegt.
Mit it( a beschriebenen Ganglienzellen der Betina habe ich
nun cini- Anzahl Nervenzellen anderer Localitäten verglichen
und zwar ilio grossen Zellen der Vorderhörner des Riickenmarks
Vom Kiiriiridhen und Schwein, die Ganglienzellen des Ganglion
GaKRori vniti Kaninchen, der Spinal- und sympathischen Gang-
lien von U.inft teraporaria. Alle diese Zellformen zeigen etwas
Ohfiriikti'ii'tiüclioH, was sie sofort von den Retina-Nervenzellen
iint(>i'N<'lii'iil{it. Es fehlt nämlich die sog. Kernmembran und
mit dii'NiM' natürlich auch die sog. wandständigen Kemkörper-
cl]^^». Hci hello klare Kernsaft wird unmittelbar von der Zell-
HuliNtiiii/ licgronzt. Im Innern findet sich meist ein grÖBserer
kiiKÜK''!' "<l<'i' oIlipsoidiBcher NucIeoluB, in welchem ich bei den
Ni'ivnn/rllnii dcis Kilckenmarks häuüg kleine Vacuolen, die sog.
Niii'.l>'o)i)li Hftli, Ntich Allem sind diese kleinen Vacuolen mit
dcrNi'lIxiii Knbstiinz erfüllt, wie die Kerne, also mit Kemsaft.
Die (liingliiinKoUon dos Rückenmarks untersuchte ich an Schnitten
gpfrori'Mi'i' Stücke ohne Zusatz oder mit Chlomatrium ^/j %.
Sil' tnili'ii diuui nlw helle Flecke aus der grauen Substanz her-
vor, dii' hiilbst boi Anwendung der grössten Vorsicht und ohne
joiU< XuHjil/:HltHsigkt'it nntcrmieht, doch nicht homogen erscheinen^
yondorn, wio nniii hei starker VergrÖsserung deutlich erkennt,
Bemerkungen über die Kerne der Ganglienzellen. 35
von zahlreichen grösseren und kleineren Tropfen durchsetzt
sind, ähnlich wie die granulirte Substanz der Retina nach der
von mir gegebenen Beschreibung. Der Kern ist im frischen
Zustande völlig unsichtbar; nur das glänzende, kuglige
oder ellipsoidische Kemkörperchen deutet die Stelle an, wo
man ihn zu suchen hat. Kernkörperchenfortsätze habe ich nicht
gesehen. ^) — Die Zellen der Spinalganglien des Kaninchens
zeigten den Kern als hellen, vollkommen homogenen Hof um
das gewöhnlich kuglige Kemkörperchen, letzteres war zuweilen
eckig oder leicht zackig. Eine Kemmembran und wandständige
Nucleoli waren auch hier nicht vorhanden. Ein ganz ähnliches
Bild gewähren die Kerne der Spinalganglienzellen von Bana
temporaria, sowie der sympathischen desselben Thieres, Ein
Kemkörperchen ist hier das Gewöhnliche; nie ist dasselbe
zackig, dagegen sieht man bei der Beobachtung frischer Zellen
auf dem heizbaren Objecttisch auf der Oberfläche des Kern-
körperchens kleine buckeiförmige Erhebungen auftreten und zu-
gleich die peripheren Theile des Nucleolus dunkler werden, als
die centralen. In einem Falle hatte das Kemkörperchen einen
längeren stumpfen Fortsatz getrieben. Es ist hieraus auf active
Formveränderungen der Nucleoli zu schliessen, die aber jeden-
falls sehr langsame sind, da es mir nicht gelang, diese Fortsätze
direct entstehen zu sehen. Es ist endlich zu bemerken, dass
auch frische Spinalganglienzellen vom Frosch nie homogen ge-
sehen werden, sondern stets eine feine moleculäre Trübung er-
kennen lassen. Dieselbe ist leichter, wie bei den beschriebenen
Zellen des Rückenmarks, auf eine netzförmige Anordnung
der Ganglienzellsubstanz zurückzuführen ; die Knotenpuncte der
feinen Netzfäden imponiren bei flüchtiger Betrachtung als
Kömchen.
Soweit meine Beobachtungen. Wir ersehen aus ihnen,
dass schon innerhalb der Gruppe der Nervenzellen die Kern-
gebilde in ihrem inneren Aufbau beträchtliche Verschieden-
') Nur an nicht mehr ganz frischen Nervenzellen des Rückenmarkes habe
ich das Kemkörperchen von einem dem Eimer'schen Körncbcnkrcise ent-
sprechenden Kreise kleiner Kügelchen umgeben gesehen, die aber der Ober-
fläche des Nncleolos dicht aufsassen und von demselben Glänze wie dieser
waren, so dass es schien, als hätten sie sich von der Oberfläche des Kern-
körperchens abgeschnürt. Nie habe ich an Kernen frischer Spinal- oder
B«tina-Giinglienzellen etwas Aehnliches wahrgenommen; stets war der Kern-
saft vollkommen homogen.
3*
G. Schwülbc,
heiten erkennen lassen, selbst wenn man nur die Ai-t und Weise
der VertheiUmg und Massen Verhältnisse Ton Kemsaft und
Nncleolarsubstanz berücksichtigt. Dass eine genaue mikro-
chemische TIn:eisuchung noch weitere Differenzen im Bau der
Kerne der vcrrcliiedenen G-anglienzellen aufdecken wird, scheint
mir unzweifeUKift. Unter diesen Umständen wäre* es ein grosser
Missgi'iff, das, was die Beobachtungen an G-anglieuzellen über
die Entstehung des Nucleolus gelehrt haben, einfach auf die
Kerne andGror entwickeiter Zellen (Epithelien, Bindegewebs- .
zelleu, Muskelzolten) zu übertragen, ohne Weiteres die Kern-
körperchen diepci- denen der Q-angUenzellen gleich zu stellen.
Dies wird erat nach vergleichender mikrochemischer Prüfung,
sowie nach genauer Untersuchung der Entwicklung dieser Kerne
geschehen können. Ich wage es deshalb nicht, schon jetzt nach
den wenigen eigenen Untersuchungen über diesen Gegenstand,
ein allgemeines Gesetz über den Bau und die Differenzirung
der Zellkerne aufzustellen. Wohl aber wird es nöthig, meine
Erfahrungen iihi'r die Kerne der Nervenzellen zu vergleichen
mit dem, was vieuerdings von zwei Seiten in sehr differenter
Weise über Bildung der Kerne und Kernkörperchen gesagt
worden ist, mit den Angaben von Auerbach und Heitzmann.
Mit des Ersteren Anschauungen ') stimmen meine Beobach-
tungen nur insnlcrn üherein, als auch ich den enucleoläreu Zu-
stand hei Gangiienzellen dem nucleolären vorausgehen sah ;
sie weichen aber ah in Betreff des Modus der KemkÖrperchen-
Bildung. Auerbach lässt die Nucleoli wie neuerdings Klebs ^)
aus dem Proto]dasma der Zelle in den Kern einwandern; es
seien anfangs nur einer oder wenige vorhanden, die sich durch
Theilung vermeliren; nach meinen Beobachtungen an Ganglien-
zellen entstehpK dagegen die Kernkörperchen wie die Kern-
memhran aus der ursprünglichen Kernsubstanz, indem diese
durch Ansammlung und Zunahme des hellen Kemsaftes in
mehrere Portionen zersprengt wird, Es findet ferner keine
Zunahme der Nu cleolarsub stanz Statt, sondern diese bleibt con-
stant, nimmt alsii heim Wachsthum des Kernes sogar relativ ab.
Daher kommt es, dass wir in den Ganglienzellen entgegen
Auerbach's Angaben für andere Zellkerne einen plurinucleolären
Zustand dem uninucleoläreo vorausgehn sehn und dass letzterer
') L. c p. 75-161.
') Die Regeneration des PUttenepithels. Archiv f. experim. Patiiologie.
ßd. m. S. 153. I87J.
Bemerkangen über die Kerne der Ganglieozelleii. 37
sogar in einen enucleolären übergehen kann, in welchem die
gesammte Nucleolarsuhstanz als Kernmenihran verwendet ist.
Man sieht also, dass Auerbach^s Angaben über Entstehung und
Vermehrung der Nucleoli durchaus nicht zu verallgemeinern'
sind.
Viel besser lassen sich meine Beobachtungen an Ganglien-
zellen-Kernen mit den Anschauungen Heitzmann's *) über den
Bau der Zellkerne und die Entstehimg der Kernkörperchen
vereinigen. In den Kernen älterer Amöben, in den Kernen der
weissen Blutkörperchen beobachtete er eine netzförmige An-
ordnung der Kernsubstanz (Protoplasma), innerhalb deren häufig
solide Körperchen derselben Substanz auftreten, die durch ein
feines Netz mit der Protoplasmarinde des Kernes verbunden
sind ; dies sind die Kernkörperchen. Kern und Kernkörperchen
bestehen aus dichteren Ansammlungen von Protoplasma und
gehen in ihrer Substanz continuirlich in die ebenfalls netzförmig
angeordnete Substanz des Zellkörpers über. Soweit Heitzmann's
Angaben sich auf die Differenzirung der Kerne beziehen, kann
ich mich nach dem oben Mitgetheilten ihnen für die Ganglien-
zellen im Allgemeinen anschliessen, dagegen habe ich mich von
der Identität der Substanz der Kernmembran und des Kern-
körperchens mit der des Zellkörpers nicht überzeugen können.
In den Ganglienzellen der Retina ist die Kernmembran scharf
gegen den klaren Zellkörper abgegrenzt, innerhalb der übrigen
Ganglienzellen fehlt sie, und nie sah ich Fortsätze des Kern-
körperchens hier bis zur Peripherie dringen und etwa dort mit
der Ganglienzellensubstanz verschmelzen. Eine netzförmige
Anordnung des Zeil-Protoplasmas dagegen kann ich für die
Blutzellen des Plusskrebses, die weissen Blutkörperchen von
Triton bestätigen. Heitzmann beschreibt einen solchen reticu-
lären Bau aber von allen thierischen Zellen, gleichgültig wel-
chem Gewebe sie angehören, sich stützend auf Gold- und Silber-
bilder, und gelangt unter weiteren Verallgemeinerungen sogar
zur Annahme zahlreicher feiner Verbindungsfäden zwischen den
zelligen Elementen aller Gewebe. Es ist nicht meine Auf-
gabe, die durch Gold und Silber erhaltenen Trugbilder, welche
Heitzmann zu einer so weit gehenden Verallgemeinerung, zu
einem Aufgeben der Zelle als Elementarorganismus führten, zu
') Untersuchungen über das Protoplasma. I bis Ili. Wiener aradeu).
SiUungsber. Bd. ^^1 u. «8. III. Abth. April bis Juni 1873.
IcrHtsiren. es ist Solches bereits für einige G«webe geschelieii ;
M> ist ffir den Knorpel von Colomiatti and Brackner das Irr-
tbBnliche der Heitzmann'^tlien Angaben &ber die Existenz feiner
Ketze in der örandsabt9t<iij/ nacbgewieeen. Niemand hat femer
tu anderen Geweben die f,xistenz der feinen speichenförmigen
Fcrrtüätxe der Zeilen«berliii-:he nachweißen können, dnrch welche
die einzelnen Zellen nntcr einander entweder direct oder durch
Vermitllunt! eines feinen in der Gnindsubstanz gelegenen Netzes
in Verbinriung Ktehen sollen. Ich selbst habe an der Peripherie
der Ganglienzellen der K-tina keine Spar solcher Speichen ge-
sehen, obwüld dieselben l'i rade hier in der optisch differenten
Kittmasae leicht Latten sjf- ;hen werden müssen.
Anders scheint es mit der Angabe Heitzmann's Über einen
netzförmigen Bau auch dtT Zellkörper differenzirter Zellen, wie
der Epithel- und Nfjrveriz.'ilen zu stehen. Allerdings sind Heitz-
mann's Abbildungen wegen ihrer schablonenmassigen Ausfüh-
rung, seine Anguben. weil sie sich nicht auffrische, sondern
stark veränderte Gewt'bselemente beziehen, wenig geeignet, zu
seiner Anschauung zu brkr:hi:en, um so mehr, als er dieselbe
netitförniig angeordnete Hubstanz in allen Zellen wiederfindet,
gleicligiiltig, welclies ihr ihemischer und physiologischer Cha-
rakter sei. Allein die kürzlich publicirten sorgfältigen Unter-
suchungen Kupffcr's ') üliir den feineren Aufbau der Leber-
zellen des Frosches, der E]>itbelien der Hamkanälcben und der
Drüaeuzellen von Periplaneta') lehren ähnliehe von der Um-
gebung der Kerne aufgellende Netze innerhalb einer ganzen
Reihe epithelialer Gebilde kennen. Die Substanz dieser feinen,
Körnchen führenden Netze wird von Kupffer als Protoplasma
bezeichnet, sowohl wegen ihrer mikrochemischen Reactionen als
der BiiweRungBersclieinungin, welche er an denselben wahrnahm.
Die Lücken des Protopic snianetzes werden von einer anderen
homogenen Masse ausgefüllt, die Kupffer Paraplasma nennt,
und der Kern ist sowohl von diesem als dem Protoplasma
chemisch verscliieden.
In analoger Weise fand ich im Körper der Spinalganglien-
') Ueber DilTereiiziniDg iIpm Protoplasma an den Zellen thierischer Ge-
webe. 8clmftBTi dos naturw. Vereine fiir Sclileawig - HoUtein, III. ISTS.
B. aS9 K.
*) C. KupITer, Die Spnirlicldrüteii von Periplaneta orientHÜs aod iliT
KurvennppDrul Builrugu sur Aiiutomie u. FhyMologie, als Festgabe C.Ludwig
cum in. October ifT4 gewidmet von »einen Scbülem. S. 77 8i,
BemerkuB^n über die Kerne der Ganglienzellen. 39
Zellen vom Frosch zwei Substanzen vertheilt, von denen die eine
ein sehr zartes Netzwerk formirte, das von der Oberfläche des
wandungslosen Kernes bis zur Zellenoberfläche reichte, die
andere hellere die Maschenräume ausfüllte. Die Substanz des
Kemkörperchens erwies sich optisch verschieden von jenen beiden
Substanzen, dagegen schien der Kemsaft mit der Ausfüllungs-
masse der Maschenräume übereinzustimmen. Ist dies richtig, so
werden wir auch hier drei Substanzen zu unterscheiden haben:
die Nucleolarsubstanz, den Kemsaft und die reticuläre Substanz.
Genauere mikrochemische Untersuchungen habe ich bisher nicht
angestellt. Die Ganglienzellen der Retina scheinen fast in
ihrem ganzen Umfange aus der hellen dem Kernsafte oben
gleichgestellten Masse zu bestehen und reticulirte Substanz nur
in der unmittelbaren Umgebung des Kernes zu besitzen. Auch
Heitzmann spricht sich in Uebereinstimmung mit seinem Schema
für einen netzförmigen Bau der Ganglienzellen aus (1. c. 11, p. 13),
seine Abbildung in Fig. 11 stimmt aber, da sie einem Präparate
aus chromsaurem Kali entnommen ist, durchaus nicht mit dem
Bilde überein, welches vollkommen frische Ganglienzellen ge-
währen. Nur diese sind zu Entscheidung der Frage geeignet,
da jene Reagentien durch Erzeugung von Niederschlägen das
Bild trüben.
Ich hätte schliesslich noch kurz auf die Frage einzugehen,
wie sich obige Anschauung vom Baue der Ganglienzellen zu der
M. Schultzens *), welche einen fibrillären Bau derselben statuirt,
verhalte. In dieser Beziehung ist hervorzuheben, dass die fibril-
Uire Substanz M. Schultzens offenbar unserem Reticulum ent-
spricht. Dies geht aus Schultzens Beschreibung in seinem
Retina- Aufsatze in Stricker's Handbuche S. 985, sowie aus den
dort gegebenen Abbildungen A. Fig. 346 unzweifelhaft hervor,
wenn auch hier wiederholt zu betonen ist, dass diese Figuren
das Bild frischerRetin a-Ganglienzellen nicht wiedergeben,
weil letijtere abgesehen von einem den Kern umgebenden Hofe
vollkommen homogen erscheinen ; diese Figuren passen aber auf
die vorhin von mir beschriebenen Spinal-Ganglienzellen. Die
pinselförmige Ausstrahlung der Axencylinder in die Substanz der
Ganglienzelle ist ferner einfach auf eine regelmässigere Anord-
nung der Netzbälkchen, auf Bildung regelmässig gegen den
^} L. c p. 9d5 und OÖBervationes de structura cellularum fibrarumque
nervearum. Bonnae 1869,
r
40 G. Scbwslbe, BemerkoDgeo ober die Kerne der Gaugtieozenen.
Anfang der Nervenlaser convergirender Fäden zurnckzuführen,
ähnlicli wie "dies Kopffer für die Fäden des Protoplasmanetzes
in den Leberzelien des Frosches beschreibt. Ans Allem geht
hervor, dass innerhalb der GaDglienzellen selbst is olirte
Fibrillen nicht anzanehmen sind; ob die Ausläufer des Bälk-
chennetzes in den Axencylindem isolirt Terlaofen oder ebenfalls
durch feine Seitenzweige yerbonden sind, müssen künftige Unter-
suchungen lehren.
Endlich sei am Schlüsse dieser Hittheilung die Aufmerk-
samkeit der Forscher noch einmal auf die wichtige Tbatsacfae
gelenkt, dtiHs die Ganglienzellen der verschiedenen Bezirke des
Nervensystems, abgesehen von ihrer Form und der Zahl ihrer
Ausläufer in ihrem inneren Aufbaue sehr verschieden
sind. Man vergleiche das was, ich oben von der Vertheilung
der Nucleohiisubstanz, von der Beschaffenheit des Zellkörpers
über die Ganglienzellen der Netzhaut, des Btickenmarks und
der Spinalgaiiglien gesagt.habe, und wird Grund genug für meine
Behauptung ünden. Eine weitere dankbare Aufgabe wird es
sein, dies eingohender zu untersuchen, die Vertheilung der am
Autliau einer Granglienzelle betheiligten Substanzen und ihr
miknxheniisrlies Verhalten in den Nervenzellen der verschie-
densten Bezirke des Nervensystems einer genauen vergleichenden
Uutersuohuiig zu unterwerfen.
Jena, im Mai 1875. ')
') Dil' iliodL-r Arbeit tu Grunde liegenden Bcobiicbtungen wurden bereits
im HL-rliBt l -71 t;i-tiiacht. Pie Zeit der Ei n gäbe 'i um Uni<:k (im Mai) erklürt es,
VeübHlli ilif.^ liizwiBihen erauhienenen Untersuchungen von C. Frommnnn „Zur
Lehre von clor Struktur der Zellen" (dieae Zeil*chrift Bd. XI. S. 18ü) nicht
wehr vcrwartliut wurden konntun.
Bemerkungen zur Organisation und systematischen
Stellung der Foraminiferen.
Von
Richard Merturlg.
Hierin Tafel IT.
Durch Untersuchung der Süsswasserrhizopoden, deren Re-
sultate in einem Supplementheft zum 10. Bande des Archivs
für mikroskopische Anatomie mitgetheilt worden sind, wurde
meine Aufmerksamkeit auf das Yerhältniss der Monothalamien
des süssen Wassers (Lepamöben Hkl pro parte) zu den marinen
Mono- und Polythalamien gelenkt, welche man unter dem wenig
zutreffenden Namen „Foraminiferen^' zusammengefasst hat. Beide
Gruppen schienen mir in ihrem gesammten Bau viel Verwandt-
schaftliches zu besitzen, wie sie denn auch schon von Duj ardin ,
noch mehr von M. Schnitze in engen systematischen Zusammen-
hang gebracht worden sind. Dagegen schienen mir die Charaktere,
auf welche die meisten Forscher in der Neuzeit eine Trennung
beider Gruppen begründet haben: die verschiedene Form der
Pseudopodien und das verschiedene Verhalten der Vacuolen,
weder die systematische Bedeutung zu besitzen, welche man
ihnen beimisst, noch überhaupt so durchgreifend zu sein, als
man gewöhnlich annimmt. Denn alle die verschiedenen Formen
der Pseudopodien sind, wie ich schon bei der Besprechung der
Monothalamien näher durchzuführen versucht habe, durch con-
tinuirliche Uebergänge mit einander verknüpft und in gleicher
Weise sind auch die Unterschiede zwischen nicht contractilen
Vacuolen und contractilen Behältern nur graduelle. Ich war
zum Schluss gekommen, dass nur ein Merkmal geeignet sei,
die SüBswassermonothalamien von den Foraminiferen systematisch
42 Richard Hertwig,
ZU trennen , der Mangel eines Kerns bei den letzteren und die
Anwesenheit dieses wichtigen Gebildes bei den erstem. ')
Denn bildeten in der That die Poraminiferen , wie die
Mehrzahl der Forscher es darstellt, eine undifferenzirte, kern-
lose, beschälte Protoplasmamasse, so mussten sie vom histo-
logischen Gesichtspunkt aus als Cytoden angesehen werden,
während die Süsswasserformen den morphologischen Wertb einer
oder mehrerer Zellen besitzen.. Wir würden dann den Fora-
miniferen eine wesentlich niedrigere Organisationsstufe zuer-
kennen und sie vielmehr Häckel's Moneren aufs Innigst«
anschlicsseu iiiüBsen.
Von einer definitiven Entscheidung für oder wider eine
systematische Vereinigung der fraglichen Organismen glaubte
ich damals absehen zu müssen, da mir die Oytodennatur
des PoramiiiiferenweichkörperB nicht genügend erwiesen schien.
Unsere Kenntnisse vom Bau des Weichkörpers der Poramini-
feren besrhiiüiken sich im Grossen und Ganzen auch jetzt noch
auf das. was wir durch die in den fünfziger Jahren erschienenen
Arbeiten M. Schnitze 's erfahren haben. Alle späteren Publi-
cationon behandeln fast ausschliesslich die Structur der Schale
und lassen den Schaleninhalt so gut wie unberücksichtigt Es
fehlt somit an einer Arbeit , welche mit den verbesserten
neueren Unteisuchungsmethoden und optischen Hilfsmitteln die
Präge, ob Kerne vorhanden sind oder nicht, zu entscheiden
versucht hätte. Deshalb konnte die Möglichkeit, daea etwa
vorhandene Kerne der Ungunst der Beobachtungsverbältnisse
halber übersehen worden seien, nicht ohne Weiteres von der
Hand gewiesen werden. — Hierzu kam noch, dass die An-
nahme von Kernen im Protoplasma der Poraminiferen in einigen
') Il-1i beiiutze die sich mir bier bietende Gelegenheit zu der B>inei^aiii.',
iläss schon .Stein, trie ich erat später bemerkt habe, sich in gleicher Weise
über die Systematik der Bhizopoiien auagesprochen hat. In dem zweiten
Theii seiner Infuaorienioonographie (Stein, der Organismus der Inrusions-
thiere. Leipzig 1M67, S. *, 8 u. 1W) tadelt derselbe mit Becht die unnatür-
liche Trennung der Gattungen Gromia und Cyphoderi« von den ÄroclUoen
(Arcella, Kuglypha, Uiraagia etc.), spricht sich dagegen mit grosser Ent-
scbieilenheit für ihre Trennung von den Foraminiferen aus, weil bei letzteren
„von denen doch manche Arten in Hunderten von Individuen auFe Sorg-
fältigste unteräucht worden seien, bis jetzt noch nii^ends jitit Sicherheit
weder Zellen noch Kerne hätten im Weichkörper nachgewiesen werden
können."
Bemerk, zur Organisatioa n. Byitem. Stellong der Foraminiferen. 43
von ILSchultze mitgetlieilteii Beobachtungen eine Stfitze fand.
M. Schnitze war zwar der Meinung, dass die Foraminiferen
ihrer Mehrzahl nach kernlos seien, bei einigen derselben, z.B.
den Miliolen, glaubte er sogar, gestützt auf die Beobachtung
junger Exemplare, die Existenz derselben aufs Sicherste in
Abrede stellen zu können^); indessen machte er selbst
schon einige Ausnahmen namhaft. So beschrieb er in der
hintersten Kammer eines Exemplars der Botalia Yeneta ^) einen
hellen Körper, welche auf Essigsäurezusatz hin deutlicher her-
Tortrat und den er geneigt war, für einen Kern zu halten,
wenn er ihn auch nicht genauer untersuchen konnte. Aehn-
liebes beobachtete er bei einem Exemplar Yon Textilaria picta,
wo es ihm gelang, „aus jeder der beiden letzten Kammern ein
kemartiges Gebilde zu isoliren.'* Ausserdem hat er bei Gromia
oviformis Kerne beschrieben, zuerst in seiner Monographie,
später ausführlicher in einem seiner kleinen Aufsätze. ') Es
sollten hier in wechselnder Zahl (1 — 60) und wechselnder Grösse
(0,02 — 0,07 Mm.) runde, von runden Körnern vollkommen er-
füllte Kugeln vorhanden sein. Bei Essigsäurezusatz sollten die
Kömer schärfere Contouren annehmen und eine sie umschlies-
sende Membran deutlich werden. Nach der Grösse der Kömer
unterschied M. Schnitze grobkörnige, mittelkömige und fein-
kömige Kerne.
Diesen Angaben schliesst sich eine ganz neuerdings von
F. E. Schulze mitgetheilte Beobachtung an. Genanntem Forscher
gelang es, beim Zerquetschen einer von ihm als Quinquelocu-
lina fusca beschriebenen Foraminifere in der Sarkode ein ovales
bläschenförmigeB Gebilde sichtbar zu machen, welches einen
nucleolusartigen Centralkörper umschloss. Schulze ist geneigt,
das Gebilde, welches er indessen nur einmal nachweisen konnte,
für einen Kern zu halten.
Wie aus den mitgetheilten Beobachtungen hervorgeht, muss
die Frage, ob den Foraminiferen Kerne zukommen oder nicht,
*) M. Scholtxe, lieber den OrganismoB der Polythalamien. Leipzig 1854.
S. 92—26.
*) Ebendaa. S. 22, Taf. VII, Fig. 24.
"; L. c. S. 22, Taf. I, Fig. l a. 2, Taf. VII, Fig. 8— l'J und: Reichert
and die Gromien, Archiv f. mikrosk. Anat., Bd. II, S. 140.
*) F. £. Schulae, Rlnzopodenstadien III. Archiv f. raikroak. Anat , Bd. XI,
S 94. Tai: V-VU.
44 Richud Hertwig,
ab unentschieden angesehen werden and kann daher aucb ein
sicheres ürtheil über die SteUting derselben im Kreise der
übrigen SarkodeoffeanismeD znr Zeit noch nicht gegeben werden.
Dies bestimmte mich, die günstige Gelegenheit, welche mir im
Sommer des vergangenen Jahres darch einen mehrwöchentlichen
Aufenthalt auf Helgoland geboten wnrde, zn einer erneuten
Untersuchung des Protoplasmakörpers der Foraminiferen zu be-
nutzen. Die schon damals gewonnene Ansicht, dass-in der
That überall Kerne vorhanden sind, dass dieselben nur wegen
der Ungunst der Beobachtungs Verhältnisse nicht in allen Fällen
nachgewiesen werden können, habe ich im Laufe des Sommers
in Jena weiterhin bestätigt gefunden bei der Beobachtung von
Foramiuiferen. welche Herr Prof. Häckel lebend vom Mittel-
meer mitgebracht und mir freundlichst zur Untersuchung über-
lassen hatte.
Da ich im Laufe meiner Untersuchung mich bald davon
überzeugte, da^s durch die Beobachtung im frischen Zustand
keine aiciieren Resultate würden zu gewinnen sein, wandte ich
mein Haujitait^'iumerk auf die Anwendung von Keagentien.
Hierhpi fand icli, dass die sonst als Kemreagens so vortreffliche
Essigsäure, welciie M. Schnitze ausschliesslich benutzt hatte,
mir wenig oder gar keine Dienste leistete. Sie verdunkelt das
Präparat zu sehr durch Gerinnung, was um so unangenehmer
ist, als die Ohjciote an und für sich gerade nicht zu den durch-
sichtigsten gehören. — Bessere Resultate ergaben dünne Chrom-
säurelösungen (i',l "/fl— 0,5%), bald in den ersten Minuten ihrer
Einwirkuug, hahi auch erst nach längerer Daner derselben, wo-
bei dann ein tüclitiges Auswaschen der stark tingirten Präparate
nöthig war. In dünnen Chromsäurelösungen quillt das Proto-
plasma und wird zum Theil aus dem Innern der Schale bervor-
gepresst. Zuuiichst bleibt es ziemlich durchsichtig. Dann tritt
zwar eine sehr intensive, das Präparat verdunkelnde Gerinnung
ein, mit derselhen vergesellschaftet sich aber eine vollkommene
Entfärbung des in den meisten Fällen sehr störenden braunen
Pigments, so liur-s hierdurch die der Beobachtung nachtheiligen
Folgen des Reagens wieder ausgeglichen werden. Was die
Intensität der Gerinnung der Kernsubstanz anlangt, so steht
die Chromsäure in keiner Weise der Essigsäure nach.
In den moisten Fällen genügte Chromsäure, um die Kerne
sichtbar zu m;uhen, in anderen wiederum musste ich meine
Zuflucht zu Tiiictionsmethoden nehmen. Hier ompftdü sich mir
ßemerk. cur Organisation u. systetn. Stellung der B^oramimferen. 45
zunächst das Beale'sche Carmin, welches schon Archer mit
Vortheil bei der Untersuchung von Rhizopoden verwandt hatte ;
ich erhielt mit demselben günstige Resultate bei Präparaten,
welche einen Tag lang in Ohromsäure gelegen hatten und dann
während mehrerer Stunden unter häufiger Erneuerung des
Wassers ausgewaschen waren. Dagegen erwies sich das essig-
saure Carmin, welches mir bei der Untersuchung der Podophrya
gemmipara von wesentlichem Vortheil gewesen war, als ganz
unbrauchbar.
Die überzeugendsten Bilder lieferten mir junge Miliolen
(Taf. n, Fig. 1 — 4), welche ich am Blasentang der Westküste
Helgolands auffand. Dieselben ähnelten in dem Bau ihrer
Schale am meisten den von F, E. Schulze neuerdings als
Spiroloculina hyalina beschriebenen Formen. ^) Wie bei diesen,
so war auch bei den von mir untersuchten Exemplaren jede
Kammer in ihrem dem Schalenhintergrund zugewandten An-
fangstheil bauchig erweitert und umfasste mit dieser Erweiterung
die vorhergehende Windung mehr oder minder vollständig.
Ausserdem stimmte die Gestalt des zahnförmigen Vorsprungs
überein, den man bei vielen Miliolen an den Windungen der
Kammern beobachtet; er fehlte, wie auch F. E. Schulze an-
gibt, an der Windung der ersten Kammer. Schalen, welche mit
der Schulze 'sehen Fig. 14 auf Taf. VI im Wesentlichen
übereinstimmten, habe ich selbst öfters beobachtet. — Nur in
einigen nebensächlichen Puncten ergaben sich Verschiedenheiten.
Während die Schalen der Spiroloculina hyalina als farblos und
glasartig durchsichtig geschildert werden, waren diejenigen der
von mir beobachteten Miliolide gelblich bis kaffeebraun. Ferner
war die spiralige Anordnung der Kammern in einer Ebene nicht
in allen Fällen so regelmässig entwickelt, als es F. E. Schulze
abbildet. Bei der grossen Variabilität, welcher die Schalen der
Foraminiferen unterworfen sind, wie Oarpenter in seiner
Monographie ausführlich nachgewiesen hat ^), lässt sich indessen
auf diese unwesentlichen Verschiedenheiten hin keine Trennung
in zwei verschiedene Species durchführen.
Die jüngsten von mir untersuchten Miliolen waren ein-
kammerig. Im frischen Zustande konnte ich an denselben trotz
ihrer Durchsichtigkeit nicht mit Sicherheit einen Kern ent-
>) L. c S. 132, Taf. VI, Fig. 14-16.
*) Carpentcr: Introdaction to the Study of Foraminif era. London 1862|
46 Kichud Hertwig,
decken; nur eine liomogene, kemähnlich aussehende Stelle fand
sich in der Nahe des Ueberganga des kugeligen Theils der ersten
Kammer in das halsartig verlängerte, zur ersten Spir^'windutig
umgebogene Ende derselben. Diese Stelle gerann bei Ohrom-
sriurezusatz zu einem scharf contoorirten 0,01 Mm. im Dnrch-
niesser messenden Kreis, in dem ein 0,004 Mm. groHser schaxf-
contourirter Körper lag. (Fig. 1 u, 2.) Noch deutlicher wurde
die Structur bei Anwendung von Beale'schem Carmin, welches
durch Imbibition das Ganze, besonders aber den BinnenkÖrper
rubinroth gefärbt ioi Protoplasma deutlich herrortreten Hess.
Ob nun die vorliegende Bildung einen in Nucleolus und Elem-
membran differeiizirten Keni darstellt oder ob ein in friBcken
Zustand homogener Kern durch unregelmässige 3eriasuiig der
Kenisubstanz das Aussehen eines Nucleus mit Nucleolus
angenommen hat, lasse ich unentschieden. Letzteres will mir
jedoch wenig wahrscheinlich erscheinen und bin ich vielmehr
geneigt anzunehmen, d;isa der Kern der jungen Miliolen seinem
Bau nach mit dem Kern der SUsswasserrhizopoden iiberein-
atinunt.
Bei dreikammerigen Miliolen konnte ich in einem Falle
nur einen Kern nachweisen, in zwei anderen Exemplaren waren
jedesmal zwei vorhanden, welche in ihrer Grösse wie auch sonst
in ihrem Aussehen mit den beschriebenen Kernen ob er ein-
stimmten. (Fig. 3.) Bei einer vierkammerigen MiUola endlich
wurden bei Chrom säurebejiaodlung sieben Kerne sichtbar, von
denen drei auf die erste, einer auf die zweite und drei auf die
dritte Kammer kamen , so dass nur die mit der Endmündung
versehene letzte Kammer kernlos war. Die Kerne waren alle
noch gleich gebaut, aber um ein Beträchtliches kleiner als die
der übrigen, indem sie nur 0,007 Mm. masseu. (Fig. 4.)
Bei grossen Exemplaren der Miliola obesa bin ich dagegen
mit dem Kemnachweis nicht zum Ziele gelangt. Nur einmal
isolirte ich hier durch Zerquetschen einen Körper, der einem
Kerne ähnlich sah. Die Erfolglosigkeit der Untersuchung ist
hier leicht verständlich, da der Organismus von beträchtUcher
Grösse und sein Farenchym von Fremdkörpern meist ganz er-
füllt ist.
Die zweite Foraminifere (Taf. II, Fig. 5 — 9), bM weicher
mir der Kernnachwcia glückte, gehört zu den Perforaten. Es
war eine kleine Rotalia, welche ich mit der Spiroloculiaa gesell-
scbaftet vorfand und welche in ihrem Bau am meisten Aehn-
bemerk, zur Organisation a. Bystem. Stellung der Foraminiferen. 47
lichkdt mit den von M. Schnitze anf Taf. VII, Fig. 22—24
seiner Monographie abgebildeten jnngen Exemplaren der Rotalia
Veneta besass. Die Blammern waren nahezn rundlich und
nahmen nur unbedeutend von der 0,02 — 0,03 Mm. messenden
Anfangskammer bis zur Endkammer an Grösse zu. Sie waren
unregelmässig in einer flachen Spirale angeordnet in der Art,
dass auf einer Seite stets eine grössere Anzahl Kammern zu
sehen war als auf der andern. Die Schalenöffnung war von
beträchtlicher Grösse, das Protoplasma braunkömig und un-
durchsichtig, nur in den letzten Kammern, wie es ja bei den
meisten Foraminiferen zu sein pflegt, lichter und arm an Pig-
mentkömem. Die kömchenfuhrenden Pseudopodien strahlten
nach allen Richtungen aus. Sie erreichten keine beträchtliche
Grösse und bildeten selten Verästelungen, noch seltener Anasto-
mosen. Gleichwohl war die Bewegung, welche durch sie ver-
mittelt wurde, eine ausserordentlich lebhafte.
Selten konnte ich am lebenden Organismus eine Andeutung
des Kernes in Form einer hellen vom braunkörnigen Proto-
plasma sich unterscheidenden Stelle erkennen. (Fig. 5 u. 6.)
Am häufigsten gelang es noch bei jungen einkammerigen
Exemplaren. (Fig. 6.) Bei denselben war ausser der Anfangs-
kammer noch ein Stück der zweiten Kammer in Form eines
kleinen henkeiförmig aussehenden Aufsatzes angelegt, doch ent-
hielt nur die Anfangskammer den Weichkörper; in demselben
war in allen Fällen nur ein 0,01 Mm. messender runder Kern
erkennbar. Mit Chromsäure behandelt, erschien im Innern
desselben ein Nucleolus, ebenso wie ich es oben von einkam-
merigen Miliolen geschildert habe. (Fig. 7.)
Bei den mehrkammerigen Rotalien musste ich Carmintinction
zum Kemnachweis zu Hilfe nehmen. Hierbei stellte es sich
heraus, dass mit dem Wachsthum auch eine Vermehrung der
Kerne stattfindet. In einer vierkammerigen Rotalia fand ich
das eine Mal 4, das andere Mal 3 Kerne (Fig. 8 u. 9), in einer
dreikammerigen 3, und zwar ganz wie bei den Miliolen auf die
ersten Kammern beschränkt. In anderen Fällen war bei mehr-
kammerigen Individuen nur 1 Kern erkennbar. Hieraus folgt
jedoch keineswegs, dass deren nicht mehrere vorhanden waren.
Wie leicht können dieselben durch irgend einen Zufall, welcher
ihre Imbibition verhinderte, verborgen geblieben seini
Der dritte Fall, in welchem es mir gelang, bei Foramini-
feren Kerne nachzuweisen, betrifft jimge Rotalien, welche ich in
46
Jena za miiei^ucben G^lefenheit liatte. Dm die beKügUchen
BeobafrLtnLjeen auch nach einer anderen Richtimg hin Ton In-
teresM> sind« in so fem sie zur Kenntniss der hisher nnr in
wenigen Fällen be<^bachteten Fortpflanzimg beitragen, gehe ich
&n{ AiH Dar^ellong denelben naher ein.
An der Wand meiner Foraminiferengliser fand ich zwei
3fal KSrper, velche ich bei Betrachtong mit nnbewaffineteni
Aoge f&r Botalien hielt. Unter dem Mikroskop erwiesen sich
dieMülben beide Kaie als Anhanfiingen von wohl 30 — 40 kleinen
dreikammerigen Rotalien, welche nicht mehr in ein^ gemein-
samen Matterschale lagerten. In einem Falle wurde der Zu-
sammenhalt der kleinen Körper durch eine gemeinsame Proto-
plaiimaraasse bedingt, von welcher Pseudopodienbüschel aus-
stralilten von solcher Mächtigkeit, dass ich sie schon mit blossem
Auge an der Wand des Glasgefasses hatte erkennen können.
Die kleinen Rotalien bildeten somit eine Colonie, wie ich sie
von der Microgromia socialis >) beschrieben habe. Die Einzel-
indiriduen (Fig. 10 u. 11) waren von nahezu übereinstimmender
GrfSsse, in einem Falle durschnittlich etwas grösser als im
andern. Die £ammem nahmen, wenn auch unbedeutend, so
doch immerbin messbar an Grrösse zu. Die erste Kammer be-
itrug 0,027 im einen, 0,035 Mm. im anderen Falle, die zweite
0,03 resp. 0,04 Mm., die dritte, welche die nicht sehr grosse, der
()(!ffnung eines flachen Brückenbogens ähnliche Schalenmündung
trug, 0,032 und 0,042 Mm. Die Schale war relativ dick und
hatte ein rauhes Ansehen, wie es auchM. Schnitze von jungen
Hotalion beschreibt'); zehn bis fünfzehn kleinere Foramina
warcm über ihre Oberfläche unregelmässig vertheilt. Das Pro-
toplasma füllte die beiden ersten Kammern m der Mehrzahl
dor Källo vollkommen aus, die dritte nur theilweise. Wie auch
sonst waren die braunen Farbstoffkörnchen in der hintersten
Kanunor am dichtesten gelagert und bedingten die vollkommene
IJndurchsichtigkeit derselben.
In diesen dreikammerigen jungen Rotalien konnte ich nur
mit Hilfe von Reagentien Kerne entdecken. In den meisten
Füllen genügte schon längere Einwirkung von Ohromsäure,
<) Arch. f. mikroflk. Annt., Bd. X Supl.-Heft.
')M. Sühultse: Die Gattung Cornuspira unter den Monothalamien
und Bemerk iingen Über die Organisation und FortpAansung der Polythalamien.
Aroh. f. Naturg. iS'^o, 8. ao9.
Bemerk, zur OrganUation u. syttem. Stellung der Foraminifereiu 49
ausserordentlich viel deutlicfaer wurden die Bilder jedoch durch
Garminfarbung. Ein Nucleolus schien nicht vorhanden zu sein,
vielmehr schien der Kern eine homogene Masse zu bilden, deren
ungleichmässige Grerinnung jedoch zu nucleolusartigen Bildern
führte. Bei allen Rotalien war nur ein Kern vorhanden von
0,009 — 0,011 Mm, Durchmesser und dieser Kern lag stets in der
Anfangskammer. Die Möglichkeit, dass noch ausserdem vor-
handene Kerne aus Mangel an Imbibition der Beobachtung sich
entzogen hätten , glaube ich hier auf das Bestimmteste in Ab-
rede stellen zu können. Einer derartigen Annahme würde schon
die grosse Gleichmässigkeit der an zahlreichen Exemplaren
erzielten Resultate widersprechen. Vor Allem würde es ganz un-
erklärlich sein, dass überall nur der Kern der Anfangskammer,
welche für den Kemnachweis in mehr denn einer Beziehung am
ungünstigsten ist, sich gefärbt haben sollte. Wir können somit
mit grosser Bestimmtheit die dreikammerigen Rotalien als ein-
zellig ansehen.
Offenbar haben wir in den beiden von mir beobachteten
Fällen den Ausgang des von M. Schnitze und Anderen bei
Rotalien, Miliolen etc. beobachteten Fortpflanzungsprozesses vor
uns. Das Wesentliche desselben besteht darin, dass innerhalb
der mütterlichen Schale sich in einer noch nicht näher beob-
achteten Weise Tochterindividuen entwickeln, welche sich mit
r
einer eigenen Schale umgeben. Bei Milio laund Nonionina
silicea sind die Tochterindividuen einkammerig, bei Rotalia
gleich von Anfang an dreikammerig. Von besonderem Interesse
aber ist der bei Miliolen und Rotalien geführte Nachweis, dass
die jungen Organismen einkernig und demgemäss, wenn wir den
Kern als Individualitätscentrum der Zelle auffassen, auch ein-
zellig sind.
Aus den über die Fortpflanzung der Foraminiferen bisher
bekannt gewordenen Thatsachen können wir uns jetzt schon
ein ungefähres Bild von derselben entwerfen. Wahrscheinlich
zerfallt der protoplasmatische Mutterkörper nach Anzahl der
Kerne in Theilstücke und jedes dieser letzteren bildet sich
innerhalb der mütterlichen Schale seine eigene Umhüllung. Die
jungen Tochterindividuen scheinen bei Miliola einzeln die
Schale zu verlassen, bei Rotalia durch den Zerfall der Schale
frei zu werden und noch eine Zeit lang vereint zu leben, was
jedenfalls nur den Zweck hat, die Nahrungsaufnahme zu er-
leichtem. In dieser Fortpflanzungsweise, welche sich aufs e:
Bd. z, H. F. in. 4
50 Bichard Hertwig,
HU dio Yermehning aller übrigen Rhizopoden anachliesst,
fiude ich Nichts , was uns berechtigen kdnnte , sie als ein
„Lebendig-(Jebären" za bezeichnen, wie es Gervais und
M. Scbnltze getban haben. Äaffallend an ihm ist nur das
Eine, dass die jungen Organismen so frühzeitig sich ihre Schale
ausbilden.
Schliesslich sei noch korz erwähnt, daas ich auch bei einer
Rini'kainmerigen jungen Textilaria einen Kern aufgefunden habe;
deraelhe lag in der hintepten Schalenkammer. Bei einer grösseren
dreJÄelmkammerigen lag ein Kern ungefähr in der Mitte zwischen
vorderem und hinterem Ende, doch waren möglicherweise hier
noch andere Kerne vorhanden, welche ich nicht deutlich machen
konnte. — Bei Exemplaren von Rotalia omata habe ich mich
einige Male vergeblich bemüht. Die dichte Membran, welche
hier den Binnenraum der entkalkten Schale auskleidet, verhindert
offenbar in hohem Maasse das Eindringen von Keagentien, ein
Umstand, welcher wohl auch hei zahlreichen anderen Foramini-
feren in Berechnung gezogen werden muss. —
Aus dem Mitgetheilten ist ersichtlich, dass sowohl bei Ver-
tretern der Foraminifera perforata als auch der P. imperforata
Keine haben nachgewiesen werden können. Ich glaube hieraus
schon jetzt den Schluss ziehen zu dürfen, dass im "Weichkörper
aller Foraminiferen 5eme vorhanden sind, wenn es auch wegen
der Schwierigkeit des Nachweises bis jetzt noch nicht geglückt
ist, dieselben überall zu beobachten. Denn es muss als im
höchsten (Jrade unwahrscheinlich angesehen werden, dass inner-
halb einer Gruppe, welche im Uebrigen Übereinstimmt, bei den
einzelnen Arten Verschiedenheiten in so wichtigen Organisations-
verliältnissen herrschen sollten.
Wenn wir nunmehr als sicher annehmen können, dass die
Foraminiferen Kerne besitzen, so kommt hiermit das einzige
Merkmal in Wegfall, auf welches man eine Trennung der Fora-
miniferen von unseren Monothalaraien begründen könnte. Wir
müsaen somit beide Gruppen zu einer gemeinsamen grossen
Classe vereinigen ; in derselben würden sich dann die Süss-
wasserraonothalamien aufs unmittelbarste den einkam mengen
Foraminiferen, Gromien, Gomuspiren u. s. w. anscbliessen, von
denen namentlich die erstgenannten rücksichtlich ihres Schalen-
haus ihnen ausserordentlich nahe stehen.
AVenn ich nun dieser Classe einen gemeinsamen Namen
2i'b'^n soll, so muss ich mich zunächst gegen die Verwendung
Bemerk, zur Organisation o. System. Stellang der Foraminiferen. 51
der beiden in der Neuzeit häufig in sehr weitgehendem Sinne
angewandten Bezeichnungen „Polythalamien** und „Foramini-
feren" aussprechen. Denn die erstere (Polythalamien) würde
streng genommen alle einkammerigen, die letztere (Foramini-
feren) alle Formen mit solider, nicht durchlöcherter Schale
ausschliessen. Ich kann mich aber mit der in der systema-
tischen Zoologie vielfältig herrschenden Praxis, Olassennamen
beizubehalten, denen ein Theil der unter ihnen zusammenge-
fassten Organismen geradezu widerspricht, nicht einverstanden
erklären.
Zweckmässiger schon würde es sein, sich des Namens
„Acytaria** zu bedienen, den HäckeP) zuerst in seiner Habi-
litationsschrift, später in seiner Monographie der Radiolarien
und seiner generellen Morphologie angewandt hat. Häckel
bezeichnet mit demselben die Foraminiferen mit Ausschluss der
Süsswassermonothalamien, welch letztere er unter den Lepa-
moeben aufführt. Obwohl nun der Ausdehnung des Namens auf
die Monothalamien Seitens seiner Bedeutung Nichts entgegen-
stehen würde, so trage ich gleichwohl Bedenken, mich für ihn
zu entscheiden. Häckel wählte die Bezeichnung „Acytaria",
d. h. Organismen, welche keine Oentralkapsel besitzen, im
Gegensatz zu den mit einer Oentralkapsel versehenen Badto-
larien. Nun kann man aber eine ganze Reihe von Sarkode-
organismen namhaft machen, welche in diesem Punkte mit den
Foraminiferen übereinstimmen, die man demgemäss ebenfalls
zu den Acytaria rechnen könnte. Es fehlt somit dem Namen
^Acytaria" das Oharakteristische, um welches es uns bei syste-
matischen Bezeichnungen zu thun sein sollte. Aus diesem
Grunde halte ich es für zweckmässig, einen neuen Namen für
die Gruppe in Vorschlag zu bringen, und bezeichne sie, da bei
allen Formen die Kammerbildung der Schale das Oharakteris-
tische ist, als „Kammerträger" oder „Thalamophora". Dieser
Name scheint sich mir um so mehr zu empfehlen, als er sich
an die alten Bezeichnungen „Polythalamia" und „Monothalamia"
anlehnt.
Was nun die weitere Eintheilung der Thalamophora an-
langt, so kann man hierbei von zwei verschiedenen Gesichts-
puncten ausgehen. Entweder man macht die Anordnung der
Kammern zum Eintheilungsprinzip , oder man legt das Haupt-
') Häckel, De Rhixopodum finibns aiqtie onlinibus. Jena 1861.
4*
ß2 BiehBrd Hertwig,
gewicht auf die feinere Stractnr der K^mmerwandong. Im
ersteieo Falle würden wir im Anschlnss an H. Schultze die
Tbalamophora in Modo- and Polythaiamien eintheilen, im
aBdeieri Falle mit Carpentec in Imperforata und Perforata.
Letztere Eintheilongsweise ist wohl in der Neuzeit die allgemein
gültige tind, wie Carpentet aasführlich gezeigt hat, anch die
wissen E-chaftlich empfehlenswerthere. Im Systeme Carpenter's
würden vlie SüsswassermonothalamieD selhstrerständlicb zu den
Imperfor^Lta zu stellen sein und hier loit den Gromidae gemein-
sam eine Gruppe hilden, welche sich durch den Mangel der
Kalkimprägnation der Schale von den kalkschaligen Milioliden
untei.sclieidet. Die Gattung Gromia würde sich unmittelbar an
die Gattungen Microgromia, Lecytbium und Oypboderia an-
achliessen.
Noch nach einer anderen Bicfatung hin sind die ohen mit-
getheiltt-ii Beobachtungen von Intfiresse, in so fem sie uns näm-
lich Gesichtspunkte für die morphologische Beurtheiluug der
Kamnieriing bieten. — Rücksichtlich des Verhältnisses, in dem
die Kammerung zur Kemvertheilung im Körper der Polytha-
lamien >teht, sind a priori zwei Möglichkeiten denkbar. Ent-
weder i-^hen Kammerung und Kemvertheilung Hand in Hand,
d. h. in ilomBelhen Maaeee als die Kammerung zunimmt, wächst
auch die Kernanzahl, indem jede nengehildete Kammer einen
oder iiielirere ebenfalls neuentstandene Kerne erhält; oder —
beide Yirliältnisse sind von einander unabhängig und die An-
zahl der Kerne steht in keiner bestimmten Beziehung zur Anzahl
der Kammern. Im ersten Falle würde der Kammerung eine
grössere morphologieche Bedeutung zuzuschreiben sein; sie würde
uuB die Aufeinanderfolge morphologisch gleichwerthiger und von
einandei' unabhängiger Theile veranschaulichen und würden wir
gestütitt iiierauf einen polythalamen Organismus als eine colonie-
älmliclie Vereinigung monothalamer Formen auffassen können.
Im zweiten Falle würde die Kammerung als etwas Unwesent-
liches ari.^csehen werden müssen, als eine Folgeerscheinung eines
eigentiiiiinlichen Schaleuwachsthums. Wir würden somit auf
den Staiidpinct kommen, denCarpenter in seiner Monographie
einnimmt, wenn er dem Unterschied zwischen ein- und viel-
kamnieri^'en Foraminiferen jede grössere Bedeutung abspricht.
Ca rpe Titer erklärt die Kammerung der Foraminiferen aus
einem imi^leichmässigen Wachsthum, welches in Intervallen zu
EiusehEiLJrungen an den jeweiligen Schalenöffnungen führt und
Bemerk, zur Organisation u. Bestem. Stellung der Foraminiferen. 53
hierdurch G-renzmarken zwischen zwei aufeinander folgenden
Schalentheilen (Kammern) bildet. Die einkammerigen in der
Spirale weiter wachsenden Schalen der Comuspiren nennt Car-
p enter von diesem G-esichtspuncte aus als potentia vielkammerig.
Die S[ammerung würde als Q-liederung eines einheitlichen Orga-
nismus zu Terstehen sein.
Nach den mitgetheilten Beobachtungen kann es keinem
Zweifel unterliegen, dass nur die letzt besprochene Auffassung
Berechtigung besitzt. Bei den untersuchten Foraminiferen war
meist die Anzahl der Kerne geringer als die der Kammern,
selten grösser. Stets war nur ein Theil der Kammern (die
hinteren) mit Kernen ausgestattet, während die anderen (die
vorderen) kernlos waren. Besonders beweiskräftig waren hier
die jungen Botalien. Dieselben besassen drei Kammern, aber
stets nur einen Kern, wie ich mit Bestimmtheit behaupten kann.
Hier ^ar es ganz augenscheinlich, dass die Kammerung nur als
eine äusserliche Gliederung der Schale angesehen werden kann,
welche nicht durch eine Q-liederung des Weichkörpers bedingt ist.
Zum Schluss resümire ich noch einmal kurz, in welcher
Weise ich mir die systematische Zusammenfassung der hier in
Frage kommenden Organismen vorstelle und in welcher Weise
ich die einzelnen Gruppen charakterisirt wissen möchte.
Thalamophora.
Die Thalamophoren sind Organismen, deren Weichkörper
aus undifferenzirter Sarkode besteht und zum Zweck der Orts-
bewegung und Nahrungsaufnahme wechselnde Fortsätze von ver-
schiedenster Form, Pseudopodien, aussendet. Zellkerne sind bei
jungen Organismen in Einzahl vorhanden, können sich aber im
Laufe des Wachsthumes ausserordentlich vermehren. Flüssig-
keitsansammlungen sind fast stets im Innern des Körpers vor-
handen, entweder in der Form von einfachen Vacuolen oder von
contractilen Blasen. —
Alle Thalamophoren besitzen ein Skelet, welches entweder
rein chitinös oder mit Kalk impraegnirt oder mit kleinen Kiesel-
stückchen beklebt ist. Das Charakteristische desselben besteht
in der monazonen Grundform, d. h. die vom Skelet gebildete
Schale lässt stets eine Hauptaxe erkennen, deren Enden einer-
seits durch den Schalenhintergrund, andemseits durch die
Schalenöffnung (in den wenigen Fällen, wo zwei Schalenöffnungen
vorhanden sind — Amphistomata — beiderseits durch die
Eiebud Hertwig,
Schalenöffnungen) beBtimmt werden. Diese Schalenlianptaxe ')
ist in den einfacheren Fällen gerade (Gromiden, Kodosarien etc.),
in den meisten Fällen krümmt sie sich spiralig (Hiliola, Kotalia,
Polystomella etc.}, häufig erfolgt diese Krümmung sehr unregel-
mässig und giebt so Veranlassung zu einer scheinbar regelloseo,
gehäuften Anordnung der Schalenabschnitte (hierher würden die
von M. Schultze im Genas Acerralina vereinten Arten ge-
hören).
Durch senkrecht zur Schalenaxe erfolgende £iii8clmfirungen
kann die Schale iu hinter einander gelagerte Absohnitte oder
Kammern zerfallen, welche in sehr verschiedener Weise mit
eiuüuder in Verbindung stehen können (polythalame Formen).
Nach der Structur der Schale theilen wir die Classe der
Thalamopboreo in zwei Ordnungen: Imperforata und Per£orata.
1. Imperforata. •
In der Schalpnwand finden sich ausser der stets ansehnlichen
Schale nöfTn II ng keine Commnnicationen zwischen dem Schalen-
innern und der Aussenwelt.
2. Perforata.
Zahlreiche feine Canälchen durchbohren die Schalenwaod;
in Folge dessen ist die eigentliche Schalenöffnung meist klein
und rudimentär.
') Was die nähere Begründung der hier gegebenen Hückfühmiig der ver-
Bcbieileneii ttuhuliMj formen auf eine -Gmodform anlangt, ao muss ich auf die
eingebende Besprecliung verweisen, welche Carpenter den verechiedenen
Wacbatbiim^plÄDGii «tpr ThalamopborenBchalen (rectilineal, Bpiral. acervulinc
plan of gronlh) in seiner Monographie S. 49— B& wiiimoL Ganz besonders
mache icb noch nuf ilie KückfUhrung der bo schwer verstündlicben nach einen
(^clischeii Wath^thiimiplan entatandenen Schalen von OrbitolitCB aaf eine
gpirale Si^hulenform aafmerksam (S. 94-67, lOS- 110).
Bemerk, zar Organiaation n. System. Stellung der Foraminiferen. 56
Erklämng der AbbildoDgen auf Tafel II.
Fig. 1 — 4 Junge Miliolen (Quinqueloculina), Chromsaurepräparate. Fig. 1
einkernige, einkammerige Miliola von vorn, Fig. 2 von der Seite
gesehen; Fig. 3 zweikerniges, dreikammeriges Exemplar; Fig. 4
Exemplar von 4 Kammern mit mindestens 7 Kernen.
Fig. ö — 9 Rotalien. Fig. ö u.. 6. im ^oHod Zustand; Fig. 7 — 9 nach Be-
handlung mit Chromsäure und Imbibition in Carmin; n Kern
am lebenden Organismus als homogene Stelle erkennbar; o Scha-
lenmündung; Fig. 7 einkammeriges Exemplar mit einem einen
Nucleolas umiohliesenden Kern; Fig. 8 vierkammer^e Rotalia
mit 3, Fig. 9 fünfkammerige mit vier gleichmässig geronnenen
Kernen.
Fig.lO— 1 1 Exemplare einer Rotalienbrut; Fig. 10 im frischen Zustand, Fig. 1 1
nach Behandlung mit Chromsäure und Imbibition in Carmin.
§. 1. Lage des Ehrenbei^s.
Der E li r e n b e 1- K (b. Täf. III) zieht sich als flacher Rücken
zwischen der Niedpiiing der Teiche im Osten von Ilmenau und
den obersten Hausern des MarktSeckens Langewileeen nahe
'Ig Meilen hin mit einer Breite von noch nicht '/s Meile. Durch
zwei Einsenbungen ist er in drei Kuppen getheüt, von denen
die westliche die höchste (1633 par. F. = 530,4 Meter) and
breiteste, die östliche die niedrigste und schmälste ist. Die
Abhänge gegen W.. NTV. und NNO. sind flach und ebenmÄssig,
derjenige gegen S. iallt steil und an einigen Stellen felsig gegen
diellmaue ein. Ein felsiger Vorsprung (1548 par. !". = 614,6 M.)
am südwestlichen Ablmng, früher dieHammerkuppe genannt,
ist jetzt mit dem ^^nmen der Schillershöhe beehrt worden.
Der Fuss des Eliicnbergs wird bezeichnet durch die Lage des
Neuhauses (14H« par. P. =482,6 Meter) im Westen, des
Kesselteiches (1489 par. F. = 483,6 Meter) im Norden,
und die obersten Hüuser von Langewiesen (1388 par. F. =>
45(1,9 Meter) im Osten. Gegen Süden schneidet ihn der Um-
lauf scliarf und gerade ab. Rings um den Fuss herum zieht
sich demnach eine Niederung, die einen fast zusammenhängenden
Wiesengrund bildet. Jenseits dieses Wiesengrundes erhebt sich
im Süden das Waldgebirge, im Nordnordosten der aufgeworfene
Rand der thüringer Mulde. Der Umlauf, so weit er den Fuss
des Ehrenhergs bespült, ist von Alters her technisch ausgebeutet
worden, namentlich zaio Betrieh von Hammerwerken, daher der
Name Harn merg rund! Die Wasserwerke folgen flussabwärts
auf einander: oberhalb der Einmündung der Schürte die Loh-
mühle, die Schneidemühle — sonst Zainhammer und
Saigerhütte — die Herrenmühle; heim Zusammenfluss
von Scborte und lim der Leftlershammer und der Grenz-
hammer; unterhalb dieses Zusammenflusses die Schneide-
Der Ehreüberg bei IlmenaiL 59
mühle, die Spinnerei-, sonst ebenfalls Zainhammer*, die
Schwärze-Fabrik- sonst Langewiesener-Hammer oder
Eisenwerk „Gottes-Segen".
Die angegebenen Höhenmaasse sind von A. W. Fils ^) entlehnt.
Geographisch gehört der Ehrenberg zu den Yorbergen des
Thüringer Waldes, von dem er jedoch nur durch den schmalen
Hammergrund getrennt ist. Und unter den Vorbergen ist er
weder durch seine Höhe und Ausdehnung, noch als Ansichts-
punkt und Aussichtspunkt so ausgezeichnet, dass er in den
Keisebüchern eine besondere Erwähnung fände.
§. 2. Gesteine des Ehrenbergs.
Verwitterungs-Schutt, Acker- und Wald-Boden bedecken
den grössten Theil der Oberfläche des Ehrenbergs so dicht und
hoch, dass eine geognostische Karte, welche von dieser äussersten
Decke als unwesentlich absehend, erst den Untergrund berück-
sichtigt, nicht ohne Ergänzung der Anschauungen durch Wahr-
scheinlichkeitsschlüsse zu Stande kommen konnte.
Die Aufschlusspunkte, an denen die unmittelbar der Karte
zu Grunde liegenden Anschauungen genommnn werden konnten,
sind di^ folgenden. Am unteren Steilrande des Abhangs über der
Um vom Grenzhammer bis nach Langewiesen stehen die Gesteine
in nackten Felsenwänden an und sind durch Steinbruch und
Bergbau, sowie durch die Anlage von Badstuben und Mühl-
gerinnen noch mehr entblösst. Auch ragen über die höheren
Abhänge gegen Süden, namentlich an der Schillershöhe und im
Marienholze einzelne nackte Pelsenflächen und Klippen hervor.
Alte und neue Gruben, die aber selten lange Zeit betrieben
worden sind und werden, finden sich mehrere ; ihre Halden liefern
brauchbares Material. Durch die chausseemässige Verbreiterung
des Fahrweges von Ilmenau nach Langewiesen sind einige Ab-
schürfungen nothwendig geworden, die bis auf anstehendes Ge-
stein niedergehen. Lange Zeit wurde in einem Steinbruch
Material zur Chausseebeschüttung gewonnen, der etwa in der
Mitte des südlichen Abhangs , noch auf Weimarischem Gebiet
') A. W. Fils, Höhenmessungen in den Schwarzburgischen Oberherrschaften
Rsdolitadt and Arnstadt und in dem Weimaruchen Amte Ilmenau. Sonders-
haosen 1834.
60 ^ ^ Schmid,
aber knapp an der Sondersliäuser Grenze gelten, die interessan-
testen Contactverhältnisse aufdeckte. Derselbe ist leider seit
gonuiiiipi' Zeit aufgegeben, grÖBstentheils durch Aufschüttung
eingeebnet und urbar gemacht. Als Ersatz dafür konnten bis
in die neueste Zeit die Ausrodungen des Marienholzes an seinem
Westniiide benutzt werden, in Folge deren die grossen und
Itiiiitig hervorragenden Steinblöcke arusgebrochen und za tech-
nischer Verwendung weggeführt wurden. Aber auch ein guter
Theil dieser Aufachlüaso ist bereits unter der Aufschüttung und
Einebenung, durch welche der Boden zur Kultur vorbereitet
werden soll, verschwunden.
Die Gesteine, welche man am Ehrenberge anstehend findet,
sind theils geschichtet, tlieUs massig.
Von geschichteten Gesteinen nimmt Thonschiefer einen
ansehnlichen Theil des ßUckens ein; Zechstein und Bnnt-
Sandstein legen sich nur an den fuBS an.
Von massigen Gesteinen treten Grünsteine, Granite
und Quarzporphyre in den Bau des Ehrenberges ein.
§. 3. Geologische Bedentnng des Ehrenbei^.
Nicht nur wegen der angedeuteten Manuicbfaltigkeit der vor-
kommenden Gesteine, sondern auch wegen ihres Verhältnisses
zu einander und zu denen des Thüringer Waldes verdient der
Ehronberg die besondere Beachtung der Geologen und hat sie
auch gefunden.
Am Ehrenberge berühren sich Thonschiefer und Porphyr
welche sich als die herrschenden Gesteine der südöstlichen
und der nordwestlichen Hälfte des Thüringer Waldes in der
Bichtung von Amtgehren nach Eisfeld von einander scheiden.
Zu Thonschiefer und Porphyr treten GrUnsteine und Granite
hinzu, welche neben ihnen recht charakteristiBche Gebirgs-
glieder des Thiiringer Waldes sind; damit rechtfertigt sich
die geologische Zugehörigkeit des Ebrenbergs zum Thüringer
Wald-Gebirge; darauf begründet es sich, wenn Heim') —
1803 — den Ehrenberg zu denjenigen Situationen rechnete.
') Heim, GeoiogiBcho BeBchrdbnng de» Thüringer W»ldea. Th. 1, Äbth.
3 und t, S. 133 und 194.
1
i
I
Der Ehrenberg bei Ilmenaii. 61
welche von der Natur angelegt sind, um bei ihren grösseren
Werken als Indices zu dienen.
Die erste monographische Beschreibung des Ehrenbergs
erschien bereits im Jahre 1789. Sie rührt von J. C. W. Voigt ^)
her und enthält viele noch gegenwärtig sehr beachtenswerthe
Nachrichten, wenn auch die beigegebene Karte nur wenig natur-
getreu ausgefallen ist. Als Credner sen. ^) im Jahre 1846, und
K. V. Pritsch *) im Jahre 1860 ausführliche Schilderungen der
Gkgend von Ilmenau gaben, fand auch der Ehrenberg die ihm
gebührende Berücksichtigung; beiden Schilderungen sind geo-
gnostisch - colorirte Karten beigegeben. Wenn ich nach ihnen
meine Wahrnehmungen zusammenfasse, so glaube ich dazu durch
die darin enthaltenen Nachträge und Berichtigungen und mit
Bücksicht auf den inzwischen vollzogenen Umschwung eben so
wohl der Gksteinslehre, als auch der Kartographie berechtigt
zu sein.
§. 4. Oeschlchtete Gesteine d^ Ehrenbergs.
Von geschichteten Gesteinen geht allein Thonschiefer
als wesentliches Glied in den Bau des Ehrenbergs ein. Derselbe
findet sich am Ehrenberge selbst in zwei gesonderten Parthien.
Die grossere Parthie nimmt das östliche reichliche Dritttheil des
Rückens selbst ein bis unmittelbar zum Fusse bei Langewiesen ;
die kleinere Parthie breitet sich am westlichen Abhang aus.
Sein Vorkommen wiederholt sich jenseits der Dm, der Spinnerei
gegenüber am Burgstein ; dasselbe gehört zwar nicht mehr zum
Ehrenberg, steht aber doch zu ihm in so naher Beziehung, dass
es nicht unerwähnt bleiben darf; es ist nur von sehr geringer
Ausbreitung.
Die Lagerung des Thonschiefers ist nur zur Seite der
Chaussee am Südfusse des Berges deutlich wahrnehmbar. Die
Schichten streichen hier in 7^\ und fallen mit 33 ^ gegen SO.
') J. C. W. Voigt, MinemlogiBche und bergmännische Abhandlungen.
I^ipzig 1780.
') Neues Jahrbuch für Mineralogie u. s. w., herausgegeben von ▼. Leon-
hardt und Bronn. Jahrgang 1846, S. 127 fgd.
') Zeitschrift der deutschen geologischen Qeselbchaft. Bd. XU, S. 97.
fgd. Jahrgang 1860«
(i2 E.E.Stfa-id,
Scfai«feniDg 1^1 in mdiremi Btchtnafeii Toriianden. Die Hanpt-
scbiefening und die Schichtimg schoeidai sich onter einem
Winket Ton etwa 110**. Die Schichtnngsflicben sind ranh, die
SGiriefernngsfiacneo eben bis parallel gefaltet
Der ThotL'M liiefer ist roD sehr Tencfaiedener Entwickelo&g.
feinkörnig bis hUtterig, grünlich uid rSthlich-^ran bis brännlich-
roth, gleicfaf<^>nni^ bis geädert and gefleckt. Die rothe Farbe der
Ädern nnd Flecke geht von Klüften und Spalten ans nnd breitet
sich von da bi< aof ä^ ans. Dieselbe rührt von beigemengtem
Eisenoxyd her tind diese Beimengung ist mitunter sehr reichlich.
Blätterig wird der Thonschiefer dnrch öngestrente Qlimmer-
täfekhen. Die^e sind jedoch stets sehr klein nnd wenig scharf
umgrenzt, mitunter verdrückt. Eine mechanische Anssondemng
derselben ist mit- nicht gelungen. Die Glimmertäfelchen schieben
sieb oft 60 nabe aneinander, dass ein dem Glimmerschiefer ähn-
lichem Gestein entsteht. Die Aehnlichkeit mit Glimmerschiefer
wird durch das Hervortreten von Qnarzkömchen noch entschie-
dener. Durch A'^erbindung von Eisenoxyd- imd Glimmerfuhmng
entstehen dunk<liothe GUimmerschiefer.
Dasft dic'.c letzten Gesteine als Metamorphosen des
gleicliförmigen talkartigen Thonschiefers anzusehen sind, geht
au» ihrem Äuitreten besonders in der Nähe der Eruptivgesteine
und innerhalb ikr von Eruptivgesteinen fast ringsum eingeschlos-
senen Räume , wie namentlich am westlichen Abhänge des
Ehrenbergs, bcrvnr.
In unmittelbarer Berührung mit den Eruptivgesteinen steigert
sich die Metamorphose nicht viel weiter. An einem Stücke von
der Grenze dos Grünsteins, oberhalb der Schneidemühle waren
auch im Tlionsehiefer röthliche und gelbliche, matte Feldspath-
ulmliclie und blatterige, grüne, Chlorit-ähnliche Einschlüsse zu
erkennen. Iti Berührung mit dem Granitgange der Schneide-
mühle erhält sicli die Grenzscbeide scharf. Der Thonschiefer
ist hier sehr olien geklüftet und zugleich schiefrig aufgeblättert.
Bio Klufttläcben sind matt, braunroth, die Schieferungsfläcben
etwas duuklci', ins Grünliche. Mit der Lupe unterscheidet man-
dunklere Hciiiniiiiemde Blättchen in einer helleren Grundmasse.
Der Granit selliHt ist von einer schiefriglettigen Platte durch-
setzt, deren Ui-ijtein milde ist, und so weich, dass es sich mit
dem Messer seliaben lässt; es fühlt sich lettig an. Die längere
Zeit au der Liil't gestandene oder abgeriebene Oberfläche ist
matt, brauurutii, die frische Schieferungsfläche schimmert von
Der Bhrenberg bei Ilmenacu 63
eingestreuten dunkelen Blättchen. Dieses Ghestein ist etwas
wasserhaltig; aber frei von Kohlensäure. In Wasser eingelegt
wird es schlüpfrig, ohne zu zerweichen. Es 'stimmt in allem
Wesentlichen mit dem Thonschiefer überein, wie er unmittelbar
neben dem Gange ansteht.
Der Thonschiefer zwischen dem Porphyr des Burgsteins und
dem westlich daTon durchsetzenden Grünsteingang ist voll von
Pyrit-und daraus entstandenem Brauneisenstein, auf welchen vor
längerer Zeit ein Bergbau versucht wurde.
Der nicht metamorphosirte Thonschiefer, wie er neben der
Chaussee über dem Ilmthale ansteht, hat sehr grosse Aehnlich-
keit mit demjenigen, welcher sich südöstlich dem Möhrenbach
über den Kücken des Thüringer Waldes ausbreitet, nur dass
dort das Gestein häufig von Quarzadem durchzogen wird und
sich mitunter zu eigentlichem Quarzit entwickelt. Richter*)
hat diefien Thonschiefer als dem cambrischen und azoischen
Systeme zugehörig erkannt. Und demselben muss wohl auch
das Vorkommen am Ehrenberg zugetheüt werden, sowie andere
von mir in der Nähe aufgefundene, nämlich eines, zwischen den
Porphyriten des hinteren und vorderen Schmiedehauptes einge-
keilt und ein anderes unter dem Porphyrit zwischen dem Wohl-
roserberge und dem Gickelsberge auf der Thalsohle der Wohl-
rose hervortretend.
Etwa 70 Schritt unterhalb des Grtinsteinganges der'
Bchwärzfabrik durchsetzt eine steil gegen O. einfallende Kluft
mit einer seitlich abgehenden Verzweigung den Thonschiefer;
die steil aufgerichtete Kluft ist reichlich 2% M. weit. Beide
Klüfte sind mit Thonschiefer- und Porphyr-Schutt, dessen Brocken
nicht über Faustgrösse haben, erfüllt; an der Kluftwand wird
die Ausfüllung lettig-bröckelig.
Der Zechstein und Buntsandstein lehnen sich nur so an den
nordwestlichen und nordöstlichen Euss des Ehrenbergs an , dass
man durch ihr Auftreten das zu diesem Berge gehörige Gebiet
begrenzen kann.
Der Zechstein füllt eine Mulde zwischen dem Ehrenberg
und der Stürmheide aus, aber am Fusse des ersten tritt nur
eines seiner obersten Glieder zu Tage, — der Plattenkalk
des oberen Zechsteins. Er legt sich unmitelbar an die älteren
') Zeitscbr. iet 6etitBC\ien geo). Gesellscb. Bd. IXX, S. 34S, Jabrg. 1869.
64 EL £. Schmid,
O-esteine deg Ehrenbergs an, ohne eine Hebung durch sie anzu-
zeigen.
Der Plattenkalk ist dunkelgrau; er löst »ich in verdünnter,
kalter Säure unter lebhaftem AnfbrauBen auf unter Zoritcklassung
eines beträchtlichen thonigen KUckstandes. Er enthält neben
Kalkerde auch ansehnliche Mengen von Talkerde und Eisen-
oxydul. Das nächst tiefere Glied des Zechsteins: Mergel und
Letten mit Gyps, welcher letzte bei Ilmenau sehr mächtig
entwickelt ist, wurde auf der Karte nur der Uebersicht wegen
mit angegeben.
Die O-reuze zwischen dem Gebiete des Ehrenbergs und dem
sich gegen NO. weit ausbreitenden Bunt Sandstein ist nirgends
.'Ulfgeschlossen, sie wird von zusammengerollten und zusammen-
geschwemmten Yerwitterungsproducten ganz nahe anstehenden
Gesteins bedeckt, welche einen ebenen Wiesenboden geliefert
haben. Der Buntsandstein jenseits der Wiese trägt ganz die
Charaktere des mittleren Buntsandsteins, in welchem meist lichte,
starke Sandsteinbänke vorwalten.
Die Grenze kommt auf eine Verwerfungakluft hinaus, welche
mit Thon und Trümmern erfüllt ist. Der Thon ist fett bis
sandig, gelb, roth, braun und grau ; kömige und dichte Carbonat-
gesteine sind ihm reichlich eingemengt. Am Holzrande oberhalb
des Wiesengrundea finden sich theils verlassene, theils noch im
Betrieh stehende Gruben auf diesen Thon, der als Ziegelerde
reiclüich verwendet wird. Die unter das Niveau der Thongruben
hinabgehenden Schächte dienen zur Wasserabführung. Bei einigen
Lachteni Tiefe erfolgt der Wasserabfluss durch sie rasch und
vollständig.
§. 5. Xassige Ctestelne des Ehrenbei^
unter den am Ehrenherge auftretenden Eruptivgesteinen
sind die GrUnsteine die ältesten, dann folgen die Gkanite und
hierauf die Quarzporphyre. Diese relative Altersbestimmung
ergiebt sich ganz unleugbar aus den am Ehrenberge selbst sich
darWetenden Durchsetzungen. Die Grünsteine durchsetzen
den Thonschiefer und sind demnach jünger, ah das cambriscbe
System. Die GrUnsteine werden wiederum von den Graniten
durchsetzt, und gerade diese Durchsetzung ist mit sehr inter-
Der £)urenberg bel.Ilxnenaa. 66
essanten Erscheinungen verbunden. Endlich die Quarz-
porphyre schieben sich als ein breites Band zwischen Qrün-
steine und Granite ein, und ihre Eruption fallt sehr wahr-
scheinlich, ja sicher in die Zeit des Absatzes vom Kothliegenden.
Sie haben nämlich so viele Aehnlichkeit mit denen des Gückel-
hahns, dass man sie- auch Aem Alter nach damit identificiren kann.
Die Quarzporphyre des Gückelhahns aber sind bankweise zwischen
die Conglomerate und Tuffe des Rothliegenden eingelagert, und
umgekehrt greifen solche Tuffe und Conglomerate zwischen seine
Bänke zurück. Die Ergüsse der Quarzporphyre und die Ab-
lagerungen der Tuffe und Conglomerate des Rothliegenden haben
mit einander abgewechselt. Man überzeugt sich davon leicht
durch Untersuchung des Gebietes zwischen dem Gückelhahn
und Elgersburg. Allein auf diese ins Einzelne einzugehen, ist
nicht meine Absicht.
Mit welchem Sedimentärgestein, zwischen der azoischen
Grauwacke und dem Rothliegenden Grünsteine und Granite
gleichalterig sind, darüber geben die Lagerungsverhältnisse
auch in der weiteren Umgebung von Ilmenau keinen Aufschluss.
§. 6. Grflnstelne. Literatur.
Die Grünst eine des Ehrenbergs sind zuerst von Voigt
beschrieben worden und theils unter diesem *) Namen angeführt,
th^s als Hornblendeschiefer >) bezeichnet. Heim 3) erwähnt
ihrer in derselben Weise. Credner sen. ^) erkennt in ihnen theils
Hornblende- y theils Augit - Plagioklasgo^tein. v, Pritsch*) be-
zeichnet sie theils als Amphibolite, theils als Diorite, theils als
Gabbros.
Die erste kajrtographische Darstellung gab Voigt ^); sie ist
topographisch wie geologisch sehr mangelhaft. Ebenfalls noch
>) Voigt, Mineralogisehe und bergtnänniiche Abhandlangen. S. 9.
•) Voigt, Ebenda«. S. 12.
*) Heim« Geologische Beschreibung des Thüringer Waldgebirges. Th. 2.
Abth. S nnd 4. S. 125 und 126.
*) Leonhard and Bronn, Neues Jahrbuch für Mineralogie etc. Jahrg.
184(1. S. U» und 184.
*) Zeitfchrif^i der deutschen geolog. Geselbchaft. Jahrg. 1S60. Bd. 19.
S. 9»— 102.
*) S. oben anter 1, Karte.
B4. X. N. F. ni. ö
ungenau und unToUständis ist die Karte von t. Ootta') in Be-
. «lg auf diese Gesteine. Oredner ') und t. Fritach *) gaben fast
mehr Detail als ich wiederfinden konnte.
§. 7. Griinstclno. AuHbrdtfUig; der StOeke wmA CtSn^.
Wie es die beiliegende Karte zeigt, nehmen die GJrUnateine
durchaus keinen zuaaniTncnliStigenden Baum ein, sondern ver-
theilen sich auf fünf getrennte Parthien.
Die beiden grösstcn unter denselben, welche durch eine
Quarz-Porphyr-Znnge von einander getrennt werden, können als
Stöcke bezeichnet werden ; sie nehmen einen ansehnlichen
Theil der Kuppe und der nordwestlichen wie südwestlichen
Abhänge des Elirenliergs ein. Die dritte Parthie steht ober-
halb der Schneidemlilile zwischen der Um und der OhauBsee in
einer Breite von 40 Schritt an und ist durch einen Steinbruch
entblösst."
Die vierte und fünfte Parthie setzen beide gangförmig
durch die ganze Breite des Ehrenbergs. Am steilen Dfergebänge
der Um stehen sie felsig ;in; hier igt auch an mehreren Stellen
der Gontact mit demTtioiischiefer sichtbar. Die Contactfläcben
fallen senkrecht und vollaufen eben. Der westliche 0ang unter-
halb der Spinnerei hat eine Mächtigkeit von 18 Schritten, der
östliche bei der Schwärz t'abrik von 30 Schritten. Das Port-
streichen dieser Gange iiher den Rticken und die Streichungs-
richtung wird durch Grünsteinbrocken in der Ackerkrame an-
gezeigt. Der Gang bei dei' Schwärzfabrik steht ausserdem noch
in einem Feldwege unmittelbar an.
Der Thonschiefer zeigt sich nicht blos unmittelbar an der
Contactääche stark metainorphosirt, sondern bis in solche Ent-
fernung davon, dass zwisc^hen den zwei Gängen kein anderes als
Glimmerschiefer ähnliches Gestein zu finden ist.
Wenn Oredner*) und v. Fritsch*) vier Gänge aufführen,
80 ist die massige Paithte oberhalb der Schneidemähle auch
>) V. Cottu, geognostische Karte von ThüringeD. Section 1. 1844.
') Neues Jahrbuch fiir Mineralogie etc. T»f. I iMid II.
>} Zeitschrift der ileutaclien geol. GetsliHfa. Taf. III and IV.
*) Neuea Jahrbuch (. Mineralogie «tc J»hrg. 1846. S. 138.
>J Zeitschcift der deutschen geol. GewIlKh. Bd. KIL Tftf III.
Der Ehrenberg bei Dmenau. €7
•als Ghang gerechnet, und wahrscheinlich ein Granitgang, von
dem später die Rede sein soll, als Grünsteingang genommen.
Die Bezeichnung der Gänge als Lager ähnliche, deren sich
Credner ^) bedient, entspricht nicht meiner Anschauung.
Der Meinung v. Fritsch's % die Genesis dieser Gesteine sei
unklar, wahrscheinlich seien sie metamorphische Gebilde, kann
ich nicht beipflichten.
§. 8. Orttnatefne. Makroskopisehe Beschreibmig.
Die Grünsteine des Ehrenbergs enthalten nur zwei Mine-
ralien als wesentliche Gemengtheile: ein rabenschwarzes
und ein trübweisses.
Das rabenschwarze Mineral ist sehr deutlich blätterig, in
Folge seiner Spaltbarkeit nach zwei Richtungen ; es ist mir jedoch
nicht gelungen, Spaltungsprismen mit so breiten und glatten
Flächen herzustellen, dass der Spaltungswinkel mit dem Anlege-
Goniometer hätte gemessen werden können; er weicht jedoch' jeden-
falls sehr weit von einem rechten ab. Die Dichte mittels der
Schaffg^ttsch'schen Schwebmethode (s. weiter unten) bestimmt,
schwankt zwischen 3,07 und 3,12. Die Härte ist etwas unter
6 ; sie ist verbunden mit einer gewissen Zähigkeit. Die Schmelz-
barkeit gleicht der des Actinots; das Schmelzproduct ist ein
schwarzes Glas , in welchem jedoch häufig weisse Flecken und
Wolken Einschlüsse des zweiten wesentlichen Gemengtheils an-
zeigen; das Glühlicht ist ziegelroth, es zieht sich, wenn der
Schmelzfluss weisse Stellen hat, ins Gelbe. Von Salzsäure wird
das Mineral angegriffen.
Man kann demnach das rabenschwarze Mineral als Horn-
blende in Anspruch nehmen, mit Vorbehalt derjenigen Er-
gänzungen der Charakteristik, welche die mikroskopische und
chemische Analyse noch liefern wird.
Das weisse Mineral lässt weder krystallinische Begrenzung
erkennen, noch deutliche Spaltbarkeit. Seine Dichte, nach der
Schaffgottsch'schen Schwebmethode (s. weiter unten) bestimmt,
beträgt 2,70 — 2,78. Seine Härte ist nahe 6, eher etwas darunter
als darüber. Es schmilzt etwas leichter als Orthoklas zu schau-
*) Neues Jahrb. f. Mineral, etc. Jahrg. 1846. S. 182.
*) Zeitichr. der deatschen geol. GeaeUach. Bd. XJI, S. 101.
6*
migem weissem Ölase. Beim Schmelzen entwickelt es ein starkes
Ölühlicht zuerst gelb, dann gelbrath in das Violette. Von Salz-
säure wird es nicht sichtlich angegriffen. Es ist danach gestattet,
das weisse Mineral für einen Feldspath und zwar von mittlerem
Kieselsäuregehalt, d. h. Oligoklas oder Labrador zu nehmen.
Indem ich die Kesultate namentlich der chemischen Analyse
vorgreife, bezeichne ich es der Kürze wegen achou hier als La-
brador-Feldspat h.
Innerhalb der breiteren Parthien des Vorkommens an
den westlichen Abhängen und anf der Kuppe walten solche
Mengungs Verhältnisse vor, bei welchen makroskupisch der La-
brador bis zur Unerkenntlichkeit zui-üektritt, theils, wegen Ge-
ringfügigkeit der Beimengung, theils wegen Kleinkömigkeit.
Dann entstehen sehr düstere bis rabenschwarze Gesteine, welche
meist sehr feinkörnig und mehr oder minder schiefrig Bind. Ihre
Dichte fand ich nicht über 3,02. Sie sind es, die man bis-
her für Amphibolite oder Hornblende-Schiefer ge-
nommen hat.
Dieselben gehen durch Zunahme der Beimengung oder Ver-
grösaerung des Korns des Labradors in lichtere, aber immer
noch grünlich-Bchwarz-graue Gesteine über, deren Dichte von
etwa 2,97 bis auf 2.91 herabgeht. Sie sind theils bis zum
Aphanitischen feinkörnig, theils deutlich- bis grobkörnig. Die
Gemengtheile der letzten erreichen bis 1 Om. grössten Durch-
Accessorische Gemengtheile von makroskopischer
Grösse finde ich nur wenige.
Metallglänzende , eisenschwarze Flecke , welche auf der
Bruchfläche nicht sehr deutlich liervortreten , entsprechen so
kleinen Bröckchen des gekörnten Minerals, dass nur die grössten
unter ihnen mit einer feinen Pincette gefaast werden können.
Dem Magnete sind nur sehr wenige und kleine Bröckchen folg-
sam. Die Nachweisung von Magneteisen erscheint mir dadurch
nicht sicher. Denn obgleich das Zerschlagen der Grünsteine
in dichter Papierhülle vorgenommen wurde, so doch mit eisernem
Hammer und auf eiserner Unterlage. Die Beimengung von
Eisenspänen ist also kaum zu vermeiden. Die ausgelesenen
m etal lg] an zeiiden Blöckchen erwiesen sich als Eisenglanz und
zwar Titanhaitigen oder Titaneisenerz.
Metallglänzende gelbe Körnchen von Pyrit sind selten;
Kupferkies, den Credner und v. Fritsch als einen gewöhn-
Der Ebrenberg bei Ilmenau. 69
liehen üebergemengtheil bezeichnen, habe ich nicht ge-
funden.
Bräunlich- bis blut-rothe, glasglänzende, krystallinische
Körnchen und zeisiggrüne ebensolche sind sehr sparsam einge-
streut. Die ^sten verhalten sich wie Granat, die andern wie
Pistazit.
Häufiger noch als diese letzten, aber eben noch makxosko^
pisch erkeinnbar, und aus dem zerschlagenen Gestein mittels
Pincette und* Lupe sehr schwer auslesbar sind gelbe bis hja-
cinthrothe, diamantartig glänzende Körnchen, die sich ganz un-
zweifelhaft als Titanit herausstellen.
Dunkelrothe Blättchen und Füttern lassen sich schwer ab-
lösen; sie verhalten sich wie Eisenoxyd.
Glimmer und Apatit sollen nach Oredner und v. Fritsch
gewöhnliche üebermengthefle sein; es ist mir nicht gelungen, sie
nachzuweisen.
Endlich habe ich das von v. Fritsch erwähnte Vorkommen
eines Prehnitartigen Minerals, und die Imprägnation mitCarbonat
nicht wieder finden können.
Sämmtliche Grtinsteine sind schwer zersprengbar und sehr
zähe; sie eignen sich desshalb sehr wohl zur Strassenbe-
schüttung.
Dünnschliffe lassen sich aus eben diesem Grunde sehr leicht
und vollkommen herstellen.
§. 9. Orttnsteine. Bereeimniig ihrer Mengnng ans der
Dichte.
Da die Ehrenberger Grünsteine ausser Hornblende und
Feldspath keine weiteren wesentlichen und reichlichen Gemeng-
theile enthalten, und da gerade diese beiden Mineralien sehr
verschiedene Dichte haben, so schien mir der Versuch geboten,
das Mengungsverhältniss aus der Dichte abzuleiten.
Aus dem gekörnten GMtein, ausgenommen das ganz
rabenschwarze, Hess sich die Hornblende in grösseren scheinbar
reinen Stückchen auslesen, allein wenn man dieselben nochmals
zerdrückte, zeigten sich immer wieder weisse Einsprenglinge.
Der Labrador-Peldspath konnte zwar von vornherein nur in
sehr kleinen Stückchen erlangt werden, aber diese erwiesen sich
dann auch nach wiederholtem Zerdrücken als rein*
bei der dtistern (resamint&rbe der GeBtelne erwartet, und dass
von eigentlichen Amphibolitea noch keine fiede sein kann.
L §. 10. OrfliiBteine. Ukroskophdie AnalsrM. Hornblende.
k Die Hornblende bietet sich in sehr verschiedeneD £nt-
'' tfickelungsstufen dar vom voIlkommeD Kiystallimschen bis zum
Kryatalloidischen.
' Die vollkommensten onter den grossen Krystallen (s. Fig. 1
I Taf. rV) erscheinen im Qaerschnitt als Sechsecke am so regel-
■ müssiger, je mehr sich die Neigung des Schnittes zu den Seiten-
^ flächen dem E«chten nähert. Die Seitenflächen entsprechen also
y der an den HomWende-Krystallen so gewöhnlichen Combination :
rx. P und oc A* sc. Prismatische Spaltbarkeit parallel zu zweien
der Seitenflächen, oder nach oc P, ist so deutlich, dass die
den Spaltungsrichtongen entsprechenden Discontinoitäten als
schwarze Schraffinmg erscheinen. Im vollkommenen Längs-
schnitte sind die Krystalle nar von parallelen Streifen dorch-
zogen, die mehr oder wenigerlinear und scharf oder breit und
matt hervortreten, je nachdem die Schlifffläche eine der Spal-
tungsriclitnngen mehr oder weniger rechtvrinkelig achneidet.
Mitunter sind die Krystalle gebogen oder gestaucht, dann ver-
laufen die Blätterdnrcbgänge wellig, klaffen auch wohl. Parallel
der Streifnng sind dann cüe EryBtalle einfach begrenzt; quer
dagegen beobachtet man an grösseren ErystaUen fast nur ge-
bogene, unebene bis abgesetzte und ausgezackte Begrenzung.
Unter den mittleren, kleinen und kleinsten Krystallen —
s. Fig. 2 Taf. IV — finden eich sehr vollkommen entwickelte. Sie
sind stets leistenfdrmjg mit einer schrägen Endkante, oder zwei
.. nahe symmetrisch zu einander gestellten. Die Längskanten und das
^ eine schräge Endkanten-Paar sind dunkel gesäumt. Deutet man
diese Krystalle monoklinisch, so muss die breite Leietenfläche
dem klinodiagonalen Hauptschnitte entsprechen, die dunkel-
gesiuiniten Kanten kommen auf prismatische, die nicht gesäumten
auf piiiako'i'dische Begrenzung hinaus; speciell auf die Krystall-
reihe der Hornblende bezogen, stellen sie die gewöhnliche
Combination oo P co. oo F. P. oP dar. Sehr schmale, dünne
iiiid liinge so geformte Krystalle sind nicht selten gebogen.
Durch Ahrundung der Ecken und Kanten gehen die Krystalle
>
Der Ehrenberg bei Dmenau. 73
in £ry8tallo'ide — s. Fig. S, 4 u. 5^ Tat IV — über. Der Uebergang
ist ein ganz allmählicher bis zu Schollen, in deren Umgrenzung
keine geraden Linienelemente mehr vorkommen, auch wenn in
ihrer Mitte bereits Spaltungsrichtungen erkennbar sind. Diese
Schollen erreichen eine Ausdehnung, grösser als die der deut-
lichen £j7stalle.
Die Krystalle gruppiren sich parallelstängelig, facherforniig
und sternförmig, sie sind auch häufig ganz regellos zu filzartig-
dichten Massen — s. Fig. 6, Taf. IV — angehäuft, welche erst bei
starker Vergrösserung den Schein des Gleichförmigen verlieren.
Die Bjrystalloide — s. Fig. 7, Taf. IV — vereinigen sich zu
vielfach aus- und eingebuchteten Massen.
Erystalle und Krystalloide liegen häufig nahe neben- und
untereinander.
Wahre Einlagerungen in der Hornblende sind nicht mannig-
faltig. Sie sind theils opak und füllen namentlich die E^üfte
zwischen Spaltungsflächen aus, theils erscheinen sie als lang-
gezogene, nach aussen scharf umgrenzte, nach innen sehr schmal
umsäumte Schläuche, häufiger parallel hintereinander oder neben-
einander geordnet, als umgebogen, und die Spaltungsrichtungen,
wo solche erkennbar sind, durchkreuzend — s. Fig. 8, Taf. IV — .
Die opaken Einlagerungen für etwas Anderes zu nehmen, als für
Eisenoxyd und etwa noch Eisenoxydhydrat, liegt kein Grund vor.
Die Schläuche können wegen der Schmalheit der dunkeln um- *
randung nicht Gas-Cavemen sein; ob sie von einem Liquidum
oder einer starren Substanz herrühren, muss dahin gestellt
bleiben.
. Die Farbe der Hornblenden ist gras- bis span-grün ins Gelbe
und Braune. Je dünner die Ej*ystalle und Krystalloi'de, desto
blasser wird die Farbe, bis zurFarblosigkeit. Doppelte Brechung
zeigen sie durchgängig. Ihr Dichroismus ist sehr ausgezeichnet,
er tritt nur dann zurück, wennn die Farbe blass ist. Ist ein
Krystall nahe rechtwinklig gegen die Hauptaxe durchschnitten,
so erscheint er girünlich-gelb bis gelblich-grün, wenn der Haupt-
schnitt des polarisirenden Nikols der kurzen Diagonale des
Spaltungsprismas entspricht, bräunlich- bis schwärzlich-grün,
wenn derselbe der langen Diagonale entspricht. Ist ein Ejrystall
paraflel der Hauptaxe durchschnitten , so «erscheint er hellgelb
bis grünlichgelb, wenn der Hauptschnitt des polarisirenden
Nikols rechtwinklig zur Hauptaxe steht, bläulich- bis bronze-
grün, wenn derselbe parallel da^u ist. Die krystalloidischen
Schollen verlialtea sich wie KrystaUe in dieser letzten Lago.
§. 11. OrttDBtelne. Htkroskoplsehe Analyse. Einfiteh
blStterlges-fiueriges Mineral.
Namentlich im dunklen Grünetein bei der Herrenmtihle
findet sich neben der Hornblende noch ein anderes prismatiscbes
Mineral. Es ist nur nach einer Richtung parallel der Längs-
axe spaltbar, mitunter aufgeblättert. Seine Farbe ist braun.
Es ist deutlicli doppelthrecbend und dichroitisch ; der Bichrois-
muB ist analog entwichelt, wie bei der Hornblende, indem die
Farbe hell undgelb wird, wenn der Hauptschnitt des polarisirenden
Nikols rechtwinklig zur Spaltungsrichtung steht, dunkel und
braun, wenn derselbe damit parallel ist. Solche Prismen — 8.Fig.9.
Taf. IV — aggregiren sich meist fächer- und sternförmig am
häufigsten um einen opaken Eisenerzkem; aber eben so wohl,
wie Eisenerzkorne ohne braune Umgehung vorkommen, findet man
auch braune Prismengruppen ohne Eisenerzkerne.
Diesem blätterigen Mineral ist faseriges aus den Griln-
steinen boi der Schneidemühle und bei der Spinnerei verwandt
— 8. Fig. fi, Taf. TV — von grünlicher und bräunlicher Farbe, nur
schwach doppelthrecbend und noch schwächer dichroitisch. Es
zieht sich eben so wohl zwischen Feldspathen und Hornblenden
hindurch, als es Eisenerzkerne umgiebt.
Beide letzterwähnte Mineralien könnten für Diallage gelten,
wenn sie nicht so deutlich dichroitisch wären. Bei der Un-
möglichkeit, sie zur genaueren Untersuchung zu isoliren, und
bei der Unbestimmtheit der Krystallform, ist die Ansicht, sie
seien ein Glied der Bisilicatreihe, nur Vermuthung.
§. 13. (irHnsteine. Mikroskopische Analyse. CHaslges
Mineral.
Noch weniger bestimmbar ist eine amorphe, wasBerklare,
einfach brechende Substanz mit traubiger Oberfläche, welche
in dem Qrünstein hei der Schneidemühle opake Eisenerzkerne
umschUesst — s. Fig. 10. Taf. IV — . Ein Glas ist sie jedenfalls.
^
Der Ehrehberg bei Ilmenaa. 75
Zwischen den Hornblenden, den braunen blätterigen und
faserigen und den glasigen Mineralien lassen sich manche Vor-
kommnisse als üebergangsbildungen einordnen, und machen es
wahrscheinlich, dass sie alle zu einer Entwickelungsreihe mit
der Hornblende gehören.
§. 13. Grflnsteine. likroskopisclie Analyse. Labrador.
Feldspath.
Die Labrador-Feldspathe treten in viel zusammen-
hängenderen, grösseren Parthien auf, als die Hornblenden. Ihre
äussere Umgränzung lässt jedoch viel seltener Durchschnitte
durch ebene Flächen au^ der Eaystallreihe des Labradors er-
kennen. Die Spaltbarkeit zeigt sich mitunter vollkommen deut-
lich; den zwei Spaltungsrichtungen entsprechen oft haarscharfe
Linien; dieselbe tritt jedoch mitunter bis »zur Unkenntlichkeit
zurück.
Die Labrador-Feldspathe bieten das für die älteren Eruptiv-
gesteine gewöhnliche mikroskopische Bild — s. Fig. 11. Taf. IV — .
Sie sind fleckig durch den Wechsel farbloser, wasserklarer und
bräunlich-grauer, trüber Stellen. Die Trübung löst sich auch
bei den stärksten Vergrösserungen nicht immer in einzelne
Staubkömchen auf, sondern bleibt auch dann häufig noch gleich-
förmig. Die klaren und trüben Stellen sind bald scharf getrennt,
bald gehen sie^ stetig in einander über. Zu der Krystallisation
hat ihre Ausbreitung und Vertheilung durchaus keine Beziehung ;
die Spaltungsklüfte und Striche ziehen sich gerade durch sie
hindurch.
Die klaren Stellen zeigen sich deutlich doppeltbrechend;
zwischen den Nikols färben sie sich mitunter recht lebhaft.
Liegt die eine der Spaltungsrichtungen in der optischen Axe
des Mikroskops, so erscheint eine oft gar schöne zweifarbige
Streifung. Dadurch ist lamellere Zwillingsbildung bestimmt ange-
zeigt und man wird schwerlich irren, wenn man die Zusammen-
setzungsfläche auf den brachydiagonalen Hauptschnitt bezieht,
dem sie bei den makroskopischen Zwillingen der plagioklastischen
Feldspathe gewöhnlich entspricht. Die trüben Stellen ändern
in der für den in Zersetzung begriffenen Feldspath älterer
Bmptivgesteine eigenthflmlichen Weise zwischen den Nikols
weder Beleuchtung noch Färbung.
76 ^ B. Sohmid,
Einschlüsae siad in den Feldspathen selten. Die meisten
derselben stimmen ganz überein mit den kleinen, blsss-grünen
bis farblosen Krjfltallen und Krystallo'iden der Hornblende.
Ausserdem erscheinen gelbrotbe Tüpfel, Flecken und Wolken.
deren Bestimmung als Rotheisensteiu unbedenklicb ist. Am
seltensten sind Züge und Schwärme von scharf und schmal ein-
gesäumten Schläuchen, die wenigstens keine Gas-Cavemen sein
können, um so weniger, als die grösseren mitunter feststehende
Libellen einschiiessen — s. Fig. 12. Taf. IV ^.
§. 14. GrJiuKtdne. Hlkroskoplscbe ia&lyse. Elsenglaiiis
oder Titane isenent, Roth- nnd BraonelBßusteln. Pyrit.
Die im durchfallenden Licht ganz schwarzen, im auffallenden
dunkel - violett - metallisch glänzenden , allgemein verbreiteten
EisenglanzeoderTitaneisenerze — Fig.2,6,9, lO.Taf.IV
— der Ehreiiberger Grünsteine sind von sehr verschiedener Grosse,
— jedoch wohl nicht über l,&Mm. Durchmesser — . Ihre Quer-
schnitte lassen kristallinische Formen nicht erkennen, ja nicht
einmal wesentlich geradlinige Umgrenzung. Ihre Vertheilung
ist eine sehr ungleichmässige. Von der Umhüllung derselben
durch blätterige, faserige und glasige Mineralien war bereits
die Rede (s. §. 11 u. 12).
Eisenoxyd und Eisenoxyd-Hydrat zeigen sieb in
Tüpfeln, Flecken — s. Fig. 13. Taf. IV — and Flammen nicht nnr
als Einschlüsse in den Peldspathen, wie bereits erwähnt, und in
andern Mineralien, sondern auch als Ausscheidung an Grenz-,
Trennungs- und Spaltnngs-Flächen.
Der Pyrit tritt mikroskopisch sehr zurück. Nur einmal
fand ich ihn in einem Dünnschliff vom Grrünstein bei der Spinnerei
mit quadratischem Querschnitt, bei Beleuchtung von oben, gelb,
metallisch-glänzend.
§. 15. Grflnstctae. Mikroskopische Analyse. Oranat, Epidot
and Tltanit.
~~ ~ÖT a n ä ir und Epidot dürften nur sehr vereinzelt in
makroskopischen Massen vorkommen; bei der mikroskopischen
Untersuchung der Dünnschliffe sind sie mir nicht aufgefallen,
Der Ehrenberg bei Ilmenau. 77
umgekehrt wie mit Granat und Epidot steht es mit T i t a n i t ,
der makroskopisch selten und mikroskopisch überall auffindbar ist,
namentlich aber in dem Grünsteine des Ganges bei der Spinnerei.
Die Form des Titanits — s. Fig. 14 Tat V und Fig. 16. Taf. IV —
ist zwar meist geradlinig umgrenzt, aber sehr mannigfaltig ein-
und ausgezackt ; auf einheitliche Erystalle lässt sie sich durch-
aus nicht beziehen und auch nach dem gewöhnlichen Gesetze
gebildete Zwillinge oder Yiellinge lassen sich darin nicht er-
kennen. Diese äussere Form ist gar nicht erklärlich^ wenn man
nur den Titanit ins Auge fasst, wird es aber wohl, wenn man
von den Nachbarkrystallen ausgeht. Feldspathe und Horn-
blenden schieben sich mit den ihnen eigenthümlichen Formen
in die Hasse der Titanite hinein. Der Titanit hat danach hier
keine frei entwickelten^ eigenthümlichen Formen; er füllt nur
Zwischenräume, die Feldspathe und Hornblenden übrig gelassen
haben, aus.
Damit stimmt auch überein, dass Spaltungsklüfte wenigstens
in einer Richtung deutlich als scharfe Linien sichtbar sind,
aber zm den äusseren Girenzen keine Beziehung haben.
Neben den Spaltungslinien erscheinen noch andere etwas
breitere, die man bei geringer Vergrösserung für gewundene
Sprünge zu nehmen geneigt ist, die sich aber meist bei starker
Vergrösserung als bestäubte oder getrübte Flächen ausweisen.
Von ihnen, wenn sie nahe in der Kichtung der Focalebene
durchstreichen, rührt auch die eigenthümliche, in das Braune
spielende Schattirung her, durch welche der Schnittfläche der
Anschein der Unebenheit gegeben wird.
Der Titanit der Ehrenberger Grünsteine weicht demnach
wesentlich von dem Habitus ab, den ZirkeP) als bezeichnend
annimmt, namentlich giebt er sich nicht als „verhältnissmässig
früh erfolgte Ausscheidung" zu erkennen.
§. 16. Grflnsteine des fihrenbergs. Mlkroskoplsehe Analyse.
Quarz.
Man wird viele Proben der Ehrenberger Grttnsteine ver-
geblich auf einen Quarzgehalt untersuchen. An einzelnen Stellen
') 2&irk^ Die mikN^kopiaohe Beachaffenlieit der Mineralien n. Gesteine,
Leipzig 1878. S. 218.
7S E. B. Sdimid,
a^er, namentlich in den Gt-riinsteinen bei der Spinnerei und bei
der SchwärBlabrik — e, Fig. 16. Taf. V — liegen wasserklare, aber
Oaveme II- reiche, staa-k doppelthrechende, zwischen den Nikols
lebhaft gefärbte, am Rande regenbogenfarbig eingesäumte
Körner nahe neben einander; das sind, wenn mim die an-
gegebenen Merkmale mit Becht als zureicheDd zur Bestimmnng
ansieht. Quarze. Solche Stellen haben auch bereits Zirkel')
vorgelegen und ihn zu der nicht ganz richtigen Behauptung,
die Eliroitberger &rfinsteine seien reich an Quarz, veranlasat.
In der Umgrenzung der Qnarzkömer zeigt sich keine Ad-
dentung von Krystallisation.
Die Cavemen der Quarze sind sehr klein, nach aussen
scharf umgrenzt, nach innen schmal und schwach umsäumt;
die grösseren — s. Fig. 17, Taf. IV — enthalten häufig unbeweg-
liche Libellen. Neben ihnen finden sich auch kleinste Hom-
blendelcrystalle und Eisenoxjd-Flittern häufig.
§. 17, GlTflitst«ine. MlkrodcopfMlie Aiud^e. fiMilBBs.
Die drtlnsteine des Ehrenbergs geben ein nur in wenigen
Hauptziigen übereinstimmendes Bild.
Äu einzelnen Stellen sind sie Aggregate vollkommen kry-
stalHni5i(;h entwickelter Mineralien, an anderen Stellen liegen
vollkommen krystallinische «nd nur krystalloidische Mineralien
dicht und bunt nebeneinander, an noch anderen sieht man nnr
krystalloidische Entwickelung, aber nie krystallitische und nur
sehr selten hyaline.
Die G-rÖBse der einzelnen Gemengtheile und das Mengungs-
verliältniss schwanken innerhalh sehr weiter Grenzen.
Bei alledem ' ist aus der mikroskopischen Analyse kein
Gi-und dafür zn entnehmen, dass die Ehrenberger Grünsteine
spccifisch von einander verschieden seien.
Verglichen mit anderen ähnlichen, d. h. dioritischen Qriin-
steiuen, bietet die Mikrostructur der am Ehrenberge vorkom-
menden zwar recht bemerkenswerthe Eigentbümlichkeiten und
Neuheiten dar, bewahrt aber doch im Grossen und Ganzen den
bereits durch Behrens u. A. bezeichneten Charakter.
■) Zirkel, Die mikroikopuche BeochaffeiihBit d«r Miner&lien d. Qeiteiae.
l^ipxig 1873. S. 4ÖS.
Der Bhränberg bei Ilmenau. 79
§. 18. C^rfiasteine. Chemische Analyse.
Von den Gemengtheilen der G-rünsteine konnten nur die
beiden wesentlichen, die Hornblenden und die Feldspathe,
mechanisch so ausgesondert werden, wie es zur Ausführung
einer chemischen Analyse erforderlich ist.
§. 19. Grfinstelne. Chemlsehe Analyse. Hornblende, hom-
blendereiche Grfinsteine.
Da die Hornblende in den Grünsteinen des Ehrenbergs
meist erheblich yorwaltet und makroskopisch deutlich blätterig
ist, so erwartet man nicht, dass es schwierig sei, genügende
Quantitäten davon rein auszulesen. In der That ergab sich
aus dem gekörnten Gestein eine reiche Auslese rundum grüner
Kömchen. Wurden aber dieselben weiter zerschlagen, so traten
auf den neuen Bruchflächen weisse Flecken ron neuem hervor
und die Quantität der scheinbar reinen Homblendekömchen
hatte nach Entfernung der weiss gefleckten beträchtlich ab-
genommen. Diese Kömchen wurden nun im Stahlmörser ge-
pulvert und zur weiteren Untersuchung verwendet. Indessen
lieas bereits das im Stahlmörser gewonnene Pulver erkennen,
dass doch noch Feldspath beigemengt war. Nach gehöriger
Verfeinerung im Achatmörser hatte das Pulver eine graugrüne
Farbe. Nach anhaltendem Verweilen im Wasserbade hatte es
Vs — IVs^an hygroskopischem Wasser verloren. Nach massigem
Glühen verfärbte es sich in das Ockergelbe und verlor noch-
mals bis über S^lo am Gewichte. Der G-ewichtsverlust steigerte
sich durch stärkeres und längeres Glühen nicht mehr. Durch
Berechnung des G-lühverlustes als Wasser, und Aufschliessung
des GlüfarUckstandes mittels kohlensauren Natrons stellte sich
die Zusammensetzung der Hornblende folgendermaassen heraus :
Hornblende aus den GrünsteineD des Ehren berga.
L
IL
III.
IV.
Bei der
Oberhnlb der
Obethslb der
Bei der
Herreamühle
Schneide-
leäUe
Spinnerei
fftbrik
Kieselsäure
43,26
46,36
43,19
46,07
Titansäure
0,63
0,46
0,66
0,00
Eisenoxyd
16,44
13,10
19,03
12,93
Thonerde
12,18
19,07
19,66
19,89
Kalkerde
10,93
10,39
11,69
10,69
Talkerde
10,84
4,19
ä,62
6,00
Wasser
ä,67
t,63
3,18
1,63
Summe
97,04
96,08
99,81
96,11
Da die mit Salzsäure versetzte Bohmelee nach dem Bin-
dampfeii anhaltend über 100" erhitat war, durfte vorausgeaetit
werden, dasa die etwa vorhandene Titansäare unlöslich geworden
sei und ganz bei der Kieselsäure geblieben; was aus dieser
letzten durch saures schwefelsaures Kali ausgeschieden werden
konnte, ist als der vollständige Titansäuregehalt angegeben; diese
Angilbe ist demnach eher zu gering als zu hoch. Das unge-
gliihete Material enthielt das Eisen nicht nur als Oxyd, sondern
auch ak Oxydul. Dem Bisenoxyd war etwitö Manganozyd bei-
gemengt; die Beimengung, obgleich qualitativ sicher nachweisbar.
ist jedoch qu&Dtitiv nur als Spur zu bezeichnen. Die Kalk-
erde, &h Oxalat gefällt, war mangan&ei. Aof PhoBphorsäure
wurde vergeblich angefragt
Zufolge der bereits angedenteten Beimei^ping von FeldapaÜi
ergiebt die An^yse, ohne Rücksicht aaf die Alkalien, einen
Verlust, der nur bei III. innerhalb der gewöhnlichen Fehler-
grenzen liegt.
Ist diese Erklärung des Yerlustes der Analysen richtig, so
steht zu vennuthen, die makroskopisch feldspathfreien, bisher
als Hornbleodeacbiefer bezeichneten Ghünsteine des Ehrenbergs
haben dieselbe Zusammensetzung, wie diese scheinbar reinen
Hornblendekömcfaen aus dem dioritischen ärtlnsteiae. Diese
Vermuthung wird durch folgende vollständige , durch Ana-
schliessung nicht nur mittels kohlensauren Natrons, sondern
Der Ehrenberg bei Ilmenau.
81
auch mittels Fluorwasserstoffsäure ausgeführte Analysen als
richtig bewährt.
Hornblendereiche Grünsteine des Ehrenbergs.
L
IL
D— 3,02
D = 2,93
Kieselsäure
47,26
52,37
Titansäure
0,30
0,69
Eisenoxyd
16,40
14,60
Thonerde
■
14,26 .
15,66 ■
Ealkerde
.
9,98
8,21
Talkerde
7,87
6,12
Natron
Kali
1
3,00
2,46
0,13
Wasser
0,37
1,07
Summe
99,59
99,89
Das feine Pulver dieser sogenannten Homblendeschiefer
war graugrün ; es enthielt Vj % hygroskopisches Wasser. Durch
massiges Glühen wurde es ockergelb und yerlor am Gtewicht
zwischen 0,5 und 1,1 % ^^ hydratischem Wasser.
Der Titansäure-Ghehalt ist hier, wie vorhin, bestimmt. Eisen-
oxydul fehlt nicht, sondern auf dasselbe ist nur nicht Rücksicht
genommen worden. Mangan liess sich qualitativ sehr deutlich
nachweisen. In 11 war auch Phosphorsäure nicht nur qualitativ,
sondern auch quantitativ (0,7%) bestimmbar.
Die eben angeführten Analysen stimmen mit einer Mehrzahl
derer überein, welche von gemeinen als G-esteinsgemengtheile
vorkommenden Hornblenden vorliegen und bei welchen auf die
Scheidung von Eisenoxyd und Eisenoxydul noch nicht Bedacht
genommen wurde. Namentlich die jedenfalls nahe feldspathfreie
Hornblende bei der Spinnerei vergleicht sich sehr gut mit einer
Hornblende von Kimito, die Moberg ^) untersuchte. Eine ein-
gehendere, die Oxydationsstufe des Eisens berücksichtigende
Untersuchung wurde nicht ausgeführt, weil die Zugehörigkeit
■) Ramm^tberg, Handbuch der Mineralchemie. S. 491 n. 492.
Bd. X, N. F. ni. 6
K B. Sclmtkl,
des rabenschwarzen Mineralgemengtheils zur Hornblende bereits
nicht mehr hezweifelt werden kann, und das Torkommen viel
weniger dazu geeignet ist, eine Entscheidung fiber das cbemische
Wesen der Hornblende herbei zu führen, als vielmehr die ge-
nauesten Angaben über die chemische Zusammensetzung auch
einer Mehrzahl anderer Vorkommnisse als unmaassgeblich zu
bezeichnen. Denn wie in diesen so in fast allen Fällen mengt
sich die Hornblende bei der Gesteinsbildung mit Feldspath und
dürfte wie in diesem, so auch in anderen Fällen bei scheinbarer,
d. h. makroskopischer Reinheit, mikroskopische Feldspathe ein-
schlieBsen und demnach vielThonerde enthalten. Die Thonerde,
die der clieinischeo Charakteristik der gemeinen Hornblenden
so viele Schwierigkeiten darbietet, hSrt dann — wenigstens
zum Theil — auf ein Bestandtheil zu sein; sie zeigt vielmebr
einen Einschluss von Feldspath an.
Während die Thonerde und mit ihr die Kalkerde nur zum
Theii, so ist die Titansäure ganz aus der Zusammensetzung der
Hornblende ausgeschlossen. Die Titansäure kann aber eben so
wohl von eingeschlossenem Titaneisenerz, als Titanit heiTÜhren,
welche beide makroskopisch wie mikroskopisch in inniger Ver-
knüpfung mit der Hornblende wahrnehmbar sind. Dadurch ent-
steht ein weiteres, noch schwieriger zu beseitigendes Hindemiss
gegen die Formutirung der Zasammensetzung dieser Horn-
blenden.
Vergleicht man mit einander die Analysen der Hornblenden
aus den ärünsteinen und der hornblendereichen Grünsteine des
Fbrenbergs , so sind beträchtliche unterschiede nicht m ver-
kennen , besonders in Bezug auf den Talkerde-Gehalt Es ist
nicht ebenso einerlei Hornblende, die in diesen Grünsteinen vor-
kommt, wie es einerlei Feldspath zu sein acheint.
Schliesslich darf es nicht unerwähnt bleiben, dass die ana-
lysirten homblendereichen Grüusteine dieselben sind , deren
Feldspathgelialt aus Dichtigkeitsverhältnissen oben (s. §. 9) zu
12 "/o und zu 38 % berechnet wurde.
Orfinstelnr. Chemische Analyse. Labrador-Feldspath.
Der Name Labrador • Feldspath ist bis jetzt nur
vorgreiflich gebraucht worden; denn wenn auch die minera-
i
Der Ebrenberg bei Umenao.
83
logischen Merkmale einen Eeldspath anzeigen, nnd die mikro-
skopische Analyse einen plagioklastischen , so kann doch in
diesem, wie in allen anderen Fällen, erst die chemische Zu-
sammensetzung die Stellung in der Beihe der plagioklastischen
Feldspstthe genauer bestimmen.
Die Feldspathe liessen sich am bequemsten aus zwei Probe-
stücken gewinnen, von denen das eine bei dei; Herrenmühle, das
andere bei der Spinnerei geschlagen war. Die ausgelesenen
Kömchen waren in der That so rein, dass sie unter der Lupe
YoUkommen homogen erschienen.
Die Analysen wurden im Laboratorium des mineralogischen
Museums von Herrn Dr. Brockhoff ausgeführt. Die Aufschliessimg
wurde einmal mittels kohlensauren Natrons, ein zweites Mal
mittels Fluorwasserstoffsäure ausgeführt. Die Resultate sind
folgende :
Labrador-Feldspathe aus den Dioriten bei der
Herrenmüble
Procente
Sauerstoff
Gebalt Quotient
Frocente
Spinnerei
Sauerstoff
Gebalt Quotient
Kieselsäure
60,96
Tbonerde mit
etwJüsenoxyd
29,11
Ealkerde
13,22
Natron
3,81
Kali
1,26
Wasser
1,46
27,18
13,66
3,78
0,98
0,21
5,97
3
1,09
28,13 6,06
13,49
1,90
1,60
0,63
J 0,90
Summe
99,80
99,38
Die Resultate 'weisen mit unzweideutiger, ich möchte sagen,
ungewöhnlicher Schärfe auf diejenige Stufe in der Reihe der
plagioklastischen Feldspathe, welcher man den Namen Labrador
als Speciesnamen beizulegen noch immer gewohnt ist. Dieselben
erscheinen dazu geeignet, sie zur Prüfung der Tschermack'schen
Hypothese über die chemische Znsammensetzung der Feldspathe
zu verwenden. Dazu sind die Kalkerde auf Anorthit, d. i. sin-
gulosilicatisch, die Alkalien auf Albit, d. i. trisilicatisch zu be-
6*
81 B. E. Sohniid,
reebnen, oder die Summe ans dem Vierfachen des Sauerstoffs
in der Kalkerde und dem Zwölffachen des Sauerstoffs in den
Alkalien nius» gleich sein dem Sauerstoff in der Eieseleänre.
Es ist aber für den Labrador-Feldspath:
der Hen«nmüble der Spinnerei
4 X 3,78 = 15,12; 4 X 1,90 = 7,60
12 X (0,9ö + 0,21) =■ 14,28 1 12 X (1,00 + 0,53) = 25,56
29,40 33,16
Das ist beträchtlich mehr als die Analyse ergiebt. Indessen
treten etwaige Abweichungen bei dieser Art der Berechnung
sehr stark hervor, da ein kleiner Fehler in der Bestimmung der
Basen, namentlich der Alkalien, einen grossen Fehler in der
Angabe des Sauerstoff-Gehaltes der Kieselsäure mit sich bringt;
und dann ist eben der Feldspath nicht mehr frisch, sondern
stark in Veränderung begriffen; das zeigt diese Prüfung be-
stimmter an, als die gewöhnliche Berechnung.
Die beiden Feldspathe, deren Analyse eben gegeben ist,
stammen aus den ihrem Anstehen nach verschiedenartigsten
Grünateinen des Ehrenbergs. Ihre sehr nahe üehereinstimmung
erlaubt es, auch die Feldspathe der übrigen Grünstein-Vor-
kommnisse auf Labrador zu bezieben.
§. 21 drflnstelne des Ehrenbei^. SeUuss.
Dem Vorstehenden gemäss stellen sich die Grünsteine des
Ehrenbergs als Glieder einer einheitlichen Reihe dar, allerdings
unter sieb nach Quantität und Qualität der Gemengtheile ver-
schieden, aber doch nicht so sehr, dass sie nicht mehr als das
Product einer Eruption angesehen werden könnten.
Sie gehören unstreitig zu den Homblende-Grünsteinen und
können als Lahrador-Diorite bezeichnet werden, wenn man
den Namen Diorit auf alle Hornblende-Feldspathgesteine ans-
breiten will. Man müsste dann die Mehrzahl der bisherigen
Diorite als Oligoklas-Diorite bezeichnen, den Kugel-Diorit oder
Corait. wie auch schon häufig geschehen ist, als Auorthit-Diorit,
Die lange gehegte Meinung, Hornblende vertrage sich nicbt
mit einem kieselsäureärmeren Feldspath als Oligoklas, gehörte
ja der Kenntniss des Kugel-Diorites gegenüber schon sn dea
Der Ehrenberg bei Ilmenaa. 85
verwerflichen Irrthümern. Und das Vorkommen von Labrador-
Dioriten , welches Erdmann ^) auf Grund qualitativer Unter-
suchungen für Schweden geltend gemacht hat, ist bereits mehr-
fach exact bewährt, namentlich durch Delesse *) für Pont- Jean
bei St. Maurice im Moselthale und durch König ^) für Diluvial-
geschiebe, die bei Berlin gefunden waren.
Der neue Fundort des Labrador-Diorits am Ehrenberg ist
in den Sammlungen als Diorit schechthin und als Amphibolit
ziemlich verbreitet; er zeichnet sich durch seine frische Be-
schaffenheit aus.
Vergleicht man den Labrador-Diorit des Ehrenbergs mit
den andern am Thüringer Wald vorkommenden Grünsteinen, so
last sich Uebereinstimmung mit denen erwarten, welche bei
Schmiedefeld anstehen. Dagegen sind von den Grünsteinen des
östlichen Thüringer Waldes nur etwa die vor Kurzem von
Oümbel aufgestellten Epidiorite vergleichbar. Die grosse Mehr-
zahl der Grünsteine des östlichen Thüringer Waldes gehört zu
den Augit-Grünsteinen, und noch specieller zum Diabas. Der
Epidiorit^) hingegen ist 'ein Homblende-Grünstein, der Augit
nur selten führt, dem er auch wohl ganz fehlt ; derselbe schliesst
anregelmässig begrenzte Putzen von plagioklastischem Feldspath
ein, der nach Gümbel's Yermuthung sogar, wenigstens ursprüng-
lich, Labrador ist; allein der charakteristische Gemengtheil des
Epidiorits ist weder die Hornblende, noch der Feldspath, sondern
ein chloritisches Mineral, welchem Gümbel den Namen Chloropit ^)
beigelegt hat. Dieser Chloropit ist durch die Reihe der Dia-
base weit verbreitet, wenn man Liebe's*) Diabantochronnyn als
Varietät mit hinzunimmt. Nach einem solchen Gemengtheil aber
sucht man in den Ehrenberger Grünsteinen vergebens. ^ Unter
den Fundpuncten des Epidiorits, und zwar den hervorragenden
führt Gümbel übrigens einen dem Ehrenberg benachbarten
■} Verhandlungen der Stockholmer Academie 1S47. Nach König, Zeit-
scluift der deutschen geol. Gesellsch. Bd. 20. S. 867. 1868.
*) Ann. d. mines. 3. ser. t. XVL p. 339. sniv.
*) Zeitschrift der deutschen geo). Gesellsch. Bd. 90. S. 365. fg. 1868.
*) Gümbel, Die palaeolithischen Eruptivgesteine des Fichtelgebirges. 1874.
S. 10 fgde.
*) s. oben. S. 27.
*) Liebe, Die färbenden Mineralien der Diabase des Voigtlandes und
Frankenwaldes. Programm des Gymnasiums zu Gera. 1869.
Griinstem-DuTchbruch, nämlich den vom Sauerstem bei König-
see auf.
§. 23. Oruitte d«8 Ehrenbergg.
Die Yorkommnisse von Granit am Ehrenberg zerfallen
io Kwei Gruppen von allerdings räumlich sehr ungleicher Be-
deutung. Die eine am Ehrenberge breit auftretende Gruppe
tiudet sieh auch an andern Stellen des Thüringer Waldes wieder,
uamentlich im oberen Bmthale und in den westlichen Ausläufern
desselben; sie entwickelt sich nach mehreren Bichtungen zu
recht rerBchiedenartigen Gesteinen, zwischen denen ich zwar
niclit ganz stetige Uebergänge, aber noch weniger Gh-enzscheiden
iiiiL^lizuweisen vermag; diese Gesteine sind bereits von Voigt,
Heim, Oredner und v. Fritsch heschrieben worden. Die andere
GiujjpB beschränkt sich auf einen kleinen Baum, auf ein gang-
aitiges Vorkommen am Burgstein und bei der Spinnerei ; am
erst genannten Orte ist sie von v. Fritsch aufgefunden worden.
Der KUrze wegen seien sie als Granit der Saigerhütte
und des Burgsteins bezeichnet.
%. 33. Oranlt der Satgerhüttc, mlttolkSniiger. Hakro-
skoplsehe BeBchielbimg.
Am südwestlichen Fasse des Ehrenbergs, wo ehedem die
Ilnienauer Saigerhütte stand, neben der jetzigen Chaussee von
IlnioDau nach Langewiesen, ragen Granitfelsen ans einem nie-
dri{;en, aber steilen Abhänge heraus. Dieser Abhang wurde
für die Anlage der Saigerhütte, namentlich für die Badstube
derselben durch Anschürfnog erzeugt und bot ti-üher ein schönes
Profil, an dem Voigt') eine Zerklüftung nach drei Haupt-
richtungen erkannte. „Einige Klüfte ziehen sich von S. nach
N., andere von SW. nach NO., noch andere fallen von N. nach S."
Derselbe Granit ist ausserdem durch einen noch jetzt, aber nur
schwach betriebenen Steinbruch entblösst und steht auch im
Iltuliett und auf der Sohle eines Hohlwegs jenseits der Ihn an.
'i J. C Vi, Voigt, Miner alogiiche tmd bergmäniüsche AbhaadlangeD.
Leipzig 1788. 8. I.
Der Ehrenberg bei Ilmenau. 87
Der Granit ist von mittlerem Korn, im Ganzen ziemlich
lichte, graulich und röthlich. Auch die frischesten Stücke, die
man bei der Saigerhütte davon findet, sind ziemlich leicht zer-
sprengbar. Der Verwitterung ist das Gestein sehr zugänglich;
es yerfärbt sich dabei stark ins Bothe und wird mürbe. Die
Verwitterung geht von den Glimmerblättchen aus, welche einen
metallartigen Glanz annehmen und um sich einen rothen Hof
verbreiten. Seine mittlere Dichte ist 2,7.
Der vorwaltende Gemengtheil ist Peldspath. Derselbe
ist nicht deutlich spaltbar, hat eine Härte etwas unter 6 und
eine Dichte von 2,681. Dieselbe wurde wegen der Kleinheit
der Kömchen mittels der Schaffgottsch'schen Schwebmethode
bestimmt. Seine Farbe ist weiss ins Grauliche, Grünliche und
Gelbliche ; er entwickelt nur einen schwachen Glas- bis Perl-
mutterglanz. Er schmilzt nahe eben so schwer, wie Adular, zu
weissem etwas schaumigem Glase. Gegen den Feldspath t^tt
der Quarz entschieden zurück; er ist nicht krystallinisch um-
grenzt, trübe röthlich-grau. Bräunlich-grüner Glimmer und
rabenschwarze Hornblende sind gewöhnlich sparsam bei-
gemengt; in der Mehrzahl der Brocken erkennt man nur
Glimmer, in der Minderzahl nur Hornblende, in verhältniss-
mässig wenigen Brocken beide neben einander. Unter diesen
als wesentlich anzusehenden Gemengtheilen erreicht allein der
Feldspath eine hervorragende Grösse^liis über 26 Hm. längsten
Durchmesser; so grosse Feldspathe sind aber von Glimmer
durchsetzt ; sie geben dem Gestein ein porphyrartiges Aussehen.
Nicht selten sondert sich der Glimmer in eiförmigen Massen
aus von 6 bis 30 Cm. Durchmesser, die aber durch allmähliche
üebergänge fest mit dem übrigen Granite verbunden sind. Der
einzige accessorische Gemengtheil von allgemeinerer Verbreitung
ist Titanit in kleinen, aber deutlichen Krystallen der gewöhn-
lichen Oombination % :P 2, oP und V« ^ ^ (nach G. Rose).
Als einen ferneren accessorischen Gemengtheil bezeichnete
Oredner^) den Orthit in einer brieflichen Mittheilung an
V. Leonhard. Die Bestimmung beruht freilich fast nur auf dem
Verhalten vor dem Löthrohr, hat aber vieles Interesse erregt
und ist von Vielen nicht sowohl als wahrscheinlich, sondern
vielmehr als ausgemacht angesehen worden. So wiederholt
*) Neuea Jahrbach für Mitieralogie etc. Jahrgang 184S. S.199«
88 ^ B. Schmid,
V. Fritsch*) sämmtliche Angaben Oredner's über das Orthit-
Vorkommen, welche mit demjenigen im Syenit d^ Plauensclien
Grundes bei Meissen bis ins Einzelne übereinstimmen, nnd he- ^
hauptet sogar ; man finde den Orthit , wie den Titanit, zwar |
untergeordnet, aber in grosser Menge. Ich habe mir
sehr viele Mühe gegeben und viele Zeit aufgewandt, an dem
Stellen, welche Credner mir als die ergiebigsten Fundstä4^ten zu
bezeichnen die Güte hatte, das Vorkommen des Orthit^ zu con-
statiren, bin aber nicht so glücklich gewesen, auch nur ein Exem-
plar finden zu können, und ich habe auch in denjenigen Samm--
lungen, in welchen der mittlere Thüringer Wald sonst gut ver-
treten war, keines bemerkt. Man wird gut thun, bei der
Behauptung Credner's, der Orthit sei ein wahrscheinlicher Ein-»
schluss im Granit der Saigerhütte, stehen zu bleiben, ihn aber
nicht als unzweifelhaft constatirt und noch weniger als häufig
vorkommend zu bezeichnen.
§. 24. Granit der SaigerMtte, mittelkSmiger. Mlkro-
skopische Analyse.
Dünnschliffe dieser mittelkömigen Granite zeigen unter dem
Mikroskope den Feldspath theils bestäubt, theils gleichmässig
getrübt, theils wasserklaff Die bestäubten und namentlich die
trüben Stellen ändern zwischen den Nicols weder Farbe noch
Beleuchtung, die wasserklaren werden lebhaft gefärbt. Spaltbar-
keit und lamellare Zwillingsbildung, in der für die plagioklastischen [
Feldspathe charakteristischen Weise, d. h. mit der Hauptspaltungs- i
Fläche als Zusammensetzungs-Fläche treten deutlich hervor. \
Der Quarz erscheint als Ausfüllung zwischen den übrigen
Gemengtheilen völlig farblos, zwischen den Nicols ninunt er
sehr intensive und lebhafte Färbung an mit irisirenden Säumen.
Er ist sehr reich an Cavemen, die jedoch nur selten und nur
unbewegliche Libellen einschliessen ; die Cavemen sind linear,
streifweise und als Schwärme neben einander angeordnet.
Der Glimmer bildet meist breite Tafeln und dicke
Säulen von ausgezeichneter Blätterigkeit, seltner Fächer und
Büschel.
^) Zeitschrift der deatschen geol. Gesellsch. Bd. XIL S. 102 and 104,
Der Ehrenberg bei Ilmenau. 89
Die Hornblende zeigt sich unverkennbar in Form sechs-
seitiger dicker Tafeln und kurzer Säulen, erzeugt durch die
Combination der Geradendfläche oP mit dem Prisma oo P und
dem klinodiagonalen Hauptschnitt oo :ß oc; die prismatische
Spaltbarkeit ist durch Haarspalten angedeutet. Jhre Farbe ist
dunkelgrün ins Braune. ' Daneben erscheinen in grosser Zahl
schmal- und dünnleistenf örmige Bjystalle — s. Fig. 18. Taf. IV. —
und krystalloidische Schollen und Schuppen — s. Fig. 19.
Taf. ly. — , als Einschlüsse in den Feldspathen und Quarzen,
die ich ebenfalls auf Hornblende glaube beziehen zu müssen.
Sie haben mit den kleinen Hornblende -Krystallen und Kry-
stallo'iden, die im Labrador-Diorit so gewöhnlich sind, au]ffal-
lende Aehnlichkeit, wenn auch im Granit die TJebergänge
zwischen ihnen und vollkommenen Krystallen nicht vorliegen.
Glimmer und Hornblende verhalten sich ausgezeichnet
dichromatisch.
Die Titanite, makroskopisch eben noch als Krystalle er-
kennbar, treten unter dem Mikroskope als selbständig entwickelte
Krystalle hervor.
Nicht gar selten erscheinen Säulen, von zwar sehr geringer
Breite, aber durch die seitliche Schattirung kaum zweifelhaft
als sechsseitig bestimmbar, mit gerader Endfläche — s. Fig. 20
und 21. Taf. IV. — oder pyramidaler Endung — s. Fig. 22.
Taf. rV. — , so jedoch, dass zwischen der Geradendfläche oder
der Pyramidenspitze eine Abrundung statthat. Wahrscheinlich
sind sie Apatite.
§. 25. Granit der Salgerhfltte, mlttelkOmlger. Cbemlsche
Analyse des Feldspaths.
Von den Gemengtheilen des Granits der Saigerhütte lässt
sich nur der Feldspath in solcher Menge und Reinheit auslesen,
dass er zur chemischen Analyse verwendet werden kann. Die
Resultate derselben sind die folgenden:
K E. Schmid,
Feldspath aus dem Granitbei der Saigerbütte.
Procento
SaaeratofT
Gehalt
VerhiiltniM
Kieselsäure
61,62
32,81
9,37
Thonetde
21,68
"'•'" 1 ,„=„
EiKenoxyd
1,42
0,43 H».™
3
Kalkerde
4,d2
Sl-.-,
Talkerde
0,36
NatroQ
Kali
6,94
2,29
JSHH"^
,76
-1,07
Glülivertat
1,23
Sumine
I 100,26 I
I
Nacli seiner chemischen Zusammensetzung ist also der
Feldspiith Oligoklas und damit stimmt die plagioklastischc
Zwillingsbilduug Uberein; die gefondene Dichte tob 3,681 ist
allerdings etwas hoher, als man für Oligoklas anzunehmen pflegt.
Für Oligoklas nahm ihn auch schon v. Fritsch '), jedoch ohne
weitere Begründung.
Wendet man die Tschermak'sche Hypothese auf diesen
Feldspatli an, so bewährt sie sich mit überraschender Genauig-
keit. Es ist nämlich:
4 X (1,23 + 0,36) = 6,32
13 X (1,79 + 0,39) = 26,16
32,48
Der Unterschied zwischen der Berechnung und der Beob-
achtung des Sauertoffs Kieselsäure beträgt also nur 0,32.
§. 36. Oniiilt der SafgerhQtte, oiitfelkSrniger. Hclilius.
Lept man den Nachdruck auf das Vorkommen von Hom-
l)le.ud(>, neben dem Glimmer, so hat man ein Recht, diesen
Granit mit Oredner sen. einen Syenit-Granit zu nennen.
') ZeitKchrift der deotochea gML Getellich. Bd. XU. S. tOS.
D^ Ebrenberg bei Ilmenau. 91
Räumt man der Rücksicht auf den Feldspath den Vorrang ein^
so moss man demselben mit v. Fritsch^ nach 6. Bose's Vor-
gang, den Namen Granitit beilegen. Einstweilen, d. h. so
lange kein Grundsatz der Nomenclatur für die Gruppe der
Granite durchschlagende Anerkennung gefunden hat, ist es er-
spriesslicher, den mineralogischen Bestand eines Granites fest-
zustellen, als einen Namen dafür zu suchen.
§. 27. Granit der Salgerhfltte, feinkOmlger, OUmmer-
armer.
Auf der Höhe des Ehrenbergs tritt neben dem eben be-
schriebenen Glimmer- und Hornblende - führenden Oligoklas-
Granit ein sehr lichtes, feinkörniges, mitunter in das geradezu
Aphanitische übergehendes Gestein auf, ohne dass zwischen ihnen
irgend welche Grenze angedeutet wäre. Es ist deshalb als eine
Entwickelung aus dem Granit anzusehen, und die Entwicklung
vielleicht zu dem knapp anliegenden Diorit und Porphyr in
Beziehung zu bringen. Derselbe ist sehr zähe und hat die
Dichte 2,6.
Makroskopisch lassen sich als seine wesentlichen Gemeng-
theile nur Feldspath und Quarz erkennen. Der Feldspath
ist blassroth, deutlich spaltbar, der Quarz grau, fettglänzend.
Nur accessorisch treten Glimmerblättchen, Titanitkömchen und
dunkle, schillernd angelaufene Parthien wahrscheinlich von
Voigtit hinzu.
Im Dünnschliffe erscheint der Feldspath unter dem
Mikroskope meist getrübt und bräunlich durchscheinend, seltner
klar und farblos, hin und wieder gestreift. Zwischen den Nicols
färben sich nur die klaren Stellen, i^rährend die trüben einen
Wechsel der Beleuchtung und Färbung wenig oder gar nicht
wahrnehmen lassen. Der Quarz ist vielfach zerklüftet; bei
schwacher Vergrösserung erscheint er in Folge schwärm- und
streifenweise eingestreuter Cavemen getrübt, bei starker klärt
sich der Zwischenraum zwischen den Cavemen; die Cavemen
selbst erhalten dunkle Säume, theils breit, theils schmal. Die
röthlich-gelben Titanite sind deutlich krystallisirt. Neben den
grünen Glimmerblättchen treten braun - durchscheinende bis
opake Blättchen hervor, entsprechend den makroskopisch als
98 E. E. Sohmid,
braun und schillernd hervortretenden Parthieu, welche ich oben
als Yoigtit bezeichnete, nnd auf welche ich im folgenden §.
aueführlich eingehen werde.
Aus diesem feinkörnigen &ranite lässt sich ausser etwa dem
Quarz, dessen weitere Untersuchung kein Interesse gewährt,
kein Gemengtheil in solcher ^Reinheit und Menge auslesen, wie
es zu einer quantitativ chemischen Untersuchung erfordert wird.
eranlt der Snigerlifittc. SchilftgraDit mit Volgtlt
Makroskopische Bosehrelbiing.
Auf der Oipfelääche des Ehrenbergs und an seinem west-
lichen Abhänge findet sich ein recht eigenthümlicher Scbrift-
granit, der als eine weitere Entwickelung aus der mittel-
kömigen BeschafiFenheit anzusehen ist. Seine Dichte ist noch
etwas unter derjenigen der eben beschriebenen feinkörnigen
Entwickelung ; sie sinkt unter 2,6 bis nahe 2,5.
Dieser Schriftgranit ist massig leicht zersprengbar nach
breiten rauhen bis höckerigen, oft nahezu ebenen Flächen, die
unter den verschiedensten Winkeln zusanunenstossen. Seine
wesentlichen Qemengtheile sind Feldspath, Quarz und Yoigtit.
Der Feldspath ist sehr breitblätterig, blassroth, auf der
Blätterungsfläche perlmutterglänzend. Der Quarz ist ihm
untergeordnet und durchsetzt ihn in bald mehr bald minder
breiten und langen Leisten, deren Längsaxen nahe parallel zu
einander gerichtet sind. Die Flächen, nach welchen das Gestein
zerspringt, entsprechen, so weit sie eben sind, den Spaltungs-
flächen des Feldspathes. Meist zwischen ihnen sind die Leisten
des Yoigtits eingelagert; dieselben sind bei äusserster Dünne
1 bis 10 Mm. breit und oft zwanzig Mal so lang. Sie stosseu
oft winklig, aber ohne constante Neigung zusammen. Sie tragen
übrigens deutlich die Kennzeichen der Verwitterung an sich
nnd sind aus einem Mineral hervorgegangen, welches ich nur
einmal' als unverwitterten Eem auffand, und in so geringer
Menge, dass dieselbe eben für die Analyse ausreichte. Eigent-
lich diesem Mineral legte ich ') den Namai Yoigtit bei , den
ich der Kürze wegen hier auch anf sein Yerwitterungsproduct
übertrage. Der eigentliche, d. b. frische Yoigtit ist sehr voU-
■) Pogg. Ann. Bd. »7. 8. 108 fgd.
Der Ebrenberg bei Umenaa. 93
kommen blätterig parallel der breiten Leistenfläche. Seine Härte
ist etwas über 2, seine Dichte 2,91. Er ist lauchgrün, nur in
sehr dünnen Blättchen durchscheinend und hat einen perlmutter-
artigen Fettglanz. Die Stelle, wo ich ihn fand, liegt rechts
neben dem Wege vom neuen Hause nach der Höhe, welche auf
der Karte durch einen Stern bezeichnet ist. Sie ist jetzt noch
von Gebüsch eingenommen ; aber die Schriftgranitblöcke, welche
ehedem zwischen den Büschen lagen, sind fast bis auf den
letzten Best weggeführt. Was man gegenwärtig noch von diesem
Glesteine erhält, ist aus dem Untergründe ausgeschürft.
Nur accessorisch tritt weisser Glimmer hinzu.
§. 39. Schrmgranit der Saigerhfitte mit Yolgtit. Hlkro-
skopisebe Besehreibiing.
Dünnschliffe geben unter dem Mikroskope ein sehr nettes
Bild — 8. Flg. 23. Taf. V. — .
Der Feldspath ist zwar bis auf wenige Stellen stark ge-
trübt und scheint nur bräunlich durch, aber seine blätterige
Structur ist theils durch gerade, scharfe Linien, theils durch
gerade Streifen deutlich angezeigt. Diese Linien und Streifen
behalten ihre Richtung über ziemlich ausgedehnte Flächen.
Zwischen den Nikols nehmen die klaren Stellen ziemlich leb-
hafte Färbung an, die jedoch gleichmässig über die Linien der
Blätterdurchgänge ausgebreitet ist. Die Spaltungsebene ist dem-
nach nicht Zusammensetzungsebene für solche Zwillinge, wie sie
bei den plagioklastischen Feldspathen so gewöhnlich sind. Man
darf aber nicht vergessen, dass diese Zwillingsbildung nicht bei
allen Plagioklasen nothwendig ist, und dass mit Bezug auf das
optische Verhalten die Bestimmung als Orthoklas nur eine mög-
liche ^ höchstens dass sie eine wahrscheinliche ist. Wenn ich
den Feldspath in diesem Falle als Orthoklas in Anspruch nehme,
so finde ich die Berechtigung dazu in der Analyse des Feld-
spathes aus der nachfolgend zu beschreibenden Granitvarietät,
in welche die Yorliegende stetig übergeht.
Der Quarz scheidet sich vom Feldspathe an vielen, aber
nicht allen Stellen geradlinig und die geradlinigen Grenzen lassen
sich auf Durchschnitte von Quarzkrystallen beziehen. Der Quarz
hat sich also in einigermaassen selbstständigen Ej*ystallen ent*
94 B. £. Schmid,
wickelt. Darin liegt eben die wesentliclie Eigenthämlichkeit
der Scliriftgranite. OaTemen vertheÜen eicli zahlreich Btrich-
und Bchwaimweise durch den Quarz, durch sie erscheint er bei
schwacher Vergrösserung getrübt. Die CaTernen sind nur von
geringem Durchiuessei' ; einige scharf linear umgrenzt, andere
von einem schmaleren oder breiteren, dunkeln Saum umzogen ;
innerhalb der scharf umgrenzten und der schmal umsäumten
Cavemen werden mitunter, aber doch selten unbewegliche Li-
bellen bemerkt.
Die braunroth durchscheinenden bis opaken Leisten des
verwitterten Voigtits durchschneiden den Quarz wie denFeld-
spath ; ihre Enden blättern sich auf und verzweigen sich zwischen
den Fugen des G-esteins; braunrothe stetig abschattirte Höfe
schliessen sich daran au.
Granit der Halgerhfltte; Schrlftgraiilt mit Tol^Ht;
chemische Analyse des Yolgtlts.
Zur gesonderten Analyse eignet sich der Feldspath gar
nicht, der Voigtit wenig. Den ersten kann mau nicht frei er-
halten von eingeschloBsenem Quarz, der andere bietet sich in zu
geringfügiger Menge dar. Der glückliche Fund frischen Voigtits,
den ich im Jahre 1855 machte, hat sich leider nicht wiederholt.
Zu den Resultaten, zu denen dieser Fund geführt hat, habe ich
deshalb keine neuen hinzuzufügen, muss aber die alten nochmals
besprechen, weil der Voigtit inzwischen eine grössere Bedeutung
gewonnen hat.
Bei Erhitzung verliert der Voigtit viel Wasser, blättert sich
dabei auf, wird braun und nimmt metaUiscben G-lanz an. Vor
dem Löthrohr schmilzt er leicht zu einem schwarzen Glase.
In Borax und Phosphorsalz löst er sich leicht und reichlich
auf; die Perle fUrht sich wie von Eisen. Salzsäure zersetzt ihn
leicht und vollständig. Aus den Ergebnissen einer quantitativen
Analyse leitete ich folgende Zahlen für seine Zusammen-
setzung ab.
Der Ehrenberg bei Umenau.
96
Voigtit
Proc«nte
Sauerstofi-
Gehalt
Verhältnias
Kieselsäure
33,83
18,04
2,06
Thonerde
Eisenozyd
13,40
8,42
2,53 1 ®'^®
1,00
Eisenoxydul
23,01
5,11 \
Talkerde
Kalkerde
7,54
2,04
3»02 («=8,96
0,88 f
1,02
Natron
0,96
0,25 )
Wasser
9,87
8,77
1,00
Summe
99,07
Dieses Eesultat besticht durch seine Einfachheit. Nach
ihm ist der Voigtit ein wasserhaltiges Singulosilicat, analog dem
öranate. PreiUch beruht die Vertheilung des Eisens auf Oxyd
und Oxydul nicht auf einer experimentellen Feststellung, sondern
auf einer rechnungsmässigen Möglichkeit. Das zu Gebote stehende
Material war sehr geringfügig und die Methode der Ausschei-
dung Yon Eisenoxyd und Eisenoxydul in den Silicaten im Jahre
1855 kaum angedeutet. Trotz dieser wesentlichen Lücke in der
Eenntniss des Yoigtits, ist seine mineralogische Selbstständig-
keit sichergestellt. Er steht zwischen der Gruppe der glimmer-
artigen und der chloritartigen Mineralien. Von der ersten
Gruppe muss er schon des hohen und locker gebundenen Wasser-
gehaltes wegen getrennt werden, von der andern wegen der Leicht-
Bchmelzbarkeit. Mit beiden stimmt weder die langgestreckte
Lamellenform, noch die chemische Zusammensetzung.
Der gewöhnliche, d. h. verwitterte Voigtit verhält sich bei
Erhitzung im Glaskolben und vor dem Löthrohre, sowie gegen
Salzsäure wie der frische. Er enthält dieselben Elemente, ist
aber eisenreicher und siliciumämfer. Aber auch nicht vom ver-
witterten Voigtit konnte ich die zu einer vollständigen Unter-
suchung erforderliche Menge zusammen bringen.
Der Voigtit ist ein wesentlicher Gemengtheil nicht nur des
Schriftgranites von der einen Fundstätte am westlichen Abhang
96 E. £. Schmid,
des Ehrenbergs, von welcher in meiner Notiz *) vom Jahre 1856
die Rede war, sondern auch aller Schriftgranite des Ehrenbergs
und nicht der Schriftgranite allein, sondern auch der eben be-
schriebenen äusserst feinkörnigen Granite und der eben zu be-
schreibenden äusserst grobkörnigen desselben Berges. XTeber
sein anderweites Vorkommen liegen Angaben von Ullrich, Fuchs ^)
und Streng *) vor. Sie erkennen ihn in einem Gemengtheile der
Schriftgranit-Gänge^ die den Qabbro des Eadauthales im Harze
durchsetzen, wieder. Derselbe ist in oft 30 Mm. langen und
kaum 1 Mm. breiten Individuen von kaum messbarer Dloke aus-
gebildet. Seine Farbe ist schwärzlich -grün und wird etwas
bräunlich, wenn die Verwitterung beginnt.
Herr Professor Streng hatte die freundliche Güte, mir ein
Handstück dieses Badauthaler Schriftgranits mitzutheilen. Das-
selbe ist dem Ehrenberger Schriftgranite zum Verwechseln ähn-
lich, und namentlich die das Gestein durchziehenden Leisten
bieten den vollkommen gleichen Habitus, das gleiche Verhalten
vor dem Löthrohre und bei Digestion mit Salzsäure und —
wenigstens qualitativ — dieselbe chemische Zusammensetzung.
Herr Professor Streng fügt seiner Mittheilung die interessante
Bemerkung hinzu, dass, wenn er recht gesehen habe, Voigtit-
Ausscheidungen auch im Schriftgranite des Bairischen Waldes
vorkommen.
§. 31. Granit der Saigerhtttte; grobkOmiger Yoigtit-eranit.
Aus dem Schriftgranite entwickelt sich an der Grenze gegen
den Labrador-Diorit und Quarz-Porphyr, man kann wohl auch
sagen in Berührung mit denselben, häufig ein äusserst grob-
körniges Gestein. Zugleich sondert sich Feldspath und
Quarz so von einander, dass nussgraue Proben eben so wohl
reinen Feldspathes als reinen Quarzes herausgeschlagen werden
können. Die wesentlichen Gemengtheile dieses Granites sind
Feldspath, Quarz ui\d Voigtit.
Der Feldspath ist vollkommen orthoklastisch spaltbar;
') Pogg. Ann. Bd. 97. S. LOS.
*) Neues Jahrbuch für Mineralogie etc. Jahrg. 1862. S. 909.
') 8. oben. S. 959.
Der Ehrenberg bei Ilmenau.
97
seine Harte ist nahe 6, seine Dichte == 2,529. Seine Farbe ist
meist fleischroth, selten grünlich- weiss ; diese Farben sind jedoch
niclit scharf von einander abgesetzt, sondern verlaufen in einander.
Er ist nur durchscheinyd und glänzt schwach perlmutterartig.
Beim Erhitzen verknistert er und verliert Wasser. Er schmilzt,
wie Adular, zu einem etwas schaumigen Glase. Von concen-
trirter Salzsäure wird er nicht angegriffen; was die Salzsäure
an Eisenoxyd aufninmit, rührt von eingestreutem Eisenglanz her.
Diese Einstreuung findet in Richtung der Blätterdurchgänge
statt und erzeugt die fleischrothe Färbung. Die Substanz des
Feldspathes selbst ist eisenfrei; d. h. durch Digestion mit Salz-
säure kann das Eisen voUständig ausgezogen werden. Die Sub-
stanz des Feldspathes selbst ist getrübt und die Trübung löst
sich auch bei starker Yergrösserung nur theilweise in körnigen
Staub auf; sie ist jedoch nicht ganz gleichförmig, lässt einzelne
durchsichtige, deutlich doppeltbrechende Flecken übrig, die sich
zwischen den Nicols färben. Die chemische Analyse ergab
folgende Besultate:
Feldspath aus grosskörnigem G-ranit vom
Ehrenberg.
Procente
Sanentoff-
Gehalt Verhültniu
Kieselsäure
66,03
34,68
11,16
Thonerde
19,96
9,32
3
Eisenoxyd
0,51
Kalkerde
0,43
0,12 1
Talkerde
Kali
0,10
7,20
0,04 (
1,21 j
> — 2,63
0,85
Natron
4,89
1,26 ;
GHühverlust
1,16
Summe
99,27
Die Gesammtheit der angegebenen Merkmale weist auf
Orthoklas hin, der etwas kaolinisirt ist und in Folge davon
etwas von den Monoxyden und von der Kieselsäure verloren
hat; allerdings mit einem ansehnlichen Natrongehalte.
Der Quarz ist gemeiner ohne krystallinische Umgrenzung.
DerYoigtit ist stets verwitteil. Seine Leisten sind breit,
Bd. X, M. F. m. 7
98 £• £^ Schmid,
aber um das Vielfache der Breite lang, sehr dünn, mitunter
noch deutlich blätterig, röthlich-bronzegelb bis schwarz, metal-
lisch schimmernd bis matt. Im TJebrigen stimmt ihr Verhalten
mit dem bereits beschriebenen.
Die nicht gar seltenen Hohlräume %ind mitunter von einem
amorphen Mineral ausgekleidet, dessen Farbe schön grün ist,
etwas lichter als die des Malachites ; bei Erhitzung giebt es viel
Wasser aus, Salzsäure nimmt reichlich Kupfer daraus auf; man
darf es wohl als Kupfergrün bezeichnen.
§. 32. Granit der Saigerbfitte ; flaserlger, kaoUnisirter.
In der südöstlichen Ecke des von dem Granit der Saiger-
hütte eingenommenen Raumes, an der Grenze gegen den La-
brador-Diorit ändert sich das Gestein nochmals in ganz anderer
Weise; es wird flaserig und kaolinisch. Frei anstehend findet
man dasselbe nicht; es wird aber aus einem Stollen herausge-
fördert, der knapp über dem Gerinne der Schneidemühle aus-
mündet. Die Grundmasse des Gesteins ist weiss ; in diese Bind
grünliche und bräunliche Kömchen eingestreut; gelbbraune
Dendriten durchziehen es. Es ist mürbe, cavemös und zer-
klüftet. Einzelne Klüfte sind mit einer mürben grünen Kruste
überzogen, die sich durch Rothbraun in die weisse Grundmasse
abschattirt.
Sein Hauptgemengtheil ist ein weisses bröckliches Mineral
von der Härte 6, welches bei Erhitzung reichlich Wasser ent-
bindet, mit Salzsäure gar nicht braust und von ihr auch nicht
angegriffen wird. Vor dem Löthrohre schmilzt es zu einem
farblosen Glase unter anfangs rein gelber, nachher gelbrother
Färbung der Flamme. Danach iöt es als kaoUnisirter,. aber
noch nicht ganz in Kaolin übergegangener Feldspath anzu-
sehen. Man hat es auch bereits bei der PorcellanfabriöÄtion
angewendet. Daneben ist gemeiner Quarz deutlich zu erkennen.
Die grüne Kruste der Klüfte braust schwach mit Salzsäure,
welche sich gelb färbt. Beim Glühen verliert sie viel Wasser;
vor \m Löthrohre schmilzt sie leicht zu einem schwarzen
Glase; in Phosphorsalz löst sie sich leicht unter Hinterlassung
eines Kieselskelets und giebt der Perle die Farbe des Eisens.
Ich halte es für ein glaukonitisches Verwitterungs-
Der Ehrenberg bei Ilmenaa. 99
Prodnct des dem Kranit ursprünglich zugehörigen Glimmers
oder der Hornblende.
§. 33. Cfranlt des Burgsteina.
Der Granit des Burgsteins, .oder vielmehr des Ab-
hangs, welcher sich an den Porphyr-Felsen des eigentlichen
Burgsteina Bmaufwärts anschliesst, war ehedem durch einen
Bergbau-Versuch auf Bauneisenstein (s. §. 4) viel mehr aufge-
schlossen, als 1860, zur Zeit von v. Fritsch's Untersuchung,
jetzt ist er durch G-raswuchs und Buschholz noch mehr verdeckt.
Zu der Beschreibung v. Pritsch's *) habe ich wenig hinzuzufügen.
Das Vorkommen ist ein gangartiges. Der Hauptgang setzt mit
einer Mächtigkeit von wenigen Füssen fast senkrecht an der
Grenze zwischen Grauwacke und Porphyr nieder; ein zweiter
nur etwa 1*/^ Pubs mächtiger unter etwa 30 <> gegen NW. fal-
lender Gang, der sich kartographisch wegen des Maassstabes der
Karte gar nicht hat darstellen lassen, durchsetzt die östlich
anliegende Grauwacke. Das Gestein ist stark angewittert und
in Folge davon sehr kurzklüftig, v. Fritsch bezeichnet es als
echten, d. h. Orthoklas-Granit. Dem schliesse ich mich
an, kann aber nicht zweierlei Feldspath, d. i. neben Orthoklas
noch Oligoklas erkennen, und finde nicht silberweissen, sondern
grünen Glimmer. In DünnschlifiP unter dem Mikroskope er-
scheint der Feldspath bei schwacher Vergrösserung bräunlich
getrübt bis auf wenige klare Zwischenräume; bei starker Ver-
grösserung löst sich die Trübung in Durchstäubung auf. Der
Quarz hat bei schwacher Vergrösserung ein zersprungenes Aus-
sehen ; die scheinbaren Sprünge sind aber in der That Flächen,
auf denen sich Cavemen dicht zusammendrängen. Die Cavemen
sind rund, sehr klein, schmal umsäumt und schliessen sehr selten
Libellen ein. Solche Cavemen sind auch schwarmweise ver-
theilt. Neben ihnen kommen auch aus- und eingestülpte Formen
vor und diese erreichen beträchtlichere Grössen. Die Glimmer-
blättchen aggregiren sich zu Fächern und Rosetten. Ihre Farbe
geht aus dem Grünen häufig in das Braune über; sie sindj» Mst
*) Zeituchrift der deutschen geol. Gesellscliaft. Bd. 19, S. 109 and 141.
T»f. IV. Fig. l.
100 E. E. Schinid,
von rothbraunen Höfen und Wolken umgeben. Eben so gefärbte
Flecke und Fetzen sind durch das ganze Gestein zerstreut; sie
gehen in das Dunkelbraune und Opake über. Regelmässig
sechsseitige Säulchen von geringer Breite mit geraden End-
flächen, oder rhomboedrischen Endigungen, oder abgerundeten
Enden sind sehr seltene Einschlüsse; dieselben sind nie gross
und gehen bis zu Strich-förmigen Stäbchen herab. Schwerlich
sind sie mineralogisch gleichartig; Apatit dürfte darunter sein.
Dem Burgsteine gegenüber hinter der Spinnerei ist
ein Gang durch Anschürfung entblöst, der mit einer Mächtig-
keit von mehr als 5V2 Meter den Thonschiefer über die Yolle
Breite des Ehrenbergs durchsetzt, so weit die kleinen im Boden
erhaltenen Bröckchen das bestimmen lassen. Er streicht von
S. nach N. — wie die Grünsteingänge — und fallt 82 ^ gegen
W. Eben so wohl das Ganggestein wie der Thonschiefer sind
der Grenzfläche parallel zerklüftet. Die lettige Thonschiefer-
platte, von der bereits die Bede war (s. §. 4), ist nahe in der-
selben Richtung zwischen das Ganggestein eingekeilt, indem sie
unter 76 ^ gegen W. einfällt. Die zu Tage tretende Oberfläche des
Ganggesteins und des angrenzenden Thonschiefers hat die Farbe
des Rotheisensteins. Dieser durchzieht alle Absonderungsflächen
von den feinsten Haarspalten bis zu den weiteren Klüften und
imprägnirt auch die Gesteine selbst. Das Ganggestein ist des-
halb makroskopisch kaum als ein Granit zu erkennen; Dünn-
schliffe, aber stellen es sogleich als solchen dar von derselben
Mengung und Structur, wie der Granit des Burgsteins, nur
sind gelbrothe, rothbraune, braune und opake Eisenerze noch
viel reichlicher eingemengt und die Yerwitterungserscheinungen
viel auffalliger. Besonders der Glimmer ist der Verwitterung
so weit erlegen, dass seine grüne Farbe nur an wenigen Flecken
geblieben, an den meisten durch dunkles Braun ersetzt ist, dass
Eisenoxyd und Eisenoxydhydrat ihn umhüllt, von ihm aus sich
ausbreitet und weithin längs der feinsten Absonderungs-Flächen
verfolgen lässt.
Ich zweifle nicht daran, dass dieses Ganggestein es ist, von
welchem Voigt *) als von einem eisenschüssigen Granit redet,
und auf welches als einen Rotheisensteingang schon vor seiner
Zeit ein vergeblicher Bergbau betrieben worden war. Auf
Cotta's, Oredner's und v. Fritsch's Karten ist der Gang nicht
0 ^<>ig^ Mineralogische und bergmännische Abhandlungen. & 3^.
Der Ehrenberg bei Ilmenau. IQl
verzeichnet; die beiden letzten erwähnen seiner auch nicht in
ihren Abhandlungen über den Ehrenberg. Indem ich ihn als
eine Fortsetzung des Ganges am Burgstein ansehe, muss ich
freilich eine Verschiebung zwischen den linken und rechten
XJferabhängen der Um annehmen.
§. 34. Qnarz-Porpbyre.
Von der grossen Mannichfaltigkeit porphyrischer, sowohl
quarzfreier, als quarzführender Gesteine, welche sich in der
Umgegend von Ilmenau zusammendrängen, nähern sich zwar
die quarzfreien dem Fusse des Ehrenbergs so, dass sie auf der
Karte der üebersicht wegen mit angegeben werden mussten,
gehen jedoch in den Aufbau des Berges selbst nicht mit ein.
Einigermaassen zweifelhaft bleibt die kleine Porphyrparthie,
welche in sehr geringer Ausdehnung zwischen der Schwärzfabrik
und Langewiesen ansteht. Das Gestein derselben ist so gründ-
lich verwittert, dass die reichlich eingeschlossenen Feldspathe
kaolinisirt sind. Quarz ist sparsam eingemengt und nicht einmal ^
an allen Handstücken zu erkennen. Alle übrigen Porphyre
fuhren Quarz und bilden trotz ihres verschiedenen Aussehens
eine einheitliche Entwickelungsreihe, zu welcher auch noch eine
Mehrzahl anderer Porphyr-Durchbrüche am Thüringer Walde,
namentlich derjenige des Gückelhahns gehört. Ihre Lagerungs-
verhältnisse am Gückelhahn lassen die Zeit ihrer Eruption ausser
allem Zweifel. Tuffe stehen dort in eben so inniger Beziehung
zu dem Porphyr wie zu dem Bothliegenden und müssen gleich-
zeitiger Entstehung sein.
Die Porphyre, welche am rechten Ufer der Um zwischen
dem Burgstein und der Einmündung der Oehre und Bchorte
anstehen, am linken Ufer oberhalb der Schneidemühle und
unterhalb des Grenzhammers, sich von da aus quer über den
Ehrenberg erstreckend, sind sämmtlich sehr hart, aber zugleich
spröde und deshalb nicht schwer zersprengbar. Ihre Dichte
schwankt zwischen 2,66 und 2,69, so zwar, dass mit einer Ver-
dunkelung der Farbe, d. i. Zunahme des eingestreuten Eisen-
oxydes eine Zunahme der Dichte verbunden ist. Ihre Grund-
masse ist homsteinartig, wenig glänzend bis matt; sie waltet
sehr vor, indem die Einschlüsse weder gross sind, noch dicht
102 B- ^' Schmid,
neben einander liegen. A-ls Einschlüsse kommen Quarz und
Feldspath vor, der erste häufiger als der zweite, beide kry-
stallisirt.
Durch Erhitzung wird nur wenig Wasser aus ihnen aus-
getrieben. In Säuren eingelegt, entwickeln sie keine Spur von
Kohlensäure ; die Säuren färben sich aber von aufgelöstem Eisen-
oxyd rasch gelb.
Sie sind theils gleichförmig, theils gebändert oder gestreift,
theils geflossen, theils quarzitisch.
§. 35. Quarz-Porphyre; glolchfSrmigo.
Gleichförmig ist bei weitem der meiste Quarz-
Porphyr, so derjenige der Felsen des Burgsteins, im Marien-
holze am südlichen Abhänge des Ehrenbergs und beim Grenz-
hammer. Die Farbe seiner Grundmasse und damit seine
Gesammtfarbe geht vom Graulich-violetten in das Böthlicbe
und Bräunliche. Cavemen sind in ihm selten und nur klein,
stets mit Quarzkrystallen ausgekleidet. Klüfte, weitere und
engere, bis zu Haarspalten durchziehen ihn häufig; sie sind
theils mit Eisenoxyd, theils mit Quarz erfüllt.
Im Grossen zeigen sie eine parallelipipedische und prisma-
tische Klüftung.
Der Dünnschlifif eines lichten Quarz-Porphyrs von den Felsen,
welche beim Grenzhammer unter der Chaussee hervorragen,
zeigt eine granulirte Grundmasse von verworrener und schwacher,
aber doch unverkennbarer Doppelbrechung, innerhalb welcher
sich mitunter blassbraune, kugelige Concretionen mit ver-
waschenem oder griessig aufgelösten umrissen aussondern. Nach
diesem Verhalten würden hier nach Vogelsang Felsophyre*)
mit Cumuliten^) vorliegen. Die eingeschlossenen Quarze
sind meist deutlich krystallisirt und ihre Umrisse entsprechen
kurzen Säulen mit pyramidaler Zuspitzung, mitunter aber auch
unwesentlich begrenzten Ausfüllungen. In den Quarzen sind
rundliche, vielleicht auch tesseral krystallisirende, hellgelbe bis
braungelbe und opake, einfach brechende Kömchen und dunkle
') Vogelsang, Die Krystalliten. Bonn 1875. S. 100.
>) Ebendas. S. 134.
Der Ehrenberg bei Ilmenao.
103
ECrümchen, mitunter stachelig durch strahlig ansitzende Nadeln
eingelagert. Die Grundmasse tritt mitunter mittels sehr dünner
Stiele in die Quarze ein und breitet sich schlauchartig darin
aus, wie dies bei den gestreiften Quarz-Porphyren noch aus-
gezeichneter der Fall ist. Oavemen sind sehr häufig und zu-
gleich verschiedenartig, theils breit, theils schmal eingesäumt,
gross und klein, häufiger zackig ausgestülpt, als abgerundet
schlauchförmig, oft unbewegliche Libellen einschliessend, deren
Volumen in sehr verschiedenem Verhältnisse zur ganzen Caveme
steht. Die Feldspathe sind gewöhnlich parallelipipedisch
umgrenzt, deutlich spaltbar, durchsichtig und deutlich doppelt-
brechend ; auch sie sind cavernös ; die Cavernen ziehen sich lang
und scheinen den Blätterdurchgängen zu folgen.
Der Grundmasse und ihren Einschlüssen sind gelbbraune
bis opake runde und längliche Flecke eingestreut; von den
länglichen haben viele bei geringer Yergrösserung das Aussehen
von Stäbchen, lösen sich aber bei stärkerer in einzelne E^ümp-
chen auf.
Chemisch analysirt wurde der Quarz-Porphyr beim Grenz-
hammer. Die analysirte Probe war dunkel und hatte die Dichte
2,59. Die Analyse rührt von Dr. Laufer her; ihre Resultate
sind die folgenden:
Quarz-Porphyr bei dem Grenzhammer.
Procente
Saaentoff-
Grehalt Verhältnisa
Kieselsäure
77,11
41,13
23,5
Thonerde
10,60
*'®5 1 .o.
Eisenoxyd
1,02
0,30 j ^'2^
8
Kali
11,36
1,92
Natron
0,12
0,03 } = 2,05
1,2
Talkerde
0,24
0,10 1
Glühverlust
0,49
Summe
100,94
Von Kdkerde, Titansäure und Phosphorsäure war keine
Spur nachzuweisen. Da die Analyse mit einem üeberschuss
von nahe 1 % abschliesst, so darf man auf die aus ihr abge-
104 £. E. Schmid,
leiteten Zahlen nicht allzusehr drücken ; das Verhältniss zwischen
den Monoxyden und Sasquioxyden könnte dann als Feldspath-
verhältniss (1 : 3) immerhin noch angenommen werden , auch
wenn man das Eisenoxyd, welches unzweifelhaft zum grössten
Theil frei auftritt, bei der Berechnung ausschliesst. Im wesent-
lichen wäre danach dieser Quarz-Porphyr aus Orthoklas und
Quarz gemischt, so dass sehr nahe die eine Hälfte der Kiesel-
säure dem Feldspathe, die andere dem Quarze angehörte und
die mineralogisshe Mengung auf die Zahlen hinauskäme. 38 *^/o
Quarz, 62<^/o Orthoklas. Man kann dann bei dem verhältniss-
mässig geringen Volumen der Quarzeinschlttsse gar nicht um-
hin, die felsitische Grundmasse', obgleich sie zwischen den
Nicols keine Quarzkömchen erkennen lässt, doch noch als ein
Gemenge von Orthoklas mit Quarz und nicht etwa nur als un-
vollkommen krystallinischen Orthoklas anzusehen.
§. 36. Quarz-Porphyre; gleichförmige; Breoclen.
Durch Vervielfältigung, Erweiterung und Ausfüllung der
Klüfte entstehen aus dem gleichförmigen Quarz -Porphyr
Breccien.
Als eine solche Breccie stellt sich schon das Gestein des
Vogelheerdes dar. Bei ihm ist Eisenoxyd das AusfüUungs- und
Bindemittel. Seine Aussenseite ist so tief roth gefärbt, dass
sie das Aussehen des Botheisenerzes erhält, und wie Voigt ^) be-
richtet, ehedem mehrfach daraufhin angeschürft worden ist; noch
jetzt erkennt man einige dieser Schürfe an den Vertiefungen im
Boden. Mit dem Botheisenstein ist etwas Schwerspath gemengt.
Gewöhnlich aber ist nicht Eisenoxyd, sondern Kieselsäure
das Ausfüllungs- und Bindemittel. Die Kieselsäure tritt kry
stallinisch auf und bildet mitunter recht schöne Quarzdrusen.
Anstehend habe ich freilich solche Breccien nicht gefunden und
das schöne, nachfolgend zu beschreibende Stück nicht einmal
selbst gefunden, sondern aus der Voigt'schen Sammlung ent-
nommen.
Dieses Stück zeigt tiefroth-braune Quarz-Porphyrbrocken
von nicht über Vs ^^' längstem Durchmesser, eckig und scharf-
') ^oigt, Mineralogische und bergmänniBclie Abhandlongeii. S« 37.
Der Ehrenberg bei Ilmenau. • 105
»
kantig, durch weissen Quarz cämentirt, dessen pyramidale £nden
in die übrig gebliebenen Hohlräume hineinragen.
Die Quarz-Porphyrbrocken werden erst in den sehr dünnen
Blättchen bräunlich durchscheinend, in den dünnsten grau-braun ;
die weissen Quarzadem bleiben ebenfalls in den Dünnschliffen
noch unklar. Die Ursache der braunen Trübung der Porphyr-
brocken liegt in der Einstreuung opaker, aus oblongen Tafeln
und schmalen Leisten zusammen geschobener Massen. Neben
ihnen bleiben aber auch bei stärkster Yergrösserung Wolken
von streifiger und kugeliger Form, welche sich nicht körnig
auflösen. Quarze mit kleinen Cavemen und Libellen sind
häufiger eingeschlossen, als späthige Feldspathe mit trüben
Flecken. Grüne Parthien von unbestimmter Umgrenzung häu-
figer braun und verwaschen-umsäumt, als scharf-abgeschnitten,
sind sehr selten. Der Quarz der Adern oder Ausfüllungsmittel
der Klüfte zeigt dünnstängliche Structur, wird daher auch im
dünnsten Schliff nicht gleichmässig klar und färbt sich zwischen
den Nicols buntscheckig; eigenthümlich zugespitzte Hohlräume
bleiben zwischen den einzelnen Stängelchen. Oefihet sich in-
mitten der Ader ein Hohlraum, so erkennt man die frei hinein-
ragenden hexagonalen Pyramiden-Spitzen.
§. 87. Qnara-Porphyre^ gebBnderte, gestreifte und
geflossene.
Echte Band-Porphyre, gebildet aus abwechselnd hellen
und dunkeln , ebenen, bis über Vs ^^' dicken Lagen , fand
ich unter den Brocken, mit denen der südliche Abhang des
Ehrenberges im Marienholze überschüttet ist. Da die Lagen,
jede einzeln für sich, in Allem den helleren und dunkleren Ab-
änderungen des gleichförmigen Quarz-Porphyrs entsprechen, so
habe ich keine eingehendere Untersuchung vorgenommen.
Gestreift sind die Quarz-Porphyre, welche dem Marien-
holze gegenüber über der Ilmaue felsig anstehen. Breite, sehr
dunkele und schmale, fast weisse Streifen wechseln mit einander
ab. Die lichten Streifen sind meist stark gekräuselt; aus ihnen
entwickeln sich einerseits perlschnurartige Keihen von einander
getrennter Linsen, andererseits feine Linien. Die breiten dunkeln
106 £• £• Scbmid,
Streifen bestehen aus gleichförmigem Quarz-Porphyr mit deut-
lich erkennbaren Einschlüssen von Quarz und Feldspath.
Beim Dtinnschleifen werden diese Quarz-Porphyre sehr bald
durchscheinend, behalten aber eine in das Violette ziehende
Farbe. Die makroskopisch scharf hervortretenden weissen
Streifen und Linien werden schon bei massiger Vergrösserung
undeutlich; sie lösen sich in gewundene, braune, graue und
weisse, trübe und auch klare, durch Schattirung in einander
übergehende Bänder auf. Die weissen und auch farblosen Bänder
verhalten sich nicht etwa wie Quarz, sondern stimmen vielmehr
mit den lichteren und klareren Stellen der Grundmasse des
ganzen Gesteins überein. Die Grundmasse löst sich erst bei
stärkerer Vergrösserung in ein Haufwerk von Krystall-Prismen
und Nadeln auf, die seltener zu parallelen Bündeln, als zu con-
centrischen Büscheln zusammen treten. Ihre Beleuchtung und
Färbung zwischen den Nicols ist deshalb zwar eine unbestimmte,
verworrene, aber ihre Doppelbrechung doch unzweifelhaft. Die
Grundmasse ist meist bräunlich getrübt, die Trübung löst sich
jedoch schon bei massiger Vergrösserung in braune bis opake
Tafeln imd Prismen auf. Die Tafeln schieben sich vielfach
zusammen und die Prismen strahlen von diesen Zusammen-
schiebungen aus. Bei stärkerer Vergrösserung zerfallen auch
die meisten Prismen in Beihen theils eckiger, theils abgerundeter
Täfelchen — s. Fig. 24, 25, 26. Taf. V — . Einige, aber wenige
Prismen erscheinen bei schwacher Vergrösserung trichitisch, d. h.
gekrümmt, sind aber durchaus keine Trichite, da sie bei stärkerer
Vergrösserung in kürzere Prismen und kleine Täfelchen imd
Krümchen zerfallen — s. Fig. 27. Taf.V — . Gleichmässige Wolken
und Trübungen, bei schwacher Vergrösserung weit ausgebreitet,
verschwinden auch bei den stärksten Vergrösserungen nicht
ganz, sondern trennen sich nur in einzelnen Flecken.
Die eingeschlossenen Quarze sind stets krystallinisch
umgrenzt, reich an Oavernen, von denen viele unbewegliche
Libellen einschliessen , und an rhombisch und rechtwinkelig
tafelförmigen Einschlüssen ; von der Grundmasse dringen schlauch-
förmige Einstülpungen in sie ein, welche mitunter von spiessigen
Krystall-Lamellen umgeben sind — s. Fig. 28. Taf. V — .
Die seltenen Einschlüsse von Feldspath-Krystallen lassen
Spaltbarkeit deutlich erkennen; sie sind meistens einfach, selten
Zwillinge nach dem Bavenoer Gesetz — s. Fig. 29. Taf. V — .
Quarz - Porphyre von vollkommener Fluidalstructur
Der Ehreoberg bei IlmenacL 107
fand ich, aber auch nicht anstehend, sondern nur in losen Brocken,
auf der Gipfelfläche des Ehrenberges. Sie sind von dunklerer
Farbe, als die übrigen Modificationen, gelb in's Braune, durch-
zogen Yon braunen Streifen und Körnerreihen, welche sich um
die Quarz- und Feldspath-Einschlüsse herumwinden und oft hart
an einander drängen. Klüfte durchziehen ihn, erfüllt entweder
von gelb-brauner oder von heller Substanz.
Schliffe müssen sehr dünn sein, um viel Licht durchscheinen
zu lassen. Dann zeigt sich die Grundmasse zusammengesetzt
aus unregelmässig zusammengeschobenen rhombisch-tafelförmigen
Krystallen, welchen deutliche Doppelbrechung eigen ist, und
einem zwischen ihnen sich durchwindenden gelben, einfach-
brechenden Glase.
Die Quarz- und Feldspath-Krystalleinschlüsse sind von der-
selben Beschaffenheit wie in den gebänderten und gestreiften
Quarz-Porphyren; nur sind im Quarze strahlige Wirtel von
feinsten fast linearen Prismen sichtbar; dieselben Wirtel zeigen
sich aber auch ausserhalb des Quarzes — s. Fig. 30. Taf. V — .
Opake Blättchen und Kömchen sind durch das ganze
Gestein vertheilt; sie ordnen sich aber nicht reihen-, sondern
haufenweise an.
Aus dem Vorstehenden ist es unzweifelhaft, dass die ge-
bänderten, gestreiften und geflossenen Quarz-Porphyre nicht als
erhärtete Tuffe anzusehen sind, sondern ebenfalls als Erstar-
rungs-Formen einer zäh -flüssigen Eruptivmasse noch während
ihrer Bewegung. Solche Schlacken-Formen verbinden sich
übrigens auch mit anderen Quarz -Porphyren des Thüringer
Waldes.
§. 38. Quarz-Porphyre, quarzitisehe.
Auf der Höhe des Ehrenberges liegen, namentlich in der
Nähe seiner Grenze gegen den Granit, grobe Brocken eines
feinkörnigen Gesteins von der Härte und Dichte des Quarzes
— H =» 7, D = 2,60 — von unebenem bis splitterigem Bruche
von licht-rother Farbe. Dasselbe ist homogen bis auf feine,
roth-braune, vielfach sich kreuzende Linien, welche sich lamellar
in das Innere des Gesteins fortsetzen und auf Bruchflächen
häufig blossliegen, längs deren sich auch mitunter Hohlräume
108 E. E. Sohmid,
mit fein krystellinischer Anekleidang öffneo. Man würde es von
anderem Fundorte nnbedeablich für körnigen Quarzit kalten.
Auf der Gipfelfläche dea EhrenbergB, mitten zwischen Quarz-
Porphyr, Granit und Labrador-Diorit, ist Qaarzit ein fremd-
artiges Vorkommen ; man mÜBste ihn denn auf eine eingeschlossene,
zur cambrischen Grauwacke gehörige Scholle beziehen und zu
dieser Beziehung fehlen zureichende Aufschlüsse an anstehendem
Gesteine. Auf gewöhnlichen Quarzit passt aber auch das che-
miscljB Vorhalten nicht. Vor dem Löthrohre ist das G^esteia
in dem Grade schmelzbar, dass sich scharfe Kanten nicht
weniger abrunden als bei Bronzit. Ea enthält nur 82 % Kiesel-
säure; der Rest ist vorzüglich Thonerde und Eisenoxyd mit
etwaa Kalkerde, wahrscheinlich auch Alkali. Das ist eine Zu-
sammensetzung, die sich nach den Untersuchungen des Dr.
Laufer unter den Quarz-Porphyren des Thüringer Waldes mehr-
fach wiederholt, z. B. bei dem hinter der Papiermühle von
Stützerbai^h anstehenden Grenzgestein ; andere an den Quarz-
Porphyr »ich anschliessende Gesteine, anch mit deutlicher Por-
phyi-strudtur, sind sogar noch kieselsäurereicher. Doch bieten
sich Bok'lie Verhältnisse vorzugsweise an den Grenzen von
Porphyr-Eruptionen dar.
Im Dünnschliff erweisst sich das Gestein unter dem Mikro-
skope als ein Aggregat bis 0,3 Mm. grosser, wohl hie und da
geradlinig, im Allgemeinen abgerundet und uneben begrenzter
Körner, welche sich zwischen den Nicola durchaus wie Quarz
verhalten, auch zahlreiche Cavemen von 0,02 bis 0,003 Mm.
Durchmesser einschliessen. Die grösseren dieser Cavemen stülpen
sich schhiuchförmig aus, die .kleineren runden sich einfach ab;
sie haben eine dunkle breite ümsäumung und schliessen keine
Libellen ein, sind demnach wohl nur mit Gas erfüllt. Gelb-
rothe, hrriune bis opake Krümchen, Klümpchen und Flecke
zusammengehäuft und zerstreut, sind besonders dicht an einander
gerückt längs der Grenzen der einzelnen Quarzkomer und in
den Kiclitungen , welche makroskopisch als braune Lametlen
erscheinen. Unbedenklich ist ihre Deutung als Eisenoxyd und
Eisenoxyilhydrat. Anderweite Einscblüaae sind zwar nicht häufig,
aber sehr mannigfaltig und durchaus krystallinisch. Dazu ge-
hören erstens grüne, dichro'itische Blättchen, und zweitens blät-
terige, stieifig getrübte Täfelchen, die sich zwischen den Nicols
zwar niclit lebhaft, aber nach den Blätterdurchgängen zweifach
färben— a. Fig. 31. Taf.V— .In ihnen sindGJimmerundFeld-
Der Ehrenberg bei Ilmenau. 109
Späth zu erkennen. Drittens sind es schmale, farblos-klare
Nadeln mit deutlich schiefer Endfläche oder schief-prismatischer
Endigungy mitunter gekrümmt, gewöhnlich mit Strahlenbündeln
vereinigt und an die vorhin beschriebenen braunen Parthien
angeschlossen — s. Fig. 32, 33, 34, 35. Taf. V — . Viertens
bemerkt man schiefe Doppelpyramiden mit einer abgestumpften
Ecke — s. Fig. 36. Taf. V. — , welche nur wenig durchscheinen,
fünftens kurze schiefe Prismen mit monokliner Endigung, welche
nur in der Mitte farblos, hell sind — s. Fig. 37. Taf. V. — ,
sechstens dünne, lange, wahrscheinlich sechsseitige Säulen, die
sich mitunter auf blosse Striche verschmälem — s. Fig. 38.
Taf. V — . Ueber die mineralogische Bedeutung dieser kleinen,
aber immerhin noch voUkommnen Krystalle wage ich noch kein
bestimmtes Urtheil auszusprechen; meine Yermuthimg geht auf
Hornblende und Apatit.
Dem Vorstehenden gemäss ist die Schmelzbarkeit dieses
G-esteins nur eine scheinbare; eine schmelzbare Modification
der Kieselsäure und zwar von der Härte und Dichte des Quarzes,
ist nicht bekannt, von der Schmelzung der ganzen Masse kann
demnach keine Bede sein, sondern nur von der Bildung einer
Kruste durch die Schmelzung der Einsprenglinge.
Zugleich gewinnen durch dieses Vorkommen Quarzite
und wohl auch Hornsteine eine neue bisher noch nicht auf-
gefallene Beziehung.
§. 39. Contact-Erschelnungen zwischen den ErnptiT-
geatelnen. Darehbmch des Granites dureli den Labrador^
Diorit
Die Durchbrüche des Granites durch den Labrador-Diorit
und die Einschlüsse von Labrador-Diorit im Granit sind sicher-
lich zahlreicher, als sie wegen der Mangelhaftigkeit der Auf-
schlüsse kartographisch dargestellt werden konnten ; namentlich
am Ostrande des Marienholzes sind die letzten nur qualitativ
angedeutet worden.
Die Grenze zwischen Labrador-Diorit und Granit verläuft,
wie bereits oben bemerkt wurde, durchaus nicht einfach, sondern
springt vielfach ein und aus. Der Granit treibt seine zu den
dünnsten Lamellen, bis unter 1 Mm. Stärke sich auskeilenden
110 E. £. Schmid,
Apophysen weit in den Labrador-Diorit hinein und umspinnt
damit kleinere und grössere — bis über 1 M. Durchmesser —
Schollen von ihm. Belegstücke zu dieser Angabe kann man sich
jetzt noch leicht verschaffen, wenn man unter den über den
südwestlichen Abhang zerstreuten Brocken herumsucht. Die
skizzirten Stücke — s. Fig. 39 u. 40. Taf. V. — sind ohne lange
Auswahl diesem Abhänge entnommen. Einen ausgezeichneten
Ausschluss hat bis vor etwa 15 Jahren der schon oben (s. §. 3)
bezeichnete Steinbruch an der Weimarisch-Sondershaüsischen
Grenze. Ihm sind die v. Fritsch ^) — leider ohne Maassstab —
gegebenen Darstellungen entnommen. Mir sind dieselben ent-
gangen; wohl aber fand ich die Grenze eines in das alte Stein-
bruchsfeld hineinreichenden Granitkeils noch an vielen Stellen
entblösst und an ihr Granit-Apophysen, Labrador-Diorit-Bin-
schlüsse und Umwandlungen dieser letzten besonders schön
entwickelt. Jetzt ist der Steinbruch fast vollständig eingeebnet
und der übergestreute lockere Schutt zur Cultur vorbereitet.
Die kleine Granitparthie beim Grenzhammer schiebt sich
bergaufwärts mit geringer Mächtigkeit über den Labrador-Diorit
hinweg. Dies behauptete schon Voigt*) auf Grund der bei
einem Kellerbau gemachten Erfahrungen und war darüber ver-
wundert, weil er eine einfache üeberlagerung des Granits vor
sich zu haben glaubte. Jetzt bietet eine etwa 4 Meter tiefe
Brunnengrube einen zweifellosen Aufschluss dar. Auf ihrem
Boden steht ziemlich frischer, dunkler Labrador-Diorit an, über
ihm liegt Granit, allerdings sehr mürbe und bis auf einige härtere
Sphäroide ganz zu Gruss zerfallen, und zu oberst Veirwitterungs-
boden des Granits. Aber eine blosse Üeberlagerung ist man hier
durchaus noch nicht anzunehmen genöthigt; vielmehr wird ^ine
Durchlagerung des Granits durch sein Anstehen an der süd-
westlichen Ecke des zum Grenzhammer gehörigen Wohnhauses
zur Seite des Labrador-Diorites angezeigt.
I) Zeitschrift der deutschen geol. Gesellschaft. ISAO. Bd. 12. Taf. V.
Fig. 1 und 2.
*) Voigt, Mineralogische und bergmännische Abhandlungen. S. 24.
Der Ehrenberg bei Ilmenau. . m
§. 40. Durchbrach des Granites durch den Labrador-Dlorli
Contact-YerSndemngen des Granites.
Längs der Apophysen scheiden sich Labrador-Diorit und
Granit makroskopisch scharf, hängen aber so fest mit einander
zusammen, dass ein Bruch eben so leicht quer gegen die Tren-
nungsfläche; als nach ihr erfolgt. Auch mikroskopisch ist die
Verbindung zwischen beiden Gesteinen so innig, dass nirgends
eiy Zwischenraum zu bemerken ist, oder eine Unterbrechung
der Gesteinsbildung. Und doch ist die Grenze an der Fein-
komigkeit des Labrador-Diorites und der Grobkömigkeit des
Granites und an der oiineralogischen Natur der Kömer leicht
zu erkennen. Der Labrador-Diorit behält fast immer bis an die
Grenze seine Eigenthümlichkeit unverändert bei, ohne jede auch
nur leise Veränderung. Der Granit dagegen lässt Veränderungen
sicher bis auf 25 Mm. von der Grenze erkennen ; sie sind jedoch
auch bei ihm nur schwach. Enthält der Granit keine Horn-
blende neben dem Glimmer, so beschränkt sich dieselbe darauf,
dass in nächster Nähe der Grenze neben dem durchaus unver-
änderten bräunlich - grünen Glimmer einige wenige bläulich-
grüne Blätter erscheinen, von fremdartigem Aussehen. Ist der
Granit homblendereich — und dann fehlt mitunter der Glimmer
gänzlich — so ist die Veränderung auffallend und bemerkens-
werth. Das Grün der im Granit eingeschlossenen Hornblende-
Krystalle wird licht, fleckweise gelblich, und jede Spur von
Dichroismus verschwindet — s. Fig. 41. Taf. V — . Dabei ist die
äussere Form der Hornblende mitunter noch erhalten, häufiger
jedoch tritt anstatt ihrer diejenige einer achtseitigen Säule ein,
entsprechend der typischen Combination von <x> P mit oo P oo
und OQ ^ oo des Augits — s. Fig. 42. Taf. V. — ; diese äussere
Augitform ist verbunden mit der dem Augit eigenen Spaltbarkeit
nach den genannten drei Gestalten, üebrigens zeigen von den
Körnern dieses lichtgrünen Minerals, die sich besonders an der
Grenze selbst zusammen drängen, sehr viele deutlich weder
äussere Form noch Spaltbarkeit. Dass dieses lichtgrüne Mineral
die Stelle der Hornblende einnehme, und dass es Augit sein
könne, dagegen ist nichts einzuwenden, dass es wirklich Augit
sei, deshalb höchst wahrscheinlich, weil — wie ja längst be-
112 E. E. Schmid,
kannt — Hornblende und Augit im Wesentlichen auf dieselbe
Zusammensetzung hinauskommen, und geschmolzene Hornblende
bei rascher Erkaltung als Augit erstarrt. Damit soll nun durch-
aus nicht gesagt sein, dass, was etwa jetzt Augit ist, ursprüng-
lich Hornblende gewesen sei, es kann auch zufolge der rascheren
Abkühlung innerhalb der Grenzkruste sogleich als Augit erstarrt
sein. Ich fasse also die Erscheinung nicht sowohl als eine
Metamorphose auf, sondern vielmehr als eine Oontactwirkung.
An einigen der Stellen im Bereiche des alten Steinbruchs
am Südabhange des Ehrenbergs, wo die Grenze zwischen La-
brador-Diorit und Granit durch Apophysen des letzteren verwickelt
ist, und der Labrador-Diorit der nachher zu besprechenden
Veränderung unterlegen ist, ist der Granit sehr bröcklich ge-
worden, von Ocker durchdrungen, mit ganz matten, wenn auch
kleinen Milchquarz - Erystallen überzogen. Mitunter
öffnet sich dann längs der Grenze eine Kluft, in welche keulen-
förmige Quarz-Krystalle hineinragen. Die Keulenform wird
dadurch erzeugt, dass eine dickere auf einer dünneren Säule
aufsitzt und zwischen beiden die Flächen der unteren Pjrramide
eingesetzt sind.
§. 41. Dnrchbrneh des Granites durch Labrador-Diorit.
CoBtaetrYer&ndemngeii des Labrador-Dlorlts.
Eine Veränderung des Labrador-Diorits giebt sich zwar
durchaus nicht ununterbrochen längs der Grenzen kund, aber
doch an vielen Stellen derselben und namentlich in den vom
Granit eingeschlossenen Brocken und Schollen. Sie besteht in
dem innerhalb der Breite höchstens eines Millimeters siqh voll-
ziehenden üebergange zu einem aphanitisch-dichten, grau-grünen
Gesteine, aus welchem sich zunächst eine grüne Grundmasse
mit röthlich- oder gelblich-braunen Flecken und dann ein grob-
kömig-krystallinisches Gemenge von grünem Epidot (Pistazit),
braunem Granat und trüb-weissem Periklin mit Kalk-
spath entwickelt. Zugleich mit der krystallinischen Entwicke-
lung, namentlich des Granates, verbindet sich die Oeffhung von
Hohlräumen, deren freie Oberflächen mit Krystall-Drusen be-
setzt sind.
Der Ehrenberg bei Ilmenau. 113
Das grau-grüne Gestein hat die Dichte 2,98 — 3,07, ist also
im Vergleich zu den Labrador-Dioriten entschieden yerdichtet.
In ChlorwasserstoflFsäure eingelegt brausen Bröckchen von ihm
schwach aber anhaltend, unter gelber Färbung der Säure durch
Aufnahme von Eisenoxyd. Dünnschliffe davon zeigen schon bei
geringer Vergrösserung eine sehr complicirte Zusammenfügung
aus einem gelbrothen, einem blassgrünen, einem weissen und
einem opaken Mineral — s. Fig. 43. Taf. V — . Das gelbrothe
Mineral zeigt mitunter ebenflächige, geradkantige Umgrenzung,
d. h. echte Krystallformen , die ungezwungen als Rhomben-
dodekaeder deutbar sind. Gewöhnlich jedoch ist die Begrenzung
abgerundet und geht in das Krystallitisch-globulitische zurück.
Das blassgrüne Mineral lässt ebenflächige, krystallinische Um-
grenzung gar nicht erkennen. Seine Form Hesse sich auf das
Krystallitisch-longulitische beziehen. Das weisse Mineral füllt
die Zwischenräume aus, es ist mehr oder weniger deutlich kry-
stallinisch-kömig. Bundliche nicht krystallinische, aber schwach
umgrenzte Klümpchen des opaken Minerals sind ungleichmässig
eingestreut. Das gelbrothe Mineral bricht das Licht einfach, das
blassgrüne und das weisse doppelt, das blassgrüne Mineral verhält
sich jedoch durchaus nicht dichroitisch. Das blassgrüne Mineral
waltet in der grünen Grundmasse, das gelbrothe in röthlich- und
gelblich-braunen Flecken der nächsten Entwickelungsstufe vor.
Der einfache Uebergang in das Grobkörnige lässt keinen Zweifel
darüber, dass das blassgrüne Mineral Pistazit, das röthlich-gelbe
Granat, das weisse ein Gemenge von Albit und Kalkspath sei;
die opaken Klümpchen Eisenoxyd, wohl auch Eisenoxydhydrat.
§.42. Contact-YerSndeningen des Labrador-Dlorits ; Granit.
Das Vorkommen des Granaten in dem grobkörnigen
Gemenge, welches sich aus dem eben beschriebenen Gestein
entwickelt, ist schon von Voigt*) nach dem damaligen Stand-
puncte der Mineralogie erschöpfend besprochen worden. Auf
Klüften und in Hohlräumen findet sich der Granat wohl nur
krystallisirt. An seinen Ki'ystallen waltet das Dodekaeder vor;
untergeordnet als schmale Abstumpfung der Kanten desselben
*) Voigt, Mineralogische und bergmännische Abhandl. Leipzig 1789.
S. 13 fgde.
Bd. z, N. F. III. 8
114
. E. £. Sclimld,
tritt das Ikositetraeder 2 0 2 hinzu ; nur selten beobachtet man
eine Abstumpfung der Combinationskanten von (X) O u, 2 O 2,
m
also ein Hexakisoktaeder aus der Beihe m O
Die
m — 1
Flächen von oo O sind stets glatt, wenn auch etwas uneben^
die Flächen von 2 0 2 mitunter gestreift parallel den Combi-
nationskanten mit oo O. Die meisten Bj*ystalle sind sehr klein ;
nur einige wenige erreichen die ansehnliche Grösse von 2 Cm.
Die meisten und besonders die grossen sind perimorphotisch
entwickelt um eingeschlossene Albite; auch kleinkrystallinisch-
ausgekleidete Hohlräume kommen innerhalb derselben vor. In
Folge dieses letzten Umstandes fällt die Dichtigkeitsbestimmung
recht verschieden aus, je nachdem man grosse oder kleine
Brocken, oder nur die ausserste, geschlossene Krystallkruste
nimmt. Die ersten geben niedrige Zahlen, bis 3,21 abwärts,
die anderen höhere bis 3,47 aufwärts, die letzten allein ergeben
das wahre Maass mit 3,50 bis 3,52. Die Härte ist nahe 7. Die
Färbung ist recht verschieden zwischen bräunlich-erbsengelb und
bräunlich-hyacinthroth. Nur scharfkantige Bruchstücke sind
durchscheinend. Der Glanz der Krystallflächen ist Glasglanz
in den Fettglanz geneigt; Bruchflächen schimmern oder sind
matt. Die Schmelzbarkeit liegt etwas über derjenigen des
Almandin. Der dunkelbraune Schmelzfluss wird, fein gepulvert,
durck Salzsäure vollständig zersetzt, während das Pulver des
nicht geschmolzenen Minerals dadurch nur stark angegriffen wird ;
die Salzsäurelösung enthält kein Eisenoxydul. Zur chemischen
Analyse wurden kleine, homogene — wenigstens an der Ober-
fläche so erscheinende — Brocken verwendet. Sie wurde von
Dr. Brockhoflf ausgeführt und ergab folgende Zusammensetzung :
Granat vom Ehrenberg.
Procente
Kieselsäure
Eisenoxyd
Manganoxyd
Thonerde
Kalkerde
Talkerde
Sauerstoff-
Gehalt Verhältniss
Summe
99,2
Der Ebrenberg bei Dmenau.
115
Danach liegt ein Eisen-Thon-Kalk-Granat vor. Aber der
Ueberschuss der Kieselsäure über das Singulo-Silicat-Verhält-
nisa deutet auf eine Beimengung von Feldspath, worin freilich
das Zurückbleiben der Sesquiopyde gegen die Monoxyde unter
das Yerhältniss B^O^ i^B^O nicht zugleich seine Deutung findet.
§. 43. Contact-YerSndenuigen des Labrador-Dlorlts. Plstazlt
Der Pistazit wurde von Voigt') als grüner Granat auf-
geführt, aber schon von Heim *) richtig als Akantikon bestimmt.
Er findet sich zwar viel reichlicher als der Oranat, aber zu-
gleich viel unvoUkommner ausgebildet. Er bildet stängliche bis
strahlige E[rystall-Aggregate ohne deutliche Individualisiruug.
Man kann eben noch zwei Spaltungs-Bichtungen von ungleichem
Werthe erkennen, die sich unter einem Winkel von 115 Vs*^
schneiden. Seine Härte ist 6,5, seine Dichte 3,45. Er ist meist
pistazien-grün , mitunter ins Schwärzlich-grüne, mitunter ins
Zeisig-grüne. Die dunkeln Varietäten scheinen nur an den
Kanten durch, die hellen noch in dünnen Blättchen. Er schmilzt
etwas schwerer als Almandin zu einer schwarzen etwas blasigen
Schlacke. Durch ChlorwasserstoflFsäure wird das feine Pulver
angegriffen ; in der Auflösung ist Eisenoxydul nicht nachweisbar.
Das Auslesen reiner Stücke zur chemischen Analyse hatte keine
Schwierigkeit. Dieselbe wurde von Dr. Brockhoff ausgeführt
und ergab folgende Resultate:
Epidot vom Ehrenberg.
Procente
SauentoiT-
Gehalt Verhültniss
Kieselsäure
37,8
20,2
13,3 od. 2,94
Eisenoxyd
Manganoxyd
Thonerde
15,3
0,2
19,5 !
4,6 1
0,0 } 13,7
9,1 1
9
2
Kalkerde
Talkerde
24,2
0,8
6,9 )
0,3 } 7,27
4,7
1,06
Eisenoxydul
Wasser
0,3
2,3
0,07 1
2,0
1,3
Summe
100,4
i
>) Voigt, Bergniänniscbe nnd mineralogiscbe Abbaiidl. 1789. S. 13 fgde.
*) Heim, Geol. Beacbr. des Tbür. Waldgeb. 1803. Tb. 2. Abtb. 8 u. 4. 8.197.
116 E. E. Schmid,
Da auf einen etwaigen Eisenoxydul-Gehalt viel ankommt,
so habe ich denselben durch eine Aufschliessung in überhitzter
Schwefelsäure — bei etwa 160<^ . — mittels Titrirens bestimmt;
er ist so gering, dass er eine Berücksichtigung kaum verdient.
Die Zusammensetzung dieses Pistazites stimmt am nächsten
überein mit derjenigen der Dauphineer. Sie entspricht genauer
der älteren Rammelsbergischen *) Formel, als der neuem Tscher-
mack'schen ^) ; die erste verlangt nämlich als Verhältniss zwischen
dem Sauerstoff der Monoxyde, Sesquioxyde imd der Kieselsäure
1:2:3, die andere 4:9:12; — wenn auf das Wasser keine
Rücksicht genommen wird. Man hat nun allerdings nicht mehr
daran zu zweifeln 3), dass die Tschermack'sche Formel dem
Pistazit von Sulzbach in Tyrol zugehört, und noch weniger, dass
das Sulzbacher Vorkommen ein ganz typisches ist. Für den
vorliegenden Fall dürfte das Zusammenvorkommen mit Granat
und in Folge davon die Beimengung von etwas Granatmasse
die nähere Annäherung an die Zusammensetzung des Granaten
erklären.
§. 44. Contact-TerSnderimgeii des Labrador-Dlorltes.
Perlklln.
Das Vorkommen des Periklins ist bereits von v. Fritsch *)
vermuthet worden, indem er Albit mit beigesetztem Fragezeichen
unter den secundären Mineral- Vorkommnissen an der Grenze
zwischen Labrador-Diorit und Granit aufführt, ohne jedoch eine
weitere Begründung hinzuzufügen.
Der Periklin erscheint nur krystallinisch, aber die Klrystalle
sind nicht eben schön entwickelt. Dieselben sind breit leisten-
förmig, nach drei Richtungen spaltbar. Die erste Spaltungs-
Richtung ist der breiten Leistenfläche parallel, die. zweite
nahe rechtwinklig gegen die Länge der Leiste, die dritte wohl
nahe rechtwinklig gegen die breite Leistenfläche aber schräg
gegen ihre Längs-Axe. Nach der ersten Richtung ist die Spal-
>) Zeitschrift der deutschen geol. Gesellschaft 1872. Bd. 24. S. 69.
*) Berichte der kaiserl. Acad. der Wissensch. zu Wien. Bd. 50. S. 585.
') Zeitschrift der deutschen geol. Gesellschaft. 1872. Bd. 24. S. 650.
*) Zeitschrift der deutschen geol. Gesellschaft. 1860. Bd. 122. S. 100.
Der Ehrenberg bei Ilmenau.
117
tung sehr vollkommen und wird durch viele Haarspalten ange-
zeigt; die Spaltungsflächen sind glatt und glänzend, zeigen auch
keine Spur von Streifung, welche auf Zwillings-Bildungen hin-
deutete. Nach der zweiten Richtung ist die Spaltbarkeit viel
weniger vollkommen und nicht durch Haarspalten angedeutet.
Nach der dritten Richtung ist die Spaltung noch unvoUkommner.
Obgleich ich genaue Messungen nicht habe vornehmen können,
so nehme ich doch keinen Anstand, diese Spaltungs-Richtungen
auf das oP, oo P oo und oo P' des Periklins (bei Naumann) zu
beziehen. Zur Bestimmung der Dichte dienten Bröckchen von
höchstens 1 Mm. Durchmesser, an denen weder ein Einschluss,
noch ein Anflug von etwas Fremdartigem zu bemerken war;
dieselbe ergab sich zu 2,86. Die Härte ist die des Adulars,
mitunter etwas geringer. Die Farbe ist weiss, mitunter in
das Blass-fleischrothe. Nur ganz dünne Kanten lassen etwas
Licht durchscheinen. Vollkommene Spaltungsflächen haben
schwachen Perlmutterglanz, die übrigen sind fast matt. Die
Schmelzbarkeit kommt derjenigen des Adulars nahe, steht jedoch
ein wenig unter ihr. Die Schmelze ist sehr schaumig, weiss,
das Q-lühlicht gelb. Eine quantitative von mir ausgeführte
Analyse fährte zu folgenden Zahlen:
Periklin vom Ehrenberg.
Procente
Sauerstofl-
Gohalt
Verbältnisfl
Kieselsäure
68,01
36,27
11,79
Thonerde
19,75
9,22
3
Eisenoxyd mit
0,78
etw.Manganoxyd
Kalkerde
(»,08
0,02 )
Talkerde
0,12
0,05 [ 3,04
0,98
Natron
11,50
2,97 )
ölühverlust
0,40
Summe
100,64
Das Sauerstoff- Verhältniss kann ohne wesentliche Vernach-
lässigung auf dasjenige eines trisilicatischen Natron-Feldspathes
gebracht werden. Ihm entspricht auch die Spaltbarkeit. Will
man Periklin neben Albit als Name einer eigenthümlicheu Ent-
^f^
118 E. E. Schmid,
Wickelung stehen lassen, so ist das Vorkommen dem ersten und
nicht dem letzten zuzurechnen wegen der weissen Farbe und
der sehr geringen Durchscheinenheit. Bemerkenswerth ist jedoch
die absolute Abwesenheit des Kalis, wovon die übrigen Peri-
kline in ganzen Procenten ausdrückbare Mengen zu enthalten
pflegen.
§. 45. Contact-Yeränderangen des Labrador-Blorites.
Ealkspath.
Der Kalkspath ragt zwar nicht mit selbständigen Kjy-
stallen in den freien Baum der Klüfte und Hohlräume hinein,
sondern füllt die Zwischenräume zwischen den übrigen Krystallen
aus, ist aber so yoUkommen spaltbar, dass Bhomboeder bis über
\'g Cm. Seite als Spaltungs - Stücke leicht gewonnen werden
können. Er ist ziemlich klar und ganz rein.
§• 46. Contaet-YerSnderungen des Labrador-Biorltes.
Sehlass.
Im Allgemeinen schliesst sich der Pistazit am engsten an
den Labrador-Diorit an und der Periklin nimmt die äussersten
Lagen ein; der Kalkspath füllt nur Hohlräume aus. Danach
ist im Allgemeinen die Altersfolge der Entstehung: Pistazit,
Granat, Periklin, Kalkspath. Jedoch ist in einzelnen Fällen die
zeitliche Ordnung der Bildung von Granat und Periklin auch
die umgekehrte; indem sich nicht nur Abdrücke von Granat-
Krystallen im Periklin finden, sondern auch Umhüllungen von
Periklin durch Granat.
Braucht man wohl nicht viele Worte darüber zu verlieren,
dass das beschriebene Gemenge von Pistazit, Granat, Periklin
— den Kalkspath vorläufig unbeachtet gelassen — eine Ent-
wickelung aus dem Labrador-Diorit, oder noch bestimmter eine
Umwandlung desselben sei, so kann dieselbe doch nicht auf eine
blosse Umsetzung der Silicate ohne Aufnahme und Abgabe von
Stofifen hinaus gedeutet werden. Man könnte eine solche Deu-
tung kurzweg damit zurückweisen, dass man daran erinnerte,
Der Ehrenberg bei Ilmenau.
119
die Hornblende sei ein Bisilicat, der Labrador-Feldspath ein
Sesquisilicat; der Periklin hingegen allerdings ein Trisilicat,
aber der Granat ein Singulosilicat und der Pistizit ein noch
tiefer stehendes Silicat^ und dass aus einem Gemenge von viel
Bisilicat mit wenig Sesquisilicat, nicht ein Gemenge von viel
Singulosilicat mit wenig Trisilicat hervorgehen könne, ohne
Entfernung eines Theils der Kieselsäure, wenn nicht der Thon-
erde in der Hornblende eine wesentlich andere Stellung zukäme,
als in den übrigen der genannten Silicate. Nimmt man deshalb
aus den beiden Analysen (s. §. 20) der dunkeln, Amphibolit-
ähnlichen Labrador-Diorite, welche denjenigen, deren Umwand-
lungen vorliegen, jedenfalls sehr nahe stehen, das arithmetische
Mittel und berechnet daraus den Sauerstoff-Gehalt und das
Sauerstoff -Yerhältniss, so findet man:
Procente
Sauerstoff-
Gehalt
Verhaltuiss
Kieselsäure
Eisenoxyd
Thonerde
Kalkerde
Talkerde
Natron
49,81
26,66
16,53
4,66
14,91
6,91
9,09
2,60
6,49
2,60
2,79
0,72
1
0,17
0,26
0,10
0,10
0,03
0,66
Der dunkle Labrador-Diorit stellt also im
Ganzen, wenn man die Thonerde als Basis in Kechnung zieht,
ein Sesquisilicat dar.
Nun kann allerdings ein Sesquisilicat geradezu sich spalten
in Singulosilicat und Trisilicat. Dass aber eine solche Spal-
tung im vorliegenden Falle nicht stattgefunden hat, ist nicht
zweifelhaft, da den Spaltungsproducten die im dunkeln Labrador-
Diorit reichlich vorhandene Talkerde fast ganz fehlt. Mit der
Entfernung der Talkerde, als eines ansehnlichen Theils der
Basen des dunkeln Labrador-Diorites, steht aber die Entfernung
eines Theiles der Kieselsäure in nothwendiger Verbindung. Sie
wird ja auch durch die eben erwähnten Quarz-Krystallisationen
an der Grenze zwischen Labrador-Diorit und Granit angezeigt.
Während die Talkerde in den Grenzgebilden fehlt, ist die Kalk-
erde um so reichlicher vorhanden, nicht nur als Bestandtheil der
Silicate, sondern auch als Carbonat. Dieses Vorwiegen der
A\
120 E. B. Schmid,
Kalkerde in den Contact-Bildungen, namentlich vor der Thon-
erde, findet seine einfachste Erklärung in einer Zufuhr derselben
durch das bei den Contact-Bildungen offenbar thätig gewesene
Wasser.
§. 47. Durchbrach des Quarz-Porphyrs durch Labrador-
Dlorlt und Granit
Obgleich die Grenzen des Quarz-Porphyrs, so wie sie auf
der Karte aufgezeichnet sind, nur innerhalb eines Spielraums
von wenigen Schritten unsicher sind, so fand ich sie doch an
keiner Stelle so entblösst, dass ich von Gtenz-Bildungen oder
Oontact-Erscheinungen reden könnte. Wenn der grobkörnige
Voigtit-Granit knapp zur Seite des Quarz-Porphyrs auf dem
Gipfel des Ehrenbergs am grobkörnigsten ist, so hat das noch
keine nothwendige Beziehung zu der Eruption des Porphyrs,
sondern kann auch eine Gesteins-Entwickelung sein, welche in
dem viele Labrador-Diorit-Stücke einschliessenden und sich
apophytisch in den Labrador-Diorit vertheilenden Granit-Keile
schon vollzogen war, ehe der Quarz-Porphyr sich dazwischen
eindrängte.
In überraschender Weise steht der Granit auf der Gipfel-
fläche des Ehrenbergs in einer offenbar künstlichen Vertiefung
an, welche zwar der westlichen Grenze des Quarz-Porphyrs und
Granites sehr nahe, aber dennoch vom letzten noch durch einen
schmalen Streif des ersten getrennt ist, — wenigstens nach
meinen Untersuchungen der auf der Boden-Oberfläche zersreuten
Brocken. Ich muss diesen Granit für einen Einschluss im
Porphyr halten. Ueber diesen Granit lässt sich nichts weiter
sagen, als dass er sehr mürbe, ja fast zu Gruss zerfallen ist.
Schon zu Voigt's^) Zeiten bestand diese Vertiefung; von ihm
wurde sie unbedenklich für einen alten Schacht genommen. Zu
welchem Zwecke derselbe abgeteuft worden sei, war ihm uner-
findlich ; er meinte, darin eine der vielen zwecklosen Bergbauten
zu erkennen, die früher namentlich von Eigenlöhnern so häufig
am Thüringer Walde unternommen sind.
^) Voigt, Mineralogische und bergmännische Abhandlangen. Leipzig 1789.
S. 28.
Der Ehrenberg bei Ilmenau. 121
§. 48. Schlnss.
Wie am Ehrenberge, so ist auch über den ganzen
Rücken des Thüringer Waldes die azoische Grau-
wacke das älteste, der Quarz-Porphyr das jüngste
Gestein. Der Bildungszeitraum des ersten und letzten fallen
also zusammen. Nur die untere Ponnation der Dyas, das Roth-
liegende , deren Absatz mit der Eruption des Quarz-Porphyrs
gleichzeitig erfolgte, geht in den Bau des Thüringer Waldes
ein; die obere Formation hingegen, der Zechstein lagert sich
nur an den Fuss an, indem er entweder durch Hebung nach
aufwärts gebogen, oder durch eine Verwerfungs-Kluft getrennt
ist. Das letzte Anlagerungs - Verhä^tniss gilt für den nörd-
lichen und nordwestlichen Fuss des Ehrenbergs. Hier ist durch
die Verwerfung nicht blos oberer Zechstein, sondern auch mitt-
lerer Buntsandstein in gleiches Niveau gebracht mit azoischer
Grauwacke und Quarz-Porphyr.
Gewöhnlich folgen die Flussauen am Fusse des Thüringer
Waldgebirges auf längere Strecken diesen mit Verwerfungen
in Verbindung stehenden Grenzen, indem sie ihr Bett nach
der Seite der minder widerstandfähigen jüngeren Sediment-
Gesteine ausbreiten. Die Dm macht davon am Ehrenberge eine
Ausnahme. Sie fliesst zwischen dem Thüringer Waldgebirge
und dem abgetrennten Vorsprung des Ehrenbergs hindurch.
Diesem Durchfluss muss eine schon frühe vorhandene Kluft be-
sonders günstig gewesen sein. Wie tief diese hinabreichte, wie
weit sie klaffte, darüber liegt kein Aufschluss vor. Um auf-
wärts setzt sie sich zwar nicht fort, kann aber wohl mit dem
jähen Aufsteigen des Rothliegenden zur linken Seite der um in
Zusammenhang ge\2racht werden.
ErklKrnnr der AbbUdnnren auf Taf. IV. n. V.
Schwarz entspricht dem Upakea; bo erscheinen also fast alle EiseDsrze.
Die Farben alod nicht gaoz naturgetreu, sonilern geben blos eine Aniüberung
an die Natur, welche die Uiiturscheidang der Arten erleichtern soll. Die
grüne Farbe gehört der Hornblende und dem ^stazit, die braune den blät-
terigen und faserigen Mineralien, welche sich an die Hornblende anschliesfen
die rottk-gelbe dem Titanit und Granat.
Fi(;. I, Taf. IV. l>abrador- Diorit; Gang bu der Spinnerei, Vergr. 9 mal.
Entwickelang der Hornblende vom KrystalloidischeD bii
zum Tollkoiamen Krystallisirten.
Fig, 2. Taf. IV. UunklerLBlA^dor-Diorit(Amphibolitscliiefer); südwestlicher
Abbang des Blirenbergs, Vergr. 9Q mal. Hornblende in
krystallotdiBchen Schuppen und in krystalliniachen Lasten;
die letzten mitunter gebogen; kleine Krümchen von titan-
haltjgem Eisenglanze eingestreut; tiabrador-Feldspath ata
Ausfüllung, durch die Zeichnung nur angedeutet.
Fig. 3. Taf. IV. Krystalloidiscbe Schuppe von Hornblende. Vergr. 600 mal
Labrador-Diorit der Schwarzfabrik.
Fig. i. Taf. IV. Dieselbe. Vergr. 250 mal; ebendaher.
F^g. 5. Taf. IV. IKeselbe. Vergr. SfiO mal, ebendaher.
Fig. 6. Taf. IV. Labrador-Üiorit; Gang bei der Spinaerei. Vei^. 82 mal.
Hornblende. Hornblende in blätterigen KrjBtallen, in Büscheln,
Btrahligen und verfilzten Aggregaten. Labrador-Feldspath,
stark getrübt Titanhaltigcr Eisengliinz. Faseriges Sili(;Bt.
Fig. 7. Taf. IV. Hornblende. Aggregat krystalloidi scher Svhiippeu. Vergr.
fo mal. Labrador'Diorit der Spionerei.
Fif;. «. Taf. IV. Cavernen in der Hornblende, parallel und quer zn den
Blatterdurcbgüngen. Verg. SOO mal. Labrador-Diorit ober-
halb der Schneidern üble.
Fig. 9. Taf. IV. Dunkler Labrador-Diorit (Aniphibolitl. Südwestlicher Ab-
hang des Ehrenbergs. Vergr. !•« mal. Titanhalliger Eisen-
glanz. Blätteriges Silicat. Hornblende krystalüsirt. 1>abradot-
' Fcldspah als Anarüilung der Zwischenräume durch Zeich-
nung nicht weiter ansgeführt.
Fig. 10. Taf. IV. Ijabrador-Diorit oberhiilb der Spinnerei Vergr. IBO mal.
Titanhaitiger Bisenglanz. Glasiges Mineral. Hornblende
und Labrador-Feldspath durch Zeichnung nicht weiter auo-
geführt.
Fig. 1 1. Taf. IV. Grobkörniger Labrador-Diorit bä der Herrenmithte. Vergr.
14 mal. Labrador-Felds patb deutlich krystallisirt; Vielling.
Hornblende deutlich krystalliairl und blätterig.
Der Ehrenberg bei Ilmenaa. 123
Fig. 12. Taf. IV. Cavemen mit feststehenden Libellen im Labrador-Feldspath.
Vergr. 350 mal. Labrador-Diorit der Schwärzfabrik.
Fig. 13. Taf. IV. Hyacinthrothe Flecke von Eisenozyd, Einschlüsse im Labra-
dor-Feldspath. Vergr. 350 mal. Labrador-Diorit bei?;der
Schwärzfabrik.
Fig. 14. Taf. V. Labrador-Diorit bei der Spinnerei Vergr. 29 mal. Titanit
in negativen Krystall-Formen. Hornblende in Fächer- und
Stem-förmigpn Krystall- Aggregaten. Labrador-Feldspath.
Titanhaitiger Eisenglanz.
Fig. 16. Taf. IV. Titenit, negativer Krystell. Vergr. 92 mal. Labarador-
Diorit bei der SpinnereL
Fig. 16. Taf. V. Labrador-Diorit bei der Spinnerei. Vergr. 350 mal. Horn-
blende, blätterig; dunkle Einschlüsse längs der Blätter-
Durchgänge. Quarz mit vielen Cavemen und Hornblende-
Einschlüssen. Fetzen von Rotheisenerz.
Flg. 17. Taf. IV. Cavemen mit feststehenden Libellen im Quarz des Labrador-
Diorites bei der Spinnerei. Vergr. 220 mal.
Fig. 18. Taf. IV. Hornblende; leistenförmige Krystalle. Vergr. 250 mal. Granit
der Saigerhütte.
Fig. 19. Taf. IV. Hornblende; krystalloidische Schollen und Schuppen. Vergr.
950 mal. Granit der Saigerhütte.
Flg. 20. Taf. IV. Hexagonale Säule. Apatit? Vergr. 150 mal. Granit der
Saigerhütte.
Fig. 91. Taf. IV. Hexagonale Säule. Apatit? Vergr. 950 mal. Granit der
Saigerhütte.
Fig. 29. Taf. IV. Hexagonale Säule. Apatit? Vergr. 150 mal. Granit der
Saigerhütte.
Fig. 23. Taf. V. Schriftgranit mit Voigtit. Vergr. 11»/« mal. Westlicher
Abhang des Ehrenbergs. Feldspathe, sehr deutlich blät-
terig, meist trüber Quarz in demselben, nicht ausgeführt.
Voigtit*
Fig. 94. Taf. V. Eisenerz. Vergr. 250 mal. Gestreifter Quarz-Porphjr vom
Fusse des Tragbergs.
Fig. 25. Taf. V. Dasselbe. Ebenso. Von ebendaher.
Fig. 96. Taf. V. Dasselbe. Ebenso. Von ebendaher.
Fig. 97. Taf. V. Dasselbe. Ebenso. Von ebendaher.
Fig. 28. Taf. V. Schlauchförmige Einstülpung von Grundmasse in einem
Quarz-Krystall mit ansitzenden Krystnllnadeln. Vergr. 250
mal. Gestreifter Quarz-Porphyr am Fusse des Tragbergs.
Fig. 29. Taf V. Orthoklas. Zwilling nach dem Ba?enoer Gesetze. Vergr.
60 mal. Gestreifter Quarz-Porphyr am Fusse des Tragbergs.
Fig. SO. Taf. V. Wirtel von Krystall-N adeln. Vergr. 350 mal. Geflossener
Quarz-Porphyr. Kuppe des Ehrenbergs.
Fig. 31. Taf. V. KrysUllinische (Feldspath-?) Scholle Vergr. 350 mal.
Quarzitbcher Quarz- Porphyr. Kuppe des Ehrenbergs.
Fig. 89. Taf. V. Krystall -Nadeln, strahlig aggregirt. Vergr. 350 mal.
Quarzitischer Quarz-Porphyr. Kuppe des Ehrenbergs.
Fig. 33. Taf. V. Krystall-Nadeln , einzeln mit klino-rhombischer Endigung.
Vergr. 500 mal. Ebendaher.
124 E. E. Schmid, Der Ehrenberg bei Ilmenau.
Fig. 34. Taf. V. Krystall-Nadeln gebogen. Vergr. 500 mal. Ebendaher.
Fig. 35. Taf. V. Krystall-Nadeln gebogen. Vergr. 350 mal. Ebendaher.
Fig. 36. Taf. V. Krystall, wenig durchscheinend. Vergr. 350 mal. Ebendaher.
Fig. 37. Taf. V. Klinorhomb. Krystalle. Vergr. 350 mal. Ebendaher.
Fig. 38. Taf. V. Uexagonale Säulen. Vergr. 360 mal. Ebendaher.
Fig. 39. Taf. V. Labrador -Dtorit-Einschluss in Granit Verkleinerung Vjo*
Südlicher Abhang des Ehrenbergs.
Fig. 40. Taf V. Granit - Apophyse im Labrador -Diorit. Verkleinerung y^^
Südlicher Abhang des Ehrenbergs.
Fig. 41. Taf. V. Grenze zwischen dunkelm Labrador-Diorit (Amphibolit) und
Granit. Vergr. 14 mal. Südlicher Abhang des Ehrenbergs.
Fig. 42. Taf. V. Augit? aus dem Granit nahe der Grenze gegen den Labrador-
Diorit. Vergr. 75 mal. Südlicher Abhang des Bhrenbergs.
Fig. 43. Taf. V. Graugrünes aphanitisches Gestein an der Grenze zwischen
Labrador-Diorit und Granit. Vergr. 120 mal. Südlicher
Abhang des Ehrenbergs. Krystalloi'dc und Krystallite von
Granat und Fistazit.
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Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten.
Eine akademische Preisschrift
von
Dr. Paul IHayer in JFena.
Hiem Tafel VI n. VI a, b, e.
yyLorsqne le rapprochement gön^rique des insectes, fondä snr
rötnde des caractöres extörienrs, se tronve confinn6 par le genre
de viC; les mötamorphoses et l'anatomie, on peut dire que la
Classification est vöritablement naturelle/' Dieser Ausspruch ^) des
eifrigsten aller Entomotomen bedarf nur eines kleinen Zusatzes,
um auch heute, also nach über dreissig Jahren, noch gültig zu
sein, ja eigentlich jetzt wieder zu Ehren zu kommen. Wenn näm-
lich Dufour die Embryologie ganz mit Stillschweigen übergeht,
so lag es einfach daran, dass zu der damaligen Zeit eben erst
durch Eölliker der Versuch gemacht wurde, dieses bis dahin für
die Insekten so gut wie unbearbeitete Feld in Angriff zu nehmen.
Die Resultate seiner Arbeit waren daher, so bedeutend sie auch
an und für sich sein mochten, nicht dazu angethan, auf die funda-
mentale Wichtigkeit, welche ihnen noch zu Theil werden sollte,
auch nur hinzuweisen. Heute zu Tage verfällt man nun wohl in
den entgegengesetzten Fehler: man classificirt, ohne sich um die
reife Form gross zu kümmern, einzig und allein nach dem Modus
der Entwicklung im Eie. So spricht sich z. B. Salensky ') dahin
ans : „Wenn das phylogenetische Grundgesetz richtig ist, so muss
die Verwandtschaft der Thiere erst aus der Ontogenie aufgefunden
') Annal. Scienc. natnr. Zool. 1843. I. 290.
*) Bemerkungen über Haeckers Gastraeatheorie. Troschers Archiv 1874.
XI. 1 pag. 137 ff.
126 Paul Mayer,
werden, sonst ist der Begriff der Verwandtschaft .... eine vor-
gefasste Meinung'^ (p. 173), parallelisirt darauf hin die Entwick-
lung der Ascidie mit der des Hydrophilus ,, . r, . bei den Insekten
entsteht ebenfalls dieselbe Blase^ die sich nur dadurch von der
ersten unterscheidet; dass sie mit Dotter erftUIt ist'' (p. 164) und
formt darnach die Verwandtschaftsbezeichnungen zwischen diver-
genten Thierklassen. Hierbei überträgt er noch ohne Weiteres
die am Hydrophilus beobachteten Erscheinungen auf alle Insekten,
obwohl er die Störung der Entwicklung durch den Nahrungsdotter
in thesl anerkennt und daher eine ^^Blase^^ mit demselben nicht
mit einer ohne solchen Inhalt hätte vergleichen dürfen. Dem
gegenüber ist es vielleicht nicht überflüssig, wenn ich auseinander*
setze, in welcher Weise meiner Ansicht zufolge bei phylogene-
tischen Untersuchungen die einzelnen Urkunden, welche uns zu
Gebote stehen, zu verwerthen sein werden. In erster Linie wichtig
ist theoretisch ohne Zweifel die Palaeontologie, mit deren
Besultaten wir uns so wenig wie möglich und überhaupt nur dann
in Widerspruch setzen dürfen, wenn gute Gründe fUr den Glauben
vorliegen, die Differenz werde bei genauerer Kenntniss der Ver-
steinerungen von selbst schwinden. In der Praxis freilich gestaltet
sich eben wegen der UnvoUkommenheit des uns überlieferten
Materials, sowie die ältesten Schichten in Frage kommen, die
Sache dahin, dass wir die Palaeontologie einstweilen nur zur
Bestätigung der auf anderem Wege ermittelten Sätze verwenden
können. Zur Abstrahirung dieser Sätze dient aber vor allem die
Systematik s. Str., welche die reichste und bei richtiger An-
wendung auch die zuverlässigste der zu unserer VerfHgung stehenden
Notizeusammlungen ist. Bisher ist sie zwar vielfach nur als
Schlüssel zum Bestimmen der einzelnen Thiere, also zu einem
eminent praktischen Zwecke verwendet worden, hat aber, da sie
hierzu vorwiegend scheinbar unbedeutende Merkmale in den Vor-
dergrund schob, eine Menge werthvoUer Angaben geliefert Hätten
die Systematiker von Fach ausschliesslich dieses Verfahren ge-
wählt, d. h. blos solche Theile des Insektenkörpers berücksichtigt,
welche als für den Organismus unerheblich der Anpassung wenig
oder gar nicht erlagen und sich oonstant forterbten, so würden
wir die Aufstellung des Stammbaumes bei weitem leichter finden,
als jetzt, wo sie ohne bestimmtes Princip bald mehr die Ver-
erbungs-, bald mehr die Anpassungsmomente zu Hülfe nehmen.
Diese letzteren zeigen uns eben nur an, bis zu welchem Grade die
Differenzirung des Insektenkörpers von einer Grundform aus nach
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekteii. 127
allen irgendwie zulässigen Bichtnngen gediehen ist, und geben;
am einen bekannten Vergleich anzuwenden, ein Bild der feinsten
Veizweigungen des Baumes zugleich mit der absoluten Höhe der«
selben ttber dem Erdboden ; den Ort der Vereinigung eben dieser
Zweige zu einem Aste und dem Insertionspunkt der letzteren am
Stamme, die relative Höhe also, bestimmen wiederum nur die
Gonstanzmerkmale. Sind nun, weil die exclusive Systematik sich
hinüber keine Rechenschaft abgelegt hat, bei manchen Klassen
die einen, bei manchen die andern vorzugsweise benutzt worden,
so liegt auf der Hand, dass auch diese Discipiin, welche doch
von jeher am eifrigsten gepflegt worden, in ihrem Materiale grosse
Lttcken aufzuweisen hat. 6ik aber eine solche ungleiche Behand-
lungsweise der einzelnen Gruppen und die hiermit verbundene
Dürftigkeit der vorliegenden Notizen bereits von der Systematik,
so ist das in noch weit höherem Maasse mit der Anatomie
der Fall, deren Ergebnisse natürlich nur selten bei der Aufstel-
lung des Systems verwendet worden sind. Noch mehr : die Quelle
unserer entomotomi^chen Kenntnisse rinnt nicht nur äusserst
spärlich, sie rinnt auch trübe und ist nur, wenn sie vorher das
Filter der Kritik passirt hat, ftlr unsere Zwecke dienlich. Wir
brauchen blos zu bedenken, dass wirklich umfassende Arbeiten
bisher eigentlich fast nur von L^n Dufour gemacht worden sind,
dessen Hauptthätigkeit in das dritte, vierte und fünfte Decennium
unseres Jahrhunderts fiel und dessen Methode, unter Wasser zu
seoiren, bei feineren Objecten ohne Weiteres zu Irrthümem führen
musste, die, wie ich später zeigen werde, oft genug noch jetzt
nicht ausgerottet sind. So bemerkt ganz richtig Schiödte ^) bei
Gelegenheit seiner Untersuchungen ttber die Stigmen der Rhyn-
chota: „It is of still les use to consult the general manuals in
eomparative anatomy, as all they contain in this respect concerning
the structure of Insecta and Articulata in general is a confused
mixture of a little that is true and a great mass of error.^' So
weit wenigstens meine Kenntnisse reichen, muss ich diesen Aus-
Spruch als begründet anerkennen.
Die Entwickelungsgeschichte ist selbstverständlich
noch ungenügender bearbeitet und fordert die Kritik bei weitem
mehr heraus, als dies schon die Anatomie thut. Indessen auch
ihr principieller Werth bei phylogenetischen Untersuchungen
ist ein durchaus anderer. Denken wir uns zwei Thierformen,
'} ÄDnals and magazine of natural hiBtory. 4. Ser. VI. 1870. p. 2B8.
128 Paul Mayer,
welche sich bis auf anbedeutende Einzelheiten nahe kommen und
im System unbedenklich als zwei Arten derselben Gattung auf-
gefUhrt werden; so kann gleichwohl die Ontogenese derselben
äusserst verschieden sein. Wollte man nun, wie dies Salenskj
vorhat; auf Grund der entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge die
Verwandtschaft beider Formen als Schein betrachten und diese
von zwei verschiedenen Ausgangspunkten ableiten, so wttrde man
zu einer hOchst unwahrscheinlichen Annahme gedrängt werden,
dass nämlich die Anpassung in beiden Fällen enorm gewesen sei
und in gleichem Sinne gewirkt habe, um zwei in ihren Grund»
formen differente Organismen innerlich und äusserlich fast zur
Uebereinstimmung zu bringen. Ftthrt aber diese Consequenz
wegen ihrer Ungeheuerlichkeit zur Ablehnung der Salensky'schen
Auffassung; so hat auf der andern Seite die Annahme; dass die
Ontogenese der einen Form mehr verkürzt oder verschoben sei»
als die der andern; nichts Befremdendes; da solche ;;Fälschungen^
nicht nur vorkommen können; sondern auch vorkommen müssen;
insofern die Entwicklungsstufen selbst ja der Anpassung auch
unterliegen. Somit wird man die Ontogenie nur mit Vorsicht zu
verwenden haben und ihrer zur Feststellung der Verwandtschafts-
beziehungen überhaupt erst in zweiter Linie bedürfen.
Mit Rücksicht anf diese Auseinandersetzungen werde ich bei
der vorliegenden Untersuchung in der Art verfahren; dass ich
zunächst vorzüglich mit Hülfe der Morphologie, unter welchem
Begriffe Anatomie und Systematik zusammenfallen'; die Gestalt
des Urinsekst zu ermitteln suchC; darauf die einzelnen Gruppen,
wie sie. die heutige Systematik liefert; auf ihre Zusammengehörig-
keit prüfe und fUr die Glieder einer jeden ebenfalls eine Stamm-
form aufstelle; um sodann, indem ich auf die Entwicklungs-
geschichte eingehe; diese Stammformen von dem Urinsekte
abzuleiten. Zum Schlüsse wird dann auch dieses seinen Platz
in dem natürlichen Systeme angewiesen erhalten müssen; wozu
wiederum die Entwicklungsgeschichte befragt werden wird. Die
Unzulänglichkeit der einzelnen Dokumente bringt es aber mit
sich, dass weitaus die meisten Behauptungen, die ich aufzustellen
habC; eines unumstösslichen Beweises entbehren und oft genug
nur vermuthungsweise vorgebracht werden können. Trotz dieser
manchmal recht bedeutenden Unsicherheit, über deren Grösse ich
mir selbst nicht im Zweifel bin, glaube ich doch den Versuch zur
Aufstellung eines Stammbaumes der Insekten wagen zu dürfen,
da er selbst dann, wenn er sich als theilweise unhaltbar erweisen
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 129
sollte I in den Untereucbangen , welche er zu seiner Widerlegung
herTormfen muss^ für unsere Eenntniss and wissenschafüiche
Auffassung einigen Nutzen haben wird.
I.
Wenn man es unternimmt, die Körperform, welche das Ur-
insekt besass, zu reconstruireU; so muss man offenbar von den
Imagines ausgehen, da man a priori nicht wissen kann, wie weit
die Gestalt der Larven ursprünglich oder nachträglich erworben
ist Ich stelle diesen Satz als Fundament der nachfolgenden
Untersuchung an deren Spitze. Di^enigen, welche vor mir die
Phylogenie der Insekten mehr oder weniger eingehend behandelt
haben, sind über allgemein gehaltene Betrachtungen und Ver-
muthungen deswegen nicht hinaus gekommen, weil sie ohne
Weiteres auch die Larven mit heranzogen und nun, indem sie
ziemlich willkürlich bald diese, bald jene unter ihnen als abge-
ändert ausschieden, zu Folgerungen gelangten, welche sich bei
genauerem Zusehen als unhaltbar erweisen müssen. Gerade aber
die präcise Fassung des Begriffes Urinsekt schafft zunächst einen
festen Punkt, von dem sich rückwärts und vorwärts schauen lässt
Ich definire dieses daher ausdrücklich als den Stammvater sämmt-
licher Imagines, keineswegs aber auch sämmtlicher Larven. Das
Protentomon nun» von dem alle andere ^) Insekten abzuleiten sind,
besass
1) einen gegliederten KOrper, an welchem Kopf, Thorax und
Abdomen zu unterscheiden waren. Der Kopf trug ein Paar faden-
förmige Antennen, drei Paar Kiefer, ein Paar zusammengesetzte
Augen [und wahrscheinlich drei Ocellen]. Der Thorax bestand
aus drei deutlich getrennten Metameren, deren jedes einen Yen-
tralanhang — Bein -^ und mit Ausnahme des ersten auch einen
Dorsalanhang — Flügel — trug. Das Abdomen hatte 11 unter sich
bomonome Metamere. Eine Verschmelzung einzelner Segmente hatte
nicht statt [ebenso wenig aber auch eine deutlich ausgesprochene
Lockerung der Verbindung zwischen Kopf und Thorax oder
zwischen diesem und dem Abdomen].
>) Ich schliesse einstweilen absichtlicli die Thysannra von der Betrachtung
aal und werde lie erst am Schlüsse der Arbeit besprechen.
Bd. X, N. F. m, 3. 9
130 Pa»il Mayer,
2) Die äusserste Schicht des Körpers bildete die Chitindecke,
welche als eioe Abscheidüng der Epidermiszellen auch überall
dort sich vorfand, wo echte Epidermis vorhanden war. Die Mus-
culatar war, wie aus dem Vorhandensein beweglicher Anhänge
hervorgeht; schon weit differencirt. Diese Anhänge waren hohle,
röhrenförmige Fortsätze der Eörperwandnng ; die Flügel, unter
sich gleichartig, erschienen als dttnnC; flachgedrückte Blasen, deren
äusserste Schicht eine homogene Chitinlamelle bildete. Die Beine
waren unter sich nahezu gleichartig und bestanden aus den
typischen fünf Abschnitten. [Der Tarsus war fttnfgliedrig ; ob
Klauen und Pulvillen existirten, ist nicht mit Sicherheit anzu-
geben.]
3) Der Darm bestand aus dem Magen und den beiden mit
einer chitinigen Cuticula versehenen Einstülpungen der Epidermis :
Mund- und Enddarm. Der Magen besass eine einfache Lage
Verdauungszellen. In den Munddarm ergoss sich das Secret von
einem Paare einfacher, schlauchförmiger Speicheldrüsen. Eine
Leber fehlte. In den Anfang des Enddarms mündeten zwei
Paar einfache, schlauchförmige Excretionsorgane, die sog. vasa
Malpighii.
4) Das Nervensystem wurde von einem Schlundring nebst
3 Thoracal- und 9 [vielleicht 11] Abdominalganglien gebildet,
welche durch je zwei Längscommissuren verbunden waren.
5) Das Herz (Rückengefäss) erstreckte sich mit Flügelmuskeln
und Kammern durch das Abdomen, während seine Thoracalpartie
eine schlauchförmige „aorta'^ bildete.
6) Die Tracheen waren unmittelbar unter der Epidermis mit
einem Verschlussapparate versehen und liefen von den Stigmen
aus direct zu den Organen in der Körperhöhle, während eine
geringe Communication der einzelnen Querstämme durch ein Paar
Längsstämme hergestellt wurde. Stigmenlos waren Kopf und
Prothorax. Die zwei Thoracalstigmen besassen einen anderen
Bau als die Abdominalstigmen, deren 9 [vielleicht 11] vorhanden
waren.
7) Ein Fettkörper füllte einen Theil der Leibeshöhle aus ; in
den Zwischenräumen desselben circulirte Blut.
8) Das Protentomon war gonochoristisch. Die Genitalien
bestanden aus paarigen Keim- und Anfangsdrüsen und einem
unpaaren Ausführgang. Das atrium genitale lag zwischen dem
8. und 9. Ventralringe des Abdomens.
9) Primäre sexuelle Charactere existirten in Gestalt eines
Üeber Ontogenie und Phylogenie der Insekten« ' 131
chitiniflirten Penis beim Männchen und einer chitinisirten Scheide
beim Weibchen; secundäre fehlten wahrscheinlich durchaus.
An diese Zusammenstellung der wichtigsten Merkmale, welche
das Protentomon auszeichnen , wird sich jetzt der Nachweis fär
die Richtigkeit derselben zu schliessen haben. *) Ich beginne
ausser der Beihe mit dem einzigen Punkte von principieller Be-
deutung, mit der Frage nach dem Zustande der Athmungsorgane
bei dem Protentomon (Nr. 6). Indem ich behaupte, Tracheen und
Stigmen seien bereits bei dem Stamminsekte vorhanden gewesen,
setze ich mich in schroffen Gegensatz zu den Ausführungen
Gegenbaur^s und Packard's, und muss daher meinen Standpunkt
eingehend zu rechtfertigen suchen.
Da, wie bekannt, weitaus die meisten Insekten Tracheen und
Stigmen besitzen, so sind von vorneherein, um das Fehlen der-
selben bei dem verschwindend kleinen Beste zu erklären, zwei
Möglichkeiten gegeben : entweder ist die Form der Athmungs-
organe, wie sie uns die Tracheenlosen vorftihren, die ursprüngliche
und hat durch Differencirung die fast allgemein verbreitete An-
ordnung hervorgerufen — oder aber, sie ist durch Verkümmerung
aus dem Zustande, welchen die grosse Mehrzahl darbietet, ab-
leitbar. Für den ersteren Weg hat sich Packard (und mit ihm
Lubbock) erklärt und lässt daher aus diesen und anderen Gründen
die Thysanura als die dem Protentomon nächste Klasse gelten. Zu
seiner Vertheidigung zieht Packard das Verhalten des Athmungs-
apparates bei den Insektenlarven herbei und beruft sich zugleich
auf Gegenbaur, welcher in der II. Auflage ^) seiner „Grundzüge
der vergleichenden Anatomie^' eine fbrmliche Theorie dieser Er-
scheinung liefert Dieser ist der Ansicht, die Tracheen dienten
analog der Schwimmblase der Fische ursprünglich hydrostatischen
Zwecken, während die Bespiration an der Eörperoberfläche ge-
schah. Die Kiemen waren zunächst indifferente, vielleicht als
Gliedmaassen auftretende Anhänge und bei der Athmung nicht
mehr betheiligt, als auch die übrige Haut ; später erst verbreiteten
sich von den beiden Längsstämmen aus auch in sie hinein die
Tracheen. Die Bildung der Stigmen — das dritte oder auch
vierte Stadium — resultirte aus der Anpassung an ein neues
') Für die mit einer [ ] versehenen unerheblichen Punkte ei|^bt er sich
später im Laufe der Untersuchung von selbst.
') Auch in dem „Grundriss der vergl. Anatomie^' von 1874 wird „das
geschlossene Tracheensystem als Vorläufer des offenen*' betrachtet (p. 313),
wobei ausdrücklich auf das genannte Werk recurrirt wird.
132 Paul Mayer,
Medium, die Luft, iudem ^^unter Aenderung der Lebensverhält«
nisse ... ein Verlust der zu Kiemen umgewandelten Anhänge mit
dem ersten Häutungsprocess stattzufinden haben wird, so dass
an der Austrittsstelle des zum Eiemenblättchen gelangenden
Tracheenastes eine Oeffnung, das Stigma, sich vorfindet^' (p. 441).
Als Beweis ftlhrt Gegenbanr an, wie „die Larven der Käfer^
Schmetterlinge, Hymenopteren und die mit einem Kopfe versehenen
Larven der Dipteren am Meso- und Metathorax, also an jenen
Metameren, an denen später Anhangsgebilde entstehen^ keine
Stigmata besitzen^' und somit „die Flügel Gebilde sind, welche
an der Stelle von Traoheenkiemen entstehen'^ (p. 442). i) Dann
können auch die Stigmen als „Narben von abgefallenen Glied-
maassen^' gedeutet werden.
Indessen dieser Beweis, auf den Gegenbanr eingestandener-
maassen grosses Gewicht legt, ist neuerdings von W. Rolph^)
und schon vor sehr langer Zeit von V. Audouin^), E. Perris*)
und E. Grube ^) widerlegt worden. Ersterer gibt an , dass am
Mesothorax Stigmen auftreten bei nieht weniger als zwölf, dar-
unter mehreren im Wasser lebenden, Larven von Käfern (denen
ich eine 13., die von Ergates, hinzufüge). Perris sagt das Näm-
liche mit Bezug auf Strangalia und Audouin weist schon 1839
unter Anführung von Polistes und Odynerus ausdrücklich auf die
Unhaltbarkeit der Erklärung der Flügel aus den Tracheenkiemen
hin. Auch Grube gibt bei Vespa crabro und vulgaris zehn Stigmen
an. Bei genaueren Nachforschungen wird sich zweifellos die Zahl der
mit Mesothoracalstigmen versehenen Larven als viel grösser heraus-
stellen. Aber auch ganz abgesehen hiervon leidet die Aufstellung
Gegenbaur's an erheblichen Mängeln. Während wir die Schwimm-
blase der Fische als eine Ausbuchtung aus dem Darme entstehen
^) Als Curiosum erzäUt Gerstäcker (Zeitschr. wiss. Zool. 1874 p. 23Sadn.),
wie Plateau (Stettiner entomol. Zeitg. XXXII 33 Ü'.) die Flügel sogar als
„des stigmates profondement modifi^'^ ansehe. „L*aile est un stigmate hjrper-
trophi^^M Derselbe Plateau behauptet sogar, bei den Imugines fehlen an
Meso- und Metathorax die Stigmen.
*) Beitrag zur Kenntniss einiger Insektenlarven. Troschel's Archiv 1874.
XL l p. 1-40.
') Sur les Odynöres. Ann. Sc. nat Zool. 1839 I p. 109.
*) Observations sur quelques larves xylophages. Annal. Sa nat. ZooK
1840 II p. 81-96.
*) Fehlt den Wespen- und Hornissenlarven ein After oder nicht? MüUer's
Archiv 1849 p. 47—74. Tab. I.
:
Ueber Ontogenie uud Fhylogenie der Insekten. 133
lasseD; schweben die hydrostatischen Tracheen! ängsstämnie gene-
tisch ganz in der Lnft, da ihr Auftreten mitten im Fettkörper so
ohne Weiteres sich schwer begreifen lässt. Grob-mechanisch and
darnm zn verwerfen ist femer die Narben theorie. Der Uebergang
vom Anfenthalt im Wasser zn dem in der Luft würde von den
Insekten phylogenetisch jedenfalls nicht anders^ als von den Verte*
braten, also gradweise bewerkstelligt worden sein^ so dass zuerst
amphibiote Formen aufgetreten wären; hieraus wäre dann ein
allmähliches Schwinden, nicht ein plötzlicher Verlust der Kiemen
hervorgegangen, ßei der ontogenetischen Wiederholung mttsste
aber dann dem Abwerfen der Larvenhaut ein Obliteriren der zu
den Kiemen führenden Tracheenäste vorhergehen, so dass an ein
Stigma nicht zu denken wäre.
Etwas anders fasst Packard ^) die Sache auf. Er nimmt auch
die Hautathmang an, adoptirt die hydrostatischen Tracheen, lässt
aber darauf bei dem grösseren Bedürfnisse nach Luft eine Ver-
bindung der Tracheen mit der Körperoberfläche „by a minute
branch on each side of the body with some minute pore . . . trough
the skin^' geschehen, „which finally became specialized into a Stigma
or breathiBg pore' (p. 172). Ein weiteres Eingehen auf seine
Theorie, welche sich im Uebrigen an diejenige Gegenbaur's anlehnt,
scheint nicht geboten zu sein. Sehen wir lieber zu, ob sich nicht
Besseres ausfindig machen lässt, und befragen wir zu dem Behufe
die ontogenetischen Arbeiten. Kovalevsky ^) hat am Hydrophilus
gezeigt, dass der Embryo bereits sehr früh mit deutlichen Anlagen
zn 7^) Paar Abdominalstigmen verseben ist, während bei der
Larve nur eins am Hinterleibsende persistirt und functionirt. Da
nun der Embryo als solcher von seinen Stigmen keinen Gebrauch
machen und sie demnach nicht durch Anpassung erworben haben
kann, ganz im Gegentheil sie im Verlaufe der Ontogenese bis auf
eins wieder einbüsst, so zeigt dies Verhalten auf das Deutlichste,
wie die Stigmen zu den ältesten Einrichtungen des Insekten-
körpers gehören. Weil wir aber in der Image dieselben Stigmen
') The ancestry of insecte. Chapter XIII of „Oor Common Insects** by
A. S. Packard jun. Salem Mass. IS7«H.
*) Embryologische Studien von Würmern und Arthropoden. Mdm. de
l'acad. d. St. P^tersbourg XVI 1871 Nr. 13. üydrophiluB p. 81—44. Apis
p. 44—52.
*) Auf Taf. VIII Fig. 10 befinden sich nicht 7, sondern 9 Stigmata an-
gegeben ; die folgende Abbildung zeigt sogar 1 1, von denen die beiden ersten
dem Meso- und Methathorax angehören!
134 Paul Mayer,
wiederam antreffen^ so ist der Zustand des TracheeDsyst^ns in der
Larve ein secundärer and nur durch Anpassung an das Leben im
Wasser entstanden. Bei Apis ^) finden sich an fast allen Meta-
meren Stigmenanlagen (und zwar das erste auf der Höhe des
2. Rumpfsegmentes; das 12. und 13. Segment sind davon frei).
Im Uebrigen sprechen die Sätze: ^^Schon ein Eeimstreif ohne
jeden deutlichen Segmentanhang . . . zeigt die Stigmata in der
Zahl von 10 Paaren, der definitiven Zahl^^ (p. 536) und: ^^Ebenso
wie ich nicht zweifle, dass diese 10 Paar Stigmata gleichzeitig
oder doch in unwesentlichen Zeitdi£ferenzen angelegt werden,
ebenso glaube ich auch, dass sich die Anlagen der Segment-
anhänge an sämmtlichen Segmenten fast gleichzeitig bilden''
(p. 537) fOr ein sehr frühes und gleichmässiges Auftreten der
Stigmen. Wir dürfen es also ahs erwiesen betrachten, dass die
Stigmen bereits bei sehr alten Formen vorhanden waren und
ontogenetisch selbst da vorkommen, wo sie nicht direct zur Ver-
wendimg gelangen. ^) Ferner geht die Bildung der Tracheen im
>) Zur Entwicklangsgescbichte der Biene von O. Bütschli. Zeitschr. wibs.
ZooL XX p. 519—564. Ich folge hier der DarsteUiing Bütschli*8, welche sich
durch Genauigkeit auszeichnet, was von der Arbeit Kovalevsky's, wenigstens
mit Bezug auf den Text derselben, nicht behauptet werden kann. Die übrigen
embryologischen Abhandlungen berücksichtigen die Entstehung der einzelnen
Organe nicht, mit Ausnahme der Weismann'schen Untersuchungen an Musca
und Chironomus. Bei den Dipteren liegen aber, wie ich weiter unten zeigen
werde, die Verhältnisse durchaus anders, auch fehlt jegliche Andeutung von
Stigmen am Embryo, so dass ich hier nicht darauf einzugehen brauche.
*) Hierhin sind denn auch ohne Zweifel alle die Fälle zn rechnen, in
denen man bei Larven Stigmen vorfindet, welche mit den Tracheenlängs-
Stämmen entweder gar nicht oder durch einen hohlen Schlauch, der aber mit dem
Lumen der Tracheen nicht communicirt, in Verbindung stehen. So sieht man
bei den Raupen der Lepidoptercn mehr oder weniger deutlich an den Stellen
des Meso- und Metathorax, an denen der Lage nach ein Stigma zu erwarten
ist, eine wie ein solches geformte und nach innen ragende Chitinlamelle;
ähnlieh verhält es sich mit den Larven vieler Käfer, so dass man hieraus den
Schluss ziehen darf, dass am Embryo bereits Stigmen vorhanden waren,
welche sich später (ähnlich wie bei Hydrophilus) schlössen und erst während
der Verpuppung für ihre Function umgestaltet werden. Die genauere Kennt-
niss dieser Verhältnisse hat für die Fhylogenie sicher bedeutenden Werth, da
sie uns ein Mittel an die Hand gibt, den Grad der Anpassung, welche die
Larven erlitten, zu bestimmen.
Wollte man trotz dieser Angaben hartnäckig an den Längsstämmen als
Vorläufern der offenen Tracheen festhalten, so würde man bei Hydrophilus
und Apis, wie überhaupt in allen ähnlichen Fällen einen völligen Ausfall
jenes ersten Stadiums in der Ontogenese annehmen müssen; um aber eine so
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 135
Embryo von Apis und Hydrophilns von den Stigmenanlagen aus,
indem diese Hanteinstttlpungen tiefer werden^ sieh zu Röhren ans-
ziehen^ sich verzweigen und auch miteinander verschmdzeo; so dass
die Längsstämme entstehen. Die Einzelheiten^ namentlich das
ontogenetisch frühe Erscheinen der so wichtigen und charakte-
ristischen Längsstämme y werde ich später berücksichtigen und
will jetzt nur vorgreifend bemerken, dass die Tracheen mit der
grössten Wahrscheinlichkeit als Homologa der Segmeutalorgane
der Anneliden zu betrachten sind. Ist dies richtig; so ist eine
morphologische (organologische) Basis für sie gefunden^ wie sie
die Gegenbaur'sche Theorie vermissen Hess; aber auch wenn das
nicht der Fall sein sollte, ist doch das offene Tracheensystem mit
möglichst viel Stigmen als der Vorläufer des halb offenen (Hydro-
philns- und viele andere Larven) anzusehen. Das geschlossene
aber in seinen zahlreichen Modificationen ist aus der Anpassung
der Larven an das Leben im Wasser hervorgegangen und phylo-
genetiBch eine sehr junge Erwerbung. Das gänzliche Fehlen der
Tracheen, wie es vielleicht bei einigen Insekten statthat, erklärt
sich dann leicht aus einer Rückbildung, welcher dann auch noch
andere Organe unterworfen worden sind, zumal bei dem kleinen,
schmächtigen Körper eine Hautathmung leicht den Bedürfnissen
des Thieres zu genügen vermag. (Vergl. weiter unten die Hyme-
noptera.) Von Interesse wird übrigens sein, was Fritz Müller, der
schon so viel auf dem Gebiete der Phylogenie geleistet, über
Flügel- und indirect auch Stigmen-Bildung der Insekten beibringt.
In seiner neuesten Arbeit ^) liefert er eine genaue Darstellung der
anatomischen Verhältnisse von Calotermeslarven in verschiedenen
Stadien. Die jüngsten Larven tragen an den Thoracalsegmenten
flügeiförmige Fortsätze, welche die Gestalt des Körpers ver-
breitem ; diese sind nicht durch Anpassung erworben, da sie für
die in engen Holzgängen lebenden Thierchen nur unbequem sein
können, und sind somit „von Vorfahren ererbt, die unter andern
äusseren Verhältnissen lebten'^ (p. 243). Später nun bilden sich
während mehrerer Häutungen die Fortsätze des Prothorax zurück,
anwahncheinliche Behauptung zu rechtfertigen, müssen wirklich zwingende
Gründe vorhanden sein, an denen es eben durchaus mangelt. Von einer ab-
soluten Gewissheit wird bei phylogenetischen Untersuchungen wohl nie die
Rede sein können, wohl aber wird man, so lange eine einfache Erklärung
ausreicht, keine complicirte heranziehen dürfen.
') Beiträge zur Kenntniss der Termiten. Jenaische Zeitschr. IX. p. 241 — 264.
Tab. X-XIIL
136 Paul Mayer,
die des Meso- und Metathorax hingegen werden zu Flügelansätzen.
In diese wachsen auch schon sehr früh Tracheen hinein, welche
den späteren Flügelrippen entsprechen. Aus diesen seinen Be-
obachtungen zieht nun Fritz Müller den Schluss: „i) Die Flügel
der Insekten sind nicht aus ^^Tracheenkiemen'^ entstanden. Die
flügeiförmigen Fortsätze der jüngsten Larven sind gerade die
einzigen Theile , denen Luftröhren gänzlich fehlen ... 2) Die
Flügel der Insekten sind entstanden aus seitlichen Fortsätzen der
Rückenplatten der betreffenden Seitenringe'' (p. 253).
Die übrigen Behauptungen in Nr. 6 verstehen sich; wie es
scheinen möchte, nun von selbst Haben wir nachgewiesen, dass
das vollkommene Tracheensystem das ursprünglichere war, so
müssen wir auch eine Reihe kleinerer Angaben in den Kauf
nehmen, welche uns die jetzt lebenden Imagines in Bezug auf
das Protentomon vorführen. So wird die Verschiedenheit der
Thorax- und Abdominalstigmen — letztere sind meist rund, erstere
meist zweilippig — durch die differente Ausbildung der betreffenden
Segmente nothwendig und findet daher ihren vollgültigen Beweis
unter Nr. 1; ebenso verhält es sich mit der Angabe über die
Zahl der Hinterleibsstigmen.
Dass der Kopf stigmenlos war, dürfte wohl Niemand be-
streiten, aber schon der Prothorax kann zu Differenzen Veranlas-
sung geben, wie denn auch das Thema von der Anzahl der
Thoracalstigmen überhaupt vielfältig und stets in anderer Weise
und mit anderem Resultate behandelt worden ist. Lägen diese
innerhalb der Segmente, wie die Abdominalstigmen es thun, so
würde natürlich die Frage, ob dem Prothorax ein eigenes Stigma
angehöre, gar nicht aufgeworfen worden sein; die Zweideutigkeit
wird eben dadurch veranlasst, dass sich das erste und zweite
Stigmenpaar in der weichen Verbindungshaut zwischen dem Pro-
und Mesothorax resp. dem Meso- und Metathorax befinden. Dazu
kommt noch, dass das 3. Paar, zum Theil erst in neuerer Zeit
durch Schiödte's Untersuchungen aufgefunden, meist an einer
wahrhaft kritischen Stelle auftritt, nämlich da, wo das Metanotum
sich mehr oder weniger deutlich von dem Rückentheile des Ab*
domens abgrenzt und das erste Tergit in der Iroago meist nur
rudimentär als das sogenannte segment mödiaire Latreille's vor-
kommt. Um daher eine sichere Entscheidung treffen zu können,
muss man, da auch das Protentomon schon einen vom Hinterleib
abgesetzten Thorax mit Beinen und Flügeln besass, auf frühere
Entwickelungsstufen zurückgehen, in denen die Körpersegmente
Ueber Ontogenie and Fhylogenie der Insekten. 137
noch nicht heteronom geworden sind. Hier ersieht man nnn ans
den Zeichnungen Btttschli's nnd Kovalevsk/s , wie die Thorax-
stigmen allerdings ursprünglich mitten in den Segmenten liegen
•
nnd erst im weiteren Verlaufe der Ontogenese eine Verschiebung
erleiden. Nun ist durchaus kein Grund für die Annahme vor-
handen, diese Lage Veränderung sei nicht bei allen Insekten in
dem gleichen Sinne erfolgt, vielmehr ist, weil schon das Proten-
tomon die fraglichen Stigmen nicht mehr auf der Höhe der
Segmente tragen konnte, die bei diesem eingetretene Verschiebung
fllr alle seine Nachkommen maassgebend gewesen. Es sagt aber
Btttschli ^) mit Rücksicht auf die Biene ausdrücklich : „Die erste
Stigmentasche entsteht auf der Höhe des L\ Rumpfsegmcntes/^
also is^ wie Larve und Imago von Apis beweisen, das betreffende
Stigma nach vorne gerückt. Dieser Vorgang gilt demnach für
alle Insekten ohne Ausnahme, so dass das erste Stigma in Wirk-
lichkeit dem Mesothorax zugehört In dieser rein morphologischen
Auffassung darf man sich durch physiologische Gründe nicht irre
machen lassen. Wenn also Schiödte zeigt, dass bei den Hymen-
optera eben so wohl wie bei den Goleoptera und den Hemiptera
das dritte Stigma den Metathorax versorgt und in seiner Grösse
und der Mächtigkeit der von ihm ausgehenden Tracheen mit dem
Grade der Entwicklung der Hinterflügel correspondirt , so ist
hieraus noch keineswegs zu schliessen, dass nun auch dieses
Stigma wirklich zum Metathorax zu rechnen sei. Man müsste ja
sonst auch das erste Stigma, weil es Kopf nnd Prothorax gleich-
zeitig veiBorgt, diesen beiden Abtheilungen gemeinschaftlich sein
lassen nnd ebenso das letzte Abdominalstigma als eine Summe
mehrerer y allmählich eingegangener Stigmen betrachten. Ein
eigenthflmliches Argument führt Gerstäcker ^) neuerdings wieder
vor. Er gibt an, bei Nemura seien die drei Thoraxstigmen „in
ganz normaler Weise, wie es bei den Insekten die allgemeine
Regel ist'' vorhanden, und meint femer, das metathoracale, ge-
wöhnlich als erstes abdominales bezeichnet, finde sich „bei allen
Hymenopteris apocritis, bei welchen der erste Hinterleibsring mit
dem Brustkasten verschmilzt, sogar am Thorax selbst vor.'' Offen-
bar beweist dies Vorkommen von drei Stigmenpaaren in vier
Segmenten gewiss nicht, was Gerstäcker will, sondern eher das
>) 1. c, p. 598.
*) lieber das Vorkommen von Tracheenkiemen bei aasgebildoten Insekten.
Zeitschr. wiss. ZooL 1874. p. 204 ff.
138 Paul Mayer,
Gegentheil ; denn falls das 3. Stigma pur in einem solch abnormen
Falle der Thoraxbildnng am Brustkasten vorkommt^ so gehört es
von Hause aus nicht zu diesem^ sondern zum Abdomen.
£in TracheenverschlussappaVat existirt bei allen Insekten,
welche darauf untersucht worden sind ^), darf also wohl als all-
gemein vorkommend oder als schon bei Protentomon vorhanden
angesehen werden.
Was die Gliederung des Körpers in der unter Nr. 1 ange-
gebenen Weise betri£ft; so ist kein Grund vorhanden, sie dem
Protentomon abzusprechen. ^) Sie kommt allen normalen Insekten,
d. h. solchen, die nicht nachweisbar abgeändert oder sogar rück-
gebildet sind, ohne Ausnahme zu. Wie aber die Ont(>genie in
einer ganzen Reihe von Fällen nachweist, ist der Kopf aus der
') Dies hat Fritz MüUer bei seinen Termeslarven offenbar nicht gethan,
wenigstens erwähnt er eines solchen Apparates dorchaus nicht. Und doch
scheint er auch hier nicht zu fehlen. Müller zeichnet nämlich eine von ihm
„S-förmiges Bohr^' genannte Ausbuchtung gleich am Anfange des TVacheen-
Stammes, welche „am Hinterleibe nirgends zu fehlen, an den beiden Paaren
der Brust nirgends vorzukommen scheint, so wenig wie bei Calotermes" (1. c
p. 259). Abbildung und Beschreibung, so wie die Angabe, dass dieses „8-
förmige blinde Bohr fast gar nicht weiter wächst'*, passen vortrefflich aof
einen Verschlusskegel, wie er z. B. an den Abdominalstigmen der Hemiptera
vorkommt) so dass man, auch ohne diese Larven untersucht zu haben, mit
ziemlicher Grewissheit einen an das blinde Bohr sich inserirenden Verschluss-
muskel hinzufügen darf. Fritz Müller meint nun: „dasselbe ist ein aus ent-
legener Vorzeit vererbtes, den heutigen Termiten fast oder völlig nutzloses
Gebilde**, und hofft bei Erforschung der embryonalen Entwicklung würde es
vielleicht „ein Streiflicht auf den Ursprung der Luftröhren der Insekten
werfen**. Wenngleich nun auch das Blindrohr in früheren Perioden der
Phylogenese eine andere Bedeutung für das Thier gehabt haben kann, so
ist dies mit Bücksicht auf die Function, welche es gegenwärtig wahrscheinlich
erfüllt, doch nicht eher anzunehmen, als bis die Nutzlosigkeit für Larve und
Image wirklich nachgewiesen worden ist.
*) Beiläufig erwähne ich, dass Packard in einem Artikel : Observations on
the development and position of the Hymenoptera (Annais and Magaz. nat
bist. XVIII 1866. p. 82 — 99) den Kopf aus sieben Bingen bestehen lässt. Und
warum? „As in the thorax there are three rings bearing three pairs of ap-
pendages or legs, it follows that in the head, where there are seven pairs of
appendages, there must be seven rings** (p. 92). Zu den sieben Paar An-
hängen rechnet er ausser den drei Paar Kauwerkzeugen noch die Augen und
zwei Paar Ocellen, indem er das unpaare ocellum als ein aus zweien ver-
schmolzenes ansieht. Weshalb aber die Augen mit aller Gewalt den Füssen
und nicht den Flügeln homodynam sein sollen, ist nicht einzusehen; eben so
wenig lässt sich begreifen, warum nicht für den Thorax fünf Binge postulirt
werden.
Ueber Ontogenie und Fhylogenie der Insekten. 139
VeiBchmelzang von vier Segmenten entstanden, deren jedes ein
Paar Anhänge trag. ') Die Antennen möchte man ihrer Form und
Gliederung znfolge als ventrale Extremitäten ansehen, wenn nicht
die Entwicklungsgeschichte ihnen einen anderen, seitlichen, Ur-
sprung anwiese. Ohnehin entscheidet auch die Innervation vom
oberen Schlundganglion aus ganz positiv gegen die Auffassung
derselben als ventraler Anhänge. Die Kiefer sind natürlich auf
Orund der ontogenetischen Nachweise als modificirte Beine zu be-
trachten, wie denn auch namentlich das zweite Maxillenpaar bei
seinem ersten Auftreten grössere Aehnlicbkeit mit den Locomotions-
als mit den Kauwerkzeugen verräth. So sind z. B. bei Agrion
und Calopteryx nach den Angaben von Alexander Brandt jr. ^)
die Fflsse und das zweite Maxillenpaar gleich gerichtet und bilden
mit den ttbrigen Kopfanhängen einen bedeutenden Winkel. Dies
ist nach Packard') auch bei Diplax geraume Zeit hindurch der
Fall. Die Thoracalfttsse werden femer nicht bestritten werden
können ; ontogenetisch treten sie meist friLher auf, als die Mund-
werkzeuge, doch ?rill sich diese Thatsache, wie mir scheint, zur
Zeit noch nicht phylogenetisch verwerthen lassen. Wirkliche
Flügel haben auf dem Prothorax wohl nie bestanden-, allenfalls
spräche fUr ihr Vorkommen die Bildung der „Prothoracalhörner'^
in der Entwicklung der Dipteren. Zwar lässt sich hier bestimmt
nachweisen, dass diese „Hömer^^ nachträglich erworben sind, doch
könnte man dabei an Atavismus denken. Jedenfalls sind die
Flflgel nicht rein dorsal, also nicht homodynam den Antennen,
sondern seitliche Ausstülpungen der Körperwandung. In wie
weit die Trennung der einzelnen Metamere in die bekannten sechs
Stücke schon das Protentomon berührte und wie sich die Anhänge
dazu verhielten, lasse ich dahingestellt sein. Was das Abdomen
angeht, so ist die höchste Zahl der bei den Imagines beobachteten
freien Segmente 11. Die beiden letzten scheinen aber insofern
doch nicht ganz homonom den übrigen gebildet zu sein, als sie
höchst wahrscheinlich der Stigmen entbehrten. Mit Sicherheit
') Vergl. unter Anderem die Darstellung Kovalevsky^s über llydrophilus,
L Cy p. 35.
') Beitrüge zur Entwicklungsgeschichte der Libellulida und Hemiptcra
mit besonderer Berücksichtigung der Embryonalhüllen derselben. M^m. Pötersb.
1S69. Auch die Fig. 11 der Kovalevsky'schen Untersuchungen über Hydro-
philns zeigt dies Verhalten an.
'} Embryological stndies on Diplax, Perithemis and the Thysanurous
genus Isotoma« (Memoirs of the Peabody academy of sdence L 2. 1871.)
140 PauI Mayer,
wird sich dieser Pankt erst entscheiden lassen, wenn genaue
Untersuchungen über die Zahl der Abdominalstigmen bei Ortho-
pteren u. s. w. vorliegen. Weil der Hinterleib des Protentomon
anhanglos war (vergLtibrigens Nr. 9) so war eine Heteronomität
desselben und des Thorax nattlrlich vorhanden, die dann unter
anderm auch auf die Bildung und Lage der Stigmen Einflnss
haben musste.
Punkt 2 bedarf kaum einer Erläuterung, indem das Gesagte
sich auf die wirklich vollkommenen Imagines anwenden lässt.
Die Gleichartigkeit der Flügel und das Fehlen von Schuppen und
Haaren auf ihnen war ohne Zweifel der ursprüngliche Zustand.
Die Beinpaare brauchen natürlich bei den Vorfahren des Proten-
tomon nicht ungleich gewesen zu sein, zeigen aber bei allen In-
sekten grössere oder kleinere Differenzen unter sich, so dass auch
das Stamminsekt davon nicht frei gewesen sein wird. Wie weit
ich die echte Epidermis sich erstrecken lasse, ergibt sieh zum
Theile aus den folgenden Ausfuhrungen; ich bemerke hier mir
noch, dass ich auch die Vagina als eine Einstülpung der äusseren
Körperwandung auffasse und ebenso die Tracheen mit Rücksicht
auf die schon citirteu Angaben der Embryologen von der Epidermis
ableite.
Der Darm (Nr. 3) als das wichtigste der inneren Organe
macht eine genauere Besprechung nöthig. Er ist im Laufe der
Zeit bei den verschiedenen Insektengruppen in Correlation zu der
Aenderung der Mundtheile bedeutend modificirt worden, doch zeigt
der eigentliche Magen relativ grosse Gonstanz. Leider herrscht bei
den Entomotomen durchaus keine Uebereinstimmung in Bezug auf
Benennung und auf die Ansichten über die Function der einzelnen
Darmabschnitte, sodass eine Verständigung auf Grund der Theorie
gesucht werden muss. Pie drei Theile, welche ich als typisch
hinstelle, sind überall nachzuweisen und charakterisiren sich leicht
durch den Mangel oder das Vorkommen der Ghitinauskleidung.
Wenn behauptet wird, auch dem Magen komme eine Cuticula zu,
so ist nicht zu übersehen, dass noch nicht jegliches Oberhäutchen
aus Chitin besteht. Mit dem Verdauungsgeschäfk würde sich diese
verhältnissmässig undurchlässige Schicht auch schlecht vertragen.
Aehnlich argumentirt S. Basch >) , dessen genaue auf Durch-
'} Untersuchungen über das chylopoetische und uropoetische System der
BlatU orienUlis. Wiener Sitzungsberichte XXXIII 1858. p. 234—260.
Taf. I --V.
lieber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 141
schnitte der Dannwandangen sich stützende Beobachtungen die
soeben theoretisch entwickelte Ansicht lediglich bestätigen. Wäh-
rend er nämlich in der Speiseröhre und im Kanmagen als innerste
Aaskleidang eine Chitinschicht findet, welche sogar als „eine dünne
zarte Röhre'^ ans der Einstülpung des Eaumagens in den ^^Chylus-
magen^' herausgezogen werden kann und somit eine „scharfe
Grenze^' zwischen diesen beiden Theilen markirt (p. 238), und
während er „die Structur der Darmabschnitte, die hinter dem
Chylusmagen liegen^^ als „der der vor demselben gelegenen ganz
gleich'' bezeichnet (p. 251), beschreibt er im eigentlichen Magen
ein Epithel; welches durch seine Beschaffenheit an dasjenige im
Dünndarme der Säugethiere erinnert. Sonach ist „die Ghitin-
membran im ganzen Darm mit Ausnahme des Chylusmagens vor-
handen'' (p. 258). Im Uebrigen sind weitaus die meisten in
Betreff des Insektendarmes gemachten Angaben nur mit der
grössten Vorsicht aufzunehmen, da bei den Sectionen gar zu
leicht Eunstproducte mit unterlaufen. Wenn man bedenkt, dass
manche Zeichnung, namentlich von den vielfach copirten Dufour'-
sehen, nach dem Befunde einer einzigen Zergliederung — und
diese geschah noch dazu meistentheils in Flüssigkeiten, welche
die Gewebe mehr oder weniger alterirten — aufgenommen ist,
wo dann zufallige Anschwellungen für zweite Mägen etc. erklärt
werden können, so leuchtet das Gesagte ein. -— Ein proventriculus
mit stark chinitisirten Wandungen (Kauladen etc.) ist von Weis-
mann ^) bei Musca als Einstülpung der Speiseröhre erwiesen
worden (p. 196) ; dass er dem Protentomon zukam, ist nicht Wahr-
scheinlich. Der Enddarm beginnt morphologisch mit der Mündung
der ]\|ralpighi*8chen Gefäßse. Bei den einfachen Formen des Tractus
intestinalis bedarf dieser Satz keines Beweises; bei den gewun-
denen und complicirten ist er zwar auf Grund histologischer
Forschungen noch zu führen, doch spricht ausser der Berechtigung,
nach Analogie zu schliei^sen, auch die Entwickelungsgeschicfate
dafUr. Bei Apis entstehen nämlich nach Bütschli *) die Malpighi'-
schen Gefässe ,Jederzeit zu zweien als Ausstülpungen der Decke
der blindgeschlossenen Aftereinstülpung; von Beginn ihrer Ent-
stehung an mit deutlichem Lumen". Nach der Darstellung von
') Die Dachembryonale Entwicklung der Musciden nach Beobachtnngen
an MuBca vomitoria und Sarcophaga carnaria. Zeitschr. wiss. Zool. 1864.
p. 187—336.
*) 1. c. p. 541.
142 Paul Mayer,
Grabe 0 finden sich neben ihnen (bei Vespa) in kranzförmiger An-
ordnung y,in Gestalt winziger birnförmiger Hervorragangen die
noch sehr unscheinbaren Anfänge'' der fUr die Imago bestimmten
Malpighi'schen Gefässe. In einem späteren Stadium sind alsdann
jene vier merklich verkürzt, die anderen hingegen ,,zu kurzen
Fädchen verlängert". Hierbei ist der „früher kurze blasenjR5rmige
Darm'' in die Form eines Canales übergegangen, der aber noch
kurz und gerade bleibt. Hiemach ist es kaum zweifelhaft, dass
wirklich die Einstülpung sich allmählich verlängert und dabei in
Windungen zusammenlegt. Aber auch von einem noch älteren
Forscher ist diese Anschauung bereits mit voller Klarheit aus-
gesprochen worden. Bei Blatta nämlich findet Rathke % die frag-
lichen Organe sprossen, „wenn das hintere Darmrohr eine ....
geringe Länge hat; aus demselben in geringer Entfernung von
dem Dotterschlauche [eigentlichen Magen] als mehrere einen Kranz
darstellende Kegel hervor . . . Gleichzeitig auch verlängert sich
hinter ihnen das Darmrohr, dem sie ihre Entstehung verdanken
(aus dem sie sich aussacken) . . /' Ebenso verhält es sich nach
Rathke mit Gryllotalpa. ^) Gegenüber diesen Zeu^issen dürfte
die Ansicht Graber's *) wenig in's Gewicht fallen, welche in den
Worten gipfelt : „sie sind im Allgemeinen nur Fortsetzungen des
Darmperitoneums ; die Zelllage so gut wie die Intima stehen mit
den analogen Gebilden des Darmes in gar keiner Verbindung.^'
Der phylogenetisch und ontogenetisch älteste Zustand der
Exoretionsorgane ist, wie aus dem Angeführten hervorgeht, natür-
lich der, dass die Enden derselben blind geschlossen ft-ei in die
Leibeshöhle hineinragen ; erst später tritt eine Verwachsung der-
selben und Bildung jon Schlingen und ähnlichen Eigenthümlich-
keiten, wie sie namentlich die Käfer zeigen, auf. Dass die An-
zahl der Paare bei Protentomon zwei betrag, ist so gut wie
sicher. Sind nämlich auch bei manchen Imagines sehr viele
HarngefUsse vorhanden, so zeigt es sich doch in allen Fällen, in
denen überhaupt Beobachtungen vorliegen, dass bei Embryonen
oder Larven die ursprüngliche Anzahl der vasa Malpighii vier
') L. c p. 63 und 67.
') Zur Entwicklungsgeschichte der Blatta germanica. Meckel's Archiv
1832. p. 377.
') Zur Entwickelungsgeschichte der Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris).
Müllers Archiv 1844. p. 35.
^) Anatomisch -physiologische Studien über Phthirius inguinalis Leach.
Zeitschr. wiss. Zool. 1872. p. 152 adn.
Üeber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 143
ausmacht. So bei den Hymenoptera nach dem Zengnisse Grabe'^B,
Btttschli's nnd auch Uljanin's. ^) Letzterer behauptet sogar aas-
drttcklioh; die vier primären Schlänche zerfallen und schwinden;
an ihrer Stelle entsteht sodann eine grosse Anzahl bleibender
Gefässe als Aaswüchse des vorderen Theiles der Darm wand
zwischen Pyloras and Darm [also immer noch aas dem DarmO;
nicht aus dem Magen]. Ferner gibt Rathke') bei Oiyllotalpa;
welche sich bekanntlich darch eine absonderliche Gonfiguration
der in Rede stehenden Gebilde aaszeichnet, ganz positiv an:
,y . . . über seine Mitte hinaas sendet er [der Darm] einen sehr
karzen Seitenkanal ab; der in vier verschiedentlich lange Malpi-
ghi'sche Gefässe übergeht . . . Za den vier Malpighi'schen Ge-
fltesen; die von der Larve aas dem Ei mitgebracht wurden, kommen
immerfort neue hinzu . . .'' Bei Blatta spricht er zwar von einem
;,Kranze'' Malpighi'scher Gefässe, zeichnet aber wiederum nur vier
hin. Endlich constatirt Fritz Müller ^) mit Bezug auf Galotermes :
;;Die jüngste Latve besitzt vierHamgefässe; doch bald sieht man
neben ihnen ein drittes Paar hervorsprossen . . /'
Im Anschlüsse hieran gedenke ich noch der sogenannten
Boutons chamus, welche ganz kürzlich von C. Chun *) von Neuem
untersucht worden sind. Es stellt sich heraus, dass sie ,,nur
eigenihümlich modificirte Partien des Mastdarmepithels repräsen-
tiren'', welche gewissermassen als Ersatz ftlr das an den anderen
Theilen des Bectums fehlende Epithel fungiren. Da sie grossen
Gruppen der Imagines gänzlich fehlen, so sind sie meiner Ansicht
nach als nachträglich erworbene Bildungen aufzufassen, welche
das Protentomon noch nicht besass. In der Structur bieten sie
grosse Aehnlichkeit mit den Darmkiemen der Libellulidenlarven,
dürften aber doch nur dann als wirkliche Homologa derselben
gelten, wenn die betreffenden Imagines von einer nur ihnen ge-
meinsamen Stammform herrührten. Ich komme weiter unten
hierauf zurück.
Was die Speicheldrüsen betrifft, so ist die aufgestellte Be-
') Pofltembryonale Entwioklang der Biene. Moskauer Gesellschaft für
Natur erkenntniss etc. X 1. p. 17 — 32. Citat nach Hof mann und Schwalbe,
Jahresbericht etc. I. p. 843 if.
■) 1. c. p. 85.
*) 1 c. Jenaische Zeitschrift IX, p. 257.
*) Bau, Entwicklung und physiologische Bedeutung der Rectaldrüsen.
Frankfurt 1875.
144 Pftul Mayer,
hauptung einstweilen ans dem vorlian^enen Beobachtnngsmateriale
nicht strictzn beweisen. Es gründet sich eben unsere KenntnisB
von dem speciellen Verhalten dieser Organe bei den Insekten-
klassen wiederum zumeist auf Läon Dufour's Abhandlungen. Nun
aber öffnete Dufour bei seinen Sectionen das Kopfschild nicht
(wie er auch die letzten Hinterleibsringe intact liess) und war so
im Stande, eine Reihe von drüsigen Körpern als Speicheldrüsen
aufzuführen, ohne ihren Zusammenhang mit der Mundhöhle über-
haupt nachzuweisen. Nach ihm scheint sich kaum Jemand an
die mühevolle Arbeit des Verfolgens von so feinen Kanälen
inmitten des Kopfpanzers und der harten Kauwerkzeuge gewagt
zu haben. Für die Heteroptera z. B. besteht auch heute noch die
aus einem Lehrbuche in das andere ruhig übertragene Ansieht
von der Dupli- oder auch Triplicität der glandulae salivales,
während ^ie grösste Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass nur
Ein Paar vorhanden ist. ^) Endlich ist Mund und After stets durch
Einsttilpung entstanden, so dass also Beginn und Ende.des Darmes
mit echter Epidermis ausgekleidet sind. Dies lehrt die Entwick-
lungsgeschichte in allen Fällen mit seltener Uebereinstimmung,
so dass ausser dem schon angeführten Satze Btttsohli's über Apis
fernere Gitate überflüssig sind. Bei manchen Insditm rücken
freilich die vasa Malpighii so weit am Darme herauf, dass man
auf den ersten Blick kaum an eine solche enorme Länge des
eingestülpten Theiles glauben möchte. Indessen ist auch hier die
Arbeit von Basch sowie die bereits erwähnte Stelle von Rathke
über Blatta beweiskräftig genug; im Uebrigen werden weitere
ontogenetische und anatomische Untersuchungen schon bald über
diesen Punkt den gewünschten Aufschluss geben und ohne Zweifel
in unserem Sinne ausfallen.
In Bezug auf das Nervensystem (Nr. 4) wird ein näherer
Nachweis wohl überflüssig sein, da selbst bei denjenigen Im^o-
Formen, bei denen die Verschmelzung der Ganglien schon weit
gediehen ist, doch meist noch die einzelnen Knoten zu erkennen
sind. Aehnliches gilt in Betreff des Herzens (Nr. 5), dessen
Schema nach den verhältnissmässig wenig genauen Angaben,
welche bis jetzt darüber vorliegen, construirt worden ist. Mit der
Ausbildung eines vom Abdomen wesentlich verschiedenen Thorax
') Eingehender besprochen in meiner Monographie von Pyrrhocoris aptenis.
Archiv f. Anat. und Phys. von Da Bois-Beymond and Reichert. 1874. p. 313 fT.
1875. p. 321 ff.
lieber ODiogenie und Phylogenie der Insekten. 145
hängt auch der Mangel der Flttgelmuskeln und Klappen im Be-
reiche des letzteren zusammen. ^)
Punkt 7 und der Anfangtheil von Nr. 8 werden auch kaum
eine Anfechtung erleiden. In dem Ausdrucke ;,paarige Keim- und
Anhangsdrtlsen'' liegt weiter nichts, als dass unpaare Organe dieser
Art durch Verschmelzung nachträglich entstanden sind. Wie
gross aber die Anzahl dieser Paare war, darüber bin ich weder
durch die anatomischen noch die ontogenetischen Angaben mit
mir selbst ins Reine gekommen. Am wahrscheinlichsten ist auch
hier ftir Protentomon je Ein Paar anzunehmen, doch darf man,
wenn z. B. nach E. Sessels ^) bei Schmetterlingsembryonen die
^enitalanlagen zuerst einfach sind und später erst eine Vier-
theilung erfahren, dies nicht gleich auf das Protentomon über-
tragen. — lieber die Lage des atrium genitale hat Lacaze-Duthiers
im Anfang der fünfziger Jahre umfassende Untersuchungen an-
gestellt, welche ihn zu dem Resultate führten, dass die Qeschlechts-
5ffnung des Weibchens sich am Hinterrande des 8. Segmentes
befinde und dass dfe armure genitale aus dem 9. Segmente ge-
bildet werde. Die letztere Behauptung ist allerdings gegenwärtig
nicht mehr haltbar, nachdem neuere Beobachtungen gezeigt haben,
dass auch die rudimentären Bauchftisse dabei eine grosse Rolle
spielen. (Vgl. weiter unten bei den Hymenoptera.) Dagegen ist nach
wie Tor zu betonen, dass sich am Hinterleibe des Weibchens 8
sogenannte prägenitale Segmente vorfinden. Diese sind, wie auch
schon Lacaze hervorhebt, vielfach nur noch auf dem Rücken
deutlich zu erkennen, während ein oder mehrere Stemite ein-
gehen, d. h. mehr oder weniger innig mit dem Metasternum ver-
wachsen können. ') Selbst wenn nun auch die Annahme einer
') Die neneste Arbeit, welche dieses Organ betri£f1t (über den propulsa-
torischen Apparat der Insekten von V. Graber im Arch. mikrosk. Anat von
Max SchulUe 1873, p. 129—196, Tab. VIII— X) zeigt nur, wie vielgestaltig
dasselbe sein kann, liefert aber, da aacl^in ihr mehrere Ordnungen (Neu-
roptera, Diptera, Hemiptera) nicht eingehend behandelt sind, kein klares Bild
Yon dem, was nun eigentlich Typisches sich am Herzen vorfindet und wie
dasselbe rein morphologisch betrachtet aufzufassen ist.
*) Studien über die Entwicklung der Sezualdrüsen bei den Lepidopteren.
Zeitschr. wiss. Zool. 1867, p. 545—64.
*) Er sagt: „En g^nöral, l'avortement des sternites porte sur lespremiers,
et soavent il est caus^ par un d^veloppement plus ou moins grand des parties
steruales des m^so- et m^tathorax". (Ann Sc. nat. Zool. 1853 I, p. 281.)
Wenn es dann weiter heisst: „Mais les sternites des autres parties de Tab-
dornen peuvent aussi avorter. Ainsi, les Hym^nopteres et les H^mipt^res
Bd. X, N. F. III, «. 10
146 P&ul Mayer,
»
solchen Verschmelzung mitunter gezwungen erscheinen möchte,
so ist sie doch immer noch weniger gewagt , als wenn man an
eine Verlegung des atrium genitale vom 8. zum 7. Segmente
denken wollte oder gar sich der Ansicht zuneigte, die ursprüng-
liche Lage sei am Hinterrande des 7. Ringes zu suchen und nur
in Ausnahmefällen sei sie durch Einschiebung eines Segmentes
weiter nach hinten gertlckt. Dies glaubt aber, wenn ich ihn richtig
verstanden habe, Gerstäcker; wenigstens heisst es in seiner neuesten
Publication ^) : „Zwischen Ferla und Nemura einerseits und Ptero*
narcys und Diamphipnoa andererseits existirt nur der — aller-
dings recht auffallende — Unterschied, dass während bei jenen
[das atrium genitale
Ventralringes fällt,
auf den Hinterrand des 7. (?) resp. 8. (S)
es] bei diesen beiden Gattungen — durch
eine Einschiebung eines Segmentes an der Basis des Hinterleibes
auf der Grenze zum Metathorax — auf den 8. resp. 9. verlegt
>ist/^ Bei Pteronarcys und Diamphipnoa gibt also Gerstäcker
eine Verschmelzung des i. Sternites zu, da sich bei Zählung „der
frei abgesetzten Ventralplatten die Genitalplatte als die 7. ergeben
würde^' (p. 247, Anm. 2). Dagegen hält er dies bei den nahe-
stehenden Gattungen Ferla und Nemura nicht fUr zulässig, weil
„aus der Frofilzeichnung zu ersehen, dass . . . hier nicht ... im
Anschluss an das Metanotum ein Dorsalhalbring vorhanden ist,
welchem keine selbständige Ventralplatte entspricht'^ (p« 246). Und
doch beweist gerade diese Abbildung (Taf. XXIII, Fig. 8), dass
ein solches erstes Tergit (das segment mödiaire von Latreille)
existirt, dessen Grenzen bei Behandlung des Chitins mit Ghemi-
calien auch sicher hervortreten werden. In ähnlicher Weise
sucht auch Meinert ^) das anscheinende Fehleo zweier Abdominal-
segmente bei dem Weibchen von Forficula dadurch zu erklären,
dass er annimmt, ,,that the vagina has been placed behind the
sixth instead of behind the eighth ventral shield.^' Man sieht
aber ohne Mühe unmittelbar hinter dem Metanotum zwei deutlich
getrennte Ghitinlamellen, welche man unbedenklich als die ersten
beiden Abdominaltergite auffassen darf, denen kein Stemit ent-
homopt^es manquent toujours d'hogdosternite oa sternite preg^nital^^ so bt
aach hierin nicht gesagt, dass das atrium nicht am Ende des 8. Segmentes
liege.
1) Zeitschr. wiss. Zool. 1874, p. 244.
*) Ann. Mag. Nat Hist. 1865 XV, p. 484. (Auszug aus dem dänischen
Originale, welches mir nicht zu Gebote stand.)
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Inaekten. 147
spricht. So wird das scheinbar erste Stemit zam dritten^ das
sechste zum achten; gleichzeitig ist dann das letzte Segment;
welches die Zange trägt; als 9. Tergit oder mit Rücksicht anf die
zwei schon Westwood ^) bekannten Qnerstreifen als Gomplex des
9.; 10. und 11. Tergites sammt ihren Seitentheilen zu bezeichnen,
während die postgenitalen Stemite gleichfalls alle vorhanden sind.
Sonach ist auch hier kein zwingender Grnnd znr Annahme einer
Verlegung der Genitalöffnnng vorhanden; vielmehr fügen sich die
scheinbaren Ausnahmen völlig dem Satze von Lacaze-Dnthiers.
Was die Legescheide angeht; so möchte ich sie unter Nr. 9
und zwar bei den primären sexuellen Kennzeichen aufführen; dabei
aber hervorheben; dass sie dem Protentomon nicht eigen gewesen
ist. Waren sonstige geschlechtliche Differenzirungen vorhanden
— secondaiy sexual characters — so beschränkten sie sich ohne
Zweifel auf ein höchst bescheidenes MaasS; da ja bei sehr vielen
Insekten keine Spur von ihnen vorhanden zu sein scheint.
Mit Rücksicht auf diese so gut wie irgend möglich durch
Gründe gestützte Charakteristik des Protentomon will ich nun
einige allgemeine Sätze aufstellen; welche; ohne gerade viel Neues
zu bieten, bei der Besprechung der einzelnen Insektengruppen von
Nutzen sein werden. Ich bemerke ausdrücklich; dass sie nur die
Imagines im Auge haben.
1) Insekteu; welche im Wasser lebeu; sind von Formen ab-
zuleiten; die noch die ursprüngliche Lebensweise auf dem Lande
besassen. Je grösser die Modificationen sind, welche der ver-
änderte Aufenthalt mit sich bringt, desto länger hat bereits die
Einwirkung desselben gedauert und desto älter ist die Form;
welche das Leben im Wasser begann.
2) Aehnliches gilt von Insekten; welche sich im Innern von
pflanzlichen Stoffen aufhalten.
3) Parasiten sind von der Untersuchung zunächst ganz aus-
zuschliessen und sind jedenfalls jünger; als ihre nächsten Ver-
wandten; selbstredend auch jünger als ihre Wirthe.
4) Der Anpassung relativ am meisten unterworfen sind die
Kauwerkzeuge und Locomotionsorgane.
a) Insekten mit saugenden oder stechenden Mundtheilen
sind im Allgemeinen jünger; als die mit beissenden
versehenen.
') Classification of Insects 1839. I, p. 401.
10*
148 Paul Mayer,
b) Insekten mit ungleichen oder fehlenden Flttgelpaaren
sind jünger als ihre nächsten Verwandten mit
undifferenzirten Flugwerkzeugen.
c) rudimentäre Beine weisen auf ein relativ geringes
Alter hin.
5) Der Anpassung wenig unterworfen sind die Excretions-
Organe^ das Nervensystem und die Sinnesorgane.
a) Bttschel-, quirl-; schlingenförmige vasa Malpighii sind
nachträglich entstanden.
b) Die Gontraction der Ganglienkette und die Ver-
schmelzung der einzelnen Knoten verräth abgeleitete
Formen.
c) Antennen von complicirtem Bau sind Zeichen eines
geringen Alters.
6) Sehr constant ist gleichfalls die Gliederung des Rumpfes.
Hier sind als spätere Modificationen hauptsächlich zu erwähnen
a) Die freie Beweglichkeit des Kopfes am Thorax und die
stielförmige Insertion des Hinterleibes.
b) Die Verwachsung des Pro- und Mesothorax, sowie die
Verkümmerung des ersteren zum sog. Halskragen
(coUare).
c) Die Verschmelzung und Abänderung namentlich der
letzten Abdominalsegmente zu Gunsten des Genital-
apparates.
7) Parthenogenese und verwandte Erscheinungen auf ge-
schlechtlichem Gebiete beweisen zwar grosse Veränderungen in
der Oekonomie des Einzelinsekts, berechtigen aber zu keinen weit-
reichenden phylogenetischen Schlüssen.
Eine Reihe weiterer Thesen gewinnen wir, sobald wir die
Entwicklungsstadien in Betracht ziehen, welche wir bis jetzt
absichtlich unberücksichtigt gelassen haben. Wir müssen aber
hier um Vieles behutsamer vorgehen, da wir ja nicht wissen
können, in wie weit die Larven wirklich frühere Phasen der Imago
repräsentiren oder nur nachträglich erworbene Eigenschaften zur
Geltung bringen.
Bekanntlich ist bei den Insel^ten das Wachsthum; sobald es
ein gewisses Maass überschreitet, an Häutungen gebunden. Diese
wollen wir, insofern genau genommen nichts als die Guticula dabei
abgeworfen wird, Wachsthumshäntungen nennen. Aber auch alle
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 149
Aendernngen; so weit sie das Ektoderm ^) betreffen; hängen von
solchen Häutungen ab, da sowohl neue Organe nicht eher in
Wirksamkeit treten^ als auch ttberflttssig gewordene erst bei einer
solchen Gelegenheit entfernt werden. Nehmen wir nun an^ das
Protentomon sei larvenlos gewesen; d. h. es sei direct aus dem
Ei ein Insekt hervorgegangen; welches alle früheren Zustände , des
Protentomon bereits als Embryo durchgemacht habe, so wird es
sich während seiner völligen Ausbildung nur noch einer Anzahl
Wachsthumshäutungen unterziehen. Erst dann, wenn in Folge
der Anpassung; welche das junge Thier im Laufe seiner Orössen-
zunahme erleidet; eine spätere Generation in wesentlich verän-
derter Form das Ei verlässt; wird bei Gelegenheit einer Häutung
auch ein Theil des Ektoderms sich ändern müssen. Wir können
aber hier, wo diese Modificatiouen flir unser Auge scheinbar
sprungweise vor sich gehen ; von einem Larvenzustande bereits
dann reden, wenn das wachsende Insekt von dem erwachsenen
in Bezug auf nur Ein Organ nach der positiven oder negativen
Seite abweicht; d. h. entweder ein (später auftretendes) Organ
entbehrt oder ein (provisorisches) Organ zu viel besitzt.') In
Bezug auf ihre Bedeutung flir die Imagines ist nun jegliche Larve
von zweierlei Natur: entweder — und dies ist verhältnissmässig
selten — alterirt sie die Imago so wenig, dass keine neue Art
entsteht; oder — was bei Weitem häufiger sein muss — sie wirkt
so umgestaltend darauf ein, dass hierdurch eine neue Art ge-
schaffen wird. Im letzteren Falle geht die Larve phylogenetisch
der Imago voraus, ist also primär; im ersteren secundär. Es
') Die inneren Genitalien, so weit sie hierher gehören sollten, aas-
genommen.
*) Nach der gebräuchlichen Definition muss die Larve, um ihren Namen
zu verdienen, mindestens ein (provisorisches) Organ zu viel besitzen. Ent-
steht nämlich ein dem jungen Thiere fehlendes Organ allmählich vor
unsem Augen, so mangelt uns eine Unterscheidung zwischen anscheinend nor-
maler Entwicklung und einem Larvenstadium, da sich nirgends eine scharfe
Grenze ziehen lässt. Diese ist aber sofort gegeben, wenn zu irgend einer
Zeit die Jugendform ein Organ zu viel besitzt, mag sie es nun auch noch so
langsam einbüssen. Bei den Insekten bedingt hingegen die Cuticula die schein-
baren Sprünge und ermöglicht uns eine scharfe Auseinanderhaltung der Ent-
wicklungsstadion. Sagt man sonst z. B., das junge Thier ist augenlos und
erlangt seine Sehorgane allmählich, so heisst es hier: es erlangt sie bei der
ersten Häutung und ist bis dahin als augenlose Larve anzusehen. Die ab-
geworfene Cuticula möchte ich jedenfalls nicht einem provisorischen Organe
aequivalent sein lassen.
150 P»"l Mayer,
ergibt sich ohne Weiteres, dass ein und dieselbe Larve für eine
Imago primär, für eine andere secandär sein kann und moss. ^)
Lassen wir nun im Laufe der Zeit das Protentomon yerschiedene
Larvenformen annehmen, so erlangen wir schon hierdurch neben
der unveränderten Imago mit einer Seihe ausschliesslich secun-
därer Larven eine eben so grosse Reihe neuer Arten, die blos
primäre Larven besitzen, und eine noch grössere Menge nener
Species, bei denen die Larven gemischter Natur sind. ^) In aller
Strenge brauchen nun die einzelnen Larven, welche eine Art be-
sitzt, unter sich nur um je Ein Organ verschieden zu sein und
zugleich sind die phylogenetisch ältesten auch die ontogenetisch
frühsten. Da aber nach dem Müller'schen Satze Kürzungen in
der Entwicklung auftreten, so werden nach und nach ganze Reihen
von Larvenzuständen zusammen fallen und bei Gelegenheit Einer
Häutung erledigt werden. So wird mit der Zeit ein immer
') Die Begrifi'e secundär und primär stehen, wie ich hier nachtxüglich
bemerke, in einem directen Zusammenhange mit den von Haeckel gewählten
Bezeichnungen cenogenetisch und palingenetisch. Um ein Beispiel zu bringen,
so sind die Flossen der Corethralarve cenogenetisch und sie selbst ist mit Be-
zug auf dieses Organ secundär. Dagegen sind die Kiemen der Pteronarcys-
larre gegenwärtig palingenetisch, weil sie mittlerweile von den Imaginea
adoptirt worden sind; diejenigen Larven, welche sie cenogenetisch erwarben,
waren in Bezug auf die damals kiemenlose Imago secundär, die jetzigen aber
sind primär.
*) Alle diese neuen Arten werden die Genitalien des Protentomon entweder
ganz unverändert oder doch nur gemäss der „correlation of growth" wenig
modificirt besitzen, da sie ja aus der Anpassung von nicht geschlechtsreifen
Individuen hervorgegangen sind. Zwar werden diese umbildnngsfähiger sein,
als die bereits ausgewachsenen, doch ändern sich auch diese durch den Kampf
um's Dasein. Nur mischen sich die hierdurch hervorgerufenen Larvenzustände,
als ontogenetische Wiederholungen des Protentomon den neu entstandenen
Arten gegenüber secundär, mit den aus der Anpassung des jungen Insekts
hervorgegangenen derart, dass einstweilen die (Jnterscheidung nur für die
Theorie von Werth sein mag. Jedenfalls sollten hiernach die Grenitalien sich
constanter vererben, als die andern Organe. In einem gewissen Sinne ist aber
der übrige Körper von den Aenderungen der Genitalien relativ unabhängig,
da alle Anpassungen derselben sich in erster Linie auf die Erzielnng einer
möglichst zahlreichen, nicht einer irgendwie abgeänderten Nachkommenschaft
richten werden. Demnach involvirt eine Modification dieser Organe bei
Weitem weniger die Bildung einer neuen Art; mit andern Worten : nahe ver-
wandte Arten können sehr verschieden gebildete Genitalien besitzen. Am
meisten betriift dieser Satz die eigentlichen Keimdrüsen, weniger schon die
für gewbse Verhältnisse eigens nothwendig gewordenen Einrichtungen, wie
z. B. das receptaculum seminis oder die Legescheide.
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 151
grösserer Theil ded Ektodenns auf Ein Mal verändert and es
kommt nnter Umständen schliesslich dahin, dass das ganze Ekto-
denn abgeworfen wird und ein nenes mit wesentlich andern
Organen an seine Stelle tritt. Dies wird natürlich nar dann der
Fall sein^ wenn im Laufe der Phylogenese wirklich auch die
ganze Eörperoberfläche eine völlige Umgestaltung erlitten hat
Dies ist aber, vne sich bald zeigen soU^ meist nur auf der Bauch-
seite eingetroffen; während der Kücken verhältnissmässig constant
geblieben ist. Eine solche Mauserung als pntogenetische Summe
einer grossen Reihe von Larven kann nun, wenn sich die Ent-
wicklang noch mehr verkürzt, in die Periode des Eilebens fallen
and den Embryo zu einer Abwerfung seines Ektoderms veran-
lassen.
Während sich diese Vorgänge aus der Anpassung des
wachsenden Insekts ableiten lassen, sorgt die Anpassung, welche
das Ei und in ihm der Embryo erleidet, fttr eine Verkürzung der
Embryonalperiode. Im Allgemeinen nämlich muss eine solche
vortheilhaft wirken, indem der Embryo nur passiv im Kampfe
nm's Dasein vorgehen kann, das ausgeschlüpfte Thier aber activ.
Zwar kann sie, indessen nur auf Kosten der Grösse und Kraft
des Embryo, durch Verminderung des Nahrungsdotters erzielt
werden; gefahrloser hingegen wird sie durch eine Vermehrung
desselben erreicht, weil diese ja eine Becapitulation der frühsten
Stadien nach Möglichkeit verhindert. Das kann nun unter dem
Einflasse dieser Lethe in Oestalt von Dotterkömehen so weit
gehen, dass der sich bildende Embryo gewissermaassen nichts
Eiligeres zu thun hat, als sein ganzes, eben erst fertig gewordenes
Ektoderm abzulegen. Solche enorme Kürzangen verwischen dann
auch so ziemlich jede Spur von den Vorfahren des Protentomon. ^)
Anders gestaltet sich die Sache, wenn wir die Entwicklungs-
geschichte von solchen Insekten studiren , deren Eier ohne Nah-
rangsdotter einen Embryo mit stärkerem Gedächtniss enthalten.
Wir können dann a priori erwarten, Stadien in der Entwicklang
anzutrefifen, welche der erwähnten totalen Abwerfung des Ekto-
derms voraasgehen und uns über die Vorgeschichte des Insekten-
stammes deutliche Auskunft zu geben im Stande sind. Bis jetzt
hat erst ein einziger Beobachter sich mit der Ontogenie solcher
') Die Annahme, da« Protentomon habe keine Larven besessen, geschah
der Einfachheit wegen. Die Auseinandersetzung leidet aber auch bei dem
Gegentheilo durchaus nicht.
152 ^V^^ Mayer,
Arten beschäftigt , die ihm ein glücklicher Zufall in die Hände
spielte, es aber unterlassen, die Oonseqnenzen daraas zn ziehen ^),
wenngleich er den Werth seiner Arbeit viel richtiger würdigt, als
es Andere gethan. Dass Salensky seine Anschauungen wesent-
lich nach dem Hydrophilus, dessen Ei eine enoime Menge Nah-
rungsdotler enthält, gemodelt hat, führte ich schon an; aber auch
Bütschli (L c, p. 519) ist sich über die wirkliche Bedeutung der
Ganin'schen Entdeckungen nicht klar geworden, wenn er hervor-
hebt, dass die Ichneumoniden, eine Abtheilung also der Hymen-
optera, „ihrer eigenthümlichen Lebensweise halber wenn auch sehr
interessante Thatsachen boten, doch uns nicht denjenigen Ent-
wicklungsgang darbieten konnten, der als ein regelmässiger, in
jener Ordnung weit verbreiteter zu betrachten gewesen wäre", und
nun noch gar hinzufügt : „Die parasitische Lebensweise, gar schon
die der Eier, ist stets mit mannigfachen Eigenthümlichkeiten und
Absonderlichkeiten verknüpft." Es braucht wohl nicht erst betont
zu werden, dass der Parasitismus der Imago auf die frühsten
Stadien der embryologischen Entwicklung nur einen verschwin-
denden Einfluss ausüben wird, und dass derjenige des Eies, wenn
und indem er den Nahrungsdotter überflüssig macht, gerade für
die Erkenntniss der Ontogenie nur vortheilhaft sein kann. Wir
müssen nun auf die Arbeit Ganin's näher eingehen. Am aus-
führlichsten beschreibt Ganin die Entwicklung bei Platygaster
und reiht daran die der übrigen untersuchten Formen: Ophioneums,
Polynema und Teleas an. Das ist, wie sich gleich ausweisen
wird, in mancher Beziehung zu bedauern, weil das erstgenannte
Insekt noch nicht das einfachste Schema für die ganze Gruppe
bietet Das Ei von Platygaster zeigt während des Verlaufes der
Embryonalperiode auf Kosten seiner Wirthe, nämlich gewisser
Cecidomyidenlarven, eine enorme Grössenzunahme, indem das
Volumen auf das 10—15fache wächst; im Einklang hiermit
„fehlt der sogenannte Ernährnngsdotter fast gänzlich" (p. 383).
Das erste beobachtete Stadium lässt — ich folge hier lediglich
der Beschreibung, welche Ganin gibt — in dem gahz homogenen
Protoplasma des Eies eine Zelle mit einem Kerne erkennen
*) M. Ganin, Beiträge zur Erkenntniss der Entwicklungsgeschichte der
Insekten. Zeitschr. wiss. Zool. 1869, p. 381 451, Tab. 30^38; p. 447: „Da
die vergleichende Embryologie als Wissenschaft noch nicht existirt, so glaabc
ich, dass alle genetischen Theorien zu frühzeitig und ohne strenge, wissen-
schaftliche Begründung sind.'*
Üeber Ontogenie and Phylogenie der Insekten. 153
(Taf. I. Fig. 5). Der genetische Zusammenhang dieser ^^Central-
zelle'^ mit dem Keimbläschen wird völlig geleugnet, indem das
,;darch8ichtige, sehr kleine und fast ganz der Fetttropfen ent-
behrende Ei diese Frage ganz bestimmt zu entscheiden erlaubt/'
Neben dieser CentralzeUe und vielleicht auch aus ihr durch Thei-
lung bilden sich zwei peripherische Zellen ; der Dotter fungirt als
Intercellularsubstanz. ^^Indem die CentralzeUe . . . den Ursprung
der Embryonalanlage des Flatygasterkörpers gibt, vermehren sich
die beiden andern . . . Zellen auch und verwandeln sich in eine
EmbryonalhüUC; die ihrer physiologischen Bedeutung zufolge als
Amnionhfllle zu bezeichnen ist'' (p. 387). Die CentralzeUe ver-
mehrt sich durch endogene Zellbildung, die peripherischen thnn
dies auf gewöhnliche Weise (Taf. I. Fig. 6) ; die Grenzen dieser
Tochterzellen fliessen bald zusammen. Hingegen bilden die aus
der CentralzeUe hervorgegangenen Zellen eine äussere Schicht
,,CyUnderepithel'' und einen inneren Haufen rundlicher Zellen;
erstere hat Aehnlichkeit mit dem ,;61astoderm'' der andern In-
sekten, persistirt jedoch als solches nicht; sondern dient; nachdem
ihre Zellen sich wiederum abgerundet haben, zum Aufbau des
Embryo. Der bis jetzt in seinen allgemeinen Umrissen kugel-
förmige ZeUhaufen wird darauf oblong und erhält an der späteren
Bauchseite eine tiefe Einbuchtung (Taf. 1. Fig. 8), welche jedoch
nicht zur MundOfihung wird, sondern nur die ventrale und dorsale
Seite deutlich hervortreten lässt. Auch Kopf und Schwanz ent-
wickeln sich jetzt verschieden ; auf der Höhe des ersteren bildet
sich durch eine Einstülpung der Mund, rückt aber allmählich auf
die Bauchseite. Gleichzeitig vergrössern sich die inneren, von
Anfang an rundlichen Zellen und gestalten sich zu den Wandungen
des Magens. Nun treten auch die Metamere auf, während die
Antimere bereits früher am Schwanzanhange angedeutet sind.
Kurze Zeit darauf verlässt der Embryo das Ei und besitzt als
,,cycIopsähnliche Larve^' eia Kopfschild, d. h. ein sehr grosses
Kopfsegment mit Krallenflissen (welche durch Muskeln bewegt
werden) und rudimentären Antennen, ferner 5 Abdominalsegmente
(mit Längsmuskeln) und am letzten derselben einen Gabelschwanz,
welcher während des Eilebens unter den Bauch geschlagen war.
Die mit einer Cuticula versehene Epidermis stammt von dem
„Cylinderepithel^' her, während „die im Innern des Embryonal-
körpers übrig bleibenden Zellen, mit Ausnahme der grossen Cen-
tralzellen, welche in die zelligen Wände des Verdanungscanales
sich metamorphosiren, sich zu cylindrischen Strängen an einander
154 Paul Mayer,
reihen, die dann den Muskelanlagen des Larvenkörpers ihren
Ursprnng geben^' (1. c, p. 392). Der Darm ist afterlos; seine
Wandnngen bestehen ans ,;grossen runden Zellen, welche mittels
einer homogenen, dicken Intercellularsubstanz verbunden sind; es
gibt [an ihm] bis jetzt weder Muskelschicht noch äussere and
innere Guticularschicht . . . von anderweitigen inneren Organen,
wie man sie sonst bei den Insektenlarven findet, bemerkt man bei
unserer Larve keine Spur'' (p. 398).
So weit Ganin. Ich will nun eine ZurückfÜhrung seiner Be-
obachtungen auf ihren richtigen Werth versuchen, und zeigen,
wie weit sie für die Theorie brauchbar erscheinen. Wenn man
die Art und Weise, in welcher diese Untersuchungen gemacht
wurden und auch nur gemacht werden konnten, berücksichtigt,
wenn man also bedenkt, dass eine continuirliche Verfolgung der
Entwicklang an dem unverletzten Eie unter dem Mikroskope nicht
möglich war, vielmehr der genetische Zusammenhang der ein-
zelnen wirklich beobachteten Stadien durch Vergleichung er-
erschlossen werden musste, so wird man nicht allzu ängstlich auf
dem Wortlaut zu bestehen brauchen. So darf man also in der
der „Centralzelle" und ihrem „Kerne" nichts weiter erblicken,
als das Keimbläschen mit dem Keimflecke. Aehnlich denkt
auch Metschnikoff 0> welcher bereits früher die Entwicklang
einer verwandten Art beobachtete und nun mit Rücksicht auf die
Ganin'schen Behauptungen sagt: „Die ganze Sache findet darin
ihre Erklärung, dass Ganin den Nucleus ftlr die ganze „Central*
zelle'^, den protoplasmatischen Eiinhalt fttr ein die Zelle um-
gebendes Protoplasma genommen hat.'' Es findet demnach eine
Theilung des Keimbläschens und eine bereits sehr früh eintretende
functionelle Differenzirung der entstandenen Kerne statt: eine
Reihe derselben tritt an die Peripherie des Eies und bildet mit
der äussersten Schicht Protoplasma die „Amnionhttlle'', an welcher
man mit Reagentien auch ohne Zweifel die Grenzen der einzelnen
Zellen hätte erkennen können, was Ganin, der sogenannte indiffe-
rente Flüssigkeiten verwendete, nicht zu Stande gebracht hat.
Lässt man dieses Amnion einstweilen ausser Acht, so erblickt
man in dem „Cylinderepithel", welches aus einem Theile der
übrigen Kerne sammt dem zugehörigen Protoplasma hervorgio^^
das Hautsinnesblatt, in den „rundlichen Zellen'' dagegen die
*) Embryologie der doppelfüssigen Myriapoden. Zeitschrifb wIbs. t^
1874, p, 276.
üeber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 155
Anlage des Hesoderms und des Entodeims. Es liegt nan sehr
nahe, hier eine Bildung des letzteren durch Einstülpung; also
eine reine Gastmla anzunehmen^ welche Ganin nicht aufgefunden
hat; und femer der Theorie zu Liebe ein Stadium der Abtrennung
des Hesoderms von den primären Keimblättern einzuschieben, so
dass der Embryo, wie ihn die nach Ganin copirte ^) Figur 7 dar-
stellt, bereits diese drei Keimblätter in sich enthält Man thut
hiermit allerdings den Beobachtungen durchaus keinen Zwang
an, indessen ist man, so lange nicht solche Stadien wirklich
nachgewiesen werden, auf Grund des Vorkommens des Amnion
flberiiaupt viel eher zu der Vermuthung berechtigt, auch hier trete
in der Ontogenese keine Archigastrula mehr auf. Immerhin ist
diese Larve eine höcht einfache Form, etwa dem Nauplius der
Crnstaceen vergleichbar, wie sie denn auch Ganin cyclopsähnlich
nennt. Wenn daher die Anwesenheit des Amnion nicht störend
wirkte, so wäre eine ZurttckfUhrung der bis jetzt besprochenen
Entwicklungsvorgänge auf das Schema so ziemlich geglttckt.
Nun zeigt es sich aber, dass die Larven von Polynema noch viel
primitiver sind. „Das allerfrttheste Entwicklungsstadium ... ist
ein sehr kleiner, unbeweglicher Embryo von sehr einfacher Form
und ohne jede Spur von Organisation. Derselbe war, wenn ich
ihn sah, immer schon aus dem Ei ausgetreten'^ (p. 418). Dieser
„infusorienartige Embryo'^ richtiger diese Larve, ist völlig solide
und besteht aus lauter gleichartigen Zellen, deren äusserste Lage
sich durch Abscheidung einer Cuticula als Hautsinnesblatt kenn-
zeichnet. Später erst bildet sich ein Kopffortsatz und provi-
sorischer Schwftnzanhang ; der Mund entsteht durch Einsttllpung,
der Darm ist blind geschlossen und nimmt wieder aus den innem
Zellen seinen Ursprung. Aehnlich ist die erste Larve von Ophi-
oneurus gebaut (Taf. L Fig. 10 und 11); nur entsteht hier Mund
und After gleichzeitig und „ebenso gleichzeitig oder noch etwas
früher^' (p. 42U) der Darm. *) Auch hier ist die Larve ungegliedert
und ohne alle Anhänge. Leider ist die embryonale Entwicklung
dieser interessanten Larven nicht beobachtet, so dass tiber die
Bildung der Gastmla auch hier nur Vermuthungen gestattet sind.
Höchst wichtig ist aber der Umstand, dass bei Ophioneurus und
') Die Farbang der Keimblätter findet sich bei Ganin natürlich nicht vor,
während im Uebrigen die Zeichnungen getreu nachgebildet sind.
') Die Cuticula ,,geht sehr deutlich in die beiden Oeffnungen über und
überzieht die Höhle des Oesophagus und Enddarmes** (p. 429).
156 ^^^ Mayer,
wahrschemlich auch bei Polynema kein Amnion anftritt Was
endlich die Larve von Teleas angeht, so besteht sie ans nnr zwei
Metameren: einem Kopfschilde mit Antennen nnd Krallenftissen
nnd dem Abdomen mit Schwanzstachel nnd einem Kranze von
Borsten in der Mitte des Segmentes. Anch hier kennt Ganin die
frühesten Stadien nicht ans eigner Anschauung, schliesst aber |
wegen der gleichartigen Metamorphose nnd der systematischen
Stellung auf Aehnlichkeit jener mit denen von Platygaster. Nun
hat Metschnikoff ^) dieselbe Gattung untersucht und sagt darüber
unter Anderem : ,^Das Ei enthält an den frühesten von mir ge-
sehenen Entwicklungsstadien bereits eine entwickelte Keimhant,
welche eine centrale Höhle umgibt Diese Höhle, welche an Stelle
des fehlenden Nahrungsdotters liegt .... flillt sich mit Zellen,
welche dem Keimstreife ihren Ursprung verdanken und später die
Wandungen des Mitteldarmes liefern.^ Dagegen erklärt Ganin,
die Existenz einer solchen Höhle sei für ihn ;,undenkbar'' ; auch
bei Teleas entstehe der Darm aus den grossen inneren Zellen, die
Ansicht MetschnikofTs aber gehöre zu denjenigen, welche „auf
unmittelbare Beobachtungen nicht gegründet sind'' (1. c, p. 432).
Man gewahrt aber ohne Mühe, dass Metschnikoff eine Blasto-
sphaera vor sich hatte, aus deren einer, später zum Bauche des
Embryo werdenden Hälfte (dem Keimstreife) die Zellen des
Darmes, also das Entoderm hervorgingen. Ganin hingegen hat
dieses Stadium eben nicht gefunden, sondern nur die späteren,
wo bereits das Mesoderm gebildet war. Demnach ist, wenn
irgendwo, bei Teleas und Verwandten, die echte, durch Einstül-
pung entstehende Gastrula zu erwarten und wird durch einen vom
Glücke begünstigten Beobachter auch aufgefunden werden.
Ich habe die ersten Vorgänge der Entwicklung bei den ge-
nannten Pteromalinen so eingehend besprochen, weil ich zeigen
wollte, wie sich aus Untersuchungen, welche lange vor der Por-
mulirung der Gastraeatheorie angestellt wurden und deshalb nach
dieser Richtung hin vorurtheilsfrei und unparteiisch genannt
werden dürfen, durch kritische Vergleichung der Angaben die
Existenz einer der Gastrula noch sehr nahestehenden Form, viel-
leicht sogar noch der Archigastrula ohne Zwang darthun lassen
und wie auch manche scheinbare Widersprüche auf solche Weise
') Embryologische Studien an Insekten. Zeitschrift wiss. Zoologie 1866,
p. 289 — 493. Simulia, Miastor, Corixa, Aphis, Aspidiotus, Coccos, Fsylla,
Gerris, Teleas. Citat aaf S. 479 und 481.
lieber Ontogenie ond Phylogenie der Insekten. 157
gehoben werden. Bei der Besprechung der nun folgenden Stadien
kann ich mich um bo kürzer fassen. In sämmtlichen Larven wird
auf durchaus identische Weise die Bildung der Beine und des
Nervensystems dadurch eingeleitet, dass auf der Bauchseite des
Embryo die oberste Zellschicht eine Wucherung und Trennung in
mehrere übereinander befindliche Lagen erführt, während auf dem
Rücken die Epidermis einschichtig bleibt (Taf. L Fig. 6). Vor-
her jedoch zieht sich bei Platygaster der Körper von der Cuticula
zurück, wobei das letzte Segment und die ftircula sammt ihrer
Epidermis und den Muskeln ausser Zusammenhang mit der Larve
gerathen und auch die Gliederung des Abdomens schwindet ^)
Zugleich bildet sich durch Einstülpung der Enddarm, welcher
aber gegen den Magen zu blind geschlossen ist und es auch noch
lange Zeit hindurch bleibt; die Abdominalmuskeln gehen sämmt-
lich ein und der nun zweigliedrige Larvenkörper kommt dem von
Teleas nahe. Während aber hier und bei Polynema eine echte
Larvenhäutung erfolgt, löst sich bei Ophioneurus nur die Cuticula
ab, so dass eine blosse Wachsthumshäutung vorliegt Im Uebrigen
tritt auch hier die Verdickung auf der Bauchseite in gleicher
Weise auf und zugleich mit ihr bildet sich der blinde Enddarm,
wo er nicht schon vorher existirte. Bemerkenswerth ist die That-
saehe, dass diese Veränderungen vom Schwänze nach dem Kopfe
zu fortschreiten. Die Differenzirung , welche die Zellwucherung
erfuhrt, braucht indessen hier nicht näher betrachtet zu werden;
es genüge die Angabe, dass sie während des gesammten Larven-
lebens nicht eben weit führt. „Die ganze Nervenmasse besteht
aus den früheren embryonalen Zellen des Keimstreifes. Und in
diesem indifferenzirten Zustande bleibt das Nervensystem während
des ganzen Larvenlebens von Platygaster^' (1. c, p. 406). Seine
Ausbildung erhält es erst kurz vor der Verpuppung oder auch
während derselben.
Anscheinend in schroffem Gegensatze zu der , embryonalen
Entwicklung der Pteromalinen steht nun diejenige der über-
wiegenden Mehrzahl der Insekten. Die genauesten und schon
ihrer Methode (directe Beobachtung) nach plausibelsten Unter-
suchungen namentlich in Betreff der frühesten Phasen rühren von
I) Höchst wahrscbeinlich haben wir es hier nicht mit echten Metamereü
zu thun, während allerdings die Trennung in Kopf und Abdomen nicht blos
ausser lieh zu sein scheint.
158 Paul Mayef,
Weifimann ^) her and verlangen ebenfalls eine kurze Besprechnng'.
Die ersten zur Beobachtung gelangten Vorgänge an den frisch-
gelegten Eiern von Musca und Ghironomus bestehen in einer Zu-
sammenziehung des Eiinhaltes und in einer Scheidung desselben
in zwei Schichten^ eine oberflächliche und eine tiefe, welche als
Eeirohautblastem resp. Dotter bezeichnet werden. In dem durch-
aus homogenen und hellen Blastem treten ziemlich gleichzeitig
an der ganzen Peripherie Kerne auf, deren erstes Hervorkommen
und Wachslhum sich ohne Schwierigkeit genau beobachten lässt
Um sie herum gruppirt sich das Blastem in der Art, dass seine
bis dahin glatte Oberfläche eben so viele halbkugelige Erhebungen
zeigt, als Kerne vorhanden sind; gleichzeitig theilen sich diese
primären Kerne und mit ihnen die Biastempartien ein und viel-
leicht auch mehrere Male» so dass, indem nun auch die Erhebungen
sich wieder ebnen, schliesslich eine einschichtige Zelllage von nor-
malem Bau den Dotter umgibt Diese erhält den Namen Blasto-
derm. Weismann sagt nun : „mit dem Nachweis einer allmählichen
Entstehung der Kerne im Blastem ist zugleich festgestellt, dass
sie Neubildungen, dass sie nicht Abkömmlinge des
Keimbläschens sind'' (p. 206) und femer: „wir werden
sagen, dass die Zellen der Keimhaut bei den Insekten . . . durch
freie Zellbildung entstanden sind'' (p. 207). Bestätigt werden
seine Beobachtungen darauf bald zum Theil von Kupfier^) und
Metschnikoff und später ohne jeglichen Mckhalt von 0. v. Grimm ^)
an Ghironomus; doch gelingt es dem Letztern, bei jungen Eiern
ein Keimbläschen und auch noch die erste vollendete Zweitheilung
desselben zu sehen, während freilich die Kluft zwischen diesem
Stadium und dem der Blastodermbildung unausgeftlUt bleibt
Analog den Verhältnissen von Musca und Ghironomus verläuft
nach Leuckai't der betre£fende Vorgang bei Melophagus ^), nach
') fintwicklang der Dipteren im EL Zeitschr. wissenschaftl. Zool. 1863,
p. 108—220.
*) Faltenblatt an den Embryonen der Gattung Cbironomas. Arch. mikr.
Anat von Max Schnitze II 1866, p. 885—898, Tab. XX.
') Ungescblecbtlicbe Fortpflanzung einer Chironomns-Art und deren £nt*
wicklang aus dem unbefruchteten Ei« M^m. St. P^tersbourg 1870.
*) Fortpflanzung und Entwicklung der Fupiparen nach Beobachtungen
an Melophagus ovinus. Abhandl. naturf. Gesellsch. Halle 1858, p. 145 — 226.
Tab. I-III.
Üeber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. l59
Ganin ^) bei Formica- und Bombyx-Arten; nach Melnikow ^) bei
Donacia G^ildnng der Eeimkeme frei in der Peripherie des
Dotters^', p. 140), nach Eovalevsky (1. C; p« 45) bei Apis, nach
Balbiani bei Aphis. ') Dieser Ansicht entschieden gegenüber steht
Metschnikoff. Nach ihm ^) treten bei Miastor zuerst im Innern
des Dotters zwei Kerne auf, deren genetischen Zusammenhang
mit dem Keimbläschen er nicht beobachtet hat, sondern erschliesst ;
dann bilden sich durch fortgesetzte Theilung 12 — 15 Kerne, die
sich jeder fttr sich mit Protoplasma umgeben, an die Peripherie
des Dotters treten und so das Blastoderm darstellen. Dieser Ent-
wicklungsmodus hat also die grösste Aehnlichkeit mit dem bereits
geschilderten des Platygasterembryos. Aehnlich geht diese Bildung
bei Aphis ^) vor sich, während bei Aspidiotus wiederum der Ritus
von Musca auftritt Alle übrigen Insekten, deren Ontogenese be*
schrieben worden, sind mit Bezug auf diese ersten Stadien nicht
untersucht, so dass demnach das der Kritik vorliegende Material
dürftig genug ausfällt Metschnikoff nun behauptet, die mit
grossem Dotter versehenen Eier ,,können keine passenden Objecte
für die Untersuchung der Blastodermbildung liefern'' (p, 413),
weil die Undurchsichtigkeit des Dotters die Vorgänge im Innern
verdeckt, und verwirft darauf ganz dogmatisch die Bichtigkeit
der Ansicht Weismann's. In Wirklichkeit lassen sich aber gerade
mit Berufung auf die Haupteigenschaft des Kahrungsdotters,
welche weniger eine Verdunklung des Eiinhaltes als eine Trübung
') Bmbryonalhülle der Uymenopteren - und Lepidopteren - Embryonen.
M^m. St. P^tersboarg 1669.
') Beiträge zur embryologiscben Entwicklang der Insekten. Troscbers
Archiv 1869 XXXV 1, p. 136—189.
') Memoire sar la g^n^ration des Aphides. Der Abschnitt: D^veloppe-
roent de Toeuf ponda in Annal. Scienc. natnr. Zool. 1872 I. Nr. 4, p. 1—63«
*) L. c, p. 411.
') Balbiani beschäftigt sich in seiner umfangreichen Arbeit zwar nur mit
den Oviparen Aphiden, gibt aber (1. c, p. 9) in Betreu' der viviparen an, dass
in ihren kleinen and durchsichtigen Eiern zu. gleicher Zeit mit den an der
Peripherie gelegenen Blastodermkernen anch noch das Keimbläschen „plus
ou moins altMe dans sa forme, raais n^anmoins parfaitement reconnaissable
encore au centre de TceuT' vorhanden sei. Obwohl nun (abgesehen von dem
wenig glücklichen Versuche Balbiani's, die Aphiden zu einer Art Hermaphro-
diten zu machen) die ganze Abhandlung den Eindruck grösserer Genauigkeit
macht, als diejenige von Metschnikofi', so ist doch aus theoretischen Gründen
die von letzterem angegebene Darstellung der Bildung des Blastodermes wohl
ab die richtigere anzusehen.
160 I*aul Mayei*,
der ontogenetischen Vorgänge zur Folge hat, beide Behauptungen
leicht vereinigen. Wir brauchen nur darauf hinzuweisen; dass die
Aphis- und Miastor-Eier während der Bildung des Blastoderms
noch wachsen und ihren Dotter zum Theile erst in dieser Zeit
aus dem Mutterleibe in sich aufnehmen. So können wir ohne
Weiteres bei den normalen Dipteren und mit einem AnalogieschluBS
auch bei allen Insekten^ deren Eier eine grosse Menge Dotter
enthalten; voraussetzen; dass das Keimbläschen vor Bildung des
Blastoderms schwindet und seine Elemente dann zur Bildung der
einzelnen Kerne verwendet werden, in der Art, dass hier die sonst
langsam verlaufenden wiederholten Theilungen des Keimbläschens
auf einmal erfolgen. Eine solche Zusammenziehung der ersten
Stufen in der Entwicklung harmonirt auch vortrefflich mit der,
wie gleich gezeigt werden soll, überhaupt so enorm und abnorm
gekürzten Ontogenese der Insekten. Einen ähnlichen Versuch zur
Erklärung dieser Differenzen zwischen Weismann und Metschnikoff;
welche Beide aus ihren Specialbeobachtungen zu allgemeine
Schlüsse gezogen haben, hat übrigens auch 0. v. Grimm ^) gemacht,
wenngleich ohne Beziehungen auf Phylogenie.
Ueber die weiteren Vorgänge am Blastoderm und den An-
theil, welchen es an dem Aufbau des Embryo nimmt, sind gleich-
falls Angaben und Ansichten grundverschieden, so dass auch hier
eine kritische Sichtung nothwendig wird, aber auch zu einem
einigermaassen befriedigenden Resultate führt. Fast alle Beobachter
stimmen darin überein , dass sich aus einem mehr oder minder
grossen Theile des Blastoderms der „Keimstreif bilde. Hierbei
ist zunächst nur eine Verlängerung der Gylinderepithelzellen des
Blastoderms auf der Seite, welche zum Bauche des Embryo wird;
zu constatireU; keineswegs eine Trennung desselben in zwei
Schichten. Die Kfickenpartie der Keimhaut bleibt wie sie war
oder ihre Zellen verflachen sich zu einem exquisiten Plaster-
epithel. ^) Dann erst spaltet sich von dem Bauchblastoderm,
') Beiträge zur Lehre von der Fortpflanzung und Entwicklung der Arthro-
poden. M^m. St. P^tersbourg 1872.
') Weismann nimmt sogar für „aUe Larven mit beissenden Mundtheilen
und alle Insekten mit unvoUkommner oder fehlender Metamorphose^^ (1. c,
p. 210) einen völligen Riss des Blastoderms an, durch welchen der Dotter
frei zu Tage trete (sogenannter regmagener Keimstreif). Indessen hat
schon Kupifer (1. c, p. 890 fi'.) gezeigt, wie Weismann die sich bildende seröse
Hülle für die Dotterhaut angesehen hat und wie er überhaupt zu der An-
nahme eines Spaltes im Blastoderme gelangen konnte, ohne dass ein solcher
Üeber Ontogonie und Phylogenie der Insekten. Ißl
welches hierdurch den Namen ^^Eeimstreif erlangt , eine
Schicht ab, deren Zellen allem Anscheine nach anf verschiedene
Weise entstehen. Wir verfolgen aber zunächst die weiteren
Schicksale des Blastoderms selbst. Sie sind differenter Natur, je
nachdem der Eeimstreif, d. h. die Verdickung der Bauchseite, den
ganzen Meridian bedeckt, oder nur einen kleinen Theil der Peri-
pherie in Anspruch nimmt , um sich darauf vom Blastoderm zu
entfernen und in den Dotter hinein zu wachsen. Hiernach unter-
scheidet man bekanntlich zwischen äusserem und innerem
Keimstreif. Bemerkenswerth ist es nun, dass bei letzterer Form
die Stelle, an welchem er mit dem Blastoderm zusammenhängt,
zum Kopfe des Embryo wird und sonach dieser Theil des Körpers
sich zuerst anlegt Der in den Dotter hineinwachsende, an seinem
Schwanzende demnach freie Eeimstreif ist nun nicht massiv, viel-
mehr entsteht gleich zu Anfang in der durch Zellwucherung ver-
dickten, mehr oder weniger scharf umschriebenen Stelle der
Keimhaut eine Höhlung, so dass der Keimstreif, oder wie er in
diesem Falle auch genannt wird, der Keimhttgel oder das
Keimschild die Form eines Handschuhfingers annimmt. Die
eine am meisten nach der Peripherie des Eies gerichtete Wandung
ist dünn, besteht aus Einer Schicht und trägt bei den Autoren
die Namen : innere HttUe, Faltenblatt (Deckblatt), Amnion oder
viscerales Blatt; die andere wird mehrschichtig und ist eben der
eigentliche Keimstreif. ^) Beide Theile stehen natürlich mit dem
Blastoderm in Verbindung und bilden gewissermaassen nur eine
Einstülpung desselben. Nachdem dies geschehen, wächst die
Keimhaut mittels einer Falte, welche sich ringförmig erhebt, noch
über den Kopf hinaus und bildet so zum zweiten Male eine durch-
aus geschlossene Blase, deren innerer Wandung an einer Stelle
der Handsohnhfinger aufsitzt Bei Pediculiden und Mallophagen
wirklich vorliegt. Zu gleichem Resultate ist auch Metschnikoff (1. c, p. 485)
gekommen. Dagegen redet Bütschli bei Apis von einem Auseinanderweichen
der Blastodermzellen auf dem Rücken und einem Austritt des Dotters, fügt aber
einschränkend hinzu, dass „wahrscheinlich einzelne schwer wahrnehmbare
Zellen die grösstentheils entblösste Rückenfläche des Dotters bedecken*^ (I. c,
p. 525). Hiemach erscheint es im ttussersten Grade fraglich, ob wirklich
irgendwo bei den Insekten ein Riss des Blastodermes vorkommt; man hat
es wohl in aUen derartigen Fallen nur mit optischen Täuschungen zu thun.
*) Die einzelnen Autoren stimmen in der Anwendung dieses Ausdruckes
eben so wenig mit einander überein, wie in der Bezeichnung der Keimhülien.
Bd. z, N. F. m, 2. 11
162 Paul Mayer,
soll indessen nach den Beobachtungen von Grimm ^) nnd ron
Melnikow diese üeberwachsung nicht eintreten, sondern „die
Einstülpungsöfi&iung bleibt vorhanden" (M. p. 164), nur wird sie
so eng, dass d^r Schein eines Zusammenhanges der Ränder
entsteht. Hat sich später aus dem Eeimstreif die Bauchseite des
Embryo durch Differenzirung gebildet, so stülpt er sich -- and
dies macht natürlich nur bei den Pediculiden und Mallophagen
einen Riss des Blastoderms unn5thig — wieder aus, das Blasto-
derm aber bildet nun den Verschluss des Rückens. Somit befindet
sich der Dotter im Innern des Embryoleibes und yerßlllt alsdann
der Resorption. Nach dieser Auseinandersetzung geht zwar ans
dem Blastoderm die ganze Eörperwand des Embryo, allein
direct doch nur Kopf und Rücken desselben hervor; während des
eigentlichen Aufbaues aber fungirt es nur als eine nicht unmittel-
bar betheiligte Decke und hat hiernach im Gegensatze zur innem
Hülle die Bezeichnungen : äussere Hülle, Amnion, seröse HttUe und
parietales Blatt empfangen. ^)
Etwas anders verlaufen diese Vorgänge bei den Insekten
mit äusserem Eeimstreife. Hier bleibt die ganze Bauchseite des
Embryo zunächst mit dem Blastoderm in Verbindung; bald
aber wölbt sich dieses auf der Bauchseite an beiden Endpunkten
derselben, also an den Eipolen, zu je einer Falte in die Höhe,
welche den ganzen Embryo umwachsen und beim Zusammentreffen
Dies beweist deutlich, wie man bei der Darstellung der embryologischen Vor-
gänge sich mehr darum bemühte, eine genaue Beschreibung zu liefern, als
ein Verstandniss namentlich mit Bezug auf Zellschichten (Keimblätter) zu er-
zielen. Nun tritt zwar die Bauchseite des Blastodermes, sowie ihre Zellen
höher werden, bei Beobachtung mit auffallendem Lichte durch grössere Weisse
vor der übrigen Eeimhaut als ein Streifen hervor; indessen wird man, falls
man überhaupt das Wort Eeimstreif noch beibehalten will, es erst dann an-
wenden dürfen, wenn eine Trennung der betreifenden Blastodermpartie in
mehrere Schichten eingetreten ist, weil nur in diesem Falle die Worte „innerer
und äusserer KeimstreiP* wirklich das Resultat der nämlichen Vorgänge be-
zeichnen. Alsdann ist der Keimstreif nichts Anderes als diejenige Stelle des
Blastoderms, welche die Anlage des Nervensystemes und des Mesoderms
enthält. Noch besser freilich sieht man von dem Gebrauche eines solchen
ungenauen Ausdruckes ab.
') Entwicklung der Arthropoden (Docophorus).
') Natürlich ist dies Blastoderm (innere und äussere Hülle) viel zu weit
gedehnt, um direct zur Schliessung des Rückens verwendet zu werden. Eine
Contraction, d. h. eine Näherung seiner Zellen muss also eintreten und nur
von ihrer Intensität wird es abhängen, welcher Theil, ob die innere oder die
äussere Hülle, mit dem Embryo in Verbindung tritt.
Ueber Ontogenie und Pbylogenie der Insekten. 163
verschmelzen. Gleichzeitig trennen sich die beiden Wandungen
der Falten allmählich von einander und so entstehen zwei Kapseln,
von denen die innere blos den Embryo einhtlllt oder richtiger ge-
sagt; mit ihren Bändern überall in den Keimstreif übergeht; die
äussere aber den ganzen Eiinhalt umgibt. Sonach steht die
letztere nun mit dem Keimstreif in gar keiner Verbindung
mehr; sondern schmiegt sich der Eischale von innen dicht an.
Ist dann die Bauchseite des Embryo differenzirt; so reisst die
äussere Hülle ein und wird zuweilen zur Bildung der Bücken-
Wandung verbraucht, während der Verbleib der inneren nicht
immer mit Sicherheit festzustellen ist. Uebrigens sind die Be-
schreibungen, welche die Autoren liefern; so erheblich unter sich
verschieden und mehr oder weniger unklar — Beides in viel
höherem Grade, als die Schilderungen der Entwicklung mit innerem
Keimstreif es sind — dass es nicht leicht wird, sich in ihnen zu
Orientiren. So lässt Melnikow nicht nur bei Donacia, sondern
auch bei Musca und Chironomus entgegen den Anschauungen der
andern Beobachter die innere Hülle sich gleichfalls über den ge-
sammten Dotter hinziehen, während Bütschli bei Apis und Ganin
bei Formica und Bombyx gar keine innere Hülle bemerkt haben.
Kovalevsky beschreibt hingegen bei Apis beide Hüllen als ;;ge-
schlossene Säcke''. Bei Musca vermisst dann wieder Mecznikow
die äussere Hülle, dafür versichert aber Kovalevsky ganz bestimmt,
sie gefunden zu haben etc. etc. Vergleichen wir daher, um diesem
Wirrwarr zu entgehen, zunächst die fraglichen Stadien mit denen
der Pteromalinen. Wir sehen, dass bei der ersten Larve derselben
die Bauchseite der Körperwandung eine Verdickung erfährt;
während die Bückenfläche ungeändert bleibt. Aus dieser ver-
dickten Schicht gehen dann hervor: Bauchstrang, Gehirn, Kopf
und die ventralen Extremitäten, also ganz dieselben Theile, welche
sich aus dem Keimstreif der übrigen Insekten bilden. Somit ist,
wie schon Ganin ^), wenn auch in etwas sonderbarer Weise
ausspricht, die ganze Embryonalperiode von Platygaster ftlr die
andern Insekten verloren gegangen. Demnach ist das Blastoderm
nichts weiter als das Ektoderm, welchem direct kein Entoderm
correspondirt , sondern welches in Einklang mit unsem theore-
tischen Darlegungen einer Summe von einzelnen Larvenhäutungen
') L. c p. 440: „Es scheint, als ob die erste' Fteromalinenlanre ein echtes
Ei sei, in welchem eben solche embryologische Vorgänge ablaufen, wie sie den
andern Arthropoden während der Embryonalentwicklnng eigenthümlich sind.^^
IX*
164 I^aul Mayeic, .
oniogenetisch gleichkommt. Wenn dies der Fall ist; so dftrfen
wir erwarten, dass wie sich vor jeglicher einzelnen LarFenhäutnng
aus den betreffenden Partien des Ektoderms und im Znsammen-
hang mit ihnen die neaen Organe bilden , so auch bei diesen
Sammenlarven aus dem gesammten alten Ektoderm das neue
hervorgeht. Nur behält, wie auch die Pteromalinen lehren, der
Bücken, weil fttr's Erste keine neuen Organe an ihm auftreten,
lange Zeit hindurch seine ursprüngliche Form bei und so zeigt
sich der Keimstreif zuerst nur auf der Bauchseite, um dort das
Material für die Neubildungen zu liefern. ^) Er deutet also auf
diejenige phylogenetische Periode hin, in welcher die Vorfahren
des Protentomon ohne Beine und ohne Ganglienkette beide Organ-
systeme erlangten — eine Periode, deren eben nur noch wenige
ft
') Was die Keimblätter angeht, so bemerke ich Folgendes. BeA den
Pteromalinen ist nach Ganin die Verdickung der Baucbepidermis der Anfang
zur Bildung des Nervensystemes, der mächtigen Speicheldrüsen und der ven-
tralen Extremitäten. Letztere entstehen als „solide, zellige Verdickungen der
Epidermis^S ^1^ sogenannten Imaginalscheiben Weismann's, höhlen und stülpen
sich erst später aus und erhalten alsdann ihre Muskulatur von dem Meso-
derm. Dieses ist, wie schon oben angegeben, bereits im Embryo entstanden.
Auch bei denjenigen Insekten, deren Ontogenese an Schnitten verfolgt worden,
also bei Hydrophilus und Apis, vollzieht sich die Bildung des Mesodermes in
einer sehr frühen Periode vom Blastoderme aus; letzteres wird nur dort, wo
kein Mesoderm aus ihm hervorgeht, zum Amnion, muss also später durch ein
neugebildetes Epiderm (Hautsinnesblatt) ersetzt werden. Auch hier ist das
Nervensystem ein Abkömmling des letzteren. Es ist daher nur noch die
Frage nach der Herkunft des Entoderroes zu erledigen. Kovalevsky leitet
es aus dem Mesoderme ab; die Zellen dieses Blattes, welche sich immer
weiter nach dem Rücken hin ausbreiten, biegen nach innen zu um und
wachsen, indem sie zwischen sich und dem Mesoderme, welches nun schärfer
als Hautfaserblatt auftritt, einen Hohlraum bestehen lassen, auf dem Dotter
hin wieder nach der Mediane des ^Bauches zu. So entsteht Leibeshöhle und
Ventraltheil des Darmfaserblattes. Von dem letztern aber spaltet sich geradezu
das Entoderm als eine unmittelbar den Dotter bedeckende Schicht 'ab und
nimmt, indem sie allmählich auch zum Rücken sich ausbreitet, den Dotter in
sich auf. Mir scheint diese Herleitung namentlich mit Rücksicht auf die
Zeichnungen, welche Kovalevsky gibt, wenig plausibel; und so bin ich im
Gegensätze zu der eben geschilderten Auffassung, welche das Entoderm zu-
letzt entstehen lässt, aus theoretischen Gründen der Ansicht, dass es bereits
vor dem Mesoderme auftritt Ich sehe in den Dotterballen oder Dotterschollen,
welche Kovalevsky selbst als kernhaltig ^bei Apis) bezeichnet, die Anfänge
des Entoderms. Man könnte nun geneigt sein, die Einstülpung, welche das
Blastoderm auf der ganzen Länge der Bauchseite erleidet, für den modificirten
Gastrula-Mund zu halten und aus der durch sie gebildeten tiefer liegenden
Zellschicht erst das Entoderm und darauf das Mesoderm hervorgehen lassen,
Ueber Ontogenie and Phylogenie der Insekten. Ig5
Insekten hente zu Tage ontogenetisch gedenken. *) Offenbar sind
also diejenigen Formen älter, bei denen die gesammte Neu-
bildungszone i. e. Keimstreif noch mit dem alten Ektoderm i. e.
Eeimhaut in Berührung bleibt — und das sind die Insekten mit
äusserem Eeimstreif. Späterhin wird dieser durch Kürzung der
Entwicklung selbständiger, so dass nur noch der Kopf in Connex
mit dem Blastoderm steht — die Insekten mit innerm Keimstreif
— bis endlich, wenn überhaupt die Beobachtungen Ganin's richtig
sind, bei Formica und Bombyx der Keimstreif vöUig unabhängig
vom Blastoderm neu aus dem Dotter entsteht. Demnach ist die
wobei die Zellen des Darmdrüsenblattes unter enormer Grossenzanabme den
eigenüicben Nahmngsdotter verzehren und so die Dotterscbollen darstellen
würden. Da aber diese Ansicht andere Schwierigkeiten darbietet, so scheint
mir auch sie nicht die richtige. Ich sehe vielmehr in der genannten Ein-
stülpung nur eine Vorbereitung zur Bildung der Embryonalhüllen und lasse
aas ihr nur das Mesoderm entstehen; das Entoderm hingegen wird sich an
dem (mit Bezug auf den Embryo) hinteren Eipole vom Blastoderm aus ein-
stülpen, falls überhaupt noch von einer Einstülpung die Rede sein kann. So-
nach wird man nicht auf Quer-, sondern auf Längsschnitten die erste Anlage
des Entodermes gewahren können. In dieser Meinung bestärkt mich das
Auftreten der sogenannten Polzellen bei den Dipteren, welche ich nicht wie
Grimm zu den inneren Genitalien, sondern zu dem Entoderm in Beziehung
bringen möchte. Eine ganz eigenthümliche Ansicht über die Entstehung des
Dsrmdrüsenblattes hat Ganin durch Untersuchung von Blatta gewonnen. Er
lässt es nämlich geradezu aus den Einstülpungen des Oesophagus und End-
darmes, also aus dem Epiderme hervorgehen, welches sich direct durch den
Dottersack hindurch verbreitet. Dabei hat er aber in einer viel früheren
Periode bereits „sehr grosse, runde und ovale Kerne mit Membran und Kern-
körperchen^, also wohl zellige Elemente in dem Dottersacke bemerkt; nur
soUea diese vom Amnion herrühren und sich an der Entodermbildung durch-
aas nicht betheiligen, ohne dass freilich Ganin über ihren Verbleib etwas
aussagt. Wenn man nun bedenkt, dass alle diese Resultate nicht durch Be-
obachtungen an Schnitten erlangt wurden, somit auch schon der Methode
nach eine ganz andere Auffassung zulassen, so braucht man nur an diesen
schon früh auftretenden Zellen festzuhalten, um in ihnen die Anlage des
Entodermes zu sehen, welche demnach schon „gleich in den ersten Stadien
der Entwicklung des Dottersackes'' vor sich gehen würde. Eine Entstehung
des Entodermes aber aus dem Epiderm, wie Ganin sie will, müsste, um glaub-
haft zu erscheinen, in ganz anderer Weise dargethan werden, als es in der
russisch geschriebenen) Arbeit Ganin's dem Referate zufolge, welches Hoyer
liefert (Hofmann's und Schwalbe*s Jahresbericht f. 1874, p. 395 — 397) der Fall
zu sein scheint.
') Hiernach sind die Rückenneubildungen, d. h. die Flügel, viel jüngere
Erscbeinungen, als die Beine, eine Thatsache, die phylogenetischen Werth
besitzt.
166 Paul Mayer,
Keimhant ontogenetisch eine provisorische EmbryonalhttUe (analog
ähnlichen Erscheinungen bei den Vertebrata ^)^ phylogenetisch
aber ein Ektoderm. Als solches wird es von Hanse ans zur
Schliessung des Kückens beim Embryo verwendet werden. Bei
Platygaster wird ohnehin; da die Flügel erst später auftreten^ der
Rückentheil anverändert von einer Larve in die andere herüber-
genommen. Erst wenn eine Einstülpung des Eeimstreifs sich
geltend macht — innerer Eeimstreif — ist eine Contraction der
äusseren Hülle nothwendig, die aber offenbar nur wiederherstellt,
was die vorhergegangene Verflachung der Rückenzellen am Blasto-
derm verändert hatte. Hier sind innere und äussere Hüllen mor-
phologisch völlig gleich und fliessen auch ohne scharfe Grenze
in einander. Die spätere Bildung; für die sich bei den Ptero-
malinen nichts Äehnliches findet, ist nur derjenige Theil der
äusseren HüUc; welcher die Einstülpungsöffiiung überwächst. Beim
äusseren Keimstreif hingegen löst sich die innere Hülle von der
äussern völlig ab und zwar ist auch nur der Rückentheil der
letztem noch das ursprüngliche Blastoderm ; ihr Bauchtheil hin-
gegen und die ganze innere Hülle sind Neubildungen. Hiemach
wäre es möglich, dass unter Umständen die letztere völlig fehlte,
weil sie dem gleichnamigen Gebilde bei den Insekten mit innerem
Eeimstreif nur analog ist. Dies scheint bei Apis der Fall za
sein, wenigstens wenn man der Darslellung Bütschli's Glauben
schenken will. Hiernach^) entstände die äussere Hülle ;;darch
') Ofienbar ist es für den vorliegenden Fall ganz und gar ohne Belang,
ob bei den amnioten Wirbelthieren ebenfalls eine phylogenetbche Begründung
der Embryonalhüllen möglich ist oder nicht. Wenn hier nämlich diese Häate,
über deren physiologische Bedeutung man keineswegs im Klaren ist, auch
lediglich aus der Anpassung des Embryo an die Umgebung hervorgegangen
sein sollten, so kann dort eine bereits bestehende Einrichtung — die Larven-
häutung — von dem Embryo benutzt worden sein, um sich einen Schatz im
Eie zu verschaffen. Indessen ist selbst das noch fraglich, ob wirklich die
Hüllen dem werdenden Insekte von Nutzen sind oder ob sie ihm nicht viel-
mehr als phylogenetisches Erbstück zur Last gereichen. Für den letzteren
Fall, den man gewöhnlich nicht berücksichtigt, wäre selbstverständlich nur
eine Erklärung, wie ich sie oben gegeben, möglich. Bei dem meist dicken
und, wie vielfältig constatirt wird, ausserordentlich undurchlässigen Cborion
des Insekteneies scheinen besondere, aus dünnen und weit auseinandergezogenen
Zellen gebildete Hüllen für den Embryo allerdings nicht gerade notbwendig
zu sein. Andererseits kann die totale Abwerfung des Ektodermes, welche zur
Bildung der äusseren Hülle führt, nicht befremden, wenn man die enorme
Vorfahrenreihe des Protentomon bedenkt. •
*) 1. c, p. 534.
Ueber Ontogenie und Fhylogenie der Insekten. 167
ein allmähliches Abheben von dem Eeimstreif/^ so dass also auch
aller Grund znr Entstehang einer innem Hülle wegfiele. Nach
Eovalevsky hingegen ist zu Anfang dieselbe vorhanden; schwindet
aber später sparlos , indem ;,ihre Zellen sich auflösen^ d. h. ver-
schwinden'^ (I. c., p. 46). Anderererseits darf die äussere Hülle
nie fehlen ^) und m u s s zur Schliessung des Rückens verwendet
werden^ falls sie überhaupt noch dem Ectoderm von Platygaster
entsprechen soll. Bei Apis geschieht dies nach Bütschli indessen
auch nicht, vielmehr schliesst sich der Rücken durch Verbreitung
des Keimstreifs über den ganzen Dotter hin. Zur richtigen Be-
urtheilung dieses Vorganges müssen wir die Untersuchungen
Melnikow^s zu Hülfe nehmen. Bei Donacia, Mystacides, Simulia
und GhironomuS; also Vertretern ganz verschiedener Insekten-
gruppeu; wächst auch die innere Hülle über das ganze Ei hin,
was offenbar nur durch Loslösung ihrer Ränder vom Eeimstreif
geschehen kann; sie persistirt noch, wenn bereits der Rücken
geschlossen ist, so dass eine Betheiligung der äusseren Hülle am
Aufbaue des Embryo ganz ausgeschlossen ist. Hieraus ist zu
entnehmen^ dass zwei Abwerfangen des gesammten Ektoderms
erfolgten, von denen zwar die letzte in zwei verschiedenen Zeit-
abschnitten vor sich geht, immerhin aber auch die Rückenhaut
mit betrifiPt. Bei Apis ist alsdann diese doppelte totale Häutung
in eine einzige zusammengezogen, so dass das Blastoderm nicht
mehr demjenigen der Insekten mit innerem Eeimstreif homolog
ist und natürlich auch nicht zur Schliessung des Rückens ge-
braucht wird. Entsteht aber bei Formica nach Qanin der Eeim-
streif völlig unabhängig von dem Blastoderm als Neubildung aus
dem Dotter, so darf hier ebenfalls nur Eine Hülle vorhanden
sein und diese sich auch nicht an dem Aufbau des Dorsaltheils
des Embryo betheiligen. Beides stimmt mit den Beobachtungen
überein.
Ob nun überhaupt die so eben besprochenen Verhältnisse in
Betreff der Hüllen wirklich vorkommen*, oder, was ich eher
glaube, nur gezwungene Deutungen von unvollständigen Be-
obachtungen darstellen, ist eine Frage, deren Beantwortung sich
nur durch neue Untersuchungen geben lässt. Möglich sind
aber diese wiederholten Häutungen, wie mir aus dem Gesagten
hervorzugehen scheint, vom Standpunkte der* Theorie aus ohne
^) Die Behauptung MetschnikofTs, dass bei den Mufciden dies der Fall
sei, widerlegt Eovalevsky (1. c., p. 2).
168 P^"^ Mayer,
Zweifel ; natürlich sind auch jetzt viele Schwierigkeiten noch nicht
beseitigt, so dass eine richtige Auffassung aller ontogenetischen
Vorgänge der Zukunft vorbehalten bleibt. Indessen gewinnt man
aus dem Angeführten doch ein phylogenetisch verwendbares Re-
sultat. Es zeigt sich nämlich, dass im Allgemeinen die In-
sekten mit äusserem Eeimstreif älter sind, als die mit innerem,
(und dass die letztern eine viel grössere Uebereinstimmung auch
in den Details der Entwicklung zeigeu, als die erstem). Bestätigt
wird dieser Satz auch durch den Umstand, dass bei Platygaster
die Eeimstreifbildung vom Schwänze nach dem Kopfe zu fort-
schreitet, bei den mit innerem Eeimstreif versehenen (Endoblasten)
hingegen umgekehrt vom Kopfe zum Schwänze; bei den Ekto-
blasten sind beide Sichtungen zu verzeichnen.
Haben uns die Pteromalinen den Schlüssel zum Yerständniss
der Insektenentwicklung im Grossen und Ganzen zu liefern ver-
mocht, so sind sie auch nach einer andern Sichtung noch von In-
teresse für uns. Es ist nämlich nicht wahrscheinlich, dass Eier,
welche durch eine Fülle von Nahrungsdotter charakterisirt sind und
80 alle Erinnerung an frühere Epochen haben aufgeben müssen,
plötzlich zur regelrechten Entwicklung zurückkehren sollten, wenn
jener durch ihren Parasitismus überflüssig geworden wäre. Es hiesse
das einen Atavismus wunderbarer Art zu Hülfe rufen. Sonach lässt
sich mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten, dass die Insekten-
eier ursprünglich mit wenigem (oder gar keinem?) Dotter aus-
gerüstet waren; ferner, dass sehr bald nach der Entstehung des
Protentomon eine kleine Gruppe unter seinen Abkömmlingen die
Gewohnheit annahm, ihre Eier in die Larven der übrigen Insekten
abzulegen. In dem Maasse, als der ganze Stamm zunahm und
die Eier mit grösseren Mengen Nahrung versehen wurden, konnten
dann auch die Eischmarotzer entstehen und im Laufe der Zeit
variiren. Hieraus lässt sich mit der gehörigen Vorsicht wohl ein
Schluss auf das Alter der einzelnen Gruppen, welche diese Ver-
sorgung ihrer Eier acceptirten, erzielen.
Ich will nun, indem ich die Einzelheiten in der Ontogenese
erst später bei den betreffenden Gruppen besprechen werde, die
Resultate, welche sich aus dem Gesagten für die Phylogenie ge-
winnen lasseu, in folgenden Thesen zusammenfassen:
8) ^) Insekten mit äusserem Keimstreif sind im Allgemeinen
älter, als die mit innerem.
') Nr. 1 — 7 über die Imagines, 8. p. 147.
Ueber Ontogenie nnd Phylogenie der Insekten. 169
9) Insekten mit sog« nnyoUkommener Verwandlung sind im
Allgemeinen älter, als solche mit vollkommener.
10) Das Protentomon besass Eier mit geringem Nahrangsdotter.
11) Larvenformen ohne oder mit wenigen Stigmen sind nach-
träglich entstanden und somit jünger, als die verwandten
Larven ohne solche Abänderungen. Aus der Grösse derartiger
Anpassungserscheinungen wird sich der Zeitpunkt, in .welchem
die Larven sich der Lebensweise ihrer Vorfahren entfremdeten,
abschätzen lassen.
12) Larven mit Tracheenkiemen sind jünger, als die ver-
wandten kiemenlosen Larven.
13) Dasselbe gilt von kopflosen Larven im Gegensatze zu den
mit einem Kopfe versehenen.
14) Welche Larven ihren Imagines gegenüber primär oder
secundär sind, ist nicht nach einer allgemeinen Regel zu ent-
scheiden, sondern für jeden Spezialfall zu untersuchen.
IL
Ich gehe jetzt zur Besprechung der einzelnen Insektenord
nungen über und beginne mit den Hymenoptera, weil sie uns
durch Platygaster eine Art von Verständniss für die Ontogenese
aller Ordnungen eröfinet haben.
Hymenoptera.
Sie stellen eine Gruppe dar, welche zwar nach aussen scharf
abgegrenzt erscheint, in sich aber viele Verschiedenheiten dar-
bietet. Während jedoch diejenigen Eigenschaften, welche ihnen
allen zukommen, vorzugsweise dazu dienen werden, der ganzen
Ordnung ihren Platz im Stammbaum anzuweisen, interessiren uns
zunächst nur die Verschiedenheiten in der Ausbildung der einzelnen
Formen und zwar auch nur die der Imagines. Die Larven sind
nach Satz 14 zu beurtheilen und dürfen also hier nicht heran-
gezogen werden. Am wenigsten von dem Typus des Protentomon
haben sich offenbar diejenigen Familien 0 entfernt, deren Mund-
theile noch ausschliesslich zum Beissen eingerichtet sind, deren
') Ich führe sie nach dem Handbache Ton Caroa and Gerstäcker aqf«
170 Paal Mayer,
Hinterleib die grösste Anzahl von freien Metameren besitzt and
deren Thoraxringe nicht mit einander verwachsen sind. (VergL
die Sätze 4 a und b auf Seite 147.) Von den drei grossen Gruppen
der Hymenoptera; den Aculeata^ Entomophaga und Phytophaga
erfilllen die letzten diese Bedingungen noch am besten. Während
nämlich bei jenen Beiden die Zahl der Abdominalringe höchstens
7 beträgt; finden hier wir 8 bei den TenthredinidaC; 9 bei den
Uroceridae; während dort der Hinterleib gestielt ist, d. h. wenig-
stens sein erstes Segment zu einem mehr oder minder deutlichen
Stiele umgewandelt zeigt, ist er hier in seiner ganzen Breite mit
dem Thorax verbunden. Dazu kommt, noch, dass^ wie schon
Bütschli^) angedeutet hat, der Bienenstachel hervorgegangen ist
nicht etwa blos aus dem 12. und 13. Hinterleibssegmente, sondern
aus ihnen in Gemeinschaft mit den sogenannten ,,AfterfUssen^' der
Larve. Kraepelin ^) zeigt nun, dass dies bei allen Aculeaten und
auch bei den Ichneumoniden mit einer Legescheide der Fall ist ^)
Da aber sicherlich der ganze Apparat ursprtinglich als ovipositor
auftrat, so ist, da einmal die Homologie nachgewiesen, der Stachel,
wie er in Verbindung mit der Giftdrüse als Schutzmittel fungirt,
als eine secundäre Erscheinung zu betrachten. Sonach sind im
Grossen und Ganzen die Aculeata die jüngsten , die Phytophaga
die ältesten Hymenoptera. Ein weiterer Beweis hierftlr liegt auch
noch darin, dass bei den letztgenannten allein von den drei
Gruppen das Mesonotum noch am Metanotum beweglich bleibt»
während im Uebrigen der Thorax bei der ganzen Ordnung ver-
') 1. c, p. 545: Die Afterfüsse stehen „zur GenitalbewafTnung der Imago
in genereller [genetbcher?] Bezlebung.^^
') Untersuchungen über den Bau, Mechanismus und die Entwicklnngs-
gesohichte des Stachels der bienenartigen Thiere. Zeitschr. wiss. Zool. 1873,
p. 399 ff.
') Fackard entwickelt freilich in sdner bereits erwähnten Abhandlung
über die Hjmenoptera andere Ansichten. Er lässt zwar auch den ovipositor
aus Anhängen des 8. u. 9. Segmentes entstehen, sieht aber in diesen „tubercles**
keine homologa mit den Füssen, weil jene aus den Sterniten, diese zwischen
Sterniten und Fleuriten hervorsprossen sollen. Dagegen sind ihm wahre homo-
loga mit den Füssen die appendices anales der Ephemeridae, vieler Ortho-
ptera etc. Durch die letzteren werde eine Art von Symmetrie zwischen Anfang
und Ende des Insektenleibes hergestellt („we perceive faint traces of antero-
posterior symmetry . . . involving a repetition of homologous appendages at
the two opposite poles of the body" (1. c, p. 85). So seien die entgegen-
gesetzten Körperpole „morphologically simply repetitions of each other^^
(p. 94)! Es wird nicht nothwendig sein, hierauf weiter einzugehen.
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 171
wachsen ist. Mit Rücksicht nun auf den eigCDthttmlichen Bau
der Uroceridae (Spaltung des Prothorax and des ersten Abdo-
minaltergites etc.) wird man wohl die Tenthredinidae oder
richtiger gesagt, eine zwischen ihnen und den Uroceridae stehende,
ausgestorbene Gruppe als die ältesten Hautflügler zu bezeichnen
haben (Prothymenoptera), von denen alsdann die Uroceridae als ein
durch Gewöhnung an das Holzbohren abgeänderter Zweig sich seitlich
entfernt, während der Hauptstamm zu den Tenthredinidae weiter
verläuft. Der Uebergang von den Phytophaga zu den Entomo*
phaga könnte man in den Cynipidae vermuthen, welche zwar
in ihrer Organisation bereits wesentlich mit den Letzteren über-
einstimmen, jedoch meist noch eine ähnliche Versorgung ihrer Eier
wie die Erstem betreiben. Da indessen ihr Hinterleib eine be-
sondere, femrohrartige Anordnung der einzelnen Segmente zeigt,
so sind auch sie als bedeutend modificirt anzusehen. Daher stehen
wohl den Tenthredinidae eben so nahe die Chalcididae und
Proctotrypidae(zu denen Ophioneurus, Platygaster und Teleas
gehören). Vo^ diesen sind aber die Letztgenannten, wie schon
der Name besagt, wiederum weiter von dem Stamm entfernt,
indem sich offenbar der Legebohrer ursprünglich auf der Bauch-
seite befand. Ob die Ichneumonidae älter oder jünger, als
die beiden eben erwähnten Familien sind, muss durch genauere
Untersuchungen festgestellt werden, doch spricht der Umstand,
dasB bei Manchen von ihnen der Hinterleib nicht eigentlich ge-
stielt ist, für eine verhältnissmässig früh erfolgte Abtrennung vom
Stamme. Die Verbindung mit den Aculeata vermitteln die Pom-
pilidae und Crabronina in so fern, als die Weibchen in diesen
Familien ihre Eier nicht mehr in lebende, sonder an zuvor
getOdtete oder wenigstens gelähmte Larven legen. Da aber
nicht anzunehmen ist, dass diese Gruppen wirklich zuerst ihre Eier
in der bei den Entomophaga gebräuchlichen Weise abgesetzt
hätten, so wird man wohl die Linien der Entomophaga und
Aculeata sich gleich unten am Stamme trennen lassen. Dann
hätte der ältere Zweig die Eier nach wie vor i n das Nährmaterial
gelegt, wie das auch die Phytophaga thaten ; der andere würde
allmählich seine Larven der Fleischkost entwöhnt haben, wie dies
bei den Bienen der Fall ist. Eine directe Ableitung der Aculeata
von einer der noch jetzt lebenden Familien der Entomophaga
erscheint mir wenigstens als verfehlt. Die Pompilidae stehen
durch ihren oft grossen Prothorax den Phytophaga am nächsten
172 Paol Mayer,
und mögen als seitliche Abzweigungen die Heterogyna (durch
sexual selection entstanden) und die Chrysididae aufzuweisen
haben, während dieCrabroninazu den eigentlichen Apiariae
und Vespariae hinleiten. ^ Während aber bei den Bienen
und Wespen der Stachel als solcher sich so weit differenzirt,
dass er mit Widerhaken besetzt ist; die nach Kraepelin bei
den Crabronina wenn auch nur in geringerem Orade vorhanden
sind y ist bei den Formicariae der Stachel umgekehrt häufig:
rückgebildet ; obwohl noch stets nachweisbar. Dafür ist aber
die sonst kleine Giftblase oft enorm gross geworden. Da non
die Vorderflttgel nicht faltbar sind; so wird man die Ameisen
jedenfalls nicht zu den Wespeu; sondern höchstens in die Nähe
der Bienen setzen dürfen. Auf die ausgesprochene Analogie in
der Arbeitstheilnng darf maU; wie schon die Termiten beweisen,
nicht allzuviel Werth legen. Wahrscheinlich wird man ihnen aber
eine noch tiefere Ursprungsstelle; vielleicht in der Höhe des Pom-
pilidenzweiges anweisen mttsseu; was allerdings gegenwärtig nicht
mit Sicherheit zu entscheiden ist.
Die Ontogenese der Hymenoptera ist; abgesehen von den
Arbeiten Oanin's und Btttschli'S; wenig bekannt. Bei einigen auf
Madeira lebenden Arten von Formica soll nach Metschnikoff ^) an
Stelle der äusseren Hülle des Embryo eine ;;Anzahl lose liegender
Zellen^' treten — ein Beweis mehr für die gewaltig abgeänderte
Entwicklungsweise der Ameisen. In wie weit diese übrigens von
den niedrigen Formicariae getheilt wird; bleibt abzuwarten. Die
abnorme Stellung des Legebohrers bei den Proctotrypidae wird
durch die Angabe Oanin's aufgeklärt, dass bei Platygaster auch
das elfte Segment sammt seinen Fussanlagen zu den Genitalien
in Beziehung tritt. Die Larven der Entomophaga sind bekannt-
lich ;;fusslos'^ und haben auch an den Segmenten (mit Ausnahme
eben der letzten) keine Füsse während des Eilebens besessen.
Bei den Aculeata ist anscheinend das Gleiche der FaU; aber, wie
die Ontogenie von Apis beweist; sind die Füsse im Embryo an-
gelegt. Sonach ist die Larve der Apiden nicht gleichzustellen
derjenigen von Platygaster etc.; vielmehr ein nachträglich ein-
') Den genauen, auf sorgfältige Beobachtungen gegründeten Nachweis
für die Ableitung der Bienen von den Grabwe^pen liefert Hermann IttüHer in
seiner gehaltreichen Schrift : Anwendung der Darwin'schen Lehre auf Bienen.
(Verhandl. naturh. Ver. Bheinprovinz u. Westfalen« Jahrg. 1873, p. 1—96,
Tab. I, IL)
') Elntwicklung der etc. Myriapoden, p. 278.
Üeber Ontogenie and Phjlogenie der Insekten. 173
geschobenes Stadiam. Endlich besitzen bei den Phytophaga die
Larven noch 9 — 11 Paar Beine und zeichnen sich zum Theile
(diejenigen der Tenthredinidae) anch dnrch Färbung der Eörper-
haut vor den sonst weissen Jugendzuständen aus ; mithin nähern
sie sich der Imago bedeutend, sind also verhältnissmässig wenigen
Änpassangen ausgesetzt gewesen. Bei Polynema sollen während
der ganzen Entwicklung und auch bei dem vollendeten Insekte
keine Tracheen existiren; die Flügel scheinen bei den dicht über
dem Wasser fliegenden oder sogar schwimmenden*) Thierchen
als Kiemen zu fuugiren, indem sie nach Ganin ^^in ihrem Innern
eine einfache (mit Blut gefüllte) Höhle umschliessen^' (1. C; p. 427).
Mit Bücksicht auf die eben ausgesprochenen Vermuthungen
über den Zusammenhang der einzelnen Familien der Hymenoptera
unter einander zeichne ich nun den hypothetischen Stammbaum
derselben in der Form auf, in welcher er auf Taf. VI a wiedergegeben
ist und knüpfe daran eine kurze Charakteristik des Prothymeno-
pteron, indem ich diejenigen Merkmale als bestimmend annehme,
welche entweder allen oder den ältesten Hautflüglem zukommen.
In gleicher Weise werde ich bei den andern Insektenordnungen
verfahren.
Prothymenopteron: 9 freie Hinterleibsringe. Prothorax
bereits mit dem Mesothorax verwachsen. Mundtheile beissend.
Flttgelpaare gleich, ohne Schuppen. Kopf frei wendbar, mit 3
OceUen. Beine mit 5 Tarsen. 3 Thorakal-, 6 Abdominalganglien.
Sehr viele vasa Malpighii. Beim Weibchen eine Legescheide. Ent-
wicklung mit äusserem Eeimstreif, Larve gefärbt, mit wenigstens
9 Beinpaaren.
Lepidoptera.
Sie bieten zur Aufstellung ihres Stammbaumes wenig Hand*
haben. Die innem Organe erscheinen, so weit die Untersuchungen
reichen, im Wesentlichen bei allen gleich gebaut; überhaupt ein-
förmiger, als bei irgend einer andern Ordnung unter den Insekten.
Auch mit der äusseren Beschaffenheit des Körpers und seiner
Anhänge sieht es nicht anders aus. Das Abdomen besteht aus
7 — 9 freien Bingen; genaue Angaben über diesen Punkt unter
Berücksichtigung der einzelnen Familien waren mir leider nicht
zugänglich und fehlen vielleicht überhaupt, da sie in den Augen
der Systematiker keinen klassifikatorischen Werth haben. Aus
') Nach Lubbock (monograph of the Collembola and Thysanura, p. 54)
ut dies der Fall bei Polynema natans.
174 Paul Mayer,
diesen Gründen wohnt auch den folgenden Anseinandersetztingen
viel weniger Sicherheit inne, als denen über die Hymenoptera.
Von Wichtigkeit ist übrigens der Umstand, dass die Baupen darch
ihre grosse Beinzahl (meist 8 Paare) und die ihnen zukommende
Färbung wesentlich übereinstimmen ; es lässt sich hieraus mit ziem-
licher Gewissheit der Schluss ziehen ; dass sie in dieser Form
bereits bei dem Protolepidopteron vorhanden waren und somit bei
der Aufstellung des Stammbaumes verwendet werden dürfen.
Zunächst die Macrolepidoptera. Als ein äusserst wichtiges,
obwohl unscheinbares Merkmal muss das retinaculum an den
Hinterflügeln angesehen werden, da es offenbar zur Erleichte-
rung des Fluges dient und daher als eine nachträgliche Bil-
dung erscheint. Da es bei den Familien, welche es besitzen^
in durchaus gleicher Form auftritt, so fehlt jeder Grund zu der
Annahme, es sei von ihnen auf verschiedenem, für jede Gruppe
selbständigen Wege erworben werden. Auch die Coconfabrication
seitens der Baupen ist als eine spätere Anpassungserscheinung
anzusehen, kann aber von jeder Familie besonders erlernt und
abgeändert worden sein und besitzt daher nicht die phylogene-
tische Bedeutung, wie sie den Flügelhaltern innewohnt Ohne
eigentlichen Cocon sind nur die Baupen der Diuma, Sphingidae
und Xylotropha. Da aber die beiden ersten Familien stets ein
retinaculum besitzen, so bleiben nur die Xylotropha als ver-
hältnissmässig alt übrig. Unter diesen treten durch ihre nackten
Flügel die Sesiariae hervor, deren oft aussergewöhnliche Aehn-
lichkeit mit Hymenoptera und Diptera stets erwähnt wird. Wenn
nun auch dieses Phaenomen zum Theil sicherlich nur Schein ist,
zum Theil auch wohl seinen Ursprung der Mimicry verdankt, so
glaube ich doch nicht, dass die geringe Beschuppung der Flügel
eine Bückbildung darstellt, und stehe daher nicht an, die Sesien
als die dem Protolepidopteron am nächsten befindliche Abtheilung
der Macrolepidoptera zu bezeichnen. Durch ihre Vermittelung
würden sich an die Xylotropha direct die Sphingidae an-
schliessen, zu welchem man sie früher ohnehin rechnete, während
die Cossina zu den Bombycina üWleiten würden würden. In
dieser Familie sind die Gruppen ohne retinaculum, die Bomby-
cidae und Satumidae älter, als die mit einem solchen versehenen
Liparidae und die durch ihre Fortpfianzungsweise merkwürdigen
Psychidae. Die hier vorkommende Parthenogenesis ist selbstver-
ständlich jüngeren Datums und kann nach Satz 7 bei der Auf-
üeber Ontogenie und Fhylogenie der Insekten. 175
Btellang dieses allgemeinen Stammbaumes anberücksichtigt gelassen
werden, während bei einer monographischen Bearbeitung der ein-
zelnen Gattungen und Arten natürlich Gewicht auf sie zu legen
sein wird. Die Diurna (Rhopalocera) sind wegen ihrer Flügel-
haltung und Ftthlerbildung jedenfalls eine homogene und in ihren
jetzt bestehenden Formen verhältnissmässig junge Abtheilung; so
dass das Protorhop aloceron von den Xylotropha um ein Bedeu-
tendes absteht. Selbstverständlich sind von geringem Alter unter
den Tagschmetterlingen diejenigen kleineren Gruppen, welche ent-
weder an beiden Geschlechtem oder nur beim Männchen ver-
kümmerte Vorderbeine (sog. Pntzpfoten) aufweisen. Bechnen wir
diese und ausserdem die Equites wegen ihrer ^^geschwänzten''
Flügel ab; so bleibt nur noch zvnschen den Hesperiadae^ den
Acraeidae und den Pieridae zu entscheiden. Für die letzteren
spricht die weisse Farbe der Flügel^ da offenbar die Schuppen
bei ihrem phylogenetischen Auftreten zuerst farblos waren und
erst später meist durch sexual selection farbige Wandungen er-
hielten. Andererseits finden sich die zwei sehr charakteristischen
Sporenpaare an den Hinterschienen der Xylotropha bei den Diurna
nur noch unter ;den Hesperiadae. Sonach hat die zu suchende
Verbindung, das Protorhopaloceron, wahrscheinlich in der Mitte
zwischen den Weisslingen und Dickköpfen gestanden. — Die
Gheloniariae scheinen den Bombycidae nahe zu stehen.
Endlich vermitteln unzweideutig zwischen diesen letztem einer-
seits und den Geometridae andererseits die Noctuina.
Unter den Microlepidoptera sind die Pterophoridae und
die Tineina wegen ihrer Flügelbildung sicher nicht als die ur^
sprünglichen Formen anzusehen. Wenn die Behauptung Suckow's %
dass bei Hyponomeuta und Pterophorns nur 4 vasa Malpighii
vorkämen, nicht von vomherein unwahrscheinlich wärC; so würde
für alle Kleinschmetterlinge ein grosses Alter feststehen. Jeden-
falls ist die Angabe desselben Autors ^), bei Hyponomeuta seien
zwei getrennte Hoden vorhanden, wie ich durch Autopsie weiss,
nnrichtig; vielmehr findet sich auch hier die gemeinschaftliche
Hülle — eine secundäre Erscheinung — vor. So mangelt einst-
weilen jeder Anhalt, die Stellung der Ti)rtricina, welche den
ursprünglichen Microlepidoptera am nächsten zu kommen scheinen^
') Verdannngsorgane der Insekten. liooBinger'fl ZeiUchr. für organische
Physik 1833, Tab. IX.
*) Geschlechtsorgane der Insekten. Dies. Zeitschr. 1838, Tab. X.
176 ^a«l Mayei»,
genau zu fixiren. Die Sporen an den Hinterschienen felilen auch
hier nirgends^ doch ist damit eine Ableitung der Eleinschmetter*
linge von den Xylotropha oder dieser von jenen noch nicht dar-
gethan.
lieber die Ontogenese liegen nur Notizen vor. Von Ptero-
phorns gibt Eovalevsky an^ die äussere HttUe werde zur Schliessung
des Rückens nicht verwendet^ sondern von der Larve aufgezehrt.
Dasselbe behauptet Oanin von der Bombyxlarve. Auch hiemach
ist die enge Zusammengehörigkeit der Macro- und Microlepidoptera
zweifellos. Was die Larven betrifil, so repräsentiren die 16ftlssigen
den irüheren Zustand; während bei den Noctnina bereits 14- und
12ftt8sige und bei den von ihnen abgeleiteten Geometridae sogar
lOfOssige vorkommen. Weiteren Anpassungen sind die Raupen
nach dieser Richtung hin nicht ausgesetzt gewesen. Auch bei
Tineina und Pyralida kommen 14beinige Larven vor.
Protolepidopteron: 9 freie Hinterleibsringe. Prothorax
bereits verwachsen. Echt saugende Mundtheile. Flügelpaare
gleich; mit zerstreuten farblosen Schuppen oder Haaren besetzt.
Kopf frei wendbar. Nur noch 2 OceUen. Beine mit 5 Tarsen.
3 Thoracal-; 5 Abdominalganglien. 6 vasa Malpighii. 4 Ovaria^
2 Hoden. Legescheide nicht vorhanden. Entwicklung mit äusserm
Keimstreife; Larven farbig, mit 8 Beinpaiuren.
Diptera.
Sie bilden; wenn wir einstweilen von den Pulicidae und
Pupipara abseheu; eine scharf umgrenzte Gruppe. Die stechenden
Mundtheile in Verbindung mit einer Reihe anderer Abänderungen;
wie die seltsame Flttgelbildung; der verwachsene Prothorax und
der völlig freie Kopf; lassen sie als eine Abtheilung erscheinen;
die seit ihrem Auftreten vielen Anpassungen unterworfen worden
und so in ihren noch lebenden Repraesentanten bedeutend modi-
ficirt ist In anderer Beziehung stehen sie hingegen dem Proten-
tomon noch ziemlich nahe. Der freien Abdominalringe finden
sich zum Theil noch 9 vor; während ein Herabsinken wie bei den
Käfern auf 5 nur selten vorkommt. Dagegen zeigt das Nerven-
system nur noch höchstens 6 Abdominalganglien. Die vasa Mal-
pighii sind äusserst constant^) an Zahl 4 und enden entweder
*) Dafour, memoire sur les vaisscaux biliaires oa le foie des Inscctes
(Annal. Sc* natur. Zool. 1843 I, p« 145—182) findet bei den Culicidae 5
,)Comme je me plais ä le redire.^^
Üeber Oatogenie und Phyiogenie der Insekten. 177
YöUig frei oder paarweise in Schlingen. EÜlnfig besitzen sie zu
je zwei einen gemeinschaftlichen Ansftihrgang. Als Ansstttlpang
des Oesophagus scheint überall ein ELropf vorzukommen. Im
Rectum befinden sich stets 4 Papillen. Besonders charakteristisch
für eine grosse Anzahl von Familien sind 3 mit meist dunkel ge-
färbten Wandungen versehene Receptacula seminiS; die jedenfalls
ein brauchbares Mittel ftir phylogenetische Untersuchung abgäben,
wenn nicht die Eenntniss derselben viel zu wünschen übrig liesse.
Namentlich ist hier Dufour völlig unzuverlässig^ da er die Be-
deutung der Behälter durchaus verkannt hat und so häufig Ver-
wecfaselungen mit andern Anhangsgebilden der weiblichen Geni-
talien sich zu Schulden kommen lässt.
Die grösste Anzahl^reier EGnterleibsringe^ nämlich 8 oder 9,
finden wir bei den Tipulariae. Unter ihnen sind die Fungi-
colae und Gallicolae als abgeleitete Formen zu betrachten, deren
Larven e^e Lebensweise eigenthümlicher Art angenommen haben
und daher auch auf die Imagines wiederum einwirkten. Der
directe Beweis hierfür liegt darin, dass unter den pilzbewohnenden
Dipterenlarven kopftragende, zu den Tipulariae gehörige und
kopflose Muscidenlarven vorkommen. Sonach fand die Gewöhnung
an die Pilze erst statt, als bereits eine Trennung der Muscariae
und Tipulariae erfolgt war und die Larvenform im Allgemeinen
feststand. Höchst wahrscheinlich sind die Culiciformia und Culicina
wegen ihrer Wasserlarven mit kiemenförmigen Anhängen eben-
falls spätere Abzweigungen und so bleiben als Grundform nur die
Muscaeformia übrig, deren Larven in der Erde sich entwickeln.
Es ist allerdings möglich, dass die Larve des Protodipteron be-
reits das feste Element mit dem flüssigen vertauscht hatte, mit
andern Worten, das Protodipteron seine Eier in das Wasser ab-
zulegen gewohnt war; dann wären diejenigen Tipulariae die
ältesten, deren Jugendzustände noch jetzt sich im Wasser ent-
wickeln, dann müsste man aber auch annehmen, dass die Larven
der übrigen Dipteren sich wiederum dem Leben auf dem Lande
anbequemt hätten. So lange indessen keine zwingenden Gründe
für diese complicirte Hypothese sprechen, wird man mit der ein-
facheren vorlieb nehmen und, wie schon erwähnt, unter den
Bfusciformia oder vielmehr in der Nähe dieser kleinen Schaar
das Protodipteron suchen. Es ist nun neuerdings „auf Grundlage
der von Brauer vorgeschlagenen Eintheilung der Dipterenlarven
nach ihrem Verpuppungsprocess in Orthorhapha und C^clorhapha''
BdL X, M. F. UI, S. 12
178 faul Mayer,
von Schmer ein System der Dipteren entworfen worden. *) Dieses
musB nach Brauer, da es y,auf physiologischen Grondpfeilem mht,
als nattlrlicher angesehen werden, als alle jene, welche einseitig
nur die Charaktere der vollendeten Insekten berücksichtigten.''
An und für sich betrachtet sind zwar die Abweichungen, welche
sich durch die neue Anordnung ergeben, nicht so sehr bedeutend;
dagegen ist das Eintheilungsprincip selbst unhaltbar und moss
in seinen Gonsequenzen zu den schon oben widerlegten An-
schauungen Salensky's führen. So lange nämlich eine blosse
Nebeneinanderstellung der einzelnen Familien diesem wie den
früheren Systemen genügt, ist bei der Gruppirung nach den
Larvenformen der Yortheil darin zu suchen, dass man aus dem
Platze, welchen jede Familie einnimmt, ohne Weiteres auf die ihr
zukommende Larvenform einen Schlnss ziehen kann ; es ist also
gegenüber der ziemlich regellosen Aneinanderreihung, wie sie in
andern Systemen herrscht, ein Fortschritt nicht zu verkennen.
Dagegen lässt sich a priori durchaus nicht beweisen, dass zwei
nahe verwandte Fliegenfamilien auch ähnliche Larven haben
müssen, und umgekehrt, dass einander nahestehende Larven auch
eine Annäherung der Imagines bedingen. Ich werde weiter unten
zeigen, dass sämmtliche Larvenformen der Dipteren in ihren
charakteristischen Theilen dem Protentomon gegenüber secundär
sind und es also auch ihren Imagines gegenüber sein können;
in wie weit das letztere Verhalten zutrifft;, hat bei jeder Gruppe
V die Entwicklungsgeschichte aufzudecken. Viel richtiger schdut
es mir, ein System — selbstverständlich ein phylogenetisch be-
gründetes — möglichst auf kleine, unbedeutende Merkmale zu
fundiren, welche zwar bei ihrem Auftreten ihrem Träger von
Nutzen waren (denn sonst würden sie sich wohl nicht bis zur
Gegenwart haben erhalten können), im Lauf derZeit jedoch ihren
Werth verloren, der Anpassung nicht ausgesetzt waren und somit
nur noch durch Vererbung sich bis auf unsere Zeit fortsetzten«
. Unter den Musciformia (Bibionidae und Simulidae nach
Brauer) vermittelt nun wahrscheinlich Simulia ohne Ocellen den
Uebergang zu dem Reste der Mücken, während vielleicht in Bibio
mit Ocellen der Zusammenhang mit den Tabanina und somit
zu den übrigen Diptera 'gegeben ist. Der genannten Familie
machen übrigens die Asilina, deren Fühler indessen schon
') Braaer, Kurze Charakteristik der Diptereniarven u. a. w. Verband!, zool.
botun. Gesellscb. Wien XIX 1869, p. 843.
tJeber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 179
meist nicht mehr als 3 Glieder anfweisen, in etwas den Platz streitig,
da ihr Nervensystem noch 2 Banchknoten mehr besitzt; als das
der Tabanina und so jedenfalls eine directe Ableitung von ihnen
als unmöglich erscheinen lässt Mit den Tabanina stehen durch das
Vorkommen von zwei eigenthümlichen Blindschläuchen am Magen,
was sonst bei den Diptera nicht der Fall zu sein scheint, in Ver-
bindung die Leptidae, Bombyliidae und Sjrphidae, von
welchen die ersteren mit Rücksicht auf ihre 8 freien Abdominal-
ringe als sehr alt, die letzteren mit nur 5 als sehr jung und die
Bombyliidae mit 6—7 als in der Mitte befindlich angesehen werden
müssen. In die Nähe dieser Familien gehören auch durch ihre
Organisation die Stratiomyidae; da nun unter ihnen sich
zwar wesentlich verschiedene Formen, die älteren 'Xylophagi mit
7 — 8 Abdominalringen und die jüngeren eigentlichen Wasserfliegen
mit nur 5 Ringen vorfinden, so wäre es recht gut denkbar, dass
gerade auch den ersteren das Merkmal der Blindschläuche zukäme.
Bis dieser Beweis erbracht ist, wird die Stellung der Familie zu
den Tabanina, mit denen sie sonst auch durch das geringelte
Endglied der Fühler übereinstimmen, nicht mit Sicherheit festzu-
setzen sein. Wohin die Muscariae zu bringen sind, unterliegt
gleichfalls einigem Bedenken. Sie stehen den Syrphiden und
Stratiomyiden durch die 5 Hinterleibsringe und die pupa coarctata,
den ersteren überdies durch Zusammenziehung der Brustganglien
auf eine Centralmasse sehr nahe. Doch sind dies alles Anpas-
sungsverhältnisse, welche nicht recht entscheidend sind, da sie
immerhin durch ähnliche Lebensbedingungen getrennt erworben
sein können. Vor der Hand stelle ich sie zu den Syrphidae. Was
den Rest der Diptera betrifft, so wage ich über die abnormen
Inflata, Scenopinidae, Platypezidae und Therevidae
kein Urtheil (und betone nur auf Grund der 8 Abdominalringe
das grosse Alter der Scenopinidae und Therevidae), während ich
die Dolichopodidae und Empidae wegen ihres enormen
Copulationsapparates, den sie mit den Asilidae und verschiedenen
Tipulariae nach Schnmmel ^) theilen, in die Nähe der Asilidae
bringen möchte.
Die Ontogenese der Diptera ist überaus schwierig zu verstehen,
zumal sie noch so wenig studirt worden ist. Genaue Unter-
suchungen sind über die Vorgänge im Ei bei Chironomus und
Mnsca von Weismann und bei Miastor und Simulia von Mecznikow
') Siebold, TgU Anatomie der Wirbellosen, p. 660 adn. 3.
12*
180 I^aul Mayer,
und auch von Orimm angestellt worden, doch ist eine Dentniig
der hierbei auftretenden Seltsamkeiten^ so weit diese wirklich yor-
kommen und nicht auf ßeobachtungsfehlem beruhen, einstweilen
noch nicht möglich. Die Entwicklung geschieht ttberall mit
äusserem Eeimstreif ; dabei finden aber in räthselhafter Weise bei
einigen Arten nacheinander zwei Umdrehungen des Embryo um
seine Längsaxe in einem Betrage von je 180^ statt, von denen
die erste nach Weismann mit einem Riss des Blastoderms ver-
bunden sein sollte. Die Larven der Diptera sind sehr verschieden
und lassen sich allgemein in sogen, kopflose und kopftragende
sondern, welchen eine pupa coarctata resp. obtecta entspricht Bei
der ersten vollzieht sich die Häutung, welche den Uebergang
zum Puppenstadium anbahnt, in der Weise, dass sich die Haut
nur abhebt, verhärtet und dann zur Puppenhülle wird« Darunter
aber häutet sich die Puppe nochmals und erhält erst dann ihre
richtige Cuticula, so dass also 3 Chitinmembranen in einander
stecken. Bei der pupa obtecta hingegen geht die Häutung normal
von Statten. Allmähliche Uebergänge verbinden übrigens die
extremsten Fälle, welche bei dieser Einrichtung vorkommen, in
der Art, dass während bei den Syrphidae und den Muscariae die
Pnppenhaut (Tonne) durch eine praeformirte Bogennath aufspringt
(Gjclorhapha Brauer*s), bei den Lonchopteridae nur noch eine
T-förmige Spalte vorhanden ist, bei den Stratiomjidae ein ein-
facher dorsaler Längsriss vorkommt, wie er auch bei der pupa
obtecta eintritt; selbst innerhalb der kleinen Gruppe der Cecido-
myidae finden sich beide Einrichtungen vertreten. Betrachten wir
nun die Vorgänge an Musca, welche dem ersten, und Gorethra,
welche dem zweiten Typus entspricht, gemäss den Untersuchungen
Weismann's ^) näher, so können wir zunächst mit Sicherheit dar-
thun, dass sämmtliche Larvenformen secundär sind. Im Ei von
Musca entstehen die Mundtheile in normaler Weise als Eopf-
anhänge (1. Stadium), bald aber gehen die zweiten Maxillen ein
und die Mandibeln verschmelzen zu einem unpaaren Haken
(2. Stadium). Diesen wirft die Larve bei der ersten Häutung
ab und erhält dafür 2 Haken (3. Stadium); in der Puppe fallen
auch diese, (4. Stadium) und der Rüssel entsteht nun direct, in-
dem seine Theile von vornherein als das angelegt werden, was
') Die nachembryonale Entwicklung der Museiden nach Beobachtungen
an M. vomitoria und Sarcophaga carnaria. Zeitschr. wiss. Zool. 1864, p. 187
biü 336 und: Die Metamorphose der Corethra plumicornis. Zeitschr, wiss.
Zool. 1866, p. 46--127.
Ueber Ontogenie und Phjlogenie der InBekten. Igj^
sie werden sollen. ^) Demnach sind Stadinm 2, 3 nnd 4 einge-
schoben nnd bereits im Ei wird eine Einleitung zu der 1. Larven-
form getroffen, so dass wir hier eine unterdrückte Larvenhäutung
vor uns haben. Hiemach macht Musca vom Embryo bis zur
Imago 5 Häutungen durch; von denen aber die erste in die Em-
bryonalperiode fällt nnd auch nicht eigentlich mehr zur Abwerfung
einer Cuticula führt, und von denen die 4., wie schon oben erwähnt,
unter dem Schutze der 3. geschieht und eine reine Wachsthums-
häutung ist. Bei Gorethra finden gleichfalls 5 Häutungen statt,
dagegen persistiren die normalen Mnndtheile und gehen, wie auch
die Antennen, direct in die der Imago über. Neubildungen, welche
die Larven als secnndär erscheinen lassen, sind aber auch hier
vorbanden, beschränken sich indessen fast ganz auf die Respira-
rationsorgane und dienen zur Anpassung an das Leben im Wasser.
Dahin gehören 2 Tracheenblasen „vorwiegend Schwimmblasen^'
(1. c, p. 55), während Stigmen gänzlich fehlen (und auch die
Andeutung derselben im Ei ausfällt). Dagegen ist freilich das
gesammte Tracheensystem der Mücke „bereits in der jüngsten
Larve in der Anlage vorhanden.^' Bei der Puppe bilden sich
anf dem Pronotum die sog. Stigmenkiemen im Zusammenhange
mit einem Tracheenstämmchen, nnd werden mit der 5. Häutung
wieder entfernt. Ausser den Anhängen des Kopfes gehen auch die
Körpersegmente direct in die der Imago über, nur die Beine nnd
Flügel resp. Halteren sind insofern Neubildungen, als ihre ersten
Anlagen erst in der Puppe als sog. Imaginalscheiben auftreten.
Sie sind aber nichts als Ausstülpungen des Hautsinnesblattes im
Umkreise eines Nerven, nnd die „Füllungszellen gehen aus einer
Wucherung des Nenrilems'^ (p. 79), also aus dem Hautfaserblatte
hervor. Sonach ist die Gontinuität des Exoderms nachgewiesen,
wie denn auch die abgeworfenen Theile — Stigmenkiemen, Ruder-
flossen, Proventriculus (vergl. oben p. 141), Muskeln — nur das
obere primäre Keimblatt*) betreffen und somit unseren theore-
tischen Deductionen nicht entgegen stehen. Wir gewinnen aber
') Weismann, nachembryonale Entwicklung etc., p. 275.
*) Ich bemerke hier, dass WeiBmann schlechterdings von Keimblättern
nichts wissen will, obwohl es ein Leichtes ist, aus seinen Beobachtungen nnd
seinen Worten den Beweis ftir ihre Existenz zu führen. Zum Ueberfluss zeigt
Grimm (Chironomn«, p. 16), dass das Hautsinnesblatt als Cylinderepithel von
dem Mesoderme, welches sich öfters theile, gut zu unterscheiden sei. „In
Folge dessen ist es leicht, die Grenze zwischen diesen beiden Blastoderm-
schichten zu erkennen.'^
182 Paal Mayer,
durch Corethra die Erklärang für Mnsca, bei der eine totale
^^Histolyse'^ eintritt Hier geht nämlich nnr das Abdomen direct
ans einer Umwandlung der 8 hinteren Larvensegmente herror,
während der ganze Kopf und Thorax sich neu bilden. Die
Imaginalscheiben treten auch hier entweder im Bereiche eines
Nerven oder eines Tracheenstammes, also stets am Hautsinnes-
blatt auf, nur dienen sie zugleich ' zur Bildung der Anhänge und
des betreffenden Theiles der Eörperwandung. Hiernach verliert
der Satz Weismann's: ,,Thorax und Kopf der Fliege sammt
ihren Anhängen entwickeln sich im Innern der Leibeshöhle . . .
und zwar in organischer Verbindung mit physiologisch und mor-
phologisch ganz heterogenen Theilen des Larvenkörpers'^ (p. 222)
schon viel von seinem räthselhaften Inhalte. Dazu kommt nocl^
dass diese Imaginalscheiben bereits sämmtlich im Ei (p. 223)
angelegt sind. Die Prothoracalhälften hingegen sammt ihren
^^StigmenhOmern^' haben Bildungsscheiben, die erst während des
Larvenlebens entstehen (p. 237); was aber im Hinblick auf die
ihnen homologen Stigmenkiemen bei Corethra ganz erklärlich
wird. In die Lumina nun der so gebildeten Anhänge treten nicht
unmittelbar; wie bei Corethra; Partien des Mesodermes zur Bildung
der MuskelU; vielmehr werden ;;die Zerfallproducte des Fettkörpers
hineingeschwpmmt'^ (p. 268) und gestalten sich erst später zu ge-
ordneten Faserzttgen. Vorher sind nämlich Epidermis^ Muskelo;
Proventriculus etc. zerfallen; so dass sich der Inhalt des Puppen-
körpers ;;Sehr wohl mit dem Inhalte des befruchteten Eies ver-
gleichen lässt^' . . . Ein wesentlicher Unterschied bleibt nur immer
der, dass zu keiner Zeit alle Innern Organe fehlen" (p. 3J8). Der
echtC; eigentliche Darm nämlich persistirt in seiner Form und
bekommt nun einen neuen Zellbelag von innen und später einen
Muskelbelag von aussen. Sonach ist eine Betheiligung des Ento-
dermos an der Bildung der Eörpermusculatur sicher ausgeschlossen.
Der Fettkörper aber ist; wie auch aus Ganin's Beobachtungen an
Platygaster (1. c, p. 402) hervorgeht, ein Product des Mesodermes.
Hiernach ist die ;,totale Histolyse'^ bei Musca ihrer Schrecknisse
in morphologischer Beziehung beraubt und der richtigen Auffas-
sung zugänglich gemacht. Zum Wenigsten ist nachgewiesen; dass
die Keimblätter getrennt bleiben. Warum nun gerade bei Musca
diese Entwicklungsweise auftritt, welche so bedeutende Umwege
im Larvenleben einschlägt, lässt sich allerdings zur Zeit noch
nicht einsehen, doch darf man auf die enorme Verkürzung des
Hinterleibes (5 Ringe gegenüber den 9 von Corethra) hindeuten,
Ueber Ontogenie and Fhjlogenie der Insekten. 133
am gewaltige Veränderangen begreiflich zn finden^, ein völliges
Veretändniss können nur ontogenetische Untersuchnngen an Ta-
banidae mit Papa obtecta and an Syrphidae oder noch besser an
Stratiomyidae mit Papa coarctata bringen. Zagleich müssen dann
anter den Mtlcken die Masciformia (Bibio) zar Vergleichnng
dienen, weil hier wahrscheinlich die Entwicklang noch ziemlich
regelmässig verlanfen wird.
Ich bemerke übrigens hier noch, dass diese Histolyse viel
häufiger Yorkommen mass, als man bis jetzt vielleicht glauben
mag. Aach Chan ^ ist dnrch seine Untersachangen an Liparis
Salicis and Vanessa articae in Betreff dieser Erscheinang za der-
selben Aaffassang gelangt wie Weismann. Nach ihm ,,ist bereits
am 2. Tage der Verpnppang von Oesophagus und Mastdarm keine
Spur mehr aufzufinden .... Dagegen tritt der Cbylusmagen,
wenigstens in seiner mittleren Abtheilung; noch deutlich her-
vor . . . Später fallen auch seine Gewebe der Histolyse anheim.^'
Die Anlage des neuen Darmrohres geschieht ;,im Anschluss an die
früheren Zerfallprodncte, die bei vorsichtiger Präparation immer noch
die Form des Organes erkennen lassen^ weil sie sich nicht zerstreuen.'^
Was die Parasitae angeht, so sind dieAphaniptera grund-
verschieden von den Pupipara und zeigen durch ihre gesammte
Organisation^ dass sie sich von den echten Diptera äusserst früh
abzweigten und so Zeit besassen, ihren Körper der neuen Thätig-
keit nach besten Kräften anzupassen. In der That sind die
homonomen Thoraxringe und die gespaltene Unterlippe Zeichen
eines hohen Alters, dem die 8 Hinterleibsringe nebst der gleichen
Zahl von Abdominalganglien ^) durchaus nicht widersprechen.
Man könnte sogar geneigt sein, sie gänzlich von den echten
Zweiflüglern zu entfernen, wenn nicht ihre Embryonalentwicklung
nach dem Zeugnisse von Weismann (und Packard) im Wesentlichen
mit der der der Tipulariae übereinstimmte. Da übrigens die On-
togenese noch zu wenig bekannt ist, so lässt sich kein weit-
reichender Schluss aus ihr ziehen. Die Pupipara hingegen besitzen
höchstens noch 6 freie Abdominalringe und erlauben so eine Ab-
leitung von jüngeren Dipteren. Doch muss auch hier die Tren-
nung vom Stamme derselben schon frühzeitig vor sich gegangen
sein. Während nämlich bei Mnsca das Nervensystem auch in
seinen ersten Stadien schon sehr concentrirt auftritt, zeigt sich bei
*) L c., p. 26.
*) L. Landois, Anatomie des Hnndeflohes. Noya acta Acad. Leop. Carol.
1866, p. 51.
184 Paal Mayer,
jungen Melophagaslarven nach den Beobachtungen von Leuekart ^)
noch ein deutlich gegliedertes, aus 11 Ganglien bestehendes
Bauchmark, welches erst allmählich sich zu der bekannten cen-
tralen Masse gestaltet Bemerkenswerth ist hierbei der Umstand,
dass von vorneherein schon die drei Thoracalganglien viel stärker
sind, als die 8 Abdominalganglien; obwohl die Larve im Körper
der Mutter keine Bewegungen ausfuhrt, welche diese Präponderans
verstehen lehrten. Hier gibt offenbar nur die Phylogenie eine
Erklärung. Aus der Ontogenie, wie sie Leuekart darstellt^ hebe
ich noch Folgendes heraus. Ein Amnion und Faltenblatt ist nicl^t
beobachtet worden, dagegen häutet sich die Larve selbst min-
destens zwei Male und zwar einmal unmittelbar nach dem Ver-
lassen der Eihülle. Die Bildung des Tracheensystems geht von
der Stigmentasche aus, welche schon sehr früh im Embryo als
eine Querspalte am hinteren Leibesende auftritt Die junge Larve
besitzt nur ein Stigmenpaar, welches in Bezug airf den After
dorsal gelegen ist, obwohl es die scheinbare Hinterleibsspitze ein-
nimmt. Bis dahin sind 8 Abdominalsegmente unterscheidbar.
Nach einer alsdann auftretenden zweiten Häutung sind 3 Stigmen-
paare vorhanden, deren Tracheen allerdings sofort jederseits zu
einem Längsstamme verschmelzen, welcher sich dann erst wieder
theilt, die mir aber doch die drei letzten Segmente anzudeuten
scheinen. Dass gerade diese Stigmen zur Ausbildung kommen,
erklärt sich aus der Lage der Larve in der Vagina des Mutter-
thieres. Der Magen ist auch hi^r hinten geschlossen; die vasa
Malpighii hangen mit dem Enddarme zusammen, sollen jedoch
nicht als Ausstülpungen desselben entstehen, vielmehr glaubt
Leuekart beobachtet zu haben, dass sie sich „als lange Zellen-
stränge aus der tiefen Schicht der Muskelhaut absondern^' (p. 223).
Man wird auf diese nur vermuthungsweise ausgesprochene Ansicht
jedenfalls nicht mehr Werth zu legen haben, als auf die Meinung
Leuckart's über den Antheil, welchen die Keimblätter an dem
Aufbau des Embryos nehmen sollen. Er unterscheidet zwei
„Keimschichten^^, doch entsteht nach ihm aus der oberen nur die
Epidermis, aus der unteren, „weit dickeren . . . theils die anima-
lischen Organe der Larve, Nervensystem und Muskeln, theils aber
auch die Umhüllungen des Darmkanales, der Fettkörper und die
Tracheen" (p. 216). Bei der Schwierigkeit der Untersuchung, wie
') Fortpflanzung and Entwicklung der Pupiparen nach Beobachtungen
an Melophagua ovinus. Ahhandl. naturforsch. Gesellsch. Halle 1858, p. 145
bis 22G, tabb. HI.
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. J85
sie Leuckart selbst oft betont, sind solche Irrthtimer auch anver-
meidlich.
Als die ältesten Pupiparen sind der Wohnthiere wegen wahr-
scheinlich die Branlina zu betrachten; ob übrigens die Verwandt-
schaft der drei Hanptklassen wirklich eine so innige ist; wie man
für gewöhnlich annimmt; würde nur die Ontogenie lehren können,
welche aber mit Ausnahme von Melophagns noch bei keiner ein-
zigen Art bekannt ist
Protodipteron: 9 freie Hinterleibsringe. Prothorax be-
reits mit dem Mesothoraz verwachsen; dagegen Kopf schon frei
wendbar. 3 Ocellen. Stechende MandtheilC; FlUgelpaare un-
gleich. Beine mit 5 Tarsen. 3 Thoracal-; 5 Abdominalganglien;
4 rasa Malpighii. Eine Legescheide fehlte. Entwicklang mit
änsserem Keimstreif, Larven farbloS; ohne Beine.
Goleoptera.
Gleich den vorigen Ordnungen ist diejenige der Käfer nach
allöb Seiten hin abgeschlossen und kann, ohne dass irgend welche
Aendemngen in Bezug auf ihren Umfang vorzunehmen sind; zur
Besprechung gelangen. Charakterisirt werden die ihr zugehörigen
Insekten bekanntlich in erster Linie durch die Bildung ihrer
Flügel: das vordere Paar ist hart und hornig und dient zum
Schutze des zweiten; welches meist sehr gross ist und fast überall
vielfach gefaltet in der Ruhe den Hinterleib ganz bedeckt. Ver-
gegenwärtigt man sich nun, dass die dorsaleu; als Flugorgane
auftretenden Anhänge ursprünglich gewiss nicht länger als der
Köiper gewesen sind; um in der Ruhe demselben dicht anliegend
vor Beschädigung gesichert zu sein, dass aber mit zunehmender
Länge eine Faltung nöthig wurde; so wird man die Gruppe der
Kurzflttgler; falls man nicht an eine nachträgliche Verkümmerung
der Flügel zu glauben hat, zu den ältesten Formen zählen müssen.
Aehnliches gilt von den Flügeldecken. Eine Verwachsung der
letzteren; welche sich aus der Entwöhnung vom Fluge erklären
lässt; ist eben so sicher ein Zeichen geringen AlterS; wie die noch
weiche Beschaffenheit eine Annäherung an die ursprüngliche;
homoptere Grundform der Insekten verräth. Der Kopf ist fast
allgemein frei wendbar. Die Zusammenziehung des Hinterleibes
von den 11 freien Ringen des Protentomon ist bei allen Käfern
bis auf 8 herab erfolgt und geht auf der Bauchseite noch be-
deutend weiter; es verschmelzen hier die ersten Sternite mit dem
Metastemum und werden .auf dem Rücken sehr klein und bedeu-
186 Paul Mayer,
tungslos. Im AUgememen darf man also die Zahl der freien
Ventralringe als einen höchst wichtigen Factor bei der Bestimmung
des Alters benutzen. Beim Nervensystem ^) kommen im Einklang
hiermit Znsammenziehungen vor, welche bekanntlich so weit
gehen können^ dass sämmtliche Abdominalganglien unter sich
verschmelzen und sich den Thoracalganglien dicht anlagern; so
dass nur die Anzahl der Nervenpaare einen Schluss auf die
potentia vorhandenen Knoten erlaubt. Besonders häufig ist die
mehr oder weniger innige Verbindung des ersten Abdominal- mit
dem Metathoracalganglion , welche der Verschmelzung der be-
treffenden Körperaegmente entspricht. Offenbar sind nun die
erstgenannten Erscheinungen secundärer Natur und lassen sich
aus der steigenden Präponderanz der Bewegungsorgane ohne
Mühe erklären. In dem Maasse, wie der Hinterleib , um einen
rascheren Flug zu ermöglichen, sich verkleinerte und so die
Körpeimasse verringerte^ rückten auch die entsprechenden Ganglien
nach vorne und geriethen in ein immer grösseres Abbängigkeits-
verhältniss zu den nun bedeutend werdenden Thoracalganglien;
analoge Verhältnisse bieten die Schwimmkäfer dar. Dies drückt
schon Blanchard ^) aus, wenn er sagt : ;;0n peut considörer les
t}rpes offrant le systöme nerveux le plus centralis^ comme les
plus parfaits/^ nur wird man statt des vieldeutigen ;;parfait'' jetzt
wohl das Wort ,Jeune'^ setzen müssen. Neuerdings bat nun
Roger ^) einen „fragmentären Versuch zur Auffassung der Käfer
im Sinne der Descendenztheorie'^ gemacht, in welchem er nach-
weist, wie mit der Verkürzung der Ganglienkette eine Ver-
ringerung der Adern in den Flügeln parallel geht und eine Ver-
stärkung der Flugkraft daraus resultirt. Indem er den Grund
dieser Gorrelation nicht weiter erörtert, begnügt er sich damit,
sämmtliche wirklich vorkommende Aderungen von einem hypo-
thetischen „Urflügel'' mit regelmässig anastomosirenden Adern
abzuleiten, und legt namentlich dar, wie ein Gelenk zum Um-
schlagen der Flügel entstehen konnte. Es zeigt sich also auch
hier, dass die Concentration des Nervensystems nur die Folge ist
von den Einrichtungen, welche im Laufe der Zeit im Interesse
gesteigerter Bewegungsßlhigkeit Platz greifen.
^) Es sind höchstens 3 ThoracaW and 8 Abdominalganglien vorhanden.
Vgl. Blanchard, systöme nerveux des Goldoptöres. Ann. Sc. natur. Zool. 1846
I, p. 273 379, pl. 8—15.
^ 1. c, p 283.
") Flügelgeäder der Käfer. Erlangen 1875,
Ueber Ontogeuie und Phylogenie der Insekten. 187
Die früher allgemein gültige Eintheilnng der Coleopteren
nach der Zahl der Tarsen hat man in neuerer Zeit als künstlich
verwerfen wollen; es zeigt sich aber, dass eine ganz eigenthüm-
liehe Lagerung der vasa Malpighii — ein Hinkriechen derselben
zwischeü der Mnskellage und der Membrana propria des Bectums -
den nicht fünfzehigen Käfern zukommt, und so wird dieses Merkmal
im System nicht geringgeschätzt werden dürfen. Eine Modification
hat es ohnehin schon nach der Bichtung hin erfahien, dass man
z. B. zu den Brachelytra selbst trimere Arten rechnet. Mit einer
solchen Einschränkung aber wird es, bis genauere Arbeiten über
die vasa Malpighii es entbehrlich machen, einstweilen bei phylo-
genetischen Untersuchungen dienlich sein können.
Aus dem Gesagten scheint mir übrigens hervorzugehen, dass
bei der im Allgemeinen so grossen Gleichförmigkeit der Organi-
sation der Stammbaum der Käfer vorläufig nur in den allge-
meinsten Umrissen entworfen werden kann. Unter den Pentamera,
deren vasa Malpighii überhaupt noch einfache Formen zeigen,
sind bei nur wenigen Familien deren 2 Paare vorhanden und
zwar haben sie auch nut bei den Silphidae, Malacodermata, EUa-
teridae und den Dermestina noch freie, zu keiner Schlinge ver-
bundene Enden aufzuweisen. Hier besitzen nun die Malacoder-
mata die grösste Anzahl freier Abdominalringe, nämlich 7, und
zugleich noch ebenso viele und weit von einander entfernte Bauch-
ganglien. Somit darf man sie, was auch ihr Name befürwortet,
unbedenklich als eine der ältesten Käferfamilien dem Protocoleo-
pteron nahe stellen. Die gegenwäitig lebenden Arten zerfallen in
5 Gruppen, von denen die Lampyridae wegen ihrer Leuchtorgane,
die Drilidae wegen der beim Weibchen fehlenden Flügel und die
Melyridae durch die meist vorhandenen ausstülpbaren Garunkeln
als abgeleitete Formen erscheinen, während die Telephoridae und
Lycidae schon eher zu berücksichtigen sind. ^) Namentlich zeichnen
sich die letzteren dadurch aus, dass ihre Flügeldecken den
Körper nicht umschliessen, sondern ihm nur aufliegen, auch wohl
durch Längsrippen in Felder getheilt sind.
Mit den Malacodermata lassen sich wohl ohne grossen Zwang
die Cyphonidae (mit gleichfalls 7 Abdominalganglien) ver-
einigen, welche häufig noch direct bei ihnen im Systeme unter-
gebracht werden ; doch erscheinen sie als ein ziemlich aberranter
') Hier enden auch die Tasa Malpighii noch frei, bei Malachioa und Drilus
hingegen schon nicht mehr.
188 Paul Mayer,
Seitenzweig. Die Elateridae können gleichfalls auf ein hohes
Älter Anspruch machen^ wie dies ausser den frei endenden vier
Malpighi'schen Gefässeu ^) auch die 8 Abdominalganglien be-
weisen; nur sind auch sie wieder in ihren jetzt lebenden Fonnen
schon wegen des Schnellapparates als vielfach abgeändeft zu be-
trachten. Dies gilt in noch höherem Maasse von den ihnen nahe-
stehenden Cebrionidae. Die Buprestidae hingegen bilden
in jeder Beziehung eine junge FamiliO; deren directe Ableitung
von den Elateridae kaum möglich erscheint; so dass die Gruppe
der Stemoxia als solche nicht haltbar ist. ^)
Mit den Malacodermata stehen ebenfalls in enger Verbindung
die G 1 e r i d a e ; die jedoch in manchen Punkten schon bedeutende
Veränderungen aufzuweisen haben. Femer lassen sich von den
ersteren, wie es scheint^ abzweigen die Silphidae mit 6 freien
Ventralringen, deren Bauchmark noch aus 7 Ganglien besteht und
deren vasa Malpighii bei Silpha und Necrophorus die ursprüng-
liche Bildung gewahrt haben. - Auch sind hier die FtQiler zum
Theile noch einfach fadenförmig; wie diejenigen der Malacoder-
mata. Aus ihnen haben sich dann die Glavicomia entwickelt,
die alle 6 Malpighi'schen Gefässe zeigen und deren Bauchmark
höchstens 6 Abdominalganglien besitzt, während diese bei einigen
Familien sogar sämmtlich verschmolzen sind. Vor der Hand
') Nach Schiödte (On the Classification of Baprestidae and Elateridae.
AnnalB Mag. Nat« Hist. 1866 XVIIl, p. 200) im Gegensatze zu DafouT) welcher
je zwei in einander übergehen lässt. Ueberhaapt werden die Untersuchungen
des letzteren Forschers immer nur bedingungswebe für richtig angesehen
werden dürfen.
*) In dieser Beziehung stimme ich mit Schiödte überein, da er nachweist,
wie die Elateridae und Buprestidae „with regard to development, structure
and habitsof life, appear as widelj separated as two families CMnbe*^(p. 207).
^ill man also eine Art von Zusammenhang zwischen ihnen aufrecht erhalten,
so kann dies nur so geschehen, dass man beide gemeinsam von den Mala-
codermata oder mit diesen zugleich von dem Protopentameron ableitet Hierin
wird man sich auch durch Boger, welcher nach wie vor an den Stemoxia
festhält und sie für eine „durchaus natürliche Gruppe*^ ansieht, nicht irre
machen lassen. Boger zeigt, dass die Eigenthümlichkeiten des Buprestiden-
flügels nur bei den auch sonst als typisch bezeichneten Prachtkäfern völlig
ausgebildet sind und mehr und mehr schwinden, je näher in der gebräuch-
lichen Beihenfolge die einzelnen Genera den Elateriden zu stehen kommen;
dies verträgt sich aber offenbar eben so gut mit einer Ableitung beider
Familien von den Malacodermata, welche aus den angeführten Gründen wahr-
scheinlicher bt, als die Auffassung der Buprestidae als eines sehr modificirten
Zweiges der Sternoxia.
Üeber Ontogenie and Phjlogenie der Insekten. J89
scheint es mir aber nicht möglich, die vielen and zum Theil recht
eigenthttmlichen und an Artenzahl kleinen Unterabtheilungen,
welche hier gemacht werden, phylogenetisch anzuordnen; doch
lässt sich so viel sagen, dass die Silphiden selbst vielgestaltig
genug sind; um die Ableitung sämmtlicher Clavicomia von ihnen
für wahrscheinlich halten zu dürfen. In der Nähe der letzteren
stehen noch die Brachelytra mit Malacodermen-Bauchmark
und 4 vasa Malpighii. Die Verkürzung der Elytra ist allmählich
vor sich gegangen und von einer Reducirung der Flügel, die aber
durch Einschiebung neuer Gelenke immer gefaltet bleiben, be-
gleitet gewesen. Den Uebergang zwischen ihnen und den Silphidae
bahnen Necrophorus und ähnliche Formen mit schon leidlich
kurzen Flügeldecken an, doch ist eine directe Ableitung von diesen
6 ringeligen Arten wegen der 7 freien Yentralringe nicht thunlich
nnd so bleibt nur eine gemeinschafkliche Abstammung beider von
den Malacodermata übrig. *)
Unter den Lamellicornia mit nur 5 Yentralringen besitzen
allein die Lucanidae, deren Fühler noch am wenigsten durch-
blättert erscheinen, eine Nervenkette mit 6 Abdominalknoten,
während sonst bereits das eine grosse Ganglion auftritt. Die
eigenthümliche Structur der Hoden, wie sie unter den Käfern nur
noch bei den Carabidae und Dyticidae sich zeigt — zwei sehr
lange, gewundene Schläuche in Enäuelform aufgerollt — deutet
auf eine Verwandtschaft mit diesen. Man geht daher wohl nicht
fehl, wenn man den starken und weit verzweigten Ast der
Lamellicornia, von denen beispielsweise die Goprophaga jungen
Datums sein müssen — durch die Lucanidae mit dem ebenfalls
bedeutenden Aste der Carabidae in Verbindung bringt. Denn
diese letzteren besitzen trotz der Vielen mangelnden Flugfähigkeit
') Ich gerathe hierin einigermassen mit Boger in 'Widerspruch. Dieser
lässt nämlich die Silphiden von den Staphylinen sich abzweigen und gibt den
letzteren neben einem grossen Theile der Clavicornier als Stammform yer-
muthungsweise die Nitiduliden, während die Byrrhiden, Dermestiden und
andere Familien direct zu den Malacodermata in Beziehung treten sollen. Ich
begnüge mich damit, diese Ansicht Boger's hier wiederzugeben, da mir die
nöthigen anatomischen Nachweise dafür oder dawider nicht zu Gebote stehen ;
immerhin ist namentlich in Betreff der Silphiden die Differenz nicht so gross,
wie sie scheinen mag, weil ja auch Roger sie nicht von den echten Brache-
lytrm, sondern von einer ihnen nahe stehenden, aber mit unverkürzten Flügel-
decken versehenen Form wird ableiten wollen.
190 Paul Mayer,
die Zeichen eines sehr hohen Alters in den 7 freien Yentralringen
und 6 Abdominalknoten.
Von den Pentameren bleiben nun noch zu besprechen a) einige
kleinere Abtheilungen von meist eigenthümlichem Bau^ z. B. die
Trichopterygii, Pselaphidae^ Paussidae, Cucujini, von deren Ana-
tomie aber herzlich wenig bekannt ist und die ich einstweilen als
Corps ä Syrier nicht weiter berühre, b) die Xylophagi (Anobium^
Cis etc.) und c) die Wasserkäfer. Die Gruppe b gehört ihrer
ganzen Organisation nach zweifellos zu den Malacodermäta und
kann also direct von ihnen abgeleitet werden ; die 4 vasa Mal-
pighü, 6 Abdominalganglien und 7 Hinterleibsringe sprechen
wenigstens für ein sehr hohes Alter. Von den Wasserkäfem sind
die Dyticidae als caraboide Käfer zu betrachten^ welche sich
bereits früh an den Aufenthalt im Wasser gewöhnten. Durch
Anpassung besitzen sie Schwimmbeine, haben aber sonst nicht
nur die Bildung der Mundtheile mit den Garabiden gemein, son-
dern auch die Zahl der Bauchringe, der Ganglienknoten und, wie
schon bemerkt, die seltsame und seltene Form der Iloden. Auch
die eigenthümliche völlige Verschmelzung der Enden der 4 vasa
Malpighii in der Art, dass ein auf dem Enddarme gelegenes Kreuz
gebildet wird, welches die Lumina aller 4 Hamorgane mit einander
communiciren lässt, finde ich genau so bei Hydaticus und Acilius
wieder, wie sie Sirodot ^) für die Garabiden angegeben hat. Eben
so stehen als eine sehr verbildete kleine Familie die Gyrinidae
trotz ihres auf das Aeusserste zusammengezogenen Nervensystemes
durch ihre 6 freien Yentralringe und einige sonstige Eigenschaften
in der Nähe der Dyticidae, von welchen sie jedoch nicht direct
abzuleiten sind. Die Hydrophilidae endlich haben ihre
nächsten Verwandten auf dem Lande in den Sphaeridiidae unter
den Palpicornia. Während aber die letzteren bereits vielfach
nur noch 4 Ventralringe besitzen, haben jene im Wasser sich noch
deren 7 zu bewahren vermocht; auch deuten die vasa Malpighii
ein hohes Alter an, so dass eine directe Beziehung zu den Mala-
codermäta recht wohl möglich ist. ^) Zugleich mit den Palpicornia
') Recherches snr les sdcr^tions chez les Insectes. Annal. Sc. natar. ZooU
1858 IT, p. 259.
*) Wenn Boger auf dem Umstände fassend, dass ^das Gangliensystem
der landlebenden Palpicomier eine grössere Concentration zeigt, als das der
wasserlebenden*' (1. c., p. 35) nun die ersteren von letzteren abstammen lässt
und demzufolge eine Entwöhnung derselben vom Lieben im Wasser annehmen
mnss, so vermag ich ihm nicht beizustimmen. Denn einmal ist diese Concen-
lieber Ontogenie und Phytogenie der Insekten. jQl
scheinen Bich auch die ParnidaC; deren Larven so ttberaus
sonderbare Formen besitzen^ abgezweigt zn haben.
Unter den nicht pentameren Käfern gibt es ebenfalls mehrere
Familien, welche uns in mancher Beziehung recht ehrwürdig und
altersgrau vorkommen; nur darf keine unter ihnen Anspruch
darauf erheben, als die bejahrteste angesehen zn werden. Zu den
Pentamera finden keine directe Beziehungen statt. Zwar macht
Dufour darauf aufmerksam, dass in der Larve von Cetonia aurata
die vasa Malpighii eine Anordnung besitzen, welche an die oben
beschriebene der Apentamera erinnere, und Sirodot zeigt, dass ein
Hinkriechen der Hamorgane unter der Muskelhaut des Bectums
auch den Imagines von Melolontha etc. zukomme; doch recht-
fertigt dies noch nicht den directen Anschluss an die Lamellicornia,
sondern höchstens eine Ableitung von gemeinsamem Stamme.
Was die Heteromera betrifft, so stehen der Urform vielleicht am
nächsten die Vesicantia mit 7 und die Pyrochroidae mit 6
freien Ventralringen ; indessen ist bei beiden Familien der Kopf
durch einen deutlichen Hals vom Thorax abgesetzt, auch hat sich
in der ersteren die Zahl der Abdominalganglien auf 4 verringert.
Andererseits bleiben die Melasoma mit 8 üinterleibsganglien
und mit ö Ventralringen, so weit sie nicht verkümmerte Flügel
und verwachsene Elytra besitzen, durch die bei einzelnen Formen
in der Vierzahl auftretenden vasa Malpighii dem ursprünglichen
Verhalten eben so treu wie unter den Vesicantia Sitaris und
gewiss auch noch andere Arten. Im Allgemeinen wird man also,
da bei den Lagriariae, Mordellina, Pjrochroidae und Vesicantia
der EOrper weich ist, das Protheteromeron in die Nähe der Ma-
lacodermata setzen können und hiervon nach der einen Richtung
die Melasoma, nach einer andern die Pyrochroidae und Vesicantia
ausgehen lassen. Von jenen zweigen sich dann vielleicht die
Melandryadae, Oedemeridae und Salpingidae ab, während
sich zugleich mit den Pyrochroiden auch die Mordellina, La-
tration durchaus nicht so gross, da alle 5 Abdominalganglien noch deutlich
von einander unterscheidbar sind, dann aber auch ist gar kein Grund dazu
vorhanden, beide Familien nicht yon einer ihnen gemeinsamen Stammform
abzuleiten, welche noch das Land bewohnte. Ohnehin btSphaeridium in der
jetzigen Gestalt seines Aufenthaltsortes wegen sehr jung, mag sich also
vielerlei Eigenthümlichkeiten erst lange nach der Trennung seiner Vorfahren
von dem gemeinschaftlichen Stamme erworben haben, während Hydrophilus
als Wasserthier geringeren Anpassungen ausgesetzt war.
192 l?aai Mayer,
griariae und BhipiphoridaeO "^^^ der Urform entfernt
haben mögen. Genauere anatomische Untersachnngen bleiben aber
noch abzuwarten, ehe man den einzelnen Familien einen festen
Platz anweist.
In ähnlicher Weise sind die heutigen Tetramera und Trimera
zwar stark modificirt; deuten aber durch einzelne Züge auf einen
sehr entfernten Ausgangspunkt hin. Die höchste Zahl der freien
Yentralringe zeigen die Endomychidae, nämlich 6. Auch das
Bauchmark ist vielfach sehr zusammengezogen und weist z. B.
bei den Gurculionina nur noch 2 Thoracal- und einen Abdominal-
knoten auf. Doch finden sich bei d6n Longicornia noch 8
Abdominalganglien ^), so dass man geneigt sein könnte^ diese
Familie als die älteste anzusehen, wenn dies nicht unter Anderen
auch der wohl entwickelte Hals sammt den langen Fühlern ver-
bieten würde, Merkmale, welche den Ghrysomelina fehlen.
An die Malacodermata erinnert nichts. Ehe ich aber die Stellung
des Prototetrameron in Erwägung ziehe, muss ich die Ontogenese
der Käfer besprechen, da sie einige wichtige Fingerzeige fttr die
Verwandtschaft dieser Stammform darbietet.
Die embryonale Entwicklung ist von Eovalevsky an Hydro-
philus und von Melnikow an Donacia studirt worden ; alle übrigen
in den Kreis der Untersuchung gezogenen Käfer sind mehr oder
minder oberflächlich behandelt. Bei Hydrophilus bemerkt Kova-
levsky 5 Fusspaare und 11 Abdominalstigmen, während die Larve
nur 3 resp. 1 zählt, demnach eine bedeutende Modification durch
ihre Anpassung an das Leben im Wasser erlitten hat. Die Käfer*
larven sind höchst mannigfaltig gestaltet und bieten ausser Formen
mit vielen Stigmen auch solche mit nur wenigen dar. In dieser
Hinsicht ist es nun von Interesse, dass zu deigenigen Larven,
welche am Mesothorax ebenfalls ein Stigma tragen (vgl. p. 132),
auch gehören diejenigen von Lycus, Lampyris, femer die den
Malacodermata nahestehenden Buprestis und Elater, und Euci-
netus und Dascillus unter den Gyphonidae (vgl. p. 187). Daza
kommt, dass während die meisten Larven, weil sie im Dunkeln
') Die Bhipiphoridae haben zum Thdl noch 8 freie Yentralringe and
lassen daher das Protheteromeron noch weiter zarücktreten, von welchem sie
sich dann auch sehr früh entfernt haben müssen.
*) Nach Schiödte's eingehenden Untersuchungen (On the Classification of
the Cerambyces. Annais Mag. Nat. Hist. 1865 XV, p. 2ü0). Blanchard gibt
ausdrücklich nur fünf an, die freilich bis an das Ende des Hinterleibes reichen
sollen.
m
lieber Ontogenie und Fhylogenie der Insekten. 193
JebeDy farblos sind, ausdrücklich für farbig erklärt werden die-
jenigen von den Telephoridae and Lampyridae unter den Mala*
codermata, von den Garabidae, Goccinae und Ghrysomelina. Weil
aber dieser Zustand, wie auch die Stigmenzahl darthut, der ur-
sprüngliche und die Gewöhnung der Larven an das Leben in der
Erde, in Holz, in Wasser etc. eine nachträgliche Erscheinung ist,
80 dürfen ¥rir mit Recht auf die farbigen Larven grosses Gewicht
legen« Demnach sind als Grundformen für die Pentamera
i) die Malacodermata (welchen die Heteromera nahe kommen),
2) die Garabidae s. ampl. (oder die Adephaga mancher Au-
toren) anzusehen. Für die Tetramera sind alsdann die Ghryso-
melina (vgl. p. 192) auch aus diesem Grunde die nächststehende
Familie. Weil nun unter den Longicornia die Gerembycidae den
Donacien unter den Ghrysomelina nahe kommen, so darf man
annehmen, dass sich der Ast der Tetramera gleich anfangs gabelig
spaltete. Der Longicorni er zweig leitet dann durch die
Bruchidae zu den beiden, sehr abgeänderten Familien der
Curculionina und Bostrichidae; von dem Ghrysomelinen-
zweig trennten sich ebenfalls gleich zu Anfang die Goccinellina
ab. Uebrigens ist es eben so gut möglich, dass die Trimera direct
von der allgemeinen Stammform, dem Protocoleopteron, herrühren,
wofür die sechs freien Ringe ;der Endomychidae zu sprechen
scheinen. ^)
*) Za Resaltaten, welche in mancher Beziehung von den meinigen ab-
weichen, gelangt Roger. Er ist dazu geneigt, die meisten Tetramera von
den Lucaniden abzuzweigen, indem er die Frioniden als „Bildungscentrum^^
zu den Malacodermata in Beziehung setzt und nun von ihnen zwei Reihen
ausgehen lässt: einerseits die Longicornia s. str., andererseits die Lucaniden,
welche nicht nur den Lamellicomiern, sondern auch den Bostrichidenf
Bruchiden und Rhynchophoren den Ursprung gaben. Letztere Ableitung ge-
schieht übrigens von Roger „mit allem Vorbehalt und nicht auf Grund des
Flügelgeäders.** Wenn sich nun bei den Frioniden die charakteristische Uoden-
form der Lucaniden zeigte, was nach den Ergebnissen der Untersuchungen
von Schiödte nicht der Fall ist, und wenn bei diesen die nämliche Anordnung
der vasa Malpighü, wie sie die üeteromera aufweisen, sich vorfände, was nicht
ermittelt zu sein scheint, so wäre nichts dagegen einzuwenden; einstweilen
wird man gut thun, sich so unbestimmt wie möglich auszudrücken. Die
Trimera stellt Roger durch ihre weichhäutigen Formen (Galeruca) direct zu
den Malacodermata, was ebenfalls recht wohl thunlich ist. Völlig in Ueber-
einstimmung befinde ich mich hingegen mit ihm, wenn er sagt (p. 86):
n . • . wir sahen, dass die dem System zu Grunde liegenden anatomischen
Untersuchungen die natürlichen Verwandtschaften schon längst in den meisten
Fällen so klar erkennen Hessen, dass die Aufstellung des Stammbaumes
Bd. x,Jii,¥.ia, s. X8
194 Paul Mayer,
Zum Schlasse noch die Bemerkung, dass zwar die Entwick-
lung im Ei durch einen äusseren Eeimstreif vor sich geht, in-
dessen bei Telephorns, also einer uralten Form^ nach Packard ^)
ein innerer Eeimstreif vorhanden sein soll. Wenigstens heisst es
(1. C; p. 9) : ;,The development of the beetle, in its earliest stages,
is of remarkable interest, since it differs from the other Coleoptera,
whose development is known, in the primitive band [Eeimstreif]
floating in the centre of the yolk, instead of surrounding if
Dieser Eeimstreif sei S-fOrmig und gelange später auf die Ober-
fläche des Dotters. Im Allgemeinen sind aber die embryologischen
Beobachtungen Packard's so wenig genau und zuverlässig; dass
man dieser Angabe nicht ohne Weiteres Glauben schenken darf.
Protocoleopteron: 8 freie Hinterleibsringe. Prothorax
noch frei beweglich und Eopf in ihn eingesenkt Beissende
Mundtheile, ungleiche Flttgelpaare. Nur noch 2 Ocellen. Beine
mit 5 Tarsen. 3 Thoracal-, 8 Abdominalganglien. 4 vasa Malpighii.
Beim Weibchen keine Legescheide. Entwicklung mit äusserem
Eeimstreif. Larven farbig; mit 3 Beinpaaren.
Hemiptera.
Ich charakterisire zunächst die Gruppe nach Ausschluss der
ihr angehörigen Parasitenformen, der Pediculida, Mallophaga und
Phytophthires. Der Eopf ist überall in den Thorax eingesenkt;
der Prothorax bewegt sich frei am Mesothorax, die Zahl der freien
Abdominalringe beträgt am Bückentheile höchstens 9; während
am Bauche mehrere derselben völlig eingehen können. Was die
stechenden Mundtheile betrifft; so hat die Unterlippe; welche zur
Bchliesslicli nicht viel Anderes sein konnte, als genealogische Paraphra*
sirung des schon bestehenden natürlichen Systems, dessen ganzer Mangel
einzig und aUein in der durch die Catalogform bedingten linearen Aneinander-
reihung der Familien lag.^^ Die Systematiker von Fach haben eben bei der
Zusammenfassung der einzelnen Genera zu grösseren Gruppen meist solche
Charaktere gewählt, welche auch phylogenetisch stichhaltig sind, während
allerdings die Anordnung dieser Gruppen vielfachen Wandelungen unterlag
und auch unterliegen musste, so lange das Princip der Blutsverwandtschaft
nicht anerkannt wurde.
') En^bryological studies on hexapodous insects. Memoirs of the Feabody
academy of science I 3. 1872.
Ueber Ontogenie und ^hylogenie der Insekten. 195
Rüsselscheide umgeformt ist, nach Schiödte ^) bei allen Hemipteren
ohne Ausnahme 4 Glieder; da indessen das Basalglied oft so sehr
klein wird; dass es übersehen werden kann, so ist einer sich
hierauf gründende Eintheilung mit eben demselben Rechte thun-
lieh, wie die der Käfer nach den Tarsen. Man darf also nach
wie vor zwischen Tetramera und Trimera oder Pseudotetramera
tuterscheiden. Die Anzahl der Stigmen ist bis vor wenigen
Jahren auf die Autorität Dufour's hin völlig falsch angegeben
worden, so dass die bereits citirte Arbeit von Schiödte viele Irr-
thttmer auszurotten vorfand. Es hat sich herausgestellt, dass
überall, sogar bei den Wasserwanzen, 10 Stigmen vorhanden
sind ; somit wird eine Verwerthung dieses Merkmals flir die Phy-
logenie nur in Specialfällen von Nutzen sein können. In gleicher
Weise sind die vasa Malpighii keinerlei Schwankungen in Bezug
auf die Zahl und nur sehr geringen in der Anordnung unterworfen.
Ein brauchbares Kennzeichen für den Verwandtschaftsgrad der
einzelnen Familien unter einander würden allerdings die Stink-
drttsen abgeben, wenn nur nicht genaue Untersuchungen über
diesen Punkt bis jetzt völlig mangelten. Namentlich würde der
Nachweis darüber, in welchen Familien die Larven die von mir
so genannten') accessorischen Rückendrüsen besitzen (die bei
den erwachsenen Thieren nicht mehr fungiren) und eine Erörterung
der Frage, ob nicht vielleicht diese als ein Erbtheil vom Prothe-
teropteron aufzufassen seien, die der Imagines hingegen Neu-
bildungen vorstellen, von grosser Bedeutung sein können. In
Bezug auf die Speicheldrüsen habe ich schon oben die gänzliche
Unbrauchbarkeit der bisherigen Angaben wahrscheinlich gemacht.
Somit bleiben, da auch das Bauchmark grosse Gonstanz zeigt,
eigentlich nur wenige Organisationspunkte zur phylogenetischen
Verwendung übrig, und da zuverlässige Specialarbeiten über
physiologisch unwichtige Organe vor der Hand gänzlich fehlen,
so lässt sich das Verhältniss der einzelnen Familien zu einander
einstweilen nur höchst problematisch darstellen. ^)
^) On somo new fundamental principles in the morphology and Classi-
fication of Rhynchota. Annais and magazine of natural hiätory. 4. Ser. VI
1870, p. 225—249.
*) Anatomie von Pyrrhocoris apterus.
') Die Systematiker von Fach sind eben jetzt bei der ausserordentlichen
Mannigfaltigkeit von Formen in Betreff brauchbarer Unterscheidungsmerkmale
sehr übel daran und haben, um mit Schiödte (1. c, p. 230) zu reden, die
Eintheilung so weit getrieben, dass ihr Bemühen zu dem selbstmörderischen
13*
196 Paul Mayer,
Was vorerst die Heteroptera angeht^ so sind als abgeleitete
Formen eo ipso anzusehen die im Wasser lebenden Hydrocores;
von den übrigen gelangen zunächst in Wegfall die Reduvini wegen
ihres halsartig abgeschnürten Kopfes, die Pentatomidae (Scutati)
wegen ihres kolossalen Schildchens und die Membranacei wegen
der ;,dreigliedrigen'' RüsselscheidC; so dass nur zwischen den
GoreodeS; Lygaeodes und Gapsini zu wählen bleibt Von
diesen lässt sich nun allerdings vor der Hand nicht mit Bestimmt-
heit eine Familie als die älteste bezeichnen. Von den Goreodes
scheinen sich nach der einen Richtung hin die Scutati, nach
einer andern die Membranacei (welche übrigens sehr differente
Formen enthalten und vielleicht ganz anders zu gruppiren sind),
nach einer dritten die Reduvini und gleichzeitig mit ihnen die
Ploteres und Nepini s.str. abgezweigt zu haben. Die Gapsini
leiten hingegen wohl zu den Galgulini, den Belostomaia
und NaucorideS; und den Notonecti über. Sonach scheint
die Anpassung an das Leben im Wasser an zwei verschiedenen
Punkten stattgefunden zu haben ; eine Erscheinung, die nicht mehr
auffallen wird, wenn man an die Hydrophilidae und Dytiscidae
unter den Käfern denkt. In der That haben, wie Schiödte dar-
thut, die früher stets zusammengeworfenen Nepae und Belostomata
nicht mehr Gemeinsames, als die genannten Wasserkäfer unter
sich auch aufweisen können; die Verwandten aber der ersteren
wird man bei den Goreodes, die der zweiten bei den Gapsini zu
suchen haben.
Unter den Homoptera kommen zunächst in Frage nur die
Gicadae s. ampl. und unter diesen sind jedenfalls als secundäre
Typen zu betrachten dieFulgorina und Membracina. Daher
kann man die Stridulantia als eine derjenigen Formen auf-
fassen, die dem Prothomopteron möglichst nahe kommen, wofür
auch der einfache Prothorax spricht. So muss man auch mehr oder
weniger direct von diesen, aber gewiss nicht von den Gicadellina
die Phytophthires ableiten, welche in der Anzahl der Ocellen
Resultate geführt hat, nahezu jede Art als GattungstTpos hinzustellen.
Schiödte's Versuch, durchgreifende und physiologisch begründete Merkmale
zu liefern — er baut sein System vorwiegend auf die Art der Nahrungsaufnahme
und die damit im Zusammenhange stehenden morphologischen Aenderungen
des Körpers, namentlich aber der Vorderhüften — ist nun freilich vom phy-
logenetischen Standpunkte aus nicht als gelungen zu betrachten, Uefert aber
in Bezug auf einige Familien wichtige Nachweise, welche auch für die vor-
liegende Arbeit von Nutzen sind.
lieber Ontogenie und Pbylogenie der Insekten. 197
und der Ftthlerglieder Jenen, nicht Diesen nahestehen. Ein unmittel-
barer Znsammenhang dieser Familien findet natürlich nicht statt.
Die Ontogenese ist nur wenig gekannt. Von den echten
Homoptera ist keine Art, von den Heteroptera sind nur Hydro-
metra nnd Corixa untersucht worden, dagegen wurden die
Aphiden, ferner Aspidiotns und Lecanium, auch Psylla von Huxley,
Metschnikoff, Brand und Balbiani mehr oder weniger eingehend
behandelt. Die Entwicklung geschieht bei allen genannten Arten
mit innerem Keimstreife und verläuft im Grossen und Ganzen
in ziemlich gleicher Weise; einige Eigenthümlichkeiten scheinen
indessen bei den Aphiden im Zusammenhange mit ihrer absonder-
lichen Fortpflanzungsweise Platz zu greifen. Hervorstechend ist
schliesslich bei der Ontogenese der Hemipteren der Umstand, dass
die im Embryo vorhandenen Mundtheile, welche auf die gewöhn-
liche Art entstanden sind, mit Ausnahme des zweiten Maxillen-
paares durch eine Häutung in Wegfall kommen und durch be-
sondere, aus „retortenförmigen Organen'^ gebildete Stilette ersetzt
werden, die zeitlebens persistiren. Dies gilt mit Sicherheit von
AphiB, Aspidiotns und Psylla, sonach von den als Homopteren
angesprochenen Phytophthires, während es bei den untersuchten
Heteropteren nach MetschnikofTs ausdrücklicher Behauptung nicht
der Fall sein soll. Hingegen finde ich bei Pyrrhocoris, dass diese
retortenartigen Organe bereits im Embryo angelegt werden, in
der Larve noch eine Zeit lang in Zusammenhang mit den fungiren-
den Kiefern verharren und erst nach der ersten Häutung an Stelle
der nunmehr abgeworfenen in Tbätigkeit treten. Hieraus darf
man den gewiss berechtigten Schluss ziehen, dass die Homoptera
und Heteroptera hinreichend nahe mit einander verwandt sind,
um gemeinschaftlich als Hemiptera bezeichnet zu werden. Das
Prothemipteron besass demnach die geschilderte Eigenschaft in
der Bildung der Mundtheile jedenfalls; die niedriger stehenden
Homoptera haben sie getreulich bewahrt und auch unter den
höheren Heteroptera hat erst die Anpassung an das Leben im
Wasser eine solche Kürzung der Ontogenese eintreten lassen, dass
das Stadium provisorischer Kiefer einfach übersprungen wird.
Bei den Pediculidae und Mallophaga, also den von der Be-
sprechung bis jetzt absichtlich ausgeschlossenen echten Parasita
liegen die Verhältnisse ähnlich : die zweiten Mamillen werden noch
regelrecht zur Unterlippe ^), fallen aber dann, wie auch die andern
*) Melnikowy L c, p. 178 fi.
198 I*ftu^ Mayer,
sich rückbildenden Mnndtheüe^ schon im Ei dnrch eine Häatung ab^
^^der znr Rinne gestaltete Vorderkopf bildet die Scheide des RttfiBels''
und so mnss der Rüssel der Pediculiden ^^wie auch die Saugröhre
der Mallophaga als Bildung der Mundhöhle angesehen werden^' und
der Saugapparat kommt ;;Ohne Beihülfe der Eopftegmente zu Stande'^
Hieraus geht hervor, dass diese beiden Parasitenklassen, welche
ohnehin im Uebrigen die Hemipteren-Entwicklung zeigen^ auch
wirklich hierher zu rechnen sind ; ob sie indessen den Homopteren
oder den Heteropteren näher stehen, lässt sich nicht bestimm^i.
Jedenfalls muss aber ihre Abzweigung von dem Reste der Halb-
flügler mit Rücksicht auf das 8—9 ringlige Abdomen der Mallo-
phaga und das 9ringlige der Pediculidae schon sehr früh geschehen
sein, und gewiss eher, als überhaupt die Trennung zwischen
den beiden grossen Gruppen erfolgte. Die jetzt noch lebenden
Homopteren haben sich von ihrem Specialstamminsekt ohne Aus-
nahme weit entfernt; dies gilt selbst von den Stridulantia, wie
schon der Name besagt, obgleich diese kleine Oruppe wohl am
Wenigsten von Allen abgeändert wurde. Mit Rücksicht hierauf
sind denn auch die Phytophthires von einer zwischen dem Prot-
homopteron und der Cicada stehenden ausgestorbenen Form ab-
zuleiten. Offenbar sind unter ihnen die Psyllodes dem Einflüsse
des Parasitismus nur wenig zugänglich gewesen; während die
Aphidina und noch mehr die Goccina durch Schmarotzerthum rück-
gebildet sind und daher ähnliche Erscheinungen darbieten, wie
die weit von ihnen entfernten Läuse und Pelzfresser.
Prothemipteron: 9 freie Hinterleibsringe. Prothorax noch
frei beweglich und Kopf noch nicht wendbar. Mundtheile stechend.
Flügelpaare gleich. 3 Ocellen. An den Beinen nur 3 Tarsen.
Nur 2 Thoracal-, kein Abdominalganglion^ aber zwei einfache
Längsstämme im Abdomen. 4 vasa Malpighii. Weibchen mit
Legescheide. Entwicklung mit innerem Keimstreife, Larve mit nur
3 Beinpaaren.
Ueberblicken wir, nachdem wir so bereits fünf Ordnungen
eingehend besprochen, die noch übrigen Insekten, so zeigt es sich,
dass zur Zeit eigentlich nur ein einziger Charakter im Stande ist,
uns über den grösseren oder geringeren Verwandtschaftsgrad der
restirenden Gruppen^ wie sie von den Autoren ganz verschieden
geordnet werden, im Allgemeinen eine Anschauung zu verschaffen.
Wir finden nämlich die Anzahl der vasa Malpighii entweder sehr
gross, oder sehr gering (4, 6, 8) oder keins von beiden, nämlich
wischen 20 — 50, und können hiemach unterscheiden :
^' Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten. 199
1) Insekten mit sehr vielen Malpighi'schen Gefösscn: Or-
thoptera gennina,
2) mit einer Mittelzahl: Amphibiotica und Forficnlina,
3) mit nur wenigen nnd zwar
a) mit 6: Termitina (?), Panorpidae, SiaUdae *), Phry-
ganidae
b) mit 8: Megaloptera, Sialidae
c) mit 4: Thysanoptera, Psocina.
Wir mtLssen nun zusehen; ob dieser mit Hinblick auf These
5 (vgl. p. 148) dorcbgefllhrten Anordnung auch wirklich natür-
liche Beziehungen zu Grunde liegen.
Unter den Orthoptera genuina, an .deren Zusammen-
gehörigkeit wohl nicht zu zweifeln ist, sind die Phasmodea nnd
](antodea in ihrer heutigen Gestalt eben so sicher junge Formen
wie die Saltatoria mit ihren Spring- resp. Grabbeinen. Somit
scheinen die Blatt ina für die ältesten Repräsentanten dieses
Stammes gelten zu sollen. Dass aber auch sie sich bereits weit
von dem Protorthopteron entfernt haben, zeigen ihre 9 — 10 Hinter-
leibsringe, während bei den Saltatoria noch alle 11 vorhanden
sind.*) Somit werden wir von der Grundform aus einen Seiten-
zweig als Cnrsoria auffahren und den eigentlichen Stamm sich, in
die Saltatoria fortsetzen lassen. Unter den Ersteren sind die
Phasmodea durch Anpassung (Mimiciy) offenbar in einem
höheren Grade entstellt worden, als die Mantodea. Was die
Springer angeht, so hat neuerdings Y. Graber') zu zeigen ver-
sucht, dass die Locustina „die modificirten Nachkommen einer
den Achetiden näher verwandten GradflUglersippe sind/' Er weist
nämlich nach, dass ursprünglich beide Flügeldecken eine Schrill-
ader besassen und nach Belieben zur Erzeugung von Tönen ge-
braucht wurden, wie dies bei den Achetidae auch jetzt noch
geschieht, während bei den Locustina nur die linke benutzt wird.
Doch verbietet dieses Factum nur die directe Ableitung der Grab-
heuschrecken von den Laubheuschrecken, während sich von der
gemeinschaftlichen Stammform gerade die ersteren bei Weitem
') Nach Fr. Brauer, Beiträge zur Kenntnisa des innern Baues und der
Verwandlung der Neuropteren (Verhandl. zool. bot. Gesellsch. Wien 1855,
p. 701— 2<;, 777—86) hat Corydalis 8 vasa Malpighii.
*) Im Einklänge hiermit haben die letzteren noch 6 Abdominalganglien,
die ersteren nur 5.
*) Tonapparat der Locustiden, ein Beitrag zum Darwinismus, Zeitschr.
wiss. Zool. 1872, p, 100 ff.
200 ^aul Mayer,
mehr entfernt haben^ als die letzteren. Somit trennten sich die
Gryllodea bereits früh vom Saltatorieraste und dieser fand sein
Ende in den Loenstina. Für diese Auffassung spricht auch
der Umstand; dass die Anzahl der Magenblindsäcke ^) bei den ge-
nannten Familien nur zwei; bei den Mantodea; Blattina (ob auch
den Phasmodea?) und Acridioidea hingegen 6—8 beträgt
Hiernach erhalten auch die letzteren ihre Stellung angewiesen.
Die Ontogenese der Orthoptera ist bis dato übeiiiaupt nicht
eingehend behandelt worden, obwohl interessante Ergebnisse nicht
ausbleiben können. Von älteren Autoren hat nur Rathke einige
Beobachtungen an Blatta und Gryllotalpa angestellt; die ich schon
oben anzuführen Veranlassung hatte. Hier erwähne ich noch vor
Allem; dass die Entwicklung mit äusserem Keimstreife geschieht,
was namentlich klar aus einer Stelle^) hervorgeht: ;;Um den
Dotter herum bildet sich darauf der EmbryO; so dass jener in
diesen zu liegen kommt." Femer wird über die Blindsäcke be-
merkt, dass sie bei Blatta erst ;;gegen Ende des Fruchtlebens'' ')
entstehen und bei Gryllotelpa überhaupt im Embryo nicht vor-
handen sind; vielmehr erst in der Larve auftreten.
Was die Forficulina betrifil; so sind diese zwar in
mancher Beziehung sehr abgeändert und durch Anpassung von
ihrer früheren Form abgewichen, haben sich aber noch einige Züge
von hohem Alter zu bewahren gewosst. So besitzen sie noch 9
Abdominalsegmente und (5 in ihnen gelegene Ganglienknoten; da-
gegen haben sie bereits einen frei wendbaren Kopf erlangt, auch
ist die Zahl ihrer vasa Malpighii auf über 30 gestiegen. Magen-
blindsäckC; wie die echten Orthoptera sie zeigen, kommen bei
ihnen nicht vor. Man wird sie nach allen diesen Angaben nur
als eine für sich bestehende Gruppe auffassen dürfen, welche
freilich wegen der Bildung der Mundtheile in die Nähe der Gerad-
flügler zu setzen sein wird. Ob sie mit diesen einen gemein-
schaftlichen Vorfahr in dem Protorthopteron besasseU; erscheint zum
Mindesten fraglich; jedenfalls ist aber ihre Abtrennung von den
Uebrigen schon äusserst früh vor sich gegangen. Sonach nehmen
sie den echten Orthoptera gegenüber dieselbe Stellung ein wie
die Pulioina bei den Diptera. Dass die Verwandtschaft mit den
>) Nach Basch gehören sie bei Blatta ihrem Bau zafolge zu dem eigent-
lichen Magen (1. c, p. 251).
«) Gryllotolpa, p. 28,
•) 1. c., p. 377.
lieber Oniogenie and Phylogenie der Insekten. 201
Bracheljrtra anter den Käfern nur Schein ist, geht darans henror,
dass man diese Eurzflügler; wie bereits oben dargethan ist, von
Formen mit normalen Flügeldecken ableiten muss.
Nach den Untersnchangen von Meinert ^) scheint Forficnla
zuweilen schon im £i eine Häntang durchzumachen. Weitere
Beobachtungen tlber Ontogenese liegen nicht vor.
Protorthopteron: 11 freie Hinterleibsringe. Prothorax
frei beweglich und Kopf noch nicht wendbar. Beissende Mund-
tbeile. Flttgelpaare ungleich. 3 Ocellen. Beine mit 5 Tarsen.
3 Thoracal-, 7 Abdominalganglien. Viele vasa Malpighii. Weib-
chen mit Legescheide. Entwicklung mit äusserem Keimstreife.
Larven farbig, mit 3 Beinpaaren, der Imago sehr ähnlich.
Die Amphibiotica zerfallen in die drei Familien der
Ephemeridae, Perlidae und Libellulidae. Die freien Hinterleibs-
segmente sind noch typisch bei den Erst- und Letztgenannten,
hingegen auf 10 verringert bei den Perlariae. Von Abdominal-
ganglien besitzen diese 8, die Eintagsfliegen 9 und die Wasser-
jungfern 7, doch sind diese Angaben nicht ganz zuverlässig. Li
der Bildung der Mundtheile sind offenbar die Libellulidae dem
Protentomon näher geblieben, als die beiden andern Familien.
Berttcksichtigt man femer noch die Anzahl der Tarsen, welche
nur bei den Ephemeridae noch 4—5 beträgt, während sonst die
Beine trimer sind, so wird man mit einiger Wahrscheinlichkeit
sagen können, dass die Ephemeridae sich von dem Prot-
amphibi<m bereits sehr früh abtrennten und sich durch Anpassung
stark verändert haben, indess sich die Perlidae später ab-
zweigten und ebenfalls, durch besondere Vorliebe für das Leben
am Wasser, erhebliche Hodificationen erlitten. Hier tragen sogar
die Imagines Kiemen, wie aus den bereits angefahrten Unter-
suchungen Gerstäcker's hervorgeht, in grösserer Ausdehnung, als
man frtlher für möglich gehalten. Die Libellulidae endlich
setzen den Stamm der Amphibiotica fort und bilden eine vorzttg-
Uoh durch sexual selection reich verzweigte Krone desselben.
Die Ontogenese hat durch die Entwicklung im Wasser viele
und bedeutende Beeinflussungen erlitten. Die Untersuchungen
Brandt^s an Calopteryx und Agrion [die von Packard an Perithe-
mis und Diplax sind ohne jegliches Interesse] weisen zwar die
Entwicklung mit innerem Keimstreife nach, entbehren aber aller
und jeder Angabe ttber histologische Verhältnisse und die Bildung
») L C, p. 482.
202 Paul Mayer,
namentlicli der Re8piratioDS<»'gane. Die Larven sind mit Bezug
auf diese selbstrerständlich im Allgemeinen seeundär, haben aber,
wie es scheint; auch primär anftreten können nnd so Kiemen in
der Image erzeugt bei einigen Periiden. Bereits jetzt, wo noch
Details nirgends bekannt sind, lässt sich eine vollständige Stufen-
leiter dieser Anpassungen herstellen von den Larven ohne Kiemen
— die meisten Periiden — durch die mit 6 quastenförmigen
Kiemeu; welche in ihrer Lage den Thoracalstigmen entsprechen
— Perla — bis zu den mit 6 Kiemen am Protiiorax versehenen
— Nemura — welche dann auch in der Image persistiren, obwohl
sie (nach Gerstäcker's Experimenten zu schliessen) nicht mehr
benutzt werden. Die Darmathmung bei Libellulidae-Larven ist
durch Anpassung nach einer andern Richtung entstanden und hat
später wahrscheinlich zur Bildung der Abdominalkiemen geführt.
Ist die Angabe von E. Oustalet ^) richtig, dass die Nymphen und
Imagines von Aeshna und Libellula an Stigmen nur zwei Paar
thoracalC; aber keine abdominale besitzen, so ist auch hier ein
EinfluBs der Larvenanpassung auf das vollendete Insekt zu oon-
statiren. Eine enorme Umbildung, wie sie vielleicht bei den In-
sekten einzig desteht, hat die als Prosopistoma bezeichnete und
wegen ihrer äusserlichen Aehnlichkeit mit den Krebsen auch
frtther zu diesen gerechnete Ephemerinen-Larve erlitten. Bei ihr
sind nämlich die drei Nota mit den fünf ersten Tergiten zu einem
zweiklappigen Schilde verwachsen, welches fUnf Paar Anhäufungen
von fadenförmigen Tracheenkiemen bedeckt. Von Interesse ist
es, dass auch nur 4 vasa Malpighii vorkommen. ^) Ein weiteres
Eingehen auf alle diese Verhältnisse bleibt aber so lange nutzlos,
als die Ontogenese noch nicht genauer bekannt ist
Protamphibion: 11 freie Hinterleibsringe. Prothorax noch
frei beweglich und Kopf noch nicht wendbar. Beissende Mund-
theile; gleiche Flttgelpaare. 3 Ocellen. Beine mit 5 Tarsen. 3
Thoracal- und 9 Abdominalganglien. 20-50 vasa Malpighii. Lege-
scheide fehlte. Entwicklung mit innerem Keimstreife, Larven mit
3 Beinpaaren, der Image ähnlich.
Es wird jetzt möglich werden, auch die noch übrigen Insekten,
welche alle nur 4-8 vasa Malpighii besitzen, ihrer Verwandtschaft
0 Respiration chez les njmpbes des Libellales. Annal. Sc nat. 1869,
ZooL I, p. 877.
') Vgl. N. et E. Joly, sar le pr^tenda crostacd etc. Annal. So. natar. 1872
ZooL IL Nr. 7, Tab, XIIl.
üeber Ontogenie nnd Phylogenie der Insekten. 203
gemäss zu gruppiren. Die Zahl der freien Hinteileibsringe ist im
günstigsten Falle 10 (Phiyganiden), beträgt aber meist nur 8
oder 9. Gleicherweise hat das Nenrensystem 3 Thoracal- und
8 Abdominalganglien bei der erstgenannten Familie, dagegen
nur einen einzigen grossen^Enoten bei den Strepsiptera. Auch die
Tarsenzahl schliesst sich im Allgemeinen dieser Stufenfolge an.
Kehmen wir zunächst alle Pentamera, welche wir als die ursprüng-
lichsten Formen ansehen dürfen. Sie zerfallen in zwei grosse
Gruppen: Trichoptera und Planipennia. Von den drei Familien
der letzteren sind die Panorpina mit. ihren 8 zum Theil ab-
normen Hinterleibsringen und dem schnabelförmigen Kopfe offenbar
weit von der Stammform entfernt. Ein Gleiches lässt sich von
den Megaloptera sagen, wie die Verkürzung des Abdomens
auf 8—9 fiinge und die abweichende Zahl der Ganglienknoten
(10 statt 11) und der vasa Malpighii (8 statt 6) beweist. Anderer-
seits haben gera^ß die Panorpina nur zwei Hodenschläuche, die
übrigen Planipennia hingegen viele und wiederum sind allein von
Allen die S i a 1 i d a e mit vielen Ovarien versehen; während sonst
20 die constante Zahl ist. Hiemach zu urtheilen haben die Phry-
ganiden mit 10 freien Metameren die Charaktere des Protoneur-
opteron am Getreuesten bewahrt, aber die übrigen Familien sind
auch schon in sehr früher Zeit von einander und von den Trich-
optera losgerissen worden. Wir werden also den Stammbaum der
Neuroptera sich gleich über der Wurzel in zwei Aeste theilen
lassen, von denen der eine durch Anpassung an das Leben im
Wasser analog den Ephemeriden ^) sich wesentlich modificirt hat,
indess der andere gerade in diesen Punkten der Urform näher
blieb. Der ringförmige Prothorax der Phryganiden und dieselbe
Verkümmerung der Mundtheile findet sich bei den Strepsipteren
wieder, deren Abdomen allen Einflüssen des Parasitismus zum
Trotz wenigstens beim S noch 9 freie Hinterleibsringe aufweist,
obwohl freilich das gesammte Bauchmark sich zu einem Knoten
vereinigt. Sonach kann man vorläufig, bis genauere Angaben über
die Anatomie, namentlich in Betreff der Malpighi'schen Gefässe,
vorliegen, die Fächerflügler vielleicht als eine sich frühzeitig von
den Phryganiden abtrennende Familie ansehen, lieber den Grad
dieser Verwandtschaft gibt übrigens die Ontogenie um deswillen
keine Auskunft, weil sie noch nicht darum befragt worden ist.
') Rückbildang der Kauorganel
204 P»«il Mayer,
I
Die Entwicklung der Trichoptera s. str. geht nach Zaddach^)
sowie nach den dttrftigen Angaben von Eovalevsky über Phiyganea
und von Melnikow über Mystacides mit äusserem Eeimstreife vor
^sich. Bei den Planipennia liegt nur eine ungenaue Notiz von
Packard über Chrysopa vor, welche nicht recht recht verständlich
ist^ doch zeigen die Figuren deutlich den äusseren Eeimstreif.
Die ältere Arbeit von Hagen ^) über Osmylus gibt gleichfalls einen
äussern Eeimstreif an, ohne dass seine für die Metamorphologie
werthvoUen Untersuchungen für unseren Zweck sonst noch viel
Brauchbares enthielten. Er bemerkt, am Embryo trage jeder der
neun Hinterleibsringe ein Stigma, so dass also, da er d^r Larve
nur acht zuschreibt, das letzte ähnlich den Verhältnissen bei
Hydrophilüs später nicht mehr fnnctionirt.
Protoneuropteron: 10 freie Hinterleibsringe. Prothorax
noch frei und Eopf noch nicht wendbar. Beissende Mundtheile.
Flügelpaare gleich. 3 Ocellen. 5 Tarsen. 3 Thoracal-, 8 Ab-
dominalganglien. 6 (vielleicht 4) vasa Malpighii. Eeine Lege-
scheide. Entwicklung mit äusserem Eeimstreife. Larven mit 3
Beinpaaren, der Image ähnlich.
Nachdem wir so die Neuroptera in ihrem gegenwärtig wohl
meist angenommenen Umfange als eine leidlich homogene Gruppe
nachgewiesen haben ^ handelt es sich darum, dem an Zalil
verschwindend kleinen Beste der Insekten gerecht zu werden.
Hat es sich aber bereits von den Orthopteren an immer deut-
licher gezeigt, dass wir es, je weiter wir in unsern Betrachtungen
vorwärts schreiten, mit stets ungewisseren Elementen zu thun
haben, deren richtige Würdigung im phylogenetischen Sinne zur
Zeit kaum angestrebt werden kann, so wird uns bei den Termi-
tina und noch mehr bei den Corrodentia und Thysanoptera die
Schwierigkeit, schon jetzt definitiv über die Stellung dieser Familien
unter sich und zu den Specialstamminsekten zu entscheiden, erst
recht einleuchten. Was zunächst die Termitina angeht, so
unterliegt es sicherlich keinem Zweifel, dass sie in ihrer gegen-
wärtigen Gestalt schon mit Rücksicht auf ihr sociales Leben
jungen Datums sind ; dagegen deuten die 9 freien Hinterleibsringe
und die noch völlig typischen zweiten Maxillen auf ein hohes
Alter. Fritz Müller, dem wir gerade in jüngster Zeit sehr er-
') Entwicklung des Pbrjganideneies. Berlin 1854.
*) Entwicklung und innerer Bau von Osmylufl. linnaea entomolQgica 185?
VII, p. 368—418, Tab. 3 und 4.
w&ischte An&cUtsK tbct tisl^ wkLn^ Pcnkte in der Ana-
tomie dieser Tliiare TcrdaKken ^eiit fc^sr noch weiter md siebt
in den Larren doselbcc ^ewisscrcafisei: das Pr>xeikU>iL<^ Ter-
köq^rt Er meini - • ron Cali-ten^s bc^id'^cs Ha^. cnd m^üscs
Hag., es seien -zwei Merkwürdige, nahe Terwaixhe Arten, dere«
sehr eigenthamli^he j^r^z^ze Larren «£;$ TitH^jttl in aiiJkLer
Weise die aliesle mcßii. kcec-ie Ix^s^tziczm zeigen, wie der
Nanplins die iltesce Cr^ia^eeiiro^m* zz^ Issgert »krk in seiDer
neuesten Pallicanon- wiü<h l«üicz:n:;er. i&c^m er sa^: Jj^ikm ist
sehon Calotenne? ^iztt d^r al^escea. TieZLei^ii rerac^exa die ihgxi/t
anter den jetzt kbezfi-^ra Lj^k^jeL^ran^rrir^s. f« wtrie da« ecwa
in ihren Jogendzi^aiKk^ erialii^ce EJ.i 2.r^ Vorrair^w eüie
ähnliche Bed^roscii^ i^ oe Kiaii^ c«^ Is^rrku^ &<a&^;pni^ies
dfirfen, wie Xaiijüa ftr Cje CnatöKSu* Lara.^ tfi. Lat Fnu
Müller diese Larren tlutr ^r^can» iiac/.ziisH^,^:«^ Uä::^r«:;n::jur
unterworfen, d€r» EaFihaie ix E^xiz ax: f -t^^v-mijr w*r
schon oben p. 1 :0 oeaiizs äa.'<a^ IL.-»r iil<ir>3bHrs» cl^ aa£>>^'
lieh die Angaben cbcr Cje va^a Hüy^^^ X3#t z«ar t'^^t^'^c a.!-^»
nur bei den Ima^Li^«. 'i^airMii ia.ti Lf ;^^ • ♦*.ii iiti T*rrÄ**Ä
lucifiigns b Harueiir^er Tiri^i^a- iai Cau.oarxÄ* iia.».a K:...^ *;
oder 8, nnd Jbei lirida At^«l T:a Ters«» i2«t -tn*KL«K -*i L.:r/r:::Äi
und Anoplourmes '^t't;;c i.^ ZjllL 'Üw r£arxr*r'i/«Mt z«r.>^>^^5*i a'f
4 beschrankL'- Soaas'.i ZK^»a aiita a. 'i:.**^Ti »^swiirrLi^ii^ K*rt-
male die TermLUM in A-lr*ai'H-ii*a ai'^*,a ti»u LVxu»sa^i vi^c tJ>r,*^
somit dem Pro<«::.:mf:a j#»:ir lao*^ A.v*r trri/^. »*^*a. <>öw*
Umstandes wird naa &15 tiiai»r aai^n »rn;5*t iavr%if-;i-^, ly^V'
mehr als eirie l«»'üii«*rt. ita ia-*rL 1. *. i» ar^.»^»^^^/^^: ^/•'i
nung aoftaseen iLt»ai. -»»^ii»»: »aa :a ti*r 5iX/u^ -l-^y ^rrvx/^ic
von dem genLer:!ia2iu*a .V-uiai '.a-iaii*: ♦a* ;r vr^ rf;u^w>u «;*-..%
Die P§o^;aa i^t £jii,ti>. jr*-» >.ia...*a 4*it ^/•//."y^^ir^a
znsanunen^eraM% j, jimi^ jvit«*r 'V»*üii»;.V!^'t aaifc*'."ti'/^''u* i' Av-far'
zeige so g^ Wyt riaai;i*n, i*m;p*w*u ■;;i.vt Si/x^->\\ -^ '*./«
Psocos 4 t'ntie ^a^a ita..;».^.;; - U;#*r imvit jui*vt ^-^ iu»rAit \x'^^
p. 33^5.
IV JS3rl, I*. 2r;'.
206 ^*^l Üayef,
snchnngen in der Literatar vorgefiindeB. Bis diese vorliegen,
wird man gut thnn^ die Stellang dieser beiden Familien unent-
schieden zu lassen. Ein relativ hohes Alter wird ihnen übrigens
durch das 8— 9ringlige Abdomen in Verbindung mit gleichartigen
Flügelpaaren bezeugt. Die Thysanoptera endlich weisen
gleichfalls noch 9 Hinterleibsringe auf; gehören aber sonst wohl
in die Nähe der Hemiptera; wenigstens stehen sie ihnen in der
Bildung der Mundtheile näher als irgend eine der betrachteten
Klassen. Enorme Abweichungen sind natürlich auch hier zu ver-
zeichnen; lassen sich aber vorläufig in ihrem Werthe noch nicht
beurtheilen.
Die flüchtige Behandlung der erwähnten Familien, welche
man als Ueberbleibsel einer früheren Epoche der Erdgeschichte
besonders genau studiren müsste, rechtfertigt in etwa der £ifer
der EmbryologeU; über die Ontogenese derselben so gut wie nichts
zu sagen. Von Termes behauptet Metschnikoff ^), es treten im
Bereiche des Hautfaserblattes ;;Urwirbelartige Körper" auf. Hieraus
lässt sich auf eine Entwicklung mit äusserem Keimstreife schliessen.
Ueber die Ontogenese der Thysanopteren liegen Mittheilungen
Ulianin's *) vor; welche darthun; dass sich bei Thrips und Phloeo-
thrips ein innerer Keimstreif zeigt und demzufolge auch eine
spätere Umwälzung des Embryo und eine Schliessung seines
Bückentheiles durch die äussere und innere Hülle statthat. Dies
Verhalten spricht ebenfalls sehr für den engen Zusammenhang
der Blasenfüsse mit den Halbflüglem.
Der generelle Stammbaum ') der Insekten ist zunächst mit
Bücksicht auf den Modus der Ontogenese construirt worden.
Hiemach sind die Gruppen mit innerem Keimstreife : Amphibiotica
und Hemiptera von den übrigen Insekten abgetrennt und zwar
auf Grund des allgemeinen Körperbaues schon an der Wurzel. ^)
*) Mjriapoden, p. 277.
') UntersachuDgen über die Entwicklang der Physapoden. Moskau 1874.
Die russisch gescbriebene Arbeit ist mir nur zugänglich durch das dankens-
werthe Referat von Hoyer in Hofmann und Schwalbe's Jahresbericht f. 1874,
p. 392—395. üeber die Bildung der einzelnen Organe scheint Ulianin keine
Angaben gemacht zu haben.
^) Ich bemerke ausdrücklich, dass ich hiermit nur eine erste Aufstellung
desselben versuche, die als solche äusserst hypothetisch sein muss, immerhin
aber einigen Nutzen haben wird.
*) Ob die Berücksichtigung der Eeimstreifform wirklich in dem Maasse
zulässig ist, stelle ich in Frage. Dies thue ich namentlich deswegen, weil ich
j
Ueber Ontogeme und Phylogenie der Insekten. 207
Im Uebrigen leiteten hauptsächlich die schon oben (p. 128^ dar-
gelegten Erwägungen, denen zufolge es lediglich darauf ankommen
muss, zu sehen, was sich fiberhaupt noch von dem Protentomon
in den Specialstammformen erhalten hat, nicht aber, wie weit die
Abänderung derselben gediehen ist. Ich habe daher nächst der
Ontogenese mein Augenmerk auf die Zahl der Hinterleibsringe
und der vasa Malpighii gerichtet, indem ich mir sagte, es liege
kein Grund vor, eine Verkürzung und nachherige Verlängerung
des Abdomens irgendwo a priori anzunehmen, vielmehr mttsse
man, falls nicht die schlagendsten Beweise des Gegentheils vor-
lägen, an eine stetige Verktlrzung, geschehe sie auch nur im In-
teresse der Bewegungsfähigkeit, denken. Von den vasa Malpighii
aber scheint mir festzustehen, dass sie ein der Anpassung wenig
unterworfenes Organ sind, da die Excretion im Wesentlichen bei
allen Insekten eine annähernd gleiche sein wird. So ist eine
Vermehrung ihrer Zahl wie bei den Orthoptera zugleich mit einer
enormen Verkürzung der einzelnen Schläuche verbunden und so
wird auch die ganze Abänderung, welche sie erfahren haben,
wohl nur eine Wirkung der correlation of growth gewesen sein.
aaf Grand der Arbeit von Chan über die Rektalpapillen, wie schon oben an-
gedeutet, die morphologische Gleichwerthigkeit aller dieser Gebilde von Neuem
nachgewiesen sehe. Nun hat Chan durchaos nicht den Beweis dafür geliefert,
dass diese boatons charnos das sind, wofür er sie ausgibt, nämlich Drüsen,
hat im Gregentheil durch seine Angaben dafür gesorgt, dass man sie mit
Leydig jetzt erst recht als physiologisch fragwürdig bezeichnen muss. £r-
fiillen aber dieselben Organe bei den Larven der Libellen u. s. w. ihren Zweck
als Darmkiemen, was zweifelsfrei dasteht, so wird man dazu geführt, sie für
wahre Homologa der Rektalpapillen zu halten und anzunehmen, dass diese
eigenthümliche Localisirung des Darmepithels nur Einmal und zwar bei den
Imagines zuerst auftrat und sich später bei den ohnehin in vielen Punkten
nachweisbar secundären Larven der Libellen dem Zwecke der Athmung an-
passte. Hiermit würde aach der Umstand gut zu vereinigen sein, dass bei
den Schmetterlingsraupen u. s. w. als im Allgemeinen palingenetischen Larven
diese Organe fehlen, während die Imagines sie in grosser Anzahl besitzen.
'Während also Gregenbaur, welcher ebenfaUs in den besprochenen Gebilden
Uomologa erblickt, seinen übrigen Anschauungen gemäss ganz consequent die
Darmkiemen der Libellen als vergleichsweise alt hinstellt und aus ihnen die
Hektalpapillen herleitet, sehe ich in den ersteren nur eine weitere, specifischen
Zwecken dienstbare Ausbildung eines von den meisten Imagines (aus einem
einstweilen noch unbe!< annten Grunde) erworbenen Einrichtung, welche diesen
gegenwärtig vielleicht überflüssig ist Ist diese Ansicht richtig, so dürfen
allerdings die Hemipteren, denen bekanntlich die boutons charnus gänzlich
fehlen, nicht unmittelbar zu den Amphibioten gestellt werden. Ich begnüge
mich aber vorläufig damit, auf diesen Punkt aufmerksam gemacht zu haben«
208 pÄul Maywf,'
Um nun io Bezug aaf diese beiden Paukte den Ueberblick zu
erleichtern; habe ich die einzelnen Stammformen^ welche in den
bezeichneten Merkmalen übereinstimmen , aaf ein and dieselbe
horizontale Linie gestellt ^ so dass z. B. das Protocoleopteron am
Weitesten von dem Protentomon entfernt steht , während das
Protodipteron und Protohemipteron demselben noch viel näher
sind. Dies schliesst natürlich nicht aus, dass unter den gegen-
wärtig lebenden Käfern manche noch in ihrem Bau dem Ur-
insekt viel trener geblieben sind; als manche Fliegen oder Halb-
flttgler. Andererseits habe ich die Trennung der Specialstammformen
einzig und allein mit Bücksicht auf die yasa Malpighii vorgenommen,
so dass hiemach also Fliegen und Käfer sich von den andern
Nachkommen des Protentomon früher losgelöst haben; als diese
unter sich in Gruppen zerfielen. Femer habe ich; um die Wirkung
einer durch ähnliche äussere Umstände veranlassten; gleichgerich-
teten Anpassung zu Veranschaulichen; die Insekten mit beissenden
Mundtheilen auf die linkC; den Best auf die rechte Seite gebracht ;
hierbei machen nur die Amphibiotica wegen ihrer Ontogenese dne
Ausnahme. Den Stamm vertritt nach der einen Richtung hin das
Protorthopteron; nach der andem das Protoneuropteron. Die Le-
pidoptera habe ich auf Grund der Charakteristik ihrer Stammform
(vgl. p. 176) durch die Trichoptera mit den Neuroptera in Ver-
bindung gesetzt; was freilich die Ontogenie noch gutheissen soE
Dass die Termitina in die Nähe des Prothymenopteron gerathen
sind; mag andeuten; dass ausser dem Staatenleben auch noch
andere Analogien zwischen ihnen und den Hautflüglern be-
stehen.
■
Mit Bezug auf die Palaeontologie hebe ich hervor, dasS; so weit
meine Kenntnisse reichen; die Dipteren zur Zeit des Auftretens
der ersten Käfer und Halbflügler noch nicht aufgefunden worden
sind; während sonst im Allgemeinen keine erheblichen Einwen-
dungen zu machen sein werden. Eine genauere Berücksichtigung
derselben liegt übrigens ja nicht im Plane der Arbeit und würde
selbst dann nur gemäss den auf p. 126 aufgestellten Sätzen er-
folgen können.
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Naehdem ieh m Viakuf^iheadea itm Ytrs^eA g^MiAu vm
dem ProtentoDKm aDe bscba eis Assaiiae d«r TkTs»isral^
abziüeiteii^ bleibt mk moA tbcig. diesem SsuHKKckt selbst dea
ibn gebtthrwdeB Baag mSjreiaK duarasBea. Das? es m dea
Würmern in Beoebaa^ itdbe, ha^ pm jAct als seibstreisliDdti^h
gegolten^ so lange naa aberiias^a pbjktgeiiecisdieB «jSpecidatioae&**
boldigt; nar halte wum Tklüatb ^ McinaBg aa den Tag gdcgt«
es sei dorcb V^mittdnag der Gntstaeeea aad nicht direct aiit
ihnen yerwandt Weao aua sich aber Tergeg»wSit]gt » dasa
Krebse nnd Traeheeathioe anaser der Gliederang der Beiae oder
genaaer gesagt KOiperaafaänge aichta mit eiaaader gemein haben^
was nieht anch dner Beihe Ton Wfimem nkoomt, im Uebrigen
aber Differencen erheUieher Ait anfweiaen, so sollte man sich
billig eher firagen, wie man fibeihaopt inr Idee der Verwandt*
Schaft beidtf Gmppen gdsommeii sei So lange noch Annnlata,
Crostaeea nad Traeheata nnter einem Bnbmm anfkralen, war Alles
in Ordnoag; spSter schafike man die Enteren in den Vermes,
liess aber die beiden andern Gruppen als Arthropoda ungestört
neben einander und brachte sie dann, als die Lehre von der na*
tflrUchen Verwandtschaft in der Praxis Eingang fand, in das
Veriiältniss der Subordinatiim. Was nun die Traeheata vor Allem
charakterisirty ist das Vorhandensein ^) 1) der Tracheen, 2) der
vasa Halpighii 3) der Speicheldrttsen. Somit spitzt sich die Frage
dahin zu, ob eine Theorie, welche eine getrennte Ableitung der
Tracheenthiere von den Würmern verlangt, im Stande ist, das
Auftreten dieser Organe in ihrer Gleichzeitigkeit zu erklären. In
dieser Hinsieht brauchen wir unter Bezugnahme auf dio Schil-
derung des Pfotentomon und der ontogenetischen Vorgänge bei
den Inaekten nur die Worte BtttschlFs zu den unsern zu machen
(L c, p. 550): „Ich möchte mich nicht von diesem Gegenstand
trennen, ohne mit einigen Worten der grossen Aehnlichkcit ge-
dacht zu haben, welche die 11 Paar Einstülpungen der 11 ersten
Bumpfsegmente in ihrer ersten Anlage mit den Segmontalorganen
der Anneliden haben/' Wir sprechen alsdann die Homologie der
*) Andere Untenchiede zwischen den beiden IlAupiklAsson der Arthropods
sind s. B. noch das Fehlen Eines Antennenpaares bei den Traohoaten, das
auch in der Ontogenese vermisst wird.
Bd. z, N. F. % m, H
210 Paul Mayer,
Malpighi'schen Geßlsse mit Tracheen, Spinngefassen und Speichd-
drüseu; wie sie Bütschli nur mit „grösserem Bedenk^en^' yorschlägf,
ebenfalls bestimmt aus und erblicken den Beweis dafür sowohl
in ihrer Function, als auch in ihrem Auftreten als Hautdrüsen
und endlich in dem Zahlenverhältniss, das sich in der Summe
dieser Organwiederholungen ausdrückt. Bütschli^) sagt selber
(p. 546) : ;,Eigenthümlich bleibt es jedoch immerhin; dass die Zahl
dieser sammtlichen . . . Organe 13 Paar beträgt, gerade so viel
Paare als wir [1] Rumpfsegmente besitzen/' Von diesen Excre-
tionsorganen — um einen allgemeinen Ausdruck zu gebrauchen
— wird bei Apis das erste Paar, welches nachträglich zur Unter-
lippe in Beziehung tritt, gewöhnlich als Bpinngefäss bezeichnet.
Indessen macht schon Grube ^) darauf aufmerksam, dass wahr-
scheinlich auch Speichel von ihm secemirt werde. Bei der
Image von Apis ist das hintere Speicheldrüsenpaar nach Lejdig ^)
dem ebengenannten der Larve homolog, während das vordere die
eigentlichen glandulae salivales darstellt. Dies kann als ein in-
directes Argument dafür angesehen werden, dass auch die echten
Speicheldrüsen als Einstülpungen des Ektoderms hierher gehören.
Demnach existirten 14 Paar Segmentalorgane, die von Hause aus
ihre Ausführöffnung mitten in den Metameren besassen, allmäh-
lich aber dieselbe in die Verbindungshaut zwischen je zwei Seg-
menten verlegten. Wie Apis beweist, ist diese Verschiebung nach
vorne zu vor sich gegangen; während aber das 1. Segmental-
organ in der Ontogenese der Lepidoptera und Hymenoptera noch
als Sericterium auftritt, scheint es bei den übrigen Insekten in
keiner Weise mehr zu fungiren, falls nicht genauere embryologische
Untersuchungen das Gegentheil darthun.
Soll nun die angedeutete Homologie wirklich statthaben, so
darf die Zahl der Speicheldrüsenpaare zwei nicht überschreiten
und ebenso dürfen der Malpighi'schen Gefässe nicht mehr sein,
als stigmenlose Segmente am Hinterende des Körpers vorhanden
sind. Was den letzteren Punkt angeht, so habe ich schon
oben (p. 142) nachgewiesen, wie in allen zur Beobachtung ge-
langten Fällen die vielen Harnschläuche der Orthoptera und
') Neuerdings hat Semper unter Berufung auf RoTalevsky's Unterscfchangcn
an Apis in den Tracheen gleichfalls üomologa der Segmentalorgane der
Anneliden gefunden, ohne Bütschli's Ausspruch wie es scheint zu kennen.
*) 1. c, p. 64.
») MüUer's Archiv 1859, p. 451.
tJeber Ontogenie und Phylo gerne der Insekten. 211
Hymenoptera entweder direct durch Enospung aas den 4 primären
hervorgehen oder wenigstens erst secandär fttr sie auftreten. Bei
Larven von Forficola habe ich mich von einem ähnlichen Ver-
halten ttberzengty indem neben den schon vorhandenen, ziemlich
langen Gelassen (wahrscheinlich auch hier ursprünglich zwei
Paar) kürzere zu finden waren^ so dass die Gesammtzahl mit der
Grösse der Larven zunahm. Auch für die Amphibiotica und Ter-
mitina (vgl. p. 202 und 205) scheint ein Gleiches zu gelten. In
Betreff der Speicheldrüsen waltet keinerlei Unklarheit ob, da zwar
ein Zerfall der ursprünglich jedenfalls schlauchförmigen Drüse in
viele traubenförmige Läppchen vorkommt, die AusfQhrgänge aber
allemal einfach bleiben. Die Heteropteren^ welche mit ihren drei-
fachen Speicheldrüsen eine für die Theorie gefahrliche Ausnahme
machen würden, besitzen in Wirklichkeit auch nur ein einziges
Paar echter ductus salivales. (Vgl oben p. 144.)
Sonach leiten wir die Tracheata von gegliederten Würmern
ab und müssen daher das Protentomon dahin rückwärts verfolgen.
Die Ontogenie von Platygaster und Verwandten zeigte uns, dass
eine vielfach an die Gastrula und den Nauplius erinnernde Larve
vor der Bildung des sog. Keimstreifs auftritt. Wir dürfen hierin
getrost eine ontogenetische Wiederholung eines Stadiums sehen^
welches denjenigen Würmern, von denen sich die Crustacea und
um Vieles später die Tracheata getrennt entwickelten; gemein-
schaftlich zukam. Dass die Erinnerung hieran bei den meisten
Insekten schon geschwunden ist, beweist das hohe Alter dieser
Periode. Wäre uns nun die weitere Phylogenese durch Platy-
gaster mit derselben Ausführlichkeit erhalten, so würden wir auch
die späteren Stadien und namentlich die Entstehung der Proto-
tracheas-Form noch vorfinden. Hier helfen in etwa Hydrophilus
und Apis aus und zeigen, wie zuerst die Antimeren, dann die 18
Hetamere und gleich darauf das Nervensystem und die Stigmata
entstehen. Somit haben wir den gegliederten Wurm mit homo«
nomen Segmenten und Bauchmark vor uns. Späterhin treten an
jedem Metamere die Körperanhänge auf. ^) Von Tracheen ver-
lautet bis dahin noch nichts; dass aber die Excretionsorgane vor-
1) VergL Kovalevflkj, L c, Tab. VIII, Fig. 11. Bauchfüsse von Hydro-
ptiilafl. Die Füsse der Schmetterlingsraupen, Käferlarven etc. sind abo phy-
logenetisch gerechtfertigt Dies harmonirt gut mit dem Umstände, dass die
farbigen Käferlarven älteren Coleopteren entsprechen und erst später durch
Anpaspong farblos wurden.
14*
212 Pa^^ Mayw,
banden sind, beweisen ihre AnsfiftlirOftiimgiea. Wmh die Ua«
wandhing derselben in Respirationsorgane vt>r sich ging, ist nieht
mit Bestimmtheit anzugeben. Es ist recht wohl dedikbary d»s
Anfange hierzu bereits im Wasser gemacht wwden; sieht man
aber, wie alte nach jetzt lebende ImagineS; so weit sie wiiklkb
unter Walser athmen, mit besonderen Vorkebrnsgen aum Sehatee
der Stigmen versehen sind, so kommt man zu der Ansicht^ 4aM
mit dem Auftreten der Tracheen als solcher die PrototracbeasforiDM
mehr und mehr aufs Land wanderten. Wahrscheinlioh warn
damals schon Beine an allen Segmenten voihanden. Iifit dem —
zeitlich viel späteren — Hervorsprossen der FlVgel steht eise
wichtige Veränderung in Bezug auf die allgemeine K(>rperfonn
in Verbindung. Wir dürfen nämlich mit Frite Mttller die FUlgd
als seitliche Forti^tze der Rttckenplatten ansehen; wie solche aof
jedem Segmente entstehen konnten und vielleicht ursprünglich
sämmtlieh als echte Kiemen (nicht Tracheenkiemen) fumgirt haben
mögen. Mit der Einfahrung der Athmung durch Trai^een und
der gleichzeitigen Oew^lhnung an das Lieben auf dem Lande
wurden diese aber nicht nur überflösaiig; sondern sogar hinderlich,
wofern sie nicht zur Loeomotion verwendet werden konnten mdd
zu diesem Zwecke an Oberfläche* zunahmen. Lubbock ^) bemert^t
hier ganz treffend, die Flügel seien wohl entstanden ^^to enaUe
the mature f^rms to pass from pond to pond| thus securing freak
habitats and avoiding in - and - in - breeding/' Daher ktanten sie
zuerst nur am geschlechtsreifen Thiere aufgetreten sein und unter-
lägen jetzt dem Satze von der homoqhronen Vererbung. Besass
nun Frototracheas noch seine sämmtlichen Beinpaare zu der Zeit,
als dies neue (anfanglich wohl nur passive) Bewegungsorgan sich
bildete; so mussten entweder die Flügel an den mittleren Kürper-
segmenten entstehen; damit das Gleichgewicht eihalten blieb, oder
aber; es mussten, wenn aus irgend welchen unbekannten Ursacben
die dorsalen Anhänge des Thorax die Oberhand gewannen; die
Beine an den Abdominalsegmenten eingehen, ehe die Flügel
wirklich functioniren konnten. Sonach ist die Existenz brauch-
barer FlugorganO; wie sie gegenwärtig am Thorax vorliegen; nur
dadurch möglich geworden; dass schon vorher (oder spätestens
gleichzeitig) das Frototracheas die Zahl seiner Beine auf sechs be«
schränkte. Ich bezeiclme diese flügellose; aber mit Tracheen und
nur noch 3 Beinpaaren versehene Form als Archentomon. So
') Od the origin and metamorphoses of Insects. Londoti 1S74, p. 74«
Ueber Ontogenie and Fhylogenie der Insekten. 213
lange nun noeh keine Flügel vorhanden waren, mochte die Um^
wandlang der Segmentalorgane mit ihrer Hamsäuresecretion in
Tracheen, welche Kohlensäure auszascheiden begannen, für die
Bedürfoiase der Respiration genügen; später jedoch, bei den
Zwisehenfonnen zwischen Archentomon und Protentomon, machte
der stärkte Verbrauch yon Sauerstoff, wie er während des Fluges
stattfindet, eine Vergrösserung der luftführenden Organe, in specie
also die Tracheenlängsstämme; nothwendig. So darf es uns nicht
Wunder nehmen, dass bei Apis, wo die ursprünglichen Haupt-
vertreter der Athmung zu dem Bange von Querästchen an den
kolossal angeschwollenen und zu „Bl^en^^ erweiterten Längs-
stämmen herabgesunken sind, in der Ontogenese das Stadium der
Tracheen als Ezcretionsorgane (s. str.) nicht mehr vorliegt, viel-
mehr von den Stigmenanlagen aus die parallel der Hauptaxe des
Thieres verlaufenden Ausbuchtungen zuerst entstehen Und sich erst
nachträglich aus diesen heraus die Queräste bilden.
Hiemach sind folgende Entwicklungsstufen des Protentomon
zu unterscheiden:
1) Ungegliederter Wurm, ein gemeinschaftlicher Ausgangs-
punkt für Tracbeata und höhere Wärmer ; zugleich ein naher Ver-
wandter der Urform fllr die Crustacea.
2) Gegliederter Wurm mit 18 Metameren, mit wenigstens
14 Paar Segmentalorganen, vielleicht auch mit Mundwerkzeugen
in Gestalt von Eaefem; zugleich ein naher Verwandter noch le-
bender Ringelwttrmer.
3) Derselbe Wurm mit ventralen und vielleicht auch mit
dorsalen Anhängen an allen Segmenten; noch im Wasser lebend.
4) Derselbe Wurm mit Tracheen und mit heteronomen Seg-
menten (Anhänge im Schwinden begriffen) ; Sumpfbewohner. Proto-
traeheas.
5) Prototracheas mit drei Beinpaaren und deutlicher Ab-
grenzung von Kopf, Brust und Hinterleib ; Sumpibewohner. Archen-
tomon.
6) Archentomon mit zwei Paar Flügeln; Landbewohner. Pro-
tentomon.
Was von diesen fictiven Gestalten Fleisch und Blut besessen
haben mag, werden ontogenetische Untersuchungen darthun, die
zugleich zeigen werden, dass es gerathen war, sie ihrer unver-
dienten Vergessenheit zu entreissen. So viel scheint mir nach dem
Bisherigen sicher gestellt, dass eine directe Herleitung der Tracbeata
von den Crustacea unmöglich ist; somit wird der Stamm der
214 ' FBkvl Mayer,
Arthropoda aufzulösen seio; während an seine Stelle die zwei
neuen Stämme Crustacea und Tracheata als selbstständige Ab-
kömmlinge des grossen Würmerstammes treten mttssen.
Es würde sich nun noch darum handeln, innerhalb des
Tracheatenstammes die einzelnen grossen Gruppen richtig zu ver-
theilen und ihre gegenseitige Stellung zu ermitteln. Ich habe bis
jetzt nur die STachkommen des Protentomon besprochen und muss
zur Ergänzung noch die Definition hinzufügen, dass ich nur die-
jenigen Tracheaten als echte Insekten bezeichne, welche sich als
Sprösslinge eben dieses Protentomon ergeben. Daraus folgt aber,
dass ich sämmtliche flügellose Insekten von geflügelten ableite,
dagegen diejenigen Tracheaten, bei denen im Laufe der phyloge-
netischen Entwicklung nie Flugorgane aufgetreten sind, nicht zu
den Insekten rechne. Eine solche Einschränkung des Begriffes
„insectum" mag willkürlich erscheinen, gibt aber doch wegen der
präciseren Fassung eine grössere Sicherheit im Gebrauche und ist
daher absichtlich von mir gewählt worden. Es kommt nun zuerst
in Betracht, wie sich gegenüber den Insekten (in dem von mir
bezeichneten Sinne) die Thysanura verhalten, über deren syste-
matische Stellung sehr verschieden geurtheilt wird. Ihr neuester
Monograph, Lubbock *), trennt sie in zwei grosse Abtheilungen,
in die Thysanura s. Str., d. h. die Lepismidae und Verwandte, und
in die Gollembola, d. h. die Poduridae und die ihnen benachbarten
Formen. Was die ersteren betrifit, so besitzen sie ohne Ausnahme
10 freie Abdominalsegmente, 8 Abdominalganglien und zum Theile
wenigstens 10 Paar Stigmata und 4 vasa Malpighii*) — Alles
Zeichen von hohem Alter. Doch haben sämmtliche Genera bereits
Eigenthümlichkeiten erlangt, die zum Theile sogar recht bedeutend
sind; hierher gehören die Schuppenbildung bei den Lepismidae,
der Mangel von Abdominalstigmen bei Gampodea und das Auf-
treten einer Zange am Hinterleibsende von Japyx. ' Somit ist
keine der bekannten, jetzt lebenden Formen als die älteste zu
bezeichnen, am wenigsten aber Gampodea, zumal sich bei dieser
Gattung keine Augen vorfinden. Ueberhaupt treten wirkliche
Netzaugen nur bei Machilis auf. Weil aber bei Machilis auch die
') Monograph of the Gollembola and Thysanura. London, Ray Society 1973.
^) Gampodea hat nach Meinert (Annais Mag. Nat. Hist. 1867 XX, p. 376)
keine vasa Malpighii, dagegen an derselben Stelle des Enddarmes 16 „rather
large glandulär cells.^^ OiSenbar sind dies die Ilomologa der vermissten Harn-
gefässe, welche sicherlich bei den Larven sich vorfinden.
Ueber Ontogenie und Fhylogenie der Infiekten« 215
Mandtheile am deatUchsten den beissenden der echten Insekten
gleichkonunen, so ist es wohl kaum fraglich^ dass eine der Machilis
nahe stehende Form in Beziehung zu dem Protentomon steht Die
Schwierigkeit in Betreff der Phylogenie liegt nar darin, zu ent-
Bcheiden, ob die übrigen Thysannren jtinger oder älter sind, als
die genannte hypothetische Gattung. Ehe ich aber hierauf näher
eingehe, mnss ich noch kurz die Gollembola charakterisiren. Hier
findet sich zwar auch die Trennung des Körpers in Kopf, Brust
and Hinterleib yor, doch sind höchstens 6 Abdominalsegmente
vorhanden und auch diese sind bei den Smynthuridae und Papi-
riidae nicht scharf gegen einander abgesetzt Der Springapparat,
welcher der ganzen Gruppe ihren früheren Namen verliehen hat,
ist ein Anhang des letzten oder vorletzten Hinterleibsringes, somit
bei den einzelnen Familien durch gleichgerichtete Anpassung ge-
trennt erworben. Er fehlt gänzlich den Lipuridae und Anuridae,
die man mit Rücksicht hierauf, so lange nicht ontogenetische
Untersuchungen ein Vorhandensein desselben in früheren Lebens-
stadien darthun, als die ältesten Familien bezeichnen darf. Ueber
die anatomischen Verhältnisse herrschen viele Unklarheiten und
Widersprüche bei den einzelnen Autoren. Malpighi'sche Gefässe
vermisst Lubbock gänzlich, während nach Nicolet sechs vorhanden
sein sollen. ^) Die Anzahl der Stigmen wird gleichfalls sehr ver-
schieden angegeben, doch scheint mir aus der Darstellung
Lubbock's hervorzugehen, dass wirklich specifische Differenzen be-
stehen und nicht lediglich auf Beobachtungsfehler zurückzufahren
sind.^) Sogar das gänzliche Fehlen von Athmungsapparaten hat
bei diesen kleinen Thierchen nichts geradezu Befremdendes, weil
ihrem an und für sich wohl nicht bedeutenden Bedürfniss nach
Luft die Respiration durch die Haut Genüge leisten mag. So viel
steht jedoch mit Bücksicht auf die sonstigen Eigenthümlichkeiten
<) Lubbock spricht sich über die Resultate seiner eigenen Zergliederungen
von Sraynthurus, Tomocerus und Orchesella etwas unbestimmt aus. „I think
there are no Malpighian vessels*' (1. c, p. 74).
*) Smynthurus soll nach Lubbock's Untersuchungen zwei Stigmen be-
sitzen, welche sich unmittelbar unter den Antennen, an der Unterseite des
Kopfes befinden (L c, p. 77), doch fühlt er das Unwahrscheinliche seiner
Angabe selbst recht wohl. Die Abbildungen, welche er gibt, sind durchaus
nicht darnach angethan, diese Abnormität glaubwürdig zu machen, so dass in
diesem Falle die Behauptung von Olfcrs, die Stigmata lägen im Prothorax,
als die richtigere anzuerkennen sein wird. Nach Nicolet befänden sich bei
Achorates die Stigmata an den 4 ersten Abdominalsegmenten, während der
Thorax keine besitzt; dies ist ebenfalls wenig wahrscheinlich.
216 Paul Mayer,
im Körperbaue feet^ dass der Mangel an Tracheen ein nachträg-
licher; durch Anpassung entstandener ist; und dass die CoU^abola
von einer mit Tracheen und Stigma versehenen Form abzuleiten
sind, fliernach muss die ganze Gruppe als Terhättnissmässig
jung und veimuthlich als ein vielfach modificirter Seitenzweig dar
echten Thysanura aufgefasst werden. Jedenfalls ist die Möglich-
keit der Ableitung sämmtlicher Insekten von ihnen ausgeschlossen.
Dagegen entsteht nun die Frage, ob die Thysanura s. atr. directe
Abkömmlinge des Protentomon oder des Archentomon oder sogar
des Prototracheas sind, d. h. also, ob sie von geflügelten Insekten
herstammen oder diesen als gleichwerthige Grui^e an die Seite
gesetzt werden müssen oder endlich ihre Vorläufer gewesen sind.
Für die letzte Alternative haben sich ttbereinstimmend Lubboek ^)
und Brauer^) ausgesprochen und sind dabei von Campodea als
der Urform für alle Insekten ausgegangen. Brauer vergleicht sie
geradezu mit der Zoea der Krebse. Da aber Campodea, wie oben
gezeigt; nichts weniger denn einfach gebaut ist; vielmehr nament-
lich mit Bücksicht auf die Malpighi'schen Gefässe') und die
Stigmen als abgeleitet erscheint; so wird sie jedenfalls nicht als
Stammform anerkannt werden können. Packard betrachtet als
') Origin etc., p. 91 fi'. Das typische Insekt beschreibt Lubbook: ^,Con-
sistiDg of a head; a three-segmented thorax, with tbree pairs of legs; and
a many-jointed abdomen, often whit anal appendages.^* Er fährt dann fort:
„Now, 18 there any matore animal which answers to this description?** Na-
türlich lautet die Antwort: Campodea. Diese selbst wird dann mit einiger
Kühnheit weiter rückwärts su einer den heutigen Tardigraden ähnlichen
Form verfolgt und von hier aus mit Hülfe der zu den Botatoria gehörigen
Lindia torulosa mit den Infusorien in Verbindung gesetzt!
^) Betrachtungen über die Verwandlung der Insekten im Sinne der De-
scendenztheorie. Verhandl. zool. botan. Gesellsch. zu Wien 1869, p. 299-818,
Tab. X. Brauer lässt die Raupenform der Schmetterlinge u. s. w. keine „ur-
sprüngliche, sondern eine später erworbene*' sein und aus dieser soll dann die
„noch tiefer stehende Madenform ableitbar scheinen." Charakteristisch ist
folgender Passus: „Man kann die Raupen vergleichen mit den fabelhaften
Schlaraffen, denen die gebratenen Vögel in das Maul fliegen. Unter solchen
Umständen würde selbst Homo sapiens .... bald zur Ranpenform herab-
sinken, wie die Meloelarve im Bienenstock" (p. 310).
^) In Bezug auf die vasa Malpighii findet sich bei Brauer (1. c, p. 811)
die Notiz: „Es ist merkwürdig, dass die Insekten mit zahlreichen Hare-
gefässen in ihren ersten Stadien nur wenige solche Gefässe besitzen, d. h. so
lange sie die Raupenform oder die Campodeaform abspiegeln, weil auch die
tiefer stehenden Termiten und Poduriden nur wenige Harngefasse im Imago*
Stadium haben." Und nun muss gerade Campodea sich so eigenthümlich
verhalten! Uebrigens sind die „Betrachtungen" Brauer's voU von treffenden
lieber Ontogeme und Phylogenie der Insekten. 217
die KlteBte Fonn von Trsc^eaten den Leptas ^), eine Milbetdanre
,>bearing a vague resemblance to the Nauplius form among
Grastaeea.^' Weil jedoch seine ganze Theorie sich auf die schon
oben gewürdigte Ansieht fiber die Entstehung der Tracheen stützt,
so erscheint, nachdrai diese ads unhaltbar nachgewiesen, eine be-
sondere Widerlegung an dieser Stelle unnöthig.^) Wichtiger ist
ein Grund, welchen Lubbock unter Berufung auf Mdnerf s Dar-
stellung der Mundtheile Ton Campodea und Japyx für seine Theorie
irorflihrt. Er sagt ^) : „I confess that I feel great difficulty in
anderstaading by what natural process a suetorial mouth like
tbat of a gnat or butteräy could be developed from a powertully
mandibnlate type like that of the Orthoptera or Goleoptera. At
fiiBt the change woold be a decided disadvantage ; during the
period of aecessary quiescence the animal would be unable either
to feed or to defend itself/' Da kommt ihm nun Campodea zu
HttlfOy „which possesses a month neither distinctly mandibnlate
nor distinctly suetorial, but constitnted on a peculiar type, capable
of modification in either direction by gradual changes without
kMU8 of utility^^ (L c.| p. 52). Hiernach würden die Sngentia nicht
direct von den Masticantia, sondern Beide von den Thysanura
abzuleiten sein. Man braucht aber nur die eingehende Schilderung,
wel<^ Hermann Müller von den betreffenden Theilen bei Apis ^)
gibt, zu lesen, um einzusehen, dass wir bei diesem Insekte einen
solchen directen Uebergang von rein beissendenzu rein saugenden
Mundtheilen verwirklicht finden, wie er, natürlich in nicht völlig
Sütien über das VerhültniBS von lisrve und Image zu einander und über die
phylogenetische Bedeutung der Larvenformen, so dass nur ihre zu allgemeine
Fassung und eine nicht genaue Fragestellung Brauer daran verhindert hat,
die Phylogenie der Insekten richtig darzusteUen.
*) Ancestry of Insekts, p. 159.
*) In den gleich noch näher zu besprechenden embryologischen Unter-
suchungen Packard's fallt eine Stelle besonders auf, da sie geeignet scheint,
den Schlüssel zu den so eigenthümlichen Ideen, wie sie in der Ancestry of
Insects uns entgegentreten, zu liefern. Es heisst dort über Diplax: „On
straightening the body out . . • . we are strikingly reminded of the general
form of the Lepismae, and the inference is strongly soggested, that they
[nämltoh die Lepismae] are embryonic, degraded Neuroptera and shonld there-
fore probably be considered as a division standing at the foot of that sub-
order^' (p. 9). Wie. man die gerade entgegengesetzten Begriffe embryonic
and degraded so mhig nebeneinander steUen kann, bt mir unbegreiflich.
*) Monograph of the CoUembola and Thysannrai p. 43.
*) Anwendung der Darwin'schen Lehre auf Bienen, L c, p. 6 0;
218 Paul Mayer,
gleicher; aber doch ähnlicher Weise, während der phylogenetischen
Entwicklung der Sugentia statthaben konnte. Es spricht sonach
jener Grnnd durchaus nicht gegen eine Ableitung sämmtlicher
echter Insekten von dem Protentomon. Im Gegensatze zu der
Ansicht Lubbock's erscheinen mir vielmehr die in den Kopf zurück-
gezogenen Fresswerkzeuge der Thysanura analog den ebenfalls
inneren Saugkiefem der Hemiptera als Umformungen der ur-
sprünglich als Ausstülpungen des Eopfpanzers angelegten Mund-
beine des ProtentomoU; wie sie uns noch heute zu Tage, freilich
bedeutend vervollkommnet; bei den Masticantia entgegentreten. ^)
So betrachte ich auch aus den schon oben ang^ebenen Gründen
eine der Machilis nahestehende und natürlich schuppenlose Form
als das Bindeglied zwischen den Insekten und den Thysanura.
Da aber in der Ontogenese der Letzteren Andeutungen von Flügeln
durchaus nicht vorzukommen scheinen, so liegt kein Grund vor,
sie von dem Protentomon abzuleiten^ vielmehr wird man sie dem
Archentomon an die Seite zu setzen haben; so dass sich also von
diesem aus nach der einen Richtung das geflügelte Protentomon,
nach einer anderen der Stammvater der Thysanura und OoUem-
bola entwickelte. Nehmen wir dies als feststehend an, so gewinnen
wir hierdurch gleichzeitig ein Mittel; das Archentomon in etwa
schärfer zu definiren. Da nämlich die Lepismatiden und nach den
Untersuchungen Meinert's auch die Gampodeen dieselbe Anzahl
von Hinterleibsringen besitzen wie das Protentomon und eben so
die Lage des atrium genitale auf den Hinterrand des 8. Stemites
fällt; so dürfen wir auch dem Archentomon diese Charaktere zu-
ertheileu; so dass das wesentlichste Merkmal desselben in seiner
Flügellosigkeit besteht. Indessen ergibt sich doch ein Unterschied
zwischen den Thysanuren und den Insekten. Meinert *) behauptet
nämlich; die drei ersten und bei Campodea auch einzigen Stigmen
der Campodeaden gehörten dem Thorax an und zwar ;;One for
each of the thoracic rings.'' Er bemerkt dazu ganz richtig: ;;Thi8
latter peculiarity is unique among insects; for in other cases
^) Meinert int (1. c, p. 363) der Anfiicbt, bei den Saugern seien „ihe
mandibles and mazillae not articulated with tbe skull or otberwise connected
wbit it^^ Dies ist entscbieden unricbtig, denn sie werden als cbittniBirte
Tbeile eben so gut von den Epidermis aus gebildet, wie der Kopfpanzer; nur
ist ihre Verbindung mit dem „Scbädel^* weniger intensiv und beschränkt sich
meist auf dünne und elastische Chitinhäute, welche wohl nur selten bei der
Bewegung der Mundtheile eine Rolle spielen werden.
*) 1. c, p. 365.
Ueber Ontogenie und Phylogenie der Insekten« 219
where tbree pairs are to be seen on the thorax^ the hindenaost
pair belongs really to the segmentnm mediale or to the meta-
thorax and segmentum mediale in common ^), as in Forficnla ; bnt
in this family the third pair of spiracles belongs unqaestionably
to the metathorax alone; and when the abdomen is fumiBhed
with spiracles (in Japyx) the segmentam mediale has, like the
other rings, its own pair, independently of the one belonging to
the metathorax/' Hiemach würde das ursprüngliche prothoracale
Stigma des Prototracheas, welches bei den Insekten zum Theile
eingegangen ist, zum Theile als Oeffnung der Spinndrüsen
fungirt, noch bestehen und somit auch dem Archentomon noch zu-
znertheilen sein.
Ueber die Ontogenese der Thysanura s. ampl. ist bisher nur
eine Arbeit Packard's, welche sich auf Isotoma Walkeri, also auf
ein CoUembolon bezieht, erschienen. ^) Darnach verläuft die Ent-
wicklung mit äusserem Eeimstreif, was durchaus nicht unwahr-
scheinlich ist. Tracheen hat Packard weder beim Embryo noch
bei der Larve gesehen. Die Springgabel erscheint kurz nach der
Anlage der Beine und hält in der Entwicklung gleichen Schritt
mit ihnen. Von dem zweiten Maxillenpaare soll während der
ganzen Embryonalentwicklung keine Spur vorhanden sein; da es
aber auch bei den Erwachsenen rudimentär ist, so glaubt Packard
selbst, ein „more skilled observer'' würde es schon aufgefunden
') Bei Forficnla liegt das dritte Stigma in dem Seitentbeile des rudimen-
tären ersten Tergites und gehört somit auch seiner Lage nach, ganz abgesehen
von den oben geltend gemachten Gründen, zum Abdomen.
*) Memoirs of the Feabody academy of soience I. 2. 1871. Diese bereits
im Juli 1870 druckfertige Arbeit wird vom Autor selbst als fragmentary be-
zeichnet und ist es in der That auch im höchsten Grade. Auf S. 20 heisst
es: The parietal layer [seröse Hülle] of Isotoma was readily perceived, but
the visceral [Amnion] layer was not detected. Dabei ist aber die seröse
Hülle nur ein einziges Mal (auf Fig. 8) und zwar als strukturlose Membran
abgebildet worden, ohne dass man in Text oder Zeichnungen etwas über ihr
Auftreten und ihren Verbleib erfahrt. Trotzdem ist „the growth of the embryo
of Isotoma, in the most important points, almost identical with that of the
Phryganidae,*^ bei denen nach Melnikow ja beide Hüllen besonders deutlich
sind und lange persistiren. Durchaus gleichwerthig sind die Beobachtungen
über Diplax, bei denen weder von Keimblättern noch von Embryonalhüllen,
noch von ZeUen die Rede ist; was Packard Zellen nennt, sind augenschein-
lich Theile des Dotters. Nachdem aber Brandt*s „admirable paper on tho
embryology of Agrion, Calopteryx and certain Hemiptera^^ in den Besitz
Packard's gerathen ist, heisst es : „we can only infer from the few data given
above that Diplax and Perithemis have the same arrangement of the embryonal
membranea** u. s. w. Die im Januar 1872 dmckfertige Entwicklungsgeschichte
220 PAtd Mayer,
baben. Naeb einer HitthcnloDg Uliaiiin^B an M^tBobnikoff ^) ist
aber bei Podnriden diese Eigentbttfiilicbkeit wirklieb vorhanden.
Nan seigt sich naeb den Unt^siicbiiBgeii Metsehnikoff's über die
Entwicklung einiger Myriapoden bei diesen ein iarcbans gleiehea
Verhalten, so dass man, immer die Richtigkeit der Beobachtungen
Yoransgesetzt, mit Metschnikoff eine nahe VerwandtscbafI zwisohea
den Tansendfllsslem und den Springschwänzen annehmen mikkto.
Einstweilen will ich jedoch anf diese Ansicht Metsdinikoffa
nicht näher eingehen, da ich mir eine Besprechung der systema-
tischen Stellung der Myriapoden und Arachnidra überhaupt für
eine andere Gelegenheit vorbehalte.
Jena, Anfang August 1875*
Memoirs I S) von Nematus weist hingegen in Text and Abbildungen beraiti
die sohönsten Zellen und eine seröse Hülle von sehener Vollendung auf; hier
ist der Einfliiss der Arbeit von Bütschli über Apis eben so wonig eu verkennen,
wie bei der folgenden über Poles derjenige der Weismann*scben. Doch ist
in keiner W^se irgendwo von Stigmen die Rede. Ich bespreche übrigens
nur deswegen die embryologischen Arbeiten Packard's so weitlüuftig, weil mir
daran liegt, das oben über sie ausgesprochene Urtheil zu begründen, und femer,
weil sie Lubbock in seiner Monographie Wort für Wort (sogar die Hinweise
auf die Abbildungen fehlen nicht, wehl aber diese selbst) wiedergibt, ohne
irgend einen Zweifel in ihre Zuverlässigkeit auszusprechen. Auch Metschnikoff
nimmt ihre Resultate ohne Weiteres ab völlig sicherstehend hin.
0 Entwicklung der Ohilogaathen, l. o., p. S80.
Üeber Ontogenie und Phylogenie der Insekieiv. 221
Erklftnmg der Abbildongen«
Taf . VL
Fig. 1—4. Ideale Dantellang des ProteBtomon zur VeranflchaulicliaDg
des Antbeiles, welchen die einzelnen Keimblätter am Aufbau des Insekten-
körpers nehmen. Entoderm roth, Hantsinnesblatt (Epiderm) blau, Mesoderm
grau. Letzteres ist in Flg. 1 durchsichtig gedacht, um die Grenzen der Segmente
und die Lage der Stigmen angeben zu können.
Fig. 1. Sagittalschnitt nahe der Mediana geführt. Es sind sämmtliche
Gliedmaassen des einen Antimeres getroffen. Der Vollständigkeit halber ist
die Ganglienkette, welche nicht in den Schnitt hineinfällt, eingezeichnet. Da-
gegen sind die Organe, welche dem Mesoderme angehören, nicht angegeben
und die inneren €renitalien ebenfalls nicht berücksichtigt; von den äusseren
ist nur die Vagina angedeutet
Flg. 2. Querschnitt durch den Meso- oder Methathoraz. Er trifft die
Aorta, Speiseröhre, Speicheldrüsen, Thoracalganglien, Flügel und Beine.
Fig. 3. Querschnitt durch eines der mittleren Abdominalsegmente. Er
trifft das Herz, die vier Malpighi'schen Gefässe, den Magen, die Abdominal-
ganglien und ein Stigmenpaar,
Flg. 4. Querschnitt durch das 8. Abdominalsegment. Er trifi't das Herz,
den Enddarm, die Längscommissuren des Bauchstranges und die Vagina.
Fig. 5 — 11. Gopien yon Zeichnungen Ganin's. Die Originale sind in:
Zeitschr. wiss. Zool. 1869. Taf. XXX, Fig. 5, 9, 12, 16; Taf. XXXI, Fig. 7;
Taf. XXXIII, Fig. 10, 12. Von den hinzugefügten Farben bezeichnet roth
überall das Entoderm, blau in Fig. 7, das Ektoderm, sonst das Epiderm und
grau in Fig. 8, 10, 11 des Mesoderm. Weitere Erklärung im Texte.
Taf. VI a, b, c Stammbäume, deren Erklärung sich im Texte beffndet
Ueber die Intensität der Wärmestrahlung der
Sonne unter hohen Breiten,
nach thermometrischen Beobachtangen
Yon
I. Einleitung.
Die Intensität der Sonnenstrahlung unter hohen Breiten erregt
sowohl das Interesse des Physikers als des Botanikers und ist
wegen der Gletscherfrage auch ftir den Geologen von nicht geringer
Wichtigkeit Für die gemässigte Zone, sowie ftir einige Orte der
Tropen liegen mehr oder minder zahlreiche, mehr oder minder
brauchbare Beobachtungen vor; das Material fdr die arctische
Region ist jedoch sehr spärlich. Wenn wir von den kurzen Be-
obachtungsreihen Eane's ^) und Hayes' ^) absehen, besteht dasselbe
nur aus unzusammenhängenden Ablesungen des geschwärzten
Thermometers. ') In manchen Fällen wurden sogar nur gewöhn-
liche Quecksilberthermometer mit blanker Kugel in Anwendung
gebracht *)
*) Fhyncal Observaüons in the Arctic Seas. By Elisha Kent Kane.
Smithfloman Contribations to Knowledge. Washington, Smithaonian Inaütntioni
1869—60, p. 89-- 52 of Becord and Discuflsion of Temperatures.
*) Phyaical ObservationB in the Arctic Seas. By Isaac. L Hayes. ibid.
1867, p. 190.
*) So s. B. die Beobachtungen Parry's, Scoresby's a. A. Vgl. Ernst £rhard
Schmid, Lehrbach der Meteorologie. Bd. XXI der allgem. Encyclopädie der
Physik, heraosg. von Gostay Karsten. Leipzig 1860, p. 195 u. f.
*) Beispielsweise Kane, ibid., p. 38.
224 ^^^ Bessels,
Selbstverständlich sind diese BeobachtnDgen nicht unter sich
vergleichbar, nnd wären es selbst dann nichts wenn man die mit
dem nicht geschwärzten Thennometer erhaltenen Resultate bei
Seite lassen würde. Erstens waren die Instrumente nicht vor
Luftzug geschützt und zweitens waren sie bald ttber Eis, Schnee,
Felsen oder Holz exponirt. Letzterer Umstand würde vielleicht
weniger in Betracht kommen als ersterer, namentlich dann, wenn
die Thermometer genügend weit von dem Grunde entfernt waren ;
allein über die Entfernung der Instrumente von dem Boden lassen
uns die meisten Beobachter gänzlich im Dunkeln.
Unsere Eenntniss beschränkt sich demnach beinahe aus-
schliesslich auf Werthe, die theoretisch erhalten wurden.
Wie weit die aus thermometrisehen Beobachtungen gewon-
nenen Resultate mit der Theorie übereinstimmen, wollen wir nun-
mehr untersuchen.
Bezeichnet man für irgwd einen Punkt der Erdoberfläche mit
a die Höhe
S den scheinbaren Semidiameter
s den Stundenwinkel f der Sonne
d die Declination j und mit
q> die geographische Breite des betreffenden Punktes,
so ist
sin a «= sin q>. sin d + cos 9). cos d. cos s.
Wenn tiaan von der bekannten Beziehung Gebraueh macht,
die zwischen der Intensität der Strahlung und dem Cosinos des
Einfallswinkels besteht, so erhält man für die Intensität der mo-
mentanen Sonnenstrahlung
S* sin a a= S^ sin q>. sind d + S cos q). cos d. oos s.
soBiit ftlr die Intensität der täglichen Sonnenstrahlung
S S' sin a t s 3=: S' s sin g>. sin d + S' cos 9. cos d. sin s . • .
oder auch
cos s B= tang 9). tang d
also
. »n o). sin d
cos cp. cos d B» ^
^ cos s
S S^ sin a t s s=s S' sin 9). sin d (s — tang s) . . •
wobei das Integral zwischen den durch Sonnenaufgang und
Sonnenuntergang vorgeschidebenen Gteenzen von s zu aoehea ist.
Ueber die Intensität der WärmestrAhlang der Sonne etc.
225
Anf diese Weise lägst sich zeigen , dass die Intensität der
Strahlung dem Cosinus der Breite proportional ist. ^)
IL Beobaehtnngen.
Die Beobachtungen, die uns zu der vorliegenden Untersuchung
dienen sollen, wurden während der letzten amerikanischen Nordpol-
Expedition an zwei Lokalitäten Nordwestgrönlands angestellt^ wo-
von die eine als der nördlichste Punkt unseres Planeten bezeichnet
werden kann, von welchem überhaupt Beobachtungen existiren.
Die in Anwendung gebrachten Instrumente sind Thermometer.
Eines der Thermometer, von L. Gasella in London verfertigt,
ist ein Quecksilber Maximum-Thermometer, vollständig in eine
luftleer gemachte Glasröhre eingeschlossen, wie die erste Figur
unserer Skizze zeigt. Die Länge der Thermometerröhre, die von
0^ Fahrenheit bis 212<> getheilt ist, beträgt 15 Zoll engl. Das
Quecksilbergefilss ist kugelig und mit einem Ueberzug aus Kien-
russ versehen, der sich auch (etwa 1 Zoll) über die Bohre auf-
') Vgl. die ziemlich erschöpfende theoretische Behandlung Meech's: On
the relative intenBity of the beat and light of the son etc. in Smithsonian
ContribatioiiB €o Knowledge 1856.
Bd. X, K. F. UI, 3.
15
226 ßniil Befisels,
wärts erstreckt. Die Befestigung des Thermometers wird dadurch
erzielt; dass das der Kugel entgegengesetzte Ende der Röhre an
die das Instrument umgebende Glashttlle angeschmolzen ist Ausser-
dem ist die Röhre an zwei Stellen durch Eorkscheibchen unter-
stützt. Das andere Thermometer ist ein gewöhnliches Queck-
Silberthermometer mit freier Kugel, die gleichfalls geschwärzt ist.
Der graduirte Theil der Röhre ist in eine zweite, weitere Qlasröhre
eingeschlossen, um die Scala vor Feuchtigkeit zu schtttzen. Beide
Instrumente ruhen, wie Figur zeigt, auf kleinen Gestellen. Der
obere Theil dieser Gestelle ist im Azimut drehbar and leicht gegen
den Horizont geneigt. Die Thermometerkugeln befinden sich etwa
12 Zoll über dem Boden. Um unsere Beobachtungen mit andern,
künftig anzustellenden vergleichbar zu machen, ist der Grand mit
oblongen Stücken von Baumwolle -Flanell bedeckt, deren Ober-
fläche mit Watte benäht ist. Wegen der zeitweise sehr heftigen
Stürme trägt der Flanell an seinen Ecken Bleigewichte. Die
Beobachtungen in der Polaris Bucht beginnen mit dem 4. März
1872 und endigen mit dem 21. Juni; die in dem Obseryatorinm
des Polaris Hauses angestellten erstrecken sich yom 3. März 1873
bis 31. Mai desselben Jahres. Die Lesungen geschahen, so lange
die Sonne über dem Horizont war, wenige Unterbrechungen aus-
genommen, stündlich. Für
Polaris Bucht ist q> = 81o 36' 30"
Polaris Haus y = 78« 23' 24".
Es kann nicht in unserer Absicht liegen, die detaiUirten Be-
obachtungen hier mitzntheilen, sondern wir beschränken uns darauf,
in den nachstehenden Tabellen die Differenzen zwischen den
Lesungen des geschwärzten Thermometers in vacuo und denen
eines anderen Thermometers zu geben, welches, mit den nöthigen
Vorsichtsmaassregeln im Schatten aufgehängt, die Temperatur der
Luft anzeigt. Die Werthe entstammen an beiden Lokalitäten
einer Periode von der Zeit an gerechnet, als die Sonne circum-
polar wurde, bis uns die Nothwendigkeit zwang, die Beobachtungen
zu unterbrechen. Die von den Lesungen des nackten Sonnen-
thermometers abgeleiteten Werthe werden hier tibergangen, da die-
selben völlig unzuverlässig sind, indem je nach der Heftigkeit des
herrschenden Windes und des Feuchtigkeitsgehaltes der Atmo-
sphäre, die von dem geschwärzten Thermometer angezeigte Tem-
peratur niedriger sein kann, als die des andern, welches die Tem-
peratur der Luft anzeigt. Der Grund hiervon ist leicht einzusehen.
Ueber die Intensität der Wärmestrahlung der Sonne etc. 227
Der Einfachlieit halber und ans anderen ^Gründen worden die
aus den Beobachtungen abgeleiteten Differenzen in Orappen von
Wochen getheilt^ aus welchen die Mittel bestimmt wurden^ über
welchen in den folgenden Tabellen die Summen stehen; aus
welchen dieselben hervorgingen. In Fällen^ in welchen die Be-
obachtungsreihe nicht vollständig ist; wurden; um die Richtigkeit
des Resultats nicht zu trfiben, keine Mittel genommen.
Wir geben, in dieser Weise behandelt, zuerst die Beobachtungen
aus der Polaris Bucht; dann die in dem Observatorium des Polaris
Hauses angestellten. Um der Mühe einer lästigen Reduction ent-
hoben zu seiU; sind die Fahrenheit'schen Grade beibehalten. Wer
von der einen oder anderen Gruppe Gebrauch machen will; kann
leicht die Umwandlung in die Röaumur'sche oder Celsius'sche Scala
vornehmen.
15*
228
Emil Bessels,
Polaris Bucht.
Datum
A« BS«
Oh Ih «h 3h 4h 5h 6h Yh 8h Ob lOh 11h
1872
April 20.
21.
22.
23.
24.
25
26.
Summen
Mittel .
Aprü 27.
28.
29.
30.
1.
2.
3.
Mai
Summen
Mittel .
Mai 4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Summen
Mittel .
Mai 11 .
12.
13.
14.
15.
16.
17.
Summen
Mittel .
Mai 18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
Summen
Mittel .
3.3
0.4
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
—
17.2
20.9
29.8
39.7
62.7
56.7
63.6
69.0
65.5
—
4.8
10.9
17.0
14.1
14.7
34.2
38.1
29.1
31.7
—
—
— .
—
.—
—
43.4
56.4
23.6
22.7
—
-^
— .-
'—
..
—
14.7
22.4
28.4
27.6
—
_
—
.^
.._
6.6
17.5
20.1
30.1
26.0
6.9
8.9
29.3
18.2
37.5
27.9
64.8
64.8
67.1
32.9
3.7
14.2
28.4
40.6
47.7
50.4
61.1
36.4
34.2
27.7
o
77.4
21.9
84.0
87.4
24.2
45J2
80.0
3.7
2.0
0.2
11.8
26.3
3.6
7.4
10.6
45.1
12.3
1.4
3.7
28.0
4.6
2.8
17.9
12.6
6.1
41.9
37.3
23.9
89.5
32.4
15.0
15.9
36.9
27.0
43.8
32.4
105.6
38.5
28.7
22.0
39.4
28.5
45.1
39.1
139.0
152.3
292.4
41.8
44.4
33.5
36.0
44.1
35.4
49.0
45.4
44.4
38.3
37.3
46.8
35.5
53.4
55.7
59.4
59.1
40.0
55.9
33.7
59.1
56.1
291.3
41.6
58.5
57.6
53.2
60.9
47.3
56.6
31.9
281.5
40.2
84.3
60.7
30.6
64.4
73.4
59.4
67.3
234.0
33.4
270.1
38.6
26.6
68.2
28.7
64.2
71.6
61.2
60.3
32.6
52.7
64.7
65.6
67.1
71.7
66.8
51.3
52.8
1.9
5.9
15.2
15.6
1.7
27.7
7.8
2.8
5.6
15.5
17.9
6.5
27.1
6.5
139.7
203.4
29.1
241.3
34.5
287.8
41.1
311.4'363.3l366.0
44.5
51.9
6.3
43.0
27.4
23.3
12.3
24.1
8.5
9.9
43.9
37.5
13.4
19.8
33.0
17.6
10.1
44.8
47.3
30.6
20.4
31.9
20.2
10.9
51.5
55.1
31.0
18.7
28.9
22.8
13.7
56.0
52.1
40.4
23.8
51.3
30.0
16.8
64.0
22.7
47,2
28.1
56.9
44.6
75.8
10.8
10.6
13.5
16.7
12.9
23.0
33.4
38.9
81.9
144.9
175.1
205.3
218.9
267.3
11.7
20.7
25.0
29.3
31.3
38.2
16.6
31.6
27,3
32.2
39.0
43.8
15.9
17.0
14.8
17.9
23.0
30.7
10.2
11.7
13.9
16.3
17.7
22.8
10.1
11.8
11.5
22.2
22.0
28.4
23.1
42.1
32.7
37.1J 34,0 24,8|
36.6
36.1
41.5
48,3 54.9
55.7
31.4
25.0
34,0
1
51.9
46.6
41.4
280.3
40.0
29.9
34.4
19.2
36.3
42.7
60.4
64.6
52.3
31.0
62.7
31.2
62.0
36.9
61.9
47.9
380.1
54.3
380.8
54.4
28.9
72.6
72.0
48.2
47.6
68.2
62.4
338.6
47.8
41.0
39.6
25.3
40.7
39.9
52.5
63.6
399.8
57.1
46.8
45.9
28.4
44.0
41.8
58.4
69.6
36.2
65.8
76.8
73.1
69.4
63.9
72.3
411J2
68.7
29.6
74,6
64.1
60.7
61.2
68.6
67.1
446^
63.8
49.9
67.2
28.1
61.2
43.3
66.8
62J2
395.9
66.6
37.1
78.3
20.4
62.9
48.6
69.7
61.0
149.0
21.3
143.9176.3
20.6! 25.0
38.1
51.1
38.4
29.4|
36.1
27.7
10.6
39.8
52.6
30.4
37,7
36.2
33.3
13.9
175.7 225.9
25.1J 32.3
236.9
33.8
231.4243.9
33.r 34,8
41.4
47,6|
19.0!
44,7
37.5'
14.6
15.8
42.5
45.1
39.7
49.4
35.3
37.3
19.0
43.8'
39.6
45.5
53.5
40.6
45.2
16.7
39.7
39.8
48.2
45.2
40.1
53.7
23.8
247.6
35.4
277.5 302.6334.9
39.61 43.2
47.8
44.5
48.9
54.6
53.5
45.1
30.3
26.6
53.1
37.0
54.1
59.3
51.8
36.9
31.3
54.7
60.2
59.8
68.2
60.1
49.2
34.6
62.5
62.0
64.3
66.8
66.7
52.6
51.6
358.7363.0
51.2 61.9
67.6
61.8
59.2
70.9
64.6
63.4
30.7
67.4
61.9
67.7
62.2
69.9
54.4
32.7
220.6 268.3;284.9
3I.5I 38.3 40.7
290.6:303.5
41.5 43.4
322.5 876.8 426.0
46.1 63.8 60,7
408.1^.2
58.3 68.0
lieber die Intensität der Wärmestrahlang der Sonne etc.
229
Polaris Bacht
Datum
P. M.
Oh
Ih 9h Sh
4h
5h 6h Vh
8h Bh lOh
11h
1872
0
0
0
0
0
0 0
0
0
0
0
0
April 20. . .
69.4
67.8
31.1
38.9
35.0
19,7, 16,6
10.8
7.1
7.9
1.4
0.8
21. . .
24.7
25.71 25.0
16.9
21.9 13.4 11.5
12.4
5.8
6.6
3.4
0.6
22. . .
16.7
53.5
40.1, 33.2 34.7, 43.4 12.8
a4; 3.0. 2.6! 1.7
17.1
23. . .
89.0
33.2
29.7; 23.4! 20.4
21.0
38.4
41.2
—
.»
— .
—
^nM ft • *
48.6
43.1
49.2i 54.6; 24.6
19.6
14.4
11.2
8.4
12.1
5.6
3.7
25. . .
6a2
45.4
75.8i 63.6, 66.7
60.3
58.2
35.0
47.3
40.6i 27.7
40.6
26. . .
79.0
77.8
71.3 68.9' 63.2
t 1
59.0| 54.5
20.0
37,6| 41.8J 34.5
3.7
Sammen . .
Mittel . . .
d34.6{346.&
47.8 49.5
322.2I299.5 265.5 236.4 205.4 137.0 109.2
46.0| 42.8 37.9 33.8 29.3 19.6 —
110.6
74.8
66.6
April 27. . .
73.7
72.7 67.9, 65.6
60.7
56.5
65.7
29.3
41.6
43.6! 37.3
30,7
28. . .
70.9
72.9 68.2i 64.4
60.0
55.3; 55.6! 51.3
44.2
32.6; 19.9
UJt
29. . .
59.1
57.6
48.0, 58.2
53.5
55.4
54.9i 26.2
25.3
26.4
26.0
—
30. . .
74.2
71.1
62.4
63.9
62.1
68.4
69.1
68.0
52.6
49.2
39.3
38.1
Mai 1. . .
80.4
77.7
62.6
68.4
62.2
67.1
57.1
49,4
46.1
49.8
36.9
32.9
2. . .
73.0
73.0J 66.6
63.6
59.2
56.0
56.2
52.6
44.3
32.2
28.1
27.4
3. . .
72.4
72.2 69.1
66.0
61.0
57.3
58.9
51.9
44.4
24.8
16.5
5.6
Sammen . .
503.7
497.2
444.8
450.0 418.7 405.o!397.5
318.7 298.6 258.6
204.0
143.9
Mittel . . .
72.0
71.0
63.5
64.3 59.8 57.9 56.8
46.5
42.6
36.9
29.1
—
Mai 4. . .
32.9
40.3; 29.1 45.6
54.4
55.9' 56.5
40.1
46.0
33.9
36.8
30.0
ö. . .
80.4
52.1; 77.9 69.0
61.0
16.1
12.7
10.7
8.8
6.9
8,7
14.8
6. . .
58.5 46.8, 67.6; 69.0
63.1
63.6
51.5
24.9
38.6
32.4
16.0
7.7
7. . ,
70.8
72.6 68.1
64.2
45.2
30.8
45.4
46.3
46.2
34.1
35.9
36.9
8. . .
66.4
73.0 66.5
63.9
63.3| 57.7; 58.2
45.5
46.8
36.4
86.8
38.6
9 . . •
65.0
65.9 56.1
56.6 60.5i 43.2' 44.4
28.4
37.5
49.4
31.7
14.2
10. . .
68.8
67.6 65.4
61.2 58.9. 56.4 55.7
47.8
41.0
35.8
31.0
22.0
Sammen . .
442.8
418.3*430.7
429.5 406.4'313.7'324.4 243.7|263.9!228.9ll96.9|l64.1
Mittel . . .
63.3
59.81 61.5! 61.4 58.1| 44.8 46.3
1 1 1 .
34.8
37.7
32.7! 28.1
' ' ' i
23.3
Mai 11. . .
32.4' 51.7 30.41 28.5! 25.6| 26.2' 18.4! 13.2
12.6
13.4 10.4^
^TSÜ
12- . .
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61.1
59.9' 55.9
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50.7
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27.0 18.4
13- . .
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49.8
47.3
39.5
34.2
14' . .
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65.4! 62.0, 56.41
57.1
57.9
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16. . .
39.0
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56.6
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48.6 41.6
35.5
33.7
16- . .
65.7
70.4
67.4 58.7
58.0
70.1
59.6
57.6
50.1
48.7
39.8
43.7
17. . .
65.9
65.8
64.9| 60.0
57.3
57.9
56.2
50.2
41.4
29.4
29.4
37.2
Summen . .
Mittel . . .
373.0,405.5
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356.5
50.9
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44.4
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29.0
Mai' 18. . .
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45.1
42. ll 38.4i 37.9
19. . .
63.9| 66.2 46.4
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20. . .
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21. . .
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51.6; 50.7J 55.4i 43.6 48.01 38.9
22. . .
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23. . .
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26.0
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24. . .
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1 1
36.6; 55.8' 47.2 25.3
1 1
25.1
25.3 22.2
1
26.6, 20.4
8.2
Summen . . 1
Mittel . . .
365.9'l
52.3
}69.8'l
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49.7
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33.9
J14.1J
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32.4
193.6:
27.7
185.3
26.6
230
Emil Sessels,
P
olaris Buc
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Datum
.A.« .flBL»
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Ib
9b
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Mai 25. . .
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17.4
20.9
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19.7
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27.9
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26. . .
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11.6
22.2
29.7
20.9
28.8
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33.2
37.5
3oJi
27. . .
11.2
13.2
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17.1
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24.9
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28. . .
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29. . .
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46.3
40.4
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66.9
66.d
30. . .
39.2
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58.5
61.3
73.8' 67.0
63.2
31. . .
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40.2
41.9
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56.6
Summen . .
194.6
207.8 229.4I256.5
237.8
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Mittel . . .
27.8
29.7
32.8 36.6
34.0
38.0
38.0
43.9
51.5
54.0
51.1
58.5
Juni 1. . .
27.4
15.4
27.8
29.1
23.7
28.1
30.1
30.4
35.7
35.1
32.4
34.3
2. . .
10.2
12.6
7.6
8.9
13.4
18.1
16.9
22.5
27.7
34.4
67.3
39.3
3. . .
38.5
33.6
34.4
41.7
41.9
45.7
47.1
55.2
59.8
59.2
71.6
65.8
4. . .
43.6
37.3
33.4
27.2
25.6
32.9
25.7
28.7
40.7
57.2
50.2
53.8
5. . .
27.6
27.1
30.4
32.3
42.5
51.7
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63.8
64.6
58.9
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66.7
6. . .
83.4
39.4
39.6
41.6
45.6
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55.2
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55.6
50.4
53.1
7. . .
28.4
10.4
27.6
11.8
14.1
14.6
18.7
24.9
32.2
40.7
38.9
37.3
Summen . .
209.1
175.8
200.8
192.6
206.8
242.6
252.6
284.3
322.0
341.1 371.9
340.1
Mittel . . *
29.9
25.1
28.7
27.5
29.8
34.7
36.1
40.6
46.0
48.7
53.1
4a6
Juni 8. . .
14.3
17.3
39.9
42.3
44.4
44.1
36.0
48.0
30.7
39.3
60.5
"56r9
9. . .
11.9
10.4
7.5
41.9
61.3
49.5
51.6
57.8
52.7
27.3
36.9
46.8
10. . .
10.4
13.8
32.9
30.0
87.8
43.8
52.4
22.8
43.2
60.0
66.4
55.1
11. . .
11.2
10.4
11.9
14.5
10.2
19.2
24.6
26.3
29.1
39.4; 42.6
29.5
12. . .
23.1
27.5
12.9
27.5
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58.5
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13. . .
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11.6
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16.4
18.4
21.2
—
52.4
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62.8
U. . .
12.7
9.5
11.6
12.0
10.9
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31.6
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33.1
Summen . .
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100.5
130.1
177.6
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221.1
254.9
247.0
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379.7
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Mittel . . .
13.5
14.4
18.6
25.4
31.0
31.6
36.4
—
42.6
44.7
54.2
49.9
Juni 15. . .
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9.3
8.2
9.5
12.1
24.6
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27.4
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16. . .
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17. . .
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17.2
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19. . .
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13.4
13.2
19.3 17.7
18.1
17.8
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24.6
20. . .
9.7
17.7
18.0
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40.9
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35.4
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16.2
14.0
15.6
11.7
15.0
17.6
24.4
21.4
46.4
34.2
40.0
Summen . .
155.6
133.6
128.9
134.3
146.0
188.0
218.0
239.7
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Mittel . , .
22.2
19.1
18.4
19.2
20.9
26.9
8J.1
34.2
35.8
43.4
60.4
47.0
Ueber die Intensität der Wärmestrahlung der Sonne etc.
231
Polaris
Bucht.
Datum
P. H.
Oh
Ih
9h
8b
4h
5h
6h
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8h
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lOh 11h
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Mai 25. . .
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16.2
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66.7
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25.6
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' 23.1
20.8
28. . .
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62.4
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63.8
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88.4
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68.3 63.9
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41.0
48.4
43.9
31. . .
71.4
70.3
60.6
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63.7
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15.9
46.9
Summen . .
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Mittel . . .
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1
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1
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35.2
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Juni 1. . .
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21.0
16.7
10.1
2. . .
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71.9
48.6
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33.7
40.9
40.2
3. . .
58.4
51.1
50.1
51.9
49.1
62.9
63.2
51.6
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24.9
43.7
48.7
4. . .
60.8
63.3
63.6
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55.6
67.4
66.6
44.4
60.9
43.9
35.4
36.8
5. . .
83.9
43.0
48.6
50.6
51.0
66.6
63.4
49.2
47.9
46.6
37.4
36.5
■ 6. . .
42.3
42.2
52.4
50.9
60.3
50.4
39.4, 15.1
38.2
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45.4
7. . .
49.0
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52.5
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24.8
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16.9
10.7
10.1
6.6
Summen . .
339.2
335.8 373.6
363.7
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295.3'282.0
245.1 212.6 225.6I222.3
Mittel . . .
48.5
47.9' 53.4
61.9
46.2
49.2
42.2
40.3
37.0
30.4
32.2
34.0
Juni 8. . .
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33.6
28.6
18.1
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14.0
7.5
9.6
9. . .
46.0
46.2
49.1
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40.2
50.3
63.2
66.7
30.0
16.9
16.0
11.7
10. . .
57.7
22.0
23.4
29.9
14.2
14.2
15.1
17.6
12.0
11.9
10.3
12.9
11. . .
30.9
46.1
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13.7
20.2
12. . .
68.7
54.4
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53.6
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19.3
19.3
11.7
11.0
13. . .
60.9
60.8
54.3
54.2
62.6
60.4
62.4
54.6
61.0
47.4
16.1
18.8
U. . .
38.8
51.0
32.2
26.4
26.4
21.4
13.7
13.3
14.6
8.8
10.0
9.1
Summen . .
850.1
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282,7
268.4
256.8
234.6
262.1
175.0
131.1
84.3
96.3
Mittel . . .
60.0
43.9
41.6
40.4
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13.3
Juni 15. . .
36.8
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66.7
65.4
52.1
49.7|
51.7
54.0
49.6
46.3
45.9
42.5
16. . .
61.9
57.2
67.3
53.5
51.2 49.61
49.6
53.3
53.3
45.8
49.1
43.0
17. . .
41.6
65.7
47.0
40.4
63.8
49.2
61.1
19.0
16.7
12.0
7.6
6.7
18. . .
48.9
35.7
32.6
33.2
42.9
22.9
19.9
13.1
13.6
15.4
11.6
11.2
19. . .
21.2
34.0
30.3
43.6
38.4
46.9
19.8
17.2
12.4
14.7
13.3
9.0
20. . .
66.2
41.7
39.4
34.6
26.6
24.6
23.6
13.6
17.2 19.2
25.6
20.6
21. . .
43.9
38.9
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27.7
—
—
—
—
—
—
Summen . .
300.5
330.6 295.0
296.7 291.6
242.8 215.7
172.1
161.6
153.4
163.1 132.0
Mittel . . .
42.9
47.2
42.1
42.4
41.7
—
—
—
—
—
—
—
232
Emil Besselfl,
Polaris
Haas.
Datum
Aa flL*
Oh
Ih
9h 3h
4h
6h
6h
9h 9h
9h
lOb Uh
1873
0
0
0
o
0
0
0
0
0
0
o
0
April 20. . .
—
—
0.9
2.7
11.7
10.1
12.9
18.0
21.2
23.8
24.0
849
21. . .
—
0.7
1.6
3.3
8.3
11.8
15.8
20.8
28.3
39.0
43.1
45.2
22. . .
7.8
20.5
16.4
8.0
35.7
38.7
44.0
51.5
59.1
60.6
66.7
61.8
23. . .
4.8
4.1
27.2
24.9
29.5
49.1
48.8
55.3
56.9
64.7 65.6! 64.1
24. . .
—
0.9
0.3
7.8
8.0
10.3
12.2
23.7
53.1
53.1
54.6
63.8
26. . .
1.1
4.4
13.9
25.8
34.7
18.3
20.1
51.3
48.7
47.6
54.0; 68.6
26. . .
0.6
6.9
17.9
23.2
28.5
46.1
52.4
66.8
66.5
61.4 58.3
Summen . .
13.7
31.1
66.1
90.4 151.1
166.8 199.9 273.0 323.1 346.8 869.4I876.7
Mittel . . .
— -
9.4
12.9
21.6
23.8 28.6 39.0
46.2
49.3 51.3 63.8
April 27. . .
6.1
14.1
7.0
25.8
36.4
26.2 49.3
64.2
61.0
66.2
65.8
66.9
28. . .
—
2.6
3.3
3.3
8.7
9.2
12.6
12.9
15.7
17.3
16.1
19.8
29. . .
0.5
1.0
3.1
7.1
7.1
7.6
10.6
14.0 18.0
27.1
29.2
43.3
30. . .
3.7
7.0
6.9
9.9
10.6
12.6 22.2
29.9 33.0
33.01 34.8
43.7
Mai 1. . .
1.5
6.5
13.0
17.5
19.9
21.9
25.0
28.3
36.3
38.2
49.5
53.4
2. . .
0.6
1.9
2.3
2.1
6.1
10.6
14.6
21.8
21.9
32.3
37.0
42.1
3. . .
3.2
2.1
2.0
3.3
4.0
8.2
16.7
18.3
27.2
37.8
41.1
37.5
Summen . .
15.6
35.2i 37.6
69.0
92.7
96.3 160.9 179.4'213.1 250.9272.5 306.7
Mittel . . .
5.0
5.4
9.9
13.2
13.8
21.6
25.6
30.4
36.8| 38.9 43.7
Mai 4. . .
3.6
13.2
16.6
23.8
51.9
48.3
52.1
55.2
54.8! 30.3
46.2| 42.5
5. . .
9.8
8.1
7.5
12.3
25.6
47.4
64.7| 68.0
69.7
73.9
80.7| 80.2
6. . .
6.0
6.4 25.2
29.4
19.6
30.0
46.9 67.0
64.6
68.1! 68.9! 76.4
7. . .
6.7
8.3
11.0
11.7
17.9
21.8
51.3 58.7
61.6
66.5 73.3
76.0
8. . .
14.7
14.6
29.9
32.6
34.0
35.21 59.9' 61.8
66.1
67.r 74.2
77.8
9. . .
6.1
8.5
10.9
11.7
10.8
13.9
18.7| 35.6
36.0
36.7i 32.9 31.6
10. . .
3.8
5.9
(7.4)
(8.9)
10.0
10.3
19.5j 25.4
27.2
83.7
34.3 36.7
Summen . .
60.7
66.0
108.5
130.3
169.8!206.9'312.ll361.7'380.0'376.3'4ia5'421.2
Mittel . . .
7.2
9.3
15.5
18.7
24.3
29.6 44.6. 51.7 54.3 53.8; 68.6 60.2
1 '
Mai 11, . .
(4.8)
6.0
8.2
8.7
12.3
23.4! 23.0| 28,4 32.5 31.6 32.8. 36.1
12. . .
3.4
4.9
7.5
10.5
14.0
19.0
25.7
30.5' 34.6; 38.7; 59.2
63.6
18. . .
24.0
17.1
27.4
40.0
19.6
18.5
23.8
30.7 56.0 54.91 30.3
44.4
14. . .
2.2
9.0
9.2
13.4
18.0
22.9
25.7
25.6 29.01 39.0) 36.7 31.1
15. . .
1.4
2.4! 3.5
7.8
10.8
15.5' 20.4
24.6: 31.6 44.7
63.7 67.3
16. . .
6.7
6.3, 5.9
4.8
8.8
14.2 22.li 33.7 43.9
54.7
56.1 42.1
17. . .
11.0
29.5^ 22.3
22.2
16.3
25.3; 54.2 57.2 66.0
76.2
69.9 68.5
Summen . •
53.5
75.2
84.0 107.4
99.8
138.8 194.9230.7 293.6:33a8'887.7
353.1
Mittel . . .
7.6
10.7 12.0 16.3
14.2
19.8; 27.8 32.9 41.8 4a4| 4a2
60.4
Mai 18. . .
23.3
24.6' 27.3' 27.1
34.4
' 44.5, 44.7 51.2 53.8 53.6. 64.0 65.2
19. . .
33.7
28.7' 15.6
35.3
43.4
42.5| 50.1 51.0
58.2
60.3 63.2 64.1
20. . ,
34.1
36.7
36.1
43.7
43.6
53.0| 63.7 58.2
64.7
61.8 65.5
65.2
21. . .
10.3
22.1
34.5' 39.8
41.1
40.2, 50.3| 54.5 58.1; 61.0! 62.91 63.6
22. . .
17.2
21.2
30.7, 35.0
38.3
42.2, 45.4 48.7, 52.5; 58.0. 61.9 62.3
23. . .
32.5
18.2 35.71 16.6
13.9
10.4 17.7, 17.4' 20.3: 24.0; 23.8 26.7
24. , .
0.6
8.3 35.2j 10.8
48.5
47.7
57.0 23.9 49.5! 63.5 62.6 60.6
1 ' 1 . !
Summen . .
151.7
159.8
216.0 208.3
263.2
280.5'318.9!304.9 347.1 '382.r 403.9 407.6
Mittel . . .
21.7
22.8
30.7
29.8
37,6
1
40.1
45.6
43.6
1
49.6J
64.6
57.7
1
68.2
Ueber die Intensität der WärmeBtrahlung der Sonne etc.
233
Polaris Haus,
Datum
P. JH.
Ob Ih 9h 3h 4h öh Sh 9h I 8h 9h lOh 11h
1873
April 20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
Summen
Mittel .
April 27.
28.
29.
30.
Mai 1.
2.
3.
Summen
Mittel .
Mai
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Summen
Mittel .
Mai
11.
12.
13.
14.
16.
16.
17.
Summen
Mittel .
Mai
18
19.
20.
21.
22.
23.
24.
Summen
Mittel .
0
0
0
0
o
0
0
0
. 25.1
23.6
22,0
17.6
10.7
12.2
9.7
9.5
. 35.8
33.7
34.2
34.5
30.6
23.9
38.3
19.2
. 42.81 64.5
65.1
47.7
68.3
46.0
12.0
4.0
. 67.1
63.5
37.4
56.4
66.6
52.1
40.9
25.8
. 19.6
16.7
60.0
10.6
6.1
4.0
8.0
3.5
. 64.6
49.2
56.5
63.9
66.7
49.8
43.0
33.2
. 61.2
62.5
68.6
64.4
51.8
17.7
38.0
29.6
0
1.0
23.4
2.1
3.7
1.9
24.2
9.5
0
0
0.3
16.4
12.9
8.6
—
4.6
1.3
11.1
2.5
9.2
6.6
316.1
46.2
66.6
16.9
23.4
30.6
63.8
45.7
41.8
313.7
333.8
275.1
279.8
44.8
47.7
39.3 39.9
18.5
26.3
30.7
22.8
16.9, 16.9
13.3
13.6
21.31 17.8
19.9
17.1
33.6
32.1
29.9
25.7
61.0
63.3
34.0
37.2
26.8
26.7
22.7
19.8
48.0
43.6
42.1
62.4
205.7
29.4
16.1
9.6
15.8
23.2
16.3
14.9
41.4
189.9
27.1
124.8
17.8
28.2
6.6
12.3
36.1
16.0
17.1
16.7
9.8
4.2
9.6
18.0
5.3
10.4
9.6
65.8
49.9
22.6
9.4
—
—
4.8
0.6
— .
2.0
6.3
0.4
6.6
1.0
1.6
6.8
4.4
—
3.2
1.0
6.0
6.6
3.9
3.2
7.4
3.7
—
278.7
39.8
216.0
30.9
67.6
81.1
77.7
76.2
78.0
38.4
63.8
27.6
80.4
74.2
74.9
71.0
62.2
68.7
214.6
30.7
27.7
76.2
71.8
64.6
69.2
66.1
42.4
192.6
26.1
36.9
66.6
61.7
72.2
69.1
22.0
19.0
198.6
28.4
31.2
64.0
66.6
66.4
38.3
20.9
15.4
137.3
129.9
66.7
22.5
18.6
9.6
16.5
21.8
14.0
34.1
19.3
11.6
60.0
66.2
23.0
61.9
64.5
44.1
60.4
17.6
8.9
23.5
20.8
8.4
14.3
8.7
5.4
37.8
19^
11.1
6.3
2.8
6.3
4.7
4.2
6.3
4.3
2.4
5.3
6.8
4.7
44.6
38.7
28.2
14.7
6.6
3.0
8.5
6.0
6.9
6.8
4.4
4.0
68.9! 62.7
44.9
63.2
46.6
24.9
60.6
39.3
63.4
31.4
69.0
42.4
33.0
31.8
33.3
61.2
'408.0'336.6'292.8
259.7
198.8
' 15.3
92.5
71.5
62.4!
68.3! 48.1 1 41.8
1
37.1
28.41 16.6
1
13.2
10.2 7.6
25.2,' 24.3
19.8 17.8
14.1 1 10.6
8.3 6.7
4.6
52.1
43.0
47.9
47.5
34.3
29.9
48.2
42.4
44.3
40.1
23.4
20.9
18.9
7.7
9.6
4.0
2.1
1.5
24.9
22.1
22.8
15.4
6.2
3.8
0.8
3.1
1.8
26.5
32.7
~>.
26.7 24.6
53.2
28.1
12.3
6.8
27.2
27.1
20.6
17.6 10.4
10.1
8.6
7.5
5.7
66.9
68.6
66.6
66.6
54.5
46.4
34.7
38.5
31.6
o
0.4
8.4
0.6
0.6
49
14,9
0.7
0.7
5.2
2.5
9.1
16.3
2.9
4.6
18.4
6.1
2.4
3.7
52.3
7.6
2.7
32.9
1.3
0.6
4.9
5.8
24.4
341.9 302.
48.8, 43.
1262.9
2, 37.6
231.2197.4
33.0, —
199.6 160.7
28.5, 21.6
163.6132.6|111.6| 95.2
23.4i 18.9. 16.9 16.0
72.6
10.4
64.4
61.6
64.7
67.3
67.2
31.61
63.3
400.1
57.2
61.
64.
66.
60.
68.
23.
60.
62.3
63.7
47.5
67.3
69.1
23.3
66.1
62.6
64.9
56.0.
66.1 54.1: 51.9
29.1
62.6 66.2
57.6
66.6
65.8
54.3 68.4
46.5
23.4 16.1
9.8
69.2
53.7
63.0
49.0,
48.8
60.41
50.1
49.1'
8.61
48.9
45.5
43.9
49.1
48.7
43.6
7.3
45.8
44.7
38.6
25.3'
40.3
36.5i 32.7|
_
38.6
34.4
44.0
38.3
36.6
41.0
38.6
26.3
49
— .
4.4
41.7
38.6
34.1
39.1
32.8
34.9
34.9
32.6
5.4
33.6
376.2|35a3
63.6, 61.3
342.2 346.4
I 48.9, 49.3
328.2,304.9
46.9, 43.6
283.9216.6,229.2
40.6 —
193.7 213.1
27.7
30.4
234
Emil Bessela,
Polaris Haue.
Datam
A9 91«
Oh
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4h Ah
6h
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Sh
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lOh Uh
1
1873
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
0 1 0
Mai 25. . .
32.7
28.0
18.1
40.6
46.0 46.6
53.3
54.5
59.0
61.9
62.5 59.0
26. . .
31.7
11.3
38.1
35.3
11.3 46.9
50.8
55.3
58.7
59.7
60.0; 60.6
27. . .
29.7
33.0
38.0
37.0; 40.9 45.9
51.5
52.3
54.2
57.2
60.0 65.6
' 28. . .
1.7
26.3
26.7
3a2
36.4
16.7
15.6
16.8
228
41.6
41.2 42.7
29. . .
39.0
9.7
21.4
44.2
41.4
21.4
39.8
46.8
61.3
67.7
66.9 65.4
30. . .
37.3
40.3
40.0
43.7
45.0
49.4
46.7
49.5
45.1
59.8
64.0
65.1
31. . .
33.2
15.9
44.2
46.0: 56.4 56.7
1
55.6
49.2
52.9
55.5
64.4
63.3
Sommea • .
205.3 164.5 226.5!280.o|277.4 283.6 313.3 I324.4J354.0I4034 419.ot421.7
Mittel . . .
29.3
23.5
32.6
40.0
39.6
40.5
44.8
46.3
50.6
57.6
69.91 60.2
1
lieber die Intensität der Wärmestrahlung der Sonne eto.
235
Polaris
Haus.
Datum
P. H.
Oh
Ih.
9h
ab
4b
5b
6h
9h
8h Ob lOh IIb
1873
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Mai 25. . .
56.7
39.7
58.5
55.4
54.1
55.3
52.9
43.4
37.8
33.8
32.9
34.0
26. . .
59.6
58.3
57.5
57.8
56.3
52.6; 45.9
42.7
40.3
35.5
29.3
32.4
27. . .
62.3! 62.5
59.0
57.9
46.6
31.4
30.2
27.3
22.6
17.0
—
4.4
28. . .
62.3
64.1
60.8
59.3
55.4
53.7
49.4
45.6
47.4
38.0
36.6
14.4
29. . .
65.7
65.6
57.9
55.6
67.7
56.8
52.3
49.5
44.6
39.1
39.7
39.5
30. . .
65.2
68.5
61.1
50.4
58.7
55.2
52.5
47.8
45.2
35.4
40.9
40.0
31. . .
61.9
69.6
60.1
59.5
59.2
57.6
53.9
36.3
20.1
11.8
32.3
39.9
Summen . .
433.7 418.3 414.9 395.9 388.0 362.5 337.1 292.6 258.0 210.6 211.7|204.6
Mittel . . .
61.9
59.8
59.3
56.6
55.4
51.8
48.2>
1
41.8
36.9
30.1
35.3
29.2
B«capltiilatIoii.
Die folgenden Tabellen enthalten eine Znaammenstellang der
Maximalwerthe der Sonnenatralitnng in der Polaris Bucht nnd in
dem Obserratoriani des Polaris Hauses. Die betreflenden Woclien
sind durch ihr mittleres Datum (welches, nebst dem Honat, den
Kopf der resp. Colamnen bildet) bezeichnet, d. h. die Beobach-
taagen, welchen die Maxima entnommen sind, worden 3 Tage
früher und 3 Tage später angestellt, als die betreffenden Daten
ani^eigeD. Einerseits ist die Anwendung dieser Methode sehr be-
quem and anderseits werden die auf diese Weise behandelten
Werihe mehr ron störenden Einflüssen befrei^ als wenn man aaf
die gewöhnlich gebräuchliche Weise verfahren wttrde.
Haxima der Sonnenstrahlong,
aas den Beobachtungen ron Polaris Bucht abgeleitet.
April.
MaL
Jörn.
Zeit
ts
SO
7
■4
Sl
M
4
■1
IS
o
0
Oll
3.3
2&3
27.7
38.9
61.1
464
43.6
23.1
48,3
1
6.9
28.0
27.1
36.6
52.6
46.4
894
27.6
a&o
a
i7.a
41.9
48.0
42.1
47.6
466
39.6
39.9
41.8
a
28.3
43.8
43.9
41.6
494
66.0
41.7
41.9
40.6
4
40.6
46.1
47.3
48J
63.6
47.2
45.6
44.4
42.6
r.
47.7
49.0
56.1
64.9
53.7
52,8
51.7
49.6
41.9
e
68.7
56.7
66.0
66.7
54.6
55J
68.9
63.4
66.1
7
64.8
69.4
64.0
604
59.3
83.6
63.8
58.9
60.6
64.3
60.9
63.7
63.6
68,2
75.1
64.6
58.5
714
69.0
73.4
72.6
69.6
66,3
79.8
59 2
84.9
72^
1(1
6S.6
71.6
76.8
66.8
70.9
67.0
71.6
66.4
83.3
u
77Ä
71.7
74.6
73.3
69.9
69.3
66.8
65.6
714i
Miria.r
79X1
80.4
70.8
71.6
66.3
81.2
61.1
60.9
66Ji
Ui
77.8
77.7
72.6
714
69.9
88.4
70.1
60.6
67.4
3
76.8
69.1
77.9
67.4
66.9
74.6
69.0
66.7
673
:i
6a9
684
69.0
61.1
72,2
79.2
64.2
64.9
554
4
65.7
62.2
63.3
69.9
66.7
73.7
55.6
53.6
5S.8
60.8
684
67.7
70.1
66.0
68.5
719
504
49.7
&8.2
69.1
68.2
60.2
66.1
634
66.5
68.2
61.7
7
41.2
6B.0
47,8
57.6
53,9
63.9
61.6
55.7
64.0
8
47.3
62.6
46Ji
50.7
56,4
53.9
60.9
51.0
63.3
Ü
41.8
49.2
49.4
48.7
43.5
514
46.6
474
463
10
34.5
39.3
36.8
39.8
48.0
48.6
43.7
16.0
49.1
U
40.6
33.1
38.6
48.7
454
46.9
48.7
20.2
4ao
Summen .
1229.8
1334.8
1839,0
1363.9
1416.4
1406.6
1334.4
1173.6
18043
Mittel . .
61.2
66.6
56.8
664
69.0
63.4
56.6
48.9
543
Ueber die Intensität der WärmeBtrohlung der Sonne etc.
237
Mäxima der Sonnenstrahlang
ans den Beobachtangen von Polaris Haas abgeleitet.
April.
Mai.
Zeit
98
ao
9
141
91
98
0
0
0
0
0
0
Oh
7.8
6.1
14.7
24.0
84.1
89.0
1
20.5
14.1
14.^
29.5
36.7
40.3
2
27.2
13.0
29.9
27.4
36.1
44.2
8
25.8
25.8
82.5
40.0
43.7
46.0
4
85.7
86.4
51.9
19.6
48.5
56.4
5
49.1
26.2
48.3
25.1
53.0
56.7
6
48.8
49.8
64.7
54.2
57.0
55.6
7
55.3
54.2
68.0
57.2
58.2
55.3
8
59.1
61.0
69.7
66.0
58.2
61.3
9
6(3.5
65.2
73.9
75.2
63.5
67.7
10
65.6
65.8
80.7
69.9
65.5
66.9
11
64.1
65.9
80.2
68.5
65.2
65.6
Mittag
67.1
63.8
81.1
63.4
64.7
65.7
Ih*"
64.5
51.0
80.4
69.0
64.1
68.5
2
65.1
53.3
76.2
66.9
62.3
61.1
8
66.4
42.1
72.2
58.6
62.5
59.5
4
68.3
62.4
66.6
65.5
58.4
59.2
6
52.1
41.4
61.9
56.6
56.0
57.5
6
40.9
35.1
56.2
54.5
50.4
53.9
7
88.2
18.0
44.1
58.2
49.1
49.5
8
24.2
7.4
44.6
48.2
44,7
47.4
9
16.4
53
38.7
42.4
38.6
89.1
10
12.9
6.0
28.2
44.3
36.5
40.9
11
8.4
5.2
18.4
82.9
89.1
40.0
Summen .
1085.0
874.0
1297.7
1212.8
1246.1
1297.3
Mittel . .
48.1
36.4
64.1
50.5
51.9
54.1
IT. Resultat
Ein Blick auf die vorhergebenden Tabellen zeigt, dass der
Unterschied in der Intensität der Sonnenstrahlang in der Polaris
Bucht und in der Intensität der Sonnenstrahlang in dem Polaris
Haase während der in Bede stehenden Zeitperiode für 3^ latitude
SH Fahr, beträgt, oder für !<> lat 2^6 Fahr., so dass die Inten-
sität der Sonnenstrahlang mit wachsender Polhohe zuznnehmea
scheint.
Vergleichen wir die Intensität der Sonnenstrahlung in Fällen,
in welchen die Sonne die gleiche Höhe hat, so erhalten wir die
folgenden Beihen, in welchen zum Beispiel die Sonne zu Mittag
die gleiche Höhe hat, als zu einer späteren Zeit um Mittemacht
Für irgend einen Punkt der nördlichen Hemisphäre ist die Höhe
238
Emil Bessels,
der Sonne um Mittag =90 — 9 + S, und am Mitternacht
= d + q> — dO.
Es lässt sich zeigen^ dass in der Polaris Bucht die Mittags-
höhe der Sonne am 4. März die gleiche war, als die Mittemachts-
höhe am 16. April. Das gleiche Verhältniss besteht zwischen dem
3. März und dem 4. Mai zu Polaris Haus; überhaupt zwischen
der Mittags- und Mittemachtshöhe der Sonne an allen jenen
Tagen; die sich in der folgenden kleinen Tabelle gegenüber stehen.
Intensität der Sonnenstrahlung für gleiche
Sonnenhöhen, um Mittag und Mitternacht
Polaris Bucht.
1
Polaris Haus.
Intensität
Intensität
der Sonnen-
der Sonnen-
Datum
strahlung
AR
Datum
strahlung
AR
Mittag
Mitter-
nacht
Mittag
Mltter-
naotit
1872
0
0
0
1873
0
o
0
März 4
ApriJ
16
23.4
4.6
18.8
März 3
Mai
4
ia5
8.6
14.9
5
17
0.9
0.7
0.2
4
5
12.2
9.8
24
7
20
4.1
0.8
3.3
5
7
38.9
6.7
32.2
8
21
37.2
0.6
36.4
6
8
40.4
14.7
26.7
9
22
42.2
17.1
25.1
7
10
42.5
8.8
38.7
11
24
44.2
3.7
40.0
8
12
36.4
3.4
33.0
13
27
43.3
2.0
41.3
10
14
17.7
2.2
15.5
14
28
47.9
0.2
47.7
11
16
9.8
6.7
3.1
15
29
47.6
11.8
35.8
12
18
(4.5)*
(23.3)*
(18.8)*
16
Mai
1
52.8
26.3
26.5
13
20
46.1
34.1
12.0
17
2
48.7
3.6
45.1
15
24
43.7
0.6
43.1
18
8
55.3
7.4
47.9
18
31
56.6
33.2
23.4
19
22
5
10
45.6
62.7
5.9
7.8
39.7
54.9
Süd-Nord .
a4*.6
24
12
14
63.3
35.1
13.5
12.9
49.8
22.2
25
April 2
3
Juni
80
2
61.7
70.1
39.2
10.2
22.5
59.9
*) Nicht berücksichtigt
4
5
63.4
27.6
35.8
(
6
10
22.1
10.4
11.7
6
21
62.0
48.3
13.7
Süd-N
ord
■
• ••••<
, 32».8
Die obige Tabelle bedarf weiter keiner Erklämng. Wie er-
siehtlich ist, enthalten die mit AR bezeichneten Colamnen die
Differenzen der Intensität der Strahlung fttr die obere nnd untere
Culmination der Sonne.
Es zeigt sich; dass in der Polaris Bucht die Intensität der
Strahlung für die gleiche Sonnenhöhe um 32^3 grösser ist, wenn
üeber die Intensität der Wännestrahlung der Sonne etc.
239
die Sonne im Sflden als wenn sie im Norden steht. ^) Um dieses
Verhalten zn erklären^ nntersnchten wir die gleichzeitig ange-
stellten hygrometrischen Beobachtungen*); aus welchen hervor-
geht, dass die Differenz in der Spannkraft des in der Atmosphäre
enthaltenen Wasserdampfs, die diesem Werthe entsprechen würde,
gleich 0.088" engl. ist. Es würde demnach einer Zn- oder Ab-
nahme der Spannkraft von 0.001" eine Zn- oder Abnahme der
Intensität der Strahlung von 0<^37 gleichkommen.
Für Polaris Haus stellt sich die oben erwähnte Differenz in
der Intensität der Strahlung zu 24<>5 und die Differenz in der
Spannkraft des Wasserdampfes zu 0.0063" heraus. Als Coefficient
der Intensität der Strahlung fbr 0.001" Spannkraft wttrde sich
demnach 0<^40 Fahr, oder 0^22 Cels. ergeben, ron welchem Werthe
wir in unserem Falle Gebrauch machen wollen.
Die folgende kleine Tabelle enthält die nicht corrigirten und
corrigirten Resultate fttr Polaris Bucht und Polaris Haus.
Polaris Bacht, 1872 |
Polaris Haas, 1873
mtUerarTaff
der
Wocb»
Ss
ja
o
•a
I
1
MittlererTtff
der
Wocbe
II
I
April 23
80
Mai 7
14
21
28
Jani 4
11
18
0
0
0
61.2
+11.2
62.4
April 23
66.9
14.4
70J
30
66.8
17.6
73.4
Mai 7
6M
34.0
90.4
14
69.0
46.0
106.0
21
62.4
44.4
106.8
28
66.6
60.0
116.6
48.9
68.8
107.7
64.3
-f69.6
113.9
o
43.1
36.4
64.1
60.4
61.9
64.1
a
o
o
+12.0
19.2
13.6
33.6
46.8
+27.2
o
66.1
66.6
67.7
84.1
98.7
81.3
o
73
14.7
6.7
6.3
6.3
26.6
FUr 3<^2 lat beträgt aUo die mittlere Differenz 11<« Fahr.
« 6^11 CJels.
somit für i^ lat. A «> SH Fahr. >» 1<«9 Cels.
*) Diejenigen, die an die Existenz eines offenen Polarmeeres glauben,
dürften Tielleicht geneigt sein, hierin eine Stütze ihrer Ansicht zu suchen.
*) Weiter auf diese Beobachtungen einzugehen ist hier nicht möglich.
Wir wollen nur erwähnen, dass wir ständliche Psyohrometerbeobachtungen
aoBtellten, die selbst während der kalten Jahreszeit, bei den niedrigsten Tem-
peraturen, nicht unterbrochen wurden und äusserst zufriedenstellende Resultate
lieferten, vorausgesetct, dass mit der nöthigen Vorsicht und Geduld experi-
meottrt wurde. Mangel hieran scheint an dem Scheitern der Versuche Schuld
240 > £^^1 Bessels,
Angenommen, wir hätten keine correspondirenden hygro-
metriecheu Beobachtungen angestellt pder wir würden dieselben
hier unberücksichtigt lassen, so würde nach den vorliegenden
Werthen einer Breitenznnahme von 1^, sogar eine Zunahme der
Intensität der Strahlung von 2^6 Fahr. = 1<)44 Gels, entsprechen.
Man darf indessen den hygrometrischen Daten keinen grossen
Werth beilegen, da die aus denselben abgeleiteten Elemente nur
für diejenige Luftschicht Giltigkeit haben, die sich unmittelbar
über dem Beobachtungsorte befindet. In grosserer Höhe kann
gleichzeitig die Spannkraft des Wasserdampfes, oder auch die
relative Feuchtigkeit, grösser oder geringer sein, je nach der vor-
herrschenden Windrichtung.
Da die Intensität der Sonnenwärme an irgend einem Punkte
der Erdoberfläche durch die Differenz zwischen den Ständen
zweier Thermometer ausgedrückt wird, von welchen das eine die
Temperatur der Luft im Schatten anzeigt, während das andere
den Strahlen der Sonne ausgesetzt ist, so wird ihre Intensität in
hohem Grade von der Temperatur der Luft; an dem Öeobachtungs-
orte abhängig sein. Es liesse sich demnach annehmen, die
grössere Intensität in Polaris Bucht, gegenüber Polaris Haus,
wäre liur scheinbar, wäre nur das Resultat einer niedrigeren
Lufttemperatur an eiisterem Orte. Ich ge|be deshalb die mittleren
Temperaturen der beiden Localitäten für die in Rede stehenden
Monate. Für:
Polaris Bucht Polaris Haus A T
April .... — 22.090 C — 20.410 0 1.68«>
Mai . . . . — 08.44 — 06.76 1.68
Juni . . . . + 02.47
«u tragen, die bis jetzt von anderen arctischen Expeditionen gemacht warden.
Der berechnete wahrscheinliche Fehler einer EinzelbAobachtung, bei den nie-
drigsten Temperaturen, fallt nahezu mit der Grenze des Ablesungsfehlers zu-
sammen und der Unterschied zwischen der aus der Psychrometerdifferenz
abgeleiteten Temperatur des Thaupunktes und der gleichzeitig vermittelst
eines Begnault'schen Thaupunktapparates beobachteten, betrag nie mehr als
4. 0^6 Fahr. Diese Beobachtungen sind in der Abtheilung „Hjgrometrical
Kesults^' eines starken Quartbandes niedergelegt, der unter dem Titel „Scien-
tific Results of the U. S. Arcüc Expedition, under C. F. Hall. Vol. I Geo-
Fhysical Observations, by Dr. Emil Bessels" erscheinen wird. Der Dmck
desselben, von der Regierung der Vereinigten Staaten Nordamerikas unter«
nommen, begann schon Ende Februar dieses Jahres, dürfte aber nicht so rasch
beendigt werden, als wünschenswerth ist
üeber die Intensität der Wärmestrahlung der Sonne etc. 241
Für Juni beBitzen wir in Polaris Hans keinerlei Aufzeich-
nungen. Fttr April und Mai zeigt sich jedoch eine Differenz von
1^68, d. h. die Temperatur in Polaris Bucht stellt sich um den
genannten Werth niedriger heraus. Da sich die Differenz auf
3^ lat. vertheilt, so beträgt AT für l^lat. 0^52 Cels., was unser
Resultat nicht wesentlich ändern würde.
Wir verzichten darauf, hier irgend welche Erklärung fttr
diese Thatsache zu bieten; zumal die Beobachtungen an beiden
Localitäten mit einem und demselben Thermometer gemacht
wurden. Anfangs glaubten wir, die Differenz durch die ungleiche
Häufigkeit der Sonnenflecken während 1872 und 73 erklären zu
können ; kamen jedoch dadurch zu keinem befriedigenden Re-
sultat. Als uns durch die Liberalität des Marineministeriums der
Vereinigten Staaten zu Anfang des vergangenen Sommers ein
Fahrzeug zur Disposition gestellt wurde ^ um im Norden der
Berings-Strasse gewisse Untersuchungen zu verfolgen , rüsteten
wir uns mit einer Anzahl von Thermometern, einer Thermosäule,
mit mehreren nach verschiedenen Principien construirten Pyrhelio-
metem aus, um vergleichende Beobachtungen anzustellen. Wir
begannen dieselben während der Reise quer über den Gonti-
nent, von Washington nach San Francisco, auf Höhen von 1000'
bis 8000' und gedachten dieselben von 70^ N. lat bis zur Breite
von Panama auszudehnen, allein ein unangenehmer Schiffbruch
brachte die Reise, nachdem wir kaum 10 Tage auf See gewesen,
zu einem plötzlichen Ende. Vielleicht dürften die Theilnehmer
an künftigen Polar - Expeditionen Müsse und Gelegenheit f\nden,
einschlägige Beobachtungen anzustellen, die selbst dann, wenn
sie nur roh, wie die vorliegenden, mit geschwärzten Thermometern
ausgeführt würden, immerhin interessante Resultate liefern dürften.
Smithsonian Institution
Washington, D. C, 22. October 1875.
Jenaische Ztihchnn;Bi/. X.
Taf. m
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BdutotnaüL Nauemtks Neiorucii
FhUm
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Phytüphthires
Homoptera
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Parasita
I
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P«
trepsiptera
^
Taf. Vik
Myrmdemdidajt/ Ifemertbidae^ Panarpinor
Tridioptera MtgoiapUro/ SiaUdiu/
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Plaidpennia
Protoneuropteroii
Ltth.Af»st.y.C.C.Mülltf »n Jena.
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Dipiera/ Hemiptera/
yimpkiktia
Protenlomon
Lith.An«l.vt.CMül!ci
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen.
Von
Dr. Relnhold Teuscher.
Hieriu Tafel VII u. Vm.
I. Comatula mediterranea.
Wenn man dnrch den vorsichtig entkalkten Strahl einer
wohlerhaltenen, d. h. sogleich nach dem Fang in Alcohol gehärteten
Comatula mediterranea dtlnne Schnitte macht , so erhält man
constant das bei Fig. 1 dargestellte, nur hier und da durch Ver-
zerrung der Weichtheile unwesentlich modificirte Bild. Von der
dorsalen (aboralen) Seite beginnend, erscheint zuerst das bei
unserer Art mehr oder weniger halbmondförmige Ealkglied,
äusserlich noch von der Hautschicht umhüllt und von dem so-
genannten Centralcanal durchbohrt, von welchem man längst
weiss, dass er keinen Canal, sondern einen soliden Strang enthält.
Nur tlber die Natur dieses Stranges sind die Beobachter noch
nicht einig; die einen halten ihn fbr einen einfachen Bindegewebs-
Strang, andere (Semper) yermuthen, dass er vielleicht der Nerv
sein konnte. Die Histologie der Echinodermennerven ist trotz der
Bemühungen vieler Forscher noch heute wenig bekannt Der hier
in Rede stehende Strang, rings von Kalkmasse umschlossen, ist
kaum isolirbar, und nur an Längsschnitten durch entkalkte und
eingebettete Strahlen konnte ich eine Ansicht erhalten. Der Strang
besteht aus einer fein granulirten Masse mit entschiedener Längs-
faserung, doch sind die Grenzen der Fasern nicht scharf genug,
um ihre Dicke messen zu können. Ueberall in diese Masse ein«
gebettet liegen kleine Körner — wahrscheinlich Zellen, doch konnte
ich die Kerne nicht s^en — deren grOsste nicht über 0,002 M.
Durchmesser zeigen, zerstreut; doch findet man sie vorzüglich an
Bd. X, N. P. m, 8. 16
*f.
\
• »
244 Beinhold Teiucber,
der ventralen Seite des Stranges angehäuft. Hin und wieder sieht
man Haufen von bräunlichen Pigmentkömem. Die Histologie
dieses Gewebes ^ soweit ich dieselbe ergrflnden konnte, giebt
also keinen sichern Anhaltspunkt fbr die Erkenntniss seiner Be-
deutung.
Durch sämmtliche Glieder des Strahls, sich in die Finnulae
abzweigend, setzt der Strang sich fort und tritt aus den ersten
Radialien in den Eelchknopf ein , wo er zur Bildung des so-
genannten Herzens beiträgt. Ich wende mich hier zur näheren
Beschreibung dieses zierlichen Organs, fUr welches ich den Namen
„Gefässcentrum'^ vorschlage. Nachdem die fünf Centralstränge
in die im Innern des Eelchknopfs enthaltene Höhle getreten sind,
verbinden sie sich unter einander durch Gommissuren und bilden
so einen geschlossenen Bing, ganz ähnlich dem Nervenring der
Echinodermen, welcher den Eingang des oben genannten Gefäss-
centrums umschliesst. Ein Horizontalschnitt dieser Gegend (Fig. 2)
zeigt im Centrum dieses Binges csr die Spitze einer vom Boden
des Gefässcentrums sich erhebenden Mittelsäule (cl); ein kreis-
förmiges Gebilde, dessen peripherischer Theil fänf grössere (k),
und dessen centraler Theil eben so viele kleinere Gefässöfihungen
darbietet, alle an deutlichen Epithelien vollkommen kenntlich«
Den ringförmigen Baum zwischen dem Bing des Gentralstrangs
und der Golumella fällt nach oben ein vielfach verschlungenes
Gefässnetz mit verkalkten Wänden, welches dort unmittelbar mit
den lacunären Gefässräumen um den Darm zusanmienhängt, in
seinem unteren Baum in einen grösseren, ebenfalls ringförmigen
Behälter erweitert ist (mgr, Fig. 2) und nach unten in zehn Blind-
säcke ausläuft, die sich in die Ealkmasse des Eelchknopfs nach
unten und aussen erstrecken und dort endigen. Fünf davon sind
radial, fünf interradial. Einen davon zeigt Fig. 3, gb.
Die fünf Centralstränge haben sich, wie oben gesagt, ge-
spalten, um die verbindenden Gommissuren zu bilden. Von dem
Anfang jeder Commissur geht ein Zweig nach unten ab, d. h. nach
dem Geßlsscentrum zu, und diese zehn Zweige treten zwischen
den zehn Gefässblindsäcken hindurch, um sich sogleich wieder za
einer Masse zu vereinigen, welche die gesammte Peripherie dieser
Gefässhöhle auskleidet (Fig. 3). Die histologische Beschaffenheit
dieser Masse ist, soweit ich sie erkennen konnte, im Ganzen
dieselbe, wie die der Stränge; doch erscheinen stellenweise etwas
schärfer begrenzte Fasern, zahlreichere und grobkörnigere
Pigmenthaufen, die äusseren Theile färben sich mit Carmin viel
Beiträge zur Anatomie der Echinodcrmen. 245
intensiver. Doch lassen sich verschiedene Schichten nicht unter-
scheiden. Die eigentliche Höhle des Gefässcentrums hat bei einer
erwachsenen Gomatula 0;15 M. Höhe und 0,4 H. Breite. In
ihrer Mitte wird sie senkrecht von einer Säule durchsetzt; etwa
0,08 M. dick, welche sich nach oben wenig verdtlnnt, und fünf
Scheidewände (sw, Fig. 2) nach den Seiten aussendet, die den
Raum in fCLnf Kammern abtheilen. Diese Kammern verengern
sich nach oben und laufen in die fünf Gefässe aus^ welche um
die Columella herumliegen (Fig. 2 und 3, k). Die fttnf feinern
Gef3isse, welche auf dem Querschnitt im Innern der Columella
erscheinen, erweitern sich an der Basis derselben und entsenden
ein im Ursprung spindelförmig erweitertes Gefäss in jede der
Cirrhen (cg, Fig. 3), welches die ganze Girrhe bis ans Ende in
der Axe der Kalkglieder durchläuft, ebenso wie es der Central-
Strang mit den Strahlen und Finnulis thut. Aber in jedem dieser
Qefässe, die übrigens, sowie alle bisher in dem Gefässcentrum
beschriebenen Gefässe, auch die fünf grösseren Höhlen, mit einem
sehr deutlichen Epithelium ausgekleidet sind, sehe ich vom An-
fang bis ans Ende einen dünnen Strang verlaufen, von leicht
grannlirtem, längsstreifigem Ansehen, kurz dem Centralstrang der
Strahlen ganz ähnlich, und offenbar aus dessen Centraimasse am
Boden des Gefässcentrums -entspringend. Den Di|rchmesser der
Cirrhengefässe finde ich 0,0135 M., den der Stränge 0,0045 M.,
den der Zellen des Gefässepithels 0,0025 M.
Bekanntlich dienen die Cirrhen der Comatula, um sich an
Seetang oder dergl. zu befestigen; da dieselben der Muskeln
entbehren, so könnte vielleicht eine Injection von Flüssigkeit in
die beschriebenen Gefässe die Cirrhen strecken, während bei deren
Rttckfluss durch die Elasticität der Ligamente die Krümmung
von neuem hervorgebracht und so ein Festhalten ermöglicht
würde. Kehren wir jetzt zur Betrachtung des Strahlenquerschnitts
zurück.
An das Kalkstück jedes Strahlengliedes legen sich beiderseits
die Muskeln an (Fig. 1, m), welche von den Vorsprüngen jedes
Strahlengliedes zu denen des folgenden reichen und die Strahlen
nach der Mundseite hin zu beugen bestimmt sind. Zwischen den
beiden Muskeln liegt ein dreieckiger Spalt (Fig. 1, mg), von
einem Gefäss gebildet, welches ich zur Unterscheidung von andern
das Muskelgefäss nennen will. Es wird ringsum von einem
deutlichen Epithelium ausgekleidet; zwischen diesem und den
Muskeln liegt noch eine dünne Schicht hyalinen Bindegewebes,
IG*
246 Beinhold Teusclief,
einige wellige Fasern ^ Körner und Pigmenthaufen enthaltend.
Dieses Muskelgefäss durchläuft den ganzen Strahl und giebt an
jede Pinnula einen Zweig ab ; nach der Basis des Strahls hin er-
weitert es sich etwas und begleitet denselben an der Aussenseite
des K^chs herab bis zum Eelchknopf; über den oben beschriebenen
Ring d^r Centralstränge herabtretend, wo es in die dort yielfach
ansusrtomosirenden Blutgefässe und in'das Binggefäss (mgr, Fig. 2 n. 3)
eintritt. Die Erweiterung, die das Gefäss an der Basis des Strahls
erfahren hatte, nimmt schnell wieder ab, sowie dasselbe am Kelche
herabläuft; es bildet hier nur noch eine schmale Spalte mit fast
parallelen Wänden.
Auf die beiden Seitenmuskeln und das eben beschriebene
GefUss, welche neben einander liegend ungefähr gleich weit
herabreichen, folgt im Querschnitt des Strahls zunächst eine Zone
hyaliner Bindesubstanz, die gewöhnlichen Elemente enthaltend
und meist sehr pigmentreich, und dann treffen wir auf zwei neben
einander liegende grössere rundliche Oefihungen (sg, Fig. 1), nur
durch eine dünne Scheidewand von einander getrennt und Gefässe
darstellend, welche zum Unterschied die Seitengefässe heissea
mögen. Dieselben sind ebenso wie das Muskelgefäss mit deut-
lichen Epithelien ausgekleidet, laufen am Strahl seiner ganzen
Länge nach hin und geben an jede Pinnula einen Zweig ab ; aber
da, wo der Strahl an den Eelch tritt, begleiten sie denselben
nicht nach der Basis hinab, sondern trennen sich von ihm, um zu
einem einzigen Gefäss verschmolzen unter der Kelchdecke und
zwar unter der betreffenden Ambulacralrinne auf die Mundtfffnung
zuzulaufen. Hier, unter der Kelchdecke, giebt das Gefäss in
regelmässigen sehr geringen Abständen und nahezu senkrechter
Richtung zum Hauptstamm eine grosse Zahl seitlicher Zweige ab.
Diese Zweige anastomosiren vielfach unter einander und mit den
aus den benachbarten Gefassen entsprungenen und bilden so ein
wirres, lacunäres Gefassnetz, welches den Raum zwischen Kelch-
decke und Darm, sowie den zwischen den Sarmwindungen ent-
haltenen ausfällt, auch den Darm in dtlnner Schicht äusserlich
umgiebt, ohne aber mit der Bauchhöhle zu communiciren. An der
Basis des Kelches gehen diese lacunären Bahnen unmittelbar in
die Gefässe des Gefässcentrums über; die Stammgefässe selbst
aber laufen unter den Ambulacralfurchen der Kelchdecke fort bis
an den Mund, wo sie sich unter einander zu einem Gefässringe
verbinden.
Die drei hier beschriebenen Gefässe sind auf verschiedene
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 247
Weise leicht iDJicirbar. Bohrt man mit einer passend zugeschliffenen
Nähnadel vorsichtig von der Mitte des Eelchknopfes aus ein, bis
der Widerstand aufhört, und injicirt durch ein konisches rings
um das Bohrloch aufsitzendes Glasröhrchen, so fallen sich c^e drei
hier beschriebenen GefUsse, sowie die Lacunarräume um den
Darm. Dasselbe Resultat, obgleich viel seltener mit volls^&dig^m
Erfolg, erreicht man durch Einstich und Injection unter di4 Kelch-
decke, wobei zumal das Gefässcentrum selten gefüllt wird. Am
besten aber ist es, einem starken Exemplar emen Strahl nahe am
Kelch abzuschneiden (doch nicht nahe genug, um die Leibeshöhle
zu öffhenj und mittelst eines feinen, etwas konischen Röhrchens
das Muskelgefäss zu injiciren. Dies lässt sich eben so wohl in der
Richtung des Kelches, als des Strahles ausführen, und eine recht
vollständige Injection des letzteren erhält man so am besten.
In dem zwischen den beschriebenen Gefässen liegenden mehr
oder T^eniger dreiseitigen Räume findet sich eine Ltlcke im Binde-
gewebe (Tig. 1 und 4, bl), meist rundlich-dreieckig, oft etwas
verzerrt. In ihrer Mitte verläuft ein Rohr, von welchem sogleich
die Rede sein wird ; sie selbst communicirt durch nicht allzu feine
Canäle mit jedem der drei beschriebenen Gefässe, diese so unter
einander in Zusammenhang bringend; und zwar sind die Ver-
bindungen mit den SeitengefUssen so häufig, dass man sie fast in
der Hälfte der Schnitte findet, wiederholen sich also an jedem
Strahlengliede mehrfach; die mit dem MuskelgefUsse sieht man
nur selten und nur an Injectionspräparaten. Das Epithelium der
Gefässe setzt sich in die Bindegewebslücke durch die Anastomosen
fort. Im Mittelpunkte der Bindegewebslücke, oft etwas excen-
trisch, befindet sich ein nur durch wenige feine Fäden peri-
pherisch befestigtes Rohr (sr, Fig. 1 und 4), innerlich, und wie
mir scheint, auch äusserlich mit Epithelium bekleidet. Dasselbe
entspricht seiner Lage nach offenbar dem von J. Müller für Pen-
tacrinus abgebildeten und für den Nerven gehaltenen Strange;
Semper hat dasselbe (Würzb. zool. Arbeiten 74, pag. 26 t) in der
Abbildung des Strahlcnschnitts einer philippinischen Comatula
dargestellt und dem Genitalapparat zugerechnet Der fragliche
Gegenstand ist nicht ein solider Strang, sodern eine Röhre von
durchschnittlich 0,036 M. Durchmesser, mit deutlichem Epithelium
ausgekleidet und in seinem Lumen hie und da einige lose Zellen
von 0,004 M. Durchmesser enthaltend.
An den Stellen, wo die Anastomosen der Zellgewebslücke zu
den Seitengefässen abgehen, sieht man fast immer, von der Röhre
248 Reinbold Teuschei:,
entspringend and in die Anastomosen hineinragend; aber sehr
selten deren Mtlndung in die Seitengefässe erreichend, Erweite-
rungen, deren Wände man ringsum als von dem Rohr ausgehend
nnd dahin zurücklaufend, zu den Seitengefässen aber keine Be-
ziehung habend; verfolgen kann. In der Semper'schen Figur
(1. C; p. 261) findet sich ein Strang (mit r bezeichnet), durch von
ihm ausgehende Zweige in Verbindung gebracht mit zwei grösseren
Oeffhungen (ov'), welche er als eierhaltig zeichnet und Ovarien
neI^lt; während der Strang r offenbar meinem Rohr (nebst Zell-
gewebslücke) und seine Ovarien ov' meinen Seitengefässen ent-
sprechen, in welchen ich in sehr zahlreichen Querschnitten durch
alle Regionen des Strahls niemals eine Spur von Geschlechts-
producten gefunden habe. Ausser Comatula medit. von Triest
konnte ich noch eine Comatula aus der Südsee untersuchen,
welche ich der Güte des H. Dr. 6. v. Koch verdanke, ebenso
eine Actinometra von Prof. Häckel im rothem Meer gesammelt nnd
mir freigebigst zur Verfttgung gestellt. Die Strahlenquerschnittc
beider gleichen in allen wesentlichen Punkten dem der Comat
medit., und unterscheiden sich nur in Nebensachen, dem Grössen-
verhältniss der Weichtheile zu den Kalkstücken , der Pigment-
menge u. dergl. Sollte Semperas philippinische Comatula wirklich
so sehr abweichen, dass zweifellose Gefässe bei ihr in Ovarien
umgewandelt wären, oder könnten sich bei der Behandlung der
Schnitte £ier von anderwärts her in dieselben verirrt haben? Ich
neige mich zu der letzten Ansicht.
Auf Durchschnitten durch das Ergänzungsstück eines ab-
gebrochenen Strahls, an welchem [die Pinnulae noch wenig ent-
wickelt sind und die des Endes nur warzenartig angedeutet
erscheinen, bildet unsere Bindegewebslücke geradezu ein viertes
Gef%ss, auch an Lumen den drei andern gleich und von ihnen
nur durch sehr dünne Wände geschieden. In dem weiten Räume
erscheint das Rohr sehr deutlich, Ausstülpungen fehlen ihm ganz,
und seine Seitenzweige treten auf das Entschiedenste nicht zu
den Seitengefässen, sondern in das zwischen diesen und dem
Muskelgefässe liegende Bindegewebe. Die in ihm enthaltenen
Zellen sind hier zahlreicher und treten stellenweise als wohl be-
grenzte Coagula auf.
Ehe ich hier weiter gehen kann, [muss ich den Bau der
Pinnulae erörtern, und zwar beginne ich mit der Beschreibung
des Querschnitts einer sterilen Pinnula von der Basis des Strahls
(Fig. 5) als dem einfacheren Falle. Wir finden in demselben alle
Beiträge cor Anatomie der Echinodermen. 249
wesentlichen Theile des Strahls wieder. Der Masse nach tritt
das Ealkskelett geg:en die Weichtheile bedeatend znrtlck. An
den Ealkgliedern entlang laufend finden wir ein Gefäss (mg),
das dem Mnskelgefäss des Strahles entspricht; an der entgegen-
gesetzten, ventralen Seite der Weichtheile ein anderes (sg); die
Seitengefässe repräsentirendes , aber einfaches Gefass. In der
Mitte der Weichtheile befindet sich eine Zellgewebslttcke (bl) (ein
drittes Gefäss), welche mit jedem der beiden andern durch Ana-
stomosen in Verbindung steht und in seinem Innern ein Rohr (sr)
enthält, welches dem in Fig. 1 u. 4 dargestellten genau gleicht.
Den Durchschnitt durch eine fruchttragende männliche Pinnula
zeigt Fig. 6. Man sieht die beiden Gefässe wie vorher; das
Rohr bei sr, Fig. 4 ist aber weit ausgedehnt, hat das Binde-
gewebe der Pinnula weit auseinander gedrängt und enthält die
Geschlechtsproducte. Der dasselbe umgebende Raum entspricht
der Bindegewebsltlcke bei bl, Fig. 4 u. 5 — derselbe ist mit der
Flüssigkeit erfüllt, welche die Gefässe führen, deren Oeffnungen
wenn auch nicht direct zu sehen, so doch durch Injection leicht
nachzuwetisen sind.
Die sogenannten Eelchpinnen enthalten die beiden Gefässe,
aber keine Spur von Bindegewebslücke und Rohr. An der Stelle
der Ambulacralrinne ist ihr Innenrand leicht abgerundet.
Die Verbindung der Gefässe der Pinnulae mit den ent-
sprechenden des Strahls lässt sich direct darlegen, wenn man an
gut ii^jicirten Exemplaren Schrägschnitte durch den Strahl in der
Richtung der abgehenden Pinnulae macht Ein solcher Schuitt
ist Fig. 7 dargestellt, die Pinnula ist in der Längsrichtung ge-
trofien. Man sieht die Anastomon des Muskelgefässes des Strahls
mit dem entsprechenden der Pinnula, ebenso die des Seiten-
gefässes mit dem vorderen Gefäss der Pinnula, und endlich er-
streckt sich von der Bindegewebslücke eine Communication zur
Basis der Pinnula, in welcher eine Abzweigung der „Röhre'' eben-
dahin verläuft. Die abgebildete Pinnula gehört einem männlichen
Thiere und ist mit Sperma gefüllt; man sieht die Abzweigung der
Röhre an die Httllmembran des Hodens herantreten nur, durch
eine leichte Einschürung von ihr getrennt
Ich halte also die betreffende „Röhre'' des Strahls mit Semper
für ein Zubehör der Sexualorgane, aber auf etwas verschiedene
Weise. Semper weist den Zusammenhaag derselben mit den
Pinnulis nicht nach, meint aber, dass von den in den Pinnulis
enthaltenen Ovarien zur Zeit der Geschlechtsreife Verlängerungen
250 Reiahold TeuBcher,
aasgehen; welche sich in [die Weichtheile des Strahles hinein-
erstrecken^ ^^ehe sie sich mit einander darch den in der Mittellinie
verlanfenden Strang vereinigend^ Dass in dem noch unvollkommen
entwickelten Strahl die Röhre mit ihren Abzweigungen schon aus-
gebildet ist, ehe nur die Pinnulae fertig entwickelt sind, ist .oben
schon erwähnt. Ausserdem finden wir aber bei allen Echinodermen-
ordnungen ausser den Grinoiden die Eierstöcke in der Leibeshöhie
liegend und dflrfen wohl glauben, dass dort ihre primitive Stätte
sei. So muss es auch wohl bei den armlosen Gystideen gewesen
sein, denen man sogar eine am Kelch liegende Geschlechtsöffhung
zuschreibt Wäre es nun nicht natürlich anzunehmen, dass die
Sexualorgane sich in die anfangs rudimentären Strahlen und der^n
Pinnulae hineinerstreckten, und mit den allmählich wachsenden
Strahlen sich vom Kelch entfernten? Die Bindegewebsltlcke würde
also die Ausstülpung der Sexualhöhle darstellen, und die fragliche
Röhre würde nichts sein, als ein rudimentäres Organ, sie würde
den Weg bezeichnen, den die Sexualorgane bei ihrer Dislocation
genommen haben. Gegen Semper spricht auch die Thatsache,
dass die „Röhre'' sich auch in den sterilen Pinnulis vorfindet, und
dass sie nach der Spitze des Strahles zu weit über die frucht-
tragenden hinausgebt ; ob sie bis zur äussersten Spitze reicht,
konnte ich nicht entscheiden. Nach dem Kelch zu verfolgt man
sie leicht bis zu der Stelle, wo Muskel- und Seitengefässe aus-
einanderweichen. Dort endigt sie, soweit ich ermitteln konnte,
stumpf und zwar ist das äusserste Ende nicht hohl, sondern solid.
Nach der Basis des Strahls hin nimmt ihre Dicke zu ; ob ihr Ende
die Leibeshöhle erreicht, blieb zweifelhaft. Auf keinen Fall setzen
sich diese Röhren unter der Kelchdecke nach dem Munde hin fort,
am wenigsten bilden sie einen Ring um letzteren, wie J. Müller
annahm.
Die in den Pinnulis liegenden Geschlechtsorgane sind bei
beiden Geschlechtem gleichmässig gebaut. An der Basis hängen
sie mit dem Ausläufer des Sexuahrohres des Strahles zusammen;
auch mit der Spitze haften sie an der Pinnula fest, wie man sich
überzeugen kann, wenn man durch einen scharfen Schnitt die
Pinnula der Länge nach theilt und aus den Hälften die Ovarien
unter dem Simplex herauslöst. Im Uebrigen liegen sie ganz frei
und werden rings von dem Inhalt der beiden anliegenden Gefässe
umströmt. Das Epithelium, welches die Hülle der Hoden inner-
lich auskleidet, ist sehr fein, die einzelnen Zellen messen nicht
über 0,001 M., während die kleinsten des Ovarialsacks 0,0045
Beiträge jmi Anatomie der Echinodermen. 251
erreichen. In den letztern liegen die Eier, nicht sehr gedrängt,
in allen Reifeznständen. Die ältesten haben bis 0,22 M. Durchmesser^
der runde oder etwas ovale Nucleus .0,072 M., der scharf kreisförmige
Nucleolns 0,009 M. Der letztere enthält wieder eine grosse Zahl
ungleich grosser, stark lichtbrechender,' gelblicher, kugliger
Körper, mit Oeltröpfchen vergleichbar. Aeusserlich wird jedes Ei
umhüllt von der anscheinend structurlosen Eihaut und ausserdem
von einer Dnplicatur des allen gemeinschaftlichen Ovarialsacks,
mit seinem Epithelium. Nun iSndet man aber bekanntlich auch
Eier, schon in der Furohung begriffen, äusserlich den Pinnulis
anhängend. Sie sitzen den Seitenwänden derselben auf, oft dicht
neben, aber nicht aber einander, jedes in einer eignen Vertiefung
der Wand; die Eihaut ist in unmittelbarer Bertthrung mit der
Hautschicht der Pinnula und adhaerirt ihr so fest, dass sie selbst
beim Durchschneiden nicht losgerissen werden.
Einige Autoren haben den Austritt der reifen Geschlechts*
producte durch Dehiscenz der Piunulae erklärt, andere haben
permanente Poren gesehen. Bei Gomatula mediterranea finden
sich beide Vorgänge, der erstere bei den weiblichen, der zweite
bei den männlichen Thieren. An Querschnitten durch Pinnulae
mit äusserlich anhaftenden Eiern findet man nicht selten Stellen,
wie Fig. 8, at. Die dem anhängenden Ei entsprechende Stelle der
Pinnulawand (Pw) ist von innen aus beträchtlich verdünnt, der
Ovarialsack (os) in die verdünnte Stelle hinein gezogen und
adhaerurt daselbst. Hier ist der Durchtritt erfolgt; die Wand
wurde dem Ei gegenüber resorbirt, der Ovarialsack hineingestülpt
und dann durchbrochen; die geöffnete Stelle schloss sich wieder.
An den reifen männlichen Pinnulis, und zwar nur auf ihrer der
Spitze des Strahles zugewendeten Seite, sieht man drei oder vier,
selten fünf dunkler pigmentirte, in der Mitte aber hellere Stellen,
welche sich im Profil als Erhöhungen darstellen und schon mit
einer guten Lupe wahrzunehmen sind. (Fig. 9) Schält man die
betreffende Seitenwand ab, so überzeugt man sich leicht unter dem
Simplex durch Auseinanderziehen mit Nadeln, dass man wirkliche
Poren vor sich hat.
Kehren wir jetzt zu unserem ersten Strahlenquerschnitt
zurück. An dem untern, d. h. der Ambulacralfurche zugewendeten
Ende der Scheidewand, welche die beiden Seitengefässe trennt,
und meist noch etwas in dieselbe hineinragend, sieht man eine
halbmondförmige Gefässöffnung, welche, je nachdem man einen
Tentakel getroffen hat, oder nicht, entweder den zu demselben
252 Reinhold Teoscher,
führenden Canal, oder einen kurzen, randlich blind endigenden
Zweig abgiebt Dieses Ambolacralgefäss (ag; Fig. 1, 4, 7) ist,
wie alle bis jetzt beschriebenen Gefässe, mit einem feinen aber
sehr dentlichen Epitheliam ausgekleidet. Die nach den Tentakeln
abgehenden Zweige werden nahe an ihrer Abgangsstelle von
mehr oder weniger zahlreichen, feinen Bindegewebsfäden durch-
setzt, welche die äusseren Theile der Ambulacralrinne an die
Hauptbindegewebsmasse des Strahles befestigen. Dies Gefäss ist
in Semperas Abbildung mit et bezeichnet, doch finde ich keine
Erklärung der Buchstaben. Es durchzieht den ganzen Strahl
nebst Pinnulis und begleitet die Ambulacralrinne unter der Eelch-
decke hin bis zum Mundrande, wo sich die fünf Ambulacralgefässe
unter einander verbinden und einen Ring bilden.
Edm. Perrier (Arch. de Zool. cxp. 1872, II) hat den Strahl
der Comatula am lebenden Thiere, vorzüglich an Neubildungen,
studirt und von Allem, was man von aussen sehen kann, eine
vortreffliche Beschreibung geliefert. Er hat gefunden, dass immer
je drei Tentakel aus einem gemeinschaftlichen Stamme entspringen,
welche von ungleicher Grösse sind, und zwar ist der nach der
Spitze des Strahls zu gelegene der längste. Dies lässt sich auch
an Spiritusexemplaren gut beobachten, wenn man die Endpinnulae
eines wenig pigmentirten Tliieres, mit Carmin gefärbt, in Glycerin
untersucht. Aber in einem andern Punkte muss ich von ihm ab-
weichen. Auf jeder Seite der Ambulacralrinne, nach aussen von
den Tentakeln und sie in ihrer ganzen Länge, von der Spitze des
Strahles bis zum Munde begrenzend, läuft nämlich eine binde-
gewebige Leiste, deren freier Band regelmässig zackig ein-
geschnitten ist: ich nenne sie die gezackte Leiste, (zl, Fig, 1.)
In der Mitte zwischen je zwei Zacken liegt jedesmal eines der
bekannten gelben Körner, deren Bedeutung noch immer räthsel-
haft bleibt; neben jedem Pigmentkom und in die Zacke hinein-
ragend jederseits ein Ealkstäbchen von meist gablicher Gestalt
Der Mitte jeder Zacke gegenüber liegt ein Seitenzweig des Am-
bulacralgefasses und der aus ihm hervorgehende Tentakelstamm.
Nun sagt Perrier, dass der Tentakelstamm der Zacke nur lose
angeheftet sei ; auf Durchschnitten sieht man aber , dass diese
beiden zusammen ein Ganzes ausmachen und dass die Tentakeln
erst an der Spitze der Zacke frei werden. Am Tentakel selbst
unterscheidet Perrier drei Schichten: die äussere Hülle, eine
hyaline und eine Längsfaserschicht. (ng, Fig. 1, 4, 7.) Er hat
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 253
aber das innere Epithel übersehen, das man freilich von Aussen
nicht wahrnimmt.
Noch eine letzte und von allen die kleinste OefMssöffnnng
finden wir nach Aussen vom Ambulacralgefäss , der Mitte des-
selben nahe liegend. Der Gestalt nach bildet sie ein sehr lang-
gestrecktes Oval; und von Zeit zu Zeit sieht man von beiden
Seiten aus, aber altemirend, ebenso wie die Zweige dos Ambula-
cralgefiteses, sich sehr enge spaltenartige Aeste (s, Fig. 4) in der
Richtung nach den Tentakeln hin erstrecken, die sich aber nicht
weit verfolgen lassen. In diesem Gefäss, im Gegensatz zu allen
andern, habe ich nie ein Epithelium auffinden können. Es lässt sich
leicht bis zur Spitze des Strahles nachweisen, scheint sogar dort
an Capacität zuzunehmen ; dagegen sieht man es unter der Kelch-
decke nur unter günstigen Umständen, dann aber ganz deutlich.
Ob auch die fUnf Gefässe dieser Art sich zu einem Mundring ver-
einigen, habe ich nicht feststellen können; auch in den Pinnulis
erscheint dieses Gefäss, es ist aber sehr zart und nicht leicht zu
«eben'. Ferner sah, die Ambulacralrinne en face betrachtend, in
deren Mitte einen längsgefaserten Strang verlaufen, dessen Natur
er fUr musculös hält, und der sich wohl nur auf unser Gefäss beziehen
kann ; in Semperas Fig. 1. c findet sich mit x ein Strang bezeichnet,
welcher seiner Lage nach mit demselben identisch sein dürfte.
Semper hält es für möglich; dass er der Strahlennerv sein könne.
Die beiden zuletzt beschriebenen Gefässe zu injiciren ist mir nicht
gelungen. Bei Betrachtung der bekannten J. MüUer'schen Figur
vermisst man das Muskelgefäss (das er aber bei Pentacrinus
zeichnet), das Ambulacralgefäss und das mit ng bezeichnete
Gefass ; die beiden Seitengefässe, die er als ein einziges zeichnet,
obgleich er angiebt, bisweilen eine Scheidewand darin gesehen zu
haben, nennt er Ambulacralgefäss.
Wir kommen jetzt bei der äussersten Gewebsschicht, welche
die ganze Ambulacralrinne durchzieht (Fig. 1 u. 4), an. Dieselbe
besteht aus zwei Lagen, einer innem, helleren und einer äusseren,
nndurchsichtigern , die sich im Garmin viel stärker färbt; beide
von ungefähr gleicher Mächtigkeit Die innere Schicht zeigt auf
dem Querschnitt eine kömige, durchscheinende Grundsubstanz,
und wird nach Innen von den Wänden des zuletzt beschriebenen
Gefässes begrenzt; seitlich stösst sie an die Bindesubstanz des
Strahles ohne deutliche Abgrenzung. Sie wird von zahlreichen
scharf gezeichneten Fasern durchzogen, welche alle sie in mehr
oder weniger paralleler Richtung von Innen nach Aussen durch-
254 Eeinhold Teuscher,
laufen; sich nach der äusseren Schicht zu vielfach gabein und
dann in die letztere eintreten. Zwischen diesen Fasern liegen
vereinzelte Zellen von 0,0025 M. Durchmesser im Mittel und
Pigmenthäufchen. Betrachtet man dieselbe Schiebt von der
Seite an einer durchsichtigen in Glycerin liegenden Pinnula^ so
bemerkt man an ihr eine scharfe Begrenzung nach Innen und
femer eine deutliche Längsfaserung. Ebenso auf Durchschnitten,
welche man vom Mund aus radial durch eines der über die
Eelchdecke laufenden Ambulacren legt. Zwischen dem fasrigen
Längsstrange und der Zellenschicht sieht man hier noch eine
Lage grösserer^ blasser, mehr runder Zeilen; und unter demselben;
an den Wurzeln der QuerfaserU; eine schmale hyaline Bindegewebs-
schicht; in der auch einzelne Zellen liegen. Für eine genaue Ab-
bildung eines solchen Längsschnittes verweise ich auf die spätere
Darstellung der Ambulacralrinne der Ästenden. In der äusseren,
undurchsichtigen Schicht erkennt man die Fortsetzung der durch
Gabelung sehr zahlreich gewordenen Fasern der inneru; welche auf
die sie bedeckende Guticula zulaufen. Alle ihre Zwischenräume sind
so dicht mit ovalen Zellen von 0,003 M. Breite auf 0,006 M. Länge
angefüllt; dass man nur an sehr dünnen Schnitten eine deutliche
Einsicht in die Verhältnisse gewinnt. An schräg abfallenden
Rändern von solchen findet man auch bisweilen Stellen, wo
einzelne Zellen frei aus der Masse hervorragen, nur an eine Faser
wie an einen Stiel befestigt ; offenbar stehen beide mit einander
in fester Verbindung. Der äusserste schmale Saum dieser Schicht
nach der Ambulacralrinne zu ist etwas durchsichtiger und ärmer
an Zeilen; als der Rest; zuletzt folgt die sehr dünne und zarte,
aber sehr deutliche Guticula. Auch die Zellen ihrer Matrix sind
sehr klein und schwer messbar, aber gut sichtbar. Von den der
Guticula äusserlich aufsitzenden und sie ohne Zweifel durch-
bohrenden Fiimmerhaaren sieht man deutliche Reste. Diese beiden
Gewebsschichten erfüllen die Ambulacralrinne in ihrer ganzea
Breite und steigen beiderseits bis zur Höhe der sie einfassenden
Zackenleiste empor, mit einigen Einkerbungen in der Biegung.
Die tiefere Schicht ist in der Mitte am dicksten und an den um-
gebogenen Stellen nur hier und da noch erkennbar. Durch die
ganze Ausdehnung der Ambulacralrinne ist das Verhalten ganz
das nämliche; von der Spitze des Strahls und jeder Pinnula an
erstreckt sich das beschriebene Gewebe den Strahl entlang, über
die Kelchdecke hinweg bis zum Mundrande, wo es mit dem des
benachbarten Strahls zusammenläuft, und continuirlich in das
fieiträge zur Anatomie der Echinodermen. 255
Gewebe der oberen Schicht der Mund-, Magen- und Darmhant
übergeht, welchem es überraschend ähnlich ist. Die constituirenden
Elemente sind bei beiden dieselben; der Unterschied liegt nur in
den Proportionen. Die tiefste Schicht der Darmhant ist verhältniss-
mässig viel schmäler (im Strahl 0^032 M., im Magen 0;018 M. ;
die Zellenschicht im Strahl 0,045 M., im Magen 0,085 M.
durchschnittlich). In ihr fehlt die Längsfaserschicht, sie besteht
nnr ans der hyalinen Bindegewebslage der Basis mit wenigen
Zellen. Die Zellenschicht ist wenig verschieden, im Magen
doppelt so breit, der helle Sanm breiter, meist stark gelb gefärbt,
denüicher begrenzt, Gaticula und Matrix schärfer gezeichnet,
erstere viel dicker. Dazu ist die Darmhant fast ganz in grössere
nnd kleinere Lappen getheilt darch Einschnitte, welche bis auf
die Faserschicht herabreichen. Fast ganz denselben Ban der
Darmhant fand ich bei allen Echinodermen, von denen mir gut
erhaltene Exemplare zn Gebote standen, bei Echinothrix fragilis,
Astropecten anrantiacns nnd Holotharia tubalosa, wie wir später
sehen werden. Aber in der Ambnlacralrinne findet sich eine ähn-
liche Schicht nnr bei Astropecten und andern Ästenden. W^ir
haben auch dort eine tiefere, hellere Schicht mit Längsfasern nnd
mit Qnerfasem, welche sich in die höhere, dunklere Schicht hinein
verästeln nnd zahlreiche Zellen einschliessen ; endlich Matrix und
Cnticula.
Da nun dieses Gewebe der Ästenden von Jedermann unbe-
denklich für den Ambnlacralnerven genommen wird und wohl
auch genommen werden muss, warum sollte die ihr der Lage und
Znsammensetzung nach durchaus entsprechende Schicht der Coma-
tula mediterranea nicht dieselbe Bedeutung haben können ? Wegen
der histologischen Aehnlichkeit unseres Gewebes mit den Nerven-
strängen anderer Echinodermen und wegen des Beweises einer
vollkommenen Homologie in der Lage mit denselben muss ich
mich auf den weitem Verlauf gegenwärtiger Abhandlung berufen,
nur möchte ich noch ein Wort über die beiden von Semper auf
die Wahlliste gesetzten Organe, von denen schon die Rede war,
sagen. Das eine ist das kleine zwischen der Ambulacralschicht
und dem AmbulacralgeiUss gelegene Gefäss, dessen Homologen
wir später anderwärts antreffen werden, und welches, als evidentes
Gef&ss, eben kein Nerv sein kann. Schwieriger ist die Entschei-
dung für den Centralstrang. Der Beschaffenheit seines Gewebes
nach, soweit dasselbe zu ergründen war, könnte derselbe, wie
oben gezeigt, dem Bindegewebs- oder dem Nervensysteme an«
256 Eeinhold Teüscfaer,
gehören. Was könnte nan einv Bindegewebstrang bedeuten, der
sich dnrch sämmtliche Ealkglieder hindurchzieht, ohne zur Be-
festigung zu dienen; ist nicht das Zusammenlaufen der fünf
Stränge in einem Mittelpunkt, der zierlich zusammengesetzte Bau
dieses Centralorgans, die Ringbildung um ein Oefässcentrum dem
Verhalten der Neryencentra bei andern Echinodermen durchaus
ähnlich? Das spricht für die Nervennatur des Strangs.
Auf der andern Seite liegt es nahe, den Gentralstrang als
eine Fortsetzung des Centralstranges des Stieles der Crinoiden zu
betrachten. Von der Stielbefestigung ist ja doch auch der ganze
Bau des Skelets der Crinoiden herzuleiten, welches bei ihnen
vom Bücken ausgeht, wohl nur ein Hautskelet ist, und dem zum
Mund laufenden Skelet anderer Echinodermen nicht homolog sein
dürfte. Auch J. Müller spricht diese Ansicht aus.
Auf der andern Seite würde aber die Annahme, der Gentral-
strang stelle den Nerven dar, eine solche Abweichung von allem
sonst in der Familie Vorkommenden voraussetzen, dass die durch
die allgemeinen Charaktere gegebene Verwandtschaft der Cri-
noiden zu den übrigen Echinodermen durch diese eine Thatsache
schon bedeutend gelockert würde. Bei allen übrigen Klassen
liegt der Ambulacralnerv unmittelbar in der Ambulacralrinne,
ventral von dem AmbulacralgefUss, und von der Anssenwelt nur
durch Organe getrennt, welche zum Hautsystem gehören: so bei
den Ophiuren durch die Bauchplatten, bei den Holothurien durch
das dicke Corium, bei den Echinen durch die Ealkachale, bei
den Asteriden endlich nur durch die Oberhaut. Sollte er bei den
Crinoiden allein auf der Dorsalseite, von der Ambulacralfnrche
durch alle Gefässe getrennt, liegen? Freilich giebt es bei den
Crinoiden noch Anderes, was sich für jetzt der Homologisirung
mit entsprechenden Theilen bei ihren Verwandten entzieht; so vor-
züglich die oben beschriebenen Gefässe, das Muskel- und das
doppelte Seitengefäss, und deren Vereinigung zu einem so künst-
lich gebauten Centralorgan. Ich behalte mir vor, später auf diesen
Punkt zurückzukommen.
Ich wende mich jetzt zum Kelch der Comatnla. Trotz aller
Mühe ist es mir nicht gelungen, an vollkommen gut erhaltenen
Exemplaren, mit Ausnahme der Ambulacralrinne, als äusserste
Schicht der Bedeckungen weder am Kelch noch an den Strahlen
eine Cnticula aufzufinden. Die Hautschicht besteht überall ans
einer durchscheinenden Bindegewebsmasse, von zahlreichen Fasern
in allen Bichtungen durchkreuzt und Zellen in grösserer oder
beitrage zur Anatomie der Ecbinodermen. 257
geriDgerer Zahl enthaltend^ welche nach der Oberfläche zu zahl-
reicher, in deren unmittelbarer Nähe aber wieder seltener werden ;
ihr Durchmesser erreicht bis 0^007 M. Pigmentkömer in Haufen
sind dazwischen in grösserer oder geringerer Menge zerstreut. Das
Profil der Oberfläche erscheint in Schnitt nicht geradlinig, sondern
leicht unregelmässig gezackt. Die Dicke der Hautschicht beträgt
an der Eelchdecke, wo sie am stärksten ist, bis 0,14 M., unmittelbar
unter ihr beginnt das badeschwammähnliche Gewebe, welches,
ans den zahllosen Anastomosen der Oefässe gebildet, den ganzen
Darm einhtUIt Auf der Oberfläche der Kelchdecke sieht man
unter günstigen Verhältnissen und besonders nach Carminfärbung
schon mit einer guten Lupe zahlreiche erhabene Punkte, unregel-
mässig vertheilt, aber meist in der Nähe der Ambulacralfurchen
häufiger. Ihre Zahl ist nicht bei allen Exemplaren gleich, beträgt
aber gewöhnlich mehrere Hunderte, und sie stehen stellenweise
so gedrängt, dass . sie kaum um die Länge ihres eignen Durch-
messers von einander entfernt sind. Auch an den Seiten des
Kelchs kommen einzelne davon vor. Perrier 1. c. hat diese Punkte
gesehen und vermuthet in ihnen irgend ein Sinnesorgan« Anf
dem Darchscbnitt bei massiger Vergrösserung erscheinen dieselben
als langgezogene. Trichter (kp, Fig. 10), die erweiterte Mttndung
von 0,03—0,05 M. nach Aussen gewendet und offen; die Röhre
durchsetzt die ganze Kelchdecke und die Spitze mündet in eine
der darunter liegenden Anastomosen der SeitengeflUise (Fig. 10, sga).
Sie vermitteln also offenbar die Communication des Gefässinhalts
mit dem Meerwasser, und es liegt nahe, in ihnen die Homologa
der bei den Gystideen so allgemein verbreiteten Kelchporen zu
sehen. Ihre Wände sind mit einem schönen Cylinderepithelium
bekleidet, dessen Zellen an der Mttndung bis zu 0,009 M. Höhe,
bei 0,0033 M. Breite haben. Ihrem Bau und ganzen Ansehen
nach gleichen sie durchaus den Poren, welche an den Steinsäcken
der Holothuria tubulosa die Verbindung zwischen dem Wasser-
gefässsystem und der Leibeshöhle vermitteln, und obgleich sie bei
Comatula nicht mit den Ambulacralgefässen , sondern mit den
Anastomosen der Seitengefässe communiciren, wird man sie doch
den sonst vorkommenden Ausmtlndnngen jenes Systems an die
Seite stellen mtLssen. ^Ueberdies stehen sie wenigstens mittelbar
auch mit den Ambulacralgefässen in Verbindung. Auf Radial-
schnitten durch den Mundrand erscheinen nämlich sehr häufig zu
Bündeln vereinigte Röhren (er, Fig. 10), mit demselben Cylinder-
epithelium ausgekleidet, wie die Trichter, welche mit dem einen
258 Reinhold Teuschei',
etwas verjflQgten Ende sich an das Ambulacralgefäss ansetzen,
mit dem andern frei in den Hoblräumen der Anastomosen der
Seitengefasse fluctniren. Ich kann in dieser Anordnung nur eine
Commanication beider Gefösse sehen^ obgleich Iiyectionen, welche
oft dnrch die Eelchporen in's Freie gelangten , nie durch jene
Röhren in's Ambulacralgefäss eindrangen, was ihr Mechanismas
übrigens hinreichend erklärt. Ueberhaupt habe ich keine Methode
auffinden können, um letzteres oder das nach Aussen von ihm
liegende kleine Gefass zu injiciren*
Die Tentakeln sind selbst an der Spitze des Strahles immer
kürzer, als an den Pinnulis ; an dem untern Theile jedes Strahles
und auf der Scheibe fehlen sie ganz. Dafür sind aber die Zacken
der Leiste stärker entwickelt, um den Mundrand werden dieselben
am längsten, bis 0,3 Mm., nehmen eine fingerförmige Gestalt an
und enthalten in ihrem Innern die Abzweigung des Ambulacral-
kankls (s, kt, Fig. 10).
Ueberall, wo sie auftritt, enthält die Zackenleiste in Höhlungen
ihres Innern und in der gleichbleibenden Entfernung von 0,14 bis
0,16 Mm. die schon erwähnten gelben Pigmentkugeln; nur auf
der Scheibe liegen sie gewöhnlich dichter, ja drängen sich aus
der Reihe. Zwischen je zwei Zacken liegt eine von ihnen. Ihre
Grösse ist fast überall dieselbe, 0,05— 0,ö Mm., je nach der Grösse
des Thieres, doch scheinen sie gegen die Spitzen der Pinnnlae
hin etwas kleiner zu werden. Sie sind bräunlichgelb, stark licht-
brechend, harzähnlichen Ansehens. Jede von ihnen besteht aus
zahlreichen kleinern rundlichen Körnern von etwa 0,013 Mm., nnd
jedes von diesen wieder aus mehreren noch kleinem, von nahezu
0,0045 Mm. Durchmesser.
Die Pigmentkugeln treten sehr früh auf. An ergänzten noch
unvollkommenen Stücken eines abgebrochenen Strahls erscheinen
die Pinnulae zuerst als Wärzchen, dann als Cylinder mit um-
gebogner, knopfförmiger Spitze. Ihr Gewebe ist hyalin mit zahl-
reichen eingelagerten Zellen. In ihrem Innern sieht man ausser
den Ealktheilen nur einen Kanal, wohl das Ambulargefäss.
Daran erscheinen in zwei Reihen die Zacken der Zackenleiste,
erst später die Tentakeln als Wärzchen, dicht nach jenen an diesen.
Noch ehe eine Spur jener Zacken sichtbar wird, sieht man die
Zellen des hyalinen Bindegewebes sich zu rundlichen Gruppen
zusammen drängen, bald darauf erscheinen sie von einer eignen
Membran umgeben, noch als farblose, den übrigen gleiche 2iellen,
Beiträge zur Anatomie der Eöhiaodermeo. 259
und gleich darauf zeigen sie die gelbe Farbe. Die GrOsse ist von
Anfang an bedentend^ 0,03 M.
In der Oberfläche der Eelchdecke liegen hier und da Ealk-
plättchen; meist zierlich durchbrochen; die gabelförmigen Kalk-
nadeln der Zackenleiste werden auf dem Kelch durch grössere,
vielgestaltige Kalkconcremente vertreten. Die Seiten des Kelches,
zwischen den Strahlen, gleichen histologisch ganz der Kelchdecke,
ihre Dicke ist geringer, im Mittel 0,09 M. Sie enthalten einige
spindelförmige Kalkspiculae, die oft über die Oberfläche hervor-
ragen. Die innerste Schicht der Wand des Kelches bildet die
äussere Wand der Leibeshöhle; das innere Blatt derselben liegt
dem äusseren dicht an und wird durch sehr zahlreiche Binde-
gewebsfäden an dasselbe befestigt. Nur am obersten Theile, rings
um die Grenze der Kelchdecke, da wo die Strahlen frei werden,
entfernen sich die beiden Blätter von einander und bilden eine
ringförmige Höhle (Ih, Fig. 11). Nach jedem Strahl zu geht ein
kurzer Blindsack ab (Ihd, Fig. 11), von ihr durch eine zarte
Membran geschieden, die von einem oder mehreren Löchern durch-
bohrt ist, der sich bis zur Theilungsstelle der Gefässe erstreckt,
so dass, wenn man an einem grösseren Exemplar einto Strahl
dicht am Kelche abtrennt, man in die Leibeshöhle hineinsieht.
Diese Leibeshöhle ist ringsum geschlossen und communicirt mit
keinem Gefäss, wie schon erwähnt wurde ; ihr Gentrum adhaerirt
stark am Kelchknopfe und dort werden ihre beiden Blätter von
den Geissen durchbohrt, welche, aus dem Gefässcentrum auf-
steigend, in das schwammige, den Darm einhüllende Gewebe
übergehen. Das Innere der Leibeshöhle ist mit einem Platten-
epithel von 0,004 — 5 M. Zellendurchmesser ausgekleidet. Der
Bau des Darms von Gomatula ist nicht so einfach, als die flbrigens
treffliche Darstellung J. MüUer's vermuthen läsät ; er giebt zahl-
reiche verästelte Blinddärme ab, deren Bildung, da sie sehr zart
sind und in dem zähen spongiösen Gewebe eingebettet liegen,
durch Pr^paration kaum klar zu legen sein dürfte. Wenn man
aber den Darm durch den After mit flüssigem Blau iiyicirt,
dann entkalkt, die Afterseite behufs späterer Orientirung mit
einem kräftigen Karminstrich zeichnet, und zuletzt in Paraffin
einbettet, so lässt sich nach dünnen, numerirten Vertical- und
Horizontalschnitten die Lage der Theile construiren. Der Darm
bildet bekanntlich eine Spiralwindung. Denkt man sich in der
Axe des Magens stehend mit dem After vor sich, so geht von
der tiefsten Stelle des länglich ovalen, senkrecht hinabsteigenden
ua. X, N. p. III, a. 17
260 Reinhold Teascher,
Magens der Darm nach rechts hin, bis er die obere Seitenwaiid
des Kelchs trifft; und läuft nun in derselben Richtung rings um
den Kelch herum bis dicht an die Anfangsstelle zurück, wo er in
den After ausmündet. Hier und da, aber selten, bildet er kleine
Ausstülpungen nach dem Gentrum zu, welche faltenartig in das
spongiöse Gewebe hineinragen, aber die eigentlichen Blinddärme
gehen nahe bei seinem Ursprung aus dem Magen ab mit einer,
bisweilen wohl auch mehreren engen, im untern Drittheil seiner
Wand gelegenen Oeffnungen. Die von hier ausgehenden Blind-
därme nun drängen sich mit zahlreichen Ausstülpungen zwischen
das spongiöse Gewebe hinein und erfüllen den Raum um den
Magen und innerhalb der Darm Windungen , von wo sie bis zur
Kelchbasis abwärts steigen. In der Müller'schen Figur, den ver-
ticalen Durchschnitt des Comatulakelches darstellend, sind sie mit
k^ k' bezeichnet und als „Höhlungen des spongiösen Theils'' er-
klärt. Während man den Darm meist stark gefüllt antrifft, sind
die Blinddärme dagegen immer leer und ihre Wände, die übrigens
im Bau den Darmwänden vollkommen gleichen, liegen dicht an
einander.
In dem spongiösen Gewebe unterscheidet man einige concen-
trisch um den Mittelpunkt liegende Membranen ; dazwischen laufen
unzählige bindegewebige Platten und Balken ohne Regelmässig-
keit. Das ganze Gewebe enthält eine Menge rundlicher Kalk-
plättchen, meist siebartig durchbrochen, besonders um den Mittel-
punkt. Von hellen Stäbchen, welche darin liegen und den Säuren
widerstehen sollen, konnte ich nichts bemerken. In der Axe steigt
aus dem Kelchknopf ein sehr starkes Gefäss herauf, welches, wo
es den Magen erreicht, sich in drei bis fünf Zweige theilt, die,
seitlich abbiegend, sich in der spongiösen Substanz verlieren.
Eine diesem Gewebe angehörende und horizontal in den Darm
vorspringende Leiste, wie sie von J. Müller abgebildet wird, habe
ich bei Comatula medit. nicht vorgefunden ; vielleicht war sie das
Product eines starken Druckes von oben.
Beiträge znr Anatomie der Echifiodermen. 261
ErklSrnng der Flgureii.
Die Buchstaben sind überall gleichbedeutend.
Fig* !• Querschnitt durch den Strahl von Comatula mediterranea.
kg Kalkglied
CS Centralstrang
m Muskel
mg Muskelgefäss
bl Bindegewebslücke
sr Sexaalrohr
sg Seitengefäss
ag Ambttlacralgefass
pk Pigmentkugel
ng Nervengefäss
an Ambulacralnerv,
zl Zackenleiste
Fig. 2. Horizontabchnitt durch das Gefässcentrum (Herz) in der (regend
der Ringe des Centralstrahls und des Muskelgefässes (bei mgr, Fig. 3).
csr Ring des Centralstrahls
mgr Ring des Museigefasses
kg Kalktheile, dem Basalstück angehörig
ol Mittelsättle mit ihren fünf Grefässen
k Kammern des Gefässcentrums
Fig. 3. Verticalschnitt durch das Gefässcentrum.
gb Gefässblindsack
cg Abgang der Cirrhengefässe
kk Grenze der Basalstücke und des Kelchknopfs
Die übrigen Buchstaben wie Fig. 2.
Fig. 4. Die untere Hälfte von Fig. 1 stärker vergrössert (D, 2 Zeiss)
cu Cuticula
Fig. 5. Sterile Pinnula, Querschnitt.
Fig. 6. Pinnula mit mannlichen Geschlechtsproducten.
Fig. 7. Schrägschnitt durch den Strahl in der Richtung der Pinnula, um
den Zusammenhang zwischen den Gefässen des Strahls und denen der Pinnula
zu zeigen.
gp Geschlechtsproducte.
Fig. 6. Austritt des Eies aus der Pinnula
pw Pinnulawandung
oe Ei an deren Aussenseite angeheftet in Furchung begrifien
08 Orarialsack
Ol Ei im Innern des Sacks
at Austrittsstelle des Eies oe.
Fig. 9. Permanenter Porus zum Austritt des Sperma.
17*
262 Heinhold Tenscher,
Fig. 10. Schnitt durch den Mond, radial.
kt Kelchtentakel
anr Ambulacralnervenring
agr Ambulacralgefästring
mh Magenhaat
kp Kelchporen
er Communicationsröhren
8gr Seitengefässring
sga Seitengefaasanastomosen
Fig« 11. Verticalschnitt durch den Kelch
d Darm, dd Darmdivertikel
Ih Leibeshöhle, Ihd Divertikel der Leibeshöhle
sg spongiöses Grewebe
m Magen
mm Muskeln des Strahls
Ih Leibeshöhle
Ihd Divertikel der Leibeshöhle
Die übrigen Buchstaben wie in Fig. 1.
II. Ophiuridae.
Wenn es bei Comatnla ziemlich leicht ist; durch Entkalknng
und Einbettung gute Durchschnitte durch alle Körpertheile zu
erhalten, so ist dies anders bei den Ophiuren. Hier liegen die
Kalk* und die Weichtheile so durch einander geschichtet, dass
beim Entkalken die Ansätze der letzteren an erstere vielfach
gelöst werden, und beim Schneiden Alles durch einander filllt.
Um letzteres zu verhUten, habe ich mich folgender Methode be-
dient Die in Alkohol gehärteten Thiere wurden in passende,
nicht zu grosse Stücke zersägt, diese in absolutem Alkohol ent-
wässert und dann in eine Harzlösung gebracht. Von allen ver-
suchten Lösungen erwies sich am tauglichsten eine solche des
sogenannten leichten Copals in Aether oder Chloroform. Nach-
dem die Theile sich wenigstens 24 Stunden lang vollkommen
durchdrungen hatten, wurden sie mit dem Fimiss bedeckt in
einem Schälchen mehrere Tage lang gelinder Wärme ausgesetzt
bis der Fimiss nicht mehr klebte, dann herausgenommen und
weiter langsam getrocknet bis zu vollkommener Sprödigkeit.
Diese Stttcke wurden nun, wie andere harte Gegenstände, durch
Schleifen auf dem Stein weiter bearbeitet, und der Erfolg der
Methode war so befriedigend, dass nicht nur die Lagerung der
einzelnen Theile, sondern auch manche histologische Einzeln-
heiten, wie Epithelien, ja Nervenzellen an wohlgelungenen Prä-
paraten zu erkennen waren. Diese Methode in Verbindung mit
Iigectionen hat mir die Mehrzahl der Thatsachen geliefert, welche
ich hier vorbringen werde.
Meine Untersuchungen wurden vorzugsweise an einer grösseren
Zahl vortrefflich erhaltener Ophiothrix fragilis von Triest aus-
geftahrt ; andere Ophiuren zur Vergleichung verdanke ich der viel-
bewährten Liberalität des Herrn Prof. Häckel, dem ich auch fUr
seinen werthvoUen Rath im Laufe dieser Arbeit zu vielfachem
Dank verpflichtet wurde.
264 Reinhold Teuscher,
So ziemlich Alles, was wir von den Ophiuren wissen, ver-
danken wir den trefilichen Arbeiten Joh. MüUer's, dessen Dar-
stellung ich als bekannt voraussetze, und auf die ich nur in
solchen Funkten näher eingehen kann, in welchen ich abweiche.
Wie bei Comatula werde ich auch hier von einem Querschnitt
des Strahls ausgehen und die einzelnen hier sichtbaren Gaukle in
das Körperinnere zu verfolgen suchen. Aus den Durchschnitten
(Fig. 1—4) sieht man, dass die Unterochiede im Bau verschiedener
Arten nicht eben bedeutend sind. Am meisten fällt das Verhält-
niss der Bindegewebsschichten zu den Ealktheilen des Hautskelets
auf« Während bei Ophiothrix und Ophiolepis das Bindegewebe
nur ausreicht, um die Kalkgebilde zusammenzuhalten, erscheint
dasselbe bei den andern abgebildeten Arten in mehr oder weniger
mächtiger, zusammenhängender Schicht, bisweilen ein vollständiges
Bohr im Innern der Haatplatten um den Strahl bildend; ja bei
Asterophyton (Fig. 3) finden wir drei bindegewebige Schichten.
Die beiden innem, in welche die Hautplatten eingebettet liegen,
hängen in deren Zwischenräumen mit einander zusammen, and
sind wie bei den andern Ophiuren aus groben, durch einander
laufenden Fasern gebildet, während die äussere fast hyalin er-
scheint, und zahlreiche kleine, meist über ihre Oberfläche hervor-
ragende, randliche Kalkstücke enthält. Nur auf der Mitte der
Bauchplatte liegt auch bei Ophiothrix und Ophiolepis eine Binde-
gewebsschicht dicht unter dem Nervenstrang und sich nach der
Grenze je zweier Platten zu stark verdünnend. In der Gestalt
des Wirbels weicht ebenfalls Asterophyton am meisten ab ; während
bei den eigentlichen Ophiuriden immer vier deutlich abgegrenzte
Muskelfelder vorhanden sind, welche bei dem bekannten Bau der
Gelenke eine seitliche Bewegung vermitteln, findet sich bei ihm
für die Muskelansätze eine nicht sehr breite peripherische Zone,
nur undeutlich in oberes und unteres Feld geschieden, den Wirbel
fast ganz umgebend, wodurch eine mehr allseitige Bewegung zu
Stande kommt. Diese wird erleichtert durch den Bau des Ge-
lenkes, aus zwei hervorragenden, durch eine Leiste verbundenen
Knöpfen bestehend, welche auf der ovalen Seite horizontal, auf
der aboralen vertical gestellt sind; die Leisten kreuzen sich
im Gelenk und ihre Mittelpunkte sind die Stützpunkte der Be-
wegung.
Bei der Betrachtung des Strahlenquerschnitts einer Ophiure
(Fig.^l— 4) fällt nun zuerst die grösste der darin vorhandenen
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 265
Canalöffnnngen fng) auf; welche in dem ventralen Wirbelans-
schnitt über dem Nervenstrang entlang läuft und von J. Mflller
als Ambulacraleanal bezeichnet wurde; ich nenne ihn das Nerven-
gefäsB. Es fllllt die Wirbelfnrche nicht ganz aus, indem deren
oberster Abschnitt durch eine hyaline Bindegewebsmasse mit
halbmondförmigem Querschnitt eingenommen wird. Nach unten
wird es von dem Nervenstrang begrenzt Unmittelbar über diesem
entlässt das Nervengeföss der Mitte jedes Wirbels gegenüber
einen Zweig; welcher längs der ganzen Wirbelperipherie um den
Strahl herumläuft und endlich in das Rückengefäss (rg) einmündet.
Dieses ,yVerbindungsgefäss'' ist rings um die Peripherie des Wir-
bels in der dort verlaufenden Furche angeheftet^ und reicht seiner
Breite nach bis etwa zum Dritttheil des anliegenden Intervertebral-
muskels. Den Durchschnitt dieses Ganais sieht man in dem
Horizontalschliff eines Strahls von Ophiothrix fragilis (Fig. 5, vg).
Wo das obere und untere Muakelfeld der Wirbel jederseits an-
einander stossen, befindet sich ein Einschnitt in der Wirbel-
peripherie; in demselben liegt eine Erweiterung des eben be-
schriebenen VerbindungsgefässeS; und ebenda communiciren alle
diese Erweiterungen von einem Wirbel zum andern mit einander
und bilden so zwei Seitengefässe, welche ebenso wie das Rttcken-
und Nervengefäss dem ganzen Strahl entlang laufen (sg, Fig. 5).
Die Tentakel sind bekanntlich in kleinen^ in der Peripherie der
Wirbel befindlichen Höhlungen angehefliet. An der Stelle nun,
wo das Verbindungsgefäss auf den Tentakel iriSt, theilt er sich
in zwei Aeste^ welche den Tentakel beiderseits umgebeU; um sich
dann wieder zu vereinigen.
Dies ist durch sehr leicht auszuftlhrende Injectionen in das
Nervengefäss unmittelbar nachzuweisen; denn nicht nur werden
durch eine solche die Tentakel niemals gefüllt, sondern durch
Horizontalschliffe der betreffenden Oegend an injicirten Exem-
plaren lässt sich das Verhältniss direct darstellen. Dadurch schon
wird der Müller'sche Name y^Ambulacralgefäss^' hinfällig; ich
schlage daftlr den Namen ;,Nervengefäss'' vor, weil er unmittel-
bar über dem Nerven verläuft und sich in dieser Lage bei allen
Echinodermenstämmen wiederfindet, wie ich später nachweisen
werde; und wie wenigstens für die Asteriden schon bekannt ist.
Aus jedem Seitengefäss geht; der Mitte des Wirbels gegen-
über, ein Zweig nach Aussen in die Substanz der Seitenplatte
ab, wie ich es (Fig. 4, eg) für Ophiocoma erassispina abgebildet
habe. Dieses Nahrungsgefäss giebt zahlreiche Verästelungen in
.
266 Hembold Teuscher,
die EalkmasBe ab; sein Stamm aber theilt sich in so viele Hanpt-
zweige, als Stacheln auf der Platte stehen^ nnd jeder derselbeni
nachdem er vorher noch eine beckenförmige Erweiterung gebildet
hat; tritt durch das Gelenk in den Gentralcanal einer der Stacheln
ein. Bei Ophiocoma ist diese Bildung am leichtesten darzustellen ;
sie findet sich aber eben so wohl bei Ophiothrix, Ophioderma,
Ophiopholis und wohl bei allen übrigen Ophinren. In die Rficken-
und Bauchplatten sieht man nicht ein grösseres^ sondern mehrere
kleine Gefässe eintreten. Auch in jeden Wirbelkörper treten zwei
sehr feine Nahrungscanäle aus dem Nervengefäss selbst ein, welche
gerade in die Höhe steigen und sich vielfach verästeln. Ausser
diesen geschlossenen Gefässbahnen sind übrigens alle Gewebe
aller Echinodermenclassen für Flüssigkeiten verhältnissmässig
leicht durchdringbar; nächst den porösen Skelettheilen tränken
sich am leichtesten die Nervenstränge mit etwaigen extravasirten
flüssigen Farbstoffen. Noch ein anderer Hohlraum steht mit dem
Nervengefäss in Verbindung, derjenige unterhalb, d. h. auf der
Yentralseite des Ambulacralnerven gelegene; es scheint mir
zweckmässig, darauf erst einzugehen, wenn ich den letzteren be-
schreiben werde-
Bekanntlich beschreibt Job. Müller bei den Ophiuren zwei
Ringe um den Mund, den Innern, in der Substanz der Ambulacral
und Interambulacralstücke ausgehöhlten, welchen er von dem Nerven
allein ausgefüllt sein lässt, und einen äusseren, häutigen, au
welchem die in den Interambulacris liegenden Poli'schen Blasen
(wo solche vorhanden sind) anhängen. Denn lelztem nennt er
„Ambulacralring'' und lässt ihn am centralen Ende der Ambnla-
cralrinne mit unserem Nervengeiäss, welches er für das Ambula-
cralgefäss hält, communiciren. Nun lässt sich aber durch Injec-
tionen und Schnitte leicht nachweisen, dass dieses Geföss nicht
in MüIIer's Ambulacralring, sondern in seinen Nervenring mündet,
und dass der darin liegende Nerv, überall nur sehr lose angeheftet,
ringsum von der in ihm enthaltenen Flüssigkeit umspült wird.
Jede Injection in das NervengefUss giebt dieses Resultat; die
Flüssigkeit strömt aus den Oefinungen der andern Strahlen heraus,
hat also seine innern Verbindungszweige vollständig gefüllt,
ohne dass in Müller's Ambulacralring ein Atom Farbe einge-
drungen wäre.
Fig. 6 ist ein horizontaler Dünnschliff, durch den Körper
von Ophiothrix fragilis ein wenig nach Oben von der Ambula-
cralrinne. Das Nervengefäss (ng), welches ja nach seinem Ring
Beiträge zur Anatonne der Echinödermen. * 267
zn in die Tiefe steigt, ersobeint hier nur als ovale Oeffhnog
zwischen den beiden Ambnlacralstttcken; nach der Mnndseite zn
nnr dnrch Weichtbeile begrenzt Die den Mnnd bildenden Kalk-
stücke^ von Joh. Mttller vortrefflich beschrieben , nnd ihre Ver-
bindungen nnter einander erscheinen hier sehr dentlich. Die
beiden Ambalacralstücke (as) die seitlichen Hälften einer jetheilten
Wirbels repräsentirend; laufen nach der Mittellinie des Strahls zu
in abgerundete Fortsätze aus, welche an ihrer Berührnngsstelle
dnrch ein Zahngelenk verbunden, beide zusammen in einer Aus-
höhlung des ersten ganzen Wirbels beweglich sind. Nach der
Körperperipherie zu laufen die Ambulacralstficke in seitliche dünne
Platten aus, welche auf dem Durchschnitt als dttnne Spitzen er-
scheinen. Diese dienen als Ansatzpunkte ftir kräftige Muskeln,
(mire) die ronsculi interradiales extemi, welche auf diese Weise je
zwei benachbarte Radien mit einander verbinden und offenbar
die Wirkung haben mttssen, durch ihre Zusammenziehung die
betreffenden Mundecken weiter nach Innen vorzuschieben, beim
Zusammenwirken aller ftlnf aber die äussere Mundöffnung soweit
möglich zu schliessen. Die in diesem Stück sichtbaren runden
Gefässöffnnngen (mt) gehören der Verbindung des äussern Mund-
tentakels mit dem Ambulacralring. (Veiter nach Innen deutet eine
dunkle Linie die Verbindung der Ambulacral- und Interambulacral-
stttcke (ias) an, eine vollkommen unbewegliche Vereinigung. Jedes
Interambulacralstttck ist mit dem des benachbarten Strahls eben-
falls durch eine Zahnverbindung vereinigt; nach dem Centrum zu
läuft jedes Stttok in eine Spitze aus, von denen je zwei zusammen-
gehörige auf der Basis jedes Toms angularis (ta) aufsitzen. Zwischen
diesen beiden Spitzenfortsätzen ist ein kleiner Muskel ausgespannt,
mnsc. interradialis internus (mire), offenbar der Antagonist des
mire, durch dessen Zusammenziehung diese Fortsätze einander
genähert werden mttssen, wobei sie an der Basis des torus angu-
laris hingleiten.
In dem nach der Leibesperipherie hingekehrten Winkel,
welchen die beiden Interambulacralstttcke mit einander bilden,
bei cir, an der Spitze des mire erscheint nun eine dreieckige
Geftssöfinung, welche von Joh. Mttller ttbersehen worden ist. Die-
selbe bezeichnet den Durchschnitt eines Canals, welcher bei den
beiden mir zu Gebote stehenden Ophiothrixarten, 0. fragilis und
Hemprichii, auf der Ventralseite frei in den Mundecken ausmündet.
Die Oeffnungen sind dreieckig, spaltenförroig und selbst ohne
Lupe wohl sichtbar. In der entgegengesetzten Bichtnng läuft
268 Reinbold Teuscher,
unser Oanal gerade auf den Nervengefässring zu und endigt, von
diesem nur durch eine dOnne, häutige und sehr permeable Scheide-
wand getrennt. Injectionen in die Mündung in der Mundecke
gemacht; bei Ophiothrix unmittelbar, bei den andern genannten
Ophiuren nach Durchbohrung des MundschildeS; füllen den Nerven*
geiUssring und die radialen Nervengefasse mit ihren Anhängen,
und umgekehrt. Wir haben also hier eine directe Verbindung
der Nervengei^ssbahn mit der Aussenwelt, durch welche die
Menge der in ihr enthaltenen Flüssigkeit vermehrt oder vermindert
werden kann. Bei den übrigen Ophiuren, die ich untersuchen
konnte, verhält sich der Interradialcanal ganz anders. Bei Ophio-
derma, Ophiocoma, Ophilepis, Ophiopholis, also bei allen den
Arten, bei welchen ich Poli'sche Blasen vorfand, welche der
Ophiothrix fehlen, mündet der Canal nicht frei durch das Mund-
Schild nach Aussen, sondern biegt sich hinter demselben um und
begiebt sich zwischen ihm und dem musc. interrad. ext. in die
Leibeshöhle, in welche er frei einmündet. Wenn man bei einem
injicirten Exemplar eines dieser Thiere, am besten bei Ophioderma,
wo der Ganal am weitesten ist, einen scharfen Schnitt durch eine
Mundecke führt, so dass das Oelenk der Interambnlacralstücke
getroffen wird, erhält man das in Fig. 9 dargestellte Bild. Der
in Bede stehende Ganal ist mit cir bezeichnet, das Mundschild
liegt nach oben. Bei allen genannten Ophiuren ist der Bau der-
selbe, wie hier; nur bei Ophiolepis, wo ein an das Mundschild
angehefteter Steincanal vorhanden ist, theilt sich der Ausftihrungs-
gang des Interradialcanals und ftthrt beiderseits um denselben
herum.
Die Seitengefässe und das Rückengefäss des Strahls ergiessen
sich unmittelbar in die Leibeshöhle; die ersteren, nachdem sie
sich ungefähr vom achten Wirbel an allmählich nach oben und
unten verbreitert haben. Wenn man in das Nervengefäss bei ge-
öffneter Leibeshöhle injicirt, so kann man das Einströmen direet
beobachten. Nirgends in dem Nervengefäss oder seinen ver-
schiedenen Nebenbahnen habe ich einen Epithelüberzug wahr-
nehmen können. Wohl aber existirt ein solcher, und zwar ein
sehr deutlicher, überall in der Leibeshöhle, aus rundlichen, etwas
platten Zellen von durchschnittlich 0,007 M. Durchmesser bestehend,
welche nicht sehr dicht an einander schliessen.
Wenden wir uns jetzt zur Betrachtung des Strahlenquer-
Schnitts zurück, so finden wir die Ambulacralrinne des Wirbels,
in welcher das Nervengefäss verläuft, in ihrem innersten Theile
Beiträge sur Anatomie der EchiDodermen. 2G9
aasgefüllt darch hyalines Bindegewebe (hb, Fig. 1), welches in
seiner Mitte eine mit Epithel ausgekleidete enge Gefässöffnnng
(ag) zeigt Dieses von Joh. Mttller übersehene ist das Ambnla-
cralgefäss. Von ihm ans gehen die Seitenasweige zn den Ten-
takeln ab durch die den unteren Theil des Wirbels durchbohrenden
Canäle, welche bekanntlich bei manchen Arten hori::ontal ver-
laufen (Fig. 1; 2), bei andern zuerst fast senkrecht aufsteigen^
um dann unter spitzen Winkeln wieder umzukehren (Ophiocoma,
Fig. 4). Auch diese Canäle sind mit hyalinem Bindegewebe ge-
füllt, in dessen Mitte der enge, mit Epithelium bekleidete Ast des
Ambulacralgefässes verlauft.
Den Durchschnitt eines Tentakels von Qphiothrix zeigt Fig. 15.
Die innere Höhlung ist mit eteem etwas weitläufig stehenden
Epithel ausgekleidet; dann folgt nach Aussen die Längsmuskel-
Schicht, die einzelnen Fasern werden durch hyalines Bindegewebe
unter einander verbunden. Dann folgt eine breite Bindegewebs-
schiebt, geschlängelte Fasern und Zellen enthaltend. Der Nerv,
dessen Abgang vom Ambulacralstrang man Fig. 1, tn sieht, läuft
in ihr entlang (n, Fig. 15). Der äussere Theil der Bindegewebs-
schicht enthält eine dichte Zellenlage, aber der äusserste Saum
ist hyalin. Von der Zellenschicht gehen die zahlreichen Zotten
aus, deren Gestalt Fig. 15 zeigt Ihre Grundsubstanz ist hyalin,
zeigt aber eine deutliche Längsstreifung, besteht also wohl aus
Fasern. Ausserdem enthält sie zahlreiche Zellen. Auf Durch-
schnitten durch Tentakel von Ophioderma sehe ich im Wesent-
lichen denselben Bau ; nur besteht die Bindegewebsschicht äusserlich
von den Längsmuskeln, die bei Ophiothrix nur einzelne, fein ge-
zeichnete Fasern enthielt, aus grobgezeichneten dicken Bündeln
von Bingfasem, zwischen denen der hier mehr abgeplattete Nerven-
zweig verläuft. Die peripherische Bindegewebslage ist breiter ent-
wickelt, und enthält sehr zahlreiche Zellen. Der hyaline äusserste
Saum sieht einer Cuticula sehr ähnlich, doch kann ich keine Matrix
wahrnehmen. Zellen fehlen ganz. t
Das Ambulacralgefäss läuft durch den ganzen Strahl hin-
durch im obersten Theil der Ambulacralrinne der Wirbel entlang,
von dem Nervengefäss nur getrennt durch die Schicht hyaliner
Bindesubfltanz, welche es einhüllt; kurz vor dem Austritt aus dem
centralen Ende derselben wird es aber noch von dem Nervengefäss
durch einen Muskel abgeschieden, den ich „Ambulacralmuskel'^
nenne (am, Fig. 7 und 8). Derselbe spannt sich quer vor dem
Ausgange dieses Canals, den er in einen obem und untern Ab-
270 Reinhold Teugcher,
Bchnitt trennt; er verbindet die beiden beweglichen Ambalacral-
stfickey in welche seine Ansätze eingesenkt sind^ nnter einander
nnd kann sie gegen einander bewegen, wodurch der Ganal ver-
engt wird. Ansserdem mnss er durch seine Zosammenziehnng
den Interambulacralmnskel beim Schliessen der Mnndö£fhnng
unterstützen. Unmittelbar nach seinem Anstritt über diesen Muskel
hinweg mtlndet das Ambulacralgefäss in den von J. Mttller richtig
benannten Ambulacralring. Derselbe besteht aus einer häutigen
Röhre, welche auf der innern Oberfläche der den Mund bildenden
Kalkstttcke um diesen herumläuft. In Fig. 7, welche einen hori-
zontalen Durchschnitt durch den Körper von Ophiothrix frag, auf
der Höhe des Nerye%efllssrings (nr) darstellt, habe ich einen
Theil des Ambulacralrings, der ^twas höher liegt, und hier nicht
sichtbar war, eingetragen. Von dem Ambulacralcanal (ac) wendet
er sich nach auswärts zu einer OefiFhung des Ambulacralstttcks
(mt), durch welche von ihm der obere Mundtentakel entspringt,
nähert sich dann dem Nerven^efässring, ohne mit ihm zu comuni-
ciren, und begiebt sich zu der entsprechenden Tentakelöffhung
des benachbarten Ambnlacralstücks, von wo er wieder zur nächsten
Ambulacralöffnung tritt und so fort rings herum. Er bildet also
in jedem Interambulacralranm einen einspringenden Bogen, der
nach Aussen zu den bei den Ophiothrix besonders stark ent-
wickelten äussern Interambulacralmuskel hat. Poli'sche Blasen
fehlen hier sfanz. Für Ophiolepis, wo dieselben am besten ent-
wickelt sind, haben wir die bekannte schöne Abbildung von
J. Müller. Dort geht von der Mitte jenes einspringenden Bogens
eine scharfe V-förmige Ausbiegnng nach Aussen bis über den
Rand des Muskels hinaus; an der Spitze des Winkels hängt die
Poli'sche Blase über den Muskel hinab. Von den mir bekannten
Ophiuren ist Ophiolepis ciliata diejenige, bei welcher der Ambula-
cralring nebst Anhängen auch in nicht injicirtem Zustande am
leichtesten durch einfache Hinwegnahme dei darüber liegenden
Thcile darzustellen ist, und ich habe den Müller'schen Angaben
über dieselbe nur einige Einzelheiten, den Steincanal betreffend,
hinzuzufügen.
Bekanntlich wird bei diesem Thier eine jener Blasen durch
einen Steincanal ersetzt, d. h. durch eine den andern ähnliche
Blase, welche aber in der Dicke ihrer Wandung Kalkplättchen
enthält und mit ihrem untern Ende an das betrefiende Mundschild
beTestigt ist, welche Befestigungsstelle sich auch äusserlich durch
den ,;Umbo'' sichtbar macht Wenn man nun diesen Sack der
Beiträge zur Anatomie der Kchinodermen. 271
Länge nach spaltet^ bo weist sich der heransgenommene Inhalt
als ein ungeiähr erdbeerförmiger Körper auS; dessen dickerer
Theil; dem Ambulacralcanal aufliegend; aus einer getatinösen
Masse besteht , welche zahlreiche danklere und consistentere
Kömer enthaltend. Nach unten entspringt daraus ein schlanker
Stiel; in eine Vertiefung des Mundschildes befestigt. Derselbe
zeigt sich als ein glashelles Rohr, im Innern mit einer dichten
Zellenlage besetzt; die jedenfalls einen Ganal begrenzen. Sein Bau
ist ganz gleich dem des Centralcanals im Steinsack von Ilolothuria
tnbulosa; wovon später. Leider erlaubte mir der Zustand meiner
Exemplare nicht; den Bau dieser Organe genauer zu untersuchen.
In Fig. lU gebe ich den Durchschnitt einer Mundecke von
Ophiolepis ciliata; welcher zugleich den betreffenden Steincanal
halbirt : sk ist der umhüllende Sack; bk der beerenförmige Körper,
Bt der Stiel, auf einer verdünnten und porösen Stelle des Mund-
Schilds befestigt Hier sieht man man aber auch; dass der Sack
mit seiner obern Spitze (bei x) bis über den Nervengefassring
hinüber reicht — Um den Ambulacralring zu injicireu; kann man
bei Ophiothrix nur die Oeffinung eines ausgerissenen ersten Fuss-
tentakels benutzen; und man bekommt auf diesem Wege bei
einiger Beharrlichkeit ganz gute Iigectionen des Ambulacralrings,
der Ambulacralgefässe und der Tentakeln. Da aber; wie oben
gesagt; sowohl Tentakelcanäle, als das Ambulaeralgeföss selbst
von einer Schicht hyalinen und sehr permeablen Bindegewebes
umgeben sind, so wird durch dieses fast immer gleichzeitig auch
das Nervengefäss und seine Dependenzien mit injicirt Bei den
Ophiuren mit Poli'schen Blasen benutzt man am besten eine solche;
was bei Ophiolepis besonders leicht ist Die Resultate zahlreicher
Operationen dieser Art waren nun constant folgende: Der Stein-
canal füllte sich niemals; sondern der wohl ii\jicirte Ambulacral-
ring lief scharf und gradlinig, nicht V-förmig gebogen; unter
denselben weg (ar, Fig. 10). Wurde aber direct in den Steincanal
iigicirt; so füllte sich der Ambulacralring allerdings; aber nur
schwach und in der nächsten Nachbarschaft; dagegen erschien
der Nervengefilssring jedesmal und sehr kräftig injiciit; während
eine Injection des letztem vom Nervengefäss aus niemals in den
Steinsack eindrang; trotz zahlreichen und zum Theil forcirten
Versuchen. Die hier obwaltenden Widersprüche dürften nur mit
Hülfe frischer Thiere zu lösen sein, und die Untersuchung wäre
interessant genug; da es sich um die directe Verbindung zweier
Gefässsysteme und sogar zweier Gefässringe handelt. Dass hier
272 Reinhold Teuscher,
nicht von Extravasaten die Rede Bein kann, ist klar; erstlich
wegen der C!onstanz der Resultate, dann aber hanptsächlieh,
weil hier die Uebertritte des Farbestoffs nicht ans Gef^Lssen
heraus, sondern durch enge Oeffnungen in dieselben hinein Statt
finden.
Bei den Astenden ist durch die schönen Arbeiten C. E. Hoff-
mann's (Nieders. Arch. für 1871) und durch Notizen von R. Greeff
(Marb. Sitzungsb. für 1871 und 72) eine centrale Verbindung des
Wassers- und des Nervengefässsystems wahrscheinlich geworden.
Während Hoffmann den Punkt der Communication beider Systeme
unentschieden lässt, verlegt ihn Greeff in die Poren der Madre-
porenplatte. Greeff nimmt 1. c. ausser dem Ambulacral- und
Nervengefässring noch einen dritten ovalen Gefässring an, den er
nicht näher charakterisirt, den auch sonst Niemand kennt Die
von Hoffmann und zum Theil schon von Tiedemann beschriebenen
peripheren Gefässe, der Analring, die Sexualgefässe u. a. bilden
aber kein eignes in sich geschlossenes System mit eignem Schlund-
ring, sondern sind blosse Anhängsel des Nervengefässsystems.
Am Darm der Astenden hat Hoffmann keine Gefässe gefunden,
obgleich deren wahrscheinlich vorhanden sind. Bei den Ophiuren
habe ich zweierlei periphere Gefässe gesehen, beide unmittelbar
aus dem Nervengefässring austretend. Einmal sieht man zwischen
den Fasern der äussern Interradialmuskeln constant vier ziemlieh
weite, paarweis angeordnete Gefässöffnungen (mg, Fig. 6), welche
nach abwärts steigen, deren Herkunft aus dem Nervengefässring
sich aus successiven Schliffen ergiebt. Den weitem Verlauf konnte
ich nicht ergründen. Ferner entspringt aus dem Nervengefäss-
ring in geringer Entfernung und jederseits von jedem Strahl ein
ziemlich starkes, leicht zu füllendes Gefäss, und verläuft parallel
mit ihm und oberflächlich, nur von der äussern Wand der Leibes-
höhle bedeckt, in der Richtung der Geschlechtsorgane. Ihre feineren
Verzweigungen sind mir entgangen.
Es liegt sehr nahe, das Rückengefass der Ophiuren mit der
Höhle des Strahls bei den Asteriden zu vergleichen; ihre Lage
gegen die Wirbel und ihr Verhältniss zur Leibeshöhle berechtigen
dazu. Ebenso wird es keinem Bedenken unterliegen, die Nerven-
gefässe beider zu homologisiren. Ueber die Homologien der Seiten-
gefässe werde ich bei den Asteriden selbst zurückkommen. Etwas
unsicher ist der Vergleich mit den Gefassen der Comatula. Die
Verschiedenheit der Lage derselben zu dem Ealkskelet bei Coma-
tula würde keine Schwierigkeit bereiten, da dieses (s. o.) den
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 273
WirbelA der Ophiaren nicht homolog ist und sich eher mit deren
Rtt'ckenplatten vergleichen Hesse. Aach der gegenseitigen Lage nach
entsprechen die einen den andern ganz gut; das RtlckengefUss
der Ophiaren versorgt schon seiner Richtung nach vorzugsweise
den Dorsaltheil der Leibeshöhle, und obgleich es mir bei meinem
Material nicht gelangen ist, bestimmte geschlossene Gefässbahnen
nachzuweisen, welche von ihm aus dahin ftLhren, so ist mir doch
ihr Vorhandensein sehr wahrscheinlich geworden. Ein wirkliches
Rückengefässcentrum freilich, wie bei Gomatula, worein das
Muskelgefilss eintritt, fehlt den Ophiuren durchaus; was sehr be-
greiflich ist; da sie dem Urzustand aller Echinodermen, dem Fest-
gewachensein, schon unendlich ferner stehen, als Gomatula.
Ein wesentlicher Unterschied beruht auf dem Vorhandensein
eines Epithels in allen Gefässen der Gomatula mit alleiniger Aus-
nahme des eigentlichen Nervengefässes ; Communioationen giebt
es bei ihr zwischen den Muskel- und den Seitengefässen , aber
nicht mit dem Nervengefässe. Dazu kommt nun, dass bei den
Ophiaren alle Abtheilungen des Nervengefässes mit der Leibes-
höhle communiciren, ja direct in dieselbe ttbergeheu; während bei
Gomatula von solcher Verbindung keine Spur zu finden ist. In-
dessen ist das bei den Ästenden bekannte Nervengeiäss dem der
Ophiuren zweifellos homolog; bei Holothurien und £chin6n ist
dasselbe Verhältniss ohne Schwierigkeit nachzuweisen, und bei
allen diesen Familien giebt es keine Verbindung zwischen Leibes-
höble und NervengefKss ; also wird wohl auch der Mangel einer
solchen bei Gomatula nicht als Beweis gegen eine Homologie der
betreffenden Gefässe angesehen werden können. Besteht dieselbe,
so wird dadurch die Glasse der Grinoiden den übrigen Echino-
dermen näher gebracht, als sie bisher stand.
Der Ambulacralnerv erscheint auf dem Durchschnitt als ein
platter Strang, auf dem Boden des Nervengefässes liegend, welcher
von der Spitze des Strahls bis zum centralen Ende an Breite und
zumal an Dicke stetig zunimmt. Seine Mitte zeigt eine leichte
Depression der Länge nach and in dieser liegt wieder ein andrer,
rander Strang, der ihn auf seiner ganzen Länge begleitet, den
ich aber im Nervenring nicht habe wiederfinden können. Der
Ambalacralnerv ist abwechselnd oben am Umfang jedes Wirbels
and unten in der Mitte jeder ßauchplatte angeheftet, liegt also
ziemlich frei und wird von dem Inhalt des Nervengefässes auch
auf seiner untern Seite, mit Ausnahme der Befestigongsstellen,
bespfllt Bei Ophioderma und Ophiocoma findet in der Anheftung
274 Keinhold Teuflcher,
eine Abweichung statt; der freie Raum zwischen Nerv and Bancb-
platten ist hier weiter und von der die Unterseite des Nerven
bekleidenden Bindegewebsschicht gehen drei Blätter ans, welche
ihn der ganzen Mittellinie entlang, das eine von der Mitte, die
beiden andern von den Seiten der Nerven entspringend, befestigen,
so dass eine dreieckige Figur entsteht (bb, Fig. 2 a. 4).
Macht man an der Ventralseite eines Strahls, am leichtesten
gelingt es bei Ophiolepis, zwei Längsschnitte in der Linie der
Tentakelöffnnngen ; so lassen sich gewöhnlich die Banchplatten
als ein Ganzes ablösen, nnd man bekommt ein grösseres Stück
des Nervenstrangs entweder an dem abgelösten Band, oder ge-
wöhnlicher an den Wirbelkörpem festhaftend; in beiden Fällen
lässt es sich ablösen nnd von seinen verschiedenen Seiten als
Ganzes betrachten. Auf der Oberseite (Fig. 13) fällt sogleich der
der Mitte entlang liegende runde Strang (os) auf, den wir schon
im Querschnitt gesehen haben ; er zeigt nur schwachen Zusammen-
hang mit der darunter liegenden Hauptmasse und sendet in jedem
Strahlenglied von ihr unabhängige Zweige nach beiden Seiten,
deren weitem Verlauf ich nicht verfolgen konnte ; doch scheint es
mir, dass der Zweig in die Rinne eintritt, welche um die Peri*
pherie jedes Wirbels herumläuft. Der Hauptstrang entsendet
jedesmal zwei Paar Aeste für jedes Glied des Strahls, von denen
der hintere, etwas schwächere, soviel ich sehen konnte, d^jenige
ist, welcher zum Tentakel tritt (Fig. 1 und 15, n); den vordem,
stärkern aber halte ich fttr denjenigen, welcher nach oben in das
Innere jedes Wirbels durch ein kleines Loch in der Wölbung der
Ambttlacralrinne eintritt, in welchem schon J. Müller eine Nerven-
bahn vermuthete. Auf guten Querschliffen kann man den Abgang
und de j Anfang des Verlaufs dieseb Nervenzweigs sehr gut sehen,
besonders an solchen Wirbeln, welche schon im Innern der
Leibeswand liegen; dort ist der Nerv und auch die abgehenden
Zweige viel stärker. Ich habe in Fig. 11 eine solche SteUe ge-
zeichnet.
Der breite Hauptstrang des Ambulacralnerven von oben ge-
sehen (von unten wird sein Bau durch eine anliegende Binde-
gewebsschicht undeutlich), zeigt sich ganz aus zarten Längsfasem
zusammen gesetzt, von granulirtem Ansehn und etwas ver-
waschenen Grenzen (Fig. 13). Eingelagerte Zellen fand ich hier
nicht. Zwischen diesen Fasern und etwas unter der Oberfläche
liegt jedcrseits ein dickerer, etwas dunklerer Strang (df) (0,009
bis 0,0 1(> M. Durchmesser), der sich bei stärkerer VergrOsserung als
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 275
ans vielen sehr feinen Längsfäden bestehend answies, welche
dnrch eine sehr zarte dicht mit Körnchen besetzte Hülle zn einem
Bündel vereinigt wnrden. Querschnitte dnrch den isolirten Am-
lucralnerven zn machen, gelang mir seiner grossen Zartheit wegen
nicht; dagegen gewährten solche, durch das neugebildete Stück
eines abgebrochenen Strahls von Ophiothrix Hemprichii gemacht,
welches wegen noch geringen Ealkgehalts ohne weitere Vorberei-
tung schnittfahig war, einen guten Einblick (Fig. 12). Der Quer-
schnitt erscheint in zwei Schichten getheilt, in eine obere blass
granulirte (die Granulationen sind der Ausdruck des Querschnitts
der Längsfasem), und eine untere, dicht mit ziemlich grossen
(Ofi03—i M.) kernhaltigen Zellen erfüllte, von denen scharf ge-
zeichnete Fasern entspringen, die die Längsfaserschicht quer
durchsetzen und bis zu deren oberster Grenze, alle nach der Mittel-
linie gerichtet, hinlaufen. Die obersten Zellen der Schicht liegen
oft ziemlich isolirt und spitzen sich nach der Faserschicht hin zu ;
diese Spitze geht deutlich in die Querfaser über. In der Mittel-
linie der Zellschicht sehe ich überall eine Depression derselben:
die ersten rechts und links davon entspringenden Querfasern sind
etwas stärker und lassen zwischen sich einen jener Depression
entsprechenden ^^um, welcher keine Querfasem zeigt (s. Fig. 12).
Der obere runde Nervenstrang erscheint hier auf dem Querschnitte
als aus zwei Theilen bestehend: einer hyalinen Hülle und einem
zelligen Inhalt.
Vergleichen wir den Bau dieses Nervenstrangs mit dem des-
jenigen Gewebes, welches wir bei Comatula fär den Ambulacral-
nerven erklärt haben, so ist ihre Gleichartigkeit augenfällig. Bei
beiden finden wir zwei Schichten, eine innere Längsfaserschicht
und eine äussere Lage von dicht gedrängten Zellen, von denen
Querfasem entspringen, welche die Längsfaserschicht durchsetzen.
Eine Trennung des Ambulacralnerven in zwei gesonderte Stränge,
wie bei den Ophiuren, findet sich bei Comatula nicht, wohl aber
in sehr ausgezeichneter Weise bei den Holothurien, nicht aber bei
den Asteriden.
Die Innenseite der Etfrperwände ist zunächst mit einer aus
groben, nach allen Richtungen durcheinander laufenden Fasern
gebildeten Bindegewebsschicht ausgekleidet, welche bei ver-
schiedenen Thieren und an verschiedenen Stellen mehr oder
weniger deutlich ist. Am schwächsten und kaum wahrzunehmen
ist sie auf den in das Innere des Leibes hinneinragenden Theilen
der Strahlen; deutlicher schon in den Interradialräumen; am
Bd. Z, K. F. m^ s, 18
276 Reinhold Teascber,
dicksten und leicht als Ganzes zu isoliren auf der Innenseite der
Rtlckendecke. Von den mir bekannten Thieren ist die Schicht
bei Ophioderma am stärksten entwickelt Die ganze Innenseite
dieser Faserlage wird von einer ihr dicht, aber nicht sehr fest
aufliegenden Membran ausgekleidet : der äussern Wand der Lieibes-
höhle. Auch sie ist in ihrem Rttckentheil am dicksten und besteht
hier aus mehreren Lagen vorzugsweise radial angeordneter zarter
Fasern, während die der ovalen Eörperseite anhaftende Hälfte
mehr hyalin ist und seltenere, mehr gekreuzte Fasern enthält.
Die innere Wand der Leibeshöhle nun, welche am Mundrande in
die eben beschriebene äussere übergehend, mit ihr zusammen
einen geschlossenen Sack bildet, liegt ihr in allen Punkten an,
nur die im Leben zwischen beiden ohne Zweifel vorhandene
Fltlssigkeit trennt sie. Dieselbe bildet zugleich die tiefste Schicht
der Magenhaut, mit welcher sie untrennbar vereinigt ist.
Das ganze Innere der Leibeshöhle ist mit einem Plattenepithel
ausgekleidet und die beiden Blätter werden durch zahlreiche
bindegewebige Fäden an einander befestigt. In dem ventralen
Theile der Leibeshöhle ist die Anheftung sehr lax, und die Fäden»
so viel ich sehen konnte, einfache Fasern ; in dem dorsalen Thefl
dagegen liegen beide Wände viel dichter an einander. Von dem
Centrum des Rttckenstücks , wo in einem kreisförmigen Ranme
die Verbindung vorzugsweise eng ist, laufen viele radiale Falten
aus, die Dicke der Innern Wand der Leibeshöhle und der Magen-
wand begreifend, von denen zehn bei weitem die stärksten sind«
Hier, in der Rttckengegend, sind die Bindegewebsbalken, welche
die Leibeshöhle durchsetzen, besonders kräftig und von eigenthttm-
lichem Bau. Ein spiralig aufgerolltes Faserbttndel ist in einer
zarten Httlle eingeschlossen, welche bei Erythroxylinßlrbung deut-
liche Längsstreifung erkennen lässt, auch mit Epithelzellen weit-
länftig besetzt ist. OfiPenbar sind diese Balken der Ausdehnuirg
und Zusammenziehnng fähig; doch dtlrfte dadurch wohl nur der
fltlssige Inhalt von einer Stelle nach der andern gedrängt werden
können (bb, Fig. 14).
In dem Bau der Magenhaut selbst finden wir die grösste
Aehnlichkeit mit der Bildung derselben bei Comatula. Die unterste
Lage bildet auch hier eine hyaline Schicht, wellige Fasern nnd
Zellen enthaltend; aber hier finden sich in ihr ausserdem noch
zaUreiche Ealkstäbchen (ks, Fig. 14). Die Wand der Leibeshöhle
liegt ihr dicht an, ihre beiderseitige Grenze ist nicht erkennbar.
Von dieser Membran aus laufen, wie dort; dicht liegende Fasern,
Beitrage zur Anatomie der Echinodermen. 277
welche die ganze Dicke der Magenhaut durchsetzen, und in ihren
Zwischenräumen finden sich dieselben zahlreichen kleinen Zellen
wieder. Aber ausserdem sehea wir hier an der Basis eine, stellen-
weis auch mehrere Lagen viel grösserer, wasserheller Zellen von
0,012—24 M. Durchmesser, während die kleinen nur 0,0045 M.
haben* Ich halte diese grösseren Körper fttr Zellen, obgleich es
mir nicht gelang, einen Kern in ihnen nachzi^weisen, weil man
öfters an ihnen Schrumpfungserscheinnngen wahrnimmt, welche
sich wohl nur durch das Vorhandensein einer Hüllmembran er-
klären lassen. Auf die kleinzellige Schicht folgt dann eine Lage
ziemlich langer Cylinderzellen, welche die Matrix der den Magen
auskleidenden Cuticula bildet
Einen besondem Abschnitt der Leibeshöhle bildet noch der
in der Lippe enthaltene Theil, d. h. in demjenigen Stttck der
Magenhaut, welche die innere Mundöffnung kreisförmig umgiebt
und durch ihre Zusammenziehung dieselbe zu schliessen bestimmt
ist Die Magenhautschicht ist hier etwas niedriger, als ander-
wärts, und mehr lappig getheilt; die innere Bindegewebsschicht
enthält sehr zahlreiche Radial- und Circulärfasern, welche sich in
rechten Winkebu kreuzen ; die einen mttssen durch ihre Zusammen«
Ziehung die Mundöfinung erweitem, die andern sie verengern.
Es gelang mir nicht, mich durch die gewöhnlichen Reagenzien
ypn der musculären Natur dieser Fasern zu ttberzeugen, ihrem
Aussehen und übrigen Verhalten nach scheinen sie vielmehr
elastische Fasern. Die Lippe setzt sich nun ringsum zu beiden
Seiten des Nervengefässrings fest^ und umschliesst so eine ring-
förmige Höhlung (Fig. 8 u. 9, 1), welche zweifellos einen Theil
der Leibeshöhle ausmacht, obgleich ich keine directe Communi-
cation zwischen den beiden nachweisen konnte. Der Lippenhohl-
raum fUUt sich bei Iigectionen durch das Nervengefäss ebenso-
wohl, wie die eigentliche Leibeshöhle; doch sah ich in einigen
Fällen unvollständiger Injection nur die Leibeshöhle sich füllen.
Man muss daraus schliessen, dass ihr Zusammenhang mit dem
Nervengefäss unmittelbar durch den Nervengefässring Statt findet,
obgleich ich die Verbindungsöfinung nicht nachweisen konnte.
Während der Correctur vorliegenden Aufsatzes erhielt ich
Greeffs neueste Arbeit über Comatula (Marburger Sitzungsberichte
vom Januar 1876), und freue mich, mit einem so bewährten
Forscher fast in allen Punkten übereinzustimmen. Der wesent-
lichste Unterschied liegt in der beiderseitigen Darstellung der
Leibeshöhle. Oreeff verlefirt dieselbe in das spongiöse Gefässnetz,
18*
278 Belnhold Teuscher,
welches den Darm nmgiebt, und in welches die Seitengefässe
eintreten (nach ihm aach das Mnskelgefass), darum nennt er auch
diese Oefässe ^^die Leibeshöhle des Strahls'^ Aehnlich haben,
wenn ich mich recht erinnere, Carpenter und Perrier die Verhält-
nisse aufgefasst
Ich habe die wirkliche Leibeshöhle, welche den Darm sammt
den spongiösen Gefässen umschliesst, beschrieben und abgebildet
(Taf. VII, Fig. 2), und glaube nicht, dass die Richtigkeit meiner
Darstellung bezweifelt werden kann. Durchschneidet man nahe
an der Peripherie ringsum die Eelchdecke einer Gomatula ohne
den Darm zu yerlctzen,*so lässt sich mit einer in den Mund ein-
gesetzten Pincette leicht der ganze Inhalt des Kelchs in einem
Stücke herausheben. Man hat dann die beiden Blätter der Leibes-
höhle von einander getrennt; das äussere ist an der Innenseite
des Kelchs haftend geblieben, das innere überzieht die heraus-
genommene spongiöse Masse.
Femer lässt Greeff nicht nur die beiden Seitengefasse des
Strahls in das spongiöse Gewebe seiner Leibeshöhle eintreten,
sondern auch das Muskelgefäss, dessen Hinabsteigen in das Gefäss-
centrum doch leicht nachzuweisen ist; er macht das letztere zum
Mittelpunkte eines ganz getrennten Girculationssjstems, und lässt
aus ihm zehn Gefässe entstehen, fünf radiale, welche, wenn ich
ihn recht verstehe, im Innern der Gentralstränge der ersten
Strahlenglieder yerlaufen und dann an die Haut treten sollen,
und fünf interradiale, welche in den Zwischenräumen der Strahlen
an der Kelchwand in die Höhe steigen, um sich dann ebenfalls
an der Haut zu verzweigen. Macht man die eben beschriebene
Darstellung der Leibeshöhle an einem farbig injicirten Exemplar,
so sieht man im Innern des Kelchs die zehn Gefässe GreefTs sehr
deutlich durch das äussere Blatt der Leibeshöhle durchschimmern ;
aber die fünf radialen Gefässe weisen sich bei näherer Unter-
suchung als die fünf Muskelgefässe ^er Strahlen aus, wie ich sie
beschrieben habe; die fünf interradialen, welche ich zu erwähnen
vergessen, sind einfach die Muskelgefässe der Kelchpinnen, welche
letztere sich dadurch als rudimentäre Strahlen zu erkennen geben.
Jena, den 15. April 1876.
Beiträge zur Anatomie der Echinodermenu 279
ErklSmngr der Abbildangren. Tafel ü.
Fig. U QaerBchnitt des Strahls von Ophiothrix fragilis.
Fig. 2. Derselbe von Ophioderma longicaada.
Fig. 8. Derselbe von Asterophyton Linkii.
Fig. 4. Derselbe von Ophiocoma crassispina.
Die Bachstaben bedeuten überall dasselbe, ng Nervengefass. ag Am-
bulacralgefass. t Tentakel, tc Tentakelcanal. rg Rückengefäss. sgSeiten-
gefäss. vg Verbindungsgefass. an Ambulacralnerv. bb bindegewebige
Befestigung des Nerven, hb hyalines Bindegewebe, tn Tentakelnerv,
om oberer Muskel, um unterer MuskeL afs äussere Faserschicht, ifs
innere Faserschicht. hs hyaline Schicht.
Fig. 6. Horizontalschliff durch den Strahl von Ophiothriz frag. Wegen un-
gleichen Abschleifens sieht man auf der einen Seite bei vg die isolirten
Verbindungsgefasse, bei sg auf der andern Seite das durch ihre Ver-
einigung entstandene Seitengefass. sp Seitenplatten.
Fig. 6. Horizontalschliff durch den Körper von Ophiothrix frag., Mitte zwischen
der ventralen Oberfläche und dem Nervengefässring. rw Wirbel, as Am-
bulacralstück. ias Interambulacralstück. ta torus angularis, pa palae angu-
lares. mt Canal vom Ambulacralring zu den Mundtentakeln, miri Musculus
interradialis internus, mire Muse, interradialis externus. cir canalis
interradialis. ng Nervengefass. n Ambulacralnerv. aa Bichtung des
Schnitts (Fig. 8). bb Richtung der Schnitte (Fig. 9 und 10).
Fig. 7. Ebensolcher Schliff durch den Nervengefassnng. Der seiner tiefern
Lage wegen nicht sichtbare Ambulacralring ist in einem Teil der Figur
angredeutet. s Text. Dieselben Buchstaben bezeichnen dieselben Theile
wie Fig. 6. am Ambulacralmuskel. nr Nervengefassnng. ac Ambnlacral-
canaL pp Frästomialplatten MüUer's, welche den interambulacralen Theil
des Nervengefässes von Innen bedecken, hier nur durcheinend gesehen,
mp die den torus ang. durchsetzenden Muskeln, welche die palae angu-
lares bewegen.
Fig. 8. Verticalschliff durch die Mitte des centralen Endes eines Strahls von
Ophiothrix in der Richtung der punktirten Linie aa, Fig. 6 u. 7. 1 Lippe,
mh Biagenhaut. Ih Leibeshöhle, agr Ambnlacralgefässring. nr Nerven-
ring, am AmbulaeralmnskeL ng Nervengefass. an Ambulacralnerv. ag
Ambnlacralgefass.
Fig. 9» Verticalschnitt durch ^e Mundecke von Ophioderma, in der Rich-
tung der punktirten Linie bb, Fig. 6 u. 7. pa palae angulares. ta torus
angularis, miri musc interrad. int. mire musc. interrad. externus. ias
Interambulacralstttcke (Gelenk), dr canalis interradialis. nrg Nervengefass-
nng. nr Nervenring. Pb Poli'sche Blase. Ih Leibeshöhle, mh Magen-
hauU 1 Lippe, pp Frästomialplatten.
280 Reinhold Teoscber, Beiträge zur Anatomie der Echinodermen.
Fig. 10. Dasselbe von Opliiolepis ciliata. ngr Nervengefassring. ar Ambu-
lacralring. bk Beercnförmiger Körper. St Stiel, sk Steinsack, u Umbo.
X Stelle, wo der Steinsack über den Nervengefassring hinwegragt.
Fig. 11. Abgangsstelle des in den Wirbel tretenden Zweigs (wn) des Amba-
lacralnerven von Ophiolepis.
Fig. 12. Querschnitt des Ambolacralnerven aus einem ergänzten Strahl von
Ophiothriz Hemprichii. zs Zellenscbicht. fs Faserschicht os oberer Strang.
Fig. 13. Ambalacralnerv von Ophiolepis von oben, os Oberer Strang, df
dunkle Fasern.
Fig. 14. Durchschnitt durch Magenwand und Leibeshöhle von Ophioderma
von der Rückenseite, fs untere Faserschicht, wlh. äussere Wand der
Leibeshöhle. Ih Leibeshöhle, mh Magenhaut, s Text bb bindegewebige
Balken.
¥1g. 15. Querschnitt eines Tentakels von Ophiothrix fragilis. 1ms Längs-
muskelschicht hs hyaline Schicht n Nerv.
lieber das Haarkissen am Blattstiel der Imbauba
(Cecropia), das Gemüsebeet der Imbauba-Ameise,
Von
Fritz Müller.
Thomas Belt gebührt das Verdienst ^ in seinem vortreff-
lichen ;,Natnralist in Nicaragua^'; einer wahren Fand-
grabe anadehender Beobachtangen and anregender Gedanken^ hin-
gewiesen za haben aaf die merkwürdigen and wichtigen Wechsel-
beziehangen zwischen gewissen mit Honigdrüsen aasgestatteten
Pflanzen and den Ameisen^ welche den Honig lecken and dafür
die Pflanzen gegen verscluedene Feinde schützen, anter denen
im wärmeren America die Tragameisen, Arten der Gattang Oeco«
doma, obenan stehen.
Belt gedenkt bei dieser Gelegenheit aach der Imbaaba
(C e c r 0 p i a). Der hohle, darch Qaerwände in Kammern getheilte
Stamm dieses Baames ist stets von Ameisen bewohnt, die hier
Schildläase halten and bei jeder Erschütterang des Baames za
Taasenden hervorstürzen , am, wen sie da finden, mit höchst
empfindlichen Bissen za verfolgen. Belt glaabt, dass aach diesem
Baame die Anwesenheit der Ameisen, denen derselbe so geräamige
Wohnang bietet, von Natzen sei. ^) Und darin hat er ohne Frage
Recht and aach in diesem Falle sind es vornehmlich, wenn nicht
aasschliesslich die Tragameisen (Oecodoma), gegen deren An-
griffe die im Stamm der Imbaaba haasenden Ameisen als treae
Wacht and schützendes Heer dienen. Wiederholt sah ich jange
Imbaabastämmchen, in denen noch keine Ameisen sich angesiedelt
hatten, nie aber solche, die bereits von Ameisen bewohnt waren.
') Thomas Belt, The Naturalist ia Nicaragua. London 1874, p. 299.
282 Fritz Müller,
darch Tragameisen ihrer Blätter^ bis auf die Stiele und Haupt-
nerven, vollständig beraubt werden.
Was aber veranlasst die Imbaaba- Ameisen, so treue Waeht
zu halten an den Blättern des Baumes^ der ihnen Obdach ge-
währt? — Erschütterungen des Baumes rufen, wie gesagt, die
kleinen Vertheidiger desselben zu Tausenden hervor; aber gerade
gegen die Feinde, die Stamm oder Aeste erschüttern, gegen das
Faulthier, das ausschliesslich von den Blättern des Imbauba lebt,
oder gegen die Axt des Menschen, vermögen sie trotz ihrer
empfindlichen Bisse ^) den Baum nicht zu schützen. Das Anf-
und Absteigen der Tragameise kann weder auf diese Weise, durch
Erschütterung, sich ihnen bemerklich machen, noch wird es über-
haupt von den im Innern des Stammes sich aufhaltenden Be-
wohnern desselben bemerkt werden können. Was also veranlasst
die Imbauba-Ameise, die Blätter, — namentlich die bei allen
Pflanzen zumeist den Angrifien der Tragameise ausgesetzten
jüngeren Blätter zu bewachen?
Ich war vor Kurzem so glücklich, die Antwort auf diese
Frage zu finden, und hoflfe, sie wird auch Anderen nicht weniger
Freude und Ueberraschung bereiten, als mir selbst.
Am Grunde des Blattstiels der Imbauba gewahrt man ein
flaches Kissen, das sich etwa 1 Mm. über seine Umgebung erhebt
und von unten her reichlich die Hälfte des Blattstiels umfasst
An dem Blatte eines 0,07 M. dicken Stammes war dieses Kissen
in der unteren Mittellinie des Blattstieles 23 Mm. breit, erstreckte
sich von da, allmählich verschmälert, 35 Mm. nach jeder Seite
und nahm eine Fläche von etwa 8 Quadratcentimeter ein. So
lange dieses Kissen von dem tütenartigen Nebenblatte des nächst-
unteren Blattes umschlossen wird, ist es weiss ; an der Luft färbt
es sich bald, erst hell, dann dann rehbraun. Den Blättern junger
Pflanzen fehlt dieses Kissen; ebenso den ersten Blättern dünner
Seitentriebe, die aus geköpften jüngeren Stämmen hervorspriesseu ;
so waren an dem 8 Mm. dicken Triebe eines abgehauenen 10 Mm.
dicken Stämmchens die vier ersten Blätter ganz ohne Kissen;
das fünfte und sechste zeigten ein kleines Kissen auf einer Seite,
') Die hiesige Imbauba-Ameise gehört zu den stacheUosen Arten, bei
denen nur der erste Hinterleibsring abgeschnürt ist; dasGeäder ihrer Vorder-
flügel gleicht dem der Formica -Arten mit Discoidalzelle ; sie unterscheidet
sich von Formica durch die Zahl ihrer Tasterglieder: die Kiefertaster haben
fünf, die Lippentaster drei Glieder.
Ueber das Haarkissen der Imbauba etc. 283
das folgende jederseits ein kleines Kissen und dazwischen^ in der
Mittellinie^ einen schmalen Zwischenraum; am achten Blatte war
ein vollständiges Kissen, das aber noch durch eine obere und
untere Bucht in der Hittellinie auf die Entstehung aus zwei Kissen
hinwies; das neunte Blatt endlich trug ein Kissen von gewöhn-
licher Form.
Bei der Entwicklung der Blätter zeigt sich das Kissen zuerst
als ein seidenartig glänzender weisslicher Fleck , von ziemlich
weitläufig stehenden, einzelligen, borstenartigen, leicht gekrtlmmten
Haaren gebildet Zwischen diesen spriessen später, aufs dichteste
gedrängt, vielzellige Haare hervor, gegen deren Zahl die der ein-
fachen Haare fast verschwindet Sie erreichen eine Länge von
reichlich 1 Mm. und bestehen aus etwa einem Dutzend Zellen ;
die untersten sind gestreckt walzenförmig, die obern eiförmig oder
kuglig und dicker als die unteren; die Endzelle läuft in eine
ktlrzere oder längere, häufig gekrümmte, scharfe Spitze aus. Dic'ht
zusammengedrängt bilden diese Haare ein ziemlich festes Kissen,
dessen Oberfläche ein einigermassen sammetartiges Ansehen hat.
Wasserhell und farblos, bis sie an die Luft treten, beginnen sie
an der Luft von der Spitze her sich zu bräunen und theilweise zu
verschrumpfen.
Wieder später, als diese vielzelligen, am Ende perlschnur-
förmigen Haare, und erst wenn die Enthüllung des Blattes nahe
rttckt, entwickeln sich in den Kissen keulenförmige Gebilde, die
bis zu 0,8—1 M. Länge heranwachsen, bei 0,3 — 0,5 M. Dicke;
ihr Ende ist abgerundet; ihr grösste Dicke fällt bald nahe dem
freien Ende, bald gegen die Mitte hin, bald endlich ist ihre Dicke
eine fast gleichbleibende, so dass üire Gestalt zwischen bim-
fOrmig, eiförmig und walzenförmig schwankt Beif erscheinen
sie milchweiss, glänzend, etwas durchscheinend. Sie sind nicht
saftig und weich, sondern ziemlich fest und schrumpfen beim
Trooknen, wobei sie gelblich werden, nur massig zusammen. Sowie
sie ihre volle Grösse erlangt haben, lösen sich diese Kölbchen
ab und treten allmählich ttber die Oberfläche des Haarkissens her-
vor, in welchem sie wäsrend ihres Wachsthums versteckt lagen.
Sie fallen nun bei leichter Bertthrung und endlich wohl auch von
selbst ab.
Dur Zeit, wo das Haarkissen durch das Abfallen des nächst-
unteren ttttenförmigen Nebenblattes enthüllt wird, pflegt schon
eine Zahl dieser Kölbchen mehr oder weniger aus dem Kissen
hervorgetreten zu sein; dabei aber finden sich noch jüngere
284
Fritz Müller,
Eölbchen in allen Grössen im Innern des Kissens. Der Nach-
schub neuer Eölbclien dürfte eine ganze Beihe von Wochen an-
dauern; da sie noch auf dem Haarkissen des dritt- oder selbst
yiertleteten Blattes sich zeigen. Die Haarkissen der obersten
Blätter iunger Stämme , die noch nicht von Ameisen bewohn
Spitze eines jangen, nicht von Ameisen bewohnten ImbaabastiunmcheDs,
nat Gr. — Die Blätter sind abgeschnitten. Der oberste der drei Blattstiele
von dem tütenförmigen Nebenblatte des nächst unteren Blattes umhüllt. Am
Grunde der beiden unteren Blattstiele die braunen Haarkissen, mit milch-
weissen Eölbchen besetzt.
sind; pflegen reichlich mit Eölbchen geziert zu sein, die wie milch-
weisse Spargelpfeifen aus braunem Beete hervortreten ; man findet
ihrer 60 bis 100 auf einem einzigen Kissen. An Pflanzen aber
die von Ameisen bewohnt sind und das ist schon bei daumes-
dicken Stämmchen fast ausnahmslos der Fall, sieht man in der
Ueber das Haarkisaen der Imbauba etc. 285
Regel nur ganz vereinzelte kanm in halber Länge Yonragende
Kölbchen* Schon hieraus wttrde sich mit befriedigender Sicher-
heit schliessen lassen^ dass die Eölbchen^ sowie sie reif aus dem
Haarkissen sich erheben^ von den Ameisen abgeerntet werden^ —
dass die Besuche, welche die Ameisen beständig bei den jttngeren
Blättern machen, den Haarkissen am Grunde des Blattstieles,
ihren Gemttsebeeten gelten, — und dass in Folge dieser steten
Besuche die Tragameisen nicht unbemerkt zu den Blättern der
Imbauba gelangen können. Es wurde mir indess auch Gelegen-
heit, dem Abernten eines Gemüsebeetes als Zeuge beizuwohnen.
Ich hatte die Spitze eines 25 Mm. dicken Imbaubastämmchens
mit heimgenommen, welches von einem sehr schwachen, wohl
kaum einige hundert Arbeiter zählenden, wahrscheinlich noch
jungen Ameisenvolke bewohnt war. Der Stiel des obersten be«
reits vollständig entfalteten Blattes war noch von dem nächst-
unteren Kebenblatte umschlossen, und als ich dieses entfernte,
zeigte sich das dadurch blossgelegte Haarkissen mit zahlreichen
(etwa 50) Eölbchen besetzt Die Ameisen hatten ihren Eingang
in's Innere des Stammes ungewöhnlich weit von der Spitze, etwa
0,5 M. unter dem neuen Gemttsebeete; und doch hatte ich dasselbe
kaum zugänglich gemacht, so erschienen auch schon die Ameisen
auf demselben. Jede packte eines der weissen Eölbchen mit den
Kinnbacken und lief damit stammabwärts, um es heimzutragen.
Anfangs ging das recht rasch, da die ganz losen Eölbchen eben
nur wegzunehmen waren. Bei denen aber, die noch fester sassen,
und kaum Aber halb vorsahen, kostete es oft ziemliche Zeit und
Mühe, bis sie nach manchem Ziehen und Wackeln nach ver-
schiedenen Seiten sich lösten und fortgetragen werden konnten.
Nach etwa 10 bis 15 Hinuten waren nur noch vier Eölbchen
übrig, an denen verschiedene Ameisen vergeblich ihre Eräfte ver-
sucht hatten.
So ist denn der Fall der Imbauba dem der merkwttrdigen
Ochsenhom-Aracia^), den ThomasBeltso lebensfrisch geschildert
hat, weit ähnlicher, als Belt glaubte; hier wie dort liefert der
Baum seinen Vertheidigem neben Obdach auch Nahrung und wie
dort die goldenen Birnen jedes Blattes eine nach der anderen
reifen und so dem jungen Blatte fUr längere Zeit den Besuch der
schtltzenden Ameisen sichern, so bietet auch das Gemttsebeet jedes
neu entfalteten Imbaubablattes den Ameisen eine Wochen lang
') Thomas Belt, a. a. O., p. 218.
286 Fritz Müller, lieber das Haarkissen der Imbaaba etc.
andauernde, Wochen lang sie anlockende Ernte. Dieser fort-
dauernde Nacbschub junger Eölbchen wird ermöglicht, — und
darin liegt dessen Bedeutung, — durch das dichte Haarkissen,
welches nicht nur den unter ihm sich entwickelnden Eölbchen die
nöthige Feuchtigkeit bewahrt; sondern auch die Ameisen hindert,
dieselben vor der Reife anzutasten.
Und nun noch Eins. In der Regel sind es Honigdrttsen, welche
die schützenden Ameisen (hier besonders einen kleinen schwarzen
Crematogaster) herbeiziehen. Dagegen scheinen die Eölbchen
des Imbauba vorwiegend aus einem Eiweissstoffe zu bestehen.
Jodlösung färbt sie dunkel gelbbraun, concentrirte Schwefelsäure
schön rosenroth. — Da die von ihnen gezüchteten Schildläuse den
Imbauba-Ameisen Honig oder eine ähnliche süsse Flüssigkeit
liefern, dürften Honigdrüsen auf sie keine allzugrosse Anziehungs-
kraft ausüben und so bietet ihnen die Imbauba als Lockspeise
in den von ihnen so eifrig gesuchten Eölbchen nicht eine stisse
saftige Frucht, sondern gewissermassen ein Liebig'sches Fleisch-
extract, einen verdichteten Eiweissstoff in möglichst handlicher,
bequemer Form. Während wir unsere stickstoffhaltige Nahrung
hauptsächlich den Thieren, unsere stickstofflose den Pflanzen ent-
nehmen, ist das Umgekehrte also bei der Imbanba-Ameise der
FaU.
Itajahy, 31. October 1875.
lieber die Entstehung des SchwärmsprSsslings
der Podophrya quadripartita Clp. u. Lehm«
Von
O. Bfltochli.
Hiemi Tafel DL
Die erste Eenntniss von der Fortpflanzang der Acinetinen
durch im Innern des mütterliohen Leibes sich entwickelnde
Schwärmsprösslinge verdanken wir Stein. Die Ermittlang dieser
Thatsache war eine der ersten and wichtigsten Früchte seiner
Infnsorienstndien , die er im Jahre 1847 begonnen hatte. 1849
beschrieb er zuerst ^) die Bildung eines derartigen Sprösslings bei
der Acinete der Wasserlinsen^) und glaubte die Ansicht aus-
sprechen zu dürfen, dass dieser Schwärmsprössling sich durch
directe Umwandlung eines sich abschnürenden Theils des Nucleus,
mittels Aufaahme eines Theils der verflüssigten Kömermasse des
AcinetenkörperS; hervorbilde. Er stand hierbei unverkennbar unter
dem Einfluss einer im Jahre 1845 von v. Siebold in seinem Lehr-
buch der vergl. Anatomie geäusserten Vennuthung ') : dass nämlich
vielleicht der sogen. Nucleus der Infusorien in einem ähnlichen
Verhältniss zu dem ihn einschliessenden Infusor stehe, wie die
schlauchartigen Larven des Monostomum mutabile zu den sie um-
0 Fr. Stein, Untersacbnngen über die Entwicklung der Infusorien. Arch.
f. Natargeschichte, 15. Jahrg. 1849. Bd. I, p. 92.
*) Stein nennt diese Acinete spKter Acineta Lemnarum; Clapar^de and
Laebmann hingegen betrachten sie als identisch mit der aof Cjclops quadri-
corms schmarotEenden Podophrya und nennen sie daher Fodophrja Cjclopum
(Stades 8. L infusoires, I, p. 382).
•) L c, p. 25.
288 O. BütschU,
hallenden; infusorienartigen Embryonalleibern. Auch die Beob-
mchtangen über yenneintliche Embryonen ciliater Infusorien (Para-
maedom Barsaria), welche schon einige Zeit vorher (1844) Focke
angestellt hatte nnd bei deren Bildung gleichfalls der Nuclens
eine wichtige Rolle (als Uteras) spielen soUtC; mögen Stein in
seiner Absicht bestärkt haben. —
Diese vermeintliche Entstehung der Schwärmsprösslinge ans
einem Theil des Nucleus des Mutterthiers sollte nun eine verhäng-
nissvolle Bedeutung für die gesammte Kenntniss der Fortpflanzung
sowohl der AcineteU; als der ciliaten Infusorien erlangen ; wechsel-
seitig führte man den vermeintlichen Nachweis dieser Erscheinung
bei der einen Abtheilung als Stütze für die ähnliche Entstehung
der Embryonen der| andern an und umgekehrt
In seiner späteren grösseren Arbeit über die Entwicklungs-
geschichte der Infusorien ^) zeigte Stein die ähnliche Fortpflan-
zungsweise bei einer Beihe anderer Acineten, und es gelang ihm
nun auch, bei zwei Arten dem Process der Embryonenbildung
etwas näher zu kommen. Bei Acineta Infusionum Stein und
tuberosa ^) Ehrbg. war es ihm geglückt, nachzuweisen, dass sich
der im Mutterthier bildende Schwärmsprössling um einen Fortsatz
des Nucleus formire, so dass also in diesen Fällen nur der
Nucleus des Schwärmsprösslings von dem des Mutterthiers ge-
liefert werde, das Protoplasma des ersteren hingegen sich um
diesen Nucleus anlagere, also nothwendigerweise von dem
des Mutterthiers hergeleitet werden müsse. Es scheint mir, als
wenn Stein damals dieser Bildungsweise des Schwärmsprösslings
') Die Infusorien auf ibre Entwicklangsgeschiclite antersacbt. Leipzig 1854.
*) I. c, p. 164 und 217. Stein hielt die Acinete, bei welcber er diese
Beobacbtung zuerst anstellte, für die Ehrenberg'scbe Podopbrya fiza, erkannte
jedoch später die Verschiedenheit derselben von dieser £hrenberg*schen Art
und nannte sie daher (vergl. Organismus der Infusionsthiere I, p. 48) Acineta
Infusionum. Hiernach sind die Angaben bei Hertwig (Morphologische Jahr-
bücher I) zu berichten. Dagegen ist es jedenfalls nicht richtig, wenn Hertwig
bemerkt, dass die von Stein als Acineta tuberosa Ehrbg. beschriebene Art
nicht die Ehrenberg'sche sei; Claparöde und Lachmann erkannten (fitudes I,
p. 388) die Identität der Stein'schen Acineta tuberosa mit der gleichnamigeB
£hrenberg*sohen Art an; dagegen bemerken sie im IL Band, p. 142, dass Stein
nur diese Identität annehme und scheinen sie für unwahrschdnlich zu halten,
da (vergl. die Anmerkung) Stein*s Acineta tuberosa eine Süsswasserform sei,
die Ehrenberg'sche Art aber marin. Diese Angabe Clapar&de*s beruht jedoch
nur auf einem Versehen, da die Stein*sche A. tuberosa gleichfalls eine marine
Form ist.
üeber die Entstehung der Schwärmsprösslinge etc. 289
eine ziemlich allgemeine Geltung zngeschrieben hätte (ohne Zweifel
jedoch mit Ausnahme des Dendrocometes paradoxus) ;^ späterhin
aber nnd namentlich noch in dem zweite^ Bande seines grossen
Infasorienwerks *), vertritt er mit Entschiedenheit die Ansicht,
dass sich der Schwärmsprössling in vielen Fällen anch direct
ans einem Theil des Nncleus hervorbilde nnd die oben erwähnte
Entstehnngsweise desselben bei Acineta Infnsionum und tuberosa
nur ein besonderer Fall sei. Claparfede und Lachmann ^), welche
den Acineten bekanntlich hinsichtlich ihrer Fortpflanzung ein
sehr eingehendes Studium gewidmet haben, hielten an der
Entstehnngsweise der Schwärmsprösslinge aus Nucleussttlcken
fest. Lieberktthn') hatte eine ganz ähnliche Entstehungsweise
des Schwärmsprösslings einer Acineta der Fischkieme wie Stein
früher bei Acineta Infnsionum und und tuberosa beobachtet, glaubte
jedoch sonderbarer Weise gerade hierin einen Beweis f(ir die Ent-
stehung des Sprösslings allein aus dem Nudeus zu sehen.
Engelmann ^) hat die Sprösslinge bei Podophrya Steinii Gl.
nnd L. (Acineta Operculariae Stein), quadripartita Gl. u. L., Astaci
Gl. und L. und Acineta Infnsionum St. beobachtet, und spricht
sich mit sehr triftigen Griinden dahin aus, dass nur der Nucleus
der Sprösslinge von dem des Mutterthiers herstamme, die gesammte
Eörpermasse des oft ausserordentlich grossen Sprösslings
jedoch direct aus dem Protoplasma des Mutterthiers hervorgehe. Bei
Podophrya quadripartita gelang es ihm, zu beobachten, dass der
mütterliche Kern, wie bei Acineta Infnsionum nnd tuberosa, mit
dem Kern des sich bildenden Sprösslings noch strangförmig zn-
sammenhing.
Mittlerweile war jedoch auch zuerst durch Gienkowski ^) noch
eine andere Art der Fortpflanzung der Arineten nachgewiesen
worden, nämlich die durch einfache Theilung, wobei sich die eine
Theilhälfte ebenso wie der Schwärmsprössling mit Gilpi begleitete,
ihre Tentakel einzog und sich vom andern Theilsprössling ent-
fernte. Diese zuerst von Gienkowski bei Podophrya fixa Ehrbg.
beobachtete Vermehrungsweise wurde späterhin auch von GL u«
') Der Organismns der Infusionsthiere, Bd. II, p. 139.
*) £tades sur les infasoires, Bd. II.
') Ueber Pxittozoen. Zeitschr. für wiesenscb. Zoologie, Bd. VIII, p. 307.
*) Zar Naturgeschiclite der Infusionsthiere. Zeitschr. für wiss. Zoologie,
Bd. XI, p. 876.
*) Bulletins de TAcadem. imp. de St F^tersboorg. Cl. phjsicomath. XIII.
1855, p. 297.
292 O* Bätacbli,
sehr nahe liegendei gleichsam von selbst bietet — gehe ich aber nr
Schilderung einiger Beobachtungen ttber die Entstehung' des
Schwärmsprösslings der Podophrya quadripartita Gl. u. L^ iprorao»
sich auch hinsichtlich der allgeineinen Bedeutung dieser Fort-
pflanzungsweise ein nicht unwichtiger Schluss ziehen lassen ^rd.
Die Podophrya quadripartita, eine schon im vorigen Jahrhundert
von Baker ^) recht kennüich abgebildete Acinete, 0. F. Mitlief's
Vorticella tuberosa, wurde späterhin von Stein ^) eine Zeit lang
ftlr den Acioetenzustand der Epistylis plicatilis gehalten, da sie
sich sehr häufig als Ansiedler auf den Bäumchen dieser Vorticel-
line findet. Durch ClaparMe und Lachmann wieder in ihr Recht
als selbstständige Infusorienform eingesetzt, gelang es diesen
Forschem und später Engelmann, gerade bei dieser Acinete mehr-
fach den Uebergang des Schwärmsprösslings in eine dem Mutter-
thier gleiche Acinetine zu verfolgen und dadurch die Acineten-
theorie Stein's zu widerlegen. ^) Oben wurde schon der Beobachtung
Engelmann's ttber die Bildung des SprOsslings gedacht^ woraus
hervorging, dass derselbe auch hier um eine Nucleusknospe dutci
Abscheidung eines Theils des mütterlichen Protoplasmas entstek
Es ist hinsichtlich der einmal von Stein behaupteten Zusamm»
gehörigkeit der Podophrya quadripartita mit der Epistylis plica-
tilis nicht ganz ohne Interesse, dass ich umgekehrt bei meinen
Thieren sehr gewöhnlich eine derartige Vergesellschaftung mit der
Opercularia articulata St. antraf; dass jedoch dieser Umstand sich
nur durch den Nutzen erkläre, welchen die Podophryen von den
durch die Vorticellen erregten Strömungen zieheU; ergibt sich einmal
daraus, dass ich sehr häufig auch vereinzelte Podophrjren auf den
Wasserlinsenwurzeln traf, eine ungeheure Zahl jedoch auf einer
Bryozoe (Fredericella?), wo sie sich jedenfalls in noch viel
günstigeren Verhältnissen bezüglich der Nahrungszufuhr fanden
als auf den Opercularienstöckchen. —
Die allgemeinen Bauverhältnisse unseres Thieres sind, dank
der Arbeiten Stein's, ClaparMe's und Lachmann's, so weit bekannt,
dass ich nicht näher auf sie einzugehen nöthig habe, um so mehr,
als ich sie auch nicht zum Gegenstand speciellen Studiums machte,
noch dies beabsichtigte. Nur einige, uns hier näher interessirende
') Baker, Beiträge zam nützliclieii und vergnügenden Gebrauch des Mikro-
akops. Aus dem Engl, übers. Augsburg 1754, T. XIII, Fig. X— XIL
*) Stein, 1. c, p. 7 ff".
•) 1. c, II, p. 119.
Ueber die Entstehung des Scfawärmsprösslings etc. 293
Pankte bedürfen einer genaueren Erwähnung. So einmal die
contractilen Vac^olen. Stein ^3 beschrieb 1 bis 3, regellos in der
Nähe des Randes gelegene, contractile Stellen. Clapar6de und Lach-
mann hingegen geben in dem systematischen Theil ihres Werkes ^)
aUi ein oder zwei, manchmal jedoch auch vier bis sechs contractile
Vacuclen gefunden zu haben ; in dem entwicklungsgeschichtlichen
Band ^) hingegen bemerken sie, dass sich eine contractile Vacuole
immer finde, zwei sehr häufig, dagegen drei sehr selten. Ich traf
nun bei meinen Thieren immer zwei Vacuolen an ganz bestimmter
Stelle, und als ich genauer und namentlich durchsichtigere Thiere
untersuchte, auch noch eine dritte Vacuole, an deren Constanz
ich nicht zweifle, da sie schon in dem Schwärmsprössling deut-
lichst angelegt wird, obgleich ich sie, wie gesagt, nicht immer
sah. Die Lage dieser drei Vacuolen ist aber folgende (Fig. 3).
Zwei derselben liegen am Vorderende der Podophiye, wie ich
das der Anheftungsstelle entgegengesetzte Ende nennen will, und
zwar sich genau gegenüber, zwischen je zwei, der die Tentakel
tragenden, kurzen Zapfen, welchen unsere Podophrya ihren Species-
namen zu verdanken hat. Die dritte Vacuole hingegen findet
sich etwa in der Leibesmitte des Thieres, und zwar um einen
rechten Winkel von den beiden zuerst genannten entfernt. Alle
drei liegen dicht unter der Oberfläche dea^ Thieres, ein Umstand
welcher die schon von Lachmann ^) ftir die Acinetinen nachgewiesene
Entleerung der Vacuolen nach aus»* j (wie bei den cUiaten In-
fusorien) nur bestätigen kann. Die Neubildung der Vacuolen nach
ihrer Systole geschieht auch hier, wie bei vielen ciliaten Infusorien
und Bhizopoden, durch das Zusammenfliessen einer grösseren
Anzahl neuentstandener, kleiner. —
Der Nucleus ist ein im normalen Zustand ovaler bis drei-
eckiger, langgestreckter Körper, dessen Längsrichtung mit der
des Thieres zusammenfällt. Hufeisenförmig gekrümmte Formen,
von welchen Stein spricht, sah ich im normalen Zustand eben so
wenig wie Glaparöde und Lachmann, wenn nicht etwa Stein solche
*) 1. C., p. 96.
*) 1. C, p. 382.
*) p. 117. Die Erklärung der Angabe Cl. u. L's., dass sie zuweilen sogar
bis sechs contractile Vacuolen sahen, ergiebt sich wohl daraus, dass sich, wie
weiter unten geaeigt werden wird, für jede der drei Vacuolen des Mutter-
thiers entsprechende im Sprössling anlegen. Da nun Cl. u. L. die früheren
Stadien der Sprosslingsbildung nicht erkannten, so schrieben sie die neugebildeten
Vacuolen desselben noch dem Mutterthier zu.
*) Verh. des naturf. Vereins der preuss. Rheinlande u. Westph, XVI, p,91.
19*
294 O. Bütschli,
Formen gesehen hat, die, wie ich weiter nnten beschreiben werde,
der Nuclens nach der Sprösslingbildnng annimmt.
Die Masse des Nncleus ist im gewöhnlichen Znstand sehr
deutlich dnnkelkömig. Die ziemlich regelmässig gerundeten, stark
lichtbrechenden Körnchen liegen ganz dicht zusammen, in einer
hellen Zwischenmasse eingebettet. Aeusserlich wird der gesammte
Nucleus, wie der der cUiaten Infusorien, noch von einer dicht auf-
liegenden, zarten Httllhaut umschlossen. Wie bekannt, bildet sich
bei Podophrya quadripartita stets nur ein Sprössling auf einmal ;
jedoch kann sich, wie ich mich durch Untersuchungen an dem-
selben Thiere überzeugt habe und wie auch die früheren Forscher
angenommen haben, die Fortpflanzung durch Sprösslinge mehrfach
in kurzen Zeiträumen wiederholen.
Die erste Anlage zur Bildung des Sprösslings zeigt sich nun
in einer sehr unerwarteten Weise. Man trifft; nämlich sehr häufig
Thiere, auf deren vorderen Fläche, mitten zwischen den Tentakel-
zapfen, sich eine kleine, trichterförmige bis spaltartige Einsenkang
findet (Fig. 1).^) Bei andern Individuen ist diese Einsenknng
schon ziemlich tief in das Innere vorgedrungen und hat sieb
innerlich zu einer kleinen Höhle erweitert, während sie sidi
äusserlich durch eine enge Mündung öfihet. Man könnte in Ver-
suchung kommen, zu ^glauben, dass sich hier eine Mundöfihnng
an der Podophrya gebildet habe ; dem ist jedoch nicht so, sondern
diese Oeffhung ist diejenige, durch welche der Sprössling später
seinen Weg in die Aussenwelt finden soll, die sogen. Oeburts-
Öffnung Stein's. Unterhalb dieser Oefinung, aus dem Boden der
Höhle, in welche sie führt, wird sich zunächst der Sprössling an-
legen. Dies geschieht in folgender Weise. Die Höhle vergrössert
') Das tiefere Eindringen in diese Vorgänge wurde nur durch folgende
Verfabrungsweise ermöglicht. Im normalen Zustande sind die Individuen der
F. quadripartita bekanntlich so von dunkeln und ziemlich groben Kömern
erfüllt, dass es nicht möglich ist, die feineren Bauverhältnisse des Kernes
ohne Missbandlung des Thieres zu erkennen. Lässt man jedoch die Thiere
einige Zeit in reinem Wasser, z. B. auf dem Objectglase, hungern, so ver-
lieren sich die störenden Körner allmählich und die Acinete erlangt die in
Fig. 3 wiedergegebene, durchsichtige Beschaffenheit. Das in Fig. 4—13 iu
fortlaufenden Entwicklungsstadien dargestellte Tbier war auf diese Weise
auf dem Objectglas seit etwas mehr als 24 Stunden vor der Beobachtung ge-
zogen worden. Bei der Isolation enthielt das Thiers und seine Gefährten
Embryonen, welche nach einiger Zeit ausschwärmten; 24 Stunden später
bildeten sie von neuem Sprösslinge, deren Formationsgeschichte in den Ab-
bildungen wiedergegeben ist.
Ueber die Entstehung des Schwärmsprösslings etc. 295
sich unterhalb der vordren Fläche der Podophrya^ jedoch nach
yerschiedenen Seiten in sehr ungleicher Weise. In der Ebne näm-
lieh; in welcher die hintere Vacnole liegt, wächst sie nach beiden
Seiten rasch weiter zwischen das Protoplasma der Podophrya
hinein, etwa parallel mit der Oberfläche des Acinetenkörpers ver-
laufend, so dass sie bald zu beiden Seiten des Nucleus die Gegend
der hintern Vacuole erreicht (Fig. 3). In der hierzu senkrechten
Richtung hingegen, in der Ebne der beiden vordem Väcuolen,
hat sie sich vorerst nur sehr wenig ausgedehnt, wie sich dies
besser aus der Fig. 3 ersehen, als mit Worten schildern lässt.
Auf dem Boden der so vergrösserten Höhle, der ungefähr
einen Theil einer Kugeloberfläche bildet, zeigt sich nun sehr bald
eine mittlere, in der Ebene der hinteren Vacuole verlaufende
Furche (Fig. 3), deren Grund sich sogleich, soweit dies mit Sicher-
heit zu erkennen ist» mit mehreren Reihen von lebhaft schlagenden
Wimpern bekleidet.
Der so ausgezeichnete Boden der Höhle ist, wie schon
bemerkt, ein Theil des zukünftigen Sprösslings; die Furche mit
den Wimpern dessen in Bildung begriffener Wimpergürtel.
Noch zeigt der Kern der Podophrye nicht die geringste Ver-
änderung. Zunächst erhält nun der in dieser Weise angelegte
Sprössling seine eigenen kleinen, contractilen Vacuolen und zwar
bildet sich in genau entsprechender Lage in dem Sprössling für
jede contract. Vacuole der Mutter eine neue (vergl. Fig. 4 u. 5).
Wie bei der Theilung der ciliaten Infusorien werden dieselben
ohne Zweifel selbständig in dem Protoplasma des Sprösslings auf-
tauchen.
Mittlerweile vergrössert sich die Höhle in der Richtung nach
den beiden vorderen Vacuolen unablässig, wenn auch langsam
(Fig. 4 u. 5).
Ich trage nach, dass schon auf dem Stadium der Fig. 3 die
Ränder der eigentlichen Einstttlpungsöffnung der Höhle (wenn
man so will) sich meist deutlich aufgerichtet haben und gewisser-
massen einen kurzen Rüssel der Podophrya bilden.
Erst einige Zeit nachdem die contractilen Vacuolen des
Sprösslings entstanden sind (Fig. 5), zeigt sich sehr plötzlich die
erste Veränderung des Nucleus. Zuvor bemerke ich jedoch, dass
die in Fig. 4 bis 13 dargestellten Entwicklungszustände des
Sprösslings bis zu seiner völligen Ausbildung durch fortlaufende
Beobachtung eines und desselben Thieres erhalten worden sind,
dass dalier auch sämmtliche nun zu beschreibenden Veränderungen
296 O. Bütschli.
des Kernes am lebendigen Nnclens beobachtet worden sind, also
nicht der Einwarf künstlich hervorgerufener Bildungen erhoben
werden kann. Plötzlich nämlich (Fig. 5) verändert der Kern seine
Structur, indem die stark lichtbrechenden Kömer, welche^ wie
beschrieben, ihn zusammensetzen, auf einmal zu Fäden auszn-
wachsen beginnen, so dass im Anfange dieser Verändeirnng der
Kern das eigenthümliche Aussehen der Fig. 5 erhält. Dies Aus-
wachsen der Kemkömer zu feinen Fäden schreitet jedoch weiter
fort, so dass nach kurzer Zeit der früher so deutlich kömige
Kern als ein vielfach verschlungenes Geknäuel feinster Fäden
erscheint (Fig. 6).
Gleichzeitig hat sich jedoch auch die allgemeine Gestalt des
Kernes etwas geändert; indem er sich in der Längsrichtung ver-
kürzt und entsprechend verbreitert hat. Diese Concentrations-
bestrebung des Kernes dauert noch weiter fort, bis schliesslich
eine ziemlich abgerundete Form; wie in Fig. 8, erreicht^ worden
ist. Mittlerweile ist nun auch durch Ausdehnung der Höhle die
Ablösung des Sprösslings selbst bedeutend weiter geschritten; ich
unterlasse hier eine nähere Schilderung dieses Vorganges der all-
mählichen Herausschälung des Sprösslings, da die Vergleichong
der Abbildungen diesen Process viel besser erläutern wird. Jetzt,
nachdem etwa schon die eine Hälfte des Sprösslings sich Tom
Mutterthier abgetrennt hat, beginnt zuerst eine auf den Zerfall
hindeutende Formveränderung des Kernes (Fig. 9). Sein vorderes
Ende verlängert und verschmälert sich zu einem kolbenfttmigen
Gebilde, welches allein noch in dem, weiterhin als hintere Hälfte
des Sprösslings sich abschnürenden llieil des mütterlichen Proto-
plasmas verbleibt, während der übrige Kern ausserhalb derselben
seine Lagerung erhält (Fig. 9 u. 10). Dabei beginnt letzterer
Theil des Kernes in sehr eigenthümlicher Weise in der Ebne der
beiden vorderen Vacuolen sich zu strecken, indem er sich hi^bei
mehr und mehr im opt. Durchschnitt dreieckig gestaltet und sich
um die, nun allmählich zur Abschnttrung gelangende, hintere Hälfte
des Sprösslings herumkrUmmt (9—12).
Der in den Sprössling hineinragende, kolbenförmige Fortsatz
des Kernes, in dessen vorderem, abgerundetem Ende die Kemfasem
in recht deutliche Verdickungen auslaufen (10—11), schnürt sich
nun, indem sich die Abtrennung der hintern Hälfte des Embryo
immer mehr vollzieht, allmählich von der ausserhalb des Spröss-
lingsanlage gebliebenen Kempartie ab, indem sich der Verbin.
dungsstrang beider mehr und mehr verdünnt (Fig. 11 u. 12) und
Ueber die Entstehung des SchwärmsprÖsslings etc. 297
«chliesslieh ganz einreisst Lietzteres geschieht sicherlich erst in
dem Moment, wenn die Ablösung des Sprösslings selbst sich voll-
endet (Fig. 12 — 13). Nach gänzlicher Abtrennung vom Mntter*
thier Hegt demnach der SprössUng als ein nngeflifar eiförmiger
Körper dicht unter der vordem Fläche der Podophrya ; mit seiner
Längsaxe ist er zwischen die beiden vorderen Vacuolen gestellt,
sein Wimpergttrtel hingegen liegt in der Ebene der hinteren
Vacuole. Er rotirt nun lebhaft in der mit Fittssigkeit erfüllten
Höhle umher, welche durch die Geburtsöffhnng von jeher mit der
Anssenwelt in Verbindung stand. Sehr bald verliert nun der
Kern des Sprösslings seine faserige Beschaffenheit und erhält
wieder die kömige Stmctnr des normalen Zustandes (Fig. 13).
Dagegen bewahrt der Kem des Mutterthiers seine faserige Be-
schaffenheit viel länger. Ich habe die Btlckbildnng desselben zu
der normalen Gestalt und Beschaffenheit nicht näher verfolgt,
doch geschieht dieselbe wohl ohne Zweifel in umgekehrter Weise
wie die Veränderungen während der Theilung. Nachdem nun
der Sprössling sich einige Zeit in seiner Höhle herumgetummelt
haty beginnt das Mutterthior regelmässig^ wie das auch schon
SteiUy ClaparMe und Lachmann angegeben haben, ziemlich ener-
gische Oontractionen auszuführen, welche ohne Zweifel mit dem
Geburtsact des Sprösslings in Verbindung stehen. Die Art dieser
Oontractionen, die vielleicht besser als Zuckungen bezeichnet
werden, erinnert mich nicht etwa an die Gontractionserscheinungen
ciliater Infusorien, sondem mehr an die amöboiden Bewegungen
der Rhizopoden, namentlich solcher mit relativ resistenter äusserer
Schicht, wie z. B. die der Amöba terricola und violacea Greeff's.
Es sind locale, brochsackartige, plötzliche Hervordrängnngen der
Leibesmasse an verschiedenen Stellen des Podophryenkörpers, wie
sie sich auch in gewöhnlichen Verhältnissen häufig, jedoch nicht
so anhaltend und energisch zeigen. Wie schon von 01apar6de
und Lachmann ^) hervorgehoben wurde, zeigt die P. quadripartita
die CircnlationBerscheinung des Endoplasmas der Infusorien recht
deutlich, was ich zu bestätigen vermag; auch in den sogen. Oon-
tractionen möchte ich, wie gesagt, nur solche locale und ener-
gischere Strömungen erkennen.
Durch die Wirkung dieser Thätigkeit des Mutterthiers, sowie
«ueh durch seine eigenen Anstrengungen, wölbt der Sprössling
die Decke der Höhle allmählich hervor, wobei zugleich die röhren-
') 1. c. n, p. 121. Anmerkung.
298 O. Bütsclili,
artige Verlängerung fder Gebnrtsöffiiiing allmählich schwindet.
Schliesslich tritt er nnter mächtiger Ausdehnung der Geburts(Mfiiang
(Fig. 14) in die Aussenwelt.
Die Gestalt des so in Freiheit gesetzten, durch nicht sehr
energische Bewegungen sich herumtummelnden Spr^yssUngg ist
etwas verschieden von der des noch in der Mutter eingeschlossenen»
Die ursprüngliche Längsaxe desselben hat sich nämlich anfifal-
lend verkürzt, dagegen die Ebene der Wimperreifen verbreitert
(Fig. 16).
Durch die Wimperreifen wird der Sprössling; wie namentlicb
sehr deutlich schon an dem noch im Mutterthier eingeschlossenen
zu sehen ist, in zwei, an Grösse etwas differirende Theile ge-
schieden, von welchen ich den kleinen, der eine contractile Vacnole
enthält (Fig. 13), den vorderen nennen will, da er bei der Be-
wegung gewöhnlich vorangeht, den grossem dagegen, der zwei
Vacuolen einschliesst, den hinteren. Im letzteren findet auch
meist der Kern seinen Platz. Die Zahl der Wimperreifen beträgt
sehr wahrscheinlich vier. Dieselben sind durch drei vorgewölbte
Bänder von einander geschieden, in den Furchen zwischen welchoi
die Wimpern eingepflanzt sind. Aehnliche Ausbildung der Wimper-
reifen wurde schon mehrfach, sowohl von Stein als Glapar6de and
Lachmann, für verschiedene Schwärmsprösslinge beschrieben.
Dies sind jedoch nicht die einzigen Wimpern, welche sich bei
unsem Sprösslingen finden; bei den in Freiheit getretenen findet
man nämlich auch das Hinterende deutlich von Cilien besetzt
(Fig. 16), obgleich dieselben sich nur über eme sehr beschränkte
Stelle desselben verbreiten.
An einer Bandstelle des Vordertheils des Sprösslings be-
merkte ich mehrfach, dicht bei dem Wimpergürtel, eine etwas ^-
gedrückte Stelle, die möglicherweise ähnlichen Einsenkungen^
welche sich an einer gewissen Stelle der Schwärmsprösslinge
anderer Acineten finden, entspricht, und welche Stein ^) früher ftr
saugnapfartige Bildungen, mittels deren sich der Sprössling
künftighin anheften würde, erklärte, während B. Hertwig darin
Rudimente eines Cytostoms, eines Mundes, zu erkennen glaubt»
Für unsere Sprösslinge kann ich hinsichtlich dieser Frage kdn
entscheidendes UrtheU f&llen ; ich muss jedoch hervorheben, dass
die Oertlichkeit dieser kleinen, eingesenkten Stelle bei unseren
Sprösslingen ziemlich gut mit derjenigen Stelle harmonirt, mittels
^) Organismus der Infasionsthiere I, p. 105.
Ueber die Entstehang de« Schwärmsprösslings etc. 299
welcher sie sich künftighin anheften werden und weloher die
Ansseheidong des Stieles der jungen Podophrye zukommt
Ich glanbe nämlich, dass, obgleich ich die Entwicklang des
Schwärmer zu der Podophrya nicht direct beobachtet habe, über
die Stelle, mittels der sich der Schwärmer festheftet und die die
Ansscheidnng des Stieles vollzieht, kaum ein Zweifel sein kann.
Wir sehen nämlich, dass der Schwärmer immer in ganz bestimmter
Weise za seinem Mntterthier orientirt ist, dass die Ebene, in
welcher sich der Wimpergttrtel bildet, immer genan der Ebene
entspricht, welche dar?h die hintere Vacuole der Podophrya and
deren Längsaxe gelegt werden kann. Die weitere Vergleichang
der Regionen des Schwärmers mit denen der festsitzenden Podo-
phrya ist dnrch die Lage der drei Vacuolen genan festgestellt.
Es kann daher meiner Ansicht nach keinem Zweifel anterliegen,
namentlich da, wie sogleich gezeigt werden soll, der ganze Process
der Sprösslingsbildnng sich nngezwnngen von der einfachen Thei-
lang Wleiten lässt, dass sich die Regionen des Sprösslings auch
bei dem Uebergang in die Podophrya in ihrer nrsprtlnglichen
Bedentong erhalten werden and dass daher der Sprössling sich
in derselben Lage anheften wird, die er arsprttnglich bei seiner
Entstehang hatte, also die Abscheidang des Stieles von einer
Stelle ausgehen mnss, welche der hintern Vacuole und dem
Wimpergürtel genähert liegt. Diese Stelle entspricht jedoch recht
gut der oben erwähnten, kleinen Einsenkung.
Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass auch die Knospen-
sprösslinge der Hertwig'schen Podophrya gemmipara bei ihrer
Entstehung bezüglich ihrer Regionen genau so orientirt sind wie
ihre Mutter. Es muss daher auffallen, dass nach der Hertwig'schen
Beschreibung des allmählichen Uebergangs des Sprösslings in eine
junge Podophrya eine Verdrehung der Axe des Sprösslings um
90^ stattfindet, wo4urch also die Regionen ganz verkehrt würden.
Würde sich dagegen die Ausscheidung des Stiels in der von
Hertwif einem Cytostom verglichenen Einsenkung vollziehen, was
nach den so bestimmten Angaben dieses Beobachters jedoch kaum
möglich erseheint, so würde die Orientining der ursprünglichen
Regionen des Schwärmers dieselbe bleiben, bezüglich denen des
Mutterthieres.
Eine Frage erhebt sich noch, hinsichtlich des Verhaltens der
Gebnrtsöifnung nach dem Austritt des Sprösslings; verschwindet
dieselbe nämUch völlig wieder, wie dies Stein und Claparfede-
Lachmann behaupten, oder bleibt sie erhalten und kann gleich
300 O. Büttohli,
zar Bildnng eines zweiten Embryo unterhalb derselben geschritten
werden? Ich habe es versäamt, diese Frage zu entscheiden.
Durch die yon mir geschilderte Entstehongsweise des Schwärm-
sprösslings der Podophr} a qnadripartita werden nnn einige, nicht
unwichtige Punkte einer Entscheidung näher gebracht Die Ent-
stehung des Sprösslings dieser Acinetine wurde seither als ein
Beispiel der endogenen Erzeugung eines Fortpflanzungskörpen»
betrachtet, wie sie ja der Mehraahl der Acinetinen zugeschrieben
wird. Wenn auch, wie in der Einleitung schon bemerkt, bei einer
kritischen Untersnchung d^ frühem Beobachtungen die Ansicht:
dass die SprOsslinge sich aus Theilen des Nudeus direct hervor-
bildeten, als sehr unwahrscheinlich sich darstellen musste, so
musste dennoch zugestanden werden, dass die Entstehung einer
endogenen Knospe, als welche Hertwig die innerlich gebildeten
SprOsslinge der Acinetinen auffasst, keineswegs in einen unge-
zwungenen Zusammenhang mit der äusseren Knospenbildnng sich
bringen Hess, sondern dieser unvermittelt und deshalb unverständ-
lich gegenüberstand.
Dadurch aber, dass gezeigt wurde, wie sich als ursprüng-
lichste Anlage dieser vermeintlichen endogenen Knospe die Oebnrts-
Öffnung bildet — also die Anlage der Knospe sich so vollzieht,
dass ein, wenn auch nur sehr kleiner Theil der Oberfläche des
AciEetenkörpere in die Tiefe sinkt und indem er in beständiger
Communication mit der Aussenwelt bleibt, die erste Anlage der
Knospe bildet — dadurch tritt diese Bildung des innerlichen
Sprösslings in den directesten Zusammenhang mit der äussern
Knospenbildung, wie sie von Hertwig trefflich beschrieben wurden
mit dem einzigen wesentlichen Unterschied, dass im letzteren Fall
ein v^hältnissmässig grosser Theil der ursprünglichen Oberfläehe
des Acinetenkörpers zur Oberfläche des KnospensprGsshngs wird,
während bei der innern Sprösslingsbildung der^ Podophry a qnadri-
partita nur ein sehr Ueiner Theil dieses Verhalten zeigt Bei d^
Bildung der Knospe der Podophrya gemmipara wird die untere
Hälfte der Knospe aus dem Protoplasma des Mutterthiers gleich-
sam herausgeschält, wie sich Hertwig ausdrückt ; letztem Process
sehen wir bei der Podophrya qnadripartita dagegen ganz über-
wiegen und durch ihn den grössten Theil der Oberfläehe de»
Sprösslings entstehen, während nur ein ganz kleiner Theil der-
selben direct von der der Mutter sich herleitet.
Wir bemerken daher einen ganz allmählichen Uebergang von
der einfiachen Theilung der Podophrya fixa und Acineta mystacina
Ueber die Entstehung des Schwärmsprösslings etc. 301
zar äusseren Enospenbildnng der Podophrya gemmipara and
schliesslich der Entstehung des vermeintlichen inneren Sprösslings
der P. qnadripartita. Principiell ist der Bildnngsprooess in allen
Fällen derselbe. ^) '
Andererseits aber beweist uns das beschriebene Verhalten
des Kernes der P. qnadripartita während der Enospenbildnng
gleichfalls die principielle Uebereinstimmnng dieses Vorganges
mit der gewöhnlichen Theilang der Infasorien, speciell der Ciliaten,
denn in beiden Fällen ist das Verhalten ganz das gleiche. Ich
habe anderwärts gezeigt^), dass bei der gewöhnlichen Theilnng
der Ciliaten die absolut gleiche Ausbildung des faserigen Nucleus
eine sehr allgemein verbreitete Erscheinung ist. Dass sich das
gleiche Verhalten auch während der Theilung des Nucleus der,
sonst so weit von den Ciliaten sich entfernenden Acineten findet^
ist sicherlich der ausreichendste Beweis, dass hier ein prin*
cipielles und nicht nur ein besonderes Verhalten einzelner Formen
vorliegt.
Gleichzeitig jedoch giebt uns diese vollständige Ueberein-
stimmung des Theilungsmodus des Nucleus der Podophrya und
des der ciliaten Infusorien auch die unumstössliche Gewissheit
von der völligen Gleichwerthigkeit der beiderlei Körper und damit
auch den Beweis, dass der Acinetennucleus den Werth eines echten
Zellkernes besitzt , da ich dies fttr den Nucleus der Infusorien
in, wie ich glaube, überzeugender Weise nachgewiesen habe.
Diese Gleichwerthigkeit des Kernes der Acineten mit dem echten
Zellkern, von allen Anhängern der Einzelligkeitslehre der Infu-
sorien vorausgesetzt, wurde auch neuerdings von Hertwig durch
das Verhalten desselben gegen Färbemittel und während der Thei-
lung zu beweisen versucht, wobei ich mir zu bemerken erlaube,
dass schon Stein auf die Aehnlichkeit der verästelten Kerne seiner
Acineta Operculariae (Podophrya Steinii, Cl. u. L.) mit den ver-
ästelten Kernen der Spinndrttsen und Malpighi'schen Gefässe
') Die principielle Uebereinstimmang zeigt sich auch noch tiefer gehend
in der ganz übereinstimmenden Stellung des Sprösslings zu dem Mntterthier.
In allen drei FiiUen der Entstehung des Sprösslings liegt nämlich die Thei*
Inngsebene senkrecht zn der Stielaxe des Mutterthiers (vgl. Cienkowski, 1. c),
die Theilangsebene der Acineten ist daher bezüglich des Stieles ganz anders
orientirt wie bei den gestielten, ciliaten Infusorien, den Vorticellinen, wo die
Stielaxe des Thieres immer in die Theilungsebene fallt.
*) Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge der Eizelle etc. Abh.
der Senkenb. Gesellsch. zu Frankfurt a. M. Bd. X, p. 6ft des Separatabdr.
\
302 O. Bütschli,
mancher Raupen hinwies. ^) Weit sicherer jedoch erscheint mir
dieser Beweis durch das übereinstimmende Verhalten des Nncleas
der Aeineten und der ciliaten Infusorien, wie ich es im Laufe
dieser Mittheilung zeigte^ erbracht zu sein.
Da jedoch andererseits dieser Theilungsmodus des Zellkerns,
wie ich in meiner oben citirten Abhandlung gezeigt habe, keines-
wegs ein allseitig verbreiteter, sondern, soweit dies heute zu be-
stimmen ml^glich ist, auf die ciliaten Infusorien und Acinetinen
beschränkter ist, so folgt daraus auch sicherer, als dies meiner An-
sieht nach seither nachzuweisen war, die nahe Verwandtschaft
und die Zusammengehörigkeit beider Abtheilungen.
Ein sehr wesentlicher Punkt, welcher die Zusammengehörig-
keit der Acinetinen und Ciliaten seither erweisen sollte> nämlich
die Fortpflanzung durch innerlich sich entwickelnde, sehr ähnlich
gestaltete Sprösslinge, ist durch £ngelmann's ^) und meine Unter-
suchungen über die ciliaten Infusorien als ganz illusorisch nach-
gewiesen worden, indem die vermeintlichen Embryonen sich in fast
allen Fällen als parasitische Acinetinen ergeben haben.
Ein zweiter Punkt hingegen, nämlich die zeitweise Bewimperong
der Acinetensprösslinge in einer Weise, welche sich der der Ciliaten
nicht selten näher anschliesst, besitzt zwar eine unleugenbare
Bedeutung hinsichüich der Frage nach den Verwandtschaftsver-
hältnissen der Acinetinen und Ciliaten, dennoch meiner Ansicht
nach nicht eine so hohe, als man vielleicht ursprünglich voraus-
zusetzen geneigt ist. Vom Darwinistischen Standpunkte aus kann
man die Bewimperung des SchwärmsprGsslings der Acinetinen
eben so wohl als eine durch Anpassung erworbene, zur Verbrei-
tung der Sprösslinge geeignete Einrichtung betrachten, als nm-
gekehrt in dieser Einrichtung die Bückkehr zu einem ehemaligen
Urzustand der Acinetinen erkennen. Eine Berechtigung scheint hierzu
um so mehr vorhanden, als sich die grosse Variabilität der Be-
wimperung der SprOsslinge bei ganz nahe stehenden Acinetinen
sicherlich leichter erklären Hesse durch eine von grossec Neigung
zur Variation unterstützte, spätere Anpassung, als umgekehrt durch
die Annahme, dass so verschiedene Modi der Bewimperung ihre
Ursache in eben so verschieden gebauten Ureltem der Acinetinen
linden würden. Sehen wir doch in nicht allzu unähnlicher
Weise auch die Schwärmsporen der Algen hinsichüich ihrer Be-
0 1. C, p. 119.
*) Kogelmann, lieber Entwickl. a. Fortpfl. d. Inf. Morph. Jahrb. Bd.I. p. 578«
Ueber d\e Entstehung des Schwärmsprösslings etc. 303
wimpernng eine Reihe yerschiedenartiger Bildungen darbieten, die
gewiss Niemand zur Feststellung ihrer Phylogenie zu verwerthen
geneigt sein wttrde. Während uns dieselben in den meisten Fällen
den Typus der Flagellaten vorftthreu; treffen wir dagegen bei den
Oedogonien Schwärmsporen mit einem Cilienkranz, bei gewissen
Vaucherien sogar solche mit totaler Bewimperung an.
Ausserdem möchte sich doch die nicht ungerechtfertigte Frage
erheben lassen, ob denn das biogenetische Grundgesetz ^) auch
noch in solchen Fällen seine Gültigkeit bewahrt, wie sie uns z. B.
die Acinetinen während ihrer Fortpflanzung vorführen ; denn denken
^) Hinsichtlich der angeregten Frage, nach der Gültigkeit des biogene-
tifloheD Grundgesetzes: dass die Ontogenie eine kurze Recapitulation der
Phjlogenie sei, im Bereich der Protozoen, muss ich mir hier noch eine nähere
Ausführung erlauben.
Die uns bekannten Fortpflanznngsarten der Protozoen leiten sich aner-
kanntermaassen sämmtlich von der einfachen Theilung ab. Gerade bei den
höchststehenden Protozoen, den Ciliaten, sehen wir, trotz des compliuirten
Baues des Organismus, diesen Theilungsprocess in der denkbarst einfachsten
Weise sich volbdehen. Das Resultat sind zwei Sprösslinge von derselben Be-
schaffenheit wie die Mutter. In diesem Falle lässt sich daher gar nicht
von einer Ontogenie des Organismus in dem Sinne der höheren Thiere
sprechen. Bei letzteren ist schon a priori die Annahme, dass der vielzellige
Orvanismns, der sich aus einer einfachen FortpflanznngszeUe heranbildet, die-
selben Stufen der Entwicklung durchläuft, welche der Organismus bei seiner
phylogenetischen Entstehung aus einem einzelligen Wesen durchgehen musste,
sehr naturgemäss. Anders jedoch bei den Protozoen. Hier erscheint uns
umgekehrt der Zerfall eines mütterlichen Organismus in zwei ihm gleich-
werfthige als der natürlichere Zustand, wobei die jungen Sprösslinge den
mehr oder weniger hoch differenzirten Zustand direct von ihrer Mutter über-
kommen. Daraus erst abgeleitet dagegen, müssen uns alle diejenigen Fort-
pflanzungsarten der Protozoen erscheinen, wo das in einfacher oder mehr-
facher Zahl erzeugte Theilungs- respect. Knospungsproduct sich in auffallender
Weise von dem mütterlichen Organismus unterscheidet. (Fortpflanzung durch
Zoosporen, Amöbenbrut be! Gregarinen und Arcella, Schwärmsprösslinge der
Acinetinen z, Theil). Hier fragt es sich doch sehr, ob die Ausbildung dieser
Fortpflanzungskörper etwa als ein Rückschlag zu einer früheren Organisations-
stufe der Protozoen aufgefasst werden dürfe oder als eine, bestimmter Zwecke
wegen, allmählich erlangte besondere Ausbildung der Sprösslinge. Nur iui
ersteren Falle liesse sich die allmähliche Entwicklung der Organisatien des
Mutterthieres an dem Fortpflanzungskörper (Sprössling, Spore etc.) als ein
der ontogenetischen Entwicklung der höheren Organismen entsprechender
Vorgang betrachten; im letzteren Falle hingegen könnte man höchstens von
einer Metamorphose sprechen, in ähnlicher Weise wie ja viele Protozoen der-
artige Metamorphosen in Folge des, sich in ihren Entwicklungsgang häufig
einschiebenden Enoystirungsprocesses durchmachen.
304 O. Bötschli,
wir uns den einfachsten Fall, nämlieh die Bildnng des SchwSnn-
sprösslings dnrch einfache Theilang einer Podophiya fixa ^) oder
mystacina, so lässt sich ja Yorerst nicht einmal die Frage ent-
scheiden, welche Theilhälfte in diesem FaU Matter, welche Junges
sei, wenn nämlich die Podophrya fixa, wie dies häofig der Fall
ist, stiellos auftritt.
Hinsichtlich einer phylogenetischen Abstammung von be-
wimperten Infusorien giebt uns daher meiner Ansicht nadi die
Bewimperung der Schwärmsprösslinge der Acinetinen keinen Auf-
schluss, eben so wenig als die Thatsache des Vorkommens flagel-
lat'^nartiger Zoosporen bei den Bhizopoden die phylogenetische
Abstammung der letzten von flagellatenartigen Organismen er-
weisen könnte.
Das Einzige, was sich aas der Thatsache der Bewimperung
der Schwärmsprösslinge der Acinetinen ergiebt, ist, dass das
Piotoplasma der Acineten die Fähigkeit besitzt, unter Umständen
und, wie dies auch durch eine Hertmg'sche Beobachtung an Podo-
phrya fixa erwiesen ist, keineswegs immer nur am Schwärm-
sprösslinge zahlreiche Wimpern zu erzeugen. Hierin, abgesehen
von jeder Frage der Abstammung, eine Verwandtschaft mit den
Protoplasma der Infusorien zu erkennen, ist, da ja auch sonstige
verwandtschaftliche Beziehungen existiren, gewiss gerechtfertigt
Mag daher auch die phylogenetische Ableitung der Acinetinen
und ciliaten Infusorien sich späterhin ergeben, wie sie wolle, die
Formation der Schwärmsprösslinge, deren Entstehung als ein ein-
facher, wiewohl zuweilen sehr modificirter Theilungsprocess be-
trachtet werden muss, entsprechend der bis jetzt allein bekannten
Fortpflanzung der Ciliaten durch Theilung, kann sicherlich keinen
Anhaltspunkt zur Aufklärung dieser Frage bieten, eben so wenig
wie sich eine Thatsache aus der Fortpflanzung der Ciliaten durch
Theilung zur Erkenntniss von deren Phylogenie verwerthen Hesse.
Sollten die Schwärmsprösslinge der Acineten unter Umständen
die Fähigkeit vorübergehender Mundbildung besitzen, was ich
jedoch noch sehr bezweifeln muss, so würde dadurch ihre Ver-
wandtschaft mit den Ciliaten im gleichen Sinne, wie dies hin-
sichtlich der Bewimperung der Fall, erhöht, ohne dass jedoch
') Dies ist am so mehr der Fall, da, wie aus Cienkowski's Schildermig
hervorgeht, nrsprünglich die beiden Theilhälften der F. fiza mit Tentakela
versehen sind. Erst nach einiger Zeit zieht die vordere Theilhälfte ihre Ten-
takel ein, bedeckt sich mit Wimpern und eilt als Sprössling davon. (L c)
Ueber die Entstehung dei Schwärmsprösslings etc. 305
hierdarch die AbBtammiing yon einem mit Mund yersehenen ciliaten
Infnsor erwiesen wäre.
Bei der grossen Uebereinstimmang^ welche die Undei der
Snetoria and CSiliata zeigen, erscheint es gewiss gerechtfertigt,
danach zu suchen, ob sich dieselbe nicht noch weiter erstrecke,
ob nämlich nicht anch die zweite Art kleiner and rudimentärer
Kerne der Ciliaten, welche die frühere Forschang Nadeoli genannt
hat und die ich yorgeschlagen habe, die primären Nuclei zu nennen
— ob die Acinetinen, sage ich, neben ihrem Nncleas nicht auch noch
solche primäre Kerne enthalten wie die Ciliaten. Bei Podophiya
qnadripartita, welche ich in dieser Hinsicht mehrfach untersuchte,
habe ich nie etwas Derartiges gesehen; dagegen habe ich mich
von der Existenz eines dunklen, kleinen Körperchens neben dem
Nndeus der parasitischen Acinetinen (Sphaerophrya GL und L.)
des Paramtteium Bursaria mehrfach überzeugt. Ich glaube kaum
fehl zu gehen, wenn ich dieses mehrfach constatirte Körperchen
flir ein Homologon des sogen. Nudeolus der Ciliaten halte, und
sehe in dieser Beobachtung wenigstens die Aufforderung, diese
Frage künftighin einer genaueren Prüfung zu unterziehen.
Die geschilderte Entstehungsweise des Schwärmsprösslings
zeigt uns jedoch noch eine Thatsache mit grosser Deutlichkeit,
die auf die Theüung der Infusorien und wohl auch der Zelle im
Allgemeinen ein nicht unbedentsames Licht wirft. Es standen
sich nämlich schon seit längerer Zeit, hinsichtlich der Aufeinander-
folge der Theilungserscheinungen und der hieraus zu folgernden,
causalen Beziehungen derselben zu einander, zwei Meinungen
schroff gegenüber.
Schon Stein sprach in dem ersten Bande sdnes „Organismus
der Infusionsthiere'' die Ansicht aus: „Die Theilung geht nicht
yon dem Nudeus aus, wie man häufig angenommen hat; denn
sehr oft zeigt derselbe noch keine Spur yon Veränderung, während
an der äusseren Oberfläche bereits mehr oder weniger tief grei-
fende Metamorphosen stattgefunden haben'' (p. 93). ClaparMe
und Lachmann sprechen sich, meiner Ansicht nach, in dersdben
Weise aus, wenn sie (Bd. II, p. 248) bemerken: „Ce n'est en
gän^ral que fort tard que la diyision du nucleus a Heu.'' Es ist
daher nicht richtig, wenn R. Hertwig bemerkt (1. c, p. 64) „so
lassen Claparide und Lachmann zwar die Theilung der Infusorien
mit einer Theilung des Kernes beginnen." Andererseits hat auch
die Ansicht lebhaften Beifall gefunden, welche die Theilung liait
den Veränderungen des Kernes anheben und durch diese erst die
306 O. Bütsdili,
Theilangserscheiniiiigeii des Protoplasmaleibes der Zelle herror-
gerufen werden lässt. So sah sich anch Hertwig durch seine
Untersuchungen an Podophiya gemmipara zu dieser Schloss-
folgemng veranlasst, der er in den nachstehenden Worten einen
deutlichen Ausdruck verldht: ^^so sind anch hier die Kemver-
änderungen das Primäre, das, was den Anstoss zu lebhaften, mit
der Ausbildung neuer Individuen endenden Wucherungen giebt^'
(p. 63). Ob jedoch die Verästelungen^ welche sich allmählich an
dem Nudeus der Podophiya gemmipara ausbilden, an und für sich
schon in directen Zusammenhang mit der künftigen Enoapen-
bildnng gebracht werden dttrfen, das darf wohl bezweifelt werden,
da wir auch andere Acineten mit verästehem Nucleus kennen, bei
welchen die einzelnen Zweige des Kernes jedenfalls nicht die
Rolle spielen, die ihnen Hertwig bei der Podophiya gemmipara
bezüglich der Veranlassung der Knospenbildung zuschreibt (man
vergl. die Acineta Operculariae Stein = Podophiya Steinii dp.
n. Lachm.). Hertwig bemerkt auch, dass es „in vielen Fällen
den Eindruck mache, als sttllpe die andrängende Kemknospe das
Protoplasma vor sich aus/' Dies muss ich jedenfalls für zu weif-
gehend erachten, da sich bei Hertwig selbst (T. II, Fig. 5) die
Abbildung einer Podophrya mit wohl ausgebildeten Knospe
findet, in welche die Kemknospen noch gar nicht hineinragen.
Erinnern wir uns der Schilderung, welche im Vorhergehenden
von der Entstehung des Sprösslings der Podophrya gemmipara
gegeben wurde, so finden wir, dass die ersten Anzeichen der
Knospenbildnng nicht etwa am Kern des Mutterthieres, sondern
an dessen protoplasmatischer Leibesmasse auftreten, dass die An-
lagen der Qeburtsöffnung, eines Theils des Sprösslings, dessen
Wimpergürtels und der drei Vacuolen zu bemerken sind, bevor
der Kern eine Spur von Veränderungen gezeigt hat Wir sehen
uns daher zu dem Schlüsse genöthigt, dass die ersten, auf die
künftige Theilung hindeutenden, sichtbaren Veränderungen sieh am
Protoplasma und nicht am Kern manifeiftiren und dass die Knospen-
bildung unserer Podophrya wohl als ein treffendes Beispiel anf-
gefasst werden darf, um dieses Verhältniss zu iUustriren, das, wie
ich anderwärts zu zeigen versucht habe^), auch durch andere
Erscheinungen bei der Theilung der Inftisorien und Zellen wahr-
scheinlich gemacht wird.
^) 1. c. Abhandl. der Senkenb. Gresellschaft, Bd. X, p. 306 des Separat-
abdrucks.
Ueber die Entstehung des Schwärmsprösslings etc. 307
Nachdem ich das Vorstehende niedergeschrieben nnd zum
Druck gesendet hatte, erhielt ich Gelegenheit; die Acineta mysta-
«ina in grösserer Menge zn beobachten^ nnd es gelang mir leicht,
die Richtigkeit der Glaparöde - Lachmann'schen Beobachtungen
über die Fortpflanzung dieser Acinete zu bestätigen. Ich traf sehr
häufig in der Theilung begriffene Thiere an, und es fiel mir dabei
auf, dass dieselben zum gr()sseren Theil zu den mittelgrossen und
kleinen, mit sehr lichter EörpersubstanZ; gehörten, dagegen die
sehr grossen und kömerreicheui daher relativ undurchsichtigen
Thiere sehr selten in Theilung zu beobachen waren. Die Theilungs-
«bene yerläufl; meist etwas schief von hinten nach vorn, die neue
eontractile Vacuole entsteht seitlich oder etwas mehr nach vom.
Die zum Sprössling werdende TheiQiälfke ist meist etwas kleiner
als die in der Schale zurückbleibende und stets tentakellos, die
andere Hälfte hingegen reichlich mit Tentakeln versehen. Die
genaue Verfolgung des Kernes während des Theilungsactes gelang
nicht, dagegen liess sich mit Sicherheit nachweisen, dass derselbe
auch hier die faserige Umbildung erfährt wie bei der Podophrya
quadripartita. Nach geschehener Theilung schiebt sich der Spröss-
ling allmählich nach vom unter die Mündung des Gehäuses und
bekleidet sich allmählich mit einem allseitigen, anfänglich äusserst
schwer wahrnehmbaren Wimperkleid; dies bildet sich allmählich
deutlicher aus, womit auch die Oberfläche des Sprösslings sehr
merklich ein gestreiftes Aussehen erhält, und schliesslich setzt sich
der Sprössling mit Httlfe seiner Wimpern in recht lebhafte Rotation.
Trotz vieler Mühe und langer Beobachtung gelang es mir doch
nie, das Ausschwärmen des Sprösslings zu beobachten.
Einmal hatte ich auch Gelegenheit, wahrzunehmen, dass eine
kleine Acinete in ihrem Gehäuse die Tentakel eingezogen und
sich mit Wimpern bekleidet hatte. Auch liess sich nicht selten
constatiren, dass einzelne Thiere aus ihrem Gehäuse heraus-
gekrochen waren, ohqe dass es mir jedoch gelang, das fernere
Schicksal dieser Auswanderer zu verfolgen.
Einige Beobachtungen über eine i interessante Acinetinenform
mögen hier noch eine Stelle finden. Es ist dies ein Thierchen, das
zu der stiellosen Gattung Trichophrya Clp. und Lachm. gehört
nnd wohl auch mit der einzigen, bis jetzt bekannten Art dieses
Genus, Tr. Epistylidis Clp. und Lachm. ^), als identisch betrachtet
werden darf. Claparide und Lachmann fanden diese Art para-
>) Stades, Bd. II, p. 131.
Bd. X, N. F. III, 8. 20
/
308 O. BütBchli,
sitisch auf Stöckchen der Epistylis plicatüis^ ich hingegen begegnete
« ihr sehr reichlich auf Wasserlinsenwurzehi, wo sie zwischen zahl-
reichen Vorticella nebulifera lebte. Charakterisirt wird diese Form
ausser durch ihre Stiellosigkeit (sie lag den Wasserlinsenwuizeln
immer mit breiter Fläche dicht auf) durch die bedeutende und,
wie ich mit Glp. u. Lachm. finde, schwankende Zahl ihrer con*
tractilen Vacuolen. Die Zahl derselben betrug mehrfach sechs,
bei manchen Exemplaren jedoch entschieden mehr. Das einzige
Merkmal, wodurch sich meine Thiere von der Trichophrya Episly*
lidis Clp. und Lachmann's unterschieden, war, dass die grossem
stets einen mehrfach verästelten Kern besassen, die erstere jedoch
nach ihren Entdeckern einen einfach hufeisenförmigen besitzen
soll, ein Unterschied, den ich nicht für specifisch erachten kann.
Ueber die Fortpflanzung unseres Thieres konnten Glp. n« L.
nicht yiel ermitteln, sie sahen nur einmal undeutlich einen Embryo
im Innern eines Thieres. Ich fand sehr zahlreiche freischwimmende
Sprösslinge, von sehr niederer, linsenförmiger Gestalt, mit einem
mehrreihigen Wimpergürtel um den Linsenrand. Auch dieM
Sprösslinge, deren Uebergang in die Trichophrya ich direct rer-
j folgte, waren stets schon mit 5—6 contractilen Vacuolen yersehea,
I die dicht an den Linsenrand, etwa in der einen Hälfte der Peri-
pherie gelagert waren. ^
Die eigentliche Entstehung dieses Sprösslings konnte ich nicht
ermitteln, jedoch sah ich mehrfach einen schon ziemlich hoch aus-
gebildeten Sprössling in einer Trichophrya und fand, dass die
diesen SprOssling dicht umschliessende HOhle durch einen ziemlich
langen und relativ engen Geburtskanal mit der Anssenwelt in
Verbindung stand, so dass ich auch hier dieselbe Entstehungs-
weise des Sprösslings annehmed zu dürfen glaube, die ich bei
der Podophrya quadripartita sicher nachweisen konnte.
Ueber die Entstehnng des ScKwärmsprösslings etc. 309
ErklSmng äet Abbildnngeii.
Fig. 1 a. 2. Zwei frühe Stadien der Bildung der GeburtsÖffnong and der
ersten Anlage des Schwärmsprösslings.
Figg. S — 13. Allmähliche Ausbildung des Sprösslings nach Beobachtungen
an ein und demselben Thier. Die hier wiedergegebenen Verenge vollzogen
sich etwa in einem Zeitraum von 2 — 2'/, Stunden.
Fig. 14. Ein im Hervorbrechen begriffener Sprössling.
I^g. 15. Ein Thier etwa auf dem in Fig. 9 wiedergegebenen Stadium
der Sprösslingsbildung. Um 90® gegen die Stellung der Figg. 1—13 verdreht.
In der punktirten Linie erfolgt demnächst die völlige Lösung des Sprösslings
vom mütterlichen Protoplasma.
Fig. 16. Ein frei umherschwimmender Sprössling stärker vergrössert.
20*
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Maler-
muschel.
Eine Anwendung der Keimblätter-Theorie auf die
Lamellibranchiaten.
Von
4
Carl Rabl.
Hierzu Tafel X— Xu.
Die Entwicklnngsgeschiehte der Najaden ist schon mehr-
mals Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. Keinem
Forscher ist es jedoch bisher gelungen, eine genaue und
zusammenhängende Darstellung der Entwicklungsvorgänge zu
geben und zu zeigen, ob und in welcher Weise die Keimblätter-
Theorie, deren weitgehende Bedeutung heute wohl Niemand mehr
in Frage zieht, auf die Entwicklung der Najaden anwendbar sei
Erst in der allerjtlngsten Zeit hat sich wieder eine Stimme erhoben,
welche die Anwendbarkeit jener Theorie als eine zum mindesten
sehr fragliche und unwahrscheinliche Sache erscheinen lässt und
die ganz dazu angethan ist, den Gegnern der E eimblätter-Theorie
eine willkommene und erwtlnschte Stütze zu bieten. Es muss daher
um so mehr als nothwendig erachtet werden, jenen Angaben, auf
deren Einzelheiten wir später näher eingehen werden, die Dar-
legung des wahren Sachverhaltes entgegenzustellen und den Be-
weis zu liefern, dass auch hier, wie bei allen Metazoen,
die Keimblätter-Theorie anwendbar sei, ja ange-
wendet wer den müsse, falls man überhaupt zu einem
Verständnisse der Entwicklungsvorgänge gelangen
will. -
Ueber die Entwicklangageschichte der Malermnschel. 311
Die ersten Forscher 0, welche die in den Kiemen trächtiger
Muscheln befindlichen Embryonen genauer betrachteten, hielten
dieselben bekanntlich für Parasiten (Glochidinm parasiticum).
Bald wurden jedoch gegen diese Ansicht von verschiedenen Seiten
Bedenken erhoben. Der Erste, der dagegen auftrat und die
vermeintlichen Parasiten für Muschelembiyonen erklärte, war
de Blainville. ^) Ungefähr gleichzeitig mit ihm trat auch
Raspail jener Ansicht gegenüber. Wie weit aber auch er von
einem richtigen Verständnisse des Gegenstandes entfernt war,
geht unter Anderem aus dem Umstände hervor , dass er den
Byssusfaden der Muschelembiyonen als Nabelstrang deutete. Eben
so wenig wollte es de Quatrefages') gelingen, Klarheit über
die Organisation der Muschelembryonen zu erlangen.
Am schlagendsten und besten wurde die wahre Natur der
vermeintlichen Parasiten von C a r u s ^) dargethan, indem derselbe
zeigte, dass sich ein vollkommener Uebergang von den reifen
Eierstockseiem der Muscheln bis zur Form eines sogenannten
Glochidium nachweisen lasse. Die ganze Abhandlung Carus'
zeugt nicht allein für die grosse Genauigkeit der Beobachtungen
dieses Forschers, sondern auch für die durchaus denkende und
wissenschaftliche Betrachtung der beobachteten Thatsachen. ^)
') Die betrefTende Abhandlang des älteren Rathke ist enthalten in den
„Naturhistorie Selskabets Skrifter, Kjobenhavn 1797, Tome IV^ — Vergl.
femer Jacobson, „Undersögelser til naennere Oplysning af den herskende
Meoing 9m Dammuslingernes Fremarling og Udvikling*^; diese Abbandlang
ist aas den Schriften der königl. dänilichen Akad. d. Wissensch. abgedruckt
in „Bidrag til Blöddyrenes Anatomie og Physiologie ved L u d. L. J a c o b s o n",
I. Heft, Kjobenhavn 1828. Rathke and Jacobson definiren das fragliche
Genas Glochidinm folgendermassen: „Animal cirrhis longissimis instractam.
Teata aeqailatera, aeqoivalvis, inter marginem ezteriorem hamata^.
>) Siehe Ann. d. Scienc. natur. XIV, Paris 1828.
')A.de Qaatrefages, „Sar la vie interbranohiale des petites Ano-
dontes". Ann. des scienc. nat. Tome IV and V, 1885 and 1836.
Derselbe, „Embryologie von Unio*', Comptes rendas, 1849, XXIX,
89—86.
*) C. G. Caras, „Nene Untersachungen über die Entwicklungsgeschichte
nnserer Fhissmasohel^. Nova acta physico-medica academiae caesareae Leo-
poldino-Caro^inae naturae curiosorum. 18S2. SecluEehnter Band. (Der „Ver-
handlungen der kaiserl. L6op.-CaroI. Akademie der Natarforscher*^ achter Band.)
*) Zu welch' schönen phylogenetischen Schlüssen unter Anderem
Caras gekommen ist, beweisen folgende Worte: „Wie jede Thierbildung
mit der einfachen Kugelbildung, dem £y, anfangen muss, so muss es
auch Thiergattungen geben, welche diese Entwicklungsstufe des
Thierreichs als beharrende Form darstellen*^ (p. 74).
312 Carl Rabl,
Sechzehn Jahre nach dem Erscheinen von Garns' treffliche^
Abhandinng machte Rnd. Lenckart^) den schwierigen Yer*
snch; eine Uebereinstimmnng zwischen den Embryonen der Muschehi
nnd denen anderer Mollasken nachzuweisen. Die zahlreichen
Schwierigkeiten^ welche solchen nnd ähnlichen Versuchen damals
hinderlich im Wege standen; lassen es vollkommen begreiflich er-
scheinen, dass der von Leuckart unternommene Versuch miss-
lingen musste. In diesem Misslingen jedoch, wie esFlemming
gethan, einen Grund zu finden, gegen „die damalige, stark gene-
ralisirende Richtung in der Morphologie'' zu Felde zu ziehen,
Messe den Werth solcher Versuche verkennen. — Bald darauf er-
schienen die Untersuchungen von 0. Schmidt^), die aber ebenso,
wie alle früheren Arbeiten der Hauptsache nach nur eine Dar-
legung der Veränderungen der äusseren Form der Embryonen
zum Gegenstande hatten. Ausserdem haben in neuerer Zeit noch
ForeP) und Ihering*) Beobachtungen über einzelne Punkte
der Najaden-Entwicklung angestellt.
Endlich sind noch vor Kurzem zwei Arbeiten von W. Flem-
m i n g '^) erschienen, welche, da sie die ausführlichsten von alkn
bisherigen sind, unsere Aufmerksamkeit am meisten in Ansprud
nehmen. Da aber Flemming mit Ausnahme einiger weniger
werthvoller Angaben über die Bildung der Eier (Oogenese FL)
und über die Art und Weise ihrer Befruchtung fast Alles, was
er in seiner ersten Abhandlung bringt, in seiner zweiten wieder-
bringt, so werden wir uns im Folgenden hauptsächlich auf diese
zweite beziehen können. Hier möge nur vorläufig bemerkt sein,
dass es auch Flemming trotz zweijähriger Beobachtungen, nicht
recht gelingen wollte, die Keimblätter-Theorie in ihrer ganzen Aus-
dehnung auf die Entwicklung der Lamellibranchiaten anzuwenden.
M Rud. Leuckart, „Ueber die Morphologie und Verwandtschafts-
verhältnisse der wirbellosen Thiere^S Braonschweig 1848, S. 160 — 168.
*) Oscar Schmidt, „Zur Entwicklungsgeschichte der Najaden^% Sitzb.
der kais. Akad. der Wissensch., Wien 1856 und 1857.
*) F. A. Forel, „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Najaden^.
(Einige Beobachtungen über die Entwicklung des zelligen Muskelgewebes^
Inaug.-Abh. der med. Facultät zu Würzburg, 1867.
*) Herrn, v. Ihering, „Ueber die Entwicklungsgeschichte der Najaden^.
Sitzb. der naturf. Gesellsch. in Leipzig, 1874, N. 1.
^) Walther Flemming. „Ueber die ersten Entwicklungserscheinungen
am Ei der Teichmuschel^S Arch. für mikr. Anat 1874, 3. Heft.
Derselbe, „Studien in der Entwicklungsgeschichte der Najaden^^ Sitzb.
der kais. Akad. der Wiss. in Wien, LXXI. Band, Februarheft, Jahrg. 1875.
lieber die Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. 313
Die vorliegenden Beobachtungen wurden der Hauptsache nach
im Laufe des Sommers 1875 im zoologischen Laboratorium zu
Jena angestellt Als Untersuchungsobject dienten die Eier von
Unio pictomm^ littoralis und tumidus. Am vollständigsten wurde
die Entwicklung an den Eiern von Unio pictorum verfolgt, wes-
halb wir uns auch in der Beschreibung hauptsächlich an diese
Art halten werden.
Die Eier von Unio gelangen, sobald sie befruchtet sind, in
die äusseren Kiemen. Der Weg, den sie dabei einschlagen, ist
noch nicht mit voller Sicherheit erkannt. Nach den Beobachtungen
Flemming's scheint es jedoch sehr wahrscheinlich zu sein, dass
sie zuerst aus der ziemlich weit vorne gelegenen Geschlechts-
i^ffnung in den inneren Eiemengang treten, dort befruchtet werden;
sodann den inneren Eiemengang entlang, vom Flimmerstrom ge-
tragen, bis zur Eloake gelangen, daselbst umkehren und schliess-
lich in den äusseren Eiemengang treten. Wahrscheinlich werden
sie, wie schon C. E. v. Baer angiebt, auf dieser Wanderung von
„wehenartigen Contractionen'^ des Mutterthieres unterstützt.
Es scheint, dass immer mehrere, an demselben Orte befind-
liche Weibchen zu der gleichen Zeit befruchtet werden. Ich
glaube dies aus dem Umstände schliessen zu dürfen, dass ich
einmal unter zehn, zu derselben Zeit und an demselben Orte ein-
gefangenen Weibchen acht mit noch ungefurchten, aber bereits
befruchteten Eiern fand. Auch sonst ist es ziemlich häufig, dass
fast sämmtliche, an dem gleichen Orte eingefangene Weibchen
gleich weit entwickelte Embryonen enthalten..
Es ist mir leider nie gelungen, die Thiere in der Gefangen-
schaft zur Fortpflanzung zu bringen. Ganz ebenso ist es auch
allen meinen Vorgängern ergangen. Flemming^) giebt zwar
an, dass er einmal bei zwei trächtigen Muscheln, welche erst
zwölf Stunden nach dem Fange geöffiiet worden waren, die Eier
noch im ungefurchten Zustande gefunden habe, und glaubt daraus
den Schluss ziehen zu dürfen, dass diese beiden Thiere erst in
der Gefangenschaft befruchtet worden seien; dagegen muss ich
jedoch einwenden, dass es durchaus nichts Seltenes ist, dass Eier
abnorm lange auf einem und demselben Entwicklungsstadium
verharren. Um nur ein einziges Beispiel dieser Art anzufahren,
will ich erwähnen, dass die Eier einer, von mir im Frühjahre 1875
in Triest eingefangenen Doto coronat« mindestens dreimal so
*) Flemming, „Stadien etc.", p. 27.
1
314 Carl Babl,
lange zur Furcbang brauchten, als die za einer späteren Zeit nnd
bei günstigerer Temperatur abgelegten; ja die Mehrzahl dieser
Eier blieb sogar auf einem und demselben Furchnngsstadium einen
vollen Tag lang stehen, ohne auch nur die geringste wahrnehm-
bare Veränderung zu zeigen. In diesem Falle konnte ich mich
aufs klarste überzeugen, dass lediglich die kühle Temperatur die
Schuld an der so bedeutend verlangsamten Entwicklung trug;
denn als ich die Eier für kurze Zeit der Einwirkung der Sonnen-
strahlen aussetzte, ging die Furchung sofort schnell und bis zu
einem ziemlich späten Stadium auch vollkommen regelmässig
von Statten. Dieser Fall lehrt uns, dass wir in der Beurtheilnng
des von Flemming mitgetheilten Falles vorsichtig sein müssen.
Aber selbst dann, wenn jene beiden Muscheln i}ire Eier wirklich
erst in der Gefangenschaft abgelegt hätten, müsste dieser Fall,
wie auch Flemming zugibt, als eine Ausnahme von der all-
gemeinen Regel angesehen werden.
In den äusseren Kiemen liegen die Eier, zu grösseren oder
kleineren Schollen, die wir als Eischollen bezeichnen können,
beisammen. Sie werden dabei durch eine klebrig - schleimige
Masse mit einander verbunden. Die Gestaltjeder Eischolle
entspricht genau der Gestalt des zugehörigen Kiemenfaches. Da
aber die einzelnen Kiemenfächer nicht sämmtlich gleich weit nnd
geräumig sind ^), so besitzen auch die betreffenden Eischollen
eine verschiedene Grösse und Form. Im Allgemeinen kann als
Regel gelten, dass niedrige Eischollen breiter als hohe oder dicke
sind. Entweder stellen die Eischollen einfache zusammenhängende
Platten dar, oder sie spalten sich in verschiedener Entfernung vom
freien Rande der Kieme in zwei, bald gleich, bald verschieden dicke
Blätter (Taf. X, Fig. 16). Die Z ah 1 der in einer Kieme enthaltenen
Eischollen schwankt zwischen 20 und 50 ; desgleichen ist auch die
Zahl der in einer Eischolle enthaltenen Eier sehrverschieden. Nach
einer annähernden 2iählung der in einer massig grossen Muschel-
kieme befindlichen Eier schätze ich die Gesammtzahl der Eier
einer Malermuschel im Mittel auf etwas über Hunderttausend. ^
') Hinflichtlich des Baues der Muscheikiemen verwebe ich auf: Carl
Posner, „Ueber den Bau der Najadenkieme. Ein Beitrag zur vergleichenden
Histiologie und Morphologie der Lamellibranchiaten*^ Inaug.-Diss. Bonn 1875.
*) Ueber die Eierzahl der Flussmuscheln vergl. ferner F. Unger, „Unter-
suchungen über die Teichmuscheln'S Wien 1827, p. 98 nnd C. Pfeiffer,
„Naturgeschichte deutscher Land- und Süsswasser-MoUusken^, Weimar 1825;
sowie auch die angeführte Abhandlung von Carus.
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. 315
Jedes Ei besteht ans drei Theilen: 1) ans dem eigentlichen
Keim oder der Eizelle, "2) ans einer, die Eizelle umgebenden
Eiweissmasse und 3) aus einer, diese nach aussen begrenzenden
durchsichtigen, structurlosen Membran. Die Form der Eier
ist kugelig, erleidet jedoch durch den g^enseitigra Druck der
dicht an einander gedrängten Eier verschiedene Modificationen»
Die Grösse der Eier beträgt bei Unio pietorum 0,2 Mm., die
GrOsse des Keimes U,15—0,16 Mm. Bei U. tumidus sind beide
Maasse um ein Unmerkliches geringer. Die Farbe des Keimes
ist, wie schon C. 6. Garns ganz riehtig angibt, bei den ver-
schiedenen Arten verschieden ; bei Unio pietorum ist sie schwefel-
gelb, bei Unio tumidus r^Hhlichweiss, bei U. littoralis hoch orange-
roth, zuweilen fast zinnoberroth. Doch kommen auch hierin zahl-
reiche individuelle Schwankungen vor.
Nie findet sich in einem Ei mehr als ein Keim.
Die Eiweissmasse ist immer nur in geringer Menge vor-,
banden. An der Eihtllle bemerkt man bei richtiger Einstellung
eine kleine „sehornsteinartige^' Erhebung von 0,0025—0,003 Mm.
Höhe. Es ist dies die M i k r o p y 1 e. In der Basis des Mikropylen-
rohres liegt ein flacher, gelblicher Körper, welcher nach der An-
sicht Flemming's ^) bei dem Wachsthum und der Entwicklung
der Eierstockseier eine wichtige Rolle zu spielen hat Es würde
dieses Verhalten an ähnliche Verhältnisse bei der Entwicklung
mancher Insekteneier erinnern. Jedenfalls ist die von Keber
aufgestellte Hypothese, nach welcher man in dem von ihm ent-
deckten und nach ihm benannten Körper einen Spermatozoenkopf
zu erblicken hätte, unrichtig, wie dies aus den Untersuchungen
v.Bischoff's, v.Hessling's und Flemming's unzweifelhaft
hervorgeht. Um die Mikropyle herum zeigt die Eihfllle eine
spiralige Faltung. Das kleine rundliche Fleckchen, an dem die-
selbe sichbar ist, bezeichnet man als Mikropylenfeld. Es
besitzt einen Durehmesser von 0,025 Mm. und ist nur durch die an
seiner Peripherie dichter angeordneten Falten von der tlbrigen
Eimembran abgegrenzt
Während bei Anodonta piscinalis nach Flemming des
Mikropylenrohr am reifen Eie ganz eingeht, bleibt es bei Unio
während der ganzen Entwicklung bestehen.
*) W. Flemming, „Studien" etc., p. U.
316 Carl Rabl,
I. Eifurchung und Keimblätterbildung.
lieber die Eiftirchnng finden sich blos bei W. Flemming
genaue Angaben. Die Beschreibung der Furchnng; welche Forel
gibt, sowie dessen ganze Darstellung der weiteren Entwicklung
bis zur Ausbildung des fertigen Embryo, ist so flüchtig und un-
genau ^ dass sie auf eine eingehende Berücksichtigung keinen
Anspruch machen kann. Wenn Forel glaubt, seine mangelhaften
Abbildungen und Beobachtungen seien im Stande, „die Gesetze
der Furchung^' erkennen zu lassen, so setzt dies in der That, wie
Flemming treffend bemerkt, ,,viel Genügsamkeit'^ voraus. .Binige
wenige Angaben über die Eifurchung finden sich auch bei Garu&
Bronn, Leuckart und Anderen.
Die jüngsten, von mir beobachteten Eier Hessen weder auf
Druck, noch auf Zusatz von chemischen Reagentien einen Kern
in ihrem Innern erkennen. Die Keime waren eben im Begriff,
sich mit ihrem vegetativen Pol von der Mikropyle, an der sk
vor der Befruchtung festgesessen hatten, loszulösen. Dabei zeigU
sich an dem genannten Pol eine ziemlich hohe, stumpf-kegel-
ft^rmige Erhebung (Taf. X, Fig. 5 A), deren Spitze anfangs nocL
mit der Mikropyle in Verbindung stand. Diese Erhebung war in
nichts von der übrigen Masse des Keimes verschieden ; geradeso,
wie diese, war auch sie von zahlreichen, grösseren und kleineres
Dotterkömehen dicht durchsetzt Bald nachdem sie sich nun mit
ihrer Spitze von der Mikropyle losgelöst hatte und an Unfang
bedeutend kleiner geworden war, zogen sich die in ihr enthaltenen
Dotterkömehen bis auf einige wenige in die übrige Masse des
Keimes zurück, so dass nur noch ein kleines unscheinbares Hügel-
chen körnchenfreien Protoplasmas zurückblieb (Taf. X, Fig. 5 B).
Aber auch dieses verschwand allmählich und der Keim bekam sein
früheres glattes Ansehen wieder.
Häufig sieht man noch einige Zeit nach diesem Vorgange
einen zarten, durchsichtigen« Strang von der Mikropyle gegen den
vegetativen Pol hinziehen, der aber bald wieder verschwindet und
offenbar keine weitere Bedeutung besitzt (Taf. X, Fig. 4 s).
Unterdessen gingen auch am animalen Keimpol mannig-
fache Verändemngen von Statten. Hier konnte man an allen,
noch ungefurchten, aber bereits befruchteten Keimen ein zartes,
durchsichtiges Kügelchen von 0,0025 Mm. Durchmesser erkenneD,
Ueber die Entwicklangsgescbiclite der Malermoscliel. 317
das dem Keime oberflächlich anlag and in seinem Inneren eine
geringe Anzahl Kömchen enthielt (Taf. X, Fig. 6 A, r und 4, r).
Unmittelbar unter diesem kugeligen Körperchen war an der
Oberfläche des Keimes eine geringe Menge hellen, durchsichtigen
Protoplasmas angesammelt (Taf. X, Fig. 6 A). Diese helle Stelle
körnchenfreien Protoplasmas nahm im weiteren Verlaufe etwas
an Umfang zu und erhob sich allmählich in Form eines kleinen
flachen Hügelchens über die Oberfläche des Keimes (Taf. X,
Fig. 4, r^. In Folge dessen wurde das kleine Körperchen, das
über der kömchenärmeren Stelle des Keimes gelegen war, von
diesem etwas abgehoben. Dadurch, dass nun das, über die Ober-
fläche des Keimes etwas emporragende Hügelchen eine immer
bedeutendere Höhe erlangte und sich sodann an seiner Basis ring-
förmig einschnürte, löste es sich schliesslich vollkommen von dem
übrigen Keime ab, ohne nunmehr, wie man dies früher einmal
behauptet hatte, irgend einen directen Antheil an der weiteren
Entwicklung des Embryo zu nehmen (Taf. X, Fig. 6 B u. 6 C, r').
Auf diese Weise ist es also zur Bildung eines zweiten Kügelchens
gekommen, das in seinem Aussehen vollkommen dem ersten
glich, nur dass es in der Regel eine etwas geringere Grösse
besass.
Die beiden, so entstandenen Körperchen sind die in letzter
Zeit oftmals und angelegentlich besprochenen „Richtungs-
bläschen".
Ich muss hier ausdrücklich erwähnen, dass ich nie die Bil-
dung eines zweiten „Richtungsbläschens" durchAbschnürung
vom ersten gesehen habe. Auch habe ich nie eine so scharfe
Grenze zwischen dem zum „Richtungsbläschen" sich entwickelnden
Protoplasma und dem kömchenhaltigen Keim gesehen, wie sie
Flemming auf seinen Figuren darstellt.
Bei normal sich entwickelnden Eiern habe ich nie mehr, aber
auch nie weniger als zwei „Richtungsbläschen" beobachtet. Da-
gegen habe ich einmal an einem abnorm sich entwickelnden Eie
ein eben in der Bildung begriffenes, ungemein grosses „Richtungs-
bläschen" gesehen, dessen Durchmesser ungefähr die Hälfte des
ganzen Keimes betrug.
Bald nachdem sich der Keim mit seinem vegetativen Pole
von der Mikropyle losgelöst und am animalen Keimpol die „Rich-
tungsbläschen" ausgetreten sind, beginnt die eigentliche Furchung.
Noch bevor sich ein neuer Kern, ein secundäres Keimbläschen,
gebildet hat, nimmt der Keim gegen den Aequator hin merklich
318 Carl Rabl,
an Umfang zu, so dass er nunmehr einer Engel mit abgeplatteten
Polen gleicht (Taf. X, Fig. 4, o). Die Art nnd Weise der Bildung
des neuen Eemes^ sowie überhaupt das Verhalten der Kerne
während der Furchung, !habe ich wegen der Ungünstigkeit des
Objeetes zu derlei Beobachtungen nicht hinlänglich genau ver-
folgen können. Ich habe zwar mehrmals, namentlich an in
Ghromsäure gehärteten Präparaten karyolytische Figuren gesehen,
jedoch die Art und Weise ihrer Bildung, sowie den Verlauf der
Kemtheilung selbst, nicht mit der nöthigen Sicherheit und Genauig-
keit verfolgen können. Die Eier von Anodonta sind zwar, wie
Flemming angibt, zu derlei Beobachtungen günstiger, scheinen
mir aber nach den, von diesem Forscher erzielten Resultaten
gleichfalls nicht ganz ausreichend zu sein.
Die erste Furche zieht vom animalen Pol, in dessen
Nähe die „Richtungsbläschen^^ liegen, zum vegetativen (Taf. X,
Fig. 7). Sie theilt den Eeim in zwei ungleiche Hälften. Die
grössere Furchungskugel fFig. 7, 1) hat einen Durchmesser von
0,15 Mm., die kleinere (Fig. 7, 2) einen von 0,02 Mm. Flemming
nennt jene „Oberzelle" oder „Obertheil", diese „ünterzelle" oder
„Untertheil". Wir wollen jedoch diese Bezeichnungen, welche
sich auf die Lagerungsverhältnisse der daraus sich entwickelnden
Embryonaltheile beziehen, da sie, wie Flemming selbst zu-
gesteht, nur „wenig besagen'', lieber bei Seite lassen nnd
durch die, wie mir scheint, besseren Bezeichnungen vegetative
nnd animale Zelle ersetzen. ^} Demnach bezeichnen wir mit
') Die Bezeiclinangen „oben^^ und „unten^S n^o"^^*' "^^ „hinten^* sollten
überhaupt in der Morphologie, und selbstverständlich auch in der Embryo-
logie nur mit grosser Vorsicht gebraucht werden. Es gilt von ihnen das,
was Rud. Leuckart in seiner schönen ,,Morphologie der wirbellosen
Ihiere^^ gesagt hat: „Die Bezeichnungen von Oben and Unten, von Vom
und Hinten sind nach der gewöhnlichen Weise des Gebrauches nicht von
bestimmten morphologischen Verhältnissen abhängig, sondern allein von der
Gruppirung und der Wirkungsart der Bewegungswerkzeuge. Das söge*
nannte vordere oder obere Ende des einen Thieres entspricht daher denn
auch oft dem hinteren oder unteren eines andern. Wie ungenügend und
verwirrend eine solche Bezeichnung sei, leuchtet ein. Indessen
ist unsere Terminologie gegenwärtig noch nicht so weit vorgeschritten, die
betreffenden Bezeichnungen überall entbehren zu können*^ (S. 5S, Anmerk.).
Diese Schwierigkeiten werden bei den Bilaterien noch beträchtlich durch den
Umstand erhöht, dass bei ihnen während der individuellen Entwicklung die
primäre MundöfFnung verloren geht oder vielleicht in einigen Fällen in den
After umgewandelt wird, und dass somit das ursprünglich orale Körperende
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Maiermuschel. 319
jenem Ansdrncke die grosse, mit diesem die kleine Farchnngs-
kttgel. Es muss jedoch schon im Vorhinein bemerkt werden, dass
aach diese BezeichnungeD nicht vollkommen genau passen und
lediglich deshalb gewählt wurden, um die Beschreibung der
FarchnngsvorgäDge zu vereinfachen und das Verständniss der-
selben zu erleichtern. Wie wir nämlich später sehen werden, ent-
wickeln sich aus der vegetativen Zelle auch Zellen des Ectoderms
und es kann daher strenge genommen nur ein Theil derselben als
,,vegetativ'' angesehen werden; die animale Zelle dagegen lässt
nur Ectodermzellen aus sich hervorgehen und hat daher anf
diesen Namen volles Recht.
Unmittelbar nach der ersten Theilung stehen die beiden
Fnrchnngskugeln fast in ihrem ganzen Umfange deutlich von
einander ab; sobald sie sich jedoch zur weiteren Theilung an-
schicken, treten sie wieder enger an einander und geben in
Folge dessen ihre ursprünglich kugelförmige Gestalt wieder auf.
Sodann bemerkt man zwischen ihnen eine dünne, mit weniger
Dotterkömehen versehene , durchsichtigere Protoplasma - Schicht
(Taf. X, Fig. 7, 1). Diese kömchenärmere Partie ist jedoch keines-
wegs, wie Flemming will, als der „erste Anfang einer Binnen-
höhle des Keims'', also als Furchungshöhle, aufzufassen. Aehnliche
kömchenärmere Stellen zwischen zwei oder mehreren Fnrchungs-
kugeln treffen wir auch an den Keimen anderer Thiere, z. B.
mancher Gastropoden, wo doch die Furchungshöhle erst viel später
als in unserem Falle auftritt.
Das innigere Zusammentreten der Furchungskugeln vor jeder
neuen Furchnng ist besonders deshalb interessant;, weil es sich
auch bei anderen — vielleicht bei allen — Metazoän wiederfindet
Es hat zn dem sonderbaren Irrthume geflthrt, dass der Keim
vor jeder neuen Furchung auf die vorhergehende Zahl der Fur-
chungskugeln zusammenschmelze, — ein Irrthum, in den sogar
Lereboullet in seiner so ausserordentlich genauen und sorg-
Bpäter als aborales erscheint, oder aber in den Rücken mit einbezogen wird.
Wir werden daher in der Folge die Ausdrücke „orales" oder „vorderes^^
Körperende immer — falls nicht ausdrücklich das Gegentheil angegeben ist -
nur in Beziehung auf den bereits mit einer secundären Mund-
öffnung ausgestatteten Embryo gebrauchen. — Dass man aber von
den beiden aus der Zweitheilung hervorgegangenen Zellen nicht, wie e&
Flemming thut, die eine als obere^ die andere als untere bezeichnen darf,
versteht sich wohl von selbst.
320 Carl Babl,
fältigen Abhandlung über die Entwicklungsgeschichte von Limnaens
verfallen ist. —
Die weitere Furchung beginnt damit, dass sich an der vege-
tativen Zelle eine kleine, buckeiförmige Hervorwölbung bildet, die
sich an ihrer Basis ringförmig einschnürt und schliesslich von
der grossen Zelle trennt (Taf. X, £ig. 8). Bald nach dieser Thei-
lung streckt sich auch die animale Zelle etwas in die Länge und
lässt gleichzeitig in ihrem Inneren eine deutliche, namentlich bei
schwacher Yergrösserung gut sichtbare karyolytische Figur er-
"kennen (Taf. X, Fig. 9, 2). Sodann macht sich ungefähr in der
Mitte dieser Zelle eine anfangs seichte^ aber allmählich tiefer
werdende Furche bemerkbar, welche schliesslich zu einer voll-
ständigen Trennung der Zelle in zwei^ nie ganz gleich groeae
Theile führt Der Keim besteht demnach jetzt aus vier Furchnngs-
kugeln (Taf. X, Fig. 10). Die Grösse derselben ist folgende : ZeUe
1 = 0,12 Mm., Zelle 2 = 0,09 Mm., Zelle 3 = 0,085—0,09 Mm.,
Zelle 4 = 0,077 Mm. Zwischen der aus der Theilung der animalen
Zelle 2 (Fig. 7) hervorgegangenen Zelle 4 (Fig. 10) und der vege-
tativen Zelle 1 bemerkt man einen hellen Raum, der wohl ak
die ersteAnlagederFurchungshöhle, die allerdings
jetzt noch nicht allseitig geschlossen ist, angesehen
werden kann.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass der Furchungsprocess
der Malermuschel nicht vollkommen genau mit demjenigen von
Anodonta, wie ihn Flemming beschreibt, übereinstimmt. Denn
ftirs erste findet die Theilung der animalen Zelle bei Unio nicht
wie bei Anodonta gleichzeitig mit der Theilung der vegetativen
Zelle statt, sondern vielmehr erst nach einer, wenngleich nnr
sehr kurzen Zwischenpause. Der Vorgang bei Anodonta ist jedoch
möglicherweise deshalb als der ursprünglichere anzusehen/ weil
er sich in ganz derselben Weise nach Loven auch bei Gardium
findet. Fürs zweite ist auch die relative Grösse der Furchungs-
kugeln bei Anodonta und Unio etwas verschieden. Während
nämlich bei Anodonta die Zelle 2 (Fig. 10) gewöhnlich etwas
kleiner ist, als die übrigen, ist bei Unio, wenn überhaupt ein
Unterschied in der Grösse der Zellen 2 und 4 bemerkbar ist, meist
die Zelle 4 die kleinere. Ja bei Unio tumidus sind in der Regel
die Grössenunterschiede zwischen den vier Zellen so ausserordent-
lich geringe- dass man ganz wohl, wie Flemming bemerkt, in
den Glauben verfallen könnte, man hätte es hier mit einer gleich-
massigen Furchung zu thun. Zur Bestätigung dessen will ich die
Ueber die Entwicklangsgeschicbte der MalermoscheL 321
Maasse der vier ersten Farchungskngeln bei Unio tumidos anführen ;
sie betragen der Reihe nach : 0,11, 0,095, 0,095, 0,08 Mm. "
Solche nnd ähnliche Unterschiede sind jedoch deshalb von
keiner fundamentalen Bedeutung, weil der Furchungsprocess in
allen übrigen, und zwar gerade in den wesentlichsten Punkteui
bei sämmtlichen Arten in der gleichen Weise verläuft.
Die weitere Furchung geht zunächst in der Weise vor sich,
dass sich von der grossen vegetativen Zelle ganz in derselben
Weise, wie zuvor, ein kleiner Theil abschnürt (Taf. X, Fig. 11, 5).
Der Process erfolgt ganz so, wie ihn Flemming bei Anodonta
beschreibt. —
Um sich zu überzeugen, dass ausser dieser Theilung der
v^etativen Zelle nicht auch eine Theilung einer anderen Zelle
stattgefunden habe, ist es nothwendig, den Keim nicht blos, wie
bisher, nur von einer Seite, sondern vielmehr von beiden zu
betrachten. Man verfährt dabei am besten in der Weise, dass man
sich zuerst ein möglichst getreues Bild von der einen Seite des
Objectes entwirft, sodann den Objectträger sammt dem Präparate
umwendet und nun dieses auch von der anderen Seite betrachtet.
Dabei ist es gerathen, möglichst wenig Wasser unter das Deck-
gläschen zu bringen, damit das Ei nicht etwa während des Um-
wendens seine Lage verändere ; auch ist es gut, immer nur eine
geringe Anzahl von Eiern auf den Objectträger zu geben, damit
man sich das betreffende Präparat leicht merke und nach dem
Umwenden schnell wiederfinde. Am besten bedient man sich dabei
solcher Objectträger, welche an ihren beiden Enden Schutzleisten
tragen. — Die Nothwendigkeit dieses Verfahrens tritt auf späteren
Stadien, wo die Furchungsbilder immer complicirter werden, noch
viel schärfer hervor. Ein anderes, aber lange nicht so empfehlens-
werthes Verfahren besteht darin, dass man einen Wasserstrom
unter dem Deckgläschen durchleitet und dadurch das Ei zum
Rollen bringt. Gewöhnlich ist es jedoch dabei sehr schwierig, ja
zuweilen ganz unmöglich, sich eine klare Anschauung vom be-
treffenden Stadium zu bilden. Ich selbst habe meist nur das erstere
Verfahren in Anwendung gebracht und bin dadurch — namentlich
in Beziehung auf die Dotterfnrchung der Gastropoden — zu sehr
schönen Resultaten gelangt. —
Der Keim besteht jetzt aus fünf Zellen. Nun theilen sich
zunächst die zwei, von der grossen vegetativen Zelle abstammenden
Zellen 3 und 5 in je zwei Theile (Taf. X, Fig. 12). Der Keim
wird dadurch siebenzellig. Unmittelbar daraaf scheint sich
322 Carl Rabl,
auch die von der animalen Zelle abstammende FnrchnngBkng'el i
(Fig. 10—12) in zwei ungefähr gleich grosse Zellen za spalten
und der Keim wird achtzellig (Taf. X, Fig. 13 A von
der einen, Fig. 13 B von der andern Seite; die Zellen 4 und "^
auf Fig. 13 B stellen die Theilnngsprodncte der 2^1Ie 4 auf den
Fig. 10—12 dar). Auf dieses Stadium folgt das auf den Figrurcc
14 A und 14 B dargestellte. Der Keim ist n e u n z e 1 1 i g* ; die
einzelnen Zellen haben sieh jedoch gegen einander etwas ver-
schoben. Am vegetativen Pol ist noch immer die grosse vege-
tative Zelle 1 bemerkbar ; die Furchungshöhle fh; welche auf d^,
bei auffallendem Lichte gezeichneten Figur 14 A dunkel erscheint
wird fast von allen Seiten von Furchungskugeln umschlossen.
Den weiteren Verlauf der Furchung kann man sich am bestes
vergegenwärtigen, wenn man sich vorstellt, dass einerseits
sämmtliche kleinen Zellen, — gleichviel aus welcher Thei-
lung sie hervorgegangen sind, — sich beständig weiter
theilen, während andererseits auch die grosse vege-
tative Zelle fortwährend gegen das spätere orale
Körperende hin („Vorderwulst" nach Flemming) Knospe:
treibt, welche sich jedesmal kurz nach ihrer Bildung von ihitt
Mutterzelle ablösen und nach vorne zu die Zahl der kleinen
Furchungskugeln vermehren. Diese von der grossen vegetatives
Zelle abstammenden kleinen Furchungskugeln unterscheiden sich
von den Theilungsproducten der animalen Zelle stets durch ihre
bedeutendere Höhe und durch ihre grössere Undurchsichtigkeit
und setzen uns dadurch in den Stand, schon jetzt das spätere
Vorderende von allen anderen Körperregionen deutlich zu unter-
scheiden.
Auf diese Weise kommt es schliesslich zur Bildung einer
ovalen Blase, deren längster, vom animalen zum vegetativen
Pol hinziehender Durchmesser 0,16 Mm. beträgt und deren Wand
(von einigen unwesentlichen Verschiedenheiten abgesehen) aus
zwei Zellenarten zusammengesetzt ist. Der eine Pol der
Blase wird auch jetzt noch von der grossen vegetativen Zelle
eingenommen, die jetzt, nachdem sie sich durch fortgesetzte
Theilung nicht unbeträchtlich verkleinert hat, 0,095 Mm. im Durch-
messer besitzt: der andere Pol und die Seitenwände der
Blase werden von mehr oder weniger flachen Zellen eingenommen,
die theils von der grösseren, theils von der kleineren der beiden,
aus der Zweitheilung hervorgegangenen Zellen abstammen und von
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malermoschel. 323
denen die höchsten und undurchsichtigsten, wie bereits erwähnt^
gegen das künftige Yorderende hin liegen.
Dieses Stadium^ welches Flemming als das ,,Stadiam
der definitiven Theilnng des Obertheils'' bezeichnet
hat, können wir als Ausgangspunkt für eine Reihe der
folgenden Entwicklungsvorgänge betrachten. Wir haben
dasselbe anf Taf. X, Fig. 15 und 16 abgebildet. Die erstere der
beiden Figuren stellt eine Oberflächenansicht dieses Stadiums dar
nnd gibt genau die Zahl und Lagerung der zu dieser Zeit auf
einer Seite sichtbaren Zellen wieder. Fig. 16 stellt einen optischen
Querschnitt durch dasselbe dar; ginge der Schnitt nicht, wie auf
unserer Figur, in querer Richtung von der einen Seite zur
anderen, sondern in sagittaler Richtung von vorne nach hinten^
so würden wir ganz dasselbe Bild erhalten, mit dem einzigen
Unterschiede, dass die Zellen auf der, dem späteren Vorderende
(„Vorderwulst^'Fl.) entsprec henden Seite etwas höher und dunkler
wären, als auf der entgegengesetzten.
Die einzelnen Zellen sind zu dieser Zeit noch nicht durch
Membranen von einander geschieden. Zwischen den kleinen, ab-
geflachten animalen Zellen bemerkt man zarte körnchenlose
Partien (Taf. X, Fig. 15). Ganz ähnliche kömchenlose Stellen
habe ich auch von den, relativ etwas älteren Keimen von Limnaeus
an einem anderen Orte beschrieben. ^) Die Kerne sind in den
flachen Zellen deutlich und scharf umschrieben, in den rund-
lichen dagegen, wie auch Flemming angibt, nicht oder doch
nur undeutlich zu erkennen. Bemerkenswerth ist noch, dass ich
in keinem einzigen Kerne ein Kernkörperchen finden konnte,
während dies nach Flemming bei Anodonta ganz leicht und
ohne weiteres möglich ist
Dieses Stadium wurde bereits von C. 6. C a r u s gesehen und
ganz richtig abgebildet, jedoch irrthttmlicher Weise flir einen
pathologischen Entwicklungszustand gehalten. —
Nunmehr theilt sich die grosse, am vegetativen
Pol gelegene Zelle in zwei, nahezu gleich grosse
T heile. Jeder derselben besitzt einen Durchmesser von 0,06&
bis 0,07 Mm.. Taf. X, Fig. 17 gibt uns eine Oberflächenansicht
dieses Stadiums; Fig. 18 stellt einen optischen Querschnitt durch
') Rabl, „Die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonaten'^; Jen. Zeitochr. f.
Natarw., IX. Band, 2. Heft, Jena 1875, p. 201, Taf. VII, Fig. 15.
X. Bd., N. F. ni, s. 21
324 Carl Rabl,
dasselbe dar. Die Zellen I und II sind die beiden Theilangs-
producte der Zelle 1 (Fig. 15 u. 16).
Bald darauf zerföllt die Zelle I in zwei, nie ganz gleich
grosse Theile (Taf. X, Fig. 19, la und Ib). Der grössere d&
beiden hält im Durchmesser 0,0575 Mm., der kleinere 0,050 Mol
Kurze Zeit später theilt sich auch die Zelle II in zwei gleichfalls
ungleiche Theile (Fig. 20, IIa und IIb). Auf diese Weise sind
aus der grossen vegetativen Zelle vier Zellen entstanden. Nun
theilen sich die zwei grösseren derselben abermals, so dass nun-
mehr am vegetativen Keimpol sechs Zellen zu liegen kommen
(Fig. 21 A von der einen, Fig. 21 B von der andern Seite).
Unterdessen haben sich auch die übrigen Zellen des KeimeSt
welche wir jetzt als animale Zellen bezeichnen können, nicht un-
beträchtlich vermehrt. Wie aus den Figuren 21 A und 21 B hervor-
geht, ist jedoch die Grösse dieser Zellen auf beiden Seiten etwas
verschieden. —
F 1 e m m i n g beschreibt diese Theilungsvorgänge bei Anodonta
folgendermassen : Der Obertheil oder die Oberzelle „scheidet sich
zunächst in zwei annähernd, aber nie genau gleich grosse Zellen
dann zuerst die eine, darauf die andere derselbe!
wiederum in zwei, so dass also dann immer eine nn
gerade Anzahl dieser dunklen Oberzellen vorhanden
i s t'*, ^) Dass diese letztere Angabe unrichtig ist, wird Jedem auf-
fallen, der den angeführten Satz aufmerksam liest ; denn nachdem
sich „die andere derselben (nämlich der beiden dunklen Ober-
zellen) wiederum in zwei" Zellen getheilt hat, sind doch im Ganzen
daselbst vier Zellen vorhanden und die Zahl 4 ist doch wohl keine
ungerade Zahl. —
Ungefähr bis zu diesem Punkte stimmen meine Beobachtungen
mit denjenigen Flemming's der Hauptsache nach vollkommen
überein; von da an weichen sie jedoch entschieden von
denselben ab. Die Uebereinstimmungen beziehen sich nun-
mehr fast durchgehends nur auf histologisches Detail, während
gerade in den morphologisch wichtigsten Punkten, nämlich in der '
Bildung der Keimblätter, die grössten und wesentlichsten
Differenzen bestehen.
Die sechs, am vegetativen Pole befindlichen Zellen, die sich
von allen übrigen Zellen des Keims durch ihre viel bedeutendere
Grösse und Undurchsichtigkeit auszeichnen, theilen sich im weiteren
') W. Flemming, „Studien** etc., p. 53 und 54.
üeber die Entstehung des Scbwärmsprösslings etc. 325
Verlaufe der Entwicklung abermals , so dass dann ungefähr 10
bis 15 nahezu gleich grosse Zellen am vegetativen Pol zu sehen
sind. Diese Theilung schreitet jedoch nicht immer gleichmässig
weiter, sondern es macht sich vielmehr alsbald ein sehr auffal-
lender und für die ganze weitere Entwicklung höchst wichtiger
Unterschied in den Theilungsproducten bemerkbar. Während
nämlich die Mehrzahl der, aus der grossen vegetativen Zelle 1
(Fig. 15) hervorgegangenen Zellen sich noch einige Zeit gleich-
mässig der Länge nach weiter theilt, bleiben zwei — wie wir
später sehen werden — symmetrisch rechts und links
von der Medianlinie gelegene Zellen zurück, welche
einen von den ttbrigen, bereits gebildeten Embryonalzellen ver-
schiedenen Entwicklungsgang einschlagen und für die Bildung der
Keimblätter von der allergrössten Bedeutung werden. Diese beiden
Zellen besitzen einen Durchmesser von 0,025 — 0,03 Mm. und sind
in ganz derselben Weise, wie alle übrigen Embryonalzellen, der
Wand der nunmehr nahezu kugeligen Blase eingefügt. Sie treten
gewöhnlich erst auf Behandlung mit stark verdünnter lieber-
osmiumsäure nebst einer kleinen Beigabe von Olycerin ^) klar und
deutlich hervor; auch Essigsäurebehandlung liefert mitunter ganz
gute Bilder.
Dieses Entwicklungsstadium bezeichnen wir als Blasto-
I» p h a e r a (Taf . XI, Fig. 24 u. 25). Allerdings hatte der Embryo schon
viel früher die Gestalt einer nahezu kugeligen, allseitig geschlossenen
Blase; wenn wir aber mit dem Ausdrucke „Blastosphaera'' einen be-
stimmten, sowohl von den früheren, als späteren Stadien deutlich
abgegrenzten Entwicklungszustand bezeichnen wollen, so können
und dürfen wir nur dasjenige Stadium als Blasto-
sphaera bezeichnen, welches unmittelbar der Ein-
stülpung vorhergeht. Die Blastosphaera der Unioniden und
wahrscheinlich auch aller anderen Muscheln stellt somit eine
nahezu kugelige, hohle, einschichtige Blase dar.
') Man verfahrt hierbei am besten in der Weise, dass man zuerst eine
grössere Anzahl von Eiern nebst einem Wassertropfen auf den Objectträger
bringt, sodann einen möglichst kleinen Tropfen einer halbpercentigen Ueber-
osmiamsäare-Lösung und eine Spur Glycerin dazu gibt und nun das Object
unter das Mikroskop bringt und abwartet, bis sich die Wirkungen der an-
gewendeten Reagentien bemerkbar machen. Es wird sodann ein Moment
eintreten, wo die einzelnen Zellen gerade so scharf und deutlich hervortreten,
wie sie auf meinen Figuren zu sehen sind. Die Kerne der Zellen sind —
wahrscheinlich in Folge der Glycerin-Einwirkung — nicht zu sehen.
21*
326 O. Bütschli,
deren Wand ans dreierlei Bestandtheilen zusammengesetzt
ist : 1) aus kleinen^ flachen oder kurz-priemiatischen Zellen^ die den
grössten Theil der Blasenwand bilden; 2) aus einem kleinen^
mehr oder weniger rundlichen oder scheibenförmigen Felde hoher,
dunkler Cy linder zellen ; und 3) aus zwei, symmetrisch rechts und
links von der Hauptaxe gelegenen, grossen, ovalen Zellen.
Die kleinen, flachen oder prismatischen Zellen zeigen eine
sehr charakteristische und regelmässige Anordnung: die grösseren
und dunkleren von ihnen (welche von der grosseren der beiden,
aus der Zweitheilung hervorgegangenen Zellen abstammen) liegen
nämlich stets dem späteren Vorderende und den beiden grossen
Zellen näher, als dem Hinterende; die flachsten Zellen liegen
diesen beiden Zellen fast direct gegenüber an der anderen Seite
der Blase.
Dass in der That die Wand der Blastosphaera nur aus einer
einzigen Schichte von Zellen besteht und dass nirgends — wie
Flemming vermuthet — unter dieser noch eine oder mehrere
andere Schichten liegen, davon kann man sich nicht allein durch
die angegebene Behandlung mit Ueberosmiumsäure und Glycerin,
sondern auch mittelst Querschnitten überzeugen. Wenn Flemming
sagt, die Wand der Blase sei „im Bereich des oberen Theiles
der Vorderspange" *) bis vier Zellen dick, so erklärt sich dieser
Irrthum ganz leicht daraus, dass hier die Zellen, wie bereits an-
geführt, nicht blos eine viel bedeutendere Höhe besitzen, sondern
auch viel dunkler und undurchsichtiger sind, als an allen anderen,
von den kleinen Embryonalzellen eingenommenen Stellen der
Blastosphaera. —
Rufen wir uns nun nochmals die Genese der drei Be-
standtheile der Blastosphaera ins Gedächtniss zurück!
Wir wollen dabei von dem auf Taf. X, Fig. 15 u. 16 abgebildeten
Stadium ausgehen. Was fürs erste die zahlreichen kleinen,
theils prismatischen, theils abgeplatteten Zellen betriff^ so haben
wir dieselben von den kleinen, die Seitenwände und den animalen
Keimpol zusammensetzenden Furchungskugeln abgeleitet. Was
dagegen ferner die beiden grossen Zellen und das rundliche, aus
hohen, dunklen Cylindcrzellen bestehende Feld der Blastosphaera
betrifft, so hat sich bei unseren Untersuchungen herausgestellt,
dass sie sämmtlich nur als die-Theilungsproducte der grossen
Zelle 1 am vegetativen Pol angesehen werden müssen.
*) W. Flemming, „Studien" etc... p, 54.
Ueber die Entwicklangsgeecliichte der Malermuscliel. « 327
Die nächflteDy an der Blastosphacra wahrnehmbaren Ver-
änderungen bestehen in einer Abflachnng des Gylinder-
zellen-Feldes und einer Ueberwaehsnng der beiden
grossenZellen durch die nebenan liegenden kleinen.
Durch den ersteren der beiden Vorgänge verliert die Blasto-
sphaera wieder ihre kugelige Gestalt; sie erhält eine, bei seit-
licher Ansicht mehr oder weniger dreieckige Form. Durch den
letzteren gelangen die beiden grossen Zellen ins Innere der
Furchungshöhle, wo sie an der vordersten Ecke, dort, wo die
Cylinderzellen in die kurzprismatischen Zellen der vorderen Körper-
wand übergehen; wiederzufinden sind (Taf. XI, Fig. 26, m). Diese
Ueberwaehsnng geht in der Weise von Statten, dass sich einige
der unmittelbar angrenzenden prismatischen Zellen über die beiden
grossen Zellen hinüberlegen und sie dadurch in die Furchungshöhle
hineindrängen. Dabei baucht edch die betreffende Stelle der Blasto-
sphacra in Form eines stumpfen Höckers hervor (Taf. XI, Fig. 26)
und gibt dadurch den Keimen ein sehr charakteristisches Ansehen.
Auch Flemming, der, wie er selbst sagt, wegen der zu-
nehmenden Undurchsichtigkeit der Embryonen „über das Feinere
dieser Vorgänge im Dunkeln'' blieb, erwähnt diese Hervorwölbung
der Blastosphacra am oberen Theile der „Vorderspange". —
Das Cylinderzellen-Feld beginnt sich bald nach
seiner Abflachung der Quere nach in die Höhle der
Blastosphacra hineinzustülpen (Taf. XI, Fig. 27 und 28).
Man erhüt die Richtung, in der diese Einstülpung erfolgt, wenn
man sich die Mittelpunkte der beiden grossen Zellen durch eine
gerade Linie mit einander verbunden denkt; die Richtung dieser
Linie stimmt genau mit jener der Lateralaxe des Embryo überein
(siehe Taf. XI, Fig. 29). Das Cylinderzellen Feld bleibt auch
während und nach dieser Einstülpung einschichtig.
Die Blastosphaera-Einstülpung der Unioniden unterscheidet
sich demnach von dem entsprechenden Vorgange bei der Mehr"
zahl der übrigen Metazoen dadurch, dass sie nicht eine na«h
allen Seiten hin gleichmässig^ ist, sondern vielmehr von der Rich-
tung der Embiyonal-Axen bestimmt wird.
Der Embryo besteht demnach der Hauptsache nach
jetzt aus zwei, sowohl ihrer Form, als ihrer späteren functio-
nellen Bedeutung nach verschiedenen Zellenschichten. Die
äussere derselben, welche theils aus abgeflachlen, theils aus kurz
prismatischen Zellen zusammengesetzt ist, stellt das äussere
Keimblatt oder Ectoderm dar; die innere, aus hohen
328 Carl Jlabl,
dunklen Cylinderzellen bestehende dagegen das innere Keim-
blattoder Entoderm. Zwisehen beiden befinden sich die zwei
grossen Zellen, die, wie erwähnt, kurz zuvor von den Ectoderm-
zellen überwachsen wurden und nun vorne anderUebergangs-
stelle der beiden primären Keimblätter liegen. Diebreite
quere EinstülpungsOfiTnung können wir als U r m u n d oder primären
Mund bezeichnen, den engen, spaltförmigen Hohlraum als U r d a r m
oder primären Darm.
Der Zeitpunkt, wann sich die beiden grossen Zellen zu theilen
beginnen, ist mir leider entgangen. Es ist indess sehr wahr-
scheinlich, dass diese Theilung schon kurz nach der Ueberwachsung
derselben beginnt. Optische Durchschnittsbilder geben darüber
keinen sicheren Aufschluss. Gewiss ist, dass die Theilung zu
dieser Zeit bereits begonnen hat; die Producte derselben sind
stets sehr ungleich gross,, so dass man noch lange
neben den kleinen Zellen die zwei, sich allmählich verkleinernden
grossen Zellen wahrnehmen kann. Der Vorgang bietet grosse
Aehnlichkeit mit dem von Eowalevsky an Lumbricus beob-
achteten dar; auch bei Euaxes scheint sich nach demselben For-
scher ein ganz ähnliches Verhalten vorzufinden ; wenigstens glaube
ich dies aus einigen von Kowalevsky gegebenen Abbildungen
schliessen zu dflrfen. ^)
Bemerkenswerth ist noch, dass sich die kleinen Theilungs-
producte der beiden grossen Zellen anfangs ganz dicht an das ein-
gestülpte Entoderm anlegen (Taf. XI, Fig. 32) und erst allmählich
durch die ganze Höhle hin verbreiten. — Zwischen Ectoderm
und Entoderm befindet sich somit jetzt eine dritte Zel-
lenschichte, das Mesoderm oder mittlere Keimblatt.
An der, dem späteren Hinterende entsprechenden Körperstelle
machen sich zu dieser Zeit drei, durch ihre ausserordent-
liche Grösse und ihre kugelige Form von allen
anderen Ectoderm-Zellen auffallend abweichende
Zellen bemerkbar; eine Verwechslung derselben mit den beiden
grossen Zellen des Mesoderms ist nicht blos wegen ihrer ab-
weichenden Zahl, sondern auch wegen ihrer verschiedenen Lage
(die beiden Mesoderm - Zellen liegen bekanntlich am späteren
Vorderende) nicht möglich. Man sieht sie auf den Fig. 29, 30
und 31 bei h klar hervortreten.
') A. Kowalevsky, „Embryol. Studien an Würmern u. Arthropoden".
M^m. de TAcademie de St-F^tersboorg, Tome XVI, Nr. 12, 1871 ; Taf. HI,
Fig. 11, 13, 13 a. 16.
Ueber die Entstehung des Schwärmsprösslings etc. 329
Das Stadinm der yollendeten Einstttlpnngy das
wir audi als das Stadium der Keimblätterbildung be-
zeichnen können und dessen Entwicklung wir eben geschildert,
haben wir auf Taf. XI, Fig. 28—32 und Taf. XII, Fig. 51 und 52
abgebildet. Fig. 28 stellt einen optischen Längsschnitt, Fig. 29
einen optischen Querschnitt durch dasselbe dar; Fig. 30 gibt uns
eine Oberflächenansicht yon der linken Seite des Embryo, Fig. 31
eine solche ron der Bauchwand; Fig. 32 stellt einen optischen
Längsschnitt durch ein etwas späteres Stadium dar. Taf. XII,
Fig. 51 zeigt uns einen Sagittalschnitt, Fig. 52 einen Querschnitt
durch den bereits mit allen drei Keimblättern ausgestatteten
Embryo. Ectoderm und Entoderm sind überall einschichtig. Die
höchsten Ectoderm - Zellen liegen bei B ; sie besitzen hier eine
Länge von 0,015—0,017 Mm. Gegen r hin werden sie plötzlich
flach und niedrig; von hier gegen die Einstttlpungs-Oefihung
nehmen sie wieder an Höhe zu. Die Entoderm-Zellen haben eine
Höhe von 0,020—0,025 Mm. und eine Dicke von 0,008- 0,01 Mm. ;
ihre Kerne halten im Durchmesser ungefähr 0,006—0,007 Mm. Die
beiden grossen Mesodermzellen haben zu dieser Zeit eine Länge
von 0,025 Mm. und eine Dicke von 0,0175 Mm. ; ihre Kerne messen
etwa 0,007 Mm.; in den Kernen bemerkt man ganz deutlich ein
kleines, punktförmiges Kernkörperchen. So^hl bei den Ectoderm-
als bei den Entoderm-Zellen sind die, gegen die Furchungshöhle
gerichteten Zellenenden kömchenreicher und in Folge dessen un-
durchsichtiger, als die entgegengesetzten. —
Ich habe dieses Stadium deshalb so ausführlich beschrieben,
weil es mir fttr die vergleichende Entwicklungsgeschichte der
MetazoSn von der grössten Wichtigkeit zu sein scheint und weil
gerade in diesem Funkte meine Beobachtungen von denjenigen
Flemming's am weitesten abweichen.
Was die früheren Beobachter betri£ft, so haben bereits
G. 6. Carus und Oscar Schmidt ganz gute Oberflächen-
Ansichten von diesem Stadium gegeben. Die Abbildungen, welche
Flemming davon gegeben hat, sind, wie dieser Forscher wohl
selbst zugeben wird, etwas zu dunkel und undeutlich ausgefallen. —
Es erübrigt noch, einige Worte über das Verhalten der
„Richtungsbläschen'' während und unmittelbar nach der
Fnrchung zu sagen. Es wollte mir leider nicht gelingen, die
„Richtungsbläschen'' während des ganzen Furchungsprocesses
genau und mit der nöthigen Sicherheit zu verfolgen; dennoch
glaube ich durch eine Zusammenstellung meiner und Fiem-
330 Carl Rabl,
m i n g ' 8 Beobachtungen eine nahezu vollfitändige Geschidite ihres
Verhaltens und ihrer LagerungByerhältnisse zn den Fnrchnngs-
kugeln geben zu können. Nach der Zweitheilung des Keims trifft
man sie in der Furche zwischen den beiden Furchungskugeln nnd
zwar, wie auch Flemming angibt^ etwas der vegetativen ZeUe
näher, als der animalen. Nach der Viertheilung liegen sie nach
Flemming in dem einspringenden Winkel zwischen den Zellen
i, 3 und i, nach der Fünftheilnng zwischen 3, 4 und 5. Nach
der Sieben- und Achtheilung, welche Flemming nicht direct
beobachtete, scheinen sie zwischen den Zellen 3, 6 und 7 zn
liegen. Sobald einmal der Keim die Blasenform angenommen
hat, liegen sie immer an der dünnsten Stelle der Blase, also immer
gerade den kleinen Theilungsproducten der grossen vegetativen
Zelle gegenüber. Ganz in derselben Weise treffen wir sie noch
am Keim von Taf. XI, Fig. 25 und den folgenden. Von dem von
uns als Blastosphaera bezeichneten Stadium angefangen, liegen
sie stets genau in der Mittellinie des Keimes, an jener Stelle, wo
sich die flachsten Zellen befinden. Bei Anodonta verschwinden
sie nach Flemming ungefähr auf dem Stadium von Fig. 28, bei
Unio aber erst viel später.
Die Embryonen von Anodonta und Unio tumidus statten sieh,
sobald sie mit allen drei Keimblättern versehen sind, an ihren
vorderen KOrperenden mit langen Flimmerhaaren aus^ 4iii'ch deren
schwingende Bewegungen sie im Eiweiss des Eies zu rotiren be-
ginnen. Den Embryonen der Malermuschel fehlen jedoch diese,
als Velum bezeichneten üilien. —
Schliesslich will ich noch bemerken, dass ich nicht selten in
Furchungskugeln, welche noch nicht die geringste Spur einer Ein-
schnürung erkennen Hessen, zwei deutliche, scharf umschriebene
Kerne gefunden habe. Dieselbe Erscheinung habe ich auch an
mehreren ungefurchten, aber bereits befruchteten Eiern von Unio
tumidus beobachtet. Ich bin jedoch ebenso wenig, wie Flemming,
der dieselbe Erscheinung bei Anodonta beobachtete, im Stande,
mit Bestimmtheit anzugeben, ob solche Eier sich normal weiter
entwickeln oder ob sie nach längerer oder kürzerer Zeit absterben
und zu Grunde gehen. ^)
') Einige interessante Bemerkungen über mehrkemige ZeUen finden sich
auch in der eben erschienenen ersten Hälfte von Kolli ker 's ,,£ntwicklung8-
geschichte des Menschen und der höheren Thiere^S Leipzig 1876, p. 58.
lieber die Entwicklangsgeschichte der Malermaschel. 331
Bevor wir in der Beschreibung der EntwicklnngSTorgänge
weiterfahren^ wollen wir folgende drei Pnnkte einer näheren Be-
trachtnng unterziehen:
1) Die ,;Richtung8blä8chen'' und ihre Bedeu-
tung;
2) Die Eifurchung und ihr Verhältniss zu den
anderen Arten inaequaler Furchung, na-
mentlich zu derjenigen der Gastropoden;
und
3) Die Bildungsweise und das Lagerungsver-
hältniss der Keimblätter.
1) Die^^Bichtungsbläschen'^ und ihre Bedeutung.^)
Die Frage nach dem Wesen und der Bedeutung der ^^Richtungs-
bläschen'^ hat noch immer keine befriedigende Antwort gefunden.
Das einzig Sichere, was man in dem langen/Hber diesen Gegen-
stand geführten Streite bisher erreichte, besteht in der Wider-
legung der, vor nahezu dreissig Jahren von Fr. Müller aufgestellten
Ansicht, dass die „Richtungsbläschen^^ einen wichtigen Einfluss
auf die Richtung der Furchen des Dotters und mithin auch auf
das gegenseitige Lagerungsverhältniss der Furchungskugeln aus-
zuüben hätten. Fast in allen anderen Beziehungen hat der lange
*) Späterer Zasatz: Diese Bemerkungen worden im Herbst 1875 nieder-
geschrieben. Inzwischen sind die schönen tJntersuchangen O. Bütschli's
„über die ersten Entwicklongsvorgänge der Eizelle, die Zelltheilung und die
Conjogation der Infusorien" erschienen, welche über unseren Gegenstand ein
erfreuliches Licht verbreiten. Ich glaube aber dennoch meine damaligen Be-
merkungen fast ganz unverändert mittheilen zu sollen, einerseits, weil durch
dieselben auf mehrere Verhältnisse aufmerksam gemacht wird, die bisher ent-
weder ganz übersehen oder nur ungenügend berührt worden sind, anderer-
seits, weil meine Ansicht über die physiologische Bedeutung der „Richtungs-
kläsohen** Bütschli Anlass zu der wohlfeilen Bemerkung gegeben hat, „man
sehe, was die Anpassung mit gutem Willen nicht aUes zu leisten im Stande
sei" und weil ich daher meine Ansicht zu rechtfertigen wünsche. — Ueber-
dies muss ich Bütschli gegenüber hervorheben, dass man bei embryolo-
gischen Untersuchungen, die sich über eine lange Reihe von Vorgängen er-
strecken, einer einzelnen Erscheinung, die anerkanntermassen zu den weiteren
Veränderungen in gar keiner directen Beziehung steht, nicht seine volle
Aufmerksamkeit widmen kann, sondern dass die Beobachtung eines solchen
Vorganges, wie Bütschli selbst gezeigt hat, eine Sache für sich ist; es
musste mir daher bei der Beobachtung der Entwicklungsgeschichte der Gastro-
poden die Bildungsweise und das Lagorungsverhältniss der Keimblätter etc.
vie( mehr am Herzen gelegen sein, als das Austreiben der „Richtungs-
bläschen".
S32 Carl Rabl,
und heftige Streit zu keinem nennenswertfaen Erfolge g^tthrt.
Wir wollen daher anf die Wandlungen, welche die Ansiditen der
Forscher über diesen Gegenstand im Laufe der Zeit durchgemacht
haben, nicht näher eingehen^), und nur die heute harr-
sehenden und einander gegenüberstehenden An-
sichten einer näheren Beleuchtung unterziehen.
Im Ganzen und Grossen lassen sich diese Ansichten in zwei
Gruppen theilen, — je nachdem sie mehr die morpho-
logische oder mehr die physiologische Seite der Frage
in den Vordergrund drängen.
Die Anhänger der ersteren Richtung glauben in den
,,Richtungsbläschen'^ das, vor dem Beginn der Furchnng
verschwundene Keimbläschen oder doch wenigstens
einen Theil desselben — allerdings in sehr veränderter
Form — wiederer^ifennen zu müssen. Hierher gehören vor Allem
Oellacher, Flemming und Btttschli. Bekanntlich hatte
schon vor längerer Zeit 0 eil ach er auf die Wahrscheinlichkeit
eines solchen Zusammenhanges zwischen Keimbläschen und
„Richtungsbläschen'' hingewiesen, ohne aber dafUr ganz sichere
und unanfechtbare Belege beibringen zu können. Dieser von
0 eil ach er aufgestellten Ansicht schloss sich Flemming —
freilich, wie auch Bütschli mit Recht bemerkt, ohne hiezu
einen zwingenden Grund zu besitzen — der Hauptsache nach
an. Er meinte, dass die „überwiegende Wahrscheinlichkeif'
dafär spreche, dass man es bei den „Richtungsbläschen" mit
„ausgetriebener Kemsubstanz" zu thun habe. ^) Um jedoch diese
Annahme sicher zu stellen, wäre es unbedingt notb-
wendig gewesen, das Keimbläschen in allen seinen
Umwandlungen bis zum Austreiben und Abschnüren
der „"Richtungsbläschen" zu verfolgen. Dies ist je-
doch von Flemming nicht geschehen, und wir müssen daher
seine Annahme zum mindesten für unerwiesen erachten. Auch
glauben wir nicht, dass es mit unseren gegenwärtigen Hilfs-
mitteln je einem Forscher gelingen werde, an den Eiern der
Najaden das Keimbläschen während aller seiner Umwandlungen
genau und mit Sicherheit zu verfolgen und hiedurch die vor-
liegende Frage endgiltig zu entscheiden. Viel günstiger scheinen
*) Wir verweisen in dieser Besieliuxig auf Flemming's ,,Stadieii*S p. 31
und 82 und auf unsere „Ontogenie der Süsswasser^Fuhnonaten^S p. 223,
' *) W. Flemming, 1. es., p. 37.
Ueber die EntwicklungflgOBOliichte der Malennoschel. 333
in dieser Hinsicht die Eier Ton Cyclas zn sein, deren grosse
Durchsichtigkeit viel leichter einen Einblick in die in ihrem Inneren
ablaufenden Vorgänge gestattet^ als dies an den Eiern von Ano-
donta und Unio der Fall ist
Die genauesten und sorgfiUtigsten Untersuchungen ttber die
Beziehungen des Keimbläschens zu den y^Richtungshläsöhen^^ hat
vor Kurzem Btttschli^) an den Eiern einiger Nematoden ange-
stellt. Aus seinen Untersuchungen scheint mit grosser Wahr-
scheinlichkeit hervorzugehen, dass zwar nicht das ganze Keim-
bläschen, aber doch einTheil desselben^ nämlich der Keimfleck,
nach der Befruchtung ausgetrieben werde und sieh zu den ^^ich-
tungsbläschen^' umbilde.*)
Doch scheint es uns nach Allem , was bisher ttber diesen
Gegenstand bekannt geworden ist^ gerathea, einstweilen noch mit
der Bildung eines bestimmten Urtheiles zurückzuhalten und vor-
erst abzuwarten^ bis weitere und über mehrere Thierclassen aus-
gedehnte Untersuchungen vorliegen werden. Ein Zusammenhang
zwischen Keimbläschen und ,,Richtung8bläschen^^ wäre Übrigens
a priori durchaus nicht undenkbar; ja die Sache würde
dann um so wichtiger sein, als sie^ wie Flemming mit Recht
bemerkt, noch „eine hochinteressante phylogenetische
Seite'' bekäme'), insofern nämlich der Keim durch das Ver-
schwinden des Keimbläschens vom Zustande einer einfachen 2ielle
auf den Zustand einer üytode herabsinkt Freilich scheint gegen
einen solchen Zusammenhang wieder der Umstand zu sprechen,
dass die „Richtungsbläschen'' bisweilen, wie in dem oben ange-
führten Falle, eine ganz ungewöhnliche Grösse erreichen und das
Keimbläschen im Durchmesser um mehr als das Dreifache über-
treffen; andererseits müssen wir aber wieder bedenken, wie leicht
namentlich auf frühen Entwicklungsstadien Quellungserscheinungen
zu Stande kommen und wie grosse Schwierigkeiten gemeiniglich
der Beurtheilung solcher abnormer Fälle im Wege stehen. —
Von den Anhängern der zweiten, mehr physiologischen
Richtung müssen wir namentlich Semper und Selenka hervor-
')0. Biitschli, „Vorläufige Mittheilung über Untersuchungen be-
tretend die ersten Entwicklungsvorgänge Im befruchteten Ei von Nematoden
und Schnecken'^ Zeitschr. f. wiss. ZooL, XXV.
*)" Nach Büt8chli*s neuesten Beobachtungen ist es „höchst wahrschein-
lich das gesammte Keimbläschen^^ also nicht Mos der Keimfleck, das zum
,,RichtnngBbIäschen^^ wird.
*) W. Flemming, L c, p. 85.
334 Carl Rabl,
heben. Semper, der die „iKi^^h^^i^gsbläscben'^ mit den ^^Testa-
tropfen" oder „Testazellen" der Ascidien vergleicht, sieht in dem
Austreiben dieser Gebilde ^^gewissermaassen eine Defäcation^', ,,eine
Reinigung^' der Eizelle, ^^eine Befreiung von ofienbar für die ein-
zuleitenden Vorgänge unbrauchbaren Stoffen'^ ^) Ja Selenka g'eht
so weit, die ,,Richtuiig8bläschen'' geradezu den ,;Eoth'' der Eizelle zu
nennen^)! Wenn überdies Semper an einer anderen Stelle^) die
Ansicht ausspricht, man habe in den ^^Richtungsbläschen*' viel-
leicht „die primitivsten Excretionsorgane^' zu erblicken,
denen die Aufgabe zukomme, y,unbrauchbar gewordene Stoffe ab-
zuftlhren'^, so haben wir es hier doch wohl nur mit einem Drnck-
fehler zu thun, der Semper zu der unliebsamen Verwechslang
der Excretions Organe mit den Excretionsproducten iUhrte.
Gegen die Ansicht Semperas und Selenka's haben wir
Folgendes einzuwenden : fürs erste sollte man nach unserer An-
sicht gegenwärtig, wo man von einer Physiologie der Eizelle
noch fiE^st gar nichts weiss, auch nicht von einer Ausscheidung
„unbrauchbar gewordener Stoffe" oder von einer „Defätcation^' der
Eizelle reden. Fürs zweite mttsste, falls diese Ansicht gerecht-
fertigt wäre, eine fundamentale Verschiedenheit zwischen dei
Entwicklung derjenigen Eier, welche „Bichtungsbläschen" oder
„Testatropfen^^ besitzen, und jener, denen diese Gebilde fehlen,
angenommen werden ; man müsste annehmen, dass in den einen
Eiern ganz andere physiologische Processe während der ersten
Entwicklung ablaufen, als in den anderen. Endlich drittens
gibt Semperas Ansicht keine Erklärung, sondern nur
eine Umschreibung der Thatsachen; denn wenn die
ausgeschiedenen Stoffe brauchbar und „für die einzuleitenden
Vorgänge" nothwendig wären, so würden sie doch gewiss nicht
ausgeschieden werden. Wenn ich daher von einer Ausscheidung
von „offenbar fUr die einzuleitenden Vorgänge unbrauchbaren
Stoffen" spreche, so gebe ich damit doch nur eine Umschreibung,
keine Erklärung der Thatsachen. — Demnach mttssen wir die
von Semper und Selenka aufgestellte Ansicht, da sie uns
') Carl Semper, „lieber die Entstehung der geschichteten Cellulose-
Epidermis der Ascidien*^ Arbeiten aus dem asoologisch-zootomischen Institut
in Würzburg; zweiter Band, 1. Heft, 1874, p 12. Anm. 2.
') Selenka, .«Eifurchung und Larvenbildung von Phascolosoma elon-
gatum^^ Zeitschr. für wiss. Zool. 1875, p. 414.
*) Semper, 1. o., p. 16, Anm.
Ueber die EntwicklongsgeBchichte der MalermoBcheL 335
einem Verständnisse nnseres Gegenstandes nicht nlUier bringt|
zorttckweisen.
Wir wollen nnn noch einige Umstände henrorheben, welche
nns allem Anscheine nach einige Anhaltspunkte fttr die Bearthei-
Inng der geschilderten Vorgänge zn geben vermögen. Schon
Flemming^) hat eine Reihe von Punkten namhaft gemacht,
welche beweisen, dass die in früherer Zeit za wiederholten Malen
und selbst heute noch hie und da ') aufgestellte Ansicht, dass die
,,Richtung8bläschen'^ nur ganz ^^gleichgültige und beliebige^' Ge-
bilde seien, entschieden unrichtig ist, und dass man daher nicht
so leichterdings über diesen Gegenstand hinweggehen dürfe.
Vor Allem müssen wir hervorheben, dass die „Richtungs-
bläschen'' in der Regel nur die Begleiter der in-
aequalen oder ungleichmässigen Furchung sind,
während sie bei der gleichmässigen oder primordialen Furchung
fehlen. Ich brauche in dieser Hinsicht nur an die Gastropoden
und Lamellibranchiateu, an zahlreiche Würmer (Nephelis, Lumbri-
cus etc.), sowie an die Säugethiere zu erinnern. ') Von den Ascidien
und Nemertinen, welche von dieser Regel eine Ausnahme machen,
indem bei ihnen neben primordialer Furchung „Richtungs-
bläschen'' oder „Testatropfen" vorkommen, wollen wir einstweilen
absehen und uns die Besprechung dieser Verhältnisse auf weiter
unten versparen.
Ein zweiter, nicht minder wichtiger Punkt besteht darin, dass
die Austrittsstellc der „Richtungsbläschen" stets
der animale Eeimpol ist. Schon Flemming^) hat a'uf
diese Gonstanz der Lage und Austrittsstellc hingewiesen. Ich
erinnere in dieser Beziehung namentlich an die Verhältnisse bei
den Gastropoden und Lamellibranchiateu ; ein ganz ähnliches Ver-
halten scheint sich auch bei Lumbricus ^) vorzufinden. Und selbst
*) W. Flemming, 1. c, p. 84.
') Vgl. Ray-Lankester, „Obflervations on the development of the
pond-snairs Quart, journ. of micr. sdenc. 1S74, p. 375. Die betreffende Stellf
wird aach von Flemming citirt; s. 1. c, p. 31, Anm. l.
') Die genaueste Zusammenstellung lunsichtüch der „Richtungsbläschen^^
hat Bütschli gegeben (1. c, p. 171).
*) Flemming, 1. c, p. 34.
^) A. Kowalevsky, „Embryol. Studien an Würmern und Arthropoden'S
M^m. de TAcad. de St P^tersbourg, Tome XVI, Nr. 12, 1871. Diese An-
nahme ist auf die Voraussetaung basirt, dass die Fig. 2 und 3 auf Taf. VI,
aufweichen die „Richtangsbläschen** nicht abgebildet sind, dieselben Lagerungs-
yerhältnisse, wie Fig. 1, zur Anschauung bringen.
386 Carl RaW,
in jenbn Fällen, wo es noch zweifelhaft erscheint, ob wir es wirk*
lieh mit ^»Bichtungsbläschen'^ zu thun haben, wie bei den Fischen
(Oellacher) und bei Enaxes (Eowalevsky); erscheinen die
betreffenden K^rperchen regelmässig am animalen Keimpole, wo
die Fnrchang schneller von Statten geht; als an dem entgegen-
gesetzten vegetativen.
Endlich müssen wir noch als einen dritten^ für die Beant-
wortung unserer Frage wichtigen Umstand hervorheben , dass
der. animale Eeimpol der sich ungleich furchenden
Eier immer specivisch leichter ist, als der entgegen-
gesetzte vegetative. Von den Eiern der Amphibien nnd
Vögel ist diese Thatsache schon seit Langem bekannt. Von
den Lungenschnecken des Süsswassers habe ich sie schon an
einem anderen Orte hervorgehoben. ') In der allerschönsten nnd
auffallendsten Weise tritt sie aber bei Acera hervor. Die Fnr-
chung dieser Schnecke bietet eine auffallende Aehnlichkeit mit
jener von Apiysia dar, und man darf daher erwarten, dass ancb
bei dieser dasselbe Verhalten vorkomme. Die Beobachtung des
Furchungsprocesses von Acera wird auf späteren Stadien ausser-
ordentlich schwierig und es gelingt nur mit vieler Mük
und Ausdauer, sich eine genaue Vorstellung von den einzelnen
Furchungsstadien zu bilden; der Qrund dieser Schwierigkeit liegt
i^ber nicht so sehr darin, dass es an und für sich schon eine
mühevolle Sache ist, sich ein getreues Bild von der Zahl, Grösse
und Lagerung der einzelnen Furchungskugeln auf späteren Stadien
zu entwerfen, sondeni vielmehr darin, dass jedesmal, sobald
man den Objectträger mit dem Präparate umkehrt,
um dieses auch von der andern Seite zu betrachten, fast
sämmtliche, am Objectträger befindlichen Eier
gleichzeitig diese Bewegung mitmachen und zwar
immer in der Weise, dass der, sich schneller furchende animale
Pol mit den kleineren Furchungskugeln nach oben zu liegen
kommt. — Was endlich noch die Muscheln betrifft, so scheint
sich auch hier ein ähnliches Verhalten vorzufinden; allerdings
wird eine directe Beobachtung an den Eiern dieser Thiere durch
den Umstand bedeutend erschwert, dass die Keime, wenn man
sie isolirt, sehr rasch absterben und zu Grunde gehen; doch
glaube ich aus der Thatsache, dass auch hier regelmässig die
^) C. Rabl, „Ontogenie der Süsswasser-Palmonaten^^ Jen. Zeitsch. f.
Nat, IX. Bd., II. Heft, 1870, p. 223.
tJeber die Entwicklangsgeschichte der MalennuscheL 387
y^i^^htungsbläschen^' an jener Stelle des Keimes gelegen sind, die
von den kleinsten und flachsten Zellen eingenommen
wird, den Schlnss ziehen zu dürfen, dass auch bei den Mnscbeln
der animale Keimpol specifisch leichter, als der vegetative ist
Nun ist es aber klar, dass der specifisch leichtere Pol des
Keimes jedesmal^ wenn das Ei längere Zeit in Buhe gelassen
wird und seine Gleichgewichtslage nngest()rt bleibt, nach oben zu
liegen kommt und dass also die daselbst gelegenen Zellen un-
mittelbar an die Eimembran anstossen und in Folge dessen einen
Druck erleiden, der, wenn er ununterbrochen fortwirkte, noth-
wendig den Keim in seiner normalen Entwicklung hindern müsste.
Zur Verminderung dieses Druckes schieben sich nun nach unserer
Ansicht die „Richtungsbläschen'' gleichsam ais elastische
Ballen zwischen Keim und Eimembran ein und halten dadurch
die aus einem solchen beständigen Drucke nothwendig erwachsenden
Schädlichkeiten von jenem nach Kräften ferne. Demnach hätten
wir also in den „Bichtungsbläschen'' nichts weiter, als
durch Anpassung an die ungleiche Dotterfurchung
erworbene Schutzorgane des Embryo zu erblicken.^)
Wir kommen nun auf die Nemertinen^) und Ascidien^)
znrttck, bei denen sich, wie gesagt, neben gleichmässiger oder
primordialer Furchung „Bichtungsbläschen'' vorfinden. Diese That-
Sache scheint auf den ersten Blick unsere Ansicht von der Be-
deutung der „Richtungsbläschen'' völlig umzustossen. Bei genauerer
Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass sie nicht nur nicht
gegen unsere Ansicht spricht, sondern vielmehr als ein neuer
Beweis für ihre Biditigkeit angesehen werden kann. Wir finden
nämlich, dass die „Riehtungsbläschen", welche bei den Ascidien
als „Testazellen'^ oder „Testatropfen^' (8 e m p e r) bezeichnet werden»
nicht, wie bei den Eiern mit inaequaler Furchung
nur in sehr beschränkter Anzahl, sondern vielmehr
in sehr grosser austreten und dass femer ihre Aus-
') Dieselbe Ansiebt habe ich schon früher ausgesprochen: I. c, p. 223.
') GeorgDieck, „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Nemertinen'**
Jen. Zeitschr. für Nat. VIII, 4. Heft, 1874, p. 500.
') Vgl. ausser Sem per, „Ueber die Entstehung der geschichteten Cellu-
lose-Epidermis der Ascidien'^ noch O. Hertwig, „Untersuchungen über den
Hau und die Entwicklung des Cellulose-Mantels der Tunioaten". Jen, Zeitschn
f. Katurw. 1871, VII. Bd., sowie A. Kowalevsky, „Entwicklungsgeschichte
der einfachen Aseidien^S Mi^m. de TAcad. de St.-Pdtersbourg, Tome X,
Nr. 15, 1866.
338 Carl Eabl,
trittsstellen keineswegs genau bestimmt, sondern
vielmehr ausserordentlich verschieden; ja gewisBer-
massen beliebig sind. Nnn sind aber auch die Bedingungen,
unter denen die Farchung verläuft, bei den Nemertinen und As-
cidien nahezu die gleichen und weichen von denen bei anderen
Thieren mit primordialer Furchung auffallend ab. Diese Thatsache
ist um so interessanter, als die beiden genannten Thierclassen
durchaus keine nähere Verwandtschaft mit einander besitzen; es
geht daraus zugleich hervor^ dass in den sog. „Testatropfen'^ aicher
nur Anpassnngscharaktere vorliegen können. — Vor Allem müssen
vdr hervorheben^ dass sowohl bei den Nemertinen, als bei den
Ascidien die den Keim umgebende Hülle eine doppelte
ist und dass die innere der beiden Hüllen dem Keime
ziemlich enge anliegt, so dass nur eine geringe Menge
flüssigen Eiweisses zwischen Keim und innerer Hülle Platz findet^)
Es ist daher einleuchtend, dass der, nach allen Richtungen hin
gleich schwere Keim hier grössere Gefahr läuft, an die Eimembrao
anzustossen, als dies bei anderen Keimen mit primordialer Fur-
chung (z. B. bei jenen des Amphioxus) der Fall ist Aber eben
deshalb, weil der Keim nach allen Richtungen hin gleich schwa
ist, mussten sich, um ihn vor Druck zu schützen, zahlreiche,
gleichmässig nach allen Richtungen hin vertheilte „Richtangs-
bläschen'^ entwickeln.
Die Frage, ob und wie sich unsere Ansicht von der Be-
deutung der „Richtungsbläschen'' mit einem etwaigen Zusammen-
hange zwischen Keimbläschen und „Richtungsbläschen'' in Ein-
klang bringen lasse, müssen wir vorderhand noch offen lassen.
Vor Allem wäre zu bedenken, ob nicht möglicherweise bei den
Eiern mit primordialer Furchung das Keimbläschen zwar aus-
getrieben, aber bald darauf, weil unnütz, im Eiweiss wieder auf-
gelöst werden könnte, wogegen es bei den Eiern mit inaequaler
Furchnng noch einige Zeit als Schutzorgan bestehen bliebe. Aller-
dings bleibt dann das Verhalten der Ascidien- und Nemertinen-
eier noch unaufgeklärt.
*) Bekanntlich gibt Kowalevsky an, dass bei den Ascidien der Keim
von einer „Schicht von Gallerte^* (1. c, p. 3) nmgeben werde und dass anaser
dieser Gallertschichte keine eigentliche Dotterhaut vorkomme. Dagegen haben
Hertwig und später Semper gezeigt, dass diese Gallertschichte „eher
flüssig ist, da die scheinbar zelligen Elemente (die Testatropfen) in ihr leicht
hin- und herschwanken*^ (Semper, 1. c, p. 3). Nach aussen wird sie von
einer zarten Dotterhaut umschlossen (Semper, p. 3).
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malermoschel. 339
2) Die Eifurchnnf; und ihr Verhältniss zu den
anderen Arten inaeqnaler Furchung. Was zunächst das
Verhältniss der Furchung der Muschebi zu jener der Gastropoden
betrifft, so können wir es am besten durch folgende Schemata
zur Anschauung bringen :
Fnrchungs-Schema
der
Muscheln : Schnecken : ' )
\ ~Ct--o
~X)
V
Schon ein flüchtiger Blick auf diese beiden Schemata genügt,
um sich von der grossen Verschiedenheit derselben zu ttberzengen.
Dies ist um so interessanter, als bekanntlich die beiden Thier-
') Dieses Schema wurde entworfen, noch bevor ich die wichtigen Arbeiten
FoTs Über die Entwicklung der Pteropoden und Heteropoden (,,l£tude8 sur
d^Teloppement des MoUusques: Sur le d^veloppement des Pt^ropodes^^ Arch. de
Zoologie experim. par Lacaze-Duthiers 1875, Nr. 1 et 2; und: „Sur le ddve-
loppement des H^t^ropodes'S Compt. irendus 1876, Tome LXXXI, p. 472 — 74)
kannte. Ich war daher sehr erfreut, als ich aus den Untersuchungen dieses
trefnichen Forschers ersah, dass die Furchung der Pteropoden und Hetero-
poden der Hauptsache nach vollkommen mit jener der übrigen Gastropoden
übereinstimmt. Denn wie schon Fol mit Recht hervorgehoben hat, liegt das
Wesentliche der Furchung der Gastropoden lediglich in dem constanten Vor-
kommen der vier kleinen, unter sich stets gleich grossen, aus der
Achttheilung hervorgegangenen Zellen. Uebrigens stimmt unser Schema auch
bis in's Detail mit der Furchung von Limnaeus, Flanorbis, Doto u. A. überein
und wdicht von derjenigen der übrigen Gastropoden, hinsichtlich welcher ich
als Haupttjrpen Faludina imp., Acera und Cavolinia nenne, nur mit Rücksicht
auf die grösseren Furchungskugeln ab.
iid. X, N. F. in, 8. 22
340 Carl Rabl,
claBsen, deren Farchung sie uns vor Augen führen sollen^ im
Systeme in der nächsten Nähe neben einander stehen.
Zur Anfstellung der beiden Schemata halten wir uns nach
allen bisherigen Beobachtungen; soweit dieselben Berücksichtigung
verdienen, vollkommen berechtigt. Dass wir hiebei solchen An-
gaben, wie sie z. B. Forel hinsichtlich der Muscheln, oder
V. Ihering hinsichtlich der Schnecken macht, keinen Werth bei-
legen können, versteht sich von selbst.
Was zunächst das Furchungsschema der Muscheln
angeht, so ergibt sich dasselbe nicht blos aus meinen und
Flemming's Beobachtungen an Unio und Anodonta, sondern
auch aus jenen Lov^n'sO &^ Gardium und Crenella. Auch
habe ich selbst noch zwei Furchnngsstadien von Cyclas beobachtet;
welche aufs deutlichste erkennen lassen, dass auch hier derselbe
Furchungs-Modus obwaltet. Das eine derselben habe ich auf
Taf. XII, Fig. 58 abgebildet; es entspricht genau dem auf Taf. X^
Fig. 19 von Unio abgebildeten. Es ist dieser Fall namentlicb
deshalb interessant, weil fast die ganze ttbrige Entwicklung^ yod
Cyclas möglichst weit von jener von Unio und Anodonta ab-
weicht. *)
Was färs zweite das Furchungs-Schema der Gastro-
poden betrifft, so berrechtigen mich zur Aufstellung desselben
namentlich meine in Triest angestellten Beobachtungen an Doto,
Tergipes, Aeolis, Acera und anderen. Bei allen diesen lässt sich
die Furchnng, wenn sie auch äusserlich noch so verschieden er-
scheint, ganz leicht und ungezwungen auf das oben angegebene
Schema zurückführen. Leider kann ich hier auf diesen Gegen-
stand nicht näher eingehen, hoffe aber in einer späteren Abhand-
lung meine Beobachtungen genauer auseinandersetzen zu können.
Hier möchte ich nur erwähnen, dass sich in der Glasse der
Gastropoden ein allmählicher und stufenweiser
*) In dieser Beziehung, sowie aacb hinsichtlich der Mytilaceen und
Teredo, verweise ich auf Flemming, 1. c, p. 81. Derselbe gibt auf Taf. I,
Fig. 28 nach LoT^n vier Furchungsbilder von Cardium. Er bemerkt nu<i-
drücklich, dass „die Uebereinstimmung zwischen dem Furchnngsvorgang bei
Cardium, wie ihn Lovdn schildert, und dem bei den Najaden im hohen
Grade auffallend*^ sei.
^) Es muss bemerkt werden, dass bei dem Furchungsschema der Muscheln
die untere der beiden, aus der Zweitheilung hervorgegangenen Zellen etwas
zu gross ausgefallen ist. Uebrigens wird das Schema noch einige Verbesserung
erfahren müssen.
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. 341
Uebergang von den Formen mit regelmässiger
Blastosphaera-Einsttilpung (Gastrulabildung durch Em-
bolien Bildung einer ^yArchigastrula'') bis zu jenen mit so-
genannter Umwaehsung (Gastrulabildung durch EpiboliC;
Bildung einer „Amphigastrula'') nachweisen lasse. An dem einen
Ende der Reihe stehen Limnaeus und die anderen Sttsswasser-
Pulmonaten, darauf folgen Doto, Tergipes, Aeolis und ihre Ver-
wandten, auf diese Trochus, Entoconeha^ Paludina impura; Helix ?
und andere, sodann Acera, Aplysia und vielleicht noch einige andere
PleuTobranchier und am Schlüsse Purpura mit ihren Verwandten.
Den ursprünglichsten Furchungsmodus scheint Limnaens bei-
behalten zu haben, wie es denn überhaupt eine allgemein aner-
kannte und bereits von Fritz Müller^) hervorgehobene That-
sache ist, dass die Bewohner des süssen Wassers in vielen
Punkten ihrer Organisation nnd Entwicklung viel ursprünglichere
und einfachere Zustände aufweisen^ als ihre nächsten Verwandten
im Meere. *)
') Fritz Müller, „Für Darwin", Leipzig 1864.
^ Die Entwicklungsgeschichte der Süsswasser-Pulmonaten wurde seit der
VeröfTentlichung meiner Beobachtungen nur von H. Fol untersucht („Sur le
d^veloppement des Gast^ropodes pulmon^s*^, Comptes rendus, 187A). Ueber
die Dotterfurchnng und die Bildung der beideä primären Keimblätter bemerkt
dieser treffliche Forscher: „La segmentation a liou d'une mani^re conforme
U ce qui s'observe chez les H^t^ropodes. Chez tous, il y a segmentation to-
tale, menant k la formation d*une blastosph^re dont la moiti^ nutritive, com-
pos^e d'dl^ments plus gros et plus riches en protoldcithe, s*invagine dans
Tautre moiti^/^ Mit anderen Worten: Fol bestätigt die von mir gemachte
Angabe, dass bei Limnaens und den übrigen Süsswasser-Pulmonaten eine
Invaginationsgastrola vorkomme und findet nur insofern eine Berichtigung
für nöthig, als nach ihm die Blastosphaera nicht, wie ich gefunden zu haben
glaubte, aus nahezu gleich grossen Zellen zusammengeset-ct ist, sondern viel-
mehr die nutritive (vegetative) Hälfte derselben aus grösseren und körnchen-
reicheren Elementen besteht, als die entgegengesetzte animale. Nun tritt
aber Herrn, v. Ihering („Ueber die Ontogenie von Cyclas und die Homologie
der Keimblätter bei den Mollusken^S Zeitschr. f. wiss. Zool. XXVI) mit der
Behauptung auf, Fol habe meine Angabe ^als verkehrt bezeichnet; er
sagt: nOb die Darlegung Rabl's, welche auch von Fol als verkehrt
bezeichnet wird, richtig ist, oder diejenige von Ganin und Ray-Lan-
kester ( — Umwachsung der grossen Zellen durch die kleinen — ), werden
erst weitere Untersuchungen zeigen müssen'* (p. 426). Das ist denn doch
empörend) Schopenhauer — wenn ich mich anders recht entsinne --
bemerkt einmal, dass es auch falsche Citate ohne MGänsefüsse" gebe,
welche ebenso verwerflich seien, als jene mit solchen. Es bleibt dem
Urtheile der Leser überlassen, zu entscheiden, ob die Worte v. Ihering^s
22*
342 Carl Rabl,
Diese Uebereinstimmnng im Furchungs - Modus berechtigt
uns zu dem Schlüsse; dass die Stammeltem der Gastropoden
eine Farchang besessen haben, welche sich ganz leicht and un-
gezwungen in jenes oben angegebene Schema würde einreihen
lassen.
Wenn nun auch die Beobachtungen über die Farchang der
Muscheln viel spärlicher sind, als jene hinsiohtlich der Schnecken
so scheint doch schon jetzt der Schlnss nicht mehr gimz un-
gerechtfertigt zu sein, dass auch die gemeinsamen Vorfahren der
Lamellibranchiaten eine, jener der heute lebenden Muscheln ganz
ähnliche Furchung besessen haben.
Ueberhaupt scheint es nach allen bisherigen Beobachtungen
nicht unwahrscheinlich zu sein, dass jede mehr oder weniger
scharf umschriebene Thiergruppe ein gemeinsames
für alle Glieder dieser Gruppe giltiges Furchnngs-
Schema besitze, und dass es daher durchaus nicht undenkbar
sei, dass man künftig einmal aus der grösseren oder geringeren
Uebereinstimmnng im Fürchungsprocesse auf eine engere oder
weitere Verwandtschaft zweier oder mehrerer Thierformen weroe
sphliessen können.
Von diesem Standpunkte aus muss ich es als ein dringendes
Erfordemiss bezeichnen, dass man bei entwicklungsgeschichtUchen
Untersuchungen auch die Furchnng möglichst genau beobachte
und nicht, me es meistens geschieht, mit ein paar kurzen Worten
darüber hinweggehe. Ich muss daher vollkommen den Worten
Flemming's beistimmen, dass es nur als ein Zeichen von leicht-
fertiger Beobachtung angesehen werden könne, wenn der Für-
chungsprocess mit den Worten: „die Furchnng verläuft in der
gewöhnlichen Weise", „bietet nichts Besonderes", „nachdem sich
der Dotter in eine Anzahl gleicher Kugeln getheilt hat" u. dgl.
abgefertigt wird. —
Die Furchung der Muscheln bietet uns aber auch noch in
einer anderen Hinsicht ein sehr hohes Interesse dar. Wir haben
nämlich gesehen, dass schon ausserordentlich frühzeitig, — noch
lange vor der Bildung der Keimblätter-Anlagen, — eine Diffe-
renzirung in d^n Furchungskugeln auftritt, die immer weiter und
in diese Kategorie falcher Citate gehören. — Uebrigens werde ich noch in
einer späteren Abhandlung Gelegenheit finden, auf die sonderbaren Be*
hauptungen und wunderlichen Hypothesen dieses Beobachters zurückzu-
kommen.
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malermnschel. o43
weiter schreitet und geUiesslich dazn f&hrt, dass die ganze An-
lage des Entoderms und Mesoderms zusammengenommen nur als
eine einzige grosse Zelle erscheint^ während alle anderen
Fnrehnngskugeln lediglich die Bausteine des äusseren Keimblattes
liefern. Es tritt uns dabei sofort die Frage entgegen, ob und
wie wir uns wohl eine so weit gehende und schon so frühzeitig
auftretende DifFerenzirung erklären können. Diese Frage hängt
offenbar aufs innigste mit der Frage nach der Entstehung der
inaequalen Furchung tlberhaupt zusammen. Wenn nun auch eine
umfassende Antwort auf diese Frage heute wohl noch kaum zu
geben ist, so glauben wir doch schon jetzt Einiges mit mehr oder
weniger grosser Sicherheit behaupten zu dürfen.
Zunächst mttssen wir hervorheben, dass die inaequale Furchung
im Grunde genommen nur in einer schon sehr frühzeitig
auftretenden Differenzirnng der Embryonal-Zellen,
in einem frühzeitigen Auseinandergehen derselben nach ihrer Form
und späteren Function, besteht. Fürs zweite mttssen wir darauf
hinweisen, dass, je frühzeitiger eine Differenzirnng in den Form-
elementen des Embryo auftritt, um so leichter eine Abkürzung
oder Beschleunigung des Entwicklungsganges stattfinden könne;
denn während sich die einen Zellen nach irgend einer bestimmten
Richtung weiter entwickeln und weiter differenziren, können die
anderen, mehr oder weniger unabhängig von jenen,
gleichfalls mit grösserer SchneUigkeit eine höhere Entwicklungs-
stufe erreichen^ als dies im entgegengesetzten Falle möglich wäre.
Endlich drittens wird es wohl kaum einem ernstlichen Zweifel
unterzogen werden können, dass eine Abkürzung der ursprüng-
lichen Entwicklungsdauer nicht blos für die sich entwickelnden
Embryonen selbst, sondern auch für die Species, denen sie an-
gehören, von Vortheil ist. Denn je kürzer die Entwicklung dauert
und je früher die Embryonen zu selbstthätigem Leben heranreifen,
desto grösser wird auch ihre Aussicht auf Erfolg und glücklichen
Fortgang im Kampfe gegen ihre Nebenbuhler und gegen die auf
sie eindringenden feindlichen Einflüsse sein. Mit anderen Worten,
die Embryonen haben, wie zuerst Darwin hervorgehoben und
erst jüngst wieder Bai four nachdrücklich betont* hat, einen eben
so schweren und hartnäckigen Kampf um ihre Existenzbedürfnisse
zu führen, wie die erwachsenen Thiere. Dieser Kampf be-
ginnt mit dem Augenblicke, als der Keim vom müt-
terlichen Organismus sich löst und einen mehr
344 Carl Rabl,
oder weniger selbstständigen EstwicklangB^ang
einschlägt.
Aus dem Gesagten ergibt sich mit Nothwendigkeit der Schlnss^
dass erstens die inaequale Fnrchung dem sich ent-
wickelnden Embryo einen Yortheil gewährt, und dass
zweitens dieser Vortheil um so grösser ist, je früh-
zeitiger sich eine Ungleichheit in den Furchungs*
producten bemerkbar macht. —
Dass in der That die Entwicklung um so rascher vor sich
gehen könne, je frühzeitiger eine Differenzirung in den Form-
dementen des Embryo auftritt, geht aus zahlreichen Beobachtungen
auf das bestimmteste hervor. Nehmen wir, um nur ein einziges
Beispiel dieser Art anzuführen, auf der einen Seite die Furchung
der Muscheln, wie sich uns dieselbe bei unseren Beobachtungen
darbot, und auf der anderen die Furchung und Keimblätterbildung
der A s c i d i e n , wie sie uns durch die wichtigen Untersuchungen
Kowalevsky's bekannt geworden sind. Bei den Muscheln
sehen wir schon sehr frühzeitig eine Differenzirung in den Für-
chungselementen auftreten und im engen Anschlüsse daran eine
Blastosphaera sich entwickeln, deren Wand bereits aufs dentlic1i8;ii
die Anlagen der künftigen Keimblätter erkennen lässt. Bei dcR
A seidien dagegen geht die Furchung vollkommen gleichmässig
von Statten, sämmtliche Formelemente des Embryo haben die
gleiche Grösse und Form und die aus ihnen sieh bildende Blasto-
sphaera lässt keinen Unterschied in den Bausteinen ihrer Wan-
düng erkennen. Die Folgen dieser ungleichen Entwicklung treten
schon auf dem nächsten Stadium unverkennbar zu Tage. Bei
den Muscheln erscheinen alle drei Keimblätter gewissermassen
auf einen Schlag; es bildet sich aus der Blastosphaera keine
Archigastrula, auch keine vollkommen reine Amphigastrula, son-
dern sogleich ein bereits mit den Anlagen einer Muskulatur ans-
gestatteter Embryo. Bei den Ascidien dagegen bildet sich ans
der vollkommen gleicbmässig gebauten Blastosphaera eine voll-
kommen regelmässige, reine Archigastrula; die Muskulatur, die der
Muschel-Embryo auf diesem Stadium schon besitzt, erhält der
Embryo der Ascfdien erst viel später. —
Diese ausserordentliche Zusammenziehung der Entwicklang,
wie sie uns in der Furchung und Keimblätterbildung der Muscheln
entgegentritt, ist aber noch deshalb von Interesse, weil sie uns
an ähnliche, wenn auch meist nicht so scharf ausge-
sprochene Verhältnisse bei den übrigen Metazoen erinnert. Auch
tu
Ueber die Entwicklangsgeschichte der Malermuscbel. 345
hier tritt qbs immer und immer wieder die Behon von vielen
Forechem*) hervorgehobene, aber nie gehörig gewürdigte
Thatsaehe entgegen, dass die Entwicklung während der ersten
Stadien einen verhältnissmässig viel rascheren Schritt geht, als
auf den späteren, und dass gerade die phylogenetisch wichtigsten
Vorgänge mit der grössten Schnelligkeit verlaufen. Ja es scheint,
dass es sich zu einem für alleMetazoen giltigen Satze
erheben lasse, dass die Dauer der ontogenetischen Ent-
wicklungsvorgänge im umgekehrten Verhältnisse
zur Dauer der entsprechenden phylogenetischen
Vorgänge stehe. Bei der Entwicklung mittelst Metamorphose
und bei den verschiedenen Arten der Metagenese erleidet dieser
Satz selbstverständlich einige durch die gestörten Entwicklungs-
verhältnisse verursachte Modificationen , ohne jedoch in seiner
fundamentalen Bedeutung eine Einbusse zu erleiden.
3) Bei der Beobachtung' der Entwicklungsgeschichte der
Muscheln schien mir von allem Anfang an die Bildungsweise
der Keimblätter der bei weitem wichtigste und bedeutungs-
vollste Vorgang zu sein. Ich habe daher gleich bei Beginn
meiner Beobachtungen auf diesen Gegenstand mein Hauptaugen-
merk gerichtet. Da ich aber anfangs ftlr eine Abspaltung des
mittleren Keimblattes von einem der beiden primären Blätter, wie
dieselbe von den meisten Embryologen fUr die Mehrzahl der
Thiere gegenwärtig angenommen wird, etwas voreingenommen
war, so wird man es begreiflieb finden, dass ich nicht wenig
darüber in Erstaunen gesetzt wurde, meine vorgefasste Meinung
') Man vergleiche in dieser Hinsicht namentlich Heinrich Rathke,
„Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere^S 1861. Die Worte dieses Forschers
fallen hier um so mehr in's Gewicht, als sie zu einer Zeit gesprochen wurden,
wo man von den Kämpfen und Streitigkeiten der Anhänger und Gegner der
heutigen Entwicklungstheorien wohl noch keine Ahnung hatte. Rathke sagt
unter Anderem : „Unter den Vertebraten eilen die Säogethiere am schnellsten
über ihre niederen Entwicklungsstufen hinweg, schneller sogar als die Vögel«
d. h. es werden bei ihnen im Verhaltniss zu der ganzen Dauer ihrer Entwick-
lung die Organe, welche ihnen mit anderen Thieren gemeinsam zukommen, in
der kürzesten Zeit nach einander angelegt und demnächst, wenn sie verbleiben
sollen, dem inneren Baue nach auch in der kürzesten Zeit bis zu einem recht
hohen Grrade der.Entwicklnng ausgebildet, wenn sie aber wieder vergehen sollen,
weil sie zwar gemäss dem für die Wirbelthiere geltenden allgemeinen Plane
auftreten mussten, doch durch das Hinzukommen anderer überflüssig gemacht
wurden, auch am schnellsten (und rühesten der Resorption preisgegeben"
(^ 73).
346 Carl Rabl,
durch meine eigenen Beobachtungen nicht bestätigt zu finden. Da
man aber bekanntlich eine einmal gefasste Meinung nicht so leicht
wieder fahren lässt; so wollte auch ich lieber an einen Beobach*
tnngsfehler, wie ja ein solcher gerade bei embryologischen Ar-
beiten sehr leicht möglich ist, glauben; als dsiss ich meine An-
sieht; die zu allen theoretischen Betrachtungen so schön zu passen
schien; so leichtlich wieder aufgegeben hätte. Ich fing daher
meine Beobachtungen wieder von vorne an. Aber auch dieses
Mal ergab sich mir dasselbe Resultat. Dadurch wurde meine
früher gefasste Meinung schon etwas erschüttert. Aber erst als
sich mir nach mehrtägigem, je zehn- bis elfstttndigem Beobachten,
wobei alle Vorgänge buchstäblich unter meinen Augen abliefen;
immer und immer wieder dasselbe Besultat ergab, liess ich end-
lich meine vorgefasste Meinung fallen.
Diese rein persönlichen Bemerkungen sollen blos zeigen, dass
ich die im Folgenden auseinandergesetzten Betrachtungen nnd
Schlüsse erst nach eingehender und sorgsamer Prüfung der That-
sachen, auf welche sie aufgebaut sind, gezogen habe. Es wird
sich; ¥de ich hoffC; zeigen; dass die Deutung; welche ich meineD
und den ähnlichen Beobachtungen Anderer gebe, viel einfaclie
und ungezwungener ist, als alle früheren . Erklärungen; welche
sich hauptsächlich auf vergleichend-anatomische und weniger auf
entwicklungsgesßhichtliche Beobachtungen stützten.
Bevor wir aber zu einer Besprechung der Bedeutung unseres
Gegenstandes übergehen; wollen wir uns noch kurz die Genese
der drei Bestandtheile der Blastosphaera in's Gedächt-
niss zurück rufen. Wir müssen dabei von dem auf Taf. X; Fig. 15
und 16 abgebildeten Stadium ausgehen. Der Embryo stellt eine
länglichrunde Blase dar; deren einen Pol eine an Grösse alle
anderen Embryonal-Zellen übertreffende Kugel einnimmt, während
der andere Pol und die Seitenwände der Blase von kleineren;
ziemlich gleichförmigen Elementen zusammengesetzt werdet.
Wenn wir dimit das auf Taf. XI, Fig. 24 und 25 abgebildete
Stadium vergleichen, das wir; weil der Einstülpung unmittelbar
vorausgehend; als ;;Bla8tosphaera'' bezeichnet habeu; so finden
wir; dass die grosse Furchungskugel am vegetativen Keimpol in
eine Anzahl länglicher Zellen zerfallen ist, von denen zwei so-
wohl durch ihre bedeutendere Grösse, als auch durch ihre Lage
an der Uebergangsstelle der grossen Zellen zu den kleinen sofort
in die Augen springen. Diese beiden; symmetrisch rechts und
links von der Sagittalebene gelegenen Zellen sind eS; welche als
lieber die Entwicklangflgeschichte der MalermascheL 347
die Bildnogsheerde des mittleren Keimblattes ussere
vollste Aufmerksamkeit in Ansprach nehmen.
Was die beiden anderen Keimblätter betrifft, so entwickelt
sich das innere durch Einstttlpung der hohen, von der grossen
Zelle am vegetativen Pol abstammenden Cylinderzellen ; das
äussere dagegen aus dem ganzen ttbrigen, aus kleineren Zellen
zusammengesetzten Theil der Blastosphaera. lieber die Bedeutung
dieser beiden primären Keimblätter wollen wir, da bereits von
anderer Seite ^) viel darfiber verhandelt wurde, nicht weiter
sprechen. Dagegen mtlssen wir uns auf eine Betrachtung des
mittleren Keimblattes etwas näher einlassen.
Das mittlere Keimblatt entsteht also nach un-
seren Auseinandersetzungen aus zwei, am Mund-
rande der Gastrula gelegenen Zellen, deren Ver-
wandtschaft zu den Zellen des inneren Blattes eine
viel innigere ist, als zu jenen des äusseren. Die
Lage dieser zwei Zellen ist in Bezug auf dieKörper-
axen des Embryo eine seitlich-symmetrische.
Diese eigenthttmliche Bildungsweise des mittleren Keimblattes
i wäre nun von gar keinem weiteren Belang, wenn sie ganz ver-
i
i
TJJ
.a?
einzelt dastttnde und kdnen Vergleich mit der Bildungsweise des-
selben Keimblattes bei anderen Thieren zuliesse. Wenn man nun
aber die entwicklungsgeschiohtlichen Arbeiten der letzteren Zeit,
soweit dieselben auf die Keimblätter-Theorie Rtlcksicht nehmen,
der Reihe nach durchgeht, so findet man, dass ganz dieselbe
BUdungsweise des Mesoderms auch bei sehr weit abstehenden
Thieren aus anderen Classen beobachtet Wurde und dass, was
das Wichtigste ist, jeder Stamm der Bilaterien, von den
Wttrmern angefangen bis zu den Wirbelthieren, zum
mindesten je einen Fall aufweisen kann, an dem
diese Beobachtung angestellt wurde. Wer die be-
treffenden Arbeiten aufmerksam liest und mit den anderen embryo-
logischen Arbeiten, welche sich auf die Bildung des mittleren
Keimblattes näher einlassen, vergleicht, kann sich des Gefühles
nicht erwehren, dass gerade diese Beobachtungen am meisten
Vertrauen verdienen und kaum einen Zweifel an ihrer Richtigkeit
aufkommen lassen.
0 Siehe Haeckel, „Die Gastraea-Theorie" etc. Jen. Zeltschrift für
ij> Naturw., VIII. Band, 1. Heft 1874 und Ha ecke!» „Die Gastrula und die
Eifurchung der Thiere^^ Jen. Zeitschrift für Naturw., IX. Band, 3. und
4. Heft, 1875.
348 Carl Rabl,
Was Zunächst die Wttrmer betrifft , so wurde die Bildung
des Mesoderms vom Mnndrande der Gastrnla ans, bisher in zwei
Fällen beobachtet. Der eine betrifft Lumbricns, dessen Entwick-
lung Kowalevsky*) und schon früher , jedoch ^iel weniger
genau Ratzel und Warschawsky^) beobachtet haben, der
andere Cucullanus, dessen früheste Entwicklungsstadien erst vor
Kurzem Btttschli^) einer genauen und aufmerksamen Unter-
suchung unterzogen hat. — Bei Lumbricus ist es nach Kowa-
levsky jederseits die dritte Zelle des Entoderms, vom Mnnd-
rande der Gastrnla an gezählt; die zu Mesodermzelle wird. ^) Bei
Cucullanus zeichnet Bütschli das Mesoderm mit der ersten
Entoderm-Zelle in Zusammenhangt) und bemerkt dazu: ^^Vod
principieller Bedeutung ist nun wieder die Entstehung des mittleren
Blattes. Ich hatte längere Zeit geglaubt, dass dasselbe durch
einen im vorderen Abschnitt des inneren Blattes statthabenden
Faltungsprocess sich anlege, musste diese Ansicht jedocli br
näherer Einsicht fallen lassen. Das mittlere Blatt nimmt jeden-
falls seinen Ursprung von einigen ganz dicht an der Mundöflfhnng
gelegenen Zellen des inneren Blattes tfnd wächst von hier nach
dem Schwanzende hin^^) Desgleichen hält es Bütschli ftr
wahrscheinlich, dass auch bei Oxyuris Diesingi ein ganz ähnliches
Verhalten obwalte, wo nach seinen Untersuchungen das mittlere
Keimblatt gleichfalls anfangs nur den vorderen Abschnitt des
Körpers durchzieht. Bütschli macht femer noch ausdrücklich
auf die grosse Aehnlichkeit dieser Entwicklung mit jener von
Lumbricus, wie sie Kowalevsky beschrieben hat, aufmerksam.
In ähnlicher Weii^ scheint auch bei den Echinodermen
die Bildung des mittleren Keimblattes zu erfolgen. Wenigstens
sprechen dafür die erst jüngst veröffentlichten Untersuchungen
') Kowalevsky, „Embryol. Studien*', M^m. de l'Acad. de St.-P^t©rsb.,
XVI, Nr. 12, 1871
') FritzRatzel undM. Warscbawsky, „Zur Entwicklungsgoschiclitc
des Regenwurms (Lumbricus agricola Hoffm)'*. Zeitschr. für wiss. ZooK ih^h,
XVIil. Band. Batzel braclite bereits die beiden grossen Mesoderm-Zellen
in enge Verbindung mit dem Primitivstreiten und war der Ansicht^ dass sich
dieser aus jenen entwickelt habe (p. 557 j.
') O. Uütschli, „Zur Entwicklungsgeschichte des Cucullanus elegaii«.
Zed/* Zeitschr. für wiss. Zool., XXVI. Band.
*) A. Kowalevsky, 1. c, Taf. VI, Fig. 10.
») O. Bütchli, 1. c, Taf. V, Fig. 8.
*) Derselbe, 1. c, p. 108.
Iflli
Ueber die Entwicklangsgeschichte der Malennuschel. 349
Selenka'san Gacamaria^) and Holothuria tubnlosa.^) Diese Unter-
BQchungen sind um so wichtiger, weil sie die einzigen sind« die
Tvir über die Entwicklang des Mesoderms bei den Echinodermen
besitzen, und weil uns die Beobachtungen Kowalevsky's^) und
Metschnikoff's^) hierttber völlig im Dunkeln lassen. Auch
glauben wir dieselben noch deshalb hervorheben zu mttssen, weil
die Resultate augenscheinlich eine grosse Aehnlichkeit mit den von
uns bei Unio gewonneneu besitzen. Nach Selenka geht nämlich
bei Holothuria tubulosa aus der Furchung, welche „anfangs eine
scheinbar regelmässige^' ist, eine einschichtige Blastosphaera hervor,
deren Wand an einer Stelle eine geringe Verdickung zeigt. Aus
dieser verdickten Stelle treten einige wenige Zellen in die Fur-
chnngshöhle aus und geben dem Mesoderm den Ursprung* Die
übrigen Zellen der verdickten Stelle werden in das Innere der
Furchungshöhle eingestülpt und entwickeln sich zum Entoderm.^)
Auch hinsichtlich der Arthropoden fehlen ähnliche Be-
obachtungen nicht. Namentlich verdienen hier die Untersuchungen
Bobretzky's^) an Astacus und Haeckels^) an Peneus her-
vorgehoben zu werden. Beide stimmen im Wesen mit einander
überein. Sowohl bei Astacus» als bei Peneus treten die ersten
Mesoderm- Zellen am Mundrande der Gastrula auf; bei dem ersteren
zeichnet sogar Bobretzky einige Zellen des Mundrandes noch
in der Theilung begriffen, so dass wohl kaum ^n der Richtigkeit
') Selenka, Vorläufige Mittheilung über die Entwicklungsgeschicbte von
Cucumaria doliolum; aus den Sitzangsberichten der pbysikalisch-mediciniflcben
Societät zu Erlangen. Sitzung vom U. Juni 1875.
*) Selenka, „Zur Entwicklung von Uolotburia tubulosa; ein Beitrag zur
Keimblätter-Theorie". Aus den Sitz.-Ber. der pbys.-med. Societät zu Erlangen.
Sitzung vom 13. December 1B75.
*y A. Kowalevsky, „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Holo-
thurien". M^m. de TAcad. de St.-P^ter8bourg, Tome XI. Nr. fi, 1867.
*) Elias Metschnikoff, „Studien über die Entwicklung der Echino-
dermen und Nemertinen". M^m. de TAcad. de St.-P^tersbourg, Tome XIV,
Nr. H, 1869.
*) Diese Darstellung ist nach der von Selenka über die Entwicklung
der Holothuria tubulosa in der Sitzung vom 1 3. Dec. 1875 gebrachten Beschreibung
wiedergegeben. Seine früheren Angaben stimmen nicht vollkommen mit diesen
späteren überein, lassen aber auf einen ganz ähnlichen Bildungsmodus des
Mesoderms bei Cucumaria schlie^sen.
*} Bobretzky, Russische Abhandlung über die Entwicklung von Astacus
und Falaemon, Kiew 1873.
^) Ernst Haeckel, „Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere^.
Jen. Zeitschr. f. Natarw., IX. Band 187Ö. Separatabdr., p. 109.
350 Carl Rabl,
der betreffenden Bebbachtangen geweifelt werden kann. ^) Diese
in der Theilnng begriffenen Zellen liegen auch hier der innereo
Umrandang des Gastrula-Mnndes näher, als der äusseren. — An
Insekten^ Myriapoden und Spinnen konnte die Entwicklung' des
Mesoderms bisher noch nicht mit der nöthigen Sicherheit fest-
gestellt werden. ^)
In Beziehung auf die Mesoderm-Entwicklung bei den Mol-
lusken verweise ich auf die im Vorausgehenden auseinander-
gesetzten Beobachtungen an Unio. Auch bei den Gephalopoden
scheint sich ein ähnliches Verhalten vorzufinden; wenigstens
glaube ich einige Bemerkungen, die sich in der, im Uebriges
durchaus unklaren und verworrenen Abhandlung Ussow's^) über
die Entwicklung der Gephalopoden finden, in dieser Weise deaten
zu dtlrfen.
Endlich scheinen auch bei den Wirbelthieren die Ver-
hältnisse lange nicht so complicirt zu liegen, wie man gewöfanlic)
annimmt. Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass das Meso-
derm der Wirbelthiere keineswegs vollkommen dem der Wirbel-
losen entspricht, sondern dass es vielmehr ein historisch bereits
sehr modificirtes Gebilde ist. Aus den wichtigen Untersuchungen
Balfour's^) und Kölliker's^) an üaifisch- und Kaninchen-
Embryonen geht nämlich hervor, dass das Mesoderm der Wirbel-
thiere nicht, wie jenes der Wirbellosen, aus zwei, sondern viel-
mehr aus drei, ursprünglich getrennt von einander
') Bobretzky, 1. c, Taf. I. Vergl. namentlich Fig. lA.
') In Beziehung auf die von Bobretzky über Kowalevky's Beob-
achtungen an Insekten-Embryonen gemachten Bemerkungen verweise ich auf
dessen Abhandlung: „Zur Embryologie des Oniscus murarius". Zeitschr. f.
wiss. Zool. 1874, Band XXIV.
') M. Ussow, „Zoologisch-embryologische Untersuchungen; I. Theil: Die
Kopffüssler^'. Arch. f. Naturgesch. von Dr. F. H. Troschel, 40. Jahrgang,
I. Band, Berlin 1874. Wir werden auf diese „zoologisch - embryologischen
Untersuchungen'* in einer späteren Abhandlung näher zu sprechen kommen.
Hier möge nur bemerkt sein, dass Ussow's Auseinandersetzungeu an inneren
Widersprüchen sehr gesegnet sind und dass man daher sehr weit fehlgehen
würde, wenn man sie in ausgiebigerer Weise zu vergleichend-embryologischen
Arbeiten benützen wollte.
*) Balfour, „A preliminary account of the development of tbe Elasmo-
branch fishes"; in Quarterly Journal of microscopical science; vol. XIV,
London 1874, mit Taf. XIII bis XV.
*) A. Kölliker, „Ueber die erste Entwicklung des Säugethier-Embryo**
im IX. Bande der Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Geselbcbaft
zu Würzburg. (Vorgetragen in der ISitzung vom 20. November 1875.)
Ueber die Entwicklangsgeschiohte der Malermaschel. 351
entstandenen Theilen besteht, von denen nur die beiden
' seitlichen dem Mesoderm der Wirbellosen homologisirt werden
können; wogegen der mittlere ein^ den Wirbeldiieren allein cha-
rakteristisches und sie von den Wirbellosen anterscheidendes Ge-
bilde vorstellt. Wenn daher bei den höheren Wirbelthieren das
Mesoderm in der Mittellinie mit dem äusseren und inneren Eeim-
blatte verschmilzt, so kann dieses Verhalten höchstens fttr die Ent-
wicklung des mittleren, dem Axenstrange Eis' ungefähr ent-
sprechenden Theiles des Mesoderms von Belang sein, keineswegs
dagegen für jene der beiden Seitentheile. Doch werden wir auf
diesen Gegenstand weiter unten nochmals zurückkommen.
Hier möge nur erwähnt sein, dass einen ganz ähnlichen
Bildungs • Modus des Mesoderms, wie wir ihn oben von 'den
Wirbellosen beschrieben haben ^ Alexander Götte^) auch au
der Unke beobachtete. Auch hier erscheineu nämlich die ersten
Mesoderm-Zellen am Umschlagsrande der Gastrula, in der Nähe
» des Rusconi'scben Afters. Am besten ersieht man dies, wenn
/ man seine Fig. 31 f u. f, Taf. II auftnerksam betrachtet. Ferner
glauben wir hervorheben zu müssen, dass auch bei den Haifischen
das Mesoderm anfangs am hinteren, aboralen Pole deff £mbryo, da,
wo sich das äussere Keimblatt in das innere umschlägt, also am
sogenannten „Randwulsf oder „Embryonalsaum'' mit
den beiden primären Keimblättern auf das innigste
zusammenhängt. Dies geht aus den Untersuchungen Bal-
four's^), welche wohl die wichtigsten unter allen, in letzter Zeit
erschienenen embryologischen Arbeiten sein dürften, auf das un-
zweideutigste hervor. Die Worte Balfour's lauten: „Where
they join the epiblast, the Icwer layer vella become distinctly di-
vided .... into two layers ; a lower one, more directly continuous
with the epiblast, consisting of cells somewhat resembling the
epiblast-cells, and an upper one of more flattened cells (PI. XIII,
Fig. 4, m). The first of these forms the hypoblast, and the latter
the mesoblast". ') — Desgleichen stehen nach G ö 1 1 e *) auch beim
Forellenkeim am Raudwulste alle drei Keimblätter mit einander
') Alexander Gölte, „Entwicklungsgescbicbte der Unke (Bombinator
igneuB) als Grundlage einer vergleichenden Morphologie der Wirbel thiere^\
Leipzig 1875.
») Balfour, l. c, p. 33fi.
*) Balfoar, „A preliminary account of the developmeut etc.", p. 386.
*) A. Götte, „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wirbclthiere;
I. Der Keim des Foreileneies". Arch. f. mikr. Anatb, iX, S. fi79.
352 Carl Rabl,
in Verbindang und nach demselben Forscher scheint sich ein
ganz ähnliches Verhalten auch beim Htlhnchen vorzufinden. ^)
Demnach scheint die Bildung des mittleren Keimblattes bei
den Wirbelthieren in der Weise zu erfolgen, dass sich zuerst die
Zeilen der unteren Schichte am Randwulste^ der eben der
Umrandung des Gastrula-Mundes entspricht, in zwei getrennte
Lagen spalten, welche eben dem inneren und mittleren Keim-
blatte entsprechen, und dass diese Spaltung allmählich nach dem
entgegengesetzten Körperende hin fortschreitet. Dies gilt jedoch
aller Wahrscheinlichkeit nach nur für die beiden Seitentheile des
Mesoderms, während sich der in der Axe gelegene Theil auf eine
andere Weise entwickelt. Während Balfour diesen lediglich
vom* inneren Keimblatte ableitet, nimmt nach Kölliker^
Waldeyer, His n. A. auch das äussere Keimblatt Antheil an
seiner Bildung ; ja nach ersterem soll das ganze Mesoderm vom
äusseren Keimblatte stammen. —
Aus diesen Auseinandersetzungen geht hervor, dass die Bil-
dungsweise des mittleren Keimblattes, wie wir sie an den Embryonen
von Unio beobachtet haben, keineswegs vereinzelt dasteht, sondern
dass vielmehr die meisten genauen Beobachtungen auf das ent-
schiedenste für einen ganz ähnlichen Bildungs-Modus bei den
anderen Bilaterien sprechen. —
Der andere Punkt, der uns bei der Bildung des mittleren
Keimblattes an Unio noch besonders interessirt, ist die seitlich -
symmetrischeLagerung der erstenMesoderm- Zellen.
Ich habe bereits in einer anderen Abhandlung^) die hohe
Wichtigkeit der seitlich-symmetrischen Anordnung
des Mesoderms für alle Bilaterien auf das nachdrück-
lichste hervorgehoben ; seitdem hat es aber, mit Ausnahme
HaeckePs'), kein einziger Forscher der Mühe werth gehalten,
der Wichtigkeit des Gegenstandes auch nur mit einem einzigen
Worte zu gedenken. Ich werde daher im Folgenden eine ganz
kurze Zusammenstellung derjenigen Beobachtungen geben, welche
auf unseren Gegenstand Bezug haben.
^) Derselbe, „Die Bildung der Keimblätter und des Blutes im Hühnerei *.
Ibid. X. Band. p. 145.
^) C. Rabl, „Die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonaten*^ Jen. Zeitscbr.
f. Naturw., IX. Band, p. 236.
*) £. üaeckel, „Die Gastrula und die Eifurchung der Tbiere". Ebend.
IX. Bd., Separatabdr., p. 101.
Ueber die Entwicklangsgeschiohte der Malermaschel. 353
Was znnächBt wiedernm die Würmer betrifft^ so musB vor
Allem hervorgehoben v^erjden, dass Kowalevsky^) die seitliche
Symmetrie des Hesoderms bei allen von ihm auf ihre Ent-
wicklang untersuchten Würmern gefunden hat. Sowohl
bei der; durch ihre eigenthümliche Organisation so hoch interes-
santen Sagitta, als auch bei LumbricuS; Euaxes und dem, mit
diesem nahe verwandten Tubifex stellt das Mesoderm anfangs
zwei laterale Stränge dar^ welche den Körper des Embryo der
Länge nach durchziehen. Diese beiden Stränge sind es auch,
welche man schon seit Langem unter dem Namen des ,,Keim-
streifens'' kennt, und welche wohl in derselben Weise allen
Würmern zukommen dürften. Auch gibt Kowalevsky noch
auf das bestimmteste an, dass er dieselbe Beschaffenheit des Keim-
streifens an den Embryonen von Nephelis^) beobachtet habe.
Desgleichen ist auch bei Glepsine^) die Anordnung des Keim-
streifens eine seitlich-symmetrische. — Dieselbe seitliche Symmetrie
des Mesoderms kommt endlich auch den phylogenetisch so hoch-
wichtigen Ascidien zu, wie dies schon vor längerer Zeit Kowa-
levsky^) gezeigt hat
Bei den Echinodermen wurde zwar bis jetzt die seitliche
Symmetrie des Mesoderms noch nicht mit völliger Sicherheit be-
obachtet; seheint jedoch nach mehreren von Metschnikoff^)
gemachten Angaben auch hier vorzukommen. Uebrigens müssen
wir uns vergegenwärtigen, dfiss uns über die erste Mesoderm-
Entwicklung bei den Echinodermen mit Ausnahme der oben an-
geführten Untersuchungen Selenka's noch jegliche genaue Be-
^) A. Kowalevsky, ,,Einbryol. Studien'^ etc.
•) Ebend., p. 3.
') Vergl. Charles Bobin, f,M^moire sur le d^veloppement embryo-
g^niqae des hirudin^es^^; M^m. de TAcad. des sciences de Tinstitute de France,
PI. XV. Tome XL.
*) A. Kowaleysky, „Entwicklungsgescbicbte der einfachen Ascidien'S
M^m. de l'Acad. de St.-Ftftersbourg. Tome X, Nr. 15, 1866. Vergl. Taf. I,
Fig. 16.
'^f Elias Metschnikoff, „Studien über die Entwicklung der Echino-
dermen und Ncmertinen". M^m. de l'Acad. de St-P^tersbourg. Tome XIV,
Nr. 8, 1869. Man vergl. namentlich den auf Taf. III. Fig. 6 abgebildeten
Embryo von Amphiura squamata. Die Vermnthung, dass sich auch hier die
seitliche Symmetrie des Mesoderms vorfinde, würde zur Gewissheit werden,
wenn nicht auf der erwähnten Figur in der Nähe des vorderen Körperendes
einige dem Entodenn aufliegende Kalkrädchen gezeichnet wären, die doch
wohl nur dem Mesoderm ihren Ursprung verdanken können.
354 CarlRabl,
obachtungen fehlen; and wir kOnnen daher hoffen, dass auch hier
ähnliche Angaben, wie sie von allen übrigen Bilaterien vorliegen,
nicht audbleiben werden.
In Beziehung auf die Arthropoden ist namentlich
eine von Kowalevsky^) an Hydrophylns angestellte Beob-
achtung hervorzuheben, nach welcher auch hier auf einem
frühen Embryonalstadium das Mesoderm in Form zweier, in der
Medianlinie getrennter, lateraler Stränge den Körper des Embryo
der Länge nach durchzieht. Auch bei den Crustaceen scheint
dasselbe Verhalten obzuwalten, wie aus mehreren von Edaard
van Beneden ^) gegebenen Abbildungen geschlossen werden
darf. —
, Dieselbe seitliche Symmetrie des Mesoderms begegnet uns
auch bei den Mollusken. Und zwar liegt hier — falls unsere
Auffassung der Ray - Lankester'schen Beobachtungen an
Gephalopoden richtig ist — der gewiss bemerkenswerthe Fall vor,
dass sämmtliche Glassen dieses Thierstammes zum mindesten e i o
Beispiel von seitlich-symmetrischer Anordnung des Mesodeni»
aufzuweisen vermögen. Was vor Allem die Brachiopoden betriffl^
so ist es auch hier wieder der unermüdliche Kowalevaky'),
dem wir die erste, hierauf bezügliche Beobachtung an Argiope
Neapolitana verdanken. Sodann habe ich selbst die erste An-
ordnung des Mesoderms bei den Süsswasser-Pulmonaten als eine
seitlich-symmetrische beschrieben. ^) Dieselbe Beobachtung ist
mir, wie ich in einer späteren Abhandlung genauer auseinander
1) Kowalevsky, „Embryol. Studien", S. 39, Taf. X, Fig. 27.
*) Ed. van Beneden, „Recherches sur la compoaition et la aignification
de l'cBuf". BruxeUeB 1870. Vergl. Taf. VIII, Fig. 11, Caligus-Einbryo.
Ferner :
Derselbe und E. Bessels, „Memoire sur la formation du blafitoderroe".
Aus den „M^m. cour. et M^m. des savants ^trangers". XXIV, 1869, Taf. V.
Fig. 4, Embryo von Anchorella und Fig. U, Embryo von Clavella. Bei
allen dreien, Caligus, Anchorella und Clavella, scheint das Mesoderm seitlich
symmetrisch angeordnet zu sein; wenigstens darf dies aus den beiden seit-
lichen Verdickungen des Blastoderms, welche in ihrem Aussehen ganz dem
„Keimstreifen" der Würmer gleichen, geschlossen werden. (Nebenbei möge be-
merkt sein, dass man sonderbarer Weise bei den Arthropoden etwas ganz
Anderes als bei den Würmern, nämlich eine am Bauche gelegene Verdickung
des Ectoderms als „Keimstreif^' zu bezeichnen pflegt.)
') A. Kowalevsky, Russische Abhandlung über die Entwicklung der
Brachiopoden, Kasan 187H.
*) C. Rabl, „Die Ontogenie der Süsswasser-Pulmonaten"; Jen. Zettschr.
f. Naturw. IX. Band, p. 202, 1875.
Ueber die EntwicklungBgeschicbte der Malermuschel. 355
setzen werde, an Tergipes-Embryonen gelungen. In Besdehnng
anf die Lamellibrancbiaten verweise ich auf die im Vorhergehen-
den auseinandergesetzten Beobachtungen an Unio. Endlich
scheint auch bei den Cephalopoden dieselbe Symmetrie des Meso-
derms Torzukommen ; wenigstens glaube ich dies aus einem Quer-
schnitte, den Ray-Lankester^) von einem Gephalopoden-£m -
bryo giebt, folgern zu dttrfen. Doch lässt sich bei genauerer
Einsicht in den Text der Ray-Lankester'schen Abhandlung
nicht mit Bestimmtheit sagen, ob das Mesoderm wirklich ur-
sprünglich in dieser Lagerung auftrete, oder ob etwa jenes Durch-
schnittsbild die nrsprünglichen Verhältnisse nicht mehr in ihrer
Reinheit vor Augen fUhre.
Endlich sind auch hinsichtlich der Wirbelthierein letzter
Zeit drei Fälle von seitlicher Symmetrie des Mesoderms bekannt
geworden. Der erste von ihnen betrifft Amphioxus, diesen letzten
merkwürdigen Sprössling eines längst erloschenen Thiergesohlechtes ;
der zweite die Haifische, denen gleichfalls Niemand ihre hohe
phylogenetische Bedeutung in Abrede stellen wird; der dritte
endlich das Kaninchen, das, durch eigenthümliche glückliche Um-
stände geschützt; die ursprünglichen Verhältnisse treuer bewahrt
zu haben scheint; als viele seiner nächsten Verwandten.
Was zunächst Amphioxus betrifft; so hat uns Eowalevsky^)
in seinen wichtigen UntersuchuDgen über ;;die Entwicklungsge-
schichte des Amphioxus lanceolatus^' eine optische Queransicht
von einem Embryo gegeben; aus der wir aufs deutlichste er-
kennen können, dass auch hier das Mesoderm ursprünglich in
Form zweier lateraler Stränge den Körper des Embryo der Länge
nach durchzieht. Leider konnte aber Kowalevsky ungünstiger
Verhältnisse wegen über die erste Entstehung der bald darauf
in der Mitte zwischen diesen Strängen auftretenden Chorda dor-
salis nichts Sicheres in Erfahrung bringen.
Viel vollständiger sind in dieser Beziehung die schon früher
^) Ray-Lanketter, „ObsenratioDa on tbe development of tbe Cepba-
lopoda'^ Qaarterly Joamal of microsc. science; Jaoaary 1875.
*) A.Kowalev8ky, „EatwickluDgsgeBchichte des Amphioxus laoceolatiu'^
Mdm. de TAcad. de St.-P^tenibourg ; Tome XI, Nr. 4^ 1867. Die diesbezüg-
liche Fig. 20, Taf. II, ist in His, „Unsere Korperform*^, S. 178 bei £ wieder-
gegeben; die Copie entspricht jedoch nicht genaa dem Original; dessen an-
geachtet glauben wir ans Gründen der Analogie die daselbst dargesteUten Ver-
hältnisse ab die orsprünglicberen ansehen zu dürfen.
Bd. X, N. F. III, 9. 28
356 Carl Rabl,
hervorgehobenen Beobachtungen Balfour's^) an Haifisch-Em-
bryonen. Er sagt über die ursprüngliche Anordnung des Meso-
derms: „There is one peculiarity in the formation of the meso-
blast; which I wish to call attention to, i. e. itB formation as
two lateral masses, one on each aide of the middle
line, but not continuous acro8S this line (vide figs. 6a
and 6b; and 7a and 7b). ^y Er bemerkt dazu ausdrücklich, dass
dies unzweifelhaft ein sehr früher Zustand des Mesoderms sei^
und erinnert zugleich an die ähnlichen Verhältnisse, welche
Kowalevsky an Euaxes und Lumbricus beobachtet hat. —
Zwischen diesen beiden Platten des mittleren Keim-
blattes, welche, wie wir weiter unten noch näher auBftthren
werden, offenbar den beiden Platten des Mesoderms der anderen
Bilaterien homolog sind, bildet sich einige Zeit später
eine dritte, in der Mittellinie des Körpers glegene
und von den beiden seitlichen getrennte Platte,
welche Balfour als Rückensaite oder Chorda dorsalis bezeichnet
und die er vom inneren Keimblatte oder Hypoblast ableitet ^).
Das Mesoderm der Selachier besteht somit aus drei ge
trennten Platten, von denen die beiden seitlichen in ihi«r
Entstehung der Zeit nach der mittleren vorauseilen. Auch Prof.
Huxley, dem Balfour seine Präparate zeigte, sprach sich ent-
schieden zu Gunsten dieser Auffassung aus. ^)
Endlich liegt noch aus jüngster Zeit eine Beobachtung Kol-
li k e r ' s **) an Kaninchen-Embryonen vor, nach welcher auch hier
anfänglich keine Chorda vorhanden ist, so dass in ähn-
licher Weise, wie bei den Selachicrn, die MeduUarplatte anfangs
unmittelbar an das Entoderm anstösst. Eine genauere Besprech-
ung dieser wichtigen Beobachtung ist aber hier deshalb nicht am
Platze, weil für die Einzelheiten der betreffenden Vorgänge von
Kolli k er auf die demnächst erscheinende erste Hälfte seiner
Entwicklungsgeschichte verwiesen wird. —
So zahlreichen Beobachtungen gegenüber kann es wohl kaum
einem ernstlichen Zweifel unterzogen werden, dass wir hier einem
^) Balfour, ,,A preliminary account etc^^ Microsc. Journal 1874.
«) Ibid., p. 335.
') Ibid., p. 341, Fig. 7 a und 7 b, ch und ch'.
*) Ibid., p. 342.
'^) A. Kölliker, „Ueber die erste Entwicklung des Saugethier-Embryo^^
s. S. 43, Anm. 2. Die daselbst gemachten Angaben über den Ursprung und
die Zeit der Entstehung der Chorda widersprechen einander etwas.
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malennuschel. 357
höchst wichtigen and bedeatangsvoUen Gegenstände gegenüber-
stehen. Dies wird um so eher einleuchten, wenn man bedenkt,
das diejenigen Punkte^ auf welche es hier vorzüglich ankommt,
nämlich die Bildung des Mesoderms vom Mundrande der Gastrula
und die primitive Lagerung desselben zu beiden Seiten des
Körpers, weder mit den Existenzbedingungen der Embryonen
selbst, noch auch mit denjenigen der erwachsenen Thiere in irgend
einem denkbaren Zusammenhang stehen. Wir müssen daher
in der Aehnlichkeit jener Verhältnisse unbedingt
den Ausdruck von gemeinsamer Vererbung erblicken
und können nur dann auf ein Verständniss unseres
Oegenstandes hoffen, wenn es uns gelingt, die be-
sprochenen Erscheinungen auf phylogenetische
Vorgänge zurückzuführen.
Fragen wir uns zuerst, ob und wie wir uns wohl die Bil-
dung des Mesoderms vom Mundrande der Gastrula
phylogenetisch zu erklären vermögen. Selbstverständlich müssen
wir dabei von jener hypothetischen, zweischichtigen Stammform
der Metazoen ausgehen, welche Haeckel mit dem Namen Gas-
traea oder Metazoarchus bezeichnet hat.
Das wichtigste, ja man könnte fast sagen, das einzige Be-
dttrfniss der Gastraea wird unzweifelhaft das Nahrungsbedürfniss
gewesen sein. Dies geht einerseits schon aus ihrem anatomischen
Baue hervor, andererseits aber auch daraus, dass bei sämmtlichen
Nachkommen der Gastraea, wie auch bei sämmtlichen Protozoen,
das Bedürfniss nach Nahrung alle anderen Bedürfnisse weit
überwiegt Jede auch noch so geringe Abänderung, welche der
Befriedigung dieses Bedürfnisses Vorschub leistete, wird daher
von der Gastraea gewissenhaft beibehalten und befestigt worden
sein. So lässt sich aus der Analogie mit zahlreichen anderen
Thierer, — sowohl Protozoen als Metazoen — der Schluss ziehen,
dass sich um die Mundöffnung herum ein Kranz langer Wimper-
haare entwickelte, durch deren schwingende Bewegung ein
Strudel im Wasser erregt wurde, der die Beute dem Munde zu-
führte und in den Magen gelangen liess. Der in dieser Weise
erlangte und in die Magenhöhle aufgenommene Bissen konnte
aber so lange an dem Entwischen nicht gehindert werden, als
der Gastraea die Fähigkeit mangelte, ihre Mundöfinung zu ver-
schliessen oder doch wenigstens beträchtlich zu verengem. Diese
offenbar sehr nützliche Fähigkeit konnte nun ganz einfach und
leicht dadurch erreicht werden, dass einige, an der inneren Um-
88*
358 Carl Rabl,
randnng der Mandöfiiiung gelegene Zellen eine vorwiegende Con-
traetilität erwarben^ so dass sie, sobald ein Bissen an ihnen vor-
über in die Magenhöhle glitt; dadurch gereizt und znr Contraction
angeregt wurden. In diesen wenigen, an der inneren Umrandung
des Mundes, gelegenen und durch eine besondere Gontractilität aus-
gezeichneten Zellen haben wir, wie es scheint, die ersten
muskulösen Elemente der Gastraea zu erblicken.
Wenn nun auch heutzutage noch in der Keimesgeschichte
sämmtlicher Bilaterien die ersten muskulösen Elemente, die ersten
Mesoderm-Zellen, an der inneren Umrandung des Gastrula-Mun-
des auftreten, so haben wir hierin offenbar nur eine Wiederholung
jener ursprtlnglichen phylogenetischen Entwicklungsvorgänge zo
erblicken. Wenn wir aber andererseits eine solche phylogene-
tische Erklärung der entwicklungsgeschichtlichen Thatsachen Ton
der Hand weisen, so müssen wir einfach auf ein Verständnis«
derselben verzichten ; wir stehen dann einem wunderbaren Räthse)
gegenüber, auf dessen Lösung wir nie und nimmer hoffen dürfen.
In ähnlicher Weise lässt sich auch die ursprünglicbr
Lagerung des Mesoderms zu beiden Seiten des Kör-
pers auf ganz einfache phylogenetische Vorgänge zurückführet
Denn offenbar steht die seitlich-symmetrische Anordnung der
Muskulatur mit der allen Bilaterien, und daher auch ihren Vor-
fahren, gemeinsamen und sie vor allen anderen Metazoen aus-
zeichnenden Bewegung nach einer bestimmten Rich-
tung in der unmittelbarsten Wechselbeziehung. Dass nun aber
bei den Vorfahren der Bilaterien, deren nächste lebende Ver-
wandte wir in den niedrigsten Würmern zu erblicken haben, die
Muskulatur nicht allseitig zwischen Haut und Darm ange-
ordnet war, sondern vielmehr nur an der dem Boden zugekehrten
ventralen Fläche des Körpers, steht allem Anscheine
nach mit der, diesen niedrigsten, längst ausgestorbenen Bilaterien
eigenthümlichen kriechenden Bewegung in Zusammen-
hang. —
Wenden wir nun in ausgedehnter Weise das biogene-
tische Grundgesetz auf die von uns hervorgehobenen onto-
genetischen Erscheinungen an, so gelangen wir zu folgendem
Schlüsse :
Das erste seitlich-symmetrische Thier, von dem
zunächst die Würmer und in weiterer Folge alle
übrigen Bilaterien abstammen, stellte einen läng-
lichovalen, hohlen Körper dar, dessen Wand aus
Ueber die Entwicklaogsgeschiehte der MalermaBchel. 359
zwei Zellenschichten (Ectoderm und Entoderm) be»
stand, zwischen welchen an der dem Boden zuge-
kehrten (^^yentralen'') Fläche zwei symmetrisch zu
beiden Seiten der Medianlinie gelegene Muskel-
streifen (Mesoderm) sich befanden. Die Mundöff-
n u n g dieser hypothetischen Stammform der Bilaterien war, ¥rie
zahlreiche ontogenetische Thatsachen beweisen, nach oben zu,
d. h. gegen den späteren Rttcken hin gelegen. Wir haben
uns, kurz gesagt, eine bilaterale, kriechende und mit Muskulatur
versehene Gastraea zu denken.
Fragen wir uns nun weiter, wie sich zu dieser hypothe-
tischen Ur- oder Stammform der Bilaterien die Wirbelthiere
verhalten. — Bei der Beantwortung dieser Frage werden wir von
den wichtigen Untersuchungen B a 1 f o u r's an Haifisch-Embiyonen
ausgehen müssen ; einerseits sind diese allem Anscheine 4iach die
genauesten, welche in dieser Hinsicht bisher angesteUt wurden
und geben daher auch die sicherste Grundlage flir phylogene-
tische Schlttsse ab; andererseits sind die Thiere, an denen sie
angestellt wurden, von so hoher phylogenetischer Bedeutung, dass
auch die aus ihrer Organisation und Entwicklung sich ergebenden
Schlttsse eine um so höhere phylogenetische Bedeutung besitzen.
Was vor Allem die Thatsache betrifft, dass auch bei den
Haifiscl^- Embryonen das Mesoderm ursprünglich in Form
zweier lateraler Platten angelegt wird, so beweist dieselbe
auf das entschiedenste, dass auch bei den Vorfahren der Wirbel-
thiere die Muskulatur anfangs in Form zweier lateraler Stränge
den Körper der Länge nach durchzog. Mit anderen Worten, es
stammen auch die Wirbelthiere von derselben phylogenetischen
Urform der Bilaterien ab, von der alle anderen Bilaterien ihren
Ursprung genommen haben.
Was dagegen die in der Mitte zwischen jenen beiden late-
ralen Platten und mehr oder weniger unabhängig von denselben
entstehende mediane Platte des Mesoderms betrifft, welche,
wie Balfour auf das' bestimmteste angibt, der Chorda den Ur-
sprung gibt, so stellt dieselbe ein, den Wirbelthieren allein zu-
kommendes und sämmtlichen Bilaterien fehlendes 0 Gebilde dar.
*) Die sogenannte Chorda der Anneliden kann mit der Chorda der Wirbel-
thiere schon deshalb nicht homologisirt werden, weil sie kein primäres Ge-
bilde, wie dieses, ist, sondern sich erst secundär, nachdem sich die beiden
lateralen Mesoderm*Platten in der Medianlinie vereinigt haben, durch eine
Difierenzirung einiger, diesen angehörender Zellen, entwickelt
360 Carl Rabl,
Das Mesodenn der Wirbelthiere besteht somit nach seiner yoU-
ständigen Ausbildung ans drei; bei den Haifiseh-Embryoneo
noch völlig von einander getrennten Platten: zwei lateralen,
welche dem Mesoderm der Wirbellosen entsprechen, and einer
medianen; welche kein Homologen im Mesoderm der Wirbellosen
besitzt. Daraus ergibt sich der phylogenetische Schluss, dass bei
den Vorfahren der WirbelthierC; welche sich aus jener oben ge-
kennzeichneten Stammform sämmtlicher Bilaterien hervorbildeten,
zwischen den zu beiden Seiten des Körpers verlaufenden Muskd-
strängen auf der Bückenfläche zwischen Ectoderm und Entoderm
ein unpaarer; medianer, knorpeliger Stab als Stütze des Körpen
sich entwickelt hatte, der sie vor allen anderen Bilaterien aus-
zeichnete.
Der Umstand; dass bei der Mehrzahl der Wirbelthiere das
mittlere Keimblatt nicht, wie bei den Haifischen; ursprünglich in
Form dreier von einander getrennter Platten auftritt; sond^n
vielmehr gleich anfangs eine vollkommen zusammenhäDgende.
einheitliche Schicht bildet, steht im vollsten Einklänge mit dei
bereits von Fritz Müller hervorgehobenen Satze, dass ;;die£
der Entwicklungsgeschichte enthaltene geschichtliche Urknnde li-
mählich verwischt werde ; indem die Entwicklung einen immci
geraderen Weg vom Ei zum fertigen Thiere einschlägt." i) Denn
dadurch; dass einerseits die Zeit; welche ursprünglich ^wischen
der Bildung der beiden lateralen und der medianen Platte des
Mesoderms verstrich; allmählich reducirt wurdC; während anderer-
seits die Verbindung zwischen den drei Platten immer früher und
früher erfolgte; konnte es schliesslich dazu kommen; dass alle
drei Mesoderm-Platten nicht blos zur gleichen Zeit, sondern aach
als einheitliche; zusammenhängende Schichte in die Erscheinang
traten.
Uebrigens legen selbst bei den Embryonen dieser höher
stehenden Wirbelthiere nicht wenige Erscheinungen deutliches
Zeugniss für die phylogenetisch getrennte Entstehung der drei
Platten des Mesoderms ab. Dafür spricht namentlich der von
His^) hervorgehobene Umstand; dass bei den Wirbelthieren der
mittlere zum eigentlichen Verdauungskanal bestimmte Theil des
Darmdrüsenblattes anfangs keine Muskulatur besitzt
*) Fritz Müller, „Für Darwin", Leipzig 1864, p. 77.
') Wilhelm His, „Unsere Körperform und das physiologische Problem
ihrer Entstehung^S Leipzig 1874, p. 76.
Ueber die Entwicklungsgescbichte der Malermuscbel. 361
(obwohl also unmittelbar ttber demselben ein Mesodenn vorhanden
ist); und dass der Darmkanal seine Muskelwand
nicht vom Stammtheil, sondern vom Parietaltheil
der nnteren Mnskelplatte erhält — Auch haben bereits
vor längerer Zeit HiS; Waldeyer u. A. die, von jener der
tibrigen Embryonal-Anlagen verschiedene Bedeutung des in der
Mitte verlaufenden und der medianen Platte des Mesoderms un-
gefähr entsprechenden ,,Axenstranges'' klar und deutlich er-
kannt und die Nothwendigkeit hervorgehoben, dass man „nicht
die Keimblätter allein, sondern neben ihnen auch
den Axenstrang zu den Uranlagen des Embryo^)
rechnen müsse.
Aus allen diesen Betrachtungen ergibt sich in Beziehung auf
die Homologie des mittleren Keimblattes der Bila-
terien der Schluss, dass das mittlere Keimblatt der
Wirbellosen nicht vollkommen dem der Wirbel-
thiere entspricht, sondern nur mit den beiden late-
ralen Platten desselben verglichen werden darf;
die unpaare mediane Platte des Mesoderms der
Wirbelthiere ist ein diesen ausschliesslich zukom-
mendes und den Wirbellosen fehlendes Gebilde.
Daraus geht zugleich hervor, dass die von Haeckel als
Chordonier bezeichneten Bilaterien, d. h. die Wirbelthiere und
Tunicaten, schon viel tiefer unten vom gemeinsamen Stamme der
Bilaterien sich entfernen, als man gewöhnlich annimmt Man wird
daher auch in der Aufstellung von Homologien zwischen den
Wirbelthieren und Wirbellosen viel vorsichtiger und sparsamer
verfahren müssen, als dies in jüngster Zeit geschehen ist —
Ich gebe mich nicht der Hoffnung hin, durch diese wenigen
Auseinandersetzungen bereits die Mehrzahl der Forscher für meine
Anschauung gewonnen zu haben; ich gebe mich zufrieden, wenn
es mir gelungen sein sollte, einige Anhänger entgegenstehender
Ansichten wankend und meiner Auffassung nicht völlig abgeueigt
gemacht zu haben. Hier, im Anschluss an die Darstellung der
Entwicklungsgeschichte der Muscheln, mussten nothwendig meine
Auseinandersetzungen kurz und lückenhaft sein; ich konnte die
entgegenstehenden und meiner Anschauung widersprechenden
Angaben keiner gehörigen Beleuchtung unterziehen; ich konnte
') Wilhelm Waldeyer, „Eierstock und Ei*'. Leipzig 1870, p. 111.
362 Cftrl Rabl,
die; in letzter Zeit von S e m p e r ') nnd D o h r n ') unternommene
Vereuche einer Erklärung der Phylogenie der WirbelÜiiere m
ihren fundamentalen Gegensatz zu meinen eigenen nid
in's rechte Licht setzen ; — doch dies Alles soll in einer späten
ausführlicheren Arbeit geschehen. Hier möge nur bemerkt sei
dass ich nicht übereilt; sondern erst nach sorgsamer Prtlfai
aller mir bekannten Beobachtungen zu einem Abschlüsse g
kommen bin.
Denjenigen aber, die, ohne selbst eine bessere Ei
klärung der Erscheinungen geben zu können, solch
und ähnlichen Versuchen mit einigen nichtssagenden Sede^e
düngen den Weg abzuschneiden pflegen, rufe ich die Woi
unseres unsterblichen Meisters AI. v. Humboldt zu: »i
geziemt nicht dem Geiste unserer Zeit, jede Vei
allgemeinerung der Begriffe, jeden, auf Inductio
und Analogien gegründeten Versuch, tiefer in <)
Verkettung der N aturerscheinungen einzudringe:
;als bodenlose Hypothese zu verwerfen; und unt^
denedelnAnlagen, mit denen die Natur den Mensel
ausgestattet hat, bald die nach einem Causalz
sammenhang grübelnde Vernunft, bald die regsaiii<
zu allem Entdecken und Schaffen nothwendige a^
anregende Einbildungskraft zu verdammen.'^ —
II. Von der Bildung der Keimblätter bis zum Ende der
embryonalen Entwicklung.
Wir haben den Embryo auf einem Stadium verlassen, >
dem er bereits mit allen drei Keimblättern ausgestattet i»j
Die nächste Frage, die nun an uns herantritt, geht dahin, ^
sich die einzelnen Organe des Embryo aus den Keimblatt
*) Carl Semper, „Die Stammesverwandtschaft der Wirbelthiere^
Wirbellosen^^ Arbeiten aus dem zoologisch-zootomiscben Institut in
bürg 1874, II. Band, 1. Heft
') Anton Dohrn, »I^er Ursprung der Wirbelthiere r
des Functionswecbselfl. Genealogische Skizzen*^ Leipzig If
Ueber die Entwiddangsgeflchiohte der Malermaschel. 363
aufbauen und ob sich anch auf späteren Entwicklungsstadien
noch die einzeken Keimblätter klar und deutlich von einander
unterscheiden lassen. —
Die Veränderungen , welche der Embryo in der ersten Zeit
nach der Bildung der Keimblätter erleidet, sind von so tief-
greifender Natur und gehen mit so grosser Schnelligkeit yon
statten, dass man nach kaum vierundzwanzig Stunden — voraus-
gesetzt, dass die Entwicklung unter sonst gtlnstigen äusseren
Verhältnissen verläuft — ein vollständig anderes Bild vor Augen
hat. Diese Veränderungen betreffen weniger die äussere Form
des Emifryo, als vielmehr seine innere Organisation. Namentlich
ist es das innere Keimblatt, das nunmehr eine Beihe von Um-
wandlungen zu durchlaufen hat, wie man sie in ähnlicher Weise
wohl nur bei einigen parasitischen Würmern, denen jede Spur
eines Verdauungskanales fehlt, wiederfinden dürfte.
Wir h^ben gesehen, dass die zwischen den beiden primären
Keimblättern gelegene Höhle, welche unmittelbar aus der Fur-
chungshöhle der Blastosphaera hervorgegangen ist, immer mehr
und mehr von Mesoderm-Zellen eritlllt wird, die sich anfangs
dicht an das eingestülpte Entoderm anlegen, bald jedoch in der
ganzen Höhle verbreiten. Anfangs bleibt noch ein kleiner, unter
jener Stelle, an welcher die „Richtungsbläschen^^ liegen, befind-
licher Baum von ihnen frei, aber auch dieser wird alsbald von
mehr oder weniger lose verbundenen Zellen erfüllt, so dass
schliesslich die ursprüngliche Höhle ganz verschwindet. Aller-
dings sind die Meso^rm-Zellen an einzelnen Stellen, so nament-
lich in der Nähe des späteren Hinterendes des Körpers, viel
dichter an einander gelagert, als an anderen, doch bleibt keine
Stelle ganz frei von ihnen. Während dieser Vorgänge haben sich
die beiden grossen Zellen, welche wir als die Bildungsheerde
des Mesoderms kennen gelernt haben, durch fortgesetzte Theilung
so weit verkleinert, dass man schliesslich gar keinen Unter-
schied mehr zwischen ihnen und ihren Abkömmlingen wahrzu-
nehmen im Stande ist. Diese allmähliche Grössenabnahme der
beiden ursprünglichen Mesoderm-Zellen bei gleichzeitiger Zu-
nahme der Zahl der kleinen Zellen kann man namentlich gut an
Querschnitten verfolgen.
Sobald säramtliche Zellen des mittleren Keimblattes eine
mehr oder wea%er einförmige Grösse und Gestalt angenommen
habe^ ^ ^ißk an ihnen eine allmähliche Verschiebung
gep' F^ ^ zu bemerkbar zu machen. Hier
364 Carl Rabl,
drängen sie sich in grösserer Zahl zwischen Ectoderm nnd Ento-
derm vor and strecken sich quer von einer Körperwand zur an-
dern ans. Die übrigen Zellen des Mesoderms, welche an diesem
Vorgänge keinen Antheil nehmen, legen sich theils der Innen-
fläche des Ectoderms an^ theils spannen sie sich dnrch die neu-
gebildete, in Folge der erwähnten Gruppirung der Me-
soderm-Zellen entstandene Höhle hin aus. Diese Höhle
ist keineswegs der früheren, während der Furchung entstandenen
Keim- oder Furchungshöhle gleichzusetzen, sondern ist vielmehr
als Leibeshöhle oder Goelom aufzufassen. Die sie durch-
setzenden Zellen besitzen eine langgestreckte Form und schicken
an beiden Enden Fortsätze aus, die sich meist wieder verästdn.
Eb sind das die von Flemming sogenannten „Strangzellen'^.
Von ihnen sind besonders diejenigen wichtig, welche in der
Mittellinie des Körpers entspringen und nach den beiden Seiten
hinziehen. Sie treten fast auf allen Querschnitten klar zu Tage
(Taf. Xn, Fig. 56, z). Diejenigen ZeUen des Mesoderms dagegen,
welche, wie bereits erwähnt, in der Nähe des hinteren Körper-
endes von einer Körperwand zur anderen, quer durch die Leibes-
höhle des Embryo ausgespannt liegen, stellen die Zellen des
Schliessmukels dar. Ihre Zahl ist auf späteren Entwickelnngs-
Stadien grösser, als die aller übrigen Mesoderm-Zellen zusammen-
genommen.
Während sich in dieser Weise am mittleren Keimblatte
mannigfache Differenzirungen bemerkbar machen, gehen auch am
Entoderm zahlreiche wichtige Veränderungop von Statten. Oleich-
zeitig mit der erwähnten Verschiebung der Mesoderm-Zellen
gegen das hintere Körperende zu und mit der damit im Zusam-
menhang stehenden Bildung des Schliessmuskels wird das in die
Leibeshöhle hineinhängende Entodermsäckchen nach vorne ge-
drängt, so dass es hier einen kleinen, schräg nach vorne und
unten gerichteten Zipfel bildet. Man ersieht diese Lagerung am
besten, wenn man die nach einem Längsschnitte (u. z. einem
Sagittalschnitte) angefertigte Fig. 53, Taf. XH betrachtet. Ver-
gleicht man diese Figur mit der auf derselben Tafel befindlichen
Fig. 51, so kann man sich ganz wohl vergegenwärtigen, wie
diese Verschiebung des Entodermsäckchens nach vorne gleich-
zeitig mit der Bildung des Schliessmuskels und wohl in Abhängig-
keit davon zu Stande kommen konnte.
Dieser nach vorne und unten in die Leibeshöhle hinein-
ragende Entodermzipfel löst sich nun von den übrigen Zellen
Ueber die E itwicklangsgescbichte der Malermuschel. 365
des Bückentheiles ab (Taf. Sil, Fg. 55) and bleibt als ein kleines
Zellenhänfchen anter der äusseren Eörperwand am vorderen
Eörperende liegen. Dieses Zellenhänfchen bildet nnn-
mehr das Entoderm des Mnschelembryo. Die ttbrigen
am Rücken gelegenen Zellen nehmen an Höhe immer mehr ab
and erlangen in Folge dessen eine immer hellere and darcbsich-
tigere Beschaffenheit. Der Embryo selbst wird dadurch an seinem
Rttckentheile durchsichtiger and gestattet wieder einen leichteren
Einblick in seine innere Organisation. Die Zellen des Rttckens
sind zu jeder Zeit an ihren grossen , in gewissen Entfernungen
Yon einander gelegenen Kernen deutlich erkennbar; doch sind
sie noch nicht durch Membranen von einander geschieden. —
Die Veränderungen, welche sich unterdessen am äusseren
Keimblatte bemerkbar machen; sind lange nicht so bedeutend wie
diejenigen, welche wir an den beiden anderen Keimblättern kennen
gelernt haben. Vor Allem muss hervorgehoben werden, dass
dasEcttoderm während der ganzen embryonalen Ent-
wicklung nur aus einer einzigenSchichte von Zellen
besteht. Allerdings zeigen diese Zellen an den verschiedenen
Stellen des Körpers eine sehr verschiedene Beschaffenheit. Am
Rücken und an den oberen Theilen der beiden Seitenwände des
Körpers sind sie flach und stehen weit aus einander; man erkennt
sie hier an ihren hellen, von der körnigen Umgebung sich scharf
abhebenden, runden Kernen. An allen übrigen Theilen des
Körpers, mit Ausnahme jener kleinen Stelle, an der die „Rich-
tung^bläschen'' liegen, wird das Ectoderm von hohen, dicht neben-
einander stehenden Cylinderzellen zusammengesetzt, von denen
die höchsten an der Bauchseite, da wo wir auch früher schon
die grössten Zellen vorgefunden haben, gelegen sind. Die Kerne
dieser Zellen liegen durchwegs in der Mitte ihrer Höhe und
nicht, wie Flemming will, „ganz tief an ihrem Fuss^'. Das
Protoplasma der Zellen ist an den, nach der Leibeshöhle gerich-
teten Zellenenden viel körnchenreicher und daher auch viel und
durchsichtiger, als an den entgegengesetzten Enden. Bei schwachen
Vergi'össemngen geben daher solche Schnitte, wie die auf Taf, XII.
Fig. 53 oder 56 abgebildeten, folgendes Bild : zu äusserst gewahrt
man eine schwach durchscheinende, mehr feinkörnige Schichte,
welche den äusseren Zellenenden entspricht; darauf folgt eine
sehr helle, den Zellkernen entsprechende und zu innerst wieder
eine dunkle, von der hellen Kemschichte sehr scharf und schön
/
'M (^i lUbl,
ti^^h Hhnft^iimtiÖis iUUU Hekidite^ welebe eba den umeren, k5m-
An ji^fii^r Kii^llA, Ml df^r dio ;^Kichtang$blä8chen'' fingen, sind
l\U^ Yti^W^if wiif «tiorMt ^Momtning bei Anodonta gefunden hat,
im ffii'lir IfttifCK^Mlm'/kior Form und geringerer Höhe; aach be-
iriM'kt tfuui lilor rnKnlniHNMi^ eine reichte Einbuchtung des Ecto-
dMHfiM. Ich wnr nniiuiKN Konoigt, diese schon ausserordentlich
rHIImr^llU' MiilltnliMMln Vortloinng des äusseren Keimblattes fUr
dli^ Aiihitff^ dcir snoundllron MundOffnung zu halten;
i«|illl(M« iii\m llhnrNdii^lo ich mich, das» diese viel weiter oben am
ViMihMMMutn doM KOrprrs, Hti dorjonigcn Stelle, unter welcher das
\\M\\\y VA\Us{Um\\fv\W\\\\MM\t>\\ golcgou ist» entsteht und sich
^\A\\\\\ niAw \\W\\M\i^ mit doit Kntodcrm*ZeUen verbindet Der
HUtut» niumttuvtUM dos Musoholembryo besteht so-
\\ik\\\\ nun otuom kUiuou« dorn Vorderende des Kör-
\M^\n \^\\\\\^\\^<'\\\\K^\\ 8liokohou» das im Inneren eine
iU^IU^n^^ bontUI \\\\\{ sich au die vordere KOrper-
NVrtU^i Ä^U^iit l^TiifvXlt VV. f>i\ Au Horiiontalschnitten dmrth
^<i^^^ Kis^Uv>>\ bowuMkt wäw dÄb<^r n^^^lm^lÄSiiir unter dem sehr ver-
^h\^Klvi^ VolxSiUmw <^iww klcimnu ähä yicmlich niedrigen Zelloi vt
^isywwww^s^^vw'^w \i\\\^, dor <^W«i nichts weiter als das dBrek-
\N^v ^^t"^ >>N^ Vl<'n\v*, n-;^ tj'vT ^k>e WrcJir*i?e ^r
t^'-N'^'V^Äib y^^ K"*^ Viwi^r ^ va •V'^>nvr«»/^T. A v^lun iicri nnc
Ueber die Entwicklungsgeschiolite der MalermoBchel. 367
hinten folgt das y^Mittelschild^'; dasselbe entspricht derjenigen
Stelle, an der sich die „Richtungsbläschen'' befinden. Die lang-
gestreckten; das ^^Mittelschild'' zusammensetzenden Zellen heissen
yyN ah t Zellen''. — Später glaubte Flemming die Ausdrücke
„Vorderwulst" und ^^Mittelschild" durch ^^Entoderm«
wnlst" und ^^Oralepithel" ersetzen zu müssen. — Ich muss
offen gestehen, dass ich nicht recht begreife, wozu man so viele
neue Namen nöthig habe ; je einfacher eine Beschreibung ist, desto
leichter kann sie von Anderen verstanden werden. Dass aber eine
80 complicirte Nomenclatur das Verständniss keineswegs erleichtert,
wird Jeder zugeben, der Flemming 's Darstellung liest.
Was zunächst das Verschwinden der FurchungshOhle betrifft,
80 bemerkt Flemming ganz richtig, dass dieselbe „relativ sehr
klein" werde, ohne aber bestimmte Angaben ttber die Ursachen
dieser Erscheinung zu geben. Das gänzliche Verschwinden
dieser Höhle hat jedoch Flemming nicht beobachtet; er leitet
vielmehr die Leibeshöhle direct von der FurchungshOhle ab.
Später, auf Seite 84, bezeichnet er sogar schon die Höhle der
,,Eeimbla8e" als Leibeshöhle des Embryo. Wie wir jedoch ge-
sehen haben, mttssen Furchuugshöble und Leibeshöhle scharf von
einander unterschieden werden, indem jene die Höhle der ein-
schichtigen Keimhautblase vorstellt, während diese durch das
Aoseinanderweichen der Mesoderm-Zellen entsteht.
Ueber die Art und Weise der Differenzirung des mittleren
nnd inneren Keimblattes weiss Flemm!ng ebenso wenig etwas
Bestimmtes anzugeben, wie ttber die Bildung dieser Keimblätter
selbst. Er sagt darttber: „Was im Inneren des dunklen Rücken*
theils jetzt vorgeht, bleibt absolut unsichtbar; so viel ist sicher,
dass hier gerade jetzt sehr rege Differenzirungen statthaben
mttssen". Wäre es da nicht sehr nahe gelegen gewesen, durch
Bol<?Jlie Embryonen Schnitte anzufertigen? — Doch, ttber einen so
ttberflttssigen Gedanken hilft uns die Entwicklung selbst rasch
hinweg, denn — „inzwischen lichtet sich immer mehr nnd mehr
der obere nnd mittlere Theil der Rückenzellenmasse". Auf dem
nächsten von Flemming beobachteten Stadium ist bereits der
Schliessmuskel und die Leibeshöhle gebildet und auch die Schale
beginnt sich schon am Rücken anzulegen. Das kleine Entoderm-
säckchen hat Flemming sonderbarer Weise ganz übersehen.
Allerdings verlegt er später in seiner „Notiz zur Entwicklungs«
geschichte der Najaden" die Anlage des Muscheldarmes an den
,, Vorderwulst" oder „Entodermwulst"» jedoch geht er ent«
368 Carl Rabl,
schieden fehl^ wenn er dieselbe in den beiden,
später zu erwähnenden seitlichen Graben snclit.
Immerhin verdient es jedoch anerkannt zu werden, dass er die
allgemeinen Lagerungsverhältnisse der Organe des Maschelembrjro
nicht völlig verkannte and nicht in den von Forel begangenen
Fehler verfiel, das Vorderende für das Hinterende zu halten. —
Die nächste Entwicklang des Embryo ist durch die Bil-
dung der Schale und der Byssusdrüse charakterisirt.
Die erste Anlage der Schale stellt ein äusserst zartes, homo-
((eneS; durchsichtiges Häutchen dar, das der Rtlckenfläche des Embryo
wie ein Sattel aufliegt und sich ohne Unterbrechung von
der einen Seite auf die andere hin fortsetzt (Taf XI,
Fig. 34, S). Die Zeit ihres ersten Auftretens fällt unmittelbar nach
dem Verschwinden der primären Einstülpungsöffiaung und der
damit zusammenhängenden Abflachung der Rückenfläche. Bei
Behandlung mit verdünnter Essigsäure hebt sich dieses Häutchen
von seinem Mutterboden ab und legt sich dabei in zahlreiche
Falten. Kohlensaurer Kalk ist in ihm noch nicht zur Abscheidung
gekommen. Alsbald beginnt sich aber an dieser primitiven Schalen-
anlage dadurch eine Dififerenzirung bemerkbar zu machen, dass
jederseits eine den oberen Theil der Seitenfläche des Körpers ein-
nehmende Schalenklappe zum Vorschein kommt. Diese besitzt
die auf Taf. XI, Fig. 36 angegebene Form. Daraus ist ersicht-
lich, dass jede Schalenhälfte beim Beginne ihrer Entwicklung
nicht ein Dreieck darstellt, sondern dass vielmehr der vordere
Rand ganz allmählich und continuirlich in den hinteren übergeht.
Doch ist derselbe schon jetzt dadurch ganz leicht von dem hinteren
Rande zu unterscheiden, dass er einen viel schärferen Bogen be-
schreibt, als dieser. Der Schlossrand ist gerade und sieht dem
der anderen Seite entgegen.
Der Uebergang dieser mehr rundlichen Schalenform in die
ungleichseitig dreieckige kann am besten aus den beigegebenen
Figuren ersehen werden. Schon auf Fig. 38, noch mehr aber auf
Fig. 40 tritt diese dreieckige Form klar zu Tage. Wie Flem-
ming an Anodonta beobachtete und ich an Unio bestätigt ge*
fanden habe, ist „der Rand der Schalen von der Phase an, in
welcher diese sich zuspitzen^', also sobald einmal die rundliche
Schalenform in die dreieckige übergegangen ist, merklich verdickt
Am deutlichsten tritt dies an den Schalen der erwachsenen und
zum Ausschlüpfen reifen Embryonen hervor. An diesen bemerkt
man überdies auch bereits die erste Anlage des Schlosses
Ueber die Entwicklangsgeschichte der MalermuBcheL 369
(Taf. Xlly Fig. 44 n. 47). Der an seinen beiden Enden verdickte
Schlossrand zeigt nämlich am £nde seines vorderen Drittels, da,
wo dieses an das mittlere stösst; eine nicht unbeträchtliche Ver*
schmächtignngy von welcher an sich derselbe nach vorne und
hinten allmählich verdickt; um in die beiden aufgetriebenen Enden
überzugehen. Bei sehr weit geöffoeter Schale^ wie man sie jedoch
meist nur bei absterbenden Embryonen findet, legen sich die
einander zugekehrten Schlossränder nicht nach ihrer ganzen
Länge an einander, sondern weichen vorne und hinten etwas von
einander ab.
An den Schalen reifer Embryonen gewahrt man überdies
noch eine andere, höchst eigenthtlmliche Bildung, welche von
keinem der früheren Beobachter übersehen wurde und mit Recht
die Aufmerksamkeit und Bewunderung aller in Anspruch nahm.
Es ist dies ein, dem unteren Schalenrande aufsitzender, schnabel-
förmiger Hacken, der, wie zuerst Fl emming gezeigt hat, in ganz
ähnlicher Weise, wie die Schale selbst als Cuticularbildnng
anfgefasst werden muss und somit ein Prodpct des äusseren Keim-
blattes darstellt. Er besitzt die Form eines gleichschenkeligen
Dreieckes, dessen Spitze nach abwärts gerichtet ist und dessen
breite Basis sich mit dem unteren Schalenrande verbindet (Taf. XII,
Fig. 44 u. 45, sh). Die beiden, an der Spitze zusammentreffenden
Bänder sind geschweift, mit nach abwärts gerichteter Concavität.
Von der Seite betrachtet, besitzen diese Schalenhacken oder
„Schalenaufsätze^^ die Gestalt eines Papageienschnabels, dessen
Bücken mit zahlreichen grösseren und kleineren Zacken besetzt
ist (Taf. XII, Fig. 48). Die in der Medianlinie, also auf der Firste
des Schnabels, sitzenden Zacken sind die stärksten und richten
ihre Spitze mehr oder weniger direct nach abwärts; nach
beiden Seiten hin werden sie kleiner und kehren ihre Spitze von
der Medianlinie weg. In einiger Entfernung von den beiden
Seitenrändem des Schnabels hören die Zacken gänzlich auf. Am
dichtesten stehen sie, wie zuerst Fl emming an Anodonta be*
obaehtete, in der Nähe der Schale. Der von den Schalenhacken
beschriebene Bogen ist schärfer als jener der Schalen selbst
(Taf. Xn, Fig. 48) und geht daher nicht in einer Flucht in diesen
über. Von einem Gelenke, welches nach Forel die Verbindung
zwischen Schale und Schalenhacken vermitteln soll, habe ich eben
BO wenig wie Fl emming etwas wahrnehmen können.
Eine weitere Eigenthttmlichkeit der Schalen erwachsener
Embryonen bilden die zahlreichen, äusserst feinen Poreneanäle,
370 Carl Rabl,
von denen dieselben durchsetzt werden, v. Ihering gibt an^
daßs diese Porencanäle Lttcken seien ; in welche die schalen-
bildenden Zellen des Ectoderms knrze, stumpfe Fortsätze hinein-
schicken, welche an der Ausscheidung der Schale selbst keinen
Antheil nehmen sollen. — Oanz ähnliche Porencanäle kommen
bekanntlich auch den Embryonen von Cyclas zu. Man kann sieb
übrigens ganz leicht überzeugen, dass auch die Schalen der voll-
ständig erwachsenen Gyclas von zahlreichen, sich zum Theil dicho-
tomisch theüenden Ganälen durchsetzt werden. Bios der änsserste
Rand der Schalen ist von diesen Ganälen frei.
Eben so wie die ersten Bildungsstadien der Schale wnrden
auch diejenigen der Byssusdrüse von allen bisherigen Be-
obachtern; selbst Flemming und v. Ihering nicht ausge-
nommen, vollständig übersehen. Nach meinen Beobachtungen
entsteht diese Drüse durch eine, zwischen drei, am Hinterende
des Körpers gelegenen Zellen auftretenden Einstülpung des Ecto-
derms (Taf. XI, Fig. 37 u. 42). Ob diese drei Zellen die Abkömm-
linge der früher an dieser Stelle gefundenen drei grossen Zellen
sind, kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben. Die Einstülpung
ist sowohl bei der Betrachtung der Embryonen von hinten, als
auch bei jener von der Seite deutlich ersichtlich. Ein Byssos-
faden ist noch nicht zur Abscheidung gekommen; dieser macht
sich vielmehr erst dann bemerkbar, wenn die Einstülpung mit
ihrem blinden Ende bereits bis in die Nähe des vorderen Schalen-
randes reicht.
Die Drüse selbst zeigt den von v. Ihering angegebenen
Bau. Sie stellt eine lange, dünnwandige Röhre dar, welche ans
sehr flachen Zellen zusammengesetzt ist, deren rundliche £[erne
in grossen Entfernungen von einander gelegen sind. Bei den
reifen Embryonen macht die Byssusdrüse in der linken Körper-
hälfte des Embryo mehrere (bis drei) Windungen, welche sich,
wie bereits Forel richtig angegeben hat, um den Schliessmuskel
herumrollen (Taf. XII, Fig. 44). Der Byssusfaden ist völUg
structurlos und färbt sich bei Behandlung mit Carmin blassroth.
Ausserhalb des Körpers ist er meist schmächtiger, als in der
Drüse selbst, und verflicht sich aufs innigste mit den Fäden
benachbarter Embryonen. Seine Länge beträgt, wie v. Ihering
angibt, nicht selten 10—15 Mm«
Einige Zeit nach der Büdnng der Byssusdrüse and der Schale
macht sich eine nicht unbeträchtliche Abflachung der unteren
Körperwand bemerkbar. Bald darauf beginnt sich in der Median-
Üeber die Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. 371
linie der Banchfläche eine anfangB nur seichte; aber allmählich
tiefer werdende Einbachtang zu zeigen^ die schliesslich bis an
den Schliessmuskel hinaufrttckt und zur Bildung zweier seitlicher,
am Rücken mit einander zusammenhängender Lappen fährt.
Diese beiden Lappen sind die beiden Mantelhälften des
Embryo. — Es ist das Verdienst Flemming^s, auf die Art
und Weise ihrer Bildung zuerst aufmerksam gemacht zu haben.
Alle früheren Beobachter, von Carus angefangen; hatten nämlich
eine ^^Dehiscenz der Mantel- und Schalenhälften'S ^^eine förmliche
Spaltung des embryonalen Leibes'' angenommen und dadurch die
Schwierigkeiten; welche einem Verständnisse der Muschelentwick-
lung entgegenstehen; nur durch ihre eigene Schuld vermehrt. Ich
war ganz unabhängig von Flemming, — noch bevor ich dessen
Arbeit in die Hand bekommen hatte — , zu fast ganz denselben
Resultaten; wie er, gelangt und kann daher seine Angaben
nur bestätigen. Es wird demnach überflüssig sein, auf das
Detail der geschilderten Vorgänge näher einzugehen, und kann
genügen; in dieser Beziehung auf Flemming's Arbeit zu ver-
weisen. Dagegen muss hervorgehoben werden, dass die Deutung;
welche dieser Forscher seinen Beobachtungen gegeben hat, ganz
gewiss falsch ist und dass er dieselbe später selbst wieder zurück-
gezogen hiEit
Noch bevor die Einstülpung an der Bauchfläche vollendet
ist; beginnen sich am Mantebrande jederseits vier Borsten-
bündel bemerkbar zu machen, welche nicht blos durch ihren
eigenthümlichen Bau, sondern namentlich auch dadurch, dass an
den erwachsenen Muscheln keine Spur mehr von ihnen zu finden
ist, unsere vollste Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Von
diesen vier Paar Borstenbündeln erscheint; wie auch Flemming
in Beziehung auf Anodonta angiebt, zuerst das vorderste; während
die übrigen drei erst einige Zeit später auftreten. Ihre gegen-
seitige Lage ist eine sehr bestimmte und regelmässige; wenn
die Schalen geschlossen sind (Taf XII, Fig. 45), bemerkt man,
dass das vorderste Paar von den übrigen sehr weit absteht,
während das zweite und dritte Paar einander sehr nahe gerückt
sind und das letzte wieder in einiger Entfernung dem dritten
nachfolgt. Die Angabe F o r e Ts , dass bei Unio nur zwei Paar
Borstenbündel vorkommen, ist entschieden falsch. Auch seine
Beschreibung ihres Baues ist vollkommen unrichtig. Forel giebt
nämlich an, dass sie aus kleinen Wucherungen des Körpers be«
stehen, welche eine „kleine Blase, vereinigte oder getrennte Haare
Bd. X, N. F. ni, 3. 24
372 Carl Rabl,
tragend; enthalten/' Dagegen hat Flemming gezeigt; dass
die einzelnen Bündel in der Guticnla eigenthttmlich geformter
Zellen stecken; die zwischen den übrigen Epithelzellen des Man-
telrandes eingefügt sind and einen Ban besitzen, der demjenigen
mancher Nervenepithelzellen nicht unähnlich ist. Diese Zellen
(Taf. XII, Fi^. oO) haben eine mehr oder weniger langgestreckte
Form und laufen an dem einen, nach innen gerichteten Ende in
einen langen Fortsatz aus, während das andere eine sehr dicke
Cuticula trägt, in welcher eben, wie gesagt; die Borstenbündel
stecken. Der Kern dieser Zellen ist länglichrund und das Proto-
plasma zeigt um den Kern herum eine wechselnde Menge ver-
schieden grosser Körnchen, lieber diese Zellen und allem An-
scheine nach auch über ihre nächste Umgebung zieht ein feines,
structurloses , durchsichtiges Häutchen, das sich unmittelbar über
den Zellen selbst zapfenartig erhebt und an der Spitze dieser Er-
hebung eine grosse runde Oeffnung besitzt, durch welche die, den
Zellen aufsitzenden Borsten hindurchtreten.
Wie ich nun an Unio gefunden habe, weichen die beiden
Zellen, welche das erste Paar Borstenbündel tragen, etwas von
den übrigen ab (Taf. XII, Fig. 49). Fürs erste sind sie länger
als diese; sie besitzen nämlich die Länge von etwa 0,03 M. bei
einer Breite von nur 0,0055 M. Fürs zweite ist ihre Cuticula
verhältnissmässig weniger dick, als die der anderen borsten-
tragenden Zellen. Fürs dritte endlich lässt ihr Protoplasma eine
deutliche Längsstreifung erkennen, welche in der Nähe des
Kernes beginnt und bis zur Cuticula hinzieht. Diese Streifung
rührt offenbar von der reihenweisen Anordnung der im Pro-
toplasma enthaltenen Körnchen her und ist namentlich des-
halb von Interesse, weil man sie auch an anderen Nervenend-^
Zeilen in ganz ähnlicher Weise vorgefunden hat. So hat bei-
spielsweise Claus erst vor Kurzem die Nervenendzellen des Ge-
hörorgans der Heteropoden beschrieben, welche eine ganz ähn-
liche Längsstreifung erkennen lassen und die auch in mehreren
anderen Punkten eine grosse Aehnlichkeit mit unseren Borsten-
zellen besitzen. Es schien mir in einigen Fällen, als ob sich die
hellen — also körnchenärmeren — Längsstreifen direct in die
von der Cuticula entspringenden Borsten verfolgen Hessen. Der
am inneren Zellenende entspringende Fortsatz liess sich etwas
weiter verfolgen, als dies an den anderen borstentragenden Zellen
möglich war. Doch wollte es mir nie gelingen; seinen ganzen
Verlauf festzustellen. Der Kern der Zellen hat einen Durchmesser
Ueber die Entwicklungsgeschichte der Malermuschel. 373
von 0,005 Mm,, liegt in der Nähe des nach innen gerichteten
Zellenendes nnd nimmt fast die ganze Breite der Zellen ein. Das
über die Zellen hinwegziehende feine Häntchen bildet, entspre-
chend der bedeutenderen Länge der Zellen, eine höhere zapfen-
förmige Erhebung, verhält sich aber im Uebrigen ganz so, wie
dasjenige der anderen Borstenzellen.
Wir haben nun noch kurz die Schicksale zu besprechen,
welche der Schliessmuskel von dem Stadium an, auf dem
wir ihn verlassen haben^ bis zum Ende der embryonalen Entwick-
lung durchzumachen hat. Wir können uns dabei hauptsächlich
auf die Angaben Flemming's beziehen, welche die genauesten,
bisher über diesen Gegenstand veröffentlichten sind. Die aben-
teuerlichen Angaben Margots und die fast durchweg falschen
Behauptungen PoreTs hat bereits v. Ihering in gebührender
Weise gekennzeichnet.
Wir haben gesehen, dass sich der Schliessmuskel aus läng-
lichen Zellen entwickelt, welche sich quer von einer Körperwand
zur anderen ausstrecken und dabei eine mehr oder weniger spin-
delförmige Gestalt annehmen. Untersucht man den Muskel auf
sehr frühen Stadien, so sieht man, dass er in der Mitte^ wo die
Zellkerne liegen, bedeutend dicker ist, als an seinen beiden En-
den (Taf. XII, Fig. 50). Später scheinen sich die Muskelzellen
durch Theilung zu vermehren. Dafür spricht nicht blos ihre in
späterer Zeit viel bedeutendere Zahl, sondern anch der Umstand,
dass Flemming einmal eine Muskelzelle mit zwei in einiger
Entfernung von einander gelegenen Kernen fand. Auf späteren
Stadien — gegen das Ende der embryonalen Entwicklung —
gewahrt man, wie ich v. Ihering gegenüber in Uebereinstim-
mnng mit Flemming hervorheben muss, eine deutliche Fi-
brillenstructur der Muskelfasern. Man bemerkt dieselbe
am deutlichsten an den Enden der Fasern, an welchen dieselben
in ebenso viele Fortsätze, als Fibrillen vorhanden sind, zerfallen.
Dass der Kern der Muskelfaser, wie v. Ihering angiebt, „oft
bruchsackähnlich der Zelle aufsitze^', habe ich nie zu beobachten
Gelegenheit gehabt — Ebenso wenig wie Flemming konnte
anch ich eine Querstreifung der Muskelfasern, wie sie bekanntlich
bei den erwachsenen Muscheln vorkömmt, beobachten.
Die Contractionen des Muskels sind schon sehr frühzeitig
— noch lange bevor sich an den Muskelfasern eine Fibrillen-
struetur bemeikbar macht — ausserordentlich heftig und folgen
sehr rasch auf einander. Dabei bemerkt man nicht selten, dass
24*
374 Carl Rabl,
sich nicht alle Moskelfaseru aaf einmal contrahiren, sondern dass
einige wenige den andern vorausgehen and die Zusammenziehang
gewissermassen von einer Zelle auf die andere überspringt. Die
rasch und häufig auf einander folgenden Gontractionen ^wäreu
offenbar der Grund; weshalb Garns den Schliessmuskel für das
Herz des Muschelembryo ansah. —
Endlich haben wir noch zwei; am Vorderende des Körpers
symmetrisch rechts und links von der Mittellinie geleg^ene^
grubenförmige Vertiefungen der äusseren Haut zu
erwähnen, welche gegen das Ende der embryonalen Entwicklung
auftreten und über deren Bedeutung die Ansichten der Forscher
sehr weit auseinandergehen (Taf. XII, Fig. 44 u. 68, sg.). Garns
der ihrer zuerst erwähnte^ brachte sie mit den ;,Athemspalten des
Mantels'^ in Zusammenhang; darauf trat Quatrefages mit der
Ansicht hervor, dass man es hier mit zwei seitlichen Mägen zu
thun habe; von denen zwei nach hinten verlaufende Därme ihren
Ursprung nehmen ; näher scheint bereits L eu c k a r t der richtigen
Auffassung gekommen zu sein, indem er die beiden Gruben mit
dem Nervensystem in Beziehung brachte und sie für die Anlagen
der „Gehörbläschen, in denen der Otolith sich noch nicht ent
wickelt habe^'; erklärte. Forel; der sich überhaupt ganz sonder-
bare Begriffe über die Muschelentwicklung gebildet zu haben
scheint; hielt dieselben, — wie Flemming mit Recht bemerkt^
,,ohne zureichenden Grund'' für ,;Athmungs- oder Ernährungsorgane'^.
Die richtigste Auffassung scheint mir diejenige v. Iheringfs
zu sein, der in ihnen, allerdings ohne auch nur einen
einzigen Grund anzugeben, die Anlage des Nerven-
systems vermuthete. Für die Richtigkeit dieser Annahme scheint
namentlich ihre Lage vor dem rudimentären Muschel«
darm zu sprechen. Dieser selbst, welcher, wie mir scheint, der
mittleren Grube ForeTs entspricht; liegt zwischen und etwas hinter
den beiden seitlichen Gruben und besitzt bei den reifen Embryonen
zuweilen eine deutlich zweilappige Form (Taf. XII; Fig. 60; RD).
Diese dritte mediane Grube, welche also den eigentlichen; aller-
dings rudimentären Verdauungscanal der Muschelembryonen dar-
stellt; wurde von Flemming zwar gesehen (vgl. namentlich
seine Fig. 11; Taf. III); jedoch irrthümlicher Weise mit den beiden
seitlichen Gruben in nähere Beziehung gebracht. Daraus erklärt
es sich auch; wie Flemming dazukam, diese beiden Gruben
mit dem „bilobed gastrula-stomach^' Ray Lankester's in Be-
ziehung zu bringen.
üeber die Entwicklongsgescbichte der Malermascbel. 375
a
Was übrigens diesen ^^bilobed gastrala-stomach'' betrifft; so
mnss ich gegen diesen Ausdruck aus verschiedenen Gründen
Einspruch erheben. Denn fürs erste ist das, was Bay-Lan-
k est er ^^bilobed gastrula-stomach^^ nennt, in Wirklichkeit nicht
mehr der Hagen der Gastrula, sondern vielmehr jener
des bereits mit einer secundären Mundöfinung ausgestatteten
Embryo. Daher passt die Bezeichnung ^^Gastrulamagen^' nicht
mehr. Ueberdies ist auch der Hagen älterer Embryonen von
Cyclas (und wohl auch von Pisidium, dessen Entwicklung mit
derjenigen von Cyclas ausserordentlich ttbereinstimmt,) niemals
zweilappig 9 sondern besteht vielmehr regelmässig aus drei Ab-
theilungen. Die mittlere davon ist die eigentliche MagenhöhlC;
die beiden seitlichen dagegen sind die Anlagen der Leber,
die hier in ganz analoger Weise, wie bei den Wirbelthieren und
zahlreichen Wirbellosen, ursprünglich in Form zweier, symmetrisch
rechts und links dem eigentlichen Darmtractus anhängender
Säckchen entsteht. Dass diese Säckchen wirklich die Anlagen
der Leber darstellen, geht nicht blos aus ihrer späteren Entwick-
lung, sondern auch daraus hervor, dass der Inhalt ihrer Zellen
eine ausgesprochene gelblichbraune Farbe besitzt, während die
Zellen der eigentlichen Magenhöhle hell und stark durchscheinend
sind. Auch sind die letzteren mit langen, lebhaft beweglichen
Flimmerhaaren besetzt, welche den Zellen der Leberanlagen ganz*
lieh fehlen.
Sobald der Muschelembryo eine so hohe Organisationsstufe
erreicht hat, wie sie uns auf Taf. XII, Fig. 44 entgegentritt, er-
folgt das Ausstossen der Keime. Wie Forel angibt, werden die
Embryonen noch von der EihüUe umschlossen geboren.
Wie sich die weitere Entwicklung gestaltet, wie die einzelnen
Organe der erwachsenen Muschel ans den einfachen Anlagen des
Embryo sich hervorbilden, — darüber herrscht gegenwärtig noch
das grOsste Dunkel. Die einzige, einigermassen wichtige Ver-
änderung, welche man bisher an den ausgeschltlpften Embryonen
wahrgenommen hat, besteht in der allmähligen Bttckbildung der
Byssusdrüse (Forel). lieber alle anderen Veränderungen wird
man sich höchstens Vermuthungen erlauben dürfen, denen bald
ein grösserer, bald ein geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit
zukommt. So wird es beispielsweise nicht allzu gewagt er«
376 Carl Rabl,
scheinen; anzunehmen, dass sich der ganze eigentlich verdaaende
Abschnitt des Darmkanales aus dem kleinen rudimentären Dann
des Embryo entwickeln werde; auch wird es gestattet sein,
anzunehmen; dass die beiden Schalenhacken über kurz oder lang
wieder abfallen werden. Wie sich aber aer Fuss, das Herz, die
KiereU; die Kiemen und alle anderen Organe entwickeln, darüber
könnte man höchstens einige mehr oder weniger unsichere Schlüsse
per analogiam ziehen, ohne aber in Wahrheit damit viel ^-
wonnen zu haben. Selbst über die Bildung der beiden Schliess-
muskel und über ihr Verhältnis^ zu dem einzigen Schliessmaskel
der Embryonen kann man sich keine sichere Vorstellung bilden.
Wie bereits Leydig bekannt war, gelangen die Embiyonen,
sobald sie geboren und von den Mutterthieren im Schlamme der
Gewässer abgesetzt worden sind, auf die Haut von Fischen, wo
alsbald an der Stelle, wo der Embiyo sitzt, eine „kleine Ge-
schwulst von epithelialen Zellen entsteht, welche sich nach dessen
Ansiedlung auf der Epidermis rasch vermehren und den schma-
rotzenden Embryo nach und nach einschliessen^' (Forel). lo
diesem Zustande trifit man sie, wie Forel angibt, an den Brost-
und Schwanzflossen, dem Kiemendeckel, den Bartfäden und Lippen
verschiedener Fische. Wie lange ihr Aufenthalt hier dauert, ist
nicht bestimmt; Forel glaubt, dass sie nach „längstens 3 — i
Monaten" wieder ihre Wirthe verlassen. ~
Wir wollen nun noch kurz und im Zusammenhang unsere
im Vorausgehenden mitgetheilten BeobachtuDgen, insoweit dieselben
die Eeimblätterfrage berühren, mit den betreffenden Angaben
F 1 e m m i n g 's vergleichen und untersuchen, . ob und in wie weit
zwischen beiden eine Uebereinstimmung zu finden ist. Es er-
scheint dies um so mehr als nothwendig, als sich Flemming,
wie wir bereits angeführt haben, erst vor Kurzem bemtissigt ge-
fühlt hat, in einer kurzen Notiz den Gegenstand noch einmal zar
Sprache zu bringen und seine Beobachtungen mit denjenigen
anderer Forscher zu vergleichen, „damit nicht vielleicht von
Anderen auf den ersten Blick Widersprüche gesehen werden, wo
in der That Uebereinstimmung zu finden ist'^
Dabei müssen wir mit dem auf Taf. X, Fig. 16 abgebildeten
Stadium, welches von Haeckel in seiner „EifurchuDg und Gas*
lieber die Entwicklungsgesohichte der Malermnschel. 377
tmlabildnng der Thiere^' Taf. II, Fig. 26 wiedergegeben ist und
gegen dessen Deutung sich Flemming zuerst wendet, den An-
fang machen. Flemming sagt darüber: ^,Wenn Haeckel
sogar schon für jenes von mir beschriebene Stadium^ in welchem
erst eine grosse, dunkle und eine grössere Anzahl kleiner, heller
Zellen vorhanden ist (meine Fig. 14, Taf. II}, die erstere allein
bIb Entoderm auffasst, so geschieht dies mit Unrecht, wie es
schon eine etwas genauere Durchsicht meiner Angaben hätte
lehren können: es ist in ihnen gezeigt, dass die grosse Zelle auch
noch von diesem Stadium an dauernd fortfährt, durch ihre Theil-
producte die Wand des hellzelligen Untertheils (also das Ecto-
denn) zu vergrössem, dass also von einem alleinigen Entoderm-
eharakter der grossen Zelle ebenso wenig die Bede sein kann,
wie von einem alleinigen Ectodermcharakter der zweiten Thei-
lungszelle (Fig. 5, Taf. II, p. 87)". — An diesem Satze fällt uns
fürs erste auf, dass Flemming von einem Entoderm spricht,
obwohl er in Wirklichkeit, wie aus unseren Auseinandersetzungen
hervorgeht, keines gefunden hat. Wenn er daher auf Grund
seiner Beobachtungen gegen unsere Darstellung jenes Entwick-
lungsstadiums auftritt, so lässt er sich offenbar eine contradictio
in se zu Schulden kommen. — Fttrs zweite entspricht das von
ihm angeftlhrte Stadium (seine Fig. 14, Taf. II) nicht vollkommen
dem von Haeckel abgebildeten, sondern stellt vielmehr eine
etwas frühere Stufe dar. Es hätte ihn das schon „eine etwas
genauere Durchsicht'^ seiner eigenen Angaben lehren können.
Denn das von Haeckel abgebildete Stadium, das, wie auf den
ersten Blick hervorgeht, dem auf derselben Tafel Fig. 27 abge-
bildeten unmittelbar vorhergeht, entspricht ganz genau jenem
Sti^dium, das Flemming selbst als „das der definitiven Theilung
des Obertheils^' bezeichnet hat — Fttrs dritte endlich muss
hervorgehoben werden, dass die kleinere der beiden, aus der
Zweitheilung des Keimes hervorgegangenen Zellen, der Flem-
ming den „alleinigen Ectodermcharakter^' streitig macht, den-
noch in Wirklichkeit blos Zellen des äusseren Keim-
blattes aus sich hervorgehen lässt Wenn Flemming dies
bestreitet, so muss dies um so sonderbarer erscheinen, als ihm
sowohl die Bildung des mittleren, als jene des inneren Keim-
blattes vollständig entgangen ist, und als somit eigentlich nur
das äussere Keimblatt übrig bleibt, zu dessen Bildung nach
Flemming's Beobachtungen die kleinere der beiden Zellen
beitragen könnte.
378 Carl Babl,
Was ferner dasjenige Stadium betrifft , welches wir als
Blastosphaera bezeichnet haben; so beschreibt F 1 e m m i n g
dessen Bildung folgendermassen : ^^Die zahlreichen, hier soyvahl
(d. i. an der vorderen ZellenspangC; die ungefähr dem späteren
Vorderwulst entspricht) wie unten und hinten jetzt ausgebildeten
Zellen finden nun nicht mehr Platz als Glieder der einschichtig'en
Blasenwand, sonaern drängen sich in's Innere der Höhle, so dass
die Blase in diesem Stadium mehrschichtig wird; am dicksten
— bis vier Zellen — ist ihre Wand im Bereich des
oberen Theiles der Vorderspange" etc. Von den dreierlei
Formbestandtheilen der Blastosphaera weiss also Flemmmin^
gar nichts.
Er sagt nun weiter: ,;Nun sollte man, nachdem das Material
zu einer Blätteranlage gegeben ist, erwarten, dass Keimblatt-
schichten sich gesondert darstellen würden. Die Sache ge-
staltet sich aber durchaus anders". Zu dieser Aeusserang
scheint mir seine spätere Auffassung (p. 86), nach welcher trotz
des Umstandcs, dass die Zellen ^^nicht in abgegrenzten Blätter*
schichten geordnet liegen", dennoch „dieses Stadium als das der
Keimblätterbildung, soweit der Ausdruck hier überhaupt passt",
betrachtet werden müsse, wenig oder gar nicht zu stimmen.
Das Stadium der Einstülpung, das wir auf Taf. XI,
Fig. 28 abgebildet haben und das Haeckel als Amphigastmla
beschrieben hat, schildert Flemming folgendermassen: Der
Embryo erhält nun eine „ausgeprägte Profilform (!) ; der Rücken
streckt sich von vom nach hinten fast gerade und der helle Unter-
theil erscheint nach abwärts stumpf-zipfelartig hervorgebaucht^'.
,>Demnächst bildet sich quer über den Bücken eine
seichte Rinne, die ihn in zwei bucklig hervorragende Theile
scheidet" (p. 55). Diese „seichte Rinne" verschwindet aber, wie
wir bereits früher angeführt haben, alsbald wieder und der Rücken
streckt sich wieder gerade etc. — Die Abbildung, auf der ans
Flemming dieses EinstUlpungsstadium vor Augen führt, zeigt
an Stelle des inneren und mittleren Keimblattes einen grossen
schwarzen Fleck. —
Ich kann mit dem besten Willen zwischen diesen
Beobachtungen Flemming's und meinen eigenen
keinerlei Uebereinstimmung herausfinden.
Mit jener Beschreibung des Einstülpungsstadiums stimmt nun
das, was Flemming neuerlich in seiner „Notiz zur Entwick-
lungsgeschichte der Najaden'' sagt, jedenfalls sehr schiecht.
üeber die Entwicklangsgesebicbte der MalermoBclieL 379
Hier gibt er nämlich za^ dass jenes, yon Haeckel gegebene
Darchschnittsbild ganz wohl seine Bichtigkeit haben kOnne (p. 360)
und dass anch Haeckel's Angabe, das eingestülpte Entoderm
bestehe ans hohen Cylinderzellen, ganz wohl möglich sei. Wie
er nämlich an zerdrückten Embryonen oft gefunden habe, ,,er-
schienen die Zellen, welche ihrer Lage nach den Winden der
Einsattlung, entsprachen, langgestreckt'^ Er habe jedoch „ver-
säamt, diesen Umstand zu erwähnen^', weil er ihn damals in eine
bestimmte Beziehung nicht zu bringen wusste (p. 357). — Also
frtlher war der Embryo „im Bereich des oberen Theiles der
Yorderspange vier Zellen dick'' und hatte eine „seichte
Rinne" am Bücken, jetzt dagegen wäre es ganz wohl möglich,
dass eine Einsattlung eines einschichtigen Cylinderzellen-Feldes
stattfände!! —
Da nun aber Flemming gegen die Bichtigkeit des von
Haeckel mitgetheilten Einstülpungsstadiums keine Gründe anzu-
fahren vermag, — da er vielmehr die Möglichkeit desselben ganz
wohl zugeben m u s s , so wendet er sich gegen die Deutung des
beobachteten Entwicklungsvorganges. Er meint, dass man „mehr
Grund'' zu der Annahme habe, die eingestülpte Zellenmasse sei
eine Homologon der von Bay Lankester sogenannten „Schalen-
drttse" (shell-gland), als zu glauben, dass man es hier mit einem
wirklichen Entoderm zu thun habe. Freilich, — für einen For-
scher» dem es nicht schwer fällt, die Gastrula noch lange nach
der Bildung der Schale^ ja selbst noch zur 2Seit der Bildung des
Mantels zu suchen, könnte es doch gar nicht bedenklich erscheinen,
wenn eine sogenannte Schalendrüse noch vor dem Entoderm
entstände! Wie sonderbar ist es doch zum Beispiel, dass die
Furchung nicht erst anfängt, nachdem bereits die Byssusdrüse
gebildet ist! Hat doch erst kürzlich Salensky gefunden, dass
bei Amphilina die Embryonalhülle früher als der Embryo auftrete
und dass die ersten Organe lange einzellige Drüsen seien! Wird
es uns da noch wundem können, wenn künftig einmal ein For-
scher mit der „Beobachtung" hervortritt, dass sich bei manchen
Säugethieren zuerst die Placenta, dann erst der Embryo, oder
bei manchen Vögeln zuerst der Schnabel, dann erst der Kopf
entwickle? —
380 . Carl Rabl,
Bevor wir nun auf eine Betrachtang des Baues der fertigen
Embryonen übergehen^ wollen wir in Kürze einige der wichtig-eren
Vorgänge besprechen, welche sich nach der Bildung der K^eim-
blätter am Embryo vollziehen.
Eine der merkwürdigsten und am schwierigsten za ver-
stehenden Erscheinungen ist unstreitig das Verschwinden
der primären und das Auftreten der secundäreo
Mundöffnung. Diese Erscheinung ist namentlich deshalb von
so hohem Interesse, «weil sie sich bei den Embryonen der ver-
schiedensten Thiere und unter den verschiedensten äusseren Ver-
hältnissen wiederfindet. Schon diese Allgemeinheit ihrer Ver-
breitung und die Verschiedenheit der Entwicklungsverhältnisse,
unter denen die betrefienden Embryonen leben, lassen uns er
kennen, dass wir es hier nicht etwa mit cenogenetischen, durch
Anpassungen an die jeweiligen Entwicklungsverhältnisse bervor-
gerufenen Vorgängen zu thun haben, sondern dass vielmehr in
der That palingenetische, durch gemeinsame Verer-
bung bedingte Verhältnisse vorliegen. Die richtige Deu-
tung dieser eigenthümlichen Vorgänge, das phylogenetische Ver-
ständniss derselben, wird aber durch zahlreiche Hindernisse in
hohem Grade erschwert. Die Angaben der verschiedenen Beobachter
widerRprechen sich nämlich in diesem Punkte geradezu in schau-
derhafter Weise. Es mag das einigermassen in der Schwierigkeit
der Beobachtungen seinen Grund haben; doch ist es als sicher
anzunehmen, dass in Wirklichkeit die Widersprüche lange nicht
so gross und durchgreifend sind, als es nach den Angaben der
Mehrzahl der Forscher zu sein scheint. Es wird daher auch
hier von Vortheil sein, bei entwicklungsgeschichtlichen Beobach-
tungen von allgemeinen Gesichtspunkten auszugehen, sich stets
alle Möglichkeiten vor Augen zu halten und beständig die be-
züglichen Beobachtungen Anderer im Gedächtnisse zu behalten.
Vorläufig möge es gestattet sein, gestützt auf einige der
sicherern Beobachtungen (Ascidien, Sagitta, Holothuria, Limnaeus,
Unio etc.), eine Erklärung der angeführten Entwicklungsvorgänge
zu geben. Sie soll einerseits dazu dienen, die Aufmerksamkeit
der Forscher auf diesen wichtigen Gegenstand zu lenken, anderer-
seits aber auch dazu, den Beweis zu liefern, dass man nicht völlig
jede Hofinung auf ein Verständniss desselben aufgeben müsse.
Wenn das biogenetische Grundgesetz richtig ist, — und es liegt
kein Grund vor, daran zu zweifeln — , so war die primäre Mund-
öffnung der Bilaterien-Vorfahren wahrscheinlich nach oben zu, d. h.
Ueber die Entwicklangsgeschiclite der Malermiuchel. 381
gegen die spätere Rückenfläche hin gelegen. Diese Lage des
primären Mundes stimmt auch YoUkommen zu der Vorstellung;
welche wir uns yon der Entwicklung der ersten Bilaterien aus
der Gastraea gebildet haben. Nun lehrt uns aber nicht blos die
Organisation der niedrigsten Würmer ^ die offenbar jenen ersten
Bilaterien am nächsten stehen, sondern auch diejenige aller
übrigen Bilaterien auf das deutlichste^ dass eine, auf der
Bauchfläche gelegene Mundöffnung bei der diesen
Thieren eigenthümlichen Bewegung nach einer bestimmten Rich-
tung, und um so mehr natürlich bei der, den Würmern und jenen
Bilaterien-Vorfahren eigenthümlichen Eriechbewegungeinen
viel grösseren Vortheil gewährt, als eine an der
Dorsalfläche gelegene Mundöffnung. Bei allen diesen
Thieren, mit einziger Ausnahme einiger Parasiten, bei denen ent-
weder, wie bei Ascaris, Oxyuris etc. die Mundöffhung an der
Spitze des vorderen Eörperendes gelegen ist, oder bei denen
überhaupt jedweder Verdanungskanal fehlt, liegt ^ nämlich die
Mundöffnung an der dem Boden zugekehrten, d. h. ventralen
Fläche des Körpers. Es wird daher nicht sehr gewagt sein, an-
zunehmen, dass sich auch bei unseren Bilaterien-Vorfahren an der
ventralen Fläche, und zwar an dem, der primären Mund-
Öffnung entgegengesetzten Eörperende, eine zweite
Oeffnung entwickelte, welche für die Nahrungsaufnahme offenbar
viel günstiger gelegen war, als jene dorsal gelegene Eörper-
öffnung. Ob sich aber der primäre Mund ganz schloss, oder zum
After wurde, das lässt sich nach den bisherigen Beobachtungen
nicht mit Sichorheit bestimmen. Die an Unio vorgefundenen
Verhältnisse können uns deshalb nicht zum Ausgangspunkte
dienen, weil die Embryonen keinen vollkommen entwickelten,
sondern vielmehr einen verkümmerten, rudimentären Darmkanal
besitzen.
Eine andere interessante Erscheinung ist das ausserordentlich
frühzeitige Auftreten der Schale. Schon die Thatsachc,
dass die Schale ursprünglich nicht in Form zweier von einander
getrennter Hälften, sondern vielmehr als zusammenhängendes
Iläutchen erscheint, und dass ihre Bildung ganz unaj)hängig von
der Entwicklung des Mantels erfolgt, besitzt unstreitig eine
grosse, phylogenetische Bedeutung. Ihr frühzeitiges Auftreten
steht überdies im vollsten Einklänge mit dem bereits oben ange-
führten Müller'schen Satze, „dass die flntwicklung einen
immer geraderen Weg vom Ei zum fertigen Thiere einschlägt'^
382 Carl Rabl,
1
t
Ueberhaapt ist es eine Thatsache von hohem allgemeinen Interesse,
dass ein Organ während der individuellen Entivi ck-
lung um so früherauftritt,je grösser seine Bedeutung
für die erwachsenen Thiere ist. Schon in einer früheren
Abhandlung wurde hervorgehoben, wie ausserordentlich frülizeitig
die für die Gastropoden so charakteristische Radula während
der individuellen Entwicklung dieser Thiere erscheint. Auch das
frühzeitige Auftreten der medianen, ursprünglich phylogenetisch
getrennten Mesodermplatte der Wirbelthiere, die, wie wir gesehen
haben, dem „Axenstrange^^ His' ungefähr gleichkommt, lässt
sich von diesem Gesichtspunkte aus vollkommen begreifen. Das-
selbe gilt nun auch von der für die Lamellibranchiaten so
charakteristischen Schale; denn diese kommt bekanntlich allen,
dieser Thierklasse zugehörigen Arten, selbst den in ihrer ge-
sammten übrigen Erscheinung so ausserordentlich von ihren Stam-
mesgenossen abweichenden Pfahlmuscheln, in derselben charak-
teristischen Lagerung und Anordnung zu.
Dieses frühzeitige Auftreten charakteristischer
Organe wurde schon von B a er ganz richtig erkannt, indem er
es als ein allgemeines „Gesetz der individuellen Entwicklung^
hinstellte, „dass das Gemeinsame einer grösseren
Thiergruppe sich früher im Embryo bildet, als das
Besondere '^ Auch Bathke hat dieses „Gesetz'' in seiner
grossen Bedeutung für die vergleichende Entwicklungsgeschichte
der Thiere klar erkannt und desselben mehrmals Erwähnung
gethan. —
Wenden wir uns nun zu einer Betrat^htung der erwach-
senen und zum Ausschlüpfen reifen Embryonen!
Dabei müssen wir der Reihe nach folgende Punkte genauer in's
Auge fassen:
1. Die geringe Entwicklung des Darmes; 2. Die
Schalenhacken oder „Schalenanfsätze^'; 3. Die
Byssusdrüse; 4. Die Schalen; 5. Den Mangel des
Fusses; 6. Die Borstenzellen am Mantelrande. — Bei
der Betrachtung dieser sechs Punkte müssen wir uns vor Allem
vergegenwärtigen, dass die Embryonen, mit denen wir es zu thnn
haben, eine parasitische Lebensweise führen und dass
wir daher an ihnen Charaktere zu finden erwarten dürfen, welche
lediglich durch Anpassung an diese ihre Lebensweise erworben
worden sein können. Auf der anderen Seite müssen wir aber
auch im Auge behalten, dass überall da,, wo wir es mit einer
Üeber die Eatwicklangsgesohiclite der MalermascheL 383
Elntwicklang mittelst Metamorphose (metamorpher Hypogenese
Hkl.) zu thnn haben, die Embryonen nnverhältnissmässig lange
SLuf einem nnd demselben Entwicklungsstadinm verharren und
dass in Folge dessen dieses Stadium, welches bei einer Entwick-
lung ohne Metamorphose (epimorpher Hypogenese Hkl.) ebenso
rasch, wie alle übrigen verlaufen würde, sehr beträchtlich in die
Länge gezogen' wird. Selbstverständlich wiederholen aber* die
Embryonen auf diesen, in die Länge gezogenen Entwicklungs-
stadien ganz in derselben Weise, wie auf allen jenen, die noch
innerhalb der Eihttlle durchlaufen werden, Entwicklungsstufen,
welche die Vorfahren der betreffenden Thiere in früherer Zeit
durchlaufen haben. Mit anderen Worten: Bei derEntwick-
lung mit Metamorphose werden einzelne phylogene-
tische Entwicklungsstufen ausführlicher wieder-
holt, als bei solcher ohne Metamorphose. Beispiele
dafür liefern die Insekten, Myriapoden, Crustaceen, Brachiopoden,
Ascidien, Amphibien etc. in Hülle und Fülle. Solche „active Em-
bryonen'^, wie sich Darwin ausdrückt, haben wir nun auch in
den Embryonen von Unio vor uns. Wir dürfen daher erwarten,
an ihnen nicht blos solche Charaktere zu finden, welche sich
durch Anpassung an die parasitische Lebensweise erklären lassen,
sondern auch solche, die lediglich durch eine Zurückfllhrung auf
phylogenetische Entwicklungsvorgänge verstanden werden können.
1. Was nun zunächst die geringe Entwicklung des
Darmkanales der Muschelembryonen betrifft, so müssen
wir hierin unbedingt einen durch Anpassung an die para-
sitische Lebensweise hervorgerufenen Charakter erblicken.
Denn einerseits lehrt uns die Thatsache, dass ursprünglich das
Entoderm in ganz gewöhnlicher Mächtigkeit angelegt wird, auf
das entschiedenste, dass auch bei den Vorfahren der Muscheln
ursprünglich ein ganz wohlentwickelter Darm vorhanden war.
Andererseits kennen wir aber nicht wenige Parasiten, denen jed-
wede Spur eines Verdauungskanales gänzlich fehlt Es genügt,
in dieser Hinsicht an die Tänien und Echinorhynchen , an die
Wurzelkrebse und complimentären Männchen der Cirripedien zu
erinnern. Bei allen diesen war in früherer Zeit ohne allen Zweifel
ein wohlentwickelter Darm vorhanden, der sich aber allmählich
im Anschlüsse an die parasitische Lebensweise rückbildete, wäh-
rend gleichzeitig ein anderes Organ, die äussere Haut, die Auf-
nahme der flüssigen Nahrung übernahm. In gleicher Weise
scheint sich auch bei den Embryonen von Unio und Anodonta,
384 Carl Rabl,
welche gleichsam in einer Cyste eingeschlossen auf der äusseren
Haut von Fischen parasitiren, der ursprünglich in gewöhnlicher
Weise entwickelte Darm allmählich rückgebildet zu haben nad in
Folge von Nichtgebrauch atrophisch geworden zu sein, während
gleichzeitig die äussere Haut den gesammten Stoffwechsel und die
Ernährung besorgte.
, 2. In gleicher Weise scheint auch die Anwesenheit der eigen-
thümlichen Schalenhacken oder ^^Schalenaufsätze'^, ttber
deren Bedeutung sich keiner der bisherigen Beobachter Rechen-
schaft zu geben vermochte, ganz einfach und natürlich durch die
Annahme einer Anpassung an die parasitische Lebens-
weise erklärt werden zu können. Denn bekanntlich führen die
Embryonen mittelst ihres Schliessmuskels sehr kräftige und
vehemente Bewegungen aus, wodurch die Schalen mit grosser
Gewalt zusammengeklappt werden. Sobald nun ein Fisch in dem
Schlamme der Gewässer, wo die Muschelembryonen zu Tausenden
mit halbgeöffneter Schale nebeneinander liegen, wühlt, werden
sofort zahlreiche Embryonen, dadurch gereizt, mit grosser Gewalt
ihre Schalen zusammenklappen, wobei es wohl dem einen oder
dem andern derselben gelingen kann, sich mit seinen Schalen-
hacken in die Haut des Fisches einzuhacken und dadurch auf
seinen künftigen Wirth zu gelangen. Mit dieser Annahme scheint
mir auch der Umstand zu stimmen, dass nach den Angaben
Forel's allem Anscheine nach die Embryonen hauptsächlich am
vorderen Eörpertheil, an den Lippen und BartfUden, dem Eiemen-
deckel und den Brustflossen vorkommen; wenn sie ausserdem
auch an der Schwanzflosse und vielleicht auch am Rücken und an
den anderen Körpertheilen gefunden werden, so widerspricht
dies keineswegs unserer Annahme, da ja mit dem aufgewühlten
Schlamme jedenfalls auch zahlreiche Embryonen emporgewirbelt
werden, die sich, sobald sie zu Boden sinken, in die Haut ihrer
Ruhestörer einzuhacken vermögen.
Nur bei dieser Annahme scheint es mir verständlich zu sein,
wie die sonst so trägen und unbehülflichen Embryonen auf die
Haut ihrer Wirthe gelangen.
3. Etwas schwieriger ist schon das Vorhandensein einer so
gewaltigen Byssusdrüse zu erklären, die es zur Abschfeidung
eines Fadens bringt, dessen Länge um mehr als das Fünfzigfache
die Länge der Embryonen übertrifft. Jedenfalls ist der Umstand,
dass bei den Embryonen von Unio und Anodonta, geradeso wie
bei Cyclas, nur während des embryonalen Lebens eine Byssus-
üeber die Entwicklangsgeschiclite der Malermaschel, 385
drüse vorkommt; während die meisten Muscheln eine solche wäh-
rend der ganzen Zeit ihres Lebens besitzen, von hohem Interesse,
und ich stehe nicht an, die Byssusdrttse der Najaden-Embryonen
f ttr ein Homologon des gleichnamigen Organes der übrigen Muscheln
anzusehen. Dagegen glaube ich; dass dieselbe ursprünglich in viel
geringerer Mächtigkeit entwickelt war — etwa in ähnlicher Weise
^wie bei Gyclas — und dass sie erst langsam und allmählich
durch Anpassung an die parasitische Lebensweise der
Embryonen eine so kolossale Grösse erlangte. Wie wir nämlich
gesehen haben, verfilzen und verflechten sich die Byssnsfäden
benachbarter Embryonen mit einander so innig, dass es wohl
kaum gelingen dürfte, einen in solcher Weise verflochtenen Faden
von den übrigen zu isoliren. Wenn es nun in der oben be-
schriebenen Weise auch nur einem einzigen oder nur sehr wenigen
Embryonen gelungen sein sollte, sich in der Haut eines Fisches
festzubacken, so wird dennoch jedesmal eine grössere Menge von
Embryonen mitgerissen, wodurch natürlich ihre Aussicht, auf
ihren Wirth zu gelangen, in bedeutendem Grade erhöht wird. Mit
dieser Annahme scheint mir auch die von Forel mitgetheilte
Beobachtung zu stimmen, dass sich die Byssusdrüse während des
Parasitirens allmählich wieder rUckbilde und später nur mehr
„spurweise" vorhanden sei.
4. Das, was uns an den Schalen der reifen Embryonen
am meisten in die Augen fällt, sind die zahlreichen feinen Poren-
c anale, von denen dieselben durchsetzt werden. Es ist dies
bekanntlich eine Eigenthttmlichkeit, die sonst nur unter den
Brachiopoden eine weitere Verbreitung besitzt. Die Paläontologen
benützen sie daher schon seit langer Zeit im Vereine mit einigen
anderen Merkmalen als ein Mittel, wodurch „sich auch die kleinsten
Stückchen eines Brachiopoden-Gehäuses von allen sonstigen Mol-
luskenschalen sofort unterscheiden'' lassen (Zittel). Dass jedoch
dieses Mittel kein unbedingt verlässliches ist, beweist der oben
angeführte Umstand, dass auch an der Schale von Gyclas ganz
ähnliche Poreukanäle vorkommen. Immerhin mag es aber als
eine Thatsache von hohem Interesse angesehen werden, dass die
Schalen der Najaden-Embryonen einen Charakter besitzen, der
sonst hauptsächlich nur den Brachiopoden eigenthümlich ist. Dass
auch die Schalen von Gyclas ein ganz ähnliches Verhalten auf-
weisen, mag vielleicht mit dem von FritzMüUer hervorgehobenen
Umstand in Zusammenhang zu bringen sein, dass die Bewohner
386 Carl Rabl,
des süssen Wassers in sehr vielen Fällen eine nrsprfiDglichere
Organisation bewahrt haben, als ihre Verwandten im Meere.
Was weiter die Thatsache betrifit^ dass die beiden Schalea-
klappen der Najaden-Embryonen, wie bereits erwähnt, nicht ge-
trennt und unabhängig von einander, sondern vielmehr in ^ner
gemeinsamen Grundanlage entstehen, und dass diese Grundanlage
ein continuirlich zusammenhängendes Häutchen bildet, so scheint
uns dieselbe einen Schlttssel zum Verständnisse der Muschelschalen
an die Hand zu geben. Schon der Umstand, dass bei allen
Muscheln die beiden Schalenklappen am Rücken durch das
Schlossband continuirlich mit einander zusammenhängen, beweist,
wie Gegenbaur zuerst hervorgehoben hat, auf das bestimmtest^
dass beide Klappen „nur als ein einheitliches Organ''
aufgefasst werden müssen, „dessen beide Hälften nur durch ihr
Volum, wie durch die Verkalkung vom medianen Theile sich
unterscheiden^^ Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch
die beschriebene Bildungsweise der Schale auf das vollste be-
stätigt. Es wird daher gestattet sein, die beiden Klappen
derLamellibranchiaten als ein dem dorsalen Gehäuse
der Schnecken homologes Gebilde zu betrachten, und
nicht etwa nur die eine oder die andere derselben dem Schnecken-
gehäuse gleichzusetzen. Desgleichen dürfen wir nur die dor-
sale Schalenklappe der Brachiopoden mit den beiden
Klappen der Lamellibranchiaten vergleichen und nicht etwa, wie
es z. B. von Bronn geschehen ist, in beiden die Homologa der
beiden Hälften der Muschelschalen erblicken. Was femer die
Frage betrifft, ob man auch zwischen den Schalenklappen der
Brachiopoden und dem Gehäuse der Schnecken eine Homologie
erblicken dflrfe, so scheint es nicht unwahrscheinlich zu sein, dass
die dorsale Schalenklappe der ersteren mit dem gl^iehfalls
dorsalen Gehäuse der letzteren verglichen werden dürfe; ob
man aber die ventrale Schalenklappe der Brachiopoden mit dem
bei den meisten Gastropoden entweder zeitlebens, oder doch während
des Embryonallebens vorkommenden Operculum vergleichen dürfe,
oder ob letzteres, wie es wohl wahrscheinlich ist, nur ein durch
Anpassung erworbenes Gebilde sei, muss dahingestellt bleiben.
Wir könnten in unseren Betrachtungen noch weiter gehen
und die Schalen der Mollusken mit dem rührenförmigen Gehäuse
der Tubicolen vergleichen. Dieser Vergleich, welcher von Morse *)
^) Edward S. Morse, „On the systematic position of the 6rachiopoda*S
Ueber die Entwicklongsgescbichte der MalennoBcbel. 387
Itinsichtlich der Brachiopoden bereits dnrchgef&hrt warde^ wtirde
uns, falls die yorausgehenden Betrachtungen richtig sind; zu der
Annahme fähreH; dass bei den Brachiopoden, eine Differenzirung
des ringsam geschlossenen Tubicolen*6ehäuses in eine dorsale
und ventrale Hälfte stattgefunden habe, während bei den La-
mellibranchiaten eine Differenzirung in zwei laterale Hälften ein-
getreten sei. Von den Brachiopoden wtirden dann Gephalophorei^
und von diesen wieder die Gephalopoden abzuleiten sein.
Die Lösung dieser und ähnlicher Fragen hängt aufs innigste
mit der Frage nach der Phylogenie der Mollusken zu-
Bammen. Hoffentlich wird es bei genauerer Eenntniss der Ent-
wicklungsgeschichte und bei vergleichender Betrachtung des ana-
tomischen Baues dieser Thiere gelingen; auch ftlr diesC; gegen-
wärtig leider noch so dunkle Frage eine befriedigende Antwort
zu finden. Fttr die Erreichung dieses Zieles ist aber eine klare
und präcise Fragestellung die erste Bedingung.
5. Ob der Hangel des Fusses als eine durch Anpas-
sung oder durch Vererbung hervorgerufene Erscheinung auf-
gefasst werden müsse, kann nicht mit voller Sicherheit entschieden
werden. Fttr die erstere Auffassung scheint der Umstand zu
sprechen, dass die Byssusdrüse sonst regelmässig eine mehr oder
weniger innige Beziehung zum Fusse besitzt; für die letztere da-
gegen der (Jmstand, dass sich an den reifen Najaden-Embryonen
. auch nicht die geringste Spur eines Fusses findet, während man
doch erwarten dürfte, dass, wenn ursprünglich ein wohlent-
wickelter Fuss vorhanden gewesen wäre, man an den Embryonen
doch wenigstens noch ein Rudiment eines solchen vorfinden sollte.
Vielleicht Hessen sich beide Auffassungen in der Weise vereinigen,
dass man annähme, die Vorfahren der Lamellibranchiaten hätten
zwar einen Fuss besessen, derselbe hätte jedoch eine relativ viel
geringere Grösse als heutzutage gehabt und dieser relativ gering
entwickelte Fuss, den früher auch die Najaden-Embryonen be-
sessen, wäre nun bei diesen in späterer Zeit durch Anpassung an
die parasitische Lebensweise in Folge von Nichtgebrauch wieder
verloren gegangen.
6. Was endlich noch die Borstenzellen am Mantel-
(From the Froceedings of the Boston Society of Natural History, VoLXV,
March 19 tk, ISTd.)
I dem, ,,£mbryology of Terebratalina^S (From the Memoirs of the Boston
Sodety of Natural History, VoL II.)
Bd. z, M. F. m, 8. 26
388 Carl Rabl,
rande betrifN;, so erinnert ihr Anblick sofort unwillkttrlioli ax
die BorstenbttBchel ; welche am Mantelrande der Brachiaj>ode&
paarweise nnd symmetrisch angeordnet sind. Jedoch kann eis
Vergleich mit denselben schon deshalb nicht gestattet sein, ^i^eü
sie einen ganz anderen Ban, als diese^ besitzen. Die Borsten*
bttschel der Brachiopoden sind nämlich; wie Morse gezeigt bat,
als Homologa der Annelidenborsten zu betrachten^ eine Auffassung,
welche anf die Borsten der Najaden-Embryonen wegen ihres Yi3llig
verschiedenen Banes keine Anwendung finden kann.
Wir haben uns dagegen die Frage vorzulegen, ob die Borsten-
zellen, welche, wie zuerst Flemming hervorgehoben hat, in
ihrem Bane den Nervenepithelien ähnlich sind, SinneseindrüGke
zu vermitteln vermögen nnd ob sie, da den Embryonen dadurdi
unstreitig ein Vortheil erwüchse, dnrch Anpassung erworben
worden sein können. Gegen eine solche Annahme scheint aller-
dings der Umstand zu sprechen, dass zur Zeit, als die Borsten-
zellen auftreten, das centrale Nervensystem selbst erst in der
Bildung begriffen ist und in diesem Zustande wohl kaum schon
im Stande sein dürfte, eine Bewegung auszulösen. Andererseits
muss aber daran erinnert werden, dass die Embryonen, noch lange
bevor auch nur die geringste Spur einer Nervenanlage vorhanden
ist, bereits lebhafte Bewegungen auszuführen im Stande sind, die
denn doch nur auf vorhergehende Beize erfolgen können. Von
diesem Gesichtspunkte aus scheint es nicht unwahrscheinlich zu
sein, dass einzelne Zellen der äusseren Haut im Lauf der Zeit
einen grösseren Grad von Reizbarkeit erwarben, als die übrigen.
Die Lösung dieser und ähnlicher höchst schwieriger Fragen mnss
übrigens den Physiologen überlassen bleiben und es mag genügen,
hier nur darauf aufmerksam gemacht zu haben.
Unsere Betrachtungen haben uns demnach zu dem Schlüsse
geführt, dass die geringe Entwicklung des Darmes, die kolossale
Grösse der Byssusdrüse, die Schalenhacken und wahrscheinlich
auch die Borstenzellen am Mantelrande Charaktere sind, welche
wohl nur durch Anpassung an die parasitische Lebensweise der
Embryonen erworben worden sein können; die Porenkanäle der
Schale und vermuthlich auch zum Theile der vollständige Mangel
eines Fusses sind dagegen Charaktere, welche mit grosser Wahr-
scheinlichkeit auf frilhere phylogenetische Entwicklungsstufen be-
zogen werden müssen. —
So hat sich uns denn ein Bild jener Entwicklnngsgeschichte
entrollt, von der man seit Langem nur mit einer gewissen Scheu
Ueber die Entwicklungsgeschiclite der Matermiuchel. 389
and ZarflckhaltQDg zn sprechen wagte; es schien fast, als wäre
liber sämmtliche Entwicklungsvorgänge ein geheimnissyoUer
Schleier gebreitet, den zu heben sich eine nicht unansehnliche
Zahl von Forschem vergeblich bemühte. So nennt Forel die
Entwicklnngsgeschichte der Najaden geradezu eine ^^geheimniss-
volle'' and keiner seiner Nachfolger vermochte an diesem Urtheile
etwas zä ändern. In Wirklichkeit aber ist die Najadenentwicklung,
wie wir gesehen habeii, lange nicht so complicirt nnd geheimnissvoll,
als man stets annehmen zu mttssen glaubte. Für die Richtigkeit
unserer Resultate scheint uns vor Allem ihre Einfachheit zu
sprechen. Immerhin wird man aber an unsere Beobachtungen
einen ganz anderen und viel strengeren Maassstab zu legen
haben, als an unsere allgemeinen Betrachtungen und Schlüsse.
Ich erinnere in dieser Hinsicht an die Worte Carl Ernst
V. Baer's: „Irrige, aber bestimmt ausgesprochene
allgemeineResultate haben durch die Berichtigung,
die sie veranlassen, und die schärfere Beachtung
aller Verhältnisse, zu der sie nöthigen, der Wissen-
schaft fast immer mehr genützt^ als vorsichtiges
Zurückhalten in dieser Sphäre. Anders ist es mit
der Beobachtung. Diese kann nie genau genug
sein." —
25*
390 ^^^^ ^^^
\
Erklänmg der Tafeln.
Taf. X.
Pig. 1. EischoUen von Unio pictorum; a eine Eischolle, welche gegen den
freien Rand der Kieme in zwei Blätter gespalten ist; b einfache,
nicht gespaltene Eischolle. Nat. Gr.
Fig. 2. Mehrere Eier von Unio pictorum, schwach vergr. '
Fig. 8. Mikropyle; Fig. SA von der Seite gesehen. Fig. 3B von oben ge-
sehen. Vergr. 650.
Fig. 4. Befrachtetes, aber noch nicht gefurchtes Kiemenei; m Mikropyle;
8 zarter, durchsichtiger Strang, der von der Mikropyle zum vege-
tativen Keimpol zieht; h EihüUe; e Eiweissmasse; o Keim; r erstes
„Riehtungsbläschen^^; r' zweites, eben in der Bildung begrifienes
.^ „Richtungsbläschen". Vergr. 820.
Fig. 5. Vegetativer Keimpol nach der Ablösung des Keimes von der Mikro-
pyle; Fig. 5A früheres, 5B späteres Stadium.
Fig. ß. Animaler Keimpol während der Austreibung der „Richtungsbläsclien**;
Fig. 6A unmittelbar auf die Austreibung des ersten „Richtungs-
bläschens'^ r folgendes Stadium ; Fig 6 B ein späteres, auf die Fig. 4
angegebene Stufe folgendes Stadium; Fig. 6 C ein noch etwas späteres
Stadium; r erstes, r' zweites „Richtungsbläschen*'. In beiden Kör-
perchen bemerkt man einige Kömchen.
Fig. 7. Zweitheilung des Keimes. 1 grössere, 2 kleinere Furchung»-
kugel; 1 helle Trennungslinie zwischen beiden Forchungskugeln; r
„Richtungsbläschen"; a animaler, /^vegetativer Keimpol. Vergr. 320«
Bei durchf. Lichte.
Fig. 8. Dreitheilung des Keimes. 2 und 3 sind die Theilnngsproducte
der Zelle 2 (Fig. 7). Bei auff. Lichte. Vergr. 320.
Fig. 9. Unmittelbar vor der Viertheilnng. In Zelle 2 bemerkt man eine
karyolytische Figur. Vergr. 320.
Fig. 10. Viertheilung des Keimes, fh hellere Stelle zwischen den
Zellen 1 und 4. Vergr. 320.
Fig. 11. Fünftheilung des Keimes. Vergr. 320.
Fig. 12. Siebentheilung des Keimes. Vergr. 320.
Fig. 13. Achttheilung des Keimes; und zwar: Fig. 13A von vorne,
13 B von hinten gesehen. Vergr. 320.
Fig. 14. Neuntheilung des Keimes; die einzelnen Fnrchungskageln
haben sich gegen einander etwa« verschoben. Fig. 14 A von der
I
I
lieber die Entwiddung^gesc^clite der Malermuschel. 391
eiDeii,.Fjg. 14£ toh der andeca Seite ge«ebea; ih FttrcübLungshöhle,
welche bei auffallendem Lichte dunkel erscheint. Vergr. 320.
Fig« I5s Etwas weiter Torgescbritten^s jätadinm. a a^timiler, ß vegetatiy^
Pol; 1 grosse Zelle am Tegetativen Pol, z Zellen, welche die Fur-
chnngihnhle begrenzen. Die F^r igit ^o gezeichnet, daas die Für
choDgshöhle diprchschimmert, Vf^^gc^ 320w — J)i,e8e0 Stadium
ist das der definitiven Theilung des Obertheils nach
Plemmipg. — Sämmtlic^iM Zellep .sind in natürlicher Xia^^erung
«nd Zahl geaDeich&et
Fig. 16. Dasselbe Stadium im optischen Durchschnitt (Transveorsal-Schnitt).
£h Furchongshöhle; o, ß etc. wie früher. Vergr. 3 420.
Fig. 17. Die Zelle 1 (Fig. 15), der „ObertheU'' nach Fl., hat sich in die
beiden Zellen I und II getheilt. Alle übrigen JBezeichnangen wie
früher. Yergr. 320. — Sämmtliche Zellen sind in natürlicher La-
gerung und Zahl gezeichnet.
Fig. 18. Dasselbe Stadium im optischen Durchschnitt (Transveral-Schnitt).
fh Furchangshöhle; a, ß etc. wie Fig. 17. Vergr. 320.
Fig. 19. Etwas weiter vorgeschrittenes Stadium. Die Zelle I (Fig. 17) hat
sich in die beiden Zellen la und Ib getheilt. Davon, dass keine
weitere Hieilung der grossen Zellen stattgefunden habe, habe ich
mich durch Umwenden des Präparates überzeugt, a, ß etc. wie
früher. Vergr. 320.
Fig. 20. Die Zelle II, Fig. 17 und 19, hat sich in die beiden Zellen IIa und
IIb getheilt. Hinsichtlich der Zahl dieser grossen Zellen gilt das
früher Gesagte, a, ß etc. wie früher. Vergr. 320.
Fig. 21. Die beiden grösseren Zellen la und IIa haben sich in je zwei
Theile getheilt Fig. 21 A von der einen, 21 B von der anderen Seite.
Bezeichnuiigen wie in Fig. 20. Vergr. 320.
Fig. 22. Etwas späteres Stadium. Die Zellen VZ am vegetativen Fol ß sind
die Abköttmlinge der Zelle l auf Flg. 15. Vergr. 320.
Fig. V3. Dasselbe Stadium im optischen Dnohschnitt (Transversal-Schnüt).
fh Furchtngshöhle. Alle übrigen Bezeichnungen wie früher.
Vergr. 320.
Die Contooren fya^ süauntUcher itgortn sind mit Hilfe der Camera lucida
gezeichnet.
Taf. XL
Vergr. sof allen Fig., mit Aomahme Ton 48 imd 43, 880.
Fig. 94. Etwas späteres SUdium. Die Zellen VZ, Fig. 22, Taf. I, haben
steh mit Ausnahme von zweien (m) abermals getlheilt (i). e animale
Zellen, o, ß wie früher.
Fig. 96. Optischer Sagittalschnitt durch dasselbe Sttdium. Die Zellen i
(Entodermiellen) und m (Mesodermzelle) «ind die Abkömmlinge der
Sfiellen VZ^ Fig. 22 nd 98, Ttf. L fh ForohimgBhöhla, r ^Bioh-
tangshlttfelBn*; das Uebiige wie Mhsr.
Fig. 96. Optiacher Bagittabofanittdoroh em etwas sptfteNs Stadium. Die
beiden MeMdonn-SelleOf von danen nur mne (a) mhtbar is^;, sind
1
392 Carl Rabl,
Ton den Ectoderm-ZeUen e überwachsen worden. . Bezeiclinungen
wie früher.
Fig. 27. Beginn der Einstülpung der Cylinder-Zellen i. Bezeichnangen wie
früher.
Fig. 28. Stadium der vollendeten Einstülpung, m grosse Mesoderm-
Zelle, m' kleine Abkömmlinge derselben. Alle übrigen Bezeichnungen
wie früher.
Fig. 29, Dasselbe Stadium im optischen Querschnitt („Querschnitt^^ in Be-
ziehung auf den nur mit der primären Mundöffnung ausgestatteten
Embryo; wenn man den mit einer secundären Mundöffnung aus-
gestatteten Embryo zum Ausgangspunkte der Beurtheilung nimmt,
ist dieser Schnitt ein Horizontalschnitt), v. vorne in Beziehung auf
den Embryo mit sec. Mundöffnung. Alles Uebrige wie früher.
Fig. 30. Dasselbe Stadium bei auffallendem Lichte. V Vorderende, H Hinter-
ende, R Rücken, B Bauch, Alles in Beziehung auf den Embryo
mit sec Mundöffnung, r „Richtungsbläschen", h grosse Zellen am
Hinterende des Körpers.
Fig. 81. Dasselbe Stadium von der Bauchseite gesehen, um die drei grossen
Zellen am Hinterende des Körpers, h, zu zeigen, d rechts, s links,
V vorne, H hinten.
Fig. 32. Etwas späteres Stadium im optischen Sagittalschnitt. e Ectodenn
m grosse Mesoderm-Zelle, m' kleine Abkömmlinge derselben, i Ento-
derm (primärer Darm), fh Furchungshöhle, R iß) Rückenseite, früher
vegetativer Pol ß^ B (a) Bauchseite, früher animaler Pol a, V Vorder-
ende, H Hinterende, r „Richtungsbläschen", h grosse Ectoderm-Zelle
am hinteren Körperende. -^^
Fig. 33. Etwas späteres Stadium; Oberflächenansicht, ek Kerne von Ecto-
derm-ZeUen, welche die oberen Abschnitte der beiden Seitenflächen
des Körpers einnehmen. Alle übrigen Bezeichnungen wie früher.
Fig. 34. Dasselbe Stadium vom hinteren Körperende aus gesehen; Ober-
flächenansicht. S Schale, als ein zusammenhängendes Häutchen
sichtbar, sm Schliesamuskel durchschimmernd, d rechts, s links, B
und B wie früher.
Fig. 35. Etwas späteres Stadium. Oberflächenansicht, wobei die wichtigeren
inneren Theile durchschimmern, by Anlage der Byssusdrüse, by^
Mündung derselben, z Mesoderm-ZeUen („Strangzellen'* Flemming),
i Darm; übrige Bezeichnungen wie früher.
Flg. 36. Etwas späteres Stadium, sr Schalenrand, E Einstülpung an der
Bauchfläche; alle übrigen Bezeichnungen wie früher.
Fig. 87. Dasselbe Stadium vom hinteren Körperende gesehen. Bezeichnungen
wie früher.
Fig. 38. Späteres Stadium, um die Formveränderung der Schale zu zeigen.
Bezeichnungen wie früher.
Fig. 89. Dasselbe Stadium von hinten gesehen. Bezeichnungen wie früher.
Fig. 40. Ein späteres Stadium von der linken Seite gesehen. Die Schale
hat bereits eine dreieckige Form. Bezeichnungen wie früher.
Fig. 41. Späteres Stadium von hinten gesehen. ME Einstülpung an der
Bauchfläche, welche zur Bildung der beiden Mantelhälften führt
UeW die Entwicklnngsgeflchichte der MalemmscheL 393
•
An der Schale bemerkt man bereits die Aiumändangen der sahi-
reichen, sie dnrchsetzenden Porenkanäle; tm SchlieumaskeL
Fig. 42. Eingangiöffnang der ByssusdrüBe.
Fig. 48. Dieselbe, späteres Stadium.
Taf. XIL
Fig. 44. Reifer Bmbryo von Unio pictomm bei geöffneter Schale von der
Bauchseite gesehen. BD rudimentärer Darm, sg seitliche Gruben,
wp Wimperschild, Fl., flimmernd; mt Büttelschild, sh Schalenhacken
bz^ bis hl* Borstenzellen.
Fig. 45. Beifer Bmbryo von Unio tumidus, bei geschlossener Schale schief
▼on der rechten Seite gesehen. Bz^ — Bz^ erste bis vierte Borstenzelle,
i Darm, 8m Schliessmuskel, byf Byssusfaden. Vergr. 890.
Fig. 4ß. Beifer Bmbryo von Unio tumidus, bei geschlossener Schale vom
hinteren Körperende aus gesehen. Bezeichnungen wie Fig. 45.
Vergr. 810.
Fig. 47. Schlossrand der Schale; V yorne, H hinten.
Fig. 48. Ansatz des Schalenhackens an die Schale.
Fig. 49. Erste Bofstenzelle.
Fig. 50. Eine andere Borstenzelle.
Fig. 51. Sagittals4hnitt durch das Stadium der vollendeten Einstülpung,
e äusseret, i inneres Keimblatt, m grosse Mesoderm-Zelle, Ol pri-
märe Muadöfinung, B dickste Stelle des Ectoderms. Vergr. 400.
Fig. 52. Querschnitt durch dasselbe Stadium. Bezeichnungen wie früher.
Vergr. 400.
Fig. 53. Sagittalschnitt durch ein etwas späteres Stadium, um die Ver-
schiebung des Entodermsäckchens i nach vorne zu zeigen. M Zellen
von der ecundären Mundeinstnlpung, e äusseres Keimblatt, z Meso-
derm-Zellen („Strangzellen'' F 1.), Sm Schliessmuskel, L Leibeshöhle
Vergr. 400.
Fig. 54. Dasselbe Stadium; schematisch. OII secundärer Mund; die übrigen
BezeichnoDgen wie früher.
Fig. 55. Sagittalschnitt durch ein etwas späteres Stadium. Das Entoderm-
säckchen i hängt nur mehr mittelst der Zelle iz mit den Zellen des
Bückens zusammen. OII Zellen der secundären Mnndeinstülpung.
Die übrigen Bezeichnungen wie früher. Vergr. 400.
Fig. 56. Querschnitt durch ein späteres Stadium. Bezeichnungen wie früher.
Vergr. 401.
Fig. 57. Sagittalschnitt durch dasselbe Stadium. Bezeichnungen wie früher.
Vergr. 400. Schematisch.
Fig. 58. Ein Fnrchungsstadium, dem Stadium Fig. 19, Taf. I von Unio ent-
sprechend« fh Fnrchungshöhle.
Fig. 59. Aelterer Bmbryo. e äusseres, m mittleres, i inneres Keimblatt, D
Darmhöhls.
Fig. 60. Unio pict. Vorderthetl des Körpers stärker vergrössert Bezeichn.
wie Fig. 44.
Druck Ton Q. PXta In RMunburB ^j^
Tifm.
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Studien über das Protoplasma.
Von
Dr. Cidaard Strasbnrg^er.
Hiem Tafel xni. u. XIY.
Meine Arbeiten über Zelltheilang bei Spirogyra orthospira
veranlassten mich, auch die Wachsthumsvorgänge bei dieser Alge
näher in's Aage zu fassen. Es fiel mir besonders auf, dass die
protoplasmatische Hautschicht an rasch wachsenden Stellen der
Zelle eine radiale Streifung zeigt. Vornehmlich an kurz zuvor
befreiten Endflächen aus dem Verbände getretener ZeUen des
Fadens war diese Structur leicht zu sehen. Die Hautschicht
erschien hier etwas stärker als an anderen Stellen derselben Zelle
entwickelt und wie aus radial gestellten Stäbchen aufgebaut.
Diese Structur schwand bei künstlichem Eingriffe in das Präparat.
Auf der Innenseite der Hautschicht fuhren, wie ich das schon
früher beschrieben, zahlreiche Ströme des Körnerplasma kleine
Stärkekörner an jene Orte starken Wachsthums hin, wo dieselben
zur Bildung der Cellulose verwerthet werden. ^)
Für die Pollenkörner der Coniferen schilderte Tschistiakoff
einen ähnlichen Bau. Ihr „Primordialschlauch'^ soll aus dicht-
gedrängten, glänzenden, radial angeordneten Prismen bestehen.')
Aus den Angaben von Sachs war andererseits bekannt, dass
auch die Hautschicht der Schwärmsporen von Vaucheria eine
radiale Streifung zeigt: dieses konnte ich ebenfalls bestätigen.
Bei Einwirkung concentrirter Essigsäure auf eben auijtretende
Schwärmsporen zeigte sich mir deren aufquellende Hautschicht
wie aus rechteckigen Kammern gebildet. Die radialen Wände
dieser Kammern waren es, die am lebenden Objecte die Er-
scheinung der stark lichtbrechenden Stäbchen hervorgerufen hatten.
Die Cilien schienen mir aus jenen Stäbchen zu entspringen.
^) Zellbildung und ZelltheUung, U. Aufl., p. 60 u. ff.
') Botanbche Zeitung ld75, p. 09.
Bd. z, N. F. ni, 4. 26
396 Eduard Strasburgor,
So weit reichten meine früheren Beobachtungen^): ich
wünschte nun noch genauere Data diesen Gegenständen abzu-
gewinnen. Die Erfahrungen; die ich mit Osmiumsäure inzwischen
gemacht hatte, Hessen mich hoffen, dass es mit derer Hülfe ge-
lingen werde die Structur der Hautschicht und auch die Cilien,
die sie trägt; dauernd zu fixiren. Dies gelang denn in der That^
und bewährte sich die Osmiumsäure hier von Neuem in Tor-
züglichster Weise. Mit absolutem Alkohol gelang es mir zwar
die Structur der Hautschicht; doch nicht die Cilien zu erhalten;
in l^/o Chromsäure litt auch der Bau der Hautschicht; nur die
Osmiumsäure fixirte das Object so momentan, dass selbst die
Cilien meist vollständig unverändert blieben. Die Osmiumsäure
wurde hierbei in dem erfahrungsmässig beliebten Concentrations-
gradC; nämlich einprocentig, gebraucht. Ich Hess dieselbe nur
wenige Minuten einwirken; worauf das Präparat; ohne weitere
wesentliche Veränderung; in mit Alkohol verdünntem Glycerin
aufbewahrt werden konnte. Einige der fixirten Objecto wurden
noch mit Olycerin und alkoholhaltiger CarminlOsung behandelt,
um einige StructurverhältnissO; bei ungleich erfolgender Färbung,
deutlicher hervortreten zu lassen. Ich habe die Schwärmsporen
meist im Augenblicke ihres Austritts aus dem Sporangium mit
Osmiumsäure übergössen; doch auch manche vergleichsweise erst
auf späteren Stadien des Schwärmens. Als Untersuchungsmaterial
diente mir nunmehr die echte Vaucheria sessiliS; deren
Schwärmsporen viel länger in Bewegung bleiben; als die der
früher von mir untersuchten; der V. sessilis übrigens sehr nahe
verwandten V. ornithocephala Hassal.
Die Structur der Hautschicht und der CiUen wird uns hier
in vollkommenster Weise durch das Osmiumsäure-Präparat Fig. 3
vorgeführt. Wir sehen an diesem unzweifelhaft; dass die Haut-
schicht von dichteren Stäbchen durchsetzt wird. Diese Stäbchen
stehen in relativ weiten Abständen seitlich von einander; die
Interstitien zwischen denselben müssen im frischen Zustande mit
sehr wasserreichem Plasma erfüllt sein, da sie in dem fixirten
Präparate nur sehr spärlichen; feinkörnigen Inhalt führen. In
frischem Zustande bricht nichts desto weniger auch das zwischen
den Stäbchen befindliche Plasma das Licht stark genug, um der
Hautschicht das Aussehen einer continuirlicheU; nur eben radial
gestreiften Substanz zu verleihen. Die Stäbchen setzen, wie das
^) Vergl. Zellbildung und Zelltbeilung, II. Aufl., p. 174—185.
Studien über das Protoplasma. 397
Osmionuiäore-Präparate zeigt, oben und nnten an eine äusserst
zarte, continnirliche Plasmaschicht an. An der Innenseite ist
diese Schicht übrigens nicht scharf gegen das Chlorophyllkörner
fllhrende . Eömerplasma abzugrenzen. An schon erwähnten
Osmium-Carmin- Präparaten (Fig. 4) erschienen die Hautschicht-
Stäbchen in mittlerer Höhe etwas aufgequollen, dort dann auch
am stärksten gefärbt, so dass die Hautschicht nunmehr, bei erster
Ansicht, wie von einer mittleren Lage rother Ettgelchen durch-
setzt erschien.
Das Alkohol - Präparat Fig. 5 a zeigt den Bau der Haut-
schicht fast eben so vollkommen wie am Osmiumsäure-Präparat
erhalten. In der Oberflächenaussicht des gleichen Präparats
(Fig. ob) war die gegenseitige Yertheilung Uer Stäbchen am
besten zu sehen.
Das Osminmsäure-Präparat Fig. 3 lehrt uns nun auch auf
das Bestimmteste, dass die Cilien der Vaucheria-Schwärmspore
den dichteren Stellen der Hautschicht entspringen. Jedes Stäb-
chen scheint einer Gilie zur Sttttze zu dienen. Die Cilien sind
dünner als die Stäbchen und an den Osmium-Präparaten etwa
2 Mal länger wie diese.
Auf verschiedenen Entwicklungszuständen fixirte Sporangien
lehrten mich, dass die Structur der Hautschicht gleichzeitig mit
deren messbarer Ausbildung kenntlich wird. Diese Ausbildung
beginnt aber am vorderen Ende der Schwärmspore und schreitet
von hier nach rückwärts fort Die Hautschicht wird schliesslich auch
am vorderen Ende etwa doppelt so stark als am hinteren Ende
entwickelt; sie nimmt gleichmässig von vorne nach hinten zu ab.
Um mich über die Entstehungsweise der Cilien zu orientiren,
griff ich auf frische Objecto zurück, und zwar, weil es mir da
beliebig leicht gelang, die Hautschicht von der Sporangiumwand
zurücktreten zu lassen. Ich schnitt das Ende eines Vaucheria-
Schlauches, welcher mir ein Sporangium in erwünschtem Ent-
wicklungszustande zu tragen schien, mit einer scharfen Scheere
ab, brachte das betreffende Stück, für sich allein, in Wasser
unter ein feines Deckglas, stellte das Object bei starker Ver-
grösserung ein, und begann nun mit Fliesspapier am Rande des
Deckglases Wasser zu entziehen. Bald wurde unter dem Drucke
des Deckglases das Sporangium abgeflacht, dann unter der Span-
nung des Sporangiuminhaltes die Querwand an der Basis des
Sporangiums, seltener, uud zwar meist nur bei relativ älteren
Sporangien, der Scheitel desselben durchbrochen. Ich konnte
26*
398 Eduard Strasburger,
nun nach Belieben mehr oder weniger Inhalt aus dem Sporan-
gium austreten lassen, da mit der Entfernung des Fliesspapiers
sofort die Entleerung aufhörte; auch konnte ich bei Anwendung
entsprechend breiter Fliesspapierstreifen den Ausflass regulireo,
dass er nicht zu stürmisch erfolge. Wurde nun bei entsprechen-
der Abflachung und theilweiser Entleerung eines Sporangium
etwas Wasser dem Präparate vorsichtig zugefügt; so konnte man
meist in dem zu seiner ursprünglichen Gestalt annähernd zurttck-
kehrenden Sporangium die Hautschicht der Schwärmspore, an
vielen Orten noch unversehrt, von der Wand des Sporangium zu-
rücktreten sehen. Solche Objecte auf verschiedenen Zuständen
und bei unzählige Male wiederholter, entsprechender Behandlnng
untersu(dit, lehrten mich, dass die Bildung der Cilien der Diffe-
renzirung der Hautschicht auf dem Schritte folgt und nicht wenig
an die Bildung der „Pseudopodien" erinnert. Erst kurz vor der
vollen Reife der Schwärmspore sind die Cilien völlig aus-
gebildet; sie liegen, wohl stets nach vom gerichtet, der Ober«
fläche der Hautschicht dicht an und erheben sich zu sofortigem
Schwingen, wenn die Hautschicht von der Sporangienwanü zurück^
getreten ist. Auf etwas jüngeren Zuständen findet man die
Cilien kürzer und an der Spitze mit kleiner, knopfförmiger An-
schwellung versehen. Das Knöpfchen erscheint im Verhältniss
grösser, je kürzer die Cilien sind. In erster Anlage stellen die
Cilien endlich nur kleine, den inneren Stäbchen in ihrer Stellung
entsprechende Höcker an der Hautschicht dar.
Der Rückzug der Hautschicht von der Sporangienwand ver-
anlasst für alle Fälle die rasche Ausbildung der angelegten
Cilien, indem die Enöplchen sich zu dem noch fehlenden Gilien-
stücke strecken. Daher das eigenthümliche Schauspiel das unter
solchen Umständen die zurückweichende Hautschicht gewährt:
zunächst dicht an ihrer Oberfläche kleine, kurz gestielte Tröpf-
chen, die immer kleiner und zugleich länger gestielt werden
und alle nach Verlauf weniger Minuten schwinden. Die Ans-
bildung der Cilien wurde um so rascher vollendet, je vorge-
schrittener man deren Anlage vorfand, das heisst, je kleiner die
Knöpfchen und je länger ihre Stiele waren. Bei relativ jungen
Schwärmsporen, kurz nach1)ifferenzirung ihrer Uautschicht, zeigen
die Cilien auch nach voller, künstlich hervorgerufener Ausbildung
nicht die Länge, die sie sonst bei normaler Ausbildung erreicht
hätten; auch werden sie meist nur in geringer Zahl ausgebildet
Ich verglich vorhin die Entwickelung der Cilien, wie sie sich
Stadien über das Protoplasma. 399
hier ans der Beobachtung ergiebt, mit der Bildung der „Psendo-
podien'^y und zwar weil letztere bei Bhizopoden in manchem Sinne
ähnlich fortschreitet. Anch dort zeigen die sich verlängernden
Pseudopodien ein kolbenförmig angeschwollenes Ende. ^) Das
Gleiche fand ich übrigens anch im Innern der Spirogyra-Zellen,
wenn freie Protoplasmaströme in das Zelllnmen entsendet wurden.
Die terminale Anschwellung lieferte hier augenscheinlich das
Material zur unmittelbaren Verlängerung des Stromes.^)
Die für Anlage und Wachsthum der Cilien an den Vaucheria-
Schwärmsporen gewonnenen Daten werden wohl auch in gleichem
Maasse für die Cilien der Oedogonium-Schwärmspore gelten,
wenigstens lassen sieb diese Daten mit meinen früher an den
Oedogoninm-Schwärmsporen gemachten Beobachtungen sehr wohl
vereinigen. 3)
So lange die Vaucheria-Schwärmspore der Sporangium-Wan-
dung dicht anliegt, kann man von ihren zarten, der Hautschicht
angedrückten Cilien nichts bemerken, und selbst in flachgedrückten
Sporangien sind dann höchstens feine Punkte an der äusseren
Contour der Hautschicht zu erkennen.
An reifen Schwärmsporen fangen die Cilien beim Zurück-
treten der Hautschicht sofort im ganzen Umfang des Körpers und
zwar so rasch zu schwingen an, dass sie unsichtbar werden. Die
noch in Ausbildung begriffenen Cilien beginnen meist ebenfalls
sich zu bewegen, doch um so langsamer und unvollkommener,
je mehr sie in ihrer Entwickelung zurückstehen.
Nach kürzerem oder längerem Schwingen werden die Cilien
in ähnlicher Weise eingezogen; wie sie gebildet wurden. Man
sieht an der Spitze der Cilien ein Knöpfchen auftreten, das an
Grösse zunimmt in dem Maasse als sich die Cilie verkürzt, und
dann schliesslich in die Hautschicht aufgenommen wird.
Da es mir fraglich erscheinen konnte, ob der Vorgang an
künstlich von der Sporangiumwand entfernten Schwärmsporen ein
normaler sei, so fasste ich den Entschluss, ihn auch an natür-
lich befreiten Schwärmsporen zu verfolgen. Um nicht auf die
jedesmalige Entleerung einzelner Sporangien warten zu müssen,
fing ich schwärmende Sporen aus einem grossen Gefässe auf.
') Max Schaltze, das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen
1863, p. 24.
^) Ueber Zellbildung and Zelltheilang, II. Aufl., p. 44—45.
') Ebendas., p. 17 1.
400 Eduard Strasborgcr,
Die Schwännspore wurde erat mit der Lonpe aufgesucht und dann
mit einem kleinen elfenbeinernen Ohrlöffel aus dem Oef&sse ge-
hoben. Es gelingt das leicht wenn man den Löffel ganz unter-
taucht und ihn dann in horizontaler Lage langsam emporhebt.
Man bekommt so die Schwärmspore meist völlig unversehrt nnd
kann sie leicht in den Tropfen auf dem Objectträger bringen.
Die Schwärmsporen wurden hier so lange in ihrer Bewegung
verfolgt; bis sie zur Kühe kamen. Ihre Cilien blieben dann plötz-
lich stehen, um nach einer Weile eingezogen zu werden. Wie
ich weiter zeigen will, hat die Schwärmspore schon während
ihrer Bewegung eine äusserst zarte Gellulose-Membran gebildet,
in welcher jedenfalls; den Insertionsstellen der Cilien entsprechend^
feine Oeffhungen zurückgeblieben sind ^) ; durch diese nun werd^i
die Cilien eingezogen. Ihr Einziehen ist mit einer Contraction
der Hautschicht verbunden; welche in jenem Augenblick ihr eine
gefaltete Oberfläche gibt; einige Secunden später ist ihre Ober-
fläche wieder völlig glatt geworden. Man sieht alle diese Er-
scheinungen am leichtesten; wenn es gelungen ist die Schwärm-
spore durch sehr leisen Deckglasdruck festzuhalten. Ihre Cilien
bewegen sich noch für eine kurze Zeit; welche meist gentigt; um
sie mit starker Vergrösserung einzustellen.
Aehuliche Faltungen beim Einziehen der Cilien konnte ich
auch hin und wieder an der Hautschicht der künstlich von der
Sporangiumwand entfernten Schwärmspore sehen.
Bei den Schwärmsporen von Oedogonium liess die sog. Mund-
stelle; welche aus Hautschicht gebildet wird und deren Hinterrand
die Cilien trägt, keine der Hautschicht der Vaucheria-Schwärm-
sporen ähnliche Structur erkennen. ^)
An der Hautschicht der Ulothrix -Schwärmspore ist am vor-
deren Ende nur eine kleine; knotenförmige Verdickung zu sehen,
der die vier langen Cilien entspringen.^)
Somit ergibt sich die geschilderte Structur der Hautschicht
und ihr Verhältniss zu den Cilien bei den Vaucheria-Schwärmsporen
als eine besondere Anpassung; wenn auch das Vorkommen radiärer
Streifung in der Hautschicht auch an anderen Orten die Vermuthung
^) Wie solche für den Durchgang der Cilien bei den Volvocinen be-
stehen.
°) Ueber Zellbildung und Zelltheilung, II. Aufl., p. 171.
^) Ebendas., p. 166.
Studien über das Protoplasma. 401
erweckt; dass das Auftreten derselben durch die Molecularstractnr
der Hantschicht im Allgemeinen begünstigt werde.
Der Körper der Spermatozoiden bei Famen and ^qniseten,
den ich wohl mit den stärksten and besten jetzt vorhandenen
Linsensystemen prüfen konnte, lässt weder besondere Strnctar noch
besondere Einrichtnngen f&r die Insertion der Cilien auffinden.
Ich nntersachte die Prothallien mehrerer Adiantam-, Aspleninm-
nnd Pteris-Arten und Dank der Gefälligkeit des Herrn Prof.
Sadebeck auch die ProthaUien von Eqaisetam arvense. Um die
Spermatozoiden eingehend stndiren zu können, fixirte ich sie mit
l®/o Osminmsäure, was in der vorzüglichsten Weise, mit voll-
ständigster Erhaltung des Körpers und der Cilien gelingt. Ab-
gesehen nun von der verschiedenen Zahl, der verschiedenen Weite
und Steilheit der Windungen^ der wechselnden Dicke des Körpers
bei den verschiedenen Spermatozoiden, fand ich letztere stets von
einem in seiner ganzen Masse homogenen, stark lichtbrechenden
Bande gebildet. Dieses Band ist nirgends hohl und zeigt an
jedem Punkte seines Verlaufes einen annähernd elliptischen Quer-
schnitt. Die Cilien werden nur von der vordersten Windung des
Bandes getragen ; sie entspringen ihr unmittelbar, ohne besonders
markirte Anheftungsstellen. Die Spermatozoiden der Farne tragen
zwischen den hinteren Windungen ihres Körpers eine Blase, von
der ich früher zu zeigen versuchte ^), dass sie der mittleren, von
einer Plasmahöhle umgebenen Vacuole entspricht, welche nach
Auflösung des Zellkernes und Ansammlung des Protoplasma an
der Wand der Mntterzelle, in deren Innerem auftritt um diese
Vacuole hat sich das Spermatozoid gebildet, und es nimmt die-
selbe nach Befreiung aus der Mutterzellhaut mit auf den Weg.
Ich halte diese Blase nun nicht für den integrirenden Theil des
Spermatozoiden '), wie ja das die oft genug bestätigte Thatsache
lehrt, dass die Blase sich vom Spermatozoiden loslösen kann und
keinesfalls bei der Befruchtung mit zur Verwendung kommt
Somit, da diese Blase allein kömige Bildungen enthält, bleibt für
den Begriff des Spermatozoiden hier nur das aus homogenem,
starklichtbrechendem Plasma gebildete, solide, mit Cilien am
vorderen Ende versehene Band zurück. Ich hebe das ausdrück,
lieh hervor, weil in der letzten Zeit wiederholt von Zoologen an
1) Jahrb. f. wiss. Bot, VII, p. 394.
') So auch Sachs, Lehrbach, IV. Aufl., p. 418.
402 Edaard Starasborger,
mich* die Frage gerichtet wnrde^ ob denn die Spermatozoiden im
Pflanzenreiche nicht nothwendig auch einen Zellkern aufzuweisen
hätten. Es hängt diese Frage mit der Bedeutung zusammen^
welche jüngst der Zellkern bei der Befruchtung gewonnen. leh
bin nun der Meinung, dass diese nach Auflösung des Zellkernes
der Mutterzelle gebildeten Spermatozoiden in der That die Ele-
mente des Zellkernes in sich aufnehmen; dass es aber bei der
Befruchtung auf KemsubstanZ; nicht auf den morphologisch als
solchen differenzirten Zellkern, ankomme.
Bei den Spermatozoiden von Eqnisetnm ist bekanntlich der
hintere Theil des Körpers sehr dick im Verhältniss zum vorderen
und seine Windung sehr steil; im Uebrigen ist auch hier der Körper
bandförmig, von annähernd elliptischem Querschnitt in seinem
ganzen Verlauf; an der vorderen Windung mit langen Cilien be-
setzt. Der Innenseite des steilen, hinteren Körperabschnittes
klebt die Blase an, welcher auch hier die gleiche morphologische
Bedeutung wie bei den Famen zukommt. Auch hier ist es diese
Blase allein, welche kömige Bildungen, wie bei den Farnen, vor-
nehmlich Stärkeköraer, einschliesst, und halten sich ihre Körner
besonders an der dem Spermatozoiden-Ban'ie zugekehrten Seite
der Blase auf Das Band selbst wird in seiner ganzen Aus-
dehnung von homogenem, stark lichtbrechendem Plasma, ohne
innere Höhlungen, gebildet. Es endet gewöhnlich stumpf (Fig. 7,
9, 14), seltener verjüngt (Fig. 8, 10). Die Blase haftet meist der
Innenseite des Bandes an und wird bei Streckung desselben mit
in die Länge gedehnt. Daher Bilder wie die von mir in Fig. 7,
8 und 10 abgebildeten. Aehnliche Bilder mögen Hofmeister zu
der Annahme geführt haben, das wimperlose Hinterende sei
bei den Spermatozoiden* der Equisetaceen an der Innenkante
seiner Schraubenwindung deutlich zu einem häutigen, flossenähn-
liehen Anhängsel verbreitet, welches während der Vorwärts-
bewegung in schneller Undulation sich befindet. ^) Was Hoimeister
zu dem weiteren Aussprach veranlasste : „bei den Spermatozoiden
der Famkräuter findet muthmasslich dasselbe Verhältniss statt ^),^
ist mir unbekannt.
In manchen Fällen kann sich die Blase gegen die steile
Innenfläche der Spermatozoiden abrunden und sich von derselben
mehr oder weniger ablösen; man findet sie manchmal auch den
^) Zuletzt in: Lehre von der Pflanzenzelle 1867, p. 33.
^) Ebendas.
Studien über das Protoplasma, ^03
vorderen, engen Windungen anhaftend (Fig. 12). ^) In anderen
Fällen hat das Spermatozoid dieselbe ganz abgeworfen (Fig. 14).
Dann wird^ das Spermatozoid nur noch von dem stark licht-
brechenden Bande gebildet, dem an der Innenseite noch einige
Körnchen anhaften können (Fi^. 9). Gegen das Ende der Schwärm-
zeit erscheint die Blase an den Spermatozoiden sowohl bei Famen
als bei Equiseten durch Wasseraufnahme oft um das Vielfache
ihres ursprünglichen Volumens ausgedehnt.
Ich erlaube mir in den Figuren 7— J4 eine Anzahl Abbildungen
der Spermatozoiden von Equisetum arvense zu geben und zwar
nach Präparaten die ich durch Uebergiessen eben ausgeschwärmter
Spermatozoiden mit l^/o Osmiumsäure gewann.*)
Wenn nun die Frage aufgeworfen würde: ob die Sperma-
tozoiden der Gefässkryptogamen, da sie im obigen Sinne nur aus
einem homogenen Bande mit Cilien bestehen, dennoch als Zellen
aufzufassen seien? — so möchte ich die Frage bejahen.
Verfolgt man nämlich die Spermatozoiden nach rückwärts bis
in die Algen hinein, so kommt man zu der Ueberzeugung, dass
sie den dort vorkommenden Spermatozoiden, deren Zellnatur gar
nicht angezweifelt werden darf, homolog sind. Man kann sich
vorstellen, dass sie durch Modification solcher Spermatozoiden, wie
etwa derjenigen von Oedogoninm, langsam entstanden sind, und
dann lässt sich ihre Bildung aus dem Inhalte der Mutterzelle
mit Ausschluss der centralen Blase, als eine Ar^ freier Zellbildung
auffassen. ^)
Ein radiärer Bau, der vielleicht Aehnlichkeit mit dem bei
Spirogyra und Vaucheria geschilderten besitzt, wird von Ed. van
Beneden ftlr die Hautschicht der Eier der Seesteme angegeben.
„Die Hautschicht," schreibt er, „ist heller und weniger körnig
als die innere Masse, sie zeigt ausserdem eine zarte, radiale
Streifung, die der inneren Masse zu fehlen scheint.'' Ed. van
Beneden gibt die Stärke dieser Hautschicht auf beiläufig ein
Drittel des Radius des Dotters an. ^)
^) Vergl. anch Schacht, die Spermatozoiden im Pflanzenreiche, 1864, p. 10.
') Alle Spermatozoiden von EquiBetum arvense erschienen mir in gleicher
Richtung gewunden Die umgekehrte Richtung in Fig. 14 rührt daher, dass
dieses Spermatozoid mit seiner Spitze nach unten liegt.
') Vergl. Zellhildang nnd Zelltheilung, II. Aafl., p. 192.
^) Contributions k Thistoire de la v^sicale gerroinative et du premier
noyan embryonnaire. Bulletins de l'Acad^mie rojale de Belgique, 2^me ^^r.
T. LXI, Nr. 1, Janvier 1876, Des Separatabdrnckes, p. 23.
404 Eduard Strasbtirger,
Mehrere Beispiele einer Streifung der Hautschicht lieasea
Bich noch der thierischen Histologie entnehmen, doch sind £t
bezüglichen Angaben meist nicht der Art, dass wir sie hier direci
verwerthen könnten.
Sehr nahe lag es hingegen, an einen Vergleich der in der
Hantschicht yerschiedener Infusorien beobachteten Stäbchen, der
sog. Trichocysten y mit den Stäbchen in der Hantschicht der
Yancheria-Sporen zn denken. Ein Bild, wie es Paramecinm anrelia
an seiner Peripherie bietet, ist in der That nicht anähnlich dem-
jenigen der Peripherie einer Vancheria - Schwärmspore. Man
hätte meinen mögen, dass anch bei den Infusorien die Stabchen
als Stütze der Cilien dienen ; vorhandene Angaben, namentlich die
von Wrzesniowski ^), beweisen aber sicher, dass jene Stäbchen
in keinem Verhältniss zn den Cilien stehen, vielmehr nnter um-
ständen ansgestossen werden können und wohl als Waffen
dienen.
Auch an der Hautschicht der Plasmodien bei den Myxomy-
ceten hat Hofmeister eine bestimmte Structur beobachtet. „Hänfig')%
schreibt er, „tritt eine radiale, auf den Flächen senkrechte Streifung
hervor, wenn das Mikroskop auf den optischen Durchschnitt der-
selben eingestellt wird : eine Streifung, die auf der Nebeneinander-
lagerung stärker und schwächer lichtbrechender, dichterer nnd
minder dichter, weniger und mehr Wasser haltender, zur Fläche
der Membran vertical gestellter Theilchen beruht. Seltener ist
eine Zusammensetzung aus der Fläche der Hautschicht parallelen,
abwechselnd stärker und schwächer lichtbrechenden Lamellen tu
erkennen, doch kommt sie bisweilen neben jener radialen Streifimg
oder auch ohne dieselbe vor/^ Am deutlichsten will Hofmeistet
diese Verhältnisse an im Einziehen begriffenen dtLnnen Aesten
der Plasmodien von Aethalium septicum gesehen haben ; auch gibt
er an '), ähnliche Erscheinungen habe de Bary unter gleichen
Verhältnissen an den Plasmodienästen von Didymium serpula nnd
von Aethalium beobachtet. De Bary schreibt an der von Hof-
meister citirten Stelle : „Wo ein Zweig eingezogen wird, da nehmen
die centripetalen Strömungen an Energie stetig zu, die centri-
fugalen ab, und in gleichem Maasse verschmälert und verkürzt
*) Archiv f. mikr. Anat., Bd. V, 1869, p. 41.
^ Lehre von der Pflanzenzelle, 1867, p. 24 und Fig. 8, p. 25.
•) 1. c, p. 24 Anm.
State
V:
Stadien über das Protoplasma. 405
sich der Zweig. Bei Aethalinm and Didyminm serpula sah ich
of^ wie jede nenC; in einen Zweig laufende centrifngale Strömnng
immer weiter von dem Zweigende aufhörte, dem Zweige also
immer weniger nnd znletzt gar keine Kömer mehr zngeftthrt
: j^ wurden, während die Orundsubstanz sich äusserst langsam zu-
sammenzog. Der zuletzt ganz kömerfreie Ast nimmt dabei oft
eine eigenthttmliche Beschaffenheit an. Seine Peripherie wird von
einer dicken, glänzenden Lage von Grundsubstanz gebildet, an
welcher die Randschicht nicht mehr kenntlich ist, welche dagegen
auf ihrer ganzen Aussenfläche mit spitzen, abstehenden Fort-
sätzen, wie mit feinen Stacheln dicht bedeckt ist. Zuweilen hat
es den Anschein, als sei die ganze eben erwähnte Lage der Grnnd-
substanz aus dicht gedrängten, zur Oberfläche senkrechten Stäb-
chen zusammengefegt, deren äussere Enden die stachelähnlichen
Fortsätze bilden, doch konnte ich dies nicht bestimmt er-
kennen.'' 0
Diese von de Bary gegebene Schilderung der Banddifferen-
zirung scheint mit derjenigen übereinzustimmen, welche Hofmeister
bei längerer Einwirkung concentrirter Lösungen von Zucker,
Glycerin, Kalisalpeter oder Kochsalz auf Plasmodien beschreibt >),
deren hyaliner Saum sich dann mit stacheligen, dicht stehenden
^Fortsätzen bedeckt. Die am weitesten vorragenden Stellen der
Aussenfläche sollen dann diejenigen grösster, die am tiefsten ein-
gesenkten diejenigen geringster Dehnbarkeit sein.
Die gleichen Erscheinungen hatte auch schon Kühne unter
ähnlichen Einflüssen, vornehmlich aber bei Einwirkung einpro-
centiger Bhodan-Kalium-Lösung beobachtet Dabei wurden die
meisten Stämme der Plasmodien in Kugeln verwandelt, deren
hyaliner Saum sich dann zerklüftete. „Zuerst zeigte sieh eine
ungeheure Menge feiner, radiärer Streifungen, ... an der änssersten
Peripherie bildeten sich schöne, stachelige Fortsätze, mit denen
das Ganze dicht besetzt erschien, und die Basis des Saumes zog
sich zu einer schmäleren, glasglänzenden Schichte zusammen.'^
„Man brauchte die Salzlösung nur durch destillirtes Wasser zu
verdrängen, um sämmtliche stachelige Fortsätze in die Kugeln
zurückzutreiben. Der glatte, hyaline Saum bildete sich zuerst
wieder, verschmälerte sich später, wurde unregelmässig nach innen
und aussen und die Gontractionen mit der davon abhängigen
^) Die Mycetozoen, II. Aafl. 1864, p. 46.
') Die Lehre von der Pflanzenzelle, p. 27.
40% Edoard Strasborger,
Körnchens trömn Dg begannen von Neuem. Indessen dauerte dies
Alles nicht lange^ sondern unter Austritt von schleimigen^ zittern-
den Klttmpchen ging das Protoplasma zu Grunde/' ^)
Meine eigenen Untersuchungen bezogen sieh vornehmlich aaf
die Plasmodien von Aethalium septicum, die ich in unzähligen
Exemplaren studirt habe. Zum Zweck der Herstellung von Prä-
paraten, die unmittelbar auch bei stärkster Vergrösserung zu be-
obachten wären, liess ich die Plasmodien von der Oerberlohe auf
vertical aufgestellte Objectträger kriechen, über deren eine Fläche
ein äusserst schwacher Wasserstrom mit Hülfe eines Saugapparates
einfachster Art, der aus einem Fliesspapierstreifen bestand, ge-
leitet wurde. In halber Länge der benetzten Fläche, ob direct
auf dem Objectträger, ob durch zarte Schutzleisten von demselben
getrennt, war je ein dünnes Deckglas angebracht. Das Ganze
setzte ich in einen dunklen Kasten, um die Bewegungsrichtung
der Plasmodien der Beeinünssung durch das Licht zu entziehen.
Alle die reich verzweigten Plasmodien, die ich zur Untersuchung
wählte, bewegten sich nun fast vertical aufwärts an den befeuch-
teten Glasflächen und es * geschah häufig, dass sie das Deckglas
erreichend, mit mehreren Zweigen unter dasselbe krochen, ja selbst
da, wo das Deckglas, ohne Schutzleisten, direct an dem feuchten
Objectträger haftete. In den letzten Fällen bekam ich besonder^
zarte Ströme, die vorzüglich für die Beobachtung geeignet waren.
Wenn ich während der Untersuchung einen continuirlichen Wasser-
strom unter dem Deckglas durchleitete und das Object gegen Druck
gesichert war, so konnte es sich nach überwundener, erster
Störung normal weiter bewegen. Wurde das Präparat durch das
Deckglas wenn auch noch so schwach gedrückt, oder stieg durch
fortgesetzte Verdunstung des zngeführten Brunnenwassers der
Salzgehalt desselben, so pflegte das bekannte langsame Einziehen
der Zweige des Plasmodiums zu beginnen.
Da beobachtete ich nun Erscheinungen, welche sich durchaus
an die von de Bary geschilderten anschlössen. Sehr häufig ge-
schah es, dass die Enden der in Einziehung begriffenen Zweige
solche Bilder, wie die in Fig. 16, Taf. II oder Fig. 11 und 12,
Taf. III, 1. c. bei de Bary abgebildeten zeigten. Dagegen wollte
es mir leider nicht gelingen, einen Zustand zu finden, welcher der
') Untersuchungen über das Protoplasma und die ContractÜität 1864.
p. 83.
Studien über das Protoplasma. 407
FOD Hofmeister (1. c, p. 25) dargestellten Figur entsprochen hätte,
ungeachtet letztere auch von Aethaiium septicum entstammen soll.
De Bary will die stachelige Differenzirung der Peripherie bei
den in Einziehung begriffenen Zweigen erst gesehen haben, wenn
die Grundsubstanz derselben ganz von Kömchen entleert war
ich beobachtete sie an Zweigen noch vor deren Entleerung und
kann auf das Bestimmteste behaupten, dass die auftretenden
Fortsätze nicht der Grundsubstanz des Eömerplasma, sondern der
Hautschicht des Plasmodium angehören. Meine Figuren 15 — 19
zeigen dies deutlicL Ich habe manchmal wie in Fig. 15 die
Fortsätze schon sehr frühzeitig, gleich beiih Beginn der Einziehung,
auftreten sehen. Bei starker Vergrösserung war es leicht zu ver-
folgen, wie beim Zurückweichen einzelne Stellen der Hautschicht
hinter den anderen zurückblieben, so zu feinen, stachelartigen Ge*
bilden werdend.
Es ist wohl denkbar, dass ^ie zurückbleibenden Stellen den-
jenigen grösserer Dichtigkeit, die zurückweichenden denjenigen
geringerer Dichtigkeit in der Hautschicht entsprechen. Die Be-
tardirung wird nicht etwa durch ein stärkeres Anhaften der zurück-
bleibenden Stellen an der Unterlage bedingt, da die Fortsätze
im ganzen Umfange des Zweigendes gleichmäasig erzeugt werden.
Diese Fortsätze können oft eine bedeutende Länge erreichen,
dann sieht das Zweigende wie mit langen Wimpern besetzt
aus (Fig. 19). Sehr eigenthümlich machten sich die Fortsätze an
j^anchen Verbindungszweigen, die in zwei entgegengesetzten
Bichtangen eingezogen wurden. Solche Zweige werden dann in
den von ihren Ansatzstellen gleich entfernten Orten immer dünner
und bestehen dort schliesslich nur aus Hautschicht; gleichzeitig
erscheinen sie dann mit kürzeren oder längeren Stacheln besetzt,
welche der Bichtung der rückläufigen Ströme entgegen gerichtet
sind und somit an den beiden Hälften des Verbindungszweiges
umgekehrte Orientirung zeigen (Fig. 20).
Bei beginnendem Bückzug eines Zweiges kann die Hautschicht
auch unregelmässige, wulstige Auftreibungen bilden (Fig. 21).
Häufig folgt letzteren alsbald die Bildung der stacheligen Fort-
sätze. Oefters entstehen derartige wulstige Auftreibungen auch
tiefer an einem Zweige, welcher an seiner Spitze die stacheligen
Fortsätze erzeugt (Fig. 18 u. 19). Gewöhnlich deutet dann dieser
Ort den nächsten Punkt an, bis auf welchen der Zweig eingezogen
werden wird (Fig. 18).
Wenn ein Zweig beim Bückzug die stacheligen Fortsätze
408 Eduard Strasbnrger,
gebildet hat, beim Eintritt günstiger Umstände aber von Nenem
vorzoschreiten beginnt, so werden die Fortsätze in die vordringende
Hautschicht wieder aufgenommen. Sind die Fortsätze kurz zuTor
gebildet worden, so erfolgt ihre Aufnahme sehr leicht; ist ihre
Bildung etwas älteren Datums, so scheint ihre Aufnahme in die
Hautschicht mit Schwierigkeiten verbunden zu sein. Da sah ich
den Zweig an seinem Ende ofi: erst bedeutend anschwellen und
dann die mit Fortsätzen besetzte Stelle mit einem Ruck aufgerissen
werden; neue Hautschicht drang an solchen Orten hervor, alsbald
von dem Eömerplasma gefolgt; die stacheligen Fortsätze kamen
dann zu den beiden Seiten des neuen Zweiges zu stehen. Eine
Abgrenzung der sie tragenden Hautschicht gegen die neu vor-
gedrungene war übrigens bald nicht mehr zu sehen.
Die geringfügigsten Di£fer<3nzen, in ihrem Vorhan'iensein kaum
festzustellen, beeinflussen die Gastalt der vordringenden Zweig-
enden: bald sind letztere gleichmässig abgerundet, bald verschieden
ausgebuchtet, theils mit zugespitzten, theils mit rundlichen Vor-
sprüngen (Fig. 22). Solche Erscheinungen und Differenzen treten
auch bei spontanem Einziehen einzelner Zweige auf. Manch-
mal sieht man dann Bilder, welche an die Stachelbildung er-
innern, nur dass die einzelnen Stacheln in ihrer ganzen Länge
viel breiter sind, als wären sie aus der Verschmelzung je mehrerer
hervorgegangen; die Zweigspitze erscheint dann wie gezShnt*
Zwischen solchen gezähnten Rändern und den unregelmässig ge-
buchteten finden sich Uebergänge. ^
Ich fixirte eine Anzahl Plasmodien mit 1 % Osmiumsänre,
was ebenfalls in der vorzüglichsten Weise gelingt. Fig. 23 zeigt
einen im Vorschreiten begriffenen Zweig, der auf diese Weise be-
handelt wurde und den ich nun erstarrt in Glycerin aufbewahre.
Die merkwürdigsten Bilder bekam ich bei Fixirung der Plas-
modien mit 1 7o Chromsäure. Wie Fig. 24 nämlich zeigt, war
unter dem Einflüsse dieses Reagens an den Zweigenden oft das
Umgekehrte von dem, was wir bisher gesehen, eingetreten. Die
Hautschicht zeigte sich da nämlich in einzelne Stäbchen aufgelöst,
die aber nicht der gemeinsamen Unterlage eingefügt waren, viel-
mehr von einer gemeinsamen Hüllhaut an ihren Spitzen verbunden,
an ihrer Basis hingegen zum grossen Theile &ei und so unmittel-
bar auf die Substanz des Kömerplasma stossend. Es mag durch
die Chromsäure im ersten Augenblick nur die Peripherie des
Plasmodium fixirt werden und die sich eine Weile noch zurück-
ziehende Innenmasse solche Erscheinungen veranlassen.
Stadien über das Protoplaflma. 409
Ich behaDdelte dann auch ein im stärksten Bückzug befind-
liches, stark mit freien, stäbchenähnlichen Fortsätzen bedecktes
Plasmodium mit 1 ^/o Ghromsäure. Die Stachel wurden erhalten,
doch erschienen sie häufig an ihrer Spitze kegelförmig an-
geschwollen und ausgehöhlt; bei manchen geschah Letzteres in
der ganzen Höhe, sie erschienen dann beuteiförmig. Es hatten
hier eben Vacuolen in den Fortsätzen vor deren schliess-
licher Fixirung sich bilden können (Fig. 25 und 26). An den
gleichen Präparaten war die Hautschicht oft membranartig nieder*
geschlagen worden und das Eömerplasma hatte sich dann von
ihr an manchen Orten zurückgezogen, so dass nur noch feine
Fäden, aus Grundsubstanz des Eömerplasma gebildet, beide ver-
banden (Fig. 26). Solche Figuren erinnern an Bilder, wie sie
bei der Ausbildung mancher Fruchtkörper der Myxomyceten zu
sehen sind. ^)
Ich habe mich im Vorhergehenden auf die Schilderung der
Strömung selbst, als so oft schon gegeben, nicht eingelassen und
führe hier nur zum Schlüsse die Figur 27 noch vor, welche ein
älteres Stammstück aus dem Inneren des Aethalium-Plasmodiums
zeigt. Das Eömerplasma war hier in Strömung, so weit es die
Linien im Inneren andeuten. Das Verhältniss des Eömerplasma
zur Hautschicht ist in der Abbildung streng eingehalten; ausser-
dem ist das Stammstück von einer Gallertscheide, de Baryts Hülle,
und von den, derselben ein- oder meist aufgelagerten Eörpem
umgeben, die ich sammt der Hülle für Ausscheidungen : fQr £x-
cremente halte.
Im Innern der Hautschicht habe ich hier keine Structur be-
obachten können, weder an frischen noch an künstlich behandelten
Objecten; nichtsdestoweniger möchte ich in der so constanten
Bildung feiner Fortsätze an den im Bttckzug begriffenen Zweig-
enden, mit Hofhieister, den Ausdmck von Dichtigkeitsunterschieden
erblicken, welche in der Moleculär-Stmctur dieser Hautschicht
ihre Begrtindung finden.
Eh haben in letzter Zeit Heitzmann ^) und Frommann ') darauf
hingewiesen, dass die Grundsubstanz des Eömerplasma oft einen
*) Vergleiche Taf. VITI der bereits erschienenen polnischen Ausgabe der
MycetOKoen von Rostafinski.
«) Sitzber. d. W. Ak. d. Wiss. von April bis Juni, 1873,
*) Jenaische Zeitschr. f. Naturw., JX, Bd. 1875, p. 280.
410 Eduard Strasburger,
netzförmigen Bau zeige. Ich selbst beobachtete einen solchen
Bau in den Eiern der Coniferen und Gnetaceen und wies darauf
hin, wie man zwischen Vacuolen und Kammern im Körnerplasma
unterscheiden müsse. 0 Vacuolen sind Tropfen einer wässerigen
Fltlssigkeit im Plasma, die Kammern dagegen werden gebildet,
wenn das Plasma in dünnen, netzförmig verbundenen Platten die
Zellflüssigkeit durchsetzt.
Von derartigen Protoplasmakammem wird auch der vordere,
helle Raum im Inneren der Vaucheria-Schwärmsporen meist voll-
ständig durchsetzt (Fig. 2).*) Stellt man auf denselben scharf
ein, so kann man leicht bemerken, wie die Kammern langsam
ihre Gestalt verändern.
Eine ähnliche, kämmerige Anordnung dds zum grossen Theil
mit Chlorophyllkörpern beladenen Körnerplasma zeigen die Zellen
der Gladophora.
Andererseits hat Veiten auch eine entsprechende Vertheilung
des Körnerplasma in Pflanzenhaaren beschrieben. „Für einzelne
Fälle ist es ervriesen," schreibt er hierauf^), „dass das Proto-
plasma ein Kanalsystem ist. Die Plasmakörnchen bewegen sich
in oder an den Wänden der wässerige Lösungen einschliessenden
Kammern ; niemals sieht man eine kömchenhaltige Flüssigkeit in
dem Protoplasma strömen; es sind nicht in sich zurücklaufende
Kanälchen vorhanden, sondern dieselben sind vielfach unterbrochen
durch Querwände. Die Gonfiguration der Kammern wird durch
die Bewegung der plasmatischen Wände fortwährend verändert;
eine kürzere Zeit kann eine Form eingehalten werden.^^
^) ZellbUdung und Zelltheilnng, II. Aufl., p. 20.
^) Ich meinte früher, diese Kammern stiessen in der Mitte des Zellraumes
in einer gleichmässig-feinkörnigen Plasmamasse zusammen, der ich sogar geneigt
war, eine centrale Action zuzuschreiben. Jetzt konnte ich mich an den zahl-
reich untersuchten Schwärmsporen, die mir hin und wieder, namentlich bei
leisem Drucke, völligen Einblick in ihr Inneres gestatteten, sicher überzeugen,
dass dieser Raum von Zellflüssigkeit erfüllt ist. Meist ist diese Zellflüssigkeit
von den Protoplasmakammem völlig durchsetzt, in manchen Fällen bleibt die
Mitte der Flüssigkeit von denselben frei. Ich habe also wohl, als ich im
Verhalten dieses hellen Raumes Stützen für dessen centrale Thätigkeit finden
wollte, Ursache und Wirkung verwechselt, indem Verhalten und Stellung
dieses Raumes von der Hautschicht aus bestimmt werden dürfte. (Zellbildung
und Zelltheilung, p. 186.) Hin und wieder findet man auch in den Schwärm-
Sporen mehrere mit Zellflüssigkeit erfüllte Lumina statt des einen. Wieder-
holt sah ich kleine Krystalle, wohl von oxalsaurem Kalk, in der Zellflüssig-
keit liegen.
«) Flora 1873, p. Va3,
Studien über das Protoplasma. ^^±
Sehr verbreitet innerhalb mancher jangen nnd der meisten
älteren Pflanzenzellen ist die bekannte Anordnung des Eömer-
plasma zu einer dünneren oder dickeren Lage auf der Innenseite
der Haatschicht; so dass beide zusammen einen Beleg von wech-
selnder Mächtigkeit an der Wand der Zelle bilden. Wenn unter
solchen Verhältnissen die Eömerschicht eine grössere Stärke er-
reicht, lassen sich oft gewisse Differenzen in dem Verhalten ihrer
äusseren, an die Hautschicht grenzenden und ihrer inneren, an
die ZellfliLBsigkeit anstossenden Lagen erkennen, welche auf eine
etwas grössere Dichte der äusseren Lagen gegen die inneren hin-
weisen. Dieses kann sich in der Verschiedenheit der kömigen
Einschlüsse äussern, auch wohl darin, dass die inneren Lagen des
Eömerplasma sich in Bewegung befinden, wo die äusseren ruhen. ^)
In vielen Fällen durchziehen, von dem Wandbelege ausgehend,
zahlreiche bewegliche Fäden des Eömerplasma das mit Fltlssig-
keit erfüllte Zelllumen.
Bei Aethalium septicum lässt die Grandmasse des Eömer-
plasma keinerlei Schichtungen erkennen, sie führt gleichmässig
vertheilten, kömigen Inhalt, sehr vereinzelt auch contractile Vacuolen.
Eine leicht sichtbare, radiäre Anordnung nimmt das Eömer-
plasma in sich theilenden, thierischen Zellen, doch nicht proprio
motu, sondem unter dem Einflüsse des in Theilung eintretenden
Zellkemes an. Um dessen Pole erscheint die Grundsubstanz des
Eömerplasma strahlig vertheilt, ausserdem bis zu einer gewissen
Entfemung kömerlos, da ihre Eömer von den Eempolen ab-
gestossen werden. — Die Strahlen setzen bei ihrer Bildung an
die Eempole an und wachsen an ihren Enden. Die kömerlosen
Stellen umgebend, erscheinen sie mit diesen wie zwei helle
Sonnen in den sich theilenden Zellen. — Auch bei freier Zell-
bildung zeigt, in besonders durchsichtigen Fällen, das Eömer-
plasma radiäre Anordnung um die neuentstandenen Eeme.
Eine ganz bestimmte Differenzirang erfährt das Eömerplasma
der Pflanzenzelle bei der Bildung der Chlorophyllkörper. Diese
treten, wie bekannt, bei höheren Pflanzen in Eömerform, bei den
Algen aber auch in Leisten- Band- oder Stem-Form auf. —
Dass diese grüngefärbten Eörper wirklich dem Eömerplasma an-
gehören, das zeigen die Fälle wo, wie bei manchen niedersten
Algen, das gesammte Eömerplasma grün gefärbt erscheint und
nur die Hautschicht farblos ist. Dasselbe folgt überall aus der
^) Vergl. hierüber Pringsheim, Pflanzenzelle, 1854, p. 8 u. 9.
Bd. X. N. E. m. 4. 27
412 Eduard Strasburger,
Entwicklungsgeschichte, und zwar : dass die Ghlorophyllkörper aus
der homogenen Grundsubstanz des Eörnerplasma hervorgehen.
Sie sind gegen das umgebende; ungefärbte Eömerplasma scharf
abgegrenzt und zeigen sich an ihrer Oberfläche etwas dichter als
im Inneren. Nicht immer ist übrigens diese Verdichtung optisch
nachweisbar und nur aus dem Verhalten der Körner bei Quellung
zu erschliessen.
Eine weitergehende Differenzirung des Eömerplasma als inner-
halb der Pflanzenzellen hat bei vielen Khizopoden stattgefunden.
So wird im Eörper der Heliozoen, den ich als seiner ganzen
Masse nach aus Eömerplasma bestehend betrachten möchte, eine
Mark- und KindensubstanZ; ein Endosark und Ektosark beschrieben.
Beide Schichten gehen unmerklich in einander über, können ab«r
auch scharf abgegrenzt sein; doch ist es in allen Fällen nur die
Verschiedenheit des Protoplasma, keine besondere Membran,
welche die Deutlichkeit der Contour bedingt.^) Im Endosark
liegt stets der Eem oder die Kerne, das Ektosark ist charakte-
risirt durch den Besitz der contractilen Vacuolen. — „Bei Actino-
sphaerium unterscheidet sich die Mark- von der Rindensubstanz
im Wesentlichen durch ihre gröbere Körnelung und die dadurch
bedingte beträchtliche Undurchsichtigkeit. Ferner ist dieselbe
vorwiegend, wenn nicht ausschliesslich, der Sitz der Verdauung.
Das vollkommene Gegentheil ist bei den Heliozoa Skeletophora
der Fall. Hier ist die zahlreiche gröbere und feinere Eömchen
enthaltende Kinde allein der die Nahmngsaufnahme und Assimi-
lation versehende Theil, während niemals die Nahrungskörper bis
in die centralen Partieen des Eörpers hineingelangen. Dieselbe
bildet in Folge dessen eine feinkörnige oder homogene Masse von
mattgraubläulichem Glanz, welche mit einer deutlichen Linie gegen
die Kindensubstanz sich absetzt. ^)
Manche Ileliozoen zeigen auch innerhalb der von ihrer Ober-
fläche strahlig entspringenden Pseudopodien eine Differenzirung
in einen „Axenfaden'^ und die „Kindenschicht^^ Bei Actino-
sphaerium ist diese Sonderung am deutlichsten. Die „Rinden-
schicht'' der Pseudopodien wird vom Eömerplasma des Ectosark,
«kr „Axeiifaden'' aus * einer homogenen in Essigsäure sich lösen-
den Substanz, „vielleicht aus einer Verdichtung des Protoplasma'^
^) R. Uertwig u. £• Lesser, Archiv f. mikr« Anat., Bd. X, Suppl., p. 161
^) Ebendas., p. 190«
Stadien über das Protoplasma. 413
gebildet ^) und lässt sich durch das Ectosark bis in die Oberfläche
des EDdosark verfolgen. ^)
Bei Monothalamien kommen noch andere Sonderungen des
Eömerplasma vor.
Eugl3rpha alveolata Duj ardin und ihr verwandte Formen
lassen z. B. im Protoplasmakörper eine hintere, fast hyaline
Masse, mit grossem, wasserhellem; kugeligem Kerne, eine mittlere
grob- und dunkelkörnige Partie, durch etwa aufgenommene
Nahrungsmittel getrübt, meist ganz undurchsichtig, und einen
vorderen Abschnitt, mit geringer, feinkörniger Trübung, welcher
meist ein oder mehr pulsirende Vacuolen und häufig auch noch
Nahrungsmittel enthält, unterscheiden. ')
Wir wollen es nunmehr versuchen, das Verhältniss des
Hautplasma zu dem Eömerplasma näher zu beleuchten. Be-
kanntlich unterschied Pringsheim zuerst zwischen Hautschicht und
Eömerschicht des Protoplasma und zwar bezeichnete er auch das
Eörnerplasma als „Schicht'S weil er dasselbe zunächst an den
mit Zellnmen versehenen Pfianzenzellen studirte, wo das Proto-
plasma nur einen stärkeren oder schwächeren Beleg an der
Gellulosewand bildete. ^) Beide Bezeichnungen wurden dann auch
auf Protoplasmamassen ohne Lumen übertragen und ich zog es
in Anbtracht letzterer Fälle vor, die Bezeichung Eömerplasma
statt Eömerschicht des Protoplasma zu brauchen. ^)
Die Hautschicht gilt den meisten heutigen Forschem als die
kömchenfreie Grnndsubstanz des Protoplasma. ^) Hofmeister sucht
ihre grössere Dichte gegen die innere Masse durch die „allgemeine
Eigenschaft tropfbarflüssiger Eörper einer die innere Masse weit
ttbertrefiender Dichtigkeit ihrer Oberfläche'' zu erklären.^)
Andererseits spricht neuerdings Pfeffer die Ansicht aus, der
^) Ebendas., p. 162.
') Franz Eilhard Schulze, Arch. f. mikr. Anat, Bd. X, p. 389.
^) Ebendas., Bd. XI, p. 100 n. 101.
^) Untersachungen über den Bau und die Bildung der Pflanzenzelle,
1854, p. 8.
*) Zellbildung und Zelltbeilung, IL Aufl., p. 286.
*) Sachs, Lehrbuch der Botanik, IV. Aufl., 1874, p. 41.
^ Lehre von der Pflanzenzelle, p. 3. Pringsheim hielt noch (Pflanzen-
zelle p. 8) die Kömerschicht für dichter als die Hantschicht.
414 Eduard Strasburger,
Primordialschlaach sei eine Niederschlagsmembran. ^) ;;Da8 Proto-
plasma umkleidet sich/' schreibt er, ,,mit reinem Wasser oder
mit wässerigen Losungen in Berührung gebracht, allseitig mit
einer zarten Niederschlagsmembran, dem sogenannten Primordial-
schlauch, welcher sich übrigens anch bei Beachtung bestimmter
Vorsichtsmassregeln um beliebige nicht lebensfähige Ballen von
Protoplasma bildet.^) Pfeffer versteht hierbei jedenfalls nnter
Primordialschlauch das, was wir als Hautschicht bezeichneten,
nicht den Primordialschlauch im Sinne Hugo v. Mohl's, wo der-
selbe nicht ausschliesslich die Hautschicht, sondern auch das ganze
Wandplasma bedeuten kann.
Zunächst steht fest, dass die Hautschicht nicht scharf gegen
da^ Eömerplasma abgegrenzt ist und somit nach der Definition,
welche von Mohl für die „Pelicula" an Chlorophyllkörnem gibt,
auch nicht als „Membran^' zu bezeichnen wäre. Der Name Haut-
schicht für dieselbe ist jedenfalls sehr glücklich gewählt. ^) Dass
die Hautschicht nicht scharf gegen das Kömerplasma absetzt,
vielmehr in dasselbe übergeht, das zeigt hinlänglich der an Plas-
modien zu beobachtende Umstand, dass Körnchen des Eömer-
plasmas durch Ströme herangedrängt in die homogene Hant-
schicht zeitweise eintreten können. — Auch bei Bildung der
Auszweigungen an Plasmodien ergiesst sich plötzlich das KDr-
nerplasma in die vorgedrungene homogene Hautschichtmasse,
ohne irgendwie bestimmbare Grenzen gegen dieselbe einzu-
halten. Ausserdem sieht man an denselben Plasmodien die
Haütschicht, je nach Umständen ihre Stärke verändern, als wenn
die Körnchen näher zur Oberfläche vorgedrungen oder von der-
^) In der Sitzung der niederrheiniscben Gesellschaft für Naturwiss. und
Heilkunde zu Bonn am 5. Juli 1875 (vergl. Bot. Zeit. 1875, p. 660).
^) Auf letztere Erscheinung ist schon früher von W. Kühne hingewiesen
worden. Untersuchungen über das Protoplasma und die Contractilität, 1864,
p. 36 u. ff.
^) Häckel nennt (Kalkschwämme, Bd. I, p. 138) die Hautschicht: Rinden-
Bchicht, Exoplasma, das innere Körperplasma: Marksubstanz, Endoplasma.
„So deutlich, schreibt er, sich die beiderlei Substanzen von einander scheiden,
so sind sie dennoch niemals scharf getrennt, gehen vielmehr ohne bleibende
Grenzschicht in einander über, ganz ähnlich, wie die hyaline Rindensubstanz
und die körnige Marksubstanz des Infusorienkörpers." Auch die Bezeich-
nungen: Ektosark und Endosark werden von anderen Zoologen für Haüt-
schicht und Körnerplasma gebraucht, dann aber, ebenso wie Rindensubstanz
und Marksubstauz, auch zur Bezeichnung von Uifferenzen im Körnerplasma
(so. z. B. bei Heliozoen).
Stadien über das Protoplasma. 415
selben sich zurückgezogen hätten. Alle diese Thatsachen scheinen
nun in der That dafür zu sprechen; dass wir in der Hautschicht
nur die verdichtete Grundsubstanz des Protoplasma vor uns
haben.
Andere Gründe lassen sich aber auch gegen diese Auffassung
anDihren. Zunächst solche Fälle, wie in den Zellen der Spiro-
gyra^ oder an den Schwärmsporen von Vaucheria, wo die Haut-
schicht eine ganz besondere , von dem nach innen folgenden
Eömerplasma ganz verschiedene Structur besitzt. Da lässt sie
sich doch unmöglich mit der Grundsubstanz der Eömermasse
identificiren.
Doch auch da, wo eine solche Structur -Differenz nicht
existirt; deuten anderweitige Erscheinungen auf die Verschieden-
heit des Hautplasma und des Kömerplasma hin.
Wenn eine Schwärmspore der Vaucheria sessilis zur Ruhe
gekommen ist und ihre Cilien eingezogen hat, sehen wir die
Hautschicht ihre Structur aufgeben. Die Ghloropbyllkömer rücken
gegen die Peripherie der Schwärmspore hin und scheinen sie fast
zu erreichen. Bei Anwendung schwacher Gompression kann man
sich aber überzeugen; dass die Hautschicht nicht etwa geschwun-
den ist; vielmehr sich zu einer sehr dttnneU; noch stärker als
zuvor das licht brechenden Schicht verdichtet hat. Wird der
Druck langsam gesteigert, so platzt die mit einer feinen Cellulose-
wand umhüllte Schwärmspore und ihr Inhalt beginnt hervorzu-
treten. Dabei kann man seheU; wie das Eömerplasma längs der
Hautschicht abfliesst, während letztere unbeweglich an ihrem
Orte beharrt; wie Vacuolen im Eömerplasma dicht an der Haut-
schicht auftreten, ersteres von letzteren an einzelnen Orten tren-
nend, ohne dass die stark lichtbrechendC; durch Druck breiter
gewordene Hautschicht selber 'hierdurch afficirt würde. Die aus-
getretenen Ballen des Eömerplasma mnden sich zu Engeln ab
in dem umgebenden Wasser und wachsen durch dessen Auf-
nahme; auf ihrer Oberfläche hat sich alsbald eine Niederschlags-
membran gebildet. Sie erscheinen nunmehr als scharf conturirte,
ihrer Hauptmasse nach farblose und homogene Engeln, deren
Inhalt meist einseitig der Eugelwandung anliegt. Setzt man etwas
Wasser zu dem Präparate hinzu und hebt so den Dmck auf die
Schwärmspore auf, so sucht sich auch diese, ihre Wunde schliessend,
wieder abzurunden, braucht aber dabei nicht Eugelgestalt anzu-
nehmen. Aehnlich dem Hauptkörper der Schwärmspore verhalten
sich dann auch andere mit Hautschicht umgebene Plasmaballen^
416 Eduard Strasborger,
'
die es künstlich gelang, von der Spore abzutrennen. Solche
Körper werden auch nicht von einer Niederschlagsmembran nm-
geben, scheiden vielmehr eine zarte Zellstoffhülle ans; sie sind
anch zur weiteren Existenz befähigt, während die von Eömerplasma |
allein gebildeten Kugeln alsbald zu Grunde gehen. Letztere bersten
bei fortgesetzter Wasseraufnahme, wobei ihre zarte Niederschlags-
membran faltig zusammenfällt; ihr kömiger Inhalt, dem^ anmittel-
baren Einflüsse des umgebenden Wassers ausgesetzt, langsam sich
desorganisirt. — Bei Mangel an hinlänglichem kömigen Inhalte
müssen auch von Hautschicht umgebene Plasmastücke zu Grande
gehen, die Hautschicht zersetzt sich dann in der Art, dass zu-
nächst Vacuolen in ihrem Inneren sich bilden.
Instructiy sind wegen des Verhaltens der Hautschieht and
des Kömerplasma auch die an künstlich verwundeten Yaucberia-
Schläuchen eintretenden Erscheinungen. Dieselben sind neuer-
dings von Hanstein geschildert worden. ^) Ich durchschnitt gleich
ihm mit einer scharfen Scheere die Schläuche von Vaucheria ses-
silis und konnte nun bei sofortiger Einstellung mit starkem Im-
mersionssystem die ganze Erscheinung deutlich verfolgen. Aus
dem Inneren des Schlauches sieht man nun an der Schnittfläche
eine blasenförmige Ausstülpung hervortreten ; sie wird aus Kömer-
plasma und Zellsaft gebildet. Kasch wachsend beginnt sie sich
als freie Kugel abzurunden, hinter welcher die freien Ränder der
sehr dünnen Hautschicht zusammenneigen. Ib dem Augenblicke,
wo die Kugel eingeschnürt wird, haben sich auch die Hautschicht-
Ränder erreicht, der Schluss der Wunde durch Hautschicht ist
vollzogen. Dieser Schluss kann in den günstigsten Fällen ein
definitiver sein, häufiger jedoch wird er noch ein bis mehrmals
durchbrochen. Dann sieht man den vorderen Rand der Haut-
schicht langsam vorrücken; die Zelle nimmt jedenfalls Wasser in
ihr Inneres durch die Hautschicht auf und vergrössert so ihr
Volumen. Plötzlich wird die Hautschicht von Neuem aufgerissen
und es tritt eine neue blasige Ausstülpung aus dem Inneren der
Zelle hervor : auch diese wird als Kugel abgeschnürt. Schliesslich
bilden die vereinigten Hautschichtränder einen bleibenden Ver-
schluss. Die aus dem Zellinneren ausgestossenen Kugeln wachsen
bedeutend an und zeigen durchaus dasselbe Verhalten wie die
^) Sitzber. der niederrh. (Gesellschaft für Natur- and Heilkunde in Bonn.
Sitzung vom 4. Nov. 1872. Früher schon hatte Thuret dieselben verfolgt. Ann.
d. sc. nat. Bot., 2. S^r. 1840, T. XIV, p. 65.
Studien über das Protoplasma. 417
ans den Schwärmsporen aasgedrückten Massen des Eörnerplasma.^)
Sie werden durclisichtig; ihr kömiger Inhalt einseitig angesammelt
nnd wenn sie bersten, wird eine an ihrer Oberfläche entstandene
Niederschlagsmembran kenntlich. Die Hautschicht verhält sich
auch hier also anders wie das Kömerplasma. An der Wand-
fläche wird ans ihr eine Gellnlosemembran ausgeschieden, welche,
80 wie es auch Hanstein angibt, an die seitlichen Cellulose-
Wände des Schlauches ansetzt. Zur Bildung der Cellulose dient
auch hier Stärke ^) , denn man sieht Ströme des Körnerplasma
mit kleinen Stärkekömehen beladen von allen Seiten der Haut-
schicht der Wundfläche zueilen. Zuletzt sammelt sich hier eine
starke Schicht feinkörnigen Protoplasmas an, durch welches die
Ghlorophyllkömer zurückgedrängt werden. So erinnert die Stelle
sehr an die normalen Spitzen fortwachsender Schläuche.
Das Weitere über diese Vorgänge bitte ich bei Hanstein
nachzusehen und füge hinzu, dass nach kürzlich veröffentlichten
Untersuchungen von Van Tieghem die Mucorineen sich in der
Fähigkeit, ihre Wunden zu schliessen, wie Vaucheria verhalten. ^)
Wenn ich ein Plasmodium von Aethalium septicum mit
scharfem Messer senkrecht gegen dessen Oberfläche in mehrere
Stücke zerschnitt, zeigten sich die Schnittflächen zunächst ohne
eine scharfe Begrenzung. Die Hautschicht fehlte an denselben
lUid die Kömchen reichten bis an die Peripherie hin, oft sogar
unregelmässige Hervorragungen an derselben bildend. An ein-
zelnen Orten konnte ich kugelige Blasen aus dem Inneren des
Plasmodium hervortreten sehen. Oft lagen sie in grösserer Zahl
aneinander und erschienen mehr oder weniger vollständig mit
einander verschmolzen. Sie wurden gebildet aus der Grundsub-
stanz des Kömerplasma, die meist nur wenige Kömer eingestreut
enthielt. Ihr Inhalt war sehr dünnflüssig, jedenfalls durch Wasser-
aufnahme; die Oberfläche alsbald als Niederscblagsmembran er-
härtet Diese Kugeln wiederholen hier also im Allgemeinen die
Erscheinungen, die uns für austretendes Kömerplasma schon be-
kannt sind. Ein Ueberziehen der Wundfläche durch Hautschicht
von den intacten Rändem aus, war hier für alle diejenigen Fälle,
wo die Wundfläche einige Ausdehnung hattte, ausgeschlossen ; die
>) Vergl. Zellbildung und Zelltheilung, U. Aufl.
*) Amoeboide Bewegungen babe ich an denselben eben so wenig beobachten
können als Veiten, Flora 1873, p. 102.
') Ann. d. sc. nat Botoniquo, VI. S^r. 1 T. 1875, p. 19 u. ff.
418 Eduard Strasborger,
O
Hantschicht wurde alsO; wenn überhaupt, an der Wundfläche nen
erzeugt, was in den von mir beobachteten Fällen stets eine ge-
raume Zeit in Anspruch nahm. Bei der relativ grossen Dichtig-
keit der ganzen Protoplasmamasse fand auch die Ausstossnng
der Kugeln an den Wundflächen nur langsam statt und konnte
sich lange an solchen Stellen die keine Hautschicht gebildet
hatten wiederholen.
Wie Ballen aus Eömerplasma verhalten sich auch die Chlo-
rophyllkömer; die im Wasser quellen. Wasser aufnehmend können
sie in den prägnantesten Fällen schliesslich zu einer Kugel an-
schwellen, die, von farbloser Wand umgeben und mit sonst farb-
losem Inhalt erfüllt, meist einseitig im Inneren die grttngefärbten
Piasmatheile und deren kömige Einschlüsse führt. ^) Auch durch
dieses Verhalten werden die Chlorophyllkömer, als zum Kömer-
plasma gehörig, charakterisirt.
Von anders her wissen wir, dass Kömerplasma und Hant-
schicht nicht die gleichen Beziehungen zu den Zellkernen zeigen,
wenn letztere in Action treten, die ursprüngliche Bolle bei der
Zellbildung oder Zelltheilung sich aber bewahrt haben. ^) So
sehen wir bei der freien Zellbildung im Embryosack von Ephedra
das Kömerplasma radial um die Kerne sich gruppiren, die Haut-
schicht hingegen an die Peripherie der unter dem Einflüsse des
Kemes gebildeten Sphäre gedrängt werden. Umgekehrt findeu
wir, dass die peripherisch in den thierischen Eiern bei der Be-
fruchtung auftretenden Kerne sich von der Hautschicht abstossen
und mehr oder weniger bis in die Mitte der Eier rücken. Sie
erscheinen alsdann von Strahlen des Kömerplasma, die bib an die
Hautschicht reichen, umgeben.
Bei der Theilung der pflanzlichen Zellen wird die Hautschicht
in die Aequatorialebene zwischen die beiden neugebildeten Zell-
kerne gedrängt.
Alle diese Gründe zusammengenommen veranlassen mich,
die Hautschicht nicht einfach für die kömchenlose Grundsubstanz
des Plasma zu halten, vielmehr für eine bestimmte Modification
dieser Gmndsubstanz, welche, vomehmlich zum Schutz und zum
Abschluss des Plasma nach aussen dienend, mit einer Anzahl
eigener, von der Grundsubstanz des Kömerplasma verschiedener
Eigenschaften begabt ist. — Hiermit ist nicht gesagt, dass die
^) Vergl. die Bilder von Naegeli u. Scbwendener. Mikroskop 1867, p. 553»
^) Zellbildang und Zelltheilung, H. Aufl. an verschiedenen Stellen.
•
« *
Studien über das Protoplasma. 419
Haatschicht ans der Orundsabstanz des Körnerplasma nicht er-
zeugt werden könnte, dass beide nicht leicht in einander tiber-
gehen sollten, vielmehr halte ich Beides fttr so gut wie sicher.
Denn wir haben ja gesehen, dass an durchschnittenen Plasmodien
des Aethalium septicum die Wunde sich mit neuerzeugter Haut-
schicht Überziehen kann; bei freier Zellbildung findet sich Haut-
schicht um die neuen Zellen ein^ bei Zelltheilung in der zu-
künftigen Theilungsebene.
Aus allem Diesem geht auch hervor, dass beide Substanzen
mit einander mischbar sind; direct lässt sich dies bei Bildung
det Auszweigungen an den Plasmodien verfolgen. *) Daher auch
nirgends im lebenden Plasma die Hautschicht gegen die Eömer-
schicht scharf abgegrenzt erscheint
Das Angeführte ergibt aber weiter von selbst, dass die
Hautschicht als durch Oberflächen-Spannung entstanden nicht ge-
dacht werden kann. Ich stelle eine solche Verdichtung der Ober-
fläche^ ein solches „Oberflächenhäutchen'^ im Sinne der Physiker,
am Protoplasma durchaus nicht in Abrede, behaupte aber nur,
dass die Hautschicht dieses Häutchen nicht sein könne. Denn
die Hautschicht ist eben keine blosse Verdichtungsschicht an der
Oberfläche des Protoplasma, vielmehr eine aus der Differenzirung
desselben hervorgegangene, mit besonderen Eigenschaften be-
gabte Schicht.
Max Schnitze und später Kühne nahmen das „Oberflächen-
häutchen'^ im richtigen Sinne für die Erklärung der am Proto-
plasma beobachteten Erscheinungen in Anspruch und zwar um
eine peripherische Verdichtung auch an solchen Plasma-Massen
zu erhalten, die keine Hautschicht zu besitzen scheinen. Bei
den genannten Autoren wird dieses „Oberflächenhäutchen^^ com-
binirt mit den Veränderungen, welche die Oberfläche einer Flüs-
sigkeit erfährt, wenn sie längere Zeit mit Luft oder mit einer
anderen Flüssigkeit, di^ sich nicht mit ihr mischt, in Bertlhrung
bleibt. ^) Diese Betrachtungen fährten Max Schnitze zu der Vor-
stellung einer „Contactmembran^', einer verschwindend feinen
*) Bei Pelomyxa palustris GreefT. ist nach Franz Eilhard Schake das
,,oft plötzliche Eindringen von Vacuolen und Körnchen in eine eben yorge-
quoUene Welle des Rindenplasmas sehr auffällig und wohl nur aus einer schon
Ton GreefT angenommenen zeitweisen Mischung oder Durchdringung beider
Substanzen^ der zähflüssigen contraotilen und der inneren dünnflüssigen zu er-
klären." Archiv f. mikr. Ar ^43.
^ Max Schnitze, Protr
420 Eduard Strasburger,
Haut, die er übrigens auch nur mit Vorsicht anf die lebendige
Substanz übertragen wissen wollte* ^)
Erst Hofmeister suchte die Hautschicht als rein physikalisches
„Oberflächenhäutehen" zu deuten, da letzteres aber an Flüssig-
keiten sicher nicht direct wahrnehmbar ist, so fügte er willkürlich
hinzu: dass dasselbe beim Protoplasma in anschaulichster, den
Augen direct wahrnehmbarer Weise auftrete.
Meiner Auffassung nach müssen Hautschicht und „Ober-
fiächenhäutchen^' durchaus auseinandergehalten werden , und
schliesst das Vorhandensein der ersteren nicht die Existenz des
letzteren an einem und demselben Gebilde aus, andererseits dflrfte
aber gerade da, wo die Hautschicht fehlt, das Oberfiächen-
häutchen kaum vermisst werden.
Diese Erörterungen führen mich dahin, auch die Frage nach
der physikalischen Beschaffenheit des Protoplasma hier zu be-
rühren, eine Frage, die neuerdings wieder von Veiten behandelt
worden ist.*)
Nach dem heutigen Stande unseres Wissens fühle ich kein
Bedenken, die Naegeli'sche Hypothese von der Molecularstructur
organisirter Gebilde auch auf das Protoplasma zu übertragen.
Ich schliesse mich hiermit der Auffassung an, welche zuerst von
Sachs in seiner Experimental-Physiologie der Pflanzen') ver-
treten wurde.
Damit wird aber nur angenommen, dass auch das Proto-
plasma aus isolirten, durch mehr oder minder dicke WasserhtUlen
getrennten Moleculen aufgebaut sei, ohne über die Form der
Molecule irgend eine Vermuthung auszusprechen. Für die Be-
stimmung der letzteren fehlt es noch an allen Anhaltspunkten. ^)
Durch die üebertragung der Naegeli'schen Moleculartheorie
auf das Protoplasma wird einerseits eine einheitliche Auffassung
des Baues organisirter Gebilde angebahnt, andererseits ist diese
Hypothese aber auch in der That geeignet» die am Protoplasma
beobachteten Erscheinungen auf eine gemeinsame Grundlage zu-
rückzuführen. Denn die bestimmte Gestalt und die activen Lebens-
äusserungen des Protoplasma lassen sich auf die Thätigkeit seiner
Molecule zurückführen ; die Eigenschaften, die es mit einer Flüs-
-^) W. Kühne, Protoplasma, p. 85. M. Schultze, 1. c, p. 61.
2) Sitz. d. k. Akad. d. Wiss., Bd. LXXIII, 1. Abth., März-Heft 1876.
3j 1865, p. 443.
*) Vergl. hierüber Sachs, Lehrbuch, IV. Aufl. 1874, p. 637.
Stadien über das Protoplasma. 421
sigkeit gemein hat, aber auf die die Molecule umgebenden Wasser-
hüllen. — Auch diese Gesichtspunkte sind bereits von Sachs in
seiner Pflanzenphysiologie geltend gemacht worden und kann ich
daher Veiten (1. c.) nicht beistimmen, wenn er in allen Erschei-
nungen, wo sich das Protoplasma als Flüssigkeit gerirt, mole-
culare Aenderungen desselben annehmen wilL Ich würde daher
auch keine Bedenken tragen, mit Naegeli und Schwendener die
Bezeichnung halbfiüssig^) auf die Consistenz des Protoplasma
anzuwenden, wenn ich gleichzeitig, wie es von Naegeli und
Schwendener geschehen, hinzufügen könnte, dass sich dieser Aus-
druck einzig und allein auf die Consistenz, nicht aber auf den
inneren Bau der Plasmagebilde bezieht. — In dem gleichen Sinne
liesse sich auch die oft gebrauchte Bezeichnung festflüssig ver-
wenden.
Je wasserreicher das Protoplasma ist, desto ausgeprägter
dürften die Eigenschaften auftreten, die es mit einer Flüssigkeit
theilt, denn es wäre doch schwer in Abrede zu stellen, dass die
Fähigkeit des Protoplasma, zu fliessen, mehrere Plasmakörper in
einen zu verschmelzen, Fortsätze einzuziehen, auf die Eigen-
schaften einer Flüssigkeit hindeuten. Auch treten im lebenden
Protoplasma normaler Weise kugelige Vacuolen auf, wenn nur
dieses Protoplasma wasserreich genug ist und sonst keine anderen
Kräfte die Gestalt der Vacuolen beeinflussen.
Die kugelige Abrundung freier Protoplasmamassen ist in
der That meist an molecular veränderten Gebilden, unter ab-
normen Verhältnissen beobachtet worden, nichtsdestoweniger er-
fahren eine solche Abrundung auch normale Eier, oder zur Kühe
kommende Schwärmsporen, ohne dass zur gleichen Zeit ihr Zell-
kern in Thätigkeit getreten wäre und auf dessen Action die ge-
nannten Erscheinungen sich zurückführen Hessen.
In den vorwiegend eiförmigen Gestalten der in Bewegung
begriffenen Schwärmsporen möchte ich fast eine Resultante zwi-
schen den an einzelnen Orten dominirenden festen Gestaltungs-
trieben und den Eigenschaften als Flüssigkeit erblicken. In-
structiv ist gewiss, dass eine Scfawärmspore von Vaucheria die
verkehrt eiförmige Gestalt, die sie während des Schwärmens be-
sitzt, so lange behält, als ihre Hautschicht die stäbchenförmige
Structur noch zeigt. Diese Hantschicht ist stärker am vorderen
Ende der Schwärmspore als am hinteren entwickelt, und damit
') Mikroskop, p. 552.
422 Edaard Strasbnrger,
mag es züsammenliängen, dass das vordere Ende der Schwärm-
spore auch breiter ist und das Zelllamen ihm näher liegt. Sobald
die Hautschicht ihre Stmctar einbüssend auf eine dünne Lage
zusammensinkt, nnd die Eömerschicht mit ihren Chlorophyll-
kömem gleichmässig der Peripherie sich nähert^ rnndet sich die
Schwärmspore unter dem nunmehr dominirenden Einflüsse des
wasserreichen Eömerplasmas zu einer Kugel ab, in deren Mitte
das Lumen rückt — Aehnlich sehen wir die aus einer solchen
Schwärmspore herausgedrückten Massen des Eömerplasma sich
abrunden; während es mir gelang, theilweise entleerte und künstlich
verkleinerte Schwärmsporen von Hautschicht umgeben in den
abenteuerlichsten Gestalten aus den Sporangien zu befreien-
Gerade nun aber solche theilweise von Kömerplasma entleerte
Schwärmsporen hatten eine besonders dicke Hautschicht aufeu-
weisen und strebten daher am wenigsten, Eugelform anzunehmen,
was sie ja aber gerade in erhöhtem Masse thun müssten, wenn
die Hautschicht ein „Oberflächenhäutchen^^ wäre. Ich erhielt sichel-
förmig gekrümmte und bimförmige Eörper, die dem entsprechend
auch die sonderbarsten Bewegungen im umgebenden Wasser aus-
führten, schliesslich aber kugelig wurden, nachdem zuvor die
Structur ihrer Hautschicht verschwand und das Eömerplasma bis
dicht an die Peripherie vorrückte.
Je dichter das Protoplasma, um so ausschliesslicher kommen
die Eigenschaften seiner Molecule zur Geltung und um so fester
ist dann seine Consistenz, um so mehr treten die Eigenschaften,
der die Molecule umgebenden Wasserhüllen zurück. So dünnflüssig
ist das Protoplasma wohl selten, dass es passiv die sphärische Ge-
stalt anzunehmen bestrebt wäre, denn den an austretenden Plasma-
massen beobachteten Erscheinungen der Eugelbildung scheint in
der That eine Störung der molecularen Verhältnisse vorauszugehen.
Man sieht nämlich dasselbe Plasma, das, aus der Zelle entleert,
sich sphärisch abrundet, im Inneren der Zelle oft ganz bestimmt
geformte, freie Plasmafäden bilden.
Doch wenn auch durch die Wechselwirkung der Molecule
jenes Streben zur Eugelform unterdrückt wird, bleibt noch in
Folge der Wasserhüllen die leichte Verschiebbarkeit der Molecule
gegen einander, welche manche Aeusserungen des Flüssigen am
Protoplasma zulässt.
Bestimmt gestaltete Plasmamassen zeigen Strömung im In-
neren, ja selbst ihrer Oberfläche; sie verschmelzen wie Flüssig-
keitstropfen unter einander, wenn sie sich berühren; sie ziehen
Studien über das Protoplasma. 423
sich fadenförmig ans^ wo sie sich trennen sollen, und nehmen,
nach erfolgter Trennung, die Fadenstücke wieder in ihr Inneres auf.
Die vorliegenden Beobachtungen verlangen auch an der
Oberfläche bestimmt geformter Plasmagebilde ein physikalisches
y,Oberflächenhäatchen'% wie es Flüssigkeiten zeigen. Dieses
Eäntchen fehlt vielleicht nur auf der Oberfläche sehr dichter
Plasmagebilde; ich glaube nicht dass die Existenz einer Haut-
schicht es für alle Fälle ausschliesst, wenn auch in der That die
Festigkeit der Hautschicht meist gross genug ist um auch diese
Aeusserung des Flüssigen zu unterdrücken.
Man kann sich denken, dass in Plasmamassen deren Gon-
sistenz sich mehr dem Festen nähert, die Molecule grösser sind
oder näher aneinandergerückt, die Wasserhüllen kleiner; umgekehrt
in wasserreichen Plasmamassen die Molecule kleiner oder mehr
auseinandergerückt, die Wasserhüllen grösser. Die Veränderungen
der Consistenz aus dem Flüssigen in's Festere oder umgekehrt
wäre dann leicht aus der Aenderung der Grösse der Molecule
oder der Aenderungen ihrer gegenseitigen Entfernung zu be-
greifen und müsste Wasserverlust schon allein eine Festigkeits-
zunahme zur Folge haben. ^) — Freilich würde diese Aenderung
der Consistenz nicht ausreichen, um sonstige am Protoplasma
eintretende Veränderungen zu erklären, und beispielsweise haben
wir gesehen, dass die Eigenschaften der Hautschicht sich nicht
aus der Annahme allein erklären lassen, dass sie die verdichtete
Grundsubstanz des Protoplasma sei. Um solche und noch weiter-
gehende Unterschiede zu begreifen, müssen wir auch eine Ver-
schiedenheit der das Plasma in seinen Theilen aufbauenden Mole-
cule annehmen, eine Verschiedenheit, welche deren Eigenschaften
nach einer gewissen Richtung beeinflusst.
Die Hautschicht kann am Protoplasma fehlen, und da solche
FäUe besonders instructiv sind, so will ich hier auf dieselben
näher eingehen.
Eine Hautschicht hat sich bis jetzt nicht nachweisen lassen
bei der grössten Zahl der Rhizopoden, oder richtiger gesagt: bei
allen Rhizopoden, wenn man diese Bezeichnung mit R. Hertwig
und E. Lesser auf die mit verästelten, wurzeiförmigen Pseudo-
podien versehenen Organismen beschränken will.')
Wir wollen hier zunächst die typischen Formen mit leicht-
^) Vergl. hierüber auch Veiten, Sitzber. 1. c, p. 9.
<) Arch. f. mikr. Anat, Bd. X, Suppl. 1874, p. 43.
424 Eduard Strasburger,
fliessendeD, kömchenreichen Psendopodien in's Ange fassen. Diese
Pseudopodien werden von gleichmässigem Körnerplasma gebildet
and die Gonsistenz ihrer Oberfläche ist eine ,,so geringe, dass
fremde Körper, welche an dieselben anstossen, fast augenblicklich
in dieselbe aufgenommen werden können'^ ^) Dabei streifen die
fliessenden Kömer dicht an die Oberfläche, ja sie springen an
derselben vor. Die ganze Oberfläche befindet sich mit in flies-
Sender Bewegung und man kann sehen, dass fremde Körper^),
so dem Beobachtungswasser zugefügte Carmin- oder Stärke-
körner ^), welche an der Pseudopodien-Oberfläche haften geblieben,
an derselben fortgeführt werden. Sie bewegen sich dabei gleich-
zeitig in verschiedener Richtung an demselben Pseudopodium. Die
Pseudopodien verschmelzen ausserordentlich leicht mit einander. —
Hier gibt es keine andere Hülle als das physikalische Ober-
flächenhäutchen. Wie merkwürdig und wie bezeichnend bleibt
es hierbei, als Hinweis auf 'anderweitige complicirte Molecular-
vorgänge im Protoplasma, dass die Pseudopodien, die bei einem
und demselben Individuum so leicht mit einander verschmelzen,
sich fliehen, wenn sie verschiedenen Individuen derselben Art
angehören. *) So ist es wenigstens in der grossen Mehrzahl der
Fälle, während doch andererseits auch Beispiele bekannt sind,
wo das Umgekehrte stattfindet, so bei den colonienbildenden
Rhizopoden. *)
Ganz wie die leichtfliessenden Pseudopodien der Rhizopoden
verhalten sich die fadenförmigen Protoplasmaströme im Inneren
der Pflanzenzellen, so wie sie in den Tradescantia- Haaren bekannt,
oder wie ich sie im Inneren der Spirogyra-Zellen beobachten
^) Max Schultze, Protoplasma, p. 28.
^) Johannes Müller, Abb. d. Ak. d. Wiss. zu Berlin, 1858, p. 9. Haeckel,
Radiolarien 1862, p. 91.
') Yergl. Max Schnitze, Protoplasma, p. 26.
*) Protoplasma, p. 26.
^) Während z. B. andere Gromien sich nicht vereinigen, besitzt Gromia
socialis Carter, die Neigung, mit anderen ihrer Art zu kleineren Gesellschafben
zu verschmelzen; zunächst verschmelzen einzelne Pseudopodien nahegekommener
Thiere, so dass Fadennetze entstehen, durch allmähliches Verkürzen dieses
Fadennetzes kommen die Thiere schliesslich mit ihren Mündungen an einandei;
von der verschmolzenen Protoplasmamasse, welche zwischen den nebeneinander
gelegenen Mündungen der so vereinten Thiere gelegen ist, strahlen dann die
Pseudopodien nach allen Richtungen nach aussen. (F. E. Schulze, Archiv f.
mikr. Anat., Bd. XI, p. 121—122.)
Stadien über das Protoplasma. 425
konnte. ^) Anch aus diesen Strömen kann man einzelne Körner
oft an der Peripherie vorspringen sehen und befindet sich diese
Peripherie mit m Bewegung. Sehr schön sah ich das in halb
ausgewalshsenen Tradescantia-Haaren^ deren Zellen, noch mit farb-
losem Zellsaft erfüllt, zahlreiche, relativ grosse Stärkekömer ent-
hielten. Diese Stärkekömer wurden von den Strömen mitgefllhrt,
öfters war ihr Durchmesser grösser als der Durchmesser des
Stromes, sie ragten aus demselben hervor; Letzteres geschah oft
auch aus stärkeren Strömen. Nicht selten fiel ein Stärkekom ganz
aus dem Strome heraus und blieb unbewegt liegen, um nach
einiger Zeit demselben Strome oder einem anderen wieder anzu-
haften und an dessen Oberfläche mit fortgeführt, ja bald auch in
dessen Inneres aufgenommen zu werden. Somit zeigte sich hier
das gleiche Verhalten, das man an den Pseudopodien der Bhizo-
poden beobachten kann, wenn man dem Untersuchungswasser
Stärkekömer beigemengt hat. Ich selbst sah gelegentlich die
Strömung bei Gromia oviformis und wüsste in der That nicht die
Strömung in ihren Plseudopodien von derjenigen in den Zellen
der Tradescantia^Haare zu unterscheiden. Somit kommt meiner
Ueberzeugung nach auch den die Tradescantia-Zellen durchsetzenden
Strömen keine andere HtUle als das rein physikalische „Ober-
flächenhäutchen'^ zu, und ein solches dürfte, auch hier und
anderswo nur das Wandplasma besitzen an der Fläche, mit der
es an die Zellflttssigkeit grenzt Andererseits wird aber zum
Unterschied von den Pseudopodien der Bhizopoden das ganze in
Bewegung befindliche Eömerplasma der Tradescantia nach aussen,
gegen die Zellwand hin, von der in Buhe befindlichen ^) differenten
Hautschicht abgegrenzt.
Bei Spirogyra orthospira fanden wir unter Umständen die
ruhende Hautschicht ans radialen Stäbchen aufgebaut, während
an ihrer Innenfläche das mit Stärkekömem beladene Eömer-
plasma sich in lebhafter Strömung bewegte.
In den Zellen der Spirogyra orthospira sah ich auch neue
Stromfäden, welche frei die Zellflüssigkeit durchsetzen sollten,
1) Vergl. hierüber auch Max Schnitze, Miiller's Archiv 1858, p. 885 und
Haeckel, Bodiolarien 1869, p. 98. Dass das Protoplaama der Pflanzenzelle
^wenn nicht identijch, so doch in hohem Grade analog'' der thierischen Sar-
code sei, sprach zuerst F. Cohn 1860 ans. Kova Acta nat. cur. Vol. XXII,
p» 664.
*) Max Schnitze, Protoplasma, p. 41. Veiten, Flora 1873, p. 100.
426 Eduard Strasborger,
sieh ganz wie die Pseudopodien der in Vergleieh gezogenen
Bhizopoden bilden^ — „Verfolgt man/' schreibt Max Schnitze *),
„an einer eben auf den Objectträger gebrachten MUiolide das
Ausstrecken der Pseudopodien, so bemerkt man, dass alle schnell
und in grader Linie sich verlängernden Fäden an dem Ende ab-
gerundet oder mit einer kolbenförmigen Anschwellung versehen
siüd. „Letztere schwankt im Vorrücken wie tastend hin und her.
Im Moment der Berührung mit einem anderen Faden „zertheilt
sich die knopffi^rmige Anschwellung wie eine platzende^ mit
Flüssigkeit gefüllte Blase und mischt ihre Substanz der des be-
gegnenden Fadens bei, genau wie wenn ein kleiner Fetttropfen
in einem grösseren aufgeht.'^ — „Sehr oft begegnet es Ein^n,
dass, wenn man den Moment der Verschmelzung zweier einander ent-
gegenlaufenden Fäden erwartet, dieselben in verschiedenen Ebenen
übereinander hinwegziehen. Ja die Verschmelzung scheint aus-
bleiben zu können auch bei directer Berührung. Es muss danach
wahrscheinlich ein Act der Willkür mitwirken, oder es ist ein
Hindemiss zu überwinden, wie zwei Fetttropfen oft erst zu-
sammenfiiessen, wenn sie mit einer Nadel angestochen werden/'
Bei Spirogyra orthospira traten die Pseudopodien am zahl-
reichsten aus dem den Kern umgebenden Eömerplasma während
der Theilung hervor. Sie wurden als Höcker oft fast körnerloser
Orundsubstanz sichtbar, in welche bald neue Plasmamassen und
Körner einwanderten. Die Höcker verwandelten sich so in freie
Fortsätze, die frei in die Zellflüssigkeit hineinragten. Diese
Fortsätze waren auch hier an ihrer Spitze abgerundet, meist
keulenförmig angeschwollen und führten gleichsam tastende Be-
wegungen aus. Erreichten sie, länger werdend, andere Piasma-
theile, so sah man sie mit denselben verschmelzen, im umgekehrten
Falle konnten sie wieder eingezogen werden. Solche Pseudopodien
sah ioh auch an den vorspringenden Innenkanten der Ghlorophyll-
bänder sich bilden. Es können auf diese Weise also freie Plasma-
ströme gebildet werden, während dieselben in anderen Fällen
wohl auch entstehen, wenn durch Auftreten von Vacuolen eine
zusammenhängende Plasmamasse zerklüftet wird. Meine Beob-
achtungen über die Bildung der Plasmafäden bei Spirogyra
schliessen sich also an die Angaben von Heidenhein ^) Haeckel ')
*) 1. C, p. 24.
^) Stadien, Heft II 1868, p. e?c
^) Radiolarien, p. 98.
Stadien über das Protoplasma. 427
und Hofmeister^) an^ während sie keine Sttttzen für die Auf-
fassung Hanstein's ^) abgeben^ der zufolge die Fäden als seitliche
Falten aus der Fläche des Wandprotoplasma hervortreten sollten ;
auch nicht für die Deutung Velten's ^), dass sie durch Anschwellen
eines Insuccationskanals emporgehoben würden.
Aus der Structur, wie sie hin und wieder an der Hautschicht
beobachtet wird, und der Art, wie letztere sich bei Zelltheilungen
in der zukünftigen Trennungsebene ansammelt, folgt schon zur
Genüge, dass sie nicht eine Niederschlagsmembran sein kann,
und darf überhaupt nicht von den Niederschlagsmerobranen aus,
wie sie künstlich an Eiweissmassen erhalten werden, auf das
Vorhandensein derselben an der Oberfläche des lebenden Proto-
plasma geschlossen werden. Das zeigt sich am augenfälligsten
in dem Verhalten der nackten, nur aus EOmerplasma bestehenden
Pseudopodien vieler Bhizopoden, denn während aus dem Inneren
der Zellen herausgetriebenes Kömerplasma sich sofort mit einer
Miederschlagsmembran überzieht, lässt sich an jenen Pseudopodien
eine solche Membran durchaus nicht nachweisen.
Eine Niederschlagsmembran fehlt aber auch an der Peripherie
der Hautschicht der zum freien Leben angepassten Plasmamassen,
wie solche die Plasmodien oder Schwärmsporen bilden. Letztere
bedecken sich schliesslich mit einer Cellulosemembran, die ein
Auscheidungsproduct des Protoplasma, aber keine Niederschlags-
membran desselben ist
Zeigt die Hautschicht in Pflanzenzellen gewisse Eigenschaften
einer Niederschlagsmembran, so sehe ich hierin eben nur den
Beweis, dass sie diese Eigenschaften mit den Niederschlagsmem-
branen theilt, kann aber dem Schluss nicht beitreten, dass sie
selbst nur als eine solche Membran aufzufassen sei. Letztere
Deutung wird ja wohl durch alle in diesem Aufsatze niederge-
legten Beobachtungen und Betrachtungen von vorne herein aus-
geschlossen.
Eine Niederschlagsmembran können wir eben so wenig aui der
Innenseite des Wandplasma wo letzteres in Pflanzenzellen an
Zellflttssigkeit grenzt» noch an den frei den Zellsaft durchsetzenden
Plasmafäden gelten lassen.
^) Lehre von den Pflz., p. 44 a. 45.
^) Sitzb. d. niederrh. Gesellsch. in Bonn i87o, p. 221.
») Flora 1873, p. 12:1.
B(L Z. N. E. III. 4. 28
428 Eduard Strasburger,
Eine andere Frage ist es, ob eine solche Niederschlagsmem-
bran auch an der Oberfläche der im Protoplasma gebildeten
Vacuolen fehle. An contractilen Vacuolen ist sie sicher nicht
vorhanden, das zeigt ihr völliges Schwinden bei der Systole. ')
Bei stabilen Vacuolen mag sie immerhin auftreten können, manche
Fälle, die ich beobachtet habe, sprachen scheinbar dafür; gewöhn-
lich dürften aber auch solche Vacuolen nur durch das physi-
kalische „Oberflächenhäutchen'' abgegrenzt sein. — Ob sich hier
zu dem Oberflächenhäutchen eine anderweitige Verdichtung der
Oberfläche im Sinne der Max Schultze'schen „Contactmembran^*
■
gesellen kann, will ich dahingestellt lassen.
Es muss hier mit Brücke und Max Schnitze immer wieder
davor gewarat werden, die an leblosen Flüssigkeiten gemachten
Beobachtungen ohne Weiteres auf eine lebende Substanz zu tiber-
tragen, welche fortwährenden Veränderungen in ihrer ganzen
Masse ausgesetzt ist.
Wie complicirt der moleculare Bau der protoplasmatiBchen
Substanz sein müsse, das lehrten uns am besten die Erscheinungen,
die wir an den in Theilung begriffenen Zellkernen beobachtet
haben. ^) Zunächst wird die Substanz des Zellkernes ganz ho-
mogen, dann tritt eine Sonderling in ihr ein, indem gewisse Be-
standtheile deraelben sich an zwei entgegengesetzten peripherischen
Stellen des Zellkernes ansammeln. Sie bestehen ans der activen
Kernsubstanz und bilden die Pole. Von diesen beiden Polen
werden andere Bestandtheile der Eemsubstanz abgestossen und
sammeln sich, fliehend, in der Aequatorialebene des Zellkernes
zur Kernplatte an. Zwischen Kempolen und Kemplatte bleiben
endlich noch Fäden einer anderweitigen Kernsnbstanz zurück,
welche beide verbindet. Auf solchem Zustande hat der Kern
meist eine spindelförmige Gestalt. Die active, an den Polen an-
gesammelte Kernsubstanz tritt ihrer Masse nach gegen die übrige
sehr zurück. In thierischen Zellen war sie als ein besonderes
Knöpfchen markirt, bei den Pflanzenzellen oft kaum zu unter-
scheiden. Nach den Vorgängen an thierischen Eiern urtheilend,
habe ich es wahrscheinlich zu machen gesucht, dass es vomämlich
^) Bei verschiedenen Infusorien treten an Stelle der geschwundenen Vacuole
mehrere Tropfen auf, welche miteinander zusammenfliessen (Wrzesniowski,
Archiv f. mikr. Anat. 13 d. V, p. 34).
«) Vergl. Zellbildung und Zelltheilng, II. Aufl.
Stadien über daa Protoplasma. ^ 429
die active Kernsabstanz ist, die bei der Befruchtung als männ-
liches Element in das Ei eingeführt wird. Die Masse der Kern-
platte ist in den pflanzlichen Zellen meist relativ beträchtlich,
durchgehend stärker als in den thierischen Zellen, was mit der
Ausbildung der aus der Kemplatte heryorgehenden Kernfäden
in pflanzlichen Zellen zusammenhängt. Die fadenförmige Zwi-
schenmasse, welche die Pole mit der Kemplatte verbindet; ist
stärker oder schwächer vertreten; meist steht sie sehr bedeutend
zurück gegen die Masse der Kemplatte. So erscheint uns der
Zellkern aus verschiedenen Substanzen zusammengesetzt; sicher
noch differenter als diejenigen; die wir als Hautplasma und
K()merplasma unterscheiden konnten.
Jeder der durch Theilung entstandenen oder auch in an-
deren Fällen frei angesetzten Zellkerne ist zunächst ganz ho-
mogen; zeigt dann aber eine meist mit Grössenzunahme verbun-
dene Differenzirung ; die sehr häufig damit endet; dass sich am
Zellkern eine dichtere Kernhülle ; ein von dieser umschlossener
minder dichter ;;Kemsaft''; wie ihn die Zoologen nennen^ und in
demselben suspendirte Kernfäden unterscheiden lassen. Bei der
Formausbildung der Zellkerne und ihrer Kemkörperchen mögen
auch die flüssigen Eigenschaften des Protoplasma zur Geltung
kommen und es erklären; waram diese Gebilde so häufig kugel-
rund sind. Selbstverständlich ist der Zellkern deshalb noch nicht
ein Flüssigkeitstropfen, denn ausser den Eigenschaften die sein
Plasma mit Flüssigkeiten gemein hat; kommen die activen Eigen-
schaften seiner Molecule hinzU; die ihn zu den complicirten Vor-
gängen befähigen; die sich in seinem Inneren abspielen.
Mit der Unterscheidung von Hautplasma und Körnerplasma
haben wir eine so verbreitete DiiSferenzirung des Protoplasma
berührt; dass eine allgemeine Behandlung derselben möglich war.
Mit Recht bemerkt wohl Max Schnitze ^) ; dass ;;eine Rinde an
fast allen als Zellen fungirenden Protoplasmamassen vorzukommen
scheint.'' — Dass aber diese Differenzirung keine ein für alle
Mal an die Natar des Protoplasma gebundene sei; das zeigten
uns die Rhizopoden mit ihren von Hautschicht entblössteu; wahr-
haft nackten Pseudopodien.
Diese Pseudopodien; in den typischen Fällen; ans leicht-
fliessendem, körnerhaltigem Plasma gleichmässig gebildet; haben
^) Protoplasma, p. 58.
28*
430 Eduard Strasbnrger.
Hbrigens innerhalb der Grrnppe ziemlich tiefgehende Modificationen
erfahren, deren Betrachtung wohl geeignet ist; uns in weiter-
gehende Verändernngen^ welcher das Protoplasma fähig ist, ein-
zuführen.
,,Wer viele verschiedene Arten von Rhizopoden aufmerksam
untersucht hat/' schreibt Max Schnitze % ^^ weiss sehr wohl; dasa
ihre Pseudopodien eine sehr verschiedene Gonsistenz und demnach
auch eine sehr verschiedene Neigung zum Zusammenfiiessen haben
können/' Unter den Gromiden, meint er, treten die Extreme am
schärfsten hervor bei den beiden Arten: Gromia oviformis und
Gromia Dujardini. Die Pseudopodien der ersten gehören zu den
kömerhaltigeu; leicht fiiessenden, sie sind reich und mannigfaltig
verzweigt und zeigen viele Anastomosen; die Pseudopodien der
letzteren hingegen sind völlig hyalin , äusserst träge in ihren
Bewegungen, so starr und fest; dass sie keine Neigung zum Zu-
sammenfliessen haben ; auch wenn sie sich bertthren, und ver-
zweigen sich kaum.
;;Die Pseudopodien der Monothalamieu;'' schreiben B. Hertwig
und E. Lesser^); ;,sind sehr vielgestaltig. Einerseits cylindrische,
stumpfe, unverästelte und nicht verschmelzende; körnchenlose
Pseudopodien; andererseits zarte, spitz endende Fäden, welche sich
vielfach verästeln und mit benachbarten confluiren, sowie mit
einer regen Eörnchenströmung und lebhaften Gontractilität be-
gabt sind. Zwischen diesen Extremen gibt es jedoch vielfache
Zwischenstufen. So können die stumpfen Pseudopodien Körnchen
in ihr Inneres aufnehmen und verschmelzen; die spitzen hin-
wiederum kömchenfrei ohne Verästelung und ohne Anastomosen
auftreten/' — ,;Die Fortsätze desselben Thieres können sogar
unter einem vielgestaltigen Bilde erscheinen.*) Gleichwohl kann
man im Grossen und Ganzen zwei Arten Pseudopodien, spitze
und stumpfe, unterscheiden und darnach die Monothalamien ein-
theilen in Rhizopoda und Lobosa; wenn man sich dabei bewusst
bleibt; dass die hierdurch ausgedrückten Unterschiede keine
schroffen und unvermittelten sind."
^) Protoplasma, p. 28.
*) 1. c, p. 85.
^) Gromia granulata, F. E. Schulze, z. B., deren glashelle, kömchenlose^
fadenförmige, Tviederholt sich spitzwinklich theilende Pseudopodien leicht netz-
artig mit einander verschmelzen, streckt manchmal auch kleine, lapp^nförmige
Protoplasmafortsätze zwischen den fadenförmigen hervor, zieht sie bald aber
wieder ein (Franz Eilhard Schulze, Archiv f. mikr. Anat., Bd. XI, p. 118.
Studien über das Protoplasma. 431
Unter den den Monothalamien nächst verwandten Heliozoen
erfahren dann die Pseudopodien die schon früher erwähnte DiiSfe-
renzirang in einen festen, homogenen Axenfaden und flüssigeren,
kömchenhaltigen Ueberzug.
Bei den Monothalamia Lobosa andererseits wird eine Diffe-
renzimng im Protoplasma der Pseudopodien, kenntlich , die zu
dessen beliebter Sonderung in äussere Hautschicht und inneres
Eömerplasma führt. Während das Protoplasma der Pseudopodien
bei allen Arcellen und dem grössten Theile der Diffiugien durch-
weg homogen ist, fiiessen bei einem kleinereu Theile der letzteren
die feinsten Körnchen der Körpersubstanz in die centralen Partien
der Pseudopodien hinein. ^)
Die echten Amoeben zeigen an ihrem ganzen Körper oft be-
«enders scharf die Sonderung in Hautschicht und Kömerplasma
durchgeführt. Diese Amoeben sind wiederum leichter oder schwerer
flüssig, und es ist zur weiteren Beleuchtung der moleculären Struc-
turyerhältnisse des Protoplasma von grossem Interesse, zu yer-
folgen, in welcher Beziehung ihre Consistenz zu ihrer Eörperform
steht. Die leichtfliessenden Amoeben kommen der Tropfenform
am nächsten, wenn selbst auch bei diesen die Action innerer
Kräfte sich fortwährend geltend macht und in mannigfachem
Wechsel der Gestalt dieses Streben zur Tropfenform überwindet.
Sinkt die Thätigkeit der Körpermolecule, kommt die Amoebe zur
Ruhe, so rundet sie sich kugelig «ab. — Die schwerflüssigen
Amoeben haben andererseits die bestimmtesten und stabilsten
Formen aufzuweisen, wie sie uns beispielsweise die bekannte
morgenstemfttrroige Amoeba radiosa Ehrenberg's zeigt. ^) Das
Formbestimmende scheint hier bei weitem vorwiegend die Haut-
schicht zu sein.
^) R. Hertwig und E. Lesser, 1. c, p. 93. Vergl. auch Fr. £. Schulze
Archiv f. mikr. Anat., Bd. XI, p. 337.
") In dieser Form, schreibt L. Auerbach (Zeitschrift f. wiss. Zool. 1856,
£d. VII, p. 402), verhairen die Amoeben oft sehr lange starr und regungslos.
Andere Male aber sieht man. sie einzelne ihrer Fortsätze tasterartig bewegen
und selbst knieförmig beugen und strecken; oder es fangt nach einiger Zeit
das Thier an unter dem Anscheine des Zerfliessens sich auszubreiten und
dann herumzukriechen. Viele Individuell trifft man andererseits zu Anfang
der Untersuchung kugelig an, welche alsbald Fortsatze treiben und die
Morgenstemform annehmen oder auch zu kriechen anfangen. — Es ist wohl
denkbar, dass Wasserabnahme oder Wasserzunahme im Körper unmittelbar
dessen geschildertes Verhalten beeinflussen.
432 Eduard Starasburger,
. Franz Eilhard Schulze beobachtete neuerdings eine ganz
merkwürdige Amoebe: die Mastigamoeba aspera, welche eine
hyaline; zähflüssige Hautschicht nnd von dieser umschlossenes
dünnflüssiges Körnerplasma zeigend, vorwiegend bilateral ent-
wickelte dicke Pseudopodien und vorn ausserdem eine Geissei
aufzuweisen hatte. 0
Eine eigene Diflferenzirung und Formgestaltung zeigt die
Hautschicht an den Geisseizellen der Schwämme, wie das von
James Clark, Carter und vornehmlich von Haeckel *) beschrieben
wurde. An den übrigen Flächen nur als dünne Schicht das
Kömerplasma überziehend, schwillt sie nämlich an der Endfläche
der Geisselzelle zu besonderer Stärke an. Sie bildet hier einen
hyalinen, cylindrischen Hals, der aus seinem Mittelpunkte eine
lange, dünne, bewegliche Geissei hervorsendet, an seinen Rändern
aber zu einem dünnen Trichter sich ausbildet, der kragenförmig
die Geissei umgibt. Die Qeisselbewegung kann in amoeboide
Bewegung verwandelt werden entweder im normalen Verlaufe der
späteren Entwickelung oder unter besonderen physiologischen Ver-
hältnissen, oder auch bei künstlicher Zerzupfung des Endoderms-
Dann wird nicht nur die Geissei, sondern auch Kragen und Hals
der Geisseizelle in die gleichmässig sich um die Zelle vertheilende
Hautschicht eingezogen. Die längliche, cylindrisch-konische Ge-
stalt der Geisseizelle geht in eine rundliche oder subsphärische
über und nun beginnen überall auf der Oberfläche der Hautschieht
feine, langsam sich bewegende Fortsätze aufzutreten, welche ihre
Grösse, Gestalt und Zahl langsam ändern. ^)
Die autonomen Formgestaltungen der Plasmakörper, die uns
an den. augefUhrten Beispielen in ao anschaulicher Weise ent-
gegentreten, gestatten uns auch eine Vorstellung von den manig-
fachen Vorgängen, wie sie bei den Structurdiflferenzirungen in
thierischen Körpern sich abspielen müssen. Denn die Structur-
diflferenzirung der Thiere ist vornämlich durch eine bleibende Ge-
staltung ihrer constituirenden Plasmamassen bedingt. — Bei den
Pflanzen sind es hingegen mehr Aussonderungsproducte des Pro-
toplasma, an welche auffälligere Structurdifferenzen geknüpft sind,
während das Protoplasma selbst in ziemlich unveränderter Form
uns hier fast überall entgegentritt. Nur in den Geschlechtspro-
^) Archiv für mikr. Anat. Bd. XI, p. 583.
') Die Ealkschwämme 1872. Bd. I, p. 140 u. ff. Vergl. dort die Literatur.
'; So Haeckel 1. c, p. 408 und 409.
Studien über das Protoplasma. 433
dacten finden wir auch bei den Pflanzen unmittelbare Erzeugnisse
des Protoplasma y die den entsprechenden und anderen Gebilden
des Thierreichs sich zur Seite stellen lassen. - Die Protisten ver-
halten sich in einzelnen ihrer Gruppen sehr verschieden und bald
zeigt ihr protoplasmatischer Körper kaum eine sichtbare Sonde-
rung, bald erreicht hier diese Sonderung die allerhöchsten Maasse.
Kunstvoll dijQferenzirte Aussonderungsproducte begleiten manchmal
den mehr oder weniger zusammengesetzten , oft aber gerade den
einfachsten Protoplasmaleib.
Abgesehen von seinen inneren Structurverhältnissen ist aber
das Protoplasma im ganzen, organisirten Reiche, ob unmittelbar
oder mittelbar, als der Träger der Gestaltung anzusehen.
Wenn wir auch, wie erwähnt, die inneren Structurverhältnisse
der Pflanzen fast ausnahmslos an Aussonderungsproducte des Pro-
toplasma gebunden finden, bleibt die Möglichkeit doch oiSfen, dass
das Protoplasma auch hier einmal unmittelbar in complicirte
Sonderungsverhältnisse eintrete. Dabei geht es hier aber als
lebende Substanz unter, während es bei den meisten seiner Difife-
renzirungen in thierischen Körpern, so wie ganz im Allgemeinen
bei seiner Umbildung in Geschlechtsproducte, innerhalb der lebens-
fähigen Modificationen verbleibt. Eine Grenze zwischen lebenden
und leblosen Producten des Protoplasma wird übrigens an vielen
Orten nicht scharf zu ziehen sein.
Der Fall, um den es sich hier handelt, tritt uns bei relativ
hoch organisirten Pflanzen und zwar in den Sporangien der
Hydropterideen (Rhizokarpeen) entgegen.
Meine diesbezüglichen Angaben für Azolla ^) fanden ihre Stütze
in den gleichzeitig erschienenen entwickelungsgeschichtlichen Unter-
suchungen von Enssow über Marsilia ^), bald in ähnlichen Unter-
suchungen Juranyi's über Salvinia^). Aus den letztgenannten
Arbeiten geht unzweifelhaft hervor, dass das complicirt gebaute
Episporium an den Makrosporen, sowie die Zwischenmasse, welche
die Mikrosporen der Hydropterideen verbindet, ein unmittelbares
Differenzirungsproduct des umgebenden Protoplasma ist.
') Ueber Azolla, 1873. p. 62 u. 71.
') Histologie and EntwicklaDgsgeschichte der Sporenfracht von Marnlia
1871 und Vergleichende Untersuchungen, Mdm. de TAc. imp. d. sc de St.
P^tewboarg, Vll^m« s^rie, Tome XIX, p. 52 u. ff. 1 872.
^ Ueber die Entwicklang der Sporangien nnd Sporen der Salvinia
natans, 1873.
434 Edaard Straaburger,
Die jnnge Makrospore von Marsilia wird voo einer aas den
Specialmutterhäuten hervorgegangenen, dünnflüssigen Hülle am-
fasst; um welche sich alsbald feinkörniges, bräunlich tingirtes
Protoplasma zu einer Blase ansammelt. ^) Die Protaplasmablase
nimmt EUipsoidform an. Fast an ihrer ganzen, inneren Peripherie
tritt nun plötzlich eine in zwei Schichten differenzirte, verhältniss-
massig äusserst dicke, hellbraun tingirte^) Haut auf. Von den
beiden Schichten ist die innere structurlos und von geringer
Mächtigkeit, die äussere aus sechseckigen, radialgestellten, dünn-
wandigen und mit grannlirter Flüssigkeit erfüllten Prismen zu-
sammengesetzte, von einer Dicke, welche dem dritten Theile der
definitiven Mächtigkeit dieser Schicht gleichkommt. In Wasser
jetzt gebracht, werden nach einigen Minuten sämmtliche Contouren
der Haut undeutlich und alsbald in eine farblose, vacuolige Proto-
plasmamasse verwandelt. — Diese Haut wird also unzweifelhaft
aus dem Protoplasma selbst gebildet. Hat -sie die halbe Mächtig-
keit des definitiven Zustandes erreicht, so wird sie von Wasser
nicht mehr angegriiSfen. Das die Haut umgebende Protoplasma,
bildet noch eine hyaline, dünne Schicht an ihrer Oberfläch e
Dann schwindet die die Spore umgebende Flüssigkeit und ihre
Membran legt sich der aus Protoplasma gebildeten Haut: dem
Episporium, an, um mit ihm fest zu verwachsen. — Bei der
Reife wird der Inhalt der Prismen des Episporiums durch Luft
ersetzt.
Bei Salvinia sieht man die junge Makrospore ebenfalls von
einer protoplasmatischen Substanz umgeben, welche, wie Juranyi
zeigt 3), aus den zerfallenen Mantelzellen des Sporangium und der
übrigen Sporen stammt. In dieser Plasmamasse beginnt die de-
finitive Diflferenzirung mit der Vermehrung der Vacuolen, welche
schliesslich an allen Orten aneinanderstossen und das schaum-
artige Episporium bilden. Bei Salvinia ist dieses Episporium,
wie wir sehen, viel einfacher gebaut als bei Marsilia, auch bei
letzterer tritt es aber an Verwickelung des Baues noch weit hinter
dasjenige der AzoUen zurück.
Bei letzteren besteht das Episporium, welches die Makrospore
umgibt, aus zwei verschiedenen Theilen: einer unteren mehr oder
weniger kunstvoll gebauten Haut und einem oberen, massigen
M RuBsow, vergl. Unters., p. 53 u. ff.
^) Ebendas., p. 53 u. ff.
") 1. c, p. 14 u. ff.
Studien über das Protoplasma. 435
, Körper, den ich ah Schwimmapparat bezeichnet habe, weil er
die Spore später schwimmend auf der Oberfläche des Wassers
erhält. Figur 28^ aas meiner Abhandlung über Azolla entnommen,
zeigt eine solche Makrospore von A. filicnloides Lam. in dem Soms
eingeschlossen; den sie nach Resorbtion aller gleichzeitig mit ihr
angelegten Sporen und selbst des SporangiumSi vollständig er-
füllt. Der Schwimmapparat besteht hier ans drei annähernd
birnförmigen Körpern von schaumiger, derjenigen des Episporium
von Salvinia entsprechender Substanz. (Fig. 29.) ^) An einzelnen
Stellen finden sich in dieser Substanz Goncremente. (Fig. 30.) Am
Scheitel der birnförmigen Körper geht die schaumartige Substanz
in feine Fasern über. (Fig. 29.) — Der Bau der Haut an der
unteren Hälfte des Episporium von Azolla filicnloides soll durch
unsere Fig. 31 und 32 vergegenwärtigt werden, und zwar bei 32
in Oberflächenansicht, bei 31 im Längsschnitt. Diese Haut grenzt
au die radial gestreifte, bräunlich-gelbe Membran der Spore und
bildet warzenförmige Vorsprünge, die theils einzeln frei stehen,
theils zu zwei verschmolzen sind. An die Membran der Spore grenzt
eine bräunliche, schaumartig differencirte Substanz, die auch die
Warzen ausfttllt. Die Einsenkungen zwischen denselben sind von
einer soliden, stark lichtbrechenden, gelblichen Substanz ausge-
kleidet. Die Oberfläche der Warzen wird von einer grumoesen
Masse bedeckt ; endlich entspringen von den Bändern der Warzen
lange, peitschenförmige, farblose und homogene, äusserst feine
Fäden.
Bei jeder Species der Azollen ist nun der Bau dieser Haut
verschieden.
Bei Azolla caroliniana (Fig. 33) folgt auf die Sporenmembran
eine feinfaserige Zwischenmasse und auf diese eine starke, mit
unregelmässigen, knotigen Vorsprttngen besetzte Haut; von den
Vorsprttngen gehen feine, peitschenförmige Fäden aus.
Bei Azolla pinnata R. Br. (Fig. 34) folgt auf die Sporenhant
eine starke Faserschieht und auf diese eine dicke, ans radial-
gestellten .Prismen gebildete Haut. An einzelnen Stellen ver-
wachsen benachbarte Prismen zu einem starken, knotigen, vor-
springenden Höcker.
AzoUla niotica de Caisne (Fig. 35) endlich zeigt in der unteren
Hälfte ihres Episporiums einen der A. pinnata ähnlichen Bau, nur
^) Die meiBten der folgenden Figuren nochmalB nach der Natur ge-
seichnet.
436 Edaard Strasburger,
ist hier im Verhältniss die faserige Zwischenmasse sehr reducirt,
die Prismen regelmässiger ausgebildet und breiter, die vorsprin-
genden Höcker kleiner.
Im Uebrigen muss ich hier auf meine Abhandlung über AzoUa
und die dort gegebenen Abbildungen verweisen.
Die Mikrosporen von Salvinia sind in eine schaumige Sub-
stanz eingebettet, die durchaus derjenigen des Episporiums der-
selben Pflanze auch der bimförmigen Körper der AzoUen und der
Zwischensubstanz bei Azolla filiculoides entspricht. Juranyi hat
auch hier gezeigt, dass diese Substanz dem sich differenzirenden
Protoplasma der zerfallenen Mantelzellen des Sporangium ent-
stammt. ^) Bei Azolla ist nun das Merkwürdige, dass diese
schaumige Substanz, in der die Mikrosporen eingebettet liegen,
nicht einen Körper wie bei Salvinia, sondern stets mehrere
Körper in jedem Sporangium bildet. Ausserdem zeigen hier
diese s. g. Massulae oft sehr eigenthümliche Fortsätze an ihier
Peripherie. In meiner Abhandlung über Azolla nahm ich an,
dass die schaumartige Substanz der Massulae von einer besonderen
Haut umgeben sei. Ich muss das jetzt nach besserer Einsicht
zurücknehmen; diese Haut ist in der That nichts als die Ab-
grenzung der peripherisch gelegenen Bläschen nach aussen.
Die Fortsätze der Massulae treten uns in dem einfachsten
Falle als directe, unregelmässige Vorsprünge der schaumigen
Substanz entgegen, so wie wir es etwa in Fig. 37 für Azolla
pinnata sehen können.
Bei Azolla filiculoides und caroliniana sind es hingegen haar-
artige Gebilde, die s. g. Glochiden, welche nur der Peripherie der
schaumigen Substanz aufsitzen. Fig. 38 zeigt eine ganze Massula
von Azolla filiculoides mit den ihr aufsitzenden Glochiden. Fig. 39a
und 40 eine solche Glochide in der Front und der Seitenansicht
Ich hatte früher einige Bedenken, diese Glochiden, ihres merk-
würdigen Baues wegen, auch weil sie ausgebildet noch eines
selbständigen Wachsthums fähig sind, für unmittelbare Differen-
zirungsproducte des Protoplasma zu halten; jetzt sind diese Be-
denken bei mir völlig geschwunden, wo ich weiss, dass bei Mar-
silia die aus dem Protoplasma difibrenzirte Prismenschicht auch
noch wachsen kann, und ich mir vergegenwärtigte, dass nicht
minder eigenthümliche nnmittelbare Differenzirungsproducte des
Protoplasma bei den Mjxomyceten vorliegen. Gegen die Zellen-
*) 1. C, p, 19.
Studien über das Protoplasma. 437
natnr dieser Gebilde sprach auch früher schon ihre Insertion an
der Peripherie der Massulae, der Mangel der Zellkerne nnd auch
jeglichen Inhaltes in den Hohlräumen ihres Körpers ; ihre inner-
halb dieser Hohlräume sehr häufig unvollständigen Scheidewände. ^)
Ich nahm früher auch Anstand diese Glochiden mit den Fortsätzen
aus den Massulae der AzoUa pinnata und nilotica zu vergleichen;
nunmehr neige ich auch zu dieser Zusammenstellung; nachdem
ich die Fortsätze bei Azolla pinnata einer nochmaligen; eingehen-
den Beobachtung unterzog. In der That fand ich nämlich (Vergl.
Fig. 37); dass diese Fortsätze sich in mancher Beziehung den Glo-
chiden nähern, lau/jgestreckte Formen wie diese annehmen (Fig. 37
rechts) und sogar auch annähernd ähnliche Kammern in ihrem
Inneren zeigen können. Die Glochiden bleiben immerhin noch
die extremsten, sehr hoch ausgebildete Formen dieser Fortsätze.
Alle nun diese Episporieu und Massulae aufbauenden, aus
protoplasmatischen Substanzen direct erzengten Gebilde zeichnen
sich im fertigen Zustande durch ihre ausserordentliche Besistenz-
fähigkeit gegen concentrirte Säuren und Alealien ans, so wie
durch ihr gleichgültiges Verhalten gegenüber gewohnten mikro-
chemischen Beagentien. Nur dass ihre Braunf%rbung mit Jod
gelingt, nicht anders übrigens als cuticularisirter Zellhäute.
Die Fruchtkörper der Myxomyceten, die wir sicher ebenfalls
als unmittelbare Producte des Protoplasma aufzufassen haben,
verhalten sich auch in mikrochemischer Beziehung jenen Gebilden
der Hydropteriden gleich. Auf die entwickelungsgeschichtliche
Aehnlichkeit; welche zwischen diesen Gebilden besteht, hat auch
Rostafinski ^) in seiner Inaugural-Dissertation hingewiesen.
Beispielweise soll hier noch der Angaben von Oscar Schmidt ')
gedacht werden, dass auch die so resistenten Fasern der Hom-
spongien einer unmittelbaren Umwandlung des Protoplasma ihre
Entstehung verdanken.
Der Zweck aller dieser Schilderungen war d^r, in uns die
Ueberzeugung zu erwecken, dass das Protoplasma als ein sehr
complicirt gebauter Körper aufgefasst werden müsse.
Diese Ueberzeugung mnss uns leiten, wenn wir uns das
^) Das Nähere vergl. in meiner Abhandlung.
*) Versach eines System» der Mycetozoen 187.S, p. 18.
') Supplement der Spönnen des Adriat. Meeres. Leipzig 1864, p 7 n. a.
438 Eduard Strasborger,
Protoplasma eines Eies als Träger der specifischen Eigenschaften
des ganzen zukünftigen Organismus yorstellen sollen.
Zu dieser Vorstellung kann uns die Betrachtung einfacherer
Verbältnisse bei den niederen Organismen yerhelfen.
Bei Myxomjceten finden wir als Vorstufe der oft so complicirt
gebauten Fruchtkörper nur Protoplasma als Plasmodium vor. Aus
diesem Protoplasma werden die Fruchtkörp^ unmittelbar dar-
gestellt.
So gering im Verhältniss die Verschiedenheiten in den Plas-
modien der einzelnen Arten sind, so bedeutend können die Frucht-
körper derselben differiren. Unter den sichtbar gleichförmigen
Eigenschaften der Plasmodien müssen also Verschiedenheiten ver-
borgen sein, die sich jeder directen Wahrnehmung entziehen.
Diese Verschiedenheiten können weder durch die wechselnde
Grösse der hypothetischen Plasmamolecule, noch durch die wech-
selnde Grösse ihrer Wasserhüllen, noch durch die einfache Steige-
rung oder Verringerung der Action der Molecule .bedingt sein,
denn diese Differenzen äussern sich ja, wie wir annehmen müssen,
in den sichtbar werdenden Gonsistenzunterschieden, die in keinem
Verhältnisse zu späteren Structurverhältnissen der Fruchtkörper
stehen ; auch haben wir ja gesehen, dass nicht einmal die Eigen-
schaften der Hautschicht sich, als solche, aus Consistenzdifferenzen
des Protoplasma allein erklären lassen. Andererseits würde der
Wechsel dieser Verhältnisse nicht den nöthigen Specialraum bieten
für die Erklärung der grossen Manigfaltigkeit der Erscheinungen
am Protoplasma.
So müssen wir wohl die Molecule selbst als Träger der spe-
cifischen Eigenschaften uns denken. Diese Molecule wären dann
aber, wie von verschiedenen Seiten bereits angedeutet wurde, als
Einheiten von sehr zusammengesetztem Bau aufzufassen.
Als active Plasmacentren sind dieselben neuerdings von
Eisberg ^) und Haeckel ^) „Plastidule" benannt worden.
Dass diese Plastidnlen die Träger der specifischen Eigen-
schaften des Plasma sind, das zeigt, schon der Umstand, dass
aus einem Plasmodium eine unbestimmte Zahl Fruchtkörper an-
gelegt werden kann. Jedes Stück eines künstlich zertheilten
Plasmodiums ist befähigt, einen Fruchtkörper zu erzeugen, wenn
^) Proceed. of tbe American AsBooiation, Hartford 1874.
') Die Perigenesis der Plasddule 1876.
Studien über das Protoplasma. 439
es nur die ausreichende Masse hierzu besitzt. Jedes Stttck eines
Plasmodiums hat also die Eigenschaften des Ganzen.
Ebenso konnte eine Vaucheria - Schwärmspore künstlich in
mehrere zerlegt werden, welche sich nur in ihrer Grösse von der
ursprünglichen unterschieden.
So auch kann selbst bei höheren Organismen das Protoplasma
einer einzelnen Zelle befähigt sein den ganzen Organismus zu
wiederholen. Beispielsweise werden bei gesteckten Begoniablättem
neue Pflanzen aus einzelnen Epidermiszellen erzengt und kann
fast jede peripherische Zelle eines Laubmooses zu Protonema
auswachsen und somit durch Vermittelung des letzteren neuen
Pflanzen den Ursprung geben.
Besonders zur Wiederholung des Organismus angepasste Zellen
sind aber die Sporen und Eier.
Erstere reeapituliren die Ent Wickelung unmittelbar, letztere
nachdem ihr Protoplasma erst mit dem Protoplasma einer anderen
Zelle sich vereinigt hat.
Wodurch aber die Erscheinung bedingt wird, die wir bei
den Organismen Entwickelung nennen, darüber lässt sich nach
dem Stande unseres Wissens nicht einmal eine Hypothese auf-
stellen. Es sind da jedenfalls moleculare Vorgänge im Spiele,
die sich jeder physikalischen Behandlung bis jetzt entziehen.
Ebenso wenig als Ober die Mechanik der Entwickelung können
wir uns über die Mechanik der Vererbung eine Vorstellung machen.
Wir constatiren nur die Thatsache, dass die Art der Entwickelung
durch die Vererbung bestimmt wird.
Wir nehmen weiter an, dass äussere Ursachen im Allgemeinen
das Auftreten neuer Eigenschaften an den Organismen, als soge-
nannter Anpassungserscheinungen, veranlassen.
Mit welch molecularer That aber ein Organismus auf einen
äusseren Einfluss reagirt, ist unbekannt.
Es besteht hier kein directes Verhältniss zwischen der Action
und der Reaction, daher man wohl auch so häufig die äussere
Action bei Veränderungen der Organismen in Abrede gestellt hat.
Vererbt werden aber nur solche Veränderungen, welche ent-
weder das ganze Protoplasma des Organismus, oder doch zum
Mindesten, auf directe oder indirecte Weise, das Protoplasma
seiner ungeschlechtlich oder geschlechtlich erzeugten Vermehrungs-
organe beeinflussen. '
Veränderungen, welche nicht das ganze Protoplasma beein-
flussen oder doch nicht solche Theile, welche ihrerseits einen Ein-
44U Eduard Strasburger,
flnss auf die VermehruDg^organe üben; werden nicht vererbt. So
die Varietäten, die wohl durch Stecklinge sich vervielfältigen lassen^
nicht aber durch Samen.
Die gegenseitige Beeinflussung der Protoplasmamassen eines
Organismus bei eingetretenen Veränderungen mag die Corre-
lationserscheinungen zur Folge haben.
Nehmen wir aber auch an, dass äussere Ursachen in der
phylogenetischen Entwickelung das Auftreten neuer Eigenschaften
veranlasst haben, mag ihre Aufeinanderfolge in der phylogene-
tischen Entwickelung auch ihre Aufeinanderfolge in der onto-
genetischen Entwickelung bestimmen, so viel ist sicher, dass die
ontogenetische Entwickelung nun unabhängig von den frtlheren
Einflüssen vor sich geht.
Die äusseren Ursachen sind es hier nicht mehr welche die
Aufeinanderfolge der Entwickelungszustände veranlassen, diese
gehen vielmehr selbständig aus einander hervor.
Es giebt also eine Mechanik der Entwickelung, wo jeder
Zustand, unter sonst in gewissen Grenzen sich gleich bleibenden
Verhältnissen, einen nächstfolgenden mit Nothwendigkeit setzt.
Die Mannigfaltigkeit der Entwickelung scheint durch die
Eigenschaften des Protoplasma in gewisse Schranken gebannt zu
sein, das glaube ich wenigstens aus der Thatsache folgern zu
müssen, dass so häufig analoge Erscheinungen in der Entwicke-
lung wiederkehren, auch wo eine Homologie nicht anzunehmen ist
Trotzdem halte ich es nicht für wahrscheinlich, denn darauf
beruht ja die relativ so grosse Stabilität der Arten-Charaktere,
dass das Protoplasma ohne äussere Veranlassung neue Eigen-
schaften annehmen sollte. Wird aber unter dem Einflüsse eines
äusseren, kräftig genug wirkenden Reizes einer der bisherigen
Charaktere des Protoplasma verändert oder das Auftreten eines
neuen Charakters veranlasst, so scheint dies nur innerhalb be-
stimmter Bahnen erfolgen zu können.
Wir dürfen nicht annehmen, dass im Protoplasma des Eies
alle Theile des Organismus ihre „Keimchen" hätten. Diese Vor-
stellung ist unverträglich mit den heutigen Anschauungen der
Histologie; ausserdem müsste ja bei solchen Organismen, wo das
Protoplasma einzelner, abgeleiteter Zellen den ganzen Organismas
wiederholen kann, angenommen werden, dass auch jede beliebige
Zelle die Keimchen zu allen Theilen des Organismus in sich
schliesst. Das würde uns nur zu der Annahme zurückführen, dass
es sich hier um die Eigenschaften des Gesammtplasma des Or-
Studien über das Protoplasma. 441
ganismus, so weit dieses nicht etwa speciellen Functionen ange-
passt und in besondere Struktur eingetreten ist, handle.
Eben so gut als wir gezwungen sind, bei den Myxomjceten,
deren Fruchtkörper unmittelbar aus dem Protoplasma der Plas-
modien hervorgehen, so viel verschiedene Plasmodien anzunehmen,
als es verschiedene Arten Fruchtkörper gibt, sind wir auch ge-
zwungen, so viel Protoplasma- Arten anzunehmen, als überhaupt
verschiedene Arten von Organismen existiren.
Man muss sich daher das Ei einer Organismen- Art als von
den Eiern aller anderen Organismen-Arten diJQferent denken, wie
ja das auch schon aus dem Umstände folgt, dass ein bestimmtes
Ei nur eben diesen, aber keinen anderen Organismus hervor
bringen kann.
Die Aehnlichkeit zwischen den Eiern und den sich ent-
spreeheuden Entwickelungszuständen verschiedener Arten von
Organismen sehen wir aber als die Folge ihrer Homologie, d. h.
Blutverwandtschaft an, so weit nichl etwa blosse Analogien vor-
liegen, welche eine Folge der gleichen Eigenschaften des Substrats
sind, aus dem die Organismen sich entwickelt haben.
Dass aber trotz der nothwendig anzunehmenden Verschieden-
heit des Protoplasma der Eier solche Aehnlichkeiten in der Ent-
wickelung zwischen ihren Entwickelungs - Producten bestehen
bleiben, lässt sich nur begreifen, wenn wir weiter annehmen, dass
jeder Charakter so lange innerhalb der molecularen Sphäre ver-
borgen bleibt, bis nicht im Gange der Entwickelung derjenige
Znstand erreicht worden ist, an dem er sich frei manifestiren kann.
Von diesem Standpunkte aus lässt sich nur die Thatsache
der Vererbung in correspondirendem Alter begreifen, auf welcher
tlberhaupt die Möglichkeit einer Wiederholung der phylogene-
tischen Entwickelung durch die ontogenetische basirt
Tritt im Gange der Entwickelung derjenige Zusand nicht ein,
an dem sich ein folgender äussern kann, oder wird der letztere
in seiner Manifestation verhindert, so bleibt es immerhin möglich,
dass er als moleculare Eigenschaft des Protoplasma auf die Nach-
kommen vererbt werde und sich dann unter günstigen Umständen
bei diesen als Atavismus äussere.
Diese Betrachtungen wurden durch ähnliche Untersuchungen
von Charles Darwin, Eisberg und Haeckel angeregt; sie Hessen
sich naturgemäss einem Aufsatze über Protoplasma anschliessen.
Ich lege sie hier in rein hypothetischer Form nieder, als einen
weiteren Versuch den Erscheinungen des Lebens näher zu treten.
442 Eduard Strasbarger,
Id seinen berühmt gewordenen ^^mikroskopischen Unter-
suchungen^'^) dachte sich Schwann die Entstehung einer Zelle
gleichsam durch Erystallisation , also ähnlich deijenigen eines
ErystallS; und führte hierauf eine Parallele zwischen Zelle und
Erystall durch, indem er die Unterschiede, die sswischen beiden
bestehen, aus der Natur der Stoffe zu erklären suchte, die beim
Erystall fQr Flüssigkeiten undurchdringlich, bei der Zelle durch-
dringlich seien.
Nach den neuerdings an Zellen gemachten Untersuchungen
dürfte kaum noch die Bildung derselben mit einem Erystallisations-
vorgange sich vergleichen lassen, und wo anders die Zelle noch mit
einem Erystall verglichen wird, so geschieht dieses wohl nur, weil
man beide für gleichwerthige morphologische Individualitäten hält.
Auch dieses lässt sich aber nur von einem ganz abstracten
Standpunkte aus thun, etwa von der Ansicht ausgehend die
Zelle spiele eine ähnliche Rolle in der belebten, als der Erystall
in der leblosen Natur. Thatsächlich entsprechen sich aber Ery-
stall und Zelle nicht, denn auch das Protoplasma kann krystal-
lisiren; wo es dies aber thut, stehen seine Erystalle in keinem
Yerhältniss zu den Zellen.
Die Protoplasmakrystalle beweisen andererseits, dass auch
imbibitionsfähige Substanzen zum Erystallisiren beföhigt sind.
Ja diese Erystalle bleiben selbst imbibitionsfähig und sind ihre
Winkel ausserdem etwas inconstant, was Naegeli bewog, sie als
„Erystalloide'' zu bezeichnen.
Sie werden in Endospermzellen als Reservestofie angetroffen.
Man findet sie hier in ElebermehlkOmchen eingeschlossen und
werden sie sammt jenen bei der Eeimung gelöst, um zur Proto-
plasmabildung innerhalb der jungen Pflanze verwerthet zu werden.
In anderen Geweben der Pflanze sind die Erystalloide selten ;
ihr merkwürdigstes Vorkommen ist dasjenige in den Zellkernen
bei Lathraea squamaria. Man beobachtet sie dort, wie zuerst
Radlkofer zeigte^), in den Oberflächenzellen der Samenknospe
und aller zur Zeit der Samenreife noch vorhandenen filflthen-
theile^) und zwar in Gestalt dünner, quadratischer oder rectan-
gulärer Plättchen zu Agregaten vereinigt. (Fig. 41 u. 42.)
^) Mikrosk. Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Structur
und dem Wacbstbum der Tbiere und Pflanzen, 1839.
^) Ueber Krystalle proteinartiger Körper pflanzlicben und tbierischea
Ursprungs, 1859.
*) 1. c, p. 38.
Stttdiön über das ProtoplaBma. 44d
Die Krystalloide reagiren wesentlich so wie das Protoplasma
und konnte ieli in Erfahrung bringen^ dass auch die Osmiumsäute
ganz in derselben Weise auf sie einwirkt. Ich habe mir mit
Zuhilfenahme dei*selben sehr schöne Präparate aus dem Endosperm
von Bertholletia excelsa hergestellt und auch Präparate der so
empfindlichen im Wasser schon zerfliessenden Krystalloide der
Lathraea sqnamaria. (Fig. 41 und 42). Die letzteren färbten
sich dann auch mit Beale'schem Carmin schön roth in ihrer
ganzen Masse.
Van Tieghem hat neuerdings auf die grosse Verbreitung der
Krystalloide bei den Mucorineen hingewiesen; dort sind sie eine
ausgeschiedene Substanz. Sie werden aus dem Protoplasma be-
i^eitigt; bevor es in das Sporanginm oder in die Copulationszelle
fliesst, und grenzen sich gegen dasselbe dann durch eine Mem-
bran ab. ^)
Zum Schiasse möchte ich hier noch einige Bemerkungen an-
knüpfen über die Bildung der Cellulose-Membran an den Schwärm-
Sporen der Yaucheria sessiiis.
Ich hatte bereits Gelegenheit zu erwähnen^ dass die Bildung
dieser noch während des Schwärmens beginnt. Ich möchte dies
für die Ursache des Aufhörens der Bewegung ansehen. Mit Hilfe
des früher beschriebenen Gompressionsverfahrens war ich in der
Lage mich von dem Vorhandensein auch der zartesten Membran
zu überzeugen. Wurde nämlich die Schwärmspore behutsam bis
zum Platzen zusammengedrückt und setzte man nun, nachdem
ein Theil des Inhaltes aus derselben herausgetreten war, ein
wenig Wasser hinzu , so konnte man stets die Hautschicht
von der oft unendUeh zarten Membran zurücktreten sehen. Auf
solchem Zustande ist die Membran noch durch keinerlei Reagens
nachzuweisen. Die Hautschicht ist stets vorhanden und schält
sich gleichsam von der Membran ab, welche sich unregelmässig
faltet Eine solche Membran konnte ich an den Schwärmsporen
schon kurze Zeit, nachdem sie ihr Sporangium verlassen hatten,
nachweisen. Sie schwärmen trotzdem noch fort und ziehen, zur
Ruhe gekommen, ihre Cilien wohl durch in der Cellnlose-Membran
zurückgebliebene feine Oe£fnungen ein.
Um Plasmaballen die nur von der Grundsubstanz des Kömer-
plasma gebildet werden, wird keine Cellulose-Membran erzengt,
1) Ann. d. sc. nat Bd. VI S^r, T. I, 1875, p. 80.
Bd. }L N. F. m. 4. 30
444 Eduard Strasborger,
wohl aber nm hinreichend grosse, mit Hautschicht nmgrenzte
Stücke^ insofern es an der Innenseite der Hantschicht nicht an
Material zur Bildung der Zellhaut fehlt.
Ich habe folgende Versuche angestellt: eine eben znr Ruhe
gekommene Schwärmspore wnrde in der wiederholt geschilderten
Weise eines Theiles ihres Inhaltes beraubt, dann Wasser zugesetzt
und die Hautschicht so zum Zurückweichen von der zarten Cellu-
lose-Membran veranlasst. Nun wurde wieder mit Fliess-Papier
Wasser entzogen und die Schwärmspore abgeflacht^ doch nicht
bis zum Mheren Umfang, also nicht bis an die verlassene
Cellulose-Wand heran. In einer feuchten Kammer wurde der so
erlangte Zustand stabilisirt und nach 15 Minuten abermals Wasser
zugesetzt. Die sich abrundende Schwärmspore zog sich auch
dieses Mal von einer äusserst zarten Cellulose-Membran znrQck
(Fig. 6). Ich hatte somit die Bildung einer zweiten Gellulose-
Membran um die Schwärmspore veranlasst. Es gelang mir in
einem Falle, drei in einander geschachtelte, mehr oder weniger
vollständige Membranen auf diese Weise zu erhalten.
Auch innerhalb eines ziemlich reifen Sporangiums erhielt
die Schwärmspore, die ich in ähnlicher Weise von der Sporangium-
Wand zurücktreten liess, eine zarte Zellhaut. Hier wnrde sie
aber viel langsamer erzeugt.
Die Bildung der Membran geht sonst äusserst rasch von
Statten, wie man sich hiervon unter günstigen Bedingungen leicht
überzeugen kann.
Auch an künstlichen Wundstellen der Vaucheria-Schläuche
lassen sich die geschilderten Vorgänge beobachten. Um die
herausgetretenen Kugeln von Orundsubstanz des Körnerplasma
sieht man auch hier nie eine Gellnlose-Membran auftreten, nicht
etwa, weil das Material zu ihrer Bildung fehlt, sondern weil, wie
ich meine, die Hautschicht allein befähigt ist die Cellulose-Mem-
bran an ihrer Oberfläche zu erzengen. Aus der Hautschicht hin-
gegen, sobald es ihr gelungen die JVunde zu schliessen, wird
auch hier sehr rasch eine zarte Cellulose • Membran ausge-
schieden, die mit ihrem Rande an die Seitenwände aus Cellulose
ansetzt.
Stadien über daa Protoplasma. 446
FlflrnrenerUftmiig«
Taf. Xm.
Fig. 1—6. Vaucheria sessilis.
Fig. 1. Sporanginxn mit fast rdier Scliwärmspore. Alkohol -Friiparat
Vergr. 240.
Fig. 2. Vordertheil einer Schwärmspore noch im Sporangiam. Nach dem
lebenden Objecto entworfen. Vergr. 600.
Fig. S. Ein Theil der Hautschicht mit Cilien. Osmiumsäare-Friiparat
Vergr. 600.
Fig. 4. Ein ebensolcher TheiL OsmiamBäare-Präparat mit Beale'schem
Carmin behandelt. Vergr. 600.
Fig. 5. Ein ebenaolches Object mit absolatem Alkohol behandelt. Bei a im
optiflchen Darchachnitt, bei b von oben gesehen. Vergr. 600.
Fig. 6. Theil einer Schwärmspore, die zur wiederholten MembranbUdong
veranlasst worden war. Die Schwärmspore trat von der zuerst er-
zengten Gellulose-Haut zurück und bildete eine zweite, die man
auch theilweise verlassen sieht. Nach dem lebenden Objecto ent-
worfen. Vergr. 600.
ilg. 7—14. Equisetnm arvense.
Fig. 7—14. Spermatozoiden dieser Pflanze in verschiedener Lage. Fig. 7
horizontal gelegen von der Seite gesehen. Fig. 8, 9, 10 mit etwas
gegen den Beobachter gehobenem Vorderende. Fig. 14 mit ge-
senktem Vorderende. Fig. 11 und 13 Bauchansicht. Fig. 18. Bücken
ansieht. Fig. 7, 8, 10, 11, 12 mit Blase. Fig. 9 u. 14 ohne Blase.
Die Blase der Innenfläche der hinteren Windung anhaftend, mit
Ausnahme der Fig. 12, wo sie den vorderen Windungen anhängt,
Vergr. 900.
Fig. 15—27. Aethalium septioum.
Fig. 15 — 27« Plasmodienzweige dieses Myzomyceten. Fig. 15—91 im Ein-
ziehen begriffen. Fig. 23 im Fortschreiten. Diese Figoren sowie
Fig.' 37, welche den inneren Theil eines Zweiges mit lebhafter
Strömung (innerhalb der Linien) und von Schleimscheide umgeben^
vorführt, nach lebenden Objecten entworfen. Fig. 2 ein im Fort-
schreiten begriffen gewesener Zweig mit Osmiumsänre und Cannin
behandelt. Fig. 24 — 26 im Etinsiehen begriffen gewesene Zweige mit
Cbromsäure fisirt. Vergr. 600.
446 Edimrd Stnrimrger, Stadien über dts Protoplaama.
Taf. XIV.
4
Flg. 28—40. Azolla.
Fig. 28. Makrospore von A. filiculoides im Indosiiim eingeflchlossen. Vergr. loo.
Fig. 29. Scheitel eines Schwimmkörpers von der Makrospore derselben Pflanase.
Längsschnitt. Ver^. 6Q0.
Fig. 30. Aas der Basis eines ebensolchen Schwimmkörpers. LÄngasclinitt.
Vergr. 800.
Fig. 31 a. 32. Aas dem anteren.^^eil^ 4e8 Episporiams derselben Pflance.
Fig. 31 im Längsschnitt, Fig. 32 von oben gesehen. Vergr. 600.
Fig. 33. Unteres Episponara van A. cafoMniana, im Längsschnitt Vergr. 520.
Fig^. 34. Unterea Episporium von A. pinnata« im Längsschnitt. Vergr. 600.
Fig. 35. Unteres Episporium von A. nilotica, im Längsschnitt. Vergr. 800.
Fi^. 36. Obere Ansicht des Massula-Schaumes von A. fiHculoides. Vergr. 60*^
Fig. 37. Unteres Stück einer Massala von A. pinnata. Vergr. 600«
Fi^r 38. Eine ganze Massala von A. fiUoajioides. Vergr. 240.
Fig. 39 a. 40. Glocbide von A. filicaloides von vorne und von der S^te ge-
sehen» Vergr. 520.
Fig. 41 0. 42. Lathraea «qaamaria. *
Fig. 41 u. 42. Zellen von der Oberfläche der Samenanlagen. Verg. 240.
Die Vermehrung der Begoniaceen aus ihren
BlSttemy
entwickltmgsgeschichtlich verfolgt
rou
Dr. Frite Be^eL
Die Entwicklung nener Pflanzenindividuen aus Blättern ist
bei den Cormophyten im Ganzen eine seltene Erscheinung. Wir
kennen nur eine beschränkte Anzahl von Famen, deren Wedel
Knöspchen erzengen, und bei den Phanerogamen zumal müssen
die beobachteten Fälle blattbtlrtiger Adventivsprosse im Verhältniss
zu der FflHe vorhandener Pfianzenformen als Ausnahmen gelten.
Sehen wir nun auch bei letzteren nur aa vereinzelten
Beispielen aus Blättern, welche mit ihrer Mutterpflanze noch in
Znsammenhang stehen, spontan Adventivknospen hervortreten, so
sind wir doch in manchen Fällen im Stande, aus einzelnen ab-
getroniiien LattbbUtMhi auf ktlnstliobem Wege durch eine
geeignete Behandlung neue Pflanzen zu erzielen.
Die gärtnerische Praxis hat hieraus seit geraumer 2eit Nutzen
gezogen, da in einigen Pflanzenfamilien viele Arten auf diese Weise
leicht in groee^r Zahl vennehrt werden. kömieB« ^)
So sehr nun auch diese Bieproduettonsfilfaigkeit der Blätter
^) Im Oanien tritt jedoch dieie VermehrangMii im Vergleieb ■« den
übrigtti MeUiodeii (Steoklinge iwn Slammstfiokea, Zweigm« Wonekif Senker
et I. w.) sehr soröek; ms besokränkt sieli aaf genws« WarrnksvipAaiiMB (s,
die Zntammenrtellang am SchluM).
448 ^tz Begel,
geeignet ist, unser Interesse in Anspruch zn nehmen^ so hat sie
doch, wie mir scheint, von Seiten der Morphologen noch keineswegs
hinreichende Berücksichtigung erfahren. Angeregt durch meinen
hochverehrten Lehrer Herrn Professor Dr. Strasburger , dem ich
für seine freundliche Unterstützung meinen ergebensten Dank sage,
stellte ich mir daher die Aufgabe, diese Regenerationserscheinnngen
der Laubblätter phanerogamer Pflanzen zunächst bei den Begonia-
ceen, einer Familie, in welcher bekanntlich viele Arten seit langer
Zeit durch „Blattstecklinge'' ^) vermehrt werden, näher zu studiren.
Die gewonnenen Resultate erlaube ich mir nachstehend mitzu-
theilen.
Um Knospen aus den Blättern der Begonien zu erzielen,
bedienen sich die Gärtner eines sehr einfachen Verfahrens*):
die von der Mutterpflanze abgetrennten Blätter werden an den
Blattrippen der Spreite an verschiedenen Stellen, besonders an
den Verzweigungsstellen der Gefässbttndel durchschnitten und bei
reichlicher Feuchtigkeit und Wärme in den Sand eines Ver-
mehrungskastens mit dem Stiel in schräger Richtung so weit
eingesteckt, dass die Lamina auf der Unterseite aufliegt. In den
Geweben, welche den Schnittflächen benachbart sind, treten nun
bald mannigfache Veränderungen auf: es bildet sich ein „Callns''
und nach einiger Zeit, welche je nach den einzelnen Arten variirt,
in manchen Fällen (besonders im Frühjahr) schon nach 8—10 Tagen,
zeigen sich Wurzeln und schliesslich auch junge Knospen an den
gesteckten Blättern; die Wurzeln am reichlichsten an dem Stiel
des Blattes, doch regelmässig auch an der Unteuseite der ange-
schnittenen Stellen der Spreite; die Knospen hingegen Vorzugs-
*) M^t diesem Atudruck bezeichnen dieGärtnef zwei ganz verachiedene
Dinge (cf. E. Regel, AUg. Gartenbucli) :
a) ein einzelnes am Stiel abgeschnittenes Blatt, oline irgend welche
Stammtheile,
b) ein Blatt mit zugehöriger Achselknospe und einem mit dem
Blattstiel zugleich herausgeschnittenen The il der Mutterachse.
Es ist selbstverständlich, dass ich nur die erstere Bedeutung im Sinne habe;
zur scharfen Unterscheidung sollte für Blattsteckling in der zweiten Bedeutung
durchweg „Blatt augensteckling" gesagt werden (cf. H. Jäger, Allg. iUustr.
Gartenbuch, 3. Aufl., p. 208).
•) Regel's Gartenfloi» 1852, Bd. I, p. 124; Bd. XVI 1867, p. 140 ff. (C.
Bouch^; Neubert's Magaan, Bd. 1, 1852, p, 125; Dlustr. Gartensekimg, Bd. U,
p, 49 u. 67 n. a. a. 0.
Die Vermehrung der Begoniaceen etc. 449
weise auf der Oberseite der Lamina und zwar theils an den
durchschnittenen Stellen, theils an dem Ponkt, wo der Stiel in
die Spreite übergeht; hier steht meist eine ganze Anzahl junger
Knospen dichtgedrängt beisammen. Häufig fehlen indess die
Knospen auch dem Blattstiel nicht, ja manche Arten sind sogar
durch eine vorzugsweise Erzeugung derselben aus dem Blattstiel
ausgezeichnet, (cf. Fig. 1).
Ueberhaupt ist der Erfolg dieser Vermehrungsart bei den
einzelnen Arten der Begonien ein äusserst verschiedener.
Es ist namentlich zu beachten, dass diese Vermehrung aus
Blättern überhaupt nur bei einem T h e i 1 e der Begonien mit Erfolg
betrieben wird. Nach dem Bau des Stammes hat Hildebrand ^)
die Familie in 2 Gruppen gebracht:
1) die Begoniaartigen (nach der Gattung Begonia ')), welche
die aufrechten, ästigen Arten umfassen;
2) die Gireoudiaartigen (nach der Gattung Gireoudia), d. h.
die grossblättrigen Arten mit rhizomartigen, niederliegenden oder
ansteigenden Stämmen.
Während sich nun die erstere Gruppe sehr leicht durch
gewöhnliche Zweigstecklinge vermehren lässt, schlägt die Knospen-
bildnng aus Blättern nach der allgemeinen gärtnerischen Er-
fahrung bei ihnen nicht an, wie dies auch von mir an mehreren
Arten, z. B. Beg. semperfiorens Link., angestellte Versuche be-
stätigen, sondern beschränkt sich wohl ausschliesslich auf die
zweite Abtheilnng der rhizombildenden Begonien mit meist grossen
und verschiedenfarbigen Blättern (vrir behalten flir dieselben den
generellen Namen Begonia bei) ^) und zeigt sich hier in mannig-
facher Abstnfting. Da ich nur die Absicht hatte, die für die
mikroskopische Untersuchung geeignetsten Arten herauszufinden und
') HildebrADd, Anatomie der Begoniaceenstttmme, Berlin 1859, p. 7.
*) Hildebrand folgt der von Klotssch (Begon. Gatt. a. Arten) eingeführten
Nomenclator. Gireoadia ist bei DC. (Prodromns Band, XV) nur eine Unter-
gattang von Begonia. Während DC. die aämmtlichen Arten dieser Familie
auf die 3 Gattungen Caaparya (mit 23), Mesierea (mit 3) and Begonia (mit
354 Arten) vertheilt, hat Klotcsch die Haaptgattnng Begonia in über 80 aelb-
itändige Gattangen aufgelöst. — Zur Systematik der Begoniaceen Tergleiche
Ed. RegePs Gartenflora, Bd. IX, p. 3fl6 fi.
') Wegen der Tielen in den letsten Jahren nea eingeführten Arten sowie
der sahlreichen, durch die Cnltur ersielten VarietÜten ist eine sichere Art-
bestimmnng erschwert; ich schliesse mich daher im Folgenden an die in
den Gärten übliche Beseichnnng an und behalte die Nomenclatur des bot««
nischen Garten^ su Jena bei.
450 5«to Qeg^,
qiich ansfler^em 4avon zn übarseugon , 4a88 die ^lnlwicUwag
bei yerschiedenen Arten im Wesentlichen die gleiebe ßfA, wurden
nur Ton einer kleinen Answahl Blätter cultivirt, lavge nicht 90-
reichend, um den Erfolg dieser Vermehrungsart bei den Qinselneii
Arten zu ermitteln, ein Zweck, welcher mir, wie ges^, gans fen
tag. Kur einige beiläufig gemachte Beobachtungen mögen hier Platz
finden ^) :
Sehr langsam erfolgte die Knospenbildung b^i dem Arten
mit starken, fleischige Blättern, wie z.6. Beg. Warscewiszii,
bort ; die Knospen traten hier zuerst am Stiel auf, dicht über der
Schnittfläche. Auch bei der häufig cultivirten Beg. ricinifolia
findet die Erzeugung yop Knospen zunächst vorzugsweia^ sm
dem Blattstiel statt; an der Spreite lassen sich jedoch id dem
FaUe ebenfalls Knospen erzeugen, wenn man das Blatt in mehrere
Stücke zerschneidet und diese Theile einzeln, mit dem diireh-
schnittenen Blättemerven nach unten, aufrecht in den Sand ein-
steckt; es zeigen sich dann nach einiger Zeit am Nerven die
jungen Knospen.^) Leicht lassen sich hingegen dieselbe er-
halten bei den meisten grossblättrigen Arten, wie BegoniaBex,
Beg. imperialis, Lek.; Beg.^anthina Hook; Beg. Helene
Uhden^) bort. u. a. A., namentlich auch bei Beg. quadricolor.
Bei dieser Art traten die Knospen an den im Spätherbst ldi74
gesteckten Blättern nicht nur an den angeschnittenen Stellen,
sondern auch sonst allenthalben auf den Blattrippen der Ober-
seite hervor, ja ich sah sogar auf einigen alten, noch am Mutter-
stocke befindlichen Blättern Adventivknospen entwickelt und
zwar sowohl an der Uebergangsstelle vom Blattstiel in die
Spreite, als auch auf den einzelnen Nerven zerstreut
Es steht diese Beobachtung übrigens keineswegs ganz ver-
einzelt da. Von Beg. Möhringii (einem Bastard von B. m a n i -
^) In der gärtnerisclien Litteratar finde ich besonders namhafi gemacht
folgende durch Blätter vermehrbare Arten : Begonia Twaiterii, xanthina, xanth.
Reichenheimii, Rex, splendida argentea, Madame Wagner, Miranda, Griffithü
(Neumann, Pflanzenvermehrung, p. 36); ferner Beg. ramentacea maxima,
st^mosa, ricinifolia, cinnabarina, laetevirens, manicata, discolor, hydrocotylifolia
(Neubert'a Magazin, 1852, p. 125.)
^) Schon Bouchd (Gartenfl., Bd. XVI, 1867, p. HO) u. A. haben hervor-
gehoben, dass bei manchen Arten selbst aus Stückchen der Lamina von nur
Vi D 2oU Grösse noch Pflanzen gezogen werden können, wenn es sich am
deren massenhafte Vermehrung aus wenigen Blättern handelt (vergL auch
Qartries in Nenbert's Magazin).
') Wohl zum Formenkreis der Beg. Bex gehörig.
Die Vennehmng der Begoniaceen etc. 451
cata und diapetala) findet sich dasselbe mehrfach erwähnt. ^)
Ferner tri^en pach Peter - Petershansen ') „die sohildfönnigen
Blätter von Begonia coriacea auf ihrer oberen Fläche öfter
kleine EnOspchen, die stets über dem Mittelpunkt, von welchem
die neun oder zehn nach dem Umkreise der Blattscheibe ver-
laufenden Nerven ausgehen, gestellt sind/' Bei Beg. phyllo-
maniaca(B. manicata-incarnata); wo zahlreiche Enöspchen
den Stamm bedecken, treten dieselben auch häufig auf die
Blätter hinüber. 3)
Ueberhaupt m^ die charakteristische Leichtigkeit, mit welcher
bei den Begoniaceen die künstliche Vervielfältigung so vieler
Arten aus Blättern oder selbst Blatttheilen bewirkt werden kann,
mit dem Umi^tand in Zusammenhang zu bringen sein, dass im
Allgemeinen diese Gruppe in ihren natürlichen Lebensverhält-
nissen mit den verschiedensten Arten der ungeschlechtlichen Ver-
mehrung (Stolonen, Bulbillen in den Blattachseln, Seitenknöllchen
bei den mit Knollen versehenen^) u. s. w.) ausgerüstet ist
Bevor wir uns nun im Folgenden mit den in den Geweben
der gesteckten Blätter auftretenden Veränderungen, speciell mit
der Kntwicklungsgeschiebte der Wurzeln und Knospen beschäf-
tigen, möge zuvor eine kurze Orientirung über das Wachs-
thum der vegetativen Organe im Allgemeinen, sowie über
die anatomische Beschaffenheit der Laubblätter
vorausgehen, so weit dies das Verständniss des Folgenden er-
fordert.
<) E. Regel, Gartenfioni 1, 1852, p. 124; v. C.Bouchd, Gartenflora, ßd.XVI,
1867, p. 40.
*) Dr. P^r-Petershanien, Beitrüge rar EntwicklangigeseK der Bmt-
kAospeu, Hameln 1869, p. 46,
*) Regel, Allg. Gartenbach I, p. 322; Gartenflora, Bd. XVI, p. 140.
«) cf. C. ßouch^, Gartenflora, Bd. XII, p. 140 ff.
452 Frits Regel,
L Das Wachsthmn der TegetatiTen Organe.
1. Verhältnisse am Vegetationskegel.
Der von Hanstein ^) aufgestellten allgemeinen Regel ftir das
Spitzenwachsthum der Phanerogamen entspricht auch der Vege-
tationspunkt der Begoniaceen: das kleinzellige Urmeristem des-
selben sondert sich in Dermatogen, welches sehr dentlich den
Scheitel in einer Zellenlage überzieht^ in Periblem und Plerom.
Das Periblem wurde am Scheitel häufig zwei Zellreihen stark an-
getroffen. Die Initialen des Pleroms treten zwar nicht scharf
unter den übrigen Zellen des Urmeristems hervor; sie kennzeichnen
sich jedoch durch eine hier besonders lebhaft sich vollziehende
Zelltheilung und sodann durch die divergirend von ihnen aus-
strahlenden Zellreihen als Heerd der Neubildung.
Die Anlage der Blätter^) geschieht in der auch sonst
für die Phanerogamen giltigen Weise zuerst durch lebhafte Thei-
lung des Periblems; dieses erzeugt hügelartige Protuberanzen,
welche das Protoderma als äusserste Schicht continuirlich ttber-
wölbt. Das Eigenartige der Begoniaceen im Vergleich zu anderen
Dikotyledonen liegt besonders in dem ausserordentlich starken
Wachsthum der angelegten Blätter im Verhältniss zum Vegetations-
kegel. Zumal bei den grossblättrigen Arten nimmt sich der
Vegetationskegel oft aus wie ein zur Seite gedrängtes Anhängsel
der rasch sich entwickelnden Blätter.
Die Blattstellung ist die zweizeilige. Jedes Blatt ist an der
Basis von zwei Nebenblättern begleitet. Es erheben sich daher
zunächst am Vegetationskegel drei Zellhflgel, die Anlagen des
Laubblattes mit seinen zwei Nebenblättern.^) Indem nun zuerst
die stipulae viel rascher wachsen, als das mediane Laubblatt,
findet man letzteres von denselben überwallt; sie schliessen über
dem Blatt aneinander, so dass jedes Laubblatt in einem Hohlraum
eingebettet liegt. Erst später werden die stipulae von dem lang-
samer sich entwickelnden Hauptbtatt weit überholt. Dieses stellt
^) J. Uanstein, Die Scheitelzellengruppe im Vegetatioxupunkt der Phane-
rogamen, Bonn 18B8.
') cf. G. Odendall, Beiträge zur Kenntniss der Morphologie der Begonis-
ceenphjllome, Dissertation, Bonn 1874, und Hofmeister, Allg. Morphologie,
p. 539 und 584.
") Hofmeister gibt eine nähere Schilderung ihrer Entwicklung L c, p. 585.
Die Vermehrung der ßegoniaceen etc. 453
zuerst eine einfache konische Erhebung dar; durch lebhafte Zell-
bildung an ihrer Basis hebt sich die ganze Blattanlage ttber den
Vegetationskegel empor. Aus dem anfangs einheitlichen Zellen-
complex differenziren sich nun bei fortschreitender Entwicklung
die einzelnen Theile des Blattes: die untere Partie wird zum
Blattstiel ; das Meristem des oberen Theiles entwickelt die Spreite.
Bei denjenigen Begonien, welche einen Hanptnerv deutlich aus-
geprägt zeigen (z. B. Beg. incamata, Link et Otto), wird dieser
zuerst angelegt, die Seitennerven entstehen an ihm als seitliche
Wucherungen in akropetaler Reihenfolge. Wo hingegen mehrere
gleichwerthige Nerven in die Lamina ausstrahlen; erscheinen auch
in dem Bildungsgewebe an der Spitze der Blattanlage mehrere
Hervorwölbungen, die einzelnen Nerven darstellend; an ihnen
bilden sich als seitlich hervortretende Höcker die Secnndämerven
u. s. f. Während das Laubblatt nach seiner Entfaltung eine ein-
fache ungetheilte Lamina besitzt und höchstens am Rande Ein-
kerbungen zeigt; welche je nach den einzelnen Arten verschieden
stark ausgeprägt sind, hat dasselbe auf dieser Entwicklungsstufe
ein sehr zackiges, zerklüftetes Aussehen; die Lamina besteht eben
zunächst vorzugsweise aus den Anlagen der Blattnerven. Erst
nach ihrer Bildung entwickelt sich zwischen ihnen durch weitere
Zellvermehrung das Mesophyll der Blattspreite. Hierbei wird die
eine Blatthälfte vor der anderen in ihrem Wachsthum gefördert;
wir erhalten so die auftauende Asymmetrie, um deretwillen diese
Pflanzengruppe den treffenden Namen der ;,Schiefblätter'^ erhielt.
Die jungen Blätter liegen vielfach zusammengefaltet, die spätere
Oberseite nach Innen gekehrt, in der Knospe: wir haben eine als
„vematio plicativa^' zu bezeichnende Knospenlage. Das Blatt ist,
auch wenn alle Theile desselben der Anlage nach vorhanden sind,
immer noch sehr klein im Verhältniss zu seinem späteren Um-
fang; darch Zellstreckung erreicht es indess rasch eine bedeutende
Grösse und tritt aus der Knospenlage hervor. Alle Gewebe zeigen
nunmehr ihre charakteristische Gestalt: die Blattstränge, welche
schon sehr frühzeitig aus einem Theil des Meristems als procambiale
Züge angelegt werden und an die Gefässbündel des Stammes an-
schliessen, bilden nunmehr ihre einzelnen Elemente aus. Die
Hauptmasse der Blattanlage wird zum Fttllgewebe(Blattparenchym).
Die Epidermis endlich ist bei den jungen Blättern durch eine sehr
reichliche Trichombildung ^) ausgezeichnet
<) Ueber die Trichome cf. Odendall, 1. c, p. 20.
454 ^tx R^el,
In den Aduielo der Laobblätter bilden mh Knoapea,
weiche jedoch nar bei den anfreohten Arten regeimUsiff aoir Snt*
wieklong gelangen, bei den niederiiegenden Begonien hmg^gen
grosaentheils Yerktimmeni.
2. Anatomie der ansgebildeten Lanbbllltter. ^>
a) Der Blattstiel (Fig. 2) zeigt folgende Bestandtheile : zn
äusserst die Epidermis, bei vielen Arten eine reichliche Anzahl
zusammengesetzter Haare bildend. Spaltöffnungen.^) findei^ sieb
am Stiel hier und da und dann in grösserer Menge beisammen-
stehend. Der Oberhaut zunächst treffen wir das 1 — i Zellschichieo
starke schön ausgeprägte CoUenchym. Der ganze übrige Blatt-
stiel wird gebildet von grossen, mit zahlreichen Stärkek,ömem
erfüllten ParenchyrnzelleU; welche; zumal im ^erbst; zahl-
reiche Krystalle von oxalsaurem Kalk führen, unterbrochen vou
einer je nach der Stärke des Blattes najittrlich wechselnden An-
zahl von isolirten GefässbündelU; von denen die Mehrzahl,
etwa 6—8 Zellschichten von der Peripherie abstehend, in einem
mit dieser concentrischen Kreise gruppirt ist, einige aber als
compacte Masse, das Xylem nach Ini)en gekehrt, die Mitte des
Blattstieles einnehmen. Diese centralen Bündel sind indess nicht
bei allen Arten anzutreffen und entsprechen in der St9xke ihrer
Entwicklung im Allgemeinen den Dimensionen des Blattes. Der
einzelne Fibrovasalstrang^) in seiner typischen Aus-
bildung setzt sich zusammen aus einem grossentheils von schönen
Spiralgefässen und Holzparenchym gebildeten Xylem auf der
Innenseite, welchem jedoch je nach den Arten auch getüpfelte
und leiterförmige, sowie ringförmig verdickte Gefässe nicht fehlen«
und aus einem grossentheils aus dünnwandigen Elementen be-
stehenden P h 1 0 e m nach der Peripherie des Stieles zu. Hildebrand
hat dasselbe mit einem eigenthümlichen Namen als ,yHemm-
abast'^^) bezeichnet, weil es gleichsam auf einer Entwicklungs-
stufe der echten Bastfasern, wie sie bei anderen Arten auftreten,
^) cf. Odeadall, p, 11 u. ff. — Für meinen Zweck hatte ich munenUick
die später hinsichtlich der Knospenentwicklang untersachten Arten, (Beg« Res,
quadricolor, Helene Uhden) im Auge.
') Ueber die Stomata cf. Odendail, p. 22.
') HUdebrand, 1. c, p. 21 u. ff.
^) 1. c, p. 23.
t>ie Vemiehrttkig; der H^^oniaceen etc. 455
«tehen gebliebra iat, welche diese vor ihrer definitiven Ansbitdnng
bereits erreichen. Letztere finden sich bei viden Arten in der
flir die Gireoudia-artigen Begoniaceen charakteristischen Weise
nicht an einer bestimmten Stelle des Basttheiles, sondern einzeln
an der ganzen Peripherie des Fibrovasalstranges zerstrent; bei
manchen Arten kommen sie in den Blättern^ namentlich in den
schwächeren^ überhaupt nicht mehr zur Entwicklung. Das zwischen
Phloem nnd Xylem liegende Cambium, dessen Thätigkeit die
reihenweise Anordnung der von ihm gebildeten Dauerzellen oft
schön erkennen lässt; geht in älteren Blättern ganz in Dauer-
gewebe über und nur höchstens in wenigen Zellen sind noch
lange Zeit Zellkerne sowie Protoplasma anautrefieu; welche somit
ihre BildnngsiKhigkeit bewahren. Die Stränge der Blätter sind
alse geschlossene; eine Zellschieht, welche sich nicht selten deut-
lich an der ganzen Peripherie des Gefässbündels markirt, mit
etwas weiteren Zellen, welche aber hinter den Zellen des Grund-
gewebes an Grösse zurückstehen, bildet die Abgrenzung gegen das
ungebende Blattstieiparenchym.
b) Spreite. Aus dem Stiel treten die Stränge, in die zahl-
reichen Blattnerven ausstrahlend, in die Lamina ein. Das Meso-
phyll derselben ist meist ö— 6 Zellschichten stark: auf die
farblose Epidermis der Oberseite folgt eine mit Ghlorophyllkömem
erfüllte Schicht^ sodann 3— & Zellreihen stark das l'tdlgewebe;
den Abschluss bildet die untere Epidermis mit zahlreichen Spalt-
öfinungen. Auf der Oberseite finden sich letztere nicht; hier sind
als Mündungen der letzten Blattnervenansläufer am Rande der
Lamina die „Neurostomata^^ Odendall's entwickelt
Die nach der Blattunterseite stark vorspringenden Blatt-
nerven zeigen, wie zu erwarten, eine dem Blattstiel im Ganzen
entsprechende Structnr. Die Epidermis des Mesophylls, meist aus
grossen Zellen gebildet, setzt sich continuirlich auf die Nerven
fort; an sie sehliesst sich genau unter der Mitte der Oberseite
ein Complex von Collenchymzellen an; darunter folgen die Chlore«
phyll enthaltenden Zellen, gleichfalls die Fortsetzung der ent-
sprechenden Schicht des Mesophylls. Die übrjge Hauptmasse des
Nervengewebes bildet das grosszellige Parenchym, durchsetzt von
den Gefässbttndeln, deren Anzahl und Stärke natürlich nach der
Peripherie des Blattes zu abnimmt; alle Stränge kehren, der An-
ordnung im Stiel entsprechend, den Holztheil nach bmen. Die
Vfiäanoi» der Unlers«ite endliob ist d«rA i--3 ZeUreihen* sehwach
456 Fritz Regel,
entwickelten kleinzelligen CoUenchyms vom übrigen Grnndgewebe
geschieden (cf. Fig. 3).
3. Wachsthnm der Wurzeln.
Das Spitzenwachsthnm der Begoniaceenwurzel ergab
keine wesentlichen Abweichungen von den Verhältnissen, wie sie
von Beinke ^) und Janczewsky ^ für die Phanerogamen gewonnen
wurden ; zur Orientirung diene hier Folgendes :
Das Wachsthnm der Wurzeln erfolgt mit drei Histogenen:
1) Das centrale Plerom hebt sich durch seine etwas ge-
streckten^ prismatischen Zellen scharf von den fast cubischen
Zellen deri peripherischen Gewebe ab ; es gipfelt in mehreren je
nach der Stärke der Wurzel variirenden^ deutlich markirten Ini-
tialen; welche durch fortgesetzte akrofngale Abgliedemng das
weitere Wachsthnm bewirken.
2) Das Periblem ist an der Seite 4— U Zellschichten stark
und besteht aus fast isodiametrischen Zellen; dasselbe gipfelt
über dem Pleromscheitel bei Begonia Rex in zwei Initialen, deren
Descendenzen, seitlich rasch in mehrere Zellreihen zerfallend, die
Schichten des Periblems bilden. Die innerste Rindenschicht vnrd
beim Uebergang in den Dauerzustand zur Pleromscheide, die anch
hier auf dem Querschnitt die charakteristischen schwarzen Punkte
der radialen Wände zeigt, welche bekanntlich auf einer eigen-
thümlichen welligen Faltung der Längswände beruhen.
3) Die äussere Hülle des Wurzelkörpers wird am Scheitel
gebildet von der Haube, bestehend aus Dermatogen und
Wurzelhaube. Letztere wird hier nicht, wie in manchen
Fällen (Gramineen % Lycopodium *•)) von einem besonderen dem
Dermatogen dicht aufliegenden Bildungsgewebe, dem sogenannten
„Ealyptrogen^^ gebildet, entsteht vielmehr unmittelbar aus
dem Dermatogen selbst durch fortgesetzte Abgliedemng von
Wurzelhaubenschichten, welche durch tangentiale Theilungen der
einzelnen Epidermiszellen am Scheitel erzeugt werden. Die
^) Joh. Reinke, UnterB. über Wachsthumsgeschichte u. Morphologie der
Phanerogamenworzel, Bonn 1871.
') Janczewsky, Bot. Zeitung Nr. 8, 1874, und Ann. des scienc. nat. 1875.
*) Ebendaselbst.
*) H. Brachmann, Wurzeln von Ljcopodium and Isoetes, Jen.
% 1874, p. 19 des Separatabdrucks.
Die Vermehrung der Begoniaceen etc. 457
tangentialen Theilangen können sich auch in den abgegliederten
Hanbenlagen wiederholen; indesB kommt es in unserem Falle zn
keiner ausgeprägten Säulenbildnng über dem Seheitel. In Folge
der lebhaften Zelltheilnng im Dermatogen lässt sich die an der
Seite scharf hervortretende Epidermis auch auf dem Scheitel selbst
sieht deutlich von den ttbrigen Zellen des Urmeristems unter-
scheiden ; erst eine genauere Prüfung ergibt hier diejenige Zellen-
reihC; welche, etwas entfernter vom Gipfel, nach der fieschaflfenheit
als Dermatogen angesprochen werden darf.
Wir haben mittiin bei den Begoniaceen im Wesentlichen den
für Helianthus annuus von Reinke aufgestellten Wachsthumstypus
der Hauptwurzel, welcher immerhin für die meisten Phanerogamen
zu gelten scheint.
Wir wenden uns nach dieser einleitenden Orientirung nun zu
unserem eigentlichen Thema.
II. Die Neablldangen an den gesteckten LanbblBttisrn.
1. Veränderungen der Gewebe in der Nähe der
Schnittflächen.
£s ist eine bekannte Erscheinung, dass an ejnem beliebigen
Zweigsteckling der Bildung von Wurzeln ; neuen Blättern und
Zweigen die des sogenannten ,,C a 1 1 u s^' vorausgeht, d. h. es tritt
an der Schnittwunde ein Wulst jungen Zellgewebes auf. Vor kurzer
Zeit ist durch Rud. Stell ^) diese Gallusbildung für Zweigstecklinge
dicotyter Pflanzen verfolgt worden. StoU bringt die Stecklinge
nach ihrem Verhalten in zwei Gruppen: der kleinere Theil der
von ihm untersuchten Stecklinge bildete keinen eigentlichen
Callus, sondern nur einfach dicht über der Schnittfläche einen
Wundkork, welcher zum Schutz der inneren lebenskräftigen
Schichten einen festen Abschluss nach Aussen herstellt Diese
Stecklinge treiben sehr rasch neue Wurzeln, welche die Er-
nährung übernehmen. Zu ihnen gehörten auch nach StoU die
Stecklinge von Begonia fagifolia.
>) Bad. StoU, CallotbÜdang an SleckUngen, Bot. Zeitung 1874, Nr. 46,
47 and 49.
458 JfVitz ftegel,
Die Mehrzahl der Stecklinge hingegen zeigt an der Schnitt-
fläche eine viel tiefer gehende Umwandlnn^ : sie erzeugen einen
mehr öder weniger stark enttvickelten Cällüs, einen die Söhnitt-
flSche gänzlich überfallenden^ nnter ihr zudämmenschliässenden
Get^ebecomplex. An seiner Bildung können sich alle Gewebe
audser den Holz-, echten Bast- und Epidermiszellen
betheiligen; immer steht das Cambinm hinsichtlich seiner
Tbätigkeit oben an. Der Oallus zeigt tach Form und Anordnung
seiner Zellen zunächst keine Aehnlichkeit mit den Geweben des
Stengels, erst später wird dieselbe hergestellt durch die in ihm
entstehenden Meristeme, theils Phellogenschiehten an
der Peripherie, theils eine Art Cambium, welches den Geweben
des Stecklings entsprechende Schichten differenzirt. Die hier viel
langsamer sich entwickelnden Wurzeln entspringen nie direct
aus dem Callus, sondern stets aus den darüber liegenden Regionen
des Stecklings.
In Rücksicht auf diese Ergebnisse von StolFs Untersuchungen
war es nun von Interesse, festzustellen, wie sich die Schnittflächen
der gesteckten Begoniaceenphyllome verhielten.
Die vom Schnitt direct betroffenen Schichten färben sich
dunkel und sterben rasch ab. Die anstossenden noch frischen
Gewebe aeigen einige Zeit naeh dem Einpflanzen mancherlei Um-
bildungen. Wir beobachten Folgendes:
Am Blattstiel häuft sich an der freien Aussenwand einer
grossen Zahl von Epidermiszellen Cellulose an und liefert das
Material für ein langes, aus dieser Zelle sich hervorstülpendes
einzelliges T r i c h o m. Die Bildung dieser Triehome erfolgt indess
auch häufig erst, nachdem zuvor die erzeugende Epidermiszelle
durch eine tangentiale Theilung in zwei Tochterzellen zerfallen
ist. Das einzelne Haar gleicht in allen Details den Wurzel-
haaren, welche an jeder Wurzel aus der Epidermis hervor-
treten; es ist meist als ein einfacher Schlauch entwickelt, kann
sich indess auch an seiner Spitze in mehrere gabelförmige Arme
spalten. Jede Verwechselung dieser nachträglich gebildeten, höchst
charakteristisch gebauten „Pseudo-Wurzelhaare" — wie
wir sie wegen ihrer Aehnlichkeit wohl bezeichnen könnten — mit
den normal am Blattstiel auftretenden zusammengesetzten Haaren
ist durch ihren Bau total ausgeschlossen. Bei manchen der unter-
suchten Arten treten sie in sehr grosser Zahl aus der Epidermis
hervor. Man kann sie in solchen Fällen schon mit ünbei^aShetem
Auge als feinen weissen Haarfilz am Blattstiel deutlich erkeimen.
Die Vermehrung der I^egoniaceen etc. 459
Es ist wohl kein Zweifel, dass dieselbeD big zu der Zeit, wo
die neugebildeten Wurzeln aus den Geweben des BlattBÜeloB
hervorbrechen, die Function der Wurzelhaare ansttben, wenigstens
trifft man sie in der nämlichen engen Verbindung mit den Par-
tikelchen des Bodens. Ganz die gleiche Haarbildung (besonders
reichlich bei Beg.BeXy quadricolor) zeigt auch die Epidermis auf
der Unterseite der Blattspreite an den durchschnittenen Stellen
der Nerven *) (Pig. 4).
Dies ist aber keineswegs die einzige Thätigkeit der Epi-
dermis ; am Blattstiel zerfallen ihre Zellen an vielen Stellen durch
tangentiale Wände in eine Anzahl von Tochterzellen. Bald treten
dann in dem darunterliegenden Gollenchym ebenfalls Thei-
lungen im gleichen Sinne auf. Doch auch das übrige Grund-
gewebe greift beim weiteren Fortgang in die Neubildung ein:
viele der grossen ParenchymzeUen werden durch Zellstoffvfände
oft in eine ganze Anzahl von Tochterzelien zerklüftet; ganz be-
sonders finden in denjenigen Zellen des Gmndgewebes zahlreiche
Theilungen statt, welche zwischen dem peripherischen Gefilss-
bttndelkreise liegen ; hier wird vielfach von der Gambialregion des
einen Bändels zu derjenigen des nächsten u. s. f. im ganzen
Kreise des Stieles eine engere Verbindung hergestellt, eine Art
nachträglich entwickelten Interfascicularcambiums; es entstdien so
im Grundgewebe cambiale Zttge, deren nach Innen gelegene Zellen
sich bei weiter fortgeschrittenen Zuständen in schraubenftnmg
verdickte Leitbändekellen von rosenkranzförmiger Gestalt, ähulioh
denen vieler Intemodien, umwandeln; bei weiterer Ausbildung
sind ganze Nester solcher Zellen im Gewebe des Blattstiels anzu-
treffen.
Analoge Bildungen finden sich an der Spreite. Die Epi-
dermis der Blattoberseite erzeugt hier unfern der Schnitt-
fläche, besonders in ihrem mittleren Theil, wo die Gruppe von
CoUenchymzellen unter derselben liegt, unter lebhafter Betheiligung
der letzteren, sowie später auch der noch tiefer liegenden Zellen
des Gmndgewebes eine ttber das Niveau des ttbrigen Blattes sich
erhebende Wucherung; viele Epidermiszellen lOsen sich dabei
durch tangentiale Wände in eine ganze ZeUreihe auf, deren ein-
zelne ZeUen auch noch durch radiale Theilungen sieh oft in noch
kleinere Theile zerspalten; ebenso erfahren die anschliessenden
^) So Tiel mir bekannt, sind derartige wnrzelhaarKhnliohe Uohome an
ZweigvteoUingen nicht beobachtet worden«
Bd. X. ». F. m. 4, 80
460 Frit» Regel,
Collenchymzellen mannigfache Theilungen. In weiter fort-
geschrittenen Entwicklongszofitänden sind dann auch in vielen
der reichliche Stärke fahrenden Zellen des Grnndgewebes
zahlreiche Theilungen zu bemerken; auch hier erhalten die Ge*
fUssbündel durch Theilung der zwiachenliegenden Gewebspartieen
engere Fühlung untereinander; es bekommt so das sonst lockere
Gewebe des Blattnerven an diesen Stellen' ein viel festeres
Gefttge.
Auch an der Unterseite des Blattnerven bilden sich zumal
an schwächeren Blättern, wo solche zu den Gulturen verwendet
wurden, z. B. von Beg. Rex und qnadricolor, Anschwellungen,
doch selten im ganzen Umfange (meist nur als locale Zell*
Wucherungen) erzeugt von der Epidermis und den anstossenden
Parenchymschichten ; diese Wulste sind besonders durch eine reich-
liche Production der geschilderten wurzelhaarähnlichen Trichome
an ihrem Bande ausgezeichnet; ja bei Arten, wo dieselben sich
nicht so reichlich entwickeln, treten sie dann sogar vorzugsweise
hier auf. Weiter nach Innen bildet sich in diesen Anschwellungen
häufig aus den getheilten Zellen des Fflllgewebes eine cambiale
Zone, deren innere Zellen sich gleichfalls zu den schraubenförmig
verdickten Leitbtlndelzellen umbilden und an das nächstliegende
Gefösisbtindel Anschluss erhalten.
Somit weichen die an den Schnittflächen der Begoniaceen-
bl^tter auftretenden Umwandlungen der Gewebe in mancher Be-
ziehung ab von den Stecklingen mit echtem Callus. Während
bei diesen ein aus der Schnittfläche hervorquellender und unter
ihr zusammenschliessender Gewebecomplex auftritt, findet dies hier
nicht statt ^), obwohl durch zahlreiche Theilungen in den der
Schnittfläche benachbarten Gewebepartieen eine Anschwellung des
Stieles und der durchschnittenen Blattrippen veranlasst wird,
welche die Gärtner gleichfalls als Callus bezeichnen. Ist es
dort vorzugsweise eine Gambiumzone, welche den Callus bildet, so
muss es auffallen, dass in unserem Falle ausser Cambium und
Grundgewebe besonders auch die Epidermis sich energisch mit
an der Neubildung betheiligt, welche doch bei den von StoU unter-
suchten Zweigsteeklingen gar nicht in die Callusbildung hinein-
gezogen wird(l).
Der Grund dieser Differenz liegt vielleicht in der verschiedenen
Function dieser Bildungen. Während der gesammte Callus höchst
^) Vergl. dagegen das S. 486 über die gesteckten Gloxinienblätter Gesagte.
Die Vermehrung der ßegoniaceen etc. 4ßl
wahrscheinlich die Ernährung des Stecklings vermittelt, bis zur
hinlänglichen Erstarknng der nur langsam wachsenden Wurzeln,
besorgen in unserem Falle vorzugsweise die „Pseudo - Wurzel-
haare'' die Ernährung, welche dann bald von den rasch hervor-
brechenden Adventivwurzeln übernommen wird; alle ttbrigen Ver-
änderungen dienen wohl einerseits dazu, einen Abschluss
gegen die Schnittfläche herzustellen und andererseits, dem
locker gefügten Oewebe in der Nähe der Schnittflächen eine
grössere Festigkeit und engeren Zusammenschluss
zu verleihen, um so fttr die wichtigsten Neubildungen, die Knospen
und Wurzeln, deren Betrachtung uns nunmehr beschäftigen soll,
eine festere Grundlage zu bilden.
2. Entwicklung der Wurzeln.
Die ersten Wurzeln zeigen sich nach 8—14 Tagen am Blatt-
stiel und den durchschnittenen Stellen der Spreite. Während bei
manchen Arten (Beg. ricinifolia, B. imperialis, Lm.) nur dicht
an der Schnittfläche des Blattstiels zahlreiche Wurzeln her-
vorbrechen, treten dieselben bei anderen Species (Beg. quadricolor,
B. Helene Chden) auch weiter hinauf in der ganzen Aus-
dehnung des eingesteckten Blattstiels auf.
Die Entwicklung derartiger Adventivwurzeln (oder „Bei-
wurzeln'' nach Reinke's Terminologie ^)) aus Blättern ist bisher
noch nicht weiter verfolgt worden. Im Allgemeinen entstehen
dieselben auch hier, wie nach den Beobachtungen, welche ttber
ihre Entwicklung aus Stammtheilen vorliegen, zu erwarten war,
endogen aus dem Fibrovasalsystem und treten unter
Durchbrechung der entgegenstehenden Oewebeschichten nach
Aussen.
Jedes der im U m k r e i s e des Blattstieles liegenden Qefäss-
bttndel kann sich bei der Erzeugung adventiver Wurzeln betheiligen
und zwar häufig in verschiedener Hohe zu wiederholten Malen ; das-
selbe gilt ftlr jeden in den Blattnerven verlaufenden Strang. Da
hier die meisten Bändel den Seiten und der Unterseite des Blatt-
nerven näher liegen, als der Oberseite, brechen die Wurzeln ge-
wöhnlich auch seitlich oder nach Unten hervor; tritt aber eine
Anlage in einem der wenigen .der Blattoberseite nahe liegenden
Btlndel auf, so sieht man dann die Wurzel an der Blattober*
^) J. ReinkO; Waclistbumsgesch. a. Morph, der FhanerogamenwnrseL p.41.
80«
462 Fritz Hegel,
Seite zn Tage treten (besonders hänfig bemerkte ieh es bei fieg.
Helene Uhden) ; vermag dieselbe nicht darch die Lücke der Schnitt-
fläche hindurch den Boden zu erreichen; so stirbt sie bald ab« Die
Bichtong; in welcher die Adventivwarzel zu Tage tritt , richtet
sich somit lediglich nach dem Ort der Anlage: die jungen Wuneln
wachsen stetS; von dem Xylem des Mutterbttndels sich entfernend,
in der Richtung des BasttheileS; wie wir dies noch sehen werden ;
wo daher der Basttheil nach der Blattoberseite zu geriehtet ist,
tritt eine an solchen Bttndeln angelegte Wurzel auch an der Ober-
seite zu Tage.
Die Anlage und Entwicklung dieser Adventivwurzeln nun
zeigt in mancher Hinsicht nicht unwesentliche Differenzen von
der Darstellung; welche Reinke für die Entwicklung stengel-
bürtiger Adventivwurzeln am Schluss seiner Untersuchungen über
das Wurzelwachsthum der Phanerogamen gegeben hat. Nach
Reinke entstehen dieselben entweder aus dem Interfascicu-
larcambium oder vor den Gefässbttndeln des Stengels.
Vom Interfascicularcambium gebildet fand er sie nur
bei Impatiens parviflora. ;;Dieselben entspringen ^) zwischen den
Oefässbündeln des Stammes und zwar verhält sich die äussere
Zellreihe des Interfascicularcambiumringes in dieser Hinsicht ge-
nau wie das Pericambium der Wurzel. Auch hier fttUt eine Zell-
gruppe sich stärker mit Protoplasma und stellt den Bildungsheerd
für die ganze Wurzel dar; die Zellen theilen sich tangential, die
äussere Zellschicht liefert das DermatogeU; während aus der
inneren im Verlaufe weiterer Theilungen in der bekannten Weise
Plerom und Periblem entstehen. Das Dermatogen scheidet die
Kappen der Wurzelhanbe ab und auch die innerste Rindenschicht
zeigt anfangs einige Wachsthumserscheinungeu; wird aber bald
nebst den übrigen resorbirt; um der Wurzel den Austritt ins Freie
zu eröffnen.^'
,;Was den zweiten; weit häufigeren Fall anlangt; dass die
Wurzeln vor Gefässbttndeln entspringen, so scheint hier
durchgehends, wenigstens an den Stengelknoten, die
äusserste Phloemschicht; die Weichbastzelleu; jene
Rolle der Pericambiums zu ttbernehmen; welche wir bei
Impatiens der äussersten Interfascicularcambiumschicht zuertheilt
haben. Mit Bestimmtheit wurde dieser morphologische Ort des
Ursprungs erkannt an den Beiwurzeln von Veronica Beccabnnga^
^l L C., p. 42.
Die Vermehrang der Begoniaceen etc. 463
von Lysimachia Nnmmnlaria. Doch dental meiirere
»idere nntemachte FflUe — z. B. Hedera Helixi Discbidia Benga-
lenaiB — daraaf hin, dass dies Verhalten ein verbreitetes sei. In
dieser änssersten Phloemsehicht, deren Zellen also ihre Entwiek-
hmgsfähigkeit bewahren, füllen sich einige Zellen stärker mit
protoplasmatisehem Inhalte an und theilen sieh tangential; wodnrch
in der äusseren Schicht das Dermatogen und somit die ans ihm
hervorgehende Wnrzelhaabe angelegt sind. Die darunterliegende
Zellschieht liefert snnächst durch tangentiale Fächerung primäre
Zellreihen, deren äusserste Zellen als Initialen die Curven des
Periblems und Pleroms erzengen; man siriity die Erscheinungen
sind denen der Seitenwurzelbildung vOllig gleich.^
Meine Beobachtungen an den Begonienblättem ergaben nun
Folgendes :
Die Entwicklung wurde vorzugsweise auf Querschnitten, be-
sonders an B. Helene Uhden, B. quadricolor, auch an B. splendida,
ricinifolia und Rex verfolgt.
Ein Blick auf den Querschnitt eines Gefttssbttndels mit einer
schon vollständig angelegten Wurzel, sei es am Blatt-
stiel, oder an den Nerven der Spreite (Fig. 5 u. 6) zeigt die ganze
Region von den Weichbastzellen bis ttber den Anfang des Xylems
hinaus auf der einen Seite von der Wurzel eingenommen. Stets
sehen wir das Plerom der Wurzel in der Cambialgegend des
Stranges endigen; hier bildet sich der Anschluss der aus dem
Procambium des Wnrzelpleroms differenzirten Vasalbtindel an die
aus dem Cambium des Stranges gebildeten Gefässe oder netz-
förmig verdickten LeitbttndelzeUen. Die Pedblem- und Dermatogen-
schichten der Adventivwurzel greifen aber beiderseits ttber die
cambiale Region des Bttndels hinaus; sie erstrecken sich auf der
inneren azilen Seite des Bttndels bis ttber den Anfang der Spiral-
gefässe und scheinen aus einigen Zellschichten des Grundgewebes,
die seitlich eng an den Xylemtheil anschliessen, zu entspringen;
auf der peripherischen Seite schliessen die Weichbastzellen sich
unmittelbar an die Rindenschichten der Wurzel an und scheinen
bei ihrer Bildung betheiligt.
Die Entwicklungsgeschichte erklärt dieses Verhalten
des ausgebildeten Zustandes:
Einige dem Xylem dicht anliegende Zellreihen des Gambiums
auf der einen Seite des Stranges, so wie die äusserste Grenz-
schicht des Bttndels fUllen sich mit Protoplasma. Die betheiligten
Cambialzellen theilen sich hier nicht, wie normal^ durch Wände
4Q4 Fritz Regel,
parallel zur Peripherie des Blattstieles, sondern in einer zu ihr
geneigten, ja senkrechten Richtung, also nicht durch tangentiale,
sondern durch mehr radial gerichtete Wände. Aas ihren Deseen-
denzen und denen der gleichfalls in Theilzellen zerfallenden
äussersten Zellreihe entsteht so an dieser Stelle eine in nicht
gerade sehr regelmässigen Beihen angeordnete htlgelige Hervor-
bildang (Fig. 8). Durch die lebhafte Zellbildung, besonders im
mittleren Theile dieses neuen Bildungsherdes im OefUssbtlndel,
hat sich ein nun auch schon bei geringer Vergrösserung wohl
kenntlicher Zellhttgel gebildet, welcher bei weiterem Fortschritt
zur Dififerenzirung der Histogene schreitet Fig. 9 zeigt uns den
Punkt, wo dieselbe in der Hauptsache bereits sich vollzogen hat;
dabei erschien mir durchgängig die Herausbildung der Histogene,
welche das Wachsthum der Wurzeln vermitteln, aus dem indiffe-
renten Zellencomplex der ersten Anlage vonlnnennachAussen
zu erfolgen, also vom Plerom^) auszugehen.
Wenn die Plerominitialen (Fig. 9 pl. i) sich aus den primären
Zellen herausgebildet haben und in ihre Function eintretend sich
zu theilen beginnen, erhält die ganze Anlage eine deutlich aus-
gesprochene Wachsthumsrichtung ; sie streckt sich nun rasch
hervor. Die peripherischen Schichten des Periblems folgen durch
radiale concentrische Theilungen den vorwärts drängenden Plerom-
Zellen. Das Dermatogen entsteht ans den Theilzellen der äussersten
Zelh*eihe des Gefässbtlndels ; in dieser bilden sich sodann Thei-
langen parallel der Wachsthumsrichtung der jungen Anlage, welche
zu den ersten Schichten der Wnrzelhaube werden. Unter Re-
sorption der entgegenstehenden Schichten des Grundgewebes ge-
langt die Wurzel an den Rand des Blattstieles und tritt nach
Aussen. Am Scheitel der nach Aussen drängenden Wurzel finden
sich natttrlicb die Membranen der durchbrochenen Parenchymzellen
zusammengedrängt, deren innerste dem Gefässbttndel zunächst
^) Für die Seitenwarzeln von Trapa natans gibt Reinke bekanntlich das
Umgekehrte an: gleich der erste Theilschritt trennt dort das einschichtige
Pericambium in zwei Schichten, eine äussere, das Dermatogen, welche die
Wurzelhaabensehichten abgliedert, und eine innere, aus deren weiteren Thei-
lungen Periblem und Plerom hervorgehen. Ist diese centripetale Anlage der
Wurzelhistogene allenPhanerog^men gemeinsam? Bei den Seitenwurzeln der
Begoniaceen trat das Dermatogen keinesfalls gleich bei den ersten Theil-
schritten im Pericambium so scharf hervor, vielmehr erst, wenn auch die
Plerominitialen deutlich zn erkennen waren. Jedenfalls verdient dieser Punkt
noch weitere genaue Prüfung.
Die Vermehroiig der Begoniaeeen etc. 465
befindUohe Reihe ttbrigens in der Begel ebenfalls einige TheU«i£pEh
erBcheinnngen zeigt
Die BetheiUgiing dieser den Strang abgrenzenden Zellschicbt an
der Wnrzdanlage in ihrer Erstreckong vom Weiohbast bis an
d a s X 7 1 e m ist somit die Ursaehe, dass anf weiter vorgeschrittenen
Entwicklnngsznständen^ wie oben geschildert, die peripherischen
Gewebe der Wurzel einerseits direet ans dem Weichbast, anderer-
sdts ans dem Xylem zn entspringen scheinen. Der Bast des
Bündels betheiligt sich aber nicht an der Bildung der Wurzel,
nur wird er Öfters besonders bei dürftiger Ausbildung in schwächer
entwiekelten Strängen von der kräftig sich entfaltenden Wurzel-
anlage etwas zusammengedrückt und zur Seite geschoben; an
stärkeren Gefässbündeln indess ist er intact auch neben der ent-
wickelten Wurzel erhalten (Fig. 5). Keinesfalls geht also hier,
wie dies Reinke für die von ihm geschilderten Fälle angibt, von
der äussersten Phloemschicht die Initiative der ganzen Neu-
bildung aus.
Es treten nun von dem geschilderten typischen Verhalten hie
und da bei diesen adventiven Bildungen Abweichungen auf, je
nach der Ausbildungsstufe des Stranges, welcher bei der Wurzeler-
zeugung betheiligt ist. Unsere Darstellung bezog sich zunächst auf
die Entwicklung von Wurzeln an ausgebildeten Blättern, deren
Gefässbttndel alle einzelnen Elemente bereits entwickelt zeigen.
Steckt man hingegen junge Blätter ein, deren Fibrovasalstränge
also noch nicht vollständig ausgebildet sind, so werden zwar auch
an diesen aus den viel schwächeren Gefössbündeln Wurzeln ent-
wickelt; es betheiligen sich aber von dem überhaupt nur aus
wenigen Spiralgefässen und im Uebrigen nur aus dünnwandigen
Elementen bestehenden Bündel ausser den Spiralgefässen fast alle
Zellen desselben an der Neubildung. Bisweilen kommt es auch
vor, dass eine Verstärkung durch das nächstliegende Bündel ein-
tritt, indem die zwischenliegenden Parenchymzellen durch ein hier
auftretendes Interfascicularcambium in TheUzellen zerfallen, welche
sich theilweise in die charakteristisch geformten schraubenartig
verdickten Leitzellen umwandeln (Fig. 7).
Es sind mir femer auch Fälle aufgestossen (z. B. bei Beg.
ricinifolia), wo die Wurzel nicht seitlich am Strange, sondern in
der Richtung des B a s t e s sich entwickelt hatte. Obwohl mir die
jüngsten Zustände von derartigen Wurzeln nicht vorlagen, wird
auch hier jedenfalls die erste Anlage im Gambium stattgefunden
^B8 Fiits Regel, *
haben, mA von da ans bei weiterer Auslrildiing die dtiim*äiidigeü
Bastzellen durchbrochen haben.
An den durchschnittenen Stellen der Blattspreite sind die
jungen Entwicklungsstände der Wurzel; welche übrigens hi^ ganz
die nämliche Entstehung aus der Gambialregion des Bändels
unter Betheiligung eines Theiles der peripherischen Zellen zeigen,
schwieriger zu erhalten, theik schon, weil hier die Wurzeln flber-
haupt in geringerer Zahl sich bilden^ besonders aber, weil sie
grosseniheils gerade in dem Winkel des sich in zwei Aeste spal-
tendm Blattneryen angelegt werden, wo die Ctofässbttndel ja nur
zum Theil auf Querschnitten senkrecht getroffra werden können.
Bezüglich der Wurzelentwicklung bei den Zweigsteck«
lingen der aufrechten Begonien möge zum Vergleiche
noch Folgendes hier Platz finden. Die Beobachtung Stoll's^),
dafs an den Stecklingen von Beg. fagifolia die Wurzeln sich aus
dem Interfascicularcambium gebildet hatten, veranlasste mich, auf
die Bildung derartiger Wurzeln ebenfalls mein Augenmerk zu
richten. Da mir Beg. fagifolia nicht gerade zu Gebote stand,
wählte ich Beg. zebrina, hört, und Beg. argyrostigma, Link, zur
Untersuchung. Die Erzeugung der Wurzeln geht hier sehr rasch
von Statten, wie bei allen Stecklingen ohne echte Callusbildong ;
schon nach 4 — 5 Tagen zeigten die in's Vermehrungsbeet einge-
steckten Sprosse die ersten der in reichlicher Anzahl dicht über
der Schnittfläche hervortretenden Wurzeln. Die grosse Mehrzahl
derselben entsteht auch hier ans den Oefässbtlndeln in ganz
ähnlicher Weise, wie bei den Blättern, mit der einzigen Modi-
fication, dass die zunächst an das Bündel anstossenden Zellen des
hier normal vorhandenen Interfascicularcambiums sich
mit an der Neubildung betheiligen. An stark entwickelten Bündeln
sieht man wohl auf beiden Seiten derselben eine Wurzelanlage
sich bilden.
Daneben entstehen indess auch nicht selten Wurzeln allein
aus dem Interfascicularcambium; das Plerom der fertig
gebildeten Wurzel schliesst dann immer durch Leitbündelzellen
an die zwei nächsten Stränge rechts und links an. Fig. 10 zeigt
eine derartige junge Anlage von Beg. argyrostigma, Link. Das
*) 1. C, p. 765.
Die Vermehning der B^goniaceen etc. 497
IntofMdonlttoainMiim ist an dieser Stelle darch tangentiale und
radiale Wunde in eine Anzahl kleiner Meristeibzellen zerfallen,
weiehe liier die i^ätwen Histog^ne der Wursel noeh nicht ans*
gejf^Agt erkennen lassen; die änsserste; der Stengeloberflttche
nächste Zellschicht hebt sich nnter den ttbrigen heraus nnd bildet
eine Art Bebeide nm die jnnge Anlage, ähnlich wie die Plerom-
scheide um die jnnge Nebenwnrzel.
Wir sehen somit die beiden von Beinke nnterschiedenen Fälle
aü den Stecklingen dieser Art nebeneinander auftreten.
Naeh diesen an den Adventivwnrzeln der Begonien gemachten
Beobacbtangen mnsste es für mich von Interesse sein, dnroh
eigrae Anschannng mir ein Urtheil darttber zu bilden, welche
Bewandtniss es mit der Entstehung der „Beiwurzeln'' in den von
Reinke beschnebenen Fällen aus dem Phloem der QefässbOndel
habe, besond^s da Beinke hierttber keine Zeichnungen beigefbgt
hat Geeignete Präparate von Veronica Beccabunga, Lysimachia
Nnmmularia und Hedera Helix ergaben hiertlber Folgendes:
Die ersteren zwei Arten verhalten sich bezüglich der Bildung
ihrer Adventivwurzeln aus den Stengelknoten einander sehr ähnlich.
Bei Veronica Beccabunga ist das Fibrovasalsystem als ein
geschlossener Gylinder zwischen das centrale Markparenchym und
die peripherischen Bindenschicfaten eingeschoben, und zwar von
diesen durch eine Art QefiUsbttndelsdieide scharf getrennt. Unter
dieser läuft rings um den Fibrovasalcylinder eine Zellreihe hin,
welche unmittelbar an die Pericambiumschicht des Pleroracylinders
der Wurzel erinnert. In diesen beiden Schichten erfolgt nun vorzugs-
weise, wie Fig. 11 zeigt, die Anlage der Wurzeln, und zwar bereits
so nahe am Gipfel des Sprosses, dass sich in den Gefässbtlndeln
die Ausbildung der sämmtliehen Elemente noch nieht vollzogen
hat. Das Cambium (Fig. 11, cc) ist hier ihatsächlich bei der ersten
Wnrzdaalage zunächst in keiner Weise betheiligt; es läuft, durch
die Baatregion getrennt, unter der Wuizelanlage hinweg. Ob aber
Beinke mitBecht die bei der Anlage thätigen Zellen als Weich -
hast bezeichnet, scheint mir zweifelhaft Allerdings unterbleibt
am Orte der Neubildung grossentheils die definitive Ausbildung
der BastEellen, welche, in ihrer Entwicklung durch die hier sieh
ausbreitende Wurzel gehemmt, vielmehr den Anschluss derselben
an, den FibrovasalkOrper vermitteln helfen; aber die erste Anlagd
468 Fritz Regel,
erfolgty wie gesagt, nicht im Bereiche des Bastes, sondern
ansser in der Scheide gs^ in der dem Pericambinm analogen Zell-
reihe 7t, welche schwerlich als zum eigentlichen Phloem
gehörig gelten kann, sondern selbst deutlich vor den GefSss-
bündeln gelegen ist.
Bei Lysimachia Nnmmularia sind die Verhältnisse fast
die gleichen.
Dagegen zeigen die Wurzeln von Hedera Helix; welche
Beinke als bestätigendes Beispiel seiner Angaben ansieht, erhebliche
Abweichungen. Die Anlage der zahlreichen Adventivwurzeln; welche
hier meist in zwei Reihen auf der an der Unterlage hinkriechenden
Seite des Epheutriebes hervortreten; bildet sich ebenfalls schon
unfmi der Zweigspitze. Eine Schutzscheide fehlt hier, ebenso die
continuirliche pericambiumähnlibhe Schicht unter ihr. Das Fibro-
vasalsystem bildet ttberhaupt an den Stellen des Stengels, wo die
erste Anlage der Wurzeln stattfindet, noch keinen ^ geschlossenen
Cylinder, es treten vielmehr auf dem Querschnitt eine Anzahl von
Oefässbtlndeln hervor, zwischen welche sich Parenchymzellen ein-
schieben. Die Wurzeln bilden sich nun nicht vor, d. h. auf der
Aussenseite, sondern an der Seite der Gefässbttndel,* nicht aus
dem Basttheil zugehörigen Zellen, sondern aus der Garn bial -
regio n unter Betheiligung der hieran angrenzenden Paren-
chymzellen. Die Analogie mit der Bildung der Sdtenwurzeln,
welche bei Veronica Beccabunga so frappant uns entgegentrat,
ist hier daher ganz verwischt; noch bildungsfähige Theile
des Gefässbündels selbst vermitteln hauptsächlich die Wurzel-
bildung. Dieselbe nähert sich mithin schon den uns bekannten
Verhältnissen d^r Begonienblätter, wo nahezu entsprechende
Theile der allerdings dort geschlossenen und von einander isolirten
Stränge die Wurzeln erzeugen, freilich aus schon fertig gebil-
deten, erst secundär wieder in Theilung übergehenden Zellen.
Es erscheint mir durchaus nothwendig, dass erst noch eine
grössereZahl der ja keineswegs so seltenen Fälle, in denen
Adventivwurzeln aus den Gelenkknoten krautartiger Pflanzen ent-
springen, — wie z. B. bei Tradescantia, Vinca, Gardamine amar%
Grassulaceen u. a. m. — eingehende Berücksichtigung erfahren, bevor
man allgemeine Schltlsse über den Ursprungsort derartiger
Adventivwurzeln zieht Beinke, der ja übrigens die Verhältnisse
mehr beiläufig als Ergänzung zu seiner Arbeit in Betrachtung
gezogen hat, ist wohl zu weit gegangen, wenn er die aus der
Untersuchung nur weniger Fälle gewonnenen Resultate bereits als
Die Vermehrung der Begoniaceen etc. 46d
allgemein gültige hingestellt') Gewiss dürften weitere ausge-
dehntere Beobachtungen noch manche Abweiehnng feststeUen, da
es sich hier ja offenbar nm Anpassungen handelt, welche, inner-
halb der einzelnen Fflanzengruppe selbständig erworben, dem
entsprechend nach dem jeweiligen histologischen Bau derselben
mancherlei Differenzen aufweisen werden.
3. Entwicklung der Knospen.
Die adventiven Sprosse der Phanerogamen, sowohl solche,
welche an Stämmen entstehen, als diejenigen, welche an Wurzeln
sich bilden^ werden nach allgemeiner Annahme endogen an-
gelegt; sie entspringen „ans einer oder wenigen Zellen, welche
allseitig vom Gewebe umschlossen sind, stets aus Gewebemassen,
welche an Gefässbttndel oder an den Holzkörper unmittelbar an-
grenzen; in der Regel an ihren nach Aussen gekehrten Flächen'^^
Dies in zahlreichen Fällen beobachtete Verhalten ^) der Adventiv-
knospen bestimmte wohl auch Sachs fein Gleiches für die blatt-
bttrtigen Spr($8se der Begoniaceen und für andere durch Blatt-
stecUinge zu vermehrende Pflanzen anzunehmen. Er sagt ^) :
„Adventivknospen entstehen femer endogen unter besonderen
Umständen aus älteren abgetrennten Blättern, Stamm- und
Wurzelstücken, zumal wenn diese feucht lind dunkel gehalten
werden, worauf die Yermehrung vieler Pflanzen in den Gärten
beruht, wie die der Begonien aus Blättern, der Marattien
aus ihren dicken Nebenblättern u. s. w.'^ Möglicherweise stutzt
sich Sachs bei diesen Angaben auf Hofmeister, in dessen Allgem.
Morphologie ich (p. 423) die Stelle finde: „Innerlichen Ur-
sprungs sind auf und an Wurzeln entstehende Sprosse; femer alle
Zweige von Equiseten; die Brutpflänzchen, welche den
auf feuchte Erde gelegten Blättern von Begonien,
den in den Boden vergrabenen Stücken von den l^ipeln der
Marattiaceen entspriessen/'
Diese Angaben sind nun aber, so weit meine Beobachtungen
reichen, fllr die Begonien durchaus nicht richtig; viel-
mehr ergab die Untersuchung, dass bei allen berücksichtigten
^) L c., p. 42; cf. oben S. 463 das einBchlagende Citat
*) Hofmeifter, Allg. Morph, p. 421. cf. aach AI. BranD, Verjüng, p. 35;
das Indiyidaam der Pflance etc., p. 75; femer Tr^col, recherches aar Porigine
des boorgeons adventifa (Annales d. sc. nat. T. YIU (1847), p. 268) a. A. ul
*) Die Aosnabme bei CaUiopsis tinctoria, cf. unter S. 487.
*) Sachs, Lehrbuch, UL Anfl., p. 157.
470 Frits Begel,
Arten die Knospen darchans exogen, als ganz oberflfteh*
liehe Sprosanngen entstcjlien, ssnäehst gebildet ans der
Epidermis unter Befheilignng der näehstliegenden Partieen des
Grandgewebes ; wie dies wenigstens für die Knospen des
Blattstieles F. Magnus in einer kurzen Notiz bereitt riehtig
erwähnt hat ^
Schon weit vorgeschrittene Knospen documentiren ihren exo-
genen Ursprung sofort dadurch, dass die Epidermis des Mutter^
blattes, aus welchem sie sioh entwickeln, nirgends in ihrem
Zusammenhang unterbrochen: wird, sondern continuirlich auf die
Gewebe der Knospe übergeht.
Verfolgen wir nunmehr eingehender diese bei den Phanero-
gamen so ungewöhnliche Bildungsweise^ welche gerade durch
ihren abnormen Charakter ein erhöhtes Interesse erhält.
Zur Untersuchung wurden die gesteckten Blätter, sobald die
Knospen sich zu zeigen begannen, in absoluten Alkohol gebracht,
die Schnitte dann sofort in verdünntes Glycerin gelegt und oft
zur Aufhellung noch mit Aetzkali und Essigsäure behandelt Zum
Studium der Knospenentwicklung wurde namentlich Beg. Hdene
Uhden, hört, benutzt, deren Gewebe an der Luft nicht so rascb
durch Oxydation verdunkelt werden, als die übrigen Arten; doch
wurden ausserdem auch eine ganze Anzahl anderer Arten, beson-
ders Beg. Bex, B. quadricolor, B. ricinifolia und B. xanthina be-
rttcksichtigt.
Nachdem sich auf Querschnitten des Stiels und des Blatt-
nerven ergeben hatte, dass die ersten Schritte der Knospenbildnng
durch Theilungen in der Epidermis selbst erfolgen, so be>
nutzte ich dann ausser geeigneten Querschnitten auch Ober-
flächenansichten zur Orientirung über diese Theilungsvor-
Vorgänge in der Epidermis. Da ja die Knospen zumal an den
durchschnittenen Stellen der Lamina, wie erwähnt, stets in H e b r-
zahl beisammen sich bilden, so bietet letzteres Verfahren den
Vortheil, auf einem einzigen Stück Blattoberhaut von einer ge-
eigneten Stelle meist gleich mehrere Knospenanlagen in ver-
schiedenen Entwicklungsstufen beisammen zu erhalten und hin-
sichtlich der in der Epidermis eingetretenen Theilungen vergleichen
^) In der Bot. Zeitung 1873, p. 270, worauf ich allerdings erst aufmerk-
sam wurde, ab ich meine Beobachtungen bereits fast abgeschlossen hatte ,
bemerkt F. Magnus, dass f,an der Schnittfläche der Blattstiele von Begonia*
Arten oberflächliche Adventivknospenbildnng TOrkomniew^*
Die VermehniBg der fi egoniaceen etc. 471
ZQ kttnneii. Die aUereraten Anf&Qge sind indess mnch anf Bonst
gtlnstigen Präparaten nnr sehr selten sicher zn beobachten. Zum
Theil Uegt dies wohl daran^ dass die ersten Theiliuigen sehr rasch
durchlaufen werden. Hierzu kommt aber noch, dass gerade an
den Stellen, wo die Knospen am zahlreichsten sich bilden, in der
Nähe der Schnittflächen, wie schon oben geschildert (S. 459), in
sehr vielen Epidermiszellen Theiinngen auftreten, welche mit der
Knospenbildung gar nicht in Besiehung stehen, so dass die Be-
nrtheilang der getheilten Epidermiszellen grosse Vorsicht erfordert
Bestehen daher auch diejenigen Anlagen, welche mit voller
Sicherheit als werdende Knospen gedeutet werden
könnten, bereits aus einer Anzahl von Theilzellen, welche
indess meist, z. B. in der Beschaffenheit der gebildeten Membranen,
noch Anhaltepunkte bieten fitr einen annähernden Bttckschluss
auf die zeitliche Aufeinanderfolge der einzelnen Theilschritte, so
ist die hierdurch für die Continuität der direeten Untersuchung
gebliebene Lücke um deswillen von wenig Belang, weil aus dem
Vergleich einer hinreichenden Anzahl von jungen Anlagen deut-
lich hervorgeht, dass bei der Ausbildung des Folgemeristems der
jungen Knospen in den hierbei betheiligten Epidermiszellen eine
bis an fjedeeinzelneXh eilung streng wiederkehrende
Aufeinander fo Ige nicht eingehalten wird, dass vielmehr nicht
einmal die Zahl der fttr die erste Anlage der Knospe
in Anspruch genommenen EpidermiszeUen die gleiche bleibt
Derartige Schwankungen sind leicht begreiflich, wenn wir be-
denken, dass die Epidermiszellen an den verschiedenen Stellen
des Blattes, an welchen die Adventivknospen auftreten — dies
geschieht, wie wir bereits oben sahen, sowohl am Stiel als an
der Spreite, an letzterer theils an der Stelle, wo der Stiel in die
einzelnen Blattnerven ausläuft, theils an den durchschnittenen
Stellen der Nerven, hier auf der Ober- und Unterseite derselben —
ziemlich abweichende Dimensionen besitzen. Diejenigen anf der
Blattoberseite, welche in das MesophyU auslaufen, haben ein be-
deutend grösseres Volumen, als die, welche die Oruppe von
Collenehymzellen in der Mitte des Blattnerven auf der Oberseite,
sowie der Blattunterseite und den Blattstiel ttbeniehen.
Es ist auch wohl zu berücksichtigen, dass wir es hier ja
nicht mit der Bildung eines Organs zu thun haben, welches wie
etwa die Archegonien und Antheridien der höheren Kryptogamen
als wichtige Fortpflanzungsorgane durch ganze Pflanzej^gmppen
bis in seine feilsten Details streng vererbt zu werden pflegt,
47? ^"ntz Begel,
sondern mit adyentiyen; gewissermassen mehr ttberzähligen Bil-
dungen, deren Auftreten bei den verschiedenen Arten der mit
ihnen versehenen Familie * selbst, wie wir sahen, innerhalb der
weitesten Grenzen schwankt.
a) Anlage der Knospen.
Die vergleichende Betrachtung einiger Knospenanlagen von
den verschiedenen Partieen der Stammblfttter, welcher wir ans
nunmehr zuwenden, wird die gemachten Bemerkungen bestätigen
und zugleich nachweisen, wie trotz der DifTerenzen im Einzelnen
doch bei allen Knospen im Ganzen stets der gleiche Entwicklungs-
gang wiederkehrt.
Wir beginnen mit der Schilderung einiger Oberfläcben-
ansichten, denen wir dann diejenige der Querschnitte anreihen.
Die Knospenanlagen der Fig. 12 und 13 nehmen ihren Ur-
sprung aus solchen Epidermiszellen der Oberseite der Blattspreite,
welche an der Grenze von Blattnerv und Mesophyll liegen, b
Fig. 12 ist die centrale Zelle C an der Oberfläche bereits in zahl-
reiche Theile zerfallen ; die ^heilzellen nach Innen entziehen sich
natttrlich der Beobachtung von oben. Auch die an die Zelle C
anschliessenden Epidermiszellen haben sich ebenfalls schon zn
theileu begonnen, und zwar besonders auf ihrer der Zelle G zu-
gewandten Seite. Der Vergleich mit weiter vorgeschrittenen £nt-
wicklungszuständen zeigt, dass auch sie noch sämmtlich in die
Bildung der Knospe hineingezogen werden, deren Umkreis siCb
somit von G als Gentrum aus centrifngal erweitert und mit zn-
nehmender Erstarkung noch mehr Epidenniszellen umfasst.
Neben der Zelle G entspringt ein unregelmässig gestaltetes
Trichom, wie denn überhaupt die zuerst in Theilung übergehende
Zelle einer derartigen Trichommutterzelle häufig benachbart ist
Dieselben sind hie und da auf der Oberhaut anzutreffen. Das
von ihr gebildete drüsenartige Trichom bemerkt man auf den
Querschnitten durch junge Knospenanlagen häufig neben dem
Scheitel (Fig. 22 und 23); die Trichommutterzelle wird später in
die Knospenentwicklung hineingezogen, das Trichom selbst dann
abgestossen. Vielleicht entspringen die Knöspchenf deren Ver-
theilung auf dem Blatte im Uebrigen bezüglich ihres gegenseitigen
Abstandes durchaus keine Regelmässigkeit wahrnehmen läset;
gerade hier häufiger, weil an diesen Stellen Theile d^ Haut*
Systems länger im bildungsfähigen Zustand verharren.
Die Vermelirung der Begoniaceen etc. 473
Bei der Anlage (In. II in Fig. 13) ist nicht in eineri son-
dern sofort in zwei Epidermiszellen gleichmässig das .Zerfallen in
Theilzellen eingetreten.
Fig. 14 bis 16 zeigen Anlagen ebenfalls von der Oberseite
der Blattspreite, aber in der Nähe der Schnittfläche^ wo,
wie erwähnt; die Oberhant anch sonst zahlreiche Theilnngen ein-
geht In Fig. 14 nnd 15 ist die Anlage noch fast anf das Areal
einer Zelle beschränkt, während in Fig. 16 an einer im Ganzen
nur wenig weiter entwickelten Knospenanlage sich sofort 3 Zellen
in nahezu gleichmässiger Weise betheiligt haben.
Zum Vergleich mit Fig. 16 von B. Helene Uhden ist in Fig. 17
eine (etwas jttngere) Anlage von Beg. Rex dargestellt.
Von den Darchschnittsansichten sind Fig. 19 und 29
dem Blattstiel entnommen. In Fig. 18 sind von den bei der An-
lage der Knospe betheiligten Zellen drei getroffen. Die Zelle B
war zuerst bei der Anlage betheiligt; sie war; wie sich noch an-
nähernd feststellen läast, durch zwei tangentiale Wände in drei
übereinanderliegende Abtheilungen zerfallen. In der innersten
derselben ist erst eine radiale Theilung aufgetreten; in der mitt-
leren hingegen hat schon eine viel lebhaftere Zelltheilung statt-
gefunden und in der äussersteu; schon ganz mit Protoplasma
erfüllten Zone nimmt die Anzfihl der Theilzellen noch zu. Diese
mittlere Zelle B entspricht etwa der Zelle G in Fig. 12, in ihr
beginnt sich bereits deutlich das Dermatogen des neu sich bil-
denden Vegetationspunktes abzusondern, während die beiden an-
stossenden Epidermiszellen erst wenige Theilungen zeigen^ denn
A ist erst in drei und C in zwei Theilzellen zerfallen.
In Fig. 19, einem schon etwas weiter yorgeschrittenen Ent-
wicklungsstadinm, haben sich offenbar zwei Zellen der Blattstiel-
epidermis von Anfang an in gleichmässiger Weise an der Bildung
der Anlage betheiligt; hier lässt sich indees die Aufeinanderfolge
der Theilungen keineswegs so deutlich wie im vorigen Falle er-
echliessen; wir haben bereits einen einheitlichen Complex von
Meristemzellen vor uns.
Junge Knospenanlagen von der Oberseite der Lamina stellen
Fig. 18, 20—23 dar.
Fig. 18 zeigt eine solche der Begonia Rex^) entnommene
von den grösseren Epidermiszellen zu beiden Seiten des Blatt-
nerveni die schon zum Mesophyll Überleiten ; Fig. 21—23 hingegen
*) B^. Helene Uhden verlittlt neh ganz znslog.
474 Pntz Regel,
von der Mitte der Blattnervoberseite; an der Stelle, wo die Collen-
chymgmppe unter der Oberhaut hin fioh erstreekt.
Während im ersteren Falle zuerst in einer einzigen Zelle
zahlreiche Theilung^n auftreten, bevor aueh die anstossenden be-
ginnen (wie dies ja auch Fig. 12 uns von oben zeigte), sind es hier
meist zwei oder drei der kleineren Epidermiszellen , welche
gleichmässig am Aufbau des neuen Folgemeristems Antheil
nehmen: ein Verhalten, welches natürlich eine directe Beziehung
der allerersten Theilungen zweier derartiger Bildungen aufeinander
ausschliesst.
Auch bei den Knospen, welche, obwohl im Ganzen in viel ge-
ringerer Zahl, aus der Epidermis der Blattunterseite sich bilden,
findet, wie die Betrachtung der Fig. 24 und 25 von Beg. xanthina
zeigt, ebenfalls keine stets wiederkehrende Aufeinanderfolge der
einzelnen Theilschritte statt. In Fig. 25 sind die Theilungen
offenbar in anderer Beihenfolge vor sich gegangen, als in Fig. 24,
einem älteren Zustand. Letztere Anlage ist eben hinsichtlich der
einzelnen Theilungen von dem jüngeren der Fig. 25 nicht direet
abzuleiten.
Trotz mancherlei Variationen, welche uns somit bei dem
Studium junger Anlagen dieser Adventivknospen auch bei der
gleichen Art aufgestossen sind, kehrt aber doch, wie wir nunmdir
ttbersehen, in den wesentlichen Zttgen ttberall der gleiche Modus
der Bildung wieder: stets sind es einige Epidermiszellen, welche,
obwohl längst im Dauerzustand befindlich, unter den gegebenen
besonderen Umständen sich mit Protoplasma anfüllen und nach-
träglich durch eintretende tangentiale und radiale Theilungen vid-
fach zerfallend in ein neues Folgemeristem sich umwandeln;
frühzeitig sondert sich bei diesen Theilungen eine Zellenlage an
der Peripherie der Epidermis als Dermatogen (Fig. 19) ab, wäh-
rend die anderen Histogene des sich neubildenden Vegetations-
punktes dann gleichfalls allmählich aus den inneren Theilzellen
sieh differenziren.
b) Fernere Ausbildung der Knospen.
Verfolgen wir nunmehr die weitere Entwicklung der
Knospen : das neue Meristem, aus einer Anzahl (6—8) Epidermis-
zellen durch ihren Zerfall in zahlreiche Theilzellen gebildet, w5lbt
sich unter fortgesetzter Theilung bald ttber die Epidermis hervor.
Nachdem der neugebildete Zelleneomplex sich vollständig in Der-
Die Vermehrung der Begoniaceen etc. 475
matogen^ Periblem and Plerom gegliedert hat, tritt er nunmehr
in seine Fanetion als Vegetationspankt ein dnrch Bildung eines
ersten Phylloms (Fig. 27). Dasselbe gleicht in seinem Ban den
Stipulis^ welche an der Basis der normal an der Stammspitze
gebildeten Lanbblätter hervortreten (cf. p. 9) ; es besitzt daher wie
diese eine einfache Strnctnr.
Fig. 27 ist dem Blattstiel von B. Helene Uhden entnommen;
das erste Phyllom einer ungewöhnlich stark über das Niveau der
Epidermis hervorgetretenen Knospe ist hier bereits weit ent-
wickelt; die Bildung eines zweiten bereitet sich schon am Enospen-
scheitel vor. Fig. 28 zeigt ein Knöspchen von der Unterseite
des Blattnerven mit zwei gleichmässig entwickolten Phyl-
lomen, Fig. 26 ein eben solches noch etwas weiter vorgeschritten.
Nachdem so mehrere dieser Vorblätter gebildet worden sind und
die ganze junge Knospe inzwischen durch fernere Zellvermehrung
sich noch weiter hervorgewölbt hat, erhält sie mit fortschreitender
Erstarkung mehr und mehr den Charakter eines Vegetationskegels,
wie er bei der betreffenden Art an der Stammspitze normal ent-
wickelt ist: es werden nun Laubblätter mit je zwei Stipulis an
ihrer Basis gebildet (cf. p. 9).
Doch schon wenn die Knospen in ihrer Entwicklung noch
wenig vorgeschritten sind^ etwa in dem Stadium^ wo sie eben mit
der Bildung der Phyllome begonnen haben, wird bereits eine
engere Vorbindung mit den Übrigen Theilen des
Blattes, von denen aus ja das Material zur Bildung neuer Zellen
zugeführt werden muss, insbesondere mit dem zunächst gelegenen
G ef äs 8 bttndel angebahnt; bald nach erfolgter erster Anlage
der Knospen in der Epidermis nimmt auch das unter der Epi-
dermis gelegene Collenchym an ihrer Bildung insofern Antheil,
als in ihm gleichfalls Theilnngen auftreten. Sind die betreffenden
Zellen dann weiterhin auch bereits mit Protoplasma angeMIt und
in mehrfache Theilstttcke zerfallen, so ist der Umfang der einzelnen
CoUenchymzellen noch an den für dieses Gewebe so charakte-
ristischen Verdickungen der Ecken zu erkennen.
Es treten nun weiter auch in denjenigen Parenehymzellen
des Fttllgewebes, welche die Knospe von dem nächsten Fibrovasai-
strang trennen, Theilungen und zwar im Allg^neinen parallel
zn der Wachethumsrichtnng der Knospe auf. Jede der
Parenehymzellen spaltet sich in eine ganze Anzahl von unter-
einander nahezu parallel angeordneten Theilzellen, welehe somit
mehr oder weniger senkrecht gegen die Peripherie des Blatttheila
Bä. X. H. F. IlL 4. 81
476 Fritz Regel,
— sei es am Stiel oder an der Spreite — sich ordnen. Vom zunächst-
liegenden Gefässbttndel sieht man daher auf dem Querschnitt
meist in ziemlich gerader Richtung^ nicht selten jedoch auch (be-
sonders bei den Knospen der Blattnerren) in einer sich hin- und
herwindenden Linie die Züge dieser Theüzellen bis zur Enospen-
anlage an der Peripherie verlaufen, am ersten vergleichbar in
ihrem ganzen Habitus denjenigen vom Stamm Scheitel auslaufenden
ZellreiheU; aus welchen die Fibrovasalstränge sich bilden. Ein
Theil dieser aus dem Parenchym des Blattes erzeugten Zellen
verwandelt sich dann weiter in sehr charakteristisch gestaltete^
netzartig verdickte Leitbttndelzellen, welche; an das
Xylem dea Stranges anschliessend, eine directe Verbindung zwischen
diesem und der Knospe vermitteln, in welcher bei weiterer Ent-
wicklung ihrerseits selbständig die Differenzirung von GefUss-
bttndehi aus den äusseren Pleromschichten vor sich geht in ganz
gleicher Weise, wie an jedem Stammscheitel. Diese knorrig-
gewundenen Ztlge von Xylemzellen trafen wir schon frllher in
den dichten Nestern, welche gleich ttber der Schnittfläche des
Blattstieles sieh an dem eingepflanzten Blatte nach einiger Zeit
aus den peripherischen Oeweben desselben gebildet haben
(S. 459).
Galt die bisherige Darstellung lediglich dem Entwicklungsgang
der an den gesteckten Blättern entstehenden, also durch k tl n s t-
liehe Bedingungen hervorgerufenen Knospen, so lässt sie sieb
jedoch ohne Weiteres auch auf die bei Beg. quadricolor be-
obachteten Adventivknospen ausdehnen, welche bereits an den
mit dem Mutterstock noch in Zusammenhang befindlichen Blättern
angetrofien wurden (S. 450). Dieselben stimmen in ihrer Ent-
wicklungsgeschichte mit den aus gesteckten Blättern entstandenen
Knospen eben durchaus ttberein.
Ja auch die frtther beiläufig erwähnten Knospen (S. 451),
welche bei Beg. phyllomaniaca in grosser Zahl am Stamm
entspringen, haben, wie ich mich an Material aus dem Botanischen
Garten zu Berlin ttberzeugen konnte, nicht aus inneren Qewebe-
theilen, sondern gldchfalls stets aus ganz peripherischen Zellen
ihren Ursprung. ^)
Ueberall also, wo in dieser Pflanzenfamilie die Bildung der
Adventivknospen verfolgt wurde, zeigen dieselben somit in der
Hauptsache einen durchaus übereinstimmenden morphologischen
^) cf. H. Schacht, Lehrb. d. Anat a. Phys. II, p. 574.
Die Vern(kehrung der ßegoniaceen etc. 477
Charakter. ^) In allen Fällen spielt die Epidermis eine gleich her-
vorragende Rolle.
Wir haben uns in vorstehender Betrachtung ttber die ge-
sammten Regenerationserscheinnngen, welche an den gesteckten
Blättern der Begoniaceen auftreten , einen Ueberblick zu ver-
schaffen gesucht : wir sahen, wie aus einem einzigen Blatte junge
Sprosse in Mehrzahl sich entwickeln können ; wie zahlreiche Adven-
tivwurzeln aus denselben hervorbrechen, welche den erstarkenden
Knospen die Nahrung aus dem Boden zuführen. Die Beobachtung
der letzteren zeigte uns, dass sie an den mannigfachsten Stellen,
am Blattstiel, auf der Ober- und Unterseite der Blattspreite auf-
treten .können; die Verfolgung ihrer Entwicklung ergab in allen
Fällen ihren exogenen Ursprung: die Epidermis selbst und die
zunächst anstossenden Gewebetheile waren bei ihrer Bildung be-
theiligt.
Wäre nun in allen Fällen der histologische Ursprung das
entscheidende Kriterium für den morphologischen Werth eines Ge-
bildes, wie dies von mancher Seite vertreten wird, so müsste man
ja fast die geschilderten Knospen der Begoniaceenblätter eben
ihres Ursprungs aus der Epidermis halber ftlr Trichome er-
klären. Man sieht, wie wenig stichhaltig jene Betrachtungs-
weise ist.
III. literatiirflbersiclit blatibfirtlger Adventivknospeii.
Es dürfte von Interesde sein, nunmehr dasjenige kurz zu-
sammenzustellen, was überhaupt bis jetzt nach den in der Lite-
ratur vorliegenden Notizen bei anderen Gefässpflanzen über
das Auftreten and die Bildung von Adventivknospen an Blättern
bekannt ist.
') Ffv die AdvenÜTknospea von Beg. coriaoea scheint Peter-Petenhaosen
(1. c., p. 47) eine endogene Entstehnng anznnehmen, er tagt: „Um die
Stelle heram, wo sie (sc, die Knospe) die Blattoberfläche darchbricht,
bildet sie eine Peridermasofaiclit.'^ Obgleich ich nicht Gelegeliheit hatte, die
Knospen dieser Art zu untersuchen, muss ich doch nach aUen von mir ge-
machten Erfahrungen vorläufig die Richtigkeit dieser Angabe bezweifeln.
51*
478 Fritz Regel,
Wir werden der Uebersichtlichkeit halber anterscheiden
zwischen denjenigen Fällen^ wo Pflanzen an ihren Blättern bereits
Knospen erzeugen^ so lange diese selbst noch mit der
Mutterpflanze in Znsammenhang stehen und anderer*
seits solchen, bei welchen die Enospenbildung erst statt hat, nach-
dem die Blätter gleich den Begonienblättem abgeschnitten
und unter günstigen Bedingungen cultivirt worden sind.
A. Nattlrlich an Blättern auftretende Adventiv-
knospen.
1. Gefässkryptogamen.
Sehr bekannte Beispiele liefern die Farne, wo bei einer
Anzahl von Arten Adventivknospen beobachtet sind ; sie entspringen
theils aus dem Stiel (Aspleninm filix femina; Aspidinm filix mas;
Pteris aquilina), theils aus der Spreite des Wedels und zwar in
den Achseln der Lacinien bei Aspleninm decussatum, Asplenium
Bellangeri; Aspl. caudatum, Ceratopteris thalictroides. ^) Die-
selben sind nach Hofmeister ^) in allen diesen Fällen exogenen
Ursprungs. Auch Asplenium bulbiferum, Dryopteris palmata, Di-
plazium proliferum, Hemionitis palmata ') ; femer Diplazium celti-
difolium, Gymnogramme Linkiana und Woodwardia radicans^)
werden unter den viviparen oder proliferirenden Famen aufge-
ftlhrt. Bei einigen Famen bilden sich die Knospen auf der
rankenförmig verlängerten Spitze der Blätter, wie bei Chrysodinm
flagelliferam, Chr. repandum Mtt., Asplen. flabellifolium u. flabel-
latum var. cryptopteron Kz. u. a. m. ^)
^) Sachs, Lehrb., III. Aufl., p. 157. Gegen die Aoffaesang der am Wedel-
stiel auftretenden Knospen als „Adventivknospen^* (Hofmeister) hat jedoch
Mettenius Einspruch erhoben (Abh. der math.-physik. Classe d. König]. Sachs«
Ges. d. Wiss. Bd. V, 1861. 6. Mettenius, lieber Seitenknospen bei Farnen).
*) üofmeister, Beitr. zur Kenntn. der Grefässkrjptog. II, 1857.
*) Siehe Neumann, Kunst der Pflanzenvermehrung ed. Hartwig, Weimar
1870, p. 36.
^) £. Regel, Allgem. Gartenbuch I, Die Pflanze und ihr Leben, p. 321;
Woodwardia, auch bei Lindley, Theorie der Gartenkunst, übers, v. TreTiranns
1850, p. 286.
^) AI. Braun, Polyembryonie und Keimung von Coelebogyne, p. 183.
Die Vermebrang der Begoniaceen etc. 479
8. Phanerogamen.
a) Monocotyledonen.
Bei Athernrns ternataS; einer javaniBcheD A'roidee, ent-
springen am Blattstiel endogen angelegte Adventivwnrzeln. Peter-
Petershansen ^) hat ihre Entwicklung beschrieben :
„Am Blattstiel des noch in der Entwicklung begriffenen
Blattes lässt sich stets, und zwar an seiner oberen Hälfte, eine
kleine Anschwellung beobachten, die allmählich stärker wird, bis
endlich ein weisses zugespitztes Höckerchen an dieser Stelle, dem
oberen Ende der Blattstielscheide, heryortritt Der Blattstieltheil
oberhalb des Höckerchens, welcher im Verhältniss zu dem unteren
Scheidentheil nur kurz war, hat sich inzwischen bedeutend ver-
längert, auch sind die Blättchen an seiner Spitze mehr entfaltet,
die Längenausdehnung der eigentlichen Scheide war dagegen nur
gering. Seinen Ursprung nimmt das Höckerchen am obem Ende
der cylinderförmigen Bohre auf dem hier nahe unter der Ober-
fläche verlaufenden Gefäcisen, woselbst kleine, später Stärkekörnchen
enthaltende Zellen auftreten. Sie bilden, indem sie sich durch
Theilung vermehren, die Form eines kegelförmigen, an der Spitze
abgerundeten Wärzchens, welches in die Röhre hineinragt. Um
dieses erhebt sich alsdann ein ringförmiger Wulst, der sich all-
mählich weit ttber ihm ausdehnt und endlich fast schliesst. Zu-
gleich dehnt sich das Parenchym unterhalb dieser ersten Blatt-
anlage fortwährend durch Wachsthum seiner Zelle aus. Eine neue
Blattanlage geht wie die vorige aus der Erhebung eines ring-
förmigen Wulstes, der den Vegetationskegel fast ganz umgibt,
hervor, bildet aber an ihrer Spitze mehrere höckerförmige Wärzchen,
die der älteren Blattanlage fehlen, als Anlagen der Blättchen aus.
Die Anschwellung des Blattstiels an der Stelle, wo sich das
Höckerchen entwickelt, ist jetzt schon sehr merklich, bald erscheint
auch die Spitze des Höckerchens deutlich zwischen den beiden
Kähdem der Scheide. Auf den am Grunde des zu einem Knöllchen
sich verdickenden Höckerchens verlaufenden GefUssbttndeln des
Blattstiels entstehen jetzt neue Gefässe, durchsetzen das Paren-
chym des Knöllchens und treten in das Zellgewebe seiner Blatt-
anlagen ein. Allmählich dehnt sich nun das Parenchym des
EnöUchens weiter im lunern des Blattstiels aus, nmschliesst auch
die nächstliegenden Gefässbündel und grenzt sich gegen das
*) 1. C, p. 4.1.
480 Fritz Regel,
Parenchym des Blattstiels durch eine kleiazelUge Zdlenschicht,
die auch anter die Oberhaut de9 Enöllchens sich fortsetzt^ ab/^
Bei Liliaceen auftretende Blattknospen finde ich erwähnt
bei Hyaointhus FouzoUii. ^) [Ausserdem traf Hedwig die
Blätter einerEaiBerkrone(Fritillaria imperialis), welche
man in eine Pflanzenpresse gebracht hatte ^ an ihrer Oberfläche
Zwiebeln austreibend. Dasselbe beobachtete Turpin (Annal. des
scienc. nat XXV) an Ornithogalum thyrsoides.] ^)
In derselben Familie^ bildet sich bei einer afrikanischen
Drimia ^^constant unter der ein wenig zusammengezogenen
Spitze auf der Blattoberseite eine Knospe^ die sich bald zu einer
kleinen Zwiebel entwickelt und beim Welken des Blattes auf den
Boden gelangt| dort kräftig wurzelt und zu einer neuen Pflanze
auswächst/^ ^)
Schliesslich liefert auch die Familie der Orchideen in
Malaxis paludosaein bekanntes Beispiel, indem die Blätter
dieser Art ^^an ihrem Vordertheil kleine Knospen abstossen/' *)
b) Dicotyledonen.
In dieser Abtheiiung des Pflanzenreichs sind die beobachtet^i
Fälle von Knospen, die an Blättern auftreten, noch zahlreicher.
Schon lange bekannt sind blattbürtige Sprosse bei verschiedenen
Arten der Gattung Cardamine^), vorzüglich bei Cardamine
pratensis; sie treten hier auf den Fiederblättchen an den
Blattnerven hervor; löst das Blatt sich ab, so wachsen sie zu
selbständigen Pflänzchen heran. Ebenso liegt für Cardamine
h i r s u t a eine Beobachtung von Ed. Regel vor ^) : „An einem im
Warmhaus zufäUig gekeimten Exemplar trug jedes Blatt unmittel-
^) DÖII9 Flora von Baden, p. 348.
') Citirt Ton Lindlej, 1. c., Cap. XIII., Fortpflanz. durch Blatter, p. 22(^.
') P. Magnus, Bot. Verein der Prov. Brandenburg, 1873 (30. Mai), p. 7.
Magnus vergleicht hier diese Knospenbildung mit der von Hordeum Aegi*
ceros Rojle, wo im Grunde der kapuzenformigen Aussackung unterhalb der
Spitze der äussern Deckspelze eine Knospe entspringt, die sich zu einer mehr
oder minder voUkommenen Blüthe entwickelt; und ferner mit den Knospen
einiger Farne (Chiysodium u. s. w.).
^) Lindlej, L c, p. 64 ; E. Regel, Allg. Gartenbuch I, p. 322 u. a. A., zu-
letzt Dickie, cf. Bot Jahresbericht 1873, p. 235 und 1874, p. 537.
*) Bot Zeitung, 1873, p. 62 9 ff.; schon von Joh. Naumburg und Henry
Cassini beobachtet Lindley, 1. c, p. 396. cf. Ascherson, üeber eine biologische
Eigenthümlichkeit der Cardamine pratensis 1873; Bot Zeitung 1874, p. 621 ff.
*) Allg. Gartenbach I, p. 822 u. 323.
Die Vermehrtmg der Begoniaceen etc. 481
h^x am Gründe des Spita^enblattes auf der oberen Seite des Blattr
Stieles ein Knöspchen; es enstand zunächst ein zelliges Knötchen;
dieses wichst dann gleichzeitig nach unten in ein junges erstes
Blättcheui nach oben in ein Wttrzelchen aus; dieses krttmmt sich
bald um und entwickelt sich rasch. Das anfangs nach unten
gerichtete Blättchen erhebt sich^ und am Grunde desselben ent«
stehen an der wachsenden Spitze des Enöspchens neue Blätter
und aus dem neuen Achsengebilde entstehen seitlich neue Neben-
wurzeln.'^ .
[Von einer anderen Crucifere^ der Brunnenkresse, be-
richtet Tnrpin ^), was ich gleich hier anfttge, »^dass schwimmende
Blattstttcke derselben ^ welche eine Phryganea fUr ihr Gehäuse
abbeissty unmittelbar von ihrer Basis, unterhalb des gemeinsamen
Blattstiels zuerst zwei oder drei farblose Wurzeln treiben und
dann ans ihrer Mitte eine kleine kegelförmige grüne Knospe''.]
Andere Beispiele; tlber welche nähere Angaben, die Entwick-
lung oder die Art der Anlage betreffend, nicht vorliegen, sind
ausserdem Tellima grandiflora (Saxifrageae) , welche bis-
weilen aus dem Rande der Blätter Knospen treibt. ^) Auch
Brassica oleracea und Banunculus bulbosus werden als
Blattknospen bildend aufgeführt.')
Bei Chelidonium majus L. var. laciniatum sind von
Bemhardi mehrblttthige Blüthenzweige beobachtet, welche aus den
Blättern ohne alle yorausgehende Laubblätter hervorsprossen. ^)
An Levisticum officinale Koch fand AI. Braun ^) mehr-
fach an der Theilungsstelle der oberen Blätter einen oder häufiger
zwei Sprosse, welche nach wenigen kümmerlichen Blättern eine
kleine BIttthendolde trugen. — P. Magnus^) beobachtete 1872 ein
Exemplar von Siegesbeckia iberica Willd., welches auf der
Mitte der Blattstiele seiner unteren langgestielten Blätter kleine
Häufchen von Adventivknospen trug, die sich zu Blttthen entwickelt
hatten.
Bei der Gattung Utricularia erwähnt Pringsheim^) das
^) Lindley, L c., p. 226.
*) Ebenda^ p. 64.
•) In Ed. Begers Gartenbuch, p. 332.
^) AI. Braon, Pflanienindividanm, p. 76.
■) Ebenda!., p, 60.
^ Bot. Verein für Brandenburg 1873, p. 7.
^ Morphologie der Gatl»ag Utricolaria in d. tfonaUber, der. k, Akad.
der Wim. an Berlini Februar 1869.
482 ^ntz Regel,
AuftFeten kümmerlicher Blattsprossei welche exogen in der Nähe
des Winkels der oberen Blattabschnitte entstehen.
Unter den Grassnlaceen endlich zeigen Galan choe
pinnata, Pers. ^) (oder Bryophyllnm pinnatnm Salisb.,
nnd Bryophyllnm calycinnm') nicht selten Knospen in
den Blattkerben; letztere Pflanze znmal ist ein sehr bekanntes
nnd häufig citirtes Beispiel für die Adyentiyknospenbildung: ans
Blättern ; bei ihr entstehen nach Hofmeister ^) ^^die Knospen in des
Blattrandkerben schon vor völliger Entfaltung des Blattes ab
kleine Massen von Urparenchym in den tiefsten Stellen der Blatt-
schnitte«'' *)
B. Kttnstlich ans Blättern erzengte Adventiv-
knospen.
In directer Beziehung zu den von uns geschilderten Adventjv-
knospen der Begonien stehen diejenigen Knospenbildungen, welche
an gesteckten; also von der Mutterpflanze abgetrennten Blättern
erzielt vrerden.
Während bei vielen Phanerogamen ausgewachsene Blätter,
abgeschnitten und gleich einem gewöhnlichen Zweigsteckling be-
handelt; zwar an der Schnittfläche Wurzeln hervorzutreiben und
lange Zeit hindurch sich selbständig zu ernähren vermögen, wie
Glianthus puniceus ^), Hoya ^) und Ligeria Donkelari (Bastard von
Gesneria discolor und G. rubra (Ligeria)^) zeigen^, so pflanzen
sich dieselben doch nur bei einer sehr beschränkten Anzahl
^) AdTentivknospen Ton Calliopsis tinetoria in den Abb. des Bot, Vereioi
der FroY. Brandenburg 1870; E. RegeVs Gartenflora 1868, Bd. XVII, p. 3O0.
*) Sacbs III, p. 157; Seubert Lebrbucb; AI. Braun Pflanzenindiv., p. 76;
Descaisne et Maoüt Einleitung, und zahlreiche gärtnerische Schriften, z, fi.
Regel's Gartenbuch, p. 321 (mit Abbildung).
') Hofmeister, Allg. Morphol, 422 n. 423.
^) Die Knospen treten nicht immer schon an den noeh an der Mutter-
pflanze befindlichen Blättern auf, können dann aber aus jedem einzelnen
gesteckten Blatte erhalten werden (cf. unten S. 485). Kürzlich ist über
diesen Gegenstand eine specielle Arbeit erschienen (Hermann Berge, Entwick-
lung Ton ßryophyllum calycinnm I. Theil, Dissertation, Zürich 1876), doch
fehlen leider noch die Abbildungen zu der daselbst gegebenen Stihilderung.
(Nachträgl. Bemerkung.)
^) Vergl. Regel's Gartenbuch, p. 351. Eigenthümlich ist, dass krautartige
Blätter bisweilen das Ansehen von immergrünen erhalten, wie Knigbt an
Mentha beobachtete (Lindley, 1. c).
*) A. Conrtin, Die Pflanzenvermehrung, Stuttgart, p. 129.
') Ebendas., p. 123.
Die Vermehrung der Begoniaceen etc. • 483
der hSheren Pflanzen selbständig durch Adventiyknospen fort.
Meist sind es när dicke and fleischige, oder auch sehr yollsaftige,
endlich lederartige, sehr resistente Blätter, welche sich zur Er-
zeugung von Knospen verwenden lassen.
üeber die Art und Weise der Anlage und die Entwicklung
deiBclben ist nur in den wenigsten Fällen etwas Näheres bekannt.
Die hier gegebene Aufzählung der übrigens sehr zerstreuten No-
tizen möchte zu weiteren Beobachtungen in dieser Richtung anregen.
In der Abtheilung der Gefässkryptogamen sind es die
Marattiaceen^), deren Vermehrung fast ausschliesslich durch
Knospen geschieht, welche sich aus den fleischigen Stipulis ent-
wiekeln. Couftin^ gibtauch vonSelaginella paradoxa(!)an,
dass sie sich durch einzelne Blätter vermehren lasse. Unter den
Monocotyledonen liegen, so weit mir bekannt geworden, nur
aus der Familie der Liliaceen mehrere Beobachtungen vor.
Nach verschiedenen Angaben ^) können Aloe-Arten Knospen aus
einzeln gesteckten Blättern entwickeln, besonders Arten der Ab-
theilung Gasteria. C. Bouch6 sah bei Hyacinthus corym-
bosus und Ornithogalum, dass junge Blatttriebe, welche
halbdurchschnitten und mit Erde theilweise bedeckt wurden, an
den Schnittflächen Knospen bildeten. Ftlr Eucomis^) und
Lachenalia (Liliaceen) wird von ihm das gleiche Verhalten
constatirt, ja es wird die Vermuthung ausgesprochen, dass wohl
alle zwiebeltragenden Liliaceen auf diesem Wege zu vermehren
seien. (Vergl. auch Neumann, Pflanzenvermehrung, p. 38.) Neuer-
dings hat P. Magnus ^) die Entwicklung derartiger Adventivknospen
bei Hyacinthus orientalis, L. näher geschildert. Nachdem
die Blätter eine Zeit lang in der Erde gesteckt haben, schwellen
die Parenchjrmzellen der daselbst befindlichen Blatttheile durch
Wachsthum an und theilen sich durch successive Zelltheilung in
ein Fäoherwerk von Zellen; meist beginnt dieses Wachsthum
nebst Theilung in der zweiten oder dritten Zellenschicht von
Aussen und geht dann erst auf die Epidermis ttber oder beginnt
auch zuerst in der Epidermis und schreitet nach Innen fort „Die
^) Sacha III. p. 157; Hofm., Beitr. zur Kenntn. d. Gefässkr. II, p. 656.
^ PflanzenTermelirang, p. 122.
') Gartenflora 1858, Bd. VII, p. 58; Tergl. aach Neabert's Magazin 1859,
p. 140.
^) Wird Ton Ed. Regel, AUg. Gartenbach, p. 822 anter den Blattknospen
entwickelnden Pflanzen ebenfalls mit aofgeföhrt.
*) Bot. Verein der Provinz Brandenbarg, 30. Mai 1873, p. 6.
484 Fritz Regel,
Schliesszellen der über die betheiligte BUttflüQhe sev&treuten
Spaltöffnungen zeigen nie Wachsthnm und ZeUtheilongr wie die
umgebenden Zellen/^ I^ierdurch; sowie dureh das ungleiche
Längenwacbstbum der senkrecht nach Aussen hervortretenden ZeU-
reihen werden zahlreiche tief gegen einander abgesetzte Hll^^el ge-
bildet, deren oberer und äusserer Theil aus den schwach divergi-
renden Zellreihen, zu denen sich die Epidermiszellen ent?rickelt
haben, gebildet jst. Aus deq unteren dieser Hügel ent^tahieii
Wurzeln, deren Entwicklung Magnus nicht verfolgt hat; aits den
oberen hingegen zahlreiche blattanlegende Enöspchen, die su Brut"
zwiebelchen werden, zumal auf der Bauchseite det Blatte».^)
Während der Bildung der Hügel haben «ich auch die innerea
Parenchymzellen in zahlreiche Zellen getheilt, die sieh zu einem
beträchtlichen Theil in spiralig bis ringfbnpig verdickte Leit-
bttndelzellen umbilden ; diese fliessen zu einem mannigfach knorrig
gewundenen Gefässbündel zusammen, welches hie und da mit
den Oefässbündeln des Blattes anastomosirt.
Wir sehen, diese Angaben, welche absichtlich zum Vergleich
etwap eingehender citirt wurden, zeigen in manchen Punkten Ana-
logieen mit den Begonienknospen: die Sprosse entstehen aoeh
hier aus den durch Wachsthum und Theilungen umgewandelten
peripherischen Zellen des Blattgewebes; aus den inneren
Parenchymzellen bilden sich Gruppen von Leitbflndelzellen.
In der Praxis der Gärtner längst bekannt ist die Erscheinung,
welche ebenfalls an dieser Stelle Erwähnung finden mag, das» dio
Lilienarten sich durch einzelne Zwiebelsohuppen vermehren
lassen ^), indem sich an der Basis der abgebrochenen Schnppen
junge Zwiebeln bilden. Eine grössere Beschleunigung der Zwiebel-
bildung erfolgt nach C. Bouchö, wenn man die Schuppen schon im
Sommer nach dem Abblühen des Stengels abbricht und an einem
trockenen, aber schattigen Orte bis zum Herbst aufbewahrt, bis
wohin schon eine Menge Zwiebelchen sichtbar sind, die in's freie
Land etwa zwei Zoll tief eingepflanzt im nächsten Frühjahr Blätter
treiben. Im Herbst abgenommene Schuppen erzeugen hingegen
die Zwiebelchen erst im folgenden Jahr.
Ausserdem treten z. B. bei Lilium auratum an den
Schuppen der Mutterzwiebel, während der Schaft austreibt, auf
^) Ueber Anlage des ersten Blattes u. a. m., s. Magnus, 1. c, p. 7.
. ') C. Boucli4 in Neubert's Magazin, Bd. I, p. 125. Neiuai^n, PHanxen-
▼ermehrung, p. 38 (Lilium japoniouoi)« Vergleiiihe Regel's QartonfloEa) 18a8|
Bd. VII, p. 68.
Die Vermehriuig d^r Begoniaceen etc. 485
deren innerer Oberflüehe kleine Zwiebeln ftuf. An genannter
Art hatte ich vorigen Winter 1874/75 Oelegenheit^ diese Gebilde
zu beobachten:
Eine einsige ans der Zwiebd dcB schon keimenden Triebes
ausgelöste Schuppe war mit einer ganzen Ansaht meist dicht am
Bande» doch einteln auch aus der Mitte der Schuppe entspringender
Zwiebelchen besetzt Querschnitte, durch eine solche Schuppe an
den geeigneten Stellen geftihrti ergaben auch hier einen durch-
aus oberflächlichen Ursprung der Knospen: nur die Epi*
dermis und einige wenige an sie anschliessende Parenchym-
Zellen hatten sich bei der Bildung der Knospe betheiligt; ron einer
engem Verbindung derselben mit dem zunttchstliegenden sehr rudi-
mentären Gefitosbttndel war nichts zu bemerken; dagegen hatte
sich im Plerom der schon älteren Knospe eine compacte Masse
von spiralig verdickten Leitbttndelzellen gebildet Ganz junge
Entwicklungszustände waren zwar an den mir gerade zu Gebote
stehenden beiden Schuppen nicht aufzufinden, aber auch die unter-
saehten älteren Knospen gaben ganz sichere Anhaltspunkte fttr
die angegebene Bildungsweise. Wir hätten somit in derselben
wiederum einen Fall ganz exogener Entstehung von Knospen
ans einem Blattgebilde.
Unter den Dicotyledonen sind es ausser den Begonien
hauptsächlich Pflanzen aus den Familien der Crassulaceen
und derGesneriaceen, welche der Fortpflanzung durch Blatt*
Stecklinge fthig sind; ihnen schliessen sich- noch vereinzelte
Vertreter anderer Familien an.
Von Crassulaceen sind ausser dem schon oben bertlhrten
Bryophyllum calycinum und pinnatum noch namhaft zu
machen die Gattungen Crassula^), Cotyledon'), Eche-
veria'), Sedum^); ebenso bildet Rochea falcata an der
Unterseite der Blätter Adventivknospen. ^) Die Knospen treten bei
Arten von Grass ula meist schon nach kurzer Zeit am unteren
Blattende an der Abtrennungsfläche hervor, ohne einen sehr merk-
lichen Gallus zu entwickeln. Sehr bekannt und schon längst in
^) Regsl, Allg. GarienbttOh, p. 330 (neben Eobeveri*).
*) C. Bottck^ in der Hendbibliotbek für GKriner von Lenn^ elo. I, p. 3d
(neben CrtMiila).
*) A. F. Lenz, Zierpflanzen onserer Zimmer und Fflenienhäaeer, p. dS
(ebenda ancb CrasBula).
*) Coqrlin« Pflanzanvennebrang, p. 1S3.
*) Lindlej, 1. o^ p. 925.
486 Fritz B^ed,
der giftaeriMlieii Prsxis zur Venndmuig Terwandl^ uX die
bilditDg ba vielen Gesneriaceen. BesondendieGlo^imiei
werden als typisehee Beispiel der Entsfehong tob A^d^cntir-
knospen ans BUUtem aagefBhit^); neben Omen Aekina^aea^
Colnmnea')^ Ckirita sinensis.^
An einem soldien gesteckten OloximenUatt Uldet mA an der
Sehnittfliche des Südes aOmäUieh ein betriektlidier fiber die*
sdbe henrortretender GaUos, wdeher sieh bis zu dneHi liAsel-
nassgrossen Knollen entwiekdt. Hatte man die Blattrippes
der Lamina geritst, so tritt an den angesehnittraen Stellai eben-
falls Gatlmigewebe anf. Zahlreiche fdne Wfiraddien bedeekeo
die gebildete Knolle. „Diese Tcrhält sich^) anflLngfidi darduu»
wie eine wahre Wurzel, indem sie keine Spur einer Knospe in
der gleichen Vegetationsperiode zdgi Erst wenn das Blatt, was
dieselbe erzengt hat, abgestorben ist nnd die Knolle nnter dem
Einflösse von Trockenheit eine Zeit lang gemht hat, da bildet
sich im nächsten Frtthling auf ihrer Spitze dne Adventivkooepe.
Diese Eigenthttmlichkeit zeigt der gröeste Theil der Gesneriaceen,
namentlich die Gloxinien , Gesnerien a s. w.^ Anch bei desk
Gloxinien genügen schon T heile eines Blattes zur Erziehm^ von
Knospen. Diesen Beispielen schliessen sich noch einige isolirfe
Notizen von anderen Dicotyledonen an.
Vom Portulak^ erwähnt Flonrens einen Fall, wo das
Blatt, in drei Portionen getbeilt, ebenso viele neue Pflanzen bildete.
Morren ftthrt femer den Orangenbaum, die Ancnba
(Caprifoliaceen) and den Feigenbanm als andere Beispiele von
Gewächsen anf, die sich durch Blätter vermehren lassen. 7)
') £• Regel, Allgemeines Gartenbach« H« Jäger, Zimmer- mid Emus-
gürtnerei, 1870, p. 204. Ueber das Verfahren Yergl. Neabert's Magazin,
1852, p. 376, 1854, p. 39. Ferner Gartenflora, Bd. I, 1852 p. 38, Bd. IV,
18ft5, p. 67; Handbibliothek für Gärtner, Bd. X, 250. Illnstr. Gartenzeitung,
Bd. Vllf p. 21. H. Schacht, Anat. u. Phys. d. Gew. IL Th., p. 12 n, p. 134.
*) Neamann, Pflanzenvermehrang, p. 36.
*) Coortin, 1. c, p. 122.
^) Neabert*8 Magazin, 1854, p. 39.
^} Ed. Regel, Die Pflanze und ihr Leben, p. 351. Die bei vielen Gesne-
riaceen (Gesneria, Achimenes, Tydaea etc.) mit Erfolg benutzte Vermehnmgs-
methode ans den Schuppen der Knollen and Rhizome gehört nicht hierher,
da sich mit der Schuppe die schon am Rhizom angelegte Achselknospe
mit loslöst (Neamann, PflanzenVerm,, p. 89).
^) Lindley, p. 225.
^ Li Morren's Uebersetzung von Lindley's Umriss der ersten Anfangs-
gründe der Gartencultur, s. Lindley, 1. c, p. 225.
• I
— A
T .
Die Vennehrüng der B^oniaceen etc. 487
Aag. St Hilaire erwähnt einen Fall, wo von den Blattfrag-
dienten einer TheophraBta^) Blattknospen erzengt wurden,
sowie eines anderen von jnngen. Droseren, welche aus den Blättern
von Drosera intermedia hervorgebracht waren. ^
Aach bei einer anderen Droseracee, der Dionaea masci-
pnia; hat man Pflanzen ans Blättern erzielt.')
Ausser den hier namhaft gemachten Fällen ist noch, so
'weit mir bekannt geworden, bei folgenden die Vermehrung durch
gesteckte Blätter geglückt:
Nach Neumann (Pflanzenverm. 36 u. 37) bei Peperomia
(Piperac.), selbst bei Pelargonien, Camellien und Rosen«
Nach Courtin (Pflanzenvermehrung, p. 122) bei Brexia
(Aquifoliac.)» Clavija (Myrtin.), Francoa (Dilleniac), Strepto-
carpus (Bignoniac. LindL; eine andere durch Blätter vermehr-
bare Bignoniacee IstAeschinantbus, RegeFs Gartenflora), und
bei Leptandra bicolor (Gesneriao. Endl.), Phyllagathis
rotundifolia(Melastomac.) und diverse Arten von Bertolonia
(Melastomac).
Schon aus diesen Angaben, welche uns über die Bildung der
an Blättern entstehenden Knospen bei sehr verschiedenen Pflanzen-
arten vorliegen, ist zu entnehmen, dass unter der Mannigfaltigkeit
dieser Gebilde manche Analogien Hir die bei den Begonien ge-
schilderte Entwicklung der Adventivsprosse existiren und sich bei
weiterer Untersuchung wahrscheinlich auch noch in manchen
Fällen herausstellen werden.
Vor Allem muss aber ein in der Literatur vorliegender Fall von
Adventivknospenbildung aus dem Stamme erwähnt werden, obwohl
alle derartigen Knospen, welche an Stengeln, am hypocotylen
Gliede der Keimpflanzen, sowie an Wurzeln sich bilden, als
nicht hierher gehörig, geflissentlich nicht berücksichtigt wurden«
Es sind dies die von AI. Braun geschilderten und von P. Magnus
anatomisch untersaehten sehr merkwürdigen Adventivknospen,
die am Stengel und den Blttthenstielen von Calliopsis tinc-
toria meist in grosser Anzahl als eine „erblich gewordene Mon-
^) DMselbe bei NoiBette, Handbach der Gartenkonde, 1827, I, 2. Theil,
p. 182« Metiger (Gsrtenbuch) erwähnt neben Ficos noch Xjlophjlla
(Enphorb.).
") Idndlej, U c, p. 226. Nach Neomann (L c, p. 37) liefern mehrere
.Xheophraftenarten Knospen nnd Warsein aas zerschnittenen Blättern.
*) Bflgers Gartenflorai fid. X, 1861, p. 361.
488 ^t2 Rdgel,
strositäf' auftreten.^) Nach Magnus entstehen dieselben als T)Hlig
oberflächliche Sprossnngen ; aueh hier geht die StammepiderDiiB
unmittelbar auf die Knospen über. In der primftren Binde bilden
sich Gefässbtlndel; aus Längstheilungen des Rindenparenchyms
hervorgehend; sie laufen oft ziemliche Strecken in der primären
Rinde parallel den LängslinieU; in welchen die adventiven Sproflse
auftreten. Von ihnen aus entsteht das Gefftssbttndelsystem der
Knospe durch lebhafte Längstheilung von Parenchjmzellen parallel
zur Wachsthumsrichtung der Knospe.^)
Zasammenfassung der hauptsächlichsten Ergehnisse fiher die
Regenerationserscheinungen der Begonlaeeeu - LaubblStter
nehst einigen gleichzeitigen Beohaehtungen.
L („Callus'O.
1) Die Epidermis erzeugt in der Nähe der Schnittflächen,
sowohl am Blattstiel als an den durchschnittenen Stellen der Spreite
zahlreiche wurzelhaarähnliehe Trichome.
2) Bei der an den genannten Stellen sich bildenden An-
schwellung der Blattgewebe sind betheiligt die Epidermis, das
GoUenchym, zahlreiche Zellen des Parenchyms und die Cambial-
zone der Fibrovasalstränge.
3) Es bilden sich im Gewebe des Blattstiels und der Nerven
prooambialeZüge (besonders zwischen den peripherischen Strängen),
welche sich zum Theil in schraubenförmig verdickte Leitbttndel-
Zellen umwandeln.
IL (Wurzeln).
i) Die Begoniaceenwurzel zeigt an ihrem Vegetationskegel
den bei den Phanerogamen am häufigsten angetroffenen Wacha-
^) Abb. des naturf. Vereins der Prov. Brandenburg, 1870, p. 157 fl. Zu-
weilen treten die Sprosse jedoch aach auf die Blätter über, 1. c, p. 154.
^) Eine Stelle in £. RegePs „Die Pfianze und ihr Leben'S p, 320: ^Treten
diese (sc, Adventivknospen) ian atisdaoemden Adiseii auf, so entspringen sie
ans dem oberflächlich liegenden Zellgewebe and an älterem Stämmen
aus den Markstrahlen" (späcielle Angaben sind nicht gemacht), legt die Ver-
maihung nahe, dass die Exogene Bildung von Adtentivknospen auch an
Stämmen eine grössere Verbreitung besitze.
Die Vermehrung der fiegoniaceen etc. 489
thurastypus: sie wächst mit drei HiBtogenen (Plerom^ Peribleoi^
Dermatogen) ; das Dermatogen bildet durch tangentiale Theilungen
die Schichten der Wnrzelhanbe.
5) Die Adventiywnrzehi entstehen a) am Blattstiel und zwar
je nach der Art entweder nnr dicht an der Schnittfläche, oder
htther hinauf; b) an den durchschnittenen Stellen der Blattnerven;
hier treten sie meist nnten oder an der Seite, bisweilen (Beg.
Helene Uhden) auch oben hervor.
6) Ihre Anlage erfolgt endogen seitlich an einem der dem
peripherischen Kreise angehangen Oefässbttndel , und zwar in
dessen Cambialregion unter Betheiligung der das Bündel gegen
das Obrige Parenchym abgrenzenden Zellschicht.
7) In dem zuerst gebildeten Complex primärer Zellen treten
Dermatogen und Periblem als differenzirte Histogene nicht eher
hervor y als auch die Plerominitialen als solche unterschieden
werden können.
8) Bei den Zweigstecklingen der aufrechten Arten (z. B. Beg.
argyrostigma) werden neben den zahlreichen Wurzeln, welche aus
den Gefässbttndeln entstehen, auch solche allein ans dem Inter-
fascicularcambium gebildet.
9) Die Anlage der Adventivwurzeln an den Stengelknoten von
Veronica Beccabunga L. und Lysimachia Nummularia geschieht
vor den Oefässbttndeln in der ,,Strangscheide'' und einer unter
dieser (dem Pericambium der Nebenwurzeln vergleichbaren) Zell-
reihe.
Bei Hedera Helix L. hingegen bilden sie sich an der Seite
eines Fibrovasalbttndels aus dem Cambium und den an dieses
stossenden Parenchymzellen.
in. (Adventivknospen).
10) Die Adventivknospen treten bei den meisten grossblättrigen
Begonien auf am Blattstiel über dem Schnitt und an der Spreite,
hier sowohl an der Stelle, wo der Stiel in die Laminanerven aus-
strahlt, als auch an den durchschnittenen Stellen der letzteren,
auf ihrer Ober- and Unterseite.
11) Bei Beg. quadricolor finden sich bisweilen die Knospen
schon an den mit der Mutterpflanze noch zusammenhängenden
Blättern auf der Oberseite der Blattrippen zerstreut
12) Die Anlage sämmtlicher beobachteter Knospen war nie-
mals endogen, vielmehr stets exogen.
490 Frite Kegel,
13) Die ersten Schritte zur Knospenbildang beginnen in der
Epidermis. Es füllen sich entweder zunächst eine oder gleich-
massig mehrere (2 — 3) Epidermiszellen mit Protoplasma und zer-
fallen in zahlreiche Theilzellen.
14) Die Betheilignng an dem Aufbau der Knospe schreitet
von dem ersten Bildungsheerde centrifugal fort und dehnt sich
auf die umgebenden Epidermiszellen aus; unter den Histogenen
des sich bildenden Folgemeristems bildet sich zuerst eine peri-
pherische Schicht zum Dermatogen, hierauf aus den weiter nach
Innen gelegenen Theilzellen Periblem und Plerom.
15) Ausser der Epidermis treten nunmehr auch in tiefer
gelegenen Zellen Theilungen ein, zunächst im CoUenchym, weiter
auch in den Parenchymzellen , welche die junge Knospe vom
nächsten Gefässbttndel trennen. Die K|aospe ist sodann mit
letzterem durch procambiale Zttge verbunden; deren Theilzellen
sich später zum Theil in unregelmässig gestaltete Xylemzellen
umwandeln (yergl. 3).
16) In den Zellen der Histogene beginnt im neug^bildeten
Vegetationspunkt nunmehr die Anlage von Phyllomen.
17) Die ersten gebildeten Blätter zeigen einen ähnlichen Bau,
wie die zweiStipulae an der Basis jedes Laubblattes; mit weiterer
Erstarkung erhält die Knospe den nämlichen Charakter, wie die
jüngsten Theile der Stammspitze der gleichen Art
18) Auch die Adventivknospen von Beg. quadricolor (cf. 11)
zeigen den gleichen exogenen Ursprung.
IV.
19) Die Zwiebelchen auf der Innenfläche der Schuppen von
Lilium auratum entstehen ebenfalls aus ganz peripherischen
Oewebetheilen.
Die Vermelirung der ßegoniaceen etc« . 491
Brklftnmg der AbMldniigeii»
Taf. XV.
Fig. 1. Laubblatt üner Begoniacee (etwa B. Helene Uhden) (schematisch)
nach eingetretener Enospenbildnng. Ana dem Stiel treten zahl-
rmohe Wärzeichen (w) heryori in der Nähe der Schnittfläche anch
Knospen (k%)« Letztere zdgen ^ch an der Spreite bei kn^, wo die
Nerven in die Lamina aasstrahlen, and an den zahlreichen daroh-
schnittenen Stellen der einzelnen Blattnerven (kn,).
Fig, 2. Qaerschnitt des Blattstiels von B. Helene Uhden, die Anordnang
der Gewebe zeigend, ep Epidermis, coU Collenchjrm, gfb Grefäss-
bündeL
Fig. 8. Qaerschnitt des Blattnerven. Bezeichnnng ebenso.
Fig. 4. Stück eines Qaerschnitts von Beg. splendida argentea. Ans den Epi-
dermiszellen der Unterseite des Blattnerven haben sich die „Pseudo-
Wnrzelhaare*' (tr) gebildet
Fig. 5—11. Adventivwarzeln.
Fig. 5. Qoersohnitt de^ Blatferippe von Beg. qnadricolor mit einer nach
anten darchbrechenden Warze! (Adv.-Wz.) (etwas schematisch).
Yergr. ^/i- Fhl Basttheil, Camb. Cambialzone, Xyl HobEtheiL
Fig. 6. Qaerschnitt des Blattstiels von Beg. Helene Uhden, hört mit einer
vollständig angelegten Warzel (etwas schematisch) ^/j.
Fig. 7. Warzelanlage aus einem schwachen Strange des Blattstiels derselben
Pflanze; das erzeugende Gefässbündel gfb. 2 ist mit dem nächst-
liegenden gfb. 1 in eine' engere Verbindang getreten.
Iflg. 8. Blattstielqaerschnitt derselben Art, mit einer jüngeren Warzelanlage.
Die Histogene sind noch nicht deatlich za anterscheiden« *^/i.
Fig. 9. Ein schwächeres Bündel mit einer weiter vorgeschrittenen Warzel-
anlage, welche die DifTerenzirang der Hbtogene zeigt pli Plcrom-
initialen, pbi Peribleminitialen, dt Dermatogen, Mp Markparenchjm.
Taf. XVI.
Fig. 10. Jnnge Warzelanlage (Wz.) aas dem Interfasdcularcambiam (Intf.
Camb.) eines Zweigstecklings von Beg. argyrostigma (Qaerschnitt).
Eine deatliche DifTerenzirang der Histogene ist noch nicht za er-
kennen. Vergr. ^^.
Fig. 11. Veronica Beccabanga, Querschnitt des Stengels mit der jungen An-
lage einer Adventivwurzel. B Parenchym des Bindenkörpers, M des
centralen Markes, gs Grefässbündelscheide, n darunterliegende Zellen-
reibe, Phl. Phloem, cc Cambium, g Gefäss. "^/j.
Bd. X N. F. M. 4. diu
492 Fntz Kegel, Die Vermehrung der Begoniaceen etc.
Fig. 12—28. AdventiYknospen.
Fig. 12-17. Anlage der Adventivknospen in der Epidermis der
Oberseite der Blattnerven von der Fläche gesehen. Die-
selben sind ausser Fig. 17 (Heg. Rox) sämmtlich Beg. Helene Uhden
entnommen.
Fig 12 u. 13. Epidermiszellen an der Grenze von Blattnerv und Mesophyll
liegend. In Fig. 12 ist Zelle C bereits vielfach getheilt, neben ihr
das drüsenartige Trichom tr; auch die C angrenzenden Zellen be-
ginnen sich zu theilen. In Fig. 13 sind sofort 2 Epidermiszellen bei
der Knospenanlage betheiligt.
Fig. 14—16. Epidermiszellen der Blattnervoberseite in der Nähe der Schnitt-
fläche. Hier hat eine lebhafte Zelltheilung iauch in solchen Zellen
begonnen, welche bei der Knospenbildung zunächst nicht betheiligt
sind. Der Umfang der ursprünglichen Epidermiszellen ist überall
an der Stärke der Membran noch zu erkennen. In Fig. 14 ist die
Knospenanlage noch fast ganz auf 1 Zelle (I) beschränkt, ebemo
in Fig. 15, während in Fig. 16 sich 4 Epidermissellen (I — IV) in
nahezu gleichmässiger Weise an der Knospenbildung betheiligt
haben.
Fig. 17. Epidermis der Blattobei:seite von Beg. Rex, etwas seitlich von der
Blattrippe. In Zelle I sind in der Ansicht von oben 6 Theilzelleo
gebildet ; die umliegenden Zellen beginnen sich glmchfalls zu theileo*
Fig. 18-— 28. Adventivknospen auf Querschnitten der Blätter.
Fig. 18. Beg. Rex, Oberseite des Blattnervs, etwas seitlich von der mittleren
CoUenchymgruppe (coli) ^i»
Fig. 19 ü. 20 vom Blattstiel der Beg. Helene Uhden ^j^] in Fig. 19 ist die
Knospenanlage vorzugsweise in Zelle B eingetreten, in Fig. 20 sind
Zelle I und II gleichmässig betheiligt^ Kn. Knospe, E. Epdenni^
Coli. CoUenchym.
Fig, 21. Nahezu entsprechende Stelle wie in Fig. 18 von Beg. Helene Uhden;
an der Anlage sind 4 EpidermiszeUen betheiligt.
Taf. XVII.
W\g, 22 n. 28. Knospenanlagen von Beg. Helene Uhden, ebenfalls von der
Oberseite des Blattnerven; neben dem Scheitel der Anlage tritt
das Trichom hervor (tr) ^j^.
Fig. 24 u. 26. Beg. xanthina, Unterseite des Blattnerven, ^i.
Fig. 26—28. Weiter entwickelte Knospen von Beg. Helene Uhden. Fig. ^^
(»«>/i) und Fig. 27 (««o/j) dem Blattstiel, Fig. 28 (««»A) der Unter-
seite des Blattnervs entnommen.
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen.
Von
Dr. Relnliold Teascher.
Hitnni Tai •! XYm— XXn.
ni. Asteridae.
Zur Untersuchnng der Astenden dienten mir zunächst eine
Anzahl grosser und vollkommen erhaltener Exemplare von Astero-
pecten anrantiacns; zum Vergleich benutzte ich verschiedene
andere Arten von Seestemen, die ich der Freigebigkeit der
Herren Prof. Haeckel nnd Dr. G. v. Koch verdanke. Meine
Schilderung bezieht sich überall, wo ich keinen andern Namen
nenne, auf Asteropecten aur.
lieber das Ambulacralgefössystem habe ich wenig zu sagen.
Bei Betrachtung des Längsschnitts, durch die Mitte des Anfangs
des Strahls bei Fig. 2 fällt eine Eigenthttmlichkelt in die Augen,
die ich nur bei Asteropecten gefunden habe: die untern Ambn-
lacralmuskeln uam verlaufen nämlich fast ganz im Innern des
Ambulacralcanals, und dieser letztere bildet zwischen je zwei
Muskeln eine Art Divertikel nach unten. Diese Anordnung er-
klärt es, warum bei fast allen Querschnitten der Ambulacralrinne,
die den Muskel treffen, der Ambulacralcanal zweimal durch-
schnitten wird, einmal über und einmal unter dem Muskel
dag Fig. 10.
Der Ambulacralmundring befindet sich nach innen von und
dicht neben dem ersten Ambulacralmuskel , zwischen ihm und
einem anderen sehr kräftigen Muskel, rm Fig. 2, welcher mit
ihm rings um den Mund läuft und an jeden ersten Wirbel durch
88*
494 Reinhold Tenscher)
ein starkes Band befestigt ist. Dass der betreffende Bing ein
Muskel ist, lehrt die Betrachtung jedes Querschnitts desselben;
er stimmt mit den Ambulacralmuskeln aufs yollkomineiiste im
Baue ttberein. Er besteht, wie diese, aus einem Gerüst von binde-
gewebigen Blättern; welche, von einem im Innern liegenden Punkt
nach der Peripherie auseinanderlaufend; in ihren mehr oder
weniger dreieckigen Zwischenräumen die Muskelfasern enthalten;
so entsteht bei beiden auf dem Durchschnitt eine sternförmige
Figur. Die Zusammenziehungen dieses Muskels mtlssea die ein-
zel96n Strahlen nach Innen ziehen und die MundöfliBung verengen).
Offenbar ist unser Ringmuskel der ,; weisse Bing'' Tiedemann's,
in welchem dieser den Nervenring vermuthet; spätere Beobachter
halten ihn ftir sehniger Natur und lassen ihn aus dem Längs-
septum des NervengefSsses entstehen, mit welchem er aber, wie
wir bald sehen werden, gar nicht in Bertthrung kommt.
Legt man den Stern bei abgenommener Bückendecke mit
der Bauchseite nach unten, und denkt sich der Beobachter in die
Mitte der Mundöffnung hinem, g^ode vor dem Steincanal stehend,
so sieht er gerade vor sich vom Mundrand zwei Gefässe auf-
steigen, links den Anfang des Steincanals aus dem Ambnlacral-
ring, und rechts den Anfang des „schlauchförmigen Canate^' ans
dem Nervengefässrtng. Der Steincanal, nachdem er die Höhe
der innem Fläche der untern Leibeswand erreicht hat, länft auf
dieser horizontal fort nach aussen, zwischen die beiden Schenkel
des sichelförmigen Bandes eintretend, krümmt sich dann mit der
Leibeswand in die Höhe und setzt sich an die Madreporenplatte
fest. Seine Gestalt ist also S-fÖrmig. Auf der von der Leibes-
wand abgewendete Seite trägt er der Länge nach eine rinnen-
förmige Vertiefung, in welcher sich zwei bindegewebige Blätter
befestigen, welche jederseits von den beiden sichelförmigen Bändern
entspringen. Fig. 5. Von ihnen wird der Steincanal dicht uro-
httUt, und während der innere Theil des Zwischenraums der
sichelförmigen Bänder eine offene, mit der Leibeshöhle frei com-
municirende Höhlung bildet, stellt der äussere sc Theil desselben
einen geschlossenen Schlauch dar, dessen eines Ende sich rings um
die Madreporenplatte befestigt, während das andere bald nach
seinem Austritt aus der Höhlung der sichelförmigen Bänder sich
von dem Steinkanal trennt und als besonderes Gefäss rechts von
demselben vor dem Mundringmuskel herabsteigt und nach Durch-
bohrung der Mundhaut in den NervengefSssring mündet, sc Fig. ^^•
Gerade an dieser Einmttndungsstelle befestigt sich in diesem der
Beiträge zur Anatomie der Eohinodermen. 495
dünne Stiel des sogenaAnten Herzens^ hz Fig. 16, wricbeB, von da
in dem schlauchförmigen Ganal aufwärts steigend; anter dem
Anfang des Steincanals weggeht; worauf es dessen linker Seite
seiner Länge nach anliegt und, nach oben sich wieder yerschmä-
lernd in die vorragende Spitze des linken sichelförmigen Bandes
sich befestigt. Dasselbe stellt ein flaehes häutiges Gebilde dar,
dessen einer, freier, Rand etwas verdickt ist; der andere Band
ist seiner ganzen Länge nach in der erwähnten rinnenartigen
dorsalen Vertiefung des Steincanals befestigt. Ich muss später
hierauf zurückkommen.
Von dem Steincanal ist bekannt, dass er aus mehreren
röhrenförmig nach Ionen gekrümmten Ealkstücken besteht^ Fig. 8
stellt einen Quersehliff desselben dar. Den Kalklheilen liegen
im Innern zwei Gewebsschichten auf: zuerst eine hyaline Schicht,
welche zahkeiche längliche stäbchenartige Körper enttiält, alle
mit der Längsaxe senkrecht stehend ; die innerste Schicht ist das
Flimmerepithelium. Die Canäle der Madreporenplatte sind mit
denselben beiden Gewebsschichten ausgekleidet
lieber den histologischen Bau der Saugfüsschen haben in
neuerer Zeit zwei Forscher kurze Beschreibungen gegeben, B. Greeff
in den Marburger Sitzungsberichten 1871 und 72 und C. K. Hoff-
mann in dem Niederl. Arch. f. Zool. 1871. Die beiden Dar-
stellungen weichen, in der Deutung wenigstens, bedeutend von
einander ab und ich selbst muss noch eine dritte hinzufügen. Die
FüBSchen bestehen, von aussen nach innen, aus drei Schichten:
der Haut-, der Bindegewebe- und der Muskelschicht Die
äusserste Schicht wird von den beiden genannten Beobachtern
als „Nervenschicht^^ bezeichnet und soll nach ihnen' von dem
Ambulaerakerven unmittelbar auf die Fttsschen übergehen, sie
änsserlich überall überziehen und histologisch mit der Nerven-
substanz identisch sein. Bevor ich selbst den Nervenban ge-
schildert haben werde, kann ich auf einen Vergleich beider nicht
eingehen, sondern beschränke mich für jetzt darauf, den Bau
dess^, was ich Hautschicht nenne, genau zu schildern.
Die Fasern, aus denen sie der Hauptmasse nach besteht,
entspringen aus der mittleren Schicht der Fttsschen, der Binde-
gewebsschicht , und zwar büschelweis. Diese Btlschel stehen in
Längsreihen, welche nur am Ursprung der Fttsschen nicht ganz
deutlich sind. Die Fasern der Büschel legen sich bald nach
allen Richtungen auseinander und bilden so ein verwirrtes Ge-
flecht, dessen Zwischenräume mit einer blassen granttlirten Sub-
496 Reinhold Teuscher,
stanz erfüllt sind. Die Fasern zertheUen sich vielfach und werden
im Verhältniss dttnner; in der Nähe der Peripherie ang^elangt,
laufen sie im Allgemeinen gerade auf diese zu. Zwischen diesen
transversalen Fasern findet sich längs der ganzen Aussenwandung
eine Schicht von ovalen, gekernten Zellen , aus einer doppelten
oder dreifachen Lage bestehend, zwischen denen und den Fasern
ich keinerlei Verbindung bemerken konnte. Nach aussen folgt
zuletzt die Cuticula. Fig. 6, 7, 8. Die Fasern sind nicht glatt
und durchscheinend, sondern rauh und opak, am meisten so nach
der Wurzel der Fttsschen zu.
In der eben beschriebenen Schicht finden sich zahlreiche
Drüsen zerstreut (hdr, Fig. 6), ob ein- oder mehrzellige, kann ich nicht
entscheiden, da keine Kerne sichtbar waren. Sie stellen im All^-
meinen länglich ovale Körper dar, zahlreiche glänzende KOmer
enthaltend, welche nach den verschiedenen Gegenden einig^e Unter-
schiede zeigen. Am zahhreichsten und grössten sind sie an der
Wurzel der Füsschen, ganz besonders an der Innenseite. Sie
liegen dicht gedrängt unter der Cuticula, mit der Spitze dieser
zugewendet, ohne dass ich aber Ausführungsgänge sichtbar
machen konnte. Dort nehmen sie fast nur die Höhe der kreis-
förmigen Falten ein, welche die Füsschen umgeben; ihre Länge
beträgt im Mittel 0,013, die Breite 0,009 M. und sehr hänfig
sieht man eine der Bindegewebsfasern sich an ihr hinteres Ende
befestigen. Aber nicht nur der Cuticula anliegend findet man
»ie in dieser Gegend, sondern sie erfällen stellenweis die ganze
Dicke der Hautschicht. In Carmin färben sie sich sehr stark
Weiter nach der Mitte der Füsschen zu finde ich ähnliche Drüsen,
aber von viel schlankerer Gestalt, ebenfalls die Höhe der Falten
einnehmend. Sehr zahlreich kommen sie an der die PaxiUen
überziehenden Haut vor; ebenso bei Asteriscus verruculosus an
der Sohle der Saugscheibe.
Die mittelste Gewebschicht der Saugfüsschen Fig. 6 besteht
aus Bindegewebsfasern, und zwar ist sie dreifach: zwei Ring'
faserlagen, von denen die eine, stärkere, innen, die andere, schwä-
chere, bisweilen undeutliche, an der Aussenseite liegt: zwischen
beiden liegen die Längsfasem, welche nach der Spitze zu vor-
wiegen. R. Greeff hält diese , übrigens nicht sehr deutlich ge-
faserte Schicht für Muskeln: ein Tropfen Essigsäure lässt al'^
Faserung sogleich verschwinden. Man sieht deutlich die Fasern
der Haut aus denen der äusseren Bindegewebs-Querschicht ent'
springen.. An einer, auch bisweilen an zwei Stellen jeden Q^^^
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 497
Schnitts sieht man die beiden Ringfaserlagen auseinander weichen
und einen Ranm von der Gestalt eines flachen Kreisabschnitts,
mit der Convexität nach aussen ; zwischen sich lassen, welcher,
bisweilen leer, gewöhnlich Durchschnitte gröberer, etwas grann-
lirter Fasern enthält, welche vielleicht Nervenfasern sind, bl Fig. 6.
Wahrscheinlich stellt die Lttcke selbst ein Blutgefäss dar ; Qreeff
spricht von einem solchen, welches an einem nach innen vor-
springenden Wulst seiner Nervenschicfat (meiner Hautschicht) hin-
laufe. Einen solchen Längswnlst habe ich bei keinem der von
mir untersuchten Seesterne wahrgenommen. Bei den Echinen sieht
man etwas, das mit seiner Beschreibung Aehnlichkeit hat
Nach innen folgt endlich die Muskelschicht des Füsschens.
An der Innenseite der Bindegewebsringfasem finden sich der
Länge der Fttsschen nach dünne Bindegewebsblätter, wie die
Blätter am Rttcken eines Buches, angeheftet, welche wieder aus
sehr dünnen querlaufenden Fasern bestehen. Unter einander sind
diese Blätter nur lose befestigt und durch Zerzupfung eines
Querschnitts leicht zu isoliren, ms Fig. 6. An ihnen entlang und
zwar nur einseitig sind die Längsmuskelfasern angeheftet: lange,
gleichbreite, parallel laufende Fasern von regelmässig ovalem
Querschnitt von 0,005 - 6 M. Breite bei 0,003—4 M. Dicke, welche
im Zustand der Contraction zickzackfärmig angeordnet sind. Im
Wesentlichen ebenso wie hier fand ich den Bau der Muskel-
schicht bei allen von mir untersuchten Ästenden, doch ist
der Zusammenhsng der Blätter meist fester, so besonders bei
Asteracanthion, wo ausserdem, auffallender als bei andern Arten,
der innere Längsrand derselben keine Muskeln trägt und, fest
znsammengeftigl, eine solide Bindegewebsschicht darstellt, deren
Oberfläche dann, wie anderwärts, das Flimmerepithelium trägt.
Die Bindegewebsschicht der Füsschen ist gewissermassen
das stützende Gerüst derselben; an den einfach zugespitzten
Fttsschen von Asteropecten erweitert sich nach der Spitze zu die
Längsfaserschicht zu einem verdickten Ring, br Fig. 7, der hie
und da Ausläufer nach aussen in die Haut entsendet. Um die
Einstülpung des darüber stehenden Zipfels zu einem Saugnapf zu
erklären, muss man annehmen, dass die innerste Lage der Längs-
muskelschicht sich zuerst und unabhängig von den übrigen, zur
Verkürzung des ganzen Füsschens dienenden, zusammenzieht, was
ja bei der unabhängigen Lage der einzelnen Muskelfasern sehr
leicht möglich ist. Die Saugscheiben bei den sie besitzenden
Astenden sind nur eine weitere Ausbildung dieser Einrichtung:
498 ^einbold Teo^cher,
hier mi;^ die Höhlung des beBchriebenen Biogs dureb die Binde-
gewebfim^sse ausgefüllt, und es entsteht eine Sebeibe, auf deren
Sohlenfläche die gewöhnUehe Haut, nur etwas dicker und sahl-
reichere Zellen führend, auflief. Fig. 8. Auch hier mtlsa^n die
innersten Muskeln zuerst wirken, um den Saugnapf zu erzeugen.
C, E. Hoffmann hat beobachtet, dass die Füssohen 9(ak Ende jedes
Strahles von Asteracauthion rubens keine Saugplatten tri|g:en,
sondern einfach zugespitzt sind: ich finde d^selbe bei allen mir
vorliegenden Arten. Bei Luidia findet sich gewissermassen ein
Mittelzustand zwischen den eüifach zugespitzten SaugfOsschen
und den ^it Sf^ugscheibe versehenen : bei ihr sieht n^an statt des
einfachen bin^degewebigen Bings von Asteropecten eine kalb-
kugliche Masse desselben Ursprungs, deren Convexität die Spitze
der Fttssphen bildet; dnrph ihre £inwärts;Eiehun^ wird die Ober-
fläche des zu bildenden Saugnapfs zugleich vergrö9sert und eon-
solidirt
Die Muskelschicht der Ftlsschen setzt sich nach deren Basis
zu in ein Sehnengewebe mit Längsfasem fort, an welches sieb
von oben und scharf abgegrenzt die innerste Gewebsschicht der
Ampullen, die Muskelschicht anlegt; es findet also keine Con-
tinuität der Gewebe in beiden statt. Diese Muskelschickt der
Ampullen ist bei Asteropecten ebenso dick, als die der Ftlsschen
und von demselben Bau; doch sind die Bindegewebsblätt^ con-
sistenter und laufen in horizontaler Bichtung kreisförmig im
Innern der Ampullen herum. Dabei bilden sie nicht eine einzige
zusammenhängende Lage, sondern mehrere vop einander geson-
derte Binge, in deren Zwischenräume das Epithel hinabsteigt
Die Muskelquerschnitte siQd breiter und dttnner, als an den
Ftlsschen, 0,05 M. breit und 0,005 M. dick. Sie sind sehr durch-
sichtig und aip besten durch Haematoxylinfärbung zu erkennen.
Nach aussen folgen zwei Bindegewebsschichten, die Längsfasem
liegen innerlich, die Bingfasem nach aussen. Leztere Schicht
enthält viele Pigementhäufchen und ist meist wellig gefaltet Zu-
lezt folgt das Epithel
Nur bei der Asteropecten nahe verwandten Luidia finde ich
die Wände der Ampullen, besonders die Muskelschicht, von einer
ähnlichen, wenn auch nicht ganz so starken Entwickelung, wie
bei diesem: bei allen andern mir zugänglichen Arten, welche
sämmtlich Saugscheiben besitzen, zeigen sich die Ampullen als
sehr zarte, durchsichtige Blasen, deren einzelne Ge^ebsschichten
dttnn und schwer zu trennen sind; die Muskeln liegen der Innen-
Beiträge zur 4JAatomie der £Jelunodermen. 499
Seite nnQiittelbar auf und sind wenig zi^hliseicb. Es scheint
demnach, dass der histologische Bau der Ampullen zu der Bildung
der Sangfüsschen in einer gewissen Beziehung steht
Zwischen dem Ambulaoralgefäss und dem Nervenbande
läuft durch die ganze Länge des Strahls ein Kanal, für welchen
ioh den von Greeff gewählten Namen ,,Nervengefäs8'' adoptire,
und dessen Homologen bei den Ophiuren und bei Gomatula ich
bereits nachgewiesen habe. Dass sein Bau viel weniger einfach
ist, als man früher glaubte, ist schon von Greeff und Hoffinann
nachgewiesen worden; da jedoch diese Beobachter sich auf die
Betrachtung von nicht einmal besonders dünnen Querschnitten
beschränkt zu haben scheinen, so musste ihnen ein Theil der
wirklichen Verhältnisse entgehen. Um dünne Schnitte zu er-
halten, darf man nicht die ganze Dicke des entkalkten Strahls
benutzen, sondern nur die Weichtheile, welche sich leicht aus der
Ambulacralrinne herauslösen lassen. Aus einem kurzen^ nur drei
bis Tier Wirbel enthaltenden Stück des Strahls von einem nicht
zu kleinen Seestem erhält man dieselben ohne Mühe vollständig,
wenn man nach Entfernung der Füsschen etwa von der Mitte
der Oeffhung, welche diese gelassen haben, an, von beiden Seiten
mit einem scharfen Basirmesser immer an den Kalktheilen hin-
gleitend bis in die Tiefe der Binne vordringt.
So erhaltene Querschnitte geben ganz verschiedene Bilder,
je nachdem man einen der unteren Ambulacralmuskeln getroffen
hat, oder den Zwischenraum zwischen je zwei solchen. Im ersten
Fall (Fig. 10) sehen wir oben die Oefinung des Ambulacralge-
fässes, ag, zunächst von einer schmalen Zone hyalinen Binde-
gewebes eingefasst, in welchem einige grosse Zellen liegen, das
Ganze umgeben von einem Gewebe grober Bindegewebsfasern,
welche das Gefäss am Wirbel befestigen; nach unten folgt der
Muskel, aus groben parallelen Fasern bestehend, und dann zu-
nächst die runde Oefinung des unteren Divertikels des Ambula-
cralgefässes, dag (s. oben), und um diese herum zahlreiche Quer-
schnitte grober Längsfasem, über deren Natur, ob Bindegewebe,
ob Muskeln, ich im Zweifel geblieben bin. An die tiefste Stelle
der unteren Ambulacralgefässöfihung setzt sich dann das Längs-
septum an, welches von da zur Mittellinie des Nervenbandes
geht uod so das ganze Nervengefäss in eine rechte und linke
Abtbeilung scheidet Das Vorhandensein dieses Septums ist be-
kannt und an grösseren Thieren selbst macroscopisch wahrzu-
nehpien, aber zwei kleine GefässOffiiungen, welche eonstant der
500 Reinhold Teuscher,
Mitte desselben beiderseitig angeheftet erscheinen, sind den
Beobachtern bisher entgangen. Das Lnmen eines jeden derselben
beträgt nahezn ein Zehntel von dem des Ambnlacralgefässes ; um
dieselben herum sieht man ebenfalls eine Anzahl von Qaer-
schnitten grober Längsfasern. Nach aussen befestigt sich das
Septum an eine Oewebsschicht, welche dem Nervenband unmittel-
bar aufliegt, sich aber leicht von demselben trennt und am Sep-
tum hängen bleibt. Das Septum selbst besteht aus hyalinem
Bindegewebe; enthält aber auch einige Fasern, welche mit ihm
vom Ambulacralrohr zum Nerven verlaufen und, wenn sie Muskeln
sind, den Nerven in die Ambulacralrinne hineinzuziehen ver*
mögen. Ein zartes, sehr kleinzelliges Epithel bekleidet die
Unterseite des Ambulacralmuskels und die Seitenwände des
Septums.
Ganz anders sieht ein Querschnitt durch den Zwischenraum
zwischen je zwei Muskeln aus. Hier (Fig. 9.) erscheint das Aifi-
bulacralgefäss natürlich einfach und an seine untere Mittellinie
setzt sich das ' Längsseptum an , welches sich ganz ebenso ver-
hält, wie in dem vorher beschrieben Schnitt; aber dicht unter
seinem Ansatzpunkt an die Wand des Ambnlacralgefässes und
zum Theil von dieser selbst aus zieht sich nach jeder Seite ein
horizontales Blatt, welches die äusserste seitliche Wand des Ner-
vcDgefässes erreicht, wo es sich befestigt. So wird anscheinend
das Lumen in vier Theile zerlegt, und dieses Bild ist es, welches
man von den Autoren dargestellt und beschrieben findet. Den
Grund dieser Verschiedenheit gewahrt man sofort, wenn man das
Nervengefäss von der Ambulacralrinne aus durch Wegnahme des
Nervenbandes öfihet, was bei einem grossen Asteropecten keine
Schwierigkeiten darbietet. Man sieht dann ausser dem Längs-
septum noch eben so viele Quersepta, als Wirbel vorhanden sind,
von denen jedes zwischen je zwei Muskeln und parallel mit ihnen
von jedem Fttsschen zum Längsseptum tritt, an allen Stellen fest
an die Gefässwand anschliesst, und so das Nervengefäss in eben
so viele hinter einander liegende Kammern theilt, als der Strahl
Wirbel besitzt, (qs Fig. 2 u. 15.) Bei Asteropecten wenigstens sind
diese Kammern nach allen Seiten geschlossen, und eine Injection,
welche man am besten so ausführt, dass man eine Querscheide-
wand mit einer spitzen Nadel anbohrt und in die OefiFnung eine
feine etwas konische Glasröhre fest einsetzt, findet keinen Aus-
weg. Diese Quersepta nehmen nicht genau die Mitte zwischen
e zwei Muskeln ein, sondern liegen dem innem Muskel etwas
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 501
näher. Jedes von ihnen bildet gleichsam die Mittelrippe eines
horizontal liegenden Blattes, hb Fig. 15; 9, 11, 13, dessen beide
Hälften jederseits an dasselbe, dessen etwas breitere Basis an
das Längsseptum , dessen Spitze an die Seitenwand des Nerven-
gefässes befestigt ist, und dessen Seitenränder, obere und untere
Fläche aller Anheftnng entbehren ; die centrale Befestigung liegt
etwas höher,! als die peripherische. Der Breite nach nimmt das
Blatt ungefähr den Zwischenmuskelraum ein. Die Blätter selbst
bestehen aus einem bald mehr hyalinen, bald mehr kömigen
Bindegewebe, viele grössere Pigmenthäufchen enthaltend; sie
werden vom Ansatz an das Längsseptnm bis zur Spitze von
vielen groben Bindegewebsfasern durchzogen, welche sich als
solche bei Essigsäure-Zusatz characterisiren und in ihrem bogigen
Verlauf nach der Spitze bei häufigen Verbindungen unter einander
mit den Rippen mancher vegetablischen Blätter grosse Aehnlich-
keit zeigen. Nan begreift leicht, wie der Durchschnitt dieser
Blätter auf intermusculären Querschnitten des Nervengefässes den
Anschein horizontaler Scheidewände und des Getheiltseins des
Gefässlumens in vier Ganäle hervorbringen muss. Injicirt man
das Nervengefäss von dem schlauchföimigen Canale aus, so er-
fbllt die Flüssigkeit die dem Längsseptnm beiderseits anliegenden
Centralgefässe, die Kammern und die von Hofifmann und Greefif
beschriebenen Gefässe, welche seitlich zwischen je zwei Fttsschen
hindurchtreten and auf der Aussenseite derselben sich wieder zu
einem Längsstamm vereinigen. Aus den Centralnervengefässen,
wie wir in Fig. 15. sehen , welche das injicirte Nervengefäss
nach Wegnahme des Nervenbandes zeigt, entspringt an jedem
Qnerseptum ein hinterer und ein vorderer Zweig, welche mit ihm
zur Seite treten; dort treten sie alle in ein längs der äusseren
Wand der Nervengefässkammem des ganzen Strahles verlaufendes
Gefass ein, isg, welches einen der Gestalt dieser Wand ent-
sprechenden etwas geschlängelten Verlauf zeigt; von diesem
gehen dann die zwischen den Saugfttsschen nach aussen tretenden
Gefässe ab, vg, welche auf dem höchsten Grath des Ambulacral-
stttcks, in einer in dasselbe ausgehöhlten Rinne verlaufen, um
dann auf der Aussenseite der Fttsschen in das dort dem Strahl
entlang laufende Gefäss asg einzutreten. Hofimann's Beschrei-
bung sowohl, wie seine Abbildung sind etwas undeutlich, und
ich bin nicht gewiss, ob meine Darstellung der seinigen in Be-
treff der seitlichen Gefässe ganz gleich ist; die Quersepta und
die an dieselben befestigten Btätter kennt er nicht. Offenbar ent-
502 Kanbold TeoMha,
spriebt dieler Gefitaereriaiif ydletändig dem Yon mir bei den
Ophinren nacbgewieseneD ; wir haben die Toa dem Nervengefkss
ansgebeoden VerbindmigBgefäafley Yg, die sieb aber hier nnter
einandOT verbindeD, ebe sie die Scblinge um jedes FOssehen
bilden; aacb von diesen Schlingen fallen die seiüichea Zweige,
welche zwischen je zwei Füsschen hindnrdi gehen, hier za einem
zusammen: Alles ans dem engen Beisammenstehn der Asteriden-
flQssehen erklArliclL Den Ästenden feUt das Bückengefäss der
Ophiaren , ihm entspricht hier die Leibeshöhle des Strahls , in
welche kein directer Gefässflbergang vorhanden ist; doch hat
Oreeff Gefässe, von dem Seiteng^äss ausgehend, zwischen den
Ambulacralstttcken hindarchtreten nnd sich an der Oberflache
der Leibesböhle verbreiten sehen; ebensolche Gefässe konnte ich
an Querschnitten des Strahls bis zur Epithelschicht der Leibes-
höhle verfolgen, sah aber keine Verästelungen.
Oeflfnet man den centralen Theil des Nervengefasses, da wo
er an die Mundöffnung stösst, durch Hinwegnahme des Nerven-
bandes und Ringes, so sieht man, dass das Längsseptnm bald
vor dem Abgang des ersten Querseptums, welches zum ersten
Fusspaar läuft, aufhört; die beiden Gentralgefasse erweitern sich,
verlieren ihre Scheidewand und strömen in den Nervengefass-
Mundring (ngr Fig. 15) aus; die weiteste Stelle des letztem liegt
im Ambulacrum, die engste im Interambulacrum. Nach aussen
von ihm läuft ein zweiter Mundring (ngkr) weiter als er, welcher,
wie aus Fig. 15 ersichtlich, nichts weiter darstellt, als die vor-
dersten NervengefUsskammerU; von denen je zwei benachbarten
Strahlen angehörige mit einander commnniciren ; das Seitengeföss
mündet in dieselben ein. Auch Greeff hat diese beiden Mund-
ringe gesehen, weist aber, wenn ich ihn recht verstehe, den einen
dem Blut, den audern dem Nervengefässsystem zu, was nach
meiner Auffassung nicht zulässig ist.
Dies ist das Verhalten des Nervengefässes bei Asteropecten ;
bei andern Asteriden kommen mancherlei Abweichungen vor. Die
auffallendsten bei Asteracanthion rubens, derjenigen Art, welche
von Hoffmann und Greefi ihren Untersuchungen zu Grunde gelegt
worden ist. Hier (Fig. 13 und 14) findet sich das Längsseptnm
wie bei Asteropecten oben und unten der ganzen Länge nach an-
geheftet, wie es Greeff beschreibt, aber nicht, wie es Hoffmann
schildert und abbildet. Letzterer behauptet, dass das Septum
nach innen nicht unter dem Ambulacralcanal angeheftet sei; es
ist leicht, sich vom Gegentheil zu überzeugen. Das Auffallendste
Beiträge ztir Anatomie der Echinodermen. 503
aber ist, dass diesem Thiere sowie Asteracanthion tenuispinum das
Centralnervengeßlss gänzlich fehlt, während dasselbe bei allen
übrigen yon mir nntersuchten Ästenden deutlich vorhanden ist.
Leider fehlte es mir an grösseren und gnt erhaltenen Exemplaren
dieser ThierC; nnd es war mir nicht möglich, nach Wegnahme
des Ambnlacralnerven ttber die hier stattfindende Modification der
Circnlation klar zn werden. Die Qnersepta sind auch hier voll-
ständige vorhanden, aber die an ihnen ansitzenden horizontalen
Blätter sind nicht von einander isolirt, wie bei Asteropecten,
sondern setzen sich in eine schmale Leiste längs des Längsseptnms
fort, wodurch je zwei benachbarte mit einander in Verbindung
treten (s. Fig. 14, hb). Dagegen fand ich den von Hoffinann an-
gegebenen Zustand, den ich (Fig. 11 und 12) von Echinaster
sepositus abgebildet habe, bei allen übrigen mir zugänglichen
Seestemen mit Ausnahme von Luidia, welche ganz mit Astero-
pecten übereinstimmt, also bei Ophidiaster, Echinaster, Asteriscus ;
die Centralnervengefässe sind bei ihnen allen vorhanden, die
horizontalen Blätter auf die Intermuscularräume beschränkt. Da-
gegen erreicht das Längsseptum die innere Wand des Nerven-
gefässes nicht, also communiciren hier Überall je zwei seitlich
neben einander liegende Kammern über das Septum hinweg, aber
nicht die vorderen mit den hinteren, da die Quersepta überall dicht
anschliessen.
Auf welche Weise sich von dem Centralgefäss aus die Kam-
mern füllen, kann ich nicht angeben; irgend welche Oefihungen
in denselben oder ihren Verzweigungen müssen vorhanden sein,
und wenn bei Greeffs Injectionen an frischen Thieren in die
Nervengefässkammem sich, wie er sagt, alle Theile des Nerven-
gefässsystems durch den ganzen Strahl fällten, so begreift man
doch, dass bei wenn auch gut erweichten Spiritusexemplaren der-
selbe Erfolg, des Zusammenfallens der Gefässe wegen, nicht ein-
trat, zumal da die Verhältnisse bei Asteracanthion, das er be-
nutzte, einfacher sind, als bei Asteropecten.
Mir gelangen Injectionen nur von dem Centrum des Nerven-
gefässes aus. Wenn ich den oben beschriebenen Anfangstheil des
schlauchförmigen Gefässes nahe an seinem Ursprung aus dem
Mundring Ofihete und die Ganüle in diese Oeffnung in der Rich-
tung nach demselben einbrachte, so füllte sich ohne Schwierigkeit
der Mundring und alle Dependenzien der Nervengefässe des Strahls
bis zu einer gewissen Entfernung. Wurde dann das peripherische
Ende eines so injicirten Ambulacrums in Querschnitte zerlegt; an
504 Reinbold Teuach&r,
ergab sich oonstant; dass die Injection der Centralgefässe be^
deutend weiter reichte, als die der Kammern und der seitlichen
Gefässe, znm Beweis, dass dieselben die wirklichen Hanptcanäle
der Nervengefässcirculation sind and die anderen Oefässräome
erst von ihnen ans gespeist werden.
Wenn man von der Bauchseite aus nach Wegbrechen der
betreffenden Mundecke an der der Madreporenplatte gegenüber
liegenden Stelle den Nervenring entfernt^ so findet man ohne
Schwierigkeit am inneren Bande des Nervengefässes die Oefihung:,
welche zum schlauchförmigen Ganal leitet, und durch sie ist der
letztere sehr leicht zu injiciren. Dabei tritt; wie Greeff und Hoffmann
schon gefunden haben, die Injectionsmasse rings um den Ursprung
des Steincanals herum in die Madreporenplatte ein und von da
sowohl nach aussen, als in den Steincanal und von da jn das
Wassergefässsystem, 190 dass hier eine leicht zu constatirende
Communication zwischen letzterem und dem Nervengefäss statt-
findet. Leider gelang es mir nicht, die Injection bei Asteropecten
von hier auch weiter, bis in den Analring zu treiben, wohl aber
mit fast nie fehlender Sicherheit bei Echinaster. Da der schlauch-
förmige Ganal zwischen dem Steincanal und der Leibeswand eine
vollkommen geschlossene Höhlung bildet, so liegt es nahe, durch
einen Einstich nach aussen und dicht neben der Madreporenplatte
von der Körperoberfläche aus in denselben einzudringen und die
konische Ganüle der Spritze in diesen Stichcanal einzufahren. So
gelang es, auch bei kleineren Exemplaren gute Injectionen zu
erhalten; der Analring zeigte sich oft aus zwei, bisweilen aus
drei parallel laufenden Gefässen zusammengesetzt, welche nach
innen von den interradialen Bändern verlaufen, nicht sie durch-
bohren, wie es bei andern Arten zu geschehen scheint. Die
Gefässe der Ovarien , vom Analring entspringend, füllten sich leicht
und vollständig, aber nie sah ich aus demselben anderweite 6e-
fasse abgehen, obgleich das Vorhandensein von Darmgefässen sehr
wahrscheinlich ist.
Wir haben also hier, wie bei den Ophiuren, eine Verbindung
dreier Gefässsysteme, der Eingeweideblut-, der Nervenblut- und
der Wassergefässe, da ja bei diesen die nach den Eingeweiden
laufenden Gefässe direct aus dem Nervengefässringe entspringen.
Die beiden von Tiedemann auf seiner Tafel VIII mit hh bezeich-
neten und „Venenstämme des Magens'^ benannten Stränge, welche
im Innern des sichelförmigen Bandes längs beider Wände des*
selben verlaufen, sind leicht aufi&ufindeui zeigten aber im Durch-
i
Beiträge zur Anatomie der Ecliinodennen. 505
schnitt kein Gefasslamen; sondern sind solide, ans den gewöhn-
lichen Bindegewebselementen bestehende; etwas gelappte Fäden,
welche dnrch ein dünneS; blattartiges Band, wie von einem Mesen-
terium, an ihrer Stelle befestigt werden, gerade wie manche Darm-
gefässe der Echinen und Holothnrien. Vielleicht waren sie in
einer früheren Entwicklungsperiode wirkliche Gefässe und sind
im Alter yerOdet
Das sogenannte Herz habe ich schon erwähnt und beschrieben.
Eine Höhlung enthält es nicht. Auf Querschnitten sehe ich bei
erwachsenen Thieren nur die gewöhnlichen Bindegewebselemente :
Fasern, einzelne kernhaltige Zellen, viele Körnchen und Pigment-
haufen ; bei jungen Thieren dagegen stellt es ein dichtes Convolut
von feinen Gefässen dar, welche sich nach allen Richtungen
durcheinanderschlingen. Ich vermuthe, dass auch hier ein Organ
vorliegt, welches nach Ablauf einer gevrissen Entwicklungsperiode
seine Bedeutung verliert und rttckgebildet wird.
Ich werde jetzt versuchen, den histologischen Bau des Nerven-
strangs von Asteropecten aurantiacus zu schildern. Dieser schwierige
Gegenstand ist noch wenig behandelt, und sind mir nur die Ar-
beiten von Owsjannikow (Acad. de S. Pet. 71) und C. K. Hoff-
mann (l c.) bekannt geworden. Wir wissen, dass der Ambula-
cralnerv der Asteriden einen platten Strang darstellt, welcher, bei
ausgedehnter Ambulacralrinne mehr oder weniger eben, bei
Verengerung derselben durch die untern Ambulacralmuskeln auf dem
Durchschnitt eine V-fÖrmige Gestalt annimmt. Ich unterscheide an
demselben von innen nach aussen drei Schichten, eine Bindegewebs-
schicht, welche nach innen das Epithel des Nervengefässes trägt,
eine eigentliche Nerven- und eine Hautschicht. Die Bindegewebs-
schicht, obgleich bei allen Asteriden, die ich gesehen habe, sehr
deutlich, ist von Hofimann nicht erwähnt worden. Sie reicht über
die ganze Breite des Nervenbandes, ist hyalin mit einigen Längs-
und Qnerfasem und geht in der Mittellinie direct in das dort sich
an sie ansetzende Längseeptum über, welches, wie wir gesehen haben,
von derselben histologischen Beschaffenheit ist. Der Zusammenhang
zwischen beiden ist sehr stark, und wenn man einen Querschnitt
zerfasert, widersteht er hartnäckig, während die Verbindung
zwischen Bindegewebs- und Nervenschicht sich so leicht löst, dass
solche partielle Zerreisungen in der Mehrzahl der Querschnitte,
zumal von Asteropecten, angetroffen werden. Bei Ophidiaster
findet sich in unsrer Bindegewebsschicht zu jeder Seite längs dem
Ansatz des lüngsseptums eine Reihe zierlicher, spindelförmiger
506 Keinhold Teasclier,
Kalkspicolae. Im Innern ist sie mit einem deatlichen Epithel
besetzt; welches bei Asteropecten und mehreren andern Arten von
einer doppelten Zellenschicht gebildet wird^ während das Epithel,
welches die übrigen Theile der Nervengefässkammem anskleidet,
nur einschichtig ist ; im Innern der Oentralgefässe habe ich kein
Epithel wahrgenommen. I^ervöse Elemente finde ich in diesem
Theil des Nervenstrang s nicht, so wenig als an oder in den
Septen oder den horizontalen Blättern.
In dem eigentlich nervösen, mittleren Theile des Amba-
lacralnerven unterscheidet man dreierlei Elemente: Querfasem,
Längsfasem und Zellen. Die Querfasem laufen durch die ganze
Dicke des Strangs von einer platten Seite zur andern, und ge-
hören eigentlich allen drei Schichten an; ihre Wurzeln sitzen in
der Bindegewebsschicht fest und reissen mit ihr constant von der
(wgf, Fig. 17) Nervenschicht ab. Dieselben sind an der Ansatzstelle
bei allen Arten angeschwollen, am auffallendsten bei Asteropecten
(Fig. 17), wo sie zwiebeiförmigen Knollen gleichen. Die aus den
Knollen entspringenden Fasern zeigen, besonders in der Nähe
ihres Ursprungs, zahlreiche Verdickungen, wie sie auch Hoffinann
gesehen hat. Sie selbst sind durchsichtig, stark lichtbrechend,
stielrund auf ihrem Querschnitt, und verlaufen ziemlich parallel
unter einander und mit leichten Biegungen, sich hie und da
theilend, bis zur Cuticula. Sie sind von harter und steifer Be-
schaffenheit, wie beim Zerfasern leicht wahrzunehmen ist, ver-
ändern sich kaum durch Säuren und Alcalien, färben sich auch
sehr schwer in Karmin oder Haematoxylin ; kurz sie zeigen die
gewöhnliche Beschaffenheit der Nervenfaser durchaus nicht, aus-
genommen etwa die Varicosität; viel eher verhalten sie sich wie
elastische Fasern.
Die Zwischenräume dieser Querfasern zeigen sich auf dem
Querschnitt erfElilt mit einer opaken, grob kömigen Masse (Fig. 18, u.
19); die Kömer erkennt man unschwer als Querschnitte von Längs-
faserlagen, welche auf einem Längsschnitt (Fig. 17) sehr deu^
lieh hervortreten. Sie bilden zarte Bündel, wieder aucr unendlich
feinen Fasern zusammengesetzt, von etwas verwaschenem Umiiss
und dämm unmessbarer Dicke. Ich möchte sie mit über einander
geschichteten lockern Baumwollenfäden vergleichen. Diese ^a^m
sind es wohl, deren Hoffinann, welcher die Querfaliem f&t die
eigentlichen Nervenfasern hält, als „Nervensiäbchen*' Erwähnung
thut; für mich sind sie wesentliche' Elemente des Nervenstranges.
Nach aussen wird die Grenze der Nervenschicht duit^b ein^ Lag^
Beiträge zur l^iuitcmiie der fiotiinodermen. 507
von ovalen, blassen Zellen von 0;004--'6 M. Darchmesser, tnit
destlichen Kernen yergehen, begrenzt. Ich iMitte dieselben mit
Hoffmann fiir die eigeoftlichen Oanglienssellen, habe fedoeh keinen
Zusammenhang zwischen ihnen und Fasern gesehen. Alles, was
«aoh anssen von dieser Zellenreihe liegt, rechne ich zur Ober-
haut. Diese bildet eine ungefähr V4 bis Vs von der ganzen Dicke
des Stranges ausmachende Schicht, w«l<^he sich schon im äussern
Ansehrn von den anliegenden Theüen unterscheidet. Nach aussen
ist sie von der Cuticula begrenzt; die Querfasem dringen dureh
ihre ganze Dicke bis zu dieser vor. Zwischen ihnen aber und
paralM mit ihnen sieht man andere viel feinere Fasern verlaufen,
von nicht glattem, sondern etwas rauhem Ansehen, welche meist
büschelartig beisammenstehen und, zum Theil wenigstens, von
den in der Hautsehicht liegenden, von den oben beschriebenen
Ganglienzellen deutlich verschiedenen Zellen ausgehen. Diese
Hautzellen, nach aussen von jenen gelegen; sind kenntlich durch
ihre geringere Grösse (0,003 - 4 M.), mehr längliche Gestalt , Un-
durehsichtigkeit und gewöhnlich deutliche Pigmentirung, so na-
mentlich bei Asteropecten. Während ^ie Ganglienzellen von
Karmin und vorzüglich von Haematoxylin lebhaft gefärbt werden,
bleiben diese Tinctionsmittel auf die Hautzellen fast ganz ohne
Wirkung. Zwischen diesen Fasern und Zellen sieht man noch
zahlreiche Kämer, auch Pigmenthaufen, daher die ganze Schicht
ziemlieh undurchsichtig erscheint, und bei der Kleinheit der Ge-
webselemente nur an sehr 'dünnen Schnitten klar zu Übersehen
ist Hoffinann unterscheidet die Hautschicht nicht von der
Nervenschicht, und kennt darum nur eine Art von Zellen, welche
er als mit den Querfasem in Zusammenhang stehend besehreibt
und abbildet Auf derselben Tafel seiner Abhandlung zeichnet
er aber auch Hautzellen aus anderen Theilen als in Fasern aus-
laufend, und so darf ich wohl annehmen, dass auch hier die dar-
gestellten Zellen nur Hautzelien waren. Obgleich ich nur Spiritus-
exemplare untersuchen konnte, so hube ich doch die Ueberzeugung
gewonnen, dass die Qnerfasern nirgends mit meinen Ganglienzdlen
in Verbindung treten; ja ich meine, dass die Querfasern über-
haupt nicht aus Nervensubstanz bestehen, sondern einen binde*
gewebigen Stttti^pparat darstellen, welcher dem Nervenbande
eine gewisse Elaslicität gibt und es so gegen Verletzungen
sfMtat Dafiir spricht zunächst ihre steif-elastisebe, glaitte, glän-
zend durchsichtige Beschafibnheit, ihr Hervorkommen aus ehieu'
zweifellosen Bindegewebe, und endlich die Thatsache, dass sie
Bd. Z. M. F. III. 4. 33
508 Ronhold TeuBclier,
sich nur in den Nervenstämmen solcher EchmodermenGlassen
finden; bei welchen dieselben durch keine äussere Ealkschale
geschützt werden, also bei Comatula, Asteriden und Holothurien.
An dem Längsschnitt durch den Ambulacralnerren von
Comatula, von der Eelchdecke, den ich Fig. 20 zum Vergleich
abbilde y fällt die Uebereinstimmung mit Asteropecten sogleich in
die Augen. Die Hautschicht ist hier im Verhitttniss dicker, die
Hautzellen zahlreicher und grösser; zwischen diesen Hantzellen
und den Querfasem habe ich selbst hie und da Verbindangen
wahrgenommen. Die Reihe der Ganglienzellen zeigt nichts Be-
sondereS; die Nervenfasern sind sehr zart. An ihrer InneoBeite,
zwischen ihnen und der Bindegewebsschicht , ans welcher die
Querfasem entspringen, erscheint hier noch eine andere, dünne
Bindegewebslage , welche einige Zellen, Fasern und Körner
enthält.
Im ersten Theile gegenwärtiger Abhandlung habe ich einen
Durchschnitt durch den Nerven von Ophiothrix abgebildet, wel-
cher einem neugebildeten, noch schneidbaren Strahle entnommen
war; bessere Querschnitte erhielt ich seitdem durch den heraus-
genommenen Ambulacralnerven von Ophilepis, von denen ich in
Fig. 21 eine Abbildung gebe. Man sieht hier an der ventralen,
von einer dünnen Bindegewebsschicht bekleideten Seite des Nerven-
tsrangs die Nervenzellen in zwei bis dreifacher Reihe liegen;
genau in der Mitte ist die Schicht am dünnsten, aber zu beiden
Seiten der Mitte häufen sie sich zu zwei mehr oder weniger
dreiseitigen Gruppen an, aus welchen je zwei bis vier Fasern
austreten, welche geschlängelt in der Richtung nach dem oberen,
runden Strang zu verlaufen. Ihr Ursprung aus den an der
Basis liegenden Zellen ist deutlich, auch in ihrem Verlauf sieht
man noch einzelne runde Zellen ihnen anliegend. Ausser diesen
beiden Gruppen finden sich hier keine Querfasem; die Masse
des Nervenstrangs besteht lediglich aus den Durchschnitten der
Längsfasern. Ich glaube nicht, dass der Unterschied des Ver-
haltens von dem bei Ophiothrix der Artverschiedenheit zuzu-
schreiben sei; vielmehr suche ich ihn in dem Entwickelungszu-
Stande.
Der histologische Bau' des Nervenstrangs der Asteriden ist
nicht bei allen Arten ganz gleichförmig, sondern zeigt kleine
Verschiedenheiten. Nur bei Asteropecten sehe ich die auffallend
knolligen Wurzeln der Querfasem, aber bei allen sind dieselben
nach ihrem Ursprung zu deutlich verdickt, so besonders bei
Beiträge zur Anatomie der Echinodermeii. 509
Asteracanthion ; bei diesem erscheineo aach die Durchschnitte der
Längsfasem am gröbsten und am regelmässigten geschichtet,
(Fig. 18). Bei Echinaster sepositus (Fig. 19) liegt die Schicht der
Nervenzellen von den Hautzellen mehr gesondert, besonders in
der Mittellinie; und die Verschiedenheit beider ist augenfällig;
einzelne Nervenzellen kommen sogar mitten in der Nervenschicht
zerstreut vor und treten besonders an zwei Stellen neben der
Mittellinie nach innen vor, an das Verhalten der Ophiuren erin-
nernd. Die Hautschicht ist hier von allen mir bekannten Arten
am breitesten und ihr Bau am deutlichsten zu erkennen. Sie
tritt an den beiden eben erwähnten Stellen neben der Mittellinie
in zwei scharfen Ecken nach innen vor; während die Nerven-
zellen rundlich und nur wenig oval erscheinen, sind die Hautzellen
langgezogen eifbrmig, mit der Spitze nach der Cuticula gerichtet,
und jede liegt eingebettet in ein Bündel der zarten Hautfasern
wie ein Eometenkem in seiner Httlle. Oefters sieht man im
weitern Verlauf des Bündels eine zweite noch mehr langgetsreckte
Zelle eingeschlossen. Kerne konnte ich in diesen Hautzellen
nicht nachweisen. Der Bau der Oberhaut, welche den Rücken
des Körpers überzieht, zeigt bei den einzelnen Arten mancherlei,
wenn auch nur auf ein mehr oder weniger hinauslaufende Eigen-
thümlichkeiten, aber bei jeder Art finden sich diese Besonderheiten
in der den Nervenstrang überziehenden Haut wieder, und gerade
durch ihre Untersuchung gewinnt man die sichere Ueberzeugung,
dass auch dieser mit Haut überzogen ist, was ja von vorn herein
mehr als wahrscheinlich war.
An beiden Seitenrändem erstreckt sich der Ambulacralnerv
zackenartig zwischen je zwei Saugfüsschen hinein ; er läuft aber
auch eine Strecke weit an der Innenseite eines jeden derselben
herab, wo die Nervenschicht plötzlich abgeschnitten aufzu-
hören scheint, wahrscheinlich aber in feine Fasern zertheilt bis
zur Spitze der Füsschen verläuft, während die Hautschicht an-
fangs unverändert, später di^ oben beschriebenen Modificationen
erleidend, weiter geht. Auch das Vorhandensein der beschriebenen
Hautdrüsen setzt ihre histologische Bedeutung ausser Zweifel, ent-
gegen den Ansichten von Hoffmann und Greeff, welche, da sie
Nerven- und Hautgewebe nicht unterscheiden, die ganze äussere
Oberfläche der Saugfbsschen von Nervensubstanz eingehüllt sein
lassen.
Das peripherische Ende des Ambulacralnervenstrangs bildet
bekanntlich der Fühler mit dem Auge. Er ist auch an Wein-
33*
510 Reinhold Teuscher,
». * ■ ' •
geistexemplaren leicht za finden. Wenn man das ßnde eines
Strahles abschneidet und dann durch einen feinen S^eschmr.
die ventralen von den dorsalen Theilen so trennt, dass an ersterer
nur ein Theil der Ambulacralplatten haften bleibt, so kann mar
die Ambulacralrinne äüseinanderklappen wie ein Buch und sieh'
dann unmittelbar' den Fühler in einer den letzten DorsajiplatteL
angehörigen Aushöhlung liegen. Durch Einbetten in Gtamini-
glycerin lassen sich dann leicht Querschnitte in jeder gewünschten
Richtung erhalten. Ein solcher durch die Mittellinie ist Fig. 2J
abgebildet. Man sieht das Auge (a) warzenartig auf der Basi5
des Fühlers aufsitzen. Hinter der Cuticula in der Hantschichi
finden sich eine Reihe ovaler halbdurchsichtiger Körper, in einer
hyalinen Masse zahlreiche Zellen enthaltend ; ihre Zahl im ganzen
Auge mag 100 — 150 betragen. Zwischen ihnen treten die Fasern
der Haut bis zur Cuticula heran. Dann folgt nach innen die
Nervenschicht, eine auf eine massige Einschnürung folgende.
etwas verdickte, aber sonst unveränderte Fortsetzung des Ambu-
lacralnerven ; die von ihm nach den Krystallkörpern ohne Zwei-
fel abgehenden Fasern konnte ich nicht er^Lcnnen. Dann folgt
ein dickes Polster der Bindegewebsschicht des Nerven, und end-
lich das Epithel. Ebenso wie am Auge lassen sich auch an dem
Fühler die drei Gewebslagen des Nervenstrangs deutlich erkennen;
Querschnitte lehren^ dass die eigentliche Nervensubstanz nnr der
Obei*seite und Spitze des Fühlers angehört, während die nach der
Spitze des Strahls gerichtete Seite den Bau der Saugfüsschen
zeigt. Auch auf der Oberseite ist die Nervenschicht nur in der
Mitte sehr dick, nach den Seiten flacht sie sich rasch ab. Der
Innenseite der Bindegewebsschicht liegen zahlreiche Längsiaserc
auf, welche den Fühler hin und her bewegen und zurückziehes
können, wißirend die Ausdehnung desselben durch Injection von
Flüssigkeit aus dem Nervengefäss bewirkt wird, dessen Fort-
setzung seine Höhle bildet.
Der Bau des Nervenmundrings unterscheidet sich in nichts
von dem des Ambulacralnerven, wie sich erwarten liess, da der
ja aus fünf Gömmissuren besteht, deren jede die unmittelbare
Fortsetzung der Hälfte eines Ambulacralnerven zu der entspre-
chenden Hälfte des benachbarten Ambulacralnerven ist.
Am Mundrand setzt sich die äussere Schicht der Körperhaut
über döH ^ervenring hinweg in die Magenhaut fort (mh Fig. 25) ;
sie nimmt allmählich an Dicke bedeutend zu, erscheint durcl^ zahl-
reiche Falten in Lappen getheilt, und die über den Kervenring in
Beiträge zur Anatomie der ficbinodermen. 511
einer oder wenigen Reihen liegenden Öantzellen vertheilen sieb
dtircB iure ganze Dicke, nnr an de^ Aussen- und Innenseite einq
Zone freilassend. Die Fasern zeichnen sich in der Darmhant.
viel bestimmter und zeigen gegen die Ober^ächc^ hin^ahlr^iche
Verbindun^bn unter einander. Unter dieser eigentlichen Hautr,
schiebt folgt eine Lagie grober, lockerer, meist, der Länge nach
veilanfender, vielfach wellig Tcrscblnngener Bindegewebsfasern
(bs), deren Schlingen regelmässig in die Hautlappen eintreten.
Sie sind die Fortsetzung der Bindegewebsschicht, welche zwi-
schen dem äingmuskel und deip Nervengefässring liegt, und,
die ihrerseits wieder nichts Anderes ist, ^Is die Fortsetzung der
eigentlichen dicken, untern Cutisschicbt der allgemeinen Körper-
decke. Darauf folgt eine Lage kreisförmiger Fasern (rm), welche
anfangs, dicht am Munde, im Querschnitt nur vereinzelt er*
scheinen, bald aber sich vermehren und zu einer kräftigen Schicht
anschwellen, welche die Oefihung der Weichtheile fest zu schliessen
vermag, während der Bingmuskel (rms) die Skelettheile nach
innen zieht. Beide Spinkteren haben in ihrer Structur viel Aehn-
Hohes. Wie bei dem Bingmuskel der Ealktheile eine strahlige
Fignt dadurch entsteht, dass zahlreiche radial verlaufende binde-
gewebige Stränge keilförmige Zwischenräume einschliessen , in
welchen die Muskelfasern verlaufen, so gehen auch hier von der
oben beschriebenen Bindegewebsschicht hyaline Stränge nach der
darunter liegenden Längsmuskelschicht, zwischen denen schmalen
Arcaden ähnliche Bäume übrig bleiben: in diesen verlaufen die
Bingmuskelfasem. Die Längsmuskeln bilden eine nicht unbe-
deutende Lage paralleler Fasern; zulezt, nach der Leibeshöhle
zu, folgt eine Lagfe hyalinen Bindegewebes, welches, dicht an den
Bingmuskeln anliegend, zwei bis drei Beihen zarter, kernfUhrender
Zellen enthält, von denen die Flimmerfäden der Oberfläche
ausgehen.
Die Structur der einzelnen Schichten der Magenhaut ist in
allen Theilen des Organs die gleiche, nur werden dieselben gegen
den Rttcken zu sämmtlich dünner; nirgends sehe ich Drüssen,
fttr welclie man die kleinen Läppchen der Oberhaut hier und bei
andern Echinodermen bisweilen angesehen hat. Ebenso haben
die oberen Magenanhänge bei Asteropecten denselben Bau, wie
der übrige Magen, und fähren keine Drüsen, sie münden durch
einen weiten und kurzen Gang in den Magen. Dasselbe gilt von
den radialen Coecis, welche, so viel ich an diesen 'so zerbrech-
lichen Theilen wahrnehmen konnte, ganz aus der in unzählige
512 Reinhold Teoscher,
Läppchen zierlich zusammengefalteten Magenhant boBtehen, und
offenbar znr Anfiiahme und Resorption der fiflssigen Producte der
Verdauung bestimmt sind, während der Magen deren yolomin^se
Besidua wieder auswirft.
Die Haut besteht bei den Asteriden aus zwei ttbereinander-
liegenden, getrennten Schichten: einer untern^ dickeren, aus
starken, nach allen Richtungen laufenden Bindegewebs- imd
elastischen Fasern bestehenden, welche den dicksten Theil der
Körperwand ausmacht und viele Ealktheile eingelagert enthält,
und einer obem, dttnnern, von jener überall durch eine scharfe
Linie getrennten, welche auch die Ambulacralnerven übersi^t»
und die ich bei diesen beschrieben habe.
Die ganze Dicke der Rttckenhaut wird von den bekannten
Oeffnungen der Hautkiemen durchbohrt, welche bei Asteropeeten
in regelmässigen Querreihen stehen; jede innere Oeffnung theilt
sich nach aussen in drei, selten vier Ganäle, deren jeder in eines
jener Bläschen ausläuft. Ich gebe in Fig. 24 die Abbildung
eines Schnittes durch eines jener Organe. Das bindegewebige,
zumeist aus Längsfasern bestehende Gerüst der Kieme, an der
Innenseite der Eörperwandung angeheftet, wird sowohl nach
innen, als nach aussen von einer Oberhautschicht bekleidet; an der
Aussenseite ist letztere zur Vergrösserung der Oberfläche in zahl-
reiche Falten gelegt, in deren jede die Bindegewebsschicht hinein-
ragt An seiner Basis wird das Bläschen durch eine faltige
Membran auch an der Aussenseite der Eörperwand befestigt, nnd
es ist leicht zu sehen, dass die beiden Befestigungsmembranen
dazu dienen müssen, dasselbe aus und einzustülpen, obgleich ich
als solche kenntliche Muskelfasern in ihnen nicht wahrnehmen
konnte. In der Oberhaut des Rückens fand ich bei mehrem der
untersuchten Arten zahlreiche, aber ungleich vertheilte Hautdrüsen,
ganz denen ähnlich, welche auch an den Füsschen vorkommen.
Nur bei Echinaster bemerkte ich dergleichen auch in der tiefen
Cutisschicht, aber von andrer Beschaffenheit, auch viel grösser
(0,3—4 M.) als jene, von Gestalt kugelig und wenig durchsichtig
(Fig. 23). Sie liegen frei in einer Höhlung, nur am Ausführungs-
gang und an der tiefsten Stelle durch einen dünnen Strang be-
festigt, und fallen darum leicht aus den Schnitten heraus. An
ihrer Mündung ist die Oberhaut deprimirt; der Ausführungsgang
ist eng und oylindrisch. Der Drüsenkörper besteht aus nahezu
gleich grossen Ballen grober Eömer, die sich mehr oder weniger
polyedrisch gegen einander abplatten ; eigne Membran oder Kerne
Beitrüge zar Anatomie der Echinodermen. 513
konnte ich an den Ballen nicht wahrnehmen. Diese Drttsen
liegen zahlreich ttber alle Theile der Rttckenhant von Echinaster
zerstrent.
Als vorliegende Arbeit schon zum Druck bereit lag, erhielt
ich eine Abhandlung von W. Lange ttber Histologie der Ambnla-
cralnerven der Ästenden nnd Ophiaren in 6egenbaar^s morph.
Jahrb. 11^ 2. Die darin ausgesprochenen Ansichten, und noch
mehr die Deutungen, als die Thatsachen, weichen von den
meinigen bedeutend ab, ohne jedoch mich in meiner Anschauungs-
weise beirren zu können. Die ganze Dicke des von mir und
Andern als Ambulacralnerv angesprochenen Bandes, von meiner
„Bindegewebsschicht'^ nach aussen hält Lange für Oberhaut; zum
Nervenstrang rechnet er nur das, was ich als geschichtetes
Epithel auf der Innenseite der Bindegewebsschicht beschrieben
habe. Ich sehe diese Schicht an senkrechten Schnitten ttberall
gleich dick und nicht nach der Mitte convex, wie er sie zeichnet,
auch die Zellen, aus denen sie besteht, in nichts von den übrigen
Epithelzellen des Nervengefässes verschieden. Dabei kann ich
natttriich nicht behaupten, dass in der betreffenden Schicht durch-
aus keine nervösen Elemente vorkommen, aber ich habe keine
gesehen. Der Vergleich mit dem Bau des Nervenstrangs der
Holothurien könnte es wohl vermuthen lassen, obgleich andere
Echinodermen, wie die Echiniden, nichts von einer Verdoppelung
des Nervenstrangs zeigen.
Es fehlt aber dem Lange^schen Nerven ein ganz wesentliches
Erfordemiss jeden Nervenstrangs, nämlich die Längsfaserung ; wie
sollte ohne sie eine Leitung zwischen Peripherie und Centrum zu
Stande kommen? In meinem Nervenstrang dagegen finden sich
diese Längsfasem als vorwiegendes Element, und Lange hat sie
gesehen; an guten Querschnitten wttrde er sich auch ttberzeugt
haben, dass nur meine Hautschicht seitlich in die Körper- und
Fttssehenhaut continuirlich ttbergeht, nicht aber meine Nerven-
schicht, welche scharf abgeschnitten erscheint. Die Nervenzellen
hat er nicht gesehen, was ich nur aus zu grosser Dicke seiner
Schnitte erklären kann, wenn es nämlich erlaubt ist, von dem
(Fig. 2a) abgebildeten auf die übrigen zu schliessen.
Am wenigsten kann ich dem beistimmen, was Lange ttber den
Ophinrennerven sagt Die von ihm gesehenen Oanglienknoten mit
ihren mehr vermutheten, als gesehenen Längs- und Quercommis-
suren sind sicherlich nichts, als die abgerissenen oder abge-
schnittenen Ursprünge der nach oben in die Wirbel eintretenden
514 Beinliold.TeuiGher,
Ii&m»i dereo eine» idU (Jaa« Zetts^far. filr76> 3, Taf» VIH«. Fig. II)
im. Qperpchnitt a]^€Mld0ti habe« Di« Umpruiigfigt^Uett' sisdf sehr
dick, am meisten gegen den Discns zn, und enthalten auch eioigo
zeitige Elemente, aber- nicht zabbralch^» aU maa > sie anderwärts
findet, und nicht reichUoh genug, um von Ganglienknetetv 8|ireelieii
zn könneiju Von Gornrnjissoren. sehe iok nichts. Den eigmitlieheii
Nervenstrang der Ophiaren> welcher, wie ich nachgewieseiv ibb
wesentlichen ans Längsfasem und peripherisch liegenden Z^en
besteht, wie bei allen Ili^inodenneiv erklärt Lange, um eine Ueber^
einstimmnng mit seinea Ansichten, über die Ästenden zui erzielte^
für dnen Hantstreifen, der nur seinem Nerven als Unterlage dte&e^
indem, er eine von Greeft ausgesproobene HypiotheBe/ anftükrt^
woQach durch Ueberwachsung der offnen Ambulacndriniie' der
Ästenden mit Haut der bei gewissen Echinodermen (QphMQCieo,
Echinen) vorkommende nach aussen vom Nerven gelegene. Gef&e»*
canal entstanden sei. Diese Hypothese, hat einen guten Sinn^ so
lange man mit Greeff annimmt, dass der Asteridennenr gßsa
nackt^ nur von Cuticula bedeckt, in der Ambulacralrinne* liege;
wenn er aber eine dicke Hautschicht über sieh' hat, wie< Lange
angibt, so kann niemals eine Ueberwachsung mit einer neae«
Hautschicht mit Offenbleiben eines Ganais Statt finden, sondern
nur eine Verdickung der vorhandenen Haut; die Kalkthale sind
ja nur Hautelemente. Und wie könnte ein Hautstreifen seitliefa
durch einen solchen Process seiner ganzen Länge nach aus d^
Gontinuität mit der ttbrigien. Haut, abgetrennt werden, so' das» nur
die zarten Sträng^ übrig blieben, welche zu den Fttsscdienf treten
(welche Lange gesehen hat),, und deren Nervenstrüage bilden.
Die von unserem Nerven abgehenden und in die Wirbekinne
tretenden Zweige erwähnt Lange nicht.
In. einem Punkt bin ich sehr geneigt, sein^ Ansicht beizn-*
treten, nämlich darin, , dass er den üba- dem Nenrenbande der
Ophiurßn liegenden runden Strang, den ich dem Nerven zuireohnAt^
für ein Gefäss ei^klärt. Durch direote Beobachtung r wird kamn
volle Gewissheit über seine Bedeutung zu erlangen seia^ aber, es
liegt nahe, in ihm das Homologon der von mir bei den Asteriden :
gefundenen Centralneirvengefässe zu vermuthen^
Beiträge zur. AttaAoiOäie'deif Bdiinodermeii. 5|5
ErklKrang.der Abtilldiuigeiu
Taf. XVIir.
Fig. 1. QuevteUiff eines • StraUe» von Astev^peoteii' atinMiaoi». ap Am-
bolflcr*l|>laMti,- iap Intteambiilaeralplitte, orp oWe Raiidplatte, nrp
untere Randplatte, sf SsagfÜBich^ii, agr Ambül&cMgeAbi, ng Nerven-
gtfte}- amp- AmpaUa-
Fig. 2. Längsschnitt neben der Mittellinie diSurohr den Aflfa^ eines Strahls,
bb zam Mnod; Ton demei, mh' Magenhabt,- ngr Nim engef ässring,
nbr Nertenkanmeiringf nk Nerirengefääikainnfeni, qg Qiierseptani,
ac Ambi^eriücanal, ar Ambulacralgefäsaring, rtn Ringtnnskel des
Mondes, aam' ontsre-AmbalacFalniuskel, oam obere Anibalacralm.,
gf Gelenkflächen.
Fig» 3. Steineanalf Qüenohnitfc, von dems.
FiC^ 4. MadMpttrenpiatte und Anfang des 6teinotfttals, raflia) and senkrecht
durch die Mitte, sc Höhle des- sefalanchförmigen' Canals', welche
nnui mit dev Ganälen der Madreporenplatte und des Sfeincanals
communicirenf slilht.
Fig. 5. HornotttolscfaM durch die Mitie- de§ SteinclinftlB mit Umgebung,
sc BoUwidifti»niiger Canal^ sk Steincanal, hx Hett, sb sichelförmige
Bänden*
Fig»i 6. Theili eines Qvenchnitts daroh ein BaogfUsscJlran'vün A^teropeoten.
cu CatiöuhS'hz HftatMlen, bs Hantschioht, bs Bihdegewebsschicht,
iqs innere, aqs äussere Bindegew<i^<)aen^elMcht, Is'dito IjäHgsschicht,
bl Bindegewebslücke, ms Muskelschicht, ep Epithelium.
Fig. 7. Längsschnitt durch die Spitze eines Saugfiisschens von dems. hs
Hautschicht, bs Bindegewebsschicht, gegen die Spitze fast nur von
Längsfasem gebildet und den Stoff zum Bindegewebsring, br, ab-
gebend.
Fig. 8. Dasselbe von Ophidiaster ophidianus. Die drei Schichten wie in
Fig. 7, ks Kalkspiculae.
Fig. 9. Querschnitt des Ambulacrums von Asteropecten zwischen zwei untern
Ambulacralmuskeln, ag Ambulacralgefäss, ngk Nervengefässkammem,
hb horizontale Blätter, eng Centralnervengefäss, nst Nervenstrang«
Fig. 1 0. Dasselbe von demselben, durch einen untern Ambulacralmuskel. Die
Buchstaben wie in Fig. 9, uam unterer Ambulacralm , dag Divertikel
des Ambnlaoralgefässes.
Fig. 11 u. 12. Dieselbe Darstellung von Echinaster sepositus.
Fig. 13 u. U. Dasselbe von Asteracanthion rubens.
Taf. XIX.
Fig. 15. Nervengefäss und Nervengefässring bei Asteropecten, von der Ven-
tralseite nach Wegnahme des Nerven, ngr Nervengefässring, ngkr
Nervcngefäsflk.'immerring, rm Ringmuskel, sf Saugfüsschen, hb hori-
516 Bttnhold Tetueher,
zontale Blätter, nam unterer Ambolacralmoskel, qs Qaerseptum, asg
äussere Seitengefässe, yg Verbindungsgefäss, isg inneres Seitengefass,
eng Centralnervengefäss, Is Längsseptum.
Fig. 16. Badialschnitt durch die Mundecke bei Asteropecten, Ejinmändangs-
stelle des Steincanals und des schlauchförmigen Canals, me Mand-
ecke, rm Ringmuskel, mh Mundhaut, sc schlauchförmiger Canal, hz
Herz, Stk Steincanal, ar Ambulacralgefässring, nr Nenrenring, ngkr
Nervengefässkammerring, ngr Nervengefässring.
Fig. 17. Längsschnitt durch den Ambulacralnenren von Asteropecten aur. —
hs Hautschicht, ns Nervenschicht, nz Nervenzellen, bws Bindegewebs-
Schicht, wqf Wurzeln der Querfasem.
Fig. 18. Querschnitt durch den Ambulacralnenren von Asteracanthion rubens.
Buchstaben wie Fig. 17.
Fig. 19. Dasselbe von Echinaster sepositus. Is Längsseptum.
Fig. 20. Längsschnitt durch den Ambulacralnerven von Comatula mediter-
ranea, von der Kelchdecke. Buchstaben wie oben.
Fig. 21. Querschnitt durch den Ambulacralnerven von Ophiolepis ciliata. w
oberer Strang, qf Querfasern.
Fig. 22. Senkrechter Längsschnitt durch Fühler und Auge von Asteropecten.
a Auge, f Fühler, ns Ambulacralnerv, kk Krystallkörper, n Nerv,
bp bindegewebiges Polster.
Fig. 23. Hautdruse aus der Rückenhaut des Strahls von Echinaster sep. —
ohs obere Hautschicht, uhs untere Hautschicht.
Fig. 24. Hautkieme von Asteropecten. hk Höhle der Kieme, ah äussere
Hautschicht, ih innere, ab äussere, ib innere Befestigung.
Fig. 25. Radialschnitt durch den Mundrand von Asteropecten« nr Nerven-
ring, ngkr Nervengefässkammerring, ngr Nervengefässring, rms Bing-
muskel des Skeletts, rmm Ringmuskel des Magens, Im Längsmoskel,
ep Epithel, mh Magenhaut.
Beiträge zur Amitomie der Eohinodermen. 517
IV. Echinidae.
1. Echinns.
Das Material zur Untersnchang der Echiniden — eine Anzahl
ziemlich wohl erhaltener Echinns escnlentos nnd Spatangns meri-
dionalis — verdanke ich der Freigebigkeit des H. Prof. Haeckel;
dem ich anch für seinen werthvollen und freundlichen Rath and
sonstige Hülfe vielen Dank schulde. Ausserdem benutzte ich zum
Vergleich einige andere Arten.
Die Untersuchung dieser Abtheilung der Echinodermen ist
besonders schwierig^ und nur den verbesserten Methoden unserer
Zeit verdanke ich es^ wenn es mir gelungen sein sollte^ den von
Tiedemann, Valentin, Müller, Hoflmann und Agassiz erhaltenen
Resultaten noch Einiges hinzuzufügen. Ich setze die Ergebnisse
ihrer Forschungen als bekannt voraus, und werde nur auf die-
selben zurückkommen, wo ich etwa von ihnen abweichen oder sie
genauer präcisiren zu müssen glaube.
Um einen Seeigel mit möglichster Schonung seiner innem
Theile zu öfben, mache man den Cirkelschnitt innerhalb des An-
satzes der untern Darmwindung, also nicht zu entfernt vom Mund,
und durchschneide den Oesophagus nahe über der Laterne. Wenn
man dann in die abgeschnittene Wölbung hineinsieht, erblickt
man den Oesophagus, wie er nach dem Anus hinaufläuft, wo er
sich befestigt (meine Bezeichnung von oben und unten bezieht
sich auf die nattlrliche Stellung des Thieres mit dem After nach
oben), von da kehrt er nach unten zurück, um in den Anfang
der ersten Darmwindung einzutreten. Diese Darmwindung läuft
im Innem der ganzen Schale herum, bis zurück zum Anfang,
worauf sie in einer kurzen Biegung umkehrt und oberhalb der
untern Windung eine zweite, ihr parallele, rückläufige beschreibt,
welche dann in das Rectum übergeht Der Umkehrpunkt der
518 Belnholcl TetUieher,
Darmwindimgeii liegt in demjenigen Interradins, i^elcher die
Madreporenplatte enthält.
Die ganze Länge des Darms wird von zwei Blutgefässen
begleitet, nnd zwar länft das stärkere derselben an der innereUf
freien Seite des Darms entlang; einen platten, bandartigen Vor-
sprang bildend ; das andere, viel schwächere; zieht sich an dessen
angehefteter Seite hin, an der Stelle, wo das Mesenterium sich
an den Darm heftet. Tiedemann bat tOr diese beiden Gefässe
die Namen Darmarterie nnd Darmvene eingeführt, welche bei
nnsrer so geringen Eenntnissvon derCircalation der Echinodermen
jedenfalls unpassend ist Die einzig richtige Bezeichnung: scheint
mir die von Kttcken- und Baudigefäss, welche ich nach Hoff-
mann's Vorgang adoptire, wie sie ja anch schon von Sem per fttr
die Holothnrien eingeftlhrt worden ist ; nnd zwar nenne ich Baach-
gefäss das an der freien, Rttckengefäss das an der angehefteten,
der Schale zugewendeten Darmseite befindliche Oefäss.
Das Banchgefäss (bg, Fig. 1) steigt, an den Oesopha^ii an-
geheftet, mit ihm von der Laterne' nach oben und danh wieder
abwärts, erweitert sich vom Eintritt desselben in den Öarni an
sehr schnell bis zu 1 Mm. und etwas darttber; in dielier Dicke
läuft es an der freien Seite der ersten Darmwindung hin^ von
deren letztem Drittel an es sich allmählich wieder verengt. Die
obere Dairmwindung^ und den Mastdarm begleitet es unglsfähr in
der gleichen Dicke, die es am Oesophagus hatte. Die Wände
sind dick, bestehen aus Bindegewebe mit'PigmentkOmem, vielen
Bing- und wenigen Längsfasem, ttbbr deren histologische Natur
ich nicht zu entscheiden wage. Das Lumen dieses, sowie der
andern Blut^fässe der Echined findet sieh bei Spirituseiemplaren
von* einem sihr consistenten, gelblich weissen Congülum erfüllt;
wfeldicrs durch seine Farbe die Gefässe äusserlich kenntlidh macht,
aber Injectionen sdhr hinderlich ist. Dagegen dttrfken wegen der
Wdte ' ihrer Lumina und der ConUsten^ ihrer Wanduügen die
Oefässe friäibher Echinen sehr leicht zu injibiren sdn. So musste
ich mi6h darauf beschränken , die feineren Blutgefässe durch
dtinne Quelschnitte zu verfolgen, was sicher genu^, aber mflhsam
ist. Das Rttckengefäss läuft längs defr angehefteten Datmstite
dieht an dein' befestigenden Mesenterium hin. Eiiie starke Er-
weiterung desselben in der Mitte,' wie angegeben wird, habe ich
nicht wahmehmBn können; sein Luttie}i ist eng und überall un-
gefähr gleich. Hat man' dks Thier mit der oben angegebenen
Vonicfat'gfOlfoet, so dtos der kni&tz Afk Mesenteriums der unteiii
Beiträge zur Anatomie der Eohinodermea. 519
P^rmi^dxmg an die Schale imyerletzt ist^ so bemerkt man, wenn
man die Schalenöffhung nach oben kehrt, einen längs iles grössten
Theilfl der untern Darmwindnng frei herabhängenden ihr parallelen
Strang (rg^, Fig. 1); welcher durch zahlreiche Fäden mit dem be-
treffenden Tbeil des Rttckengefässes in Verbindung steht; derselbe
weist sich als ein zweites, frei in die Leibeshohle herabhängendes
Kttckengetäss aus, mit dem eigentlichen durch zahlreiche Anasto-
mosen communicirend und etwas weiter» als dasselbe. Wir finden
hier also eine Anbahnung zu den wunderlichen CirculationsTcr-
hältnissen der meisten Holothurien, wo die complicirten Anasto-
mosen des Rttckengefässes eine Art Wundemetz bilden. Dass der
betreffeende Strang ein Qefäss und die Verbindungsfäden Anasto-
mosen desselben mit dem Rttckengefäss sind, lässt sich durch
Querschnitte leicht nachweisen; dass noch kein Beobachter das
so anfEäUige Verhältniss bemerkt hat, liegt wohl an der gewöhn-
lichen Art, die Thiere nahe der Mitte zu offnen.
In Fig. 2 habe ich die Umgebung des Afters von der Innen-
seite dargestellt. Den von Tiedemann gefundenen Analring konnte
ich nicht erkennen, doch bin ich von der Anwesenheit eines
solchen überzeugt, weil wenigstens das Ventralgefäss des Rectums
in gleichbleibender Stärke bis an den Ansatz des Rectums ver-
läuft, und es nicht wahrscheinlich ist, dass es dort plötzlich blind
endigt Wir sehen in der Figur zwischen den fünf Genitalplatten
den Ansatz des Rectums (md) und der andern von da ent-
q)ringeQden Theile, Das Dorsalgefäss des Rectums ist äusserst
fein und scheint mir sich allmählich zu zertheilen, ehe es den.
Ansatz desselben erreicht. Rechts liegt der Oesophagus (oes)
durch eine Mesenterialplatte (mp) befestigt ; sein oberer Theil (zm)
fuhrt zur Laterne, der untere (zd) zum Darm. An der Dorsalseite
des letzteren Stückes (zd) läuft das enge Dorsalgefäss und geht
von ihm in den Rand des befestigenden Mesenteriums über, theilt
sich aber darin bald in viele sehr feine Zweige und erreicht den
Analring sicher nicht. An der Dorsalseite des zum Mund fahrenden
Oesophagusstückes (zm) verläuft zunächst der Steincanal (stk),
von der Madreporenplatte (mp) kommend, und an dem oberen
Rande (in der Figur) der schon erwähnten Mesenterialplatte be-
festigt Zwischen ihm und dem Oesophagus liegt das sogenannte
Herz (hz) mit einem sehr feinen Faden, wie mir scheint, bis zum
An^Qg reichend« Dieses Organ ist vielfach beschrieben. Bei
Ecbinen mit abgeplatteter Schale, deren Laterne fast bis zum Anus
reicht, bleibt es meist beim Oeffnen an der Laterne hängen, so
520 Beinhold TeoBclier,
wie 68 Tiedemann gezeichnet hat; bei Thieren aber mit stark
convexer Schale, wie Echinus melos und esculentus, überzeuget man
sich leicht, dasB sein eigentlicher Platz in der Nähe des Afters
ist, von welchem sein spitzes Ende nnr wenig absteht. Fig. 4
stellt einen Querschnitt desselben dar. Es wird durch eine dünne,
häutige Platte längs des Oesophagus befestigt und besteht aus
einem wenig durchsichtigen Gewebe, einige feine Fasern ent-
haltend, die an den Enden zahlreicher werden und über deren
histologische Natur ich nicht klar geworden bin; dazwischen
liegen zahlreiche Pi^enthaufen, einzelne Zellen, viele nicht näher
zu charakterisirende Kömer, das Ganze in eine granulöse Substanz
eingebettet. Hier und da bemerkt man in seinem Innern einige
unregelmässige Spalten, nirgends aber eine grössere Höhle. Diese
Spalten (drs) mttssen wohl als zum Bttckengefäss gehörend be-
trachtet werden. Den Verlauf des Steincanals am Herzen herab
sieht man in der Figur.
Zwischen dem Herzen und der Laterne bemerkt man wieder
ein, auch zwei sehr enge Gefässe ^cht neben dem Steincanal am
Oesophagus herablaufend. Dass ein Organ von dem angegebenen
Baue, in ein äusserst feines Gefäss eingeschaltet, auf die Be-
förderung des Blutkreislaufs keinen wesentlichen Einfluss aiisttben
könne, leuchtet ein, und ich glaube, dass es, wie das Herz der
Asteriden, dem es sicher homolog ist, für die Functionen des er-
wachsenen Thieres ohne Bedeutung ist und ein Ueberbleibsei
entweder aus der Jngendentwicklung des Thieres, oder ans der
Entwicklung seiner Vorfahren darstellt.
An der Oberfläche der Laterne angekommen, treten nun beide
Gefässe, das stärkere Bauchgefäss mit Sicherheit, das sehr enge,
den Steincanal begleitende Bttckengefäss, wie mir scheint, eben-
falls, in den Blutgefässring ein. Irrthümer sind hier leicht mög-
lich bei der Kleinheit und (in nicht injicirtem Zustand) schlechten
Erkennbarkeit der Theile. Der platte Blutgefässring umgibt
den Oesophagus, ohne ihm unmittelbar anzuliegen, und findet sich
überall an die durchsichtige, die Laterne umhtlllende Haut an-
geheftet. Obgleich durch Coagulum weisslich gefärbt, erscheinen
doch seine Grenzen est dann deutlich, wenn der unmittelbar unter
ihm liegende Wassergefässring farbig injicirt wird, da er diesen
nicht an allen Punkten deckt.
In einem Versuch, dem er aber selbst geringen Werth bei-
zulegen scheint, bemerkte Hofimann, dass bei Injection des Wasser-
gefässringes der Farbstoff in das Bauchgefäss übertrat; nnr ist
Beitrüge zar Anatomie der Echinodermen. 521
niemals gelongea; die Lösung der Frage muss künftigen
Yersnehen an frischen Thieren vorbehalten bleiben«
Den Abgang von Gelassen aus dem Blnt-Schlnndring nach
dem Mnnde zu habe ich nicht direct beobachten kOnnen. Be-
trachtet man jedoch einen Querschnitt des Pharynx (des innerhalb
der Laterne verlaufenden Theiles des Verdauungscanals) (Fig. 5)^
so sieht man ihm äusserlich fest angeheftet fbnf starke binde-
gewebige Leisten (bl), welche^ von den fQnf Mundzacken, wo sie
am dicksten sind, entspringend, längs des ganzen Pharynx^ sich
allmählich verdttnnendi in die Höhe laufen und nebst den fttnf
innem bindegewebigen Leisten, welche die Darmhaut tragen, ihm
einen ziemlichen Grad von Steifigkeit verleihen« An den freien
Rändern jeder äusseren Leiste läuft jederseits ein Ligament ent-
lang (s), welches, nach oben frei werdend, sich an eine Ecke
eines der die Zwischenpyramidenräume deckenden viereckigen
Kalkstttcke ansetzt; zwischen je zweien dieser Ligamente, auf
der Mitte jeder Leiste, erscheint an jeder derselben eine Gefäss--
Öffnung (bg). Nach meiner Ueberzeugung gehören diese Oefihungen
fünf Blutgefässen an, welche nur. aus dem Blutgefässring ent-
springen können. Nach unten (Fig. 6) sieht man diese Gefässe
sich von der Wand des Pharynx entfernen, um über den an der
Mundbasis liegenden Nervenring (nr) (wovon unten) hinwegzu*
treten. Dabei dehnen sie sich in die Breite, und ihre Ränder,
welche etwas weisslicher erscheinen, als die Mitte, scheinen mir
die fttnf Paar Ligamente darzustellen, von denen Krohn bei der
Besehreibung des Nervenringes spricht.
Den weitem Verlauf der Blutgefässe erkennt man am besten
an einem Querschnitt der Ambulacra (Fig. 7). Die Echinen be-
sitzen nämlich, so gut wie alle übrigen Echinodermenfamilien,
ein Nervengefäss, d. h. ein die ganze Länge des Ambulacral-
nerven begleitendes Blutgefäss, wie schon Greeff behauptet, wenn
auch nicht nachgewiesen hat, uud zwar finden wir es hier an-
geordnet wie bei den Ophiuren. Das Gefäss umspttlt den Nerven
beiderseitig, nicht blos auf der Innenseite, wie bei Asteriden,
Grinoiden und Holothurien.
Die Ambulacralgefässe und Nerven der Echinen verlaufen be-
kanntlich auf einer etwas hervorragenden Längslinie des Innem der
Schale, welche sich vom Mund bis in die Nähe des Afters er-
streckt Gerade längs der Firste dieser Leiste heftet sich an die
die Schale innerlich auskleidende und an sie durch zahlreiche
Fasern befestigte Membran in nur geringer Breite die Gesammt-
622 fieiBliold Teofloher,
heit der ambvlacnden RObr^i «ammt dem NenFea an, and Sire
Seitenzweige za den Ampallen spaDnen isich Aber «ine Ai*t Bohl-
ranm hinweg, der mit dem Innern der Schale in Verbindang
steht, wie die Figar zeigt. Das Nervengefitos wird durch eine
Scheidewand in ein äasseree und inneres getheilt, an deren Anssen-
fläche der Nervenstrang befestigt ist; mit den Seitenft€iteii des
Nerven und des Ambnlaordgefässes gehen auch ans dem Nerv en*
gefäss Zweige nach den Ampnllen and Fttsschen ab. An deo
Abgangsstelien fehlt die Scheidewand, wodnrch die Binlieit der
beiden Abtheiinngen des Kerv^engefksses hergestellt wird, ßei
den Ästenden und Ophinren, nnd wie wir später sehen werden,
anch bei den Spatangen und Hoiothurien mttnden nnn die fBof
Nervengeflli^iie direot in einen Ring, welcher dem Nervensehlnnd-
ring anmittelbar anliegt; bei Ästenden and Ophiaren kat man
spärliche Eingeweide-Blatgefilsse aas die$em Ring aastreten sehen,
währen^ von Darmblatgef&ssen bei ihnen nichts sicheres bekannt
ist; Tiedemann, dessen Untersachnngen in diesem Punkt noch
keine Bestätigang geianden haben, leitet sie überdies ans dem
Analring her. Das hochentwickelte Darmblatgefässsystem der
Hoiothurien aber steht nachweisUch mit dem NerrengefösBring in
keinem Zusammenhang, während bei Spatangus, wie wir sehen
werden, ein solcher sehr wahrscheinlidi ist. Wir halten also bei
Bchinus eine höchst auffallige Abweichung von dem, was in der
ganzen übrigen Familie vorkommt: bei ihnen würde ein mit dem
Nervengefäss verbundener Blntcanal um den Nerv^ving fetleüf
dagegen würden jene Blutbahnen in unraittelbarem Zusammen-
hang mit einem höher am Oesophagus liegenden BlutgefiissriDg
und durch ihn mit der Darmcirculati<m stehen. Es bleibt künftigen
Beobachtern, welche frisches Material untersuchen können, vor-
behalten, diese Zweifel zu lösen.
Wir kommen nun zum Wassergefässsystem der Echinen. Der
Steincanal (stk, Fig. 2 u. 3) entspringt von der Madreporenplatte
und steigt von ihr fast geradlinig an der Dorsalseite des Oeso-
phagus neben dem Herzen zur Laterne herab, wo ei in den
Wassergefässschlundring einmündet. Er wird gebildet dnirch ein
bindegewebiges Bohr, bei voHwüchsigem Eohinus eseulentns nicht
über Vi ^^* ii^ Durchmesser, welches keine Kalkeinlagerungeny
nur wenige Zellen und Fasern, aber vMe kömige Gebilde eat-
hält, zumal Pi^entiiaufen. Das Innere ist ausgekleidet von
einer hyalinen, sich leicht ablösenden Schicht, welche zahlreiche
kleine mit Hämatoxylin^ sieh lei^t färbende Zellen enthält; also
Beitrage znv Anatomie der Echinodermen. 523
durch ein mehrschichtiges Epithel, welches im Leben flimmert.
Die äussere Oberfläche trägt ein einfaches Flimmerepithel. An
der Oberfläche der Laterne angekommen tritt der Steincanal in
den oben erwähnten Ambnlacralring ein, ein fUnfeckiges, plattes
und nicht sehr breites Gefäss, welches am leichtesten an den
Ecken zu erkennen ist^ in welchen die Poli'schen Blasen ent-
springen (Fig. 3). Auch der Steincanal mündet in eine solche
Ecke. Am besten sieht man das RinggefUss nach Injection, welche
mir auf doppelte Weise gelang: entweder durch eines der aus-
gerissenen Mundfttsschen, oder leichter und besser in das radiale
Ambulacralgefäss selbst, und zwar kurz nachdem es aus dem
Auricularfortsatz ausgetreten ist^ wo sein Lumen mehr als genügt
Nachdem man das Gefäss gespalten, fuhrt man die Canule ein
und comprimirt dann, um den Rücktritt der Flüssigkeit zu ver-
hindern, mit einem etwas steifen Pinsel die Weichtheile gegen
die Canüle und die Ealkschale. So injicirt man leicht das Ring-
getäsB, die Poli'schen Blasen, die vier andern ambulacralen Wasser-
gefässe und auch den Steincanal.
Zwischen je zweien der fünf Bogenstücke auf der Oberseite
der Laterne (bs Fig. 3) sieht man ein plattes, weissliches Gebilde
mit abgerundeten Seiten (Pb) überall fest an die die Laterne um-
kleidende Membran geheftet, mit breitem Stiel in den Ringcanal
münden : dies sind die fünf Poli'schen Blasen , wie sie sich bei
Valentin gut abgebildet finden. An gut injicirten Exemplaren sieht
man, dass nicht das ganze Organ sich füllt, sondern nur vom Stiel
aus zwei bis drei enge Canäle Farbstoff einlassen, welche sich
sehr fein baumartig verästeln, aber ohne die Peripherie zu er-
reichen (Fig. 3). Die letztere erscheint ausserdem etwas verdickt
und zeigt ein gelblich- weisses, mattes Ansehn, ganz ähnlich den
Goagula enthaltenden Blutgefässen. Auf Durchschnitten sieht man
ausser den feinen Canälen die sehr stark verdickten Wände, ge-
bildet aus einem Gewebe, welches dem des Herzens sehr ähnlich
ist : in einer feinkörnigen Grundsubstanz erscheinen einzelne Fasern,
Kömer, Pigmenthaufen. Soviel ist klar, dass bei der Kleinheit
ihrer Höhlung und der geringen Dehnbarkeit ihrer Wände die
Poli'schen Blasen der Echinen nicht im Stande sind, der Function
vorzustehen, welche man diesem Organ zuzutheilen pflegt, nämlich
als Reservoir für den Inhalt des Ambulacralsystems zu dienen;
sie sind offenbar ganz verkümmert und ihre Bedeutung würde
ohne die Vergleichung mit dem, was wir in andern Echinodermen-
Bd. X. N. F. III, 4. 84
524 Reinhold Teusdier,
Stämmen findeD, ebenso unverständlich sein^ als es ans die des
Ästenden- nnd Echinenherzens ist.
Aus dem Wassergefässring entspringen dann die fünf Ambn-
lacralgefasse. Sie treten dnreh einen Canal (ag Fig. 6), welcher
zwischen je zwei Pyramiden über dem sie verbindenden Muskel
nnd unter dem parallelopipeden Kalkstück qs verläuft, welches
den Zwischenraum zwischen je zwei Pyramiden deckt; an der
Aussenfläche der Laterne angekommen, steigen sie an der Anssen-
seite des Zwischenpyramidenmuskels herunter, wo man sie auch
im nicht injicirten Zustande makroscopisch erkennen kann, um
sich an der Laternenbasis, wo sie den hervortretenden Nerven mit
seinem Oefäss treffen , zu diesen beiden zu gesellen. In Fig. 5
\f> gebe ich die Abbildung eines horizontalen und in Fig. 6 die eines
verticalen Schliffs durch die Mitte der Laterne ; welche nach der
bei den Ophiuren angegebenen Methode erhalten sind, in denen
man den Verlauf sowohl des Wasser- als des Nervengefässes ver-
folgen kann. Fig. 7 zeigt den weitern Verlauf in den Ambulacris.
Zum Wassergefässsystem gehören noch die Ampullen und die
Saugfüsschen. Jede Ampulle bildet einen Abschnitt einer Scheibe
von geringer Dicke ; so stehen sie dicht gedrängt neben einander,
die platten Seiten berühren sich, die runden Känder ragen frei
nach innen ; die ebenen Abschnitte .sind an der Schale befestigt
Die dünnen Wände tragen äusserlich und innerlich ein Flimmer*
•
epithel und bestehen aus einer Bindegewebschicht; in welche ein-
gebettet durchscheinende Fasern von rundlichem Querschnitt pa-
rallel mit einander und mit der Basis der Ampulle ^ oft durch
Abzweigungen mit einander in Verbindung tretend ^ dicht neben
einander verlaufen^ welche von Valentin und Hofimann abgebildet
werden. Dabei sieht man aber — und man braucht nur eine
Ampulle bei schwacher Vergrösserung von aussen anzusehen —
dass die beiden gegenüberstehenden Wände der Ampullenhöhle
durch kurze, ziemlich dicke Faserbündel; die schon beim ersten
Anblick den Eindruck von Muskelfasern machen , mit einander
verbunden werden (Fig. 11). Sie setzten sich wie mit Wurzeln
an den Wänden fest^ und nach ihren Ansatzpunkten scheinen sich
die Wandfasern enger zusammenzudrängen. Diese Muskeln sind
schon von Leydig beschrieben, wie ich aus einer Notiz bei C. K. Hoff'-
mann sehe, werden aber von Letzterem wieder geläugnet. Die Wand-
fasern halte ich für Bindegewebsfasern; die Querfasern für Muskeln,
nicht blos ihres Aussehens wegen. Die letzteren färbt Karmin sehr
stark; erstere gar nicht; schwache Säuren verändern keine von
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 525
beiden, concentrirter Salpetersäure widerstehen beide gleich lange,
aber nur die Querfasem werden Ton ihr gelb gefärbt. Ausserdem
spricht dafür der Mechanismus der Zusammenziehung der Am-
pullen^ welcher doch nur in einer Annäherung ihrer parallelen
Wände bestehen kann^ wenn nicht die Bewegung der benachbarten
Ampullen beeinträchtigt werden soll.
Die SaugfÜsschen der Echinen sind von Valentin und Hoff-
mann beschrieben; doch halte ich es nicht ftir überflüssig, noch
einen Längs- und einen Querschnitt abzubilden (Fig. 8 und 9).
Die Aehnlichkeit mit den Asteridenfüsschen ist sehr gross, und
doch sind einige wesentliche Verschiedenheiten bemerkbar. Unter
der die Flimmerhaare tragenden Cuticula findet sich hier wie dort
eine aus wirr durcheinanderlaufenden Querfasern bestehende Haut-
schicht (hs); welche in der darunter befindlichen Bindegewebsschicht
wurzeln, in eine feinkörnige Masse eingebettet; auch hier ver-
laufen die Hautfasem an der Saugscheibe mehr parallel ; aber die
Zellen der Hautschicht sind nicht, wie dort, in der Nähe der
Cuticula zusammengedrängt, sondern ziemlich gleichmässig über
ihre ganze Dicke ausgestreut, wie es bei den Ästenden nur an
der Saugscheibe der Fall ist. Die nun folgende Bindegewebsschicht
theilt sich in zwei Lagen, von denen die äussere, mächtigere aus
Längsfasem besteht, welche im Zustand der Zusammenziehung in
regelmässigen Zickzacklinien liegen. Sie ist es, wie bei den Äste-
nden, welche das Material zu dem bindegewebigen Gerüst der
Saugscheibe liefert, in welcher die dieser angehörigen Ealkstücke
liegen. Diese letzteren bestehen bekanntlich bei Echinus esculentus
in einem vier- bis siebeneckigen polygonalen King, genauer^ wie
wir im Durchschnitte sehen, aus drei bis vier platten, übereinander
liegenden Ringen (kr Fig. 8), auf dessen Polygonseiten nach der
Spitze zu die Kalkplatten der Rosette ks aufliegen. Ealkspiculae
in andern Gegenden der Füsschen habe ich nicht gesehen, obschon
sie bei andern Arten vorkommen mögen. Die Ringfasern der
Bindegewebsschicht liegen den Längsfasern innerlich an, scharf
gerundet und etwas voneinander gesondert (Fig. 8). Weiter nach
innen folgt dann eine starke Muskelschicht (ms), die einzelnen
Fasern wie bei den Ästenden in eine hyaline Bindegewebsmasse
eingebettet, welche nach der Höhlung zu die Muskelschicht um
etwas überragt und das Epithel trägt. Den Hauptunterschied von
den Astenden bildet das Verhalten des Nerven (n Fig. 9). Dieser
bildet hier einen deutlich gesonderten Strang, wie bei den Ophiuren
und Holothurien, der Innenseite des Füsschens entlang laufend.
84*
52G Reinhold Teasclier,
Er ragt mit abgerundeter Oberfläche in die Haatschicht hinein^
mit welcher er sehr fest verbunden ist, nnd reicht nach innen,
die Längsfasem ganz verdrängend, bis zu den Ringfasem des
Bindegewebes, wo er gerade und scharf abgeschnitten endigt und
zwischen sich und diesen Fasern einen schmalen, aber deutlichen
Spalt lässt, den man wohl als eine Verzweigung des Nerven-
gcfässes ansehen muss. Der Nerv des Fflsschens besteht aus Längs-
fasem, deren Durchschnitte man deutlich erkennt; dazwischen
finden sich meist einige Pigmentkömer. Der Mechanismus des
Ansaugens der Fflsschen ist hier derselbe wie bei den Astenden.
Die innersten Längsmuskellagen setzen sich durch die Oefinung
der Rosette unmittelbar an die Saugscheibe an, um durch das
Zurückziehen von deren Mitte den Saugnapf hervorzubringen; die
Rosette verstärkt die Wirkung, indem sie die Oberfläche ver-
grössert, auf welche der äussere Druck wirkt.
Noch etwas weiter ausgebildet findet sich dieser Mechanismus
an den Ftlsschen von Echinus saxatilis (Fig. 8). Hier ragen die
innem Enden der Rosettenstttcke über den Ring nach dem Centrum
zu hervor, und an diese Verlängerungen setzen sich Muskelfasern
an, welche zum Theil von dem Ring ausgehen. So entsteht eine
Hebelwirkung mit dem Ring als Stützpunkt, welche die Bildung
des Saugnapfes wesentlich erleichtern muss.
Die Eenntniss des Nervenschlundrings der Echinen verdanken
wir Krohn (Mflll Arch. 41), sowie die Angabe einer guten Me-
thode, um zu demselben zu gelangen. Eine Erleichterung fand
ich noch darin, dass ich nach dem Durchschneiden (besser Durch-
sägen) der Mitte der Pyramiden das Ganze in verdttnnte Salz-
säure brachte ; dann fielen die lästigen Zwischenpyramidenmuskeln
wie von selbst ab und die Theile Hessen sich sehr leicht ausein-
ander legen. Zu dem über den Nervenring Gesagten habe ich
nichts hinzuzufügen. Die Gestalt des Ambulacralnerven erkennt
man aus Fig. 7. Die beiden Seitenhälften sind im Verhältniss
zur Mittellinie etwas verdickt, darum sieht man bei der Ansicht
des Nervenstrangs von oben in der Mitte eine hellere Linie ver-
laufen, welche als Gefässlumen gedeutet wurde.
Wenn man neben dem Nervenstrang jederseits einen ihm
parallelen Schnitt führt, so ist es leicht, ihn nebst den ihn be-
gleitenden Gefässen von der Schale abzuheben und in feine Längs-
und Querschnitte zu zerlegen. In Längsschnitten sieht man, wie
bei allen andern Echinodermen, zarte Längsfasem dicht neben
einander verlaufen; ihre etwas verwaschenen Grenzen verhindern
Beitriige zar Anatomie der Bchinodennen. 527
auch hier eise genane Messiing, doch scheinen sie mir entschieden
grtiber, als bei den Asteriden. Zwischen ihnen finden sich zahl-
reiche Pigmentkömeri theils einzeln^ theils in Omppen.
Der äasseren, der Schale zugewendeten Fläche liegt auch
hier eine Schicht von Zellen an, von 0,0035 M. mittlerem Durch-
messer; randlich, etwas glänzender, als ich sie anderwärts ge-
sehen, mit nicht sehr deutlichen Kernen. (Fig. 7) Sie liegen in einer
oder zwei Reihen, oft einzelne weiter nach innen vorgeschoben, und
gind offenbar die eigentlichen Nervenzellen. Die bei den Crinoiden,
Asteriden und Hololhurien so auffallenden Quer£asem fehlen ganz,
was meine Meinung ttber die bindegewebige, sttttzende Natur
jener Fasern, welche sich nur da finden, wo der Nervenstrang
nicht durch einen äusseren Ealkpanzer geschtttzt ist, bekräftigen
muss. Auf dem Querschnitt bemerkt man, dass die Mitte des Nerven
sich von den Seitentheüen durch nichts unterscheidet, als durch
seine relative Dtinnheit; in der Nervensubstanz bemerkt man ein
grobkörniges Ansehen, als Ausdruck des Durchschnittes der Längs-
fasem; dazwischen die andern genannten Elemente.
Zu jeder Ampulle tritt ein Seitenzweig des Nerven.
Von dem Darm pflegt man als besondere Abtheilung das
innerhalb der Laterne gelegene Stttck, den Pharynx, zu behandeln,
und zwar mit Recht, sowohl seiner Lage, als seines abweidienden
Baues wegen. Er besteht aus einem bindegewebigen Cylinder,
welcher der äusseren Bindegewebsschicht des Echinodermendarms
entspricht; ihm liegen nach innen zu die Ringmuskeln an, nur
schwach vertreten; ein eigentlicher Sphincter oris fehlt. Dagegen
wird die innere Bindegewebsschicht durch fünf starke dreikantige,
interambulacral gelegene Längsleisten dargestellt, welche einander
nicht berühren (Fig. 5 ib). An ihrer Basis sieht man eine
massig starke Lage von Längsmuskelfasem verlaufen. Sie be-
stehen aus hyalinen Massen mit wenigen feinen Fasern nach allen
Richtungen durchzogen, mit Körnern, Pigmenthaufen und Zellen.
Auf ihnen und in ihren Zwischenräumen auf der Muskelschicht
ruht dann die allen Echinodermen zukommende Darmhaut von
dem gewöhnlichen Bau: dicht gedrängte feine Querfasem mit
dazwischen eingestreuten kleinen Zellen von etwa 0,002 M., darüber
die Cuticula.
Im Oesophagus (Fig. 12), welcher von der Laterne zum After
und von da zum Anfang der ersten Darmwindung reicht, sind
ganz ähnliche Verhältnisse ; von aussen nach innen folgen : Flim-
merepithel mit äusserer Bin(legewebsschieht, Ring- und Längs-
528 Reinhold Teuscher,
muskeln und innere Bindcgewebsschicht. Diese ist nicht in L#ängs-
leisten getheilt, sondern überall zusammenhängend; woU aber
bildet sie nach innen viele kleine warzenartige Vorsprünge, -welche
annähernd Längsreihen bilden, deren ich bei E. Melo 26 — 30
zähle. In diesen Verdickungen kommen die gewöhnlichen Binde-
gewebselemente vor, ausserdem die bekannten Ealk-Doppelhaken,
welche bei Melo sich in den meisten Geweben finden, bei andern
Echinen viel seltner sind. Am innern Rand der Bindege-webs-
öchicht concentrirt sich das Pigment. Die innere Hautschicht zeigt
nichts Eigenthttmliches ; ihre Dicke ist auf der Höhe der Warzen
beträchtlicher, als in den Zwischenräumen. Fast in allen Dd^rm-
theilen der Echinodermen finden wir die innere Bindegewebslage
in Leisten oder warzenartigen Vorsprüngen nach innen vorrag^end ;
die Folge davon ist eine Vergrösserung der verdauenden Ober-
fläche. Darum sind diese Hervorragungen immer am Anfang' des
Darmcanals bedeutender als gegen das Ende, und hier, im Oeso-
phagus der Echinen, sind sie besonders stark und regelmässig
entwickelt. Drüsen habe ich nirgends gesehen.
Am Eintritt des Oesophagus in die erste Darmwindung findet
sich eine sackförmige Erweiterung, bei verschiedenen Arten un-
gleich entwickelt^ aber immer viel weniger auffallend, als das an
derselben Stelle gelegene und ihr entsprechende Divertikel der
Spatangen. Von da an zieht sich längs der Ventralseite der ersten
Darmwindung hin, zwischen ihr und dem Bauchgefäss, eine Ver-
doppelung des Darms (HO Fig. 1), ein zweiter engerer Darm von
überall gleicher Weite (etwas über 1 Mm. an ausgewachsenen Exem-
plaren von Ech. esc), welcher bis zum Anfang des letzten Viertels
der ersten Darmwindung reicht, und sowohl dort als dicht am
Eintritt des Oesophagus in den Darm einmündet. Es ist klar, dass
wir hier dasselbe Organ vor uns haben, wie das von C. K. Hoflf-
mann bei den Spatangen entdeckte und „gewundenes Organ*' ge-
nannte Darmdivertikel, für welches ich, da dasselbe nicht gewunden
ist, den Namen „HoflTmann's Organ*' vorschlage. Ein Divertikel
ist es jedenfalls, trotz der Besonderheit seiner doppelten Ein-
mündung, und wenn die Echinen von den Asteriden abstammen,
wie wir nicht zweifeln können, so werden wir es von den Coecis
der letzteren abzuleiten haben. Allem Anschein nacl^ ist es ein in
Rückbildung begriflfenes Organ, ein Rudiment. Der innere Bau
unterscheidet sich in nichts von dem des eigentlichen Darms;
immer habe ich es leer gefunden.
Dieses Darmdivertikel der Echinen scheint schon von Monro
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 529
gesehen worden zu sein, wie ich ans einer Gitation bei Tiedemann
vermnthe, wo es heisst : ^^am nntem Bande von der ganzen Länge
des Oekröses finde ich zwei Gefösse ohne Klappen, ungefähr von
derselben Grösse und parallel liegend^' etc., womit er nur das
Rttckengefäss und das zwischen ihm und dem Darm verlaufende
Uoffmann'sche Divertikel bezeichnen kann. Nachdem dieses Organ
von Hofimann iUr Spatangus purpureus beschrieben war, Hess
sich dessen Vorkommen bei den Echinen vermuthen; bei diesen
letzteren ist sein Verlauf einfacher und ursprünglicher, da es
seiner ganzen Länge nach dem Darm anliegend bleibt. Bei den
Spatangen hat das Darmstttck eine stärkere, unregelmässige Krüm-
mung gemacht, und die vordere Hälfte von Hoffmann's Organ
läuft dort sammt dem Bauchgefäss quer über den Schalenraum
weg, indem es einen kurzem Weg beschreibt, als der Darm selbst.
Längs der ganzen ersten Darmwindung sehr häufig, seltener
in der zweiten, sieht man an Längsschnitten in der innem Binde:
gewebsschicht des Darms zahlreiche feine Oeffnungen, die Lumina
der Gefässverzweigungen, welche, vom Bauchgefäss entspringend,
den Darm überspinnen und wahrscheinlich jenes mit dem Rücken-
gefäss in Verbindung bringen ; natürlich gehen sie dabei quer über
Hoffmann's Organ weg. Ihre Injection ist mir nur stückweis
gelungen.
In Fig. 10 sehen wir einen Querschnitt des Darms mit Hofi-
mann's Organ und dem Bauchgefäss. Zwischen den beiden er-
steren erscheint ausserdem noch der Querschnitt eines starken
Mnskelbündels, mb, aus groben, durch Bindegewebe untereinander
vereinigten Fasern bestehend, welches nach hinten an Dicke ab-
nimmt und über das anale Ende von H's. Organ hinaus kaum
noch wahrzunehmen ist; nach der Mundseite zu aber geht es,
wenn auch sehr verdünnt, auf den Oesophagus über und ist auf
dessen ganzer Länge zwischen ihm und dem Ventralgefäss nach-
zuweisen. Die Spannung dieses Muskels muss den innem Rand
des Darms nach innen ziehen, und bei der dorsalen Anheftung
derselben in abwechselnd obern und untern Bogen dessen Lumen
erweitem, also durch Wechselwirkung mit den Ringfasern zur
Bewegung des Darminhaltes beitragen.
Die Mnndöfinung der Echinen wird durch fünf Spitzen ge-
bildet, in welche der Schlund ausgezogen ist; in jeder Spitze
steckt das verdickte Ende einer der fünf Leisten, welche, wie
wir oben sahen, dem Pharynx äusserlich anliegen. Um die iUnf
Spitzen herum nach aussen schlägt sich die Mundhaut, um nun
530 Beinbold Teoscber,
eine ringförmige nach innen vertifte Falte auszukleiden (mf, Fig. 6),
welche den Raum zwischen dem Pharynx und den Zahnspitzen
einnimmt und beim Oeffnen der Zähne Zerrungen des Pharyni
verhindert Vom Innern der Pyramiden aus gesehen erscheint die
tiefste Stelle der Falte in fünf bläschenartige Spitzen ausgredehnt,
welche zwischen je zwei Leisten liegen, und um deren Basis der
Nenrenring läuft. Zwischen den Zahnspitzen hindurch setzt sich
die Mundhaut in ganz allmählichem Uebergang auf die Oberhaot
der Mundscheibe fort, deren Bau ganz dem der Bückenhaat eines
Seestems gleicht. Die untere Lage der Cutis besteht ans grroben,
in allen Bichtungen gekreuzten Fasern, zwischen denen einzelne
Kalkstttcke liegen, von denen die zehn Platten der Mnndfllsscben
die grössten sind ; über ihr, scharf abgesetzt, folgt die oberste, die
Fortsetzung der Darmhaut bildende Schicht, von demselben Bau,
wie bei den Asteriden : zarte, büschelförmig gruppirte Qnerfasem
mit besonders an der Basis zahlreichen Zellen : endlich die Guti-
cula. Nach der Peripherie zu wird die Oberhaut dünner, ohne
ihren Bau zu ändern; sie überzieht noch die äusseren Mundkiemen,
baumförmig verzweigte Bohren, aus einem bindegewebigen Gerüst
bestehend mit Längs- und Querfasern und den gewöhnlichen Binde-
gewebselementen.
Aeusserlich ist die ganze Laterne durch eine zarte Membran
lose umgeben, welche die in derselben enthaltenen Hohlräume
von der allgemeinen Leibeshöhle, wenn auch unvollständig, ab-
sperrt. Am auffallendsten erscheint die Membran da, wo sie auf
der Oberseite der Laterne um die fünf hervorragenden hinten
noch weichen Enden der Zähne (ze, Fig. 3) sich sackartig herum-
schlägt, und, wenn mit Flüssigkeit gefüllt, das Ansehn länglicher
Blasen annimmt, welche mehrfach, auch noch von neueren Be-
obachtern, fUr die Poli'schen Blasen genommen worden zu sein
scheinen. Die von jener Membran umschlossenen Höhlungen der
Laterne, welche ich mit dem von Semper beschriebenen Schlund-
sinus der Holothurien für homolog halte, nehmen vorzüglich da^,
Innere der Pyramiden und den cylindrischen Baum um den
Pharynx ein; dazu gehören femer noch schmale spaltenförmige
Bäume zwischen den Interpyramidenmuskeln. Die einander zu-
gewendeten Flächen je zweier Pyramiden besitzen bekanntlich
eng stehende horizontale Leisten, auf deren Höhe je eine doppelte
Quermuskelschicht aufsitzt. Die den Furchen zwischen den Leisten
entsprechenden Bäume sind leer, mit Epithel bekleidet, und bilden
einen Theil der Latemenhöhle.
Beiträge zur Anatomie der Ediinodermen. 531
2. Spatangas meridionalis.
Von der Anatomie des Spatangns hat C. K. Hoffimann eine
vortreffliche Darstellang gegeben. Die Lagerang der Eingeweide
bei Spatangns (Fig. 16) dürfte jedoch dnrch engeren Ansehlnss
an das bei Echinns vorkommende verständlicher werden. Während
Hoffmann bei Spatangns vier Darmwindnngen annimmt, sehe ich
deren nur zwei, welche ebenso, wie bei Eehinns, ttbereinander-
liegen and in entgegengesetzter Richtang verlaufen. Zu dem
Anfang der untern Windung tritt, allerdings auf einem Umwege,
der Oesophagus: von dem Ende der obem geht der Mastdarm ab.
Ein wesentlicher Unterschied von den Echinen in Betreff der
Darmlagerung findet sich hier aber darin, dass bei Eehinus die
Stelle, wo die beiden Darmwindungen auf einander stossen, um
wieder rückläufig zu werden (nennen wir diese Stelle die Darm-
lücke) nach J. Müller's Terminologie in dem unparen Interradius
liegt, d. h. in demjenigen, welcher die Madreporenplatte enthält
und dem unparen Kadius gegenüberliegt, während bei Spatangns
gerade dieser unpare Badins durch die Mitte der betreffenden
Dannlücke läuft. So liegt also, wenn der Beobachter die Madre-
porenplatte zwischen sein Auge und den Scheitelpol des Thieres
bringt, die Darmlücke bei Spatangns von ihm abgewendet, bei
Eehinus ihm zugewendet.
Den Oesophagus, den ich hier in Ermangelung eines hin-
reichenden Grundes nicht vom Pharynx trenne, rechne ich, wie
bei Eehinus, bis zum Anfang des Divertikels. Er steigt nicht,
wie dort, zum Scheitelpol empor, wohl aber thut dies das Diver-
tikel, welches hier viel stärker entwickelt ist. An diesem läuft
dann der Steincanal' herab, um sich längs dem Oesophagus zum
Munde zu begeben. Am besten sieht man diese Verhältnisse,
wenn man einen Spatangns, den man mit von sich abgewendetem
Munde vor sich liegen hat, durch zwei Sägeschnitte öffinet, von
denen der eine vertical, wenige Millimeter rechts von der Mittel-
linie, der andere horizontal und nicht zu tief geführt wird, um
den Darm zu schonen. Nach Wegnahme des Schalenstttcks sieht
man dann das Divertikel senkrecht an seinem Mesenterium in der
Mittellinie aufgehängt; über und hinter ihm steigt der Steincanal
von der Madreporenplatte zwischen den beiden Stützplatten herab ;
gerade nach hinten legt er sich ans Herz und verlässt dasselbe
wieder, um unter dem Divertikel nach vom zu laufen. Dünne
•.^_
->?2
Q^encluutle dartfc da^ Herz ztigctt die pai«c
cfaenio Twtmminfmgcacaty wie bei Ecbli^u: dne grsaHl&Be biiic
geweciige XiaK, Kdrner, Zeilcm, Faserm iiufciltiBi Ick se:
keiaen Gnnd, letztere fftr Moskefai n liaheii, aadi crlauibt il
genügt ZaU imd mrefeliiiaäsige Anordnen^ siekt, m iTiMi n d
TiSger einer Hcntontraedon xa tehen. Hier findet ada jed
eine gr^Agere eentrak H«>hle neben Tet^liiedenen kkiiwuüai Osf
nangen, wekhe bei Eehinus fehlt. Die centrale HlMe isa sei
anregefaBlasig gestaltet. Tielfacfa durch Qaentringe and dftnr^
Meaümnen getheflt. Ein Epithel sehe ich nicht, ihre YTünh
ontaaeheiden . sieh nicht ron dem Parenchym. Der Steuaeauial.
welcher an aeinem Cvlinderepithel leicht kenntlidi iat, Im^S^ dec
Heixen änseerlich an, aber naher, ala bd den Echineo; eire
Conunnnieation zwischen ihm nnd den Höhlen im Innerm ba'r^
ich nicht gefunden. An dem nntenten Thefl des Heizens Jedoch
wo sich der Steincanal etwas erweitert, sehe ich seine innere
dem HerEcn anliegende Wand immer stark yerdünnt nnd erUärf
mir daraus folgenden Vorgang bei Injectionen in das Hen. EHeses
Organ ist consistoit genng, nm eine Ugatnr zn ertragen; bris^
man die Canole ron oben in seine Höhle ein, nnfterbindet und
injieirt dann, so dringt die farbige Flüssigkeit in den Steincmnai
ein, nnd ich kann dies nnr dnreh die leichte Zerstöibarkeit seiner
Wandung am nntem Theil des Herzens erklären. Dies gescbai
bei allen Versuchen, die ich machte, meiner Erinnerung njtch
sechs Mal Der Steincanal, nachdem er am Heizen Torfiber-
gegangen ist, wird yod einem oder zwei feinen Gelassen begleitet
Nach allem diesen kann ich keinen wesentlichen Unterschied
zwischen dem Herzen der Spatangen und Echinen finden, und
sehe keinen Grund, dieses Organ mit Hoffmann bei den Spatangen
ein ,,Wasserherz'' zu nennen ; auch seine Bedeutung erscheint hier
dieselbe, wie dort; etwas „drttsenähnliches'^ habe ich nirgends
gefunden.
Verfolgen wir den Steincanal weiter in seinem Verlauf unter
dem Divertikel hin, so gelangen wir an die Stelle, wo am Ur-
sprung des Divertikels, also da, wo der Oesophagus anfluigt,
dieser mit der Stelle zusammentrifit, wo rechts die untere Darm-
windang sich in die obere umbiegt (immer die oben angegebene
Stellung des Thieres und seine Lage mit dem Bauch nach unten
vorausgesetzt). An dieser Stelle (oc, Fig. 16) geht der Steincanal
zum Oesophagus über, tritt aber ebenda in Verbindung mit dem
Ventralblutgefäss der oberen Darmwindung, so dass alle von mir
0
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 533
in das Herz gemachten Injectionen mehr oder weniger weit^ meist
einen bis zwei Zoll; in dieses Gefäss eindrangen^ während ich
eine Fortsetzung der Injection in das entsprechende Gefäss der
nntern Darmwindnng niemals beobachtete. Ho£fmann hß,t bei den
Spatangen das WassergefSss, wenn ich ihn recht verstehe, nnr
von dem Ventralblutgefäss der nntern Darmwindnng aus, ver-
mittelst eines von ihm entdeckten Verbindnngszweigs jenes Blut-
gefässes mit dem Wassergefässring injicirt ; dies erklärt eS; warum
er diese von jenen Theilen ziemlich entfernt liegende Verbindung
nicht aufgefunden. Der Steincanal tritt nun längs der Speiseröhre
herab in den Wassergeiäss-Mundring ein (und zwar in den rechten
Mundwinkel), einen sehr feinen Canal^ auf den ich später zurück-
kommen werde.
Auch die fünf Ambulacra sind verhältnissmässig sehr feine
Röhren, und das ganze Wassergefässsystem der Spatangen scheint
für das Leben des Thieres, wenigstens fllr seine Ortsbewegung,
ziemlich bedeutungslos. Die so wenig zahlreichen und winzigen
Saugfllsschen sind zur Fortbewegung ziemlich werthlos, wogegen
die Ambulacralkiemen, welche den Athmungsprocess gewiss mehr
durch Uebertragung des Sauerstoffs von den Ampullen an die
Leibeshöhlenflüssigkeit, als durch die engen Ambulacralgefässe
vermitteln, besonders für die platten, dickschaligen Formen sehr
wichtig werden mögen. Fig. 13 zeigt einen Durchschnitt durch
das Ambulacrum von Spatangus meridionalis, wo man sieht, dass
die Wände des engen Wassergefässes dicker sind, als bei Echinns ;
an den meisten Querschnitten findet sich noch ein sehr enges
Geiässlumen (beig), an der Peripherie des Wassergefässes, das
ich nicht zu deuten weiss. Die Saugfllsschen unsrer Spatangen
sind gebaut, wie die der Echinen. Aeusserlich die Hautschicht,
zu stark pigmentirt, um eine genauere Untersuchung zu erlauben ;
dann eine äussere longitudinale und eine innere circnläre Binde-
gewebsschicht; die erstere enthält zahlreiche Ealkspiculae, die
ich bei den mir bekannt gewordenen Echinen nicht gefunden;
endlich die Längsmuskelschicht, in hyalines Bindegewebe ein-
gebettet, welches sich ebenso verhält, wie dort. Eine eigentliche
Saugscheibe fehlt, doch findet sich eine einfache zarte Ealkrosette
aus einem Stück, ohne centrale Oeffnung und nicht kreisrund,
sondern einer Maler-Palette ähnlich. Die Ambulacralkiemen waren
an meinen Exemplaren leider nicht gut erhalten, doch konnte ich
durch Längs- und Querschnitte mich überzeugen, dass aus jedem
der beiden Schalenporen, welche mit dem Ambnlacralcanal com-
534 Reinbold Teascher,
mnniciren, ein gesondertes Bohr in die Kieme tritt; beide ver-
laufen bis an die Spitze und zwischen ihnen liegt der gekammerte
nnd zum Theil baumartig verzweigte Theil^ welchen mao anf
Abbildungen sieht. Die sehr kleinen Ampullen der Sangfüsschen
sind einfach; die der Ambulacra petaloidea dagegen sind sehr
gross und zeichnen sich durch stark vorspringende Läng^afalten
aus, deren innere Bänder durch eine Beihe starker Querfäden (die
mir aber hier nicht musculös scheinen) in der Lage erhalten
werden; wodurch eine grössere Anzahl der Haupthöhle der Am-
pulle äusserlich anliegender spindelförmiger Nebenhöhlen ent-
stehen: offenbar eine Vergrösserung der • Sauerstoff abgebenden
Oberfläche. Bezüglich der Tastfüsschen^ welche um Mund und
After stehen^ habe ich der Hoffmann'schen Beschreibung nichts
hinzuzufügen.
Wenn wir uns nun zu der Blutcirculation der Spataiig:en
wenden, so finden wir hier die beiden Gefässsysteme, das des
Darms und das der Ambulacra, nur durch eine feine Anastomose
mit einander verbunden, und den um den Mund gelegenen Blut-
gefassring dem Ambulacralsystem fast ausschliesslich angehörend :
ein Uebergang zu dem, was wir später bei den Holothurien finden
werden. Hoffmann beschreibt nur die Darmgefässe und schweigt
von einem Binggefäss um den Mund gänzUch; und da es ihm
bei unbeschränktem Vorrath von frischem Material nicht hat ge-
lingen wollen, ein solches und seine Verbindung mit den ersteren
aufisufinden, so hatte ich bei meinen geringen Mitteln wenig Hoff-
nung auf weiteres Vordringen. Es blieb mir nur eine Methode
ttbrig, nämlich durch Querschnitte zu untersuchen, ob ein Gefi&ss
am Oesophagus herablaufe, und wie weit. Dies ist nun allerdings
der Fall, und zwar läuft dicht neben dem Steincanal, welcher wie
bei den Echinen an der dorsalen Seite des Oesophagus durch eine
schmale Mesenterialplatte angeheftet ist, ein grösseres Gefäss,
ungefähr von demselben Lumen, wie er selbst, während er bei
den Echinen nur von einem bis zwei ganz feinen Gefässen be-
gleitet war, wogegen ich ein ventrales Gefäss, welches dort stark
ist, nicht finden kann. Dies Gefäss tritt ohne merkliche Ver-
engerung so nahe an den Mund heran, als man überhaupt unter-
suchen kann, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass es in den
ßlutgefässring, dessen Vorhandensein ich später nachweisen werde,
wirklich eintritt.
Auch den Analring lässt Hoffmann unerwähnt, und obgleich
es mir auch hier nicht vergönnt war, ihn selbst aufzufinden, so
Beiträge zur Anatomie der EehinodermeiL 535
sah ich doch, wie bei Echinas, ans der uamittelbaren Nähe des
Afters ein zartes Qefäss mit dem Steincanal zum Herzen hinab-
steigen, weiches sich auch nach dem Aastritt aus demselben
wiedererkennen liess, und am Mastdarm sehe ich zwischen den
zwei Blättern des ventralen Mesenteriums ein nicht unbedeutendes
Gefäss dicht an jene Gegend herantreten ; also ist auch sein Vor-
handensein wahrscheinlich.
In Betreff des weitem Verlaufs der Darmblutgefässe schliesse
ich mich ganz an Hoffmann an. Der bei weitem stärkste Stamm
liegt auch hier der Goncavität (Ventralseite) der untern Darm-
windung dicht an (Fig. 16) und entfernt sich erst von ihr etwas
weiter, wo Hoffmann's Organ den Darm verlässt, um fast im
rechten Winkel quer über zu seiner EinmtLndungsstelle am Ende
des Oesophagus zu laufen. Hier theilt sich das Gefäss in drei
Zweige: der eine nähert sich dem Darm allmählich wieder und
begleitet ihn weiter, ohne aber den Mund zu erreichen; an der
Stelle; wo er mit dem Darmvertikel zusanunentrifft, gibt er einen
Zweig an dieses ab; so weit gelangten meine Injectionen ohne
Schwierigkeit. Nach Hoffmann's Beobachtung aber schlägt sich
ein anderer Zweig desselben um den Darm herum und läuft als
Rückengefäss an demselben Darmstttck wieder zurück. Ich habe
das nicht gesehen, zweifle aber nicht daran, trotz der grossen
Abweichung von der Circulation bei Echinus, die es voraussetzt
Der andere Zweig des Bauchgefässes begleitet Hoftaiann's Organ
und gibt nach kurzem Verlauf einen dritten Zweig nach vom ab,
welcher dicht an der Innenseite der Stützplatte verlaufend in die
linke Mundecke tritt und sich in den Wassergefässring einsenkt.
Diese Verbindung der beiden Gefässsysteme ist von Hoffinann
entdeckt; ich konnte sie durch mehrfache Injectionen sowohl in
das Veutralgefäss, als in das Herz bestätigen. An allen Stellen
des Darms findet man auf Querschnitten sowohl ein Rücken- als
ein Bauchgefäss ; die lacunären Räume und feinen Verzweigungen
am Darm konnte ich nicht injiciren, sehe aber ihre Lumina deut-
lich in der innern Bindegewebsschicht des Darms.
Wenn man den Mund von Spatangus nach Wegnahme der
Schale von oben betrachtet (Fig. 17), so sieht man vor der queren
Mundspalte die Oberlippe, aus einzelnen, ovalen, beweglich ver-
bundenen Kalkblättchen zusammengesetzt, nach hinten durch den
Anfang der Oesophagus, nach vom durch eine abgerundet poly-
edrische Figur begrenzt, aus deren drei vorderen Ecken die vordem
Ambulacia, aus den hiutcm die beiden Ambulacra des Bauches
536 Eeinhold Teuscher,
abgehen. Diese Figur ist (mit Ausnahme der Basis am Oeso-
phagus) durch eine doppelte Linie begrenzt; die äussere (nr), in
der Figur durch unterbrochene Striche angedeutet, rührt vom
Nervenring, die innere (ar), von jener nur wenig abstehende,
punktirtC; vom Wassergefässring her, und man kann die von
jedem von beiden nach den Ämbulacris abgehenden Zweige sehr
wohl erkennen. Die Unterlippe mit der Ergänzung dieser Ringe
wird in der Figur durch den Oesophagus verdeckt Die ganze
Oberfläche jenes unregelmässigen Fünfecks nun wird von einer
losen Membran überspannt, welche Hoffmann für einen Theil der
innem Schalenhaut hält, die sich abgelöst habe: aber die innere
Schalenhaut lässt sich unter ihr, den Ealktheilen wie überall fest
anliegend, leicht nachweisen. Die lose Membran ist nichts
Anderes, als die Wand des hier ungeheuer erweiterten Blutgefäss-
rings. Wenn man vorsichtig eines der Ealkplättchen der Ober-
lippe von aussen anbohrt und die konische Spitze der Spritze in
diese Oeffnung einsetzt, so gelingt es leicht, diese Höhlung und
ihre Fortsetzung am Bande der Unterlippe anzufüllen. Jedesmal
drang der Farbstoff eine Strecke weit in die Nervengefässe der
Badien; einmal, wie es mir schien, 1 — 2 Mm. in das am Stein-
canal herablaufende Blutgefäss. Leider erlaubte der Zustand
meines Materials jiur die Anwendung eines sehr schwachen Drucks.
Die Unterlippe des Spatangus tritt unter der Oberlippe nach
vom hervor, und so kann die ihrem Band entlang laufende fünfte
Seite des Mundrings nicht mit den vier andern in derselben Ebene
liegen und die Lage der Theile gegen einander lässt sich kaum
anders, als in einem Querschnitt darstellen. Einen solchen sehen
wir in Fig. 18, ol Oberlippe, ul Unterlippe. Wir sehen an der
Oberlippe den grossen Blutsinus (ngr), an seiner Grenze den
Nervenring (nr) einschliessen, welcher, nur mit einem Band be-
festigt, oben und unten von der Blutflüssigkeit bespült wird; der
enge Ambulacralgefässring (ar) liegt dem Blutgefäss äusserlich
auf, und zeigt häuflg, am deutlichsten an der Unterlippe, neben
sich ein viel kleineres Gefäss, welches ihm dem Bau nach voll-
kommen gleicht, und wahrscheinlich zu dem oben bei dem Am-
bulacralwassergefäss erwähnten feinen Gefäss in Beziehung steht.
Ganz nach innen, wo die Ealkplatten am beweglichsten und
bei geöffnetem Mund nach innen zurückgeschlagen sind, zeigen
sich die Durchschnitte der Fasern eines kräftigen Bingmuskels (rm),
bestürmt, den' Mund zu schliessen. An der Unterlippe treffen
wir alle diese Theile wieder an. Der Blutgefassring, obgleich
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 537
.(f _ viel enger, als an der Unterlippe^ ist doch noch viel volnminöser^
r .' als bei anderen Echinodermen ; nach aussen wird er hier nicht
von der Schale begrenzt^ sondern vom Anfang der Darmhaut.
Y^_ Aensserlich liegt ihm, wie dort, der Ambalacralring (agr) an, der
^ _ Nervenving (nr) liegt in seinem Innern, aber hier mit beiden
Bändern befestigt, obgleich ebenso wohl, wie auf der Oberlippe,
^ , allerseits vom Blute umspült. Von dem Blutgefilssring gehen die
,^ Nervengefässe nach den fünf Ambulacris ab (Fig. 13), und zwar
^ liegt der Nerv ebenso, wie bei den Eohinen, in der Mitte derselben,
durch die feine Platte, auf der es raht, nur an den Rändern in
7 ihm befestigt, und ist von allen Seiten mit Blut umgeben. Die
äussere Wand des Nervengefässes ist nicht, wie bei Echinus, nur
in der Mittellinie an die Schalenhaut angeheftet, sondern macht
mit letzterer in seiner ganzen Breite ein Ganzes aus; die obere
['^^, Wand ist auffallend dick, und zeigt in seiner Continuität eine bis
Z^ drei Oeffnungen (bg), offenbar Oefasslumina, welche mit Coagulum
1 dicht gefallt zu sein pflegen ; über Ursprung und weitem Verlauf
^ dieser Gtefässe konnte ich nichts erforschen: vielleicht sind sie
Anfänge der Seitenzweige, welche zu den Fttsschen treten. Bei
gewissen Holothurien werden wir etwas ähnliches finden, lieber
die Epithelien der Blutgefässe, sowohl bei Echinen als Spatangen,
".^ erlaubt mir der Erhaltungszustand meines Materials kein be-
^; stimmtes Urtheil.
Der Querschnitt des Nerven (Fig. 13) ist nicht, wie bei den
Echinen, in der Mitte verdünnt, sondern gleich breit und ver-
dünnt sich nar nach beiden Bändern hin. In Betreff seiner histo-
logischen Elemente verweise ich auf das bei den Echinen gesagte ;
^' er besteht aus zarten Längsfasem ohne Querfasem; er enthält
^ stellenweis zahlreiche Pigmentkömer und an seiner der Schale
^, zugewendeten Seite eine Schicht Nervenzellen, welche den dort
"'' beschriebenen völlig gleichen.
lieber den Verlauf des Darmes bei Spatangus habe ich oben
gesprochen; es bleibt mir nur noch übrig, einiges über seinen
histologischen Bau hinzuzufügen. Derselbe weicht von dem, was
wir bei andern Familienverwandten gesehen haben, in nichts
wesentlichem ab, nur ist im Allgemeinen sein bindegewebiger
Theil stärker entwickelt, als bei irgend einem der bisher be-
trachteten Thiere, offenbar weil der schwere, sandige Inhalt eine
gewisse Consistenz der Darmwände voraussetzt. Auch hier wird
die äusserste Schicht von einem Flimmerepithel gebildet, in eine
dünne hyaline Bindegewebsschicht eingeschlossen, dann folgen
538 Reiiihold Teoscher,
die Bing- und die Längsmuskeln; yne immer am stärksten im
Oesophagus entwickelt, aber im Oanzen ziemlich schwach, so dass
man erstaunt, wie durch einen so unbedeutenden Apparat eine
so bedeutende träge Sandmasse zum Theil aufwärts befördert
werden kann. Auch im Oesophagus ist die Bindegewebsschicht
am dicksten (bs, Fig. 19); sie besteht, wie überall, aus hyaliner
Grundsubstanz mit vielen geschlängelten Fasern, Zellen und
Körnern und enthält Pigment, welches besonders in den hinteren
Theilen des Darms massenhaft auftritt, in schwarzen und gelben
Körnern. Nach innen erhebt sich die Bindegewebsschicht in die
bekannten Längsleisten, welche hier auffallend schmal und steil
ansteigend erscheinen, besonders im Oesophagus, während ich
sie, zumal im Divertikel und in dessen Nähe, mehr abgerundet
sehe. Das Innere dieser Gewebslage enthält die den Darm-
gefä49sen angehörenden feinen Oeffnungen, welche je nach der
Oertlichkeit von sehr verschiedener Häufigkeit sind, am gedräng-
testen in der untern Darmwindung, am seltensten im Mastdarm.
Die Darmhaut, welche, wie anderwärts, die innere Fläche
des Darms überzieht, unterscheidet sich im Bau in nichts von
dem, was wir bisher gesehen haben. Sie besteht aus Querfasem
mit dazwischen liegenden Zellen, aber ihre Dicke ist hier geringer,
als irgendwo, und beträgt z. B. im Oesophagus des Spatangus nur
1, wenn wir dieselbe Schicht an derselben Stelle bei Echinen gleich
5 setzen. Im Divertikel ist sie etwas stärker entwickelt.
Von der äussern Haut weiss ich nichts zu sagen. Die
Stacheln der Spatangen sind etwas anders gebaut, als die der
Ediinen. Letztere enthalten bekanntlich einen Kern, ganz aus
dem gewöhnlichen Schalengewebe bestehend, von welchem nach
der Peripherie regelmässige, markstrahlenähnliche Scheidewände
ausgehen; zwischen diesen Scheidewänden liegt dann eine oder
zwei Reihen durchsichtiger Kalkprismen, welche dem Stachel
seine Steifigkeit und der Spitze ihre Feinheit geben, man könnte
sie Krystallprismen nennen. An der Basis des Stachels werden
diese Prismen von der Harkmasse auch äusserlich eingehüllt. Bei
Spatangus existirt ein Markgewebe nicht oder nur im Rudiment ;
das Centrnm des Stachels wird von einer Höhle eingenommen
(Fig. 20), und um diese herum liegen concentrisch zwei Lagen
Krystallprismen, eine innere, kleinere, und eine äussere, breitere
und dickere. Zwischen beiden Lagen befindet sich eine Reihe ovaler
kleiner Höhlungen, von denen jede durch feine Ganäle zvnschen
je zwei innem Prismen hindurch mit der Centralhöhle, zwischen
fieitriige zur Anatomie der Bchinodermen. 53d
je zwei äassem Prismen hindurch mit der Aussenwelt commnnicirt ;
ausserdem stehen sie alle seitlich mit einander in Zusammenhang :
also ist während des Lebens der Stachel mit Seewasser angeftiUt
An der Luft verdunstet dasselbe sehr schnell, der Stachel füllt
sich mit Luft, welche ihm das bekannte seidenglänzende Ansehen
giebt. Das ganze Innere ist Übrigens mit einer äusserst zarten
Membran ausgekleidet und zeigt hier und da Haufen von Pigment-
körnern. Die Basis jedes Stachels besteht aus gewöhnlichem
Schalengewebe und ist nicht durchbohrt. —
B4. X. N. p. m. 4. 85
540 Bßiobold Tenaeber,
ErkUnug der AMttiaac:».
Taf. XX.
Fig. J. Untere Darmwiodang von Echiniu escnlentos ¥on nieten gesehen,
oes Eintritt des Oesophagus in die untere Darmwindung, odw deren
Uebergang in die obere, HO Hoffmann's Organ, rg Biickengeftss,
rg' zweites, frei herabhängendes Biickengefass, bg Banchgefass, mp
Andentang der Lage der Madreporenplatte.
Fig. 2. Aftergegend von innen, von demselben, gp Genitalplatten, mp
Madreporenplatte, md Mastdarm, oes Oesophagus, vtl Ventrals^te
des Darms, drs Dorsalseite desselben, stk Steincanal, hz Hers, m
Mesenterium, zm Achtung des Oesophagus zum Mund, zd dessen
Eichtung zur ersten Darmwindung.
Fig. 3. Ein Stuck der Oberfläche der Laterne, von demselben, oes Oeso-
phagus, stk Steincanal, ar Ambnlacralring, Pb Poli*s Blase: das
dunkle Innere deutet an, wie weit Injectionen eindringen, se das
weiche Ende der Zähne, bs Bogenstücke, py Pyramiden.
Fig. 4. Querschnitt durch das Herz von dems. stk Steincanal, drsg Dorsal-
gefass.
Fig. 5. Querschlifi durch die Laterne von dems. py Pyramiden, z Zähne,
ipm Interpyramidalmuskeln, ag lYassergefäss, vom IVassergefässring
zum Ambulacrum verlaufend, bg Blutgefässe, vom Blutgefassring
ebendahin gehend, s Sehnen, welche den Pharynx an die fünf Deck-
stücke befestigen, bl bindegewebige Leisten, ib innere Bindegewebs-
schiebt des Pharynx.
Fig. 6. Längsschlifi durch dieselbe, ph Pharynx, bs Bogenstücke, qs Deck-
stücke, py Pyramiden, stk Steincanal, ar Wassergefässring, Pb Poli's
Blasen, ag Verlauf der Wassej^efässe zum Ambulacrum, br Blut-
gefassring, ng Nervengefäss, nr Nervenring, mf Mundfalte, bl binde-
gewebige Leiste.
Fig. 7. Durchschnitt durch das Ambulacralgefäss von Echinus esc ag Am-
bulacralgefäsB, ng Nervengefäss, an Ambulacralnerv.
Fig. 8. Längsschnitt durch ein Sangfüsschen von Echinus saxatilis, hs Hant-
schicht, bs Bindegewebsschicht, ms Muskelschicht, qf Querfasem,
If Längsfasem, kr Kalkring, ks Kalkrosette.
Fig. 9. Theil eines Querschnittes durch ein Saugfusschen von Echinus esc
cu Cuticula, hs Hautschicht, bwl longitudionale Bindegewebsschicht,
bwq Querschicht derselben, m Muskeln, ep Epithel, n Nerv, bg Blut-
gefäss.
Taf. XXI.
Fig. 10. Durchschnitt durch die untere Darmwindnng von Echinus esculentos.
dw Darmwand, gl Gefässlücken, mb Muskelbündel, HO Hofimann's
Organ, bg Bauchgefäss.
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 541
Fig. II. Querschnitt durch eine Ampulle von dems. mb Muskelbündel.
Fig. 12. Querschnitt durch den Oesophagus Ton Echinus esc. cu Cuticula,
hs Hautschicht, bs Bindegewebsschicht, Im Längsmuskeln, qm Quer-
muflkeln.
Fig. 13. Querschnitt durch das Ambulacrum Ton bpatangus meridionalis. ks
Kalkschale, an Ambulacralnerv, ng Nervengefäss, bg Blutgefäss, beig
Nebengefäss des Wassergefässes.
Fig. 14. Querschnitt durch HoiTmann's Organ, wo es den Darm verlassen
hat, über der untern Mesenterialplatte. mp Mesenterialplatte, HO
HoiTmann's Organ, bg Bauchgefäss. .
Fig. 15. Dasselbe in Verbindoog mit der untern Darmwindung.
Fig. 16. Schematische Darstellung der Eingeweide von Spat. mer. nach Weg-
nahme der obem Schalenhälfte ; der Darm ist sehr dünn gezeichnet,
um den fikiblick in die tiefer liegenden Theile zu erlauben, udw
ti&tere Darmwindung, odw obere Darmwindung, dv DiTertikel, zn-
rückgeschlagen, r Rectum, oes Oesophagus, stk Steincanal punktirt,
oc obere Communication der Wasser- und Blutgefässe, bg Bauch-
gefäss, HO Hoffmann's Organ, sp Stützplatte, Hc HoiTmann's Com-
munication.
Fig. 17. Oberlippe von oben gesehen nach Wegnahme der sie bedeckenden
rheile. ol Oberlippe. Das sohattirte Stück wird vom Blutgefäss-
riiig eingeaonmien, nr Nervenring, ar Wassergefäsoring, sp Stütz-
platte, Hc Hoffmann's Communication.
Fig. 18. Quersclinitt durch den Mund von Spat mer., ol Oberlippe, ul Unter-
lippe, ngr Nervengefässring, nr Nervenring, ar Wassergefässiing, rm
Ringmuskel, mh Mnndhaut.
Fig. 19. Querschnitt durch den Oesophagus von dems., dh Darmoberhaat, bs
Bindegewebsschicbt, Im Längsmuskeln, rm Quermuskeln, ep £pitheL
Fig. 20. Querschnitt durch einen Stachel von dems.
86^
542 Reinhold Teuscher,
V. Holothuriae.
Von allen Echinodermenclassen sind die Holothurien wegen
ihres geringeren Kalkgehalts am leichtesten zn nntersuchen, und
daher durch die Arbeiten von Tiedemann^ J. M. Baar nnd Semper
am besten bekannt geworden. Mir selbst stand zu meiner Arbeit
eine grössere Zahl von Holothuria tnbnlosa zu Gebote, welche ^ch,
um das Ausstossen des Darms zu verhüten, der Länge nach auf-
geschlitzt hatte, so dass der Darm, wenn auch yerschoben, doch
in seiner Gontinuität erhalten wurde. Darauf ward jedes Exem-
plar in Flor eingehüllt und in Alkohol gehärtet Für einige
seltnere Thiere zum Vergleich, wie Cuvieria, Gaudina, bin ich der
vielerprobten Freigebigkeit des H. Prof. Haeckel zu Dank ver-
pflichtet. Meine Schilderung bezieht sich überall auf Holothuria
tub., wo ich nicht ein anderes Thier nenne.
Ich gehe von einem Durchschnitt des Ambulacrums aus, in
dessen Darstellung ich am meisten von den Arbeiten meiner Vor-
gänger abweiche. An der Innern Körperoberfläche ragt zuerst
das Ambulacralgefäss hervor (ag, Fig. 1), von mehr oder weniger
dreieckigem Querschnitt, mit den beiden flügelartig von ihm aus-
gehenden Längsmuskeln (Im). Die einzelnen Muskelfasern liegen
getrennt und in hyaline Bindesubstanz eingebettet. Ans letzterer
besteht auch die Wand des Gefässes und enthält nur wenige ge-
schlängelte Fasern und einige von den bekannten kleinen kern-
führenden Zellen, welche man wohl in allen Geweben der Echino-
dermen, am häufigsten bei den Holothurien, zerstreut findet, und
welche ich, da sie öfters zu erwähnen sein werden, „zerstreute
Zellen^' nennen will. Das Innere des Gefässes ist mit einem im
Leben flimmernden Epithelium ausgekleidet. Von den Seiteneeken
des Gefässes gehen die Canäle zu den Saugfüsschen ab (sf) ; zuerst
eng, dann sich erweiternd, laufen sie parallel dem Ringmuskel
bis zur Ampulle (am), welche sich zwischen dessen Fasern nach
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 543
inDen durchdrängt, worauf die HöhluDg des FttsscheuB senkrecht
nach aussen abgeht Der Bau der Saugftisschen der Holoth. tub.
weicht in keinem wesentlichen Punkte von dem bei andern Echino-
dermen constatirten ab (Fig. 2). So lange dieselben im Innern
des Corium verlaufen, bemerkt man neben dem innem Epithel
eine Längsmuskelschicht, welche, anfangs sehr schwach, um so
mehr zunimmt, je weiter man nach aussen fortschreitet. Die
darauf folgende Bindegewebslage (bs) zeigt nicht die deutliche
Ring- und Längsfaserung, die wir am schärfsten ausgeprägt bei
den Echinen gefunden haben; sie ist mehr hyalin, ihre Fasern
laufen nach allen Richtungen, wenn auch vorwiegend longitudinal ;
aber sie enthält zahlreiche Ealktheile, bestehend aus leicht ge-
bogenen Stäbchen, mit der Concavität nach innen gelegen, welche
sich gewöhnlich nach einem Ende zu verbreitem und dort man-
cherlei Zacken und Oeffhungen zeigen. Vermöge ihrer Lage und
Oestalt dürften sie bestimmt sein, einer Verengerung des innem
Lumens entgegenzuwirken. In der Bindegewebsschicht der Fttss-
chen liegt auch der Nervenstrang, wovon später. Das reichliche
schwarzbraune Pigment, welches schon in dieser Lage hier und
da auftritt, wird in der eigentlichen Hautschicht so massenhaft,
dass es sehr schwierig wird, deren feineren Bau näher zu er-
gründen; doch erkennt man auch hier deutlich zwei Schichten,
eine innere, aus feinen in allen Richtungen durcheinander laufen-
den Fasern, und eine äussere, deren Fasern quer laufen. Die
innere Hautschicht enthält ausschliesslich die länglich ovalen mit
zwei Reihen von Löchem versehenen gewöhnlichen Kalkkörper
der Holoth. tub., die äussere nur die sogenannte Stühlchenform
in geringerer Anzahl. Das Pigment findet sich in feinen Eömem
meist den Bindegewebsfasern angelagert, und gibt diesen ein perl-
schnurartiges Ansehn.
Die Bindegewebsschicht erweitert sich vor der Spitze zu einer
Scheibe, wie bei den Asterien und Echinen, in welchen dann die
Kalkrosette liegt, eine von runden Löchern durchbohrte Scheibe,
ohne Centralöffhung. Durch jedes Loch tritt ein Bindegewebs-
faden, was ja auch bei den gewöhnlichen Kalkkörpem der Cutis
Statt hat. Die vor der Rosette liegende Hautschicht wölbt sich
kissenartig vor und zeigt bei reichlichem Pigmentgehalt die ge-
wöhnlichen Zellen und transversalen Fasem der Echinodermen-
haut. Die Haut der Fttsschen tritt an der Spitze ringsherum
wallartig vor (hw, Fig. 2) und bildet so den Rand des Saug-
napfs, während das Kissen mit der Rosette stempelartig zurück-
I
f
544 Keinbold Teuflcl^er,
g^ogen wird, am dits Yacuum zo. bildeo. Eine getrennte Wii:knng
der einzieli^n MuBl^elschichtqn ist also liier unnOthig. Die auf
Hantpapillen stehenden Füsschen des Biviums sind ap der Spitze
einfach abgerundet und enthalten keine Rosette. Trägt man ebe
solche Papille ab, so findet man die iQnere HOhlang sehr be-
trächtlich^ bis zu 2 ]tf m., vorzüglich in der Nä^e des Vorderondes ;
sie eignet sich gut zur Injection des Wassergefässsyst^ms.
Bei Cucumaria doliolu^ sehe ich keine Ealkrosette, wohl
ab^r den Hantwall um die dpitze der Füsschen. Die verschiedenen
Kalkgebilde finden sich sehr reichlich^ wodurch die 6ewe]i>e steif
werden. Die Saugfüsschep von Cuvieria besitzen dei) Hautwall
nicht, ihr Ende biidjet eipe ebnje Scheibe; die Rosßtte besteht aus
mehreren Stücken. Der weitere Verlauf der Wassei^efäscie bis
zum Schlundring ist bekannt genug; Semper rechnet bei den
Holothurien noch die ganze Leibeshöhle zum WassergefässsysteiB,
wahrscheinlich wegen der Gommunication durch die Poren des
Steinsacks: aber wie dann bei den andern Echinodermenclassen,
wo der Steincanal in's Meer ausmündet?
Auf unserem Querschnitt sehen wir auf das Ambulacralgefass
nach aussen ein viel engeres, nur in der Mitte etwas erweitertes
Oefäss folgen, das Nervengefäss (ng, Fig. 1). Die Scheidewand
zwischep beiden (sw) besteht aus einem starken bindegewebigen
Bande, in seiner Substanz ausschliesslich aus kräftigen Querfasem
bestehend; d. h. quer im Verhältniss zur Richtung der Gefässe;
nur auf seiner äussersten Oberfläche^ sowohl nach innen als nach
aussen, erscheinen einige zarte Ijängsfäden. Auf seiner ambula-
oralen Oberfläche trägt es die Fortsetzung des Epitheliums des
Wassergefässes ; auf der äussern aber, dem Nervengefäss zu-
gewendeten, eine höchst auffallende Bildung. Die Zellen des
Epitheliums ragen nämlich auf deutlichen Stielen stehend frei in
das Lumen des Gefässes, hinein. Ich habe diese seltsame Xbat-
Sache an hunderten von Schnitten, von wenigstens 15 verschiedenen
Exemplaren herrührend, immer wahrgenommen, und bin voll*
kommen sicher, dass dabei keine Zerreissung oder dergli^eben
vorliegt. Die Zellen sind oval, durchschnittlicb 0,065 Mm. lang
uud 0,050 breit, mit einem deutlichen Kern versehen, der Inbalt
leicht kömig. Sie sind impier. der Länge nach angeheftet^ die
Stiele sehr wenig länger, als die Zellen selbst, nicht über 0,001 Mm.
im Durchmesser; sie verdicken sich ein wenig, um in die Spitze
der Zelle ttbenugehen. Bei keiner andern der von mir untersachten
Holothnrien, Gucnmaria, CSnvieria, Candina, Sjnapta finde ich eine
Beiträge zur Anatoihie der Eobinodermen. 545
tthnlidie Bildung; überall zeigt sich an der betreffenden Stelle ein
eiBÜMiheg EpUbelinm.
Wenn man einen Querschnitt darc& das Ambniacrnm von
Holoth. tnb. nnter dem Simplex so zenreissl^ däss man bei fixlrter
Cutis znerst dad Ambnlacralgeftes abreisst^ ko folgt diesem nnr
6i6 dünde BindegewebslagC) Welche die Ringmnskeln nach der
Leibeshöhle %n bekleidet und dasf Flimmerepithel trägt ; reisst man
dwaltf die Scheidewand zwischen Wasser- nnd Ner^engefäss ab,
so folgt dieser jedesmal die Sfehicht der Ringmnskeln; Welche tirft
ibr in inniger Verbindnl^ steht; ja man sieht die Bindegewebs-
fasern der Scheidewand tief zwischen die Mnskelfasem eindringen.
Und nati begreift leicht, dass die fttnf Ringmnskeln durch ein
festes und unnAehgiebige» Band unter einander vereinigt sein
mMMUi soll nicht bei ihren bekanntlich sehr kräftigen Zusammen-
ziehnngen das Ambnltfcralgefftss wenigstens ganz abgeplattet, das
wenig resistente Nervenband zerrissen werden. Am deutlichsten
erhellt diette Bedeutung der Scheidewand aus ihrem Verhalten bei
da« Sjmapta digitata. Dort fehlt das Ambnlacralgefilss, aber nicht
Nervengefitos, nnd der Ringmnskel läuft unverändert und ohne
durch fünf Bänder unterbrochen zu sein ttber das Ambniacrnm
weg, zwischen dem Län^:smiiskel nnd dem Nervengef^s hinduroh.
Das Nervengefftss ist bei Holothuria tub. leicht injicirbar, ob-
gleich die Einführung der Ganäle wegen der Starrheit der Scheide-
wand etwas schwierig ist Man überzeugt sich dann leicht, dass
jeder abgehende Fttsschennerv von ein^m Zweige desselben be-
gleitet wird; dasselbe hat für die Nerven der Tentakeln Statt.
Auch der Nervengeflssring ist unschwer zu iigiciren. Das Nerven-
gefihBs begleitet das Wassergefäss nach dem Munde zu bis dabin^
wo dasselbe sieh sammt den Längsmuskeln an den Kalkring an-
legt) um dicht an dessen Innenfläche hinab zum Wassergefässring
zn laufen. Hier trennt sich das Nervengefäss und der Nerv von
ihm, um in die äussere Lage der Sclilnndhant einzutreten, inner-
halb deren sich der Nervenring und der ihn begleitende Nerven-
gcffässring befinden. Das Vorlmndensein des letztem ist an jedem
guten' Radialsehnitt des Mundes, der den Kalkring begreift, zu
erkeiliien, auch ist derselbe^ wenn ich mich recht erinnere, schon
an Synäpta von Job. Malier aufgeblasen, aber unrichtig gedeutet
worden. Der Nervengeftssring liegt nach innen ^om Nervenring,
d. h. oaeh der Höhle des Schlundes zu» also mit dem Ambula-
erslgefäss verglichen auf der entgegengesetzten Seite, als dieses,
was sich« durch die Thatssche erklärt, dass das Stück des Am-
546 Reinhold Teoscher,
bnlacralnerveDy welcher vom TrennaDgBpnnkt der GefÜsse bis zum
Nervenring verläuft, ganz frei im Nervengefäss liegt^ höchstens
an den Seitenwänden schwach angeheftet ist, wie es die Ambnia-
cralnerven der Ophiaren und Echiniden in ihrer ganzen Länge
sind« Bei den Ophiaren liegt der Nervenring in dem Nerven-
gefässring frei, beiderseits von Flüssigkeit nmspttlt, ebenso bei
Spatangns. Bei den Asterien aber ist die Bertthrang nur ein-
seitig, und zwar von der entgegengesetzten Seite, als bei Hole-
thuria. Die Frage über das Vorhandensein eines Blutgefässes
längs des Am^ulacralnerven und seine Beziehung zu diesem ist
schon mehrfach aufgeworfen und von verschiedenen Autoren auf
verschiedene Weise beantwortet worden. In neuerer Zeit wurde
sie bejaht von Greeff, verneint von Semper, welcher p. 148 seines
Holothurienwerks sagt: „Blutgefässe existiren bei den namhaft
gemachten Aspidochiroten nirgends in der Nähe des Nerven/' Er
sagt nicht, dass er deren anderswo gefunden habe.
Der Ambulacralnervenstrang bildet bei unserem Thier ein
nicht sehr breites, aber etwas dickes Band (aan + ian Fig. 1), der
Länge nach je nach dem Contractionszustand etwas zusammen-
gebogen, doch nie so stark, als man es bei den Ästenden findet
Von einem Seitenrande zum andern wird es durch eine Binde-
gewebsplatte (bp, Fig. 1) in einen äussern (aan) und einen innem
(ian) Theil geschieden, von denen der erstere bei weitem der
mächtigere ist, etwa wie 1:3. Diese Bindegewebsplatte, welche
schon von Andern beobachtet wurde, verbreitert sich etwas nach
beiden Bändern und seine Fasern schlagen sich dort zum grossen
Theil nach beiden SAen um das Nervenband herum und verlieren
sich zwischen den Gutisfasem. Das innere» dem Nervengefäss
anliegende Band ist in der Mittellinie etwas dünner, nach den
Seiten ein wenig verdickt ; bei dem äusseren, dickeren, findet das
Gegensheil statt. Der histologische Bau beider ist im wesentlichen
derselbe. Die Hauptmasse beider wird wie bei allen andern
Echinodermennerven gebildet durch zarte opake Fäden, welche
in paralleler Richtung die Länge des ganzen Nervenstrangs durch-
laufen und auf dem Querschnitt als grobe Körner erscheinen.
Beide Bänder werden ihrer Dicke nach quer von dttnnen, scharf-
gezeichneten, glänzenden Fasern durchzogen, die ich schon bei
Comatula und den Ästenden beschrieben und dort als binde-
gewebiger Natur nachgewiesen habe, bestimmt, den nur von
weichen Theilen bedeckten Nerven consistenter zu machen und
gegen Druck zu schützen. Die Fasern beider Schichten des
Beitrüge zur Anatomie der Echinodermen. 547
Kervenbandes entspringen deutlich aus der zwischen ihnen ge-
legenen Bindegewebsplatte und laufen bis zu dem gegenüber-
liegenden Rande einer jeden, wobei die des äusseren Bandes sich
mehrfach theilen. Verbindungen dieser Fasern mit Zellen konnte
ich nirgends wahrnehmen. Als dritter Bestandtheil des Nerven-
Strangs erscheinen Zellen (nz, Fig. 1) an der äusseren Grenze des
äusseren Nervenbandes , im Allgemeinen zwei unregelmässige
Reihen bildend; auf den meisten Schnitten sieht man zu jeder
Seite der Mittellinie eine grössere Zellengruppe zu einer mehr oder
weniger dreieckigen Figur zusammengehäuft, ähnlich wie bei
Ophiolepis und Echinaster. Die mittlere Grösse dieser Zellen, die
ich für Nervenzellen halten muss, beträgt nicht mehr ak 0,005 bis
6 Mm., während die Grösse der schon erwähnten, in allen Ge-
weben sich vorfindenden ,,zer8treuten Zellen'^, von denen sie sich
weder im Ansehn, noch in ihrem Verhalten gegen Reagentien
unterscheiden, im Mittel 0,004— 5 Mm. ist Es dürfte kaum mög-
lich sein, eine isolirte Zelle des in Rede stehenden Gewebes, von
ihrer Lage abgesehen, mit Sicherheit den Nerven-, Epithel- oder
zerstreuten Zellen zuzurechnen. Auch zwischen den Nervenfasern
beider Abtheilungen des Nerven sieht man einzelne Zellen, deren
Natur ich unentschieden lassen muss. Der Rand des innem
Nervenbandes ist gegen das Nervengef&ss durch ein gewöhn-
liches Epithel abgegrenzt; an stark contrahirten Stächen erscheinen
dessen Zellen unregelmässig Übereinander geschoben.
Wenn man das Nervengefäss mit flüssigem Carmin Injicirt,
so färbt sich vermöge seiner grossen ImbibitionsfUhigkeit der
Nervenstrang, und zwar nicht nur der Hauptstamm, sondern auch
die von ihm abgehenden Zweige. Von den Seitenrändem des
Ambulacralnerven sieht man die Fttsschennerven abgehen, welche
dem aus dem Wassergefäss abgehenden Canal auf der Innenseite
dicht anliegen; zwischen beiden verläuft ein feines Blutgefäss,
welches ans dem Nervengefäss austritt Die Hauptmasse der
Füsschennerven wird entschieden von dem äusseren, dickeren
Theile des Ambulacralnerven abgegeben; doch scheint es mir,
dass auch von dem innem, dünneren Theil einige Fasern dazu-
treten. Semper behauptet letzteres mit Bestimmtheit Der Füss-
chennerv besteht aus einem deutlich gefaserten Strang mit einzelnen
in und an ihm liegenden Zellen. In dem freien Theile des Saug-
ftlsschens verläuft er im innersten Theile der Bindegewebsschicht,
an den Muskeln anliegend; das Lumen des ihn begleitenden
Oefässes findet sich an seiner äusseren Seite, während es bei den
548 Reinliold Teascluir,
Eohinen an der Inaengeite des Nerven verlätiit. Die Tentakel-
nerven gehen wenigstens tbeilweise diree4 an» den Mervenringe
ab^ verhalten sieh tlbrigeng im Baa and Verkkaf genau wie die
Fflaschennerven. Die Hantnerven (Fig. 10) gehea nur ans der
breiten peripherischen Seite des Ambnlacralnerveli ab, ktonen atoo
auch nur ans dem blasseren Band (aan) Fasern erhalten. Nahe
am Ursprung zerfallen dieselben in mehrere stSrkete Zwoge,
die sich dann erst wieder nahe der Oberfläche in feine Faaem
anflösen, wekhe, in sehr spitzen Winkeln abgehend mid mit
Pigmentkömem besetzt, sieh in dem sehr nndiOFchsiehtigen Cnti»-
gewebe verlieren, ohne dass ich sie bis aar Oberfläche hätte Ver-
folgen können. Ob aach sie von einem Zweig des Nervei^efitesea
begleitet werden, habe ich nicht beobachten können.
Semperas Besohreibung des Badialnerven in seinem Hole-
thnrienwerk weicht von der meinigen bedentend ab. Er nnt«-
scheidet drei oder gar vier übereinander liegende Nervedschiehten,
indem er, das> Lomen der Nervengefässe ttbersehend, die Scheide-
wand zwischen diesem und dem Ambnlaoralgeftes nnd das diese
nach anssen begrenzende Epiflielium als besondere Nervenschiohien
betrachtet Wenn der Hokthnrienkörper, wie es faeif iknmer in
hidiem Grade geschieht, sich im Tode verktb^zt, so köbnen nnf
Theiie von hoher Elasticität ihre geradlinige Richtung behalten,
aber anelastische, und dazu gehört ganz vorzüglich jene Scheide-
wand zwischen beiden Gefässen, müssen sich in mehr ode(r ntmget
starke Falten legen. Betrachtet man den Längsschnitt eines so
contrahirten Ambalaerams, so erscheint die Scheidewtad so stark
geschlängelt, dass man. zwei Beihen dicht über und neben einander
in Quincunx stehender Nullen zu sehen glaubt, deren Rundungen
eid^ i^eitig mit den unmittelbar benachbarten berühren. Aus
der Nichtbeachtung dieses Umstands, sowie aus zu grosser Dicke
der Schnitte erkläre ich mir die Semper'schen Resultate; denn es
ist klar, dass Querschnitte durch ein so faltig contrahirtes Am-
bulacrum die Scheidewand mehrfach treffen werden, wodurch so
seltsame Gestalten entstehen können, als sie auf Siemper's Taf. 38,
besonders Fig. 5 zu sehen sind. Nach dem hier Gesagten halte
ich es für überflüssig, die Gontroverse auf das auszudehnen, was
Semper weiterhin über den Bau des Centralnervenrings sagt, wo
er an seinen Schnitten seine sämmtlichen vier Nervenschiditen
unterscheiden konnte.
Von; dem hier Geschilderten finden sich bei verschiedenen
Holotburiraarten« mancherlei Abweichungen in Nebendingeui Bei
ßeiträge zar Anatomie der Ecliinodermen. 549
Cucumaria CHciunis {Fig. 3) sind die aUgemeineu VerhiUtmsse
diescillt^^ wie bei Holothnria tub. Der L&ngsmxuikel ist einfacl^
besteht nicht aus zwei parallelen Hälften^ und in Folge davon
erscheint d^s AmbnlacralgeßUs etwas zusammengedrückt, mehr
Bpaltartig.. Das Auffallendste ist eine Gefässöffuung, welche ich
früher nur bei Spatangos gesehen habe: dieselbe befindet sich
(Fig. 3x) nngeführ in der Mitte der Scheidewand zwischen Wasser-
go^s und Nervengefäss> betnägt ihrer Gapacität nach ungefähr
V^bis V4 des. letztem und ist meist mit einem homogenen äusserst
feinkörnigen Cioagulum angefüllt; wo dasselbe in Folge der Be-
h^dlung herausgefallen ist, zeigt sich einj offiies Loimen, in dem
ich kein Epithel erkenne, lieber Ursprung und Bestimmung dieser
Gefässe konnte ich nichtß ergründen. Vielleicht dass auch diese.
Besonderheit zur Hervorhringung von Semper's dritter und vierter
Neryenschicht beigetragen hat Bei Cucumaria doliolum findet
sich von dieseffa Gefäss keine Spur; Ambulacral- und Nerven-
gefäss erscheinen noch mehr zusammengedrückt und spaltfbrmig»
lassen sich aber überall durch Auseinanderziehen eines Querschnitts
deutlich erkennen.
Caudina arjenata, obgleich fusslos, zeigt doch überall die
beiden GefUsse^ wenn auch das Wassergefilss entschieden enger,
als man es zu finden pflegt Das Vorhandensein aber von seit-
lichen Abzweigungen desselben, welche blind endigen und den
Anfang der zu den Füsschen gehenden Canäle darstellen scdlen,
wie sie Semper a. a« 0., p. 46 fUr Haplodactyla und Caudina be-
hauptet, muss ich für letztere entschieden in Abrede stellen. Bei
Candida findet sich in der Scheidewand ein besonderes Vorkommen ;
es läuft nämlich in ihrer Substanz an jeder Seite eine Beihe läng-
licher, anregelmässig gestalteter Körper hin, deren je zwei dicht
hintereinander liegen, ohne sich zn berühren« Sie sind stark lieht-
brechend und durchaus hyalin, die Oberfläche etwas höckrig, die
Consißtenz von fast knorpeliger Härte. Alcalien und Säuren machen
dieselben nur wenig aufqnellen; conoentrirte Salpetersäure verr
ursacht einige unregelmässige Spalten.
Cuvieria squamata zeigt verschiedenes Verhalten je nach der
Oertliehkeit. Im Bivium kann ich keines von beiden Gefässen.
wahrnehmen, obgleich der Verlauf des Wasser^efässes durch eine
Zellenreihe (das Epithel) angedeutet wird ; beim Auseinanderziehen
einea Sehnitts überzeugt man sich vom völligen Geschlossensein
der Lumina, an der Scheidewand bleibt fast immer ein Theil des
Nervenaitiiaiigp hängen, der übrigens sonst in niehta abweicht» Das
550 Reinhold Tenscher,
Letztere findet anch statt bei dem mittleren Ambulacram des
Trivinms^ während das Wassergefäss vollständig entwickelt ist
An den beiden Seitenambalacris des TriviumS; dagegen finden sich
beide Gefässe in regelmässigen Proportionen. Doch entspringen
die Sangflisschen nur einseitig; nämlich nach der Bauchseite hin,
sie fehlen nach der Seite des Kückens zu; in der Scheidewand
findet sich ein ähnliches Gefässlumen, wie bei Cucumaria.
Bei Synapta fehlt bekanntlich das Wassergefäss, doch ist
das Vorhandensein eines Gefässes im Ambulacrum derselben schon
mehrfach behauptet worden. Baur verlegt ein solches in's Innere
des Nervenstrangs, auch Müller hat, wenn ich mich recht erinnere,
es aufgeblasen. In Wahrheit findet sich ein regelmässiges Nerven-
gefäss, zwischen dem Ringmuskel, der hier ununterbrochen ttber
das Ambulacrum hin wegläuft, und dem Nervenbande gelegen.
Diese Lage ist überall ein sicheres Erkennungsmittel des Nerven-
gefUsses, da das Wassergefäss constant innerhalb des Ring-
muskels liegt
Greefi hat in den Marburger Sitzungsberichten ftlr 1872 das
Vorhandensein eines Nervengefässes bei den Holothurien be-
hauptet ; er spricht aber auch noch von dem Vorhandensein eines
zweiten Gefässes, nach aussen vom Nervenband, was einen Bau
ergeben würde, wie der von mir bei Ophiuren und Echiniden
geschilderte. Ich habe diesen Canal bei den von mir untersuchteo
Holothurien öfters gesehen, aber ohne Ausnahme bei fortgesetzter
Untersuchung immer als Folge einer Zerreissung erkannt, nnd
werde weiter unten erklären, warum ich die Entstehung solcher
Zerreissungen gerade an dieser Stelle ftir besonders leicht halte.
Auf keinen Fall aber kann ich GreefiTs Erklärung für diese
Verhältnisse annehmen, die ja auch für Ophiuren nnd Echinen
Gültigkeit haben mtLsste, dass nämlich jenes äussere Gefäss der
offenen Ambulacralrinne der Seesteme entspreche, welche bei
Ueberwachsung durch die äussere Haut als Gefäss erhalten ge-
blieben sei. Nun glaube ich aber hinreichend erwiesen zu haben,
dass die äussere Hautschicht, welche den ganzen Körper der
Astenden überzieht, sich auch über die Nervenstränge hinweg
erstreckt; wenn also die untere Hautschicht, die Cutis der Holo-
thurien, oder die ihr entsprechende Ealkschale der Echiniden,
sich über die Ambulacra ausdehnt, so kann sie nur sich zwiscben
der schon vorhandenen äusseren Hautschicht und dem Nerven
eindrängen, und ein neues Gefäss kann so nicht gebildet werden.
Nach meiner Ansicht bilden der äussere und innere Theil des
Beiträge zar Anatomie der Echinodermen. 551
Nervengefäflses der Echiniden und Ophiuren nicht zwei von einander
verschiedene Gefässe, sondern nur Hälften eines nnd desselben
Gefässes ; der ganze Unterschied besteht in der verschiedenen An-
heftnng des Nervenbandes: entweder mit seiner ganzen äusseren
Fläche (Grinoideen, Asterien, Holothnrien); oder mit bestimmten
Theilen derselben (Ophinren), oder mit beiden Seitenrändem
(Eehiniden). Es scheint, dass überall da, wo die Ambnlacral-
furche nicht durch einen Ealkpanzer geschützt ist, die Anheftung
des Nervenstrangs eine besonders feste sein musste.
Die Abstammung der Echinodermen kann von keinem andern
Typus des Thierreichs hergeleitet werden, als von dem der
Würmer. Das Blutgefässsytem der Würmer, abgesehen von den
niederen Formen, die hier nicht in Frage kommen, besteht im
Wesentlichen aus einem Rückengefäss, welches an den Darm an-
geheftet ist, und einem Bauchgefäss, welches nach innen vom
Bauchnervenstrang verläuft und an die Leibeswandung befestigt
ist; dazu kommen Verbindungszweige dieser beiden, sowie häufig
ein zweites, kleineres Bauchgefäss, welches, wie das Rttckengefass,
der Darmwand angehört. Bei den älteren Echinodermenformen
(Ästenden, Oifhiuren) ist über die eigentliche Darmcircnlation
wenig oder nichts bekannt; bei den Echiniden und üolothurien
aber, wo in der Fortentwicklung wieder ein längeres Darmrohr
entstand, musste dessen Bildung der des ursprünglichen Typus
wieder ähnlich werden. So finden wir in diesen beiden Classen
ein oberes und ein unteres Darmgefäss; das Nervengefäss aber
aller Echinodermen entspricht nach meiner Ansicht dem der Leibes-
wand angehörigen Bauchgefäss der Würmer. Darin stört mich
auch nicht der Umstand, dass das Nervengefäss der Echinodermen
nach aussen von der Musculatur der Leibeswand liegt, während
es sich bei den Würmern in ihrem Innern befindet, lieber die
entwicklungsgeschichtliche Abstammung der einzelnen Blutgefässe
wissen wir noch sehr wenig. So ist mir von den Würmern nicht
bekannt, dass die Herkunft des Bauchgefässes mit Bestimmtheit
ans der äussern oder innem Schicht des äusseren Blattes des
mittleren Keimblattes nachgewiesen worden wäre.
Mit Hetschnikoffs Darstellung der Auriculariaentwicklung
würde übrigens diese Vermuthung nicht im Widerspruch stehen.
Offenbar, obgleich er selbst es nicht sagt, sind seine „lateralen
Scheiben^^ (Müller's wurstförmige Körper) nichts weiter, als die
Ursprünge des mittleren Keimblattes^ denn aus ihnen entstehen
nach seiner Darstellung alle diejenigen Gebilde, welche überall
552 fieiahold Teuscher,
ans dem mittleren Keimblattes abgeleitet werden; der in ihneD
von Anfang an sichtbare Spalt erweitert sich zur definitiTeo
Leibeshöhle. So hindert nns nichts^ anzunehmen, dass, wie die
Darmgefässe und Muskeln aus der iimem Schicht des mittleren
Blattes abstammen, aus der äusseren nebst den Ringmuskeln aacb
das Nervengefäss entstehe.
Nach aussen vom Ringmuskel und Nervenstrang finden wir
die Haut, welche wieder in mehrere Schichtet! zerfällt. In der
innersten Lage, welche dem Ambulacrum gegenüber am stärksten
entwickelt ist, finden wir Bindegewebsfasern, welche einander nad
den Ringinuskeln ziemlich parallel verlaufen, sich wenigstens oqi
unter sehr spitzen Winkeln treffen. In den Zwischenräumei
dieser Fasern liegen Schichten grosser, gekernter, ovaler, durch
sichtiger Zellen, welche in der übrigen Hautschicht nicht weite
vorkommen. Ihr Längsdurchmesser beträgt im Mittel 0,012 Mm
der Querdurchmesser ein Viertheil weniger, die Kerne haben ein
Grösse von 0,003—4 Mm., sind also den überall in Menge voi
kommenden zerstreuten Zellen ungefähr gleich. Diese Zelle
sind, wenn ich nicht irre, die von Semper benannten „Schleim
Zellen", von denen, wie er glaubt, der von der Oberhaat de
Holothurien reichlich abgesonderte Schleim herstammt. Ich mein
dass diese Schicht, welcher offenbar eine grosse Elastieität zi
kommt, bei den starken Gontraetionen des Thieres dazu dien<
muss, Zerrungen und Quetschungen des Nervenstrangs zu massige
Zugleich aber ist dieser Schicht vermöge ihrer Structur eine g^ros
Zerreissbarkeit eigen, wodurch Spalten in der Richtung der Fase
entstehen. Dergleichen trifft man sehr häufig, besonders in d
nächsten Nähe des Nervenbandes, welches an diese Schicht n
lose befestigt ist; doch gelang es mir immer, bei einiger Beha
lichkeit, an Schnitten durch andere Regionen desselben Thiei
mich zu überzeugen, dass diese Spalten pathologischer Nai
waren. In den seitlichen Ambulacris des Triviums von Cnviei
sind solche Spalten in der Mitte des Gewebes so häufig q
constant, dass sie wohl normal sein konnten.
Durch diesen Umstand ist, glaube ich, Greeff irre %eftt]
worden, wenn er das Vorhandensein eines äusseren Nervi
gefässes bei den Holothurien annimmt; doch ist es mOglich, dj
bei mir unbekannten Arten sich die Zustände der ihnen so na
verwandten Echiniden wiederholen. Zwischen dieser elastiscl
Schicht und dem Ringmuskel finden sich sehr häufig, aber ni^
constant grössere, platte, uaregelmässige Höhlungen, mit brai
" I
fieiträge zur Anatomie der Eehinodermen. 553
aehwanem Pigmeat i|i sehr feinen Körnchen aageftlUt ; ihre Zahl
UBcl Grösse ist wechselnd; vielleicht tragen aneh sie znr leichteren
Vmsiehiebbarkeit der Gewebe bei.
Die eigentliche Cntismasse ist bekannt genng; bd Holoth.
tub. besteht sie ans den typischen^ nach allen Richtungen ver-
filflten, gewundenen Fasern^ mit vielen nnregelm&ssig in ihr zer-
strenten Zellen. Als änssenite Schicht derselben unterscheide ich
aber auch hier, wie bei Ästenden und Echinen, noch eine zu ihr
gehörige, aber deutlich geschiedene Süssere Gutislage; welche bei
OBSerHi Thiev wegen des an der übrigen Körperoberfläche allsu reich-
lieben Bigments nur an den Tentaketäsien deutlich zu erkennen
ist Ihr Bau eiseheimt hier dem bei den Asteriden geschilderten
duBobaus ähnlich; man sieht transversak Fasern und Faserbttndel;
innerhaib welol^er letzteren längliche Zellen liegen, von deren
peri[teEischen Spitzen ich hier deutlich Fortsätze ausgehen sah,
welche bis zw Gutieiila reichen. Der Bau der Tentakeln ist wie
Überall dem der SangfUssehen ganz ähnlich: innen die Längs-
mnakohi, in der Mitte die mächtige Bindegewebssohicht, welche
hier allein Kalktheile führte und gewöhnlich mehrte Nervenquer-
schnitte zeigt, auch hier nach aussen von einem spaltfönnigen
Gefäsalumen begven^t; zu äusserst die Oberhautsohicht mit der
Gutioula. Die Form der KiUkiheile des Körpers ist verschieden
naeh den Schichten, in denen sie liegen, aber nicht nach den
Körpergegenden; doch ist am Bauch die Kalkschichl drei* bis
viermal dicker, als am Bücken, wie man an scharf durchschnittenen
und dann getrockneten Stttoken macrosoopisch erkennen kann. In
den Ankern von Synapta hat Semper durch Beaetion mit ver-
dttnnter Essigsäure einen Centralcanal gefunden. Mir selbst gelang
diese Beaetion nicht, doch sieht man oft einen ansdieinenden
Längscanal an Balsampräparaten. Wenn ich die gewöhnlichen
Kalkkörper von Holoth. tub., durch Kochen mit Kali gereinigt,
trocknete und dann in Balsam, brachte, so erhielt ich bei den meisten
Köroem die (Fig. 5) daif^estellte Zeichnung: eine höckerige
schwaiae Linie im Innern der Kaikleisten, die ich von einem nach
dem Trocknen Luft fUhrenden Ganale ableite,, von welchem dann
naoh allen Seitqn zahlreiche sehr feine Spalten nadi der Peripherie
laufen. Die gebogenen Stäbchen der Saugfttoschen, sowie dB<en
Elldacheibe zeigen dasselbe.
Etwas abweichend von dem bei Holoth. tuk vorkommenden
verhält sich die Haut der Synapta digüata (Fig. 4). Die innere
üutisaohicht ist sehr duvchsiohtig, fast hyaUn, rfnr Aer am Bing-
554 Reinhold Teiuoher,
mnskel anliegende Theil enthält Fasern in grösserer Masse, doch
von weniger verfilztem, mehr dem Bingmuskel parallelem, wel-
ligem Verlanf ; ein Faserbttndel scheint regelmässig an jeden Anker
heranzutreten. Diese Schicht erhebt sich nach dem Inn^n der
Leibeshöhle zu, wie man in jedem Längsschnitt sieht, in kurzen
Abständen in dünne, ringförmige, wenig vorragende Platten, wie
Andeutungen von Querscheidewänden, an deren Seitenwänden
sich die Bingmnskeln in die Höhe ziehen, und an deren freiem
Band die Längsmuskeln angeheftet sind. In dem hyalinen Theile
der Haut bemerkt man häufig die von Semper erwähnten Zellen,
von denen 2 — 3 Fäden ausgehen, sehr ähnlich den Bindegewebs-
körpem höherer Thiere. Auch die von ihm beschriebenen Hant-
nerven sind leicht zu finden, nur etwas verschieden von denen
seiner tropischen Arten. Sie sind zarte, etwas opake, sehr feine
faserige Stränge (hn, Fig. 4), welche immer in der Nähe des
Ambulacralnerven aus den Gutisfasem auflAUchen, um etwas schief
nach aussen laufend unter der Oberhaut mit einer leichten An-
schwellung zu endigen, mit einigen zerstreuten Zellen besetzt
Besondere Papillen, in denen sie endigen, oder eine veränderte
Hautstructur an der Endigungsstelle finden sich hier nicht. Die
Oberhautschicht der Synapta ist von Leydig beschrieben, aber
wohl nur oberflächlich beobachtet worden. Ich sehe dort hinter
der Cuticula sehr grosse Zellen, wohl die Leydig'schen Epidermis-
zellen, von 0,0135 Mm. Höhe, neben einander liegen; nicht alle
zeigen Kerne (hd, Fig. 4). Zwischen diesen Zellen sehe ich ein-
zelne Querfasem von den gewöhnlichen kleinen Zellen (0,003)
ausgehend und die Cuticula erreichend. Die grossen Zellen halte
ich für einzellige Hautdrüsen, die kleinen mit ihren Querfasem
fOr die gewöhnlichen hier sehr zurückgedrängten Elemente der
äussern Cutis. Ausfährungsgänge durch die Cuticula habe ich
nicht beobachtet. Die Aehnlichkeit dieser Bildung mit der der
Haut des Sipunculus (s. Jenaische Zeitung Vm. Bd.) ist augen-
fällig bis auf die Nervenfäden, welche dort an das innere Ende
der Hautdrüsen herantreten. Doch sehe ich an Querschnitten der
Tentakeln von Synapta sehr zarte Fäden den hyalinen Theil der
Cutis durchkreuzen, sich vielfach theilen und an je eine Drüsen-
zelle befestigen, wogegen ich hier die oben beschriebenen gröberen
Hautnerven vermisse. Die Tentakeln der Synapta digitata unter-
scheiden sich von denen der Holoth. tub. dadurch, dass in ihnen
die (dort Ealkstäbchen enthaltende) Bindegewebsschicht fehlt und
dafür die unveräflderte Cutis der Eörperwand auch die Tentakelii
Beiträge zur Anatomie der Echinodermen. 555
überzieht : nacli innen zuerst die welligen FaBern, dann der hyaline
Theil, zuletzt die Aussenscliicht. Als zur Guticula gehörig be-
trachte ich eine ihr überall unmittelbar anliegende protoplasma-
tische Schicht mit kemartigen Gebilden^ welche in der Nähe der
Befestigung der Drttsenwände eine Verdickung zeigt.
An der Mundöffiiung der Holothuria tub. gehen, gerade wie
bei den früher geschilderten Echinodermenclassen, die einzelnen
Schichten der äusseren Leibeswand direct in die entsprechenden
des Darmes über. Die Guticula ist im Darm immer stärker und
deutlicher, als auf der Eörperhaut; die unter ihr UegendC; sie
hervorbringende Zellenschicht besteht aus deutlichen Cylinderzellen.
Die von da nach innen folgende eigentliche Darmhaut; der oberen
Cutis entsprechend, besteht aus den bekannten Querfasem mit
zahlreichen dazwischen liegenden ovalen Zellen, die im Allge-
meinen nach der Guticula zu dichter liegen. Die Höhe der
Schicht nimmt vom Magen zum After hin ab, ihre histologischen
Elemente zeigen mancherlei unwesentliche örtliche Abweichungen.
Die Dicke der Querfasem ist nicht überall dieselbe ; oft sieht man
Verästelungen, welche sich mit benachbarten Fasern verbinden.
Die eigentliche Bindegewebsschicht des Darms ist nach innen
mehr hyalin mit zerstreuten, oft verästelten Zellen und einzelnen
Fasern, nach aussen besteht sie zumeist aus gewellten Fasern.
Ihre innere Oberfläche ist wie anderwärts verschiedentlich in
Leisten erhoben; am Schlund, wo Semper „Drüsen'' gesehen hat,
sind diese Vorsprttnge noch keine continuirlichen Leisten, sondern
in Reihen stehende Papillen, welche, mit einer starkem Oberhaut-
Bchicht bekleidet, als ihre Zwischenräume, bei oberflächlicher Be-
trachtung wohl an Drüsen erinnern können. Im Oesophagus
reihen sich diese Papillen immer dichter an einander und werden
im Magen zu zahlreichen, hohen und blätterartig engstehenden
Längsfalten. In diesen Magenfalten, und zwar vorzugsweise an
der Ventralseite, finden sich viele bis 0,1 Mm. grosse keulenförmige
Zellen, welche, mit dem dickeren Theil auf der Bindegewebs-
schicht aufsitzend, nach der Guticula hin dünn auslaufen und
einen grossen Kern zeigen (dd, Fig. 7), Obgleich ich keine Aus-
mttndungen durch die Guticula gesehen habe, stehe ich nicht an,
sie fdr Drüsenzellen zu halten ; sie sind denen der äusseren Baut
bei Synapta ähnlich, nur von mehr opakem Ansehen. Von queren
Darmfalten, wie sie Semper im Magen anderer Holothurien ge-
funden hat, und in denen er Darmkiemen vermuthet, habe ich bei
Holoth. tub. nichts gesehen; ein Einströmen von Wasser durch
Bd. X. N. F. ni. 4. 36
556 . Beiahold Teuseher,
den After bis zum Hagen, wie er es annimmt, ist hier ttberhaisj
wegen der Länge und beständigen Füllung des Darms oadenkbar
auch bei Haplodactyla, wo er den Vorgang gesehen hat, düriu
derselbe mit der Verdannng schwer zu vereinbaren sein.
Nach dem After zu werden die Leisten der Bind^'ewebs^
Schicht immer niedriger. In dieser letztem finden sich die OeS-
nongen der Darmblutgefösse, welche auf Längsschnitten de»
Darms sehr gut wahrzunehmen sind. Sie bilden einfache JL«ttckeo
im Gewebe und erscheinen je nach der Stelle entweder als äs-
zelne oder wenige grössere Oefihungen, oder liegen in grosser
iSahl; aber dann mit kleinerem Lumen dicht neben einander wie
eine lange Beihe kleiner Nullen^ Nach aussen folgt die Längs-
und Ringmuskelschicht, welche letztere besonders am Eingang
des Pharynx sehr kräftig sphincterartig entwickelt ist ; zaletzt das
Flimmerepithel mit der dasselbe einschliessenden hyalinen Binde-
gewebsschich t, welche an contrahirten Darmstücken stark ge-
kräuselt zu sein pflegt. Alle diese Verhältnisse sind durch Quer-
schnitte leicht darzustellen ; auch von Semper in seinem Hole-
thurienwerke ohne bedeutende Abweichung geschildert worden; man
sieht; dass bei allen Echinodermenstämmen der Darmbau bis in'«
Einzelne sich gleich bleibt.
Was das Darmblutgefässsystem betrifft^ so schliesse ich mich
der Darstellung Sempefs an; mein Material erlaubte mir;^ mich
von deren Richtigkeit in allen Hauptpunkten zu überzeugen« Ad
den Wassergefässring legt sich nach hinten die von ihm benannte
Schlundkrause dicht an ; zahlreiche Ausstülpungen desselben rageo
in ihre Substanz hinein. Diese Substanz besteht aus hyalinem^
etwas körnigem Bindegewebe , wellige FaserU; zerstreute Zeilen
und Pigmenthaufen enthaltend ; dazwischen erscheinen die Lumina
feiner, unregelmässiger Canäle, oflfenbar die letzten VerzweigungcD
der Darmgefässe darstellend, aber nichts einem Binggefäss ähn-
liches. Das Bücken- und Bauchgefass schwellen nach der Mitte
des Darms zu an, um gegen den After hin wieder allmählich ein-
zuschrumpfen; neben den beiden ersten Dritttbeilen des Darmes
verdoppelt sich das Bückengefass und zertheilt sich von da ans
in das Wundernetz, aus welchem das Blut sich zu einem dritten
Bückengefass wieder ansammelt. Der histologische Bau der
Gefässe ist von Semper beschrieben; die Aufeinanderfolge der
Schichten ist in allen innem Organen dieselbe, so im Darm, wie
in deo Kiemen, Blutgefässen, Ovarien : AeusserUch Flimmerepithel,
dann Bing- und Längsmuskeln, Bindegewebsschicht mid iuneres
Beiträge zar Anatomie der fichiaodermeii. 5&7
¥^pitliel. In den Gefässen des Wnndernetzes sehe ich kein Epi«
tliel ; die Bindegewebsschicht ist änsserst dünn, das äussere Epithel
aber ausserordentlich entwickelt. Seine Zellen stellen Schläuche
dar von 0;06 Mm. Länge bei 0,012 Mm. grösster Dicke an der
Peripherie, mit einem ansehnlichen Kern von 0,005 Mm.; die
Schläuche enthalten eine feinkörnige Masse. Ich meine, dass das
Wandemetz dazu dient, die üebertragung des zur Respiration
bestimmten Sauerstofis aus der Leibesflüssigkeit an das Blut zu
erleichtem und dass diese (von Semper ähnlich beschriebenen)
Epithelzellen vorzugsweise diesen Process vermitteln. Bei allen
Echinodermen finden wir nur eine mittelbare Respiration, d. h.
der Sauerstoff wird dem Blut aus dem Meerwasser durch Ver-
mittelung^ einer andern FIflssigkeit zugeflihrt. Bei den Crinoiden
und Ophiuren tritt derselbe durch die Tentakeln in das Wasser-
gefässsystem und von da in die unmittelbar anliegenden Blut-
gefässe über; bei Asterien, Echinen und Holothurien aber über-
nimmt die Leibeshöhlenfittssigkeit die Vermittelung, obgleich das
Wassergefässsystem durch die Saugftlsschen auch hier Sauerstoff
zuführen wird. Bei den Asterien die Bautkiemen, bei den Echinen
die Mundkiemen, bei Spatangus die Ambulacra petaloidea mit
ihren sehr stark entwickelten Ampullen, bei den Holothurien
endlich die Kiemen bereichem direct nur die Leibesflüssigkeit
mit Oxygen, von wo dasselbe an das Blut treten kann, und es
ist verständlieh, wamm bei den Holothurien, welche das am
höchsten entwickelte OefSsssjrstem besitzen, eine besonders ver-
vollkommnete Vorrichtung dazu gefunden wird.
Was den mehrfach behaupteten Zusammenhang des Wunder-
netzes mit der linken Kieme betrifft, so fehlt er bei Holoth. tub.
ganz entschieden. Schneidet man ein Stück der betreffenden
Kieme heraus, nachdem man die daran haftenden Gefässfäden
nahe an derselben durchnitten hat, und bringt das Ganze in Wasser
unter das Simplex, so überzeugt man sich mit sehr geringer Mühe,
dass diese Fäden nur ganz lose zwii^chen den Kiemenläppchen
eingeklemmt sind und bei blosser Berühmng mit der Präparir-
nadel abfallen. Semper glaubt an den festen Znsammenhang,
weist ihn aber nirgends nach ; mit fiebtimmtheit behauptet er sein
Vorhandensein bei Caudina und Haplodoctyla. Letztere stand mir
nicht zu (Gebote, bei Caudina aber ist es sehr leicht, das G^en-
theil mit voller Sicherheit zu sehen. Bringt man ein wie oben
vorbereitetes Stück aus Alkohol in Wasser, so genügt die blosse
wirbelnde Bewegung der Flüssigkeit, welche durch däe Verwandt-
86^
558 Heinhold Teuscher,
Bchaft ' des Wassers znm Alkohol hervorgebracht wird , am die
feinen GefiLsse zu lösen nnd fortzaschleudern. Der histologische
Ban der Kiemen entspricht; wie schon gesagt, ganz dem des
DarmSy von dem sie nur Ausstülpungen sind. Die innerste Schicht
bildet ein einfaches Epithel; dann folgt eine Bindegewebsschicht,
aus leicht körniger Grundsubstanz bestehend mit welligen Fasern,
eingebetteten Zellen von mancherlei Gestalt und Grösse, Pigment
u. s. w.; ihre Oberfläche erhebt sich in eben solche, etwas nn-
regelmässige Längsleisten^, wie die entsprechende Schicht des
Darms. Längsfasem sind sehr undeutlich, die Ringmuskeln kräftig
entwickelt; nach aussen folgt die gewöhnliche hyaline Bindegewebs-
schicht mit dem Flimmerepithel. Ausserdem aber finde ich in diese
Schicht eingebettet und vielfach nach aussen über sie hervorragend,
wie nur angeheftet, ein besonderes Zellengebilde, welches, wie es
scheint, Semper nicht von seinen „Schleimzellen^^ unterscheidet,
das aber von dem oben unter diesem Namen beschriebenen be-
deutend abweicht. Es besteht aus einer kugeligen oder ovalen
Anhäufung kleiner, gekernter Zellen von 0,005—7 Mm. um eine
einzelne in der Mitte liegende, so dass der optische Durchschnitt
der Gruppe einen centralen Kreis mit 5 — 7 regelmässig um ihn
herumliegenden und ihn berührenden gleich grossen Kreisen bildet
Eine gemeinschaftlich das Ganze umhüllende Membran habe ich
nie gesehen. Man findet diese Zellengruppen in den meisten Or-
ganen zerstreut, am häufigsten aber, schichtenweis zusammen-
gelagert, im Parenchym der Bindegewebsbalken, welche den
Schlundsinus an den Schlund heften, und in ersterem selbst.
Semper beschreibt und zeichnet an der Spitze der Kiemen-
läppchen trichterförmige Oefihungen, welche das durch den After
in die Kiemen getretene Seewasser in die Leibeshöhle bei der
Expansion des Holothurienkörpers ein- und bei der CJontraction
auf demselben Wege wieder ausströmen lassen sollen; doch stellt
er die Beobachtung nicht als ganz sicher hin. Bei den von mir
gesehenen Holothurien habe ich trotz fleissigen Suchens von
solchen Oefihungen keine Spur wahrgenommen; sorgfältige und
zahlreiche Schnitte zeigten auch in der Anordnung der Gewebs-
demente der betreffenden Gegenden nichts, was auf ihr Vorhanden-
sein hingfedeutet hätte. Ausserdem scheint es mir unmöglich, dass
durch Compression des Holothurienkörpers ein Bückfluss durch
so feine Oefbungen mit weichen Wänden stattfinden könnte; die
Wirkung des äusseren Drucks würde die Wände der Kiemen an-
einander pressen und so den Bückfluss unmöglich machen.
-r»:
3
Beiträge txa Anatomie der fichinodermeiL 559
Änch an den Ovarien ist die Reihenfolge der Schiebten die-
selbe^ wie bei den andern Eingeweiden. Die Zellen des innem
Epithels bilden sich zu Eiern aus, man sieht an demselben Schnitt
aUe Uebergangsstufen. Die Bindegewebsschicht hat ihre vor-
springenden Leisten wie anderwärts, und fast immer stehen auf
den Vorsprüngen die am weitesten entwickelten Eier, die kleinsten
in den Zwischenräumen. Nach aussen folgen Längs- und Bing-
muskeln nebst Epithel. An der Basis vereinigen sich die ein-
zelnen Ovarialschläuche zu einem soliden, platten, bindegewebigen
Körper, in welchem die einzelnen Ausflihrungsgänge, mit schönem
Epiäiel ausgekleidet, noch ein grosses Stflck weit neben einander
verlaufen, so dass der Querschnitt das Bild eines Siebes darstellt.
560 Reinbold Töttirelier,
ISrklSninir der Abl^fldniigen.
Taf. XVII.
Fig. 1. Querschnitt durch das Ambalacrum von Holothoria tub. ag Waaaer-
gefäss, rm Ringmuskel, hn Längsmuskel, sw Scheidewand, ng Nerven-
gefäss, ep Epithelium (s. Text) am Ampulle, sf Saugfüsschen, fn
Fösschennerv, ian innere Schicht des Ambulacralnerven, San üossere
derselben, bp Bindegewebsplatle.
Fig. 2. Saugfüsschen von Holoth. tub., Längsschnitt, ohs obere Hautschicht,
uhs untere desgleichen, bs Bindegewebsschicht, ms Muskelschicht,
ks Kalkscheibe, hw Hautwall.
Fig. 3. Querschnitt durch das Ambulacrum von Cucumaria cucumis. Bach-
staben wie Fig. 1.
Fig. 4. Dasselbe von Sjnapta digitata. Dieselben Buchstaben, hn Hautnerr,
hd Hautdrüsenzellen.
Fig. 5. Kalkkörper von Holoth. tub., s. Text.
Fig. 6. Radialschnitt durch den Mund von Holoth. tub. an Ambulacralverv.
ng Nervengefäss, ag Wassergefäss, Im Längsmuskel, kr Kalkring,
zwr Wassergefäss zum Schlundring, ngr Nervengefässring, nr Nenren-
ring, sh Schlundhaut.
Fig. 7. Theil eines Querschnittes des Magens von Holoth. tub., cu Cuticula,
hs Hautschicht, bs Bindegewebsschicht, Im Längs-, rm Ringmuskel,
ep Epithel, dd Drüsenzellen.
Fig. 8. Querschnitt durch ein Gefäss des Wundernetzes von dems.
Fig. 9. Ein Canal des Wundemetzes von dems. entwirrt, ig vom Rücken-
gefäss, sg zum Sammelgefäss, wn Wundemetz.
Fig. 10. Verzweigung eines Hautnerven von Holoth. tub.
BeitxägiB xnr A^Ioiqm der i^cbaoodicB»^^ 5(>1
Veberslelit der Ergebnisse.
1. 81tttgefäs88]r8tem.
. Bei allen Echinodermen finden dich zwei Blotgefaassysteme, welche mit
einander in Verbindung stehen, oder nicht: das eine gehört den Eingeweiden,
das andere dem Nervensystem.
Das Eingeweideblntsystem besitzt ein eignes ringförmiges Centrum (um
den After), bei den Ästenden sicher, bei den EcHniden höchst wahrscheinlich.
Das Nervengefasssystem besitzt überall einen centralen Gefässring, welcher
mit dam Nerwenring den Schlund angibt. Bei Comatala ist derselbe noch
nicht bestimmt nachgewiesen; für Echinus existirt etn NervengafÜssring wahr«
aebeinlidi nieht neben dem Nerven, sondern etwas- höher, «eben dem Wasser-
gefässring.
Commnnication der beiden Oicalationssysteme ist nachgewiesen \m Aste-
riden, Ophiuren, Eohinideo; ne fehlt bei den Holothurien.
Der Badialnerr ist im Nenrengefäfls mit seiner äussern breiten Fläche
angeheftet bei! Grinoiden, Echiniden und Holothurien (weiche Ambulacral«
rinnen), mit den Seitenrändern, so dass er beiderseito von Blut umspült wird ;
bei 0|^hiuren, Echinen und Spatangen (verkalkte Ambulaora).
Der Abgang eines Zweiges des Nervengefösses za den Fässchen and an
diesem entlang ist erwiesen bei Ästenden, Echinen, Holotliarien; findet sich
aber wohl überall.
Commnnication desselben durch zwischen den Fiissdien hindurch tretende
Zweige mit einem seitlichen Gefässnetz findet sich bei den Ophiuren und
Ästenden.
Eine besondere Complication im Bau des Nervengeftsses findet sich bei
den Ästenden durch das Vorhandensein von durch Quervefamdewände getheilten
seitlichen Kammern neben dem eigentlichen Nervengefass.
Das bei den Asteriden und Echiniden vorkommende Herz, welches immer
in der Verbindungslinie des Eingeweidegefässcentrums (Analring) und des
'Nervengeff&sscentrums liegt, stellt bei dem erwachsenen Thiere weder eine
Drüse, noch ein Pumpwerk vor, das geeignet wäre, den Blntlanf zu befördern,
sondern bildet vielleicht nur ein Ueberbleibsel einer früheren Entwicklungs-
periode.
Bei den Ophiuren steht das Nervengefass in directer Verbindung mit der
Leibeshöhle; bei den Echinothrix ausserdem mit der Anssenwelt durch die
Canales interradiftles.
Das sogen. Wundemetz der Holothurien bt ohne erwiesenen organischen
Zusammenhang mit den Kiemen.
Bei Echinus findet sich eine Verdoppelung eines Theils des Rückengefässes.
Das Nervengefass der Echinodermen ist dem Banchgefässe der Würmer
homolog.
9. Wassergefässsystem.
Aue Echinodermen besitzen ein Wassergefässsystem, bestehend ans einem
SchlnndriDg and Radialgefässen.
562 Beinhold Tenscher, Beiträge zur Anatomie der Echinodermen.
Sein Inhalt steht in mittelbarer Verbindung mit der Aussenwelt bei Coma-
tola, in nnmittelbarer bei Ästenden, Eehinen und den mit Steincanal yer-
sehenen Ophiuren; er communicirt mit der Leibeshöhle bei den Holothorien.
Das Wassergefässsjstem communicirt mit den Blutgefässen bei Ciinoidenf
Ophiuren, Ästenden und Echiniden, nicht bei Holothurien.
Die Verbindung findet statt zwischen Wassergefässring und Eingeweide-
gefässen bei Comatula; zwischen Wasser- und Nervengefässring durch den
Steincanal bei den Ophiuren; ebenso bei den Ästenden unter Vermittelong
der Madreporenplatte; bei Echinüs unsicher, ist sie bei Spatangua doppelt:
zwischen Steincanal und Darmgefäss und zwischen Wassergefässring and
Darmgefäss.
3. Nervensystem.
Das Nervensystem besteht überall aus einem Nervenring und aus Badial-
nerven von demselben histologischen Bau.
Die wesentlichen Elemente des Nervensystems sind Längsfasem und peri-
pherisch liegende Zellen.
Die Querfasern, welche sich nur da finden, wo der Nervenstrang nach
ans'sen nicht durch Ealkgewebe geschützt wird, sind bindegewebiger Natur,
stammen aus der dem Nerven innerlich anliegenden BindegewebsscMcht und
dienen dazu, die Resistenz des Nervenstrangs zu vermehren.
Die Nervenzellen hängen nicht mit den Quorfasorn zusammen, vielleicht
mit den Längsfasem.
Bei Eehinen scheint der Nerv seitlich doppelt, weil seine Substanz in der
Mittellinie verdünnt ist.
Die Breite des Ambulacralnerven ist in der Nähe des Nervenrings am
grössten und nimmt gegen die Spitze allmählich ab. Folgende Maasse sind
Mittelzahlen.
Ursprung Mitte
Echinus sazat. 1,125 0,9
Luidia sav. 1,650 1,2
Holoth. tub. 0,63 0,60
4. Haut.
Die Körperbedeckungen bei Astenden, Eehinen und Holothurien bestehen
ausser der Cuticula aus einer Cutis, welche in zwei auch durch ihren Bau
verschiedene Schichten zerfällt, eine untere und eine obere. Bei den Ophiuren
erlaubte mein Material keine nähere Untersuchung.
Die obere Schicht allein überzieht die Ambulacralrinne der Asteriden.
Bei Comatula ist in der allgemeinen Körperbedeckung eine Differenzirung
in die beiden Cutisschichten nicht wahrzunehmen, auch die Cuticula ist un-
deuüieh. Dagegen findet sich in der ganzen Ambulacralrinne die obere Cutis-
schicht und die Cuticula eben so ausgebildet, wie bei den Asteriden.
Die innerste Schicht des Darms ist eine unmittelbare Fortsetzung der
äusseren Cutisschicht, mit der sie auch im Bau übereinstimmt; die mittlere
Bindegewebsschicht des Darms ist ebenso die directe Fortsetzung der untern
Cutisschicht.
Bei Echinus sowohl, als Spatangus, findet sich ein Darmdivertikel mit
doppelter Einmündung in den Darm.
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