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1
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JOHANNES MULLER.
Eine Gedächtnissrede,
gelmltcn bei der
Todtciifficr am 24, Juli 1858
Aula der Universität zu Berlin
KUDOLF VIUCHOW.
BERLIN 1858.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
\e5S
Der dritte Monat ist fast vorüber seit jenem Frühlings-
morgen, an welchem die erschütternde Kunde von Johan-
nes Müller' s jähem Tode unsere Stadt durcheilte. Neue
Knospen sind hervorgekeimt, neues Leben hat sich entfal-
tet, überall umdrängt uns neue Thätigkeit, — kein Tag
liat uns des todten Mannes Gedächtniss vergessen lassen,
dessen Leib wir der mütterlichen Erde Schooss zurückge-
geben haben.
An seinem Sarge haben wir die Worte des Trostes ge-
hört, welche nach der Sitte unseres Landes der Geistliche
berufen ist, der Familie und den Freunden zu spenden.
Die Akademie der Wissenschaften hat in öffentlicher Sitzung
durch den Mund des Gelehrten, der dem Entschlafenen am
längsten zur Seite stand, die Erinnerung ihres grossen Mit-
gliedes feiern lassen. Schüler und Freunde in weiter Feme')
haben die lange Keihe vrissenschaftlicher Ehrentitel gesam-
melt, welche der unvergessliche Meister in harter Arbeit
sich erstritten hat.
Kein Lob bringt uns den Verlorenen zurück. Schmerz-
licher und schmerzlicher erhebt sich die Erinnerung an ihn,
idessen kräftige Mannheit eine so lange Dauer zu ven^rediM
1
62.0
--- ■ --»--->.-
schien. Täglich empfinden wir es tiefer, wie in ihm so
viele Fäden zusammenliefen, die uns unter einander ver-
knüpften. Immer deutlicher wird in jedem Einzelnen das
Bewusstsein, dass nicht bloss die Familie ihre Stütze ^ dass
nicht bloss der Gelehrtenstaat ein erlauchtes Haupt ver-
loren hat. Hier stehen wir, die Vertreter der grossen ärzt-
lichen Familie, Lehrer und Lernende, Praktiker und For-
scher, um es uns gegenseitig zu klagen, wie keine Sorge
des Tages, keine Arbeit der Nächte unsere Bektünmemiss
ttber einen solchen Verlust zu mildem vermag. Hier sind
wir, um in der äusserlichen Begegnung das Band der Eini-
gimg wieder zu knüpfen, welches die blosse Existenz des
Mannes, zu dem Alle zurückblickten, in unseren Gedanken
bildete; hier sind wir, um die Erinnerung an das ideelle
Haupt, dessen Anschauen Alle mit Ehrftircht erfüllte, so leben-
dig zu machen, dass sie uns nimmer verloren gehen möchte.
Zu so grossem Werke hat man mein schwaches Wort
berufen. Wäre der Wille die That, wie gerne hätte ich
dann die schöne Aufgabe gesucht! Denn nicht Vielen war
OS vorgönnt, wie mir, in jedem wichtigen Abschnitte der
eigenen Entwickelung sich an der Seite unseres Meisters
zu sehen. Seine Hand war es, die die ersten Schritte des
mcdicinischon Lehrlings leitete; sein Wort war es, das
mir die Doktorwürde zusprach; von dieser Stätte, von der
jetzt sein kaltes Bild auf uns herniederblickt, dui-fte ich in
sein warmes Auge schauen, als ich, wieder unter seinem De-
oanat, memo erste öffentliche Vorlesung als Privatdocent hielt.
Aus der grossen Zahl seiner Schüler war ich der einzige^
der, auf seinen eigenen Vorschlag, neben ihm im engeren
Kreise der Facultät zu sitzen gerufen war, dem er einen
wichtigen Theil seines alten Gebietes freiwillig überliess.
Aber kann Ein Mund den Mann würdig preisen, der
das ganze Gebiet des Wissens vom thierischen Leben be-
herrscht hat? vermag Eine Zunge den Geist zu schildern.
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der dieses grosse Gebiet erweiterte, bis es seiner eige-
nen Herrschaft zu gross ward? Ist es möglich, in weni-
gen Augenblicken die Geschichte eines Eroberers zu zeich-
nen, der in ruhelosen Feldzügen durch mehr als ein Men-
schenalter jed« neue Eroberung nur dazu benutzte, um seinen
Fuss darauf zu setzen und kühnen Blickes nach neuem
Kuhme auszuschauen? Kann ein später Epigone in kur-
zen Stunden der Müsse jenen Ueberblick über den inneren
Entwickelungsgang eines Mannes gewinnen, der die Ziele
seines Strebens, die Anreize seines Forschens tief in sich
verschloss?
Und doch ist das die Aufgabe, die wir erfüllen sollten.
Denn was ist es gewesen, das Müller in der Achtung der
Zeitgenossen so hoch gestellt hat? welcher Zauber war es,
der ihm gegenüber den Neid verstummen machte? durch
welches geheimnissvolle Mittel fesselte er das Herz des An-
fängers und hielt es durch lange Jahre an sich gekettet?
Nicht ohne Grund haben Manche gesagt, es sei etwas Dä-
monisches in ihm gewesen, und gewiss trug seine ganze
Erscheinung das Gepräge des Ungewöhnlichen. Aber zu
glauben, dass nur der ausserordentliche Reichthum der na-
türlichen Ausstattung den gebieterischen Einfluss des Man-
nes bedingt habe, das stinmat wenig mit dem, was wir über
die Geschichte geistiger Grösse wissen. Müller*s äussere
Oestalt trug in ganz auffallender Weise die Eigenthümlich-
keiten seiner Familie, und doch ragt gerade er um ein so
Orosses in derselben hervor. Suchen wir also, was in sei-
ner Entwickelung so mächtig Erregendes gelegen; vielleicht
gelingt es uns zugleich, dabei zu finden, welches die Be-
deutung Mtiller's in seiner Zeit gewesen.
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Johannes Müller wurde in sttirraischer Epoche, am
14. Juli 1801 zu Coblenz geboren Wenige Monate zuvor
hatten Kaiser und Reich, beide ihrem Sturze nahe, im Frie-
den zu Luneville das linke Rheinufer der französischen Re-
publik überliefert; das Erzstift Trier, dessen Kurfürsten so
lange zu Coblenz residirt hatten, war auf immer aus der
Reihe der Staaten gestrichen. Was dem stolzen Geiste
Sickingens misslungen war, das hatte die Ohnmacht des
heiligen römischen Reiches einem fremden Volke nur zu
leicht gemacht. Wo kurze Zeit zuvor eine übermüthige
Emigration*) ihr Hoflager aufgeschlagen hatte, da geboten
fortan die Präfekten des Rhein- und Mosel-Departements.
Sonderbares Geschick! Deijenige französische For-
scher, dem man Müller am häufigsten verglichen hat,
Georg Cuvier, war zu Mtimpelgard im Elsass zu einer
Zeit geboren, als das kleine Land noch zu Würtemberg ge-
hörte; in Tübingen sollte er Theologie studiren, und nur
seine Bedürftigkeit verschaffte ihm einen Platz in der Carls-
schule zu Stuttgart, die nachher so berühmt geworden ist.
Da erst wurde ihm die Neigung für die Naturwissenschaften
eingepflanzt^; und von da an sind deutscher Geist der For-
schung, Kenntniss deutscher Literatur ihm immer treu ge-
blieben. Sollen wir nicht sagen, dass der unruhige Geist,
die Bereitschaft zu schneller That, das stüraiische Drängen
nach Ruhm oder Gewinn, die seit jener Zeit im transrhena-
nischen Deutschland so oft als politische Kräfte zu Tage
getreten sind, auch bei Müller durch fremdes Wesen früh
geweckt sind und lange nachgeklungen haben? Sollen wir
nicht glauben, dass einer, der den Zusammenbruch eines
tausendjährigen Reiches, die Raserei der Freiheit, den ge-
waltsamen Sturz des mächtigsten Eroberers, die glühende
Erhebung seiner ganzen Nation im Laufe eines Decenniums,
eines Knabenalters, erlebt hat, Gährungsstoff für immer in
sich aufgehäuft hat, dass schon früh bei ihm der Gedanke
der Autorität entwachsen sei.
Keine Thatsache gibt unmittelbares Zeugniss davon,
was den Knaben Johannes am meisten erregt hat. Der
einzige Mann von Bedeutung, dessen die Geschichte unse-
rer Wissenschaft aus jener Zeit in Coblenz gedenkt, ist Jo-
seph Görres, der als Professor an der Secundärschule in
den Jahren 1802 — 5 seine naturphilosophischen Abhandlun-
gen über Organonomie und Physiologie veröfientlichte. Nir-
gends ist es erkennbar, dass er einen directen Einfluss
auf Johannes geübt habe, denn dieser trat erst 1810
in die Secundärschule ein, während Görres schon 1814
bald nach der Wiedereroberung des Landes seine Professur
aufgab, und nachdem er kurze Zeit die Generaldirection
des Unterrichts am Niederrhein verwaltet hatte, wegen sei-
nes Buches „Deutschland und die Revolution" sich zur Flucht
nach Frankreich genöthigt sah. Erst von seinem Amts-
Nachfolger, Johannes Schnitze, der einige Jahre hindurch
als Regierungs- und Consistorialrath die Schulen der Rhein-
pvovinz leitete, steht es fest, dass er den Vater Mtiller's
bestimmte, seinen reich begabten Sohn den Studien zu wid-
men. Unter den Gymnasial -Lehrern, welche Johannes
selbst in seiner Dissertation namentlich aufführt, ist keiner,
dem er eine besondere Einwirkung zuschreibt, als der Ma-
thematiker V. Leutzinger, und man darf daher wohl
schliessen, dass es nicht der drängende Einfluss einer be-
stimmten Persönlichkeit war, welcher den jugendlichen Sinn
in einer bestimmten Richtung vorwärts drängte.
Um wie viel mehr sind wir genöthigt, die grossen An-
regungen der Zeit als die entscheidenden zu betrachten.
Wie früh gestalten sich in der Seele des Kindes Stimmun-
gen und Richtungen, welche nachher das Leben des Man-
nes bestimmen! Wie schwierig wird es der späteren Erzie-
hung, ja dem eigenen bewussten Willen, die Macht der Ein-
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rdücke zu brechen, welche dem fügsamen Sinne des Knaben
eingeprägt worden sind! Das Beispiel der Eltern, das Vor-
bild der Gespielen, der Verkehr der Nachbani, die Erleb-
nisse des Hauses und der Stadt, die Anschauungen der
Natur, die Erzählungen aus Vergangenheit und Gegenwart
— das sind die mächtigen Kräfte, welche uns frühzeitig mit
Bildern, mit Strebungen, mit Gedanken erfüllen, die wir
nachher schwer und ungern wieder aufgeben. Die beson-
dere Art der üebung bestimmt die Gebrauchsfähigkeit der
Organe wenigstens eben so sehr, als die ursprüngliche
Anlage.
Müller's Vater war ein Schuhmacher, seiner Abstam-
mung ein Mosellaner; er bewohnte ein kleines Haus in der
Jesuitenstrasse. Trotz seiner beschränkten Mittel verwen-
dete er alle Sorge auf die Erziehung seines Sohnes *) , und
nach seinem firühen Tode setzte seine Frau dieselbe in
seinem Sinne fort. Was konnte sie für Erfolge ha-
ben? Ein Sohn, dessen Bildungsgang ihn schon früh über
die Grenzen des im Vaterhause Gebräuchlichen hinausführt,
muss in Vielem der Familie entfremdet werden; die Befrie-
digung der meisten Wünsche und Ansprüche wird er ausser-
halb finden und suchen müssen. Er fühlt es, dass er es
sein muss, der die Familie heben wird; er muss voran! Je
weiter er kommt, um so reicher wird er die Liebe, die
Aufopferung der Seinigen vergelten können. Da der Vater
gestorben ist, so muss er das Haupt der Familie sein; ein
religiöses Gefühl von noch tieferer Art, als die blosse Soh-
nesliebe, knüpft ihn fortan an die Mutter.
Müller ist im Glauben der römisch-katholischen Kirche
erzogen. In das tiierische Land, eben noch ein geistliches
Reich, ist der Protestantismus niemals gedrungen. Der Ka.-
tholicismus, hier seit einem Jahrtausend souverain, in allem
Glänze der Herrschaft, Alles durchdringend und erfassend,
nimmt schon früh die Kinder in seinen Arm. Was Wunder,
wenn der junge Johannes, wie sein ältester Schulkamerad
und Freund erzählt, schon im 7. oder 8. Jahre davon
spricht, katholischer Geistlicher werden zu wollen. Wie
musste dieser Gedanke das Herz der Mutter erfreuen, wie
musste er bei ihr Unterstützung und Anregung finden! Mit
10 Jahren kommt Johannes auf die Secundärschule, eine
alte Lateinschule der Jesuiten, von denen ein Theil durch
die französische Occupation entfesselt, ein anderer geblieben
ist. Hier, zum Theil unter den ungünstigsteh Verhältnissen
des zum Theil noch in die scholastischen Formen des Mittel-
alters gebannten Unterrichts, macht er seine Gymnasialzeit
durch. So weit es geht, entschädigt er sich durch Lektüre;
ein gutes Geschick führt ihm Göthe's Werke zu. Die
schöne Natur seiner heimischen Gauen zieht ihn an sich;
er sammelt Pflanzen und Thiere. Die Natur und Göthe!
Wie lange haben diese Eindrücke bei Müller angedauert!
Das prächtige Buch über die phantastischen Gesichtserschei-
gen, das er 1826 als ausserordentlicher Professor veröfient-
lichte, sowie die grosse Monographie über den Gesichtssinn
athmen in jeder Zeile Natur und Göthe!
Aber es ist nicht so leicht, mit den ersten Ueberliefe-
rungen zu brechen. Wie lange musste es in der Brust des
Jünglings, ja schon des Knaben gähren! Welche Entwicke-
lung musste er hinter sich haben, als er im Herbst 1819
die Universität Bonn bezog! Denn inzwischen hatte er
bereits ein Jahr lang als Freiwilliger in der Pionir-Com-
pagnie der 8. Abtheilung gedient, der Frische und Zer-
streuung des damals noch weniger abgeschlossenen Solda-
tenlebens hingegeben 5 und doch schwankte er noch, als er
die Universität betrat, wie es heisst, drei Tage lang, ob er
nicht Theologie studiren solle. Da plötzlich erklärte er
einem Freunde: r,ich bin entschieden; ich studire Medicin,
da weiss ich doch, was ich habe nnd wem ich diene.'^ Und
der Freund setzt erklärend hinzu: „Die Sichtung der fran-
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zösischen Kevolution durchströmte damals die Gemtither der
Gebildeten, und griff alles Religiöse an; der Materialismus
auf dem Gebiete der Naturwissenschaft riss ihn noch mehr
hinüber.*'
Wie einst Cuvier, wie frtther Boerhaave, so ging
Müller für die Theologie verloren. Gewiss kann man sich
den Wechsel, der in ihm, wenngleich vielleicht sehr lang-
sam, geschehen war, doch kaum gross genug denken.
Denn des Schuhmachers Sohn war auf dem besten Wege,
ein Träumer und Visionär zu werden. Hören wir selbst,
wie er seine Zustände schildert. „Mich hat," sagt er*),
,diese Plasticität der Phantasie im lichten und dunklen
Sehfelde in den Jahren der Kindheit oft geneckt. Eines er-
innere ich mich am lebhaftesten. Durch die Fenster des
Wohnzimmers im elterlichen Hause sah ich auf ein Haus
der Strasse von etwas altem Ansehen, an dem der Kalk an
manchen Stellen sehr verschwärzt, an anderen aber in viel-
gestaltigen Lappen abgefallen war, um hier eine ältere, auch
wohl älteste Farbenbekleidung durchsehen zu lassen. Wenn
ich nun nicht über die Schwelle durfte und gar manche
Stunde des Tages am Fenster mit allerlei beschäftigt war,
und durch das Fenster sehend, immer nur die russige ver-
fallene Wand des Nachbarhauses betrachtete, gelang es mir,
in den Umrissen des abgefallenen und stehengebliebenen
Kalkes gar manche Gesichter zu erkennen, die durch die
oft wiederholte Betrachtung sogar einen ganz sprechenden
Ausdruck erhielten. Das Nachbarhaus mit seinen Wänden
war in vielen Stunden das einzig Specificirte in meinem
lichten Sehfeld, das in seinem Einerlei immer wiederkehrte,
kein Wunder, wenn die Formen schaffende Phantasie eine
Art von Leben zuletzt in diese eintönige Landschaft brachte»
Wenn ich nun die Anderen auch aufmerksame machen
wollte, wie man doch gezwungen sei, an dem verfallenen
Kalke allerlei Gesichter zu sehen, wollte freilich Niemand
11
mir Recht geben^ aber ich sah es doch ganz deutlich. Diese
wenigstens der Phantasie verweigerte Anerkennung konnte
mich dann auch noch trotzig machen, mein Gesichtersehen
wurde mir etwas Geheimnissvolles, wiewohl ich freilich
hierbei nur die Einbildung im Sinne hatte. In späteren Jah-
ren wollte das nicht mehr gelingen, und wiewohl ich meine
Figuren noch ganz deutlich im Sinne hatte, so konnte ich
sie doch nicht mehr in den Umiissen wiederfinden, aus de-
nen sie mir entstanden waren/'
Und an einem anderen Orte®) heisst es: ,jEs ist sel-
ten, dass ich nicht vor dem Einschlafen bei geschlossenen
Augen in der Dunkelheit des Sehfeldes mannichfache leuch-
tende Bilder sehe. Von früher Jugend auf erinnere ich mich
dieser Erscheinungen, ich wusste sie immer wohl von den
eigentlichen Traumbildern zu unterscheiden; denn ich konnte
oft lange Zeit noch vor dem Einschlafen über sie reflectiren.
Vielfache Selbstbeobachtung hat mich denn auch in den
Stand gesetzt, ihre Erscheinung zu befördern, sie festzuhal-
ten. Schlaflose Nächte wurden mir kürzer, wenn ich gleich-
sam wachend wandeln konnte unter den eigenen Geschöpfen
meines Auges. Wenn ich diese leuchtenden Bilder betrach-
ten will, sehe ich bei geschlossenen vollkommen ausruhenden
Augen in die Dunkelheit des Sehfeldes; mit einem Gefühl
der Abspannung und grössten Buhe in den Augenmuskeln
versenke ich mich ganz in die sinnliche Buhe des Auges
oder in die Dunkelheit des Sehfeldes. Allen Gedanken,
allem Urtheil wehre ich ab, ich will bei einer vollkommenen
Buhe des Auges wie des ganzen Organismus in Hinsicht
der äusseren Eindrücke nur beobachten, was in der Dunkel-
heit des Auges als Beflex von inneren organischen Zustän-
den in anderen Theilen erscheinen wird/'
Hier ist Müller schon aus dem Träumer der Beobach-
ter, aus dem fest mönchischen Visionär der Physiolog ge-
worden. Es w^r eine fröhliche Metamorphose, und sie voll-
12
endete sich, wie es scheint, auf dem offenen Felde akade-
mischer Freiheit, in der frischen Luft des gerade damals
so inhaltsvollen studentischen Lebens.
Freilich stand es damals schon sehr misslich mit den
deutschen Universitäten. Als durch eine nationale Erhe-
bung, die ohne Gleichen in der Weltgeschichte ist, der böse
Feind aus Deutschlands Grenzen hinausgeschlagen war,
hatte man aus den Trümmern des heiligen römischen Rei-
ches den mühseligen Bau des deutschen Bundes zusammen-
gefügt. Die besten Bestrebungen der Nation, in ihrem
Drange nach verfassungsmässiger Freiheit zurückgeworfen,
hatten sich vor der schnell anwachsenden Reaction auf die
letzten Reste der alten Glorie, auf die Universitäten zurück-
gezogen. Das Wartburgfest hatte den russischen Denuncia-
tionen eine willkommene Handhabe gegeben, die Absetzun-
gen der Professoren hatten mit Oken begonnen, E. M.
Arndt und die beiden Welcker in Bonn waren verhaftet
Görres geflohen, die Carlsbader Beschlüsse in Kraft getre-
ten, und ehe noch das Jahr 1819 zu Ende ging, waren auch
Boyen, Wilhelm von Humboldt und Beyme gestürzt').
Aber die Studenten blieben in der Opposition, und die ver-
botene Burschenschaft lebte nicht nur in ihren Liedern, sondern
auch in dem durchsichtigen Geheimnisse der studentischen
Verbindungen fort. Es war das die Zeit, wo Johannes
Müller ein flotter Bursche war, wo man von ihm erzählt,
dass er mit dem Schläger ins CoUeg gekommen sei, wo er
zu Pferde die Nachbardörfer besuchte, wo er im Vorstande
der Burschenschaft sass.
Aber das dauerte kurze Zeit. Wie Göthe, war Mül-
ler kein Liebhaber der Politik; sein Wissensdrang, durch
eine reiche Phantasie fort und fort erregt, zog ihn unauf-
haltsam zu der Erforschung der Natur. Mit grösstem Eifer
wandte er sich unter May er 's specieller Leitung zur Ana-
tomie; sein Enthusiasmus dafür stieg schnell so weit, dass
13
er frischweg erklärte: „Was nicht unter das Messer fällt,
ist nichts." Es folgte die Physiologie, in die ihn Friedrich
Nasse' s geistreiche und gelehrte Vorti-äge einführten, und
in der ihn Philipp von Walther's erfahrene Praxis hei-
misch machte. Wie eilig hatte er es! Als im Jahre 1820
die junge rheinische Universität ihre erste Preisaufgabe über
die Resph-ation im Fötus aufstellte, da ergriff der eben erst
einjährige Student diesen schwierigen Gegenstand. Thiere
zu Experimenten wurden auf alle Weise zusammengetrieben,
und es klingt sonderbar genug, wenn ein Theilnehmer an
der lustigen Fahrt erzählt, wie auf einem Ritt uis Ahrthal
eine trächtige Katze erwischt, in einen Sack gesteckt und
hinter dem Sattel festgebunden, nach Bonn geschleppt wurde,
um durch einen Kaiserschnitt ihrer Jungen beraubt zu wer-
den. Müller erhielt den Preis und veröffentlichte seine Ar-
beit ®), in der die Fülle der Gelehrsamkeit mit der Mannich-
faltigkeit und Kühnheit der Experimente streiten, im Jahre
1823. Schon ein Jahr zuvor waren seine mühseligen Be-
obachtungen über die Gesetze und Zahlenverhältnisse der
Bewegung in den verschiedenen Thierklassen in Oken's
Isis erschienen, und am Ende des Jahres 1822 war er auf
Grund seiner Abhandlung De phoronomia animalium zum
Doktor promovirt worden. Von dieser Zeit an ist er dem
öffentlichen Leben der Nation fast ganz fem gestanden, und
es passt sehr gut auf ihn, was er 13 Jahre später in der
Gedächtnissrede auf Rudolphi^) von den Deutschen sagt:
„Die Beschränkung, in die wir durch unsere geographische
Lage versetzt sind, hat hinwieder unserem Geiste eine be-
stimmte Richtung auf das Verborgene der Gegenwart gege-
ben, und hat uns desto grösser in der Erforschung einer
Welt von verborgenen Bewohnern unserer heimathlichen Ge-
schöpfe, in der Erforschung der Struktur der Naturkörper
und ihrer inneren Lebensvorgänge gemacht."
Der junge, 21 Jahre alte Doktor stand nun mitten in
16
Beispiele vorging")." Aber selbst Alexander v. Hum-
boldt konnte dem Verfalle nicht wehren; auch die, so ihn
bewunderten, geriethen immer tiefer in das Netz philosophi-
scher Speculation; ja es wurde Sitte, auch die Physiologie
aus Begriflfen zu entwickeln. Konnte doch gegenüber einer
solchen Wissenschaft selbst die traurige Mystik des thieri-
rischen Magnetismus sich als welthistorischen Fortschritt des
erfahrungsmässigen Wissens gebährden!
Durch Schelling's Naturphilosophie hatte man ge-
lernt, alle Erscheinungen aus der Idee des Absoluten abzu-
leiten. Grosse Forscher, wie Oken, Döllinger, Walther,
schlössen sich dieser Verirrung an, und obwohl sie das
unbestrittene Verdienst haben, durch sorgfältige Beobachtung
eine Reihe der wichtigsten Thatsachen erkannt zu haben,
obwohl insbesondere unter Döllinger 's Leitung zu Wtirz-
burg jene berühmte Schule der Embryologen emporwuchs,
unter denen Pander, d' Alton, v. Baer, Agassiz hervor-
leuchten, so genügte dies doch nicht, um eine wirkliche Um-
kehr der Wissenschaft herbeizuführen; für die Masse war
es ja viel bequemer und vorzüglicher, ohne Forschung das
System zurecht zu legen. Ist es nicht schmerzlich, sagen
zu müssen, dass ein Dichter es war, der das schöne Bei-
spiel der Enthaltsamkeit in einer so frivolen Zeit gab? ist
es nicht beschämend, zu gestehen, dass Göthe das Prin-
cip der Beobachtung für die Naturwissenschaften retten
musste? Sonderbare Zeit, wo die Revolution allgemein, wo
die Anarchie in ihrer schlimmsten Form Regel war! Die
Treviranus, die Blumenbach, die Sömmerring, die
Meckel standen auf fast verlassenen Posten.
Das war die Zeit, wo Müller Doktor wurde. Freilich
hatte er, wie Oken und Döllinger, eifrig die Natur be-
fragt; freilich hatte er Humboldt und Göthe früh kennen
und ihnen nachahmen gelernt. Aber doch steckte er in den An-
tithesen der Naturphilosophie, die so geistreich klangen; doch
15
Grundlage der biologischen Anschauung; die langsam heran-
reifende Chemie und Physik gaben die Mittel zu einer me-
chanischen Erklärung der Lebensvorgänge. Bäco, Carte-
sius, Spinoza, Leibnitz erhoben höher und höher die
Fahne der Philosophie. Immer grösser wurde das Gebiet
menschlichen Wissens, inumer kühner der Flug des mensch-
lichen Geistes. Zum letzten Male sammelte sich der ganze
Schatz naturhistoriscben und medicinischen Wissens in Her-
mann Boerhaave, den man mit Recht den gemeinsamen
Lehrer Europa's genannt hat.
Unter seinen Schülern begann die Spaltung. Albrecht
von Haller konnte schon den empirischen Schätz der Phy-
siologie in so reichem Maasse zusammenhäufen, dass seine
Elementa den grossesten Arbeiten aller Zeiten angereiht
werden durften. Das Leben in seiner Besonderheit gegen-
über der übrigen Welt der Erscheinungen, die Lebensvor-
gänge in ihrem Einzelgeschehen wurden immer mehr Gegen-
stand des eifrigsten Denkens und Forschens. Die Irritabi-
litätslehre Haller's brachte bald die Erregungstheorie, aus-
gegangen von CuUen und entwickelt durch Brown. Zahl-
reiche Nachfolger erheben sich; immer erfolgreicher werden die
mechanischen Doctrinen durch die Anhänger des Vitalismus
bekämpft; die Entdeckung des Galvanismus verwirrt die Ge-
müther, und die Philosophie, durch Kant 's glorreichen Auf-
bau allmächtig geworden, vollendet den Ruin der Natur-
wissenschaften. Wie ein Meteor leuchten aus jener unfrucht-
baren Zeit die experimentellen Forschungen eines Mannes
hervor, der bis auf diesen Tag 60 Jahre hindurch unverrückt
der Herold freier Anschauung gewesen ist, und auf den der-
einst das schöne Wort passen wird, das sein unglücklicher
Vorgänger Forster von Franklin aussagte, dass er „mit
unbestechlicher Vernunft bis an sein Ende Freiheit, Gerech-
tigkeit, Frieden, Brudertreue, Liebe und gegenseitige Dul-
dung predigte, und in jeder dieser Tugenden mit grossem
18
mittel des anatomischen Museums und dessen, was er selbst
gesanmielt, mit der Liberalität eines Banks untersttttzte; so
fehlte es nicht an eifrigen Schttleni; die sich unter seiner
besonderen Leitung in der Anatomie ausbildeten. Sein En-
thusiasmus für die Wissenschaft; seine Wahrheitsliebe; sein
edler imd uneigennütziger Charakter, seine kräftige Oppo-
sition gegen falsche Richtungen zogen unwiderstehlich an.
Solche Eigenschaften machen bei einem Lehrer auf das ju-
gendliche Gemüth einen unvertiigbaren und das ganze Leben
dauernden Impuls, und nie werde ich den Eindruck ver-
gessen, den Rudolph! auf mich gemacht; er hat meine
Neigung zur Anatomie zum Theil begründet und
für immer entschieden. Ich habe anderthalb Jahre sei-
nen Unterricht, seinen Rath, seine väterliche Freundschaft
genossen; als ich fortging, beschenkte er mich mit mancher-
lei wissenschaftlichen Hilfsmitteln; seine Theilnahme hat
mich auch später begleitet, wenn unsere Ansichten auch
öfter sehr abwichen und er nicht gerne sah, dass ich mich
mit dem abstracteren Gebiet der Sinnesphysiologie beschäftigte
und lieber mit solchen Untersuchimgen in der Anatomie der
Sinnesorgane, wie die über die Augen der Insecteu und
Spumen mich beschäftigt sah." Besonders charakteristisch
ist auch noch folgende Stelle'*): „ Rudolph i war ein Geg-
ner der eine Zeit lang heiTschend gewesenen Art der Natur-
philosophie. Bei jeder Gelegenheit äusserte sich Rudolph i
auf das Kräftigste gegen eine mit missverstandener Philo-
sophie verbundene Art der Naturstudien, welche sich lange
ziemlich anspruchsvoll durch Mangel an einer exacten Me-
thode und durch gewaltsame Tendenz zum Allgemeinen aus-
sprach. Rührend ist, was Rudolph! hierüber in Pallas
Biographie zur Warnung der Jüngeren sagt und kann seine
Wirkung nicht verfehlen."
Auch auf Müller verfehlte es seine Wirkung nicht,
und mit Eifer betrat er von nun an das Gebiet der sorgsa-
19
men anatomisehen Forschung. Die erste Frucht davon war
eine wenig bekannte Arbeit über die feinere Anatomie und
Entwickelungsgeschichte der Insekten**), welche 1825 er-
schien. In dem Eingange derselben spricht er es noch be-
sonders aus, dass das besondere Wohlwollen Budolphi's
seinen Aufenthalt in Berlin zu dem lehrreichsten und ge-
nussreichsten gemacht habe, und dass er demselben in viel*
facher Beziehung unendlich verpflichtet sei. Das Exemplar
dieser Abhandlung, welches mir zur Einsicht stand, enthält
ausserdem zufälliger Weise eine handschriftliche Notiz Mttl-
ler's von grossem Interesse. „Den Herrn Professor Hegel
wollte durch diese Blätter an einen stets dankbaren Zuhö-
rer in schuldiger Ehrerbietung erinnern Dr. Jo. Müller."
Wir erfahren daraus, was gleichfalls wenig bekannt ist, dass
Müller seinen Aufenthalt in Berlin auch zur Fortsetzung
seiner philosophischen Studien benutzte, ein Umstand, der
auch durch Privatnachrichten bestätigt ist und der bei einem
so eifrigen Verehrer des Aristoteles*^), des Baco, des
Griordano Bruno nicht anders zu erwarten war. Aber
mit der Naturphilosophie war es für Müller vorüber; der
grosse Wendepunkt war erfolgt und wir können wohl sa-
gen, dass unsere Universität es ist, die ihn der strengen
Wissenschaft gewonnen hat.
Er kehrt nun nach Bonn zurück und am 19. Oct. 1824 ha-
bilitirt er sich als Privatdocent. Hier legt er sein neues Glau-
bensbekenntniss in öffentlicher Vorlesung nieder. Er behandelt
darin das „Bedürihiss der Physiologie nach einer philosophi-
sehen Naturbetrachtung^^; er zeigt, dass weder die mythische
und mystische Behandlung der Physiologie, noch die „falsche
Naturphilosophie'^ noch die rationalistische oder, wie er
sagt, die „verständige" Physiologie das Rechte sind, dass
vielmehr nur in der innigen Verbindung . der durch Beob-
achtung und Versuch fortschreitenden Physiologie mit der
Philosophie die Sicherheit vor jeder einseitigen Behandlung
iilWiMii» ^ inm^aiiaiM^iAilill^M
20
gegeben ist *®). Sehr schön sagt er '•) : „ Die Natur-
foinschnng hat auch etwas Religiöses an sich; damit will
ich sagen, dass sie auch ihren Gultns habe. Man kann,
glaube ich, hinzusetzen, sie hat auch ihre dauernden Priester.
Da gibt es eine Erfahrung, die nur von Ideen gebildet wird,
und aus den Erfahrungen wieder entspringen auf unmittel-
bare Weise Ideen, weil jene wie Institutionen eines religiösen
Cultus wirken. Diese anspruchslose schlichte Anschauung
der Natur, die in sich selbst gezwungen, in allen Dingen
nur das Rechte der Dinge, die Wahrheit ihres Scheines er-
kennt, ist der Sinn des Naturforschers und namentlich des
Physiologen. Lasset einen solchen Geist erfahren, was ihr
immer wollt, er erfährt mehr, als in den Dingen selbst
scheinbar sinnlich Erkennbares ist; und wie seine Erfahrun-
gen und Betrachtungen aus der Idee hervorgehen, so gehen
sie auch in Ideen zurück. Ich erinnere an die Ansichten
der Natur von Alexander von Humboldt und an die
naturforschenden Arbeiten Gröthe's. Die Erfahrung wird
zum Zeugungsferment des Geistes. Nicht das abstracte Den-
ken ttber die Natur ist das Gebiet des Physiologen. Der
Physiologe erfährt die Natur, damit er sie denke.'^
Jetzt beginnt für Müller eine Periode der unruhigsten,
wahrhaft aufreibenden Thätigkeit. Er liest nicht bloss all-
gemeine und vergleichende Anatomie, Physiologie und Ent-
wickelungsgeschichte, sondern auch allgemeine Pathologie
und pathologische Anatomie, ja sogar Augen- und Ohren-
Krankheiten. Seine frühesten Schüler scbildeni seinen Vor-
trag als etwas schwierig und holperig, und in der That,
wenn man seine Arbeiten von der Habilitationsrede bis zu der
grossen Physiologie durchgeht, so findet sich überall eine
Darstellung, welche durch die Masse der Thatsachen, durch
die Sorgfalt der Citute, durch das Drängen der Gedanken
überaus gehemmt ist, welche freilich durch die Wärme der
Empfindung, durch dien Ernst des Strebens, durch die Wahr-
21
faeit der Anschauungen fesselt; aber am Ende doch auch den
Willigen ermüdet Keine Ruhe^ keine Rast!
Wie eine Idylle fällt in diese Zeit der hastigen Arbeit das
kleine Buch über die phantastischen Gesichtserscheinungen, hin-
ter dem in klassischer Ruhe die „physiologische Urkunde" des
Aristoteles über den Traum steht. Die Darstellung ist
überall geordnet, das Material ganz durchgearbeitet und ge-
drängt gefasst, die Beobachtung und der Versuch in schön-
ster Einheit der Gedanke häufig zu welthistorischem Rück-
blick erhoben. Es war das Buch, welches der wunderbare
Mann seiner Liebe als Geschenk darbrachte, die Gabe eines
Bräutigams.
Aber die Anstrengung war zu gross gewesen. Unter
Noth und Sorgen hatte der arme Privatdocent den Kreis
seiner Forschungen ausgebreitet; sorglich hatte er seine
mühsam erworbenen Mittel der Wissenschaft wieder darge*
bracht. Die Zeit hätte nicht ausgereicht, um einem weniger
Befähigten auch nur eine Seite seiner Thätigkeit möglich
zu machen. Er hatte unterrichtet, gelesen, untersucht, ex-
perimentirt und im Anfange sogar noch ärztliche Praxis*^
getrieben! Und dann, ermüdet von der Last des Tages,
hatte er des Abends durch Kaffegenuss sich zu den noch
anstrengenderen und peinigenden Untersuchungen über das
subjective Sehen aufgeregt. Kaum war er im Jahre 1826
ausserordentlicher Professor geworden, kaumhatte er 1827 seine
Frau heimgeführt, da brach seine Kraft zusanunen. Er
fühlte sich erschöpft, seine Nächte schlaflos, seine Gedan-
ken voll Unruhe, seine Stimmung verzweifelt.
Philipp V. Walther, sein treuer Lehrer, erwirkte ihm
durch den Beistand seines alten Freundes Joh. Schnitze
Urlaub und Unterstützung von der Regierung. Den Rhein
ituftvärts, zog er mit seiner jungen Frau zuerst nach Heidel*
berg zu Tiedemann, durchwanderte dann Süddeutschland
und kehrte endlich neu gestählt, mit vielen Anschauungen
JM^— ifc1Mii«MiwMMMM I I— IM li 1 1 M ämmt M 1 i i i l— h— MMtiail
30
sein müsse; daher giog er weder in seinen Schriften, noch in
seinen Vorträgen auf dieses Thema ein. Und so wurde
auch er, wie er es von seinen grossen Vorgängern sagte,
ein dauernder Priester der Natur; der Gultus, dem er diente,
fcHselte auch sehie Schüler; wie durch ein religiöses Band
an ihn, und die ernste, priesterliche Weise seiner Sprache
und Bewegung**) vollendete den Emdruck der Ehrfurcht,
mit dem Jeder zu ihm aufschaute. Um den Mund und die
gepressten Lippen ein Zug von Strenge, um Stirn und Auge
der Ausdruck ernstesten Denkens, in jeder Falte des 6e-
sichtes die Erinnerung an eine vollendete Arbeit — so stand
dieser Mann vor dem Altar der Natur, durch eigene Gewalt
befreit von den Fesseln der Erziehung und der Ueberliefe-
rung, ein Zeuge der persönlichen Unabhängigkeit!
Noch bevor seine Physiologie völlig dem Publikum vor-
lag, las er in der Akademie eine Reihe von Abhandlungen
über die vergleichende Anatomie der Myxinoiden**), ein
Werk, wie es in solcher Vollendung noch nicht geliefert
war. Indem er Thiere, welche die unterste Grenze der
Fische und damit der Wirbelthiere überhaupt bilden, als
den Ausgangspunkt der Vergleichung wählte, so war es
möglich, den Typus des Wirbelthieres überhaupt in der
grösstmöglichen Einfachheit darzulegen und von da aus die
immer höhere, bis zum Menschen hinauf reichende Entfal-
tung desselben zu verfolgen. So wurde die Neugierde des
Naturkundigen befriedigt, der gerade die Kenntniss des fei-
neren Baues der Grenzthiere des grossen Reiches der Ver-
tebraten am meisten vermisste, und zugleich der Weg gefun-
den, durch die vergleichende Anatomie theils bestätigend,
theils voraussehend das zu entwickeln, wa« das Studium
der Entwickelungsgeschichte auf einem weit längeren und
viel weniger zugänglichen Wege über Chorda dorsalis und
Wirbelbau, über die Deutung der Gehirn- und Skelettheile,
über die Aufiassung von Muskeln und EiQgeweiden
25
nur das chemische Reagens oder das physikalische Instru-
ment den Ausschlag gebe. So entdeckte er den eigenthttm*
liehen^ leimartigen Stoff der Knorpel; das Chondrin**), so
stellte er nicht bloss die Organe, sondern auch die Gesetze
der Sthnmbildung fest^), so fand er die Lymphherzen der
Amphibien ^").
Wir sind hier der historischen Darstellung etwas vor-
geeilty um einige der wichtigeren Arbeiten Mttller's aus
einer im Grossen zusammengehörigen Periode zusammenzu-
fassen. Die eigentlich reformatorischen Untersuchungen der
Bonnenser Zeit smd die über die feinere Struktur und £nt-
wickelungsgeschichte der Drüsen'*^), durch welche die hu
lange zwischen den Anhängern Malpighi's und lluysch's
schwebende Streitfrage über die geschlossenen Enden der
Drttsendänge zum Abschluss gebracht und eine sichere
Eenntniss dieser wichtigen Organe Über die ganze Thier-
reihe gewonnen wurde; sodann die über die Bildungsge-
schichte der Genitalien ^^); welche den Namen Müll er 's für
immer an das zur Tuba sich umgestaltende Gebilde (MUl-
ler'scher Faden) geknüpft hat, und welche für die Erklärung des
Hermaphroditismus so entscheidend geworden ist. An sie
schlössen sich später die wichtigen Arbeiten über die orga-
nischen Nerven der erectilen Organe "^^j, über den Bau die-
ser Organe bei den Straussen^), über die Arteriae helicinae'^)
Vom Jahre 1833 an begann er endlich^ sein reiches Wissen
in dem grossen Handbuche der Physiologie des Menschen
zu sammeln, das in vier Auflagen und mehreren Uelier-
setzungen die Grundlage von unserer Aller Bildung ge-
worden ist, ein Buch, das zum ersten und vielleicht zum
letzten Male seit Haller die ganze Fülle der Erfahrungen
über die Formen und Vorgänge des thieriseben und mensch-
lichen Lebens geeint und das seinen Verfasser zur ersten
lebenden Autorität im pbysiobgiscben Fache gemacht bat.
Und schon erhob sieb sein Stern neben demCnvier's, den
32
der Naturwissenschaften würdige allgemeine Pathologie vor
uns hinstellen wird. Von den Physiologen selbst wird man
diese Leistung nicht verlangen; es ist die Aufgabe eines
Arztes, die würdigste Aufgabe eines entschiedenen Talentes.
Den Anatomen und Physiologen steht ein sicherer Antheil
an dieser Arbeit bevor, die allgemeine Anatomie der patho-
logischen Gewebe, und diesen Beruf werden sie, dem jetzi-
gen Geiste unserer Wissenschaft zufolge, gewiss erfüllen ")."
Und alsbald machte er sich auch ans Werk. Schon in
einer Rede, die er am 2. August 1836 als Professor der
Militair- Akademie hielt *^), führt er eine Reihe wichtiger Ent-
deckungen über die feinere Zusammensetzung der Geschwülste
auf, die er gemacht hat, z. B. die des Enchondroms, und
schon zwei Jahre später erschien die erste Lieferung eine»
grösseren Werkes über den feineren Bau der Geschwülste ^),
welches leider unvollendet geblieben ist.
Gerade um diese Zeit war es, wo die Rolle des Mi-
kroskopes als Untersuchungsmittels für anatomische Zwecke
durch Treviranus, Ehrenberg, Purkinje u. A. anfing,
eine unerwartet grosse zu werden. Müller hatte schon
lange, Anfangs mit einem ihm von Rudolphi geschenkten
Instrumente ") gearbeitet, aber er hatte sich mehrfach darüber
ausgesprochen, dass das Mikroskop überhaupt nur zur Un-
tersuchung einzelner Theilchen oder ganz durchsichtiger Ge-
webe benutzt werden könne ^*), und selbst jetzt gelang es
ihm nicht, nur zu der Ueberzeugung zu kommen, dass es
für den Arzt zu einer Nothwendigkeit werden werde, selbst
die Fähigkeit zu mikroskopischen Untersuchungen zu erwer-
ben ^*). Purkinje' s Entdeckungen über die Knochenstructur
hatten Müller sofort bestimmt, diese Beobachtung zu wie-
derholen und feinere Studien über die Lage des Kalkes in
den Knochen zu machen; Mi es eher wurde durch ihn ver-
anlasst, die Entzündung des Knochens zu.studiren ^'), Rob.
Froriep tmd seine Schüler Gluge, G. Simon u. A. hat-
27
einftche anatomische Unterricht , so wichtig er anoh sein
mag, keines so eminenten Lehrers bedarf, dass aber an der
ersten Universität Deutschlands die Physiologie und die ver-
gldchende Anatomie, diese jungen und schuellwaohsenden
Wissenschaften alle Kraft eines Mannes in Anspruch nehmen
mussten. Glückliche Wahl! Der beste Mann war auch auf
dem h()chsten Platze I
Die nächste Aufgabe, welche Müller verfolgte, war die
Vollendung seines Handbuches der Physiologie, mit dem er
zugleich seine eigene Entwickelung als Physiolog im enge-
ren Sinne des Wortes abschloss. Man hat gesagt, dass er
durch dieses Buch eigentlich die Experimental - Physiologie
begründet habe. Dies ist nicht richtig. Müller war nicht
mehr Experimentator, als Hall er; ja die Richtung ^ welche
die Experimental-Physiologie schon vor ihm durch Legal-
lois undMagendie in Frankreich eingeschlagen hatte, er-
füllte ihn sogar mit Widerwillen. Er hat diesen Wider?rii-
len stets durch Einwürfe sowohl gegen die Methode der
Experimentatoren, als gegen die Zuverlässigkeit des Expe-
rimentes selbst gestützt, aber es kann kaum zweifelhaft sein,
dass ein grosser Theil seines Widerwillens rein ästhetisch
war. Von Budolphi sagt er®^): „Die physiologischen Er-
fahrungen sah er in gar keinem Verhältniss mit der Ge-
wissheit der Anatomie; kein Wunder, wenn der treffliche
Mann, der seine Scheu vor Vivisectionen bei jeder Gelegen-
heit aussprach, gegen alle Hypothesen und schlecht begrün-
deten physiologischen Erfahrungen eine feindliche Stellung
einnahm. Man musste ganz seine gerechte Indignation thei-
len, wenn man sah, wie manche Physiologen ihr Bestreben,
die Physiologie zu einer Erfahrungswissenschaft zu machen,
durch ein planloses ErOflhen und Quälen von recht vielen
Thieren äusserten, wobei die Resultate oft so gering und so
unvollständig waren. Das Inwendige eines verletzten Thie-
res sehen ist so wenig sehen, me es lebt, als die Anschauung
34
her freilich fort, die pathologische Anatomie zu lesen,
jedoch mit immer grösserer Unlust; und es ist gemss be-
zeichnend; dasS; als er starb; er nichts mifertig; nichts un-
vollendet, nichts ungeordnet zurückgelassen hat; als den so
lange erwarteten Schluss seines Buches über die Ge-
schwttlste").
Von 1839 an sehen wir ihn immer mehr ausschliesslicb
der vergleichenden Anatomie sich widmen. Schon 1841 ver-
lässt er auf kurze Zeit die Wirbelthiere; er untersucht den
Pentacrinus *•), die Ästenden ^). Inzwischen wird sein Blick
theils zufällig; theils durch innere Nothwendigkeit darauf
geführt; dass die fossile Welt seiner Kenntniss noch nicht
erschlossen ist; er wird Paläontolog; er studirt urwelt-
liche FischC; Säuger, Seeigel •O; ^»d in den letzten Jahren
unterhält er regelmässig Thiersucher in den Steinbrüchen
der Eifel. Aber überwiegend führt es ihn immer wieder an
die See zu den lebenden; niederen Thieren zurück. Die
Ferien werden für ihn die eigentlichen Arbeitszeiten; er
fischt selbst, er entreisst der Verborgenheit des Meeresgrun-
des ganz neue und ungekannte Thiergeschlechter; er schrei-
tet von Klasse zu KlassC; von den Seeigeln und Seesiemen
bis zu den Infusorien und Polycystinen *'^); deren Reihen
er eigentlich erst aufgestellt hat.
Welche bewundemswerthe Reihe von Arbeiten! Das ganze
Gebiet thierischen Lebens und Wesens liegt vor ihm aus-
gebreitet. Ist er befnedigt? findet er die Ruhe im Forschen,
die er schon seit der Bonner Katastrophe im Wissen ge-
pflegt hat? Nein, Nein! Seine Miene bleibt finster, zwei
starke zornige Falten liegen zwischen seinen Augenbrauen,
der dunkle Blick bohrt in die Feme. Er hat „Wellenschlag",
sagt er. Er denkt daran, dass er seit Jahren die Botanik
vernachlässigt hat; er kauft grosse und kostbare Werke?
um von vorn anzufangen. Aber in seiner Brust wird es
nicht ruhiger. Immer neue Formen des Lebens, aber kein
29
des Forschers, das maassvoUe Urtheil, die sichere Ruhe, die
reiche Vollendong des Wissens.
So hat sich in ihm die Reform der neueren Ansctauan<r
verkörpert mid sein Einflnss ist trotz der fast klösterlichen
Abgeschlossenheit des Gelehrten nicht auf die Physiologie
beschränkt geblieben, sondern hat sich von da auf immer
grössere Kreise ausgebreitet. Durch ihn ist auch im Gebiet
des Organischen das Mystische und Phantastische ttl^erwun-
den worden; er ist mit voller Klarheit jeder gefährlichen
Richtung, sie mochte nun unter dem Vorwande der Philo-
sophie oder des Glaubens oder nach blossem Vermuthen
verfolgt werden, entgegen gewesen**). Er ist es, der
die „exakte", die eigentlich naturwissenscliatllichc Me-
thode nicht erfimden, aber sicher festgestellt hat. Da-
her gibt es keine Schule Müller's im Sinne der
Dogmen, denn er lehrte keine, sondern nur im
Sinne der Methode*^. Die naturwissenschaftliche Schule,
welche er hervorgerufen hat, kennt keine Gemeinsamkeit der
Lehre, sondern nur eine Gemeinsamkeit der ThatHaclien und
noch mehr der Methode. Müller ist nicht verantwoi^tlicli
dafür, dass auch diese Schule ihre Auswüchse f^ctriebcn
hat, am wenigsten dafür, dass ein Matcrialisnuis gepredigt
worden ist, der beinahe ebenso dogmatisch ist, als der Spi-
ritualismus und die Orthodoxie, gegen welche er ankämpft.
Für Müller, wie für uns Alle, ist das geistige Lel)en eine
Form des Lebens, aber er war viel zu streng geg(*n sich
selbst, viel zu maassvoll in der Benutzung s(;iner eigenen
Beobachtungen, als dass er es sich gestattet hätte, die Be-
rechtigung desjenigen Denkers auszuschliessen, welcher sich
nicht unmittelbar auf die Naturerfahrung stützt. Offen er
kannte er das Recht der Phantasie und der Philosophie an;
selbst dem positiven Religionsbekenntniss liess er freie Bahn.
Aber auch hier wusste er das Maass zu bewahren*'*). Er
fühlte, dass die Religion eine Angelegenheit des Individuums
36
legcu und uns darin finden. Wir sind schon auf diesem Felde
an viel Wunderbares gewöhnt, welches sich doch demsel-
ben Gesetze fUgen muss, und wir mussten noch auf starke
Stucke gefasst sein. Oder aber es findet kein Generations-
wechsel, vielmehr eine Metamorphose statt. Die Schnecke
metamorphosirt sich in einen parasitisch lebenden Wurm,
der wieder Schnecken hervorbringt, ein völlig unerwartetes,
aber doch nicht irrationales Verhältniss. Ist der Schlauch
ein Wurm, aber von der Holothurie erzeugt, dann ist es weit
wunderbarer und unbegreiflicher und geht über alle fasslichen
Verhältnisse von Generationswechsel hinaus. Ist der Schlauch
kein Thier, kein Wurm, sondern ein ausserordentliches Or-
gan der Holothurie, so ist es völlig unerklärlich; das Uner-
klärliche mttsste dann selbst ftlr anderes in der Natur er-
klärend oder ein fundamentales Factum werden. Der Ein-
tritt verschiedener Thierarten in die Schöpfung ist zwar ge-
wiss, nämlich ein Factum der Paläontologie, aber supema-
turalistisch, so lange dieser Eintritt sich nicht im Acte des
Geschehens und bis in die Elemente emer Beobachtung wahr-
nehmen lässt. Sobald dieses aber möglich wird, so hört das
Supernaturalistische auf und es tritt in die Ordnung einer
höheren Reihe der Erscheinungen, fllr welche sich auf dem
Wege der Beobachtung zuletzt auch Gesetze finden lassen
müssen. — Vergleichbar dem Schild des Gottfried, wel-
cher die Zaubereien der Ärmida löste, muss der Schild
des Generationswechsels und der Metamorphose jedem schein-
baren Zauber der Natur hartnäckig entgegengehalten werden,
so lange eine Spur von Hoffnung ist, ihn zu lösen. Was
die letzte und äusserste Alternative betrifft, so ist jedem
bekannt, was dagegen ist Wir kennen bis jetzt keine ein-
zige haltbare Beobachtung von primitiver Zeugung in der
actuellen Welt, weder ausser den organischen Körpern, noch
in ihnen und es wird von Vielen als gewiss angenommen,
dass alle Schöpfung oder alle Schöpfungen der actuellen
37
Welt vorangegangen sind. Diesem steht allerdings das Re-
sultat der gediegensten Untersuchungen Philipp i's über die
tertiäre und actuelle Molluskenfauna Unteritaliens entgegen,
dass der Uebergang aus der Tertiärperiode in die Gegen-
wart ganz allmäblich statt gefunden hat, ohne dass eine
grosse Revolution einen Abschnitt macht, dass vielmehr nach
und nach einzelne Arten ausgestorben, andere hinzugekom-
men, bis sich die jetzige Fauna gebildet hat. Dass es sich
im gegenwärtigen Falle um eine Conchylie handelt, das
erhöht sein unvergleichliches Interesse, welches mit den
wichtigsten Fragen der Zoologie, Physiologie und Geologie
zusanunenhängt. — Leider muss ich den Gegenstand mitten
in der Spannung einer beispiellosen Verwickelung ohne
Schluss lassen und es bei den Gegensätzen und Schwan-
kungen der allgemeinen Vorstellungen, die er abwechsehid
erregt, bewenden lassen."
Die Spannung blieb, das Problem blieb. Mttller ge-
rieth darüber in Verzweiflung. Er sagte, er mttöse die Lö-
sung finden, und als er sie nicht fand, als alle Mühe ver-
geblich war, als er sich beruhigen musste, da kehrte er
erschöpft, traurig, unzufrieden m sich zurück.
Es waren schwere Zeiten über ihn gekommen. Das
Jahr 1848 hatte ihn als Haupt dieser Universität getroffen;
in dieser Aula war unter seinem Rectorat das Hauptquartier
des bewaflBaeten Studentencorps; um dieses Haus der Wis-
senschaft tobte der Lärm der Parteien. Müller war kein
Politiker^). Er stützte sich auf das Urtheil Anderer und auf
seine Vorurtheile; er war der Bewegung feindlich. Wir ha-
ben damals in verschiedenen Lagern gestanden; unsere Ach-
tung vor einander ist, wie ich denke, desshalb nicht geringer
geworden. Müller war auch als Rector ein ganzer Mann,
aber er war nicht der Mann der Partei. Tief zerschlagen
legte er das Scepter des Rectorates nieder und der Aufent-
38
halt an der MeercBkiUtc ^ab ihm die Kraft nicht ganz
wieder. -.
Mehrere Jahre spiHier kam der grausige ächiffljrach an
der norwegischen Kttste, der so oft erzählt ist und dessen
Schrecken doch keiner so erschttttemd darstellen konnte^
als der kaum Gerettete selbst. Die lange und nahe Todes-
gefahr, der Verlust seines trefflichen Schülers, das Versin-
ken so vieler hiilfloser Gefährten beugte sein Gemttth tief.
Müller wurde ftirchtsam, denn er fürchtete sich fortan vor dem
Meere. Und doch zog es ihn immer wieder dahin zurück,
doch Imtte er keine IluhC; keine Ferien, keine Erholung.
Das Arbeiten wurde ihm schwerer; ermüdet von einer seiner
letzten Arbeiten sagte er einmal in seinem schwermüthigen
Tone: „An der Arbeit klebt Blut."
Seine Gesundheit fing an zu leiden, seine Stunmung
wurde wechselnd nnd launenhaft, seine Reizbarkeit stieg, er
klagte über Schmerzen im Kopf, schlaflose Nächte. Die
Ahnung des Todes kam über ihn. Er ordnete alle seine
Angelegenheiten, private und (öffentliche, er lies seinen Sohn
telegraphisch von Göln mfen, er setzte für den nächsten
Tag eine Consultation über seinen Zustand an, und — als
der Morgen (28. April) kam, da fand seine Gattin die Leiche.
Das dunkle Auge, das so finster aussah, wenn es
grübelte, das so hell aufschlagen konnte, wenn es lächeln
wollte, war gebrochen. Die starke Falte des Forschers war
gesunken. Die kräftige, breite Schulter lag auf immer starr.
An dem mächtigen Kopf, der wie eines Kriegers des Aller-
thums erschien, sah man, dass ein hehrer Arbeiter des
Geistes gefallen war.
Friede seiner Asche 1
—— ^" — ■ ■ ■ .^
Anmerkungen,
*) E. Brücke in der Wiener medicin. Wochenschrift 1858.
No. 24. — r Aug. Müller) Leipziger illustrirte Zeitung 1858. No. 784.
— (Schafnausen) Kölnische Zeitung. — (Weber u. Helmholtz)
Preussische Jahrbücher 1858. I. Hft. 5. — De Filippi Gazetta pie-
montese. 1858. No. 141. — R. Wagner Augsb. AUg. Zeitung.
*) GÖthe Campagne in Frankreich. Sämmtliche Werke 1840.
Bd. 25. S. 146. Thiers Revolution frauQaise Vol. I. chap. 6. Vol. U.
chap. 1 — 2. C'6tait k Tröves, ä Coblentz, qu'avaient 6t6 recueillis et
organisös les 6migr6s; c'ötait de 14 que devaient partir les phidanges
chargöes dliumilier, d'abrutir, de d^membrer la France. La France,
au lieu d'^tre vaincue, 6tait victorieuse; eile en profitait, non pour
rendre le mal qu'on avait voulu lui faire, mais pour s'indemniser de la
guerre qu'on lui avait £aite, en exigeant sa v6ritable limite naturelle,
la limite du Rhin. (Vol. IX. chap. 6.)
3) Müller selbst deutet diess an: ,,Die Deutschen dürfen sich es
stolz sagen, dass Kielmeyer es war, der die vergleichende Anato-
mie von dieser ihrer innerlichen Seite zuei*st erkannte. Er, der sie ins
Leben gerufen, hat ihr auch diese geistige Bestimmung mitgegeben.
Darauf hat Cuvier die Organe durch die Thierreiche in ihrer leib-
lichen Metamorphose verfolgt.'* (Zur vergl. Physiologie des Gesichts-
sinnes. Leipzig 1826. S. 29.)
*) In dem seiner Inaugxiral -Abhandlung angehängten Curri-
culum vitae sagt Johannes Müller: Inde a tenera aetate paren-
tum optimorum cura et caritate nil impedimento erat, quominus
Omnibus, quae puerili animo conveniunt, imbuerer doctrinae alimentis.
*) J. Müller über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Cobl.
1826. S. 45.
«) Ebendaselbst S. 20.
"0 K. Hagen Geschichte der neuesten Zeit vom Sturze Napoleons
bis auf unsere Tage. Braunschw. 1848. Bd. 1. S. 146 — 237. 446.
*) Joannis Müller De respiratione foetus commentatio phy-
siologica, in academia borussica rhenana praemio omata. Ldps. 1823.
c. tab. — Dissertatio inauguralis physiologica sistens commentarios de
phoronomia animalium, quam scripsit et defendet Joannes Müller IX
(XIV) Decembris 1822. Bonnae.
40
») Gedäclitnissrede auf Carl Asm und Rudolph i, in der öffent-
lichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 6. Aug.
1835 gehalten von J oh. Müller. Berlin 1837. S. 12.
*o) Späteren Nachrichten zu Folge hatte Nees van Esenbeck
unter den Studirenden einen naturhistorischen Verein gegründet, dessen
Secretair Müller geworden zu sein scheint und indem nach dem Zeugnisse
eines Theilnehmers der regste Eifer herrschte. Nees hatte noch von
seiner fränkischen Heimath her die für die damalige Zeit so frucht-
bare Richtung der Würzburger Schule bewahrt, welche mit einem ge-
wissen Eklekticismus die naturphilosophischen Neigungen der Epoche
mit acht wissenschaftlicher Empirie verband. Wie dauerhaft diese An-
regungen waren, sieht man aus der Erzählung, welche von Baer in
der Einleitung zu einer seiner grossen embryologischen Arbeiten giebt.
*0 Georg Forster, der Naturforscher des Volkes, von Jac.
Moleschott. Frankf. a. M. 1857. S. 70.
**) Proinde flexio - extensio poli finisque vita,e motoriae, alter tan-
quam calycis coticlusi, alter floris explicati languentis. Ad utrumque
nox, vitae puerpera. Sed medium tenens vita multiformis ascendens
descendensque viget. Ab altero'ad alterum termino trames continuo
polorum mutuo motu, perpetua flexionum et extensionum commutatione
undulat, atque armari columna nostra animalis neque iterum iterum-
que cessat exarmari. Haec respiratio monstrat, in elementa inspirationis
et exspirationis divisa, haec motus animalium progressivus magis quam
aliud quodcunque testatur. De phoronomia Prolegomena.
*^ Gedächtnissrede auf Rudolph i S. 17.
»^) Ebendaselbst S. 9.
»*) Ebendaselbst S. 14.
^^) Joh. Müller über die Entwicklung der Eier im Eierstock
bei den Gespenstheuschrecken und eine neuentdeckte Verbindung
des Rückengefasses mit den Eierstöcken bei den Insekten. Mit 6
Kupfert. Nov. Act. Acad. C. L. C. Nat. Cur. Vol. XII. P. 2.
*') Müller ist durchsein ganzes Leben dem Aristoteles treu ge-
blieben. Alle seine Schüler wusste er durch seine Vorlesungen
für den alten Naturforscher zu begeistern; die neue Uebersetzung der
vier Bücher des Aristoteles über die Theile der Thiere, Leipz. 1853
durch A. v. Frantzius ist so angeregt worden.
") Müller Zur vergl. Physiologie des Gesichtssinnes S. 18.
»») Ebendaselbst S. 34.
so) Müller selbst erklärte seinen Verzicht auf die ärztliche Praxis
aus dem unglücklichen Erlebniss, dass einer seiner ersten Kranken,
ein junger Freund, ihm durch Peritonitis nach Darmperforation gestor-
ben war.
2^ Phantastische Gesichtserscheinungen. Vorwort S. HI.
«2) Im Jahre 1828 hatte Müller Gelegenheit, sich mit Göthe
selbst über den Gegenstand zu unterhalten. Letzterer hatte die Fähig-
keit, die subiectiven Bilder bei geschlossenem Auge nach einem will-
kürlich gewarnten Thema hervorzurufen, was Müller nicht vermochte.
Er macht dazu die etwas sonderbar stylisirte Bemerkung; „Ein Un-
terschied zweier Naturen, wovon die eine die grösste Fülle der dich-
terischen Gestaltungskraft besass, die andere aber auf die Untersuchung
des Wirklichen und des in der Natur Geschehenden gerichtet ist."
(Handb. der Physiol. 4. Aufl. Bd. H. S. 567.)
^^) Zur vergl. Physiologie des Gesichtssinnes. S. 20.
41
'*) Gedächtnissrede auf Kudolphi. S. 18.
'*) Handbuch der Physiologie des Menschen. 4. Aufl. Cobl. 1844.
Bd. I. S. 561.
««) Ebendaselbst I. S. 609.
*') E. F. Burdach's Physiologie als Erfahrungs • Wissenschaft.
1832. Bd. IV.
«8) Poggendorfs Annalen Bd. 38. S. 295.
*•) Ueber die Compensation der Kräfte am menschlichen Stimm-
organ. Berlin 1839. Handb. der Physiol. n. S. 149 folgd. Ueber
die bisher unbekannten typischen Verschiedenheiten der Stimmorgane
der Passerinen. Abh. der Berl. Academie 1845 u. 46. (Berlin 1847.)
3o) Poggendorfs Annal. 1832. Aug. — Philos. Transact 1833. p. 1.
Abhandl. der Berl. Academie v. 1839.
'*) Jo. Müller de glandularum secementium structura penitiori
earumquc prima formatione in homine atque animalibus. Lips. 1830.
c. 17. tab.
'*) Joh. Müller Bildungsgeschichte der Genitalien aus anato-
mischen Untersuchungen an Embryonen des Menschen und der Thiere,
nebst einem Anhange über die chirurgische Behandlung der Hypo-
spadie. Düsseid. 1830. Mit 4 Taf.
3*) J. Müller über die organischen Nerven der erectilen männ-
lichen Geschlechtsorgane des Menschen und der Säugethiere. Berlin
1836. 3 Taf.
=**) J. Müller über zwei verschiedene Typen in dem Bau der
erectilen männlichen Geschlechtsorgane bei den straussenartigen Vögeln
und über die Entwicklungsformen dieser Organe unter den Wirbel-
thieren überhaupt. Berlin 1838. 3 Taf.
3») Mülle r's Arcliiv 1835.
3ß) Louis Blanc, Geschichte der zehn Jahre 1830—1840. Uebers.
von Buhl. Berlin 1844. Bd. IlL S. 160.
3') Gedächtnissrede S. 18.
3*) Müller selbst hat sich über sein Streben sehr deutlich in der
Vorrede zu der „Bildungsgeschichte der Genitalien" ausgesprochen.
Er sagt (S. VIII.): „Ich bin zwar immer ein Freund von einer mit
Methode angestellten, gedankenvollen, durchdachten, oder, was dasselbe
ist, philosophischen Behandlung eines Gegenstandes. Denn philosophi-
sche Einsicht ist mir überhaupt mit vernünftiger Einsicht gleichbedeu-
tend. Ich meine aber damit nicht eine Art, welche ohne hinlängliche
erfahrungsmässige Begründung zu einem Resultat kommen kann, oder
die sogenannte naturphilosophische Manier, die ich bereits früher zu
characterisiren gesucht habe, indem ich sie falsche Naturphilosophie
nannte, die so verführerisch fiir das verflossene Zeitalter geworden ist,
und die uns in die Zeiten der Jonischen Philosophie zurückversetzte." —
„Was ich philosophische Methode nenne, hat nichts mit jener Dog-
matik gemein. Ich fordere zuerst, dass man unermüdet sei im
Beobachten und Erfahren, und diess ist die erste Anforderung,
die ich an mich selbst mache und unausgesetzt zu erfüllen strebe." —
„Dann fordere ich, dass man die Erfahrungen, wenn sie die hinläng-
liche Breite und grösste Genauigkeit erlangt haben, nicht bloss zu-
sammenstoppele, sondern dass man, wie die liebe Natur bei der Ent-
wickelung und Erhaltung der organischen Wesen verfahrt, aus dem
Ganzen in die Theile strebe, vorausgesetzt, dass man auf analytischem
Wege das Einzelne erkannt und zum Begriff des Ganzen gelangt ist."
42
Er vei-weist dann auf Casp. Friedr. Wolff, Götlie, Sniadetzki
undTreviranus; er fordert das „gute" Experiment, das sich auch be-
stätigt, will das Wesentliche vom Zufölligen geschieden, und drängt
wiederum auf die „wahre Beobachtung." Endlich sagt er (S. XIII):
„Es sollte kaum bemerkt werden dürfen, dass es Pflicht des Gelehrten
ist, sich alles des zu bemächtigen , was unter allen Naticmen für seine
Wissenschaft geschieht. Diess ist jetzt möglich und ist bei dem Fort-
schreiten der Wissenschaften unerlässig. Eine deutsche, franzö-
sische, englische Schule für eine medicinische Wissen-
schaft ist Barbarei. Doch kann in Deutschland von diesem Uebel
kaum die Rede sein, und bei uns scheint die Idee einer isolirten
englischen oder französischen Naturgeschichte, Physiologie, Medicin
ebenso barbarisch, wie die Idee einer preussischen , bairischen, öster-
reichischen Physiologie und Medicin."
In dem Jahresberichte für 1833 (Archiv 1834. S. 2.) heisst es:
„Diese Richtung, welche Einige die philosophische Methode genannt
haben, war nach so grossen Entdeckungen in der Entwickelungsge-
schichte unausbleiblich. Denn, da uns diese die naturgemässe Forma-
tion der Organe aus einer mit productiven Kräften versehenen Materie
oder die beständige Entwickelung des Besonderen aus einem Ganzen
zeigt, welches die besonderen Theile nicht präformirt, sondern nur
die Kraft zu der Erzeugung enthält, so ist gleichsam die Theorie der
Anatomie gefunden, welche in unfruchtbaren Speculationen nicht erst
gefunden zu werden braucht. Verdienstvolle Männer, welche dem
philosophirenden Geiste die Fähigkeit absprechen, in die Geheimnisse
der Katur einzudringen, müssen zuletzt im Stillen gewahren, dass die
Natur selbst in der Entwicklungsgeschichte den Plan ihrer gedanken-
reichen Operationen an den Tag legt, und dass die Fortschritte der
Beobachtung in diesen Fällen selbst zum Theil eine Arbeit des den-
kenden Geistes sind."
3®) Schon Joh. Fr. Meckel (System der vergleichenden Anatomie.
Halle 1821. Bd. I. S. 8. 14. 350) hat die Gesetze der Mannigfaltig,
keit und der Reduction sehr weitläuftig und scharfsinnig entwickelt. Indess
stand er noch dem Wesen nach in dem naturphilosophischen Gedanken,
dass die Möglichkeit, die mannigfaltigen Formen auf gewisse Grund-
typen zurückzufuhren, daraus folge, dass jedes höhere Thier die Ent-
wicklungsformen des niederen zu durchlaufen habe, ein gewiss kühner,
kosmogonischer Gedanke, den aber Müller schon in der These seiner
Inaugural- Dissertation: Non datur scala animalium bekämpfte, und
den er noch in der Bemerkung über Rudolphi zurückwies: „Die
Idee, dass der Mensch bei der Entwicklung die übrigen Thierstufen
durchlaufe, war ihm zuwider, und darin hatte er Recht." (Gedächt-
nissrede S. 15). Erst die Erfahrungen des Generationswechsels riefen
bei Müller analoge Gedanken hervor, vgl. S. 36.
^0) Müller selbst sagt in dem Jahresberichte für 1833 (Archiv
1834. S. 1): „Grosse Entdeckungen im Gebiete der Physiologie sind
in der Geschichte dieser Wissenschaft bisher ausserordentlich selten
gewesen, und wenn man diejenigen hierher rechnet, welche eine gänz-
liche Reform der physiologischen und pathologischen Ansichten her-
vorgebracht haben, so hat die Geschichte der Physiologie wohl nur
zwei vom ersten Range aufzuweisen, ich meine die Entdeckung des
Kreislaufes und die Entdeckung der verschiedenen Functionen der
vorderen und hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven, welche eine
43
Zierde der neuereu Zeit geworden ist. Au diese schlicsst sich die
wichtigste Entdeckung im Gebiete der tliierischcu Chemie au, nämlich
die Beobachtung von Wo hl er über die künstliche Zusammeusetzung
deB Harnstoffes, eine Erfahrung, welche von unendlicher Wichtigkeit
für die Physiologie zu werden verspricht."
^*) „Die Erscheinung höherer oder uiederer Art kann sich hier
(bei der subjectiven Vision) nicht durch äusseres unmittelbares Ein-
wiri^en, sondern durch die innere Offenbarung unserer Orgaue kund-
geben. Und so offenbart sich das Göttliche Andern auf andere Weise,
in der ganzen Schöpfung gnadenreich; es offenbart sich dem mit reicher,
erhabener Phantasie Begabten durch die Phantasie, demFrommen durch
das Gremüth, dem Weisen durch die Weisheit, dem Starken durch die
Grösse seiner Werke, wie denn auch das Göttliche in allen diesen
Weisen anders verehrt wird." (Phantastische Gesichtsei-scheinuuffen
S. 63). — „Die Phantasie ist das Organ des Geistes, durch welches
die meisten Irrthümer in den Naturwissenschaften entstanden sind;
denn sie verdirbt nicht bloss die Resultate, sondern auch die Beobach-
tung im Keim. Gleichwohl ist sie ein unentbehrliches Gut; denn sie
iat es auch, durch welche neue Combinationen zur Veranlassung wich-
tiger Entdeckungen gemacht werden. Die Kraft der Unterscheidung
des isolirenden Verstandes sowohl, als der erweiternden und zum
Allgemeinen strebenden Phantasie sind dem Naturforscher in einem
harmonischen Wechselwirken nothwendig. Durch Störung dieses
Gleichgewichtes wird der Naturforscher von der Phantasie zu Träume-
reien hingerissen, während diese Gabe den talentvollen Naturforscher
von hinreichender Verstandesstärke zu den wichtigsten Entdockungcu
führt" (Archiv 1834. S. 3).
**) Um die Art, wie er wirkte, zu zeigen, möge ein Beispiel ge-
nügen. Im Jahre 1846, als ich Prosector am Charit<^-Krankenhauso
war, traf ich wiederholt jene pathologische Form der Milz, die ich
später als Sagomilz bezeichnet habe. Lange hatte ich mich mit der
Aufklärung dieser Störung beschäftigt und ich hatte nicht mehr heraus-
gebracht, als dass an der Stelle der Milzbläscheu grosse, aus homogenen
Schollen bestehende Körner lagen. Andere bezweifelten, dass es sich
dabei um die Follikel handle. Ich wanderte also mit einer solchen
Milz zu Müller, um bei ihm, der die Milzstructur speciell untersucht
hatte, sowohl Aufklärung über den folliculären Ursprung der Körner,
als Andeutungen über die Natur der Veränderung zu suchen. Müller
kannte die Veränderung nicht, er war selbst zweifelhaft, ob sie von
den Follikeln ausginge; er sagte: „das ist sehr sonderbar, das müssen
bie untersuchen 1" Als ich ihm auseinandersetzte, dass ich das schon
gethan hätte, dass ich aber mit dem Resultate nicht zufrieden sei,
sagte er: „dann müssen Sie weiter untersuchen; das wird gewiss
sehr interessant sein!** Erst 7 Jahre später gelang es mir, die Jod-
reaction der Substanz zu finden, und sie den nachher so vielfach ge-
fundenen Amyloidsubstanzen anzureihen. (Acad. des sc. Decbr. 1853.)
*3) In dem sechsten Buche der Physiologie, das vom Seelenleben
handelt, spricht er zuerst von der Seele der Thiere. „Alles, wa*
empfindet und sich freiwillig nach dem Begehrten bewegt, ist auch
beseelt, wie bereits Aristoteles in der Schrift von der Seele lehrt''
(Bd. II. S. 506). Sodann zeigt er, wie nahe die Seele mit dem
Lebensprincip zusammenfallt und hebt heiTor, dass sie im ganzen
Organismus verbreitet sein müsse, aber das Bewusstsein nur im Gehirn
.^k*rii^«>^^afla»^kBi.«^- ^itMi
44
wirke. Er schliesst, dass die Seele mit dem Körper theilbar sei und
dass sie, wie das Lebensprincip, in aller Materie latend vorhanden
sein müsse (S. 609). „Weiter," sagt er dann, „lässt sich die Unter-
suchung über das Verhältniss des Lebensprincips und der Seele zur
Organisation und zur Materie auf erfahrungsmässigem Wege nicht
ftihren. Von hier an entfernt sich die Untersuchung von dem Gebiete
der empirischen Physiologie und geht in das der hypothetischen Spe-
culation und Philosophie über. 3fn der ganzen bisherigen Entwicke-
lung der physiologischen Doctrin haben wir eine Betrachtung der
letzteren Art vermieden, und die Aufgabe war vielmehr, auch das
Wahrscheinliche nur hinzustellen, wie es sich aus einer philosophi-
schen Zergliederung der Empirie ergiebt. Da es mir durchaus un-
schicklich erscheint, diese Methode mit einer andern in unserer Wissen-
schaft zu verwechseln und aus der einen in die andere nach Bedürf-
niss und Vorliebe überzugehen, oder zu interpoliren, so muss ich mich
darauf beschränken, eine speculative Entwickelung jener beiden Alter-
nativen (der idealistischen und pantheistischen Weltanschauung) ohne
Begünstigungen der einen oder der andern einfach in dem Folgenden
hinzustellen. Ich bin einer besonderen Form der Philosophie nicht
ausschliesslich gefolgt, sondern habe jedes der beiden Systeme so
dargestellt, wie es ohne Verwickelung mit den physiologischen That-
sachen und im möglichsten Einklang mit denselben am reinsten ge-
schehen kann.** Vgl. S. 513.
**) Ich kann nicht anders sagen, als dass Müller im Vortrage
und in der getragenen Manier an den katholischen Priester erinnerte.
Alte Eindrücke der frühen Kindheit mögen auch hier bestimmend
gewesen sein. Wenn er als Decan in der Amtstracht auf die Cathedra
superior stieg und mit feierlichen, kurz abgebrochenen und wie in
sich zusammengezogenen Worten die lateinische Formel der Doctor-
Proclamation aussprach, ja selbst wenn er seine gewöhnliche Voriesung
mit fast murmelnden Worten begann, oder wenn er mit religiösem
Ernst die Kernfragen der Physiologie abhandelte, so schien Alles,
Ton und Miene, Bewegung und Blick, die Traditionen des römisch-
katholischen Clerus zu verrathen. Nicht umsonst hatte er früh ein-
gehende Studien über den menschlichen Blick gemacht. Und doch
gab es Augenblicke, wo er ihrer vergessen konnte. „Es ist auffallend,**
sagt er (Zur vergl.Physiol. desGresichtssinnesS.269), „wie in den Affecten
des Neides, der Verachtung, des Abscheues die Bewegungen der
Augen geradlinig sind, wie es denn auch den strafenden und entwürdigen-
den Blick auszeichnet, dass der Gegenstand der Aufoierksamkeit in linea-
rer Richtung gemessen wird, wodurch das Auge, dem betrachtenden Blicke
geradezu entgegen, den wohlgefälligen Gesammteindruck der indivi-
duellen Erscheinung verläugnet. Die Menschen wollen nicht fixirt,
auch nicht gemessen, sondern betrachtet sein." Und doch fixirte er
zuweilen einen unglückUchen Hospitanten mit diesem linearen Blick,
bis derselbe scheu seinen Platz und das CoDeg verliess. Welcher
Gregensatz, wenn das sonst so finstere oder doch kalte Gesicht mit
dem Ausdrucke herzlichen Wohlwollens sich klärte, wenn das Auge mehr
als das Gesicht lächelte und es wie warmer Sonnenblick durch das
Gewölk hervorbrach I In solchen Augenblicken war Müller hinreissend,
denn gerade dann wurde man sich der geistigen Grösse des Mannes am
meisten bewusst. Zeigte doch schon seine natürliche Ausstattung den
Gregensatz zwischen dem grossen, wunderbaren Kopf und einem Körper-
45
ban, an dem nur die breiten Schultern charakteristisch hervortraten. Anch
beuussen die Bewegungen des Kampfes und der Glieder nicht jene
Leichtigkeit und Gefälligkeit, welche natürliche Anlage oder frühe
Gewöhnung erzeugen; sie waren mehr elastisch und bewusst, wie es
die Gymnastik und die anatomische Uebung der Glieder bedingt.
Denn man weiss es ja, dass Müller es gelernt hatte, fast jeden ein-
zelnen Muskel seiner Willkür zugänglich zu machen, dass er die Iris,
die Ohren, selbst die Gehörknöchelchen willkürlich bewegte. Welche
Fortschritte musste er gemacht haben, seit dem Jahre, wo er seine
Militairpflicht erfüllte. ,,Als wir einmal," sagt ein Augenzeuge, „in
der Gompagnic Parade hatten, und Gewehr ab zur Ruhe commandirt
wurde, bohrte er mit seinen Fingern abwechselnd oben in den Gewehr-
lanf und blieb mit dem mittleren Finger darin stecken. Gleich darauf
wnrde Stillgestanden commandirt und Müller konnte nicht folgen;
Hauptmann und Major kamen herbeigesprengt, er musste vor die
Fronte treten und Alles lachte über seine Gestalt und den misslungenen
Versuch. Er wurde nach Hause geschickt, und nur mit Mühe gelang
es dem herbeigerufenen Chirurgen, den indessen dick gewordenen
Finger zu befreien."
'5) J. Müller Vergleichende Anatomie der Myxlnoiden, der Oy-
dostomen mit durchbohrtem Gaumen. I. Osteologie und Myologie.
(Abh. der Akad. von 1834.) Berlin, 1835. — II. Ueber den eigen-
thümlichen Bau des Gehörorgans bei den Cyclostomen, mit Bemer-
kungen über die ungleiche Ausbildung der Sinnesorgane bei den
Myxinoiden. (Abh. von 1836.) Beriin, 1838. — lU. Vergleichende Neu-
rologie der Myxinoiden. (Abh. von 1838.) Berlin, 1840. — IV. Gefäss-
system. (Abh. von 1839 und 1841.) Berlin, 1841.
*6) J. Müller Ueber den Bau und die Lebenserscheinungen von
Branchiostoma lubricum Costa, Amphioxus lanceolatus Yarrel. (Abh.
von 1841.) Berlin, 1844.
*'^) J. Müller Ueber den glatten Hai des Aristoteles und über
die Verschiedenheiten unter den Haifischen und Rochen in der Ent-
wickelung des Eies. (Abh. von 1839 und 40.) Beriin, 1842.
^8) Virchow Ueber die Dotterplättchen bei Fischen und Amphi-
bien. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1852. Bd. IV. S. 236.
<ö) J. Müller und J. Henle Systematische Beschreibung der
Plagiostomen. Berlin, 1838—41.
5o) J.Müller Ueber den Bau und die Grenzen der Ganoidcn und
über das natürliche System der Fische. (Akad. Abh. 1844.) Ber-
lin, 1846.
^') MüUer's Archiv 1836. S. CLXXVI.
52) Joh. Müller Rede zur Feier des 42. Stiftungsfestes des K.
medic.-chir. Friedrich Wilhelms-Institutes. Berlin, 1836.
*') Joh. Müller Ueber den feineren Bau und die Formen der
krankhaften Geschwülste. Erste Lieferung. Berlin, 1838.
**) De glandulanim sec. structura, praefatio p. 3.
»») Ibidem p. 23.
5ö) Ueber den f. Bau der krankh. Geschwülste. S. 2.
*■') F. Mie scher De inflammatione ossium eorumque anatome ge-
nerali. Accedunt observationes de canaliculis corpusculorum ossium
atque de modo, quo terrea materia in ossibus continetur, auct.
Joanne Müller. Berlin, 1836.
46
'***) Vielleicht dürfte es hier noch zu erwähnen sein, dass Müller
die Section seines Köi-pers ausdrücklich untersagt hat. Vorüberge-
hend interessirte er sich, durch Schönlein*s Entdeckung von der
Pilznatur des Favus angeregt, filr die Parasiten. Er fand zuerst die
durch Lieberktthn's Entdeckungen so merkwürdig gewordenen
Psorospemiien (MüUer's Archiv 1841); bald nachcr beschrieb er mit
Retzius die Pilze der Respirationswege bei Vögeln (Ebendas. 1842),
deren Vorkommen beim Menschen ich gezeigt habe (mein Archiv IX.
S. 557.) Noch in einem andern Punkte trafen unsere Studien zusam-
men. Schon früh hatte er die Schädel von Microcephalen genauer
untersucht (Medic. Zeitung des Vereins f. Heilkunde in Preussen. 1836.
Jan.); der Besuch der sogenannten Azteken führte ihn wieder auf
diesen Gegenstand zurück. Indess war dies seit seiner Arbeit über
das Osteoid (Müllers Archiv 1843) die einzige pathologische Aufgabe,
die ihn beschäftigte.
^») Joh. Müller Ucber den Pentacrinus caput Medusae. (Akad.
Abh. 1840 und 41.) Berlin, 1843.
6o) Job. Müller und F. H. Troschel System der Ästenden.
Braunschweig, 1842.
**) J. Müller et L. Agassiz Notice sur les vertebres de squa-
les vivans et fossiles. Neucliatel, 1834. — Müller üeber die Fuss-
knochen des fossilen Gürtelthieres, Glyptodon clavipes Owen. Akad.
Abh. 1847. Fossile Fische, gesammelt auf Middendorfs sibirischer
Reise, Leipzig, 1848. Ueber die fossilen Reste der Zeuglodonten von
Nord- America mit Rücksicht auf die europäischen Reste dieser Familie.
Berlin, 1849. üeber neue Echinodermen des Eifeler Kalkes. Akad.
Abh. 1856. Ueber einige Echinodermen der Rheinischen Grauwacko
und des Eifeler Kalkes. Akad. Monatsberichte 1858. März.
^^ Diese Arbeiten nahmen hauptsächlich die letzten drei Jahre
seines Lebens ein. Die letzte grössere Abhandlung ist die über die
Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres
(Akad. Abh. 1856 und 58) Berlin, 1858. Noch am Tage vor seinem
Tode, Mittags, holte er sich aus dem zoologischen Museum vom Prof.
Peters Polythalamien.
^3) Job. Müller. Ueber die Larven und die Metamorphose der
Ophiuren und Seeigel (Akad. Abh. 1846) Berlin, 1848. Zweite Ab-
theilung (Akad. Abh. 1848) Berlin, 1849. Ueber den allgemeinen
Plan in der Entwickelung der Echinodermen (Akad. Abh. 1852) Ber-
lin, 1853. Ueber den Bau der Echinodermen (Akad. Abh. 1853)
Berlin, 1854.
<'^) Joh. Müller üeber die Erzeugung von Schnecken in Ho-
lothurien. Archiv f. Anat., Phys. und wiss. Medicin. 1852. S, 1.
^•5) Ebendaselbst S. 27.
ö*^) Es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass die grossen politischen
Umwälzungen, welche die frühesten Erinnerungen Müll er' s erfüllten,
bei ihm den Gedanken einer gewissen Unsicherheit des staatlichen
und politischen Lebens erhielten. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft
seiner Aeusserungen, als ich ihm am 19. Februar 1848, am Abende vor
meiner Abreise nach Oberschlesien, einen Abschiedsbesuch machte.
Er war erstaunt darüber, dass ich mich den Gefahren des Hunger-Typhus
aussetzen wolle, worauf ich ihm erwiderte, dass bei der drohenden Nähe
einer Revolution in Frankreich man zu Hause auch nicht wisse, wie es
zugehen werde. Er wurde von diesem Gredanken sehr ergriffen, und
47
meinte, das wäre schrecklieb, denn der Social! smus gehe auf nichts^
Anderes, als auf die allgemeine Beraubung aller Besitzenden aus.
Mit der Regierung war er übrigens keinesweges einverstanden, und
als endlich auch in Berlin die Revolution ausbrach, da gab er den
Staat ganz verloren. Die Studentenbewegung hatte sich filih der
officiellen Einwirkung entzogen. Schon am 11. März hatte die erste
Studentenversammlung im grossen Auditorium Nr. 6 statt (Berliner
Revolutionschronik. Berlin, 1849. Bd. I. S. 42); am 16. war Ver-
sammlung in der Aula, wo zuerst der Ruf nach Bewaffnung laut wurde
(Ebendas. S. 88). Die Aula wurde von da an ein politischer Ort,
Am 18. schickten die Studenten von da eine Deputation an den Kö-
nig, zu dem auch Rector und Senat geeilt waren (Ebendas. S. 154);
die Antwort, welche sie zurückbrachten, wurde in der Aula mit Un-
ruhe entgegengenommen, und als der Kampf begann, sollte der Senat
Waflfen liefern. In der grossen Unordnung, welche nun folgte, blieb
doch immer die Aula der Mittelpunkt der Studentenbewegung. Am
20. erschien Graf Schwerin, der neue Cultusminister, daselbst und
hielt eine Rede an die versammelte Studentenschaft (Ebendas. S.290);
gleich nachher constituirte sich die letztere zu dem bewaffneten
Studentencorps (Ebendas. S. 334). Müller, als Rector, übernahm das
Commando; es wurde exercirt und ein Posten im Schlosse und am
Palais des Prinzen von Preussen bezogen. Am 22. März folgte der
Bector in feierlichem Zuge an der Spitze der Universität den Särgen
der Gefallenen zum Friedrichshain; das bewaffnete Studentencorps
führte damals schon der neue Commandant, Professor Hecker.
Allein auch er behielt dasselbe nicht lange ; die Zwietracht erhob sich
schnell und die Versammlungen in der Aula nahmen ein immer un-
ruhigeres Aussehen an (Ebendas. Bd. II. S. 131). Es kamen die Dis-
kussionen über die Einberufung des vereinigten Landtages. Am 27.
März berief der Rector den gesammten Lehrkörper zu einer Abstim-
mung darüber; eine Minorität von 7 gegen 98, zu welcher ich auch
zählte, stimmte filr das Rocht des Landes auf eine constituirende Ver
Sammlung (Ebendas. Bd. I. S. 404). Die Studentenschaft liess sich
nicht mehr zusammenhalten. Am Gründonnerstage, 20. April, fand
die erste Parade des bewaffneten Corps und ein grosser Commers im
Kastanienwäldchen statt (Ebendas. Bd. .1. S. 233); es war das letzte
allgemeine Zusammensein, noch in der Zeit, als der Enthusiasmus fftr Schles-
wig-Holstein, dessen gutes Recht auch Müller laut anerkannte, Man-
ches zusammenhielt. Die Vei-wirrung stieg in der nächsten Zeit immer
mehr (Ebendas. IL S. 500. 545). Der Rector kam in die grösste
Aufregung. Er zitterte für die Sicherheit der Universität, für deren
Schätze er persönlich einstehen zu müssen glaubte; Tag und Nacht
zog es ihn dahin, als ob er selbst wachen müsste. Er riss aufregende
Plakate ab, er trat mit persönlicher Gefahr den Heftigsten unter den
Studenten entgegen. Am Tage der grossen Bürgerwehr -Parade, am
23. Mai, welche als eine Volksdemonstration gelten sollte, nahm
er mit eigener Hand die schwarze Fahne weg, welche auf dem Bal-
kon des Universitätsgebäudes ausgesteckt war (Ebendas. Bd. HI.
S. 26). Aber die Aula entwuchs mehr und mehr der Autorität der
akademischen Behörden. Schon am 2. Juni hielt die Studentenschaft
dort eine Versammlung aller Clubb's, in welcher der Zug nach dem
Friedrichshain beschlossen wurde (Ebendas. IH. S. 120. 124). Auch
im Lehrkörper selbst wuchs die Verstimmung. Schon im April
4»
hatte der Gultasminiater Vorscblägc zor Kefuroi der Univcrsitütcn ein-
gefordert und die OTdODtlicbcn Professoren zur Bcratliung zusammen-
gerufen (Ebendas. Bd. I. S. 172); die ausserordentlichen Professoren
imd Privatdocenten machten vergebliche Anstiengungen, gehurt zu
werden und ein von ihnen eingesetztes Comitö (Ebendaa. Bd. Ü.
S. 840), zu dem ich späterhin auch gehörte, gcrielh darüber mit Eec-
tor und Senat in einen sehr unungenehmen , selbst in öfTentlichen
Buttern gefUhrten Schriftwechsel. So vereinigte sich Alles, um
am meisten ausgesetzte Stellung dea Rectors zu einer qualvollen Last
zu machen, und es war eine wirkliche Erlösung, als er am Schlüsse
des Universitätsjahres sein Amt, das er in einer Art von Vorahnung
und mit grossem Widerstreben auf sich genommen hatte, in andere
H&nde zurückgeben konnte. Es war das unglücklichste Kectorat seit
der Stiftung der Universität; der Mann, der vielleicht am wenigste:
politische Neigungen besass, war berufen, in einer Zeit, wo Alles ii
dem Strom der Politik trieb, diejenige Körperschaft zu leiten, welche
vermOge ihrer natürlichen Ungebundenheit am wenigsten zu einer ein-
heitlichen Leitung geschickt war. Verlorene Mühe! Nur die Ehre des
persönlichen Muthea konnte der Rector retten.
II^H
Tq avoid fiiic,
or bcfore
liiy hoiik -li.iiiM I.C rL.-iiiiTK''J 11.1 1
MAR 5 27
SEM-WB^