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Full text of "Johann Winkelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums"

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Johann Winkelmannd 


eſchichte der Kun 


des Alterthums. 


2 


— 
— dem Tode des Verfaſſers herausgegeben, 


und 


dem Fürften Wenzel von Kaunig- Rietberg 


gewidmet 


von der Faiferlichen Eöniglichen Afademie 
der bildenden Kuͤnſte. 














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BI ZEN, im afademifchen Berlage, 1776. 







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N Faiferliche Eönigliche Akademie der bildenden Kuͤnſte 
widmet dem Namen ihres Durchlauchtigen Proteftord 
dieſes hinterfaffene Merk eines Mannes, der durch Defel- 
ben hohe Vermittelung ihr einft angehören folte. 

Sie begleitet diefed Denkmal ihrer Ehrfurcht und Er 
gebenheit mit Feinen Beweggründen ; Griechenland fagte fich 


die felben ſelbſt, da es las: die Künfte dem Perikles. 
EI 


Quis Deus hane, Muſæ, quis nobis extudit artem ? 
Unde noua ingreffus hominum experientia cepit ? 


Virgilius. 


EN ZTOSEPH der Andere von 
GOTTES Gnaden erwählter Roͤmiſcher Kaifer, 
zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien und zu 

Serufalem König, Mitregent und Erbthronfolger der Koͤnigreiche Hun— 
garn, Böheim, Dalmatien, Croatien, und Slavonien, Erzherzog zu 
Oeſterreich, Herzog zu Burgund und Lothringen , Großherzog zu Tos⸗ 
kana, Großfuͤrſt zu Siebenbürgen, Herzog zu Mayland und Bar, gez 
fürfteter Graf zu Habfpurg, Flandern und Tyrol sc. ꝛtc. 


Bekennen öffentlich mit diefem Brief, und thun fund allermanniglich, was— 
mailen Ung die allhiefige Kaiſerl, Koͤnigl. Akademie der vereinigten bildenden Kuͤn— 
fie in Unterthänigfeit zu vernehmen gegeben habe, wie diefelbe Johann Wintel- 
manng Gefrhichte der Kunft»des Alterthums, welches Buch zwar fon im Jahr 
1764. zu Dreßden gedruckt, nachgehendg aber von dem Verfaffer felbft ganz umge- 
arbeitet, und zum Druck vorbereitet, nad) deffen Tod hinterlaffen worden , auf ihre 
einene Koften gedruckt herauszugeben, und das Werk felbft in 4to zu verlegen wils 
lens fen, dabey aber den Schaden des Nachdrucks beforge , und Uns dannenhero 
unterthänigft bitte, daß Wir gedachter Eaiferl. Eönigl. Akademie der vereinigten bils 
denden Künfte allhier zu folhem Ende , damit von Niemand, wer der auch fen, ob» 
benanntes Winfelmannifches Werk von der Gefchichte der Kunft des Alterthums, ins 
nerhalb den nächften zehen Jahren, von dato diefes Briefsan zu rechnen , weder 
in diefem noch andern Format, weder mit Zufaß noch Verringerung, wie es immer 
Namen haben mag, nachgedrufet werde, Unfer faiferlihes Privilegium im- 
preflorsum zu ertheilen gnädigft geruheten: Wenn Wir nun gnädiglid) angefehen 
diefe ganz billige Bitte, anbey auch den auf die Gelehrſamkeit in diefer Aet fih übers 
haupt verbreitenden groffen Bortheil, und die auf diefes Werk verwendete gnfehnliche Koften 
mildeft erwogen haben, als haben Wir gedachter hiefiger Akademie die Gnade ges 
than und Freyheit gegeben, thun folches auch in Kraft diefes Briefs alfo und derge— 
ftalt , daß diefelbe vorbemeldtes Winfelmannifches Werk von der Geſchichte der Kunft 
des Alterthums in offenen Druf ausgehen, hin und wieder ausgeben, feilhaben , 
und verkaufen laffen möge, auch derfelben ſolches weder in diefem, noch anderen 
Format, weder mit, noch ohne Zufäße, weder ganz noch einzelweife von jemanden 
ohne ihrem der Akademie Confens und Wiſſen innerhalb den obbeftimmten zehen 
Sahren, von dato diefes an, im heiligen Römifhen Reich nachgedrucket, oder vers 
Faufet werde: Und gebieten darauf allen und jeden Unſeren, und des Reichs Unter— 
thanen und Getreuen, infonderheit aber allen Buchdruckern, Buchführern und Vers 
fäufern bey Vermeidung zehen Mark löthigen Golds, die ein jeder, fo oft er frevents 
lich hierwider thäte, Uns halb in Unfere kaiſerliche Kammer, und den andern halben 
Theil mehrermeldter Eaiferl. koͤnigl. Akademie der vereinigten bildenden Rünfte allhier 
unnachlaͤſſig zu bezahlen verfallen ſeyn ſolle, hiemit ernſtlich befehlend, und wollen, 
daß weder ihr, noch einiger aus euch ſelbſt, noch jemand von eurentwegen ins 

ner⸗ 


nerhalb den obbeftimmten zehen Sahren diefes Werk auf was immer für eine Weife 
nachdrucket, noch euch alfo nachgedruckter diftrahirer, feil hat, oder verfaufet, 
weder das anderen zu thun geftattet, in keinerley Weife und Art, alles bey Vermei—⸗ 
dung Unferer KRaiferlichen Ungnade und Berlierung deffelben euren Drudes, den vorer⸗ 
meldte hiefige Akademie, oder ihre Befehlshabere, mit Hilf und Zuthun eines jeden 
Orts Obrigkeit, wo fie dergleichen bey euch finden werden, alfogleich aus eigener 
Gewalt, ohne Verhinderung männiglich zu fi nehmen, und damit nach ihrem Ges 
fallen handfen und thun möge. Jedoch folle Sie faiferl. önigl. Akademie der vereis 
nigten bildenden Künfte allhier diefes Unfer Kaiferlihee Privilegium jedesmal dem 
Werk felbften voran drucken zu laffen, und bey Verluſt deffelben die gewöhnliche fünf 
Exemplaria zu Unfrer Kaiferlichen geheimen Reiche s Hofkanzley einzuliefern fehuldig 
und gehalten feyn. Mit Urkund diefes Briefz befiegelt mit Unferm Kaiferlichen aufs 
gedruckten Secret-Snfigel, der geben ift zu Wien den Fünf und Zwanzigſten Aprilis 
Anno GSiebenzehnhundert Sehs und Siebenzig, Unfers Reichs im Drenzehenten. 


SOSEPH 


ve Reichsfuͤrſt Colloredo. 


Ad Mandatum Sacræ Cxfarex 
Majeſtatis proprium. 


Franz Georg von Leykam. 


Verzeichniß der Subferibenten. 











* * 
+ 


Hhre Majeftät, die Kaiferin aller Reben, sc ceneneusoene,.6 Eremplarien 
as Seine Durchlaucht, der Churfürft zu Trier , Königliche 
Prinz von Pohlen. 

Seine Churfuͤrſtliche Durchlaucht von Bayern. 

Der verwittibten Ehurfürftin von Sachſen, Königliche Hoheit, 

Seine Durchlaucht, ‚der Fürft zu Anhalt » Deffau. 

Seine Durchlaucht, der regierende Marggraf zu Baden. 

Geine Durchlaucht, der vegierende Marggraf zu Brandenburg » Anfpachs 
Bayreuth. 

Seine Durchlaucht, der regierende Herzog von Eurland. 

Seine Hochfuͤrſtliche Gnaden, der Biſchof von Hildesheim, 

Seine Hochfuͤrſtliche Gnaden, der Fürft von Khevenhüller, Kaiferlicher 
auch Kaiferl. Königlicher erfter Dbrifthofmeifter, 

Seine Durchlaucht, der regierende Fürft von Lobkowitz. 

Ihre Durchlaucht die verwittibte Frau Herzogin von Sachſen Wei; 
mar und Eifenach. 

Geine Durchlaucht, der Erbprinz von Sachſen⸗ Coburg. 

Seine Durchlaudt, der Prinz Auguſt von Sachen » Gotha. 


* * 
* 


Der Fuͤrſt von Galitzin, Kaiſerlich Rußiſcher Groskaͤmmerer. 
Der Fuͤrſt von Galitzin, Kaiſerlich Rußiſcher bevollmaͤchtigter Miniſter 
am Roͤmiſch Kalſerlichen und Koͤniglichen Hofe zu Wien. 


* % 
+ 


Hr M. C. Ploos van Amftel, Director der Seichnungsafademie zu 


Amſterdam, Mitglied der Akademieen der Wiffenfchaften zu Harlem 
und Fleßingen. 


—— Magiſter Anton zu Leipzig. 

—— Magiſter Arndt zu Leipzig. 

—— Zohann Samuel Auguſtin, Koͤniglich Daͤniſcher Staatsrath. 

—— Bon Ayernhoff, K. K. Obriſtlieutenant. 

—— Johann Michael von Bergmann, Buͤrgermeiſter und Stadtober— 

richter in München. 

—— Franz Freyherr von Beroldingen, Domherr zu Hildesheim. 

—— Bidermeann, Doctor zu Leipzig. 

—— Bode, Buchhändler zu Hamburg, 
IC Herr 


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Herr Profeſſor Böck in Tübingen. 

— Hofrath Böhme, Profeſſor der der in Leipzig. 

—_—— M. E. Boie in Goͤttingen. 

—— von Boil zu Wien. 

—— Ritter von Born. 

—— Berner, Freyherr von Brabete, Domherr zu Paderborn, Hils 
desheim und Lübed. 

—— Hofrath Brandes in Hannover. 

—— Johann Friedrich Breyer, Profefor in Erlangen. 

—— Baron von Buchholz, Dbermarfchall in Paderborn. 

—— Karl Wilden von Buirette von Dehlefeld zu Wilhelmeborf, 

Hochfuͤrſtl. Brandenb, Sn Rath undRitter des rothen Adlerordens. 
Die Frau Gräfin von 

Herr Gtallmeifter , Freyherr von den Buſch in Hannover. 

—— von den Buſch, Doctor der Rechte und Rathsherr in Wremen, 

—— J. E. von Elauder, Ehurf, Saͤchſiſcher geheimer Kriegsrath. 

—— Profeffor Elodius zu Leipzig. 

—— Alexander Graf von Savioli - Corbelli, Ehurf. Bayerifcher Kaͤm⸗ 
merer und Hofrath. 

Se. Excellenz, der Rußiſchkaiſerliche Generalfeldmarſchall, Graf von 
Ezernichew. 

Se. Excellenz, der Freyherr von Dahlberg, des hohen Domftifts zu 
Maynz Eapitularherr, aud) Statthalter zu Erfurt. 

Se. Ercellenz ‚der außerordentliche Gefandte der Herren Generalftaaten am 
K. und K. K. Hofe zu Wien, Graf von Degenfeld: Shomburg, 

Herr Deinet, Fuͤrſtlich Waldeckiſcher Hofrath zu Frankfurt am Mayn- 

—— von Deldono Sr. Röm, Kaiferl. Maj. Rath und geheimer Kams 
merzahlmeifter. 

Su Dresden ‚die Churfürftliche Bibliothek. 

Here Joſeph von Dufresne, Weltpriefter zu Münden, 

—— Profeffor Eck zu Leipzig. 

—— Geheimer Rath von Einſtedel zu Altenburg. 

—— varı Elkings , Doctor der Rechte und Vice» Syndicus in Bremen. 

—— Magifter Engel in Wien, 

Die Univerfirätsbibliothek zu Erlangen. 

Here von Salke, Hannöverifher Juſtizkanzley Auditor. 

Das gelehrte Zeitungs + Comtoir zu Frankfurt am Mayn.......... 4 Eremplarien. 

Die Univerfitatsbibliothet zu Srankfurt an der Oder. 

Herr Franz Egon Freyherr von Sürftenberg, Domdechant zu Hils 
desheim. 

— — Wilhelm Gebhardi, Kammerfekretär zu Braunſchweig. 

Se. 


Se. Exc. der Freyherr Carl Friedrih Reinhard von Gemmingen , 
Hochfürftl. Brandenburgifcher geheimer Minifter ıc. 
Ge. Exc. der Freyherr von Gemmingen , Öeheimerrath und Regierungs- 
präfident in Stuttgard. 
Herr Regierungsrat) Genau, Dbriftrathsmeifter zu Erfurt. 
—— Iohann Ludwig Gefe, Hochfuͤrſtlich Anhalt » Eöthenfher Hofrath. 
—— Canonieus Gleim, in Halberftadt. 
—— van Gens, K. K. Rath, , auch Profeſſor in Utrecht. ...... 2. Eremplarien 
Die Univerfitätsbibliothef in Böctingen. 
Ge. Excellenz, der Freyherr von Grosſchlag, 


Herr Baron von Grote, Königlichgeoßbrietannifher KRammerherr , 

und Nitter des Brandenburgifchen rothen Adlerordens. 

—— Baron von Hat, Beſſenkaſſelſcher Geheimerrath zu Frankfurt 

am Mapn, 

Se, Excellenz, Here Sigmund Graf von und zu haimhauſen , Churfürftl, 
Baperifcher wirklicher Geheimerrath und Bergwerkscollegiums 
Praͤſident. 

Su Hamburg, das Kaiſ. privilegirte Addreß-Comtoir.......... 15 Eremplarien 

Herr Ludwig Heinrich Hammerer Churpfaͤlziſcher Legationsrath in 

München. 

—— Regierungsrath harprecht in Stuttgard. 

—— ©. €. varles, Anſpachiſcher Hofrath und Profeffor zu Erlangen, 

—— Vrofeſſor Saufen zu Frankfurt an der Oder. 

—— Beidegger vom rothen Thurn in Zürich. 

—— Doctor Heller in Stuttgard. 

—— ;erder, Eonfiftorialcath in Bückeburg. 

—— pHerrlein, Churf. Mapnzifcher Legationskangellift zu Regensburg. 

—— Earl Heufeld, K. KR. Hofcontrollor, 

—— Franz Heufeld, Controller der K. K. Depofitenkage zu Wien. 

_—— K. W. vilchenbach, holländifcher Legationsprediger zu Wien, 

—— £egationsrath von Hinüber in Hannover, 

—— Hofmann, Buchhändler in Eleve u... -- ==. 2 2222.2000. 6 Epemplarien ” 

— Hofrath yon Rus in Sunuvbet, 

—— von Jeniſch, Hoffekretär in der Staatsfanzley zu Wien. 

—— Rauderbach, Churf. Saͤchſiſcher geheimer Legationsrath zu Leipzig. 

©. Eye. der Graf Joſeph von Kauniz Rittberg ,R, und KK. Gefandter 

am Könige. Schwedifchen Hofe... nur oermsere nennen nnenre 2 Epemplarien 

—— Ehriftoph Edler von Reßler, des HM. N. Ritter ud K. K. 

wirklicher Hofeoneipift. 

—— Peofeſſor Klauſing in Leipzig. 

(2 Her 


u Ze 35 


Herr von Roh Rußiſchkaiſerl. Legationsrath in Wien. 

—— Hofkammerrath Kohlbrenner in Münden, 

——— Xraft, Medailleur, 

—— K,reuchauf zu £eipzia. 

—— Franz Jacob Krauß zu Strasburg. 

—— Johann Theodor von Küneth, Hofpitalprediger zu Bayreuth. 

Se, Ereellenz der Freyherr von Künsberg, Herzogl, Braunfchweigifcher 
Geheimerrath und Dberhofineifter der Durchlauchtigſten Margs 
geafinn Wittib von Brandenburg » Bayreuth. 

Herr Johann Kafpar Lapater zu Zürich. 

Se, Epe. der Freyherr von der Leyden, Churf. Bayerifcher Kammerer 
und wirklicher geheimer Rath. 

Mr. le Comte de Lixange, 

Se, Excellenz der Freyherr von Lynker, Churf. Maynzifcher Eonferenz- 
Miniſter und Directorial Geſandter beym Reichstage zu Res 
gensburg. 

Herr Johann Kaſpar Edler von Lippert , Churf. Bayeriſcher Revifionss 
und Eommercien » Rath. 

—— Profeſſor Lippert in Dresden. 

—— Bon der Lieb, Herzogl. Sachfen » Gothaifcher und Marggrafl. 
Brandenburgifcher Bevollmächtigter geheimer Legationsrath am 
K. 8. Hofe zu Wien, 

—— Johann Georg von Lori, Ehurfürfil. Bayerifcher Hofrath und ges 
heimer Referendarius. 

Die Herzoglich » Würtenbergifhe Bibliothek zu Ludwigsburg, 

Die Ehurf. Pfälzifhe Bibliothek in Mannheim. 

Herr Ehriftian Mechel , Kupferfteher in Baſel................ 4 Eremplarien 

—— Hofrath Medicus in Mannheim. 

—— W. von Merz in Nürnberg, 

—— Hofrath Meufel in Erfurt. 

—— I. 8. Mieg, Hollindifcher Gefandfchaftsprediger zu Wien. 

—— Johann Theodor, des H. R. R. Graf Topor⸗Moravitzky 
Churf. Bayeriſcher Kämmerer und Revifionsrath. 


BR Bro er ervaud gu AelPälg. 

willihe Alademie der Viffenfchaften zu Münden. 

Die Churfuͤrſtliche Hofbibliothek zu München. 

Der Chriſtoph Gottlieb von Murr, Sollamtmann zu Nürnberg. 
Excellenz der Rußiſchkaiſerliche Dbriftftallmeifter von Nariſchkin. 

Herr Bibliothekat Oberlin in Str asburg. 


Selie von Dejjele, Churf. Bayerifcher Hofrach und Hof⸗ 
Here 





S: 
5 
* 





Herr Oeſer, Director der Mahlerafademie zu Leipzig. 

— von Betinger, Regierungsrath in Stuttgard, 

—— Olrand, K. K. Kanzleyverwalter zu Saulgau, 

—— Pachmeyer, Handelsmann zu Landshut, 

—— Baron von Penkler K. K. Niederoͤſterreichiſcher Regierungerath, 

—— von Pezold, Churf, Sächf. geheimer Legationsrath und Reſident 
am K. KR. Hofe. 

Das loͤbliche Stift der regufirten Chorherten zu Polling in Dberbayern. 

Herr Mayimilian des heil, R. R. Graf von Prepfing , Churf. Bayeris 
ſcher Kammerer und Hofrath. 

Se.Ercellenz der Rußifchkaiferliche Generalfeldmarſchall Graf Raſumofſky. 

Herr Hofrath von Reichein Hannover. 

—— Rath Reifenftein zu Rom. 

—— Profeflor Reiz in Leipzig, 

Se. Excell. Here Joſeph Ferdinand des heil. R. R. Graf von Rheinflein 
und Tattenbah, Churf. Bayerifcher wirklicher Geheimerrath 
und Obriſthofmarſchall. 

Herr Regierungsrath von Riedeſel in Stuttgard. 

—— Regierungscath von Rieger in Stuttgard, 

—— Riefentampf aus Liefland. 

—— Gcheimers Hofrath Ring in Carlsruh. 

— von la Roche, Churf. Teierifher Geheimerrath und Kanzler. 


—— Dan der Roeft zu Dffelftein. 

— — Riüling, Muditor in Hannover. 

—— Sohann Nepomuf Freyhere von Rummel zu Waldau, Ehurf. 
Banerifcher Kämmerer und Hofrath. 

—— € G. A. von Shahmann zu Königshayn bey Goͤrlitz. 

—— Banquier Scheffler K. K. Commercienrath zu Wien. 

—— Schernhagen, Geheimerkanzleyſekretaͤr in Hannover. 

—— Schiel, Gold⸗Graveur zu Wien. 

—— Baron von Schilder, Domherr zu Osnabruͤck. 


— Bofrath Schläger, Herzogl. Bibliothecarius zu Gotha... ...5 Eremplarien 


—— Vrofeſſor Shmide zu Giefen. 
—— Leonhardt Schulthes in Zürich. 
—— A. G. Shwalb in Hamburg. 


— Schwan, Hofbuchhändfer in Mannheim., ro 90 Po.) 0 90 + “3 Eremplarien. 


—— Schwarz, Doctor der Medicin in Laxenburg. 

Er. Excell. desheil. R. R, Graf von Seinsheim , K. K. und Ehurf. 
Bayerifcher Kämmerer und wirkl. geheimer Rath, auch Ehurf, 
Bayeriſcher Eonferenzs Minifter u. Dbrifthofmeifter. 

Herr Peter von Sievers Rufifhkaiferliher Lieutenant. Herr 


24 u + Ze 2 


Here Hofmahler Specht in Gotha. 

—— von Spedner Regierungsrath zu München. 

Se. Excell. Herr Geheimerrath und Präfident des Geiftlichen Raths 
zu München , von Spreti 

Herr H. Spruit, Buchhändler zu Mtreht, one eecococerene..2 Exemplarien. 

—— Baron von Steinberg, Obriftwachtmeifter zu Hannover. 

—— Stephanie der ältere, Schaufpieler in Wien, 

—— Stephanie ber jüngere, Schaufpieler in Wien. 

— — Ferdinand Sterzinger , Theatiner zu Münden. 

—— von Strolendorf, zu Wien. 

—— von Steube, Geheimer Suftiztath zu Hannover. 

—— Butter, Pfarrer in Earenburg. 

—— Pater Philipp Tangl, Director der Normalſchule zu Inſpruck. 

Se. Excell. der Herr geheime Kath von Taubenheim in Stuttgard. 

Ge. Excell. der Herr Baron von Thulemeier , König. Preußifcher Ges 
fandter bey den Herren Generalftaaten. r 

Herr Moriz Auguft von Thümmel, Gachfen» Eoburgifcher geheimer 
Kath. 

—— von Tiel, Nieder » Defterreichifcher Regierungsrath. 

—— Geheimer Rath von Thumb in Stuttgard. 

—— Anton Element des H. R. R. Graf von Törring zu Geefeld, 
Ehurf. Bayeriſcher Kämmerer. 

Die Univerfitätsbibliothef zu Tübingen. 

Her 5. W. 9. von Trebra, Ehurf. Saͤchſiſcher Vice - Berghaupts 
mann zu Mariaberg. 

—— Rarl Albrecht von Vacchiery, Ehurf. Bayerifcher Hofrath. 

Ee. Excell. Herr Joſeph Georg des H. R. R. Freyherr von Veichs, 
Ehurf. Baperifcher Geheimerrath und Vicedom zu Straubingen. 

Herr Baron von Pöhlin, Hodf. Negensburgifcher Geheimerrath und 
Capitular Herr. 

—— €. 5. vogel, Hofdiafonatsvicarius zu Bayreuth, 

—— €. ©. voigt, Amtmann zu Allftadt. 

—— J. A. Edler von Dolter, Churf. Bayerifher Geheimerrath 
und Protomedicus. 

—— lifteri im Thalegg aus ‚Helvetien. 

—— Wacker, Snfpeetor der Ehurf. Sammlungen ver Alterthuͤmer, 
und des Muͤnzkabinets zu Dresden. 

— — Winter, Doctor in Strasburg. 

—— Sohann Nepomuk Edler von Waigenfeld, Ehurf. Bayerifcher 
Hoftammerrath und aleriendirector zu Münden. 

mu Edler von Weinbrenner K. K. Hoftommercienrath zu — 

Herr 


Herr Kriegsrath Weng in Stuttgard. 

—— Iohannes Wiedewele, Director und Profeſſor der Königlichen 
Mahler » Bildhauer » und Baufunft » Afademie zu Copenhagen, 

—— Wiefenbüter zu Leipzig. 

—— Gottfried Winkler zu Leipzig. 

—— Rammerhere von Wilke zu Wolframshaufen. 

—— P. van Winter zu Amfterdam. 

—— Joſeph Wirth K. K. Medailleur zu Wien. 

—— Wund, Kicchenrath und Profeffor zu Heidelberg. 

—— Rarl von Zalheim für einen Ungenannten; 

—— Profeſſor Zobel zu Frankfurt an der Dover, 

—— Baron von Zois zu Wien. 

—— Ton Zollner, J. V. D. und Ergbifchöfliger Conſiſtorialkanzler 
zu Wien 

—— £eibarzt Zimmermann in Hannover. 

Die öffentliche Bibliothek zu Zürich. 


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BRIrTedeE 


Ye erites Gefihäfft ift, die Abficht diefer Geſchichte der 
Kunſt des Alterthums , im Gegenfage mit ähnlichen oder 
ahnlich feynfollenden Verſuchen zu befehreiben, immer in der 
Sinnesart des DVerfaffers , und fo viel möglich iſt, mit 
den eigenen Worten deflelben. Wir weben Deswegen in 
unfere Vorrede einen Theil derjenigen ein, mit welcher 
Winkelmenn den erften Entwurf dieſes Werks begleitet, 
und deren gänzlihe Vernichtung er bey dieſer neuen Ausar— 
beitung befchloffen hatte, ohne ihre Stelle duch eine andere 
erfegt zu haben. Es ift dies der einzige Fall, in welchem 
man zuverfichtlich geglaubt Hat, daß es der Vortheil des 
jesigen Public und der Nachwelt erfordere, eine Aus— 
nahme von dem fehriftitelferifchen Teftamente des Verfaſſers 
zu machen, | 
a Die 


II Diet ar 


Die folgende Gefhichte der Kımft des Alterthums ift 
feine bloße Erzählung der Zeitfolge und der Veränderungen 
in derfelben; fondern das Wort Gefchichte wird in der wei— 
fern Bedeutung genommen, welche daſſelbe in der griechiſchen 
Sprade hat, und Die Abficht des Verfaſſers ift, einen Ver: 
ſuch eines Lehrgebaudes zu liefern. Diefes hat man in dem 
erfien Theile, in der Abhandlung von der Kunft der alten 
Voͤlker, von jedem inöbefondere, vornehmlich aber in Abſicht 
der griechiſchen Kunft auszuführen gefuht. Der zweyte Theil 
enthält Die Gefchichte der Kunft im engern Berftande, das ift, 
in Abficht der Außern Umſtaͤnde, und zwar allein unter den 
Griehen und Römern. Das Weſen der Kunft aber ift in 
dieſem ſowohl, als in jenem Theile, der vornehmfte Endzweck, 
in welches die Geſchichte der Kimftler wenig Einfluß hat; und 
Diefe, welche von andern zufammen getragen worden, hat man 
allſo hier nicht zu ſuchen: es find Hingegen auch in dem zweyten 
Theile diejenigen Denfmale der Kunft, welche irgend zur Era 
fäuterung dienen können, forgfältig angezeigt. 

Die Gefehichte der Kunft foll den Urſprung, das Wachs— 
thum, Die Veränderung und den Fall derfelben , nebit dem 
verſchiedenen Stile der Voͤlker, Zeiten und Künftler lehren, 
und diefes aus den übrig gebliebenen Werken des Alterthums, 
fostel möglich iſt, beweifen, 

Es 


Vorrede. III 


Es ſind einige Schriften unter dem Namen einer Ge— 
ſchichte der Kunſt an das Licht getreten; aber die Kunſt hat 
einen geringen Antheil an denſelben: denn ihre Verfaſſer ha— 
ben ſich mit derſelben nicht genug bekannt gemacht, und konn— 
ten alſo nichts geben, als was fie aus Büchern, oder vom Sa- 
genhören haften. In das Weſen umd zu dem Innern der 
Kunſt führet faft Fein Seribent, und diejenigen, welde von 
Alterthümern handeln, berühren entweder nur dasjenige, wo 
Gelehrfamkeit anzubringen war, oder, wenn fie von der Kunft 
veden, geſchieht e8 theild mit allgemeinen Lobfprüchen, theils 
it ihr Urtheil auf fremde und falfche Grimde gebauet. Von die— 
fer Art it des Monier Gefhichte der Kunft, und des Dü— 
rand Leberfegung und Erflärung der legten Bücher des Pli— 
nius, unter dem Titel: Gefchichte der alten Malerey: 
auch Turnbull in feiner Abhandlung von der alten Male- 
rey gehöret in dieſe Klaſſe (1). Aratus, welcher die Aftrono- 

a2 mie 


(1) Es müffen aber auch die meiften Schriften, bie bloß von der Maleren der Al: 
ten handeln, mehr trocken, als fruchtbar, eher gelehrt als lehrreich ausges 
fallen fenn, und mehr mit allgemeinen Anmerkungen , als mit Früchten 
des Anſchauens prangen, weil, befonders vor den herfulanifchen E tdecfuns 
gen , in diefem Face faft fein Gegenftand des Anfchaueng vorhanden war, 
und an den Befchreibungen der Alten, mit denen man fich beheifen muß, die 
Genauigkeit und Ausführlichkeit vermiffet wird, womit unfer Verfaffer vor 
nehmlich im fünften Abfchnitte des vierten Kapitels einige alte erft aufaefundene 
Malereyen gefchildert hat, Und deswegen fagt er, er ſey nach dem Grund» 

faße 


IV Dio'rir eo, 


mie nicht verſtand, wie Cicero fügt, Eonnte ein beruͤhmtes Ge- 
dicht über dieſelben fihreiben; ich weiß aber nicht, ob auch 
ein Grieche ohne Kenntniß der Kunft etwas würdiges von der— 
felben hätte fagen Eönnen, 

Unterfüchungen und Kenntniffe der Kunft wird man ver- 
gebens fuchen in den großen und Eoftbaren Werken von der Be: 
fohreibung alter Statuen, die bis jeso bekannt gemacht wor- 
den find. Die Befchreibung einer Statue foll Die Urſache der 
Schönheit derjelben beweifen, und das Befondere in dem Sti- 
le der Kunſt angeben: es müßen alfo die Theile der Kunſt be— 
rührt werden, ehe man zu einem Urtheile von Werken derfel- 
ben gelangen kann. Wo aber wird gelehrt, worinn die Schön- 
beit einer Statue beftehe? Welcher Schriftfieller hat dieſel— 
be mit Augen eines weiſen Künftlers angefehen? Was zu un- 
fern Zeiten in Diefer Art gefchrieben worden, ift nicht beffer, 
als die Statuen des Kalliftratus; dieſer magere Sophiſt hätte 
noch zehnmal foviel Statuen befihreiben koͤnnen, ohne jemals 

eine 
faße verfahren, daß mir fehreiben ſollten, oder unterlaffen, was mir wuͤnſchen, 
daß die Alten geſchrieben, oder nicht geſchrieben haͤtten. Man ſehe Seite 

579. ſammt ben vorhergehenden. Eben daſſelbe, was von den Schriften über 

die Malerey ber Alten gefage ift, gilt auch, noch mehr, von den Abhand⸗ 

lungen tiber ihre Mufit, und wicht viel weniger von dem Kriegen einiger 

Neuen über die Kunſt, die fie, einige mit vieler philofophifcher Gubtilität, 


andere mit großem philologifchen Vorrathe, alfe aber ohne wahre Intui⸗ 
tion, geführt haben, 


DonBed:, V 


eine einzige gefehen zu haben: unſre Begriffe ſchwinden bey 
den mebreften folcher Beſchreibungen zufammen, und was groß 
gewefen, wird wie in einen Zoll gebracht, 

Eine griechifche und eine fogenannte roͤmiſche Arbeit 
wird insgemein nach der Kleidung, oder nach der Güte, an- 
gegeben: ein auf der linken Schulter der Figur zufammenge- 
befteter Mantel fol beweifen, daß fie von Grieden, ja in 
Griechenland gearbeitet worden. Cı) Man iſt fogar Darauf 
gefullen, Das Vaterland des Künftlers der Statue des Mar- 
kus Aurelius in dem Haarfchopfe auf dem Kopfe des Pferdes 
zu ſuchen; und weil man einige Aehnlichkeit mit einer Eule 
an demfelben gefunden hat, fo foll dadurch der Künftler Athen 
baben anzeigen wollen. (2) Sobald eine gute Figur nur nicht 
als ein Senator gekleidet ift, heißt fie Griechiſch, da wir doch 
gleichwohl Senarorifihe Statuen von namhaften griechifchen 
Meiftern haben. Ein Gruppo in der Billa Borahefe führet 
den Namen Markus Coriolanus mit feiner Mutter : Diefes 
wird als ungezweifelt vorausgefegt, und daraus fehließt man, 
daß dieſes Merk zur Zeit der Republik gemacht worden, (3) 
und eben Deswegen findet man es fehlechter, als e8 iſt. Und 

a3 weil 
Cı) Fabveiti Infer. p. 400..n. 293. 


9 
(2) Pinaroli Rom. ant. mod. p. 1. pag. 106. Spect. Vol. 3. 
(3) Fisorons Rom. ant. p. 20, 


vI Dorrede 


weil einer Statue von Marmor in eben Der Bilfa der Na— 
me der Zigeunerinn (Egizia) gegeben worden, fo findet 
man den wahren agyptifchen Stil in dem Kopfe (1) von 
Erzt, welcher nichts weniger zeigt , und nebft den Haͤn— 
den und Füßen, gleichfalls von Erzt, vom Bernini ge- 
macht worden. Das heißt die Baukunft nad) dem Gebäude 
einrichten. Eben ſo ungründlich iſt Die von allen ohne aufs 
merkfame Betrachtung angenommene Benennung des vermeyn⸗ 
ten Papirius mit feiner Mutter in der Villa Ludovifi, (2) 
und dit Bos findet (3) in dem Geſichte des jungen Men- 
ſchen ein argliftiges Lächeln, wovon wahrhaftig keine Spurda 
if. (2 | 

In Abſicht der Vorzuͤglichkeit einer Statue ıft es nicht ge- 
nug, fo wieBernini (5) vielleicht wicht mit Hinlänglicher Ueber— 
legung gethan hat, den Palquin für die ſchoͤnſte aller alten Sta- 
tuen zu halten; man fol auch feine Gründe bringen: auf eben 

Die= 


(1) Maffei Stat. ant. n. 79. 

(2) Maffei n. 63. 

(3) Refl. für la Poefie & la Peint. T. I. pag. 272. 

(4) Winkelmann glaubte fonft, dieſes Gruppo ftelle die Phaͤdra und den Hinpolys 
tus vor, allein er hat diefe Meynung zuruͤck genommen, und fi für die 
Elektra und den Dreftes erklärt. ©. Seite 803. f. f. Winkelmann hat 
dafelbft die ihm günftige Stelle des Polnbius nicht beftimmet angeführt, Sie 
fteht Lib. III. p. 175. B, ed. Cafaub. 

(5) Baldinus. Vit. di Bern. p. 72. Bern. Vit. del Caval. Bernini p. 13. 


V . VII 


dieſe Art hätte er die Meta Sudante vor dem CLoliſeo als ein 
Muſter der alten Baukunſt anfuͤhren koͤnnen. 

Einige haben aus einem einzigen Buchſtaben den Mei— 
ſter kuͤhnlich angegeben; (1) und derjenige, welcher die Nas 
men einiger Kuͤnſtler an Statuen, wie bey dem gedachten 
Papirius, oder vielmehr Oreſtes, und bey dem Germanicus 
geſchehen, mit Stillſchweigen uͤbergangen, giebt uns den 
Mars von Johann von Bologna in der Villa Medicis für 
eine Statue aus dem Altertfume an (2); dieſes hat zugleich 
andere verführt (3). Ein anderer, um eine fhlechte alte 
Statue, den vermeinten Narciſſus, in dem Palafte Barbe— 
rini (4), anftatt einer guten Figur, zu befchreiben, erzaͤh⸗ 
et ung die Fabel deffelben, und der Verfaſſer einer Abhand- 
[ung von drey Statuen im Campidoglio, der Roma und zween 
thraciſcher (5) gefangenen Könige, giebt ung wider Vermu— 
then eine Geſchichte von Numidien: das heißt, wie die Grie- 
chen fagen, Leukon trägt ein Ding, und fein Efel ein ganz 
anderer. | 

Aus 
nn 
(3) Montfaue. Diar. Ital. p. 222- 
(4) Tetii Ædes Barber. p- 185- 
(5) Winfeimann fagt überhaupt: barbariſcher. Es find thraciſche; und 


Braſchi hat Unrecht, fie für numidifche auszugeben. Brafhkius de trib. Stat. 
€. 13. p. 125. 


VIII Vorrede. 


Aus Beſchreibungen der uͤbrigen Alterthuͤmer, der Ga— 
lerien und Villen zu Rom iſt eben ſo wenig Unterricht fuͤr die 
Kunſt zu ziehen; ſie verfuͤhren mehr, als ſie unterrichten. 

Richerdfon hat die Palaͤſte und Villen in Rom, und 
die Statuen in denfelben beſchrieben, wie einer, dem fie nur , 
im Traume erfchienen find: viele Palafte hat er wegen feines 
£urzen Aufenthalts in Nom gar nicht aefehen , und einige, 
nach feinem eigenen Geftändniffe nur eineinzigesmal; und den— 
noch ift fein Buch bey vielen Mängeln und Fehlern das befte, 
was wir haben. Dan muß ed fo genau nicht nehmen, wenn 
er eine neue Malerey, in Freſco und von Gvido gemacht, 
für alt angefehen. (1) 

Keyßlers Reifen find in dem, was er von Merken 
der Kunftin Kom und an andern Orten anführet, nicht ein- 
mal in Betrachtung zu ziehen: denn er hal Dazu Die elendeften 
Biiher C2) abgefchrieben. 

Manilli hat mit großem Fleiße ein befonderes Buch. 
von der Villa Borgheſe gemacht, und dennoch hat er drey 
fehr merkwuͤrdige Stuͤcke in derfelben nicht angeführt: das ei- 
ne ift Die Ankunft der Königinn der Amazonen Pentheſilea 
beym Priamus in Troja, dem fie ſich erbietet, beyzuftehen; das 

an⸗ 


(1) Trait. de Peint. T. 2. p. 275. 
(a) Beſonders den Pivarol. 


Vorrede. IX 


andere iſt Hebe, welche ihres Amts, die Ambroſia den Goͤt— 
tern zu reichen, war beraubt worden, und die Goͤttinnen 
fußfaͤllig um Verzeihung bittet, da Jupiter ſchon den Gany— 
medes an ihre Stelle eingeſetzet hatte; das dritte iſt ein ſchoͤ— 
ner Altar, an welchem Jupiter auf einem Centaur reitet, und 
welcher, weil er in dem Keller unter dem Palaſte ſtehet, vor: 
bin von niemand bemerfet worden. (1) 

Montfaucon hat fein Werk, entfernt von den Schä- 
sen der alten Kunft, zufammengefragen, und hat mit fremden 
Augen und nad Kupfern und Zeichnungen geurtheilet, die 
ihn zu großen Vergehungen verleitet haben. Herkules und 
Antaͤus im Palafte Pitti zu Florenz , ein Werk von niedri- 
gem Range, und uͤber die Hälfte nen ergänget, ift beym 
Maffei (2) umd bey ihm (3) nichts geringers, als eine Ar- 
beit des Bolyeletus. Den Schlaf von fihwarzem Marmor in 
der Billa Borgheſe, von Algardi, giebt er für alt aus (4); 
eine von den großen neuen Bafen aus eben dem Marmor, von 
Silvio von Veletri gearbeitet, Die neben dem Schlafe gefegt 

find, 


(1) Alle diefe drey Alterthuͤmer hat Winkelmann hernach hefannt gemacht in den 
Monumenti antichi inediti, dos erfte n. 137. , dag zwente n. 16. und 
das dritte n. 11. Von dem lebten hatte er fehon vorher gehandelt in feiner 
Pref. a la Defer. des Pier. gr. du Cab. de Stofch. p. ı5. 

(2) Stat. ant.n. 43. 

(3) Ant. expl. T. 1. p. 361. Suppl. T. 1. p. 215. 

(4) Ant. expl. T. 1. p. 365- b 


X Dorrede 


find, und die er auf einem Kupfer Dazu geftochen gefunden, foll 
ein Gefaß mit ſchlafmachendem Safte bedeuten. (1) Wie vie- 
fe merkwürdige Dinge hat er nicht übergangen! Er bekennet 
(2), er habe niemals einen Herkules in Marmor mit einem 
Horne des Ueberfluſſes geſehen; in der Billa Ludovifi aber if 
er alfo in Lebensgröße vorgeftellt, in der Geftalt einer Her- 
ma, und dag Horn ift wahrhaftig alt. Mit eben dirſem At- 
tribute ftehet Herkules auf einer zerbrochenen Begraͤbniß-Urne 
(3) unter den Truͤmmern der Alterthümer des Hauſes Bars 
berini, welche vor einiger Zeit verkauft worden find. 
Gewiſſe Srrungen der Antiquare haben fid) durch den 
Beyfall und durch Die Länge der Zeit gleichfam fiher vor 
der MWiderlegung gemadt. Gin rundes Werk von Mar: 
mor, fonft in der Billa Giuftiniani C4), dem man durch 
Zufäse die Form einer Vaſe gegeben, mit einem Bac- 
chanale in erhobener Arbeit, if, nachdem ed Spon zu- 
erft bekannt gemacht hatte, (5) in vielen Büchern in Kupfer 
erfchienen und zu Erläuterungen gebraucht worden. Ja man 
hat 


(1) Das Kupfer, weldes ben Montfaucon verführt hat, fiehe in Montelat. 
VII. Borgh. p. 294. Auch Banier ift duch den Montfaucon verführt 
worden. Mythol. T. 5. p. 171, ed. Paris. 1739. 

(2) Ant. expl. 

(3) S. Winfelmann Defer. des Pier. gr. p. 273- 

(4) Es ift jetzt, wie wir wiffen, nicht mehr in der Villa, fondern in dem Par 
lafte des Haufes Giuftiniani aufgeftellet. 

(5) Mifcell. antig. p. 28. 


Dorskd ec xI 


hat aus einer Eydere, die an einem Baume hinaufkriechet , 
muthmaßen wollen, daß Diefes Werk von der Hand des Sau— 
vos feyn Fönne, welcher nebft einem Batrahus den Porticus 
des Metellus gebauet hat Cr): gleichwohl iſt es eine neue Ar- 
beit, Eben fo muß diejenige Vaſe neu ſeyn, von welcher 
Spon in einer befondern Schrift handelt (2), wie es der 
Augenſchein den Kennern Des Alterthums und des guten Ge— 
ſchmacks giebt. (3) 

Die mehreften Bergehungen der Gelehrten in Sachen 
der Alterthiimer rühren aus der Unachtfamkeit der Ergaͤnzun— 
gen her: denn man hat die Zufäse anftatt der verffümmelten 
und verlohrnen Stücke von dem wahren Alten zu ımterfchei- 
den nicht verftanden, 

Sabretti wollte aus einer erhobenen Arbeit im Pala— 
fie Mattei, welche eine Jagd des Kaifers Gallienus CA) vor— 
ſtellet, beweifen , Daß Damals ſchon Hufeifen, nach) heutiger 

b 2 Art 


(1) Winkelmann ſeibſt war ehemals dieſer Meynung. Man ſehe indeß die Pref. 
a la Defer. de Pier. gr. p. 8. ingleichen Winkelmanns Anmerkungen 
über die Baufunft. 

(2) Difcours für une piece ant. du Cab. de J. Spom. 

(3) Man fehe, was Winkelmann in der Vorrede zu den Monumenti antichi 
inediti über dem neuen Schild gefagt hat, wo die Enthaltfamkert des Scipio 
vorgeftellet ift, und welchen Dodwel als ein altes Werf angenommen und ers 
klaͤrt hat. 

(4) Barioli Aduiranda ant. Tab. 24. 


XII Vorrede 


Art angeſchlagen, im Gebrauch waren (1); und er hat 
nicht gekannt, daß das Bein des Pferdes von.einem unerfahr: 
. nen Bildhauer ergänzt worden. Wiontfaucon (2) deutet 
eine Rolle, oder einen Stab, weldher neu ift, in der Hand 
des (ſogenannten) Kaftor, oder Pollur in der Billa Borghe— 
fe, auf die Gefege der Spiele in Wettläufen zu Pferde; und 
in einer ähnlichen neu angejesten Role, welde der Merkurius 
in der Billa Ludovifi halt, findet derfelbe eine fehwer zu erklaͤ— 
tende Allegorie; fo wie Triſtan auf dem beruhinten Agatde 
zu St. Denis einen Riemen an einem Schilde, welden der 
vermeinte Germanicus haͤlt, für Friedensartifel angele- 
hen hat. (3) 

Wright hält Cd) eine neue Diolin, die man einem 
Apollo in der Billa Negroni in die Hand gegeben, für wahr- 
baftig alt, und berufet fi auf eine andere Biolin an einer 
£leinen Figur von Erzt zu Florenz, die auch Addiſon anfuͤh— 
tet (5). Jener glaubt, Raphaels Ehre zu vertheidigen, weil 
diefer große Kinftler, nach feiner Meynung , die Form der 
Biolin, welche er dem Apollo auf dem Parnaſſo im Vatikan 

in 
(1) a de Column, Traj. c. 7. p. 225. Cf. Montfauc. Ant, expl, 
ee 


(4) Obferv. made in Travels through France &c. p. 265. 
(5) Remarks, p. 241. 


DSL LED 'E XII 


in die Hand gegeben, von befagter Statue werde genommen 
haben, die allererft über anderthalbhundert Jahre nachher von 
Bernini iſt ergaͤnzet worden; man haftemit eben jo vielem Grun- 
de einen Orpheus mit einer Violin auf einem geſchnittenen 
Steine anführen Eönnen Cı), Eben fo hat man an dem ehe: 
maligen gemalten Gewölbe, in dem alten Tempel des Bac— 
chus vor Rom, eine Eleine Figur mit einer neuen Biolin zu fe= 
ben vermeynt (2): hierüber aber hat fih Santes Bertoli, 
weicher Diejelbe gezeichnet, nachher beffer belehren laſſen, und 
aus feiner Kupferplatte das Inſtrument hinweggenommen, 
wie aus demjenigen Abdrucke zu ſehen iſt, welchen er feinen 
ausgemalten Zeichnungen von alten Gemälden, in dem Mur 
feo des Herrn Cardinals Alerander Albani, beygefüget hat. 
Durch die Kugel in der Hand der Statue Caͤſars im Campi-⸗ 
doglio (3) hat der alte Meifter derfelben nad) der Auslegung 
eined neuen römifchen Dichter8 (4) die Begierde Laͤſars nach 
einer unumfchranften Herrſchaft andeuten wollen: er hat nicht 
gefehen, Daß beyde Arme und Hände neu find. Here Spen— 
ce würde fi bey dem Zepter eines Jupiters nicht aufgehal- 
b 3 ten 


(1) Maffei Gemme. T. 4. p. 96. Oder den berühmten Achilles Cytharadus 
beym Picart. 

(2) Ciampini vet. Monum. T. a. tab. 1. p. 2. 

(3) Maffei Stat. ant. tab. 15. 

(4) Concorfo dell’ Acad di S. Luca. an. 1738. 


XIV Dorrede 


ten haben Cı), wenn er wahrgenommen hätte, daßder Arm 
neu und folglich auch der Stab neu ift. (2) 

Die Ergänzungen follten in den Kupfern, oder in ihren 
Erklärungen angezeigt werden: denn der Kopf des Ganyme— 
des in der Galerie zu Florenz muß nad) dem Kupfer einen 
ſchlechten Begriff machen (3), und er ift noch ſchlechter im 
Driginale Wie viele andere Köpfe alter Statuen dafelbft 
find neu, die man nicht Dafür angefehen hat! wie der Kopf 
eined Apollo, deflen Lorberkranz von Gori ald etwas befon- 
ders angeführt wird, Neue Köpfe haben der Narciſſus, der 

ſo⸗ 


(1) Polymetis Dial. 6, p. 4%. not. 3- 

(2) Es wäre überhaupt beffer gewefen, wenn man im vorigen Jahrhunderte, wo 
die Künftler weniger, als jest, mir dem Alterthume befannt waren, die vers 
ſtuͤmmelten Werke lieber verſtuͤmmelt gelaſſen, als ungeſchickt ergänzt hatten, 
Denn ſo wie viele Sachen, die den Goͤttern ſelbſt gewidmet waren, mit 
Fleiß verftümmele wurden, Damit dieſelben nicht ferner gemisbraucht werden 
tonnten, (Kufteri not. in Suid. v. Ayesıpva.) alfo würden auch jene, felbft 
in ihrer Verfiümmelung, dem Alterthume und der Kunft dem einen rühmlicher 
und der andern nüßlicher gemwefen feyn. Nicht allein Sabretti, Triftan, Spen⸗ 
ce und andere mittelmaßige Antiquare find durch dergleichen Ergänzungen irre 
gemacht worden; fie verftellen ofe ein Werk dermaßen, daß auch der geb» 
tefte Renner dadurch ins Dunkle geführt wird. Gelbft unferm Winkelmann 
ift es, nach feinem eigenen Geftandniffe, nicht beffer ergangen, mit der erhos 
benen Arbeit in der Villa Albani, die den Ulyſſes und den Tireſias in den 
elpfifchen Feldern abbildet. „Es giengen (fagt er) einige Jahre hin, che 
ich die wahre Auslegung fand. Denn obgleich Tirefias mir beftändig kennt⸗ 
lich war, verwirrete dennoch allegeit Ulyſſes mein Nachdenken durch den 
m neuen Kopf eines jungen Helden, welchen man der Figur deffelben wills 
gu kührlich gegeben hatte. „ — Man febe wegen diejer Figur die Monuimen- 
ti antichi inediti, n. 157. 

(3) Muf. Flor. T. 3. tab: 3. 


Vorredbe. XV 


fogenante phrygiſche Prieſter, eine fisende Matrone, die Ve— 
nus Genitric: der Kopf der Diana, eines Bacchus mit Dem 
Satyr zu deflen Füßen, umd eines andern Bacchus, der eine 
Weintraube in die Höhe hält, find abſcheulich fhledt. (1). 
Die mehreften Statuen der Königinn Chriſtina von Schweden, 
welche zu St. Ildefonſe in Spanien ſtehen, haben ebenfalls 
neue Koͤpfe, und die acht Muſen daſelbſt auch neue Arme. 

Viele Vergehungen der Scribenten rühren auch aus 
Zeichnungen her, welches zum Exempel die Urſache davon in 
Eupers Erklärung des Homerus iſt. Der Zeichner hat die 
Tragödie für eine männliche Figur angefehen, ımd es ift der 
Cothurnus, welder auf dem Marmor fehr deutlich it, nicht 
angemerkt. Ferner ift der Mufe, welche in der Höhle fteht, 
anftatt des Plektrum, eine gerolfte Schrift in die Hand ge— 
geben. Aus einem heiligen Dreyfuße will der Erklaͤrer ein 
agpptifhes Tau machen, und an dem Mantel der Figur vor 
dem Dreyfuße behauptet derfelbe, drey Zipfel zu fehen , wel- 
ches ſich ebenfalls nicht findet. 

Es iſt daher ſchwer, ja fat unmöglich, etwas gründ: 
liches von der alten Kunft, und von nicht bekannten Alter: 

thuͤ⸗ 


(1) Altes dieß fiehe im Muſeo Florentino T. 3. tab. 10. 71. 80. 82. 22. 
19. 47. 50. Unfers Erachtens ift Gori wegen aller diefer Fehler fchen * 
wegen ſehr zu entſchuldigen, weil er Rom niemals gefehen, und fol glich von 
vielen Dingen nicht beffer unterrichtet feyn konnte. 


XVI Dorrede 


thuͤmern, außer Rom zu fhreiben. Noch viel ſchwerer aber 
ift Die Kenntniß der Kunft in den Werken der Alten, in wel- 
den man nad bundertmaligem Wiederfehen noch Entdeckun— 
gen macht. Aber die mehreften gedenken zu derfelben zu ge 
langen, wie diejenigen, welde aus Monatsfihriften ihre 
Wiſſenſchaft fanmeln, und unterjtehen fih vom Laofoon, 
wie diefe vom Homerus zu urtheilen, auch im Angefichte 
desjenigen, der diefen und jenen viele Jahre fiudiret hatz fie 
reden aber hingegen von Dem größten Dichter, wie Lamo- 
the, und von der vollfommenften Statue, wie Aretino. 
tleberhaupt find die mehreften Seribenten in diefen Saden, 
wie die Flüffe, welche auffihwellen , wenn man ihr Wajfer 
nicht nötbig hat, und trocken bleiben, wenn es am Waffer 
fehlet, 

Diefe Urtheile über einige Sceribenten von der Kunſt 
find nicht aus Tadelſucht gefloffen, welche feine Stelle in Win— 
felmanns edler Seele fand; fondern der Verfaffer deutet auf 
die neue Straße, die er bahnen will, indem er die vor ihm 
betretenen Wege anzeiget, und erweifet, wie weit alle Wande- 
ver auf denfelben ſich von dem erhabenen Ziele eines Geſchicht— 
ſchreibers der Kunft entfernt haben. Er bat, den einzigen 
Keyßler ausgenommen, Eeinen feiner Landsleute genannt; 


vielleicht, weil unter denen, die Damals gefehrieben hatten, fei= 
ner 


Ds .zed& XVII 


ner Meynung nach, es keiner verdiente, und Die, welche es et— 
wa verdient haͤtten, damals noch nicht Schriftſteller uͤber die 
Kunſt waren. Indeſſen konnte ihm doch der Profeſſor Chriſt 
in Leipzig nicht unbekannt ſeyn, der erſte, welcher in Deutfch- 
land die Felder des Alterthums mit Geſchmack bearbeitete. Die 
archaͤologiſchen Vorleſungen diefes Mannes gehen häufig in der 
Handſchrift herum, und werden von den neuen Schreibern ge— 
plündert: es wäre daher gut und loͤblich, folche im Drucke der 
Welt vorzulegen , damit die Krähen kenntlich würden, die ſich 
bisher mit Chrifts Federn geſchmuͤckt haben. 

Man ftudirte in den vorigen Zeiten die Alterthiimer 
bloß, um fie zu wiſſen, und da derjenige der gelehrtefte war, 
der am meiften wußte, fo Fam eö nur darauf an, viel zu wife 
fen, ohne zu unterfuchen, wie viel, oder wie wenig von Diefem 
Bielen nüslich fey. Daher entfiand das Geſchlecht der gelehr- 
ten Mikrologen, die, wenn fie alles zufammengetragen hat- 
ten, was irgend über Die Dreyfüße und Lampen ımd Schuhe 
und Kleider der Alten von den Alten und Neuern gefagt wor- 
den war, noch zu verzweifeln fehienen, daß fie nicht mehr ge- 
funden hatten, als Dies wenige, 


N Man 


XVII Dowzredk 


Man kann unmöglich glauben, was einige Weiſen be- 
baupten wollen, Daß eine jede Kenntniß ſchon um ihrer ſelbſt 
willen ein Gut fey, welches man ſuchen muͤße; nichts ift gut 
als was nüslich ift, und eine Kenntniß, von deren Ruten fid) 
gar nichts begreifen laßt, iſt allenfalls nur in fofern ein Gut, 
wiefern fie einige muͤßige Köpfe beſchaͤfftiget, die vielleicht fonft 
in den Stunden diefer Befchäfftigung entweder etwas Boͤſes 
gethan, oder wenigftend etwas Arges gedacht hätten, Soll 
alfo das Studium des Altertfums der Aufmerkfamteit eines 
Weltbuͤrgers würdig feyn, fo muß es irgend einen nüslichen 
Einfluß haben, es fey in die Gefchichte der Menfchheit, vder 
in die Verfeinerung des Gefhmads. Und von diefer Seite 
hat Winkelmenn feinen Gegenftand betrachtet, nad) dieſem 
Grundſatze ihn behandelt. Wann ihn fein Enthuſiaſmus hin- 
geriffen hatte zu der Bewunderung , zu dem Anſtaunen ber 
Werke der Kunſt; wann ihm feine feine Empfindung jede Schön- 
heit im Kleinen gezeigt hatte; wannfein gelehrfed Auge der 
Empfindung zu Hülfe gekommen war, um die Weisheiten des 
Kuͤnſtlers zu entdecken, die weder der Ealte Angaffer, noch 
der modifche Kenner entdecket: Dann wurde feine Forfchbegier 
gereizt, zu fragen: Diefe große Kunft, wie ift fie entitanden? 
Wie bis zu Diefem hohen Grade der Vollkommenheit gediehen ? 
Die untergegangen? Gleichwie die Lehre von der Erkenntniß 

des 


Dorrede XIX 


des Schönen und das Anſchauen deffelben den Geſchmack bil: 
det, die Sitten verfeinert, Die Wildheit verbannet: alſo iſt Die 
Beantwortung der drey angezeigten Fragen fo fehr mit der Ge— 
ſchichte dev Menfchheit verwickelt, daß felbft diefe ohne eine Un— 
terfuchung vom Urfprunge und Fortgange der Künfte nicht voll- 
fandig abgehandelt werden kann. Auf diefe Art it Winkel- 
mann fir die Künfte das geworden , was Montesquiou für 
die Geſetzgebung ift, was Brucker für die Philofophie hättefenn 
follen, und was für Die gefammte Gefchichte der Menfchheit 
noch niemand ift. 

Der erſte Entwurf Diefer Gefchichte der Kımft erfchien 
im Jahre 1764. und wurde von allen erleuchteten Nationen 
mit Beyfall und Bewunderung aufgenommen. Was ©. E. 
Leßing (1), €. A. Blog (2), C. ©. Seyne (3) ımd 
andere (4) theils über, theils gegen Diefes Werk gefchrieben 
haben, iſt bekannt genug. Richt fo bekannt unter uns ift die 
franzoͤſiſche Ueberſetzung deſſelben, welche, fo elend fie aud) ift, 
doch das Verdienft hat, daß der Berfaffer dadurch veranlefit 
worden, feinen erften Berfuch ganz von neuem auszuarbeiten 
und feinem Werke Die vollfommene Geftalt zu geben, in wel- 

2 cher 
(1) £aofoon, oder Über die Srängen der Poefie und Malerey. Berlin. 1766. 
(2) In ven Adtis litterariis und fonft hier und da. 


(3) In den Schriften der Göttingifchen deutfehen Gefellfhaft. 1. Ih. S. 204 
(4) In der Leipziger Bibliothek der ſchoͤnen Wiffenfchaften. 


XX: Dorrede, 


cher wir es jegt dem Publico vorlegen (1). Seine vornehmite 
Abſicht, bey diefer Umfchaffung und Vermehrung des unfterb« 
lichen Buchs, war erftlih, Die Ideen der alten Künstler auf 
das genauefte zu beflimmen in Figuren von jedem Alter , Gat— 
tung und Geſchlechte, fo wie in allen ihren Theilen und Attri- 
Duten, und zweytens, viele Stellen alter Autoren befler zu er: 
Elären, ald man fie bisher erklart hatte; entweder weil man 
fie nicht Hatte verftehen wollen, weldies inögemein der Feh— 
ler der polemifchen Ausleger ift, oder weil man fieaus Mangel 
der Bemerkungen des Anfchauens bey alten Denkmaͤlern nicht 
hatte veriiehen Fönnen, Wir haben fhon an einem andern 
Drte (2) gefagt, Daß Winkelmann gefonnen war, Diefes 
fein neues Werk ins Franzöfifche überfegen zu laſſen, bevor 
noch) das Original felbft herausgegeben worden. Herr Touf: 
faints wollte fi) dieſer Arbeit unter der Aufficht und mit dem 
Beyftande der Herren Merian und Sulzer unterziehen, 
und es war eine Zeit, wo der Berfaffer felbft ſich entfchloffen 
hat⸗ 

(1) Der ſelige Winkelmann ſagt ſelbſt in einer Nachricht, die für das Publicum 
beftimmt war: Apres le premier Eſſai de P’hiftoire de l’art traduit en 
Francois, l’Auteur voiant que fon ouvrage.a été favorablement resu du 

Public; a tach@ de le perfeftionner; & par l’experience confecutive de 
plufieurs anndes & par des decouvertes & des obfervations qu'il a eu 

occafion de faire continuellement, l'a tellement refondu, qu'au lieu 

d’un volume de l’impreflion allemande il l’a augmente jusquà deux vo- 


lunıes en 4°. 
(2) Nachricht die. Winfelmannifchen Schriften betreffend. 


Doree de XXI 


hatte, aus dieſer Urſache nach Berlin zu reiſen, um mit ſeinen 
eigenen Augen uͤber die Richtigkeit der Ueberſetzung zu wachen. 
(1) Die Vorſehung hatte etwas anderes uͤber ihn verhaͤngt; 
und, ſo wenig wir auch von den Ich weis nicht was, wel⸗ 
ches man Ahndung nennet, zu glauben aufgelegt ſind, ſo 
gewiß ſcheint es uns doch, daß der ſelige Winkelmann ei— 
ne Vorempfindung ſeines Ungluͤcks gehabt habe. Auf einem 
Papiere, welches er in Trieſt beſchrieben hat, finden wir: 
Erinnerungen für den künftigen Herausgeber der 
Gefchichte der Kunſt, die wir beynahe für das Teftament 
des Berfaffers annehmen müßen. Er hatdarinn alles, was er 
beobachtet willen wollte, aufs genauefte und beftimmtefte ange- 
zeigt, felbft Dis auf Kleinigkeiten, welche die Art des Drucks, 
die Drdnung der Noten, die Einrichtung der Regiſter und 
dergleichen betreffen. Diefes Papier ift gleichfam mit feinem 
Blute bezeichnet; denn er ſchrieb es in der Stunde, da er er— 
mordet wurde, und fein Mörder überrafchte ihn bey der fünf: 
fen Rummer, die er zu fehreiben angefangen hatte und unvol- 
lendet zu laffen gezwungen war. Seine Gefihichte der Kunft 
| eg iſt 

(1) Wir finden dieß in einer feiner Handſchriften, mo er fagt: 1a tradu- 
&ion fe fera a Berlin par Mr. Touffaints, PAuteur de l’ouvrage qui a 

pour titre lesmoeurs, fous les yeux m&me de l’Auteur, quiy va dans 

ce deflein,& avec l’afliftance de piufieurs Savans de l’Academie royale 


de Berlin. Apres que la traduction fera achevee, l’Auteur la fera 
imprimer à Rome & à ſes frais &c. &c. 


XXI Dorrede 

ift indeffen Durch einen ſehr rechtmäßigen Titel, deffen Anzeige 
hierher nicht gehört, in Die Hande der Akademie gekommen, 
und wir baden und bemüht, den legten Willen des feligen 
Mannes mit der größten Puͤnktlichkeit zu befolgen. (1) 

Es iſt hier der Ort, Rechenſchaft zu geben von dem, 
was wir bey der Ausgabe dieſes Werkes nach der Borfehrift 
des Verfaſſers gethan, und nach eben derſelben Vorſchrift un« 
terlaffen haben. Zuerft von dem legten Punkte. 

In der Handfchrift eines Mannes von Diefer Art etwas 
zu andern, wäre Suͤnde; ihn, in fein Buch hinein, verbef 
fern zu wollen, Unverſchaͤmtheit, und verbefferende Anmerkun— 
gen einzufchalten , unbeſcheidene Seldfigenügfamfeit. Man 
bat es nicht einmal gewagt, ihn gegen diejenigen Einwürfe 
zu vertheidigen, die ihm andere, theild nicht mindere Köpfe 
als er felbit, gemacht haben. Selbſt Die folgende Anmerkung 
ſoll keine Schutzſchrift für unfern Verfaſſer ſeyn, fie foll nur 

den 
(1) Vielleicht ift es einigen Zefern nicht unangenehm, in dieſer Note das Winkels 
mannifche Teftament zu finden. E8 lautet fo: 

1) Die nomina propria find mit nicht größern Buchftaben zu drucken, meil 

diefes die Harmonie des Druckes unterbricht. 

2) Die Regifter find folgendermaßen zu ordnen ꝛc. ıc. (gerade fo wie man fie ges 

ordnet hat.) 

3) Die allegirten Stellen find in ihrer natürlichen Zahlordnung zu feßen und 

nicht einander gegen über. 

4) Es darfim Texte nichts verändert werben, auch follen feine fremden Ans 


merfungen hinzu fommen: 
5) Es fol — (aber hierlugete Mufe!) 


Dorrede. XXIu 


den Unwillen ausdrücken, den wir empfinden, wenn ein gro⸗ 
Hes Genie veraͤchtlich auf ein anderes herab fieht, ohne fol- 
ches gekannt, oder deflen hohen Sinn verftanden zu haben. 
Heinrich Home in feinen Skizzen zu der Geſchichte 
der Menfchheit jagt etwas Cr), welches man von dem Ver— 
faffer der Grundfäge der Kritik nicht hätte vermuthen follen. 
Nachdem er die Urſache des Berfalls der Kuͤnſte allein in dem 
Defporismus gefunden hat, fo fährt er fort: „ Winkel- 
„ mann, welder die erwähnten Urfachen überfieht, nimmt 
„ einen Grund zu dem Abnehmen der fhönen Kuͤnſte in Grie— 
„chenland aus dem Vellejus Paterculus her, der ziemlich laͤ— 
„cherlich iſt. — Natürlicher Weife reist dasjenige, was mit 
„ dem größten Fleiße erlangt wird, endlich aufs hoͤchſte; und 
„ beydem Bollfommenen ift der Stilfftand nicht leicht, fo daß 
„, alled was nicht weiter gehen kann, zurück gehet. Der Be 
„ griff vom Schönen, fagt Winkelmann, Fonnte nicht voll 
„ fommener werden, und Diejenigen Künfte, welche nicht 
„ weiter gehen Eönnen, werden Durch eine Rothwendigkeit in 
„ae 


(1) Nad) der beutfchen Ueberfegung S. 176. 

Es ift hierbey anzumerken, daß diefe zu Leipzig erfchienene Weberfebung bes 
Bome in allen Ruͤckſichten niche einmal mittelmäßig gut genennt werden 
fann. Selten ift der Sinn des Verfaffers getroffen , und die Unmiffenheit bes 
Dollmetſchers iſt überall zu fehen. Einmal macht er fügar aus ber bes 
kannten Aune de Bretagne eine Unna von Großbrittannien. 


XXIV Vorrede. 


„alten menſchlichen Dingen ruͤckgaͤngig; namlich, wenn fie 
„ nicht jteigen Eönnen, fo müffen fie fallen, weil das Stilffte- 
„hen Feine Eigenfehaft eines erfchaffenen Dinges ift. ,, 

Wenn etwas hier lächerlich ift, fo ift es die Winkelman- 
niſche Behauptung gewiß weniger, als der Tadel des ſchotti— 
ſchen Lords, Der legte widerfpricht ſich felbft, denn in eben 
dem Buche fehreibt er das Abnehmen der Mathematik in Eng: 
land auf die Rechnung feines großen Newtons, welden man, 
weil er den höchften Gipfel Diefer hoͤhern Kenntniß erreicht Hate 
te, zu übertreffen verzweifelte,und daher (ſo meynt es der Mann) 
lieber am Fuße des Berges Eleben blieb. Und Dies war gera- 

de der Fall bey den Künftlern nad) einem Apelles, Prariteles 
und Lyſippus, wozu noch die Sucht der Nachahmung gerechnet 
werden Fann, Die das Genie in der Kunſt ſchwaͤchet, und Die hin⸗ 
gegen im Fache der Mathematik nicht in diefem Grade Statt fin- 
det, oder nicht in dem Grade fehadlich iſt, als in der Kunſt. 
Doch Winkelmenn iftes nicht allein „der Homen lächerlich 
fheinet; fein eigener Landmann, der große Baco wird von 
ihm im. Grabe gemishandelt, weil er, als Minifter , einen 
Minifterbrief eben fo gefehrieben hat, wie er nad) der dama— 
ligen Art gefchrieben werden mußte. (1) Ihm aber geziemte 
es am wenigften, über unfern Verfaſſer zu richten, nachdem 
er 


(1) Home ©, 152. 


Dorrede XXV 


er kurz zuvor den laͤcherlichen Fehler begangen hatte, das be— 
Eannte Bruftdild des Kaiſers Claudius, welches der Lord Gal- 
Ioway im Eſcurial gefunden hat, in eine Düfte des Kaifers 
Saligula umzufchaffen. 

Nicht fo Leßing und Hepre, die beyderfeits, jener 
früher, da Winkelmenn nod) lebte, diefer fpäter, mit 
gleicher Gelehrſamkeit, gleihem Scharfſinne und gleicher 
Beſcheidenheit ed unternommen haben, die Geſchichte Der Kunft 
zu berichtigen. Beyde treffen nicht felten mit den eignen Ver: 
beiferungen des Autors zufammen; zuweilen aber, befonders 
im zweyten Theile, find Diefem noch einige von jenen bemerkte 
Fehler unbemerkt geblieben, meiftens Fehler des Gedaͤchtnis— 
fes in Kleinigkeiten, die Winkelmann, der Schöpfer eines 
großen Syſtems, wenigſtens eben fo que zu überfehen das 
Hecht hatte, ald Montesquieu die feinigen in feiner Art, Es 
ift, zum Beyſpiel, nicht zu leugnen, daß der Bater des Smi— 
lis Guclides heißt, nicht Eucles Cı); daß das Gefecht des 
Herkules mit der Antiope zu Olympia fand, nicht zu Elis Ca); 
daß man in andern Stellen Ariſtomedon, nicht Ariſtodemon 

(1); 


(1) Geh. der K. S. 621. 


(3) Eb. daf. ©. 622. wie denn überhaupt Winkelmann mehrmalen Elis mie 
Dlympia verwechielt hat. 


d 


XXVI Vorrede. 


(1) zu leſen hat; Dameas, nicht Demeas (2); Eladas, 
nicht Ageladas (3): nicht minder iſt es unwiderſprechlich, 
daß die Heyniſche Zeitrechnung genauer und richtiger iſt, als 
die Winkelmanniſche. Allein, da alle dieſe kleinen Verſehen 
in das Weſentliche des Lehrgebaͤudes von keinem Ginfluffe ſind, 
jo haben wir billig Die letzte Verordnung des Verfaſſers ge- 
treu befolgen müffen: fein Werk nie durch fremden Pinfel viel- 
farbig zu machen; fo wenig es und auch an Stoffe hätte feh— 
len Eönnen , gefegt wir hätten uns nicht einmal der uralten 
Büter der Kunfigefehichte, fondern bloß der neuern Schriften 
von Chrift, Caylus, Leßing, Erneſti, Heyne, Walch, 
Klo und von andern Altertfumsforfchern bedienen wollen. 
Diefe Bemühung wäre ohne Zweifel leichter gewefen, 
als das Uebrige, das wir bey dieſer Gefhichte der Kunſt ge- 
than haben. Schon vor einigen Fahren wurde dag Winkel: 
mannifche Manufeript von einem Mitgliede der Akademie mit 
großer Treue und vielem Fleiße abgeſchrieben: wer das Ori— 
ginal gefehen hat, wird urtheilen, daß zu diefer Arbeit nicht 
gemeine Kenntniffe ‚und außer den Kenntniffen eine vorgüali- 


de 


(1) ©. 623, 

(2) ©. 623. 

(3) ©. 637. In der erften Ausgabe fand: Ageladas von Argos, Meifter des 
Polyeletus, Bey der Umarbeitung fihrieb Winkelmann, ftate Polycletus, 
Phidias; vergaß aber, auch ftatt Ageladas, Eladas zu ſchreiben. 


Dyorrede XXVII 


che Aufmerkſamkeit erforderlich waren. Von einem andern Mit: 
gliede der Akademie, welchem man die Beſorgung der Ausga— 
be anvertraut hatte, wurde das Original mit der Copie ſorg— 
faͤltig verglichen; und da der felige Winkelmann, auf fer 
ner legten Reife, zu Wien, Trieft und an andern Orten vie: 
le Zufäge zu feinem Werke auf Eleine Papiere, theild nur 
mit Bleyftift, gefehrieben hatte, fo war man bedacht, dieſe 
an den gehörigen Orten einzufchalten. Für Die Unkoſten des 
Drucks und der Kupfer wurde von einem edlen Manne geforgt, 
einem Derehrer der Winkelmannifchen Aſche und einem Freuns 
de der Afademie. Ein anderer Edler, ein Freund der Grof- 
fen und Befhüser der Gelehrten, und, welches felten if, 
felbit ein Gelehrter, beläftigte fich mit der oberften Aufficht über 
die ganze Unternehmung, gleichwie er ohnehin ſchon mit der 
Sorge für das Wohl der Akademie beläftigt war. Man er- 
wartete noch verfihiedene Beyträge ungedruckter Winfelman- 
nifhen Schriften und Briefe; man hatte Hoffnung, derglei— 
chen zu erhalten. Allein, da diefe Hoffnung nicht ſowohl ge- 
taufht, als verlängert wurde, fo beſchloß man, die neuausge— 
arbeitete Gefchichte der Kunft den Freunden des Geſchmacks 
nicht weiter porzuenthalten. Der Druck wurde alfo angefan- 
gen, eher noch, und folglich auch eher beendiget, als Die Ars 
beit der Kuͤnſtler, nicht aus Schuld der Legtern: denn man 
d 2 war⸗ 


XXVIII Vorrede. 


wartete lange umjonft auf einige Platten und Zeichnungen, 
die Winkelmann für fein Werk beftimmt hatte, unddiein Rom 
surückgeblieben waren Cr). Die jegigen Kupfer find theils folche, 
die ſchon in dem erfien Verſuche dieſer Gefchichte fid) befinden, 
theild andere, Die Der Berfaffer felbft gewählt, und wovon er die 
Zeichnungen hinterlaffen hat, ausgenommen die Kupfer des 
Titels und der Zueignungsfchrift, und den Apis C2), aus der 
Sammlung des Hern Safanova, deffen Zeichnung Herr Lip- 
pert mitgetheilt hat. Alle Kupfer aber find unter der Auf 
fiht des Herrn Schmuger von verfchiedenen Afademiften ge= 
fiohen worden, umd es fheint, als wenn dieſer wuͤrdige Die 
rektor und Lehrer feinen Grabflichel in den meiften Arbeiten 
feiner Zöglinge wieder erfennete, 

In Anfehung der Regifter hat man ſich puͤnktlich an die 
Vorſchriſt Des Autors gehalten, wobey jeder Mann von Ein- 
fiht bemerken wird, daß die foffematifche Vorftellung des In— 
halts mehr für Lefer von feiner Art, das heißt, für ſolche da— 
ſteht, welche den Plan des ganzen Werks, wie in einer Land- 

char⸗ 


(1) Dieß ift die Urſache der Vermiſſung des Werks von gebrannter Erbe (S. 93); 
man ſehe auch einen aͤhnlichen Fall S. 464. 

(3) ©. 54. Wir nennen es einen Apis, ob wir gleich wiſſen, daß nicht jede als 
te Figur eines Ochſen einen Apis vorftellen muß. Ben diefer Gelegenheit ers 
innern wir, daß der Herr General, Freyherr von Kettler eine folhe Figur 
in Bronze befißt, welche vielleicht die ättefte und fehönfle ift, die man jemals 

gefehen bat. 


Dortede, XXIX 


charte, uͤberſehen koͤnnen und wollen; daß hingegen das alphabe⸗ 
tiſche Regiſter der Materien bloß zum Beſten der mindern Le— 
ſer, oder allenfalls noch um dem Gedaͤchtniſſe der gelehrtern zu 
Huͤlfe zu kommen, gemacht iſt. 

Die Zueignungsſchrift an einen Fuͤrſten, deſſen Ge— 
ſchmack ſo gut eine Richtſchnur fuͤr den Geſchmack des Gelehr— 
ten und des Kuͤnſtlers ſeyn muß, als ſeine Klugheit ein 
Geſetz fuͤr den Staatsmann iſt, hat zum Verfaſſer den 
Herrn Joſeph von Sonnenfels, welcher, als Sekretaͤr der 
Akademie, zugleich der Sprecher derſelben an ihren durch— 
lauchtigen Protektor iſt. 

In Anſehung des Papiers und des Drucks hat man 
mehr fuͤr die Ehre des Werks, als fuͤr den Nutzen der Im— 
preſa geſorgt. Doch dies war ein ſchuldiges Opfer fuͤr das 
Andenken eines Mannes, der, mit einer anderen Art, als 
mit welcher Mummius Korinth pluͤnderte, um Rom zu zieren 
die Schaͤtze Welfchlands und der Kunft erobert hat, um fol= 
che feinem deutſchen Baterlande durch dieſes ewige zu 
verehren. 

Einige Druckfehler, die bey allem angewandten Fleis— 
fe, fi) doch noch eingefchlichen haben , find von der Art, 
daß fie beynahe Feine Anzeige verdienen, Man wird in Die 

3 ſem 


KIX Dorrede 


fem Werke einmalein i, anflatt eines c, Cı) ein e, anſtatt 
eines i, (2) ein o, anftatt einede, (3) ein o, anftatt ei: 
ned, (4) ja fogar den vermeinten Begriff der Schoͤn— 
beit, ftatt des verneinenden (5), finden. Diefe und ähn- 
lihe (6) Fehler Eönnen den Lefer nicht irre führen, weil fie 
den Sinn nicht flören, und find bey einem Werke von Die- 
fer Art verzeihlicher, ald bey Eritifchen Ausgaben alter Au- 
foren. 

Ein Kenner, welcher einige abgedruckte Bogen dieſes 
Werkes gejehen, hat getadelt, daß bey gefihnittenen Stei— 
nen nicht allezeit der Befiser davon angeführet worden, wie 
fonft der Berfaffer zu thun gewohnt gewefen. Allein Die Gem 


men 
(1) ©. 787. Marius Agrippa , fatt Marcus, 
(2) ©. 495. Vetruvius flatt Vitruvius 
(3) ©. 225. XagıroßAopaeos, ftatt xagıroßAepagos. Desgleihen ©. 3 2 
Govdormw, flatt oDevdorw. 
(4) ©. 319. xeeam, flatt xegrw. 
(5) ©. 248. am Rande, 
(6) ©. 814. wird der Borahefifche Sehler von jedem Lefer als Sechter erfannt wer» 


den. ©. 291. fteht Ass ſtatt Alosc, fo wie ©. 293. xverora, flatt 
xvereras. Doch dergleichen Dinge weiter zu berühren, das wäre eben fo unz 
nöthig, als wider unfern Verfalfer eine Differtation über die Wirkungen des 
Scheidewaſſers zu fchreiben. Man fehe S. 534. Benläufig ift noch zu erin⸗ 
nern; daß, wenn man einen befannten Stein immer Agath, nicht Achat, 
gedruckt findet, folches nicht für einen Drucfehler zu halten it. Winkels 
mann hat beftündig Agath aefchrieben und wir waren verbunden, ihm zu 
folgen, ob wir gleich noch im friſchen Gedächtniffe haben, wie hoch einem bes 
veitg verftorbenen Gelehrten diefe Art zu fehreiben ang-rechnet worden. Einis 
ge kleine Verſehen in den Marginalien verbeffern fih in dem ſyſtematiſchen Res 
giſter von felbft, 


Dorrede XXXI 


men verändern zu oft ihre Herren; man müßte, wenn auch 
die verfchiedenen Manderungen folder Steine bekannt wären, 
oft eine Tabelle der Nachfolger des erften Beſitzers entwerfen, 
und dennoch würde die Abſicht nicht erreicht werden, weil zu 
eben der Zeit, wo man dem Lefer den gegenwärtigen Ort ci- 
nes Edelgeſteines anzeigen wollte, derſelbe den alten Ort 
verlaffen Eann, Mir wollen hiervon ein paar Exempel anfuͤh— 
ven. Der Herkules mit einem Sirater, oder Becher in der 
Hand, vor Admon gefchnitten, war, da ihn der Herr von Stoſch 
bekannt machte, (1) im Haufe Berofpi zu Rom, und wurde an 
den vor beyläufig sehen Fahren zu Brüßelverftorbenen paͤbſtlichen 
Nuntius Molinari verkauft, deffen ſchoͤne Sammlung von Stei- 
nen, nebft der berühmten Arundeliſchen in England , der Her— 
308 von Marleborough an fir) gebracht hat. In dem Eönig- 
lichen farnefiihen Mufeo zu Neapel war ehemals ein prädti- 
ger hochgefihnittener Kopf des Antoninus Pins, welden der 
Graf Thomfon, der Schwiegerfohn des großen Boerhave, an 
ſich zubringen wußte; und die von dieſem gefammelten gefchnit- 
tenen Steine wurden von Dem Statthalter Der vereinigten Nie . 
derlande gekauft. Weit größere Neränderungen aber gehen 
mit Eleinen Sammlungen ımd mit einzelnen Steinen vor, 
und es ift unmöglich, allezeit den gegenwärtigen Befiger auszu— 
forfchen. Nach 


(1) Pierres gravées. pl. 1. 


XXXII Port 


Rad unferm erften Plane follte dieſem Werke die aus: 
fuͤhrliche Lebensbeſchreibung des feligen Winkelmanns vorge- 
fest und ihm hiedurch im Namen der Akademie ein bleibendes 
Denkmahl errichtet werden, Wir wurden aber bald benachrichti— 
get, daß der Herr Bibliothecar Franke zu Dresden, ein alter. 
Freund Winkelmanns und ehedem deflen Mitatbeiter in der 
Buͤnauiſchen Bibliothek, fi mit dem Ehrengedaͤchtniſſe des 
grozen Mannes befihäfftige, wozu er alle Huͤlfsmittel befige, 
und daß er wirkich im Begriffe fey, ſolches herauszugeben. 
In der ſehnlichſten Erwartung dieſer Biographie, geben wir 
unſern Leſern indeſſen nur eine Skizze zu der Geſchichte Win— 
kelmanns, wir bedienen uns zu dieſem Endzwecke theils der 
Rachrichten des Herrn Paalzou Cı) theils der freundfchaft- 
lichen Beyträge, die wir von den Herren von Hagedorn, 
Heyne, Lippert, und andern wirdigen Männern erhal 
ten haben. 


Diefer Winkelmann, welder einft im Batican und im 
Campidoglio Deutſchlands Ehre feyn follte, war der einzige 
Sohn eines armen Schuhmachers zu Stendal, in der alten 
Mark Brandenburg , und wurde dafelbfi im Sabre 1717, 

geboh- 


(1) ©. en neue kritiſche Nachrichten, vom Sahre 1775. ©. 177. 
fe f 188. 


Vorrede. XXXII 


gebohren. CO) Damals taufte man ihn Johann Joa— 

chim; er hat aber in der Folge Verzicht auf den Namen 

Joachim gethan ‚entweder weil deſſen Ausſprechung, wie fie in 

den ſaͤchſiſchen Gegenden üblich iſt, feine Obren beleidigte; oder 

weil es der allgemeine Brauch in Italien, auch bey den vor: 

nehmſten Perfonen ift, ſich mit wenigen Namen zu begnügen, 

(2) Eben fo wurde Johann Nicolaus Gemeinhard durch Die 

Zärtlichkeit in dem Accente der Welfchen, unter denen ereine 

Zeitlang lebte, bewogen, fi) Johann Meinhard zu nen— 

nen. Ohne Zweifel hätte Winfelmenn durch nichts 

eher, als durch die Entderfung einer alten Münze des Koͤ— 

nigs Jojakim, mit feinem verworfenen Namen ausgeföhnt 
werden können. 

Denn 

(I) Einige Rachrichten nenıten fein Geburcsjahr 1718. Wir find nicht in ber 

Frühe genug, um zu entfcheiden. 

(2) Winkelmann hat vielleicht ale ein Verehrer des Alterthums die Italiaͤner 

um ihre noch jeßt gewöhnliche altrömifche und griechifche Namen beneidet. 

Hätte er nicht einen deutfchen Gefchlechtenamen gehabt, den auch ein Römer 

oder Tofcaner ohne viele Mühe ausfprechen kann; fo würde er vielleicht denfelben ing 

Griechiſche oder Lateiniſche überfeßt haben. In diefem Falle befanden fich felbft 

viele Künftler,, die ihre Namen, wollten fie anders in Italien befannt wers 

den, derandern mußten. Sogar die dafelbft in den Schulen ſehr beliebten 

Inftitutiones juris unfers ehrlichen Schneideweins find in allen dortigen neuen 

Auflagen unter dem Namen Joannis Oinotomi allein befannt- Schurzfleifch 

und andere, die fo harte erzdeutfche Namen haben, werden oder fünnen von 


Staliänern und Franzoſen nur felten genennet werden, fo ſehr fie es auch vers 
dienen. 


XXXIV Dorrede, 


Denn man fagt, daß Winfelmenn fihon in der 
Kindheit einen überwiegenden Hang zu der Erforfihung der 
Alterthümer geäußert habe. Die Zeit, in welcher man auf 
den fogenannten niedern Schulen unterrichtet wird, ift noch 
immer Zeit der Kindheit. Winkelmanns eriter Lehrer 
war ein gewiffer Toppert, Rector der Schule zu Stendal. 
Nur jelten hat ein großes Genie feine erſte Bildung durch 
ein anderes großes Genie empfangen, weil Köpfe von Diefer Art 
minder fahig find, durch mündlichen Unterricht ihres Glei- 
chen zu bilden, als durch den Glanz ihres Beyfpield andere 
Geifter zur Nacheiferung aufzuweden. Toppert wird bloß 
deswegen bey der Nachwelt einen Namen haben, weil er 
Winfelmenns erfter Lehrer, und beynahe fein zweyter 
Vater war. 

Gin Ungluͤck des Lehrers gereichte zu dem Vortheile 
des Zoͤglings. Toppert verlohr fein Geſicht; der junge 
Winkelmann, der fein Liebling war, mußte für ihn ſehen, 
leſen und ſchreiben. Toppert wurde für den Verluſt feiner 
Augen durch die Aufmerkfamkeit und Dienftfertigkeit feis 
nes Handbegleiters einigermaffen entſchaͤdigt; und der Leste 
wurde belohnet durch die weiſen Lehren feines alten Tirefias, 
noch mehr aber durch die Erlaubniß , die er hatte, fi) der 
Bibliothek deſſelben nach eigenem Wohlgefallen zu bedienen. 

Hier 


Vorrede. XXXV 


Hier las er alles, was fuͤr ihn leſerlich war, ohne die ge— 
woͤhnlichen Schulſtudien bey dieſer Lektuͤre zu verſaͤumen, 
welche fuͤr das Genie die fruchtbarſte, fuͤr den mittel— 
maͤßigen Kopf die gefaͤhrlichſte, und fuͤr den Undenker die 
unnuͤtzeſte iſt. Er hatte ſchon die alten Sprachen gelernt, 
wenigſtens mehr davon, als ſeine Jahre vermuthen ließen, 
er las die klaſſiſchen Schriftſteller mit hungrigem Eifer; Ge: 
ſchichte, Erdbeſchreibung waren ſeine Lieblingsfaͤcher, vor— 
zuͤglich aber die Alterthͤmer. Ex durchwuͤhlte die Sand— 
berge bey Stendal, um alte Urnen zu finden: denn das Ge— 
nie fühlt bald feine Beſtimmung, wenn es gleich in der 
Suaend nur nod im Zinftern tappt, oder wie im Tau— 
mel herumgeht, und aus Inſtinkt feinem Eünftigen Stand» 
orte nachfpürt, ohne eine uͤberlegte Abficht zu haben. Win: 
Felmenn fieng an mit Auffuchung alter Scherben , und 
endigte feine Laufbahn mit der Anfchauung und Betrachtung 
des Apollo, des Laokoon, der mediceifhen Venus und 
mit der unfterblichen Gefthichte der Kunft, 

Man will ſchon zu dieſer Zeit bey ihm eine gewiſe 
Gleichguͤltigkeit gegen die ſogenannten höhern Wiſſenſchaf— 
ten bemerkt haben. 1) Die Theologie wird mit Unrecht un— 

e2 fer 


1) ©. die Erzählung des Heren Paalzou in den Greifswalbifchen Fritifchen Nach⸗ 
richten, 


XXXVI Dorrede 


ter dieſelben gezählet; denn ihr Weſentliches iſt nicht die 
Wiſſenſchaft, fondern der Glaube, Das Weſentliche aber der 
Rechtsgelahrheit und der Mediein ift nichts anders, ald Phi- 
[ofophie und Geſchichte, e3 ſey denn, Daß man diefe beyden Faͤ⸗ 
cher Dis zu der Klafe der Handwerke erniedrigen wollte. 
Winfelmenn veracdhtete weder die gefunde Philofophie , 
noch die Geſchichte; er frudirte beyde fhon ald Gymna- 
fiaft mit größter Lernbegierde ; fie waren ihm Die böchften. 
Wiſſenſchaften. Wenn er aber gleichgültig gegen diejenigen 
theologiſchen Lehrgebaude war, die vormals das Organen und 
die Metaphyſik des Ariftoteles mit den Gefegen der Kirche 
und des Stifter derſelben vereinigen, und Durch Die Lehren 
des Heiden Die Lehre-Chrifti erklären, und ausvernünfteln 
wollten, dann fheint er ums volffommen noch nad) feinem 
Tode Durch Die Meisheit der großen Monarchin gerechtfertiget 
zu feyn, welche geboten hat, daß man ſtatt der alten ſcholaſti— 
ſchen Theologie Eünftig die biblifheund Dogmatifche lehren folle. 
Winfelmenn it getadelt worden, daß er zu Sten- 
dal die Eultur feiner Mutterfprache fat gänzlich. verfaumt , 
und fich einzig den alten Spraden, felbft der hebraͤiſchen 
gewidmet hat, Die es, wie einige behaupten wollen, an 
wenigften verdiente, weil ſie nur Die faft vergeffene Mutterfpras 
che eines Eleinen Volks ımd das Studium einiger Doktoren 
iſt. 


Dorrede XXXVI 


it. Aber Winfelmenn, ohne es feldit zu willen , leg- 
te hier ſchon den Grund zu der Erfhaffung feines eigenen 
maͤnnlichen deutfhen Stils. Denn diefen bildete er, 
indem er nicht den zleichzeitigen Schriftftelfern geradesu knechtiſch 
nachfolgte ; fondern, indem er fo fehrieb, wie die beften 
unter den Alten würden gefehrieben haben, wenn fie an feiner 
Stelle gewefen wären. Wer feinen Stil formet bloß nad 
gleichzeitigen Schriftſtellern, feiner Sprache, feines Landes, 
feiner Sitten, der wird immer etwas Maniertes in feiner 
Schreibart haben und nie original werden. 

Die Nachrichten , welche wir haben , daß Winfel- 
menn zu Stendal fhöne Reden in verfchiedenen Spra— 
chen gehalten, daß er bey minderm Alter allen feinen Mit: 
fihhllern den Rang abgewonnen, durch fein Feuer und 
feinen Fleiß, und daß fehon damals jedermann, dem er 
bekannt war, die größten Hoffnungen von ihm gefchöpft 
habe, alfe diefe Rachrichten laflen wir ohne Gebrauch, 
weil fie weder gewiß, noch wichtig genug find. 

Dieß aber ift gewiß, daß Winfelmenn, alg ein jun- 
ser Menſch von ſechzehn Jahren, 1733 nad Berlin reifete, 
begleitet mit einem Empfehlungsſchreiben an den Rector ei- 
ner dortigen Schule, welche man das Eölnifhe Gymnaſſum 
nennet. Dortfuchteer Gelegenheit ‚teils feine Kenntniſſe zu 

e 3 er⸗ 


XXXVII Dorrede 


erweitern, theils Durch feinen Fleiß in Unterrichtung der Ju— 
gend von minderem Alter feinen Unterhalt zu gewinnen, und 
ſelbſt noch etwas für feine Dürftigen Eltern zu erfparen. Es 
fcheint, daß er, wenigftensin der legten Roͤckſicht, zu Berlin 
feine Rechnung nicht gefunden hat: denn er kehrte bald wieder 
nach Stendal zuruͤck, in die Arme feiner Eltern, und in die 
Bibliothek feines Nectors. 

Mit den dortigen Schulen ift insgemein ein Inſtitut 
verknüpft, welches, ob es gleich den Lernenden einen Theil 
ihrer Zeit raubet, und mit den Gefegen einer guten Policey 
nicht immer übereinftimmt, doch ſchon manchem großen Man— 
ne in feiner Jugend die Außeren Hülfsmittel verfchaffet hat, zu 
leben, zu lernen und einft groß zu werden. Es gehen nämlich 
Geſellſchaften von Schülern, die man Chöre nennet, durch 
die Gaffen der Stadt, und fingen gegen eine geringe Be— 
lohnung mit einer Art, Die nicht die angenehmfte ift, vor je— 
der Thür ein Lied, eine Arie, oder eine fogenannte Motete, 
Es gereichet dem nachmaligen Präfidenten der Alterthiimer zu 
Kom nicht zur Schande, in feiner Jugend der Regent eines 
folchen Chores gewefen zufeyn. Er erwarb ſich dadurch, auf- 
fer dem Nothwendigen für feine wenigen Bedürfniffe, noch den 
Troſt, bey Aller feiner Armuth feine Eltern zu tröften, und 
ihnen fo viel als möglich war , beyftehen zu Eönnen. Leber Win- 

kelman⸗ 


Dorrede NRXIX 


kelmannen vermochte der Mangel nichts, welcher fo oft Die be- 
ften Köpfe muthlos macht, und fie fo lange druͤckt, bis fie fi) 
aufs mindefte in eine Art von Unthätigkeit und Lethargie hin— 
ein kuͤmmern. Die Sorgen der Nahrung wirkten bey ihm, 
was der Druck bey einem elaftifchen Körper verurfachet: Ber 
ſtreben fich auszudehnen, und alle Dinderniffe der Ausbreitung 
zu entfernen. 

Er verließ Stendal, wo er nicht3 mehr lernen Eonnte, 
und reifete 1738. nad) Halle in Sachſen, um feine Studien 
auf der Dafigen Lniverfität fortzufegen. „ Kaum, fagt Herr 
„ Paalzou, war er in Halle angekommen, fo that er in Ge: 
„ fellfchaft einiger feiner Landesleute eine Reiſe nach Dresden, 
„ um theils die Seltenheiten diefer berühmten ſaͤchſiſchen Reſi— 
„ denz zu fehen, theild um die Feyerlihkeiten, die damals 
„ bey der Bermählung der ſaͤchſiſchen Princeflinn niit dem Kö» 
„ nige beyder Sicilien angeftellt wurden, in Augenfchein zu 
„ nehmen. „ Wir willen, daß dieß nicht die wahren Urſa— 
chen von Winfelmenns Reife nach Dresden waren. Rad 
feiner damaligen Denkart hatte ein altes Buch mehr Reize für ihn, 
als alle fürftlihe Sige und Fefteder Höfe. Erfand es fehr ſchwer, 
in Halle feinen Unterhalt zu erwerben, weil er noch Eeinen Be— 
ruf fpürte, feine Bemühungen zu den frommen Anftalten des 
dortigen Waifendaufes berzuleiben; er bediente ſich alfo der 

(es 


XL Dorrede, 


Gelegenheit, einige Freunde nad Dresden zu begleiten, um: 
dort die Stelle eines Hauslehrers zu ſuchen. Er hatte eine 
Empfehlung an den bekannten Doetor Löſcher; fein Ungluͤck 
aber, oder vielleicht fein Gluͤck wollte, daß er dieſem Super- 
intendenfen mißfiel, ohne Zweifel, weil er von Halle kam. 
Er gieng Daher wieder zurück, ohne feinen Endzweck erreicht 
zuhaben, undbliebin Halle, wo er nad) einem Plane ftudierte, 
defganz ungewoͤhnlich war. 

Halle war Damals eine berühmte Univerſitaͤt, mit be— 
ruͤhmten Profefforen in allen Wiſſenſchaften, nur in denjeni- 
gen nicht, welche für Die Lernbegier unfers Winfelmenns 
den größten Anzug hatten. Er Defuchte alſo nur wenige Vor— 
leſungen, ſtatt deren aber die öffentlichen Bücherfäle, weil er 
ſelbſt zu dürftig war ‚um fich Buͤcher Eaufen zu Eönnen. ı) Die 
Griechen waren fein vornehmftes Augenmerk, feine Seelen- 
ſpeiſe; er vergaß über Diefem Studio oft die Bedürfniffe des Lei- 
bes, umd lebte , wie der weile Sohn des Reocles, deffen Mäs- 
figkeit der heilige Hieronymus den Khriften zur Nachahmung 
empfiehlt, von Brod und Waſſer. Er überfeste, fagt Herr 
Boyſen, und erklärte den Herodot, als od ein Genius ihn in« 
ſpirirt hätte, Zu dieſer Zeit hat er einigemal an den berühm- 

ten 


1) ©. die Briefe des Haren Boyſen, an Herrn Slim S. 34. ff 


Dporrede XII 


ten Geßner gefchrieben, welder oft Anlaß befam, junge 
wuͤrdige Männer zu Schulämtern zu empfehlen. Vermuthlich 
bat Geßner die Briefe eines anachenden Gelehrten für allzu— 
unbedeutend gehalten, um fle in feinem Archive aufzubewah— 
ven. 

Unter einen Meußerlichen, welches dis zur Demuth be 
fcheiden war, verbarg Winkelmann einen hohen Sinn und 
große Abfichten. Zwar nahm er auf eine Zeitlang die Stel: 
le eines Hauslehrers bey einem Amtmanne im Halberftädtifchen 
an; aber in der Stille nährte er ein kuͤhnes Project, weldes 
nac) feiner damaligen Lage beynahe chimaͤriſch genennt werden 
fonnte. Gr wollte, ohne eine andere Unterſtützung, bloß 
mit feiner Wißbegierde, mit feinem Muthe, und mit feiner 
Sparfamfeit, fremde Länder fehen; und er befchloß mit Frank⸗ 
veich den Anfang zu machen. Wirklich hatte er ſchon einen 
Theil des Weges auf feinen Füßen zurückgelegt; er war, ſag— 
te man, bis nad Gelnhaufen gefommen, als er Durch die Un— 
ruhen Des Krieges von 1741 an der Fortfesung feiner Reife 
gehindert wurde. Er kam zu feinem erjten Berufe, Kinder 
zu unterrichten, doch ungern zuruͤck; und befand ſich, als 
Hauslehrer, nach und nach bey einem Nittmeifter Stoll: 
mann zu Ofterburg, und bey einem Oberamtmanne Lamprecht 

zu 


f 


XLII Dorrede 


zu Heimeröleben. An dem legten Orte fah ihn Herr Boyſen, 
der von dem Lonrectorat zu Seehaufen, welches er vorher ver- 
waltet hatte, zu einer wichtigern Stelle ernannt, und mit 
dem Auftrage verfehen war, fi einen geſchickten Nachfolger 
aufzufuchen, Winkelmann war, in Ermanglung befferer 
Ausfihten, mit dieſem Amte zufrieden, und er erhielt es im 
Jahre 1742. auf die Empfehlung feines Vorfahren, ob er gleich 
fir Daffelbe zu groß, und folglich in den Urtheilen Eleiner Leu— 
te nicht Dazu gefchteft war. Leber diefen Punkt wollen wir den 
Heren Boyfen hören ‚weldper an den berühmten Gleim fehreibet: 
» Sch nahm mi Wintelmenns aus allen Kräften an, » 
„ nachdem er mich Durch bewundernswürdige Proben von 
„ feinen großen Talenten, und von feiner Stärfe in der 
„ sriechifchen Litteratur überzeugt hatte; und ic) habe es 
„ dahin gebracht, Daß er mein Nachfolger im Amte gewor- 
„ den if. Mas meynen Sie aber! Jedermann in Seehau— 
„ fen glaubt, daß ich mehr fir Winkelmenn als für die 
„ Schule geforget hätte, und verfhiedene meiner Freunde 
„ haben mir die bitterſten Verweife gegeben. Der neue 
„Conrector kann nit predigen; es mag ihm auch wohl an 
„ der Aufßeren Lehrgabe fehlen, und vielleicht iſt ihm Die 
„ Bühne zu eng; kurz die Zahl der Schuͤler hat fid) merf- 
2 lich 


DOLL IE XLII 


„ lid) verringert, und Winkelmann hat mich muͤndlich 
„und ſchriftlich erſuchet, ihn anderwaͤrts unterzubringen. „ 
Nichts macht eine uͤblere Figur, als ein Kopf, den 
man in eine unverhaͤltnißmaͤßige Niſche geſetzt hat, oder ein 
großer Obeliſcus auf einem kleinen Plage. Winkelmann 
befand fih zu Sechauſen in einer Sphäre, Die fir ihn zu 
niedrig war. Zunge Leute in den Anfangsgründen der alten 
Sprachen, ımd in den Grundfüsen ihres Glaubens zu un« 
terrichten, iſt ein verdienftvolles Werk; (1) und ein fol- 
ches Amt zu verwalten iſt nicht unruͤhmlich. Aber Win— 
Felmenn, den Kopf voll von hohen Abfichten, mußte notd- 
wendig feinen Schülern zu Seehaufen eben ſo mittelmäßig 
vorftehen, als Jupiter dem Himmel, folange Minerva in 
feinem Gehirne ein Embryo war. Indeſſen, wenn er gleich 
nicht Die erforderliche Gabe der Herablaßung zu feinen Aku— 
ftiefern befaß; fo Eonnte man ihm Doch Eeinen Mangel an 
Fleiß und Geduld, Diefen zwo nothwendigen Tugenden eines 
Schulmannes, zur Laft legen. Er lehrte nicht nur mit größ- 
ter Treue, die and) endlich erkannt wurde; fondern er 
lernte felbt und ward in den Nebenitunden fein eigener 
Schuͤler. 
— Es 
(1) Dieſe find die vornehmften Geſchaͤffte eines dort ſogenannten Conrectors. 
Das Predigen iſt nur etwas Zufaͤlliges, weil es dort insgemein uͤblich iſt, 


die Schule als den Weg zur Kanzel zu betrachten, eine Gewohnheit, die für 
die Bildung der Sugend nicht die erſprießlichſte iſt. 


XLIV Dorrede& 


Es ſcheint nämlich, daß er zu Diefer Zeit zu dem 
deutlichen Bewußtfeyn des Inſtinktes gelanget, der unmerk— 
lich ſchon laͤngſt ihn geleitet Hatte, und daß er dadurch ans 
gereiget worden, ſich einen ordentlichen Plan über fein Fünf- 
tiges Leben zu entwerfen, Bereits hatte er Die weite Reife 
durch Die Felder des Alterthums, foweit dev Weg Dur 
Buͤcher gebahnt ift, vollendet; er überfah von Memphis an 
bis nach Rom, von den Olympiaden bis zur Hegira, alle 
Schäge der grauen Welt, nebft ihren Ruinen, wie man 
etwa Megypten, Griechenland und Italien auf einer Mappe, 
und die Begebenheiten dieſer Reiche in einer chronologiſchen 
Geſchichte nach Art des Henault überficht, Der gewöhnliche 
Antiquar hätte fi) mit diefer Gelehrfamfeit für übergelehrt 
gehalten und darinn ein Uebermaaß von Zufriedenheit ge— 
funden. Aber es liegt in der Natur erhabener Geifter, ſich 
auch) mit Vielem nicht zu befriedigen und da, wo ein jeder ans 
derer das Ende feiner Laufbahn findet, erſt den Anfang der 
ihrigen zu fuhen. Winfelmenn fühlte, daß ihm defto 
mehr fehlte, je mehr er beſaß; alle hiſtoriſchen Kenntniffe, 
die er fi) bey der Lampe erworben hatte, waren nicht hin- 
laͤnglich, feine Wißbegierde zu beruhigen; er beſchloß, wo 
möglich, feine gelehrten Ideen Durch die Anſchauung zu rea— 
liſiren, das feldft zu fehen, was er biöher nur gelefen hatte, 

und 


Doawrede XLV 


und die Lederbleibfel der Vorwelt auf eine nähere Art, als 
aus Büchern, kennen zu lernen. Unſere Muthmaſſung, daß 
dieß ſchon damals feine überlegte Abſicht gewefen ſey, wird 
durch verfihiedene Umſtaͤnde beftätigt. Man weiß, daß er 
fchon als ein werdender Juͤngling den enthufiaftifchen Gedan- 
fen bruͤtete, nad) Megypten zu gehen, um Dort feine Augen 
an den Reiten der vorigen Hoheit diefed Landes zu weiden. 
Zu feiner unterbrochenen Reiſe nad) Frankreich ward er ver 
anlaßt durch Caͤſars Geſchichte des galliſchen Krieges, Die 
feine Einbildungstraft erhist hafte. Denn damals faßte er 
Teuer von allem was alt war, und das Studium der Kunfl 
hatte noch Feine Herrichaft in feiner Seele, weil ihm der 
Gegenftand feiner nachherigen Begeifterung noch nicht leb— 
haft war. Sein ganzes Betragen zu Seehaufen , eine Mi- 
ſchung von Außerlih finfteum Weſen und innerer Unruhe, 
verrieth dem Menfchenkenner einen Mann , der nicht willens 
it, Conrector zu bleiben, der große Abfichten hat, und weit 
in Die Ferne binausfiehf , ob er fein Ziel endlich einmal er: 
blicken möchte, Auch wird Die Wahrfcheinlichkeit unferer 
Mutdmaßung gerechtfertiget durch Die Folge, und erhöhet 
durch die Betrachtung des Gebrauchs, welden Winkel: 
menn zu Seehaufen von der Zeit machte, die ihm eigen- 
thuͤmlich war, weil ex fie nuͤtzen konnte, ohne die Pflichten 
f3 feines 


XLVI Dorrede 


feines Amtes zu vernachläßigen. Diefe Zeit wendete er an 
theils ein Magazin von zweckmaͤßigen Collectaneen zu ſam— 
meln, theild Diejenigen Sprachen zu lernen, Die ihm noch 
fehlten und ohne die er nicht glaubte, fein Studium vollen- 
den zu koͤnnen: Die franzöfiiche, italianifche und engliſche. 
In der erften hatte er zwar nicht die größte Fertigkeit, Die ihm 
Herr Paalzou beylegen will; doch befaß er einige Vorer— 
fenntnife. Die legten hingegen Iehrte er fich felbft ganz 
allein, ohne mündlichen Unterricht, blos verfehen mit eini= 
gen ſchlechten Grammatifen und mittelmäßigen Woͤrterbuͤ— 
chern. Bon feiner Seite wäre er bald im Stande geweien , 
zu der Ausführung feines Planes zu ſchreiten, Die ganze 
Borbereitung war fertig; aber zwey mächtige Hinderniffe 
ftanden im Wege: feine außerlihe Lage und fein edles 


erz. 

Noch lebte ſein alter Vater, gedruͤckt von der Laſt der 
Jahre, von Kummer und Armuth zu Boden geſchlagen, und 
am Rande des Grabes bloß getroͤſtet und unterſtuͤtzet durch 
ſeinen einzigen Sohn. Winkelmann ließ gern die kind— 
liche Liebe in ihrem Kampfe mit dem Enthuſtasmus ſeines 
Geiſtes den Sieg davon tragen. Ex entfagte alfen feinen 
Abſichten, um das übrige Leben des Greifes zu erleichtern, 
dem er dad feinige fchuldig war, und ſuchte fie nicht eher 

wie⸗ 


DI dERLEDIE XLVII 


wieder hervor, als bis er feinem Vater die Augen zugedrü- 
det, und fi) die Thränen über feinen Verluſt nad und 
nach) abgetrocknet hatte. 

Seine Seele war jett leer von allen andern Eorgen 
und bloß erfüllet mit der Sorge der Wißdegierde und mit 
aneiferndem Feuer zur Ausführung feines Plans. Aber Die 
Hände waren ihm gebunden. Er war nicht reid) genug, 
um ohne fremde Benhülfe bis an das Ziel zu gelangen, 
und nicht mehr Juͤngling genug, um zu glauben, man fün- 
ne bloß mit Wiffenfchaft und Eifer durch die Welt reifen, 
ohne Unterftügung des Gottes Plutus, oder irgend eines 
Mäcenas, Er lebte in einem Eleinen Orte, ohne mächtige 
Freunde, und der Welt unbekannt: denn noch war er fein 
Schriftſteller und dachte vielleicht nicht im Traume daran, 
es einfieng zu werden. Vielleicht hätte ihn fein innerliches 
Teuer, dem er feine aͤußerliche Nahrung geben Eonnte, felbft 
aufgezehret, wenn nicht der deutfhe Peirefeius gelebt, und 
die Freude gehabt hafte, einen Mann von Diefer Art zu ent: 
decken und aus dem Staube zu ziehen. 

Zeinrich, der ältere, Graf von Bünau ift bekannt 
als einer der weifeften Staatdmänner, als einer der befien 
Echriftfteller und als einer der größten Beförderer der Lit: 
teratur in Deutfchland, im achtzehnten Jahrhunderte. Seine 

Ver⸗ 


XLVIII Dorrede, 


Berdienfte als Miniſter weiß jedermann; von feiner Gelehr: 
famfeit, feinem Scharffinne und gutem Gefhmade hat er 
der Nachwelt Beweife hinterlaffen in feiner deutichen Reichs— 
gefchichte einem klaſſiſchen Werke, und in feiner vortreflichen 
Buͤcherſammlung, die jest eine Zierde von Dresden iſt. 
Dies war der Edle, dem wir noch überdieß unfern Win» 
kelmann zu danken haben, der ohne den Grafen von Bil: 
nau vielleicht niemals diefer Winkelmann geworden wäre, 
Der Graf erfuhr zufälliger Weile das Dafeyn diefes fo fon- 
derbaren und fo großen Mannes: er rief ihn aus der Dim: 
kelheit, und gab ihm eine Stelle bey feiner Bibliothek, gab 
ihm Ehre und Ueberfluß für feine Bedürfniffe. Dieß geſchah 
im Sabre 1748. Alſo hatte Winkelmann. einen großen 
Schritt gethan, und fahe ſich näher als jemals, an der Aus: 
führung deffen, wozu er beftimmt war. 

Sein Leben zu Nötheniz ı) war fehr einförmig: 
er lebte mehr für Die Bücher, als für die Menfchen. Ges 
meinſchaftlich mit Herrn Franke beſorgte er die Gefchäffte 
der aräflihen Bibliothek: durch die freundfchaftliche Zuſam— 
mentretung dieſer beyden gelehrten Männer wurde Die vor 

trefliche 


1) Ein Landfſitz des Grafen von Buͤnau, mo derſelbe auch feine große Bibliothek 
hatte, Er hatte in der Folge, wo wir nicht irren, noch) eine Kleinere zu 
Weimar. 


Vorrede XLIX 


trefliche Ordnung dieſes Schatzes eingerichtet, 1) und der 
Schatz ſelbſt durch die Verſchwendung des Grafen, der nur 
in dieſem Punkte verſchwenderiſch war, durch Ankaufung der 
ſeltenſten und koſtbarſten Buͤcher, auch ganzer Sammlungen, 
von Zeit zu Zeit vermehret. Man kann denken, daß Win— 
kelmann, hier in ſeinem erſten Elemente, auch auf ſich ſelbſt 
und ſein Lieblingsſtudium bedacht war. Er fand theuere Werke, 
die er noch nie geſehen hatte; er benutzte ſie nach ſeiner Ge— 
wohnheit; und es ſcheint, daß er hier zuerſt auf die Kunſt 
der Alten aufmerkſam geworden und ſtufenweiſe vom Anbli— 
cken einiger Kupferſtiche, bis zum Anſchauen der Antiken in 
dem benachbarten Dresden, nebſt den dortigen Copieen alter 
Werke, dann bis zu den platoniſchen Ideen fortgeſchritten 
iſt, aus welchen, nachdem er ſie in Rom berichtigt hatte, 
feine Geſchichte der Runft entſtand. Sein Hunger nad 
Wiſſenſchaft trieb ihn, fogar die Kirchenväter zu leſen; viel- 
leicht hat diefes Studium etwas beygetragen, in der Folge 
ihn mit der Kirche zu vereinigen, zu der er ſich vorher nicht 
bekannt hatte. Dieß waren feine Beſchaͤfftigungen bis 
1756. 
Die 


3) Der Catalog der Buͤnauiſchen Bibliothek ift ein Mufter in feiner Art; er iſt 
ein Werk des Herrn Sranfe, 


g 


L Dorrede 


Die Rahbarfihaft von Dresden war unferm Wins 
kelmann, außer den Werken der Kunſt, , Die er dort an- 
fhauen Eonnte, auf eine andere Art nüslih. Er Ternte 
Männer Eennen, die feinen alten Eifer für die Wiſſenſchaft 
und feinen neuen für die Kunſt, wo moͤglich, noch mehr an: 
fachten, indem fie felbit einen ähnlichen Eifer, und zum 
Theil in der legten Ruͤckſicht vor ihm viele Schritte voraus 
hatten. Die Wiffenfchaft und der Beruf verband ihn mit 
den Herren Franke und Heyne; Kun und Wiſſen- 
fhaft mit den Herren von Hagedorn, Lippert und 
©efer. 

Herr Hepne, einer der vornehmften Aldermänner der 
aöttingifchen gelehrten Republik, hatte zu diefer Zeit die Auflicht 
über die Bibliothekdes Grafen von Brühl, Heyne und Win: 
Eelmenn liebten fi) wechfelöweife , weil ihre Bemuͤhun⸗ 
gen Einen Zwer hatten und weil jeder das Verdienft des 
andern ehrte, und jeder zu groß Dachte, um den andern zu 
beneiden. Der Krieg von 1756. machte, Daß. beyde ſich 
aus dem Gefichte verloren; in einer fehr entfernten Gegen- 
wart, die der Briefwechfel unterhielt, fanden fie fi) dann 
erft wieder, ald der eine im Göttingen und der andere 
in Kom war, Dieſer Briefwechfel wurde durch den großen 

Münch⸗ 


Vorrede. LI 


Münchhauſen erleichtert, der felbft ſich freuete, an einer 
folchen Eorrefpondenz Antheil zu nehmen. 

Hagedorn, der Bruder de Dichters, und der Va— 
ter der deutſchen Kunftlehrer, gab 1755. feine bekannten 
Eclairciffemens hiftoriques unter die Preffe, Winkel 
menn fah in der Druckerey einige Bogen: ereilte den würs 
digen Mann zu fehen, und fand mehr, als er gefucht hatte. 
Hagedorn war von Ddiefer Stunde an fein Freund, und 
verfihert, daß er niemals an ihm diejenigen Eigenſchaf— 
ten gefunden , die unwirdige Widerfacher ihm angedichtet 
haben, 

Lippert, diefer Zelot für die Kunft, hatte kaum 
Winfelmennen entdeckt, ald er ihn liebte, ımd Win» 
felmenn verehrte in jenem die weitläuftigen felbfterworbe- 
nen Kenntniffe , den feltenen Fleiß, mit der Begierde der 
Melt nüslih zu feyn, und das altdeutfche redliche Herz, 
offen bis zum Munde, und bis zu den Augen, Diefer wür- 
dige Greis verbietet uns zu fagen, was wir willen, Daß 
Winkelmann von ihm gelernt hat; ſtillſchweigend muͤſſen 
wir fein Verbot übertreten, indem wir bloß feine Beſchei— 
denheit rühmen. 

Winfelmenns Bekanntfchaft mit Heren Oeſer 
ift defto wichtiger, da fie fih auf eine neue Periode des 

g 2 Win⸗ 


LU Dorrede 


Winfelmannifchen Lebens besieht. So fehr auch Win- 
Felmenn Urſache hatte, mit feinen Umſtaͤnden zufrieden 
zu ſeyn, geehrt wie er war von feinem Grafen, mitten un— 
ter litterarifchen Schägen, und in einem Lirkel von den 
reflichften Freunden; fo verließ ihn doch fein alter Plan 
nie; er war fein treueſter Freund, und die Hoffnung, ihn 
auszuführen, fein größter Schatz. Die Gelegenheit ſaͤumte 
nicht, ſich freywillig ihm darzubieten. Der päbftlihe Nun— 
tius Archinto hatte ihn. fhon in Nörheniz gekannt, be 
wundert, entziffert; und eingefehen , wer diefer Mann und 
welches das zweyte Clement fey, wohin er verfeßt wer- 
den müßte. Dem zu Folge wollte er ihn überreden, nad 
Kom zu gehen; aber hier war eine Leberredung nötdig: 
denn Winfelmenn war derfelben.bereits mit feinen Wuͤn— 
fchen über die Hälfte des Weges entgegen gekommen. Gr 
entfagte allen Bortheilen, die er in Sachſen wirklich be— 
ſaß; Durch Eeine Verſprechungen, durch Feine Der ange— 
nehmen Ausfichten , die man ihm in der Zukunft erblicen 
ließ, Eonnte er zurückgehalten werden. Sein Entfehluß war 
gefaßt: er legte feine Stelle nieder , nicht zum Vergnügen 
des Grafen Buͤnau, der ihn fehr ungern verlohr, umd gien« 
nach Dresden, um fi da mit befferer Muße zu feinem Roͤ— 
merzuge vorzubereiten, und ſich auszuruften mit allen den 
; Er: 


Vorrede. LII 


Erforderniſſen, die ihm noch zu fehlen ſchienen. Hier wohn- 
fe er bey dem berühmten Künftler, der Deutſchland Ehre 
macht, weil man ihn insgemein für einen Deutfchen Halt, 
1) oder weil er es geworden iſt, Durch feinen langen Aufent- 
halt in einer großen Provinz dieſes Reiches, durch feine 
endliche Feftfegung dafelbft, und durch feine Berdienfte in 
der Gründung einer deutfhen Schule der Kunft. Das Jahr, 
welches Winkelmann bey dem Heren Oeſer zubrachte, wert- 
dete er an zur genauen Erforſchung der Kunſt, und der 
Kegeln derfelben, um fein Auge zu ſtaͤrken, worinn er auch) 
bald fi) eine bewundernswuͤrdige Fertigkeit erwarb, Die 
Galerie zu Dresden befuchte er fleißig, und feine Erklärun- 
gen und Urtheile über die Meiſterſtuͤcke, die fie enthält, wa— 
ren aefund und rein, weil fein Auge niemals durch das, 
was man nad der Kunftfprache Manier nennet, war ver= 
dorben worden. Denn die Wahrheit, Ordnung und Schoͤn— 
heit waren feine Regeln, und fein leichter Begriff, eine Fol: 
ge feiner zarten Empfindlichkeit, wurde außerdem unters 
ftüst durch eine erfiaunliche Belefenheit, deren ganzer Um— 
fang faft immer den Befehlen feines treuen Gedaͤchtniſſes ges 
horſam war. 
gug,re Ar⸗ 


1) Herr Oeſer, Direetor der Mahlerafademie zu Leipzig, iſt ein gebohrner 
ngar. 


LIV Dorrede 


Archinto war indeſſen als paͤbſtlicher Nuntius nach 
Wien gegangen, und hatte unſern Winkelmann eine 
Empfehlung an den Pater Rau, den Beichtvater des Koͤ— 
nigs von Pohlen, binterlaßen. Worher aber hatte er ge 
wuͤnſcht, daß Winkelmann etwas fihreiben möchte, wo— 
durch er der Welt einen Vorſchmack geben Eönnte von dem, 
was fie Eünftig von ihm zu erwarten das Recht, und er, 
ihr zu leiſten, das Talent hätte. Dies gab ihm Anlaß 
feine Gedanken von der Nachahmung der alten Kunftwerke 
herauszugeben, ein Buch, von welchem in der Folge der 
Berfaffer, aber er allein, urtheilte, daß es den Beyfall 
nicht verdient hafte, mit welchem es damals aufgenommen 
wurde, Diefer Beyfall wäre allgemein gewefen, wenn 
nicht in Dresden felbft einige ſeynwollende Antiquaren e8 für 
eine Pflicht gehalten hätten, über Die Gedanken von der 
Nachahmung allerley fehiefe Urtheile zu fällen und auszubrei- 
ten. Daher entftand das Sendfchreiben, weldes Win- 
Felmenn feiner Schrift beylegte, und welches großentheils 
auf dem Zimmer des Herrn Lipperts verfertige wurde, 
Man hatte unferm Wintelmenn vorgeworfen, daß er in 
feinem Buche Feine Schriftftelfer angeführt habe, man wolf 
te an feiner Gelehrfamfeit zweifeln, Um dies zu widerles 
gen, citirte er in feinem Sendfchreiben deſto mehr, faſt 

im 


Vorrede. LV 


im Scherze: alle, die ihm zuſahen, bewunderten den Reich— 
thum feiner Gelehrſamkeit und die Gegenwart feines Ge— 
daͤchtniſſes. Es ift nicht zu läugnen, daß ihn Die Treue des 
legtern oft, befonders bey feinen folgenden Werfen, verlei: 
tet hat, demfelben aufs Wort zu glauben ; dadurch haben 
ſich in feine Bücher einige Eleine Verſehen gefchlichen,, Die von 
feiner Bedeutung find. Sonft wurde die große Menge der 
Gegenftände, die man Eaum überfehen Fan , Mythologie, 
Gedichte, das Mechanifche der Kunft, und tauſend andere 
Sachen, aus welhen der Wis mit der Einbildungskraft 
die Muthmaßungen zu machen bat, die der Verftand berich- 
tigen muß, von ihm mit einer Leichtigkeit überfehen , die 
nur ihm eigen war. Seine über verfchiedene Punkte 
geäußerte, nachmals aber geänderte, oder gemäßigte Mey: 
nungen rühren vielleicht Daher, weil feine Einbildungskraft 
zu mächtig über ihn war, und ihn oft bewog zu glauben, 
was er in manden Fallen Schmeichelhaftes für die Kunft 
und für fi wünfchte, | 
Endlich reifte Winkelmann von Dresden ab. Der 
Graf von Buͤnau bezeigte ihm feine Hochachtung durch 
reichliche Geſchenke, und durch fein Zutrauen , indem er 
ihn mit verfchiedenen Aufträgen beehrte , unter welchen der 
vor⸗ 


LVI Dorrede 


vornehmfte war, feltene Bücher und Handfihriften in Sta- 
lien fr die grafliche Bibliothek aufzufuchen. ı) 

Winkelmann in Rom! der olympiſche Nenner am 
Ziele! Seine Berblindung beym erſten Anblicke, fein Staus 
nen; feine Wonne, die Augen da zu haben, wo das Herz 
fhon lange gewefen war: Dies find Empfindungen , Die fi 
ihm nachfuͤhlen, aber nicht befchreiben laßen. 

Kom erwiederte die Neigung, die er immer für Rom 
gehabt hatte, und Die jetzt anfieng, Zufriedenheit zu werden, oder 
vielmehr in dasjenige Gefühl überfloß, welches aus einer 
uͤberſchwenglichen Erfüllung unferer Hoffnungen entfpringt. 
Er wurde gleich anfangs geehrt, wie immer ein Weifer , 
wenn er nicht in feinem Vaterlande ift, geehrt werden Fann. 
Jedermann bewunderte die Fertigkeit, mit welcher er Die 
Alterthiimer erklärte, von denen man glaubte, daß fie ihm 

noch 


7) Dies hat jemanden Gelegenheit zu folgender Erzählung gegeben : da 
„ Nun aber der mwohlfelige Reichsgraf Luft hatte , feinen vortreflichen 
» Bücherfchaß noch mit italiänifchen Werken und Alterthuͤmern zu vermehren, 
„ſo befam der Herr Bibliothefar Winkelmann Drdre, eine Reife nad) 
» DItalien, etwa im Jahre 1758 , zu thun, wozu ihm 100 Dukaten Reis 
» fegeld ausgezahlt wurden. „ Diefe Erzählung ift ganz verzeichnet. Nicht, 
weil der Graf £uft zu italiänifchen Büchern hatte , fondern, weil Winkels 
mann £uft hatte, nach Italien zu gehen, gab der Graf Winfelmannen, 
nicht Ordre zu reifen, fondern die gebetene Entlaßung; nicht Reifegeld , 
fondern ein freywilliges Gefchent. Winkelmann hatte fih vorhin mit dem 
Nuntius Archinto in geroiffe Verbindungen eingelaßen ; und er übernahm Die 
a des Grafen , nicht mehr als Diener, fondern als ein veifender 

reund. 


Dorrede LVII 


noch neu wären. Aber ihm daͤuchte ed, als hätte er die— 
felben ſchon laͤngſt im Geifte gefehen, und fände fie jest nur 
wieder, wie man einen alten Bekannten, nach langer Abwe— 
fenheit in der Fremde, wiedererfennt, Da er an dem Or— 
tefeiner Beftimmung war, lebteerdafelbft, als wäreer indem 
Haufe feiner Geburt, unter Brüdern, und Schweſtern, 
und Freunden. Er war in Rom. 

Dafeldft hatte .er aute Empfehlungen , befonders vom 
Nuntius Archinto; dieſe verſchaffen ihm die Gelegenheit, ſich 
ſelbſt durch Die Beweiſe feiner Wiſſenſchaft und feiner Redlich— 
keit zu empfehlen. Da wir uͤberhaupt mehr die Geſchichte ſeines 
Geiſtes, als die kleinen Umſtaͤnde desjenigen Lebens erzaͤhlen, 
welches der Gelehrte eben ſo mechaniſch lebt, wie der Ungelehrte; 
ſo merken wir nur an, daß in Rom ohne vielen Verzug fuͤr 
ſeinen Unterhalt geſorgt wurde, und daß er, um ſparſamer 
zu leben, den kleinen Kragen nahm, der ihm noch auf eine an— 
dere Art nuͤtzlich war, weil man, zu Rom, als Abate, 
gekleidet, in alle auch anſehnliche Haͤuſer eingeführt werden, 
und uͤberall wohl empfangen werden kann. Er machte Gebrauch 
davon; und nach und nach legte er die ihm angebohrneSchuͤchtern⸗ 
heit, und Scheu der Geſellſchaft ab: von ſeinem vorigen Betragen 
blieb ihm nichts uͤbrig, als die Beſcheidenheit, mit welcher er 
das immer ſich gleiche Aeußerliche zu verbinden lernte, welches 

h der 


LVIII Vorrede. 


der Umgang mit der Welt als einen Anſtand erheiſchet. So 
hat man ihn wenigſtens gekannt, als er in der Folge zu 
Wien war. 

Einer ſeiner vornehmſten Goͤnner zu Rom war der 
Herr Cardinal Alexander Albani. Dieſer Herr, und 
Winkelmann waren durch ihren Stand weit von ein— 
ander getrennt; aber ein gemeinſchaftlicher Hang vereinigte 
fie: Die Liebe und das Studium des Altertfumd, Der 
Kardinal wurde Winkelmanns Beſchuͤtzer, und noch et— 
was mehr: ſein Freund. Seine Sammlungen, ſeine be— 
ruͤhmte Villa, 1) wurden beynahe das Eigenthum Winkel— 
manns, welcher ohnehin zuweilen im Scherze ganz Rom 

das 


1) Wir hätten von unfrem Verfaſſer eine Beſchreibung dieſes Luſthauſes bekommen, 
wofern er gelebt hätte. Er ſpricht in einem feiner Briefe: Unter allen 
„ Arbeiten , die zum Verftändniffe des Alterthums und der Kunft der Zeich 
„ hung unternommen worden, wird eine der nüßlichften ſeyn die ausführs 
„ lihe Befchreibung der prächtigen Billa Sr. Eminenz des Heren Eardinale 
Alexander Albani, welche nach und nad) zubereitet wird. Es werden 
indejfen einige Jahre erfordert , die Zeichnungen und die Kupfer berieben 
zu endigen, ſowohl der Gebäude in ihrer äußeren und innern Abficht ber 
„ trachtet, ala auch der unglaublichen und auserlefenen Menge von Wers 
„ fen des Alterthums um alles dem unfterblichen Namen des Erbauers dies 
„ fes Sißes der Kunft würdig auszuführen. Ich wuͤnſchte ihnen einen vors 
„ läufigen Begriff diefes Kleinods von Rom und dadurch von gebachter Uns 
„ ternehmung geben zu können. In diefem Vorfage führt der erhabene Bes 
„ fißer dieſer Villa beitändig fort diefelbe zu bereichern, nicht allein mit 
„ Statuen, Bruftbildern und erhobenen Arbeiten, fondern auch mit Gar 
„ ferien, diefelben aufjuftelfen. „ 


n 


Do rd — LIX 


das feinige nennte. Das war es auch in der That, denn vor 
ihm hat ed niemand fo gut zu benugen gewußt, als er, 1) 

Hier war es, wo, nachdem er alles Sehenswuͤrdige 
nicht bloß gefehen, fondern betrachtet , beobachtet, beure 
theilt, Elafifieivt hatte, der große Plan feiner Gefchichte 
der Kunft entworfen, überdacht und ausgeführt wurde. Gr 
gab während dieſer Arbeit einige Schriften heraus , deren Ti= 
tel wir nicht einmal anzeigen , weil die Gefchichte der Kunſt allein 
feinen Namen verewigen wird, und weil man in der Ge— 
fehichte eines Helden die mindern Thaten deffelben, ſo wuͤr— 
dig fie auch an fi) find, verhältnißweife für allzu unwuͤr— 
dig halt, um folhe zu berühren 2). Ein einziger Bogen 
von Winkelmenns flinhtiger Arbeit hätte den Ruhm ei- 
nes jeden andern feftgeftellt; aber er felbft achtete nicht fehr 
feine Schriften über Die Baukunſt der Alten , über die Em- 
pfindung des Schönen, und andere, die wir wünfchten , 
felbft gefhrieben zu haben. Mit einigen Diefer Kleinen Werke 

h 2 hat 


1) Wir unterdruͤcken eine Menge von Anekdoten, Winkelmanns Leben zu Rom 
betreffend. Sie ſind nicht alle verſichert genug; und wir uͤberlaßen gern das 
Detail dem Herrn Franke, mit dem Vorbehalte, einſt Supplemente zu 
feiner Biographie liefern zu dürfen. r 
2) Man kann feine kleinern Schriften aus der Bibliothek der fhönen Künfte und 
Wiſſenſchaften, welche Herr Weiße zu Leipzig beforgt hat, kennen lernen. 
Herr Paalzou hat aber Unrecht, wenn er fagt, daß Winkelmanns erfte 
Schrift diejenige über die herfulanifchen Alterthuͤmer geweſen fey. 


LX DPSsEer eine 


hat er feine deutſchen Freunde beſchenkt, die fich zu Nom 
um ihm her verfammelten , die er vorzüglich Liebte und in Be— 
fchauung der Alterthuͤmer begleitete, gleichwie ihn einige der- 
felben vorher felbft begleitet hatten. Damals fchon gehörte 
Winkelmann unter Diejenigen roͤmiſchen Seltenheiten , 
die von dem Ausländer am meiften gefucht und bewundert 
wurden, 

Seine Reifen in verfhiedene Gegenden von 
Welſchland, feine Bemühungen, alles aufzuforichen, wo- 
durch das Studium des Alterthums bereichert werden Eonn- 
te, find fo bekannt, als die Ehre, oder Die Gerechtigkeit, 
welche ihm die Roͤmiſche Geſellſchaft der Alterthümer wie- 
derfahren ließ, indem fie ihn zu ihrem Präfidenten erwähl- 
te. Sie gab ihm Titel, nachdem er ſchon alles das gelei— 
ftet hatte, was die Titel bedeuten, die fonft fo oft ohne 
Bedeutung find. Er war Präfident der Alterthuͤmer, und 
wäre ed geweſen, wenn ihn auch niemand dazu ernannt 
hätte. . Die übrigen Akademien, oder gelehrte Geſellſchaf— 
ten in Stalien buhlten ebenfalls um ihn, und wetteiferten, 
eine jede, ihn eher ald die andere zum Mitgliede zu haben, 
Es ift hier der Fall, wo man fagen muß, daß manche Aka— 
demie ſich felbit mehr Ehre machet, ald dem Manne, 
welchen fie ehren will. 

Die 


Vorrede. LXI 


Die Geſchichte der Kunſt erſchien endlich, wie wir 
ſchon vorhin gemeldet haben, im Jahre 1764. Er hatte 
dieſelbe deutſch nach Deutſchland geſchickt, gleichwie die Grie— 
chen nach Athen die Trophaͤen ſandten, die ſie jenſeits des 
Helleſponts erobert hatten. Aber kaum hatte Winkelmann 
ſein Werk gedruckt geſehen, ſo war er ſchon unzufrieden 
mit ſeiner eigenen Arbeit, und fieng von dieſer Stunde an, 
dieſelbe zu verbeſſern. Dies zeigte er zuerſt in feinen Zu— 
ſaͤtzen zu der Geſchichte der Kunſt; doch, da ihm auch dieſe nicht 
hinlaͤnglich ſchienen, ſo entſchloß er ſich zu einer gaͤnzlichen 
Umarbeitung, oder vielmehr zu einer neuen Erſchaffung des 
unſterblichen Buchs. 

Sein Verſuch einer Allegorie für die Kunſt, ein 
muͤhſames Werk, wurde nicht ſo ſehr bewundert, als die 
Geſchichte der Kunſt. Seine vorgeſchlagenen Allegorieen 
find oft raͤthſelhaft, zu weit geſucht, auf ſehr entfernte 
Aehnlichkeiten gegründet, und mehr im hieroglyphiſchen, 
oder aͤgyptiſchen, als im griechiſchen Sinne und Geſchmacke. 
Indeſſen iſt auch dieſes Buch ein Schag von Gelehrfamfeit 
und Einficht , dem Gelehrten nothwendig, und dem Kuͤnſt⸗ 
ler wenigſtens nicht unnuͤtzlich. 

Winkelmann war unermuͤdet. Indem er die Alle— 
gorie ſchrieb, allerhand kleine Werke herausgab, an der neuen 

b3 Kunſt⸗ 


LXII Dorrede 


Kunſtgeſchichte arbeitete ; unternahm er ed, eine Sammlung 
derjenigen alten Denkmale zu veranftalten, die kein Boiffard, 
fein Montfaucon, Eein anderer Sammler befannt gemacht 
hat. Diefe Monumenti antichi inediti enthalten, in zween 
Folio Banden, 225. Kupfer , die Winkelmann in italid- 
niſcher Sprache erläuterte, gleichwie er vorhin Das Stofhhi- 
ſche Kabinet gefchnittener Steine in der franzöfifchen befchrie- 
ben hatte. Er hätte eben fo gut Iateinifch fchreiben Eönnen; 
aber, ganz wider den Brauch anderer Antiquare, Die fi) 
dadurd ein gelehrtes Anfehen verfehaffen wollen, fihrieb er, 
mitten in Rom, feine beften Werke deutfch, und die andern, 
Die er nach der Befchaffenheit der Umſtaͤnde nicht deutſch 
fehreiben Eonnte, Lieber in einer neuen Sprache, als in der 
altrömifchen. Zu einem dritten Bande der Monumenti an- 
tichi inediti hat er die Kupfer und den größten Theil der Er- 
Elärungen hinterlaffen ; wir wiffen aber nicht, ob derfelbe 
noch an das Licht treten wird, oder in welchen Haͤnden er 
fich befindet, 

Die zu den Monumenti antichi gehörigen Kupfer 
peranlaßten einen heftigen Streit zwiſchen dem Herausgeber 
und feinem vorigen Freunde, dem Herrn Safanova. Wir wol- 
len die Gefihichte Diefer verdrießlichen Sache nicht wiederholen, 
und noch weniger entfcheiden, welcher Theil Recht, welder 

Un: 


Dorrede LXIII 


Unrecht gehabt hat, weil ohnehin unſer Urtheil, da es fuͤr 
Winkelmann ausfallen wuͤrde, fuͤr parteyiſch gehalten 
werden koͤnnte. Winkelmann war ſonſt die friedfertig— 
ſte Seele von der Welt; nur in dem Handel mit Caſanova 
ward er empfindlich gegen Beleidigungen, die er nicht glaubte 
verdient zu haben: und dann verrieth er gleichfalls einige Em— 
pfindlichkeit, als die Herren Leßing und Klotz verſchiedenes 
gegen ihn und feine Kunſtgeſchichte oͤffentlich erinnerten. Am 
meiſten war er aufgebracht gegen den letzten, weil deſſen 
lateiniſche Buͤcher, vorzuͤglich die Acta litteraria zu Rom 
geleſen wurden und durch das Anziehende des Stils manche 
Leſer verfuͤhrten, zu glauben, Klotz habe Recht; beſonders 
diejenigen, welche aus Reid wuͤnſchten, daß Winkelmann 
Unrecht haben moͤchte. Er haͤtte ſich in einer eigenen Schrift 
vertheidigt, wenn er nicht durch den guten Rath eines 
Freundes in Dresden davon waͤre abgehalten worden. 
Anſtatt ſich alſo in unnuͤtze Streitigkeiten einzulaſſen, 
wo meiſtentheils nicht einmal der Sieg Ehre bringt, be— 
ſchaͤfftigte er ſich mit ſeiner Geſchichte der Kunſt; dieſe be— 
trachtete er als den Gegenſtand ſeiner Amtsarbeit, und las, 
und Dachte faſt alles, was er las und dachte, blos in Be— 
ziehung auf diefes Wer. Auch feine Erholungsftunden 
wendete er zu gemeinnüsigen Endzwecken an. Gr fhrieh 
ein 


XLIV Dorreng 


ein Buch von dem gegenwärtigen Zuftande der ſchoͤnen 
Kuͤnſte und Wiffenfihaften in Stalien, welches, aus Urſa— 
hen, die und unbekannt find, ungedruckt blieb, und nun 
vielleicht niemals gedruckt werden wird. Er fammelte eine 
Menge von Zufägen und Berichtigungen zu Dem Werke des 
Junius über die Mahlerey der Alten, und war gefonnen, 
dereinft dieſes brauchbare Buch verbeffert und vervollſtaͤndi— 
get, herauszugeben. Dies wäre ein wichtiger Dienft für 
das antiquarifche Publicum geweſen; denn jegt auch in ſei— 
ner unvollkommenen Geftalt, mit allen feinen Fehlen, iſt 
der Junius, wenigftens um das Gedaͤchtniß aufzufriſchen, 
in feinem Fade beynahe unentbehrlich, und was würde er 
erft geworden feyn, wenn ein Winfelmenn ihn neu aus- 
gebildet Hätte? Es wäre zu wuͤnſchen, daß ein Gelehrter 
dieſe nüsliche und vühmliche Arbeit übernähme, etwa ein 
Mann von dem Fleiße, von den Talenten, von der Wiffen- 
fhaft und von den aͤußerlichen Hülfsmitten des Herrn 
Heyne in Göttingen. Andere flüchtige Entwürfe unſers 
Winfelmenns, die er zuweilen feinen deutfchen Korrefpon- 
denten mittheilte, übergehen wir, weil es blos Entwürfe 
waren, zu deren Ausführung ev noch nicht Zeit hatte. 
Sobald die große Arbeit der neuen Geſchichte der 
Kunſt vollendet war, entfchloß fih Winkelmenn zu einer 
Keife 


Dorrede, LXV 


Keife in fein erſtes Vaterland, und befonders nah Wien, 
Dresden, Berlin und Göttingen. Nah Wien war er oͤf— 
ters eingeladen worden, felbft von einigen Großen des Hofe, 
die bey allerihrer Größe ſich nicht ſchaͤmen, ſondern, wie es 
auch feyn fol, für ihre Pflicht es halten, die Kunft und 
die Wiſſenſchaft zu lieben, jene zu Eennen, und dieſe zu beſi— 
gen. Auſſerdem wurde er dahin gelockt, durch die vielen da— 
ſelbſt befindlihen Schäge des Alterthums, und der Kunft der 
neuern Zeiten, die man ihm, auf eine nicht übertriebene 
Art, aber vortheilhaft gefehildert hatte. In Dresden wollte 
er die Freunde feines Herzens wieder fehen und umarmen. 
In Berlin ſollte die Heberfegung und Ausgabe der Geſchich— 
te der Kunft veranftaltet werden; und nad Göttingen zur 
gehen, forderte ihn theilg der Herr von Muͤnchhauſen auf, 
theils reizte ihn dazu die Ausficht einer für ihn nüglichen 
Unterhaltung mit der dortigen Bibliothek, und noch mehr mit 
den gelehrten Männern, oder Iebendigen Bibliotheken, durch 
welche die Göttingifhe Schule fo berühmt geworden ift. 
Das merkwoͤrdigſte ift, daß man an jedem Diefer 
Orte alles zugefchnitten hatte, um ihn zu feſſeln, durch die an: 
genehmſten Bedingungen, und ihn zu dem Bekenntniffe zu 
nöthigen, daß Deutfchland nicht immer Ealt und undankbar 
gegen feine großen Männer ſey. Freylich hatte fein Ver— 
i dienft 


LXVI Dorrede 


dienft zuvor in Welfchland erkannt werden müßen; gleid)- 
wie Mengs, Wille und der große deutſche Tonkuͤnſtler, 
den jedermann ehrt, ohne Zweifelin ihrem Vaterlande weniger 
geachtet würden, wenn nicht die Staliäner, die Spanier, 
und die Sranzofen uns belehrt hätten , wie man dergleichen 
Männer achten folle, 

Bon Berlin ſchreiben wir es nur dem Gerüchte nad), 
dag man den Vorſatz gehabt habe, unfern Winkelmann 
daſelbſt feft zu halten; wir wiffen nicht, unter welchen Ve— 
dingungen. In Dresden hatte ıhn der Herr von Hage— 
dorn bey den dafigen Anftalten zu dem Aufnehmen der ſchö— 
nen Künfte ſchon laͤngſt gewuͤnſcht, und ihn noch eher zu 
einer wichtigen Stelle vorgeſchlagen, ald ihm Winkel— 
manns eigene Gefinnungen in diefer Abfiht bekannt gewe- 
fen waren , welder ſich zulest feyerlih für Nom erklärte, 
Und zu Hannover glaubte der Minifter Muͤnchhauſen fiher: 
lich, im der Perfon Winkelmenns eine Eroberung für 
feine geliebte Göttingifche Univerſitaͤt zu machen. 

Hätte aber Winkelmenn fi) überwinden Eönnen, 
Stalien ganz zu verlaffen,, welches für ihn immer das alte 
Latium und das alte Sroßgriechenland war, fo würde er 
gewiß, nad feinem eigenen Geftändniffe, Rom nur mit 
Wien vertaufht haben, allwo er indem Frühlinge des Jahres 
1768 ankam, wo er Die freundſchaftlichſte Begegnung fand, 

und 


Dyorrede LXVII 


und Dievortheilhafteften Ausſichten in ein glänzendes Slüek. ı) 
88 it die Gewohnheit unferer Monarden, und nad) 
ihrem Beyfpiele, ſowohl der Großen des Hofes, als aller 
der übrigen, die zu der feinern Welt gehören, fremden 
Gelehrten, deren Ruhm vor ihnen hergegangen iſt, eine 
auszeichnende Achtung wiederfahren zu laſſen, und zu forgen, 
das diefe ihren Aufenthalt zu Wien für ruͤhmlich, nuͤtzlich 
und angenehm zu halten haben, Winkelmann wurde von den 
Majeftäten reichlich beſchenkt; der erfte Minifter erzeigte ihm alle 
Ehre, die man von dem Verhältniffe zwifchen beyden erwarten 
konnte: zwiſchen dem großen geſchmackvollen Kenner und 
Protector der Kinfte, und zwiſchen dem Verfaſſer der Geſchich— 
tederfelben. Der Graf Joſeph von Kauniz ward fein Freund. 
Unter andern ruͤhmte Winkelmenn vorzüglid den 
Freyherrn von Sperges, welder felbft, obgleich bela— 
i 2 den 


1) Vor uns liegt das Concept eines Briefes, den Winkelmann einige Tage 
nach ſeiner Ankunft zu Wien an den Herrn Cardinal Alexander Albani ge⸗ 
ſchrieben hat, und worinn er eine ungemeine Zufriedenheit mit feiner Aufe 
nahme zu Wien bezeigt, und vorzüglich ruͤhmt, daß ihn der Fürft von 
Kauniz, dem er durch den Grafen Joſeph von Kauniz vorgeftellt worden, 
eon la folita fua gentilezza empfangen und fein Buch über die Gefchichte 
der Kunft wohl aufgenommen habe. Nachdem er aber die vortheilhaften 
Anträge erzählt hat, die ihm gemacht worden ; fo feßt er hinzu: Io aflicu- 
zo l’Eminenza V. che tutto l’oro del mondo non potrebbe movermi 
da Roma Schon einige Jahre zuvor war Winfelmann , im Namen des 
faiferlichen Hofes, durch den Freyherrn von Sperges fchriftlich aufgefordert 
worden, die Stelle eines Secretaͤrs bey der hiejigen Akademie der anf mis 
sühmlichen Bedingungen zu übernehmen. 


LXVIN Dorrede, 


den mit Geſchaͤfften des Staates, die Alterthiimer und die 
Kunſt nicht nur ſchaͤtzt, fondern fludiert ; diefer hatte die 
Ehre, den Geſchichtſchreiber derKunſt in dem Luſtſchloſſe Schön- 
brunn der Kaiſerinn Koͤniginn Majeſtaͤt und den durchlauch— 
tigſten Erzherzogen und Erzherzoginnen vorzuſtellen. 
Faſt bis zum Anfange des Brachmonats blieb Win- 
Felmenn in Wien, und fahe, mit den Augen eines Be— 
obachters, die Kaiſerliche Bibliothek, die Kaiferlihe, Fürft- 
lich Lichtenſteiniſche und andere Bildergalerien, das Cabinet des 
Heren Reichshofraths von Heß, weldes bekannter unter 
dem Namen des de Franeifchen ift, überhaupt alles , was 
in fein Fach gehörte: feine häufigen fchriftlichen Anmer— 
fingen, von denen wir einige befigen, und einige in Die 
Geſchichte der Kunft eingefchaltet Haben, find eben fo viele Be— 
weife, daß der Hiftoriograph der Künfte auch in Wien fei- 
ne reichliche Erndte fand. 

- Die Urfache, weswegen er, anftatt feine Neife Durch - 
Deutſchland fortzufegen , fi auf den Rückweg nad Rom 
begab, ift von der Art, daß fie nur fein Privatleben, nicht 
fein Leben als Schriftftelfer betrift. Mir wollen das umer- 
Elärt laffen , was etwa Here Cavaceppi von den Empfindun- 
sen Winkelmenns, als diefer bey feiner legten Reiſe nad) 
Augſpurg Fam, erklären Eönnte, 

Lie⸗ 


Dorrede | LXIX 


Sieber wuͤnſchten wir jest Die Feder niederlegen 
zu dürfen; denn wir begießen das Papier mit unfern Thrä- 
nen, indem wir Winfelmenns Tod, dieſen erſchreckli— 
chen Tod, zu erzählen haben. Zu der Erſparung derfel- 
ben für uns, und für unfren empfindlichen Leſer, fey die— 
je Erzählung fo kurz, als es immer möglich ift. 

Winkelmann findet nicht weit von Trieft einen Reiſege⸗ 
felfen, der ihn durch einiges Gefhwag von Kunſtliebhaberey und 
durch fein gefälfigesBetragen zu gewinnen weiß. Winkelmann, 
deffen Seele ganz ohne Falſch ift, beurtheilt dieſen Menfchen 
nach ſich ſelbſt; er Liebet ihn, ımd vertrauet ihm, nad) der 
Art ehrlicher Herzen, am erfien Tage der Bekanntfchaft , 
alfe die wenigen Geheimniſſe, die er hat. Er zeigt ihm 
feine Medaillen, Gefchenfe von unfern Monarchen , und bey 
dieſer Gelegenheit auch feine nicht ganz unbeträchtliche Gold- 
börfe. Ein ſolches Zutrauen ſchien diefer Menfch durch feine 
Freundſchaftsbezeugungen und durch feine Dienftfertige Auf 
merkfamkert gegen Winfelmenn verdient zu haben. 

Franz Archangeli, gebohren zu Piſtoia in Toſcana, war 
ehemals zu Wien Koch eines Grafen Cataldo geweſen, und war 
ſchon vorhin wegen vieler Hebelthaten zum Tode verdammt, aber 
begnadiget und des Landes verwiefen worden. Diefer Menſch 
it Winfelmannsummürdiger Freund :er wird fein Mörder, 


i3 Zu 


LXX Dorrede 


Zu Trieft ſahe ih Winfelmenn genöthiget einige 
Tage aufein Schiff zu warten, um nad Ancona zu fegeln. 
Er meldete fich in keinem der dortigen guten Häufer, wo man 
ihn mitoffnen Armen würde aufgenommen haben; fondern er 
blieb einfam in dem Gafthofe, während daß Archangelifih zu: 
drang, feine Eleinen Angelegenheiten zubeforgen , und befonders 
vorgab, fich fleißig nach einem abgehenden Schiffe umzufehen. 
Winfelmenns vornehmfter Zeitvertreib in dieſen 
Tagen war fein Homer, das einzige Buch, welches er bey 
fih hatte, Außerdem machte er auch zu Trieft einige Zus 
füge zu der Gefchichte der Kunft, wie wir ſolches in feinen 
Papieren bemerkt finden; und, welches fonderbar, aber trau— 
rig ift, er fchrieb zum voraus diejenigen Briefe, die er, 
nach feiner Ankunft in Rom, an feine Freunde zu Wien, 
ſelbſt an einige Große des Hofes, ablaffen wollte, um ihnen 
für alfe dort genoflene Freundfchaft und Ehre zu danken, 
Wenn er von diefen Befchäfftigungen ermüdet war, fo hat— 
te er das Vergnügen, fich mit einem Kinde zu unterhalten, 
welches in den Gafthof gehörte, und welches er liebgewann, 
wegen der Naivetaͤt feines Betragend, und wegen des Eindli- 
chen Witzes, der eine gute Anlage verrieth. Dieß war fein 
Leben in den erſten Tagen des Brachmonats 1768. 
| Am 


' 


Dorrede. LXXI 


Am sten deffelben wird Johann Winkel: 
menn von Franz Archangeli ermordet. Jener ſitzt 
an feinem Tiſche, und fihreibt Erinnerungen für den 
Einftigen Herausgeber der Gefchichte der Kunſt. Archanges 
fi tritt, nad) feiner Gewohnheit, ohne Umftände ins Zim— 
mer, wie Freunde gegen Freunde zu thun gewohnt find. 
Er verkündigt mit anfcheinender Betrübniß, daß er ihn ver⸗ 
faffen, und ſchnell in das Venetianiſche reifen müffe, wo er 
Geſchaͤffte habe. Wintelmenn war fo fehr ohne Sorgen 
geweſen, Daß er fih nicht einmal um den Stand, oder um 
das Gewerbe Diefed Menfchen bekuͤmmert hatte. Archange— 
li nimmt von ihm den zartlichften Abfchied , und bittet ihn, 
gleichfam ald wäre es ihm: fo eben eingefallen, ihm noch 
zum lestenmale die Eaiferlichen und Edniglichen Denkmuͤnzen 
zu zeigen, Damit er fid) in der Folge defto lebhafter erin- 
nern Eönnte, foldhe gefehen zu haben. Winkelmann eilt, 
buͤckt fih, feine Reiſetruhe aufzuſchließen; Archangeli eilt 
noch mehr, ihm ruͤckwaͤrts einen Strick, mit einer laufenden 
Schleiße um den Hals zu werfen, um ihn zu erwuͤrgen. 
Winkelmann erſchrickt; die Gefahr ſelbſt giebt ihm Kraͤfte; 
er wehrt ſich; der Boͤſewicht faͤllt mit ihm zu Boden, er 
greift das Meſſer, womit er ſich geruͤſtet hatte, giebt ſeinem 
Wohlthaͤter fünf toͤdliche Stiche in den Unterleib, und wuͤr— 
de ihn ſogleich auf der Stelfe ermordet haben, wenn nicht 

eben 


LXXI Dyorrede 


eben das Kind, weldes Winkelmann liebte, an der Thür 
geflopft hätte, um eingelaflen zu werden. Der Mörder ficht, 
ohne Die Medaillen, nad) denen er trachtete, bekommen zu 
haben. 1) Winkelmann erhält Huͤlfe; aber Die Wunden 
find toͤdtlich: er verzeiht feinem Mörder ‚empfängt die heiligen 
Saframente, dictirt feinen legten Willen, 2) alles mit größ- 
ter Gegenwart des Geiftes, und ftirbt nach fieben Stunden. 

Da fein ganzer Enthufiasmus , fo lange er lebte, 
für die Idee der Schönheit und deren Ausbildung in den 
Werfen der Natur und der Kunſt brannte; fo glauben wir, 
daß er für alfe feine Arbeiten, für alle feine Leiden in dies 
fer Welt, für feinen gewaltfamen Tod, und für den Ab— 
fehied von Diefen ſublunariſchen Schönheiten, durch das 
Anſchauen desjenigen belohnt ift, in welchem er, ſchon da— 
mals, ald er noch hienieden wallte, die höchfte Schoͤnheit 
fand. Denn er ſchrieb:? 3) die hoͤchſte Schoͤnheit iſt in Gott. 


1) Er wurde auf der Flucht entdecket, und empfieng zu Trieſt im folgenden Mo⸗ 
nate dag, was er mit feinen Thaten verdient batte. 

2) Der Inhalt des Teftaments war, dak er feinen alten Freund und großen 
Gönner, den Herrn Kardinal Alerander Albani zum Erben feines ganzen 
Vermögens einfeßte, womit er feine Dankbarkeit gegen denfelben öffentlich 
bezeigen wollte. Dem Kupferftecher Mogali zu Nom vermachte er 350. Zee⸗ 
chinen, und hundert dem Abte Pırami- Den Armen zu Trieft befahl es 
20. Zecdhinen auszutheilen. 

3) ©. 260. der Gedichte der Kunft. 

Ge- 


Geſchichte der Kunſt. 


























Geſchichte der Kunſt des Alterthums. 


Erſter Theil. 
Unterſuchung der Kunſt nach dem Weſen derſelben. 


Erſtes Kapitel. | 
Bon dem Urſprunge der Kunſt, und den Urfachen ihrer 
Verfihiedenheit unter den Völkern, 


De Kuͤnſte, welche von der Zeichnung abhaͤngen, haben, wie Erterlbchnn 
alle Erfindungen, mit dem Nothwendigen angefangen; ——— 
nachdem ſuchte man die Schönheit, und zuletzt folgte das Ueber— diſhihe 
fluͤßige: dieſes ſind die drey vornehmſten Stufen der Kunſt. 
A 2 Die 








— J. Theil. Erſtes Kapitel, 


Yivenchr Die Werfe der Kunft find in ihrem Urſprunge, wie Die 

En ben dm ſchoͤnſten Menfchen in ihrer Geburt, ungeftalt und einander ähn: 

nun lic) wie der Saamen ganz verfchiedener Dflanzen gewefen; in ih— 
rer Blüte und Abnahme aber gleichen fie denjenigen großen Fluß 
fen, Die, wo fie am breiteften feyn follten , fich in Eleine Bäche, 
oder auch ganz und gar verlieren, 

Die Kunft der Zeichnung unter den Aegyptern iſt einem 
wohlgezogenen Baume zu vergleichen, deſſen Wachsſthum durch 
den Wurm oder durch andere Zufaͤlle gehemmet und unterbrochen 
worden: denn es blieb dieſelbe ohne Aenderung, aber ohne ihre 
Vollkommenheit zu erreichen, eben dieſelbe bis an die Zeit der 
griechiſchen Könige daſelbſt, und ein ähnliches Verhaͤltniß ſchei— 
net es mit der Kunſt der Perſer zu haben. Die Kunſt der He— 
trurier kann in ihrer Bluͤte verglichen werden mit einem veißen- 
den Gewäffer, welches mit Ungeftüm zwiſchen Klippen und über 
Steine hinfchießet: denn Die Eigenſchaft ihrer Zeichnung ift hart 
und übertrieben. Die Kunſt der Zeichnung unter den Griechen 
‚aber gleicyet einem Sluße, deffen Hares Waffer in öfteren Krüms 
mungen ein fruchtbares Thal durchſtroͤmt, und amvächfet, ohne 
Ueberſchwemmungen zu verurfachen. 

N Es hat ſich die Kunft vornaͤmlich mit dem Menſchen be 
zeus an fchäftiget, und konnte alſo mit mehrerer Nichtigkeit, als Prota- 
sr goras, von dem Menfchen fagen, Daß derfelbe aller Dinge Maaß 
und Megel tft 1), welches in der Kunft gelten Fan; und bier 
lehren ung Die aͤlteſten Nachrichten, daß Die erften ſonderlich ge— 

zeich⸗ 


i) Sext. Emp. Pyrrh. hyp. L. 1. & 32. P. 44. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 5 


zeichnete Figuren vorgeftellet, was ein Menſch iſt, nicht wie er 
uns erfcheint, den Umriß des Schattens deffelben, nicht Die An⸗ 
ficht des Körpers. Won diefer Einfalt der Geftalt gieng man 
zur Unterſuchung der Verhältniffe, welche Nichtigkeit lehrte, und 
Diefe machte ficher, fid) in das Große zu wagen , wodurd) Die 
Kunft zur Großheit, und endlich unter den Griechen ſtufenweiſe 
zur höchften Schönheit gelangte. Nachdem alle Theile Derfelben 
vereinigt waren, und ihre Ausſchmuͤckung gefucht wurde, geriet) 
man in das Ueberfluͤßige, wodurd) fi) die Großheit der Kunft 
verlohr, und endlid) erfolgte der völlige Untergang derfelben. Dies 
feg iſt in wenig Worten die Abſicht der Abhandlung Diefer Ge 
fchichte der Kunft. In diefem Kapitel wird zum erften von der 
anfänglichen Geftalt der Kunft allgemein geredet, ferner von der 
verfchiedenen Materie, in welcher Diefelbe wirkte, und Drittens 
von dem Einfluffe des Himmels in die Kunft. 

Die Kunſt hat mit der einfältigften Geftaltung, und mit 
Bildung in Thon, folglich mit einer Art von Bildhauerey ange: 
fangen: denn aud) ein Kind kann einer weichen Maffe eine gewifle 
Form geben, aber es kann nichts auf einer Fläche zeichnen; weil 
zu jenem der bloße Begriff einer Sache hinlänglic) ift, zum Zeich— 
nen aber viel andere Kenntniffe erfodert werden: aber Die Males 
rey ift nachher Die Ziererin der Bildhauerey geworden. 

Es fcheinet, Daß die Kunſt unter allen Völkern, Die diefelbe 
geuͤbet haben, auf gleiche Art entfprungen fey, und man hat nicht 


IV: 
Anfang der 
Sunft mit der 
Bilddaueren. 


Be Ur- 
in Mm derfel= 
en bey verſchie⸗ 


Grund genug, ein beſonderes Vaterland derſelben anzugeben: Denen Wolter, 


Denn den erften Saamen zum Nothwendigen hat ein jedes Wolf 
43 bey 


6 I. Theil. Erſtes "Kapitel. 


bey fich gefunden; und obgleich die Kunft, fo wie die Poefie, als 
eine Tochter des Wergnügens angefehen werden Fan, fo ift 
gleihmohl nicht zu läugnen, daß das Vergnügen der Menfchlich- 
feit eben fo nothwendig ift, als Diejenigen Dinge, ohne welche fie 
nicht beftehen Fan. Da aber die erften Bildungen mit Figuren 
der Gottheiten fcheinen angefangen zu haben, fo ift die Erfindung 
der Kunſt verfchieden nach dem Alter der Voͤlker, und in Abficht 
Der fruͤhern oder ſpaͤtern Einfuͤhrung des Goͤtterdienſtes, ſo daß 
ſich die Chaldaͤer, oder die Aegypter ihre eingebildeten hoͤhern 
Kraͤfte, zur Verehrung, zeitiger als die Griechen, werden finn- 
lich vorgeftellet haben. Denn hier verhält es fich, wie mit andern 
Künften und Erfindungen , dergleichen Das Purpurfärben ift, 
welche in den Morgenländern eher befannt und getrieben wurden: 
Die Nachrichten der H. Schrift von gemachten Bildniffen find 
weit älter I), als alles, was wir yon den Griechen wiflen. Die 
Bilder, Die anfänglic) in Holz gefcehnitet, und andere , die aus 
Erz gegoffen wurden, haben in der hebraͤiſcheß Sprache, jedes 
feine befondere Benennung 2): die erftern wurden mit der Zeit 
vergoldet 3), oder mit goldnen Blechen beleget. Diejenigen aber, 
die von dem Urfprung eines Gebrauchs, fo wie einer Kunſt, und 
von deren Mittheilung durd) ein Wolf auf das andere reden , ir- 
ren insgemein Darinnen, Daß fie fich an einzelne Städe, die eine 
Hehnlichkeit mit einander haben, halten, und Daraus einen all- 
gemeinen Schluß machen; fo wie Dionyfins aus der Schärfe um 
den 


3) Conf: Gerh, Voſſ. Infit. Poet, L.I. p. 3. =) mspn :5o5 3) Ef. 


30. 22, 


Bon dem Urſprung ımd Anfang der Kunſt. 7 


den Unterleib der Ringer bey den Griechen, wie bey den Roͤmern, 
behaupten will, Daß dieſe von jenen hergekommen ſey 1). 

In Hegypten blühete Die Kunſt bereits in den älteften Zei- 
ten, und wenn Sefoftris mehr als dreyhundert Jahre vor Dem 
Trojaniſchen Kriege gelebet hat, 2) fo waren in Diefem Neiche 
die größten Obelisfen, die fich in Nom befinden, und Werke ge 
meldeten Königs find, nebft den größten Gebäuden zu Theben, 
bereits aufgeführet, da über die Kunft bey den Griechen annod) 
Dunkelheit und Sinfterniß ſchwebeten. Von dieſer zeitigeren 
Blühe der Kunft bey den Megyptern fcheinet der Grund Die grof 
fe Bevölkerung ihres Reichs und Die Macht ihrer Könige zu ſeyn; 
da durd) Diefe ausgeführet werden Eonnte, was der nothwendige 
Fleiß, den jene erwecket, erfand: die Bevölkerung aber fowohl 
als die Macht der Könige in Aegypten befoͤrderte felbft Die Lage 
und die Natur Diefes Landes. Diefe in der beftändig gleichen 
Witterung und unter dem warmen Dimmel erleichterte allgemein 
das Leben und den Unterhalt der Einwohner ‚ und da ihre Kin 
Der bis zu erwachfenen Jahren nadend giengen, wurde dadurch 
die Fortpflanzung aufgemuntert. Durch jene, die Lage, aber hat 
gleichfam die Natur Aegypten zu einem einzigen, untheilbaren und 
folglich mächtigen Reiche beftimmet, da ein einziger groffer Fluß 
dieſes Land durchftrömet, und da gegen Norden das Meer und 
von anderen Seiten hohe Gebürge deſſen Grängen find: Denn Der 

Fluß 
ı) Antiquit. Rom. L. 7. p. 458. 2) v. Not. ad Tacit. An. L. 2. c. 60. P. 251. 


edit. Gronov. Valef. Not. ad Ammian. L. 17. c. 4. & Warburth. Effay 
fur les Hierogl. p. 608. 


—— nee 
Kunft in Aegv⸗ 
pten; und Ur⸗ 
fache deflelben, 


8 1. Theil. Erſtes Kapitel. 


Fluß und die ebene Fläche Diefes Landes war der Theilung zuwi⸗ 
der; und wenn zu einer gewiflen Zeit mehr Könige daſelbſt wa⸗ 
ren, hat Diefe Verfaſſung fehr kurze Zeit gedanret, und Aegypten 
genoß Daher mehr als andere Reiche Ruhe und Frieden, wodurch 
Die Künfte erzeuget und genähret werden. Griechenland hinge: 
gen war ſelbſt von der Natur durch viele Gebürae, Slüße, Im 
feln und Erdzungen-getheilet, und es waren dafelbft in den älte- 
ften Zeiten fo viel Könige als Städte, unter weldyen die nahe und 
häufige Veranlaßung zu Zwiftigkeiten und Kriegen die Ruhe 
ftöhrete, und der Bevölkerung, folglich auch dem Fleiße und der 
Erfindung in Künften nachtheilig war. Es ift alfo begreiflich, 
Daß Die Kunft fpäter unter den Griechen, als unter den Aegor- 
tern, geuͤbet worden. 
„FRE ae Sn Griechenland hat die Kunſt, ſo wie in den Morgen⸗ 
gunt, bey den ländern, mit einer Einfalt ihren Anfang genommen, daß fie ' 
Steine un von feinem andern Volke den erften Saamen zu Derfelben geholet, 
sen Bilder. ſondern Die erften Erfinder fcheinen koͤnnen. Denn e8 waren unter 
ihnen fchon dreyßig Gottheiten fichtbar verehret, da man fie noch 
nicht in menfchlicher Geftalt gebildet hatte, und ſich begnügete, 
Diefelben Durch) einen unbearbeiteten Klotz, oder Durch vieredfigte 
Steine, wie die Araber D) und Amazonen 2) thaten, anzuden- 
ten, und diefe dreyßig Steine befanden ſich in der Stadt Pherä, 
in Arcadien, noch zu den Zeiten des Paufanias 3). So war Die 
Sur 


ı) Maxim. Tyr, Diff. 8. $. 8. p. 87. Clem. Alex. Cohort. ad Gent. e. 4. pag. 40. 
2) Apollon. Argon L. 2. V. 1176. 9) Pauſ. L.7.p. 579. 1. 32. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 9 


Juno zu Thefpis, und die Diana zu Icarus geftaltet 1). Dia— 
‚na Patroa, und Jupiter Milichus zu Sicyon 2) waren, wie Die 
ältefte Venus zu Paphos 3), nichts anders, als eine Art Saͤu— 
len. DBachus wurde in Geftalt einer Säule verehret 4), und 
felbit Die Liebe s) und die Sratien 6) wurden bloß durch Steine 
vorgeftellet. Daher bedeutete das Wort Säule (wr) aud) noch 
in den beften Zeiten der Griechen eine Statue 7). Caſtor und 
Pollux hatten bey den Spartanern Die Geftalt von zwey Paral- 
lelpölgern, welche Durch zwey Dueerhölger verbunden waren 8); 
und Diefe uralte Bildung Dderfelben erfcheint in Dem Zeichen I, 
wodurd) Diefe Zwillinge in Dem Thierfreife angedeutet werden 9). 


Auf befagte Steine wurden mit der Zeit Köpfe geſetzet; 
unter vielen andern war ein folcher Neptunus zu Tricoloni 10, Si 


und ein Jupiter zu Tegen IT), beyde in Arcadien: Denn in Die 
ſem Lande war man unter den Griechen mehr als anderswo bey 
der Alteften Geftalt in der Kunft geblieben 12); ja e8 war noch zu 
Pauſanias Zeiten zu Athen felbit eine Venus Urania alfo gebil- 
det 13). E8 offenbaret ſich alfo in den erften Bildnißen der Grie— 
- chen eine urfprüngliche Erfindung und Zeugung einer Figur, 
Auf 
») Conf. Pauf. L.g. p. 665.1. 28. pag. 666. 1.27. p. 671.1.21. 2) Id.L.2:p. 132. 
l. 39. 3) Max. Tyr. & Clem. Alex. ll. cc. 4) Conf. Schwarz. Mi£ 
cel. polit. humanit. p. 67. 5) Paufan. L. 9. p. 761. 1:31. 6)Id.L. 9. 
p. 786.1. 16. 7) Epigr. ap. Codin. Orig. Conftant. p. ı9. 8) Plutarch. 
de amore fraterno, init. p. 849. edit. Steph. 9) Cont. Palmer. Exercit. 
in Audt. Græc. p. 223. 10) Paufan. L. 8. p. 671.1. 22. 11) Ibid. Pag. 
698.1,2. 12) Ibid.L.c. 13) Paufan.L. 1. p. 44. 1. :0, 


Winfelm. Geſch. der KRunſt. D 


VIII. 


B. 
Durch Anzeige 
des Geſchlech⸗ 
tes. 


10 r Theil, Erfted Kapitel. 


Auf Goͤtzen Der Heiden, Die von der menfchlichen Seftalt nur al- 
lein den Kopf hatten, deutet auch Die heil. Schrift D. Bier: , 
eckigte Steine mit Köpfen, wurden bey Den Griechen, wie befannt 
ift, Herma, das ift, groffe Steine genennet 2), und von ihren 
Kuͤnſtlern beftändig beybehalten. ; 

Won dieſem erften Entwurfe und Anlage einer Figur Fön- 
nen wir der anwachfenden Bildung derfelben, aus Anzeigen der 
Scribenten und aus alten Denfmalen, nachforfhhen. An Diefen 
Steinen mit einem Kopfe merfete man anfänglich auf dem Mittel 
derfelben bloß den Unterfchied des Geſchlechts an, welches viel- 
leicht ein ungeformtes Seficht im Zweifel ließ. Wenn alfo gefa- 
get wird, Daß Eumarus von Athen den Unterfchied des Ge— 
ſchlechts in Der Malerey zu erft gegeiget habe 3), fo ift Diefes ver- 
muthlich ingbefondere yon der Bildung des Geſichts im jugendli⸗ 
chen Alter zu verftehen, worinn diefer Mahler Die Jugend beyder- 
ley Sefchlechts durch Die jedem eigene Züge und Reizungen wird an- 
gedentet haben: dieſer KRiünftler hat vor Dem Romulus, und nicht 
lange nad) Wiederherftellung der olympifchen Spiele Durch den 
Iphitus, gelebet. Endlid) wurde dem Oberteile Der Figur def 
fen Form gegeben, indem der Untertheil annoch die vorige Ge— 
ftalt der Herma behielt, Doc) fo, daß man die Abfonderung Der 
Schenkel durch) einen Einfchnitt andentete, wie wir an einer folchen 
nadten weiblichen Figur der Villa Albani fehen. Ich führe dieſe 
Figur an, nicht als ein Werk der erften Zeiten der Kunſt, da Die: 
jelbe weit foäter verfertiget worden, fondern als einen Beweis, 

Daß 


) Pf. 135. v.ı6. 2)Scylac. Peripl. p. 52.1. 19.Suid.v. Eewa 3)Plin.1. 35. €. 34. P. 699. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 11 


daß den Künftlern folche uralte Figuren bekannt gewefen, deren 
Form man hier vorftellen wollen. Wir wiffen aber nicht, ob Die 
Hermen mit der weiblichen Natur bezeichnet, die Sefoftris ſetzen 
laſſen in den eroberten Ländern, wo er Feinen Widerftand gefun— 
den , eben fo geftaltet gewefen, oder zum Zeichen Diefes Ge— 
ſchlechts einen Triangel gehabt, womit Die Aegypter Daffelbe an⸗ 
deuteten T). 

Zulest fieng Dadalus an, wie die gemeinefte Meynung 
ift, die unterfte Haͤlfte dieſer Hermen in Geftalt der Beine völlig 
voneinander zu ſondern; und weil man nicht verftand, aus ei- 
nem Steine eine ganze menſchliche Figur hervorgubringen, fo ar: 
beitete dieſer Künftler in Holze, und von ihm follen Die erften 
Statuen den Namen Dadali bekommen haben. Won deffen Wer: 
Een giebt die Meynung der Bildhauer von Socrates Zeit, welche 
dieſer anführet, einigen Begriff; wenn Daͤdalus, faget er, wie 
der aufitehen follte, und arbeiten würde, wie Die Werke find, die 
unter deffen Namen gehen, würde er, wie Die Bildhauer fagen, 
laͤcherlich werden. 

Die erften Züge Diefer Bildniße bey den Griechen waren 


er 
Durch Geſtal⸗ 


ung der Beiny. 


„aan! iichkeit 


einfaͤltige und mehrentheils gerade Linien, und unter Aegyptern, — J 
Hetruriern und Griechen wird beym Urſprunge der Kunſt in ih⸗ — 


ren Bildern kein Unterſchied geweſen ſeyn; wie dieſes auch die 

alten Scribenten bezeugen 2). In Abſicht der griechiſchen Kunſt 

offenbaret es ſich an einer der aͤlteſten griechiſchen Figuren von 
82 Erst, 


ı) Eufeb. Prep. evang. L. 3. p. 40.1. 22. 2) Diod, Sie. L. I, pag. 37. 1. 35. 
Strab. Geogr. L. 17. p. 806. 


“12 L Theil, Erſtes Kapitel. 


x 
Sweifel wider 
die den Gries 
een von den 
Aegyptern mit⸗ 
getheilte Kunſt. 


Erzt, die ſichin dem Mufeo Nani zu Venedig befindet, auf deren 
Bafe folgende Schrift ftehet: TON YKPATEM ANRBERE.D. i. Poly⸗ 
crates hat diefelbe gewidmet, welcher vermuthlich nicht der Künft- 
ler derfelben gewegen ift. Auch in Diefer platten Art zu zeichnen lies 
get der Grund von der Aehnlichkeit Der Augen an den Köpfen, auf 
den älteren griechifchen Münzen, und an ägppfifchen Figuren; jene 
find wie Diefe platt und Fänglic) gezogen, wie unten wird umftänd- 
licher angegeben werden. Dergleichen Augen hat vermuthlich Dio- 
dorus anzeigen wollen, wo er von den Figuren des Daͤdalus faget, 
Daß Diefelben gebildet gewefen ounası neuunorz, welches Die Leber- 
feer gegeben haben; Iuminibus claufis , mit zugefchloffenen Mugen. 
Diefes ift nicht wahrfcheinlich: Denn wenn er hat Mugen machen 
wollen, wird er fie offen gemachet haben. E8 ift auch die Ueberſe— 
Kung ganz und gar wider die eigentliche und beftändige Bedeutung 
Des Wort ueuvros, welches mit Den Augen blinzen, nidtare, und int 
tal. birciare heißt, und mifconniventibus oculis müßte ausgedrü- 
cket werden, fo wie Mepuxora xeihea halb eröffnete Lippen heißen. 
Die erften Gemälde aber waren Monogrammen, wie Epicurus Die 
Götter nennete, das ift, wie ich gemeldet habe, einlinige Um— 
fchreibungen des Schattens der menſchlichen Figur. 

Aus folchen Linien und Formen mußte alfo die Bildung 
einer Art Figuren entftehen, die man insgemein Aegyptiſche Ge— 
ftalten nennet, Das ift, Die völlig gerade und ohne Bewegung 
waren, und die Arme nicht frey, fondern an den Geiten ange 
fchloffen hatten, fo wie annoch in der vier und funfzigften Olym⸗ 
pias die Statue eines Arcadifchen Siegers in den Spielen, mit 

Na⸗ 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunft. 13 


Hramen Arrachion, gearbeitet war 1). Es hätten auch Die Grie- 
chen nicht viel Gelegenheit gehabt, in der Kunft etwas von den 
Aegyptern zu erlernen: denn vor den Zeiten eines ihrer leisten 
Könige, des Pſammetichus war allen Fremden der Zutritt in 
Aegypten verfaget, und die Griechen übeten die Kunft ſchon 
längft vorher, Die Mbficht aber der Neifen, welche Die Griechi— 
fhen Weifen, und zwar allererft nad) der Eroberung dieſes Reichs 
durch Die Perfer, dahin thaten, gieng vornehmlich auf Die Re— 
gierungsform Diefes Landes 2), und auf Erforfhung Der gehei- 
men Wiffenfchaft ihrer Priefter, nicht auf Die Kunſt. Es wäre 
hingegen für Diejenigen, welche alles aus Den Morgenländern her— 
führen, mehr Wahrfcheinlichkeit auf Seiten der Phönicier, mit 
welchen die Griechen fehr zeitig Verkehr hatten , Die aud) von 
dorther durch den Cadmus ihre erften Buchftaben follen bekom— 
men haben. Mit den Phöniciern ftanden in den älteften Zeiten, 
vor dem Cyrus, aud) die Metrurier, welche mächtig zur See wa= 
ven, im Buͤndniße 3), wovon unter andern Die gemeinfchaftliche 
Flotte, Die beyde Völker wider die Phocaͤer ausrüfteten 4), ein 
Deweis ift. 
Diefes aber wird Diejenigen nicht überzeugen, welche wif: 
fen, Daß einige Scribenten der Griechen zugeftanden, ihre My— 
thologie von den Aegyptern befommen zu haben, und daß Die 
Prieſter Diefes Volks die Griechifchen Götter in den ihrigen, un- 
ter verfchiedenen Namen und in einer eigenen ſymboliſchen Ge— 
DB 3 ftalt 
1) Paufan. L. 9. p. 682. 2) Strab. L. 10. p. 482. C. Plutarch. Solon. p. 146. 


28. 3) Pau, L. 10. p, 856.1. 2, . 4) Herodot. L. 1. p. 43.1. 3. 
⸗ 


14 1. Theil. Erſtes Kapitel. 


ftalt zu zeigen behaupteten, wie ſonderlich Diodorus berichtet. 
Sch geftehe, Daß, wenn dieſes Zeugniß Feinen Widerfpruch litte, 
aus Diefer vorgegebenen Mittheilung der Götterlehre von den Ae— 
gyptern auf die Griechen, ein ftarker Beweis wider meine Mey: 
nung zu ziehen wäre. Denn, wenn Diefes als erwiefen angenom⸗ 
men wird, wuͤrde aus der mitgetheilten Lehre fönnen gefolgert wer: 
den, Daß die Griechen alfo auch die Form der Götter felbft, und 
ihre Figur von Dorther überfommen höften. Ich Fan aber Die: 
ſem Dorgeben nicht beypflichten, fondern glaube vielmehr, Daß 
nachdem Alerander Aegypten erobert, wo Die Diolomser , deſſen 
Nachfolger, regiereten , Die Priefter, um ſich den Griechen gleich- 
förmig zu begeigen, und diefelben zur Nachficht gegen ihren alten 
Götterdienft zu bewegen, diefe nahe Verwandtſchaft unter den 
Göttern beyder Voͤlker erdichtet haben, da fie befürchten mußten, 
durch Die abentheuerliche Geftalten ihrer Gottheiten Den wigigen 
Ueberwindern Tächerlicy zu werden, und etwa ein Ahnliches 
Schickſal, wie ihnen durch den Cambyſes begegnete, zu erfahren. 
Diefe Muthmaffung gewinnet alle Wahrſcheinlichkeit durch Die 
Nachricht, die ung Macrobius ertheilet von der Verehrung des 
Saturnus und des Serapis, welche nicht eher als nach Mleyan- 
der Dem Groffen, und durd) Die Ptolomaͤer unter den Aegyptern 
eingeführet worden, in Gleichförmigkeit dieſes Goͤtterdienſtes un: 
ter den Griechen zu Mlerandrien ). Folglich da fi) die Prie— 
fter der Aegypter fo wie Diefe bequemen mußten, Griechiſche 
Gottheiten zu erkennen und zu ehren, war auf Der anderen Geite 
Die 


3) Macrob, Saturn, L, 1. c. 7. p. 179- 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 15 


Die befte Parthey, welche fie ergreifen Eonnten, vorzugeben, Daß 
ihre Gottheiten von den Griechiſchen nicht verfchieden ſeyen; und 
wenn dieſes die Griechen zugeftanden, mußten fie and) bekennen, 
daß fie den ihrigen Götterdienft von den Aegyptern als einen 
ältern Wolfe befommen. Es ift außer dem mehr als zu befannt, 
wie wenig Die Griechen von der Religion anderer Volker unter: | 
vichtet waren, welches unter andern Die vielen Götter der Perſer, 
die jene ung nambaft machen , beweifen, da im Gegentheil bey 
dieſem Volke nur allein die Sonne, und dieſe in Dem Feuer verch: 
vet wurde, ’ 

Es ift zwar bier nicht der Ort, mir felbft Einwürfe zu 
machen , Die ſchwer zu beantworten find; ich muß mir jedoch vor— 
ftellen, Daß viele meiner Lofer mit mir anf einerley Gedanken ges 
rathen Eonnen. Wenn man 3. E. an Obelisken einen Roßkaͤfer 
als ein Bild der Sonne 1), eingehauen, und auf der gewoldten 
Seite Aegyptiſcher ſowohl als Hetruriſcher Steine geſchnitten ſie— 
het, (ich nenne hier Aegyptiſche Steine, nicht die von ihren alten 
Kuͤnſtlern, ſondern die in ſpaͤtern Zeiten, und vielleicht im dritten 
oder vierten Jahrhunderte chriſtlicher Zeitrechnung, mehreutheils 
in gruͤnlichem Baſalt, und die mit ſymboliſchen Zeichen und Gott— 
heiten der Aegypter bezeichnet find) könnte man daraus ſchließen, 
Daß die Hetrurier diefes Sinnbild von den Aegyptern befommen 
hätten, welches alfo wahrfcheinlid) machte, Daß jene von Diesen 
auch die Kunft erlernet hätten. Fremd muß «8 ung allerdings 
feinen, Daß ein fo verächtliches Inſect ein heiliges Symbolum 

bey 
ı) Euſeb. Praep. Evang, L. 3. p. 58.1. 9. 


16 L Theil, Erſtes Kapitel, 


bey Dem einen, und wie eg feheinet, auch bey Dem andern Wolfe 
geworden ift; und man fonnte muthmaffen, Daß felbft die Grie- 
chen fich etwas befonders bey dem Roßkaͤfer vorgeftellet haben. 
Denn da Pampho, einer der Alteften Dichter , feinen Supiter in 
Pferdemiſt einhüllet I), koͤnnte man dieſes Bild von Der Gegen: 
wart der Öottheit in allen auch inden verächtlichften Dingen aus⸗ 
legen; es fcheinet mir aber, Daß vielleicht Diefes niedrige Bild von 
eben dem Käfer, Der im Pferdemift wühlet und lebet, genommen 
feyn koͤnne. Um aber dieſes unangenehme Bild nicht weiter zu 
zergliedern, will ich zugeftehen,, Daß Die Hetrurier daſſelbe von 
den Aegyptern angenommen haben; Diefes Fan jedoch Durd) einen 
befonderen Weg mitgetheilet worden feyn, ohne daß es noͤthig war, 
Aegypten zu bereifen, welches, wie gefagt, Fremden nicht erlaubt 
war, Das ift, zu den Zeiten, von welchen wir reden; aber mit 
der Kunſt verhält es fich anders, und man Eonnte Diefelbe nicht 
erlernen, ohne nad) ihren Werken gezeichnet zu haben. 

Gedachte Meynung einiger griechifchen Seribenten, und 
wenn auch alle Derfelben beypflichteten, Daß Die Kunſt von den 
Aegyptern zu ihnen gekommen fey, wird nicht als ein Beweis der 
Wahrheit angefehen werden von denjenigen, Die Die menfchliche 
Neigung gegen alles fremde kennen, von welcher Die Griechen fo 
wenig, als es andere Menfchen find , frey waren, da fogar Die 
Einwohner yon Delos porgaben, daß ihr Fluß der Inopus aus 
dem Nil in Aegypten unter dem Meere, bey ihnen in Die Duelle 
yon jenem ausbreche 2), 

Es 


1) Philoftr. Heroic. p. 695.1. ır. 2) Paufan.. L. ‘2. p. 122. |. 22. 


1 


Von dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 17 


Es koͤnte gegen die gemeine Meynung auch der verſchie— 
dene Gebrauch der Kuͤnſtler der drey Voͤlker, von welchen wir 
reden, angefuͤhret werden, da wir wiſſen, daß bey den Hetruriern 
und bey den aͤlteſten Griechen die Inſchrift auf die Figur ſelbſt 
geſetzet wurde, welches ſich an keinem Aegyptiſchen Werke findet, 
wo die Hieroglyphen auf dem Sockel ſtehen und an dem Pfeiler, 
welcher ihren Figuren wie zur Stuͤtze dienet. Das Gegentheil 
wollte Needham beweiſen aus einem Kopfe von ſchwaͤrzlichem 
Steine, welcher ſich in dem koͤniglichen Muſeo zu Turin befindet, 
und auf allen Theilen des Geſichts unbekannte Zeichen eingehauen 
zeige, Die nach deffen Meynung Aegyptiſche Buchftaben und den 
Chinefifchen ähnlicy waren. Es trat Derfelbe fo gar mit einer Er— 
klaͤrung dieſer Zeichen hervor, Die ihm ein Chineſer zu Nom auf 
gehänget hatte, welcher feiner Sprache nicht mehr Fundig war, . 
als andere junge Leute Diefes Landes, Die zu Neapel in einem für 
fie geftifteten Collegio erzogen werden; und Feiner von ihnen Fen- 
net Die Schrift, Die man auf chinefifhen Geraͤthen, Zeugen u. 
f. w. gezeichnet fiehet, weil es, wie fie fagen, Die Sprache Der 
Gelehrten ift. Denn da diefe Kinder ſolche find, welche ihre Aeltern 
ausgeſetzt haben, und die von den Mifftonarien aufgeſucht, Dem 
Tode enteiffen, von ihnen erzogen, und fo bald es Das Alter er 
Iaubet, aus dem Lande fortgefchicket werden , fo erlangen fie nur 
eine mäßige Kenntniß ihrer Sprache. Der Turinifche Kopf aber 
hat nicht Die mindefte Mehnlichkeit mit anderen Aegyptiſchen Koͤ— 
pfen, und ift aus einem weichen Steiner von einer Schieferart, 

Winkelm. Geſch. der Runſt. C den 


XI. 
Fortgang der 
Kunſt im Bil- 
dung der Hand» 
lung an den Fi⸗ 
guren, 


18 1. Theil. Erſtes Kapitel. 


den man Bardiglio nennet, gearbeitet, muß alfo für eine Bes 
frügeren geachtet werden. 

Mit der Zeit lehrete die zunehmende Wiffenfchaft die Me: 
trurifchen und Griechifchen Künftler aus Den erften fteifen und 
unbeweglichen Bildungen, bey welchen Die Aegypter blieben und 
bleiden mußten, heraus zu gehen, und verfchiedene Handlungen 
in ihren Figuren auszudrüden. Da aber die Wiffenfchaft in der 
Kunſt vor der Schönheit vorausgehet, und, als auf richtige ftren- 
ge Regeln gebauet, mit einer genauen und nachdrüdlichen Be— 


ſtimmung zu lehren anfangen muß, fo wurde die Zeichnung regel⸗ 


mäßig, aber eckigt, bedeutend, aber hart, und pielmals übertrie- 
ben, wie fi) an Metrurifchen Werfen zeigetz auf eben die Art, 
wie fich die Bildhauerey in neueren Zeiten Durch Den berühmten 
Michael Angelo verbefiert hat. Arbeiten in dieſem Stil haben 
fi) auf erhabenen Werfen in Marmor, und auf gefchnittenen 
Steinen erhalten, welche ic) an ihrem Orte anzeigen werde; und 
Diefes war der Stil, den die angeführten Scribenten mit Dem 
Hetruriſchen vergleichen I), und welcher, wie es fcheinet, Der 
Heginetifhen Schule eigen blieb: denn die Künftler dieſer Infel, 
weldye von Doriern bemohnet war 2), feheinen bey dem älteften 
Stilam längften geblieben zu feyn. Das Uebertriebene im Stande 
und der Handlung der Figuren, Die die allerältefte Form verlaf 
fen hatten, feheinet Strabo dur) Das Wort Zuoduog, verdrehet, 
enzuzeigen. Denn wenn er berichtet, daß zu Ephefus viele Tem: 
pel fo wohl aus der älteften als folgenden Zeit gewefen, und Daß 
in 
ı) Diod, Sic. & Strabo U. cc. 2) Herodot. L. 8. p. gar. 1. 39 


Von dem Urfprung und Anfang der Kunft. 19 


in Jenen ſehr alte Statuen von Holze (aoxam Eoava) geſtanden, in 
den andern Tempeln aber Zxorıa eoya I), hat diefer Scribent vers 
muthlich hier nicht fagen wollen, daß die Statuen der Tempel, 
Die nad) der Alteften Zeit erbauet worden, ſchlecht und tadelhaft 
gewefen, wie es Cafaubonus verfianden, welcher ZxoAıng mit pra- 
vus überfetet; dieſes hätte Strabo vielmehr von den älteften Bil— 
dern fagen follen. 

Das Gegentheil von Zxodrs fcheinet das Wort Oo9os Anz 
zudeuten, welches wo es von Statuen gebrauchet wird, wie beym 
Pauſanias von einer Statue des Jupiters von der Hand des Ly- 
fippus 2) durch Die Ueberfeser von einem geraden Stande erfläs 
vet wird, Da e8 vielmehr eine Figur anzeigen foll, Die einen ru— 
bigen Stand ohne Action hat, 

- Der zwente Abfchnitt diefes Kapitels, naͤmlich die Mate- Zweyter Ab⸗ 
vie, in welcher die Bildhauerey ihre Werke ausgearbeitet hat, ”"" 
zeiget zugleich Die verfchiedenen Stufen des Wachsthums derfel- 
ben, fo daß die Kunft mit Thon anfieng; hierauf fchniste man 
in Holz, ferner in Elfenbein, und endlic) machte man fich an 
Steine und Metalle. ’ 

Den Thon, als die erfte Materie der Kunft, deuten ſelbſt gran, Feterie 
Die alten Sprachen an: denn Die Arbeit des Töpfers und des dr ätn 
Bilders, oder des Bildhauers wird durch eben daffelbe Wort ee 
bezeichnet 3). Es waren noc) zu Panfanias Zeiten in verfchiede- Sturm 
nen Tempeln Ziguren Der Gottheiten von Thone: als zu Tritia 

€ 2 in 


ı) Strab. L. z4. p. 640. A. 2) Paufan.L. 2. p, 155. 1. 22. conf. ib. J. 166, 
l. 32. 3) v.Gufet. Comment. L. Hebr. v. xy 


20 1. Theil. Erſtes Kapitel. 


in Achaja, in dem Tempel der Ceres und der Proferpina 1); 
fo wie Amphictyon, welcher nebft andern Göttern den Bachus 
bewirthete, in einem Tempel des Bacchus zu Athen ftand 2); 
und eben Dafelbft in Dem Portico ; Ceramicus genannt , der von 
Arbeiten in Thone alfo zubenamet war, ftand Thefeus, wie er 
den Sciron ins Meer ſtuͤrzete, nebft der Morgenroͤthe, die den 
Cephalus entführte, beyde Werfe von Thone 3). ES haben fich 
fo gar in der verfchüttet gemefenen Stadt Pompeji vier Statuen 
von gebrannter Erde gefunden, Die in dem Merculanifchen Mus 
feo aufgeftellet find: zwo von Denfelben, ein wenig unter Lebens- 
größe ftellen comifche Figuren , von einem und dem andern Ge— 
ſchlechte, mit Larven über Das Haupt, vor: und zwo andere, et— 
was größer als die Natur, find ein Aeſculapius und eine Hygiaͤa. 
Ferner ift eben Dafelbft entdecket ein Bruftbild der Pallas in Le— 
bensgroͤße, mit einem Heinen runden Schilde an der linken Brufk. 
Diefe Bilder pflegten zuweilen mit vother Farbe bemalet zu wer: 
den, wie fich auch an einem männlichen Ropfe von Erde zeiget, in: 
gleichen an einer Heinen Figur mit deren Sockel aus einem Stüs 
ce, Die als ein Senator gefleidet ift, und im Junius 1767. zu 
Veletri gefunden wurde; hinter dem Sockel ftehet der Name der 
Figur CRVSCVS, Bende Stüde befitze ich feibft. Das Anftrei- 
chen des Geſichts mit diefer Farbe wird insbefondere von den Fi- 
guren des Jupiters gefaget 4), und in Arcadien war ein ſolcher 
zu Phigalia 5); and) Pan wurde roth bemalet D: eben dieſes 
ge⸗ 
ı) Paufan. L. 7. p. 580.1. ge. Id L. 1.p. 7.1.15. 3) Ibid.p. 8.1. 10, 
4) Plin. L.35.c. 45. 5) Plin. L.23.c.3. 6)Paufan.L. 8.p. 681.lin. ult. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 21 


geſchieht noch io von den Indianern 1). Es feheinet, daß Da- 
her der Beyname der Ceres eoniorsla 2), die Nothfüßige, ges 
fommen fey. 

Der Thon blieb auch nachher fo wohl in dem Flor der 
Kunft, als nach Demfelben, die erfte Materie der Kuͤnſtler, theils 
in erhobenen Sachen, theils in gemalten Gefäßen. Sene wur- 
den nicht allein in den Friefen der Tempel angebracht, fondern 
fie dienten auch den Künftlern zu Modellen, und um fie zu ver- 
vielfältigen, wurden fie in eine vorher zubereitete Zorn abgedru- 
det: Die häufigen Lieberbleibfel einer und eben derfelben Vor: 
ftellung find ein Beweis von dem was ic) fage. Diefe Abdrüde 
wurden von neuem mit dem Modellier= Steden nachgearbeitet, 
wie man deutlich fiehet ; und dieſe Modelle wurden zuweilen 
auf ein Seil gezogen, und in den Werfftellen der Künftler auf 
gehänget: Denn einige haben ein Dazu gemachtes Loc) in der 
Mitten. 

Die alten Künftler verfertigten nicht allein Modelle, die 
für ihre Arbeit und in ihrer Werfftelle dienten, fondern fie fuchten 
in der höchften Blüthe der Kunſt nicht weniger in Arbeiten von 
Thone, als von Marmor und Erzt fid) öffentlich zu zeigen, fo 
Daß Diefelben fortführen, annoch wenige Sahre nad) Alexanders 
des Großen Tode, naͤmlich zu den Zeiten des Demetrius Poltor- 
cetes, dergleichen Modelle vor aller Augen auszuſtellen. Diefes 
geſchah theils in Boeotien, theils in den Städten um Athen, 

€3 und 


ı) Della Valle Vias. T, ı.p. 2%. 2) Pind. Olymp. 6, v. 126. 


B. 
Modelle zu 
Statuen und zu 
erhobenen Ar- 
beiten. 


Bi I. Theil. Erſtes Kapitel: 

und namentlich zu Plateaͤa, an den Feſten, die zum Gedächtniffe 
des Daͤdalus, eines Der erften Künftler, gefenert wurden 1). Diefe 
Öffentlicd) ausgeftellten Modelle, außer der Nacheiferung, welche 
fie in Diefer Art Arbeit bey den Künftlern unterhielten , machten 
bey andern Das Urfheil über ihre Gefchidlichkeit richtiger und 
gründlicher, weil das Modelliven im Thone bey dem Bildhauer 
wie Die Zeihnung auf Dem Papier bey dem Mahler, anzufehen 
iſt. Denn fo wie der Vorfprung des ausgepreßten Nebenfafts der 
edelfte Wein ift, eben fo erfcheinet dort in der weichen Materie 
und auf Dem Papiere der reinfteund wahrhaftigſte Geift der Künft- 
ler, Da hingegen in einem ausgeführten Gemälde und in einer 
geendigten Statue das Talent in dem Fleiße und in der erforder- 
lichen Schminfe verkleidet wird. Da nun Diefe Arbeit bey den 
Alten beftändig in großer Achtung blieb, fo gefhah es, da Co- 
rinth fid) aus Der Afche erhob, Durch eine vom Julius Cäfar da⸗ 
hin gefendete Colonie, daß man aus den Truͤmmern der verſtoͤr⸗ 
ten Stadt und aus den Gräbern, nicht weniger die Werfe der 
Kunft Die im Thone gebildet waren, als die von Erst, hervors 
ſuchte. Diefes berichtet Strabo 2), welcher hier bisher nicht 
deutlich verftanden zu feyn feheinet. Denn wenn Caſaubonus def 
fen Dusleger, dem andere gefolget find, ſich von Diefer Nachricht 
einen deutlichen Begriff gemachet hätte, würde er , was jener 
Scribent rogeuudla orgarıra nennet, nicht mit teftacea opera, fün- 
dern anaglypha figulina: überfetset haben, denn rogeuyuara wie ich 

un: 


3) Diczarch. Geogr. p. 168. 1, 25. conf. Meurſ. de Feft. Gr&c. 2) Geogr. L. 
% P. 381. D. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 23 


unten mit mehrern anzeigen werde , heißen erhobene Arbeiten. 
Diefe Achtung der Arbeiten im Thone wird noch itzo durch Die 
Erfahrung beftätiget; und man kann als eine allgemeine Re— 
gel angeben, daß fich nichts fehlechtes in dieſer Art findet, wel- 
des von der erhobenen Arbeit in Marmor nicht kann gefagt 
werden. 

Einigen der ſchoͤnſten Stüde hat der Herr Kardinal Aler. 
Albani in feiner prächtigen Villa einen Platz gegeben, und un- 
ter Denfelben ift Argo, wie er an dem Schiffe der Argonauten ars 
beitet, nebft einer andern männlichen Figur, vermuthlich Tiphys, 
der Steuermann diefes Schiffes, und Minerva, die das Segeltud) 
ander Stange anleget. Diefes Stüd wurde nebft zwey andern 
zerbrochnen Stüden, Die aus eben der Form gezogen waren, Zus 
gleich mit andern Scherben folcyer erhobenen Mebeiten in Tho— 
ne, in der Mauer eines Weinbergs vor der Porta Latina, ans 
ftatt der Ziegel verbraucht, gefunden. 

Die gewöhnliche Größe der erhobenen Werke Diefer Art 
pfleget den großen Tafeln von Thone (die man nicht Ziegel nennen 
kann) gleich zu feyn, und über drey Palmen von allen Seiten zu 
halten. Diefe Tafeln, weldye insgemein zu Bögen gebranchet 
murden, find fo wie jene Werfe, Dergeftalt ausgebraunt, Daß fie 
einen feinen Klang von ſich geben, und leiden weder in Feuchtig- 
feit, noch in Hitze und Kälte. 

Ich Fann nicht unterlaffen hier anzuzeigen, daß aus einer 
Nachricht des Plinius ſcheinen könnte, es hätten die alten Künft- 

' ler 


24 ° 1. Theil, Erſtes Kapitel. 


ler, Die in Erzt arbeiteten, den Teig ihrer Formen aus Thone und 

dem feinften Weitzen-Mehle zuſammen geſetzet 1). 
ei Von der andern Art Denkmale der Arbeit in Thon, näme 
Shon. lic) von den bemalten Gefäßen der Alten haben ſich einige tau— 
fend erhalten; und von denfelben wird unten mit mehren gedacht 
werden. Der Gebraud) ivdener Gefäße blieb von den alteften 
zeiten her im heiligen und gottesdienftlihen Verrichtungen 2), 
nachdem fie Durch Die Pracht im bürgerlichen Leben abgefommen 
waren, und viele Derfelben waren bey den Alten anftatt des Por⸗ 
cellans, und Dieneten zum Zierrath, nicht zum Gebrauche: Denn 

es finden ſich einige, welche keinen Boden haben. 

Aus Holze wurden, fo wie die Gebäude felbft der älteften 
Griechen, alfo aud) die Statuen, eher als aus Stein und Mar- 
mor, fo wie Die Daläfte Der Medifchen Könige, gemachet 3). In 
Aegypten werden nod) io von ihren alten Figuren von Holz, 
welches Sycomorus ift, gefunden; und viele Muſea baden folche 
Alterthuͤmer aufzuzeigen. Pauſanias machet die Arten von Holz 
namhaft, aus welchen Die älteften Bilder gefchniget waren N; 
und das Feigenholz wurde, nach dem Plinius, wegen deffen 
Weiche vorgezogen 5). ES waren and) noc) zu jenes Seribenten 
Zeiten an den berühmteften Drten in Griechenland Statuen von 
Holze. Unter andern war zu Megalopolis in Arcadien eine fol- 
che Suns, Apollo und die Mufen 6), ingleichen eine Venus, und 
ein Mercurius yon Damophon, einem der älteften Künftler 7; 

3) Plin. L. 18. c. 20. ©. 2, 2) Conf.Brodzi mifcel.L.5.c.ı9. 3) un; 

L, 10. p. 598. A. Schol. Apollon. v. 170. 4) Lib. 8. p. 633. 1. 32. 

5) L. 16. 07% 6)Paufan.L.:.p. 665. 7) Paufan, L. 8. p. 665. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 25 


feldft die Statue des Apollo-zu Delphos, war von Holz, aus 
einem einzigen Stamme gearbeitet, und von den Cretenſern dahin 
geſchenket. 8). Beſonders find zu merken Hilaira und Phoebe 
zu Theben, nebft den Pferden des Caftor und Pollux aus Eben- 
holz und Elfenbein, als Werke des Dipvenus und Sceyllis, die 
Schüler des Daͤdalus waren 2); und eine foldye Diana zu Tegea 
in Arcadien 3), aus Der älteften Zeit der Kunſt; von eben dem 
Holze war eine Statue des Ajay zu Salamis 4). Pauſanias 
glaubet, daß fchon vor dem Dadalus Statuen von Holz Dadala 
genennet worden 5). Zu Said und zu Theben in Megypten wa- 
ven fogar Eoloffalifhe Statuen von Holze 6). Wir finden, daß 
Siegern in öffentlichen griechifchen Spielen annoch in der ein und 
fechzigften Dlympins, das ift, zu Den Zeiten des Pififtratus, höl- 
zerne Statuen aufgerichtet worden 7); ja Der berühmte Myron, 
machte eine Hecate von Molze zu Megina 8); und Diagoras, wel- 
cher unter den Gottesverläugnern des Alterthums berühmt iſt, 
kochete fich fein Eſſen bey einer Figur des Hercules, da es ihm 
an Holze fehlete 9). Mit der Zeit vergoldete man ſolche Figuren, 
wie unter Den Aegyptern fowohl 10), als unter den Griechen ge= 
ſchah; von Aegyptiſchen Figuren, welche vergoldet gewefen, hat 
Gori zwo befeffen 11). Nach der Zeit aber, da das Holz gleich- 
fam 

ı) Pindar.Pyth.5.v.s3. 2)Paufan,L. 2. P. 161.1, 34. s)Id.L.8.p.709.ad fin, 

4) Idem L. 1.p. 85. 1. 24. s)Id. L. 9.p. 616. 6)Herodot.L. 2. P. 95. 

1. 35. 7) Paufan. L. 6. p. 497. 1. 15. 8) Paufan. L. 2. p. 190, 1. go. 


9) Schol. ad Ariftoph. Nub. v. 828, 10) Herodot. L. 2. BP au.) 28. 
ı1) v, Muf: Etr. T. I. p. 51. 


Winkelm. Geſch. der Kunft, D 


IM. 
Bon Elfenbein. 


26 T. Theil, Erſtes Kapitel. 


fam von Der Bildhauerey verworfen war, blieb es dennoch eine 
Materie, in welcher gefchickte Arbeiter ihre Kunſt zeigeten, und 
wir finden 3. E. daß Duintus der Bruder des Cicero ſich einen 
Zeuchterträger (kychnuchum) zu Samos ſchnitzen laſſen 1), und 
folglich von einem berühmten KRünftler in dieſer Arbeit. 

In Elfenbein wurde ſchon in den älteften Zeiten der Grie⸗ 
chen gefchniget, und Homerus vedet von Degengriffen,, von Des 
genfcheiden, ja von Betten, und von vielen andern Sachen, wel- 
he aus Diefer Art von Horn gemacht waren 2). Die Stühle 
der erften Könige und Confuls in Rom waren gleichfalls von El⸗ 
fenbeine 3), und ein jeder Roͤmer, welcher zu derjenigen Würde 
gelangete, Die dieſe Ehre genoß, hatte feinen eigenen Stuhl von 
Elfenbeine 4); auf foldyen Stühlen faß der ganze Rath, wenn von 
den Noftris auf dem Markte zu Nom eine Leichenrede gehalten 
wurde 5). Es waren fo gar die Leyern 6) und die Tifchgeftelle 
aus Elfenbeine gearbeitet; und Seneca hatte in feinem Hauſe zu 
Mom fünf hundert Tiſche von Cedernholze, mit Füßen von Elfen- 
beine 7). In Griechenland waren an hundert Statuen von El: 
fenbeine und Golde, die mehreften aus der älteren Zeit der Kunft 
und über Lebensgröße; felbft in einem geringen Flecken in Arca— 
dien war ein fchöner Aeſculapius 8), wie nicht weniger auf der 

Land⸗ 


») Cic. ad Quint. Fr. L. 3.ep. 7. 2) Conf. Paufan. L. 1. p. 30. Caſaub. 
ad Spartian. p. zo. E. 3) Dionyf. Halic. Ant. R.L. 3. p. 197. I. 25. 
L. 4.2.25. L.2% J)Liv.L3.c,4. s)Polyb. L. 6. p. 49. 
lin. ult. 7) Dionyf, Hal. I. c. L. 7. p.458. 1.39. 7) Xiphil, Ner. p. 
152.1. 9. 8) Strab. Geogr. L. 8. p. 337. D. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunft. 27 


Landftraße, nad) Pellene, in Achaja, war in einem Tempel das 
Bild der Pallas, aus eben der Materie gearbeitet 1). In einem 
Tempel zu Cyzicum in Pontus, an welchem die Fugen der Stei- 
ne mit goldenen Leiftgen gezieret waren, ftand ein Jupiter von 
Elfenbein, den ein Apollo von Marmor Frönete 2); and zu Ti- 
voli war ein folcher Hercules 3). Es waren fogar auf der Inſel 
Maltha einige ſolche Statuen der Victoria, ebenfalls aus der Al- 
teften Zeit, aber mit großer Runft gearbeitet 4). Herodes Iltti- 
cus, der berühmte und reiche Redner zur Zeit des Trajanus und 
der Antoniner, ließ zu Corinth in den Tempel des Neptunus ei- 
nen Wagen mit vier vergoldeten Pferden ſetzen, an welchen Der 
Huf von Elfenbein war 5.) Won elfenbeinern Statuen hat fi) 
in fo vielen Entdedungen, die gemachet worden, Feine Spur ges 
funden, einige Eleine Figuren ausgenommen, weil Elfenbein fic) 
in der Erde caleiniret, wie Zähne von andern Thieren, nur Die 
Wolfszaͤhne niht 6): Zu Tyrinthus in Arcadien war eine Cy— 
bele von Golde, Das Geſicht aber war aus Zahnen vom Hippo— 
potamus zufammen gefeget 7). In Ausarbeitung foldyer Sta⸗ 
fuen aus verfchiedener Materie, feheinet man angefangen zu ha= 
ben, den Kopf zu erſt zu endigen, und hernad) Die anderen Theile, 
welches zu fchließen tft aus der Nachricht des Pauſanias von 
der Statue eines Jupiters zu Megara, die yon Elfenbeine und 
D 2 Gol⸗ 


ı) Paufan. L. 7. p. 594. 1. 29. 2) Plin. L. 36.c. 22, 3) Propert. L. 4. el; 
7. v. 82. 4) Cic. Verr, 4. c.46. 5) Paufan.L. =. p. 113. 1.1, 6) 68 
bat jemand in Rom einen Wolfssahn, auf welchem die jwölf Götter gear⸗ 
beitet find. 7) Paufan, L. 8, p. 694. |. 32% 


28 I. Theil, Erſtes Kapitel, 


Golde angeleget war; da aber der Peloponnefifche Krieg Die Ar⸗ 
beit an derſelben unterbrochen hatte, war nur allein der Kopf aus⸗ 
geführet, und das übrige war von Gipfe und Erde modelliret 1). 
Außerordentlic) iſt eine Fleine Figur eines Kindes von Elfenbein, 
einen Palm hoch, Die ganz vergoldet war, und fid) in dem Mus 
feo Herrn Hamiltons, gevollmaͤchtigten Großbritannifchen Mir 
nifters zu Neapel, befindet. 

te Der erfie Stein, aus welchem man Statuen machete, 
und afunig fcheinet eben derjenige gemwefen zu ſeyn, wovon man Die Älteften 
gemessenen. Gebäude in Griechenland, wie der Tempel des Zupiters zu Elis 
war 2), aufführete, nämlich eine Art Toffftein, welcher weißlicht 
war: Plutarchus gedenfet eines Silenus aus ſolchem Steine ge 
hauen 3). Zu Nom gebrauchete man aud) den Travertin hierzu, 
und es findet fid) eine Confularifche Statue in der Villa des Hrn. 
Cardinals Alex. Albani, eine andere ift in dem Pallafte Altieri, 
(in dem Nione (Regio) von Nom Campitelli genannt) welche 
fiset, und auf dem Knie eine Tafel hält, imgleichen eine weibliche 
Figur, fo wie jene in Lebensgröße, mit einem Ringe am Zeigefin- 
ger, ftehet in der Wille Belloni. Diefes find die Figuren aus 
Diefem Steine in Nom. Figuren von folchen geringen Steinen 

pflegten um Die Gräber zu ftehen. 
Aus weißem Marmor madhete man anfänglid) den Kopf, 
nd ai die Hände und Füße an Figuren von Holz, wie eine Suno 4), 
* ed und Venus 5) von Dem kurz vorher angeführten Damophon wa- 

ER ven; 

1) Pauſan. L. 1. p. 97. Lg. 2) Id. L. 5. p. 39% lin, ult. 3) Vit. Rhet. 
Andocid. p. 1535.1. 14. 4)Paufan.L.7.p.392.1.33. 5)Id. L. 8. P. 6635. l. 16. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 29 


zen; und diefe Art war nod) zu des Phidias Zeiten im Gebrau- 
che: denn feine Pallag zu Plateaͤa war alfo gearbeitet 1). Solche 
Statuen, deren Aufferften Theile nur von Steine waren, wurden 
Hcrolithi genennet 2): Diefes ift Die Bedeutung dieſes Worts, 
weldye Salmaſius 3) und andere nicht gefunden haben 4). Pli— 
nius merfet an, daß man allererft in der funfzigften Olympias 
angefangen habe, in Marmor zu arbeiten 5), welches vermuth- 
lich von ganzen Figuren zu verftehen ift. Zuweilen wurden aud) 
marmorne Statuen mit wirklichen Zeuge bekleidet, wie eine Ce 
res war, zu Bura in Achaja 6); und ein fehr alter Aeſculapius 
zu Sicyon hatte gleichfalls ein wirkliches Gewand 7). Dieſes 
gab nachher Anlaß, an Figuren von Marmor Die Bekleidung 
auszumalen, wie eine Diana zeiget, welche im Sabre 1760. im 
Herculano gefunden worden: Es iſt diefelbe vier Dalme und Drift: 
halb Zoll hoc), und fcheinet aus der älteften Zeit der Kunſt zu 
feyn. Die Haare derfelben find blond, die Veſte weiß, fo wie 
der Rod, an welchen unten drey Streifen umher laufen; der un- 
terfte ift fchmal und goldfarbig , der andere breiter, von Lad: 
Farbe, mit weißen Blumen und Schnirfeln auf Demfelben gema- 
letz der dritte Streif ift von eben der Farbe: Won Diefer Statue 
wirdin demdritten Kapitelein umftändlicher Begriff gegeben. Die 
Statue, weldhe Corydon beym Wirgilius der Diana gelobete, 
—Ax ſoll⸗ 


ı) Paufan. L, 8. p. 665. 1. 16._ =) Vitruv, L. =. c. 8. p. 59. 1. 19. 30 Not. 
ad Script. Hift. Aug. p. 3:2. E. 4) Conf. Triller. Obferv. Crit. L. 4. 
c. 6. Paciaud. Monum. Pelop. Vol. 2.p. 44. 5) L. 36.c. 4.p.724.1.15 


6) Pauſan. L. 7. p sol ) Id. L. 2. P. 137. 1. 4. 


Fernet von 
ůber malten 
Statuen. 


NIE 
Don Exit, 


30 - 1 Theil. Erſtes Kapitel. 


follte von Marmor ſeyn, aber mit rothen Stiefeln I). Es finden 
fid) Statuen aus Marmor von allerley Art, aud) aus dem viel- 
farbigen gearbeitet, aber Feine hat fich bisher gefunden aus dem 
Laconiſchen grünen verde antico genannt, welcher an dem bekann⸗ 
ten lacedämonifchen Vorgebirge Tanarııs gebrochen wurde 2). 
Wenn Pauſanias von zwo Statuen Kaifers Hadrianus redet, 
Die zu Athen waren, Die eine von Steine aus der Infel Thafus, 
und Die andere von einem Aegyptiſchen Steine 3), fo ift hier 
vermufhlich Porphyr, Dort aber ein gefledter Marmor 4) und 
vielleicht derjenige, den wir Paonazzo nennen, zu verſtehen; doch 
fo, Daß Kopf, Dande und Füße aus weißem Marmor gewefen feyn 
werden. 

In Erzt müßte man, wenn dem Pauſanias zu glauben waͤ⸗ 
ve, in Italien weitcher, als in Griechenland , Statuen verfertiget 
haben denn diefer Scribent machet als die erften griechiſchen Künft- 
ler in Diefer Dirt Bildhauerey, einen Rhoecus, und nebft diefem den 
Theodorus aus Samos namhaft 9; dieſer letzte hatte den be— 
ruͤhmten Stein des Polycrates Tyrannen der Infel Samos ge 
ſchnitten, und arbeitete die große Schale von Silber, die fech$- 
hundert Eimer hielt, und von Croeſus dem Könige in Lydien, 
nad) Delphos gefchenfet wurde 6). Zu eben Der Zeit ließen Die 
Spartaner ein Gefäß, als ein Geſchenk für Diefen König machen, 
welches drey hundert Eimer faſſete, und mit allerhand Thieren 

ger 
ı) Eclog. 7. v. 31. 2) Sext. Empyr. Pyrrh. Hypot. L. 1. p. 26. E. 


3) Paufan. L. 1. p. 42- l. 34. 4) PFlin. L. 36.c.5. s)L.8.p. 629 
l. 2. L.9.p.796.l.1. L.10.p.896, 1. 19. 6) Herodot, L. ı, p. 12.137. 


Bon dem Urfprung md Anfang der Kunſt. 31 


gezieret war »). Moch älter aber und vor der Erbauung Der 
Stadt Eyrene in Africa waren drey Etatuen von Erzt zu. Sa— 
mos, jede von ſechs Ellen hoch, Die auf den Knieen faßen, und eis 
ne große Schale trugen, auf welche die Samier den zehenten 
Theil des Gewinns aus ihrer Schiffarth nach Tarteffus verwen- 
Det hatten 2). Den erften Wagen mit vier Pferden von Erst, 
lieffen die Athenienfer nad) dem Tode des Piſiſtratus, Das ift, 
nad) der fieben und fechzigften Olympias, vor dem Tempel der 
Dallas aufrichten 3). Die Sceribenten der römifchen Gefchichte 
hingegen berichten, Daß bereits Nomulus feine Statue, von dem 
Siege gefrönet, auf einem Wagen mit vier Pferden, alles von 
Erst, feisen laffen: der Wagen mit den Pferden war eine Beute 
aus der Stadt Camerinum 4). Diefes foll nad) dem Triumph 
über Die Fidenater , im fiebenten Jahre feiner Regierung, und 
alfo in der achten Olympias, gefchehen feyn. Die Infchrift Die 
fes Werfs war, wie Plutarchus angiebt, in griechifchen Buch— 
ftaben 5): da aber, wie Dionyſius bey anderer Gelegenheit mel- 
det, Die römische Schrift der älteften griechifehen ahnlich gewe— 

fen 6), könnte jenes Werk eine Arbeit eines Hetruriſchen Künft- 
Vers gewefen feyn. Ferner wird einer Statue von Erst des Ho— | 
ratius Cocles gedacht 7), und von einer andern zu Pferde, 
die der berühmten Cloelia 2), zu Anfang der Roͤmiſchen 

Ne: 
ı)Herodot.p.138.1.9. ») Id. L. 4. p. ı71. 1. 26. conf p. 174.1. 35. 3) Id. 

L. 5. p. 199. 1. 6. 4) Dionyf. Halic, Ant. R.L. 2. p. 112. 1. 39. 

5) In Romulo, p. 33.1.8. 6)L. 4. p. zer. l. 46. 7) Dionyf. Halic, 


Ant. R.L. 4 p. 221. ]. 46. 8) Id. L, 5. p- 384. 1, 43. p. 391. 1. 39. 
Plutarch. in Public. p. 195. 1, 6, 


32 I. Theil. Erſtes Kapitel. 


Republik, aufgerichtet worden; und da Spurius Caſſius wegen 
feiner Unternehmungen wider die Freyheit geftrafet wurde, ließ 
man aus feinem eingezogenen Vermögen der Ceres Statuen und 
gleichfalls von Erzt ſetzen 1). Die häufigen Eleinen Figuren Der 
Gottheiten von Erst, Die fid) finden, Dieneten zu mancherley Ge- 
brauche, unter welchen die Heinften wie Neifegötter waren , Die 
man bey fid) und aud) am Leibe trug, fo wie Sylla ein Fleineg 
goldenes Bild des Pothifchen Apollo beftändig und in allen feis 
nen Feldfchlachten im Buſen hatte, und daſſelbe zu Eüffen pfle— 
gete 2). t 
a Die Kunft in Edelfteine zu fchneiden muß fehr alt feyn, 
in Ehelfein in und war auch unter fehr entlegenen Völkern befannt. Die Grie— 
hen, fagt man, follen anfänglich mit Holz von Wurm durchlö- 
chert gefiegelt haben 3), und es ift in dem ehemaligen Stofchifchen. 
Mufeo ein Stein, welcher nad) Art der Gänge eines ſolchen Hol— 
368 gefchnitten ift 4). Die Aegypter find in Diefem Theile der 
Kunſt nicht weniger als die Griechen und Metrurier zu einer großen 
Vollkommenheit gelanget, wiein den folgenden Kapiteln wird ange: 
zeiget werden. Wie haufig bey den Alten dieſe Arbeit gewefen , fie: 
bet man, ohne andere dergleichen Nachrichten zu berühren, aus 
den zwey taufend Trinfgefchirren , aus Edelgefteinen gearbeitet, 
die Pompejus in dem Schage des Mithridates fand; und die . 
unglaubliche Anzahl alter gefchnittener Steine, Die fich erhalten 
ha: 
s) Dionyf. Halic. L. 8. p. 524. 1. 38. 2)Plutärch, Syll. p. 861. 3)Hefych, 


v. Ogmößgwros, conf. Selden. ad Marm. Arund. 11. p. 177. 4) Defer. 
des pier. gr. du Cab, de Stofch, p. 513. 


Bon dem Irfprung und Anfang der Kunſt. 33 


haben, und annoch täglich ausgegraben werden, läffet auf Die 
Menge der Künitler fchließen. 

Sc) merke hier an, daß beym Euripides und Plato, ein 
im Ringe gefaßeter Stein Zyerdorn, Die Schleuder heißt 1), wo- 
von der Grund der Benennung und die Hehnlichkeit zwifchen 
beyden vielleicht von anderen nicht angezeiget worden. Der Rei: 
fen des Ringes gleichet dem Leder, worinn der Stein in der 
Scyleuder lieget, und den beyden Bändern, woran Die Schleu- 
Der hanget und geſchwungen wird: eben Daher benenneten nach— 
her Die Römer einen eingefaßeten Ning Fronda, eine Schleu— 
der 2). 

Zuletzt und nad) Anzeige der Kunſtwerke in unterfchiede- 
nen Materien verdienet and) Die Arbeit Der Alten von Glafe ge 
Dacht zu werden, und Diefes um fo viel mehr, da die Alten weit 
höher als wir die Glasfunft getrieben haben , welches dem, der 
ihre Werfe in dieſer Art nicht gefehen hat, ein ungegründetes 
Vorgeben ſcheinen koͤnnte. 

Das Glas wurde uͤberhaupt vielfaͤltiger als in neueren 
Zeiten geſchehen iſt, angebracht, und dienete, außer Den Gefaͤ— 
ßen zum gewoͤhnlichen Gebrauche, deren ſich eine Menge in dem 
herculaniſchen Muſeo befindet, auch zu Verwahrung der Aſche 
der Verſtorbenen, die in den Graͤbern beygeſetzet wurden. Von 
dieſen Gefaͤßen beſitze Herr Hamilton, gevollmaͤchtigter Groß— 

bri⸗ 
1) Eurip. Hippol. v.862,Plat. republ. L. 2. p. 382. 1. 45. ed. Baſil. 2) Plin. 
%E; 37. 'C2) 37.342. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. E 


VIII. 
Don Glasar⸗ 


beiten. 


V 


ch 
V 


A. 
om gewöhnli⸗ 
en Glaſe. 


a. 
on allerhand 
efüßen. 


Gefäß 


94 I. Theil. Erſtes Kapitel, 


britannifcher Minifter zu Neapel die zwen größten , welche un- 
verfehrt find; und Das eine, tiber dritthalb Palme hoc), fand fich 
in einem Grabe bey Pozzuoli. Ein Fleineres Gefäß eben Diefes 
Muſei wurde im Monate Detober 1767. bey Cuma, mit Afche 
angefüllet, in einer bIeyernen Capfel eingefesst gefunden, Das Bley 
aber wurde von Dem, Der es fand, zerfchlagen und verkauft. Won 
einigen hundert Zentnern zerbrochener Scherben gewöhnlicher Ge⸗ 
fäße, Die in Der fo genannten farnefifchen Inſel, neun Milien aus 
Ber Rom, auf dem Wege nad, Viterbo ausgegraben und in hie 
fise Ölashütten verfaufet worden, find mir einige Stüde von 
Zrinffchalen zu Gefichte gekommen, die auf dem Dreheftuhl ge: 
arbeitet ſeyn müffen: Denn es haben Diefelben hoch hervorftehende 
und gleichſam angelöthete Zierrathen,, an Denen Die Spur des 
Rades, mit welchem ihnen die Eden und Schärfen angefchliffen 
worden, Deutlic) zu erkennen ift. 
— Außer dieſen Gefaͤßen von gemeinem Glaſe, wurde daſſel⸗ 
zen, be gebrauchet Die Fußboͤden der Zimmer Damit zu belegen; und 
hierzu wurde nicht allein Glas von einer einzigen Farbe genoms 
men, fondern auch nad) Art des Muſaico zuſammengeſetztes Glas. 
Won der erfteren Art von Fußböden haben ſich in gedachter far: 
nefifchen Inſel die Spuren, in Glastafeln gefunden, die von gruͤ— 
ner Farbe und in Der Dicke mittelmäßiger Ziegeln waren. 
— In zuſammengeſetztem vielfaͤrbigem Glaſe gehet die Kunſt 
dien ins DIS zur Verwunderung in zwey kleinen Stuͤcken, die vor wenigen 
 Sabren in Rom zum Vorſchein kamen: beyde Stüde haben nicht 
völlig einen Zoll in der EN und ein Drittheil deffelben in Der 
Breite. 


Bon dem Urfprung und Anfang der Kunſt. 35 


Dreite. Huf dem einen erfcheinet in einem Dunfelen aber vielfär- 
bigten Grunde, ein Vogel, welcher einer Ente ahnlich ift, von 
verfchiedenen fehr Tebhaften Farben, mehr aber nach Dirt chinefi- 
fcher Mahlerey, als der Natur gemäß, vorftellet. Der Umriß ift 
fiher und fcharf, Die Farben fchon und rein, und von fehr fanf 
ter Wirkung, weil der Künftler nach Erforderung der Stellen 
bald Durchfichtiges bald undurchfichtiges Glas angebracht hat. 
Der feinfte Pinſel eines Miniaturmahlers hätte den Zirkel des 
Augapfels, fo wohl als die ſcheinbar fchuppigten Federn an der 
Bruſt und den Flügeln Chinter deren Anfange Diefes Stück abge: 
brochen ift) nicht genauer ausdrüden können. Die größte Ver— 
wunderung aber erwecket Diefes Städ, da man auf der umgekehr⸗ 
ten Seite deffelben eben dieſen Vogel erblicdet, ohne in dem ge- 
ringften Puͤnktgen einen Unterfchied wahrzunehmen, da man folg- 
lid) fchließen mußte, daß Diefes Bild durch Die ganze Dicke des 
Stuͤcks fortgeſetzet fey. 

Dieſe Mahlerey erſcheinet auf beyden Seiten koͤrnigt, und 
aus einzelnen Stuͤcken, nach Art muſaiſcher Arbeiten, aber ſo 
genau zuſammen geſetzet, daß auch ein ſcharfes Vergroͤßerungs— 
glas keine Fugen daran entdecken konte. Dieſe Beſchaffenheit 
und das durch das ganze Stuͤck fortgeſetzte Gemaͤlde machten es 
ſchwer, ſich ſogleich einen Begriff von der Ausfuͤhrung ſolcher 
Arbeit zu machen, welches auch noch lange Zeit ein Raͤthſel ge— 
blieben wäre, wenn man nicht da, wo diefes Stück abgebrochen 
it, an dem Durchſchnitte deffelben, Die ganze Dicke Durchlaufende 
Striche von eben denfelben Farben, als die, fo auf der Oberfläche 

Krera er- 


36 J Theil. Erſtes Kapitel. 


erfcheinen, entdedet hätte, und Daraus fchließen Eonte, Daß Diefe 
Mahlerey von verfchiedenen gefärbten Glasfäden an einander ge- 
feet und nachher im Feuer zufammen gefchmelget worden fey. Es 
ift nicht zu vermuthen, Daß man fo viel Mühe angewendet haben 
würde, dieſes Bild nur durch die unbeträchtliche Dicke eines ſechs⸗ 
theil Zolles fortzuführen, da folches mit längeren Fäden, in eben 
Derfelben Zeit, Durch eine Dicke von vielen Zollen zu bewerkftelli 
gen, eben fo möglich war. Daher ift zu fchließen, Daß dieſes Ge— 
mälde von einem längeren Stüde, durch welches es fortgeführet 
war, abgefchnitten worden, und daß man diefes Bild fo oft ver- 
vielfältigen Fönnen, als erwehnte Dicke in der ganzen Länge des 
Stüds enthalten war. 

Das zweyte zerbrochene Stuͤck, ungefehr von eben derfel- 
ben Größe, ift auf eben Diefe Weife verfertiget. Es find auf 
demſelben Zierrathen von grünen, gelben und weißen Farben, auf 
einem blauen Grunde vorgeftellet, die aus Schnirkeln, Perlen— 
fehnüren und Blümchen beftehen, und mit Den Spisen pyrami- 
daliſch zufammen laufen. Alles diefes ift fehr deutlich und unver- 
worren, aber fo unendlich Fein, Daß aud) ein fcharfes Auge Muͤ— 
be hat den feinften Endungen, in welchen fich Die Schnirfel ver: 
lieren , nachzufolgen , und Dem unerachtet find alle Diefe Zierra— 
then ununterbrochen durch Die ganze Dicke des Stuͤcks fortgeſetzet. 

Die Verfertigung folcher Glasarbeiten zeiget fich augen- 
ſcheinlich an einem Stabe von einer Spanne lang in dem Mufeo 
des Hr. Hamilton, gevollmächtigten Großbritannifchen Minifterg, 
zu Neapel, deſſen Außere Lage blau ift, Das innere aber eine 

Art 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 37 


Art Roſe von verſchiedenen Farben vorftellet, Die in eben Der La— 
ge und Wendung durch den ganzen Stab hindurch gehen. Da 
fid) nun das Glas in beliebige lange und unendlid) Dünne Faden 
ziehen läffet, welches auch eben fo leicht mit vielen zufammenge- 
festen und geſchmolzenen Glasroͤhren gefchehen kann, Die Die ih— 
nen gegebene Lage im Ziehen behalten, fo wie ein vergoldetes 
Stuͤck Silber, in einem Drate gezogen, auch in deſſen ganzer Län- 
ge vergoldet bleibet, wird folglidy Daraus wahrſcheinlich, Daß 
man zu gedachten Glasarbeiten größere Röhren durch das Zie- 
ben in unendlich Eleine gebracht habe. 

Das nüßlichfte aber, was in alten Glasarbeiten bekannt 
iſt, find abgedruckte und geformte, theils hohl theils erhoben ges 
fchnittene Steine, nebft erhobenen Arbeiten in größerer Form, 
von welcher Art fich auch ein ganzes Gefäß findet. Die Glas: 
paſten hohlgefchnittener Steine abmen vielmals die verfchiedenen 
Adern und Streifen nad), Die fich in dem Steine fanden, wovon 
jene geformet find, und auf vielen Paften erhoben gefchnittener 
Steine find eben die Farben gefeet, Die der Cameo felbft hatte, 
wie auch Plinius bezeugete I). In ein paar fehr feltenen Stuͤcken 
Diefer Dirt iſt Das erhobene figuvirte mit ftarfen Goldblättern be— 
leget; das eine von Denfelben zeiget den Kopf des Tiberius und 
iſt in Den Händen Hrn. Byres, Bauverftändigen zu Nom. Die- 
fen Paſten haben wir zu verdanken, Daß viele feltene Bilder, die 
ſich in gefchnittenen Steinen verlohren haben, bis auf ung gekom— 
men find. 

€ 3 Von 


ı) Plin. L. 35. c. 30. 


& 

Von Glattus 
ſten, die uber 
gefehnittene 
Steine gefor⸗ 
met find. 


38 I. Theil. Erſtes Kapitel, 


Won größeren erhoben gearbeiteten Bildern im Glaſe fin: 
den fic) insgemein nur gerbrochene Stüde, Die ung die befondere 
Gefchicklichkeit der alten Kuͤnſtler in dieſer Art, und vielleicht 
durch ihre Größe den Gebrauch derfelben anzeigen. Es wur: 
den folche Stüde entweder in gehauenem Marmor, oder aud) in 
gemaltem Laubwerke und unter fo genannten Arabesken, als Zier- 
rathen an den Wänden der Palläfte angebracht 1). Das betraͤcht⸗ 
lichfte von Diefen größern erhobenen Arbeiten ift ein vom Buona— 
voti befchriebener Cameo , in dem Mufeo der vaticanifchen Bir 
bliothef, welcher aus einer länglic) viereckten Tafel beftehet, Die 

mehr als einen Palm lang und zwey Drittheile deffelben breit ift. 
Es ift auf demfelben in flach erhobenen weißen Figuren auf einem 
Dunfelbraunen Grunde, Bacchus in dem Schooße der Ariadne 
liegend nebft zween Satyıs abgebildet. 
— Das hoͤchſte Werk in dieſer Kunſt aber waren Prachtge⸗ 
mit ahobenen faͤße, auf welchen halb erhobene, helle und öfters vielfärbige Fi- 
guren, auf einem Dunkeln Grunde, fo wie auf ächten aus Gar- 
donix gefchnittenen Gefäßen, in hoher Vollkommenheit erſcheinen. 
on diefen Gefäßen ift vielleicht nur ein einziges völlig erhaltenes 
Stuͤck inder Welt, welches fich in der irrig fo genannten Begräb- 
nißurne Raifers Alex. Severus, mit der Aſche Der verftorbenen 
Perſon angefüllet, fand, und unter den Seltenheiten des Bar— 
bevinifchen Pallaftes verwahret wird: die Hoͤhe deffelben ift etwa 
von anderthalb Palmen. Man kan von der Schönheit deffelben 
ur: 


ı) Plin. L, 36. c. 64. Vopisc. in Firm. c. 3. 


Don dem Urfprung und Anfang der Kunſt. 39 


urtheilen aus dem Irrthume worinn man bisher gewefen , dieſes 
Stuͤck als ein Gefäß von aͤchtem Sardoniy zu beſchreiben 1). 

Wie unendlich prächtiger müffen nicht foldye Geſchirre von 
Kennern des wahren Geſchmacks geachtet werden, als alle fo ſehr 
beliebte Porcellangefäße, Deren fehöne Materie bishero nod) durch 
Feine ächte Kunſtarbeit edler gemachet worden, fo Daß auf fo Foft- 
baren Arbeiten noch Fein würdiges und belehrendes Denfbild ein- 
sepräget gefehen wird. Das mehrefte Porcellan ift in lächerliche 
Puppen geformet, wodurd) der Daraus erwachfene Eindifche Ge— 
ſchmack ſich allenthalben ausgebreitet hat. 

Nach angezeigtem Urfprunge Der Kunft und der Materie, — Ab⸗ 
worinn ſie gewirket, fuͤhret die Betrachtung von dem Einfluße son den ue⸗ 


achen der Ver— 


des Himmels in die Kunft, wovon der dritte Abſchnitt dieſes Ka— Be F 
pitels handelt, näher zu der Verſchiedenheit der Kunſt unter den ?'T- 
Völkern, welche Diefelbe geübet haben und noch io üben. Durch simmas in ve 
den Einfluß des Himmels bedeuten wir die Wirkung der verſchie⸗ 
denen Lage der Laͤnder, und der beſonderen Witterung und Nah— 
rung in denſelben, in die Bildung der Einwohner, wie nicht we— 
niger in ihre Art zu denken: das Clima, ſagt Polybius, bildet 
die Sitten der Voͤlker, ihre Geſtalt und Farbe 2). 

In Abſicht des Erſteren, naͤmlich der Bildung der Men⸗ 
ſchen uͤberzeuget uns unſer Auge, daß mehrentheils in dem Ge— 
ſichte fo wie die Seele, alſo auch der Charakter der Nation gebil- 
det ſey; und wie die Natur große Reiche und Länder durch Ber— 

ge 
ı) Bartol. Sepoler, tav, 85. La Chauffe Muf, Rom, p. 28. 2) Polyb. L. 
4. P. 290. E. 


A. 
Ueberhaupt. 


tm a si 


40 1. Theil. Erſtes Kapitel. 

se und Flüffe von einander gefondert, fo hat auch die Mannig: 
faltigkeit der Natur die Einwohner ſolcher Länder durch beſonde— 
ve Züge unterfchieden, und in weit entlegenen Ländern ift auch in 
anderen Theilen des Körpers, fo wie in der Statur felbft eine 
merkliche Verfchiedenheit. Die Thiere find in ihren Dirten, nach 
Beſchaffenheit der Länder, nicht verfchiedener, als 18 die Men- 
fchen find, und es haben einige bemerken wollen, Daß die Thiere 
die Eigenfchaft der Einwohner ihrer Länder haben. Die Bildung 
des Geſichts iſt ſo verſchieden, wie die Sprachen, ja wie die 
Mundarten derſelben; und dieſe ſind es vermoͤge der Werkzeuge 
der Rede ſelbſt; ſo daß in kalten Laͤndern die Nerven der Zunge 
ſtarrer ſeyn muͤſſen, als in waͤrmern Laͤndern. Wenn alſo den 
Chineſern und Japanern, den Gronlaͤndern und verſchiedenen 
Voͤlkern in America Buchſtaben mangeln 1), muß dieſes aus eben 
dem Grunde herruͤhren. Daher koͤmmt es, daß alle mitternaͤch— 
tige Sprachen mehr einſylbige Worte haben, und mehr mit Con: 
fonanten überladen find, Deren Verbindung und Ausfprache an: 
dern Nationen fchwer, ja zum Theilunmöglich fällt. In dem ver: 
fehiedenen Gewebe und Bildung der Werkzeuge Der Rede füchet 
ein beruͤhmter Seribent fo gar Den Unterfchied der Mundarten der 
Staliänifchen Sprache 2). Mus angeführtem Grunde, faget der- 
felbe, haben die Lombarder, welche in Fälteren Ländern von Italien 
gebohren find, eine rauhe und abgekürzte Ausſprache; Die Tofca- 
ner und Roͤmer reden mit einem abgemeffenern Tone; Die Neapo: 
litaner, welche einen noch wärmern Himmel genießen, laffen die 

Vo⸗ 


ı) Wöldike de ling. Grœnl. p. 144. 2) Gravina ragion poet. L. =. p. 146. 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunft. 41 


Vocale mehr als jene hören, und fprechen mit einem völligern 
Munde. Diejenigen, welche viele Nationen Fennen lernen, unter= 
ſcheiden Diefelbe auch fo richtig und untrüglich aus der Bildung 
des Gefichts, als aus der Sprache; und diefer Unterfchied pfle— 
get noch merklich zu bleiben in Kindern und Enkeln, ob fie gleich 
in anderen Ländern, wohin ihre Familie verferet worden, gezeu- 
get worden. Hier begreift num ein jeder aus Der bekannten zeiti- 
gern Reife und der Pubertät der Jugend in warmen Ländern, 
wie Eräftiger Die Wirkung der Natur dafelbft in NWollendung uns 
feres Geſchlechts ſey, und es kann das Feuer in der lebhafteren 
Farbe der Augen, die hier mehr braun oder ſchwarz ift, als uns 
ter einem Falten Himmel, die vorzügliche Bildung denen, die dieſe 
Unterfüuchung nicht machen koͤnnen, wahrfcheinlicyer darthun. Es 
offenbaret fich Diefe DVerfchiedenheit fo gar in den Maaren des 
Haupts und des Darts, und beyde haben in warmen Ländern 
einen fchöneren Wuchs bereits von der Kindheit an, ſo Daß der 
größte Theil der Kinder in Italien mit fchönen Eraufen Paaren 
; gebohren wird; und Diefe erhalten ſich alfo im zunehnienden Al— 
ter. Auch alle Baͤrte werden lodigt, völlig und ſchoͤn geworfen, 
die insgemein an Pilgern, Die von jenfeits der Alpen nad) Nam 
fommen, wie ihr Haupthaar, ſteif ftraubigt , ungekraͤuſet und 
zugefpitet find; fo Daß es ſchwer feyn würde in Den Ländern die: 
fer privilegirten Muͤßiggaͤnger einen Bart zu erzeugen, wie wir 
an den Köpfen der alten griechifchen Philsfophen ſehen. Diefer 
Bemerkung zufolge haben die alten Künftler die Gallier und Eel- 
Winkeln. Geſch. der Runſt. 5 tun 


42 I. Theil, Erſtes Kapitel. 


ten mit gleich ausgehenden Haaren gebildet, wiefich am verfchie- 
Denen Denfmalen, fonderlic) an zwo firenden Statuen gefange- 
ner Krieger Diefer Völker, in der Villa des Hrn. Kardinal Alex. 
Albani, zeiget. Bey Gelegenheit dieſer Anmerkung über die 
Haare erinnere ich, Daß blonde Haare in warmen Ländern nicht 
fo häufig, als in Falten Gegenden, aber dennoch gemein find, und 
es giebt fo wohl dort als hier Schönheiten von dieſer ſchmachten⸗ 
den Farbe, nur mit dem Unterfchiede, Daß dieſe Farbe der Haare 
niemals gänzlid) ing weißliche fällt, wodurch ſolche Bildung fro= 
fig und ungeſchmackt zu erfcheinen pfleget. Da nun der Menfch 
allezeit der vornehmfte Vorwurf der Kunſt und der Künftler ge 
wefen it, fo haben Diefe in jedem Lande ihren Figuren die Ges 
fichtsbildung ihrer Nation gegeben; und dag die Kunft im Als 
terthume eine verfchiedene Geftalt nad) der Bildung der Menfchen 
angenommen, beweifet ein gleiches Verhaͤltniß einer zu Der andern 
in neuern Zeiten. Denn Deutfche, Molländer und Sranzöfifche 
Künftler, wenn fie nicht aus ihrem Lande und aus ihrer Natur 
gehen, find, wie Die Sinefer und Tatern, in ihren Gemälden 
Eenntlich: Rubens aber hat nad) einem viehjährigen Aufenthalte " 
in Stalien feine Figuren beftändig gezeichnet, als wenn er niemals 
aus feinem Waterlande gegangen wäre, und diefes fünte man 
mit vielen anderen Benfpielen darthun. 

— Die Bildung der heutigen Aegypter wuͤrde ſich noch itzo 

Aegypter. zeigen, fo wie dieſelbe in Werken ihrer ehemaligen Kunſt erſcheinet: 
dieſe Aehnlichkeit aber zwiſchen der Natur und ihrem Bilde iſt 


nicht 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 43 


nicht mehr eben Diefelbe, welche fie war. Denn wenn Die mehre: 
fien Aegypter fo dick und fett wären, als die Einwohner von Cairo 
befchrieben werden 1), würde man nicht von ihren alten Figuren 
auf die Befchaffenheit ihrer Körper in alten Zeiten fchließen koͤn⸗ 
nen, als welche Das Gegentheil von der heutigen fcheinet gewefen 
zu ſeyn: esift aber zu merken, Daß die Aegypter auch ſchon von 
den Alten als dicke fette Körper befchrieben worden 2). Der Him- 
mel ift zwar allezeit Derfelbe, aber das Land und die Einwohner 
koͤnnen eine veränderte Geftalt annehmen. Denn wenn man er- 
wäget, daß die heutigen Aegypter ein fremder Schlag von Men- 
fchen find, welche aud) ihre eigene Sprache eingeführet haben, 
und Daß ihr Goftesdienft, ihre Negierungsform und Lebensart 
der ehemaligen Verfaffung ganz und gar entgegen ftehet, fo wird 
auch Die verfchiedene Befchaffenheit der Körper begreiflicy feyn. 
Die unglaubliche Bevölkerung machete die alten Aegypter mäßig 
und arbeitfam ; ihre vornehmſte Abficht gieng auf Den Ackerbau 3); 
ihre Speife beftand mehr in Früchten, als in Fleiſch; Daher Die 
Körper alfo ſich nicht mit vielem Fleifche behängen Eonten. Die 
heutigen Einwohner dieſes Landes hingegen find in der Faulheit 
eingefchläfert, und fuchen nur zu leben, nicht zu arbeiten, welches 
den ftarfen Anſatz ihrer Körper verurſachet. 
| Eben diefe Betrachtung läßet fid) über die heutigen Grie- 
chen machen. Denn, nicht zu gedenfen,, Daß ihr Geblüt einige 
52 Jahr⸗ 
1) Dapper Afriq. p. 94. 2) Achil. Tat. Erot. L, 3. P. 177. 1. 8. ) Lucian. 
Icaromenip. p. 771. 


D. 
Der Griechen 
und Italiener. 


44 J. Theil, Erſtes Kapitel. 


Sahrhunderte hindurch mit den Saamen fo vieler Völker, die ſich 
unter ihnen niedergelaffen haben, vermifchet worden iſt leicht 
einzufehen, Daß ihre isige Verfaſſung, Erziehung, Unterricht 
und Art zu Denken, auch in ihre Bildung einen Einfluß haben 
koͤne. In allen Diefen nachtheiligen Umftänden ift noch iso Das 
heutige Griechiſche Geblüt wegen Deffen Schönheit berühmt; wo— 
rinn alle aufmerkffame Reifenden übereinftimmen; und je mehr fid) 
die Natur dem Griechiſchen Himmel nähert, deſto fchöner, erha⸗ 
bener und mächtiger iſt dieſelbe in Bildung der Menfchenkinder, 
Es finden ſich daher in den ſchoͤnſten Laͤndern von Italien wenig 
halb entworfene, unbeſtimmte und unbedeutende Zuͤge des Ge— 
ſichts, wie haufig jenſeits der Alpen, ſondern fie find theils erha= 
ben, theils geiftreich, und die Form des Geſichts ift mehrentheilg 
groß und völlig, und Die Theile derſelben in Uebereinſtimmung. 
Diefe vorzügliche Bildung ift fo augenfcheinlich, daß der Kopf 
des geringften Mannes unter dem Pöbel in Dem erhabenften hi- 
ftorifchen Gemälde könte angebracht werden, fonderlich wo be: 
tagte Männer vorzuftellen find, und unter den Weibern Diefes 
Standes würde es nicht fehwer feyn, auch an den geringften Dr: 
ten ein Bild zu einer Suno zu finden. Der untere Theil von 
Italien, welcher mehr, als andere Diefes Landes, einen 
fanften Himmel genießet, erzeuget Menfhen von prächtigen und 
ſtark bezeichneten Formen: Die große Statur der Einwohner Die: 
ſes Landes muß einem jeden in Die Mugen fallen, und Das fehöne 
Gewaͤchs und Die Stärke ihrer Leiber fiehet man am bequemften 
au 


Bon dem Irfprung und Anfang der Kunft. 45 


an den halb entHleideten Seeleuten , Fiſchern und Arbeitern am 
Meere; und eben Daher fönte es fcheinen, Daß die Zabel der 
gewaltigen Titanen entftanden fey, Die mit Den Göttern in den 
Phlegräifchen Gefilden, die bey Pozzuoli unweit Neapel find, 
geftritten haben : man verfichert, daß noch io in Gicilien, in 
dem alten Eryx, wo der berühmte Tempel der Venus war, Die 
fchönften Weiber dieſer Inſel feyen. 

Wer aud) niemals diefe Länder gefehen hat, kann aus der 
zunehmenden Feinheit der Einwohner, je wärmer das Clima iſt, 
von felbft auf die geiftreiche Bildung derfelben fhließen: die Nea— 
politaner find feiner und fchlauer noch, als die Römer, und Die 
Sicilianer mehr, als jene; die Griechen aber übertreffen felbft 
die Sicilianer. Zwifchen Nom aber und Athen wird ungefehr 
ein Monat Unterfchied fenn in der Wärme und in der Meife Der 
Früchte, wie das Ausfchneiden des Monigs aus den Bienenftö- 
den anzgeiget, als welches am letzteren Orte um Somnenftillftand, 
im Junius geſchahe, am erfteren Orte aber am Fefte des Qulca- 
nus im Auguſtmonate 1). Endlich gilt hier, was Cicero ſagt, 


daß Die Köpfe Defto feiner find , je veiner und dünner die Luft 


iſt 2): Denn es fcheinet fich mit den Menfchen, wie mit den Blu— 
men zu verhalten, Die je trockener der Boden, und je wärmer der 
Himmel ift, deſto fFärkeren Geruch haben 3). 


53 Es 


) Pla -L.ı1n © ı5, 2) Cic.de nat. der. L 2,c. ı6.  3s)PlnL. 
31. C, 18, 


E. 
Bildung ber 
Schönheit un- 
ter einem waͤr⸗ 
meren Him⸗ 
mel, 


46 IL.. Theil, Erſtes Kapitel, 


Es findet fih alfo Die hohe Schönheit , Die nicht bloß in 
einer fanften Maut, in einer blühenden Farbe, in leichtfertigen 
oder fhmachtenden Mugen, fondern in der Bildung und in der 
Form beftehet, häufiger in Ländern, die einen gleichgültigen Him— 
mel genießen. Wenn alfo nur die Staltener die Schönheit malen 
und bilden fönnen, wie ein englifcher Sceribent von Stande fa- 
get, fo lieget in Den ſchoͤnen Bildungen des Landes felbft zum 
Theil der Grund dieſer Fähigkeit, welche durch eine anfchauliche 

tägliche Betrachtung hier leichter erlanget werden Fan. Unter 
deſſen war die Schönheit auch unter den Griechen nicht allgemein, 
und Eottabeym Cicero fagt, Daß zu deſſen Zeit unter der Menge 
junger Leute zu Athen nur einzelne wahrhaftig fchön gewefen T). 
—* — Das ſchoͤnſte Gebluͤt der Griechen, ſonderlich in Abſicht 
a der der Farbe, muß unter dem Sonifchen Dimmel in Klein-Aften ges 
wefen ſeyn, wie Hippocrates 2) und Lucianus 3) bezeugen; und ein 
anderer Scribent, um eine männliche Schönheit mit einem Worte 
auszudrücken, nennet diefelbe eine Jonifche Geſtalt 4). Es ift auch 
noch io dieſes Land fruchtbar in fhönen Bildungen, nad) dem 
Berichte eines. aufmerkfamen Reifenden des fechszehenten Sahr- 
hunderts, weldyer die Schönheit des weiblichen Geſchlechts dafelbft, 
die fanfte und milchweiße Haut, und die frifche und gefunde Roͤ⸗ 

the deffelben, nicht genugfam erheben Fann 5). 


Der 


1) De nat. deor. L. 1. c. 28. 2) Il ronwv, p. 288. 5) Imag. p.472. 
4) Dio Chryfoft, Or, 36. p. 439. B. 5) Belon Obfervat. L. 2. ch- 


34. P. 350. b. ” 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 47 
Der begreifliche Beweis von Der vorzüglichften Zorm Der _< 


Griechen und aller heutigen Levantiner ift, Daß fich gar Feine ge- ——— 
pletſchte Naſen unter ihnen finden, welche die groͤßte Verunſtal⸗ 
tung des Geſichts find. Scaliger will auch an den Juden bemer— 
ket haben, daß diefelben Eeine gepletfchte Nafen haben 1); ja Die 
Juden in Portugal müffen mehrentheils Dabichts-Nafen haben; 
daher dergleichen Naſe daſelbſt eine juͤdiſche Nafe genennet wird. 
Veſalius beobachtet, daß die Köpfe der Griechen und der Tür: 
fen ein fchöneres Oval haben, als der Deutfchen und Niederläns 
der 2). Es ift auch hier in Erwägung zu ziehen, Daß Die Blat⸗ 
tern in allen warmen Ländern weniger gefährlich find, als in Fal- 
ten Ländern, mo fie epidemifche Seuchen find, und wie Die Peft 
wuͤten. Daher wird man in Stalien unter taufenden Faum zehen 
Perſonen, mit unvermerklichen wenigen Spuren von Dlattern 
bezeichnet finden; den alten Griechen aber war dieſes Uebel unbe 
kannt. Diefes ift zu fchließen aus dem Stillfehweigen der alten 
griechifchen Aerzte, Des Hippocrates und feines Auslegers des 
Galenus, als welche weder die Blattern berühren, nod) zu Ab— 
wartung dieſes Uebels Werordnungen vorfchreiben. E8 ift auch 
in Befchreibung Der Bildung unendlich vieler Perfonen niemand 
durch Blattergruben bezeichnet, welche fonderlid) einem Ariſto— 
phanes und Plautus zu lächerlichen Einfällen Anlaß würden ges 
geben haben; Den eigentlichen Beweis aber, Daß dieſes verderb: 
liche tödtliche Gift im Alterthume nicht wider Die menfchliche Na⸗ 
fur 
ı) in Scaligeran. 2) de corp. hum. fabr. L. 1. c. 5. p. 23. 


48 L Theil. Erſtes Kapitel. 


tur gewuͤtet habe, giebt felbft Die griechifehe Sprache , als in 
welcher Fein Wort ift, welches die Blattern bedeutet. 

Diefen Vorzug der allgemeineren fchönen Bildung in wär- 
meren Ländern zugeftanden, fpreche ich dadurch Die fehöne Bil- 
dung kälteren Ländern nicht ab; fondern ic) kenne Perfonen, auch 
von niedrigerm Stande, jenfeit der Alpen, in welchen. die Natur 
ihr Werk auf das vollfommenfte und fchönfte ausgeführet hat, 
fo daß ihre Gewaͤchs und ihre Geſtalt, nicht nur mit den 


ſchoͤnſten Menfchen jener Länder Fann verglichen werden, fondern 


Ti. 

Einfluß des 
Himmels in 
die Denkungs⸗ 
art. 

A. 

Der more 
genländifchen 
und mittägi⸗ 
gen Völker, 


den griechiſchen Rünftlern felbft zu ihren reigendften und erhaben- 
ften Bildern, fo wohl in Äinzelnen Theilen, als in der ganzen * 
gur haͤtte dienen koͤnen. 

Eben ſo ſinnlich und begreiflich, als der Einfluß des Him⸗ 
mels in die Bildung iſt, iſt zum zweyten der Einfluß deſſelben in 
die Art zu denken, in welche die aͤußern Umſtaͤnde, ſonderlich die 
Erziehung; Verfaſſung und Regierung eines Volks mitwirken. 
Die Art zu denken fowohl der Morgenländer und mittägigen Voͤl— 
fer, als der Griechen, offenbaret fih auch in den Werken der 
Kunft. Bey jenen find die figurlichen Ausdrüde fo warn und 
feurig, als das Clima, welches: fie bewohnen, und Der Flug ih— 
rer Gedanken überfteiget vielmals die Graͤnzen der Möglichkeit; 
in ſolchen Gehirnen bildeten ſich daher die abentheuerlichen. Figus 
ren Der Aegypter und Der Perſer, welche ganz verfchiedene Na⸗ 
turen und Geſchlechter der Gefchöpfe in eine Geftalt vereinigten, 
und die Abficht ihrer Kinftler gieng mehr auf Das Auperordent: 
liche, als auf das Schöne, 

Die 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 49 
Die Grichen hingegen, die unter einem gemäßigtern Dim- 


B. 
Der Gries 


mel und Regierung lebeten, und ein Land bemohneten , weldyes Sr- 3 
die Pallas, fagt man, wegen der gemäßigten Jahreszeiten, vor Yebersaupt 


allen Ländern, den Griechen zur Wohnung angewiefen 1), haften, 
fo wie ihre Sprache malerifd) ift, auch malerifche Begriffe und 
Bilder. Ihre Dichter vom Domerus an reden nicht allein durch 
Bilder, fondern fie geben und malen auch Bilder, Die vielmals 
in einem einzigen Worte liegen, und Durch den Klang deffelben 
gezeichnet, und wie mit lebendigen Farben entworfen worden. Ih— 
re Einbildung war nicht übertrieben, wie bey jenen Völkern, und 
ihre Sinne, die durch ſchnelle und empfindliche Nerven in ein fein- 
gewebtes Gehirn wirfeten, entdeckten mit einmal die verſchiede— 
nen Eigenfchaften eines Vorwurfs, und befchäftigten ſich vornehm⸗ 
lic) mit Betrachtung des Schönen in demfelben. 

Unter den ©riechen in Klein-Aſien, deren Sprache, nad) _ 
ihrer Wanderung aus Öriechenland hierher, reicher an Vocalen, 
und Dadurd) fanfter und mehr mufikalifch wurde, weil fie Dafelbft 
einen glüdlichern Himmel noch, als die übrigen Griechen, ges 
noffen , erweckete und begeifterte eben Diefer Himmel die erften Dich— 
ter; die griechifche Weltweisheit bildete fich auf Diefem Boden; 
ihre erften Gefchichtfchreiber waren aus Diefem Lande; ja Apelleg, 
der Maler der Gratie, war unter dieſem wollüftigen Himmel er: 
zeuget. Diefe Griechen aber, die ihre Freyheit vor der angrän- 
senden Macht der Perfer nicht vertheidigen Fonten, waren nicht 

im 
1) Plato Tim. p. 475. 1. 43. 
Winkelm. Gefch. der Kunft. G 


b. 
Der Joniſchen 
Griechen. 


Q. 
Der Athenien; 
fer, 


€ 
Verſchieden⸗ 
heit der Erzie⸗ 
hung, Verfaſ⸗ 
ſung und Re⸗ 
gierung der 
Völker, 


Ba. L Theil. Erſtes Kapitel. 


im Stande, fich in mächtige freye Staaten, wie Die Athenienfer, 
zu erheben, und Die Kuͤnſte und Wiffenfchaften konten Daher in 
dem Sonifchen Aſien ihren vornehmſten Sitz nicht nehmen. In 
Athen aber, wo nad) Verjagung Der Tyrannen ein Democrati- 
ſches Negiment eingeführet wurde, an welchem dag ganze Wolf 
Antheil hatte, erhob ſich der Geift eines jeden Bürgers, und die 
Stadt felbft über alle Griechen. Da nun der gute Gefchmad alle 
gemein wurde, und bemittelte Buͤrger Durch prächtige öffentliche 
Gebäude und Werke der Kunſt ſich Anſehen und Liebe unter ih— 
ven Mitbürgern erweceten , und ſich Dadurch den Weg zur Ehre 
bahneten, floß in dieſer Stadt, bey ihrer Macht und Größe, wie 
in das Meer die Flüffe, alles zuſammen. Mit den Wiffenfchaf: 
ten ließen fich hier Die Rünfte nieder, hier nahmen fie ihren vor: 
nehmften Sit, und von hier giengen fie in andere Länder aus. 
Daß in angeführten Urfachen der Grund von dem Wachsthume 
der Künfte in Athen liege, bezeugen ähnliche Umftände in Florenz, 
da die Wiffenfchaften und Künfte Dafelbft in neueren Zeiten nach 
einer langen Finfterniß anfiengen beleuchtet zu werden. 

Man muß alfo in Benrtheilung der natürlichen Fähigkeit 
der Völker, und hier insbefondere der Griechen, nicht bloß allein 
den Einfluß des Himmels, fondern auch Die Erziehung und Re— 
gierung in Betrachtung ziehen. Denn Die äußeren Umftände wir: 
fen nicht weniger in ung, als die Luft, die uns umgiebt, und 
Die Gewohnheit hat fo viel Macht über ung, daß fie fo gar den 
Körper und die Sinne felbft, die von der Natur in ung gefchaffen 

find, 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 51 


find, auf eine befondere Art bildet; wie unter andern ein an Fran⸗ 
zoͤſiſche Muſik gewoͤhntes Ohr beweifet, welches Durch Die zart 
lichfte Staliänifche Simphonie nicht gerühret wird. 

Eben daher rühret die Werfchiedenheit aud) unter den Grie— 
hen felbft, die Polybius im Mbficht der Führung des Krieges 
und der Tapferkeit anzeiget. Die Theffalier waren gute Krieger, 
wo fie mit Eleinen Haufen angreifen Fonten, aber in einer foͤrm⸗ 
lichen Schlachtordnung hielten fie nicht lange Stand: bey Den 
Detoliern war das Gegentheil. Die Cretenſer warm unvergleich- 
lich im Hinterhalt, oder in Ausführungen, wo es auf Die Lift 
ankam, oder fonft dem Feinde Abbruch zu thun; fie waren aber 
nicht zu gebrauchen, wo Die Tapferkeit allein entfcheiden mußte: 
bey den Achajern Hingegen und Macedontern war es umgekehrt. 
Die Arcadier waren durch Die Alteften Geſetze verbunden, alle 
die Muſik zu lernen, und Diefelbe bis in Das dreyßigſte Jahr ih: 
res Alters beftändig zu freiben, um die Gemüther und Sitten, 
welche wegen des rauhen Himmels in ihrem gebürgigten Lande, 
ftörrifch und wild gewefen ſeyn würden , fanft und liebreid zu 
machen; und fie waren Daher Die redlichiten und wohlgefittetften 
Menfchen unter alten Griechen. Die Cynaͤther allein unter ih- 
nen, welche von dieſer Verfaffung abgiengen , und die Mufif 
nicht lernen und üben wollten, verfielen wiederum in ihre natuͤrli⸗ 
ehe Wildheit, und wurden von allen Griechen verabfchenet. 

In Ländern, wo nebft dem Einfluffe des Himmels einiger 
Schatten der ehemaligen Freyheit mitwirket, iſt die gegenwärtige 

© 2 Den- 


D. 
Der Griechen. 


B, 
Der Kömer. 


P. 
Fähigkeit der 
nordifchen 
Völker zur 
Kunſt. 


UWE I Theil. Erſtes Kapitel. 


Denfungsart der ehemaligen fehr ähnlich; und dieſes zeiget ſich 
noch iso in Rom , wo der Pöbel unter der priefterlichen Negie- 
rung eine ausgelaffene Freyheit genießet, « Es würde noch io 
aus dem Mittel derfelben ein Haufen der freitbarften und der 
unerfchrocenften Krieger zu ſammlen feyn, Die, wie ihre Vorfah— 
ven, Dem Tode frogeten, und die Weiber unter dem Poͤbel, de 
ven Sitten weniger verderbtfind, zeigen nod) iko Herz und Muth, 
wie die alten Nömerinnen; welches mit ausnehmenden Zügen zu 
beweifen wäre, wenn es unfer Vorhaben erlaubete. 

Das vorzüglicye Talent der Griechen zur Kunſt zeiget fich 
noch iso in Dem großen faft allgemeinen Talente der Menfchen in 
den wärmften Ländern von Stalien; und in diefer Fähigkeit herr: 
fchet Die Einbildung, fo wie bey den denkenden Britten die Ver— 
nunft über die Einbildung. Es hat jemand nicht ohne Grund ges 
fast, Daß die Dichter jenfeits der Gebürge durch Bilder reden, 
aber wenig Bilder geben; man muß auch geſtehen, Daß Die fhred- 
lichen Bilder, in welchen Miltons Größe mit beftehet, Fein Vor— 
wurf eines edlen Pinfels feyn Eönnen, fondern ganz und gar un: 
geſchickt zur Malerey find. Bilder vieler andern Dichter find dem 
Gehoͤre groß, und Hein dem Verſtande. Sm Momero aber ift 
altes gemalet, und zur Malerey erdichtet und gefhaffen. Se 
wärmer Die Länder in Stalien find, deſto größere Talente bringen 
fie hervor, und deſto feuriger ift die Einbildung, und Die Sici— 
lianiſchen Dichter find voll von feltenen, neuen und unerwarteten 
Bildern. Diefe fenrige Einbildung aber ift nicht aufgebracht und 

auf: 


Bon dem Urſprung und Anfang der Kunſt. 53 


aufwallend, fondern wie das Temperament der Menſchen, und 
wie die Witterung diefer Länder ift, mehr gleich, als in Fälteren 
Ländern: denn ein glädliches Phlegma wirfetdie Natur häufiger 
bier, als dort. 

Wenn ich von der natürlichen Fähigkeit Diefer Nationen Riten Be: 
zur Kunft insgemein vede, fo fehließe ich dadurch dieſe Fähigkeit Fisher 
in einzelnen Perfonen der Länder jenfeit der Gebürge’nicht aus, 
als welches wider die offenbare Erfahrung feyn würde, Denn 
Holbein und Albrecht Dürer, Die Wäter der Kunft in Deutſch⸗ 
land, haben ein erftaunendes Talent in Derfelben gezeiget, und 
wenn fie, wie Raphael, Correggio und Titian, die Werke der 
Alten hätten betrachten und nachahmen Fönnen, würden fie cben 
fo groß, wie Diefe, geworden feyn, ja Diefe vielleicht übertroffen 
haben. Auch Correggio ift nicht, wie e8 insgemein heißt, 
ohne Kenntniß des Alterthums zu feiner Größe gelanget : denn 
deffen Meifter Andreas Mantegna Eannte Daffelbe, und es finden 
fi) von deffen Zeichnungen nach alten Statuen , in der großen 
Sammlung der Zeichnungen, die aus dem Mufeo des Herrn Kar: 
Dinal Alexander Albani in das Muſeum des Königs yon Enge: 
land gegangen find. In Abficht diefer feiner Kenntniß des Al— 
terthums richtete Felicianus an ihn die Zufchrift einer Sammlung 
alter Inſchriften 1); Mantegna aber war in Diefer Nachricht dem 
älteren Burmann ganz und gar unbekannt 2). Ob der Mangel 
dev Maler unter den Engelländern, welche in allen vergangenen 
zeiten Feinen einzigen berühmten Mann aufzuweifen haben, und 

3:0 den 


i) Pisnor. Symbol, epift. p. 19, 2) Præf. ad Infer. Grut. p. 3. 


54 J. Theil. Erſtes Kapitel. 


den Sranzofen, ein Paar ausgenommen, welche, nach vielen 
aufgerendeten Koſten, faft in gleichen Umftänden find, aus an⸗ 
gezeigten Gründen herrühre, laſſe ich andete beurtheilen. 

Ich glaube indeffen, den Lefer durch allgemeine Kenntniſſe 
der Kunſt, und durch die Gründe von der Werfchiedenheit Derfelben 
in andern, wo Diefelbe ehemals geübet worden und nad) geübet 
wird, zur Abhandlung der Kunft unter einer jeden der drey Natio⸗ 
nen, die fich durch Diefelbe beruͤhmt gemachet, vorbereitet zu haben. 





Das 














Das zweyte Fapitet, 


Don der Kunſt unter den Aegyptern, Phoeniciern 
und Derfern. 





Erffer Abſchnitt. 
Von der Kunft unter den Aegyptern. 


De Aegypter haben ſich nicht weit von ihrem aͤlteſten Stil in % 


£ i i Hrfachen dev 
der Kunft entfernet, und Diefelbe konte unter ihnen nicht Beſchafenheit 


leicht zu der Hoͤhe fleigen, zu welcher fie unter den Griechen ge: (a Bull 
langet iſt; wovon die Urfach theils in der Bildung ihrer Körper, 
theils in ihrer Art zu Denken, und nicht weniger in ihren, fonder- 
lic) gottesdienftlichen , Gebräuchen und Gefegen , auch in der 
Achtung und in der Wiffenfchaft der Künftler, Ean geſuchet wer- 
den. Diefes begreift dag erfte Stück dieſes Abſchnitts in ſich; 
Das zweyte Stuͤck handelt von dem Stil ihrer Kunft, Das ift, 
von 


56 I. Theil. Zweytes Kapitel. 


yon der Zeichnung des Nackenden und der Bekleidung ihrer Fi- 
guren; und in Dem Dritten Stücke wird geredet von der Ausar⸗ 
beitung ihrer Werke, und nebft den Figuren von Holze und Erste 
von verfchiedenen Arten Steinen, Deren fich Die Aegypter bedienet 
haben, 
Ba Die erfte von den Urfachen der Eigenfchaft der Kunft un- 
Bildung. ter den Aegyptern lieget in ihrer Bildung felbft, welche nicht Dies 
jenigen Vorzüge hatte, Die den Kuͤnſtler durch Ideen hoher Schön: 
heit veizen Eonten. Denn die Natur welche Die Aegyptiſchen 
Weiber befonders fruchtbar gemacht hatte I), war in Der Bildung 
ihnen weniger, als den Metruriern und Griechen, günftig gewe- 
fen; wie Diefes eine Art Sinefifcher Seftaltung 2), als die ihnen 
eigenthämliche Bildung, fo wohl an Statuen, als auf Obelig- 
Een, und gefchnittenen Steinen, beweifet 3); und Aeſchylus fa- 
get, Daß die Aegypter in der Geftalt von den Griechen verfchies 
den gewefen 4). Es konten alfo ihre Künftler das Mannigfals 
tige nicht füchen, weil daffelbe nicht in der Natur war, als wel 
che in der beftändig gleichen Witterung Diefes Landes nicht yon 
ihrer übertriebenen Bildung abwich, da fie wie in allen Dingen, 
al- 
1) Plin. L. 7. c. 3. Seneca nat. qu. 1. 3. c. 25. 
2) Disfe Bemerfung hätten diejenigen, welche neulich viel von Uebereinſtimmung 
der Sinefen mit den alten Aegyptern gefchrieben haben, anwenden können. 
3) Aus Supfern Bann man fich keinen beffern Begriff machen, von Bildung der 
Aegyptiſchen Köpfe, als aus einer Mumie beym Beger Thef. Brand. T. 3: 
P. 402. und aus einer andern, welche Gordon beſchreibet: Eflay towards 
explaning the hieroglyphical figures on the Coffin ofan antient Mummy, 
London, 1737. fol. 
A) Aecfch, Suppl. v. 506, 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern 2c. 57 


alfo auch bier fich von den Außerften Enden ſchwerer als von Dem 
Mittel entfernet. Eben diefe Bildung, welche die Aegyptiſchen 
Statuen haben, findet ſich an Köpfen der auf Mumien gemalten 
Perſonen, welche, fo wie bey den Aethiopiern I), genau nad) 
der Mehnlichkeit des Werftorbenen werden gemachet feyn worden, 
da die Aegypter in Zurichtung der todten Körper alles, was die- 
felben Eenntlich machen Eonte, fo gar Die Haare der Augenlie— 
der 2), zu erhalten fücheten. Vielleicht Fam auch unter Den Ae— 
thiopiern der Gebraud) , die Geftalt der Verftorbenen auf ihre 
Körper zu malen, von den Aegyptern her: denn unter Dem Koͤ— 
nige Pfammetichus giengen 240000. Einwohner aus Megypten 
nac) Aethiopien, welche hier ihre Sitten und Gebrauche einfüh: 
reten 3). Unterdeffen da Aegypten von achtzehen Methiopifchen 
Königen beherrfchet wurde 4), deren MNegierung in Die älteften 
Zeiten von Aegypten fällt; Fan Durch Diefe der Gebrauch, von 
welchem wir reden, beyden Völkern gemein geworden feyn. Die 
Aegypter waren außerdem von Dunfelbrauner Farbe 5), fo wie 
man Diefelbe den Köpfen auf gemalten Mumien gegeben hat 6; 
and Daher bedeutete das Wort Aryurliarı, von der Sonne ver: 
brannt feyn 7). Da nun Die Gefichter auf Mumien einerlen Farbe 
haben, fo ift des Mlexander Gordon Vorgeben ohne Grund, 


wel- 
») Herodot. L. 3. p. 108. 1. 20. 2) Diod. Sie. L. ı. p. 82. 1. 26. 
3) Herodot. L. 2. p. 63. 1. ax. 4) Ibid. p. 79. 1. 19. conf. Diod, Sic, 
L.ı.p. 41.1.36. 5) Herodot. L. 2. p. so. 1. 14. Propert. L, 2. el.24.v. 
15. fufeis Aegypty alumnis. 6) Problem. Sect. t4.p. 114.1, 1.ed Sylburg. 
7) Euftath. ad Odyfl. A p. 1484. 1. 26. 


Winkelm. Gefch, der Runſt. H 


58 I. Theil, Zweytes Kapitel. 


welcher behauptet, daß fienach Verfchiedenheit Der Provinzen ver- 
fchieden gewefen feyen. Wenn aber Martialis einen ſchoͤnen Knaben 
zur Wolluft aus Aegypten verlanget I), ift diefesnichtvon einem 
Knaben von Megyptifchen, fondern von Griechiſchen Deltern ges 
bohren, zu verfichen, da Die ausgelaffenen Sitten dortiger Ju— 
gend, und fonderlich der zu Aleyandrien befannt find 2). Eben 
fo war eine Örieche Der berühmte Pantomimus, Apolauftus aus 
Memphis in Aegypten, den Lucius Verus mit nad) Nom bradjte, 
deſſen Gedächtniß ſich in verfchiedenen Inſchriften erhalten hat. 
Man will aus einer Anmerkung des Ariftoteles behaup⸗ 
ten 3), Daß die Megypter auswärts gebogene Schienbeine gehabt 
haben 4), und Die mit den Aethiopiern graͤnzeten, hatten vielleicht, 
wie Diefe 5), eingebogene Nafen: ihre weiblichen Figuren haben, 
fo ſchmal auch Ddiefelben über den Düften find, übermäßig große 
Bruͤſte. Da nun die Aegyptifchen Künftler, nach dem Zeugniffe 
eines Kirchenvaters, Die Natur nachgeahmet haben, wie fie die— 
felbe fanden 6), fo Fönte man auch aus ihren Figuren auf Das 
Gefchöpf des weiblichen Geſchlechts Dafelbft fchließen. Mit der 
Bildung der Aegypter Fan eine vollfonmene Gefundheit, wel 
ce fonderlich die Einwohner in Ober-Aegypten, nad) dem He— 
rodotus 7), vor allen Völkern genoffen, fehr wohl beftehen, und 
dieſes Fan auch Daraus gefchloffen werden, daß an unzähligen Kö- 
pfen Aegyptiſcher Mumien, welche der Fuͤrſt Radzivil gefehen, Fein 
Zahn 

1) Martial. L. 4, ep. 42. 2) Juvenal. Sat. ı5. v. 45. Quint. Inft.L. ı. ce. 
2.p.19. 3) Problem. Se&. ı4.p.ı13. Ed. Sylburgii. 4) Pignor, Tab. If, 
p-53. 5) Conf.Bochart. Hieroz.P. 1. p. 969. 6) 5. Theodoret. Serm. $. 

7) L. Hexodot. 3:p.74.1,27. 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern 2. 59 


Zahn gemangelt, ja nicht einmal angefreſſen geweſen ſey 1). Die 
angeführte Mumie in Bologna Fann ferner darthun, was Pau— 
fanias von auferordentlichen großen Gewaͤchſen unter ihnen bes 
merket hat 2): denn diefer Körper hat eilf Nomifher Palmen in 
der Länge. 

Was zum zweyten die Gemuͤths- und Denkungsart der 
Aegypter betrifft, fo waren fie ein Volk, welches zur Luft und 
Sreude nicht erfchaffen ſchien: denn die Muſik, durch welche Die 
älteften Griechen die Geſetze felbft annehmlicher zu machen ſuch⸗ 
ten 3), und in welcher ſchon vor den Zeiten des Homerus Wett: 
fpiele angeordnet waren 4), wurde in Negypten nicht fonderlic) 
geübet; ja es wird vorgegeben, es fer) Diefelbe verbothen gewefen, 
wie man e8 auch von der Dichtfunft verfichert 5). Weder in ih- 
ren Tempeln, noch bey ihren Opfern wurde, nach dem Strabo 6), 
ein Inftrument gerühret. Diefes aber fehließet Die Muſik übers 
haupt, bey den Aegyptern, nicht aus, oder müßte nur von ihren 
älteften Zeiten verftanden werden: denn wir wiffen, Daß die Weis 
ber den Apis mit Muſik auf den Nil führeten, und es find Ae— 
gypter auf Inftrumenten fpielend vorgeftellet, fo wohl auf dem 
Mufaico des Tempels des Gluͤcks zu Paleftrina, als auf zwey 
Herculaniſchen Gemälden 7). Diefe Gemäthsart verurfachete, 
daß fid) Die Aegypter durch heftige Mittel die Einbildung zu ers 

2.2 hitzen, 


ı) RadzivilPeregrin. p.19o. 2) Ammian. Marcel.L. z2. c. 16. p.346. 3) Pau- 
fan. L. 1.p. 86.1.21. 4)Plutarch. Lycurg. p.75.&Pericl.p 290. 5) Thu- 
cyd L. 3. c. 104. conf. Taylor. ad Marm. Sandv. p. 13. 6) Dio Chryfott. 
Orat. I. p.ı62, 7) L. 17. p. 814. C. 8) Pitt. Erc. T. =. tav, 59. 60. 


PB. 
Sn deflen Ee— 
müths⸗ und 
Denkungsart. 


60 1. Theil, Zweytes Kapitel. 


hitzen, und den Geift zu ermuntern ſucheten 2), und ihr Denken 
gieng vor das Natuͤrliche vorbey und beſchaͤftigte ſich mit dem 
Geheimnißvollen. Die Melancholie dieſer Nation brachte daher 
die erſten Eremiten hervor, und ein neuerer Scribent will irgend⸗ 
wo gefunden haben, daß zu Ende des vierten Jahrhunderts in 
Unter⸗Aegypten allein uͤber ſiebenzig tauſend Moͤnche geweſen 2). 
Aus eben dieſer Gemuͤthsart ruͤhrete es her, daß die Aegypter un⸗ 
ter ſtrengen Geſetzen gehalten ſeyn wollten, und gar nicht ohne Koͤ⸗ 
nig leben Eonten 3), welches vielleicht Urfad) iſt, warum Aegyp⸗ 

ten von Homerus das bittere Aegypten genennet wird A). 
N In ihren Gebräuchen und dem Gottesdienſte beftanden 
eh ar die Aegypter auf eine frenge Befolgung der uralten Anordnung 
Pretigion. derſelben, annoch unter den römifchen Kaiſern 5), nicht allein in 
Ober-Aegypten, fondern auch felbft zu Alerandrien ; denn «8 
entftand annod) zu Kaiſers Hadrianus Seiten in dieſer Stadt 
ein Aufruhr, weil fich Fein Ochſe fand, der den Gott Apis vor: 
ftellen fonte 6) : ja Die Feindfchaft einer Stadt gegen Die andere 
über ihre Götter Daurete nody damals 7). Was einige Neuere 
Seribenten auf ein dem Merodotus und Diodorus angedichtetes 
Zeugniß vorgeben , Daß durch den Cambyſes der Göfterdienft der 
Aegypter, und ihre Art die Todten zu balfamiren, gänzlich und 
beſtaͤndig aufgehoben geblieben, ift fo falfch , Daß fü gar Die Gries 

chen 

x) Bont. de Medic. Aegypt. p. 6. 2) Fleury Hift. Eccl. T. 5. 1.20. p. 29. 
3) Herodot. L. 2. p. 93.1. 15. 4) Od.P. 448. conf. Blackwall’s En- 
quiry ofthe Life ofHomer, p. 245. 5) Conf. Walton ad Polyzlot. 


Proleg. 2. $. 16. 6) Spartian. Hadr. p. 6.c, 7) Plutarch. de Is. & 
Oſir. p 677. J. 1. 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 6 


chen nach diefer Zeit ihre Todten auf Aegyptiſche Art zurichten 
ließen, wie id) anderwärts angegeiget habe I), aus derjenigen 
Mumie mit dem Worte Sy4yxI 2) auf der Bruft, die ehemals 
in dem Haufe della Valle zu Nom war , und io unter den Als 
terthuͤmern in Dresden befindlic) ift. Da ſich nun Die Aegypter 
unter des Cambyſes Nachfolger mehr als einmal empöreten und 
ſich Könige aus ihrem Mittel aufwarfen, Die fich durch Beyftand 
der Griechen , einige Zeit zu behaupten wußte, fo werden fie 
auch bereits Damals zu Diefem Gebrauche zuruͤckgekehret feyn. 
Daß die Aegypter noch unter den Kaiſern über ihren al- 
ten Sottesdienft gehalten haben, Fönen auch Die Statuen des 
Antinous bezeugen, von welchen zwo zu Tivoliund eine im Muſeo 
Capitolino ftehen, die nad) Art Aegyptiſcher Statuen gebildet 
find, und fo, wie derfelbe,, in Diefem Lande , fonderlic in der 
Stadt wo er begraben lag 3), Die von demfelben den Namen Ans 
tinoea führete 4), verehret worden. Eine der Capitolinifchen ahn= 
liche Figur von Marmor, und fo wie jene, etwas ber Lebens: 
größe, aber ohne ihrem eigenthiimlichen Kopfe, befindet fich in 
Dem Sarten des Pallaftes Barberini, und eine Dritte, efwa von 
23 drey 

2) Gedanken über die Nachahmung der Griechiſchen Werke, p. 90. 

2) Das Griechiſche Tau hatte bey den Griechen in Aegypten die Form eines Freue 
308, wie man in einer fehr ſchaͤtzbaren alten Handfehrift des Sprifchen neuen 
Teſtaments auf Pergament, in der Bibliothek der Augufiner zu Rom, fieht. 
Diefe Handſchrift in Folio ift im Jahre 616. verfertiget, und hat Griechiſche 
Randgloſſen. Unter andern merke ich Bier dad Wort I-IJIIE an flatt 
HTAIPE an. 3) Eufeb. pr=p. ev.L. =. p. 45. 1. 50. 

4) Paufan. L. 8, p. 617.1, 16.conf. Potocke’s Defer. of the Eaft, T. 1. p.73. 


62 I. Theil. Zweytes Kapitel, 


drey Palmen hoch, iſt in der Villa Borgheſe: dieſe haben den 
fteifen Stand mit ſenkrecht hängenden Armen, nad) Art der aͤlte— 
ſten Aegyptiſchen Figuren. Man ſiehet alſo, Hadrian mußte 
dem Bilde des Antinous, ſollte er den Aegyptern ein Vorwurf 
der Verehrung werden, eine ihnen annehmliche und allein beliebte 
Form geben. 

In dieſem alten und gottesdienſtlichen Gebrauch in der 
angenommenen Ggftalt der Bilder ihrer Verehrung erhielt Das 
Volk griechiſche Gebräuche I), vornämlich ehe fie von den Grie- 
chen beherrfchet wurden; und dieſer Abſcheu mußte ihre Künftler 
fehr gleichgültig gegen die Kunſt unter andern Voͤlkern machen, 
wodurd) folglic) der Lauf der Wiffenfchaft fo wohl, als der Kunſt 
gehemmet wurde. Sp wie ihre Merzte Feine andere Mittel, als 
die in Den heiligen Büchern verzeichnet waren, vorfchreiben Durf- 
ten, eben fo war aud) ihren Künftlern nicht erlaubet , von dem 
alten Stile abzugehen: denn ihre Gefege fchränfeten Den Geift auf 
bloße Nachfolge ihrer Vorfahren ein, und unterfagten ihnen alle 
Neuerungen. Daher berichtet Plato 2), daß Statuen, Die zu 
feiner Zeit in 2legypten gearbeitet worden, weder in der Geftalt, 
noch fonft, von Denen, welche taufend und mehr Sahre älter wa- 
ven, verfchieden gemwefen. Diefes ift zu verſtehen von Werfen, 
welche vor der Zeit Der griechifchen Regierung in Aegypten von 
ihren eingebohrnen Künftlern verferfiget worden. Die Beobach— 
tung dieſes Gefees war unverleslich , weil es auf die Religion 
felbft, fo wie die ganze Verfaffung Der aͤgyptiſchen Negierung 

ge= 
3) Herodot. L. 2. c. 78. gr. " e) Leg. L. 2. p. 522,1. 9. 


Don der Kunſt unter den Aegyptern ac. 63 


gegründet war. Denn die Kunſt Figuren in menfchlicher Geſtalt 
zu bilden, fcheinet bey den Aegyptern auf die Götter, auf Die Koͤ— 
nige und Deren Familie, und auf die Priefter eingefchränft gewe- 
fen zu feyn 2), (die Figuren ausgenommen, Die an ihren Gebaͤu— 
den gefhniget waren 2) das ift, auf eine einzige Art Bilder. 
Die Götter der Aegypter aber waren Könige, die ehemals Diefes 
Reich beherrfchet hatten , oder wurden wenigftens Dafür gehal- 
ten 3), fo wie Die Alteften Könige Priefter waren 2; wenigftens 
weiß man nicht, e8 meldet auch Fein Scribent, Daß anderen Per: 
fonen daſelbſt Statuen errichtet worden. Folglich) war jenes Ge: 
ſetz ein Verboth, welches zugleich Die Neligion betraf. 

Endlic) lieget eine von den Urfachen der angezeigten Be 
ſchaffenheit der Kunft in Aegypten in der Achtung und in Der 
Wiffenfchaft ihrer Kuͤnſtler, welche den Handwerkern gleich geach⸗ 
tet, und zu dem niedrigften Stande gerechnet wurden. Es waͤh— 
lete fich niemand die Kunft aus eingepflanzter Neigung, und aus 
befonderem Antriebe, fondern der Sohn folgete, wie in allen ihren 
Gewerfen und Ständen, der Lebensart feines Waters, und einer 
feste Den Fuß in Die Spur des andern, fo Daß niemand fcheinet 
einen Fußſtapfen gelaſſen zu haben, welcher deſſen eigener heißen 
Eonte. Folglich Fan e8 Feine verfchiedene Schulen der Kunſt in 
Aegypten, fo wie unter den Griechen, gegeben haben. Sn fol- 
der Derfaffung konten die Künftler weder Erziehung, noch Um: 

o ſtaͤnde 
3) Herodot. L. 2. p. 88. 1. 1. Diod. Sic. L. 1. p. 45.1. 1o. 2) Herodot. 


l. c. p. 93. 1. 19. Diod. Sic. 1. c. p. 44. 1. 36. 3) Diod. Sic. 1. c. p- 
18.1. 46. p. 1%1. 5. p. 4.1. zı. 4) Plat. Polit. p. 129. 1. 39. 


D. 
Sn ter Ach— 
tung ihrer 
Künſtler. 


64 I. Theil, Zweytes Kapitel, 


fände haben, die fähig waren, ihren Geift zur erheben, fich in 
das Hohe der Kunft zu wagen; es waren aud) weder Vorzüge, 
noch Ehre für diefelben zu hoffen, wenn fie etwas anßerordentli- 
es hervorgebracht hatten. Der Name eines einzigen aͤgyptiſchen 
Bildhauers hat fich nach griechifcher Ausfprache erhalten; er hieß 
Memnon I), und hatte drey Statuen am Eingange eines Tem: 
pels zu Theben gemachet, yon welchen Die eine Die größte in gang 

Aegypten war. k 
— Was die Wiſſenſchaft der aͤgyptiſchen Kuͤnſtler betrifft, ſo 
ett  mmß es ihnen an einem der vornehmſten Stuͤcke der Kunſt, näm- 
lic) an Kenntniß in der Anatomie gefehlet haben, welche Willen: 
ſchaft in Aegypten, fo wie in China, gar nicht geuͤbet wurde, 
auch nicht befannt war. Denn die Ehrfurcht gegen die Werftor- 
benen würde auf Feine Weiſe erlaubet haben, eine Zergliederung 
todter Körper anzuftellen; ia e8 wurde, wie Diodorus berichtet, 
als ein Mord angefehen, nur einen Schnitt in Diefelbe zu thun, 
Daher auch der Parafchiftes, wie ihn Die Griechen nennen, oder 
derjenige, welcher die Körper zum Balfamiren durch einen Schnitt 
in der Seite öffnete, unmittelbar nach dieſer Werrichtung plöß- 
lic) Davon laufen mußte, um fich zu vetten vor den Verwandten 
des Werftorbenen, und vor anderen Umftehenden , welche jenen 
mit Flächen und mit Steinen verfolgeten. Die Anatomie erfire 
ckete fic) in Aegypten nicht weiter, als auf die innern Theile, oder 
die Eingẽweide; und auch dieſe eingefchränfte Wiffenfchaft, wels 
che in der Zunft diefer Leute vom Vater auf den Sohn fortgepflan- 

zet 
3).Diod. Sic. L. t. P. 44. 1. 24. 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. 65 


zet wurde, blieb vermuthlich für andere ein Geheimniß: denn bey 
Zurichtung der todfen Körper war niemand außer ihnen zugegen. 


Das zwente Stück diefes Abſchnitts von dem Stil der manzen eri 
Kunft unter den Aegyptern, welcher die Zeichnung des Nacken Yıyıın der 
den, und die Bekleidung ihrer Figuren in fich begreift, iſt in drey 
Abſaͤtze zu faſſen. In den zwey erften Derfelben wird gehandelt 
von dem älteren, und nachher von dem folgenden und fpätern Stil 
der ägyptifchen Bildhauer, und in dem dritten Abſatze von den 
Kahahmungen ägyptifcher Werke, die vermuthlich durch griedi- 
ſche Rünftler gemacht worden find. Ic) werde unten Darzuthun 
füchen, daß die wahren alten ägnptifchen Werke von zwofacher 
Art find, und daß man in ihrer eigenen Kunft zwo verfchiedene 
Zeiten ſetzen müffe: die erfte Zeit wird gedauert haben, bis 2le- 
gypten Durch den Cambyfes erobert wurde, und Die zwote Zeit, 
fo lange eingebohrne Megypter, unter der perfifchen , und nach- 
ber unter der griechifchen Regierung, in der Bildhauerey arbei- 
teten; Die Nachahmungen aber werden, wie wahrſcheinlich ift, 
mehrentheils unter dem Kaiſer Hadrian gemachet worden feyn. In 
einem jeden Diefer dreyen Abfäre ift zum erften von der Zeichnung 
des Nackenden, und zum zweyten von Der Zeichnung der Beklei⸗ 
dung der Figuren zu reden. 
In dem älteren Stil hat die Zeichnung des Nadenden 2 um 
Deutliche und begreifliche Eigenfchaften, welche diefelbe nicht al- Ct! 
lein von der Zeichnung anderer Wölfer, fondern auch von Dem 
fpäteren Stil der Aegypter unterfcheiden ; und dieſe finden ſich 
Winkelm. Geſch. der Kunſt. 9 und 


a 


66 L Theil. Zweytes Kapitel. 


und find zu beftimmen fo wohl in der Umfchreibung des Ganzen 
der Figur, als in der Zeichnung und Bildung eines jeden Theils 
ng insbefondere. Die allgemeine und vornehmfte Eigenſchaft der 
en" Zeichnung Des Nadenden in dieſem Stil, ift die Umfchreibung 
au Allgemein der Figur in geraden und wenig ausfchweifenden Linien, welche 
Eigenfchaft aud) ihrer Baukunſt, und ihren Verzierungen eigen 
ift; Daher fehlet den ägyptifchen Figuren auf einer Seite die Gratie 
(Gottheiten, die den Aegyptern unbekannt waren ı), und auf 
der anderen Seite das Malerifche, weldyes beydes Strabo von 
einem Tempel zu Memphis urtheilet 2). Der Stand der Figu- 
ven ift fteif und gezwungen; aber parallel dicht zufammen ftehen- 
de Füße, wie fie einige alte Seribenten als ein allgemeines Kenn- 
zeichen ägpptifcher Figuren anzuzeigen feheinen, und wie Diefelben 
an den älteften hefrurifchen Figuren von Erzte find, finden fid) 
nur allein an fizenden Figuren ; an ftehenden Figuren find Die 
Füße nicht wie ein gefchobenes Parallel = Lineal; fondern eis 
ner ftehet voraus vor dem andern. An einer männlichen Fi 
gur vom viergehen Palmen hoch, in der Villa Albani , ift Die 
Weite von einem Fuße zum andern über drey Palme. Die 
Arme hängen an männlichen Figuren gerade herunter laͤngſt den 
Seiten , an welche fie, wie feft angedrücet, vereinigt liegen, 
und folglicd haben dergleichen Figuren gar Feine Handlung, 
als welche durdy Bewegung der Arme und der Haͤnde aus: 
gedrudet wird. Diefe Unbeweglichkeit Derfelben ift ein Beweis, 


nicht 


* 


1) Herodot. L. 2. p. 69. |. ız. a) Geogr. L. ır. P. 806. A, 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 67 


nicht der UngefchieklichFeit ihrer Kuͤnſtler, fondern von einer in 
Statuen gefersten und angenommenen Regel, nach welcher fie, 
wie nad) einem und eben demfelben Mufter ‚ı gearbeitet haben: 
denn die Handlung, welche fie ihren Figuren gegeben, zeiget fich 
an Dbelisken , und auf andern Werken; und vielleiht haben 
auch einige Statuen die Hände frey gehabt, wie man aus derje— 
nigen fchließen Eönte , die einen König vorftellete, welcher eine 
Maus in der Hand hielt 1), wenn diefelbe nicht eine ſitzende, fon= 
dern ftehende Figur gewefen ift. An weiblichen Figuren hänget 
nur der rechte Arm angefchloffen, der linke Arm aber lieget gebogen 
unter Der Bruft, an denen aber, welche vorwärts an dem Stuhle 
der Statue des Memnons ftehen, hängen beyde Arme herunter. 
Verfhiedene Figuren ſitzen auf untergefchlagenen Beinen, oder 
auf dem Knie, welche man daher Engonafes 2) nennen Fönte, 
in weldyer Stellung die drey Du Nixi por den drey Kapellen des 
olympiſchen Jupiters zu Rom ſtanden 3). 

In der großen Einheit der Zeichnung ihrer Figuren ſind 
die Knochen und Muskeln wenig, Nerven und Adern hingegen 
gar nicht angedeutet; aber die Kniee, die Knoͤchel des Fußes, und 
eine Anzeige vom Ellenbogen zeigen ſich erhaben, wie in der Na— 
tur: Der Ruͤcken iſt wegen der Saͤule, an welche ihre Statuen 
aus einem Stuͤcke mit derſelben geſtellet find, nicht fichtbar. 

Diefe angegebene Eigenfchaften und Kennzeichen des aͤgyp⸗ 
tiſchen Stils, fo wohl die Umfchreibung und die Formen in faft 

2 ge⸗ 
x) Herodot. L. 2. p. 91. 1, ult. 3) Cic. de nat, deor. L. =. c. 32. 
3) v. Fe, Di Nixi. 


68 I Theil, Zweytes Kapitel, 


geraden Linien, als die wenige Andeutung der Knochen und 
Muskeln, leiden eine Ausnahme in den Thieren der aͤgyptiſchen 
Kunſt. Unter Diefen find fonderlich anzuführen ein großer Sphinx 
von Bafalt, in der Villa Borghefe 1), zween Löwen am Auf: 
gange zum Tampidoglio, und zween andere an der Fontana Fe 
lice 2); denn dieſe Thiere find mit vielem Werftändnifle, mit ei 
ner zierlichen Mannigfaltigfeit fanft ablenkender Umriffe und flü- 
Big unterbrocyener Theile gearbeitet: Die großen Umdreher , un: 
ter den Hüften, Die an den menfchlichen Figuren unbeftimmt über: 
sangen find, erfcheinen an den Thieren, nebft der Nöhre der Schen- 
kel, und andern Gebeinen, mit nachdrüdlicher Zierlichkeit ausgefuͤh⸗ 
vet; und gleichwohl find die Löwen an befagter Fontana mit Hiero⸗ 
glyphen bezeichnet, Die fi) anjenen Thieren nicht finden, und ha- 
ben andere Deutliche Anzeigen ägyptifcher Werke; die Sphinrean 
dem Obelisko der Sonne, welcher im Campo Marzo lieget, find in 
eben dem Stil, und in den Köpfen ift eine große Kunſt und Fleiß. 
Aus diefer Verfchiedenheit des Stils zwifchen den menſchlichen Fi⸗ 
guren und Thiereniftzu schließen, Da jene Gottheiten, oder den Goͤt⸗ 
tern gewidmete Perfonenvorftellen, unter welchen ich auch Die Kö: 
nige mit begreife, dem zufolge was ich oben angemerfet habe, Daß 
die Bildung derfelben durch die Religion felbft allgemein beftimmet 
gewefen, Daßaber in Thieren Die Kuͤnſtler mehrere Freyheit gehabt, 
ihre Gefchicklichkeit zu zeigen. Man ftelle fich Das Syſtema der alten 
Kunſt der Aegypter, in Abficht der Figuren menfchlicher Ge—⸗ 
ftalt, wie das Syftema der Regierung zu Creta und zu Sparta 
vor, 
1) Kircher. Oedip. Aeg. T. 3. p. 469. 3) Kircher. L. c. p. 463. 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 69 


vor, wo von den alten Werordnungen ihrer Gefetsgeber keinen 
Singerbreit abzumeichen war; die Thiere wären in Diefem ver 
nünftigen Zirkel nicht begriffen gewefen. 

Zum zweyten find in der Zeichnung des Nadenden vor⸗ 
nehmlich die Außeren Theile der Figuren zu betrachten, das ift, 
der Kopf, Die Wände, und die Füße. An dem Kopfe find Die 
Augen platt und ſchraͤg gezogen, und liegen nicht tief, wie an 
griechiſchen Statuen , fondern faft mit der Stirne glei) , fo, daß 
der Augenknochen, auf welchem die Augenbraunen mit einer er- 
hobenen Schärfe angedeutet find, platt ift. Denn in den aͤgyp— 
tifhen Figuren, deren Formen viel Sdealifches, aber Feine idea⸗ 
liſche Scyönheit haben, ift man in diefem Theile des Gefichts 
nicht zum Ideal und zu Mervorbringung der Großheit gelanget, 
als welche die griechifchen Künftler durch eine vertieftere Lage 
des Augapfels geſuchet und erlanget haben, wodurch mehr £icht 
und Schatten und folglich ein ftärferer Effekt entſtehet, wie ich 
in dem vierten Kapitel umftändlicher anzeigen werde. Die Au— 
genbraunen, Die Augenlieder, und Der Nand der Lippen find 
mehrentheils Durch eingegrabene Linien angedeutet. An einem 
der älteften weiblichen Köpfe über Lebensgröße, von grünlichem 
Bafalt, in der Villa Albani, welcher hohle Augen bat, find 
die Augenbraunen durch einen erhobenen platten Streif, in der 
Breite des Nagels am Kleinen Finger, gezogen, und Diefer Streif 
erftvechet fich bisin die Schläfe hinein, wo Derfelbe eckigt abge— 
fchnitten iſt; von dem untern Augenknochen gehet eben fo ein 
Streif bis dahin, und endiget fid) eben fo abgefchnitten. Won 

3 dem 


bb Befonders 
an verfchiedes 
nen Theilen 
des Körpers 
angezeiget. 

@ der Kopf, 


70 1. heil, Zweytes Kapitel, 


dem fanften Profil 'griechifcher Köpfe hatten die Aegypter Feine 
Kenntniß, fondern es ift der Einbug der Nafe, wie in der ge 
meinen Natur; der Backenknochen ift ſtark angedeutet und 
erhoben, das Kinn ift allezeit Eleinlich, und zurück gezogen, wo- 
durch Das Oval des Gefichts unvollfommen wird. Der Schnitt 
des Mundes, oder Schluß der Lippen, welcher ſich in der Na— 
tur, wenigftens der Griechen und Europäer, gegen die Winkel 
des Mundes mehr unterwärts ziehet, iftan ägnptifchen Röpfen 
hingegen aufwärts gezogen; und der Mund ift allezeit dergeftalt 
sefchloffen, Daß die Lippen nur durd) einen bloßen Einfchnitt von 
einander gefondert worden, da hingegen, wie ich im vierten Ka— 
pitel bemerken werde, Die Lippen der mehreften griechifchen Gott- 
heiten geöffnet find. Das außerordentlichſte Der ägnptifchen Bil⸗ 
dung würden Die Ohren feyn, wenn Diefelben wirklich fo hoch an 
dem Haupte geftanden, wie man fie an den mehreften ihrer Figu— 
renfichet, und unter andern an den zweyen Köpfen, Die ich felbft befi- 
ze. Alm höchften aber ftehen die Ohren, und zwar ſo, daß dag 
Dhrläpgen beynahe in gleicher Linie mit den Augen ift, an ei- 
nem Kopfe mit eingefesten Augen, welcher ſich in der Villa Al— 
tieri befindet, und an der fisenden Figur unfer der Spitze des 
barberinifchen Obelisfe. 

— Die Haͤnde haben eine Form, wie ſie an Menſchen ſind, 
Die nicht übel gebildete Haͤnde verdorben oder vernachlaͤßiget ha- 
ben. Die Füße unterfcheiden ſich von Füßen griechiſcher Figu— 
ren Dadurch), daß jene platter und ausgebreiteter find, und daß 
die Sehen, welche völlig platt liegen, einen geringen Abfall in 
; ihrer 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 71 


ihrer Laͤnge haben, und, wie die Finger, ohne Andeutung der 
Gelenke find. Ss iſt auch die Heine Zehe nicht gekruͤmmet, noch 
einwaͤrts gedruͤcket, wie an griechiſchen Fuͤßen; folglich werden 
auch die Füße des Memnons, fo wie Pococke 1) dieſelben zeich— 
nen laſſen, nicht beſchaffen und gebildet ſeyn. Die Nägel find 
nur durch eckigte Einfchnitte angedeutet, ohne Rundung und 
Wölbung. 

An denjenigen ägnptifchen Statuen in Campidoglio, an 
welchen fich die Füße erhalten haben, find diefelben, wie felbit 
om Apollo im Belvedere, und am Laocoon, von ungleicher Laͤn⸗ 
ge; der tragende und rechte Fuß ift an einer von jenen um drey 
Zolle eines roͤmiſchen Palms länger, als der andere. Diefe Un: 
gleichheit aber ift nicht ohne Grund: denn man hat dem hinter 
wärts ftehenden Fuße fo viel mehr geben wollen, als er in Der 
Anficht durch das Zurücweichen verlieren Fönte. Der Nabel 
ift an Männern fo wohl, als Weibern, ungewöhnlich tief und 
hohl gearbeitet. 

Ich wieberhole hier, mas in der Vorrede allgemein erin- x, Srinterung 
nert worden, Daß man nicht aus Kupfern urtheilen Fönne: denn trastung & 
an den Figuren beym Boißard, Kircher und Montfaucon findet oa ” 
fi Fein einziges von Den angegebenen Kennzeichen Des aͤgypti— 
fhen Stils. Ferner ift genau zu beobachten, was an aͤgypti— 
fhen Statuen wahrhaftig alt, und was ergänzet if. Das Un— 
tertheil des Gefichts der Iſis 2) im Campidoglio, welche die ein- 

zige 
ı) Defer. ofthe Eaft, T. 1. P. 104. 2) Montfaue. Ant. expl. Suppl. 1. pl. 
36. Muf. Capit. T. 3. tav. 76. 


72 L Theil, Zweytes Kapitel, 


zige unter Den vier größten Statuen daſelbſt von ſchwarzem Gras 
nite iſt, ift nicht alt, fondern ein neuer Anſatz; es find auch an 
diefer, und an den zwo andern Statuen von rothem Granite, 
die Arme und Die Beine ergaͤnzet; und diefe Ergänzungen zeige 
ic) an, weil fie nicht leicht in das Auge fallen. Sch übergehe 
hingegen andere Zuſaͤtze, Die ein jeder leicht bemerken kann, wie 
Der neue Kopf einer weiblichen Figur im Palaft Barberini ift, Die 
einen Fleinen Anubis in einem Kaſten vor fid) halt, nad) Art ei- 
ner männlichen Figur beym Kircher, oder wie e8 Die Beine einer 
kleineren ftehenden Figur in der Villa Borghefe find. 

ae An Diefes Stüd von der Zeichnung des Nadenden wird 

der Figuren am bequemften Dasjenige anzuhangen feyn, was zum Unterricht 


— derer, welche Die Kunſt ſtudiren, von der befondern Geftaltung 
Zeigen. göftlicher Figuren bey Den Aegyptern, und von den ihnen beyge- 
legten Kennzeichen zu erinnern feyn möchte. Beil hiervon aber 
zum Ueberfluß von andern gehandelt worden , will id) mich hier 
auf einige befondere Anmerkungen einfchränfen. 
¶ Der Sott ⸗ Von Gottheiten, welchen man einen Kopf der Thiere ge: 
beiten ‚mit dem Ä . z . 
Serie eines geben, in welchen Die Megppter jene verehreten, haben ſich we— 
k nige in Statuen erhalten; und ich glaube, daß ſich nur folgen- 
de in Mom befinden. Die erfte ift im Palaft Barberini mit 
einem Sperber-Ropfe, ftellet den Dfiris vor 1), und der Kopf 
dieſes Vogels foll in Der Figur des Dfiris den griechifchen Apollo 
bilden: dieſem aber war, nad) dem Homerus, 2) der Sper- 
ber eigen, und deſſen Bothe, weil derſelbe mit offenen Augen in 
Die 


1) Kirch. Oed. Aeg.T. 3. p. 501. DonatiRoma, p. 60. 2) Odyfl.ö. v. 525. 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. 73 


die Sonne zu fehen vermag. I) Die zweyte Statue in der Vil— 
la Albani, von gleicher Größe, mit einem Kopfe, welcher etwas 
von einem Löwen, von einer Kage und vom Hunde bat, ift ein 
Anubis, in deffen Geftalt zugleich der Löwe, der ebenfalls vereh— 
vet wurde, 2) vermifchet war. Die dritte ift eine Eleine ſitzende 
Figur mit einem Hundskopfe in eben dieſer Villa ; die vierte 
von eben diefer Bildung ift indem Palafte Barberini; und die fünf- 
te Figur mit dem Kopfe einer Katze ift in der Wille Borg: 
hefe. Die erften vier Statuen find von ſchwaͤrzlichem Gra— 
nife. Der Kopf der zweyten von dieſen Figuren ift auf def 
fen Dintertheile mit der gewöhnlichen ägyptifchen Daube bededet, 
welche in viele Falten geleget, rundlich vorne, und hinten über 
die Achſeln an zween Palme lang herunter hängt, und es erhe: 
bet ſich hinterwärts an dem Kopfe eine runde Scheibe, die wo 
fie nicht die Sonne oder den Mond bilden fol, als ein fogenann- 
ter Limbus angefehen werden Fan, welcher nachher auch unter 
den Griechen und Römern den Bildniffen der Götter, 4) und der 
Kaifer gegeben wurde. Außerordentlich ift unter den herculani— 
fhen Gemälden ein Dfiris auf einem ſchwarzen Grunde, an 
weldyem das Geficht, Die Arme und die Füße eine blaue Farbe 
haben, 5) worinn vermuthlich eine ſymboliſche Deutung verborgen 


lie: 
;) Aelian. de Animal. L. 10. c, 14. 2) Eufeb.pr.ev. L. 3. p. 57. 1.33. 
s) Eufeb.-praep. evang. L. 3. p. 37. 1.32. 4) Pitt. Ercol. T, s, tav. Io, 


s) Pitt. Erc. T. 4. tav, 69. 


Winkelm. Geſch. der Runſt K 


74 1. Theil. Zweytes Kapitel. 


lieget, da wir wiffen, daß die Aegypter dem Bilde der Sonne, 
oder Dem Oſiris, mehr als eine Farbe gaben; und die blaue Far⸗ 
de follte die Sonne andeuten, wenn diefelbe unter unferem Demi- 
fpherio if. 1) Der Anubis 2) von ſchwarzem Marmor hinge- 
gen fo wie ein anderer von weißem Marmor, beyde im Campidog⸗ 
lio, find nicht Werke aͤgyptiſcher Kunſt, ſondern zur Zeit des 
Kaiſer Hadrianus gemachet. 

en Strabo, ‚nicht Diodorus, welchen Pococke angiebt, be 

ee richtet von einem Tempel zu heben, dag innerhalb Demfelben 
Feine menfchlichen Figuren , fondern bloß Thiere geſetzet geweſen, 
3) und Diefe Bemerkung will Pococke auch bey andern dafelbit 
erhaltenen Tempeln gemachet haben. 4) Die Nachricht des 
Strabo ſcheinet der Grund des Warburtong zu feyn, Die gött- 
liche Figur Der Dlegypter mit Dem Kopfe eines Thieres für Al- 
ter zu halten, als diejenigen, Die ganze menſchliche Figuren find. 
Es finden fich jedoch) iso mehr Agnptifche Figuren, Die aus ih— 
ven beygelegten Zeichen Gottheiten fcheinen, in völliger menſch⸗ 
ticher Seftalt, als mit dem Kopfe eines Thieres vorgeftellet, wie 
Diefes unter andern die bekannte Sfifche Tafel, in Dem Muſeo des 
Königs: von Sardinien, beweifen fan, und Die Statuen, in wel- 
hen Die menfchliche Geſtalt nicht verftellet ift , fcheinen eben das 
Alter zu haben, als die von Der andern Art. Kein geringeres 


Alter: 
4) Macrob. Saturn. L. ı. c. i9. P. 241. 2) Muf. Capit. T. 3. tav. 85- 
3) L. 17. p. 1158. 1159. ed. Antt. 4) Defer. of the Eaft, T. ı. 


pP. 95. 


Don der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 75 


Alterthum Ean man den zwo großen weiblichen Statuen im Mufeo 
Eapitolino beylegen, Die vermuthlich Bilder Der Iſis find, ob fie 
glei) Feine Mörner auf dem Haupte haben, die an derfelben den 
Wahsthum und das Abnehmen des Mondes andenten, fo wie 
es ſich an einer ihrer Figuren des alteften aͤgyptiſchen Stils, in 
Erzt, zeiget, die in meinen Denfmalen des Alterthums befannt 
gemachet worden ift. I) Denn Priefterinnen diefer Gottheit Fö- 
nen jene Statuen nicht feyn, weil Fein Weib dieſes Amt in Aegy— 
pten führete. 2) Die männlichen Figuren aneben dem Orte, weil 
fie Eein Kennzeichen einer Gottheit haben, koͤnen auch Statuen 
der Könige oder der Mohenpriefter feyn ; denn «8 ftanden Sta— 
tuen Diefer letsteen zu Theben. Won den Flügeln der aͤgyptiſchen 
Gottheiten wird in dem dritten Abfatze dieſes zweyten Stüdes 
geredet. Es Fan bier zugleich bemerfet werden, daß has Siftrum 
Feiner Figur, auf irgend einem alten ägnptifdyen Werke in Nom, 
in die Hand gegeben ift, ja man fieht diefes Inftrument auf den- 
felben, außer auf dem Rande der Sfifchen Tafel, gar nicht vorge: 
ftellet, und diejenigen ieren fich, welche, wie Bianchini 3), «8 auf 
mehr, als auf einem Obelisko, wollen gefunden haben; welches 
id) bereit8 an einem anderen Orte angemerket habe. 4) Die 
Stäbe in der Hand der männlichen Figuren haben insge⸗ 
mein, an ſtatt des Knopfs, einen Vogelkopf, welches am 
deutlichſten zu ſehen iſt an den ſitzenden Figuren auf beyden Sei- 
82 ten 


3) Monum. ant. ined. N. 73. 74. 2) Herodot.L. 2. p. 64. L 42. 
3) de Siftr. pı ı7. 4) Defer.desPier. gr, du Cab. de Stofch, Pref. p. XV. 


76 I. Theil. Zweytes Kapitel. 


ten einer großen Tafel von rothem Granite, in Dem Garten des 
Dalaftes Barberini 1), eben wie Diejenigen, Die nahe an der 
Spitze der Obelisken eingehauen find, zeigen. Diefe Stäbe fehei- 
net Diodorus für einen Pflug angefehen zu haben, worüber eine 
Muthmaffung in Den Denkfmalen des Alterthums, und in Den 
Anmerkungen über dieſe Gefchichte beygebracht ift. 

ae Dasjenige was uns Porphyrius aus dem Numenius Ich: 

gefkellee, vet, Daß die aͤgyptiſchen Gottheiten nicht auf feften Boden ſte— 
ben , fondern auf einem Schiffe, und daß nicht allein die Son« 
ne, fondern alle Seelen, nad) der Lehre der Dlegnpter, auf Dem 
flüßigen Elemente fehwimmen, wodurch angeführter Seribent 
das Schweben des Geiftes Gottes auf dem Waſſer, in der mo- 
faifchen Befchreibung der Schöpfung hat erläutern wollen, fo 
wie Thales behauptete, daß die Erde wie ein Schiff auf dem 
Waffer ruhe: eben Diefe Lehre ift in einigen Denfmalen abge- 
bildet. In der Villa. Ludopifi ftehet eine Fleine Sfis von Mar— 
mor mit dem linken Fuße auf einem Schiffe, und auf zwo runden 
Baſen; in der Villa Matter, wo der von Den Nömern angenom⸗ 
mene agnptifche Gotterdienft abgebildet ift, ftehet eine Figur mit 
beyden Füßen auf einem Schiffe. Noch naher aber koͤmmt jener 
Lehre der Aegypter die Sonne, welche nebft dem perfönlich gemad)- 
ten Monde auf einem Wagen von vier Pferden gezogen ftehet, 
und Diefer fähret auf einem Schiffe: Diefes Bild auf einem Ge— 
fäße von gebrannter Erde, in der vaticanifchen Bibliothek, ge— 

| malet, 


1) Pocock’s Defcr. of the Eaft, Vol. e. pl. XCI, 


Bon der Kunft unter den Aegypten 2r. 77 


malet , ift in meinen alten Denfmalen befannt gemachet wor- 
den. 1) 


Die Sphingeder Aegypter haben beyderley Geſchlecht, das .. Sphins 
ift, fie find vorne weiblid) , und haben einen weiblichen Kopf, 


und hinten männlid), wo fich Die Moden zeigen. Dieſes iſt noch 
von niemand angemerket. Sch gab Diefes aus einem Steine des 
Stoſchiſchen Muſei an, 2) und ich zeigete dadurch die Erklaͤrung 
der bisher nicht verſtandenen Stelle des Poeten Philemon, 3) 
welcher von maͤnnlichen Sphinxen redet, ſonderlich da auch die 
griechiſchen Kuͤnſtler Sphinxe mit einem Barte bildeten, wie 
man auf einer erhabnen Arbeit von gebrannter Erde ſiehet, die in 
dem kleinern franzoͤſiſchen Palaſte ſtehet. 4) Herodotus, wenn 
er die Sphinxe ardsgıyyss nennet, bat, nach meiner Mey: 
nung , Die beyden Gefchlechter derfelben andenten wollen. Be: 
fonders zu merken find die Sphinye an den vier Seiten der Spite 
des Dbelists der Sonnen, welche Menfcyenhände haben, mit 
ſpitzigen Nägeln reißender Thiere. 

Nach Diefer Unterfuchung der Zeichnung des Nadenden 
des Altern aͤgyptiſchen Stils gehe ich in dem zweyten Abſatze 
dies Stüds zu der Bekleidung der Figuren eben dieſes 
Stils, und merke zuerft an, daß diefelbe vornehmlich von Leinen 
war, welches in Diefem Lande häufig gebauet wurde, und ihr 

Rz Rock 


ı) Monumenti ant. ined. p. 104. fFeg. 2) Pref. à la Defeription des pierr. 
grav. du lab. de Stofch. p. XVII. 3) Mon. ant. ined. N. 79. 
4) L. 2. p. 100.1.:17. 


w 


b. Zeichnung 
befleideter Fis 


guren. 
aa. Der Rock. 


78 1. Theil, Zweytes Kapitel, 


Rock, Calafiris genannt, an welchem unten ein gefräufelter Streif 
oder Rand mit vielen Falten genähet war I), gieng ihnen bis 
auf die Füße 2), über welchen die Männer einen weißen Mantel 
von Tuch ſchlugen: ihre Driefter waren in weiße Baumwolle 
gekleidet. 3) Die männlichen Figuren aber find alle nadend, fo 
wohl in Statuen, als an DObelisken, und auf andern Werfen, 
bis auf einen Schurz, welcher über die Huͤften angeleget ift, 
und den Unterleib bedecket: Diefer Schurz ift in ganz Feine Fal- 
ten gebrochen. Wenn diefe Figuren Gottheiten vorftellen, fo 
Ean, wie bey den Griechen gefchehen, Diefelben nackend zu bilden, 
etwas angenommenes ſeyn; oder e8 wäre als eine Norftellung der 
älteften Tracht dafelbft anzufehen, welche bey den Arabern noch 
lange hernach geblieben war: denn Diefe hatten nichts als einen 
Schurz, um den Leib, und Schuhe an den Füßen 4). Sind diefelben 
aber Priefter, fo Fünen wir ung Diefeiben vorſtellen, wie Die 
Dpferpriefter bey den Roͤmern, Die ebenfalls bis an den Unter- 
leib unbefleidet waren, und einen Schurz, Limus genannt, umge⸗ 
bunden trugen; und alſo ſchlachteten ſie das Opferthier, wie man 
aus verſchiedenen erhobenen Werken ſiehet 5). Da nun die 
aͤgyptiſchen Koͤnige, wenn eine Linie derſelben ausgeftorben war, 
aus dem Mittel ihrer Prieſter gewählet wurden, und alle ihre 
Könige zum Priefterthum eingeweihet waren, Eönte man anne): 
men, 


;) Herodot.L. 2. 2) Bochart. p. 75. 1. 11. Phal. &Can. p. 416. 1.24. 
5) Plin.L.19.c.2,$.3. 4) Monum.ant.med.N. 5) Strabo Geogr. L. 16. 
p- 784. A, conf. Valef. ad Ammian,L. 14.0.4. P. 14. 


u 


— 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 79 


men, DaB auch in Diefer Abſicht ihre Könige alfo befleidet abge: 
bildet worden. 

An weiblichen Figuren ift die Bekleidung nur Durch einen 
hervorfpringenden oder erhobenen Kand, an den Beinen und am 
Halſe, angedeutet, wie an einer vermennten Iſis im Campidog: 
lio, und an zwo andern Statuen daſelbſt zu fehen ift. Lim den 
Mittelpunkt der Brüfte von der einen, ift ein Kleiner Zirkeleinge- 
fchnitten, und von Demfelben gehen viele Dicht neben einander lie— 
gende Einschnitte, wie Radii eines Zirkels, beynahe zween Finger 
breit, auf den Brüften herum ; und Diefes Fönte für einen ungereim⸗ 
ten Zierrath angefehen werden: Sch bin aber der Meynung, Daß 
hierdurch Die Falten eines dünnen Schleyers, welche Derfelbe über 
Die Warzen der Brüfte werfen würde, angedeutet werden follen. 
Denn an einer Fenntlichern ägnptifchen Iſis, aber vom fpäteren 
Stil, in der Villa Albani, find auf den Brüften derfelben, 
welche Dem erften Anblicke entblößet zu feyn fcheinen, faft unmerk— 
liche erhobene Falten gezogen, die in eben der Richtung fid) von 
dem Mittelpunfte der Brüfte ausbreiten. An dem Leibe jener Fi- 
guren muß Die Kleidung bloß gedacht werden; und daher Fan 
es gefchehen feyn, daß fich Herodotus die zwanzig weibliche co- 
Ioffalifche Statuen, in der Stadt Gais, als nackend vorgeftellet 
1), Da fie auf eben Die Art werden befleidet gewefen ſeyn; und 
diefes fcheinet um fo viel mehr glaublidy, da felbft der Bildhauer, 
Franz Maratti aus Padua, welcher die capitolinifchen Statuen 

ergän- 


ı) Herodot, L. 2. p, 88. 1. 36. 


80 1. Theil, Zweytes Kapitel. 


ergänzet hat, gedachten Worfprung, wodurch allein die Kleidung 
an Denfelben Fenntlich ift, nicht bemerfet, wie ich aus den Zeich- 
nungen erfehe, Die Diefer Künftler dem Pabfte Clemens XI. über: 
veichet hat. Eben Diefe Bemerkung über die Bekleidung einer 
fisenden Iſis machet Pocode, welche, ohne einen hervorfprin- 
genden Nand über Die Knöchel des Fußes, für ganz nadend zu 
halten wäre; Daher er fic) Diefe Bekleidung als ein feines Neffel- 
tuch vorftellet, wovon nod) itzo Die Weiber im Quient⸗ wegen der 
großen Hitze, Hemden tragen. 

In einer beſondern Art iſt die vorher angeführte ſitzende 
Figur in dem Palaſte Barberini gekleidet; es erweitert ſich der Rock 
von oben bis unten, wie eine Glocke, ohne Falten: man kan ſich 
Davon ans einer Figur, welche Pococke 1) beybringet, einen Be- 
griff machen. Eben auf diefe Art ift der Rock einer weiblichen 
Figur, von ſchwaͤrzlichem Granite, drey Palme hoc) , in Dem 
Mufes Rolandi zu Nom gemachet; und weil fid) derfelbe unten 
nicht erweitert, fieht Das Untertheildiefer Figur einer Walze ähn- 
lic), fo Daß die Füße an Derfelben nicht fichtbar find. Es hält 
Diefelbe vor der Bruft einen finenden Cynocephalus, in einem Kaͤſt⸗ 
gen „ welches mit vier fäulenweis angedeuten Reihen von Diero- 
glyphen beſetzet ift. 

Die erhobenen uͤbermalten Figuren, die ſich zu Theben 
und in anderen Gebaͤuden, in Aegypten erhalten haben, ſollen, 
wie des Oſiris Kleidung gemalet war 2), ohne Abweichung, und 

ohne 
ı) L.c.p. 224. 2) Plut. de If & Ofir. p. 680. 


Bon der Kunſt imter den Aegyptern 26, 81 


ohne Licht und Schatten ſeyn 1). Diefes aber muß uns nicht fo 
ſehr, als den, Der e8 berichtet , befremden : Denn alle erhobene 
Werke befommen Licht und Schatten Durd) fich felbft, fie mögen 
in weißem Marmor, oder von einer andern einzigen Farbe ſeyn, 
und es würde alles an ihnen verworren werden, wenn man im 
Uebermalen derfelben, mit dem Echobenen und Wertieften «8, 
wie in der Malerey, halten wollte, 

Die Bekleidung des Leibes ift alfo an Figuren dieſes er- 
ften agyptifchen Stils dasjenige, was den wenigften Anlaß zu 
Beobachtungen giebt; Die Bekleidung, oder Bedeckung des Haup⸗ 
tes allein ift mancherley , und in befonderem Fleiße ausgear- 
beitet. E8 trugen zwar Die Männer Daffelbe gewöhnlicd) un: 
bedecket, und waren hierinn Das Gegentheil der Perfer, wie Mes 
rodotus über Die verſchiedene Haͤrte der Hirnſchaͤdel der auf bey= 
den Seiten in der Schlacht mit den Perfeen gebliebenen anmer- 
ket; Die männlichen Figuren haben den Kopf entweder mit einer 
Haube, oder Mütze bedecket, als Götter, Könige, oder Priefter. 
Die Haube Hängetan etlichen in zweyen breiten, theils flachen, theils 
auswärts rundlichen Streifen, über Die Achſeln, ſowohl gegen 
die Bruft, als auf den Nüden herunter. Die Muͤtze gleichet 
theils einer Biſchofsmuͤtze, Mitra) und an einigen Figuren ift 
Diefelbe oben platt, nach der Art, wie man fie vor zwenhundert 
Jahren trug, wie z. E. Die Muͤtze des älteren Aldus geftaltet ift. 

Die 
ı) Norden’s Travels in Egypt, Pref. p. XX. XXII. T. 2. p. sr. 
Winkelm. Geſch. der Runſt. 5 


bb. Beklei⸗ 
dung des 
Haupts. 


82 I. Theil, Zweytes Kapitel. 


Die Haube nebft der Mitra haben auch Thiere ; jene fieht man 
am Sphinye, und diefe am Sperber. Ein großer Sperber von 
Baſalt, mit einer Mitra, ungefehr drey Palme body , befindet 
fich in gedachten Mufeo Nolandi. Die oben platte Muͤtze wurde 
mit zwey Bändern unter dem Kinne gebunden, wieman an einer 
einzigen finenden Figur von vier Palmen hoc) , in ſchwarzem 
Granite, in eben Diefem Mufeo fieht. Diefe oben platte Muͤtze 
erweitert fich oberwaͤrts, nach Art des Scheffels auf dem Haupte 
des Serapis, und von Diefer Form werden Die Muͤtzen der alten 
perfifchen Könige von den Arabern Kankal, das ift Scheffel, ge: 
nennef. Eben ſolche Mützen tragen die fizenden Figuren, unter 
Der Spitze einiger DObelisken, und die fi) an den Trümmern von 
Derfepolis erhalten haben. Vorne an der Müse erhebet fid) eine 
Schlange, fo wie aud) an den Köpfen über der Stirne phoe- 
nicifcher Gottheiten auf Münzen der Infel Maltya. Safob Gro- 
nov bat bier feiner Einbildung Pla gegeben, und ſich Fi— 
guren vorgeftellet, Die ihm gefchienen, den Kopf mit dem Selle 
malthefifcher Eleiner Hunde bedecket zu haben, von weldyen der 
Edhwanz über der Stirne in die Hoͤhe ftehe, und glaubet, er 
babe hier die wahre Merleitung des griechifchen Worts, welches 
den Helm bedeutet, gefunden, als welcher in den älteften Zei- 
ten aus dem Felle eines Hundekopfs gemacht war. Diefe un: 
gründliche Einbildung erſcheinet noch mehr das, was fie ift, im 
Betrachtung zween maͤnnlich jugendlicher Dermen, in der Wille 
Albani, Die mit dem Selle eines Hundekopfs, wie Hercules mif 
der 


Von der Kunft unter den Aegyptern 2c. 83 


der Loͤwenhaut, bedecket find, und zwo Pfoten dieſes Felles find 
unter dem Malfe gebunden. Es ftellen diefelben vermuthlich La— 
res oder Penates, Mausgötter der Nömer vor, die wie Plutar- 
chus anzeiget, den Kopf alfo bededket, gebildet wurden. Noch 
deutlicher erfcheinet jene ältefte Art und Form der Helme an einer 
fhönen Pallas von Lebensgröße, in eben diefer Villa, die an- 
ftatt des gewöhnlichen Helms das Zell eines Hundekopfs träger, 
fo daß die obere Schnauze nebft den Zähnen über der Stirne der 
Goͤttinn lieget. Auf diefer Muͤtze erhebet fi) an den Figuren der 
Dbelisfen fo wohl, als an der gemeldeten barberinifchen Tafel, wie 
auch auf der Müse der gedachten Figur und der im Mufeo Ro— 
landi, derjenige Zierrath, welchen Warburton für das Gefträud) 
des Divdorus hält, welches ein Hauptſchmuck der aͤgyptiſchen 
Könige war. Da aber diefer Aufſatz auf der Muͤtze mehr Aehn— 
lichkeit mit einem Zierrath von Federn hat, und da fid) findet, Daß 
Die ägnptifche Gottheit Cueph, ihr Gott Schöpfer, Flügel auf 
dem Haupte trug, und zwar Fönigliche Flügel das ift, wie 
Könige zu tragen pflegeten , fo wird dieſer Schmud nicht 
allein dasjenige feyn, womit derfelbe eine Mehnlichkeit hat, fon- 
dern, da gedachte Gottheit nicht außerdem befannt ift, jene 
Figuren aber an allen Obelisken wiederholet find, ift Daraus 
zu fließen, Daß Diefelbe Könige vorftellen. 

Einige weiblicdye Figuren, oder beffer zu reden, Figuren 
der Iſis, haben auf dem Haupte einen Put, welcher einem Aufſatze 
von fremden Haaren gleichet, in der That aber, und befonders 

22 an 


94 I, Theil. Zweytes Kapitel. 


an der einen großen Iſis im Muſeo Tapitolino , aus Federn zu- 
ſammengeſetzet fcheinet. Diefes wird wahrfcheinlicher aus einer 
Iſis, Die in meinen alten Denkmalen beygebracht worden, und 
über der Haube eine fo genannte numidifche Henne aufgeſetzet hat, 
deren Flügel auf der Seite, der Schwanz aber hinterwärts, 
herunter hängen. 

Eine andere befondere Tracht war die einzige Locke, welche 
man an Dem befchornen Kopfe einer Statue von ſchwarzem Mars 
mor im Campidoglio I), auf der rechten Seite, an dem Ohr, 
hängen fiehet, welche Statue als eine ägnptifhe Nachahmung 
unten angeführet wird: Diefe Locke ift weder in Dem Kupfer, noch 
in der Befchreibung derfelben, angezeiget. Won einer folchen ein- 
zigen Locke an dem befchornen Kopfe eines Marpocrates habe ich 
in der Beſchreibung der Stofchifchen gefchnittenen Steine geredet, 
wo ic) zugleic) dieſe Merkwürdigkeit an einer andern Figur eben 
Diefer Gottheit, Die der Graf Caylus 2)’ befannt gemachet, ans 
gezeiget habe, Der Stoſchiſche gefehnittene Stein aber ift in meis 
nen alten Denkmalen in Kupfer geftochen beygebracht 3). Dur) 
Diefe Locke wird Macrobius erfläret, welcher berichtet, Daß Die 
Aegypter die Sonne mit befchornem Haupte vorftellefen, außer 
einer Locke auf der rechten Seite an deren Haupte 4). Wenn alſo 
Cuper 5), obgleich ohne dieſe Nachricht bemerket zu haben, bes 
hauptet, Daß die Aegypter in dem Harpocrates auch Die Sonne 

ver⸗ 


1) Muſ. Capit. T. 3. tav. 97. 2) Recueil d'Ant. T. 2. pl. 4. n. x. 3) Mo- 
num, ant. ined. N. 77. 4) Saturn, L. 1. c. 21. p. 246. 5) Har- 


pocr. p. 52. 


Don der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 85 


verehreten, irret Derfelbe nicht, wie ihm ein neuerer Scribent vor- 
wirft I). 

Schuhe und Sohlen hat Eeine einzige aͤgyptiſche Figur, 
und Plutarhus fagt, Daß die Weiber in diefem Lande barfuß 
giengen; außer Daß man an der vorher berührten Statue beym 
Pocode unter dem Knoͤchel des Fußes einen edigten Ring ange 
leget fieht, von weldyem, wie ein Riem, zwifchen der großen und 
der folgenden Zehe herunter gehet, wie zu Befeſtigung der Sohle, 
Die aber nicht fichtbar ift. 

Die agyptifchen Weiber hatten nicht weniger wie unfer an— 
dern Wölkern ihren Schmud und befonders Ohrgehenfe und 
Schmudund Armbänder. Ohrgehenke fiehet man, fo viel ich 
weiß, nur an einer einzigen Figur, Die von Pococke befannt ge 
machet worden ift 2). Armbänder hat vorgedachte vermeinte Iſis 
von ſchwarzem Sranite, im Campidoglio; e8 find aber diefelben 
nicht, wie mehrentheils an griechifchen Figuren, um den obern 
Arm, fondern an den Knöcheln der Hand angeleget, weil die Ae— 
gypter fcheinen ihre Ringe, nicht an den Fingern getragen zu ha— 
ben, welches man fehließen Fönte aus dem, was Mofes vom Pha— 
rao berichtet, Daß dieſer König feinen Ring von der Hand gezo— 
gen und Denfelben dem Joſeph an Die Hand angeleget habe 3). 
Diefes ift, was ich über den Altern Stil der ägyptifchen Bild» 
Dauer zu betrachten gefunden babe. 


A| 2 RE 


1) Pluche Hift. du Ciel, T. 1. p. 95. 2)Pocock. defer. of the Eaft, T. 
L Tab. 61. 3) Gen. ©, MAL. V. 43, 


ec. der Füße. 


Von dem fi fol⸗ 
genden und 
ſpätern Stil 
der ägypti⸗ 
ſchen Kunſt. 


a. Zeichnung 


86 I. Theil. Zweytes Kapitel. 


Der zweyte Abſatz des zweyten Stuͤcks dieſes Abſchnitts, 
welcher von dem folgenden und ſpaͤtern Stil der Kuͤnſtler dieſes 
Volks handelt, hat, ſo wie in dem vorigen Abſatze, zuerſt die 
Zeichnung des Nackenden, und zum zweyten die Bekleidung der 


desnackenden Figuren zum Vorwurfe. Beydes laͤßt ſich an zwo Figuren von 


aa. deßen 
Eigenſchaft. 


Baſalt, im Campidoglio und an einer Figur in der Villa Alba- 
ni, aus eben dem Steine, zeigen, Die jedoch nicht ihren eignen 
Kopf hat. 

Das Geficht der einen von den zwo erfteren Statuen 1), 
fcheinet etwas aus der gewöhnlichen agnptifchen Form heraus zu 
gehen, bis auf den Mund, welcher aufwärts gezogen ift, und das 
Kinn ift zu kurz; zwey Kennzeichen, welche Die älteren aͤgyptiſchen 
Köpfe haben: die Augen find ausgehöhlet, und werden vor Al— 
ters von anderer Materie eingefeet gewefen feyn. Das Geficht 
der anderen Statue 2) kommt der griechifchen Form noch näher; 
das Ganze der Figur aber ift fchlecht gezeichnet, und die Propor: 
tion ift zu kurz: Die Hände find zierlicher , als an den älteften 
aͤgyptiſchen Figuren; Die Füße aber find geformet, wie an jenen, 
nur daß fie etwas auswärts ftehen. Der Stand und die Hand: 
lung der erfteren Figur fowohl, als der dritten in der Villa Al⸗ 
bani ift den älteften aͤgyptiſchen vollig ähnlich: denn beyde haben 
ſenkrecht hängende Arme, Die, außer einer Durchbohrten Defnung 
ander erftern, völlig an der Seite anliegen, und hinten ftehen 
fie an einer eckigten Säule, wie alle älteften ägyptifchen Figuren. 
Die zwente Statue hat freyere jedoch nicht abgefonderte Arme, 

und 
1) Muf. Capit. 1. c. tav. 79. 2) Muf. Capit, I. e. tav. 90. 


J 


Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. 87 


und mit der einen Hand haͤlt ſie ein Horn des Ueberfluſſes mit 
Fruͤchten: dieſe hat den Ruͤcken frey und iſt ohne Saͤule. 

Dieſe Figuren find von aͤghptiſchen Meiſtern, aber unter In. Defunsee 
der Regierung der Griechen, gemacht, Die ihre Götter, und alfo Ammertungee. 
auch ihre Kunſt in Aegypten einführeten , fo wie fie wiederum 
aͤgyptiſche Gebräuche annahmen. Denn da Die Aegypter zur Zeit 
des Plato, das ift, da fie ſich von Zeit zu Zeit der perfifchen 
Herrſchaft entzogen, Statuen machen laffen, wie Die oben ange: 
führte Nachricht Deffelben bezeuget, fo wird auch unter den Pto— 
lemaͤern die Kunſt von ihren eigenen Meiftern geübet worden feyn, 
welches Die fortdaurende Beobachtung ihres Göfterdienftes um 
fo viel wahrfcheinlicher machet. Die Figuren diefes legten Stils 
unterfcheiden ſich aud) dadurch, Daß fie Feine Hieroglyphen haben, 
welche an den mehreften älteften ägnptifchen Figuren, theils an 
deren Bafe, theils an der Säule, an welcher fie ftehen, eingehauen 
find. Der Stil aber ift hier allein Das Kennzeichen, nicht Die 
Hieroglyphen: denn ob fich gleich diefelben an Feiner Nachah— 
mung ägnptifcher Figuren, von weldyen in den nächften dritten 
Abſatze zu reden ift, finden, fo find hingegen auch wahrhaftig 
faft alle aͤgyptiſche Figuren ohne das geringfte von folchen Zeichen. 
Unter denfelben find zween Obelisfen, der vor St. Peter, und 
der bey St. Maria Maggiore, und Plinius merket diefes von 
zween andern an I). An dem Löwen am Aufgange zum Campt- 
doglio find Feine Hieroglyphen, fo wenig wie an Dem vorher er- 

waͤhn⸗ 


ı) L. 36. pı 293. ed, Hard, in 4, 


88 I. Theil, Zweytes Kapitel, 


wähnten Oſiris im Pallaft Barberini; und ic) Fönte noch ande: 
ve dergleichen Werke und Figuren anführen. 


he dh Was Die Bekleidung anbetrifft, fo bemerfet man an allen 
guren. drey oben angeführten weiblichen Statuen ein Unterkleid, einen 


a 4. das Unter⸗ 


Heid un tr Rock, und einen Mantel: und dieſes widerſpricht dem Herodotus 
2. nicht, welcher faget, Daß die ägyptifchen Weiber nur ein einziges 
Kleid Haben 1): denn Diefes ift vermuthlich von Dem Node, oder 
dem Oberkleide Derfelben, zu verftehen. Das Unterfleid ift an 
den zwo Statuen im Campidoglio in Eleine Falten geleget, und 
hänget bis auf Die Zehen, und feitwärts auf Die Baſe Derfelben 
herunter; an Der Dritten nämlich der Statue in der Villa Albani 
ift es, weil die alten Beine fehlen, nicht zu fehen. Diefes Stüd 
der Kleidung, welches, aus den vielen Eleinen Falten zu urtheis 
len, in welche Daffelbe geleger ift, son Leinewand geweſen zu feyn 
fcheinet, war an dem Halſe, und bekleidete nicht allein die Bruſt, 
fondern auch den ganzen Körper bis auf Die Füße, und hatte Fur: 
ze Ermel, Die nur bis an das Mittel des Dbertheils des Armes 
reichten. Huf den Brüften der Dritten Statue wirft dieſes Gewand 
ganz fanfte und faft unmerfliche Fältgen, die fi) vonder Warze 
dDerfelben fehr gelinde nach allen Seiten ziehen, wie auch oben be— 
veits bemerfet ift. Der Rock ift an der erften und an der dritten 
Statue fehr aͤhnlich, and lieget Dicht am Sleifche , außer einigen 
fehr flachen Falten, welche fi) aufwärts ziehen, und reichet allen 
dreyen Statuen nur bis unter die Brüfte, mo Derfelbe Durch den 
Mantel hinaufgezogen und gehalten wird, 
Der 


)L.2.p. 651m 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. 89 


Der Mantel ift an zween feiner Zipfel über beyde Achſeln a 
gezogen, und durch Diefe Zipfel ift der Rock mit dem Mantel un: 


ter den Brüften gebunden; Das übrige von dieſen Zipfeln hängt 
unter den gebundenen Knoten von der Bruft herunter, auf eben 
die Art, wie der Rock mit den Enden des Mantels gefnüpfet ift 
an der fehönen griechiſchen Iſis im Mufeo Capitolino, und an ei- 
ner größeren Ifis im Palafte Barberini. Hierdurch wird Der 
Rock in die Möhe gezogen, und die fanften Falten , welche fich 
auf den Schenfeln und den Beinen werfen, geben alle zugleich 
mit aufwärts, und von Der Bruſt hänget zwifchen Den Beinen 
bis auf die Füße eine einzige gerade Falte herunter. An der drit- 
ten Statue in der Ville Aldani ift ein Fleiner Unterfchied: es ge⸗ 
bet nur einer von den Zipfeln des Mantels über die Achſel heruͤber, 
der andere ift unter der linken Bruft herumgenommen, und bey- 
de Zipfel find zwifchen Den Brüften mit Dem Rocke gefnüpfet. 
Weiter ift der Mantel nicht ſichtbar, und da derfelbe hinten haͤn⸗ 
gen follte, ift er gleichfam Durch die Säule bedecket, an welcher 
diefe Statue fo wohl, als Die erftere von Diefen dreyen ftehet: Die 
zweyte hat den Rücken frey, und ohne Säule, und hat den Man- 
tel vor dem Unterleibe herumgenommten. Das Gewand der zwo gez 
dachten beyden griechifchen Iſis ift mit Franzen befeget, fo wie Die 
Mäntelder Statuen gefangener Könige, umin ihr, wie es fcheinet, 
eben dadurch eine Göttinn anzudeuten, deren Gottesdienft aus frem⸗ 
Den Ländern gekommen. Ein folches Gewand hieß Gauſapum, und 
war zottigt, und da esin Nom eingeführet wurde, trugen e8 Die 
Weiber im Winter. Da id) nad) Diefer Bemerfung alle Figuren 
Winfelm. Geſch. der Runſt. M Der 


cc. der Mans 
tel der Iſis 
insbefondere. 


©, 
Nachabmun⸗ 
gen ägyptiſcher 
Werke. 
a. allgemein, 


90 I. Theil, Zweytes Kapitel. 


der Iſis in Abſicht der Belleidung betrachtet, habe ich gemerket, 
daß fie alle, Feine ausgenommen, den Mantel auf foldye Weife tra: 
gen, und Daß diefe Tracht ein Kennzeichen dieſer Göttinn fey; 
e8 wurde mir eben dadurch als eine Sfis Fenntlid) der Rumpf ei- 
ner coloffalifhen Statue, die an dem venetianifchen Pallaſte zu 
Rom ftehet, und von dem Volke Donna Lucretia genennetwird. 
Eben fo fiehet man die Ifis beffeidet an einer fchönen Figur der 
felben von Erzte und einen Palm hoch, in dem hereulanifchen Mu- 
feo, fo wie an zwo oder drey Eleineren Figuren Diefer Göttinn, an 
eben Diefem Orte, Die fo wie jene die Eigenfchaften der Fortuna 
beygeleget haben. 

Der Dritte Abſatz dieſes zweyten Stuͤcks handelt von Fi. 
guren, Die den alten aͤgyptiſchen Figuren ähnlicher, als jene, kom⸗ 
men, und weder in Aegypten, noch von Künftlern Diefes Landes, 
gearbeitet worden , fondern Nachahmungen aͤgyptiſcher Werke 
find, Die mit der Einführung des aͤgyptiſchen Götterdienftes un- 
ter den Römern in Gebraud) Famen. Die älteften von Diefen 
Werfen find, fo viel ich weiß, zwo in Gips flady erhobene Fi— 
guren der Iſis, Die an einer Eleinen Kapelle, in dem Vorhofe 
des vor Furgen entdecketen Tempels der Ifis, in den Trümmern 
der verfchüfteten Stadt Pompeji, zu fehen find. Denn da diefes 
Unglüd gedachte Stadt unter der Negierung des Titus betroffen, 
fo ift es wahrfeheinlich, Daß dieſe Figuren älter fenen, als die Sta⸗ 
tuen dieſer Art, Die in der Villa des Madrianus bey Tivoli auge 
gegraben worden. Unter dieſem Kaifer, welcher bey allen feinen 
Kenntniffen ungemein abergläubifch war, feheinet endlich Die Ver⸗ 

ehrung 


Don der Kunft unter den Aegyptern 26, 91 


ehrung aͤgyptiſcher Gottheiten ſich mehr als vorher ausgebreitet 
zu haben; und durch ſein Exempel wird dieſer Aberglauben be— 
fördert worden ſeyn. Denn er ließ in der tiburtiniſchen Ville ei⸗— 
nen eigenen Tempel bauen, welchen er Canopus nennete und mit 
Statuen ägnptifcher Gottheiten beſetzete; und es find, wo nicht 
alle, doc) die mehreften folcher aͤgyptiſcher Nachahmungen von 
Dort hergeholet worden. An einigen ließ er die alteften Agypti- 
fehen Figuren genau nachahmen; an andern vereinigte er die aͤgyp⸗ 
tifche Kunſt mit der griechifchen. In beyden Arten finden fich ei- 
nige, welche im Stande und in der Richtung den älteften aͤgyp⸗ 
tifchen Figuren aͤhnlich find; das ift, fie ftehen vollig gerade, und 
ohne Handlung, mit fenkrecht hängenden, und an der Seite und 
den Düften feft anliegenden Armen; ihre Füße gehen parallel, 
und fie ftehen an einer eckigten Säule, Andere haben zwar eben 
Denfelben Stand, aber die Arme frey , mit welchen fie etwas tra— 
gen, oder zeigen. Zu bedaurenift, Daß dieſe Figuren nicht alle ihre 
alten Köpfe haben, weil allegeit aus Dem Kopfe der vornehmfte 
Beweis des Stils zu ziehen ift. 

Don Statuen find insbefondere zwo von roͤthlichem Gra= 
nite 1), welche an der Wohnung des Biſchoffs zu Tivoli ftehen, 
und der angeführte aͤgyptiſche Antinous von Marmor in Dem 
Mufes Capitolino, zu merken: dieſe find etwas über Lebensgröße, 
jene aber find beynahe noch einmal fo groß, als die Natur, und 
haben nicyt allein den Stand der alteften aͤgyptiſchen Figuren, 
fondern ftehen, wie Diefe, an einer eckigten Säule, welche jedod) 

M 2 mif 


») Maffei Raccolta di Statue Fol, 148, 


b. Beurthei⸗ 
lung befondes 
rer Werke 
aa. in Abficht 
der Zeichnung. 


a. Statuen 


92 L. Theil, Zweytes Kapitel. 


mit Hieroglyphen bezeichnet ift. Die Hüften und der Unterleib 
find mit einem Schurge bedecket, und der Kopf hat feine Haube 
mit zween vorwärts herunter hängenden glatten Streifen, auf 
dem Kopfe tragen fie einen Korb nad) Art der Caryatiden, wel: 
cher aus einem Stücke mit der Figur gearbeitet if. Da nun Der 
Stand und die Form diefer Statuen überhaupt den aͤgyptiſchen 
Werfen des erften Stils völlig ähnlich find, fo find diefelben von 
allen für folcdye angenommen worden , und man ift nicht bis zur 
Unterfüchung der Form einzelner Theile gegangen, als welche Das 
Gegentheil beweifen Fan. Denn die Bruft, welche an den Alte: 
ften männlichen Figuren der Aegypter platt Fieget, ift hier maͤch⸗ 
tig und heldenmäßig erhaben: Die Nibben unter der Bruft, wel 
che an jenen gar nicht fihtbar find, erfcheinen hier völlig ange— 
geben: der Leib über den Hüften, welcher dort fehr enge ift, hat 
hier feine rechte Fülle: die Glieder und Knorpel Der Kniee find hier 
deutlicher , als Dort, gearbeitet: die Muskeln an den Armen, fo 
wohl als an andern Theilen, liegen völlig vor Augen: Die Schul- 
terblätter, weldye Dort wie ohne Anzeige find, erheben fid) hier 
mit einer ftarken Nundung, und die Füße kommen der griech 
fchen Form näher. Die größte Verſchiedenheit aber lieget in Dem 
Gefichte, als welches weder auf aͤgyptiſche Dirt gearbeitet, noch 
fonft ihren Köpfen Ahnlid) ift. Denn die Augen Liegen nicht, wie 
in der Natur, und wie an den älteften aͤgyptiſchen Köpfen, faſt 
in gleicher Fläche mit den Augenknochen, fondern fie find nach 
dem Syſtema der griechifchen Kunſt tief gefenfet, um den Augen⸗ 
knochen zu erheben, und Licht und Schattenzu erhalten. Außer 
die⸗ 


Yon der Kun unter den Aegyptern 20, 93 


Diefen griechiſchen Formen zeiget fic) deutlich eine dem Gefichte des 
Antinous, griechifcher Kunſt, völlig ähnliche Bildung; fo Daß ich 
überzeuget bin, in diefen Statuen ein aͤgyptiſches Bild dieſes be: 
rühmten jungen Menfchen zu finden. An befagtem ägyptifchen An— 
tinous des Muf. Capit. zeiget ſich der mit Dem aͤgyptiſchen ver- 
mifchte griechiſche Stil noch deutlicher; es ſtehet auch Der- 
felbe frey, und an Feiner Säule. Zu den Statuen diefer Art koͤ— 
nen verfchiedene Sphinye gerechnet werden, und es find viere Der- 
felben von ſchwarzem Granite in der Villa Albani, deren Köpfe 
eine Bildung haben, die von aͤgyptiſchen Kuͤnſtlern nicht kan 
entworfen noch gearbeitet feyn. Die Statuen der Ifis in Mar: 
mor gehören nicht hierher: denn fie find völligim griechiſchen Stil, 
auch zu der Kaifer Zeiten und nicht eher verfertiget, weil zu des 
Cicero Zeiten der Gottesdienft der Iſis in Nom nod) nicht ange= 
nommen war I). 

Non erhobenen Arbeiten, welche zu Diefen Nrachahmmun: b. erhebene 
gen gehören, ift vornehmlich diejenige von grünem Baſalt anzu: 
führen , die in dem Hofe des Pallaftes Maltei ftehet 2), und ei- 
nen Aufzug zum Dpfer vorftellet. Ein anderes Werk von diefer 
Art ftand in der erften Ausgabe dieſer Gefchichte, zu Ende Dies 
ſes Kapitels, an deffen Stelle ich vielleicht ein Werfvon gebrann- 
fer Erde wählen und davon die Urfache in dem vorgefeisten 
Verzeichniſſe der Kupfer anzeigen werde. 

Ich Fan nicht unberührt laffen, daß die Sfifche oder Bem— 
bifche Tafel von Erzi mit eingelegten Figuren von Silber, von 

M 3 ar: 
1!) De nat. deor.L.3.c. 19. 2) Bartoli Admir, 


94 I. Theil. Zweytes Kapitel. 


Warburton 1) für eine Arbeit gehalten wird, "welche zu Nom 
gemacht worden: Diefes Worgeben aber feheinet Feinen Grund zu 
haben, und ift mir zum Behuf feiner Meynung angenommen; 
denn Diefes Werk hat alle Zeichen des Altern Agnptifchen Stils. 
ei Nebft den Statuen und erhobenen Werfen gehören hier- 
"Stan. her die Canopi, Die insgemein aus Bafalt gearbeitet worden, nebft 
gefchnittenen Steinen, Die fo wie jene mit agnptifchen Figuren und 
Zeichen befeget find. Won Canopen befindet fich einer im 
Muf. Capit. Die zween ſchoͤnſten aber, Die fo wie jener, aus grüs 
nem Baſalt, verfertiget worden , ftehen unter Den Seltenheiten 
des Malo, von welchen Der befte auf dem Xorgebürge Circeo 
zwifchen Nettuno und Terracina gefunden, und bereits bekannt 
gemacht worden 2); ein anderer ähnlicher Canopus ans eben 
dem Steine, ftehet im Campidoglio, und iſt in der Villa Mas 
driani zu Tivoli entdecfet worden. Won dem Alter Diefer Ge 
ftalten Fan man theils aus der Zeichnung, theils aus der Arbeit 
und nicht weniger aus dem Mangel der Hieroglyphen fchliefen. 
Die Zeihnung fonderlid Des Kopfs der Canopen ift vollig im 
griechifchen Stil; Die erhobenen Figuren auf dem Bauche aber 
find Nachahmungen aͤgyptiſcher Figuren: Die Arbeit Derfelben 
ift erhoben, und folglich nicht von ägnptifchen Künftlern gemacht, 
deren erhobene Figuren innerhalb Der Fläche des Steing Tiegen, 
in welchem fie gehauen find, Unter den gefchnittenen Steinen 
find alle dieſe Scarabei, Deren erhobene Seite einen Käfer, erho- 
ben gefchnitten , Die flache aber eine vertieft gearbeitete aͤgyptiſche 
Gott⸗ 


1) Effay fur les Hierogl. p. 294. 2) Monum. a Borion. colledt. n. 3. 


on der Kunft unter den Aegyptern IC, 95 


Gottheit vorftellet, von fpäteren Zeiten. Die Seribenten, wel: 
ehe dergleichen Steine für ſehr alt halten 1), haben Fein anderes 
Kennzeichen vom hohen Alterthume, als Die Ungeſchicklichkeit, 
und von aͤgyptiſcher Arbeit gar keins. Kerner find alle gewohn- 
liche gefchnittene Steine mit Figuren oder Köpfen Des Gerapis 
und Anubis von der Nömer Zeitz unter welchen Serapis nichts 
ägnptifches hat, fonden der Pluto der Griechen ift, wie ich im 
vierten Capitel beweifen werde; und man ſagt auch, Daß der 
Dienft diefer Gottheit aus Thracien gekommen, und allererft 
durch den erften Ptolemäus in Aegypten eingeführet worden. 2). 
on Steinen, die das Bild des Anubis führen, befinden fich 
funfzehen in dem ehemaligen Stoſchiſchen Mufen, und find insge— 
geſammt von fpäterer. Zeit. Die anderen gefcehnittenen Steine, 
die man Abraxas nennet, find iso durchgehends für Gemächte 
der Gnoſtiber und Bafilidianer aus den erften hriftlichen Zeiten 
erkläret, und nicht würdig, in Abficht der Kunft, in Betrach— 
tung gezogen zu werden. 

In der Bekleidung der Figuren, Die Nahahmungen der 
älteften Aegyptiſchen find, verhält es fid) allgemein, wie mit 
der Zeichnung und der Form des Nackenden derfelben. Eini— 
ge männliche Figuren find, wie die wahren ägnptifchen, nur 
mit einem Schurze angethan, ausgenommen diejenige, Die, wie 
ich gedacht habe, an dem befchornen Kopfe eine Locke auf der 
rechten Seite hängen hat, als welche ganz nadend ift, fo wie fid) Eei- 

ne 


3) Nitter Pier. grav. fig. 3. 2) Macrob. Satum. L. », c. 7. p. 179. conf. 
Huet. Dem. Evang. Prop. 4. c. 7: P. 10% 


bb. in Abſicht 
der Beklei⸗ 
dung. 


96 I. Theil. Zweytes Kapitel, 


ne alte Figur der Aegypter findet. Die weiblichen Figuren ſind, 
wie jene, ganz gekleidet, auch einige nach der aͤlteſten Art, ſo, 
Daß Die Bekleidung durch einen Heinen Vorſprung an den Bei⸗ 
nen, und Durch einen Rand am Halfe, auch oben auf den Ar⸗ 
men angedeutet worden; von dem Unterleibe hänget an einigen 
diefer Figuren eine einzige Falte zwifchen den Beinen herunter; 
über eine folche Bekleidung haben andere Figuren einen Man: 
tel auf der Bruft gebunden , nach eben Der Art wie ich oben an⸗ 
gemerket habe. Als etwas befonders ift eine männliche Figur 
von ſchwarzem Marmor, in der Villa Albani zu bemerken, von 
welcher der Kopf verloren gegangen ift, welche nach Art Der Wei- 
ber geFleidet iſt; Das männliche Gefchlecht hingegen iſt Durd) Die 
unter dem Gewande erhobene Anzeigen Deffelben Fenntlich. 

Diefes find die drey Abſaͤtze dieſes zweyten Stüds von 
den Stil der aͤgyptiſchen N und der Nachahmung Agyp- 
tifcher Werke. 


* * 


Im. Das dritte Stuͤck dieſes weyten Abſchnittes, betrift den 


(Be Seil Ye der mechanifchen Theil derfelben, und zwar zum erften in Der Bild— 

agyptifchen 

Sant, hanerey , und zum zweyten in der Malerey. Bey beyden 

In der Bit: Kuͤnſten wird fowohl die Materie, als die Art und Weiſe Der 

2 Bon Aue Ausarbeitungen betrachtet. 

— In Abſicht der Ausarbeitung berichtet Diodorus ), daß 

en" die aͤgyptiſchen Bildhauer den noch unbearbeiteten Stein, nad) 
dem fie ihre feſtgeſetzte Maaß auf Denfelben getragen, auf Deflen 

Mittel 


Lib. ı. ad fin. 


Bon der Künft ımter den Aeghptern ꝛc. 57 


Mittel von einander gefaget, und Daß fi) zween Meifter in die 
Arbeit einer Figur getheilet. Nach eben der Art follen Telecles 
und Theodorus aus Samos, eine Statue des Apollo von 
Holz, die zu Samos in Griechenland ftand, gemachet ha— 
ben; Zelecles die eine Mälfte zu Ephefos, Theodorus Die 
andere Mälfte, zu Samos. Diefe Statue war unter der Hüfte 
bis an die Schaam herunter , auf ihr Mittel getheilet, und her: 
nad) wiederum an dieſem Orte zufammengefeet , fo Daß beyde 
Stüde vollfommen aufeinander paffeten D: Sp und nidf an— 
ders kann der Sefchichtfchreiber verftanden werden. Denn ift «8 
glaublic) , wie e8 alle Ueberfeser nehmen, daß die Statue von 
dem Wirbel bis auf Die Schaam getheilet gewefen, fo wie Jupi⸗ 
ter; nach der Fabel, das erfte Geſchlecht doppelter Menfchen von 
oben mitten durch gefchnitten 2)? Die Aegypter würden ein fol- 
ches Werk eben fo wenig, als den Menfchen, den ihnen der erfte 
Ptolemaͤus fehen ließ, welcher auf Diefe Art Halb weiß und Halb 
ſchwarz war 3), gefchäßet haben. Zum: Benfpiel meiner Erflä- 
rung Fan ich Den mehrmal erwähnt Agyptifchen Antinous des 
REM Eapitolini anführen, als welcher aus zwo Hälften befte- 


1) Man leſe an ſtatt xura Tp,0g0p99 , ward mp vopw, (+) und bedenke, bet, Rd 
ra niemals von einer: Bewegung von etwas an, fondern vom Berhältniffe 
und von Folge gebrauchet wird. Rhodomannus und Weſſelings Muthmaffung 
auf xoeupp kan gar nicht fintt finden ; Die alte Lesart oeopm kömmt ber 
wahrfcheinlichen Richtigkeit naher. 2) Plato Conviv. p, 190. D. 

4) Ariftot. Hift. Anim. L, ı. p. 19.1. 4. ed, Sylburg. Exousa rouras yusıe 
acu 00V, aa midbıos amı ıoxıov. conf. Herodot. L, 3, p- 66.1. 14, 

“ „.3) Lucian. Prometh. c. 4. $. 28. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. N 


98 I. Theil, Zweytes Kapitel. 


het, Die unter Der Müfte, und unter dem Nande des Schurzes 
zufammengefeetfind, und alfo als eine Nachahmung Der Aegyp⸗ 
ter auch) in Diefem Stücke anzufehen wäre. Diefer Weg zu ar- 
beiten aber müßte nur bey einigen colofalifchen Statuen gebrau- 
chet worden ſeyn; weilalle andere agnptifche Statuen aus einem 
Stüde find; es redet aber Diodorus felbft von vielen äguptifchen 
Esloffen aus einem Stüde 1), don denen ſich noch big it eini- 
ge erhalten haben 2): unter jenen war die Statue Königs Oſy⸗ 
manthya, Deren Füße fieben Ellen in der Länge hatten. 

Alle übrig gebliebene aͤgyptiſche Figuren find mit unend- 
lichen Fleiße geendiget, geglättet und gefchliffen, und eg ift Fei- 
ne einzige mit Dem bloßen Eifen völlig geendiget, wie es einige der 
beften griechifchen Statuen in Marmor find; weil auf dieſem 
Mege dem Granite und Dem Bafalte, Da diefe Arten Steine aus 
ungleichen Theilen zufammen geſetzet find, Feine glatte Fläche zu 
geben war. Die Figuren an der Spitze Der hohen Obelisken find 
wie Bilder, Die in Der Nähe müffen betrachtet werden, ausge» 
führet; welches an Dem arberinifchen, und fonderlic) an Dem 
Dbelisko der Sonnen, welche beyde liegen, zu fehen iſt. An die 
fein ift fonderlic) das Ohr des Sphing mit fo großem Verftändniffe 
und Feinheit ausgearbeitet, daß fid an griechifchen erhobenen 
Arbeiten Fein fo vollfommen geendigtes Ohr findet. Eben Diefen 
Fleiß fieht man an einem wirklich alten aͤgyptiſchen gefchnittenen 
Steine des Stoſchiſchen Mufei 3), welcher in der Ausarbeitung den 

beften 


i) L. 1.p. 44. 1. 37. P. 44. 1. 17. p. 45. 1. 20. p. 55.1.6. 2) Pocock'sDefer. 
oftheEaft, T.1.p. 106. 5) Defer.desPier. grav. du Cab; de Stofch,p. 13. 


Don der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 99 


beften griechifchen gefchnittenen Steinen nichts nachgiebt. Es 
ftellet diefer Stein, welcher ein außerordentlich ſchoͤner Onyr ift, 
eine ſitzende Sfis vor, und ift nad) Art der Arbeit auf den Obe— 
lisfen , gefchnitten; und da unter Der oberen fehr dünnen Lage 
von braunlicher und eigener Farbe des Steins, ein weißes Blätt- 
gen lieget, fo find bis dahin Geficht, Arme und Hände, nebft 
dem Stuhle , tiefer gearbeitet, um dieſes weiß zu haben. 

Die Mugen höhleten die aͤgyptiſchen Künftler zuweilen aus, 
um Die Augaͤpfel von befonderer Materie hineinzufegen , wie man 
an einem Kopfe in der Villa Albani, und an der Iſis des zwey— 
ten agnptifchen Stils im Muf. Capitolino fiehet. An einem an- 
dern Kopfe der Villa Albani aus dem fchönften röthlicyen und 
Heinförnigten Granite find die Augäpfel mit fpitsigen Eifen geen- 
digt, und nicht wie der Kopf felbft geglättet. 

Die übrigen Werke der aͤgyptiſchen Bildhauerey beftehen bb. der einge 
in Figuren, dieeingehauen und zugleich erhoben find, das iſt, fie senun vrre 
find erhoben an und vor ſich felbft, nicht aber in Abficht der Wer: in 
fe, worinn fie gearbeitet find: Denn fie liegen innerhalb der Fläche 
Derfelben. Arbeiten aber, Die wir erhobene nennen, wurden von 
den Künftlern Diefer Nation nur in Erst gemachet, deren Form 
und Guß Diefelben bildete, von Diefer Art Werke findet fich ein 
Waflergefaß , oder Eimer mit einem Henkel, welches bey den Opfern 
gebrauchet wurde, und bey den römifchen Seribenten, wo Diefe 
von aͤgyptiſchen Gebraͤuchen reden, Situla heißt, von demjenigen 
aber, der cs zuerft bekannt gemachet hat, ivrig für dasjenige an- 

gege⸗ 
8 


100 J. Theil. Zweytes Kapitel. 


gegeben worden, was Vannus Jacchi genennet wird 1). Der 
nachherige Beſitzer dieſes Gefaͤßes, der beruͤhmte Graf Caylus, 
hat daſſelbe beſchrieben 2), und ich werde unten von demſelben zu 
reden Gelegenheit haben. Wenn ich aber behaupte, daß die ei- 
gentlichen ägpptifchen erhabenen Werke nur allein in Erst gear- 
beitet worden, weiß ic) fehr wohl, Daß fich erhobene Arbeiten 
in aͤgyptiſchen Steinen finden, wie die Canopen von grünlichemn 
Baſalt find; es erinnere fich aber der Lefer, Daß ich Diefe Arten 
von Figuren unter Die neueren Nachahmungen geſetzet habe, Die 
zu Der Römer Zeit gemachet worden find. Man Eönte mir hier 
das Gegentheil anzeigen wollen, an einem weiblichen Kopfe in 
weißem Marmor, von der älteften ägyptifchen Kunſt, welcher auf 
dem Campidoglio an der Wohnung des Senators eingemanert 
ſtehet, weil derfelbe nicht nad) agnptifcher , fondern nad) griechi- 
fcher Art erhoben, gearbeitet fcheinet. Betrachtet man aber die— 
fen Kopf Durch ein gutes Fernglas, fo entdedet fi), Daß von ei- 
nem groben Werke Diefer bloße Kopf übrig geblieben ift, welchen 
man in neueren Zeiten auf eine Tafel von Marmor gefetet hat, 
fo daß derfelbe ehemals ebenfalls innerhalb des Marmors , wor: 
inn er gearbeitet worden, erhoben gewefen ſeyn wird. 

Was zum zweyten die Materie betrift, in welcher Die 
aͤgyptiſchen Werke gearbeitet find, fo finden ſich Figuren von gee 
brannter Erde, von Holze, von Steine und von Erzte. 


Non 


ı) Martin explic. des Monum. fingul, p. 144. a) Caylus Recueil d’Anti- 
quites, T.6. p. yo. 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. ‚101 
Won Fleinen Figuren in gebrannter Erde findet fich, wie 5. Son der 


erie, in 


der Graf Caylus berichtet 1), eine große Menge in der Inſel — die 
Cypern, weil dieſelbe den Ptolomäern unterworfen war, und Sinner gear 
alfo auch mit Aegyptern wird beſetzet gewefen feyn. Es find en 
aud) verfchiedene Diefer Figuren, in dem wahrhaftigen alten Stil N 
ihrer Künftler gearbeitet, und mit Hieroglyphen bezeichnet, in 

dem Tempel der Iſis zu Pompeji entdecket worden; und ich felbft 

beſitze fünf Heine ſolche Priefter der Iſis, und noch mehrere be— 

finden fid) in Dem Muſeo Hrn. Hamiltons, gevollmächtigten 
Großbrit. Minifters zu Neapel, Die alle einander ähnlich, und 

mit einem grünen Schmelze oder Slätte überzogen find. Es hal- 

ten dieſe Figuren in den Ereuzweis auf der Bruſt gelegten Haͤn— 

den, in der linken einen Stab, und in der rechten, nebft Der ge— 
wöhnlichen Peitfche, ein Band, woran hinten aufder linken Schul 

ter ein Taͤfelchen Hänger. Diefes Täfeldyen ift an zwo größeren 

Figuren dieſer Art, in dem hereulanifchen Mufeo mit — 

phen bezeichnet, wie man deutlich ſiehet. 

Hoͤlzerne Figuren, nach Art der Mumien geſtaltet, wer— bb. Iu Bois. 
den in verſchiedenen Muſeis verwahret, und drey derſelben beſi— 
tzet das Muſeum des Collegii Romani, von welchen die eine 
uͤbermalet iſt. 

Der aͤgyptiſchen Steine giebt es verſchiedene Yeten, ec. In Stei⸗ 
wie befannt ift , namlich Granit, Baſalt, Alabafter und Por— E Der Gen 
phyr. Der Granit ift von zmofacher Art, naͤmlich der weiße 
und fchwarze, und der rothe und weißliche; Der erftere findet ſich 

N 3 in 


ı) Ibid. T..4, p. #3. 


6. Bafalt, 


102 1. Theil. Zweytes Kapitel, 


in vielen Ländern, aber nicht fo vollfommen von Farbe und von 
Härte, als der ägyptifche, der zweyte Granit aber ift allein 
aus Aegypten gefommen. Aus diefem Sranite find alle Obelis- 
fen gehauen, und eg finden fich viele Statuen aus demſelben ge 
arbeitet, unter andern drey Der größten Statuen im Mufeo Ca- 
pitolino. Aus fchwärzlichem Granite ift die große Iſis an eben 
dem Drte , und nebft dieſer ift die größte Figur ein angeführter 
Anubis der Villa Albani, *) ohne die andern anzuführen. 

Der gewöhnliche Bafalt ift ein Stein, der mit der Lava 
des Veſuvius, womit ganz Neapel gepflaftert ift, auch mit den 
Nflafterfteinen der alten roͤmiſchen Straffen zu vergleichen ift, 
und eigentlich zu reden , ift der Bafalt eine Dirt gleichfärbiger 
Kaya, fo wie e8 Diefe noch itzo am häufieften ift. Es finden 
fi) aber zwo Arten von Baſalt, nämlich der fchwarze, als 
der gewöhnliche, und der grünliche. Aus jenem find fonderlich 
Thiere gearbeitet, als die Löwen am Dufgange zum Campi- 
doglio, und die Sphinxe in der Villa Borghefe. Die zween 
größten Sphinxe aber, einer im Vaticano, Der andere in 
der Villa Giulia, beyde von zehen Palmen lang, find von 
röthlihem Granite. Aus ſchwarzem DBafalte find unter an: 
dern Die zwo angeführten Statuen Des folgenden und fpätern 

aͤgypti⸗ 
H Es iſt uͤberflußig anzumerken, daß ein großer Gelehrter, (a) und ein neuerer 

Reiſender Cb) ſich Haben träumen laſſen, daß der Granit buch Kunſt gemacht 

fey, In Spanien ift sin Ueberfluß von allerhand Art Granife, und es if 

der gemeinfte Stein daſelbſt; es finder ſich derſelbe auch in Deutfchland und in 


andırn Ländern. 
(3) Scalig, in Scaligeran, (b) Motiaye Voy. T. 2. p. 224 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. 103 


aͤgyptiſchen Stils im Campidoglio, und einige Fleinere Figuren. 
Der gruͤnliche Bafalt findet ſich von verſchiedenen Stufen in die— 
fer Farbe, und auch von verfhiedener Härte, und «8 haben 
nicht weniger aͤgyptiſche als griechifche Künftler in Diefem Steine 
gearbeitet. Von aͤghptiſchen Figuren befindet fich ein Heiner 
fisender Anubis im Mufeo Capitolino; ferner Schenkel und Die 
untergeſchlagene Beine in der Villa Altieri, und eine ſchoͤne Ba— 
fe mit Hieroglyphen, und den Füßen einer weiblichen Figur auf 
derfelben in dem Mufeo des Collegii Romani: Köpfe aus dieſer 
Art Baſalt fiehet man in der Villa Albani, und Altieri, und 
ich) felbft befitze einen Kopf mit einer Mitra bedecket. Aus eben 
Diefem Steine find Nahahmungen ägpptifcher Werke in ſpaͤtern 
Zeiten gemachet, wie die Canopi find. Won griechiſchen Wer— 
Een find mir bekant ein Kopf eines Jupiters Serapis, inder Vil⸗ 
fa Albani, welchem das Kinn mangelt, und wegen der Selten 
heit des Steins von völlig ähnlicher Farbe, noch nicht hat Fö- 
nen ergänget werden; ferner ein Kopf eines Ningers mit Pan: 
eratiaften Ohren, Den der itzige malthefifche Gefandte zu Nom 
befiget, und von der ſchwarzen Art befitze ich) felbft einen fchönen 
aber verftünimelten Kopf; über beyde wird im zweyten Theile Dies 
fer Gefchichte eine Muthmaffung bengebracht. | 
Außer dieſen gewöhnlichen Steinen finden ſich aud) Figu- year. 
ren in Mlabafter, Porphyr, Breccia, Marmor, und Plafına 
von Smaragd. Der Alabafter wurde bey Theben in großen 
Stuͤcken gebrochen z), und es findet ſich eine fitsende Iſis, mit 
dem 
x) Theophraft. Eres. de Lapid. p. 392. 1. 24, 


104 I. heil? Zweytes Kapitel. 


dem Drus auf ihrem Schoße, von etwa zween Palmen hoch, 
nebft einer andern Eleinern firenden Figur, in dem Mufeo des 
Collegii Romani. Won Statuen von Mabafter ift nur die ein- 
zige vorher angeführte übrig, Die fich in der Villa Albani befin- 
Det, Deren Obertheil, welcher fehlete, aus einem hiefigen Land⸗ 
Alabafter ergänzet worden ift. 

Diefe Statue wurde vor ungefähr fünfzig Jahren gefun- 
den, da man Den Grund zu dem Seminario Nomano der Je— 
fuiten geub, in welcher Gegend vor Altersder Tempel der Iſis 
im Campo Martio war, und eben dafelbft , aber auf einem den 
Dominicanern zuftehenden Boden, wurde der oben angeführte 
Dfiris mit einem Sperberfopfe, im Pallafte Barberini, gefun: 
den I). Der Mlabafter jener Statue ift heller und weißer, als 
insgemein der andere orientalifche, wie Plinius 2) von dem 
aͤgyptiſchen Alabafter anzeiget: Der Verfaffer 3) einer Abhand- 
lung von foftbaren Steinen hat diefe Nachricht nicht gehabt, weil‘ 
er glaubet, Daß fid) Feine aͤgyptiſche Statue in Alabafter finde. 
Es wird außerdem Deffen Meynung, Daß, wenn irgend Die Ae— 
gypter Statuen aus Mlabafter gemacht hätten, fie müßten ſehr 
ſchmal und in Seftalt der Mumien gewefen feyn , Durch. Diefe Sta⸗ 
tue eingefchranfet. Die Bafe derfelben hat vier und einen halben 
römifchen Palm in der Lange, und eben fo viel beträgt Die Hoͤhe 
des Stuhls, auf welchem die Figur fiet, Die Baſe mit begriffen, - 
bis an Die Düften Diefer fizenden Figur. Wer da weis, Daß der 

Aue Ala⸗ 


i) Donati Roma, p. 6o. 2) L. 36, c. ı2. 
3) Ioan.deS, Laurent Dif, fopra l& pietre pref. digl’ant. P. =, c. 2: p. 29 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. 105 


Mabafter ſich aus einer verfteinerten Feuchtigkeit ergeuget, und 
von Den großen Schalen in der Villa Albani von sehen Palmen 
im Durchmeſſer gehöret bat, Fan ſich noch größere Stüde vor⸗ 
ftellen. Es wird auch Alabafter in alten Wafferleitungen zu 
Nom gebildet, und Da man vor wenigen Jahren einen Derfelben 
ausbefferte, welcher vor einigen Sahrhunderten durch einen Pabſt 
nah St. Deter war verführet worden, fand fich ein angeſetz⸗ 
ter Tarter in Demfelben, welcher ein wahrer Mlabafter ift, und 
der Kardinal Girolamo Colonna hat Tifchbläfter aus demſel⸗ 
ben fügen laſſen. Diefe Erzeugung des Alabafters Tann man 
auc in den Gewölbern Der Bäder des Titus fehen. 

Der Hlabafter des Untertheils bis an die Müften, wel 
cher weißlicht ift, und noch weißere gefchlängelte und wellenför- 
mige dern oder Lagen hat, iſt nicht zu verwechſeln mit ei— 
nem andern Mlabafter , Der ebenfalls bey heben, in Aegyp— 
ten, und bey Damaſcus, in Syrien , gebrochen wurde, und 
vom Plinius Onyx (nicht der Edelftein dieſeg Namens) ge 
nennet wird I), und anfänglich zu Prachtgefaͤßen, in der. fol- 
genden Zeit aber auch zu Säulen dienete. Dieſer Mabafter 
fcheinet derjenige zu feyn, deffen Lagen dem Agath-Onyx in 
gewiffer Maaße aͤhnlich find, Daher derſelbe vielleicht alfo benen- 
net worden. . Won Diefer Dirt Foftbarer Gefäße finden ſich ver: 
fhiedene in mancherley Größe, in der Villa des Han. Card, 
Alex. Albani, Deven einige Die Größe einer Amphora haben 

koͤ⸗ 
2), Plin. L. 36. c. ız. L. 37. C. 54. p. 405, R 


Winkelm. Geſch. der Kunft. O 


106 1. Theil. Zweytes Kapitel. 


Fönen (Plinius nennet ein Gefäß von dieſer Form Vas ampho- 
tale) 1) welche zu Cornelius Nepos Zeiten Die größten waren, 
Die man Damals gefehen hatte. Eins der fehönften folcher lan— 
gen Gefäße befiget Der Prinz Altieri, welcher es vor einigen Jah— 
ven beym Nachgraben in deſſen Villa bey llbano fand. Das 
größte Gefaͤß von Mlabafter, aber nicht von der Form einer 
Amphora, fondern in der Seftalt einer Birne, auch nicht von 
Dnyralabafter , fondern vielmehr von der erfteren weißlichern 
Art, befindet fic) in der Villa Borghefe, und dienete zur Ver: 
wahrung der Aſche, wie folgende Inſchrift auf Demfelben an- 
zeiget: 
P- CLAVDIVS- P- F- 
AP: N: AP-PRON': 
PVLCHER. Q- QAESITOR 
PR: AVGVR 
Diefe Infchrift ift, wenigftens in dem Gruterifchen Werke nicht 
befindlich. Deajenige, deſſen Afche Diefes prächtige Gefäß ent“ 
hielt, Fan Fein anderer feyn, alsder Sohn des berüchtigten Pub- 
lius Elodius, oder Claudius, welches man in dem Gefchlechts- 
vegifter des claudifchen Hauſes nachſuchen Fan. 
: Bon vor⸗ Don Porphyr finden ſich zwo Arten, der rothe vom Pli- 
Kam Arten nius Pyropoecilon genannt æ), und der grünliche, welches Der 
feltenfte und zumeilen mit Golde befpritset ift, welches Plinius 
von dem thebanifchen Steine fagete 3), von dieſer Art aber find 
feine Ziguren und nur Säulen übrig, weldjes die allerfelten- 


ften 


ı) Plin. L. 37, c. 10, a)L.36.c.43, 3) Plin. L. 36. c. 12. 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 107 


ften find. Zwo große Säulen ftehen in der Kirche, alle tre fonta- 
ne, zu den drey Quellen genannt, jenfeit der St. Paulficche, zwo 
andere find in Der Kirche zu St. Lorenzo außer Rom, dergeftalt 
eingemauret, daß nur eine geringe Spur von Denfelben fichtbar 
ift, und zwo Eleinere Säulen führete Fuentes, ein portugiefifcher 
Gefandter zu Rom, zu Anfang diefes Jahrhunderts, mit fid) 
nac) Vortugal. Mus Stüden von ſolchen Säulen befanden fich 
ehemals zwey große fchlecht gearbeitete neue Gefäße in dem Maus 
fe Verofpi, zu Rom. 

Man Eönte zweifeln , ob diefer Stein in Aegypten gebro- 
chen worden, da Fein einziger Neifender, fo viel uns wiſſend ift, 
von Porphyr= Brüchen in dieſem Lande Meldung thut; und Die: 
fer Zweifel veranlaffet mich, in einige Unterſuchung dieſes Steins 
hinein zu gehen, und was id) darzuthun hoffe, durch Huͤlfe der 
Kenntniffe, die ich von dem Granite habe, zu erklären. 

Es ift befannt, daß fich in vielen Ländern von Eu— 
ropa große Berge von Granit finden, fo Daß in Frankreich 
viele Mäufer ang diefem Steine gebauet find, ja in Spa- 
nien, auf dem Wege von Mlicante_ nad) Madrid, trift man 
nichts als Granit an. Da fi nud unter der Lava des Ve 
ſuvius Stüde von weißem Granite finden, Dieman zerreiben kan, 
und die den Stüden der vom Feuer zermalmeten großen Säule 
des Antoninus Pius ahnlich find, fo folge Daraus, Daß ein fol- 
cher Granit des Veſuvius entweder nicht völlig reif geworden, 
oder, welches glaublicher ift , durch ein neues Feuer Diefes Ber— 

8 
2:8 


++ Unterfus 
Kung von ben 
Lande und die 
Zeugung dieſes 
Steing, 


108 Lei, Zwehtes Kapitel, 


ges aufgelöfet worden fen. Wenn wie mit Diefer Erfahrung die 
Nachricht von Der Entzündung der Pyrenaͤen in Spanien ver- 
gleichen , aus welchen in uralten Zeiten das Silber in Strömen 
herab gefloffen feyn fol, und folche Entzündung als feurige Aus⸗ 
würfe Diefer Gebuͤrge anfehen, fo wird wahrfcheinlich, Daß der 
dortige Granit fo wohl, als der Granit anderer Länder durch 
fenerfpeyende Berge ergenget ſeyn müße, 

Diefes führet uns nachher zu der Erzeugung des Pors 
phyrs, weil aus dem, was ich anführen werde, Har ift, daß 
Diefer Stein auf gleiche Art wie der Granit entflanden ſey. Denn 
Herr Desmarets, ein erfahrner Naturkindiger, und Auffeher 
- der Manufakturen in Frankreich, hat in einigen Gebürgen Diefes 
Reichs, fonderlic) auf einem Berge unweit dev Stadt Aix in der 
Provence, rothen Porphyr entdedet, doc nur in Heinen Stüs 
cken, die in dem Granite, wie in der Muster eingefchloffen was " 
ren; und cben fo entdecket man in vielen Stüden Der Lava Des 
Veſuvius große Flecken von dem feinften ſchwarzgruͤnlichen Por⸗ 
phyr; ja man verfichert, daß fich rother Porphyr in den Gebüre 
gen von Dalecarlien in Schweden finde n). 

Wenn man alfo ahimmt, daß der Granit wie Die Bang 
entſtanden, fo folget aus der iso angeführten Entdeckung Des 
Porphyrs im Granite und in der Lava, daß aud) der Porphyr 
auf gleiche Art erzeuget fen, und daß folglich, wo fehöner Granit 
gefunden wird , auch Porphyr zu fuchen fep, und gefunden wor- 
den. Da nun in dem rothen Porphyr häufige Flecken von grün- 

lichem 


») Waller. mineralog. T. ı. p. rye, 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. 109 


lichem Porphyr erfcheinen, fo wird Diefer fo wohl als jener an ei⸗ 
nem und eben Demfelben Orte gebrochen feyn. 

Es koͤnte aber fcheinen, daß der Porphyr Fein Agypti- 
ſcher Stein fen, wie gemuthmaffet werden möchte, zum erften 
aus der Seltenheit äsyptifcher Figuren von dieſem Steine: Denn 
während meines Aufenthalts von mehr als zwölf Sahren in Rom 
hat ſich nur ein einziges Stuͤck einer kleinen aͤgyptiſchen Figur 

son rothen Porphyr und mit Hieroglyphen bezeichnet, gefun⸗ 
den, welches nod) iso bey einem Steinmetzen lieget. Dieſen 
Zweifel beftärket Die mie gegebene ſchriftliche Nachricht Des Nit- 
ters Wortley⸗Montagu, Daß fih in Unteraͤgypten Cbenn nad) 
Dberägypten erlaubeten Die Damaligen feindlichen Streifereyen 
der Araber in dieſem Theile, dieſem gelchrten Reiſenden nicht zu 
sehen) fehr felten ein Stuͤck Porphyr finde, und Daß er in den 
Truͤmmern unzähligen Städte nur hier und Da wenige Stuͤck⸗ 
gen dieſes Steins angetroffen habe. Ferner berichtet derſelbe, 
Daß er auf feiner -Meife von Cairo bis nad) dem Berge Sinai 
feine Spur von Porphyr entdecket habe; der St. Catharing- 
berg ‚aber „welcher eine Stunde Weges höher als jener Berg ift, 
beſtehe völlig aus dieſer Art Steine, fo Daß derfelbe ſchoͤner wers 
De. , je mehr man gegen Die Hoͤhe deſſelben gelange: von alten 
Bruͤchen aber fand fi) Feine Spar. ; Endlich haben wir die Nach⸗ 
vicht des Ariftides vor ung, welcher ausdruͤcklich ſaget, daß der 
Porphyr aus Arabien gekommen fey 1), und man müßte ale 
hieraus fchließen, Daß die Aegypter fo wohl, als vornehmlich die 
23 0 Roͤ⸗ 


Ariſtid. Orat. Aeg. Opp. T. 3. p. 387. C. 


110 1. Theil. Zweytes Kapitel, 


Roͤmer, als welche den Vorphyr häufiger verarbeitet, Diefen 
Stein in den arabifchen Gebürgen brechen haben laſſen. 

een Die übrig gebliebenen Statuen von rothem Porphyr find 
entweder als Werfe anzufehen,, Die unter den Ptolomäern von 
griechifchen Künftlern in Aegypten gearbeitet worden, wie ich im 
vierten Kapitel fowohl als auch im zweyten Theile Diefer Gefchich- 
te anführen werde, oder es find Diefelben zu der Zeit der römifchen 
Kaiſer gemachet: denn Die mehreften von Diefen ftellen gefangene 
Könige vor, mit deren Statuen die Triumphbögen und andere 
öffentliche Werke befeget wurden. 

Der Porphyr Fan wegen der unbäandigen Märte nicht, 
wie der Marmor, mit dem Meiffel, (Scalpello) oder mit der Schär- 
fe eines breiten Werfzeugs bearbeitet werden, fondern will mit 
Nickeifen, welche zugefpiset find, allgemad) und mit großer Ge- 
duld gehämmert fenn, bey welcher Arbeit von unmerklichem Sort- 
gange, dennoch bey jedem Schlage Feuerfunken auffpringen; 
wenn nun endlic) nad) unzählbarem wiederholten Dicken (fo Daß zu 
Endigung einer befleideten Statue ein einziges Jahr nicht zurei⸗ 
chete) die Vertiefungen aus dem gröbften herausgebracht worden, 
muß nachher alles mit Schmergel gezwungen werden, welches 
veiben und fchleifen von neuem mehr als ein Sahr erfoderte: denn 
mehrere Kuͤnſtler Einen nicht füglich zu gleicher Zeit an eben der 
Statue arbeiten. Da nun ein Werk aus diefem Steine von uns 
endlicher Zeit und Geduld ift, muß e8 ung befremden, daß ſich 
geſchickte griechifche KRünftler gefunden, die fich Diefer Pein und 
langen Weile unterworfen, in welcher Der Geift gefeffelt iſt, und 

die 


Bon der Kunft unter den Aegyptern ꝛc. 111 
die Mand fich ermüdet, ohne das Auge mit einigem Zortgange 


der Arbeit zu unterhalten und zu beluftigen. Um mic) aber no 


deutlicher über die angezeigte Bearbeitung diefes Steins zu er- 
klaͤren, gefchichet diefelbe auf folgende Weife. Die erſte Hand, 
wie man zu veden pfleget, wird demfelben mit langen und ftan- 
genförmigen Eifen, Die vieredigt zugeſpitzet find, gegeben, welche 
man Subbie nennet, wodurd) unmerflidy Heine Stuͤcke abfpringen. 
Hierauf, wenn das gröbfte abgetrieben ift, fängt man an mit 
hammerförmigen ſchweren Eifen , die an beyden Enden ſpitzig find, 
zu hauen, und endlich nad) Vollendung diefes zweyten Ganges, 
werden andere eben fo geformte Eifen genommen , die aber eine 
breite Schärfe haben, und mit diefen Werkzeugen übergehet man 
die Arbeit einigemal, bis man zuletzt zum Schleifen fchreiten Fan. 
Auf eben diefe Art werden Statuen und Säulen verfertiget, und 
die Künftler arbeiten insgemein mit einer befondern Art Brillen, 
um die Augen vor dem feinen Staube, welcher fich ablöfet, zu ver— 
wahren, auf gleiche Art verfähret man mit der fo genannten aͤgyp⸗ 
tifchen Breccia, Die jedoch nicht in allen ihren Theilen gleid) Hart iſt. 

Diefer Stein ift zu bemerken, obgleid) Davon nur cin ein- 
ziger Sturz einer Statue übrig ift. Es ift derfelbe eine Zufam- 
menfegung von unzähligen anderen Arten, und unter anderen 
von Stücken Porphyr beyderley Farbe, weldyes mid) veranlaffet 
zu glauben, daß derfelbe in Megnpten gebrochen worden. Es 
wurde dieſer Stein unter dem generifchen italiänifchen Worte 
Breccia begriffen , weldyes Wort weder die Cruſca, nod) der 
elende florentinifche Scribent Baldinucci erklären, wie bier und 

dort 


& Heguptifche 


Preccia, 


112 I. Theil. Zweytes Kapitel. 


Dort häfte gefchehen follen. Wir nennen Breccia einen Stein, 
der wie aus vielen zerbrochenen Stüden anderer Steine. beftehet, 
und dieſes ift, wie Menage vichtig bemerfet, der Grund deffen 
Benennung, welche derfelbe von dem deutfchen Worte brechen 
herleitet. Da man ägyptifche Steine in der Bildung Diefer Brec- 
cia fich vor anderen hervorthun, habe ich geglaubet, man muͤſfe 
derſelben den Namen einer aͤgyptiſchen Breccia beylegen. Die 
Hauptfarbe dieſes Steins iſt die gruͤne, von welcher hier unend⸗ 
liche Stufen, und Abweichungen bemerket werden, ſo daß ich 
verſichert bin, es haben niemals weder Maler noch Faͤrber Die 
ſelben hervorgebracht; und die Miſchung dieſer Farben muß wun⸗ 
derbar ſcheinen in den Augen derjenigen, die aufmerkſame Be: 
trachter der Zeugungen der Natur find. Der Sturz vorher ges 
dachter Statue ftellet einen fizenden gefangenen König vor, wel- 
er nad) Art barbarifcyer NWölker bekleidet ift, und es fehlet hier 
nichts, als Die äußeren Theile, der Kopf, und die Haͤnde, Die 
vermuthlich von weißem Marmor waren. Diefe Statue hat der 
Herr Kard. Alex. Albani in, einem befonderen kleinen Gebäude 
feiner Villa aufgeftellet , welches mit andern Werken von eben 
dem Steine gezieret ift. Auf beyden Seiten der Statuen ſtehet 
eine Säule, und vor derfelben eine große runde Schale von zehen 
Palmen im Durchfchnitte, aus eben dem Steine. Außer Diefen 
Stüden fiehet man in der Cathedralkirche zu Capua eine alte 
Dadewanne, aus eben ——— ee Die itzo anſtatt des 
Taufſteins dienet. 


Daß 


Bon der Kunf unter den Aegyptern ꝛc. 113 


Daß außer dem Granite, dem Porphyre und Dem Ala— — Mar 
bafter in Aegypten auch verfchiedene Arten von Marmor gebros 
chen worden, beweifen viele Dafelbft übrig gebliebenen Werke von 
weißem, ſchwarzem und gelblichem Marmor, deren Die Reiſebe— 
ſchreibungen diefes Landes gedenken. Mit weißem Marmor find 
Die langen und engen Gänge der größten Pyramide befleidet 1), 
welches ohne Zweifel Fein parifcher Marmor ift, wie fi Plinius 
hat berichten laffen 2). Won eben dem Marmor befindet ſich in 
dem Mufeo des Collegii Romani eine Tafel, die erhoben, aber 
nad) aͤgyptiſcher Art gearbeitet ift, und in meinen alten Denkma⸗ 
len befannt gemachet werden follen : diefes Werk iſt augenfcheinlich 
aus Der älteften Kunſt der Aegypter. Ich bin hingegen zweifelhaft 
über ein ungemein fleißig ausgearbeitetes kleines männliches Bruſt⸗ 
bild von etwa einen halben Palm hoch, mit einem Bartennd aus ei- 
nem weißen und reichen Marmor, den man Palombino nennet, wel 
ches in Dem hereulanifchen Muſeo verwahret wird, weil alle maͤnn⸗ 
lihe Statuen der Aegypter ein glattes Kinn zeigen, und weil 
Diefer Bart nach Art des Barts an griechiſchen Hermen gele— 
get ift. 

Aus Plasma di Smeraldo ift nur eine einzige Heine firen- 7 Tor Plas⸗ 
de Figur bekannt, deren Sodel ſowohl als die hintere Säule mit su. 
Hieroglyphen bezeichnet ift; es befindet fich Diefelbe in der Wille 
Albani, und ihre etwa anderthalbe Palme hoch: Diefer feltene Stein 

wird 


r) Norden voy. d’Egypt. P. I. p. 79. 2) Plin, J. 36. c. 19. $. 2. p. 304. 


wWinfelm, Geſch. der Runſt. P 


c. In Erzt. 


114 I. Theil, Zweytes Kapitel, 


wird insgemein für Die Mutter des Smaragds gehalten, das ift, 
die Hülle, worinn derfelbe verfchloffen liegen foll; es ift aber der- 
felbe weit härter, als aller Smaragd, welches umgekehrt feyn follte. 
Denn e8 pfleget fich mit Steinen wie mit Früchten zu verhalten, 
deren Schale weicher ift, als dasjenige was dieſelbe einſchließet; 
unterdeffen findet fich auch hiervon das Gegentheil, indem es 
große Feuerſteine giebt, Die verfteinerte Mufcheln, und alfo eine 
weichere Materie umgeben. 

Außer den aͤgyptiſchen Werken der Kunſt von Holze und 
Steing haben ſich einige in Erzt erhalten, und beftehen in Eleinen 
Figuren, in der fo genannten Sfifchen Tafel des Eöniglichen Mu: 
fei zu Turin, ferner in einem oben erwähnten DOpfergefäße, oder 
Waſſereymer, und in einer Kleinen länglic) viereckten Baſe von 
etwa anderthalb Palmen in der Länge mit eingegrabenen Figuren 
und Zeichen, die ſich in dem herenlanifchen Mufeo befindet. Won 
Kleinen Figuren hat fi) eine Menge in dem zu Pompeji entdedten 
Tempel der Sfis gefunden, und aus einer andern Figur in Dem 
Mufeo Hrn. Hamiltons fiehet man, Daß diefe kleinen Werke, um 
Diefelbe fefter ftehend zu machen, mit Bley ausgegoflen worden, 
Die Größe von diefer Art Figuren ift eine fig mit dem Orus 
auf ihrem Schooße, Die in dem Mufeo Des berühmten Grafen 
Eaylus war I). (Die freyftehenden Figuren von Erst wurden 
zuweilen mit Gipfe überzogen und vergoldet wie ein Kleiner Oſi⸗ 
vis zeiget, welchen eben derfelbe bekannt gemachet hat). Gedachte 
Baſe hat die wahre ägnptifhe Form der einfältigen Pfalzung, 

Die 


1) Caylus Rec, d’antiq. T. 1. p. 17. 


Bon der Kunft unter den Aegyptern dc. 115 


die allen Bafen und Gebäuden diefer Nation eigen ift, und ftel- 
let auf der vorderen Seite in der Mitte ein langes Fahrzeug vor, 
von aͤgyptiſchem Schilfe gebunden, in Deffen Mitte ein großer Vo— 
gel fitet, und an dem Wordertheile fizet eine Figur platt auf dem 
Boden, an dem Hintertheile aber ftehet ein Anubis mit einem 
Hundskopfe und führet diefes Fahrzeug. Auf beyden Seiten defz 
felben ſitzen weiblicdye Figuren mit vorwärts geftrediten Zlügeln, 
die an der Düfte angeleget find, und ihnen Die Füße bedecken, fo 
wie die Figuren auf malthefifhen Münzen a als auf der 
Iſiſchen Tafel. 

Zu Ende diefes Stüds, und nad) Betrachtung der Me— =. — 
chanik in der Bildhauerey, iſt dasjenige anzumerken, was uns ee. 
von der Artund Weife der agyptifchen Malerey befannt ift, und tn Munien, 
man wird hier leicht verftehen , Daß ich vornamlid) von Den be— 
malten Mumien rede. Im Unterfuchung diefer Malerey berufe 
ic) mic) auf den unfterblichen Caylus, welcher Diefelbe mit gro: 

Gem Sleiße , fonderlich üder die Farben, gemachet hat, deren man 
ficd) hier bedienet 1); und ic) habe deffen Bemerkungen an foldyen 
Mumien, die ic) felbft gefehen, richtig befunden. 

Die Farben find alle in Waſſer zerlaffen und mehr oder 
weniger mit Gummi angemachet, und es find Diefelben alle ohne 
Mifhung angebracht. Man zählet derfelben ſechs, das weiße, das 
ſchwarze, das blaue, das rothe, das gelbe und das grüne, dag rothe 
und Das blaue aber find Die, welche am haufigften erfcheinen, und 
ziemlid) grob gerieben find. Das weiße, welches aus Dem gemeinen 

P 2 Bley⸗ 


») Caylus Rec, d'antiq. T. 3. p- =>. 


b. Der ge 
malten Ges 
bäude, 


IV. 
Schluß dieſes 
erſten Ab⸗ 
ſchnittes. 


116 L Theil, Zweytes Kapitel, 


Bleyweiß beftehet, machet den Ueberzug der Leinewand der Mu— 
mien, und ift.hier Dasjenige, was unfere Maler die Gründung 
nennen; fo Daß Die Umriße der Figuren aus dieſem weißen Grun— 
de mit ſchwarzer Farbe gezogen find, und das was weiß fen foll, 
machet eben derfelbe Grund. 

Diefe Art der Malerey aber ift fehr unbeträchtlich in 
Vergleichung derjenigen, mit welcher nad) Nordens Berichte, in 
Oberaͤgypten ganze Dalafte und deren. Säulen von zwey und 
dreyßig Zuß im Umfange, völlig gezieret und bededet find, ders 
geftalt daß ſich demalte Waͤnde von achtzig Fuß hoc) mit coloffa= 
lifchen Figuren finden. Die Farben diefer Gemälde find, wie 
auf den Mumien, ungebrochen und ungemifchet, eine jede vor ſich 
aufgefeet, aber auf einem Grunde und vermöge eines Küttes, 
welche Die Dauer der Farben verewiget haben, fo Daß Diefelben 
ſowohl als die Wergoldung einige taufend Jahre hindurch vollig 
frifch ftehen und durch Feine Gewalt von den Wänden und 
Säulen abgelöfet werden Fönen. 

Sc) ſchließe Diefe Abhandlung über die Kunft der Aegyp⸗ 
ter mit der Anmerkung, Daß niemals Münzen diefes Volks ent- 
decket worden, aus welchen Die Kenntniß ihrer Kunft hätte koͤnen 
erweitert werden; denn die bekannten ägppfifchen Münzen fangen 
allererft nad) Mlerander dem Großen anz und man könte Daher 
zweifeln, ob die alten Aegypter geprägte Münzen gehabt häften, 
wenn fid) nicht einige Anzeige bey den Scribenten fande, wie Der 
fogenannte Obolus ift, welcher den Todten in den Mund geleget 
wurde; und Dieferwegen ift an Mumien, fonderlic) den übermals 

ten, 


Bon der Kunſt unter den Aegyptern 2c, 117 


fen, wie die zu Bologna ift, der Mund verdorben, weil man in 
demſelben nad) Münzen gefuchet. Diefes gefchahe an Diefer oben 
gedachten Mumie, in Gegenwart des Hrn. Rardinals Aley. AI 
bani durch den Miſſionarius felbft, welcher Diefelbe jenem zum 
Geſchenke überbrachte: denn fo bald dieſer Mönch fein Geſchenk 
unverfehrt hatte fehen laffen, und man die Mumie eine Zeitlang 
betrachtet hatte, riß er plößlich, und bevor die Umftehenden Zeit 
haften e8 zu verhindern, den Mund derfelben auf, fand aber nicht 
was er füchete. Pococke ı) redet von drey Münzen, Deren Alter 
er nicht anzeiget; das Gepräge derfelben aber ſcheinet nicht vor 
der perfifchen Eroberung von Aegypten gemacht zu feyn. 

Zuletzt erwäge man, daß die Gefchichte der Kunft der 
Aegypter, in heutiger Geftalt des Landes derfelben, mit einer 
großen verödeten Ebene zu vergleichen ift, weldye man aber von 
zween oder drey hohen Thürmen überfehen Fan. Der ganze Um— 
fang der alten Agnptifchen Kunft hat zwo Perioden, und aus 
beyden find uns Stüde übrig, von weldyen wir mit Grunde über 
Die Kunft ihrer Zeit urtheilen Eönen. Mit der griechifchen und 
hetruriſchen Kunſt hingegen verhält es fic) , wie mit ihrem Lande, 
welches voller Gebürge iſt, und alfo nicht Fan überfehen wer— 
‚den; und Daher glaube ich, Daß in gegenwärtiger Abhandlung 
von der ägyptifchen Kunſt, derfelben Das noͤthige Licht gegeben 
worden. 


Der 


a 
u 


1) Defer. of the Eift, T. 1. p. 9a 


X 


118 I. Theil. Zweytes Kapitel. 
Der zweyte Abfchnitt. 


Bon der Kunſt unter den Phöniciern und Perfern, 


on der Kunft Diefer beyden Voͤlker ift, außer hiftorifchen 
Nachrichten, und einigen allgemeinen Anzeigen, nichts be— 
ftimmtes über alle einzelne Theile ihrer Zeichnung und der Sigu: 
ven zu fagen; es ift auch wenig Hoffnung zu Entdeckung großer 
und beträchtlicher Werke der Bildhaneren, aus welchen mehr Licht 
und Kenntniß zu fchöpfen wäre. Da fich aber von den Phöni- 
ciern Münzen, und yon den perfifchen KRünftlern erhobene Arbei— 
ten erhalten haben, fo konten dieſe Voͤlker in dieſer Gefchichte 
nicht gänzlich mit Stillſchweigen übergangen werden. 


* 
Bon a Kun Die Phönicier bemohneten die fchönften Küften von Aſien 
ver Ptonieier· und Afrika am mittelländifchen Meere, Caußer andern eroberten 
onderfatur Ländern) und Carthago, ihre Pflanzftadt, welche , wie einige 


Bildung der wollen, ſchon funfzig Jahre vor der Eroberung von Troja gebauet 


Einwohner 


— geweſen 1), lag unter einem fo immer gleichen Himmel, daß, nad) 
md Dem Berichte Der neuern Neifenden, zu Tunis, mit welchem Or⸗ 
te jene berühmte Stadt graͤnzete, der Thermometer allezeit auf 
dem neun und zwanzigften oder dreyßigſten Grade ftehet 2): Da⸗ 
her muß Die Bildung dieſes Wolks, welches, wie Herodotus 3) 
faget, Die gefündeften unter allen Menfchen waren, fehr regelmä= 
Big, und folglich Die Zeichnung ihrer Figuren diefer Bildung 

ge⸗ 
1) Appian. Libyc. p. 13.1.3. a) Shaw. Voy. T.L 3)L,4.p. 178. 

l. 30. 


Bon der Kunſt unter den Phoͤniciern ꝛc. 119 


gemäß gewefen fenn. Livius 1) vedet von einem anperordentlic) 
fhönen jungen Numidier, welchen Scipio in der Schlacht mit 
dem Asdrubal bey Bäcula in Spanien gefangen nehm; und Die 
berühmte punifche Schönheit, Sophonisba, des Asdrubals Tod): 
ter, welche zu erft mit dem Syphax, und nachher mit dem Maſi— 
niſſa vermählet war, ift in allen Gefchichten bekannt. 

Diefes Volk war, wie Mela 2) faget, arbeitfam, und 
hatte fich in Kriegs» und Friedensgefchäften fo wohl, als in Wiß 
fenfchaften und in Schriften über diefelben, hervorgethan. Die 
Wiſſenſchaften blüheten ſchon bey ihnen, da die Griechen noch 
ohne Unterricht waren, und Mofchus 3) aus Sidon foll ſchon 
vor dem trojanifchen Kriege die Atomen gelehret haben. Die 
Aftronomie und Nechenkunft wurde bey ihnen, wo nicht erfunden, 
doch höher, als anderwärts, gebracht. Vornehmlich aber find 
die Phönicier wegen vieler Erfindungen in den Künften 4) be 
ruͤhmt, und Homerus 5) nennet daher Die Sidonier große Kuͤnſt—⸗ 
ler. Wir wiffen, daß Salomon phönicifche Meifter kommen ließ, 
den Tempel des Herrn und das Haus des Königs zu bauen, 
und noch bey den Nömerw wurden die beften Geräthe von Holz, 
von punifchen Arbeitern gemachet; Daher ſich bey ihren alten 
Scribenten von punifchen Betten, Fenftern , Preffen und: Fu— 
gen Meldung findet 6). 

Der 


ı) L, 27. ca 19. s)L. ı.c.ıs, 3) Strab. Geogr. L. 16. p. 757. D. 
4) conf. Bochart. Phal. & Can. L. 4. c, 35. 5). 4» 743, 6) conf. 
Scal. in Varton. de re ruft. p, 261. 262, 


120 L heil, Zweytes Kapitel. > 


Der Ueberfluß nährete die Künfte: denn «8 ift bekannt, 
was die Propheten von der Pracht zu Tyrus reden. Es was 
vendafelbft, wie Strabo berichtet, noch zu feiner Zeit höhere Haͤu⸗ 
fer, als felbft in Nom; und Appianus faget, Daß in der Byr- 
fa, dem inneren Theile der Stadt Carthago, die Haͤuſer von 
ſechs Geſtock geweſen 1). In ihren Tempeln waren vergoldete 
Statuen, wie ein Apollo zu Carthago war 2); ja man redet von 
goldenen Säulen, und von Statuen von Smaragd. Living mel: 
det von einem filbernen Schilde von hundert und dreyßig Pfund, 
auf welchem das Bildniß des Asdrubals, eines Bruders des 
Hannibals, gearbeitet war 3); es war Derfelbe im Capitolio 
aufgehaͤnget. 

Ihr Handel gieng durch alle Welt, und es werden die 
Arbeiten ihrer Kuͤnſtler allenthalben umher gefuͤhret worden ſeyn. 
Selbſt in Griechenland auf den Inſeln, welche die Phoͤnicier in 
den aͤlteſten Zeiten beſaßen, hatten ſie Tempel gebauet: auf der 
Inſel Thaſos HD den Tempel desjenigen Hercules, welcher noch 
älter war, als der griechiſche Hercules. Es wäre Daher wahr⸗ 
ſcheinlich, daß die Phönicier, welchennter den Griechen Die Wif- 
fenfchaften eingeführet 5), auch die Rünfte, Die bey ihnen zeitiger 
mußten geblühet haben, in Griechenland gepflanzet hätten, wenn 
andere oben gegebene Nachrichten Damit beftehen Fönten. Beſon— 
Ders zu merken ift, daß Appianus von Sonifchen Säulen am Ar⸗ 
fenale im Hafen zu Carthago Meldung thut 6), Mit den Hetru⸗ 

viern 


2) Libye. p. se. 12. =) Ibid,p.57. 1.40. 3) L. 25. cc. 39. 4) Hero» 
dot.L.2. p- 67.1. 54. 5) Ibid-.L.5.p.194.1. 22. 6)Libyc. p. 45- J. 8. 


Bon der Kunſt unter den Phoniciern 2c, 121 


viern hatten Die Phoͤnicier noch größere 1) ©emeinfchaft, und jene 


waren unter andern mit den Carthaginenfern verbunden, da diefe 


zur See vom Könige Hiero zu Syracus geſchlagen wurden. 

Bey jenem fo wohl als dieſem Wolke find Die geflügelten 
Gottheiten gemein, doch find Die phönicifchen Gottheiten viel- 
mehr nach aͤgyptiſcher Art geflügelt, Das ift, mit Flügeln die 
an den Huͤften angeleget find , und von da bis auf die Füße die 
Figuren überfchatten, wie wir auf Münzen der Infel Maltha 2) 
fehen, welche die Carthaginenfer befaßen 3); fo Daß es feheinen 
koͤnte, die Phönicier hätten von den Megyptern gelernet. Die 
carthaginenſiſchen Künftler aber Eönen nachher auch durch Die 
griechischen Werke der Kunft , die fie aus Sicilien wesführeten, 
erleuchtet ſeyn; Diefe ließ Scipio nad) der Eroberung von Car: 
thago wiederum zurüd ſchicken 4). 

Von Werken 5er phönicifchen Kunft aber ift uns nichts 
übrig geblieben, als carthaginenfifche Münzen, die in Spanien, 
auf der Infel Maltha und in Sicilien gepräget worden. Won 
der erften Art Münzen befinden fich zehen Stuͤcke von der Stadt 
Valentia im Großherzoglihen Mufeo zu Florenz, die mit den 
ſchoͤnſten Münzen von Großgriechenland verglichen werden 5). 
Ihre Münzen in Sicilien gepräget, find fo augerlefen, daß fie 
fi) von den beften griechifchen Münzen diefer Art nur durch die 
punifche Schrift unterfcheiden; und der Biſchof Luccheſi zu Gir- 


enti 
1) Herodot, L. 6. p. 214.1. 22. 2) v. Defcript. des: pier. grav. du Cab. 
de Stofch, Preſ. p. XVII. 3) Liv. L. 21.‘ c, 'sı, 4) Appian. Li- 
byc. p, 59. 1. 38. 5) Norris Lett. 68. p. 213. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Q 


B. 
Von Bildung 
ihrer Gott⸗ 
heiten. 


S 
Von Werken 
ihrer Kunſt. 


D: 
Bon ihrer 
Kleidung. 


122 1. Theil. Zweytes Kapitel. 


genti befisset Einige ihrer goldenen Münzen, welche überaus felten 
find. Einige in Silber haben den Kopf der Proſerpina, und ei— 
nen Pferdefopf, nebft einem Palmbaum auf der Ruͤckſeite 1): auf 
andern ftehet ein ganzes Pferd an einer Palme 2). Es wird ein 
carthaginenfifcher Künftler mit Namen Boethus angeführet 3), 
welcher in dem Tempel der Juno zu Elis Figuren von Elfenbein 
gearbeitet hatte. Won gefchnittenen Steinen find mir nur zween 
Köpfe bekannt, mitdem Namen der Perfon in phönicifcher Schrift 
bezeichnet, über welche ic) in Der Befchreibung der Stoſchiſchen 
gefchniftenen Steine geredet habe 4). 

Won der befondern Kleidung ihrer Figuren geben ung Die 
Münzen fo wenig, als die Seribenten, Nachricht. Ich entfinne 
mic) nicht, daß man viel mehr wife, als daß Die phönicifche 
Kleidung befonders lange Ermel hatte 5); Daher die Perfon eines 
Africaners in den Komödien zu Rom mit folchem Node vorgeftel- 
let wurde 6): und man glaubet, daß die Karthaginenfer Feine 
Maͤntel getragen 7). Geftreiftes Zeug muß bey ihnen, wie bey 
den Gallien, fehr üblich geweſen feun, wie der phoͤniciſche Kauf: 
mann unter den gemalten Figuren des vaticanifhen Terentius 
geiget. Auf die Carthäginenfer fcheinet and) das Beywort 

dif- 
ı). Golz. Magn. :Graec. tab. 12. n. 56. 
2) Bon biefer letztern Art, welche ſich im kaiſerl. Muſes gu Florenz, und im kö— 
niglichen farnefifchen zu Reapel Befunden, find Eine im Golzius. 
3) Paufan. L. 5. p. 419. 1. 29. 4) Defer. des pier. gr. deStofch, p. 415. 

Pref..p. XXVI. 5) Ennius ap. Gel. Noct. Att.L.7. c. ız.  6)Conf. 

Scaligz. Poet. L. 1. c. 13. p. 21. C. 7) Salmaf, ad Tertull. de Pal- 

lio, P. 53. 


Bon der Kun imter den Phoͤniciern ꝛc. 123 


difein&us, weldyes die Dichter den Mfricanern und Enbiern bey- 
legen I), zu deuten zu ſeyn, fo daß Diefelben ungegürtet ge 
gangen wären. 

Won der Kunſt unter den Suden, als Nachbarn der Pho- 
nicier, wiffen wir noch weniger, als von Diefen; und da die Künft- 
ler Diefes letztern Volks vor den Juden auc) in ihren blühenden 
Zeiten gerufen wurden, fo koͤnte es feheinen, daß die fchönen 
Künfte, welche bey dieſem Wolke als überflüßig im menfdylichen 
Leben geachtet worden, auc aus dieſem Grunde nicht geübet 
worden. Es war aud) die Bildhauerey durd) die mofaifchen 
Geſetze, wenigftens in Abjicht der Bildung der Gottheit in menfc)- 
licher Seftalt, den Suden unterfaget; ihre Bildung würde jedoch, 
wie bey den Phöniciern, zu ſchoͤnen Ideen gefchickt gewefen feyn. 
Bey dem gemeinen fchlechten Begriffe von der Kunſt unter dieſem 
Volke, muß diefelbe gleichwohl, ich will nicht fagen in der Bild- 
hauerey, fondern in der Zeichnung und in Eünftlicher Arbeit, zu 
einem gewiffen hohen Grade geftiegen feyn: Denn Nebucadnezar 
führete, unter andern Künftlern, taufend, weldye eingelegte Arbeit 
macheten, nur allein aus Jerufalem mit fi) weg 2); eine fo große 
Menge wird ficd) fchwerlich in den größten Städten heut zu Tage 
finden. Das hebräifche Wort, welches befagte Kuͤnſtler bedeutet, 
iſt insgemein nicht verftanden , und von den Auslegern fowohl, 
als in den Wörterbüchern, ungereimt uͤberſetzet und erklaͤret, auch 
theils gar uͤbergangen worden. 

2 Die 
1) Virg. Aen.L. 8, v. diſcinctos Alros. Juvenal. Sat. 8. Sil.l. 2. 9. Reg. 
—— 


E. 
Von der Kunſt 
unter den Ju—⸗ 
den, 


U. n 
Von der Kunſt 
der Perſer. 
A. 
Von Denk⸗ 
malen ihrer 
Kuuſt. 


124 I. Theil. Zweytes Kapitel. 


EZ 
* 


Die Kunſt unter den Perſern verdienet einige Aufmerkſam⸗ 
keit, da ſich Denkmale in Marmor, auf geſchnittenen Steinen 
und in Erzt erhalten haben: die von Marmor find erhoben gear: 


beitete Figuren an den Trümmern der Stadt Perfepolis;, ihre 


gefchnittenen Steine aber find walzenförmige Magnetfteine, auch 
Chalcedonier, und auihrer Axe durchbohret. Außer denen, wel- 
che ich in verfchiedenen Sammlungen gefchnittener Steine gefehen 
babe, fanden fid) zween in dem Mufeo des Grafen Caylus D), 
welcher Diefelben befannt gemachet hat: auf Dem einen find fünf 
Figuren gefchnitten, auf dem andern aber zwo, und mit alter 
perfifcher Schrift, fäulenweis unter einander geſetzet. Drey 
dergleichen Steine befizet der Duca Caraffa Noya zu Neapel, 
welche ehemals in dem Stofchifhen Mufeo waren, und auf dem 
einen ift ebenfalls ſaͤulenweis gefesste alte Schrift. Auf dieſen 
fo wohl als auf jenen Steinen find die Buchſtaben denen, weldye 
an den Trümmern von Perfepolis ftehen, vollig Ahnlih. Won 
andern perfifchen Steinen habe ich in Der Befchreibung des Sto— 
ſchiſchen Mufei geredet, und denjenigen angeführet, welchen 
Bianchini bekannt gemacht hat 2). Aus Unwiſſenheit des Stils 
der perfifchen Kunft, find einige Steine ohne Schrift für alte 
griechifche Steine angefehen worden, und Gronov hat auf einem 
die Fabel des Ariſteas, und auf einem andern einen thracifchen 
König zu fehen vermeynet 3). 
Außer 
1) Caylus Rec. d’Antiq. T. 5. pl. ıe. n. 2. pl. 35. m. 4. ») If. Vniv. p. 
537. 5) Gem, ant. n, 66. 67. 5 


Bon der Kunſt unter den Phoͤniciern 2c. 125 


Außer einigen alten perfifchen Münzen, ift mir von perfi- 
fhen Arbeiten in Erzt nur eine einzige befannt, die ein länglich 
viereckter Stempel von einem Zolle lang ift, und fic) in dem Mu— 
ſeo Hin. Hamiltons befindet. Es ftellet derſelbe eine männliche 
Figur vor, deren Haupt fo wohl als das Geficht mit einen Helme 
bedecket fcheinet, und Die einem Löwen, der fich gegen dieſelbe 
erhebet, einen Degen durch den Leib ftößet, welches ein gewoͤhn— 
liches Bild aud) auf angeführten Steinen ift. Man Fönte auch 
eine filberne Münze anführen, wo auf einer Quadriga, eine bärti- 
ge Figur, mit einer gewöhnlichen perfifchen Münze , ftehet , nebft 
einer andern Figur, die die Zügel halt, auf deren Rückfeite ein 
Schiff mit Rudern vorgeftellet ift, nebft einigen unbekannten 
Buchſtaben: denn man hält diefe Münze für ein Gepräge der 
perfifchen Könige vor Alex. des Großen Zeiten 1). 

Daß die Perfer, wie die Alteften griechifchen Scribenten 


B. 
Bon der Bils 


bezeugen, wohlgebildete Menfchen gewefen, beweifet auch ein er: ai der Per 


hoben gefchnittener Kopf mit einem Helme, und von siemlicher 
Größe, mit alter perfifcher Schrift umher, auf einer Glaspafte 
im ehemaligen Stoſchiſchen Mufeo 2). Diefer Kopf hat eine re— 
gelmäßige und den Abendländern ähnliche Bildung , fo wie. die 
vom Bruyn gezeichneten Köpfe der erhoben gearbeiteten Figuren 
zu Perfepolis 3), welche über Lebensgröße find 4); folglid) hatte 
die Kunſt von Seiten der Natur alle Vortheile. Die Parther, 
welche ein großes Land des ehemaligen perfifchen Reichs bewoh- 
Q3 neten, 


i) Rec. de Med. des Rois du cab. de Pellerin, p. ı. e) p. 2: 
3) Voyag. 4) Greave Defc. des ant. de Perfep. 


126 J. Theil. Zweytes Kapitel. 


neten , fahen befonders auf die Schönheit in Perſonen, weldye 
über andere gefeet waren, und Surenas der Feldherr des Koͤ— 
nigs Orodes, wird, außer andern Vorzuͤgen, wegen feiner ſchoͤ— 
nen Geſtalt gerühmet 1), und dem ungeachtet ſchminkte er fich 2). 
N Da aber unbefleidete Figuren zu bilden, wie «8 ſcheinet, 
— wider die Begriffe des Wohlſtandes der Perſer war, und die 


der gunſt uns Entbloͤßung bey ihnen eine üble Bedeutung hatte 3), wie denn 


ter ihnen, 


en überhaupt Fein Perfer ohne Kleidung gefehen wurde 4), welches 
zu fe auch von den Arabern Fan gefaget werden 5) und alfo von ihren 
— Kuͤnſtlern der hoͤchſte Vorwurf der Kunſt, die Bildung des Na— 
ckenden, nicht geſuchet wurde, folglich der Wurf der Gewaͤnder 

nicht die Form des Nackenden unter denſelben, wie bey den Grie⸗ 

hen, mit zur Abſicht hatte, fo war es genug, eine bekleidete Fi- 

— gur vorzuſtellen. Die Perſer werden vermuthlich in der Kleidung 
von anderen morgenlaͤndiſchen Voͤlkern, nicht viel verſchieden ge- 
weſen ſeyn: dieſe trugen ein Unterkleid von Leinen, und über daf- 

felbe einen Rod von wollenem Zeuge; über- den Noc warfen fie 

einen weißen Mantel 6); und fie liebeten gebluͤmte Kleider zu tra- 

gen 7). Der Rod der Perfer, welcher viereckt gefchnitten war 8), 

wird wie der fo genannte viereckigte Rock der griechifcehen Weiber 

gewefen ſeyn: 88 hatte derfelbe, wie Strabo fagt, lange Ermel 9), 

die 


») Appian. Parth, p. 96.1.9. °: 2) Appian. Parth. P. 97.1.39. 3) Achmet 
Oneirocr. L. 1. c. 117. 4) Herodot. L. 1. p. 3. 1. 33. L. 9. p. 329. 1. 
30. Xenoph. Agefil. p. 65. D. 5) La Roque Moeurs des Arab. p. 
177. 6) Herodot. L. ı. p. 5o.l. 41. 7) Sent. Empyr. Pyrrh. hyp. 
L. 1. p. 30. B. 8) Dionyf. Halic. Ant. Rom. L. 1. p. 197. 1. 28. 
9) L. 15. p. 934: C. 


Bon der Kunft unter den Phöniciern ꝛc. 127 


die bis an Die Finger reicheten, in welche fie die Hände hinein fte- 
deten ID). Da aber ihren Figuren Eeine Mäntel, welche nad) Be: 
lieben geworfen werden Eönen, gegeben find, weildiefe etwa in Per— 
fien nicht üblich gewefen zu ſeyn fcheinen, fo find Die Figuren wienad) 
einem und eben demſelben Modelle gebildet : Diejenigen , welche 
man auf gefchnittenen Steinen fiehet, find Denen an ihren Gebäus 
den vollig aͤhnlich. Der perfifche Männerroc, (weibliche Figu— 
ren finden fich nicht auf ihren Denfmalen) ift vielmals ftufenweig 
in Eleine Falten geleget, und auf einem angeführten Steine in 
dem Mufeo des Duca Noya zählet man acht dergleichen Abſaͤtze 
von Falten, von der Schulter an bis auf die Füße: auch der Ue— 
berzug des Gefäßes eines Stuhls auf einem andern Steine in 
dieſem Mufeo hänget in folchen Abſaͤtzen von Falten, oder Franzen, 
auf das Geftell des Stuhls herunter. Dem ungeachtet wurde 
ein Kleid mit großen Falten von den alten Perſern für weibifch 
gehalten 2). 

Die Derfer ließen ihre Haare wachfen 3), welche an eini- 
gen männlichen Figuren, wie an den hetrurifchen , in Strippe 
oder in Slechten über die Achfeln vorwärts herunter bangen 4), 
und fie banden insgemein ein feines Tuch um den Kopf 5); wel- 
cher Gebrauch fich in dem Zulbant der heutigen Morgenlander 
erhalten hat. Sm Kriege trugen fie gewöhnlidy einen Hut, wie 

ein 


1) Xenoph. Hift.Graec.L.2.c.6. 2) Plutarch. Apophth. p. 301.1. 24.edit. H. 
Steph. 3) Herod. L.6. p. 214. 1. 37. conf. Id. L. 9. p. 329. 1. 23. Ap- 
pian. Parth. p. 97. 1. 40. 4) Graeve Defer. des antig. de Perfepol. 
5) Strabo L. ı5. p. 734. C, 


c. Hug ihrem 
Gottesdienſte. 


128 L Theil. Zweytes Kapitel, 


ein Cylinder oder Thurm geſtaltet D; auf geſchnittenen Steinen 
finden fid) auch Muͤtzen mit einem hinaufgefchlagenen Nande , 
wie an Pelsmügen. 

Eine andere Urfache von dem geringen Wachsthume der 
Kunſt bey den Perfern ‚ift ihr Gottesdienft, welcher der Kunſt ganz 
und gar nicht vortheilhaft war: denn die Götter, glaubeten fie, 
fönten oder müßten nicht in menfchlicher Geftalt gebildet wer: 
den 2); der fichtbare Himmel nebft dem Feuer waren Die größ- 
ten Gegenftände ihrer Verehrung; und die Alteften ariechifchen 
Scribenten behaupten fo gar, Daß fie weder, Tempel, noch) Ill: 
täre gehabt haben. Man fiehet zwar den perfifchen Gott Mithras 
an dverfchiedenen Drten in Nom, als in den Willen Borgheſe, 
Albani, und Negroni , aber eg findet fic) Feine Nachricht, daß 
die alten Perſer denfelben alfo vorgeftellet haben. Es ift vielmehr 
zu glauben , daß die angezeigten Vorftellungen des Mithras von 
griechifchen oder roͤmiſchen Künftlern, zu Nom und zu der Kai- 
fer Zeiten verfertiget worden, wie die Figur und die Ausarbeitung 
derfelben zeiget. Denn ein jeder fiehet, daß die Künftler Diefer 
beyden Wölker der Figur des Mithras lange Hoſen und eine phry- 
giſche Mütze gegeben haben, als ein Abzeichen einer ausländi- 
fchen Gottheit, weil dieſe Tracht in der Kunft angenommen war, 
entlegene Wölfer fo wohl gegen Norden als gegen Mittag zu 
bezeichnen: ofen waren zwar den Perfern gemein, aber 
Feine phryaifche Müssen, fo viel wir wiſſen. Plutarchus berich— 
tet ung, daß die Verehrung des Mithra durch Die Seeräuber , 
Die 


1) Strabo l.c. 2) Herodot. L. 1.c. 131. 


Bon der Kunft unter den Phöniciern ꝛc. 129 


die Pompejus endlich befviegete und vertilgete, eingeführet worz 
den , und von dieſer Zeit an geblieben fey 1). Die Erklärung 
aber der ſymboliſchen Zeichen Diefes Bildes gehöret noch weniger 
zu unferem Vorhaben, und ift von vielen andern verfüchet worz 
den. Man ficht unterdeffen aus ihren Arbeiten, Daß das Dich: 
ten und Bilder der Einbildung Mervorbringen, auch unter ei— 
nem Wolke, wo in der Religion die Einbildung nicht viel Nah: 
rung gehabt hat, der Kunft eigen gewefen iſt: Denn «8 
finden ſich auf perfifchen gefchnittenen Steinen Thiere mit Fluͤ— 

geln und menfhlihen Köpfen, welche zuweilen zadigte Kro⸗ 
nen haben, und andere erdichtete Geſchoͤpfe und Geſtalten. Aus 
der Baukunſt der Perſer erkennen wir, daß fie häufige Zierra⸗ 
then liebeten, wodurch die an ſich prächtigen Stüde an ihren Ge— 
baͤuden viel von ihrer Größe verlieren. Die großen Säulen zu 
Perſepolis haben vierzig hohle Reifen, aber nur von drey Zoll 
breit, Da die griechifchen Säulen nicht über vier und zwanzig 
und zumeilen weniger Neifen haben, die aber an einigen Säulen 
mehr als eine Spanne halten, und an dem Tempel des Jupiters 
zu Girgenti fo groß waren, Daß ein ftarfer Mann fich in Diefel> 
ben hineinftellen Eonte, welches Die Trümmer Deffelben noch ifo 
beftätigen. Die Reifen feheinen den Perſern an ihren Säulen 
nicht Zierlichkeit genug gegeben zu haben, weil fie überdem noch 
erhobene Figuren an dem Obertheile derfelben arbeiteten. Aus 
dem wenigen, was von der Kunft der alten Derfer beygebracht 

und 
x) Plutarch. Pompej. p. 1153. 1. 17. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. R 


D. 
Sn der Kun 


130 J. Theil. Zweytes Kapitel. 


und geſaget worden, kan ſo viel geſchloſſen werden, daß fuͤr 
die Kunſt uͤberhaupt nicht viel unterrichtendes wuͤrde gelehret wer⸗ 
den koͤnen, wenn ſich auch mehrere Denkmale erhalten haͤtten. 
Die Perſer ſelbſt ſcheinen die Unvollkommenheit ihrer Kuͤnſtler 
eingeſehen zu haben, und aus dieſer Urſache wird es geſchehen 
feyn, Daß Telephanes, ein Bildhauer aus Phocis in Griechen— 
land, für die beyden perfifchen Könige, den Rerxes und den Da⸗ 
rius, arbeitete 1). 

In folgenden Zeiten, da in Parthien, einem Theile des 


— ehemaligen perſiſchen Reichs, ſich Koͤnige aufwarfen, und ein 


thern. 


beſonderes maͤchtiges Reich ſtifteten, hatte auch die Kunſt unter 
ihnen eine andere Geſtalt bekommen. Die Griechen, welche ſchon 
von Alexanders Zeiten fo gar in Cappadocien ganze Städte be⸗ 
wohneten 2), und ſich in den aͤlteſten Zeiten in Colchis nieder— 
selaffen Hatten, wo fie fcythifche Achaͤer hießen 3), breiteten fich 
auch in Parthien aus, und führeten ihre Sprache ein , fo, Daß 
die Könige dafelbit an ihrem Hofe griehifhe Schaufpiele auf: 
führen ließen 4). Artabazes, König in Armenien, mit Deffen 
Tochter Pacorus, des Drodes Sohn, vermählt war, hatte 
ſo gar griechifche Trauerfpiele, Gefchichte und Reden, von 
feiner Hand aufgefest , binterlaffen. Dieſe Neigung der 
parthifchen Könige gegen die Griechen und gegen ihre Spra- 
he, erſtreckete ſich auch auf griechiſche Künftler, und Die 
Münzen diefer Könige mit griechiſcher Schrift müffen von - 
Künft: 

1) Plin. L. 34. c. 19. b. y. 2) Appian. Mithridaf. p. ır6.1. 16. 

3) Tbid. p. 139.1. 35, P. 155. 1. 26. 4) Id. Parth.p. 194.1. 17. ſeq. 


Bon der Kunſt unter den Phöniciern ꝛc. 131 


Künftlern diefer Nation gearbeitet ſeyn; Diefe aber find vermuth- 
lic) in dortigen Ländern erzogen und unterrichtet worden: denn 
Das Gepräge diefer Münzen hat etwas fremdes, und man kan 
fagen, barbarifches. 


Leber die Kunft diefer mittägigen und morgenländifchen 
Völker zufammen genommen, koͤnen noch ein paar allgemeine An⸗ 
merkungen beygefüget werden. Wenn wir die monarchifche Der: 
faffung in Megypten fo wohl, als bey den Phöniciern und Per: 
fern erwägen, in welcher der unumfchränfte Herr Die höchfte Eh— 
re mit niemanden im Wolfe theilete, fo Fan man fich vorftellen, 
daß das Verdienft Feiner andern Perſon um fein Waterland, mit 
Statuen belohnet worden, wie in freyen, fo wohl alten als neuen, 
Staaten gefchehen ift: e8 findet fich auch Feine Nachricht von Die 
fer einem Linterthan dieſer Reiche wiederfahrnen Dankbarkeit. 
Carthago war zwar in dem Lande der Phönicier ein freyer Staat, 
und vegierete fich nach feinen eigenen Geſetzen, aber die Eiferſucht 
zwoer mächtigen Partheyen gegen einander würde die Ehre der 
Unfterblichkeit einem jeden Bürger ftreitig gemacht haben. Ein 
Heerfuͤhrer ftand in Gefahr, ein jedes Verſehen mit feinem Kopfe 
zu bezahlen; und von großen Ehrenbezeugungen bey ihnen mels 
det Die Gefchichte nichts. Folglich beftand die Kunſt bey die— 
fen Wölfern mehrentheils bloß auf der Religion, und Fonte 
ans dem bürgerlichen Leben wenig Nusen und Wachsthun 

N 2 empfan⸗ 


Allgemeine Er⸗ 
innerungen 
über die Kunſt 
diefer drey 
Völker. 


132 I Theil, Zweytes Kapitel. 


empfangen. Die Begriffe der Künftler waren alfo weit einge: 
fchränfter, als bey den Griechen, und ihr Geift war durch 
den Aberglauben an angenommene Geftalten gebunden. 

Diefe drey Völker hatten in ihren blühenden Zeiten ver- 
muthlich wenig Gemeinfchaft unter einander: von den Aegyptern 
wiffen wir e8, und Die Perfer, welche fpät einen Fuß an den Kuͤ— 
ften des mittelländifchen Meeres erlangeten, konten vorher mit 
den Vhöniciern wenig Verkehr haben ; die Sprachen Diefer bey- 
den Voͤlker waren auch in Buchftaben gänzlich von einander ver- 
fehieden. Die Kunft wird alfo unter ihnen in jedem Lande eigen- 
thümlic gemwefen feyn. Unter den Perfern feheinet Diefelbe den 
geringften Wachsthum erlanget zu haben ; in Aegypten gieng 
Diefelbe auf Die Großheit; und.bey den Phöniciern wird man 
mehr die Zierlichfeit der Arbeit geſuchet haben , welches aus ih— 
ven Münzen zu fchließen ift. Denn ihr Mandel wird auch mit 
Werken der Kunft in andere Länder gegangen ſeyn, welches 
bey den Aegyptern nicht geſchah; und Daher ift zu glauben, 
daß die phönicifchen Künftler fonderlich in Metall, und Werke 
von der Art gearbeitet haben, welche allenthalben gefallen kon— 
ten. Daher Fan e8 gefchehen fenn, daß wir einige Fleine Fi— 
guren in Erzt, für griechifh halten, welche phoͤniciſch find. 

Es find Feine Statuen aus dem Alterthume mehr zer 
truͤmmert, als Die ägnptifchen, und zwar von ſchwarzen Stei⸗ 
nen. Don gricchifchen Statuen hat die Wuth der Menfchen 
fi) begnüget, den Kopf und die Arme abzufchlagen, und 
das übrige von der Bafe herunter zu werfen, welches im Umſtuͤr⸗ 

zen 


Bon der Kunft unter den Phoͤniciern ꝛc. 133 


zen zerbrochen iſt; Die ägnptifchen Statuen aber, wie nicht we- 
niger Diejenigen, Die von griechiſchen Künftlern aus aͤgyptiſchen 
Steinen gearbeitet worden, als welche im Umwerfen nichts wür- 
den gelitten haben, find mit geoßer Gewalt gerfchlagen, und Die 
Köpfe, die durch Abwerfen und im Wegſchlaͤudern unverfehrt ges 
blieben feyn würden, werden in viele Stüden zertruͤmmert ge 
funden. Diefe Wuth veranlaffete vermuthlich Die ſchwarze Far: 
be Diefer Statuen , und der daraus erwachfene Begriff von Wer: 
Een des Fürften der Finſterniß, und von Bildern böfer Geifter, 
Die man fich in ſchwarzer Geftalt einbildete. Zuweilen, fonder: 
lic) an Gebäuden, ift e8 gefchehen, daß dasjenige zerftöret wor: 
den, was das Anſehen gehabt hatte, Daß es die Zeit nicht wir: 
de verwüftet haben, und dasjenige, was leichter durch aller: 
band Zufälle Schaden nehmen koͤnen, ift ftehen geblieben, wie 
Scamozzi 1) bey Dem fogenannten Tempel des Nerva anmerket. 

Zulest find, als etwas befonders, einige Heine Figuren 
anzuzeigen, Die auf aͤgyptiſche Art geformet, aber mit arabifcher 
Schrift bezeichnetfind. Es find mir von denfelben drey bekannt: 
Die eine befaß Der verftorbene ältere Aßemanni, Cuſtos der va— 
ticanifchen Bibliothek, Die andere ift in der Gallerie des Collegit 
Romani: beyde find etwa einen Palm hoch, , und ſitzend, und 
Die letztere hat arabifche Schrift auf beyden Schenkeln, auf dem 
Ruͤcken, und oben auf der platten Müse; die dritte, welche fich 
in dem Mufeo Des Grafen Caylus fand, ift ftehend, und hat 
arabiſche Schrift auf dem Ruͤcken 2). Die zwo erftern Figuren 

R 3 find 


1) Antich. di Rom. alla Tay.7. 2) Caylus Rec, d’antig. T. 4. sı. 


134 1. Theil, Zwehtes Kapitel, 


find bey den Drufen, Wölkern, welche auf dem Gebirge Libanon 
wohnen , gefunden; und e8 ift wahrſcheinlich, Daß auch Die drit- 
te Figur eben daher gekommen ſey. Dieſe Drufen, welche man 
für Nachkoͤmmlinge der Franken hält, Die in den Kreuzzügen 
dahin geflüchtet find, wollen Chriften heißen, verehren aber ganz 
insgemein , aus Furcht vor den Türken, gewiffe Gögenbilder , 
dergleichen Die angezeigten find , und da fie Diefelben ſchwerlich 
zum Vorſchein kommen laſſen, ſo ſind in Europa dieſe Figuren 
fuͤr eine Seltenheit zu halten. 































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































Das dritte Kapitel. 
Bon der Kunft der Hefrurier und ihrer Nachbarn. 





ad) den Aegyptern find unter Den Völkern in Europa die —— diefes 

Hetrurier das Altefte Volk, welches die Künfte geübet, und —— 
wo dieſelben noch zeitiger, wie es ſcheinet, als bey den Griechen zu 
blühen angefangen haben; daher die Kunſt dieſes Volks, ſon— 
derlich in Abſicht ihres Alterthums, eine ganz beſondere Auf— 
merkſamkeit verdienet, vornaͤmlich da ihre aͤlteſten Werke, die 
ſich erhalten haben, uns einen Begriff geben von den aͤlteſten 
griechiſchen Werken, die jenen aͤhnlich waren, und nicht mehr vor⸗ 
handen ſind. 

Die gruͤndliche Betrachtung der hetruriſchen Kunſt erfor- 
dert zuerſt eine Furze Anzeige der älteften Gefchichte und der Ver- 
faf 


136 I. Theil, Drittes Kapitel, 


faffung fo wohl als der Eigenfchaft dieſes Volks, als worinnder 
Grund des Wahsthums der Kunft bey ihnen lieget, die her- 
nad) in einigen Der merfwürdigften übrig gebliebenen Werke, nad) 
ihren Eigenfchaften unterfuchet wird; und da die Kunſt der be- 
nachbarten Völker eine Aehnlichkeit mit der hetrurifchen hat, ge— 
ben uns Die Kenntniffe von Diefer ein Licht in jener? folglich ent= 
hält diefes Kapitel drey Abſchnitte. : 
Ai 4 Der ie Abſchnitt, welcher in zwey Stuͤcken zuerſt die 
krunee man. altefte Geſchichte und alsdann die Eigenſchaften und die nachfol⸗ 
ee genden Umftände der Hetrurier berühret, gehet von den Nach— 
ur > richten der Wanderung der Pelasger nach Metrurien, zu der 
— Vergleichung der Umſtaͤnde dieſes Landes mit denen von Grie— 
Seſchichte der chenland in Den aͤlteſten Zeiten hinüber, woraus klaͤrlich erhellet, 


Hetrurier ins; 


nn Daß Damals der Kunft die Umftande unter den Metruriern vor= - 

Aufnahme dev Fheilhafter als unter den Griechen gewefen; vornämlich aber und 

——— zuerſt iſt darzuthun, daß die Kunſt unter den Hetruriern durch 

ve yelasan, DIE Griechen wo nicht gepflanzet wenigſtens befördert worden; 
und Diefes ift zu fchließen theils aus den griechiſchen Kolonien, 
die in Detrurien ihre Wohnung auffchlugen, und noch mehr aus 
den Bildern der griechifchen Fabel und Gefdyichte, Die von Den 
hetrurifchen Künftlern auf den mehreften ihrer Werke vorgeftellet 
find, 

Was die griechifchen Kolonien betrifft, die fih nad) He— 
trurien begeben haben, findet fich in den alten Scribenten Nach⸗— 
richt von zwo Wanderungen, unter welchen die erfte ſechshundert 
Sahre porder anderngefchahe, und diefe war Der Zug der Pelas- 


ger, 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 137 


ger, Die aus Arcadien Famen, und anderer, Die in Athen gewoh— 
net hatten. Diefe werden vom Thucydides, vom Plutarchus 
und von anderen, nachdem fie unter dem Namen der Pelasger 
angeführet worden, auch Tprrhenier genannt, Woraus man 
fhließen fan, Daß die Tyrrbenier ein Wolf geweſen, welches 
unter dem allgemeinen Namen der Pelasger begriffen war. Nach— 
dem dieſes Volk in feinem Daterlande nicht mehr Naum hatte, 
theilete fi) Daffelbe, und ein Theil deffelben gieng hinüber nad) 
den KRüften von Aſien, und ein anderer Theil nach Metrurien, 
und vornämlich in Die Gegend von Pifa, wo fie dem Lande, 
welches fie einnahmen, den Namen Tyrrhenien gaben. Diefe Den 
alten Einwohnern einverleibete nene Ankömmlinge, trieben eher 
als die Griechen, den Mandel zur See, und eiferfüchtig auf den 
Zug der Argonauten nad) Colchis, widerfesten fie fich Diefen, 
und griffen fie an mit einer ftarken Slotte, nahe am Helleſponte, 
wo es zu einer blutigen Schlacht Fam, in welcher alle griechifche 
Helden, den Glaucus ausgenommen, verwundet wurden. Diefe 
erfte Kolonie der Griechen nah Hetrurien wird vermuthlid) durch 
fpätere Kolonien verſtaͤrket ſeyn; der Lydier aus Klein-Aſien 
nicht zu gedenken, Die nad) dem frojanifchen Kriege Ban, Ko⸗ 
lonien dahin abſchicketen. 

Die ſpaͤtere Wanderung der Griechen nach Hetrurien ge— 
ſchahe ungefaͤhr drey hundert Jahre nach des Homerus Zeiten, 
und eben fü viel Jahre vor dem Herodotus, vermoͤge Der Zeit: 
rechnung, die Diefer Scribent ſelbſt angiebt, Das ift, zu den Zei⸗ 
ten des Thales, und des Lycurgus, des ſpartaniſchen Gefenge- 

Winkeln. Geſch. der Kunſt. S berg, 


138 1. Theil. Drittes Kapitel, 


berg. Mit dieſen neuen Kolonien verſtaͤrket, theileten ſich Die 
Hetrurier durd) ganz Italien aus bis an die Auferften Norge: 
birge des Landes, welches nachher Großgriechenland genennet 
wurde, wie außer Den Zeugniffen der Scribenten, die Münzen 
aus dieſer Zeit beweiſen. Von diefen Fan ich unter anderen eine 
von Silber in dem Mufeo des Duca Caraffa Noja anführen, Die 
auf Der einen Seite unter einem hoch geprägeten Ochfen den Naz 
men der Stadt Buxentium, mv+OoORM, und auf der anderen 
Seiteunter einem tief geprageten Ochfen den Namen der Stadt 
Syrinos an dem heracleifchen Meerbufen gelegen, mon 41m 
gepräget hat. Durch Den Beſitz von fo vielen Ländern erweiter: 
ten die Metrurier ihren Handel, und erweiterten denfelben bis zu 
einem Bündniffe mit den Phöniciern; fo Daß die Carthaginenfer, 
als Bundesgenoffen der Perfer , nachdem fie, unter Anführung 
des Hamilcars, Sieilien angriffen,, und von Gelo, Könige zu 
Syracus gefchlagen worden, Dem unerachfet vereinigt mit Der 
Slotte der Hetrurier, Die Griechen in Stalien überfielen, aber 
vom Hiero des Gelo Nachfolger, mit großem Verluſte zurück ge— 
trieben wurden. 

Bon bele Daß diefe neuen Rolonien diejenigen gewefen, Die in De 


felben aus der 


en trurien ihre Art mit griechiſchen Buchftaben zu ſchreiben, nebft 


ae ihrer Mythologie eingeführet, und den unwiſſenden urfprängli- 


Keswirsen chen Hetruriern ihre Gefchichte biszu Ende des trojaniſchen Krie— 
nee ges beygebracht, und daß Dadurch Die Künfte in Diefem Lande zu 
blühen angefangen, ift, nach meiner Meynung offenbar aus den 
hetruriſchen Werken, die wo nicht alle dennoch Die mehreften eben 

Dies 


- Bon der Kunf winter den Hetruriern. 139 


diefelbe Mythologie und die älteften Begebenheiten der Griechen 
vorftellen. Denn, wenn die Hetrurier Die Kunſt zu fehreiben verſtan⸗ 
den hätten, würden auf ihren Denkmalen, anftett der griccht- 
ſchen Sefchichte , Die Begebenheiten ihres eigenen Landes vorge: 
ſtellet ſeyn, von welchen fie gleichwohl, aus Mangel der Schrift, 
das ift, der Jahrbücher, Feine Kenntniß haben mußten. 

Es Fönten wider diefe Meynung einige hetruriſche Werke 
angeführst werden, wo die griechifchen heroiſchen Gefchichte, et- 
was verfihieden von der Erzählung des Homerus, abgebildet 
find, wie z. E. das Schickſal des Hectors und des Zichilles if, 
welches auf einer hetruriſchen Patera von Erst, nicht vom Ju— 
piter, wie jener Dichter faget, fondern vom Mercurius gewogen 
wird, und verfchiedene andere Geſchichte, Deren ich in meinen 
Denkmalen des Alterthums Erwähnung gethan habe. Aber es ift 
gewöhnlich, (und anflatt Das was ic) gefaget habe, zu widerle— 
gen, wird e8 eben dadurch noch mehr beftärket, ) Daß Die Ueber: 
lieferungen eines Landes in einem anderen verändert werden; und 
dieſes Fan, in Abſicht der Hetrurier, durch einen ihrer Dichter 
gefchehen feyn. 

Die allerältefte und berühmtefte Begebenheit, an welcher 
die mächtigften Staaten von Griechenland Theil nahmen , ift 
das Buͤndniß der Argiver wider Die Thebaner, vor dem troja- 
nischen Kriege, oder der Zug der fieben Helden wider Theben; 
das Andenfen diefes Krieges aber hat fid) nicht fo in griechifchen 
Denkmalen, wie in hetenrifchen erhalten. Denn fünf diefer fieben 
Helden finden fi) mit ihren Namen in hetrurifcher Sprache auf 

2 ei⸗ 


& 


140 1. Theil, Drittes Kapitel. 


einem Carnioldes Stoſchiſchen Mufei geſchnitten, welcher irgendwo 
in Kupfer geftochen beygebracht iſt. Tydeus, einer von Diefen Hel— 
den ift gleichfalls mit deffen Namen in hetrurifchen Buchftaben 
in einem anderen Carniole eben Diefes Muſei gefchnitten zu fehen, 
und follte von mir in Kupferbengebracht werden. Capaneug, ein 
Held aus eben Diefem Zuge wider Theben, von Supiter Durd) deffen 
Blitz von der Leiter geftürget, mit welcher er Theben befteigen wollte, 
befindet fich auf mehr als einem Steine gefchnitten, Die nicht we- 
niger Arbeiten hetrurifcher Künftler zu ſeyn fcheinen. Die anderen 
griechiſchen Melden, Die auf hetrurifchen Steinen, mit ihren Na—⸗ 
men gebildet worden, find Thefeus in feiner Gefangenfchaft bey 
Dem Könige Aidoneus, welchen der Here Baron von Niedefel 
beſitzet. Peleus, des Achilles Water, und Achilles felbft in 
den Mufeo des Duca Caraffa Noja, zu Neapel, und auf 
einem anderen Steine find Mchilles fo wohl als Ulyſſes gleich- 
falls mit ihren Namen in hefrurifcher Sprache vorgeftellet zu 
ſehen; fo daß man behaupten Fan, daß die mehreften Denk— 
male griechifcher Kunſt, die ſich erhalten Haben, in Abſicht 
des Alterthums, den hetrurifchen weichen muͤſſen; Durch Diefe 
Abbildungen der griechifchen Deldengefchichte hatten Die hetru— 
riſchen Künftler nicht allein Diefe fich eigen gemachet‘, fondern 
fie ftelleten auch griechifche Begebenheiten der nachfolgenden 
Zeiten vor , wie die von mir in den alten Denkmalen erklaͤr— 
ten hetrurifchen Begräbnißurnen ihrer fpäteren Zeiten darthun. 
Denn auf denfelben ift der Held Echetlus gebildet, welcher unbe 


Eannt in der maratbonifchen Schlacht erſchien, und an der Spitze 
der 


* 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 141 


der Athenienfer, anftatt der Waffen, mit einem Pluge die Derfer 
erleget, und daher von einem Stücke des Pfluges Exeriosgenannt, 
Echetlus benennet und wie andere Melden verchret wurde: Diefeg 
Bild, welches fich auf Eeinem griechifchen Denkmale erhalten, be= 
weifet zugleich die Gemeinſchaft, Die Die hetrurifchen Künfte be 
ftändig mit den Griechen unterhielten, aus dem uralten Stil der 
vorher angezeigten gefchnittenen Steine aber iſt wahrfcheinlich, 
daß die Kunft unter den Hetruriern zeitiger als unter den Gries 
chen ſelbſt geblühet habe. Diefes Fan auch gemuthmaffet werden 
aus Vergleichung der Umftände der Griechen mit denen, in wels 
chen fid) Metrurien befand zu den Zeiten, die auf gedachte zweyte 
Wanderung gefolgek. 

Daß die Metrurier nach dem trojanifchen Kriege einen 
hoben Frieden genoffen, Da ſich Griechenland in einer immerwäh- 
venden Zerrüttung befand, ob wir gleich der alteften Gefchichte 
von jenen beraubet find, koͤnen wir fchließen aus einigen weni: 
gen Anzeigen, die unsdie Scribenten vonihrer Regierung geben, 
woraus zugleich erhellet, daß Diefelbe gleichförmig gewefen. He— 
trurien war in zwölf Theile getheilet D, von welchen ein jeder 
fein eigenes Haupt hafte 2), genannt Lucumo, und Diefe Lucu— 
mones ftanden unter einem gemeinfchaftliden Oberhaupte, oder 
Könige, wie Porfena fcheinet gewefen zu ſeyn; dieſe zwoͤlf Haͤup⸗ 
ter aber wurden gewählet, fo wohl als das Oberhaupt. Diefe 
Nerfaffung des hetrurifchen Staats ift auch zu erweifen aus der 


Abneigung, die die Metrurier gegen Die Könige anderer Voͤlker 


63 be⸗ 


ı) Flox. L.1.c.5. 2) Dionyſ. Halic. Ant. R. L. 3. p. 187. 1. 34. 


c. Bergleis 
chung der Um⸗ 
ftände in He⸗ 


trurien nach 
dem troiani⸗ 


ſchen Sriege 
mit denen iu 
Griechenland, 


143 1. Theil, Drittes Kapitel, 


bezeugeten, welche fo weit gieng, Daß da Die Vejenter, ihre Bun 
Desgenoffen, Die vorher eine republicanifche Regierung hatten, 
fi einen König wähleten, die Detrurier dem Buͤndniſſe mit ih— 
nen entfageten,, und aus Freunden ihre Feinde wurden. Die 
Regierung von Detrurien fcheinet mehr democratiſch als arifto: 
cratifch gewefen zu feyn: Denn man handelte weder vom Kriege 
noch vom Frieden, als allein in den öffentlichen Verſammlungen 
der zwölf NWölfer, Die den Körper ihres Staats ausmacheten, 
als welche zu Bolſena, in dem Tempel der Vulturna gehalten 
wurden. Eine ſolche Regierung, an welcher ein jeder im Wolfe 
Antheil hatte, mußte in dem Verſtande des ganzen Volks einen 
Einfluß heben, und den Geift und den Einn erheben, und beyde 
gefchickt machen zur Uebung der Künfte. Es war alfo der Srie- 
den, der fid) in Hetrurien, Durch Die Vereinigung und Macht 
des ganzen Volkes erhielt, welches über ganz Stalien herrfchete, 
die vornehmfte Urſach der Blüthe der Künfte unter ihnen. 
Griechenland hingegen , Arcadien ausgenommen ı), be 
fand fic zur Zeit Der zmoten Wanderung der Delasger nad) Se: 
trurien, in der Häglichften Verfaſſung, und in beftändigen Em- 
pörungen, welche Die alte Verfaffung zerriffen, und den ganzen 
Staat umfehreten; und Diefe Werwirrung hub fi) an im Pelo— 
ponnes, wo die Achaͤer und die Sonier die vornehmften Voͤlker 
waren. Die Nachkommen des Hercules, vum diefen Theil von Grie— 
chenland wieder zu erobern, kamen mit einem Meere, welches meh- 
ventheils aus Doriern, Die in Theffalien wohnsten , beftand und 
ver⸗ 
ı) Pauſan. L. 2. P. 140.1. 2. 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 143 


verjagten Die Achaͤer, von denen ein Theil die Jonier wechfels: 
weis vertrieb. Die anderen Achaͤer von Lacedämon, und Ab- 
koͤmmlinge des Aeolus flüchteten zuerft nad) Thracien, und gien- 
gen hierauf nad) Klein-Afien, wo fie das von ihnen eingenommes 
ne Land Aeolien nenneten, und Smyrna und andere Städte 
baueten, Der Jonier fuchten fi) ein Theil in Athen zu retten, 
ein anderer Theil gieng ebenfalls nach Klein-Afien unter der An— 
führung des Nileus, Sohns des letzten athenienfifchen Königs 
Eodrus, und nenneten ihren Sitz Jonien. Die Dorier, welche 
Herren vom Peloponnefus waren, übeten weder Künfte noch 
Wiffenfchaften, fondern trieben nur den Feldbau (auroveyau Ya 
eısı a LleRoro. 1); andere Theile von Griechenland aber waren 
verheeret und ungebanet, ſo daß die Rüften Des Meeres, da Han⸗ 
del und Schifferth lag, beftändig von Seeraͤubern heimgefuchet 
wurden, und Die Einwohner fahen ſich genöthiget, ſich von dem 
Meere und von dem fchönften Lande zu entfernen. Die inneren 
Gegenden genoffen Fein befferes Schicfal : denn die Einwohner 
vertrieben fich einer den andern aus ihren Ländereyen, und es 
war daher, da man beftändig gewaffnet gehen mußte, Feine Ruhe, 
das Land zu bauen und auf Die Künfte zu denfen. In ſolchen 
Umftänden befand fid) Griechenland, da Hetrurien, ruhig und 
arbeitfam, fic vor allen Wölfern von Italien in Achtung ſetzete 
und erhielt, und den ganzen Mandel fo wohl im tyrrhenifchen 
als im jonifchen Meere an ſich zog, welchen fie durch ihre Kolo— 
nien in den fruchtbarften Inſeln des Archipelagus und fonderlic) 
in 


ı) Thucyd. L. ı. p. 46. 1. 19. 


B. 

Betrachtung 
der Eigenſchaft 
und der Ge— 
müthsart, 
nebſt den nach⸗ 
folgenden Um⸗ 
ſtänden der He⸗ 
trurier. 


144 1. Theil, Drittes Kapitel. 


in der Inſel Lemnus befeftigten. In dieſem Flore der mit den 
Tyrrheniern vereinigten alten Nation der Hetrurier blüheten die 
Künfte zu der Zeit, da die erften Verſuche in denfelben in Grie: 
chenland untergangen waren, und unzählige ihrer Werke zeigen 
offenbar, Daß fie gearbeitet worden, ehe Die Griechen felbft etwas 
fürmliches aufweifen Eonten. 

Diefe kurze ältefte Geſchichte Der Meirurier erſtrecket ſich 
zugleich bis auf die Blüthe der Kunſt dieſes Volks, und es hätte 
Diefelbe, vermöge der gemeldeten vorteilhaften aͤußeren Umſtaͤn⸗— 
de, Die höchfte Vollkommenheit erreichen müffen, Da aber dieſes 
nicht gefchehen ift, und da in der Zeichnung ihrer Künftler eine 
übertriebene Därte geblieben, wie ic) unten anzeigen werde, fü 
fcheinet Die Urfad) Davon in der Eigenfchaft und in der Gemuͤths⸗ 
art der Metrurier zu liegen, wenigftens muß man glauben, daß 
die nachfolgenden Umftande dieſes Landes den Fortgang der Kuͤn⸗ 
fie gehemmet haben. 

Die Gemüthsart der Hetrurier fcheinet mehr, als das 
griechiſche Geblüt, mit Melancholie vermifcht gewefen zu feyn , 
wie wir aus ihrem Gottesdienfte, und aus ihren Gebräuchen 
fließen Eönen. Ein foldhes Temperament ift zu tiefen Unterſu— 
ungen gefchickt, aber es wirfet zu heftige Empfindungen, und 
die Sinne werden nicht mit derjenigen fanften Regung gerühret, 
welche den Geift gegen das Schöne vollkommen empfindlich 
macht. Diefe Muthmaßung gründet fid) zum erften auf die Wahr⸗ 
fagerey , welche in den Mbendländern unter Diefem Wolfe zuerft 
erdacht wurde; Daher heißt Hetrurien, Die Mutter und Gebaͤh— 

verinn 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 145 


rerinn Des Aberglaubens 1), und die Schriften, in welchen Die 
Wahrfagerey verfaffet war, erfülleten, Die ſich in denſelben Raths 
erholeten, mit Furcht und Schreden 2); in fo fürchterlichen Bil— 
dern und Worten waren fie eingefleidet. Won ihren Prieſtern 
Fönen Diejenigen ein Bild geben, welche im 399. Jahre der Stadt 
Nom, an der Spiteder Tarquinier mit brennenden Fackeln und 
Schlangen Die Roͤmer anftelen 3). Auf diefe Gemüthsart Tönte 
man ferner fchließen aus den blutigen Gefechten bey Begraͤbniſ— 
fen und auf Schaupläten , welche bey ihnen zuerft üblid) was 
ren 4), und nachher aud) von den Römern eingeführet wurden ; 
Diefe waren den gefitteten Griechen ein Abfchen 5), wie ic) im 
folgenden Kapitel mit mehrern anzeigen werde. Auch in neuern 
Zeiten wurden die eigenen Geißelungen in Tofcana zuerft erdacht 
6). Man fieht Daher auf hetrurifchen Begraͤbnißurnen insges 
mein blutige Gefechte über ihre Todten vorgeftellet ; Die roͤmi⸗ 
fhen Begrabnißurnen hingegen, weil fie mehrentheils von Orte: 
chen werden gearbeitet feyn, haben vielmehr angenehme Bilder : 
die mehreften find Fabeln, welche auf das menſchliche Leben deu— 
ten; liebliche Vorftellungen des Todes, wie der fehlafende En— 
dymion auf fehr vielen Urnen iſt; Najaden die den Hyllus ent 
fuͤh⸗ 


») Arnob. contr. gent. L. 7. p. 232. 2) Cic. de divinat. L. 1. c. 12. p. 
25. ed Davie 3)Liv.L.7.c., i7. 4) Dempft, Etrur. T, 1. L. 3. 
C. 42. P. 340. 5) Plato Politic. p. 315. B, 6) Minuc. Not, 
al. Malmant. riacquift. (ex Sigonio) p. 497: 


Winkelm. Geſch. der Runſt. T 


146 I. Theil. Drittes Kapitel. 


führen 1); Tänze der Bachanten, und Hochzeiten, wie die 
ſchoͤne Wermählung des Peleus und der Thetis in der Villa A- 
bani ift 2). Scipio Africanus verlangefe, daß man bey feinem 
Grabe trinken follte 3); und man tanzefe bey Den Roͤmern vor 
Der Leiche her N. 

Die 

z) Fabret. Infeript. c. 6. p. 432. Eben dieſes Bild befindet fih aus vielfaͤrbi⸗ 
gen Steinen zuſammengeſetzet (Commeflo genannt *) in dem Palafte Alkani, 
Hierauf deutet auch eine noch nicht befannt gemachte Inſchrift, welche auf der 
Flaͤche der einen Halfte seiner von einander gefägten Säule, im Haufe Capponi 
zu Rom, ftehet, aus welcher ich nur den Ders, der dieſe Vorſtellung betrift, 
anführen will: 

HPIITACAN wC TEPIINHN NAIAAEC OY OANATOC 
Dulcem hanc rapuerunt Nymphae, non mors. 
* Ciampini vet. Monum. T. 1. tab, 4. 

3) Montfauc. Ant. expl. T. s. pl. st. p. 123. welder, wie andere, bie wahre 
Vorſtellung diefer Urne nicht gefunden bat, v. monum. ant. ined. N. 111. 

3) Plutarch. Apophth. p. 348. 

4) Dionyf. Halic. Ant. Rom.L. 7. p. 460. 1. 14. Auf einem großen erhobenen 
Werte, von einer Begraͤbnißurne abgeſaͤget, in der Villa Albani, iſt eine 
fißende Frau und ein fichendes Mädchen in einer Speifefammer, neben aufe 
gehängten ausgeweideten Thieren und Eßwaaren, vorgeftelfet , demjenigen 
ahnlich, welches in der Gallerie Giuftiniani geſtochen iſt, und oben darüber 
lieſt man aus dem Virgilius: 

Dum montibus umbrae 

Luſtrabunt convexa, polus dum ſidera paſcet: 

Semper honos, nomenque tuum, laudesque manebunt. 
Ehemals war eine Begraͤbnißurne in Rom, auf welcher ſo gar eine ſogenannte 
unzuͤchtige ſpintriſche Vorſtellung war, und von ber Inſchrift auf berfelben Hate 
gen fich die Worte erhalten: OY MEAEIMOI, „es liegt mir nichts daran.» 
ja bey dem Bildhauer Cavaceppi ſiehet man noch etwas aͤrgeres auf einem folchen 
Werke vorgeſtellet, zugleich mit dem Namen des Bexrſtorbenen. 


Bon der Kunſt unter den Hetruriern. 147 


Die Natur aber und ihren Einfluß in die Kunft zu über 
winden , waren die Metrurier nicht lange genug glüdlih: Denn 
es erhoben fich bald nad) Einrichtung der Republik zu Rom blu— 
tige, und für die Hetrurier unglüdliche Kriege mit den Römern, 
und einige Sabre nad) Alexanders des Großen Tode wurde Das 
ganze Land von ihren Feinden überwältiget, und fo gar ihre Spra= 
che , nachdem fich diefelbe nad) und nach in Die römifche verklei— 
det hatte, verlohr fih. Hetrurien wurde in eine vömifche Pro— 
vinz verwandelt, nachdem der letzte König Aelius Volturrinus 
in der Schlacht bey dem See Lucumo geblieben war; Diefes 
sefchah im 474. Jahre nach Erbauung der Stadt Nom, und 
in der 124. DOlympias. Bald nachher, naͤmlich im 489. Jahre 
der vömifchen Zeitrechnung, und in der 129. Olympias, wur— 
de Volfiniuns itzo Bolfena, „eine Stadt der Künftler,, nad) 
Der Bedeutung des Namens, welchen einige aus dem Phönicifchen 
herleiten 1), son Marcus Flavius Slaccus erobert, und es wur 
den aus diefer Stadt allein zweyfaufend Statuen nad) Nom ge= 
führet 2); und eben fo werden auch andere Städte ausgeleeret 
worden feyn. Hieraus wird begreiflich, wie ehemals Kom bey 
einer unglaublichen Menge griechifcher Statuen, auch mit hetru- 
rifchen Werken angefüllet gewefen, und wie es gefchiehet, Daß 
noch beftändig dergleichen entdecket worden. Unterdeſſen wurde 
die Kunſt unter den Hetruriern noch damals, als ſie den Roͤmern 
unterthaͤnig waren, wie unter den Griechen, da dieſe einerley 

T2 Schick⸗ 
1) Hift. Vniv. des Anglois, T. 14. p. 218. Traduct. Frang, s) Plin.L. 
34. p- 646. 1. 3- 


148 L. Theil. Drittes Kapitel, 


Schickſal mit jenen hatten, gelibet, wie im folgenden wird ange 
führe werden. Won heteurifchen Kuͤnſtlern finden wir nament- 
lic) Feine Nachricht, den einzigen Mneſarchus, des Pythago— 
ras Water ausgenommen, welcher in Stein gegraben hat, und 

aus Thuſcien oder Metrurien — ſeyn ſoll. 
Zweyter Ab⸗ Nach dieſer —— zur eigentlichen Abhandlung 
Bond der Kung Der Kunſt der Metrurier, werde ich, um mir zur näheren Betrach- 
— tung und zur Beſtimmung der Eigenſchaften derſelben, den Weg zu 
Betzaistung bahnen, in dem zweyten Abſchnitte dieſes Kapitels, zuerft die ih: 
ven übrig a, nen eigene Bildung der Figuren, fonderlic) ihrer Götter, und als- 
rn dann die merkwuͤrdigſten Werke anzeigen, aus welchen der Stil 
a. Anmertun- ihrer Kuͤnſtler in zwo verfchiedenen Zeiten zu beftimmen iſt; es 


gen über die 


a enthält alfo Diefer Abſchnitt zween Stüde, und das erfte Stüd 
in Abtheilungen, naͤmlich von Bildern der Götter und Melden, 
er und Die Anzeige Der vornehmften Werke. 
Was Die Bildung und die Formen nebft den verfchies 
denen beygelegten Zeichen der hetrurifchen Götter betrift, ift 
nicht zu längnen, Daß hier in Den mehreften Stüden die Öriechen 
mit den Hetruriern übereinftimmen, als welches zugleich anzeiget, 
Daß fic) jene unter dieſen niedergelaffen haben, und daß dieſe 
Voͤlker beftändig in einer gewiffen Gemeinfchaft geftanden find; 
es find aber auch andere Bildungen der Götter den Hetruriern eis 
genthuͤmlich. 


Die 
1) Conf. Scalig. Not. in Varr. de re ruft. p. 212. 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 149 


Die Abbildung verfchiedener hetruriſchen Gottheiten 
ſcheint ung feltfam; es waren aber auch unter den riechen frem- 
de und außerordentliche Geftalten, wie die Bilder auf dem Ka: 
ften des Cypſelus bezeugen, welche Pauſanias befchreibet. Denn 
fo wie Die erhitste und ungebundene Einbildung der erſten Dich— 
ter, theilszu Erwedung der Aufmerkfamfeit und Verwunderung, 
theilg zu Erregung der Leidenfchaften, fremde Bilder füchete, und 
Die Den Damalsungefitteten Menfchen, mehr Eindrud als fehöne 
und zärtliche Bilder, machen konten, eben fo und aus einerley Grün- 
den bildete auch die Kunſt in ihren älteften Zeiten dergleichen Ge: 
ftalten. Denn der Begriff eines Supiters in Mift der Pferde 
und anderer Thiere eingehüllet, wie ihn der Dichter Pampho 1), 
vordem Homerus, vorftellet, ift nicht feltfamer, als es in der Kunft 
der Griechen das Bild des Apomyos, oder Muſcarius genannt 
iſt, deſſen Geftalt von einer Fliege genommen ift, fodaß die Flü- 
gel den Bart bilden, der Baud) der Sliege den Leib, und auf 
dem Kopfe ift an der Stelle der Haare, der Kopf der liege: 
fo findet fich derfelbe auf einem gefchnittenen Steine des ehemali⸗ 
gen Stoſchiſchen Mufei, welcher in meinen alten Denfmalen in Ku⸗ 
pfer vorgeftellet ift 2). 

Die obern Götter haben fich die Hetrurier mit Würdig- a mit 
keit vorgeftellet und gebildet, und es ift von den ihnen beygeleg— 
ten Eigenfchaften erftlich allgemein, und hernad) insbefondere zu 
reden. Die Flügel find ein Attribut, welches beynabe allen hetruri- 

I 3 ſchen 


1) ap. Philoſtr. Heroic. p. 693. 2) Defcr. des Pier. gr, du Cab. de 
Stofch, p. 45. monum. ant. ined. N, 13. 


150 I. Theil. Drittes Kapitel, 


ſchen Göttern eigenift. Jupiter hat Diefelben auf einem hetrurifchen 
Steine des Stoſchiſchen Muſei; ingleichen auf einer Glaspaſte, 
und auf einem Carniole des itzo gedachten Mufei, woderfelbe in ſei⸗ 
ner Herrlichkeit der Semele erfcheinet 1). Diana war fo wie bey den 
älteften Griechen 2), alfo auch bey den Hetruriern geflügelt, und 
die Flügel, welche man den Nymphen der Diana auf einer Be— 
graͤbnißurne, im Campidoglio, fowohl als auf einem erhabnen 
Werke in der Ville Borghefe gegeben hat, find vermuthlich von 
den älteften Bildern Derfelben genommen. Minerva hat bey den 
Hetruriern nicht allein Flügel auf den Achfeln, 3), fondern auch 
an den Füßen 4); und ein brittifher Scribent 5) irret fehr, 
wenn er vorgiebt, es finde fich Feine geflügelte Minerva, auch 
nicht einmal von Sceribenten angeführet. Sogar Venus ift eben: 
falls geflügelt gebildet worden 00. Andern Gottheiten fetten Die 
Hetrurier Flügel an dem Kopfe, wie der Liebe, der Proferpina, 
und den Zurien. Zu eben der Bedeutung bildeten Die Künftler 
Diefer Nation Wagen mit Flügeln 7); aber auch diefes hatten fie 
mit den Öriechen gemein: denn Euripides 8) giebt der Sonne einen 
geflügelten Wagen, und auf eleufinifchen Münzen 9) figet Ce— 
res auf einem folhen Wagen von zwo Schlangen gezogen; es 
gedenket auch Die Fabel eines andern geflügelten Wagens des 
Neptunus, welchen Idas durd) Den Apollo erhielt, die Marpeßa 

u 
1) Defer.des Pier. gr. duCab.de Stofch, p. 34. 35. monum. ant. ined. “ 1.2, 
2) Paufan.L.s.p.424. 1. 2. 3) Dempft. Etrur. tab. 6. 4) Cic, de 
Nat. deor, L. 3. c. 33, 5) Horsley Brit. Rom. p. 353. 6) Gori Muß. 


Etr. tab. 83. 7) Dempft. Etr, tab. 47. 8 ) Eurip. Oreft, v. 1001. 
9) Haym Tef. Brit. T. 2. p. 219. 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 151 


zu entführen 1). Wenn alfo an gedachfem Orte des Euripideg mlego- 
gopwr oynuaroy Überfetset worden pennigerorum curruum, tft die— 
fes nicht zu tadeln, wie ein Criticus behauptet, und es mit volu- 
crium equorum richtiger zu erklären vermennet 2); ja er irret; 
denn Die Flügel find hier nicht den Pferden, fondern Dem Wa— 
gen gegeben. Es findet ſich unterdeffen Das Worr mlegopoang als 
ein Benfat des Wagens des Sohns Des Thefeus von eben Dem 
Dichter gebrauchet 3 ), deſſen Geſchwindigkeit anzudeufen. 

Es bewaffneten auch die Metrurier neun Gottheiten mit 
dem Blige, wie Plinius 4) Iehret ; er ſaget aber nicht, welche 
Diefelben find , und niemand nad) ihm: Wenn wir aber Die bey 
den Griechen alfo gebildete Götter fammlen, finden ſich eben fo 
viel. Unter den Göttern war, außer Dem Jupiter, auch Dem 
Apollo, der zu Meliopolis in Affyrien verehret wurde 5), Der 
Blitzkeil beygeleget, und eben fo ift derfelbe auf einer Münze, 
der Stadt Thyrria in Arcadien vorgeftellet 6). Mars im Streite 
wider die Titanen hat denfelben auf einer alten Glaspaſte 7), 
und Bacchus auf einem gefchnittenen Steine 8), die fid) beyde 
im Stofchifchen Muſeo befinden ,; mit Diefem Attribut erfcheinet 
Bacchus auch auf einer hetrurifchen Patera 9). Eben Diefes Zei 
chen haben Vulcanus 10) und Pan in zwo Kleinen Figuren von 
Erzt, in dem Mufeo des Collegi Romano, und Hercules auf 

einer 


1) Apollod,bibl.L.1.p.16.. 2) Rutger. var. let. L. 1, c. 10. p. 48. 
3) Eurip. Iphig. Aul.v. 235. SH.N.L..2.c. 57. 5) Macrob. 
Saturn. L. 1. c. 24, p. 254. 6) Golz.Graec. tab. 61. 7X Defer. des 
Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. sr. n. 116. g)Ibid. p. 234. n. 1459. 
9) Dempft. Etr, tab. 3. 10) Serv. ad Aen. 1. p. 177. H. 


B mit dem 


Blıge, 


152 I. Theil, Drittes Kapitel, 


einer Münze von Naxus. Won Göttinnen hatte den Donnerkeil 
Eybele 1), und Pallas 2), wie auf Münzen des Pyrr⸗ 
hus 3), auch auf andern Münzen. Ic Eönte auch der Liebe 
auf dem Schilde des Alcibiades gedenken, welche den Donner- 
keil hielt 4). 

Bein Yon befondern Vorftellungen einzelner Gottheiten ift un- 


Sötter, — 
a.Minnlihes ter Den männlichen zu merken Apollo mit einem Hute von dem 


an Kopfe herunter auf Die Schulter geworfen 5), fo wie Zethus, 
der Bruder des Amphion, auf zwo erhobenen Arbeiten in Kom, 
vorgeftellet ift 0); vermuthlidy auf deffen Schäferftand bey Dem 
Könige Admetus zu deuten: denn Die das Feld baueten, oder 
Landleute waren, trugen Düte 7). Und fo werden die Grie— 
chen den Ariſteas, des Apollo und der Cyrene Sohn, welcher 
Die Bienenzucht gelehret 8), gebildet haben: denn Heſiodus 
nennet ihn den Feldapollo 9). Mercurius hat anf einigen hetru= 
rischen Werken einen fpitigen und vorwärts gekruͤmmeten Dart, 
welches die altefte Form ihrer Bärte ift, wie ich auch unten an— 
zeigen werde. Ganz außerordentlid) aber ift ein kleiner Mercu⸗ 
rius von Erzt, und eine Spanne in der Hoͤhe, in dem Muſeo 
Hrn. Hamiltons, großbrit. Miniſters zu Neapel: denn dieſe Fi— 
gur 


z) Bellori Imag. & du Choul della relig. de Rom. p. 92. 2) Apollon. Ar- 
gon. L. 4. v. 671, Servius I. c. 3) Golz. Graec. tab. 36. n. 5. conf, 
Spanh. de praeft. Num. T. 1. p. 432. 4) Athen. Deipn.L. 12. p. 51. 
5) Dempft. Etr. tab. 32. conf. Buonar, expl. p. ı2.$. 6. 6) Defer. des 
Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 97. 7) Dionyf. Halic. Ant. Rom. L. 
zo. p- 615.1. 14. 8) Iuftin. L. 13. ce. 7. 9) conf. Serv. in Virg, 


Georg. L, 1. v.14. &Schol. Apoll. Riod. L. 2, v. 500. 


Von der Kunſt unter den Hetruriern. 153 


gur ift mit einem Panzer bewaffnet, welcher unten Die gewöhnli= 
en Gehenke hat; die Schenkel und die Beine aber find unbes 
kleidet. Diefe Abbildung deutet, wie der Helm auf dem Haupte 
einer Statue des Mercurius zu Elis 1) auf den Streit Deffelben 
mit den Titanen, in welchem er, nachdem Apollodorus, bewaff⸗ 
net war 2). Ferner iſt auf einem Carniole des ehemaligen Sto— 
ſchiſchen Muſei dieſe Gottheit mit einer ganzen Schildkroͤte an 
ſtatt des 3) Huts bedecket; welches Bild ich in meinen Denkma⸗ 
len des Alterthums bekannt gemachet habe, wo ich zugleich 
eines Kopfs eben dieſer Gottheit in Marmor gedenke, welcher 
eine Schildfröte trägt, nicht weniger, daß fich auch zu The: 
ben in Aegypten eine Figur mit folcher Bedeckung des Haupts 
vorgeftellet findet 2). 

Unter den Goͤttinnen ift befonders eine Suno, auf Dem 
angeführten Dreyfeitigen Altare in der Villa Borghefe, zu mer: 
Een, welche mit beyden Händen eine große Zange hält 5), und 
fo wurde Diefelbe auch von den Griechen vorgeftellet 9. Diefes 
war eine Juno Martialis; und die Zange Deutefe vermuthlich 
auf eine beſondere Art von Schladhtordnung im Dingriffe, welche 
eine Zange (Forceps) hieß, uhd man fagte, nad) Art einer Zange 
fecyten 7), (Forcine & Serra proeliari) wenn ein Meer im Fech⸗ 


ten - 
ı) Pauf. L. 5. p 449.1. 22. 2) Bibl.L. ı. p. zo, b. 3) Ibid. p. 97. mo- 
num. ant.ined.N. 13. 4) Pococke’s Defer. ofthe Eaft, T.ı.p. 108. 


5) Monum.ant. ined.N. ı5. 6) Codin. de Orig. Conftantinop. p. 44. 
conf. Pref. ala Defer. des Pier. gr. &c. p. XIV. 7) Felt. v. Serra 
proeliari. Valef. Not. in Ammian. L. 16. c. ı2, p. 135.2, 


Winkelm. Geſch. der Runſt. u 


b. Werbliches 
Geſchlechts. 


154 J. Theil. Drittes Kapitel. 


ten fich alfo fheilete, Daß e3 den Feind indie Mitten faffefe, und 
eben Diefe Deffnung machen fonnte, wenn es vorwaͤrts im Gefech- 
te begriffen, im Mücken follte angefallen werden. Venus wurde 
mit einer Taube in der Hand gebildet DD; und eben fo ftehet fie 
beEleidet auf vorerwaͤhntem dreyſeitigen Altare. Auf eben Die 
ſem Werke fichet man eine andere bekleidete Göttinn, mit einer 
Blume in der Hand, welches eine andere Venus bedeuten Fön- 
te: denn fie halt eine Blume auf einem unten befchriebenen run⸗ 
den Werke, im Campidoglio 2); auch auf der Baſe des einen 
von den zween fehönen Dreyfeitigen Leuchtern , die im Palafte 
Barberini waren, ift Wenns alfo vorgeftellet 3): Diefe Leuchter 
aber find griecyifche Arbeiten. Eine Statue aber, welche Herr 
Spence 4) nicht lange vor meiner Zeit will in Rom gefehen ha— 
ben, mit einer Taube, ift io wenigftens nicht mehr vorhanden: 
er ift geneigt, Diefelbe für cinen Genius von Neapel zu halten, 
und führet ein paar Stellen eines Dichters hierüber an. Man 
bringe auch eine kleine vermeynte hetruriſche Venus, in Der 
Galierie zu Florenz, bey, mit einem Apfel in der Hand; wo es 
nicht etwa mit dem Apfel beſchaffen tft, wie mit Der Violin des 
einen Eleinen Apollo Dafelbft von Erzt, über deren Alter Addi- 
fon nicht hätte zweifelhaft ſeyn Dürfen: Denn es ift Diefelbe ein of⸗ 
fenbarer neuer Zuſatz. Die drey Oratien ficht man bekleidet, wie 
bey den älteften Griechen, auf mehrmalerwähntem Borabefifchen 
Altare; 


1) Gori Muf. Etr. tab. rz. 8) Monum, ant.ined.N-s. 3) Ibid. N.3:. 
4) Polymet. p. 244. 


Von der Kunft unter den Hetruriern. 155 


Altare; fie haben ſich angefaffet, und find wie im Tanze: Gori 
vermeynet, Diefelben entEleidet auf einer Patera zu finden n). 
Nach Diefen Anmerkungen über Die hetrurifchen Bilder RS 
der Götter, werde ich ſuchen in der zwoten Abtheilung dieſes er: a. — 
ſten Abſchnitts die vornehmſten Werke hetruriſcher Kunſt anzuzei⸗ 
gen, um in dem zweyten und folgenden Abſchnitte aus denſelben auf 
die Zeichnung ſelbſt und auf den Stil der Kuͤnſtler den Schluß 
zu machen. Sch muß aber hier unſere mangelhafte Kenntniß be— 
Hagen, Die ſich nicht allegeit wagen Fan, das Hetruriſche von 
dem älteften Griechiſchen zu unterfcheiden : denn auf der einen 
Seite machet uns die Aehnlichkeit der hetruriſchen Werke mit den 
griechifhen, von welcher im erſten Kapitel gehandelt worden, 
ungewiß; auf der andern Seite find «8 einige Werfe, welche in 
Toſcana entdecket worden, und den griechifchen von guten Zeiten 
aͤhnlich fehen. Man merke hier vorläufig, Daß fid) alte hetrurifche 
Werke von den griechifchen Darinn unterfcheiden , daß auf ſehr 
vielen von jenen, fonderlich auf eingegrabenen Arbeiten in Erst, 
und im Steine, den Figuren fowohl der Götter als der Melden 
der Name beygefezet worden , welches bey den Griechen in der 
Dlüthe der Kunft nicht üblich war. Es findet fich zwar das Ge 
gentheil auf einigen gefchnittenen Steinen, unter welchen ich mid) 
eines kleinen Biccolo, in dem Muſeo des Duca Caraffa Noja 
erinnere, wo neben einer Figur der Vallas AOH OEA, d. i. die 
Goͤttinn Dallas ſtehet; es deutet aber die Form der Buchftaben 
fo wohl als Die Figur felöft auf fehr niedeige Zeiten der Kunſt, wo 
uU2 man 
3) Muf. Flor. tab. 92. — 


aa, Kleine Fis 
guren in Erzt, 
und Thiere. 


bb. Statuen, 
“ Bon Erjt. 


156 L. Theil. Drittes Kapitel. 


man anfieng mehr als eine Reihe Schrift um Die Figuren herum 
zufesen. Die Werfe, welche anzuzeigen find, beftchen in Figu— 
ren und Statuen, in erhobenen Arbeiten, in gefchnittenen Stei- 
nen, in eingegrabener Arbeit auf Erst, und in Gemälden. 

Unter dem Worte Figur begreife ich hier die Heinern Bil- 
Der von Erst, nebft den Thieren: jene find in den Mufeis nicht 
felten, und id) ſelbſt befige verfchiedene derſelben; und unter Die 
fen finden ſich Stuͤcke von der älteften Zeit der hetrurifchen Kunft, 
wie aus deren Geftalt und Bildung im folgenden Stüde ange 
zeiget wird. Won Thieren ift das beträchtlichfte und größte eine 
Chimära von Erzt, in der Gallerie zu Slovenz 1), welche ans 
einem Löwen in natürlicher Größe, und ang einer Ziege zufammen 
geſetzet iſt; Die hetrurifche Schrift an Derfelben ift der Heweis von 
einem Künftler Diefes Volks. 

Die Statuen, dasift, Figuren in oder unter Lebensgröße, 
find theils von Ezrt, theils von Marmor. Don Erst finden fich 
zwo Statuen, welche hetrurifch find, und Die Dritte welche Dafür 
gehalten wird. Jene haben hiervon ungezweifelte Sennzeichen; 
eine ift in dem Palaſte Barberini, etwa vier Palme hoch, und 
vielleicht ein Genius; Daher men Demfelben ein neues Fruchthorn 
gegeben hat. Die zwote Statue ift ein vermeynter Haruſpex 2), 
wie ein römifcher Senator gekleidet, in der Gallerie zu Florenz, 
auf dem Saume deffen Mantels hetrurifche Schrift eingegraben 
ſtehet. Jene Figur iſt ohne Zweifel aus ihren erften Zeiten, Diefe 
aber aus der fpäteren Zeit, welches man aus dem glatten Kinne 

| | der⸗ 
ı) Gori M Etr. tab. 155. a) Dempft. Etrur. tab. 40. 


Bon der Kunſt unter den Hetruriern. 157 


Derfelben muthmaßen, und aus der Arbeit felbft begreifen Fam. 
Denn da diefe Statue, wie man fieht, nach Dem Leben gebildet 
ift, und eine beftimmte Perfon vorftellet, würde Diefelbe in Altern 
Zeiten einen Bart haben, Da die Bärte Damals unter den He— 
truriern, fo wie unter den erften Nömern 1), eine allgemeine 
Tracht gewefen. Die dritte Statue, die man einen Genius nen= 
net, ftellet einen jungen Menfchen in Lebensgröße vor, und wur- 


de im Jahre 1530. zu Peſaro am hadriatifchen Meere gefunden, - 


wo man gleichwohl eher eine griechifche als hetrurifche Statue zu 
entdecken hoffen Fan, da diefe Stadt eine Kolonie der Griechen 
war. Gori vermeynet, in der Arbeit der Daare einen hetruri— 
ſchen Künftler zu erkennen, und er vergleichet Die Lage Derfelben 
etwas unbequem mit Fiſchſchuppen; es find aber auf eben die 
Art die Haare an einigen Köpfen in hartem Steine und in Erst 
zu Nom, aud) aneinigen hereulanifchen Sruftbildern, gearbeitet. 
Diefe Statue ift unterdeffen eine der fchönften in Erzt, welche ſich 
aus dem Alterthume erhalten haben. 

Ueber marmorne Statuen, Diehetrurifch fcheinen, iſt nicht 
leicht ein entſcheidendes Urtheil zu fallen, weil Diefelben aus Der 
älteren Zeit Der Griechen feyn Eönen; und es bleibet allegeit Die 
WahrfcheinlichFeit ftärker für Diefe als für jene Meynung. Es 
Fan Daher ein Apollo von Diefer Art in dem Mufeo Capitolino, 
und eine andere Statue diefer Gottheit, in dem Palafte Conti, 
die unten an Dem Worgebirge Eirceo, in einem Eleinen Tempel 
entdecket iſt, ficherer für eine fehr alte griechifche als für eine 

u 3 hetru⸗ 
WW LIDL. 3. c. 41. 


b. Bon Mars 
mor. 


158 1. Theil. Drittes Kapitel. 


hetruriſche Arbeit gehalten werden. Eben fo unterftche ich mich 
nicht zu behaupten, Daß eine irrig fo genannte Veſtale in dem 
Palaſte Ginftiniani , die vermuthlich Die allerältefte Statue in 
Kom ift, oder eine Diana in dem herculaniſchen Muſeo, Die alle 
Kennzeichen des hetrurifchen Stils hat, von Künftleen Diefer 
Nation, und nicht vielmehr von Griechen gearbeitet worden. 
Die ftärkfte Muthmaßung einer hetruriſchen Arbeit Eönte auf die 
. Statue eines fo genannten Driefters über Lebensgröße, in der 
Villa des Hrn. Kard. Alex. Albani, fallen, welche unbeſchaͤdigt 
geblieben, bis auf die Arme, Die ergängetfind; die Stellung derſel⸗ 
benift völlig gerade mit gefchloffenen Füßen. Die Falten des Rocks 
ohne Ermel gehen alle parallel, und liegen wie geplättet auf 
einander, Die Ermel des Unterkleideg find in kreppigte gepreflete 
Falten geleget, von welcher Art Tracht ich zu Ende des folgene 
den Stüds, und im folgenden Kapitel, bey Der weiblichen Klei- 
dung ein mehreres anmerke. Die Haare über der Stirne liegen 
in Fleinen geringekten Locken, nach Art der Schnedenhäufer, ſo 
wie fie mehrentheils an den Köpfen der Herme gearbeitet find; 
und vorne Über den Achſeln herunter hängen, auf jeder Seite, 
vier lange gefchlängelte Strippen Haare ; hinten hängen Diefel- 
ben, ganz gerade abaeftust, und lang von dem Kopfe gebunden, 
unter dem Bande, in fünf langen Loden herunter, Die zufammen 
liegen, und einigermaflen Die Form eines Haarbeutels machen, 
von anderthalb Palmen lang. 
Die bereits im erften Kapitel angezeigte Diana des her- 
culaniſchen Mufei ift im Gehen vorgeftellet, wie die mehreften Sie 
guren 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 159 


guren diefer Göttin. Die Winkel des Mundes find aufwärts 
gezogen, und das Kinn ift Hleinlich ; aber man fieht fehr wohl, 
daß das Geficht Feine Abbildung einer beftimmten Perfon ift, 
fondern es ift ein unvollkommener Begriff der Schönheit, Dem 
unerachtet find die Füße ungemein zierlich, und finden fid) nicht 
fhöner an wirklich grichifhen Figuren. Ihre Haare hängen 
über der Stirne in Hleinen Loden, und die Seitenhaare in langen 
Strippen auf den Achſeln herunter ; hinten aber find Diefelben 
lang vom Haupte gebunden, und übrigens durch ein Diadema 
umgeben, auf welchem acht erhobene vothe Nofen ftehen. Die 
Kleidung derfelben ift weiß angeftrichen, das Hemde, oder das 
Unterkleid, hat weite Ermel, welche in gekreppte oder gefniffene 
Salten geleget find, und die Wefte, oder der kurze Mantel, in 
geplattete parallele Falten, fo wie der Rock. Der Saum der 
Weſte ift an Dem Äußeren Nande mit einem Fleinen goldgelben 
Streifen eingefaffet, und unmittelbar über demſelben gehet ein 
breiterer Streifen von Ladfarbe, mit weißem Blumenwerke, Sti- 
ckerey anzudeuten; und eben fo ift Der Saum Des Nods gemalet. 
Der Riem des Koͤchers, welcher von der rechten Achſel uͤber Die 
Bruſt gehet, ift roth, fo wie der Niem der Sohlen. Es fand 
dieſelbe in Einem Eleinen Tempel, welcher zu einer Villa der alten 
verfchütteten Stadt Dompeji gehörete. 

Ron erhoben gearbeiteten Werken will ich mich begnügen’ 
vier Denkmale zu wählen, und zu befchreiben, welche ftufen- 
weis und nach ihrem Alter auf einander folgen. Das erfte und 
das Altefte nicht allein von hetrurifchen, fondern auch überhaupt 

von 


cc. Erbodeie 
9 


Arbeiten. 


160 L Theil, Drittes Kapitel. 


von allen erhobenen Arbeiten in Rom, ſtehet in der Wille Alba⸗ 
ni, und ift in den von mir zu erft bekannt gemachten alten Denke 
malen in Kupfer geftochen zu fehen 1). Es ftellet dieſes Werk 
in fünf Figuren die Goͤttinn Leucothea por, Die vor ihrer Ver— 
götterung Ino hieß, und eine von den drey Töchtern des Königs 
in Theben, Cadmus, war; ihre beyden Schweitern hießen Se— 
mele und Agape. Semele war, wie bekannt ift, Die Mutter des 
Bacchus, deffen Erziehung Ino, als die Mutter Schwefter, 
übernahm, und hier Diefes Kind auf ihrem Schooße ſtehend halt. 
Sie ſitzet auf einem Lehnftuhle, welcher auch mit Armlehnen ver: 
ſehen iſt; und auf diefen Stuhl Eönte and) das Beywort EuSgovog, 
Wohlfigend, welches Pindarus Diefen Töchtern Des Cadmus bey⸗ 
leget, gedeutet werden. Weber der Stirne hat diefelbe eine Art 
von Hauptbinde (Diadema) geleget , welche die Geftalt einer 
Schläuder hat, das iſt, das Band vorne am Haupte ift an 
drey Singer breit und vermittelt zwo ſchmaler Bänder von bey- 
den Seiten um Die Haare gebunden, wodurd das Wort Zyordarn 
beym Ariſtophanes, als eine Gattung von Mauptbinde, erklä- 
ret wird. Ihre Haare find über der Stirne und an den Schlä- 
fen in Ereppigte Ringeln geleget, und hängen über die Dchfeln 
und hinterwärts gerade herunter. Gegen ihr über ftehen drey 
Nymphen, Die den Bachus erzogen haben, in verfchiedener 
Größe, von denen Die vordere und größte Das Gaͤngelband des 
tungen Bacchus hält, Die Köpfe aller fünf Figuren dieſes Werks 
fehen den aͤgyptiſchen Seftalten fehr ähnlich Durd) hinaufgezogene 
platt 


») Monum. ant, ined. N, 56. 


Bon der Kunft unter den Hetruriern, 161 


platt gefcehnittene Augen und durd) den Mund, welcher fich eben- 
falls aufwärts zichet. Ihre Bekleidung ift mit geraden parallelen 
Salten gereift , Die Durch bloße Einfchnitte angedeutet find , fo 
Daß fic) zwo Linien beftändig einander nähern. 

Das zwente erhobene Werk hetruriſcher Kunſt, welches in mei- 
nen alten Denfmalen in Kupfer geftochen zusfehen 1), iſt ein runder 
Altar in dem Muſeo Capitoling , und ftellet den Mercurius vor, in 
Begleitung des Apollo und der Diana; und fowohl die Zeichnung 
der Figuren felbft, als insbefondere Die Geſtalt des Mercurius ſchei⸗ 
nen hier über den hetrurifchen Stil Feinen Zweifel zu laſſen. Denn 
dieſe Gottheit hat nur in übrig gebliebenen Bildern dev Hetru— 
vier einen Bart, und zwar einen foldyen, den wir pflegen einen 
Nantalonsbart zu nennen, weil die Perfon Diefes Namens in un⸗ 
feren Comödien einen fo geftalteten vorwärts ftehenden Bart träs 
get. Unterdeſſen muß Mercurius aud) in den Alteften griechie 
ſchen Werken nicht allein bartig, fondern auch mit einem Barte, 
welcher dem auf unferem Altare ahnlich ift, abgebildet geweſen 
feyn, wie man aus deſſen Beyworte beym Pollux 2) fehliegen Fan, 
welches feinen geflochtenen Bart (Barba intorta) wie e8 Die Aus⸗ 
leger verfichen, fondern einen Feilförmigen bedeutet; und von Dies 
fer uralten Geftalt eines griechifchen Mercurius fcheinen die Maf 
fen mit einem folchen Barte Eorereios benennet zu ſeyn 3). Sollte 
daher jemand über die Arbeit dieſes Altars zwifchen dem hetrurifchen 

und 


ı. Monum. ant.ined.N. ı. 36. 2) Poll. Onom. L, 4, Segm. 134. 337. 
3) Ibid. Segm. 145. 


Wintkelm, Geſch. der Runſt. % 


162 1. Theil, Drittes Kapitel. 


und dem älteften griechifchen Stil zweifelhaft bleiben wollen, wird da⸗ 
Durch Der von mir gegebene Begriff nicht irrig, und Die Kenntniß des 
hetrurifchen Stils Fan nichts deſto weniger aus demſelben gezogen 
werden, da, wie ich bereits angezeiget habe, Die Altefte griechifche 
zeichnung der hetrurifchen aͤhnlich gewefen ift. Man beobachte 
hier beyläufig Die Form des Bogens, welcher fi) nur an den 
Enden Frümmet, und im übrigen faft ganz gerade gehet, fo wie 
derſelbe auch auf griechifchen Werken geftaltet ift; wo fich Apollo 
und Mercules, jeder mit einem Bogen, benfammen finden, das 
iſt, wo Diefer jenem den Dreyfuß zuDelphoswegträget I),anftatt,daß 
Hercules mit einem feythifchen Bogen verfehen ift, welcher ſtark ge— 
kruͤmmet oder gefchlängelt war, wie das ältefte griechifcehe Sigma 2). 
Das dritte erhobene Werk, ift ein vieredigter Altar, 
welcher ehemals auf dem Markte zu Albano ſtand, und itzo 
ebenfalls im Muſeo Capitolino befindlich iſt, auf welchem 
verfchiedene Drbeiten Des Mercules gebildet find. Man Fön: 
te einwenden , daß an Diefem Hercules die Theile vielleicht 
nicht empfindlicher und fchwülftiger, als an dem Farnefifchen Der: 
eules , vorgeftellet worden, und daß hieraus auf die hetrurifche 
Arbeit deffelben nicht zu fchließen fey. Ich muß dieſes eingefte- 
hen, 
ı) Pauciaudi Monum. Pelopon, Vol. r. p. 114. ») conf. Defer. des Pier. 
er. du Cab. de Stofch.” Bielleicht hieß ein folcher Bogen patulus : 
Impofita patulus calamo finuaverat arcus. 
Oyid, L. ı. Metam. v. 30. 
Der andere aber Sinuofus: 


Lunavitque genu finuofum fortiter arcum. 
IR. L. 1. Amor. eleg. 1. 


Bon der Kunſt unter den Hetruriern. 163 


hen, und habe Fein anderes Kennzeichen, als deſſen Dart, wel: 
cher ſpitzig it, und woran Die Locken fo wohl als an den Haupt— 
haaren durch Eleine Ningeln, oder vielmehr Kücheldyen, veihen- 
weis angedeutet find, welches die aͤlteſte Art der Form und Der 
Arbeit der Bärte war. 

Das vierte und fpätere Werk vermeynter hetrurifchen Kunſt 
befindet fich in eben dem Muſeo Capitolino in der Form eines run— 
den Altars, und wird insgemein dafuͤr angefehen, da ito ein 
großes Gefaß von Marmor fet auf demfelben gefetset worden, 
und Demfelben zur Baſe dienet; eigentlich aber ift eg eine Bruns 
nenmiündung, (bocca di bozzo) wie an dem inneren Rande Die 
hohlen Reifen angeigeten , die der Stris des Eimers ausgefeilet 
hatte. Es ift diefes erhobene Werk in meinen alten Denfmalen 
in Rupfer geftochen 1), und ftellet Die zwölf oberen Götter vor. 
Außer dem Stil der Zeichnung, welcher alle Kennzeichen der 
Kunſt der Metrurier hat, glaubte ich auch auf Diefelbe zu fchlief 
fen aus der Figur eines jugendlichen Vulcanus, ohne Bart, 
welcher im Begriffe ſtehet, dem Supiter mit einem Sammer Die 
Stirn zu öffnen, um die Geburt der Pallas aus deſſen Gehirne 
zu befördern: Denn in Diefem Alter und ohne Bart iſt Vulcanus 
in eben der Verrichtung auf ungezweifelten heteurifchen Opfers 
ſchalen 2) und Steinen abgebildet 3). Allein dieſer Schluß ift 
nicht allgemein, da eben dieſe Gottheit nicht allein von den alte: 

2 ften 


») Monum. ant. ined. N. s. 3) Dempft. Etrur. T, 2. Tah. ı. Monffauc. 
ant. expl.T. 3. pl. 62, n- 1. 3) Defer. des pier, gr. du cab. de Stofch, 


pP. 123. 


dd. Beſchnit⸗ 
tene Steine, 


164 I Theil, Drittes Kapitel. 


fteit Orichen ohne Bart vorgeftellet worden 1); fondern es er- 
ſcheinet derfelbe auch alfo auf Münzen der Infel Lemnus 2), der 
Inſel Lipari und auf römifchen Münzen 3) und auf Lampen 4) 
ingleichen auf einer ſchoͤnen griechifchen erhabenen Arbeit des 
Marchefe Nondinini, wo er Dem firenden und von der Pal: 
las fchwangeren Supiter bereits den Schlag zur Geburt gegee 
ben hat. Diefes Werk ift auf dem Titelblate des zweyten Ban- 
des meiner alten Denkmale vorgeftellet zu fehen. Wider dieſe 
Meynung in Abficht auf Die Zeichnung Eönte man einwenden, 
Daß, da man weis, daß Cicero fo gar aus Athen dergleichen 
DBrunnenmündungen für feine Landhaufer Eommen laffen 5), bier 
der Altefte griechifche Stil Fönte nachgeahmet ſeyn von einem aͤhn⸗ 
lichen Werke, indem Die Alten Diefelben mit erhabener Arbeit aus: 
ziereten , welches aus Dem Brunnen erhellet, wo vom Pamphus 
einem der älteften Bildhauer, Die Ceres in Betrübniß, nad) Ente 
führung der Proferpina vorgeftellet war 6), und wider diefen Eine 
wurf ift nicht leicht zu antworten. Sch wiederhole aber alsdann, 
was ic) bey dem zweyten dieſer Werke erinnert habe, Daß jenes 
fo wohl als diefes , aus einerley Grunde , zu einem Modelle des 
hetruriſchen Stils Dienen Töne. 

Unter den gefchnittenen Steinen habeich theilg Die älteften, 
theils die fchönften gewählet, damit Das Urtheil aus Denfelben 
richtiger und gegründeter feyn koͤne. Wenn der £efer augenfchein- 

liche 
1) Paufan. L, 8. p. 658. 1. 20. 2) Rec. de Med, du Cab. de Peller. T. 
3-pl.ıc2. 3) Vail.aum.famil. T. ı.tab. 25. n. 8. 4) Muf. Pembroch.P, 


2. tab. 3. 5) Cic. ad Attic. L. 1. ep. 10. pwealia figillara. 
6) Paufan. L. 1. p. 94, v. 2. 


Bon der Kunſt unter den Hetruriern. 165 


liche Arbeiten von der höchften hetrurifchen Kunft vor Augen hat, 
und die. bey aller ihrer Schönheit Unvollfommtenheiten haben, fo 
wird dasjenige, was ic) im folgenden Stuͤcke über Diefelbe an- 
merken werde, um fo vielmehr von geringeren Werfen gelten Fö- 
nen. Die drey Steine, welche id) zum Grunde des folgenden 
Beweiſes fee, find, wie die mehreften hetrurifchen gefchniftenen 
Steine, Scarabei, dag ift, auf der erhobenen und gewölb- 
ten Seite derfelben ift ein Käfer gearbeitet; fie find in der Lange 
durchbohret, und man kannicht wiffen, ob Diefelben als ein Amulet, 
am Halſe getragen , oder beweglic) in einem Ninge eingefaffet 
worden, als welches aus einem goldenen Stifte, der in der Hoh— 
lung eines foldyen Steins, im Mufeo Piombino ftedet, wahr: 
fheinlich wird. Einer der älteften gefchnittenen Steine, nicht 
allein unter Den hetruriſchen, fondern überhaupt unter allen, 
die bekannt fmd, ift ohne Zweifel derjenige Carniol im ehemaligen 
Stofhifhen Mufeo , welcher eine Berathſchlagung von fünf 
griechifehen Melden unter den fieben des Zuges wider Theben 
vorftellet. Da bier nur fünf Melden erfcheinen, um nicht 
den Mangel des Raums als eine Urſach anzuführen, Eönteman 
glauben, der hetruriſche Künftler fey einer befonderen Nachricht 
hierinn gefolget: denn da nad) dem Paufanias mehr Haͤupter 
dieſes Heers als fieben gewefen, 1) welche Aeſchylus aufführek, 
fo könen anderen weniger als fieben derfelben bekannt geweſen 
fegn. Die zu den Figuren gefetsten Namen zeigen den Polyniceg, 
= Par⸗ 


ı) Paufan. L. =. p- 156. LLI. 


166 I. Theil. Drittes Kapitel. 


Parthenopaͤus, Adraſtus, Tydeus, und Amphiaraus; und von 
dem hohen Alterthume deſſelben zeuget ſowohl die Zeichnung, 
als die Schrift. Denn bey einem unendlichen Fleiße, und einer 
großen Feinheit der Arbeit, nebſt der zierlichen Form einiger 
Theile, als der Fuͤße, welches Beweiſe von einem geſchickten 
Meiſter ſind, deuten die Figuren auf eine Zeit, wo der Kopf 
kaum der ſechſte Theil derſelben geweſen ſeyn wird, und die Schrift 
koͤmmt ihrem pelasgiſchen Urſprunge, und der aͤlteſten griechiſchen 
Schrift naͤher, als auf andern hetruriſchen Werken. Durch die— 
ſen Stein kan unter andern das ungegruͤndete Vorgeben eines 
Scribenten widerleget werden, daß die hetruriſchen Denkmale 
der Kunſt aus ihren ſpaͤtern Zeiten ſind. Die andern zween 
Steine ſind vielleicht die ſchoͤnſten unter allen hetruriſchen Stei— 
nen: der eine gleichfalls in Carniol befindet ſich auch im Stoſchiſchen 
Muſeo 1); den zweyten in Agath geſchnitten beſitzet Herr Chri— 
ſtian Dehn in Rom. Jener ſtellet den Tydeus mit deſſen Na— 
men vor, wie er, in einem Hinterhalte von funfzig Thebanern 
angefallen, dieſe bis auf einen erlegte, aber verwundet wurde, 
und ſich einen Wurffpieß aus dem Beine ziehet. Es giebt Die 
fe Figur ein Zeugniß von dem richtigen Werftändniffe Des 
Künftlers in der Anatomie, an den genan angegebenen Kno— 
chen und Muskeln , aber auc) zugleich von der Haͤrte des 
hetruriſchen Stils. 2). Der andere Stein, welcher zu En- 

1) Defer. des Pier, gr. du Cab. de Stofch, p. 348. Mr 

2) Es fönte faſt ſcheinen, Statius habe dieſen Stein arfchen, oder alle Figuren 


des Tydeus muͤſſen eben fo gezeichnet geweſen ſeyn, Das iſt, mit ſtarken und 
ſich tba⸗ 


Bon der Kunſt unter den Hetruriern. 167 


de des zweyten Stüds ſtehet, bildet den Peleus, des Achilles 
Vater , mit deſſen Namen, ab, wie er fi) Die Haare an einem 
Brunnen wäfcht, welcher den Fluß Sperchion in Theflalien vor- 
ſtellen ſoll, dem er die Maare feines Sohns Achilles abzuſchnei⸗ 
den und zu weihen gelobete, wenn er geſund von Troja zuruͤck 
kommen würde HR. So ſchnitten ſich die Knaben zu Phigala 
die Haare ab, und weiheten dieſelben dem Fluſſe daſelbſt 2), 
und Leucippus ließ feine Haare für den Fluß Alpheus wachſen 3). 
Man merke hier, in Abſicht der griechiſchen Helden auf hetruri— 
ſchen Werken, was Pindarus insbeſondere vom Peleus ſagt, 
daß kein ſo entlegenes Land, und von ſo verſchiedener Sprache 
ſey, wohin nicht der Ruhm dieſes Helden, des Schwiegerſohns 
der Götter gekommen ſey A). 

Naͤchſt der Kunſt in Edelfteine zu fehneiden, haben Die 
hetrurifchen Künftler ihre Gefchicklichkeit gezeiget, in Erzt zu ftes 

chen, 


ſichtbaren Knochen, und mit Tnotenmäßigen Muskeln: dent Die Beichreibung 
des Dichters fcheinet den Stein zu malen und zu erklären, fo wie der Stein 
wiederum den Dichter erläutern kann: 
— — — — quamquam ipfe videri 
Exiguus, gravia offa tamen , nodisque lacerti 
Difficiles; numquam hunc animum natura minori 
Corpore, nec tantas aufa eft includere vires. 
Thel, L. 6. v. 840. 
3) N. W, 144. Paufan. L. 1.p. 90.1.8. 2) Id. L. b. P. 683, 1, 32. 
3) Ibid. p. 638.1. 21. conf, Viktor. Var. Lect. L. 6. c. zz. 
4) Nem. 6. v. 34. feq« 


U Eingegrabe⸗ 
ne Figuren in 
Erzt. 


168 I. Theil. Drittes Kapitel. 


chen, wovon viele Pateraͤ Zeugniß geben. Dieſes Werkzeug, 
welches wir eine Dpferfchale nennen, wurde gebraucht, Libation 
von Waffer oder Wein, oder Monig theils auf dem Altare, theils 
auf dem Schlachtopfer felbft auszugießen; undift von verſchiede⸗ 
ner Form. Mehrentheils find Diejenigen, die wir aufrömifchen er⸗ 
bobenen Werfen bey Opfern gebildet fehen , eigentliche runde 
Schalen ohne Handgriffe; jedod) findet ſich auf einem folchen 
Werfe in der Wille Albani eine Patera, nach Art der hetruri= 
ſchen, wie ein platter Teller geftaltet, und mit einem Stiele; in 
dem herculanifchen Muſeo aber haben viele Pateraͤ, Die tiefe und 
ausgedrechfelte Schalen find, ihren Stiel, welcher ſich insgemein 
in.einen Widderkopf endiget. Die hetrurifchen Pateraͤ hingegen, 
wenigftens Die eingegrabene Figuren haben, find wie ein platter 
Teller mit einem niedrigen Nande umher, und haben ihren Stiel, 
jedoch fo, Daß derfelbe in den mehreften , weil er zu kurz ift, 
in einen Handgriff von anderer Materie hineingeſtecket geweſen 
feyn muß. Diejenigen Pateraͤ, die Zierrathen hatten von Dem 
Kraute, welches flix und im Staliänifchen felce genennet wird, 
hießen paterae filicatae ; folche aber find mir nicht befannt; und 
wo die Zierrathen von Epheu waren, wurden fie hederatae genen= 
net, fo wie Die mehreften Pateraͤ haben; und von Diefer Art 
beſitze ich felbfteine. Eingegrabene Arbeiten wie Diefe, beißen bey 
den Griechen zarayküpa. | 

Wollte jemand die io nad) ihren verfchiedenen Arten ans 
gezeigeten hetrurifchen Werke, in Abfiht der Kunft und ihres 
Alters betrachten, würden diefelben in folgende Ordnung zu fe 

tzen 


Bon der Kunſt unter den Hetruriern. 169 


gen feyn. Aus der älteften Zeit, und von dem erften Stile, 
fcheinen zu feyn die Furz zuvor angezeigten Münzen, „Die er— 
hobene Arbeit der Leucothea und vieleicht auch Die ges 
dachte Statue in der Wille Albani , ingleichen Der Genius 
von Erzt, im Palafte Barberini. Als Arbeiten der folgenden 
zeit, und des zweyten Stils betrachte ich drey Gottheiten auf ei= 
nem runden Altare, , nebft der viereckigten Baſe, wo Die zwölf Ar— 
beiten des Hercules vorgeftellet find; fo wie den gedachten gro= 
fen drepfeitigen Alter dev Villa Vorgheſe; id) glaube aud), Daß 
die vorher befchricbenen gefchnittenen Steine vielmehr Werke des 
zweyten, als des erften Stils find , fonderlid) wenn Diefelben mit 
der Leucothea verglichen werden. Sch würde aud) hierher ſetzen 
die Einfaffung des Brunnens im Muſeo Capitolino, auf welchem 
Die zwölf obern Gottheiten gearbeitet find, wenn wir dieſes Berk 
als hetrurifch anfehen wollen. Aus der letzten Zeit der hetruri- 
ſchen Kunſt, verglichen mit Diefen angezeigten Werken, iſt Der ver— 
meynte Haruſpex von Erst in der Gallerie zu Florenz, fo wie 
die mehreften , wo nicht alle Begräbnißurnen, Die bekannt find, 
von welchen Die mehreften zu Volterra entdecket worden. 

Zuletzt ift aud) von hetrurifchen Gemälden einige Anzei— 
ge zu ertheilen;, Da fich aber Feine andere erhalten haben, als Die, 
welche in alten Gräbern von Tarquene, einer von den zwölf 
Hauptſtaͤdten von Hetrurien entdecket worden, fofan es nicht von 
unſerem Vorhaben entfernt ſcheinen, eine Nachricht von den zu: 
letzt entdedten Gräbern felbft voran zu ſetzen. 


Winkelm,. Geſch. der Kunfk. V Dieſe 


ff Eemäfte 
in betrurifchen 
Gräbern, und 
benalte Urs 
nen. 


170 I. Theil. Drittes Kapitel, 


Diefe Gräber find alle in einem weichen Steine, den man 
Tufo nennet, gehauen, und Liegen in einer Ebene bey Corneto , 
ungefähr drey Milten vom Meere, und zwölf Milien jenfeit Ci- 
vita Vechta. Der Eingang in diefe Gräber gehet von oben 
hinein vermittelft eines runden fenkrechten Canals, welcher von 
innen herauf gegen Die Deffnung eine Eegelförmige Verjuͤngung 
hat, und in Demfelben find in der Entfernung beynahe der Mälf: 
te eines Mannes Eleine Löcher über einander gehauen , Die zu 
Stufen dieneten, in dieſe Grüfte hinein zu fteigen; und es pfle— 
gen an fünf diefer Stufen zu feyn. In einem dieſer Gräber ift 
eine längliche Urne für den todten Körper in eben Dem Steine ge: 
hauen. Das Gewölbe, oder die obere Decke diefer Gräber ifttheils 
nad) Art des Gebälfs der Decken in Zimmern gehauen, theils 
fehen Diefelben viereckten Vertiefungen ähnlich, die Lacunaria heif- 
fen , und einige Derfelben haben Sierrathen an den Nändern um- 
her. In einigen andern Gräbern ift diefe Dede gehauen nad) Art 
der Fußböden der Alten, die von Eleinen vieredten und gleich- 
feitigen Ziegeln, auf Die ſchmale Seite derfelben in Geſtalt der 
Fiſchgraͤten geſetzet find, welche Arbeit Daher fpina pefce genen- 
net wird. E8 ift die Decke nad) dem Verhaͤltniſſe der Größe der 
Gräber yon mehr oder wenigern viereckten Pfeilern unterſtuͤtzet, 
die in eben dem Steine gehauen find. Ohnerachtet dieſe Grüfte 
durch Feine Deffnung beleuchtet waren, (denn die obere Einfahrt 
war geſchloſſen) find Diefelben voller Zierrathen nicht allein an Der 
Dede, fondern auch an den Wänden und Pfeilern; ja einige ha— 
ben an allen Seiten umher einen bemalten breiten Streifen, wel- 


cher 


Bon der Kunſt unter den Hetruriern. 171 


cher hier an der Stelle der Friefe ſtehet, und über die Pfeiler fort- 
lauft; und einige Pfeiler find von unten an mit großen Figuren 
bededet. Diefe Gemälde find auf einer dicken Bekleidung von 
Mörtel ausgeführet; einige derſelben find ziemlich kenntlich, an: 
Dere aber, wo Die Feuchtigkeit oder Die Luft Zugang gehabt hat, 
find zum Theil verfchwunden. 

Die Gemälde einer folchen Gruft hat Buonarroti in ſchlecht 
entworfenen Umrißen befannt gemachet ; Diejenigen Gruͤfte aber, 
von welchen ih Nachricht gebe, enthalten beträchtlichere Vor: 
ftellungen. Die mehreften der Sriefen bilden Gefechte oder Ge— 
waltthaͤtigkeiten wider das Leben einiger Perfonen ab, andere 
ftellen die hetrurifche Lehre von dem Zuftande Der Seelen nach 
dem Tode vor. Im diefen fichet man bald zween ſchwarze geflü- 
gelte Genios mit einem Hammer in der einen Hand, und mit eis 
ner Schlange in der andern, Die einen Wagen an einer Deichfel 
ziehen, auf welchem Die Figur oder Die Seele der verftorbenen 
Derfonen ſitzet; bald fchlagen zween andere Genii mit langen 
Haͤmmern auf jene zur Erden gefallene nadete männliche Figur. 
Unter Der zuerft erwähnten Art von Gemälden fiehet man theils 
ordentliche Gefechte zwifchen Kriegern, von Denen fechs unbeklei— 
Dete Figuren fich nahe an einander fchließen , Dieihre runden Schil- 
der einen über Den andern legen und alfo fechten, andere Krieger 
haben viereckte Schilder , und die mehreften find nadend. In 
Diefem Gefechte werden von einigen kurze Degen, Die Dolchen 
gleichen, von obenher in die Bruſt gefunfener Figuren geftoßen. 
Zu einem folgen Blutvergießen läuft ein betagter König herzu, 


92 mit 


172 1. Theil. Drittes Kapitel, 


mit einer zadigten Krone um fein Haupt, welche vielleicht Die 
ältefte zackigte Fönigliche Krone ift, Die auf alten Werken vorge 
ftellet worden. Eben ſolche Krone trägt eine männliche Figur auf 
zwo hetrurifchen Begräbnißurnen, Dieebenfalis einen König vor 
zuftellen ſcheinet; ingleichen eine unbekleidete ſchwebende jugendli- 
che männliche Figur, auf einem herculaniſchen Gemälde, hält 
eine Ahnliche Krone in der Dand. Auf einer andern Friefe, wo 
Feine von beyden Arten Norftellungen angebracht ift, fiehet man 
unter andern Figuren eine befleidete Frau, mit einer oberwärts 
breiten Müse auf dem Haupte, über welche bis auf das Mittel 
derſelben ihr Gewand heraufgegogen ift; eine ſolche Müse hieß 
bey den Griechen rurswr, und war, nach dem Pollux, eine ge 
wöhnliche Tracht der Weiber. Einen ähnlichen Hauptaufſatz 
hatte Juno zu Sparta, ingleichen fichet manihn an der Juno zu 
Samos und zu Sarden, auf Münzen; auch Ceres auf einem er= 
hobenen Werke der Villa Albani trägeteine ähnliche Muͤtze. Es 
Fan zu weiteren Betrachtungen dienen, hier anzumerken, Daß eben 
Dafelbit zwifchen tanzenden weiblichen Figuren, einige völlig fteif 
und aufägyptifche Art Hingeftellet find, welches vermuthlich Gott⸗ 
heiten feyn werden, Die Diefe und Feine andere angenommene Dil- 
dung hatten; ic) fage, vermuthlich, weil dieſe Gemälde durch 
den Moder gelitten haben, und alſo nicht in allen Theilen völlig 
kenntlich find, 

Zu den Gemälden rechne ich bemalte Statuen, wie Die 
von mir befäyriebene indem herculaniſchen Mufeo ift, und bemal- 
te erhobene Arbeiten auf Begräbnigurnen, von welchen Buonar- 

roti 


Bon der Kunf unter den Hetruriern. 173 


roti einige Befannt gemachet hat, Deren Figuren mit einer weißen 
Farbe übertragen worden, auf welche hernach Die anderen Farben 
geſetzet find. 

Eine Zugabe diefes Stuͤcks mag eine Interfachung feyn  F 


Bon einer ver⸗ 


einer Nachricht von zwölf Urnen von Porphyr, die zu Chiuſi, in Ye 


Toſcana ſollen geweſen ſeyn, iso aber weder an Diefem Orte, noch zit, betruri⸗ 
ſonſt in ganz Toſcana und Italien, befindlich find. Wären die⸗ Diese ie 
felben vorhanden gewefen, koͤnte es ein Stein feyn, welcher eini- — 
ge Aehnlichkeit mit dem Porphyr gehabt haͤtte, ſonderlich da Le— 
ander Alberti einen ſolchen bey Volterra gefundenen Stein Por- 

phyr nennet 1). ori, welcher Diefes aus einer Dandfchrift Der 
Bibliothek des Haufes Stroszi zu Florenz anführet 2), theilet auch 

eine Infchrift einer Diefer Urnen mit: da mir aber Diefe Nachricht 
verdächtig fchien, habe ich Diefelbe aus dem Driginale vollfländig 
abfchreiben laffen: Den Verdacht giebt Die Sache felbft, und Das 
Alter der Dandfchrift. Denn es ift nicht glaublich, Daß die Groß⸗ 
berzoge von Tofcana, welche alle fehr aufmerkſam gewefen auf 

Das, was die Kuͤnſte und das Alterthum betrift, ſolche feltene 
Stuͤcke aus dem Lande gehen laſſen, zumal da die Urnen etwa 

am die Dälfte Des vorigen Sahrhunderts würden gefunden wor- 

den feyn. Berner find Die Briefe, aus welchen Die ſtrozziſche 
Handſchrift beftchet, alle zwifchen 1653. und 1660. gefchrieben, 

und Diejenige, welche diefe Nachricht enthält, ift vom Jahr 1657. 

und zwar von einem Mönche an einen anderen Moͤnch gefchries 

ben; ich halte Daher Diefelbe für eine Mönchglegende. Gori felbft 

3 hat 


ı) Defer. d’Ital. p.so;a, =) Muf. Etrus. Praef pi zo. 


II. Betrach⸗ 
tung des Stils 
der hetruri⸗ 
TchenKünftler. 

A. 

Allgemeine 
Erinnerung 
über denfelben. 


174 I. Theil. Drittes Kapitel. 


hat hier Menderungen gemacht: er hat erftlich das angezeigte 
Maaß derfelben nicht richtig angegeben: Denn da der Brief von 
zwo Braccia in der Möhe, (eine floventinifche Braccia hält drit- 
tehalb römifche Palme) und von eben fo viel in der Länge redet, 
giebt Gori nur drey Palme an. Ferner ſiehet die Infchrift indem 
Driginale nicht fehr hetrucifch aus, welche Form und Geftalt ihr 
im Drude gegeben worden. 

Trac) den gegebenen vorläufigen Kenntniffen des erften 
Stuͤcks diefes Abſchnitts, und nac) der Anzeige einiger Werke der 
hetrurifchen Kunſt, führe ic) Die Betrachtung Des Lefers zu Den 
Eigenfhaften und Kennzeichen der Kunſt Diefes Volks, woson 
Diefes zweyte Stuͤck handelt. 

Hier ift allgemein zu erinnern, Daß die Kennzeichen zum 
Unterfchiede des hetrurifchen, und des älteften griechifchen Stils, 
weldye außer der Zeichnung von zufälligen Dingen, als von Ge⸗ 
brauchen, und vonder Kleidung möchten genommen werden, truͤg⸗ 
lich feyn Eönen. Die Athenienfer, fagt Ariftides 1), machten 
die Waffen der Pallas in eben der Form, wie ihnen Die Göttinn 
Diefelbe angegeben hatte: man Fan aber von einem griechifchen 
Helme der Dallas, oder anderer Figuren, auf Feine griechiſche 
Arbeit fchließen. Denn fogenannte geiechifche Melme finden 
ſich auch auf unftreitigen hetrurifchen Werken, wie ihn eine Mi- 
nerva hat auf dem mehrmal angeführten dreyſeitigen Altare der 
Villa Borghefe, und auf einer Schale mit hetruriſcher Schrift, 
in dem Mufeo des Collegit St. Ignatii zu Rom 2). 

Der 


ı) Panathen, p. 107.1. 4, 2) Dempft, Etrur. tab. 4. 


Bon der Kunft unter den Helruriern, 175 


Der Stil der hetruriſchen Künftler iſt ſich felbft nicht be⸗ —— 
ſtaͤndig glekch geblieben, ſondern hat, wie Der aͤgyptiſche und sum — 
griechiſche, verſchiedene Stufen und Zeiten, wie ich bereits ange⸗ ben. 
zeiget habe, von den einfältigen Geftaltungen ihrer erften Zeiten 
an, bis zu der Bluͤthe ihrer Kunſt, welche ſich endlich nachher 
durch Nachahmung griechifcher Werke, wie fehr wahrſcheinlich 
ift, geändert, und eine von den Altern Zeiten verfchiedene Geſtalt 
angenommen hat. Dieſe verſchiedene Stufen der hetruriſchen 
Kunſt ſind wohl zu merken, und genau zu unterſcheiden, um zu 
einiger ſyſtematiſchen Kenntniß in derſelben zu gelangen. End— 
lich, nachdem die Hetrurier eine geraume Zeit den Roͤmern unter— 
thaͤnig geweſen waren, fiel ihre Kunſt, welches ſich an neun und 
zwanzig Schalen von Erzt, in dem Muſeo Des gedachten Kolle— 
gii zeiget, unter welchen diejenigen, deren Schrift fi) Der römi- 
fchen Schrift und Sprache nähert, ſchlechter, als die älteren, ges 
zeichnet und gearbeitet find. Aus diefen Kleinen Stücen aber ift 
weiter nicht viel beftimmtes anzugeben, und da der Zallder Kunſt 
Fein Stil in derfelbenift, fo bleibe ich bey den vorher gefeßten drey 
Zeiten. Wir könen alfo drey verfchiedene Stile der hetrurifchen 
Kunft feren , den Melteren,, Den Nachfolgenden , und drittens 
denjenigen, welcher ſich durch Nachahmung der Griechen geaͤn— 
dert hat. Der allerältefte Stil ift von der Zeit, Da dieſes Wolf 
fid) Durch) ganz Italien bis an Die Außerften Worgebirge von 
Großgriechenland, wie ich oben gemeldet habe, erftredete ; und 
wir Eönen uns von der Zeichnung Deffelben den deutlichen Be— 
griff machen aus den feltnen filbernen Münzen, die in Den 

Staͤd⸗ 


176 I. Theil. Drittes Kapitel 


Städten Des Untertheils von Italien gepräget worden, wovon 
ſich Die reichte Sammlung in dem Mufeo des Duca Caraffa Noja 
befindet. 
— ne: Die Eigenfchaften des ältern und erften Stils der — 
feneigeofgnf ſchen Künftler, find erftlich Die geraden Linien ihrer Zeichnung, 
nebft der fteifen Stellung und der geswungenen Handlung ihrer 
Siguren, und zweytens der unvollfommene Begriff Der Schön: 
heit des Geſichts. Die erfte Eigenfchaft beftehet darinn, daß der 
Umriß der Figuren fich wenig fenfet und erhebet, und dieſes ver- 
urfachet, Daß Diefelben dünne und fpillenmäßig ausfehen , (ob 
gleich Catullus fagt, der Dicke Hetrurier, weil die Muskeln we 
nig angedeutet find; es fehlet alfo in Diefem Stil die Mannigfal⸗ 
tigkeit. In diefer Zeichnung lieget zum Theil die Urfache yon 
Der fleifen Stellung, vornaͤmlich aber in Der Umwiffenheit der er— 
ften Zeiten: denn Die Mannigfaltigfeit in Stellung und Hand⸗ 
lung Fan ohne hinlängliche Kenntniß des Körpers, und ohne 
Freyheit in der Zeichnung, nicht ausgedruckt und gebildet wer— 
den; Die Kunft faͤngt, wie die Weisheit, mit Erfenntniß unfer 
felbft an. Die zweyte Eigenfchaft, nämlich der unvollfommene 
Degriff der Schönheit des Geſichts, war, wie in der älteften 
Kunft der Griechen, auch bey den Hetruriern; die Form der 
Köpfe ift ein länglich gezogenes Dval, welches durch ein foißis 
ges Kinn Eleinlicher ſcheinet; die Augen find platt gefchnitten 
und ſchraͤg aufwärts gezogen, und liegen mit dem Augenknochen 
gleich), und der Mund ziehet ſich in deſen Winkeln ebenfalls 
aufwaͤrts. 
Die- 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 177 


Diefer erfte Stil findet fih außer gedachten Münzen in 
vielen Heinen Figuren von Erzt, und einige find den aͤgypti— 
fchen vollkommen aͤhnlich, durch Die an den Seiten angefchloffes 
nen und herunter hängenden Arme, und Durch Die parallel ſte— 
henden Füße; und die oben befchriebene erhobene Arbeit der Leu: 
cothea in der gleichfalls vorher angeführten Villa Albani hat 
alle Eigenfchaften diefes Stils. Die Zeichnung des Genius im 
Palafte Barberini ift fehr platt, und ohne befondere Andeutung 
der Theile: die Füße ftehen in gleicher Linie, und die hohlen Au— 
gen find platt geöffnet, und etwas aufwärts gezogen. Ein auf: 
merffamer Beobachter des Wefentlichen in den Alterthümern 
wird diefen erften Stil aud) an einigen andern Werfen finden, die 
nicht an gleich berühmten und gewoͤhnlich beſuchten Orten in Nom 
ftehen; 3. E. an einer männlichen Figur, welche auf einem Stuh— 
le fiet, auf einer Fleinen erhobenen Zlrbeit, in dem Hofe des 
Hauſes Capponi. 


Bey aller dieſer Ungeſchicklichkeit in Zeichnung der Figu— 
ren, waren die aͤlteſten hetruriſchen Kuͤnſtler zu der Wiſſenſchaft 
der Zierlichkeit der Formen in ihren Gefaͤßen gelanget, das iſt, 
ſie hatten das, was bloß idealiſch und ſcientifiſch iſt, erkannt, da 
fie Hingegen in dem, wo die Nachahmung ung fuͤhret, unvollkom— 
men geblieben waren. Diefes offenbaret fi) an vielen Gefäßen, 
an denen Die Zeichnung der Gemälde den allerälteften Stil zeiget; 
und ich Fan hier insbeſondere ein Gefäß des erften Bandes Der 

Winkelm. ©efch. der Runſt. 3 hamil⸗ 


178 I Theil. Drittes Kapitel, 


bamilkonifhen Sammlung anführen , welches an der vorderen 
Seite eine männliche Figur auf einem zweyfpännigen Wagen zwis 
ſchen zwo ſtehenden Figuren vorftellet, auf deffen Hinterer Seite zwo 
andere Figuren zu Pferde gemalet find. Noch merfwürdiger 
aber ift ein Gefäß von Erst, von anderthalb vömifchen Palmen 
im Durchmeffer, welches vergoldet war, und auf dem Bauche 
die lieblichſten SZierrathen eingegraben bat. Auf dem De 
el des Gefaͤßes ſtehet in der Mitten eine unbekleidete männliche 
Figur, von einem halben Palm hoc) , mit einem Difeus in Der 
rechten Hand, und auf Dem Rande find drey kleinere Figuren zu 
Pferde befeftiget, von Denen die eine reitet, und Die zwo anderen 
fisen von der Seite zu Pferde : und die Figuren fowohl als die 
Dferde find in dem älteften Stil gearbeitet. Diefes Gefäß wurde 
vor etwa fünf Sahren in der Gegend des alten Capua entdecket 
und voller Aſche und Gebeine gefunden , und befindet fi bey 
Dem Fönigl. Intendanten, Dem Ritter Negroni, zu Caferta. 


b.inpeige des Diefen Stil aber verließen die hetrurifchen Künftler, da 
ebergang: 


aus diefem ſie zu größerer Wiffenfchaft gelangeten, und an ftatt daß fie, 

Plypnen, wie die älteften Griechen, in den erften Zeiten mehr bekleidete, 
als nackte Figuren, ſcheinen gemacht zu haben, fo fiengen fie an, 
Das Nackte mehr vorzuftellen. Denn e8 fcheinet aus einigen Elei- 
nen Figuren in Erzt, welche nadend find bis auf die Schaam, 
Die in einem Beutel ftecket, welcher mit Bändern um Die Huͤften 
gebunden ift, Daß man es wider den Wohlftand gehalten habe, 
ganz nackte Figuren vorzuftellen. 


Wenn 


Don der Kunſt unter den Hetruriern. ‚179 


Denn man aus den älteften gefchnittenen Steinen der 
Hetrurier urtheilen wollte, fo würde man glauben, Der erfte Stil 
fey nicht allgemein, wenigftens nicht unter Steinfchneidern, ges 
wefen. Denn an den Figuren auf Steinen ift alles Inolligt und 
Fugelmäßig, welches das Gegentheil von den angegebenen Kenn- 
zeichen des erften Stils wäre: eins aber widerfpricht dem andern 
nicht. Denn wenn ihre Steine, wie iso, mit Dem Made gefchnit- 
ten worden, wie der Anblick felbft giebet, fo war der leichtefte 
es, im Drehen Durch Rundungen eine Figur auszuarbeiten,, 
und hervor zu bringen, und vermuthlich verftanden die Alteften 
Eteinfchneider nicht, mit fehr fpitsigen Eifen zu arbeiten : Die ku— 
gelichten Formen wären alfo Fein Grundfas der Kunſt, fondern 
ein mechanifcher Weg in der Arbeit. Die gefchnittenen Steine 
ihrer erften Zeiten aber find das Gegentheil ihrer älteften Figuren 
in Marmor und in Erzt, und es wird aus jenen offenbar, daß 
fi Die Werbefferung der Kunft mit einem ſtarken Ausdrude, 
und mit einer empfindlichen Andeutung der Theile an ihren Fi— 
guren angefangen habe, welches ſich auch an einigen Werken in 
Marmor zeigetz und dieſes ift das Kennzeichen der beften Zeiten 
ihrer Kunft. 


Um welche Zeit fid) Diefer zweyte Stil völlig gebildet habe, 
laßt ſich nicht beſtimmen, es ift aber wahrfcheinfich, daß «8 mit 
der WVerbefferung der griechiſchen Kunft zu gleicher Zeit einge: 
troffen ſey. Denn man Fan ſich die Zeit vor und unter dem 


32 Phi⸗ 


180 1. Theil, Drittes Kapitel. 


Phidias, wie die Wiederherftellung der Künfte und Wiffenfchaf: 


c. Der zweyte 
Stil und def- 
ſenEigenſchaf⸗ 


ten. 
22. Allgemein. 


ten in neueren Zeiten, vorſtellen, welche nicht in einem einzigen 
Lande allein anfieng, und ſich hernach in andere Länder ausbrei- 
tete, fondern die ganze Natur der Menſchenkinder fchien Damals 
in allen Ländern rege zu werden, und Die großen Erfindungen 
thaten ſich mit einmal hervor. An Griechenland ift Diefes von 
befagter Zeit in allerley Arten von Wiffenfchaften gewiß, und es 
jcheinet, daß fi) Damals aud) über andere gefittete Völker ein 
allgemeiner Geift ergoffen, welcher fonderlich in die Kunſt gewir- 
ket, Diefelbe begeiftert und belebet habe. 


Wir gehen alfo von dem erften und älteren hetruriſchen 
Stile zu dem nachfolgenden und zwenten , deffen Eigenfchaften 
und Kennzeichen find theils eine empfindlihe Andeutung der 
Kennzeichen und Muskeln, und reihenweis gelegte Haare, theils 
eine gezwungene Stellung und Handlung, Diein einigen Figuren 
gewaltfam und übertrieben ift. In der erften Eigenfchaft find 
die Muskeln (hwälftig erhoben, und liegen wie Hügel, Die Kno— 
chen find fchneidend gegogen, und allzu fichtbar angegeben, wo— 
durch Diefer Stil hart und peinlich wird. Es ift aber zu merken, 
daß Die beyden Arten dieſer Eigenfchaft, nämlich die ftarfe An— 
Deutung Der Muskeln und der Knochen, fich nicht beftändig bey: 
fammen in allerhand Werken diefes Stils finden. In Marmor, 
weil fi) nur göttliche Figuren erhalten haben, find Die Muskeln 
nicht allezeit fehr geſucht; aber ein übertriebenes Weſen, fonder- 

lic) 


Don der Kunſt unter den Hetruriern. 181 


lich in der Zeichnung der Schienbeine , und der ftrenge und harte 
Schnitt der Muskeln der Wade zeiget fi) an allen. Was Die 
reihenweis gelegten Haare fo wohl des Haupts als aud) der 
Schaam betrift, finden ſich Diefelben ebenfalls ohne Ausnahme 
an allen hetrurifchen Figuren, auch Der Thiere, wie man bemerken 
kan an der berühmten Wölfinn von Erzt, im Campidoglio, Die 
den Romulus und den Nemus fauget. Denn da Diefelbe vermuth- 
lich) diejenige Wölfinn ift, Die zur Zeit des Dionyſius in einen 
Eleinen Tempel am palatinifchen Berge ſtand, das iſt in Dem 
Tempel des Romulus, io St. Theodor genannt, wo Diefelbe ift 
entdecket worden; und da dieſe Wölfinn, wie eben Der Scribent 
meldet, für ein Werk alter Kunft gehalten wurde (xarzea momuale 
mahaag epyanızz I) fo muß dieſelbe für eine Arbeit hetrurifcher 
Künftler zu achten feyn, deren ſich die Roͤmer in ihren älteften 
Zeiten bedieneten. Won einer ſolchen Wölfinn meldet Cicero, daß 
Diefelbe von dem Blitze befhäadiget worden fey, welches unter 
dem Confulate des Julius Caͤſar und des Bibulus gefchabe; 
Daß e8 aber diejenige fen, von welcher wir reden, feheinet eine 
foldye Verlegung an dem hinteren Schenkel, wo ein geborftener 
zwey Finger breiter Riß ift, zu beweifen. Dio faget zwardn an: 
gezogener Stelle, Daß Die vom Blitze gerührte Woͤlfinn auf dem 
Capitolio geftanden fey, e8 Fan Diefes alles eine Irrung feyn, 
da Diefer Scribent über zwey hundert Jahre nachher gelebet hat. 
Es ift jedod) hier zu merken, Daß nur allein die Wölfinn alt iſt; 
die beyden Kinder hingegen find ein neuer Zuſatz. 
33 Die 


1) Ant. R.L. 1. p. 64. I, 20. 


182 L Shell. Drittes Kapitel 


Die zweyte Eigenfchaft diefes Stils Fan nicht unter einem 
tinzigen Begriffe gefaffet werden: Denn gezwungen und gewalt- 
ſam ift nicht einerley. Diefes gehet nicht allein auf die Stellung, 
die Handlung, und auf den Ausdruck, fondern auch auf die Be: 
wegung aller Theile ; jenes Fan zwar von der Handlung gefagt 
werden, findet aber auch in der ruhigſten Stellung ſtatt. Ge 
zwungen, ift Das Gegentheil von der Natur, und gewaltfam , 
von der Sittfamfeit und von dem Wohlftande: Has erfte ift eine 

- Eigenfchaft aud) des erften Stils, Das zweyte aber dieſes Stils 
» insbefondere. Das Gewaltfame der Stellung fließet aus der er: 
ften Eigenfhaft: Denn um den gefichten ftarken Ausdruck und 
die empfindlichfte Dindentung zu erhalten, ferte man die Figu- 
ren in Stände und Handlungen, worinn ſich jenes am fichtbar- 
ften aͤußern Fonte, und man wählete Das Gewaltfame an ftatt 
der Ruhe und der Stille, und die Empfindung wurde gleichfam 
aufgeblafen, und bis an ihre äußerften Graͤnzen getrieben. 


" Durch Was ich hier allgemein bemerket habe, kan ins beſondere 
Werte bewies in einzelnen Figuren und Werken erläutert werden; und ich füh- 
n ve den Leſer zu einem bärtigen Mercurius auf dem off angezeigten 
dreyfeitigen Borghefifchen Altare, welcher wie ein Hercules mus⸗ 
culirt ift, und fonderlich zu dem Tydeus und Peleus. An Die 
fen Kleinen Figuren find die Schlüffelbeine am Dalfe, die Rippen, 
die Knorpel des Ellenbogens und der Knie, Die Knoͤchel der Haͤn⸗ 
De und Der Füße fo hervorliegend angegeben, als die Roͤhren der 
Arme 


Bon der Kunft unter den Hetruriern. 183 


Arme und der Schienbeine, ja «8 ift die Spise des Bruſtkno— 
chens am Tydeus fichtbar gemachet. Die Muskeln find alle in 
der heftigften Bewegung auch am Peleus, wo fich weniger Grund, 
als in jenem, dazu findet, am Tydeus find auch die Muskeln - 
unter dem Arme nicht vergeflen. Die gezwungene Stellung zei: 
get fi) auf dem vorher erwähnten runden Altare, im Muſeo 
Capitolino, und in mehreren’ Figuren auf dem Borghefifchen Al— 
tare; bier find die Füße der vorwarts geftelleten Gottheiten pas 
vallel gefchloffen, und an denen, Die man von der Seite fichet, ftehen 
fie in gerader Linie einer hinter Dem andern. Die Haͤnde machen 
überhaupt an allen Figuren eine gezwungene und ungelehrte Hand— 
lung , fo daß wenn Diefelben mit den vorderen Fingern etwas 
halten, die andern Finger gerade und fteif voraus flehen. Bey 
einer fo großen Wiffenfchaft und Kunft in der Ausführung mans 
gelten den hetrurifchen Künftlern Die Begriffe Der Schönheit: denn 
der Kopf des Tydeus ift nach einer gemeinen Bildung entworfen, 
und Der Kopf des Peleus von nicht fehönerer Geſtalt iſt eben fo 
verdrehet als deſſen Körper, 


Man Fönte auf die Figuren dieſes Stils fo wohl, als 
des eriten, in gewiffer Maaße deuten, was Pindarus von Vul—⸗ 
canus fagt I), Daß er ohne Gratie gebohren fey. Leberhaupt 
würde Diefer zweyte Stil, verglichen mit dem griechifchen von 
guter Zeit, anzufehen feyn, wie ein junger Menfch, welcher Das 

Gluͤck 
1) ap. Plutarch. Eger. p. 1338. 1. 2. ed H. Steph. 


D. 
Vergleichung 
2, = 
mit d 
nung Ber 
{cher Künſtler. 


184. I. Theil, Drittes Kapitel, 


Glüd einer aufmerkfamen Erziehung nicht gehabt, und dem man 
den Zügel in feinen Begierden und Aufwallung der Geifter ſchieſ⸗ 
fen laflen , Die ihn zu aufgebrachten Handlungen treiben, wie 
diefer, fage ich, gegen einen fchönen Süngling feyn würde, bey 
welchem eine weife Erziehung und ein gelehrter Unterricht das 
Feuer einfchränfen,, und der vorzüglichen Bildung der Natur 
felbft, durch ein gefittetes Wefen, eine größere Erhobenheit geben 
wird. Diefer zweyte Stil ift and), wie man io redet, manierivt 
zu nennen, welches nichts anders ift, als ein beftändiger Cha- 
rakter in allerley Figuren: denn Apollo, Mars, Hercules und 
Vulkanus find auf ihren Werfen in der Zeichnung nicht verfchie: 
den. Da nun einerley Charakter Fein Charakter ift , fo Fönte 
man auf hetrnrifche Künftler das, was Ariftoteles 1) am Zeuxis 
tadelt, deuten, nämlich, Daß fie Feinen Charakter gehabt haben ; 
fo wie wir eben dieſes tadeln würden an dem Lobe einer berühmten 
Perſon in den Gefchichten unferer Zeit und nach Dem heutigen 
Stil, welches insgemein fo unbeftimmt und allgemein abaefaffet 
ift, Daß es hundert anderen Fönte beygeleget werden. 


Diefe Eigenfchaften der alten hefrurifchen Kuͤnſtler blicken 
noch itzo hervor in den Werken ihrer Nachkommen, und entdecken 
ſich unpartheyiſchen Augen der Kenner in der Zeichnung des Mi- 
chael Angelo, Des größten unter ihnen: Daher faget jemand nicht 
ohne Grund, Daß wer eine Figur dieſes Künftlers gefehen habe, 

has 


x) Poet. C. 6. p. 249. 


Von der Kunſt unter den Hetruriern. 185 


habe fie alle geſehen 1). Es ift auch Diefer Charakter unmider- 
fprechlich eine von den Unvollkommenheiten eines Daniel von 
Volterra, Pietro von Cortona, und anderer. 


Bisher und in dem erften und zweyten Stil haben wir 
die Runft betrachtet, die den Detruriern eigen war, und vor Deren 
näheren Bekanntfchaft mit den griechifchen Werken der Kunft, 
Das ift, ehe Diefe fich des Lintertheils von Stalien und anderer 
Gegenden am adriatifchen Meere bemächtigten, und die Hetru— 
rier in engere Graͤnzen einfchloffen. Da nun die Griechen jenen 
Thönften Theil von Italien eingenommen hatten, und mächtige 
Städte ftifteten ‚fiengen die Künfte noch zeitiger , als felbft in 
Griechenland, an zu blühen, und erleuchteten auch ihre Nachba⸗ 
ven die Metrurier, die fich in Campanien behaupteten. Denn da 
Diefe bereits in den älteften Zeiten die Gefchichte der Griechen auf 
ihren Denfmalen vorgeftellet hatten, folglich Die Griechen als ihre 
Lehrer erkannten, war dadurch der Weg gebahnet, auch in Der 
Kunft von ihnen zu lernen. Daß diefes wirklich geſchehen ſey, 
wird wahrfcheinlid) durch Münzen der mehreften Städte in Cam— 
panien, Die-befage ihres Namens mit hetruriſcher Schrift, zuder 
Zeit gepräget worden , Da fie annoch von Hetruriern bewohnt 
waren: Denn auf dieſen Münzen find Die Koͤpfe der Gottheiten 
denen auf griechifchen Münzen und an ihren Statuen völlig aͤhn⸗ 
lich, fo daß fogar Jupiter, auf hetruriſchen Münzen der Stadt 

Ca: 
s) Dolce Dial. della Pittur. p. 48. a. 


Winkelm. Geſch. der Kunfk. Ha 


186 1. Theil. Drittes Kapitel. 


Capua, die Haare auf der Stirne geleget hat, fo wie die Grie— 
chen Diefelben bildeten, welches im folgenden Kapitel angezeiget 
wird. Diefes ift alfo der Dritte hetruriſche Stil, und derjenige, 
welcher Dem größten Theile der Werke ihrer Kunſt eigen ift, fon- 
derlich Den Begräbnißurnen von weichem Mlabafter von Volterra, 
die auch eben Dafelbft entdechet worden, von welchen fich viere in der 
Villa Albani befinden. 














\ 


| Dritter Abſchnitt. 


Bon der Kunſt der mit den Hekruriern geanzenden Völker. 





HH" Dritte Abſchnitt Diefes Kapitels enthalt eine Betrachtung 
über die Kunſt der mit den Hetruriern granzenden Volker , 
welche ic) hier in eins zufammen fafle, naͤmlich der Samniter, 
Molsker, und Campanier, und fonderlich dieſer letztern, bey wel⸗ 
chen die Kunſt nicht weniger , als bey den Hetruriern bluͤhete. 
Den Schluß Diefes Abfchnitts macht eine Nachricht yon Figuren, 
Die in der Infel Sardinien find entdecket worden, 


Aa2 Von 


T: 
} Der Sam 
niter, 


188 I. Theil. Drittes Kapitel. 


Don den Werfen der Kunſt der Sammniter und Volsker 
hat fi, außer ein paar Münzen, fo viel wir Nachricht haben, 
nichts erhalten, von den Tampaniern aber, Münzen und ivdene 
gemalte Gefaͤße: ich Fan alfo von jenen nur allgemeine Nachrid)- 
ten von ihrer Verfaſſung und Lebensart geben, woraus auf die 
Kunft unter ihnen Eönte gefchloffen werden, welches Der erfte 
Satz dieſes Abſchnitts iftz der zweete handelt von den Werken 
der Kunſt der Campanier. 

Es wird ſich mit der Kunft jener beyden Voͤlker, wie mit 
ihrer Sprache, verhalten, welches Die Dfeifche war 1), Die, wo 
fie nicht als eine Mundart der hetruriſchen anzufehen ift, von Dies 
fer wenigftens nicht fehr verfchieden gewefen feyn wird. So wie 
wir aber den Unterfchied der Mundart dieſer Völker nicht wiflen, 
fo mangelt e8 ung auch an Unterricht, wenn ſich etwa von ihren 
Münzen oder gefchnittenen Steinen etwas erhalten hat, Die Kenn⸗ 
zeichen davon anzugeben. 

Die Samniter liebeten die Pracht, und waren als kriege— 
vifche Völker, dennod) den Wollüften Des Lebens fehr ergeben 2): 
im Kriege waren ihre Schilder einige mit Golde, andere mit 
Silber ausgelegt 3), und zu der Zeit, Da Die Nömer von Leinen⸗ 
zeuge nicht viel fcheinen gewußt zu haben, trug die auserlefene 
Mannfchaft der Samniter, fo gar im Felde, Roͤcke von Leine 
wand 4); und Living Ferichtet, Daß Das ganze Lager der Sam⸗ 
niter in dem Kriege der Roͤmer unter dem Conſul L. Papirius 

| Cur⸗ 


1) Liv. L. 10. c. 20. 2) conf. Cafaub. in Capitol. p. 1io6. P. ) liv. 
L. 9. c. 40. 4) Ibid. c. 4. & L. 10, c. 38. 


Bon der Kunſt der Samniter, Volsker u. Campanier. 189 


Eurfor, welches ins Gevierte ſich auf allen Seiten an zwey hun- 
dert Schritte erftreckete, mit leinenen Tüchern umgogen gewefen T). 
Capua, welches von den Metruriern erbauet worden 2), und, 
nad) dem Living, eine Stadt der Samniter war 3), das ift, wie 
er anderswo berichtet, von Diefen jenen abgenommen worden 4), 
war wegen der Wolluft und Weichlichkeit berühmt. 

Die Volsker hatten, fo wie die Detrurier, und andere bes 
nachbarte Völker, ein ariftocratifches Negiment SI: fie wähleten 
Daher nur bey entftehendem Kriege einen König, oder Heerfuͤh— 
ver, und die Einrichtung der Samniter war der zu Sparta und 
in Ereta ähnlich 6). Won der großen Bevölkerung dieſer Na— 
tion zeugen nod) io Die häufigen Trümmer vertilgeter Städte 
auf nahe gelegenen Hügeln, und von ihrer Macht die Geſchichte 
von fo vielen blutigen Kriegen mit den Römern , welche jene nicht 
eher, als nad) vier und zwanzig Triumphen, bezwingen konnten. 
Die große Bevölkerung und die Pracht erwedete das Gehirn und 
den Fleiß, und die Freyheit erhob den Geift, Umftände, welche 
der Kunſt fehr vortheilhaft find. 

Die Römer bedienten ſich in den älteften Zeiten der Künftier 
aus beyden Völkern, Tarquinius Priſcus lieg von Sregellä, aus 
dem Lande der Volsker, einen Künftler, mit Namen Turrianug, 
Eommen, welcher eine Statue des Jupiters von gebrannter Erde 
machte, und man will aus der großen Aehnlichkeit einer Münze 

a3 des 
N) Liv. L: 10: 6.058 2) Mela,L. z. c. 4. >), Ey, L. 4 c. 53. 


4).Liv. L. 10. c, 38. 5) Dionyf. Halic. Ant. Rom, L. 6. p. 574.1. 
45.. 6) Strabo L. 6, p. 354. 


II. 
Der Volskes. 


190 I. Theil, Drittes Kapitel, 


des fervilifchen Gefchlechts zu Nom, mit einer Samnitifchen, 
muthmaflen, daß jene von Künftlern diefer Nation gepräget wor⸗ 
den 1), Eine fehr alte Münze von Anxur, einer Stadt der 
Volsker, itzo Terracina, hat einen fchönen Kopf der Pallas 2). 
nn Die Campanier waren ein Wolf, Denen ein fanfter Him— 


Der Campa⸗ 


nier, unter mel, welchen fie genoffen, und der reiche Soden, welchen fie baue: 


welchen Die 


ten, die Wolluft einflößeten. Diefes Land fo wohl, als der Sam⸗ 

Seth, niter ihres, war in den älteften Zeiten unter Hetrurien begrifs 
fen; das Volk aber aehörete nicht zu dem hetrurifchen Steate, 
fondern beftand für fih. Die Griechen Famen nachher, ließen 
fich in Diefem Lande nieder , und führeten auch ihre Künfte ein, 
wie noch io, außer den griechifchen Münzen von Neapel, Die von. 
Cuma 3), welche nod) Alter find, beweifen koͤnen. 

Sch will hier nicht anzeigen, daß diefe Stadt älter als 
jene fen: Denn beyde find zu gleicher Zeit erbanet worden, Cuma 
yon Megaftyenes, und Neapelvon Hippocles, die beyde zugleich 
ans Cuma inEuboen, ihrem Waterlande, mit einem Daufen über 
flüßiger Einwohner abfuhren, und anderwärts ihr Gluͤck ſucheten; 
wie dieſes Martorelli deutlicher, als bisher befannt wer, erwies 
fen hat 4). E8 haben ſich aber ältere Münzen von Cuma als 
von Neapel erhalten, und meine Abſicht ift, zu erinneren, daß 
beyde Städte in Den älteften Zeiten geftiftet worden, die wir nicht 
eigentlid) angeben koͤnen; denn Strabo fagt, daß Cuma die al- 
leraͤlteſte griechifehe Stadt yon allen in Sicilien und Italien ge 

. wefen. 
4) Olivieri Diff. fopra alc.Med. Samnit. p. 136. 2)-Beger Thef. Brand. T. 
1.P.347. 3) Beger. Thef. Brand. T.ı. 188. 4) Martorel. Euboici, p. 27. 


Von der Kunſt der Samniter, Volsker u. Campanier. 191 


weſen 1). Aus eben der Halbinſel Euboea ließen ſich Einwoh— 
ner aus Chalcis der Hauptſtadt derſelben nieder auf der Inſel 
unweit Neapel, die Pithecuſaͤ hieß und das heutige Iſchia iſt, 
welche ſie aber wegen des oͤfteren Erdbebens und der feurigen Aus— 
wuͤrfe verließen; und ein Theil derſelben bauete an dem nahen 
Ufer Neapel an, ein anderer Theil gieng weiter gegen den Ve— 
ſuvius zu, und ftiftete Nola 2); Daher die Münzen Diefer Stadt 
mit griehifher Schrift gepräget find. Sch übergehe verfchiede- 
ne andere griechifche Städte als Dicaͤarchia, nachher Puteoli ge: 
nannt, die fpäter von Griechen angeleget worden , mie Denn das 
ganze Ufer Diefes Landes von dieſer Nation bewohnt war; fo, 
daß folglich die Griechen auch ihre Künfte zeitig hier geuͤbet, und 
zugleich Die Campanier, ihre Nachbarn, mitten im Lande, bes 
lehret haben werden. Man begreift alfo, von welcher Nation ein 
Theil der Gefäße von gebrannter Erde verfertiget und bemalet 
worden, die häufig in Campanien, und fonderlih um Nola in 
dortigen Grabmälern ausgegraben worden. Will man aber Die 
Ehre von vielen diefer 2frbeiten den Tampaniern laffen, wird es 
Diefen nicht nachtheilig ſeyn koͤnen, fie als Schüler der griechi- 
ſchen Kuͤnſtler anzufehen, welches Feines Beweiſes nöthig hätte, 
wenn 8 wahr ift, Daß die Campanier allererft in Der fünf und 
achtigften Olympias ein befonderes Wolf zu feyn angefangen ; 
wie Divdorus angiebt (Ta edroz Tar zaumavwr zuresn 3). 


Unläug- 


a) Strab. L, 5. P. 243. B. 9 Martorel. I. c. P. 64. 65. 3) Diod Sic, 
L. 12. P. 93. 


A. 
Werks 
Funk. 


a. Münzen: 


db. Eampanis 
{che fo wohl 


ee vinger Anzahl gegen Die gedachten bemalten Gefäße, Die in Die: 


Gefäß 


ee 


192 I. Theil, Drittes Kapitel, 
Unläugbar find als campanifche und dieſem Wolke eige— 


"ne Werke anzufehen Die Münzen derjenigen Städte, Die mitten 


im Lande lagen, und wohin Die Griechen Feine Colonien geführet 
haben, als Capua, Teanum, io Tiano und andere Orte, als 
welche mit Schrift ihrer eigenen Sprache , Die Der hetrurifchen aͤhn⸗ 
lic) ift, begeichnet find, und Die Daher von einigen Gelehrten fo 
gar für puniſche Schrift gehalten worden, wie es dem Bianchi⸗ 
ni mit einer Münze von Capua ergangen D; Maffei aber befen- 
net von eben der Münze, Daß er nicht wife, was die Schrift dere 
felben bedeute 2). Die Schrift einer Münze von Tiano wird in 
dem Werfe der Pembrofifhen Münzen für Puniſch gehalten 3), 
Da nun Diefe Schrift ein Beweis ift, Daß die Campanier Diefel- 
ben von den Detruriern angenommen haben, fo zeiget hingegen 
das Sepräge der Münzen den Stil der hetrurifchen Kunft nicht, 
weldyer den campaniſchen Kuͤnſtlern vieleicht ehemals eigen ges 
wefen, fondern es fcheinet durch Die Zeichnung eben Daffelbe be- 
ftätiget zu werden, was ich vorher gefaget habe. Der Kopf ei: 
nes jungen Hercules auf Münzen beyder Städte, und Der Kopf 
Des Supiters auf denen von Capua find in der fchönften Idea ge 
zeichnet, und eine Victoria auf einem vierſpaͤnnigen Wagen fe- 
bend, auf Münzen eben Diefer Stadt, unterfcheidet fi) nicht son 
einem griechifchen Gepraͤge. 

Die Münzen der campaniſchen Städte find jedoch in ge 


fen 


s) If, univ.p.268. 2) Veron, illyke. P. 3. P. 259. . 5. 93) Mur. Pem 
brock. P. 2, tab. 92, 


Bon der Kunſt der Samniter, Volsker u. Campanier. 193 


ſem Lande zu jeder Zeit entdecket worden, und die man insgemein, 
wiewohl ivrig , hetruriſche Gefäße nennet, weil hier Dem Buonar⸗ 
voti und dem Gori nachgefprochen wird, als welche Die erſten 
find, die uns Abbildungen derfelben bekannt gemachet haben: 
denn Diefe ſuchten als Tofcaner zur Ehre ihrer Nation Diefe Wer— 
fe den Hetruriern zugueignen. 

Die Gründe dieſes Worgebens find theils die Nachrichten 
von den ehemals beliebten Gefäßen, die in Hetrurien 1) und be 
ſonders zu Arezzo, einer hetrurifchen Stadt gemachet wurden 
2), und anderntheils die Aehnlichkeit mancher Bilder auf jenen 
Gefäßen mit denen, die auf hetrurifhen Opferſchalen von Erzt 
eingegraben find. Es werden bier vornehmlich Die Figuren der 
Faune mit Pferdeſchwaͤnzen angeführet, da Diefe an griechiſchen 
Saunen und Eatyrs kurz und wie der Ziege ihre geftaltet find; 
man hätte ſich auch auf unbekannte Arten Vögel berufen koͤnnen, 
die auf einigen Gefäßen gemalet ſtehen, weil Plinius faget, 
daß in den Wahrfagerbüchern der Hetrurier Vögel vorgeftel- 
fet fworden , Die Diefem Scribenten ganz und gar unbekannt 
waren. Hier muß ich jedoch) erinnern, Daß ſich auch ein unbe 
Eannter großer Vogel findet auf einem Gefäße mit der alleraltes 
ſten griechiſchen Schrift bezeichnet , in Dem Muſeo des großbri⸗ 
tanniſchen Miniſters Hrn. Hamiltons zu Neapel, welches eine 
Jagd vorſtellet, und mehrmal von mir wird angefuͤhret wer- 

den. 


1) Peif. Sat. 2. v.60. 2) Id, Sat. r. v. 130. Plin, L. 35. c. 46. Martial. L- 
14. eP. 98. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. 5 


aa. Widerles 
gung der ges 
meinen Mey> 
nung daß dies 
felben hetruri⸗ 
{che Arbeiten 
feyn, wo bes 
wieſen wird, 
daß ſich finden«: 


194 J. Theil. Drittes Kapitel. 


den. Es iſt dieſer Vogel einer Trappe ähnlich, Die den alten 
Römern bekannt war ı), itzo aber wenigftens in Dem wärmeren 
Theile von Italien ſich ganz ungewöhnlid) gemachet hat. Ich 
übergehe hier Die unerheblichen Anmerkungen des Buonarroti von 
Kränzen und Gefäßen in der Hand des Bacchus, von Spiel: 
zeugen und Snftrumenten und von viereckten Käftgen, die er auf 
griechifchen Werfen theils gar nicht, theils von verfchiedener 
Form will bemerfet haben 2). Aber es war Derfelbe viel zu fehr 
erfahren, als daß er hätte vorgeben follen, was ihm Gori ſchlech— 
terdings andichtet 3), Daß die Gottheiten, und die Sabelgefchich- 
fe, die auf folden Gefäßen abgebildet worden, fehr verſchieden 
von eben dieſen Vorſtellungen in griechifchen Bildern feyn: Denn 
man würde ihm das Gegentheil bewiefen haben. Der Ausſpruch 
des Gori felbft ift hingegen bier von gar Feinem Gewichte, Da 
derfelbe niemals aus Florenz, feinem Waterlande, gegangen ift, 
und alfo die anfchauliche Kenntniß des größten Theils der Alter: 
thümer und der alten Werke der Kunſt nicht gefiichet hat. End» 
lich aber, da nicht zu läugnen ift, Daß Die mehreften Der von je 
nen Selehrten bekannt gemachten Gefäße in dem Koͤnigreiche Nea⸗ 
pel gefunden worden, ift man zum Behufe des vermeynten Va— 
terlandes Derfelben bis in die Ältefte Geſchichte zuruͤck gegangen, 
und in die Zeiten, in welchen fic) Die Hetrurier durch ganz Ita- 
lien ausgebreitet hatten, ohne zu überlegen, Daß die Zeichnung 
der mehreften dieſer Gemälde auf weit fpätere Zeiten und auf 
Diejes 
ı) Pithoei Epipt.p. 36. 2) Buonar. explic.ad Dempft. Etrur, $. 9.p. 16. m. 
3) Gori difefa dell’ alfab. Etrufc. p. CCV. 


Bon der Kunft der Samniter, Volsker u. Campanier. 195 


diejenigen deuteten, wo Die Kunſt entweder ihre Vollkommenheit 
erreichet hatte oder fich derſelben zu nähern anfieng, je nachdem 
dieſe Gefäße mehr oder weniger alt find. Ein nicht geringer 
Grund zu Behauptung der gemeinen Meynung für die Hetru— 
vier würde die Anzeige ſolcher Gefäße geweſen feyn, Die wirklich 
in Tofcana ausgegraben worden; Diefe aber find yon niemand 
angegeben worden. 

Sch will zugeben, daß einige wenige Gefaͤße von Diefer 
Art, Die in der großherzoglichen Gallerie gegeiget werden, in Tof 
cana gefunden worden, welches jedoch nicht zu erweifen iſt; ich 
weiß auch, Das manbey den hetrurifchen Gräbern in der Gegend 
von Corneto Kleine Scherben gemachter Geſchirre von gebrannter 
Erde entdecket habe; unlaugbar aber ift Hingegen Daß alle große 
Sammlungen, die fich in Italien finden, wie nicht weniger dieje— 
nigen Stüde, die jenfeit der Alpen verführet worden, im König- 
reiche Neapel, und mehrentheils bey Nola und aus den alten 
Gräbern dieſer Stadt hervorgezogen worden find. Diefe zuver: 
läßige Gewißheit aber beſtimmet noch nicht alles, was zur Kennt- 
niß und zur Beurtheilung Diefer Gefäße erfodert wird, da wir wif 
fen, wie ich kurz zuvor angeführet habe, Daß Nola eine Eolonie 
der Griechen gewefen, und da ein großer Theil der Gefäße, die 
wir kennen, mit griechifcher Zeichnung bemalet find, von welchen 
einige griechifcehe Schrift haben, welches ich deutlicher anzeigen 
werde. Sprechen wir alfo den Künftlern des eigentlichen Hetru— 
riens Diefe Arbeiten ab, deren Stil gleichwohl fehr viele Gefäße 
deurlich zeigen, Da hingegen andere offenbar yon griechifehen Mei- 

ba ſtern 


196 1. Shell, Drittes Kapitel 


ftern herkommen , fo bleibet unfer Urtheil unentfcheidend hängen 
wifchen Den. Campaniern und Den Griechen, und Daher erfodert 
Diefes eine Deutlichere ErHärung. 

— Daß ſich unter dieſer gemalten Toͤpferarbeit Gefaͤße 

insbefondere. campaniſcher Kuͤnſtler finden, iſt ſehr wahrſcheinlich, Da die irde— 
nen Geſchirre dieſes Landes auch vom Horatius angefuͤhret wer— 
den (Campana ſupellex) 1); es geſchiehet dieſes jedoch nur in Mels 
dung feines Geraͤths von ſchlechtem Werthe. Mit mehrerer Ge— 
wißheit aber ift Diefes zu fchließen aus dem Stil der Zeichnung 
einiger dieſer Stuͤcke, welcher, wie ic) gefaget habe, der hetruri⸗ 
ſchen Zeichnung ähnlich it; und dieſe Aehnlichkeit Fan mit einer 
Art hetruriſcher Schrift, Die den Campaniern eigen war, einerley 
Grund haben. Denn Da die Tyrrhenier oder die älteften Hetru— 
vier ſich durch Kampanien bis in das Land, welches nachher 
Sroßgriechenland genennet wurde, erſtrecket hatten, und die Cams 
panier alfo als ihre Nachkoͤmmlinge anzufehen find, fo wird ſich 
auf dieſe Art Die eingeführte Schrift, fo wie Die Zeichnung Der 
Künftter , bier erhalten haben. Es arbeiteten fo gar die Hand— 
werker der Campanier verfchieden von den Griechen und Sicilia 
nern, wie Plinius von den Tiſchlern unter jenen insbefondere an⸗ 
merket 2). 

— Den vornehmſten Beweis geben endlich wider Die Tofcas 

aa.überfaupt. ner theils die ſchoͤnſten Gefäße diefer Art, die in Sicilien entde— 
cket und gefammlet worden, und die nach Dem Berichte meines 
Freundes des Freyherrn von Niedefel Cwelcher als ein Ken— 

ner 
ı) Horat. L, ı. fat. 6. v. ı17. 2) Plin,L. 16. c. 82. 


Bon der Kunft der Samniter, Bolöfer u. Kampanier. 197 


ner der Alterthämer und der Kuͤnſte ganz Sicilien und Großgrie⸗ 
chenland Durchreifet iſt) den ſchoͤnſten Gefäßen, die fi in den 
Mufeis zu Neapel befinden, völlig ähnlich find; theils die grie- 
chiſche Schrift auf verfehiedenen von Diefen. 

Mit griechifcher Schrift bezeichnet befinden fid) drey Ge 
fäße in der maftrilifchen Sammlung zu Neapel, die von Dem 
Canonicus Maszscchi fchlecht gezeichnet und noch) fehlechter gefto- 
een zu erſt bekannt gemachet worden find ; eben Diefelben find 
nachher richtiger gezeichnet zugleich mit den hamiltonifchen Ge: 
füßen erfchienen. Ein anderes Gefäß mit der Inſchrift KAZLLIFZEL 
KAZLOL “der ſchoͤne Kallikles“ befindet fich in eben der Samm- 
fung; ferner fichet man eine Schale von gebrannter Erde mit grie⸗ 
chiſcher Schrift; Die allerältefte Schrift aber ffehet auf Dem vor- 
gedachten Gefäfe Hrn. Hamiltons; und von Derfelben, fo wohl 
als von den anderen mit griechiſcher Schrift bemerften Stüden 
werde ich im folgenden Kapitel von neuem Meldung thun. Da 
fich num bisher Eein einziges dieſer Werke mit hetruriſcher Schrift 
entdedet, fo wird folglich Die unkenntlicy gewordene Schrift auf 
wen fehönen Gefäßen der Sammlung Hrn. Menge, zu Nom, 
nicht hetruriſch fondern griechifch feyn: Das eine von Denfelben 
habe ic) in meinen alten Denkmalen herausgegeben 1). Mean fie- 
het in der vaticanifchen Bibliothek auf einem Gefäße, welhesich 
ebenfalls herausgegeben und erHHäret habe 2), fo gar den Namen 
des Malers folgender Geftalt gezeichnet: AA < IMOZ EIPAYE, 
“ Alfinıos bat es gemalet “. Diefe Infchrift tft irrig von ande: 

Sb 3. ven 


ı) Monum. ant. ined. No. 159. 2) Ibid. No, 142. 


bb. Die wmit 
griechiſcher 
Schrift bee 
zeichnet find. 


198 1. Theil. Drittes Kapitel. 


ren gelefen worden: MAZIMOZ EIPAVE; und Gori, wider 

deſſen Syſtema diefe Schrift ift, erklaͤret Diefelbe mit Keckheit für 

einen Betrug, ohne das Gefäß felbft gefehen zu haben 1). 
—— Den Beweis, welcher aus dieſer Schrift ſo wohl, als aus 
—— beyder· dem Stil der Zeichnung, ſelbſt auch auf andere Gefaͤße ohne Schrift, 
—* zu folget, dieſelben griechiſchen Kuͤnſtlern zuzuſchreiben, beſtaͤtigen, 
madıt, tits wie ich bereits erwaͤhnet habe, Die in Sieilien gefundenen Gefäße 


—— gleicher Art und Arbeit, deren Sammlungen ich anzeigen werde, 
wenn ich vorher Nachricht ertheilet habe von denjenigen, die theils 
im Koͤnigreiche Neapel gemachet worden, theils ſich noch itzo zu 
Neapel ſelbſt befinden. 

ale hg Die erfte und ältefte Sammlung, welche Dafelbft zufammen 

fen Biblio gebracht worden, ift, fo viel ich weiß, diejenige, welche Die vaticaniſche 

; Bibliothek zieret. Wir haben Diefelbe dem neapolitanifchen Rechts⸗ 
gelchrten Joſeph Waletta zu danken, von deffen Erben der ältere 
Kardinal Gualtieri Diefelbe erftand, und nad) dieſes Tode wurde 
Diefelbe gedachter Bibliothek einverleibet. Eben dieſer Waletta 
vermachete der Bibliothek der Theatiner zu St. Apoftoli , in 
Neapel, einige zwanzig Stüde ſolcher Gefäße, welche Dafelbft 
aufaeftellet find. 

AB. Waſtrilli⸗ richt geringer, wenigftens in der Zahl, ift diejenige 

— Sammlung, die der Graf Maſtrilli zu Neapel gemacht hat, die 
vor einigen Jahren durch eine betraͤchtliche Anzahl vermehret wor⸗ 
den, Die ein anderer aus eben dieſem Hauſe, zu Nola wohnhaft, ges 

ma: 
1) Gori difefa dell’ aifab. Etrufc. p- CCXV. 


Bon der Kunſt der Samniter, Volsker u. Campanier. 199 


machet hatte; und beyde mit einander vereinigte Sammlungen be- 
fitzet iso deren Erbe, der Graf Palma zu Neapel. 

Nebſt dieſer Sammlung ift diejenige zumerfen, die ſich in 
dem Haufe Porcinari befindet, und an fiebenzig Stüde enthält, 
unter welchen eins Der fchönften den Dreftes von zwo Figuren ver⸗ 
folget, und mit Dem linken Knie auf dem Deckel des Dreyfußes 
des Apollo Eniend vorftellet. Diefer Dediel COruos) iſt mit et⸗ 
was behänget, wovon ich zu feiner Zeit in dem dritten Bande 
meiner alten Denkmale reden werde. Diefes Gefäß erfcheinet nebft 
ein Paar anderen eben Diefes Mufei in der hamiltoniſchen Samm⸗ 
lung. 

Nor kurzen hat der Duca Caraffa Noja, ein heftiger 
Liebhaber der Alterthümer, angefangen, nebft anderen alten Wer- 
Een, aud) Gefäße zu fammlen, die nächftens in Kupfer geftochen 
bervortreten werden. Das fehönfte und zugleich das gelehrtefte 
Stüd ftellet in einigen zwanzig Figuren Das Gefecht der Griechen 
und der Trojaner über den Körper des Patroclus vor, wo Diefe 
von jenen durd) Helme unterfchisden find, die einige Aehnlichkeit 
mit den phrygiſchen Muͤtzen haben. 


Yy. Porcınas 
riſche Samın« 
fung. 


9, Sefäfe des 
Duca Noie, 


Zulegt und nad) allen vorgedachten Liebhabern ſolcher ir⸗ . Samittoni- 


denen Arbeiten hat mehrmals erwähnter Herr Hamilton eine 
nod) ftärfere und auserlefenere Anzahl derfelben zufammen ges 
bracht, Die durch Hrn. von Dancarville zugleich mit den auser- 
lefenfien Gefäßen der maftrillifchen und porcinarifchen Samm- 
lung, in vier prächtigen Bänden des größten Folio Formats an 
das Licht gegeben worden find. Diefes Werk übertrift an Pracht 
alles, 


fhe Samm⸗ 
lung. 


200 I. Theil, Drittes Kapitel, 


alles, was bisher yon alten Denfmalen in Kupfer erfchienen iſt; 
denn es ift nebit der Form Der Gefäße und ihrem ausgemeflenen 
förperlichen Inhalte, ein jedes auf verfchiedenen Kupferplatten 
abgebildet, fü daß die Zierrathen Derfelben , noch mehr aber Die 
Figuren mit dem höchften Fleife, und mit Dem wahren Werftänd- 
niffe in der Zeichnung der Alten, genau nachgeahmet, und über 
Diefes ein jedes Gefäß mit deſſen eigenen Farben abgedrucket wor: 
den, Dergeftalt, Daß hier ein Schag Der griechifchen Zeichnung und 
der Deutlichfte Beweis Der Vollkommenheit ihrer Kunſt zu finden 
iſt. Der würdige Befizer Diefer Sammlung Fan ſich rühmen, in 
zwey Gefäßen nicht allein eins der allerälteften Denkmale griecht- 
fher Kunſt, fondern auch das allervollfommenfte von Zeichnung 


and Schönheit, was in Der Welt befannt geworden, aufzeigen 


&. Andere 


Sammlungen 
ſolcher Geſäße. 


zu koͤnnen, wie ich von einem fo wohl als von dem andern Dar- 
thun werde. 

Unter einigen anderen Sammlungen , die ebenfalls aus 
dem Königreiche Neapel Eommen, tft eine der. befrächtlichiten 
diejenige, Die der Raphael unferer Zeiten, Mr. Mengs, während 
feines Aufenthalts Dafelbft gemachet hat, aus welcher ich vier 
ganz befondere Stücke in meinen alten Denfmalen bekannt gema= 
het habe. Es find noch andere Gefäße unter denfelben, Die nicht 
weniger verdieneten an das Licht zu treten, wie Dasjenige ift, Def 
fen ich mich igo entfinne , welches eine Amazone zu Pferde, mit 
einem auf die Schulter herabgemorfenen Hute, im Streite mit 
sinem Melden vorſtellet: Der Held ift vermuthlich Achilles und 
die 


Bon der Kunſt der Samniter, Volsker u. Campanier, 201 


Die Amazone Penthefilen, weil diefer die Erfindung einen Hut zu 
fragen bepgeleger wurde 1). 

Ich vermuthe, daß Der größte Theilder Gefäße diefer Art, 
Die fich in verfchiedenen Städten von Italien befinden , deren 
Sammlungen Gori anzeiget 2), von eben den Orten herfommen; 
und ich hoffe Diefelben nächfteng zu fehen, mit Dem Vorbehalte, Einf: 
fig Nachricht und mein Urtheil über diefelben mitzutheilen in dem 
dritten Bande meiner Denkmale, wo ich füchen werde, diejenigen 
in Kupfer vorzufteilen und zu erflären, Die Lehre und ER 
enthalten. 

Endlich muß ich unter den Gefäßen, deren Vaterland die 
Gegend um Nenpelift, nicht vergeſſen, Dasjenige anzuführen, wel 
ches der Durchl. regierende Fürft von Anhalt Deffan zu Rom 
erftanden hat; und dieſes wegen einer auf anderen Gefäßen noch 
nicht bemerften Befondernheit. Man fichet auf demfelben gema- 
let eine weibliche beFleidete Figur , die vor einem geflügelten Ge- 
nius ftehet, und fich einen runden Spiegel an deffen Stiele gefaf 
fet vorhält, in Demfelben zeiget ſich das Profil des Gefichts die 
fer Figur, aber nicht mit Farbe gezeichnet, fondern mit einer glän- 
zenden Glaſur, die bleyfärbig erfcheinet. 

Alle dieſe Sammlungen habe ich oft und mit Mufe zu un⸗ cm Sieilie 
terfuchen Gelegenheit gehabt, und ich hätte gewünfcht, felbft und mtr © 


fäße. 
nicht mit fremden Augen die in Sicilien befindlichen Gefaͤße zu 
un⸗ 
1) Plin. L. 7, c. 56. p. 478. 2) Gori difefa dell’ alfab. Etrufe, 


p- CCXLIV. feg. 
Minkelm. Gef, der Kunft, Cc 


202 I. Theil. Drittes Kapitel. 


unterſuchen, weil alle Künfte hier nicht weniger als in Großgrie⸗ 
Ayenland geblühet haben. Unterdeffen bis die Zeit erlaubet, Das 
hin zu gehen, um Fünftig eine umftändliche Nachricht von denfel- 
ben zu ertheilen, begnuͤge fich der Lefer mit einer bloßen Anzeige 
der Drte Diefer Inſel, wo die mehreften Derfelben gefammlet wor- 
den; und dieſe find Girgenti und Catania. 
— Gir⸗ An dem erſten Orte zieren verſchiedene das Muſeum des 
Biſchoffs der Stadt, Luccheſi, welcher zugleich ein ſchoͤnes Münze 
Eabinet beſitzet, und ich führe aus Deffen Muſeo im folgenden Ka: 
pitel zwo uralte goldene Schalen an. Eins der fchönften Gefäße 
befindet fic) in der Kanzley der Cathedralfirche diefer Stadt, und 
ift an fünf vömifche Palmen hoch, deffen Figuren, wie gewoͤhn⸗ 
lich, gelb auf einem ſchwarzen Grunde find, und der Stil Der 
Zeichnung ift, wie mir verfichert wird, in Dem Begriffe, den wir 
von der höchften Zeit der Kunſt haben. | 
ER An dem zweyten Orte haben die Benedictiner in ihrem 
Muſeo über zwey hundert diefer Gefäße, und eine nicht weniger 
beträchtliche Sammlung befiget ein würdiger Mann und Liebha= 
ber der Künfte, der Prinz Biſcari, und bier fo wohl als Dort 
find alle mögliche Formen ſolcher Gefäße fo wohl als feltene Be— 
gebenheiten der Deldengefchichte auf denſelben gemalet zu fehen. 
a Ich begreife wohl, Daß das gegebene Verzeichniß gegen: 
wärtiger berühmter Sammlungen von Gefäßen zu Ende desjeni⸗ 
gen, was ich annod) von Diefen Werken beyzubringen habe, hätte 
gefetset werden follen, und Daß zuvor der Gebrauch, den man vor 
Alters von Diefen Gefäßen gemachet, nicht weniger als Die Zeich⸗ 
nung 


Bon der Kunſt der Samniter, Volsker u. Campanier. 203 


nung und Malerey derſelben zu beruͤhren geweſen waͤre, weil dieſe 
Anzeige mehr, als jene bloß hiſtoriſche Nachricht, das Weſen 
ſolcher Werke betrift. Die Urſach aber, die mich veranlaſſet hat, 
das eine dem andern vorzuſetzen, war der Beweis, den gedachte 
Sammlungen, die in Laͤndern, von Griechen bewohnet, gemacht 
ſind, geben koͤnnen zur Widerlegung der irrigen Meynung, daß 
ſolche Gefaͤße von hetruriſchen Kuͤnſtlern gemachet worden. Ich 
habe alſo eigentlich dadurch die Benennung derſelben richtig zu 
machen geſuchet, als welches in allen Dingen, wovon man han⸗ 
delt, Das erfte ſeyn muß. 

Bas alfo zuerft den Gebrauch dieſer Gefäße betrift, fo 
finden fie) unter Denfelben allerhand Arten und Formen, von den 
kleinften an, Die zum Spielzeuge der Kinder müffen gedienet ha- 
ben, bis auf Gefäße von drey bis vier und fünf Palme hoch; die 
mancherley Form der größeren zeiget fic) in Büchern, wo Diefel- 
ben in Kupfer geftochen find; der Gebrauch derfelben aber war 
verfchieden. Ben Opfern, und fonderlich der Vefta, blieben ix: 
Dene Gefäße beybehalten 1): einige Dieneten zur Bewahrung Der 
Aſche der Todten , wie denn die mehreften in verfchütteten Grab— 
mälern, fonderlic) bey der Stadt Nola, nicht weit von Neapel, 
gefunden worden. Won verfchiedenen folcher Gefäße, die ſich bey 
dem Schloßhauptmann zu Caferta befinden, verfichert man, daß 
Diefelben in einem gemeinen Steine eingefchloffen gefunden worden, 
und auf gleiche Weiſe eingefüttert foll ein Gefäß, welches ih in 
meinen Denfmalen bekannt gemachet habe 2), entdecket worden 

Ce 2 ſeyn. 


1) Brodaei Miſcel. L. 5. c. 19. 2) Monum. ant. ined, No. 146, 


dd, Gebrauch 
dieſer Gefäße, 


204 1. Theil, Drittes Kapitel. 


ſeyn. Das Gefäß felbft ift in eben der Form auf Demfelben 
gemalet, und ftehet wie auf einem Kleinen Huͤgel, welcher ver- 
muthlich ein Grab vorftellen fol, fo wie die Gräber der Alte 
ften Zeiten waren 1); auf der einen und auf der andern Seite 
gedachten Gefäßes ftehet eine junge männliche Figur, welche, 
außer einem auf der Schulter hängenden Gewande, und einem 
Degen unter dem Arme hinauf, nad) Artheroifcher Figuren, (der 
Degen heißt alsdenn urwrevng 2), nadend iſt; und ich bin der 
Meynung, Daß Diefelben den Dreftes und vis bey dein Grabe 
des Agamemmons vorftellen. 

Es fanden ſich folche Gefäße fo gar in den Grabmälern, 
die mitten in den tifatifchen Gebirgen gelegen find, und zwar an 
zehen Milien oberhalb der alten Stadt Capua, nahe an einem 
Drte, welcher Trebbia heißt, und wohin man durch ungebähnte 
mühfame Wege gelanget. Diefe Gräber ließ Merr Hamilton 
Großbritannifcher Minifter zu Neapel in feiner Gegenwart eröffnen, 
theils um die Bauart derfelben zu fehen, theils um zu verfüchen, 
ob fi) aud) in Grabern an fo unwegſamen Drten dergleichen 
‚Gefäße fanden. Die Entdedung des einen Diefer Gräber wurde 
von dieſem Liebhaber und Kenner der Künfte auf dem Drte felbft 
gezeichnet, und man fiehet dieſe feine Zeichnung in dem zweyten 
Dande der großen Sammlung feiner Gefaße in Kupfer geftochen. 
Das Gerippe des Verftorbenen lag auf der bloßen Erde ausges 
ſtrecket, Die Füße gegen den Eingang des Grabes zugefchret, und 

mit 
1) Pauf. L. 6, p. 507. 1. 38. L. 8: p. 624. 1. 33. &e, 2) Schol. Pind, 
Olymp. 2. v. 149. 


Bon der Kunft der Sumniter, Volsfer u. Campanier. 205 


mit Dem Kopfe nahe an der Mauer des Grabes, wo ſechs Furze 
eiferne platte Stäbe, nad) Art der Stäbe eines Fächers ausge: 
breitet, vermittelft des Nagels, um welchen ſich diefelben herum 
bewegen Eönnen, eingefchlagen waren. In eben Diefer Gegend 
und am Daupte fanden zween zerfreſſene hohe eiferne Leuchter. In 
einiger Hoͤhe aber über dem Haupte biengen einige Gefäße an 
eingefchlagenen Nägeln von Erste, eing fand neben den Leuchtern, 
und ein paar andere waren zur rechten Seite des Gerippes neben 
Den Füßen gefeet. Zur linken Seite neben dem Haupte lagen 
zween eiferne Degen nebft einem Colo vinario von Erst, welches 
eine tiefe nach Art eines Siebs Durchlöcherte Schale mit einem 
Stiele ift, Die in eine andere undurdylöcherte Schale genau einpaf 
fet, und dienete, wie bekannt ift, Den Wein Durchzufeigen. Denn 
Da Derfelbe in den großen Doliis von gebrannter Erde länger als 
an Tonnen von hölzernen Stäben aufbehalten werden Fonte, und 
folglich dicker war als der unfrige Wein, welcher insgemein bald 
nach der Weinlefe getrunken wird, fo fchien ein folcher Wein das 
Durchfeigen zu erforderen. An eben Diefer Seite zu den Füßen 
ftand eine runde Schale von Erzt, in welcher ein Simpulum lag, 
das ift ein rundes Schäldyenan einem langen Stiele, Der fid) oben 
wie ein Hacken kruͤmmet, und wurde gebraucht theils Wein aus 
den Doliis zu langen, um Denfelben zu verfüchen, theils aber bey 
Opfern den Wein zur Kibation in die Schale zu gießen. Ne— 
ben jener Schale lagen zwey Eyer und eine Reibe, wie zum 
Kaͤſe reiben. 


Er 3 Ich 


206 I. Theil, Drittes Kapitel. 


Sch Fan nicht umhin über diefe Entdeckung einige An—⸗ 
merkungen beygufügen, unerachtet mich diefelben von meinem Zwe⸗ 
ce in etwas abführen, zu welchen ich aber hernach wiederum zu: 
rück Eehre durch Die allgemeine Erinnerung über die Gefäße in 
Gräbern. Daß die Todten mit den Füßen gegen den Eingang 
Des Grabes beygefeget worden, ift auch fonft befannt; aber es 
muß eine befondere Gewohnheit der Einwohner dortiges Landes 
gewefen feyn, den Todten in Fein Behältniß, fondern auf Die 
bloße Erde zu legen, da diefes ohne große Koften in einem vier 
eckt länglichten Kaften, ‚deren fic) viele mit ihren Körpern finden, 
gefchehen Eonte, Was die nahe an dem Haupte des Gerippes 
in Form eines Faͤchers ausgebreitete Eifen betrifft, fo ſcheinen Dies 
felben einen wirklichen Fächer vorgeftellet zu haben, und zu deuten 
auf Die Gewohnheit, dem Werftorbenen mit einem Zächer Die 
Sliegen von Dem Gefichte wegzutreiben 1). Die Schale oder der 
Crater, und die Neibe nebft den Eyern find als Zeichen der 
Speife und des Tranfs anzufehen, die man der Seele des Ver: 
ftorbenen zuruͤckgelaſſen, da wir wiffen, Daß unter den leiten Zus 
rufungen an die Todten auch diejenige war, wodurch fie erinnert 
wurden, auf das Wohlfeyn der nachgebliebenen Verwandten zu 
trinken. Unter andern liefet man auf einer runden Begraͤbniß— 
urne in der Villa Matte: HAVE ARGENTI TV NOBIS 
BIBES. Die aufgehängeten Gefäße Fönen nicht mehr , als Die- 
jenigen, die neben dem Gerippe ftanden, für Afchentöpfe angeſe— 
hen werden, theils weil Dort, wie man ſiehet, entweder überhaupt 

nicht 


2) Kirchman. de fun. L. 1. c. ı2, p. 109 


Don der Kunſt der Samniter, Volsker u. Kampanier. 207 


nicht der Gebrauch war, Die Todten zu verbrennen, oder weiles 
dem Meren diefes Grabes nicht gefällig war, theils aud) weil hier 
nur ein einziger Körper beygeleget worden, und endlich weil alle 
dieſe Gefäße offen und unverdeckt waren, Da hingegen alle Afchen- 
töpfe ihre Deckel haben. 

Unterdeffen ift es befonders, daß nirgends ben alten Seri- 
benten der Gefäße gedacht wird, Die außer den Dlfchentöpfen in 
anderer Abficht in Gräbern bengefeget worden: denn ein Gefäß 
mit Del, welches nach dem Ariftophanes neben den Verſtorbenen 
gefetzet worden I), feheinet nicht hierher zu gehören. 

Nicht weniger bekannt ift der Gebraud), den man von 
folchen Gefäßen in den öffentlichen Spielen von Griechenland ma= 
chete, wo bereits in den älteften Zeiten ein bloßes irdenes Gefäß, 
der Preis des Sieges in Denfelben war 2), wie Diefes ein Gefäß 
anf Münzen der Stadt Tralles 3), und auf vielen gefchnifte- 
nen Steinen 4) anzeigetz und dieſer Gebraud) hatte fi) auch in 
fpäteren Zeiten zu Athen erhalten, wo der Preiß in Den panatbe- 
naifchen Spielen eben folcye Gefäße waren, die mit Del aus den 
der Pallas gewidmeten Dliven gepreflet , angefüllet wurden. 
Diefe waren mit Malerey gezieret, wie Pindarus anzeiget, 
(ov ayyowv eprocw maumomııas 5) fü wie es auch der Scholiaft 
Diefes Dichters ausleget Celoyoayerro yap ar vöpm); auf Diefen 
Gebrauch fcheinen die Gemalde verſchiedener der größten Gefäße 

. (0 
1) Ariftoph. Ecclef. v. 535. 2) Hom. Il. $. v. 2s9. Athen Deipn. L. ıı. 


p- 468. C. 3) Spanh. de præſt. num. T. 1. p. 134. 4) Defer.dee 
pier. gr. du Cab. de Siofch, p. 466. 5) Pind. Nem. 10. v. 64. 


ee. Malerey 
and Zeichnung 
derfelben. 


208 I. Theil, Dritted Kapitel. 


fo wohl in der vaticanifhen als hamiltonifhen Sammlung zu 
Deuten: denn es find hier in einem Tempel vorgeftellet bald Ca— 
ftor bald Pollux, Diefer ftehend und mit einem Pferde, und jener 
ſitzend mit einem fpisigen Helme in der Hand und in der Form 
von deffen gewöhnlicher Muͤtze. Caftor wirde ein Bild der Wett 
laufe zu Pferde feyn, und im Pollux als einem berühmten ins 
ger, wären die übrigen Spiele angezeiget. 

Außerdem müjfen viele wo nicht Die mehreften Gefäße ftatt 
unferes Porcellans gedienet haben, und verfertiget worden feyn, 
die Orte, wohin man Diefelben fteilete, Damit auszuzieren. Die— 
fes Fan man fließen zum erften aus dem Gemälde, als welches 
insgemein auf der einen Seite beffer als auf der andern ausge— 
führet ift, fo daß Die geringere Seite gegen Die Mauer geſtellet 
worden. Unläugbar aber ift Diefer Gebrauch aus der Form felbft 
einiger Gefäße, die keinen Boden haben, noch jemals gehabt ha= 
ben, wie fic) dieſes an einigen Der größten Stuͤcke der gedachten 
hamiltonifchen Sammlung findet. ; 

In diefer Abhandlung ift jedoch) nicht die Form Diefer Ge— 
füße noch die Beftimmung ihres Gebrauchs, fondern die Gemälde 
nebft der Zeichnung, Die auf Denfelben ausgeführet find, Die vor— 
nehmfte Abficht : denn aus der Zeichnung müffen Die mehreften 
sriechifehen Künftlern zugefchrieben werden, und diefe fü wohl 
als die Malerey ift ein wirdiger Vorwurf der Betrachtung 
und Nachahmung unferer Kuͤnſtler. Da wir nun aus Zeichnun- 
gen mehr als in ausgeführten Gemälden den Geift der Künftler, 
ihre Begriffe, nebft der Art Diefelben zu entwerfen, nicht weniger 

als 


Bon der Kunft der Samniter, Volsker u. Campanier. 209 


als die Fertigkeit erkennen, mit welcher die Dand ihrem Wer: 
ftande zu folgen und zu gehorchen fahig geweſen it, als wohin 
die Mbficht der Foftbaren Sammlungen Diefer Zeichnungen gerich: 
tet feyn ſoll; fo wird dieſe Abficht noch edler in oben gemalten 
Gefäßen, da diefe wirkliche Zeichnungen und, nebft vier Marmor: 
platten des hereulanifchen Muſei, deren id) unten gedenken were 
de, Die einzigen Zeichnungen der Alten find. Denn die Figuren 
find hier bloß conturnirt, Das ift, wie Zeichnungen ſeyn muͤſſen; 
nämlich es find nicht allein die außeren Umriße der Figuren, fon- 
dern auch alle Theile derfelben, nebft dem Schlage und den Fal⸗ 
ten der Gewänder nicht weniger als Deren Zierrathen angegeben, 
aber durch Linien und Züge, ohne Licht und Schatten.” Wir 
nennen alfo diefelben Gemälde, nicht im eigentlichen Verſtande, 
fondern weil e8 Zeichnungen find , die mit Sarben aufgetragen 
worden, unerachtet Diefes auch in Zeichnungen üblich iſt; und 
man Fan Diefe Gefäße ohne Misdeutung gemalt heißen, fo wie 
wir in Kupfer geftochen nennen, was nur mit Scheidewafler geäs 
get ift. 
Die Figuren find auf dem mehreſten nur mit einer einzigen fl. Materes 
Farbe gemalet, oder beffer zu reden, Die Farbe der Figuren ift en 
der eigentliche Grund der Gefäße, oder die natürliche Farbe des 
gebrannten fehr feinen Thons felbft; Das Feld aber des Gemäl- 
des, oder Die Farbe zwiſchen den Figuren, ift eine ſchwaͤrzliche 
glänzende Farbe, und mit eben derfelben find die Umriſſe der Fi- 
guren auf demſelben Grunde gemalet. Won Gefäßen mit mehreren 
Sarben gemalet befinden ſich verfchiedene in allen großen Samm⸗ 
Winkelm. Gef. der Runſt. D>d lungen 


210 I. Theil, Drittes Kapitel, 


lungen derſelben; das eine von dieſen, und zugleich Der gelehrten 
Gefäße, in dem Mufeodes Hrn. Mengs, zu Nom, ift eine Parodie 
des Supiters und der Alcmena, das ift, es iſt Diefelbe ing lächer: 
liche gefehret, und auf eine comifche Art vorgeftellet, oder man 
könte fagen, «8 ſey bier Der vornehmfte Auftritt: einer Comödie, 
wie der Amphiteno des Plautus ift, gemalet. Alcmena ſieht 
aus einem Fenfter , wie Diejenigen thaten, Die ihre Kunft feil 
hatten, oder fpröde thun, und fich Eoftbar machen wollten 1): 
das Fenfter fteht Hoch, nad) Art der Alten. Jupiter iſt verklei⸗— 
det mit einer bärtigen weißen Larve , und traͤget den Scheffel 
(Modius) auf dem Haupte, wie Serapis, welder mit der Zar: 
ve aus einem Stuͤcke ift: es trägt Derfelbe eine Leiter, zwifchen 
deren Sproffen er den Kopf hindurch ſtecket, wie im Begriffe, 
das Zimmer der Geliebten zu erſteigen. Auf der andern Seite 
it Mercurius mit einem dicken Bauche, wie ein Knecht geftal: 
tet, und wie Sofia beym Plautus verkleidet; er hält in der lin— 
fen Dand feinen Stab gefenft, als wenn er Denfelben verbergen 
wollte, um nicht erkannt zu werden, und in der andern Hand 
trägt er eine Lampe, welche er gegen das Fenſter erhebet, entwe— 
der den Jupiter zu leuchten, oder es zu machen, wie Delphis 
beym Theocritus zur Simätha fagt, mit der Axt und mit Der 
Lampe 2), auch mit Feuer Gewalt zu gebrauchen, wenn ihn feiz 
ne Geliebte nicht einlaffen würde. Er hateinen großen Priapus, 
welcher auch hier feine Deutung hat; und in den Comödien Der 
Alten 


x) Heinf, Led. Theocrit. c. 7. p. 83. a) Idyl. 2. v. 127. 


Von der Kunft der Samniter, Volsker u, Campanier. 211 


Alten band man fichein großes Glied von rothen Leder vor 1). 
Beyde Figuren haben weißlichte Hoſen und Strümpfe aus einem 
Stüde , Die bis auf die Knöchel der Füße reichen, wie die fien- 
den Comici mit Larven vordem Geſichte, in der Villa Matteiund 
Albani: denn die Perfonen in den Comödien Der Alten durften 
nicht ohne Mofen erfeheinen 2). Das Nadende der Figuren iſt 
Sleifchfarbe, bis auf den Priapus, welcher dunkelroth ift, fo wie 
die Kleidung der Figuren, und Das Kleid der Allcmena ift, mit 
weißen Sternchen bezeichnet, Mit Sternen gewürfte Kleider 
waren fehon unter den Gricchen der älteften Zeiten bekannt; ein 
foldyes hatte der Held Sofipolis auf einem uralten Gemälde 3), 
und Demetrius Polisrcetes trug dergleichen 4). Dieſes Gefaͤß 
iſt zu Ende diefes dritten Stüds in Kupfer geftochen beygebracht. 
Die Zeichnung auf den mehreften Gefäßen ift fo beſchaf— &8- Zeichnung 
fen, Daß die Figuren imeiner Zeichnung des Naphaels einen würz auf denſelben. 
digen Platz haben künten, und es ift merkwürdig , Daß ſich nicht 
zwey mit völlig einerley Bildern finden, und unter fo viel hunder- 
ten, welche ich gefehen habe, hat jedes Gefäß feine befondere 
Vorſtellung. Wer diemeifterhafte und zierliche Zeichnung auf 
denfelben betrachtet, und einfehen Fan, und die Art zu verfahren 
weiß, in Auftragung der. Farben auf dergleichen gebrannte Ar— 
beit, findetin Diefer Art Malerey den größten Beweis von der 
großen Nichtigkeit und Fertigkeit auch dieſer Künftler in der Zeich— 
nung. Denn Diefe Gefäße find nicht anders, als unfere Töpfer- 
DDd2 ar: 
») Ariſtoph. Nub. A39. conf. Eiusd. Lyſiſt. v. rro. 2) Pitt. Erc. T. I. 
p-267.n.9. 3) Paufan.L.6.p.517.1.0. 9 Athen. Deipn.L. 12.p. 535. F. 


212 L hell. Drittes Kapitel. 


arbeit, gemalet, oder wie das gemeine Porcellan, wenn, nad)- 
Dem es geröftet ift, wie man fpricht, Die blaue Farbe aufgetia- 
gen wird. Diefes Gemalte will fertig und gefhwinde gemachet 
feyn: denn aller gebrannter Thon ziehet, wie ein Dürres lechzen— 
des Erdreich den Than, unverzüglidy die Feuchtigkeit aus den 
Farben und aus dem Pinſel, Daß alfo, wenn die Umriffe nicht 
fehnelf mit einem einzigen Striche gezogen werden, im Pinſel nicht 
als die Erde, zurüd bleibet. Folglich Da man insgemein Feine 
Abſaͤtze, oder angehängte und von neuem angefegfe Linien findet, 
fo muß eine jede Linie des Umriffes einer Figur unabgeſetzt feyn, 
welches in der Eigenfchaft diefer Figuren beynahe wunderbar. fcheiz 
nen muß. Man muß aud) bedenken , daß in diefer Arbeit Feine 
DHenderung oder Verbefferung ftatt findet, fondern wie die Umrig 
fe gegogen find, müffen fie bleiben. Diefe Gefäße find, wie die 
Heineften geringften Infeften die Wunder in der Natur, Das 
Wunderbare in der Runft und Art der Alten, und fo wie in Ra: 
phaels eriten Entwürfen feiner Gedanken der Umriß eines Kopfs, 
ja ganze Figuren, mit einem einzigen unabgeſetzten Zederftriche 
gezogen, dem Kenner hier den Meifter nicht weniger, als in Def: 
fen ausgeführten Zeichnungen , zeigen; eben fo erfcheinet in den 
Gefaͤßen mehr die große Fertigkeit und Zuverficht der alten Kuͤnſt— 
fer , als in andern Werfen. © Eine Sammlung derfelben ift ein 
Schat von Zeichnungen *). 

| » ©» 


*) E8 hat sin Betrüger aus Benedig, Namens Pietro Sondi, diefe Gefaͤße nach⸗ 
zumachen geſuchet, und von feiner Arbeit ift manches Stud in Italien geblie- 
ben, 


Bon der Kunft der Samniter, Volsker u. Campanier, 213 
So viel ich auch irgend von der Zeichnung vieler folcher En. 


bung eines Ges 


Gefäße fagen möchte, würde ich glauben, nichts gethan zu haben, fäss ver va 
ohne ein Stüd des fchönften Gefäßes der hamiltoniſchen Samm- lan. 
lung bier von neuem dem Lefer inder Befchreibung vorzulegen, und 
zwar nur diejenige Vorftellung allein, Die oben auf der Kruͤm— 
mung des Bauchs deffelben und inter der Mündung gemalet ift, 
und ich übergehe Die Worftellung auf dem Bauche Diefes Ge— 
faͤßes, als welche Die Liebe des Jaſon und der Medea abbildet. 
Sch halte mich befonders bey Diefer Malerey auf, weil diefelbe 
das allerhöcyfte Der Zeichnung kan genennet werden von Den, was 
ung immer in den Werken der Alten übrig geblieben ift: Der In— 
halt dieſer Bilder aber ift nicht Derleichtefte. 

Mein erfter Gedanken fiel auf den Wettlauf, den Oeno— 
maus König zu Pifa für Die Freyer der Dippodamia angeftellet 
hatte, in welchem Polups den Sieg und die Braut erhielt. Die: 
fe Muthmaſſung fehien der Altar in der Mitten zu unterftügen : 
denn der Lauf gieng von Pifa bis Corinth zudem Altar des Nep— 
tunus 1). Dber bier ift Fein Zeichen diefer Gottheit, und da 
Hippodamia nur eine einzige Schwerter, Alcippa genennet hatte, 
würden die übrigen weiblichen Figuren erdichtet feyn. 

Dd 3 Nach— 
ben, die mehreſten aber ſind auswaͤrts gegangen: es iſt eben derſelbe, von 
welchem Apoſtolo Zeno () in einem feiner Briefe redet. Dieſe Betrligeren 
aber iſt auch von denen, bie von ber Zeichnung Feine Kenntniß Haben, leicht 
zu entdecken: denn bie Erde zu denselben ift grob, und bie Gefaße find alſo 
ſchwer, da hingegen die altın Gefäße auseiner ungemein verfeinerten Erde ger 
macht find, 

*) Lettere, Vol. 3. p- 197. 1) Diod. Sic. L. 4. p. 274. 275. 


SUR. 1 Theil. Drittes Kapitel. 


Nachher fiel mir Das Wettrennen ein, welches Icarius 
den Freyern feiner Tochter Penelope zu Sparta vorlegete, wo 
Diefe demjenigen zu Theil werden follte, Der vor andern den Preis 
erhalten. würde, und diefes traf den Ulyſſes. Man hätte fich alfo 
Denfelben vorzuftellen in der Figur Des jungen Helden, welcher 
eine junge Schönheit, Die entfliehen will , umfaſſet. Das Bild 
der Göttinn , die hier den Drt zu begeichnen fcheinet, würde Die 
Juno zu Sparta feyn, Die eine ähnliche oben breite Müte trug, 
zukswv genannt, Deren ich oben gedacht habe, und umftändlicher . 
in Den Dentmalen des Alterthums. 

Da aber Penelope nur zwo Schweftern haffe, Die Erigo- 
ne und Iphtima, die an dem Wettlaufe Feinen Antheil hatten, 
fehien mir derjenige , den Danaus zu Argos, zu Werheirathung 
feiner acht und vierzig Töchter anftellete,, bier füglicher zu feyn:: 
denn da Diefe, auf Befehl ihres Waters’, Die einzige Hypermne⸗ 
fira ausgenommen, eben fo viel Söhne des Aegyptus ihres Va— 
ters Bruders, in einer Nacht ermordet hatten, erweckte Diefe 
That bey jedem einen Widerwillen gegen dieſelben. Ihr Water 
erboth fich alfo, feine Töchter ohne empfangene Ausftener zu ver 
heurathen, fo, Daß fie fich unter Der Sugend wählen follten, wel- 
cher ihnen am beften gefallen würde. Da fid) aber nicht viel 
Freyer meldeten ‚»ftellete. Danaus einen Wettlauf an, in welchen 
der erſte fich am erften unter feinen Töchtern wählen follte, und 
fo ferner einer nad) dem andern: wir wiffen aber nicht, welcher un⸗ 
ter Diefen Freyern der erfte gewefen, eben fo wenig es bekannt ift, 
welche Die folgenden waren. 
Die 


Bon der Kumf der Samniter, Volsker u. Campanier. 215 


Die Figur der Göttinn Fönte Die Juno zu Argos feyn, 
in Abſicht der Müse, Die der an unferer Figur gleichfalls ähnlich 
war; Dasjenige aber, was Diefelbe mit der Hand hält, reimet fid) 
nicht mit den jener Statue beygelegten Zeichen. Es würde Der 
Rhea zukommen, weil e8 dem Steine ähnlid) ift, den fie, nad) 
Art eines Kindes eingewicelt, dem Saturnus reichet auf einem 
vierfeitigen Altare in dem Mufeo Capitolino. 

Zwo weibliche Figuren auf einem Wagen zu fehen, wird 
diejenigen nicht befremden, die wiſſen, daß die homeriſche Venus 
auf einem Wagen fuhr, nebſt der Iris, die die Zügel hielt, und 
Die fich aus dem Callimachus erinnern, daß Pallas die Chari- 
clo, welche nachher die Mutter des Tirefias wurde , mit ſich auf 
ihren Wagen zu nehmen pflegete 1); ja es ift bekannt, Daß Cy- 
nisca, Des fpartanifchen Königs Archidamus Tochter fo gar 
in dem Wettlaufe zu Wagen in den olympifchen Spielen Den 
Sieg erhielt. 

Die Wägen find bier. gefepnitst, wie fie es, ich will: nicht 
fagen, zu den Zeiten des Danaus, aber bereits in fehr alten Zei- 
ten waren ; denn Euripides giebt des Thefeus Sohne in Dem: 
Feldzuge der Griechen wider Troja einen Wagen, welcher mit 
dem Bilde der Pallas gezieret war 2). | 

Hier fcheinet mir der bequemſte Drt, zum Befchluffe Diefes _ Tv. 


Anzeige einis 
Kapitels, ein paar Worte zu melden von einigen in der Infel Sar- ge — — 
8 der Inſe 


Dinien entdeckten Figuren in Erzt, welche, in Abficht ihrer Bil⸗ En 
dung 


ı) Callim, Lavac. Pall. v. 63. 2) Eurip. Iphig. Aul. v. 250. 


216 1. Theil, Drittes Kapitel, 


dung und ihres hohen Alterthums, einige Aufmerkſamkeit ver 
dienen. E8 find vor kurzer Zeit I) ein paar andere ähnliche Fi⸗ 
guren aus Diefer Infel bekannt gemachet worden; Diejenigen aber, 
von welchen ich rede , befinden fich in dem Mufeo des Collegii 
St. Ignatii, und find von dem Deren Cardinal Alerander Al⸗ 
bani dahin geſchenkt. Es find vier Derfelben von verfchiedener 
Größe, von einem halben bis an zween Palme, Die Form und 
Bildung derfelben ift ganz barbariſch, und hat zugleich Die deut⸗ 
lichften Kennzeichen des höchften Alterthums in einem Lande, wo 
die Rünfte niemals geblühet haben. Der Kopf derfelben ift lang 
gezogen, mit ungewöhnlich großen Augen und ungeftalteten Thei- 
len, und mit langen ftorchsmäßigen Mälfen, nad) der Art, wie 
einige der häßlichften Heinen hetruriſchen — in Erzt gebil⸗ 
det find, 


Zwo von den drey Heineren Figuren fcheinen Soldaten, 
aber ohne Helme; beyde haben einen kurzen Degen, an ein Ge— 
henk über den Kopf geworfen, vorne auf der Bruft felbft Hängen, 
und zwar von der rechten zur linken. Auf der linfen Schulter 
hängt ein Furzer Mantel, welcher ein ſchmaler Streifen Zeug ift, 
und reichet bis an die Haͤlfte der Schenkel. Es ſcheinet ein vier⸗ 
eckt Tuch, welches Fan zufammengelegt ſeyn; auf Der einen und 
innern Seite ift Daffelbe mit einem ſchmalen erhobenen Rande ein- 
gefaſſet. Diefe befondere Art Kleidung Fan vieleicht Die den als 

ten 
) Caylus Rec. d’Antiq, T, 3. 


Bon der Kunft der Samniter, Volsker u. Campanier. 217 


ten Sardiniern allein eigene ſeyn, welche Maftruca I) hieß. 
Die eine Figur hält einen Teller mit Früchten, wie es fcheinet, in 
der Hand. 


Die merkwuͤrdigſte unter diefen Figuren, faft zween Pal- 
me hoch, ift ein Soldat mit einer kurzen Wefte, wie jene mit Ho— 
fen und Beinräftungen, bis unter die Waden, welche Das Gegen— 
theil von andern Beinchftungen find: denn anftatt, Daß der Grie— 
chen ihre das Schienbein bedeckten, liegen diefe über die Wade, 
und find vorne offen. Eben fo fieht man die Beine bewaffnet an 
dem Caftor und Pollug, auf einem Steine des Stoſchiſchen Mr 
fei 2), wo id) jene Figur zur Erklärung angeführet habe. Dies 
fer Soldat hält mit der linken Hand einen runden Schild vor den 
Leib , aber etwas entfernt, und unter Demfelben drey Pfeile, des 
ren Fittige über den Schild hervorgehen; in der linken Hand 
halt er den Bogen. Die Bruft ift mit einem Eurzen Panzer ver: 
wahret, wie auch Die Achſeln mit Rappen, welche Achfelrüftung 
man auf einem Gefäße der ehemaligen maftrillifchen Sammlung 
zu Nola und auf einem andern Gefäße der vaticanifchen Biblio— 
thek 3) fiehet. Es träget auch ein Fechter eine ähnliche Ruͤſtung 
auf der Achfel, in einem von mir bekannt gemachten Denfmale 4); 
und Diefes Stüd ſowohl als an den vorher angezeigten Figuren 

auf 
») Plaut, Poen. At. 5, Sc. 5. v. 34. Ifid. L. 19. c, 3. ex Cicerone. 


2) Defer. des Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 201. 3) Pempſt. Etrur. 
tab. 48. 4) Monum. ant. ined. N. 197. 


Wintelm. Geſch. der Runſt. Ce 


218 I. Theil. Drittes Kapitel. 


auf Gefäßen ift viereckt; ander fardinifchen Figur aber, von wel: 
cher wir reden, ift Diefelbe geftaltet wie Die Rappen an der Mon: 
tur auf den Achſeln unferer Trommelfhläger. Nachher habeich 
gefunden, Daß diefe Verwahrung Der Achſeln auch bey den Gries 
chen in den Alteften Zeiten üblich gewefen: denn Heſiodus giebt 
Diefelbe unter andern Stücken der Nüftung dem Hercules 1), und 
der Scholiaft dieſes Dichters nennet Diefelbe Zora, von vucer, 
verwahren. Der Kopf ift mit einer platten Muͤtze bedeckt, an 
welcher von den Seiten zwen lange Dörner, wie Zähne, vor⸗ 
wäarts und aufwärts ſtehen. Auf dem Kopfe liegt ein Korb mit 
zwo Trageſtangen, welcher auf den Hoͤrnern ruhet, und abge⸗ 
nommen werden kan. Auf dem Rüden trägt er ein Geſtelle eis 
nes Wagens mit zwey Eleinen Nädern, deſſen Deichfel in einen 
Ning auf dem Rücken geſteckt ift, fo daß die Räder über Den a 
reichen. 


Diefes Iehret uns einen unbekannten Gebrauch der altes 
Voͤlker im Kriege. Der Soldat in Sardinien mußte feine Mund⸗ 
proviſion felbft mit fich führen; er trug Diefelbe aber nicht aufder 
Schulter, wie die römifchen Soldaten, fondern er zog fie hinter 
fich auf einem Geftelle, worauf der Korb fand. Nach vollende: 
tem Zuge, wo dieſes nicht mehr nöthig war , ſteckte Der Soldat 
fein leichtes Geftelle in den Ning , welcher auf dem Rüden befe— 
fliget war, und Iegte feinen Korb auf den Kopf über Die zwey 
Hör: 


x) Hefiod. Scut. Herc, v. 128. 


Bon der Kunſt der Samniter, Volsker u. Campanier. 219 


Hörner. Vermuthlich gieng man mit allen Diefem Geräthe, wie 
man ſieht, auch in die Schlacht, und Der Soldat war beftändig 
mit allem Zubehör verſehen. 


Ri völligen Befchluffe Diefes Kapitels gebe ich dem Lefer, 
welcher in manchen Stüden mehr Licht verlangen möchte, zu beden- 
fen, Daß es uns in der Vergleichung dieſer alten Voͤlker in Ita— 
lien mit den Aegyptern gehet, wie einigen Perſonen, welche in 
ihrer Mutterfprache weniger, als in einer auswärtigen Sprache, 
gelehret find. Won der Kunft der Aegypter können wir mit mehr 
Gewißheit reden, Die uns von jenen Völkern, deren Länder wir 
bereifen und umgraben , fehle. Wir haben eine Menge Eleiner 
hetruriſcher Figuren, aber nicht Statuen genug, zu einem vol- 
lig richtigen Syftema ihrer Kunſt zu gelangen, und nach ei— 
nem Schiffbruche läßt fi aus wenig Bretern Fein ficheres 
Fahrzeug bauen. Das mehrefte beftehet in gefchnittenen Stei— 


Beſchluß dies 


fes Kapitele, 


nen, welche wie das Heine Geftrüppe find von einem ausge 


bauenen Walde, von welchem nur noch einzelne Bäume ſte— 
ben, zum Zeichen der Verwuͤſtung. Zum Unglüd ift zur Ent- 
Dedung von Werfen aus den blühenden Zeiten diefer Voͤlker 
wenig Hoffnung. Die Mekrurier haften in ihrem Lande Die 
Marmorbriche bey Luna, (iso Carrara) welches eine von ih— 
ren zwoͤlf Dauptftadten war ; aber die Samniter, Wolsker und 
Campanier fanden Feinen weißen Marmor bey fid), und wer- 
den folglich ihre Werke miehrentheils von gebrannter Erde, oder 
Er 2 von 


220 1. Theil. Drittes Kapitel. 


von Erst, gemacht haben. Jene find zerbrochen, und dDiefe 
gefhmolzen 5; und Diefes ift Die Urfache von der Seltenheit 
der Kunftwerke Diefer Voͤlker. Unterdeſſen da der hetrurifche 
Stil dem aͤlteren griechifhen Ahnlid) gewefen, fo Fan Diefe 
Abhandlung als eine Vorbereitung zum folgenden Kapitel an- 
gefehen, und der Lefer hieher verwiefen werden. | 














Das 
























































































































































































































































Das vierte Kapitel. 
Bon der Kunft unter den Griechen. 





Erſter Abſchnitt. 


Von den Gründen und Urſachen des Aufnehmens und des Vor- 
zugs der griechifchen Kunft vor andern Völkern. 


S ie Runft der Griechen ift die vornehmſte Abſicht dieſer Ge— 
ſchichte, und eg erfordert Diefelbe, als der wuͤrdigſte Vorwurf 
zur Betrachtung und Nachahmung, , Da fie fich in unzählig fchö: 
nen Denkmalen erhalten hat, eine umftändliche Unterfüchung, die 
wicht in Anzeigen unvollfommener Eigenfhaften, und in Erflä- 
rungen des Eingebildeten, fondern in Unterricht des WWefentlichen 
Ee 3 be⸗ 


J 


Der Einfluß 


222 J. Theil. Viertes Kapitel. 


beſtaͤnde, und in welcher nicht blos Kenntniſſe zum Wiſſen, fonts 
dern auch Lehren zum Ausuͤben vorgetragen wügden. Die Ab⸗ 
handlung von der Kunſt der Aegypter, der Metrurier, und an: 
derer Völker, Fan unfere Begriffe erweitern, und zur Nichtig- 
feit im Urtheil führen, Die von den Griechen aber fol füchen, 
diefelben auf Eins und auf das Wahre zu beftimmen, zur Regel 
im Urtheilen und im Wirken, 

Diefe Abhandlung über Die Kunft der Griechen beftchet 
aus vier Abfchnitten: der erfte und vorläufige handelt von den 
Gründen und Urfachen des Aufnehmens und des Worzugs Der 
griechiſchen Kunſt vor derjenigen, Dieandere Voͤlker geuͤbet haben; 
der zweyte von dem Wefentlichen der Kunſt; der dritte von Dem 
Wachsthume, und von dem Falle derſelben; und Der vierte von 
dem mechanifchen Theile der Kunſt. Den Beſchluß dieſes Rapi- 
tels macht eine Betrachtung über. die Malerey der Griechen. 

Die Urfach und der Grund von dem Dorzuge, welchen 
die Kunft unter den Griechen erlanget hat, tft theils dem Eins 
Auffe des Himmels, theils der Verfaffung und Regierung, und 


der Dadurch gebildeten Denfungsert, wie nicht weniger der Ach— 


tung der Künftler, und dem Gebrauche und Der Anwendung Der 
Kunft unter den Griechen, zuzufchreiben. 
Dir Einfluß des Himmels muß den Saamen beleben, aus 


em welchem Die Kunſt foll getrichen werden, und zu Diefem Saamen 
In item war Griechenland der auserwählte Boden; und Das Talent zur 


der vorzügli⸗ 


chen Bildung 
der Griechen. 


Philoſophie welches Epicurus den Griechen allein beylegen wol⸗ 
Ien, 


Bon der Kunft unter den Griechen. 223 


len ı) koͤnte mit mehrerm Rechte von der Kunft gelten: Denn 
vieles was wir uns als Idealiſch vorftellen möchten, war Die Na— 
tur bey ihnen. Die Natur, nachdem fie ftufenweis durch Kälte 
und Hitze gegangen, hat fich in Griechenland, wo eine zwifchen 
Winter und Sommer abgewogene Witterung ift 2), wie in ihrem 
Mittelpunfte geſetzt, und je mehr fie ſich Demfelben nähert, Defto 
heiterer und fröhlicher wird fie, und defto allgemeiner ift ihr Wir- 
Een in geiftreichen witzigen Bildungen, und in entfchiedenen und. 
vielverfprechenden Zügen. Wo die Natur weniger in Nebeln und 
in ſchweren Dünften eingehüllet ift, fondern in einer heiteren und 
fröhlichen Luft wirfet, wie Euripides die Athenienfifche beſchrei— 
bet 3), giebt fie dem Körper zeitiger eine veifere Form; fie erhes 
bet fich in mächtigen , fonderlidy weiblichen Gewaͤchſen, und in 
Griechenland wird fie ihre Menfchen auf das feinfte vollendet ha— 
ben: Denn was die Scholieften vorgeben von dem langen Köpfen 
oder langen Gefichtern der Einwohner der Halbinſel Euboea 4), 
find ungereimte Träume, und erdacht, eine Derleitung des Na— 
mens einer Nation Dafelbft, Die Maxgwres hießen, zu finden. Die 
Griechen waren fid) dieſes, und überhaupt, wie Polybius fagt, 
ihres Vorzugs vor andern Völkern bewußt 5), und unter Fei- 
nem Volke ift die Schönheit fo hoch, als bey ihnen, geachtet 
wor: 


ı) Clem. Alex. Stron- 2 I. p. 355. I. 12. 

s) Herodot. L. 3. p. 127. |. 11. Plat. Tim. p. 475. 1. 43. ed. Baf. 1534. 

3) Med. v. 829. 839. 4) Schol. Apollon, L. ı. v. 1024, Sy;L. 2 D 
431. A, 


224 I. Theil. Viertes Kapitel. 


worden 2); es war in einem bekannten uralten Liede, welches 
ein ungedruckter Schyliaft dem Simonides oder dem Epicharmus 
zufchreibet , unter Den vier Wuͤnſchen, von welchen Plato nur 
drey anführet 2) der erfte geſund feyn, Der andere fehon von Ge= 
ftalt feyn (warov yerenIaı, oder guav zaror yerecdar, wie nad) 
gedachten Scholiaften Die eigentlichen Worte hießen) der Dritte 
Wunſch war rechtmäßig reid) fenn (adoAwg vAourew) und der vier— 
te, welchen Plato nicht anführet, war mit feinen Freunden luftig 
und fröhlich feyn CGnBav nera pw); Diefe Bedentung des Worts 
Fan bier beyläufig zur Erläuterung des Mefpchius dienen. Da 
alfo die Schönheit dergeftalt von den Griechen gewuͤnſchet und 
geachtet wurde, ſuchte eine jede fchöne Perfon Durch Diefen Vorzug 
dem ganzen Wolfe bekannt zu werden, und fi) insbefondere den 
Künftlern gefällig zu erzeigen, weil Diefe den Preis der Schönheit 
beftimmeten, und eben dadurch hatten fie Gelegenheit, das ſchoͤn⸗ 
fte täglich vor Augen zu fehen. Ja es war Diefelbe gleichfem ein 
Verdienft zum Ruhme, und wir finden in den griechifchen Ge: 
ſchichten die (chönften Leute angemerfet 3): gewiſſe Perfonen wur⸗ 

| den 
3) Der Priefter eines jugendlichen Jupiters zu Wega CH), des Iſmeniſchen Apollo 
), und derjenige, welcher zu Tanagra ( die Proceffion des Mercurius 
mit einem Lamme auf der Schulter führete, waren allemal Sünglinge, denen 
der Preis in der Schönheit war zuerkannt worden. Die Stadt Egeſta in Si⸗ 
eilion richtete einem Philippus, welcher nicht ihr Bürger , ſondern aus Cro⸗ 
ton war, Bloß wegen feiner vorzüglichen Schönheit, sin Grabmaal, wie ei⸗ 

nem vergoͤtterten Helden, auf, und man opferte ihm bey demſelben ) 

(#) Paufan. L. 7. p: ses (*%) Id. L. 9. p. 73. 1, 25 
(9) Id. LE. 9.) p. 7a: (****) Herodot.L. 5.p. 191, ad fin. 
2) Gorg. p. 304. 3) conf. Paufan. L. 6. p. 457. 1. 27. ; 


Bon der Kunft unter den Griechen, 225 


den von einem einzigen fchönen Theile der Bildung , wie Deme: 
trius Phalereus von feinen fhönen Augenliedern, mit einem be 
fonderen Namen bezeichnet: denn er wurde genennet XagıroßAopa- 
g06, Das ift, auf deſſen Augenliedern die Gratien wohneten 1). 
Ja es fcheinet, man habe geglaubet, Die Zeugung fchöner Kinder 
Durch verordnete Preiße befördern zu Fönnen, welches Die Wette 
fpiele der Schönheit zu glauben veranlaffen, die bereits in den 
allerälteften Zeiten, vom Cypſelus, Könige in Arcadien, zur Zeit 
der Deraclider, bey dem Fluſſe Alpheus, in der Landfchaft Elis, 
angeordnet waren 2); und an dem Fefte des philefifchen Apollo 
war 3) auf den gelchrteften Kuß unter jungen Leuten ein Preis 
geſetzet. Eben dieſes gefhah unter Entſcheidung eines Richters, 
wie vermuthlich auch Dort zu Megara 4) bey dem Grabe des 
Divcles. Zu Sparta s); und zu Lesbus 6), indem Tempel Der 
Jung, und bey den Parrhaſiern I waren Wettftreite der Schön- 
heit unter dem weiblichen Geſchlechte. Die allgemeine Achtung 
der Schönheit gieng fo weit, Daß die ſpartaniſchen Weiber einen 
Nireus, Narciffus, Hyacynthus, oder einen Caſtor und Pollux 
in ihren Schlafzimmern aufitelleten, um ſchoͤne Kinder zu haben 8). 
Hat es Grund, was Div Chryſoſtomus von feinen und des Tra- 
janus 
1) Diog. Laert. in eius Vit. p. 307. Athen. Deipn. L. 13. p. s93. F. 
2) Euftath. ad H. r. p. 185.1. 26. conf. Palmer. Exerc. in Auf. Gr. p. 448. 
3) Lutat. ad Stat, Theb. L. 8. v. 198. conf. Barth. T. 3. p, 828. 4) Theo- 
crit, Idyl. ı2. v. 29-- 34. 5) Muf. de Her. & Leand. amor. v. 75 
6) ardıfaa genannt v. Athen. Deipn. L. 13. p. 610, B, 7) Athen. L 
c,p. 6oy.E. Oppian. Cyneg. L. 1. v. 357. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Ff 


B. 


Zn ihre gütige 


und fröpliche 
Semüthsart. 


226 1. Theil. Viertes Kapitel. 


janus Zeiten ſaget, Daß man nicht mehr auf männliche Schön: 
heiten achtfam ſey, oder Diefelben zu ſchaͤtzen wifle 1), fo lieget auch 
in Diefer Unachtfamkeit eine Urfach von dem damaligen Abneh⸗ 
men der Kunſt. 

| So wie nun der Himmel und das Clima felbft in der Bil: 
dung wirfete, Die noch unter den heutigen Griechen, nad) aller 
Reiſenden Zeugniß, vorzüglich tft, und ihre alten Künftler be: 
geiftern konte; eben fo und nicht weniger ift Diefer Wirkung das 
gütige Wefen, Das weiche Merz und der fröhliche Sinn der. Grie— 
chen zugufihreiben, als Eigenfchaften, Die zur Entwerfung ſchoͤner 
und lieblicher Bilder eben fo viel, als die Natur zu Zeugung der 
Geſtalt beytragen. Won Diefer Gemüthsart Der Griechen über- 
zeugen ung Die Geſchichte, und Die Gütigfeit der Athenienfer ift, 
wie ihre Verdienfte und Die Kunſt find, befannt. Daher fagt 
ein Dichter, daß die Stadt Athen allein Mitleiden zu tragen 
wiffe, fo wie fi) von den Zeiten der älteften Kriege der Argiver 
und Thebaner anzufangen zeiget, Daß allegeit bedrängte und 
verfolgte Perfonen in Athen Zuflucht gefunden und Huͤlfe erhal: 
ten. Eben dieſe Heiterkeit des Gemuͤths gab bereits in den aͤlte— 
ften Zeiten Anlaß zu theatralifchen und anderen Spielen, um, 
wie Pericles fagte, die Traurigfeit aus Dem Leben zu verdren: 
aen 2). Begreiflicher wird dieſes aus Vergleichung der Gries 
chen mit den Nömern, bey welchen Die unmenfclichen blutigen 
Spiele, und mit dem Tode-ringende und fterbende Sechter, auch 
in ihren gefitteteften Zeiten, Dem ganzen Wolfe die angenehmfte 

Au⸗ 
3) Orat. 21. p. 269. D, 8) Thucyd. L. 2. p: 60. 1. 16. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 227 


Augenweide in ihren Schaupläßen waren; Die Öriechen hingegen 
verabſcheueten dieſe Grauſamkeit I), und da ein folches ſchreckliches 
Spiel zu der Kaiferzeit in Corinth follte angeftellet werden, fagte 
jemand, man. müffe den Altar dev Barmherzigkeit. und des Mit: 
leidens umwerfen, bevor man ſich entfchließe, Diefe Grauſamkeit 
anzuſchauen 2) ; endlich aber führeten die Nömer diefe Spiele 
felbft zu Athen ein 3). Auch aus beyder Völker Art zu Friegen 
ift die Menfchlichkeit Der Griechen und das wilde Merz der Roͤ— 
mer offenbar: denn bey Diefen war e8 gleichfam ein Geſetz, inden 
eroberten Städten bey dem erften Einfalle nicht allein was menfd)= 
lichen Othem hatte niederzuhauen, fondern auch den Hunden 
den Bauch aufzufchneiden , und alle andere Thiere zu zerha= 
den 4); und Diefes ließ fo gar Scipio Afrikanus der ältere ge= 
fchehen, da Carthagena in Spanien erftiegen und eingenommen 
wurde. Das Gegentheil fehen wir an den MAthenienfern, Die im 
öffentlichen Rathe befchloffen hatten, Durd) den Befehlshaber ih⸗ 
rer Flotte alle erwachfene Mannfchaft zu Mitylene in der 'Infel 
Lesbus umbringen zu laſſen, weil Diefe Stadt ſich ihrer Unterthäs 
nigkeit entzogen , und die Anführer der Empörung der ganzen 
Inſel wider ſie geweſen waren. Kaum aber war Diefer Befehl 
abgegangen, da e8 fie gereuete, und fie erklärten ſelbſt dieſen 
Entſchluß für graufam 5). " Sonderlid) wird die den Roͤmern 
entgegengefete Gemüthsart der Griechen offenbar, aus die 


Ffr 2 ſer 
ı) Plato Politico; p. 315. B. 2) Lucian. Demon. p. 293. 3) Philofir. 
4) Polyb,L. 10, P. 589. A, s) Thucyd..L. 3..p. 93. fin. p. 100. 


l. 10. 


228 L Theil. Biertes Kapitel. 


fer ihren Soriegen: denn Die Achaͤer führeten Diefelben fo menſch— 
lich, Daß fie unter fih ausmacheten, Eeine verborgene Pfeile zu 
führen, noch mit denfelben zu fchießen, fondern in der Nähe und 
mit dem Degen in der Hand gegen einander zu fechten 1). Ja 
in der größten Erbitferung der Gemüther wurden alle Feindfelig- 
keiten aufgehoben und auf einige Tage vergeffen, wenn die olym- 
piſchen Spiele einfielen, wo alle Griechen einmüthig zu der all» 
gemeinen Freude zufammen Famen. So gar in den älteften und 
wenig gefitteten Zeiten, in den hartnädigen meffenifchen Kriegen, 
macheten die Spartaner mit den Meffeniern einen Stillftand auf 
vierzig Tage, weilbey ihnen das Feſt, welches dem Hyacynthus 
gefepret wurde, einfiel 2): Diefesgefchahe in dem zweyten meffeni= 
hen Kriege, deffen Ende in der acht und zwanzigften Olympias 
war 3). 

z In Abficht der Verfaffung und Regierung von Griechen: 


Die Verfaf⸗ 


fung und Res [and iſt Die Freyheit die vornehmſte Urſach des Vorzugs der 


gierung unter x 5 ; | 
— Kunſt. Die Freyheit hat in Griechenland allezeit den Sitz ge— 

elcher zu a ” j 
— habt, auch neben dem Throne der Koͤnige 4), welche vaͤterlich 
Die ͤrehbeit. regiereten 5), ehe die Aufklaͤrung der Vernunft ihnen die Süßigs 
keit einer völligen Sreyheit ſchmecken ließ, und Homerus nennet 
den Agamemnon einen Hirten der Völker 6), deffen Liebe für Dies 
felben, und Sorge für ihr Beſtes anzudenten. Ob fid) glei) 
nachher Tyrannen aufwarfen, fo waren fie es nur in ihrem Va— 

ter⸗ 
») Id, L. 13. p. 672. B. a) Paufan. L. 4. p. 326. 1. 10. 3) Ibid. & 
336.1 3. 4) Ariſtot. Polit. L. 3. c. ro. p. 87.) ed. Sylburg 5) Thu · 
cyd. L. 1. p..5. 1 22. 6) Ariftot. Eth. Nicom. L« 8. © 11. p. 148, 

Dionyf. Halic. Ant. Rom. L. 5. p. 322. 1. 45. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 229 


terlande, und die ganze Nation hat niemals ein einziges Dber- 
haupt erkannt; und bevor die Infel Naxus von den Athenienfern 
erobert wurde, hatte Fein freyer Staat tn Griechenland ſich den 
andern unterwürfig gemacht 1). Daher ruhete nicht auf einer 
Derfon allein das Recht, groß in feinem Wolfe zu feyn, und ſich 
mit Ausfchließung anderer verewigen zu Eönnen. 
Die Kunſt wurde fchon fehr zeitig gebraucht, das Anden⸗ 
Een einer Perfon auch durch feine Figur zu erhalten, und hierzu 
ftand einem jeden Griechen dev Weg offen; man konte fo gar Die 
Statuen feiner Kinder auch in den Tempeln aufftellen, wie wir 
von der Mutter des berühmten Agathocles wiffen, welche die Fi⸗ 
gur Deffelben in feiner Kindheit einem Tempel weihete 2). Die 
Ehre einer Statue war zu Athen, was ein nackter unfruchtbarer 
Titel, oder ein Kreuz auf der Bruft, die allerwohlfeilfte Beloh— 
nung der Könige unferer Zeiten, ift. Alſo erkannten Die Athenien— 
fer das Lob, weldyes ihnen Pindarus, nur wie im Vorbeygehen, 
in einer feiner Dden, Die fich erhalten hat, nicht mit einer freund- 
lichen Dankſagung; fondern fie errichteten ihm eine Statue, an eis 
nem Öffentlichen Orte, vor einem Tempel des Marsa). Da nun 
Die älteften Griechen das Gelernete Den, wo fich die Natur vor— 
naͤmlich äuferte, weit nachſetzten 4), fo wurden auch Die erften 
Belohnungen auf Leibesübungen gefetst, und wir finden von einer 
Statue Nachricht, die zu Elis einem fpartanifchen Ringer, Eu: 
Sf3z teli⸗ 
») Thucyd. L, 1. p: 32. L. 19. 2) Diod. Sic. ,L. 18. p. 652. 3) Paufan. 


L. 1: p./ao. I. sı. 4) Pind. Olymp. 9. v. 152. Eurip. Hippol.v. 79. 
conf. Thucyd. L. 1. p. 38. 1. ult. p 45. L 2 


Die Belode 
nung der Zet> 
besubungen 
und «anderer 
Vervdienſte mit 
Statue, 


230 I. Theil, Viertes Kapitel, 


telides, ſchon in der acht und drenigften Olympias aufgerichtet 
worden I); und vermuthlich iſt Diefelbe nicht die erfte geweſen. 
In Fleineren Spielen, wie zu Megara, wurde Dennoch ein Stein 
mit dem Namen des Siegers-aufgerichtet 2). Daher fuchten ſich 
Die größten Männer unter den Griechen in der Sugend in den 
Spielen hervorzuthun; Chryſippus und Eleanthes wurden hier 
eher, als durch ihre Weltweisheit, bekannt; ja Plato felbit er 
fhien unter den Ningern in den ifthmifchen Spielen zu Corinth, 
und in den Pythiſchen zu Sichon. Pythagoras trug zu Elis den 
Preis davon, und unterrichtete den Eurymenes, daß er an eben 
dem Drte den Sieg erhielt 3). Auch unter den Mömern waren 
die Leibesübungen der Weg einen Namen zu erhalten, und Pa— 
pirius, welcher die Schande der Roͤmer ad Furculas Caudinas 
an den Samnitern vächete, iſt uns weniger durch Diefen Sieg, 
als durch feinen Beynamen, der Läufer 4), welchen auch Achilles 
beym Homerus führer, bekannt. Es wurden nicht allein Die 
Statuen inder Aehnlichkeit der Sieger, Die fie vorftelleten, gebil- 
det, fondern auch die Pferde, die in den Wettlaufen den Sieg 
erhielten, wurden nach Dem Leben gemacht, wie Diefes befonders 
von des athenienfifchen Simons Pferden berichtet wird 5). 
| Eine Statue des Siegers, in deffen Gleichheit und Aehn— 
lichkeit 6), an dem heiligften Orte in Griechenland gefetset, und. 
von dem ganzen Wolke gefehen und verehret, war ein mächtiger 
An⸗ 


1) Pauſan. L. 6. p. 490. 1. 15. 2) Pind: Olymp. 7. v. 157: 3) Bentley 
Diff. upon. Phalar. p. 33. 4) Liv. L.9.c.ı6. 5) Aelian. var. hift. 
L. 9. c. 32. 6) Lucian. pro Imag. p. 490. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 251 


Antrieb, nicht weniger Diefelbe zu machen, als zu erlangen, und 
niemals ift für Rünftler, unter irgend einem Volke von je an, ei 
ne fo häufige Gelegenheit gewefen, fic) zu zeigen, der Statuen in 
den Tempeln fo wohl der Götter I), als ihrer Priefter und Prie- 
fterinnen 2), nicht zu gedenken. Die hoͤchſte Ehre im Volke war, 
ein olympifcher Sieger zu feyn, und es wurde Diefelbe für eine 
Seligfeit gehalten 3) : denn die ganze Stadt des Siegers hielte 
fi) Heil wiederfahren; Daher diefe Perfonen aus den gemeinen 
Einkünften unterhalten wurden, und fie erhielten aus Denfelben ein 
prachtiges Begraͤbniß DH; ja die Ehrenbezeugungen erftrecketen 
fich Bis auf ihre Kinder. . Den Siegern in den großen Spielen 
wurden nicht allein an dem Drte der Spiele, und vielen nach der 
Anzahl der Siege, Statuen gefezet 5), fondern auch zugleich 
inihrem Waterlande 6), weil eigentlich zu reden, Die Stadt der 
Sieger, nicht Diefe, gefrönet wurde 7); ja dem Euthymus, aus 
Locri in Italien, welcher allezeit zu Elis gefieget , und nur ein: 
mal gefehlet hatte, wurde nach dem Ausſpruche des Drakels noch 
bey deffen Leben, fo wie nad) dem Tode geopfert 8). Die Ehre 
einer Statue erlangeten aud) verdiente Bürger, und Dionyſius 
vedet von den Statuen der Bürger zu Cuma in Italien, welche 
Ariſto⸗ 

1) Die Einwohner der lipariſchen Inſeln ließen dem Apollo ſo viel Statuen in Del⸗ 
phos ſetzen, als Schiffe fie von den Hetruriern genommen hatten. Pauſan. 

L. 10. p.836.1.7. 2) Paufan. L. 2. 4. p. 195. 1. 32. L. 7. 

p. 529. 1. 36, 3) Plat, Polit. L. 5. p. 419. ed. Bafıl, & Ibid. 1. 32. 

5) Paufan. L. 6. p. ı59. 1. ı2. 6) Plutarch. Apophth. p. 314. ed. H. 


Steph,. Paufan. L. 7. p. 595. 1. 37. Plutarch,  Arop. p. 314. I. 8. 
7) Plin. L.7. c. 27. conf. Polyb. Exc.Legat. p. 787. B. 8) Plin. L. 7. c. 47. 


232 1. Theil. Viertes Kapitel, 


Ariſtodemus, Der Tyrann diefer Stadt, und Freund des Tar- 
auin. Superbus, in Der zwey nnd fiebenzigften Olympias, aus 
dem Tempel, wo fie fanden, wegnehmen und an unfaubere Or⸗ 
te werfen ließ I). Einigen Siegern der olympifchen Spiele aus 
den erften Zeiten, da die Kuͤnſte noch nicht blüheten, wurden lan- 
ge nad) ihrem Tode, ihr Andenken zu erhalten, Statuen aufge: 
vichtet, wie einem Dibotas, aus der fechften Olympiag, dieſe 
Ehre allererft in der achgigften wiederfuhr 2). Es ift befonders, 
Daß fich jemand feine Statue machen laffen, ehe er den Sieg er- 
hielt 3); fo gewiß war Derfelbe. Sa zu Megium, in Achaja, war 
einem Sieger eine befondere Halle, oder verdeckter Gang, von 
feinev Stadt gebauet, um fich dafelbft im Ringen zu üben 4). 
Es fcheinet mir hier nicht überflüßig anzumerken eine ſchoͤ⸗ 
ne aber verftümmelte unbekleidete Statue eines Schleuderers, 
wie die andem rechten Schenfel liegende Schleuder mit Dem Stei— 
ne in derfelben anzeiget. Es ift nicht leicht zu fagen, wie und 
anf was Weife einer ſolchen Perſon eine Statue errichtet worden: 
denn von den Dichtern ift Feinem Melden eine Schleuder gegeben, 
und unter den griechifchen Kriegsvölfern waren Die Schleuderer 
fehr felten ©), und wo fie ſich befanden, waren e8 die geringften 
in einem Deere und unbewaffnet (yoprires) wie die Bogenſchuͤ— 
sen; und eben fo bey den Römern, fo, DaB man jemand, um 


ihn 


1) Ant. Rom. L. 7.p. 408. 1. 2% 2) Id. L. 6, p. 458.1. 5. 3) Ibid. p. 
471. 1. 29. 4) Paufan. L. 7. p: ss2. 1, 25. *), Man findet nur hier 
und da der Schleuderer gedacht; als Thucyd. L. 4. p. 133.1. 6. P. 159. L 
42, Eurip, Phoeniſſ. v. 1149. 


Don der Kunſt unter den Griechen. 233 


ihn einpſindlich ZU zůchugen, von ver Reuterey oder von andern 
Sußvölfern unter die Schleuderer herunter ſetzte 1). Da aber die 
Statue, von welcher wir veden, eine beſtimmte Derfon des Alter— 
thums, und nicht bloß einen Schleuderer , vorstellen muß, koͤnte 
man fagen, es fey in derfelben Pyraͤchmas, der Aetolier abgebil- 
Det, welcher in der Ruͤckkunft der Deracliden in dem Peloponnes 
den Zweykampf übernahm, über die Entfcheidung des Beſitzes 
der Landſchaft Elis: denn deffen Gefchidlichkeit beftand in der 
Schleuder (sgadorım dedidayperng) 2). 

Durch die Freyheit erhob fich, wie ein edler Zweig aus 


© 


Die aus der 


einem gefunden Stamme, Das Denken des ganzen Volks; denn Frerbeit gebil⸗ 


her zu erheben pflegt im weiten Felde, oder aufeinem offenen Sans 
ge, und auf der Möhe eines Gebäudes, als in einer niedrigen 
Sammer, und in jedem eingefchränften Orte, eben fo muß auch 
die Dirt zu Denken unter den freyen Griechen gegen die Begrif— 
fe beherrſchter Völker fehr verfchieden gewefen feyn. Herodotus 
zeiget, Daß die Freyheit allein der Grund gewefen von der Macht 
und Hoheit, zu welcher Athen gelanget ift, Da dieſe Stadt vor— 
ber, wenn fie einen Herrn über fid) erkennen müffen, ihren Nach— 
barn nicht gewachfen ſeyn Fönen. 3) Die Redekunſt fing an aus 
eben dem Grunde allererft in Dem Genuffe der völligen Freyheit 
unter den Griechen zu blühen; und Daher legten Die Sicilianer 
dem Gorgias die Erfindung der Nedefunft bey 4). Eben die 
Frey⸗ 
ı) Val. Max. L. 2. c. 2. n. 8. & 15. 2) Paufan. L. 5. 382, L, 10. 
3) L.5. p. 199. 1. 13. -4) Conf. Hardion Diff. fur l’ orig. de la Rhet. p. ı6e. 
winkelm. Geſch. der Kunfk, Gg 


dete Denkungs⸗ 


fo wie der Geiſt eines zum Denken gewoͤhnten Menſchen ſich hoͤ— arr. 


234 1. Theil, Viertes Kapitel. 


Freyheit, Die Meurer großer Degebenyeiten, Staatsveran derun— 
gen und der Eiferfucht unter den Griechen, pflanzete gleichfam in 
der Geburt felbft den Saamen edler und erhabener Geſinnungen; 
und fo wie der Anblick der unermeßlichen Fläche des Meeres und 
das Schlagen der ftolgen Wellen an den Klippen des Strandes 
anfern Blick ausdehnet, und den Geift über niedrige Vorwürfe 
Hinmwegfeget, fo Fonte im Angefichte fo großer Dinge und Men- 
ſchen nicht unedel gedacht werden. Die Griechen in ihren beften 
Zeiten waren denkende Weſen, weldye zwanzig und mehr Sahre ſchon 
gedacht haften, ehe wir insgemein aus ung felbft zu denken anfan= 
gen, und Die den Geift in feinem größten Feuer, von der Mun— 
terfeit des Körpers unterftütset, befchäfftigten, welcher bey ung, 
bis er abnimmt, unedel genähret wird. Der unmündige Ver: 
ftand, welcher , wie eine zarte Rinde, den Einfcynitt behält und 
erweitert, wurde nicht mit bloßen Tönen ohne Begriffe unterhal- 
ten, und das Gehirn, gleich einer Wachstafel, die nur eine ge= 
wife Anzahl Worte oder Bilder faflen Fan, war nicht mit Träu- 
men erfüllet, wenn die Wahrheit Platz nehmen will. Gelehrt 
feyn, Das ift, zu wiffen, was andere gewußt haben, wurde fpät 
geſucht: gelehrt, im heutigen Verftande , zu feyn , war in ihrer 
beiten Zeitleicht, und weife Fonte ein jeder werden. Denn eswar 
eine Eitelkeit weniger in der Welt, namlid) viel Bücher zu Fen- 
ven, da allererft nach der ein und fechzigften Olympias Die zer- 
ſtreueten Glieder des größten Dichters gefammlet wurden. Dies 
ven lernete das Kind 1); der Sängling Dachte wie der Dichter, 
und wenn er etwas würdiges hervorgebracht hatte, fo war er une 
ter 


1) Xenoph. Conviv. c. 3. 8. 8. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 235 


ter die erften feines Volks gerechnet. Mit Wortheilen folder Er: 
ziehung wurde Iphicrates von feinen Mitbürgern in then, in 
feinem vier und zwanzigften Jahre, zum Heerfuͤhrer erwählet: 
Mratus hatte kaum zwanzig Jahre I), da er fein Vaterland Si— 
cyon von den Tyrannen befreyete, und bald nachher wurde er 
Das Haupt des ganzen achäifchen Bundes: Pholopoemenes hat- 
te als ein Knabe den größten Antheil an Dem Siege , welchen 
Antigonus König in Macedonien nebft den Völkern des achäi- 
ſchen Bundes wider die Lacedämonier erfochte 2), welche jene zu 
Herren von Sparta machte. Eine ähnliche Erziehung gab auch 
bey den Roͤmern dem Werftande eine ſolche zeitige Reife, wie 
fi) unter andern in Scipio dem jüngeren und in dem Pompes 
jus offenbaret: der erftewurde in feinem 24. Sahrenad) Spanien 
an die Spitze der römifchen Legionen gefchicket, auch in der Ab⸗ 
ſicht die gefallene Kriegszucht wieder herzuftellen, und vom Pom— 
pejus fagt Welleius ; er habe im 23" Jahre aus eigenen Mit: 
teln ein Deer auf Die Beine gebracht, undfic allein, ohne öffent- 
liche Berechtigung, zu Nathe gezogen. In Zuverficht auf ein 
durch Ähnliche Erziehung erwecktes erhabenes Denken eines ganz 
zen Volks und gereiste Ehrbegierde eines jeden unter ihnen, 
trat Pericles auf, und fagte, was man uns von uns felbit kaum 
zu Denfen erlaubet: Ihr zürnet auf mid), der ich glaube Feinem 
Menfchen zu weichen in Erfenntniß deflen, was man erfordern 
mag, und in Der Fähigkeit über daſſelbe zu fprechen ; mit eben 
der Freymuͤthigkeit fagen ihre Gefdyichtfchreiber Das Gute von fich 
felbft , wie das Boͤſe von andern. 
g2 Ein 


ı) Polyb.E.2:p. 130. =) Polyb.L.2.p. 152. 135. 


236 1. Theil, Biertes Kapitel, 
I a Ein weifer Mann war der geehrfefte, und dDiefer war in 
der Sünflen jeder Stadt, wie bey ung der reichfte, befannt; fo wie es der jun- 
ge Scipio war, welcher die Cybele nach Nom führete 1). Zu 
Diefer Achtung Fonte der Künftler ebenfalls gelangen; ja Socra= 
tes erflärete die Künftler allein für weife, als diejenigen, welche 
es find, und nicht feheinen 2); und vielleicht in Diefer Ueberzeu— 
gung gieng Aefopus beftändig unter den Bildhauern und Baus 
meiftern umber 3). In viel fpäterer Zeit war der Maler Dis: 
gnetus einer von denen, Die dem Marcus Aurelius Die Weisheit 
Iehreten: Diefer Kaiſer befennet, Daß er von Denfelben gelernet ha= 
be, das Wahre von dem Falfchen zu unterfcheiden, und nicht 
Thorheiten für würdige Sachen anzunehmen. Der Künftler 
konte ein Gefegeber werden: Denn alle Geſetzgeber waren gemei= 
ne Bürger, wie Mriftoteles bezeuget 4). Er fonte Kriegs: 
heere führen, wie Lamachus, einer der Dürftigften Bürger zu 
Athen 5), und feine Statue neben dem Miltiades und Themie 
ſtokles, ja neben den Göttern felbit, gefetset fehen. Alſo ftelle- 
ten Kenophilusund Strato ihre fienden Figuren bey ihrer Sta= 
tue des Mefenlapius und der Hygiea zu Argus 6); Chirifophus, 
der Meifter des Apollo zu Tegea, ftand in Marmor neben feinem 
Werke 7), und Alcamenes war erhaben gearbeitet an dem Gipe 
fel des eleufinifchen Tempels 8); Parrhafiusund Silanion wur: 
den in ihrem Gemälde des Thefeus zugleich mit Diefem vereh— 

vet 

ı) Liv. L. 29. c. 1% 2) Plat. Apolog. p. y. ed. Bat. 3) Plutarch. 
Conviv. VII. fap. p. 269. 1. 13. 4) Polit, L. 4. c.ır. p. ıı. L 20, ed: 
1577. 4 5) Conf. Thucyd. L, >. p. 60. |, 7. 6) Paufan. L. 2. P.- 


163. 1. 36. 7) Paufan. L. 3. p. 708. 1. 9. #) Pauian. L. 5. p. 399. 
1..37. 


Don der Kunſt unter den Griechen. 237 


vet 1). Andere Rünftler festen ihren Namen auf ihrem Werke, 
und Phidias den feinigen zu den Füßen des olympiſchen Jupi- 
ters 2). Es ftand auch an verfchiedenen Statuen der Sieger zu 
Elis der Name der Künftler 3); und an dem Wagen mit vier 
Pferden von Erzt, welchen Der Sohn des Königs Hiero zu Sy: 
racus, Dinomenes, feinem Water fegen ließ, war in zween Der: 
fen angezeiget, Daß Onatas der Meifter dieſes Werks ſey 4). 
Diefer Gebrauch aber war Dennoch nicht fo allgemein, Daß man 
aus dem Mangel des Namens des Künftlers an vorzüglichen 
Statuen fließen könte, daß es Werfe aus fpätern Zeiten feyn 
5). Diefes war nur zu erwarten von Leuten, Die Nom im Trau- 
me, oder, wie gewöhnlich gefchiehet, in einem Monate, ges 
fehen. 

Die Ehre und das Glüd des Künftlers hiengen nicht von 
dem Eigenfinne eines unwiffenden Stolzes ab, und ihre Werke 
waren nicht nach dem elenden Geſchmacke, oder nad) dem übel 
geſchaffenen Auge eines durch) die Schmeicheley und Knechtſchaft 
aufgeworfenen Nichters, gebildet, fondern Die weifeften Des ganz 
zen Volks urtheileten und belohneten fie, und ihre Werke, in 
der Verfammlung aller Griechen; und zu Delphos fo wie zu Co— 
rinth waren ABettfpiele Der Malerey unter befonderen Dazu beftell- 

Gg 3 ten 

ı) Plutarch. Thef. p. 5.1. 22. =) Paufan. L. 5. p. 397. L 41. 

3) Conf. Id.L. 6. p. 456.1. 36. 4) Id. L. 8. p. 688.1. 1. 

s) Gedoyn (*) glaubet fich durch diefe Meynung von dem großen Haufen abs 

zufondern , und ein feichter brittifcher Eeribent CH, welcher alsichwohl Rom 

geſehen, betet jenem nach. f 

(*) Hift. de Phidias, p. 199. (@*) Nixon’s Effay on a Sleeping. Cu- 

pid, p. ex. 


238 1. Theil. Viertes Kapitel, 


ten Nichtern , Die zur Zeit des Phidias angeordnet wurden I). 
Hier wurde zuerft Panaͤus, der Bruder, oder wie andere wollen, 
der Schwefter Sohn des Phidias 2), mit dem Timagoras von 
Chalcis, gerichtet, wo der leiste den Preis erhielt. Vor ſolchen 
Nichtern erſchien Aetion mit feiner Vermaͤhlung Mleyanders und 
der Roxane; derjenige Vorſitzer, welcher den Ausſpruch that, 
hieß Prorenides, und gab dem Künftler feine Tochter zur Ehe 
3). Man fichet, Daß ein allgemeiner Ruf auch an andern Drten 
Die Nichter nicht geblendet , dem Verdienſte Das Recht abzufpre- 
chen: denn zu Samos wurde Parrhafins, in dem Gemälde des 
Urtheils über die Waffen des Achilles, dem Timanthes nachge- 
feet. ber Die Nichter waren nicht fremde in der Kunft: denn 
es war eine Zeit in Griechenland, wo die Jugend in den Schu- 
len der Weisheit fo wohl, als der Kunft, unterrichtet wurde; 
und Plato erlernete die Zeichnung 4) zugleich mit den höhern 
Wiffenfchaften, Diefes gefchahe, Damit Die Jugend, wie riftote- 
les faget, zur wahren Kenntniß und zur Beurtheilung Der Schön- 
heit gelangen möchte. (oT ro Iewgntwov rov megı Ta awpara xah- 
Aovs 5). Daher arbeiteten die Künftler für die Ewigkeit, und 
die Belohnungen ihrer Werke fetten fie in den Stand, ihre 
Kunſt über alle Abfichten des Gewinns und der Vergeltung zu 
erheben, wie vom Polygnotus befannt ift, welcher ohne Entgelt 
das Poecile zu Athen 6), und, wie es fcheinet, auch ein öffent 
lich Gebäude zu Delphos 7), ausmalete, wo er Die Eroberung 
von 


ı) Plin. L. 35. c. 38. 2) Strab, L. 8. p.354. A. 3) Lucian, Herod. c. 5. 
4) Diog. Laer, Plat. L. 3. fegm. 5. 5) Ariftot. Polit. L. 8. c. 3. 
6) Plutarch. Cim. p. 879-1. 17. 7) Plin.L. 35. c. 35 


Don der Kunft unter den Griechen, 239 


son Troja vorftellete 1). Die Erkenntlichfeit gegen dieſe letzte 
Arbeit feheinet der Grund zu feyn, welcher die Amphiktyones, 
oder den allgemeinen Rath der Griechen, bewogen, diefem groß- 
muͤthigen Rünftler eine freye Bewirthung Durch ganz Griechen: 
land auszumachen. 

Ueberhaupt wurde alles vorzügliche in allerley Kunſt und 
Arbeit beſonders geſchaͤtzet, und Der befte Arbeiter in der gering— 
ften Sache Eonte zur Verewigung feines Namens gelangen ; wie 
denn die Griechen von den Göttern auch die Unfterblichkeit ihres 
Gedaͤchtnißes zu erbitten pflegten 2). Wir wiffen noc) iso Den 
Namen des Baumeifters einer Wafferleitung auf der Inſel 
Samos, und desjenigen, der dafelbft Das größte Schiff ge 
bauet hat; 3) ingleihen den Namen eines berühmten Stein: 
messen, welcher in Arbeit an Säulen fich hervor that: er hieß 
Architeles 4), und es find die Namen zweyer Weber, oder 
Sticker bekannt, die einen Mantel der Pallas Polias zu 
Athen arbeiteten ; 5) ja ein gewiffer Peron, welcher wohlrie- 
chende Salben verfertigte, war in Schriften verfchiedener berühm- 
ten Männer angeführet 6). Plato felbft hat den Thearion, ei- 
nen Berker , wegen der GefchicklichFeit in deffen Handwerke, fo 
wie den Sarambus, einen gefhidten Gaftwirth 7) in feinen 
Schriften verewiget. In dieſer Abficht fcheinen die Griechen 
vieles, was befonders war, nad) dem Namen des Meifters, der 

es 


ı) Plutarch. p. 772. L. or. 3) Pofidip. ep. Stob, Serm. 117. p. 599. 
3) Herodot. L. 3. p. 119, 1. 32. 36. 4) Theodor, Prodrom. ep. 2. 
p- 22. 5) Athen, Deipn.L, 2. c. 9. 6) Athen. Deipn.L. 15. c. 12. 
p- 689. 1. ult. 7) Gorg. p. 330. 1. 13. 


/ 


IV, 
Die Anwen: 
dung der 


240 1. Theil, Biertes- Kapitel. 


e8 gemacht hatte, benennet zu haben, und unter dergleichen Na— 
men blieben die Sachen immer befannt, fo wie die Gefäße, Die 
Denen in der Form ähnlich , welche Thericles zu des Pericles 
Zeiten aus gebrannter Erde machete, von dieſem Arbeiter den Na— 
men behielten I). Auf der Inſel Naxus waren jemanden, wel- 
cher zuerft den pentelifhen Marmor in der Form von Ziegeln ge 
arbeitet hatte, um Gebäude Damit zu Deden, bloß wegen Diefer 
Entdeckung, Statuen gefetset 2); vorzügliche Künftler hatten 
Den Beynamen der Göttliche, wie Alcimedon, beym Virgilius 
3), als welches das höchfte Lob der Spartaner war 4) 

Der Gebrauch und die Anwendung der Kunft erhielt Dies 
felbe in ihrer Großheit: denn Da fie nur den Göttern geweihet, 
und für das heiligfte und nüglichfte im Vaterlande beftimmet 
war, in den Däufern der Bürger aber Maͤßigkeit und Einfalt 
wohnete, wurde der Künftler nicht auf Sleinigkeiten, oder auf 
Spielwerke, durch Einſchraͤnkung des Orts, oder durd) Die Luͤ— 
fternheit des Eigenthuͤmers herunter gefeßet, fondern was er ma⸗ 
chete, war den ftolgen Begriffen des ganzen Volks gemäß. Wir 
wiffen, Daß Miltiades, Themiftofles, Ariſtides und Cimon, Die 
Haͤupter und Erretter von Griechenland, nicht beffer , als ihr 
Nachbar, wohneten 5). Die Wohnungen begüterter Perfonen 
waren von den gemeinen Haͤuſern unterfchieden Durch einen Hof, 
Avın genannt, welcher von dem Gebäude eingefchloffen war, wo 
der Hausvater zu opfern pflegte 6). Grabmale aber wurden als 

ı) Athen. Deipn. L. ır. p. 470. F. 471. B.486.C.Diod.Sic.L. RN 

2) Paufan. L. 5. p. 398. 1.8. 3) Eclog.. 3. V. 37. 4) Plat. Hipp. 

ma]. p. 345. L. 12. 5) Demofth. Orat. msa ewra£. p. 71. b. 

6) Plat. Polit. L. 1. p. 171. 1. 24. ed. Bafıl, 


Bon der Kunſt unter Den Griechen. 241 


heilige Gebäude angefehen; Daher 8 nicht befremden muß, wenn 
ſich Nicias, der berühmte Maler, gebrauchen laflen, ein Grab— 
malvor der Stadt Tritia in Achaja auszumalen 1). Man muß 
aud) erwägen, wie fehr e8 die Nacheiferung in der Kunft beför- 
dert habe, wenn ganze Städte eine vor der andern, eine vorzüg- 
liche Statue zu Haben füchten 2), und wenn ein ganzes Wolf Die 
Koften zu einer Statue fo wohl von Göttern 3), als von Siegern 
in den öffentlichen Spielen 4), aufbrachte. Einige Städte wa- 
ven, auch im Alterthume felbft , bloß. Durch eine fchöne Statue 
bekannt, wie Aliphera wegen einer -Pallas von Erzt, vom Me 
catodorus und Softratus gemacht 5). 

Die Bildhauerey und Malerey find unter den Griechen 
eher, als die Baukunſt, zu einer gewiffen Vollkommenheit gelan- 
get: Denn Diefe hat mehr Idealiſches, als jene , weil fie Feine Nach— 
ahmung von etwas wirklichen hat feyn koͤnen, und, nad) Der 
Trothwendigkeit, auf allgemeine Negeln und Geſetze der Verhält- 
niffe gegründet worden, Jene beyden Kuͤnſte, weldye mit der 
bloßen Nachahmung ihren Anfang genommen haben, fanden alle 
nöthige Regeln am Denfchen beftimmt, da die Baukunſt die ih- 
rigen durch viele Schlüfe finden, unddurd den Beyfall feſtſetzen 
mußte. Die Bildhauerey aber ift vor der Malerey voraus ge: 
sangen, und hat, als Die ältere Schmwefter, dieſe, als die jün- 


h gere 
s) Paufan. L. 7. p. 580. 1, ı1. 2) Plin. L. 35. c. 37. 

3) Dionyf. Halic. Ant. Rom. L. 4. p. =2o, I, 47. 4) Paufan. L, 6. p. 
P. 465. 1. 55. P._487. L 25. P. 488. l. 34. p. 489. ], 2. p. 493. 1. 16. 
5) Polyb. L. 4. p. 340. D. 


winkelm. Geſch. der Runſt. Hh 


V. 

Bon der ver- 
ſchie denen Rei⸗ 
fe der Bild» 
bauerey und 
Malerey unter 
den Griechen, 


242 2 Theil. Viertes Kapitel, 


gere, gefuͤhret; ja Plinius iſt der Meynung, daß zur Zeit des 
trojaniſchen Krieges Die Malerey noch nicht geweſen ſey. Der 
Jupiter des Phidias, und Die Juno des Polycletus, die voll- 
kommenſten Statuen, welche das Alterthum gekannt hat, waren 
ſchon, ehe Licht und Schatten in griechiſchen Gemälden erfchien. 
Denn Apollodorus 1), und fonderlid) nach ihm Zeuxis, der Mei- 
ſter und der Schüler , welche in der neungigften Olympias be- 
ruͤhmt waren, find Die erften , Die hierinn fich zeigeten 2); da 
man fich Die Gemälde vor ihrer Zeit als neben einander gefeßte 
Statuen vorzuftellen hat, Die außer Der Handlung, in welcher fie 
gegen einander ftanden, als einzelne Figuren Fein Ganzes zu na: 
chen ſchienen, nad) eben der Art, wie Die Gemälde auf den ſoge— 
nannten Gefäßen von gebrannter Erde find. Es ift alfo die Wer: 
ehrung der Statuen als eine der vornehmften Urfachen des Wachs: 
thums der Kunſt anzuſehen: Denn man behauptete, Daß Die älte- 
ften Bilder der Gottheiten, und deren Künftler nicht bekannt 
waren, von Himmel gefallen wären, und daß nicht allein dieſe 
Figuren, fondeen aud) jede Statuen befannter Künftler von der 
Gottheit feldft, die fie vorftelleten, erfüllet ſeyn 3). 

Der Grund von dem fpäteren Wachsthume der Maleren 
liegt theils in der Kunſt feldft, theils in Dem Gebrauche und in 
der Anwendung Derfelben: denn da die Bildhauerey Den Götter: 

Dienft 
») Er wurde der Schattenmaler genannt, (waygapog. Hefych. ana) Man ſieht 
alſo die Urſache ſolcher Benennung, und Heſychius, welder anoygapıs für 
arpoye=pog , d. i. der Zeltmaler, genommen, iſt zu verbeſſern. 


2) Quintil, Int. Orat. L. ı2. c. 10. _3) Jo. Philopon, contr, Jamb lich. 
weg ayaıı, ap, Phot. Bibl. p. 285. 1. 25. ed. Hæœſchel. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 243 


dienſt erweitert hat, ſo iſt fienwiederum durch dieſen gewachſen. 
Die Malerey aber hatte nicht gleichen Vortheilt ſie war den Got 
tern und den Tempeln gewidmet ; und einige Tempel, wie der 
Juno zu Samos 1)/ waren Pinacothecaͤ oder Galerien von 
Gemaͤlden; auch zu Rom waren in dem Tempel des Friedens, 
naͤmlich in den obern Gewoͤlbern deffelben; die Gemälde den be⸗ 
ſten Meiſter aufgehaͤnget. Aber die Werke der Maler ſcheinen 
bey den Griechen kein Worwurf heiliger zuverſichtlicher Verehrung 
und Anbetung geweſen zu ſeyn; wenigſtens findet ſich unter allen 
vom Plinius und Pauſanias angefuͤhrten Gemälden Fein einziges, 
welches dieſe Ehre erhalten haͤtte; wo nicht etwa jemand in unten 
geſetzter Stelle des Philo 2) ein ſolches Gemälde finden wollte. 
Pauſanias gedenket ſchlechthin eines Gemäldes der Dallas in ih⸗ 
vem Tempel zu Tegea, welches ein Lectiſternium derſelben war 3). 
Die Malerey und Bildhauerey verhalten ſich⸗ wie die Beredſam⸗ 
keit und Dichtkunſt: dieſe, weil ſie mehr, als jene heilig gehal⸗ 
ten, zu heiligen Handlungen gebrauchet, und beſonders belohnet 
wurde, gelangete zeitiger zu ihrer Vollkommenheit; und dieſes 
iſt zum Theil die Urſache, daß, wie Eicero fagt, mehr gute Dich- 
ter, als Redner, geweſen 4. Es waren aber große Maler zu- 
gleich Bildhauer; wie unter anderen Mico, aus Athen, welcher 
Die Statue des Callias gemachet hatte sd; der berühmte Maler 
Euphranor, des Prayiteles Zeitgenoſſe; Zeuxis, deffen Werke 
h2 von 
1) Strab. L. 14. p. 944, 2) De Virtut. & Legat. ad Caj. p. 567. - - 
ndey © mgorsuxms ung ars (Kawayos) pn ayahız, jun fomor, winde yeapı 
„ssögurapevon. 3) L. 8. p, 695. 1.23. 4) Cie. de Orat. L. 1. c. 7. 
?*‘5) Paufan, L. 6. p. 465. 1, 22. conf. p. 480. 1, 20. 


244 VL Theil. Biertes Kapitel. 


von gebrannter Erde zu Ambracia ftanden ; und Protogenes, 
welcher. in Erzt arbeitete; ſo gar vom Apelles war die Statue der 
Tochter des ſpartaniſchen Koͤnigs Archidamus, Cynica , gear: 
beitet 1). Nicht weniger find Bildhauer zugleich als Baumeifter 
berühmt geworden. Polycletus hatte zu. Epidaurus eim Theater 
gebauet ; welches dem Aeſculapius gewidmet und in dem Bezirke 
um deffen Tempel, eingeſchloſſen war 2). Solche Vortheile hatte 
die Kunſt der Griechen vor andern NWölkern ; und —* einem — 
chen Boden konten ſo gurrlice Fruͤchte wachfen: 


* ya. L. “rn 1. 2 — ai Ei * 








Zweyter 


























Zweyter Abſchnitt. 
Von dem Weſentlichen der Kunſt. 


on dem erſten Abſchnitte gehe ich zu dem zweyten, das iſt, 
V von den vorlaͤufigen Nachrichten zu dem Weſen ſelbſt der 
Kunſt der Griechen, fo wie ihre Jugend nach den Tagen der Vor: 
übungen zu den großen Spielen, fich in dem Stadio felbft vor 
den Augen des ganzen Volks, nicht ohne banger Furcht vor dem 
Ausgange zeigete; ja man fönte dasjenige, was in den zwey vor⸗ 
bergehenden Kapiteln von Den Aegyptern und Hetruriern vorge⸗ 
bracht worden, gleichfam nur ein Worfpiel zu dem eigentlichen 

Stadio. nennen. 
Sn Der That bilde ihm mir ein, in dem olhmpiſchen Stadio 
aufzutreten/ wo ich glaube Statuen junger und maͤnnlicher Melden, 

Hh 3 und 


Eingang zu 
die ſer Abhand⸗ 
lung. 


246 1. Theil, Viertes Kapitel, 


und zwey und vierfpännige Wägen von Erzt mit der Figur des 
Siegers auf denſelben, und fo viel Wunderwerke der Runft zu 
taufenden zu fehen; ja in Diefem Traume hat ſich meine Einbil- 
dung mehrmal verfiefet, weilich mich mit jenen Ringern vergleiche, 
indem meine ES für nicht weniger mißlich als die ih- 
rige zu achten i Denn ich muß mich mir ſelbſt alſo vorſtellen, 
da ich mich an d e Bahn ı wage, von fo vielen Werken der Kunft, 
Die ic vor Augen fehe, und von den hohen Schönheiten derfelben 
Die Gründe und Urfächen zu erflären wo ich, wie in den Wett- 
fpielen der Schönheit nicht einen, fondern unzählige erleuchtete 
Nichter vor mir fehe. 

Diefe eingebildete Verſetzung nach ‚Elis will gleichwohl 
nicht als ein bloßes dichterifches Bild angefehen ſeyn; «8 wird 
hingegen dieſe Erſcheinung gleichfam zur Wirklichkeit gebracht, 
wenn ic) mir alte Nachrichten von Statuen und Bildern , und 
zugleid) alles, was von Diefen übrig feyn Fan, nebft der unendli- 
chen Menge erhaltener Werke der Runftiauf einmal gegenwärtig 
vorftelle. Ohne diefe Sammlung und Vereinigung derfelben wie 
unter einem Blicke ift Fein richtiges Urtheil zu fällen, wenn aber 
Verſtand und Auge alle Werke fammlet und in einem Naume gu: 
fammen feget, fo wie das auserlefenfte der Runft'in dem Stadio 
zu Elis in vielen Reihen geordnet ſtand befindet ſich der —* 
wie mitten in denſelben. 

So wie aber niemals ein vernünftiger Sterblicherin in neuern 
zeiten bis nad) Elis Durchgedrungen ift, um mic, der Worte zu 
bedienen, mit welchen ein erfahrner Gelehrter der Alterthuͤmer 

mich 


Bon der Kunft unter den Griechen. 247 


mich zu Diefer Reife aufzumuntern gedachte, eben fo wenig fchei- 
nen unfere Scribenten über die Kunſt, wie fie hätten thun follen, 
fi) in den Zuftand verfeset zu haben, ſich in dem Stadio an 
diefem Drte zu finden, und von allen vor einem Proxenides gründ- 
liche Rechenschaft geben zu wollen: dieſen Tadel Fan ich vor denen, 
Die jene Schriften gelefen haben, behaupten. 

Wie iſt es aber gefchehen, dain Allen Wiffenfchaften gründ- 
liche Abhandlungen erfchienen find, daß die Gründe der Kunft 
und der Schönheit wenig unterfucyet geblieben? Mein Lefer! Die 
Schuld davon lieget in der uns angebohrnen Trägheit aus uns 
felbft zu denen, und in der Schulweisheit. Denn auf der einen 
Seite find Die alten Werke der Kunft als Schönheiten angefehen 
worden, zu deren Genuß man nicht zu gelangen verhoffen Fan, 
und die deswegen in einigen die Einbildung leichthin erwärmen, 
aber nicht bis zur Seele dringen; und Die Alterthuͤmer haben nur 
Anlaß gegeben, Belefenheit auszuſchuͤtten, der Vernunft aber 
wenigeodergar Feine. Auf der andern Seite hingegen, da die Welt⸗ 
weisheit größtentheils geuͤbet und gelehret worden von denen, Die 
durch Lefung ihrer duͤſtern Vorgänger in derfelben , der Empfin- 
dung wenig Raum laffen Eönen, und Diefelbe gleichfam mit einer 
harten Haut überziehen laffen, hat man uns durch ein Labyrinth 
metaphyſiſcher Spisfindigkeiten und Umſchweife geführet , Die 
am Ende vornehmlich gedienet haben, ungeheure Bücher aussu- 
hecken, und den Verftand durch Edel zu ermüden. 

Aus diefen Gründen ift Die Kunſt von philofophifchen Be⸗ 
trachtungen ausgefchloffen geblieben, und Die großen allgemeinen 

Wahr: 


248 L Theil, Biertes Kapitel. 


Wahrheiten, die auf Rofen zur Unterfuchung der Schönheit und 
von Diefer näher zu Der Quelle derſelben führen, da Diefelbennicht 
auf das einzelne Schöne angewendet und gedeutet worden, ha⸗ 
ben fich in leere Betrachtungen verloren. Wie fan ich anders ur: 
theilen auch von den Schriften , die den höchften Vorwurf, nad) 
der Gottheit, ich meyne Die Schönheit zum Endzwecke gewählet 
haben: Lange, aber zu fpät, habe ic) Derfelben nachgedacht, 
und in dem fchönften und reifen Feuer der Jahre ift mir ihr We: 
fen dunkel geblieben, Daher id) nur unfräftig und ohne Geift von 
Denfelben reden Fan; meine Bemuͤhung Fan indeffen andern der 
Antrieb zu gründlichen und von der Gratie begeifterten Lehren 
werden. | | 

Sweyeer 30bs fi Diefer zweyte Abfchnitt enthältzween Theile; Der erſte han⸗ 


ſchnitt. 


Bon dem We⸗ Helt von der Zeichnung des Nackenden, welcher auch Die Thiere 


Tentlichen d \ N i 

Sun, S mit begreift; der zweyte von der Zeichnung bekleideter Figuren, 
Bon bereich und ingbefondere von Der weiblichen Kleidung. Die Zeichnung 
enden melde des Nackenden gründet fi) auf die Kenntniß und auf Begriffe 


fh gründet 


auf die Sgön Der Schönheit, und Diefe Begriffe beſtehen theils in Maaße und 
* Verhaͤltniſſen, theils in Formen, Deren Schönheit Der erſten grie⸗ 
chiſchen Kuͤnſtler Abſicht war, wie Cicero ſagt DD: dieſe bilden 

die Geſtalt, und jene beſtimmen die Proportion. 
— Von der Schönheit iſt zuerſt überhaupt zu xeden/ ſowohl 
Ehönpeit alle was die Formen als die Stellung und Gebärden betrifft, nebſt 


gemein, und 


BR der Proportion, und alsdann von der Schönheit einzelner Thei⸗ 


— le des menſchlichen Koͤrpers. In der allgemeinen Betrachtung 
gi £ über 


3) De Fin, L, 2, c. 34. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 249 


über die Schönheit aber ift vorläufig der verfchiedene Begriff des 
Schönen zu berühren, welches der verneinende Begriff Derfelden 
ift, und alsdann ift einiger beftimmter Begriff der Schönheit zu 
geben; es Ean jedod) leichter, wie Cotta beym Cicero ı) von 
Gott mennet, von der Schönheit gefaget werden, was fie nicht 
ift, als was fie iſt; und es verhält fich einigermaßen mit dev 
Schönheit und ihrem Gegentheile, wie mit der Geſundheit und 
Krankheit : Diefe fühlen wir und jene nicht. 

Die Schönheit, als der hoͤchſte Endzweck, undalsder Mit 
telpunft der Kunft, erfordert vorläufig eine allgemeine Abhand⸗ 
lung, in welcher ich mir und dem Lefer ein Genüge zu thun wuͤnſch⸗ 
te; aber dieſes ift auf beyden Seiten ein ſchwer zu erfüllender 
Wunſch. Denn die Schönheit ift eins von den großen Geheim: 
niffen der Natur, deren Wirkung wir fehen, und alle empfinden, 
von deren Wefen aber ein allgemeiner deutlicher Begriff unter die 
unerfundenen Wahrheiten gehöret. Wäre diefer Begriff geome: 
triſch deutlich, fo würde das Urtheil der Menſchen über das Schö- 
ne nicht verfchieden feyn , und es würde Die Ueberzeugung von 
der wahren Schönheit leicht werden; noc) weniger würde e8 Men = 
fchen entweder von fo unglüdlicher Empfindung, oder von fo wis 
derfprechendem Dünfel geben Fönen, Daß fie auf der einen Seite 
fich eine falfye Schönheit bilden , auf der andern hingegen kei— 
nen richtigen Begriff von Derfelben annehmen, und mit dem En- 
niug fagen würden: 

Sed mihi neutiquam cor confentit cum oculorum adfpe&tu. 


ap. Cic. Lucull. c. 17. 
1) De’Nat. deor. L. ı. c. 21. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Ba Dies 


250 1. Theil. Biertes Kapitel. 


Diefe letstern find fchwerer zu übergeitgen, als jene zu be— 
lehren; ihre Zweifel aber find mehr ihren Witz zu offenbaren er: 
Dacht, als zur Berneinung des wirklichen Schönen behauptet; es 
haben auch dieſelben in Der Runft einen Einfluß. Jene ſollte der 
Augenſchein, fonderlic) im Angeſichte von taufend und mehr er= 
haltenen Werken des Alterthums erleuchten: aber wider Die Un— 
empfindlichEeit ift Fein Mittel, und es fehlet ung die Negel und 
der Canon des Schönen, nach welchen, wie Euripides fagt, das 
garftige beurtheilet wird 1); und aus Diefer Urfache find wir, 
fo wie ber Das, was wahrhaftig guf ift, alſo aud) über Das, 
was fchön.ift, verfchieden. Diefe Werfchiedenheit Der Meynung 
zeiget ſich noch mehr in dem Urtheile über abgebildete Schönhei- 
ten in der Kunſt, als in der Natur felbft: denn weil jene weni- 
ger, als dieſe, reizen, fo werden aud) jene, wenn fie nach Be— 
griffen hoher Schönheit gebildet, und mehr ernfthaft als leichtfer- 
tig find, dem unerleuchteten Sinne weniger gefallen, als eine ge- 
meine huͤbſche Bildung, die reden und handeln fan. Die Urſach 
liegt in anferen Lüften, welche bey den mehreften Menfchen Durch 
den erften Blick erreget werden, und die Sinnlichkeit iſt fchon an 
gefüllet, wenn. der Verftand fuchen wollte, das Schöne zu genief 
fen: alsdann ift es nicht die Schönheit, Die ung einnimmt, fon= 
dern die Wolluſt. Diefer Erfahrung zufolge werden jungen Leu— 
ten , bey welchen Die Lüfte in Wallung und Gaͤhrung find, mit 
ſchmachtenden und brünftigen Reizungen bezeichnete Gefichter , 
wann fie auch nicht wahrhaftig fehön find, Goͤttinnen erfcheinen, 

. und 
1) Hecub. v. 602. 


Bon der Kımft unter den. Griechen. 251 


und ſie werden weniger geruͤhret werden uͤber eine ſchoͤne Frau, 
die Zucht und Wohlſtand in Geberden und Handlungen zeiget, 
welche die Bildung und die Majeſtaͤt der Juno haͤtte. 

Die Begriffe der Schoͤnheit bilden ſich bey den mehreſten 
Kuͤnſtlern aus ſolchen unreifen erſten Eindruͤcken, welche ſelten 
durch höhere Schönheiten geſchwaͤchet oder vertilget werden, zu: 
mal wenn fie, entfernt von Den Schönheiten der Alten , ihre Sins 
nen nicht verbeffern Eönen. Denn es ift mit dem Zeichnen, wie 
mit Dem Schreiben: wenige Raben, welche ſchreiben lernen, wer 
den mit Gründen vonder Befchaffenheit der Züge, und des Lichts 
und Schattens an denfelben, worinn die Schönheit der Buchſta⸗ 
ben beſtehet, angeführet, fondern man giebtihnen die Worfchrift, 
ohne weiteren Unterricht, nachzumachen, und die Hand bildet fid) 
im Schreiben, che der Knabe auf die Gründe von der Schönheit 
der Buchftaben achten würde. Eben fo lernen die mehreften juns 
gen Leute zeichnen; und fo wie die Zuͤge im Schreiben in vernuͤnf⸗ 
tigen Sahren bleiben, wie fie fich in Der Augend geformet haben, 
fo malen ſich insgemein Die Begriffe der Zeichner von der Schön: 
beit in ihrem Verſtande h wie das Auge gewöhnet worden, Diefel- 
ben zu betrachten und nachzuahmen, welche unrichtig werden, Da 
die mehreften nach unvollfommenen. Muftern zeichnen. Es ift 
auch fehr wahrſcheinlich, Daß bey Künftlern, fo wie bey allen 
Menſchen, der Begriff der Schönheit dem Gewebe und der Wir⸗ 
fung der Gefichtsnerven gemäß fey, fo wie man aus dem unvoll- 
fommenen und vielmalsunrichtigen Colorit der Maler. zum Theil 
aufeine ſolche Vorſtellung und Abbildung der Farben in ihrem 

2 Auge 


252 I. Theil, Viertes Kapitel, 


Auge ſchließen muß; denn wasdiefes betrifft, ift der Schluß, wel- 
chen die Secte der Zweifeler in der Philofophie, von der verſchie— 
denen Farbe der Augen fowohl bey Thieren als bey Menfchen, 
auf die Ungemwißheit unferer Kenntniß der wahren Befchaffenheit 
der Zarbe Diefer oder jener Vorwuͤrfe machete D, nicht ohne 
Grund. So wie hier nun die Farbe der Feuchtigfeiten des Aus 
9.8 als die Urſach Eönte angefehen werden, eben fo wird vielleicht 
in der Befchaffenheit der Nerven der verfchiedene Begriff der For: 
men liegen, die Die Schönheit bilden. Diefes wird begreiflic) 
aus den unendlichen Sefchlechten der Früchte und aus den uns 
endlichen Arten eben Derfelben Frucht, deren verfchiedene Form 
und Geſchmack ſich bildet und erwächfet Durch die mancherlen Fa: 
ferchen, aus welchen die Röhren gewebet und verfchränft find, 
worinn der Saft hinauf fteiget, geläutert und reif wird. Da 
nun ein Grund von den mancherley Eindrüden auch bey denen, 
Die fich mit Abbildung derfelben befchäfftigen, vorhanden ſeyn 
muß, wird gedachte Muthmaſſung nicht fchlechterdings koͤnen ver⸗ 
worfen werden. 

In andern hat der Himmel das ſanfte Gefuͤhl der reinen 
Schönheit nicht zur Reife kommen laffen, und es iſt ihnen entwe— 
der durch die Kunft, das ift, Durch Die Bemühung, ihr Wiffen 
allenthalben anzuwenden, in Bildung jugendlicher Schoͤnheiten 
erhaͤrtet worden, wie im Michael Angelo, oder es hat ſich dieſes 
Gefühl durch eine pöbelhafte Schmeicheley Des groben Sinnes, 
um Demfelben alles begreiflicher vor Mugen zu legen, mit Der Zeit 
| ganze 
ı) Sext. Empyr. Pyrrh. hyp.L. 1. p. 10. B. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 253 


gänzlich verderbet, wie im Bernini geſchehen ift. Jener hat fic) 
mit Betrachtung der hohen Schönheit befchäfftiget, wie man aus 
feinen, theils gedruckten, theilg ungedruckten Gedichten ficht, 
wo er in würdigen und erhabenen Ausdrücken über Diefelbe den- 
Eet, und er ift wunderbar in ftarfen Leibern; aber aus angeführ- 
tem Grunde hat derfelbe aus feinen weiblichen und jugendlichen 
Figuren Gefchöpfe einer anderen Welt, im Gebäude, in der 
Handlung und in den Geberden gemacht: Michael Angelo ift 
gegen den Raphael, was Thucydides gegen den Zenophon ift. 
Bernini ergriff eben den Weg, welcher jenen wie in unwegfame Orte 
und zu fteilen Klippen brachte, und diefen hingegen in Sümpfe 
und Lachen verführete: Denn er ſuchte Formen, aus der niedrig- 
ften Natur genommen, gleichfam durch Das Lebertriebene zu ver— 
edlen, und feine Figuren find wie der zu plößlichem Glüde ge 
langete Poͤbel; fein Ausdruck ift oft der Handlung widerfpres 
hend, fo wie Hannibal im äußerften Kummer lachete. Dem 
ohngeachtet hat dieſer Künftler Iange auf dem Throne gefeffen, 
und ihm wird nod) io gehuldiget, 

Die von der zwoten Art, nämlich die Zweifeler wider Die 
Nichtigkeit der Begriffe der Schönheit, gründen ſich vornaͤmlich 
auf die Begriffe des Schönen unter entlegenen Voͤlkern, Die ihrer 
verfchiedenen Gefichtsbildung zufolge, auch verfchieden von den 
unfrigen feyn müflen. Denn fo wie viele Wölker die Farbe ihrer 
Schönen mit Ebenholz (welche fo , wie diefes, glänzender, als 
anderes Holz, und als eine weiße Haut ift) vergleichen würden, 
da wir Diefelbe mit Elfenbein vergleichen, eben fo, fagen fie, wer 

Si 3 den 


254 L Theil, Viertes Kapitel, 


den vielleicht bey jenen die Vergleichungen der Formen des Gefichts 
mit Thieren gemacht werden, an mweldyen ung eben Die Theile 
ungeftalt und haͤßlich fcheinen. Es ift nicht zu laͤugnen, daß man 
auch in den europäifchen Bildungen ähnliche Formen mit der Bil- 
dung der Thiere finden Fan, und Dtto van Veen, der Meifter 
des Rubens, hat nad) dem Porta Diefes in einer befondern Schrift 
gegeiget: man wird: aber aud) zugeben müflen , dag, je ſtaͤrker 
Diefe Aehnlichkeit an einigen Theilen ift, deſto mehr weichet die 
Form von den. Eigenfchaften unfers Geſchlechts ab, und es. wird 
dieſelbe theils ausfchweifend , theils übertrieben, wodurd) die 
Harmonie unterbrochen , und die Einheit und Einfalt geftöret 
wird, als worinn die Schönheit beftehet, wie ich unten zeige. 

Je fhräger 3. E. die Mugen ſtehen, wie an Rasen, defto 
mehr fällt Diefe Richtung von der Bafe und der Grundlage des 
Geſichts ab, welche das Kreuz iſt, wodurd) Daffelbe von dem 
Wirbel an in die Länge und in die Breite gleich getheilet wird, - 
indem Die fenkrechte Linie die Naſe Durchfchneidet,. Die horizontale 
Linie aber die Augen. Liegt das Auge fchräg, fo Durchfchneidet 
es eine Linie, welche mit jener parallel, durch den Mittelpunkt 
de8 Auges gezogen, zu fegen iſt. Wenigftens muß hier eben die 
Urfache feyn, die den Uebelftand eines fhief gezogenen Mundes 
macht; denn wenn unter zwo Linien Die eine von. der andern ohne 
Grund abweichet, thut es dem Auge wehe. Alfo find dergleichen 
Augen, wo fie ſich unter ung finden, und an Sinefen und Japo⸗ 
nefen, fo wohl als an den aͤgyptiſchen Köpfen, eine Abweichung. 
Die gepletfcehte Nafe der Calmucken, der Sinefen, und anderer 

ent- 


Don der Kunſt unter den Griechen, 255 


entlegenen Wölker, ift ebenfalls eine Abweichung: denn fie unter 
bricht die Einheit der Formen, nady weldyer der übrige Bau Des 
Körpers gebildet worden, und egift kein Grund, warum die Na- 
fe fo tief gefenkt liegt, und nicht vielmehr der Richtung der Stir⸗ 
ne folgen foll; fo wie hingegen die Stirn und Nafe aus einem 
geraden Knochen, wie an Thieren, wider die Mannigfaltigkeit 
in unferer Natur ſeyn würde. Der aufgeworfene ſchwuͤlſtige Mund, 
welchen Die Mohren mit den Affen in ihrem Lande gemein haben, 
ift ein überflüßiges Gewaͤchs und ein Schwulft, welchen die Die 
ihres Clima verurfachet, fo wie ung die Lippen von Hitze, oder 
von fcharfen falzigen Feuchtigfeiten , aud) einigen Menfchen im 
Zorne, auffchwellen. Die Eleinen Mugen der entlegenen nordli- 
chen und öftlichen Länder, find in der Unvollfommenheit ihres 
Gewaͤchſes mit begriffen, welches kurz und Elein ift. 

Solche Bildungen wirket die Natur allgemeiner, je mehr 
fie fich ihren Außerften Enden nähert, und entweder mit Der Hitze, 
oder mit der Kälte ftreitet, wo fie dort übertriebene und zu früh: 
zeitige, hier aber unreife Gewächfe von aller Art hervorbringet. 
Denn eine Blume verwelfet in unleidficher Hitze, und im einem 
Gewölbe ohne Sonne bleibet fie ohne Farbe; ja die Pflanzen ar- 
ten aus in einem verfchloffenen finftern Orte. Negelmäßiger aber 
bildet Die Natur, je näher fie nad) und nad) wie zu ihrem Mittel- 
punft gebet, unter einem gemäßigten Himmel, wie im erften Ka- 
pitel angezeiget worden. Folglich find unfere und der Griechen 
Begriffe von der Schönheit, als welche von der vegelmäßigften 
Bildung genommen find, vichtiger, als diejenigen, Die ſich Voͤlker 

TRIER TE 


256 1. Theil. Viertes Kapitel. 


bilden Fönen, die, um mic) eines Gedankens eines neuern Dich- 
ters zu bedienen, von dem Ebenbilde ihres Schöpfers halb ver: 
ftellet find: denn was nicht fchön ift, Fan nirgends fchön fen, 
wie Euripides fagt I). In Diefen Begriffen aber find wir felbft 
verfchieden, und vielleicht verfchiedener, als felbft im Geſchmacke 
und Geruche, wo e8 uns an deutlichen Begriffen fehlet, und es 
werden nicht leicht hundert Menfchen über alle Theile der Schön 
heit eines Gefichts einftimmig ſeyn; ich vede von denen, die nicht 
gründlich über Diefelbe gedacht haben. Diejenigen aber, welche 
die Schönheit als einen würdigen Vorwurf ihrer Betrachtungen 
angefehen und gewählet haben, Fünen über Das wahre Schöne, 
da e8 nur eins und nicht mancherley ift, nicht zwiftig feyn; und 
Diefe, wenn fie Die Schönheit in den vollfommenen Bildern der 
Alten unterfüchet haben, finden in Den weiblichen Schönheiten ei= 
ner ftolzen und Flugen Nation, die insgemein fo fehr gepriefenen 
Worzüge nicht, weil fie nicht von der weißen Haut geblendet wer⸗ 
den. Die Schönheit wird Durch den Sinn empfunden, aber Durch 
den Verftand erkannt und begriffen, wodurch) jener mehrentheils 
weniger empfindlicher auf alles, aber richtiger gemacht wird und 
werden foll. In der allgemeinen Form aber find beftändig die 
mehreften und die gefitteteften Wölker in Europa fo wohl, als in 
Afien und Africa, uͤbereingekommen; daher Die Begriffe derſelben 
nicht für willführlicy angenommen zu halten find, ob wir gleich 
nicht von allen Grund angeben Fönen. 


Die 


») Phœniſs. v. $ar. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 257 


Die Farbe trägt zur Schönheit bey, aber fie ift nicht die 
Schönheit felbft, fondern fie erhebet Diefelbe überhaupt und ihre 
Formen; fo wie der Geſchmack des Weins lieblicyer wird durch 
deſſen Farbe in einem ducchfichtigen Glaſe, als in der koftbarften 
goldenen Schale getrunken. Da nun die weiße Farbe Dieienige 
ift, welche die mehreften Lichtftralen zuruͤckſchicket, folglich ſich 
empfindlicher macht, fo wird aud) ein ſchoͤner Körper deſto ſchoͤ— 
ner ſeyn, je weißer er ift, ja er wird nackend Dadurch) größer, ala 
er in der That ift, erfcheinen, fo wie wir ſehen, Daß alle neu in 
Gips geformte Figuren größer, als die Statuen, von welchen je- 
ne genommen find, fich vorftellen. Ein Mohr könte fchön heißen, 
wenn feine Gefihtsbildung ſchoͤn ift, und ein Neifender verfi- 
chert 1), daß der tägliche Umgang mit Mohren das widrige Der 
Sarbe benimmt, und was fdyön an ihnen ift, offenbaret; fo wie 
Die Farbe des Metalls, und des ſchwarzen oder grünlichen Ba— 
falts, der Schönheit alter Köpfe nicht nachtheilig ift. Der ſchoͤ⸗ 
ne weibliche Kapf in der legten Art Stein, in der Villa Albani, 
würde in weißem Marmor nicht fchöner erfcheinen; Der Kopf des 
ältern Scipio im Palafte Nofpigliofi, in einem dunklern grünliz 
hen Bafalte, ift fihöner, als drey andere Röpfe deffelben in Mar⸗ 
mor. Dieſen Beyfall werden befagte Köpfe, nebft andern Sta— 
tuen in fchwargem Steine, auch bey Ungelehrten erlangen, welche 
Diefelben als Statuen anfehen. Es offenbaret fic) alfo in ung eine 
Kenntniß des Schönen auch in einer ungewöhnlichen Einfleidung 

def 
3) Carlet. Viag. v. 7. 


Winkelm. Geſch. der Kunft. RE 


258 IL Theil. Viertes Kapitel, 


Deffelben, und in einer der Natur unangenehmen Farbe: es iſt 
alfo die Schönheit verfchieden von der Gefälligfeit oder von der 
Lieblichkeit. Denn lieblich und angenehm ift eine Perfon zu nennen, 
Die Durch ihr Werfen, durch ihre Nede und durch ihren Verſtand, 
auch durch ihre Jugend, Haut und Farbe reisen Fan, ohne ſchoͤn 
zu ſeyn, und folche Perfonen nennet Mriftoteles avev nadrog weunug 
1) und Plato fagt: apxwr mpngomoı narwv de un 2). 

Es verhaͤlt fid) mit dem verfchiedenen Urtheile über eine 
ſchoͤne Perſon, wie mit der verfchiedenen Neigung gegen weiße 
und braune Schönen; derjenige, welcher eine braunliche Schönheit 
einer fchönen weißen vorziehet, ift Deswegen nicht zu tadeln, ja 
man könte ihm beyflichten, wenn Dderfelbe weniger durch Das Ges 
fiht, als durch das Gefühl gereiget wird. Denn eine bräunliche 
Schönheit Fan vielleicht eine fanftere Maut, als eine weiße fchöne 
Derfon zu haben feheinen, da, wie ich gefagt habe, eine weiße 
Hand mehr Lichtftralen als eine braunliche zuruͤckſchicket, und al 
fo enger, dichter und folglic) ftärker als diefe feyn muß. Es wuͤr⸗ 
de Daher eine bräunliche Haut durchfichtiger zu achten feyn, weil 
Diefe Farbe, wenn fie natürlich) ift, von dem Durchfcheinen des 
Bluts verurfachet wird ; und aus eben Diefem Grunde färbet ſich 
eine braunliche Haut in der Sonne eher als eine weiße; ja eben 
daher iſt Die Haut der Mohren weit ſanfter anzufuͤhlen, als Die 
unfrige. Die bräunliche Farbe in fchönen Knaben war den Grie— 
chen eine Deutung auf ihre Tapferkeit, die von weißer Farbe aber 
hießen Kinder der Götter 3). 

Die: 


ı)Rhet.L.3.c.4. =) Plat. Polit.L, 10.p.465.1. 15. 5) Plat.Polit.L. 5.p.422.1, 51. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 259 
Diefes ift alfo, wiegefagt, verneinend von Der Schönheit b. Der beias 


gehandelt, das ift, es find die Eigenſchaften, welche fienicht hat, — er 
von derſelben abgefondert , Durch Anzeige unrichtiger Begriffe 
von derſelben; ein bejahender Begriff aber erfordert Die Kennt- 
niß des Wefens felbft, in welches wir in wenigen Dingen hineinzus 
ſchauen vermögend find. Denn wir Fönen hier, wie in den meh— 
reften philofophifchen Betrachtungen, nicht nad) Art der Geome⸗ 
trie verfahren , welche vom allgemeinen auf das befondere und 
einzelne, und von dem Weſen der Dinge auf ihre Eigenfchaften 
gehet und ſchließet; fondern wir müffen ung begnügen, aus lau: 
fer einzelnen Städen wahrfheinlihe Schlüffe zu ziehen. Was 
aber in folgenden Betrachtungen über die Schönheit misgedeutet 
werden Fönte, muß denjenigen, welcherrunterrichten will, nicht bez 
kuͤmmern: denn ſo wie Plato und Ariftoteles, der Lehrer und der 
Schüler , über den Endzweck der Tragoedie völlig Das Gegen- 
theil behaupteten, welche dieſer als eine Neinigung der Leiden: 
f&haften anpriefe, jener hingegen als einen Zunder derfelben bes 
fohrieben hat, fo fan von der unfchuldigften Abficht, auch von 
denen Die richtig denken, ein ungeneigtes Urtheil gefället werden. 
Ic erinnere Diefes vornämlic über meine Schrift von der Faͤhig⸗ 
keit der Empfindung des Schönen in der Kunft, Die bey einigen 
ein Urtheil erwecket, welches von meiner Abſicht gaͤnzlich entferz 
net gewefen tft. 

Die Weiſen, welche ben Urſachen des allgemeinen Schoͤ⸗ 
nen nachgedacht haben, da fie daſſelbe in erſchaffenen Dingen er⸗ 
forfchet, und bis zur Duelle des höchften Schönen zu gelangen 

"Kfz ge 


260 I. Theil. Viertes Kapitel. 


geſuchet, haben Daffelbe in der vollfommenen Lebereinftimmung 
des Geſchoͤpfs mit deſſen Adfichten, und der Theile unter ſich, 
und mit dem Ganzen deffelben, gefeßet. Da dieſes aber gleichbe- 
deutend ift mit der Vollkommenheit, für welche die Menfchheit 
Fein fähiges Gefäß ſeyn Fan, fo bleibet unfer Begriff von der 
allgemeinen Schönheit unbeftimmet, und bildet ſich in uns Durch 
einzelne Kenntniffe, die, wenn fie richtig find , gefammlet und 
verbunden, ung die höchfte Idee menfchlicher Schönheit geben, 
welche wir erhöhen, je mehr wir ung über die Materie erheben 
koͤnen. Da ferner dieſe Vollkommenheit durch den Schöpfer al- 
len Kreaturen in dem ihnen zukommenden Grade gegeben worden, 
und ein jeder Begriff auf einer Urſache beſtehet, die außer dieſem 
Begriffe in etwas andern geſuchet werden muß, ſo kan die Ur— 
ſache der Schoͤnheit nicht außer ihr, da ſie in allen erſchaffenen 
Dingen iſt, gefunden werden. Eben daher, und weil unſere 
Kenntniffe Wergleihungsbegriffe find, Die Schönheit aber mit 
nichts höhern Fan verglichen werden , rühret die Schwierigkeit 
einer allgemeinen und deutlichen Erklärung derfelben. 

Die hoͤchſte Schönheit ift in Gott, und der Begriff Der 
menſchlichen Schönheit wird vollfommen, je gemäßer und über- 
einftimmender derfelbe mit dem höchften Wefen kan gedacht wer— 
den, welches ung der Begriff der Einheit und der Untheilbarkeit 
von der Materie unterfcheidet. Diefer Begriff der Schönheit ift 
wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener Geift, welcher 
ſich ſuchet ein Geſchoͤpf zu zeugen nad) dem Ebenbilde der in Dem 
Verſtande der Gottheit entworfenen erften vernünftigen Kreatur. 

Die 


Bon der Kunft unter den Griechen. 261 


Die Formen eines folchen Bildes find einfach und ununterbrochen, 
und in diefer Einheit mannigfaltig , eben Dadurd) aber find fie 
harmoniſch; fo wie ein füßer und angenehmer Ton durch Körper 
hervorgebracht wird, deren Theile gleichförmig find. Durch Die 
Einheit und Einfalt wird alle Schönheit erhaben, jo wie es durch 
diefelbe alles wird, was wir wirken und reden: denn was in ſich 
groß ift, wird, mit Einfalt ausgeführet und vorgebracht, noch 
größer. Es wird nicht enger eingefchränft, oder verlieret von 
feiner Größe, wenn es unfer Geift wie mit einem Blicke überfehen 
und meffen, und in einem einzigen Begriffe einſchließen und faffen 
kan, fondern eben durch dieſe BegreiflichFeit ftellet es ung fich in 
feiner völligen Größe vor, und unfer Geift wird durch Die Faſſung 
Deffelben erweitert, und zugleich mit erhaben. Denn alles, was 
wir getheilt betrachten müffen, oder Durch die Menge der zufam- 
mengeſetzten Theile nicht mit einmal überfehen Eönen , verlieret 
dadurch von feiner Größe, fo wie uns ein langer Weg kurz wird 
durch mancherley Vorwürfe, Die ſich uns auf Demfelben Darbie- 
ten, oder durch viele Merbergen, in weldyen wir anhalten koͤnen. 
Diejenige Harmonie, die unfern Beift entzücket, beftehet nicht in 
unendlich gebrochenen, gefettelten und gefchleiften Tönen, fon 
dern in einfachen lang anhaltenden Zügen. Aus diefem Grunde 
erfcheinet ein großer Palaft Hein, wenn derfelbe mit Zierrathen 
überladen ift, und ein Haus groß, wenn es ſchoͤn und einfältig 
aufgeführet worden. Mus der Einheit folget eine andere Eigen: 
ſchaft der hohen Schönheit, die Unbegeichnung derſelben, das ift, 
deren Formen weder Durc Punkte, noch durch Linien , befchrie- 
RE 3 ben 


262 1. Theil. Biertes Kapitel. 


ben werden, als die allein die Schönheit bilden; folglich) eine Ge— 

ftalt, die weder Diefer oder jener beftimmten Perfon eigen fey, noch. 
irgend einen Zuftand des Gemüths oder eine Empfindung der 

Leidenſchaft ausdrüde, als welche fremde Züge in die Schönheit 

mifchen, und die Einheit unterbrechen. Nach Diefem Begriffe 

foll die Schönheit feyn, wie das vollfommenfte Waſſer aus dem 

Schooße der Duelle gefchöpfet , welches, je weniger Geſchmack 

es hat, deſto gefunder geachtet wird, weil es von allen fremden 

Theilen geläutert if. So wie nun der Zuftand der Gluͤckſelig⸗ 
feit, das ift, Die Entfernung vom Schmerze, und der Genußder 

Zufriedenheit in der Natur der allerleichtefte ift, und der Weg zu 

Derfelben der geradefte, auch ohne Mühe und Koften Fan erhal- 

ten werden, fo fcheinet auch Die Sdee der höchften Schönheit am 

einfaltigften und am leichteften, und e8 ift zu Derfelben Feine phi- 

Iofophifche Kenntniß des Menfchen, Feine Unterfuchung der Leiden⸗ 
(haften der Seele, und deren Ausdruck nöthig. Da aber in der 

menfchlichen Natur zwifchen dem Schmerze und dem Vergnügen, 

auch nach dem Epicurus, Fein mittlerer Stand ift, und die Lei 

Denfchaften die Winde find, die in dem Meere Des Lebens unfer 

Schiff treiben, mit welchen der Dichter feegelt, und der Künftler 

fich erhebet, fo Fan Die reine Schönheit allein nicht der einzige 

Vorwurf unferer Betrachtung feyn, fondern wir muͤſſen Diefelbe 

auch in den Stand der Handlung und Leidenfchaft ſetzen, wel- 

ches wir in der Runft in dem Worte Ausdrud begreifen. Es ift 

alfo zum erften von der Bildung der Schönheit, und zum zweyten 

von dem Ausdrucke zu handeln. 

Die 


Bon der Kunft unter den Griechen, 263 


Die Bildung der Schönheit ift entweder individuel, das — 
iſt, auf das einzelne gerichtet, oder fie ift eine Wahl ſchoͤner Thei⸗ et 
le aus vielen einzelnen, und Verbindung in eins, welche wir Jdenz sun. 
lifd) nennen, jedoch mit diefer Erinnerung, daß etwas Spealifch Neue 
heißen Ean, ohne ſchoͤn zu fenn. Denn die Geftalt der Agypti- 
fehen Figuren, in welchen weder Muskeln noch Nerven und Adern 
angedeutet find, ift idealifch, bildet aber dennod) in derfelben 
keine Schönheit, fo wenig als die Bekleidung ihrer weiblichen St 
guren , da diefelbe nur gedacht werden muß, und alfo idealiſch 
ift, fehön genennet werden Fan. Die Bildung der Schönheit hat 
angefangen mit dem einzelnen Schönen, in Nachahmung einer 
ſchoͤnen menfchlichen Geftalt, auch in Worftellung der Götter, 
und e8 wurden aud) noch in Der Bluͤthe der Kunſt Göttinnen nad) 
dem Ebenbilde fchöner Weiber, fogar die ihre Gunft gemein und 
. feil hatten, gemacht; und eine folche war Theodote, von welcher 
Kenophon redet 1.) Denn die Alten dachten hierüber verſchie— 
den von uns, fo Daß Strabo fo gar diejenigen, Die fich Dem Dienfte 
der Venus auf Dem Gebirge Eryx gewidmet hatten, heilige Lei: 
ber nennet; 2) und der Anfang einer Ode des erhabenen Pin- 

Darus zum Lobe Des Zenophon aus Corinth, eines dreymal ge 
Frönten olympifchen Siegers, welcher für Maͤdgen zum öffentlichen 
Dienft der Venus geweihet war, war folgender: Ihr vielvergnü- 
gende Mädgens, und Dienerinnen der Ueberredung in dem rei: 
chen Corinth. (Ilorugewas veanıdes aupımonoı IlzSoug ev agreiw wopr- 
I 


ı) Memor.L. 3.c.ır. 2) Strab. L. 6. p, 272. C. 


Und insbefone 
dere der us 
gend, 


264 I. Theil. Viertes Kapitel, 


so 1). Die Öymnafia und die Orte, wo fich die Jugend im 
Ringen und in andern Spielen nadend übte, und wohin man 
gieng, Die fchöne Jugend zu fehen 2), waren Die Schulen, wo 
die Künftler die Schönheit des Gebäudes fahen, und durch Die 
tägliche Gelegenheit das fchönfte Nackende zu fehen, wurde ihre 
Einbildung erhist, und die Schönheit der Formen machete fich 
ihnen eigen und gegenwärtig. In Sparta übetenfich fo gar jun⸗ 
ge Madgen entkleidet 3), oder faft ganz entblößt 4), im Ringen. 
Die Schönheit iftjedem Alter eigen, aber wie an den Goͤt⸗ 

tinnen Der Jahrszeiten, in verfchiedenem Grade; gefellet ſich jes 
doc vornamlich mit der Sugend, und Daher ift der Kunſt größ- 
tes Werk, Diefezu bilden. In derfelben fanden die Rünftler, mehr 
als in dem männlichen Alter, die Urfache der Schönheit in der 
Einheit, in der Mannigfaltigfeit und in der Uebereinftimmung, 
indem Die Formen der fehönen Jugend der Einheit Der Zlächedes _ 
Meeres gleichen , welches in einiger Entfernung eben und ftille, 
als ein Spiegel erfcheinet , ob es gleich allegeit in Bewegung ift 
und Wogen wälzet. ‚Denn fo wie die Seele, als ein einfaches We⸗ 
fen, viele verfchiedene Begriffe auf einmal und in einem Augen⸗ 
blicke hervorbringet , eben fo ift es auch mit dem fehönen jugendli- 
chen Umriße, welcher einfach feheinet, und unendlic) verſchiedene 
Abweichungen auf einmal hat. Da nun in der großen Einheit 
der ingendlichen Formen die Graͤnzen derſelben unmerflich eine in 

Die 
») Athen. Deipn.L. 13.p. 373. F. 2) Ariftoph. Pac. v. 761. 3) Ariftoph. 


‚Lyfiftr. v. 82. Polluc. 4) Onom, L, 4, Set, 102. Eurip. Androm, 
V. 598. j 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 265 


die andere fließen, und von vielen der eigentliche Punkt der Hoͤhe, 
und Die Linie, welche diefelbe umfchreibet, nicht genau Fan beſtim⸗ 
met werden, fo ift aus Diefem Grunde Die Zeichnung eines ju— 
gendlichen Körpers, in welchem alles ift und feyn, und nicht er- 
fcheinet und erfcheinen foll, fehwerer, als einer männlichen oder 
betagten Figur, weil in diefer die Natur ihre Bildung theils 
ausgeführet hat, theils anfängt, ihr Gebäude wiederum aufzu⸗ 
löfen, und alfo in beyden Stufen. dieſes Alters die Verbindung 
der Theile deutlicher vor Augen liegetz in jener hingegen ift Die 
Bildung zwifchen dem Wahsthum und der Vollendung gleich— 
ſam unbeftimmt gelaffen. Es ift auch Fein fo großer Fehler, in 
ſtark muskulirten Körpern aus Dem Umriſſe heraus zu gehen, oder 
Die Andentung der Muskeln und anderer Theile zu verftärken, 
oder zu übertreiben, als e8 die geringfte Abweichung in einem 
jugendlichen Gewächfe ift, mo auch der geringfte Schatten, wie 
man zu reden pfleget, zum Körper wird; fo wie ein Lineal, wenn 
es kuͤrzer oder fchmäler als das verlangte Maas, ift, Dennod) Die 
Eigenfchaften eines Lineals hat, aber nicht alfo heißen kann, wenn 
e8 von der geraden Linie abweichet: Denn wer nur im geringften 
vor der Scheibe vorbey fchießt, ift eben fo gut, alg wenn er nicht 
hinangetroffen hätte. 

Diefe Betrachtung Fan unfer Urtheil richtig und gruͤnd⸗ 
lic) machen, und Die Ungelehrten, welche nur insgemein in einer 
Figur, woalle Muskeln und Knochen angedeutet find, Die Kunſt 
mehr, als in der Einfalt der Jugend , bewundern, beffer unter: 
richten. Einen augenfcheinlicyen Beweis von dem, was ich fage, 

Winkelm. Geſch. der Kunft. | kann 


3 Die idea: 
liſche Schön: 
Heif, 


266 1. Theil. Viertes Kapitel, 


fan man in gefchniftenen Steinen und deren Abdruͤcken geben ‚in 
welchen fich zeiget, Daß alte Köpfe viel genauer und beſſer, als 
junge fchöne Köpfe, von neuern Künftlern nachgemacht find: 
ein Kenner Eönte vielleicht bey dem erften Blicke anftehen, über 
das Alterthum: eines betagten Kopfs in gefchntttenen Steinen zu 
urtheilen; über einen nachgemad)ten jugendlichen idealifchen Kopf 
wird er ſicherer entfcheiden koͤnen. Db gleich) die berühmte Me— 
duſa in dem Mufeo Strozzi zu Nom, welche Dennoch Fein. Bild 
der höchften Schönheit iſt, von dem beften neuern KRünftlern, auch 
in eben Der Größe auszudrucken gefuchet worden, fo wird dennoch 
das Driginal allezeit Eenntlich feyn; und chen dieſes gilt von Den 
Eopien der Pallas des Afpafius, welche Natter in gleicher Groͤ⸗ 
Be mit dem Driginale, und andere gefchnitten haben. Man mer: 
fe aber, daß ich hier bloß von Empfindung und Bildung der 
Schönheit in engerem Verftande rede, nicht vonder Wiſſenſchaft 
im Zeichnen und im Ausarbeiten: denn in Abſicht des letzteren 
Fan mehr Wiffenfchaft liegen, und angebracht werden in ftarfen, 
als in zärtlichen Figuren, und Laocoon ift ein viel gelehrteres Werk, 
als Apollo; Ageſander, der Meifter der Dauptfigur des Lao— 
coons, mußte auch ein weit erfahrnerer und gründlicherer Kuͤnſt⸗ 
Ver feyn, als es der Meifter des Apollo nöthig hatte. Aber Die 
fer mußte mit einem erhabenern Geifte, und mit einer zaͤrtlichern 
Seele begabet feyn: Apollo hat das Erhabene, welches im Lao— 
coon nicht ftatt fand. 

Die Natur aber und Das Gebäude der fchönften Körper 


ift felten ohne Mängel, und hat Formen oder Theile, die ſich in 
an: 


Bon der Kunft unter den Griechen, -267 


anderen Körpern volltommener finden oder denken laſſen; und an. Kos (bb 
l 


dieſer Erfahrung gemäß verfuhren dieſe weiſen Kuͤnſtler, wie ein anzelnerWen— 

geſchickter Gaͤrtner, welcher verſchiedene Abſenker von edlen Ar— Be 
ten anf einen Stamm pfropfet, und wie eine Biene aus vielen 
Blumen fammlet, fo blieben die Begriffe der Schönheit niht auf 
das individuelle einzelne Schöne eingefchränft wie es zuweilen 
Die Begriffe der alten und neueren Dichter, und der mehreften 
heutigen Künftler find, fondern fie ſuchten Das Schöne aus vie⸗ 
len ſchoͤnen Körpern zu vereinigen I), wie auch die Unterredung 
des Socrates mit dem berühmten Maler Parrhaſius lehret 2), 
und fie reinigten ihre Bilder von aller perfönlichen Neigung, wel 
che unfern Geift von Dem wahren Schönen abziehet. 
Diefe Wahl der fchönften Theile und deren harmonifche 
Verbindung in einer Figur brachte die idealiſche Schönheit herz 
vor, welche alfo Fein metaphnfifcher Begriff ift, fo Daß das Ideal 
nicht in allen heilen der menſchlichen Figur befonders ftatt fin- 
det, fondern nur allein von dem Ganzen der Geftalt Fan gefaget 
werden. Denn ftücdweis finden fid) eben fo hohe Schönheiten: in 
der Natur, als irgend die Kunſt mag hervorgebracht haben, 
aber im Ganzen muß die Natur der Kunſt weichen. Wenn aber 
Raphael und Guido, jener im weiblichen und diefer im männli- 
chen Geſchlechte feine Schönheiten fanden , die fie Der Galathea 
und des Erzengels würdig geachtet, wie aus dieſer Künftler ei⸗ 
—— Schreiben erhellet, ſo ſcheue ich mich nicht zu ſagen, 

£l2 Bir daß 
) Ariftot. Polit. L. 3. c. 7. p. 77. edit, Wechel. 2) Xenoph, Aropyu. L. 
386.110! 2, ) * 


bb. Befonders 
von Verſchnit⸗ 
tenen und 
Hermaphrodi⸗ 
N, 


268 I. Theil, Viertes Kapitel. 


daß dieſes Urtheil aus Mangel der Aufmerkfamkeit auf dag; was 

ſchoͤn in der Natur ift, herruͤhre. Ohnerachtet Raphael von 

Bildung feiner Oalathen fagt, Daß, da ſchoͤne Weiber felten find, 

er fich einer gewiffen Idea bediene, Die ihm feine Einbildung ges 

geben; ſo ift dennoch das Geficht der Onlathen fehr gemein, und es 

finden fih) an allen »Drten fchönere Weiber , und: das eine ficht- 

bare Knie ift viel zu. Enorpelicht für ein iugendliches Alter und 

für eine Schönheitunter Den Göttinnen; der Erzengel ift eben⸗ 
falls weniger fchön, als einige Juͤnglinge, die ich gekannt habe 

und noch kenne. 

Dieſe Aufmerkſamkeit griechiſcher Kuͤnſtler auf die Wahl 
der ſchoͤnſten Theile unzaͤhlbar ſchoͤner Menſchen, blieb nicht auf 
die maͤnnliche und weibliche Jugend allein eingeſchraͤnket, ſondern 
ihre Betrachtung war auch gerichtet auf das Gewaͤchs der Ver⸗ 
ſchnittenen, zu welchen man wohlgebildete Knaben waͤhlete. Die⸗ 
ſe zweydeutige Schoͤnheiten, in welchen die Maͤnnlichkeit, durch 
Benehmung der Samengefaͤße, ſich der Weichlichkeit des weib- 
lichen Geſchlechts, in zaͤrtlichern Gliedern, und in: einem fleiſchi— 
gern und rundlichern Gewaͤchſe näherte , wurden zuerft unter‘ 
den afiatifchen Völkern hervorgebracht, um dadurch den ſchnel⸗ 
len Lauf der flüchtigen Jugend, wie: Petronius faget, einzuhal: 
ten; ja unter den Griechen in Klein-Afien wurden dergleichen Kna⸗ 
ben und Zünglinge dem Dienfte der Cybele und der Diana zu 
Ephefus 1) gewidmet. In männlichen Knaben ſuchte man, auch 
unter den Römern, die Bekleidung der Maͤnnlichkeit zurücd zu 

v balten, 
v) Strab. L. 14. p.641. B. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 269. 


halten, Durch den Saft von Hiacynthenwurzeln, Die in ſuͤſſem 
Peine abgefocher wurden, um das Kinn und andere Theile da- 
mit zu beftreichen 1). Die Kunſt gieng noch weiter, und vereinig- 
te die Schönheiten und Eigenfchaften beyderley Sefchlechter in 
den Bildern der Hermaphroditen, Die wenigfteng, fo wie wir die— 
felben von den alten Rünftlern vorgeftellet fehen, iDealifche Ge— 
ſchoͤpfe find, ohnerachtet ic) weiß, Daß es Hermaphroditen gege- 
ben hat, wie, nad) dem Philoſtratus, der Philofoph Favorinus, 
von Arles, in Gallien war 2); aber ohne zu unterſuchen, wie 
dieſe geſtaltet geweſen, konten wenige Künftler Gelegenheit ha— 
ben, dieſelben zu ſehen. Alle Figuren dieſer Art haben eine jung— 
fräuliche Bruft, nebft den Zeugungsgliedern unferes Geſchlechts, 
und im übrigen das Gewaͤchs in weiblicher Geftalt, fo wie Die 
Züge des Gefihts. Won Mermaphroditen befindet fid), außer 
den zwo liegenden Statuen, in der großherzoglichen Galerie zu 
Slovenz , und der noch berühmtern und ſchoͤnern Statue, inder 
Ville Borghefe, eine Eleine nicht weniger ſchoͤne ftehende Figur, 
inder Ville Albani, die den rechten Diem auf dem Haupte ru: 
ben laͤſſet. 

Das Gewaͤchs der Verfchnittenen ift an bisher unbemerk⸗ 
ten Figuren von Prieftern der Cybele, in gedachten weiblicheit 
Hüften derfelben, von den alten KRünftlern angezeiget; und es 
it dieſe Wölligkeit der Huͤften auch unter der Kleidung Eenntlich 
an einer folchen Statue in Lebensgröße, Die nady England gegan- 
gen ift. Diefe ftellet einen Knaben etwa von zwölf Jahren vor, 

glz : mit 
ı) Plin. L. 21.c.97, 2) Philoft. Vit. philoſ. L. 1. c. 8. 


270 L Theil, Biertes Kapitel, 


mit einer kurzen Weſte, und man haf in derfelben an der phrygi- 
ſchen Muͤtze einen Paris zu fehen geglaubet, und zu deſſen Bezeich- 
nung der Statue einen Apfel in der rechten Hand gegeben. Eine 
umgekehrte Fackel, und zwar von derjenigen Art, die bey Opfern 
und bey heiligen Gebräuchen gewöhnlich war, und die an einem 
Baume zu den Füßen Diefer Figur ftehet, fcheinet die wahre Be: 
deutung Derfelben anzuzeigen. An einem andern Priefter der Cy— 
bele auf einem erhabenen Werke, ift Die Düfte dermaffen völlig 
und weiblich geformet , Daß daher diefe Figur von dem erfahren: 
ften Bildhauer in Rom von weiblichem Gefchlechte zu feyn gehal- 
ten wurde, Es offenbaret aber die Peitfche in der Hand einen 
Driefter der Eybele, weil dieſe Werfchnittenen fi) geiffelten; und 
dieſe Figur feehet vor einem Dreyfuße. Diefe Figuren und eine er 
hobene Arbeit zu Capua, welche einen Archigallum, das ift, 
den Oberften folcher verfchnittenen Prieſter porftellet, Fan uns eis 
nigen Begriff machen von dem berühmten Gemälde des Parr- 
haſius, welches eben folche Perſon bildete und Archigallus hieß. 
Es fällete Bernini ein fehr ungegründetes Urtheil 1), wenn 
er Die Wahl der fchönften Theile, welche Zeuxis an fünf Schön- 
heiten zu Croton machete, Da er eine Suno Dafelbft zu malen hat- 
te, für ungereimt und für erdichtet anfahe, weil er fich einbilde- 
te, ein beftimmtes Theil oder Glied reime fi) zu feinem andern 
Körper, als dem es eigen ift. Andere haben Feine als indivi 
duelle Schönheiten Denken könen, und ihr Lehrfag ift: die alten 
Statuen find ſchoͤn, weil fie der Schönen Natur ähnlich find, und 
die 


ı) Baldinuc. Vit. di Bernin. p. 70. 


“ 

Don der Kunſt inter den Griechen. 271 
die Natur wird allegeit ſchoͤn ſeyn, wenn fie den fchönen Statuen 
ähnlich ift 1). Der vordere Sas ift wahr, aber nicht einzeln, 
fondern gefammlet (colledtive), der zweyte Satz hingegen ift falſch: 
denn es iſt ſchwer, ja faſt unmoͤglich, ein Gewaͤchs zu finden, 
wie der vaticaniſche Apollo iſt. 


Nach der Wahl und der harmoniſchen Vereinigung und ıY 


Einverleibung vorzuͤglicher einzelner fhönen Theile der Bildung 
verfchiedener Menſchen, gieng die Betrachtung der Künftler zu 
Hervorbringung idealiſcher Schönheiten hinüber zu der Natur 
edler Thiere, fo daß fie nicht allein Die Formen der menſchlichen 
Geſichtsbildung mit der Geftalt des Maupts einiger Thiere in 
Vergleichung ftelleten, fondern fie unternahmen fogar ihre Dil 
der and) durch Thiere zu veredlen und zu erhöhen. Dice De: 
merkung , welche dem erften Anfehen nach als ungereimt angefe- 
hen werden koͤnte, wird gründlichen Beobachtern unftreitig in 
„die Augen fallen, vornehmlich in den Köpfen des Jupiters und 
des Hercules. Denn betrachtet man die Bildung des Vaters 
und des Königs der Götter, fo erfcheinet in deffen Köpfen Die 
ganze Geftalt des Loͤwens, des Königs der Thiere , nicht allein 
in den großen und runden Augen, in der NWölligfeit der anwad)- 
fenden und gleichfam gefchwollenen Stirne und in Der Naſe, ſon⸗ 
dern auch in den Haaren, die gleich den Maͤhnen der Loͤwen von 
deſſen Haupte herabfallen, von der Stirne aber ſich erheben und 
getheilt in einem Bogen ſich wiederum herunter ſenken, welches 
kein Haarſchlag am Menſchen, ſondern gedachtem Thiere eigen iſt. 
Am 


2) De Piles Rem. fur I’ Art de peint, de Fresnoy, p. 107. 


Y Dur Ge⸗ 
ſtalten der 
Thiere bezeich⸗ 
uet. 


> Rildung 
jugendlicher 
Gottheiten. 


272 J. Theil. Viertes Kapitel, 


Am Herkul aber zeiget ſich die Form eines gewaltigen Stiers 
in dem Verhaͤltniſſe des Kopfs zum Halſe, in dem jener kleiner 
und dieſer ſtaͤrker, als gewoͤhnlich in der menſchlichen Propor— 
tion, iſt, und fo wie ſich der Kopf zum Halſe des Stiers ver: 
hält, um in Diefem Helden eine Stärke und Macht zu bilden, 
welche die menfchlichen Kräfte überftiege; ja man Fünfte fagen, 
Daß aud) die kurzen Haare auf der Stirne des Hercules, als 
ein allegorifches Bild, von den kurzen Haaren auf der Stine 
jenes Thiers genommen feyn. 

Diefer Auszug der fchönften Formen wurde gleichfam zuſam⸗ 
mengefchmolzen, und aus Diefem Inbegriffe erftand wie durch eine 
neue geiftige Zeugung eine edlere Geburt, Deren höchfter Begriffeine 
immerwahrende Jugend war, zu welchem nothwendig Die Be— 
trachtung des Schönen führen mußte, 

Denn der Geift vernünftig denkender Weſen hat eine ein- 
gepflanzte Neigung und Begierde, fich über die Materie in Die. 
geiftige Sphäre Der Begriffe zu erheben, und Deffen wahre Zu: 
friedenheit ift die Hervorbringung neuer und verfeinerter Ideen. 
Die großen Künftler der Griechen, die ſich gleichfam als neue 
Schöpfer anzufehen hatten, ob fie gleich weniger für Den Ver: 
ftand, als für die Sinne, arbeiteten, fürchten den harten Gegen 
ftand der Materie zu überwinden, und, wenn e8 möglich gewe- 
fen wäre, Diefelbe zu begeiftern: Diefes edle Beftreben Derfelben 
auch in früheren Zeiten der Kunſt gab Gelegenheit zu der Zabel 
von Pygmalions Statue. Denn ducc) ihre Haͤnde wurden Die 
Gegenftände Heiliger Verehrung hervorgebracht, welche, um Ehr— 

furcht 


Ron der Kunft unter den Griechen, 273 


furcht zu erwecken, Bilder von höheren Naturen genommen zu 
feyn feheinen mußten Zu diefen Bildern gaben die erften Stif- 
ter der Religion, welches Dichter waren, die hohen Begriffe, 
und diefe gaben der Einbildung Flügel, ihr Werk uͤber fich felbit 
und über das Sinnliche zu erheben. Was Eonte menfcplichen 
Degriffen von finnlichen Gottheiten würdiger , und für die Eins 
bildung reizender feyn, als der Zuftand einer ewigen Jugend, und 
des Frühlings des Lebens, wovon uns felbft das Andenken in fpäter 
ven Jahren frölich machen Fan ! Diefes war Dem Begriffe von der 
Unveraͤnderlichkeit des göttlichen Wefens gemäß, und ein ſchoͤnes 
jugendliches Gewächs der Gottheit erweckte Zärtlichfeit und Liebe, 
welche die Seele in einen füßen Traum der Entzuͤckung verſetzen Fü- 
nen, worinn die menfchliche Seligkeit beftehet, die in allen Reli 
gionen, gut oder übel verftanden, gefüchet worden. 

Unter den weiblichen Gottheiten wurde der Diana und der 
Pallas eine beftändige Sungferfchaft beygelegt , und Die andern 
Göttinnen follten Diefelbe eingebüßet, wiederum erlangen koͤnen; 
Juno , fo oft fie fi) in dem Brunnen Canathus badete. Daher 
find die Bruͤſte der Göttinnen und der Amazonen, wie an jun- 
gen Mädgen, denen Lucina den Gürtel noch nicht aufgelöfet hat, 
und welche die Frucht der Liebe noch nicht empfangen haben; ic) 
will fagen, die Warze ift auf den Brüften nicht fihtber. Es 
fey denn, daß Göttinnen wirklich im Saͤugen vorgeftellet würden, 
wie Iſis, welche dem Apis die Bruft giebt 1): die Fabel aber 

ſa⸗ 
ı) Defer. des Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 17. n. 70. 
Winkelm. Geſch. der Kunft, Dim 


274 2 Theil. Viertes Kapitel, 


faget, fie habe dem Drus, an ftatt der Bruft, den Finger 
in den Mund geleget 1), wie Diefes auch auf einem gefcehnittenen 
Steine des Stofhifchen Mufei vorgeftellet ift 2), und vermuth- 
lich Dem oben gegebenen Begriffe zufolge. Es würden aud) viel- 
leicht an der finenden Statue der Juno, im päbftlichen Garten, 
die den Hercules ſaͤuget, die Warzen der Brüfte fichtbar ſeyn, 
wenn Diefelben nicht Durch den Kopf des Kindes und durch Die 
Hand der Göttinn bedeckt wären. Diefe Statue ift in meinen 
Denfmalen des Alterthums bekannt gemacht worden 3). Auf 
einem alten Gemälde in dem Palafte Barberini, welches eine 
Venus in £ebensgröße vorftellen fol, find Warzen auf ihren Brü- 

fien, und aus eben diefem Grunde Fünfte es Feine Venus feyn. 
Die geiftige Natur ift zugleic in ihrem leichten Gange 
abgebildet, und Homerus vergleichet die Geſchwindigkeit der 
Juno im Gehen, mit dem Gedanken eines Menfchen, mit wel- 
chem er durch viele entlegene Länder, die er bereiſet hat, Durch 
fahrt, und in einem Augenblicke faget : „Hier bin ich gewefen, 
and dort warich.„. Ein Bild hiervon ift das Laufen der Ata- 
lanta, die fo fchnell über den Sand binflog, Daß fie feinen Ein- 
druck der Füße zurück ließ; und fo leicht fcheinet Die Atalanta 
auf einem Amethyſte des Stofhifchen Muſei 4). Der Schritt 
des vaticaniſchen Apollo ſchwebet gleichſam, ohne die Erde mit 
den Fußfohlen zu berühren. Dieſes unmerflihe Schreiten und 
Wandeln der Götter ſcheinet Pherecydes, einer der älteften grie- 
ı) Plutarch, de If. & Of. p. 636. 1. ar. 2) Defcr. des Pier. gr. du de 


Stofch, p. 16.n. 63. 3) No. 14. 4) Defer. des pier. gr. du Cab. 
de Stofch p. 337. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 275 


chiſchen Dichter in der Schlangengeftalt , die er Den Gottheiten 
gab, auszudrücken vermeynet zu haben, um figuͤrlich einen Gang 
zu befchreiben, deſſen Spur man nicht leicht wahrnimmt 1). 

Die Jugend der Götter hat in beyderley Gefchlecht ihre N —— 
verſchiedene Stufen und Alter, in deren Vorſtellung die Kunſt — ——— 
alle ihre Schoͤnheiten zu zeigen geſuchet hat. Es iſt dieſelbe ein ae 
deal, theils von männlichen ſchoͤnen Körpern , theild von Der 
Natur ſchoner Werfcpnittenen genommen, und durch) ein über Die 
Menfchheit erhabenes Gewaͤchs erhöhet : Daher fagt Plato 2), 
daß göttlichen Bildern nicht die wirklichen Verhaͤltniſſe, fondern 
welche der Einbildung die ſchoͤnſten fehienen , gegeben worden, 

(Ov xapew To arndeg eurayreg 01 Önmupyos vuv, OL Tag nvnas TUM- 

HeTpias, ahha Tag doEounag ewas nahas Toig Eidw.ig svamepyaloyraı) 

Das erftere männlicye Ideal hat feine verfchiedenen Stufen, und #Die Eıtoes 
fängt an bey den jungen Satyrs oder Faunen, als niedrigen De: * 2 Sie ungen 
griffen von Göttern. Die ſchonſten Statuen derfelben zeigen uns etnr. 

ein Bild reifer ſchoͤner Jugend, in vollfommener Proportion, und 

es unterfcheidet fic) ihre Jugend von jungen Helden durd) ein ge- 

meines Profil, oder durch eine etwas gefenfte Nafe, fo Daß man 

fie daher Simi nennen Fönte, wie nicht weniger Durch eine ge— 

wiffe Unſchuld und Einfalt, die mit einer befonderen Gratie ver? 

bunden war, von welcher id) unten in der Abhandlung von Der 

Gratie veden werde; dieſes war der gemeine Begriff der Gries 

chen von diefen Gottheiten. Da ſich nun in Nom über dreyßig 

Statuen junger Satyre oder Faune befinden, Die fich ähnlich im 

Mm 2 Stan: 


3) Monum. ant, p. 11. 3) Sophift. p, 103. J. 26, ed, Baf. 


276 J. Theil. Viertes Kapitel. 


Stande und in Geberden find, fo ift glaublidy, daß das Ori— 
ginal Diefer Figuren der berühmte Satyr des Praxiteles gewefen 
fey, welcher zu Athen war 1), und von Dem Künftler felbft für 
fein beftes Werk gehalten wurde. Naͤchſtdem waren Die beruͤhm— 
teften Künftler in diefer Art Figuren Pratinus und Ariſtias, aus 
Phliaſium unweit Sicyon, nebft einem Aeſchylus 2), Zumeilen 
gaben fie dieſen Satyrs eine ins Lachen gefehrte Mine, mit hän- 
genden Warzen unter den Kinnbaden 3), wie an Ziegen; und 
von dieſer Art ift einer Der fchönften Köpfe aus dem Alterthume, 
in Abſicht der Musarbeitung, welchen der berühmte Graf Mar: 
ſigli beſaß; ißo ftehet Derfelbe in der Villa Albani 4). Der fchö- 
ne barberinifche fchlafende Faun aber ift Fein Ideal, fondern ein 
Bild der ſich felbft gelaffenen einfältigen Natur. Ein neuer Scrie 
bent hat fic) gedachter Figuren nicht erinnert, wenn er als etwas 
bekanntes angiebt, Daß der ariechifche Künftler Die Natur der 
Faune gewählet, zur Abbildung einer fehweren und unbehenden 
Proportion, und Daß man fie kenne an den großen Köpfen, an 
den kurzen Hälfen, an den hohen Schultern, an der Eleinen und 
engen Bruft, und an den dicken Schenfeln und Knieen, und un- 
geftaltenen Füßen 5). 
Die 

x) Paufan. L. 1. P. 46.1. 11. 2) Paufan. L. 2. p. 141. 1. 3. 

3) Laciniae a cervice binae dependentes. Plin. L. 8. c. 76. p. 234. ” 

4) E8 wurde derjelbe nahe bey dem berühmten Grabmale ber Cäͤcilia Metella 

entdecket, und befand fi in dem Anftituto zu Bologna, wo ihn Breval und 


Reyßler ſahen, die deſſen Meldung tfun. 5) Watelet Reä. für la Peiat. 
p- 69. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 277 


Die älteren Satyrs oder Sileni, und derjenige Silenus * — 
insbeſondere, welcher den Bacchus erzogen, haben in ernſthaften * "Si, 
Bildern Eeine in das lächerliche gefehrte Geftalt, fondern fie find ste Pan. 
ſchoͤne Leiber in völliger Neife des Alters, fo wie fie ung Die Sta— 
tue des Silenus, der den jungen Bachus in den Armen hält, 
in der Ville Borghefe, bildet, welcher Figur zwo andere Sta— 
tuen, in dem Palafte Ruſpoli, völlig aͤhnlich find , unter welchen 
jedoch nur die eine dieſer Statuen einen alten Kopf hat. Das 
Geſicht des Silenus ift entweder fröhlich, und mit einem Fraufen 
Barte, wie an gedachten Statuen; in anderen Figuren aber er— 
ſcheinet derſelbe als ein Lehrer des Bacchus, in philofophifcher 
Geftalt, mit einem langen ehrwürdigen Barte, deſſen Haare 
fanft gefchlängelt bis auf Die Bruft herunter fallen, fo wie wir 
ihn fehen auf den oft wiederholten erhobenen Werken, Die unter 
der höchft irrigen Benennung der Mahlzeit des Trimalchiong be 
Eannt find I). Ich habe diefen Begriff von dem Silenus mit der 
Einfhränkung auf ernfthafte Bilder gegeben, um dem Einwurfe 
zuvor zu kommen, den man mir in dem Silenus machen Fönte, 
welcher ungewöhnlic) Diet und taumelnd auf feinem Efel reitet, 
und in verfchiedenen erhobenen Arbeiten alfo vorgeftellet ift. 
Das Maupt diefer Gottheiten von unterem Range ift 
Dan, welchen Pindarus den vollfommenften der Götter nennet 2), 
deffen Bildung im Gefichte, wovon man bisher entweder Feinen 
oder einen irrigen Begriff gehabt hat, ic) auf einer fchönen Mün- 
ze Königs Antigonus des erften, entdecket zu haben glaube, in 
Mm 3 ei⸗ 
ı) Bartol. Admir. ant. tab. 2) ap. Ariftid. orat. Bacch. Opp. T. 1.p.53- 


+} Die Ju⸗ 
gend und Bil- 
dung des Apol⸗ 
lo: eines ſchö⸗ 
nen Genius 
in der Villa 
Borgheſe. 


278 I. Theil. Viertes Kapitel, 


einem mit Epheu bekraͤnzten Kopfe, deſſen Mine ernſthaft iſt, 
und der volle Bart gleichet in dem zottigten Wuchſe den Haaren 
der Ziegen; Daher Pan ggı£oxouns, der ſtraubhaarigte heißet. Von 
diefer Münze werde ich im zweyten Theile einige andere Anzeigen ges 
ben. Ein anderer nicht mehr befannter und mit großer Kunſt ausge: 
arbeiteter Kopf diefer Gottheit befindet fich in dem Mufeo Eapitoli- 
no, undift anden fpissigen Ohren Eenntlicher in Diefem als in jenem 
Dilde; der Bart hingegen ift weniger ftranbigt, fondern gleichet 
dem Baͤrte einiger Köpfe der Philoſophen, Deren tiefdenfende 
Mine fonderlich in den nad) homerifcher Art vertieften Augen ge- 
leget ift; Diefer Kopf wird in dem Dritten Bande meiner alten 
Denkmale in Kupfer geftochen erfcheinen. 

Der höchfte Begriff idealifcher männlicher Sugend ift fon- 
Derlich im Apollo gebildet, in welchen fic die Stärke vollkomme— 
ner Jahre mit den fanften Formen des fchönften Frühlings der 
Jugend vereinigt findet. Diefe Formen find in ihrer jugendlichen 
Einheit groß, und nicht wie an einem in Fühlen Schatten geheg- 
ten Lieblinge, und welchen die Venus, wie Ibycus ſagt, auf 
Mofen erzogen , fondern einem edlen, und zu großen Abfichten 
gebohrnen Jünglinge gemäß : daher war Apollo der fchönfte unter 
den Göttern. Auf diefer Jugend blühet die Geſundheit, und Die 
Stärfe meldet fid), wie Die Morgenröthe zu einem fehönen Tage. 
Ich behaupte jedoch nicht, daß alle Statuen des Apollo dieſe ho: 
be Schönheit haben. Hier wünfchte ich eine Schönheit befchrei- 
ben zu fönen, dergleichen nicht häufig aus menfchlichem Gebluͤ⸗ 
te wird erzeuget worden feyn: es iſt ein geflügelter Genius in der 

Villa 


Bon der Kunft unter den Grieden. 279 


Billa Borahefe, in der Größe eines wohlgemachten Juͤnglings. 
Wenn die Einbildung mit dem einzelnen Schönen in der Natur 
angefüllet,, und mit Betrachtung der von Gott ausfließenden 
und zu Gott führenden Schönheit befchäfftiget , ſich im Schlafe 
Die Erfcheinung eines Engels bildete, deflen Angeficht von göft- 
lichem Lichte erleuchtet wäre, mit einer Bildung, Die ein Ausflug 
der Duelle der höchften Uebereinftimmung ſchien; in ſolcher Ge— 
ſtalt ftelle fich der Lefer dieſes fchöne Bild vor. Man könte far 
gen, Die Natur habe dieſe Schönheit, mit Genehmhaltung Got⸗ 
tes, nach der Schönheit der Engel gebildet 1). 

Der fehönfte Kopf des Apollo, nach demim Belvedere, iſt 
ohne Zweifel der Kopf einer wenig bemerften fisenden Statue 
Deffelben, über Lebensgröfe, in der Villa Ludoviſi; und cs iſt 
Herfelbe eben fo unverfehrt als jener, und einem gütigen und ftil- 
Ion Apollo noch gemäßer. Diefe Statue ift, in Abficht eines 
dieſem Apollo beygelegten Zeichens, als die einzige, Die befannt 
ift, zu merken, und Diefes ift ein Erummer Schäferftab , welcher 
an dem Steine lieget , worauf die Figur ſitzet, wodurch Apollo 
der Schäfer, Nowos 2) abgebildet wird, auf deſſen Hirtenſtand 
beym König Admetus in Theffalien zu deuten. An dem Kopfe 
einer Statue des Apollo, in der Villa Belvedere zu Fraſcati, 

in⸗ 


) Dieſes iſt diejenige Figur, von welcher SIaminio Vacea redet *), und glau— 
bet, es ſey ein Apollo, aber mir Flügeln. Montfaucon bat denſelben nach 
einer abſcheulichen Zeichnung ſtechen laſſen *). 

*) Montfauc. Diar. Ital. p. 193. **) Antig.expl. T.I. pl. 115. n. 6, 


2) Callim, .hymn. Apoll. v..47. Theocrit. Idyl. as, v. 2r. 


280 L Theil. Viertes Kapitel. 


ingleichen an Der Bruft nebft dem unverletzten Kopfe, in den Zim⸗ 
mern Der Confervatori des Eampidoglio, wie nicht weniger an 
zween anderen Köpfen eben Diefer Gottheit, von welchen der eine 
ſich in dem Muſeo Capitolino befindet, der andere in der Far— 
nefina, als welche ſich alle vier vollfommen ähnlich fehen, Fan man 
fich einen Begriff machen von dem Haarputze, den die Griechen 
Kowßvrog nenneten, und wovon in Schriften Fein deutlicher Be— 
griff gegeben iſt. Dieſes Wort bedeutet bey Zünglingen, was 
an Sungfrauen woguapns hieß, das ift, Haare die am inter: 
theile Des Kopfs zufammen gebunden find.’ Bey Sünglingen wa- 
ven e8 Haare, Die rund herum am Haupte hinauf geftrichen und 
aus dem Wirbel zufanmen genommen find; ohne fichtbarem Ban⸗ 
de, Der fie halten Fonte. In völlig gleicher Weiſe find die Haare 
gearbeitet an einer weiblichen Figur eines der fchönften hereulani- 
(hen Gemälde, die neben einer tragifchen Perſon, auf einem Knie 
ſitzet, und an einer Tafel etwas fehreibet 1). 

Diefer ähnliche Haarputz in beyden Geſchlechtern koͤnte die⸗ 
jenigen entfchuldigen, Die ein fchönes Bruftbild des Apollo, von 
Erzt, in dem hereulanifchen Mufeo, welches die Haare alfo hin- 
aufgeftrichen hat und jenen vier Köpfen völlig in der Idee ähnlich 
iſt, eine Berenice getauft haben 2), fonderlich da ihnen die vor- 
her angeführten Köpfe des Apollo nicht bekannt gewefen ſeyn koͤ— 
nen. Aber zu Diefer Benennung tft der Grund nicht hinreichend, 
den eine Münze gedachter Königinn von Aegypten gegeben, auf 
welcher ein weiblicher Kopf mit eben ſolchen Haaren, nebft dem 

Ä Na⸗ 


ı) Pitt. Erc. T. 4. tav. 4r. ° 2) Bronzi d’Ereol. T. 7.’ tav,63. > 


Bon der Kunft unter den Griechen. 281 


Namen der Berenice geprägek ift: Denn alle Köpfe und Statuen 
der Amazonen, alle Bilder der Diana, ja alle jungfräuliche Fi— 
guren haben die Haare hinauf geftrichen; und da der Kopf der 
Minze der Berenice Die Flechten der Haare auf Dem Hintertheile 
des Maupts in einem Knaufe gewunden hat, nach dem beftandi 
gen Gebrauche der Sungfrauen, fo Fan hier Feine verheurathete 
Königinn vorgeftellet ſeyn. Ich bin Daher der Meynung, daß Der 
Kopf der Münze eine Diana fey, unerachtet Des Namens Bere: 
nice, welcher umher gepräget ſtehet. 

Die ſchoͤne Jugend im Apollo gehet nachher in anderen +tr Die zu 
ingendlicyen Göttern zu ausgeführteren Jahren, und ift männli- a 
cher im Mercurius und im Mars. Mercurius unterfcheidet fi) x —— 
durch eine beſondere Feinheit im Geſichte, welche Ariſtophanes """ 
Arlızov Premos wuͤrde genennet haben 1), und feine Haare find 
kurz und raus. Don deffen Figuren mit einem Barte auf hetru: 
riſchen Werken und bey den Alteften Griechen ift oben gedacht. 

Einem anderen Mercurius in Kebensgröße, der ein junges Mad» 
chen umfaffet, in dem Garten hinter dem farnefifchen Palafte, 
bat der neue Rünftler, welcher den Kopf nebft einem Theile der 
Bruſt ergänzet hat, einen ftarken Bart gegeben; man darf aber 
nicht vermuthen, Daß derfelbe bey einem verliebten Mercuriug, 
wenn ihm auch Dichetrurifche Bildung bekannt gewefen wäre, Diefe 
alte Gelehrfamfeit Habe anbringen wollen. Ich glaube vielmehr, 
daß dem Ergänzer Der Statue zu Diefem bärtigen Mercurius yon 
ei⸗ 
ı) Ariftoph. Nub. v. 1178. 
Winkeln, Geſch. der Zunft. Ten 


282 1. Theil. Biertes Kapitel. 


einem Gelehrten Gelegenheit gegeben worden, welcher hier das 
von ihm übel verftandene Wort ururns, beym Momerus, mit 
einem Barte ausgedrücket haben wollen. Der Dichter faget, da 
Mercurius den Priamus zu dem Achilles begleiten wollte, habeer 
die Geftalt eines jungen Menfchen angenommen voor umımrı I) 
welches ein Alter bedeutet, wenn ſich die erfte Bekleidung des 
Kinnes meldet, und von einem Jünglinge in der fchönften Blüthe 
Fan geſaget werden, Das ift, wenn Die wolligten Haare auf den 
Wangen erſcheinen, Die Philoftratus an dem Amphion wurog 
mape To ovs nennet 2). Das junge Mädchen, mit welcher Mer: 
curius fpielend vorgeftellet ift, feheinet nicht Wenus zu feyn, Die 
nach dem Plutarchus, neben dieſem Gotte pflegte geftellet zu 
werden, um anzuzeigen, Daß der Genuß in der Liebe von einer 
fanften Rede müffe begleitet feyn 3). Es könte vielmehr Proſer— 
pina feyn, Die vom Mercurius drey Töchter hatte 4), oder die 
Nymphe Lara, Mutter von zween Lares 5); oder vielleicht Aca- 
callis, Des Minos Tochter, oder Merje eine von des Cecrops 
Zöchtern, mit welcher Mercuring ebenfalls Kinder zeugete. Ich 
würde mich für Die letzte Meynung erklären , weil ich vermuthe, 
Daß dieſes Gruppo nebft den zwo berühnmten Säulen, die an dem 
Grabmale der Regilla, Der Frau des Herodes Atticus, aufder 
appiſchen Straße, ftanden, Die ehemals in dem Palafte Farnefe 
waren, am eben Dem Drte entdedket worden. Den Grund zu Dies 
fer 


ı) Odyfl. «. v. 348, 2) Philoftr. L, r. icon. ıı. p. 774. 3) Lucian; 
praecept. conjug. p. 239. l. 24, 4) Tzetz. Schol. Lycoph. v. 650. 
5) Ovid. Faſt. 1. 2. v. 559. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 283 


fer Muthmaſſung giebt mir die Grabſchrift gedachter Regilla, 
die in der Villa Borghefe ftehet, in welcher vorgegeben wird, 
daß Herodes Atticus fein Gefchlecht herleite von Ceryx, des 
Mercurius und der Merfe Sohn DD; und daher glaube ich, daß 
diefes Gruppo in gedachtem Grabmale geftanden. Ich merke hier 
bey dieſer Gelegenheit an, Daß Die einzige Statue des Mercuriug, 
an welcher ſich in der linfen Hand der gewöhnliche alte Beutel er: 
halten hat, in dem Keller des Palaftes der Villa Borghefe liege. 

Mars findet ſich insgemein als ein junger Held und ohne ** De Mare. 
Bart gebildet, welches aud) ein alter Scribent bezeuget 2); aber 
ein Mars, wie ihn gedachter Scribent haben will, an welchem 
das geringfte Fäferchen die Stärfe, die Kuͤhnheit und Das Feuer, 
welches ihn erreget, ausdrüde 3), findet ſich nicht im ganzen Al— 
terthume. Die zwo fchönften Figuren deffelben find eine ſitzende 
Statue nebft der Liebe zu deffen Füßen, in der Wille Ludovifi, 
und ein Fleiner Mars auf einer Der Baſen der zwo fehönen Leud)- 
ter von Marmor, die in dem Palcfte Barberini waren; und 
beyde find im Sünglingsalter, und im ruhigen Stande und 
Handlung vorgeftellet: eben fo ift Mars auf Münzen und auf ges 
fehnittenen Steinen gebildet. 

Hercules findet ſich ebenfalls in der ſchoͤnſten Jugend vor- #+ Dee Be 
geftellet, mit Zügen, welche den Unterfcheid des Geſchlechts faſt 
zweydeutig laffen, wie nach der Meynung Der mit ihrer Gunft 
willfahrigen Glycera 4) die Schönheit eines jungen Menfchen 

Rn 2 feyn 
) v. Salmas. not. in Infer. Herod. Att. p. 109, 2) Juftin. Mart. Orat. 
ad Gr&c. S. 3. A. g)Watelet... 4)Athen.Deipn.L. 13.p.605.D. 


284 I. Theil, Viertes Kapitel, 


feyn follte, und alfo ift er auf einem Carniole des Stoſchiſchen 

Muſei geſchnitten 1). Mehrentheils aber waͤchſet deffen Stirn an 

mit einer vindlichen feiften Wölligkeit, welche den Augenknochen 

woͤlbet und gleichfem aufblaͤhet, zu Andeutung feiner Stärke und 
beftändigen Arbeit in Unmuth, welche, wie Der Dichter fast, das 

Herz auffchwellet 2). 

—— Die zwote Art idealiſcher Jugend von verſchnittenen Ne: 
— turen genommen, iſt mit der maͤnnlichen Jugend vermiſcht im 
Baehus, Vacchus gebildet, und in dieſer Geſtalt erſcheinet derſelbe in ver: 
ſchiedenem Alter bis zu einem vollkommenen Gewaͤchſe, und in 

den ſchoͤnſten Figuren allezeit mit feinen und rundlichen Gliedern, 

und mit völligen und ausſchweifenden Huͤften des weiblichen Ge⸗ 

fchlechts, fo wie derfelbe, nach der Fabel als ein Mädchen erzo— 

gen wurde 3). Ja Plinius 4) gedenfet der Statue eines Satyrs, 

welcher eine Figur des Bacchus hielt, die als eine Venus geklei— 

det war; Daher ihn auch Seneca als eine verkfeidete Jungfrau 
befchreibet 5). Die Formen feiner Glieder find fanft und flüfig, 

wie mit einem gelinden Hauche geblafen , faft ohne Andeutung 

der Knöchel und der Knorpel an den Knieen, fü wie Diefe in Der 

fchönften Natur eines Knabens und in Werfchnittenen gebildet 

find. Das Bild diefer Gottheit ift ein fchöner Knabe, welcher 

Die Graͤnzen des Frühlings des Lebens und der Juͤnglingſchaft 

betritt, bey welchen die Negung der Wolluft wie Diezarte Spitze 

einer Pflanze zu keimen anfängt, und welcher wie zwiſchen Schlum⸗ 

mer 

1). Defer.&c. p. 337. 2) U e. v. ei 642. ) Apollod. bibl. L 3. 
p- 95. B. »Plin. 1, 36. 24.8.8. p. 27% s) Oedip.v. 419. 423. 


Von der Kunft unter den Griechen. 285 


mer und Wachen; in einen entzuͤckenden Traume halb werfenkt, 
die Bilder deſſelben zu fammlen und ſich wahr zu machen an- 
fängt: feine Züge find voller Suͤßigkeit, aber Die fröhliche Seel: 
tritt nicht ganz ing Geſicht. Dieſe ruhige Froͤhlichkeit haben Die 
alten Kuͤnſtler auch fogar beobachtet im Bacchus als einem Held 
oder Krieger, auf deffen indischen Feldzuge gebildet, wie ſich of⸗ 
fenbaret in ſeiner bewaffneten Figur auf einem Altare in der Villa 
Albani, und auf einem verſtuͤmmelten erhobenen Werke, welches 
ich beſitze; und vermuthlich dieſer Betrachtung zufolge findet ſich 
dieſe Gottheit niemals in Geſellſchaft des Mars vorgeſtellet denn 
Bacchus iſt Feiner von den zwoͤlf oberen Göttern) und Euripides 
ſagt daher; Mars ſey dan Muſen und den Froͤhlichkeiten der Fe⸗ 
ste des Baechus zuwider Chr Bons Hupaang eoprai I), Man 
merke bey dieſer Gelegenheit) Dat Apollonius ſo gar dem Apollo, 


Apollo iſt die Bildung deſſelben einem Bacchus ſehr ahnlich, und 
von dieſer Art iſt der Apollo, welcher ſich nachlaͤßig wie an einen 
Baum lehnet, mit einem Schwane unter ſich, im Campidoglio, 
und in drey ähnlichen noch ſchoͤneren Figuren in der Wille Medi⸗ 
cis: Denn in einer von Diefen Gottheiten wurden zumeilen beyde 
verehret 3), und einer wurde Anftatt Des andern genommen. Sch 
Fan bier faft nicht: ohne Thränen einen. ehemals verftümmelten 
und itzo ergaͤnzeten Bacchus, welcher neun Palme: hoch ift, in 
der Villa Albani, befrachten. Es ift derfelbe von dem Mittel 
In 3 des 


+)-Phoenif. v. 792. 2) Apollon. Arzon. L. 4. v. 94, 3) Macrob. 
Saturn. L. 1. c. 18. 19. & 21. 


286 L Theil. Viertes Kapitel. 


des Körpers am bis auf Die Füße bekleidet)! oder beffer zu reden; 
eg ift fein Gewand oder Mantel bis unter die Schaam herab ge 
ſunken, und Diefes weitläuftige und von Falten reihe Gewand ift 
zufammen gefaffet, fo Daß dasienige, was auf die Erde herunter 
hängen würde, über den Zweig eines Baums, an welchen die 
Figur gelehnet ftehet, geworfen ift: um den Baum hat fi Epheu 
nebft einer Schlange herum geleget. Keine einzige Figur giebt 
einen fo hohen Begriff yon dem, was Anacreon einen Bauch des 
Bacchus nennet. 
— Bacchus aber wurde nicht allein in jugendlicher Geſtalt 
gen Baechus. verehret, ſondern auch in der Figur eines männlichen Alters, wel- 
ches aber nur allein durch einen langen Bart angezeiget wird, ſo, 
daß das Geſicht in dem holden Blicke und in der Zärtlichkeit der 
Züge ein Bild der Sröhlichkeit der Jugend giebt. In Diefer Ge: 
ftalt follte Bacchus wie auf deffen Feldzuge in Indien vorgeftel: 
let werden, wo er ſich den Bart wachfen ließ; und ein folches 
Did gab den alten Künftlern Anlaß, theils zu einem befonderen 
Ideal, der mitder Jugend vermifchten Männlichkeit, theils ihre 
Kunft und Geſchicklichkeit in Ausarbeitung der Haare zu zeigen. 
Don Köpfen und Bruftbildern diefes indifchen Bacchus 
find die befannteften mit Ephen befränzet, und zwar auf Mün- 
zen, von der Inſel Naxus, in Silber, deren Ruͤckſeite den 
Silenus mit einem Becher in der Hand vorftellet; in Marmor 
aber ein Kopf in dem farnefifchen Palaſte, welcher ganz und gar 
irrig unter dem Namen Mithridates gehet; der fchönjte Diefer 
Köpfe 


Bon der Kunſt imter den Griechen. 287 


Köpfe aber ift ein Derme bey dem Bildhauer Cavaceppi, deſſen 
Haare und Bart mit unendlicher Kunſt ausgearbeitet worden. 

Die ganzen Figuren dieſes Bacchus, wenn Diefelben ſte— 
hen, find allegeit bis auf die Füße bekleidet, und auf allerley Art 
Werken vorgeftellet worden; unter anderen aufzwen ſchoͤnen Ges 
fäßen von Marmor, mit erhobener Arbeit, von welchen das klei— 
nere fich in dem farnefifchen Palaſte befindet , Das größere und 
ſchoͤnere in dem herculanifchen Mufeo. Noch öfter aber fichet man 
dieſe Figuren wiederholet auf geſchnittenen Steinen, und auf Ge— 
fäßen von gebrannter Erde, unter welchen ich hier ein Gefäß aus 
der porcinarifchen Sammlung zu Neapel, welchesiin Dem erften 
Bande des hamiltonifcyen Werks ftehet, anführe, wo ein bartiger 
Bacchus mitLorbeeren, als ein Sieger, ne] in einem zier⸗ 
lich geftickten Kleide figet. 

Diefes find in Figuren jugendlicher Gottheiten Die verſchie⸗ 
Denen Stufen, Alter und Formen ihrer Jugend, die auch in dem ge— 
maßen Grade auf denn Gefichte der Gottheiten vom männlichen 
Alter wohnet, als weldyes beftehet in einem Inbegriffe dev Stär- 
fe geſetzter Sahre, und der Fröhlichkeit der Jugend; und Diefe zei- 
get ſich, fo wie an jenen Bildern in dem Mangel der Nerven und 
Sehnen, welche ſich in der Blüthe der Jahre wenig Außern. Hier— 
inn aber liegt zugleich ein Ausdruck der göttlichen Genugfankeit, 
welche Die zur Nahrung unfers Körpers beftimmten Theile nicht 
vonnöthen hat; und Diefes erläutert des Epicurus Meynung von 
der Öeftalt der Götter, Denen er einen Körper, aber gleichfam 
einen Körper, und Blut, aber gleichfam Blut, giebt, welches 

Cice⸗ 


Schoͤnheit 
der Gottheiten 
männl. Al⸗ 
ters, und der 
Unterſchied et» 
nes menſchl. 
und vergötter⸗ 
ten Hereules 
gezeiget. 


288 SL Theil, Viertes Kapitel, 


Cicero Dunkel und unbegräiflich geſagt findet. ). Das Dafeyn 
und der Mangel dieſer Theile unterſcheiden einen, Hercules, wel- 
cher wider ungeheure und gewaltſame Menſchen zu ſtreiten hatte, 
und noch nicht an das Ziel ſeiner Arbeiten gelanget war, von 
dem mit Feuer gereinigten, und zu Dem Genuß der Seligkeit des 
Olympus erhabenen Koͤrper deſſelben; jener iſt in dem farneſiſchen 
Hercules, und dieſer in dem verſtuͤmmelten Sturze deſſelben im Bel- 
vedere vorgeſtellet. Hieraus offenbaret ſich an Statuen, die durch 
den Verluſt des Kopfs und anderen Zeichen zweydeutig ſeyn konten, 
ob dieſelbe einen Gott, oder einen Menſchen worftellen. Mit ſol⸗ 
chen Begriffen wurde die Natur vom Sinnlichen bis zum Uner— 
fchaffenen erhoben , und die Hand der Künftler brachte Geſchoͤpfe 
hervor, Die von der menſchlichen Nothdurft gereiniget waren; Fi⸗ 
guren, welche Die Menfchheit in einer höheren Wuͤrdigkeit vorftel- 
len, die Düllen und Einfleidungen blos: — Geiſter und 
himmliſcher Kräfte zu ſeyn ſcheinen. 
N Die Sunis Din den Bildungen der Gotter in diſemn Alter iſt noch 


ters, und i 


deutlicher, als an den jugendlichen Gottheiten offenbar, daß fie 


Serapis und 


ds Pluto, in» allenthalben in unzaͤhligen Bildern aͤhnlich find, ſo, Daß die 
1733 Kopfe derſelben vom Jupiter an bis auf den Vulcanus nicht we- 
an Eem niger Eenntlich find, als die, Bildniffe ‚berühmter Perfonen des 
Alterthums; und fo wie, Antinous bloß aus dem Untertheile ſei⸗ 
nes Gefichts, und Marcus Aurelius aus den Augen und Haa— 
ven eine zerſtuͤmmelten Cammeo in dem Mufeo Strozzi zu Nom, 
erkannt wird, a wuͤrde es — ſeyn durch die * ſeiner 
| tirne, 


1) De Nat. deor. L. 1. c. ı8. & 25. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 289 


Stivne, oder durch feinen Bart, wenn fi) Köpfe deffelben faͤn— 
den, von denen weiter nichts vorhanden wäre, 

Supiter wurde mit einem immerwährenden heiterem Blicke 
gebildet 1); und e8 irren Diejenigen, Die in einem Kopfe von 
ſchwarzem Bafalt in der Villa Mattei, welcher eine große Aehn⸗ 
lichkeit mit dem Water der Götter, aber eine geftvenge Mine hat, 
einen Jupiter mit dem Beynamen des fehredlichen (Terribilis) 
finden wollen. Diefe haben weder beobachtet, daß gedachter Kopf, 
ſowohl als alle ſolche vermenntliche Köpfe des Jupiters, Die Fei- 
nen gnädigen und gütigen Blick haben, den fogenannten Scheffel 
(Modium) tragen , oder doc) getragen haben; noch haben fie fid) 
erinnert, Daß Pluto, nad) dem Seneca, die Aehnlichkeit des Ju: 
piters aber fulminantis hat 2) und, wie Serapis, den Scheffel tra: 
get, unter andern an der firenden Statue, die in deſſen Tempel zu 
Pozzuoli ftand, und ſich itzo zu Portiei befindet, ingleichen auf 
einem erhobenen Werke in dem bifhöfflichem Haufe zu Dftie. Eben 
fo wenig ift bey dem irrig vorgegebenen ſchrecklichen Jupiter beob- 
achtet worden , daß Pluto und Serapis, als welcher fich durch 
den Scheffel auf dem Haupte unterſcheidet, eine und eben dieſel⸗ 
be Gottheit war. Folglich ſtellen ſolche Koͤpfe keinen Jupiter, 
fondern einen Pluto vor; und da von dieſer Gottheit bisher wer 
der Statuen nody Köpfe in Lebensgröße bekannt waren, werden 
durch gedachte Anzeigen Die Bilder der Götter vermehret. 


Nicht 
») Martian. Capel. L,r.p. ı6. 2) Senec. Herc. fur. v. 722. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Do 


290 L heil. Viertes Kapitel. 


Nicht weniger als durch Die Meiterkeit des Blicks ift Su: 
piter Durch feine Stirn, Durch den Bart und durch Die Haare 
Eenntlich. Auf der Stirne erheben fich die Haare aufwärts und 
deren verfchiedene Abtheilungen fallen in einem engen Bogen 
gekruͤmmet feitwärts wiederum herunter, wieein in Kupfer gefto- 
chener Kopf deſſelben, welcher erhoben in Agath gefchnitten 
ift, zeiget. Diefer Wurf der Haare ift als ein fo wefentliches 
Kennzeichen des Jupiters geachtet worden, Daß dadurch in 
des Söhnen Deffelben Die Aehnlichkeit mit ihrem Water ange— 
zeiget worden, wie man Deutlich fiehet an den Köpfen des Ca- 
ſtors und des Pollux, fonderlicd) an demjenigen, welcher alt 
ift auf den zwo coloffalifchen Statuen derfelden auf dem Cam— 
pidoglio ; denn der Kopf der einen von beyden Statuen ift neu. 

In ähnlicher jedoch in etwas verfchiedener Geſtalt pflegen 
die Haare auf der Stirne des Aesculapius fid) zu erheben, fo 
Daß in Diefem einzelnen Theile Eein befonderer Unterfcheid iſt 
zwifchen dem Water der Götter und deſſen Enkel, welches der 
fchönfte Kopf dieſer Gottheit, auf deſſen Statuen über Lebens: 
größe, in der Villa Mlbani, nebft vielen andern deſſen Bildern, 
und unter denfelben Die Statue des Aeſculapius von gebrannter 
Erde, in dem herculaniſchen Mufeo, beweifen Fan. Diefe große 
Achnlichkeit des Enkels mit dem Großvater könte aud) Die Ber 
merfung zum Grunde haben, daß vielmals der Sohn weniger 
dem Vater als dem Großvater ähnlich ift, welchen Sprung der 
Natur in Bildung ihrer Gefchöpfe, die Erfahrung auch in den 
Thieren, vornehmlich in den Pferden, bewiefen hat. Obiger Be 

mer: 


Bon der Kunft unter den Griechen. 291 


merkung zufolge müßte man glauben , daß wenn in einer grie- 
chifchen Sinnfchrift gefaget wird, von der Statue des Sarpe— 
don, deffen Water Jupiter war, es habe fich in deffen Sefichte Der 
Saame dis Waters der Götter offenbaret (ev noppn ameopa Ang 
enuawov) U), Daß, fage ich, Diefes nicht in den Dlugen habe an- 
gezeiget werden Fönen, wie eben Dort gefaget wird, fondern Daß 
die Haare auf der Stirne die Anzeige feiner Abkunft gewefen. 

Das Gegentheil der Haare auf der Stirne des Jupiters 
bemerfet man an den Köpfen des Serapis oder des Pluto, an 
welchem diefe Haare auf der Stirne herunter fallen, um deſſen 
Geſtalt und Blick trüber und ftrenger zu machen, wie ein fcho- 
ner Kopf des Serapis von grünem Bafalt, in der Villa Albant, 
- ein colofalifcher Kopf von Marmor in der Ville Pamfili, und ein 
andrer von fchwarzem Bafalt in Dem Palafte Giuftiniani zeigen. 
Außer diefer Eigenfchaft fiehet man an einem in Agath fehr hoc) 
gefchnittenen Kopfe des Serapis in dem königlichen farnefifchen. 
Mufeo zu Neapel, fo wohl als an einem Kopfe von Marmor, in 
dem Mufeo Capitolino den Bart auf dem Kinne getheilet, wel- 
ches als etwas befonders Fan bemerfet werden. 

Zu eben dieſer Bemerkung gehören die Centauren, in Ab⸗ 
fiht ihrer Haare auf der Stirne, als welche beynahe eben fo 
wie Die Haare des Jupiters geworfen find, um vermuthlich ihre 
Verwandfchaft mit dem Jupiter anzudeuten, da fie nad) Der Fa⸗ 
bel, vom JIxion und einer Wolfe, die Die Geftalt der Suno hats 
fe, gezeuget worden. Ich weiß zwar wohl, Daß der Centaur 

892 Ehiron, 


3) Anthol. LE. 5. p. 530. 


292 J. Theil, Diertes Kapitel, 


Chiron, in Dem herculanifchen Mufeo, an deffen Figur, vermöge 
der Größe, dieſe Eigenfchaft hätte ausgedruͤcket werden koͤnen, 
die Haare der Stirne nicht alfo geworfen hat; da aber meine 
Demerfung andem Centaur in der Villa Borghefe, und an den 
älteren von den zween Centauren, in dem Mufeo Capitolino ges 
machet ift, fo bilde ich mir ein, Daß gedachte Werwandfchaft der 
Grund davon feyn Föne. 

Don den Gottheiten, Die eine Mehnlichkeit in den Haaren 
auf der Stirne mit dem Jupiter haben, unterfcheidet fich Diefer 
durch Die Haare, die von den Schlafen herunter hängen, und Die 
Ohren völlig bededen: denn dieſe find länger als an andern Goͤt— 
tern, und ohne gerollete Locken, in fanft gefchlängelte Züge ge 
worfen, und gleichen, wie ich oben angezeiget habe, den Mähe - 
nen der Löwen; dieſe Wergleichung, und das Schütteln der Mähe 
nen Des Loͤwens, fo wohl als die Bewegung feiner Augenbrau— 
nen, wenn er erzuͤrnt ift 1), fcheinet der Dichter vor Augen ges 
Habt zu haben in feinem berühmten Bilde des Jupiters, welcher 
durch Das Schütteln feiner Haare und durch Die Bewegung fei- 
ner Dlugenbraunen den Olympus beweget. 

See Neptunus ift in der einzigen Statue Deffelben, die zu Rom 
ist, und fich in der Villa Medicis befindet, etwas verfchieden von 
der Bildung des Jupiters: denn es ift der Bart Eraufer, und 
ein Unterfchied in dem Wurfe der Paare, die ſich von der Stirn 
erheben. 


Hier 


1) Buffon. hiſt. natur. T. 18. P. 32. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 293 


Hier fällt mir eine mißverftandene Stelle des Philoftra- 
tus bey, wo derfelbe in Befchreibung eines Gemäldes des Nep- 
funus und der Amymone faget: xupıx yap nön auprora) e To ya- 
ov, Yhavaov si, Au TE YApOTOU TPOmnV, TOpPUpsUN de aurov o 1lo- 
gedoy ypapsı 1). Dlearius in feinen Anmerkungen über Diefen 
Scribenten hat das letzte Comma der angeführten Stelle auf ei> 
nen goldenen Schein, welcher das Haupt des Neptunus umge- 
ben, gedeutet, und tadelt bey dieſer Gelegenheit den Scholiaften 
des Momerus, der Das Wort woppupeng mit obfcurus erfläret. In 
einem fo wohl als in dem andern ift dieſer Ausleger unrichtig. 
Dhiloftratus faget: Das Meer fange an Fraus zu werden (wuprou- 
7), und Neptunus male e8 mit Purpur; Diefes aber gründet 
fid) auf die Bemerkung der erften Bewegung des mittelländifchen 
Meeres nad) einer Stille, welches, wenn es anfängt unruhig zu 
werden, in der Ferne einen vothen Schein giebt, fo Daß Die XBel- 
len purpurfärbig fcheinen. 

Völlig verfchieden von der Bildung des Neptunus find 
die übrigen unteren Meergoͤtter; es ift jedoch hier der füglichfte 
Drt, deren Bildung anzuzeigen. Diefe ift, außer einem Bruſt— 
bilde in dem Mufeo Capitoling, am Deutlichften ausgedrückt an 
zween coloffalifchen Köpfen von Tritonen, die fi) in der Villa 
Albani befinden, und von welchen der eine in meinen alten Denk 
malen geftochen ift. Es find Diefe Köpfe mit einer Art von Floßfe 
der bezeichnet, welche Die Augenbraunen bilden, und den Mu: 
genbraunen des Meergottes Glaucus beym Vhiloftratus ähnlich 

903 find, 
3) Philoftr. L. 1. Icon. 7. p. 77. 


gen Meerzöte 
ter. 


294 3. Theil, Viertes Kapitel. 


find, (Ogpus Azaını auvarraveaı mpos ardnaas I); ſolche Sloßfe- 
dern gehen vom neuen über Die Baden, und über die Nafe, auch 
um Das Kinn herum. Eben fo finden fi) die Sritonen auf ver: 
fhiedenen Begraͤbnißurnen geftaltet,, von welchen eine in Dem 
Muſeo Capitolino ſtehet. 
= et . Sp wie nun die Alten ftufenweis: von der menfchlichen 
den Figuren Schönheit bis an die göttliche hinauf geftiegen waren, fo blieb 
N. Wie der Diefe Staffel der Schönheit. In ihren Melden, das ift, in Men: 
kn un ſchen, Denen das Alterthum die Höchfte Würdigkeit unferer Natur 
gab, näherten fie fic) bis an die Grängen der Gottheit, ohne Die: 
felben zu überfchreiten, und den fehr feinen Unterfchied zu vermi- 
fhen. Battus auf Münzen von Cyrene würde durch einen eine 
zigen Blick zärtlicher Luft einen Bacchus, und durd) einen Zug 
von göttlicher Großheit einen Apollo abbilden koͤnen: Minos auf 
Münzen von Gnoffus würde ohne einen ftolgen Föniglichen Blick 
einem Supiter voll Huld und Gnade ähnlich fehen. Die Formen 
bildeten fie an Melden heldenmäßig, und gaben gewiſſen Theilen 
eine mehr als natürliche Erhobenheit ,; in Die Muskeln legten fie 
eine ſchnelle Wirkung und Regung, und in heftigen Handlungen 
festen fie alle Triebfedern der Natur in Bewegung. Die Abficht 
hiervon war die mögliche Mannigfaltigkeit, welche fie fuchten; 
und in derfelben fol Myron alle feine Vorgänger übertroffen ha— 
ben. Diefes zeigetfich auch fogar an dem irrig fogenannten Fech⸗ 
ter des Agafias von Ephefus, in der Villa Borghefe, deſſen ©e- 
ficht offenbar nad) der Aehnlichkeit einer beftimmten Perfon ge: 
bildet 


ı) Philoftr. L. 2. Icon, 15. p. 833, 


Bon der Kunft unter den Griechen. 295 


bildet worden: die fägförmigen Muskeln in den Seiten find un: 
ter andern erhabener, rührender, und elaftifcher, als in. der Na— 
tur. Noc) deutlicher aber Läßt ſich Diefes zeigen an eben Diefen 
Muskeln am Laocoon, welcher eine durch Das deal erhöhete Na⸗ 
tur ift, verglichen mit diefem Theile des Körpers an vergoͤtter⸗ 
ten und göttlichen Figuren, wie der Hercules und Apollo im Bel⸗ 
vedere find. Die Regung Diefer Muskeln ift am Laocoon über 
Die Wahrheit bis zur Möglichkeit getrieben, und fie liegen wie 
Hügel, welche ſich in einander fchließen, um die höchfte Anftren- 
gung der Kräfte im Leiden und Widerftreben auszudrüden. In 
Dem Rumpfe des vergötterten Hercules ift in eben dieſen Muskeln 
eine hohe idealifche Form und Schönheit, aber fie find wie Das 
Wallen des ruhigen Meeres, fließend erhaben, und in einer fanfz 
ten abwechſelnden Schwebung. Im Apollo, dem Bilde der ſchoͤn⸗ 
ſten Gottheit, find die Muskeln gelinde, und wie ein geſchmolze— 
nes Glas in Faum fichtbare Wellen geblafen, Die mehr dem Ge— 
fichte als dem Gefühle offenbar werden. 

Sn allen diefen Betrachtungen war die Schönheit allegeit 
die vornehmfte Abſicht der Künftler, und die Fabel nebft den 
Dichtern berechtigte fie, in Bildung aud) der jungen Melden 
bis zur Zweydeutigkeit Des Gefchlechts zu gehen, wie in der Figur 
des Achilles gefchehen Eonte, welcher vermöge der Neigungen ſei⸗ 
ner Geftalt, und in weiblicher Kleidung unter den Töchtern des 
Lycomedes, als ihre Gefpielinn, unerkannt blieb ; und alfo er- 
ſcheinet Derfelbe in dieſer Worftellung auf einem erhobenen Werke 
in der Villa Belvedere zu Srafcati, welches über die Vorrede 

mei: 


296 IL.. Theil. Viertes Kapitel. 


meiner alten Denkmale geſetzet iſt, fo wie in einem: anderen erho 
benen Werke Der Villa Pamſili. Auch im Theſeus würde Diefe 
zweydeutige Schönheit ftatt finden, wenn derfelbe follte abgebil- 
det werden, wie er mit cinem langen Node bis auf Die Füße ber 
Fleidet, von Troegene nad) Athen kam, und von den Arbeitern 
an Dem Tempel des Apollo für eine ſchoͤne Jungfrau angefehen 
wurde, fo daß fie fich verwunderten , Diefe vermeynte weibliche 
Schönheit, wider Die Gewohnheit, allein und unbegleitet in der 
Stadt gehen zu fehen 1). 

dh. Zabel des Weder dieſen Begriff der Schönheit noch Die Betrachtung 


Gegentheils. 


— des Alters hat der alte Maler vor Augen gehabt, der eben dieſen 
Held auf einem Gemaͤlde des herculaniſchen Muſei gebildet hat, 
wie ihm nach deſſen Ruͤckkunft von Creta und nach Erlegung des 
Minotaurs, die athenienſiſchen Knaben und Mädchen Die Haͤn— 
de kuͤſſen. Noch weiter aber von der Wahrheit und von der 
Schönheit des jugendlichen Alters hat ſich Nic, Pouſſin entfer— 
net ineinem Gemälde des Hn. Ludwig Wanpitelli, föniglichen Bau⸗ 
meifters zu Neapel, wo Theſeus den von deſſen Water unter ei— 
nem Steine verborgenen Degen und den Schuh in Gegenwart 
feiner Mutter Aethra entdecket, welches im ſechszehenten Jahre 
feines Alters gefchahe. Denn hier erfcheinet Derfelbe bereits mit 
einem Barte und in einem männlichen Alter, welches aller jugend» 
lichen Rundlichkeit beraubet ift. Sch will der Gebäude und eines 
Zriumphbogens nicht gedenken, Die fich nicht im geringften mit 
den Zeiten Des Thefeus reimen. 

Eben 


») Paufan. L. 1. p. 44. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 297 


Eben fo wenig hat ein Scribent das Urtheil, welches er 
fället über die von ihm fo genannten Halbgoͤtter und Helden, 
aus Betrachtung ihrer Statuen gezogen: denn er feret als Ei— 
genfcheften ihrer Bildung von Fleifche abgefallene Glieder, duͤrre 


Beine, einen Eleinen Kopf, kleine Hüften, einen Kleinen Bauch, 


kleinliche Fuͤße und eine hohle Fußſohle 1). 

Jenen Begriffen der alten Kuͤnſtler, von der Schoͤnheit 
der Helden gemaͤß, haͤtten die neueren Kuͤnſtler die Figuren des 
Heilandes bilden, und denſelben alſo der prophetiſchen Weiſſa— 
gung aͤhnlich machen ſollen, die ihn als den ſchoͤnſten der Men: 
ſchenkinder ankündiget. In den mehreften Bildern aber, und 
vom Michael Angelo anzufangen, feheinet man Die Idea von den 
barbarifchen Arbeiten der mittleven Zeit genommen zu haben, und 
man Fan nichts unedlers von Geſichtsbildung als folche Köpfe 
des Chriftus fehen. Wie weit edler Raphael gedacht hat, fiehet 
man in einer Eleinen Driginalgeichnung deffelben, Die fich in dem 
Föniglichen farnefifchen Mufeo zu Neapel befindet, und die Beer- 
digung Des Meilandes vorftellet, wo das Haupt deffelben Die 
Schönheit eines jungen Melden ohne Bart zeiget. Hannibal Ca: 
racci ift der einzige, fo viel ich weiß, der ihm gefolget it in drey 
ähnlichen Gemälden von eben der Worftellung , wovon ſich Das 
eine in itzo gedachtem Muſeo, das andere zu St. Srancefco a Ripa 
zu Rom, und das dritte in der Hauskapelle des Palaſtes Pam 
fili befindet. Sollte aber eine folhe Bildung des Heilandes, 

we⸗ 
) Watelet. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Pp 


2 In Figuren 
des Heilandes. 


298 I. Theil, Viertes Kapitel. 


wegen der angenommenen bärtigen Geftalt deffelben , eine anftö- 
Bige Neuerung ſcheinen könen ; fo betrachte der Künftler den 
Heiland des Leonardo da Vinci, und fonderlich einen wunder: 
bar ſchoͤnen Kopf von der Hand diefes Künftlers, welcher fich in 
dem Kabinete des Durchl. Fürften Wenzel von Lichtenftein, zu 
Bien befindet: Denn in Diefem Bilde ift, ungeachtet des Bart, 
Die Höchfte männliche Schönheit abgebildet, und man kan diefen 
Kopf als das vollfommenfte Mufter anpreifen. 

Bill man nun die Staffel, die wir von den Göttern big zu 
den Helden herab geftiegen find, von dieſen bis zu jenen wiede- 
rum hinauffteigen, auf eben Die Art, wie aus Melden Götter 
entftanden find, fo geſchiehet Diefes mehr durch Abnehmen alg 
durch Zufegen, das ift, Durch ſtufenweiſe Abfonderung desjeni- 
gen, was eckigt und von der Natur felbft ftark angedeutet worden, 
bis die Form Dergeftalt verfeinert wird, daß nur allein der Geift 
in Derfelben gewirket zu haben ſcheinet. 

ei ne Eden fo viel Stufen verfchiedener Formen und Gewaͤchſe 
Geſchlegts. ſind hingegen in den Figuren weiblicher Schönheiten nicht, als 
deren Gewaͤchs nur allein nach ihrem Alter verfchieden ift: denn 
ob fic) gleich) nebft den Göttinnen auch Meldinnen abgebildet fin- 
den, find Dennoch an den einen fo wohl als an den anderen die 
Glieder auf gleiche Art rundlich und völlig, und die Künftler 
würden durch eine ftärkere Andeutung einiger Theile an Meldin- 
nen aus der Eigenfchaft ihres Gefchlecht8 gegangen feyn. Eben 
Daher, fo wie ich weniger bey der Schönheit des weiblichen Ge- 
ſchlechts anzumerken finde, ift auch hier das Studium des Künft- 
lers 


Bon der Kunft unter den Griechen. 299 


Vers viel eingefchränfter und leichter, fo wie die Natur felbft leich- 
ter in Bildung des weiblichen als des männlichen Geſchlechts zu 
wirken fcheinet, indem wenigere Kinder von unferem als von je= 
nem Gefchlechte gebohren werden. Daher faget Ariftoteles, daß 
die Wirkungen, da fie auf das Vollfommene auch) in der menfch- 
lichen Bildung gehen, wenn dieſer Endzweck, welches Das menfch- 
liche Gefchlecht fen, Durch den Widerftand der Materie nicht ha= 
be fönen erreichet werden, bilde Diefelbe das weibliche Gefchlecht. 
Es ift auch noch ein anderer Grund, woraus fid) eben fo leicht 
begreifen läffet, Daß die Betrachtung fo wohl als die Nachah- 
mung der Schönheit der Natur weiblicher Statuen wenigere Muͤ⸗ 
he erfordere; und Diefer ift, weil Die mehreften Göttinnen nicht 
weniger als alle Meldinnen befleidet find , wie ich auch Unten in 
der Abhandlung von der Bekleidung vom neuen anmerke; dahin— 
gegen die mehreften Statuen unferes Geſchlechts unbekleidet vor⸗ 
geftellet worden. Man merke jedoch, wenn ich von der Aehnlich— 
feit Des Nackenden weiblicher Figuren rede, Daß Diefes von Dem 
Gewaͤchſe zu verftehen fey, und ich fehließe Dadurch den verſchie— 
denen Charakter in den Köpfen nicht aus, als welcher in einer 
jeden Göttinn fo wohl als an den Meldinnen befonders ausgedrü- 
cket worden, fo Daß die oberen Göttinnen nicht weniger als die ſub⸗ 
alternen, wenn fie auch der ihnen gewöhnlid) beygelegten Zeichen 
beraubet worden, kenntlich ſeyn Fönen. Mit Diefem einer jeden 
eigenen Charakter in dem Geſichte haben die alten Künftler Die 
Schönheit in ihrem höchften Grade zu verbinden gefüchet, bis auf 
die weiblichen Larven, Denen fie Diefelbe ebenfalls eingedrucket haben. 
Dy2 Un- 


300 I. Theil. Viertes Kapitel. 
a Der Güte Unter den Göftinnen ftehet Venus billig oben an, als Die 


ee Dar er Göttin der Schönheit, und weil nur diefe allein nebft den Gra⸗ 
N’Qer Bonus, tien und den Göttinnen der Jahrszeiten, oder Die Dora, unbe— 
eeifehe Zenus Heidet if; auch Deswegen, weil fie ſich häufiger als andere Goͤt⸗ 
Dekräbafige, tinnen und in verfchiedenem Alter vorgeftellet findet. Die medicet: 
ſche Wenus zu Florenz ift einer Roſe gleich, Die nach einer ſchoͤ⸗ 
nen Morgenröfhe , beym Aufgange der Sonne, aufbricht, und 
die in ein Alter tritt, in welchem fich Die Gefäße gu erweitern und 
der Buſen fich auszubreiten anfängt. Bey Dem Stande derfel- 
ben ftelle ich mir diejenige Lais vor, Die Apelles im Lieben unters 
vichtete, und ich bilde mir ein, Diefelbe fo zu fehen, wie fie ſich 
das erftemal vor den Augen diefes Künftlers entkleiden muͤſſen. 
Eben diefen Stand hat eine Wenus in dem Mufeo Capitolino, 
Die beffer, als e8 andere diefer Figuren find, erhalten ift, (denn 
e3 fehlen nur einige Finger, und es ift nichts an derfelben zerbros 
chen) ingleichen eine andere die, wie Die folgende Inschrift an 
Derfelben bezeuget, nach einer Wenns, welche zu Troas ftand, co— 
piret ift von einem Menophantus, 
AIIO THC &c. 
Beyde Statuen aber find in einem reiferen Alter vorgeftellet, und 
größer als die mediceifche Wenus. Ein Gewaͤchs jungfraͤulicher 
Jahre, wie diefe hat, fiehet man an der halb bekleideten Thetis, 
in der Villa Albani, die bier in dem Alter, da fie mit dem Pe— 
leus vermählet wurde, erfcheinet, und von mir im zwenten Theile 


befchrieben wird, 


Die 


Bon der Kunſt unter. den Öriechen, 301 


Die himmlifche Venus, das ift, die vom Jupiter und der Die himm⸗ 


Harmonia erzeuget war, und vonder anderen Venus, der Dio⸗ 
ne Tochter , verfchieden ift, wurde durch ein erhabenes Diadema, 
nad) Art desjenigen, welches der Juno eigen ift, bezeichnet. Eben 
Diefes Diadema träget aud) die fiegreiche Venus (ViArix), Deren 
chönfte Statue, ohne Arme, in dem. Theater der alten Stadt 
Capua entdecket worden, und den linken Fuß auf einen Helm ge 
feet hat: es ftehet diefelbe in dem Eöniglichen Palafte zu Caſerta. 
Man fichet es auch an einigen erhobenen Werken, welche die Ent 
führung der Proferpina vorftellen, auf dem Daupte einer beflei 
deten Venus, die in Gefellfchaft der Pallas und der Diana, mit 
der Proſerpina, in den Wiefen bey Enna in Sicilien, Blumen 
lafen, welches am deutlichften auf zwo Begraͤbnißurnen des bar- 
berinifchen Palaftes Fan bemerfet werden. -2fnderen Goͤttinnen 
ift Diefer Hauptſchmuck nicht gegeben worden, wenn ic) die The- 
tis ausnehme, auf Deren Daupte ſich Derfelbe erhebet in dem Ge: 
mälde eines ſchoͤnen Gefaͤßes von gebrannter Erde der vaticani— 
ſchen Bibliothek, welches ic) in meinen alten Denkmalen bekannt 
gemachet habe 1), 

Diefe aber nicht weniger als jene Venus hat in den fanft 
geöffneten Augen Das fhmachtende und das liebäugelnde, weiches 
die Griechen uypo» nennen, gebildet, wie ich unten in den Bemer— 
kungen über die Schönheit der Augen anzeigen werde ; Diefer 
Blick iſt jedod) entfernt von den geilen Zügen, durch welchen ei- 
nige neuere Bildhauer ihre Venus haben Fenntlid) machen wollen: 

VD» 3 denn 


ı) Monum, ant. ined. No. 131. 


Venus. 


KR Der DVlick 
FR 


der Venus. 


302 J. Theil. Viertes Kapitel. 


denn die Liebe ift von den alten KRünftlern, eben fo wie von ihren 
vernünftigen Weltweifen, als der Benfizer der Weisheit, wie 
fi Euripides ausdrüdet (ra wopız mapedpaug epwrag I) angefehen 
worden. 

Na ya | Wenn ic) vorher gefaget habe, daß ſich nur allein Die 
Venus nebft den Sratien und den Horenunter den Öättinnen un: 
befleidet finden, ift meine Meynung nicht, Daß Venus beftändig 
unbekleidet vorgeftellet worden : Denn wir wiffen das Gegentheil 
von der Venus des Prariteles zu Gnidus 2). Es iſt aud) eine 
fehöne Statue diefer Göttin, die ehemals in dem Palafte Spada 
war, und nad) England gegangen ift, bekleidet, fo wie fie «8 
erhoben gearbeitet ift an einem der zween fehönen Leuchter 3), Die 
ſich ehemals indem Palafte Barberini befanden und io dem Bild⸗ 
bauer Cavaceppi gehören. 

3 Jun, uno ift außer ihrem gipflichten Diadema Fenntlich, an 
den großen Mugen , und an dem gebieterifchen Munde, deffen 
Zug dieſer Göttin fo eigen ift, Daß man ein bloßes Profil, wel⸗ 
ches von einem weiblichen Kopfe eines erhoben gearbeiteten und 
zerftümmelten Steins in dem Muſeo Stroszi übrig geblieben ift, 
Durch einen folchen Mund fiher auf eine Suno deuten Fan. Der 
fchönfte Kopf diefer Göttinn von coloffalifcyer Größe befindet fich 
in dev Wille Ludoviſi, wo zugleich noch ein Eleinerer Kopf derfel- 
ben ift, welcher den zwenten Rang verdienet; die ſchoͤnſte Statue 


derfelben aber fichet man in dem Palafte Barberini. 
Pallas 


1) Eurip. med. v. 843. 2) Plin. L. 36. c. 3. 8. 5 3) Monum. änt. 
ined. No. 50. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 303 


Dallas und Diana find allezeit ernfthaft und die erfterg I Yatas. 


Pallas & afperior Phoebi foror, utraque telis, 
Vtraque torva genis, flavoque in vertice nodo. 

Stat. Theb. L. =. v. 237. 
insbefondere, ift ein Bild jungfräulicher Züchtigkeit, Die alle weib- 
liche Schwäche ausgezogen, ja die Liebe felbft befieget zu haben 
ſcheinet; fo daß die Augen der Pallas vornehmlidy Die Benen— 
nung erklären, die bey den Griechen fo wohl als bey den Roͤmern 
die Augaͤpfel hatten : Denn dieſe nenneten Diefelbe Pupillas , das 
ift junge Mädchen, und jene zepur, womit fie eben Diefes bedeu- 
teten 1). Sie hat die Augen mäßiger gewölbet und weniger offen, 
als die Juno; ihr Haupt erhebet ſich nicht ſtolz, und ihr Blick 
ift geſenkt, wie in ftiller Betrachtung, wovon das Gegentheil in 
den Köpfen der Noma erfcheinet, die als eine Gebieterin fo vie⸗ 
ler Reiche eine königliche Freyheit in ihren Gebehrden zeiget, da 
im übrigen ihr Haupt, wie an der Pallas mit einem Helme ber 
waffnet if. Ich muß aber hier erinnern, daß die Bildung Der 
Pallas auf filbernen griechifhen Münzen der Stadt Velia in 
Eucanien, wo diefelbe auf beyden Seiten ihres Helms Flügel hat, 
das Gegentheil zeiget von dem, was id) ang Statuen und Bruſt— 
bildern bemerfet habe: denn dort find ihre Augen groß und ihr 
Blick gehet vorwärts oder in die Hoͤhe. Diefe Göttinn hat ing- 
gemein die Daare lang von dem Haupte gebunden, die hernach 
unter dem Bande, länger oder Eürzer, in langen Locken, reihen— 
weis, herunter hängen; und von dieſem ihr eigenen Haarputze 

ſchei⸗ 


1) v. not. ad Longin. c. 4. p. 32. 


- Diana, 


304 1. Theil. Bierted Kapitel, 


ſcheinet Pallas den wenig bekannten Beynamen Tlaparerreyuera 


bekommen zu haben. Diefes Wort erfläret Pollux mit Avarenre- 
yuzva, wodurch er aber den Begriff nicht deutlicher machet; und 
vermuthlic) Deutet jenes Beywort auf fo gebundene Haare, des 
ven Art zu binden alfo gedachten Seribenten erflären würde. Da 
nun dieſe Göttin die Haare länger als andere zu tragen pflege, 
Fan dieſes der Grund geweſen feyn, bey ihren Haaren zu ſchwe⸗ 
ven. Es ift nicht gewöhnlich der Pallas rechte Hand auf 
ihrem gehelmten Daupte gelegt zu fehen, wie Diefelbe neben Dem 
Supiter fisend an Dem Gipfeldes Tempels des Supiters auf Dem 
erhobenen Werke des Opfers des M. Aurelins im Campidoglio 
und auf einem Medaglion des Hadrianus, in der vaticanifchen 
Bibliothek abgebildet worden 1). 

Diana hat mehrals alleandere obere Göttinnen Die Geſtalt 
und Das Wefen einer Jungfrau, und ift mit allen Neizungen ih- 
res Geſchlechts begabt, ohne fich Derfelben bewußt zu feyn; aber 
ihr Blick ift nicht niedergefcehlagen , wie. das Auge der Pallas, 
fondern frey, munter, und fröhlich, und auf den Gegenſtand ih- 
res Vergnügens, die Jagd gerichtet, ſonderlich da dieſe Göttin 
mehrentheils im Laufen gebildet it, fo Daß ihr Blick gerade vor- 
wärts, und in die Weite über nahe Vorwürfe hinweg gehet. She 
ve Haare find von allen Seiten um ihr Haupt herum hinauf ge 
fteichen und hinterwärts über den Nacken, nad) Art der Jung 
frauen in einen Knauf gewunden , ohne Diadema oder anderen. 
Schmuck zu tragen, wie ihr in neueren Zeiten gegeben worden. 

Ihr 


1) Venut. num, Alb. Vatic. T. I. tab. 2. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 305 


Ihr Gewächs ift leichter und gefchlanfer als einer Juno und ei- 
ner Dallas, und es würde auch eine verftümmelte Diana unter 
anderen Göttinnen eben fo Eenntlich fenn, als fie es ift beym Ho— 
merus, unter allen ihren fehönen Dreaden. Mehrentheils hat Dies 
felbe nur ein aufgefchürztes Kleid, welches ihr bis an die Kniee 
gehet; fie ift aber auch im langen Kleide gebildet, und ift Die ein- 
zige Göttin, welche in einigen ihrer Figuren Die vechte Bruſt ent 
blößt hat. 

Ceres ift nirgend fehöner gebildet, als auf einer filbernen 
Münze der Stadt Matapontus, in Großgriechenland , Die ſich 
in dem Mufeo des Duca Caraffa Noja zu Neapel befindet und 
auf der Ruͤckſeite, wie gewöhnlic), eine Kornähre gepräget hat, 
auf deren Blatte eine Maus ſitzet. Es hat diefelbe, wie in ande 
von ihren Bildern auf Münzen den Schleyer oder das Gewand 
bis auf das Hintertheil des Gewandes gezogen, und nebft den 
Aehren und derfelben Blättern, ein erhabenes Diadema, nach Art 
der Juno, hinter den vordern Haaren, die fich auf der Stirne in 
einer lieblichen Verwirrung zerftreuf erheben; fo daß dadurch 


vielleicht ihre Betruͤbniß über den Raub ihrer Tochter Proſerpi—⸗ 


na angedentet werden follen. 


11 Der Ctree. 


Sn den Köpfen diefer Göttin, fowohl als in denen ihrer 7 Der Fr- 
Tochter, haben die Städte in Großgriechenland und Sicilien auf """" 


ihren Münzen die höchfte Schönheit zu bilden gefuchet ; und man 
wird fchwerlich ſchoͤnere Münzen, auch vom Gepräge finden, als 
einige von Syracus find, Die auf der vordern Seite den Kopf 
der Proferpina, und auf der Ruͤckſeite einen Sieger auf einem 
Winkelm. Gef. der Kunfe, DD vier⸗ 


O Ber Hehe. 


306 1. Zeil, Viertes Kapitel, 


vierfpännigen Wagen haben. Eben diefe Münze, in der Samm⸗ 
lung des Cabinets von Pellerin, hätte verdienet beffer gezeichnet 
und geftochen zu werden 1). Dieſe Göttin ift hier mit Iangen 
fpisigen Blättern befränget, Die Den Blättern ähnlich find, wel- 
che nebft den Aehren Das Haupt der Ceres, ihrer Mutter umge: 
ben; und ich glaube daher, daß jene Blätter der Proferpina, Blät: 
ter von Kornftengel find, und Feine Schilfblätter, wofür fie von 
anderen angefehen werden, Die Daher in Dem Kopfe gedachter 
Münze das Bild der Nymphe Arethuſa finden wollen. 

Unter allen Bildern der Göttinnen find die von der He— 
be am feltenften. Auf zwey erhobenen Werfen fiehet man nur 
das Obertheil ihrer Figur, und aufdem einen, weldyes Die Aus: 
föhnung des Dercules in der Billa des Hrn. Cardinal Alex. Albani 
vorftellet, ftehet neben derfelben ihr Name; und diefer Figur ift 
eine andere auf einer großen Schale von Marmor, in eben der - 
Villa, völlig ähnlich. Diefe Schale wird in dem dritten Bande 
meiner alten Denkmale erfcheinen. Aus Diefen Bildern aber ift 
Fein befonderer Begriff der Hebe zu geben, weil Diefelbe ohne bey: 
gelegte Eigenfhaften ift. Auf einemdritten erhobenen Werke, in 
der Ville Borghefe 2), wo Debe fußfällig erfcheinet, da ihr. das 
Amt genommen wurde, welches Ganymedes bekam, ift Diefelbe, 
obgleich ohne andere Zeichen, aus dem Inhalte dieſes Marmor 
Fenntlich ; fie iftaber hoc) aufgeſchuͤrzet, nach Art der Opferfna- 
ben (Camilli) und derer, die bey Tifche aufwarteten, welches fie 
alfo von andern Göttinnen unterfcheidet. 

Don 


1) Rec. demed.du Cab. de Peller. T.3.p.1..II]. ») Monum, ant.ined, 


Don. der Kunſt unter den Griechen. 307 


Kon den unteren und fubalternen Göttinnen führe ich ing= 3% Die un 


befondere an die Gratien, die Dora, Die Iymphen, Die Parcen, 
Die Furien und die Gorgonen, 

Die Gratien waren in den Alteften Zeiten , fo wie die Ve— 
nus, deren Nymphen und Gefpielinnen jene find, völlig beflei- 
Det abgebildet, es hat fich aber, fo viel mir wiflend ift, nur ein 
einziges Denkmal erhalten, wo Diefelben alfo erfcheinen, namlich 
der mehrmal angeführte dreyſeitige hetrurifche Altar in der Ville 
Borghefe. Won unbekleideten Gratien find die Figuren derfelben 
in dem Palafte Rufpoli , die halb fo groß als die Natur find, 
Die größten, die fchönften und am beften erhaltenen; und da die 
Köpfe den Figuren eigen find, Die an den Öratien in der Wille 
Borghefe hingegen neu und haͤßlich, fo Fönen jene unfer Urtheil 
beftimmen. Diefe Köpfe find ohne allen Pur, und die Haare 
mit einer dünnen Schnur um das Haupt herum gebunden , und 
an zwo Figuren Derfelben hinten gegen den Nacken fo zufammen 
genommen. Die Mine Derfelben deutet weder auf FröhlichFeit noch 
auf Ernft, fondern bildet eine ftille Zufriedenheit, Die der Unſchuld 
der Sahre eigen ift. 

Gefellinnen und Begleiterinnen der Gratien find die Horaͤ 
(Nas) das ift, die Göttinnen der Jahrszeiten und der Schönheis 
ten, und Töchter der Themis vom Jupiter gezeuget, und nach 
anderen Dichtern, Töchter der Sonne. Diefe waren in Den Als 
teften Zeiten dev Kunft nur in zwo Figuren vorgeftellet; nachher 
aber wurden drey derfelben angenommen, weil das Jahr in drey 
zeiten, den Frühling , den Herbſt und den Winter eingetheilet 

Q92 war, 


teren Göttins 
nen. 


‚Die Gra⸗ 
tien 


Die Bora, 


308 1. Theil, Viertes Kapitel, 


war, und hießen Eunomia, Dice und Irene. Insgemein find Die: 
felben von den Dichtern fo wohl als von den Künftlern tanzend 
vorgeftellet, und von Diefen auf den mehreften Werfen in gleichem 
Alter. Ihre Kleidung pfleget alsdann nad) Art der Tänzerinnen 
kurz au ſeyn, und reiche nur bis an das Knie, und ihr Haupt 
iſt mit empor ftehenden Palmbläftern befränzet, fo wie diefelben 
auf einer drepfeitigen Baſe der Villa Albani in meinen Denk 
malen erfcheinen, nach der Zeit aber, da vier Jahrszeiten feſtge— 
feet wurden, wurden auch in der Kunft vier Mora aufgefüh- 
vet, wieman auf einer Begräbnißurne gedachter Villa in anges 
führten meinen Denfmalen ſiehet. Hier aber find diefelben in ver- 
fhiedenem Alter, und in langer Kleidung , jedoch ohne Palme 
kraͤnze vorgeftellet, fo daß der Frühling einem unfchuldigen Maͤd⸗ 
chen gleichet, in demjenigen Alter, welches eine Sinnfchrift ID) das 
Gewächs der Frühlings Horaͤ nennet, und Die anderen drey Ge: 
fchwifter fteigen ftufenweis im Alter. Wenn aber, wie in dem 
bekannten erhobenen Werke in der Villa Borghefe, mehr Figuren 
im Zange erfcheinen, find es die Dora in Geſellſchaft der Gratien. 
we Was zweytens die Nymphen betrift , Fan man fagen, 
i Daß eine jede obere Gottheit, fo wohl männlichen als weiblichen 
Gefchlechts, feine eigene Nymphen hatte, zu welchen auch die Mu: 
fen, als Nymphen des Apollo, gezählet werden; Die befannteften 
aber find zum erften die Nymphen der Diana, oder die Dreaden, 
und die Nymphen der Bäume, Hamadryaden genannt, und 
zum zwegten die Nymphen des Meeres oder Die Nereiden, und 
nebft Denfelben die Sirenen. Mit. 


ı) Anthol, L. 7. p. 474. 1. 10, 


Bon der Kunft unter den Griechen. 309 


Mit weit mehr Verſchiedenheit in Gebehrden, fo wohl als Tiemann. 
wag den Stand und die Handlung betrift, find Die Mufen auf 
verfchiedenen Denkmalen vorgeftellet zu fehen: Denn Die tragifche 
Mufe Melpomene unterfcheidet fid) auch ohne dem ihr beygelegten 
Zeichen von der comifchen Mufe Thalia, und diefe, ohne Die übri- 
gen Mufen namentlich anzuführen, von der Erato und von Der 
Terpfichore, denen die Tänze eigen waren. An diefe Eigenfchaft 
Der 3100 zuletzt genannten Mufen haben diejenigen nicht gedacht, 
Die aus der berühmten leicht bekleideten Statue, in Dem Hofe 
des farnefifchen Palaftes , welche ihr Unterfleid nad) Art tan- 
sender Mädchen mit der rechten Hand in die Hoͤhe hält, durch 
den neuen Zufat eines Kranzes in der linken Hand, eine Flora 
su machen vermennet haben, unter welchem Namen allein Diefelbe 
bekannt ift. Diefe Benennung hat nachher, ohne weitere Ueber— 
legung allen weiblichen Figuren , deren Haupt mit Blumen be 
Fränget ift, eben den Namen beygeleget. Ich weiß wohl, Daß Die 
Nömer eine Göttin Flora hatten, den Griechen aber, Deren 
Kunſt wir in folchen Statuen bewundern, war dergleichen Goͤt— 
tin nicht bekannt. Da fic) nun verfchiedene Statuen der Muſen 
weit über Lebensgröße finden, unter welchen die eine, Die in eine 
Urania verwandelt worden , in eben dem Palaſte ſtehet; ſo bin 
ich verſichert, daß die irrig ſo genannte Flora entweder Erato 
oder Terpſichore ſey. Was aber die Flora in den Muſeo Capi— 
toling betrift, Deren Haupt mit Blumen befränzet ift, fo finde 
ich in Derfelben gleichwohl Feine idealifhe Schönheit, und bin 
Daher der Meynung, es fey Diefe Figur das Bild einer fehönen 

243 per: 


310 1 Theil. Viertes Kapitel. 


Perſon, die als eine von den Goͤttinnen der Jahrszeiten, naͤmlich 
in Geſtalt des Fruͤhlings, durch gedachten Kranz vorgeſtellet 


. worden. Man haͤtte wenigftens in der Beſchreibung der Statuen Des 


Die Barren, 


Die Furien. 


gedachten Mufei, bey diefer Figur nicht anzeigen follen, daß die— 
felbe einen Blumenſtrauß in der Hand hält, da Die vn fo wohl 
als die Blumen ein neuer Zufas find. 

Die Parcen, welche Catullus in betagtem Alter mit beben⸗ 
den und zitternden Gliedern, mit runzelichtem Angeſichte, mit 
gebeugten Ruͤcken und mit einem ſtrengen Blicke gebildet, ſind 
Das Gegentheil von dieſer Beſchreibung auf mehr als einem al: 
ten Denfmale Es finden ſich Diefelben insgemein bey dem Tode 
des Meleagers, und find fchöne Sungfrauen, mit oder ohne Slü- 
gel auf dem Haupte, und unterfcheiden ſich durch die ihnen bey— 
gelegten Zeichen; die eine fchreibet allegeit auf einem aufgerslieten 
Zettel. Zuweilen finden fich nur zwo derfelben, fo wie fie nur 
in zwo Statuen in der Worhalle des Tempels des Apollo zu Del- 
phos ftanden 1). 

Es find fo gar die Furien als ſchoͤne Jungfrauen (Sopho- 
cles nennet fie immerjungfränlich, ass rapderous) mit oder ohne 


- Schlangen an dem Haupte vorgeftellet. Mit Schlangen und 


mit brennenden Fackeln, in den entblößten Armen, wider den Dres 
fies bewaffnet, find Diefelben auf einem Gefäße von gebrannter 
Erde gemalet, welches fich im der poreinarifchen Sammlung 


zu Neapel befindet, und in dem zweyten Bande der hamilto- 


nifchen Gefäße an das Licht geftellet worden. Eben fo jung 
und 


3) Paufan. L, so. p. 858. I, 25. 


Don der Kunſt unter den Griechen, 311 


und ſchoͤn erſcheinen dieſe raͤchenden Goͤttinnen auf verſchiedenen 
erhobenen Arbeiten zu Rom, m eben dieſe Begebenheit des 
Dreftes abbilden. 

Die von mir zuletst genannten unteren Goͤttinnen, Die Gor- 
sonen find zwar, Die Köpfe der Medufa ausgenommen, auf kei⸗ 
nem alten Werke gebildet; ihre Geftalt aber würde der Beſchrei⸗ 
bung der älteften Dichter nicht aͤhnlich ſeyn, als welche ihnen 
lange Zähne wie Schweinshauer geben: denn Medufa, eine von 
Diefen drey Schweftern, ift den Künftlern ein Bild hoher Schön- 
heit geworden, fo wie ung auc) Die Fabel Diefelbe vorftellet. Es 
war dieſelbe, wie einige berichteten, deren Erzaͤhlung Pauſanias 
anfuͤhret I), des Phorcus Tochter, und regierte nach ihres Va— 
ters Tode, in den Gegenden des tritoniſchen Sees, fo Daß fie Die 
Lybier felbft im Kriege anführete. Sie blieb aber in einem Ueber: 
fall in dem Zuge des Perfeus, dem fie entgegen gezogen war; und 
dieſer Held, der ihre Schönheit auch in dem erblaßten Körper be: 
‚wunderte , fonderte ihr Haupt von dem Körper ab, um es Den 
Griechen zu zeigen. Der fchönfte Kopf derfelben in Marmor ift 
einer fehr ergänzten Statue des Perſeus im Palafte Lanti, in 
die Hand gegeben; und einer der ſchoͤnſten auf gefchnittenen 
Steinen ift ein Cammeo in dem Eöniglichen farnefifchen Muſeo zu 
Neapel, ingleichen ein anderer Kopf der Medufa in Carniol ge 
fehnitten, in dem Mufeo Strozzi, welche beyde von höherer Jdea 
“find, als der fo berühmte in eben diefem Mufeo mit dem Namen 
des Solons bezeichnete. Diefe jo berühmte Medufa, Die in einen 

Chal⸗ 


3) Pauſan. L. 2, p, 159. 


Die Gore 


gonen. 


312 I. Theil. Viertes Kapitel. . 


Chalcedon gefehnitten ift, wurde zu Nom in einem Weinberge 
bey Der Kirche zu St. Johann und Paul, auf den Berge Celio 
gefunden von einem Weingartner, welcher Diefen Stein auf Dem 
Plage Montanara , bey dem Theater des Marcellus, einem Auf— 
Faufer von dergleichen Waare anbot, die man Anticagliari nen: 
net. Diefer, welcher ſich auf Diefes Fach nicht viel verftehen moch- 
te, woilte den Stein in Wachs abdruden;, da es aberim Winter 
und Des Morgens frühe aefchahe, folglih das Wachs nicht 
weich genug wear, zerplaste der Stein in zwey Stuͤcke, und der 
Verkaufer bekam zween Zechini für denfelden. Don dem Aufkau— 
fer bekam ihn Sabbatini, ein nicht unbekannter praftifcher Anti: 
quarius für drey Zechini. Diefer ließ den Stein in Gold einfaffen 
und verkaufte ihn dem Kardinal Alexander Albani, welcher da— 
mals den geiftlihen Stand noch nicht erwählet hatte, für fünf 
Zechini, und Diefer überließ denfelben Stein wiederum befagtent 
Sabbatini gegen andere Alterthuͤmer, rechnete ihm aber denfelben 

für funfzig Scudi an. 
Der Ama⸗ Zu den Goͤttinnen gefelle ich als idealifche Bilder die Del: 
en dinnen oder Amazonen, die alle von ähnlicher Bildung auch fo. 
gar in den Haaren find, und im Gefichte nad) einem und eben 
demfelben Modelle gearbeitet fcheinen. ES zeigen Diefelben eine 
erufthafte und mit Betrübniß oder mit Schmerz vermifchte Mine: 
denn ihre Statuen find alle mit einer Wunde in der Bruft gebil- 
det, und eben fo werden es auch Diejenigen gewefen ſeyn, von 
welchen fich nur die Köpfe erhalten haben. Die Augenbraunen 
find mit einer nachdruͤcklichen Schärfe angedeutet, und Da dieſes 

in 


Bon der Kunft unter den Griechen. 313 


in dem älteren Stil der Kunſt gewöhnlich war, wie ich unten an- 
zeigen werde, fo Eönte man muthmaſſen, daß des Etefilaus 
Amazone , Die über des Polycletus und des Phidias Amazonen 
den Preis erhielt, den nachfolgenden Künftlern zum Mufter ge: 
dienet habe. Diejenigen, welche zwo Amazonen von Lebensgröße 
in dem Mufeo Capitolino ergänzen laffen, haben alles Diefes nicht 
beobachtet: denn weder der eine alte Kopf, noc) der andere von 
einem neueren Bildhauer verfertiget, fchieken ſich zu ihren Statuen. 
Es hätte auch ein einziger Kopf einer Amazone einen Scribenten 
belehren Eönen , welcyer fi) nicht unterftehet zu entfcheiden, ob 
ein mit£orbeern befränzter Kopf auf Münzen der Stadt Myrina 
in Klein-Aſien, die von den Amazonen erbauet worden, einen 
Apollo oder eine von dieſen Heldinnen vorftelle 1). Sch will hier 
nicht wiederholen, was ic) bereits an mehr als einem Drte 
angezeiget habe 2), daß an Feiner Amazone die linke Bruſt 
fehlet. 

Bey Gelegenheit der weiblichen idealifchen Schönheiten, 
Fan ich nicht unterlaffen,, der Larven Diefes Gefchlechts zu ge 
denken, von welchen ſich Bildungen der höchften Schoͤnheit, auch 
auf mittelmäßig gearbeiteten Werfen finden, wie ein Aufzug des 
Bacchus ift, in einem Saale des Palaftes Albani, wo ich zwo 


weibliche Larven niemals genug betrachten kann; und dieſes Dies 


net zu Belehrung derjenigen, die fich alle Larven der Alten fcheuß- 
lic) vorgeftellet haben. 
Sch 


1) Petit. de Amazon. p. 259. 2) Monum.. ant. ined. Vol. 2, p. 184. 


Winkelm. Geſch. der Zunft. 3,8) 


m. Schonheit 
weiblicher 
Larven. 


314 J. Theil; Viertes Kapitel, 
©. Schluß der Sch endige diefe allgemeine Abhandlung von der Schön- 


allgemeinen 


Betrachtung heit der Bildung und der Formen mit der Schönheit der Larven, 

ber Schönheit 

der — 2 deren Benennung ung den Begriff von etwas verſtelleten zu ges 
ben fcheinet, Damit der Schluß auf die allgemeine Kenntniß und 
Bildung des Schönen bey den Alten von dem, was Faum der- 
felben würdig feheinen Eönte, bis auf höhere Vorwürfe, deſto be- 
greiflicher werde ; und Diefer Schluß Fan um fo viel gültiger 
feyn, da Das angeführte Werk der Larven von einer Begräbniß- 
urne, Dem geringften alter Werke genommen worden. Es Fan 
auch Feine von allen Betrachtungen Diefer Gefchichte allgemeiner 
werden, als es diefe ift, weil Diefelbe auch entfernt von den Scha- 
gen des Alterthums geprüfet werden Fan, Da hingenen Die Un— 
terfuchungen, Die den Ausdruck, Die Action, die Bekleidung und 
den Stil insbefondere betreffen , allein im Angeſichte der alten 
Werke feloft anzuftellen find. Denn von den hohen Begriffen in 
Köpfen der Gottheiten Fan alle Welt fid) einen Begriff machen 
aus Münzen und gefchnittenen Steinen, oder deren Abdruͤcken, 
die auch in Ländern zu haben find, wohin niemals ein Werk ei- 
nes griechiſchen Meißels gekommen ift. Ein Jupiter auf Muͤn— 
zen Königs Dhilippus von Macedonien, der erften Ptolemaͤer, 
ingleichen des Pyrrhus find nicht unter der Majeftät feiner Bil⸗ 
der in Marmor: der Kopf der Ceres auf filbernen Münzen Der 
Stadt Metapontus, in Großgriechenland und der Kopf der 
Proferpina auf ein paar filbernen Münzen von Syracus über: 
fteigen alle Einbildung ; und eben diefes koͤnte von anderen Schön- 
heiten auf unzähligen Münzen und gefchnittenen Steinen angezei- 

get 


Bon der Kunft unter den Griechen. 315 


get werden. In Bildern der Gottheiten Fonte auch nichts nie 
driges nod) gemeines entworfen werden, weil ihre Bildung unter 
allen griechifchen Kuͤnſtlern dergeftalt allgemein beftimmet war, 
Daß diefelbe fcheinet Durch ein Geſetz vorgefchrieben gemwefen zu 
feyn. Denn Iupiter auf Münzen in Jonien, oder von Dorifchen 
Griechen gepräget ift einem Jupiter auf Sicilianifchen, oder Mün- 
zen anderer Stadte vollfommen ähnlich ; der Kopf des Apollo, 
des Mercurius, Des Bacchus, eines Liber Vater, und eines jus 
gendlichen und älteren Hercules find auf Münzen und Steinen 
fo wohl als an Statuen, in einer und eben Derfelben Idee entwor⸗ 
fen. Das Gefes waren die fchönften Bilder der Götter, die von 
den größten Künftlern hervorgebracht waren, und Diefen durch 
befondere Erfcheinungen geoffenbaret zu feyn geglaubet wurden, 
fo wie fic) Parrhafius rühmete, Daß ihm Hercules erſchienen 
fen in der Geftalt, in welcher er denſelben gemalet; und in eben 
diefer Abficht fcheinet Quintilianus zu fagen, daß zu Erweckung 
größerer Ehrfurcht gegen den Iupiter deffen Statue von der 
Hand des Phidias viel beygetragen habe (cuius pulcritudo adje- 
ciffe aliquid etiam receptz religioni videtur 1). Unterdefien kan 
die hoͤchſte Schönheit, wie Cotta beym Cicero faget, aud) den 
Göttern nicht in gleichem Grade gegeben werden , fo wenig als 
in dem fchönften Gemälde von vielen Figuren alle die hoͤchſte Schön- 
heit haben koͤnen, welches nicht mehr ftatt findet, als in einem 
Trauerfpiele nichts als Melden aufgeführet zu verlangen. 


Nr a2 Naͤchſt 


1) Quint. Inft, L. 12. c. 10, p. 894. o 


bb. on dem 
Ausdrucde 
und der Ac⸗ 
tion, 


a. Erklärung 
und Definition 
derfelben. 


316 1. Theil. Viertes Kapitel, 


Naͤchſt der Kenntniß der Schönheit ift bey dem Künftler 
der Ausdruck und Die Action zu achten, wie Demofthenes Die 
Action bey einem Redner fand, Den erften, Den zweyten und Den 
dritten Theil Ddeffelben: Denn e8 Fan eine Figur durch die Metion 
fchön erfcheinen, aber fehlerhaft in derfelden niemals für fchön ge: 
halten werden. Es foll alfo im Unterrichte mit der Lehre von den 
fhönen Formen, die Beobachtung des Wohlftandes in Gebehr- 
den und Handeln verbunden werden, weil hierin ein Theil der 
Graͤtie beftchet; und deswegen find die Gratien, als Begleite— 
rinnen der Venus vorgeftellet. Bey Künftlern heißt folglich, den 
Sratien opfern, auf die Gebehrden und auf die Action in ihren 
Figuren aufmerkſam feyn. 

Das Wort Ausdruck, weldhes in der Kunſt die Nachah— 
mung des wirkenden und leidenden Zuftandes unferer Seele und 
des Körpers, und der Leidenfchaften fo wohl alg der Handlungen 
ift, begreift in weitläuftigem Verftande die Action mit in fich, im 
engeren Verſtande aber fcheinet die Bedeutung defielben auf Das- 
jenige, was durch Minen und Gebehrden des Gefichts bezeichnet 
wird, eingefchränfet, und die Action, wodurch der Ausdruck er 
haften wird, beziehet fich mehr auf dasjenige, was durch Bewe— 
aung der Glieder und des ganzen Körpers gefhiehet. Auf Das 
eine fo wohl als auf das andere Fan gedeutet werden, was Ari⸗ 
ftoteles an des Zeuxis Gemälden ausgefeget hat, nämlich daß jie 
ohne H-Ios, ohne Ausdruck gewefen, worhber ich mich im zweyten 
Theile erklären werde. | 


0 Der 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 317 
Der Ausdruck im engeren fo wohl als weiteren Verftande b- Srunfise 


der Kunftler 


verändert Die Züge des Gefichts und die Haltung des Körpers, 2 Ausdrucke, 


die Stille 


folglicd) die Formen, die die Schönheit bilden, und je größer Diefe and: Suse. 
Veranderung ift, deſto nachtheiliger iſt Diefelbe der Schönheit. ke 
Sn dieſer Betrachtung war die Stille einer von den Grundfagen, 
Die hier beobachtet wurden , weil Diefelbe nad) dem Plato, als 
der Zuftand betrachtet wurde , welcher das Mittel iſt zwifchen 
dem Schmerze und der Sröhlichkeit. 1); und eben Deswegen ift Die 
Stilfe derjenige Zuſtand, welcher der Schönheit „fo wie dem 
Meere, der eigentlichfte iſt; ja Die Erfahrung zeiget, Daß Die 
fchönften Menfchen von ftillem geſitteten Weſen zu feyn pflegen. 
Eben die Faffung wird in dieſer Abſicht indem Bilde, fo wohl ale 
in dem Der es entwirft, erfordert: denn es kann Der Begriff einer 
hohen Schönheit nicht anders ergenget werden, als imeiner ftillen 
und von allen einzelnen Bildern abgerufenen Betrachtung Der 
Seele. Außerdem ift die Stille und die Ruhe im Menfchen und 
bey Thieren der Zuftand , weicher uns fähig machet, Die wahre 
Defchaffenheit und Eigenfchaften Derfelben zu unterfüchen und zu 
erkennen, fo wie man den Grund der Slüße und des Meeres nur 
entdeckt , wenn das Waffer ftille und unbewegt ift; und folg- 
lid) fan auch die Kunft nur in der Stille das eigentliche Weſen 
derſelben ausdrüden. 

Da aber im Handeln und Wirken die höchfte Ruhe und en 
Gleichguͤltigkeit nicht ſtatt findet, und göttliche Figuren menſch— — 
lich vorzuſtellen ſind, ſo konte auch in dieſen der erhabenſte Be- et 
Nr 3 griff 


ı) Plat. Rep, L. 8. p. 459. 1. ©. 


318 1. Theil. Viertes Kapitel. 


griff der Schönheit nicht beftändig gefuchet noch erhalten werden. 
Aber der Ausdruck wurde der Schönheit gleichfam zugewäget, 
und Diefe war bey den alten Künftleen die Zunge an der Wage 
des Ausdrucks, und alfo Die vornehmfte Abficht derfelben, wie 
das Cimbal in einer Muſik, welches alle Inftrumente, Die jenes 
zu übertäuben fcheinen , vegieret, und fo wie wir dag Getränf, 
welches größtentheils mit Wafler vermifchet ift, Wein nennen, 
eben fo foll auch Die Geftalt, wenn gleich der Ausdruck die Schon. 
heit überwiegen würde, fchön heißen könen. Auch hier offenba- 
vet fic) Die große Lehre des Empedocles von dem Streite und der 
Freundfchaft, Durd) deren gegenfeitige Wirkung die Dinge in 
der Welt in den gegenwärtigen Zuftand geſetzet find: Die Schön- 
heit würde ohne Ausdruck unbedeutend heißen Eönen, und Diefer 
ohne Schönheit unangenehm , aber Durch) Die Wirkung Der einen 
in den anderen, und durch Die Wermählung zwoer widrigen Eis 
genfchaften erwächfet das rührende, Das beredte und das über: 
zengende Schöne, 

— Die Ruhe und Stille iſt zugleich als eine Folge der Sitt⸗ 

a. gemein. ſamkeit anzufehen , welche die Griechen in Gebehrden , und im 
Handeln zu beobachten ſucheten, Dergeftalt daß fogar ein ge 
fehwinder Gang in gewiffer Maaße wider die Begriffe des Wohl- 
ftandes gehalten wurde, indem man in Demfelben eine Art von 
Srechheit fand. Einen ſolchen Gang wirft Demofthenes dem 
Nicobulus vor, und er verbindet frech fprechen und gefchwinde 
gehen mit einander I). Diefer Denkungsart zufolge hielten die 

Al⸗ 


1) Demofth. adv. Pantanet. p. 70. 1.15. eonf· Cafaub. Theophr. Char. c. 3. P. 54. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 319 


Alten eine langfame Bewegung des Körpers für eine Eigenſchaft 
großmüthiger Seelen 1). Ich finde kaum nöthig zu erinnern, Daß 
von dem wirklich fittfamen Stande derjenige, Der einen Enechtifchen 
Zwang anzeiget, verfchieden ift, in welchem einige Statuen ge 
fangener Könige abgebildet find, die mit über einander geſchla⸗ 
genen Haͤnden ſtehen, ſo wie Tigranes Koͤnig von Armenien ſich 
aufwarten ließ von vier Koͤnigen, die ſeine Vaſallen waren 
(erakrayperas rar xepow) welches die niedrigſte Unterwerfung 
anzeigete (omep edhxsı wakısta Tav oxınarov &c. 2). 

Diefe Sittfamkeit haben die alten Künftler bis in ihren 
tanzenden Figuren, die Bacchanten ausgenommen, beobachtet; 
und man war der Meynung, daß die Action in den Figuren nach 
der Maafie der älteren Tänze abgewogen und geftellet fey, und 
daß in den folgenden Tanzen der alten Griechen ihre Figuren 
wiederum den Tänzerinnen zum Mufter gedienet, um fich in den 
Gränzen eines züchtigen Wohlftandes zu erhalten 3). Hiervon 
Ean man fic) überzeugen an vielen weiblichen leichtbekleideten Sta⸗ 
tuen, von welchen die mehreſten keinen Guͤrtel haben, die ohne 
alle beygelegte Zeichen, wie in einem ſehr zuͤchtigen Tanze vorge— 
ſtellet find 4) , fo daß wenn auch die Arme fehlen, man ſiehet, 
dafs fie mit einer Hand von oben über der Achfel, und mit der 
andern von unten ihr Gewand fanft in Die Möhe gezogen. In 

Die: 
1) Ariftot. Eth. ad Nicom. L. 4. c. 3. p. 68. 2) Plutarch. Lucull. p. 925. 


5) Athen. Deipn, L. 14. p. 629. B. 4) Molli diducunt candida geftu bra- 
chia. Propert, L. z. el. ı8. v. 5. 


b. Sn Figk> 
ven von Täu⸗ 
zerinnen. 


ec. Ausdruck 
in göttlichen 
Figuren, 

a. Der Ruhe 
und Stile 


320 I. Theil. Viertes Kapitel. 


dieſen Figuren muß diefe Action Diefelben bedeutend machen und 
erklären; und da verfchiedene einen idealiſchen Kopf haben, Fan 
in ihnen eine von den beyden Mufen, Denen der Tanz vor andern 
eigen war, nämlich Erato und Terpfichore 1), vorgeftellet feyn. 
Solche Statuen finden fi) in der Villa Medicis, Albani, auch 
anderwärts; zwo Diefen ähnliche Figuren in Lebensgröße in der 
Villa Ludovifi und einige unter den herculanifchen Statuen haben 
feinen idealifchen Kopf; eine andere aber, Die über dem Eingange 
des Palaftes Caraffa Colobrano zu Neapel ſtehet, hat einen 
Kopf von hoher Schönheit, welcher mit Blumen gekroͤnet ift; 
und dieſe Einen wirklich fchönen Tänzerinnen errichtet worden 
feyn, welche unverdiente Ehre dieſe Perfonen bey den Griechen 
erhielten, fo Daß ſich verfchiedene griechiſche Sinnfchriften auf 
Statuen derfelben finden 2). Ein ficheres Kennzeichen ift Die eine 
entblößte Bruſt an folchen Statuen, Diefelbe nicht auf gedachte 
zwo Muſen zu deuten, weil folche Entblößung an Mufen wider 
den Wohlftand feyn würde, 

Der höchfte Begriff Diefer Grundſaͤtze, fonderlich der Kur: 
he und Stille findet fih) in den Figuren der Gottheiten ausge— 
druͤcket, ſo daß die Bilder des Waters der Götter bis auf Die 
fübalternen Götter ungerührt von Empfindungen find. Alſo bil- 
det ung der große Dichter feinen Supiter , welcher allein durch 
das Winken feiner Augenbraunen und durd) Das Schütteln feiner 

Haa⸗ 
1) Schol. Apollon. Argon, L. 3. v. 1. in Hefiod, Be ap. 7. Ar 
2) Anthol. L. 4. C. 35. p- 362. feq. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 921 


Haare den Olympus bewegete. Ein heiterer ruhiger Blick ift 
nicht allein Figuren der oberen Kräfte, fondern auch den fubal- 
ternen Meergöttern gegeben worden; und da wir ung aus cinigen 
Beymorten der Dichter von den Tritonen einen verfchiedenen Be— 
griff machen würden, erfcheinen Diefelben yon den griechifchen 
Künftlern gleichſam als Bilder der Meeresftille , wenn 8 einem 
grünlich blauen Himmel gleichet, vorgeftellet, wie wir dieſes be— 
wunderen fönen an zween bereits gedachten coloffalifchen Köpfen 
von Tritonen in der Villa Albani, deren einen ic) in Kupfer bey- 
gebracht habe in meinen alten Denfmalen. 

Jupiter felbft ift daher nicht in allen Deffen Bildern auf aa. Im Jupi⸗ 
gleiche Weiſe heiter gebildet, ſondern er hat dinen truͤben Blick = 
auf einer erhobenen Arbeit des Marchefe Nondinint , wo Diefe 
Gottheit gebildet ift, nachdem ihr Vulkanus mit einem hölzernen 
Hammer einen Schlag auf dem Haupte gegeben hat, und voller 
Erwartung ftehet, die Pallas aus deffen Gehirne hervor fprin- 
gen zu fehen. Jupiter fitset wie betäubet (intronato) von dem 
Schlage, und gleichfam in Schmerzen der Geburt begriffen, um 
die ganze finnliche und himmliſche Weisheit in Gebährung der 
alas an das Licht treten zu laffen. Diefes Werk befindet fid) 
in Kupfer geftochen auf dem Titelblatte des zweyten Bandes mei— 
ner Denfmalen. 

Der vaticanifche Apollo follte dieſe Gottheit vorftellen in bb.Im Arte 
Unmuth über den Drachen Python, den er mit feinen Pfeilen er- 
legete, und zugleich in Verachtung Diefes für einen Gott gerin- 
gen Sieges. Der weife Künftler, welcher den fchönften der Goͤt— 

Winkelm. Geſch. der Kunſt. Ss ter 


Y. Des Wohl: 
ftandes. 


322 I Theil. Biertes Kapitel. 


ter bilden wollte, fetsete nur den Zorn in die Nafe, wo, nach den 
alten Dichtern, der Sit deffelben ift, und Die Verachtung auf 
Die Lippen; Diefe hat er ausgedrücet Durch Die hinauf gezogene 
Unterlippe, wodurd) ſich zugleich das Kinn erhebet, und jener 
aͤußert fich in den aufgebläheten Nüßen der Nafe. 

Da nun Dem Ausdrucke der Leidenfchaften im Sefichte Der 
Stand und die Handlung gleichförmig zu feyn pflegen, ift bey- 
des Der Würdigkeit der Götter in ihren Statuen und Figuren 
gemäß, und Fan der Wohlftand genennet werden. Mean findet 
Feine Gottheit von gefestem männlichen Alter mit über einander 
gefchlagenen Beinen ftehen; Denn es wurde dergleichen Stand 


auch an einem Nedner für unanftändig gehalten 1), fo wie «8 


bey den Pythagoraͤern war, Den rechten Schenkel über den linfen 
im Sigen zu legen 2. Ich glaube Daher nicht, daß diejenige 
Statue zu Elis, Die alfo ffand, und fich mit beyden Haͤnden an 
einen Spieß Ichnete, einen Neptunus vorgeftellet, wie man Den 
Daufanias glauben machete 3). Die Ueberfeger haben hier Die 
Redensart, Tov erepov Tav modw emimAeroy TW srepw, Nicht recht 
verstanden , indem fie eg mit pedem pede premere, einen Fuß auf 
den anderen feen, gegeben haben, Da es mit decuffätis pedibus , 
welches im Staliänifchen gambe incrocicchiate heißt, hätte uͤber— 


au. Beſonders feet werden follen. Apollo und Bacchus allein find in einigen 


im Upollo und 


Bacchus. 


Figuren alſo geſtellet, in dem einen die ſpielende Jugend, und in 
dem anderen die Weichlichkeit abzubilden: Apollo ſtehet alſo in 
dem 


ı) Plutarch. coufol, ad Apoll. p. 194. L 10. 2) Id. meuı rs axouew, pP. 78. 
l. 17. wog dusam. p. 945. 1. 1, 3) Paufan, L, 6. p. sır. l. 13. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 323 


dem Mufeo Capitolins 1), und in einigen Ahnlichen Figuren Dev 
Billa Medicis fo wohl, als in der fhönften unter allen. dieſen 
Statuen im Palafte Farnefe, wie auch in einem herculanifchen 
Gemälde 2); unter den Figuren des Mercurius ift mir nur eine: 
einzige bekannt, die alfo ſtehet, namlich eine Statue der Groß— 
herzoglichen Gallerie zu Slovenz, Über welche der Mercurius von Ä 
Erst, in dem Palafte Farnefe geformet und gegoffen worden. 
Diefer Stand ift vornehmlid) einem Meleager und einem Paris 
eigen; und dieſe Statue ftehet alfo in Dem Palafte Lancellotti. 
Ein Mercurius von Erzt, in Lebensgroͤße, hat eben dieſen Stand; 
man muß aber auc) wiffen, Daß es ein Werk neuerer Zeiten ift. 
Unter den weiblichen Gottheiten ift mir Feine einzige alfo 48. An weis: 
geftellet befannt, und es würde dieſen weniger als männlichen ie * 
Gottheiten anſtehen; daher ich es dahin geſtellet ſeyn laſſe, ob 
eine Muͤnze Kaiſers Aurelius, auf welcher die Vorſicht mit uͤber 
einander geſchlagenen Beinen ſtehet 3), alt iſt. Nymphen aber 
kan dieſer Stand zukommen; und eine in Lebensgroͤße, in der 
Villa Albani ſtehet alſo, wie auch eine von den drey Nymphen, 
die den Hyles entfuͤhreten, im Palaſte Albani 4). Vermoͤge Die- 
fer Bemerkungen glaube id) berechtiget zu ſeyn, an Dem Alter eis 
nes gefehnittenen Steins zu zweifeln, auf welchem Die fo genannte 
Minerva Medica, die einen Stab mit einer Schlange umwunden 
Halt, mit Dem einen Deine über Das andere geleget ftehet, 
Pan da Diefe Figur Die rechte Bruſt entblößer zeiget, wel⸗ 
Ss 2 ches 


ı) Muf. Cap. T. re'88, z) Pitt. Ere. T. 2. tav. 17. 3) Triftan. 
com. hit. T: . p3$5% 9) Cianp; vet. monum. T.i. tab. 24. 


224 I. Theil, Viertes Kapitel, 


ches ſich an Feiner einzigen Pallas findet, Diefe Erinnerung fiel 
mir ein, Da mir eine ähnliche Figur auf einem gefchnittenen Stei: 
ne, als eine alte Arbeit gegeiget wurde 1), wovon ic) aus ange: 
führten Gründen das Gegentheil erkannte 2). 


gr A de DBetrübten Perfonen wurde diefer Stand eigen geachtet: 
trubie 3 F — 
ee denn alſo ſtanden in einem Gemälde, welches Philoſtratus be— | 


fehreibet, Die Hagenden Krieger um den Körper Des Antilochug, 
Sohns des Neftors (evararrounı To mod) und beweineten deſſen 
Tod 3); und in eben Diefer Stellung bringet Antilochus dem 
Achilles die Nacjricht von Dem Tode des Patroclus auf einem 
erhobenen Werke des Palaftes Mattei, ingleichen auf einem Cams 
meo, Die beyde in meinen alten Denkmalen bekannt gemachet wor= 

den 4) , und auf einem berceulanifchen Gemälde 5). 
2 — Die jungen Satyrs oder Faune, unter welchen zween der 
ſcchoͤnſten in Palaſte Ruſpoli find, haben Den einen Fuß unge— 
lehrt, und gleichſam baͤuriſch, hinter dem andern geſetzt, zu An—⸗ 
deutung ihrer Natur; und eben fo ſtehet der junge Apollo Sau⸗ 
roctono zweymal von Marmor in der Villa Vorgheſe, und von 
Erzt in der Villa Albani; dieſer ſtellet ihn vermuthlich vor, wie 

er bey dem Koͤnige Admetus als Hirt dienete. 
A. Auedruck Mit eben dieſer Weisheit verfuhren die alten Kuͤnſtler in 
e Vorſtellung der Figuren aus der Heldenzeit, und bloß menſchli— 
a en Her Leidenſchaften, Die allezeit der Faſſung eines weifen Mannes 
gemäß find, welcher Die Aufwallung der Leidenfchaften unterdruͤ⸗ 
det, 

La Chauffe Muf. _ 2) Montf. Diar. p. ı22. 3) Philofr.L. 2. icon. 7. 
c Baar. 4) Monum, ant.ined. No, ı2y. 13%, 5) Pitt, Erc. T. 4. tav. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 325 


det, und von dem Feuer nur die Funken fehen laßt; das verbor- 
gene in ihm ſuchet, Der ihn verehret, oder entdecken will, zu er- 
forſchen. Eben dieſer Faſſung ift and) deffen Nede gemäß , Da: 
ber Homerus die Worte des Ulyſſes mit Schneefloden vergleicht, 
welche häufig, aber fanft, auf die Erde fallen. Außerdem war 
ven Die griechifchen Künftler uͤberzeuget, Daß, wie Thucydides 
ſagt, die Großmuth insgemein mit einer edlen Einfalt geſellet zu 
ſeyn pfleget, (was To eundes , ou To yerramy mAsıgrov perexei I) ſo 
wie auch Achilles erfcheinet, deſſen Eigenfhaft mitten im jahen 
Zorne und in der Unerbittlichkeit , eine offenherzige Seele ohne 
alle Werftellung und Falſchheit iſt; und Diefer Erfahrung zufolge 
zeiget ſich auf dem Gefichte ihrer Delden Fein ſpitzfindiger, leicht- 
fertiger oder liftiger, noch) weniger höhnifcher Blick, fondern Die 
Unfchuld ſchwebet mit einer zuverfichtlichen Stille auf demſelben 
In Vorftellung Der Delden ift dem Künftler weniger, als 
dem Dichter, erlanbet: dieſer kan fie malen nach ihren Zeiten, 
wo die Leidenfchaften nicht durch Die Regierung, oder durch den 
gekünftelten Wohlftand des Lebens, gefhwächet waren, weil Die 
angedichteten Eigenfchaften zum Alter und zum Stande des Men— 
ſchen, zur Figur Deffelben aber Feine nothwendige Verhaͤltniß ha— 
ben. Jener aber, Da er dag fchönfte in den fchönften Bildungen 
wählen muß, ift anf einen gewiffen Grad des Ausdrucks Der Leis 
denſchaften eingefchränft, Die dev Bildung nicht nachtheilig wer- 
den. toll. 
583 Von 


ı) 'Thueyd. L.>3.°p. xıı. 1.13, 


336 »L heil. Viertes Kapitel. 

Von dieſer Betrachtung Fan man fich in zweyen der 
fhönften Werke des Alterthums überzeugen , von welchen das 
eine ein Bild der Todesfurcht, Das andere Des höchften Leidens 
und Schmerzens ift. Die Töchter der Niobe, auf welche Diana 
ihre tödtlichen Pfeile gerichtet , find in dieſer unbefchreiblichen 
Angft, mit-übertäubter und erftarreter Empfindung vorgeftellet, 
wenn der gegenwärtige Tod der Seele alles Wermögen zu denken 
nimmt; und von folcher entfeelten Angſt giebt Die Fabel ein Bild 
Durch Die Verwandlung der Niobe in einen Selfen: Daher führete 
Aeſchylus die Niobe ftillfehweigend auf in feinem Trauerfpiele 1). 
Ein folcher Zuftand, wo Empfindung und Ueberlegung aufhöret, 
und welcher der Gleichgültigkeit ähnlich ift, verändert Feine Züge 
der Seftalt und der Bildung, und der große KRünftler Fonte hier 
die höchfte Schönheit "bilden , fo wie er fie gebildet hat: denn 
Niohe und ihre Töchter find und bleiben Die hoͤchſten Ideen der⸗ 
felben. Laocoon ift ein Bild des empfindlichften Schmerzens, 
welcher hier in: allen Muskeln, Nerven und Adern wirket; das 
Gebluͤt ift in Höchfter Wallung durch Den ’tödtlichen Biß der 
Schlangen, und alle Theile des Koͤrpers find Teidend und ange- 
firenget ausgedrückt, wodurch Der Kuͤnſtler alle Triebfedern der 
Natur fichtbar gemachet, und feine hohe Wiſſenſchaft und Kunſt 
gezeiget bat, In Worftellung dieſes aͤußerſten Leidens aber er⸗ 
feheinet der geprüfete Geift eines großen Mannes , der mit Der 
Noth vinget, und den Ausbruch der Empfindung einhalten und 
unterdruͤcken will, wie ich in Beſchreibung Diefer Statue im 

- zwey⸗ 

1) Schol, ad Aeſch. Prom. v. 435, a E 


Von der Kunft unter den Griechen, 327 


zweyten Theile dem Lefer habe fuchen vor Augen zu ftellen. 
Auch den Philoctetes, 

Quod ejulatu, queſtu, gemitu, fremitibus 

Reſonando multum, flebiles voces refert, 

Ennius ap. Cic. de Fin. L. 2. C. 29. 

Haben die Kuͤnſtler mehr nach den Grundfägen der Weisheit, als 
nad) dem Bilde der Dichter vorgeftellet, wie Die Figuren dieſes 
Helden in Marmor und geſchnittenen Steinen, welche ich in mei⸗ 
nen alten Denkmalen bekannt gemacht habe, erweiſen. Der raſende 
Ajax des berühmten Malers Timomachus war nihtim Schlach- 
ten der Widder vorgeftellet, Die er für Heerfuͤhrer Der Griechen 
anfahe, fondern nady gefchehener That, und da er zu fich felbft 
kam, und voller Verzweifelung und in äußerfter Betruͤbniß fein 
Vergehen überdachte 1). So ift derſelbe auf Der fo genannten 
trojaniſchen Tafel im Mufeo Capitolino und auf verfhiede- 
nen gefchnittenen Steinen 2) gebildet. Es findet fich aber dennoch 
eine alte Glaspafte, Die von einem Cammeo genommen iſt, welche 
den Inhalt der Tragödie des Ajax vom Sophocles vorftellet, 
nämlic) den Ajax, der einen großen Widder tödtet, nebſt zween 
Hirten und dem Ulyſſes, weldyem Pallas dieſe Wuth jenes feines 
Feindes zeiget. Diefes feltene Stück wird fünftig in Dem Dritten 
Dande meiner Denkmale des Alterthums erſcheinen. 

Im weiblichen Sefchlechte insbefondere befolgeten Die Kuͤnſt⸗ 5, des weibli⸗ 


ler Den in allen bekannten Trauerfpielen der Alten beobachteten — 
und Heldenjeit. 


ı) Philoftr. L. a, c. aa, 2) conf. Defct. des pier. gr. du Cab, de Stofch 
p- 384. 


328 I. Theil, Viertes Kapitel, 


und vom Mriftoteles gelehrten Grundſatz, Weiber nicht fo vorzu- 
ftellen, Daß fie aus der Eigenfchaft ihres Gefchlechts gehen, oder 
Diefelben über Die Maaße herzhaft und graufam aufzuführen 
(esı Ya avdpsınv key TO 1906 ,„ aaa nUX apuarlov yvanı TO ay- 
Sgeiav n dewm ewar I). In dieſer Abſicht, mo der Mord des 
Agamemnons abgebildet worden, erſcheinet Clytemneſtra bey 
Diefer That wie von ferne, und in einem anderen Zimmer, und 
halt nur die Fackel, dem Mörder zu leuchten, ohne Hand an ihren 
Gemahl zu legen. Ein ähnlicyes Verhältnig hat es mit den Kin- 
dern der Meden, in einem Gemälde des vorgedachten Timoma— 
us, die unter dem Dolche ihrer Mutter lächelten, fo daß ihre 
Wuth mit Mitleiden , über Die Unfchuld ihrer Kinder vermifchet 
war 2); und in Abbildungen eben dieſer That in Marmor, ift 
Medea noch wie in Zweifel über Die Ausführung Diefer Rache. 
Nad) ähnlichen Grundfägen ſucheten die weifeften unter 
den alten KRünftlern das Ungeſtaltete zu vermeiden, und entferne: 
ten fich viel eher von der Wahrheit Der Bilder, als von der 
Schönheit, wie Diefes unter anderen an der Hecuba auf einem 
erhobenen Werke meiner Denkmale des Alterthums zu bemerken 
iſt. Denn da dieſe betagte Königin von Troja insgemein, 
und insbefondere in ihrer Statue im Mufeo Capitolino, und auf 
einer zerftümmelten erhobenen Arbeit in der Abtey Grotta Serra 
fa, voll von Runzeln im Gefichte , und auf einem anderen 
Marmor in der Villa Pamfili, welcher gleichfalls in dem Dritten 
Dande 


3) Ariſtot. post. c, 18. 3) Anthol. L, 4. c. 9. P- 317. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 329 


Bande gedachter Denkmale erfcheinen wird, mit langen, fchlaffen 
und hängenden Brüften gebildet ift, fo fichet man Diefelbe auf 
dem zuerft gemeldeten Werke als eine Frau, die Faum an die 
Ruͤckkehr ihrer Blüthe gelanget ift. Mit eben Diefer Betrachtung 
will auf dem oben angeführten fehönften irdenen Gefäße der hamil- 
tonifchen Sammlung die Figur der Mutter Der Medea beurtheilet 
werden ; indem Diefelbe nicht alter als ihre Tochter gebildet ift. 

Berühmte Männer und regierende Perfonen find in einer 
würdigen Faſſung vorgeftellet, und fo wie Diefelben vor den Au— 
gen aller Welt erfcheinen würden. Die Statuen römifcher Kai— 
ferinnen gleichen Meldinnen, entfernt von aller gefünftelten Ar— 
tigkeit in Gebehrden, im Stande und Handlungen, fo daß wir 
in ihnen gleichfam die fichtliche Weisheit fehen, die Plato für 
feinen Vorwurf der Sinne hält. 

Die vömifchen Kaiſer erfcheinen allegeit auf ihren öffentli- 
chen Denkmalen als Die erften unter ihren Bürgern, ohne monat: 
chifchen Stolz , wie mit gleich ausgetheilten Worrechten begabet 
Georoua); denn Die umftchenden Figuren fcheinen ihrem Herrn 
gleich zu feyn, als welchen man nur aus der vornehmften Hand— 
lung, Die ihn gegeben ift, von andern unterfcheidet. Niemand, 
der Dem Kaifer etwas uͤberreichet, verrichtet es fugfällig , Die 
Öefangenen ausgenommen, und niemand redet fie an mit geben 
getem Haupte; und obgleich die Schmeicheley fehr weit gieng, 
wie wir vom Tiberius wiffen, Dem Der römifche Senat zu Füßen 
fiel DD, erhob dennoch Die Kunft ihr Haupt, wie fie es gethan 

ı) Sueton. Tiber, c. 24. 
Winkelm. Geſch. der Aunft. Zt hatte, 


s. Ausdruck in 
Perfonen vom 
Etande. 
aa. Der Kai— 
ferinnen. 


bb. Der Kaiſer. 


Allgemeine 
Erinnerung 
über, den Aus⸗ 
druck ausge⸗ 
laſſener Lei⸗ 
denſchaften. 


330 J. Theil. Viertes Kapitel. 


hatte, da dieſelbe in then zu ihrer Hoͤhe ſtieg. Ich habe gefa- 
get, Daß ich hier Die Öefangenen ausnehme, weil ich von übrig- 
gebliebenen Denkmalen rede: Denn außerdem wiffen wir, daß aud) 
unbezwungene Könige römifchen Meerführern dieſe Unterthänig- 
keit bezeuget haben, wie Plutarchus vom ZTigranes Könige in 
Armenien berichtet I). Da Diefer freywillig zum Pompejus Eam, 
ftieg er vor dem römifchen Lager von feinem Pferde, nahm feinen 
Degen von der Achſel, und übergab Denfelben den benden Liftoren, 
Die ihm entgegen Famen; ja da er vor dem Pompejus erfchien, 
legte er feine Müse zu deſſen Füßen, und warf fich felbft 
nieder, 

Wie fehr man wider Die eben angezeigte Betrachtung in 
neueren Zeiten gehandelt habe, zeiget unter anderen Benfpielen, 
die ich anführen Fönte, ein erhobenes Werk an der Fontana Trevi 
su Nom, welches vor wenigen Sahren gemachet iſt, und den 
Baumeiſter Diefes Gewäßers vorftellet, wie er den Plan dieſer 
Wafferleitung dem Marcus Marippa überreichet, und zwar mit 
einem gebogenen Knie; ich will nicht anführen, Daß dieſer bes 
rühmte Roͤmer einen langen Bart hat, deffen Bildniffen zuwider, 
die fich fo wohl auf Münzen als in Marmor von ihm finden. 

Ueberhaupt waren alle ausgelaffene Leidenfcheften fonder- 
lich aus öffentlichen Werken der Kunft verbannet; und Diefes 
als bewiefen angenommen, Fan zugleich als eine Regel Dienen, 
untergefchobene Betruͤgereyen von dem wahren Alterthume zu un- 
terfcheiden, wie man Diefes anwenden Ean bey einer Münze, auf 

wel: 
») Plutarch. Pompei. p. 116% 


Bon der Kunft unter den Griechen. 351 


welcher ein Affyrier und eine Affyrierin an einem Palmbaume 
gepräget find, Die beyde ſich die Haare ausraufen wollen, mit der 
Umfchrift: ASSYRIA. ET. PALAESTINA. IN. POTEST. P. 
R. REDAC. S. C. Die Betrügeren diefer Münze ift bereits erwie- 
fen durch das Wort PALAESTINA,, welches auf Feiner einzi> 
gen lateinifchen römifchen Münze gefunden wird 1); es häfte aber 
auch ohne diefer gelehrten Unterfuchung durch jene Bemerkung 
gefchehen Eönen. Denn ich laffe dahin geftellet feyn, ob eine Per: 
fon, ich will nicht fagen männliches, fondern weibliches Geſchlechts, 
auf einem Gemälde, in großer Betruͤbniß Eönte porgeftellet wer= 
den, wie fie fih Die Haare ausraufet ; aber von einer fymbolis 
ſchen Figur auf einer Münze würde Diefes fo wenig als an einem 
öffentlichen Denkmale wohlanftändig gedacht heißen koͤnen, und 
würde, wie die Griechen fagen, nicht xara axıua feyn. In fols 
cher Betrachtung ift Hecuba auf einem Furz zuvor angeführten 
erhobenen Werke zu Grotta Ferrata abgebildet, wie fie die Stirn 
ihres gebeugten Haupts mit der rechten Hand berühret, zum 
Zeichen ihrer Außerften Traurigkeit , welches in Derfelben , oder 
im tiefen Nachdenken der Inftinft zu thun veranlaffet. In Der 
Größe Diefes ihres Schmerzens neben dem erblaßten Körper des 
Hektors, ihres Sohns, vergießet Diefelbe Feine Thränen, welche, 
wo die Betruͤbniß in der Werzweifelung verfenfet iſt, zurüd ge 
preffet werden, wie Seneca 2) der Andromache fagen läffet: 
— Levia perpeflae fumus, 
Si flenda patimur. 


x) Valeis obf. für les medail. de Mezzabarba,p.ısı. 2)Seneca Troad. v. 411. 


62 Die 


532 1. Theil. Viertes Kapitel, 
n. Bon bem Die Weisheit der alten Künftler zeiget fi) in mehreren 


Ausdrucke in 


en mmöbrefien Fichte durch das Gegentheil in den Werken des größten Theils 
5 Zeiten, welche nicht viel mit wenigen, ſondern wenig mit 
viel, welches Die Alten wagerdugsos nennen würden 1), angedeutet 
haben, und von ihren Auslegern würde erkläret worden feyn, 
0 mapa moEmov oder maga axnaa Bupgw xeyon) der unzeitig den Thyr⸗ 
ſus gebraucht , oder mit Demfelben erfcheinet,, nämlich auf Der 
Schaubühne, weil nur allein Die tragifchen Perfonen den Ihyr- 
ſus zu führen pflesten; folglich bedeutet Diefes Wort jemand, der 
in Sachen, focco dignis cothurno incedit , und Sachen über 
ihr Gebühr aufblähet. Sch fehiebe diefe Erklärung bier ein, weil 
ic) glaube, Daß die eigentliche Bedeutung des Worts vagevduprog 
von den Auslegern des Longinus nicht gegeben worden fey ; un— 
terdeffen koͤnte dieſes Wort Das tadelhafte in dem Ausdrucke der 
mehreſten neueren Künftler begeichnen : denn ihre Figuren find in ih⸗ 
ven Mandlungen, wie die Comict auf den Schaupläten der Alten, 
welche, um ſich bey hellem Tage auch Dem geringften vom Pöbel 
an dem äußerften Ende verftändlich zu machen, Die Wahrheit 
über ihre Grängen aufblähen müffen, und der Ausdruck des Ge— 
fichts gleichet den Masken der Alten, Die aus eben Dem Grunde 
ungeftaltet waren. Diefer übertriebene Ausdruck wird ſelbſt in eis 
ner Schrift, Die in den Haͤnden junger Anfänger in der Kunſt 
ift, gelchret , nämlich in Karls le Beim Abhandlung von den 
Leidenfchaften. In den Zeichnungen zu Denfelben ift nicht allein 
der Außerfte Grad der Leidenfchaften in Die Geſichter geleget, 
fon- 


1) Longin. c. 3. p. 24. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 333 


fondern in etlichen find diefelben bis zur Raſerey vorgefteller. 
Man glaubet den Ausdeud zu lehren auf die Dirt, wie Diogenes 
lebete;, ich mache es, fagte er, wie Die Muſici, welche, um in 
den rechten Ton zu kommen, im Anftimmen hoc) angeben. Aber 
da die feurige Jugend geneigter iſt, Die Außerften Enden, als 
das Mittel zu ergreifen, fo wird fie auf dieſem Wege ſchwerlich 
in den wahren Ton kommen, da e8 ſchwer ift, Diefelbe Darin zu 
erhalten: Denn bier verhält es ſich, wie mit den Leidenfchaften 
feldft, die, wie Chryfippus der Stoifer lehrete, dem Laufe von jaͤ— 
hen, fteilen Drten ähnlich find , welcher, wenn man einmal ing 
Laufen gekommen, ſich weder aufhalten läffet, noch zurück zu keh— 
ven verftattet, Denn da, wie Horatius fagt, die Seelen felbft in 
den elnfifchen Feldern weniger auf die zärtlichen Gedichte der 
Sappho als des Alcaͤus aufmerkſam find, weildiefer von Schlach- 
ten und von verjagten Tyrannen ſinget, find wir von Jugend 
auf mehr vom wilden Getümmtel und vom tobenden Geräufche, 
als von friedlichen Begebenheiten und vom ftillen Wandel der 
Weisheit eingenommen; Daher Der junge Zeichner williger vom 
Mars in das Schlachtfeld als von der Pallas zu einer ftillen 
Geſellſchaft Der Weifen geführet wird. Die Lehre der Ruhe und 
Stille in Entwerfung der Bilder ift Diefem, wie aller Jugend Die 
Lehre der Tugend, widerfinnig , aber nothwendig ; und fo wie, 
nad) dem Hippocrates, die Genefung des Fußes die Ruhe ift, 
muß Diefelbe auch bey ſolchen Künftlern bey der Ruhe anfangen. 

Eben fo wenig findet fich in einem ruhigen Stande alter 
Figuren Die bey Den neueren übliche Tanzmeiftermägige Grazie 

St 3 an: 


334 L Theil. Viertes Kapitel, 


angebracht, Die den rücftehenden Fuß vielmals auf den Zehen 
allein ruhen läffet, als welcher bey Den Alten nur im Schreiten oder 
Laufen, niemals aber in der Ruhe alfo ftehet. Wenn aber Phi- 
loctetes auf einer erhobenen Arbeit, die ich beſitze, und in den 
alten Denfmalen beygebracht habe , den rechten Fuß alfo hält, 
ift Dadurd) deffen Schmerz von dem Biffe der Schlange ausge 
druͤcket, welcher ihm nicht erlaubet, auf denfelben zu treten. 

cc. Ben te Nach der allgemeinen Betrachtung der Schönheit ift sum 

«. Atgemein, erſten von der Proportion, und zum zweyten von der Schönheit 
einzelner Theile des menfchlichen Körpers, zu reden. Die Schön- 
heit Fan zwar ohne Proportion nicht gedacht werden, und Diefe 
ift der Grund von jener; da aber einzelne Theile des menfchlichen 
Körpers ſchoͤn gebildet feyn koͤnen, ohne ſchoͤnes Werhältniß Der 
ganzen Figur, fo Fan man füglich über die Proportion, als 
über einen abgefonderten Begriff und außer dem Geiftigen der 
Scyönheit , befondere Bemerkungen machen. So wie nun Die 
Gefundheit ohne anderes Vergnügen Fein großes Gluͤck ſcheinet, 
fo iſt, eine Figur fchön zu zeichnen , nicht hinlänglich , daß Dies 
felbe in der Proportion richtig fen; und fo wie die Wiffenfhaft 
vom guten Geſchmacke und von Empfindung gänzlich enffernet 
feyn Fan, eben fo Fan die Proportion, welche auf dem Wiffen 
beftehet, in einer Figur ohne Tadel feyn , ohne Daß Diefelbe da— 
durch fchön iſt. Wiele Künftler find gelehrt in der Proportion, 
aber wenige haben Schönheiten hervorgebracht, weil hier der 
Geiſt und das Gefühl mehr als der Kopf arbeitet. Da nun das 
Spealifche der Schönheit von den alten Kuͤnſtlern als der höhere 

Theil 


Don der Kunft unter den Griechen. 335 


Theil derfelben betrachtet worden ‚fo haben fie Diefer Die beftimm: 
ten Verhältniffe unterworfen und gleichfam zugewäget mit einiger 
Freyheit, Die zu entſchuldigen ift, wenn es mit Grunde gefchehen. 
Die Bruft z. E von der Halsgrube bis an die Herzgrube, Die 
nur eine Gefichtslänge halten follte , ift mehrentheils, um Der 
Bruſt eine prächtige Erhobenheit zugeben, einen Zoll und viel- 
mals nod) länger. Eben fo verhält es ſich mit dem Theile von 
der Merzgrube bis an den Nabel, welcher um die Figur gefchlant 
zu machen, mehr als ihre gewöhnliche Gefichtslänge hat, fo wie 
e8 ſich auch) in der Natur fchöner wohlgewachfener Menfchen 
finder, 

Der Bau des menfchlichen Körpers beftehet aus Der drit— 
ten, als der erſten ungleichen Zahl, welches die erfte Werhältniß- 
zahl ift: Denn fie enthält die erfte gerade Zahl und eine andere in 
ſich, welche beyde mit einander verbindet. Zwey Dinge Fönen, 
wie Plato fagt 1), ohne ein Drittes nicht beſtehen; Dasbefte Band 
tft Dasjenige, welches fich felbft und das verbundene auf Das befte 
zu eins machet, fo Daß fich Das erfte zu dem zweyten verhält, wie 
Diefes zu dem mittlern. Daher ift in dieſer Zahl Anfang, Mittel 
und Ende, und durch Die Zahl drey, welche für die vollfommenfte 
gehalten wurde 2), find wie die Pythagoraͤer lehren 3), alle 
Dinge beftimmet; ja es hat unfere Statur felbft mit derfelben ein 
DVerhältniß: denn man hatbemerfet, daß im dritten Jahre der 
Menſch Die Hälfte feiner Größe erreichet hat A). 

Der 


») in Timaeo, p. 477. lin. ult. ed. Baf. 2) Plutarch. Tab. man. p. 320. 
l. 23, 3) Ariftot. de cael. & mund. L. ı. MFUn L. 7, c. 16. 


336 1. Theil. Biertes Kapitel. 


Der Körper fo mohl, als die vornehmften Glieder, haben 
drey Theile: an jenem find es Der Leib, Die Schenkel, und die 
Deine; der Untertheil find Die Schenfel, die Beine und Süße; 
und fo verhält es fi) mit den Armen, Händen und Füßen: Eben 
dieſes ließe fich von einigen andern Theilen, welche nicht fo deut⸗ 
lich aus dreyen zufammengefeßet find, zeigen. Das Verhaͤltniß 
unter Diefen drey Theilen ift im Ganzen wie in deffen Theilen, 
und es wird fich an wohlgebaneten Menfchen der Leib, nebftdem 
Kopfe, zu den Schenkeln und Beinen mit den Füßen verhalten, 
wie ſich Die Schenkel zu den Beinen und Füßen, und wie fich Der 
obere Arm zu Dem Ellenbogen, und zu der Hand verhält. Das 
Geſicht Hat nicht weniger drey Theile, nämlich dreymal die Län- 
ge der Naſe; aber der Kopf hat nicht vier Naſen, wie einige leh— 
ven wollen I). Der obere Theil des Kopfs , nämlich die Mühe 
von dem Haarwachſe an, bis auf den Wirbel, fenkrecht genom- 
men, hat nur drey Wiertheile der Lange der Naſe, das ift, 8 
verhält fich Diefer Theil zu der Nafe, wie Neun zu Zwölf. 
B. Beurtheis Wenn wir mit Dem Vitruvius annehmen, Daß in der Bau 
a ice, kunſt Die Proportion der Säulen von dem Werhältniffe des menſch⸗ 
Ariin lichen Körpers genommen worden, und daß ſich der Durchmeffer 
des unteren Schafts der Säulen zu ihrer Hoͤhe verhalte, wie der 
Fuß zu dem ganzen Körper; fo Fönte Diefes nicht von Der Natur 
felöft, fondern von abgebildeten Figuren gelten. Denn an den 
älteften Säulen fo wohl in Großgriechenland und Sicilien, als 
auch in Griechenland ſelbſt finder fich Diefes Verhaͤltniß nicht , und 
Die 


») Watelet Refl, für la peint. p. 65. D. 4. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 337 


die mehreften find kaum fünf Durchmeffer ihres unteren Schafts 
body. Da nun aufeinigen uralten hetrurifchen Werfen der Kopf 
zu der Figur ein geringeres Verhältniß hat, als es der Natur 
gemäß ift, wie ich im vorigen Kapitel bey Dem gefchnittenen Stei⸗ 
ne der fünf Melden wider Theben, angezeiget habe; fo muß man 
entweder fagen, Daß die Proportion der Säulen nicht nach Der 
Natur beftimmet worden, oder es findet nicht ftatt, was Vitru— 
vius vorgiebt; und Diefes ift meine Meynung. ES würde aud) 
Diefer roͤmiſche Baumeifter, wenn er an das Verhältniß der älte- 
ften doriſchen Säulen gedacht hätte, als welche er gar nicht be= 
rühret hat, wie gleichwohl nöthig gewefen wäre, ſelbſt eingefehen 
haben, Daß feine Vergleichung der Säulen mit der menfchlichen 
Figur willtührlich fey, und Feinen Grund habe. Um das Vor— 
geben diefes Sceribenten wenigftens auf deſſen Seite wahrſchein— 
lich zu machen, habe ic) geglaubet, es Fönte in dem Verhaͤltniſſe 
einiger alten Figuren gegründet feyn, an welchen der Kopf einen 
größeren Theil derfelben,, als in der Natur, ausmachet; aber 
and) Diefes ift nicht allgemein, ja ungruͤndlich, je alter Die Figu— 
ven find: Denn an den älteften Eleinen hetrurifchen Figuren von 
Erzt ift der Kopf Faum der zehnte Theil ihrer Möhe. | 

Eine Bemerkung, die der unfterbliche Graf Caylus von den 
Köpfen der alten Figuren machet, nämlich daß diefelben insge— 
mein fehr groß und ſtark find, hat, fo viel ich urtheilen Fan, 
feinen Grund. Es ſaget derſelbe Diefes bey Gelegenheit des Ur- 
theils des Plinins über den Zeuxis und über den Euphranor, de 
ven Köpfe und Gelenke ftark gewefen ſeyn follen. Diefes Urtheil 

Winkelm. Geh. der Runſt. Uu hätte 


338 I. Theil. Biertes Kapitel. 


hätte von jenem berühmten Manne ohne Erläuterung als wenig 
bedeutend übergangen werden koͤnen, fonderlich da einem jeden, 
der Die Werke des Alterthums aufmerkfam betrachtet, dag Ge- 
gentheil Deutlich erfcheinet. Denn woher ift die ungereimte Sage, 
die von mehr als einem Seribenten wiederholet worden, entftan: 
den, Daß der Kopf des farnefifchen Dercules einige Meilen weit 
von dem Korper gefunden worden ? Eben Daher, weil dieſer Kopf 
dem pobelhaften Begriffe von einem Mercules ziemlich Elein ge: 
fehienen, welches jedod) eben dieſe Kunſtrichter an mehr als an 
einem Hercules auszufesen gefunden hätten, fonderlic) wenn man 
deſſen Figuren und Köpfe auf gefchnitfenen Steinen betrachten 
wollen. Sc kan alfo dem Urtheile des neueren Seribenten nicht 
mehr als des alten beypflichten: Denn es war den Alten und ſon— 
derlich den Künftlern wie Zeuris, das Werhältniß des Haupts 
zum Halſe und zu dem übrigen Körper mehr als ung bekannt, wel- 
ches ſich unter andern aus einer Stelle des Catullus in dem Ver— 
mählungsgedichte des Peleus und der Thetis zeiget. “Die Am 
me“, fagt Diefer Dichter, „ wird der Thetis, wenn fie dieſelbe 
„ nad) der erften Brautnacht beſuchet, den Hals nicht mehr mit 
„ dem Faden umgeben könen. * Man fehe die Ausleger über 
dieſe Stelle, ob fie Diefelbe in ihr völliges Licht gefeset haben. 
Es ift diefe Gewohnheit nod) io in Italien nicht unbefannt, und 
Fan hier zu Erläuterung dienen. Man miffet einem Knaben oder 
einem Mädgen, welche die reifen Iahre zum Gennße des Der: 
gnuͤgens haben, den Mals mit einem Faden oder Bande; dieſes 
Maaß wird alsdann doppelt genommen, und die beyden Enden 
des 


Bon der Kunft unter den Griechen, 33 


des Bandes halt man zufammen , und die Hälfte deffelben wird 
mit den Zähnen gehalten. Wenn Diefes Band alsdann ungehin- 
dert von dem Munde ab über den Kopf gezogen werden Fan, foll 
es ein Zeichen der Jungferfchaft Der Perſon geben. 

Es ift glaublich, Daß die griechifchen Künftler, nach Art 
der aͤgyptiſchen, fo wie Die größeren Werhältniffe , alfo auch die 
Eleineren, durch genau beftimmte Regeln feftgefesst gehabt, und 
Daß in jedem Alter und Stande das Maaß der Längen ſo wohl, 
als der Breiten, wie Die Umfreife, genau beftimmt gewefen, wel 
ches alles in den Schriften der alten Künftler, die von der Sym— 
metrie handelten I), wird gelehret worden feyn. Diefe genaue 
Beftimmung ift zugleich Der Grund von dem ähnlichen Syſtema 
der Kunſt, welches ſich auch in den mittelmäßigen Figuren der 
Alten findet. Denn ungeachtet der Werfchiedenpeit in der Art 
der Ausarbeitung, welche aud) die Alten bereits in den Werfen 
des Myron, Des Polycletus, und des Lyſippus bemerket haben, 
feheinen die alten Werke dennoch wie von einer Schule gearbeitet 
zu feyn. Und fo wie in verſchiedenen Xiolinfpielern, die unter 
einem Meifter gelernet haben, dieſer in jedem von jenen durch 
KRunftverftändige würde erkannt werden, eben fo ficht man in der 
zeichnung der alten Bildhauer von dem größten bis auf die ge- 
tingeren, eben diefelben allgemeinen Srundfäge. Finden fid) aber 
zuweilen Abweichungen in dem Verhältniffe, wie an einem Eleinen 
fehönen Torfo einer nackten weiblichen Figur, bey dem Bildhauer 
Eavaceppi in Rom, an weldyer der Leib vom Nabel bis an die 

Uun2 Schaam 


ı) Philoftr. jun. Prooem, Icon. 


. Genauere 
Beftimmung 
ter menſchli⸗ 
chen Propor- 
tion. 


ey ep. 
in Abſicht a 

das Maaf ve 
Fußes, wo die 
irrigen Eine 
wendungen 

einiger Seri⸗ 
benten wider; 
leget werden, 


340 I. Theil. Viertes Kapitel. 


Schaam ungewöhnlich lang ift, fo ift zu vermuthen, Daß diefe, 
Figur nad) der Natur gearbeitet worden, wo Diefer Theil alfo 
befchaffen geweſen feyn wird, Sch will aber auf Diefe Art die 
wirklichen Vergehungen nicht bemänteln: Denn wenn Das Ohr 
nicht mit Der Naſe gleich ſtehet, wie es ſeyn follte, fondern ift, wie 
an dem Bruftbilde eines indischen Bacchus des Deren Rardinalg 
Alexander Albani, fo ift dieſes ein Fehler, welcher nicht zu ent⸗ 
ſchuldigen iſt. 

Die Regeln der Proportion, ſo wie ſie in der Kunſt von 
dem Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤrpers genommen worden, 
ſind wahrſcheinlich von den Bildhauern zuerſt beſtimmet, und 
nachher auch Regeln in der Baukunſt geworden, daher das Wort 
Fuß in der roͤmiſchen Sprache auch von dem Maaße fluͤßiger Sa— 
chen gebrauchet wird 1), der Fuß war bey den Alten die Regel 
in allen großen Ausmeffungen, und Die Bildhauer ferten nach der 
Länge Deffelben das Maaß ihrer Statuen, und gaben denfelben 
ſechs Langen des Fußes, wie Vitruvius bezeuget 2): Denn der 
Zuß hat ein beftimmteres Maaß, als der Kopf, oder das Geficht, 
wonach Die neueren Maler und Bildhauer insgemein rechnen. 
Pythagoras gab Daher Die Länge des Hercules an, nad) dem 
Maaße des Fußes, mit welchem er das olympiſche Stadium zu 
Elis ausgemeffen 3). Hieraus aber ift mit dem Lomazzo auf Feine 
Weiſe zu fchließen, Daß der Fuß deſſelben den fiebenten Theil fei- 
ner Länge gehalten 4); und was eben Diefer Scribent gleichfam 

als 


1) Plin. L. 18. c. 14. pP. 536. »)L.3.c.1. 3) Aul. Gel. Nod. Att, 
J—— 4) Tratt. della Pit. L. x. c. ıo, ar 


Bon der Kunft unter den Griechen. 341 


als ein Augenzeuge verfichert von den beftimmten Proportionen 
der alten Künftler an verfchiedenen Gottheiten, wie zehen Gefich- 
ter für eine Venus, neun Gefichter für eine Juno, acht Geſichter 
für einen Neptunus, und fieben für einen Hercules r), ift mit 
Zuverficht auf guten Glauben der Lefer hingefchrieben , und er— 
Dichtet und falfch. 

Diefes Verhaͤltniß des Fußes zu dem Körper, welches ei> 
nem Gelehrten feltfam und unbegreiflich feheinet 2) , und von 
Perrault platterdings verworfen wird 3), gründet fich auf Die 
Erfahrung in der Natur, auch in gefchlanken Gewächfen, und 
Diefes Werhältnig findet nicht allein an ägpptifchen Figuren, nad) 
genauer Ausmeffung derfelben, fondern auch an den griechifchen, 
wie ſich an den mehreften Statuen zeigen würde, wenn ſich Die 
Füße an denfelben erhalten Hätten. Man kan fid) Davon über: 
zeugen an göttlichen Figuren, an Deren Länge man einige Theile 
über Das natürliche Maaß hat anwachfen laffen ; am Apollo, 
welcher etwas über fieben Köpfe hoch ift, hat der ftehende Fuß 
drey Zolle eines vömifchen Palms mehr in der Länge, als der 
Kopf; und eben dieſes Verhältniß hat Albrecht Dürer feinen 
Figuren von acht Köpfen gegeben, an welchen der Fuß der fechfte 
Theil ihrer Höhe if. Das Gewaͤchs der mediceifchen Venus ift 
ungemein gefchlanf , und ungeachtet der Kopf fehr Hein ift, 
halt dennoch die Länge Derfelben nicht mehr , als fieben Köpfe 
und einen halben: der Fuß derfelben ift einen Palm und einen 

iu 3 hal⸗ 


7 2) Huet. in Hustian, 3) Vitruv. L. 3. 
© 8. P. 57.058 


dd. Bon der 
Eompofition, 


342 I. Theil, Viertes Kapitel, 


halben Zoll lang, und die ganze Höhe der Figur beträgt ſechs 
und einen halben Palm. 

Eine umftändliche Anzeige der Werhältniffe des menſchli⸗ 
hen Körpers würde Das leichteſte in dieſer Abhandlung von der 
griechifchen Zeichnung des Nadenden gewefen ſeyn, aber es wür- 
de Diefe bloße Theorie ohne praktiſche Anführung bier eben fo we⸗ 
nig unterrichtend werden , als in anderen Schriften, wo man 
ſich weitläuftig, auch ohne Figuren beyzufügen, hineingelaffen 
hat. Es ift aud) aus den Verfuchen, Die Verhältniffe des Kör- 
pers unter Die Regeln der allgemeinen Harmonie und der Muſik 


‚zu bringen, wenig Erleuchtung zu hoffen für Zeichner, und für 


Diejenigen, welche die Kenntniß des Schönen ſuchen: die arith- 
metifche Unterfuchung würde hier weniger, als die Echule des 
Fechtbodens in einer Feldſchlacht, helfen. 

Ich hänge an dieſe Anmerkungen über die Wroportion 
Dasjenige an, was von der Zufammenfetung der Figuren zu 
erinnern feyn möchte. SDier waren die vornehmften Negeln der 
alten Künftler , erſtlich die Sparfamkeit in Figuren, und zwey- 
tens die Ruhe in ihrer Handlung. In Abfiht auf die erftere 
erfcheinet aus fehr vielen ihrer Werke, Daß das Geſetz der Schau: 
fpiele, nicht mehr als drey Perſonen zugleich auftreten zu laffen 
(ne quarta loqui perfona laboret 1), welches Sophockes zuerft 
eingeführet hat 2), aud) in der Kunft angenommen und beobach⸗ 
tet worden; ja wir finden, Daß die alten Künftler ſich bemüheten, 
viel und eine ganze Dandlung in einer einzigen Figur auszudruͤ⸗ 

dien, 


ı) Hor. art. poet. 2) Ariftot. Poet. c, 4 P. 243. 


on der Kunft unter den Griechen. 343 


en, wie der Maler Theon zeigete in der Figur eines Kriegers, 
der die Feinde zuruͤckhalten wollte, ohne deſſen Gegner vorzuftel: 
len 2). Es waren auch die alten Kuͤnſtler, da fie alle aus eben 
Derfelben Duelle, dem Homerus, fchöpfeten , an eine beftimmte 
Zahl von Figuren gebunden , weil dort fehr viel Dandlungen® 
zwifchen zwo oder drey VPerfonen vorgehen, wie z. E. Die berühmte 
und vor Alters vielmals gebildete Vertauſchung der Waffen Des 
Glaucus und des Diomedes ift, ferner die Unternehmung Des 
Ulyffes und des Diomedes auf das frojanifche Lager , nebft Der 
Ermordung des Dolons und unzählige ehemals ausgeführte Ab— 
bildungen. Eben fo verhält es ſich mit der heroifchen Gefchichte 
vor dem trojanifchen Kriege, wie ein jeder weiß; fo Daß Die meh- 
reften Handlungen in drey Figuren völlig begriffen und geendigt 
waren. In Abficht auf die Ruhe in der Compofition der alten 
Künftler erfcheinet niemals in ihren Werfen, wie in den mehreften 
neuerer Zeiten, eine Gefellfchaft, in welcher fich ein jeder zugleich 
mit den anderen will hören laffen, oder ein Daufen Volk, wie in 
einem plöglichen Zulaufe, wo einer auf Den andern zu fteigen 
ſcheinet; fondern ihre Bilder gleichen Verfammlungen von Per- 
fonen, Die Achtung bezeugen und erfordern. Sie verftanden fehr 
wohl das, was wir gruppiren nennen; aber man muß dergleichen 
Zufammenfegung nicht in den häufigften erhobenen Arbeiten ſu— 
chen, die alle von Begräbnißurnen genommen find, wo die ſchma— 
le Länge der Form diefes nicht allemal erlaubete ; und dennoch 
finden ſich einige von Diefen, wo die Compofition reich und hau- 
fen- 
) Aelian. var. hift. L, 2. c, ult, 


344 I Theil. Viertes Kapitel, 


fenweis geſtellet iſt, wie unter anderen der Tod des Meleagers 
zeiget, welches Stuͤck in meinen alten Denkmalen bekannt gema- 
het iſt . Erlaubete aber der Raum die Mannigfaltigkeit in 
Stellung der Figuren, koͤnen ſie auch hier unſere Muſter ſeyn, 

Welches aus den alten Gemaͤlden in meinen Denkmalen des Al— 
terthums und aus ſehr vielen unter den herculaniſchen offenbar iſt. 
Ich will nicht von dem reden, was unſere Kuͤnſtler den Contrapoſt 
nennen; denn ein jeder wird erkennen, daß derſelbe ihren Mei— 
ſtern im Alterthume ſowohl als jenen bekannt war, und nicht 
weniger als den Dichtern und Rednern Die Gegenſaͤtze (Antithe⸗ 
ſes) welche bey dieſen dasjenige ſind, was jenes Wort in der 
Kunſt bedeuten poll; folglich ſoll der Contrapoſt, fo wie Die Ge— 
genſaͤtze im Schreiben, ungezwungen ſeyn, und ſo wenig dort als 
hier fuͤr einen hohen Theil des Wiſſens geachtet werden, wie bey 
den neuern Kuͤnſtlern geſchiehet, bey welchen der Contrapoſt alles 
gilt und entſchuldiget: mit denſelben tritt Chambray hervor, um 
den Raphael zu rechtfertigen, in deſſen von Marco Antonio ge 
ftochenen Zeichnung des KRindermordes, wo Die weiblichen Figu— 
ven ſchwer, Die Mörder hingegen ausgezehrt find. Diefes fagt 
jener Scribent, ift in Abſicht des Contrapofts gefchehen, um Die 
Mörder Dadurch noch abfceheulicher vorzuftellen 2). 


ee, Bon ber Ich bin in Betrachtung der Schönheit analytifch gegan- 
ie gen; Das iſt, von dem Ganzen auf die Theile, man koͤnte aber 
ve Sr eben ſo nuͤtzlich fünthetifch lehren, und nad) Unterfuchung Der 


Theile dns Ganze nehmen. Die Kenntniß des Einzelnen in Der 
Schön: 


3) Monum. ant. ined. N. 88. 2) Chambray Idee de la peint. p- 46- 


Bon der Kunft unter den Griechen. 245 


Schönheit muß vornehmlich auf Die Außerften Theile gerichtet feyn, 
weil nicht allein in Denfelben Leben, Bewegung, Ausdruck und 
Handlung beftehet, fondern weil ihre Form die ſchwereſte ift, und 
vornehmlich den Unterſcheid Des Schönen vom haͤßlichen und Der 
neuen Arbeit von der alten beftimmet: Kopf, Mände und Füße 
find im Zeichnen dag erfte, and müffen es auch im Lehren feyn. 
Die Befchreibung des Einzelnen aber ift in allen Dingen, alfo 
auch hier fchwer. 
In der Bildung des Gefichts ift das fogenannte griechi- —— — 
ſche Profil die vornehmſte Eigenſchaft einer hohen Schoͤnheit; — 2 
dieſes Profil iſt eine faſt gerade oder ſanft geſenkte Linie, welche ats "des Ges 
Die Stien, mit der Nafe an jugendlichen, fonderlich weiblichen Ore. 
Köpfen, befchreibet. Die Natur bildet Daffelbe weniger unter 
einem rauben, als fanften Himmel, aber wo e8 fich findet, pfles 
get Die Form des Gefichts fchön zu feyn: Denn durch das Gera— 
de und Voͤllige wird Die Großheit gebildet, und Durch fanft ges 
fenkte Formen das Zärtliche. Daß in diefem Profile eine Urfache 
der Schönheit liege, beweifet deſſen Gegentheil : Denn je ftärker 
der Einbug der Nafe ift, je mehr weicht jenes ab von der fchönen 
Form; und wenn fic) an einem Gefichte, welches man von Der 
Seite fieht, ein fchlechtes Profil zeiget , Fann man erfpareit, fich 
nad) Demfelben, etwas fehönes zu finden , umzufehen. Daß «8 
aber in Werfen der Kunft Feine Form ift, welche ohne Grund 
aus den geraden Linien des älteften Stils geblieben ift, beweifet 
Die ftark gefenkte Naſe an ägyptifchen Figuren, bey allen geraden 
Umriſſen derfelben. Das, was die alten Seribenten eine vier: 
Winkelm, Gefh. der Runſt. EX eckigte 


BB. DieStirn. 


346 I. Theil, Biertes Kapitel. 


eckigte Naſe nennen 1), ift vermuthlich nicht dasjenige, was Ju⸗ 
nius von einer völligen Naſe ausleget 2), als welches feinen Be— 
geiff giebt, fondern es wird Diefes Wort von beſagtem wenig ge: 
ſenkten Profile zu verftehen feyn. Man Eönte eine andere Aus⸗ 
legung des Worte vieredigt geben, und eine Nafe verftehen, de— 
ven Fläche breit, und mit fcharfen Ecken gearbeitet ift, wie Die 
giuftintanifche Dallas, und Die fogenannte Veftale in eben dieſem 
Palaſte haben; aber diefe Form findet fich nur an Statuen des 
älteften Stils, wie diefe find, und an Diefen allein. | 

Nach Anzeigung der Schönheit des Profis, das ift, der 
fehönen Form des ganzen Geſichts, um oben an dem Haupte ans 
zufangen, lieget in der Befchaffenheit der Stirne eine der vor— 
nehmſten Eigenfchaften fehöner Bildung; und dieſe beftehet zum 
erften darinn, Daß Diefelbe kurz fen, welches ung theils Die eigene 
Anſchauung, theils die Bemerkung der alten Scribenten 3) leh— 
vet, Dergeftalt daß das Gegentheil, das ift, eine hohe Stirn von 
den Alten als häßlich angegeben wird 4. Denn da in der Bluͤ— 
the der Jahre die Stirn insgemein Fury zu ſeyn pflegst, che Der 
Haarwachs ausgehet und dDiefelbe entblößet, fo hat die Natur 
ſelbſt dem Alter der Schönheit diefe Eigenfchaft verliehen, welche 
alfo ohne Nachtheil der fchönen Form nicht mangeln Fan. 

Un fich hiervon zu überzeugen, Darf man nur an Perfo- 
nen, die eine niedrige Stirn haben, die vorderen Haare mit ei- 
ven Finger bedecken, und fich die Stirn um fo viel höher vor- 

ftel- 
ı) Philoftr. Heroic. p. 673. 1. a2. p. zı5. 1. 27. 2) de Pict. vet. L. 3.c. 

9. P. 157. 3) Lucian. amor. p. ya2. 4) id. dial, meretr. I. p. 516. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 347 


ftellen, fo wird, wenn ich fo reden Darf, Der Uebelklang der Pro— 
portion merklich werden, und wie eine hohe Stirn dev Schönheit 
nachtheilig ſeyn Fan, wird Deutlich in Das Auge fallen. Plus 
eben Dem Grunde fcheinen die Circaffierinnen, um die Stirn noch 
niedriger fcheinen zu machen, Die abgeftutsten Haare auf derfelben 
herunter zu kaͤmmen, fo daß fie faft bis an Die Dlugenbraunen 
reichen. 

‚Se niedriger aber die Stirn ift, deſto kuͤrzer find Die 
Haare auf derfelben, und es pflegen ſich die Spitzen den niedrig- 
ften und Fürzeften Haaren vorwärts über za beugen, fo wie Per 
tronius an feiner Livie Diefe Haare befchreibet, welches weder 
deffen Dibfchreiber nod) Ausleger verftanden haben. Denn wo 
man liefet: Frons minima, & quae radices capillorum retroflexe- 
rat, muß man ohne Zweifel anflatt des Worts radices leſen api- 
ces, “ die Spitzen, “ nämlid) der Haare, oder ein ähnliches 
Wort, da apex die Spise eines jeden Dinges bedeutet. Wie 
fönen fi) Die Wurzeln der Haare vorwärts beugen? Der fran- 
zöfifche Ueberfeger hat hier einen Pus fremder aufgeſetzter Haare 
finden wollen, unter weldyen man die Wurzeln der eigenen und 
notürlichen Haare entdedket habe: was Fan ungereimter ſeyn! 

Der Haarwachs auf der Stirne muß nachftdem zur Volt 
endung der Schönheit derfelben, und um dem Gefichte die ey— 
förmige Seftalt zu geben, rundlich bis über die Schläfe gehen , 
wie ſich Diefes an allen ſchoͤnen Derfonen findet. Diefe Form der 
Stirn ift allen idealifchen und anderen jugendlichen Köpfen der 
alten Kunſt dergeftalt eigen, daß man an Eeinem derſelben tiefe 

:y2 un: 


yy.Diedanre 
auf der Stir⸗ 


= 
> 


a. Ueber⸗ 
haupt, 


b. Des Her⸗ 
kules. 


348 L Theil, Viertes Kapitel. 


unbewachſene Winkel über den Schläfen fichet. Diefe Bemer- 
fung ift von wenigen neueren Bildhauern gemachet worden; und 
wo man neue jugendlich männliche Köpfe auf alte Statuen gefe- 
tzet fichet, unterfcheidet fi) die ungelehrte neue Idea an den Haa— 
ven, welche. ausfchweifend auf der Stivne hervorlaufen. Bernini 
hat hier, wie in vielen andern Stücden Das Gegentheil für fchön 
gefunden; und Baldinucei, deffen Lobredner, glaubet etwas be— 
fonders von dem feinen Geſchmacke deffelben anzubringen, wenn 
er berichtet, e8 habe dieſer Künftler, da er Ludwigs XIV. Bilde 
niß in der Jugend felbft modellivet , dieſem jungen Könige die 
Haare von der Stirne weggeftrichen , worinn dieſer ſchwazhafte 
Slorentiner feine wenige Kenntniß verrathen hat. 

Diefe Form der Stirn, fonderlich die vorwärts geboge— 
nen kurzen Haare, find offenbar an allen fchönen Köpfen des 
Herkules, fo wohl im jugendlichen als im männlichen Alter, und 
find nebft der Dicke des Halſes, wieich oben angegeiget habe, 
zugleich ein fombolifches Zeichen feiner Stärke und feheinen auf 
die Eurzen Haare zwifchen den Hoͤrnern der Stiere zu deuten. 
Es find alfo befagte Haare ein Kennzeichen des Merkules, fo daß 
man durch Diefelben Das Bild diefes Melden von den Köpfen 
feiner geliebten Sole, die ebenfalls mit einer Löwenhaut bedecket 
find, unterſcheidet weil deren Haare lockenweis auf der Stirne 
liegen, wie man unter anderen in Dem Einiglichen farnefifchen 
Muſeo zu Neapel an einem hod) gefehnittenen Kopfe dieſer Schön- 
heit fehen Fan. Eben diefes Kennzeichen war einer Yon Den 
Gründen, der mich bewog, einem fchönen tief geſchnittenen Kopfe 

N des 


Bon der Kunft unter den Griechen. 349 


des Hercules in dem ehemaligen Stofchifchen Mufeo, da Derfelbe 
unter dem Namen einer Iole gieng , feine wahre Benennung zu 
geben. Eben diefe Kennzeichen entdecken fich in einem jugendli- 
hen Kopfe mit Lorbeern befränget, von Allion einem griechifchen 
Künftler auf einem Carniole gefchnitten, welcher fid) in Der Groß— 
herzoglichen Gallerie zu Florenz befindet: es wäre alfo hier eben- 
falls ein Derkules vorgeftellet, und Fein Apollo, wofür man ihn 
ausgegeben hat 1). Ein anderer Hercules in eben Diefem Muſeo, 
vom Oneſas gefchnitten, ift wie jener mit Lorbeern befränget, Da 
aber der obere Theil des Kopfs mangelt, ift Die Stirn in den 
Kupfern Deffelben von Leuten erganzet, Die obige Bemerkung nicht 
gemadyet haben. Haͤtten die Münzverftändigen dieſe Beobad)- 
tung gemachet, würde man auf vielen Münzen, fonderlid) Ale 
xanders des Großen, Die einen jugendlichen Kopf mit einer Lö- 
wenhaut bedecfet vorftellen, hier Das Bildniß Des Merkules er: 
Fannt haben, wo man den Alexander oder einen anderen König 
zu fehen vermeynet hat. 

An Den Köpfen Alexanders des Großen find ebenfalls die 


c, Alexan⸗ 


ders des Gre⸗ 


Haare auf der Stirne ein beftandiges und untriegliches Kennzei⸗ sen. 


chen deſſelben; diefe Haare aber find in der Mehnlichkeit der 
Haare des Supiters, für deffen Sohn er angefehen fenn wollte, 
von der Stirne hinauf geftrichen,, und fallen feitwärts bogen- 
weis in verfchiedenen Abtheilungen wiederum herunter. Diefe 
Art Hinanfgeftrichener Haare nennet Plutarchus avagroAm Trug xo- 
uns, Da mo er in den Leben Des Pompejus faget, Daß Diefer Die 
EG Haa— 


ı) Stofch pier. gt, pl. $. 


350 1. Theil, Viertes Kapitel, 


Haare wie Alegander getragen habe I), worüber id) im zweyten 
Theile dieſer Gefchichte meine Bemerkung mittheilen werde. 
de. Die Bemerkung der kurzen und vorwärts gekruͤmmten 
Yanrını uns Haare auf der Stirne des Herkules, um den ferneren Nuten 
vun fans Derfelben zu zeigen, kan insbefondere angewendet werden bey ei- 
ns om iugendlichen Kopfe nebft der Schulter, welcher in einem 
Steine des Mufei des Königs in Frankreich gefchnitten ift 2). 
Diefer Kopf zeiget eine Figur, Die mit einem dünnen durchſichti⸗ 
gen Gewande bekleidet ift, welches von der Schulter bis oben auf 
den Kopf hinauf gezogen, und auch über den Lorbeerkrang , Der 
Das Haupt umgiebt, und zu gleicher Zeit verhüllet Daffelbe den 
unteren Theil des Gefichts bis über die Spitze der Naſe, derge— 
ſtalt, daß die Züge dieſes Theils unter ſolchem Schleyer deutlich 
ausgedrüdet und kenntlich find. 
aa. Falſcher Es ift über Diefen Stein eine befondere Abhandlung ges 
Sram ſchrieben 3), in welcher vorgegeben wird, es fen hier abgebildet 
Ptolemaͤus, König in Aegypten und Vater Der berühmten Cleo⸗— 
patra, mit dem Beynamen Auletes, das ift der Slötenfpieler, 
weil er liebete die Flöte zu blafen 4); und daß Das Tuch, welches 
das untere Geficht verhüllet, Denn um Die übrige Verhuͤllung 
des Ropfs und der Schulter ift man unbefümmert gewefen) Die 
Binde yopßeras und gopßer genannt, ſey, Die die Slötenfpieler ſich 
über den Mund banden, durch deren Defnung fie die Flöten bis 
zum 


ı) Plutarch. Pompej. p. 1132. J. 4 2) Mariet. pier. gr. T. 1. p. 379. 
3) Baudelot Dairval Diff. fur une pierre grav. du Cab. de Madanıe, 
Paris, 169%. 8. 4) Strab. L. 17. p. 796. A. 


Bon der Kunſt unter den Eriechen. 351 


zum Munde führeten. Diefes Vorgeben koͤnte einen Schein ge— 
winnen , wenn wir von Diefer Binde Feinen deutlichen Begriff 
hätten; wir fehen Diefelbe aber auf einem dreyſeitigen Altare im 
Campidoglio, wo ein Faun, indem er zwo Flöten bläfet, Diefe 
Binde über den Mund geleget hat, Deffen Kopf in verfchiedenen 
Büchern geftochen ift 1), und alfo dem Verfaffer jener Abhand— 
lung bekannt feyn muß. Wir fehen aud) einem Flötenfpieler auf 
einem hereulanifchen Gemälde den Mund alfo verbunden 2); und 
es zeiget fich an beyden, Daß popßewr eine ſchmale Binde war, Die 
über den Mund und über Die Ohren gezogen und hinterwärts am 
Haupte gebunden war, fo Daß Diefelbe mit der Verhüllung des 
Kopfs, von welchem die Dede ift, nichts zu fchaffen hat. 

Es verdienet unterdeffen Diefer Kopf, da er der einzige in 
feiner Art ift, eine weitere Unterfuchung , um durch Muthma— 
Bungen näher zu der eigentlichen Bedeutung deffelben zu aelan- 
gen; und in Diefer Abſicht vergleiche man Diefes Bild mit den 
Köpfen eines jungen Herkules, fo wird fich eine vollfommene Aehn- 
lichFeit entdecken. Die Stivn erhebet fich an Demfelben mit der ge- 
wöhnlichen Rundung und Großheit ; die vorderen Haare der 
Stivn find, wie id) vorher gemeldet habe, befchaffen, und ein 
Theil der Wangen fänget an ſich zu befleiden bis an das Ohr 


herunter (auyrarnuca n zoun To muAn maga To aus 3), 


Cui 


ı) Mercurial. de gymnaft. =), Pitt, Ere. T. 4 tav. 3) Philoftr. L. ı. 
ic, II. pP, 779. 


bb. Aehnlich⸗ 
keit dieſes 
Kopfs mit 
dem Herkules. 


cc. Abbils 
dung des Ders 
Eules bey der 
Dmpbale in 
demfelben, 


dd. Beweis 
biervon aus 
der Tracht Der 
Lydier. 


J. Theil. Viertes Kapitel. 


Cui prima iam nunc vernant lanugine malae. 
welches nach einer alten Bemerkung den Bart anmeldet 1). 
Ja das Ohr feheinet dem Pancratiaftenohre des Hercules aͤhn— 
lic), 


oO) 
[39 1 
nD 


Wohin aber werde ich Das Tuch deuten, welches unferen 
Kopf verhüllet, und was für ein Verhältniß Fan Daffelbe mit 
dem Herkules haben? ich bilde mir ein , der Künftler habe bier 
Den Herkules abbilden wollen, wie er der Omphale Königinn in 
Lydien dienete; und Diefe Muthmaffung giebt mir ein Kopf des 
Paris in der Villa Negroni, welcher bis an den Rand der uns 
teren Lippe auf eben Diefe Weiſe verhüllet ift, fo Daß Diefes eine 
Tracht fcheinet, Die bey den Phrygiern und Lydiern, als mit 
einander graͤnzenden Wölfern gemein geweſen, Da Diefe beyden 
Voͤlker von den tragifchen Dichtern, nach dem Zeugniße des 
Strabo mit einander vermenget wurden 2), fonderlich da fie zu— 
gleich vom Tantalus beherrfchet wurden 3). Berner belehret ung 
Philoſtratus, daß die Lydier das Gegentheil von den Griechen 
thaten, und Die Theile des Körpers, Die Diefe unbekleidet zeige- 
ten, mit einem dünnen Gewande, zu verhüllen pflesten 4); fo 
daß in Erwägung Diefer beyden Anzeigen meine Muthmaffung 
nicht ungruͤndlich fcheinen follte. 

Diefe Bemerkung von der Tracht der Eydier Fan Philo- 
ſtratus felbft nicht gemachet haben: denn dieſes Volk war nicht 

mehr 


») Anthol. L. 6. c. 22. P. 440. ») Strab. L. 14. p. 665. C. 
3) Athen. Deipn, L. 14. p. 625, F. 4) Philoftr, L. c. 30. p. 808. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 253 


mehr zu deffen Zeit, fo wenig als Die Phrygier; und die Sitten 
der Einwohner diefer Länder in Kleinafien hatten Damals eine 
ganz andere Gcftalt angenommen; e8 muß alſo ein älterer Scri⸗ 
bent die gewöhnliche Werhüllung Der Lydier anzeigen, welcher 
aber nicht bekannt ift. Unterdeffen vedet Euripides von einer Ahn- 
lichen Werhüllung der Phrygier, wo dieſer Dichter in feiner He: 
cube den Agamemnon aufführet, welcher jene Höniginn von Tro- 
ja, da er den entleibten Körper des Polydorus, ihres Sohn, 
vor ihrem Gegelte liegen fah, fragete : wer der todte Trojaner 
fen; denn ein Griech kann es nicht ſeyn, ſagte er, weil deſſen 
Körper verhüllet iſt: 
— rw ara Tov Ö' emi Raus op 
Oavorra Tpwav; ou yap Apyeiwv menk0 
Asuag mepmlunvovreg, ayyelkouci ya. 
Hecub, v. 732. 

denn hier ift nicht die Nede von dem Tuche, in welches Die Tod— 
ten eingehüllet wurden, fondern von einer befonderen Tracht der 
Phrygier, die von der griechifchen Kleidung verfchieden war. Will 
man aber dieſe Stelle überhaupt von der phrygifchen Kleidung 
verftchen, fo übergehe man meine Anmerkung als müßig. 

Diefes fage ic) nicht aus Mistrauen gegen meine vorge: ee. Erklärung 
brachte Muthmaßung über die bey den Lydiern gewöhnliche Werz fureinın &r- 
huͤllung des Geſichts, fondern ich glanbe meiner Erklärung Des Di nee 
Steing, von welchem wir handeln, das völlige Gewicht zu geben 
durch ein Gemälde eines Gefäßes von gebrannter Erde, welches 
in der großen hamiltonifchen Sammlung in Kupfer geftochen zu 

Winkelm. Geſch. der Kunſt. Vy fin⸗ 


354 J. Theil, Viertes Kapitel. 


finden ift. Diefe Malerey wollte ich von neuen gezeichnet, zu An⸗ 
fange Diefes zweyten Abfchnitts beybringen, um mich deutlicher 
erklären zu können ; und merke hier an, daß dieſes Gefäß aus 
Alexandrien in Aegypten gekommen, wohin es vermuthlid in 
neueren Zeiten aus dem Königreiche Neapel gebracht worden. 

Es ift daſelbſt ohne Zweifel Herkules vorgeftellet, wie er 
gedachter Dmphale verkaufe wird, Die hier in Geſellſchaft drey 
anderer weiblicher Figuren ſitzet. Diefe Königinn hat über ihr 
Unterkleid fich in ein dünnes Durchfcheinendes Gewand eingewi— 
ckelt, welches nicht allein ihre linfe Hand völlig einhuͤllet, fon: 
dern auch über das Untertheil des Gefichts bis über die Nafe 
herauf gezogen ift, auf eben Die Art wie wir den Kopf des in 
Stein gefchnittenen Herkules fehen. Wenn alfo der Künftler Die 
ſes Steins die ganze Figur des Merkules hätte zeigen wollen, 
würde er Diefelbe auf ähnliche Art gekleidet haben: denn auch Die 
Männer in Lydien trugen ein Gewand, welches ihnen bis auf Die 
Füße gieng und Barapa hieß 1). Man nennete es auch überhaupt 
Audiss, mit dem Beyſatze Aemlog, Das Dünne, wie Athenaͤus 2), . 
wider des Cafaubonus Muthmaſſung 3) muß gelefen werden, und 
alfo zugleich aus dem obigen erläutert wird. Herkules, welcher 
zu ihr koͤmmt, läffet die rechte Hand auffeiner Kaͤule ruhen, und 
mit der linken berühret er die Knie der Omphale, wie Diejenigen 
thaten, Die etwas von anderen erbiften wollten. Zwifchen Diefen 
beyden Figuren fchwebet eine Fleine männliche Figur Die ein Ge 

nius 
ı) Poll. Onom. L. 7. fegm. 60. 2) Athen. Deipn. L. 6. p. 56. L ult. 
3) Cafaub. in Athen. L. 6. c. 16. p. 451. 


Don der Kunſt unter den Griechen. 355 


nius fcheinet, vielleicht aber Merkurius ſeyn Eönte, welcher den 
Herkules der Indifchen Königinn verfaufete 1); «8 würde jedoch 
Diefes der einzige Merkurius mit langen Flügeln auf dem Mücken 
feyn, der fich in alten Denfmalen findet. Oder es Fann Diefes 
geflügelte völlig weiße Kind die Seele des vom Herkules erfchla- 
genen Iphytus vorftellen, anzuzeigen, daß Die Ausfühnung die— 
fes Todfchlags Die Urfach war , warum Herkules, nach dem 
Drakel des Apollo, der Omphale verfaufet wurde 2); wo es 
nicht die Kiebe ift, welche die Omphale von ihrer Unterredung ab- 
rufet, um den jungen Held, der vor fie tritt, zu empfangen, 
als ihren Eünftigen Liebften. Die vor der Omphale ſitzende weib— 
liche Figur hat Die Haare nad) männlicyer Art hinterwärts kurz 
gefchnitten, welches, da es ganz und gar ungewoͤhnlich ift, nicht 
ohne befondere Andeutung gefchehen ſeyn wird ; und ich weiß 
nicht, ob ich mic) mit einer Muthmaſſung hierüber wagen Darf, 
Sollte diefe Perfon nicht etwa ein Mäddyen vorftellen, Die ver: 
fehnitten war, da Die Lydier die erften waren, Die an Die weibli= 
che Natur auf diefe Art die Dand legeten; und dieſe Erfindung 
wird dem Indifchen Könige Andramytus, welcher der vierte Koͤ— 
nig Diefes Landes vor der Omphale war, zugefchrieben, um fic) 
foldyer weiblichen Gefchöpfe anftatt der männlichen Nerfchnittenen 
zu bedienen (xonIaı aurams ardorı arAwy euvouxw 3), Durch 
was für ein Zeichen aber war eine folche weibliche Perfon an ih— 
vem Leibe felbft anzudenten, als allein an den Haaren, Die kurz 
Yy 2 find, 
1) Sophoc. Trachin. v. 280. Apollod. bibl. L. 2. p. 72. B. 2) Diod. 
Sic, L, 4. P. 237. 5) Athen. Deipn. L. ır. p. 515. E, 


e.Bon Köpfen 
des Hyllus. 


356 I. Theil, Viertes Kapitel. 


find, wie junge Leute männliches Gefchlechts zu tragen pflegen, 
um dadurch gleichfam eine verwandelte weibliche Natur anzudeu- 
ten. So wie and) verfchnittene junge Leute Diefelben werden ge— 
tragen haben; und Der gelehrte Maler dieſes Gefäßes hatte durch 
eine folche Derfon die Worftellung feines Bildes, und das Land 
ſo wohl, wo dieſes vorgegangen, als die Perſon einer Koͤniginn 
der Lydier deutlicher beſtimmet, ohne mich in Erforſchung ande: 
rer Urſachen, die er vielleicht gehabt haben kann, einzulaſſen; wie 
ich denn mit Stillſchweigen uͤbergehe, was mir hier von den Tri— 
baden eingefallen ift, in Betrachtung der ausgelaffenen Geilheit 
der Indifchen Weiber. | 

Ich befürchte nunmehro beynahe, Daß Die Unterſuchung 
eines fo merkwürdigen Steins dem Lefer eine Ausfchweifung ſchei⸗ 
nen Eönte, und ich follte alfo billig meinen Faden wieder füchen, 
nämlich die Anzeige der Schönheit an den übrigen Theilen des 
Geſichts; ich kann aber nicht umhin bey Diefer Gelegenheit zween 
einander völlig ähnliche Köpfe eines jungen Melden von fehöner 
idealifcher Bildung bekannt zu machen, Die in den Haaren auf Der 
Stirne dem Herkules gleichen, und mit einem Diadema umgeben 
find. Das befondere an beyden find Löcher oben auf beyden Sei- 
ten über den Schläfen, in welche man bequem den Daum ſtecken 
kann, Die alfo feheinen gedienet zu Haben, Hoͤrner in denfelbigen 
zu befeftigen; an dem einen Diefer Köpfe waren Diefe Löcher von 
einem neueren Bildhaner voll gefüllet. Die Bildung fo wohl als 
Die Haare erlauben nicht auf Bockshoͤrner und auf junge Faune 
zu ſchließen; «8 haben alfo hier vermuthlich Eleine Ochfenhörner 

ger 


Don der Kunft unter den Griechen. 357 


geftanden. Diefe waren den Köpfen des erften Seleucus, Königs 
in Syrien gegeben 1), deffen Bildniffen unfere Köpfe aber nicht 
aͤhnlich find. Sch bin folglich der Meynung, daß bier Hyllus 
der Sohn des Herkules vorgeftellet worden, deſſen Bilder, nad) 
dem Ptolemaͤus Mephäftio, ein Horn auf der linken Seite des 
Haupts hatten 2), und das andere wird ihm der Bildhauer ges 
gegeben haben. Den einen Kopf beſitze ich; der andere ift in Dem 
Muſeo des Hrn. Barthol. Cavaceppi. 

Proc) mehr als die Stirn find die Augen ein wefentlicher — 
Theil der Schoͤnheit, und in der Kunſt mehr nach ihrer Form an 
als nad) der Farbe zu betrachten, weil nicht in Diefer, fondern in 
jener Die fchöne Bildung derfelben beftehet, in welcher Die verſchie— 
Dene Farbe der Iris nichts ander. Was die Form der Augen 
überhaupt betrifft, ift überflüßig zu fagen, daß große Augen fchd- 
ner als Heine find; ic) wiederhole auch nicht, was andere bereits 
angemerket haben 3), Daß das Wort Bowris „ womit befonders 
Homerus die Schönheit der Augen bezeichnet, nicht auf Ochfen: 
augen zu deuten fey, fondern Das Po, als ein emırarmor, wie Die 
Sprachlehrer reden, fo wie hier als in vielen anderen Worten, 
die mit Diefem Vorſatz zuſammengeſetzet find, eine Vergrößerung 
bedeute ; Daher der Scholiaft des Homerus Promis uͤberſetzet 
peraropSarnuns, mit fhwarzen Augen, und zaAn To modewror, 
ſchoͤn von Geſtalt 4). Man kann auch ſehen, wasder gelehrte Mar: 
torelli in feinen neapolitaniſchen Alterthuͤmern hieruͤber ſaget 5). 

Vy 3 An 
ı) Liban. in Antioch. p, 351. 3) ap. Phot. biblioth. p. 475. s) Exc.de 
Ant. Conftantp; p. 177. A. 4) Schol. Il, do. v. 50, 5) Martorelli 
autich. Napol. Voll, ıı. degli Euboici, p. 107. 


358 I, Theil. Biertes Kapitel, 
ß. In der An idealifhen Köpfen liegen die Mugen allegeit tiefer, 


Bei "als insgemein in Der Natur, und der Knochen Der Angenbraunen 
‚wird Dadurd) erhabener. Ziefliegende Augen find zwar Feine 
Eigenſchaft der Schönheit, und machen Feine fehr offene Mine, 
aber an großen Figuren, Die entfernt von Dem Gefichte geftellet 
wurden, würde das Auge, Da der Apfel mehrentheils glatt ift, 
ohne Diefe Vertiefung wenige Wirkung und Ausdruck geäußert 
haben. Die Kunſt gieng alfo hier von der Natur ab, und brachte 
durch Die Tiefe und durch Die Erhobenheit mehr Licht und Schat- 
ten hervor, wodurch das Auge, welches widrigenfalls wie ohne 
Bedeutung und gleichfam erftorben gewefen wäre, lebhafter und 
wirkfamer gemachet wurde. Aus Diefer Form des Auges machete 
nachher Die Kunft eine faft allgemeine Regel, auc an Kleinen 
Figuren: denn man fiehet an Köpfen auf Münzen die Augen eben 
fo tief liegen. Auf Münzen fieng man aud) zu erfi an, das Licht, 
wie e8 Die Kinftler nennen , durch einen erhobenen Punct auf 
dem Sterne des Auges anzudenten; und diefes bereitd vor Des 
Phidias Zeiten, wie man auf Münzen des Gero und Hiero, der 
Könige von Syracus, fiehet. Aus obigem Grunde und in eben 
der Abſicht fcheinet man eingefeste Augen gemacht zu haben, wel 
ches bereits in den älteften Zeiten bey den ägyptifchen Bildhauern 
üblic) war; von Diefen Mugen wird unten befonders gehandelt 
werden. 

er So war allgemein die Schönheit der Mugen beftimmet; 

und ohne von dieſer Form abzugehen, wurden diefelben dennoch 
an Köpfen der Gottheiten verfchieden gebildet, Dergeftalt Daß Das 
Auge 


Bon der Kunſt ımter den Griechen. 359 


Auge felbft ein Wennzeichen von ihnen ift. Jupiter, Apollo und 
Juno haben den Schnitt derfelben groß und rundlich gewölbet, 
und enger als gewöhnlich in der Länge, um den Bogen derfelben 
deſto erhabener zu halten. Pallas hat ebenfalls große Augen, 
aber die Augenlieder find gefenket, um ihr einen jungfraͤulichen 
zuͤchtigen Blick zu geben. Venus hingegen hat die Augen klei— 
ner, und das untere Augenlied, welches in die Hoͤhe gezogen iſt, 
bildet das liebreizende und ſchmachtende, welches die Griechen 
vypor nennen. Ein ſolches Auge unterſcheidet die himmliſche Ve— 
nus von der Juno; und jene weil ſie ein Diadema hat, wie es 
dieſe trägt, iſt daher von Denen, Die dieſe Betrachtung nicht ges 
machet haben, für eine Juno gehalten worden. Viele Der neue 
ven Kuͤnſtler fcheinen hier die alten übertreffen zu wollen, und ha— 
ben das was Homerus Bowrız nennet, wie ich erwähnet habe, in 
bervorliegenden Augaͤpfeln, die aus ihrer Einfaffung hervor quel- 
fen, zu bilden vermeynet. Solche Augen hat der neue Kopf der 
irrig vermeynten Cleopatra in der Villa Medicis, wie Die Au— 
gen an gehängten Menfchen ſeyn würden; und eben dieſe Mugen 
fcheinet ein Bildhauer gegenwärtiger Zeit zu Nom, an der Sta— 
tue einer heiligen Jungfrau in der Kirche zu St. Carlo al Corſo, 
zu feinem Modelle gewählet zu haben. 

Den Alten ift in Bemerkung der Schönheit nichts unent- 
decket geblieben , bis auf den Zug der Augenlieder : Denn Das 
Wort erınßAepapog beym Heſiodus, fcheinet auf eine befondere 
Form derfelben zu deuten. Der Haufen fpäterer griechifcher 
Sprachlehrer erfläret dieſes Wort fehr unbeftimmt und weitläuf: 

fig 


&, Die Au⸗ 
genlieder, 


&. Die Aus 
genbraunen. 
a. Die Eigen: 
fchaft ihrer 
Schönheit. 


360 J. Theil. Viertes Kapitel. 


tig mit zardıprepapoc, das iſt, mit ſchoͤnen Augenliedern. Der Scho⸗ 
liaft des Heſiodus hingegen dringet zum inneren und geheimen 
Verſtande, und will, Daß AuroßAepapng Augen bezeichne , Deren 
Zieder einen gefchlängelten Zug machen, welcher mit den jungen 
Schlingen der Weinreben verglichen worden 1). Diefe in ihrer 
Maaße gedentete Wergleichung koͤnte flatt finden , wenn man 
den gezogenen Schwung des Randes ſchoͤner Augenlieder be— 
trachtet, welcher fich hier an den vorzüglichiten idealifchen Köpfen, 
wie am Apollo, an den Köpfen der Niobe, und fonderlich an der 
Venus deutlic) zeiget; an den coloffalifchen Köpfen, wie an Der 
Juno in der Ville Ludoviſi, ift dieſer Schwung noch deutlicher 
gezogen und empfindlicher angegeben. An den Köpfen von Erzt 
in dem herculaniſchen Mufeo find an dem Rande der Augenlie— 
der Spuren, daß die Märchen derfelben (Arepapıdes) mit Feinen 
eingefeten Spitzen angedentet gewefen. 

Die Schönheit der Augen felbft wird Durch die Mugen: 
braunen erhoben und gleichfam gefrönet, die Defto fehöner find, in 
je duͤnneren Faden von Märchen diefelben gezogen erfcheinen 2), 
welches in der Kunſt an den fchönften Köpfen die fehneidende 
Schärfe des Knochens über den Augen andentet. Diefes ift og- 
puav Te To euypappov, Welches Lucianus an den Köpfen des Pras 
yiteles befonders fchön fand 3). In Anzeigung der Eigenfchaft 
der Schönheit dev Augenbraunen, die Petronius in folgenden 
Worten giebt: Supercilia usque ad malarum feripturam currentia, 
& rurfus confinio luminum pene permixta , glaube ich, man koͤnne 

anz 
1) Strays voy. T. 2. p. 75. 2) Virg. Aen. s. v. 63. 3) Imag. p. 5: 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 361 


anftatt feripturam , welches nichts bedeutet, Das Wort ſteicturam 
feen, ungeachtet ic) weiß, daß in Dem Verſtande, wo ftridtura 
bey Den Scribenten vorkömmt, Daffelbe hier nicht anzubringen 
it. Wenn man aber Demfelben die Bedeutung des Worts ftrin- 
gere, Wovon jenes hergeleitet iſt, giebt, würde Petronius haben 
fagen wollen, bis an die Grängen Der Backen über den Wangen: 
denn flringere heißt auch fo viel als radere, das iſt, genau und 
Dicht vorbey ſtreichen 1). 

Ich habe mich hier billig gewundert, wie Theocritue, Der 8. Widerle⸗ 
Dichter der Zärtlichkeit, Augenbraunen, die zuſammen laufen, fammn ser 
fchön finden können ; und daß ihm andere Seribenten hierinn a 
gefolget find, unter welchen Iſaac Porphyrogenetes iſt, Der 
folche Augenbraunen dem Ulyffes giebt Crumppus : 2) , ingleichen 
der vermeynte Phrygier Dares , welcher die Schönheit der 
DBrifeis durch zufammen gewachfene Augenbraunen bezeichnen 
will. Bayle fand diefes, auch ohne Kenntniß der Kunft, frem— 
de gedacht, und meynet, daß folche Augenbraunen der Brifeis zu 
unferer Zeit für Feine Eigenfchaft der Schönheit würden gehalten 
werden 3). Man kann aber verfichert ſeyn, Daß Kenner Der 
Schönheit auch vor Alters eben fo gedacht haben, unter welchen 
Athenaͤus ift, der die abgefonderten Augenbraunen an einer feho- 
nen Perſon lobet. Es find zwar Die Augenbraunen an Dem Kopfe 
der Julia des Titus, und an einem anderen Kopfe in dem Pala— 
fie Giuſtiniani, mit einander vereiniget; man glaube aber nicht, 

ı) Virg. Aen. 8. v. 63. 2) ap. Rutgers, var. let. L. 5.c. 20, P. 511. 
3) Bayle Di&. v. Brifeis. 


Winkelm. Geſch. der Kunfk, 33 Daß 


74. Der Mund. 


362 I. Theil, Viertes Kapitel. 


daß dieſes gefchehen, die Schönheit Diefer Perfonen zu erheben, 
fondern ein Ahnliches Bild zu machen. Unterdeffen obgleich Sue- 
tonius die zufammengewachfenen Hugenbraunen des Auguftus be 
merket, finden fich Diefelben an Feinem einzigen feiner Köpfe alfo 
vorgeftellet. Augenbraunen, die ſich zufammen ziehen, find, wie 
eine griechiſche Sinnfchrift anzeiget, ein Zeichen des Stolzes und 
der Bitterfeit: 
OSpaovg, unfauymw TE, Ras oppuas Eis u ayeıpwy I). 

Nebſt den Augen ift der Mund der fchönfte Theil des 
Geſichts; Die Schönheit Deffen Form aber ift allen bekannt, und 
hat Feiner fchriftlichen Anzeige vonnöthen;, fo daB auch ein jeder 
weiß, daß die untere Lippe völliger als die obere zu feyn pflege, 
wodurch zugleid) unter Derfelben und über dem Rinne die gefenfte 
Tiefe entftehet , die dem Kinne eine völligere Rundung giebt. 
An einer von Den zwo fchönen Statuen der Pallas, in der Ville 
Albani, lieget die Unterlippe unmerflich hervor , zu mehrerem 
Ausdrude der Ernfthaftigkeit. An Figuren des älteften Stils 
pflegen die Lippen gefchloffen zu feyn; nicht völlig gefchloffen aber 
find diefelben an allen göttlichen, fo wohl weiblichen als männli- 
den Figuren aus den folgenden Zeiten der Kunſt, und fonderlich 
an der Venus, das ſchmachtende der Sehnſucht und der Liebe 
in ihr auszudrücken ; und eben Diefes Fann auch von heroifchen 
Figuren gemerfet werden. Auf die Defnung des Mundes einer 
Statue des Apollo in dem Tempel deffelben auf dem Palatino zu 
Rom, deutet auch Properting mit dem Worte hiare: 

Hic 


ı) Anthol. L. 7. p. 459. 1. 18. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 363 


Hic equidem Phoebo vifus mihi pulcrior ipſo 
Marmoreus tacita carmen hiare lyra. 
L: 2.'el. 25,'v. 5. 

In ahnlichen Bildern beftimmter Perfonen pfleget das Gegenteil 
zu ſeyn; und Die Köpfe Der Kaifer überhaupt haben ohne Aus— 
nahme gefchloffene Lippen. Der Rand der Lippen an Köpfen 
des älteren Stils tft an einigen mit einer eingefchnittenen Linie bes 
zeichnet, an anderen aber ift Diefer Nand ganz unmerklich erhoben 
und wie gefniffen; welches vermuthlich gefchehen, uman Figuren 
Die in einer gewiffen Entfernung fanden, den Zug deffelben deut— 
licher zu bezeichnen. Sehr wenige Figuren die im Lachen , fo 
wie es einige Satyrs oder Faunen find , vorgeftellet worden, 
haben die Zähne fichtbar, und von Figuren der Gottheiten mit 
einem folchen Munde ift mir nur befannt eine Statue des Apollo 
des älteren Stils, in dem Palafte Conti. 

Das Kinn wurde von den grichifchen Rünftlern in Bile 99. Dassinn, 
dern hoher Schönheiten nicht durch ein Gruͤbgen unterbrochen: 
denn deſſen Schönheit beftehet in der rundlichen Voͤlligkeit feiner 
gewölbeten Form ; und da Das Grübgen , Nupen genannt 1), 
nur einzeln in der Natur und gleichfam etwas zufalliges iſt, ſo 
wurde c8 von jenen Künftlern nicht, wie von neueren Scribens 
ten 2), als eine Eigenfchaft der allgemeinen und reinen Schönheit. 
geachtet. Daher ift das Grübgen nicht fichtbar an der Niobe 
und an ihren Töchtern, und weder an der albanifchen Pallas, 

3; 2 nod) 
1) Poll. Onom. L. z. fegm, 90. 2) Franco diai delta belez. P. 1. P. 24. 


Rolli rime, p. 13. 


sı. Der Öhren, 
Heberbaupt. 


364 1. Theil, Viertes Kapitel, 


noc) an der Ceres, auf Münzen von Metapont, fo wenig als an 
der Proferpina, auf Münzen von Syracus, den Bildern der 
höchften weiblichen Schönheit; von den fchönften männlichen Sta- 
tuen hat weder Apollo nod) der Meleager im Belvedere , nod) 
Bacchus in der Villa Medicis, fo wenig als was fonft von ſchoͤ⸗ 
nen idealifchen Figuren übrig ift, Diefes Gruͤbgen; nur der Kopf 
eines Apollo von Erzt, in Lebensgröße, in dem Mufeo des Colle: 
gi Nomani, und die Venus zu Florenz, haben Diefes Grübgen, als 
einen befonderen Liebreiz , nicht als etwas zur fchönen Form ges 
hoͤriges; und eg beweifet nicht das Gegentheil von dem, was ic) 
fage, wenn Varro dieſes Grübgen einen Eindrud des Fingers 
der Liebe nennet. Da alfo Die völlige Großheit des Kinns eine Ei- 
genfchaft vondeffen Schönheit ift, Die allgemein bekannt war, und 
an allen Figuren würdiger Werfe des Alterthums beobachtet wor⸗ 
den, fo kann man ficher fchließen, wenn in Zeichnungen Derfelben 
das Kinn unterwärts wie eingekniffen ift, Daß Diefer Einbug eine 
Unwiffenheit des Zeichners ſey; und wo fich ein ſolches Kinn an 
alten idealifchen Köpfen finden follte, Fann man billig muthmaffen, 
Daß eine neue unwiffende Hand hier habe EFünfteln wollen. Ich 
zweifele Daher, ob der ſchoͤne Mercurius yon Erzt, in dem her— 
culaniſchen Mufeo, urfprünglich ein ſolches Kinn gehabt habe; 
fonderlic) da verfichert wird, daß der Kopf Deffelden in viele Stuͤ— 
cke zertrümmert gefunden worden. 

Kein Theil des Haupts alter Köpfe pfleget mit mehreren 
Fleiße, als die Ohren, ausgearbeitet: zu feyn, und Die Schön- 
beit, fonderlid) der Ausarbeitung ift hier eins von den untrügli> 

chen 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 365 


chen Kennzeichen, Das Alte von dem Zufage und von der Ergän: 
zung zu unterfcheiden; dergeftalt, daß wenn man über Das Alter 
gefchnittener Steine zweifelhaft ift, und man fiehet, Daß das Ohr 
nur wie angeleget und nicht mit aller Sorafalt ausgearbeitet ift, 
man Die Arbeit ohne Zweifel für new erklären Fan. An Figuren 
beftimmter Perſonen kann man zuweilen, wenn das Geſicht ver- 
unftaltet und unkenntlich geworden ift, aus der Form des Ohrs, 
die Perſon felbft errathen, wie aus einem Ohre mit einer unge- 
wöhnlichen großen inneren Defnung auf einem Marcus Aurelius 
zu fchließen ift. In ſolchen Figuren find die alten Künftler fo 
aufmerkſam auf Diefes Glied gemwefen, daß fie auch Das Unfoͤrm— 
liche angedeutet haben , wie Diefes unter anderen an einem ſchoͤnen 
Druftbildedes Marchefe Nondinini, und an einem anderen Kopfe 
in der Villa Altieri zu fehen ift. 


nn ober 


Nebſt Den unendlic) verfchiedenen Formen der Ohren an Fre x 


Köpfen, Die nach dem Leben felbft gebildet worden, oder Copieen 
derfelben find, bemerfet man ein ganz befonderes Ohr an ideali- 
(hen Figuren fo wohl, als auch an einigen Die beftimmte Perfonen 
vorftellen; und deſſen Eigenfchaft beftehet Darinn, Daß «8 platt 
gefchlagen und an den Enorpelichten Flügeln geſchwollen erfcheinet, 
wodurch der innere Gang enger und Das ganze äußere Ohr felbft 
zufammengesogen und Fleiner geworden ift. Ein foldyes Ohr 
wurde ich zu erftan einigen Köpfen des Hercules gewahr, und ich 
muthmaſſete, Daß hierinn eine verborgene Bedeutung liegen müffe, 
Die ich mir, vermittelft Des Bildes, welches ung Dhiloftratus von 
Sector giebt, gefunden zu haben glaube, 
35 3 Die: 


366 I Theil, Viertes Kapitel. 


Diefer Seribent führet den Palamedes redend ein, und 
laffet ihn die Statur und die Eigenfchaften der griechifchen und 
phrygifchen Melden im trojanifchen Kriege befchreiben, wo er 
insbefondere die Ohren gedachten Meldens von Troja anzeigek, 
und faget, Daß derſelbe Ara zareayuc, das ift, Daß erdie Ohren 
zerbrochen und zerfchlagen gehabt habe. Diefe Obren waren ihm 
fo geworden, nicht im Ringen, wie ſich Philoſtratus ausdrüd: 
lich erEläret, weil dergleichen Uebungen unter den afiatifchen Wöl- 
Teen noch nicht eingeführet waren, fondern im Gefechte mit den 
Ochſen. Was hier Ara zerenywg heißt, erkläret eben derſelbe 
mit der Nedensart, Aupı makasspav memornueva Ta wra, Das iſt, 
durchgearbeitete Ohren auf dem Kampfplatze, wie er fie dem 
Neſtor giebt. Sch verftehe indeffen nicht, auf was Art vom Nec- 
tor fonne gefagt werden , Daß er folhe Dhren im Kampfe mit 
Ochſen bekommen habe; und eben diefer Zweifel ift dem Wigenere 
in der franzgöfifchen Ueberſetzung des Philoftratus entflanden; Da= 
hir glaube ich, Daß der letzte lleberfeßer, in Der Leipziger Ausga— 
be Diefes Scribenten, um aller Schwierigkeit auszuweichen, ſich 
mit einem allgemeinen Ausdrucke zu helfen gefüchet habe, indem 
er Draxarsayws gegeben hat, Athletico erat habitu. 

Philoſtratus redet hier vermuthlich wie aus dem Munde 
des Plato, wo Diefer Den Socrates folgende Frage an den Chas 
ricles thun läffet: “ Sage mir, ob die Athenienfer vom Pericles 
„beſſer gemacht worden find, oder vielmehr geſchwaͤtzig und las 
„ fterhaft? worauf Charicles alfo antwortet: * Wer wird Dies 


» 8 fagen, als nur Diejenigen, welche die Ohren zerfchlagen ha— 
ben: 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 367 


ben: Toy ra wra zatenyorwy anovss raura ; das ift, Leute Die 
nichts anders wiflen, als auf dem Kampfplatze zu fchlagen Die 
ſes zielet vermuthlich auf die Spartaner, als welche weniger als 
andere den Künften zugethan waren, die Pericles in Athen em: 
por gebracht hatte, und mehr die Uebungen des Leibes ſchaͤtzeten, 
ob e8 gleich Serranus ganz entfernt von meiner Meynung alfo 
überfesset hat: Haec audis ab iis, qui fradtas obtufasque iftis ru- 
moribus aures habent: das ift, dieſes höreft du von denen fagen, 
Die von foldem Gefchwäre Die Ohren voll haben. Denn meine 
Muthmaſſung, in Abfiht auf die Spartaner, gründet fid) auf 
eine andere Stelle des Plato in deffen Protagoras, wo unter den 
Eigenfchaften, welche die Spartaner von den Übrigen Griechen 
unferfchieden , von jenen gefaget wird: Or uev wra Ta nur- 
ayvar) : Die Die Ohren zerfchlagen haben, Aber and) dieſe Re— 
densart iſt irrig ausgeleget worden, indem Meurfins annimmt, 
Daß die Spartaner ſich die Ohren felbft zerfchnitten haben (aures 
fibi concidunt); und daher hat eben derfelbe auch Die folgenden 
Worte suarras mepieritlor , nicht beffer verftanden , in Der Mey: 
nung, die Spartaner hätten fid) Die Ohren, nachdem fie Die- 
felde zerfchnitten, mit Riemen umwunden. Ein jeder aber ver: 
ftehet leicht, Daß hier von Schlagriemen die Rede ift, Die um Die 
Hände gewickelt wurden, wie es ein anderer Gelehrter vor mir 
eingefehen hat. 

Ein Ringer mit ſolchen Ohren heißt beym Lucianus Qrs- 
zarazıs, und mit einem gleic) bedeutenden Worte beym Laertius 
rodradiag, Da wo dieſer Scribent von dem Philofoph Lycon ve: 

Det, 


368 IL. Theil. Viertes Kapitel, 


det, welcher ein beruͤhmter Ringer war. Dieſes letzte Wort wird 
vom Heſychius und vom Suidas erfläret ra wra medrarusva , 
„ zerquetfchte Ohren * und Fann mit dem Daniel Heinſius nicht 
von verftümmelten Ohren verftanden werden.  Salmafius, der 
dieſe Stelle des Laertius anführet, halt fich lange auf bey dem 
Wort surwrig „ übergehet aber mit Sugchweigenc das ſchwerere 
Wort Qrobxaduaq. 

Solche Ohren hat zum erſten Hercules, weil er in den 
Spielen, die er ſelbſt dem Pelops des Tantalus Sohns zu Eh— 
ren bey Elis anordnete, den Preis als Pancratiaſt davon trug, 
wie nicht weniger in den Spielen, die Acaſtus der Sohn des 
Peleus zu Argos feyerte. Ferner iſt Pollux mit ſolchen Ohren 
gebildet, weil er den Sieg als Pancratiaſt erhielt in den erſten 
pythiſchen Spielen zu Delphos, und dieſe Form des Ohrs an ei⸗ 
nem jungen Helden auf einem großen erhobenen Werke der Villa 
Albani iſt der Grund gewefen, daſſelbe auf den Pollux zu deuten, 
wie ic) in meinen Denkmalen des Alterthums dargethan habe. Man 
bemerket eben folche Ohren an der Statue des Pollug auf dem 
Campidoglio und an einer Kleinen Figur Deffelben, in der Farne⸗ 
ſina. Es iſt aber zu merken, daß nicht an allen Bildniſſen des 
Hercules ſolche Ohren erſcheinen: Diejenigen, Die ihn als einen 
Dancratiaften und folglich mit jenem Zeichen vorſtellen, find, von 
Statuen, die Des Hercules von Erzt im Campidoglio , und ſechs 
andere von Marmor, die eine im Belvedere, die andere in der 
Villa Medicis, die dritte im Palaſte Mattei, die vierte in der 


Villa Borgheſe, die fuͤnfte in der Villa Ludoviſi, und die ſechſte 
in 


Bon der Kunft unter den Griechen. 369 


in dem Garten des Palaftes Borghefe. Inter den Köpfen des 
Hercules mit folchen Ohren kann ic) folgende anzeigen: im Canı- 
pidoglio, im Palafte Barberini, inder Ville Albani, der fchöns 
fte aber von allen ift eine Derme des Grafen Fede, die in der 
Ville Kaifers Hadrianus zu Tivoli gefunden ift. Die Bemer— 
kung folcher Ohren an zwey Bruftbildern eines jugendlichen Der: 
eules, von Lebensgröße und von Erzte, in Dem herculanifcyen 
Mufeo, hätte in denſelben, Da diefe außerdem durch ihre Bildung 
und Haare Eenntlic) feyn Fonten, Die wahre Vorftellung beftä: 
tigen Fönnen. Da aber weder Diefes noch jenes beobachtet wor: 
den, hat man den jüngeren Kopf für einen Marcellus, des Au— 
guftus Enkel 1), und den alteren für einen Ptolomaͤus Philadel⸗ 
phus 2) angegeben. 

Duurch eben ſolche Ohren werden einige der ſchoͤnſten Sta- 
tuen des Alterthums, die Pancratiaften vorftelleten, und Werke 
des Myron, des Pithagoras, und des Leochares waren, und der 
ſchoͤne Antolycus, bezeichnet. gewefen ſeyn; es ift auch das vechte 
Ohr des irrig fo genannten Fechters in der Wille Borgheſe alfo 
geftaltet, welches man noch nicht bemerket hatte, da das linke 
mangelhafte Ohr ergänzet wurde. Beyde fo geformte Ohren 
fiehet man an einer jungen heroifchen Statue, in der Villa Al: 
bani, und an einer Ähnlichen Statue, die ehemals im Palafte 
Derofpi ftand, und ſich iso in dem Mufeo Deren Meinrid) Yen: 
nings, zu London befindet. Durch ſolche Ohren, glaube ic) in 

Ä einer 
ı) Bronzi Erc. tav. 49. 5o. 2) Ibid. tav. 61. 62, 
Winkelm. Geſch. der KRunſt. Aaa 


370 1. Theil. Viertes Kapitel, 


einer. Herme eines Philofophen, in der Ville Albani, den Phi: 
lofophen Lycon, den Nachfolger des Strato ‚in der Peripateti- 
ſchen Sekte, zu erkennen, Denn es war derfelbe in feiner, Sugend 
ein berühmter Pancratiafte gewefen, under ift, fo. viel ich mich 
erinnere, Der einzige unter den Philofophen,. von. welchem dieſes 
berichtet wird. Da nun derfelbe, nach dem Laertius, zerquetfchte 
Ohren hatte, und noch nachher, da er Diefen Leibesübungen ent- 
faget hatte, Die völlige Geftalt eines, Ringers zeigete, ‚Crasar 
axerw adNnrmm emipanor) wird meine Benennung Diefer Herme 
Dadurch fehrwahrfcheinlich. Ich fchließe ferner aus fo geform⸗ 
ten Ohren des fchönen Bruftbildes eines Juͤnglings von Erzte, in 
dem herculaniſchen Muſeo, weldjes die Geftalt der Hermen hat, 
und mit dem Namen des KRünftlers, des Apollonius, eines Sohns 
des Archias, aus Athen, bezeichnet ift 1) , daß bier das Bild 
eines jungen Ningers, und nicht der Kaiſer Auguftus in feiner 


Jugend, Dem es außerdem nicht ähnlich ift, worgeftellet fey. Zu⸗ 


xx. Die Haare, 


lest merke ich. an, daß eine Statue in dem Mufeo Capitolino, Die 
man einen Pancratiaften nennet, Feine folche Perſon ſeyn koͤnne, 
weil Diefelbe die befchriebene Form der Ohren nicht hat 2). 

Nicht weniger als die Ohren waren Die Haare ein Theil, 
worinn die alten Bildhauer alle ihre Geſchicklichkeit zu zeigen für 
cheten, und es geben daher dieſe fo wohl als jene ein Kennzeichen, 
dag neue von dem alten zu unterfcheiden, indem die neueren Künft- 
ler theils in dem Wurfe der Haare, theils in der Ausarbeitung 
Derfelben von den Alten fehr verfchieden find. Won den Haaren 

| über 
1) Bronzi Ercol. tav.' 45. 46. 2) Muf. Cap: T. 3, tav. 61. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 371 


über der Stirne habe ich bereitSivorher geredet, wo zugleich an⸗ 
gezeiget worden, wie dieſe Haare und deren beſonderer Wurf eis 
nen Jupiter und Hercules von anderen Göttern kenntlich machen. 
Die Arbeit der Maare war verfchieden nad) der Eigen- „“ Deal 


chung der Haa⸗ 


ſchaft des Steins, fo daß dieſelben in der harten Art wie kurz gez ve der u 
fehnittene und hernach fein gefämmete Haare vorgeftellet find, Fünkter. 
welches ich unten an feinem Drte wiederhole , weil Diefer Stein 
foröde und zu hart ift, frey hängende und Fraufe Haare heraus 
zu bringen. ‘In Marmor hingegen und zwar an männlichen Zi 
guren von guter Zeit der Kunſt find die Haare lodigt gehalten, 
ausgenommen wo man in Abbildung von Perfonen, Die kurze 
oder gerade Haare hatten, Diefe nachahmen müffen. An weibli- 
chen Köpfen aber, fonderlich von jungfraͤulichem Alter, wo die 
Haare hinauf geftrichen und an dem HDintertheile des Haupts 
‚zufammen gewunden, folglich ohne Locken find, fiehet man die: 
felben fchlangenweis und mit nadydrüdlichen Vertiefungen gezo— 
gen, um ihnen Mannigfaltigkeit nebit Licht und Schatten zu ge- 
ben; und: alfo find die Haare aller Amazonen gearbeitet, Die un: 
feren Rünftlern ein Mufter an Statuen geheiligter Jungfrauen 
feyn Fönten. | 
Verſchieden von den alten Rünftlern, haben Die neueren 
Bildhauer an männlihen Figuren einen gewiffen Schlag von 
Haaren angenommen, der den Satyrs oder den Faunen eigen 
ift, wie ich hernach anzeigen werde, vermuthlich weil dieſe Haare 
ihnen wenigere Mühe Eoften; ihre weiblichen Haare aber haben 
Ana we⸗ 


372 T. Theil, Viertes Kapitel. 


wenige oder gar Feine Tiefen, wodurch diefelben der Mannigfal- 
tigkeit und des Lichts und des Schattens beraubet find. 


— Die Haare der Satyrs oder Faune ſind ſtraubigt, und 
a ol kruͤmmen ſich wenig an ihren Spisen, weilman an ihnen Ziegen: 


haare vorftellen wollen, ſo wie man den alten Satyrs oder einiz 
gen Figuren der Pane Ziegenfüße gegeben hat: es wird Daher 
dem Pan das Beywort ypr£orsuns, Straubhaar, beygeleget 1). 
Solches Haar heißt überhaupt eusußpE, und beym Suetonius 
capillus leniter inflexus 2). Wenn aber im Mohenliede 3) die 
Haare der Braut mit Ziegenhaaren verglichen werden, ift Diefes 
etwa von orientalifchen Ziegen zu verflehen, deren lange Haare 
gefchoren werden 4). 
ne Haare, die auf beyden Acyfeln herunter Hängen, find Dem 
Bacchus. Apollo und den Bachus gemein , und unter allen Gottheiten 
nur an Diefen beyden; welches wohl zu merken ift, weil Diefelben 
hieraus an ihren zerftümmelten Figuren erkannt werden. 
2. Haare june Lange Maare trugen Kinder bis zu den Jahren der Juͤng⸗ 
ger Leute, f , - \ R 
Iingsfchaft, wie man unter anderen erfichet aus der Nachricht des 
Suetonius von fünf taufend neapolitanifchen Rindern mit langen 
Haaren, die Nero dafelbft verfammlete 5); die Jünglinge aber 
pflegten die Haare kürzer geſchnitten zu tragen, ſonderlich hinter 
wärts, ausgenommen die Einwohner der Infel Euboea, welche 
Homerus Daher omıdar xopowrras nennet. 


Ich 


1) Anthol. L. 4. c. 36. p. 364. L. 15. 2) Aug. c. 79. )c.4,V I 
4) Bochart Hieroz, T. 1. L. a. c. 51, p. 623. 5) Suet. Ner. c. 29. 


* 


Bon der Kunft unter den Griechen. 373 


Sch kann auch bier die Farbe der Haare nicht übergeben, 
fonderlic) da über diefelbe in manchen Stellen alter Scribenten 
ein Mißverftand erwachfen ift. Die blonde Farbe (Exudn) ift 
allegeit für die fchönfte gehalten worden, und ſolche Paare find 
nicht weniger den fchönften Göttern , wie dem Apollo und dem 
Bacchus, als den Melden gegeben; und felbft Aleyander hatte 
blonde Haare 1). Diefem zufolge habe ich anderwärts 2) Die 
Auslegung einer Stelle des Athenaus verbeflert 3), Die man big- 
ber auf ſchwarze Maare des Apollo gedeutet hat, fo wie Diefer 
Scribent aud) vom Franz Junius verftanden worden 4): durch 
ein Fragezeichen bekommt dieſe Stelle einen gegenfeitigen Ver— 
ftand. (ovd’ o Iloinrng (Ziumviöng) opn Aoywy xguaoxouavr AmorAu- 
va;) Diefe Farbe der Haare wird aud) kerrxgang genennet 5); 
und wenn es beym Lucretius heißt, Nigra uerıypwog eft 6), wird 
dadurch das obige beftätiget: denn der Dichter führet als eine 
von den erlogenen Schmeicheleyen gegen das weibliche Geſchlecht 
auch) diefe an, wenn man ein Mädchen mit fchwarzen Haaren 
persxowos genennet, um ihr, was fie nicht hatte, beyzulegen. 
So wie Simonideg vorher ausgeleget worden, würde derſelbe 
zugleich dem Water der Dichter widerfprechen , ald welcher nie- 
mals Haare von ſchwarzer Farbe nennet. | 

Die Schönheit der Form der übrigen Theile war in den 
Werfen der alten Künftler eben fo gleichförmig beftimmet , Die 


aa 3 Als 
ı) Aelian. var. hit. L. 12. c. 14. 2) Monum. ant. ined. Vol, 2. p. 46. 
Effay d’Alleg. p. 102, 35) Athen. Deipn. L. 13. p. 604. A. 4)Jun. 
de pict. vet. L. 3. c. 9. p. 232. 5) Thiloftr. L. z, Icon. 4. p. 768. 
6) Lucret. L, 4. v. 1154, 


e. Farbe der 
aare. 


b. Von der 
Schönheit der 
äußeren Theile 
der Figur. 


374 1. Theil. Viertes Kapitel, 


äußeren Theile, Haͤnde und Füße fo wohl als die Flaͤchen; und 
Plutarchus fcheinet, wie überhaupt, alfo auch hier, fich wenig 
auf die Kunft verftanden zu haben, wenn er vorgiebt, daß die 
Künftler nur auf das Geficht aufmerkfam gewefen, die übrigen 
Theile der Figur aber nicht mit gleichem Fleiße gearbeitet. Die 
Außeren Enden find nicht fchwerer in der Moral, wo die außerfte 
Zugend mit dem Lafter gränget, als in der Kunft, wo fich in 
denſelben des Künftlers Verſtaͤndniß im Schönen zeiget : aber 
die Wuth der Menfchen hat uns von fehönen Füßen wenige, und 

von ſchoͤnen Haͤnden nod) wenigere übrig gelaffen. 
un. DerBin Die Schönheit einer jugendlichen Hand beftehet in einer 
gemäßigten Völligkeit, mit Faum merklichen gefenften Spuren, 
nad) Art fanfter Beſchattungen, über Die Knoͤchel der Finger, 
wo auf völligen Händen Grübgen find. Die Finger find mit ei: 
ner lieblichen Verjuͤngung, wie wohlgeftaltete Säulen gezogen, und 
in der Kunft, ohne Anzeige der Gelenke der Glieder; Das Außer: 
fie Glied iftnicht, wie bey Den neueren Bildhauern vorne über ges 
bogen, noch find Die Nagel wie bey diefen, fehr lang. Schöne 
Hände werden von den Dichtern Haͤnde der Pallas 1), aud) 
Haͤnde des Polycletus 2) genennet, weil diefer Künftler Diefel- 
ben vor anderen fchön wird gebildet haben. Von ſchoͤnen Haͤn⸗ 
den haben fich erhalten, erftlich von jugendlichen männlichen, eine 
Hand an demjenigen Sohne der Niobe, welcher auf der Erde ge- 
ftrect lieget, und eine andere an einem Mercurius, der die Merfe 
umfaffet, in dem Garten hinter dem farnefifchen Palaſte. Won 

ſchoͤ⸗ 
1) Anthol. L. 7. p. 476. J. 5. 2) Ibid. p. 477. I. 16. 


- Bon der Kunft unter den Griechen, 375 


fehönen weiblichen Händen, eine an dem Hermaphroditen, in Der 
Ville Borghefe, und alle beyde Hände, welches fehr felten if, 
an gedachter Figur der Derfe. 

Die fhönften jugendlichen Knie und Beine unferes Ge— 46.DerxVeine. 
ſchlechts hat unftreitig der Apollo Sauroctonon in der Villa 
Borghefe; ein Apollo mit einem Schwane zu deſſen Füßen, und 
Bacchus, beyde in der Wille Medicis ; und dieſe Figuren der 
ſchoͤnen Natur des vollendeten Wahsthums haben die Knie, und 
die Scheibe derfelben nebft den Knorpeln unmerklich angedeutet, 
fo daß das Knie von dem Schenkel zum Beine eine fanfte aber 
vereinigte, und nicht Durch Tiefen und Huͤgel unterbrochene An— 
höhe mache. Damit aber diefe unvollfommene Anzeige der Ge— 
ftalt eines jugendlichen Knies nicht überflüßig fcheine, Fan man 
hier den Lefer auf neuerer Künftler Figuren diefes Alters verwei⸗ 
fen, von welchen fich wenige, ich will nicht fagen gar Feine finden, 
wo in Diefem Theile die fchöne Natur beobadytet und gebildet 
worden. Sc) rede hier vornehmlich von Figuren unferes Geſchlechts: 
denn fo felten fchöne Juͤnglingsknie in der Natur find, fo find fie 
dennoch allezeit weit feltener in der Kunft, fo wohl in Gemälden 
als Statuen, fo daß ich hier Feine Figur des Raphaels als ein 
Mufter anführen kann, noch vielweniger von den Caracci und de— 
ven Nachfolgern. Der fhöne Apollo In. Mengs in der Villa AL 
bani Fann hier unfere Maler belehren. Die fchönften Beine aller weib- 
lichen Figuren in Rom hat die ſchoͤne Thetis in der Villa Albani, 
welche ich im zweyten Theile befchreiben werde. 


Ein 


376 I. Theil, Viertes Kapitel, 


ey. Der Füße. Ein fchöner Fuß war fo wohl als die Knie bey den Alten 
mehr fichtbar als bey ung, und je weniger Derfelbe gepveffet wur⸗ 
de, deſto wohlgebildeter war deffen Form, welche genau betrach— 
tet wurde, wie aus den befonderen Bemerkungen der alten Phi: 
Iofophen, und aus ihren vermeynten Schluͤſſen auf die Gemuͤths⸗ 
neigung erhellet. Es werden daher in Befchreibungen fchöner 
Derfonen als Der Polyyena, und der Afpafia, auch ihre fhönen 
Füße angeführet , und die fehlechten Füße Kaifers Domitianus 
find auch in der Gefchichte bemerfet. Die Nägel find an den Fuͤ— 
Ben der Alten platter als an neuen Statuen. 

hr 2 Nach Betrachtung der Schönheit, der Außeren Theile des 
Körpers ift dieſelbe aud) in den Slächen, naͤmlich der Bruft und 
dem Unterleibe zu berühren. 

a 2 Die Schönheit der Bruft männlicher Figuren beſtehet in 

Figuren. einer prächtigen Erhobenheit Derfelben ; und mit ſolcher Bruſt 
bildet fic) der Water der Dichter den Neptunus, und nad) 
demfelben den Agamemnon; fo wünfhte Anacreon Die Bruſt 
in dem Bilde deffen, den er liebete, zu fehen 1). 

—— Die Bruſt oder der Buſen weiblicher Figuren iſt niemals 
uͤberfluͤßig begabet: und Banier iſt uͤbel berichtet, wenn er in 
Beſchreibung der Figur der Ceres ſagt, daß dieſelbe mit großen 
Bruͤſten vorgeſtellet worden; es muß derſelbe eine neue Ceres fuͤr 
eine alte geſehen haben 2). Die Form der Bruͤſte iſt an goͤttlichen 
Figuren um ſo mehr jungfraͤulich, da uͤberhaupt die Schoͤnheit 

der⸗ 
») Conf. Caſaub. animadv. in Athen. L. ıs. P. 972. 1. 40. ed, Lugd. 1621. 
2) Mythol. T. 5. p. 115. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 377 


derfelben in dem mäßigen Wachsthume gefeiset wurde, und man 
gebrauchte einen Stein aus der Infeh Naxus, welcher fein ges 
fehabet und aufgelegt, Die auffehwellende Größe verhindern foll- 
te 1). Eine jungfräuliche Bruft wird von Dichtern mit unrei— 
fen Trauben verglichen 2); und die mäßige Erhobenheit derſel— 
ben an Nymphen bedeutet Apollonius durch das Wort obicura, 
wenn er faget: Crinisad obfcurae decurrens cingula mammae 3); 
an einigen Figuren der Venus unter Lebensgröße , find die 
DBrüfte gedrungen und Huͤgeln ähnlich, Die ſich zufpisen,  wel- 
ches für die fchönfte Form derfelben fcheinet gehalten worden zu 
feyn. Won diefer Anmerkung und von den Figuren der Goͤttin— 
nen fchließe ich aus Die einzige enhefinifche Diana, an welcher 
die Brüfte nicht allein groß und voll, »fondern auch vervielfäl- 
tiget find; Diefe Form aber ift hier ſymboliſch, und hat nicht die 
Schönheit zur Mbficht. Unter den italiänifchen Figuren haben 
die Amazonen allein Die Brüfte groß und ausgebreitet, aud) Die 
Warze fihtbar, weil Diefelben nicht Sungfreuen fondern Wei— 
ber vorftellen. 

An einer jungfräulichen Bruſt wohl als an Göttinnen 
iſt, wenigftens in Marmor, die Warze nicht fichtbar gemachet, 
und würde auch in Gemälden nicht erhoben feyn koönnen, fo 
wies die Form der Brüfte in der reinen Unſchuld der Jahre 
fl. Da nun die Warze völlig fichtbar ift an der vermeynten 

Ve⸗ 
3) Diofcor, L. 5. c. 168. 2) Theocrit. Idyl. ır. v. ı. Nonn. Dionyf. L. 1, 


P. 4. l. 4. P· 15.1. 9. 3) Argon. L. 3. v. 526. 
_ Wintelm. Gef. der Runſt. Bbb 


378 L Theil. Viertes Kapitel. 


Venus in Lebensgröße, auf einem alten Gemälde in dem Pa— 
laſte Barberini, fchließe ich daraus, Daß Diefe Figur Feine Götz 
tinn vorftellen koͤnne. Hierinn find einige der größten neuern Künft- 
ler tadelhaft; und unter andern bat Domenichino an einer in 
frefco gemalten Dede eines Zimmers im Maufe Coftaguti zu 
Rom, Die Wahrheit, die fich der Zeit zu entreißen fuchet, mit 
2Barzen auf den PBrüften gemalet, die eine Fran, nachdem fie 
viele Kinder geftillet, nicht erhobener, ſpißiger und größer haben 
koͤnte. Niemand hat die iungfräuliche Form der Brüfte beffer 
gezeiget als Andrea del Sarto, und unter andern in einer halben 
Figur die mit Blumen befranget ift, und einige andere in Der 
Hand hält, in dem Deufeo des Bildhauers Cavaceppi. 
au Der Unterleib ift auch an männlichen Figuren, wie derfels 
be an einem Menfchen nad) einem füßen Schlafe, und nach einer 
gefunden Verdauung feyn würde, Das ift, ohne Bauch, und fo 
wie ihn die Naturfündiger zum Zeichen eines langen Lebens fe: 
gen I). Der Nabel ift nachdrücklich vertieft, fonderlicd) an weib- 
lichen Figuren 2), an welchen derfelbe zuweilen in einen Eleinen 
halben Cirkel gezogen ift, Der theils niederwärts, theils aufwärts 
gehet; und e8 findet fich Diefer Theil an einigen Figuren fchö- 
ner, als an der mediceifchen Venus, gearbeitet, Die den Nabel 
ungemöhnlid) tief und groß hat. 
Auch die Theile der Schaam haben ihre befondere Schön: 
heit ; unter den Moden ift allezeit der linke größer, wie es fich 
in 
1) Baco Verul. Hit. vit. & mort. p. 174. »).conf. Achil. Tat. Erot. L» 
ZPO 7. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 379 


in der Natur findet: fo wie man bemerfet bat, Daß das linke 
Auge fhärfer ſieht, als das rechte 1). Wenn aber an einigen 
Figuren des Apollo und des Bachus das Gemaͤcht wie mit Fleiß 
ausgefchnitten fcheinet, fo daß man an deffen ftatt eine Hohlung 
fiehet, welche für Feine freventliche Verſtuͤmmelung zu halten ift, 
fo kann diefes am Bachus feine geheime Bedentung haben, weil 
derfelbe von einigen mit dem Attis verwechfelt wurde, und wie 
Diefer des Gemächtes beraubet war 2). Da nun wieder auf der 
andern Seite im Bacchus auch Apollo verehret wurde 3), hat— 
te in Diefem die Werftümmelung befagten Theils eben Diefelbe 
Bedeutung. 

Dem Leſer und dem Unterſucher der Schoͤnheit uͤberlaſſe 
ich, die Muͤnze umzukehren, und beſondere Betrachtungen zu 
machen über die Theile, welche der Maler dem Anacreon an ſei⸗ 
nem Öeliebten nicht vorftellen Eonte. 

Sc füge dieſer Betrachtung über die Schönheit einige, Allgemeine 
Erinnerungen bey , welche jungen Anfängern und Keifenden zu üser Nice Mh. 
Lehren in Betrachtung griechifhher Figuren dienen können. Die Re 
erfte ift: Suche nicht die Mängel und Unvollfommenheiten in 
Werken der Kunſt zu entdecken, bevor du das Schöne erkennen 
und finden gelernet. Diefe Erinnerung gründet ſich auf eine 
tägliche Erfahrung, und den mehreften, die die Geftalt fehen 
Fönnen, aber das Weſen von andern hören müffen, weil fie den 
Eenfor machen wollen, che fie Schüler zu werden angefangen, iſt 

Bbb 2 das 
») Philofoph. Transact. Vol. 3. p. 730. Denis memoir. p. 213: 3) Eufeb, 
præp. evang: L. 2. p. 41. 1. 39. 5) Ibid. L. 1. p. 18.1. 25. 


380 I. heil. Viertes Kapitel, 


das Schöne unerkannt geblieben: denn fie machen es wie die Schul- 
Enaben, die alle Wiss genug haben, Die Schwäche des Lehrmei- 
fters zu entdecken. Unſere Eitelkeit wollte nicht gerne mit müßi- 
ger, Anſchauung vorbey gehen, und unfere eigene Genugthuung 
will gefchmeicpelt ſeyn; Daher fuchen wir ein Urtheil zu fällen. 
Sp: wie aber ein verneinender Sat eher, als ein bejahender, 
gefunden wird, eben fo ift das Unvollfommene viel leichter, als 
Das WVollfommene, zu bemerken und zu finden, und «8 Foftet 
weniger Mühe, andere zu beurtheilen, als felbft zu lehren. Man 
wird insgemein, wenn man fich einer fchönen Statue nähert, Die 
Schönheit derfelben in allgemeinen Ausdrücen rühmen, weil 
Diefes nichts Foftet, und wenn das Auge ungewiß und flatternd 
auf derfelben herum geirret, und das Gute in den Theilen, mit 
deffen Gründen, nicht entdedket hat, bleibet e8 an dem Fehler: 
haften hängen. Am Apollo bemerfet es das einwärts geruͤckte 
Knie, welches mehr ein Fehler des zuſammengeſetzten Bruchs, als 
des Meifters ift; am vermennten Antinous im Belvedere Die aus: 
wärts gebogenen Beine; am farnefifchen Hercules den Kopf, 
von welchen man gelefen hat, daß er ziemlich Klein fey. Die noch 
mehr wiffen wollen, exzählen.hierbey, Daß der Kopf eine Meile 
weit von der Statue in einem Brunnen, und die Deine zehen 
Meilen weit von der Statue gefunden worden, welche Fabel auf 
guten Glauben in mehr als einem Buche vorgebracht ift; Daher 
geſchieht 8 alsdann, daß man nur Die neuen Zuſaͤtze bemerket. 
Don Diefer Art find die Anmerkungen, welche Die blinden Führer 
Der Neifenden in Nom, und Die Neifebefchreiber von Italien ma= 
chen. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 381 


hen. Einige irren, wie jene, aus ungeitiger Vorſicht, wenn fie 
in Betrachtung der Werfe der Alten alle Worurtheile, zum Vor⸗ 
theile Derfelben, bey. Seite feen wollen , und fich vorgenommen 
zu haben fcheinen, nichts zu bewundern, weil fie glauben, es ver- 
vathe dieſes Bezeigen die Unwiffenheit, da gleichwohl, nach Dem 
Plato, die Bewunderung eine Empfindung einer philofophifchen 
Seele ift, und der Anfang zur Philofophie (marz yap pinorogou 
TOUTH TO TAI0G, TO Saupalen ou yap ahkn upxn Qılnanpias, n aurn I) 
Diefe follen aber vielmehr vorher eingenommen ſich den Werken der 
griechifchen Kunſt nähern: denn in der Werficherung, viel fehönes 
zu finden, werden fie Daffelbe fiichen, und einiges wird ſich ihnen 
entdecken: man kehre fo oft zurüd , bis man es gefunden hat; 
Denn es ift vorhanden. : 

Die zwote Erinnerung ift : nicht der Handwerksentſchei— 
dung nachzufprechen, welche mehrentheils das Schwere dem Schoͤ⸗ 
nen vorziehetz und dieſe Warnung ift nicht weniger nüslic) als 
Die vorhergehende, weil der Schlag gemeiner KRünftler insgemein 
alfo urtheilet, die nicht Das Wiffen fondern nur die Arbeit ſchaͤtzen. 
Durch dieſes irrige Vorurtheil ift der Kunſt felbft ein großer 
Nachtheil erwachfen, und es ift auch Daher in neueren Zeiten Das 
Schöne aus der Kunſt gleichfam verwiefen worden. Denn Durch 
ſolche pedantifche Künftler ohne Empfindung, da diefe theilg 
durch das Schöne nicht geruͤhret worden, theils daſſelbe zu bil- 
den unfähig gewefen, find Die gehäuften und uͤbertriebenen Ver— 
fürzungen in den Gemälden an Deden und Gewölbern eingefüh- 

Bbb 3 vet, 


ı) Plat. Theaet. p. 74. 1. 13. 


382 1. Theil, Viertes Kapitel. 


vet, und Diefen Plaͤtzen dergeftalt eigen geworden, Daß man aus 
einem Dafelbft ausgeführten Gemälde, wenn nicht alle Figuren 
wie von unten erblicket erfcheinen , auf Die Ungefchicklichkeit des 
Künftlers fhließet. Nach Diefem verderbten Gefchmade werden 
inggemein Die zwey Oxvalſtuͤcke an der Decke der Gallerie in 
der Ville Albani dem mittleren Hauptgemaͤlde yon eben dem groß 
fen Rünftler vorgezogen , wie dieſer in der Arbeit felbft voraus: 
ſah, und aud) in Verfürzungen und im Wurfe Der Gewänder 
nad) Art des neuen und des Kirchenftils, dem gröberen Sinne 
Nahrung und Weide hat geben wollen. Eben fo wird der Lieb- 
haber der Künfte urtheilen, wenn derfelbe Bedenken hat für einen 
Sonderling gehalten zu feyn , oder fi) dem Widerfpruche aus- 
zuſetzen, und Der Künftler, welcher den Beyfall des größten Hau⸗ 
fens ſuchet, gehet auf diefem Wege, und glaubet vielleicht mehr 
Geſchick zu zeigen, ein Tre in Stein durchzubohren, als eine rein 
gezeichnete Figur hervorzubringen. 

‚Zum dritten mache man , wie Die alten Künftler angen- 
fcheinlic) gethan haben, einen Unterfcheid unter dem XBefentlichen 
in der Zeichnung und unter Nebendingen, theils Damit unfer Ur- 
theil nicht unrichtig werde, Dasjenige zu tadeln, was der Unter: 
ſuchung nicht würdig ift, theils auch Damit unfere Aufmerkſam—⸗ 
keit allein aufden wahren Endzwedder Zeichnung gerichtet bleibe, 
Die wenige Achtung alter Künftler auf Dinge, die gleichfam außer 
ihrer Wiffenfchaft waren, zeiget ſich 3. E. in den gemalten Gefaͤs⸗ 
fen, wo der Stuhl einer figenden Figur durch einen bloßen ho— 
rizontal gelegten Stab angedeutet worden, ohne fid) zu bekuͤm⸗ 

mern, 


Son der Kunſt unter den Grieden, 383 


mern, wie man fich Diefelbe fizend vorftellen wolle, in der Figur 
felbft aber ift der ganze Meifter zu erkennen. Diefer Erinnerung 
aber will ich mich nicht bedienen bis zu Bemäntelung desjenigen, 
was wirklich in den Werken der Alten mittelmäßig oder fchlecht 
ift: wenn aber an einem und eben Demfelben Werke Die Hauptfi— 
gur vorzüglich fehon ift, und Der Zufa oder Das Derfelben bey— 
gelegte Zeichen und Attribut weit unter jener ftehen muß, fo glaus 
be ich, man könne daraus ſchließen, es ſey alsdann das fchlechte- 
ve in der Form und Arbeit als ein Nebending oder Parergon, wie 
es auch die Künftler nenneten , von ihnen angefehen worden. 
Denn dieſe Parerga find nicht wie die Epifoden eines Gedichts 
oder Die Meden in einer Gefchichte anzufehen,, worinn bier Der 
Scribent und dort der Dichter alle ihre Kunft gezeiget haben. 
Diefes glimpfliche Urtheil erfordert alfo der Schwan zu den Füf 
fen der oben gedachten fchönen Figuren des Apollo in der Villa 
Medicis, indem jener mehr einer Gans als einem Schwane glei— 
het. Sch will indeffen hieraus Feine Negel auf alle Parerga mas 
chen, weil dieſes wider Die ausdruͤckliche Nachricht der Scriben— 
ten, und zugleich wider den Augenfchein feyn würde. Denn an 
vielen geharniſchten Statuen find an dem Schurze die Windun- 
gen der Heinften Schnüre angedeutet; ja es finden ſich Füße, wo 
das geftepte zwifchen der oberen und der unteren Eohle nad) 
Art der kleinſten Perlen ausgearbeitet worden; und von den 
ehemaligen Statuen wiffen wir, Daß die mindeften Kleinigkeiten 
an dem Jupiter des Phidias auf dns aͤußerſte geendiget wor- 
den, und wie viel Fleiß Protogenes auf das Rebhuhn fei- 
| nes 


384 IL. Theil. Viertes Kapitel, 


nes Jalyſus verwendet, um unzaͤhlige andere Werke nicht zu 
beruͤhren. 

Zum vierten hüten ſich Diejenigen, Die die Werke des Al— 

terthums felbft nicht Haben betrachten Fönnen, wenn in den Zeich- 

nungen und Rupfern Derfelben offenbare ungeftaltete Theile an den 

Figuren erfcheinen, ihren Tadel auf die alten Künftler zu richten, 

fondern man fey verfichert, Daß Das Ungeftaltete. entweder Dem 

Zeichner oder dem Bildhauer , der ſolche Stüde erganzet hat, 

beyzumeffen fey. Zumeilen lieget die Schuld fo wohl an Dem ei⸗ 

nen als an dem anderen; und Diefes erinnere ic) über Die Kupfer 

der ginftinianifchen Gallerie, in welcher alle Statuen von Den un. 

sefchickteften Arbeitern ergänzet worden, und in dem was wirt 

lich alt ift, von Perfonen gezeichnet find, für Die das Altertum 

feine Speife war. Diefer Erfahrung zufolge urtheile ich über Die 

ſchlechten Beine einer fhönen Statue des Bacchus, welcher 

fich auf einen jungen Satyr gelehnet hat, Die in der Bibliothek 

von St. Marco, zu Venedig ſtehet D: Denn ob ich gleich Diefelbe, 

da ich dieſes fchreibe, noch nicht gefehen, halte ich mid) Dennoch 
überzenget, Daß das ſchlechte ein neuer Zuſatz fey. 

ee > In Diefem zweyten Abfchnitte von Dem Weſentlichen Der 

— griechiſchen Kunſt iſt, nach der Zeichnung Der menſchlichen Fi— 

fer Meier, guren, mit wenigen Die Abbildung der Thiere, ſo wie im zweyten 

Kapitel gefehehen, zu berühren. Die Unterfahung und Kennt- 

niß der Natur der Thiere ift nicht weniger ein Vorwurf Der 

Künftler der alten PAPER ‚als ihrer Weiſen, gewefen, und ver: 

ſchie⸗ 


3) Zanetti ftat. di Venez. P. 2. tab. 26. 


Bon der Kunſt unter Den Griechen. 385 


ſchiedene Rünftler Haben fich vornehmlich in Thievem zu zeigen ge⸗ 
ſuchet ʒ Calamis in Pferden, und Nieias in Hunden; ja die Kuh 
des Myron iſt berühmter, als feine andern Werke, und ift durch 
viele Dichter befungen, deren Infchriften ſich erhalten haben; auch 
ein Hund diefes KRünftlers war berühmt, , ‚fo. wie ein. Kalb. des 
Menaͤchmus 1). Wir finden, daß die alten Kuͤnſtler wilde Thiere 
nach dem Leben gearbeitet, und Pafiteles hatte einen Iebendigen 
Löwen i in Abbildung deflelben vor Mugen 2): 
Von Loͤwen und von Pferden haben fi) ungemein ſchoͤne 
Stuͤcke, theils freyſtehende theils erhobene, und auf Muͤnzen 
und geſchnittenen Steinen, erhalten. Der über die Natur große 
ſitzende Löwe in weißem Marmor ,) welcher an dem piresifchen 
Hafen zu Athen ſtand, und itzo vor dem Eingange Des Arſenals 
zu Venedig ſtehet, iſt billig unter die vorzuͤglichen Werke Der 
Kunſt zu zaͤhlen, und dev ſtehende Löwe im Palaſte Barberini, 
ebenfalls über Lebensgroͤße, welcher von einem Grabmale wegge⸗ 
nommen iſt, zeiget dieſen Koͤnig der Thiere in ſeiner fuͤrchterlichen 
Großheit. Wie ſchoͤn find die Löwen anf Muͤnzen der Stadt Ver 
lia gezeichnet und gepraget! Es werfichern aber auch Diejenigen, 
die mehr als einen Löwen in Der Natur genau betrachtet haben, 
daß in den alten Figuren Diefer Thiere etwas iDealifches fey, wo- 
rin fie alfo vomlebendigen Löwen verfchieden wären. 
> In Pferden find Die alten-Rünftler von den neueren viel- 

leicht nicht übertroffen , wie Dü Bos behauptet 3), weil er an- 
ı) Plin. L 34. c. 19. a) Id. L, 36. 6 3. 3). Refl. für la poefie & fur 
““la peint, 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Ece. nimmt, 


386 I. Theil, Viertes Kapitel, 


nimmt, Daß die Pferde in Griechenland und Stalien nicht fo 
ſchoͤn, als die englifchen find. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß im 
Koͤnigreiche Neapel und in England die daſigen Stuten, von 
ſpaniſchen Hengſten begangen, eine edlere Art durch dieſe Be— 
gattung geworfen haben, wodurch die Pferdezucht in dieſen Lan: 
dern verbeſſert worden. Dieſes gilt auch von andern Ländern; 
in einigen aber ift das Gegentheil gefchehen: Die Deutfchen Pferde, 
welche Caͤſar fehr fchlecht gefunden, find igo fehr gut, und Die 
Pferde in Gallien, welche zu deſſen Zeit geſchaͤtzt waren, find Die 
fplechteften in gang Europa. Die Alten kannten den fchönen 
Schlag der dänifchen Pferde nicht, auch) Die englifchen find ihnen 
nicht bekannt gewefen; aber fie hatten cappadocifche und epiri- 
fche, die edelften Orten unter allen, die perfifchen, Die achäifchen 
und theffalifchen, Die ficilianifchen und tyrrhenifchen, und Die celz 
tifchen oder fpanifchen Pferde. Hippias fagt beym Plato: „Es 
fallt die ſchoͤnſte Art Pferde bey uns 1)“. Es iſt auch ein ſehr 
überhinflatterndes Urtheil jenes Sceribenten, wenn er fein obiges 
Vorgeben aus einigen Mängeln des Pferdes Des Marcus Aure⸗ 
ling zu behaupten ſuchet: dieſe Statue hat natuͤrlicher Weiſe ge 
litten, wo diefelbe umgeworfen und verfehüttet gelegen; an den 
Herden auf Monte Cavallo muß man ihm geradezu widerfpre- 
hen, und es iſt das, was alt iſt, nicht fehlerhaft" | 
Wenn wir auch Feine andern Pferde in der Kunft hätten, 
fo kann man voraus feren, da vor Alters taufend Statuen auf 
und mit Pferden gegen eine einzige. in menern Zeiten gemacht wor⸗ 
den, 
ı) Hipp. maj, p. 348. 1. 21. ed. Baf. 


Don der Kunft unter den Griechen, 387 


den, daß die Künftler des Alterthums die Eigenfchaften eines 
fhönen Pferdes, fo wie ihre Seribenten und Dichter, gekannt 
haben, und daß Calamis eben fo viel Einſicht, als Horatius und 
Virgilius, gehabt, die uns alle Tugenden und Schönheiten ei- 
nes Pferdes anzeigen. Mic) deucht, Die gedachten zwey Pferde 
auf dem Duirinale zu Nom, die vier Pferde. von Erztüber dem 
Portale der St. Marcuskirche zu Wenedig find, mas man in 
dieſer Art fchönes finden mag; der Kopf des Pferdes Kaifers 
Marcus Aurelius kann in der Natur nicht wohlgebildeter und 
geiftreicher feyn. Die fechs Pferde von Erste ; welche auf dem 
hereulanifchen Theater ftanden, waren ſchoͤn, aber von leichtem 
Schlage, wie die Pferde aus der DBarbarey find. aus diefen 
Pferden ift ein ganzes zuſammengeſetzet auf Dem Hofe des koͤnig⸗ 
lichen Muſei zu Portict zu fehen. Zwey andere Fleine Pferde von 
Erzte in eben dieſem Muſeo find unter Die feltenften Stüde deffel- 
ben zu zählen. Das erfte mit Deffen Reiter wurde im May 1761. 
im Herculano gefunden, aber es mangelten an Demfelben alle vier 
Beine, wie aud) an der Figur, nebſt dem rechten Arme: die Bafe 
deffelben aber ift vorhanden , und mit Silber ausgelegt. Das 
Pferd ift zween neapelfche Dalmen lang; im Galop vorgeftellet, 
ruhet auf einem Stenerruder, und es hat Die Mugen , wie auch 
eine Roſe an den Zügeln auf der Stirne, und einen Kopf der 
Medufa auf den Bruftriemen, von Silber die Zügel felbft find 
von Kupfer. Die zu Pferde fisende Figur , die Alexander dem 
Großen ähnlich ift, hat ebenfalls die Augen von Silber, und der 
Mantel ift mit einem filbernen Hefte auf der rechten Schulter zu: 
Ccc 2 ſam⸗ 


388 LTheil. Viertes Kapitel. 


ſammengehaͤnget: in der linken Hand haͤlt dieſelbe die Degen: 
ſcheide, daß alſo in der mangelnden rechten Hand der Degen 
muß geweſen ſeyn. Dieſe Figur iſt einen roͤmiſchen Palm und 
zehen Zolle hoch. Das andere Pferd wurde ebenfalls verſtuͤm⸗ 
melt, und ohne Figur gefunden; nach dieſer Zeit aber iſt daſelbſt 
ein Pferd von gleicher Groͤße nebſt einer reitenden Amazʒone ent⸗ 
decket/ fo daß Die Bruſt des ſpringenden Pferdes auf einer Herme 
ruhet. Schoͤn gezeichnet ſind die Pferde auf einigen ſyracuſiſchen 
und andern Muͤnzen, und der Kuͤnſtler, welcher die drey erſten 
Buchſtaben MIO, feines Namens unter einem Pferdekopfe 1) auf 
einem Carniole des. Stoſchiſchen Muſei geſetzet, war feines Vers 
ſtaͤndniſſes und des Beyfalls der Kenner gewiß. 

Es ift hier ben Gelegenheit zu merken, „wie ich an einem 
andern Orte angezeiget 2), daß Die alten Künftlev über Die Be— 
wegung der Pferde, das iſt/ über die Art und, Folge Der; Deine 
im Aufheben, nicht einig waren , eben fo. wenig, wie es ‚einige 
neuere Scribenten find, welche diefen Punct beruͤhret haben Ei- 
nige behaupten 3), daß die Pferde die Beine an jeder Seite zu⸗ 
gleich aufheben, und ſo ift der Gang Der vier alten Pferde su Be 
nedig, Der. Pferde des Caſtor und des Pollux auf dem Campi⸗ 
doglio, und der Pferde des Nonius Balbus und feines Sohng 
zu Portici vorgeftellet, » Andere, halten ſich überzeugt, Daß ‚Die 
Pferde ſich diagonaliſch, oder im Kreuze, bewegen 4), Daß. fie 


naͤm⸗ 
ı) Defcr. des Pier. - du Cab, de Stofch, p. s43. monum. ant. ined. p. 
236. 2) Defer. des Pier.-gr. du Cab. de Stofch, p. 172. 3) Bo- 


rel. de motu animal. P. I. c. zo. Baldinuc. Vite de Pitt. T. 2. pP. 59. 
g) Magalotti Lettere. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 389 


nämlich nach dem rechten Worderfuße den linken Hinterfuß auf 
heben; und dieſes ift auf die Erfahrung, und auf die Gefete der 
Mechanik gegründet. Alfo heben die Füße das Pferd des Mar- 
cus Murelius, die vier Pferde an deſſen Wagen in erhobner Ar— 
beit, und die an den Bogen des Titus ftehen. 

Es finden ſich aud) verfchiedene andere Thiere griechifcher 
Künftler von harten Steinen und von Marmor in Ron. In der 
Villa Negroni ftehet ein fhöner Tiger von Bafalt, anf welchen 
eins der fehönften Kinder in Marmor reitet; und ein großer ſchoͤ— 
ner fisender Hund von Marmor ift vor einigen Jahren nach Eng- 
land gegangen. Vielleicht ift der Meifter deſſelben Leucon, Der 
in Hunden berühmt war ı). An dem bekannten Bode in dem Pa— 
lafte Giuſtiniani ift der Kopf, als der vornehmfte Theil, neu. 

Diefe Abhandlung von der Zeichnung Des Nackenden grie— 
chifcher Künftler, ift hier nicht erfchöpft, wie id) fehr wohl einſe— 
be; aber ich glaube, e8 fey der Faden gegeben, den man faflen, 
und dem man richtig nachgehen kann. Nom ift der Dit, wo Diefe 
Betrachtungen reichlicher, als anderswo, geprüfet und angewen⸗ 
Det werden koͤnnen; Das richtige Urtheil aber über Diefelben , und 
der völlige Nutzen, ift nicht im Ducchlaufen zu machen, noch zu 
fchöpfen: Denn was anfänglich dem Sinne des Verfaſſers nicht 
gemäß fcheinen möchte, wird Demfelben Durch öftere Betrachtung 
ähnlicher werden, und wird Die vieljährige Erfahrung Deflelben, 
und die veife Heberlegung Diefer Abhandlung beftättigem, 


nEce 3 Non 
3») Anthol. L. 6. c. 1. ep. 2. P. 411, 


390 1. Theil. Viertes Kapitel. 


* 


Ai ee Von dieſem erften Theile des zweyten Abſchnitts diefes 
— di- Kapitels, das iſt, von Betrachtung der Zeichnung des Naden- 
den in der griechifchen Kunſt, gehe ich zu Dem zweyten Theile, 
welcher von der Zeichnung befleideter Figuren handelt. Die Un: 
terfuchung dieſes Theils der Kunft ift in einer Lehrgefchichte der- 
felben um fo viel nöthiger, Da Die bisherigen Abhandlungen von 
der Kleidung der Alten mehr gelehrt, als unterrichtend und be: 
ſtimmt find, und ein Künftler würde, wenn er Diefelbe gelefen 
hätte, vielmals unwiffender feyn, als vorher : Denn dergleichen 
Schriften find von Leuten zufammen getragen, die nur wußten 
aus Büchern, nicht aus anfchanlicher Kenntniß der Werfe der 
Kunſt; unterdeffen muß ich bekennen, Daß es ſchwer ift, alles ge= 
nau zu beftimmen, und mein Vorſatz ift auch nicht eine umftänd- 
liche Unterfuchung über Die Bekleidung der lten zu geben. Da 
aber nad) dem Plinius Greca res eft, nihil velare; at contra Ro- 
mana ac militaris, thoraces addere „ weldyes and) nod) io Der 
Augenſchein Ichret an den Statuen griechifcher Melden, fo ift in 
einer Abhandlung der griechifehen Kunſt in diefer Abſicht, vor- 
nehmlich von der Kleidung des weiblichen Geſchlechts zu reden, mit 
welcher ich anfange, und Derfelben hernach eine Anzeige der mann: 
lichen Kleidung beyfügen werde, 
—— Es iſt erſtlich von dem Zeuge, zweytens von den verſchie⸗ 
u denen Stücen, Arten, und von der Form der weiblichen Klei— 
dung, und zum Dritten von Dem Schmucke und Der Zierlichkeit fo 
wohl der Kleidung felbit als des übrigen weiblichen Dnzugs zu 
reden, In 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 391 


In Abſicht des erften Puncts war die weibliche Kleidung 
theils von Leinewand , oder von anderem leichten Zeuge, und in 
fpäteren Zeiten von Seide, theils auch) vom Tuche; es waren auch 
von Gold gewirfte Kleider bekannt. Die Leinwand ift in Aber: 
Een der Bildhauerey fowohl, als in Gemälden, an der Durch: 
fichtigkeit, und an den flachen Eleinen Faͤltgen kenntlich; und die— 
fe Art der Bekleidung ift den Figuren gegeben, nicht ſowohl weil 
die Künftler die naffe Leinwand, mit welcher fie ihr Modell be- 
Hleideten, nachgemachet haben, fondern weil die älteften Einwoh- 
ner von Athen, wie Thucydides fchreibet 1), und auch andere 
Griechen, ſich in Leinwand Eleideten 2), welches nad) Dem Nero: 
dotus nur von dem Unterkleide der Weiber zu verftehen wäre 3). 
geinwand war noch die Tracht der Weiber zu Athen nicht lange 
vor den Zeiten befagter Seribenten 4), und Thucydides zeiget in 
feiner Befchreibung der Peft zu Athen Hembden von fehr feiner 
Leinwand an. (Aerlor ınarıwv aa owdorav 5). Will jemand an 
weiblichen Figuren das, was Leinwand fcheinen Fönte,, für leich- 
tes Zeug halten, fo andert fi) dadurch die Sache nicht: unter: 
Deffen muß die Leinwand eine häufige Tracht unter den riechen 
geblieben feyn, da in der Gegend um Elis der fchönfte und feinfte 
Flachs gebauet und gearbeitet wurde 6). Man kann alſo ficher 
glauben, da fogar die Sammniter in ihren Feldzügen Leinwand 
trugen, und Die Sberier in dem Meere des Hannibals in purpur- 


far: 
YL.ı.pglr 8) Aefchyl: Sept. contr. Theb. v. 1047. Theocrit. 
Idyl. 2. v. 72. 3) L. 5. p. 201. 1. 16. 4) Eurip. Bacch. v. 819. 


PL. 2.59.64 1a 6) Paufan. L, 5. p- 384. 1. 31. Plin.L. 19. c. 4 


a. Don dem 
euge der 
Kleidung. 
aa. Leinwand 
und anderes 
leichtes Zeug. 


bb. Baum: 
wolle, 


392 I. Theil, Viertes Kapitel, 


farbenen leinenen Weften giengen D, Daß in Nom das Leinenzeug . 
nicht fo felten gewefen, wie einige Scribenten aus einer uͤbel ver- 
ftandenen Stelle des Plinius fhließen, wo dDerfelbe aus dem Varro 
anmerfet, Daß die Weiber des feranifchen Hauſes zu Nom Feine 
Kleider von Leinwand getragen 2). 

Das leichte Zeug war vornehmlich Shunmoälle,. Die in. Der 
Inſel Cos gebauet und gewürfet wurde 3), und es war fowohl 
unter den Griechen, als unter den Römern , eine Kleidung des 
weiblichen Gefchlechts; wer fich aber von Männern in Baumwolle 
Hleidete, war wegen der Weichlichkeit befchrieen 4). Dieſes Zeug 
war zuweilen geftreift 5), wie es Chaͤrea, der ſich als ein Ver— 
fehnittener verkleidet hatte, in Dem vaticaniſchen Terentius trägt, 
und vielmals mit allerhand Blümen durchwuͤrket. (arıo mamıkoy 
mar außen meromimnueor 6). Es wurden aud) leichte Zeuge 


für das weibliche Geflecht aus der Wolle geweber, weldhe an 


gewiſſen Mufcheln wächfet 7), aus welcher noch io, fonderlic) 
u Taranto, fehr feine Handſchuhe und Strümpfe für den Win: 
ter gearbeitet werden. Man hatte Dermaffen durchfichtige Zeuge, 
daß man fie daher einen Nebel nennete 8), und Euripides befchreiz 
bet den Mantel, welchen Iphigenia über ihe Geficht hergefchla- 
sen, fo Diinne, Daß fie durch Denfelben fehen koͤnnen. 


Die 
a) Polyb. L. 3. p. 264. A. Liv. 1. a2. c. 46. s) Plin. L. 19. c. 2... 
3) Salmaf. Exerc. in Solin, p. 296. A. 4) Plin. L. 11. c. 37. 


s) Rüben. dere veft. L.r.c. 2. p. ı5 > 6) Plat. Polit. L. 8. P. 45°. 
1, 16. ) Salmaſ. Not. in Tertul. de Pallio, p. 272. 175. 9) Turneb, 
Adveif. L. 1. c. 15, p- 15- 


Bon der Kunft unter den Griechen, 393 


Die Kleidung von Seide glaubet man zu erfennen auf al- 
ten Gemälden an der verfihiedenen Farbe auf eben Demfelben Ge— 
wande, welches man eine fid) ändernde Farbe (Colore cangiante) 
nennet, wie Diefes Deutlich zu fehen ift auf der fogenannten aldro- 
vandinifchen Mochzeit, und an den Copieen von andern in Nom 
gefundenen und vernichteten Gemälden, Die ſich in der vaticani- 
ſchen Bibliothek und in dem Mufeo des Hrn. Cardinals Alexander 
Albani befinden; noch häufiger aber erfcheinet Diefes auf vielen 
hereulanifchen Gemälden, wie in den WVerzeichniffe und in Der 
Defchreibung derfelben an einigen Drten angemerfet worden 1). 
Diefe verfchiedene Farbe auf den Gewändern verurfachet Die glat— 
te Släche der Seide und der Frelle Widerſchein; und dieſe Wir- 
fung macht weder Tuch, noch Baumwolle, aus Urſache des wol- 
ligten Fadens und der rauchlichen Fläche. Diefes will Dhiloftra- 
tus anzeigen, wenn er von dem Mantel Ades mphion faget, Daß 
Derfelbe nicht Yon einer Farbe gewefen , fondern daß fid) die 
Farbe dHeflelben nach Den verfchiedenen Augpunkten geändert 
habe 2). Daß das griechifche Frauenzimmer in den beften Zei: 
ten von Griechenland, feidene Kleider getragen, ift aus Schrif: 
ten nicht bekannt; Die Künftler aber müffen dergleichen Zeuge ges 
kannt und mit Denfelben ihre Modelle bekleidet haben. An Nom 
wußte man bis unter den Kaifern nichts von Diefer Tracht, da 
aber Die Pracht einriß, ließ man feidene Zeuge aus Indien kom— 

men, 


ı) Bayardi Catal. Ercol, p. 47. n. 244. P. 117. n. 593. Pitt, Ercol. T, 3. 
tav. 5. P. 27. 2) Icon. L. ı. u, 10. p. 779. 


winkelm Geſch. der Runſt. Odd 


® 


ec, Seide. 


dd. Tuch. 


394 1. Theil, Viertes Kapitel, 


men, und e8 Fleideten fi) auch Männer in Seide 1), worüber 
unter dem Tiberius ein Verbot gemadyt wurde. Eine befondere 
fih andernde Farbe fieht man auf vielen Gewändern alter Ge- 
mälde, nämlic) roth und violet, oder himmelbau zugleich, oder 
roth in den Tiefen, und grün auf den Höhen, oder violet in den 
Tiefen, und gelb auf den Höhen ; welches ebenfalls feidene Zeu— 
ge andeutet, aber folhe, an welchen der Faden des Einſchlags 
und Des Aufſchlags, jeder befonders eine von beyden Farben muß 
gehabt haben, welche an geworfenen Gewaͤndern, nad) Der ver 
fihiedenen Richtung der Falten , eine vor der andern erleuchtet 
worden. Der Purpur war insgemein Tuch; man wird aber ver: 
muthlich auch der Seide diefe Farbe gegeben haben. Der Pur⸗ 
pur war von zwenfacher Art, nämlich Violet oder NWiolenfarbe 2), 
Tavdırog 3), welche Art Farbe die Griechen durch ein Wort an- 
deuten , welches eigentlich Meerfarbe heißt 4), und von Diefer 
Art war der Purpur von Taranto 5): Der andere und Eoftbare 
Purpur, nämlich) der Tyriſche, war unferm Lacke ähnlid). 

Das Gewand von Tuche unterfcheidetfich an Figuren aut: 
genfcheinlich vor der Leinwand, und von andern leichten Zeugen; 
und ein frangöfifcher Rünftler, welcher Feine anderen als fehr fei— 
ne und durchfichtige Zeuge in Marmor bemerfet 6), hat nur an 
die farnefifche Flora gedacht, und an Figuren, welche auf aͤhnli— 

ei 

ı) Tacit. Annal.L. 2. c. 33. a)Corn. Nep. Fragm. p. 158. ed. in uf. er 
Colunn. de Purp. p. 6. 3) Plin. L. 21. c. 14. 4) Excerpt.Polyb. 

L. 31. p. 177.1. s. conf. Hadr. Iun, Animadv. L. =. c. 3. Bochart Hie- 


ToZ.T. 1. P-u738, '5) Hotat. L.'2. ep: ı. v. 207° 6) Falconet 
Refl. für la Sculpt. p. 52. 58. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 395 


che Art gekleidet find. Man kann hingegen behaupten, daß ſich 
in weiblichen Statuen wenigfteng eben fo viel Gewaͤnder, welche 
Tuch, als welche feine Zeuge vorftellen, erhalten haben. Tuch ift 
Eenntlic) an großen Falten, auch an den Brüchen, in welche das 
Tuch im Zuſammenlegen gefchlagen wurde; von Diefen Bruͤchen 
wird unten geredet. 


Ich füge zu den verfchiedenen Zeugen weiblicher Kleidung x 


auch die von Gold gewürkten Städehinzu, ob gleich Diefe eigent- 
lich nicht hieher gehören : denn es ift Feine Figur alfo gemalet; 
fondern um alle Arten zu bemerken. Die reichen Zeuge der Al— 
ten beftanden nicht, wie bey uns, aus dünne gefchlegerem und 
vergoldeten Metalle oder Silber, welches über feidene Faden ge: 
fponnen ift, fondern es war gediegenes gewuͤrktes Gold, wie PIE 
nius anzeiget, da er voneinem folchem Paludamento redet, womit 
Die ältere Agrippina, des Claudius Gemahlinn bekleidet, einem 
Schauſpiele eines Schiffgefechts zufah. Nos vidimus Agrippi- 
nam Claudii principis, edente eo navalis proelii ſpectaculum, in- 
dutam paludamento auro textili, fine alia materia.. Ja eben diefer 
Scribent führet an, daß bereits Tarquinius Prifeus einen gol- 
Denen Nod getragen, (Tunicam auream). In Nom und zu meis 
ner Zeit haben ſich in zwo Begräbnißurnen ſolche aus lauterem 
Golde verfertigte Kleider gefunden , Die unverzüglich von den Ei- 
genthümern verfchmolgen worden ; und Die Patres des Colleaii 
Elementini, in Deren Weinberge ſich Die letzte Urne von grünlichen 
Dafalt fand, geftanden zu, daß fie aus ihrem Kleide vier Pfund 
Gold gezogen; es ift aber zu glauben, Daß fie den Werth nicht 
Ddd 2 ge⸗ 


ee. Goldene 
tücke. 


396 I. Theil, Viertes Kapitel, 


getrenlich angegeben. Won diefer Art Zeuge Fönnen ung ei— 
nige Stücke goldener Gallonen in dem hereulanifchen Muſeo einen 
Begriff geben; Denn es m Diefelben ebenfalls aus lauterem Gol- 
De gewebet. 

—— Was den zweyten Punkt Der weiblichen Kleidung, nam: 


Arten und der 


ger ter Be [ich ihre verſchiedenen Stüde, Arten, und die Form Derfelben bes 
Leibes, trifft, fo find zuerft drey Stüde, Das Unterfleid, der Rod und 
der Mantel zu merken, deren Form Die allernatürlichfte ift, Die 
fid) gedenken läßt. In den älteften Zeiten war die weiblicdye Tracht 
unter allen Griechen eben Diefelbe, das ift, Die Dorifche 1); in den 
folgenden Zeiten unterfchieden fich Die Jonier von Den übrigen; 
Die Rünftler aber fcheinen fich in göttlichen und heroifchen Figu— 
ven an die ältefte Tracht vornehmlid) gehalten zu haben. 
en Das Unterkleid, weldyes ftatt unfers Hemdes war , fieht 
man an entEleideten oder fchlafenden Figuren, wie an der farnefi= 
fchen Flora, an den Statuen der Amazonen, an der faͤlſchlich for 
genannten Eleopatra in der Villa Medicis, und an einem fchö- 
nen Dermaphroditen im Palafte Farnefe. Auch die jüngfte Toch⸗ 
ter der Niobe, die fid) in den Schooß der Mutter wirft, hat nur 
das Unterfleid; und diefes hieß bey den Griechen Xırov 2), und 
die allein im Unterfleide waren, mit welchem die XBeiber beFleidet 
fehliefen, hießen uovorerAu 3), aud) noroxırwves 4). Es. war, wie 
an angeführten Figuren erfcheinet, von Leinwand, oder von ſehr 
leichtem Zeuge, ohne Ermel, fo daß es auf den Achſeln vermit- 
telit 


s) Herodot. L. 5. p. 201: J. re. 2) Achil. Tat. Erot. L. 1. p- 9. 1. 3. 
3) Eurip. Hecub. v. 933. 4) Plutarch. Syll. p. 855. L. 21. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 397 


telft eines Knopfs zufammenhieng, und bedeckete Die ganze Bruſt, 
wenn es nicht von der Achſel abgelöfet war : ein folches leichtes 
Kleid trugen die fpartanifchen Mädchen, und diefes ohne Gür- 
tel 1). Oben am Halfe fcheinet zuweilen ein gekräufelter Strei— 
fen von feinerem Zeuge angenähet gewefen zu feyn , welches aus 
Lycophrons Beſchreibung Des Maͤnnerhemdes, worein Elytem- 
neftea den Agamemnon verwidelt 2), um fo viel mehr auf Unter: 
kleider der Weiber kann gefchloffen werden. 

Es behauptet jemand, daß die römifchen Weiber , nicht 
die Mönnerhemden, (vielleicht hat derſelbe Unterkleider fagen 
wollen) mit Ermeln tragen dürfen : ich wünfchefe Den Beweis 
davon zu fehen. In männlichen griechifchen oder römifchen Fi— 
guren, Die theatralifchen ausgenommen, kann ic) mich nicht ent- 
ſinnen, Unterfleider mit engen Ermeln bemerket zu haben ; in ei: 
nigen hereulanifchen Gemälden aber fiehet man Roͤcke mit halben 
Ermeln, die nur bis an die Mälfte des Dberarms reichen, und 
folche Kleider hießen daher Colobia. Männerkleider mit vor- 
gedachten langen und engen Ermeln finden fih nur an Figuren, 
die comifche oder tragifche Derfonen vorftellen, wie fich zeiget an 
zwo kleinen comifchen Statuen in der Villa Mattei, und an einer 
dieſen ähnlichen in der Ville Albani, ingleichen an einem Tragico 
auf einem hereulanifchen Gemälde. Noch deutlicher aber und an 
mehreren Figuren ift Diefes auf einer erhobenen Arbeit, in der 
Ville Pamfili, vorgeftellet, die in meinen Denkmalen des Alter— 

Ddd 3 thums 


1) Schol. ad Eurip. Hec. I. c. 2) Alex, v. ııoo. conf, Cafaub, Anim, is 
Suet. p. 23. D. 


398 I. Theil, Viertes Kapitel, 


thums bekannt gemachet ift. Die Knechte in der Komödie haben 
über Die Bekleidung mit langen engen Ermeln, ein oberes Furges 
Kamifol mit halben Ermeln. 

Ich habe Ausschließungsweife gefaget, Daß ſich die langen 
engen Ermel nicht an griechischen und roͤmiſchen männlichen Fi—⸗ 
guren, Die vom Theater ausgenommen, finden; allen phrygiſchen 
Figuren aber find dieſe Ermel eigen, welches man an den fehönen 
Statuen des Paris in den Palaͤſten Altemps und Lancellotti, 
und an anderen Figuren Deffelben auf erhsbenen Arbeiten und auf 
gefchnittenen Steinen fiehet. Eben Daher ift Cybele, als eine 
phrygiſche Gottheit, allegeit mit folchen Ermeln gebildet, welches 
man am Deutlichften an der erhoben gearbeiteten Figur Derfelben 
im Campidoglio fichet. Aus eben dem Grunde und um in der 
Iſis eine ausländifche und fremde Göttinn abzubilden , ift Die: 
felbe nebft der Cybele die einzige unter allen Gsttinnen, welche 
enge und lange Ermel hat. Nach Art der Phrygier pfienen auch 
Figuren, Die barbarifche Voͤlker anzeigen follen, Die Dirme mit 
Ermeln befleidet zu haben; und wenn Suetonius von einer Toga 
Germanica redet, feheinet er einen Rock mit Ermeln verftanden zu 
haben. 

— Der weibliche Rock war gewoͤhnlich nichts anders, als 
= de in vier zwey lange Stüde Tuch), ohne Schnitt und ohne andere Form, 
welche nur in der Länge zufammen genähet waren, und auf den 
Achſeln durch einen oder mehr Knöpfe zuſammenhiengen; fo wie 
Sofephus die gewöhnlichen Roͤcke befchreibet 1): zuweilen war ans 

ftett 


Ant Jüd, E.2.c2: 52. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 399 


ftatt des Knopfs ein fpigiger Heft, und die Weiber zu Argos 
und Aegina trugen dergleichen Hefte größer , als zu Athen 1). 
Diefes war der fügenannfe vieredigte Rock, welcher auf Eeine 
Weiſe rund gefchnitten feyn Fann, wie Salmafius glaubet 2), 
(er giebt die Form des Mantels dem Node, und des Rocks dem 
Mantel) und es ift die gemeinfte Tracht göttlicher Figuren, oder 
aus der Meldenzgeit: dieſer Rock wurde über den Kopf geworfen. 
Die Röde der fpertanifchen Jungfrauen waren unten auf den 
Seiten offen 3), und flogen frey von einander, wie man es an 
Figuren von Tänzerinnen ſiehet. Andere Nöde find mit engen 
genäheten Ermeln, welche bisan die Knoͤchel der Hand reichen, 
und Die Daher zuomora, von xaamog, der Knöchel, genennet wur= 
den d). So ift die ältere von den zwo fchönften Töchtern der 
Niobe gekleidet und Die vermeynte Dido unter den herculanifchen 
Gemälden, auf gemalten Gefäßen fiehet man noch mehrere. 
Wenn die Ermel fehr weit find, wie an zwo fehönen Statuen der 
Dallas in der Villa Albani, find es nicht die Ermel des Rocks 
tondern Des Unterfleides, auch nicht befonders gefchnitten , fon- 
dern aus dem vieredigten Node, welcher von der Achſel auf den 
Arm herunter gefallen, vermittelft des Gürtels in Geftalt der Er- 
mel gezogen und geleget; und wenn ein folcher Rock auf Der Ach— 
ſel nicht zufammengenähet, fondern durch Knöpfe zufammen gehän- 
get ift, fo fallen alsdann die Knöpfe auf dem Arme herunter: folche 
weitlauftige Nöde pflegtedas weibliche Geſchlecht an feyerlichen Ta⸗ 
gen 


») Herodot. L. 5. p. 201. I. 24. 2) Not.in Script.Hift. Aug. p. 369. D. 
5) Plutärch. in Numa, p. 140. 1. 19. 4) Salmaf, in Tertul. de Pal. p. 44. 


6. Mit engen 
genäheten Ers 
meln. 


400 1. Theil. Viertes Kapitel. 


gen anzulegen 1). Im ganzen Alterthume aber findet man Feine 
weite und nach heutiger Art an Hemden aufgerollete Ermel, wie 
Dernini der H. Veronica in der Kirche von St. Peter und an- 
dere neuere Bildhauer ihren weiblichen Figuren gegeben haben. 

Der Rock finder fich niemals weder unten herum, noch 
fonft, mit Franzen beſetzet, welches ich erinnere zu Erklärung 
Desjenigen, was Callimachus an Dem Node der Diana Aryıarov 
nennet, und von alten fo wohl als neueren Auslegern auf Tro— 
deln oder Franzen gedeutet wird, außer dem Spanheim, welcdyer 
es von Streifen erfläret, Die in der Lange herunter eingewiürfet 
find. Callimachus führer dieſe Göttinn redend ein, mit Bitte 
an den Supiter, ihr unter anderen Dingen zu verftatten, ihren 
Rock bis an die Knie aufgefchürgt zu tragen: 

— HÜ EG ya KEXE XIT@VA 
Zawudas Aeyyarov — 
Hymn. Dian, v. 11. 

man fiehet aber den Nod der Diana eben fo wenig auf alten Ge— 
mälden als in Statuen weder mit Franzen, nod) mit Streifen 
die von oben herunter gehen; an dem Saume deffelben hingegen 
pfleget eine breite eingewürfte Beſetzung angedentet zu feyn, wel 
ches am deutlichften an der Statue derfelben in dem hereulanifchen 
Muſeo zu fehen iſt, Die im vorigen Kapitel befchrieben worden. 
Sc) bin Daher der Meynung, Daß das Wort Aeyrorov. den beſetz⸗ 
ten oder fonft verzierten Saum Des Rocks anzeige, 


Die 


3) Liv. L. 37. c. ult, amplifima vweflis. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 401 


Die Jungfrauen fo wohl, als Weiber, banden den Rod 
nahe unter den Brüften I), wie nod) io an einigen Orten in 
Griechenland gefchiehet 2), und wie Die jüdischen Hoheprieſter 
Denfelben trugen 3): Diefes hieß hochaufgefchürzt, PaSulwvog, wel 
ches ein gemeines Beywort der griechifchen ABeiber beym Home⸗ 
tus 4), und bey andern Dichtern ift S). Diefes Band oder Gür- 
tel, bey den Griechen Tamıa, Strophium 6), aud) Mitra 7) ge 
nannt, ift an den mehreften Figuren fichtbar, und von Den beyden 
Enden deffelben auf der Bruft hängen drey Schnüre mit einem 
Knoten herunter, an einer Heinen Pallas von Erzt, inder Ville 
Albani 8), fo wie an den weiblichen Ziguren des ſchoͤnſten Gefaͤs⸗ 

ſes 


ı) Val. Flac. Argon. L. 7. v. 355. 

2) Pococke’s Defer. ofthe Eaft, T. =. P. ı. p. 266. 

3) Reland. Ant. Hebr. p. 145. 4) 1. ı. 590. Od. y. 154. 

5) BaYularss ywamus bat Barnes in der erſten angeführten Stelle gegeben pro- 
funde fuccin&as, und in der zwoten demiffas zonas habentes, welches bey⸗ 


cc. Bom Auf: 
ſchürzen des 
Rode, und 
inabefondere 
von dem Gür⸗ 
tel, 


des irrig iſt. Die griechiſchen Scholiaften haben dieſes Beywort eben fo wenig ‘ 


verftanden, und wenn im Etymol, Magno gefaget wird, es fey daſſelbe ein 
Beyname barbarifcher Weiber, fü zielet dieſes vermuthlich auf sine Stelle des 
Aeſchylus, (Perf.v.155.) mo diefer Dichter die perfiihen Weiber alſo nennet 
Stanley hat den rechten Sinn dieſes Worts getroffen; denn er uͤberſetzet 08 
alte cinctarum, der hochaufgefhürzten. Der Scoliaft des Statius *) 
sieht ein fchlechtes Kennzeichen vbn der Abbildung der Tugend, wenn er ſagt, 
das fie hochaufgeſchuͤrzt vorgeſtellet worden. 
*) Lutat. in Lib. 10. Theb. Stat. 

6) Aefchyl. Sept. contr. Theb. v. 977. Catul. Epithal. v. 65. Hier koͤnte 
füglicher an ſtatt lactantes geſetzt werden luctantes. 

7) Non. Dionyf. L. 1. p. 15. v. 5. p. 22. v. 12. 

8) La Chauffe Muf. Rom, Se&. 2. tab. 9. 


Winkelm. Geſch. der Bunft. Eee 


402 1. Theil, Viertes Kapitel. 


fes der hamiltonifchen Sammlung. Es ift diefes Band unter 
der Bruſt in eine einfache, auch Doppelte Schläufe gebunden, 
welche man an den zwo fchönften Töchtern der Niobe nicht fieht: i 
der jüngften von Diefen gehet das Band über beyde Achſeln und 
über den Ruͤcken, wie es die vier Caryatiden in Lebensgröße ha— 
ben, welche im Monate April 1761. bey Monte Portio unweit 
Srafcati gefunden worden, und ein folches Band hieß insbefonde- 
ve, wenigftens in fpäteren Zeiten, fuccin&orium oder hracile 1). 
An den Figuren des vaticanifchen Terentius fehen wir, daß der 
Rock auf dieſe Art mit zwey Bändern gebunden wurde, die oben 
auf Der Achfel befeftiget gewefen ſeyn müffen: denn fie Hängen an 
einigen Figuren aufgelöfet, auf beyden Seiten herunter, und wenn 
fie gebunden wurden, hielten Die Bänder über den Achfeln Das 
Dand unter der Bruft in die Hoͤhe. So lang muß man fich den 
Gürtel Tarız vorftellen, mit welchem beym Longus Chloe ihren 
Daphnis aus der Wolfsgrube, in Ermangelung eines Strids , 
ziehen läffet; und es Fann Feine Hauptbinde fenn, wie e8 in dent 
Kupfer vorgeftellet it. An einigen Figuren ift dieſes Band oder 
Gürtel fo breit, als ein Gurt, wie an einer faft coloffalifchen Mu- 
fe in der Sancelleria, an der Aurora an dem Bogen des Conftan- 
tinus, und an einer Bacchante in der Villa Madama außer Rom. 
Die tragifche Mufe hat insgemein einen breiten Gürtel, und an 
einer großen Degräbnißurne, in der Wille Matte, ift Derfelbe ges 
ftikt vorgeftellet 2); auch Urania hat zuweilen einen folchen brei- 
ten Gürtel. Aus einem Fragmente des Dichters Turpilius, wo 
ein 
ı)lidor. 2)Spon. Mifcel. Antiq. p. 44. Montfauc. Ant. expl. T. r. P. 1. pl. 56. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 403 


ein junges Mädchen ſagt: ich unglädliche, Die ich einen Brief 
verloren habe, welcher mir aus dem Buſen herausgefchoffen iſt, 
(me miferam, quod inter vias epiftola exeidit mihi, inter tunicu- 
lam & ftrophium collocata) will jemand fchließen, daß man Diefer 
Binde, oder dem Gürtel mit der Zeit eine befondere Form gege: 
ben habe 1). Diefes folget hieraus im geringften nicht: Das bes 
kuͤmmerte Mädchen redet von einem Briefe, den fie zwifchen dem 
Unterkleide und dem Node unter dem Gürtel felbft geftectet Hatte. 

Die Amazonen allein haben das Band nicht nahe unter 
der Bruft, fondern, wie daffelbe an Männern ift, auf den Huͤf— 
ten liegen, und es dienete nicht fo wohl, ihren Roc feft oder in 
Die Möhe zu binden, als vielmehr, fid) zu gürten , ihre Friegeri- 
fche Natur anzudeuten ; (Gürten heißt beym Homerus, fich zur 
Schlacht rüften) Daher Diefes Band an ihnen eigentlid) ein Gür- 
tel zu nennen ift. Eine einzige Amazone unter Lebensgröße, im 
Palaſte Farnefe, welche verwundet vom Pferde finfer, hat das 
Band nahe unter den Brüften gebunden. 

Es erkläret fich alfo aus dem obigen, wie Philoftratus zu 
derftehen ift, wenn er faget, Daß in Dem Gemälde des Comus 
derfelbe von Weibern und Männern umgeben gemwefen, und Daß 
dieſe mit Weiberfchuhen, und wider Die Gewohnheit gefchürzt oder 
gebunden gebildet geweſen; (R Coworras mapa To omenv 2) das ift, 
Die Männer hatten wie Die Weiber den Gürtel unter der Bruſt 
liegen. Mit Weiberfchuhen aber pflegten auch Die Flötenfpieler 

Ere 2 auf 


1) Nedal. Difi. fur I’habil. des Dam. Rom. p. 251. 3)Philoftr.L. r. Icon. 
2. p- 766. 


404 1. Theil. Viertes Kapitel. 


auf der Scena zu erfcheinen, und Battalus aus Ephefus war 
der erfte, Der fich alfo zeigete 1). 
Die völlig bekleidete Venus ift in Statuen allezeit * 
Venus, zween Gürteln vorgeftellet, von welchen der andere unter dem 
Unterleibe liegt, fo wie Denfelben die Wenus mit dem Kopfe einer 
abgebildeten Derfon, neben dem Mars im Campidoglio 2), und 
Die ſchoͤne bekleidete Venus hat, welche ehemals in dem Palafte 
Spada ſtand, und io im Befise des Lord Egremont in England 
ift. Diefer untere Gürtel ift nur diefer Göttinn eigen, und ift 
derjenige, welcher bey den Dichtern insbefondere der Gürtel der 
enus heißt: Diefes ift noch von niemand bemerfet worden. Ju— 
no bat fich Denfelben aus, da fie Dem Jupiter eine heftige Begier⸗ 
de gegen ſich erwecken wollte, und fie legte Denfelben, wie Dome> 
rus fagt 3), inihren Schooß, Das ift , um und unter den Unter: 
leib 4), wo Diefer Gürtel an befagten Figuren lieget: Die Syrer 
99 

r) Liban. vit. Demofth. 2) Muf. Capit. T. 3. tab. 20. 

3) U.& v. 219. 223. conf. Non. Dionyf. L. =. p. 95. 1. 17. 

4) Man fehe gegen diefe Erläuterung an, was andere über den Gürtel der Benus 
vorgebracht haben *), fo wird ſich zeigen, daB ihre Meynung nicht beſtehen 
kann. Es haben ſelbſt Die alten Erflärer des Homerus denfelben an diefem 
Orte nicht verflanden, und eyrardeo now, Tege ihn (den Gürtel) in den 
Schoß, kann nicht, wie der Scholiaft ſagt, eben fo viel ſeyn, ald naranguyor 
dw xoArw, verbirg ihn in dem Schooße. Euſtathius gelangee durch feine 
Herleitung des Worte xssog eben fo wenig zu der wahren Bedeutung deſſelben. 
Ariftides Hingegen, wenn er dieſen Gürtel nennet, ſetzet Hinzu, was und 

wie 
*) Rigalt. Not. in Onoſandri Stratagem. p. 37. ſeq. Prideaux Not. ad 
Marm. Arundel. p. 24. welche beyde es von einem Rocke verſtehen. 


Don der Kunft unter den Griechen. 405 


gaben vermuthlich aud) daher den Statuen der Juno Diefen Guͤr— 
tel. Gori alaubet 1), Daß zwo von den drey Öratien an einer 
Begräbnißurne Diefen Gürtel in der Hand halten, welches nicht 
zu beweifen ift. 

Einige Figuren im bloßen Unterkleide, welches von Der ei- 
nen Achſel abgelöfet niederfällt, haben keinen Gürtel: an Der ir— 
rig fo genannten farnefifchen Slora oder vielmehr einer von den 
Horen ift derfelbe auf den Unterleib fchlaff herunter geſunken; 
Antiope, Die Mutter des Amphion und Zethus, in eben Dies 
fen Palafte, und eine Statue an dem Palafte der Ville Medi: 
cis, haben den Gürtel um die Hüften liegen, fo wie Zongus fei- 
ne Nymphen befchreibet 2), Dhme Gürtel find einige Dac- 

Eee z chan⸗ 


wie auch derſelbe ſey. (o95 more ourog o mess sw **) Martorelli, Prof. der 
griechiſchen Sprache zu Neapel, merket ſehr wohl an , daß dieſes Wort 
kein ſubſtantivum, ſondern ein adiectivum ſey, welches im erſtern Falle von 
ſpaͤteren griechiſchen Dichtern gebraucht worden. Es ſcheinet auch der Dichter 
einer griechiſchen Sinnihrift ****) auf die Venus, nicht verſtanden zu haben, 
was 5 für ein Guͤrtel ſey, da er den gewöhnlichen unter der Bruſt Carpe 
"auloıs weos A&) dafür angenommen, Durch obige Erklärung der Gürtel der 
Benus wird zugleich eine Anzeige des Pliniug deurlich, die derſelbe von der 
Statue eines Satyrs giebt, welcher die Figur eines Bacchus hielt, palla ve 
latum veneris, Die, wie ich es verſtehe, nach Art einer bekleideten Denus ge⸗ 
guͤrtet iſt. Dieſe Stelle ift bis itzo dunkel geblieben, und daher Haben einige an 
ſtatt veneris leſen wollen veneri, als wenn der Satyr den Bacchus der Dis 
nus darbraͤchte. Minius redet von keinem Gruppo *S3dx). 
**) Ariftid. iſthm. in Nept. p. 42. C. *#%) Comment. de Regia 
Theca Calamar. p. 153. *xxx) Anthol. Epigr. gr&c. L. 5. p. 231.4. 
*3%**%) Plin. L. 36. c. 4 $. 8. 
a), MuL, Et. 9% 1.70. 217. 2) Long. Paftor. L. 1. p. Ie, 


ee. Bon Fi- 
guren obue 
Gürtel, 


406 I. Theil. Biertes Kapitel. 


chanten und Tänzerinnen auf Gemälden 1), in Marmor, und 
auf gefehnittenen Steinen 2), theils ihre wolläftige Weichlichkeit, 
fo wie Bacchus ohne Gürtel ift, anzudeuten; theils weilim Tan- 
zen und Springen Der Leib Durch Feinen Gürtel gefchnüret feyn will, - 
Unter den hereulanifchen Gemälden find zwo junge Maͤdchens 
ohne Gürtel 3), Die eine mit einer Schüffel Feigen in der rechten 
Hand, und mit einem Gefäße zum Eingießen in der linken; Die 
endere mit einer Schüffel, und mit einem Korbe, , welche diejeni⸗ 
gen vorftellen Fönten, Die denen, welche in Dem Tempel der Pal- 
las fpeifeten, aufwarteten, und Asımropopnı , Speifenträgerins 
en 4), genennet wurden. Die Erflärer dieſer Gemälde haben 
bier Eeine Bedeutung der Figuren angegeben , und Diefelben bes 
deuten nichts, wenn fie nicht vorftellen was ich gefaget habe, «8 
fand fic) indeffen vor Alters eine Statue einer Tänzerinn ohne 
Gürtel 5). Es find ferner ohne Gürtel vorgeftellet Weiber in 
großer Betrübniß, fonderlich über den Tod ihrer eltern und 
Anverwandten, fo wie Seneca die Trojanerinnen über Den er- 
blaßten Hector Hagend einführet , (vefte remifla 6) und Andro: 
mache nebft anderen Weibern empfänget alfo mit einem ungegür- 
teten und fchleppenden Kleide den Körper Diefes ihres Gemahls 
an dem Thore der Stadt Troja, auf einem erhobenen Werke in 
der Villa Borghefe 7). Auch bey den Römern war Diefer Ger 
brand) in ſolchen Fällen; und ſelbſt Die roͤmiſchen Ritter beFleides 
ı) Pitt. Erc. T. ı. tav. 31. 2) Defer. des Pier. gr. du Cab. de — 
P- 55. n. 1577. 3) Pitt. Erc.T. ı. tav. 22. 23. 4) Suid. in Asımopoea, 
5) Anthol. L. 4. c. 35. p. 363. 1. 13. 6) Troad, v. 83. 7) Mo- 
num. ant. ined, No. . 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 407 


ten den Körper des Auguftus bis in deffen Grabmal, mit unge 
ſchuͤrzten Kleidern 1). 

Das dritte Stüd der weiblichen Kleidung, der Mantel, 
(bey den Griechen Peplos genannt , welches Wort insbefondere 
dem Mantel der Pallas eigen ift, und hernach auch von dem 
Mantel anderer Götter 2) und Männer 3) gebraucht wird) war 


nicht viereckt, wie fi) Salmaſius eingebildet hat, fondern ein rer 


völlig rund gefchnittenes Tuch, fo wie auch unfere Mäntel zuge— 
fchnitten find; und eben die Form muß auch der Mantel der Män- 
ner gehabt haben. Diefes ift zwar der Meynung derjenigen, 
welche über Die Kleidung der Alten gefchrieben haben, zuwider, 
aber Diefe haben mehrentheils nur aus Büchern und nad) fehlecht 
gezeichneten Kupfern geurtheilet. In Auslegung alten Scriben- 
ten, und in Vereinigung oder Widerlegung ihrer Erklärer , Fann 
ich mich nicht einlaffen, und ich begnüge mic) jene der von mir ans 
gegebenen Form gemäß zu verftehen. Die mehreften Stellen der 
Alten veden überhaupt von vieredigten Mänteln, weldyes aber 
Feine Schwierigfeit veranlaffet, wenn nicht Eden, Das ift, ein in 
viele vechte Winkel gefchnittenes Tuch), fondern ein Mantel von 
vier Zipfeln verftanden wird, welche fid) nach eben fo viel ange: 
näbeten Kleinen Quaͤſtgen im Zufammennehmen oder im Anlegen 
warfen. 


An 


1) Suet. Aug. c. 100. 2) Non. Dionyf. L, 2. p. 45. |, 17. 

3) Aefchyl. Perf. 199. 468. 1035. Sophocl. Trachin. v. 609. 634, Eurip. He- 
racl. v. 49. 131. 604. Helen. v. 430. 573. 1556. 1645. Ion. v. 326. 
Herc. fur. v. 333. 


d. Yon dem 
weiblichen 
Mantel, und 
beſonders vou 
de ſſen Cirkel⸗ 
runder Form. 

aa. Von dem 
großen Mau— 
tel. 


“. Bon den 
Quäſtgen an 
denſelben. 


408 J. Theil. Viertes Kapitel. 


An den mehreſten Maͤnteln an Statuen ſo wohl, als an 
Figuren auf geſchnittenen Steinen, beyderley Geſchlechts, ſind 
nur zwey Quaͤſtgen ſichtbar, weil die andern durch den Wurf 
Des Mantels verdeckt find; oft zeigen ſich deren drey, wie an ei— 
ner Sfis im hetrurifchen Stile gearbeitet, an einem Aeſculapius, 
beyde in Lebensgröße, und an dem Mercurins auf einem der 
zween fchönen Leuchter von Marmor, alle drey im Palafte Bar: 
berini. Alle vier Duäftgen aber find an eben fo viel Zipfeln ficht- 
bar, an dem Mantel einer von zwo Ahnlichen hetrurifchen Figuren 
in Lebensgröße, im gedachten Palafte, und an der tragifchen 
Mufe Melpomene , auf Der angeführten Begräbnißurne in der 
Billa Mattei. Diefe Duäftgen hängen offenbar an Feinen Eden, 
und der Mantel kann keine Ecken haben, weil, wenn derſelbe im 
Viereck geſchnitten waͤre, die geſchlaͤngelten Falten, welche auf 
allen Seiten fallen, nicht koͤnten geworfen werden: eben ſolche 
Falten werfen die Maͤntel hetruriſcher Figuren, ſo daß dieſelben 
folglich eben die Form muͤſſen gehabt haben, welche das uͤber die 
Vorrede geſetzte Kupfer zeiget. 

Hiervon kann ſich ein jeder überzeugen, an einem mit etli— 
chen Stichen zufammengehefteten Mantel, wenn Devfelbe als ein 
rundes Tuch nach) Art der Alten umgeworfen wird. E83 zeigef 
aud) die Form der heutigen Meßgewänder , welche vorne und 
Hinten rundlich gefchnitten find, Daß Diefelben ehemals völlig rund, 
und ein Mantel gewefen, eben fo wie nod) io Die Meßgewänder 
der Griechen find. Dieſe wurden durch eine Deffnung über den 

ä Kopf 


Don der Kunft unter den Griechen, 409 


Kopf geworfen 1), und zu bequemerer Handhabung bey dem 
Sacramente der Meffe, über die Arme hinaufgefchlagen, fo daß 
alsdann diefer Mantelvorne und hinten in einem Bogen herunter 
bieng. Da nun mit der Zeit dieſe Mefgewänder von reichen 
Zeuge gemadyt wurden, fo gab man Denfelben theils zur Bequem: 
lichkeit, theils zu Erfparung der Koften, diejenige Form, welche 
fie hatten, wenn fie uͤber die Arme hinaufgeworfen wurden, Das 
ift, fie bekamen die heutige Form. 

Bey den Mänteln der weiblichen fo wohl als männlichen 
Figuren ift annoch nöthig zu erinnert, Daß Diefelben nicht allegeit 
umgeworfen, oder angethan find, wie Die gewöhnliche Tracht war, 
welches ſich augenfcheinlich begreifen laͤſſet, ſondern wie es der 
Kuͤnſtler bequem und dienlich fand; und dieſes iſt ſo wahr, daß 
an einer ſitzenden kaiſerlichen Statue, mit dem Kopfe des Clau— 
dius, in der Villa Albani, das Paludamentum, (Chlamys) 
welches ein kurzer Mantel war, nachſchleppen würde. Der Künft: 
ler Derfelben aber fand vor gut, einen Theil Diefes Mantels über 
den einen Schenkel zu werfen, um einen fchönen Faltenfchlag zu 
zeigen, und nicht beyde Beine zugleic) unbedeckt zu laſſen, wel- 
ches eine Monotonie verurfachet hätte. 

Der Mantel der Alten wurde auf vielfältige Art geleget 
und geworfen (emißarredar): Die gemwöhnlichfte war, ein Viertheil 
oder ein Drittheil überzufchlagen, welches, wenn der Mantel um: 
geworfen wurde, dienen fonte, Den Kopf zu decken: fo warf Sci- 

pio 
ı) Ciampini Vet. Monum, — 326: 02239. 


Winkelm. Gefib. der Runſt. Stk. 


B. Von der 
Artden Mans 
tel umzuwer⸗ 
fen, 


410 1. Theil, Viertes Kapitel, 


pio Nafica, beym Appianus 1), den Saum feiner Toga (zoas- 
recov) Über den Kopf. Zuweilen wurde der Mantel Doppelt zu- 
fammen genommen, (welcher alsdann größer als gewöhnlich wird 
gewefen ſeyn, und ſich auch an Statuen zeiget); und Diefes findet 
fic) von alten Scribenten angedeutet 2). Doppelt gelegt ift un: 
ter andern Der Mantel der zwo fchönen Statuen der Pallas in 
der Billa Albani, aber nicht ungeworfen , fondern unter dem 
linfen Arme und von vorne und von hinten unter der Aegis auf 
der Bruſt hinaufgezogen, und auf der rechten Achſel zufammen- 
zen dem gehaͤnget. Won einem Doppelt zufammen gelegten Mantel ift 
— das Doppelte Tuch der Cyniker vermuthlich zu verſtehen 3), ohn⸗ 
erachtet e8 fi) an der Statue eines Philoſophen diefer Secte, 
in Lebensgröße, in gedachter Villa, nicht Doppelt genommen 
findet 4): denn da die Cyniker Fein Unterkleid trugen, hatten fie 
nöthiger, als andere, den Mantel Doppelt zu nehmen , welches 
begreiflicher ift, als alles, was Salmaſius und andere über Dies 
fen Punkt vorgebracht haben. Das Wort doppelt kann auch nicht 
von der Art Des Umwerfens, wie jene wollen, verftanden wer- 
den: denn an angezeigter Statue ift der Mantel geworfen, wie 
an den mehreften Figuren mit Mänteln. 
ee Die gewöhnlichfte Art, den Mantel umzuwerfen, ift un- 
— ter dem rechten Arm, uͤber die linke Schulter. Zuweilen aber 
ſind 
1) Bel. Civ. L. r.p. 168. 1. 6. 2) Cuper. Apotlı. Hom, p. 144. 
3) Horat. L. 1. ep. ı7. v. 23. 
4) Diefe Statue unterfcheibet fich durch eine große Tafche, wie ein Jagdbeutel, wel 
Ger von der rechten Achjel herunter auf der linken Seite hanget, durch einen 
fnotigen Stab » und durch Rollen Schriften zu den Füßen. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 411 


ſind die Maͤntel nicht umgeworfen, ſondern haͤngen oben auf den 
Achſeln an zween Knoͤpfen, wie an der ausnchmend ſchoͤnen und 
einzigen Statue der Leucothea in der Villa Albani, und an zwo 
Caryatiden, in dev Villa Negroni, welche alle drey in Lebens— 
größe find. An diefen Mänteln muß man wenigftens Das Drit- 
theil über oder untergefchlagen annehmen, fo wie man es Deuts 
lich fieht andem Mantel einer weiblichen Figur über Lebensgröße, 
in dem Hofe des Palaſtes Farnefe deſſen herunter gefchlagener 
Theil mit dem Gürtel gefaffet und gebunden ift. Won einem fol- 
chen angehängten Mantel ift der Schweif heraufgenommen und 
unter den Gürtel geftecket, an einer Muſe über Lebensgröße die 
in Dem Hofe der Cancelleria ftehet, und an der Antiope in dem 
Gruppo des fogenannten farnefifchen Ochſen. Zuweilen war der 
Mantel auch unter den Brüften in einem Sinoten gebunden, fo 
wie e8 Mäntel einiger aͤgyptiſchen Figuren, und der Iſis insge— 
mein find, welches im zweyten Kapitel angezeiget worden, und 
an ſtatt des Knotens waren zwo Zipfel deffelben unter der Bruſt 
vermittelft eines Hefts Crepwss) zufammengehänget 1), fü Daß 
vermuthlich der eine Zipfel über die Achfel herunter gezogen , und 
der andere unter Dem Arme hervor genommen war. Es ift etwas 
befonders, daß der Sturz einer Statue in der Villa des Grafen 
Fede, in der Villa Hadriani, bey Tivoli , über ihren Mantel, 
welcher, wie der Mantel der Sfis, aufder Bruſt gebunden ift, 
einen Ueberhang, wie ein Netz geftrickt, geworfen hat. Diefes 
Netz ift vermuthlich derjenige Ueberhang, welcher Aypaoror bieß, 
Sffe und 
ı) Sophocl. Trachin. v. 942. 


bb. Von dem 
kurzen Mantel 


griechiſcher 
Weiber. 


412 I. Theil. Viertes Kapitel. 


und eine Tracht war derer, Die die Orgia Des Bacchus feyerten 1), 
wie auch Der Figuren Des Tirefias und anderer Wahrfager 2). 

An ftatt Diefes großen Mantels war aud) ein Eleiner Man 
tel im Gebrauch, welcher aus zwey Theilen beftand , Die unten 
zugenähet waren, und oben auf der Achſel Durch einen Knopf zu: 
fammen biengen, fo Daß Deffnungen für den Arm blieben, und 
Diefer Mantel wurde von den Römern Nicinium genennet 3): big: 
weilen reichet Diefer Mantel Faum bis an die Huͤften, ja es ift 
Derfelbe oft nicht langer, als Die heutigen Mantillen. Diefe find 
auf einigen hereulanifcyen Gemälden wirflid) alfo gemacht , wie 
das Frauenzimmer Diefelben zu unfern Zeiten trägt, Das iſt, ein 
leichtes Mänteldyen, welches auch über Die Arme gehet, und ver- 
muthlich rund gefchnitten war, fü Daß man «8 über den Kopf 
werfen mußte: Daher wahrfcheinlic) Diefes dasjenige Stüd Der 
weiblichen Kleidung ift, welches Encyclion, oder Cyclas hieß, 
das ift rundes Kleid, von xurdos, aud) Anaboladion und Ampe— 
chonion genennet wurde 4). Als etwas befonderes ift ein länge: 
ver Mantel ebenfalls aus zwey Stüden, einem Worder zund Hin⸗ 
tertheile, an der Flora im Campidoglio zu merken: e8 ift Deufelbe 
an beyden Seiten von unten herauf zugenähet, und oberwaͤrts ge 
Enöpfet, fo daß eine Deffnung gelaffen ift, Die Arme Durchzuftec- 
Een, wie der linke Arm thut; der rechte Arm aber hat das Ge— 
wand übergeworfen, man ſieht aber Die Oeffnung. 


Wenn 


) Hefych. v. Apeviy. 2)Poll. Onom. L. 4. ſegm. 116. 9) Varro de 
L. L. L. . c. 30. Non. Marcel. c. 14.0.3533. 4) Aelian, Var. hiſt. L. 7. c. 9. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 413 


Wenn das Gewand oder der Mantel bis oben auf das 
Haupt verfhiedener Figuren und Statuen gezogen ift, hat man 
Diefes Daher inggemein für Veſtalen genommen, da gleichwohl 
ſolche Tracht allein XBeibern gemein war. Sonderlich find alle 
und jede einig, einen Kopf in der Farnefina, der Das Kinn ver: 
hüllet hat, eine Veſtale zu nennen, ohne zu überlegen, daß dem— 
felben Das vornehmfte Kennzeichen fehlet, nämlid) die Infula oder 
ein breites Band um Das Haupt, welches auf die Achſel herun— 
ter fiel. Alſo find zween Köpfe gebildet, die Fabretti beybrin⸗ 
get 1), einer anf einem runden- Bleche, der andere in einen Onyx 
gefchnitten. Auf jenem ftehet der Name der Perſon mit der Um— 
fchrift : BELICIAE MODESTE , und inwendig, neben dem 
DBruftbilde, bedeutet nad) gedachten Scribentens Auslegung V. 
V. Virgo veſtalis. Auf dem Steine ftehet unter der Figur: 
NERVIRV welches eben derfelbe alfo ergänzet: NERATIA 
VIRGO VESTALIS. Eine Veftale würde auch kenntlich feyn 
durd) ein befonderes Tud) oder Schleyer über das Haupt , welches 
laͤnglich viereckt war und fufkbulum hieß. Eine folche Infula hänz 
get gedoppeltaufder Bruft herunter an einer Figur unter Lebens⸗ 
größe in dem Palaft Barberini, der man einen neuen Kopf der 

Iſis gegeben hat. 

Die Kleidung der Alten wurde zufammengelegt und ge- 

preffet , welches fonderlic, gefhah, wenn Diefelbe gewafdyen 


dd. Vermeyn⸗ 
ce Schleyer der 
Veſtalen. 


Von dem 
Zuſammenle⸗ 


gen der weib⸗ 


wurde: denn mit den weißen Gewaͤndern der aͤlteſten Tracht des "" Kleer. 


SAARE AR weib- 


1) De Col. Traj. <. 6. p, 167. 


Bon der 
Farbe derKlei⸗ 
dung. 
aa. Der Gott⸗ 
Seiten, 


414 1. Theil, Viertes Kapitel. 


weiblichen Gefchlechts mußte diefes öfter gefchehen 1). Daß die 
Kleider gepreffet worden, weiß man aus den Preffen derfelben, 
deren Meldung geſchiehet 2), und man fichet es an den theils er— 
hobenen, theils vertieften Reifen, welche über die Gewänder hin 
laufen, und Brüche des sufammengelegten Tuches vorftellen. 
Diefe haben Die alten Bildhaner vielmals angedeutet, und ich 
bin der Meynung, daß, was die Römer an der Kleidung Nuns 
zeln (Rugas) hießen, dergleichen Brüche, nicht geplattete Fal— 
ten waren, wie Salmaſius meynet 3), welcher von dem, was er 
nicht gefehen hatte, nicht Rechenſchaft geben Eonte. | 

Nebit der Form der Kleidung ift auch mit wenigen etwas 
von der Farbe derſelben zu berühren, fonderlich da Diefelbe in 
den Abhandlungen von der Kleidung der Plten nicht angezeiget 
worden ift. Don göttlichen Figuren anzufangen, findet fich Ju— 
piter mit einem vothen Gewande 4), Neptunus aber würde ein 
meergrünes Gewand haben müffen, fo wie Die Nereiden pflegten 
gemalet zu werden 5); wie denn felbft Die Thiere, Die den Meer— 
göttern geopfert wurden, meergrüne Bänder trugen 6). Aus 
eben dem Grunde geben Die Dichter den Slüffen Haare von eben 
der Farbe 7). Es wurden and) überhaupt die Nymphen, weil 
ihr Name vom Waffer genommen ift (Nunon , Auupa) in alten 
Gemälden alfo gekleidet 8). Wo Apollo einen Mantel hat, ift 


Der: 

x) Hom. Il. y v. 419. Hefiod. Op. v. 198. Anthol. L, 6. ep. 4. 2) Turneb, 
Adverf. L. 23. c. 19. p. 768. 5) in Tertul. de Pal. p. 334. 4) Mar- 
tian. Capel. de nupt. Phil. L. r. p. ı7. 5) Ovid. Art, L. 3. v. 178. 
6) Valer. Flac. Argon. L. ı. v, 1899. 7) Ovid. Art, L. 1. v. 224. 
e) Ovid. Art. L. 3. v. 178, 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 415 


derfelbe blau 1), oder violet; und Bacchus welcher ein purpur- 
rothes Gewand haben Fönte, erfcheinet Dennoch weiß gefleidet 2). 
Cybele wird vom Martianıs Capella in grün gekleidet, als die 
Goͤttinn der Erde und die Mutter der Gefchöpfe 3). Juno, in 
Abficht auf Die Luft, welche fie bedeutet, kann himmelblau ges 
Eleidet ſeyn; der kurz zuvor gedachte Scribent aber führet Die 
felbe mit einem weißen Schleyer ein 4). Ceres follte ein gelbes 
Gewand haben, weil dieß Die Farbe der reifen Saat ift, auf 
welche ihr Beywort, die gelbe, beym Homerus abzielet. Pal- 
las hat auf einer mit Farben ausgeführten Zeichnung eines 
alten Gemäldes, Die fich in der vaticanifchen Bibliothek befindet, 
und in meinen Denkmalen des Alterthums erſchienen ift 5), ih: 
von Mantel nicht von himmelblauer Farbe, wie er in anderen ih- 
ven Figuren zu feyn pfleget, fondern e8 ift Derfelbe fenerroth, viel- 
leicht in Andeutung ihrer Eriegerifchen Gefinnung; Denn Dieß war 
aud) die Farbe der Kleidung der Spartaner im Kriege. Wenus 
hat auf einem herculaniſchen Gemälde ein fliegendes Gewand von 
goldgelber Farbe, Die in dunkelgrün fpielet 6), vielleicht auf ihr 
Beywort, die goldene, zu deuten. Eine Najade hat auf gedach- 
ter vaticanifchen Zeichnung ein feines Unterkleid von Stahlfarbe, 
wie Virgiling die Figur der Tiber Eleidet: 


— eum tenuis glauco velabat amictu 
Carbafus. 


ihre Gewand aber ift grüm, wie es die Flüße bey anderen Dich- 
tern haben 7), und Die eine fo wohl als die andere Farbe kommt 


ſym⸗ 
ı) Bartol. Pitt. ant. tav. 2. =) Ibid. tav. z. 3))L.c.p.ıy. „P.ı8. 
5) Monum. ant.ined. 6)Pitt.Erc.T.4,tav.8. 7) Stat. Theb.L. 9. c. 354. 


416 I. Theil, Viertes Kapitel. 


ſymboliſch Dem Waffer zu; die grüne deutet vornämlich auf Die 
bewachfenen Ufer. 
= a aan Es wird auch nicht aberflůßig ſeyn, fuͤr Kuͤnſtler eine An— 
und Prießer. zeige Der Farbe der Gewaͤnder der Melden und Könige zu geben. 
Neſtor warf ein rothes Gewand um fih 1). Das Gewand und 
die ganze Bekleidung Dreyer gefangenen Könige in der Ville Me- 
dicis, und zween anderer in der Ville Borghefe, fcheinet in dem 
Dorphyr, woraus Diefelben gearbeitet find, ein PBurpurgewand 
anzudeuten, und auf die Fönigliche Würde Diefer Gefangenen zu 
zielen. Achilles hatte in einem alten Gemälde ein meergrünes 
Gewand 2), in Anfpielung auf die Thetis, deren Sohn er war, 
welches aud) Balthafar Peruzzi beobachtet hat in der Figur Die: 
ſes Helden, an der Dede eines Saals in der Farneſina. Sextus 
Pompejus nahm nach dem über den Auguftus erhaltenen Siege 
zur See, ein Kleid von ähnlicher Farbe, weil er fich, wie Dio 
fagt 3), einbildete, ein Sohn des Neptunus zu ſeyn; und Mur 
guftus befchenkete den Marcus Agrippa nach der Seeſchlacht 
mit dem Pompejus mit einer meergrünen Sahne 4). Die Prie- 
fter waren bey allen Wölkern weiß gefleidet 5). 
„cn 2 der In der Trauer giengen in den alten Zeiten bey den Nö- 
mern fo wohl als bey den Griechen die Weiber fchwarz geklei- 
det 6), wie e8 bereits zu Momerus Zeiten war, wo Thetis den 
Tod des Patroclus zu betrauren Das fehwärzefte Tuch nahm 7). 
Un- 
3) Philofr, L. 2. 2) Icon. 2. P. 812.1. 24. s) Dio Cafl. L. 48, p. 
389. B. 4) Suet. Aug. c. 25. s) Valer.Flac. Argon, L. ı. v. 385. 


Braun de veft. facr. Hebr. L. 1. c. 6. 6) Dionyf. Halic. A. R. L. 8. 
€. 39. P. 492. Ovid. Met. L. 6, v, 289. 7) Hom. I. ®, v. 94. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 417 


Unter den römifchen Kaiſern aber änderte fich diefer Gebrauch, 
und die Weiber trauerten in weiß 1); wenn alfo Plutarchus die— 
fe8 allgemein und ohne Beftimmung der Zeit anmerfet 2), ift Diez 
fer Gebrauch von deſſen Zeit zu verftehen. Don der Trauer in 
weißer Kleidung meldet Merodianus in dem Berichte von dem 
Leichenbegängniffe Kaiſers Septimius Severus, wo er anzeigek, 
daß aud) bey dem Bilde vom Wachſe, welches deſſen Körper 
vorgeftellet , die Weiber in weißer Kleidung gefeffen, und ihn 
betrauret, zur linken aber der ganze römische Rath, in ſchwarzer 
Trauer 3). Die Männer bey den Römern giengen beftandig in 
ſchwarzer Trauer, wie wir unter andern vom Trajanus wiflen, 
welcyer über feine verftorbene Gemahlin Plotina neun Tage 
ſchwarze Kleider trug 4). 

Trac) den beygebrachten nöthigen Anmerkungen über Die 
weibliche Bekleidung des Leibes insbefondere , folget dasjenige, 
was von der Bedeckung und Bekleidung der übrigen Theile Des 
Körpers anzuzeigen feyn möchte, und hier ift zum erften in Ab— 
fiht des Haupts zu merken, Daß das weibliche Geſchlecht insge— 
mein unbededt gieng, Das Gewand ausgenommen, wie ich gefa= 
get habe, welches fie theils bis auf Das Haupt hinauf. gezogen, 
theils mit demfelben das Geficht felbft verhülleten, fo wie Suno 
vorgeftellet wird, illa ſedet dejecta in lumina palla 5). 

Es 


ı) Conf. Noris Cenot. Pifan. p. 357. 2) xD xuraye. Pax. p. 492.1. 20. 
3) Herod. hift. L. 4. c. 3. p. 128. 4) Xiphil. Hadr. p. 247, |. 27. 
5) Valer. Flac. Arg. L, ı. v. 132. 


Winkelm Geſch. der Runſt. Gag 


Bon Bede⸗ 
ckung und Be⸗ 
kleidung der 
übrigen Theile 


Des Körpers. 


aa. Des 


Haupts. 


a. Der 
Schleyer. 


418 J. Theil. Viertes Kapitel, 


Es finden ſich aber auch beſondere Schleyer oder kleine 
viereckte Tuͤcher zu dieſem Gebrauche. Ein ſolches Tuch ſcheinet 


dasjenige zu ſeyn, welches Oepıspor, Flammeum und Rica hieß, 


welche vönifche Benennungen befonders von dem Schleyer der 
Sunsfrauen gebrauchet wurden 1); Das befanntefte Wort aber 
bey den Dichtern ift Kaaurrpn 2); und diefe Tücher , weil fie fehr 
Dünne und Durchfichtig waren, wurden mit Spinneweben vergli- 
en 3). Solche von der Kleidung abgefonderte Tücher, das 
Haupt der Weiber zu bedecken, werden zuweilen von den Scri— 
benten bemerfet, wie e8 der weiße Schleyer ift, welchen Meden, 
bey dem Apollonius, über ihr Haupt hieng: 

Außposw Ö’ egumepde napnarı Bahre naAumrpy 

Apyvpenv. 

Argon. L. 3. v. 833. 

und derjenige deſſen eine griechifche Sinnfehrift gedenfet 4), ich 
weiß jedoch nicht, ob Melena apyerıcı narufauern 0oIomes „ mit 
weißen Tüchern bedecfet, oder , eu apyırı, mit einem weißen 
Tuche, fi) mit vorgedachten Schleyern verhüllet habe. Denn 
felbft die Griechen der fpateren Zeiten, verftanden nicht Die wahre 
Bedeutung der Wort Ewvos und IlerAog, Die fich beym Homerus 
und anderen alten Dichtern finden, wie Härlic) aus dem Polly 
erhellet 5). Der einzige Schleyer, von welchem wir reden, der ſich 


auf alten Denkmalen zu Nom befindet, ift auf einem fchönen Mus 
faico 
1) Scalig. conje&t. in Varr.p. 197. 2) Aefchyl. Suppl. v. 128. Q. Calab. 
L. 14.v.45. 3) Eurip. Androm. v. #30. Epigr. gr. in Kuft. not. ad 
Suid. v. Kexeup. 4) Anthol. L. 7. p. 457. 1. 9. s) Poll. Onom. L. 
7. ſegm. 5t. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 419 


faico in der Villa Albani, das weiße Tuch, womit Mefione ihr 
Haupt bededet hat 1); und ein ſolches Tuch, welches die aſiati⸗ 
ſchen Weiber zu tragen pflegeten, feheinet Daher von deſſen Größe, 
Form und Farbe zepauaxrpor, ein Handtuch, benennet zu ſeyn 2). 

Den betagten Weibern ift eine Art von Haube eigen, von 


6. Die Hanke 
betagter Weis 


welcher man ſich aus derjenigen Statue in dem Mufeo Capitoli- ber. 


no, die unter dem ungegründeten Namen einer Praͤfica gehet, 
einen Begriff machen kann: ich glaube hingegen, es ſey Decuba, 
die ihe Haupt in die Möhe gerichtet hat, als wenn fie ihren Enkel 
Aſtyanax vonden Mauern von Troja herunter ftürgen fehe. Eine 
ähnliche Haube fichet man jedoch auch der Figur einer jungen 
Bacchante auf einer großen runden Schale von Marmor gegeben, 
Die in dem dritten Bande meiner alten Denkmale erfiheinen wird; 
28 ift auch mit einem folchen Tuche bedecket eine junge und ſchoͤne 
tragifche Larve in dem Palafte Albani , ingleicyen eine andere 
ſolche Larve in dem Palafte Lancellotti , wie nicht weniger Die 
Nymphe Denone des Paris erfte Liebſte, auf einem erhobenen 
Werke der Villa Ludoviſi. 

In der Sonne aber, oder auf der Keife trugen Die Weiber 
einen theffalifchen Hut, welcher den Strohhuͤten der Weiber in 
Toſcana, die einen fehr niedrigen Kopf haben , aͤhnlich iſt; und 
inggemein waren Die Hüte der Alten weiß, wie fich auf verfchie- 
Denen gemalten Gefäßen zeiget 3). Mit einem folchen Hute füh- 
vet Sophocks die Ifimene, des Oedipus jüngfle Tochter auf, da 

Ögg 2 fie 
1) conf. Monum. ant. ined. 2) Athen, Deipn. L. 9. p. 41°. 
3) Demptt. Etrur, tab. 32, 


y. Der Hut. 


bb. Der Füße 


’ 


420 1. Theil, Viertes Kapitel, 


fie von Theben nad) Athen ihrem Water nachgereifet war 1); und 
eine Amazone zu Pferde im Streite mit zween Kriegern auf einem 
Gefäße Des Mufei Hrn. Mengs gemalet, hat Diefen Hut, aber 
auf die Schulter herunter geworfen. Es war außerdem der Hut 
eine Tracht, Die den Priefterinnen der Ceres eigen war 2); und 
es findet fid) Pallas als Jägerin, mit einem Hute, auf einer 
aroßen Schale von Marmor in der Villa Albani 3), Da bekannt . 
ist, Daß dieſe Göttinn auch die Jagd liebete ). Das, was uns 
ein Korb fcheinet auf den Köpfen der Caryatiden, Fann vielleicht 
eine Tracht in gewiffen Gegenden von Sriechenland geweſen ſeyn; 
Denn Die Weiber in Aegypten tragen noch io etwas jenem aͤhnli⸗ 
ches auf dem Daupte 5). 

Der Anzug weiblicher Füße find theils ganze Schuhe, 
theils Sohlen. Jene fiehet man an vielen Figuren herculaniſcher 
Gemälde, wo fie zumeilen gelb find, fo wie fie Wenus hatte auf 
einem Gemälde, welches in den Bädern des Titus war 6), und 
wie Die Perfer Diefelben trugen 7); auch an weiblichen Statuen 
fiehet man ganze Schuhe, wie an der Nigbe, Die nicht rund, wie 
jene, vorwärts zu laufen, fondern breitlich find, Die unfergebun- 
denen Sohlen find mehrentheils einen Finger dicke, und beftehen 
aus mehr als aus einer Sohle; zuweilen waren deren fünf zuſam⸗ 
men genähet, wie durd) eben fo viel Einfchnitte an den Sohlen 
Der einen fchönen Pallas, in der Villa Albani, angedeutet wor: 

ı) Sophoc. Oed. Colon. v. 306. 2) Tertull. de pallio, c. 4. * 

3) Monum. ant. ined. No. 65. 4) Callim. hymn. Ballad. v. 91.conf. 


Stat, Theb. L. z. v. 243. Ariftid. Orat, Minerv. p. 25. B. s)Belon 
Obf. L.2.ch.35.  6)Bartol. Pitt,ant.tav.6. 7) Aefchyl.Perf.v. 668. 


Bon der Kunft umter den Griechen. 421 


den; und dieſe Sohle ift zween Finger Did. Die aus vier Soh— 
len beftanden, hießen quadrifole 1); zu Verfertigung der Sohle 
fcheinet man Korkholz genommen zu haben, weil es leicht ift und 
feine Feuchtigkeit anfic) ziehet, welches Holz aud) in fpäteren Zei- 
ten zu Diefem Gebrauche gedienet bat, Daher es den deutſchen 
Namen Pantoffelholz bekommen. Won oben und unten war die 
Sohle mit Leder beleget, welches über Das Holz in einem Rande 
hervortritt, wie fich an einer Eleinen Pallas von Erzt zeiget, Die 
fich gleichfalls in der Villa Albani befindet ; in Italien tragen 
noch io einige Nonnen Sohlen von Korkholze. Won diefer Art 
find die Sohlen einer großen Pallas über Lebensgröße, in der 
Ville Ludoviſi, deren Meifter Antiochus aus Athen iſt; es find 
nämlich dieſelben drey Singer breit body, und haben umher drey 
verfchiedene Reihen geftepter Zierratben. Wenn um die Füße 
ein einfaches Leder geleget ift, welches oben auf dem Fuße zuge: 
fehnüret wurde, fo wie Die Landleute zwifchen Nom und Neapel 
zu tragen pflegen, und wie wir an den zwo Statuen thracifcher 
Hefangener Könige von ſchwarzen Marmor, im Campidoglio, 
fehen, heißen foldye Art Schuhe amıas, und uovorerua vrodnuara 2). 
Es trugen auch die Alten fo wohl männlichen als weiblichen Ge- 
ſchlechts Sohlen aus Striden, nach Art eines Netzes geflochten, 
wie fie an den Figuren der Gottheiten auf einem Altare in Der 
Villa Albani find 3); und dergleichen Schuhe ſcheinen Padu 
genennet zu ſeyn, weil Pollux Diefes Wort erfläret mit morverx- 
Ggg 3 Tor 


_i) Archel. difput. p. 23. 2) Cafaub. Not. in Aen. Tact. c. 21, p. 34. 
3) Monum, ant, ined. No. 6. 


422 1. Theil. Viertes Kapitel. 


rov vrodnua, ein vielfach geflochtener Schuh“ 1). Eine andere 
Art Sohlen von Striden hat fih im Herculano gefunden, an 
welchen die Striche in länglichen Kreifen um einander herumgele- 
get find; es war auch das Stuͤck, welches die Ferſe bedecket, aus 
Striden, und an der Sohle befeftiget. Der Cothurnus war eine 
Sohle von verfchiedener Dicke und Hoͤhe, mehrentheils aber eine 
handbreit hoch, und iſt insgemein Der tragifchen Muſe gegeben 2), 
an deren Statue in Der Villa Borghefe Diefe Sohle fünf Zolle 
eines römifchen Palms hod) ift. Won diefem theatralifhen Co— 
thurnus ift der Cothurnus der Jaͤger und Krieger zu unterfchei- 
den; Denn Diefes war ein Art Malbftiefeln : von den mehreften 
Scribenten aber ift dieſer Cothurnus mit jenem vermenget 3), 
der Duerriem an dem Mittel gewöhnlicher Sohlen , welcher auf 
der Mitten des Fußes lag, findet fich felten an Figuren weiblicher 
Gottheiten; e8 lieget and) Derfelbe, wo er fichtbar ift, unter dem 
Fuße; befonders aber iftes, daß Plinius von den Sohlen der ſitzen⸗ 
den Statue der Cornelia, der Mutter der beyden Gracchen ans 
merfet, Daß Diefelben ohne befagtem Rieme gewefen 4). Sch Fann 
nicht übergehen hier anzuzeigen, Daß man an Feinen Sohlen und 
Schuhen Abſaͤtze unter dem Hacken fiehet, außer an den Schuhen 
einer weiblichen Figur auf einen hereulanifchen Gemälde, welche 
roth find, Die Sohle aber und der Abſatz gelb 5). Abſaͤtze Der 
Schuhe hießen zarlupnera, und waren aus Heinen Stüden Leder 
zuſammengeſetzet 6). 
Nach 
1) Poll. Onom. L. 7. fegm. 93. 2) Monum. ant. ined. p. 248. 3) Sca- 
lig. Poet. L. 1. c. 13. p. 21.C. Pitt. Erc, T. 1. P. 18.n. 10. P. 186.n. 23. 
4)Plin.L.34.c.14. 5)Pitt,Erc. T. 4.tav.23. 6) Schol. Arift, Equit. V. 317. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 423 
Nach diefen Anzeigen der verfchiedenen Stuͤcke Der weiblis f Ton don 


chmucke und 


chen Kleidung und ihrer Form, ift ferner der Schmud und Die der Bierlich: 


keit des weib⸗ 


Zierlichkeit derſelben, nebſt dem übrigen Schmucke des weiblichen tisen Anus. 
Anzugs zu berühren , welches der zweyte Punkt gegemmärtiger zung. 
Betrachtung der Zeichnung bekleideter Figuren in fic) begreift. 
In Adficht der Kleidung unterfcheide ih den Schmud von der 
Zierlichkeit, und bedeute Durch dieſes Wort Die Art und Weiſe 
des Anzugs und des Wurfs der Gewaͤnder oder anderer leichten 
Zeuge, und ihrer Falten, jener aber, welcher hier auch koͤnte Die 
Verzierung genennet werden, ift der Kleidung eingewürft, geſti— 
cket oder aufgeſetzet. 
Die Roͤcke ſo wohl als die Maͤntel waren insgemein an ae 
ihrem Saume umber verzieret; und ein folder Rand hieß bey 
den Griechen velas aundas, auch weprmodor, und bey den Römern 
Limbus. Das gewöhnlichfte war eine Beſetzung von Purpur, 
welche aud) die mannlidye Kleidung bey den Detruriern ı) und 
Roͤmern hatte, wie bekannt iſt; Die weibliche Kleidung aber war 
unten mit einem oder mehrerern Streifen von verfchiedener Farbe 
gezieret. Einen Streifen hatte der Rock der gemalten Figuren in 
. dem Örabmale des C. Ceſtius; zween gelbe Streifen fiehet man an 
dem Rode der einen Mufe der fo genannten aldobrandinifchen 
Hochzeit, drey rothe Streifen mit weißen Blumen durchwürfet 
bat die Noma im Palafte Barberini, und vier Streifen find an 
einigen Figuren auf hereulanifchen Gemälden. Solche Streifen 
find gemalt an einer oben erwähnten Statue Dev Diana vom Alte: 


ften 


ı) Buonar. explic, ad Dempft. Etr. p. 60. 


424 1. Theil. Viertes Kapitel. 


ften Stil, in dem herenlanifchen Muſeo. Alſo iſt auf die leich- 
tefte und gefchwindefte Weife der gewöhnlichfte Schmud des 
Saums weiblicher Kleidung angedeutet, es war jedoch) Diefelbe 
mit zierlichern und mühfamerern Muftern gefhmücket, welche auf 
einigen Gefäßen von gebrannter Erde, Die mit befonderem Fleiße 
gemalet worden, ausgeführet find. Der beliebtefte Zierrath ſchei⸗ 
net hier Der fo genannte Maͤander zu ſeyn, Defjen aud) eine grie- 
chiſche Sinnfchrift gedenfet 1), mit welchem auf dem mehrmal ge⸗ 
Dachten fchönen Gefäße der hamiltonifchen Sammlung der Saum 
nicht allein Der weiblichen fondern auch der männlichen Kleidung 
alſo eingefaffet ift, und man fichet auf eben Diefem Gefäße einen 
König halbnadend und einen Zepter haltend figen, um deſſen 
Mantel rund umher der Mäander läuft. Es erfcheinet auch 
Diefer Maͤander an der Kleidung einer hetrurifchen Figur von 
Erst 2). Außer dem unteren Saume der Kleidung fiehet man 
anf eben Dem Gefäße fo wohl über der Bruſt als vorne herunter 
und in den Seiten, einen mit Zierrathen geſchmuͤckten Streifen, 
weicher theils aus Fleinen Würfeln nach Art eines Bretfpiels 
zufammengeferet ift, theils find es Schnirkel wie die Schlingen 
Der Weinreben. Auf einem Gefäße des englifchen Confuls zu 
Neapel, welches den Theſeus und die Ariadne vorftellet 3), ges 
bet Diefer auf der Bruft ein Dunkler Streif herunter, welcher wie 
mit Sinopfiöchern unterbrochen ift. Ferner war die weibliche Klei- 
dung zuweilen mit Sternchen durchwuͤrket; und fo war auch Die 
Klei- 
1) Anthol. L. 6. c. 8. ep. 17. 18. 2) Buonar. Off. fop. alc.Medagl. p.93. 
3) Monum. ant. ined. N.yg. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 425 


Kleidung des Helds Sofipolides auf einem alten Gemälde ge: 
zieret 1); fo gar Demetrins Poliorceteg trug ein folches Kleid 2). 

So wie ſich die Schönheit zu der Gefaͤlligkeit verhält, 
eben fo ift hier der Schmuck gegen die ZierlichFeit anzufehen: denn 
diefe ift nicht in der Bekleidung felbft, fondern wird Derfelben 
durch Die Fleidende Perſon gegeben, und Fönte auch Die Öratie 
des Anzugs genennet werden; kann aber eigentlic) nur von dem 
oberen Gewande oder dem Mantel gefaget werden, weil Diefer 
nad) Belieben geworfen wird, das Unterkleid Hingegen Durch je— 
nes und durch den Gürtel geleget und gefalten wurde. Es Fann 
folglid) diefe Eigenfchaft füglicher der Kleidung Der Alten als der 
unfrigen beygeleget werden: Denn Diefe ift bey beyden Sefchlechtern 
am Sleifche gepreflet, und Feines freyen Wurfes fähig. Da nun 
der Faltenfchlag nad) den älteften und folgenden Zeiten der Kunft 
verfchieden ift, fo lieget in Demfelben und in der ZierlichEeit des 
Anzugs zugleich ein Theil der Kenntniß des Stils und. der Zei: 
ten. Die Falten gehen an Figuren dev Alteften Zeiten mehren— 
theils gerade , oder in wenig gefenkte Bogen gezogen , welches 
ein unerfahener Scribent von allem Saltenfchlage der Alten 
fagt 3), und nicht gewußt hat, Daß die Falten derjenigen Figu- 
ven , Die er felbit anführet, am Unterkleide fenn, und ſenkrecht 
fallen müffen. In erleuchtetern Zeiten der Kunft wurde in den 
Talten Des oberen Gewandes oder des Mantelg die höchfte Mans 

nig⸗ 
ı) Paufan. L. 6. p. 317. L. 8. 3) Athen. Deipn. L. 52, p. 535. F. 
3) Perrault Paral. T. 1. p. 179, ſeq. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Hhh 


b. Die Zier⸗ 
lichkeit, oder 
die Gratie Dee 
Anzugs, 


426 I. heil. Biertes Kapitel, 


nigfaltigkeit geſuchet, fo wie Die wirkliche Kleidung dieſelbe bil- 
dete, Die vermuthlich in den älteften Zeiten eben fo geworfen 
wurde, Die Kunſt aber Eonte damals die unendlich verfchiedenen 
Brüche der Gewaͤnder noch nicht erreichen. Die höchft erdenkli= 
che Verſchiedenheit und Zierlichkeit in Gewändern Fann, von den 
Gemälden auf Gefäßen, als von Zeichnungen, anzufangen, bis 
in dem härteften Steine, dem Porphyr, nicht ohne Verwunde— 
rang betrachtet werden; und ein neuerer Kuͤnſtler, der in feinen 
Detrachtungen über die Bildhauerey , an den Gewändern Der 
Niobe eine Monotonie tadelt ı), muß die Niobe felbft nicht be= 
trachtet haben, Da das Gewand Dderfelben unter Die zierlichften 
im ganzen Alterthume kann gerechnet werden. War aber der 
Künftler Abficht, die Schönheit des Nadenden zugleich fehen zu 
laffen , festen fie alsdann derfelben Die Pracht der Gewaͤnder 
nad), wie wir an den Töchtern der Niobe fehen ; ihre Kleider 
liegen ganz nahe am Fleifche, und nur in den Hohlungen legen 
fih Falten, auf den Hoͤhen hingegen find Diefelben fehr leicht 
und niedrig, wie bloß zum Zeichen eines Gewandes gezogen. 
Denn ein Glied welches fich erhebet, und von welchem ein freyes 
Gewand von beyden Seiten herunter fallt, ift allegeit ohne Sal: 
ten, die fi) dahin fenfen, wo eine Hohlung ift. Wielfältig ver- 
worrene Brüche, die von den mehreften neueren Bildhauern und 
jonderlic Malern gefuchet werden, find bey den Alten für Eeine 
Schönheit gehalten worden: an hingeworfenen Gewändern aber, 
wie das am Laocoon ift, und ein anderes, über ein Gefäß gewor⸗ 
fen, 
ı) Falconet Reflex. fur la fculpt. p. 55. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 427 


fen, welches mit dem Namen des Künftlers2ZPATNN bezeichnet 
ift, und ſich in der Villa Albani befindet, fichet man wie zterlic) 
in ſolchem Falle die Gewänder gebrochen find. 

Zu dem weiblichen Anzuge gehöret nachher der übrige 
Schmuck, des Kopfs, der Arme, und der Füße Won dem 
Haarputze der älteren griechifchen Figuren ift kaum zu reden: denn 
die Daare find felten in Locken geleget; und an weiblichen Köpfen 
find die Haare allegeit noch einfaltiger, als an männlichen Köpfen. 
In den Siguren des höchften Stils find die Haare ganz platt 
über den Kopf gekämmet, mit Andeutung ſchlangenweis fein 
gezogener Furchen, und bey Mädchen find fie auf Dem Wirbel 
zufammen gebunden 1), oder um ſich felbft in einen Knauf, und 
zwar an dem Dintertheile des Haupts vermittelit einer Neftna= 
del 2), herumgewickelt, Die aber an ihren Figuren nicht fichtbar 
gemacht ift, und mit einer folchen Einfalt des Haarputzes trat 
allegeit die erfte und vornehmfte weibliche Perſon in den griechi— 
fen Tranerfpielen auf 3). Eine einzige römifche Figur findet 
fih beym Montfaucon 4), an deren Kopfe man jene Nadel fie- 
het; es ift aber Feine Nadel, die Haare ordentlich in Locken zu 
legen, (Acus difcriminalis) wie dieſer Gelehrte meynet. 

2 us 
s) Paufan. L. 8. p. 638. 1. 22. L. 1e. p. 862.1.4. Auf einer fehr — 
nen Muͤnze der Stadt Taranto ſitzet Taras, der Sohn des Neptunus, wie auf 
den mehreſten, zu Pferde; das Beſondere aber ſind die Haare deſſelben auf dem 

Wirbel in einen Schopf, wie bey den Maͤdchen, gebunden, ſo daß dadurch 

das Geſchlecht zweydeutig würde, wenn der Kuͤnſtler diefes nicht deutlich am ſei⸗ 

nem Drte fehen laſſen. Unter dem Pferde ſieht man eine alte tragiſche Larve, 
2) Paufan. L. ı. p. sı. 1. 6. 3) Scalig. Poet. L. 1. c, 14. p. 23. D. 
4) Ant. expl. Suppl. T. 3. pl. 4 


bb. Von dem 
übrigen weid⸗ 
lichen Schmu⸗ 
de. 


a.Drsdaupte, 
ar. DerDaare. 


428 3. Theil. Viertes Kapitel. 


Zumeilen find die weiblichen Haare, wie an hefrurifchen 
Figuren beyderlen Geſchlechts, hinten lang gebunden, und hän- 
gen unter Dem Bande in großen neben einander liegenden Albtheis 
lungen herunter: alfo find diefelben an der vielmals angeführten 
Dallas in der Villa Albani, und am gewöhnlichften an Siguren 
dieſer Goͤttinn, ferner an einer Eleinern Pallas die nad) England 
gegangen ift, an den Caryatiden in der Ville Negroni, an der 
Diana des hereulanifchen Mufei, und an vielen anderen Figuren. 
Gori, welcher fo gebundene Haare für eine Eigenfchaft hetrurifcher 
Arbeit Hält 1), ift alfo zu widerlegen. Flechten um den Kopf 
gewickelt, wie Michael Angelo den zwo weiblichen Statuen an 
dem Grabmale Pabfts Julius IL. gegeben, finden fich an Feiner 
alten Statue. Auffage von fremden Haaren fieht man an Köpfen 
römifcher Frauen, und £ucilla, Gemahlin Kaifers Lucius Ve— 
rus, im Campidoglio, hat Diefelben von ſchwarzem Marmor, ſo 
daß man dieſes Stuͤck abnehmen kann. 

Die Haare ſind an vielen Statuen roth gefaͤrbet, wie zu 
ſehen iſt an der angefuͤhrten Diana des herculaniſchen Muſei, und 
eben daſelbſt an einer kleinen Venus von drey Palmen hoch, die 
ſich ihre benetzten Haare mit beyden Haͤnden ausdruͤcket, wie 
auch an einer bekleideten weiblichen Statue mit einem idealiſchen 
Kopfe, in dem Hofe des Muſei daſelbſt. An der mediceiſchen 
Venus waren die Haare vergoldet, ſo wie an dem Kopfe eines 
Apollo im Muſeo Capitolino; am deutlichſten aber fand es ſich 
an einer ſchoͤnen Pallas in Lebensgroͤße, von Marmor, unter den 
| her⸗ 


1) Muſ. Etr. T. 1. P. 101. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 429 


hereulanifchen Statuen zu Portici, und das Gold war in fo di- 
den Blättern aufgelegt, Daß daffelbe Eonte abgenommen werden. 

zuweilen ließen fich die Weiber die Haare abfchneiden, 
wie Die Mutter Des Thefens 1), und eine alte Frau auf einen 
Gemälde des Polygnotus zu Delphos 2), waren, welches ver- 
muthlich bey Wittwen ihre beftändige Trauer anzeigte, wie an 
der Clytemneſtra und der Hecuba 3); auch Kinder fchnitten fid) 
Die Haare ab, über den Tod ihres Waters 4) wie wir von der 
Electra und dem Dreftes wiffen, und an beyder Statuen in der 
Villa Ludovifi fehen, von welchen ich im zweyten Theile reden werde, 
Nicht weniger findet ſich, Daß eiferfüchtige Männer die Haare ih- 
ver Frauen abſchnitten, theils zur Strafe der geäußerten Lieb: 
Auglung gegen andere , theils um fie dadurch zu nöthigen, zu 
Hauſe zu fisen 5). Auf Münzen und auf Gemälden finden fid) 
weibliche, auch göttliche Köpfe, mit einem Nee bedecket, welche 
noch ißo die Tracht der Weiber in Stalien, im Haufe, ift: es 
hieß eine folche Art Hauben zexgugadog, und id) habe davon an 
einem andern Orte geredet 9. Zumeilen waren die Hauptbin— 
den mit Edelfteinen befetset 7). 

Ohrgehaͤnge Haben zwar etliche Statuen, als die Wenug 


des Praxiteles, getragen, wie Diefes auch die Löcher an den Ob: r 


Hhh 3 ven 


1) Paufan. L. 10. p. 861. 1. 11. 2) Ib. p. 564. 1. 27. conf. Eurip, Phoenifl. 
v. 375. 3) Eurip. Iphig. Aul. v.ı438. Troad. v. 279, 4so. Helen. 


V. 1093. 1134. 1240, 4) Eurip. Eledt. v. 106. 148. 241, 335. Epigr. 
gr. ap. Orvil, Anim. in Charit. p. 365. 5) Anthol. L.7.p. 453. J ır. 
6) Defer. des Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 417. 7) Anthol,L.7. 


P. 458. 1. 3. 


* 


BB. Ohrge⸗ 
nge. 


430 I. Theil. Viertes Kapitel. 


ren der Töchter der Niobe, der mediceifchen Venus, der Leuco— 
thea, und ein fehöner idealifcher Kopf, von gruͤnlichem Bafalte, 
beyde in der Villa Albani, anzeigen; es find aber nur zwo Figu- 
ren in Marmor befannt, an Denen die Ohrgehänge, welche rund 
find, mitim Marmor gearbeitet worden, ohngefähr auf eben Die 
rt, wie Diefelben an einer ägppfifchen Figur find ID). Die eine 
ift eine von den zwo Caryatiden in der Villa Negroni, die andere 
ift eine Dallas, die in dem Eremo Des Kardinals Paßionei bey 
den Ealmaldulenfern, über Frafcati war; und vor einiger Zeit 
nach England gegangen ift. Auf dem Landhaufe des Grafen 
von Fede, in der Villa Madriani, find ein paar Bruftbilder von 
gebrannter Erde mit eben folchen Ohrgehaͤngen. Won Ohrgehaͤn— 
gen junger Leute unferes Gefchlechts meldet Apulejus 2), und auf 
einem Gefäße von gebrannter Erde in der vaticanifchen Bibliothek 
träget Achilles dieſelben; ja Plato gedenket in feinem Teftamente 
goldener Ohrgehaͤnge 3) ,unterdeflen wirft Kenophon einem Apol⸗ 
lonides vor, Daß diefer durchbohrte Ohren hatte 4). 
‚ar Seine Bey geſchehener Anzeige der Löcher in den Ohren und 
— der Ohrgehaͤnge habe ich nur Koͤpfe von Goͤttinnen und idealiſche 
Schoͤnheiten angefuͤhret; damit es aber nicht ſcheine, ich pflichte 
dem Buonarroti bey, welcher behauptet, Daß nur allein Die 
DBildniffe der Göttinnen Ohrgehänge getragen haben, oder durch: 
gebohrte Ohren haben, dieſe Gehange anzuhangen 5), führe ich 
von 


ı) De doftr. Philef, Plat. L. 1. p. 370. 2) Monum. ant. No. 131. 
3) Diog. Laert. L. 3. fegm. 42. 4) Diog. Laert. L. 2. fegm. 50. 
5) Buonar. Off. fop. alc. vetri, p. 154. 


Don der Kunft unter den Griechen, 431 


von Köpfen beftimmter Frauen an, Die Antonia des Drufus Ge 
mahlinn, und ein Bruftbild einer betagten unbekannten Frau, im 
Mufeo Capitolino, ingleichen eine Matidia, in der Villa Ludo- 
vifi, Die ebenfalls Löcher in den Ohren haben. 

Außer dem Schmude der Ohren trugen die römifchen „23. Ssmu« 
Weiber vom Stande oben auf der Stirne etwas, was der ſo gem u 
nannten Feder unferer Damen , die aus Edelgefteinen beftehet, 
ähnlich iſt; und Diefes fichet man unter anderen an einem Por— 
fraitkopfe einer Venus, in dem Garten des farnefifchen Palaſtes, 
welcher eine Marciana Des Trajanus Schwefter Tochter vorftelfet. 

In der Villa Pamfili findet ſich ein Bruftbild eben derfelben Per— 
fon, Die über der Stirne ein halben Mond mit den Hoͤrnern auf: 
wärts ftehend hat, welches zu Erläuterung des Statius dienen 
kann, wo Alemena, des Hercules Mutter, mit dreyen Monden 
an ihren Haaren gezieret iſt; 
—— tergemina crinem circumdata luna. 
Theb. L. 6. v. 23%. 


vermuthlich auf die dreymal lange Nacht zu deuten, in welcher 
Hercules gegeuget wurde. 

Um Die Arme wurden, als eine Zierde, Armbaͤnder gele= 4. Der Arme. 
gef, Die insgemein die Geftalt einer Schlange haben, und einige | 
find ein rundes Band, welches ſich mit zween Schlangenföpfen 
ſchließet, fo wie auch der Gürtel der Krieger geftaltet war: Bal- 
teus & gemini committunt ora dracones I). Won ſolchen Arm- 
bändern finden fich verfchiedene vom Golde in dem herculanifchen 

Mufeo 


1) Apollon. Argon. L, 3. v. 190. 


432 1. Theil, Viertes Kapitel. 


feo und in dem Mufeo des Collegii Romani. Es lieget Diefer 
Dierrath theils um den Dberarm, wie an den beyden fchlafenden 
Nymphen, im Vaticano und in der Villa Medicis, welche da— 
her für eine Cleopatra angenommen und befchrieben worden; und 
diefe find die eigentlichen Armbaͤnder; theils liegen fie über den 
Knoͤcheln der Hand, wo eine von den angeführten Carpatiden 
der Villa Negroni das Armband in vier Umfreifen hat, und hei— 
fen wepınapmıa „ von naprog der Knöchel, auch erwaprın opeıs I) 
zum Unterfchied Der anderen Die um den Arm geleget wurden, und 
mepı Ppaxıovs ogeıs hießen. Anſtatt diefer fchlangenförmigen Arm— 
bander find den Bacchanten zuweilen wirkliche Schlangen gege— 
ben 2). Es finden fich auch Armbänder wie eine gedrehete Binde 
gemachet, Die sperros hießen. Befonders zu merken ift, Daß aud) 
die römifchen Seldherren, in ihrem Triumphe zu Nom, Armbaͤn— 
der zu tragen pflegen 3). Diefen Schmuck aber hat weder Titus, 
noc Marcus Aurelius, die auf ihrem Siegeswagen vorgeftellet 
find, entweder weil unter den Kaiſern dieſer Gebrauch abgefom- 


_ men war, oder weil man dergleichen Schmud, auf einem öffent- 


Y. Der Beine, 


liyen Denkmale der Majeftat der Perfon und des Drts nicht 
anftandig hielt. 

Es hatten auch die Beine ihren Schmuck, — ein 

Ring oder Band iſt, fo über den Knoͤcheln lieget, und den Fi— 

guren der Bacchanten eigen war 4). Diefer Ning hat weniger 

oder mehr Reifen, an ein paar Victorien auf einem Gefäße von 

3) Philoftr. ep. 4 2) V. Mond, ant. ined. Vol. 2. p. 213. 3) age 


Annal.L. 7. p. 352. D, ed. Reg. 4) Anthol, L. 6. c. 5. ep. 5. Suid. 
v. Amwvoo;, 


Don der Kunft unter den Sriechen, 433 


gebrannter Erde, in dem Mufeo Hrn. Mengs, hat derfelbe fünf 
Umfreife : die Weiber in den. Morgenländern tragen noch itzo 
Dinge um die Beine 1). 

Wenn wir endlicd) zum zweyten von der Bekleidung weib- EN 
licher Figuren zu der Anzeige derfelben in unferm Gefchlechte ges n Figuren 
hen, betrifft dieſes weniger Figuven und Statnen, weil die meh⸗ sen Se 
veften heroiſch und alfo unbekleidet vorgeftellet find, als vielmehr — 
Den Gebrauch im bürgerlichen Leben. Da nun die roͤmiſche Maͤn⸗ 
nerkleidung von der griechifchen nicht fehr verfchieden ift, werde 
ic) Das Nüsliche von jener hier zugleich) mit anmerken. Zuerſt iſt 
bier von der Bekleidung des Leibes, und hernach von der Beklei— 
dung der äußeren Theile des Körpers, als des Haupts, und der 
Süße fo wohl als der Hände zu reden. 

Was die Bekleidung des Leibes betrifft, fepeinet das Un⸗ a. Bekleidung 
terkleid eines der nöthigften zu ſeyn, und dennoch wurde daſſelbe e- 
von einigen Völkern der älteften Zeiten als eine weibifche Tracht un 
angefehen 2); und die Alteften Nömer hatten auf dem bloßen Leibe 
nichts als ihre Toga geworfen 3); und alfo waren Die Statuen 
des Romulus und des Camillus, auf dem Capitolio, vorgeftel- 
let 4). Annoch in ſpaͤteren Zeiten giengen Diejenigen, die auf 
dem Campo Martio fic) dem Wolfe zu Ehrenftellen anpriefen, oh— 
ne Unterkleid 5), um ihre Wunden auf der Bruft, als Zeichen 
ihrer Tapferkeit zu zeigen. Ueberhaupt aber war nachher das 


Un- 
x) Hunt Diff. on the proverb, of, Salom. p. 13, 2) Herodot. L. 1.p. 40. 
l. 3. 3 Gell, No@. att. L. 7. c,ıa. 4) Cic. orat. pro M. Scauro. 


5) Plutarch. Papamz, p. 492. 1. 31. 


Winkelm. Geſch. der Kunſt. Jii 


a. Deffen 
Form, 


434 T Theil, Biertes Kapitel, 


Unterkleid, fo wie bey den Griechen, Die chniſchen Philoſophen 
ausgenommen, alfo allen Römern gemein; und wir wiffen vom 
Auguſtus, daß derfelbe im Winter vier Unterfleider auf einmal 
anlegte. An den mehreften Statuen, Bruftbildern und auf er: 
hobenen Arbeiten, ift das UnterEleid nur am Halſe und auf der 
Bruſt fihtbar, weil die Figuren mit einem Mantel oder mit der 
Toga vorgeftellet find, und man fichet fehr felten Figuren blog 
im Unterkleide, fo wie in dem vaticanifchen Terentius und Wir- 
gilius. Eine Strafe der Soldaten in leichten Wergehungen war, 
in bloßem Unterkleide Handarbeit zu verrichten, und weil Diefe 
alsdenn nicht gegürtet und gewaffnet waren, heißen fie beym Plus 
tarchus ev xırwew alosıı I). 

Eigentlid) beftehet das Unterkleid in zwey langen vierediten 
Stuͤcken Tuch, die auf beyden Seiten zufammen genähet waren, 
wie fic) zeiget an der bereits oben erwähnten Statue eines Pries 
fters der Epbele, in dem Mufeo Hrn. Browne zu London, wo 
fogar die Math deutlich angezeiget worden. Den Arm durchzus 
ſtecken, ift eine Defnung gelaffen, und was von den Achſeln her- 
unter fallt bis an den halben Oberarm , machet- gleichfam einen 
abgeftusten Ermel. Es war jedoch aud) eine Art von Unterkleide 
mit Ermeln üblich, Die nicht weit von Der Achſel herunter reichen, 
wie man an der fchönen fenatorifchen Statue in der Villa Negro: 
ni fichet: Diefe hießen geftumpfte Ermel, zoroßız 2); und eben 
ſolche Ermel hat auch eine weibliche Figur auf einen herculani- 

ſchen 
1) Plutarch. Lucull. p. 916. L. 19. 2) Salmaſ ad Tertull. de pall. 
Pp- 85. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 455 


fhen Gemälde 1). Enge und lange Ermel, die, wie an Der 
weiblichen Kleidung , bis an die Knöchel der Hand veicheten, 
trugen, wie Lipſius will, nur Cinaedi und Pueri meritorii 2); es ae engen 
hat derfelbe aber vielleicht nicht wiffen Fönnen, Daß aud) theatra⸗ ermein. 
liſche Perfonen alfo gekleidet waren, welches fich unter andern 
zeiget an zwo Heinen comifchen Statuen in der Villa Mattei, und 
an einer ähnlichen Figur in der Villa Albani, ingleichen an ei- 
nem Tragico auf einem hereulanifchen Gemälde 3). Noch deut: 
licher aber und an mehreren Figuren ift Diefes zu fehen auf einer 
erhobenen Arbeit in der Villa Pamfili, die in meinen Denfmalen 
des Alterthums erfchienen ift 4). Die Knechte in der Komödie 
hatten über die Bekleidung mit langen engen Ermeln, ein oberes 
furzes Ramifol mit halben Ermeln 5). Allen phrygifchen Figu— 
ven find ferner die langen und engen Ermel eigen, welches man an 
den ſchoͤnen Statuen des Paris in den Palaͤſten Altemps und 
Sancellotti, wie auch an anderen Figuren deffelben auf erhobenen 
Arbeiten und auf gefchnittenen Steinen fiehet. Eben daher ift 
Eybele, als eine phrygiſche Gottheit allegeit mit ſolchen Ermeln 
gebildet, wie fich am deutlichften an der erhobenen Figur derfel- 
ben im Mufeo Capitolino zeiget 6). Aus eben dem Grunde, und 
um in der Iſis eine ausländische Göttinn abzubilden, ift Diefelbe 
nebft der Cybele Die einzige unter allen Gottinnen, Die enge und 
lange Ermel hat. Nach Art der Phrygier pfiegen auch Figuren, 


Sii2 die 
ı) Pitt. Erc. T. 4. tav. 16. 2) Antiq. le&.L. 4. c. 8. 5) Pitt. Erc. 
I Au tay. a. 4) Monum. ant. ined. No. 5) Pitt, Erc, L. e. 


tav. 33. 6) Monum. ant. ined. No. 


bb, Hofen. 


436 1. Theil, Viertes Kapitel, 


Die barbarifche Völker vorftellen, Die Arme mit engen Ermeln bes 
kleidet zu haben, und wenn Suetonius von einer Toga Germa- 
nica redet I), fheinet er einen Rock mit folchen Ermeln verftan: 
den zu haben. Gewiß ift, daß das Unterkleid der Roͤmer in ältern 
Zeiten Feine Ermel hatte 2). E8 behauptet jemand, daß die vö- 
mifchen Weiber, nicht Die Männer , Hemden (vielleicht hat Der: 
felbe Unterkleider fagen wollen) mit Ermeln fragen dürfen 3), mp: 
von ich den Beweis zu fehen wünfchete, 

Als Unterkleider find aud) die Mofen anzufehen, womit 
außer den Figuren ausländifcher Völker, comifhe Perfonen be 
Eleidet zu feyn pflegen, weil überhaupt die Hoſen um des Wohl⸗ 
ftandes Willen auf dem Theater eingeführet waren, und an zu: 
vor gedachten comifchen Figuren von Marmor find Hoſen und 
Strümpfe, wie bey barbarifchen Voͤlkern, aus einem Stüde, 
Serner fiehet man Beinkleider, die bis über Die Kniee reichen, wie 
Sabrette Diefelben an Der Figur des Trajanus anzgeiget 4); und 
Herodianus meldet, Daß Caracalla feine Hoſen von den Schen- 
keln herunter gezogen habe, da er feine Nothdurft verrichten wol- 
fen, und vom Martialis ermordet wurde 5). An ftatt Der Ho— 
fen waren bey den Römern Binden im Gebrauche, womit Die 
Schenkel umwunden wurden ; aber auch diefes wurde für eine 
Weichlichkeit gehalten, die Cicero dDeßhalb dem Pompejus, welcher 
dergleichen trug, vorwarf 6). 


| Ueber 
ı) Suet. Domit. c. 4. 2) A, Gell. Noct. Att. L. 7: c. 12. S. Auguft. de 
Dot. Chrift. L. 3. c. 12. 3) Nedal. Diff. für Yhabil. des Dam. Rom. 


P. 241. 4) De col. Traj. c. 7. p. 179. 5) Herod. L. 4. c. 24. P- 
153. 6) Cic. ad Attic. L. =. ep. 3. 


Bon der Kunft unfer den Griechen. 437 


Ueber das Unterkleid fchlugen die Griechen einen Mantel Sea ige 
und Die Römer ihre Toga; von Mänteln aber waren zwo Ar- a. Der turge 
ten, der Fürzere, welcher theils Chlamys, theils xranz und bey ac 
den Römern Paludamentum genennet wurde, und Der längere 
und gewöhnliche Mantel, 

Die Chlamys war nad) dem Strabo, mehr ovalals rund, «=. Chlamps. 
und überhaupt eine Tracht derer Die zu Felde Dieneten 1); es be— 
decket Diefelbe Die linke Achſel, und war auf der rechten Achſel 
zufammen gehänget, und kurz, um leichter zu gehe. Daß Diefer 
Mantel oval oder rund gefchnitten gewefen, fiehet man Deutlich an 
mehr als an einer Statue, am deutlichften aber an einer Statue 
über Lebensgröße in dem pabftlichen Garten auf dem Duirinale. 

E8 ift daher Diefer Mantel den heroifchen Figuren gegeben, und 
fonderlich dem Eaftor und dem Pollux eigen, Doch fo daß Diefe 
denfelben über beyde Achſeln gegogen und auf der Bruft zuſam— 
men geknüpfet tragen , welche Weife aus dem Aelianus beym 
Suidas als ein Abzeichen der Dioſcurer angegeben wird ; (Ma- 
nudas EXWTES ETI TOV @LWVy Epnuuevny Eratepwr) ſo wie in meinen 
Denfmalen des Alterthums erfläret worden. In dieſer Abficht 
fagte Plato zum Ariſtippus: Dir ift gegeben, Die Chlamys und 
Lumpen zu tragen, deſſen Gleihgültigkeit im Gluͤcke und in der 
Niedrigkeit anzudeuten. In then war die Chlamys auch eine 
Tracht junger Leute 2), aber derjenigen die vom achtzehenten 
Dis zwanzigften Jahre Die Wachen in der Stadt verfehen muß- 
Sit 3 ten, 


s) Strab. L. =. p. 119. C, 2) Lucian. Amor. p. 90% 


IN, 


438 I Theil. Biertes Kapitel, 


ten, und fich alfo zum Kriege vorbereiteten 1). Es war Diefer 
ihr Mantel in alten Zeiten ſchwarz, bis ihnen der reiche Redner 
Herodes Atticus, zu Madrianus Zeiten, eine weiße Chlamys 
gab 2). Inden Gemälden des alten vaticanifchen Terentius ift 
indeffen die Chlamys faft allen Sünglingen von freyer Geburt 
als eine allgemeine Tracht derfelben gegeben worden. Die Maͤn⸗ 
tel der Krieger pflegeten inwendig zoftigt und mit Franzen zu 
ſeyn (uaccoro) um warm zuhalten 3). 

GB. XAasıa, Von der Chlamys ift zu unterfcheiden ein anderer Eurger 
Mantel xArawa genannt, welcher nicht auf der einen Schulter an- 
geheftet, fondern umgeleget und abgenommen über Die Achſel ge 
worfen wurde, fo wie in warmen Ländern der Pöbel das ausge: 
zogene Camifol zu tragen pfleget. Diefe Art von Furzen Mantel 
wird beym Mriftophanes dem Dreftes gegeben, und Diefer junge 
Held trägt denfelben, fo wie ic) angezeiget habe, als ein Tuch 
gufammen genommen uͤber die linke Achſel geleget, fo wie er auf 
einem filbernen Gefäße des Hrn. Kardinal Neri Corfini, vor dem 
Gerichte des Areopagus erfcheinet, feinen betrübten und ernied- 
rigten Zuftand abzubilden, als eine Tracht des niedrigen Stan- 
des. Diefen Mantel alfo zu tragen nennet Plautys: Conjicere 
in collum pallium, colledto pallio. 

yya Valuda⸗ Das Paludamentum war bey den Nömern, was bey den 

mentum, £ 
Griechen Chlamys war, und von Purpurfurbe (mras soAn), 
veftitus equeftris 4) und eine Tracht der römifchen Feldherren, 

auch 
5) Artemidor. Oniroerit. L. r. c. 56. 2) Philoftr. vit. Sophift. L. =. p. 
530. 3) Plutarch. Lucul. p. 932. 1. 24. 4) Xiphil. Aug. p- 94. 1. 2, 


Bon der Kunft unter den Griechen. 439 


auch nachher der Kaiſer; jedoch trugen dieſe bis auf den Gallie— 
nus Diefen Mantel nicht in Nom, fondern giengen in der Toga. 
Die Urfache Davon entdecket man in der Worftellung, die dem Vi— 
telliug feine Freunde macheten, da er mit Diefem Gewande auf 
der Achſel feinen Einzug in Nom halten wollte ; diefer Aufzug, 
fagten fie, würde den Schein geben, Daß man der Hauptftadt des 
roͤmiſchen Reichs als einer im Sturm eroberten Stadt begegnen 
wolle; auf diefe Worftellung legete er die confularifche Toga am. 
Eben Diefes beobachte Septimius Severus vor feinem prächtigen 
Einzuge in Rom: denn da er als Imperator gekleidet zu Pferde 
bis an Die Thore der Stadt gekommen war, flieg er vom Pferde, 
nahm die Toga und machte den übrigen Weg zu Fuß D. Mid) 
wundert, wie ein Mcademicus in Sranfreid) unentfchieden gelaf: 
fen, ob Paludamentum ein Panzer oder Mantel gemefen. Einen 
folhen Mantel von Golde gewürket trug auch Agrippina, des 

Claudius Gemahlin, da fie ein Schiffgefechte mit anfah 2). 
Der längere Mantel der Griechen ift aus vielen Figuren 
befannt, und war theils gefüttert, wie derjenige Den Neftor we— 
gen feines Alters trug, deſſen Sutter durch Das Wort Arıın be: 
zeichnet wird, fo wie aud) der Epnifer Mantel war (duplex pal- 
lium) weil diefe ohne Unterkleide giengen; theils aber war derfelbe 
ungefüttert, und ſolche Mäntel nennet Homerus amrodag xAawasg. 
Ich finde aber hier nöthig eine Anzeige des Misverftändniffes ei- 
niger Ueberſetzer alter Scribenten zu geben , da mo jene geglaubet 

ha⸗ 
£) Xiphil. Sever. p. 294. I. 3. 3) Plin. L. 33. c. 19. p. 39. Dio Cafl.L. 
L. 60. p. 667. 


b. Der längere 
Mantel, 


440 I. Theil, Viertes Kapitel. 


haben, daß von einem Mantel die Rede fey. Ich wurde auf 
merkfam hierauf, da ich fah, Daß Cafaubonus das Wort ınarıon 
für den Mantel genommen, wenn Polybius fagt , DaB Aratus 
mit denen, die ihm die Stadt Cynetha verrathen wollten, ausge: 
machet babe, daß einer von dieſen zum Zeichen der Ausführung, 
fich zeigen follte auf einen Dügel vor der Stadt, und zwar ev ına- 
710, welches jener gelehrte Ausleger mit palliatus gegeben , da er, 
wie ich glaube, tunicatus hatte fagen follen. Denn es war ver 
muthlich ungewöhnlicher ohne Mantel, als mit Demfelben aus der 
Stadt zu gehen; Diefes Zeichen aber erforderte etwas außeror⸗ 
dentliches. Das Wort ınarıor muß allegeit gleichbedeutend mit 
der tunica Der Roͤmer verftanden werden; und im griechifchen an 
zudenten, was Plinius von der Statue des Nomulus und des 
Camillus anzeiget, Daß diefelben fine tunica gewefen, hätte es mit 
saarıov Überfetet werden müffen. Irrig ift ferner in einigen Scri— 
benten das Wort xiror verftanden, welches nicht allein das Un— 
terkleid bedeutet, wie beym Diodorus, wo Diefer berichtet, Dio- 
nyfins der Tyrann zu Syracus habe beftandig über fein Kleid 
einen eifernen Panzer getragen; (mayxalırro gepew em Tov Xırmya 
sıcnpev Iwpara) fondern es heißt auch zuweilen, und im Homerus 
beftändig ein Panzer, weldyes unter anderen Das Veywort Der 
Griechen zarxoxırwveg gleichbedeutend mit warnoIwpnass mit Erzt 
bewaffnet, beweifen kann. Diefe Anmerkung gehet vornaͤmlich 
auf die Nachricht des Diodorus vom Könige Gelo zu Syracus, 
wo er berichtet, Daß derfelbe nach Dem berühmten Siege über Die 
Earthaginenfer vor dem ganzen Wolfe erfchienen ſey, Nechenfchaft 
von 


Bon der Kunft unter den Griechen, 441 


pon feinen Handlungen zu geben, und zwar nicht allein ohne alle 
Waffen, fondern auch axırwv ev arıo, ohne Panzer im Unter⸗ 
Heide; dieſes haben die Ueberſetzer nicht verftanden. Unterdeſſen 
wird umoxırwv aud) ein Krieger genennet, dev Waffen und Man 
tel zuruͤck läßt, und fich im bloßen Unterfleide rettet 1)ſ. 


Bon dem römifchen Oberkleide, oder Toga ift fo viel ge⸗ 
fehrieben, Daß die weitläuftigen Unterfuchungen den Lefer viel 
ungewiffer machen; und am Ende hat niemand die wahre Form 
der Toga angezeiget , welche allerdings fehwer zu bedeuten ift. 
Sch glaube, daß wenn Dionyfius fagt, Die Toga habe Die Form 
eines halben Cirkels gemacht, (numurdor) hier nicht von der Form 
im Zufchnitte die Rede ſey, fondern von der Form. welche Diefelbe 
im Umnehmen bekam. ; Denn fo wie Die griechifchen Mäntel: viel 
mals doppelt zuſammen genommen wurden, fo wird. vielleicht 
auch Das Gewand der Toga auf eben Dig Art geleget worden 
feyn, und hierdurch wirde einige Schwierigkeit über Die Form 
der Toga gehoben. - Fuͤr Künftler , für welche ich vornaͤmlich 
fchreibe, ift genug zu wiffen, Daß dieſes Kleid weiß war: denn 
wenn Diefelben römifche Figuren zu leiden haben, Fönnen fie ſich 
der Statuen bedienen. 


Man merke hier zugleich den Wurf der römifchen Toga, 
welcher Cindtus Gabinus hieß, als eine Form die der Toga bey 
hei⸗ 
1) Plutarch. Aemil. p. 480. 


wintelm. Gef). der Kunſt. Kkk 


69 Die römi⸗ 


fche Toga. 


442 I. Theil. Biertes Kapitel, 


Heiligen Verrichtungen und fonderlich bey Opfern gegeben wurde. 
Es beftand Diefelbe darinn, daß die Toga bis auf das Maupt 
hinauf gezogen wurde, fo Daß der linke Zipfel die rechte Achfel 
frey ließ, über die linke Achſel aber herunter fiel, und unter der 
Bruſt quer herüber gezogen wurde, wo der linke Zipfel mit dem 
Zipfel zur rechten Hand gewunden, und in dieſen hinein geftecket 
wurde, Doc) fü, Daß die Toga dennoch bis auf Die Füße hieng. 
Diefes zeiget fi) an der Figur des Marcus Dfurelius auf einem 
erhobenen Werfe von deffen Bogen, wo derfelbe opfert, und auf 
anderen ähnlichen Werken. 


Wenn die Kaifer mit einem Theile der Toga auf das 
Haupt gezogen dorgeftelfet find, deutet diefe Tracht auf das Ho⸗ 
hepriefterliche Amt Derfelpen. Unter den Göttern ift Saturnus 
insgemein mit bedecktem Haupte bis über Den Scheitel gebildet, 
und es finden ſich an göttlichen Figuren, fo viel mir befannt ift, 
nur ein paar Ausnahmen. von Diefer Bemerkung. Die erfte ift 
im einem Supiter, der Jäger genannt, auf einem Altare in der 
Villa Borghefe, welcher aufeinem Centaur veitet, und fein Haupt 
aufgedachte Weife bedecfet hat. Jupiter in folcher Geftalt heißt 
beym Arnobius Riciniatus , von dem Worte Ricinium , welches 
denjenigen Theil des Mantels bedeutet, womit dag Haupt bede- 
det wurde, und alfo ftellet ihn aud) Martianus vor. Die zwote 
Ausnahme ift an einen Pluto unter den Gemälden des nafoni- 
fchen Grabmale. 


Mas 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 443 
a8 endlich die Bekleidung und die Bedeckung der Außer b Betleidung 


ren Theile des Körpers betrifft , um von dem Haupte anzufan- Bil s 
gen, war der SIut bereits in den aͤlteſten Zeiten im: Gebraud), Bi Des 
und unter den Athenienfern nicht allein außer der Stadt, fonden — ie. 
auch in derfelben; in der Inſel Aegina bedeckte man fid) Das 
Haupt mit demfelben auch im Theater, fehon zu des älteften Ge— 
ſetzgebers Draco Zeiten, Es waren aud) ſchon Damals die Huͤte 

von Füzgemachet, fo wie wir es insbefondere von dem Hute, oder 

dem Helm der Spartaner wiſſen, welcher, wie Thucydides angei- 

get, die Pfeile nicht abwehren konte. Es giengen nicht allein ers 
wachfene Derfonen, fondern auch Knaben mit dem Hute bedecket, 

und da der Gebrauch den Hut in der Stadt zu tragen bey den 
Athenienfern abgekommen war, fo war e8 in Nom nicht unge- 
wöhnlid) , wenigftens in feinem Hauſe, mit dem Hute zu gehen, 

wie uns Suetonius vom Auguftus berichtet, welcher zu Maufe 

und in der Sonne nicht andersals mit dem Hute auf dem Haupte 

gieng. Sonderlich aber trug man denfelben im offenen Felde, 

um ſich vor der Sonne, oder vor dem Regen zu verwahren, und 

in Diefer Abſicht waren die Krempen niedergefchlagen. Es konte 

Derfelbe mit Bändern unter dem Kinne gebunden werden, wie 

wir an der Figur des Thefeus auf einem Gefäße von gebrannter 

Erde der vaticanifchen Bibliothek fehen, und wenn man mit un: 
bedecktem Haupte gehen wollte, wurde der Hut hinterwärts auf 

die Schulter geworfen, und hieng an feinen Bändern, Die unter 

dem Kinne gebunden waren. Der Hut war eine gemeine Tracht 

Kfz der 


b. Das Haupt 
mit der Toga 


bedecket. 


bb. Der Füße. 


444 1. Theil, Viertes Kapitel. 


der Landleute und der Hirten, und heißt Daher der arcadifche 
Hut ı), und es iftderfelbe, an einigen Siauren des Apollo auf 
Münzen, ein Zeichen feines Hirtenftandes beym Admetus in 
Theſſalien, und Meleager auf verfhiedenen Steinen träget Den 
Hut als ein Jäger, Zetus aber auf zwo erhobenen Werken, um 
das Mirtenleben, welches er ergriffen hatte, abzubilden. Eine 
befondere Art von Hüten trugen Diejenigen die in Rom auf Wa- 
gens Wette liefen; es gehen diefelben oben ganz ſpitzig zu, und find 
den finefifchen Hüten ähnlich. Man ſiehet dieſe Hüte an folchen 
Perſonen auf einpaar Stüden von Muſaico, Die im Haufe Maſ⸗ 
fini waren und fich io zu Madrid befinden, ingleichen auf einem 
wa mehr vorhandenen Werke beym Montfaucon. 


Am gewöhnlichften war , fid) das Haupt mit dem Ge⸗ 
wande, und bey den Römern, mit der Toga zu bededen, und 
fi) Das Haupt zu entblößen im Angeficht von Perfonen, Denen 
man eine befondere Achtung begeigen wollte 2). Es wurde Daher 
für eine Unhoͤflichkeit angeſehen, das Gewand nicht von Dem 
Haupte zu ziehen (I arwv nara rung nepahng exei To ıuarıov 3). 


Die Bekleidung der Füße ift in Schuhen und Sohlen und 
deren Form und verfihiedenen Art zu binden und zu ſchuͤrzen, fo 
mans: 


s)-Dio Chryfoft. Or. 35. p. 433. A 2) Plutach. Pompe). p. 1137. 1. 17. 
3) Ibid. p. 1169, 1. ult. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 445 


mancherley, Daß wenn jemand alles anzeigen wollte, eine ziemliche 
Schrift daraus erwachfen würde, 


Ich begnüge mich hier zuerft von den Sohlen die lächer- 
liche Meynung anzumerken, Die jemand über ein Kreuz hervorge- 
bracht hat, welches auf einem alten abgebrochenen Fuße in dem 
Muſeo der vaticanifchen Bibliothek, auf dem Rieme zwifchen der 
großen und der nächften Zehe hieng, wo fonft inggemein ein Heft 
wie ein Kleeblatt oder ein Merz geftaltet ift. Diefes Heft verei- 
niget zween Nieme, Die von beyden Seiten Des Zußes oben zu- 
fammen laufen , an dem Rieme zwifchen gedachten beyden 
Sehen. Aus diefem Kreuze, da der Fuß in den Catacomben ges 
funden worden, hat man gefchloffen, Daß derfelbe von der Sta: 
tue eines Märtyrers fen, welcher in einer großen Inſchrift Dazu 
gefetet worden. Diefer Fuß aber ift augenfcheinlicd) von Der 
Statue einer jungen weiblichen Perſon, und fo fehön, Daß zu Der 
zeit, da den Märtyrern Eönten Statuen gemachet feyn, ein ſol— 
cher Fuß für alles Gold in der Welt nicht hätte können hervor: 
gebracht werden. Man weiß im übrigen, wie viel Stüde alter 
Kunft, die nichts mit der chriftlichen Religion zu fchaffen haben, 
inden Cafacomben gefunden worden. ad) der Zeit ift ein ſchoͤ— 
ner männlicher Zuß von einer Statue, Die weit über Lebensgröße 
gewefen, zum Vorſchein gekommen, an welchem fich ein ähnlicher 
Kreuzheft und an eben der Stelle findet: dieſer Fuß ift in dem 
Muſeo des Bildhauers Hrn. Barthol. Cavaceppi. Eben diefer 


Kkk3 Siem 


a. Die Sohlen. 


b. DieSchube, 


446 1. Theil, Viertes Kapitel. 


Riem der Sohlen welcher zwifchen der großen und der nächften 
Sehe lieget, ift an einer fchönen Statue des Bacchus mit einem 
geflügelten Engelsfopfe gezieret. 


Die Schuhe der Nömer waren von den griechifchen ver: 
fehieden, wie Appianus angiebt 1); Diefen Unterſchied aber Fön: 
nen wir nicht zeigen. Die vornehmen Römer trugen Schuhe von 
rothen Leder welches aus Parthien Fam 2), und hießen Mullei; 
es waren Diefelben zuweilen mit Golde oder Silber geſticket, wie 
wir an einigen beFleideten Süßen fehen. Gewöhnlich aber waren 
die Schuhe von ſchwarzen Leder, welche zumeilen bis mitten auf 
das Schienbein veicheten 3), und als eine Art Malbftiefeln an- 
zuſehen waren, wie fie an den Figuren des Caſtor und Pollug 
find , die ich vielleicht in Kupfer beybringen werde. Schuhe, 
Die heroifchen Figuren können gegeben werden, fiehet man an Der 


irrig fo genannten Statue des Quintus Cincinnatus, oder viel 


mehr des Jaſon, zu Verfailles: Diefe find Sohlen mit einem Fin⸗ 
gerbreit erhobenen Nande umher, und hinten mit einem Ferfen: 
leder; und diefe Schuhe find oben auf Dem Fuße mit Riemen ges 
fehnüret und über die Rnöchel hinauf gebunden. Auf Schuye, aus 
Stricken geflochten, die man in Dem herculanifchen Muſeo fichet, 
und Deren ich oben gedacht habe, kann vielleicht gedeutet werden, 
was Plinius von den Affen fagt: laqueis calceari imitatione ve- 
nan- 


3) Appian. Mithrid. p. 114, L 17. 2) Vales. not, in Ammian. L. 22. c. 4 
P- 39%. 5) Horat, L. 1. Sat, 6. v. 27. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 447 


nantium tradunt 1); welches insgemein von Schlingen verftanden 
wird, worinn Diefe Thiere gefangen werden , Da Diefer Scribent 
hingegen hat fagen wollen, die Affen machen fi) Schube von 
Stricken, wie die Jäger, 


Die edeln Athenienfer trugen an dem Schuhe, wie bekannt 
ift, einen halben Mond von Silber, und einige von Elfenbein; 
fo wie die edeln Nömer einen Mond; diefes Kennzeichen aber bat 
bis itzo ſich noch an Feiner einzigen römifchen Statue gefunden. 


Ich merke hier als eine Zugabe an , daß Schnupftücher 
wenigftens unter den Griechen nicht gebräuchlich gewefen feyn, 
da man fichet, Daß fich Perfonen vom Stande die Thränen mit 
dem Mantel abgetrocknet haben, wie Agathocles, der Bruder 
einer KRöniginn in Aegypten, vor Dem verfammelten Wolfe zu 
Alerandrien that 2). Eben fo wie die Servietten bey den Roͤ— 
mern allererft in ſpaͤtern Zeiten üblicd) wurden; ja Der eingeladene 
Saft brachte diefes Tuch felbft mit. 


An der Zeichnung befleideter Figuren hat zwar der feine C 


H J R 2 : * Allgemeine 
Sinn und die Empfindung, fo wohl im Bemerken und Lehren, ana 
uber Die Zetch— 


als im Nachahmen, weniger Antheil, als die aufmerkfame Beobz nung betleide— 
achtung und das Wiffen; aber dev Kenner hat in diefem Theile" 
der Kunſt nicht weniger zu erforfchen, als der Künftler. Die Be 
klei⸗ 
ı) Plin. L. 8. c. 8». 2) Polyb. L. ı5. p. 712. D. 


448 1. Theil, Viertes Kapitel. 


kleidung tft hier gegen Das Nackende, wie die Ausdrüde der Ges 
danken, Das iſt, wie Die Einkleidung Derfelben, gegen Die Gedan— 
fen felbft, e8 Eoftet oft weniger Mühe, Diefe, als jene, zu finden. 
Da nun in den älteften Zeiten der griechifchen Kunſt mehr beklei⸗ 
dete, als nackte Figuren genfacht wurden , und Diefes in weibli- 
hen Figuren and) in den fchönften Zeiten Derfelben blieb, alfo daß 
man eine einzige nackte Figur gegen funfzig befleidete rechnen Fann: 
fo gieng aud) der Künftlee Suchen zu allen Zeiten nicht weniger 
auf die Zierlichkeit der Bekleidung, als auf Die Schönheit des 
Nackenden. Die Gratie wurde nicht allein in Gebehrden und 
Handlungen, fondern and) in der Kleidung gefuchet, (wie denn 
Die älteften Gratien befleidet gebildet waren) und wenn zu unfern 
Zeiten die Schönheit der Zeichnung des Nackenden aus vier oder 
fünf der fehönften Statuen zu erlernen wäre, fo muß der Künft- 
Ver die Bekleidung in hundert derfelben ftudiren. Denn es ift 
felten eine der andern in der Bekleidung gleich, Da fih hingegen 
viele nackte Statuen völlig ähnlich finden, wie Die mehreften Ve— 
nus find, eben fo fcheinen verfchiedene Statuen des Apollo nad) 
eben demſelben Modelle gearbeitet, wie drey ähnliche in der Ville 
Medicis, und ein anderer im Campidoglio find, und dieſes gilt 
auch von den mehreften jungen Satyrs. Es ift alfo die Zeichnung 
bekleideter Figuren mit allem Rechte sin wefentlicher Theil der 
Kunſt zu nennen. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 449 


Wenige neuere Künftler find in der Bekleidung ohne Ta: 
del, und im vorigen Jahrhunderte, den einzigen Pouſſin ausge: 
nommen, find alle fehlerhaft. Bernini hat feiner H. Vibiana 
fo gar den Mantel über die Kleider mit einem breiten Gurte ger 
bunden, welches nicht allein aller alten Bekleidung entgegen iſt, 
fondern auch der Natur des Mantels felbft widerfpricht: denn ein 
gegürteter Mantel höret gleichfam dadurch auf ein Mantel zu 
ſeyn. Derjenige, welcher die Zeichnungen zu den fauber geſtoche— 
nen KRupfern in des Chambray WVergleichung alter und neuer 
Baufunft gemadyet, hat fo gar den Callimachus, den Erfinder 
des corinthifchen Kapitaͤls, weiblich gekleidet. Ich bin Daher 
verwundert, wie Pafcoli in der Worrede zu feinen Lebensbe- 
fhreibungen der Maler behaupten Fönnen, daß den Bildhauer 
des Alterthums der edle und liebliche Geſchmack in Gewaͤn— 
dern gemangelt habe, weldyes einer von den Theilen der Kunſt 
fen, worinn Diefelben von den Neueren übertroffen worden. Da 
nun Diefer Scribent, wie aus gedachten Buche und aus dem 
Zeugniße derjenigen, die ihn perſonlich gekannt haben, erhelfet, 
wenige oder gar Feine Kenntniß vonder Kunft gehabt hat, fon: 
dern was er fehreiben wollen, ſtuͤckweis von anderen erfragen 
müffen, fo ift hieraus zu fließen, daß feine ivrige Meynung 
von den Gewändern der Alten ein ziemlich gemeines Urtheil 
unter Künftlern gewefen fy. Was kann man fih alfo von 
Ddiefen Gutes verfprechen, die von einem fo wefentlichen Irthu— 
me eingenommen wirken und arbeiten, und blind find gegen 

Winkelm. Gef. der Kunft, gl das 


450 L Theil. Biertes Kapitel. 


das was fehon ift auch an mittelmäßigen Figuren der Alten, 
Da man außerdem von vielen Figuren nicht einmal fagen kann, 
wie Corneille von dem Bajazet Des Racine ſagte, Daß unter 
einem türkifchen Kleide ein franzöfifh Merz fey, nämlich daß 
unter einer griechiſchen Kleidung eine Modefigur ftedie, fo wür- 
de, wern Die Zeichnung des nadenden fehlerhaft ift, Durch ei— 
ne wohlverftandene Bekleidung vieles verſtecket werden. 





Drit⸗ 





Dritter Abſchnitt. 


Bon dem Wachsthume und dem Falle der griechiſchen Kunſt, 
in welcher vier Zeiten und vier Stile Fönnen gefetset werden. 


9" dritte Abfchnitt Diefer Abhandlung, von den Wachsthus prirer Ab⸗ 

me und dem Falle der griechifchen Kunſt, gehet nicht weni⸗ Po dem . 
ger, als der vorige Abſchnitt, auf das Wefen derfelben, und «8 um vomguic 
werden hier verfchiedene allgemeine Betrachtungen des vorigen un mu 


cher vier Zeiten 


Theils durch merkwürdige Denkmaale der griechifhen Kunſt mas un vier etite 
her und genauer beftimmet. | a 
Die Kunſt unter den Griechen hat, wie ihre Dichtfunft, 
nad) Scaligers Angeben, und wie Florus die römifche Gefchichte 
eintheilet, vier Hauptzeiten, und wir koͤnten Deren fünf ſetzen. 
zil.2 Denn 


1. 
Der altere 
Stil. 


Denkmale 
deſſelben. 
4. Auf Mün⸗ 
zen. 


452 L heil, Viertes Kapitel, 


Denn fo wie eine jede Handlung und Begebenheit fünf Theile, 
und gleihfam Stufen hat, den Anfang, Den Fortgang , den 
Stand, die Abnahme, und das Ende, worinn der Grund lieget 
von den fünf Auftritten oder Handlungen in theatralifchen Stü- 
cken, eben fo verhält es fich mit der Zeitfolge Der Kunſt: da aber 
Das Ende derſelben außer die Graͤnzen derſelben gehet, fo find 
hier eigentlicdy nur vier Zeiten Derfelbenzu betrachten. Der ältere 
Stil hat bis auf den Phidias gedauret; durch ihn und durch 
die Kuͤnſtler feiner Zeit erreichete die Kunſt ihre Größe, und man 
kann Diefen Stil den Großen und Hohen nennen; von Dem Pra— 
yiteles an bis auf den Lyſippus und Apelles erlangete die Kunft 
mehr Sratie und Gefälligkeit, und diefer Stil würde der Schöne 
zu benennen feyn. Einige Zeit nad) diefen Künftlern und ihrer 
Schule fieng die Kunſt an zu finken in den Nachahmern derfelben, 
und wir Eönten einen dritten Stil der Nachahmer fesen, bis fie 
fi) endlich nad) und nach gegen ihren Fall neigete. 

Bey dem älteren Stile find erſtlich die übrig gebliebenen 
vorzuͤglichen Denkmale deffelben, ferner Die aus Denfelben gezoge— 
nen Eigenfchaften, und endlich der Uebergang zu dem großen 
Stil zu betrachten. Man Fann Feine ältere und zuverläßigere 
Denkmale des Altern Stils, als einige Münzen, anführen, von 
Deren hohem Alter das Gepräge und ihre Infchrift Zeugniß ger 
ben: denn da Diefelben unter den Mugen ihrer Städte geprägek 
worden, ift Davon ficher auf die Kunſt ihrer Zeit zu fließen. 

Die Infchrift gehet auf diefen Münzen rückwärts, Das iſt, 
von Der Nechten zur Linken; Diefe Art zu fchreiben aber muß ges 

rau: 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 453 


raumere Zeit vor dem Herodotus aufgehöret haben. Denn da 
dieſer Gefchichtfchreiber einen Gegenfat der Sitten und Gebräu- 
che der Aegypter gegen Die Griechen machet, führet er an, daß 
jene auch im Schreiben das Gegentheil von dieſen gethan, und 
von der Rechten zur Linken gefchrieben haben 1); eine Nachricht, 
welche zu einiger Beftimmung der Zeit in der Art zu fchreiben 
unter den ©riechen, fo viel ich weis, noch nicht bemerket ift, und 
aus welcher man fchließen kann, Daß von Der Zeit Diefes Ge— 
ſchichtsſchreibers an, Das ift, in dr LXXVI Olympias, bey den 
Griechen der Gebrauch rücwärts zu fehreiben feit geraumer Zeit 
abgefommen war. Pauſanias aber meldet 2), Daß unter der 
Statue des Agamemnongs zu Elis (die eine von den acht Figuren 
des Dnatas, und zwar derjenigen war, welche fid) erbothen hat⸗ 
ten zum Loofe, mit dem Hector zu fechten) die Schrift von der 
Rechten zur Linken gegangen; da nun Onatas kurz vor Dem 
Feldzuge des Kerges wider die Griechen, Das ift, vor der zwey 
and fiebenzigften Olympias, und alfo nicht lange vor dem Phi- 
dias geblühet hat, fo ift ohngefehr die Zeit zu beftimmen, da Die 
Griechen aufgehöret haben, rückwärts zu ſchreiben. 

Unter den älteften Münzen find die von einigen Städten 
in Großgriechenland, fonderlid) die Münzen von Sybaris, von 
Tanlonia, und von Pofidonia oder Paftum in Zucanien zu mer 
Een. Die erfteren Eönnen nicht nad) Der zwey und fiebenzigften 
Olympias, in weldyer Sybaris von den Erotoniatern zerflöret 
worden 3), gemacht feyn, und die Form der Buchftaben in dem 

ellz Na: 
»L.2.p.65.1ı3. 2) L. 5. p. 444. 1. 24. 3)Herodot.L,6.p.215-1.3. 


454 1. Theil, Viertes Kapitel, 


Namen diefer Stadt deuten auf viel frühere Zeiten 1). Der Ochſe 
auf Diefen, und der Hirſch auf Münzen von Caulonia , find 
ziemlich unförmlich: auf fehr alten Münzen dieſer Stadt ift Su- 
piter, fo wie Neptunus auf Münzen der Stadt Pofidonia, von 
fehönerm Gepräge, aber im Stil, welcher insgemein der hetru—⸗ 
rifche heißt: Neptunus haͤlt feinen Dreyzadigten Zepter, wie eine 
Lanze , im Begriffe zu ftoßen, und ift, wie Supiter, nadend, 
außer Daß deffen zufanmmengenommenes Gewand über beyde Ar: 
me geworfen iſt, als wenn ihm daffelbe ftatt eines Schildes die: 
nen füllte; fo wie Supiter auf einem gefchnittenen Steine feine 
Aegis um feinen linfen Arm gewickelt hat 2). Auf diefe Art 
fochten zuweilen die Alten in Ermangelung des Schildes, wie 
Plutarchus vom Alcibindes 3), und Livius vom Tiberius Grac⸗ 
Aus 4), berichtet. Das Gepräge dieſer Münzen ift auf der eis 
nen Seite hohl, und auf der anderen erhoben, nicht wie es einige 
Eaiferliche Muͤnzen ſo wohl als Die von roͤmiſchen Familien haben, 
wo das hohle Gepräge der einen Seite ein Verſehen iſt; fondern 
auf jenen Münzen zeigen ſich offenbar zween verfchiedene Stem= 
pel, welches ich an dem Neptunus deutlich darthun kann. Wo 
derſelbe erhoben iſt, hat er einen Bart und krauſe Haare; hohl 
gepraͤget re er ohne Bart, und mit gleichen Paaren: dort hängt 
das 
7) Auf demſelben ſtehet VM, an ſtatt ZV, und eben fo, namlich wie ein M, ſte⸗ 
het das Sigma auf angefuͤhrten Münzen von Poſidonia. Das Rho (P) hat 
einen Elsinen Schwanz B. Caulonia iſt geſchrieben VVAy ! 
2) Defer. des Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 40. Monum. ant. No. 9. 
3) Alcib. p- 308. I. Ah: 4) L. 23. C. 16. conf. Scalig. Conject. in Varron. 
P. 10. J 


Bon der Kunft unter den Griechen, 455 


das Gewand vorwärts über den Arm, und hier hinterwaͤrts; 
Dort gehet an dem Rande umher ein Zierrath, wie von zween 
weitläuftig geflochtenen Stricken, und bier ift derfelbe einen 
Kranze aus Mehren ahnlich; Der Zepter aber ift auf beyden Sei⸗ 
ten erhaben. 

Es iſt im uͤbrigen nicht darzuthun, wie jemand ohne Be⸗ 
weis angiebt I), Daß das Gamma der Griechen nicht lange nach 
der funfzigften Olympia, nicht I’, fondern C gefchrieben wor: 
den, wodurc Die Begriffe von dem Altern Stile aus Münzen, 
zweifelhaft und widerfprechend werden würden. Denn es finden 
fih Münzen, auf welchen gedachter Buchftabe in feiner älteren 
Form vorkommt, die gleichwohl ein vorzügliches Gepräge haben; 
unter denfelben kann ich eine Münze der Stadt Sela in Sicilien, 
gefchrieben CEAAZ, mit einer Biga und dem Wordertheile ei 
18 Minotaurs, anführen. 

An Diefem Drte verdienen vier Schalen von dem feinften 
Golde, in der Form und Größe einer Unterfchale zum Caffe, er- 
wähnet zu werden, Die in alten Gräbern bey Girgenti entdecket 
worden, und fich in Dem Muſeo Des daſigen Bifchofs Lucchefi be— 
finden; und Diefes weil Die Verzierungen aufdenfelben in gewiffer 
Maaße dem Gepräge jener Münzen ahnlich find, Daher auch 
dieſe feltenen Stüde von gleichem Alter zu ſeyn feheinen. Zwo 
diefer Schalen haben auswärts einen Nand umher, deffen Zier- 

rathen in Ochſen beſtehen, und dieſer Rand kann getriebene Ar— 
beit genennet werden: denn es iſt derſelbe mit einem erhoben ge— 
ſchnit⸗ 
) Reinold. Hiſt. Litter. graec. & lat. p. sr. 


456 I. Theil, Viertes Kapitel, 


fehnitfenen Stempel gefchlagen, welcher an Dem inneren Nande 
angefet worden, um auf der andern Seite das Erhobene heraus 
zu treiben. Die zwo anderen Schalen haben einen mit eingefchla- 
genen Punkten am Rande herum verfertigten Zierrath. In Aus- 
Deutung gedachter Dchfen tft nicht nöthig, mit dem Beſitzer Diefer 
Schalen bis zu dem Apis der Aegypter zurüc zu gehen; denn 
bey den Griechen waren Dehfen der Sonne gewidmet, und Och— 
fen zogen den Wagen der Diana; es Fönnen auch Diefe Thiere als 
ein Bild des Aderbaus angefehen werden, welches Der Ochfe 
auf etlichen Münzen von Großgriechenland anzudenten fcheinet, 
weil die Ochſen den Pflug ziehen und den ganzen Feldbau beſtel⸗ 
len. Eben diefes Thier war das Zeichen der älteften athenienfi- 
ſchen ı), fo wohl als römischen Münzen 2). 

Daß die Begriffe der Schönheit, oder vielmehr, Daß Die 
Bildung und Ausführung Derfelben , den griechifchen Künftlern 
nicht, wie das Gold in Peru wächft, urfprünglicd) mit der Kunft 
eigen gewefen, bezeugen fonderlic) die älteften ſicilianiſchen Mün- 
zen, um fo viel mehr, da die Münzen der nachfolgenden Zeiten 
alle andere an Schönheit übertroffen. Ic) urtheile nach uralten 
und feltenen Münzen von Leontium, Meffina, Segefta und Sy- 
racus, die in dem ehemaligen Stofchifchen Mufeo von mir unter: 
ſuchet worden find, und zwo von diefen Münzen der leistern Stadt 
find zu Anfang diefes dritten Stuͤcks in Kupfer zu fehen; Der 
Kopf ift eine Proferpina; diefe und andere Köpfe gedachter Muͤn⸗ 
zen find gezeichnet , wie der Kopf der Pallas auf den älteften 

athe= 
3) Schol, Ariftoph. Av. v. 1106, 2) Plin, L. 18. c. 3, p- 436. 


Von der Kunſt unter den Griechen. 457 


athenienftfchen Münzen, und 'an einer Statue Derfelben in der 
Villa Albani: Fein Theil Derfelben hat eine fchöne Form, folglich 
auch Das Ganze nicht; Die Augen find lang und platt gezogen; 
der Schnift des Mundes gehet aufwärts; das Kinn ift fpitig, 
und ohne zierliche Wölbung ; Die Haarlocken find in Feine Rin— 
geln geleget und find den Beeren der Weintrauben ahnlich, Daher 
fie aud) von den Älteften griechifchen Dichtern fo benennet find 1); 
und e8 ift bedeutend genug, zu fagen, Daß das Geſchlecht an 
den weiblichen Köpfen faft zweifelhaft ift. Eben daher iftes ge- 
fchehen, Daß ein folcher fehr feltener weiblicher Kopf von Erzt, 
und etwas über Lebensgröße in dem hereulanifchen Mufeo für 
ein mäÄnnliches Bild angefehen worden ift. Dem ohngeachtet ift 
die Mückfeite jener Münzen zierlich zu nennen, nicht allein in 
Abſicht des Gepräges, fondern aud) der Zeichnung der Figur, 
Wie aber ein großer Unterfcheid ift unter der Zeichnung im Klei- 
nen und im Großen, und von jener nicht auf dieſe kann gefchloffen 
werden; fo war e8 leichter, eine zierliche Fleine Figur, etwa ei— 
nen Zoll groß, als einen Kopf von eben der Größe, fehön zu 
zeichnen. Die Bildung diefer Köpfe hat alfo nad) der angegebe: 
nen Form Die Eigenfchaften des aͤgyptiſchen und hetrurifchen 
Stils, und ift ein Beweis der in den drey vorhergehenden Ka- 
piteln angezeigten Aehnlichkeit der Figuren Diefer drey Voͤlker in 
den älteften Zeiten, 
Was 


ı) Plutarch, Confol. Apoll. p. 196. 1, 2% 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Mmm 


458 » Zeil, Viertes Kapitel. 
b. Auf Werken Was die Werke der Bildhauerkunſt in dieſem aͤltern Stil 


a betrifft, fo führeich ‚wie überhaupt von andern Werken der Kunft, 
Feine an, als Dieich feldft gefehen und genau unterfuchen Fönnen: 
denn 8 pfleget mit den Zeichnungen derfelben wie mit den Erzäh- 
lungen zu ergehen, Die in jedem Munde einen Zufat befommen. 

Die allerältefte Statue dies Stils fcheinet eine öfters 
von mir angeführte Pallas in Lebensgröße zu feyn, Die fi in 
der Ville Albani befindet, und fo wie fie vor der Ergänzung 
war, in meinen alten Denfmalen vorgeftellet ift ı). Die Geftalt 
des Gefichts und die Formen der Theile find fo gebildet, Daß, 
wenn Der Kopf von Bafalt wäre, man denfelben für eine aͤgypti⸗ 
ſche Arbeit halten Fönte, und er ift den weiblichen Köpfen Der 
kurz zuvor gedachten aͤlteſten griechifchen Münzen völlig ahnlich ; 
ja man fönte hier auch den hetrurifchen Stil zeigen. Der Grund 
den die Roͤmer gehabt haben , Diefe und andere Statuen von 
gleichem Alter aus Griechenland wegguführen, kann Fein anderer 
gewefen ſeyn, als eben derjenige, welcher mich veranlaffet, dieſer Pal- 
las hier zu gedenken, naͤmlich Werke der älteften Kunſt der Grie— 
chen aufzuftellen, um die Folge in denfelben vollftandig zu haben. 

Diefen älteren Stil glauben die Liebhaber des Alterthums 
in einem erhobenen Werke im Mufeo Capitolino zu finden, wel- 
ches über Die vorläufige Abhandlung von der Zeichnung der al- 
ten Künftler in meinen Denkmalen des Alterthums in Kupfer ges 
ſtochen ift, und Drey weibliche Bacchanten nebft einem Faun vor- 

ftellet, 


ı) Monum, ant: ined. No. ıy. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 459 


ftellet, mit der Unterfehrift: KAAAIMAX°Z ET IEI n) 
Callimachus foll derjenige feyn, welcher ſich niemals ein Genüge 
thun koͤnnen 2), und weil er tanzende Spartanerinnen gemacht 
bat 3), fo halt man jenes für Diefes. Die Schrift auf demfelben 
ift mir bedenklich: fie kann nicht für nen gehalten werden, aber 
fehr wohl fchon vor Alters nachgemacht und untergefchoben wor: 
den feyn, eben fo wie e8 der Name des Lufippus ift an einem 
Hercules in Florenz, welcher alt ift, aber fo wenig, als Die Sta- 
tue felbft, von der Hand diefes Künftlers feyn kann, wie ich im 
zwenten Theile anzeigen werde. Eine griechifche Arbeit von dem 
Stil des Werks im Campidoglio müßte nach den Begriffen, die 
wir von den Zeiten des Flors der Kunſt haben, älter ſeyn; Cal⸗ 
limachus aber Fann nicht vor dem Phidias gelebet haben, und 
Die ihn in Die fechzigfte Olympias fegen 9, haben nicht den min- 
deften Grund, und irren fehr gröblid. Wenn aber aud) dieſes 
anzunchmen wäre, fo Fönte Fein X in dem Namen deffelben feyn; 
denn dieſer Buchſtab wurde viel fpäter vom Simonides erfun- 
den 5); und Callimachus müßte gefchrieben feyn Ka//ImaRH°? €, 
oder KaAImak X 6), wie fid) eben dieſer Name in einer alten 
amycleiſchen Inſchrift findet 7). Pauſanias ſetzet ihn unter die 
großen Kuͤnſtler herunter; alfo muß er zu einer Zeit gelebet haben, 
wo es möglich geweſen wäre, ihnen in der Kunft beyzukommen. 
mm 2 Ein 
ı) Fontanin. Antig. Hort. L. 1, c. 6. p. 116. Montfauc. Ant. expl. T. 1. 
Bo 11.7pl2 17%: 2) Fontan. l. c. Lucatel. Muf, Capit. p. 36. 
3) Plin. L. 34. c. 19. 4) Felibien Hift, des Archit. p. 22. s) Mar. 


Victorin. art, Gram, L. ı. p, 1459. 6) Conf. Reinold. Hift. Litt. 
gr&c. & lat. p. 9. 7) Nouv. Trait& de Diplomat. T. ı. p. 616. 


B. 
Eigenfchaften 
diefes alteren 
Stils, 


460 I Theil. Viertes Kapitel. 


Ein Bildhauer dieſes Namens ift ferner der erfte gewefen, wel- 
cher mit dem Bohrer gearbeitet hat 1); der Meifter des Laocoons 
aber, welcher aus der fchönften Zeit der Kunſt feyn muß, hat den 
Bohrer an den Daaren, an dem Kopfe, und in den Tiefen. des 
Gewandes gebrauchen müffen. Tallimahus der Bildhauer foll 
ferner Das corinthifche KRapitäl erfunden haben 2); Scopas aber, 
der berühmte Bildhauer , bauete in der ſechs und neunzigften 
Dlympias einen Tempel mit corinthifchen Säulen 3): alfo hatte 
Callimachus zur Zeit der größten Künftler, und vor dem Meifter 
der Niobe, welches vermuthlich Scopas ift (wie im zweyten Theis 
le wird unterfischet werden) und vor dem Meifter des Laocoons 
gelebet , welches fich mit der Zeit, die aus der Ordnung der Künft- 
ler, in welcher ihn Plinius feet, zu ziehen ift, nicht wohl reimet. 
Hierzu kommt, daß diefes Stu zu Morta, einer Gegend, wo 
Die Hetrurier wohneten, gefunden worden ; welcher Umſtand aud) 
einige Wahrfcheinlichkeit geben koͤnte, Daß es ein Werk hetruri- 
ſcher Kunft fen, von welcher «8 alle Eigenfchaften hat. So wie 
man diefes Werk für eine griechifche Arbeit halt, fo würden auf 
der andern Seite einige im vorigen Kapitel angeführte gemalete 
Gefäße für hetrurifch angefehen worden feyn, wenn nicht Die grie- 
chiſche Schrift auf denfelben Das Gegentheil geigete. 

Non Diefem älteren Stile würden Deutlichere Kennzeichen 
zu geben ſeyn, wenn fich mehrere Werke in Marmor, und fonder- 
lic) erhobene Arbeiten, erhalten hätten, aus welchen wir die Al- 

tefte 
1) Pauſ. L. 1. P. 63. I. 25. 2) Vitruv. L. 4. C. 1. 3) Pauf, L. 8. p. 
693. 1J. 19. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 461 


tefte Art ihre Figuren zufammen zu ftellen, und hieraus den Brad 
des Ausdruds der Gemüthsbewegungen erkennen fönten. Wenn 
wir aber, wie von dem Nachdrucke in Alngebung der Theile an ih— 
ven EFleinen Figuren auf Münzen, auf größere, auch auf den 
nachdrüdlichen Ausdrud der Handlungen fehließen dürfen, fo 
würden die Künftler diefes Stils ihren Figuren heftige Dandlun- 
gen und Stellungen gegeben haben; fo wie Die Menfchen aus der 
Heldenzeit, die der Künftler Worwürfe waren, Der Natur ge 
mäß handelten, und ohne ihren Neigungen Gewalt anzuthun; 
und Diefes wird wahrfcheinlic, durch Vergleichung mit den hetru⸗ 
eifchen Werken, denen jene aͤhnlich gehalten werden. 

Was die Ausarbeitung betrifft, foift zu merken, Daß Die 
Zierlichkeit derfelben viel zeitiger als die Schönheit eigen gewor- 
den, wie wir unter andern ander kurz vorher angeführten.uralten 
Dallas ineder Villa Albani fehen, an welcher bey der gemeinften 
und fchlechteften Form des Geſichts, Das Gewand mit unendli- 
cher Feinheit geendiget iftz und eben Diefes giebt Cicero zu vers 
ftehen, wenn er fagt, Daß auf der Infel Maltha einige Figuren 
der Victoria von Elfenbeine, aus der älteften Zeit, aber mit gro: 
Ber Kunft ausgearbeitet gewefen 1). Denn hier verhält es ſich 
wie mit Dem was Mriftoteles von der Tragödie fagt, Daß diefelbe 
zeitiger Die Ausdrücde und die Nedensarten richtig gemacht habe, 
als den Entwurf des Inhalts felbft; indem ſich hier die Worte 
und Einkleidung der Gedanken verhalten, wie Dort dag mechani- 
ſche der Kunſt und die Gefchidlichkeit den Marmor zu bearbeiten. 

Mmmz Eben 
1) Cie. Verr. 4. c. 46. 


462 1. Theil, Viertes Kapitel, 


Eben diefes bemerket man an den Gemälden der Vorgänger der 
großen Meifter in der Kunſt neuerer Zeiten, deren Werke vom 
wahren Schönen entfernet, mit unglaublicher Geduld geendiget 
find; ja ihre großen Nachfolger Michael Angelo und Raphael 
haben gearbeitet , wie ein brittifcher Dichter lehret: “ Entwirf 
mit euer und führe mit Phlegma aus “. 1) Sonderlich offenba- 
vet fic) die große Einheit der Ausarbeitung, die vor der Kennt: 
niß des Schönen vorhergegangen an verfchiedenen Orabmälern, 
Die theils vom Sanfovino ‚theils von anderen Bildhauern zu An⸗ 
fange des fechzehenten Sahrhunderts verfertiget worden : denn 
die Figuren find alle fehr mittelmäßig, aber Die Zierrathen find 
dergeftalt ausgearbeitet, Daß dieſelben unferen Künftlern zum 
Mufter dienen können, und fie Der alten Arbeit Diefer Art gleich 
geachtet werden. 

Wir Eonnen überhaupt die Kennzeichen und Eigenfchaften 
diefes Altern Stils Eürzlic) alfo begreifen: die Zeichnung war 
nachdrüdlich, aber hart; mächtig, aber ohne Gratie: und Der 
ftarke Ausdruck verminderte Die Schönheit. Da aber die Kunft 
der Älteiten Zeiten nur Göttern und Melden gewidmet war, Der 
ren Lob, wie Horatius fagt, nicht mit der fanften Leyer ſtimmet, 
fo wird Die Haͤrte felbft zur Größe der Bilder mitgewirfet haben. 
Die Kunft war ftrenge und hart, wie Die Gerechtigkeit Diefer 
Zeiten, Die auf das geringfte Verbrechen Den Tod feete 2). Die: 
fes ift jedoch ftufenweife zu verftehen, da. wir unter dem älteren 
Stil den längften Zeitlauf der griechifhen Kunft begreifen 5 fo 

Daß 
1) Rofcomon’s Effay on poet. =) Thucyd. L. 3. p. 98. 1. 34. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 463 


dag die fpäteren Werke von dem erfteren ſehr verfchieden gewefen 
feyn werden. 

Diefer Stil würde bis in die Zeiten, da Die Kunft in Orte: 
chenland blühete, gedauert haben, wenn dasjenige Feinen Wider⸗ 
fpruch litte, was Athenaͤus vom Stefihorus vorgiebt 1), Daß 
Diefer Dichter Der erfte gewefen, welcher den Hercules mit der 
Keule und mit dem Bogen vorgeftellet: Denn es finden fich viele 
gefchnittene Steine mit einem fo bewaffneten Hercules in dem äl- 
fern und zuvor angedeufeten Stile. Nun hat Stefichorus mit 
dem Simonideg zu gleicher Zeit gelebet, nämlich in der zwey und 
fiebengigften Olympias 2), oder um Die Zeit, da Xerxes wider 
Die Griechen 309; und Phidias, welcher die Kunft zu ihrer Hoͤ— 
be getrieben, blühete in der acht und fiebenzigften Olympias: «8 
müßten alfo befagte Steine Fury vor, oder gewiß nach jener Olym⸗ 
pias gearbeitet feyn. Strabo aber giebt eine viel altere Nachricht 
von denen dem Hercules beygelegten Zeichen 3); es foll diefe Erz 
Dichtung vom Pifander herruͤhren, welcher , wie einige wollen, 
mit dem Eumolpus zu gleicher Zeit gelebet hat, und von andern 
in Die drey und dreyßigſte Olympias geſetzet wird: Die älteften 
Figuren des Hercules haben weder Keule nody Bogen gehabt, 
wie Strabo verficherf. 

Man Fann aber hier nicht behutfam genug gehen, in Be _ c. 
urtheilung des Alters der Arbeit; und eine Figur Die hetrurifch über "Raab: 
oder aus der Alteren Kunſt der Griechen, zu feyn ſcheinet, iſt es Akım eute, 

nicht 
V Deipn. L. 12. p. 512. E. conf. Defer. des Pier. gr. du Cab. de Stofch, 
2. 275. 2) Bentley’sDifl, upon Phalar. p.536. 3)Geogt,L. 13. p. 680. C. 


26% LTheil. Viertes Kapitel, 


nicht allezeit. Es kann dieſelbe eine Nachahmung aͤlterer Werke 
ſeyn, welche vielen griechiſchen Kuͤnſtlern zum Muſter dieneten 1); 
oder wenn es Figuren der Gottheiten find, Die aus anderen Zei- 
chen und Gründen des Alterthums, welches fie zeigen , nicht haben 
koͤnnen, fcheinet alsdann der ältere Stil etwas angenommenes zu 
feyn, zu Erweckung größerer Ehrfurcht. Denn fo wie nach dem 
Urtheile eines alten Scribenten 2), die Haͤrte in der Bildung und 
in dem Klange Der Worte der Rede eine Größe giebt, eben fo 
machet Die Härte und Strenge des älteren Stils der Kunft eine 
ähnliche Wirkung. Diefes ift nicht allein von dem Nackenden 
der Figuren, fondern auch von ihrer Kleidung, und von Der 
Tracht der Haare und des Bartes zu verftehen. 

Zu Erläuterung diefer Anzeige Eann ich dasjenige erhobe: 
ne Werk der Ville Albani anführen, deſſen Kupfer zu Anfang 
der Vorrede gefeget worden, wo alle Figuren weiblicher Gott: 
heiten nach Dem Segriffe,den wir von hetrurifchen Figuren haben, 
gekleidet find. Da aber Die corinthifche Ordnung des Tempels, 
und Die an der Friſe Deffelben vorgeftellete IWettläufe auf Wa— 
gens, auf eine griechifche Arbeit deuten, würde man dieſes Werk, 
der Bekleidung der Figuren gemäß , für eine griechifche Arbeit 
des älteren Stils halten. Das Gegentheil hiervon aber lieget in 
eben der Säulenordnung des Tempels, welche dem Vitruvius 
zufolge, fpäter erfunden wurde; und folglich wird hier Der ältere 
Stil nachgeahmet feyn. Eine hetruriſche Arbeit Fann hier nicht gefüt- 

chef 


ı) Excerpt. ex Nic. Damafc. p. 514. v. TeAxnss. 3) Demetr. Phal. de 
slocut. p. 26.1. 19. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 465 


chet werden, weil wir wiffen, Daß Die hetrurifchen Tempel über: 
haupt von den griechifchen verfchieden waren: Denn jene haften 
feine Srife, und die Balken der Decke (Mutuli) halten einen gros— 
fen Worfprung über Die Säulen des Portals fo wohl als über 
Die Mauren der Eelle , fo daß Diefer hervorragende Theil der 
Balken das Maaf des Wiertheils der Hoͤhe der Säulen hatte; 
und Diefes geſchah, da Die Eelle Feinen Säulengang umher hatte, 
Das Wolf vor dem Regen zu ſchuͤtzen. Durch dieſe Anmerkung 
erkläre ich zu gleicher Zeit eine von niemand verftandene Stelle 
des Vitruvius I). 

Prod) deutlicher war eben Diefe Nachahmung in der erhos 
benen Figur eines Supiters, mit einem längeren Barte als ge 
wöhnlich, und mit Haaren, die vorwärts über die Achfeln fielen, 
welcher ebenfalls nad) Art der een Figuren befleidet war; 
und Dennoch war e8 ein Werk von der Roͤmer Zeiten, unter den 
Kaifern, wie die Infchrift: IOVI EXSVPERANTISSIMO, 
nebft der Form der Buchftaben zeigeten: Diefe Inſchrift ohne Die 
Figur ift vom Spon bekannt gemachet 2). Es feheinet, Daß hier 
die Abficht gewefen ſey, Durch eine folche uralte Geftalt dem Ju— 
piter mehr Ehrfurcht zu erwecken, und ihm gleichfam eine entlege- 
nere Urfprünglichkeit zu geben. 

Dem allerälteften Stil gemäß bekleidet ift die Göttinn 
der Hoffnung in einer Heinen Figur in der Villa Ludopifi vor- 


ge⸗ 
») Vitruv. L. 4. c. 7. p. 160. Supra trabes & fupra parietes traiecturae mu- 
tulorum, quarta parte altitudinis columnae, projiciantur. 2) Mife. 
ant. p. 71. conf.Defer. des pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 46. 
Winkelm. Geſch. der Runſt. Ienn 


466 I. Theil. Biertes Kapitel. 


geftellet, Die gleichwohl vermöge der römifchen Infchrift auf dem 
Sodel derfelben *) etwa in dem zweyten Jahrhunderte der Kaiſer 
muß gemacht ſeyn, und eben fo ift Die Hoffnung auf den Faiferli- 
hen Münzen, die ich theils wirklich oder in Kupfer geftochen ges 
fehen, gebildet worden, von denen ic) eine der leisteren auf einer 
Münze Kaifers Philippus des älteren anführen Fann. Man kann 
Diefen Gebrauch Durch Die auf van Dykiſche Art gekleidete Por⸗ 
traits erklären, welche Tracht nod) iso von den Britten belichet 
wird, und auch dem Künftler ſo wohl als der gemalten Perſon 
weit vortheilhafter ift, als die heutige Dicht anliegende Kleidung 
ohne Falten. Sch erinnere mic) auch, Daß zwo Victorien in Les 
bensgröße, Die fich io zu Sansſouci befinden, weil diefelben mit 
geſchloſſenen Füßen auf den Zehen ftehen, und alfo vermöge Dies 
ſes Standes, welcher Denen, Die Die Bedeutung Davon nicht ein= 
fahen, gezwungen ſchien, in die Alteften Zeiten verfeset wurden. 
Hiervon aber zeiget fich dag Gegentheil in dem römifchen Namen, 
der auf dem Rücken auf Der Binde ftchet, Die kreuzweis über 
der Bruft fo wohl als über den Rüden gehet. Durch diefe Bin- 
den füllen die Flügel angebunden vorgeftellet feyn , Die ehemals 
und vielleicht von Erzt vorhanden gewefen und eingefetset waren. 
- Eben fo verhält es fid) mit den irrig fo genannten Köpfen 

des Plato, Die nichts anders als Köpfe von Hermen find, denen 

u? man 
*) Disje von mir zuerſt Bekannt gemachte Inſchrift in der Beſchreibung der Stos 
ſchiſchen gefchnittenen Steine p. 302. if folgende: 
C. AQVILIVS. DIONYSIVS. ET 


NONIA. FAVSTINA. SPEM RE 
‚ .STITVERVNT. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 467 


man eine Geftalt gegeben, wie man fich etwa Die Steine, auf 
welchen Die erften Köpfe gefeget wurden, vorftellete; «8 ift aber in 
denfelben ein verfchiedenes Altertum mit mehr. oder weniger 
Kunft ausgedrücet. Der fehönfte von folchen Hermen gieng bey 
meiner Zeit aus Nom nach Sicilien und befindet fid) in Dem Mus 
ſeo des ehemaligen Sefuiter-Collegii zu Palermo in Sieilien; uns 
fer Denen aber, Die in Nom haufig find , ift ein fo genannter Pla— 
to in dem Palaſte, die Farnefina genannt , der vorzüglichfte, 
Vollkommen aͤhnlich und gleich ift jener Herme der Kopf einer 
männlichen beFleideten Statue von neun Palmen hoch, die im 
Srühlinge 1761. nebft vier angeführten Caryatiden unweit Sraf 
cati entdecket wurde. Diefe Statue hat ein Unterkleid von leich- 
tem Zeuge, wie Die gehäuften Eleinen Falten anzeigen, und über 
Daffelbe einen Mantel, welcher unter dem rechten Arme über Die 
linke Schulter gefchlagen ift, fo daß Der linke Arm, der auf Die 
Hüfte geftützet ftehet, bedecket bleibet. Auf dem Rande des über 
die Schulter geworfenen Theils des Mantels ftehet der Name 
CAPAANAIHAAXOC *. Sch habe über dieſe befondere 
Figur in meinen alten Denkmalen, wo Diefelbe bekannt gemachet 
worden 1), ausführlich gehandelt ; und begnüge mich hier fol- 
gendes anzuzeigen. Nachdem man lange Zeit in Rom ftveitig 
‚gewefen war über Die Perfon, Die in dieſer Statue vorgeftellet 
Inn 2 wer- 


) Da8 A findet fich bier gedoppeit, wie in dem Worte TIOAAIZ anftatt TIOALZ, 
auf einer Münze der Stadt Magneſia in Erst: es findet ſich auch der Name 
ber Goͤttinn Cybele gefchrishen Ku@ara und Kußdıs, fo wie dis Stadt Petilia 
in Lucanien auch Petilla geſchrieben wird. 

1) Monum. ant. ined. No. 163. p. 219. 220, 


468 1. Theil, Viertes Kapitel. 


werden follen, Da man Diefelbe nicht auf Den befannten Sarda: 
napalus deuten Eonte, als welcher Feinen Bart trug und ſich alle 
Zage denfelben abnehmen ließ, habe ich endlich aus den Nach— 
richten von zween Königen Diefes Namens in Affyrien, von de— 
nen Der erftere ein weifer Mann war, als wahrfcheinlich angege: 
ben, Daß die Statue vermuthlich Diefen abbilden wolle, Wir 
koͤnten im übrigen aud) von einer männlichen Figur in weiblichen 
Kleidern nicht behaupten, Daß Diefelbe den wollüftigen Sarda- 
napalus vorftelle, da auch der Philofoph Ariftippus die Klei- 
dung des anderen Geſchlechts kann angeleget: haben; wenigfteng 
war e8 bey ihm gleichgültig, fich alfo, oder wie gewöhnlich, zu 
kleiden 1). 

Eine ähnliche Geftalt wurde den Köpfen eines indifchen 
Bacchus, oder eines Kiberpater, gegeben, Doc) fo Daß hier in 
der Großheit der Formen, Die Gottheit ſich Deutlid) von den ge— 
meinen Köpfen der Hermen unterfcheidet. Eins von folchen 
Bildern des Bacchus ftehet im farnefifchen Palafte; weit fehöner 
aber ift dasjenige welches fich io bey dem Bildhauer Cavaceppi 
befindet. Einen noch weit Älteren Stil hat man nachahmen wol- 
len in einer weiblichen Statue von fhwärzlichem Marmor, in dem 
Muſeo Capitolino , die zweywal Lebensgröße ift, und in der 
Villa des Hadrianus entdecket worden. Denn cs ftehet Diefelbe mit 
herunter hängenden und feſt angeſchloſſenen Armen, fo wie Pau— 
fanias die Statue des Arrachiong, eines Stegers der olympifchen 
Spiele der 57ten Olympias befchreibet. Daß jene Statue aber 

nicht 


ı) Sext, Empyr. Pyırh. hyp. L, r. p. 31. E. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 469 


nicht ein gleiches Alter habe, offenbaret ſich deutlich aus der Ar— 
beit, und man würde das Gegentheil noch begreiflicher machen 
Fönnen, wenn der Kopf alt wäre, welches Bottani in feinem Mu- 
feo Capitolino irrig glaubet, und fich lange bey deffen Form auf 
hält. Der Kopf ift Hingegen völlig neu , und nad) einer will 
Eührlichen Idee gearbeitet, Dad) fo daß man die großen Haarlo— 
chen Denen ähnlich zu machen gefuchet hat, Die fich auf den Achſeln 
erhalten haben. Nach Ergänzung diefer Statue wurde der alte 
wahre Kopf derfelben, in gedachter Villa , entdecket, und von 
dem Kardinal Bolignac erhandelt, in deffen Sammlung von Al⸗ 
terthuͤmern dieſer Kopf fich noch io befinden wird. 

Die Eigenfchaften des alteren Stils waren unterdeffen Die 
Worbereitungen zum hohen Stil der Kunſt, und führeten dieſen 
zur ftrengen Nichtigkeit und zum hohen Ausdrucke: Denn in der 
Härte von jenem offenbaret fid) der genau begeichnete Umriß, und 
die Gewißheit der Kenntniß, wo alles aufgedeckt vor Augen liegt. 
Huf eben diefem Wege würde die Kunſt in neueren Zeiten, durch 
die fcharfen Umviffe, und durch die nachdruͤckliche Andeutung al- 
ler Theile vom Michael Angelo, zu ihrer Hoͤhe gelanget feyn, 
wenn Die Bildhauer aufdiefer Spur geblieben wären. Denn wie 
in Erlernung der Muſik und der Sprachen, Dort die Töne, und 
hier die Sylben und Worte, ſcharf und Deutlich müffen angege- 
ben werden, um zur reinen Harmonie und zur flüßigen Ausfpra- 
che zu gelangen: eben fo führet Die Zeichnung nicht durch ſchwe— 
bende , verlohrne und leicht angedeutete Züge, fondern durch 
männliche, obgleich ehvas harte, und genau begrängte Umriffe, 

Nun 3 zur 


€: 
Vorbereitung 
dieſes Etile 
zum boben 
Stile. 


470 L Theil, Viertes Kapitel. 


zur Wahrheit und zur Schönheit der Form. Mit einem Ahnli- 
hen Stile erhob ſich Die Tragödie zu eben der Zeit, Da die Kunft 
den großen Schritt zu ihrer Wollfommenheit machte, in mächti 
gen Worten und flarfen Ausdruͤcken, von großem Gewichte, wos 
Durch Aeſchylus feinen Perfonen Erhabenheit , und der Wahr: 
fcheinlichkeit ihre Fülle gab, und die Redekunſt felbft war in den 
Schriften des Gorgias, welcher Diefelbe erfand, poetiſch DD. 
Man merke zu Ende der Betrachtung über diefen erften 
Stil, das unmiffende Urtheil eines Malers welcher ein Sceribent 
wurde, wie Fresnoy, da es ihm fo wenig als dieſem in der Kunft 
gelingen wollte. Es will ung derfelbe belehren, man nenne alle 
Werke Antiquen, von Der Zeit Mlexanders des Großen bis auf 
den Phocas 2): die Zeit aber, von welcher er anrechnet, ift fo 
wenig richtig, als diejenige, mit welcher er endiget. Wir fehen 
aus Dem vorigen, und es wird fich im folgenden zeigen, daß noch 
‚150 ältere Werfe, als von Aleranders Zeiten übrig find; das 
Dilter in der Kunſt aber höret auf vor dem Eonftantin. Eben fo 
‚haben diejenigen , welche mit dem P. Montfaucon glauben 3), 
‚Daß ſich Feine Werke gricchifcher Bildhauer erhalten haben, als 
von der Zeit an, da die Griechen unter die Römer kamen, viel 
Unterricht nöthig. 

— Endlich da die Zeiten der völligen Erleuchtung und Frey— 
ent heit in Griechenland erfchienen, wurde auch die Kunſt freyer und 
zum Eigene — — denn der aͤltere Stil war auf ein Syſtema gebauet, 

wel⸗ 


) Ariftot. Rhet. L. 3. c. 1. 2) Des Piles Rem. für TArt. de peint. de 
Fresnoy. p. 105. 3) Ant. expl. T. 3.P.2.p.6.. 5 


Bon der Kunft unter den Grieden. 471 


welches aus Regeln beftand, Die von der Natur genommen wa— 
ven, fich aber nachher von derfelben entfernet haften, und Idea 
lifch geworden waren. Man arbeitete mehr nad) der Vorſchrift 
diefer Negeln, als nad) der Natur, die nachzuahmen war: Denn 
die Kunſt hatte ſich eine eigene Natur gebildet. Ueber dieſes an- 
genommene Syſtema erhoben ſich Die Werbefferer Der Kunft, und 
näherten fich der Wahrheit der Natur. Diefe lehrete aus Der 
Härte und von hervorfpringenden und jaͤh abgefchnittenen hei: 
ben der Figur in flüßige Umriſſe zu gehen, Die gewaltfamen Stel- 
lungen und Handlungen gefitteter und weifer zu machen, und 
fid) weniger gelehrt , als ſchoͤn, erhaben und groß zu zeigen. 
Durch Diefe Verbefferung der Kunft haben fid) Phidias, Poly- 
cletus, Scopas, Alcamenes, Myron und andere Meifter berühmt 
gemacht, und Der Stil derfelben Fann Der Große genennet wer: 
den, weil außer der Schönheit die vornehmſte Abficht Diefer 
Künftler fcheinet Die Großheit gewefen zu feyn. Hier ift in der 
Zeichnung das Harte von dem Scharfen wohl zu unterfcheiden, 
Damit man nicht 3. E. Die fcharfgegogene Andeutung der Augen: 
braunen, die man beftändig in Bildungen der höchften Schön: 
heiten fieht, für eine unnatürliche Härte nehme, welche aus dem 
aͤltern Stile geblieben fey : denn. Diefe fcharfe Bezeichnung hat 
ihren Grund in den Begriffen dev Schönheit, wie oben bemerket 
worden. 

Es ift aber wahrfcheinlich, und aus einigen Anzeigen der 
Scribenten zu fehließen, DaB Der Zeichnung Diefes hohen Stils 

das 


472 1. Theil, Viertes Kapitel, 


das Gerade einigermaffen nod) eigen geblieben, und Daß die Um— 
viffe Dadurch in Winkel gegangen, welches durch das Wort vier: 
eckt oder eckigt I) fcheinet angedeutet zu werden. Denn da Diefe 
Meifter, wie Polycletus, Gefetsgeber in der Proportion waren, 
und alfo das Maaß eines jeden Theils auf deſſen Punct werden 
geſetzt haben, fo ift nicht unglaublich , Daß Diefer großen Rich— 
tigfeit ein gewiffer Grad fchöner Form aufgeopfert worden. Es 
bildete fich alfo in ihren Figuren die Großheit , weldye aber in 
Vergleihung gegen die wellenförmige Umriſſe der Nachfolger 
Diefer großen Meifter eine gewiffe Märte kann gezeiget haben. 
Diefes fcheinet Die Märte zu feyn, welche man am Callon und am 
Hegias, am Canachus und am Talamis 2), ja felbft am My— 
von 3) , auszufegen fand; unter welchen gleichwohl Canachus 
jünger war, als Phidias: denn er war des Polycletus Schü- 
ler 4) , und blühete in der fünf und neunzigften Olympias. Wenn 
meine Muthmaffung ftatt findet, Die ich im zweyten Theile Diefer 
Gefchichte über zmo Canephoren in gebrannter Erde gebe, Daß 
nämlich diefelben Copieen zwo berühmter Canephoren des Po- 
Incletus feyn Fönnen, fo würde aus jener erhobenen Arbeit ein 
deutlicherer Begriff der Eigenfchaft dieſes Stils und der demſel⸗ 
ben noch anflebenden Härte, als aus anderen Anzeigen und 
Schlüffen zu ziehen feyn. 


Es 


1) Plin. L. 34. c. 19. 2) Quintil. Inft. Orat. L. ı2. c. 10. p. 1007. 
s) Plin, L. 34. c, 19. 4) Paufan. L, 6. p. 483: 1. 24. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 473 


Es wäre unterdeffen in Abſicht des Tadels der Härte in 
der Zeichnung der vorher gedachten Bildhauer zu beweifen, Daß 
die alten Scribenten fehr oft, wie Die neueren, von der Kunſt ge 
urtheilet haben; und die Sicherheit der Zeichnung , Die richtig 
und ftrenge angegebenen Figuren Des Raphaels, haben vielen 
gegen die Weichigfeit der Umriffe, und gegen die rundlich und 
fanft gehaltenen Formen des Correggio, hart und fleif gefchienen; 
welcher Meynung überhaupt Malvafia , ein Gefchichtfchreiber 
der bolognefifchen Maler ohne Gefchmad, ift. Eben fo wie un- 
erleuchteten Sinnen der homerifche Numerns, und die alte Mas 
jeftät des Lucretius und Catullus, in DVergleihung mit dem 
Glanze des Virgilius, und mit der füßen-Kieblichfeit des Ovi— 
dius, vernachläßiget und rauh Elinget. Wenn hingegen Des Lu— 
cianus Urtheil in der Kunft gültig ift, fo war die Statue Der 
Amazone Sofandra, von der Dand des Calamis, unter die vier 
vorzüglichften Figuren weiblicher Schönheit zu feen : denn zu 
Befchreibung feiner Schönheit nimmt er von Diefer Statue nicht 
allein den ganzen Anzug, fondern auch. die züchtige Mine, und 
ein behendes und verborgenes Lächeln 1). Unterdeffen kann der 
Stil von einer Zeit in der Kunft fo wenig, als in der rt zu 
ſchreiben, allgemein feyn: Denn wenn von den damaligen Seriben: 
ten nur allein Thucydides übrig wäre, fo würden wir von Def 
fen bis zur Dunkelheit getriebenen Kürze in den Reden feiner 
Geſchichte einen irrisen Schluß auf den Plato, Lyſias und 

Xe⸗ 
1) Imag. P. 464. 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Doo 


474 1. Theil. Viertes Kapitel. 


Fenophon machen, deren orte wie ein fanfter Bad) forfe 
fließen. 

— Die vorzuͤglichſten, und man kann ſagen, die einzigen 

— Werke in Rom aus der Zeit dieſes hohen Stils ſind, ſo viel ich 
es einſehen kann, die oft angefuͤhrte Pallas von neun Palmen hoch, 
in der Villa Albani, die aber nicht zu verwechſeln iſt mit der 
ebenfalls oben erwaͤhnten Pallas von aͤlteren Stil, und in eben 
der Villa; ferner die Niobe und ihre Toͤchter, in der Villa Me— 
dicis. Jene Statue iſt der großen Kuͤnſtler dieſer Zeit wuͤrdig, 
und das Urtheil uͤber dieſelbe kann um ſo viel richtiger ſeyn, da 
wir den Kopf in ſeiner ganzen urſpruͤnglichen Schoͤnheit ſehen: 
denn es iſt derſelbe auch nicht durch einen ſcharfen Hauch verletzet 
worden, ſondern er iſt ſo rein und glaͤnzend, als er aus den Haͤn⸗ 
den ſeines Meiſters kam. Es hat dieſer Kopf bey der hohen 
Schönheit, mit welcher er begabet iſt, Die angezeigten Kennzei— 
chen dieſes Stils, und es zeiget fich in demſelben eine gewiffe 
Härte, welche aber beffer empfunden, als befchrieben werden 
kann. Man könte in dem Gefichte eine gewifle Gratie zu fehen 
wünfchen, die daffelbe Durch mehr Nundung und Lindigkeit er⸗ 
Halten würde, und dieſes ift vermuthlich diejenige Gratie, welche 
in dem folgenden Alter der Kunft Prayiteles feinen Figuren zu- 
erft gab, wie unten angezeiget wird. Die Niobe und ihre Toͤch⸗ 
ter ſind als ungezweifelte Werke dieſes hohen Stils anzuſehen; 
aber eins von den Kennzeichen derſelben iſt nicht derjenige Schein 
von Haͤrte, welcher in der Pallas eine Muthmaſſung zur Beſtim⸗ 
mung derſelben giebt, ſondern es find Die vornehmſten Eigen⸗ 

ſchaf⸗ 


Bon der Kunſt unter den Grieden. 475 


(haften zu Andentung diefes Stils, der gleichfam unerfchaffene 
Begriff der Schönheit , vornehmlich aber die hohe Einfalt, fo- 
wohl in der Bildung der Köpfe, als in der ganzen Zeichnung 
in der Kleidung und in der Ausarbeitung. Diefe Schönpeit ift 
wie eine nicht durch Dülfe der Sinne empfangene Idea, welche 
in einem hohen Verftande, und in einer glücdlichen Eindildung , 
wenn fie ſich anfchauend nahe bis zur göttlichen Schönpeit erheben 
koͤnte, erzeuget würde; im einer fo großen Einheit der Form und 
des Umriſſes, Daß fie nicht mit Mühe gebildet, fondern wie ein 
Gedanke erwecket, und mit einem Hauche geblafen zu ſeyn ſchei— 
net. So wie die fertige Hand des großen Raphaels, Die feinem 
Verſtande als ein ſchnelles Werkzeug gehorchete, mit einem ein» 
zigen Zuge der Feder den fehönften Umriß des Kopfs einer heilt 
sen Jungfrau entwerfen, und unverbeffert richtig zur Ausführung 
beftimmet fegen würde. 

Zu einer-Deutlichern Beftimmung der Kenntniffe und Der 
Eigenfchaften diefes hohen Stils der großen Verbefferer der Kunft, 
ift nach dem Werluft ihrer Werke nicht zu gelangen ; und wir 
gleichen bier denjenigen, Die in einem völlig zerfveflenen Kopfe 
einer alten Statue die abgebildete Perſon, wie von ferne erblicket, 
erkennen, aber weder die Züge nod) die Ausarbeitung unterfcheis 
den koͤnnen. Won dem Stil ihrer Nachfolger aber, welchen ic) 
den fhönen Stil nenne, kann man mit mehrerer Zuverläßigkeit 
reden: Denn einige von den fchönften Figuren des Alterthums find 
ohne Zweifel in der Zeit, in welcher diefer Stil blühete, gemacht, 
und viele andere, von Denen Diefes nicht zu beweifen ift, find wies 

Ooo 2 nig⸗ 


III. 
Der ſchöne 
Stil. 


A. 
Deſſen Eigens 
Tchaften. 


* 


a. Die Flüßig⸗ 
Eeit der Zeich⸗ 
nung, 


476 I. Theil. Biertes Kapitel, 


nigftens Nachahmungen von jenen. Der fehöne Stil der Kunft 
hebet fi) an vom Prayiteles, und erlangete feinen höchften Glanz 
Durch Den Enfippus und Apelles, wovon unten die Zeugniffe an: 
geführet werden; es ift alfo der Stil nicht lange vor und zur Zeit 
Alexanders des Großen und feiner erften Nachfolger. 

Die vornehmfte Eigenfchaft, durch welche ſich Diefer von 
Dem hohen Stil unterfcheidet, ift Die Gratie, und in Abſicht Der- 
felben werden die zuletzt genannten Künftler fi) gegen ihre Vor— 
sänger verhalten haben, wie unter den Neuern Guido fih gegen 
den Raphael verhalten würde. Diefes wird fic) deutlicher in Be⸗ 
trachtung der Zeichnung diefes Stils, und des befonderen Theile 
Derfelben, der Gratie, zeigen. 3 

Was die Zeichnung allgemein betrifft,. fo wurde alles 
Edigte vermieden, was bisher nod) in Den Statuen großer Künft- 
ler , als des Polycletus, geblieben war , und dieſes Werdienft | 
um die Kunft wird in der Bildhauerey fonderlich Dem Enfippus, 
welcher die Natur mehr, als deffen Worgänger, nachahmete, zu⸗ 
geeignet 1): Diefer gab alfo feinen Figuren das Wellenförmige, 
wo gewiffe Theile noch mit Winkeln angedeutet waren. Auf be 
fagte Weife ift vermuthlich, wie gefagt ift, dasjenige, was Pli- 
nius vieredigte Statuen nennet, zu verftehen : denn eine vier 
eckigte Art zu zeichnen heißt man noch iso Quadratur 2). Aber 
die Formen der Schönheit des vorigen Stils blieben auch in die— 
ſem zur Regel: denn die fhönfte Natur war der Lehrer gewefen. 
Daher nahm Lucianus in Beſchreibung feiner Schönheit das 

| Ganze 


ı) Plin. L. 34. c. 19, 2) Lomaz. Idea della Pitt. p. 15. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 477 


Ganze und die Haupttheile von den Künftlern Des hohen Stils, 
und Das Zierliche von ihren Nachfolgern. Die Form des Ge— 
fihts follte wie an der Temnifchen Venus des Phidias ſeyn; Die 
Haare aber, die Augenbraunen, und Die Stirn, wie an der De: 
nus des Praxiteles; in den Augen wünfchte ev Das Zärtliche und 
Das Neizende, wie an Diefer. Die Hände follten nach der Venus 
des Alcamenes, eines Schülers des Phidins, gemacht werden: 
und wenn in Befchreibungen von Schönheiten Hände der Pallas 
angegeben werden 1), fo ift vermuthlich Die Pallas des Phidias, 
als die berühmtefte, zu verſtehen; Haͤnde des Polycletus 2) deu⸗ 
ten Die fchönften Haͤnde an. 

Ueberhaupt ftelle man fich die Figuren des hohen Stils 
gegen Die aus dem fchönen Stile vor, wie Menfchen aus der Nel- 
‚den Zeit, wie des Homerus Melden und Menfchen, gegen gefit- 
tetere Athenienfer in der Blüthe ihres Staats. Dder um einen 
Vergleich von etwas wirklichem zu machen, fo würde ich Die Wer— 
fe aus jener Zeit neben den Demofthenes, und die aus diefer 
nachfolgenden Zeit neben dem Cicero fegen: der erfte reißt ung 
gleichfam mit Ungeſtuͤm fort; der andere führet uns willig mit 
fih: jener läßt ung nicht Zeit, an die Schönheiten der Ausar— 
beitung zu gedenken; und in Diefem erfcheinen fie ungefucht ‚und 
breiten ſich mit einem allgemeinen Lichte aus über die Gründe des 
Redners. 

zum zweyten ift hier von der Gratie, als der Eigenſchaft b. Die Gratie. 
des — Stils, insbeſondere zu handeln. Es bildet ſich die— 

Ooo 3 | felbe 
) Anthol. L. 7. p. 474.1. 12. p. 476.1, 5. 2) Ibid. fol, 278 a, 


478 I. Theil, Viertes Kapitel, 


felbe und wohnet in den Gebährden, und offenbaret ſich in der 
Handlung, und Bewegung des Körpers; ja fie äußert fid) in 
dem Wurfe der Kleidung, und in Dem ganzen Anzuge: von den 
Künftlern nad) dem Phidias, Polycletus, und nad) ihren Zeit 
genoffen, wurde fie mehr, als zuvor, gefücht und evreichet, wos 
von der Grund in der Höhe der Ideen, Die dieſe letztere Künft- 
ler bildeten, und in der Strenge ihrer Zeichnung liegen muß; 
und es verdienet diefer Punct unfere befondere MAufmerkfamkeit. 
| Gedachte große Meifter des hohen Stils hatten Die Schön: 
heit allein in einer vollfommenen Uebereinftimmung der Theile, 
und in einem erhabenen Ausdrude, und mehr Das wahrhaftig 
Schöne, als das Liebliche, geſuchet. Da aber nur ein einziger 
Begriff der Schönheit, welcher der höchfte und ſich immer gleich 
ift, und dieſen Künftlern beftandig gegenwärtig war, kann ge 
dacht werden, fo müffen fich ihre Schönheiten allezeit dieſem Bil⸗ 
de genähert haben, und ſich einander ahnlich und gleichförmig 
geworden feyn : Diefes ift Die Urfache von der Mehnlichkeit der 
Köpfe der Niobe und ihrer Töchter, welche unmerflic und nur 
nac) dem Alter und dem Grade der Schönheit in ihnen verſchie⸗ 
den iſt. 
—— Facies non omnibus una 
Nec diverfa tamen, qualem decet eſſe fororum. 
Ovid. Met. L. 2, v. 13. 

Wenn nun der Grundfaß Des hohen Stils, wie e8 fcheinek, 
geweſen ift, das Geſicht und den Stand der Götter ind Melden 
sein von Empfindlichkeit, und. entfernt von inneren Empörungen, 

in 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 479 


in einem Gleichgewichte des Gefühle , und mit einer friedlichen 
immer gleichen Seele vorzuftellen, fo war eine gewiffe Gratie 
nicht gefcht, auch nicht anzubringen, Diefer Ausdruck einer 
bedeutenden und redenden Stille der Seele aber erfordert einen 
hohen Werftand : „ Denn die Nachahmung des Gewaltfamen - 
» kann, wie Dlato fagt 1) , auf verfchiedene Weiſe geſchehen; 
„ aber ein ftilles weifes Weſen kann weder leicht nachgeahmet, 
„noch Das nachgeahmte leicht begriffen werden. CIIoArm wi 
DW Ras MOIN EXEI TO AYavanTıroy, TO de ppavıov ec.) 

Mit folchen firengen Begriffen der Schönheit fieng Die 
Kunſt an, wie wohl eingerichtete Staaten mit firengen Geſetzen, 
groß zu werden, und Die Bilder waren den einfältigen Sitten und 
Menſchen ihrer Zeit ähnlich. Die nächiten Nachfolger der gros— 
fen Geſetzgeber in der Kunſt, verführen jedoch nicht wie Solon 
mit den Geſetzen des Draco, und fie giengen nicht von jenen ab: 
fondern, wie die vichtigften Geſetze Durch eine gemäßigte Erflä- 
tung brauchbarer und annehmlicher werden, fo fürchten dieſe Die 
hohen Schönheiten, die an Statuen ihrer großen Meifter wie 
von der Natur abftracte Sdeen, und nad) einem Lehrgebäude ge— 
bildete Formen waren , näher zur Natur zu führen, und eben 
dadurch erhielten fie eine größere Mannigfaltigfeit. In dieſem 
Derftande ift die Gratie zu nehmen, welche Die Meifter des ſchoͤ— 
nen Stils in ihre Werfe geleget haben. 


ber 
ı) Plato Polit, L. to. p, 466. 1. 38. 


aa. Die erſte 
und erbabene 
Sratie, 


480 I. Theil, Viertes Kapitel, 


Aber die Gratie, welche wie die Mufen I), nur in zween 
Namen 2) bey den älteften Griechen verehret wurde, fcheinet wie 
die Venus, deren Sefpielen jene find, von verfchiedener Natur 
zu ſeyn. Die eine ift, wie die himmlifche Venus, von höherer 
Geburt, und von der Harmonie gebildet, und ift beftändig und 
unveränderlich, wie Die ewigen Geſetze von diefer find; und in 
Diefer Betrachtung fcheinet Moratius nur eine Gratie zu nennen, 
Die zwo anderen aber Schweftern Derfelben 3). Die zwote Gra- 
tie ift, wie Die Venus von der Dione geboren, mehr der Materie 
unterworfen: fie ift eine Tochter der Zeit, und nur eine Gefol- 
ginn Der erften ‚welche fie ankündiget für Diejenigen, Die Der himm- 
lichen Sratie nicht geweihet find. Dieſe laͤßet fid) herunter von 
ihrer Hoheit, und macht fich mit Mildigkeit, ohne Erniedrigung, 
Denen, Die ein Auge auf diefelbe werfen, theilhaftig: fie ift nicht 
begierig zu gefallen, fondern nicht unerkannt zu bleiben. Sene 
Gratie aber, eine Gefellinn aller Götter 4), ſcheinet ſich felbft 
senugfam, und bietet fi) nicht an, fondern will gefüchet wer: 
den; fie ift zu erhaben, um fich fehr finnlic) zu machen: Denn 
„das Möchfte hat, „ wie Plato fagt 5), „ Fein Bild. „ Tor 
KEYISUG 0VTI, HE TIRIOTATOIG DUM EGiV eidwAor mOnG TEL ar pwTrOUG.,. 
mit den Weiſen allein unterhält fie fich , und dem Poͤbel er 
fcheinet fie ſtoͤrriſch und unfreundlich ; fie verfchließet in. ſich Die 
Bewegungen Der Seele, und nähert ſich der feeligen Stille der 

goͤtt⸗ 
») conf. Liceti Refp. de quæſit. per epift. p. 66. 2) Paufan. L. 9. p. 
780.1.13. L. 2. p. 254. l. 28. Conf. Eurip. Iphig. Aul. v. 54%. 3)Hor. 


L. 4. 0d. 7. v. 5.1. 3, od. 19. v. 16. 4)Hom.hymn. in Ven. v.95- 
5) Politico, p. 327. 1. 43. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 481 


göttlichen Natur, von welcher fic) die großen Künftler, wie Die 
Alten fehreiben, ein Bild zu entwerfen fucheten 1). Was aud) 
hier unfreundlich fcheinen möchte, kann mit den Srüchten vergli- 
chen werden , Die je füßer fie find, nad) der Bemerkung des 
Theophraftus 2)" weniger Geruch haben, als die herben; denn 
was rühren und reizen fol, muß ſcharf und empfindlich feyn. 
Die Griechen würden die erftere Gratie mit der jonifchen, und 
die zwote mit der Dorifchen Harmonie verglichen haben 3), und 
wir Fönnen diefe Vergleichung von der dorifchen zu Der jonifchen 
Dauordnung machen, als welche hier völlig Statt findet. 

Die Gratie in Werken der Kunſt fcheinet ſchon der güff- 
liche Dichter gekannt zu haben, und er hat Diefelbe in dem Bilde 
der mit dem Vulcanus vermählten fchönen und leichtbefleideten 
Aglaia, oder Thalia 4), vorgeftellet, Die Daher anderswo deflen 
Mitgehülfinn genennet wird 5), und arbeitete mit demfelben an 
der Schöpfung der göttlihen Pandora 6). Dieſes war Die 
Gratie, welche Pallas über den Ulyffes ausgoß 7), und von wel: 
cher der hohe Pindarus finget 8); Diefer Gratie opferten Die 
Künftler des hohen Stils. Mit dem Phidias wirfete fie in Bil 
dung des olympifchen Supiters, auf deffen Fußſchemmel diefelbe 
neben Dem Jupiter auf dem Wagen der Sonneftand 9): fie wöl- 


bete, 
ı) Plato Politico. 5. p. 466. 1.34. 2) Hif. plant. L. 6. c. 22. p. 377. 
3) conf. Ariftot. Polit..L. 8. c. 7. p. 239, 1.7. 4).Hom. 1. e. v. 382. & 
Pauf. 1. c. Dp..78L.L 4 5) Plato Politico, p. 123.1. 9. 6) He- 
fiod. Gen. Deor. v. 583. 7) Hom, Od. 6. v. ıg. 8) Olymp. I, v.% 
9) Pauf. L. 5. p: 403. 1. 4. 


Winkelm. Geſche der Runſt. Ppp 


482 I. Theil. Viertes Kapitel, 


bete, wie in dem Urbilde des Künftlers, den folgen Bogen fei- 
ner Dugenbraunen mit Liebe , und goß Huld und: Gnade aus 
über den Blick feiner Majeftät. Sie Frönete mit ihren Geſchwi— 
ftern, und den Göftinnen der Jahrszeiten und der Schönheiten, 
das Haupt der Juno zu Argos 1), Die von jenen erzogen war 2), 
als ihr Werk, woran fie ſich erkannte, und an welchem fie dem 
Polycletus die Hand führete. In der Sofandra des Talamis 
lächelte fie mit Linfchuld und Werborgenheit ; fie verhüllete ſich 
mit züchtiger Schaam in Stirn und Augen, und fpielete mit un- 
geſuchter Zierde in dem Wurfe ihrer Kleidung. Durch Diefelbe 
wagete fich der Meifter der Niobe in das Neich unkörperlicher 
Ideen, und erreichte das Geheimniß, die Todesangft mit Der 
hoͤchſten Schönheitgu vereinigen: er wurde ein Schöpfer reiner 
Geifter und himmliſcher Seelen, die Feine Begierden Der Sinne 
erwecken, fondern eine anfchauliche Betrachtung aller Schönheit 
wirken: denn fie fcheinen nicht zur Leidenfchaft gebildet zu feyn, 
fondern Ddiefelbe nur angenommen zu haben. 

ee Die KRünftler des ſchoͤnen Stils gefelleten mit der. erften 

Sratie. und hoͤchſten Gratie die zwote, und ſo wie des Homerus Juno 
den Guͤrtel der Venus nahm, um dem Jupiter gefaͤlliger und 
liebenswuͤrdiger zu erſcheinen, ſo ſuchten dieſe Meiſter die hohe 
Schoͤnheit mit einem ſinnlicheren Reize zu begleiten, und die 
Großheit durch eine zuvorkommende Gefaͤlligkeit gleichſam geſelli⸗ 
ger zu machen. Dieſe gefaͤlligere Gratie wurde zuerſt in Der Ma— 
lerey erzeuget, und durch dieſe der a, mitgetheilet. 

Parr⸗ 


ı) Paufan, L. 2, p. 148. 115. 2) Pauſan, L. =, P. 240. 1. 3. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 483 


Parrhaſius, der Maler, ift durch dieſelbe unfterblicdy, und der 
erfte, Dem fie fich geoffenbaret hat; und einige Zeit nachher er: 
ſchien fie aud) in Marmor und in Erzte: denn von Dem Parrha: 
fing, welcher mit dem Phidias zu gleicher Zeit lebte, bis auf den 
Praxiteles, deffen Werke fi), fo yiel man weiß, Durch eine be— 
fondere Gratie von denen , welche vor ihm: gearbeitet worden, 
unterfchieden 1), ift ein Zwifchenraum von einem halben Jahr: 
hunderte. 

Es ift merkwürdig, daß der Water diefer Gratie in der 
Kunft, und Apelles 2), welchem ſich diefelbe völlig eigen gemacht 
bat 3), und welcher der eigentliche Maler derfelben kann genennet 
werden, fo wie er diefelbe insbefondere allein, ohne ihre zwo Geſpiel⸗ 
linnen gemalet 4), unter den wollüftigen jonifchen Himmel, und 
in dem Lande geboren find, wo der Water der Dichter einige 
hundert Jahre vorher mit der höchften Gratie begabet worden 
war: denn Ephefus war das Vaterland des Parrhafius, fo wohl 
als des Apelles, welcher vielleicht fein Gefchlecht von einem Apel⸗ 
les, der mit den Amazonen nad) Smyrna Fam , und vom Ho— 
merus felbft herleiten Eonte: Denn vorgedachter Apelles war uns 
ter den Voraͤltern des großen Dichters I. Mit einer zärtlichen 
Empfindung begabet, die ein ſolcher Himmel einflößet, und von 
einem Vater, den feine Kunſt bekannt gemacht, unterrichtet, Fam 
Parrhaſius nad) Athen, und wurde ein Freund des Weiſen, Des 
Lehrers der Gratie, welcher Diefelbe dem Plato und Zenophon 
entdedete, Ppp2 Das 


1) Lucian. Imag.p. 463. ſeq. =)Plin.1.35. c. 6.n. ro. 3) conf. Aelian. var. 
Hhiſt. L. 12. c. 41. 4) Paufan. p. 781. I. ult. 5)Suid. v. Opzeog, 


cc. Die nie: 
drigere, Kinds 
lie und co= 
wmifche Gratie. 


484 1. Theil. Viertes Kapitel. 


Das Mannigfaltige und Die mehrere NWerfchiedenheit des 
Ausdrucks that der Harmonie und Der Großheit indem fchönen 
Stile feinen Eintrag: die Seele äußerte fich nur wie unter seiner 
ftillen Fläche Des Waffers, und trat niemals mit Ungeftüm her: 
por. In WVorftellung des Leidens bleibt die größte Pein ver: - 
fchloffen, wie im Laocoon, und die Freude ſchwebet wie eine fanfte 
Luft, die Faum die Blätter rühret, auf dem Gefichte einer Leu- 
cothea , im Campidoglio , und auf Münzen der Infel Naxus 
gepräget: die Kunſt philofophirte mit den Leidenfchaften , wie 
Hriftoteles von der Vernunft faget (runpirorops os made). 

Diefe Gratie fo wohl die erfte und erhabene als Die zwote 
und gefällige, über welche id) iso meine Betrachtungen gemachet 
habe, ift, wie man begreifet, nur idealifchen und hohen Schoͤn⸗ 
beiten eigen, in deren Bildung Diefelbe ausgedrüder feyn will. 
Es ift jedoch) Das Wirken der Gratie allgemeiner, und fie haft 
fi) auch über Geftalten ergoffen, Die nicht die vollfommene Sdea 
der Schönheit haben, um was Diefer abgehet, durch ihren Ein- 
fluß zu erſetzen. Diefe ift Die niedrigere Gratie, die vornaͤmlich 
Kindern eigen ift, als an welchen die Formen, die die Schönheit 
bildete, noch nicht vollig ausgeführet find, und die alfojener Gra- 
tie nicht faͤhig ſeyn koͤnnen. Man koͤnte and) dieſe Die comifche 
Gratie, fo wie jene die tragifche und epifche nennen. 

Die von mir genannte comifche Gratie ift in den Köpfen 
einiger Saunen fo wohlals einiger Bacchanten ausgedrüdet Durch 
ein freudiges Lächeln, wodurch die Winkel des Mundes in Die 
Hoͤhe gezogen werden ; und da wo Diefe Frölichkeit ſich Durch 

ſol—⸗ 


Don der Kunſt unter den Griechen. 485 


foldye Züge bezeichnet findet, hat allegeit Die Bildung ein gemeis 
nes geſenktes Profil, oder eine vertiefte Nafe. Eben diefe Gra— 
tie ift diejenige, die den Köpfen der Figuren Des Correggio eigen 
ift und Daher grazia Correggefca genennet wird, indem Diefelben 
zugleich den io angezeigeten Charakter haben. 

Hieraus glaube ic), Eönne erfläret werden, auf was Art 
nad) dem Plato, erıxapss “mit Oratie begabt“ als gleichgültig 
mit Ziuos gebrauchet worden (m oux suTo more wong TOUG #uhaug; 
© EV OTI TIA0G, EMIXAPIG „Andeıs emraweInseras Up uuwy, TOU de To 
ypunw, Bacıkmov gare ewau I). Eben diefes fagt Ariſtaͤnetus aus 
dem Plato: zur o ur Tu Twr &51 Gıuog ,„ emixapıg maga. ao anders 
eraweIngeres 2). Diefes letztere Wort bedeutet eigentlich eine ges 
fenfte und eingedructe Nafe und ift das Gegentheil vom Ypuros 
wodurch eine erhobene und Mdlers Naſe bezeichnet wird, in wel- 
chem Gegenfage jedoch beym erften Anblicke Fein Ausdruck der 
Gratie zu liegen fcheinet. Lucretius aber giebt uns die Erflä- 
rung , als bey welchem Das lateinifche Wort Simus (Simulus) 
von dem griechifchen auuns genommen, gleichbedeutend mit aihe- 
»os (Silenus) ift, und zeiget ung zugleich Die Auslegung des Pla⸗ 
to, wenn wir nad) dem befannten Sasse, wenn zwey Dinge einem 
dritten gleich find, fo find fie auch unter ſich felbft gleich, unferen 
Schluß machen. Da nun auuos gleichbedeutend mit aurevag if, 
fo ift aud) ersxgapes gleichbedeutend mit areas, und da unter 
der Benennung der Silenen bey den Griechen aud) die Satyrs 
oder die Faunen begriffen find, fo kann alfo dieſen auch die Gra— 

Pop 3 tie 


s) Plat. Polit. L, 5. p. 4a2. I, 49. s) Ariften. ep. 18. P. 74. 


486 J. Theil. Viertes Kapitel. 


tie zugeeignet werden. Eben dadurd) und weil diefe Sratie, von 
welcher wir reden, Die Eindliche Gratie ift, wie ich angemerket 
habe, erfläret fich, wie ana yerwv von der Liebe gefagt in einer 
griechifehen Sinnſchrift I), von deren fchalfhaften aber mit Gra- 
tie vermifchten Lächeln zu verftehen ift, Daher in einer anderen 
Sinnſchrift die Liebe ohne Beyſatz auung genennet wird 2). 

Um mid) aber über dieſe befondere Gratie noch deutlicher 
erklären zu koͤnnen, bringe ich hier den ganz unverfehrten Kopf 
der Statue einer Bacchante bey , Die fich in der Villa Albani 
befindet. Denn da derfelbe für Feine Abbildung einer beftimmten 
Perſon gehalten werden Fann, und alfo unter die idealiſchen Schön: 
heiten zu rechnen wäre, Dem ohnerachtet aber ein gefenftes Pro- 
fil, hinauf gezogene Augen, nach Art einiger Faune, und Die 
Winkel des Mundes gleichfalls hinauf gezogen hat, fo fichet 
man, Daß die alten Künftler auch in Figuren der Bacchanten, 
Das ift in idealiſchen Bildern das, was man die filenifche oder 
Die Saunengratie nennete, ausgedrudet haben. 

Zuletzt fallt mir hier ein, Daß die Roͤmer den alten Kai: 
fer Galba aus Spott Simum nenneten 3), ohnerachtet Derfelbe 
eine Mabichtsnafe hatte, welches der Werfaffer des Muſei Capi- 
tolini in einem Begriffe zufammen verbunden, und berichtet ung, 
Galba habe eine Habichtsnaſe gehabt, Die aber zugleich gepletfcht 
gewefen (ne folamente avea il nafo aquilino, ma anche fchiac- 

siato 4) als welches ein offenbarer Widerfprud) iſt. Die Muss 
le 
3) Anthol. L. 7. p. 450. p. au L 8. 3) Anthol. L. 7. p. 451. 1. 6. 
3) Sueton. Galb. c. 3. 4) Bottari Muf. Capit. T. 3. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 487 


leger des Suetonius berühren dieſe Schwierigkeit im geringften 
nicht, und ich fehe Fein Mittel zur Erklärung, als anzunehmen, 
Daß man hier das Wort Simus, wie die Grammatici reden, per 
Antonomafiam genommen, und aus Spott das Gegentheil ver- 
ftanden von dem was man fagen wollen: Denn ich bilde mir ein, 
man habe um den Galba wegen des großen Hoͤckers feiner Nafe 
lächerlich zu machen, Diefelbe eine gepletfchte Naſe genennet. 
Nach dieſer eingefchobenen Anmerkung fo wohl als der 
Detrachtung über die Gratie der Saunen, führe ich Die Betrach— 


dd. Angeige 


zwoer Statuen 
Ale Mufter bee 
erbabenen un® 


fung des Leſers zurück, zu der wahren und hohen Gratie, Deren Bet ;efälligen 


Unterſuchung unfer Endzweck ift, um diefelbe in einzelnen Sil- 
dern anzuzeigen; Diefe Anmerkung mache ich jedoch vornämlich 
für Diejenigen, Die Rom zu fehen Gelegenheit haben: da es ſchwer 
ift, Die Hohe Gratie von der gefälligen zu unterfcheiden, fo betrachte 
man die erftere Gratie in einer Muſe über Lebensgröße, in Dem 
barberinifchen Palafte, die eine große Leyer Barbyton in Der 
Hand hält, da ich im zweyten Theile als wahrfcheinlicd) angegeben 
habe, daß diefelbe vom Ageladas, des Polycletus Meifter und 
alfo vor dem Phidias verfertiget worden. Mit dem frifchen Bil- 
de diefer Mufe gehe man in den ganz nahe gelegenen päbftlichen 
Garten auf dem Duirinale, zu einer Mufe, mit eben Diefer Leyer, 
und Die auch im Anzuge jener völlig aͤhnlich ift, und nach Ver- 
gleichung Der einen mit Der anderen, wird man in Dem veizend 
fhönen Kopfe der letzteren Muſe die gefällige Gratie deutlich 
gebildet finden, 


Hatte 


Von den Figu⸗ 
ren der Kin⸗ 
der. 


488 1. Theil, Viertes Kapitel. 


Haͤtte fich der hohe Stil der Kunſt nicht bis auf Die un- 
ausgeführte Form junger Kinder herunter gelaffen, und hätten 
die Künftler dieſes Stils, deren vornehmfte Betrachtung auf Die 
vollfommenen Gewächfe gerichtet war, fich in der überflüßigen 
Sleifcyigkeit nicht gegeiget, wie wir gleichwohl nicht wiſſen, fo ift 
hingegen gewiß, Daß ihre Nachfolger im fchönen Stile, da fie 
das Zärtliche und Gefällige geſuchet, auch die Findliche Natur 
einen Worwurf ihrer Kunſt feyn laffen. Ariſtides, welcher eine 
todte Mutter mit ihrem fäugenden Kinde an der ruft malete 7), 
wird auch ein mit Mild) genährtes Kind gemacht haben. Die 
Liebe ift auf den älteften gefchnittenen Steinen nicht als ein jun- 
ges Kind, fondern in dem Alter eines Knabens gebildet, wie 
Diefelbe auf einem fchönen Steine des Commendators Vettori zu 
Nom erfcheinet 2). Nach der Form der Buchſtaben in dem Na— 
men des Künftlers, PPTTIAAOT, iſt e8 einer der älteften 
Steine mit dem Namen des Künftlers. Die Liebe ift auf demſel⸗ 
ben liegend mit aufgerichtetem Leibe als fpielend vorgeftellet, und 
mit großen Mdlersflügeln, nach der Idea Des hohen Alterthums 
faft an allen Göttern, nebft einer offenen Mufchel von zwo Scha⸗ 
len. Die KRünftler nach dem Phryaillus, wie Solon und Try— 
phon, haben der Liebe eine mehr Findifche Natur und Fürgere 
Slügel gegeben, und in Diefer Geftalt, und nach Art Fiamingi- 
fher Kinder, fieht man die Liebe auf unzähligen gefchnittenen 
Steinen. Eben fo geformet find die Kinder auf herculanifchen 
Gemälden, und fonderlicy auf einem fchwarzen Grunde von glei: 

cher 


») Plin, L. 35. ©. 36. n. 19. 2) Defer.des Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 137. 


Kon der Kunft unter den Griechen. 489 


cher Größe mit den fehönen tanzenden weiblichen Figuren. Als die 
fhönften Kinder von Marmor in Rom, Fönnen angegeben werden 
ein fchlafender Cupido in der Villa Albant, ein Kind im Campi- 
doglio, welches mit einem Schwan fpielet I); und ein anderes 
in der Villa Negroni, weldhes auf einem Tiger reitet, nebft zween 
Amorini in eben Diefer Wille, von welchen einer den anderen mit 
einer Larve erſchrecket; und Diefe allein Eönnen darthuen, wie glück 
lich die alten Künftler in Nachahmung der Findlichen Natur ges 
wegen. Das allerfchönfte Kind aber, welches fic), wiewohl ver 
ſtuͤmmelt, aus dem Alterthume erhalten hat , ift ein Eindlicher 
Satyr , ohngefähr von einem Jahre, in Lebensgröße, welcher 
fid) in der Villa Albani befindet: es ift eine erhobene Arbeit, aber 
fo, Daß beynahe die ganze Figur frey lieget. Diefes Kind ift mit 
Epheu befränget, und trinket, vermuthlich aus einem Schlauche, 
welcher aber mangelt, mit folder Begierde und Wolluft, daß die 
Augäpfel ganz aufwärts gedrehet find, und nur eine Spur von 
dem vertieften Sterne im Auge zu fehen ift. Diefes Stück wur: 
de, nebft dem ſchoͤnen Icarus, dem Daͤdalus die Flügel berei— 
tet 2), ebenfalls ſtark erhoben gearbeitet, an dem Fuße des pa— 
Iatinifchen Berges, auf Der Seite des Circus Maximus, entde: 
det. Ein befanntes Vorurtheil , welches ſich gleicyfam , ich 
weis nicht wie, zur Wahrheit gemacht, Daß die alten Künftler 
in Bildung der Kinder, weit unter den neuern find, würde alfo 
dadurch widerleget. 
Die 
ı) Muf. Capit. T. 3. tav. 64. 2) Monum. ant. ined. N. 95. 
Winkelm. Geſch. der Bunft. D2aq 


499 1. Theil. Viertes Kapitel, 


Diefer fchöne Stil der griechiſchen Kunſt hat noch eine ge 
raume Zeit nach Alexander dem Großen in verfchiedenen Kuͤnſt— 
lern, Die bekannt find, geblühet, und man Eann diefes aud) aug 
Werfen in Marmor, weldye in zweyten Theile angeführet werden, 
ingleichen aus Muͤnzen, fehließen. 

IV Da nun die Verhältniffe und die Formen der Schönheit 


Der til der 


Rayadmer, von den Künftlern des Alterthums auf das höchfte ausftudirek, 


und die Abnah⸗ — h 2 
a und Salt und Die Umviffe der Figuren fo beftimmt waren, daß man ohne 


— Fehler weder herausgehen, noch hinein lenken Eonte, fo war Der 
Durh die Begriff der Schönheit nicht höher zu treiben: es mußte alfo Die 
EN Kunſt, in welder, wiein allen Wirkungen der Natur, Fein fe: 
fter Punct zu denken ift, da fie nicht weiter hinausgieng, zurüd 

gehen. Die Vorftellungen der Götter und Melden waren in als 

len möglichen Arten und Stellungen gebildet, und es wurde ſchwer, 

neue zu erdenken, wodurch alfo der Nachahmung der Weg geöff- 

net wurde, Diefe fchränfet den Geift ein, und wenn e8 nicht mög- 

lich fchien, einen Praxiteles und Apelles zu übertreffen, fo wur= 

de es ſchwer, Diefelben zu erreichen, und der Nachahmer ift alles 

zeit unter dem Nachgeahmten geblieben. Es wird auch der Kunft, 

wie der Weltweisheit, ergangen feyn, Daß, fo wie hier, alfo aud) 

unter den Künftlern Eclectici oder Sammler aufftunden, die aus 

Mangel eigener Kräfte, das einzelne Schöne aus vielen in eins 

zu vereinigen ſucheten. Aber fo wie die Eclectici nur als Copiften 

von Weltweifen befonderer Schulen anzufehen find, und wenig 

oder nichts urfprüngliches hervorgebracht haben, fo war and) in 

der Runft, wenn man eben den Weg nahm, nichts ganzes, eige⸗ 

18 


Bon der Kunft unter den Griechen. 491 


nes und übereinftimmendes zu erwarten; und wie Durch Auszuͤ—⸗ 
ge aus großen Schriften der Alten, dieſe verloren giengen, fo 
werden durch die Werke der Sammler in der Kunft, die großen 
urfprünglichen Werke vernachläßiget worden feyn. Die Nachah— 
mung beförderte den Mangel eigener Wiffenfchaft,, wodurd) Die 
Zeichnung furchtſam wurde, und was der Wiffenfchaft abgieng, 
fuchte man durd) Fleiß zu erſetzen, welcher fich nach und nad) in 
Kleinigkeiten zeigete, Die in den blühenden Zeiten der Kunft über: 
gangen, und dem großen Stil nachtheilig geachtet worden find: 
Hier gilt, was Duintilianus fagt 1), Daß viele Künftler beffer, 
als Phidias, die Zierrathen an feinen Iupiter würden gearbeitet 
haben. Es wurden daher Durch die Bemühung, alle vermeynte 
Härte zu vermeiden , und alles weich und fanft zu machen, Die 
Theile , welche von den vorigen Künftlern mächtig angedeutet 
waren, runder, aber ftumpf, lieblicher, aber unbedeutender, wo— 
Durd) Die Runft felbft ſtumpf wurde, fo wie es die Axt eher auf 
Linden als auf Eichenholge wird. Auf eben diefem Wege ift zu 
allen Zeiten aud) Das Verderbniß in der Schreibart eingefchlichen, 
und die Mufif verließ Das männliche 2), und verfiel, wie Die 
Kunft, in das weibiſche. In dem gekünftelten verlieret fi) oft 
das Gute eben dadurch, weil man immer das Beffere will; fo 
wie 88 der Gefundheit nachtheilig ift , gefunder feyn zu wollen 
als man iſt; und wie die Schmeichelen verachtet, und ein harter 
unbeweglicher Sinn bewundert wird, ift zu glauben, Daß damals 
wahre Kenner Die Werfe der Kunft , von welcher wir reden, mit 
Qqq 2 de⸗ 


ı) Inftit. Orat, L. 3, c. 7. 2) Plutasch. de Muf. p. 2031. 1.22 


B. 
Durch Fleiß 
in Nebendin⸗ 
gen. 


492 I. Theil. Viertes Kapitel, 


denen aus dem hohen Stil, ja mit Denen die noch Alter waren, 
in ein ähnliches Verhaͤltniß werden gefeet haben. 

Die Künftler fingen nicht lange vor und unter den Raifern 
an, in Marmor fid) ſonderlich auf Ausarbeitung frephängender 
Haarlocken zu legen, und fie deuten aud) die Daare der Mugen: 
braunen an, aber nur an Portraitkoͤpfen, welches vorher in Mar: 
mor gar nicht, wohl aber in Erzt gefchah. An einem der fchön= 
ſten Köpfe eines jungen Menfchen von Erzt, in Lebensgröße, (wel⸗ 
ches ein völliges Bruftbild if in dem Eöniglichen Mufeo zu Por- 
tici, welcher einen Held vorzuftellen fcheinet, von einem athenien- 
ſiſchen Künftler, Apollonius, des Archias Sohn 1), gearbeitet, 

find 
3) Die Inſchrift iſt ATTOAANNIOZ APXIOY AGHNAIOZ ET'CH2E; 
nicht APXHOY, wir Bayardi a) gelefen hat, auch nicht ET'TOHZE, wie 

Martorelli b) lief. Der erfte halt ETTOHZE, welches ENIOIHZE heißen 

fonte, für eine fehr alte Schreibart, welches aber nur in fo ferne wahr if, 

als es eine Form, von einem alten Anlifchen Verbo wow c) genommen, iſt. 

Es finder fich unterdeffen diefes Verbum bey einigen Dichtern d), und eben 

wie oben gefeßer, in der Inſchrift der mediceiſchen Venus, und in einer In⸗ 

ſchrift in der Kapelle des Pontanus zu Neapel e), welche unftreitig von ſpaͤ⸗ 
ter Zeit ift. Ferner habe ich dieſes Wort in folgender Inſchrift in den Hand⸗ 
ſchriften des Sulvius Urfinus in der vaticaniſchen Bibliothek gefunden : 
COAQN 
AIAYMOY 
TYXHTI 
€IloHCcE 
MNHMHC 
XAPIN. Ä 

Es ift auch in einer andern Inſchrift in der Billa Atieri, und in dem Werke 

des Grafen Caylus D. Alſo iſt ed nicht ganz ungewöhnlich, wie es Gori fin⸗ 

det 


Von der Kunſt unter den Griechen. 493 


find die Augenbraunen auf dem feharfgehaltenen Augenknochen 
fanft eingegraben. Diefes Bruftbild aber, nebft dem weiblichen 
Druftbilde von gleicher Größe, find ohne Zweifel in guter Zeit 
der Kunſt gemacht. Aber fo wie fchon in den älteften Zeiten, und 
vor dem Phidias, Das Licht in den Augen auf Münzen angeden- 
tet wurde, fo wurde auch in Erst überhaupt mehr, als in Mar- 
mor, gekünftelt. An männlichen idealifchen Köpfen aber fing 
man dieſes früher, als an weiblichen an; aud) jener Kopf von 
Erst, weldyer von der Hand eines und eben deffelben Künftlers 
zu feyn fcheinet, hatdie Augenbraunen, nach der alten Art, mit 
einem fcharfen Bogen gezogen. 

Der Verfall der Kunft mußte nothiwendig durch Verglei- „ 


hung mit den Werken der höchften und fehönften Zeit merklich gefüßeten 


— 


dem eins 


äguptifchen 


werden, und «8 ift zu glauben, Daß einige Künftler gefuchet ha⸗ til in ver 


ben, zu der großen Manier ihrer Worfahren zurück zu Fehren. 
Auf diefem Wege kann e8 gefchehen ſeyn, fo wie die Dinge in 
der Welt vielmals im Cirkel gehen, und dahin zurüd Fehren, wo 
fie angefangen haben , Daß die Künftler ſich bemüheten, den äl- 
tern Stil nachzuahmen, welcher Durch Die wenig ausfchweifenden 
23 Um: 


Det E), und iſt noch weniger ein jo großer Fehler, daß Mariette daher die 
Inſchrift der mediceiſchen Denus für untergefchoben erflären wollen h), 

a) Catal. de’ Monum. d’Ercol. p. 17». 

b) de Regia Theca Calamar. L. 2. c. 5. p. 426. 

ec) conf. Chishull ad Infer. Sig. p. 39. 

d) Ariftoph. Equit. Ad. ı. Sc. 3, Theoctit. Idyl. 10. v. 38. 

e) Sarno Vit. Pontan.p. 97. f) Rec. d’Antiq.T. 2. pl. 75. 1: % 

g) Muf. Flor. T. 3. p. 35. h) Pier. gray. T. 1. p. 102 


alerep. 


494 L Theil. Viertes Kapitel, 


Umriffe der ägyptifchen Arbeit nahe Fommt. Diefes war meine 
erfte Muthmaffung über eine dunkele Anzeige des Petronius von 
der Malerey, Die ich überhaupt auf Die Kunſt deutete. Diefer 
Scribent, da er von ihrem Verfalle redet, fehreibet Denfelben un: 
ter anderen Urfachen einer gewiſſen ägyptifchen Art zu, Die in der 
Malerey eingeführet worden, wenn er fagt: Pictura quoque non 
alium exitum fecit, poftquam Aegyptiorum audacia tam magnae 
artis compendiariam invenit. Der Dunkelheit diefer fchweren Stelle, 
Die in dem Worte compendiaria lieget, haben einige Musleger 
ausweichen wollen durch Anführung anderer Redensarten, wo 
fich eben dieſes Wort finder, und mit einer folchen Wörterbücher: 
DBelefenheit fuchet Burmann, nach feiner Gewohnheit, den Leſer 
abzufpeifen, andere hingegen haben ſich nicht entfehen zu befen- 
nen, Daß fie bier nichts verftehen , auch nicht einmal Platz zu 
Muthmaßungen gefunden haben, wie ſich Franz Junius erklaͤret. 
Diefe Ausleger aber hatten theils Feine hinlängliche Kenntniß der 
Kunft, theils nicht Gelegenheit gehabt, Die übrig gebliebenen al- 
ten Malereyen zu unterfuchen, da nun taufend und mehr Stüde 
Dderfelben in denen Durch den Veſuvius verfchütteten Stadten ge 
funden worden, fo Eönte ich vielleicht mit größerer Wahrfchein- 
lichkeit mich mit einer Muthmaffung über gedachte Stelle wagen. 
Die Deranlaffung zu derfelben geben einige von Diefen Ietsteren 
Gemälden, welches lange und ſchmale Streifen von etwas mehr 
als einem Palme in der Breite find, Die verſchiedene Abſchnitte 
haben, und zwifchen denſelben auf einem ſchwarzen Grunde Fleine 
auf aͤgyptiſche Art gebildete Figuren vorftellen, zwifchen Den mit 
Fir 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 495 


Figuren bemalten Pläsen und in dem Rande Diefer Gemälde find 
mancherley außerordentlich erdachte Geftalten und Zierrathen an- 
gebracht. Diefe Art Malerey aͤgyptiſcher Figuren, die mit aben- 
theuerlichen Ideen verfchrenft find , fcheinet dasjenige zu ſeyn, 
was beym Petronius Ars compendiaria Aegyptiorum heißt, und 
alfo benennet worden, weil vermuthlich dieſe Weiſe eine Nachah— 
mung der Aegypter war, die ihre Gebäude alfo augmaleten. 
Denn es finden ſich in Oberägnpten noch itzo ganz erhaltene Pa- 
läfteund Tempel, Die aufungeheuren großen Säulen ruhen, und 
fo wohl wie Diefe, auf ihren Mauren und an den Deden, von 
unten bis oben, mit eingehauenen Hieroglyphen völlig bedecket 
find, welche hernach übermalet worden, wie aus dem zweyten 
Kapitel erinnerlich feyn wird. Mit diefer gehäuften Menge von 
Zeichen und Eleinen Bildern vergleichet Petronius die mit Fleinen 
unbedeutenden Figuren angefülleten Zierrathen, Die Damals der 
vornehmfte Vorwurf der Malerey wären ; und compendiaria 
würde dieſe Malerey benennet feyn von fo vielen und fo verfchiede- 
nen Dingen, Die in einem engen Raume zufammen gedrungen und 
ing Feine (in compendium) gebracht worden. Ermwäget man fer: 
ner Die Klage des Vetruvius über dieſe Kunſt, in welcher zu feie 
ner Zeit, wie er fagt, Fein Grund der Wahrheit mehr zu finden 
war, und wie er fchließt: Nunc pinguntur tectoriis monftra po- 
tius, quam ex rebus finitisimagines certae; fo fünte man glauben, 
daß er eben dasjenige habe andeufen wollen, was Petronius von 
der Rühnheit der Aegypter faget, welche tam magnae artis com- 
pendiariam invenit. Da nun nad) dem Zeugniſſe des Vitruvius 
Die 


2». 
Von den 
Kennzeichen 
des Etile in 
der Abnahme 
ver Kunſt. 


496 1. Theil, Viertes Kapitel, 


die Gebäude der älteren Zeiten mit Bildern der Mythologie der 
Götter und Melden und berühmter Gefchichte, in einer vollfom- 
menen Nachahmung der Wahrheit, ausgezieret worden, fo müf 
fen nothwendig Durch den nach Der Zeit eingeriffenen Mißbrauch 
abentheuerliche, ungereimte und nichtsbedeutende Dinge auf eins 
ander zu haufen, der Kunft, fo zu reden, Die Flügel befchnitten 


ſeyn, Die fich nicht mehr in das Meldenmäßige ſchwingen konte, 


fondern Flein wurde, wie die Werke waren , welche fie hervor: 
brachte. Es ift auch mehrentheild Die Menge der Figuren in eis 
nem Gemälde, fo wie vielmals der Ueberfluß in anderen Dingen, 
ein Beweis des Mangels, und e8 gehet hier wie mit den Köni- 
gen in Syrien, Die, nad) dem Plinius, ihre Schiffe von Cedern 
baueten, weil fie Feine Tannen, Die beffer waren, hatten. 

Daß der Stil Der Kunft in Den leuten Zeiten von dem 
alten fehr verfchieden gewefen, deutet unter andern Paufanias 
an, wenn er fagt 1), Daß eine Priefterinn Der Leucippiden, das 
ift, der Phoebe, und der Hilaira, von einer von beyden Sta- 
tuen , weil fie gemeynet, Diefelbe ſchoͤner zu machen , den alten 
Kopf abnehmen, und ihr einen neuen Kopf an deſſen Stelle ma— 
chen laffen, welcher, wie er faget, „ nach der heutigen Kunſt ge 
arbeitet war, welches Gedoyn, dem hier feine Moden eingefallen 
find, überfezet hat: nad) der heutigen Mode. „ Man Fönte Dies 
fen Stil den Eeinlichen, oder den platten nennen: Denn was an 
den alten Figuren mächtig und erhaben war, wurde itzo ftumpf 
and niedrig gehalten. Es ift aber über Diefen Stil nicht aus 

Sta 
1) L. 3. p. 247. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 497 


Statuen zu urtheilen, die durch den Kopf ihre Benennung be 
fommen haben, wie fehr viele find, auf welche ein fremder Kopf 
gefetzet worden, weil ſich der eigene Kopf nicht gefunden hat. 

Da ſich endlich die Kunft immer mehr zu ihrem Fallınei- „ # 


Von der gro> 


gete, und da auch, wegen der Menge alter Statuen, wenigere, — — 


in Vergleichung der vorigen Zeit, gemachet wurden, ſo war der — 
Kuͤnſtler vornehmſtes Werk, Köpfe und Bruſtbilder zu machen, dieſer Zeit. 
und Die letzte Zeit bis auf den Untergang der Kunſt hat ſich vor⸗ 
naͤmlich hierinn gegeiget. Daher muß es nicht fo außerordentlich), 
wie es vielen vorkommt, feheinen, erträgliche, ja zum Theil ſchoͤ⸗ 
ne Köpfe des Macrinus, des Septimius Severus, und des Ca— 
racalla, wie der farnefifche ift, zu fehen: denn der Werth. derfels 
ben beftehet allein im Fleiße. Wielleicht Hätte Lufippus den Kopf 
des Caracalla nicht viel beſſer machen können; aber Der Meifter 
Deffelben Fonte Feine Figur, wie Enfippus , machen ; dieſes war 
der Unterfchied. 

Man glaubete eine befondere Kunft in ftarken hervorlie— RR J 
genden Adern, wider den Begriff der Alten zu zeigen, und an — 
dem Bogen Kaiſers Septimius hat man ſolche Adern auch am ver lestenzeit. 
den Haͤnden weiblicher idealifcher Figuren, wie die Victorien 
find, welche Tropheen tragen, nicht wollen mangeln laffen; als 
wenn Die Stärke, welche vom Cicero als eine allgemeine Eigen: 

(haft der Haͤnde angegeben wird 1), fich auch auf weibliche Haͤn⸗ 
de erftreckte, und auf vorbefagte Weife müßte ausgedruckt werden. 
Eben 
ı) Acad. Quaeft. L. 1. c. 5. 
Winkelm. Geſch. der Kunft, Rrr 


G. 

Bon ben Bes 
gräbnißurnen, 
welche beynahe 
alle aus ſpä—⸗ 
gern Zeiten 
find, 


498 1. Theil, Viertes Kapitel, 


Eben hierin wurde vor der Merftellung der Künfte die Gefchic- 
lichfeit ihrer Meifter geſetzet; und ein folches Aderwerk bewun- 
dert, auch wo «8 nicht an feinem Orte ift, der Findifche unge: 
lehrte Sinn; die weifen Alten aber würden diefes nicht weniger 
getadelt haben, als wenn jemand um Die völlige Macht eines Lö- 
wen zu zeigen, Diefes Thier mit auswärts gelegten Krallen, Die 
im Gehen unterfchlagen find, vorgeftellet hätte. Wie fanft die 
Künftler des Alterthums der blühenden Zeiten Die Adern auch an 
coloffalifchen Figuren ausgedruͤcket haben, zeiget fid) an Den er: 
ftaunenden Stüden einer foldyen Statue im Campidoglio, und 
an dem Halfe eines colofjalifchen Kopf des Trajanus in Der 
Villa Albani. Es hat aber mit der Kunſt gleiche Bewandtniß 
als mit dem Menfchen: denn fo wie, nach dem Plato, wenn Die 
Lüfte bey Demfelben zu erfterben anfangen, Das Vergnügen zu 
ſchwatzen zunimmt, fo treten dort Die Kleinigkeiten an die Stelle 
der gefallenen Größe. 

Die mehreften Begräbnißurnen find aus dieſer Testen Zeit 
der Kunſt, und alfo auch die mehreften erhobenen Arbeiten: Denn 
diefe find von folchen viereckt laͤnglichen Urnen abgefäget. Unter 
denſelben merke ich fechs als Die fchönften an, Die aber früher ges 
macht feyn müffen; und dieſe find drey in dem Mufeo Capitolino, 
von welchen die größte den Streit zwifchen Agamemnon und Achil⸗ 
les über die Chryfeis, Die zweyte Die neun Mufen, und Die dritte 
ein Gefecht mit den Amazonen vorftellen: auf der vierten, in Der 
Billa Albani, zeiget fich die Wermählung des Peleus und Der 


Thetis, nebft den Göttern und Den Götfinnen Der Jahrszeiten, 
Die 


Bon der Kunft unter den Griechen. 499 


die Diefem Paare Gefchenfe bringen: Die fünfte und fechfte in der 
Villa Borghefe bilden den Tod des Melcagers und Die Fabel des 
Actaͤons. Diejenigen erhobenen Werke aber, Die befonders ges 
arbeitet find, unterfcheiden fich Durch einen erhobenen Rand oder 
Vorſprung umher. Die mehreften Begräbnißurnen wurden vor- 
aus und auf den Kauf gemacht, wie die Vorftellungen auf Den= 
felben zu glauben veranlaffen, als welche mit der Perfon des Ver⸗ 
ftorbenen, oder mit der Infchrift, nichts zu fchaffen haben. Unter 
andern ift eine folche befchädigte Urne in der Villa Albant, auf 
deren vordern Seite, Die in drey Felder getheilet ift, auf Dem zur 
- rechten Ulyffes an den Maftbaum feines Schiffs gebunden vorge 
-ftellet worden, aus Furcht vor dem Geſange der Sirenen, von 
welchen Die eine Die Leyer fpielet, Die andere die Flöte, und Die 
dritte finget, und hält ein gerolletes Blatt in der Hand. Sie 
haben Vögelfüße, wie gewoͤhnlich; Das befondere aber ift, Daß 
fie alle drey einen Mantel umgeworfen haben. Zur linken figen 
Philoſophen in Unterredung. Auf dem mittlern Selde ift folgende 
Inſchrift, welche nicht im geringften anf die Vorſtellung zielet, 
u iſt noch nicht befannt gemacht: 


AOANAOYN MEPOIIW@N 
OYAEIc TOYAE- CEBHPA 
@HCEYC- AIAKIAAI 
MAPTYPEC- EICI AoToYy 
AYXQD CQoDPONA TYNBOC- € 
MAICT- \ATONECCI CEBHPAN 
KOYPHN CTPYMONIOoY:- TAI 
AOC- AMYMON EX@N. 
OIHN: OYK. HNEIKE TIOAYC 
BIOC. OYAE. TIC OYIIo 
ECXE. TAPOC- XPHCTHN 
AAAOC Yd HEAIyI 


Rrr2 Wenn 


H, 


Bon Werken 


500 I Theil, Biertes Kapitel. 
Wenn von alten Denfmalen niedriger Kunft die Nede 


vie außer Rom iſt, beobachte Der Leſer, als eine nöthige Erinnerung, diejenigen 


in anderen 


Städten des Werke, die in Griechenland felbft oder in Rom gearbeitet worden, 


römiſchen 


Reiche geaxbei, von Denen zu unterſcheiden, die man in anderen Städten und Co— 


tet worden, 


Ionien des römifchen Reichs machen laffen, welches nicht allein 
von Werken in Marmor und anderen Steinen, fondern aud) von 
Münzen gilt. Von Münzen ift diefer Unterfcheid bereits bemer- 
fet worden, und esift bekannt, Daß Diejenigen, Die unter den Kai— 
fern außer Nom gepräget worden, insgemein Denen nicht beyfom- 
men, Die in Diefer Hauptſtadt des römifchen Reichs felbft gear: 
beifet find. Don Werken in Marmor aber hat man gedachte Un⸗ 
gleichheit bisher noch nicht wahrgenommen , die augenfcheinlic) 
ift an den erhobenen Arbeiten, die fi) zu Capua und in Neapel 
befinden, unter welchen eine erhobene Arbeit in dem Manfe Co: 
lobrano an dem leisten Orte, wo einige Arbeiten des Hercules 
vorgeftellet find, aus der mittlern Zeit zu feyn fcheinen Fönte. Am 
deutlichften aber offenbaret fid) gedachter Unterfchied an den Koͤ— 
pfen verfchiedener Gottheiten, die aufden Schlußfteinen der Bo⸗ 
gen des Außerften Ganges des Ampbhitheaters vom alten Capua, 
gearbeitet find, von welchen fid) annod) zween an ihren Drten 
erhalten haben, nämlich Suno und Diana ; drey andere dieſer 
Steine, Die den Jupiter Ammon, den Mercuring, und den Hercules 
vorftellen, befinden fic) eingemauert an dem Nathhaufe der neuen 
Stadt Capua, ehemals Cafilinum genannt. Won gedachten 
Amphitheater fo wohl als von dem Theater Diefer Stadt werde 
ich im zweyten Theile dieſer Gefchichte zu reden Gelegenheit ha— 
ben. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 501 


ben. Die mehreften gedachter Figuren und Bilder find nicht in 
Marmor gehauen, weil fich Fein weißer Marmor in dem Unter: 
theile von Italien findet, fondern in einen harten weißen Stein, 
aus welchem Die mehreften der apenninifchen Gebürge Diefer Ge: 
genden fo wohl als in dem Kirchenftaate beftehen. 

Eben diefen Unterſchied bemerfet man zwifchen Der Bau: 
Eunft der Tempel und anderer Gebäude zu der Kaifer Zeit, Die 
zu Nom felbft aufgeführet worden, und derjenigen, Die man in 
anderen Provinzen des römifchen Reichs gebauet hat, welches 
augenfcheinlich ift an einem Tempel zu Melaffo in Carien, Der 
dem Auguſtus und der Stadt Nom geweihet war, wie ich im 
zweyten Theile anzeigen werde. Man könte hier auch Den Bogen 
bey Sufa im Piemontefifchen anführen, welcher ebenfalls dem 
Auguſtus zu Ehren errichtet worden: denn die KRapitälen der Pi- 
lafter haben eine Form, Die Damals zu Nom nicht üblich gewefen 
zu ſeyn fcheinet. 

Es bleibet im übrigen dem Alterthume bis zum Falle der 1. 


Bon dem ga= 


Kunft der Ruhm eigen, Daß es fid) feiner Größe bewußt geblier « — 
ben: der Geiſt ihrer Vaͤter war nicht gaͤnzlich von ihnen gewichen, —7 1 a 
und aud) mittelmäßige Werke der letzten Zeit find noch nad) den sung sat 
Grundfägen der großen Meifter gearbeitet. Die Köpfe haben — 

den allgemeinen Begriff von der alten Schoͤnheit behalten, und 

im Stande, Handlung und Anzuge der Figuren offenbaret ſich 

immer die Spur einer reinen Wahrheit und Einfalt. Die gezierte 
Zierlichkeit, eine erzwungene und uͤbel verſtandene Gratie, die 
uͤbertriebene und verdrehete Gelenkſamkeit, wovon auch die beſten 


—— Wer⸗ 


302 . 5 Theil, Viertes Kapitel. 


Werke neuerer Bildhauer ihr Theil haben, hat die Sinne’ der 
Alten niemals geblendet. Ja wir finden , wenn man aus dem 
Haarputze fchließen kann, einige treffliche Statuen aus dem drit- 
ten Jahrhunderte, welche als Copieen anzufehen find , die nad) 
Altern Werfen gearbeitet worden. Won Diefer Art find zwo Ve 
nus in Lebensgröße in dem Garten hinter dem Palafte Sarnefe, 
mit ihren eigenen Köpfen; Die eine mit einem ſchoͤnen Kopfe der 
Venus, die andere mit einen Kopfe einer Fran vom Stande, 
aus gedachten Jahrhunderte, und beyde Köpfe haben einerley 
Haaraufſatz. Eine ſchlechtere Venus, von eben der Größe, ift 
im Belvedere, deren Haarputz jenen ähnlich iſt, und Dem weibli- 
chen Sefchlechte aus Diefer Zeit eigen war. Ein Apollo, in Der 
Villa Negroni; indem Alter und in der Größe eines jungen Men⸗ 
schen von funfzehen Jahren, Farm unter Die fchönen jugendlichen 
Siguren in Rom gezahlet werden aber Der eigene Kopf deffelben 
ftellet feinen Apollo vor, fondern etwa einen Eaiferlichen Prinzen 
aus eben der Zeit. Es fanden fich alfo noch einige Künftler, wel- 
he ältere und ſchoͤne Figuren fehr gut nachzuarbeiten verftan- 
den, | 
— Ich ſchließe das dritte Stuͤck dieſes Kapitels mit einem 
an ganz außerordentlichen Denkmale im Campidoglio aus einer Art 
einem auſer⸗ Yon Bafalt, Es ftellet einen großen fizenden Affen vor, deffen 


ordentlichen 


Dentmale vordere Füße auf den Knieen der hinteren Süße ruhen, und wo: 


fremder un) 


ungefalteter von Der Kopf verloren gegangen ift. Auf der Baſe diefer Figur 


Kunft, von { j z } R A 
geiedifhen fiehet auf der vechten Seite in griechiſcher Schrift eingehauen: 
unſtlern ver⸗ 


fertige, >» Phidins und Ammonius, Söhne des Phidias haben es ges 
macht 


Bon der Kunft unter den Griechen, 503 


macht I)... Diefe Infchrift, welche von wenigen bemerfet wor- 
den, war in dem gefchriebenen Werzeichniffe, aus welchem Rei- 
nefing Diefelbe genommen , Teichthin angegeben, ohne das Werk 
anzuzeigen, woran fie ftehet, und Eönte ohne offenbare Kennzei- 
chen ihres Alterthums für untergeſchoben angefehen werden. Die- 
ſes dem Scheine nad) verächtliche Werk, Fann durch die Schrift 
auf demfelben Aufmerkfamfeit erwecken, und ich will meine Muth- 
maßung mittheilen. 

Es hatte ſich eine Colonie von Griechen in Africa nieder- 
selaffen, die Pithecufa in ihrer Sprache hießen, von der Menge 
Affen in diefen Gegenden. Diodorus fagt 2), daß diefes Thier 
heilig von ihnen gehalten , und, wie die Hunde in Aegypten, 
verehret worden. Die Affen liefen frey in ihre Wohnungen, und 
nahmen, was ihnen gefiel; ja Diefe "Griechen nenneten ihre Kin- 
der nad) denfelben, weil fie den Thieren , wie fonft den Göttern, 
gewiffe Ehrenbenennungen werden beygeleget haben. ch bilde 
mir ein, Daß der Affe im Campidoglio ein Worwurf der Vereh— 
rung unter den pithecufifchen Griechen gemefen fey; wenigftens 
fehe ich feinen andern Weg, ein folches Ungeheuer in der Kunft, 
mit Namen griechifcher Bildhauer zu reimen: Phidias und Am- 
monius werden diefe Kunft unter dieſen barbarifchen Griechen 
geübet haben. Da Agathocles, König in Sicilien, die Cartha— 
ginenfer in Africa heimfüchete, Drang deſſen Seldherr Eumarus 
bis in das Land diefer Griechen hindurch, und eroberte und zer— 

ftö- 


1) Reinef, Infer, Claff. 2. n. 62, & ex eo Cuper. Apotheof. Hom. p. 134. 
2) Hift. L. 20. p. 793. 


L. 
Wiederholung 
des Inhalte 
dieſes Stücks. 


504 I. Theil, Viertes Kapitel, 


ftörete eine von ihren Städten. Annehmen zu wollen, Daß diefer 
göttlid) verehrte Affe Damals, als etwas anßerordentliches unter 
Griechen, zum Denkmale weggeführet worden, giebt die Form 
der Suchftaben nicht zu, als welche fpätere und den hereulanis 
fchen ähnliche Züge hat. Es wäre alfo zu glauben, daß dieſes 
Werk lange hernach gemacht, und vielleicht unter den Kaiſern 
aus dem Lande diefes Volks nad) Nom geführet worden; und 
Diefes machen ein paar Worte einer lateinifchen Infchrift auf der 
linfen Seite der Bafe wahrſcheinlich. ES war diefelbe in vier 
Zeilen gefaffet, und man lieft, außer den. Spuren , welche fich 
von Denfelben zeigen, nur noch Die Worte: VIL COS. Welches 
auf niemanden als auf den E. Marius zu deuten wäre, als den 
änzigen zu der Zeit der Republik, dem fo vielmal das Conſu— 
lat ertheilee worden : denn vor ihm war der einzige Valerius 
Eorvinus ſechsmal Conful geworden 1). Diefes griechifche Ge⸗ 
ſchlecht in Africa hätte alfo , Diefem zu Folge, noch um Die 
zeit unfers Gefchichtfehreibers beftanden , und fich bey feinem 
Aberglauben bis dahin erhalten. Sch merfe hier bey Gelegen: 
heit eine weiblihe Statue von Marmor an, in der Gallerie 
zu Verſailles, welche für eine Veftale gehalten wird, und von 
welcher man vorgiebt, daß fie zu Bengazi, der vermeynten nu: 
midifchen Hauptſtadt Barca, gefunden worden. 

Um das obige Diefes dritten Stüds zu wiederholen , 
und zufammen zu faffen, fo wird man in der Kunft der Grie⸗ 

hen, 


) Plutarch. Mar. p. 771. I. 19: 


Bon der Kunft unter den Griechen. 505 


chen , fonderlich in der Bildhauerey , vier Stufen des Stils 
ſetzen, nämlidy den geraden und harten, den großen und edig- 
ten, den ſchoͤnen und fließenden, und den Stil der Nachahmer. 
Der erfte wird mehrentheils gedauert haben bis auf den Phi: 
Dias, der zweyte bis auf den Praxiteles, Lyſippus, und Apel⸗ 
les, der dritte wird mit diefer ihrer Schule abgenommen ha: 
ben, und der vierte währete bis zu dem Falle der Kunft: Es 
hat ſich diefelbe in ihrem höchften Slove nicht lange erhalten: 
denn es werden, von den Zeiten des Pericles bis auf Alexan— 
ders Tod, mit welchem fic) die Derrlichkeit der Kunft anfteng 
zu neigen, etwa hundert und zwanzig Sahre feyn. Das Schid- 
fal der Kunft überhaupt in neuern Zeiten ift, in Abficht Der 
Perioden, dem im Alterthume gleich: «8 find ebenfalls vier 
HMauptveränderungen in derfelben vorgegangen, nur mit Diefem 
Unterfchiede, daß die Kunft nicht nach und nad), wie bey den 
Griechen, von ihrer Hoͤhe herunter ſank, fondern fo bald fie 
den ihr damals möglichen Grad der Möhe in zween großen 
Männern erreichet hatte, Cich rede hier allein von der Zeich- 
nung) fo fiel fie mit einmal plößlicy wieder herunter. Der 
Stil war trocken und fteif bis auf Michael Angelo und Ras 
phael; auf diefen beyden Männern beftchet die Höhe der Kunft 
in ihrer Wiederherftellung: nach einem Zwifchenraume, in wel- 
‚chem der üble Geſchmack regierte, Fam der Stil der Nachah- 
mer 5; Diefes waren die Caracci und ihre Schule, mit deren 
Folge; und diefe Periode gehet bis auf Karl Maratta. Iſt 
Winkelm. Gefch. der Runſt. Sss aber 


506 L.Theil. Viertes Kapitel, 


aber die Rede von der Bildhauerey insbefondere, ſo iſt die 
Geſchichte derfelben fehr kurz: Sie blühete in. Michael Angelo 
und Sanſovino, und endigte mit ihnen; Algardi, Fiamingo, 
and Ruſconi Famen über hundert Sabre nachher. 





































































































































































































Vierter Abichnitt. 
Don dem mechaniſchen Theile der griechiſchen Kunſt. 


Hech folge der natuͤrlichen Ordnung, die vom Wiſſen und Be— — 
a trachten anheben foll, und alsdann zum Wirken und zum arbeitung ver 
Arbeiten fhreitet, und da die zween vorhergehenden Abſchnitte verksinene 
die Zeichnung überhaupt, und vornämlich Die Begriffe des Schi: Neterie— 
nen fowohl, als den Wachsthum und den Fall der Kunft zum 
Endzwecke haben, folglich auf Die Malerey zugleich mit der Bild: 
hauerey angewendet werden Fünnen , fo begreift gegenwärtiger 
vierter Abfchnitt nur Die Ausarbeitung allein, und zwar desieni- 
gen, was modelliret, gefchniget und gegoffen worden, Es enthält 
dieſer Abſchnitt drey Stücke, von welchen das erſte allgemein von 

Sss 2 der. 


A. 
Im Thone. 


508 J. Theil. Viertes Kapitel. 


der Ausarbeitung der Bildhauer in verſchiedener Materie han- 
delt, das zweyte Stüd gehet befonders auf die Arbeit der Mün: 
zen, und Das Dritte ift eine Abhandlung von gefehnittenen Steinen. 

In der Betrachtung über die Ausarbeitung felbft glaube 
ich ebenfalls demjenigen Wege zu folgen, auf welchem die Bild- 
hauerey von Der weicheren zu der härteren Materie, und von dem 
Thone bis zu dem fefteften Steine forfgegangen zu feyn ſcheinet, 
fo wie ich im erften Kapitel flufenweis die Materie, in welcher 
die Kunſt gewirket, angezeiget habe; jedoch mit dem Unterſchie— 
de, Daß ic) hier nur allein Die Ausarbeitung in Werfen berühre, 
deren Arten fich erhalten haben: da nun von hölzernen Figuren 
griechifcher Kunſt nichts übrig geblieben ift, werden dieſe Arbei— 
ten hier übergangen. 

Sch fange an von dem Thone, als der erften Materie der 
Kunft, und befonders von den Modellen nebft der Arbeit im Sipfe. 
Die Modelle in Thon wurden, wie nod) io gefchiehet, mit einem 
Modellirſtecken gearbeitet, wie man fiehet an der Figur des Bild- 
hauers Alcamenes, auf einem Fleinen erhobenen Werke in Der 
Villa Mlbani. Die Künftler aber nahmen auch die Finger mit 
zu Huͤlfe, und ſonderlich die Nägel, einige feinen Theile anzuges 
den, und mit mehrerem Gefühle nachzuhelfen. Auf dieſe feinen 
und empfindlichen Drücke beziehet fich , was der berühmte Dos 
Ipcletus zu fagen pflegte, Daß ſich alsdann die größte Schwie- 
tigkeit im Mrbeiten äußere, wenn der Thon ſich in oder un 
fer den Nägeln fee. Orar es wuxa o muAog apıınra. Diefes 
fheinet mir bisher von niemand verftanden zu ſeyn ; Iren 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 509 


wenn es Franz Junius überfeet, cum ad unguem exigitur 
lutum, machet er jenen Ausſpruch dadurch nicht deutlicher, 
Das Wort wuxıco ,„ eEwvuxilw ſcheinet befagte leisten Drude 
der Bildhauer mit den Nägeln in ihrem Modelle anzudeuten. 
Das Modell der Künftler hieß Kovaßos. Auf eben dieſes En: 
digen der Modelle mit den Nägeln bezichet fic) die Redensart 
des Horatius, ad unguem fadus homo: und was eben derfel- 
be an einem andern Drte faget; Perfedtum decies non caftigavit 
ad unguem; und das eine fomohl als das andere ſcheinet fo we— 
nig als jene griechifche Medensarten verftanden zu feyn. So mie 
nun diefe Redensarten von den Nägeln der Finger auf Vollen- 
Dung der Modelle zu deuten find, eben fo wird der Daum genen⸗ 
net, wo der Arbeit in Wachsbildern gedacht wird 1). 

Exigite, ut mores teneros ceu pollice ducat 

Vt fi quis cera vultum facit. 

Juvenal Sat. 7. 

Ein berühmter Sceribent glaubet, wenn Diodorus ſagt, 
die aͤgyptiſchen Künftler hätten nad) einem richtigen Maaße ge 
arbeitet, Die Griechen aber nad) dem Augenmaaße geurtheilet, 
daß diefer Scribent habe anzeigen wollen, die griechifchen Künft- 
ler hätten Feine Modelle verfertiget. Das Gegentheil hiervon 
aber kann außer den wirklichen alten Modellen vom Thone, Die 
ſich noch io aud) von frenftehenden Figuren finden, von weldyen 
im erften Kapitel mehrere Nachrichten beygebracht worden, ein 
sefchnittener Stein des ehemaligen Stoſchiſchen Mufei Darthun, 

588 3 wo 


1) conf, Rutger. var. lect. L. 1. c. 7. P. 8 


B. 
Im Sipfe 


510 I. Theil. Viertes Kapitel, 


wo Prometheus den Menfchen, welchen er bildet mit einem Bley⸗ 
ſenk ausmiffet 1). Denn der Bildhauer muß mit Maaßen und 
mit Dem Zirfel arbeiten; der Maler aber follte das — * in den 
Augen haben. 

Das Modelliren im Thone aber iſt eigentlich nicht die Aus⸗ 
arbeitung ſelbſt, ſondern nur die Zubereitung zu dieſer, als wel⸗ 
he von Werfen von Gipſe, aus Elfenbeine, Steine und Mar: 
mor, von Erzte und von anderer harten Materie zu verftehen ift. 

Won Gipfe waren ehemals die Bilder der Gottheiten ar: 
mer Leute gemachet 2); und vermuthlich waren auch Die Bild: 
niffe berühmter Männer, die Varro aus Rom in alle Länder ver: 
fhidete, in Gipfe geformet. Itzo aber find nur erhobene Arbei— 
ten übrig, unter welchen ſich die fchönften an den gewölbeten De= 
den zweyer Zimmer und eines Bades bey Baja, ohnweit Nea— 
pel, erhalten haben: ich übergehe hier Die fehönen erhobenen Ar- 
beiten in den Gräbern bey Pozzuoli, weil diefelbe von Kalk und 
Puzzolana verfertiget find. Se flacher Diefe Arbeit gehalten ift, 
deſto fanfter und Tieblicher erfcheinet diefelbe; aber um den Figu: 
ven bey geringer Erhobenheit verfchiedene Abweichungen zu geben, 
ift dasjenige was aus flachem Grunde erhoben erfcheinen follte, 
mit vertieften Umriſſen angezeiget. Selten fcheinet «8 mir, Daß 
der Künftler der Gipsarbeiten an einer Heinen Kapelle in dem 
eingefchloffenen Hofe (repıßorog 3) des Tempels der Iſis der al- 

ten 


») Defcr. des pier. gr. du Cab. de Stofch,, p. 315. n. 6. 2) Prudent. 
apotheos. p. 227. L 3ı. 3) Paufan. L, 2. p. 172. l. 23. p. 174. L 3. 
P. 179. p. 186. 1. 13. p. 195, I. 17. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 511 


ten Stadt Pompeji, an den Figuren des Perſeus und der An⸗ 
dromeda ſich einfallen laſſen, die Hand jenes Helden, die das 
Haupt der Meduſa haͤlt, voͤllig freyſtehend zu arbeiten. Dieſe 
Hand konte nicht anders als um ein Eiſen herum befeſtiget wer— 
den, welches nod) itzo zu fehen ift, da die Hand felbft abgefallen. 
Was die Ausarbeitung im Elfenbeine betrifft, wurde die znercnseise 
felbe ſowohl als die erhobene Arbeit im Silber und im Erzte To- um Siber. 


Erklärung des 
veotice genennet , welches Wort von neueren nicht weniger als Fre 3» 


revtice. 
von alten Auslegern und Sprachkundigen auf gedrechſelte Sa⸗ > 
hen ift gedeutet worden. Es find aber Die Worte ropeuriun,, To- 
pevu@, (toreuma I) Topeurog, UND Topeurus, Die von Diefer Arbeit 
und von den Künftlern in derfelben gebraucd)et werden, nicht von 
Topvog dem Werkzeuge zum Drechſeln herzuleiten, und Feine von 
den Stellen die Heinrich Stephanus anführet, deutet etwas Ge: 
drechfeltes an, fo wie auch Diefer gelehrte Mann anmerfet, fon 
dern Das Stammmort jener Benennungen ift Topos, “ Deutlich, 
Har,“ und wird eigentlic” von der Stimme gebrauchet. Es 
feinen jene Worte angenommen zu feyn, eine erhobene Arbeitzu 
bedeuten, die verfchieden von der auf Edelgefteinen ift, welche 
avayhugov hieß, wie ich unten anzeigen werde; fo DaB Topeuu ei- 
gentlich eine Arbeit son hoch hervorftehenden Figuren heißen 
würde, Dasift, der Bedeutung des Worts ropog gemäß, die 
deutlich vor Augen lieget. Eben fo erkläre ich beym Dio Chry- 
foftomus das Wort Topeıas, wo er von Bechern gefriebener Ar⸗ 
beit redet, Die ermag Twag war ropsıag 2) haben, Das ift, die mit 
ge⸗ 
Vus. Cul. 66. 2) Dio Chryſoſt. orat, go. p. 307. D. 


512 I. Theil, Viertes Kapitel. 


geſchlungenen Zierrathen, und mit anderer erhobenen Arbeit ge- 
zieret find, mo der Ueberſetzer etwas Gedrechfeltes verſtehet. Da 
nun dieſe Kunſt fid) vornämlich mit Heinen Werfen und Zierra- 
then beichffäfigte, fo verbindet Plutarchus das Wort ropevew mit 
dem Worte Aerloupyer, Das ift, Heine Sachen arbeiten, da wo 
er vom Alerander, Dem dritten Sohne des legten macedonifchen 
Königs Perfeus berichtet, DaB derfelbe zu Rom in dergleichen 
Arbeit berühmt geweſen ſey 1). 

Der allerältefte Künftler in dieſer Art, und fonderlic) auf 
filbernen Gefäßen würde Alcon, aus Mylaͤ in Sicilien ſeyn, 
wenn dem Ovidius zu glauben wäre, weldyerihn etliche Menfdyen- 
alter vor dem trojanifdyen Kriege fetset, Da wo er unter den Ge⸗ 
ſchenken Die Anius der König zu Delos dent Aeneas gegeben, 
eine Schale von Diefes Künftlers Hand, nebft deren vorigen Be⸗ 
figern anzeiget. Der Dichter aber ſcheinet hier einen offenbaren Ana⸗ 
chroniſmus begangen zu haben: denn Mylaͤ wurde allererft einige 
Sahrhunderte nachher erbauet, wie Der Lefer fich in des Eluverius 
Eicilia belehren kann, weldyer gleichwohl diefes Wergehen des 
Ovidius fo wenig als die Musleger deffelben bemerfet hat 2). 

Die Ausarbeitung in Abficht auf die Steine, gehet vor: 
naͤmlich den Marmor, und die härteren Steine, als den Baſalt 


“ Statuen ge Und den Porphyr an. Die mehreften Statuen von Marmor find 
einem arpgn aus einem einzigen Stüde gearbeitet; und Plato giebt in feiner 


Republif fogar ein Geſetz, die Statuen aus einem einzigen 
Stuͤ⸗ 


3) Plutarch, Aemil. p. 501. 1. 15- 2) Cluv. Sicil, L. 2. p. 301. ſeq. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 513 


Stüde zu machen I). Unterdeflen finden fich nicht felten an ei- 
nigen der beften Statuen in Marmor ſchon anfanglid) ben ihrer 
Anlage die Köpfe befonders gemachet und eingefuget, wie Diefes 
augenſcheinlich ift an den Köpfen der Niobe und ihrer Töchter, 
an der mehrmals angeführten Dallas, in der Ville Albant, und 
an einer andern fhönen Pallas, an eben dem Drte ; «8 haben 
auch die vor wenigen Jahren gefundene Carpatiden eingefetzte 
Köpfe. Zumeilen wurden aud) die Arme befonders eingeſetzet 
wie e8 die Arme gedachter bender Statuen der Pallas find. 

An der beynahe colofjalifchen weiblichen Figur eines Flus⸗ eigen; 
ſes, in der Ville Albani, die ehemals in der Villa des berzog- j 
lichen Hauſes Efte zu Tivoli war, fiehet man, daB Die alten 
Bildhauer ihre Statuen, wie die unfrigen zu thun pflegen, an- 
geleget haben: denn der untere Theil dieſer Statue ift nur aus 
dem gröbften entworfen. - Auf den vornehmften Sinochen, die Das 
Gewand bededet, find erhabene Punkte gelaffen , welches die 
Maaße find, die nachher in völliger Ausarbeitung weggehauen 
worden, wie nod) iso gefchiehet. 

Abgefonderte oder frenftehende Glieder einer Figur wur: — Er 
den, wie e8 fi) an einigen Figuren zeige, der heutigen Art ge— de. 
mäß, durch eine Haͤltniß (Puntello) mit der Figur felbft verbun- 
den, und diefes bemerfet man fo gar, wo es nicht nöthig feinen 
Fonnte, an einem Mercules in dem Garten innerhalb des Pala— 
fies Borghefe. An diefer Statue ruhet die Spige feiner Schaam 

auf 
x) Plat. Leg. 12. P. 95%. A. 
Winkelm. Geſch. der Kunft. Ttt 


Letzte Hand, 
die den Statuen 
entweder durch 
die völlige 
Glätte, — 
mit dem Eiſte 
Er — 


514 1. Theil. Viertes Kapitel. 


auf dergleichen Haͤltniß, welche ein ſauber umher gearbeitetes 
Stäbgen Marmor von der Dice eines dünnen Federkiels ift, und 
zwiſchen dem Glied felbft und den Moden ftehen blieben ift. Die 
fen Hercules Fann man in Abficht feiner Erhaltung unter die fel- 
tenften Figuren in Nom zählen, denn es ift derſelbe dermaaßen 
unverletzet, Daß nur die Spiten von ein paar Zehen fehlen, wel- 
che auch nicht würden gelitfen haben ‚ wenn ſie nicht über den 
Sockel hinaus ftänden. 

Nach völliger Ausarbeitung der Statuen, wurden und 
blieben diefelben entweder völlig geglättet, welches zu erft mit 
vBimſtein und hernach mit Bley und Trippel geſchiehet, oder man 
uͤbergieng dieſelben von neuen mit dem Eiſen. Dieſes geſchah 


nm. cher, Hermuthlidy nachdem man den Figuren die erfte Hand der Glätte, 
ap 


naͤmlich mit dem Bimfteine, gegeben hatte. Man verfuhr alfo, 
theild um der Wahrheit des Zleifches und des Gewandes näher 
zu kommen, theils weil die völlig geendigten Theile, wenn fie bes 
leuchtet find, einen fo grellen Schein von fich werfen, daß da— 
durch vielmals Der mühfame Fleiß unfichtbar wird und nicht be 
merket werden kann. Es ift auch zu beforgen, daß im Schleifen 
und Glätten der Statuen die gelehrteften Züge und Die feinften 
Drucke verlohren gehen Eönnen, weil folche Arbeit nicht von dem 
Bildhauer felbft verrichtet wird. Es haben Daher einige alte 
Künftler, Die Muße und Geduld gehabt, ihre Werke von neuen 
zu übergehen, diefelben über der erften Glätte, fanft mit dem Ei- 
fen übergearbeitet. Unterdeffen find die mehreften Statuen auch 
Die coloffalifchen völlig geglättet, wie die Stücke. eines vermeint⸗ 
li⸗ 


Bon der Kunſt imter den Griechen. 315 


lichen coloffalifchen Apollo im Campidoglio, zeigen. Eben fo ge 
fehliffen find am Sleifche zween coloſſaliſche Köpfe, Die Tritonen 
vorftellen, und die coloffalifhen Köpfe des Titus und Trojanus, 
in der Villa Albant. Wenn alfo der Philofoph Lacydes, da er Die 
Einladung des Königs Attalus ausfhlug , fagete, man müffe 
die Könige nur von weiten fehen, wie Die Statuen, kann dieſes 
nicht auf alle und jede Statuen gedeutet werden, fo wie es von 
allen Koͤnigen völlig wahr feyn kann: Denn Die angeführten grog= 
fen Werke find dergeftalt geendiget, Daß fie wie ein geſchnittener 
Edelſtein Eönnen betrachtet werden. 

Don Statuen Die völlig mit dem Eifen überarbeitet wor= bb. Vom Lao⸗ 
den, ift der Laocoon Die fchönfte; und hier kann ein aufmerkfa- —* 
mes Auge entdecken, mit was fuͤr meiſterhafter Wendung und 
fertiger Zuverſicht das Eiſen gefuͤhret worden, um nicht die 
gelehrteſten Zuͤge durch Schleifen zu verlieren. Die aͤußerſte 
Haut dieſer Statue, welche gegen die geglaͤttete und geſchliffene 
etwas rauchlich ſcheinet, aber wie ein weicher Sammt gegen ei— 
nen glänzenden Atlas, ift gleichfam wie die Haut an den Koͤr— 
pern der alten Griechen, Die nicht durch beftändigen Gebraud) 
warmer Bäder, wie unter den Nömern bey eingeriffener Weich— 
lichkeit geſchah, aufgelöfet, und durch Schabeeifen glatt gerieben 
worden, fondern auf welcher eine geſunde Ausdünftung, wie Die 
erfte Anmeldung zur Bekleidung Des Kinns, ſchwamm 1). Die 


Zit2 zween 
1) Dieſe Bersleichungen fönnten zum Verſtaͤndniß des bisher nicht verſtandenen 
Ausdrucks im Dionyſius von Halicarnafius a), raus uexyammıns, und xXyovs 
wexunrnros, in Abſicht der Schreibart des Plato, und einiger andern gleich— 

de 


516 1. Theil. Viertes Kapitel, 


zween großen Löwen von Marmor, welche am Eingange des Ar- 
fenals zu Venedig ftehen, und von Athen dahin gebracht worden, 
find ebenfalls mit dem bloßen Eifen ausgearbeitet, fo wie es die 
Haare und Die Maͤhnen des Löwens erfordern. 

Aus dem griechifcehen Buchftaben H, welcher auf dem 
Sodel eines Fauns, im Palafte Altieri eingchauen ift ‚kann man 
muthmaffen, daß Statuen die an einem Orte beyfammen ftanden, 
mit ihrer Zahl begeichnet worden, fo daß jene Die achte gemefen 
feyn wird. Mit eben dieſem Buchftaben war ein Bruftbild, def 
fen in einer gricchifchen Infchrift gedacht wird, bezeichnet, und bes 
deutete alfo, Daß daflelbe in einem Tempel des Serapis, wo es 

ftand, 
bedeutenden Stellen, ald 3. €. Litteräe mervapoaı beym Cicero b), vielleicht 
mehr Deuflichkeit geben , als die gelehrten und heftigen Streitfchriften des 

Salmaſtus c) und des P. Petavius d) über dieſen Ort. Man Eönte gedachte 

Redensart, allgemein genommen, „ das fanfte rauchliche und gefalbete des 
Alterthums, uͤberſetzen. Das Wort vous nehme man nicht, wiejene, in ſei⸗ 
ner entfernterem, fondern in feiner erſten und natürlichen Bedeutung, naͤm⸗ 
lich der ſich meldenden Bekleidung des Kinns, und man halte fie zuſammen 
mit meiner Anwendung dieſes Bildes auf die bearbeitete Oberhaut des Lao⸗ 
coons, fo wird es ſcheinen, Dionyfius Babe eben diefeg fagen wollen. Haro 
dion e) welcher diefe Stellen nach beyden angeführten frreitigen Gelehrten hat 
erklären wollen, laßt ung ungewiſſer, als vorher, Eben dieſes Bild giebt das 

Wort yo; , wenn es gebraucht wird die wolligte Haut der Aepfel anzuzeigen, 

fo wie fich daſſelbe beym Ariſtophanes finder N. 

a) Epift.ad Cn. Pompej.dePlat. p.204.1.7. b) ad Attic.L. 14. ep. 7. 

c) Not. in Tertul. de Pal. p. 234. feq. Confut. Animadv. Andr. Cei- 
cotii, p. 172, 189. 

d) Andr. Kerkoetii (Petavii) Maftigoph. Part. 3. p. 106. feq. 

e) Sur une Lettre de Denys d’Halic, au Pompée, p. 128. 

f) Nub, v. 974. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 517 


ftand, unter anderen Bruftbildern Das achte war. Diefes hat 
der Ueberſetzer gedachter Infchrift nicht bemerket und bat den 
Buchftaben H als überflüßig angefehen 1). Ich glaube, daß 
aud) das N an dem Stamme einer Amazone im Mufeo Ca— 
pitolino eine Zahl nämlich fünfzig bedeute ‚nämlich daß dieſe Sta- 
tue Die fo vielfte an dem Orte gewefen, wo fie ftand. 

Der ſchwarze Marmor, von welchen eine Art auf der In— 
fel Lesbus gebrochen wurde 2), Fam fpäter als der weiße Mar: 
mor in Gebrauch; «8 fand ficd) jedoch eine ſolche Statue bereits 
von einem alten aͤginetiſchen Kuͤnſtler gearbeitet, Die ich im erſten 
Kapitel angemerket habe: die härtefte und feinfte Art Deffelben 
wird insgemein Paragone, Probierftein, genennet, Won gan— 
zen griechifchen Ziguren aus Diefem Steine haben fid) erhalten ein 
Apollo in der Galerie Des Palaftes Farnefe, Der fogenannte 
Gott Aventinus im Mufeo Tapitolino, welche beyde größer find 
als die Natur; ferner die zween bereit8 angeführten Centaure, 
unter Lebensgröße, Die ehemals dem Kardinale Zurietti gehöreten 
und itzo gedachtem Muſeo einverleibet find, deren Meifter Arifteas 
und Papias, aus Aphrodifium, ihre Namen auf Dem Sodel die 
. fer Statuen gefeget haben. In Lebensgröße find ein junger tanz 
zender Satyr, nebft der Statue eines Ningers, welcyer ein Oel⸗ 
fläfchgen in der Hand hält: beyde befinden fich in der Villa DI: 
bani, und wurden von dem Hrn. Rardinal Alexander Albani, dem 
Erbauer derfelben, in den Trümmern der alten Stadt Antium aus- 
gegraben, wo diefelben nebft einem Jupiter und einem Aeſcula— 

Ttt3 pius 
V Falcon. Infer. Athlet, p. 17. 2) Philoftrat. vit. Sophift. L. 2. p. 556. 


bIn ſchwar⸗ 
zem Marmor. 


ec. In Alaba⸗ 
fer, 


518 I Theil. Viertes Kapitel, 


pius aus eben dem Steine und in gleicher Groͤße, in einem runden 
Zimmer, ohnweit dem Theater daſelbſt, ſtanden. Außer dieſen Sta— 
tuen griechiſches Stils ſind aus eben dem Marmor gearbeitet, die⸗ 
jenigen Die nach aͤgyptiſcher Dirt vorgeſtellet, und in der Villa Kai⸗ 
fers Hadrianus bey Tivoli entdesket worden, von welchen im zwey⸗ 
ten Kapitel gehandeit ift. 

Diefer Marmor ift von ungleicher Haͤrte; Der mildefte 
aber ift der allerfchwärzefte, welchen wir Nero antico nennen: der⸗ 
jenige, welcher nod) io gebrochen wird, pfleget fpröde zu feyn wie 
Glas. Der Marmor gemeldeter Centauren wurde wegen feiner 
Härte von vielen für einen aͤgyptiſchen Stein gehalten, die aber 
durd) Die geringfte Probe widerleget wurden. 

Noch harter als der gewöhnliche weiße Marmor ift der 
orientalifche Alabaſter; und weil derfelbe, wie aller Alabafter, 
aus blättrigen Lagen beftehet, und nicht wie der weiße Marmor 
eine einförmige Maſſe ift, fo wird die Bearbeitung deſſelben da= 
durch fchwerer, indem deſſen Blätter leichtlich ausfpringen. Voͤl— 
lig ganze Fiauren fcheinen aus Feiner Art Mabafter verfertiget 
worden zu ſeyn, fo vielwir aus denen, die uns übrig geblieben find, 
urtheilen koͤnnen, ſondern die aͤußeren Theile, nämlich der Kopf, 
die Haͤnde und die Fuͤße waren aus anderer Materie, und ver— 
muthlich aus Erzt hinzugeſetzet. An maͤnnlichen und baͤrtigen 
Koͤpfen iſt das Fleiſch polirt, der Bart aber rauchlich gelaſſen; 
von dieſer Art aber, und uͤberhaupt von Koͤpfen hat ſich nur ein 
einziger in Rom erhalten, und zwar nur das Vordertheil oder 
das Geſicht eines Kopfs des Hadrianus, welcher ſich im Muſeo 
Capitolino befindet. Von 


Bon der Kunft unter den Griechen. 519 


Don ganzen Figuren find in Nom geblieben zwo Dianen 
unter Lebensgröße, Die größere im Hauſe Werofpt, Die Heinere 
in der Villa Borahefe ; Das ift, wie ich gefagt habe, nur Das 
Gewand derfeiben; Kopf, Hände und Füße aber find nen und 
von Erst. Beyde find von der Art Mabafter, den man agarino 
zubenamet, weil derfelbe dem Agath aͤhnlich ift, und Diefem Stei- 
ne an Härte nahe kommt; und an beyden ift das Gewand wun— 
Derbar fhön ausgearbeitet. In der Ville Albani befindet fich 
die obere Mälfte ebenfalls von einer Diana, Deren untere Dälfte 
ergaͤnzet iſt. Die größte Statue aus Alabafter aber ift ein fchö- 
vier geharnifchter Sturz von großer Kunſt, welcher mit dem Mus 
feo Odeſcalchi nad) ©. Ildefonſo in Spanien gegangen tft, und 
den Kopf, Die Arme und die Beine von vergoldetem Erste eines 
neueren Meifters hat: der Kopf foll den Julius Caͤſar vorftellen. 
Ich gedenke hier nicht der finenden ägyptifchen Statue, über Les 
bensgröße, von weißlichen thebaifchen Alabaſter, in der Wille 
Albani, die im zweyten Kapitel angeführet worden, als weldye 
die größte unter allen feyn würde, weil wir hier allein yon arie- 
chiſchen Werken handeln. 

Zu den Figuren gehören Die Hermen und die Bruftbilder, 
Vier Hermen in gewöhnlicher Größe von geblümten Chorito) Ala⸗ 
bafter, mit alten Köpfen von gelben Marmor, zieren die Ville 
Albani; und außer diefen find mir Feine Hermen diefer Art be 
kannt. Won Bruftbildern, oder eigentlicher zu reden, von der 
befleideten Bruft folcher Bilder fiehet man fünf Stüde in dem 
Mufes Capitolino; Die Bruft eines Hadrianus, einer Sabina 

und 


d. In Bas 
falt, 


520 1. Theil, Viertes Kapitel, 


und eines Septimius Severus von agathmaͤßigem Mlabafter; 
die Bruftdes Julius Caͤſars, und eine andere der älteren Fauftina, 
ingleichen eine Bruſt von fhlechteren Alabaſter, auf welche ein 
Kopf des Peſcennius Niger gefetzet ift, find von geblümten Ala⸗— 
bafter. In der Villa Albani befinden ſich dreyzehen ſolche Brü- 
fte: drey derfelben find in Lebensgröße, und von Diefen find zwo 
aus einem Mlabafter, den man cotognino nennet, weil deſſen 
Farbe einer gekochten Duitte Ccotogna) gleichet ; und von eben 
Diefer Art ift gedachter Sturz zu St. Ildefonſo. Das dritte Dies 
fer Stüde fo wohl als die übrigen sehen Brüfte , Die unter Lebens⸗ 
größe find, find von agathmäßigem Alabaſter. Eine andere fol- 
che Bruft mit einem weihlichen Kopfe ift in dem Hauſe des Marz 
chefe Patrizi Montoria. 

In Bafalt, fo wohl in dem eifenfärbigen , als in dem 
grünlichen, haben fich Die griechifchen Bildhauer nicht weniger 
als in Mabafter zu zeigen gefucht; von ganzen Statuen aber ift 
nur eine einzige bekannt, naͤmlich ein Apollo, größer als die Na⸗ 
tur, aber von mittelmäßiger Kunſt, weldyer in einem alten Ku: 
pfer als ein Mermaphrodit angegeben ift, und daher als ein fol- 
cher von dem würdigen Grafen Caylus gehalten worden I): Diefe 


- Statue ift von fchwärzlichen Bafalte ; von grünlichen Baſalte 


aber findet ſich ein Sturz einer männlichen Figur in Lebensgröße, 
in der Villa Medicis, und diefer Neft zeuget von einer der ſchoͤn⸗ 
ften Figuren aus dem Alterthume ; man kann denfelben fo wohl 
in Abficht der Wiffenfchaften, als der Arbeit, wicht ohne Ver 
wur 
s) Rec. d’ant, T. 3. p. 120. 


Bon der Kunk unter den Griechen. 521 


wunderung befrachten. Die übriggebliebenen Köpfe von dieſem 
Steine veranlaffen zu glauben, Daß nur befonders gefchichte Kuͤnſt— 
ler fich an denfelben gemacht haben: denn es find diefelben in 
dem fchönften Stil, und auf das feinfte geendiget. Außer dem 
Kopfe des Scipio, von welchen ich im zweyten Theile Meldung 
thue, war im Palafte Werofpi ein Kopf eines jungen Melden, 
welchen igo der Herr von Breteuil, malthefifcher Gefandter zu 
Rom, befizet, und in der Wille Albani befindet fich ein weibli- 
her idealiſcher Kopf, auf eine alte beFleidete Bruft von Porphyr 
geſetzt; Der fchönfte aber unter Diefen Köpfen würde der von eis 
nem jungen Menfchen in Lebensgröße feyn, welchen ich befitse, 
woran aber nur die Mugen, nebft der Stirn, das eine Ohr und 
Die Haare unverfehrt geblieben find. Die Arbeit der Haare an 
Diefem fo wohl, als an dem verofpifchen Kopfe, ift verfchieden 
von der an den männlichen Köpfen in Marmor; das ift, fie find 
nicht, wie an Diefen , in freye Locen geworfen, oder mit Dem 
Bohrer getrieben, fondern wie kurz gefchnittene und hernach fein 
gekaͤmmete Haare sorgeftellet, fo wie fie fich insgemein an mann: 
lichen idealifchen Köpfen in Erzt finden, wo gleichfam jedes Naar 
insbefondere angedeutet worden. An denen von Erzt aber, 
Die nach dem Leben gemacht find, ift Die Arbeit der Haare ver: 
fhieden, und Marcus Aurelius zu Pferde, und Septimius Se 
verus zu Fuß, dieſer im Palaſte Barberini, haben die Haare 
lockigt, wie ihre Bildniffe in Marmor. Der Dercules im Cam- 
pidoglio, hat die Haare Dick und kraus, wie am Mercules ge 
wöhnlich ift. In den Haaren des zuleist genannten verftümmel- 
Winkelm. Geſch. der Kunfl. Uun ten 


e. Im Porphyr 
und beſonders 
von ausgedre⸗ 
hetenGefäßen. 


522 L Theil. Viertes Kapitel. 


ten Kopfs iſt eine außerordentliche, und ich möchte faft ſagen, 
unnachahmliche Kunft und Fleiß: faft mit eben der Feinheit find 
die Haare an dem Sturze eines Löwens von dem härteften grün- 
lichen Bafalte, in dem Weinberge Borioni, gearbeitet. Won 
beyden letzterwaͤhnten Köpfen habe ich oben in der Anmerkung 
über Die Pancratiaften Ohren gehandelt, Die außerordentliche 
Glaͤtte, welche man diefem Steine gegeben , auch geben müffen, 
nebft Den feinen heilen, woraus derfelbe zuſammengeſetzet ift, 
haben verhindert, daß fid) Feine Rinde, wie an dem glätteften 
Marmor gefchehen, angefetet, und dieſe Köpfe find mit ihrer 
völligen erfteren Glätte in der Erde gefunden. 

Won der Arbeit in Porphyr habe ich bereits im zweyten 
Kapitel Meldung gethan, und angezeiget, auf welche Weiſe und 
mit was fuͤr Arten von Eiſen dieſer Stein gebaͤndiget wird, wo 
auch zugleich Die ſchoͤnſten porphyrnen Figuren griechiſcher Mei 
ſter, die ſich erhalten haben, angezeiget worden. Auf dieſes be— 
ziehe ich mich hier, und fuͤge eine Widerlegung eines gemeinen 
Vorurtheils hinzu, nebſt einer Anzeige von der Arbeit porphyr⸗ 
ner Gefäße. 

Verſchiedene Scribenten, welche glauben, Daß die heuti- 
gen Künftler den Porphyr nicht zu arbeiten verftehen 1), find 
übel berichtet worden, und Wafari, wenn ev vorgiebt, Daß Co$- 
mus, Großherzog von Toscana, ein Waffer erfunden, Diefen 
Stein weich zu machen leget feine Eindifche Leichtgläubigkeit an 

den 
ı) Juvenel Carlenc. Eff. fur Thift. de bel. lettr. T. 4. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 323 


den Tag 1). Die Arbeit in Dem Porphyr ift den nenern Künft- 
lern niemals ein Geheimniß gewefen, und es find fehenswürdige 
Werfe aus Demfelben auch zu unfern Zeiten verfertiget worden, 
unter welchen man den Deckel der alten Urne in der prächtigen 
eorfinifchen Kapelle zu St. Johann Lateran anführen Fann. Es 
ift bekannt, Daß diefes Gefäß vorher unter dem Portale des 
Dantheon fand; Daher zu glauben ift, Daß es in den Baͤdern 
des M. Agrippa, die mit Diefem Tempel vereiniget waren, ges 
Dienet habe, und da Gefäße von diefer Form, als Wannen in 
den Bädern gebraucher worden, und folglich ohne Dedel waren, 
fo wurde derfelbe zu jenem Gefäße, um e8 als eine Begräbniß- 
urne Pabfts Clemens XII. anzubringen, von neuem gearbeitet. 
Außerdem bat man im vorigen Sahrhunderte, Da Der Porphyr 
in größerer Menge zu Nom war, Köpfe aus Demfelben gehauen, 
von welchen in dem Palafte Borghefe der zwölf erften Kaiſer ihre 
ftehen. | 

Jene Scribenten aber fcheinen nicht diejenigen Werke be 
obachtet zu haben, die in der Arbeit Die fehwereften, und man 
Fönte fagen, unnachahmlich find. Diefes find Gefäße mit einem 
hohlen Bauche, die in der Dicke einer duͤnnen Schreibfeder aus: 
getrieben worden, mit ihren Pfalzen und Hohlkehlen am Ran⸗ 
de, am Fuße und am Deckel, ſo daß dieſelben augenſcheinlich auf 
der Drehebanke ausgedrechſelt geachtet werden muͤſſen. Von 
dieſen Gefäßen beſitzet der HOHr. Cardinal Alex. Albani, in feiner 
Villa, die ſchoͤnſten in der Welt, und das eine wurde vom Pabſte 

Uun 2 Cle⸗ 
») Vaſari Vit, de’ Pitt, Proem. P. 12. 


504 I. Theil, Viertes Kapitel. 


Clemens XI mit drey taufend Scudi bezahlet. Diefe Gefäße 
find in alten Gräbern im Travertinfteine eingefaffet gefunden wor: 
den, und eben Daher fo vollfommen erhalten, wie man diefelben 
ſiehet. 

Daß die alten Kuͤnſtler Gefaͤße auch aus anderen Steinen 
ausgedrechſelt, berichtet Plinius 1), und die Nachricht, die er 
ung von hundert und funfzig Säulen des Labyrinths in der In- 
fel Lemnus giebt, Die alle gedrechfelt waren, ift ein Beweis der 
großen Erfahrung der Alten in Diefer Art Mechanik, und zwar 
in den älteften Zeiten, als Diefes Gebäude angeleget wurde, Dies 
fe Säulen hiengen in einem befondern Seftelle, welches auch ein 
Knabe Drehen konnte 2). 

Diefe Arbeit Der porphyrnen Gefäße fehien bisher einem 
Geheimniße ähnlich, bis der Herr Cardinal Alerander Albani 
aud) dieſes Vorurtheil gehoben hat, und in einem wohlgelunge- 
nen Verſuche zeigen laffen, Daß man nod) itzo, nicht weniger als 
die alten Künftler , den Porphyr auszudrechfeln verftehe, aber 
das Ausdrehen Eoftet dreymal fo viel als die äußere Form des 
Gefäßes, und es ift Daffelbe dreyzchen Monate auf dem Drebe- 
geftelfe gewefen. Alle übrigen Gefäße von Porphyr, die fich in 
Palläften und Willen befinden , find neue Arbeiten von fehlechter 
Form, und wenn Diefelben hohl find, find fie cylindrifeh ausge 
drehet , welches vermittelt einer Röhre von Kupfer gefchiebet , 
Die Die Weite der vorgefeten Mohlung des Gefäßes hat; und 
mit einem Seile, ohne anderes Geftelle, gedrehet wird, 

Man 


ı) Plin. L. 36. c. 44. 2) Ibid. c. 19. $. 3. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 525 


Man merke bier, Daß ſich an Statuen von Porphyr wer 
der Kopf, noch Wände und Füße, aus eben demfelben Steine 
finden ; denn fie hatten dieſe äußeren Theile von Marmor. In 
der Galerie des Palaftes Chigt, welche iso in Dreßden ift, 
war ein Kopf des Caligula in Porphyr; er ift aber neu, und 
nad) dem von Bafalt im Campidoglio gemacht; und in der Wil- 
la Borgheſe ift ein Kopf des Vefpafianus, welcher ebenfalls neu 
ift. Es finden fich zwar vier Figuren, von welchen zwo und 
zwo zuſammen ftehen, aus einem Stüfe, am Eingange des Pa- 
laftes des Doge zu Venedig, die ganz und gar aus Porphyr 
find: es ift aber eine Arbeit Der Griechen aus der fpätern oder 
mittlern Zeitz und Hieronymus Magnus muß fich fehr wenig 
auf die Kunſt verftanden haben, wenn er vorgiebt, Daß «8 Ti- 
guren des Marmodion und Ariftogiton, der Befreyer von Athen, 
fyn 1). 

Zu der Ausarbeitung der alten Werke von Marmor für , P; Tor de 


rgänzung als 
wohl als von andern harten Steinen gehöret aud) Die Ausbeſſe— — 
rung derſelben, da ſich viele Figuren finden, die vor Alters be— —— 
ſchaͤdiget und wieder hergeſtellet worden ſind. Dieſe Ausbeffe: reist. 
rung und Ergaͤnzung aber iſt von zwofacher Art; zum erſten be— 
ſchaͤdigter oder mangelhafter Stellen in Marmor, und zweytens 
der Verſtuͤmmelung. Was jene betrifft, geſchah dieſelbe mit 
fein geſtoßenem Marmor, vermittelſt eines Kitts, mit welchem 
ein Loch oder eine Vertiefung angefuͤllet wurde, wie ich bemerket 
habe, an dem Baden eines Sphinx unter den Zierrathen eines zer⸗ 

Uun 3 broche⸗ 
iſcel. L. z, c. 6. p. 83. 


526 1. Theil, Viertes Kapitel, 


brochenen Altars, welcher im Merbfte 1767. in der Infel Capri, 
des neapolitanifchen Meerbufens, entdecket wurde, und ſich in 
dem Mufeo des Großbrit. Minifters zu Neapel, Hrn. Hamil⸗ 
ton befindef. 

u. Die Ergänzung der verftümmelten Theile geſchah, wie 

— bekannt iſt, und noch itzo geſchiehet, vermoͤge eines Stabes, wel⸗ 
cher in die Loͤcher geſetze wurde, die in dem beſchaͤdigten und 
mangelhaften Theile ſowohl als in Dem neueren Zuſatze geboh— 
vet wurden , um das Anzuſetzende zu befeftigen. Diefer Stab 
war vielmals von Erz , zuweilen aber ift derfelbe von Eifen, wie 
unter andern befannten Statuen hinten an dem Gefäße des Lao- 
coons zu fehen iſt. Das Erst wurde vorgezogen, weil deffen 
Ruſt dem Marmor nicht ſchaͤdlich ift, Da hingegen das Eifen 
nicht felten Ruſtflecke zu verurfachen pfleget , fonderlich wenn ei⸗ 
nige Feuchtigkeit hinein dringen kann; und Diefe Flecke greifen 
mit der Zeit weit um fich, welches augenfcheinlich ift an den ver⸗ 
ftümmelten Figuren eines Apollo und einer Diana, Die zu Baja 
entdecfet worden, amd deren ich oben Erwähnung gethan habe, 
Denn fonderlic) an jener Statue hat Das nod) itzo fichtbare Eifen, 
worauf der chemals ergänzte aber verlohrne Kopf befeftiget war, 
die Mälfte der Bruft gelb gemachet. Diefes zu verhüten, fette 
man fogar Säulen und Pilafter von weißen Marmor, mit Stä- 
ben von Erst in ihre Bafen ein , wie unter anderen an den Ba⸗ 
fen der Pilafter des Tempels des Serapis zu Pozzuoli * itzo 
kann bemerket werden. 


Man 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 507 


Man wird hier billig fragen, zu weldjer Zeit fo viele Wer— 
fe der Kunſt zerftümmelt und vor Alters ergänget worden: denn 
es muß fremde fcheinen, Daß dieſes zu Der Zeit gefchehen, in wel: 
cher Die Kuͤnſte geblühet haben, welches gleichwohl unläugbar ift. 
Diefe Zerftünmelung muß eines Theil bereits in Griechenland 
gefchehen feyn, entweder in Dem Kriege der Achaͤer wider Die 
Detolier , wo beyde Völker wider die Werfe der Kunſt wüteten, 
wie im zwenten Theile diefer Gefchichte angeführet wird, oder 
bey Abführung diefer Stüde nad) Nom; andern Theils aber in 
Nom felbft : die Zerftümmelung in Griechenland felbit wird ſon— 
Derlich durch Die zu Baja entdeckten Statuen wahrfcheinlich: den 
an Diefem Drte , wo die praͤchtigſten Lufthäufer der Roͤmer wa— 
ven, ift von der Zeit an, da die Kuͤnſte unter ihnen eingeführet 
worden, bis zu ihrem Abfalle, , Eeine Feindfeligkeit verübet wor⸗ 
den: da nun die Künfte nach den Antoninern von ihrem Glan— 
ze plöglich abfielen, und folglich auch an Wiederherftellung Der 
Werke derfelben nicht wird gedacht worden ſeyn, fo ift glaublich, 
Daß Diejenigen, Die fo wie ich gefagt habe, befchaffen find, und 
Fünftig zu Baja und in dortigen Gegenden möchten entdedet 
werden, bereits verftümmelt aus Griechenland gebracht worden, 
und nachher erganzet werden müffen. Eben dieſes Fönte man zum 
Theil von ſolchen Werfen der Kunſt in Nom fagen: bier aber 
werden Diefelben auch nachher in Dem großen Brande zur Zeit 
des Nero, und in den Witellianifchen Unruhen gelitten haben, 
wo wir wiffen, Daß man fi) auf dem Tapitolio durch Statuen, 
die herunter geworfen wurden, vertheidigte, 

Meine 


cc. Betrach⸗ 
tung über die 
Zeit folcher 

Ergänzungen: 


E. 
Ron der Ars 
beit in Erzt. 


a. Bon der 
Zubereitung 
des Erztes 
jum Guße. 


528 IL Theil, Viertes Kapitel, 


Meine Abſicht war, hier allein von den zerftümmelten und 
vor Alters von neuem erganzten Werken zu reden, nicht abervon 
denen, Die voͤllig zerftümmelt ausgegraben werden , als welche in 
den Ueberſchwemmungen der nordifchen Völker und in den Ver— 
wüftungen der Stadt Nom fowohl als des ganzen Latiums und 
anderer Länder von Stalien, um von Griechenland nicht zu re 
den, vernichtet worden find. Die Ueberdenkung diefer Wuth 
veranlaffet traurige Betrachtungen; und wir veden hier yom Aus⸗ 
arbeiten , nicht vom Zernichten. 

Bas endlich die Arbeit in Erst betrifft, fo werde ie dem 
£efer einige Bemerkungen mittheilen , zum erſten über die Zubes 
reitung Des Erztes zum Guße, ferner über die Formen, in welche 
gegoßen wurde, alsdann über Die Art zu gießen , und den Guß 
zufammen zu fegen, und von Fehlguͤßen, nicht weniger über das 
Löthen, und and) über eingelegte Arbeit in Erzt, und zuletzt über 
Das, was wir den Roſt nennen, das ift, die grünliche Beklei— 
dung des alten Erstes. 

zum erften wurde das Erst, wie noch iso gefchiehet, mit 
Zinne verfeet, um Daffelbe leichter zum Fluße zu bringen, wor⸗ 
inn es fich Dennoch zumeilen verhält (welches unfere Künftler in- 
eantare nennen) wenn das Zinn nicht veichlich zugeſetzet iſt; da⸗ 
ber erzählet Benvenuto Eellini , ein berühmter und erfahrner 
Künftler in Diefer Arbeit, da er eine Statue zu gießen hatte, und 
befohlen den Dfen des geſchmolzenen Erztes zum Guße zu öff- 
nen, währender Zeit er zu Mittage effen wollte, und Die Arbei- 
ter ihm meldeten, daß ſich der Guß verhalte, habe er fogleich 

feine 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 529 


feine Schuͤſſel und Teller von Zinne ergriffen und in Das glüende 
Erzt geworfen, wodurd unverzüglich der Guß flüßiger gewor— 
den. Aus diefer Urſach, und um den Guß folcher Werke Teich: 
terer und ficherer zu machen, wurden zumeilen Statuen aus Ku- 
pfer gegoffen, weil e8 gefchmeidiger iſt, wie wir von Den vier 
Pferden zu Venedig wiffen , deren ich nachher gedenfe. Das 
Kupfer fcheinet auch gewähletzu feyn zu Statuen, welche vergol- 
det werden follten, weil e8 mit Diefen eine unzeitige Verſchwen—⸗ 
dung gewefen ſeyn würde , ein fehönes Erzt mit Golde zu über: 
ziehen; außerdem ift bekannt , daß das Kupfer leichter als das 
Erzt zu vergolden ift. 

Der nöthige Zufag des Zinns hat in dem Erzte, wenn 
es vor Alters im Feuer gelitten, verurfachet, Daß an Demfelben 
ganz Kleine Löcher , wie Bläsgen entdedket worden. Denn das 
Sinn, als die flüßige Materie, ift durch Die Hitze des Feuers ver 
zehret worden , und hat Das ohne feinen Zufag fpröder gewor- 
dene Erzt gleichfam wie einen Bimftein zurück gelaffen, daher 
dergleichen Erzt leichter am Gewichte als gewoͤhnlich iſt. Diefeg 
verminderte Gewicht ift greiflid) an den Münzen der größten 
Form, die wir Medaglioni nennen, und Die im Feuer gewefen 
find, weil man fie nach anderen wiegen, oder aus langer Erfah— 
rung das gewöhnliche Gewicht derfelben durch das Gefühl ab- 
mefien kann: wenn folche Münzen , die des Zinng, als gleichfam 
ihres ölichten Theils beraubet worden , nachdem fie ausgegra= 
ben worden, einige Zeit an der Luft oder in der Feuchtigkeit lies 

Winkelm. Gefih. der Runſt. EN gen, 


530 J. Theil. Viertes Kapitel. 


gen, pfleget dieſelben ein gruͤner Ausſchlag zu uͤberziehen, wo— 
durch das alte Erzt zerfreſſen und zermalmet wird. 
— der Um zweytens von den Formen, welche die Kuͤnſtler zu 
Ser aachen Statuen in Erzt zubereiteten, etwas anzumerken, bringe ich hier 
Die Beobachtung bey, Die an den gedachten vier alten Pferden, 
über dem Portale der St. Mareusfirche zu Venedig gemachet 
worden, nämlich Daß Diefe Figuren eine jede in zwo Formen ges 
goffen gewefen; Die in der Länge Diefer Pferde zufammen paffe: 
ten, fo daß man nicht nöthig hatte, Die Formen nach vollende- 
tem Guße zu zerfchlagen, wie mit.andern Güßen gefchehen muß. 
e. Bon ber Die dritte Bemerkung von der Art zu gießen, und den 


Art zugießen, 
und den Guß Guß sufammen zu ſetzen, führet ung bis zu den erften Verſuchen 


a n und in Die älteften Zeiten zurück, in welchen, wie Pauſanias be 
richtet, Die Figuren von Erzt aus Stücen zufammengefeet und 
durch Nägel verbunden wurden, wie ein Supiter zu Sparta 
war, den Learchus, aus der Schule des Dipvenus und Scyllis 
gearbeitet hatte. 1) Diefer leichtere Weg Statuen zu gießen, 
blieb noch in fpäteren Zeiten uͤblich, welches ſechs hereulanifche 
weibliche Figuren, in und unter Lebensgröße zeigen: denn der 
Kopf, die Arme und die Beine find befonders gegoſſen, und Der 
Rumpf felbft ift Fein Ganzes. Diefe Städe find bey ihrer Ver⸗ 
einigung, Durch eingefügte Hefte, die in Italien von ihrer Form 
DI] Schwalbenfchwänze (Code di rondine) heißen, verbunden, 
Der kurze Mantel diefer Figuren, welcher ebenfalls aus zwey 
Stücken beſtehet, einem Vorder: und Hintertheile, ift auf den 

Achſeln, 


) Pauſan. L. 3. p. 357. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 531 


Achſeln, wo derfelbe gefnöpft vorgeftellet iſt, zufammenges 
ſetzet. 

Durch dieſen Weg verſicherten ſich die alten Kuͤnſtler vor 
Fehlguͤßen, welche in ganzen Statuen und aus einem einzigen 
Guße, nicht leicht zu vermeiden ſind, und dennoch bemerket man 


nachgeholfene Ausfuͤllungen, die and) indem Kupferſtiche gedach⸗ 


ter Pferde zu Venedig angezeiget worden, wo die eingeſetzten 
Stuͤcke bereits vor Alters mit Naͤgeln befeſtiget zu ſehen ſind. 
Sc) ſelbſt beſitze ein Stuͤck eines vermuthlichen Fehlgußes, wel- 
ches nebſt dem Kopfe in Lebensgroͤße, ſich allein von einer jugend⸗ 
lichen männlichen Figur erhalten fand: der Kopf war ehemals in 
dem Mufeo der Cartheufer zu Nom, 1) und befindet ſich ito in 
der Villa Albani. Gedachtes Stück ift die Scham, welche bes 
fonders eingefuget war; und es ift merkwürdig, Daß an der ins 
nern Seite, da wo auswärts der Haarwachs feyn würde, drey 
griechiſche Buchftaben IIIX. von einem Zollelang ftehen, Dienicht 
fichtbar feyn konnten, als diefe Figur ganz war. Montfaucon 
ift übel berichtet worden, wenn er fic) fagen laffen, Daß die Sta- 


tue des Marcus Aurelius zu Pferde nicht gegoffen , fondern mit. 


dem Dammer getrieben fey 2). 

Das Löthen an den Figuren der Alten, worauf die vierte 
Bemerkung gehet, ſieht manan den Daaren und an frey hangen- 
den Locken, welche in der älteften Zeit der Kunſt fowohl als in 
der Slüthe derfelben pflegten angelöthet zu werden. Das ältefte 
Werk Diefer Art, und überhaupt eines der Alteften Denfmale der 

tr 2 Kunft, 


x) Monum, a Borion, colleit. p. 14. 3) Diar. Ital, p. 169. 


d. Von Lö⸗ 


ben. 


e. Mon einges 
legter Arbeit 
in Erzt. 


532) I. Theil, Viertes Kapitel, 


Kunſt, ift ein weibliches Bruftbild des herculaniſchen Muſei, 
weldyes vorwärts über der Stirne bis an die Ohren funfzig Lo— 
den, wie von einem ftarfen Drathe hat, Der beynahe in der Dicke 
einer Schreibfeder iſt; und dieſe hängen angelöthet neben und. 
über einander , eine jede von vier bis fünf Ringeln; die hinte- 
ven Haare find in einer Flechte um den Kopf herum geleget. 
Ein anderes feltenes Stüd mit angelötheten Haaren, ift in 
eben dieſem Muſeo ein männlicher jugendlicher Kopf, und eine 
Abbildung einer beftimmten Perfon , welcher acht und fechzig 
angelöthete Locken bat, fo Daß diejenigen, die hinten im Na— 
en nicht frey hängen, mit dem Kopfe aus eben Demfelben 
Buße find. Sene Locen gleichen einem fchmalen Streifen Pa— 
pier, welcher gerollet , und hernach in Geftalt einer Spiralfe- 
der auseinander gezogen würde ; Diejenigen Die auf Der Stir— 
ne hängen, haben fünf und mehr Windungen ; die im Na: 
chen haben deren bis an zwölf, und auf allen laufen zwo einge: 
fchnittene Züge an dem Rande herunter. Won diefem Gebrau— 
che in der fchönften Zeit Der Kunſt, ift der Beweis ein idealifcher 
Kopf eben dieſes Mufei, Der Dafelbft insgemein mit dem Namen 
des Plato bezeichnet wird, und als ein Denkmal der fchönften 
Arbeit in Erzt kann geachtet werden, denn es hat Derfelbe Die 
Eraufen Locken in den Schlafen gleichfalls angelöthet. 

Zum fünften ift der eingelegten Arbeit von Erzt mit ein 
paar Worten zu gedenken. E8 haben ſich einige Stüde mit Sil- 
ber durchbrochen erhalten I), wiedas Diadema des Apollo Sau= 

roctonon 
») Conf. Buonar. pref: alle off. fop. alc. med. P. 19. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 533 


roctonon in Der Villa Albani, und die Bafen verſchiedener Fi— 
guren des hereulanifchen Mufei find. Man pflegte auch zumei- 
len die Nägel an Mänden und Süßen von Silber zu machen, 
welches man an ein paar Kleinen Figuren in dem hereulanifchen 
Mufeo ſiehet, und Paufanias gedenket auch einer Statue mit 
ſilbernen Nägeln 1). Hier find die vier vergoldeten Pferde ans 
zuführen, die der berühmte und reihe Nedner, Merodes Atticus, 
zu Corinth ſetzen ließ, deren Huf von Elfenbeine war 2). 

Da nun endlich die Farbe welche das Erzt durch DieLän- anen ee 
ge der Zeit bekam, die Schönheit folcher Statuen erhob, fo ift wie 
zum fechften Diefe Farbe, weldye eine grünliche Bekleidung des 
Erstes ift, zu bemerken, Die defto fchöner wurde, je auserlefener 
das Erst war, und hieß bey den Römern aerugo (nobilis aerugo, 
fagt Horatius). Das corinthifhe Erzt nahm eine hellgruͤne Far— 
be an 3), Die ſich an Münzen und einigen Eleinen Figuren zeige; 

Die Statuen und Köpfe des herculanifchen Mufei haben eine 
dunfelgrüne Farbe, Die aber nachgemachet iſt: Denn da alle Die 

fe Stücke fehr befchädiget und zertrümmert gefunden worden, 

und von neuem im Zeuer gelöthet und ergaͤnzet find, ift der alte 

Ruſt abgefprungen, und man ift genöthiget gewefen, dieſen Stü- 

cken einen neuen Anftrich zu geben. Weil nun, je älter die Werke 

von Erzt, deſto fehöner die grünlicye Bekleidung war, fo wur: 

den auch aus Diefem Grunde die alten Statuen den neueren von 

den Alten felbft vorgezogen. 3 
4,3 Viele 


1) Pauſan. L. 1. P. 57. L3. 2) Id. L. 2. P. 113. Le 
2) Plin. L. 37. P. 55. 


534 1. Theil, Biertes Kapitel, 


ee, = Viele Statuen von Erst wurden vergoldet, wie das Gold 

aa. Allgemein. NOCH) itzo zeiget, welchesfich erhalten Hat an der Statue des Mar: 
cus Aurelius zu Pferde, an den Stücken von vier Pferden und 
einem Wagen, Die auf dem herculanifchen Theater fanden, fon- 
derlich an dem Hercules im Campidoglio und an gedachten vier 
Dferden zu Venedig I). Die Dauerhaftigkeit der Wergoldung 
an Statuen, welche viele hundert Sabre unter der Erde verfchüt- 
tet gelegen , beftehet in den ftarfen Goldblättern: Denn das Gold 
wurde bey weitem nicht fo dünne, als bey uns, gefchlagen, und 
Buonarrotti zeiget den großen Unterfchied des Verhaͤltniſſes. 
2) Daher fieht man in zwey verfchütteten Zimmern des Pala— 
ftes der Kaifer, auf dem Palatino in der Villa Farneſe, Die 
Zierrathen von Golde fo friſch, als wenn Diefelben neulich ge— 
macht worden; ohngeachtet dieſe Zimmer wegen des Erdreichg, 
womit fie bedecket find, fehr feucht find: die Himmelblauen und 
bogenmweis gezogenen Binden mit Fleinen Figuren in Golde koͤn⸗ 
nen nidyt ohne Verwunderung gefehen werden.  2luch in den 
Trümmern zu Perfepolis hat ſich noch Die Wergoldung er: 
halten 3.) 

a > In Feuer vergoldet man auf zweyerley Art, wie bekannt 

felben. iſt; Die eine Art heißt Analgama, die andere nennet man in Rom 
allo Spadaro , d. i. nach Schwerdfeger Art. Dieſe geſchieht 
mit aufgelegten Golöblättern, jene Art aber ift ein aufgelöfetes 
Gold in Scheidewaffer. In diefes von Gold ſchwangere Waf 

fer 
a) Maffei Stat. n. ao. 3) Offerv. fopr, alc. Medagl. p. 370. 
3) Greave Defer, des Antiq. de Perfep. p. 23, 


Bon der Kunft unter den Griechen, 535 


fer wird Queckſilber gethan, und alsdenn wird es auf ein gelin- 
des Feuer gefeget, Damit das Scheidewaffer verrauche , und das 
Gold vereiniget fich mit dem Quedfilber , welches zu einer Sal- 
be wird. Mit diefer Salbe wird das Metall, wenn es vorher 
forafältig gereiniget worden, geglühet beftrichen , und Diefer An— 
ftrich erfcheinet alsdenn ganz ſchwarz; von neuem aber aufs Feuer 
gelegt, befommt das Gold feinen Glanz.  Diefe Vergoldung 
ift gleichfam dem Metalle einverleibet, war aber den Alten nicht 
bekannt; fie vergoldeten nur mit Blättern, nachdem das Me: 
tall mit Duecifilber beleget oder gerieben war 1), und Die lange 
Dauer dieſer Wergoldung lieget, wie ich gefagt Habe, in der Di: 
de der Blätter, deren Lagen noch igo an dem Pferde des Mar: 
eus Aurelius fihtbar find. 
Auf den Marmor wurde das Gold mit Eyerweiß aufge een 
tragen , welches iso mit Knoblauch gefchieht, womit der Marz auf Warmor. 
mor gerieben wird, und alsdann überzichet man den Marmor 
mit Dünnem Gipfe, auf welchen die Vergoldung getragen wird. 
Einige bedienen ficd) der Milch der Feigen, welche fich zeiget, wenn 
ſich Die Feige , Die zu veifen anfängt , von dem Stengel ablöfet, 
als welche eine von den fchärfften und freßendenften Säften in 
der Welt iſt. An einigen Statuen von Marmor finden fic) noch 
iso Spuren von Vergoldung an den Haaren, und an der Be 
Heidung, welche an Der fchönen Pallas zu Portici, bey deren 
Entdeckung, fehr fihtbar war; ja «8 finden ſich Köpfe die ganz 
vergoldet waren, und unter andern ein Kopf des Apollo im Mu— 
ſeo 
1) Plin. L.133..0..32. 


536 IL. Theil. Biertes Kapitel, 


feo Capitolino, und vor vierzig Jahren fand fich das Untertheil ei- 
nes Kopfs , welcher einem Laocoon Ahnlich war, mit Vergol- 
dung; Diefe aber ift nicht auf Gips, fondern unmittelbar auf den 
Marmor gefett. | 

FR Zu den Anmerkungen von dem mechanifchen Theile der 
Bildhauerey, gehören insbefondere die eingefegten Augen, Die 
fich an Köpfen fowohl von Marmor als vom Erzte befinden. Ic) 
vede hier nicht von den filbernen Augen Eleiner Figuren von Erz: 
te, Deren verfchiedene in Dem berculanifchen Mufeo find, noch 
von Steinen Die in dem Augapfel einiger großen Köpfe von Erst, 
die Farbe der Iris nachzuahmen, eingefetet worden, wie von Der 
Pallas des Phidias von Elfenbein 1), und von einer andern 
Dallas, indem Tempel des Vulcanus zu Athen, bemerket wird, 
als welche blaue Augen hatte (YAavxes Tas op9arnuug 2): Denn 
Diefes ift allbereits von anderen berühret worden, und nichts be= 
fonderes. Meine Bemerkung gehet auf ganze eingefezte Aug⸗ 
Apfel, welche an Köpfen, die Diefelben haben, von einem fchnees 
weifen und weichen Marmor, den man Walombino nennet, ver 
fertiget worden, dieſe Augaͤpfel wurden zumeilen befonders befe- 
ftiget, wie fich an einem fchönen weiblichen Kopfe, bey dem Bild⸗ 
bauer Cavaceppi zeiget, an welchem man in den hohlen Dlugen, 
fowohl im Grunde als unterwärts, gebohrte Löcher fiehet, Der 
gleichen Augen wurden nicht allein den Göttern, fondern auch 
Bildniſſen anderer Perfonen gegeben, wie theils die Augen be 
weifen, Die aus der Statue eines Hiero von Sparta heraus fies 

len 
3) Plat. Hipp. ma). p. 349. 1. 7. 3) Paufan. L. 1. p. 36. 1. 8. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 537 


len , vor der Schlacht bey Leuctra , wo derfelbe blieb, melches 
auf deſſen Tod gedeutet wurde x), theils ſich zeiget an verſchie— 
denen Köpfen des hereulanifchen Muſei; denn folche Augen hat 
nicht allein das größere von zween Bruftbildern des Hercules, 
fondern auch ein Heiner männlicher jugendlicher aber unbekann- 
ter Kopf, ingleichen einweibliches Bruftbild und der ohne Grund 
fogenannte Seneca. Diefe find unter den bereits an das Licht ge= 
ftellten Köpfen; nachher aber ift ein Kopf mit ähnlichen Dlugen 
entdeckt worden, nebft der Merma von Marmor, worauf derfel- 
be ftand, an welcher man den Namen CN. NORBANI SORI- 
CIS eingehauen liefet. 

Eine befondere Art folcher Augen zeiget ſich an Dem über 
allen Begriff fehönen coloffalifchen Kopfe des Antinous, zu Mon: 
Dragone , bey Frafcati, und an einer Mufe uber Eebensgröße im 
Palafte Barberini, von welcher zu Anfange des zweyten Theils 
gehandelt wird. An jenem Kopfe ift der Augapfel aus gedad)- 
tem Marmor gedrehet , und unter Dem Rande der Augenlieder 
ſowohl als in den Winkeln der Thränendrüfen ift eine Spur von 
ſehr duͤnnem Silberbleche geblieben, womit germuthlich der Aug— 
apfel, ehe man denfelben eingefetset, völlig bekleidet worden; wo— 
yon die Abficht gewefen ift, Durch den Glanz des Silbers Die 
wahre Farbe der glänzenden weißen Hornhaut nadyguahmen. Dies 
fes Silberblätgen ift vorne an dem Augapfel bis an den Cirkel 
der Iris rund umher ausgefchnitten gewefen, und in dem Mit: 

tel 
») Plutarch. meer T& un xgav sunere. To Tb. p. 707. 1. 24. 


Winkelm. Geſch. der Bunft. Vyy 


j. Anzeige ber 
beſten Figuren 
und Statuen 
von Erzt. 


538 I. Theil, Viertes Kapitel, 


telpuncte der Iris ift ein noch tieferes Loc) ausgehöhlet, um fo: 
wohl die Jris als Den Stern Des Auges zu bezeichnen, welches 
mit zwo verſchiedenen Edelfteinen gefchehen feyn wird, um Die 
Farben fowohl der einen als des anderen vorzuftellen. Auf eben 
Diefe Art find die Augen gedachter Muſe eingefeset worden, wie 
der Rand eines dünnen Silberblechs einwärts an den Augenlie⸗ 
dern umber fchließen laͤſſet. 

Da nun unter allen alten Denkmalen Die von Erzt Die fel- 
tenften find, Hoffe ich nichts überflüßiges zu thun, wenn id) hier 
ein Verzeichniß bepbripge von den merkwürdigften Stüden, Die 
fid) erhalten Haben, Deren Anzahl geringe gewefen feyn würde 
vor den Entdeckungen, die an den Drten gemachet find, welche 
durch den Veſuvius verfchüttet und verfenket worden. Meine 
Abficht ift nicht, und kann aud) nicht ſeyn, allemerfwürdigen Ent- 
deckungen diefer Art, die fihin dem herculanifchen Mufeo befinz 
den, anzuzeigen, wie ein jeder begreift, Der einigen Begriff von 
Diefem Schage Der Alterthümer hat, deffen Neichthum in Denk— 
malen von Erzt beftehet. Ich will mid) alfo hier auf einige der 
vornehnften Statuen in Lebensgröße einfchrenken, Da ich vieler 
andern Werke Diefes Muſei an andern Orten diefer Gefchichte ges 
denke. Da aber in Nom und noch mehr anderwärfs alte Werke 
von Erzte eine Seltenheit find, will id) alle Köpfe und Statuen; 
die mir befannt find, anführen; fo daß ich hier Feine Figuren , 
die nicht über ein paar Palme hoc) find, ausfchließe. Denn ar 
Heinen fonderlich hetrurifchen Figuren ift Fein Mangel. Sc) wer: 
de jedoch) giniger Figuren, Die nicht über einen Palm find, erwäb- 

ven, 


Bon der Kunft unter den Griechen, 539 


nen, weil fie von griechiſcher Kunft und von großer Schönheit 
find. 

Unter den Statuen des hereulanifchen Mufei in Lebens: ee 
größe find die merfwürdigften ein junger ſitzender und fchlafender Nuteo- 
Satyr, welcher den rechten Arm über fein Haupt geleget und 
den linken Arm hängend hat; ferner ein alter trunfener Satyr 
auf einem Schlauche liegend, unter welchem eine Löwenhaut ges 
worfen iſt. Es ſtuͤtzet fich derfelbe mit dem linken Arme, und zum 
Zeichen der Srölichkeit, fehläget er mit der erhobenen rechten Hand 
ein Schnipfgen, fo wie die Statue des Sardanapalus zu Anchia⸗ 
lus in Cilicien gebildet war 1) und wie nod) ifo in einigen Tanz 
zen gewöhnlich ift. Noch größeren Beyfall findet insgemein ein 
fisender Mercurius mit vorwärts gefrümmetem Leibe, welcher 
das linke Bein zurück geſetzet hat, und fich mit der vechten Hand 
ftütset, in der linken aber ein Stück vom Caduceo hält. Außer 
der Schönheit machet ſich die Statue merfwärdig durch einen 
Heft in Geftalt einer Heinen Roſe mitten unter den Fußſohlen und 
auf den Riemen der an den Füßen gebundenen Flügel, welche, da 
fie verhindert würden, den Fuß, ohne ſich wehe zu thun, auf die Er— 
de zu feßen, anzudenten ſcheinen, daß diefer Mercurius nicht 
zum wandern, fondern zum fliegen gemachet fey. Das unterwärts 
eingedruckte Kinn deffelben habe ich oben angezeiget. Später als 
Diefe drey Statuen find entdecket worden zween junge und unbe: 
kleidete Ninger, ebenfalls in Lebensgröße, die einander gegenüber 
ftehen und mit ausgeſtreckten Armen im Begriffe find, fi am 

Vyy 2 vor⸗ 
a) Strab, L. 14. p. 672. A. Plutarch. de Fortit. Alex. II. p. 599. J. 19. 


549 1. Theil, Biertes Kapitel, 


vorfheilhafteften zu faſſen. Diefe Statuen haben ihren Platz in 
dem Mufeo felbft , eine jede in einem befonderen Zimmer , und 
Eönnen mit Rechte unter Die größten Seltenheiten unferer Zeit gez 
zaͤhlet werden, fü wohl als die vier oder fünf befleideten weiblichen 
Statuen, Die wie im Tanzen vorgeftellet find und auf der Treppe 
ftehen, Die zu dem Mufeo führet, nicht weniger als die Faiferli- 
chen Statuen , beyderley Geſchlechts, Die größer noch als jene 
find, und nad) und nad) ausgebeffert werden. Ich wiederhole 
daß ich nur Statuen diefes Mufei von Lebensgröße anzuzeigen 
gefonnen bin; und ich übergehe alfo den vermennten Alexander 
und eine Amazone beyde zu Pferde, die an drey Palmen body 
find, ingleichen einen Mercules, wie aud) viele Silent, die auf 
Schlaͤuchen theils ſitzen, theils reiten, und zu Springbrunnen Dies 
neten, nebft vielen anderen Figuren von gleicher oder naher Gröf 
fe; Die Fleineren Figuren nicht gerechnet. Eben fo übergehe ich 
shngefehr vier und zwanzig Bruftbilder theils in Lebensgröße 
theils über diefes Maaß, und andere die Feiner find, die alle in 
dem fünften Bande des — *— Muſei an das Licht gege⸗ 
ben worden find. 

Sch unterftehe mich nicht zu behaupten, ob in ganz Nom 
und in allen Palaͤſten und Mufeis ein fo großer Schag von alten 
Figuren in Erst zufammen gebracht werden koͤnne; ich glaube 
jedoch), daß bier jenes Mufeum den Vorzug behält, auch wenn 
wir allein von Statuen reden. Sch will dag merkwürdigfte von 
diefen feltenen Werken in Nom anzeigen, und vom Campidoglio 


3. Inden Dar anfangen. Außer der beynahe coloflalifchen Statue des Marcus 


Au⸗ 


Bon der Kunft unter den Griechen. 541 


Aurelius zu Pferde, auf dem Plate dis Campidoglio, ftehet in — 
dem inneren Hofe zur Rechten ein irrig vermeynter coloſſaliſche 
Kopf des Commodus, nebſt einer Hand, deren Groͤße glaublich 
machet, daß ſie zu eben der Statue gehoͤre, von welcher dieſer 
Kopf iſt. In den Zimmern der Conſervatori eben dieſes Pala— 
ſtes befindet ſich ein bekannter Hercules über Lebensgroͤße, wel- 
cher annoch voͤllig die alte Vergoldung erhalten hat, nebſt der 
Statue eines fo genannten Camillus oder Opferknabens, im bloſ— 
fen Unterfleide welches aufgefchürget ift, fo wie diefe Knaben auf 
verfchiedenen erhobenen Werfen abgebildet worden find. In eben 
dem Zimmer mit diefer Figur fiehet man einen figenden Knaben, 
welcher fich einen Dorn aus dem Fuße ziehet; und beyde find 
groß wie die Natur Diefes Alters. Außerdem ftehet Dafelbft Die 
hetruriſche Wölfin mit dem Romulus und Nemug, die im dritten 
Kapitel diefer Gefchichte angeführet worden, nebft einem Bruſt⸗ 
bilde, welches unter dem Namen des Brutus gehet, ingleichen 
sween vergoldet gewefene Gänfe, oder vielmehr Enten. In dem 
Mufeo Eapitolino, jenem Palafte gegenüber, befindet ſich eine 
vergoldet gewefene Diana triformis, Die, weil fie nicht über einen 
Palm hoch ift, nicht hierher gehöret. Diefen öffentlichen XBerfen 
von Erst füge ich bey zwo gleichfalls vergoldet gewefene Pfauen, 
die in dem vaticanifchen Palafte neben den großen Tannenzapfen 
von Erste ftehen, welches der Zierrath auf den Gipfel des Be— 
gräbniffes des Hadrianus gewefen zu feyn feheinet: denn er bat 
Sich in Demfelben gefunden. 


Dyyz Ans 


542 T. Theil. Viertes Kapitel, 


Andere römifche Galerien, Muſea und Villen haben nur 
einzelne oder Doch wenige Stüce aufzumeifen , unter welchen in 
dem Palafte Barberini des Septimius Severus Statue die be 
Fanntefte ift, an welcher die Arme und Füße neu find. Hier be 
findet fich auch Die oben angeführte hetrurifche Figur , Die ein 
neues Fruchthorn hält; und in Dem Mufeo dieſes Hauſes wird 
ein ſchoͤnes weiblicyes Bruftbild verwahret. 

Außer dieſem Palafte ift innerhalb Nom das einzige Mus 
ſeum der Sefuiten, wo Werke von Erzt und zwar in großer Anzahl 
find, in deren einzelner Anzeige ich mic) nicht einlaffen kann, weil 
die mehreften Eleine Ziguren find; Die größten find ein Kind und 
ein Bacchus, die nebft ihren alten Sockeln, auf welchen fie fles 
ben, über drey Palme hoch find, ingleichen ein fchöner Kopf eis 
nes Apollo in Lebensgröße , deſſen ich bereits Erwähnung gethan 
habe, nebft dem vergoldeten Kopfe eines jungen Menfchen, wel⸗ 
cher unter Lebensgröße iſt. Es bleibt nichts übrig anzumerken 
als die Figur eines laufenden Knabens von etwa vier Palmen 
hoch, Die der ehemalige Antiquarins Sabbatini befaß, und von 
dem Mandelsmann Belifario Amidei , dem itigen Beſitzer, für 
350, römifche Thaler erftanden ift. 

Ban Was die Willen in und außer Nom betrifft, find bier 


Villen und 
fonzertip in nur drey derſelben zu merfen, Die Villa Ludoviſi, Mattei, und 
dani. Albani. In der erſten befindet ſich ein coloſſaliſcher Kopf des 
Marcus Aurelius, und in der zwoten ein vermeynter beſchaͤdigter 
Kopf des Gallienus. Die Villa Albani aber ift nach dem Cam⸗ 
pidoglio dag reichſte Muſeum in Figuren von Erzt; und was Die: 
fel- 


Bon der Kunft unter den Griechen, 543 


felbe enthält, ift aud) von dem Hrn. Kardinal Mlerander Mlda- 
ni, dem Erbauer Derfelben, felbft angefaufet und entdecket wor: 
den. Won Köpfen die Lebensgröße find, ift der eine ein Faun, 
und der andere fcheinet das Bild eines jungen Melden zu feyn, 
wird aber ohne Grund, und wegen des Diadema, welches ihn 
umgiebet, ein Ptolemaͤus genennet: beyde Köpfe find auf eine 
neue Bruſt von Erst gefeget, und von dem zweyten Kopfe habe 
ich vorher bey Gelegenheit der eingefetsten und inwendig mit grie- 
chiſchen Buchftaben bezeichneten Schaam geredet. Won Figuren 
befinden ſich hier fünf, von welchen zwo derfelben völlig erhalten 
find, an zwo anderen find nur der Kopf, Die Mände und Die 
Füße von Erzt und das Gewand von Mlabafter, die fünfte aber 
Die ebenfalls völlig erhalten ift, ift die größte und fehönfte unter 
allen. Die zwo erfteren Die auf ihrem alten Sodel von Erzt fte- 
ben, find etwa drey Palme hoch, und Die eine ftellet einen Mer: 
eules vor, in der Aehnlichkeit der farnefifchen Statue und wurde 
von dem Hrn. Kardinal mit soo Scudi erftanden. Die andere, 
eine Pallas, Die ehemals Die Königinn EChriftina von Schweden 
befeffen, wurde von ihm mit 800 Scudi bezahle. Die zwo an— 
deren zuſammen geſetzten Figuren ſind eine Dallas und Diana. 
Die fünfte ift der ſchoͤne Apollo, welcher auf eine Eydex lauret, 
oder Sauroctonon, deſſen ich mehrmal in Diefer Gefchichte und 
fonderlic) in dem zweyten Theile gedenke, wo von den Werken 
des Praxiteles gehandelt wird, für deſſen Werk diefe Figur ge- 
halten werden Eönnte ; es ift Derfelbe mit deffen alten Sockel fünf 
Dalme hoch. Der Dr. Kardinal hat felbft die Statue in einem 
bein: 


ec. Zu Flo⸗ 


venz. 


544 1. Theil, Viertes Kapitel, 


Weingarten unter der Kirche St. Balbina und an dem aventini: 
ſchen Hügel in Kom, ausgraben laffen. Diejenigen welche wiffen, 
was Cicero gegen den Verres zu Den Nichtern ſaget, Denen er 
vorhält, Daß zu feiner Zeit im öffentlichen Meiftgebothe auf Sa— 
chen, Die verkaufet wurden, eine mittelmäßig große Figur von 
Erst (ignum zneum non magnum) bezahlet worden HS. CXX. 
millibus (1), Das ift, mit drey taufend Dufaten oder Zecchint, 
Fönnen jene angezeigte Preife nicht übermäßig finden , da aus 
diefer Nachricht unftreitig ift, Daß chmals in Nom, und in der 
unglaublichen Menge von alten Statuen und Figuren, Diefelben 
dem ohnerachtet viel theurer als igo, da Diefelben fo felten find, 
bezahlet worden. Ja man kann hieraus den Schluß machen, wie 
hoch der albanifche Apollo zu ſchaͤtzen fey, da derſelbe über das 
Maaß derjenigen Figuren gehet, Die Cicero figna non magna 
nennet, indem derſelbe von Lebensgröße ift, und Das Gewaͤchs eines 
Knabens von sehen Sahren hat. | | 
Nach Rom, ift Florenz und die dortige Großherzogliche 
Gallerie Die reichfte diefer Schaͤtze, denn es befinden ſich dafelbft, 
außer vielen Heinen Figuren, zwo wohl erhaltene Statuenin Lebens⸗ 
größe, von denen die Eine eine auf römifche Art befleidete männ- 
liche Perfon ift, Die aber auf dem Rande des Gewandes hetru- 
riſche Schrift eingegraben hat. Die andere cin unbekleideter 
Süngling, welche zu Pefaro am hadriatifhen Meere entdedet 
worden, ftellet wie es feheinet, einen jungen Melden vor. Nebft 
diefen Statuen ift die Chimaͤra, das ift ein Thier, welches ans ei⸗ 
nem 
z) Cic. Ver, 4, c, 7. 


Bon der Kunft umter den Griechen. 545 


nem Löwen und einer Ziege in der Größe dieſer Thiere zufammen 
gefeget, und ebenfalls mit hetrurifcher Schrift bezeichnet ift, ein 
merkwürdiges Stüd. Ich übergehe eine fehr befhädigte Pallas 
in Lebensgröße, deren Kopf jedoch; fchön und völlig erhalten ift. 
Sc) habe nicht vergeffen, Daß dieſe Werke von mir bereits in Dem 
zweyten Kapitel von der Kunft der Metrurier angeführet worden; 
es fcheinet aber die Abficht Diefes Werzeichniffes zu erfordern, Des 
ven Meldung bier zu wiederholen. 


Daß Venedig von mir der Stadt Florenz nachgeſetzet es ZuVene⸗ 


worden, koͤnte von einigen vielleicht nicht gebilliget werden in" 
Betrachtung der vier Pferde in natürlicher Größe, die von Kupfer 
find und vergoldet waren, welche über der Thüre der St. Mar- 
cus Kirche ftehen. Es ift bekannt, Daß die Venetianer, da fie 
zu Anfange des dreyzehenten Sahrhunderts auf Furze Zeit Merz 
ven von Eonftantinopel waren, Diefe Pferde von hier weggefüh- 
vet. Außer Diefem einzigen Werke in feiner rt, ift in Venedig, 
fo viel ic) weiß, nichts beträchtliches von großen Figuren von 
Erst: denn die Köpfe, die im Maufe Grimani feyn follen, habe 
ic) felbft nicht gefehen, und ich unterftehe mich nicht auf fremder 
Urtheil nachzufprechen ; einige Eleine Figuren aber Des Mufet 
Nani gehören nicht in diefes Verzeichniß. | 


laftes Eolobrano, Den überaus fchönen coloffalifchen Kopf eines 
Pferdes, welches Stud vom Vaſari irrig dem florentinifchen 
Bildhauer Donatello zugefchrieben wird. In dem föniglichen 
farnefifchen Mufeo befindet ſich eine große Anzahl Heiner Figuren, 
Winkelm. Gef. der Kunft. 333 von 


ee. Zu Nea⸗ 
1477 


Zu Neapel bewundert man, in dem inneren Hofe des Pa- de 


546 1. Theil, Viertes Kapitel. 


von denen aber Die mehrefte neue und ſchlechte Gemächte find; 
und eben dieſes muß man von der Sammlung des Haufes Por: 
cinari fagen, wo das größte Stüd ein Kind von etwa drey Pal: 
men hoch, aber von geringer Kunft ift. Die merkwürdigfte Fi- 
gur iftein Hercules von einem Palm hoch, welcher die Lömwen- 
haut um den linken Arm gewickelt hat, und einer hetruriſchen Ar: 
beit ahnlich ift. 
er Was ſich in Frankreich fo wohl als in England von gros⸗ 
ſen Figuren oder Köpfen in Erst finden mag, ift mir unbekannt; 
nach Spanien aber ift in dem Mufeo Odeſcalchi, welches Die 
verftorbene Königinn aus Parma für soooo Scudi erftanden 
Hat, ein Kopf zweymal größer als die Natur gegangen, welcher 
einen unbekannten jungen Menfchen vorftellet : es ftehet Derfelbe 
zu St. Jldefonfo. 

In Deutfchland ftehet zu Salzburg eine Statue in Le 
Densgröße, von welcher im folgenden Kapitel geredet wird, Fer 
ner befitet der König in Preußen eine unbekleidete Figur, die mit 
aufgehobenen Haͤnden in die Höhe ſchauet, und in diefer feltenen 
Stellung einer gleichfalls unbefleideten Statue von Marmor und 
in Lebensgröße, im Palafte Pamfili, auf dem Platze Navona, 
ähnlich iſt. Es kann auch hier angeführet werden der Kopf einer 
Venus, etwas unter Lebensgröße , auf eine alte Bruſt von 
ſchoͤnem orientalifchen Alabaſter geſetzt, welches Stüd der Erb- 
prinz von Braunfchweig von dem Hrn. Kardinal Alexander Als 
bani erhielt. 


gg. In 
Deutſchland. 


Von 


Bon der Kunft unter den Griechen. 547 


Don alten Werken von Erzt, die in England feyn Fönten, 
ift mir nichts bekannt, außer einem Bruftbilde des Plato, welches 
der Duc Devonshire vor etwa 30 Jahren aus Griechenland foll 
erhalten haben: man fagt, es fey vollig ähnlich dem wahren Bild: 
niffe Deffelben, mit dem alten Namen auf der Bruſt, welches zu 
Ende des vorigen Jahrhunderts aus Rom nach Spanien einge 
feiffet worden, und im Schiffbruche untergegangen ift. Diefem 
ift gleichfalls völlig ahnlidy eine unerkannte Herma im Muſeo 
Eapitolins, welche unter dieunbefannten Bildniße gezählet wird. 

Ach glaube in dem erften Stüde des fünften Abfchnitts 
dieſes Kapitels mehr Nachricht als andere Scribenten vor mir, 
von dem, was die Mechanik der alten Bildhauerey betrifft, gege— 
ben zu haben; es werden fich aber Liebhaber der Alterthuͤmer fin 
den, Die Feine Gelegenheit noch Mittel gefunden haben dieſe Wer- 
Fe zu betrachten und zu unterfiichen, hingegen Münzen fehen Eöns 
nen oder felbft befitsen. Wielleicht glauben Diefe, Daß auch von ei- 
ner befonderen Mechanik der alten Münzmeifter etwas befonders 
zu erinnern ſeyn möchte, und ich geftehe, Daß ich auch Diefen Theil 
der Kunſt nicht gänzlich ohne Anmerkungen übergehen möchte; 
aber ich werde nichts neues Ichren Fünnen. Denn die Münzen 
find auch in Abficht der Art ihres Gepräges genau unterſuchet, 
und weit forgfältiger als Die Marmor, weil jene in der ganzen 
Welt zerftrenet worden und die Aufmerkſamkeit derjenigen erwec- 
ket haben, die ihre Liebe zum Alterthum allein mit Münzen ha— 
ben unterhalten Fönnen. Ich Fonte aber ohne Tadel über dieſen 
Theil der Kunft nicht hinweg gehen, welchen ich widrigenfalls 

333 2 von 


hh. In Eng- 
and, 


]. ®on ver 
Arbeit auf 
Münzen, 


A. 
Ueberhaupt. 


B. 
Monverfälfche 
ten und vers 
goldeten Mün⸗ 
zen. 


548 I. Theil, Viertes Kapitel. 


von den Münzliebhabern beforgen mußte: denn jedermann höref 
mit Vergnügen fprechen von Dem was er liebet, und follte auch 
eben Daffelbe mehr als einmal wiederholet werden. Sch will alfo, 
um in dem mechanifchen Theile der Kunſt hier Feine Lücke zu laf 
fen, wenigftens anzeigen, was andere mit mir angemerfet haben. 

Ich habe bereits gedacht, Daß viele Der älteften griechifchen 
Münzen mit zween verfchiedenen Stempeln gepräget worden, 
von welchen Der eine hohl, der andereerhoben war. E8 hat ferner 
Hr. Barthelemey gemuthmaſſet, daß man in den älteften Zeiten 
Die Münzen auf eine befondere Art unter dem Stempel befeftiget, 
und daß die vertieften und viereckten Felder auf der Mückfeite ei- 
niger Münzen in Feiner anderen Abficht gemachet worden. Ueber: 
flüßig ift eg zu erinnern, Daß das Gepräge in den älteren Zeiten, 
auch in der Bluͤthe der Kunſt, mehrentheils flach ift, und ſich 
mehr erhoben zeiget in folgenden und in der Kaifer Zeiten. 

Es verdienen aber nicht allein Die Achten, fondern auch 
die vor Alters verfälfchten Münzen unfere Aufmerkſamkeit; und 
von Diefen finden ſich zwo Arten, von denen einige mit Silber, 
Die anderen mit Golde belegt find. Die erfteren welche von Ku⸗ 
pfer und mit fehr dünnen filbernen Blechen gefüttert find, trifft 
man fonderlich unter den Eaiferlichen Geprägen an. Die zwoten 
mit Golde beleget find feltener ; eine ſolche Münze mit Dem Kopfe 
und mit dem Namen MAleranders des Großen, fichet man in Dem 
Muſeo des Duca Taraffa Noia zu Neapel, an welcher Der Bes 
trug allein durch das geringere Gewicht erfannt wird : Denn «8 
iſt Diefe Münze ungemein wohl erhalten. 

Ich 


Bon der Kunft unter den Griechen. 549 


Ich füge hier eine nocht nicht bekannt gemachte Inſchrift 
ben, die ſich in der Villa Albani befindet, in welcher der Ver— 
goldung der Münzen gedacht wird: 

D. M. 
FECIT. MINDIA. HELPIS. IVLIO. THALLO. 
MARITO. SVO. BENE. MERENTI. QVI. FECIT. 
OFFICINAS. PLVMBARIAS. TRASTIBERINA, 
ET. TRICARI. SVPERPOSITO. AVRI. MONETAI. 
NVMVLARIORVM. QVI. VIXIT. ANN. XXXII. M. VL 
ET. C. IVLIO. THALLO. FILIO. DVLCISSIMO. QVI. VIXIT. 
MESES. IIII. DIES. XI. ET. SIBL POSTERISQVE SVIS. 


Zuletzt gehöret hierher das Mechanifche gefchnittener Edel- 
fteine, oder Die Art Diefelben zu arbeiten; denn Diefe Arbeit ift 
eine Bildhauerey zu nennen, und man Fann mit Necht von mir 
verlangen , Diefen Theil der Kunſt hier nicht zu übergehen; ich 
hingegen Eönte den Lefer auf das Werk des Hrn. Mariette von 
gefchnittenen Steinen verweifen, indem nad) deffen umftändlicher 
Unterfüchung wenig befonderes zu erinneren übrig bleibet. Es 
bat diefer Sceribent nicht allein von allen Arten der Edelfteine ge 
handelt, in welchen dieſe Kunſt fich gegeiget und geuͤbet hat, fon: 
dern e8 hat auch derſelbe theils Die Art und Weiſe anzugeben ges 
fuchet, wie er fich vorgeftellet, daß die alten Kuͤnſtler die Edel- 
fteine geſchnitten, theils ift der Weg, den Die heutigen Arbeiter 
bier nehmen, Deutlich erkläret. 


333 3 Die 


IIT. 
Von geſchnit⸗ 
tenen Edel⸗ 


ſteinen. 


A. 
Bor der 
Seit — 


550 IL. Theil. Viertes Kapitel. 


Die bekannteſten und haͤufigſten Edelſteine, die durch 
Bilder griechiſcher Kunſt noch mehr veredelt worden, ſind der 
Carniol, der Chalcedonier nebſt dem Hyacynth, und der Agath 
nebſt dem Agathonyx; dieſe beyden dieneten zu erhobenen Arbei⸗ 
ten oder Cameen, und jene Arten zu tief geſchnittenen Figuren. 
Aber wem iſt dieſes nicht bekannt ? Es iſt hingegen noch nicht all- 
gemein entſchieden, wie Die Edelſteine der Alten geſchnitten wor: 
den. Daß fid) ihre Künftler Eleiner Spitzen von Diamanten in 
ftählerne Hefte gefaffet, bedienet haben , wiffen wir aus dem 
Plinius 1); e8 meldet aber derfelbe nicht, ob man mit Diefen 
Spisen nad) Art derer, die Zierrathen in Holz ausfchneiden, ges 
graben, oder ob man Die eingefaffeten Diamanten in einem 
Made befeftiget und vermittelft deffelben gearbeitet habe, als wels 
che Art die gewöhnlichfte unferer Künftler ift. Diefe fo wohl als 
jene , Die Fein Rad gebrauchen, behaupten ein jeder, feine Art zu 
verfahren in den gefchnittenen Steinen der Alten zu entdecken; «8 
kommt mir alfo nicht zu, bier zu entfcheiden; ich würde mid) je 
doc) für Das Rad erflären , welches man zu entdecken fcheinet an 
denjenigen Steinen , deren Arbeit nar entworfen ift, und nicht 
ausgeführet worden. 

Ich befise felbft einen folchen erhobenen gefchnittenen 
Agathonyx, von anderthalb Zollen im Durchfehnitte, den man 
vor ein paar Jahren in den Catacomben gefunden hat, und zwar 
in derjenigen Erde, Die vorher auf dem Drte felbft durchgeſuchet, 
und nachher, Damit nicht etwa vermeynte heilige Ueberbleibfel ver⸗ 

loh⸗ 


») Plin, L. 37. ce. ı5. p. 376. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 551 


Iohren gehen, zu den Kapucinernonnen getragen wird, welche 
Diefelbe von neuen Durchfieben; und dieſe fanden im Durchfieben 


gedachten Stein. Es ift derfelbe nicht allein wegen der ſchoͤnſten 


Zarbe felbft ſchaͤtzbar, fondern vornämlich wegen der Worftellung, 
die fich, fo viel mir bekannt ift, bisher auf Feinem alten Denkma— 
le gefunden hat. Es bildet Diefelbe den Peleus des Achilles Va— 
ter, wie er, vom Acaſtus auf der Jagd im Walde zurüd gelaffen, 
vom Schlafe überfallen wurde, wo ihn die Centauren tödten 
wollten; und bier ift einer von ihnen im Begriff, einen großen 
Stein auf ihn zu werfen: Chiron aber werte ihn auf und rettete 
ihn, welches an diefem Bilde Pſyche thut, wodurch deffen beſchuͤtz⸗ 
tes Leben bier angedeutet wird 1); diefer Stein wird kuͤnftig in 
dem dritten Bande meiner alten Denfmale erfcheinen. 

Daß die Alten zu Diefer Arbeit Wergrößerungsgläßer ge 
brauchet haben, ift aller WahrfcheinlichFeit gemäß, ob wir gleich 
davon Eeinen Beweis haben; es wird dieſe nuͤtzliche und nöthige 
Erfindung, wie viele andere , verlohren gegangen feyn, fo wie es 
unter anderen mit dem Pendul gefchehen , deffen ſich bereits Die 
Araber in der mittlern Zeit bedieneten, die Zeit Durch deſſen glei- 
de Schläge zu meffen, fo daß wir ohne den gelehrten Eduard 
Bernard, welcher dieſes in den Schriften Diefer Nation gefunden, 
glauben würden, es habe Galilei dieſe Entdeckung zu erſt gema- 
chet, fo wie er insgemein als der Erfinder angegeben wird. 

Zu dieſer Bemerkung über die Art in Edelfteine zu fchnei- 


B. 
Hieher gehäs 


den, will ich einige befondere Nachrichten beyfügen, als erſtlich, via: Mass 
daß 


ı) Apollod. L. 3. p. 125. b, Schol. Pind. Nem. 4. v. 95. 


552 1. Theil. Viertes Kapitel. 


daß die Alten gewohnt waren, Edelfteine mit einem untergelegten 
Goldblätgen einzufaffen. Plinius fagt Diefes von dem Chryfo- 
lith, welcher nicht fehe Durchfichtig war, um Demfelben mehr 
Glanz zu geben D5 es geſchah Diefes aber auch mit Steinen, Die 
feinen fremden Glanz nöthig hatten, wie einer Der fchönften Car— 
niole zeiget, deffen Feuer einem Rubine gleichet, in welchem Ar— 
changelus ein griechifcher Künftler den Kopf des Sertus Dom- 
pejus gefchnitten hat. Diefer fehöne Stein wurde, ineinen Ring 
gefaſſet, deſſen Gold eine Linge wog, mit einem folchen Gold— 
blate, in einem Grabe ohnweit dem Grabe der Läcilia Metella 
gefunden, und nad) Dem Tode des Antiquarius Sabbatini, wel- 
cher der Beſitzer deffelben war, für 200 Scudi verfauft an den 
Grafen Lüneville , deſſen Tochter, die Ducheffa Calabritto, zu 
Neapel, denfelben befizet, wie ich im zwenten Theile Diefer Ge— 
fehichte melden werde. 

— Nach dieſer Anzeige von der Art der Alten in Edelſteine 

der ſchonſen zu ſchneiden, habe ich geglaubet, der Liebhaber der Kuͤnſte wer- 

Shan "De einige-der ſchoͤnſten Steine namhaft zu wiffen verlangen, um 
vermittelſt Derfelben, Da deren Abdruͤcke zu haben find, gleichfam 
als nach einem Mufter , durch Wergleihung , von dem Grade 
der Schönheit in anderen gefchnittenen Steinen, Die vorfommen, 
zu urtheilen; hier aber muß ich) mich einfchränfen auf diejenigen, 
Die ich felbit oder doc) in richtigen MAbdrücken gefehen habe; und 
zwar zuerft von Der vertieften, und hernach von Der erhobenen 
Arbeit Ceisoxn na eEoxn 2). 

Un: 
1) Plin. L. 37. c. 42. 2) Sext. Emp. Pyrrh. hyp. L. a, c. 7. p 68. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 353 


Unter den tiefgefchnittenen Steinen, und zwar zuerft von 
Köpfen merke ic) hier vorzüglich an den Kopf einer Pallas mit 
dem Namen des Künftlers Afpafius, in Dem Faiferlichen Muſeo 
zu Wien; ferner den Kopf eines jungen Hercules im ehemaligen 
Stoſchiſchen Mufeo und fonderlid) den Kopf deffelben in gleichem 
Alter in einen Saphir gefehnitten von Guaios oder Curius, 
welcher fic) im Mufeo Stroszi zu Nom befindet, und als der 
höchfte Begriff der Schönheit in Diefer Kunſt Fann betrachtet 
werden. Aus eben dieſem Muſeo wird billig hier angeführet der 
Kopf einer Medufa, nicht der berühmte Chalcedonier des Solong, 
indem derfelbe vielmehr eine beftimmte fchöne Perfon, als eine 
idealiſche Schönheit abbildet, fondern ein Heinerer Kopf derfelben 
in Carniol. Eben Diefen Rang Fann behaupten ein ivrig fo ge 
nannter Ptolomaͤus Auletes im Mufeo des Königs von Frank 
reich, welches, wie ich im zweyten Theile Diefer Gefchichte zu er- 
weifen fuche, Hercules in Lydien iſt; ingleichen der Kopf des 
Pompejus von Agathangelus in einen Carniol gefchnitten , 
deſſen Beſitzerinn die Ducheffa Calabritto, zu Neapel, ift. Nicht 
geringeren Werth hat der Kopf der Julia, des Titus Tochter 
vom Evodus, in einen großen Beryhll gefchnitten, welcher ſich in 
dem Schate der Abtey St. Denys zu Paris befindet 1). 

Don tiefgefehnittenen Figuren find befonders merkwürdig 
Perfeus von der Hand des Diofeorides, in dem königlichen far⸗ 
nefifchen Muſeo zu Neapel; man muß aber nicht nach Dem Kupfer 

ur⸗ 
1) Stofch pier. gr, p. 1. 33. 
Winkelm. Gef, der Runſt. Mana 


a. Tiefges 
chnittener. 
aa. Köpfe. 


bb. Figuren 


b.Erboben ger 
ſchnittener 
Eteine. 

aa. Söpfe, 


bb, Biguren. 


554 1. Theil. Viertes Kapitel, 


uetheilen, wo die Form deffelben nichts jugendliches hat. Neben 
Demfelben ift Hercules und Sole, von Teucer gefchnitten, im Groß- 
berzöglichen Mufeo zu Florenz zu feßen; wie aud) eine Atalanta 
des Stoſchiſchen Mufei, und ein entkleideter Süngling , einen 
Trochus oder runden Spielreifen von Erzt auf der Achfel tra— 
gend, in einem Durchfichtigen weißen Carniole, deſſen Beſitzer 
Herr Vyres, ein ſchottiſcher Baufunftbefliffener zu Nom ift. 
Diefe edle Figur, Die das fchönfte Ohr hat, weiches ich mich in 
Steinen Diefer Art gefehen zu haben erinnere, ift von mir bekannt 
gemacht worden, Das Kupfer aber erreichet nicht die Schönheit 
des Driginals. 

Unter den erhoben gefchniftenen Steinen, Die Köpfe be: 
rühmter Perfonen vorftellen , kann voran ftehen Das Bruftbild 
des Auguftus in einem fleifchfarbenen Chalcedonier, welches über 
einen römischen Palm hoch ift, und mit dem Mufeo des Kardi- 
nals Carpegna der vaticanifchen Bibliothek ift einverleibet wor⸗ 
den: Buonarroti giebt von demfelben die Abbildung und Die Be⸗ 
ſchreibung ı). Auch gehört hierher der Caligula , welchen Der Herr 
General Walmoden, Großbritannifcher gevollmächtigter Minis 
ſter zu Wien, in Nom erſtanden hat. 

Non erhobenen Figuren in Edelfteinen Eönnen, außer zween 
Zritonen Hrn. Iennings, bemerket werden, Jupiter, welcher Die 
Zitanen erleget, vom Athenion gefehnitten, in dem königlichen 
farnefifchen Mufeo zu Neapel; ferner Jupiter, wie er zur Semele 
Eommt, in dem Mufeo des Prinzen Piombino, zu Nom. 

’ Al⸗ 
1) Of. fop. ole. medagl. p. 45. ä 


Bon der Kunft unter den Griechen. 555 


Allen Werken der Kunſt aber in diefer Art koͤnnen zween 
Steine den Rang ftreitig machen, und dieſe find Perſeus und 
Andromeda, beyde auf einem Bette ſitzend vorgeftellet, und der- 
geſtalt erhoben gearbeitet, daß beynahe der ganze Umriß der Fi- 
guren von der fhönften weißen Farbe, über den Dunkelen Grund 
des Steins hervorlieget, der Beſitzer deſſelben iſt Herr Menge. 
Der andere bildet das Urtheil des Paris in fünf Figuren ab, und 
befindet fich in gedachtem Mufeo Piombino; und in beyden ift 
Zeichnung und Arbeit fo vollfommen, als es unfer Begriff erreis 
chen mag. 

In eben dieſem Muſeo ift eine ſitzende Nymphe aus einem 
Agathonyr gefchnitten,, etwa einen halben Palm hoch , viel- 
leicht das einzige und fchönfte Stück in feiner Art auf der Welt. 

In obgedachter verfchiedenen Materie finden fich erhobene 
. Bilder gearbeitet, bey welchen ich mich insbefondere aufhalte, 
da ic) nöthig finde, eine Wertheidigung der alten Künftler zu 
führen über eine gewöhnliche Beſchuldigung ihrer erhobenen Ar— 
beiten, welche darinn beftehet, Daß fie in denſelben Feine Abwei— 
hung beobachtet, und allen Figuren eines Werks gleiche Erho— 
benheit gegeben haben. Eben Diefes hat Pafcoli in der Vorrede 
zu feinen Lebensbefchreibungen der Maler von nenem wiederholef. 
Sc kann mic) über die Blindheit diefer Tadler nicht genug ver— 
wundern, und man möchte mich felbft tadeln, Daß ich wider 
Dlinde einen Beweis zu führen gedenfe. Sch will mich nicht 
einlaffen, erhobene Arbeiten, die an öffentlichen Orten in Nom, 
und vor jedermanns Augen ftehen, hier anzuführen; ich will nur 

Aaga 2 ei⸗ 


IV. 
Bon der erdo⸗ 
benen Arbeit 
überhaupt, 


556 1. Theil, Viertes Kapitel, 


einige andere bemerken, die verfchiedene Stufen und Abweichun⸗ 
gen in ihren Figuren haben. Won Diefer Art ift eins der ſchoͤnſten 
Werke in Nom, im Dalafte Ruspoli, welches in meinen Denk 
malen des Alterthums bekannt gemachet worden iſt. Die vor⸗ 
nehmfte Figur Diefes Werfs, der junge Telephus, ift dergeftalt 
erhoben gearbeitet, Daß man zwifchen dem Kopfe und der Tafel, 
aus welcher Diefe Figur herauggemeiffelt ift, mit ein paar Fingern 
hinein fahren kann. Neben und unter dem Telephus ftehet ein 
Dferd, welches nothwendig flacher erhoben ſeyn muß, da Daffels 
be weiter hinein gehet, und vor Dem Pferde ftehet ein betagter 
Waffenträger des jungen Heldens, welcher noch flacher if. Ge—⸗ 
gen den Telephus über figet deffen Mutter Auge, welcher jener 
die Hand giebt, und Diefe tft erhobener als der Waffenträger 
und das Jferd, aber etwas niedriger als ihr Sohn gehalten, 
wenigftens in Abſicht des Kopfs. Leber derfelben hänget ein 
Degen und ein Schild, die am flacheften angedeutet find. Eben 
foldye Abweichung hat in der Wille Albani ein Faun beynahe in 
Lebensgröße, der mit einem Hunde fpielet, und ein Eleines Opfer; 
ingleichen ein Opfer, welches Titus verrichtet, und in meinen 
Denkmalen des Alterthums befindlich ift. 


Fuͤnf⸗ 





Fuͤnfter Abſchnitt. 
Von der Malerey der Alten. 


ach Abhandlung desjenigen, was die Bildhauerey betrifft, 
folget in dem fuͤnften und letzten Abſchnitte dieſes Kapitels 

die Unterſuchung der Malerey der Alten, von welcher wir zu 
unſeren Zeiten mit mehr Kenntniß und Unterricht, als vorher 
geſchehen Eonte, urtheilen und ſprechen koͤnnen, nach viel hundert 
entdeckten Gemaͤlden im Herculano ſo wohl als in anderen von 
dem Veſuvius verſchuͤtteten Städten. Bey dem allen muͤſſen wir 
beftandig, außer den fchriftlichen Nachrichten, von dem was Dem 
Augenfcheine nad) nicht anders als mittelmäßig hat feyn Fönnen, 
auf das fehönfte fehließen, und uns gluͤcklich fchäten, wie nach 

j Aaaa3 ei⸗ 


558 I. Theil, Viertes Kapitel. 


einem erlittenen Schiffbruche, einzelne —— zuſammen zu 
leſen. 

Ich werde in dieſem fünften Abſchnitte, welcher fünf Abe 
theilungen hat, in der erften von dem vornehmften entdeckten Ge⸗ 
mälden einige Nachricht ertheilen;, in der zwenten meine Muth: 
maſſung bepbringen, ob jene Gemälde griechifchen oder römifchen 
Malern zugufchreiben ſeyen; in der dritten Abtheilung wird von 
dem Colorit in Erklärung einiger Stellen alter Scribenten, die 
Daffelbe berühren, gehandelt; Die vierte Abtheilung ift eine Be— 
trachtung des Charakters einiger alten Maler, und in der fünf 
ten Abtheilung wird die Malerey in Muſaico berühret. 


—— In Rom ſind weit mehr alte Gemaͤlde entdecket worden, 
ee als bisher befannt gemachet find; es haben ſich aber viele Derfel- 


mälden auf der 


Mauer. ben nicht erhalten, theils durch Wernachläßigung voriger Zeiten, 
In — theils ſind ſie von der Luft ſelbſt verzehret, wie dieſes mit einigen 
a aa" Stücken geſchehen iſt, bey deren Entdeckung ich mich gegenwär- 
nam, tig befunden habe. Denn die Aufere Luft, wenn fie einen Zu— 
gang befommt in einem verfchütteten feuchten Gewölbe, welches 
viele hundert Sahre unzugaͤnglich gemwefen, ziehet nicht allein Die 
Farben aus, fondern zermalmet aud) Die bemalte Tuͤnchung der 
Mauren, Diefes Schickſal haben vermuthlich verfchiedene Ge— 
mälde gehabt, deren mit Farben ausgeführte Zeichnungen in Der 
vaticanifchen Bibliothek, in dem Mufeo des Din. Kardinal Ale: 
rander Albani und auch anderwärts aufbehalten find. Diejeni- 
gen, die fid) gezeichnet in Der Waticana befinden, waren größten: 
theils in Den Baͤdern des Titus, und find von Sante Bartoli 
und 


Don der Kunft unter den Griechen. 559 


und von deffen Sohne Franz Bartoli gezeichnet, vermuthlich nicht 
unmittelbar von ihnen felbft an dem Orte wo die Gemälde ftanden, 
fondern wie e8 fcheinet, nad) älteren Zeichnungen die zu Raphaels 
Zeiten von jenen genommen worden find. Won diefen Gemälden 
babe ic) vier Stüde in meinen alten Denkmalen zuerft bekannt ge; 
macht. Das erfte, aus befagten Bädern, beftehet aus vier Fi— 
guren 1), und ftellet die muficalifche Pallas vor mit zwo Flöten 
in der Hand, welche fie fcheinet wegwerfen zu wollen, Da ihr ei- 
ne Nymphe des Zlußes in welchem die Goͤttinn beym Spielen ſich 
gefpiegelt, anzeiget, Daß das Blaſen der Flöten ihr Geficht ver- 
unftelle. Das zwente Gemälde, von zwo Figuren 2), bildet Die 
Pallas, die durch ein Diadema, welches fie dem Paris vorhält, 
ihm die Derrfchaft von Afien anbietet, wen er ihr Den Preis 
der Schönheit zuerfennen würde. Das dritte Gemälde, von vier 
Figuren 3) zeiget Die Melena auf deren Stuhl fih von hinten 
eine weibliche Figur lehnet, Die eine von ihren Mägden, und viel- 
leicht Aftyanaffa,die befanntefte unter Denfelben, zu ſeyn fcheinek. 
Paris ftehet gegen: über, und hat einen Pfeil der Liebe, Die in Der 
Mitte von ihnen iſt, gefaſſet, indem Helena nach den Bogen 
greifet. Das vierte Gemälde, Yon fünf Figuren 4), ift Telemad) 
in Begleitung des Pififtratus, in dem Hauſe des Menelaus, wo _ 
Selena dem Sohne des Ulyſſes, um deffen niedergefchlagenes 
Gemüth aufzumuntern, in einem Crater, welches eine tiefe Schale 
ift, Die Nepenthe reichet. Von eben dieſen in Zeichnungen auf 

SB: be 


1) Monum. ant.ined. N. 19, » 8) Ibid. N. 113. 3) Ibid. N, 114. 
4): Ibid.:N; 160, 


560 3. Theil, Viertes Kapitel. 


behaltenen Gemälden hoffe ic) kuͤnftig, unter anderen Denkmalen 
alter Kunſt einige von — zu erklaͤrendem Inhalt, belannt zu 
machen. 

en Die wirklich in Nom aufbehaltenen alten Gemälde find 

Ks Se Die fo genannte Venus nebft der Roma im Palafte Barberini, 
ferner Die fo genannte aldobrandinifche Mochzeit, ingleichen der 
vermeynte Marcus Coriolanus, nebft dem Oedipus, inder Villa 
Altieri, außer fieben Stüden alter Gemälde in der Gallerie des 
Eollegit Romani, und zwo Gemälden in der Ville Albani. 

Die Figuren der zwey erftern Gemälde find in Lebensgröße: 
die Roma fitset, und die Venus liegtz an Diefer aber wurde, nebft 
dem Amorini und andern Nebenwerken, verfehiedenes von Karl 
Maratti ergaͤnzet. Es fand fich diefe Figur, da man den Grund 
zu dem Palafte Barberini.grub, und man'glaubet, Daß die No: 
ma eben Dafelbft gefunden worden. ı Ben der Copie Diefes Ge— 
mäldes „ welche Kaiſer Ferdinand TIL machen ließ » fand fich 
eine fchriftliche Nachricht, Daß es im Jahr 1656. nahe an dem 
Battiſterio Conftantini entdecfet worden 1); nnd aus dieſem 
Grunde hält man es für eine Arbeit aus Ddiefer Zeit: In einem 
ungedrucdten Briefe, des Tommendator del Pozzo an Nic. Hein⸗ 
fing erfehe ich, Daß dieſes Gemälde ein Jahr vorher, namlic) 
1655, den fiebenten April gefunden worden; es wird aber nicht 
gemeldet, an welchem Drte: La Chauſſe hat daſſelbe befchrieben 
2). Ein anderes Gemälde, das triumphirende Nom genannt 3), 

welches 


1) Lambec. Comment. bibl. Vindob. L. 3. p. 376. ="3) Muf, Rom, p/11g, 
3) Spon. Rech. d’antiq. p. ı95. Montfauc, Ant. expl. Ts 1} Pf s.pl. 193. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 561 


welches aus vielen Figuren beftand , und in eben dem Palaſte 
war, ift nicht mehr vorhanden. Das fogenannte Nymphaͤum, 
an eben dem Drte 1), hat der Moder vertilget, und ich muth— 
maffe, daß es jenem ebenfalls alfo ergangen fey. 

Das dritte der angezeigten Gemählde , Die fogenannte 
aldobrandinifche Hochzeit beftehet aus Figuren von etwa zween 
Palmen hoch, und wurde nicht weit von ©. Maria Maggiore, 
in der Gegend, wo ehemals des Maͤcenas Gärten waren, ent— 
decket 2). Es ift hier, wie ich in meinen Denkmalen des Alter⸗ 
thums glaube erwiefen zu haben 3), die Wermählung des Per 
leus mit der Thetis vorgeftellet, bey welcher drey Goͤttinnen Der 
Sahrszeiten, oder drey Mufen, das Brautlied fingen und fpie- 
fen; und, um mich felbft nicht zu widerholen , Fann man nachfes 
ben, was ich in dem Verſuche einer Mllegorie über Diefes Gemaͤhl⸗ 
de angemerfet habe A). 

Das vierte Gemählde, der vermeynte Coriolanus ift nicht 
unfichtbar geworden , wie Dubos vorgiebt 5), fondern man fie- 
het es noch io in demjenigen Gewölbe der Bäder Des Titus, 
wo ehemals die Statue des Laocoons ftand. 

Das fünfte, der Dedipus 6) ift vielleicht Das fchlechtefte 
von allen diefen angeführten Gemählden, wenigftens in dem Zu⸗ 
ftande zu betrachten , worinn es fich befindet; und ift nur zu be 

merken 


ı) Holften. Comment. in Vat. Pi&. Nymph. a) Zuccar. Idea de’Pittori, 
L. 2. p. 37. 3) Monum. ant. p. 60. 4) p. 38. 29: 5) Refl. für la 
Poefie, T. 1. p. 352. 6) Bartoli Pitt. de’fepoler. de’Nafoni tav. 19. 


Winkelm. Geſch. der Kunft. Bbbb 


562 1. Theil, Viertes Kapitel, 


merken wegen eines befondern und vielleicht von Feinem meuern 
Scribenten bemerften Umftandes, Daher derfelbe auch Dem Bel: 
lori nicht bekannt geweſen, welcher Diefes in feiner Zeichnung 
übergangen hat. Man erfennet namlich annoch in dem oberen 
Stüde dieſes Gemäldes und wie in der Ferne, wo Daffelbe am 
meiften gelitten hat, einen Efel und deffen Treiber, der mit ei- 
nem Stecken das Thier treibet ; dieſes wird Der Efel feyn, auf 
welchem Dedipus den Sphing , welcher ſich von Dem Gebürge 
bherabgeftürzet hatte, auflud, und denfelben alfo nach Theben 
brachte. Er ift aber, da dieſes Stück übermalet worden, un— 
kenntlich gewefen. 

Was zum fechften die fieben Gemälde bey den Jeſuiten 
betrifft, fo find Diefelben in diefem Jahrhunderte aus einem Ge: 
wölbe an dem Fuße des palatinifchen Berges, auf der Seite des 
Eircus Maximus, abgenommen worden. Die beften Stüde un: 
ter denfelben find ein Satyr, welcher aus einem Horne trinkt, 
zween Palme hoch, und eine Fleine Landfchaft mit Figuren, einen 
Palm groß, welche viele Landfchaften des hereulanifchen Muſei 
übertrifft. Eben daſelbſt und zugleich mit jenen ift Das eine von 
den zwey gemeldeten Gemälden der Villa Albani entdecket, und 
der Abt Franchini, damaliger großherzoglicher fofcanifcher Mi 
nifter in Nom, wählete fi) daffelbe unter den andern fieben Stü- 
den aus; von demfelben erhielt e8 der Cardinal Paßionei, und 
nach deffen Tode wurde es an den Ort gefeet, wo e8 160 ſte— 
het. Man fichet dieſes Stück als eine Zugabe der alten Gemaͤl— 
de, die Bartoli bekannt gemachet hat, in Kupfer geflochen; Da 

ich 


Bon der Kunft unter den Griechen. 563 


ich aber glaubete eine wahrfcheinliche Erklärung von den Figuren 
Deffelben zu geben, ift eine vichtigere Zeichnung Davon in meinen 
Denkmalen des Alterthums beygebradyt. In der Mitte ftehet 
aufeiner Baſe eine kleine unbekleidete männliche Figur , wel 
che mit dem erhobenen linken Arme einen Schild Hält, und in 
der vechten einen kurzen Streitkolben mit vielen Spitzen umher be— 
fetset, von eben der Art, wie folche vor Alters aud) in Deutfchland 
im Gebrauch waren. Auf dem Boden neben der Bafe ftehet auf 
einer Seite ein Kleiner Altar, und aufder andern eine große Kohl: 
pfanne, und von beyden fteiget ein Rauch in Die Hoͤhe. Auf 
beyden Seiten ftehet eine weibliche bekleidete Figur mit einem Dia⸗ 
dema auf dem Haupte, von welchen die eine Weyrauch auf den 
Altar ftreuet, und Die andere feheinet mit. der rechten Hand eben 
Diefes über Die angezuͤndeten Kohlen zu thun, indem fie in Der lin- 
fen Hand eine Schüffel mit Früchten hält, die Feigen ahnlich 
fehen. Sch habe geglaubet in Diefem Gemälde ein Opfer abge: 
bildet zu fehen , welches Livia und Octavia, Gemahlinn und 
Schwefter des Auguftus dem Mars bringen, wie die römifchen 
Weiber, mit Ausfchließung der Männer, den erften Merz an 
"dem Sefte, welches Daher Matronalis genennet wurde 1), zu thun 
pflegten: denn Horatius redet von einem Opfer, welches gedachte 
beyde Frauen, nach der glüdlichen Nüdfunft des Auguſtus aus 
Spanien, an welche Gottheit wird nicht angezeiget, Darbrach- 
fen 2). 


Bbbb 2 Ein 


1) Ovid. Faſt. L. 3. v. 169. 2) L. 3. op. 14. v. 5. 


564 1. Theil. Viertes Kapitel, 


Ein anderes Gemälde in der Ville Albani, welches vor 

etwa drey Sahren in einem Zimmer eines alten Pagi, fünf Mi- 
lien von Nom, an der appifchen Straße gelegen, entdecket wor: 
den, ift an anderthalb Palme lang, und halb fo breit, und ftel- 
let eine Landfchaft mit Gebäuden, Thieren und Figuren vor, 
Die mit einer großen Freyheit, in einem lieblichen Tone des Co— 
lorits, und zugleich mit wahren Verftändniße der Entfernung 
im hinteren Grunde ausgeführet find. Das vornehmfte Gebäu: 
de ift ein Thor von einem einzigen Bogen, in welchem der obere 
Balken eines Fallgatters an Ketten über eine Holle zum Aufzie⸗ 
ben und herunter zu Taffen haͤnget: über dent Bogen ift ein 
Wachzimmer. Diefes Thor führet zu einer Brüde über einen Fluß, 
auf welcher Ochſen hinüber getrieben werden; der Fluß ergießet 
fi) in das Meer. Auf dem Ufer ftehet ein Daum, mit einer 
auf den Zweigen deffelben gebaueten Eleinen Laube, und an ans 
dern Zweigen hängen Bänder, Die als eine Art Gelübde an 
Baͤume gebunden wurden: 1) fo gelobete Tydens der Water des 
Diomedes, beym Statius, der Pallas zu Ehren, purpurfarbe- 
ne Bänder mit einem weißen Nande an einen Baum zu hans 
gen 2), und Kerges zierete einen Baum mit Foftbaren Gefchmeis 
de 3). Unter dem Baume fiehet man Grabmäler, Die auch uns 
ter Bäumen pflegten errichtet zu werden; und es wuchfen zuwei⸗ 
len unter und aus denfelben Pflanzen hervor HD: eine Perfon Die 

ich 
ı) Philoftr. L. 2. icon. 34. p. 859. Prudent. contr. Sym. L. =. p. 335. 1. 29. 


2) Theb. L. z. v. 739. conf. Ibid, L. 12. v. 502. Ejusd. Sylv. L. 4. carm. 4. 
3) Aelian. var. hift. L. 2. c. 14. 4). Hor. epod. 5. v. ı7. Plin. L, 16. c. 87. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 565 


fich auf einem diefer Gräber ausruhet, deutet hier auf eine Land- 
ftraße , laͤngſt welcher die Nömer ihre Gräber baueten. 

Sch übergehe verfchiedener Heinen Stüce alter Gemaͤhlde 
Meldung zu thun, die inden Sahren 1722. und 1724. im gegenwaͤr⸗ 
tigen Sahrhunderte in den Trümmern Des Pallaftes der Kaifer 
entderket worden; Denn es find Diefelben Ducch den Moder un: 
fihtbar worden. ES wurden dieſe Stüde, da fie in der Villa 
des Hauſes Farnefe auf dem Palatino zu Nom mit der Beklei— 
dung der Mauer, auf welche fie gemahlet find, abgenommen wor: 
den, nad) Parma , und von da nad) Neapel geführet, wo Die: 
felben, wie die anderen Schäße der parmefanifchen farnefifchen 
Galerie, über zwanzig Jahre in ihre Käften verfchloffen, in 
feuchten Gewölbern ftanden, und da man endlid) jene hervor 309, 
war von den Gemählden Faum die Spur geblieben; und in Die: 
ſem Zuftande hat man Diefe verfchwundene Bilder in der Fönigl. 
Galerie zu Capo di Monte in Neapel aufgeftellet. Eine Ca: 
ryatide mit dem Gebälfe, welches fie frägt, Die auch in befag- 
ten Trümmern gefunden worden, hat fid) erhalten, und ſtehet zu 
Portici unter den herculaniſchen Gemälden. 

Ein anderes von Diefen palatinifchen Gemälden, welches 
die Helena vorftellet, wie fie aus dem Schiffe fteiget, und fich 
auf den Paris lehnet, ift in Turnbulls Werfe von der alten 
Malerey in Kupfer geftochen. 

Ein Gemälde , welches ich will in Kupfer vorftellen 
laffen, und weldyes aus den mit Farben ausgeführten Zeichnun— 
gen alter Gemälde, Die fi) in dem Mufeo des Hrn. Cardinal 

Sbbb 23 Ale⸗ 


366 L Theil. Viertes Kapitel. 


Alexander Albani befinden , genommen ift, war vermuthlich in 
den Bädern des Titus, und wird Fünftig von mir erkläret 
werden. 

ie Endlich da wenig Hoffnung übrig war, in und bey Nom 

eg Werke der alten Malerey zu finden, that fich die merkwürdige 

lei. Entdeckung der von dem Veſuvius verſchuͤtteten Städte auf, 
ons welchen taufend und einige hundert Stüce bemalter Be— 
Heidung der Mauern hervorgezogen und in dem hereulanifchen 
Muſeo aufgeftellet worden find. Einige derfelben find in den zer— 
truͤmmerten Gebäuden vom Herculano felbft entdecket; andere 
find aus den Wohnungen der Stadt Stabia abgenommen , und 
die leisten find Die Gemählde vom Pompeji; denn man hat am 
foäteften angefangen Diefe Stadt auszugraben. 

a Die vier größten herculaniſchen Gemälde ftanden auf der 

ten Stüde Mauer hohler Nifchen eines runden mäßig großen Tempels, und 
find, Thefeus nach Erlegung des Minotaurs, die Geburt des 
Telephus, Chiron und Achilles, und Pan und Olympus. The: 
feus giebt nicht den Begriff von der Schönheit Diefes jungen 
Helden, welcher unerkannt zu Athen bey feiner Ankunft für eine 
Sungfrau gehalten wurde 1). Sch wünfchte ihn zu fehen mit 
langen fliegenden Haaren, fo wie Thefens fowohl, als Jaſon, 
da Diefer in Athen zum erftenmal ankam, trugen. Thefeus foll- 
te dem Safon , welchen Pindarus malet 2), Ahnlic) fehen, über 
deffen Schönheit das ganze Wolf erftaunete, und glaubte, Apol⸗ 
Io, Bacchus, oder Mars ware ihnen erfchienen, Im Tele 


phus 
»)-Paufan. L, x. P. 404. 11. 2) Pind. Pyth. 4. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 567 


phus fieht Hercules keinem griechifchen Alcides ahnlich), und Die 
übrigen Köpfe haben gemeine Bildungen. Achilles ftehet ruhig 
und gelaffen, aber fein Geficht giebt viel zu denken: es ift inden 
Zügen deſſelben eine viel verfprechende Ankündigung des Fünf 
tigen Melden, und man lieft in den Augen, welche mit großer 
Aufmerkfamkeit auf den Chiron gerichtet find, eine voraus eilen- 
de Lehrbegierde , um den Lauf feiner jugendlichen Unterrichtung 
zu endigen, und fein ihm kurz gefeistes Ziel Der Jahre mit 
großen Thaten merkwürdig zu machen. Inder Stirne erfchei- 
net eine edle Schaam, und ein Vorwurf der Unfähigkeit, da 
ihm fein Lehrer das Plectrum zum Saytenfchlagen aus der Hand 
genommen, und ihn verbeffern will, wo er gefehlet. Er ift fchön 
nad) dem Sinne des Ariſtoteles 1); die Süfigkeit und Der Neiz 
der Jugend find mit Stolz und Empfindlichkeit vermifchek. 

Es wäre zu wünfchen, Daß vier Zeichnungen daſelbſt auf 
Marmor, unter welchen die eine mit dem Namen des Malers und 
der Figuren , die fie vorftellen , bezeichnet ift, von der Hand ei— 
nes großen Meifters wären: der KRünftler heißt Alexander, und 
war von Athen; feine Arbeit aber giebt Feinen großen Begriff 
von ihm: die Köpfe find gemein, und die Hände find nicht ſchoͤn 
gezeichnet ; die äußerften Theile der menfehlichen Figur aber ges 
ben den Künftler zu erkennen. Diefe Monochromata, oder Ge— 
mälde von einer Farbe, find mit Zinnober gemalet, welcher im 
euer ſchwarz geworden ift, wie e8 pfleget zu gefchehen: von 
Diefer Art Malerey wird unten gehandelt. 

Unter 
1) Rhet. L. r. p. 21. |. ıc. ed. Opp. Sylburg. T. ı.* 


568 J. Theil, Viertes Kapitel, 


Unter den fchönften dieſer Gemälde find die Tänzerinnen, 
die Bacchanten , und Die Centauren zu fegen, Die nicht völlig 
eine Spanne hoch , und auf ſchwarzen Grund gemalet find, 
in welchen man die Hand eines gelehrten und zuverfichtlichen 
Künftlers erfennet. Bey Dem allen wünfchte man mehr ausge: 
führte Stüde zu finden: denn jene find mit großer Fertigkeit, 
wie mit einem Pinfelftriche hingefegetz und Diefer Wunſch wur: 
de zu Ende des Jahres 1761. erfüllet. 

J Bo In einem Zimmer der alten verfehütteten Stadt Hercula⸗ 
siee Heiner: | welches beynahe ganz ausgeräumet war, fühleten die Ar— 
beiter unten an der Mauer nod) feftes Erdreich, und da man mit 
der Hacke hineinfchlug , entdedten fic) vier Stüde Mauerwerf, 
aber zwey waren durch Die Diebe zerbrochen. Diefes waren vier 
aus der Mauer ausgefchnittene Gemälde, welche an der Mauer 
angelehnt, und zwey und zwey mit der Ruͤckſeite an einander ges 
legt waren, fo daß die gemalte Seite auswärts blieb. Daß Diefe 
Gemälde nicht anderwärts hergeholet feyn, wie ich und andere 
anfänglich gemuthmaffet, fondern an dem Orte felbft, wo fe fih 
fanden, bereits vor Alters von der Mauer abgenommen worden, 
haben Die nach Diefer Zeit gemachten Entdeckungen der Stadt Pom⸗ 
peji dargethan. Denn bier fichet man nod) iso in Den ausge: 
grabenen Gebäuden theils ganze Gemälde , theils Köpfe Der 
Figuren aus der Mauer gefchnitten ; und Diefes geſchah ver 
muthlich unmittelbar, nachdem diefe Orte mit der Aſche des Ve— 
ſuvs bedecket worden. Dieentrunnenen Einwohner, welche, wie 
es fcheinet, vor ihrer Flucht annoch Zeit gehabt, ein Theil ihrer 
Hab⸗ 


+ 
Don der Kunſt unter den Griechen, 569 


Habſeligkeit zu retten, Eehreten nad) dieſem traurigen Zufalle, 
und da der Berg zu toben einhielt, zu ihren verlaffenen Städten 
zuruͤck, machten fich mitten durch Die Afche und Durch den Bim— 
ftein einen Zugang zu ihren Wohnungen, und füchten nicht allein 
ihre verfchütteten Geräthe auf, fondern fie führeten fo gar Sta— 
tuen mit ſich hinweg, wie die ledigen Fußgeftelle Derfelben anzei— 
gen; ja wir fehen Thürangeln (Cardines) von Erzt zugleich mit 
den Schwellen der Thüren von Marmor , ausgehoben; man 
wollte alfo auch die Gemälde auf der Mauer dem Untergange ent- 
veißen. Da aber nur einige wenige Derfelben ausgefchnitten wor— 
den, fo ift wahrfeheinlich, Daß man durd) einen wiederholten Aus⸗ 
bruch glüender Afche Des Veſuvs an Vollendung diefes Vorha— 
bens gehindert worden; und es ift zu glauben, Daß gedachte vier 
Gemälde aus eben dem Grunde zurüd geblieben find. 

Es haben diefe Stüde ihre gemalte Einfaffung mit Leiften 
von verſchiedener Farbe: der Außere ift weiß, Der mittlere violet, 
und der dritte grün, und Diefer Leiften ift mit braunen Linien ums 
sogen; alle drey Leiften zufammen find in der Breite der Spitze 
des Heinen Fingers, und unter Denfelben gehet ein fingerbreiter 
weißer Streif umher. Die Figuren find zween Palme und zween 
Zolle vömifches Maaß hoch. Ob nun gleich eben diefe Gemälde 
nad) der erften Ausgabe dieſer Geſchichte der Kunſt in dem vier: 
ten Bande der herculanifchen Malereyen in Kupfer geftochen und 
befchrieben zu fehen find 1), fo habe ich Dennoch die von mir ger 

gebe: 
ı) Pitt. Ercol. T. 4. N. 41. 42.43. 44, 


Winkelm. Geſch. der Kunſt. Eccc 


570 I. Theil. Viertes Kapitel. 


gebene Anzeige derſelben nicht zuruͤck nehmen wollen, weil gedach⸗ 
tes herculaniſche Werk nicht in jedermanns Haͤnden iſt, ſonderlich 
da ich die Bedeutung des dritten dieſer Gemaͤlde angegeben zu 
haben glaube. 

Das erſte Gemaͤlde beſtehet aus vier weiblichen Figuren: 
die vornehmſte iſt mit dem Geſichte vorwaͤrts gekehret, und ſitzet 
auf einem Seſſel; mit der rechten Hand haͤlt ſie ihren Mantel, 
welcher bis auf das Hintertheil des Kopfs hinauf gezogen iſt; 
und dieſes Tuch iſt violet, mit einem Rande von meergruͤner 
Farbe; der Rock iſt fleiſchfarb. Die rechte Hand leget ſie auf 
die Achſel eines ſchoͤnen jungen Maͤdgens, welches neben ihr im 
weißen Gewande auf den Seßel von jener gelehnet ſteht, und 
ſich mit der rechten Hand das Kinn unterſtuͤtzet; ihr Geſicht ſte— 
het im Profil. Die Fuͤße hat jene Figur auf einen Fußſchemmel, 
zum Zeichen ihrer Wuͤrde, geſetzet. Neben ihr ſtehet eine ſchoͤne 
weibliche Figur, mit dem Geſichte vorwaͤrts gekehret, die ſich die 
Haare aufſetzen laͤßt; die rechte Hand Hat fie in ihren Buſen ge: 
ſteckt, und die linfe Hand herunter hängen, mit deren Fingern 
fie eine Bewegung macht, als wollte jemand einen Mccord auf 
den Claviere greifen. Ihr Rock ift weiß, mit engen Ermeln, 
welche bis an die Knoͤchel der Hand reichen, ihr Mantel ift vio- 
let, mit einem geſtickten Saume von einem Daum breit. Die Fi— 
gur, welche ihr den Haarputz macht, ftehet höher , und ift in 
Drofil gefehret, doch ſo, daß man von dem Auge des abgewand- 
ten Theils die Spitze der Augenbraune fiehet, und an dent andern 
Auge find die Märchen der Augenbraune deutlicher , als an ans 

dern 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 571 


dern Figuren, angezeiget. Ihre Aufmerkſamkeit lieft man in ih: 
rem Auge und auf den Lippen, welche fie zufammen drücket. Ne— 
ben ihr ftehet ein Heiner niedriger Tiſch mit drey Füßen, fünf 
Zolle hoch, fü Daß derfelbe bis an Die Mitte Der Schenkel Der näch» 
ften Figur reichet , mit einem gierlich ausgepfalsten Tifchblatte, 
auf welchem ein kleines Käftgen ift, und überher geworfene Kor: 
beerzweige ; nebenbey lieget eine violette Binde, etwa um Die 
Haare der geputsten Figur zu legen. Unter dem Tifehgen fteht 
ein zierliches hohes Gefäß, weldyes nahe bis an das Dlat rei: 
chet, mit einem Henkel, und zwar von Glas, welches Die Durch- 
fichtigkeit und die Farbe anzeigen. 

Das zweyte Gemälde fcheinet einen tragifchen Poeten vor 
zuftellen, welcher ſitzet, mit vorwärts gewandtem Sefichte, und 
in einem langen weißen Node bis auf die Füße, wie ihn Die Per— 
fonen des Trauerfpiels trugen I), deffen enge Ermel bis an Die 
Knoͤchel der Hand reichen. Es zeiget derfelbe ein Alter etwa von 
fünfzig Sahren, und iſt ohne Bart 2). Unter der Bruſt liegt 
ihm eine gelbe Binde, von der Breite des Fleinen Fingers, wel- 
ches eine Deutung auf die tragifche Deufe haben kann, die meh- 

Eccc 2 ven 


1) Lucian. Jupit. Tragoed. p. 151. 1. 28. ed. Graev. 

2) Es iſt niche zu fagen, welcher von den ariechifhen berühmten Derfaffern der 
Traueripiele hier vorgeſtellet ſey. Denn Sophocles und Euripides haben den 
Bart, und auch Aeſchylus ift baͤrtig auf einem Steine des Stoſchiſchen Mur 
ſei a), wo ihm ein Adier eine Schildkröte auf den Kopf fallen lade, woran 
er ſtarb. 

a) Defer. des Pier. gr. du Cab. de Stofch, p. 417. n. sr. monum. 
ant. ined. N. 167. 


872 L Theil, Bierted Kapitel, 


rentheils einen breiteren Gürtel, als andere Mufen, hat 1); wie 
im zwenten Stüde Diefes Kapitels angezeiget worden. Mit der 
rechten hält ex einen ftehenden langen Stab, in der Länge eines 
Spießes, woran oben ein Befchlag , eines Fingers breit, mit 
gelb angedeutet ift, fo wie ihn Homerus auf feiner Wergötterung 
hält 2). Mit der linken Hand hat er einen Degen gefaffet, wel- 
her ihm quer über dem linken Schenkel liegt, und beyde Schenkel 
find mit einem rothen Tuche, aber von colore cangiante, bededet, 
welches zugleich über Das Gefäß des Stuhls herunter fällt; das 
Geheng des Degens ift grün. Der Degen kann mit Demjenigen, 
welchen die Figur der Slias auf der Wergötterung des Homerns 
hält, einerley Bedeutung haben: denn die Slias enthält die meh- 
reften Vorftellungen der Meldengefchichte zu Trauerfpielen. Den 
Ruͤcken wendet ihm eine weibliche Figur, welche Die rechte Schul- 
ter entblößt hat, und in gelb gekleidet ift 3); fie Eniet mit dem 


rech⸗ 

a) conf. monum. ant. ined. N. 46. 

2) An der beihadigten fisenden Figur des Euripides, mit deffen Namen, auf der 
Villa Albani, die fih in meinen alten Denkmalen in Kupfer geſtochen befin⸗ 
det b), zeigten fih die Spuren von einem folchen langen Stabe, und die er- 
habene Wendung des verſtuͤmmelten Arms bekräftigte dieſes. Man Eönte dem 
Euripideg, fo wie andern Tragicis, auch einen Thyrſus in die Hand geben, 
nach der Inſchrift auf diefen Dichter c), fo wie derſelbe bey der Ergänzung 
dieſer Figur iſt gegeben worden, 

— — — 1 yap ıdsda 
O:x re rou Yuacdysw » Ardımı Wesa Tuasca 
b) Monum. ant. ined. N, 168, c) Anthol, L. 5. p, 225. b. 

3) Barnes hat in Eurip. Phoenifl, v. 1498. @Xıda xernsserar, Stolam fimbriatam 
überfeger, als wenn er gezweifelt hätte, ob die Alten gelbe Kleider getragen 
haben. 


Bon der Kunft unter den Griechen, 573 


rechten Beine vor einer tragifchen Larve, mit einem hoben Diuf- 
fotse von Haaren, oyxos genannt, welche auf einem Geftelle, wie 
auf einer Bafe, gefetzet ift. Die Larve ftehet wie in einem nicht 
tiefen Raften, deſſen Seitenbreter von unten bis oben zu ausge: 
fchnitten find, und eg ift dieſer Kaften, oder Futteral, mit blauem 
Tuche behänget, und von oben hängen weiße Binden herunter, an 
Deren Enden zwo kurze Schnüre mit einem Knoten hängen. Oben 
an der Baſe, an weldye die Eniende Figur ihren Schatten wirft, 
fchreibet fie mit einem Pinfel, vermuthlich den Namen einer Tra= 
gödie: man fieht aber nur angegebene Züge anftatt der Buchfta- 
ben. Sch glaube, es fey die tragifche Mufe Melpomene, fonderz 
lic) da die Figur als Jungfrau vorgeftellet ift: denn es hat Die 
felbe die Haare hinten auf dem Haupte zufammen gebunden, wel: 
ches, wie oben gefagt ift, nur allein bey unverheuratheten Mäd- 
gen im Gebraud) war. Hinter dem Geftelle und der Larve fies 
bet man eine männliche Figur, welche fich mit beyden Haͤnden 
an einen fangen Stab ftütet, und auf die fchreibende Figur fies 
bet: auch der Tragicus hat fein Geficht nach der fchreibenden 
Mufe gefehret. 
Ber Das dritte Gemälde beftehet aus zwo nadten männlichen 
Figuren mit einem Pferde. Die eine fitset, und ift vorwärts ges 
Echret, jung und voll Feuer und Kuͤhnheit im Gefichte, und voll 
Aufmerkſamkeit auf die Dede der andern Figur, fü Daß Diefelbe 
den Achilles vorftellen Eönte. Das Gefäß des Stuhls ift mit 
blutrothem Tuche, oder mit Purpur belegt, welches zugleich auf 
den rechten Schenfel geworfen ift, wo die vechte Hand ruhet: 
Ercez roth 


574 1. Theil, Viertes Kapitel. 


roth ift and) der Mantel, welcher ihm hinterwärts herunter hän- 
get, als welche Farbe einem jungen Helden und Krieger gemäß 
ift, wie denn Diefelbe Die gewöhnliche Sarbe der Spartaner im 
Selde war. Die Lehnen des Stuhls erheben ſich auf Sphingen, 
welche auf Dem Gefäße liegen, wie an dem Stuhle eines Jupiters 
auf einer erhobenen Arbeit, im Palafte Albani 1), fo daß alfo 
Die Lehnen ziemlich hoch find; auf einer Lehne liegt der rechte 
Arm. An einem Fuße des Stuhls ift ein Degen in der Scheide 
von fech8 Zoll lang, angelehnet, mit einem grünen Gehänge wie 
an Dem Degen des Tragici, und der Degen hänget an Demfelben 
vermittelft zweener Ringe, Die an Dem obern Beſchlage der Schei⸗ 
de beweglich find. Die andere ſtehende Figur lehnet fich auf ei- 
nen Stab, welchen fie mit der linken Hand unter Der rechten 
Achſel gefeset hat, eben fo wie Paris auf einem gefchnittenen 
Steine ftehet 2), fo daß der rechte Arm erhaben ift, wie im Er— 
zählen; und ein Bein hat Diefelbe über das andere gefchlagen: an 
dieſer Figur fehlet Der Kopf, wie auch an Dem Pferde. E8 fcheinet 
Diefer junge Meld Antilochus , des Neftors jüngfter Sohn zu 
feyn, welcher dem beftürzten Achilles die Nachricht von dem Tode 
des Patroclus bringet; und Diefes wird mir wahrfcheinlid) Durd) 
das Gebaude, worinn dieſe Handlung vorgeftellet. ift: Denn es 
giebt einen Begriff des von Xretern aufgefchlagenen Gezeltes 
des Achilles, wo ſich derſelbe bey Ankündigung dieſer Nachricht 
befand. 
Das 
») Bartoli Admir. Rom. n. 48. Montfaue. Ant. expl. T. ı. pl. 15. welchen 


Eyhin; Bartoli für einen Greif angeſehen. 
s) Monum, ant, ined. N. rız. 


Bon der Kunf unter den Griechen, 575 


Das vierte Gemälde ift von fünf Figuren. Die erfte ift 
eine fisende weibliche Figur, mit einer entblößten Schulter, und 
mit Epheu und mit Blumen gefrönet, und hält in der linken 
Dand eine aufgerollete Schrift, auf welche fie mit der vechten 
Hand zeiget. Sie iftviolet gekleidet, und ihre Schuhe find geld, 
wie an der Figur des erften Gemaͤldes, Die fih den Kopf putzen 
läßt. Gegen ihr über fizet eine junge Marfenfchlägerinn, Die 
mit der linfen Hand die Harfe, Barbytus genannt, fchlägt, 
welche fünfthalb Zoll had) ift, und in der rechten Hand hält fie 
einen Stimmhammer, weldyer oben zween Haaken hat, faft in 
der Geſtalt eines griechiſchen Y, nur daß die Haaken ſich Früms 
men, wie man deutlicher an einem ſolchen Stimmhammer von 
Erst in diefen Muſeo fieht, deffen Haaken ſich mit Pferdeköpfen 
endigen, und fünf Zolle lang ift. Ein anderer fchöner Stimm: 
bammer von Erzt und mit vielen Zierrathen befindet fich in dem 
Muſeo Hrn. Damiltons, zu Neapel. Und vielleicht ift das In⸗ 
ſtrument, welches Die Mufe Erato auf einem Gemälde diefes Mu— 
fei in der Hand hält 1), Fein Plectrum, wofür e8 angegeben wird, 
fondern ein Infteument zum Stimmen: denn es hat Daffelbe zween 
Haaken, die fi) aber einwärtö kruͤmmen; e8 war aud) dag 
Plectrum nicht nöthig, da fie mit der linken Hand den Pfalter 
fchlägt. Die Harfe unferer Figur hat fieben Wirbel ftehen auf 
der Walze Die wru£ xogdav hieß 2), und alfo eben fo viel Sayten. 
Zwifchen ihnen fiset ein Slötenfpieler, in weiß gekleidet, welcher 
zwo gerade Flöten, von gelber Farbe und von einem halben Palm 

in 
1). Pitt. d’Ereol. T!-z. tav. 6, 3) Eurip. Hippolyt. v. 1135. 


576 L Theil. Viertes Kapitel. 


in Der Länge , zugleich bläft 1), die in den Mund durch eine 
Binde gehen, welche Sour, auch gopßeov , popßsıas hieß, und über 
die Ohren hinterwärts gebunden wurde: an den Slöten find ver 
ſchiedene Einfchnitte angedeutet, welche entweder eben fo viel 
Stuͤcke oder eine Flöte von Rohr mit deffen Gliedern und Kno— 
ten anzeigen: Denn e8 wurden nicht allein Pfeifen (yrinx) fondern 
auch Flöten aus dem gemeinen Nohre gefchnitten;, dasjenige aber 
welches bey Orchomenus in Boeotien wuchs, war ohne Knoten, 
fo daß deſſen Polung nicht unterbrochen war, und es wurde das 
her zu dieſem Gebrauche vorgezogen 2). Flöten, wie Die auf 
unferem Gemälde find, aus mehr Stücden zufammengefeist, hie— 
fen eußarıpıoı, gradarii „ weil fie gleichfam verfchiedene Stufen 
hatten. Die Stüde der Flöten aus Knochen die fi) haufig in 
Diefem Mufeo befinden, haben Feine Einfügungen , und müffen 
alſo auf ein ander Rohr, oder Scheide, gezogen und geftecket 
werden: Diefes Rohr war von Metall, oder von ausgebohrtem 
Holze, welches ſich hier in zwey Stüden von Flöten verfteinertan- 
gefet erhalten hat, und in Dem Mufeo zu Cortona ift eine alte‘ 
Floͤte von Elfenbein, deren Stüde auf ein filbernes Rohr gezo- 
gen find. Ich merke bey Diefer Gelegenheit an, daß auf alten 
Denkmalen, wo theils Zlötenfpieler, die zwo Zlöten blafen, nam: 
lich) die rechte und Die linfe, theils Diefe Flöten allein, vorgeftellet 
worden, beyde Flöten gleich find in der Dicke, da doch nad) an- 
z ge⸗ 
1) Zwo lange gerade Flöten waren vermuthlich diejenigen, welche Doriſche hies⸗ 


fen; denn die phrygiſche Flöte iſt vorwärts gekruͤmmet. 
2) Plin. L. 16. c. 66. 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 577 


geführten Drte des Plinius die linke ftärker gewefen feyn muß, 
weil diefelbe aus Dem unteren Schafte des Rohrs gefchnitten 
wurde, zu der rechten Zlöte hingegen nahm man den oberen 
Schuß. 

Außer dieſen Gemaͤlden ſind einige andere, und wie ſich Gera a 
offenbar zeiget, von eben der Hand, aber nicht völlig erhalten, dieſer Art. 
Das befonderfte und nicht bekannt gemachte Stud ftellet den 
Apollo vor, mit Stralen um fein Haupt, wie er auf feinem 
Wagen der Sonne fitset, welcher in zwey Raͤdern mit Speichen, 
die ſich von deinfelben erhalten haben, angedeutet iſt. Diefe Ft- 
gur iſt bis auf den Unterleib nadend, und hat über die Schen: 
kel ein grünes Gewand geworfen, welches bezeichnen kann, Daß 
das froͤhliche Grün der Welt fichtbar wird bey Anbruch der Son— 
ne. Auf der rechten Achſel diefes Apollo fiehet man von einer 
Figur, die nicht mehr vorhanden ift, eine fchöne weibliche Dand 
liegen, Die ein weißes dünnes Gewand , weldyes dieſe Gottheit 
bedeckete, in die Döhe hebet. Diefe ftand hinter jenem, und fcheis 
net Aurora zu ſeyn, im Begriffe die Sonne der Welt zu entde— 
den, nachdem jene fich zurück gezogen het. 

Diefe Gemälde von Kleinen und fehr ausgeführten Figuren, * Selgen. 
fehienen noch einen Wunſch übrig zu laffen, welcher auf größere F— 2 — 


emälde eben 


Stuͤcke von einem freyeren Pinſel und Federer Manier gieng; dieſes Murei, 


die in dem 


und aud) Diefer Wunſch wurde nachher erfülfet in zwey Stuͤcken, Zemper der 
die fich in einer großen Kammer hinter dem Tempel der Iſis zu Yin 

Pompeji fanden, und io in dem herculanifchen Mufeo aufgeftels """" 

let find. Beyde Stüde in Figuren von halber Lebensgröße bilden 


Winkelm. Gef. der Runſt. Dddd die 


378 1. Theil. Viertes Kapitel, 


die Gefchichte der Sfis oder der So ab. Auf dem einen ift Io 
Durch zwey Mörner auf dem Haupte bezeichnet vorgeftellet,, fo 
Daß ihr Gewand von dem entblößeten Dberleibe bis auf Die 
Schenkel herunter geſunken ift. Es wird Diefelbe von einem Tri⸗ 
ton oder von dem Proteus getragen; auf deffen linker Schulter 
fie fiet, und er hat Diefelbe mit der linfen Hand umfaflet. Io 
hält fi) an ihn mit der linken Hand, indem fie Die rechte einer 
weiblichen fehönen und völlig befleideten Figur giebt, Die ihre 
Hand mit der rechten Hand gefaffet hat, und in der linken eine - 
kurze Schlange mit einem gefehwollenen Dalfe haͤlt; es ſitzet Die- 
felde auf einem Bafamente, und hinter ihr fpielet ein Kind mit eis 
ner Situla, Die aber größer ift, als Diejenigen, Die Mercurius hält. 
Hinter derfelben ſtehet eine junge männliche Figur mit der linfen 
entblößten Dchfel, welche vermuthlich Mercurius iſt: Denn es 
hält derfelbe in der rechten erhobenen Hand ein Siftrum und in 
der linken den Caduceum, nebft einem ganz Fleinen Gefäße (Situ- 
la) welches über die Knoͤchel dieſer linken Hand haͤnget. Eine 
vierte Figur, ftehend wie Mercurius, hält in der rechten Hand 
gleichfalls ein Siftrum und in der linken Hand einen dünnen Stab; 
fie ift wie die anderen Siguren, den Triton ausgenommen, in 
weiß gekleidet. Der Triton oder Proteus erhebet fi) aus dem 
Meere oder aus dem Nil hinter Klippen, Die weiß find wie vom 
Schaume der Wellen. Unter Demfelben gehet ein Erocodil von 
Stahlfarbe und auf der rechten Seite lieget ein Sphinx auf ei- 
nem Sußgeftelle. 


Das 


Bon der Kunft unter den Griechen. 579 


Das zwente Gemälde ftellet vor Die Io, den Mercurius 
und den Argus. Jo mit Dörnern auf dem Haupte ſitzet in weiß 
gekleidet, Mercurius ftehet und ruhet auf dem Schenkel des lin⸗ 
fen Being, welches auf einem Felfen ftehet, und halt in der lin, 
fen Hand einen Caduceus von befonderer Form, fo Daß deflen 
Schlangen zweymal gefnüpfet find; mit der rechten Hand aber 
yeichet er dem Argus eine Syrinx oder Nohrpfeife. Diefer hat 
die Geftalt eines jungen Menfchen, über deſſen Schenkel ein vo: 
thes Tud) geworfen ift, und es hat derfelbe nichts außerordentli⸗ 
ches in feiner Geſtalt. 

Sch bin in Befchreibung diefer Gemälde nad) dem Grund: 
fase verfahren, daß man fchreiben follte oder unterlaffen, was 
wir wünfchten, Daß die Alten gefchrieben oder nicht gefchrieben 
hätten: Denn wir würden e8 dem Paufanias Dank wiffen, wenn 
er ung von vielen Werken berühmter Maler eine fo umftändliche 
Befchreibung, als von des Polygnotus Gemälden zu Delphos, 
gegeben hätte, 

Nach dieſer hiftorifchen Anzeige der in Rom und vornänt- 
lich in dem herculaniſchen Muſeo befindlichen alten Gemälde, 
wird der Lefer unterrichtet fenn wollen, ob diefelben griechifchen 
oder römifchen Rünftlern zuzufchreiben fenen , und id) wünfchte 
dieſes Verlangen zu erfüllen, aber unfere Kenntniß reichet nicht 
an die Beftimmung Diefes Unterfchieds; und wenn auf Der einen 
von oben erwähnten Zeichnungen auf Marmor, in gedachtem Mu- 
feo, nicht der Name des athenienfifchen Malers von ihm felbit 
wäre gefeset worden, würden wir zweifelhaft feyn über Die Na— 

Dddd 2 tion 


II. 
Ob die Meifker 
derfelben gries 
chiſche oder rö⸗ 
miſche Maler 
geweſen. 


580 I. Theil. Biertes Kapitel, 


tion dieſer Malerey. Unläugbar ift es, Daß fid) Die Nömer be⸗ 
reits in den älteften Zeiten griechiſcher Maler bedienet, auch fo 
gar in Kleinen Städten, wie zu Ardea, ohnweit Rom am Meere 
geſchah, wo der Tempel der Juno ausgemalet war von Marcus 
Ludius, einem Griechen aus Aetolien, welcher ein Helote, oder 
ein entflüchteter fpartanifcher Leibeigener war 1), der Künftler 
hatte feinen Namen in römifcher Spradye, und mit Buchftaben 
von fehr alter Form auf fein Werk gefeget. Es fcheinet auch 
aus dem Zufammenhange deffen, was Plinius ergählet von zween 
griechiſchen Malern, Damophilus und Gorgaſus genannt, Die 
einen Tempel der Ceresin Nom ausgemalet, und ihre Namen 
unter ihre Gemälde gefeset, Daß diefes nicht in fpäteren Zeiten 
Der Republik gefchehen fey 2). Wahrfcheinlicy ift dennoch, Daß 
Die mehreften übrig gebliebenen Gemälde von rischen verferti- 
get worden, da bemittelte Perfonen unter den Römern Maler, Die 
Freygelaſſene waren , in ihren Dienften Hatten , welches folglich 
Feine Roͤmer waren; wie zu beweifen ift theils aus dem Namen 
eines Künftlers von folchem Stande unter den Eaiferlichen Be: 
dienten, aufeiner antiatifchen Snfehrift im Campidoglio 3) theils 
aus der Nachricht von einem ausgemalten Portico zu Antium, 
weichen Nero mit Klopffechter Figuren durch einen Freygelaſſenen 
hatte ausgieren laffen. Da nun, einige Gemälde ausgenommen, 
Die, wie ich angezeiget, aus einem hereulanifchen Tempel gezo— 
gen worden, Die übrigen in Londbänfern und anderen ZBohnun- 
gen 
ı) Plin. L. 35. c. 37. 3) L. 35. C. 45. 
3) Vulp. tab. Ant. illuftr, p. 17. 


Von der Kunſt unter den Griechen, 581 


gen ſtanden, ſo ſind vermuthlich auch dieſe Stuͤcke Arbeiten frey— 
gelaſſener Maler. Das von mir angefuͤhrte Stuͤck, wo man das 
Wort DIDV lieſet, koͤnte von einem Freygelaſſenen, der in Rom 
erzogen oder gebohren worden, gemalet ſeyn. Eben dieſes deu— 
tet des Plinius Klage uͤber den Verfall der Malerey an, da er 
als eine der Urſachen davon angiebt, daß dieſe Kunſt theils vor, 
theils zu ſeiner Zeit nicht von geehrten Perſonen geuͤbet worden, 
non eſt ſpectata honeſtis manibus 1). Es war jedoch die Male— 
rey nicht aus Geringſchaͤtzung derſelben eine Beſchaͤfftigung der 
Freygelaſſenen geworden: denn es ſcheinet, daß Amulius, welcher 
das goldene Haus des Nero ausgemalet hatte, und Cornelius 
Pinus nebſt dem Accius Priſcus die in dem von dem Veſpaſia— 
nus wiederhergeftellten Tempel der Tugend und der Ehre ihre 
Kunſt zeigeten 2), römische Bürger gewefen. Unterdeſſen da 
wir wiffen, daß in Griechenland die Kunft der Zeichnung und 
befonders Die Malerey nur von Perfonen freyer Geburt geübet 
morden, unter den Römern aber ſich bis auf die Sreygelaffenen 
erniedriget hatte, fo war die gefallene Wuͤrdigkeit der Malerey 
eine von den Urfachen der Abnahme derfelben bereits unter den 
erften Kaiſern, fo daß ſich Petronius beflaget, es finde fich in 
Derfelben nicht Die mindefte Spur der ehemaligen Meifterhaftig: 
keit. Zu Diefem Zalle der Malerey gab einen großen Anlaß die 
unter Dem Muguftus durch den Ludius eingeführte nene Art Der: 
felben, die Zimmer mit Landfcyaften, mit Abbildungen von See- 
hafens, Wäldern und anderen unbedeutenden Dingen auszuzie— 
Doddd 3 ren, 


— =) Blins ER 3.26.37. 


582 I. Theil. Biertes Kapitel. 


ven 1), worüber ſich auch Vitruvius beflaget, indem er angeiget 
Daß vor Diefen Zeiten der Inhalt der Gemälde an den Wänden 
der Wohnungen lehrreich gewefen, und aus der Geſchichte der 
Götter und der Melden genommen worden, folglid) eine heroifche 
Malerey Eonte genennet werden. Diefe Betrachtung gehet nur 
anf den Zuftand der Malerey zu den Zeiten der Kaiſer, aus wel: 
chen Diejenigen Gemälde find, die wir Eennen; von dieſer Kunft 
aber unter den Römern zur Zeit der Republik wird im folgenden 
J Kapitel Anzeige geſchehen. 

Bon der Mas Bas endlich Die Ausführung oder die Malerey felbft be 
und intern. trift, fo war diefelde anfänglic) nur einfärbig, und die Figuren 
a dem wurden mit bloßen Linien von einer einzigen Farbe , Die insge⸗ 
Con ve am. Mein roth, und Zinnober oder Mennig war 2), entworfen; zu⸗ 
— weilen wurde anſtatt der rothen Farbe die weiße genommen, wie 
bie, Zeuxis zu malen pflegte 3); und dergleichen mit Umriſſen von 
weißer Farbe auf einem Dunfelen Grunde gefete Figuren, find 
noch itzo in den alten Gräbern von Tarquene, bey Corneto zu 
fehen. Diefe Art von Malerey hieß Monochroma, , Das ift, mit 

einer einzigen Farbe. 
2. Die mit Die bloß mit weißer Farbe ausgeführte Gemälde fcheinet 


eiß gemale 
mar, un Ei Mriftoteles mit Dem Worte Asuxoypagew 4) haben bedeuten wollen. 
Klärung des Warn Re 
Ariſtoteles. Denn er faget, Daß Diejenigen Tragddien, wo man den Aus- 
druck der Leidenfchaften nicht geſuchet, oder nicht glüdlich in 
Demfelben gewefen, eben fo anzufehen find, als Gemälde, denen 
«8 


1) Plin. L. c. 2) Plin. L. 33. c. 39. 3).ld. L, 35..c. 36. $..z. 
4) Ariftot. Poet. c. 6. p. 251. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 583 


es am Ausdrude fehlet, als welche, wenn der Maler and) die 
fhönften Farben ausfere, den Anfchauer Dadurch nicht mehr vei- 
zen würden, als derjenige der völlig mit weiß malet (Aruxoypapn- 
cas eınova) wo er wielleicht auf den Zeuxis deuten wollen, da Die 
fer wie vorher gemeldet ift, auch mit Diefer einzigen Farbe zu 
malen pflegte, und zugleich, wie der Philofoph Furz zuvor an— 
merket, feinen Gemälden Eeinen Ausdruck (Han) gegeben. Man 
vergleiche mit Diefer Auslegung diejenige, Die Daniel Heinſius 
gegeben ‚welcher aus Aeuxoypagneag eıxova uͤberſetzet: quam qui creta 
fingula diflindte delineat , woraus erhellet, Daß diefer Gelehrte 
Feinen deutlichen Begriff von Diefen Worten gehabt habe. Ca: 
ftelvetro welcher insgemein Die Poetic des Ariftoteles ſchlecht ver: 
fanden und erfläret hat, ift bier ganz und gar irrig, wenn er 
eben die Stelle, von welcher Die Nede ift, alfo überfetset : Percio 
che cofa fimile avviene ancora nella pittura, poichè cosı non di- 
letterebbe altri, avendo diftefi belliflimi colori confufamente come 
farebbe, fe di chiaro e di feuro avefle figurata un’ immagine . Iſt 
in dieſer Auslegung die geringfte Spur des Worts Aruxoypapew? 
Ueberdem ſetzet Ariftoteles in Asuxoypagew Feine Vollkommenheit, 
führet e8 auch) nicht an, wie es der italiänifche Dollmetfcher ver⸗ 
ftanden hat, als einen Gegenfag der ganzen Rede, fondern nur 
als einen Gegenfa des erften Satzes feines von der Malerey 
genommenen Gleichniffes. 
on der zwoten Arkder Monochromata, oder Die allein —— 
mit rother Farbe gemalet ſind, haben ſich erhalten die vier oben 
ge⸗ 


1) Caftelvet. Poet. d'Ariſtot. P. 3. P. 134. 


584 1. Theil, Biertes Kapitel, 


gedachten Zeichnungen auf Tafeln von weißem Marmor in dem 
herculaniſchen Muſeo, welche beweifen, Daß dieſe erfte und ur: 
fprüngliche Art der Malerey beftändig beybehalten worden ift. 
Die vothe Farbe diefer vier Stuͤcke ift, wie ich angezeiget, unter 
dem glänzenden Auswurfe des Veſuvius ſchwarz geworden , 
Doch) fo, Daß man hier und da die alte rothe Farbe fpüren Eann, 
ES ee Die häufigften Denkmale diefer Art Malerey find endlich 


ta auf Ge 

—— die Gefaͤße von gebrannter Erde, von welchen die mehreſten nur 
mit einer einzigen Farbe gemalet und alſo Monochromata zu 
nennen ſind, wie dieſes im vorigen Kapitel angezeiget worden; 
und eben ſo werden noch itzo vielleicht in allen Laͤndern der Welt 

Gefaͤße gemalet. 
— Da endlich die Kunſt der Malerey hoͤher ſtieg, und vicht 
ne und Schatten in derſelben war erfunden worden, gieng man noch 
weiter, und es wurde zwifchen Licht und Schatten Die eigene 
und natürliche Farbe einer jeden Geſtalt geſetzet, welche die Grie— 
hen den Ton der Farbe nenneten, fo wie wir ung nod) io aug- 
zudrüden pflegen, wenn wir fagen; der wahre Ton der Farbe. 
Denn Plinius fagt, es fen dieſer Glanz (mie er das Wort Ton 
überfeget), etwas anders als das Licht, und zwifchen Licht und 
Schatten: (deinde adjectus eft fplendor; alius hic quam lumen: 
quem quia inter hoc & umbram eflet, appellaverunt tonon I). 
Denn Licht und Schatten geben nicht die wahre Sarbe eines 
Vorwurfs. So deucht mid), müße diefer dunkele Ort verſtan⸗ 
den werden, welchen man auf verſchiedene Weiſe ausgeleget hat. 

Hier⸗ 
——. 


Bon der Kunſt unter den Griechen, 585. 


Hierdurch gelangete man zur Vollkommenheit in dem Eolorit 
durch die Harmonie der Hauptfarbe, und der gebrochenen und 


gemifchten Farben, deren Wermählung mit einander bey den 


Griechen apwoyn hieß, wie Plinius an eben dem Drte lehrer. 
Die hoben und ftarken Farben biegen bey den Roͤmern Saturi, 
und Die flauen Farben und vom niedrigern Tone, Diluti I). 

Nach diefen critifchen Anmerkungen über das Colorit der 
Alten wird der Lefer unterrichtet feyn wollen von der Art zu mas 
len, welche den alten Künftlern eigen war; Diefes aber kann nur 
in Abficht der Malerey auf der Mauer gefchehen, und was man 
hier bemerket, ift nicht alles auf die Malerey auf hölzernen Ta— 
feln zu deuten, weil diefe, fo wie in der neueren Kunft, von je: 
ner wird verfchieden gewefen feyn. 

Was man allgemein behaupten Fann , ift, Daß Die alte „ 


on Gemä ls 


Malerey gefchickter als die heutige war, einen hohen Grad des va "auf dee 
Lebens und der wahren Farbe des Fleifches zu erreichen, weil 2 Ueberhanp, 


alle Farben im Dele verlieren und dunkler werden. Won den 
Gemälden auf Holz wiffen wir, daß die Alten weiße Gründe 
liebeten 2); vielleicht aus eben dem Grunde, warum zum Pur- 
purfärben Die weißefte Wolle, wie Plato fazt, gefuchet wurde 3). 


Die vorher gedachte erfte Malerey mit bloßen Zügen von b. Von den 


weißer Farbe murde nachher, Da man die Figuren mit ihren eiges 
nen und lebendigen Farben ausführen Eonte, beybehalten , und 
man 


ı) Plin. L. 9. c. 64. 2) Galen. de ufu part. L. ı0. c. 3. 3) Polit. L, 
4. P. 407. 1. @. edit. Bafıl. 


Wintelm. Geſch. der Runſt Eere 


Umriſſen ans⸗ 
gemalter Fi⸗ 


c. Bom Licht 
und Schatten. 


586 I. Theil. Viertes Kapitel. 


man zeichnete mit dem Pinſel und mit weißer Farbe, was mit 
Colorit follte geendiget werden. Diefes offenbaret ſich auf einem 
langen Stüde einer bemalten Wand, Die zu Pompeji gefunden 
worden, wo das Eolorit größtentheils abgefprungen ift, fo daß 
nur allein Die weißen Umriſſe übrig geblieben find ; und eben 
hieraus erhellet, Daß Die alten Maler verfchieden von den neueren 
ihre Bilder auf der Mauer zu zeichnen gemohnt waren. Denn 
Diefe pflegen in der Malerey auf einer frifchen Tuͤnchung die Um— 
riffe ihrer Figuren mit einem fpisigen Eifen einzudrücen; jene 
aber, Da fie eine größere Fertigkeit, Durd) Die haͤufigere Gelegen— 
beit auf der Mauer zu malen, erlanget hatten, fetten ihre Bil— 
der mit dem Pinfel felbft auf. Denn auf Feinem einzigen Ges _ 
mälde des herculanifchen Mufei unter vielen hunderten, die ich 
genau unterfuchet habe, entdeden fid) eingedruckte Umriſſe. 

In den mehreften alten Gemälden auf der Mauer find 
die Lichter und Schatten durd) parallele oder gleichlaufende und 
zuweilen Durch gekreuzte Pinfelzüge geſetzet, welche Plinius inci- 
furas nennet 1); in Der italiänifchen Sprache heißet es tratteg- 
giare; und eben fo malet man noch iso auf der Mauer. Andere 
Gemälde find mit ganzen Maffen abweichender und anwachfender 
Sarbenmifdyungen vertieft und erhoben, wie man an ber fo ge 
nannten Venus im Palafte Barberini bemerket, und alfo ſiehet 
man die vorher befchriebenen vier Heinen ſchoͤnen Stüde des hereu- 
lanifchen Mufei, und andere Gemälde daſelbſt, Die fleißig geen- 
Diget find, ausgeführet. Auf einigen Stücken dieſes Muſei aber 

zei⸗ 


——— 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 587 


zeigen fid) zugleich bende Arten zu fchattiren, wie unter andern 
an dem Chiron und Achilles, von welchen diefer mit ganzen Maf- 
fen, jener hingegen fchraffiret gemalet ift. 

Die ſchoͤnſten Stüde der alten Gemälde in dem herculani- 
fchen Mufeo, welches die Tanzerinnen nebft Nymphen und Cen- 
tauren find , Figuren von einem Palme hoc) , und auf einen 
fhwarzen Grund gemalet, fcheinen fo gefehwinde, als die erften 
Gedanken einer Zeichnung entworfen. 

Zuletzt ift zu merken, Daß der größefte Theil der alten 
Gemälde des herculanifchen Muſei nicht auf naffen Kalk, fondern 
auf trodene Gründe gemalet find, welches man deutlid) be: 
merfet an einigen Figuren , Die abgefprungen find, fo daß der 
Grund, auf welchen fie gemalet worden, hervorfcheinet. Am 
deutlichften wird man Diefes gewahr an dem bereits angeführten 
Gemälde des Ehiron und des Achilles, wo die Zierrathen der 
dorifchen Drdnung hinter den Figuren eher als diefe gemalet wor⸗ 
den, ſo DaB man hier Das Gegentheil von dem was gewöhnlich 
üblich ift, gethan. Denn unfere Künftler verfahren, wie e8 Die 
Natur der Dinge lehret, und fegen zu erft ihre Figuren auf, und 
entwerfen alsdann den Grund ihres ®emäldes; in jenem Gemäl- 
de aber ift Diefes umgekehrt. 


d. Befondere 
Anmerkungen 
über diefe Art 
Malerey. 


D. 
Um nichts zu übergehen was Die Malerey der Alten be— genb alten 
trift, erinnere fich Der Lefer der Stafue einer Diana des hercula— Statuen. 


nifhen Mufei, Die im älteften Stil gearbeitet ift, und im dritten 

Kapitel befchrieben worden, an welcher nicht allein der Saum des 

Rocks, fondern auch andere Stüde der Kleidung bemalet find, 
Eeee 2 Ob 


IV. 

Bon dem 
Charakter eis 
niger alten 
Maler. 


588 I. Theil. Biertes Kapitel, 


Ob es nun aleich wahrfcheinlicher ift, Daß Diefe Statue ein he 
truriſches, als griechiſches Werk fen , könte dennoch’ aus einer Stelle 
des Plato fcheinen, Daß auch unter den Griechen eben Diefer Ge— 
brauch gewefen fey. Plato faget , was ich hier anführe, gleich- 
nißweis! Nomspovr av £&ı nuas uvdpiarrag "Ypagavrag mponeNIwr 
av rs erfeye Aeyay, 0T4 00 Tag ahhusng TOU (mov Ta nahlusa 
gappanı parties, 00 Yap opIahuoı aahkısor 09, 84 OSpeim EvaNk- 
Aypevor Ev, aAha nehan x, 7.‘ das ift: fo mie jemand, Der 
uns Statuen bemalen anträfe, und ung tadeln wollte, daß wir 
nicht aufdie fchönften Theile der Figur Die ſchoͤnſten Farben fegen, 
indem Die Mugen , Die das fchönfte find, nicht mit Purpur ſon⸗ 
dern mit ſchwarzer Farbe bezeichnet feyn würden u. ſ. w. Sch 
überfesse den Sinn diefer Worte fo wie ic) denſelben begreife; und 
es wird derfelbe Feine andere. Auslegung annehmen, fo lange 
nicht erwiefen werden Tann, Daß das Wort ardpıas, welches ing- 
gemein eine Statue bedeutet, auch yon einem Gemälde könne ge⸗ 
nommen werden, welches ich Denen zu entfcheiden überlaffe, Die 
mehrere Belefenheit als ich befigen I). 

So wie in der vorigen dritten Abtheilung die Erklärung 
des Ariftoteles und Das Wort Arunoypagew, nebft der kurz zuvor 
verſuchten ErHärung einer dunkelen Stelle des Plinius Gelegen- 
heit gegeben haben, von dem Eolorit der alten Maler zu reden, 
eben fo veranlaflet das Urtheil jenes Philsfophen über drey Ma⸗ 
let, mid) über den Charakter Derfelben zu erklaͤren.“ Polygnotus, 
fagt er, hat feine Figuren beffer , Pauſon ſchlechter und Dio— 

ny⸗ 
s) Plat. Polit. L. 4. p. 403. 1. 230, 


Bon der Kunſt unter den Griechen. 589 


nyſius ähnlicher gemalet ı). Sch weiß nicht ob der Graf Caylus 
dieſe Stelle berühret, und wenn Diefes gefchehen tft, ob er den 
Sinn derfelben getroffen habe: Denn ich habe das, was er in den 
Schriften der Academieen über die Malerey der Alten einrücen 
laffen, nicht bey der Hand, auch nicht Zeit, Diefelben anderwaͤrts 
aufzuſuchen; der Lefer mag fid) Die Mühe nehmen, ung beyde 
über jene Stelle gegen einander zu halten. Kaftelvetro hat hier 
feine fehr geringe Einficyt von neuen verrathen, und verdienet 
nicht, daß ich deſſen Auslegung überfetse, nod) widerlege. Diri- 
ftoteles will, fo viel id) einfehe, folgendes lehren. Polygnotus 
bat feine Figuren beffer gemalet , wie er Diefes von einem jeden 
guten Maler erfordert 2), Das ift, er hat fie über. den gemeinen 
Stand und Bildung der Menfchen erhoben, und da derfelbe, 
fo wie die mehreften alten Maler , nebft der Mythologie Der 
Goͤtter, Gefchichte aus der Heldenzeit vorſtellete, waren feine 
Figuren alfo audy Melden aͤhnlich, und bildeten die Natur in der 
fchönften Idea ab. Paufon malete feine Figuren fehlechter, wel- 
ches vermuthlich Fein Tadel des Künftlers feyn fol: denn Ariſto— 
teles führet ihn als einen großen Maler an, und feet ihn neben 
den Polygnotus: die Abficht diefes von befagten Malern genoms 
menen Gleichnifles ift, wie unftreitig erhellet, die drey verfchie- 
denen Arten der Nachahmung (ziunsesr) in der Dichtfunft fo 
wohl als in den Taͤnzen, deutlicher zu erklären. Folglich wird 
Hriftoteles haben fagen wollen: fo wie des Polygnotus Gemälde 
find, was die Tragödie (die ſich mit hersifchen Begebenheiten be— 
Eeee 3 ſchaͤff⸗ 
i) Ariftot Poet, c. =. p. 236. 2) Ibid. c. ı8. p. 285. 


90 J. Theil, Viertes Kapitel, 


ſchaͤfftiget) in der Dichtkunft ift, fo find Die Figuren des Paufon 
mit der Komödie zu vergleichen, welche die Perſonen fchlimmer 
vorftellet, wie der Philoſoph in eben dem Kapitel faget: (CH per 
(Kupadın) xsipoug , n de (Tpaymdın) Berroug mınsIa BovAeras Tor 
or) und eben Diefes wiederholet erim folgenden fünften Kapitel: 
Kopwdia nunaıs paukorspwr ; das iſt, welche um die Sitten zu 
verbeffeen, Die Thorheiten der Menfchen in einem höheren Grade 
vorftellet, als ſich diefelben wirklid) finden, Damit dag Lächerliche 
defto empfindlicher werde. Hieraus iſt zu fchließen, Daß Paufon 
mehr comifcye als heroifche und tragiſche Stüde gemalet habe, 
und daß fein Talent gewefen, Das Lächerliche vorzuftellen, wel: 
ches auch der Endzweck der Komödie feyn fol. Denn das Lächers 
liche, fähret Ariftoteles fort, ftellet die Perfonen auf der ſchlech— 
ten Seite vor (rov aunypov esı To yeromy pop), Dionyſius hin: 
gegen, welder nad) dem Plinius unter die berühmteften Maler 
gefetet wurde 1), hielt Das Mittel zwiſchen jenen beyden, und 
war, mit dem Dolygnotus verglichen, was Euripides gegen den 
Sophocles ift: denn Diefer ftellete feine Weiber vor, wie fie feyn 
follten, und jener, wie fie waren. Dionyfins ahmete, wie Melia: 
nus lehret 2), den Polygnotus in allen nad), Am rov ueyeSoug, 
* außer in der Größe “ Das ift, er hatte das Erhabene nicht. 
Diefes Urtheil über den Charakter unfers Malers giebt zugleicd) 
der Anzeige des Plinius von eben demfelben Maler, eine Deu- 
tung, Die gänzlich verfchieden ift, von Dem Verftande, in welchem 
man Diefelbe bisher genommen bat. Dionyſius, fagt er, nihil 
aliud 
ı) Plin. L. 35. ©. 40. $. 43. 2) Var, hift. L. 4. c. 3. 


Bon der Kunft unter den Griechen. 591 


aliud quam homines pinxit, ob id Anthropographus cognominatus; 
das iſt, er hat ſeine Menſchen menſchlich gebildet und dieſelben 
nicht uͤber den gemeinen Stand erhoben, und aus dieſem Grunde 
bekam er jenen Beynamen. Dieſes kann nicht anders geſchehen 
ſeyn, als durch die Aehnlichkeit von beſtimmten Perſonen, die er 
ſeinen auch heroiſchen Figuren wird gegeben haben, welche er 
vermuthlich nach lebendigen Modellen, ohne allen idealiſchen Zu— 
ſatz, gemalet, ſo daß er zu denſelben das, was wir Academieen 
nennen, genommen. 

Ueber den Verfall der Maleren werden von den alten 
Seribenten, von dem Vitruvius an, häufige Klagen geführet; 
diefer römische Baumeifter eifert wider den zu feiner Zeit eingeführ- 
ten Gebrauch, Die Wände der Gebäude und der Zimmer mit leeren 
Vorftellungen anzufüllen, Die nichts Ichren und den Geift nicht 
unterhalten, wie Ausſichten, Teiche, Hafens und dergleichen wa— 
ven, an ftatt daß die alten Griechen Bilder aus der Gefchichte 
ihrer Götter und Melden anbrachten. Ueber eben Diefe leeren 
Gemaͤlde hält ſich Lucianus fpöttifch auf und faget: ich wollte in 
Gemälden nicht Städte und Berge allein fehen, fondern auch Die 
Menſchen felbft, und was Diefe machen und veden 1). 

In Diefer Abhandlung von der Malerey der Alten iſt zu⸗ 
letzt auch von der Arbeit in Muſaico einige Nachricht zu erthei— 
len, da dieſelbe eine Malerey iſt, die theils aus kleinen Steinen, 
theils aus gefaͤrbtem Glaſe zuſammen geſetzet iſt. Von der erſteren 
Art ſind die gemeinſten diejenigen, die aus weißen und ſchwarzen 

vier⸗ 
3) Contemplant. p. 346. 


— 
Von dem 
Verfalle der 
Malerey bey 

den Alten. 


NT. 
=. der Dias 
lerey in Mu⸗ 
ſaico. 


A. 
Bon den 37% 
Arten verfels 


B. 
Ron dem Ge 
Brauche des 
Muſaico. 


592 I. Theil, Viertes Kapitel, 


viereckten Steinchen beftchen; und auch in den allerfeinften diefer 
Arbeiten aus bloßen Steinen, fcheinet man die lebhaften Farben, 
als voth, grün u. de g. vermieden zu haben , fonderlich da ſich 
feine Marmor von einer einzigen Diefer Farben in dem höchften 
und fehönften Ton finden; wenigftens find in dem fehönften Mus 
faico Diefer Art, welches Die Tauben im Muſeo Capitolino find, 
nur ſchwache Farben angebracht. Die von der zweyten Art aber 
haben alle mögliche Farben , jedoch von Glaspaſten; und fo 
find die zwey Stüde in dem herculaniſchen Mufeo, vom Dioſco— 
vides aus Samos verferfiget, Die im zweyten Theile befchrieben 
werden. Sc) behaupte jedoch) nicht Daß fic) in Werfen von viel 
farbigen Mufaico Feine gelben und rothen Steine und einige ans 
dere Farben finden , als welches wider Den Augenſchein feyn 
wuͤrde, fondern ich vede Dort von dem höchften Zone in einigen 
ſolcher Farben. 

Diefe Arbeit war vornämlich beftimmet zum Fußboden in 
Zempeln und in anderen Gebäuden, und zulest wurden aud) 
Gewoͤlber damit beieget, wie man nod) io in einem Crypto Pors 
tico der tiburtinifchen Villa Kaiſers Hadrianus fichet , welches 
auch an der großen Cuppola fo wohl als an den Heineren der 
St. Detersfiche zu Nom gefchehen ift. Solche Fußboden find 
aus Steinen in der Größe des Nagels am Heinen Singer zuſam— 
men gefetset, und wenn Diefelben von befonderen Zierrathen gefun- 
den worden, find Zifchblätter Daraus verfertiget worden , wie 
dergleichen in dem Mufeo Capitolins und in anderen römifchen 
Wohnungen zu fehen find : es find auch Die Steine des berühmten 

Mu⸗ 


Don der Kunft unter den Griechen. 593 


Mufaico zu Paleftrina von eben der Größe. In prächtigen Zim⸗ 
mern wurden zuweilen in der Mitte und an mehr Diten des Fußs 
bodens, wenn derfelbe aus weißen und ſchwarzen Steinen beftes 
bet, Bilder von mehr Farben gearbeitet, und von Diefer Art ift 
das Mufaico eines Zimmers welches unter Paleftrina vor etwa 
vier Sahren entdecket worden. Wenn aber folche Stüde unend⸗ 
lic) fein find, wurden Diefelben unten fo wohl als auf der Seiten 
umher mit dünnen Marmorplatten gefüttert, und alfo in Die 
gröbere Arbeit eingeſetzt. Auf folche Art wurden Die gemelde- 
ten Tauben des Mufei Capitolini, und Die zwo Stüde des Diof 
corides in dem Fußboden zweyer Zimmer eines Pompejifchen Ge⸗ 
bäudes gefunden. 

Sch habe dem Liebhaber fo wohl, als dem Künftler, das u ve 
Vergnügen nicht nehmen wollen, über die in den fünf Stü- 
en Diefes Kapitels enthaltenen Lehren und Anmerkungen eis 
gene Betrachtungen zu machen, und hinzuzuthun; und es wird 
aus jenen in Schriften der Gelehrten, die fid) in dieſes Feld ges 
waget haben, etwag zu verbeffern übrig feyn. Beyde aber, wenn 
fie unter Anführung diefer Gefchichte Die Werke griechifcher Kunſt 
zu betrachten, Gelegenheit und Zeit haben, ſetzen bey fich feit, 
daß nichts in der Kunſt Hein fey, und mag leicht zu bemerken ge= 
weſen fcheinen wird, ift es mehrentheils nur wie des Columbus 
Ey. Es kann auch alles, was id) angemerket habe, ob aleich 
mit dem Buche in der Hand, ineinem oder zween Monaten nicht 
Durchgefehen und gefunden werden. Aber fo wie Das Wenige 
mehr oder weniger den Linterfchied unter Künftlern macht , eben 

Winkelm. Geſch. der Bunft. Sfff ſo 


594 J. Theil. Viertes Kapitel, 


fo zeigen bie vermeinten Kleinigkeiten den aufmerkſamen Beobach⸗ 
fer, und das Kleine führet zum Großen. Mit Betrachtungen 
über die Kunft verhält es fich auch anders, als mit Unterſuchun⸗ 
gen Der Selchrfamfeit in den Alterthümern. Hier ift ſchwer, et⸗ 
was neues zu entdeden, und was öffentlich ftehet , iſt in Diefer 
Abſicht unterſucht; aber Dort ift in dem bekannteften etwas zu 
finden: denn die Kunſt iſt nicht erfchöpft. Aber es tft das Schöne 
und das Nüsliche nicht mit einem Blicke zu greifen, wie ein uns 
weifer Deutfcher Maler nad) ein paar Wochen feines Aufenthalts 
in Nom mepnete: denn das Wichtige und Schwere gehet tief, 
und fließet nicht auf Der Fläche. Der erfte Anblick fchöner Sta: 
tuen ift bey dem, welcher Empfindung hat, wie die erfte Aus— 
fiht auf Das offene Meer, worinn ſich unfer Blick verlieret, und 
ftarr wird , aber in wiederholter Betrachtung wird der Geift 
ftiller, und das Auge ruhiger, und gehet vom Ganzen auf das 
Einzelne. Man erkläre fich felbft die Werke der Kunſt auf eben 
die Art, wie man andern einen alten Scribenten erflärenfollte: 
denn insgemein gehet es Dort, wie in Leſung der Bücher, man 
glaubet zu verftehen, was man lieft, und man verftehet es nicht, 
wenn man e8 deutlich anslegen foll: ein anders ift, den Momerus 
leſen, ein anders, ihn im Lefen zugleich überfeen. 


DaB 











Das fünfte Kapitel. * 


Don der Kunſt unter den Roͤmern— 





Jar der Abhandlung von der griechifchen Kunſt wäre nach re 
der gemeinen Mennung der Stil der römifchen Künftler , des römiſchen 


Stils in der 


und hier insbefondere ihrer Bildhauer zu unterſuchen: denn unfere sun. 
Sfff 2 An⸗ 





396 L. Theil. Fünftes Kapitel, 


Antiquarii und Bildhauer reden von einer eigenen Art roͤmiſcher 
on ern Arbeit in Der Kunſt. Es waren chemals und find noch itzo Werke 
— Der Kunſt, ſo wohl Figuren, als erhobene Arbeiten, mit römi- 
— a ſchen Inſchriften, und andere Statuen und erhobene Arbeiten mit 
Snferiften Dem Namen der Künftler. Won der erftern Art ift diejenige Fi⸗ 
gur 1), welche vor mehr als zwey Jahren bey St. Veit im 
Erzftifte Salzburg entdecket, und durch den befannten Erzbifchoff 
und Kardinal, Matthias Lange, in Salzburg aufgeftellet wur: 
De: es ift Diefelbe von Erzt, in Lebensgröße, und gleichet in der 
Stellung dem falfhlidy fogenannten Antinous oder Meleager im 
Belvedere. Eine jener völlig ähnliche Statue , von Erzt, mit 
eben Derfelben Infchrift, und an eben dem ungewöhnlichen Drte, 
namlich auf dem Schenkel, befindet fich in dem Garten des Ei- 
niglichen Luſtſchloſſes Aranjuez in Spanien. Die Salzburgifche 
Statue Hält in dem Kupfer eine Streitagt welches ohne Zweifel 
ein neuer Zuſatz der Ummiffenheit ſeyn muß. Ferner gehöret hier: 
her die Statue einer Venus, im Belvedere, welche , nach Der 
Inſchrift auf dem Sodel Derfelben, ein SALVSTIVS errichten Taf 
fen. Eine Heine Figur, über drey Palme hoc), weldye die Hoff: 
nung vorftellet, in der Villa Eudosifi , iſt wie im hetruriſchen 
Stile gearbeitet 2), und hat eine römifche Infchrift auf der Ba— 
fe , die im vorigen Kapitel angeführet ift, Es hat auch eine von 
den zwo WVictorien, deren an eben dem Drte Meldung gefchehen 
ift, am einer von beyden Binden, die kreuzweis über den Mücken 
ge: 


ı) Gruter. Infer. p. 989. n. 3. 2) conf. Deſct. des Pier. grav. du Cab. 
de Stofch, p. 301. feq. 


Bon der Kunft unter den Römern, 597 


gehen, einen vömifchen Namen. Won erhobenen Arbeiten mit 
roͤmiſcher Inſchrift habe ich eine zu Anfang des dritten Kapitels 
berühret, in der Villa Albani, welche eine Speifefammer vor- 
ftellet, ein anderes Werk von dieſer Art ift die Baſe auf dem 
Marfte zu Pozzuoli, Die vierzgehen Städte in Afien dem Tibe- 
rius zu Ehren errichtet, an welcher die fombolifche Figur ei- 
ner jeden Stadt mit deren unterfesten Namen in römifcher Art 
gearbeitet ift, und folglid) ein Werk eines römifchen Künftlers 
feyn muß. Won diefer Bafe wird im zweyten Theile Diefer Ges 
ſchichte umftändlicher gehandelt werden. Das dritte Werk dieſer 
Art in der Villa Borghefe , weldyes in meinen alten Denkmalen 
bekannt gemachet worden ift, ftellet die Antiope vor zwifchen ih— 
ven beyden Söhnen dem Amphion und Zethug, mit dem Namen 
einer jeden Figur in roͤmiſcher Schrift über Diefelbe geſetzet. Ze— 
thus hat einen Hut hinten auf der Schulter hängen, fein Land: 
leben anzudeuten, und Amphion träget einen Helm, und hält 
feine Leyer halb verdedt unter feiner Chlamys. In Erklärung 
iefes Werks habe ic) den Helm beruͤhret, deſſen Bedeutung aber 
im Amphion der Fein Krieger war, nicht gefunden , und mic) 
begnüget , als ein Beyfpiel eines Helms ohne ung befannten 
Grund, eine Statue des Apollo der älteften Zeit, mit einem 
Helme auf dem Haupte, die zu Amycle ftand, angeführet. Itzo 
glaube id) eins fo wohl als das andere, nämlidy aud) zugleich) 
Die Urſach der gleichfam verfteckten Leyer des Amphions errathen 
zu können. Die ungedrudten griechiſchen Scholien über den Gor- 
gias des Plato , welche der gelehrte Muretus aus einer alten 
Ffffz Hand⸗ 


508 1. Theil, Fuͤnftes Kapitel, 


Handſchrift des Plato, Die fi) in der ehemaligen farnefifchen 
Bibliothek befand , feinem Plato, Basler Musgabe, in der Bib- 
liothef der Sefuiten zu Nom, beygetragen; diefe Scholien bringen 
mich anf die Muthmaßung, Daß hier ein Muftrit der Tragödie 
Antiope Des Euripides abgebildet fey. Der Verfaſſer dieſer 
bereits oben angeführten Scholien muß ziemlich alt ſeyn, denn er 
meldet an einem Orte, daß Die Maner welche Plato dia uerov Terxaz 
Mnennet, noch zu feiner Zeit geftanden, und erfläret zugleich, was 
es vor eine Mauer gewefen, nämlich diejenige, wo Themiftocles oder 
Pericles den pireaͤiſchen Hafen mit dem Eleinen Hafen Munichia ver: 
einiget hatte. Diefe Stelle hat Meurſius unter den Nachrichten der 
übrigen Scribenten von dem Pireaͤo nicht bemerket, wie er wegen 
Diefer befonderen Benennung jener Mauer hätte thun follen; Daß 
aber Amphion der Erinnerung feines Bruders Gehör gegeben, 
lehret ung Horatius, wenn er faget: 

Nec, cum venari volet ille, poemata panges. 

Gratia fic fratrum geminorum Amphionis atque 

Zethi difiluit: donec ſuſpecta fevero 

Conticuit Iyra; fraternis ceſſiſſe putatur 

Moribus Amphion. 

Hor. L. r. ep. 12. 
und Diefe Stelle, welche bisher nicht ihr völliges Licht hatte, wird 
durch jene Nachricht des Scholiaften deutlich: denn Horatius bes 
ziehet ſich ohne Zweifel auf die Antigone des Euripides. Denn 
da Eallicles den Socrates bereden wollte, die philofophifchen 
De: 


1) Gorg. p. 306. L. 30. 


Von der Kunſt unter den Römern. 599 


Betrachtungen fahren zu laffen, und fich der öffentlichen Geſchaͤfte 
anzunehmen, fo wie Zethus den Amphion über deffen Liebe zur 
Muſik und Entfernung von aller andern Befchäftigung tadelte, 
fahret nachher Callicles fort und ſaget: es fcheinet Daß ich eben 
der Meynung in Abficht auf dich bin, als c8 Zethus gegen den 
Amphion des Euripidesift Guwdorevo nuv memonSevar vun orrep 0 CnIos 
mpog ro» Aupiuva TB EupmSe) denn auch ich kann zu Dir fagen, 
was jener zu feinen Bruder fagte, nämlich DaB du vernachläßi- 
geft, was dir angelegen feyn follte. Hier ſagt der Scholiaft des 
Plato, es beziehe ſich Diefes auf.eine Stelle gedachter Tragödie, 
wo Zethus zum Amphion fagt; wirf Die Leyer weg und eratgiie 
Die Waffen: 

Pro ray Avpav nexpnao de Toig oma 

Sch bin alfo der Meinung, der Künftler unferes Werks habe eben 
Diefes ausdrüden wollen in dem Delme, den er dem Amphion auf: 
gefetset, nicht weniger als in der halb verdedten Leyer, gleihfam 


als wenn Amphion diefe Erinnerung feines Bruders ftatt finden 


laſſen. Dieſe meine Ausfchweifung wird hoffentlich nicht getadelt 


werden, weil durch Diefelbe Plato am angezeigten Orte deutli— 


cher wird, weil wir ferner einen Auftrit der Antigone des. Eu— 
vipides vorftellen Eönnen, aus welcher ich zugleich ‚einen Vers 
befannt mache, und weil endlich ein ſchaͤtzbaͤres Denkmal alter 
Kunft und zwar eines römifchen Kuͤnſtlers Dadurch eine. gelehrte 
Erklärung befommt. 

Won dev zwenten Art der Werke vömifcher Bildhauer mit 


M it dem Na⸗ 


dem Namen des Kuͤnſtlers ſelbſt, findet ſich von Statuen ein ſehr m — Bild» 


mit⸗ 


U, 
Don der Nach⸗ 
ahmung hetru⸗ 
riſcher und 
griechiſcher 
Künſtler. 


600 J. Theil. Fuͤnftes Kapitel. 


mittelmaͤßiger Aeſculapius, im Hauſe Veroſpi, an deßen Sockel 
dev Name ASSALECTVS ſtehet. Won erhobenen Arbeiten aber 
fichet man in der Villa Albani ein Eleines Werk, wo ein Water, 
als ein Senator gekleidet, auf einem Stuhle fitset, mit den Füßen 
auf einer Art von Fußſchemmel, und in der rechten Yand das Bruft: 
bild feines Sohns hält: in der linken Hand aber, als ein Bild— 
bauer einen Modellierftefen: gegen ihm über ftehet eine weibliche 
Figur, welche Rauchwerk anf einen Leuchter zu ſtreuen fcheinet, 
mit Der Meberfchrift: 
C. LOLLIVS: ALCAMENES: 
DEC ET: DVVMVIR' 

Unterdeffen war diefer Mlcamenes ein Grieche, aber ein Freyge— 
laffener des Iollifchen Hauſes; ift alfo nicht eigentlich als ein 
römifcher Bildhauer anzufehen. Es findet fich auch beym Boiſſard 
eine Statue mit der Inſchrift 1): TITIVS: FECIT- Ge— 
fehnittene Steine mit Namen ihrer römifchen Künftler , eines Ae— 
polianus, Cajus, Enejus u. ſ. f. will ich nicht anführen. 

Diefe Denkmale aber find nicht hinlänglich zu einem Sy— 
ftema der Kunſt, und zur Beftimmung eines befondern von dem 
hetinrifchen und griechifchen verfchiedenen Stils: es werden fi 
andy die roͤmiſchen KRünftler Feinen eigenen Stil gebildet haben, 
fondern in den allerälteften Zeiten ahmeten fie vermuthlich Die 
Hetrurier nach, von welchen fie viele, fonderlicy heilige Gebräus 
che, annahmen, und in ihren fpäteren und blühenden Zeiten wer: 
den ihre wenigen Künftler Schüler der griechifchen gewefen ſeyn, 

ſo 


1) Antiquit. T. 3. Fig. 139. 


Bon der Kunſt unter den Roͤmern. 601 


fo daß dasjenige, was Moratius von den Nömern feiner Zeit fa- 
get: Pingimus atque pfallimus & luctamur Achivis doctius unctis 1) 
in feiner Maaße zu verftehen und als eine Schmeicheley gegen den 
Auguftus, an welchen angeführtes Gedicht gerichtet iſt, auszu— 
legen ift. 

Bon der Nachahmung der hetrurifchen Kunft in Werken 
sömifcher Kuͤnſtler in der Zeit der Republik, giebt ein walzenför- 
miges Gefäß von Metall, in der Galerie des Collegii S. Igna⸗ 
tii zu Nom, einen deutlichen und ummwiderfprechlichen Beweis, 
Denn erftlich ftehet auf dem Deckel der Name des Künftlers felbft, 
und Die Anzeige, Daß er dieſes Werk zu Nom gemacht habe, 
ferner offenbaret fich der hetrurifche Stil nicht allein in der Zeich- 
nung vieler Figuren, fondern auch in den Begriffen Derfelben. 
Es ift diefes Gefäß ohngefähr zween Palme hoch, und Hält 
etwa anderthalb Palme im Ducchmeffer: auf der Binde unter 
dem obern Rande, und auch unten, hat Daffelbe Zierrathen; auf 
den mittelften Raume deffelben aber ift rund herum, in einge- 
grabner Arbeit mit einem Grabftichel, Die Gefchichte Der Argo— 
nauten, ihre Anlandung , der Kampf und der Sieg Des Polluy 
über den Amycus u. ſ. f. vorgeftellet: und aus dieſem leisten Stü- 
cke habe ic) Die drey Figuren, den Pollur, den Amycus, und die 
Minerva herausgenommen und gewählet, einen Begriff von der 
Zeichnung auf diefem Gefäße zu geben, und diefes Stüd ift zu 
Anfang diefes Kapitels in Kupfer geftochen. Rund herum auf 

dem 


1) LE 3. ep. 1.v. 9 


Winkelm. Geſch. der Kunft, Gggg 


Insbe ſondere 
in Abſticht der 
Erſtern aus ei⸗ 
ner Vaſe von 
Erzt gezeiget. 


602 I. Theil, Fuͤnftes Kapitel. 


dem Deckel ift eine Jagd vorgeftellet, und oben auf Demfelben fte: 
ben aufrecht befeftiget Drey von Metalle gegoffene Figuren, von 
einer halben Spanne hoch, nämlich) die verftorbene Perfon, wel 
cher zu Ehren und zum Gedächtniß Diefes Gefäß in ihr Grab ge 
feet war, und Diefe hält umfaffet zween Faune mit Menfchenfüg: 
fen, nach dem Begriffe der Metrurier , welche dieſe Malbgötter 
entweder fo, oder mit Pferdefüßen und Schwaͤnzen (und Diefe 
find aud) hier) bildeten. Unter diefen Figuren ftehet Die ange: 
führte Schrift; auf der einen Seite der Name der Tochter ihrer 
verfiorbenen Mutter 1): 


DIVNDVNM/ACHNNIF RINEM:DEDIT 
Auf der andern Seite der Name des Künftlers: 
OMA LPWANHOSLMEDROMAIFRCD- 


Die drey Füße, auf welchen das Gefäß ruhet, haben ein jeder 
ihre befondere Vorftellung in Metall gegoffen, und auf dem einen 
ftehet Dercules mit der Tugend und der Wolluft, welche aber 
nicht weiblich, wie bey den Griechen, fondern bier männlich per- 
ſoͤnlich gemacht find. 

Das 


1) DINDIA: MACOLNIA- FILIA. DEDIT- NOVIOS- PLAVTIOS: ME- 
ROMAI- FECIT. MED, an ftaft ME, und ROMAI, ROMAE. Dieſt 
Inſchrift zeiget die allerältefte Form römifcher Buchflaben, und fie feinen 
noch alter, wenigſtens mehr hetruriſch, als die auf der Inſchrift des 2. Korn, 
Scipio Barbatus, in der barberinifchen Bibliothek, welches die Altefte roͤmi⸗ 
ſche Inschrift in Stein if, von welcher ich in den Anmerkungen über die Baur 
kunſt der Alten geredet habe, p. 5. 


Bon der Kunſt unter den Römern. 603 


Das Vorurtheil von einem den römifchen Künftlern eiges a ü 


nen und von dem griechifchen verfchiedenen Stil, ift aus zwo Rn 
Urfachen entftanden. Die eine ift die unrichtige Erflärung Der exit in ve 
vorgeftelleten Bilder, Da man in den Bildern Der Alten von al- —— 
lerley Art, die alle aus der griechiſchen Fabel genommen ſind, — 
(wie ich in dem Verſuche uͤber die Allegorie und in der Vorrede 
der alten Denkmale erwieſen zu haben glaube,) roͤmiſche Geſchich— 
te, und folglich einen roͤmiſchen Kuͤnſtler finden wollen. Ein fol- 
her Schluß ift derjenige, welchen ein feichter Seribent aus Der 
ungegründeten Erklärung eines tief gefchnittenen Steins in Dem 
ehemaligen Stoſchiſchen Mufeo machet 1). Es ftellet Diefer Stein 
die Tochter des Priamus, Polyxena vor 2), welche Pyrrhus auf 
dem Grabe feines Waters Achilles aufopfertez jener aber finder 
gar Feine Schwierigkeit, die Nothzüchtigung der Lucretia hier zu 
fehen. Ein Beweis feiner Erklärung foll der roͤmiſche Stil der 
Arbeit dieſes Steins fenn , welcher , fast er, ſich Deutlich hier 
zeiget, Das ift, nach einer umgekehrten Art zu denken, wo aus 
einem irrigen Schluffe ein falfcher Worderfat gezogen wird. Es 
würde Derfelbe eben den Schluß gemacht haben, aus dem fchönen 
Gruppo des irrig vermennten jungen Papirius, oder Der Pha- 
dra und des Mippolytus, in der Villa Ludovifi, wenn Der Na— 
me des griechifchen Künftlers nicht an Diefem Werke ſtaͤnde. Die = RR 
zwote Urfache lieget in einer unzeitigen Ehrfurcht gegen Die Werke — — 
griechiſcher Kuͤnſtler: denn da ſich viele mittelmaͤßige Werke fin- bie greifen 
Gggg 2 den, 
1) Scarfo Lettera &c. p. sr. 3) Defcr. des Pier, er. du Cab. de Stofch, 
P- 395. 


604 1. Theil, Fünftes Kapitel. 


Den, entficht man fich, Diefelben jenen beyzulegen, und es feheinet 
billiger, den Römern, als den Griechen, einen Tadel anzuhän- 
gen. Man begreift Daher alles, was fchlecht fcheinet, unter dem 
Namen vömifcher Arbeiten, aber ohne dag geringfte Kennzeichen 
Davon anzugeben. Unläugbar ift aus Vergleihung der Münzen, 
Die zur Zeit der Republik in Rom gepräget worden, mit den Münz 
zen Der geringften Städte in Großgriechenland, oder des Unter: 
theils von Stalien, Daß jene wie Arbeiten von Anfängern in Der 
Kunft gemacht erfcheinen. Diefe Bemerkung machte ich von 
neuem über einige hundert filberne römifche Münzen, Die vor Al⸗ 
ters in einem irdenen Gefäße vergraben ,. und alfo vollkommen 
erhalten, im Jänner 1758. bey Loreto ausgegraben worden. In 
Abſicht folcher Münzen, Die als öffentliche Werke anzufehen find, 
kann man Fühnlich glauben, Daß diefelben von römifchen Künft- 
lern gepräget worden find zu Der Zeit, da Die griechifchen Künfte 
ihren Sig noch nihtin Nom genommen hatten. Aus Arbeiten 
aber, Die Feine große Kunſt verdieneten , wie es Begräbnißurnen 
find, kann die Schönheit der Zeichnung fo wenig als der Stil bes 
ſtimmet werden, indem Diefelben auch für Perſonen von mäßigen 
Vermögen , weldyes Der Augenſchein giebt, und die mehreften 
auf den Kauf gemachet worden find, wie ich bereits erinnert ha⸗ 
be. Aus folchen Arbeiten ift Der irrige Begriff eines vömifchen 
Stils gezogen worden. Gleichwohl finden ſich unter den aller: 
fehlechteiten derſelben wirkliche griechifche Arbeiten, wie ihre In= 
schriften in griechifcher Sprache bezeugen; und XBerfe von Diefer 
Art fcheinen in Den leiten Zeiten. der Homer gearbeitet zu ſeyn. 
Ders 


Bon der Kunſt unter den Römern, 605 


Vermoͤge folher ungegründeten Meynungen glaube id) berechti- 
get zu ſeyn, Den Begriff eines vömifchen Stils in der Kunft, fo 
weit unfere isigen Kenntniffe gehen, für eine Einbildung zu hal- 
ten. Gewiß ift indeffen, Daß auch zu der Zeit, da roͤmiſche Kuͤnſt— 
ler griechiſche Werke gefehen und nachahmen Fünnen, fie Dennoch 
die Griechen bey weiten nicht erreichen koͤnnen. Diefes begeuget 
felbft Plinius und führet an, Daß von zween coloffalifchen Köpfen 
im Capitolio, von welchen der eine von dem berühmten Chares, 
des Lyſippus Schüler , der andere vom Decius, einem roͤmi⸗ 
(hen Bildhauer gearbeitet war, Diefer Kopf fo ſchlecht gegen 
jenen geſchienen, daß derfelbe Faum als eine Arbeit eines mittel: 
mäßigen Künftlers geachtet werden Fönnen. 

Sch will indeffen, um nichts zu übergehen, Die Umftände 
anzeigen ‚ in welchen ſich die Kunſt zur Zeit der vömifchyen Könige 
und ihrer Republik befunden hat. Es ift wahrſcheinlich, Daß ſich 
unter den Königen wenige oder gar Feine Römer, auf Die Zeich⸗ 
nung, und insbefondere auf Die Bildhanerey, geleget haben, 
weil nad) den Gefegen des Puma, wie Plutarchus lehret 1), 
die Gottheit nicht in menſchlicher Geſtalt durfte gebildet werden, 
jo daß. nad) hundert und ſechzig Jahren, nach den Zeiten Diefes 
Königs, oder in den erften hundert und fiebenzig Jahren, wie 
Varro berichtet x), weder Statuen noch Bilder der Götter in 
den Tempeln zu Rom gewefen. Ich fage und verſtehe in den 
Tempeln, welches alfo auf eine gottesdienſtliche Verehrung Ders 

Ögsg 3 ſel⸗ 


ı) ap. S. Auguſtin. Civit. Dei, L. 4. 0. 36. 


IV. 
Geſchichte der 
Kunſt in Rom. 
A 


Unter beu 
Königen, 


606 1. Theil, Fünftes Kapitel, 


felben müßte gedeutet werden: Denn e8 waren Statuen der Göt- 
ter in Rom, welche ich fo gleich anführen werde; es werden alſo 
diefelben nicht in den Tempeln gefest gewefen ſeyn. 

Zu. andern öffentlichen Werken bedienete man ſich hetruri- 
ſcher Kuͤnſtler, welche in den älteften Zeiten in Nommaren , was 
nachher Die griechifchen Rünftler wurden ‚und von jenen wird die 
im erften Kapitel angeführte Statue des Nomulus gearbeitet 
feyn. Ob die Wölfinn vom Erst "welche den Nomulus und Re 
mus ſaͤuget, im Campidoglio, Diejenige ift, von welcher Diony- 
fing, als von einem fehr alten Werke, vedet 1) ;’oder diejenige, 
welche nach) dem Cicero vom Blitze befhädiget wurde 2), wiſſen 
wir nicht; wenigftens fieht man einen ſtarken Riß in dem Hin⸗ 
terfchenfel des Thiers, und vielleicht iſt — die ———— 
vom Blitze. 

Tarquinius Priſcus 3), oder, wie andere wollen Ehyen: 
bus 4) „ließ einen Künftler von Fregellaͤ aus Dem Lande der 
Volsker, oder, nad) dem Plutarchus, hetruriſche Kuͤnſtler von 
Vejaͤ kommen, die Statue des olympiſchen Jupiters von gebrann⸗ 
ter Erde zu machen, und dergleichen Quadriga wurde oben auf 
dieſen Tempel geſetzet, und andere ſagen, es ſey dieſes Werk zu 
Vejaͤ gearbeitet worden. Die Statue, welche ſich Caja Cacilia, 
des Tarquinius Priſcus Gemahlinn, in dem Tempel des Gottes 
Sanga fegen un 5), war yon Erst, Die Statuen der Könige 6) 

ſtanden 


1 
1) Ant. Rom. L. r. p. 64. 1. 19. %) de divinat. L. =. c. 20. 
*) Plin. L. 35, €. 45. 4) Plutarch. Poblic: p. 188. 1 20. 
5) Scalig. Conje&.in Varron.p. 171. 6) Appian. de Bel, civ.L. 1. P. 168.1. 17. 


Bon der Kunft unt er den Römern, 607 


ftanden noch zur Zeit der Republik, in den gracchiſchen ade 
am Eingange des Capitolii. 

Sn der Einfalt der Sitten der erften Zeiten der Republik, 
und in einem Staate, welcher auf den Krieg beftand, wird. wenig 
Gelegenheit gewefen feyn, Die Kunſt zu üben. Man müfte auch 
aus dem Artikel des Bündniffes , weldyes damals nad) Verja— 
gung der Rönige mit dem Porſena gemacht worden, in welchem 
befchloffen wurde, Daß das Eifen nur allein zum Ackerbaue dienen 
follte 1); man müfte, fage ich, hieraus fchließen, daß wenigftens 
die Bildhauerey nicht geuͤbet werden Eönnen, Da «8 durch jenes 
Verbot Diefer Kunft an Werkzeuge fehlete. Die Höchfte Ehre, die 
jemanden wiederfahren Eonnte, war eine Säule, die ihm aufge: 
fetset wurde 2), und daman anfieng, große Verdienſte mit Sta- 
ten zu belohnen, wurde Die Maaß Derfelben auf drey Fuß ge 
fetset 3); eine eingefchränfte Maaß für die Kunft. Die Statue 
Des Horatius Cocles, welche ihm in dem Tempel des Vulcanus 
aufgerichtet wurde M, Die Statue der Elölia zu Pferde 5), wel- 
che noch zu den Zeiten des Seneca ftand 6), beyde von Erzt, und 
viele andere in den erften Zeiten zu Nom gemacht, müßte man fi) 
alfo in dieſer Maaße vorftellen. Mus Erzt wurden auch andere 
öffentliche Denkmale dDafelbft gemacht ,; und neue Verordnungen 
wurden auf Säulen von Erzt eingegraben, wie Diejenige war, 

wo⸗ 


ı) Plin. L, 34. c. 39. 2) Plin. L. 34, c. ıı. 3) Plin. L. c. 
4) Plutarch, Poblic. p. 192. |, 20. 5) Plin. l. 34. €. 13. 
6) Confolat. ad Marciam, 


B. 
In den erſten 
Zeiten der 
Republik, 


608 1. Theil, Fuͤnftes Kapitel, 


wodurch das Volk zu Rom Erlaubniß bekam, auf dem Aventino 
anzubauen I), zu Anfang des vierten Jahrhunderts der Stadt 
Rom; und bald hernach die Säulen, in welchen die neuen Geſetze 
der Decemvirs aufgeftellet. wurden 2). 

Die mehreften Statuen der Gottheiten — der Groͤße 
und Beſchaffenheit ihrer Tempel in den erſtern Zeiten der Re— 
publif gemäß gewefen ſeyn, welche zum Theil, aus dem in Jah: 
resfrift geendigten Tempel des Gluͤcks zu fchließen 3), nicht prach⸗ 
tig gewefen feyn koͤnnen; wie auch andere Nachrichten 4), nebſt 
den erhaltenen Tempeln, oder ihren Trümmern, zeigen. 
| Gedachte Statuen werden vermuthlich von hetrurifchen 
Künftlern gearbeitet ſeyn: von dem großen Apollo von Erzt, wel- 
cher nachher in der Bibliothef des Tempels Auguſti fand, vers 
fichert es Plinius 5). Spurius Carvilius, welcher die Samni- 
ter fchlug, ließ Diefe Statue aus jener ihren Harniſchen, Beinrüs 
ftungen und Helmen, Durch einen hetruriſchen Künftler, gießen, 
im 461. Jahre der Stadt Non, das ift, in der 121. Olympias. 
Diefe Statue war fo groß, fagt man, daß fie von dem albani- 
fhen Berge, iso Monte Cavo genannt , konnte gefehen werden. 
Die erfte Statue der Ceres 6) in Erst, ließ Spurius Caſſius 
machen, welcher im 252. Jahre Conful war, Im 417. Jahre 
wurden den Confuls 2. Furio Camillo und C. Moenio, nach dem 
Triumphe über die Lateiner, als etwas ganz feltenes , Statuen 

zu 
) Dionyf. Halic. Ant. Rom. L. 10. p. 628. 1. 40. 2) Ibid. p. 649. 1. 35. 


s) Dionyf, Halic. Ant. Rom. L. 8. p- 305.1. 12. 4) Nonn. ap. Scalig. 
Conjedt. in Varron. p. 17. s). L. 34. C. 18, 6) Ibid, c. 9. 


Bon der Kunft unter den Römern. 609 


su Pferde geſetzt 1); es wird aber nicht gemeldet, woraus fie 


gemacht gewefen. Eben fo bedieneten ſich Die Römer heteurifcher 
Maler, von welchen unter andern ein Tempel der Ceres 2) aus⸗ 
gemalet war, welche Gemälde man, Dader Tempel anfieng bau⸗ 
- fällig zu werden, mit der Mauer, auf welcher fie gemalet waren, 
wegnahm, und anderwärts hin verfeiste, 

Der Marmor wurde fpat in Nom verarbeitet, welches 
auch Die bekannte Infchrift 3) des L. Scipio Barbatus 4), des 
merkwürdigften Mannes feiner Zeit, beweiſet; es ift Diefelbe in 


den fchlechteften Stein, Peperino genannt, gehauen. Die Ins 


fchrift der Columma Roftralis des C. Duillius von eben der Zeit, 
wird auch nur von folhem Steine gewefen feyn, und nicht aus 


Marmor, wie aus einer Stelle des Silius vorgegeben wird 5): 
denn Die Leberbleibfel von der itigen Infchrift find offenbar von 


fpäterer Zeit. 


Dis an das Jahr 454. der Stadt Nom, das ift, bis zu 


der 120. Olympias, hatten die Statuen in Nom, wie die Buͤr⸗ 


ger, lange Haare, und lange Bärte 6), weil nur allererft in - 
gedachtem Jahre Barbierer aus Sicilien nad) Rom Famen 7); 


und Livius berichtet 8), Daß der Conful M. Livius, welcher aus 
Verdruß ſich von der Stadt entferne, und den Bart wachfen 


Ist 
») Liv. EL. 8. c. 14 ») Plin. L. 35.- C. 45- 3) Sirmond. explic. hujus 
Infer. conf. Fabret. Infer. p. 468. 4) conf. Liv. L. 35. c. 10. 
5) Rycq. de Capitol. c. 33. p. 124. 6) Varro de re ruft, L. 2. C. 


11. pı 54, Cic. Orat. pro M. Coelio, c. 14. 7) Plutarch, Camil. p· 


—— J 34 


Winkelm. Geſch. der Runſt. Hhhh 





610 I. Theil. Fünftes Kapitel, 


laſſen, fich denfelben abgenommen, da er von dem Rathe bewegt 
wurde, wiederum zu erfcheinen. Der ältere Scipio Africanus 
trug lange Haare 1), da Mofiniffa die erfte Unterredung mit 

Demfelben hielt. | 
Bis ae Die Malerey wurde in dem zweyten puniſchen Kriege auch 
ar Pie yon den edlen Römern geuͤbt, und Q. Fabius, welcher nach der 
unglüdlihen Schlacht bey Cannaͤ an das Orakel zu Delphos ge- 
ſchickt wurde, befam von der Kunft, die er übete, den Namen Pic- 
tor 2), und feine Nachkommen behielten diefen Beynamen, wel- 
Her auf Münzen verfchiedenen Perfonen des fabifchen Geſchlechts 
gegeben worden. Ein paar Jahre nad) gedachter Schlacht, ließ 
Tiberius Grachus die Luftbarkeit feines Meers zu Benevent, 
nad) dem Siege über den Hanno bey Luceria , in dem Tempel 
der Sreyheit zu Rom malen 3). Die Soldaten wurden von den 
Deneventanern auf den Gaffen der Stadt bewirthet, und Da der 
mehreſte Iheil bewaffnete Rechte waren, denen Grachus , in 
Anfehung der einige Jahre geleifteten Kriegsdienfte, vor Diefer 
Schlacht, mit Genehmhaltung des Senats, die Freyheit verfpro- 
hen hatte, fo fpeifeten diefe mit Huͤten und mit weißen wollenen 
Binden um den Kopf, zum Zeichen der Freylaffung. Unter Die: 
fen aber hatten viele nicht völlig ihe Gebühr bewicfen, welchen 
zur Strafe auferlegt wurde, Daß fie während des Kriegs nicht 
anders, als ftehend, effen und trinken ſollten; in dem Gemälde 
lagen alfo einige zu Tifche, andere ftanden, und andere warteten 
ihnen auf. Der berühmte Pacuvius, des Ennius Schwefter Sohn, 

war. 
1) Liv. L. a8. e. 35. 2) Id. L. 22. c. 7. 3) Id. L. 24 c 16. 


Don der Kunft ımter den Römern. 611 


war nicht weniger ein Maler, als ein Dichter; und Plinius bes 
richtet aus dem Varro, Daß, bevor ein Tempel der Ceres von 
zween oben gedachten griechifhen Malern, Damophilus und 
Gorgafins genannt, ausgemalet worden, ante hanc aedem Tuf- 
canica omnia in aedibus fuifle I), weldyes ich von hetrurifchen 
Gemälden verftehe, und mich Deucht, Darduin habe hier den Sinn 
ganz und gar nicht getroffen, wenn er glaubet, Plinius wolle 
jagen , vor Erbauung diefes Tempels feyen alle Figuren von 
Erzt gewefen. 

In dieſem zwenten punifchen Kriege, in welchem die Roͤ— 
mer alle Segel ihrer Kräfte auffpanneten, und, ohnerachtet vie 
ler gänzlich niedergehauenen Meere, fo daß in Nom nur 137000: 
Bürger übrig waren 2), Dennoch in den legten Jahren Diefes 
Krieges mit drey und zwanzig Legionen 3), welches wunderbar 
fcheinen muß, im Zelde erfchienen ; in dieſem Kriege, fage ich, 
nahm der römifche Staat, fo wie der athenienfifche in dem Krie— 
ge mit den Perfern, eine andere Seftalt an: fie machten Bekannt⸗ 


ſchaft und Buͤndniſſe mit den Griechen, nnd erwedkten in ſich Die 


Liebe zu ihrer Kunſt. Die erften Werke derfelben brachte Clau— 
dius Marcellus nach der Eroberung von Syracus nad) Nom, 
und ließ das Capitolium, und den von ihm eingeweiheten Tem: 
pel an der Porta Capena, mit diefen Statuen und Kunſtwerken 
aussieren 4). Die Stadt Capus betraf, nad) deren Eroberung 
Hhhh 2 durch 


VL 35 c.45 2) Liv.-L.- 27. c. 36. s) Id. L. 26, ©, 8. 
4) Id, L. 25. c- 40. Plutarch. Marcel. p. 364- ' 


D. 
Nach dem 
zweyten punie 
ſchen Kriege, 


612 E Theil. Fuͤnftes Kapitel. 


durch den D. Fulvius Flaccus, eben dieſes Schickſaal 1); es wur- 
den alle Statuen nach Rom gefuͤhret. 

In ſo großer Menge erbeuteter Statuen, wurden dennoch 
neue Statuen der Gottheiten zu Rom gearbeitet; wie um eben 
dieſe Zeit. von den Zunftmeiſtern des Volks Strafgelder anges 
wendet wurden, Statuen von Erst in den Tempel der Ceres zu 
ſetzen 2). Im fiebenzehenden und letzten Sahre dieſes Krieges 
ließen Die Aediles drey andere Statuen von Strafgeldern im Ca- 
pitolio fegen 3), und eben fo viel Statuen von Erzt, der Ceres, 
des Liber Pater, und der Liberä , wurden nicht lange hernad) 
gleichfalls aus Strafgeldern gemacht 4). L. Stertinins ließ da- 
mals aus der Beute, Die in Spanien gemacht worden, zween 
Bogen auf dem Ochfenmarkte aufrichten, und mit vergoldeten 
Statuen befesen 5). Livius merfet an, Daß Damals die öffentli- 
chen Gebäude, welche Bafilica hießen, nod) nicht in Nom was 
ven 6). 

In öffentlichen Proceßionen wurden noch Statuen yon 
Holz umher getragen, wie ein paar Sahre nach Eroberung der 
Stadt Syracus 7), und im zwölften Sahre dieſes Krieges ge 
(hab. Da der Dlits in den Tempel der Juno Regina auf dem 
Aventino geſchlagen hatte, wurde zu Abwendung übler Worbe: 
deutung verordnet, zwo Statuen Diefer Göttinn von Cypreſſen⸗ 
bolge, aus Diefem ihren Tempel umher zu tragen, begleitet von 

fie- 
1) Id. L. 26. e, 34. 3) Id. L. 27. c. % 3) Id. L. 30. c. 39 


25. 5) Id. L. 33. c. 27. 6) L. 27- 
7) Eiv. L. 37, €: 37: 


Bon der Kunft unter den Roͤmern. 613 


fieben und zwanzig Jungfrauen in langen Kleidern, welche einen 
Geſang auf die Göttinn anftimmeten. 

Nachdem der ältere Scipio Africanus die Carthaginenfer 
aus ganz Spanien vertrieben hatte, und Da er im Begriffe fand, 
Diefelben in Africa felbft anzugreifen, ſchickten die Römer an das 
Drakel zu Delphos Figuren der Götter, welche aus taufend 
Pfund erbeuteten Silber gearbeitet waren , und zugleich eine 
Krone von zweyhundert Pfund Gold r). 

Nach geendigtem Kriege der Nömer wider den König 
Philippus in Macedonien, den Water des leisten Königs Pers 
feus, brachte 2. Duinctius von neuem eine große Menge Statuen 
von Erzt und Marmor, nebft vielen kuͤnſtlich gearbeiteten Gefäs- 
fen, aus Griechenland nad) Nom, und führete dieſelben in fei- 
nem dreytaͤgigen Triumphe (welches in der 145. Olympias ge- 
fhah) zur Schau 2). Unterder Beute waren auch zehen Schil- 
der von Silber, und einer von Golde, und Hundert und vierze— 
ben goldene Kronen, welche Ietstere Geſchenke der griechifchen 
Städte waren. Bald nachher, und ein Jahr vor dem Kriege 
mit dem Könige Antiohus dem Großen, wurde oben auf den 
Tempel des Zupiters im Capitolio eine vergoldete Duadriga ges 
fetset, nebft zwölf vergoldeten Schildern an den Gipfel 3). Und 
Da Scipio Africanıs als Legat feines Bruders wider gedachten 
König zu Felde gieng, bauete er vorher einen Bogen am Auf— 
gange zum Capitolio, und befetste denfelben mit fieben vergolde— 

Hhhh3 ten 


3) Liv. L. 28.. 0.548. 2) Id. L. 34. c. 5% 
3) Id. L. 35 c, 4ı. 


EB 
Nach dem 
Rriege mit 
em Könige 
Anti ochus. 


614 J. Theil, Fuͤnftes Kapitel. 


ten Statuen, und mit zween Pferden; vor den Bogen ſetzte er 
zwo große Waſſerſchaalen von Marmor 1). 

Bis an die hundert und ſieben und vierzigſte Olympias, 
und bis zum Siege des Lucius Scipio, des Bruders des aͤltern 
Scipio Africanus, über Antiochus den Großen, waren die Sta- 
tuen der Gottheiten in den Tempeln zu Nom mehrentheils nur 
von Molz, oder von Thon 2), und e8 waren wenige öffentliche 
prächtige Gebäude in Nom 3). Diefer Sieg aber, welcher Die 
Roͤmer zu Herren von Afien bis an das Gebürge Taurus mad)- 
te, und Rom mit einer unbefchreiblichen Beute afiatifcher Pracht 
erfüllete, erhob auc) die Pracht in Nom , und die afiatifcyen 
Bollüfte wurden dafelbft befannt und eingeführet 4); um eben 
Die Zeit kamen die Bacchanalia von den Griechen unter die Nö- 
mer 5). L. Scipio führete unter andern Schäßen in feinem 
Triumphe auf, von filbernen getricbenen und gefchnitsten Gefaͤs— 
fen taufend vierhundert und vier und zwanzig Pfund 6); von 
goldenen Gefäßen, die eben fü ausgearbeitet waren, taufend und 
vier und zwanzig Pfund. 

Nachdem hierauf die griechifchen Götter unter griechifchen 
Namen yon den Nömern angenommen 7), und unter ihnen eins 
geführet worden, denen man griechifche Prieſter feste , fo gab 
auch diefes Gelegenheit, Die Statuen Derfelben entweder in Grie— 
chenland zu beftellen, oder in Kom von griechifchen Meiftern arz 

bei- 


s)-Liv. L. 37.0. 2 a) Plin. L. 34. c. In s) Liv. L. 40. c. S- 
O Id.L. 39. c. 6. 5) Ibid. c.9. 6) Id. L. 37. c. 59. 7) Cic. Orat. 
pro Corn Balbo. ce. 24. 


Bon der Kun unter den Römern, 615 


arbeiten zu laffen, und Die erhobenen Arbeiten von gebrannter 
Erde an den alten Tempeln wurden lacherlic), wie der ältere Ca— 
to in einer Rede fagt I). Um eben die Zeit war Die Statue des 
L. Duinctius, welcher in der vorbergehenden Olympias nad) 
Dem macedonifchen Kriege feinen Triumph hielt, mit einer gries 
chiſchen Inſchrift in Nom gefeget 2), und alfo vermuthlich von 
einem griechifchen Künftler verfertiget: fo wie die griechifche In— 
ſchrift auf der Bafe einer Statue, welche Auguftus den Cäfar 
feen ließ, eben Diefes zu vermuthen veranlaffer. 

Nach geſchloſſenem Frieden mit dent Antiochus ergriffen 
die Metolier , weldye mit jenem verbunden gewefen waren, von 
neuem die Waffen wider die Macedonier, welches folglich auch 
die Römer, als damalige Freunde Derfelben, betraf, Es Fam zu 
einer harten Belagerung der Stadt Ambracia, die fich endlich 
übergab. Hier war ehemals der Fönigliche Sitz des Pyrrhus ge⸗ 
wefen, und es war die Stadt angefüllet mit Statuen von Erst 
und Marmor, und mit Gemälden, welche fie alle den Römern 
überliefern mußten, von denen fie nach Nom gefchitkt wurden 3); 
ſo daß ſich die Bürger dieſer Stadt zu Nom beflagten, fie hätten 
Feine einzige Gottheit, welche fie verehren Fönnten. M. Fulvius 
führete in feinem Triumphe über Die Aetolier zwo hundert und 
achtzig Statuen von Erzt, und zwo hundert und dreyßig Sta- 
tuen von Marmor in Nom ein 4). Zum Bau und zur Auszie— 
rung der Spiele, welche eben dieſer Conſul gab, Famen Künftler 

aus 


ı) Liv. L. 24. e. 4 2) Rycq. de Capitol. c. 26. p. 105. 
3) Lv. L. 38. 0.9.0.4. J„)I.L, 39 c. 5 


F. 
Nach Erobe⸗ 
rung von Ma⸗ 

cedonien. 


616 I. Theil. Fuͤnftes Kapitel. 


aus Griechenland nach Rom 1), und damals erſchienen zuerſt 
nach griechiſchem Gebrauche, Ringer in den Spielen. Dieſer M. 
Fulvius, da er mit dem M. Aemilius Cenſor war, im Jahre der 
Stadt Rom 573. fieng an die Stadt mit praͤchtigen oͤffentlichen 
Gebaͤuden auszuzieren 2). Der Marmor aber muß noch zur Zeit 
nicht Häufig in Nom geweſen ſeyn, da die Roͤmer noch nicht ru⸗ 
hige Derren waren von der Gegend der Ligurier, wo Luna, 
itzo Carrara, lag, woher ehemals, fo wie ito, der weiße Mar- 
mor geholet wurde, Diefes erhellet aud) daraus, Daß gedachter 
Eenfor M. Fulvius die Ziegeln von Marmor 3), womit der bes 
ruͤhmte Tempel der Suno Lacinia bey Eroton, in Großgriechen- 
land, gedecket war, abdeden, und nad) Nom führen ließ, zum 
Dache eines Tempels, welchen er felbft, vermöge eines Geluͤbdes, 
zu bauen hatte. Deffen Eollege, der Cenfor M, Aemilius, lief 
einen Marktplas pflaftern, und, welches fremde ſcheinet, mit 
Pfahlwerk umzäunen 4). 

Die unzählige Menge der fehönften Bilder und Statuen 
mit welchen Nom angefüllet war, und viele Künftler Die unter 
den Gefangenen Daher gebracht feyn werden, erwedeten endlich 
bey den Römern Die Liebe zu der Kunſt, fo Daß auc) Die edelften 
unter ihnen ihre Kinder in derſelben unterrichten ließen, wie wir 
von dem berühmten Paulus Memilius, dem Beſieger Des Testen 
Königs von Macedonien, wiffen, der feinen Kindern Maler und 
Bildhauer, zu Erlernung beyder Rünfte, ſetzete 5). 

We⸗ 
1) Ibid. c.22. 2) Id. L. 40. c. 51. 822. I) Id. L. 42. c. 3. 
Od 41, 0,32; 5) Plutarch. Paul. Aemil. p, 47°. I. 15. 


Bon der Kunſt unter den Römern. 617 


Wenige Jahre hernad), und im 564. Jahre der Stadt 
Rom, wurde von dem Altern Scipio Africanus, in dem Tempel 
des Mercules, deffen Säule gefetet 1), und zwo vergoldete Bigaͤ 
auf dem Capitolio; zwo vergoldete Statuen fete der Aedilis Q. 
Fulvius Slaccus dahin. Der Sohn desjenigen Glabrio, welcher 
den König Antiochug bey den Thermopylen gefchlagen hatte, ſetz⸗ 
fe Diefem feinen Water Die erfte vergoldete Statue, und, wie Li: 
vius fagt, in Stalien 2); man wird es von Statuen berühmter 
Männer zu verftehen haben. In dem macedonifchen Kriege wis 
der den leisten König Perfeus beflagten ſich die Abgeordneten der 
Stadt Chalcis, daß der Prator E. Lucretius, an welchen fie fid) 
ergeben hatten, alle Tempel ausplündern, und die Statuen und 
übrigen Schätze, nad) Antium abführen laffen 3). Nach dem 
Siege überden König Perfeus, Fam Paulus Aemilius nad) Del- 
phos, wo an den Bafen gearbeitet wurde, auf welche gedachter 
König feine Statuen wollte feen laſſen, welche der Sieger für 
feine eigene Statue beftinmte 4). 

Diefes find die Nachrichten, welche die Kunft unter den 
Römern zur Zeit der Republik betreffen; Diejenigen Nachrichten, 
von Der Zeit an, wo ich hier aufhöre, bis zum Falle der römifchen 
Freyheit, weil fie mehr mit der griechifcehen Gefchichte vermifchet 
find, hat man in dem zweyten Theile zu füchen. Wenigftens 
haben dieſe Nachrichtendiefen Werth, dag, wenn jemand diefel- 

ben 


Eee 2) L. 40. c. 34. 
3) Id. L. 43. 4) Id.L. 45. c. 27. Plutarch. Aemil. p. 492. I. 14% 
Minfelm. Gef. der Kunfl. iii 








618 I Theil. Fünftes Kapitel. 


ben weitläuftiger ausführen wollte, derfelbe fid) einen Theil der 
Mühe erfparet findet, welche Diefe Art aufmerkfamer Nachleſung 


der Alten, und Die Zeitfolge derſelben verurfachet. 


Veſch 


luß des 
erſten — 


Zuletzt und zur griechiſchen Kunſt, als der vornehmſten 
Abſicht dieſer Geſchichte zuruͤck zu kehren, muͤſſen wir uns wegen 
alles deſſen, was wir von derſelben beſitzen, den Roͤmern erkenntlich 
bezeigen: denn in Griechenland ſelbſt iſt wenig entdecket worden, 
weil die ehemaligen Beſitzer dieſes Landes nicht nach ſolchen Schaͤ⸗ 
gen gruben, noch dieſelben achteten. So wie nun Die Beredfam: 
keit nach dem Cicero , aus Athen in alle Länder ausgegangen, 
und aus dem pireäifchen Hafen gleichfam mit den attifchen Waa⸗ 
ven in alle Hafen und an alle Küften verführet worden, eben fo 
kann von Nom gefaget werden, Daß aus Diefer Stadt Die aus 
der Aſche erweckte griechifche Kunſt ſowohl als Die Werke Derfel- 
ben den: entlegenften Völkern von Europa mitgetheilet worden, 
Kom ift dadurch in neueren Zeiten, wie e8 dieſe Stadt ehemals 
war, Die Gefegeberinn und Lehrerinn aller Welt geworden, und 
fie wird auch den fpäteften Nachfommen aus dem Schooße ihrer 
Reichthuͤmer Werke, die Athen, Corinth und Sicyon gefehen ha, 
ben, hervorbringen können. Endlich aber erinnere ich mic), was 
Pythagoras fagt; daß man die Rede mit ar verſie⸗ 
geln ſolle. 





— ——————— —————————————————————————————————— — 
Wien, gedruckt mit von Trattneriſchen Schriften, 1776. 











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