Des Flavius Josephus
kleinere Schriften
(Selbstbiographie — Gegen Apion —
Über die Makkabäer).
Übersetzt und mit Anmerkungen versehen
Dr. Heinrich Clementz.
Halle a. d. S.
Verlag von Otto Hendel.
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NEW YORK PUBLIC LIBRARY
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NEW YORK PUBLIC LIBRARY
Des Flavius Josephu
Selbstbiographie.
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Vorbemerkung.
Die Selbstbiographie schrieb Josephus, um sich gegen
die Beschuldigungen zu verteidigen, welche Justus von
Tiberias 1 und andere gegen ihn erhoben hatten. Man
warf ihm nämlich vor, eine Reihe von Thatsachen, zumal
solche, die seine Statthalterschaft in Galilaea betrafen,
wissentlich verschwiegen oder verfälscht zu haben. Justus
von Tiberias- insbesondere hatte wie Josephus eine Ge-
schichte des Jüdischen Krieges 2 3 herausgegeben und darin
seine Angriffe gegen den Befehlshaber von Galilaea ver-
öffentlicht. Dieses Werk ist nicht auf uns gekommen;
wir vermögen deshalb nicht zu sagen, wie der Verfasser
seine Anklagen zu beweisen versucht hat. Einige der-
selben müssen wohl nicht ganz unbegründet gewesen sein
was daraus hervorgeht, dass der mittlere, wichtigste Teil
der Selbstbiographie, der vornehmlich der Widerlegung
1 Vergl. über ihn : Creuzer, Studien und Kritiken, 1853, S. 57 — 59,
und besonders: Bärwald, Flavius Josephus in Galilaea etc., S. 20 — 26.
Die letztere Schrift giebt übrigens einen dankenswerten Kommentar
zur Selbstbiographie des Josephus, wenn man sich auch mit den
darin enthaltenen Ausführungen Uber Agrippa II., Joannes von Gischala
und Josephus (letzterer wird schlankweg als Verräter gebrandmarkt)
nicht durchgängig einverstanden erklären kann.
3 Als Teil seines Gesamtwerkes: IIep\ ’IouSouüjv ßaatXecov ttov ev
rote «m’pfiaaiv (Ueber die gekrönten Könige der Juden). Dass Justus
ausser dieser Chronik, die bis Trajan reichte, noch eine besondere
Geschichte des Jüdischen Krieges verfasst habe, wie Müller (Des
Fl. Jos. Schrift gegen den Apion, S. 6) annimmt, ist eine durch nichts
bestätigte Vermutung. Photius (9. Jahrh. n. Chr.) , dem die Chronik
noch Vorgelegen hat, hezeiebnet deren Stil als kurz und gedrängt,
fügt aber hinzu, Justus habe eine Menge der wichtigsten Begeben-
heiten übergangen und namentlich in Bezug auf den Krieg der Römer
gegen die Juden und die Zerstörung Jerusalems erdichtetes Zeug
vorgebracht (Phot. bibl. cod. 33).
dienen sollte, in merklicher Aufregung und stellenweise
sogar in offenkundiger Verlegenheit geschrieben ist.
Dem Zweck der Biographie entsprechend ist der in
diesem mittleren Teil behandelte Lebensabschnitt, weil
er sich auf die Statthalterschaft in Galilaea bezieht, am
ausführlichsten geschildert, und so mag die Schrift nicht
unpassend als Anhang zur Geschichte des Jüdischen
Krieges aufgefasst werden.
Was die Zeit betrifft, in der das Werkchen geschrieben
wurde, so ergiebt sich aus Abschnitt 66, wo der 101
n. Chr. erfolgte Tod Agrippas II. vorausgesetzt wird, dass
die Abfassung erst nach diesem Ereignis, also im Jahre
102 oder 103 n.Chr. stattgefunden hat.
Im übrigen ist die flott geschriebene Biographie ohne
weitere vorgängige Erläuterungen verständlich.
1. Ich habe einen Stammbaum aufzuweisen, der nicht
unberühmt ist, sondern bis in die ältesten Priester-
familien zurückreicht. Bekanntlich gründet sich der
Adel bei dem einen Volk auf diese, bei dem anderen
auf jene Voraussetzung, und so wird bei uns als Kenn-
zeichen vornehmer Geburt die Zugehörigkeit zur Priester-
schaft angesehen. Übrigens leite ich meine Abstammung
nicht nur aus priesterlichem Geschlecht, sondern — was
viel besagen will — sogar aus der ersten der vierund-
zwanzig Klassen und zwar aus der vornehmsten Familie
derselben her. Mütterlicherseits bin ich auch könig-
lichem Geblüt entsprossen; denn die Asamonäer, die
Vorfahren meiner Mutter, sind während eines beträcht-
lichen Zeitraumes Hohepriester und Könige unseres Volkes
gewesen. Mein Stammbaum ist folgender: Mein Urahn
Simon mit dem Beinamen Psellos lebte um die Zeit, als
ein Sohn des Hohepriesters Simon, derselbe, der zuerst
unter den Hohepriestern den Namen Hyrkanus trug,
das hohepriesterliche Amt bekleidete. Simon Psellos hatte
neun Söhne. Einer von diesen, Matthias, des Ephlias
Sohn genannt, heiratete die Tochter des Hohepriesters
Jonathas, der zuerst von den Asamonäern die Hohe-
priesterwürde an sein Haus brachte und dessen Bruder
Simon gleichfalls Hohepriester war, und erhielt von ihr
im ersten Jahre der Regierung des Hyrkanus einen Sohn,
Matthias mit dem Beinamen „der Bucklige.“ Des letzteren
Sohn war Joseph, geboren im neunten Regierungsjahre
Alexandras, und von Joseph ward im zehnten Jahre der
Regierung des Königs Archelaus Matthias gezeugt. Der Sohn
8
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
dieses Matthias bin ich selbst, geboren im ersten Jahre der
Herrschaft des Caesars Gajus. Ich habe wiederum drei
Söhne, von denen der älteste, Hyrkanus, im vierten,
Justus im siebenten, und Agrippa im neunten Jahre der
Regierung des Imperators Vespasianus das Licht der
Welt erblickte. Indem ich so meinen Stammbaum, wie
ich ihn in den amtlichen Urkunden vorfand, veröffent-
liche, sehe ich mit Verachtung auf diejenigen hinab, die
mich verleumden wollen.
2. Mein Vater Matthias war aber nicht bloss um
seines Adels, sondern noch mehr um seiner Gerechtigkeit
willen ein hervorragender Mann und deshalb in unserer
Hauptstadt Jerusalem allgemein geachtet. Mit meinem
leiblichen Bruder Matthias gemeinsam erzogen, eignete
ich mir einen hohen Grad von Bildung an, und man
glaubte von mir, dass ich die anderen an Gedächtnis
und Verstand überträfe. So kam es, dass ich schon als
Knabe von etwa vierzehn Jahren meiner Wissbegierde
wegen von jedermann gelobt wurde, und dass selbst die
Hohepriester und Vornehmen der Stadt mich besuchten,
um eine besonders gründliche Auslegung des Gesetzes
von mir zu erfahren. Im Alter von sechzehn Jahren
fasste ich den Entschluss, unsere Sekten zu prüfen, deren
es, wie ich des öfteren 1 auseinandergesetzt habe, drei
giebt: Pharisäer, Sadducäer und Essener. Ich glaubte
nämlich dadurch die beste herausfinden zu können, dass
ich sie alle kennen lernte. Unter harten Abtötungen
und zahlreichen Mühseligkeiten durchlief ich die drei
Sekten, und als ich dann meinen Wissensdrang noch immer
nicht für befriedigt hielt, wurde ich der eifrige Schüler
eines gewissen Banus, der, wie ich vernahm, in der
Wüste lebte, Kleider von Baumrinde trug, wildwachsende
Kräuter ass und zur Reinigung sich öfters am Tage wie
in der Nacht mit kaltem Wasser wusch. Bei ihm brachte
ich drei Jahre zu und kehrte, nachdem meine Absicht
erreicht war, in die Stadt zurück. Im neunzehnten
1 J. A. XIII, 5, 9 ; Jüd. Krieg II, 8.
Selbstbiographie.
0
Lebensjahre begann ich dann die öffentliche Laufbahn als
Anhänger der Pharisäersekte, welche den griechischen
Stoikern nahe kommt. 1
3. Mit dem vollendeten sechsundzwanzigsten Lebens-
jahr unternahm ich eine Reise nach Rom aus folgender
Veranlassung. Um die Zeit, als Felix Landpfleger von
Judaea war, 2 liess derselbe einige mir sehr befreundete
Priester, wackere und ehrenwerte Männer, einer ganz
unbedeutenden Ursache wegen verhaften und schickte sie
nach Rom, wo sie sich vor dem Caesar verantworten
sollten. In der Absicht nun, zu ihrer Befreiung das
meinige beizutragen, besonders aber, weil ich erfuhr, dass
sie auch im Unglück die Ehrfurcht gegen Gott nicht
ausser acht liessen und sich von Feigen und Nüssen
ernährten, fuhr ich nach Rom, hatte aber zur See schwere
Gefahren zu bestehen. Unser Schiff nämlich sank mitten
auf dem Adriatischen Meere unter, und wir mussten,
fast sechshundert an der Zahl, die ganze Nacht hindurch
schwimmen. Endlich gegen Tagesanbruch kam uns durch
Gottes Fürsorge ein Fahrzeug aus Kyrene zu Gesicht,
in welches ich nebst einigen anderen, die den übrigen
vorausgeschwommen waren, im ganzen etwa achtzig, auf-
genommen wurde. So ward ich gerettet und kam nach
Dikaearchia, welches die Italiener Puteoli nennen und
wo ich bei Aliturus gastliche Aufnahme fand. Dieser
Mann, ein geborener Jude, war Schauspieler und stand
bei Nero in hoher Gunst. Durch ihn wurde ich mit der
Gemahlin des Caesars, Poppaea, bekannt und trug ihr
nun sogleich die Bitte um Freilassung der Priester vor.
Sie gewährte mir denn auch diese Gnade, und nachdem
ich obendrein noch reichlich von ihr beschenkt worden
war, kehrte ich nach Hause zurück.
4. Hier fand ich das Feuer des Aufruhrs schon am
glimmen und musste die Wahrnehmung machen, dass
1 Der stoische Monotheismus war aber in Wirklichkeit Pan-
theismus, und zwar ein recht materialistisch gefärbter.
2 53—61 n.Chr.
10 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
gar viele sich mit dem verwegenen Plane trugen, von
den Römern abzufallen. Ich versuchte nun die Empörer
zu beschwichtigen und auf andere Gedanken zu bringen,
indem ich ihnen vorstellte, mit wem sie es aufnehmen
wollten und dass sie den Römern nicht nur an Kriegs-
erfahrung, sondern auch an Glück nachstehen würden:
sie möchten daher nicht so leichtfertig und sinnlos über
Vaterland, Familie und sich selbst die äusserste Gefahr
herauf beschwören. So sprach ich und drang eifrig in
sie, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, weil ich
voraussah, dass der Krieg für uns in der schrecklichsten
Weise enden würde. Glauben aber fand ich nicht»
denn der Wahnsinn der Verzweifelten überstieg alles
Mass.
5. Schliesslich musste ich fürchten, durch derartige
Reden den Hass der Menge sowie den Argwohn auf
mich zu laden, als hielte ich es mit den Feinden, und
demzufolge von den Empörern ergriffen und getötet zu
werden. Ich zog mich daher, weil die Antonia bereits
genommen war, ins Innere des Tempels zurück. Nach
der Ermordung des Manaem und der Anführer des
räuberischen Gesindels aber schlich ich mich wieder aus dem
Heiligtum hinaus und hielt mich zu den Hohepriestern
und den einflussreichsten Pharisäern. Unsere Besorgnis
hatte übrigens schon einen hohen Grad erreicht; sahen
wir doch das Volk in Waffen, uns selbst aber in gänz-
licher Ratlosigkeit und ausser stände, dem Aufruhr Ein-
halt zu thun, während uns die offenkundigste Gefahr
bedrohte. Zum Schein stimmten wir deshalb dem Vor-
haben der Empörer bei, rieten aber zur Mässigung, da
wir hofften, Gessius 1 werde binnen kurzem mit bedeu-
tender Truppenmacht heranziehen und den aufständischen
Bewegungen ein Ende machen.
6. Er kam denn auch, wurde aber in einem Treffen
geschlagen und verlor eine Menge seiner Leute. Diese
1 Statt Gessius ist nach Jild. Krieg II, 19 hier wie im folgenden
zu lesen: Cestius.
Selbstbiographie.
11
Niederlage des Gessius war das Verderben unseres ganzen
Volkes. Den Kriegslustigen schwoll darob der Kamm,
und im Vollgefühl ihres Sieges über die Römer hofften
sie, dieselben vollends vernichten zu können. Hierzu
kamen als treibendes Moment noch andere Vorfälle, die
6ich folgendermassen abspielten. Die Bewohner der be-
nachbarten syrischen Städte ergriffen die bei ihnen an-
sässigen Juden und metzelten sie samt Weibern und
Kindern ohne jeden stichhaltigen Grund nieder: denn
die Ärmsten batten weder an Abfall von den Römern
gedacht, noch gegen die Syrer etwas feindseliges im
Schilde geführt. Am gottlosesten und grausamsten trieben
es die Bürger von Skythopolis. Als sie nämlich von
- den auswärtigen Juden* angegriffen wurden, zwangen sie
deren Stammesgenossen , die unter ihnen lebten , gegen
diese zu den Waffen zu greifen, was nach unseren Ge-
setzen ein Frevel ist, und überwanden mit ihrer Hilfe
die Angreifer. Kaum aber hatten sie gesiegt, als sie die
Treue gegen ihre Mitbewohner und Kampfgenossen ver-
gassen und dieselben samt und sonders ermordeten, viele
tausend an der Zahl. Ein gleiches Schicksal traf die
Juden zu Damaskus. Doch diese Vorgänge habe ich in
meinem Werke über den Jüdischen Krieg ausführlicher
besprochen ; hier erwähne ich sie nur flüchtig, um dem
Leser zu beweisen, dass die Juden den Krieg gegen die
Römer nicht mit Vorbedacht unternommen haben, sondern
grössten teils dazu gezwungen wurden.
7. Als die Männer, welche zu Jerusalem an der Spitze
standen , nach dem Siege über Gessius sahen , dass die
Räuber samt den Empörern stark bewaffnet waren, be-
gannen sie zu furchten, sie möchten diesen ihren Feinden
unterliegen, wenn sie selbst unbewaffnet blieben. In der
That hat sich später gezeigt, wie begründet die Besorgnis
war. Um diese Zeit erfuhren sie auch, dass noch nicht
ganz Galilaea von den Römern abgefallen sei, vielmehr
ein Teil des Landes sich ruhig verhalte. Sie schickten
mich daher nebst zwei anderen höchst wackeren Priestern,
Joazar und Judas, dorthin mit dem Auftrag ab, die
12
Des Flaviua Josephus kleinere Schriften.
Übelgesinnten zur Niederlegung der Waffen zu bereden
und ihnen klar zu machen , dass es besser sei, wenn
nur der kräftigste Teil des Volkes sich derselben bediene.
Unsere Partei nämlich war wohl entschlossen, für den
Notfall die Waffen bereit zu halten, wollte jedoch zu-
nächst ab warten, was die Römer thun würden.
8. Mit diesen Aufträgen also kam ich nach Galilaea.
Hier fand ich die Sepphoriten in grosser Unruhe wegen
ihrer Vaterstadt, die von den Galiläern einesteils wegen
ihrer Freundschaft für die Römer, andernteils weil sie
mit Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, einen
Vertrag abgeschlossen hatte, mit Plünderung bedroht
wurde. Sogleich aber befreite ich sie insgesamt von
ihrer Furcht, indem ich das ihnen feindlich gesinnte
Volk günstig für sie stimmte und ihnen sogar die Er-
laubnis gab, so oft sie wollten, ihre Verwandten zu be-
suchen, welche in Dora, einer phoenicischen Stadt, bei
Gessius als Geiseln sich befanden. Die Bewohner von
Tiberias dagegen traf ich bereits in bewaffnetem Aufruhr,
der sich aus folgender Ursache entwickelt hatte.
9. Drei Parteien gab es in der Stadt. Die erste be-
stand aus lauter angesehenen Männern mit Julius Capellus
an der Spitze. Dieser Capellus und sein Anhang, näm-
lich Herodes, des Miaros Sohn, Herodes, des Gamalos
Sohn, und Kompsos, der Sohn des Kompsos, dessen
Bruder Krispos früher einmal Statthalter unter Agrippa
gewesen war, jetzt aber auf seinen Gütern jenseits des
Jordan weilte, rieten zur Treue gegen die Römer und
den König, und nur Pistos liess sich, da er leicht erreg-
baren Gemütes war, von seinem Sohne Justus aufhetzen
und trat der Meinung jener Männer nicht bei. Die zweite
Partei, die sich aus dem niedersten Pöbel zusammensetzte,
war entschieden für den Krieg. An der Spitze der dritten
Partei endlich stand des Pistos Sohn Justus, der sich zwar
den Anschein gab, als sei er inbetreff etwaigen kriege-
rischen Vorgehens noch unschlüssig, gleichwohl aber eine
Änderung der bestehenden Verhältnisse herbeiwünschte,
weil er bei einem solchen Umsturz seine eigene Macht
Selbstbiographie.
13
zu begründen hoffte. In dieser Absicht trat er unter
die Volksmenge und suchte derselben begreiflich zu
machen, dass ihre Stadt von jeher zu Galilaea gehört
habe und zu den Zeiten ihres Gründers, des Tetrarchen
Herodes, der Sepphoris unter Tiberias gestellt, die erste
Stadt im Lande gewesen sei. Diesen Vorrang habe sie
auch unter König Agrippa dem Vater nicht eingebüsst,
sei vielmehr im Besitz desselben geblieben bis auf Felix,
den Landpfleger von Judaea. Jetzt erst, behauptete er,
sei sie ihres Vorzuges verlustig gegangen, seit Nero sie
dem jüngeren Agrippa zum Geschenk gemacht habe.
Schnell sei nun Sepphoris, nachdem es sich den Römern
unterworfen, die Hauptstadt Galilaeas geworden, und
Tiberias habe den königlichen Hof sowie das Archiv
verloren. Mit diesen und ähnlichen Reden gegen den
König Agrippa suchte er das Volk zum Aufstand zu
reizen und schloss dann folgendermassen : Jetzt sei es
an der Zeit, zu den Waffen zu greifen, die Galiläer als
Kampfgenossen heranzuziehen — denn gern würden
diese, welche die Sepphoriten wegen deren Treue gegen
die Römer längst hassten, ihnen folgen — und sich
durch einen mit grosser Heeresmacht unternommenen
Kriegszug an dem Könige zu rächen. Durch solche
Vorstellungen gelang es ihm denn auch, sich die Menge
geneigt zu machen; denn er war in der That ein ge-
wandter Volksredner und verstand es, die begründetsten
Ein würfe durch Trug und Täuschung zu widerlegen.
Auch hatte er sich griechische Bildung angeeignet, und
das gab ihm den Mut, gleichfalls die Geschichte dieses
Krieges zu verfassen, freilich nur, um durch seine Schrift
die Wahrheit zu verdrehen. Doch ich werde noch im
Verlauf meiner Darstellung über das lasterhafte Leben
dieses Mannes reden und darthun, wie er in Gemein-
schaft mit seinem Bruder das Vaterland an den Rand
des Verderbens brachte. Damals also bewog Justus
seine Mitbürger, die Waffen zu ergreifen, und nachdem
er viele gegen ihren Willen mitzuthun gezwungen hatte,
zog er mit der ganzen Rotte aus und äscherte die Dörfer
14 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
der Gadarener und Hippener ein , welche auf der
Grenze des Gebietes von Tiberias und Skythopolis
lagen.
10. So standen damals die Dinge in Tiberias; in
Gischala aber begab sich folgendes. Als Joannes, der
Sohn des Levi, dort bemerkte, dass einige seiner Mit-
bürger auf Abfall von den Körnern sannen, suchte er
sie zu beruhigen und riet ihnen, treu zu bleiben, konnte
aber trotz aller Bemühungen nichts erreichen. Die Be-
völkerung der Umgegend nämlich, die Gadarener, Ga-
barener, Soganäer und Tyrier, fielen mit grosser Streit-
macht über Gischala her, nahmen die Stadt im Sturm
und kehrten erst, nachdem sie dieselbe in Brand gesteckt
und geschleift hatten, wieder heim. Joannes aber er-
grimmte darüber, bewaffnete die Leute, die er auf bringen
konnte, zog gegen die erwähnten Nachbarn zu Felde
und baute dann Gischala nicht nur viel schöner wieder
auf, sondern befestigte es auch zwecks künftiger Sicher-
heit mit Mauern.
11. Gamala dagegen hielt den Körnern die Treue,
und zwar aus folgendem Grunde. Philippus, Sohn
des Jakim und Truppenführer unter König Agrippa,
war wider Erwarten aus dem belagerten Königspalast
in Jerusalem entkommen, geriet aber dann in Gefahr,
von Manaem und dessen Banditen umgebracht zu werden.
Einige Babylonier indes, die mit ihm verwandt waren
und sich damals in Jerusalem befanden, hinderten die
Käuber, ihren Anschlag auszuführen. Philippus hielt
sich nun vier Tage in Jerusalem versteckt und entfloh
am fünften, nachdem er sich, um nicht erkannt zu
werden, falsches Haar aufgesetzt hatte. Er kam sodann
in ein Dorf seines Gebietes nahe bei der Festung Gamala
und wollte von hier aus einige seiner Untergebenen zu
sich entbieten lassen. Die Gottheit aber vereitelte die
Verwirklichung dieses Planes — zu seinem Glück, denn
im entgegengesetzten Falle wäre er unrettbar verloren
gewesen. Auf einmal nämlich ergriff ihn ein hitziges
Fieber, und er schrieb nun an die Söhne des Königs
Selbstbiographie.
15
Agripp a 1 sowie an Berenike 1 2 * einige Briefe, die er durch
einen Freigelassenen an Varus übermittelte. Dieser
Yams 8 war um jene Zeit von der königlichen Familie
zum Reichsverweser ernannt worden, weil deren Mit-
glieder selbst nachBerytus 4 reisten, um dort den Gessius
zu empfangen. Zu seinem grossen Verdrusse aber er-
fuhr Varus aus den Briefen die Rettung des Philippus:
musste er doch befürchten, jetzt nach der Rückkehr
dieses Mannes der königlichen Familie entbehrlich ge-
worden zu sein. Er führte deshalb den Überbringer der
Briefe vor das Volk, beschuldigte ihn, dieselben gefälscht
zu haben, und behauptete, er habe die Nachricht, dass
Philippus zu Jerusalem mit den Juden gegen die Römer
Krieg führe, erfunden. Hierauf liess er ihn hinrichten.
Als nun der Freigelassene nicht zurückkehrte, wusste
sich Philippus dies nicht zu erklären und schickte daher
einen zweiten Boten nach, um zu erfahren, was dem
anderen zugestossen sei. Aber auch diesen liess Varus
sogleich nach seiner Ankunft auf falsche Beschuldigungen
hin ums Leben bringen. Die Syrer in Caesarea hatten
übrigens seinem Stolze geschmeichelt und ihm vor-
geschwindelt, Agrippa werde zur Strafe für die Übel-
thaten der Juden von den Römern hingerichtet werden,
und dann könne es nicht ausbleiben, dass die Herrschaft
auf Varus übergehe, der ja, wie allgemein bekannt, von
Königen abstamme. In der That war Varus königlichen
Geblütes, nämlich ein Enkel des Tetrarchen am Libanon,
Soemus. Durch solche Schmeicheleien übermütig ge-
worden, unterschlug Varus die Briefe und suchte es auf
jede Weise zu verhindern, dass der König deren Inhalt
1 Obgleich nirgends von einer Gemahlin Agripp&s II. die Rede
ist, geht doch ans dieser Stelle hervor, dass er verheiratet war.
Nolde (genealog. Tafel bei Haverkamp II zu p. 337) irrt also, wenn
er ihn ayotpo$ nennt.
2 Die Schwester des Königs.
8 In der Geschichte des Jüdischen Krieges (II, 18, 6) heisst er
Noarus.
4 Jüd. Krieg II, 18, 6: Antiochia.
16
Des Flavius Josepbus kleinere Schriften;
erführe. Demgemäss liess er alle Ausgänge bewachen,
damit niemand dem König über die Vorgänge Bericht
erstatten könne, und tötete sogar den Syrern zu Gefallen
eine Menge Juden. Ja, er beschloss, mit den Tracho-
nitern von Batanaea bewaffnet über die babylonischen
Juden — wie sie hiessen — in Ekbatana 1 herzufallen.
Zu diesem Zweck liess er zwölf der angesehensten Juden
von Caesarea rufen und befahl ihnen , sich nach Ekba-
tana zu begeben und ihren dortigen ßtammesgenossen
zu sagen: Varus habe vernommen, dass sie sich gegen
den König empören wollten; weil er das aber nicht
glauben könne, schicke er sie, die zwölf, um sie zur
Niederlegung der Waffen zu veranlassen. Leisteten sie
dieser Aufforderung Folge, so werde Varus dies als
Beweis ansehen, dass er mit gutem Grund dem Gerüchte
keinen Glauben geschenkt habe. Ausserdem liess Varus
ihnen befehlen , siebzig ihrer vornehmsten Männer zu
ihm zu schicken, damit sie die gegen sie erhobenen Be-
schuldigungen widerlegten. Als nun die zwölf zu ihren
Volksgenossen in Ekbatana kamen, fanden sie, dass
diese nicht im entferntesten an Empörung dachten, und
rieten ihnen, die siebzig abzusenden. Ohne allen Arg-
wohn thaten sie dies denn auch, und die Abgeordneten
begaben sich mit den zwölf Gesandten nach Caesarea.
Varus zog ihnen mit den königlichen Truppen entgegen
und liess sie sowie die Gesandten sämtlich niedermachen ;
alsdann rückte er gegen die Juden von Ekbatana aus.
Einer von den siebzig aber, der entkommen war, warnte
seine Mitbürger. Diese griffen sogleich zu den Waffen
und zogen sich mit Weib und Kind nach der Festung
Gamala zurück, indem sie die reich mit Schätzen ge-
füllten Dörfer und ihre zahlreichen Viehherden preis-
gaben. Nicht sobald hatte Philippus dies erfahren, als
auch er sich nach Gamala begab, wo ihn gleich nach
1 Gemeint ist nicht die modische Hauptstadt E., sondern Ekbatana
oder Agbatana auf dem Karmelgebirge, das heutige Haifa (yergl.
Herodot 111, 64; Plinius, Xaturgesch. V, 17). Wegen der Bezeich-
nung „babylonische Juden“ vergl. Jttd. Altert. XVII, 2, 1 ff.
Selbstbiographie.
17
seiner Ankunft die Menge mit lautem Zuruf bestürmte,
er solle den Oberbefehl übernehmen und sie gegen
Varus und die Syrer von Caesarea führen; denn es
ging das Gerücht, dass der König von den letzteren
ermordet worden sei. Philippus aber suchte ihr Un-
gestüm zu beschwichtigen, indem er sie an die Wohl-
thaten des Königs erinnerte, ihnen die Macht der Römer
zu bedenken gab und sie auf den Schaden hin wies, den
sie sich durch den Krieg mit einem so gewaltigen Volke
zuziehen würden. Sobald aber der König erfuhr, dass
Varus im Sinne habe, die vielen tausend Juden zu Cae-
sarea samt Frauen und Kindern an einem Tage um-
zubringen, sandte er ihm sogleich, wie ich schon anderswo
berichtet habe, 1 einen Nachfolger in der Person des
Aequus Modius. Auf diese Weise erhielt Philippus die
Festung Gamala und deren Umgebung in der Treue
gegen die Römer. 2
12. Als ich nun nach Galilaea kam und von diesen
Vorgängen Kunde erhielt, erbat ich mir in einem
Schreiben an das Synedrium zu Jerusalem Verhaltungs-
befehle. Meine Vorgesetzten forderten mich auf, zu
bleiben und in Gemeinschaft mit meinen Amtsgenossen,
falls diese dazu bereit wären, für den Schutz Galilaeas
Sorge zu tragen. Allein meine Mitgesandten, die sich
von dem ihnen zustehenden Zehnten schon ein grosses
Vermögen gesammelt hatten, waren anfangs entschlossen,
in die Heimat zurückzukehren ; schliesslich jedoch bewog
ich sie durch meine Bitten zu dem Versprechen, wenigstens
so lange zu bleiben, bis wir eine ordentliche Verwaltung
eingerichtet hätten. Ich begab mich nun mit ihnen von
Sepphoris nach einem Dorfe Namens Bethmaus, 3 welches
vier Stadien von Tiberias entfernt liegt, und beschied
dorthin den Rat und die vornehmsten Einwohner von
Tiberias. Sie kamen denn auch, und Justus mit ihnen.
1 Jtid. Krieg II, 18, 6. Vergl. Jost, Geschichte der Juden II,
Anhang, S. 88 ff.
a Vgl. hierzu Bärwald, a. a. O. S. 36 ff.
8 Dieses Dorf bt heute unbekannt.
Joaephus, Kleinere Schriften. ä
18
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Sogleich erklärte ich ihnen, dass ich samt meinen Ge-
nossen vom Synedrium zu Jerusalem beauftragt sei,
ihnen zur Pflicht zu machen, dass der von dem Te-
trarchen Herodes erbaute, mit Tierbildern geschmückte
Palast niedergerissen werde, weil unsere Gesetze eine
solche Bauart untersagten; ich ersuche sie daher, dieser
Aufforderung so schnell wie möglich zu entsprechen.
Zunächst sträubten sich Capellus und die Häupter der
Bürgerschaft energisch dagegen, doch gaben sie endlich
unseren dringenden Vorstellungen nach. Jesus indes,
der Sohn des Sapphias, von dem ich schon erwähnte,
dass er sich an die Spitze einer Rotte von Matrosen
und vermögenslosen Volkes gesetzt hatte, kam uns zu-
vor und steckte in Verbindung mit einigen Galiläern
den ganzen Palast in Brand, weil er sich grosser Schätze
zu bemächtigen hoffte, da er die Decken einiger Ge-
mächer vergoldet sah. Sehr wider unseren Willen ge-
lang es ihm denn auch, vieles zu rauben. Wir selbst
waren übrigens nach der Zusammenkunft mit Capellus
und den angesehenen Bewohnern der Stadt von Beth-
maus nach Obergalilaea gegangen. Jesus und dessen
Rotte ermordeten nun alle in Tiberias wohnenden
Griechen und jeden anderen, der vor dem Kriege ihr
Feind gewesen war.
13. Die Nachricht von diesen Ereignissen regte mich
gewaltig auf. Ich begab mich nun nach Tiberias hinab
und suchte die königlichen Geräte in Sicherheit zu
bringen, so viele ihrer den Händen der Räuber noch
zu entreissen waren , insbesondere einige Leuchter aus
korinthischem Erz, prächtige Tische und eine ansehn-
liche Menge ungeprägten Silbers. Ich war entschlossen,
alles, was ich retten konnte, für den König aufzu-
bewahren. Zu diesem Zweck Hess ich zehn Mitglieder
des Rates sowie Capellus, den Sohn des Antyllus, rufen,
und übergab ihnen die Gerätschaften mit dem Befehl,
sie an niemand als an mich selbst abzuliefern. Von
hier ging ich mit meinen Amtsgenossen nach Gischala
zu Joannes, um seine Gesinnung zu erforschen. Gar
j ^ Selbstbiographie. 19
bald merkte ich, dass er auf Empörung ausging und
nach der Herrschaft trachtete; denn er bat mich um die
Erlaubnis, das Getreide, welches für Rechnung des
Caesars in Obergalilaea aufgespeichert lag, wegschaffen
zu dürfen. Wie er sagte, wollte er das alles zum Bau
der Mauern seiner Vaterstadt verwenden. Da ich aber
sein Inneres durchschaute, schlug ich ihm die Bitte ab.
Es lag nämlich in meiner Absicht, das Getreide ent-
weder für die Römer aufzubewahren oder für mich selbst,
letzteres, weil ich vom Gemeindevorstand zu Jerusalem
bevollmächtigt war, auch für die Bedürfnisse jener Gegend
Sorge zu tragen. Als nun Joannes von mir nichts er-
langen konnte, wandte er sich an meine Amtsgenossen.
Diesen freilich fiel es nicht ein, sich für die Zukunft
vorzusehen; übrigens waren sie auch für Geldgeschenke
sehr empfänglich. Infolgedessen brachte er es durch
Bestechung dahin, dass sie ihm alles Getreide, welches
in seinem Gebiet aufgeschüttet lag, zu nehmen erlaubten.
Von zweien überstimmt, musste ich schweigen. Darauf
beging Joannes noch einen anderen Betrug. Er be-
hauptete nämlich, die Juden in Caesarea Philippi, welche
auf Befehl des königlichen Statthalters die Stadt nicht
verlassen durften, hätten, weil es ihnen an dem nötigen
reinen Öl fehle, an ihn die Bitte gerichtet, ihnen solches
zu verschaffen, damit sie nicht gezwungen seien, von
den Griechen hergestelltes Öl zu gebrauchen und auf
diese Weise das jüdische Gesetz zu übertreten. Diese
von Joannes vorgebrachten Äusserungen hatten indes
nichts mit der Religion zu schaffen, sondern entsprangen
offenbar nur seiner schnöden Gewinnsucht. Er wusste
nämlich sehr wohl, dass in Caesarea zwei Sextare 1 eine
Drachme 2 kosteten, während in Gischala achtzig Sextare
nur vier Drachmen galten. Darum liess er alles öl von
hier hinüberschiffen, nachdem er zum Schein meine Er-
laubnis eingeholt hatte. Denn freiwillig gab ich es
1 Ein Sextar = Vs Liter.
5 Eine Drachme = 79 Pfg.
2 *
Go gle
20
Des Flavlus Joseph as kleinere Schriften.
nicht zu, sondern nur aus Furcht vor dem Pöbel, weil
ich besorgen musste, bei fortgesetzter Weigerung gesteinigt
zu werden. Dank meiner Nachgiebigkeit gewann Joannes
durch diese verschmitzte Handlungsweise eine Unmenge
Geld.
14. In Gischala entliess ich meine Mitgesandten nach
Jerusalem und verwandte nun meine ganze Sorgfalt auf
die Beschaffung von Waffen und die Befestigung der
Städte. Zu diesem Zweck beschied ich die Tapfersten
von der Räuberbande zu mir, weil ich die Unmöglich-
keit, sie zu entwaffnen, einsah, und bewog das Volk, sie
in Sold zu nehmen, indem ich darauf hin wies, dass es
besser sei, ihnen freiwillig etwas zu zahlen, als Hab
und Gut von ihnen plündern zu lassen. Hierauf liess
ich die Räuber schwören, unser Gebiet nicht mehr be-
treten zu wollen, es sei denn, dass sie gerufen würden
oder ihren Sold nicht empfangen hätten, und entliess
sie mit dem Befehl, weder die Römer noch die Nach-
barn anzugreifen. Es lag mir nämlich vor allem am
Herzen, Galilaea den Frieden zu erhalten. Die gali-
laeischen Beamten aber — etwa siebzig an der Zahl —
erkor ich unter dem Schein der Freundschaft, um sie
gewissermassen als Geiseln der Treue in meiner Nähe
zu haben, zu Begleitern und Gerichtsbeisitzern und fällte
meine Urteile nach ihrer Ansicht, wobei ich mich ebenso
sehr vor leichtsinnigen Verstössen gegen das Recht als
vor Bestechung hütete.
15. Ich war damals dreissig Jahre alt, und bekannt- •
lieh ist es in diesem Alter selbst bei gewissenhaftester
Enthaltsamkeit schwer, aus Neid entspringenden Ver-
leumdungen zu entgehen, zumal wenn man eine einfluss-
reiche Stellung bekleidet. Gleichwohl habe ich das
weibliche Geschlecht stets vor Misshandlungen geschützt
und als Mann ohne Bedürfnisse jegliches Geschenk
zurückgewiesen. Nicht einmal die mir als Priester ge-
bührenden Zehnten nahm ich an, wenn man sie mir
brachte. Nur von der Beute, welche ich den Syrern
und den umliegenden Städten abjagte, eignete ich mir
Selbstbiographie.
21
einen Teil an und sandte ihn — ich gestehe es offen —
meinen Verwandten nach Jerusalem. Und obwohl ich
die Sepphoriten zweimal, Tiberias viermal, Gadara ein-
mal und den Joannes, der mir stets nach dem Leben
trachtete, ebenfalls zu wiederholten Malen in meine
Gewalt bekam, habe ich mich doch weder an ihm noch
an einer der genannten Städte gerächt, wie der Verlauf
dieser Erzählung darthun wird. Deshalb hat mich auch,
wie ich glaube, Gott, dem rechtschaffene Handlungen
nicht verborgen bleiben, aus ihren Händen errettet und
nachher noch vor manchen Gefahren bewahrt. Doch
hiervon später.
16. Die Galiläer kamen mir übrigens mit solchem
Wohlwollen entgegen, dass sie selbst dann, als ihre
Städte erstürmt und ihre Weiber und Kinder in die
Sklaverei geschleppt waren, nicht so sehr über ihr
eigenes Unglück jammerten, als um meine Erhaltung
Sorge trugen. Das aber sah Joannes mit neidischen
Blicken, und in seiner Tücke schrieb er an mich, ich
möchte ihm erlauben, die warmen Bäder von Tiberias 1
behufs Herstellung seiner Gesundheit zu benutzen. Ich
ahnte nichts arges dabei und gewährte ihm die Bitte,
schrieb sogar an die von mir eingesetzten Beamten der
Stadt, sie sollten für Joannes und sein Gefolge eine
Herberge bereit halten und ihnen alles zukommen
lassen, dessen sie bedürften. Ich selbst befand mich
um diese Zeit in einem galilaeischen Dorfe mit Namen
Kana.
17. Kaum war Joannes in Tiberias angelangt, als
er die Einwohner der Stadt aufforderte, mir untreu zu
werden und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Viele
lauschten denn auch begierig seinen Worten, da sie
neuerungssüchtig und von Natur zu Umsturz und
Empörung geneigt waren. Vor allen anderen aber be-
eilten sich Justus und dessen Vater Pistos, von mir
1 S. die Anmerkung auf Seite 294 meiner Uebersetzung des
, Jüdischen Krieges“.
22
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
abzufallen und sich mit Joannes zu verbinden. Doch
es gelang mir, ihnen zuvorzukommen und die Ausführung
ihres Planes zu vereiteln. Silas nämlich, den ich, wie
schon erwähnt, 1 zum Kommandanten von Tiberias er-
nannt hatte, liess mich durch einen Boten von der
Stimmung der Einwohnerschaft in Kenntnis setzen und
mich auffordern, eiligst zu kommen, weil die Stadt,
wenn ich zögerte, leicht in fremde Gewalt geraten
würde. Als ich den Brief des Silas gelesen hatte, brach
ich unverzüglich mit zweihundert Mann auf, marschierte
die ganze Nacht hindurch und sandte einen Boten
voraus, um meine Ankunft in Tiberias melden zu
lassen. Frühmorgens nahte ich mich der Stadt; das
Volk kam mir entgegen, und auch Joannes war dabei.
Er begrüsste mich in höchster Verwirrung, eilte aber
dann schnell wieder in seine Herberge zurück, weil er
fürchtete, die Entdeckung seiner Umtriebe möchte ihn
das Leben kosten. Sowie ich nun die Bennbahn er-
reicht hatte, entliess ich meine Leibwächter bis auf einen
und behielt ausser ihm nur zehn Bewaffnete bei mir.
Alsdann stellte ich mich auf eine kleine Anhöhe und
warnte das Volk vor einem so übereilten Abfall. Ihr
Wankelmut, sagte ich, werde ihnen nur Schande ein-
tragen und sie auch bei späteren Statthaltern in den
begründeten Verdacht bringen , dass sie diesen ebenso
wenig die Treue halten würden wie mir.
18. Noch hatte ich nicht ausgesprochen, als einer
von meinen Leuten mir zurief, ich möchte herabsteigen:
es sei jetzt nicht an der Zeit, mich um das Wohlwollen
der Bürger von Tiberias zu kümmern, vielmehr solle
ich an meine Rettung denken und Zusehen, wie ich
meinen Feinden entrinnen könne. Sobald nämlich
Joannes gemerkt hatte, dass ich nur von wenigen Dienern
umgeben war, hatte er die zuverlässigsten seiner Be-
waffneten, deren etwa tausend sein Gefolge bildeten, ab-
gesandt, um mich zu ermorden. Schon kamen die Leute
1 Jüd. Krieg II, 21, 6.
Selbstbiographie.
23
heran, und sie hätten auch sicherlich ihren Auftrag voll*
streckt, wenn ich nicht samt meinem Leibwächter
Jakobus von der Anhöhe hinabgesprungen wäre. Ein
gewisser Herodes aus Tiberias bot mir nun hilfreiche
Hand und führte mich an den See, wo ich ein Fahr-
zeug bestieg. So gelang es mir wider Erwarten,
meinen Feinden zu entgehen und mich nach Tarichaea 1
zu retten.
19. Als die Einwohner dieser Stadt von der Treu-
losigkeit der Tiberienser hörten, entrüsteten sie sich aufs
heftigste, griffen zu den Waffen und bestürmten mich,
sie gegen Tiberias zu führen, an dessen Bewohnern sie
ihren Äusserungen gemäss für ihren Statthalter Rache
nehmen wollten. Zugleich Hessen sie die Kunde von
dem Geschehenen in ganz Galilaea verbreiten, um die
Bevölkerung gegen Tiberias aufzureizen, und dieselbe
auffordern, so zahlreich wie möglich herbeizukommen,
um die Beschlüsse des Statthalters auszuführen. Wirk-
lich strömten auch viele Galiläer von allen Seiten her
zusammen und beschworen mich, vor Tiberias zu rücken,
die Stadt im Sturm zu nehmen, sie dem Erdboden gleich
zu machen und die Weiber und Kinder als Sklaven zu
verkaufen. Dasselbe rieten mir auch meine Freunde,
die aus Tiberias entkommen waren. Allein ich. konnte
ihnen nicht beipflichten, weil ich es für frevelhaft hielt,
den Bürgerkrieg zu beginnen. Weiter als zu einem
Wortstreit, meinte ich, solle es nicht kommen — „und
obendrein,“ sagte ich zu den Galiläern, „würde dies
keinen Vorteil bringen, da die Römer nur darauf warten,
dass ihr euch durch Aufruhr gegenseitig zu Grunde
richtet.“ Mit diesen Worten beschwichtigte ich die
wütende Aufregung der Galiläer.
20. Joannes, der seine Anschläge misslungen sah,
fürchtete nun für sich selbst, brach mit seinen Bewaff-
neten von Tiberias auf und zog nach Gischala. In
1 In den „Jüd. Altertümern“ und im „Jiid. Kriege“ heisst die
Stadt Taricheae.
24
Des Flavius Josephos kleinere Schriften.
einem Briefe, den er an mich schrieb, entschuldigte er
sich wegen des Vorgefallenen, indem er behauptete, es sei
nicht mit seinem Willen geschehen. Zugleich bat er
mich unter eidlichen Beteuerungen und schrecklichen
Beschwörungen, durch die er seinem Schreiben Glauben
zu verschaffen wähnte, ich möchte doch keinen Verdacht
gegen ihn hegen.
21. Die Galiläer jedoch, deren unterdessen noch viele
aus der ganzen Landschaft in Wehr und Waffen sich
eingefunden hatten, wussten zu gut, wie schlecht und
eidbrüchig der Mensch war, und verlangten gegen ihn
geführt zu werden, um ihn samt seiner Vaterstadt Gischala
vom Erdboden zu vertilgen. Ich dankte ihnen für ihren
guten Willen und gelobte, ihre Anhänglichkeit in noch
höherem Grade zu vergelten , forderte aber zugleich
Mässigung von ihnen und Nachsicht, wenn ich es vor-
ziehen würde, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu stillen.
Auf diese Weise gelang es mir, die Galiläer zu beruhigen,
und ich begab mich nun nach Sepphoris.
22. Da die Bewohner dieser Stadt entschlossen waren,
den Römern treu zu bleiben, fürchteten sie sich vor
meiner Ankunft und versuchten, mich durch ander-
weitige Geschäfte abzulenken, damit sie selber unbehelligt
blieben. Sie schickten daher zu dem Räuberhauptmann
Jesus in die Gegend von Ptolema'is und versprachen ihm
eine grosse Summe Geldes, wenn er uns mit seiner achtzig
Mann starken Bande angreifen wolle. Jesus ging auf
das Anerbieten ein und schickte sich an, uns, unvor-
bereitet und ahnungslos wie wir waren, zu überfallen.
In dieser Absicht bat er mich durch einen Boten um
die Erlaubnis, mich begrüssen zu dürfen. Als ich ihm
nun ohne jedes Misstrauen die Bitte gewährte, brach er
sogleich mit seiner Rotte von Banditen auf und rückte
gegen mich heran. Sein heimtückischer Anschlag aber
sollte ihm nicht gelingen; denn als er schon ziemlich
nahe war, kam ein Überläufer von ihm zu mir und ent-
deckte mir seine Bosheit. Alsbald begab ich mich nun
nach dem Marktplatz, ohne merken zu lassen, dass ich
Selbstbiographie.
25
um den Anschlag wisse, zog eine beträchtliche Anzahl
bewaffneter Galiläer und auch Tiberienser heran, gebot
sodann, alle Zugänge zur Stadt aufs strengste zu be-
wachen, und gab den Thorwächtern Befehl, nur den
Jesus, wenn er käme, sowie die ersten seiner Leute ein-
zulassen, die übrigen aber auszuschliessen oder, wenn
sie Gewalt brauchten, wegzujagen. Sie thaten, wie ihnen
befohlen war, und als Jesus mit einigen Banditen ein-
trat, forderte ich ihn auf, schleunigst die Waffen zu
strecken: er sei des Todes, wenn er nicht Folge leiste.
Da er sich rings von Bewaffneten umgeben sah, ge-
horchte er voller Schrecken ; diejenigen seiner Leute aber,
welche ausgeschlossen waren, flohen davon, als sie seine
Gefangennahme erfuhren. Ich nahm nun Jesus beiseite
und eröffnete ihm, dass ich den Plan, den er gegen mich
geschmiedet, sehr gut kenne und auch wisse, wer ihn
dazu angestiftet habe. Dennoch wolle ich ihm das Ge-
schehene verzeihen, wenn er seinen Sinn ändere und mir
Treue gelobe. Er versprach denn auch, sich fügen zu
wollen, worauf ich ihn freiliess und ihm erlaubte, seine
Mannschaft wieder zu sammeln. Den Sepphoriten aber
drohte ich mit entsprechender Strafe, wenn sie ihre Wider-
setzlichkeit nicht aufgäben.
23. Um dieselbe Zeit kamen zwei angesehene Unter-
thanen des Königs aus der Landschaft Trachonitis mit
Pferden, Waffen und Geld zu mir. Die Juden wollten
sie anfangs nötigen, sich beschneiden zu lassen, wenn sie
es mit ihnen zu halten gedächten. Ich litt jedoch nicht,
dass man ihnen Gewalt anthat, sondern erklärte, jeder
Mensch müsse Gott nach eigener freier Wahl, nicht ge-
zwungen verehren, und nie dürften Leute, welche ihre
Zuflucht zu uns nähmen, in die Lage kommen, ihren
Schritt zu bereuen. Dem pflichtete die Menge bei, und
ich liess sodann die Ankömmlinge aufs reichlichste ver-
pflegen.
24. Unterdessen hatte der König Agrippa eine Heeres-
abteilung unter dem Befehl des Aequus Modius ab-
geschickt, um die Festung Gamala zu erobern. Weil
26
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
aber diese Truppen sich zur regelrechten Einschliessung
des Kastells nicht stark genug fühlten, besetzten sie die
Landstrassen und belagerten Gamala auf diese Weise.
Zur selben Zeit brach der Decurio Aebutius, dem die
Bewachung der grossen Ebene anvertraut war und der
in Erfahrung gebracht hatte, dass ich in das Dorf Simo-
nias 1 auf der Grenze Galilaeas, sechzig Stadien von ihm
entfernt, gekommen sei, in der Nacht mit hundert Reitern
und etwa zweihundert Fusssoldaten , deren Befehlshaber
er war, sowie mit den Bürgern von Gaba, seinen Bundes-
genossen, auf und gelangte noch vor Tagesanbruch bis
zu dem Dorfe, wo ich mich einquartiert hatte. Da ich
nun meinerseits eine ziemliche Streitmacht ihm entgegen-
stellte, suchte Aebutius uns in die Ebene zu locken, wo
er sich auf seine Reiterei verlassen konnte, vermochte
uns aber nicht zum Verlassen unserer Stellung zu be-
wegen. Ich erkannte nämlich sehr wohl, dass er mit
seinen Reitern im Vorteil sein würde, wenn wir in die
Ebene hinabstiegen, da wir lauter Fusstruppen waren.
Deshalb beschloss ich, den Feind auf der Stelle anzu-
greifen. Eine Zeitlang hielt Aebutius mit seinen Leuten
wacker stand; als er aber sah, dass ihm auf diesem
Terrain seine Reiterei nichts nütze, zog er unverrichteter
Sache nach Gaba zurück, nachdem er drei Mann im
Gefecht verloren hatte. Ich folgte ihm mit zweitausend
Schwerbewaffneten auf dem Fusse nach. Bei Besara, 2
einer Stadt an der Grenze des Gebietes von Ptolemais,
zwanzig Stadien von Gaba, wo Aebutius sich aufhielt;
liess ich meine Leute halt machen und befahl ihnen,
die Wege sorgfältig zu bewachen, damit die Feinde uns
nicht überfallen könnten, während wir das Getreide weg-
führten. Die Prinzessin Berenike nämlich hatte aus den
umliegenden Dörfern grosse Fruchtvorräte zusammen-
bringen und in Besara aufspeichern lassen. Dieses Ge-
1 Auf einer Hügelreihe im Norden der Ebene Jezreel gelegen,
das heutige Dorf Semünieh.
2 Heute unbekannt.
Selbstbiograpbie.
27
treide lud ich nun auf Kamele und Esel, die ich in
grosser Anzahl mitführte, und schickte es nach Galilaea.
Nachdem dies geschehen, forderte ich den Aebutius zum
Gefecht heraus. Er aber liess sich, erschreckt durch
unsere Kühnheit und unseren Kampfeseifer, darauf nicht
ein, und so wandte ich mich denn gegen Neapolitanus,
der, wie ich vernahm, das Gebiet von Tiberias aus-
plünderte. Dieser Neapolitanus befehligte eine Reiter-
schwadron, mit welcher er Skythopolis gegen feindliche
Angriffe verteidigen sollte. Alsbald that ich nun seinen
ferneren Verheerungen in der Gegend von Tiberias Ein-
halt und richtete mein Augenmerk wieder auf Galilaea.
25. Als nämlich Joannes, der Sohn des Levi, der
sich, wie oben gesagt, in Gischala aufhielt, erfuhr, dass
mir alles nach Wunsch gehe und dass ich bei meinen
Untergebenen ebenso beliebt als den Feinden ein Schrecken
sei, ward ihm gar nicht wohl zu Mut: in meinem Glücke
glaubte er seinen Untergang sehen zu müssen, und von
massloser Eifersucht gequält, hoffte er mich stürzen zu
können, wenn es ihm gelänge, mich bei meinen Unter-*
gebenen verhasst zu machen. Zu diesem Zweck ver-
suchte er die Bewohner von Tiberias und Sepphoris sowie
auch von Gabara — den drei grössten Städten in Gali-
laea — zum Abfall von mir und zu einem Bündnis mit
ihm zu verleiten; er werde sie, behauptete er, besser als
ich zum Kampfe führen. Die Sepphoriten nun wollten
weder von ihm noch von mir etwas wissen , weil sie die
Römer als ihre Herren anerkannten ; die Tiberienser
Hessen sich zwar nicht zum Abfall bereden, sagten ihm
aber doch ihre Freundschaft zu; die Gabarener dagegen
schlugen sich ohne weiteres auf seine Seite, da sie von
Simon, dem angesehensten Bürger der Stadt und ver-
trauten Freunde des Joannes, gegen mich aufgehetzt
wurden. Offen freilich wollten sie sich nicht zum Auf-
ruhr bekennen, denn sie fürchteten sich gewaltig vor
den Galiläern, deren Ergebenheit gegen mich sie aus
Erfahrung kannten; insgeheim aber erspähten sie eine
günstige Gelegenheit, mich zu überfallen. Wirklich
28
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
geriet ich auch aus folgender Veranlassung in die grösste
Gefahr.
26. Einige verwegene junge Leute aus Dabaritta
hatten in Erfahrung gebracht, dass die Gemahlin des
königlichen Verwalters Ptolemaeus 1 mit vielem Gepäck
und unter Bedeckung weniger Reiter aus dem Gebiete
des Königs durch die grosse Ebene in die römische
Provinz zu reisen beabsichtige, und überfielen nun plötz-
lich die Reisenden. Die Dame musste fliehen; was sie
mit sich führte, ward samt und sonders geplündert.
Hierauf brachten die Räuber vier mit Kleidern und
allerhand Gerät beladene Maultiere zu mir nach Tari-
chaea; auch eine beträchtliche Menge Silber und fünf-
hundert Goldstücke waren dabei. Ich nahm mir nun
vor, diese Schätze dem Ptolemaeus wieder zuzustellen ;
denn er war mein Stammesgenosse, und überdies verbietet
ja unser Gesetz, selbst Feinde zu berauben. Deshalb
erklärte ich den Überbringern, die Sachen müsse man
.aufbewahren , um sie zu verkaufen und mit dem Erlös
die Mauern Jerusalems wiederherzustellen. Die jungen
Leute aber ärgerten sich darüber, dass sie von dem
Raube nicht, wie sie erwarteten, ihren Anteil bekommen
sollten; sie durchzogen daher die Dörfer in der Um-
gebung von Tiberias und streuten das Gerücht aus, ich
wolle das Land an die Römer verraten. Es sei nur ein
Kniff von mir, wenn ich sage, man müsse den Raub zum
Aufbau der Mauern Jerusalems verwenden; in Wahr-
heit habe ich vor, die eingebrachten Gegenstände dem
Eigentümer zurückzugeben. Damit errieten sie aller-
dings meine eigentliche Absicht ; denn kaum hatten sie
sich entfernt, als ich zwei angesehene und als Freunde
des Königs bekannte Männer, Dassion und des Levi
Sohn Jannaeus, zu mir beschied und ihnen die Sachen
mit dem Befehl übergab, sie dem Könige zuzusenden.
Zugleich verbot ich ihnen bei Todesstrafe, etwas davon
verlauten zu lassen.
1 Nach Jiid. Krieg 11,21,3 war es Ptolemaeus selbst.
Selbstbiographie.
29
27. Durch ganz Galilaea verbreitete sich nun das
Gerede, ich beabsichtige, das Land an die Römer zu
verraten, und alles verlangte voll Erbitterung, Rache an
mir zu nehmen. Sogar die Bewohner von Tarichaea
schenkten den jungen Leuten Glauben und bewogen
meine Leibwächter, mich, während ich schlief, zu ver-
lassen und eiligst nach der Rennbahn zu kommen, wo
das gesamte Volk inbetreff ihres Führers mit ihnen
beschliessen wolle. Sie Hessen sich beschwätzen und
kamen. In der Rennbahn hatte sich bereits eine grosse
Menge versammelt, und alle schrien einstimmig, der nichts-
würdige Frevler, der an ihnen zum Verräter geworden,
müsse sterben. Am meisten wiegelte sie Jesus, der Sohn
des Sapphias, auf, ein niederträchtiger Mensch, zur An-
zettelung von Unruhen wie geschaffen, Umstürzler und
Empörer wie nur wenige. Ei* nahm das moysaische
Gesetz in die Hand, trat vor und sprach: „Mitbürger,
wenn ihr nicht um euretwillen den Josephus hassen
könnt, so schaut hier auf unser altehrwürdiges Gesetz,
an welchem euer Befehlshaber zum Verräter werden
wollte. Um dieses Gesetzes willen vereinigt euren Hass
auf ihn und strafet ihn für sein verwegenes Beginnen.“
28. Seine Worte riefen allgemeinen Beifall wach,
und nun stürmte er an der Spitze einer Schar von Be-
waffneten mordgierig nach dem Hause, wo ich wohnte.
Ich hatte keine Ahnung von den Vorgängen und war,
ehe der Tumult losbrach, vor Ermüdung fest ein-
geschlafen. Simon aber, der allein von meiner ganzen
Leibwache bei mir geblieben war, sah die Leute .daher-
rennen, weckte mich und machte mich auf die drohende
Gefahr aufmerksam. Er hat mich sodann , tapfer wie
ein Feldherr von seiner Hand den Tod zu erleiden,
bevor die Feinde eindrängen und mich fesselten oder
um brächten. Ich aber verwarf seinen Vorschlag, befahl
mich der Obhut Gottes und schickte mich an, mitten
unter die Menge zu treten. Hierauf legte ich ein
schwarzes Gewand an, band mir das Schwert an den
Nacken und schlich mich auf einem anderen Wege, wo
30
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
ich keinen Feind anzutreffen hoffte, nach der Rennbahn.
Als ich hier plötzlich erschien, mich zu Boden warf und
die Erde mit meinen Thränen netzte, erregte ich all-
gemeines Mitleid. Sowie ich diesen Wechsel in der
Stimmung der Menge bemerkte, versuchte ich sie zu
entzweien, ehe die Bewaffneten aus meinem Hause
zurückkehrten. Ich gab zu, dass ich gefehlt hätte, wie
sie selbst glaubten, bat aber, sie zunächst darüber be-
lehren zu dürfen, zu welchem Zweck die geraubten
Schätze auf bewahrt würden; gern wollte ich dann
sterben, wenn sie es verlangten. Während nun die
Menge mich aufforderte, zu sprechen, kamen die Be-
waffneten herbei und wollten , wie sie meiner ansichtig
wurden, über mich herfallen. Auf den Zuruf des Volkes
jedoch hielten sie an sich und warteten , bis ich ein-
gestehen würde, dass die Schätze für den König auf-
bewahrt worden seien, um mich dann als offenkundigen
Verräter niedermachen zu können.
29. Nachdem allgemeine Stille eingetreten war,
sprach ich zu ihnen: „Männer, Volksgenossen, wenn ich
nach dem Rechte sterben muss, so bitte ich nicht um
mein Leben. Doch möchte ich vor meinem Tode euch
die Wahrheit berichten. Ich hatte erfahren, wie sehr
diese Stadt die Gastfreundschaft pflegt und dass sie
eine Menge Leute beherbergt, die ihre Heimat verlassen
haben und hierhergekommen sind, um euer Schicksal zu
teilen. Darum wollte ich mit eben diesen Schätzen,
deretwegen ihr mir so heftig grollt, euch Mauern bauen
und das Geld ganz dazu verwenden.“ Hierauf erhoben
die Tarichaeaten und deren Gäste ein Freudengeschrei,
dankten mir und sprachen mir Mut ein; die Galiläer
und Tiberienser dagegen verharrten in ihrem Zorn. Es
entstand nun ein Zwist unter ihnen, da die einen
meinen Tod verlangten, die anderen mich unbesorgt
sein hiessen. Als ich aber versprach, auch in Tiberias
und den übrigen Städten, wo es erforderlich sei, Mauern
zu bauen, fassten sie Vertrauen zu mir und begaben
eich allesamt nach Hause. So entging ich ganz unver-
Selbstbiographie.
31
hofft der Gefahr und kehrte mit meinen Freunden und
zwanzig Bewaffneten in meine Wohnung zurück.
30. Abermals aber kamen die Räuber und die An-
stifter der Empörung, weil sie fürchteten, wegen ihrer
Übelthaten von mir zur Strafe gezogen zu werden, mit
sechshundert Bewaffneten vor das von mir bewohnte
Haus, , um es anzuzünden. Als mir ihr Anrücken ge-
meldet ward, entschloss ich mich, da ich Fliehen für
schimpflich hielt, der Gefahr unverzagt entgegenzutreten.
Ich gab daher Befehl , die Thüren des Hauses zu
schliessen, stieg auf das Dach und rief meinen Gegnern
zu, sie sollten einige Leute zu mir hereinschicken, um
die Schätze in Empfang zu nehmen ; so würde sich doch
wohl endlich ihre zornige Aufregung legen. Der Ver-
wegenste aus der Rotte trat nun ein. Ich aber liess ihn
in den entlegensten Winkel des Hauses schleppen und
mit Geisselhieben zerfleischen, ihm die eine Hand ab-
hauen, sie ihm um den Hals hängen und warf ihn so zur
Thür hinaus. 1 Die aussen Stehenden ergriff Entsetzen
und gewaltige Angst, und da sie glaubten, ich hätte
drinnen eine Schar Bewaffneter, die ihnen an Zahl über-
legen sei, fürchteten sie ebenso zugerichtet zu werden,
wenn sie blieben, und flohen deshalb eiligst davon.
Durch diese List entging ich auch der zweiten Nach-
stellung.
31. Doch es fanden sich noch einmal einige, die das
Volk auf hetzten, indem sie riefen, die königlichen Be-
amten, die zu mir gekommen seien, dürften nicht am
Leben bleiben, wenn sie nicht zum Glauben derer über-
träten, bei denen sie Schutz suchten. Man verschrie sie
als Giftmischer und als Leute, welche die Römer ins
Land ziehen würden. Die Menge liess sich nur zu gern
beschwätzen, weil die schwindelhaften Äusserungen ihr
gerade passten. Sobald ich Kenntnis davon erhielt,
richtete ich aufs neue die Mahnung an das Volk, man
dürfe solche Leute, die bei uns Schutz gesucht, nicht
1 Vergl. die etwas abweichende Darstellung Jüd. Krieg II, 21, 5.
32
• Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
verfolgen. Die dumme Anschuldigung wegen der Gift-
mischerei aber verlachte ich und stellte den Leuten vor,
die Römer würden doch wohl nicht so viele tausend
Soldaten halten , wenn sie ihre Feinde durch Gift be-
siegen könnten. Eine Zeitlang wirkten meine Worte;
kaum aber hatte sich das Volk verlaufen, als es wiederum
durch boshafte Menschen gegen jene Beamten auf-
gebracht wurde, und eines Tages fiel man über ihre
Wohnung in Tarichaea her, um sie zu ermorden. Die
Nachricht davon erfüllte mich mit Schrecken, weil ich
fürchtete, dass nach einem solchen Frevel niemand mehr
seine Zuflucht hierher nehmen würde. Ich begab mich
deshalb mit noch einigen anderen in das Haus, ver-
schloss es, liess von da einen Gang nach dem See
graben , ein Schiff* heranbringen , bestieg es mit ihnen
und setzte nach dem Gebiete der Hippener über. Ihre
Pferde vergütete ich ihnen, weil ich dieselben bei einer
solchen Flucht nicht mitnehmen konnte, und entliess sie
mit der Bitte, ihr Missgeschick standhaft zu ertragen.
Ich selbst war sehr ärgerlich darüber, dass ich die Leute,
die mir ihre Sicherheit anvertraut hatten, wieder in
Feindesland absetzen musste; doch war es mir, wenn
es denn einmal sein sollte, immer noch lieber, sie durch
die Hand der Römer umkommen zu sehen, als in meinem
eigenen Gebiet. Zu meiner Freude aber wurden sie ge-
rettet, denn König Agrippa verzieh ihnen, was sie ver-
brochen hatten. So erging es diesen Männern.
32. Unterdessen hatten die Bewohner von Tiberias
den König um Soldaten zur Bewachung ihres Gebietes
ersucht, da sie entschlossen seien, sich ihm zu ergeben.
Also schrieben sie. Sowie ich aber hin kam, baten sie
mich, meinem Versprechen gemäss ihre Mauern aufzu-
bauen, denn sie hätten vernommen, dass Tarichaea
bereits mit Festungswerken versehen sei. Ich sagte zu
und liess alles zum Bau herbeischaffen und die Arbeiter
ans Werk gehen. Drei Tage jedoch, nachdem ich aus
Tiberias nach Tarichaea, welches dreissig Stadien von
dort entfernt liegt, abgereist war, geschah es, dass einige
Selbstbiographie.
33
römische Reiter in der Nähe der Stadt gesehen wurden,
was die Vermutung wachrief, das königliche Heer sei im
Anmarsch. Alsbald brachen nun die Tiberienser in
Lobsprüche auf den König und in Schmähungen gegen
mich aus. Ein Eilbote meldete mir ihren Entschluss,
abzufallen. Die Nachricht erschreckte mich heftig, denn
ich hatte eben meine Soldaten von Tarichaea nach Hause
beurlaubt, einmal weil der folgende Tag ein Sabbat war,
und dann auch weil ich Tarichaea nicht mit Ein-
quartierung belästigen wollte. So oft ich mich dort
auf hielt, sorgte ich nicht einmal für eine Leibwache, da
ich die Treue der Einwohner gegen mich des öfteren
erprobt hatte. Ich befand mich also in grosser Ver-
legenheit, da ausser meinen Freunden nur sieben Be-
waffnete bei mir waren. Meine Truppen wieder zurück-
zurufen, ging nicht an, weil der Tag sich schon zum
Ende neigte; doch auch wenn sie kamen, durften sie
am folgenden Tage nicht zu den Waffen greifen, weil
unsere Gesetze dies verbieten, mag die Not auch noch
so dringend sein. Wollte ich aber gegen Tiberias die
Bewohner von Tarichaea und deren Gäste ins Feld
führen, so ging das ebenfalls nicht, da sie, wie ich sah,
nicht stark genug sein würden. Überdies musste ich
fürchten, zu spät zu kommen ; denn es stand zu erwarten,
dass die Streitmacht des Königs früher eintreffen und
mich nicht in die Stadt gelangen lassen würde. Ich
beschloss daher, eine Kriegslist zu versuchen. In dieser
Absicht stellte ich sogleich die treuesten meiner Freunde
an die Thore von Tarichaea mit dem Auftrag, ein
wachsames Auge auf alle zu haben, die hinausgehen
wollten. Alsdann rief ich die Vornehmsten der Stadt
zusammen und befahl jedem von ihnen, ein Schiff bereit
zu halten, es mit einem Steuermann zu besteigen und
mir nach Tiberias zu folgen. Ich selbst bestieg eben-
falls mit meinen Freunden und den erwähnten sieben
Bewaffneten ein Boot und fuhr auf Tiberias zu.
33. Als die Tiberienser merkten, dass keine könig-
lichen Truppen heranrückten, und dagegen den See voll
JosephuB, Kleinere Schriften. 3
34 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
von Schiffen erbliekten, begannen sie für die Stadt zu
fürchten. In ihrem Schrecken glaubten sie, die Fahr-
zeuge seien vollständig bemannt, und nun schlug ihre
Stimmung^ sehr bald um. Sie warfen die Waffen von
sich, kamen mir mit Frauen und Kindern entgegen,
empfingen mich, da sie wähnten, ich hätte von ihrer
Absicht nichts erfahren, unter lauten Lobeserhebungen
und baten um Schonung für die Stadt. Als ich mich
etwas mehr genähert hatte, Hess ich in einiger Ent-
fernung vom Lande Anker werfen, damit die Tibe-
rienser nicht merkten, wie leer meine Schiffe waren. Ich
selbst fuhr nun ans Ufer, schalt sie wegen ihres Un-
verstandes und warf ihnen vor, dass sie so leichtsinnig
und ohne jeden triftigen Grund von mir abfallen wollten,
versprach ihnen aber für die Zukunft Verzeihung, wenn
sie zehn von den Vorstehern der Stadt zu mir senden
würden. Sie gehorchten bereitwillig und schickten die
Männer, die ich alsdann nach Tarichaea einschiffen und
dort bewachen liess.
34. Durch Wiederholung dieser List bekam ich nach
und nach den ganzen Rat sowie eine nicht geringere
Zahl angesehener Männer in meine Gewalt und schickte
sie alle nach Tarichaea. Als nun die Einwohner sahen,
in welch schlimme Lage sie geraten waren, baten sie
mich, den Anstifter der Empörung zu bestrafen. Dieser
hiess Kleitos und war ein tollkühner, verwegener Jüng-
ling. Ich hielt es nun zwar nicht für erlaubt, einen
Volksgenossen hinzurichten; anderseits aber sah ich
auch ein, wie notwendig es sei, ein abschreckendes Bei-
spiel aufzustellen. Deshalb befahl ich einem meiner
Leibwächter Namens Levi, hinzugehen und dem Kleitos
die eine Hand abzuhauen. Doch der Beauftragte fürchtete
sich, allein unter eine so grosse Volksmenge zu treten.
Um nun seine Feigheit vor den Tiberiensern zu ver-
bergen, rief ich dem Kleitos zu: „Da du infolge deines
Undankes gegen mich verdient hast, beide Hände zu
verlieren, so werde dein eigener Henker, damit du nicht
durch Ungehorsam eine noch schlimmere Strafe ver-
Selbstbiogra phi e.
35
wirkst !“ Er aber bat mich inständig, ihm doch die eine
Hand zu lassen, was ich ihm denn auch nach einigem
Zögern zugestand. Willig fasste er nun, um nicht beide
Hände zu verlieren, sein Schwert und hieb sich die
linke ab. Damit hatte der Aufruhr sein Ende er-
reicht.
35. Als ich nach Tarichaea zurückgekehrt war und
die dort eingekerkerten Tiberienser erfuhren, welcher
List ich mich gegen sie bedient hatte, wunderten sie
sich, dass ich ohne Blutvergiessen ihres Unverstandes
Herr geworden war. Ich liess nun einige von ihnen,
darunter auch' Justus und dessen Vater Pistos, aus dem
Gefängnis holen und zog sie zur Tafel. Während der
Mahlzeit erklärte ich, wohl sei mir die gewaltige Macht
der Römer bekannt, aber der Empörer wegen wolle ich
nicht davon reden. Dann riet ich ihnen, dasselbe zu
thun und den richtigen Zeitpunkt abzuwarten; auch
möchten sie nicht grollen, weil ich ihr Oberbefehlshaber
sei, deiin nicht leicht würden sie einen anderen be-
kommen, der so viel Milde beweise wie ich. Dem Justus
rief ich noch besonders ins Gedächtnis, dass die Gali-
läer vor meiner Ankunft aus Jerusalem und ehe noch
von Krieg die Rede gewesen , seinem Bruder wegen
einer demselben zugeschriebenen Brieffälschung die Hände
abgehauen, ferner dass nach dem Abzug des Philippus
die Gamaliter im Kampfe gegen die Babylonier den
Ohares, einen Verwandten des Philippus, getötet und
dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus, durchaus
nicht mässig bestraft hätten. 1 Nachdem ich so über
Tisch mit ihnen gesprochen, gab ich am Morgen Befehl,
den Justus und dessen sämtliche Begleiter aus der Haft
zu entlassen.
36. Kurz vorher nämlich war Philippus, der Sohn
des Jakim, aus der Festung Gamala fortgezogen, und
1 Josephus will andeuten, dass Justus allen Grund habe, die
Galil&er zu hassen, und dass er gut thun würde, sich ihm anzu-
schliessen. — Vor acocppövo^ ist nach Josts Vorgang ou eingeschohen.
3 *
36
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
zwar unter folgenden näheren Umständen. Philippus
hatte kaum erfahren, dass Yarus vom Könige Agrippa
abgefallen und dessen Nachfolger Aequus Modius, der
mit Philippus schon seit langem befreundet war, an-
gekommen sei, als er an diesen schrieb, ihm seine
Schicksale erzählte und ihn bat, den beigeschlossenen
Brief an die königliche Familie gelangen zu lassen.
Modius freute sich sehr über den Empfang des Schreibens,
weil er daraus ersah, dass Philippus wohlbehalten war,
und sandte den Brief an die königliche Familie, die
damals in Berytus weilte. Sobald nun Agrippa erkannte,
dass das über Philippus umlaufende Gerücht — die
Sage hatte ihn zum Anführer der Juden im Kriege
gegen die Römer » gemacht — falsch sei, schickte er
Reiter ab, um den Philippus an seinen Hof zu berufen.
Als er angekommen war, begrüsste der König ihn huld-
vollst und stellte ihn den römischen Offizieren als den
Mann vor, den das Gerücht als Abtrünnigen bezeichnet
habe. Sodann befahl er ihm, mit einer Abteilung
Reiterei unverzüglich nach der Festung Gamala zurück-
zukehren, alle seine Leute von dort abzuholen und die
Babylonier wieder nach Batanaea zu versetzen. 1 Zu-
gleich beauftragte er ihn, dafür zu sorgen, dass seine
Untergebenen sich aller aufrührerischen Umtriebe ent-
hielten. Demzufolge begab sich Philippus schnell dort-
hin, um die Befehle des Königs zu vollziehen.
37. In Gamala aber hatte unterdessen Josephus, der
Sohn eines heilkundigen Weibes, eine Anzahl verwegener
junger Leute beredet, sich mit ihm zu erheben, und den
Vorstehern der Stadt zugesetzt, dass sie vom Könige ab-
fallen und die Waffen ergreifen möchten, indem er ihnen
vorspiegelte , er werde ihnen die Freiheit verschaffen.
Einige brachte er mit Gewalt auf seine Seite, andere,
die ihm nicht beistimmten , liess er aus dem Wege
räumen. Damals töteten die Gamal iter auch den Chares
sowie dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus
1 Vergl. Abschnitt 11. Batanaea == Ekbatana.
Selbstbiographie.
37
von Tiberias, wovon ich schon oben Erwähnung gethan
habe. Hierauf schickten sie zu mir und verlangten
militärische Hilfe sowie Leute zum Aufbau ihrer Stadt-
mauern. Ich versagte ihnen keinen dieser Wünsche.
Zur selben Zeit fiel die Landschaft Gaulanitis bis an das
Dorf Solyma 1 vom Könige ab. Sogane und Seleukia,
zwei schon von Natur sehr feste Flecken, umgab ich
damals mit Ringmauern, desgleichen auch einige Dörfer
in Obergalilaea, obwohl dieselben auf Felsen lagen,
nämlich Jamnia, Meroth und Achabara. In Unter-
galilaea befestigte ich die Städte Tarichaea, Tiberias
und Sepphoris, sowie folgende Flecken: die Höhle von
Arbela, 2 Bersabe, Selamin, Jotapata, Kapharekcho, Sigo,
Japha und den Berg Tabor. In alle diese Plätze schaffte
ich eine Menge Proviant und auch Waffen, zur Sicher-
heit. für kommende Fälle.
38. Mittlerweile wuchs bei Joannes, dem Sohne des
Levi, der Hass gegen mich von Tag zu Tag. Dass mir
alles so gut von statten ging, ärgerte ihn nicht wenig,
und da er entschlossen war, mich ganz aus dem Wege
zu räumen, befestigte er seine Vaterstadt Gischala und
schickte seinen Bruder Simon sowie Jonathas, den Sohn
des Sisenna, mit etwa hundert Bewaffneten nach Jeru-
salem zu Simon, dem Sohne des Gamaliel, um ihn auf-
zufordern, dass er den Gemeindevorstand zu Jerusalem
berede, mir den Oberbefehl über Galilaea abzunehmen
und ihn dem Joannes zu übertragen. Dieser Simon war
aus Jerusalem gebürtig, gehörte einer vornehmen Familie
an und bekannte sich zur Sekte der Pharisäer, die in
strenger Beobachtung der väterlishen Satzungen alle
anderen übertrifft. Er war ein überaus umsichtiger und
verständiger Mann und wusste durch seine Klugheit
auch die schwankendsten Verhältnisse wieder ins Gleich-
1 Heute unbekannt.
2 Arbela, dem heutigen Irbid, gegenüber liegen die Felsenhöhlen
von Kulat Ibn Ma’an , welche , ein natürliches Bollwerk bildend,
wiederholt in Kriegszeiten eine Rolle spielten (vergl. besonders Jüd.
Krieg I, 16, 2 ff.).
38
Des Flavins Josepbus kleinere Schriften.
gewicht zu bringen. Als alter Freund und Vertrauter
des Joannes stand er damals mit mir auf gespanntem
Fuss. Aus diesem Grunde ging er auf den Wunsch des
Joannes ein und beredete die Hohepriester Ananus und
Jesus, den Sohn des Gamalas, sowie einige andere von
derselben Partei, mir die Flügel zu stutzen und nicht
zu dulden, dass ich bis zum Gipfel des Ruhmes gelange.
Dass ich aus Galilaea entfernt würde, meinte er, könne
ihm nur zum Vorteil gereichen. Zugleich forderte er
die Partei des Ananus auf, nicht zu zögern, damit ich
nicht, wenn der Plan mir zu Ohren käme, mit Heeres-
macht gegen die Stadt anrücke. Diesen Rat gab Simon ;
der Hohepriester Ananus indes war der Ansicht, die
Sache könne doch wohl nicht so leicht abgemacht
werden, denn viele von den Hohepriestern und den
Vorstehern des Volkes gäben mir das Zeugnis, dass ich
meinen Posten trefflich verwalte. Einen Mann aber,
dem man nichts vorwerfen könne, in Anklagezustand zu
versetzen, sei das Werk eines Schurken.
39. Als Ananus diese Erklärung abgegeben hatte,
bat Simon ihn und die anderen, zu schweigen, damit
nichts von diesen Verhandlungen unter die Leute komme.
Er werde schon dafür sorgen, fügte er hinzu, dass ich
sobald als möglich Galilaea räumen müsse. Hierauf
beschied er den Bruder des Joannes zu sich und ersuchte
ihn, dem Ananus und dessen Anhängern Geschenke zu
senden ; vielleicht würden sie sich dadurch zur Änderung
ihrer Gesinnung bewegen lassen. Schliesslich erreichte
denn auch Simon seine Absicht: Ananus und dessen
Partei liessen sich bestechen und beschlossen nun, mich
aus Galilaea zu entfernen, ohne dass jemand in der
Stadt davon Kenntnis erlange. Sie schickten dem-
gemäss einige sowohl durch Geburt wie Gelehrsamkeit
hervorragende Männer ab. Zwei von diesen, nämlich
die Pharisäer Jonathas und Ananias, waren Laien,
während der dritte, Joazar, der ebenfalls der Pharisäer-
sekte angehörte, aus priesterlichem Geschlecht stammte.
Simon endlich, der jüngste der Abgeordneten, war Mit>
Selbsfcbiögraphie.
o9
glied einer hohepriesterlichen Familie. Die Tier Männer
hatten den Auftrag, in einer Volksversammlung die
Galiläer nach der Ursache ihrer Anhänglichkeit an mich
zü fragen. Gäben die Galiläer dann als Grund meine
Zugehörigkeit zur Bürgerschaft Jerusalems an, so sollten
sie antworten, dass auch sie alle vier von dort stammten.
Beriefen sich die Leute aber auf meine genaue Kenntnis
des Gesetzes, so sollten sie erklären, dass auch sie die
väterlichen Satzungen kannten, und würde etwa das
Volk auf meine priesterlichen Charakter Bezug nehmen,
so sollten sie entgegnen, dass auch unter ihnen zwei
Priester sich befänden.
40. Ausser diesen Aufträgen gaben sie dem Jonathas
und seinen Genossen vierzigtausend Silberstücke aus
der Staatskasse mit. Zugleich beriefen sie einen gewissen
Galiläer Jesus, der, wie man hörte, mit einer Schar von
sechshundert Bewaffneten nach Jerusalem gekommen
war, zahlten ihm Sold für drei Monate und hiessen ihn
die Gesandtschaft des Jonathas geleiten. Ausserdem
schickten sie auch noch dreihundert Mann aus der
Bürgerschaft mit, nachdem sie dieselben reichlich mit
Geld zum Lebensunterhalt versehen hatten. Sobald
diese Mannschaft, der sich noch der Bruder des* Joannes
mit seinen hundert Bewaffneten anschloss, zum Abmarsch
bereit war, machten sich Jonathas und dessen Mit-
gesandte auf den Weg. In Bezug auf meine Person
hatten sie den Auftrag, mich, wenn ich die Waffen frei-
willig niederlegen würde , lebend nach Jerusalem zu
schicken, wenn ich aber Widerstand leistete, mich ohne
jede Scheu vor Verantwortlichkeit niederzustossen.
Uebrigens hätten sie dem Joannes geschrieben, er solle
sich auf einen Kampf gegen mich gefasst machen; auch
war an die Bewohner von Sepphoris, Gabara und
Tiberias der Befehl ergangen, den Joannes mit Hilfs-
truppen zu unterstützen.
41. Von diesen Umtrieben benachrichtigte mich mein
Vater; er erfuhr nämlich alles von meinem Freunde
Jesus, dem Sohne des Gamalas, der bei den Verhand-
40
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
lungen zugegen gewesen war. Es kränkte mich tief,
dass meine Mitbürger so undankbar sein und aus Neid
meine Ermordung anbefeblen sollten ; auch empfand ich
es schmerzlich, dass mein Vater in seinem Briefe mich
inständig bat, zu ihm zu kommen, weil er seinen Sohn
zu sehen wünsche, bevor er sterbe. Ich teilte diese
Nachricht meinen Freunden mit und erklärte ihnen, dass
ich in drei Tagen heimzukehren gedächte. Alle, die es
hörten , zeigten sich traurig bewegt und baten mich
unter Thränen, sie nicht zu verlassen: denn wenn ich
nicht mehr ihr Oberbefehlshaber sei, müssten sie zu
Grunde gehen. Als ich aber ihren Bitten gegenüber
taub blieb und nur auf meine eigene Rettung bedacht
war, schickten die Galiläer, die nach meiner Abreise den
Räubern schutzlos preisgegehen zu sein fürchteten, Boten
im ganzen Lande umher, um die Kunde von meinem
beabsichtigten Weggang zu verbreiten. Haufenweise
strömten nun aus allen Orten die Leute samt Weibern
und Kindern zusammen, anscheinend nicht so sehr aus
Anhänglichkeit an mich, als weil sie für sich selbst
fürchteten ; denn so lange ich da war, glaubten sie vor
allem Ungemach gesichert zu sein. Sie kamen samt und
sonders nach Asochis in der grossen Ebene, wo ich mich
damals aufhielt.
42. In jener Nacht hatte ich einen wunderbaren
Traum. Als ich mich nämlich , tief betrübt und er-
schüttert wegen der erhaltenen Nachricht, zu Bett gelegt
hatte, schien auf einmal jemand vor mir zu stehen und
zu sagen: „Tröste dich, du Trauernder, und entschlage
dich aller Furcht; denn dasselbe, worüber du dich jetzt
betrübst, wird dich gross machen und dir in allen deinen
Unternehmungen Glück bringen. Und nicht allein deine
gegenwärtige Sendung wirst du durchführen, sondern
noch vieles andere. Lass also den Mut nicht sinken
und denke daran , dass du mit den Römern noch Krieg
führen musst!“ Nach dieser Traumerscheinung erhob
ich mich, um in die Ebene hinabzugehen. Kaum aber
hatten mich die Galiläer erblickt, als sich die ganze
Selbstbiographie.
41
Menge, darunter auch viele Weiber und Kinder, zu
Boden warf und mich thränenden Auges bat, ich möge
sie doch nicht in die Gewalt der äusseren Feinde geraten
lassen, noch ihr Land dem Übermut der inneren Wider-
sacher preisgeben. Als jedoch ihre Bitten keinen Erfolg
hatten, suchten sie mich durch Eidschwüre zum Bleiben
zu bewegen. Zugleich schmähten sie in herben Worten
die Gemeinde von Jerusalem, die ihnen den Frieden
ihres Landes missgönne.
43. Als ich diese Klagen vernahm und die Nieder-
geschlagenheit der Leute sah, ward ich von Mitleid be-
wegt und erwog bei mir, dass es doch der Mühe wert
sei, um einer so grossen Menschenmenge willen der
augenscheinlichsten Gefahr zu trotzen. Ich versprach
daher zu bleiben und befahl, dass fünftausend Bewaff-
nete mit dem nötigen Proviant zu mir stossen sollten;
die übrigen entliess ich nach Hause. Sobald die fünf-
tausend Mann zur Stelle waren, brach ich mit ihnen sowie
mit dreitausend Mann zu Fuss und achtzig Reitern,
die ich schon vorher bei mir hatte, nach Chabolo, 1 einem
Dorf im Gebiete von Ptolemais, auf. Dort liess ich
halt machen und stellte mich , als wollte ich gegen
Placidus anrücken. Dieser nämlich war auf Befehl des
Cestius Gallus mit zwei Kohorten Fussvolk und einer
Reiterschwadron angekommen, um die galilaeischen Dörfer
in der Nähe von Ptolemais einzuäschern. Während nun
Placidus vor der Stadt Ptolemais Verschanzungen auf-
warf, errichtete auch ich mein Lager etwa sechzig Stadien
vom Dorfe entfernt. Hierauf führten wir mehrmals
unsere Streitkräfte zum Kampf heraus, doch kam es
nie weiter als zu Scharmützeln. Denn als Placidus
merkte, dass ich thunlichst bald schlagen wolle, wich
er furchtsam zurück, entfernte sich aber nicht von
Ptolemais.
44. Um diese Zeit kam Jonathas mit der Gesandt-
1 Grenzort des Stammgebietes Äser im Nordosten Palaestinas,
heute das Dorf Kabul, vier Stunden südöstlich von St. Jean d’Acre.
42
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
schaft aus Jerusalem an, die, wie erwähnt, von der
Partei des Simon und des Höhepriesters Ananus ab-
geordnet war, und suchte mich durch Hinterlist zu
fangen ; denn offen wagte er mich nicht anzugreifen.
Er schrieb mir demnach folgenden Brief: „Jonathas und
seine Mitgesandten aus Jerusalem entbieten dem Josephus
ihren Grass. Es ist der Obrigkeit von Jerusalem zu
Ohren gekommen , dass Joannes von Gischala dir oft-
mals nachgestellt hat. Deshalb schickt sie uns, um ihm
darüber Vorwürfe zu machen und ihn zum Gehorsam
gegen dich zu ermahnen. Da wir uns nun mit dir über
ein gemeinsames 1 Vorgehen beraten wollen, so ersuchen
wir dich, schleunigst zu uns zu kommen, aber ohne
grosses Gefolge, denn unser Dorf kann nicht viele Sol-
daten aufnehmen/* So schrieben sie in zweifacher Ab-
sicht: entweder hätten sie, wenn ich unbewaffnet kam,
mich gefangen genommen , oder, wenn ich zahlreiche
Mannschaft .mitbrachte, mich für einen Feind erklärt
Den Brief brachte mir ein Reiter, ein verwegener Bursche,
der einst im königlichen Dienst gestanden hatte. Es
war um die zweite Stunde der Nacht , 1 und eben sass
ich mit meinen Freunden und den vornehmsten Gali-
läern beim Mahle, als mir ein Diener meldete, es sei ein
jüdischer Reiter angekommen. Sogleich liess ich ihn
hereinrafen; allein der Mensch würdigte mich keines
Grasses, sondern reichte mir den Brief mit den Worten:
„Das schicken dir die Gesandten aus Jerusalem. Ant-
worte so schnell wie möglich, denn ich muss unverzüg-
lich zu ihnen zurückkehren.“ Meine Tischgenossen
staunten über die Dreistigkeit des Soldaten; ich aber
lud ihn ein, Platz zu nehmen und mit uns zu speisen.
Doch er weigerte sich. Unterdessen hielt ich den Brief
in der Hand, wie ich ihn empfangen hatte, und setzte
über andere Dinge das Gespräch mit meinen Freunden
fort. Bald aber stand ich auf, entliess die anderen zur
Ruhe und behielt nur vier meiner vertrautesten Freunde
1 8 Ubr abends.
Selbstbiographie.
43
bei mir. Dann befahl ich einem Diener, Wein zu holen,
entfaltete den Brief, ohne dass jemand es merkte, und
siegelte ihn rasch wieder, nachdem ich seinen Inhalt
überlesen hatte. Hierauf liess ich, den Brief fortwährend
in der Hand haltend, als hätte ich ihn nicht geöffnet,
dem Soldaten zwanzig Drachmen Botenlohn auszahlen.
Mit vielem Dank nahm er die Silberstücke an ; ich aber
schloss daraus auf seine Geldgier und sprach, um ihn
an dieser seiner schwachen Seite .zu fangen , also zu
ihm: „Willst du mit uns trinken, so erhältst du bei
jedem Becher eine Drachme.“ Freudig ging er darauf
ein, nahm, um nur recht viel Geld zu bekommen, eine
Menge Wein zu sich, ward berauscht und konnte nun
kein Geheimnis mehr verschweigen, sodass er ungefragt
den ganzen Anschlag verriet und auch mitteilte, über
mich sei der Tod beschlossen. Kaum hatte ich dies er-
fahren, so schrieb ich folgendermassen zurück: „Josephus
mit bestem Gruss an Jonathas und seine Gefährten.
Es freut mich, zu vernehmen, dass ihr wohlbehalten in
Galilaea angelangt seid, umsomehr, als ich euch die
Verwaltung des Landes übergeben und nach Hause
zurückkehren kann ; denn dies war schon lange mein
Wunsch. Ich hätte euch nun freilich nicht bloss bis
Xaloth, sondern noch weiter unaufgefordert entgegen-
kommen sollen; doch es ist mir nicht möglich, und ihr
wollt mich deshalb entschuldigen. Ich liege nämlich
vor Chabolo, um Placidus zu beobachten, der einen
Einfall in Galilaea plant Kommt also zu mir, sobald
ihr diesen Brief gelesen habt. Lebt wohl.“
46. Dieses Schreiben übergab ioh dem Soldaten zur
Bestellung und sandte ihn in Begleitung von dreissig
angesehenen Galiläern zurück. Letztere waren von mir
beauftragt, die Gesandten zu begrüssen , ausserdem aber
sich auf nichts einzulassen. Jedem von ihnen gab ich
noch einen treuen Soldaten bei, der acht geben sollte,
dass niemand mit Jonathas oder dessen Gefährten eine
Unterredung anfange. So reisten sie ab. Als nun
Jonathas und seine Kollegen den ersten Versuch mis6-
Go gle
44
Des Flavius Josepbus kleinere Schriften.
glückt sahen, schrieben sie an mich einen zweiten Brief
folgenden Inhalts : „Jonathas und seine Genossen ent*
bieten dem Josephus ihren Gruss. Wir fordern dich
auf, innerhalb dreier Tage ohne bewaffnetes Geleit zu
uns nach Gabaroth 1 zu kommen, damit wir dich über
deine Beschuldigungen gegen Joannes vernehmen.“
Nachdem sie dies geschrieben und die von mir geschickten
Galiläer begrüsst hatten, begaben sie sich nach Japha,
dem grössten Flecken Galilaeas, der stark befestigt und
dicht bevölkert war. Die Einwohner aber zogen ihnen
samt Weibern und Kindern entgegen und schrien mit
lauter Stimme: „Macht euch fort und lasst uns unseren
wackeren Befehlshaber!“ Jonathas und seine Begleiter
gerieten über dieses Geschrei in Erbitterung, wagten
aber nicht, ihren Groll offen zu zeigen, und machten
sich, ohne die Leute einer Antwort zu würdigen, nach
anderen Dörfern auf. Überall aber empfing sie das
nämliche Geschrei; niemand, hiess es, vermöge sie zu
überzeugen, dass Josephus nicht mehr ihr Statthalter
sein solle. Unverrichteter Sache zogen sich deshalb die
Gesandten zurück und gingen nach Sepphoris, der grössten
Stadt Galilaeas. Die Einwohner, welche römerfreundlich
gesinnt waren, kamen ihnen zwar entgegen, äusserten
jedoch über mich weder Lob noch Tadel. Als hierauf
die Abgeordneten von Sepphoris nach Asochis reisten
und dort wieder dasselbe Geschrei wie in Japha hören
mussten, vermochten sie ihren Zorn nicht mehr zu be-
meistern und liessen ihre Bewaffneten mit Knitteln auf
die Schreier einhauen. In Gabara stiess dann Joannes
mit dreitausend Mann zu ihnen. Da ich aber aus dem
Briefe wusste, dass sie entschlossen waren, gegen mich
zu kämpfen, brach ich mit dreitausend Bewaffneten von
Chabolo auf, nachdem ich das dortige Lager meinem
treuesten Freund unterstellt hatte, und begab mich nach
Jotapata, um meinen Gegnern auf vierzig Stadien nahe
zu sein. Alsdann schrieb ich folgenden Brief an sie:
1 Dasselbe wie Gabara.
Selbst biographie .
45
„Wenn ihr durchaus darauf besteht, dass ich mich bei
euch einfinde, so wisset, dass es zweihundertvier Städte
und Dörfer in Galilaea giebt. In jeden dieser Orte will
ich je nach eurem Wunsch kommen, nur nicht nach
Gabara und Gischala, denn dieses ist die Vaterstadt
des Joannes, jenes aber mit ihm verbündet und be-
freundet“
46. Auf diesen Brief gaben mir Jonathas und seine
Genossen keine weitere Antwort, veranstalteten vielmehr
eine Zusammenkunft ihrer Freunde, zu der auch Joannes
zugezogen wurde, und hielten Rat wie sie mich angreifen
könnten. Joannes war der Meinung, man solle in alle
Städte und Dörfer Galilaeas schicken, denn in jedem
Orte sei doch der eine oder andere mir abgeneigt; diese
müsse man dann gegen mich, den gemeinsamen Feind,
aufrufen. Komme nun ein solches Vorgehen zu stände,
so solle man die Nachricht davon nach Jerusalem
schicken, damit auch die dortigen Bürger, nachdem sie
erfahren hätten, dass ich von den Galiläern als Feind
behandelt würde, sich in gleichem Sinne aussprächen.
Wenn das geschähe, würden die Galiläer, die mir noch
treu seien, mich aus Furcht verlassen. Dieser Rat des
Joannes gefiel den anderen ausnehmend gut Aber
schon um die dritte Stunde der Nacht war ich davon
durch einen gewissen Sakchaeus benachrichtigt der von
ihm zu mir überging und mir den Anschlag verriet
Jetzt beschloss ich, nicht länger zu zögern. Ich trug
daher einem meiner erprobtesten Leute Namens JakobuB
auf, mit zweihundert Mann alle Wege zwischen Gabara
und dem übrigen Galilaea zu bewachen, die Wanderer
aufzugreifen und sie mir zuzusenden , besonders wenn
sich Briefe bei ihnen vorfanden. Ebenso schickte ich
meinen Freund Jeremias mit sechshundert Mann an die
Grenzen Galilaeas, um die Strassen nach Jerusalem zu
beobachten, alle Reisenden, bei denen Briefe gefunden
würden, festzunehmen, und die Boten selbst sogleich
einzukerkern, die Briefe aber an mich gelangen zu
lassen.
46
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
47. Nachdem ich diese Anordnungen getroffen hatte»
liess ich die Galiläer auffordern» sich am folgenden Tage
mit Waffen und dreitägigem Proviant vor Gabaroth
einzufinden. Meine eigenen Soldaten teilte ich in vier
Scharen, bildete aus den zuverlässigsten Leuten meine
Leibwache und setzte Befehlshaber über sie, denen ich
einschärfte, keinen unbekannten Soldaten mit ihren
Untergebenen in Verbindung treten zu lassen. Als ich
tags darauf um die fünfte Stunde nach Gabaroth kam,
fand ich die ganze Ebene vor dem Dorf mit Bewaffneten
gefüllt, die meinem Aufgebot zufolge als Hilfstruppen
aus Galilaea zusammengeströmt waren; ausserdem lief
noch eine grosse Menge Menschen aus den Dörfern
herbei. Wie ich nun auf sie zuschritt und eine An*
spräche an sie halten wollte, tönte mir ein lautes Freuden-
geschrei entgegen, und alle begrüssten mich als Wohl-
thäter und Retter des Landes. Ich dankte ihnen und
ermahnte sie, niemand zu brandschatzen und nirgends
zu plündern, sondern, mit ihrem Mundvorrat zufrieden,
sich in der Ebene zu lagern; denn es sei mein Wunsch,
den Aufruhr ohne Blutvergiessen zu dämpfen. Am
nämlichen Tage schon fielen die Eilboten des Jonathas
mit ihren Briefen den von mir aufgestellten Wachtposten
in die Hände und wurden meinem Befehl gemäss an
Ort und Stelle in Gewahrsam genommen. In den Briefen
fand ich übrigens nichts als Schmähungen und Lügen,
und ohne irgend jemand von ihrem Inhalt Mitteilung zu
machen, entschloss ich mich zum Angriff.
48. Als Jonathas und seine Genossen meine Ankunft
erfuhren, zogen sie sich mit Joannes und allen ihren
Leuten in das Haus des Jesus zurück, ein hohes, turm-
ähnliches Gebäude, das ganz wie eine Festung aussah.
Hier versteckten sie eine Anzahl Bewaffneter, verschlossen
die Thüren bis auf eine und erwarteten, dass ich gleich
vom Marsche weg hereinkommen würde, um sie zu be-
grüssen. Ihre Leute hatten Befehl, mich allein einzu-
lassen, die übrigen aber auszusperren; auf diese Weise
dachten sie mich mit leichter Mühe in ihre Gewalt zu
Selbstbiograpbie.
47
bekommen. Hierin aber tauschten sie sich gewaltig,
leb begab mich nämlich, da ich ihre Hinterlist merkte,
gleich nach meiner Ankunft in eine Herberge, die dem
Hause des Jesus gegenüberlag, anscheinend um auszu-
ruhen. Alsbald gingen Jonathas und die Seinen in der
Meinung, ich läge bereits im Schlaf, aufs Feld hinaus
und suchten meinen Leuten einzureden , ich sei ein
schlechter Anführer. Aber es kam ganz anders, als sie
erwartet hatten: Denn bei ihrem Anblick erhoben die
Galiläer als Zeichen ihres offenkundigen Wohlwollens
gegen mich ein lautes Geschrei und empfingen die Ge-
sandten mit heftigen Vorwürfen. Jonathas und seine
Begleiter, riefen sie, seien gekommen, ohne dass Josephus
ihnen etwas zuleide gethan, und nur in der Absicht, die
Galiläer ins Verderben zu stürzen. Sie möchten also nur
dahin zurückgehen, woher sie gekommen seien ; denn nie
würden die Galiläer sich bereden lassen , einen anderen
Statthalter als Josephus anzuerkennen. Sowie mir dies
gemeldet wurde, zögerte ich keinen Augenblick mehr,
hinunterzugehen, und trat urplötzlich ins Freie, um selbst
zu hören, was Jonathas und seine Begleiter sagen
würden. Stürmisches Freudengeschrei der ganzen Menge
empfing mich, und unter Segenswünschen bezeugten sie
mir ihren Dank für die bisherige Verwaltung meines
Postens.
49. Dieser Vorgang flösste den Gesandten tödlichen
Schrecken ein; denn sie fürchteten, von den Galiläern
mir zulieb niedergehauen zu werden. Ihr erster Gedanke
war der an Flucht; aber sie vermochten ihn nicht aus-
zuführen, weil ich ihnen befahl, zu bleiben. So standen
sie denn da, wie niedergeschmettert durch mein Wort.
Hierauf ersuchte ich die Menge, mit dem Beifallsgeschrei
einzuhalten, beorderte meine treuesten Soldaten an die
Wege, um durch ihre Wachsamkeit einen etwaigen Über-
fall von seiten des Joannes zu vereiteln, befahl den
Galiläern, die Waffen in die Hand zu nehmen, damit
sie nicht durch einen unvermuteten feindlichen Angriff
in Unordnung gerieten, und rief nun dem Jonathas und
48
Des Flavius Josepbus kleinere Schriften.
seinen Gefährten den Brief in Erinnerung, worin sie mir
geschrieben, dass sie von dem Gemeindevorstand zu Jeru-
salem geschickt worden seien , um die Streitigkeiten
zwischen mir und Joannes beizulegen , . und mich auf-
gefordert hatten, zu ihnen zu kommen. Während ich
dies sprach, hielt ich ihnen, damit sie, durch ihre eigene
Unterschrift überführt, nichts leugnen könnten, das
Schreiben entgegen und fuhr dann fort: „Wenn ich dir,
Jonathas, und deinen Mitgesandten vor Gericht über
meinen Zwist mit Joannes Rechenschaft geben müsste,
so hättet ihr doch wohl an dem Zeugnis zweier oder
dreier ehrenwerten Männer, deren Leumund ihr prüfen
könntet, genug, um mich von jeder Beschuldigung freizu-
sprechen. Damit ihl aber wisst, dass ich die Angelegen-
heiten Galilaeas recht verwaltet habe, erachte ich im
Gefühle meiner Unschuld drei Zeugen für noch zu wenig,
stelle euch vielmehr alle diese Männer hier als solche
auf. Von ihnen müsst ihr Zeugnis über mich verlangen
und dann urteilen, ob ich nicht mit aller Ehrbarkeit
und Tüchtigkeit hier gewaltet habe. Euch aber, ihr
Galiläer, beschwöre ich, nichts von der Wahrheit zu
.verhehlen, sondern vor diesen Männern gleichwie vor
Richtern zu sagen, wenn etwas nicht recht ge-
schehen ist.“
50. Noch hatte ich nicht ausgeredet, als die sämt-
lichen Galiläer mich einstimmig ihren Retter und Wohl-
thäter nannten, mein bisheriges Verhalten rühmten und
mich aufforderten, in Zukunft ebenso zu handeln. Alle
versicherten unter Eidschwur, dass ihre Frauen nicht
beleidigt worden seien und dass ich keinen Menschen
je gekränkt hätte. Hierauf verlas ich zwei Briefe der
Gesandten, welche von meinen Wachtposten aufgefangen
und an mich geschickt worden waren. Dieselben wimmelten
von Schmähungen und behaupteten lügnerischerweise,
ich hätte mich in Galilaea wie ein Tyrann und nicht
wie ein Feldherr betragen. Ich erklärte übrigens der
Versammlung, die Boten hätten mir die Briefe freiwillig
übergeben; meine Gegner sollten nämlich nichts von den
Selbstbiographie.
49
Wachtposten erfahren, damit sie nicht aus Furcht von
fernerem Schreiben Abstand nähmen.
51. Als dies die Menge vernahm, stürmte sie in der
grössten Erbitterung gegen Jonathas und dessen Mit-
gesandte an, um sie niederzumachen, und sie würden
ihre Absicht auch wohl erreicht haben, wenn ich ihrem
Wüten nicht Einhalt geboten hätte. Dem Jonathas aber
und seinen Gefährten erklärte ich, dass ich ihnen ver-
zeihe, wenn sie das Vorgefallene bereuen, nach Hause
gehen und ihren Auftraggebern die Wahrheit über meine
Amtsführung berichten wollten. Mit diesen Worten ent-
liesB ich sie, obwohl ich wusste, dass sie ihr Versprechen
in keinem Punkte halten würden. Das Volk war übrigens
derart gegen sie aufgebracht, dass es mich dringend bat,
an den Nichts würdigen Rache nehmen zu dürfen. Ich
versuchte nun alle möglichen Mittel, um sie zur Schonung
der Gesandten zu bewegen, weil es mir sattsam bekannt
war, dass jeder Aufruhr für das Wohl der Allgemein-
heit verderblich ist. Doch die Menge bestand auf der
Befriedigung ihrer Rache und drang unaufhaltsam gegen
das Haus vor, wo die Gesandten abgestiegen waren.
Als ich aber die zügellose Wut der Meinigen bemerkte,
stieg ich zu Pferde und befahl ihnen , mir nach dem
Dorf Sogane zu folgen, welches zwanzig Stadien von
Gabara entfernt liegt. Durch diese List erreichte ich,
dass man mir nicht den Vorwurf machen konnte, als
hätte ich Anlass zum Bürgerkrieg gegeben.
62. In der Nähe von Sogane liess ich halt machen,
warnte meine Leute vor leidenschaftlichen Aufwallungen
und übereilten Racheakten und befahl dann, dass hundert
durch Alter und Ansehen ausgezeichnete Männer sich
zur Reise nach Jerusalem rüsten sollten, um dort vor
dem Volke über die Unruhstifter im Lande Klage zu
führen. „Gelingt es euch,“ sagte ich, „mit euren Vor-
stellungen durchzudringen, so verlangt von dem Gemeinde-
vorstand einen schriftlichen Befehl, der mir gebietet, in
Galilaea zu bleiben, den Jonathas aber und seine Mit-
gesandten zurückrüft.“ Als ich ihnen diese Aufträge
Jonepha», Kleinert^te^f^iU^ 4
50
Des Flavius Josepbus kleinere Schriften.
erteilt und sie sich eiligst zur Abreise fertig gemacht
hatten, schickte ich sie am dritten Tage nach jener Ver-
sammlung unter dem Geleit von fünfhundert Kriegern
ab. Zugleich schrieb ich an meine Freunde in Samaria^
Bie möchten für sichere Reise meiner Abgesandten durch
die Landschaft Sorge tragen. Samaria nämlich war schon
von den Römern besetzt; der kürzeste Weg nach Jeru-
salem aber führt durch dieses Gebiet, denn über Samaria
gelangt man schon in drei Tagen von Galilaea nach
der Hauptstadt. Ich selbst gab der Gesandtschaft bis
zur Grenze Galilaeas das Geleit und stellte Wächter
an der Landstrasse auf, damit ihre Reise nicht bemerkt
würde. Alsdann nahm ich meinen Aufenthalt in Japha.
53. Als Jonathas und seine Kollegen ihre Anschläge
misslungen sahen, schickten sie den Joannes nach
Gischala zurück, während sie selbst in der Hoffnung,
Tiberias auf ihre Seite bringen zu können, sich nach
dieser Stadt begaben. Jesus nämlich, der damals oberster
Beamter von Tiberias war, hatte ihnen geschrieben, dass
er die Einwohner bereden wolle, die Gesandten aufzu-
nehmen und gemeinsame Sache mit ihnen zu machen.
Mit dieser Hoffnung also gingen sie dorthin. Ich aber
erhielt sogleich Kunde davon durch Silas, den ich, wie
oben bemerkt, als meinen Stellvertreter in Tiberias zurück-
gelassen hatte; er forderte mich auf, schleunigst zu
kommen. Alsbald erschien ich denn auch, sah mich
aber gleich nach meiner Ankunft in die äusserste Lebens-
gefahr versetzt, und zwar aus folgender Veranlassung.
Jonathas und seine Genossen hatten bereits die Tibe-
rienser bearbeitet und viele aus denen, die mir von früher
her feindlich gesinnt waren, gegen mich aufgewiegelt.
Als sie nun vernahmen, ich sei da, kamen sie, für ihr
Leben fürchtend, sogleich zu mir. Sie begrüssten mich,
wünschten mir Glück zu meiner Verwaltung Galilaeas
und bekundeten ihre Freude darüber, dass mein An-
sehen sich so vergrö8sert habe, da ein Teil dieser Ehre
auch auf sie falle, weil sie nicht nur meine Mitbürger,
sondern auch meine Lehrer seien. Auf meine Freund-
Selbstbiographie.
51
schaffe, fügten sie hinzu, legten sie viel mehr Gewicht
als auf die des Joannes. Sie seien zwar schon im Be-
griff, nach Hause zu reisen, wollten aber noch so lange
bleiben, bis sie den Joannes mir unterthan gemacht
hatten. Diese Worte bekräftigten sie mit den furcht-
barsten Eidschwüren, die bei uns Geltung haben, weshalb
ich jedes Misstrauen gegen sie fahren liess. Schliesslich
baten sie mich auch noch, ich möchte mich anderswohin
begeben, weil morgen Sabbat sei; denn sie würden es
nicht wünschen, dass Tiberias gerade um ihretwillen in
Unruhe geriete.
54. Ganz ohne Argwohn ging ich nach Tarichaea,
doch liess ich in Tiberias Spione zurück, um achtzu-
geben, was über mich gesprochen würde. Auch auf dem
ganzen Wege zwischen beiden Städten hatte ich eine
Anzahl Leute aufgestellt, damit sie mir durch Meldung
der Nachricht von einem zum anderen mitteilten, was
sie von den Spionen in Tiberias erführen. Am folgenden
Tage versammelten sich alle im Bethause, einem sehr
geräumigen Gebäude, das eine Menge Menschen fasste.
Jonathas, der zuerst auftrat, hatte zwar nicht den Mut,
das Wort „Abfall“ offen auszusprechen, erklärte aber,
dass die Stadt einen besseren Anführer haben müsse.
Jesus dagegen, der Vorsteher, enthüllte seine geheimsten
Gedanken. „Mitbürger,“ sagte er, „es ist besser, dass
wir vier Männern gehorchen als einem. einzigen, zumal
solchen, die durch Abstammung und Einsicht gleich aus-
gezeichnet sind.“ Damit meinte er die Gesandten. Als-
dann erhob sich Justus, trat der Meinung des Jesus bei
und gewann einige aus dem grossen Haufen. Die Mehr-
zahl jedoch war mit diesen Reden nicht zufrieden, und
es wäre wohl sicher zum Aufruhr gekommen, hätte nicht
der Eintritt der sechsten Stunde, um welche Zeit wir
das Sabbatmahl nehmen müssen, die Versammlung be-
endigt. Jonathas und seine Genossen verschoben nun
die weiteren Verhandlungen auf den folgenden Tag und
begaben sich unverrichteter Sache in ihre Wohnung.
Als mir dieser Vorgang gemeldet wurde, entschloss ich
52 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
1
mich, am anderen Morgen in der Frühe nach Tiberias
zu gehen. Um die erste Stunde traf ich daselbst ein
und fand die Bürger bereits im Bethause versammelt,
ohne dass sie gewusst hätten, zu welchem Zweck sie be-
rufen worden waren. Jonathas und seine Gefährten
erschraken heftig über meine unerwartete Ankunft, ge-
rieten aber schnell auf den Einfall, das Gerücht auszu-
streuen, man habe in der Nachbarschaft, dreissig Stadien
vor der Stadt, auf der sogenannten Homonoia 1 römische
Reiter gesehen. Auf An stiften der Gesandten wurde
dies dem Volke vorgelogen und hinzugefügt, man solle
doch nicht zulassen, dass das Land von den Feinden
verwüstet werde. In Wahrheit bezweckte man damit
nur, mich unter dem Vorwand, dass ich Hilfe bringen
müsse, aus der Stadt zu entfernen, um dieselbe dann
gründlich gegen mich aufhetzen zu können.
55. Obwohl ich nun ihre Absicht durchschaute, liess
ich mich doch herbei, hinauszugehen , um nicht bei den
Tiberiensern den Anschein zu erwecken, als kümmere
ich mich nicht um ihre Sicherheit. Aber nicht die Spur
von Feinden fand ich an der bezeichneten Stelle, und
so kehrte ich denn auf dem kürzesten Wege wieder nach
Tiberias zurück. Als ich ankam, fand ich den Jonathas
eben damit beschäftigt, vor versammeltem Rat und Volk
die schwere Anklage gegen mich zu erheben, dass ich
nicht im mindesten ihnen die Lasten des Krieges zu
erleichtern suche, sondern in Üppigkeit dahinlebe. Zu-
gleich brachten die Gesandten vier Briefe vor, die an-
geblich aus dem benachbarten Galilaea an sie gerichtet
worden waren, und worin um schleunige Hilfe gebeten
wurde, da das römische Heer, Reiterei sowohl wie Fuss-
volk, in drei Tagen eintreffen würde, um das Land zu
verwüsten ; man möge also eilen und die Bittsteller nicht
unerhört lassen. Die Tiberienser hielten das für bare
Münze und schrien mir zu, ich solle doch nicht sitzen
bleiben, sondern den Stammesgenossen zu Hilfe eilen.
1 Ein jetzt noch unbekannter Ort.
Selbstbiographie.
53
Die Absicht des Jonathas und seiner Gefährten war mir
natürlich klar; trotzdem erklärte ich meine Bereitwillig-
keit, augenblicklich gegen den Feind auszurücken. Aber,
fuhr ich fort, da wir aus den Briefen erführen, dass die
Römer an vier Stellen zugleich einfällen würden, so sei
es nötig, unsere Streitmacht in fünf Haufen zu teilen;
über vier derselben sollten dann Jonathas und seine
Freunde das Kommando führen. Denn wackeren Männern
gezieme es nicht bloss zu raten, sondern auch in der
Not selbst Hand anzulegen, und mehr wie eine Ab-
teilung könne ich selbstverständlich nicht befehligen.
Dieser Vorschlag fand beim Volke die lebhafteste Zu-
stimmung, und so waren denn die Gesandten genötigt,
mit in den Krieg zu ziehen. Freilich ärgerten sie sich
nicht wenig darüber, dass ich ihre Anschläge so schlau
zu nichte gemacht hatte.
56. Einer von ihnen mit Namen Ananias, ein schlechter,
heimtückischer Mensch, schlug nun dem Volke vor, für
den folgenden Tag Gott zu Ehren ein allgemeines Fasten
anzuordnen ; unbewaffnet sollten dann alle um dieselbe
Stunde und am nämlichen Orte erscheinen, um dadurch
vor Gott zu bekennen, dass Waffen nichts vermögen,
wenn sie nicht von seiner Hilfe unterstützt werden.
Das sagte er aber nicht aus Frömmigkeit, sondern um
mich und die Meinigen wehrlos überfallen zu können.
Um nun nicht den Schein auf mich zu laden, als ob
ich einen so frommen Rat verachtete, musste ich not-
gedrungen nachgeben. Sowie wir uns getrennt hatten,
schrieb Jonathas an Joannes, er solle bei Tagesanbruch
mit allen Truppen, die er aufzubringen vermöge, herbei-
eilen, denn er werde mich mit leichter Mühe in seine
Gewalt bekommen und dann nach Gutdünken mit mir
verfahren können. Joannes war nach Empfang des
Briefes auch gleich bereit, dem Wunsche zu entsprechen.
Am folgenden Tage aber liess ich mich von zwei sehr
handfesten und treuen Leibwächtern mit Dolchen im
Gewände begleiten, damit wir, wenn ich von den Gegnern
angegriffen würde, uns verteidigen könnten. Ich selbst
54
Des Flavins Josephns kleinere Schriften.
schnallte mir unter dem Oberkleide verdeckt Panzer und
Schwert um und ging so in das Bethaus.
57. Jesus, der sich an der Thür aufgestellt hatte,
schloss alle meine übrigen Begleiter aus und liess nur
mich selbst mit einigen meiner Freunde eintreten. Während
wir nun die vorgeschriebenen Ceremonien verrichteten
und uns zum Gebet wandten, erhob sich Jesus und fragte
mich, wo das ungeprägte Silber und die königlichen
Gerätschaften seien, die man beim Brand des Palastes
gerettet habe. Mit dieser Frage aber wollte er nur Zeit
gewinnen, bis Joannes eintreffen würde. Ich gab ihm
zur Antwort, alles befinde sich in den Händen des
Capellus und der zehn vornehmsten Tiberienser; er möge
sie nur fragen, ob es sich nicht so verhielte. Als diese
meine Aussage bestätigten, frug er weiter: „Was ist denn
aus den zwanzig Goldstücken geworden, um die du einen
Teil des ungeprägten Silbers verkauft hast?“ „Die
Goldstücke,“ entgegnete ich, „habe ich den nach Jeru-
salem abgeordneten Gesandten als Reisegeld mitgegeben.“
Hierauf erklärten Jonathas und dessen Gefährten, es
sei nicht recht von mir gewesen, die Gesandten aus der
Gemeindekasse zu besolden. Darüber geriet das Volk
in Erbitterung, denn es durchschaute die Bosheit jener
Männer. Weil ich nun sah, dass der Ausbruch von
Feindseligkeiten nahe bevorstand, suchte ich die Menge
noch mehr gegen die heimtückischen Gesellen aufzu-
reizen, erklärte aber dann: „Wenn ich nicht recht daran
gethan habe, unseren Gesandten aus öffentlichen Mitteln
Reiseunterstützung zu zahlen, so hört nur auf zu grollen,
denn ich werde die zwanzig Goldstücke aus meiner
eigenen Tasche ersetzen.“
58. Hierauf wussten Jonathas und seine Kollegen
nichts zu erwidern ; das V olk aber ergrimmte noch mehr,
weil sie ihren ungerechten Hass gegen mich so offen zur
Schau trugen. Als Jesus diese veränderte Stimmung
wahrnahm, hiess er die Menge auseinandergehen und
ersuchte, dass nur der Rat bleiben möchte; denn es sei
unmöglich, bei dem allgemeinen Lärm eine solche Unter-
suchung zu führen. Das Volk aber schrie, es werde
mich nicht allein bei ihnen lassen. In demselben Augen-
blick kam ein Bote, der dem Jesus und seinen An-
hängern verstohlen die Meldung brachte, Joannes sei
]nit seinem Heer in der Nähe. Da konnte sich Jonathaa
nicht mehr beherrschen — offenbar, weil Gottes Vor-
sehung mich retten wollte, denn sonst wäre ich von
Joannes umgebracht worden — und laut rief er: „Ihr
Tiberienser, lasst jetzt nur die Untersuchung wegen der
zwanzig Goldstücke ruhen. Denn um dieser Sache willen
ist Josephus nicht des Todes schuldig, wohl aber, weil
er nach der Alleinherrschaft strebt und durch Verführung
des Volkes von Galilaea die Macht an sich gerissen
hat“ Nun legten sie Hand an mich und wollten mich
töten. Meine Begleiter aber hatten nicht sobald die
Gefahr erkannt, als sie ihre Dolche zogen und jeden
niederzustossen drohten, der mir Gewalt anthun würde.
So entrissen sie mich, während das Volk Steine gegen
Jonathas aufhob, der Wut meiner Feinde.
59. Als ich aber eine Strecke weit gegangen war,
merkte ich, dass ich so dem Joannes und seiner Streit-
macht in die Hände fallen würde. Ich wandte mich
daher durch eine enge Gasse nach dem See, bestieg ein
Fahrzeug, das ich gerade antraf, und setzte nach Tari-
chaea über. So entging ich unverhofft der Gefahr. In
Tarichaea berief ich sogleich die angesehensten Galiläer
zusammen und teilte ihnen mit, wie schmählich ich von
der Gesandtschaft und den Tiberiensern verraten worden
sei und beinahe ums Leben gekommen wäre. Darüber
gerieten die Versammelten in heftigen Zorn und riefen
mir zu, ich solle doch nicht mehr mit dem Angriff zögern
und ihnen Gelegenheit geben, Joannes, Jonathas und
deren Anhänger niederzumachen. So erbost sie nun
auch waren, suchte ich sie doch zu beschwichtigen und
erklärte ihnen, man müsse erst ab warten, welchen Be-
scheid unsere Gesandten aus Jerusalem mitbringen würden ;
denn nur in voller Übereinstimmung mit ihnen dürften
,wir handeln. Das leuchtete den Galiläern denn auch
56
Des Flavius Josephos kleinere Schriften.
ein. Joannes zog übrigens, als er seinen Anschlag miss-
glückt sah, nach Gischala ab.
60. Einige Tage nachher kamen meine Gesandten
zurück mit der Nachricht, das Volk zu Jerusalem sei
auf Ananus sowie auf Simon, den Sohn des Gamaliel,
äusserst schlecht zu sprechen, weil sie ohne Vorwissen
der Gemeinde Gesandte nach Galilaea geschickt hätten,
um mich zu stürzen. Die Abgeordneten sagten ferner
aus, das Volk habe in seiner Erbitterung sogar die
Häuser jener Männer anzünden wollen. Auch brachten
sie Briefe mit, worin die Vorsteher zu Jerusalem auf
dringendes Verlangen der Gemeinde mich als Statt-
halter Galilaeas bestätigten, den Jonathas dagegen und
dessen Begleiter nach Hause zurückriefen. Als ich von
diesen Urkunden Kenntnis genommen hatte, begab ich
mich nach Arbela, wo ich die Galiläer zur Versamm-
lung entbot und meine Abgesandten ersuchte, von dem
Unwillen, den die Bürgerschaft Jerusalems über das
Vorgehen des Jonathas und seiner Genossen an den
Tag gelegt, sowie darüber zu berichten, dass ich in
meiner Eigenschaft als Statthalter bestätigt, die Ge-
sandten dagegen zurückberufen seien. Den Brief hatte
ich übrigens sogleich weitergeschickt und den Über-
bringer beauftragt, die Absichten des Jonathas und
seiner Kollegen zu erforschen.
61. Das Schreiben brachte natürlich die letzteren in
nicht geringe Verlegenheit. Sie Hessen daher den Joannes,
die Ratsherren von Tiberias und die Vorsteher von Ga-
bara zusammenrufen und überlegten mit ihnen, was zu
thun sei. Die Tiberienser waren der Ansicht, man dürfe
nicht nachgeben, und noch weniger würden sie es ver-
stehen, wenn die Gesandten eine Stadt, die sich ihnen
in die Arme geworfen, im Stich lassen wollten; denn
sicherlich würde ich sogleich über Tiberias herfallen.
Sie stellten nämlich die erlogene Behauptung auf, ich
hätte ihnen letzteres bereits angedroht. Joannes trat
nicht nur dieser Meinung bei, sondern verlangte auch,
es sollten zwei von den Gesandten nach Jerusalem reisen,
Selbstbiographie.
57
um mich vor der Gemeinde anzuklagen, dass ich Gali-
laea schlecht verwalte. Diesen Männern werde es nicht
schwer fallen, Glauben zu finden, einmal wegen ihres
persönlichen Ansehens, und dann auch, weil die Volks-
menge recht wankelmütig Bei. Der Vorschlag des Joannes
fand beifällige Aufnahme, und so beschloss man, dass
zwei der Gesandten, Jonathas und Ananias, nach Jeru-
salem gehen, die anderen zwei aber in Tiberias bleiben
sollten. Die beiden ersten nahmen hundert Bewaffnete
zu ihrer Bedeckung mit.
62. Die Tiberienser verlegten sich nun darauf, ihre
Mauern zu verstärken, und riefen alle Bewohner der
Stadt zu den Waffen. Auch von Joannes, der sich in
Gischala befand, Hessen sie eine Anzahl Hilfstruppen
kommen, um sie nötigenfalls gegen mich zu verwenden.
Jonathas und sein Genosse waren unterdessen von Tibe-
rias aufgebrochen ; als sie aber bis Dabaritta gekommen
waren, das an der galilaeischen Grenze in der grossen
Ebene liegt, fielen sie um Mitternacht meinen Wacht-
posten in die Hände. Diese geboten ihnen, die Waffen
abzulegen , und hielten sie meinem Befehl gemäss an
Ort und Stelle gefangen. Levi, dem ich das Kommando
über jenen Posten gegeben hatte, meldete mir sogleich
den Vorfall. Ich wartete nun zwei Tage, als ob nichts
geschehen wäre; am dritten forderte ich dann die Tibe-
rienser auf, die Waffen zu strecken und ihre Leute zu
entlassen. Sie aber glaubten, Jonathas sei bereits in
Jerusalem angelangt, und antworteten mir deshalb mit
Hohn. Ich liese mich jedoch nicht abschrecken, sondern
versuchte durch List zum Ziele zu kommen, da ich es
für gottlos hielt, einen Bürgerkrieg anzufangen. Weil
ich übrigens die beiden zurückgebliebenen Gesandten
aus Tiberias entfernen wollte, sammelte ich zehntausend
der besten Streiter, die ich in drei Haufen teilte. Einen
davon liess ich heimlich in den benachbarten Dörfern
sich festsetzen, während ich tausend Mann in ein anderes
Dorf beorderte, das vier Stadien von Tiberias entfernt
ebenfalls auf einer Anhöhe lag, mit dem Befehl, herbei-
58
Des Flavius Josepbus kleinere Schriften.
zueilen, sobald sie das entsprechende Bignal vernähmen.
Ich selbst rückte vor das Dorf und lagerte mich im
Angesichte der Stadt. Als die Tiberienser dies merkten,
liefen sie in Masse aus der Stadt heraus und verhöhnten
mich. In ihrer Thorheit verstiegen sie sich sogar dazu,
eine zierliche Leichenbahre anzufertigen, sich rings um
dieselbe aufzustellen und mich unter Scherz und Spott
wie einen Toten zu beklagen. Es machte mir Spass,
ihrem unsinnigen Treiben zuzusehen.
63. Um nun Simon und Joazar durch List zu fangen,
schickte ich einen Boten in die Stadt und liess sie auf-
fordern, mit ihren Freunden und einer Anzahl Be-
deckungsmannschaften herauszukommen: ich wolle Frieden
schliessen und die Statthalterschaft von Galilaea mit
ihnen teilen. Aus Unverstand und nebenbei auch aus
Gewinnsucht liess sich Simon verlocken und kam ohne
Zögern ; Joazar dagegen witterte die Falle und blieb zu
Hause. Als nun Simon unter dem bewaffneten Geleit
seiner Freunde hervortrat, ging ich ihm entgegen, be-
grüsste ihn freundlich und dankte ihm für sein Kommen.
Nach einer Weile ging ich mit ihm beiseite, als wollte
ich ihm etwas unter vier Augen sagen ; sowie ich ihn
aber auf diese Weise von seinen Begleitern weggebracht
hatte, fasste ich ihn plötzlich um den Leib und liess
ihn durch meine Leute in das Dorf abführen. Gleich-
zeitig gab ich meinen Soldaten das Zeichen, herabzu-
kommen, und rückte mit ihnen vor Tiberias. Es kam
nun zu einem hitzigen Treffen. Zunächt schien sich der
Sieg auf die Seite der Tiberienser zu neigen, und schon
begannen die Meinigen zu weichen. Kaum aber hatte
ich dies gesehen, als ich die in meiner Nähe Kämpfenden
anfeuerte und die nahezu siegreichen Tiberienser in die
Stadt zurückdrängte. Zugleich liess ich eine andere Ab-
teilung vom See aus vorrücken mit dem Befehl, das
erste Haus, das sie erobern würden, in Brand zu stecken.
Als dies geschah, glaubten die Tiberienser, ihre Stadt
sei bereits erstürmt, warfen vor Schrecken die Waffen
weg und flehten mit Weib und Kind mich an, ihrer
Selbstbiographie.
59
Heimat zu schonen. Ihre Bitten riefen mein Mitleid
wach, und so that ich dem Ungestüm der Soldaten
Einhalt und zog mich mit der gesamten Truppenmacht,
weil es schon Abend war, von den Mauern zurück, um
der Ruhe zu pflegen. Den Simon lud ich sodann zum
Abendessen ein, tröstete ihn wegen des Vorgefallenen
und versprach ihm Reisegeld und sicheres Geleit nach
Jerusalem.
64. Tags darauf rückte ich mit zehntausend Mann
in Tiberias ein, berief die angesehensten Bürger nach
der Rennbahn und forderte sie auf, die Anstifter der
Empörung namhaft zu machen. Als dies geschehen
war, liess ich die Schuldigen fesseln und nach Jotapata
bringen. Dann gab ich Befehl, Jonathas, Ananias und
die übrigen ihrer Bande zu entledigen, versah sie mit
Reisegeld und sandte sie sowie Simon und Joazar unter
einer Bedeckung von fünfhundert Mann nach Jerusalem.
Die Tiberienser aber kamen noch einmal zu mir und
baten flehentlich um Verzeihung, indem sie mir ver-
sprachen, durch künftige Treue ihr Vergehen wieder gut
zu machen. Zugleich sprachen sie den Wunsch aus,
dass das, was aus den Händen der Plünderer noch ge-
rettet werden könne, den Eigentümern wieder zurück-
gegeben würde. Ich befahl darauf sofort meinen Sol-
daten, alles herauszugeben, was sie hätten. Geraume
Zeit sträubten sie sich. Auf einmal sah ich einen
meiner Leute in einem kostbareren Gewände, als er
sonst zu tragen pflegte, und sogleich frug ich ihn, woher
er es habe. Als er gestand, es rühre von der Plün-
derung der Stadt her, liess ich ihn prügeln und drohte
den anderen insgesamt mit noch härterer Strafe, wenn
•ie nicht alles Geraubte auslieferten. Nun kamen eine
Menge Sachen zum Vorschein, und jeder Tiberienser
erhielt das zürück , was als sein Eigentum erkannt
wurde.
65. Da ich nun bis hierher in meiner Erzählung ge-
kommen bin, sei es mir gestattet, eine kleine Ab-
schweifung zu machen und einiges gegen Justus zu
60
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
bemerken, der ebenfalls ein Werk über diesen Krieg
verfasst hat, sowie gegen andere, die sich als Geschicht-
schreiber ausgeben, aber, unbekümmert um die Wahr-
heit, aus Hass oder Gunst in den Tag hinein lügen.
Solche Menschen sind um nichts besser als die, welche
Vertragsurkunden fälschen; aber weil es ihnen nicht so
ergeht wie jenen, lügen sie un gescheut weiter. Justus
also unternahm es, über unsere Thaten und den Krieg
zu schreiben, und um sich den Anschein zu geben, als
sei er besonders sorgfältig zu Werk gegangen, hat er
über mich gelogen und nicht einmal über seine Vater-
stadt die Wahrheit berichtet. Ich bin genötigt, mich
gegen sein falsches Zeugnis zu verteidigen, und muss
daher kundthun, was ich bisher verschwiegen habe ; man
wundere sich also nicht darüber. Der Geschichtschreiber
soll zwar vor allem die Wahrheit sagen; doch es muss
ihm auch erlaubt sein, die Bosheit gewisser Leute auf-
zudecken — nur darf dies nicht mit Bitterkeit geschehen,
nicht sowohl weil er eine solche Mässigung seinem
Gegner, als weil er sie sich selbst schuldet. „Nun denn,
mein lieber Justus,“ — ich will dich anreden, als wärst
du gegenwärtig — „du Muster unter den Geschicht-
schreibern (denn dafür hältst du dich selbst), wie kommst
du zu der Behauptung, dass ich und die Galiläer an der
Empörung deiner Vaterstadt gegen die Börner und den
König schuld gewesen seien? Noch ehe ich vom Ge-
meindevorstand zu Jerusalem zum Statthalter von Gali-
laea ernannt wurde, hatten doch alle Tiberienser mit
dir nicht nur die Waffen ergriffen, sondern auch die
Zehnstädte 1 in Syrien bekriegt. Oder warst du es nicht,
der ihre Dörfer verbrannte, und fiel nicht dein Diener
dort auf dem Schlachtfelde? Aber nicht ich allein
sage dir dies ; du kannst es vielmehr auch in den Denk-
würdigkeiten des Imperators Vespasianus lesen sowie
daselbst die Klagen der Zehnstädte finden, welche sie
bei Vespasianus in Ptolema'is gegen dich als den Ur-
1 Siehe unter Dekapolis im Namenregister znm Jttd. Krieg.
Selbstbiographie.
61
heber ihres Unglücks vorbrachten. Du hättest auch auf
Befehl des Vespasianus dafür büssen müssen, wenn nicht
König Agrippa, der beauftragt war, dich hinrichten zu
lassen, auf die inständigen Bitten seiner Schwester
Berenike die Todesstrafe in lange Kerkerhaft um-
gewandelt hätte. Auch deine späteren Thaten kenn-
zeichnen deinen Charakter deutlich genug und beweisen,
dass du es warst, der deine Vaterstadt zum Aufstand
gegen die Römer verleitete. Ich werde dies gleich noch
näher darthun. Zunächst muss ich um deinetwillen
einige Worte mit deinen Mitbürgern reden, damit künf-
tige Leser meines Geschichtswerkes erfahren, dass ihr
weder der Römer noch des Königs Freunde wart. Die
grössten Städte Galilaeas sind bekanntlich Sepphoris und
Tiberias, letzteres deine Vaterstadt, mein verehrter Justus.
Sepphoris liegt mitten in Galilaea, ist von vielen Dörfern
umgeben und hätte also, wenn es nur wollte, sich leicht
gegen die Römer empören können. Trotzdem zog die Stadt
es vor, ihrem Herrn treu zu bleiben: sie verschloss mir
dieThore und untersagte jedem ihrer Bürger, im jüdischen
Heere zu dienen ; ja , um gegen etwaige Angriffe seitens
der Juden gesichert zu sein, veranlasst« sie mich durch
trügerische Vorspiegelungen, sie mit Mauern zu befestigen.
Später nahm sie eine von Cestius Gallus, dem Befehls-
haber der römischen Legionen in Syrien, geschickte Be-
satzungstruppe auf, obwohl ich damals im Besitz grosser
Macht und allen ein Schrecken war. Und noch später
während der Belagerung Jerusalems, als unsere herrliche
Hauptstadt und das allen gemeinsame Heiligtum Gefahr
lief, in die Hände der Feinde zu fallen, schickten die
Bürger von Sepphoris nicht die mindeste Hilfe, nur um
nicht den Anschein zu erwecken, als wollten sie sich
gegen die Römer auf lehnen. Deine Vaterstadt hingegen,
mein Justus, die am See Gennesaritis, dreissig Stadien
von Hippos, sechzig von Gadara und hundertzwanzig
von Skythopolis entfernt mitten im königlichen Gebiete
liegt, hätte, wenn sie nur wollte, den Römern leicht treu
bleiben können; denn sie war ja stark bevölkert, und
62
Des Flavias Josephns kleinere Schriften»
Waffen hattet ihr auch genug. Freilich, ich war ja
schuld an eurem Abfall, wie du sagst. Wer aber war
es später, mein teurer Justus? Du weisst ja, dass ich
vor der Belagerung Jerusalems in die Hände der Römer
fiel, dass Jotapata und eine Reihe anderer Festungen im
Sturm genommen wurden, dass eine Menge Galiläer auf
dem Schlachtfeld verbluteten. Damals hättet ihr, da ihr
von aller Furcht vor mir befreit wart, die Waffen fort-
werfen und den Römern wie dem König zu Hilfe
kommen sollen, weil ihr ja nicht freiwillig, sondern ge-
zwungen den Krieg gegen sie begonnen hattet. Aber
nein, ihr habt gewartet, bis Vespasianus mit seiner ganzen
Streitmacht vor euren Mauern erschien ; aus blosser Angst
legtet ihr die Waffen nieder, und eure Stadt wäre sicher
erstürmt worden, hätte Vespasianus nicht den Bitten des
Königs und den Entschuldigungen , die er zu euren
Gunsten vorbrachte, nachgegeben. Nicht ich bin daher
an allem schuld, sondern eure eigene Kriegswut. Er-
innert ihr euch denn nicht, dass ich, so oft ich auch
eure Stadt in meine Gewalt bekam, keinen von euch
hinrichten liess, während ihr selbst, im Bürgerkrieg be-
griffen, nicht aus Ergebenheit gegen die Römer und den
König, sondern aus reiner Bosheit hundertfünfundachtzig
eurer Mitbürger zu derZeit umbrachtet, als ich von den
Römern in Jotapata belagert wurde? Und zählte man
nicht bei der Belagerung Jerusalems zweitausend teils
getötete, teils gefangene Tiberienser? Vielleicht aber
wirst du leugnen, ein Feind der Römer gewesen zu sein,
weil du damals zum Könige entflohst Das hast du,
behaupte ich, nur aus Furcht vor mir gethan. Und dann
sagst du, ich sei ein Schurke. Aber sprich doch, warum
hat dich König Agrippa, der dir, als du von Vespasianus
zum Tode verurteilt warst, das Leben schenkte, der dich
mit Wohlthaten überhäufte, warum, sage ich, hat er dich
zweimal ins Gefängnis geworfen und ebenso oft des
Landes verwiesen? War nioht schon einmal deine Hin-
richtung von ihm beschlossen, die er nur auf Bitten
seiner Schwester Berenike wieder rückgängig machte?
Selbstbiographie.
63
Später vertraute er dir, trotz bo vieler Schandthäten,
sogar den Posten eines Geheim Schreibers an; aber schon
bald musste er, als er von neuem deine Schlechtigkeit
erfuhr, dich von seinem Angesicht entfernen. Doch alle
deine Schurkereien aufzuzählen, unterlasse ich. Wundern
muss ich mich nur über die Schamlosigkeit, mit der du
behauptest, unter allen Schriftstellern, welche diese Be-
gebenheiten erzählt haben, der zuverlässigste zu sein,
obwohl du doch weder die Vorgänge inGalilaea kanntest
— du warst ja beim Könige in Berytus — noch von
dem, was die Römer bei der Belagerung Jotapatas litten
ocler thaten und was ich vollbrachte, unterrichtet warst:
denn alle, die dir Mitteilung davon hätten machen
können, waren ja in der Schlacht gefallen. Doch viel-
leicht meinst du die Thaten vor Jerusalem besonders
genau beschrieben zu haben. Wie aber wäre dies mög-
lich, da du weder den Krieg mitgemacht, noch die Denk-
würdigkeiten des Caesars gelesen hast? Es bedarf doch
wohl keines stärkeren Beweises gegen dich, als dass du
genau das Gegenteil von dem berichtest, was der Caesar
in jenem Buche sagt. Glaubst du aber trotzdem der
beste Schriftsteller zu sein, weshalb hast du dann deine
Geschichte nicht zu Lebzeiten der Imperatoren Vespa-
sianus und Titus, die ja in diesem Kriege den Oberbefehl
führten, sowie des Königs Agrippa und seiner Ver-
wandten, lauter Männern von griechischer Bildung, heraus -
gegeben ? Du hattest sie ja schon seit zwanzig Jahren
fertig daliegen und konntest also von Augenzeugen die
glänzendste Bestätigung erwarten. Doch nein, erst jetzt,
da diese Männer nicht mehr unter uns weilen und du
keine Widerlegung zu fürchten brauchst, trittst du damit
hervor. Ich dagegen habe mich nicht von solchen Be-
sorgnissen schrecken lassen, sondern ich übergab meine
Schrift den Imperatoren selbst zu einer Zeit, da die
Thatsachen allen sozusagen noch vor Augen schwebten;
denn ich hatte das Bewusstsein, die Wahrheit überall
hochgehalten zu haben , und ich täuschte mich auch
nicht in der Hoffnung, ihr Zeugnis dafür zu erlangen.
Go gle
64
Des Flavlus Josephus kleinere Schriften.
Noch vielen anderen teilte ich meine Geschichte mit,
von denen einige, wie König Agrippa und seine Ver-
wandten, an dem Kriege teilgenommen hatten. Der
Imperator Titus wollte sogar mein Gesch ich ts werk so
ausschliesslich als die einzig giltige Darstellung jener
Begebenheiten angesehen wissen, dass er es mit seiner
eigenhändigen Unterschrift versah und so veröffentlichen
liess. Und was den König Agrippa anlangt, so hat er
mir zweiundsechzig Briefe geschrieben, in denen er die
Wahrheit meiner Schilderung bezeugt Zwei davon will
ich hier mitteilen, und du magst dir selbst deine Ansicht
daraus bilden, wenn du Lust hast. •
I. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus
besten Gruss! Mit Vergnügen habe ich deine Schrift
von Anfang bis zu Ende gelesen und mich überzeugt,
dass du mit viel grösserer Sorgfalt und Treue erzählst
wie die anderen, die denselben Gegenstand behandelt
haben. Schicke mir auch die übrigen Bücher. Leb
wohl, mein Freund.
II. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus
besten Gruss! Nach dem, was du geschrieben, scheinst
du mir keiner weiteren Belehrung zu bedürfen, um alles
von Anfang an in lichtvoller Darstellung auseinander-
setzen zu können. Dennoch will ich, wenn du einmal
zij mir kommst, dir mündlich noch manches mitteilen,
was dir entgangen ist.
Nach Vollendung meines Geschieh ts Werkes hat mir
Agrippa nicht aus Schmeichelei, die bei ihm nicht üb-
lich war, auch nicht aus Spottsucht, wie du behaupten
wirst — von einer solchen Erbärmlichkeit war er weit
entfernt — sondern aufrichtig, wie alle übrigen Leser
desselben, meine Wahrheitsliebe bezeugt.“
So viel gegen Justus, der mich wider meinen Willen
nötigte, diese Abschweifung zu machen.
66. Nachdem ich die Angelegenheiten von Tiberias
geordnet hatte, berief ich meine Freunde zusammen, um
zu beraten, was mit Joannes geschehen solle. Alle
Galiläer waren der Meinung , man müsse mit der
Selbstbiographie.
65
gesamten Streitmacht gegen ihn ausrücken, um ihn als den
Urheber der ganzen Empörung zur Strafe zu ziehen.
Ich billigte indes diesen Vorschlag nicht, weil ich beab-
sichtigte, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu dämpfen.
Deshalb ermahnte ich sie, alles aufzubieten, damit wir
die Namen der Anhänger des Joannes erführen. Das
gelang uns denn auch, und als ich die Leute genau
kannte, veröffentlichte ich einen Erlass, in welchem ich
allen Parteigängern des Joannes Begnadigung versprach,
wenn sie Reue zeigten, auch eine Frist von zwanzig
Tagen festsetzte, innerhalb deren sie sich zu ihrem Besten
entscheiden könnten. Zugleich drohte ich ihnen, ich
würde, wenn sie die Waffen nicht niederlegten, ihre
Häuser in Flammen aufgehen lassen und ihre Güter
einziehen. Als sie dies hörten, erschraken sie nicht
wenig und verliessen den Joannes. Gegen viertausend
streckten die Waffen und gingen zu mir über. Nur
seine Mitbürger und einige Fremdlinge aus der Haupt-
stadt der Tyrier, im ganzen etwa tausendfünfhundert
Mann, blieben bei ihm. So war Joannes denn endlich
überwunden und hielt sich fortan eingeschüchtert in
seiner Vaterstadt auf.
67. Um diese Zeit griffen die Sepphoriten wieder zu
den Waffen, weil sie auf die Festigkeit ihrer Mauern
pochten und mich mit anderen Angelegenheiten be-
schäftigt sahen. Sie schickten zu Cestius Gallus, dem
Statthalter von Syrien, und luden ihn ein, entweder
selbst so schnell wie möglich zu kommen und ihre Stadt
zu übernehmen, oder eine Besatzung zu schicken. Gallus
versprach zu kommen, setzte aber keinen bestimmten
Zeitpunkt fest. Sobald ich dies erfuhr, zog ich mit
meinen Leuten aus und nahm Sepphoris durch Über-
rumpelung. Die Galiläer benutzten diese Gelegenheit,
um ihren Hass gegen eine Stadt zu befriedigen, auf # die
sie sehr schlecht zu sprechen waren, und hatten nichts
geringeres im Sinne, als die gesamte Einwohnerschaft,
Bürger sowohl wie zufällig Anwesende , bis auf den
letzten Mann umzubringen. Sie steckten daher, sobald
JoeephuB, Kleinere Schriften. 5
Go gle
66
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
sie eingedrungen waren, die Häuser in Brand, die sie
sämtlich leer fanden, da die Bewohner sich aus Angst
in die Burg zurückgezogen hatten. Hierauf plünderten
sie alles und verübten an dem Eigentum ihrer Volks-
genossen jede Art von Brutalität Das empörte mich
gewaltig, und sogleich gab ich Befehl, damit einzuhalten,
indem ich meinen Leuten vorstellte, wie schändlich es
sei, in dieser Weise gegen Stammesgenossen zu verfahren.
Als aber weder Ermahnungen noch Befehle bei ihnen
fruchteten, weil ihre Rachgier sich mächtiger erwies,
liess ich durch meine Getreuen das Gerücht verbreiten,
die Römer hätten mit grosser Heeresmacht die andere
Seite der Stadt angegriffen. Das that ich indes nur, um
das Ungestüm der Galiläer zu brechen und Sepphoris
zu retten. Die List gelang denn auch. Als nämlich
die Soldaten das Gerücht vernahmen, fürchteten sie für
ihr eigenes Leben, liessen ihren Raub im Stich und
flohen davon, zumal sie ihren Feldherrn dasselbe thun
sahen. Denn um der falschen Nachricht Glauben zu
verschaffen, stellte ich mich ebenso erschreckt, als sie
selbst waren. Durch diese List ward Sepphoris unver-
hofft gerettet.
68. Auch Tiberias wäre von den Galiläern beinahe
geplündert worden. Dort nämlich schrieben die Ersten
des Rates an den König , er möge kommen und die
Stadt besetzen. Agrippa schrieb ihnen zurück und ver-
sprach, ihre Bitte zu erfüllen. Als Überbringer des
Briefes schickte er seinen Kammerdiener Krispos, einen
geborenen Juden. Diesen Menschen nun erkannten meine
Galiläer, nahmen ihn fest und führten ihn zu mir. Das
ganze Volk ward durch die Nachricht von diesem Vor-
fall aufgebracht und eilte zu den Waffen. Tags darauf
kamen sie scharenweise nach Asochis, wo ich wohnte,
machten einen fürchterlichen Lärm, nannten die Bewohner
von Tiberias Verräter und Königsfreunde und schrien,
man müsse hinuntergehen und die Stadt dem Erdboden
gleich machen. Denn sie hassten die Tiberienser nicht
minder wie die Sepphoriten.
Selbstbiographie.
67
69. Ich war in Verlegenheit, wie ich Tiberias dem
Zorn der Galiläer entreissen sollte. Leugnen konnte
ich nicht, dass die Tiberienser an den König geschrieben
und ihn herbeigerufen hatten, denn der eigenhändige
Brief, den er an sie gerichtet, bewies das aufs klarste.
Als ich geraume Zeit überlegt hatte, sprach ich: „Aller-
dings haben die Tiberienser unrecht gethan, das weiss
ich wohl. Auch will ich euch nicht wehren, die Stadt
zu plündern. Doch muss man einen solchen Schritt nur
nach reiflicher Überlegung wagen. Denn nicht die
Tiberienser allein haben unsere Freiheit verraten, sondern
noch viele der angesehensten Männer in Galilaea.
Wartet also, bis ich die Schuldigen genau ermittelt habe ;
dann sollt ihr sie in eure Gewalt bekommen und noch
dazu jedeD, den ihr selbst ausfindig machen werdet.“
Durch diese Vorstellungen gelang es mir, die Menge zu
beschwichtigen: ihre Wut legte sich, und die Leute
gingen auseinander. Den Boten des Königs hatte ich
mittlerweile einkerkern lassen. Wenige Tage später
jedoch schützte ich eine dringende Ursache vor, weshalb
ich aus dem Gebiet verreisen müsse. Vor meinem Weg-
gang rief ich nun den Krispos heimlich zu mir und riet
ihm, den Mann, der ihn bewachte, betrunken zu machen
und dann zum Könige zu entfliehen, indem ich ihm zu-
gleich versprach, ihn nicht verfolgen zu lassen. Krispos
traute meinen Worten und entfloh. Durch meine List
und Vorsicht entging also Tiberias zum zweitenmal der
ihm drohenden Gefahr.
70. Um diese Zeit ging Justus, der Sohn des Pistos,
ohne mein Vorwissen zum Könige über. Den Grund
will ich sogleich angeben. Zu Anfang des jüdisch-
römischen Krieges hatten die Tiberienser beschlossen,
dem Könige treu zu bleiben und von den Römern nicht
abzufallen. Justus aber beredete sie damals, die Waffen
zu ergreifen, teils aus Neuerungssucht, teils weil er
hoffte, die Gewalt über Galilaea und seine Vaterstadt
an sich reissen zu können. Doch sein Plan schlug
fehl: die Galiläer, welche den Tiberiensern schon lange
6 #
68
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
-wegen gewisser Beleidigungen, die sie vor dem Kriege
von ihnen erduldet hatten, abhold waren, wollten keinen
Justus zum Anführer haben. Auch ich war, nachdem
mir der Gemeindevorstand zu Jerusalem die Statthalter-
schaft Galilaeas übertragen hatte, oftmals so sehr gegen
ihn in Zorn geraten, dass ich ihn beinahe hätte töten
lassen, weil ich seine Unverschämtheit nicht mehr er-
tragen konnte. Gerade deswegen nun, weil er fürchtete,
ich möchte in meiner Erbitterung zur That schreiten,
unterhandelte er mit dem Könige, bei dem er besser
und sicherer leben zu können gedachte.
71. Als die Sepphoriten der ersten Gefahr unverhofft
entgangen waren, schickten sie noch einmal zu Cestius
Gallus und wiederholten ihre Aufforderung, schleunigst
zu kommen und die Stadt in Besitz zu nehmen oder
wenigstens eine Anzahl Truppen zu senden, die im-
stande wären, sie gegen feindliche Einfälle zu schützen.
Schliesslich setzten sie es bei Gallus durch, dass er
ihnen eine starke Abteilung Reiterei und Fussvolk
schickte, welche sie bei Nacht einliessen. Da nun die
Umgegend von den römischen Soldaten arg verwüstet
wurde, zog ich mit meinen Truppen nach dem Dorfe
Garis. Nachdem ich hier, zwanzig Stadien von Sepphoris
entfernt, Verschanzungen aufgeworfen hatte, rückte ich
zur Nachtzeit vor die Stadt und stürmte die Mauer.
Viele meiner Leute stiegen auf Leitern hinan und
brachten den grössten Teil der Stadt in ihre Gewalt
Bald indes wurden wir, weil wir mit der Örtlichkeit
nicht vertraut waren, gezwungen, uns zurückzuziehen,
nachdem wir zwölf römische Fusssoldaten , zwei Reiter
und einige Sepphoriten getötet, selbst aber nur einen
einzigen Mann verloren hatten. Am folgenden Tage
wurden wir bei einem Zusammenstoss mit Reitern auf
der Ebene geschlagen, jedoch nach tapferer Gegenwehr:
denn erst als die Römer unsere Flanken zu umgehen
drohten, räumten die Meinigen das Feld. In diesem
Gefecht fiel einer meiner Leibwächter Namens Justus,
der einst denselben Posten beim König bekleidet hatte.
Selbstbiographie.
69
Um dieselbe Zeit traf auch die Streitmacht Agrippas,
Reiterei und Fussvolk unter Sylla, dem Obersten der
königlichen Leibgarde ein. Er lagerte sich fünf Stadien
von Julias 1 und besetzte die Strassen, welche nach Kana
und der Festung Gamala führten, um den Einwohnern
dieser Städte die Zufuhr aus Galilaea abzuschneiden.
72. Kaum war mir dies gemeldet worden, als ich
zweitausend Schwerbewaffnete unter Jeremias absandte.
Sie warfen am Jordanfluss, ein Stadion von Julias ent-
fernt, Verschanzungen auf, liessen sich jedoch bloss auf
Plänkeln ein, bis ich selbst mit weiteren dreitausend
Mann zur Stelle war. Tags darauf legte ich nicht weit
vom Lager der Königlichen einen Hinterhalt in eine
Schlucht und bot dem Feinde das Treffen an, nachdem
ich zuvor meinen Soldaten befohlen hatte, so lange
zurückzugehen, bis die Gegner weit genug von ihrem
Lager weggelockt wären. Und so geschah es. Sylla
meinte, es sei uns ernst mit der Flucht, und brach her-
vor, um uns mit Nachdruck zu verfolgen. Plötzlich
aber griff ihn der Hinterhalt im Rücken an und brachte
seine Truppen gänzlich in Verwirrung. Gleichzeitig
Hess ich kehrt machen und warf mich mit allen meinen
Streitkräften auf die Königlichen, die ich denn auch bald
in die Flucht schlug. Ich hätte an jenem Tage einen
schönen Erfolg zu verzeichnen gehabt, wenn mir nicht
ein Unfall zugestossen wäre. Das Pferd nämlich, welches
ich ritt, sank an einer sumpfigen Stelle ein und warf
mich zu Boden; mit einer Quetschung an der Hand-
wurzel ward ich 9 in das Dorf Kepharnome 2 gebracht.
Als meine Leute dies hörten , fürchteten sie noch
Schlimmeres, liessen von der Verfolgung ab und kehrten
n grösster Besorgnis um mich zurück. Ich liess Ärzte
kommen und verblieb, weil ich Fieber hatte, in ihrer
1 D. l. Livias.
3 Das biblische Kapharnaum oder Kaperuaum an den Grenzen
der Stämme Zabulon und Nephthali, heute die Ruinen von
Teil Hum.
70
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Behandlung daselbst einen Tag; in der Nacht schaffte
man mich dann auf ihren Rat nach Tarichaea.
73. Sylla und die Seinen fassten nun Mut, als sie
von meinem Unfall Kunde erhielten, und da sie in Er-
fahrung gebracht hatten, dass die Bewachung unseres
Lagers vernachlässigt werde, legten sie des Nachts eine
Reiterabteilung jenseits des Jordan in einen Hinterhalt
und forderten uns, sowie der Tag graute, zum Kampf
heraus. Wir nahmen das Treffen an und rückten in
die Ebene vor; plötzlich aber erschienen die Reiter aus
dem Hinterhalt, brachten die Juden in Verwirrung und
trieben sie in die Flucht. Auf unserer Seite fielen sechs
Mann; doch verfolgten die Königlichen den Sieg nicht
weiter, denn da sie hörten, dass eine Anzahl Bewaffneter
von Tarichaea nach Jerusalem übergesetzt sei, traten sie
aus Angst den Rückzug an.
74. Bald darauf kam Vespasianus in Begleitung des
Königs Agrippa nach Tyrus. Die Tyrier wollten nun
den König anschwärzen, indem sie ihn als ihren und
der Römer Feind hinstellten. Sein Befehlshaber Philippus,
sagten sie, habe die König6burg und die auf sein Er-
suchen nach Jerusalem beorderten römischen Truppen
verraten. Vespasianus machte den Tyriern Vorwürfe,
dass sie einen Mann verleumden wollten, der die Königs-
krone trage und ein Freund der Römer sei. Den Agrippa
selbst aber forderte er auf, Philippus nach Rom zu
senden, damit er dort wegen jener Vorfälle vor Nero
Rechenschaft gebe. Philippus wurde denn auch ab-
geschickt, aber von Nero, der über den eben erfolgten
Ausbruch des Bürgerkrieges und anderer Unruten sehr
erregt war, nicht verhört und kehrte deshalb zum Könige
zurück. Als nun Vespasianus nach Ptolema'is kam, er-
hoben die Zehnstädte Syriens laute Klagen wider Justus
von Tiberias , dass er ihre Dörfer eingeäschert habe.
Vespasianus übergab ihn dem König, damit er von
dessen Unterthanen die gebührende Strafe für seine
Frevel empfange. Agrippa aber begnügte sich damit,
ihn einzukerkern, indem er diese seine Milde, wie oben
Selbstbiographie.
71
gesagt, vor Vespasianus verhehlte. Did Sepphoriten
zogen dem Vespasianus entgegen, hiessen ihn willkommen
und erhielten eine Besatzung unter dem Kommando des
Placidus. Den Streifzügen, welche diese Truppen in das
Oberland unternahmen, folgte ich auf dem Fusse, bis
Vespasianus in Galilaea einrückte. Was sich nun zu-
trug, wie er bei Tarichaea das erste Treffen gegen mich
schlug, wie wir von da uns nach Jotapata zurückziehen
mussten, unter welchen Umständen ich gefangen, ge-
fesselt und wieder befreit wurde, was ich im ferneren
Verlaufe des Jüdischen Krieges und bei der Belagerung
Jerusalems gethan: das alles habe ich in meiner Ge-
schichte des Krieges ausführlich erzählt. Nun glaube
ich noch die Geschichte meines Lebens, soweit ich sie
dort nicht aufgezeichnet habe, hinzufügen zu müssen.
75. Als ich zu Ende der Belagerung Jotapatas in
die Hände der Römer gefallen war, wurde ich mit aller
Sorgfalt bewacht, von Vespasianus aber in grossen Ehren
gehalten. Auf seinen Befehl heiratete ich eine Lands-
männin aus der Zahl der Gefangenen von Caesarea.
Sie- blieb indes nicht lange bei mir, sondern verliess
mich, als ich schon befreit war und mit Vespasianus
nach Alexandria zög. Von da wurde ich mit Titus zur
Belagerung Jerusalems entsandt und geriet zu wieder-
holten Malen in Lebensgefahr, weil nicht nur die Juden
mich aus Rache in ihre Gewalt zu bekommen suchten
sondern auch die Römer jeden Verlust, den sie erlitten,
meinem Verrat zuschrieben und vom Caesar verlangten,
dass er mich als Verräter bestrafe. Titus jedoch, der
die Wechselfalle des Krieges zu gut kannte, schwieg zu
diesen Klagen still und beschwichtigte dadurch die Auf-
regung seiner Soldaten. Nach der Einnahme Jerusalems
forderte mich Titus oftmals auf, aus den Trümmern
meiner Vaterstadt zu nehmen, was mir beliebe; denn
gern wolle er mir alles gewähren. Ich aber kannte nach
der Niederwerfung meines Vaterlandes in dem Unglück,
das mich betroffen, keinen süsseren Trost als die persön-
liche Freiheit von Mitbürgern, und erbat sie mir dem-
72
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
gemäss von Titus. Ferner erhielt ich durch seine Gnade
die heiligen Schriften zum Geschenk. Später erlangte
ich durch meine Fürbitte die Freilassung meines Bruders
und fünfzig anderer Männer, die mir sehr befreundet
waren. Mit des Caesars Erlaubnis ging ich auch in den
Tempel, wo eine grosse Menge gefangener Weiber und
Kinder eingeschlossen war, und rettete alle, die ich als
Angehörige meiner Freunde und Verwandten erkannte,
hundertneunzig an der Zahl; ohne Lösegeld erhielten
sie die Freiheit wieder. Hierauf ward ich von Titus
mit Cerealis und tausend Reitern in das Dorf Thekoa
gesandt, um zu ermitteln, ob der Platz zu einem Lager
tauglich sei. Auf dem Wege von dort sah ich wieder
Gefangene, die am Kreuze hingen, und erkannte
darunter drei meiner Freunde. Mit tiefem Schmerz und
unter Thränen begab ich mich zu Titus und erzählte
es ihm. Sogleich liess er sie abnehmen und ihnen die
sorgfältigste Behandlung angedeihen. Trotzdem starben
zwei von ihnen während der Behandlung, der dritte aber
ward gerettet.
76. Nachdem Titus den Unruhen in Judaea ein Ende
gemacht hatte, wies er mir in der grossen Ebene
Ländereien an als Ersatz für die Güter, die ich in der
Nähe von Jerusalem besass und die, wie er wohl sah,
keinen Wert mehr hatten, weil eine römische Besatzung
dort .zurückgelassen wurde. Auf der Rückreise nach
Rom nahm er mich als Begleiter mit und erzeigte mir
alle Ehre. Als wir angelangt waren, hatte ich mich der
besonderen Gunst des Vespasianus zu erfreuen: er ge-
währte mir Unterkunft in dem Hause, das er vor seiner
Thronbesteigung bewohnt hatte, beschenkte mich mit
dem römischen Bürgerrecht und wies mir ein Jahres-
gehalt an. Bis an sein Lebensende dauerte seine Gnade
gegen mich ununterbrochen fort Dieses Glück aber
regte den Neid gegen mich auf und brachte mich in
Gefahr. Ein Jude Namens Jonathas, der in Kyrene
einen Aufruhr angezettelt und zweitausend Einwohner
Selbstbiographie.
73
dazu verleitet hatte, war noch nicht zufrieden damit,
diese Leute ins Verderben gestürzt zu haben, sondern
sagte auch, als er von dem dortigen Statthalter gefesselt
nach Rom geschickt wurde, aus, ich hätte ihn mit Waffen
und Geld unterstützt. Vespasianus aber merkte, dass er
log, verurteilte ihn zum Tode und liess ihn hinrichten.
Und so oft auch nachher von Leuten, die mir mein
Glück neideten, Anklagen gegen mich erhoben wurden:
jedesmal entging ich ihnen durch Gottes Fügung. Von
Vespasianus erhielt ich ebenfalls ansehnliche Ländereien
in Judaea. Um diese Zeit trennte ich mich von meiner
Gattin, weil mir ihr Wandel nicht gefiel, obwohl sie
schon Mutter dreier Söhne geworden war, von denen
zwei gestorben sind und nur der dritte, den ich Hyrkanus
nannte, noch lebt. Bald darauf nahm ich eine geborene
Jüdin aus Kreta zur Frau, die Tochter sehr edler und
angesehener Eltern, die, wie ihr nachheriges Leben
bewies, sich durch reine Sitten vor vielen Weibern aus-
zeichnete. Von ihr habe ich zwei Sohne, den älteren
Justus, den jüngeren Simonides mit dem Beinamen
Agrippa. So viel über mein Familienleben.
Mein Verhältnis zu den Imperatoren blieb dasselbe.
Titus, der nach dem Tode des Vespasianus zur Regierung
gelangte, hielt mich ebenso in Ehren wie sein Vater,
und auch er wollte von Anklagen, die des öfteren
gegen mich erhoben wurden, nichts wissen. Sein Nach-
folger Domitianus überhäufte mich gleichfalls mit
Gunstbezeugungen. Die Juden, die mich verklagt
hatten, bestrafte er, und den Erzieher meines Sohnes,
einen verschnittenen Sklaven, der gegen mich als An-
geber auftrat, liess er hinrichten. Ausserdem gewährte
er mir für meine Besitzungen in Judaea Steuerfreiheit,
was für denjenigen, dem sie zu teil wird, die höchste
Auszeichnung ist Auch seine Gattin Domitia blieb
fortan meine Wohlthäterin.
Dies ist meine ganze Lebensgeschichte ; meinen
Charakter mögen andere danach beurteilen, wenn sie es
74
Des Flavius Joseph us kleinere Schriften.
für gut finden. Dir aber, trefflicher Epapbroditos über-
gebe ich meine dir gewidmete Schrift über die Archaeo-
logie und schliesse hiermit meine Erzählung.
1 Da das Leben des Josephus jedenfalls nach dem Jahre 100
geschrieben wurde, so kann dieser Epapbroditos, dem ausser den
Altertümern und der Selbstbiographiq auch die Schrift gegen Apion
gewidmet ist, nicht der bekannte Freigelassene Neros gewesen sein,
wie vielfach angenommen wird; denn dieser war, als Josephus das
„Leben >( schrieb , schon längst tot (s. Sueton., Domitian 14 und
Nero 49).
Über das hohe Alter
des jüdischen Volkes,
gegen Apion.
Mit Namenregister.
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Original from
NEW YORK PUBLIC LIBRARY
Einleitung.
(Nach Jost, J. 6. Mtilltr and Parst.)
S. auch Monatsschrift für Gsschichts and Wisssnschaft des
Judentums, 1851— 52, 8.7—21; 41— 56; 81— 98; 121—145; 1856,
8. 81—94; 1860, 8. 125—142; 1867, 8. 241 f. a. 289.
Haben wir den Josephus bisher hauptsächlich als
Historiker kennen gelernt, so zeigt er sich uns in der
vorliegenden Schrift von einer ganz neuen Seite, indem
er — feinsinnig und geistvoll — für sein vielfach ge-
schmähtes und verleumdetes Volk als Apologet in die
Schranken tritt. * Gehässige Angriffe auf die Juden, die
sich vor der Zerstörung des zweiten Tempels nach den
inner-, vorder- und kleinasiatischen Landschaften, nach
Aegypten, Nordafrika, Griechenland, Italien, ja bis nach
Spanien, Gallien und Germanien zerstreut hatten, waren
damals an der Tagesordnung: man missgönnte ihnen die
Vorrechte, die sie sich allenthalben durch Fleiss, Treue
und Gewandtheit erworben hatten, und an denen trotz
des heissen Kampfes in Palaestina auch die römische
Herrschaft nichts änderte. Dieser Neid bewirkte alsbald
thätliche Angriffe und Zusammenrottungen des Pöbels
gegen die jüdischen Mitbürger, und man glaubte sie um
so ungescheuter belästigen zu dürfen, als die Angriffe
von den Vornehmen begünstigt und von den Statt-
haltern unterstützt oder doch ungestraft gelassen wurden.
Derartige Aufläufe fanden besonders in Antiochia und
Alexandria statt.
In Alexandria hatte sich bekanntlich während der
78
Des Flavius Josephas kleinere Schriften.
letzten Jahrhunderte vor und des ersten nach Christi
Geburt hellenisches Geistesleben und hellenische Litte-
ratur zu solcher Blüte entfaltet, dass selbst Athen da-
durch in den Hintergrund gedrängt worden war. Den
Vergleich mit dem klassischen Hellenentum freilich konnte
der alexandrinische Genius nicht aushalten; immerhin
aber hatte er eine lebhafte und vielumfassende Bewegung
in der Litteratur hervorgebracht. An dem wissenschaft-
lichen Leben in Alexandria beteiligten sich nun auch
die dortigen Juden in heryorragendem Masse, und so
erklärt es sich, warum gerade in dieser Stadt der Hass
und das Vorurteil gegen jüdisches Wesen ihren litera-
rischen Ausdruck fanden.
Apollonios Molon, Poseidonios, Chairemon, Lysimachos
und Apion waren die Hauptvertreter der judenfeind-
lichen Bewegung, die nichts geringeres bezweckte, als
die Verhassten recht- und schutzlos zu machen und sie
dadurch der brutalen Willkür des gewaltthätigen Pöbels
preiszugeben. Hatten aber die früheren Widersacher
weniger aus zielbewusstem Hass als aus Unkenntnis und
getrübter Auffassung so ungünstig über die Juden ge-
urteilt, so trat als eigentlicher Feind und Verfolger der
letzteren mit der Absicht, sie zu kränken, verächtlich
zu machen und zu verderben, zuerst Apion auf, und
zwar in einer Schrift 4 KaTa TouSatav’, von der es un-
gewiss ist, ob sie eine selbständige Abhandlung dar-
stellte oder einen Teil des Gesamtwerkes über Aegypten
ausmachte (s. Müller, Des Flavius Josephus Schrift
gegen den Apion, S. 16 ). Gegen Apion erhob sich Josephus,
machte dabei aber zugleich auch gegen die anderen Front,
und diesem Umstand haben wir das Gedächtnis jener
judenfeindlichen Litteraten überhaupt zu danken, deren
Schriften verloren gingen, wenn auch ihre Verleum-
Gegen Aplon, Einleitung.
79
düngen und Lügen in den späteren griechischen und
römischen Schriftstellern, ja selbst noch bis in die
neueste Zeit Nachhall fanden.
Die drei Alexandriner Chairemon, Lysimachos und
Apion schöpften nun aus einer früheren Quelle gleichen
Ursprungs, dem Werke des aegyptischen Oberpriesters
Manetho aus Sebennytos. Auch dieses Werk ist ver-
loren gegangen, und was wir davon haben, ward uns
erst aus zweiter und dritter Hand überliefert. Ja, selbst
die Auszüge des Julius Africanus (3. Jahrh. n. Chr.) sind
uns erst durch andere übermittelt worden. Gegen Ma-
netho als die Quelle der späteren judenfeindlichen Schrift-
steller musste alsoJosephus zunächst sich wenden. Was
er aber mitteilt, enthält solche Widersprüche, dass es
wie Jost bemerkt, wahrscheinlich wird, Josephus selbst
habe bereits einen verfälschten Manetho vor sich gehabt.
Fälschungen dieser Art gehörten ja in Alexandria zu
den alltäglichen Erscheinungen. Beweis dafür ist auch
dass die Königslisten des Manetho überall da, wo sie
mit den Inschriften auf Pyramiden, Obelisken u. s. w.
verglichen werden können, sich als ganz irrig und ver-
worren herausstellen. Lebhaftes Interesse hat von jeher
Manethos Bericht über die Hyksos oder Hirtenkönige
erregt, und nicht minder oft und eingehend ist die
Frage der Identificierung der Juden mit den aussätzigen
Aegyptern sowie das Verhältnis dieser Aussätzigen zu
den Hyksos schriftstellerisch behandelt worden. Es ist
hier nicht der Ort, die verschiedenen Ansichten darzu-
legen ; ich verweise deshalb auf J. G. Müllers ausführ-
lichen kritischen Exkurs' (a. a. O. S. 214 ff.) und Zipsers
Abhandlung über diesen Gegenstand (Zipser, Des Flavius
Josephus Werk über das hohe Alter des jüdischen Volkes
gegen Apion, S. 59 ff.), ferner auf die Schriften von
80 Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
Uhlemann (Israeliten und Hyksos in Aegypten) und
De Cara (Gli Hy k bös o re pastori di Egitto). Dass
Josephus die Israeliten und Hyksos für identisch gehalten
hat, kann jedenfalls nach neueren Untersuchungen als
feststehend erachtet werden.
Der talentloseste, unselbständigste und oberflächlichste
unter den Widersachern war zweifellos Apion. Trotz-
dem musste er als einer der gefährlichsten gelten, denn
keiner hatte so viel aus den Vorurteilen und Schwatze-
reien des heidnischen Pöbels geschöpft und sie für ge-
schichtliche Wahrheit ausgegeben, wie gerade er. Dass
er übrigens mit seinen Machwerken nicht nur der urteils-
losen Menge imponierte, sondern auch bei ernsten For-
schern Eindruck machte, beweisen einzelne Äusserungen
des grossen Tacitus, der, offenbar durch Apions Ver-
unglimpfungen der jüdischen Religion veranlasst, jüdischen
Glauben und jüdische Sitte sonderbar und abstossend
fand (Histor. V, 2 — 5). Dazu kommt noch ein weiteres,
die Gefährlichkeit Apions kennzeichnendes Moment. Er
beschränkte sich nämlich nicht auf die literarische Be-
fehdung der Juden, sondern bethätigte seinen Judenhass
auch in praktischer Weise. Denn als unter der Herr-
schaft Caligulas in Alexandria Unruhen gegen die Juden
ausbrachen und der wackere Philo an der Spitze einer
jüdischen Gesandtschaft nach Rom ging, um vom Caesar
Abhilfe zu erbitten , da liess sich Apion mit noch
einigen anderen Pöbelführern von den heidnischen Alexan-
drinern abordnen, um in Rom den Juden entgegenzu-
arbeiten* (Jüd. Altert XVIH, 8, 1; Philo, de legat. ad
Gaium), und er setzte es in der That durch, dass der
wahnwitzige Caesar die Bittsteller mit ihrem Anliegen
höhnisch abwies. Es lässt sich denken, welchen Abscheu
dieJJuden fortan vor Apion empfunden haben mögen,
Go gle
Gegen Apion, Einleitung.
81
und wie sein Name an erster Stelle genannt werden
musste, wenn von den Feinden des auserwählten
Volkes die Rede war. Eine Schrift gegen die Wider-
sacher des Judentums konnte sich also nicht besser
einführen als dadurch, dass sie die Bezeichnung „Gegen
Apion“ trug.
Ausser dieser, seit Schedelius (15. Jahrh.) allgemein
gebräuchlichen Überschrift führt nun die Abhandlung
auch noch eine andere, die als eigentlicher Titel zu be-
trachten ist, nämlich: Über das hohe Alter des jüdischen
Volkes. Mit ihr bekundet Josephus seine Absicht, den
angefochtenen Adel seiner Nation zu retten und dadurch
zu bewirken, dass die Geschichte und Religion des
jüdischen Volkes ein Gegenstand aufmerksamerer For-
schung würden; denn einem Volke, einem Staat, einer
Gesetzgebung oder Religion hohes Alter absprechen
heisst nach antiker Auffassung nichts geringeres, als
ihnen jede höhere Berechtigung streitig machen. Diese
seine Absicht hat Josephus vollkommen erreicht: es ist
ihm gelungen , das hohe Alter seines Volkes zu be-
weisen, und die Art, wie er den Beweis führte, reiht
seine Schutzschrift den besten Werken christlicher Apo-
logeten würdig an.
Die Abfassungszeit der vorliegenden Schrift fällt, wie
sich aus I, 10 ergiebt, später als die der Altertümer,
wahrscheinlich auch später als die der Selbstbiographie.
Sie wäre mithin frühestens in das Jahr 102 n. Ohr. zu
verlegen.
Weil übrigens Apion bereits im Titel der Schrift
eine ausgezeichnete Stelle einnimmt, sei über ihn und
seinen Charakter hier das Notwendige bemerkt. — Er
war ein hellen isierter Aegyptier und stammte aus der
grösseren, südlichen Oase. Da er sich aber in Alexandria
Joeephas, Kleinere Schriften. 6
82
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
unter Apollonios, Didymos und Euphranor mit grie-
chischen Studien befasste, galt er nach seinem eigenen
Willen als Alexandriner. Nachdem er längere Zeit in
der gebildeten Welt umhergereist war und sich durch
seine Vorlesungen, besonders über Homer (Seneca, Epist-
88, 34 f.) das Bürgerrecht der vornehmsten Städte er-
worben hatte, liess er sich in Kom als Lehrer der Gram-
matik und Rhetorik nieder. Infolge seiner Belesenheit
in der griechischen Litteratur gelangte er zu grossem
Ansehen und erhielt, wie Suidas berichtet, wegen seines
unermüdlichen Fleisses den Beinamen (labor);
auch Eusebius bezeichnet ihn (Praep. Ev. X, 10) als
^eptspYOTÄTO? t<3v ypa^aT^oiv ’. Indes war seine Thätig-
keit von einem sehr niedrigen Geiste beseelt. Auf
seinen Kunstreisen sammelt er Gunst- und Ehren-
bezeugungen für sich und erwirbt sich durch seine
Zungen- und Federfertigkeit den Ehrentitel ( IUeiaTO-
vucy);’ (der Siegreiche) oder nach der anderen Lesart
(Klopffechter). Wie wenig aber seine
Fertigkeit im Dienste der Wahrheitsliebe stand, wird am
deutlichsten durch das bewiesen, was wir eben durch
Josephus aus seinen Schriften erfahren. Masslos eitel
und aufgeblasen , zählt er sich ohne Bedenken den grossen
Männern des Altertums bei , preist die Alexandriner
glücklich, dass sie einen Mitbürger wie ihn besässen,
und verspricht jedem die Unsterblichkeit, dem er seine
Schriften widmen würde (Plinius, Naturgesch., Vorwort)-
Anspielend auf einen Ausspruch des Tiberius, der ihn
^Cymbalum mundi ’ (Allerweltstrompete) genannt hatte,
meint daher schon Plinius (a. a. O.), man hätte ihn eher
die Posaune seines eigenen Ruhmes nennen können-
Seine Schriften sind sämtlich bis auf wenige Bruch-
stücke, die Carl Müller (Fragm. hist, graec. 1 — 14 2 ) her-
Gegen Apion, Einleitung.
83
ausgegeben hat., verloren gegangen. Nach Josephus
(C. A. II, 13) starb er eines elenden Todes.
Vergl. über Apion noch die Artikel s. v. in den
Encyklopädien von Herzog, Pauly, Ersch u. Gruber;
sodann Creuzer, Stud. u. Kritik. 1863, I, S.80f. ; Grässe,
Litteraturgesch. I, 2, S. 730; Parthey, Alexandrinisches
Museum, ß. 133 ; ßchmitthenner, De rebus judaicis, 1, 13.
Was die Anordnung des Stoffes betrifft, bo ist die
Teilung in zwei Bücher eine rein äusserliche und nur
bedingt durch das Streben, jedem derselben annähernd
den gleichen Umfang zu geben (I, 35 Ende). Es geht
deshalb nicht an, bei der Analyse des Gedankenganges
die Teilung in zwei Bücher zu Grunde zu legen, wie
dies Müller (a. a. O. S. 18) gethan hat. Vielmehr muss
nach Parets Vorgang die Schrift also zergliedert werden:
Einleitung (I, 1 — 11); erster, vorzugsweise abwehrender
Teil (1, 12 — II, 13); zweiter, positiv apologetischer und
angreifender Teil (II, 14 — 41). Indem ich dieser letzteren
Einteilung folge, gebe ich nachstehend den Inhalt der
Schrift in aller Kürze an.
Einleitung (I, 1 — 11).
Die früheren griechischen Geschichtschreiber erwähnen
das jüdische Volk nicht, und darum wird dessen hohes
Alter von den Widersachern geleugnet (1). Das Still-
schweigen der Griechen beweist indes nichts, weil die
griechische Geschichtschreibung bei weitem nicht so
ehrwürdig und unanfechtbar ist wie die orientalische
überhaupt (2 — 5) und die hebräische im besondern (6 — 8).
Sodann betont Josephus seine eigene Glaubwürdigkeit
als Geschichtschreiber (9 f.) und giebt die drei Haupt-
punkte des ersten Teiles der Schrift an (11).
G*
84
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Erster, vorzugsweise abwehrender Teil
(1, 12 — II, 13).
a. Hätten die alten griechischen Geschichtschreiber
das jüdische Volk wirklich nicht gekannt und nichts
von ihm berichtet, so würde das noch keineswegs zu dem
Schluss berechtigen, dass es jüngeren Ursprungs sei;
denn die abgesonderte Lage Palästinas und der Umstand,
dass seine Bewohner keinen Handel treiben, machen die
Nichterwähnung der Juden in griechischen Geschichts-
werken verständlich (12). Mit der gleichen Beweis-
führung könnte man der griechischen Nation ihr hohes
Alter absprechen. Da sind die Zeugnisse der Nachbar-
völker des jüdischen Landes denn doch gewichtiger (13).
b. Nun giebt es aber alte ausserjüdische Zeugnisse
für das frühe Dasein der jüdischen Nation in Hülle und
Fülle, und zwar 1) nichtgriechische: bei den
Aegyptiern Manetho (14 — 17); bei den Phoeniciern staat-
liche Urkunden, dann Dios, Menander (17 fl) ; bei den
Chaldäern gleichfalls staatliche Urkunden, ausserdem
Berossos, Philostratos, Megasthenes (19—21); 2) grie-
chische: Pythagoras, Herodot, Choirilos, Klearchos
und Aristoteles, Hekataios, Agatharchides (22), Theo-
philos, Theodotos u. a. Manche Schriftsteller übrigens
hätten die Juden erwähnen können, unterlassen es aber
aus bösem Willen, wie Hieronymos (23).
c. Allerdings sind diese Zeugnisse, so grosse Beweis-
kraft für das hohe Alter des jüdischen Volkes sie auch
besitzen, doch mit falschen und verleumderischen An-
gaben über die Juden durchsetzt; darum ist es not-
wendig, die Lügen zu entkräften. Befremdlich ist
übrigens die Schmähsucht vieler griechischen Schrift-
steller nicht, wenn man bedenkt, dass sie oft Gefallen
Gegen Apion, Einleitung.
85
daran finden, ihr eigenes Volk zu verunglimpfen (24)-
Nach einer allgemeinen Bemerkung über die Gehässig-
keit aegyptischer Berichte inbetreff der Juden (25) werden
dann mit ihren Erzählungen vom Auszug der Israeliten
aus Aegypten im einzelnen widerlegt : Manetho, Chairemon
und Lysimachos (26 — 35); namentlich den beiden letzteren
wird nachgewiesen, dass sie sich selbst und unterein-
ander widersprechen.
Mit dem zweiten Buche wendet sich Josephus gegen
den Aegyptier Apion und zeigt, wie falsch dieser Gram-
matiker den Auszug aus Aegypten dargestellt habe, ferner
wie grundlos- seine Anklagen gegen die alexandrinischen
Juden seien, denen er die Berechtigung, in Alexandria
zu wohnen, bestreitet und die er als aufrührerisch hin-
stellt (II, 1 — 6). Hierauf werden die von grosser Ver-
bohrtheit zeugenden Beschuldigungen widerlegt, die der
nämliche Apion gegen die Juden überhaupt erhebt: sie
beteten einen Eselskopf an, schlachteten Menschen zu
rituellen Zwecken; müssten sich eidlich verpflichten, alle
Nichtjuden und besonders die Griechen zu hassen ; seien
beständig vom Unglück verfolgt, weil die Götter sie nicht
leiden könnten; hätten keine bedeutenden Männer auf-
zuweisen; opferten Tiere, ässen kein Schweinefleisch und
liessen sich beschneiden (7 — 13). Den Schluss des ersten
Teiles bilden persönliche Bemerkungen über den Ver-
leumder.
Zweiter, positiv apologetischer und angreifender
Teil (II, 14— 41).
Der Verfasser geht nunmehr, nachdem er sich im
ersten Teil die Zurückweisung einzelner Anklagen
und Verleumdungen hat angelegen sein lassen, zu einer
allgemeinen Darstellung der jüdischen Religionsver-
86
Des Flavius Josophus kleinere Schriften.
fassung über, weil er auf diese Weise am sichersten die
abfälligen Urteile über das Wesen der hebräischen
Theokratie und das religiöse Leben der Juden, die vor-,
nehmlich von Apollonios Molon ausgingen, widerlegen
zu können glaubt. Aus dieser Darstellung werde sich
ergeben, dass das mosaische Gesetz nicht zur Gottlosig-
keit und zum Menscbenhass , sondern zur Frömmigkeit,
Nächstenliebe und Sittlichkeit erziehe (14).
a. Zunächst wird, wie dies bereits I, 31 geschehen
ist, Moses nochmals als ältester Gesetzgeber hingestellt
und hervorgehoben , dass er sich durch Reinheit der
Sitten ausgezeichnet habe (16 f.).
b. Dann folgt eine allgemeine Schilderung seines
Werkes, der Gesetzgebung, mit der er die theokratische
Verfassung der Juden begründete. Die Gotteserkenntnis
machte er zum Gemeingut des Volkes; alle Verhältnisse
des Lebens sollten auf Frömmigkeit begründet sein, alle
bürgerlichen Pflichten von den Pflichten gegen Gott sich
herleiten. Auch sorgte er im Gegensatz zu anderen
Gesetzgebern dafür, dass theoretische Unterweisung in
den Gesetzes Vorschriften und praktische Bethätigung der-
selben Hand in Hand gingen (16 f.). Zu dem Zweck
muss jeder Jude mit den Bestimmungen des Gesetzes bis
ins kleinste vertraut sein (17 f.). Die hierdurch be-
wirkte Einheit des Glaubens erklärt das feste Zusammen-
halten der Israeliten (19) und den Mangel an genialen
Männern (20 f.). Wie die Verfassung Gottherrschaft
(Theokratie), so ist das gesamte Leben der Juden ein
einziger feierlicher Gottesdienst (21 f.).
c. Hierauf wird das mosaische Gesetz im einzelnen
besprochen: Gott und seine Werke (22) ; Tempel, Priester,
Opfer, Gebete und Reinigungen (23); Bestimmungen
über Ehe und Geschlechtsverkehr (24), Kindererziehung
Gegen Apion, Einleitung.
87
(26), Totenbestattung (26); das pflichtmässige Verhalten
gegen Eltern und Greise ; Gesetze über Freundschaft,
Rechtsprechung, Eigentum (27); Benehmen gegen Fremde
und Andersgläubige (28), Feinde und Tiere (29). —
Der fromme Israelit verlangt für seine Gesetzestreue
keine materielle Belohnung, sondern begnügt sich mit
dem Zeugnis, das sein gutes Gewissen ihm- erteilt (30).
Überhaupt steht das Gesetz auf einer idealen Höhe, die
selbst Plato in seiner Politeia bei weitem nicht erreicht;
nie wurde es verändert (31), und das Volk hängt an
ihm mit einer Liebe, die alles Ungemach erträgt und
selbst den Bekennertod nicht scheut (32).
d. Hatte Josephus bisher schon einige kritische Be-
merkungen über ausseijüdische Gesetzgebungen einfliessen
lassen, so unternimmt er jetzt, nicht ohne vorgängige
Entschuldigung (33), einen Angriff auf die griechische
Götterlehre (33 f.) und äussert sich missbilligend über
solche Gesetzgeber, die der Religion keine Bedeu-
tung im Staate beimassen, sie vielmehr den Dichtern
und Künstlern überliessen (35). Es folgen einige
weitere Bemerkungen über Apollonios Molon, dem die
echten griechischen Philosophen und besonders Plato,
letzterer als Nachahmer des Moses, gegenübergestellt
werden (36). Sodann weist der Verfasser darauf hin,
dass die Abneigung gegen den Verkehr mit Fremden
und überhaupt die Unduldsamkeit, die man den Juden
zum Vorwurf mache, weit mehr eine Eigentümlichkeit
der besten griechischen Gesetzgebungen als der jüdischen
seien (36 f.) , dass die Israeliten lediglich die Rein-
erhaltung ihres Gesetzes im Auge hätten (38), aber auch
bereitwillig Fremde in ihre religiöse Gemeinschaft auf-
nähmen, und dass der jüdische Glaube bei Griechen und
Barbaren stets grössere Anerkennung und Verbreitung
88
Des Flavias Joscphas kleinere Schriften.
finde, woraus die Vortrefflichkeit des Gesetzes sich aufs
klarste ergebe (39). Endlich fasst er die Hauptpunkte
der Schrift nochmals kurz zusammen, kommt zu dem
Ergebnis, dass die Verleumder wirkungsvoll abgethan
seien, und schlies6t mit der Widmung an Epaphro-
ditos (40 f.)
Erstes Buch.
1. Bereits in dem Werke über die Altertümer,
welches die Geschichte von fünftausend Jahren umfasst
und auf Grund unserer heiligen Bücher von mir in
griechischer Sprache geschrieben wurde, habe ich, treff-
licher Epaphroditos, die Leser desselben meiner Meinung
nach hinreichend davon überzeugt, das9 unser, der Juden
Volk das älteste ist, dass es am ehesten ein selbständiges
Dasein erlangte, und wie es in dem Lande, welches wir
jetzt bewohnen, sich ansiedelte. Da ich aber sehe, dass
gar viele den böswilligen Verdächtigungen gewisser
Menschen Glauben schenken, meinen Ausführungen in
der Schrift über die Altertümer nicht trauen und die
spätere Entstehung unseres Volkes aus dem Umstand
herzuleiten suchen, dass es von den berühmten grie-
chischen Geschichtschreibern keiner Erwähnung für wert
gehalten wurde, so glaubte ich über alle diese Punkte
eine kurze Abhandlung schreiben zu müssen, einmal um
die geflissentliche Verdrehung der Thatsachen seitens
der Lästerer und die Böswilligkeit jener Leute zu kenn-
zeichnen, dann aber auch um die Unwissenheit der
anderen zu belehren und allen, die die Wahrheit zu er-
fahren wünschen, das hohe Alter unseres Volkes zu
beweisen. .Als Zeugen für meine Behauptungen werde
ich diejenigen anführen, die, was Kenntnis des Alter-
tums überhaupt betrifft, bei den Griechen als besonders
glaubwürdig gelten; solche aber, deren Schriften über
uns von Verleumdungen und Lügen wimmeln, will ich
sich selbst widerlegen lassen. Auch werde ich versuchen,
die Gründe anzugeben, weshalb so wenige Griechen in
90
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
ihren Geschichtswerken unseres Volkes Erwähnung ge-
than, anderseits aber auch zu Nutz und Frommen derer,
die es nicht wissen oder sich stellen, als wüssten sie es
nicht, diejenigen Männer namhaft machen, die unsere
Geschichte nicht übergangen haben.
2. Zunächst muss ich mich lebhaft über diejenigen
verwundern, die da meinen, man dürfe in Bezug auf die
ältesten Begebenheiten sich nur an die Griechen halten
und bei ihnen allein die Wahrheit suchen, während wir
und die anderen Menschen keinen Glauben verdienten.
Sehe ich doch, dass das gerade Gegenteil davon zu-
trifft, wofern man überhaupt den Thatsachen gemäss
urteilen und nicht etwa von leeren Einbildungen sich
leiten lassen will. Bei den Griechen nämlich ist, wie
du finden wirst, alles neu und sozusagen erst gestern
und vorgestern geschehen : die Gründung der Städte, die
Erfindung der Künste und die Aufzeichnung der Gesetze ;
fast das allerneueste aber ist bei ihnen die Pflege der
Geschichtschreibung. Anderseits giebt es, wie sie selbst
gestehen, die älteste und stetigste Überlieferung bei den
Aegyptiern, Chaldäern und Phoeniciern; uns nämlich
will ich für jetzt noch nicht mit diesen zusammen er-
wähnen. Alle jene Völkerschaften wohnen ja in Gegenden,
welche am wenigsten den aus umliegenden Ländern
kommenden Verderbnissen ausgesetzt sind, und sie haben
von jeher eine besondere Sorgfalt darauf verwendet, dass
die bei ihnen sich abspielenden Vorgänge nicht der Ver-
gessenheit anheimfallen möchten, sondern stets von den
weisesten Männern in öffentlichen Urkunden niedergelegt
würden. Griechenland dagegen war in seiner ganzen
Ausdehnung von tausendfältigen Drangsalen heimgesucht,
welche die Erinnerung an die Vergangenheit verwischten,
und weil das Leben immer wieder auf neuen Grund-
lagen sich vollzog, so glaubte jedes Zeitalter, das, womit
es selbst begann, sei überhaupt der Anfang gewesen.
Auch lernten die Griechen erst spät und unzureichend
die Buchstabenschrift: denn selbst die, welche den Ge-
brauch der Schrift am weitesten in die Vorzeit zurück-
Gegen Apion, Erstes Buch.
91
versetzen, können nichts anderes zu ihren Gunsten an-
führen, als dass ihnen dieselbe von den Phoeniciern und
von Kadmos überkommen ist, und auch aus dieser Zeit
vermag niemand ein Schriftstück aufzuweisen, das sich
in Tempel- oder Staatsarchiven erhalten hätte.' Ja, es
ist sogar recht fraglich, ob auch nur die, welche um
vieles später den Feldzug nach Troja unternahmen, sich
der Schrift bedient haben ; kommt doch als die richtigere
Ansicht mehr und mehr diejenige zur Geltung, dass
ihnen die jetzt übliche Buchstabenschrift unbekannt
war . 1 Überhaupt findet sich aber bei den Griechen kein
Schriftwerk, von dem ein höheres Alter als das der
homerischen Dichtung erwiesen wäre. Dieser Dichter
lebte indes offenbar lange nach der trojanischen Epoche,
und auch er hat ja, wie es heisst, sein Gedicht nicht
schriftlich pufgezeichnet hinterlassen, sondern es soll,
nachdem sich die einzelnen Gesänge durch Überlieferung
fortgepflanzt hatten, erst später zu einem Ganzen ver-
bunden worden sein, weshalb es auch so viele Text-
verschiedenheiten aufweise. Diejenigen vollends, die sich
bei den Griechen zuerst auf Geschichtschreibung ver-
legten, z. B. der Milesier Kadmos, der Argeier Akusilaos 2
und wer etwa ausser ihnen sonst noch genannt wird,
fallen der Zeit nach erBt kurz vor den Kriegszug der
Perser gegen Griechenland. Auch sind jene Männer,
welche zuerst unter den Griechen über himmlische und
göttliche Dinge philosophische Untersuchungen anstellten,
wie der Syrier Pherekydes, Pythagoras und Thaies, nach
allgemeinem und einhelligem Zugeständnis Schüler der
Aegyptier und Chaldäer gewesen und haben nur weniges
schriftlich aufgezeichnet. Anscheinend halten die Griechen
deren Schriften für die ältesten; dass sie aber auch
1 Vergl. jedoch Plinius, Naturgesch., VII, 57 ; XIII, 11. Josephus
will wohl sagen, der Gebrauch, den die spätere Zeit von der Buch-
stabenschrift machte, sei damals unbekannt gewesen.
2 Näheres ftber die in dieser Abhandlung erwähnten Schrift-
steller etc. s. im Namenregister.
92
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
wirklich von ihnen verfasst sind, glauben sie nur
halb.
3. Wie unvernünftig ist es daher von den Griechen,
zu meinen, sie allein kannten die Vorzeit und niemand
ausser ihnen besitze die genaue Geschichte derselben!
Kann man doch gerade von ihren Geschichtschreibern
mit leichter Mühe erfahren, dass sie ohne zuverlässige
Kenntnis der Thatsachen und nur nach den Vermutungen
geschrieben haben, wie ein jeder sie über die Begeben-
heiten hegte. Denn in ihren Büchern widerlegen sie
meist einander selbst und scheuen sich nicht, über gleiche
Vorgänge die entgegengesetztesten Behauptungen aufzu-
stellen. Ganz überflüssig wäre es, wenn ich die, welche
es besser wissen als ich, darüber belehren wollte, in wie
vielfacher Hinsicht Hellanikos bei der Aufstellung der
Geschlechtsregister mit Akusilaos nicht übpreinstimmt,
wie oft Akusilaos den Hesiod berichtigt, oder wie Ephoros
dem Hellanikos, dem Ephoros Timaios, dem Timaios
seine Nachfolger, dem Herodot aber alle miteinander
eine Menge Unwahrheiten nach weisen. Was die Ge-
schichte der Sikuler betrifft, glaubt Timaios dem An-
tiochos, Philistos, Kallias und deren Schülern wider-
sprechen zu müssen ; in der attischen Geschichte weichen
die, welche über Attika geschrieben, in der argolischen
die, welche über Argos berichtet haben, voneinander ab.
Doch was brauche ich die Geschichte von Städten und
kleineren Gemeinwesen überhaupt zu erwähnen, da sogar
über den Perserkrieg und dessen einzelne Begebenheiten
die berühmtesten Schriftsteller nicht einig sind? Wird
doch von manchen selbst Thukydides des Mangels
an Wahrheitsliebe bezichtigt, obwohl er, wie man an-
nimmt, die genaueste Geschichte seiner Zeit ge-
schrieben hat.
4. Will man nach den Gründen dieses erheblichen
Mangels an Übereinstimmung forschen, so mag man
vielleicht deren viele entdecken; auf zwei aber, die ich
sogleich anführen werde, lege ich das grösste Gewicht.
Der meiner Meinung nach wichtigste, mit dem ich
Gegen Apion, Erstes Buch.
03
beginne, liegt darin, dass bei den Griechen von jeher
kein Eifer darauf verwandt worden ist, die jeweiligen
Ereignisse in öffentlichen Urkunden aufzuzeichnen.
Gerade dieser Fehler hat bei denen, die später über die
alten Begebenheiten etwas schreiben wollten, dem Irrtum
und der Entstellung Thür und Thor geöffnet. Denn
abgesehen davon, dass auf derartige Aufzeichnungen von
den übrigen Griechen kein Wert gelegt wurde, finden
wir nicht einmal bei den Athenern, die doch als echte
Ureinwohner des Landes und besondere Hüter der
Bildung angesehen werden, dass etwas in dieser Be-
ziehung geschehen sei. Vielmehr galten für die ältesten
öffentlichen Schriften bei ihnen die Gesetze über den
Mord, welche ihnen von Drakon gegeben wurden, einem
Manne, der nur kurze Zeit vor der Tyrannenherrschaft
des Peisistratos lebte. Über die Arkader, die von dem
hohen Alter ihres Volkes so viel Aufhebens machen,
brauche ich ohnehin kein Wort zu verlieren; denn sie
haben ja auch später kaum irgend eine literarische Be-
deutung erlangt.
5. Dieser Umstand also, dass keine älteren Aufzeich-
nungen vorhanden waren , aus denen die Wissbegierigen
sich unterrichten und durch welche; die Verfälscher der
Wahrheit überführt werden konnten, erklärt den vielfachen
Widerspruch der Geschichtschreiber untereinander. Dem
ersten Grunde ist dann noch der folgende hinzuzufügen.
Diejenigen, welche sich auf Geschichtschreibung verlegten,
bemühten sich nicht sowohl um die Wahrheit — ob-
gleich sie nicht müde wurden, dies zu versichern —
sondern sie wollten nur ihre Redegewandtheit zeigen, 1
und jedes Mittel, wodurch sie andere hierin übertreffen
zu können meinten, war ihnen eben recht. So. wandten
sich denn die einen zur Fabelei, andere lobten aus Ge-
fallsucht Städte oder Könige, wieder andere unternahmen
es, die Thatsachen selbst oder die, welche sie schilderten,
1 So auch Aristot., Polit. V, 10; Strabo I ; Josephus, Jüd. Krieg,
Voiwort 5.
Go gle
94
Des Flavius Josepbus kleinere Schriften.
zu verkleinern, und glaubten sich dadurch besonderen
Ruhm zu verschaffen: kurzum, sie gefallen sich in einer
Thätigkeit, die das gerade Qegenteil von echter Ge-
schichtschreibung ist. Denn während für die Wahrheit
der letzteren der Beweis darin liegt, dass über die
gleichen Gegenstände alle dasselbe sagen und schreiben,
glaubten sie nur dann als recht wahrheitsliebend zu er-
scheinen, wenn jeder den nämlichen Gegenstand anders
darstellte. Allerdings was äussere Form und die Meister-
schaft darin an geht, müssen wir den griechischen Schrift-
stellern den Vorrang lassen, nicht aber auch in betreff
der Wahrheit der Urgeschichte überhaupt und am aller-
wenigsten hinsichtlich der jedem Volke eigentümlichen
Geschichte der Vorzeit.
6. Dass nun bei den Aegyptiem und Babyloniern
von alters her mit der Besorgung geschichtlicher Auf-
zeichnungen die Priester und bei den Babyloniern ins-
besondere die Chaldäer 1 betraut waren, dass ferner von
den Völkern, die zu den Griechen Verkehrsbeziehungen
unterhielten, vornehmlich die Phoenicier sowohl im Handel
und Wandel als zur Herstellung staatlicher Urkunden
sich der Schrift bedienten, glaube ich, da es allgemein
zugegeben wird, nicht weiter ausführen zu sollen. Dass
aber unsere Vorfahren die gleiche Sorgfalt — ob nicht
vielleicht eine noch grössere als die Genannten, lasse
ich dahingestellt — auf geschichtliche Aufzeichnungen
verwandten, indem sie dieselben den Hohepriestern
und Propheten übertrugen , und dass diese Aufzeich-
nungen . bis zu unseren Zeiten mit grosser Gewissen-
haftigkeit bewahrt worden sind und, wenn ich kühner
reden darf, auch in Zukunft werden bewahrt bleiben,
will ich versuchen in Kürze darzuthun.
7. Sie haben nämlich nicht nur von Anfang an diese
Verrichtung den besten und im Dienste Gottes eifrigsten
Männern übertragen, sondern sie Hessen es sich auch
1 Gemeint sind die Chaldäer im engeren Sinne, die Mitglieder
der Priesterkaste.
Gegen Apion, Erstes Buch.
95
angelegen sein, das Geschlecht der Priester unvermischt
und rein zu erhalten. Denn wer des Priestertums teil-
haftig ist, darf nur mit einer Landsmännin Kinder
zeugen und bei ihr weder auf Geld noch auf sonstige
Vorzüge sehen, sondern er muss zunächst ihre Herkunft
prüfen, indem er die Erbfolge aus den alten Geschlechtern
in Betracht zieht und zahlreiche Zeugen beibringt. Und
so halten wir es nicht nur in Judaea selbst — sondern
überall, wo zahlreichere Gemeinden unseres Volkes sich
befinden, da werden auch die Vorschriften über die Ehe-
Bchliessung der Priester genau beobachtet, wie in
Aegypten, in Babylon und wo sonst in der Welt jüdische
Priester zerstreut sind. Denn die letzteren schicken dann
die Namen ihrer Eltern und der Voreltern väterlicher-
seits nach Jerusalem unter gleichzeitiger Angabe von
Zeugen. Bricht ein Krieg aus, wie dies schon oft der
Fall war, z.B. als Antiochus Epiphanes, Pompejus
Magnus und Quintilius Varus ins Land einfielen, be-
sonders aber in unseren Tagen , 1 so stellen die übrig-
gebliebenen Priester aus den alten Urkunden wieder
neue zusammen und prüfen die noch lebenden Weiber.
Denn die in Kriegsgefangenschaft geratenen nehmen sie
nicht in die Listen auf, weil sie bei ihnen den in diesem
Falle so häufigen geschlechtlichen Verkehr mit Fremden
vermuten. Der beste Beweis für die Sorgfalt, womit
hierbei zu Werk gegangen wird, ist der, dass bei uns
alle Hohepriester seit zweitausend Jahren mit Namen
und unter Angabe ihres Stammbaums von väterlicher
Seite in den Urkunden aufgeführt sind, und wer irgend
eine der genannten Bedingungen nicht erfüllt, darf weder
den Altardienst versehen noch an den übrigen heiligen
Handlungen teilnehmen. Erklärlich ist ja auch die Ge-
nauigkeit der Register, oder vielmehr sie muss unbedingt
vorhanden sein, da nicht jeder nach Belieben die Ein-
tragungen machen durfte, wobei es ohne Widersprüche
wohl nicht hergegangen wäre, sondern jenes Recht nur
Bezieht sich auf den Krieg unter Vespasianus und Titus.
96
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
den Propheten zustand, welche die ältesten Ereignisse
der Vorzeit durch göttliche Eingebung erfahren und die
Begebnisse der eigenen Tage genau so, wie sie sich zu-
trugen, geschildert haben.
8. Denn bei uns giebt es keine Unzahl voneinander
abweichender und sich gegenseitig widersprechender
Bücher, sondern nur zweiundzwanzig, 1 welche die ge-
samte Vergangenheit schildern und mit Recht als gött-
lich angesehen werden. Fünf derselben sind von Moyses; 2
sie enthalten die Gesetze und die Geschichte von der
Entstehung des Menschengeschlechtes bis zum Tode des
Verfassers. Dieser Zeitraum erstreckt sich über beiläufig
drei Jahrtausende. Vom Ableben des Moyses aber bis
zur Regierung des Artaxerxes, der nach Xerxes über
die Perser herrschte, haben die auf Moyses folgenden
Propheten die Begebenheiten ihrer Zeit in dreizehn
Büchern aufgezeichnet; die übrigen vier enthalten Lob-
gesänge auf Gott und Vorschriften für das Leben der
Menschen. Auch von Artaxerxes an bis auf unsere
Tage ist alles eingehend beschrieben ; diese Bücher stehen
aber nicht in gleichem Ansehen wie die früheren, weil
es da an der genauen Aufeinanderfolge der Propheten
mangelte. 3 Ein Beweis für das Vertrauen , das wir
jenen volkstümlichen Schriften entgegenbringen, ergiebt
sich übrigens aus folgender Thatsache. In den vielen
Jahrhunderten , die seit Abfassung der erwähnten Bücher
verstrichen sind, hat noch niemand sich erdreistet,
Zusätze im Text anzubringen oder Verstümmelungen
und sonstige Änderungen daran vorzunehmen. Alle
1 Josephus zählt hier folgendermassen : 1), 2), S), 4), 5) Penta-
teuch, 6) Josua, 7) Richter, 8) Ruth, 9) Sam. I, II, Kön. I, II,
10) Chronik I, II, 11) Esra, 12) Nehemia , 13) Esther, 14) Hiob,
15) PsalmeD, 16) Sprüche Salomons, 17) Prediger nebst dem Hoben
Lied, 18)Jesaias, 19) Jeremias nebst den Klageliedern, 20) Ezechiel,
21) Daniel, 22) Kleine Propheten.
* Ueber die von Josephus beliebte Schreibweise und Ableitung
des Namens vergl. J. A. II, 9, 6 sowie Abschnitt 31 des vorliegenden
Buches.
a Hier sind wohl die Apokryphen gemeint.
Gegen Apion, Erstes Buch.
97
Juden bringen vielmehr den Glauben an deren göttlichen
Ursprung gleichsam mit zur Welt wie auch den Vorsatz,
ihnen treu zu bleiben und, wenn es sein muss, mit
Freuden für sie zu sterbpn. Hat man doch schon oft
Kriegsgefangene gesehen, die massenhaft bei der Auf-
führung von Schauspielen Folterqualen und alle mög-
lichen Todesarten auf sich nahmen, nur um kein Wort
gegen die Gesetze und die dazu gehörigen Schriften aus-
sprechen zu müssen. Welcher Grieche würde das für
sein Gesetz erdulden oder auch nur den geringsten
Schaden sich gefallen lassen, selbst wenn er dadurch
die gesamte Litteratur seines Vaterlandes vom Unter-
gang retten könnte? Denn sie halten ihre Schriften
doch nur für rednerische Kunststücke, in denen die
Verfasser sich nach Herzenslust breit machten. Und
mit Recht denken sie in dieser Weise sogar von
den älteren Schriftstellern; müssen sie doch sehen, wie
einige ihrer Zeitgenossen über Ereignisse schreiben, bei
denen sie nicht persönlich zugegen waren und über die
sie nicht einmal bei Augenzeugen sich zu erkundigen
für gut fanden. Selbst über den Krieg, den wir jüngst
führten, haben gewisse Leute Berichte geschrieben und
veröffentlicht, ohne an Ort und Stelle gewesen zu sein,
ja ohne auch nur in die Nähe des Kriegsschauplatzes
sich begeben zu haben. Vielmehr stellten sie nur vom
Hörensagen einiges zusammen und waren dann dreist
genug, den Namen Geschichte durch derartiges Geschreibsel
zu verunglimpfen. 1
9. Ich dagegen habe sowohl den Krieg im allgemeinen,
wie auch die einzelnen Begebenheiten desselben wahr-
heitsgetreu schildern können, weil ich an allen Ereig-
nissen persönlich teilnahra. Denn zunächst befehligte
ich, so lange noch Widerstand möglich war, die soge-
1 Bezieht sich auf Justus von Tiberias (vergl. Selbstbiographie,
Abschnitt 65) , für den der Franzose Salvador (Geschichte der
Römerherrschaft in Judaea) eine Lanze brechen zu müssen
glaubte.
Josephus, Kleinere Schriften. 7
Go gle
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
nannten Galiläer; hierauf geriet ich in römische Kriegs-
gefangenschaft und wurde während meiner Haft von
Vespasianus und Titus genötigt, ihnen beständig zur
Seite zu bleiben, wobei man mich anfangs gefesselt hielt ;
später ward ich meiner Bande entledigt und von Alexan-
dria aus mit Titus zur Belagerung Jerusalems geschickt.
In dieser Zeit entzog sich nicht das Geringste meiner
Kenntnis ; denn was ich im Lager der Römer sah, schrieb
ich sorgfältig nieder, und die Berichte der Überläufer
waren ohnehin nur mir verständlich. Als ich sodann in
Rom Müsse fand und den ganzen Stoff beisammen hatte,
verfasste ich die genaue Darstellung der Begebenheiten,
indem ich der griechischen Sprache wegen einige Hilfs-
kräfte heranzog. Dabei gab mir das Bewusstsein der
Wahrhaftigkeit einen solchen Mut, dass ich die beiden
Männer, die aus jenem Kriege als Imperatoren hervor-
gingen, Vespasianus und Titus, vor allen anderen als
Zeugen glaubte anrufen zu dürfen. Denn ihnen zuerst
übergab ich die Bücher, die ich hernach an viele Römer
verkaufte, welche den Krieg mitgemacht hatten, sowie
ferner an viele meiner Landsleute. Unter den letzteren
befanden sich Männer, die auch mit griechischer Weis-
heit wohl vertraut waren, wie Julius Archelaus, 1 der er-
lauchte Herodes 2 und der hoch bewunderte König Agrippa
selbst. Sie alle bezeugten mir, dass ich gewissenhaft der
Wahrheit die Ehre gegeben, und sie würden gewiss
nicht geschwiegen haben, wenn ich aus Unwissenheit
oder Liebedienerei irgendwelche Thatsachen verdreht oder
übergangen hätte.
10. Nichtsdestoweniger erfrechten sich gewisse schlechte
Menschen, mein Geschichtswerk zu verkleinern, indem
sie dasselbe nur als Übungsstück hinstellen, wie es etwa
1 Sohn des Helkiäs und Schwiegersohn Agrippas des Grossen
(s. J. A. XIX, 9, 1 ; XX, 7,1; 7, 3).
2 Wahrscheinlich ein Sohn des jüngeren Phasael und der Sa-
lampsio (s. J. A. XVIII, 5, 4). Dass er zur königlichen Familie Herodes’
des Grossen gehörte, beweist das Prädikat „erlaucht“ (oEjivoTatos) .
Gegen Apion, Erstes Buch.
99
von jungen Leuten in der Schule angefertigt wird. Damit
bringen eie freilich eine ungeheuerliche Anklage und
Verleumdung vor. Man sollte doch wissen, dass, wer
anderen eine Darstellung thatsächlicher Begebenheiten
verspricht, zuvor selbst genaue Kenntnis davon erlangt
haben muss, entweder dadurch , dass er mit dabei ge-
wesen ist, oder dadurch, dass er sie von Augenzeugen
vernommen hat; und eben dies glaube ich bei beiden
Werken recht sorgfältig gethan zu haben. Denn die
Altertümer übersetzte ich, wie schon erwähnt, aus den
heiligen Schriften, da ich als Priester und Abkömmling
eines Priestergeschlechtes die in den letzteren enthaltene
Weisheit besonders verstehe; die Geschichte des Krieges
aber schrieb ich, nachdem ich bei vielen Ereignissen
desselben die handelnde Hauptperson, bei den meisten
Augenzeuge gewesen war, überhaupt aber alles, was
während des Krieges verhandelt und vollführt wurde,
mit sämtlichen Einzelheiten in Erfahrung gebracht hatte.
Wie könnte also das Benehmen derer, die sich er-
kühnen, mir die Wahrheit streitig zu machen, etwas
anderes als Frechheit sein? Mögen sie immerhin sagen,
sie hätten die Denkwürdigkeiten der Imperatoren ge-
lesen : bei dem , was auf unserer, der Gegner, Seite vor-
ging, sind sie doch nicht zugegen gewesen.
11. Notgedrungen machte ich diese Abschweifung,
wodurch ich zugleich die mangelhafte Befähigung derer,
die sich als Geschichtschreiber aufspielen, zeigen wollte.
Nachdem ich nun im Vorstehenden genugsam, wie ich
glaube, bewiesen habe, dass schriftliche Aufzeichnung
alter Begebenheiten bei den Barbaren mehr als bei den
Griechen zu Hause ist, will ich zunächst mit denen, die
aus dem angeblichen Stillschweigen griechischer Ge-
schichtschreiber über uns Veranlassung nehmen, das hohe
Alter unseres Volkes zu leugnen, eine kurze Erörterung
halten und sodann aus den schriftlichen Urkunden
anderer Völker Zeugnisse für unser frühes Dasein bei-
bringen sowie die völlige Grundlosigkeit der gegen unsere
Nation vorgebrachten Schmähungen darthun.
Go gle oGsS . o
7
100 Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
12. Wir Juden bewohnen weder ein Küstenland, 1
noch haben wir Freude am Handel 2 und dem dadurch
begünstigten Verkehr mit den Fremden — sondern unsere
Städte liegen weit vom Meere entfernt, und wir be-
schäftigen uns hauptsächlich mit der Bearbeitung unseres
vortrefflichen Ackerbodens. Den grössten Eifer aber
verwenden wir auf die Erziehung der Kinder, und die
Beobachtung der Gesetze wie der durch sie überlieferten
Frömmigkeit machen wir zur wichtigsten Aufgabe unseres
Lebens. Erwägt man nun ausser dem Gesagten noch
die Eigentümlichkeit unserer Lebensweise, so ergiebt sich,
dass keiner von den Anlässen vorlag, welche in früheren
Zeiten einen Verkehr der Unsern mit den Griechen
hätten bewirken können, wie ein solcher Verkehr der
letzteren mit den Aegyptiern durch die Ein- und Aus-
fuhr, mit den Bewohnern der phoenicischen Küste durch
den Eifer im Klein- und Grosshandel aus Liebe zum
Geldgewinn entstand. Auch verlegten sich unsere Vor-
fahren nicht wie gewisse andere Völker auf Räubereien 3
oder Eroberungskriege, obgleich ihr Land viele Tausende
beherzter Männer aufwies, ßo kam es denn, dass die
Phoenicier, indem sie des Handels wegen zu den Griechen
segelten, alsbald mit diesen bekannt wurden, und durch
sie die Aegyptier und weiterhin alle diejenigen, aus deren
Ländern sie, weite Meeresstrecken durchfahrend, den
Griechen Schiffsladungen zubrachten. In der Folge lernten
sie auch die Meder und Perser dadurch kennen, dass
diese ihre Herrschaft weiter über Asien ausbreiteten, die
letzteren insbesondere durch deren Kriegszug in den
anderen Weltteil; von den Thrakern erhielt man Nach-
richt, weil sie in ziemlicher Nähe wohnten, von den
1 In etwas gezwungener Weise verwertet hier Josephus für seine
Beweisführung den Umstand, das9 die KUstenstädte Paiaestinas vor-
zugsweise von Heiden bewohnt waren.
2 Thatsfichlich war die Hauptbeschäftigung der damaligen palae-
stinischen Juden Ackerbau und Handwerk; den Handel begünstigte
ja auch das Gesetz in keiner Weise.
J D. h. Seeräuberei.
Go gle
Gegen Apion, Erstes Buch.
101
Skythen durch die den Pontus befahrenden Schiffer.
Überhaupt kam zu denen, welche sich in Geschicht-
schreibung versuchen wollten, viel eher die Kunde von
den Küstenbewohnern, mochte es sich nun um das öst-
liche oder das westliche Meer handeln, als von den
Völkern im Binnenlande, über die sie zumeist gar nichts
erfuhren. Das war augenscheinlich schon in Europa der
Fall: denn die Stadt Rom, die bereits seit langer Zeit
eine bedeutende Macht erlangt hatte und von der so
herrliche Kriegsthaten ausgegangen waren, hat weder
Herodot noch Thukydides noch ein Zeitgenosse dieser
beiden erwähnt, sondern erst verhältnismässig spät drang
ein dunkles Gerücht von ihr zu den Griechen. Und
vollends über die Gallier und Iberer sind die Geschicht-
schreiber, welche für die gründlichsten gelten , wie z. B.
Ephoros, in solcher Unwissenheit, dass dieser die Iberer,
die doch einen grossen Teil der westlichen Erde innehaben,
für die Bewohner einer einzigen Stadt hält, und dass
jene Geschichtschreiber insgemein ihnen Gewohnheiten
als wirklich bei ihnen bestehend zuschreiben, die weder
unter ihnen anzutreffen noch sonst von jemand behauptet
worden sind. Dass sie die Wahrheit nicht kannten, lag
an dem mangelhaften Verkehr, dass sie falsche Berichte
schrieben, an der Sucht, mehr als andere erzählen zu
wollen. Ist es da noch zu verwundern, wenn auch unser
Volk, das so weit vom Meere entfernt wohnt und eine
so eigentümliche Lebensweise führt, nicht gar vielen
bekannt wurde und keinen Anlass bot, es in Schrift-
werken zu erwähnen?
13. Gesetzt nun den Fall, wir wollten umgekehrt
zum Beweis dafür, dass die Griechen keine alte Nation
sind, uns darauf stützen, dass in unseren Schriften nichts
von ihnen erwähnt wird. Würden sie dann nicht alle
uns auslachen, vermutlich die gleichen Gründe, die ich
eben geltend machte, Vorbringen und ihre Nachbarvölker
als Zeugen ihres frühen Daseins anführen ? Nun , so
will auch ich dasselbe zu thun versuchen. Die Aegyptier
hauptsächlich und die Phoenicier möchte ich als Zeugen
102
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
aufrufen , und es wird wohl niemand ihr Zeugnis als
falsch verwerfen können. Denn bekanntlich sind die
Aegyptier insgesamt sehr schlecht auf uns zu sprechen,
wie unter den Phoeniciern besonders die Tyrier. Von
den Chaldäern kann ich allerdings nicht dasselbe sagen,
weil sie das Stammvolk unseres Geschlechtes sind und
auch in ihren Schriften der Juden als eines ihnen ver-
wandten Volkes Erwähnung thun. Nachdem ich von 1
ihnen Beweise beigebracht, werde ich zu den griechischen
Schriftstellern übergehen, welche die Juden erwähnt haben,
damit die Verleumder auch von dieser Seite keine
Gründe für ihren Widerspruch gegen uns mehr heran-
ziehen können.
14. Beginnen will ich also mit den aegyptischen
Urkunden. Sie selbst hierher zu setzen ist freilich nicht
angängig. Manetho aber war bekanntlich* geborener
Aegyptier und besass griechische Bildung, denn er schrieb
in griechischer Sprache 2 die Geschichte seines Vater-
landes und zwar, wie er selbst sagt, indem er aus den
heiligen Büchern übersetzte; auch weist er nach, dass
Herodot, was die aegyptische Geschichte anlangt, aus
Unkenntnis viele Irrtümer begangen hat. Dieser Manetho
nun schreibt im zweiten Buche seiner „ Aegyptiaka “
über uns wie folgt (ich führe seine eigenen Worte an,
da ich ihn gewissermassen als Zeugen sprechen lassen
will): „Wir hatten einen König mit Namen Timaos ;
während seiner Regierung entzog uns die Gottheit — ich
weiss nicht weshalb — ihre Gunst: ganz unerwartet
drangen Menschen von unbekannter Abstammung aus
den östlichen Gegenden mit keckem Mut in unser Land
ein und brachten es leicht und ohne Schwertstreich in
ihre Gewalt. Und nachdem sie sich der Befehlshaber
bemächtigt hatten, legten sie schonungslos die Städte in
Asche und verwüsteten die Heiligtümer der Götter; alle
Eingeborenen behandelten sie aufs feindseligste, indem
1 Statt rao'i ist zu setzen rocpi.
* S. jedoch Uhlemann, Israeliten und Hyksos in Aegypten, S. 6.
Go gle
Gegen Apion, Erstes Bncb.
103
sie die einen niedermachten, den anderen Weib und
Kind in die Sklaverei fortechleppten. Schliesslich machten
sie einen aus ihrer Mitte Namens Salatis zum König.
Dieser liess sich in Memphis nieder, legte dem oberen
und unteren Lande schwere Steuern auf und versah die
geeignetsten Plätze mit Besatzungen. Hauptsächlich aber
befestigte er die östlichen Teile des Landes, um sich
gegen die damals übermächtigen Assyrier zu schützen,
von denen er annahm, dass sie einen Einfall ins näm-
liche Königreich planten. Da er nun im Saitischen
Bezirk eine östlich vom bubastischen Arm des Flusses 1
sehr günstig gelegene Stadt entdeckte, die nach dem
Verfasser einer älteren Götterlehre Auaris genannt wurde,
erweiterte er sie , befestigte sie mit äusserst starken
Mauern und legte eine Besatzung von nahezu zwei-
hundertvierzigtausend Schwerbewaffneten hinein. Hierher
kam er zur Sommerszeit, teils um die Verteilung von
Proviant und Sold vorzunehmen, teils auch um durch
fleissige Einübung der Krieger den Auswärtigen Furcht
einzuflössen. Er schied nach neunzehnjähriger Regierung
aus dem Leben. Nach ihm herrschte ein anderer mit
Namen Beon vierundvierzig Jahre, hierauf Apachnas
sechsunddreissig Jahre und sieben Monate, sodann Apo-
phis einundsechzig Jahre, weiterhin Janias fünfzig Jahre
und einen Monat, endlich noch Assis neunundvierzig Jahre
und zwei Monate. Das waren ihre sechs ersten Könige,
welche beständig mit Aegypten im Kriege lagen und es
sozusagen mit Stumpf und Stiel zu vertilgen suchten.
Das ganze Volk führte den Namen Hyksos, d. h. Hirten-
könige; denn Hyk bedeutet in der heiligen 2 Sprache
„König“, Sos aber heisst „Hirt“ und hat diese Bedeutung
auch in der gemeinen Sprache. So entstand das zu-
sammengesetzte Wort Hyksos. Einige halten sie für
1 Um den in dieser Ortsbestimmung liegenden geographischen
Widerspruch zu beseitigen, wäre statt „im Saitischen Bezirk“ zu
lesen: im Sethroi'tischen Bezirk. Vergl. übrigens: Poitevin, Recher-
ches sur la ville £gyptienne d’Avaris.
2 D. i. hieroglyphischen.
101
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
Araber.“ In einem anderen Exemplar übrigens heisst es,
die Silbe Hyk bedeute nicht „Könige“, sondern durch
das ganze Wort würden kriegsgefangene Hirten be-
zeichnet. Thatsächlich ist im Aegyptischen das Wort
Hyk neben der anderen Form Hak — mit der Aspi-
ration — die eigentliche Bezeichnung für Kriegsgefangene.
Diese Auslegung erscheint mir glaubwürdiger und mehr
mit der alten Geschichte übereinstimmend. Die vorhin
erwähnten Könige der Hirten nun, erzählt Manetho
weiter, und deren Nachkommen hätten fünfbundertelf
Jahre lang über Aegypten geherrscht. Darauf hätten
die Könige von Thebais und dem übrigen Aegypten einen
Aufstand gegen die Hirten erregt, und es sei ein heftiger
und langwieriger Krieg zwischen ihnen ausgebrochen.
Schliesslich habe ein König Namens Alisphragmuthosis
die Hirten besiegt, sie aus ganz Aegypten vertrieben
und in einen zehntausend Joch umfassenden Ort ein*
geschlossen, der Auaris geheissen habe. Die Hirten
hätten, fährt Manetho fort, diesen Platz mit einer grossen
und starken Mauer umzogen, um ihre gesamte Habe
sowie die gemachte Beute dort sicher bergen zu können.
Des Alisphragmuthosis Sohn Thummosis habe sie als-
dann mit vierhundertachtzigtausend Mann belagert und
die Festung zu stürmen versucht, aber die Belagerung
aufgeben müssen und einen Vertrag mit ihnen geschlossen,
demzufolge sie Aegypten verlassen und, ohne irgendwie
belästigt zu werden, sollten ziehen dürfen, wohin es ihnen
beliebe. Dieser Übereinkunft gemäss seien sie mit ihren
Familien und ihrem ganzen Besitztum in der Stärke
von nicht weniger als zweihundertvierzigtausend Köpfen
aus Aegypten aufgebrochen und hätten den Weg durch
die Wüste nach Syrien eingeschlagen. Weil sie sich
aber vor der Herrschaft der Assyrier, die damals Asien
in ihrer Gewalt hatten, fürchteten, hätten sie in dem
Lande, welches jetzt Judaea heisst, eine Stadt erbaut,
die Tausende von Menschen fassen konnte, und diese
Stadt Jerusalem genannt/ In einem anderen Buche der
„Aegyptiaka“ berichtet Manetho, dieses sogenannte Hirten-
Gegen Apion, Erstes Buch.
105
Volk werde in seinen eigenen heiligen Büchern 1 auch
als Kriegsgefangene bezeichnet, und darin hat er recht.
Denn unsere ältesten Vorfahren hatten die Gewohnheit,
Herden zu weiden, führten ein Nomadenleben und wurden
deshalb Hirten genannt 2 * Anderseits werden sie von
den Aegyptiern in deren Schriften nicht ohne Grund als
Gefangene bezeichnet, da ja unser Ahnherr Joseph dem
Aegyptierkönig gegenüber sich selbst einen Gefangenen
nannte 8 und später mit des Königs Erlaubnis seine
Brüder nach Aegypten kommen liess. Hierüber 4 * * indes
werde ich noch anderswo eine genauere Untersuchung
anstellen.
16. Jetzt aber will ich als Zeugen für das hohe Alter
jener Ereignisse abermals die Aegyptier reden lassen
und Manethos Mitteilungen über das Verhältnis der Zeit-
ordnung wiedergeben. Er sagt nämlich folgendes: „Nach
dem Auszug des Hirtenvolkes aus Aegypten gen Jeru-
salem herrschte der König Tethmosis, der sie verjagt
hatte, bis zu seinem Tode noch fünfundzwanzig Jahre
und vier Monate, worauf sein Sohn Chebron dreizehn
Jahre lang das Scepter führte. Alsdann regierten der
Reihe nach: Amenophis zwanzig Jahre und sieben Mo-
nate; dessen ßchwesster Amessis einundzwanzig Jahre
und neun Monate; Mephres zwölf Jahre und neun
Monate; Mephramuthosis einundzwanzig Jahre und zehn
Monate; Thmosis neun Jahre und acht Monate; Ameno-
phis dreissig Jahre und zehn Monate; Oros sechsund-
dreissig Jahre und fünf Monate; dessen Tochter Aken-
chres zwölf Jahre und einen Monat ; deren Bruder Rathotis
neun Jahre; Akencheresl. zwölf Jahre und fünf Monate;
1 Hiernach wäre Manetho mit dem alten Testament bekannt ge-
wesen, was sicher nicht sntraf. Ob Josepbus ihn missverstan-
den hat ?
8 1. Mos. 46, 82 und 94; 47, 8 f.
8 1. Mos. 47, 4 (deine Knechte).
4 Bezieht sich nicht auf den Patriarchen Joseph, sondern auf das
hohe Alter der Juden nach Manetho, wovon unten (Abschnitt 16
uud 26) wieder die Rede ist.
106
Des Flavias Josephus kleiuere Schriften.
Akencheres IL zwölf Jahre und drei Monate; Annais
vier Jahre und einen Monat; Ramesses ein Jahr und vier
Monate; Armesses, der Sohn des Miammos, Sechsund-
sechzig Jahre und zwei Monate; Amenophis neunzehn
Jahre und sechs Monate; endlich Sethosis, auch Ra-
messes 1 genannt, der eine starke Reiterei und eine be-
trächtliche Kriegsflotte besass. Dieser setzte seinen Bruder
Armais als Verwalter des aegyp tischen Reiches ein und
übertrug ihm alle königlichen Rechte; nur verbot er ihm,
das Diadem zu tragen, die Königin als Mutter der
Prinzen zu beleidigen und mit den Kebsweibern des
Königs Umgang zu pflegen. Er selbst zog gegen Cypern
und Phoenicien und sodann gegen die Assyrier und
Meder zu Felde und unterwarf sie alle teils mit Waffen-
gewalt, teils durch den blossen Schrecken, den seine
Macht ihnen einflösste, und ohne Schwertstreich. Diese
Erfolge machten ihn übermütig, und alsbald unternahm
er einen zweiten, noch verwegeneren Kriegszug, um die
Städte und Länder im Osten 2 zu unterjochen. Einige
Zeit nachher nun fing der in Aegypten zurückgelassene
Armais an, sonder Scheu alles zu treiben, was sein
Bruder ihm untersagt hatte: er vergriff sich an der
Königin, gebrauchte ohne Bedenken die Kebsweiber,
trug auf Zureden seiner Freunde die Königskrone und
warf sich in aller Form zum Gegenkönig seines Bruders
auf. Der Beamte jedoch, der mit der Oberaufsicht über
die Heiligtümer Aegyptens betraut war. schickte dem
Sethosis eine von ihm verfasste Denkschrift, worin er
diesen von allem in Kenntnis setzte und ihm namentlich
mitteilte, wie sein Bruder Armais sich wider ihn auf-
gelehnt habe. Sethosis kehrte deshalb schleunigst zurück,
erschien vor Pelusium und musste sieb sein eigenes
Reich wieder erobern. Von ihm erhielt das Land den
Namen Aegypten; denn Sethosis wurde — so sagt Ma-
&
1 Ramses IL Nach Parets Vorgang schiebe ich 6 vor 'Papia-
ar); ein.
! Nach Diodor. I, 47 : Baktrien.
Go gle
Gegen Apion, Erstes Buch. 107
netho — auch Aigyptos, sein Bruder Armais auch Danaos
genannt.“
16. Soweit Manetho. Rechnet man nun die erwähnten
Jahre zusammen, so ergiebt sich, dass die sogenannten
Hirten, unsere Vorfahren, als sie aus Aegypten fort-
gezogen waren, sich in ihrem jetzigen Lande dreihundert-
dreiundneunzig Jahre früher ansiedelten als Danaos
nach Argos kam. Und doch halten die Argeier diesen
für ihren ersten Stammvater. Zwei äusserst . wichtige
Thatsachen also hat uns Manetho aus den aegyptischen
Urkunden bezeugt: erstens, dass unsere Vorfahren von
auswärts nach Aegypten gekommen, zweitens, dass sie
von dort wieder weggezogen sind und zwar in so uralter
Zeit, dass ihr Auszug fast tausend Jahre vor den Troja-
nischen Krieg fallt. Die übrigen Angaben Manethos
aber, die er nach eigenem Geständnis nicht aus aegyp-
tischen Urkunden, sondern aus unverbürgten Sagen ge-
schöpft hat, werde ich unten im einzelnen widerlegen
und dabei zeigen, wie unglaubwürdig sein diesbezügliches
Gerede ist.
17. Ich will nun zu den Mitteilungen übergehen,
welche die phoenicischen Urkunden über unser Volk
enthalten, und die ihnen entnommenen Zeugnisse hier-
hersetzen. Bei den Tyriern nämlich giebt es weit zurück -
reichende, von Staatswegen verfasste Schriften über alles,
was sich bei ihnen selbst zutrug und was nach aussen
hin 1 geschah. Darin findet sich auch die Angabe, dass
zu Jerusalem von dem Könige Solomon hundertdreiund-
vierzig Jahre acht Monate vor der Gründung Karthagos
durch die Tyrier ein Tempel erbaut worden sei, und es
wird auch die Einrichtung unseres Tempels daselbst be-
schrieben. Hirom 2 nämlich, der König der Tyrier, hatte,
dem Beispiel seines Vaters folgend, mit unserm Könige
Solomon Freundschaft geschlossen, und da er es sich
zur Ehre anrechnete, im Verein mit Solomon zur präch-
1 Statt dXXrjXooc lies: aXXou?.
2 In den „Jüdischen Altertümern“ hebst er Hiram.
Go gle
108
Des Flavias. Josephas kleinere Schriften.
tigen Ausgestaltung des Bauwerkes beizutragen, schenkte
er hundertzwanzig Talente Gold und schickte zugleich
für die Bedachung überaus schöne Baumstämme, die er
auf dem sogenannten Libanongebirge hatte fallen lassen.
Solomon machte ihm dagegen ausser vielem andern auch
ein Stück Land in dem Bezirk von Galilaea, der Cha-
bulon heisst, zum Geschenk. Vornehmlich jedoch war
es der Drang nach Weisheit, der ihre Freundschaft
knüpfte; denn sie sandten sich gegenseitig schwierige
Aufgaben zum Lösen, worin Solomon, der auch sonst
der weisere war, den Hirom übertraf. Noch jetzt werden
bei den Tyriern viele von den Briefen anf bewahrt, die
sie miteinander wechselten . 1 Dass aber diese Angaben
über die bei den Tyriern vorhandenen Schriftstücke nicht
etwa von mir erfunden sind, mag das Zeugnis des Dios
beweisen, eines Mannes, dem man eine besondere Kenntnis
der phoenicischen Geschichte zutraut. Er schreibt in
seiner Geschichte der Phoenicier folgendermassen : 2
„Nach dem Tode desAbibalos bestieg dessen Sohn Hirora
den Thron. Dieser versah nuch den östlichen Teil von
Tyrus mit Festungswerken, erweiterte die Stadt und
brachte mit ihr den bis dahin abseits auf einer Insel
stehenden Tempel des Olympischen Zeus dadurch in
Verbindung, dass er zwischen Stadt und Insel einen
Damm anlegte. Den Tempel schmückte er mit goldenen
Weihgeschenken; auch stieg er auf den Libanon und
Hess dort Bäume für die Erbauung von Tempeln fallen.
Der Beherrscher von Jerusalem, Solomon, soll dem Hirom
Kätselfragen geschickt und von ihm ebensolche verlangt
haben unter der Bedingung, dass der, welcher sie nicht
lösen könne, dem Errater eine Geldzahlung leisten müsse.
Hirom sei darauf eingegangen, und da er die Rätsel
nicht zu lösen vermochte, habe er grosse Summen als
Strafe bezahlt. Später aber habe ein Tyrier mit Namen
Abdemon die Aufgaben gelöst und nun seinerseits andere
1 Proben dieser (zweifellos unechten) Briefe s. J. A. VIII, 2, G f
3 Vergl. J. A. VIII, 5, 3.
Gegen Apion, Erstes Buch.
109
gestellt, deren LösuDg dem Solomon nicht gelang, worauf
dieser dem Hirom noch weit mehr Geld habe entrichten
müssen.“ 1 So werden durch das Zeugnis des Dios unsere
obigen Mitteilungen bestätigt.
18. Des weiteren führe ich Men ander von Ephesos
an. Ejt hat die Begebenheiten unter allen Königen
griechischer wie barbarischer Nationalität beschrieben und
sich bemüht, aus den einzelnen Landesurkunden die ge-
schichtlichen Tbatsachen kennen zu lernen. In seinem
Bericht über die früheren Könige von Tyrus nun kommt
er auch auf Hirom zu sprechen und äussert sich folgen-
dermassen: „Nach dem Tode des Abibalos folgte ihm
in der Regierung sein Sohn Hirom, der dreiundfünfzig
Jahre lebte und vierunddreissig Jahre den Thron inne-
hatte. Er legte den sogenannten weiten Platz an, stiftete
in den Tempel des Zeus die goldene Säule, begab sich
auf das Libanongebirge und liess dort Gedern fallen,
um das zur Bedachung von Tempeln nötige Holz zu
gewinnen. Die alten Tempel liess er uiederreissen und
neue erbauen; dem Herakles und der Astarte weihte er
je ein Heilgtum, zunächst das des Herakles im Monat
Peritios, später, als er aus einem siegreichen Feldzug
gegen die Tityer, welche die Steuern verweigert hatten,
zurückkehrte, auch das der Astarte. Während seiner
Regierung lebte ein jüngerer Sohn des Abdemon, der in
dem von Solomon, dem Könige zu Jerusalem, angeregten
Rätsel Wettstreit den Sieg errang.“ Der Zeitraum von
diesem Könige bis zur Gründung Karthagos wird sodann
folgen dermassen berechnet: „Als Hirom gestorben war,
folgte ihm auf dem Throne sein Sohn Baleazar, der
sieben Jahre regierte und dreiund vierzig Jahre alt wurde.
Dessen Sohn und Nachfolger Abdastratos starb nach
neunjähriger Regierung im neiinundzwanzigsten Lebens-
jahr, meuchlings ermordet von den vier Söhnen seiner
Amme, deren ältester zwölf Jahre lang die Herrschaft
1 Einige dieser R&tsel hat der Midrasch aufbewahrt (Rabba zu
IV. M. P. 19; Menachoth p. 37, a. Tosephot und Pessikta).
110 Des Flavins Josephus kleinere Schriften.
behauptete. Nach ihm regierte zwölf Jahre lang des
Delaiastartos Sohn Astartos, der ein Alter von fünfzig
Jahren erreichte. Hierauf herrschte neun Jahre lang
dessen Bruder Aserymos, der im vierundfunfzigsten Lebens-
jahr von seinem Bruder Pheles umgebracht wurde.
Dieser bemächtigte sich sodann des Thrones und starb
nach achtmonatlicher Regierung im Alter von fünfzig
Jahren. Ihn tötete Ithobal, der Priester der Astarte,
der nun zweiunddreiesig Jahre lang König blieb und
achtundsechzig Jahre alt wurde, worauf ihm sein Sohn
Badezor folgte, der nach sechsjähriger Regierung im
fünfund vierzigsten Lebensjahre starb. Dessen Sohn und
Nachfolger war Matgenos; dieser erreichte ein Alter von
zweiunddreissig Jahren und regierte neun Jahre lang.
Alsdann kam sein Sohn Pygmalion auf den Thron, der
diesen siebenund vierzig Jahre innehatte und im Alter von
sechsundfunfzig Jahren starb. Im siebenten Jahre seiner
Regierung baute seine Schwester, 1 die aus ihrer Heimat
geflohen war, in Libyen die Stadt Karthago.“ Mithin
umfasst der gesamte Zeitraum von der Thronbesteigung
Hiroms bis zur Gründung von Karthago hundertfünf-
undfünfzig Jahre acht Monate. Da aber im zwölften
Regierungsjahre Hiroms der Tempel in Jerusalem er-
richtet wurde, so sind von der Erbauung des Tempels
bis zur Gründung Karthagos hundertdreiundvierzig Jahre
und acht Monate verflossen. Was brauche ich nun
diesem phoen mischen Zeugnis noch weiter hinzuzufügen?
Lässt doch die unter den Zeugen herrschende Über-
einstimmung die Wahrheit in recht hellem Lichte er-
scheinen. Selbstverständlich aber ist die Ankunft unserer
Vorfahren in Judaea weit früher anzusetzen als die Er-
bauung des Tempels; denn erst nachdem sie das ganze
Land erobert hatten, begannen sie das Heiligtum zu
errichten, wie ich dies in den „Altertümern“ aus den
heiligen Schriften genau nachgewiesen habe.
19. Ich wende mich nunmehr zu dem, was die
1 Dido (tyrisch Elissa).
Gegen Apion, Erstes Bach.
111
geschichtlichen Urkunden der Chaldäer über unser Volk
melden, Schriften, die auch in anderer Hinsicht vielfach
mit den unseren übereinstimmen. Ein Zeuge hierfür
ist Berosus, ein geborener Chaldäer, der übrigens der
gebildeten Welt wohlbekannt ist, da er über die Astro-
nomie und die Philosophie der Chaldäer einige für die
Griechen bestimmte Abhandlungen veröffentlichte. Dieser
Berosus nun hat, den ältesten Aufzeichnungen folgend,
über die Sintflut und den dadurch bewirkten Untergang
des Menschengeschlechtes ganz wie Moyses berichtet»
sowie auch über die Arche, in welcher „Nochos“, der
Erzvater unseres Geschlechtes, gerettet wurde, indem die-
selbe auf dem Gipfel des Armenischen Gebirges landete . 1
Dann zählt er unter Hinzufügung der Zeitangaben die
Nachkommen des Nochos auf und kommt endlich auf
Nabopalassar, den König von Babylon und Chaldaea,
dessen Thaten er schildert. Hierbei erwähnt er, wie
Nabopalassar seinen Sohn Nabuchodonosor mit einer
grossen Streitmacht nach Aegypten und in unser Land
schickte, da er von dem Abfall der Bewohner Kunde
erhalten hatte; wie dieser alle besiegte, den Tempel zu
Jerusalem in Flammen aufgehen liess, unser ganze»
Volk wegführte und nach Babylon versetzte, und wie
alsdann unsere Hauptstadt siebzig Jahre lang bis auf
den Perserkönig Cyrus verödet blieb. Auch habe der
Babylonier, sagt Berosus, Aegypten, Syrien, Phoenicien
und Arabien unterjocht und alle früheren Könige der
Chaldäer und Babylonier durch glänzende Kriegsthaten
übertroffen. EtwaB weiter unten in seiner Geschichte
des Altertums kommt Berosus nochmals auf ihn zu
sprechen. Ich setze seine eigenen Worte hierher, die
also lauten: „Als sein Vater Nabopalassar den Abfall
des Satrapen, den er über Aegypten und die Gegenden
von Coelesyrien und Phoenicien gesetzt hatte, erfuhr.
1 Berosus hat dabei wohl nicht ans den hebr&ischen Quellen ge-
schöpft, sondern aus der (in neuerer Zeit von George Smith heraus-
gegebenen) Sintflut-Keilinschrift. Vergl. Ausland 1873, S. 497 f.
112 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
übergab er, da er selbst den Strapazen nicht gewachsen
war, seinem noch jugendlichen Sohne Nabuchodonosor
einen Teil des Heeres und sandte ihn gegen den Satrapen
aus. Nabuchodonosor stiess alsbald mit dem Empörer
zusammen , lieferte ihm ein Treffen und bemächtigte
sich nicht nur seiner Person, sondern unteijochte auch
sein Land. Um diese Zeit erkrankte sein Vater Nabo-
palassar und starb nach einundzwanzigjähriger Regierung
in der Stadt Babylon. Als Nabuchodonosor bald darauf
vom Tode seines Vaters Kunde erhielt, ordnete er die
Angelegenheiten Aegyptens und der übrigen Landesteile
und gab einigen seiner Freunde den Auftrag, die ge-
fangenen Juden, Phoenicier, Syrer und Aegyptier samt
dem schwerbewaffneten Teile des Heeres und dem Gepäck
nach Babylonien zu führen; dann brach er auch selbst
auf und legte in wenigen Tagen den Weg durch die
Wüste nach Babylon zurück. Hier übernahm er die
von den Chaldäern 1 besorgte Leitung des Staates sowie
die Königswürde, die der beste derselben ihm inzwischen
gesichert hatte, und trat überhaupt die Vollherrschaft
über sein väterliches Reich an. Sowie nun die Gefangenen
ankamen, liess er ihnen in den passendsten Gegenden
Babyloniens Wohnsitze anweisen; dann schmückte er
mit der Kriegsbeute den Tempel des Bel und die übrigen
Heiligtümer aufs herrlichste, liess in der bisherigen
Hauptstadt Neubauten aufführen und erweiterte sie durch
eine zweite ausserhalb liegende in der wohlmeinenden
Absicht, künftige Belagerer an der Ableitung des Flusses
und der dadurch bewirkten Bedrängung der Stadt zu
hindern. Ferner zog er um die innere Stadt drei Ring-
mauern und ebenso viele um die äussere, teils aus ge-
brannten Ziegeln und Asphalt, teils aus blossen Ziegel-
steinen. Nachdem er so die Stadt gehörig befestigt und
die Thore mit prächtigem Schmuck versehen hatte, er-
baute er im Anschluss an den Palast seines Vaters einen
anderen, der jenen an Höhe und glänzender Ausstattung
1 S. die Anmerkung zu Abschnitt 6.
Gegen Apion, Erstes Bach.
113
übertraf. Ihn in seinen Einzelheiten zu schildern, würde
wohl zu lange aufhalten; ich begpüge mich deshalb mit
der Angabe, dass er trotz seiner Grösse und Pracht
.bereits in fünfzehn Tagen vollendet wurde. Innerhalb
dieses Palastes liess der König auch hohe steinerne
Terrassen errichten, und indem er ihnen durch Bepflanzen
mit allerlei Baumen das Ansehen natürlicher Berge gab,
schuf er den sogenannten hängenden Park, vornehmlich
seiner Gattin 1 zulieb, die in Medien erzogen war und
deshalb ein starkes Verlangen nach Berglandschaft
hegte.“ 2
20. Vorstehendes berichtet Berosus über den ge-
nannten König, und ausserdem noch vieles andere im
dritten Buche seiner „Chaldaika“, wo er auch die Meinung
der griechischen Geschichtschreiber, dass Babylon von
der assyrischen Königin Semiramis gegründet worden
sei, als falsch und ihre Erzählung von den Wunder-
werken, die sie daselbst errichtet haben soll, als erdichtet
verwirft. Und hierin muss man allerdings den Schriften
der Chaldäer Glauben schenken, besonders da sich auch
in den Archiven der Phoenicier über die Unteijochung
von ganz Syrien und Phoenicien durch jenen König der
Babylonier Aufzeichnungen finden, welche mit den An-
gaben des Berosus übereinstimmen. Auch Philostratos
bestätigt dieselben in seinem Geschichtswerk, indem er
der Belagerung von Tyrus gedenkt, desgleichen Mega-
sthenes im vierten Buche seiner „Indika“, wo er zu zeigen
sucht, dass der genannte König der Babylonier, was
Tapferkeit und Heldenthaten .anlangt, den Herakles
.übertroffen habe. Denn er habe, sagt Megasthenes,
sogar den grössten Teil von Libyen und ausserdem ganz
1 Amytis, Tochter des modischen Königs Kyaxares (Herodot I,
74; 175).
* Mit dieser Erzählung des Berosus stimmt eine an) Euphrat
gefundene, seit 1807 im Ostindienbaus zu London befindliche Keil-
insehnft, die 1854 von R&wllnson entziffert wurde (s. Ausland 1854,
&. 1245) vollkommen überein — wieder ein Beweis, dass Berosus
die Keilinschriften als erste Quelle benutzt hat.
Josephus, Kleinere Schriften. 8
Go gle
114
Des Flavius Joseph us kleinere Schriften.
Iberien unter seine Botmässigkeit gebracht. Was so*
dann die oben erwähnte Einäscherung des Tempels zu
Jerusalem durch die kriegerischen Scharen der Babylonier
betrifft sowie den begonnenen Wideraufbau desselben»
als Cyrus die Herrschaft über Asien erlangt hatte, so
werden diese Thatsachen vollauf durch die Mitteilungen
des Berosus bestätigt. Er äussert sich nämlich im dritten
Buche wie folgt: „Kaum hatte Nabuchodonosor mit dem
Bau der erwähnten Mauer begonnen , als er in eine
Krankheit fiel und nach dreiundvierzigjähriger Regierung
starb. Den Thron bestieg nun sein Sohn Evilmaraduch,
der ein Gesetzesverächter und übermütiger Herrscher
war und nach nur zweijähriger Regierung 1 von Neriglissoor,
dem Gatten seiner Schwester, meuchlings ermordet wurde
Nach seinem Tode trat eben dieser Neriglissoor, durch
dessen Hinterlist er sein £<eben gelassen hatte, die Herr-
schaft an und blieb vier Jahre lang König. Dessen
Sohn Laborosoarchod kam als neunmonatliches Kind
auf den Thron, wurde aber, weil man recht schlimme
Charaktereigenschaften an ihm bemerkte, alsbald von
seiner Umgebung umgebracht, worauf seine Mörder sich
versammelten und nach gemeinsamem Beschluss einem
der Mitverschworenen , dem Babylonier Nabonned, die
Krone aufs [Haupt setzten. Unter ihm wurden die
Mauern der Hauptstadt Babylon, da wo sie an den
Fluss stiessen, mittels gebrannter Ziegelsteine und Asphalt
schöner als vorher aufgebaut. Im siebzehnten Jahre
seiner Regierung rückte Cyrus, nachdem er mit grosser
Streitmacht aus Persien aufgebrochen war und das ganze
übrige Asien unterjocht hatte, gegen Babylonien heran.
Als Nabonned von seinem Anmarsch Kunde erhielt,
zog er ihm an der Spitze eines Heeres entgegen und
lieferte ihm ein Treffen, wurde aber geschlagen und
schloss sich mit wenigen seiner Leute, die gleich ihm
1 Nach J. A. X, 11,2 regierte er achtzehn Jahre. Winer nimmt
zur Erklärung dieser Verschiedenheit eine Mitregentschaft oder eine
Provinzialregentschaft an.
Gegen Apion, Erstes Buch.
115
entkommen waren, in die Stadt Borsippos ein. Cyrus
eroberte unterdessen Babylon, liess die äusseren Mauern
der Stadt, weil die Festung ihm viel zu schaffen gemacht
und sich als schwer einnehmbar erwiesen hatte, schleifen
und marschierte hierauf nach Borsippos, um Nabonned
zu belagern. Dieser aber ergab sich, ohne es aüf eine
Belagerung ankommen zu lassen, und wurde deshalb von
Cyrus freundlich behandelt, der ihm nun Karmanien
als Wohnsitz an wies und ihn aus Babylonien dorthin
schickte. In diesem Lande brachte Nabonned den Rest
seines Lebens zu und starb auch daselbst.“
21. Diese Erzählung hat den Schein der Wahrheit
für sich und stimmt auch mit unseren Büchern überein.
Denn in den letzteren findet sich die Angabe, dass
Nabuchodonosor im achtzehnten Jahre seiner Regierung
unseren Tempel zerstört habe, der dann fünfzig Jahre
in diesem Zustand blieb, dass aber im zweiten Jahre
der Regierung des Cyrus der Grund zu seinem Wieder-
aufbau gelegt und dieser im zweiten Jahre der Herr-
schaft des Darius vollendet worden sei. Ich will aber
auch noch die phoenicischen Urkunden hierhersetzen,
um es selbst an einem Überm ass von Beweisen nicht
fehlen zu lassen. In diesen Urkunden ist folgende Zeit-
rechnung enthalten: „Unter dem Könige Ithobal be-
lagerte Nabuchodonosor Tyrus dreizehn Jahre lang. Nach
ihm regierte Baal zehn Jahre. Hierauf wurden Richter
eingesetzt, von denen Eknibal, des Baslach Sohn, zwei
Monate, Chelbes, des Abdaios Sohn, zehn Monate, der
Oberpriester Abbar drei Monate, Mytgonos und Gera-
stratos, die Söhne des Abdelemon, sechs Jahre diese
Würde bekleideten, jedoch so, dass dazwischen die ein-
jährige Königsherrschaft des Bai atoros fiel. 1 Nach seinem
Tode berief man aus Babylonien den Merbal, welcher
1 M&ller (Des Flav. Jos. Schrift gegen den Apion, S. 158) und
Movers (Phoenicier II, 1, 438; 465) meinen, dass in den unruhigen
Richterzeiten ein Jahr lang ein Nebenkönig, eben dieser Balatoros,
regiert habe.
116
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
vier Jahre regierte, und als auch dieser gestorben war,
seinen Bruder Hirom, dessen Regierung zwanzig Jahre
dauerte; zu seiner Zeit herrschte Cyrus über die Perser.“
Die gesamte Zeit betragt mithin vierundfünfzig Jahre
und drei Monate. Denn Nabuchodoonsor begann im
siebenten Jahre seiner Regieruifg Tyrus zu belagern,
während der Perser Cyrus im vierzehnten Jahre Hiroms
auf den Thron gelangte. Hinsichtlich des Tempels
stimmen demnach die Urkunden der Chaldäer und
Tyrier mit den unseren überein, und das von mir Ge-
sagte bildet einen zwingenden und unwiderleglichen
Beweis für das hohe Alter unseres Volkes. Wer also
nicht um jeden Preis recht haben will, dem wird, denke
ich, das Mitgeteilte genügen.
22. Nun muss ich aber auch noch den Ansprüchen
derer gerecht werden , die den Urkunden der Barbaren
keinen Glauben beimessen, sondern nur die Griechen
für glaubwürdig halten. Doch auch von diesen kann
ich viele namhaft machen, die unser Volk kannten und
nicht vergassen* es in ihren Schriften gelegentlich zu
erwähnen. So war offenbar der Samier Pythagoras, der
in grauer Vorzeit lebte und den man seiner Weisheit
und Frömmigkeit wegen hoch über alle Philosophen
stellt, nicht nur mit unseren Hinrichtungen vertraut,
sondern hat auch gar manches davon entlehnt. Von
ihm selbst allerdings ist kein unbestritten echtes Werk
vorhanden; viele aber haben über ihn geschrieben, und
unter ihnen ist der bedeutendste Hermippos, ein durch-
aus gewissenhafter Geschichtsforscher. Er sagt in dem
ersten seiner über Pythagoras verfassten Bücher: „Nach
dem Tode eines seiner Schüler mit Namen Kalliphon
aus Kroton behauptete Pythagoras, dessen Seele ver-
kehre mit ihm Tag und Nacht und habe ihn ermahnt,
an einer Stelle, wo ein Esel unter seiner Last zusammen-
gebrochen sei, nicht vorüberzugehen, auch sich ab-
gestandenen Wassers zu enthalten und jegliche Lästerung
zu meiden.“ Alsdann fügt er noch hinzu: „Indem, er
also handelte und lehrte, huldigte er den Ansichten der
Gegen Apion, Erstes Buch.
117
Juden 1 und Thraker, die er auch zu den seinigen
machte.“ Mit Recht wird also behauptet, dass dieser
Mann viele Gesetzesbestimmungen der Juden in seine
Philosophie aufgenommen habe. Übrigens war unser
Volk auch schon ganzen Gemeinwesen im Altertum
nicht unbekannt, und bereits damals hatten viele unserer
Sitten sich hierhin und dorthin verbreitet und bei einzelnen
Nachahmung gefunden. Das bezeugt Theophrastos in
seinem Werk über die Gesetze. Er sagt nämlich, bei
den Tyriern sei es gesetzlich verboten , fremde Eide zu
schwören, unter denen er ausser einigen anderen auch den
sogenannten Eid Korban aufzählt. Nirgends aber als
bei den Juden allein findet sich dieser Eid , 2 der, aus
dem Hebräischen übersetzt, etwa „Geschenk an Gott“
bedeutet Ja, selbst Herodot von Halikarnassos hat
unser Volk nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern
er scheint es andeutungsweise zu erwähnen. In seinem
zweiten Buche nämlich, wo er von den Kolchern erzählt,
berichtet er folgendes : 3 „Die Kolcher, Aegyptier und
Aethiopen sind die einzigen, welche von alters her die
Schamteile beschneiden. Die Phoenicier dagegen und
die Syrier in Palaestina geben zu, dass sie es von den
Aegyptiern gelernt hätten; die Syrier um den Thermodon
aber und den Fluss Parthenios sowie deren Grenznachbarn
die Makronen , behaupten , erst in neuerer Zeit sei die
Sitte von den Kolchern zu ihnen gekommen. Die Ge-
nannten sind die einzigen unter den Menschen, die sich
beschneiden, und sie haben es augenscheinlich den
Aegyptiern nachgethan. Was aber die Aegyptier und
Aethiopen betrifft, so kann ich nicht angeben, welches
dieser Völker es von dem anderen gelernt hat.“ Herodot
sagt also, die Syrer in Palaestina bedienten sich der
Beschneidung. Unter allen Bewohnern Palaestinas aber
* Vergl. 2. Mo». 28, 5; 6. Mos. 22, 4.
2 Josephns kann hier nur die 4. Mos. 30, 2 ff. erwähnten Gelübde
im Sinne haben, durch welche irgend ein Gegenstand für das Heilig-
tum geweiht wurde.
3 Herodot II, 104.
118
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
thun dies allein die Juden; er kann mithin nur sie ge-
meint haben. Auch der Dichter Choirilos, der noch
viel früher lebte, hat unseres Volkes Erwähnung gethan,
indem er es an dem Kriegszug des Xerxes gegen Griechen-
land teilnehmen lässt Nachdem er nämlich alle Volker
hergezählt hat, führt er auch das unsrige an mit den
Worten:
Hinter ihm zog ein Völkchen daher von seltsamem
Anblick ;
Sprache Phoeniciens tönt’ aus seinem Munde; zu
Hause
War’s in den Solymerbergen am See, der breit sich
erstrecket:
Struppig der Scheitel, geschoren ringsum, und darüber
trug e&
Abgezogene Pferdegesichter , 1 im Rauche getrocknet
Es wird wohl, denke ich, jedem klar sein, dass die
Worte des Dichters sich nur auf uns beziehen können,
da die Solymerberge und der breiteste und grösste aller
syrischen Seen, der Asphaltsee, in unserem Lande, das
wir noch jetzt bewohnen, sich befinden. In dieser Weise
also hat Choirilos unser Volk erwähnt. Dass aber die
Griechen, und zwar nicht etwa die schlechtesten, sondern
die um ihrer Weisheit willen am meisten bewunderten,
die Juden kannten und denjenigen von uns, mit denen
sie in Berührung kamen, achtungsvoll begegneten, ist
leicht zu beweisen. So lässt z. B. Klearchos, ein Schüler
des Aristoteles und einer der ausgezeichnetsten Peri-
patetiker, in seinem ersten Buche über den Schlaf seinen
Lehrer Aristoteles, indem er diesen redend einführt, von
einem Juden eine Geschichte erzählen, die ich nach-
stehend wörtlich wiedergebe. (Aristoteles:) „Ein aus-
führlicher Bericht über ihn würde wohl zu sehr auf halten ;
was aber an ihm Bewunderung verdient und sein Streben
1 Vergl. Herodot VII, 70.
Gegen Apion, Erstes Buch.
119
nach Weisheit erkennen lässt, das mag ganz passend in
ähnlicherWeise (wie vorhin Erzähltes) besprochen werden.
Wohlgemerkt übrigens, Hyperochides, was ich hier sage,
wird dir wie ein Traum Vorkommen.“ Ehrerbietig ent-
gegnete Hyperochides : „Eben darum möchten wir’s alle gern
hören / 4 „Nun denn , 44 fuhr Aristoteles fort, „wir wollen
nach der Vorschrift der Rhetoriker zunächst die Ab-
stammung des Mannes ermitteln, um die Glaubwürdig-
keit der Berichterstatter nicht in Frage zu stellen . 44
„Sprich nur, wie es dir beliebt , 44 äusserte sich Hyper-
ochides. (Aristoteles:) „Jener Mann also war seiner
Herkunft nach einer der Juden aus Coelesyrien, welche
Nachkommen der indischen Philosophen sind. Bei den
Indern heissen, wie man sagt, die Philosophen Kalaner , 1
bei den Syrern Juden. Diesen Namen erhielten sie von
einer Örtlichkeit; denn die von ihnen bewohnte Gegend
wird Judaea genannt. Der Name ihrer Hauptstadt ist
ein merkwürdiges Wortgebild : er lautet Jerusalem. Jener
Mensch nun war viel gereist, hatte sich aus dem Binnen-
land in die Küstenorte begeben und war nicht nur
seiner Sprache, sondern auch seiner geistigen Bildung
nach fast ein Grieche geworden. Gerade während unseres
Aufenthaltes in Asien kam er zufällig in die Orte, wo
wir uns befanden, und traf mit uns und einigen anderen
Jüngern der Wissenschaft, deren Weisheit er erproben
wollte, zusammen. Übrigens teilte er in dem vertrauten
Verkehr, den er mit vielen gebildeten Männern unter-
hielt, mehr mit, als er empfing . 44 Vorstehendes sagt
Aristoteles bei Klearchos und schildert dann auch noch
die grosse und bewundernswerte Mässigkeit des jüdischen
Mannes im Essen und Trinken , sowie seine sonstige
Enthaltsamkeit. Wer Lust hat, mag das weitere in dem
Buche selbst nachlesen; denn ich hüte mich, mehr daraus
1 Ein solcher Kalanus oder Gymnosophist befand sich im Heere
Alexanders des Grossen, wo der Name Kalanus als nomen proprium
gefasst wurdie. Der Mann hiess aber nach Plutarch (Alex. 6d)
Spinas oder Sphines. Ganz richtig wird also hier K. als Gattungs-
name gebraucht.
120
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
mitzuteilen, als hierher gehört Während nun jener
Bericht des Klearchos, in dem von uns die Rede ist*
nur als eine Abschweifung sich darstellt — denn sein
eigentlicher Gegenstand war ein anderer — hat dagegen
Hekataios von Abdera, ein Gelehrter und dabei ein
höchst fähiger Staatsmann, welcher gleichzeitig mit dem
Könige Alexander den Gipfel des Ruhmes erstieg und
Beziehungen zu Ptolemaeus Lagi unterhielt, nicht nur
beiläufig der Juden Erwähnung gethan, sondern ein
eigenes Buch über sie geschrieben J aus dessen Inhalt
ich einiges in aller Kürze durchgehen will. Zunächst
bestimme ich die Zeitperiode. Hekataios erwähnt die
Schlacht, welche Ptolemaeus bei Gaza dem Demetrius
lieferte; sie fällt, wie Kastor berichtet* in das elfte Jahr
nach Alexanders Tod 1 2 und in die hundertsiebzehnte
Olympiade. Denn sowie er an diese Olympiade kommt*
sagt er: „Um jene Zeit schlug Ptolemaeus bei Gaza den
Demetrius, Sohn des Antigones, mit dem Beinamen
Poliorketes." Alexanders Tod aber erfolgte nach all-
gemeiner Annahme in der hundertvierzehnten Olympiade.
Somit ist es klar, dass unser Volk zu Alexanders und
des ersteren Zeit blühte. Hekataios fahrt dann fort:
„Nach der Schlacht bei Gaza ward Ptolemaeus Herr
der syrischen Landschaften. Viele, die von seiner Güte
und Menschenfreundlichkeit hörten, wünschten ihn nach
Aegypten zu begleiten und an der .Verwaltung des
Reiches teilzunehmen. Unter ihnen befand sich auch
der Hohepriester der Juden, Ezekias, ein Mann von
etwa Sechsundsechzig Jahren, der bei seinen Landsleuten
in hohem Ansehen stand, grosse Einsicht und rednerische
Vorzüge bekundete und Erfahrung in Staatsgeschäften
wie kaum • sonst jemand besass. Übrigens sind die
Priester der Juden, die den Zehnten yom Ertrage des
1 Dieses Buch wird aber schon von Origenes (c. Celsum I, 3, 2)
für apokryph gehalten. S. auch Willrich, Forschungen *ur helle-
nistisch-jüdischen Geschichte und Litteratur, S. 86 ff.
2 Alexander starb 323 v. Chr.
Gegen Apion, Erstes Buch.
121
Landes beziehen und das Gemeinwesen verwalten, fast
fünfzehnhundert Köpfe stark.“ An einer anderen Stelle
erwähnt er den Mann nochmals mit folgenden Worten:
„Dieser Hohepriester stand zu uns in vertrauten Be-
ziehungen. Sowie er Bekannte traf, las er ihnen alle
unterscheidenden Merkmale der Juden vor; denn er
besass eine Schrift, worin die Wohnplätze und die Ver-
fassung der Juden geschildert waren.“ Ferner erzählt
Hekataios von unserem Verhalten gegen die Gesetze und
dass wir es für besonders ehrenvoll halten, lieber alles
mögliche zu erdulden als sie zu übertreten. „So können
sie denn,“ fährt er fort, „trotz aller üblen Nach-
rede von seiten ihrer Grenznachbarn und Besucher, und
trotz der wiederholten schmählichen Behandlung durch
die persischen Könige und Satrapen in ihrer Überzeugung
nicht erschüttert werden, sondern sie lassen um eben
dieser Überzeugung willen Folterqualen und die schreck-
lichsten Todesarten widerstandslos über sich ergehen, um
nur den Glauben ihrer Väter nicht verleugnen zu müssen/?
Alsdann führt er ziemlich viele Beispiele von unserer
unwandelbaren Treue gegen die Gesetze an. Er erzählt
nämlich, Alexander habe, als er einst in Babylon war,
den Entschluss gefasst, den verfallenen Tempel des Bel*
wiederherzustellen, und deshalb allen seinen Soldaten
ohne Ausnahme befohlen, Erde herbeizuschaffen* Nur
die Juden hätten nicht gehorcht, vielmehr sich anhaltend
schlagen lassen und grosse Geldstrafen gezahlt, bis der
König ihnen schliesslich Verzeihung gewährt und Straf-
losigkeit zugesichert habe. „Ais diese,“ fahrt er fort,
„in ihr Heimatland zurückkehrten, wo ihre Landsleute
Tempel und Altäre errichtet hatten, rissen sie diese
sämtlich nieder und wurden zum Teil dafür von den
Satrapen in Strafe genommen, während andere Ver-
zeihung erlangten “ Ausdrücklich fügt er dann hinzu,
sie hätten wegen dieses Verhaltens Bewunderung ver-
dient Ferner spricht er von dem gewaltigen Anwachsen
der jüdischen Bevölkerung, wofür er als Beweis anführt,
dass viele tausend der Unseren früher von den Persern
122 Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
nach Babylon geschleppt worden und dass nach Alexanders
Tod wegen der Unruhen in Syrien ebenfalls Tausende
nach Aegypten und Phoenicien ausgewandert seien. Der-
Belbe Geschichtschreiber schildert auch die Grösse und
Schönheit des von uns bewohnten Landes. „Sie haben,"
sagt er, „fast drei Millionen Joch 1 des besten und frucht-
barsten Landes in Besitz ; denn dies ist die Flächen-
ausdehnung Judaeas.“ Ja, er erzählt noch weiter von
Jerusalem selbst als von einer überaus schönen und
grossen Stadt» welche wir von alters her bewohnten, sowie
von ihrer zahlreichen Einwohnerschaft und der Ein-
richtung des Tempels, indem er sich also auslässt: „Die
Juden haben in ihrem Lande umher eine Menge be-
festigter Städte und Dörfer; besonders fest aber ist eine
Stadt, die annähernd fünfzig Stadien im Umfang hat
und von etwa hundertzwanzigtausend Menschen bewohnt
wird. Diese letztere nennen sie Jerusalem. Hier be-
findet sich, so ziemlich inmitten der Stadt, eine steinerne,
etwa fünf Plethren 2 lange und hundert Ellen breite
Ringmauer mit zwei Thoren. Innerhalb dieser Um-
friedigung steht ein viereckiger Altar, der nicht aus be-
hauenen, sondern aus zusammengelesenen rohen Steinen
'erbaut ist; jede seiner Seiten ist zwanzig Ellen lang,
und in der Höhe misst er zehn Ellen. Neben ihm liegt
ein grosses Gebäude, in welchem ein Altar und ein
Leuchter sich befinden, beide von Gold, zwei Talente im
Gewicht. Über ihnen ist ein Licht angebracht, das Tag
und Nacht nicht verlöschen darf. Weder Bildwerke noch
Weihgeschenke sieht man dort, auch nicht die Spur
einer Anpflanzung, wie einen Hain oder dergleichen. In
dem Heiligtum halten sich bei Nacht wie bei Tage
Priester auf, die gewisse Weihen vornehmen und hier
keinen Wein trinken dürfen." Ausserdem bezeugt er,
1 apoupa, ein Flächenmass, das aber nicht überall gleich gross
war. Die aegyptische A. mass nach Herodot II, 168 hundert Ellen
im Geviert.
2 1 Plethron = 80,83 Meter.
Gegen Apion, Erstes Buch.
123
dass wir die Kriegszüge Alexanders und später die seiner
Nachfolger mitgemacht haben. Ich will nur das an-
fuhren, was er von der That eines an dem Feldzuge be-
teiligten Juden berichtet und wovon er seiner Angabe
gemäsB selbst Augenzeuge war, nämlich folgendes: „Als
ich ans Rote Meer reiste, befand sich in der jüdischen
Reiterabteilung, die uns geleitete, auch ein mutiger und
starker Mann mit Namen Mosollam , 1 der bei Griechen wie
Barbaren allgemein als der beste Bogenschütz anerkannt
war. Als nun die ganze Schar auf der Strasse bei-
sammen marschierte und ein Wahrsager, der den Flug
der Vögel beobachten wollte, alles Stillstehen hiess,
fragte der Jude, weshalb man denn warte. Der Wahr-
sager machte ihn nun auf einen bestimmten Vogel auf-
merksam und erklärte ihm, wenn dieser sitzen bleibe,
wo er sich jetzt befinde, sei es auch für sie ratsam, an
Ort und Stelle zu verweilen; wenn er sich aber erhebe
und vor- oder rückwärts fliege , müssten sie dement-
sprechend weiterziehen oder umkehren. Ohne ein Wort
zu sagen, spannte der Jude den Bogen und schoss den
Vogel tot. Hierüber wurden der Wahrsager und einige
andere unwillig, und als sie ihn deshalb verwünschten,
entgegnete er: „Was seid ihr doch für verrückte Menschen,
dass ihr euch mit diesem Unglücksvogel einlasst! Wie
hätte er, der nicht einmal voraussah, was seiner eigenen
Rettung diente, uns einen vernünftigen Rat inbetreff
unseres Marsches geben können? Denn wäre er imstande
gewesen, die Zukunft vorher zu wissen, so hätte er sich
wohl nicht an diesen Ort begeben, aus Furcht, der Jude
Mosollam könnte ihn mit einem Pfeilschuss töten!“
Doch genug von dem Zeugnis des Hekataios; wer Lust
hat, kann ja das nähere leicht aus dem Buche selbst
erfahren. — Als einen weiteren Schriftsteller, der unser
Volk erwähnt hat, stehe ich nicht an den Agatharchides
zu nennen, obwohl er uns wegen unserer Einfalt zu
verspotten für gut findet. Er spricht von uns bei
1 Meschullam.
124
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Gelegenheit des Berichtes über Stratonike , 1 von der
er erzählt, wie sie ihren Mann Demetrius verlassen
habe und aus Macedonien nach Syrien gekommen sei;
alsdann habe sie, da Seleukus ihrer Erwartung ent-
gegen sie nicht ehelichen wollte und D&metrius bei
Babylon ein Heer zusammenzog, zu Antiochia einen
Aufstand erregt. Der König aber sei alsbald von seinem
Feldzug zurückgekehrt und habe Antiochia erobert;
hierauf sei sie nach Seleukia geflohen und, obwohl sie
rasch zu Schiff entkommen konnte, wenn sie nicht auf
einen Traum geachtet hätte, der ihr hiervon abriet, ge-
fangen genommen und getötet worden. Im Anschluss
an diesen Bericht spottet nun Agatharchides über das
abergläubische Gebaren der Stratonike, wobei er dann
auch auf uns zu sprechen kommt, und «war folgender-
massen: „Die sogenannten Juden bewohnen eine über-
aus stark befestigte Stadt, welche die Eingeborenen Jeru-
salem nennen. Sie haben die Gewohnheit, sich am
siebenten Tage der Arbeit zu enthalten und während
desselben weder Waffen zu tragen noch den Acker zu
bauen noch irgend einer anderen Beschäftigung obzu-
liegen; vielmehr beten sie mit ausgebreiteten Händen
im Tempel bis zum Abend. Einst zog Ptolemaeus Lagi
an einem solchen Tage mit Heeresmacht in die Stadt
ein, und da die Bewohner an ihrer unsinnigen Gewohn-
heit festhielten, anstatt ihre Vaterstadt zu beschützen,
bekam diese einen harten Gebieter. Es war somit der
Beweis geliefert, dass das Gesetz einen ganz verderb-
lichen Brauch eingeführt hatte. Auch zogen alle, nur
nicht die Juden, aus diesem Ereignis die Lehre, dass
man solchen Träumereien nicht nachhängen dürfe und
den hergebrachten Wahn von einem religiösen Gesetz
auf geben müsse, sobald vernünftige Überlegung in be-
drängter Lage keinen Ausweg mehr sieht" Die Treue
gegen das Gesetz kommt also dem Agatharchides lächer-
lich vor; prüft man aber ohne Vorurteil, so wird man
1 Tochter Antiochus’ I. (Soter).
Gegen Apion, Erste« Buch.
125
eine bedeutsame und durchaus lobenswerte Erscheinung
darin finden, dass es Leute giebt, welche die Beob-
achtung der Gesetze und die Frömmigkeit gegen Gott
allzeit höher achten wie ihre eigene und des Vaterlandes
Rettung.
23. Nun glaube ich auch einen Beweis dafür bei-
bringen zu müssen, dass manche Schriftstell sr unser Volk
wohl kannten, aber aus Neid oder anderen unreinen
Beweggründen keinen Vermerk von ihm nehmen wollten.
Das ist z. B. bei Hieronymos der Fall , der eine Ge-
schichte der Diadochen schrieb, mit Hekataios gleich-
zeitig lebte, ein Freund des Königs Antigonus 1 war und
das Amt eines Statthalters von Syrien bekleidete.
Während nämlich Hekataios ein besonderes Werk über
uns verfasste, hat Hieronymos in seiner Geschichte mit
keiner Silbe unseres Volkes gedacht, obwohl er sozu-
sagen in Judaea aufgewachsen war: so verschiedentlich
war das Interesse, das jene beiden Männer für uns hegten.
Der eine glaubte uns eines genauen Berichtes würdigen
zu sollen ; dem anderen verdunkelte eine unbillige Leiden-
schaft gänzlich die Erkenntnis der Wahrheit. Doch es
genügen, um das hohe Alter unseres Volkes zu be-
weisen, die Aufzeichnungen der Aegyptier, Chaldäer und
Phoenicier, an welche sich noch eine beträchtliche Zahl
griechischer Schriftwerke anreiht. Denn ausser den bereits
erwähnten Geschichtschreibern haben Theophilos, Theo-
dotos, Mnaseas, Aristophanes , Hermogenes, Euhemeros,
Konon , Zopyrion und auch wohl noch viele andere —
alle Bücher habe ich ja nicht gelesen — unser Er-
wähnung gethan, und zwar nicht bloss beiläufig. Freilich
haben die Genannten der Mehrzahl nach unsere alte
Geschichte nicht wahrheitsgetreu dargestellt, weil unsere
heiligen Bücher ihnen nicht zugänglich waren ; was aber
die Frage angeht, die uns hier zunächst beschäftigt,
nämlich das hohe Alter unseres Volkes, so haben eie
sich alle einstimmig zu gunsten desselben ausgesprochen.
1 A. Gonatas, König' von Macedonien. (seit 277 v. Cbr.)
126
Des Flavius Josephus kleiaere Schriften.
Auch Demetrius Phalereus, der ältere Philo und Eupo-
lemos sind allerdings nicht ganz bei der Wahrheit ge«
blieben; doch kann man ihnen das nachsehen, denn es
war ihnen nicht möglich, sich genau an unsere Schriften
zu halten.
24. Jetzt erübrigt mir noch eine besonders wichtige
Aufgabe, die ich mir zu Beginn dieser Abhandlung ge-
stellt habe, nämlich die Grundlosigkeit der Verleum-
dungen und Schmähungen nachzuweisen, welche hier und
da gegen unser Volk vorgebracht wurden, sowie die
Schriftsteller, die sie sich haben zu schulden kommen
lassen, durch ihr eigenes Zeugnis zu überführen. Dass
dergleichen Verunglimpfungen infolge der Böswilligkeit
dieses oder jenes Geschichtschreibers auch sonst häufig
Vorkommen, ist, wie ich wohl annehmen darf, allen, die
mit geschichtlichen Studien vertrauter sind, hinreichend
bekannt. Denn gar manche gefielen sich darin, den Adel
ganzer Völker wie der berühmtesten Städte zu beflecken
und deren Verfassung zu schmähen. So hat Theopompos
die staatlichen Einrichtungen der Athener, Polykrates
die der Lakedaemonier, der Verfasser des „Tripolitikos“ 1
— Theopompos nämlich ist es sicher nicht, wie man
hier und da glaubt — dazu noch die der Thebäer ver-
leumdet. Eine Reihe von Beschimpfungen schleuderte
auch Timaios in seinen Geschichtswerken gegen die er-
wähnten und gegen andere Gemeinwesen. Mit besonderer
Vorliebe befolgt man dieses System gerade bei den be-
rühmtesten Städten, teils aus Missgunst und Böswillig-
keit, teils in der Hoffnung, sich durch neue Behaup-
tungen einen Namen zu machen. Bei beschränkten
Köpfen sehen diese Verleumder ihre Erwartungen auch
stets erfüllt; Leute von gesundem Urteil dagegen ver-
dammen das nichtswürdige Treiben.
25. Den Anfang mit Schmähungen gegen uns machten
die Aegyptier, und um sich ihr Wohlgefallen zu er-
1 Dieses „Dreistädtebuch“, eine Schmähschrift gegen Athen,
Sparta und Theben, war von einem Feinde des Theopompos in dessen
Manier geschrieben worden, um ihn verhasst zu machen.
Gegen Apion, Erstes Buch.
127
werben, haben auch sonst manche sich damit abgegeben,
die Wahrheit zu verdrehen, indem sie weder die als ge-
schichtliche Thatsache feststehende Einwanderung unserer
Vorfahren nach Aegypten zugeben, noch ihren Auszug
Wahrheitsgemäss darstellen. Gründe, uns zu hassen und
zu beneiden, hatten ja die Aegyptier genug, vor allem
den, dass unsere Vorfahren in Aegypten das herrschende
Element waren und, als sie nach dem Auszug von dort
die Reise in ihr Heimatland machten, abermals der
Gunst des Glückes sich erfreuten. Arge Feindschaft er-
regte ferner bei ihnen der religiöse Gegensatz ; denn der
Unterschied unserer Gottesverehrung von der dort vor-
geschriebenen ist ebenso gross wie der Abstand zwischen
der Natur Gottes und der der unvernünftigen Tiere.
Herrscht doch bei ihnen der allgemeine Glaube, die
letzteren seien Götter, so Behr sie auch in der Art, sie
zu verehren, voneinander abweichen mögen. Fürwahr,
das sind gedankenlose und ganz unverständige Leute,
die sich seit uralter Zeit an schlechte Vorstellungen über
die Götter gewöhnt haben. Unsere ehrwürdige Lehre
von Gott anzunehmen, dazu konnten sie sich nicht auf-
rafien, und als sie sahen, wie zahlreich die Anhänger
unseres Glaubens wurden, da regte sich ihr Neid. Einige
von ihnen gingen in ihrer geistigen Beschränktheit und
in ihrem Unverstand so weit, dass sie sich nichts daraus
machten, ihren eigenen alten Urkunden zu widersprechen ;
ja, von ihrer Leidenschaft verblendet, merkten sie es
nicht einmal, wenn sie in ihren Schriften mit sich selbst
in Widerspruch gerieten.
26. Bei einem von ihnen, demselben, den ich weiter
oben als Zeugen für das hohe Alter unseres Volkes
angeführt habe , werde ich etwas länger verweilen,
nämlich bei Manetho. Indem dieser Schriftsteller, der
eine aegyptische Geschichte durch Übersetzung des Textes
der heiligen Bücher zu liefern verspricht, von unseren
Vorfahren erzählt, dass sie zu vielen Tausenden nach
Aegypten gekommen seien und dessen Bevölkerung unter-
jocht hätten, indem er ferner selbst zugiebt, dass sie in
128
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
späterer Zeit das Land wieder verlassen, das jetzige
Judaea in Besitz genommen, Jerusalem gegründet und
den Tempel erbaut hätten , • folgte er insoweit wirklich
dem Text der Urkunden. Dann aber verfahrt er will-
kürlich, erklärt, er wolle die über die Juden umlaufenden
Sagen und Gerüchte wiedergeben, streut unzuverlässiges
Gerede in die Erzählung ein und sucht einen Haufen
aussätziger und an sonstigen Krankheiten leidender
Aegyptier, die, wie er sagt, zur Verbannung aus Aegypten
verurteilt waren, mit uns in einen Topf zu werfen . 1
Dabei erwähnt er einen König Amenophis, dessen Name
erdichtet ist und dessen Regierungszeit er eben darum
nicht zu bestimmen wagt, obwohl er bei anderen Königen
die Jahreszahlen pünktlich beifügt. An diesen Namen
nun knüpft er gewisse Sagen und vergisst beinahe, dass
er den Auszug der Hirten nach Jerusalem fünfhundert-
achtzehn Jahre früher, als Tethmosis König war. an-
gesetzt hat. Sodann kommt eine Reihe von Königen,
die zusammen dreihundertdreiundneunzig Jahre regierten,
bis auf die Brüder Setho und Hermaios, von denen der
erstere nach Manetho den Namen Aigyptos, der letztere
den Namen Danaos erhalten haben soll. Setho vertrieb
den Hermaios und war neunundfünfzig Jahre König;
hierauf regierte sein ältester Sohn Rampses Sechsund-
sechzig Jahre lang. Nachdem nun Manetho selbst zu-
gestanden hat, dass unsere Väter um so viele Jahre
früher aus Aegypten ausgewandert sind, bringt er noch
den eingeschobenen König Amenophis daher und erzählt,
dieser habe wie einst Oros, einer seiner Vorfahren auf
dem Thron, die Götter zu schauen verlangt und seinen
Wunsch dem ebenfalls Amenophis heissenden Sohne des
Paapis kundgethan, der um seiner Weisheit und Pro-
phetengabe willen im Rufe eines der Gottheit verwandten
Mannes gestanden habe. Dieser Namensbruder nun habe
ihm gesagt, er werde die Götter schauen dürfen, wenn er
das ganze Land von Aussätzigen und. anderen Unreinen
Vergl. hierzu Ewald, Geschichte Israels II, S. 56— 77.
Gegen Apion, Erstes Buch.
129
säubere. Hierüber erfreut, habe der König alle, die an
körperlichen Gebrechen litten, achtzigtausend an der
Zahl, aus ganz Aegypten zusammenbringen lassen und
in die Steinbrüche östlich vom Nil geschickt, damit sie
dort, getrennt von den übrigen Aegyptiern, beschäftigt
würden . 1 Unter ihnen hätten sich auctf einige mit dem
Aussatz behaftete schriftgelehrte Priester befunden. Jener
Amenophis aber, der weise, mit der Zukunft vertraute
Mann, habe für sich und den König den Zorn der
Götter befürchtet, wenn sie diese Priester gewaltsam be-
handelt sähen, und deshalb die Weissagung hinzugefügt,
mit den Unreinen würden sich noch andere Menschen
verbünden und Aegypten dreizehn Jahre lang in ihrer
Gewalt haben. Doch habe er sich nicht getraut, dies
dem Könige zu sagen, sondern alles schriftlich hinter-
lassen und sich ums Leben gebracht, worüber der König
ganz mutlos geworden sei. Hierauf fährt Manetho wört-
lich also fort: „Als nun die Unreinen lange Zeit hin-
durch in den Steinbrüchen schwer gearbeitet hatten,
baten sie den König, er möge ihnen zur Erholung und
zum Schutz die damals verödete Stadt der Hirten an-
weisen, worauf er ihnen Auaris überliess, das der Götter-
lehre zufolge von alters her dem Typhon 2 verfallen war.
Kaum waren sie hier eingezogen, als sie im Vertrauen
auf die Beschaffenheit der Gegend abfielen und sich in
der Person eines Priesters von Heliopolis mit Namen
Osarsiph einen Führer erwählten, dem sie unbedingten
Gehorsam eidlich gelobten. Er legte ihnen nun vor
allem die gesetzliche Verpflichtung auf, die Götter nicht
anzubeten, keines der in Aegypten als besonders heilig
verehrten Tiere zu verschonen , vielmehr sie alle zu
schlachten und zu verzehren, und mit niemand als mit
den Eidgenossen sich einzulassen. Nachdem er solche
1 U ebersetzt nach Holwerdas Verbesserung: eiev xe^toptapivoi
(statt ot lYxExwpi<jp.evoi).
2 Typbon = Zerstörer des Lebens, Gegensatz des Osiris, Ungeheuer
mit hundert Schlangenköpfen, Erzeuger der lernäischen Schlange, der
Chimaira, der Sphinx u.a.
Josephus, Kleinei^j^^ütap|(-> 9
1 30 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
und noch sehr viele andere mit den Sitten der Aegyptier
in schreiendem Widerspruch stehende Gesetze erlassen
hatte, befahl er ihnen, mit vereinten Kräften die Mauern
der Stadt wieder aufzubauen und sich zum Kriege gegen
den König Amenophis zu rüsten. Er selbst nahm einige
Priester und eine Anzahl gleich ihm Verseuchter zu sich
und begab sich als Gesandter zu den von Tethmosis
verjagten Hirten in eine Stadt Namens Jerusalem, er-
zählte ihnen, wie es ihm und seinen Leidensgefährten
ergangen sei, und forderte sie auf, vereint mit ihm gegen
Aegypten zu marschieren. Zunächst, versprach er ihnen,
werde er sie in die Vaterstadt ihrer Ahnen, Auaris,
führen, die Lebensmittel für die gesamte Menge in Hülle
und Fülle herbeischaffen, im Notfall für sie kämpfen
und ihnen das Land mit leichter Mühe unterwerfen.
Hocherfreut zogen sie alle, gegen zweihunderttausend
Mann, bereitwillig mit ihm fort und kamen bald darauf
in Auaris an. Als Amenophis, der König der Aegyptier,
von ihrem Anrücken Kunde erhielt, geriet er, der Weis-
sagung Amenophis’, des Sohnes des Paapis, gedenkend,
in nicht geringe Bestürzung, zog grosse Scharen der
Aegyptier zusammen, hielt Kriegsrat mit den Befehls-
habern, liess die in den Tempeln vornehmlich verehrten
heiligen Tiere heranbringen und gebot den Priestern der
einzelnen Ortschaften, die Bildnisse der Götter in mög-
lichst sichere Verstecke zu schaffen. Seinen fünfjährigen
Sohn Setho, der nach seinem Vater Rampses auch Ra-
messes hiess, schickte er einem Freunde zu. Er selbst
rückte an der Spitze der übrigen Aegyptier, die fast dreihun -
derttausend durch und durch streitbare Männer zählten,
vor, lieferte jedoch den ihm entgegenziehenden Feinden
keine Schlacht, sondern kehrte in der Meinung, er werde
vielleicht gegen eine Gottheit zu kämpfen haben, wieder
um und begab sich nach Memphis. Hier nahm er den
Apis und die übrigen dort untergebrachten heiligen
Tiere und zog mit der Flotte und dem gesamten Heere
der Aegyptier eiligst hinauf nach Aethiopien. Der
König der Aethiopen nämlich war ihm zu Dank ver-
G o gle
131
Gegen Apion, Erstes Buch.
pflichtet, weshalb er auch die ganze Menge gastlich auf-
nahm und mit allen Lebensmitteln, wie das Land sie
lieferte, versah. Auch wies er ihnen Städte und Dörfer
an, welche für die dem Könige vorher bestimmten drei-
zehn Jahre des Verlustes seiner Herrschaft genügen
konnten, und gab ihnen ein aethiopisches Heer bei, das
für den König Amenophis und die Seinen die Grenzen
gegen Aegypten hin bewachen sollte. So sah es in
Aethiopien aus. Die Solymiter aber verfuhren , als sie
mit den unreinen Aegyptiern in das Land gekommen
waren, gegen dessen Bewohner so ruchlos, dass die da-
maligen Zeugen ihrer Frevel keine schlimmere Herr-
schaft für möglich hielten. Denn es war ihnen nicht
genug, Städte und Dörfer einzuäschern, Heiligtümer zu
plündern und Bildnisse von Göttern zu zerstören, sondern
sie gebrauchten sogar die letzteren beständig beim Braten
der göttlich verehrten heiligen Tiere, nötigten die Priester
und Wahrsager, diese zu schlachten und zu opfern, und
jagten sie selbst nackt davon. Der ihre Verfassung
einrichtete und ihnen Gesetze gab, war, wie es heisst,
ein Priester aus Heliopolis mit Namen Osarsiph — so
genannt nach dem in Heliopolis verehrten Osiris 1 — ,
und seitdem er an dieses Volk sich anschloss, soll er
den veränderten Namen Moyses angenommen haben.
27. Das also ist es, was die Aegyptier über die Juden
berichten ; vieles andere übergehe ich der Kürze halber.
Übrigens sagt Manetho an einer anderen Stelle, Ame-
nophis sei später mit grosser Streitmacht wie auch sein
Sohn Rampses, der gleichfalls ein Heer befehligte, aus
Aethiopien zurückgekehrt; die beiden hätten dann den
Hirten und den Unreinen eine Schlacht geliefert, sie
besiegt, viele von ihnen getötet und die übrigen bis zu
den Grenzen Syriens verfolgt. Dies und ähnliches ist
in Manethos Schrift zu finden. Dass er aber damit
thörichtes Geschwätz und offenbare Lügen vorbringt,
werde ich beweisen, und nur einen Punkt nehme ich um
1 Osar-sif = Schwert des Osiris.
82
Des Flavias Josephas kleinere Schriften.
dessetwillen , was ich gleich gegen ihn sagen will, von
diesem Urteil aus. Er selbst nämlich hat uns das aus-
drückliche Zugeständnis gemacht, dass die Juden ursprüng-
lich keine Aegyptier waren, vielmehr von auswärts nach
Aegypten kamen, es in ihre Gewalt brachten und später
wieder fortzogen. Dass aber die körperlich Siechen unter
den Aegyptiern sich nachher nicht mit uns verbanden,
und dass Moyses, der Führer des Volkes, nicht zu
ihnen gehörte, sondern viele Menschenalter früher lebte,
das will ich aus Manethos eigenen Angaben zu beweisen
suchen.
28. Lächerlich ist zunächst die Veranlassung, die er
jenen erdichteten Begebenheiten zu Grunde legt. „Der
König Amenophis,“ sagt er, „begehrte die Götter zu
schauen.“ Was für Götter? Sollen es die gewesen sein,
die bei den Aegyptiern als solche galten, der Stier, der
Bock, Krokodile und Hundsaffen, so sah er diese ja;
die himmlischen Götter aber, wie konnte er sie sehen?
Und warum hatte er dieses Verlangen? Antwort: „Weil
einer der früheren Könige sie gesehen hatte.“ Durch
ihn musste er also doch auch erfahren haben , wie be-
schaffen sie sind und wie er es angestellt hatte, sie zu
Gesicht zu bekommen, sodass es eines neuen Kunstgriffs
nicht bedurfte! Aber vielleicht war der Wahrsager,
durch dessen Vermittelung der König seinen Zweck zu
erreichen hoffte, ein besonders weiser Mann. Nun, warum
hätte er dann nicht auch wissen sollen, wie unmöglich
die Erfüllung jenes Verlangens war, das ja thatsächlich
nie gestillt wurde. Und wodurch sollen die Götter sich
veranlasst gesehen haben, wegen der Verstümmelten
oder Aussätzigen sich dem Anblick zu entziehen? Sie
geraten doch über Schandthaten und nicht über körper-
liche Gebrechen in Zorn. Wie war es ferner möglich,
achtzigtausend Aussätzige und Sieche sozusagen an einem
Tage zusammenzubringen? Und wie kam es, dass der
König dem Wahrsager nicht folgte? Dieser hatte ihm
ja geraten, die Kranken über die Grenze Aegyptens zu
schaffen. Er aber steckte sie in die Steinbrüche, als.
Gegen Apion, Erstes Buch.
133
hätte er Arbeiter nötig gehabt, nicht aber das Land
säubern wollen. Des weiteren berichtet er, der Wahr-
sager habe, weil er den Zorn der Götter und das dem
Lande der Aegyptier drohende Unheil voraussah, sich
das Leben genommen und dem Könige seine Weissagung
schriftlich hinterlassen. Aber weshalb wusste der Wahr-
sager nicht gleich anfangs seinen eigenen Tod vor-
aus? Und warum hat er nicht sofort dem Könige den
Wunsch, die Götter zu sehen, ausgeredet? Wie unwahr-
scheinlich ist ferner bei ihm die Furcht vor zukünftigem
Unglück, das nicht mehr zu seinen Lebzeiten eintreten
sollte ! Oder welches schlimmere Leid stand ihm bevor,
dass er so grosse Eile hatte, sich selbst zu töten ? Doch
das unsinnigste kommt noch : der König, der dies er-
fährt und wegen der Zukunft sehr besorgt ist, treibt
jene Siechen, von denen er der Verkündigung gemäss
Aegypten hätte reinigen sollen, auch jetzt noch nicht
aus dem Lande, sondern schenkt ihnen auf ihre Bitten
die einst von den Hirten bewohnte, Auaris genannte
Stadt. Hier, sagt Manetho, sammelten sie sich und
wählten zu ihrem Oberhaupt einen aus den ehemaligen
Priestern von Heliopolis, der ihnen dann vorschrieb,
weder die Götter anzubeten noch die in Aegypten heilig
gehaltenen Tiere zu verschonen, sondern sie alle zu
opfern und zu verzehren, und mit niemand als mit Eid-
genossen in Verbindung zu treten ; denn er habe die
Menge durch Eidschwüre verpflichtet, diese Gesetze un-
verbrüchlich zu halten. Auch habe er Auaris befestigt
und den König mit Krieg überzogen. Manetho fügt
dann noch hinzu, der Gesetzgeber habe nach Jerusalem
geschickt und dessen Bewohner aufgefordert, seine Kampf-
genossen zu werden, unter dem Versprechen, ihnen
Auaris schenken zu wollen; denn diese Stadt sei der
Stammsitz derer, die aus Jerusalem zu ihm kommen
würden, und von ihr aus könnten sie ganz Aegypten
unteijochen. Sie seien auch in der That, fährt er fort,
zweihunderttausend streitbare Männer an der Zahl, heran -
gerückt, und Amenophis, der König der Aegyptier. sei,
134
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
um nicht gegen einen Gott ankämpfen zu müssen,
schleunigst nach Aethiopien geflohen, nachdem er zuvor
den Apis und einige andere heilige Tiere den Priestern
in Verwahr gegeben hatte. Die Ankömmlinge aus Jeru-
salem hätten alsdann die Städte zerstört, die Tempel
eingeäschert, die Pferde getötet und überhaupt alle er-
denklichen Frevel und Grausamkeiten begangen. Der
Schöpfer ihrer Verfassung und ihrer heiligen Gesetze,
sagt er weiter, sei aus Heliopolis gewesen und nach dem
daselbst verehrten Osiris Osarsiph genannt worden, habe
aber seinen Namen in Moyses geändert. Nach dreizehn
Jahren — der ihm vom Schicksal bestimmten Verban-
nungszeit — sei dann Amenophis an der Spitze einer
gewaltigen Streitmacht aus Aethiopien zurückgekehrt,
habe die Hirten und die Unreinen in einer Schlacht
besiegt, viele von ihnen niedergemetzelt und die übrigen
bis zur Grenze Syriens verfolgt
29. Abermals merkt Manetho nicht, wie er gegen
alle Wahrscheinlichkeit hier lügt. Denn wenn auch die
Aussätzigen und ihre zahlreichen Verbündeten dem
Könige und den Urhebern der auf die Prophezeiung
des Wahrsagers hin gegen sie ergriffenen Massregeln
zunächst grollten, so müssen sie sicherlich, als sie
die Steinbrüche verlassen durften und vom König eine
Stadt nebst Ländereien zum Geschenk erhielten, milder
gegen ihn gestimmt worden sein. Aber selbst wenn sie
ihn hassten, hätten sie doch wohl ihm allein nach dem
Leben getrachtet und nicht das ganze Volk, unter dem
sie bei ihrer grossen Anzahl gewiss recht viele Ver-
wandte hatten, mit Krieg überzogen. Doch auch für
den Fall, dass sie entschlossen gewesen wären, mit
Menschen zu kämpfen, hätten sie immerhin deren
Götter nicht zu beleidigen gewagt und keine Gesetze
aufgestellt, die ihren väterlichen Satzungen, unter denen
sie erzogen waren , schnurstracks zuwiderliefen. Wir
müssen übrigens dem Manetho Dank dafür wissen, dass
er als die Haupturheber dieses Frevels nicht die Zuzügler
aus Jerusalem hinstellt, sondern eben die Aegyptier
Gegen Apion, Erstes Buch.
135
selbst, deren Priester ihn vornehmlich geplant und die
Menge durch Eidschwüre verpflichtet haben sollen. Aber
wie reimt sich dies? Da soll niemand von ihren An-
gehörigen und Freunden an ihrer Empörung teilgenommen,
niemand den Gefahren des Kampfes gleich ihnen sich
unterzogen haben, während dagegen die Unreinen nach
Jerusalem geschickt und von hier sich Bundesgenossen
geholt hätten. Welcher Art war denn die Freundschaft
oder Verwandtschaft, die sie bisher mit diesen verbunden
haben sollte? Nein, sie waren im Gegenteil deren Feinde
und vermöge ihrer Sitten himmelweit von jenen ver-
schieden. Trotzdem sollen sie auf das blosse Ver-
sprechen hin, sie würden Aegypten in ihre Gewalt be-
kommen, ihnen unverzüglich willfahrt haben — als
hätten sie das Land, aus dem sie doch mit Gewalt ver-
trieben worden waren, nicht gekannt. Ja, wären sie
arm oder sonst übel dran gewesen, so hätten sie viel-
leicht alles aufs Spiel gesetzt. Aber sie bewohnten eine
wohlhabende Stadt und genossen die Früchte eines grossen
Landes , das noch gesegneter ist wie Aegypten ; warum
also hätten sie alten Feinden, die noch dazu mit einer
Krankheit behaftet waren, vor der selbst die nächsten
Angehörigen sich scheu zurückziehen, in ihrem tollkühnen
Unternehmen Hilfe leisten sollen? Die spätere Flucht
des Königs konnten sie selbstverständlich nicht vorher-
wissen ; vielmehr sagt ja Manetho selbst, der Sohn des
Amenophis sei ihnen mit dreihunderttausend Mann bis
Pelusium entgegengezogen. Das war den dort Befind-
lichen zweifellos bekannt; woraus aber hätten sie auf
seine Sinnesänderung und die von ihm geplante Flucht
schliessen sollen? Weiter berichtet er, die Ankömmlinge
aus Jerusalem hätten die Getreide Vorräte Aegyptens ge-
raubt und viele Greuel verübt. Und deshalb schimpft
er über sie und thut, als ob keine Feinde ihnen entgegen-
gerückt wären oder als dürfte man von auswärts herbei-
gerufenen Kriegern das zur Last legen, was schon vor
ihrer Ankunft geborene Aegyptier gethan und in Zu-
kunft zu thun geschworen hatten. „Aber längere Zeit
136
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
nachher,“ heisst es weiter, „rückte Amenophis heran,
siegte in einem Treffen und trieb die Feinde unter
stetem Gemetzel bis nach Syrien.“ Natürlich, so leicht
ist es für jeden Feind , sich Aegyptens zu bemächtigen,
er mag kommen, woher er will; und die, welche damals
das Land als Eroberer beherrschten, haben selbstver-
ständlich auf die Kunde, dass Amenophis noch lebe,
weder die Pässe nach Aethiopien, zu deren Befestigung
sie so viele Mittel besassen, verschanzt noch überhaupt
ihr Heer in Bereitschaft gehalten! Und dann sagt
Manetho noch: „Mordend verfolgte er sie bis nach
Syrien durch die wasserlose Sandwüste.“ Bekanntlich
ist aber diese Wüste selbst für ein nicht im Kampfe
begriffenes Heer nur schwer zu durchziehen.
30. Nach Manetho stammt also unser Volk weder
aus Aegypten, noch haben sich Bewohner dieses Landes
mit ihm vermischt. Denn von den Aussätzigen und
Kranken müssen doch viele in den Steinbrüchen, wo
sie lange Zeit verweilten und schwere Leiden erduldeten,
viele auch in den nachmaligen Schlachten, die meisten
jedoch im letzten Treffen und auf der Flucht um-
gekommen sein.
31. Es erübrigt mir nun noch, ein Wort mit ihm über
Moyses zu reden. Diesen halten auch die Aegyptier
für einen bewundernswerten und gottgesandten Mann ;
sie möchten ihn aber sich selbst aneignen, indem sie die
unglaubliche Verleumdung ausstreuen, er sei ein Priester
aus Heliopolis gewesen und wegen seines Aussatzes ver-
trieben worden, während doch aus den Urkunden erhellt,
dass er fünfhundertachtzehn Jahre früher gelebt und unsere
Väter in das jetzt von ihnen bewohnte Land geführt
hat. Dass er aber auch an keinem derartigen Gebrechen
litt, geht aus seinen eigenen Anordnungen deutlich her-
vor. Den Aussätzigen nämlich verbot er, in der Stadt
zu bleiben oder in einem Dorfe Wohnung zu nehmen —
sondern sie sollen allein und mit zerrissenen Kleidern
im Freien umherwandeln, und wer sie auch nur berührt
oder unter einem Dache mit ihnen zusammenwohnt, den
Gegen Aplon, Erstes Buch.
137
erklärt er für unrein. Ja, selbst für den Fall, dass die
Krankheit geheilt wird und der Leib seine frühere Be-
schaffenheit wiedererlangt, schrieb er gewisse Reinigungen
vor, nämlich Abwaschungen und Bäder in Quellwasser
und das Abscheren aller Haare; und erst wenn der Ge-
heilte viele und mannigfaltige Opfer dargebracht hat,
erlaubt er ihm den Eintritt in die heilige Stadt. 1 Wäre
er nun selbst mit diesem Gebrechen behaftet gewesen,
so hätte man doch im Gegenteil eine gewisse menschen-
freundliche Fürsorge für seine Leidensgenossen von ihm
erwarten dürfen. Aber nicht allein inbetreff der Aus-
sätzigen hat er solche Bestimmungen erlassen, sondern
er schlie8st sogar alle, die auch nur den geringsten
körperlichen Fehler aufweisen, von der Priesterwürde
aus, und wenn jemand mitten während der heiligen
Handlungen von einem solchen Unglück betroffen wird,
so nimmt er ihm sein Amt. 2 Wie ist es nun denkbar,
dasB er solche Bestimmungen traf, die gegen ihn selbst
zur Anwendung kommen mussten, und dass er Gesetze zu
seiner eigenen Schmach und Schande gab? Auch dass
er den Namen gewechselt haben soll, ist höchst un-
wahrscheinlich. „Früher ,“ sagt Manetho, „hiess er Osar-
siph.“ Dieser Name stimmt aber doch gar nicht mit der
späteren Änderung; der wahre Name bezeichnet viel-
mehr den Moyses als einen aus dem Wasser Geretteten:
denn Wasser heisst bei den Aegyptiern „Moy“. Ich
glaube nun den genügenden Beweis erbracht zu haben,
dass Manetho zwar, so lange er sich an die alten Ur-
kunden hält, der geschichtlichen Wahrheit ziemlich nahe
kommt, dass er aber, sowie er sich unverbürgten Sagen
zuwendet, entweder selbst unglaubwürdige Vermutungen
aufstellt oder den Leuten glaubt, deren Aussagen vom
Hasse beeinflusst sind. 3
1 3. Mos. 13 ff.; Matth. 8, 4; Mark. 1,44; Luk. 5, 14.
2 3. Mos. 21, 17 ff.
3 Historische Treue konnte man von Manetho auch wohl nicht
erwarten. Denn wie er selbst in der Vorrede an Ptolemaeus Pbila-
delphus angiebt, war seine Schrift eine Antwort auf die Frage dieses
138
Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften.
32. Nach ihm möchte ich noch Chairemon einer
Prüfung unterziehen ; denn auch er will eine „Aegyptische
Geschichte“ geschrieben haben. Er führt denselben
Königsnamen an wie Manetho, nämlich Amenophis,
nennt dessen Sohn Ramesses und sagt dann weiter, Isis
sei dem Amenophis im Traum erschienen und habe ihm
Vorwürfe darüber gemacht, dass ihr Heiligtum im Kriege
verwüstet worden sei. Ein Schriftgelehrter Namens
Phritiphantes habe ihm nun erklärt, das Schreckbild
werde ihn in Ruhe lassen, wenn er Aegypten von den
mit unreinen Krankheiten behafteten Leuten säubere.
Darauf habe der König zweihundertfünfzigtausend Sieche
zusammengebracht und des Landes verwiesen. Ihre
Führer seien die Schriftkundigen Moyses und Joseph
gewesen: denn auch letzterer habe die heilige Schrift
verstanden. Die aegyptische Bezeichnung für Moyses
habe Tisithen, für Joseph Peteseph gelautet. Diese
seien nun nach Pelusium gekommen und hätten dort
dreihundertachtzigtausend von Amenophis zurückgelassene
Menschen getroffen, denen er die Übersiedelung nach
Aegypten nicht habe gestatten wollen. Mit ihnen ver-
bündet hätten sie alsdann einen Feldzug gegen Aegypten
unternommen. Amenophis aber habe ihrem Angriff
nicht standgehalten, sondern sei mit Zurücklassung seiner
schwangeren Gattin nach Aethiopien geflohen. In einer
Höhle versteckt habe nun das Weib einen Sohn Messenes 1
geboren, der, zum Manne herangereift, die etwa zwei-
hunderttausend Köpfe zählenden Juden nach Syrien
verjagt und seinen Vater Amenophis aus Aethiopien
wieder heimgeholt habe.
33. Soweit Chairemon. Die Lügenhaftigkeit der
beiden Schriftsteller ergiebt sich aber, wie ich glaube,
Königs : jzepi Ttov ueXXovTcov tu> xocrpcu yiyveaflat’ (Uber die iu-
künftigen Schicksale der Welt). Ein Werk aber, dessen Hauptzweck
die Prophezeiung war, nahm es mit der geschichtlichen Wahrheit
vermutlich nicht allzu genau.
1 Nach Bekker ist hier zu lesen: Ramesses. S. auch Ewald,
Gesch. Israels II, S. 124.
Gegen Apion, Erstes Buch.
139
von selbst aus ihren Berichten aufs deutlichste. Lägen
nämlich den letzteren wahre Begebenheiten zu Grunde,
so könnten die beiderseitigen Angaben nicht so sehr
voneinander ab weichen. Nur wer sich mit Lügen ab-
giebt, kümmert sich nicht um die Übereinstimmung seiner
Schriften mit anderen, sondern erdichtet, was ihm selbst
gut dünkt So erzählt denn Manetho, das Verlangen
des Königs, die Götter zu schauen, sei die Veranlassung
zur Ausweisung der Unreinen gewesen, während Chai-
remon anderseits sich einen Traum von der Isis zurecht-
legt. Bei jenem heisst der Mann, der dem Könige den
Rat gab, das Land zu säubern, Amenophis, bei diesem
Phritiphantes. Recht nett stimmen auch die Zahlen-
angaben überein: der eine spricht von achtzigtausend,
der andere von zweihundertfünfzigtausend Personen.
Ferner: Manetho schickt die Unreinen zunächst in die
Steinbrüche, dann giebt er ihnen Auaris zum Wohnsitz,
lässt sie die anderen Aegyptier mit Krieg überziehen und
nun erst Hilfe von Jerusalem herbeirufen; nach Chai-
remon dagegen treffen sie gleich nach ihrem Auszug aus
Aegypten bei Pelusium dreihundertachtzigtausend von
Amenophis dort zurück gelassene Menschen an, mit denen
vereint sie wieder über die Aegyptier herfallen und
den Amenophis nach Aethiopien verjagen. Das schönste
aber ist, dass der Erfinder des Traumes von der Isis
und den Aussätzigen weder sagt, was die vielen Myriaden,
die jenes Heer bildeten, für Leute waren noch woher
sie kamen : ob sie geborene Aegyptier oder von auswärts
herangezogen waren. Ja, nicht einmal den Grund giebt
er an, warum der König sie nicht nach Aegypten habe
führen wollen. Sodann stellt Chairemon dem Moyses
als mit ihm des Landes verwiesen den Joseph zur Seite,
der doch vier Menschenalter , d. h. etwa hundertsiebzig
Jahre vor Moyses starb. Weiter: Ramesses, der Sohn
des Amenophis, steht nach Manetho bereits im Jünglings-
alter, zieht mit seinem Vater in den Kampf und flieht
gleich ihm nach Aethiopien; Chairemon aber lässt ihn
erst nach dem Tode seines Vaters in einer Höhle ge-
140 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften.
boren werden , später eine Schlacht gewinnen und dann
zweihunderttausend Juden nach Syrien vertreiben. Welche
Leichtfertigkeit! Denn wie er vorher nichts davon sagt,
wer denn die dreihundertachtzigtausend waren, so hören
wir auch nicht, wie die vierhundertdreissigtausend um-
kamen, ob sie in der Schlacht fielen oder sich dem
Ramesses ergaben. Das allerseltsamste aber ist, dass
man bei ihm gar keine Klarheit darüber gewinnen kann,
wer die von ihm genannten Juden sind oder welchem
Teile er diese Bezeichnung beilegt, ob den zweihundert-
fünfzigtausend Aussätzigen oder den dreihundertachtzig-
tausend, die bei Pelusium standen. Doch es könnte
thöricht aussehen, wenn ich solche Schriftsteller, die sich
selbst widerlegt haben, noch ferner widerlegen wollte;
denn sie kommen , wenn andere dies nicht thun, jeden-
falls schlimmer weg.
34. Endlich will ich noch den Lysimachos anführen,
der nicht nur auf demselben Boden der Lüge steht wie
die Genannten, sondern ihre Unglaubwürdigkeit mit
seinen Erdichtungen sogar noch überbietet. Deshalb
kann es keinem Zweifel unterliegen, dass ihm lediglich
der Hass die Feder führte. Er sagt nämlich, unter dem
aegyptischen König Bokchoris sei das mit Aussatz,
Krätze und anderen Krankheiten behaftete Volk der
Juden in die Tempel geflohen und habe hier um Speise
gebettelt. Immer weiter habe die Krankheit sich aus-
gebreitet, und dazu sei auch noch das Land unfruchtbar
geworden. Der König Bokchoris habe nun zu Ammon 1
geschickt, um einen Orakelspruch inbetreff der Un-
fruchtbarkeit zu erhalten, und es sei ihm von dem Gotte
der Bescheid erteilt worden, er solle die Heiligtümer von
den unreinen und gottlosen Menschen säubern, diese
aus den Tempeln in die Wüste jagen, die Krätzigen und
Aussätzigen aber, über deren Dasein die Sonne 2 zürne,
1 Vergl. Tacitus, Hist. V, 8. Das Orakel des Ammon war das
bedeutendste in Aegypten (Herodot I, 46 ; II, 83).
‘ Ueber den Sonnengott der Aegyptier vergl. Herzog, R.-E. XIV, 532.
Gegen Apion, Erstes Buch.
141
ertränken und die Tempel durch Sühnopfer heiligen ;
dann werde die Fruchtbarkeit des Landes sich wieder
einstellen. Nach Empfang dieses Spruches habe Bok-
choris die Priester und Altardiener berufen und ihnen
befohlen , die Unreinen auszusondern und sie durch
Soldaten in die Wüste abführen, die Aussätzigen aber
in Blei einhüllen und ins Meer versenken zu lassen.
Demgemäss habe man die Aussätzigen und Krätzigen
ertränkt und die übrigen samt und sonders in Einöden
versetzt, damit sie hier zu Grunde gingen. Sie aber
hätten sich zusammengeschart und nach gepflogener Be-
ratung in der ersten Nacht bei brennendem Feuer und
Lampenlicht gewacht, um sich zu schützen, in der nächst-
folgenden aber durch Fasten die Götter zu versöhnen
gesucht und um Rettung zu ihnen gefleht. Tags darauf
habe dann ein gewisser Moyses ihnen geraten, unverzagt
und geradeswegs vorwärts zu dringen, bis sie bewohnte
Gegenden erreichten, und ihnen ausdrücklich anbefohlen,
keinem Menschen eine wohlwollende Gesinnung zu be-
weisen, niemand den besten, sondern jedem den schlech-
testen Rat zu geben und die Tempel und Altäre der
Götter, wo sie solche anträfen, zu zerstören. Die anderen
hätten ihm Beifall gezollt, ihren Entschluss ins Werk
gesetzt, die Wüste durchzogen und seien nach vielen
Mühseligkeiten endlich in bewohnte Gegenden gekommen.
Unter steter Misshandlung von Menschen, Plünderung
und Einäscherung von Tempeln hätten sie dann das
jetzt Judaea genannte Land erreicht, eine Stadt gegründet
und daselbst sich niedergelassen. Von dem Gebaren der
Gründer sei diese Stadt Hierosyla 1 genannt worden ;
später aber, als sie zu grösserer Macht gelangten, hätten
sie den Namen, um der damit verbundenen Schmähung
zu entgehen, geändert und die Stadt Hierosolyrna , sich
selbst also Hierosolymer genannt.
35. Dieser Lysimachos wusste also nicht denselben
König anzugeben wie jene, sondern erdichtete wieder
D. i. Tempelraub.
142 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
einen neuen Namen. Auch erwähnt er nichts von einem
Traum und einem aegyptischen Wahrsager, sondern er
schlägt den Weg zu Ammon ein, um einen Orakelspruch
inbetreff der Krätzigen und Aussätzigen zu holen. Wenn
er nun erzählt, es hätten sich eine Menge Juden in
den Tempeln zusammengefunden, legt er dann diesen
Namen den Aussätzigen als solchen bei, oder sollen
bloss die Juden mit. Krankheiten behaftet gewesen sein?
Er sagt ja: das Volk der Juden. Was denn für eins?
Ein von aussen zugewandertes, oder ein im Lande ein-
heimisches? Waren es Aegyptier, weshalb nennst du
sie Juden? Waren es Ausländer, warum sagst du nicht,
woher sie kamen? Und wie konnte es geschehen, dass,
nachdem der König viele von ihnen im Meer ertränkt
und die übrigen in öde Gegenden vertrieben hatte, doch
noch eine so grosse Anzahl übrig war? Oder auf welche
Weise konnten sie die Wüste durchziehen, das jetzt von
uns bewohnte Land in Besitz nehmen, sogar eine Stadt
daselbst gründen und den in aller Welt berühmten
Tempel erbauen? Sodann hätte Lysimachos nicht nur
den Namen des Gesetzgebers nennen, sondern auch sein
Geschlecht und seine Abstammung sowie die Gründe an-
geben sollen, weshalb er seinen Leuten auf dem Marsch
derartige Gesetze hinsichtlich der Götter und inbetreff
der gegen die Menschen zu verübenden Ungerechtigkeiten
gab. Waren seine Begleiter geborene Aegyptier, so
werden sie wohl ihren von den Vätern überkommenen
Gebräuchen nicht so ohne weiteres untreu geworden sein ;
waren sie anderswoher, so hatten sie doch sicher schon
gewisse durch lange Gewohnheit bei ihnen fest einge-
wurzelte Gesetze. Wenn sie übrigens wirklich hätten
schwören müssen, gegen die, von welchen sie vertrieben
waren, nie mehr eine freundliche Gesinnung zu hegen,
so könnte man da9 noch verständlich finden ; dass aber
Leute, die, wie Lysimachos selbst sagt, in schlimmer
Lage waren und jedermanns Beistand bedurften, mir
nichts dir nichts alle Menschen mit den fürchterlichsten
Kriegsdrohungen angegangen sein sollen, das ist der reine
Gegen Apion, Erstes Bach.
143
Unsinn, der freilich nicht den Verleumdeten zur Last
fallt, sondern dem Erfinder dieser Lüge. Wagt er doch
sogar die Behauptung, sie selbst hätten der Stadt vom
Tempelraub den Namen gegeben und diesen erst nachher
geändert. Daraus erhellt ja deutlich, dass den späteren
Geschlechtern dieser Name Hass und Schande zuzog,
während doch die Gründer der Stadt, indem sie ihn er-
fanden, sich selbst damit hatten ehren wollen. In seiner
unbändigen Schmähsucht hat der Treffliche auch ganz
übersehen, dass die jüdische Bezeichnung für Tempelraub
nicht dieselbe ist wie die griechische. Doch was braucht
man gegen einen so unverschämten Lügner noch weitere
Worte zu verschwenden? Übrigens hat ja dieses Buch
schon einen angemessenen Umfang erhalten, und so will
ich denn lieber von neuem ansetzen und das, was sonst
noch zum vorliegenden Thema gehört, im folgenden
Buche behandeln.
Zweites Bueh.
1. In dem vorigen Buche, geehrtester Epaphroditos,
habe ich das hohe Alter unseres Volkes zu beweisen
und die Wahrheit meiner Darlegungen durch die
Schriften der Phoenicier, Chaldäer und Aegyptier wie
auch durch viele griechische Geschichtschreiber, die ich
als Zeugen anführte, zu erhärten versucht; sodann wider-
legte ich Manetho, Chairemon und einige andere. Jetzt
will ich mir zunächst angelegen sein lassen, die Angriffe
der übrigen, welche etwas gegen uns geschrieben haben,
zurückzu weisen. Ob ich mir freilich Mühe geben solle,
den Grammatiker Apion zu widerlegen, darüber war ich
im Zweifel. Denn ein Teil dessen, was er schreibt, ähnelt
dem von anderen bereits Gesagten, ein weiterer Teil be-
steht aus seinen eigenen überaus geistlosen Zusätzen, das
meiste aber verrät einen so schlechten Geschmack und,
um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, einen so
hochgradigen Mangel an Bildung, wie er sich von dem
niedrigen Charakter eines Mannes, der all seiner Tage
nur ein Marktschreier war, erwarten liess. Weil jedoch
die meisten Menschen infolge ihres Unverstandes sich
durch derartiges Geschwätz mehr einnehmen lassen, als
durch gewissenhaft verfasste Schriftwerke, und an
Schimpfereien ihre Freude, gegen Lobsprüche aber Wider-
willen haben, so hielt ich es doch für geboten, auch ihn,
der uns öffentlich, als ständen wir vor Gericht, seine
Anklage entgegenschleudert, nicht unbeurteilt zu lassen.
Denn es ist auch, wie ich sehe, die Art der meisten
Menschen, sich gewaltig zu freuen, wenn jemand, der
zuerst einen anderen geschmäht hat, hinwiederum seiner
Gegen Apion, Zweites Bach.
145
eigenen Schwächen überführt wird. Zwar ist es nicht
so leicht, seine Schrift zu lesen und sich darüber klar
zu werden, was er denn eigentlich sagen will. Soviel
sich aber bei der grossen Unordnung und dem Gewirrer
von Lügen erkennen lässt, bezieht sich der eine Teil
seiner Darlegungen auf die schon oben untersuchte
Frage, nämlich den Auszug unserer Vorfahren aus
Aegypten, während der zweite Anklagen gegen die in
Alexandria wohnenden Juden und der dritte Beschul-
digungen gegen uns enthält, die mit den beiden vorigen
Gegenständen verquickt sind und unseren Tempel-
gottesdienst sowie die anderen gesetzlichen Einrichtungen
betreffen.
2. Dass nun, um mit dem ersten Punkt zu beginnen,
unsere Väter weder geborene Aegyptier waren noch
wegen körperlicher Gebrechen oder anderer derartiger
Mängel aus Aegypten vertrieben worden sind, habe ich
meinem Dafürhalten gemäss oben nicht nur hinreichend,
sondern sogar bis zum Überfluss nachgewiesen. Was
aber von Apion noch hinzugefügt wird, das will ich
jetzt kurz besprechen. Im dritten Buche seiner „Aegyp-
tiaka“ sagt er: „Moyses stammte, wie ich von den Ältesten
der Aegyptier erfuhr, aus Heliopolis. Obwohl er den
Gebräuchen seiner Väter zu folgen verpflichtet war, ver-
legte er doch die Abhaltung der Gebete, die bis dahin
unter freiem Himmel stattfand, in eingefriedigte Räume,
wie die Stadt sie aufwies, und gab letzterer durchweg
die Richtung gegen Osten; so nämlich ist die Lage der
Sonneustadt Anstelle der Obelisken errichtete er Säulen,
an deren Fuss ein kahnähnliches Gebilde angebracht
war, auf welches der Schatten der Säulenspitze fiel, so-
dass dessen Lauf stets dem der Sonne am Himmel
folgte.“ 1 So lautet der wunderliche Satz des Gramma-
tikers; um aber zu zeigen, dass sein Inhalt erlogen ist,
1 Also Sonnenuhren. Vergl. hierzu Müller a. a. O., S. 227; Zipser,
Des Flavins Jos. Werk über das hohe Alter des jüdischen Volkes,
S. 102 ff.
Joaepbua, KleinereJScbrifteq. i 10
146 Des Flavias Josephas kleinere-Scbriften.
bedarf es keiner Worte, sondern die Thatsachen beweisen
dies aufs klarste. Denn weder hat Moyses selbst, als er
Gott dem Herrn das erste Zelt errichtete, ein derartiges
Gebilde darin angebracht, noch schrieb er jemals vor,
dass seine Nachfolger ein solches verfertigen müssten,
und auch der spätere Erbauer des Tempels in Jerusalem,
Solomon, hat sich der Verwendung jedes derartigen Bei-
werkes, wie Apion sich eins zusammenstoppelte, enthalten.
Dass Moyses aus Heliopolis war, will er von den Ältesten
gehört haben. Freilich, er war ja der Jüngere und
musste jenen glauben, und sie waren natürlich so alt,
dass sie Moyses selbst gekannt und mit ihm verkehrt
hatten! Und während der Grammatiker von dem Dichter
Homer nicht mit Bestimmtheit angeben kann, in welcher
Stadt er geboren war, und ebensowenig von Pythagoras,
der doch sozusagen gestern und vorgestern auf Erden
wandelte, ist er mit Moyses, der so unendlich viele
Jahre vor jenen lebte, ganz im reinen und glaubt ein-
fach, was er von den Ältesten vernommen hat — ein
deutlicher Beweis, dass er lügt. Was sodann die Zeit
betrifft, in der Moyses die Aussätzigen , Blinden und
Lahmen weggeführt haben soll, so steht da, wie ich
finde, der gewissenhafte Grammatiker mit denen, die vor
ihm schrieben, in recht netter Übereinstimmung. Manetho
nämlich setzt den Auszug der Juden aus Aegypten in
die Regierungszeit des Königs Tethmosis, d. i. dreihundert-
dreiundneunzig Jahre früher als Danaos nach Argos floh,
Lysimachos in die Zeit des Königs Bokchoris, also fünf-
zehnhundert Jahre früher, Molon und andere, wie es
ihnen beliebte; der Allerzu verlässigste aber, nämlich
Apion, hat die Zeit des Auszuges ganz genau bestimmt:
er giebt die siebente Olympiade an und zwar das erste
Jahr derselben , 1 in welchem, wie er sagt, die Phoenicier
Karthago gründeten. Die zusätzliche Bemerkung ; über
Karthago machte er jedenfalls in der Meinung, dies
werde der augenfälligste Beweis für die Wahrheit seiner
1 752 v. Chr.
Gegen Apion, Zweites Buch. 147
Angabe sein; er hat aber nicht bemerkt, dass er damit
gerade einen Beweis gegen sich anführte. Denn wenn
man hinsichtlich jener Ansiedelung den Urkunden der
Phoenicier trauen darf, so ergiebt sich aus diesen, dass
der König Hirom — die ihn betreffenden Belegstellen aus
den phoenicischen Annalen erwähnte ich bereits oben —
mehr als hundertfünfzig Jahre vor der Gründung Kar-
thagos lebte, mit Solomon, dem Erbauer des Tempels in
Jerusalem, befreundet war und vieles zur Vollendung
des Tempels beitrug. Solomon selbst aber erbaute den
Tempel erst sechshundertzwölf Jahre nach dem Auszug
der Juden aus Aegypten. Nachdem Apion sodann die
Zahl der Vertriebenen nach dem Vorgang des Lysimachos
willkürlich auf hundertzehntausend angesetzt hat, giebt
er eine wunderbare und überaus glaubwürdige Erklärung
für die Entstehung des Namens Sabbat. Er sagt näm-
lich: „Nach sechstägigem Marschieren bekamen die Juden
Iieistengeschwüre und mussten deshalb am siebenten
Tage ruhen, nachdem sie glücklich das jetzt Judaea ge-
nannte Land erreicht hatten. Darum nannten sie mit
Beibehaltung eines aegyptischen Wortes den siebenten
Tag Sabbat; denn der Schmerz, den Leistengeschwüre
verursachen, heisst bei den Aegyptiern Sabbatosis.“ Man
weiss nicht, soll man über derartiges Geschwätz lachen
oder die Schamlosigkeit, die sich im Niederschreiben
solcher Dinge kundgiebt, verabscheuen? Es müssten
also die hundertzehntausend Menschen samt und sonders
an Leistengeschwüren gelitten haben ! Aber wenn es,
wie Apion behauptet, lauter Blinde, Lahme und mit
allerhand Krankheiten behaftete Leute waren, so hätten
sie doch wohl keinen einzigen Tag marschieren können ;
waren sie aber imstande, die weite Einöde zu durch-
wandern und noch dazu mit den Waffen in der Hand
ihre Gegner zu bekämpfen, so sind sie gewiss nicht nach
dem sechsten Tage sämtlich an Leistengeschwüren er-
krankt. Denn es ist weder eine Naturnotwendigkeit, dass
man vom Marschieren ein derartiges Leiden bekommt
— haben doch schon Heere von vielen tausend Mann,
Go gle
148
Des Flavius Josephos kleinere Schriften.
ohne auszusetzen, ähnliche Märsche zurückgelegt — , noch
spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies gerade
hier der Fall gewesen sei ; die Geschichte ist eben gar
zu widersinnig. Kaum hat ferner der Schlaukopf Apion
behauptet, sie seien in sechs Tagen nach Judaea ge-
kommen, als er auch schon gleich wieder bemerkt, Moyses
habe den zwischen Aegypten und Arabien liegenden
Berg Sinai bestiegen, sich hier vierzig Tage lang ver-
borgen gehalten und nach seiner Rückkehr von dort
den Juden die Gesetze gegeben. Aber wie war es doch
möglich, dass dieselben Menschen vierzig Tage in der
wasserlosen Wüste blieben und trotzdem das ganze
Zwischenland in sechs Tagen durchzogen? Die gram-
matische Ableitung des Wortes Sabbat vollends ist ent-
weder ein Zeichen von arger Unverschämtheit oder von
tiefster Unwissenheit. Die Worte Sabbo und Sabbat
haben nämlich durchaus nichts miteinander gemein:
Sabbat bedeutet in der jüdischen Sprache das Ausruhen
von jeder Arbeit, Sabbo dagegen bezeichnet, wie Apion
behauptet, bei den Aegyptiern den Schmerz, den Leisten-
geschwüre erzeugen.
3. Derartige Erfindungen, die er den schon vor-
handenen anreiht, bringt der Aegyptier Apion über
Moyses und den Auszug der Juden aus Aegypten vor.
Darf es übrigens wunder nehmen, dass er über unsere
Vorfahren lügt und sie als geborene Aegyptier hinstellt,
wenn er über seine eigene Person die umgekehrte Lüge
auftischt? Er ist nämlich in der Oase Aegyptens ge-
boren; gleichwohl hat er — sicher der erste von allen
Aegyptiern, der dies that — sein wirkliches Vaterland
und seine Herkunft abgeschworen und sich fälschlich
für einen Alexandriner ausgegeben. Damit gesteht er
selbst zu, wie verächtlich er von seiner Abstammung
denkt. Selbstverständlich nennt er nun alle, die er
hasst und in ein schlechtes Licht stellen möchte, Aegyp-
tier. Hielte er die Aegyptier nicht für ein durch und
durch schlechtes Volk, so würde er seine Verwandt-
schaft mit ihnen nicht leugnen; denn wer auf sein
Gegen Apion, Zweites Buch.
149
Vaterland stolz ist, setzt eine Ehre darein, sich nach
ihm zu nennen, und straft diejenigen Lugen, die ohne
Berechtigung dies zu thun wagen. Zweierlei können
also die Beziehungen der Aegyptier zu uns sein: ent-
weder machen sie Anspruch auf Verwandtschaft mit
uns, um dadurch im Ansehen zu steigen, oder sie wollen
auch uns in den üblen Ruf bringen , in dem sie selbst
stehen. Der edle Apion aber scheint die Schimpferei
gegen uns gewissermassen aus Dankbarkeit für das ihm
geschenkte Bürgerrecht an die Alexandriner übertragen
zu wollen, und da er ihre feindliche Gesinnung gegen
die jüdischen Bewohner Alexandrias kannte, nahm er
sich vor, diese zu verlästern, und warf dann alle
anderen Juden mit ihnen zusammen — in dem einen
wie dem anderen Punkte ein unverschämter Lügner.
4. Wir wollen jetzt sehen, welches denn die schlimmen
Unthaten sind, die er den Juden in Alexandria vorwirft.
„Sie kamen,“ sagt er, „von Syrien her und Hessen sich
an einem hafenlosen Meere nieder, in der Nähe der
Brandung.“ Nun, wenn an dem Ort etwas zu tadeln
ist, so betrifft ja dieser Tadel seine eigene — freilich
nicht wirkliche, sondern nur angebliche — Vaterstadt
Alexandria. Denn auch der unmittelbar ans Meer
stossende Teil derselben ist, wie allseitig zugegeben wird,
zur Ansiedelung sehr geeignet. Wenn aber die Juden
den Platz mit Gewalt in Besitz nahmen und ihn auch
später behaupteten, so ist das ein Zeichen ihrer Tapfer-
keit. ln Wirklichkeit jedoch hat Alexander ihnen den-
selben zur Niederlassung angewiesen und ihnen mit den
Macedoniern gleichen Rang zuerkannt. Ich möchte wohl
wissen, was Apion sagen würde, wenn sie sich in der
Nekropolis 1 niedergelassen hätten, während sie jetzt in
der Nähe des königlichen Palastes ihren Wohnsitz
nehmen durften und ihr Stamm den Beinamen Mace-
donier erhielt, den sie noch bis heute führen. Wenn
übrigens Apion die Briefe des Königs Alexander und
S. Namenregister.
150
Des FUvius Josephus kleinere Sokriften.
des Ptolemaeus Lagi sowie der nachfolgenden aegyp-
tischen Könige gelesen und ferner die in Alexandria
stehende Säule gesehen hat, auf der die von dem grossen
Caesar den Juden verliehenen Rechte verzeichnet sind 1
— wenn er, sage ich, diese Urkunden kannte und
dennoch das Gegenteil von dem, was sie melden, in
seiner Schrift zu behaupten sich erdreistete, so ist er
ein schlechter, wenn er sie aber nicht kannte, ein un-
wissender Mensch. Sich darüber zu wundern, dass die
in Alexandria wohnenden Juden Alexandriner genannt
wurden, verrät den gleichen Mangel an Bildung. Denn
alle, die jemals in eine Kolonie berufen wurden, erhalten,
so verschieden auch ihre Herkunft sein mag, ihren
Namen von dem Gründer der Ansiedelung. Beispiele -aus
der Fremde anzuführen, ist unnötig; vielmehr bleibe ich
bei uns und weise darauf hin, dass die jüdischen Be-
wohner von Antiochia Antiochener genannt werden, weil
der Gründer der Stadt, Seleukos, ihnen das Bürgerrecht
verliehen, hat. Ebenso führen die Juden in Ephesos
und anderen ionischen Städten den gleichen Gesamt-
namen wie die eingeborenen Bürger; die Diadochen
haben ihnen dies gestattet. Auch erlaubten ja die Römer
in ihrer Grossmut fast allen Menschen, und zwar nicht
.nur einzelnen Männern, sondern auch ganzen Völker-
schaften, sich die Bezeichnung Römer beizulegen. Dem<-
zufolge werden die ehemaligen Iberer, Tyrrhener und
Sabiner Römer genannt Wenn aber Apion diese Art
-des Bürgerrechtes nicht gelten lassen will, so höre er vor
allem auf, sich selbst einen Alexandriner zu nennen.
Denn geboren ist er, wie ich oben sagte, mitten in
Aegypten; wie kann er also ein Alexandriner sein, wenn
das geschenkte Bürgerrecht seiner gegen uns vorgebrachten
Behauptung gemäss keines ist? ^ Freilich nur den
Aegyptiern haben die Römer, die jetzigen Herren der
Welt, die Annahme jedes fremden Bürgerrechtes ver-
1 S. Jüd. Altert. XIV, 7,2; 10, lff; XIX, 5, 2.
Gegen Apion, Zweites Bucb. 151
boten . 1 Apion jedoch ist so edelmütig , dass er, weil
sein Verlangen nach dem steht, was ihm versagt war,
diejenigen zu verkleinern sucht, die es mit Fug und
Recht besitzen. Denn Alexander hat nicht etwa des-
halb, weil es ihm an Ansiedlern für die von ihm so
eifrig gegründete Stadt mangelte, eine Menge Juden
dorthin berufen, sondern weil er alle in Betracht
kommenden Menschen hinsichtlich ihrer Tüchtigkeit und
Zuverlässigkeit einer genauen Prüfung unterzog und
dabei den Angehörigen unseres Volkes den Preis zu-
erkennen musste. Er hatte überhaupt grosse Achtung
vor uns, wie denn auch Hekataios bezeugt, dass er den
Juden wegen der Biederkeit und Treue, die sie ihm
gegenüber an den Tag legten, das Samariterland als
steuerfreies Gebiet zu ihrem bisherigen Besitz noch hin-
zugeschenkt habe. Ähnlich wie Alexander war auch
Ptolemaeus Lagi gegen die in Alexandria ansässigen
Juden gesinnt. Denn ihnen vertraute er die aegyptischen
Festungen an, überzeugt) dass sie dieselben treu und
tapfer behaupten würden; auch sandte er in der Ab-
sicht, seine Herrschaft in Kyrene und den anderen
Städten Libyens zu befestigen, eine Schar jüdischer An-
siedler dorthin. Und was seinen Nachfolger Ptolemaeus
Philadelphus betrifft, so gab er nicht nur die sämtlichen
in seinem Reiche lebenden Kriegsgefangenen frei, sondern
machte ihnen auch zu wiederholten Malen Geldgeschenke ;
dass wichtigste -aber ist, dass er unsere Gese.tze kennen
zu lernen und unsere heiligen Bücher zu lesen verlangte.
Zu diesem Zweck beschied er Männer zu sich, die ihm
das Gesetz verdolmetschen sollten, und damit ein vor-
treffliches Schriftstück zustande käme, übertrug er die
Vorbereitungen nicht etwa dem ersten besten , sondern
betraute damit den Demetrius Phalereus, der unter seinen
1 Von diesem Verbot ist aus anderen Quellen nichts bekannt;
wohl. aber bestand die einschränkende Bestimmung, dass Aegyptief
nur dann römische Bürger werden konnten, wenn sie vorher da»
Bürgerrecht in Alexandria erworben hatten.
152
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Zeitgenossen durch Bildung hervorragte, sowie Andreas
und Aristeas, denen die Bewachung der Person des
Königs oblag. 1 Er wäre doch wohl kaum so begierig
gewesen, unsere Gesetze und die bei uns einheimische
Weisheit kennen zu lernen, wenn er von den Männern,
die damit vertraut waren , geringschätzig gedacht und
nicht vielmehr seine ganze Bewunderung ihnen gezollt hätte.
5. Auch dass alle übrigen Könige seiner macedonischen
Vorfahren die freundlichste Gesinnung gegen uns hegten,
weiss Apion nicht So hat der dritte Ptolemaeus mit
dem Beinamen Euergetes nach der Eroberung von Ge-
samt-Syrien nicht etwa den aegyp tischen Göttern zum
Dank für den errungenen Sieg geopfert sondern er kam
nach Jerusalem, brachte daselbst Gott dem Herrn zahl-
reiche Opfer nach der bei uns gütigen Gesetzesvorschrift
dar und stiftete Weihgeschenke in den Tempel, die
seines Sieges würdig waren. 2 Ptolemaeus Philometor
ferner und seine Gemahlin Kleopatra vertrauten die
ganze Regierung Juden an und ernannten zu Befehls-
habern der gesamten Streitmacht die Juden Onias und
Dositheos, deren Namen Apion allerdings bespöttelt und
deren Handlungen er schmäht anstatt sie zu bewundern
und ihnen Dank dafür zu wissen, dass sie eben die
Stadt Alexandria, deren Bürger er zu sein vorgiebt
retteten. Denn als die Alexandriner mit der Königin
Kleopatra im Kriege lagen und Gefahr liefen, elend um-
zukommen, da brachten jene Männer einen Vergleich
zustande und machten so dem Bürgerkrieg ein Ende.
Apion freilich sagt: „Später zog Onias mit einem, un-
ansehnlichen Heere vor die Stadt, während der römische
Legat Thermus daselbst anwesend war.“ Daran, entgegne
ich, that er sehr recht. Denn Ptolemaeus mit dem Bei-
namen PhyBkon rückte nach dem Tode seines Bruders
1 S. Jüd. Altert. XII, 2, 2 ff.
2 Womit übrigens nicht gesagt sein soll, dass Ptolemaeus den
Gott der Juden als den allein wahren Gott anerkannt habe. Er
ehrte ihn vielmehr wie jeden anderen Landesgott. So auch Ptol.
Philopator (3. Makk. 1,9).
Go gle
Gegen Apion, Zweites Buch.
153
Ptolemaeus Philometor von Kyrene heran, um Kleopatra
und die Söhne des Königs aus dem Reiche zu vertreiben 1
und sich dasselbe unrechtmässigerweise anzueignen.
Gerade deswegen überzog ihn Onias in Kleopatras In-
teresse mit Krieg und wahrte so die Treue gegen das
'Königshaus auch in den Zeiten der Not Gott stellte
übrigens seiner Gerechtigkeit ein glänzendes Zeugnis aus.
Als nämlich Ptolemaeus Physkon im Begriff stand, dem
Heere des Onias eine Schlacht zu liefern, nahm er alle
Juden in der Stadt samt ihren Weibern und Kindern
gefangen und warf sie nackt und gefesselt den Elefanten
vor, damit sie von diesen zu Tode getreten würden, in
welcher Absicht er die Tiere trunken gemacht hatte.
Doch es geschah das gerade Gegenteil von dem, was er
wollte : die Elefanten liessen die ihnen vorgeworfenen
Juden liegen, griffen seine Freunde an und brachten
viele derselben um. Bald darauf hatte Ptolemaeus eine
schreckliche Erscheinung, die ihn warnte, den Juden
etwas zuleide zu thun, und da auch seine liebste Bei-
schläferin — von einigen Ithaka, von anderen Irene
genannt — ihn flehentlich bat, keinen derartigen Frevel
zu begehen, gab er ihr nach und bereute, was er gethan
hatte oder zu thun beabsichtigte. Mit Recht feiern da-
her, wie bekannt, die in Alexandria ansässigen Juden
diesen Tag, weil sie damals die offenbare Hilfe Gottes
erfuhren. Apion aber, der über alles schimpft, erdreistet
sich auch wegen des Krieges gegen Physkon die Juden
anzuklagen, statt sie, wie es Bich gehörte, zu loben . 2 Er
erwähnt auch die letzte Kleopatra, welche Königin der
Alexandriner war, und macht gewissermassen uns dafür
verantwortlich, dass sie uns mit Undank lohnte, obwohl
er doch eigentlich gegen sie hätte Partei nehmen müssen.
Alle erdenkliche Ungerechtigkeit und Bosheit verübte ja
1 Von hier bis zum Beginn des Abschnittes 9 ist der griechische
Text verloren gegangen and nur eine alte lateinische Uebersetzung
vorhanden.
2 Nach 3. Makk. 5 und 6 handelte es sich um Ptol. Philopator,
nicht um Physkon.
154
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
dieses Weib nicht nur gegen ihre Blutsverwandten und
gegen die Männer, deren Liebe sie entflammt hatte,
sondern auch gegen die Römer insgesamt und besonders
gegen die Imperatoren, von denen sie mit Wohlthaten
überhäuft worden war. Ihre Schwester Arsinoe, die ihr
nichts zuleide gethan, ermordete sie im Tempel; ihren
Bruder brachte sie durch Hinterlist um; die heimischen
Götter und die Gräber ihrer Ahnen plünderte sie. Ob-
wohl sie dem ersten Caesar ihr Königreich verdankte,
trug sie kein Bedenken, sich gegen seinen Sohn und
Nachfolger zu empören ; den Antonius berückte sie durch
ihre Liebeskünste und brachte ihn dahin, dass er sein
Vaterland hasste und seine Freunde verriet; den einen
nahm sie die Königskrone, die anderen trieb sie in ihrer
Tollheit zu verbrecherischen Thaten. Doch was will das
alles dagegen besagen, dass sie den Antonius selbst, das
heisst ihren Gatten und den Vater der Söhne, die sie
ihm geboren, bei der Seeschlacht im Stiche liess und ihn
zwang, unter Verzichtleistung auf Heer und Oberbefehl
ihr zu folgen? Und als nun Alexandria zum letztenmal
von Caesar erobert wurde, kam sie so weit, dass sie nur
dann noch Hoffnung zu hegen wagte, wenn ihm die
Vernichtung der Juden gelang; denn gegen alle benahm
sie sich grausam und treulos. [— ] l Dafür hat sie frei-
lich auch die gebührende Strafe erlitten; wir aber können
uns auf das gewichtige Zeugnis des grossen Caesar über
die treue Hilfe, die wir ihm gegen die Aegyptier ge*
leistet haben , 2 berufen, ferner auf den Senat und seine
Beschlüsse, und endlich auf die Briefe des Caesar Augustus,
in denen unsere Verdienste anerkannt werden. Diese
Briefe hätte Apion einsehen müssen und nicht minder
die Zeugnisse, die uns von Geschlecht zu Geschlecht
unter Alexander und allen Ptolemäern ausgestellt wurden,
sowie die Bestimmungen, welche der Senat und die
1 Der hier im Text folgende Setz wurde etwas weiter nach unten
verschoben, wohin er dem Zusammenhang nach zweifellos gehört.
2 S. J. A. XIV, 8, 1 ; Jüd. Krieg I, 9, 8.
Gegen Apion, Zweites Bach.
155
bedeutendsten römischen Feldherren zu unseren Gunsten
getroffen haben. [Und dass die Juden, wie Apion sagt,
während einer Hungersnot keinen Weizen auf dem Tische
haben , ist das vielleicht etwas unrühmliches ?] Denn
wenn Germanicus nicht allen Einwohnern Alexandrias
Getreide zuteilen konnte, so beweist das doch nur einen
durch Unfruchtbarkeit des Bodens erzeugten Fruchtmangel,
begründet aber keinen Vorwurf gegen die Juden. Welche
Gesinnung übrigens alle Imperatoren gegen die alexam-
drinischen Juden hegten, unterliegt keinem Zweifel. Denn
die Getreideverwaltung ist ihnen ebensowenig wie den
Alexandrinern überhaupt abgenommen worden; vielmehr
hat man den Juden die ihnen von den früheren Königen
anvertrauten Ämter belassen, nämlich die Bewachung
.des Flusses und die Aufsicht über die gesamte Besatzung,
da man sie solcher Vertrauensposten nicht unwert hielt.
6. Apion aber bringt noch mehr vor. Er sagt: Wenn
sie Bürger sind, weshalb verehren sie nicht die gleichen
Götter wie die Alexandriner ? Ich antworte: Wie kommt
es, dass ihr, die ihr doch alle Aegyptier seid, wegen der
Religion miteinander in heftiger und unversöhnlicher
Fehde liegt? 1 Und sprechen wir euch etwa den Namen
Aegyptier oder auch überhaupt die Bezeichnung Menschen
ab, weil ihr Tiere, die der menschlichen Natur feindlich
sind, verehrt und mit vieler Sorgfalt füttert? Unser
Volk dagegen bildet eine geschlossene Einheit. Wenn
aber unter euch Aegyptiern so tiefgreifende Meinungs-
verschiedenheiten herrschen, wie magst du dich da noch
wundern , dass die von auswärts in Alexandria Ein-
gewanderten ihren Gesetzen, die von jeher bei ihnen be-
stehen, treu geblieben sind? Ferner stellt Apion uns
auch als Aufwiegler hin. Wenn aber diese Beschuldigung
gegen die alexandrinischen Juden gerechtfertigt wäre,
könnte er uns ebenso gut aus unserer allbekannten Ein-
1 Jeder Nomos hatte seine besonderem Götter und seinen besonderen
Tempeldienst; zudem hatte jeder Tempel eine eigene Trias von
Göttern, die an derSpitze der anderen Götter stand. Vgl. Strabo XVII, 1,
156
Des Flavias Josepbas kleinere Schriften.
tracht einen Vorwurf machen. Viel eher wird man
finden, dass gerade Alexandriner vom Schlage Apions
es sind, die Unruhen zu erregen trachten. Denn so
lange die Griechen und Macedonier Herren der Stadt
waren , zettelten sie keinen Aufruhr gegen uns an,
sondern liessen die alten religiösen Feierlichkeiten ruhig
geschehen. Als aber die Aegyptier in Alexandria an
Zähl bedeutend Zunahmen, da blieb bei der durch die
Zeitverhältnisse bedingten Verwirrung auch der Hader
nicht aus. Unser Volk indes lud keine Schuld auf sich,
und nur von den Aegyptiern gingen solche Belästigungen
aus, indem sie den Juden weder mit macedonischer Treue
noch mit griechischer Klugheit entgegen kamen, sondern
alle schlechten Charaktereigenschaften der Aegyptier her-
vorkehrten und ihre uralte Feindschaft an uns ausliessen.
Die Beschuldigung, die sie gegen uns erheben, fallt da-
her auf sie selbst zurück. Übrigens besitzen die meisten
von ihnen das alexandrinische Bürgerrecht zu Unrecht
und bezeichnen nun diejenigen als Fremde, die dasselbe
anerkannterraassen vollgiltig sich erworben haben. Denn
den Aegyptiern ist, soviel man weiss, weder von einem
alexandrinischen König noch von irgend einem römischen
Imperator das Bürgerrecht der Stadt geschenkt worden.
Uns aber hat Alexander daselbst Wohnsitze angewiesen,
die Könige haben unsere Gerechtsame erweitert, die Römer
waren so gnädig, uns dieselben stets zu belassen. Und
nun will Apion sie uns deshalb aberkennen, weil wir
keine Bildsäulen von Imperatoren aufstellen, als wäre
ihnen dies unbekannt gewesen oder als hätten sie es
nötig, dass ein Apion sich ihrer annehme 1 Statt dessen
hätte er die Grossmut und Selbstbeherrschung der Römer
bewundern sollen, weil sie ihre Unterthanen nicht zwingen»
die Landesgebräuche mit Füssen zu treten, sondern sich
so ehren lassen, wie die zur Huldigung Verpflichteten
es mit ihrem Gewissen und ihren Gesetzen vereinbaren
können. Für solche Ehrenbezeugungen nämlich, die ihnen
aus zwingender Not erwiesen werden, wissen sie keinen
Dank. Bei den Griechen freilich und einigen anderen
Gegen Apion, Zweites Bach.
157
Völkern hält man es für schön, Bildsäulen zu errichten :
man hat seine Freude daran, den Vater, die Gattin, die
Kinder abzubilden, und stellt auch hier und da solche
Personen im Bilde dar, die einen gar nichts angehen;
ja, manche thun dies sogar mit fleissigen Sklaven. Was
wunder also, wenn man sieht, dass sie auch die Fürsten
und Gebieter in dieser Weise ehren ? Unser Gesetz-
geber hingegen hat, nicht etwa weil er als Prophet die
zukünftige Macht der Römer ahnte, die man nicht ehren
dürfe , sondern lediglich deshalb die Herstellung von
Bildwerken verboten, weil sie weder Gott noch den
Menschen Nutzen bringen, mithin wertlos sind, und weil
sie kein beseeltes Wesen, geschweige denn den unbe-
seelten 1 Gott getreu wiedergeben können. 2 Andere Ehren-
bezeugungen dagegen nächst Gott auch hervorragenden
Menschen zu erweisen, hat er nicht untersagt, wie wir
denn thatsächlich die Imperatoren und das römische
Volk durch dergleichen Kundgebungen verherrlichen.
Denn ohne Unterlass bringen wir Opfer für sie dar, und
wir begehen nicht nur diese feierlichen Handlungen
tagtäglich auf gemeinsame Kosten sämtlicher Juden,
sondern thun auch den Imperatoren allein damit eine
Ehre an, die wir keinem anderen Menschen gewähren,
indem wir derartige Opfer weder für das öffentliche
Wohl noch für unsere Kinder darbringen. Diese allge-
meinen Bemerkungen wollte ich zur Widerlegung dessen,
was Apion über Alexandria vorbringt, hier anführen.
7. Wundern aber muss ich mich auch über die,
welche ihm zu seinen Ausfällen Veranlassung gegeben
haben, nämlich Poseidon ios und Apollonios Molon; denn
auch sie fragen im Tone des Vorwurfs, weshalb wir
nicht dieselben Götter wie andere verehren. Dabei
1 D. h. unerschaffenen. Das Fehlen des griechischen Urtextes ist
hier besonders zu bedauern. Müllers Erklärung (a. a. O. S. 257), der
au einen heidnischen Götzen denkt, wird durch den Zusammenhang
widerlegt.
9 Der Hauptgrund war indes, wie sich aus 2. Mos. 20, 4 f. er-
giebt, die Verhütung des Götzendienstes.
158
Des Fl&Yius Josephäs kleinere Schriften.
glauben sie keine Unehrerbietigkeit zu begeben, wenn
sie sich mit Lügen abgeben und über unseren Tempel
widersinnige Lästerungen Vorbringen, während es doch
für gebildete Menschen die grösste Schande ist, auf
irgend eine Weise zu lügen und vollends überden welt-
bekannten, so unendlich heiligen Tempel. In diesem
Heiligtum, erfrecht sich Apion zu behaupten, hätten die
Juden einen Eselskopf aufgestellt; den beteten sie an,
und ihm gelte der ganze Gottesdienst 1 Derselbe , ver-
sichert er, sei abhanden gekommen, als Antiochus Epi-
phanes den Tempel plünderte, wobei er jenen aus Gold
gefertigten, ungemein wertvollen Kopf gefunden habe.
Darauf antworte ich zunächst: Selbst wenn etwas der-
artiges bei uns vorhanden gewesen wäre, hätte der
Aegyptier kein Recht, uns deshalb zu schelten, da ein
Esel nicht geringer ist als Böcke und andere Tiere,
die bei ihnen für Götter gehalten werden. Merkt er
übrigens nicht, wie die Thatsachen seine ungeheuerliche
Lüge zu Schanden machen? Wir haben nämlich immer
die gleichen Gesetze, bei denen wir unerschütterlich be-
harren. Und obwohl nun unsere Hauptstadt wie so viele
andere von mancher Drangsal heimgesucht wurde und
(Antiochus) der Gott, Pompejus Magnus, Licinius Crassus
und jüngst noch der Caesar Titus als Sieger im Kampfe
sich des Tempels bemächtigten, fanden sie nichts der-
gleichen, sondern die reinste Gottes Verehrung, über die
wir freilich vor anderen nichts aussagen dürfen. Antio-
chus hatte übrigens keinen stichhaltigen Grund zur
Plünderung des Tempels, vielmehr trieb ihn dazu nur
seine Geldnot; denn er war kein Feind, sondern griff
uns, seine Bundesgenossen und Freunde, an, und auch
er fand nichts darin, worüber man hätte spotten können.
Dies bezeugen auch viele ehrenwerte Geschichtschreiber:
1 Worauf diese Lüge fusste, hat Hüller (a. a. O. 8. 258 f.) gezeigt-
Auch den Christen wurde ein solcher Eseladienst n&chgesagt (Ter-
tullian, Apolog. c. 16; Minucius Felix, Octavins 28; Kuhn, Roma,
S. 123 f.).
Gegen Aplon, Zweites Buch.
159
Polybios von Megalopolis, der Eappadocier Strabo, Niko-
laus von Damaskus, Timagenes, der Chronist Kastor und
Apollodor; sie alle sagen, Antiochus habe, weil es ihm
an Geld mangelte, das Bündnis mit den Juden gebrochen
und den mit Gold und Silber gefüllten Tempel ge-
plündert. Das hätte Apion bedenken sollen ; doch er
hat eben das Herz eines Esels und die Unverschämtheit
eines Hundes, der ja bei ihnen verehrt wird. Ein anderer
Grund, weshalb er so gelogen haben sollte, ist nicht
denkbar. Wir erzeigen den Eseln weder irgend eine
Ehre noch schreiben wir ihnen irgend welchen Einfluss
zu, wie die Aegyptier den Krokodilen und Schlangen ;
glauben sie doch, dass jemand, der von den letzteren
gebissen oder von Krokodilen geraubt wird, zur Seligkeit
und Gemeinschaft der Götter gelangt. Bei uns sind die
Esel, was sie auch bei anderen verständigen Leuten sind:
nützliche Lasttiere, und wenn sie beim Dreschen auf der
Tenne fressen oder sich faul zeigen, erhalten sie tüchtig
Schläge; denn sie müssen in der Landwirtschaft und
bei anderen Arbeiten Dienste thun. Apion aber ist ent-
weder so ungebildet, dass er nicht einmal ordentlich
lügen kann, oder er vermag selbst dann, wenn er von
Thatsachen ausgeht, zu keinem richtigen Schluss zu ge-
langen — sonst würde er nicht mit allen seinen Läste-
rungen gegen uns so schlecht abschneiden.
8. Er bringt auch noch eine andere für uns äusserst
beleidigende Fabel vor , welche zugleich die Griechen
angeht. Es dürfte genügen, hierüber zu bemerken:
Leute, die von religiösen Dingen reden wollen, sollten
doch wissen, dass es weit grössere Unreinheit verrät,
wenn man Priestern frevelhafte Handlungen andichtet,
als wenn man durch einen Tempel wie auf einem ge-
meinen Wege geht. Jenen Lügnern aber lag mehr daran,
einen gottesräuberischen König in Schutz zu nehmen,
als über uns und den Tempel wahrheitsgemäss und ge-
ziemend cu berichten. Denn um dem Antiochus zu
schmeicheln, ferner um die Treulosigkeit und den Tempel-
raub, womit er sich aus Geldmangel gegen unser Volk
Go gle
160
Des Flavias Josephas kleinere Schriften.
versündigte, zu beschönigen,, legen sie uns verleumde-
rischerweise auch noch Absichten bei, die wir erst spater
hätten verwirklichen wollen. Apion natürlich führt an-
stelle der anderen das grosse Wort Er sagt nämlich,
Antiochus habe im Tempel ein Kuhebett gefunden, auf
dem ein Mensch lag. Vor diesem habe ein mit Lecker-
bissen von Seefisch und Geflügel besetzter kleiner Tisch
gestanden, worüber der König in Erstaunen geraten sei
Alsbald nun sei der Mensch ehrfurchtsvoll dem Könige
zu Füssen gesunken, als wenn dieser ihm die grösste
Hilfe gewähren könne, und habe ihn mit ausgestreckter
Hand um Befreiung angefleht. Antiochus habe ihn
dann aufgefordert, sich zu setzen und zu sagen, wer er
sei, weshalb er hier sich befinde und was die Speisen zu
bedeuten bätteD, worauf er seufzend und weinend seine Not
mit folgenden Worten geklagt habe: Er sei ein Grieche,
und während er, um sich seinen Lebensunterhalt zu
verdienen, die Provinz durchzogen habe, sei er plötzlich
von wildfremden Menschen ergriffen, in einen Tempel
geschleppt und hier ein gesperrt worden ; nie bekomme
er jemand zu sehen, doch werde er mit allen möglichen
Leckerbissen gemästet. Anfangs hätten diese unerwar-
teten Wohlthaten ihm Freude bereitet, später aber habe
er Verdacht geschöpft und sei dann in Stumpfsinn ver-
fallen ; zuletzt habe er einen näher herankommenden
Diener gefragt und von ihm erfahren, dass es ein ge-
heimes Gesetz der Juden gebe, dem zulieb er genährt
werde, und sie thäten das jedes Jahr zu einer bestimmten
Zeit. Sie fingen nämlich einen fremden Griechen auf,
mästeten ihn ein Jahr lang, führten ihn dann in einen
gewissen Wald, schlachteten ihn, opferten seinen Leib
unter herkömmlichen feierlichen Geremonien , genössen
etwas von seinen Ei nge weiden und schwüren bei der
Opferung des Griechen einen Eid, dessen Landsleute zu
hassen; schliesslich würfen sie die Überreste des Un-
glücklichen in eine Grube . 1 Der Gefangene habe dann
1 Apion war also der erste, der die Juden des ritaeilen Hördes
Go gle
Gegen Apion, Zweites Buch.
161
hinzugefügt, dass ihm nur noch wenige Tage beschieden
seien, und den König gebeten, ihn aus seiner schreck-
lichen Lage zu befreien, einmal aus Ehrfurcht gegen die
Götter der Griechen, und dann auch um durch seine
Rettung die hinterlistigen Anschläge der Juden zunichte
zu machen. Das ist nun freilich nicht bloss ein ganz
schauervolles Märchen, sondern strotzt auch von greu-
licher Unverschämtheit, und obendrein wird Antiochus
noch nicht einmal von dem Verbrechen der Tempel-
schändung reingewaschen, wie es die Absicht derer war,
die solche Fabeleien zu seinen Gunsten niederschrieben.
Denn nicht weil er etwas dergleichen argwöhnte, betrat
er den Tempel, sondern was er dort fand, überraschte
ihn förmlich. Er sündigte also aus bösem Willen und
bleibt ein gottloser Mensch trotz allem, was unmässige
Verlogenheit über ihn vorbrachte. Es ist übrigens an
der Hand der Thatsachen sehr leicht, das Lügengewebe
zu durchschauen. Denn unsere Gesetze stehen bekanntlich
nicht nur mit den Griechen in Widerspruch, sondern
auch, und zwar in besonders hohem Grade, mit den
Aegyptiern und vielen anderen. Es giebt aber kein
Land, aus dem nicht von Zeit zu Zeit Reisende zu uns
kämen. Weshalb sollten wir nun gegen die Griechen
allein stets neue, blutige Verschwörungen an zetteln ? Oder
wie wäre es möglich, dass zu diesen Menschenopfern
alle Juden ohne Ausnahme sich versammelten und dass
jene Eingeweide genügten, so vielen Tausenden als Speise
zu dienen, wie Apion sagt? Und warum hat der König
den von ihm entdeckten Menschen, wer es auch immer
gewesen sein mag — denn seinen Namen verschweigt
die Geschichte — nicht mit Gepränge in sein Vaterland
zurückgefuhrt? Dadurch hätte er sich ja den Ruf der
Frömmigkeit und besonderer Vorliebe für die Griechen
verschaffen sowie auch den allgemeinen Judenhass als
mächtigen Verbündeten ausnutzen können. Doch genug
beschuldigte. S. hierzu Müller, a. a. O. , S. 263 ff.; Zipser, desgl.
8. 116 f.
Josephe«, Kleinere Schriften.
Go gle
11
162
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
hiervon : unvernünftige Menschen muss man nicht mit
Worten, sondern durch Thatsachen zu überzeugen ver-
suchen. Und in dieser Beziehung wissen doch alle, die
die bauliche Einrichtung unseres Tempels gesehen haben,
wie er beschaffen war und mit welch peinlicher Genauig-
keit man auf seine Reinhaltung achtete. Vier Höfe hatte
er im Umkreis, und jeder derselben stand dem Gesetze
gemäss unter besonderer Aufsicht. In den äusseren Hof
durften alle, auch die Fremden, eintreten, und nur die
Weiber, welche ihre monatliche Reinigung hatten, waren
davon ausgeschlossen ; der zweite stand allen Juden offen
sowie auch ihren Ehefrauen, wenn sie von jeglicher Be-
fleckung rein waren ; der dritte war für die reinen und
geweihten Juden männlichen Geschlechtes bestimmt; in
den vielten konnte niemand gelangen ausser den Prie-
stern , die ihre Amtstracht angelegt hatten, in das Aller-
heiligste aber nur die Hohepriester in der ihnen eigen-
tümlichen Gewandung. Und so genau hatte man alles
beim Gottesdienst vorgesehen, dass selbst die Stunden,
zu denen die Priester eintraten, bestimmt waren. Früh
morgens, wenn der Tempel geöffnet wurde, mussten sie
hineingehen und die üblichen Opfer darbringen , des-
gleichen des Mittags, bis der Tempel geschlossen wurde.
Ferner durfte kein Gerät, welcher Art es auch sein
mochte, in den Tempel gebracht werden, sondern es
standen in ihm nur ein Altar, ein Tisch, ein Rauchfass
und ein Leuchter, wie dies alles im Gesetz vorgeschrieben
ist. Selbstverständlich wird auch kein unaussprechlicher
Geheimdienst im Innern des Heiligtums getrieben noch
irgend ein Mahl daselbst aufgetischt. Was ich hier
sage, stützt sich auf das offenbare Zeugnis unseres ganzen
Volkes und auf thatsächliche Beobachtungen. Denn ob-
wohl es vier Priesterklassen giebt, von denen jede über
fünftausend Köpfe zählt, so hat doch nur eine gewisse
Anzahl von Priestern an bestimmten Tagen Dienst; sind
diese fertig, so kommt der Reihe nach eine andere Ab-
teilung zur Darbringung der Opfer, und zwar versammeln
sich die einzelnen Priester gegen Mittag im Heiligtum
Gegen Apion, Zweites Buch.
163
und übernehmen von ihren Vorgängern die Tempel-
schlüssel sowie die genau abgezählten heiligen Gefasse,
übrigens ohne etwas von Speisen oder Getränken in den
Tempel mitzunehmen ; denn auch ■ zum Altar dürfen der-
gleichen Dinge mit Ausnahme dessen, was zum Opfer
bestimmt ist, nicht gebracht werden.
Können wir demnach etwas anderes von Apion sagen,
als er habe, ohne diese Thatsachen zu prüfen, unglaub-
liches Geschwätz vorgebracht? Schändlich ist es aller-
dings, wenn ein Grammatiker so gar keine Kenntnis
davon hat, was geschichtliche Wahrheit ist. Er kannte
unseren Tempelgottesdienst, lässt ihn aber ganz unberück-
sichtigt; dagegen fabelt er von der Gefangennahme eines
Griechen, von einer scheusslichen Speise, von überaus
üppigen und herrlichen Mahlzeiten und von dem Ein-
tritt schlechter Menschen in einen Raum, den selbst die
vornehmsten Juden, wenn sie keine Priester waren, nicht
betreten durften. Das ist nichts anderes als vollendete
Gottlosigkeit und absichtliche Lüge, lediglich darauf be-
rechnet, solche Leute irre zu führen, denen es um die
Erforschung der Wahrheit nicht zu thun war. Durch
derartige, mit Worten kaum wiederzugebende Schlechtig-
keiten, die man uns anhing, suchte man uns in den
Augen der Welt verächtlich zu machen.
9. Und wiederum spottet er über uns, als wäre er
ein erzfrommer Mann, und fügt zu der Fabel noch weitere
angebliche Thatsachen hinzu. Er sagt nämlich, jener
Mensch habe erzählt, vor langer Zeit, als die Juden mit
den Idumäern im Kriege lagen, sei aus einer Stadt der
Idumäer ein Verehrer des Apollo mit Namen Zabidos
zu den Juden gekommen und habe ihnen versprochen,
Apollo, den Gott der Bewohner von Dora, ihnen in die
Hände zu liefern; derselbe werde in unseren Tempel
kommen, wenn alle sich hinaufbegäben und die ganze
Masse der Juden mitnähmen. Zabidos habe alsdann
eine hölzerne Maschine verfertigt, sich hineingestellt, drei
Reihen Lichter daran befestigt und sei so umhergewandelt,
dass die fern von ihm Stehenden den Eindruck ge-
il*
164
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
wonnen hätten, es bewege sich ein Gestirn über die
Erde . 1 Die Juden, über das sonderbare Schauspiel er-
staunt, hätten sich, da sie weit davon entfernt gewesen,
ruhig verhalten; Zabidos aber sei ganz leise in den
Tempel gegangen, habe hier den goldenen Eselskopf
geraubt — so witzig stellt Apion die Sache dar — und
sich eiligst wieder nach Dora zurück begeben. Da legt,
kann man sagen, Apion dem Esel, das heisst sich selbst, viel
auf und belastet ihn mit seinem unsinnigen und erlogenen
Geschwätz. Er schreibt nämlich Orte hin, die es gar
nicht giebt, und vorhandene Städte verlegt er aus Un-
wissenheit in ganz falsche Gegenden. Idumaea liegt an
den Grenzen unseres Landes bei Gaza, und Dora ist
keine Stadt in Idumaea. Dagegen in Phoenicien am
Karmelgebirge giebt es eine Stadt Dora, die aber mit
Apions Gefasel wohl nichts zu thun hat ; denn sie ist vier
Tagereisen von Judaea entfernt. Und wie kann er uns
einen Vorwurf daraus machen, dass wir nicht dieselben
Götter haben wie . andere, wenn unsere Väter sich so
leicht bereden Hessen, Apollo werde zu ihnen kommen,
und ihn schon mit den Sternen auf Erden umherwandeln
zu sehen wähnten ? Ein Licht hatten sie natürlich noch
nie gesehen, sie, die so grosse und schöne Feste mit An-
zündung von Lichtern feiern! Auch begegnete ihm, als
er durch das Land heimzog, selbstverständlich niemand
von den vielen Tausenden, und trotz des damals herr-
schenden Krieges fand er die Stadtmauern von Wachen
entblösst! Doch ich verlasse diesen Gegenstand und
erwähne nur noch eins: die Thore des Tempels waren
sieben Ellen hoch, zwanzig Ellen breit, über und über
mit Goldplatten bekleidet, ja so gut wie aus massivem
Gold gefertigt; nicht weniger als zweihundert 2 Mann
mussten bei ihrer Schliessung mitwirken, was täglich
geschah, da es streng untersagt war, sie offen zu lassen
1 Hier setzt der griechische Text wieder ein.
2 Im „Jüd. Krieg“ (VI, 5, 3) heisst es: zwanzig. Wahrscheinlich
sind hier alle Thore zusammen gemeint.
Gegen Apion, Zweites Buch.
165
— und doch hat jener Lampenträger sie mit Leichtig-
keit geöffnet, weil er meinte, sie öffnen zu können, und
noch dazu soll er das gethan haben, während er den
Eselskopf trug! Hat er uns übrigens den Kopf zurück-
gebracht, oder nahm Apion ihn und stellte ihn uns
wieder zu, damit Antiochus ihn entdecken und dem
Apion Stoff zu einer zweiten Fabelei geben könnte?
10. Erlogen ist auch der Eid, den er uns andichtet,
als ob wir bei Gott, d|m Schöpfer des Himmels, der
Erde und des Meeres schwören müssten, keinem Fremden
und besonders keinem Griechen wohlwollend zu begegnen.
Wollte er einmal lügen, so hätte er uns schwören lassen
sollen, dass wir gegen keinen Fremden, namentlich aber
gegen keinen Aegyptier eine freundliche Gesinnung
zu hegen gewillt seien. So nämlich würde die Lüge in-
betreff des Eides wenigstens zu den früher von ihm auf-
getischten Märchen gepasst haben, da es ja die Aegyptier
waren, die unsere Väter, ihre Stammesgenossen, nicht
etwa um ihrer Bosheit willen, sondern unter dem Druck
von Schicksalsschlägen vertrieben. Von den Griechen
aber sind wir mehr durch den Raum als durch unsere
Bestrebungen geschieden und haben darum keinen Grund,
sie zu hassen oder zu beneiden. Im Gegenteil, viele
von ihnen haben sich für unsere Gesetze interessiert,
und manche sind treue Anhänger derselben geworden,
während andere, die keine Kraft zum Ausharren besassen,
wieder abfielen. Übrigens hat noch niemand behauptet, es
sei ihm etwas von einem derartigen jüdischen Eid zu
Ohren gekommen; nur Apion, wie es scheint, hörte
davon, denn er selbst hat ihn erfunden.
11. Gewaltig erstaunen wird man auch ob der tiefen
Weisheit Apions, die sich im folgenden kundgiebt. Ein
Beweis dafür, sagt er, dass wir keine vernünftigen Ge-
setze hätten und auch Gott die ihm gebührende Ver-
ehrung nicht zollten, sei der Umstand, dass wir keine
herrschende Stellung einnähmen, sondern bald von diesem,
bald von jenem Volk unteijocht worden seien und be-
sonders mit unserer Hauptstadt schon viel Unglück ge-
166
Des Flavius Joßcphus kleinere Schriften.
habt hätten — als ob s i e (die Alexandriner) von jeher
die Herren der weltbezwingenden Stadt (Rom) gewesen
und nicht vielmehr umgekehrt an das römische Joch
gewöhnt wären! Und doch dürfte, nicht mancher die
gleiche Grossmut erfahren haben, wie sie von seiten der
Römer. Es wird nun wohl niemand in der Welt umhin
können zu sagen, dass alle vorstehenden Behauptungen
Apions sich gerade so gut gegen ihn selbst kehren wie
gegen uns. Denn nur wenigen Völkern war es ver-
gönnt, längere Zeit die Oberherrschaft zu fuhren, und
auch sie hat der Schicksalswechsel immer wieder den
anderen unterthan gemacht; ja, die meisten Nationen
haben sogar zu wiederholten Malen unter fremder Bot-
mässigkeit gestanden. Die Aegyptier allein waren, an-
geblich weil die Götter in ihr Land flohen und dadurch,
dass , sie sich in Tiere verwandelten, gerettet würden , 1
so ausnehmend bevorzugt, dass sie keinem asiatischen
oder europäischen Herrscher jemals sich unterzuordnen
brauchten — sie, denen bekanntlich nicht einmal von
ihren einheimischen Tyrannen ein einziger Tag der Frei-
heit gewährt wurde! Welche Behandlung sie von den
Persern erfuhren, die ihnen nicht nur einmal, sondern
öfters ihre Städte zerstörten, ihre Tempel verwüsteten,
ihre vermeintlichen Götter schlachteten, will ich ihnen
nicht zu ihrer Schande Vorhalten; denn es steht mir
nicht an, die Oberflächlichkeit eines Apion nachzu-
ahmen, der weder an das Unglück der Athener noch an
das der Lakedaemonier denkt, von denen die letzteren
allgemein als die tapfersten, die ersteren als die frömmsten
Griechen bezeichnet werden. Auch will ich nicht davon
reden, wie oft solche Könige, die wegen ihrer Frömmig-
keit berühmt waren , z. B. Krösus, in ihrem Leben von
widrigen Schicksalen heimgesucht wurden, nicht reden
von der Einäscherung der Akropolis in Athen, des
Tempels in Ephesos, des in Delphi, und von zahlreichen
anderen Unglücksfallen, die noch niemand den davon
1 S. Plutarch, Isis 72; Ovid, Metam.V, 34 f.
Gegen Apion, Zweites Buch.
167
Betroffenen, sondern den Urhebern vorgeworfen hat. Jetzt
aber fand sich einer, der uns alle miteinander anklagt:
Apion, dem das traurige Geschick seiner Landsleute in
Aegypten aus dem Gedächtnis entschwunden ist, weil
die sagenhaften Thaten des aegyptischen Königs Sesostris
ihn geblendet haben. Wir dagegen wollen von unseren
Königen David und Solomon, die doch auch viele Völker-
schaften unteijochten , nichts erwähnen und sie mit
Stillschweigen übergehen ; die eine allgemein bekannte
Thatsache aber, von der Apion nichts weiss, sei hier
hervorgehoben: während die Aegyptier zu den Persern
und deren Nachfolgern in der Herrschaft über Asien,
den Macedoniern, in einem geradezu sklavischen Ab-
hängigkeitsverhältnis standen, waren wir fast hundert
zwanzig Jahre lang 1 frei und geboten noch dazu über
die umliegenden Staaten, bis auf Pompejus den Grossen.
Und als die sämtlichen Fürsten des Erdkreises von den
Römern gewaltsam unterjocht wurden, da blieben allein
meine Landsleute wegen ihrer Treue deren Bundes-
genossen und Freunde.
12. „Aber wir haben keine grossen Männer aufzu-
weisen, wie z. B. Erfinder von Künsten und ausgezeichnete
Gelehrte/ 1 Dann zählt Apion den Sokrates, den Zeno,
den Kleanthes und etliche andere Männer von Bedeu-
tung auf jind setzt — das aller wunderlichste von dem,
was er vorbringt — seinen höchsteigenen Namen hinzu,
indem er Alexandria glücklich preist, dass es einen
Bürger wie ihn besitze. Er hatte es allerdings nötig, sein
eigener Lobredner zu werden. Denn bei allen anderen
Leuten galt er für einen schlechten Marktschreier, für
einen verdorbenen Menschen und Schriftsteller, weshalb
man Alexandria mit Recht bedauern müsste, wenn es
sich auf diesen Menschen etwas einbildete. Dass aber
bei uns Männer gefunden werden, die so gut wie irgend
1 Genau: 102 Jahre, nämlich von 165 v. Chr. (Befreiung Jeru-
salems durch Judas Makkabaeus) bis 63 v. Chr. (Eroberung Jeru-
salems durch Pompejus).
168
Des Flavins Josephus kleinere Schriften.
einer des Lobes würdig sind, das wissen diejenigen sehr
wohl, die sich mit der alten jüdischen Geschichte ver-
vertraut gemacht haben.
13. Was sonst noch in der Schmähschrift steht, würde
vielleicht besser unerwidert bleiben, damit Apion so recht
als sein eigener und der Aegyptier Ankläger dastehe.
Er macht uns nämlich zum Vorwurf, dass wir Tiere
opfern und kein Schweinefleisch essen ; auch spottet er
über die Beschneidung. Nun findet sich aber der Brauch,
die Haustiere zu schlachten, bei allen anderen Menschen,
und Apion verrät sich, indem er die Opfer tadelt, nur
als Aegyptier; wäre er ein Grieche oder Macedonier, so
würde er es uns nicht übel nehmen. Die letzteren
pflegen ja Gelübde zu thun , wonach sie den Göttern
ganze Hekatomben opfern, und sie verwenden die Opfer-
tiere zu Mahlzeiten, ohne dass deshalb, wie Apion be-
fürchtet, der Welt das Nutzvieh ausgeht. Wenn dagegen
alle es wie die Aegyptier machen wollten, so würde die
Welt gar bald menschenleer und voll der wildesten
Tiere werden, welche die Aegyptier in dem Wahn, dass
sie Götter seien , sorgfältig aufziehen. Richtete man
ferner die Frage an ihn, welche Leute unter den
Aegyptiern er für die weisesten und frömmsten hielte, so
würde er zweifellos die Priester als solche anerkennen.
Denn ihnen sollen die Könige von jeher zwei Gebote
gegeben haben: die Götter zu ehren und nach Weisheit
zu streben. Gerade die Priester aber lassen sich alle
beschneiden 1 und enthalten sich des Schweinefleisches.
Gleichwohl bringt sonst kein Aegyptier in Gemeinschaft
mit ihnen den Göttern blutige Opfer dar. Apion war
also nicht recht bei Verstand, als er den Aegyptiern
zulieb uns zu schmähen sich anschickte; er klagt ja in
Wirklichkeit nur sie an, die nicht bloss den von ihm
verlästerten Sitten anhangen, sondern auch, wie Herodot
1 Josephus will nicht sagen, dass bei den Aegyptiern die Be-
schneidung auf die Priester beschränkt war, sondern dass die Priester
ausnahmslos sich ihr unterzogen.
Gegen Apion, Zweites Buch.
169
sagt, andere Völker die Beschneidung lehrten. 1 Deshalb
halte ich es auch für wahrscheinlich, dass Apion eben
wegen der Beschimpfung seiner heimatlichen Gesetze
nach Gebühr bestraft worden ist. Denn er musste sich
notgedrungen der Beschneidung unterziehen, weil an
seinen ßchamteilen ein Geschwür sich bildete. Die Be-
schneidung half ihm indes nichts, sondern er verfaulte
bei lebendigem Leibe und starb unter fürchterlichen
Qualen. Der Gutgesinnte soll ja die religiösen Satzungen
seiner Heimat gewissenhaft halten, ohne die der anderen
zu schmähen. Apion aber ist jenen untreu geworden
und hat die unseren verlästert. So beschloss dieser
Mann sein Leben, und damit sei auch meine Rede gegen
ihn zu Ende.
14. Weil nun aber auch Apollonios Molon und Lysi-
machos und einige andere teils aus Unwissenheit, zumeist
jedoch aus Böswilligkeit ebenso ungerechte wie unzu-
treffende Urteile über unseren Gesetzgeber Moyses und
unsere Gesetze gefallt haben, indem sie jenen verleum-
derisch als Gaukler und Betrüger bezeichnen und von
den Gesetzen behaupten, sie wiesen uns nicht zur Tugend,
sondern zur Schlechtigkeit an, so will ich in aller Kürze
auch noch über unsere Religionsverfassung im ganzen
und über die Einzelheiten derselben, so gut ich kann,
mich verbreiten. Es wird dann hoffentlich klar werden»
dass unsere Gesetze zur Gottesfurcht, zur Pflege der ge-
sellschaftlichen Beziehungen und zur Nächstenliebe im
allgemeinen, sowie zur Gerechtigkeit, zur Ausdauer in
Beschwerden und zur Todesverachtung die beste An-
leitung geben. Nur bitte ich diejenigen, in deren Hände
diese Schrift gelangt, sie ohne missgünstiges Vorurteil zu
lesen. Denn es liegt nicht in meiner Absicht, eine
Lobrede auf unser Volk zu schreiben, sondern ich halte
hinsichtlich der vielen falschen Beschuldigungen, die man
gegen uns erhebt, diejenige Rechtfertigung für die beste.
1 Dagegen nimmt Zipser (a. a. O. S. 189 ff.) die Priorität der Be-
schneidang für die Juden in Anspruch.
Go gle
170
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
welche auf die Gesetze Bezug nimmt, nach denen wir unser
ganzes Leben einrichten — zumal da Apollonios seine
Vorwürfe nicht wie Apion in gehöriger Ordnung, sondern
vereinzelt und in seiner ganzen Schrift zerstreut gegen
uns hat anrücken lassen. Bald verlästert er uns als
gottlos und menschenfeindlich , bald wieder wirft er uns
Feigheit vor; an anderen Stellen dagegen beschuldigt er
uns der Tollkühnheit und des Fanatismus. Ferner sagt
er, wir seien die ungebildetsten unter den Barbaren 1
und hätten deshalb allein keinen Beitrag zu den für
das Leben nützlichen Erfindungen geliefert Alle diese
Beschuldigungen werden, denke ich, klar widerlegt sein,
wenn es sich herausstellt, dass gerade das Gegenteil von
dem, was er behauptet, uns durch die Gesetze vorge-
schrieben und von uns aufs pünktlichste befolgt wird.
Wenn ich hierbei genötigt sein sollte, zu erwähnen,
dass es bei anderen Völkern entgegengesetzte Bräuche
giebt, so fällt die Schuld davon Verdientermassen auf
die, welche unsere Einrichtungen durch Vergleichung
derselben mit fremden als schlechter hinzustellen suchen.
Ihnen glaube ich auch zwei Ausflüchte abschneiden zu
können, nämlich die, dass die Gesetze, von denen ich
die hauptsächlichsten anführen werde, nicht wirklich die
unsem seien, und die andere, dass wir unsere eigenen
Gesetze nicht besonders treu beobachteten.
15. Indem ich etwas weit aushole, möchte ich vorab
darauf hinweisen, dass diejenigen, die zuerst das Ver-
langen nach einem gesetzlich geordneten Gemeinschafts-
leben hegten und demgemäss ein solches einfuhrten,
selbstverständlich das Lob der Gesittung und edler
Charaktereigenschaften vor denen, voraus haben, die
gesetz- und ordnungslos dahinleben. Aus diesem Grunde
sucht auch jede Gemeinschaft die bei ihr geltenden
Gesetze möglichst weit ins Altertum hinaufzurücken,
damit es nicht den Anschein gewinne, als habe sie
fremde Einrichtungen nachgeahmt, sondern damit um-
1 Barbar liiess bei den Qriechen jeder Ausländer.
Gegen Apion, Zweites Bach.
171
gekehrt sie selbst als die Lehrerin gelte, die anderen
das Leben auf gesetzlicher Grundlage beigebracht habe.
Unter diesen Umständen ist der Vorzug eines Gesetz-
gebers darin zu suchen, dass er das Beste herauszufinden
versteht und seine Bestimmungen denen annehmbar macht,
die sich danach richten sollen, der Vorzug der Menge
aber darin, dass sie allen Beschlüssen treu bleibt und
weder durch Glück noch durch Unglück sich verleiten
lässt,, etwas daran zu ändern. Ich stelle nun die Be-
hauptung auf, dass unser Gesetzgeber alle irgend sonst
in der Geschichte erwähnten Gesetzgeber an hohem Alter
übertrifft. Denn Lykurgos und Solon wie auch der
Lokrer Zaleukos und alle anderen bei den Griechen in
hoher Bewunderung stehenden Gesetzgeber sind, mit ihm
verglichen, offenbar erst von gestern und vorgestern.
War ja doch nicht einmal die Bezeichnung f vofiiog’ für
t Gesetz * bei den Griechen von alters her bekannt, wie
daraus hervorgeht, dass Homer in keinem seiner Ge-
dichte das Wort gebraucht . 1 Zu seiner Zeit nämlich
gab es nichts dergleichen, sondern nach unbestimmten
Meinungen wurden die Massen gelenkt und durch die
Befehle der Könige. Deshalb galt auch lange Zeit hin-
durch nur ungeschriebenes Herkommen, das noch dazu
in vielen Stücken je nach Umständen wieder geändert
wurde. Unser Gesetzgeber dagegen, der älteste von allen
— das gestehen ja selbst diejenigen zu, die sonst nichts
gutes an uns lassen — , bewährte sich als der beste
Führer nnd Ratgeber der Massen, schuf ihnen in seinem
Gesetz eine für alle Verhältnisse passende Lebensordnung,
bewog sie zu deren Annahme und wusste es durchzu-
setzen, dass sie, mit den einzelnen Bestimmungen ver-
traut, dieselben zugleich getreulich beobachteten.
16. Betrachten wir einmal die erste seiner Gross-
thaten. Als unsere Vorfahren beschlossen hatten, Aegypten
1 Bei Börner lautet die Bezeichnung: bei Drakon und
Solon: fi-eopot. Das Wort vo[aos kommt am frühesten bei Hesiod
vor (op. 278. 890; vergl. Theog. 66. 417).
172 Des Flavias Josepha« kleinere Schriften.
zu verlassen und in ihr Stammland zurückzukehren, da
stellte er sich an die Spitze der nach Hunderttausenden
zählenden Menge und brachte sie aus vielen Drangsalen
in Sicherheit ; denn sie mussten die wasserlose Sandwüste
durchziehen, Feinde besiegen und ihre Weiber und Kinder
samt der Beute mit dem Schwert in der Hand ver-
teidigen. In allen diesen Gefahren bewies er sich als
überaus trefflicher Feldherr, als einsichtsvoller Ratgeber
und als der treueste Versorger des ganzen Volkes. Er
brachte es zuwege, dass alle samt und sonders an ihm
hingen, und obwohl sie jedem seiner Befehle gehorchten,
zog er doch daraus keinerlei Vorteil für seine Person
In einer Lage, wo die meisten Befehlshaber nach tyran-
nischer Herrschaft streben und das Volk an ein durch
und durch gesetzloses Leben gewöhnen, gerade da hielt
er, der Inhaber der Gewalt, es im Gegenteil für seine
Pflicht, fromm zu leben und den Massen nur Wohl-
wollen zu erzeigen in der Hoffnung, auf diese Weise
seine eigene Tugend am deutlichsten hervortreten lassen
und denjenigen, die ihn zum Führer gewählt hatten, den
sichersten Weg zur Rettung angeben zu können. Weil
er nun wirklich diese schöne Absicht hegte und glänzende
Thaten vollbrachte, glaubten wir mit gutem Grund, an
ihm einen gottgesandten Führer und Ratgeber zu haben ;
und nachdem er zuvor den eigenen festen Entschluss
gefasst hatte, alle seine Handlungen und Gedanken
nach dem Willen Gottes einzurichten , hielt er sich in
erster Linie für verpflichtet, die gleiche Überzeugung auch
den Massen beizubringen. Denn wer da glaubt, dass
Gott auf sein Leben schaue, der ist keiner Sünde
fähig. Ein solcher Mann eben war unser Gesetzgeber,
kein Gaukler, auch kein Betrüger, wie die Lästerer ihn
ungerechterweise nennen, sondern dem Minos vergleich-
bar, dessen die Griechen sich rühmen, und den anderen
Gesetzgebern nach ihm. Sie legten ja ihren Gesetzen
göttlichen Ursprung bei, und Minos namentlich führte
die seinen auf Apollo und dessen delphisches Orakel
zurück, s^ei es dass sie selbst daran glaubten, sei es dass
Gegen Apion, Zweites Buch.
173
sie, indem sie dies Vorgaben, eher Glauben zu finden
hofften. Wer aber seinen Gesetzen die höchste Vollendung
gegeben, und wer in Bezug auf den Glauben an Gott
das richtige getroffen hat, das kann nur durch eine Ver-
gleichung des Inhalts der Gesetze selbst entschieden
werden, auf den ich nun zu sprechen komme. Unendlich
sind im einzelnen die Verschiedenheiten der Sitten und
Gesetze im Menschengeschlecht : hier hat man die Regie-
rung der Staaten Monarchen, dort wenigen mächtigen
Familien, anderwärts dem Volke überlassen. Unser Ge-
setzgeber hingegen hat auf keine solche Regierungsform
Rücksicht genommen, sondern den Staat, wie man mit
einem etwas erzwungenen Wort sagen könnte, zu einer
Gottherrschaft 1 gemacht, indem er Gott die Herrschaft
und Gewalt anheimgab und die grosse Masse bewog, auf
ihn als den Urheber alles Guten, das die Menschen im
staatlichen wie privaten Leben gemessen und das ihnen,
wenn sie darum baten, selbst im Unglück zuteil wurde,
hinzuschauen; denn seinem Wissen könne nichts ent-
gehen, was sie tbäten oder was auch nur ein einzelner
Mensch bei sich denke. Ihn selbst stellte er als un-
geschaffen und in alle Ewigkeit unveränderlich dar; an
Schönheit sei er erhaben über jede vergängliche Gestalt,
und offenbar werde er uns durch das Wirken seiner
Macht, wiewohl wir ihn seinem Wesen nach nicht zu
erkennen vermöchten. Dass solche Gedanken über Gott
die Weisesten bei den Griechen erst fassen lernten, nach-
dem er den Anfang damit gemacht, will ich jetzt nicht
weiter erörtern; dass es aber vortreffliche, dem Wesen
und der Herrlichkeit Gottes angemessene Gedanken sind,
davon legten sie lautes Zeugnis ab. Haben doch, wie
bekannt, Pythagoras, Anaxagoras, Plato, nach ihnen die
Philosophen der Stoa und beinahe alle anderen die
gleichen Ansichten über die Natur Gottes gehabt. Aber
während sie ihre Lehre einigen wenigen mitteilten und
1 Joseph as war der erste, der das Wort Theokratie fllr die in
der Thora begründete Verfassung des jüdischen Staates gebrauchte.
174
Des Flavins Josephus kleinere Schriften.
den in vorgefassten Meinungen befangenen Volksmassen
die Wahrheit nicht zu verkünden sich getrauten, hat
unser Gesetzgeber, der freilich auch Thaten aufweisen
konnte, die den Gesetzen entsprachen, nicht nur seinen
Zeitgenossen jene Überzeugung beigebracht, sondern
auch ihren sämtlichen Nachkommen bis ins fernste Ge-
schlecht den unerschütterlichen Glauben an Gott ein-
gepflanzt Dass übrigens seine Gesetzgebung sich in so
hervorragender Weise von den anderen unterschied und
zum Gemeingut wurde, erklärt sich daraus, dass er die
Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil der Tugend
machte, sondern die übrigen guten Eigenschaften wie
Gerechtigkeit, Standhaftigkeit, Besonnenheit, vollkommene
Eintracht der Bürger untereinander, als Äusserungen der
Frömmigkeit erkannte und sie demgemäss erläuterte. Denn
alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei
uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott, weil Moyse*
nichts davon ungeprüft und ungeregelt liess. Es giebt
ferner bei jeder Art von Bildung und Erziehung zwei
Wege, den der mündlichen Belehrung und den der An-
gewöhnung durch Übung. Nun gingen die anderen Ge-
setzgeber in ihren Ansichten auseinander, sodass die,
welche sich vornehmlich für den einen Weg entschieden,
von dem anderen nichts wissen wollten. Die Lakedae-
monier und die Kreter z. B. pflegten durch Angewöhnung
zu erziehen, nicht durch Belehrung, während die Athener
und fast alle übrigen Griechen durch gesetzliche Vor-
schriften befahlen, was man thun oder lassen solle, und
dabei keinen Wert auf praktische Einübung legten.
17. Unser Gesetzgeber dagegen hat diese beiden Er-
ziehungsweisen aufs sorgfältigste miteinander verbunden.
Denn einerseits war er darauf bedacht, dass der Sitten-
übung die theoretische Anweisung nicht fehle, und ander-
seits wollte er das in Worte gefasste Gesetz auch praktisch
ausgeführt wissen, indem er, sowie die Erziehung und
häusliche Lebensweise eines jeden begann, nichts, auch
nicht das geringste der Wahl und Willkür derer über-
liesB, für die seine Gesetze bestimmt waren. Ja, selbst
Go gle
Gegen Apion, Zweites Bach. 175
bezüglich der Speisen , welche man essen dürfe und
welche nicht, der Personen, die an dieser Lebensweise
teilnehmen sollten, der Mühen, Anstrengungen in den
einzelnen Gewerben, und wiederum bezüglich der Er-
holung von den Mühen stellte er in seinem Gesetz eine
Eegel und Richtschnur auf, damit wir unter ihm wie
unter einem Vater und Gebieter leben und weder ab-
sichtlich noch aus Unwissenheit sündigen möchten. Denn
auch den Entschuldigungsgrund, dass man von den Vor-
schriften keine Kenntnis habe, wollte er aus der Weit
schaffen, indem er das Gesetz zugleich zum schönsten
und notwendigsten Bildungsmittel machte und uns die
Verpflichtung auferlegte , es nicht bloss einmal oder
zweimal oder öfters zu hören, sondern auch an jedem
siebenten Tage uns aller sonstigen Geschäfte zu ent-
halten, zur Anhörung des Gesetzes zusammenzukommen
und dasselbe gründlich zu erlernen 1 — eine Anordnung,
die meines Wissens alle anderen Gesetzgeber ausser acht
gelassen haben.
18. Übrigens sind die meisten Menschen so weit ent-
fernt, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, dass sie
dieselben vielmehr kaum kennen und erst, wenn sie ge-
sündigt haben, von anderen erfahren, sie hätten das
Gesetz übertreten. Selbst die Inhaber der höchsten und
wichtigsten Ämter bekennen ihre Unwissenheit in diesem
Punkte, indem sie als Vorsteher der Verwaltung solche
Männer neben sich thätig sein lassen, die ihrem Vor-
geben gemäss mit den Gesetzen vertraut sind. Bei uns
hingegen mag man den ersten besten über die Gesetze
befragen, und er wird sämtliche Bestimmungen derselben
leichter hersagen als seinen eigenen Namen. Weil wir
nämlich gleich vom Erwachen des Bewusstseins an die
Gesetze erlernen, sind sie in unsere Seelen sozusagen
1 Nach 6. Mos. 31, 10 ff. sollte die Vorlesung der Thora nur alle
sieben Jahre stattfinden. Erst seit Esra gab es Lebrvortrfige am
Sabbat (Soferim X), die im Zeitalter des Josephus allgemein in den
Synagogen üblich wurden.
176
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
eingegraben. Übertretungen kommen infolgedessen selten
vor; zugleich aber ist auch jede die Abwendung der
Strafe bezweckende Ausrede unmöglich gemacht
19. Dies vor allem hat die wunderbare Eintracht
unter uns geschaffen. Denn eine und dieselbe Über-
zeugung von Gott haben, im Leben und in den Sitten
sich nicht voneinander unterscheiden — das bringt die
schöhste sittliche Übereinstimmung unter den Menschen
zustande. Wir sind die einzigen, bei denen man keine
sich widersprechenden Ansichten von Gott hört, wie
solches vielfach bei Rinderen Völkern der Fall ist, wo
oft nicht nur der gemeine Mann seine unsinnigen Ein-
fälle über die Gottheit verlauten lässt, sondern auch
manche Philosophen das gleiche thun, indem die einen
das Dasein Gottes überhaupt zu leugnen sich erkühnen, 1
andere wenigstens seine Fürsorge für die Menschen in
Abrede stellen. Auch in Bezug auf die Lebensweise
sieht man bei uns keine Verschiedenheiten; vielmehr ist
unser aller Thun ein gemeinsames, getragen, von dem
einheitlichen, dem Gesetz entsprechenden Bekenntnis,
dass Gottes Auge alles sieht. Übrigens kann man die
Ansicht, dass Gottesfurcht das Ziel sei, auf welches alle
übrigen Bestrebungen des Lebens hin arbeiten müssten,
selbst aus dem Munde unserer Weiber und Sklaven ver-
nehmen.
20. Daraus erklärt es sich auch, wie uns von manchen
der Vorwurf gemacht werden konnte, wir hätten weder
auf dem praktischen noch auf dem theoretischen Gebiet
erfinderische Köpfe aufzuweisen. Andere Völker sehen
einen Vorzug darin, dass man nicht beim Althergebrachten
stehen bleibt, und wer am eifrigsten weiterzukommen
trachtet, dem spricht man einen besonders hohen Grad
von Weisheit zu; wir dagegen halten nur den für klug
und tugendhaft, der in seinem Thun und Denken mit
den ursprünglichen gesetzlichen Vorschriften überhaupt
nicht in Widerspruch gerät. Das ist doch sicher ein
1 Hier hat Josephus wohl die Skeptiker im Sinne.
Go gle
Gegen Apion, Zweites Buch.
177
Beweis für die Vortrefflichkeit der Bestimmungen unseres
Gesetzes, wie umgekehrt die häufigen Änderungen anderer
Gesetzgebungen deren Verbesserungsbedürftigkeit klar zu«
tage treten lassen.
21. Weil wir nun überzeugt sind, dass das Gesetz gleich
von Anfang an den Willen Gottes zum Ausdruck bringen
sollte, würde es eine Gottlosigkeit sein, wenn wir in irgend
einer Beziehung von ihm ab wichen. Was möchte denn
auch jemand daran ändern? Und was könnte er schöneres
selbst erfinden oder besseres von anderen entlehnen?
Etwa die Einrichtung des Gemeinwesens überhaupt?
Wo aber fände sich eine vortrefflichere und vernünf-
tigere Verfassung als die, welche Gott, den Lenker des
Weltalls, an die Spitze stellt, den Priestern die gesamte
Verwaltung des Staates überträgt und dem Hohepriester
die ausschliessliche Beaufsichtigung der übrigen Priester
anvertraut Die letzteren hat übrigens der Gesetzgeber
gleich anfangs nicht mit Rücksicht auf ihren Reichtum
oder andere zufällige Vorzüge in ihr Ehrenamt ein-
gesetzt, sondern er hat hauptsächlich denjenigen seiner
Genossen, die sich durch Gehorsam und sittliche Kraft
vor den anderen auszeichneten, den Gottesdienst zuge-
wiesen. Sie wachten denn .'auch getreulich über dem
Gesetz und den anderen Einrichtungen ; denn die Priester
führten ihrem Amt gemäss die Aufsicht über alle, richteten
bei vorkommenden Streitigkeiten 1 und bestraften die
Verurteilten. 2
22. Wo wäre demnach eine gleich ehrwürdige Staats-
verwaltung zu finden? Wo eine, die mit der Ehrfurcht
gegen Gott in schönerem Einklang stände? Wenn alle
Schichten des Volkes zur Frömmigkeit erzogen werden,
wenn die Pflege der letzteren vornehmlich den Priestern
an vertraut ist — sieht das nicht aus, als ob das
1 Im Laufe der Entwicklung wurde jedoch das Richteramt den
Priestern ganz entzogen und eigens von der Gemeinde erwählten
Richtern übertragen.
a Nach 5. Mos. 25, 2f. hatten die Priester die Vollziehung der
Strafe nur zu beaufsichtigen, nicht selbst zu besorgen.
Joaephus, Kleinere Schriften. 1 ^ 12
178
Des Flavius Joseph ns kleinere Schriften.
gesamte öffentliche Leben eine einzige heilige Festfeier
wäre? Was Fremde unter dem Namen Mysterien und
Weihen in wenigen Tagen begehen, ohne es jedoch dauernd
in ihrem Herzen bewahren zu können, daran halten wir
mit jubelnder Freude und unverrückten Sinnes allzeit
fest. — Welcher Art sind nun die Gebote und Verbote
im einzelnen? Vor allem sind sie einfach und fasslich.
Das erste lehrt von Gott und zwar folgendermassen :
Gott ist alles; er ist vollkommen und selig, sich selbst
und allen genügend ; Anfang, Mitte und Ende von allem. 1
Offenbar durch seine Werke und Gnaden, erkennbar wie
alles andere, ist er doch nach Gestalt und Grösse uns
völlig unbekannt; denn kein Stoff, und wäre es der
kostbarste, ist wert, dass sein Bild daraus Verfertigt
werde, keine Kunst vermag etwas zu ersinnen, das ihm
gliche; etwas ihm ähnliches auch nur zu erdenken oder
zu vermuten, ist bei uns schon sündhaft. Seine Werke
schauen wir: Licht, Himmel, Erde, Sonne und Mond,
die Gewässer, die stets sich erneuernden Tiergeschlechter,
und die fruchttragenden Gewächse. Dies hat Gott ge-
macht , nicht mit Händen, nicht durch Arbeit, noch
bedurfte er dazu einer fremden Beihilfe — sondern er
wollte Gutes, und gut war es alsbald geschaffen. Diesem
Gott müssen alle gehorchen, und in Tugendübung sollen
sie ihn ehren; denn das ist der würdigste Gottesdienst.
28. Weil immer gleiches zu gleichem passt, 2 soll der
eine Gott auch nur einen Tempel haben, der das ge-
meinsame Eigentum aller ist, wie sie alle denselben Gott
verehren. 8 Der Gottesdienst wird, ohne Unterlass von
1 Vergl. Jeremias 41, 4; 44, 6; Offenb. Joh. 1, 8 ; 21, 6; 22, IS.
2 Ein oft citiertes griechisches Sprichwort (z. B. Odyssee, XVII. Ge-
sang, Vers 218 ; Aristot. Ethik. IX, S, 3).
9 Man beachte, wie Josephus hier den Oniastempel in Aegypten
völlig ignoriert. Er hat also gleich seinen Glaubensgenossen in
Palaestina und Alexandria diesen Tempol für ungesetzlich gehalten,
obwohl er mehr als irgend ein anderer von ihm berichtet (J. A. XII,
9, 7 ; XIII , 3, 1 ; 10, 4 ; XX , 10 ; Jüd. Krieg VII, 10, 3 f.). Des-
gleichen berücksichtigt er ibn nicht J. A. IV, 8, 5.
Go gle
Gegen Apion, Zweites Bach.
179
den Priestern besorgt, an deren Spitze jeweilig der erste
seiner Klasse steht Er soll mit seinen Amtsgenossen
Gott dem Herrn opfern, über dem Gesetz wachen, Zwistig-
keiten beilegen und die einer rechtswidrigen Handlung
Überfuhrten bestrafen. Wer ihm nicht gehorcht, soll
genau so büssen, als hätte er sich gegen Gott selbst ver-
gangen. Die Opfer bringen wir übrigens nicht unter Frass
und Völlerei dar — was Gott missfällig und nur ein Anlass
zur Zügellosigkeit und Verschwendung wäre — , sondern
wir bleiben dabei vernünftig, anständig und nüchtern,
damit die heilige Handlung durchaus würdevoll verlaufe.
Während der Darbringung des Opfers beten wir vor-
schriftsmässig zunächst für das Wohl des Gemeinwesens
und dann erst für unser eigenes ; denn wer jenes höher
achtet als sein persönliches Interesse, an dem hat Gott
sicherlich das grösste Wohlgefallen. Bei der Anrufung
Gottes im Gebet aber soll man nicht flehen, dass er uns
das Gute beschere — denn aus eigenem Antrieb hat er
es allen gegeben und angeboten — , sondern dass wir
imstande seien, es aufzunehmen und bei uns zu bewahren.
Ausser der Darbringung von Opfern hat das Gesetz
noch besondere Reinigungen vorgeschrieben nach einer
Leichen bestattung, nach dem ausserehelichen oder ehe-
lichen Beischlaf und bei vielen anderen Anlässen, deren
Aufzählung hier zu weit fuhren würde. Das also ist
unsere Lehre von Gott und seinem Dienst, welche zu-
gleich die Bedeutung eines Gesetzes hat.
24. Wie lauten die Bestimmungen über die Ehe?
Das Gesetz erkennt nur den naturgemässen Verkehr
mit dem Weibe an, und zwar zum Zweck der Kinder-
erzeugung; den Beischlaf unter Männern verdammt es,
und wer dieses Laster begeht, hat den Tod verwirkt.
Heiraten darf man nicht um der Mitgift willen, auch
keine gewaltsame Entführung oder listige Überredung
dabei anwenden, sondern man soll um das Weib bei
dem, der sie zu vergeben hat, anhalten, wofern die Ver-
wandtschaft mit ihr dies gestattet. Das Weib, heisst es
weiter, steht in jeder Beziehung unter dem Manne. Sie
180
De3 Flavius Josephus kleinere Schriften.
soll ihm daher unterthan sein, nicht um von ihm Miss-
handlungen erfahren zu müssen, sondern damit sie von
ihm geleitet werde ; denn Gott hat dem Manne die Herr-
schaft gegeben. Nur mit ihr darf er vertrauten Umgang
pflegen ; eines anderen Gattin begehren, ist Sünde. Wer
dies thut, ferner wer eine Jungfrau, die einem anderen
verlobt ist, notzüchtigt oder eine Ehefrau verfuhrt, der
verfällt unbedingt der Todesstrafe. Die Kinder müssen,
so will es das Gesetz, alle grossgezogen werden. 1 Den
Weibern ist es verboten, die Leibesfrucht abzutreiben
oder sonst zu vernichten; wird eine dabei ertappt, so
soll sie als Kindsmörderin angesehen werden, weil sie
ein Leben im Keime erstickt und die Nachkommenschaft
verringert hat. Wenn jemand einen ausserehelichen
Beischlaf vollzogen oder eine Schändung begangen hat,
kann er nicht für rein gelten ; aber auch nach der recht-
mässigen Begattung zwischen Mann und Frau gebietet
das Gesetz eine Waschung. Denn in der Seele wie im
Leibe entsteht dadurch eine Befleckung , als wenn die
Seele in eine niedrigere Sphäre versenkt würde. Über-
haupt leidet die Seele durch ihre enge Verbindung mit
dem Körper, weshalb sie sich. auch wieder von ihm löst,
nämlich im Tode. Aus diesem Grunde hat das Gesetz
in allen derartigen Fällen Reinigungen angeordnet.
25. Zur Feier der Geburt von Kindern Schmausereien
zu veranstalten und dadurch Anlass zur Völlerei zu
geben, ist untersagt; vielmehr soll die Erziehung schon
gleich im Anfang Mässigung predigen. Ferner besteht
die Vorschrift, die Kinder lesen zu lehren, ihnen die
Kenntnis der Gesetze beizubringen und sie über die
Thaten der Vorfahren zu unterrichten, damit sie diese
nachahmen und mit den Gesetzen von Jugend auf so
vertraut werden, dass sie vor Übertretungen bewahrt
bleiben und auch keine Unkenntnis vorschützen können.
26. Die den Verstorbenen zu erweisenden letzten
1 D. h. die Eltern können nickt über das Leben ihrer Kinder
verfügen und dürfen namentlich keine Neugeborenen aussetzen.
Gegen Apion, Zweites Bach.
181
Ehren erblickt das Gesetz weder in prunkvoller Be-
stattung noch darin, dass man ihnen glänzende Denk-
male setzt, sondern es sollen nur die nächsten Ange-
hörigen ein einfaches Leichenbegängnis halten. 1 Eine
weitere gesetzliche Bestimmung lautet dahin, dass alle,
die einem Leichenzug begegnen , ihn begleiten und an
der Trauer teilnehmen müssen; das Haus aber, in dem
die Leiche gelegen hat, soll mitsamt seinen Bewohnern
gereinigt werden, damit es einem etwaigen Mörder recht
zum Bewusstsein komme, wie sehr er sich verunreinigt
habe. 2
27. Die Verpflichtung, den Eltern mit Ehrfurcht zu
begegnen, stellt das Gesetz unmittelbar hinter die Pflichten
gegen Gott. Wer die Liebe, die er von ihnen empflng,
nicht erwidert und irgend eine Ausschreitung gegen sie
begeht, der soll gesteinigt werden. Auch sollen über-
haupt die älteren Leute von den jüngeren geehrt werden,
weil Gott das älteste Wesen ist. 3 — Vor Freunden darf
man nichts geheim halten ; denn wo kein vollkommenes
Vertrauen bestehe, sei von echter Freundschaft nicht die
Kede. Wenn einmal zwischen Freunden eine Zwistigkeit
1 Vergl. jedoch Jüd. Krieg II, 1, 1. Zur Erklärung dieses schein-
baren Widerspruches s. Zipser, 8. 170f.
3 Dass diese Erklärung nicht die richtige sein kann, liegt auf
der Hand. Eine viel zutreffendere und schönere Deutung giebt
R. Aaron ha-Levi, indem er (Sepher ha-Chinnuch No. 263) zum
Verbot Levit. 21, 1 sich also äussert: „Weil die Priester zum Dienste
Gottes ausersehen sind, müssen sie sich besonders vor jeder Ver-
unreinigung durch einen Leichnam hüten. Ich habe bereits oben
auseinandergesetzt, dass alles Hässliche und Ekelhafte Verunreinigung
hervorruft. Den menschlichen Leichnam aber haben die Weisen
den Erzvater aller Unreinheit genannt. Das kommt daher, dass,
wenn die Seele, welche Leben und Sittlichkeit spendet, sich vom
Körper getrennt hat, deijenige Teil des Menschen allein zurückbleibt,
der seines rein irdischen Ursprungs wegen minderwertig ist und
gewiss die dem Menschen von Gott eingehauchte Seele zur Sünde
und Unsittlichkeit verleitete. Darum ist es nicht mehr als billig,
dass, sobald alle Hoheit und Würde ihn verlassen hat, der Körper,
der die blosse Materie ist, seine ganze Umgebung verunreinigt.“
S. auch Zipser, a. a. O. S. 1 7 1 f.
3 Vergl. Daniel, Kap. 7, V. 9, 13, 22: Der Uralte der Tage.
182
Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften.
ausbricht, soll man doch die Geheimnisse nicht verraten.
— Ein Richter, der Geschenke annimmt, ist des Todes
schuldig. — Wer einen um Hilfe Flehenden unerhört
lässt, obwohl er ihm beizustehen vermag, begeht ein
Verbrechen. — Was einer dem anderen nicht in Ver-
wahr gegeben hat, darf er ihm auch nicht nehmen ; über-
haupt soll niemand fremdes Eigentum anrühren, und
niemand für Darlehen einen Zins fordern. Diese und
noch viele derartige Bestimmungen halten das auf gegen-
seitigen Verpflichtungen beruhende Gesellschaftsleben bei
uns aufrecht.
28. Bemerkenswert ist aber auch die Art, wie der
Gesetzgeber über das pflichtgemässe Verhalten gegen
Fremde gedacht hat. Es wird sich nämlich zeigen, wie
er aufs allerbeste dafür sorgte, dass einerseits unser
heimisches Leben nicht verdorben würde und anderseits
diejenigen, die sich daran anzuschliessen wünschten, keine
abstossende Behandlung erführen. Denn alle, die zu
uns kommen und nach unseren Gesetzen leben wollen,
müssen wir freundlich aufnehmen, weil nicht bloss die
Zugehörigkeit zum selben Stamme, sondern auch gemein-
same Lebensgrundsätze eine Verwandtschaft bedingen
.können. Zij denen aber, die nur zufällig und vorüber-
gehend mit uns in Verkehr treten, dürfen wir keine
vertrauten Beziehungen unterhalten.
29. Im übrigen ist es uns zur strengen Pflicht ge-
macht, stets hilfreiche Hand zu leisten. So müssen wir
jedem, der dessen bedarf, Wasser, Feuer, Nahrung ver-
abfolgen, ihm den Weg zeigen, ihn nicht unbeerdigt
liegen lassen. Mild soll auch das Verfahren gegen die
Feinde im Kriege sein. Der Gesetzgeber verbietet näm-
lich, ihr Land mit Feuer zu verwüsten, und gestattet
auch das Fällen der Obstbäume nicht; ja, selbst die
Plünderung der in der Schlacht Gefallenen ist untersagt
Kriegsgefangene, zumal solche weiblichen Geschlechtes,
will er vor Misshandlung geschützt wissen. Überhaupt
hat er uns Sanftmut und Nächstenliebe so sehr zur
Pflicht gemacht, dass er sogar der unvernünftigen Tiere
Gegen Apion, Zweites Buch.
183
nicht vergase. Denn er gestattet nur den rechtmässigen
Gebrauch derselben und hat jieden anderen untersagt.
Tiere, die wie schutzflehend in Häuser sich flüchten, ver-
bot er umzubringen; mit jungen Vögeln auch die alten
aus dem Nest zu nehmen, erlaubt er nicht; arbeitende
Tiere sollen auch in Feindesland geschont und nicht
geschlachtet werden. So hat er in jeder Beziehung sein
Augenmerk auf Milde gerichtet, indem er die genannten
Gesetze im Tone freundlicher Belehrung gab. Ander-
seits aber setzte er auch schwere Strafen fest, die an den
Übertretern unnachsichtlich zu vollstrecken seien.
30. Für die meisten Vergehen nämlich bestimmte
er die Todesstrafe, z. B. für Ehebruch, Mädchenschändung*
den Versuch, mit Männern widernatürliche Unzucht zu
treiben, und für das Eingehen auf einen solchen Ver-
such. Auch die Knechte stehen unter demselben uner-
bittlichen Gesetz. Ferner wird bestraft — und zwar
nicht so mild wie bei anderen , sondern weit strenger — ,
wer falsches Mass und Gewicht verwendet, wer im
Handel übervorteilt und sich hinterlistiger Kniffe be-
dient, wer fremdes Eigentum wegnimmt und anvertrautes
Gut nicht herausgiebt. Misshandelt jemand seine Eltern
oder begeht er einen Frevel gegen Gott, so wird er, auch
wenn die That nicht völlig zur Ausführung gekommen
ist, augenblicklich hingerichtet. Diejenigen hingegen,
welche das Gesetz in allen Punkten befolgen, erhalten
zur Belohnung nicht Silber und Gold, auch keinen Kranz
aus öl- oder Eppichzweigen 1 oder eine andere Auszeich-
nung dieser Art, sondern ein jeder von ihnen begnügt
sich mit dem Zeugnis, das sein eigenes Gewissen ihm
ausstellt, und glaubt auf die durch Gott als wahr be-
kräftigten Verheissungen des Gesetzgebers hin, dass
denen, die das Gesetz treu beobachten und, wenn es
sein muss, mit Freuden für dasselbe in den Tod gehen,
1 Don olympischen Siegern ward ein Kranz aus Oelzweigen, den
nemeischen und isthmischen ein solcher aus Eppichzweigen als
Preis zuteil.
184
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
von Gott immer wieder ein neues Dasein und ein besseres
Leben beschert wird. Ich würde es nicht über mich
gewinnen, diese Dinge hier zu erwähnen, wenn es nicht
allbekannte Thatsache wäre, dass schon zu wiederholten
Malen viele der Unseren mit Starkmut das äusserste er-
duldeten, um nur ja kein Wort gegen das Gesetz aus-
sprechen zu müssen.
31. Nehmen wir nun an, unser Volk wäre nicht so
allgemein bekannt, wie es jetzt ist, und man wüsste
nichts von unserm Gehorsam gegen die Gesetze, sondern
es würde jemand diese Gesetze unter dem Vorgeben, er
habe sie verfasst, den Griechen vorlesen oder sagen,
jenseits der bekannten Erde habe er Menschen getroffen,
die eben diese erhabene Ansicht von Gott hegten und
eben solche Gesetze seit Jahrhunderten treu beobachteten :
würden da nicht alle im Hinblick auf die bei ihnen
selbst so häufigen Veränderungen in Erstaunen geraten?
Denjenigen ihrer Landsleute nämlich, welche ähnliche
Gedanken über Staatsverfassung und Gesetzgebung in
ihren Schriften zum Ausdruck gebracht haben, wird der
Vorwurf gemacht, sie seien Phantasten, die sich auf un-
mögliche Voraussetzungen stützten. Von anderen Philo-
sophen, die derartige Versuche unternahmen, will ich
schweigen und nur auf Plato hinweisen, der bei den
Griechen wegen seiner hohen Sittenreinheit und der über-
zeugenden Kraft seiner Darstellung, durch die er alle
anderen Jünger der Philosophie weit überragt, nur mit
Bewunderung genannt wird. Auch er wird ja von denen,
die sich für Meister in der Politik ausgeben, bis auf den
heutigen Tag fast nur verspottet und lächerlich gemacht.
Übrigens wird man bei genauem Zusehen finden, dass
er sich nicht immer mit schwerverständlichen Problemen
befasst, sondern häufig den Gewohnheiten der Menge
nahekommt. Freilich gesteht er offen ein, es sei nicht
ratsam, die richtigen Vorstellnngen von Gott unter den
unwissenden Haufen zu bringen. 1 Gleichwohl erklärt
1 Timaios § 9 (Bekker’sclie Textausgabe, Band VII, S. 255, Zeile lf.).
Gegen Apion, Zweite« Buch.
185
man die Lehren Platos für gehaltloses Zeug und schwül-
stige Stilübungen. Die meiste Bewunderung als Gesetz-
geber geniesst Lykurgos, und überall verkündet man
das Lob Spartas, weil es den Gesetzen dieses Mannes
so ausnehmend treu geblieben sei. Wir wollen zugeben,
dass der Eifer, mit dem die Gesetze befolgt werden, ein
Beweis für ihre Vortrefflichkeit ist Nun aber mögen
die Verehrer der Lakedaemonier die Zeit, während welcher
es eine spartanische Verfassung gab, mit dem mehr als
zweitausendjährigen Bestehen der unserigen vergleichen
und dann auch noch bedenken, dass die Lakedaemonier
nur so lange im Rufe treuer Gesetzeserfüllung standen,
als sie von niemand abhängig waren, dagegen fast alle
ihre Gesetze in Vergessenheit geraten Hessen, sowie ihr
Glück sich wandte. Wir aber, die wir durch den Wechsel
der Herrschaft über Asien von tausendfachem Unglück
heiragesucht wurden, gaben selbst in der äussersten Be-
drängnis unsere Gesetze niemals preis. Auch blieben
wir ihnen nicht etwa aus Bequemlichkeit und Hang zum
Wohlleben treu, sondern sie legten uns, recht betrachtet,
weit grössere Mühen und Arbeiten auf, als die Lake-
daemonier ihrem, wie bekannt, mit grosser Zähigkeit
festgehaltenen Gesetze zulieb je ertrugen. Denn ohne
den Ackerbau zu betreiben oder sich mit Künsten ab-
zumühen, lebten sie in ihrer Stadt frei von aller An-
strengung, behaglich und durch körperliche Übungen
ihre Schönheit pflegend ; andere mussten ihre Diener
sein, die ihnen alle Lebensbedürfnisse herbeischafften
und auftischten, ohne dass sie selbst eine Hand zu rühren
brauchten. Ausser Essen und Trinken kannten sie als
ziemlich und nutzbringend nur die eine Aufgabe, jede
Anstrengung und jedes Ungemach zu ertragen, damit sie
alle, gegen die sie zu Felde ziehen würden, niederwerfen
könnten. Dass sie aber diesen Zweck nicht erreichten,
brauche ich nicht besonders zu erwähnen; denn nicht
nur einzelne von ihnen, sondern auch ganze Massen
haben sich gar oft den gesetzlichen Bestimmungen zu-
wider in Wehr und Waffen den Feinden ergeben.
186
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
32. Weiss nun jemand bei uns, ich will nicht sagen
ebenso viele, nein, nur zwei oder drei anzugeben, die
an unseren Gesetzen aus Furcht vor dem Tode Verrat
begangen hätten, und zwar nicht vor dem so überaus
leichten Tode in der Schlacht, sondern dem Tode auf
der Folterbank, der für den allerschwersten gilt? Wahr-
lich, manche von denen, die uns besiegt haben, verfuhren,
wie ich glaube, nicht aus Hass mit aller Strenge gegen
uns, sondern nur um mit eigenen Augen das Wunder
zu schauen, dass es Menschen giebt, die ein Unglück
für ihre Person lediglich dann vorhanden glauben, wenn
sie zu einer That oder Äusserung gegen ihre Gesetze
gezwungen werden. Es darf übrigens nicht befremden,
dass wir dem Tode mit einem bei allen anderen Völ-
kern unbekannten Mannesmut entgegengehen. Denn die
Pflichten, welche uns gar nicht schwer Vorkommen, werden
anderen keineswegs leicht, wie z. B. die Befolgung der
Vorschrift, mit eigenen Händen 1 zu arbeiten, Einfach-
heit in der Nahrung zu beobachten, beim Essen und
Trinken, beim Beischlaf, bei besonderen Aufwendungen
nicht nach zufälligem Belieben oder nach blossen Ge-
lüsten zu verfahren, und auch hinsichtlich der Ruhe die
eiumal feststehende Ordnung einzuhalten. Wir dagegen
haben uns über die Verordnungen in betreff der Lebens-
weise selbst dann nicht hinweggesetzt, Wenn wir mit dem
Schwert in der Hand uns auf den Feind warfen und
ihn frischweg in die Flucht schlugen. Indem wir so dem
Gesetz freudigen Gehorsam erzeigen, wird es uns leicht
möglich, auf dem Schlachtfeld reichliohe Beweise von
Tapferkeit zu geben.
33. Und doch verlästern uns Menschen wie Lysi-
machos, Molon und andere Federfuchser dieser Art,
nichtsnutzige Sophisten und Jugendverführer, als wären
.wir die schlechtesten aller Erden bewohner. Es ist nun
eigentlich nicht meine Absicht, die Einrichtungen anderer
Völker einer Prüfung zu unterziehen; denn wir pflegen
1 D. h. ohne ausschliessliche Verwendung von Sklaven.
Gegen Apion, Zweites Buch.
187
wohl das Eigene treu zu bewahren, nicht aber gegen
Fremdes anzugehen. Hat doch der Gesetzgeber schon
mit Rücksicht auf den Namen „Gott“ uns streng unter-
sagt, die Götter, an welche andere Nationen glauben, zu
verspotten oder zu lästern. 1 Weil aber unsere An-
kläger meinen, uns dadurch schlagen zu können, dass
sie ihr eigenes Volk herausstreichen, darf ich nicht
ganz schweigen, zumal die folgenden Bemerkungen nicht
erst von mir, der ich sie jetzt niederschreibe, ins Treffen
geführt, sondern schon von vielen hochangesehenen Ge-
lehrten 2 ausgesprochen worden sind. Denn wo finden
wir unter den Griechen einen ob seiner Weisheit be-
wunderten Mann, der nicht den namhaftesten Dichtem
und den angesehensten Gesetzgebern Vorwürfe darüber
gemacht hätte, dass sie von jeher so niedrige Ansichten
über die Götter im Volke verbreiteten? Sie gaben näm-
lich die Zahl derselben ganz nach Belieben an, Hessen
sie bald auf diese, bald auf jene Art voneinander ab-
stammen und unterschieden sie wie Tiergeschlechter nach
Wohnplätzen und Lebensweise, indem sie den einen
die Erde, anderen das Meer, wieder anderen, und zwar
den ältesten, den Tartaros an wiesen, wo sie gefesselt
seien; über die, welchen sie den Himmel zuteilten, setzten
sie als Herrn einen bestimmten Gott, der zwar Vater
heisst, sich aber wie ein Tyrann und Despot benimmt;
deshalb müssen auch seine Gattin, sein Bruder und die
aus seinem eigenen Haupt geborene Tochter sich wider
ihn verschwören, um ihn zu fangen und in Gewahr-
sam zu bringen, wie er selbst seinem Vater gethan
hatte.
34. Mit Recht halten die verständigeren Menschen
derartige Ansichten für sehr tadelnswert und spotten
auch darüber, dass man sich die Götter teils ohne Bart
1 Jüd. Altert. III, 7,7; IV, 8, 1 0. Ob auch die Stelle 2. Mos. 22, 28
hierher zu rechnen sei, ist fraglich.
• So von Heraklit, Xenophanes, Demokrit, Plato, den Pythagoräern,
den Stoikern u. a.
188
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
und jugendlich, teils älter und bärtig denken soll, ferner
darüber, dass der eine Gott diese, der andere jene Kunst
versteht, weshalb man unter ihnen hier einen Erzschmied,
dort eine Weberin, dann wieder einen Krieger findet,
der sich sogar mit Menschen schlägt, oder Zitherspieler
und solche, deren Liebhaberei das Bogenschiessen ist;
weiterhin machen sie sich über die vielen Streitigkeiten
unter den Göttern und ihre Zänkereien wegen der
Menschen lustig, wobei es nicht nur zum Handgemenge,
sondern selbst dahin kommt, dass sie, von Menschenhand
verwundet, wehklagen und sich krank fühlen. Die grösste
Schamlosigkeit aber liegt darin, dass — unsinnig genug
— fast allen Göttern, männlichen sowohl als weiblichen,
geschlechtliche Unmässigkeit und Liebesabenteuer nach-
gesagt werden. Der edelste und erste unter ihnen, der
Göttervater selbst, lässt es zu, dass die von ihm ver-
führten und geschwängerten Weiber eingekerkert oder
im Meer ertränkt werden, und die von ihm erzeugten
Kinder kann er, wenn das Geschick sie ereilt, weder
retten noch auch ihren Tod ohne Thränen ertragen.
Fürwahr, recht nett ist dies und noch anderes, was damit
in Zusammenhang steht! Schauen doch die Götter im
Himmel dem Ehebruch so ohne alle Scham zu, dass
manche ihren Neid gegen die darein Verwickelten offen
gestehen. Was kann man aber auch von ihnen anderes
erwarten, wenn sogar der älteste, ihr König, das Ver-
langen, seiner Gattin beizuwohnen, nicht einmal so lange
bezähmen konnte, bis er mit ihr ins Schlafgemach ge-
kommen war? Und wenn es von anderen Göttern heisst,
sie hätten bei den Menschen als Knechte gedient, ihnen
bald Häuser gebaut, bald die Herden gehütet, oder sie
seien wie Missethäter in ein ehernes Gefängnis ein-
gesperrt worden — muss da nicht jeder rechtlich Den-
kende sich ereifern, die Erfinder solcher Märchen schelten
und die grosse Dummheit derer, die sie gläubig weiter
erzählen, verdammen? Auch Furcht sogar und Schreck,
Tollwut und Betrug, ja die allerschlimmsten Leiden-
schaften haben jene Leute dem Wesen und der Person
Gegen Apion, Zweites Buch.
189
von Göttern angedichtet Alsdann beredeten sie die
Staaten, den gutartigeren unter ihnen Opfer darzubringen.
Daraus aber erwuchs den Burgern die arge Verlegen-
heit, dass sie nur einen Teil der Götter für Spender des
Guten halten konnten, während sie die anderen als Un-
heilbringer bezeichnen mussten. Die letzteren suchen sie
sich deshalb wie die schlimmsten Menschen durch Gaben
und Geschenke vom Halse zu halten, indem sie sich
grossen Unheils von ihnen versehen, wenn sie ihnen den
schuldigen Tribut nicht entrichten.
35. Was ist nun die Ursache dieser Verkehrtheit und
des fehlerhaften Verhaltens gegen die Gottheit? Meines
Erachtens der Umstand, dass die Gesetzgeber weder den
richtigen Begriff vom Wesen Gottes hatten noch auch
die Gotteserkenntnis, soweit sie ihnen erreichbar war,
als Ausgangspunkt benutzten, von welchem aus sie dem
Gemeinwesen seine sonstige Ordnung hätten geben können,
dass sie vielmehr die ganze Angelegenheit, als wäre sie
höchst unwichtig, den Dichtern und Rednern überliessen.
Die ersteren führten dann Götter ein, welche sie wollten,
selbst solche, die allen möglichen Leiden unterworfen
waren, während die Redner das Volk zu Beschlüssen
verleiteten, die fremden Göttern das Heimatrecht im
Staate verschafften. Reichlichen Gebrauch von der Frei-
heit, welche die Griechen ihnen in diesem Punkte Hessen,
haben auch die Maler und Bildhauer gemacht, indem
jeder von ihnen irgend eine Gestalt ersann, die dann
der eine in Thon , der andere in einem Gemälde wieder-
gab; die am meisten bewunderten Künstler freilich be-
nutzten als Stoff für ihre stets neuen Darstellungen
Elfenbein und Gold. Nach und nach sind sodann die
Götter, welche früher in hohen Ehren standen, veraltet,
und auf andere, neu eingeführte hat man die jenen ge-
zollte Verehrung übertragen. Ebenso steht ein Teil der
alten Tempel jetzt leer, während andere ganz nach
Willkür neu erbaut wurden. Und doch sollte man im
Gegenteil die Ansichten über Gott und seine Verehrung
unabänderlich festhalten.
190
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
36. Apollonios Molon gehört nun freilich zu den un-
verständigen und aufgeblasenen Schriftstellern. Die
echten griechischen Philosophen jedoch waren durchweg
unserer oben dargelegten Ansicht, und auch die geist-
losen Flunkereien der Allegorien 1 waren ihnen wohl-
bekannt, weshalb sie diese nach Gebühr verachtet haben
und unserer richtigen, geziemenden Lehre von Gott bei-
getreten sind. Von ihr ging auch Plato aus; denn ab-
gesehen davon, dass er überhaupt keinen Dichter in
seinem Staat haben will, schickt er selbst den Homer,
nachdem er ihn bekränzt und mit Oel übergossen hat,
höflich weg, 2 damit er nicht die richtige Ansicht über
Gott durch seine Fabeln verdunkele. Übrigens hat Plato
sich auch darin aufs genaueste nach unserem Gesetz-
geber gerichtet, dass er seinen Bürgern an erster Stelle
die Verpflichtung auflegte, sämtliche Gesetze eingehend
zu erlernen; desgleichen untersagte er den Verkehr mit
Ausländern und sorgte so dafür, dass seine aus treuen
Beobachtern des Gesetzes bestehende Gemeinde unver-
mischt erhalten blieb. Alles das bedenkt Apollonios
Molon nicht, wenn er uns einen Vorwurf daraus macht,
dass wir diejenigen, die in anderen Ansichten über Gott
befangen sind, nicht bei uns dulden und mit Leuten von
ganz anderen Lebensgewohnheiten keine Gemeinschaft
haben wollen. Aber auch dieser Zug ist nicht aus-
schliesslich unserem Volke eigen, sondern er kehrt ins-
gemein bei allen Griechen und gerade bei den angesehen-
sten ihrer Stämme wieder. Und was die Lakedaemonier
angeht, so haben sie von jeher die Fremden ausgewiesen
und ihren Staatsangehörigen verboten, ins Ausland zu
reisen, weil sie in beiden Fällen verderbliche Folgen für
die allgemeine Sittlichkeit befürchteten. Ihnen kann
man nun wohl mit Recht vorwerfen, sie benähmen sich
abstossend, weil sie niemand das Bürgerrecht verleihen
1 Die Allegorien bezweckten, da9 Anstössige aas den Göttermythen
zu entfernen.
2 Politeia 111,9 (Bekker’sche Textausgabe, Band VI, S. 41 2 f.).
Gegen Aplon, Zweites Bach.
191
oder den Aufenthalt gestatten; wir aber nehmen, obwohl
wir die Nachahmung fremder Sitten verschmähen, dennoch
mit Freuden alle auf, die sich den unseren anschliessen
wollen. Das ist doch sicherlich, sollt’ ich meinen, ein
Zeichen von Menschenfreundlichkeit und Grossmut.
37. Doch genug von den Lakedaemoniern. Wie aber
die Athener, die sich ja laut rühmen, dass ihre Stadt
jedermann offen stehe, in diesem Punkte dachten, davon
hat Apollonios gleichfalls keine Ahnung. Dass sie z. B,
jeden, der auch nur ein Wort gegen ihre Gesetze ver-
lauten liess, unerbittlich bestraften, ist ihm unbekannt.
Weshalb denn sonst hat Sokrates sterben müssen? Er
hatte ja weder die Stadt den Feinden verraten noch
einen Tempel beraubt, sondern weil er neue Eide schwur
und — sei es im Ernst oder, wie manche glauben, scherz-
weise — behauptete, ein gewisses Daimonion mache ihm
Offenbarungen, darum wurde er verurteilt» den tödlichen
Schierlingssaft zu trinken; auch beschuldigte ihn sein
Ankläger, er verderbe die Jugend, indem er sie anleite,
die heimische Verfassung und die Gesetze zu verachten.
Nun hat Sokrates als athenischer Bürger diese Strafe
erlitten; Anaxagoras dagegen war aus Klazomenae, und
doch wäre er, weil er dem Glauben der Athener, die
Sonne sei ein Gott, entgegentrat und das Gestirn für
eine glühende Masse erklärte, beinahe zum Tode ver-
urteilt worden, denn nur wenige Stimmen fehlten. Auf
den Kopf des Meliers Diagoras setzten sie den Preis
yon einem Talent, weil es hiess, er mache ihre Mysterien
lächerlich. Auch Protagoras entging nur durch schleunige
Flucht der Gefahr, verhaftet und hingerichtet zu werden ;
er sollte eine Schrift verfasst haben, deren Inhalt sich
mit den Ansichten der Athener über die Gottheit nicht
deckte. Kann es übrigens wunder nehmen, dass sie in
dieser Weise gegen hochangesehene Männer verfuhren,
wenn sie nicht einmal Weibern gegenüber Schonung
walten Hessen ? Haben sie doch erst neulich eine Priesterin 1
Gemeint ist die Priesterin Tbeoris (Plutorch, Demosth. 14f.).
192 Des Fl&vius Josephas kleinere Schriften.
getötet, die von irgend jemand beschuldigt worden
war, dass sie insgeheim fremde Götter lehre. Das war
bei ihnen gesetzlich verboten, und wer es dennoch that,
hatte den Tod verwirkt. Galt aber bei ihnen ein solches
Gesetz, dann haben sie sicherlich die Götter anderer
Nationen nicht als solche anerkannt; denn sonst hätten
sie nicht sich selbst die Freude missgönnt, mehrere zu
besitzen. So verhielt es sich mit diesen Dingen in dem
wohlgeordneten Staate der Athener. Aber selbst die
mordlustigen Skythen, die sich nur wenig von wilden
Tieren unterschieden, glauben ihre heimischen Einrich-
tungen schützen zu müssen. So töteten sie den Ana-
charsis , 1 dessen Weisheit die Griechen mit Bewunderung
erfüllt hatte, gleich nach seiner Rückkehr, weil er ihnen
von griechischem Wesen an gesteckt schien. Auch bei den
Persern sind viele, wie man liest, um derselben Ursache
willen hingerichtet worden. Und doch fand Apollonios
gerade an den Gesetzen der Perser ersichtliches Wohl-
gefallen und zollte ihnen seine Hochachtung, wahrschein-
lich deshalb, weil die Griechen einen Geschmack von
der Tapferkeit dieses Volkes und seiner einheitlichen
Ansicht inbetreff der Götter bekommen hatten : von der
Tapferkeit durch die Tempelbrande, welche die Perser
entfachten, von dem Götterglauben durch den beinahe
gelungenen Versuch derselben, Griechenland zu knechten.
Er machte auch alle persischen Gebräuche nach, indem
er fremden Weibern Gewalt an that und Knaben ver-
schnitt. Bei uns dagegen wird auf Todesstrafe erkannt,
wenn jemand auch nur ein unvernünftiges Tier in der
angegebenen Weise misshandelt, und zum Gehorsam
gegen diese Gesetze konnte uns weder die Furcht vor
unseren Zwingherren veranlassen noch der Wunsch, es
denen gleichzuthun, die bei anderen eine besondere Wert-
schätzung geniessen. So haben wir uns auch im tapferen
Dreinschlagen nicht deshalb geübt, weil wir behufs
Stärkung unserer Macht kriegerische Unternehmungen
1 S. HerodotIV, 76.
Gegen Apion, Zweites Buch.
193
planten, sondern weil wir unsere Gesetze beschirmen
wollten. Aus jeder anderen Drangsal machen wir uns
nicht viel; will uns aber jemand nötigen, unser Gesetz
preiszugeben, dann wählen wir den Krieg, auch wenn
unsere Kräfte nicht langen, und lassen uns selbst d urch
das äusserste Unglück nicht wankend machen. Warum
sollte es uns auch nach den Gesetzen fremder Völker
gelüsten, da wir doch sehen, dass sie nicht einmal von
denen unverändert gelassen werden, die sie gegeben
haben? Zwar thaten die Lakedaemonier gut daran, dass
sie ihrer staatlichen Abgeschlossenheit ein Ende machten
und dadurch die Zahl der Heiraten vermehrten, und
ebenso zweckmässig handelten die Eieier und Thebaner,
indem sie den bis dahin geduldeten widernatürlichen
und höchst abscheulichen Geschlechtsverkehr zwischen
männlichen Personen untersagten; aber inan erkennt
doch daraus, dass sie sich später zu dem, was sie früher
in allen Ehren und ohne jeden Nachteil thun zu dürfen
geglaubt hatten ,. nicht mehr bekennen mochten, wenn
sie es auch thatsächlich nicht aufgaben. Jedenfalls haben
sie nicht mehr die ursprünglichen Gesetze, die doch
einst bei den Griechen so grosse Geltung hatten, dass
man selbst den Göttern geschlechtlichen Umgang mit
männlichen Personen nachsagte. Ebenso verhält es sich
mit den Eheschliessungen zwischen leiblichen Geschwistern,
die zur Entschuldigung unziemlicher und naturwidriger
Wollust dienen mussten.
38. Ich verzichte darauf, auch noch von den Strafen
zu reden und zu zeigen, wie von jeher die meisten Ge-
setzgeber den Schlechten so manche Arten der Ab-
findung zugestanden, indem sie für Ehebruch Geldstrafen,
für Notzucht die Verpflichtung zur Ehe mit der Ge-
schändeten festsetzten, ferner wie viele Ausflüchte bei
einer Anklage wegen Gottlosigkeit sich darboten, falls
überhaupt eine solche je erhoben wird. Bei den meisten
Völkern ist ja die Übertretung der Gesetze Gegenstand
eines besonderen Studiums geworden. Nicht so bei uns.
Wird uns auch unser Reichtum, unsere Heimat und was
Joaephua, Kleinere Schriften. 13
Go gle
194
Des Flavins Josephus kleinere Schriften.
wir sonst gutes haben, entrissen: das Gesetz wenigstens
bleibt uns unzerstörbar, und kein Jude kommt so weit
von seinem Vaterlande weg und fürchtet einen erbitterten
Tyrannen so sehr, dass nicht seine Scheu vor dem Gesetz
doch noch grösser wäre. Werden wir also durch die
Trefflichkeit der Gesetze veranlasst, eine solche Ge-
sinnung gegen sie zu hegen, so gebe man nur zu, dass
wir die besten Gesetze haben. Glaubt man aber, wir
hielten trotz ihrer Minderwertigkeit so treu an ihnen
fest, um wie viel mehr haben dann unsere Ankläger
Strafe verdient, dass sie ihren eigenen besseren nicht
treu bleiben! Weil nun die Länge der Zeit als der zu*
verlässigste Prüfstein für alle Einrichtungen angesehen
wird, möchte ich gerade sie auch für die Vorzüge unseres
Gesetzgebers und der durch sie überlieferten Lehre von
Gott Zeugnis ablegen lassen. Denn im Vergleich zu
allen anderen Gesetzgebern gehört er offenbar einer weit
früheren Zeitepoche an.
39. Von uns nun sind die Gesetze auch allen anderen
Menschen beigebracht worden, 1 und immer mehr hat
man sie zum Muster genommen. Zuerst nämlich haben
die griechischen Philosophen , während sie scheinbar an
ihren heimischen Satzungen festhielten, in That und
Lehre sich an Moyses angeschlossen , indem sie ähnliche
Begriffe von Gott hegten und gleich ihm die Einfachheit
der Lebensweise sowie die auf Gegenseitigkeit beruhende
Gesellschaftsordnung gehandhabt wissen wollten. Aber
auch schon unter den Massen bemerkt man seit längerer
Zeit viel Eifer für unsere Religion, und es giebt kein
Volk und keine griechische oder barbarische Stadt, wo
nicht unser Brauch, am siebenten Tage die Arbeit ruhen
zu lassen, Eingang gefunden hätte und wo nicht das
Fasten, Anzünden von Lichtern und viele unserer Ab-
stinenzgebote beobachtet würden. Auch unsere bürger*
liehe Eintracht, unsere Wohlthätigkeit, unseren gewerb-
lichen Fleiss, unsere Ausdauer in Drangsalen, wenn es
Paulus, Römerbrief 2, 19 ff.
Gegen Apion, Zweites Buch.
195
sich um die Verteidigung des Gesetzes handelt, suchen
sie nachzuahmen. Am meisten freilich muss man sich
darüber wundern, dass das Gesetz lediglich durch die
ihm innewohnende Kraft, ohne Anwendung sinnlicher
Reizmittel und Lockungen dies vermocht hat: wie Gott
das Weltall durchdringt, 1 so hat sich das Gesetz durch
die ganze Menschheit verbreitet Schaue nur ein jeder
auf sein eigenes Vaterland und seine Familie, und er
wird finden , dass meine Behauptung allen Glauben
verdient Unsere Ankläger sollten daher entweder alle
Menschen vorsätzlicher Schlechtigkeit beschuldigen, weil
sie sich zu mangelhaften fremden Einrichtungen mehr
als zu ihren eigenen vollkommenen hingezogen fühlen, oder
auf hören uns zu verlästern. Wir massen uns ja kein
gehässiges Benehmen an, wenn wir unseren Gesetzgeber
ehren und seine Offenbarungen über Gott für wahr
halten. Denn hätten wir auch kein Verständnis für die
Vortrefflichkeit aller seiner Gesetze, so müsste uns doch
schon die Menge derer, die sie als musterhaft ansehen,
einen hohen Begriff von ihnen beibringem
40. Übrigens habe ich von unseren Gesetzen und
unserer Verfassung bereits in meinen „Altertümern“ 2
eine genaue Darstellung gegeben. Hier wollte ich nur,
soweit es nötig war, daran erinnern, nicht in der Absicht,
fremde Gebräuche zu tadeln oder die bei uns geltenden
herauszustreichen, sondern um den Schriftstellern, die
uns unrecht gethan, den Nachweis zu liefern, dass sie
die Wahrheit selbst schamlos ins Angesicht schlugen.
Ich glaube nun mein Versprechen durch die vorliegende
Schrift hinreichend eingelöst zu haben. Denn ich wies
das überaus hohe Alter unseres Volkes nach, von dem
die Widersacher behaupten, dass es erst in jüngster Zeit
aufgetreten sei. Zu dem Zweck führte ich eine Reihe
alter Schriftsteller an, die uns in ihren Werken erwähnen,
während jene versichern, kein einziger habe dies gethan.
1 S. Dähne, Alexandrinische Religionsphilosophie II, 8. 243.
2 Besonders hn dritten Buche.
196
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Ferner behaupten sie, unsere Vorfahren seien Aegyptier
gewesen; es wurde aber gezeigt, dass sie von auswärts
nach Aegypten kamen. Und was die Lüge betrifft, sie
seien wegen körperlichen Siechtums ausgewiesen worden,
so ergab es sich klar, dass sie freiwillig und vor Ge-
sundheit strotzend in ihr Heimatland zurückkehrten.
Endlich beschimpften jene Menschen unseren Gesetz-
geber, indem sie ihn als durch und durch lasterhaft hin-
stellten ; wir aber fanden, dass zuerst Gott der Herr und
dann auch die Zeit für seinen tugendhaften Wandel
Zeugnis gab.
41. Über die Gesetze waren nicht viele Worte nötig.
Vielmehr zeigte es sich an ihnen selbst, dass sie nicht
Gottlosigkeit, sondern die wahrste Frömmigkeit lehren;
dass sie nicht zum Menschenhass, sondern zu gegenseitiger
Wohlthätigkeit auffordern; dass sie, dem Bösen abhold,
der Gerechtigkeit Vorschub leisten, Müssiggang und Üppig-
keit verbannen, Genügsamkeit und Lust zur Arbeit ein-
schärfen, von Eroberungskriegen abhalten, dagegen
Mannesmut einflössen, wo es gilt, für sie selbst einzu-
treten ; dass sie unerbittlich sind im Strafen, durch Wort-
klauberei sich nicht umgehen lassen und stets durch die
That bekräftigt werden: denn wir haben immer Werke
aufzuweisen, die noch deutlicher reden als die Schrift
Deshalb darf ich kühn behaupten, dass wir gar viele
und herrliche Tugenden bei anderen eingeführt haben.
Denn nichts ist vortrefflicher als unwandelbare Frömmig-
keit, nichts ein deutlicheres Zeichen der Gerechtigkeit
als der Gehorsam gegen die Gesetze. Und was könnte
es nützlicheres geben als gegenseitige Eintracht, infolge
deren es weder im Unglück zur Trennung noch im
Glück zu übermütigen Zänkereien kommt, und als jene
Gesinnung, die im Kriege Todesverachtung, im Frieden
Lust an Handwerk und Ackerbau, überhaupt aber die
Überzeugung bewirkt, dass Gottes Vorsehung alles in
der Welt regiert? Wenn derartige Lehren bei anderen
früher niedergeschrieben und treuer befolgt wurden als
bei uns, gut, so sind wir als Schüler ihnen zu Dank
Gegen Apion, Zweites Bach.
197
verpflichtet; wenn sie jedoch, wie man sehen kann, bei
uns am meisten das Leben beeinflussen, und wenn von
mir dargethan wurde, dass auch die erste Entdeckung
derselben uns zuzuschreiben ist, dann sind Menschen
wie Apion und Molon sowie alle, die am Lügen und
Lastern ihre Freude haben, als widerlegt zu betrachten.
Dir aber, Epaphroditos, dem begeisterten Freunde der
Wahrheit, und um deinetwillen allen, die gleich dir mit
unserem Volke näher bekannt werden möchten, sei dieses
und das vorige Buch gewidmet.
Namenregister.
A.
Abbar, tvrischer Richter, I, 21*
Abdastratos , tyrischer König,
I, 18.
Abdemon, Tyrier, 1, 17 f.
Abibalos, tyrischer König, 1, 17 f.
Ae gy pten, Ableitung des N amens
I, lo; Aegyptier, die, 1,6;
12 f. ; 22; 24; 11,11.
Agatharchides, Schriftsteller, aus
Knidos gebürtig, lebte um 120
v. Chr. , I, 22. S. auch J. A.
XII, 1.
Akencheres I. , aegyptischer
König, I, 15.
Akencheres II. , aegyptischer
König, 1, 15.
Akenchres, aegyptische Königin,
I, 15.
Akusilaos, Geschichtschreiber
aus Argos, lebte im 6. Jahr-
hundert v. Chr., I, 2f. S. auch
J. A. I, 3, 9.
Alexander der Grosse, König von
Macedonien, 1,22; 11,4.
Alexandria, aegyptische Stadt,
II, 4 ff.
Allsphragmnthosls, aegyptischer
König, 1, 14.
Amenophis (drei dieses Namens),
aegyptische Könige, 1,15; 26 ff.
Amessis, aegyptische Königin,
1, 15.
Anacharsls, Skythe, Zeitgenosse
des Solon, wegen seiner Vor-
liebe für griechisches Wesen
von seinen Landsleuten ge-
tötet, II, 37.
Anaxagoras, berühmter Atomi-
stiker, Lehrer des Perikies, geh.
Go gle
500 v. Chr. in Klazomenae
f est. 428 v. Chr. in Lampsakos,
I, 16; 37.
Andreas, Befehlshaber der Leib-
wache des Ptolemaens Phila-
delphus, 11,4. S. auch J.A.
XII, 2, 2.
Antlochla, Hauptstadt v. Syrien,
II, 4.
Antiochus Eplphanes, syrischer
König, II, 7f.
Antioehns, Schriftsteller. Ver-
I fasser einer sicil. Geschichte,
sonst unbekannt, I, 3.
Apachnas, aegypt. König, 1, 14
Apion ; alexandrinischer Gram-
matiker, Geburtsort II, 3;
Charakter II, 1 ; Widerlegung
seiner Angaben über die Juden
II, 2—14; seine Eitelkeit II,
12; sein Tod 11,13. Vergl. J.
A. XVIII, 8, 1.
Apollodoros, Geschichtschreiber,
wahrscheinlich identisch mit
dem griechischen Grammatiker
A., der um 140 v. Chr. lebte
und zuerst zwischen Licht und
Schatten unterschied, II, 7.
Apollonlos Molon, griechischer
Schriftsteller a. Rhodos, später
Lehrer der Beredsamkeit in
Rom, von Cicero, Caesar und
anderen vornehmen Römern
sehr geschätzt, II, 7; 14 ; 33; 36 f.
Apophls, aegypt. König, I, 14.
Archelans,J ulius, Schwiegersohn
Agrippas d. Gr., 1, 9.
Argos, Argeier, 1,16.
Aristophanes v. Byzanz, alexan-
drinischer Grammatiker und
Kritiker, unter Ptolemaeus II.
Gegen Apion, Namenregister.
199
. und Ptol. III. Vorsteher der 1
alexandrin. Bibliothek , geb. '
260, gest. etwa 180 v. Chr.,1,23. i
Aristoteles, der berühmte Philo- 1
soph. 1,22. (
Arkader, die. 1,4.
Armais, Bruder des aegyptischen
■ Königs Sethosis (s. auch Da-
naos), 1, 15.
Azmals, aegypt. König, 1,15.
Armesses, aegypt. König, 1, 15.
Aserymos, tyrischer König, 1, 18.
Assis, aegyptischer König, 1, 14.
Astartos, tyrischer König, I, 18.
Astarte, phoenic. Göttin, 1, 18.
Athener, die, II, 37.
Attika, griechische Provinz, 1, 3.
Auaris, aegyptische Stadt, öst-
lich von der bubastischen
Mündung des Nil gelegen, !
militärischer und religiöser |
Mittelpunkt des Reiches der !
Hyksos, I, 14; 26.
B.
Baal, tyrischer König, 1,21.
Babylon, Babylonier, 1, 19 f.
Badezor, tyrischer König, 1, 18.
Balatoros, tyrischer König, 1,21.
Baleazar, tyrischer König, 1, 18.
Bel, tyrischer Gott, I, 22.
Beon, aegyptischer König, 1, 14.
Ber©ssos(Berosu8), chaldaeischer
Priester u. Geschichtschreiber,
Zeitgenosse des Manetho,1 , 1 9f .
Bokchoris, aegypt. König, I, 34.
Borslppos, Stadt in Babylonien,
südlich von Babylon auf der
östlichen Seite des Euphrat
gelegen, jetzt Barzip oder Birs
Nimrud, 1, 20.
Bubastischer Xtlarm, so ge-
nannt , weil er durch den
Nomos Bubastites floss, 1, 14.
c.
Chabuion, Distrikt in Galilaea
(vgl. J. A. VIII, 5, 3), 1^ 17.
Chairemon , Verfasser einer
aegyptischen Geschichte, Zeit-
genosse des Josephus, längere
Zeit Vorsteher der alexän-
drinischen Bibliothek, I, 32 f.
Chaldäer, die, I, 6; 19.
Chelbes, tyrischer Richter, I, 21.
Choirilos, attischer Dichter (Sa-
tyrspiele), lebte um 524 v.Chr.,
1 , 22 .
Cyrus, Perserkönig, 1,12; 20 f.
D.
Danaos, Bruder d. aegyptischen
Königs Sethosis (s. auch Ar-
mais). 1,15; 1,26 (hier Her-
maios genannt).
Danaos, erster König von Arges,
1, 16.
Demetrius Phalereus , Ober-
bibliothekar des Königs Pto-
lemaeus Philadelphus, I, 23;
11,4.
Diagoras, Atomistiker aus Melos,
lebte etwa 470 — 420 v. Chr.,
| II. 37.
(Dido), Schwester d. Pygmalion,
Gründerin von Karthago, 1, 18.
Dios, Verfasser einer phoenic.
Geschichte (vergl. J. A. VIII,
5, 3), I, 17.
Dora, Stadt in Phoenicien nahe
beim Karmel, II. 9.
Dositheos, jüd. Befehlshaber im
aegyptischen Heere, II, 5.
Drakon, der bekannte Gesetz-
geber (um 620 v. Chr.), I. 4.
E.
Eknibal, tyrischer Richter, 1,21.
Eieier (Bewohner von Elis), die,
II, 37.
Epaphroditos , des Flavius Jo-
sephus Freund, 1, 1 ; II, 41.
Ephoros, Geschichtschreiber (um
320 v.Chr.), 1,3; 12 (vergl. J.
A. I, 3, 9).
200
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
Euhemeros, Schrift8teller(um 312
v. Chr.) , der Stifter der nach
ihm benannten mythologischen
Theorie), 1,23.
Eupolemos , Geschichtschreiber,
etwa 140 — 100 v. Chr., I, 23.
Evümaradnch (J. A. X, 11, 2
Abilamarodach) , König von
Babylonien, 1,20.
Ezekias, Hohepriester, 1,22.
G.
Gerastratos, tvrischer Richter,
1 , 21 .
Griechen, die, 1,2: 4; 12; II,
11; 15 f.; 33 ff.
H.
Hekataios , Geschichtschreiber,
aus Al>dera gebürtig, lebte zur
Zeit des Ptolemaeus Lagi, I,
22 f.; 11,4. S. auch J. A. 1, 7,2.
Heliopolis, Stadt in Aegypten,
Hellanf kos , Geschichtschreiber
aus Mytilene, 496—41 1 v.Chr.,
1, 3. S. auch J. A. 1, 3, 9.
Herakles, tvrischer Gott, 1,18.
Hermaios (derselbe wie Armais
1,15), 1,26.
Hermippos, Schriftsteller, „der
Smyrnäer“ oder „der Kalli-
macheer“, lebte zu Anfang des
3. Jahrh. v. Chr., I, 22.
Hermogenes,G eschichtschreiber,
sonst so gut wie unbekannt,
I, 23.
Herodot* der berühmte Ge-
schichtschreiber, geb. etwa 500
v. Chr. zu Halikarnasso8, gest.
424 v. Chr. in Italien, 1,3;
12; 14 ; 22; 11,13.
Hesiod, griechischer Dichter d.
8. Jahrhunderts v.Chr., Haupt
der sogenannten boeotischen
oder didaktischen Dichter-
schule, Verfasser der „Theo-
Go gle
gonie“, 1,3. S. auch J. A.
1,3, 9.
Hieronymos, aegyptischer Ge-
schichtschreiber, geb. zwischen
370 und 360, gest. zwischen
266 und 256 v. Chr.. 1,23.
Vergl. J. A. I, 3, 6 ; 3,9.
Hirom (J. A. Hiram) , König
von Tyrus, I, 17 ; II, 2.
Hirom, tyrischer König zur
Zeit des Cyrus, I, 21.
Homer, der berühmte Dichter,
1,2; II, 15; 36.
I. J.
Jan las, König von Aegypten,
1, 14.
Joseph (der aegyptische). Sohn
des Patriarchen Jakob, 1,32.
Isis, aegyptische Göttin, 1,32.
Ithobal, König von Tyrus und
Sidon, 1,18; 21.
K.
Kadmos, Sohn des Agenor,
Gründer von Theben in Boe-
otien, 1,2.
Kadmos, griechischer Geschicht-
schreiber aus Milet, einer der
sogenannten Logographen, 1,2.
Kalaner, indische Bezeichnung
für Philosophen, 1,22.
Kalllas, Verfasser einer si-
cilischen Geschichte in 22
Büchern , aus Syrakus ge-
bürtig (um 300 v.Chr.), 1,3,
Kalilphon , Schüler des Pytha-
goras, aus Kroton, I. 22.
Karmanlen, Landschaft östlich
von Persis, nördlich vom Per-
sischen Golf, heute die Provinz
Kirman, I, 20.
Kastor, Chronist, sonst un-
bekannt, II, 7.
Kleanthes, Stoiker, aus Assos
gebürtig, lebte im 3. Jahrh.
v. Chr., II, 12.
Gegen Apion, Namenregister.
201
KJearehos, Peripatetiker, 1, 22.
Kleopatra, Gattin und leibliche
Schwester des Ptolemaeus
Philometor, II, 5.
Kleopatra, die berüchtigte letzte
Königin von Aegypten, II, 5.
Solcher, die, 1,22.
Konon , Schriftsteller aus dem
l.Jahrh. v.Chr, 1,23.
Korban, jüdischer Eid, 1,22.
Kroesus, letzter König v. Lydien,
Laborosoarchod, (J. A. X, 11, 2
Laborosordach), König von
Babylonien, 1,20.
Lysimachos, alexandrinischer
Grammatiker und Geschicht-
schreiber aus dem 2. oder
I. Jahrh. v. Chr., I, 84 f;
II, 2; 14.
M.
Makronen, die, mächtiger Volks-
stamm im NO von Pontus,
östlich neben den Kolchern
(Herodot VII, 78; Xenophon,
Anabasis IV, 8, 3), I. 22.
Manetho, aegypt. Ma - n - Thot,
d. i. von Thot (dem Gotte der
Zeitrechnung) geliebt, aegypt.
Oberpriester und Geschieht- !
Schreiber zu Heliopolis, aus 1
Sebennytos gebürtig , lebte
um 250 v. Onr. und schrieb
sein Hauptwerk auf Ver-
anlassung des Ptolemaeus
Philadelphus , 1,14; 26—33;
11,2. Vergl. J. A. I, 3, 9. Was
aus seinen Werken erhalten
ist, hat C. Müller (Fragm.
hist, graec. II, 511 — 616) ge-
sammelt.
Matgenos, tyrischer König, I, 18.
Megasthenes, Verfasser einer in-
dischen Geschichte, lebte zur
Go gle
I Zeit d Seleukus Nikntor, 1,20.
Vergl. J. A. X. 11, 1.
Memphis, Stadt in Aegypten,
1. 14.
Menander , Geschichtschreiber
i aus Ephesos oder (nach
Clemens Alex.) aus Pergamos,
1.18. Vergl. J.A. VIII, 5, 3;
I 13, 2; IX, 14, 2.
Mephramnthosls, aegyptischer
König, I, 15.
Mephres , aegyptischer König,
1. 15.
Merbal, tyrischer König, 1,21.
Messenes, Sohn des aegyptischen
Königs Amenophis, 1, 32.
Minos, Sohn des Zeus, Be-
herrscher von Kreta, später
Richter in der Unterwelt,
II, 16.
Mnaseas , Geschichtschreiber,
Verfasser eines grossen his-
torisch-geographisch. Werkes,
lebte in der 1. Hälfte des
2. Jahrhunderts v. Chr., I, 23.
S. auch J. A. I, 3, 6.
Mosollam , Jüdischer Bogen-
schütz, 1, 22.
Moyses, 1, 8 ; 26 ; 31 f ; II, 2 ; 15 f.
Seine Gesetze II, 17—31.
Mytgonos , tyrischer Richter,
1 , 21 .
N.
Nabonned, (J. A. X, 11, 2 Nabo-
andel), babylonischer König,
1 , 20 .
Nabopalassar, chaldäisch.König,
1. 19.
Nabuchodonosor, babylonischer
König, 1, 19f.
Nekropolis« „die Totenstadt“,
westl. Vorstadt Alexandrias.
Sie hiess so, weil sich dort
Häuser zum Einbalsamieren
der Toten und Gärten mit
Begräbnisstätten befanden.
11,4.
202
Des Flavius Joseph» s kleinere Schriften.
Neriglissoor, (J. A. X, 11, 2 Ni-
glisar), babylonischer König,
Nikolaus von Damaskus, Ge-
schichtschreiber, besonders be-
kannt aus der Geschichte
Herodes’ des Grossen, II, 7.
0 .
Oase, die, Geburtsort Apions.
Zu verstehen ist hier zum
Unterschied von der kleinen
Oase in Mittelaegypten die
grosse Oase in Oberaegypten,
die schon Herodot (III, 2, 6)
kennt und ebenfalls als
iröXt? v Oaoi? bezeichnet. II, 3.
Onias, jüdischer Befehlshaber
im aegyptischen Heere, 11,5.
Osarsiph, Oberpriester aus Heli-
opolis, von dem Manetho be-
hauptete, dass er mit dem
Moyses der Juden identisch
sei, I, 26.
P.
Paapis, Vater des aegyptischen
Weisen Amenophis, I, 26.
Palaestlna, 1, 22.
Parthenios, der bedeutendste
Fluss Paphlagoniens , jetzt
Bartan-Öu oder Bartine. Er
bildete die Grenze Paphla-
goniens gegen Bithynien und
mündete 90 Stadien westlich
von der Stadt Amastris (jetzt
Amasra) ins Meer [vergl.
Homer, Odyssee II, Vers 854;
Herodot II, 104; Xenophon,
Anabasis V, 6, 9 ; VI, 2, 1].
1 , 22 .
Peisistratos, athenischer Tyrann,
I» 4.
Perser, ihre Sitten II, 37.
Pheles, tyrischer König, 1, 18.
Pherekydes, Philosoph, „der
Syrier“, d. i. von der Insel
Syros stammend, lebte in der
I. Hälfte des 6. Jahrhunderts
v. Chr., 1,2.
Phlllstos, sicilischer Geschicht-
schreiber aus Syrakus, lebte
um 430 v. Chr., 1,3.
Philo, Schriftsteller, zum Unter-
schied von dem berühmten
Alexandriner Philo „der äl-
tere“ genannt* 1,23.
Phüostratos, Verfasser einer
indischen und phoenicischen
Geschichte (s. J. A. X, 11, 1),
sonst unbekannt, 1,20.
Phöenlcier, die, 1,2; 6; 12 f;
19 ; 22.
Phritiphantes, aegypt. Schrift-
gelehrter, 1,32.
Plato, der grosse Philosoph,
geb. in Athen 428, gest. 347
v.Chr., IX, 16; 31; 36.
Polybios , Geschichtschreiber,
geb. um 204 v. Chr. zu Mega-
lopolis, gest. etwa 121 v.Chr,
II, 7. S. auch J. A. XII, 3, 3;
9, 1.
Polykrates, Geschichtschreiber,
Verfasser einer lakedaemo-
nischen Geschichte, Lebenszeit
unbekannt, 1,24.
Poseidonlos, stoischer Philosoph
aus Rhodos, mit Cioero und
Pom pejus befreundet, 11,7.
Protagoras, Sophist, aus Abdera
gebürtig, lebte zwischen 480
und 410 v. Chr., II, 37.
Ptolemaeus I. (Lagi) , König
von Aegypten, 1,22; 11,4.
Ptolemaeus II. (Philadelphia),
König von Aegypten, II, 4.
Ptolemaeus III. (Euergetes),
König von Aegypten, 11,5.
Ptolemaeus VI. (Philometor),
König von Aegypten, 11,5.
Ptolemaeus VII. ( Physkon),
König von Aegypten, II, 5.
Pygmalion , tyrischer König,
1,18.
Gegen Apion, Namenregister.
203
Pythagoras, der bekannte Phi-
losoph und Vater der Geo-
metrie, lebte zwischen 550
und 500 v. Chr. , I, 2; 22;
II, 16.
R.
Ramesses, König von Aegypten,
1,15; 26; 32.
Rampses, König von Aegypten,
1,26.
Rathotls, König von Aegypten,
1, 15.
s.
Sabbat, Ableitung des Namens,
11 , 2 .
Baltischer Nomos, Bezirk von
Aegypten, so genannt nach
der Stadt Sai's im Delta, 1, 14.
Salatis, König von Aegypten,
1. 14.
Skythen, die, 11,37.
Selenkos I. (Nikator), König von
Syrien, 11,4.
Semlranüs , Königin von As-
syrien, 1,20.
Sesostris, König von Aegypten,
Setho, auch Aigyptos genannt,
König von Aegypten, I, 26.
Sethosls, König von Aegypten,
1. 15.
Sofarates, der berühmte Phi-
losoph, geb. 469 v. Chr. in
Athen, II, 12; 37.
Solomon, König der Israeliten,
1, 17.
Solon, athenischer Gesetzgeber,
geb. 639, gest. 559 v. Chr. in
Athen, II, 15.
Solymerberge, die, in Palaestina,
1 , 22 .
Spartaner, die, I, 31.
Stoiker, die, II, 16.
Strabo , „der Kappadocier“,
griechischer Geograph, geb. 66
v. Chr. in Amasia,- gest. 24
n. Chr., 11,7.
Strfctontke, Gattin des mace-
donischen Königs Demetrios,
I 22
Syrer, die, 1,22.
T.
Tethmosis, König von Aegypten,
I, 26.
Thaies, griechischer Philosoph
aus Milet, 640— 550 v. Chr.,
1 , 2 .
Thebaner, die, 11,37.
Theodotos , Geschichtschreiber
aus Tarsus, 1,23.
Theophilos, Geschichtschreiber
(wahrscheinlich aus der Dia-
dochenzeit), sonst unbekannt,
1, 23.
Theophrastos, griechischer Phi-
losoph, Schüler des Aristoteles,
lebte 390—286 v. Chr., 1,22.
Theopompos, Geschichtschreiber,
lebte um 380 v. Chr., 1,24.
Thermodon, ein durch die
Amazonensage berühmt ge-
wordener Fluss in Kappa-
docien, jetzt Termeh, I, 22.
Thermus, römischer Legat, II, 5.
Thmosfs, König von Aegypten,
1,15.
Thnkydides, der berühmte Ge-
schichtschreiber, geb. um 460
v. Chr. in Athen , gest. etwa
396 v. Chr., 1,3; 12.
Thummosis, König von Aegypten
(I, 15 Tethmosis genannt),
1,14.
Timaos, König von Aegypten,
1, 14.
Timalos, sicilischer Geschicht-
schreiber, geb. um 352, gest.
um 256 v. Chr., 1,3; 24.
Timagenes, Geschichtschreiber
aus Alexandria, lebte im
1. Jahrh. v. Chr., 11,7.
Tltyer, die, 1, 18.
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
204
Tyrrhener, die, 11,4.
Tyrler, die, 1,13; 17 f; 21 f.
z.
Zabidos, Idumäer, II, 9.
Zalenkos , lokrischer Gesetz-
geber, etwa 700—600 v. Chr.,
II, 15.
Zeno , griechischer Philosoph
aus Kition , Begründer der
stoischen Schule, lebte 340
bis 260 v. Chr., JI, 12.
Zopyrion , Geschichtschreiber
und Grammatiker , schrieb
ein Lexikon, das z. T. in den
Suidas überging, 1,23.
Ober die Makkabäer
oder
über die Herrschaft der Vernunft.
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Original from
NEW YORK PUBLIC LIBRARY
Einleitung.
Lange Zeit war ich unschlüssig, ob ich die Schrift
„Über die Makkabäer“ in die Gesamtausgabe der Werke
des Flavius Josephus aufnehmen solle. Es sind ja neuer-
dings sehr gewichtige Stimmen laut geworden, welche
ihm die Autorschaft absprechen , und besonders hat
Freude nthal in einer geistreichen Untersuchung 1 den
fast völligen Nachweis erbracht, dass Josephus der Ver-
fasser der Abhandlung nicht sein könne. Ich sage:
fast — denn so ganz ist die Frage denn doch noch
nicht gelöst, zumal auf der anderen Seite eine Reihe
namhafter Forscher wie Paret, Jost und viele andere
die Autorschaft des Josephus warm verteidigt haben.
Insbesondere möchte ich die Beweisführung Freuden thals,
aus dem Passus: coowep Euo&aprv 7cot£?v (Abschnitt 1,
Ende) gehe mit Bestimmtheit hervor, dass der Verfasser
ein Prediger von Beruf gewesen sein müsse, nicht für unan-
fechtbar halten. Denn wenn, wie Grimm behauptet, die
Predigt — und eine Predigt muss die Abhandlung in
der That genannt werden — nicht zum Vortragen,
sondern nur zum Lesen bestimmt war, eine Ansicht,
gegen die sich nichts triftiges einwenden lässt, warum
1 Dr. J. Freudenthal , Die Flavius Josephus beigelegte Schrift
Ueber die Herrschaft der Vernunft* (IV. Makkab&erbuch), eine Predigt
aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Breslau (Jahresber.
des jüd.- theolog. Seminars) 1869.
208 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
hätte der Verfasser sich nicht auch als gewohnheits-
massigen Prediger einführen können, ohne in Wirklich-
keit ein solcher zu sein?
Ich will also die Frage, zu der sich auch noch
Fritzsche (Libri apocryphi V. T.), Schürer (Neu-
testamentliche Zeitgeschichte S. 650), H e i n z e (Der Logos
S. 202), Creuzer (Stud. und Krit 1853, S. 84, 86) und
Reu ss (Ersch und Grubers Encyklop. s. v. Josephus)
geäussert haben, offen lassen und die Abhandlung schon
um dessetwillen den Schriften des Josephus anreihen,
weil sie Jahrhunderte hindurch mit seinem klangvollen
Namen geziert war und in den meisten Textausgaben
seiner Werke enthalten ist. Es sei übrigens hier gleich
bemerkt, dass wir heute wohl nicht mehr den ursprüng-
lichen Text vor uns haben; denn vielfach lassen sich
daran die Spuren der Interpolations- und Anstückelungs-
arbeit erkennen, sodass Freudenthal das Büchlein mit
Recht den Torso eines interessanten Kunstwerkes nennt.
„Über die Makkabäer oder über die Herrschaft der
Vernunft“ lautet der Titel, und wenn dessen zweite
Hälfte kaum bezeichnender gewählt werden konnte, so
ist die erste dafür um so unzutreffender; denn von den
Makkabäern handelt die Schrift nicht, sondern es kann
durch den ersten Teil der Überschrift nur angedeutet
sein, dass die berichteten Ereignisse sich in der Zeit der
Makkabäer zutrugen und ihre Erzählung aus einem der
Makkabäerbücher (dem zweiten) geschöpft ist. Dass sie
hin und wieder als „ IV. Makkabäerbuch “ den deutero-
kanonischen Schriften des alten Testamentes beigesellt
wird, will ich nur nebenbei erwähnen.
Das Werkchen stellt, wie gesagt, eine Predigt dar,
und zwar eine sehr kunstvoll disponierte , 1 sauber stili-
1 S. Freudenthal, a. a. O. S. 18 f.
Ueber die Makkabäer, Einleitung.
209
sierte, von innigster Religiosität durchwehte Predigt, die
man früher allgemein für eine Perle diesbezüglicher
Litteratur hielt. So nennt Eusebius 1 die Schrift „ein
nicht unedles Kunstwerk“, Hieronymus 2 „ein sehr
anmutiges Buch“, der Lexikograph S ui das 3 „eine ganz
vortreffliche Rede oder Abhandlung“. In neuerer Zeit
hat sie eine sehr verschiedenartige Beurteilung erfahren.
Ewald 4 und Paret 5 z. B. sind voll ihres Lobes, während
Gr ätz 6 und Grimm 7 sie als „geschmackloses Martyro-
logium“ bezw. als „Machwerk erkünstelter Begeisterung“
bezeichnen. Sei dem wie ihm wolle, jeder unbefangene
Leser wird zugeben müssen, dass sie in der That die
volle Beachtung aller Freunde jüdisch-hellenischer Predigt-
litteratur verdient.
Was den Inhalt der Rede betrifft, so wird in ihr
nach Art der griechischen Rhetorenschulen als Schwer-
punkt des Ganzen ein philosophischer Satz hingestellt,
nämlich der, dass die fromme Vernunft Beherrscherin
der sinnlichen und seelischen Triebe der Menschennatur
sei, dass sie dieselben zwar nicht ausrotten , wohl aber
lenken, zügeln und zurückdrängen könne. Zu diesem
Satz bringt der Verfasser zunächst eine kurze theoretische
Erörterung, die man trotz seines in der Einleitung ge-
gebenen Versprechens, mit philosophischer Gründlich-
keit untersuchen zu wollen, nicht gerade als ein Zeichen
glänzender philosophischer Befähigung ansehen kann.
1 Hist, eccles. III, 10.
2 Catal. script. eccles. s. v. Josephus.
8 S. V.
4 Gescb. Israels IV, 3, S. 634.
6 Einl. zu den Schriften d. Jos., S. 27.
6 Gescb. der Juden 111, 2, S. 445.
7 Einl. zu IV. Makk. S. 287.
Josephus, Kleinere Schriften. 14
210
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Dann aber geht er, weil das Geschichtliche ihm die
Hauptsache ist, rasch zu einem ^tatsächlichen Beweis
aus der Geschichte des jüdischen Volkes über, indem
er berichtet, wie einige jüdische Märtyrer allen Ver-
lockungen und Drohungen des Antiochus Epiphanes
wie auch den schrecklichsten Qualen widerstanden, um
nicht von der Religion ihrer Väter abfallen zu müssen.
Wenn er dabei in der Schilderung der grauenvollen
Marterscenen des Guten etwas zu viel thut, so kann
man ihm das nicht sonderlich übel nehmen; denn seine
Zeitgenossen hatten — die fast alltäglich gewordenen
blutigen Cirkusspiele beweisen es — ganz andere Nerven
als wir, und so rechtfertigte und entschuldigte der
Kulturzustand jenes alten Publikums, das Vorgänge
wie die geschilderten nicht zu den Unmöglichkeiten
rechnen konnte, eine derartige Behandlung des Themas.
Übrigens soll die Geschichte der Märtyrer nicht nur
als konkretes Beispiel für einen abstrakten Satz ver-
wendet, sondern auch durchaus selbständig dem Zu-
hörer bezw. Leser vorgeführt werden. So sind, während
äusserlich die Einheit des Ganzen gewahrt ist, in
Wirklichkeit zwei gleich schwer wiegende Stoffe neben-
einander gestellt und nehmen in gleichem Masse unsere
Aufmerksamkeit in Anspruch , der eine durch seine
philosophische, der andere durch seine religiöse und
nationale Bedeutung.
Dass die Quelle, aus der der Autor schöpfte, vor-
nehmlich das zweite Makkabäerbuch (3; 4, 7— 17; 5,
1 — 11; 6, 8 — 11, 18 — 31; 7) war, leuchtet auf den
ersten Blick ein; 1 sind doch manche Stellen der Rede
1 In dieser Ansicht kann mich auch Willrich nicht irre
machen , der das zweite Makkabäerbuch für jünger als das vierte
Ueber die Makkabäer, Einleitung.
211
wörtlich daraus entlehnt Allerdings weicht er in den
Einzelheiten des Martyriums auch wieder vielfach von
diesem Buche ab, und* insofern mag er, wie Freuden-
thal nach weist, zugleich ein älteres grösseres Geschichts-
werk des Jason von Kyrene benutzt haben.
Wann die vorliegende Abhandlung entstanden ist,
lässt sich nicht genau bestimmen. Seit den Ereignissen
unter Antiochus Epiphanes muss jedenfalls schon eine
längere Zeit verstrichen gewesen sein ; denn die Über-
lieferung von den grossen Glaubenskämpfen ist bereits
zur Sage geworden, und die Personen zeigen sich uns
in jener nebelhaft schwankenden, verklärten Gestalt,
die sie erst anzunehmen pflegen, wenn die deutliche
Erinnerung verwischt ist und entlegene Vergangenheit
einen Glorienschein um ihre Helden webt. Anderseits
können wir wohl das Jahr 70 n. Chr. als die obere
Grenze des Zeitraumes betrachten, innerhalb dessen das
Werkchen geschrieben wurde, da der Verfasser ein so
gewaltiges Ereignis wie die Tempelzerstörung unter
Titus sicher nicht unerwähnt gelassen hätte, wenn die
Predigt erst nach diesem Zeitpunkt entstanden wäre.
Bedenkt man dazu noch, dass an keiner einzigen Stelle
der Schrift von Unruhen in Judaea die Rede ist, so wird
man unter Berücksichtigung aller vorgenannten Um-
stände die Abfassung etwa in das letzte Jahrzehnt vor
Beginn des Jüdischen Krieges, also in die Jahre 56 — 66
n. Chr. verlegen dürfen.
Ganz treffend sagt Freudenthal : Der Verfasser war
ein strenggläubiger Jude, aber zugleich ein Grieche voll
Schönheitssinn und Formtalent, ein gelehriger Schüler
erklärt (Forschungen zur hellenistisch -jüdischen Geschichte und
Litteratar, S. 166 f.).
21*2
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
griechischer Philosophie und griechischer Rhetorik. Ich
füge hinzu: Haben wir nicht aus den anderen Werken
des Josephus erfahren, dass er das Zeug in sich hatte,
ein solcher Mann zu sein?
Brauweiler, im Januar 1901.
Dr. Heinrich Clement z.
• 1. Im Begriff, mit philosophischer Gründlichkeit die
Frage zu erörtern, ob die fromme Vernunft Beherrscherin
der Gemütsbewegungen sei, möchte ich euch wohlweislich
raten, dieser philosophischen Darlegung eure Aufmerk-
samkeit zu schenken. Denn abgesehen davon, das6 eine
solche Belehrung für jeden, dem seine Geistesbildung
am Herzen liegt, notwendig ist, enthält sie auch das
Lob der höchsten Tugend, das heisst^ der Einsicht, 1
indem sie untersucht, ob die Vernunft in'"der That über
die der Massigkeit feindlichen Leidenschaften, Schlem-
merei nämlich und Begehrlichkeit, obzusiegen vermag,
ferner ob sie mächtiger erscheint als die dJer Gerechtig-
keit hinderlichen Affekte, wie z. Bosheit, und als
diejenigen Triebe, die der Mannhaftigkeit zuwider sind,
wie Zorn, Furcht und Unlust. Hat denn aber, so könnte
jemand einwerfen, die Vernunft, wenn sie die Leiden-
schaften bezwingt, keine Gewalt über Vergesslichkeit
und Unwissenheit? Das ist allerdings eine lächerliche
Frage. Denn die Vernunft herrscht nicht über ihre
eigenen Störungen, sondern über die der Gerechtigkeit,
Tapferkeit und Besonnenheit widerstreitenden Triebe, und
auch über diese nicht so, dass sie sie ausrottet, sondern
so, dass sie ihnen nicht weicht. Ich könnte euch nun
an zahlreichen und verschiedenartigen Beispielen zoigen,
dass die Vernunft über die Gemütsbewegungen herrscht;
weitaus am besten aber glaube ich dies darzuthun, wenn
ich euch jene starkmütigen Menschen vorführe, die um
der Tugend willen starben, ich meine Eleazar sowie die
1 Ich setze nach apETrJ; ein Komma und lasse ct: vor s.povr'aEo.>;
Ausfallen, da sich sonst kein rechter Sinn ergiebt.
214
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
sieben Brüder und deren Mutter. Denn indem sie den
göttlichen Gesetzen zulieb alle Folterqualen und den
Tod verachteten und aus Gottesfurcht ihr Leben für
nichts anschlugen, lieferten sie den Beweis, dass die Ver-
nunft den Gemütsbewegungen völlig überlegen ist. Loben
muss ich die heldenhaften Männer, die damals um der
Gerechtigkeit willen mitsamt der Mutter in den Tod
gingen; wegen der Ehre aber, die sie erlangten, möchte
ich sie selig preisen. Ihr Starkmut und ihre Ausdauer
erregten ja nicht nur bei allen übrigen Menschen, sondern
selbst bei ihren Peinigern Bewunderung, und indem sie
den Tyrannen durch ihre Standhaftigkeit besiegten, legten
sie den Grund zur Befreiung ihres Volkes von der Zwing-
herrschaft. Ich glaube nunmehr ohne weiteres zur Frage
selbst übergehen zu sollen und mache, wie dies meine
Gewohnheit ist, den Anfang mit der Begründung des
Themas, um alsdann die Rede auf jene Märtyrer zu
bringen. Gott dem Allweisen aber sei die Ehre!
2. Wir fragen also, ob die Vernunft über die Ge-
mütsbewegungen herrscht, und untersuchen, was eigent-
lich Vernunft ist und was Affekt, ferner wie viele Arten
der Affekte es giebt und ob sie alle von der Vernunft
regiert werden. Vernunft ist der Geist* der mit richtiger
Überlegung das auf Weisheit hinzielende Leben allem
anderen vorzieht; Weisheit ist Erkenntnis göttlicher und
menschlicher Dinge und ihrer Gründe. Die letztere aber
besteht in der auf Grund des Gesetzes erlangten Bil-
dung, vermöge deren wir das Göttliche in seiner Erhaben-
heit, das Menschliche zu unserm Nutzen kennen lernen.
Nun giebt sich die Weisheit in vierfacher Hinsicht als
Scharfsinn, Gerechtigkeit* Starkmut und Massigkeit kund.
Obenan steht der Scharfsinn, kraft dessen die Vernunft
den Affekten überlegen ist. Von den Affekten aber sind
die zwei umfassendsten Arten die Lust und der Schmerz,
und jede dieser beiden Gemütsbewegungen kann auf den
Körper sowohl als auf die Seele einwirken. Übrigens
zählt man in der Lust wie im Schmerz eine Menge von
Stufenfolgen. Der Lust geht vorher die Begierde, und
Ueber die Makkabäer.
215
€8 folgt ihr das Wohlgefühl; der Unlust aber geht vorher
das Widerstreben, und es folgt ihr die Bekümmernis.
Der Zorn ist eine der Lust und der Unlust gemeinsame
Leidenschaft, die zum Ausbruch kommt, wenn jemand
darüber nachdenkt, dass ihm etwas fehl ging. In die
Lust einbegriffen ist auch jene bösartige Gemütsstimmung,
die unter allen Leidenschaften die mannigfaltigsten
Formen aufweist und sich in Bezug auf die Seele als
Prahlerei, Geldgier, Ehrgeiz, Zanksucht und Neid, in
Bezug auf den Körper als Vielfresserei, Schlemmerei und
Alleinessen 1 offenbart. Nun giebt es, gerade als wenn
Lust und Unlust zwei Pflanzen des Körpere und der
Seele wären, viele Nebenschösslinge dieser Pflanzen; sie
alle reinigt der grosse Gärtner Vernunft, beschneidet sie,
bindet sie auf, begiesst sie, verpflanzt sie in jeder mög-
lichen Weise und veredelt so die Stimmungen und Leiden-
schaften ihrem Wesen nach. Denn die Vernunft geht
allen Tugenden voran und beherrscht die Gemütsbe-
wegungen, und dass sie dies thut, erkennen wir ja
schon von vornherein an den der Mässigkeit feindlichen
Dingen selbst Mässigkeit ist somit das, was die Be-
gierden zügelt. Von den letzteren aber sind die einen
seelisch, die anderen körperlich, und über beide Arten
herrscht offenbar die Vernunft. Denn wenn wir uns zu
verbotener Nahrung hingezogen fühlen, was veranlasst
uns, die daraus entspringende Lust aufzugeben? Doch
sicherlich die Erwägung, dass die Vernunft die Begierden
im Zaum zu halten vermag. Ich glaube also, dass wir
uns der Begehrlichkeit nach Fischen, Geflügel, Vier-
füsslern und allen sonstigen Speisen, die uns durch das
Gesetz verboten sind, lediglich deshalb enthalten, weil
die Vernunft die Oberhand hat. Die begehrlichen Leiden-
schaften werden eben von dem verständigen Geist ge-
1 Gemeinsame, durch Gespräche gewürzte Mahlzeiten waren bei
den geselligen Griechen und dann auch bei den Völkern, die deren
Sitten annahmen, sehr gebräuchlich, während das Alleinessen, ohne
alle Gesellschaft, als Zeichen einer rohen, nur auf die Befriedigung
sinnlicher Genüsse gerichteten Denkungsart galt.
216
Des Flavins Josepbus kleinere Schriften.
bändigt und abgelenkt, und alle körperlichen Triebe
schlägt die Vernunft in Feßseln. 1
3. Was ist übrigens wunderbares daran, wenn sogar
das Verlangen der Seele nach Vereinigung mit der
Schönheit aufgehoben wird? In diesem Sinne wird die
Selbstbeherrschung Josephs gepriesen, weil er durch ver-
nünftige Überlegung die Wollust niederkämpfte. Denn
obgleich er noch jung war und in dem Alter stand, wo
man sich nach geschlechtlichem Umgang sehnt, drängte
er dennoch die aufwallende Leidenschaft zurück. Aber
die Vernunft bezwingt offenbar nicht nur den heftigen
Trieb zur Wollust, sondern sie herrscht auch — das
wird man nicht verkennen — über jede andere Be-
gierde. So heisst es ja im Gesetz: „Du sollst nicht be-
gehren deines Nächsten Weib noch alles, was sein ist.“
Wenn nun das Gesetz uns nicht einmal erlaubt, zu be-
gehren, wie viel mehr muss es uns dann die Über-
zeugung beibringen, dass die Vernunft den Begierden
halt gebieten kann wie auch den Leidenschaften, die
der Gerechtigkeit im Wege stehen! Denn wie könnte
ein an Alleinessen , Schwelgerei und Unmässigkeit im
Trinken gewöhnter Mensch sich ändern, wenn die Vernunft
nicht augenscheinlich Herrin über die Leidenschaften
wäre ? Ebenso bezwingt ein treuer Anhänger des Gesetzes,
mag er auch noch so geldgierig sein, den eigenen
Charakter,, indem er den Dürftigen ohne Zins Darlehen
giebt 2 und beim Eintritt des siebenten Jahres die Schuld-
summe [erlässt. 3 Ferner beeinflusst das Gesetz mittels
der Vernunft einen Geizhals, sodass er weder auf den
abgeernteten Feldern noch in den Weinbergen Nachlese
hält. 4 Und in den übrigen Verhältnissen des Lebens
1 Wer denkt hier nicht an Platos berühmtes Gleichnis von der
Wagenlenkerin Vernunft, welche die feurigen Rosse — die ver-
schiedenen Neigungen der Menschennatur — zusammen hält und
zügelt?
2 2. Mos. 22, 24; 3. Mos. 26, 35—37 ; 5. Mos. 23, 20 f.
8 5. Mos. 15, 1 ff.
4 3. Mos. 19, 9f.
Ueber die Makkabäer.
217
kann man gleichfalls sehen, wie die Vernunft über die
Triebe erhaben ist. Das Gesetz nämlich herrscht auch
über die Wertschätzung der £ltern, indem es die Tugend
ihretwegen nicht preisgiebt, und steht höher als die Zu-
neigung zur Gattin, indem es wegen einer Übertretung
sie zurechtweist, und lenkt die Liebe zu den Kindern, 1
indem es für begangene Sünden sie bestraft, und ge-
bietet nicht minder dem Verkehr der Freunde, indem
es um ihrer Schlechtigkeit willen sie züchtigt. Haltet
es übrigens nicht für widersinnig, dass die Vernunft
durch Vermittlung des Gesetzes sogar die Feindschaft
in mildere Bahnen lenkt: denn man soll die Nutzbäume
der Feinde nicht abhauen, 2 das in Verlust geratene
Eigentum der Gegner aufbewahren und ihre gefallenen
Tiere wieder aufrichten. 3 Auch den stärkeren Affekten
gegenüber, als da sind Herrschsucht, Ehrgeiz, Prahlerei,
Anmassung und Neid, zeigt sich die Vernunft als Siegerin.
Alle diese schlimmen Leidenschaften wendet der ver :
ständige Geist zum Guten, verdrängt und bezwingt sie
gleichwie den Zorn ; denn auch über diesen ist er Meister.
So that Moyses, als er dem Dathan und Abiram grollte,
in seinem Zorn nichts gegen die beiden, sondern be-
schwichtigte seinen Grimm durch vernünftige Über-
legung. 4 * Denn der verständige Geist besitzt, wie ich
schon sagte, die Macht, den Leidenschaften die Spitze
zu bieten und sie teils anderswohin zu lenken, teils zu
unterdrücken. Weshalb denn sonst erhob unser hoch-
weiser Vater Jakob gegen Simeon und Levi den Vor-
wurf, dass sie ohne vernünftige Überlegung das ganze
Volk der Sikimiten niedergemacht hätten, 6 indem er
6agte: „Verflucht sei ihr Zorn“? Wenn nämlich die
Vernunft den Zorn nicht beherrschen könnte, würde er
so nicht gesprochen haben. Als Gott den Menschen
1 5. Mos. 21, 18; Sprüche Sal. 13, 24; 19,18; 23, 13 f. ; 29, 15 ; 17.
2 5. Mos. 20, 19 f.
8 2. Mos. 23,2; 4; 5.
4 4. Mos. 16.
8 1. Mos. 49, 5— 7.
218 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften.
bildete und ihn mit Vernunft und freiem Willen
schmückte, da pflanzte er ihm auch die Leidenschaften
und Seelenstimmungen ein und setzte den Verstand als
Herrscher über die inneren Sinneswerkzeuge auf den
Thron. Auch gab er dem Verstand ein Gesetz, nach
welchem dieser sein königliches Amt besonnen, gerecht,
gütig und wacker versehen müsse.
Warum aber, könnte jemand aufs neue ein werfen, hat
die Vernunft, wenn sie Herrin über die Leidenschaften
ist, nicht auch Gewalt über Vergesslichkeit und Un-
wissenheit? Das ist, nochmals gesagt, eine überaus
lächerliche Frage; denn die Vernunft beherrscht zweifellos
nicht ihre eigenen Störungen, sondern die rein körper-
lichen Affekte. So kann niemand die Begehrlichkeit in
uns vernichten, aber dass wir der Begehrlichkeit nicht
sklavisch unterthan sind, das zu bewirken ist die Ver-
nunft imstande. Den Zorn kann niemand in unserer
.Seele vernichten, aber dass wir nicht Knechte des Zornes
sind, dazu vermag die Vernunft ihre Hilfe zu leihen.
Die Bosheit kann niemand in uns vernichten, aber dass
wir von der Bosheit nicht unterjocht werden, dazu kann
die Vernunft als treue Mitstreiterin beitragen. Die Ver-
nunft rottet eben die Leidenschaften nicht mit Stumpf
und Stiel aus, sondern sie kämpft dieselben nieder. Das
lässt sich recht klar an dem Durste des Königs David
beweisen . 1 Den ganzen Tag über hatte David an der
Spitze seines] Volk es die Feinde bekämpft und viele von
ihnen getötet. Als es nun Abend geworden war, ging
er schweissbedeckt und aufs äusserste ermattet zum
königlichen Zelt, um welches das ganze Heer unserer
Vorfahren sich gelagert hatte. Die anderen eilten sämt-
lich zur Abendmahlzeit; der König aber mochte, obwohl
es ihn sehr dürstete und eine Menge Quellen in der Nähe
waren, seinen Durst aus diesen nicht stillen, sondern es
ergriff ihn ein unsinniges Verlangen nach dem Wasser,
das im feindlichen Lager floss, und dieses Verlangen
1 2. Sam. 28, 13—17.
Ueber die Makkabäer.
219
dörrte ihn aus und verzehrte ihn sozusagen gänzlich.
Weil nun die Leibwächter jammerten, dass der König
Durst leiden müsse, warfen sich drei jugendliche und
starke Krieger aus Ehrfurcht vor dem Wunsche ihres
Königs in volle Waffenrüstung, ergriffen einen Krug
und überstiegen die feindliche Verschanzung. Unbemerkt
von den Wachtposten am Thor schlüpften sie hinein,
spürten im ganzen Lager umher, fanden die Quelle und
brachten voll Mut dem Könige daraus zu trinken. Aber
obwohl David vor Durst brannte, bedachte er doch, wie
überaus gefahrvoll es sei, den Geist glauben zu machen,
ein Trunk habe denselben Wert wie Blut. Deshalb
liess er der Begierde gegenüber die Vernunft zur Geltung
kommen und spendete das Wasser Gott dem Herrn.
Denn der vernünftige Geist ist, wie schon bemerkt, im-
stande, den Zwang der Leidenschaften zu besiegen, die
Flammen verzehrender Triebe zu löschen, die Schmerzen
des Körpers, seien sie noch so stark, zu bemeistern und
durch das edle Streben der Vernunft alle Herrschgelüste
der Leidenschaften zu verachten. Nunmehr aber wird
es Zeit für uns, das Beispiel zur Theorie von der Herr-
schaft der Vernunft aufzustellen wie folgt.
4. Unsere Väter lebten wegen ihrer Treue gegen die
Gesetz^ in tiefem Frieden und genossen einen guten
Ruf, weshalb denn auch Seleukus Nikanor, 1 der König
von Asien, ihnen Gelder für den Tempeldienst spendete
und ihre Verfassung billigte. Dann aber suchten einige
Umstürzler die allgemeine Eintracht zu stören und be-
schworen vielfaches Unheil herauf. Ein gewisser Simon -
nämlich war mit Onias, einem edlen und vortrefflichen
Manne, der damals die Hohepriesterwürde auf Lebens-
zeit besass, verfeindet, und da er ihm trotz aller erdenk-
lichen Verleumdungen beim Volke nicht zu schaden
vermochte, entfernte er sich heimlich, um das Vaterland
1 Muss heissen : Philopator. Als König von Asien wird er hier
bezeichnet, weil das Reich der Seleukiden asiatische Länder umfasste.
’ Nach 2. Makk. 3, 4 Vorsteher des Tempels.
220 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
zu verraten. Er begab sich also zu Apollonius, dem Statt-
halter von Syrien, Phoenicien und Cilicien , 1 und sprach zu
ihm: „Aus Eifer für das Interesse des Königs bin ich
gekommen, um anzuzeigen, dass viele Tausende an Privat-
geldern, welche mit dem Tempel nichts gemein haben, in den
Schatzkammern Jerusalems aufgehäuft liegen ; sie kommen
doch eigentlich dem Könige Seleukus zu.“ Als Apollonius
sich eingehend über die Sache unterrichtet hatte, lobte
er den Simon wegen seiner Anhänglichkeit an den König;
alsdann eilte er zu Seleukus und machte ihm von dem
reichen Schatz Mitteilung. Der König erteilte ihm die
nötige Vollmacht, und nun rückte er eiligst mit dem
verwünschten Simon und einem gewaltigen Heere gegen
unsere Vaterstadt heran . 2 Gleich nach seiner Ankunft
erklärte er, er sei im Auftrag des Königs erschienen,
um die in den Schatzkammern liegenden Privatgelder
zu holen. Ob dieser Rede trauerte das Volk und wider-
sprach dem Vorhaben; man hielt es für schrecklich, dass
diejenigen, die ihre Ersparnisse dem heiligen Schatz 3
an vertraut hatten, deren beraubt werden sollten, und
sträubte sich nach Möglichkeit. Apollonius aber betrat
unter Drohungen das Heiligtum, während die Priester
mit Weib und Kind im Tempel zu Gott flehten, er möge
den geweihten Ort vor Schändung bewahren, ^.ls nun
Apollonius mit bewaffneter Macht eindrang, um das
Geld zu rauben , erschien vom Himmel her hoch zu
zu Ross und mit blitzenden Waffen eine Engelschar,
welche die Soldaten mit Furcht und Entsetzen erfüllte.
Halb entseelt fiel Apollonius in dem für das Volk be-
stimmten Vorhofe des Tempels zu Boden, breitete die
Hände gen Himmel aus und beschwor die Hebräer
1 2. Makkabäer 8, 5 beisst es : Statthalter von Coelesyrien und
Phoenicien.
2 Nach 2. Makk. 3 , 7 ff. war es nicht Apollonius, sondern der
königliche Schatzmeister Heliodor, der nach Jerusalem zog, um die
Gelder wegzunehmen.
8 Die Schatzkammern befanden sich im Tempel (s. Jüdischer
Krieg V, 5, 2).
Ueber die Makkabäer.
221
uuter Thränen, für ihn zu beten und das himmlische
Heer zu besänftigen. Der Hohepriester Onias, den diese
Worte rührten und der ausserdem besorgt war, König
Seleukus möchte glauben, Apollonius sei nicht der gött-
lichen Gerechtigkeit, sondern einem Angriff von mensch-
licher Seite erlegen, betete denn auch für ihn . 1 So
wurde Apollonius wider Erwarten gerettet und eilte von
dannen, um dem König seine Erlebnisse zu berichten. Als
nun Seleukus gestorben war, folgte ihm in der Regierung
sein Sohn 2 Antiochus Epiphanes, ein sehr grausamer
und übermütiger Mann, der dem Onias die Hohepriester-
würde nahm und sie an dessen Bruder Jason übertrug,
weil dieser versprochen hatte, ihm jährlich dreitausend-
sechshundertundsechzig 3 Talente zu geben, wenn er ihm
das Amt verleihen würde. Daraufhin machte Antiochus
ihn zum Hohepriester und vertraute ihm auch die Leitung
des Volkes an. Jason aber lenkte und verführte das
Volk zu allerlei Ungesetzlichkeiten. So erbaute er nicht
nur eine Ringschule gerade auf dem Burgfelsen 4 unserer
Vaterstadt, sondern er schaffte auch die Besorgung des
Heiligtums gänzlich ab. Darüber erzürnt, liess die gött-
liche Gerechtigkeit den Antiochus als Feind gegen die
Stadt anrücken. Als dieser nämlich in Aegypten mit
Ptolemaeus Krieg führte, vernahm er, dass sich das Ge-
rücht von seinem Tode verbreitet habe und wie sehr die
Bewohner Jerusalems darüber erfreut seien. Sogleich
brach er nun gegen sie auf, und nachdem er sie besiegt
hatte, erliess er den Befehl, dass alle, die man bei der
Befolgung des väterlichen Gesetzes ertappe, mit dem
Tode bestraft werden sollten. Als er aber auf keine
Weise die Gesetzestreue des Volkes zu brechen ver-
mochte, vielmehr sehen musste, wie alle seine Drohungen
und Strafen vergeblich waren und sogar Frauen dafür,
1 Vergl. hierzu 2. Makk. 3, 27 — 34, wo der Hergang etwas anders
dargestellt ist.
2 Muss heissen : Bruder.
u Nach 2. Makk. 4,8 f. nur 590.
4 Akra.
222
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
dass sie ihre Knäblein hatten beschneiden lassen, sich
mitsamt den Kindern zerschmettern Hessen, obwohl ihr
Schicksal ihnen klar vor Augen stand — als, sage ich,
seine Befehle so vom Volke verachtet wurden, da zwang
er selbst durch Anwendung der Folter jeden einzelnen,
unreine Speisen zu kosten und das Judentum abzu-
schwören.
&. So nahm denn der Tyrann Antiochus nebst seinen
Beisitzern auf einer Erhöhung Platz, rings umgeben von
seinen bewaffneten Schergen, und befahl diesen, einen
Hebräer nach dem anderen herbeizuschleppen und sie
zu nötigen, Fleisch von Schweinen und solchen Tieren,
die den Götzen geopfert waren, zu essen ; wer sich weigere,
Unreines zu gemessen, der solle auf dem Rad gefoltert
und getötet werden. Nachdem nun schon viele aus der
Menge herangeschleppt waren, führte man vor den König
einen Mann mit Namen Eleazar, der aus priesterlichem
Geschlecht stammte, von Beruf Schriftgelehrter war und
bereits in hohem Alter stand ; wegen der letzteren Eigen-
schaft kannten ihn viele aus der Umgebung des Tyrannen.
Bei seinem Anblick sagte Antiochus : „Bevor ich mit den
Foltern gegen dich beginne, alter Mann, will ich dir
raten, vom Schweinefleisch zu kosten und dich dadurch
zu retten. Ich habe Scheu vor deinem Alter und deinen
grauen Haaren; freilich scheinst du mir trotz dieser
grauen Haare nicht verständig geworden zu sein, da du
dem Aberglauben der Juden noch anhängst. Denn
weshalb sträubst du dich, von dem Fleische dieses Tieres
zu essen, das die Natur uns als überaus wohlschmeckende
Nahrung geschenkt hat? Es ist ja widersinnig, sich der
Genüsse zu enthalten, die von jeder Schande frei sind,
und unrecht, die Gaben der Natur zurückzuweisen. Und
noch viel unvernünftiger handelst du meines Erachtens,
wenn du auf Grund einer eingebildeten Ansicht von der
Wahrheit auch noch meine Person geringschätzest und
dir dadurch Strafe zuziehst. Willst du nicht erwachen
aus dem Schlaf, in den eure Weisheitslehre dich ver-
senkt hat, das Thörichte deiner Ansichten verbannen,
Ueber die Makkabäer.
223
e ine deinem Alter ziemende Verständigkeit annehmen,
einer Wahrheit huldigen, die dir nur von Nutzen sein
kann, und zum Dank für mein freundliches Zureden
Mitleid mit deinem Greisenalter haben ? Bedenke ferner,
dass, wenn es wirklich eine Macht giebt, die euren
Aberglauben schirmt, sie dir wohl jede durch Gewalt
erzwungene Gesetzesübertretung verzeihen wird." Wäh-
rend der Tyrann dem Eleazar auf solche Weise das
gesetzwidrige Mahl aufzudrängen versuchte, erbat dieser
sich das Wort und begann, als er die Erlaubnis zu
sprechen erhalten hatte, mit lauter Stimme folgender-
massen zu reden : „Wir, Antiochus, die wir das göttliche
Gesetz in all unserem Thun befolgen, hegen die Meinung,
kein Zwang könne so stark sein, dass wir dem Gesetz
den Gehorsam versagen müssten. Deshalb glauben wir
ihm in keinem Punkte entgegenhandeln zu sollen. Ja,
selbst wenn unser Gesetz, wie du annimmst, nicht in
Wahrheit von Gott herstammte, von uns aber für gött-
lich gehalten würde, so dürften wir auch dann unsere
Ansicht in betreff der Gottesverehrung nicht aufgeben.
Denke nur nicht, es sei eine kleine Sünde, wenn wir
Unreines essen. Denn es ist ganz gleich, oh man in
kleinen oder in grossen Dingen gegen das Gesetz verstösst;
wird es doch in beiden Fällen auf die nämliche Weise
mit Füssen getreten ! Du verspottest unsere Philosophie,
als wäre es ein Zeichen von Thorheit, dass wir unser
Leben danach einrichten. Aber sie lehrt uns Mässig-
keit, sodass wir alle Lüste und Begierden unterdrücken,
übt uns in Tapferkeit, sodass wir jede Mühsal gern er-
tragen, und unterweist uns in Gerechtigkeit und Frömmig-
keit, sodass wir nur den wahren Gott und zwar mit ge-
bührender Pracht verehren. Darum gemessen wir nichts
Unreines. Denn eben weil wir fest glauben, Gott selbst
habe das Gesetz aufgestellt, sind wir auch überzeugt,
dass der Gesetzgeber unserer Natur entsprechend ver-
fahren ist In diesem Sinne hat der Urheber des Gesetzes
uns gestattet, das unserer körperlichen Eigenart Zuträg-
liche zu verspeisen, hingegen verboten, von dem Fleische
224
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
zu essen, das ihr widersteht. Es entspricht nun ganz
dem Gebaren eines Tyrannen, uns nicht nur zur Ge-
setzesübertretung im allgemeinen, sondern auch zur Miss-
achtung des Speiseverbotes zwingen zu wollen ; du würdest
uns ja weidlich auslachen, wenn wir die uns so verhasste
unreine Nahrung verzehrten. Doch du wirst, was meine
Person betrifft, ein solches Gelächter nicht erheben, auch
nicht — das versichere ich dir bei dem heiligen Schwur
unserer Vorfahren, dem Gesetz die Treue zu halten — ,
wenn du mir die Augen ausstechen und die Eingeweide
rösten liessest. Ich bin nicht so alt und schwächlich,
dass mir nicht um der Frömmigkeit willen die Vernunft
wieder verjüngt würde. Lass also, was das anbetrifft,
nur die Räder bereitstellen und das Feuer noch stärker
entfachen; ich habe nicht soviel Mitleid mit meinem
Alter, dass ich deshalb das väterliche Gesetz für un-
giltig erklären möchte. Nein, ich werde dich nicht ver-
leugnen, weise belehrendes Gesetz, nicht dich abschwören,
teure Enthaltsamkeit, nicht dich entehren, nach Erkenntnis
ringende Vernunft, nicht dir entsagen, geliebtes Priester-
tum, noch dir, Gesetzeskunde; und nicht beflecken wird
dieser Mund mein ehrwürdiges Alter und die letzten
Tage eines gottesfürchtigen Lebens. Rein sollen mich
die Väter aufnehmen, wenn ich furchtlos deinen Martern
bis zum Tode getrotzt habe. Du wirst allerdings in
deiner Ruchlosigkeit mich quälen; meine religiöse Über-
zeugung aber kannst du weder durch Worte noch durch
thätliches Vorgehen erschüttern!“
6. Ah Eleazar in solcher Weise die' Aufforderung
des Tyrannen beantwortet hatte, rissen ihn die um-
stehenden Soldaten mit roher Gewalt zu den Folter-
werkzeugen. Zunächst entkleideten sie den Greis, der
aber aufs reichste geschmückt blieb durch den Glanz
seiner Frömmigkeit; dann banden sie ihm die Hände
auf dem Rücken zusammen und marterten ihn mit
Geisselhieben , während vom anderen Ende des Platzes
ein Herold rief: „Gehorche den Befehlen des Königs!“
Der hochherzige und wahrhaft edle Eleazar indes gab,
Ueber die Makkabäer.
225
als wäre die Folterung für ihn nur ein Traum, nicht im
mindesten nach, sondern er wandte die Augen hoch gen
Himmel und liess als altersschwacher Greis sein Fleisch
von den Hieben zerreissen. Blutüberströmt und mit
Wunden bedeckt sank er schliesslich zu Boden, weil sein
Körper die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte; aber
auch da noch blieb sein Geist standhaft und ungebeugt.
Einer von den grausamen Kriegsknechten sprang nun
gegen seine Weichen an und trat ihn mit dem Fuss,
damit er sich von seinem Fall erhöbe. Eleazar aber
verachtete die Schmerzen, die ihm der Tritt verursachte,
spottete der Gewalt, harrte in seinen Qualen aus und
triumphierte ungeachtet seines hohen Alters gleich einem
tüchtigen Ringkämpfer über seine Peiniger, indem er,
während der Schweiss ihm vom Antlitz rann und seine
Brust sich keuchend hob, in seiner Seelenstärke sogar
bei den Henkern Bewunderung erregte. Deshalb gingen
einige aus der Umgebung des Königs teils aus Erbarmen
mit seinem Alter, teils aus Mitleid für ihn, da sie ihn
von früher her kannten, teils aus Achtung vor seinem
Starkmut zu ihm und sprachen: „Weshalb stürzest du
dich thörichterweise selbst in dieses Leid, Eleazar? Wir
wollen dir von dem gesottenen Fleisch vorsetzen, und
dann kannst du dich ja anstellen, als ob du Schweine-
fleisch ässest, und dich so retten.“ Der Greis aber, den
dieser Rat erst recht grausam zu peinigen schien, rief
mit lauter Stimme: „Fern sei es, dass wir Söhne Abra-
hams so schimpflich denken und aus Zaghaftigkeit eine
That erheucheln, die uns nicht ziemt. Auch wäre es
ja unvernünftig, wenn wir, die wir bis zur Schwelle des
Greisenalters der Wahrheit gefolgt sind und den hieraus
entspringenden Glauben als treue Anhänger des Gesetzes
bewahrt haben, jetzt noch die Gesinnung wechselten und
mit unseren grauen Haaren der Jugend das Urbild der
Gottlosigkeit vorführten. Auf diese Weise würden wir
ein Beispiel für die Übertretung der Speiseverbote geben
und, abgesehen davon, dass wir den Rest unserer Tage
in Schimpf und Schande verleben müssten, auch noch
Josephua, Kleinere Schriften. 15
Go gle
226
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
wegen unserer Feigheit von allen verhöhnt, von dem
Tyrannen aber als Schwächlinge verachtet werden. Unser
göttliches Gesetz bis in den Tod zu schirmen, wäre uns
dann versagt, während hingegen ihr als echte Söhne
Abrahams mit edlem Sinn für eure Religion sterben
könntet. Doch was zögert ihr, Söldner des Tyrannen?“
Als sie ihn nun den Martern gegenüber so standhaft
sahen und sich überzeugen mussten, dass er selbst durch
ihr Mitleid sich nicht zur Sinnesänderung bewegen liess,
schleppten sie ihn über das Feuer, warfen ihn hinein,
brannten ihn mit grässlichen Werkzeugen und gossen
ihm übelriechende Flüssigkeiten in die Nase. Er aber,
schon bis auf die Knochen versengt und im Begriff, den
Geist aufzugeben, richtete die Augen zu Gott empor und
betete: „Du weisst, o Gott, dass ich, obwohl Rettung
mir möglich war, den qualvollen Feuertod für das Gesetz
erleide. Deshalb sei deinem Volke gnädig, lass, indem
du dich zu ihren Gunsten mit unserer Strafe begnügst, mein
Blut zum Sühnmittel für sie werden und nimm statt
ihrer Seelen die meinige an!“ Mit diesen Worten starb
der heilige Mann voll Heldenmut an den Martern und
widerstand allen Qualen bis zum Tode durch die Ver-*^
nunft um des Gesetzes willen. Geht daraus nicht klar
hervor, dass die fromme Vernunft Herrin über die Triebe
ist? Denn hätten diese sich der Vernunft überlegen
gezeigt, so wäre ihnen von mir das Zeugnis der Herr-
schaft erteilt worden. Da aber im vorliegenden Falle
die Vernunft die Oberhand behalten hat, so müssen wir
ihr billigerweise die Fähigkeit, zu regieren, einräumen.
Auch sind wir, um nicht der Lächerlichkeit zu verfallen,
genötigt zuzugeben, dass sie die Kraft hierzu besitzt,
da sie ja die von aussen kommenden Schmerzen be-
zwingt. Sie herrscht aber, wie ich gezeigt habe, nicht
allein über die Schmerzen, sondern auch über die Ge-
lüste, denen sie in keiner Hinsicht nachgiebt.
7. Wie ein vortrefflicher Steuermann nämlich lenkte
die Vernunft unseres Vaters Eleazar das Schiff der
Frömmigkeit in dem Meer der Triebe, und obwohl er
Go gle
Ueber die Makkabäer.
227
von den Wogen der Martern überflutet, d. h. den Droh-
ungen des Tyrannen entsprechend gepeinigt wurde,
wandte er keineswegs das Steuer der Frömmigkeit, bis
er in den Hafen des ewigen Sieges eingelaufen war.
Niemals widerstand eine mit vielen und mannigfaltigen
Maschinen belagerte Stadt so wie der hochheilige Eleazar,
der, während Qualen und Folterwerkzeuge seinen makel-
losen Geist bedrängten, seine Peiniger durch die Ver-
nunft, die Beschützerin der Frömmigkeit, besiegte. Wie
einen vorspringenden Felsen stellte Vater Eleazar seine
Gesinnung hin und zerteilte so die Wogen der Triebe.
O du deines Amtes würdiger Priester, nicht entweihtest
du deine unbefleckten Zähne, nicht den an rituelle Speise
gewöhnten Leib durch Verzehren unreiner Nahrung !
Treuer Befolger des Gesetzes, weisheits voller Jünger des gött-
lichen Wortes, wahres Vorbild aller, die das Gesetz mit dem
eigenen Blute heiligen und durch ihren in den tödlichsten
Martern vergossenen edlen Schweiss beschirmen wollen!
Du, Vater, hast durch deine Standhaftigkeit unsere Ge-
setzestreue ruhmvoll bezeugt, durch deine erhabene Rede
die heiligen Bräuche vor dem Verfall bewahrt, durch
deine Thaten die Worte der göttlichen Weisheit be-
kräftigt, du Greis, stärker als Foltern, machtvoller als
Flammenglut, Eleazar, grösster Bezwinger der Leiden-
schaften! Denn wie der Vater Aaron, bewaffnet mit
dem Rauchfass, durch das mörderische Feuer schritt und
den flammenden Engel 1 besiegte, so ist Aarons Nach-
komme Eleazar trotz des ihn verzehrenden Feuers seinen
vernünftigen Entschliessungen nicht untreu geworden.
Und was das wunderbarste ist: er, der Greis, dessen
körperliche Kraft schon gebrochen, dessen Muskeln ge-
lähmt, dessen Sehnen geschwächt waren, wurde durch
die Vernunft dem Geiste nach wieder jung. O glück-
seliges Greisenalter, ehrwürdiges Silberhaar, Leben
1 Bezieht sich auf 4. Mos. 16, 46—48. Die dort erwähnte Seuche
ist hier als das Werk eines Glutengels aufgefasst. Vergl. Tract.
Sabbath 89, 1.
Go gle
228
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
voll Gesetzestreue, dem der Glaube das Todessiegel auf-
drückte !
Steht es nun fest, dass dieser altersschwache Mann
die tödlichen Qualen aus Frömmigkeit verachtete, so ist
zweifellos die fromme Vernunft Beherrscherin der Triebe.
Man könnte freilich ein werfen: Nicht alle bezwingen die
Leidenschaften, weil nicht alle eine scharf überlegende
Vernunft besitzen. Aber so viele der Frömmigkeit zu-
gethan sind , die streben aus ganzem Herzen nach ein-
sichtsvoller Vernunft, und nur sie allein können über
die Triebe des Fleisches Gewalt haben. Dem scheint
mir nun die Schwäche der Vernunft nicht im Wege zu
stehen. Denn wenn jemand sein ganzes Denken nacb
den Vorschriften der Philosophie einrichtet, wenn er auf
Gott vertraut, wenn er überzeugt ist, man könne nur
dadurch glückselig werden, dass man um der Tugend
willen jede Drangsal erträgt — sollte die Gottesfurcht
eines solchen Menschen nicht über alle Leidenschaften
triumphieren? Ja, der Weise allein ist mutig, der Weise
allein Herr seiner Triebe!
8. Aus diesem Grunde haben selbst knabenhafte Jüng-
linge, die den Eingebungen frommer Vernunft folgten,
noch schwerere Martern überwunden. Als nämlich der
Tyrann bei seinem ersten Versuch so offenkundig unter-
legen war, da er einen Greis nicht zwingen konnte, ver-
botene Speise zu gemessen, befahl er in heftigem Zorn,
andere aus der gefangenen Hebräerschar vorzuführen;
wenn sie unreine Nahrung zu sich nähmen, sollten sie frei
ausgehen, im Falle der Weigerung aber grausam ge-
foltert werden. Auf diesen Befehl des Tyrannen wurden
mit ihrer alten Mutter sieben Brüder herangebracht,
schöne, bescheidene, edle, gottesfürchtige und in jeder
Hinsicht liebenswürdige Menschen. Kaum hatte der
Tyrann sie erblickt, wie sie gleichsam als Chor 1 die
1 Das Bild ist hergenommen aus der griechischen Tragödie, iu
der der Chor (12 — 24 Säuger) uuter einstimmigem Gesang seuten-
tiösen Inhalts gemessene Tänze auf der Orchestra aufluhrte.
Ueber die Makkabäer.
229
Mutter umgaben, als er aus Gefallen an ihnen und von
ihrem edlen Anstand betroffen ihnen zulächelte, sie näher
heranrief und sprach: „Ihr Jünglinge, freundlich be-
wundere ich die Schönheit eines jeden von euch, und da
ich eine solche Brüderschar gar hoch schätze, so wider-
rate ich euch nicht nur, das wütende Benehmen des eben
gefolterten Greises nachzuahmen , sondern lade euch
auch ein, meine Freundschaft zu gemessen, wenn ihr
meinen Rat befolgt habt. Denn wie ich die, welche
meinen Befehlen nicht gehorchen, zur Strafe ziehen kann,
so vermag ich anderseits denen wohlzuthun, die sich
meinem Willen fugen. Erfüllt ihr nun mein Gebot, so
sollt ihr Würden und Befehlshaberstellen in meinem
Reiche erhalten und eurer Jugend froh werden, nach-
dem ihr euch aus den ererbten Fesseln eurer Satzungen
losgemacht und griechische Lebensart angenommen habt.
Erregt ihr aber durch Ungehorsam meinen Zorn, so
werdet ihr mich nötigen, schreckliche Strafen zu ver-
hängen und jeden einzelnen von euch auf der Folter
sterben zu lassen. Habt also Mitleid mit euch selbst,
da auch ich, obwohl euer Feind, um eurer Jugend und
schönen Gestalt willen mich euer erbarme, und bedenket
wohl, dass euch im Falle der Gehorsamsverweigerung
nichts als ein qualvoller Tod bevorsteht.“ Nach diesen
Worten liess er die Folterwerkzeuge vor ihnen aufstellen,
damit auch die Furcht vor diesen sie veranlassen möchte,
Unreines zu verzehren. Als nun die Räder, eisernen
Hände, Gliederverrenker, Schraubstöcke, Schindwerk-
zeuge, die Schwingen, Ressel, Pfannen, Fingerschrauben
und Keile sowie die Blasebälge zum Entfachen des Feuers
von den Kriegsknechten herbeigeschleppt waren, erhob
der Tyrann abermals seine Stimme und sprach : „Fürchtet
euch, ihr Knaben 1 Das gerechte Wesen, dem ihr eure
Verehrung darbringt, wird euch übrigens die erzwungene
Missachtung des Gesetzes gnädig nachsehen “ Sie aber
waren, als sie die schmeichelnden Worte vernahmen und
die grässlichen Werkzeuge sahen, so weit entfernt, in
Schrecken zu geraten, dass sie sogar dem Tyrannen
230
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
widersprachen und durch edle Beredsamkeit auf sein
grausames Gemüt einzu wirken suchten. Wären nun
Feiglinge und Verzagte unter ihnen gewesen, welcher
Worte, meint ihr, hätten sie sich wohl bedient? Sicher-
lich würden sie dann gesprochen haben wie folgt: „Ach,
was sind wir unglücklich und überaus thöricht zugleich !
Der König ermahnt uns ja und sichert uns Wohlthaten
zu für den Fall, dass wir ihm gehorchen. Warum also
gefallen wir uns in eitlen Ratschlüssen und wagen den
todbringenden Ungehorsam? Wollen wir uns nicht viel-
mehr, liebe Brüder* vor den Marterwerkzeugen ängstigen,
die Schrecken der Folterung bedenken, den leeren Ruhm,
der daraus entspringt, und die verderbliche Prahlerei
.fliehen? Lasst uns Mitleid haben mit unserem Jüng-
lingsalter, Erbarmen mit den grauen Haaren unserer
Mutter, und beherzigen wir, dass der Ungehorsam uns
.den Tod bringen muss, dass aber anderseits die göttliche
Gerechtigkeit uns verzeihen wird, wenn wir in anbetracht
•unserer Zwangslage den König fürchten. Weshalb
.wollen wir dem freudevollen, Leben entsagen und auf
die Süssigkeit der Welt verzichten? Übrigens verurteilt
das Gesetz selbst uns nicht wegen der Handlungen zum
Tode, die wir gegen unseren Willen, aus Furcht vor den
Martern begehen. Woher denn kommt uns solcher Wider-
spruchsgeist, und warum haben wir Vergnügen an einer
Halsstarrigkeit, die uns dem Tod in die Arme werfen
wird, da, wir doch unbehelligt leben können, wenn wir
des Königs Willen thun?“ £.ber nichts von alledem
Hessen die der Folterung harrenden Jünglinge verlauten,
ja sie dachten nicht einmal daran; denn sie schätzten
die Triebe gering und bemeisterten die Schmerzen.
Deshalb sprachen sie, sowie der Tyrann auf hörte, ihnen
den Genuss unreiner Speise anzuraten, als hätten sie
alle zusammen nur eine Seele, einstimmig zu ihm:
9. „Was zauderst du, Tyrann? Handle, wie es dir
beliebt! Denn wir sind bereit, eher zu sterben, als
unseren väterlichen Satzungen untreu zu werden. Wir
hätten uns auch mit Recht vor unseren Ahnen zu schämen,
Ueber die Makkabäer.
231
wenn wir dem Gesetze nicht vollauf gehorchten und den
Rat des Moyses verschmähten. Mute uns also keine
Gesetzesübertretung zu, und da du uns hassest, so hege
kein grösseres Mitleid mit uns als wir selbst. Härter
wie der Tod kommt uns ja dein Erbarmen .vor, das uns
zum Zwecke unserer Rettung das Gesetz missachten
lassen will. Du suchst uns dadurch zu erschrecken, dass
du uns mit dem Martertode drohst, als ob du soeben
von Eleazar nichts gelernt hättest. Wenn aber unter
den Hebräern die Greise so gottesfürchtig sind, dass
sie um der Religion willen selbst vor Foltern nicht
zurückbeben, wie viel mehr ziemt es da uns Jüng-
lingen, unter Verachtung deiner Straf- und Zwangs-
mittel zu sterben, denen sogar unser greiser Lehrer Eleazar
getrotzt hat! Stelle uns also auf die Probe, Tyrann,
und glaube nicht, dass, wenn du uns wegen unserer
Frömmigkeit zu Tode peinigst, deine Martern unseren
Seelen etwas schaden könnten. Denn wir werden durch
standhaftes Ertragen dieser Qualen die der Tugend ver-
heissenen Belohnungen erlangen und bei Gott sein, um
dessetwillen wir ja leiden; du aber wirst für den an
uns begangenen grausamen Mord von der göttlichen
Gerechtigkeit zur verdienten ewigen Strafe gezogen
werden.“ Als sie so sprachen, geriet der Tyrann nicht
nur wegen ihres Ungehorsams in Erbitterung gegen sie,
sondern zürnte ihnen auch ob ihrer Unglücksprophe-
zeiung. Auf seinen Befehl führten nun die Schergen
sogleich den ältesten der Jünglinge herbei, zerrissen ihm
die Kleider und banden ihm die Hände und Arme mit
Riemen zusammen. Dann geisselten sie ihn, und als sie
des Schlagens überdrüssig waren und nichts ausgerichtet
hatten, warfen sie den edlen Jüngling aufs Rad, streckten
ihn hier aus und verrenkten ihm den ganzen Körper.
An allen Gliedern zerbrochen, stiess er die Verwünschung
aus: „Verruchtester Tyrann, Feind der himmlischen
Gerechtigkeit, herzloser Wüterich, nicht weil ich jemand
getötet oder gegen Gott gefrevelt habe, marterst du mich
so, sondern weil ich das göttliche Gesetz beschirmte.“
232
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
Und als die Soldaten zu ihm sagten: „Entschliesse dich,
zu essen, damit du von der Folter erlöst wirst", ant-
wortete er: „Euer Rad, elende Knechte, ist nicht stark
genug, meine Vernunft zu ertöten. Zerschneidet mir die
Glieder, verbrennt mir das Fleisch, zerreisst mir die
Gelenke! An allen diesen Martern werde ich euch
zeigen, dass nur die Söhne der Hebräer im Kampfe für
die Tugend unbesiegbar sind!" Als er so sprach, zün-
deten sie Feuer unter ihm an und drückten das Rad
noch stärker zu Boden, sodass es über und über mit
Blut befleckt wurde, während die rieselnde Lymphe den
Haufen glühender Kohlen auslöschte und über die
Speichen des Marterwerkzeuges die Fleischstücke herab-
fielen. Aber obgleich dem hochherzigen und seines
Vaters Abraham würdigen Jüngling schon die Bänder
der Knochen zerschnitten waren, seufzte er nicht, sondern
hielt, als ob die Flammen ihn gegen den Untergang
gefeit hätten, tapfern Gemütes die Martern aus. „Be-
nehmt euch wie ich, Brüder,“ rief er, „verlasset mich
nicht in alle Ewigkeit, verleugnet nicht eure Verwandt-
schaft mit mir, dem Standhaften. Kämpfet den heiligen
und edlen Kampf für die Frömmigkeit, durch welche
die gerechte und bereits bei unsern Vätern wirksame
Vorsehung veranlasst wird, uns gnädig zu sein und den
schändlichen. Tyrannen zu bestrafen.“ Mit diesen Worten
hauchte der heilige Jüngling seinen Geist aus. Während
man nun allseitig seine Seelenstärke bewunderte, führten
die Schergen den Nächstjüngeren vor, legten ihm die
eisernen Hände an und befestigten ihn mit scharfen
Nägeln an der Schwinge. Und als die wilden Panther
auf die vorder Folterung an ihn gerichtete Frage, ob
er essen wolle, die gebührende Antwort erhalten hatten,
zogen sie die eisernen Hände an und rissen ihm von
den Nackenmuskeln bis zum Kinn .das ganze Fleisch
und die Kopfhaut ab. Er aber ertrug diesen Schmerz
wacker und sprach : „Wie süss ist doch jegliche Todesart
für unsere angestammte Frömmigkeit! Glaubst du nicht,
grausamster aller Tyrannen, dass du jetzt stärker ge-
Ueber die Makkabäer.
233
peinigt wirst als ich, da du sehen musst, wie die hoch-
mütigen Pläne deiner Tyrannei durch die Standhaftig-
keit, die wir unserer Religion zulieb an den Tag legen,
vereitelt werden? Denn was mich betrifft, so fühle ich
meine Leiden durch die der Tugend eigenen Freuden
gemildert; du hingegen bist mitten in deinen gottlosen
Drohungen gefoltert, abscheulichster Tyrann, wie du auch
der Strafe, die Gottes Zorn über dich verhängt, nicht
entgehen wirst."
10. Als auch dieser den ruhmvollen Tod erlitten hatte,
schleppte man den Dritten heran, der von vielen ein-
dringlich ermahnt wurde, zu essen und sich zu retten.
Er aber entgegnete ihnen: „Wisset ihr nicht, dass mich
derselbe Vater zeugte, dieselbe Mutter gebar wie die
eben Gestorbenen, und dass wir im selben Glauben er-
zogen sind? Ich werde mich nicht weigern, die edle
Zusammengehörigkeit mit meinen Brüdern zu bekennen."
Die Henker jedoch vernahmen die Worte des Jünglings
mit Unwillen, banden ihm Hände und Füsse auf die
gliederverrenkenden Maschinen und rissen sie ausein-
ander, indem sie die Knochen aus den Gelenken hoben ;
so zerbrachen sie ihm Finger, Arme, Schenkel und Ell-
bogen. Als sie ihn nun auf keine Weise einzuschüchtern
vermochten, quälten sie ihn dadurch, dass sie ihm die
Haut samt den Spitzen der Finger abzogen. Dann
legten sie ihn aufs Rad und zerstückelten ihn von den
Halswirbeln an, sodass er sein eigenes Fleisch zerfetzt
und an den Eingeweiden die Blutstropfen herabfliessen
sah. Im Begriff zu sterben aber rief er aus: „Wir, ent-
setzlicher Tyrann, ertragen diese Leiden um des gött-
lichen Gebotes und der Tugend willen ; du aber wirst
für deine Gottlosigkeit und Mordsucht unaufhörliche
Qualen erdulden müssen." Würdig seiner Brüder, gab
er sodann den Geist auf, und nun zogen sie den Vierten
herbei mit den Worten: „Geberde nicht auch du dich
so rasend wie deine Brüder.“ Er aber antwortete ihnen:
„Das Feuer, das ihr gegen mich zur Anwendung bringen
wollt, brennt nicht so gewaltig, dass es mich feige machen
234
Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
könnte. Bei dem glückseligen Tode meiner Brüder, bei
dem ewigen Verderben des Tyrannen, bei dem rühm-
lichen Leben der Frommen : ich will die Verwandtschaft
mit den Braven nicht verleugnen. Ersinne Martern,
Tyrann, damit du auch durch sie erfahrest, dass ich ein
Bruder der soeben Gepeinigten bin.“ Als dies der mord-
gierige, durch und durch ruchlose Bluthund Antiochus
vernahm, befahl er, ihm die Zunge auszuschneiden. Der
Jüngling aber sprach : „ Und wenn du mir das Werk-
zeug der Sprache raubst, Gott erhört auch die Stummen.
Sieh, ich strecke die Zunge vor; schneidet sie ab! Unsere
Vernunft wirst du ja damit nicht verstummen machen.
Mit Freuden lassen wir uns für das Gesetz Gottes die
Glieder des Körpers verstümmeln; dich aber wird binnen
kurzem Gott der Herr heimsuchen, weil du die Zunge
ausschneidest, die ihm Lohlieder sang.“
11. Kaum war auch er an den Martern gestorben,
als der Fünfte heraneilte und ausrief: „Ohne Zögern
unterwerfe ich mich der Folter, die du, Tyrann , um der
Tugend willen über uns verhängst. Freiwillig trat ich
vor, damit du, wenn auch ich deiner Hand erlegen bin,
der himmlischen Gerechtigkeit um so zahlreichere Frevel
* zu büssen hast. Du Menschenfeind und Tugendhasser,
weshalb wütest du so gegen uns? Etwa weil wir den
Schöpfer des Weltalls verehren und nach seinem vor-
trefflichen Gesetze leben? Aber dafür kommen uns Be-
lohnungen, nicht Strafen zu!“ Als er so gesprochen,
fesselten ihn die Kriegsknechte und schleppten ihn zur
Schwinge. Hier banden sie ihn auf die Knie nieder,
zwängten diese in eiserne Fussfesseln und bogen seine
Hüften über einen radformigen Keil zurück. Da er nun
hierum ganz wie ein Skorpion um ein Rad gekrümmt
war, zerbarsten ihm die Glieder. Aber obgleich ihm auf
diese Weise der Atem benommen wurde und er zu er-
sticken drohte, brachte er noch die Worte hervor:
„Gegen deinen Willen, Tyrann, erzeigst du uns einen
grossen Gefallen, indem du uns in den Stand setzest*
durch edle Schmerzen unsere Anhänglichkeit an das
Ueber dio Makkabäer.
235
Gesetz darzuthun.“ Alsdann verschied er, und nun ward
der sechste Knabe vorgeführt. Dieser entgegnete auf
die Frage des Tyrannen, ob er essen und frei sein wolle,
folgendermassen : „An Jahren bin ich jünger als meine
Brüder, doch der Gesinnung nach ebenso alt wie sie.
Zu gleichem Thun geboren und erzogen, müssen wir für
die gemeinsamen Zwecke auch in gleicher Weise sterben.
Gefällt es dir also, mich zu foltern, wenn ich die ver-
botene Speise nicht geniesse, gut, so foltere mich!“
Nach diesen Worten wurde er aufs Rad geschleppt und,
nachdem ihm dort die Glieder ausgerenkt und die Wirbel
zerbrochen waren, langsam verbrannt. Die Schergen
nämlich machten scharfe Spiesse glühend, brachten sie
an seinen Rücken, durchbohrten ihm die Seiten und ver-
sengten seine Eingeweide. Er aber rief trotz seiner
Qualen aus: „O heiliger Wettkampf, zu dem unsere
Brüderschar berufen wurde, um für den Glauben die
Folter zu bestehen, und in dem wir nicht unterlegen
sind! Denn unbesiegt, Tyrann, ist die fromme Lehre.
Mit der Tugend bewehrt, will ich wie meine Brüder
sterben; du aber, Tyrann, rufst selbst einen gewaltigen
Rächer gegen dich auf. Du Schöpfer von Foltern, Feind
aller wahrhaft frommen Menschen, wir sechs schwache
Knaben sind deiner Tyrannei Meister geworden! Denn
dass du unsere Vernunft nicht beugen und uns nicht
zum Verzehren unreiner Speise zwingen konntest, ist
das nicht gleichbedeutend mit deiner Niederlage? Deine
Flammen waren kühl für uns, deine Marterwerkzeuge
schmerzlos, deine Gewalt ohne Kraft! Uns stehen ja
nicht die Schwertträger eines Tyrannen, sondern die des
göttlichen Gesetzes zur Seite, und deshalb ist unsere
-Vernunft unüberwindlich.“
12. Als er hierauf in einen Kessel geschleudert und
selig entschlafen war, trat auch der Siebente, der jüngste
von allen, vor. Mit ihm fühlte der Tyrann Mitleid, und
obwohl er von den anderen Brüdern schwer beleidigt
worden war, liess er ihn, als er bemerkte, wie man ihm
schon die Fesseln anlegte, näher kommen und versuchte
2o6 Des Flavius Josephus kleinere Schriften.
ihm folgen dermassen zuzureden: „Du siehst das Ende
deiner thörichten Brüder ; denn wegen ihres Ungehorsams
sind sie zu Tode gemartert worden. Auch du wirst,
wenn du dich widerspenstig benimmst, schrecklich ge-
foltert werden und vorzeitig sterben. Gehorchst du aber,
so sollst du mein Freund sein und an der Leitung des
Reiches teilnehmen.“ Während dieser Ermahnungen
winkte er die Mutter des Knaben heran, um sie da-
durch, dass er ihr sein Mitleid wegen des Verlustes
so vieler Söhne bezeugte, zu veranlassen, den Übrig-
gebliebenen zum Gehorsam zu bewegen und ihn so zu
retten. Nachdem aber die Mutter, wie ich gleich er-
zählen werde, ihm in hebräischer Sprache zugeredet hatte,
rief er: „Bindet mich los, ich habe dem König und
allen seinen anwesenden Freunden etwas zu sagen.“
Antiochus und seine Umgebung, aufs höchste erfreut
über die Ankündigung des Knaben, Hessen ihm schnell
die Fesseln abnehmen. Er aber eilte zu den Pfannen,
trat ganz nahe an sie heran und sprach: „Du ruchloser
Tyrann, schändlichster aller Bösewichte, scheust du dich
nicht, nachdem du Reichtum und Herrschaft von Gott
empfangen, dessen Diener zu töten und die frommen
Bekenner zu martern? Dafür straft dich die göttliche
Gerechtigkeit mit viel heftiger und ununterbrochen
brennendem Feuer 1 und mit Foltern, die dich in alle
Ewigkeit nicht lassen werden. Trugst du, wütende Bestie,
kein Bedenken, Wesen von gleichen Gefühlen, aus den-
selben Stoffen gebildet, der Zunge zu berauben und,
nachdem du sie verstümmelt, zu Tode zu quälen? Sie
freilich sterben in edler Erfüllung ihrer religiösen Pflichten ;
du aber, Elender, wirst jämmerlich klagen, weil du die
Streiter der Tugend ohne Grund gemordet hast „Des-
halb,“ fuhr er fort, „will auch ich jetzt sterben und
hinter der V^rtrefflichkeit meiner Brüder nicht feige
zurückstehen. Zugleich aber rufe ich den Gott der
1 Vergl. hierzu die Tftlmudstellen : Ros-hasanah 17,1; Shnhedrin
DO, 2; Sabbath 113,2.
l’eber die Makkabäer.
237
Väter an, dass er unserm Volke gnädig sein, dich hin-
gegen in deinem irdischen Leben sowohl als nach dem
Tode bestrafen möge.“ Nachdem er dieses Gebet ge-
sprochen, stürzte er sich selbst in die Pfannen und gab
so den Geist auf.
13. Haben nun die sieben Brüder in der That den
grausamsten Schmerzen bis zum Tode getrotzt, so ist
dadurch völlig bewiesen, dass die fromme Vernunft über
die Triebe herrscht. Denn ebenso wie wir uns zu dem
Geständnis bequemen müssten, dass die Jünglinge ihren
Trieben unterlegen wären , wenn sie ihnen nachgegeben
und Unreines verzehrt hätten , ebenso müssen wir jetzt,
da dies nicht der Fall ist, sondern sie durch ihr ver-
nünftiges, Gott wohlgefälliges Handeln die Triebe unter-
drückten und die Herrschaft des Geistes daran erkennen
liessen, dass er über Leidenschaften und Qualen trium-
phierte, zugestehen, dass die Vernunft solcher Menschen,
die selbst durch Feuersglut nicht erschüttert wurden,
über die Triebe erhaben war. Wie nämlich Bollwerke,
die den Häfen vorgebaut sind, den drohenden Anprall
der Wogen Zurückschlagen und den in die Rhede Ein-
fahrenden einen sicheren Ankerplatz gewährleisten, so
hat die siebentürmige Vernunft der Jünglinge den Hafen
der Gottesfurcht befestigt und die zügellosen Leiden-
schaften gebändigt. Im heiligen Chor der Frömmigkeit
ermunterten sie sich gegenseitig folgendermassen : „Lasst
uns, ihr Brüder, für das Gesetz brüderlich sterben. Eifern
wir den drei Jünglingen in Assyrien nach, die sich
gleichfalls aus dem feurigen Ofen nichts machten.
Fürchten wir uns nicht, den Beweis für unsere Frömmig-
keit zu liefern!“ Der eine rief: „Bleibe mutig, mein
Bruder“, der andere: „Halte wacker stand“; ein Dritter
wies auf die Ereignisse der Vorzeit hin : „Erinnert euch,
woher ihr stammt und wer der Vater war, von dessen
Hand Isaak um der Frömmigkeit willen geschlachtet
werden sollte.“ Alle aber schauten strahlenden Antlitzes
und mit hohem Mut erfüllt einander an und sprachen ;
„Von ganzem Herzen wollen wir uns weihen Gott dem
238
Des F1&T1U9 Josephus kleinere Schriften.
Herrn, dem Schöpfer der Seelen, und mit unseren Leibern
einen Schutzwall um das Gesetz bilden. Fürchtet euch
nicht vor dem, der scheinbar unsere Körper tötet; denn
wer Gottes Gebot Übertritt, dessen Seele setzt sich der
grossen Gefahr aus, in ewiger Qual verharren zu müssen.
Waffnen wir uns also mit der die Triebe beherrschenden
göttlichen Vernunft. So nämlich werden, wenn wir aus
dem Leben geschieden sind, Abraham, Isaak und Jakob
uns in ihren Schoss aufnehmen und alle Väter uns
preisen.“ Und jedem einzelnen Bruder, der von ihnen
weggerissen wurde, riefen die anderen zu: „Beschäme
uns nicht, Bruder, und täusche nicht unsere schon dahin-
gerafften Brüder. Ihr kennt ja recht gut die Ureachen
der brüderlichen Liebe, welche die all weise Vorsehung
Gottes den Kindern durch die Väter zuteil werden liess
und durch den Mutterleib einpflanzte: in letzterem wohnen
die Brüder gleich lange Zeit; sie werden in derselben
Zeit gestaltet, durch dasselbe Blut ernährt, durch die-
selbe Lebenskraft vollendet, nach Ablauf derselbeh Zeit
geboren, und sie schöpfen ihre Milch aus denselben
Quellen , von denen die einander liebenden Seelen an
der gleichen Mutterbrust getränkt werden ; auch gewinnen
sie gar sehr durch die gemeinsame Erziehung, das täg-
liche Beisammensein, die sonstige Bildung und Übung
im Gesetze Gottes.“ Indem die sieben Brüder in dieser
Weise ihre gegenseitige Zuneigung betonten, schlossen
sie sich immer fester aneinander an. Denn nachdem sie
unter dem gleichen Gesetz erzogen waren, die gleichen
Tugenden geübt hatten und in Gerechtigkeit mitsammen
gross geworden waren, liebten sie sich jetzt nur um so
mehr. Der Wetteifer in der Tugend erhöhte ja ihre
gegenseitige Übereinstimmung, weil einer des anderen
Liebe durch Frömmigkeit noch stärker entfachte. Aber
obwohl ihr Zusammenleben und ihre Gewöhnung an die
Tugend den Trieb zur Bruderliebe selbst über die Natur
hinaus bei ihnen vermehrte, hielten doch die Übrig-
bleibenden um der Frömmigkeit willen den Anblick
ihrer gequälten und bis zum Tode gemarterten Brüder
Ueber die Makkabäer.
209
aus. Ja, sie drängten sich sogar zur Folterung, sodass
sie nicht allein die Schmerzen verachteten, sondern auch
die Aufwallungen brüderlicher Liebe bemeisterten.
14. O Vernunft, königlicher als Könige, freier als
Freie! O heilige, harmonische Übereinstimmung der
sieben Brüder in der Frömmigkeit ! Niemand von ihnen
zitterte, niemand bebte vor dem Gang zum Tode, sondern
sie alle eilten zur Marterbank, als ob sie den Weg zur
Unsterblichkeit einschlügen. Denn wie Hände und Füsse
übereinstimmend nach den Befehlen der Seele sich be-
wegen, so wurden jene heiligen Knaben durch die un-
vergängliche Frömmigkeit wie durch eine einzige Seele
angetrieben, für ihre religiöse Überzeugung zu sterben.'
O heilige Siebenzahl gleichgesinnter Brüder ! Denn wie
die Schöpfungstage um die Sieben, so bewegten sich die
Knaben im Kreise um die Frömmigkeit 1 und lösten so
die Furcht vor dem Martertode. Wir freilich schaudern,
wenn wir die Misshandlung jener Jünglinge erfahren;
sie aber, die nicht allein von der Peinigung hörten,
sondern auch die augenblickliche Ausführung der Drohung
sahen, priesen sich glücklich, da sie wegen ihrer Stand-
haftigkeit im Ertragen von Leiden, insbesondere von
Feuerqualen, Bewunderung erregten. Und was könnte
es auch schmerzlicheres geben als Flamraenpein? Denn
des Feuers Macht, scharf und schneidend, vernichtete
ihre Leiber im nu. Und doch kann es nicht wunder
nehmen, dass die Vernunft jener Männer in den Qualen
die Oberhand behielt, wenn sogar der Geist einer Frau
sich über viel mannigfaltigere Schmerzen hinwegsetzte.
Ertrug doch die Mutter der sieben Jünglinge die jedem
einzelnen ihrer Kinder auferlegte Pein. Richtet euer
1 Nach dem Vorschläge Freudenthals vertausche ich euozßetav
und eßöojxdSa, wodurch sich für die überaus schwierige Stelle obiger
Sinn ergiebt. Die Schöpfungstage kreisen ewig um die Sieben, d. li.
sie folgen aufeinander in immer gleichen Kreisen von sieben Tagen,
deren Mittelpunkt der siebente Tag ist, und so bewegten sich die
sieben Jünglinge um die Frömmigkeit Als ihren Mittelpunkt (s.
Freudenthal, a. a. O. S. 164 f.).
240
Des Flavias Josephus kleinere Schriften.
Augenmerk darauf , wie verbreitet die innige Liebe zu
den Kindern ist, die alle Geschöpfe zum Mitgefühl mit
ihrer Leibesfrucht veranlasst: denn auch die unver-
nünftigen Tiere hegen die nämliche Sorgfalt und Zu-
neigung für ihre Jungen, wie die Menschen. Zahme
Vögel beschützen ihre Brut, indem sie sich auf den
Dächern der Häuser ansiedeln ; andere gebären , nach-
dem sie sich auf Bergeshöhen oder in den Abhängen der
Schluchten oder in Höhlen und Wipfeln der Bäume ein-
genistet haben, und suchen jeden Näherkommenden ab-
zuwehren. Ist ihnen aber das letztere nicht möglich, so
umflattern sie die Jungen in schmerzlicher Sorge, rufen
mit der ihnen eigentümlichen Stimme den Bedrängten
zu und trachten ihnen auf diese Weise nach Möglich-
keit zu helfen. Doch was bedarf es, um das Vor-
handensein elterlicher Zuneigung zu den Sprösslingen
nachzuweisen , der Beispiele von weniger intelligenten 1
Tieren? Schaut auf die Bienen, wie sie um die Zeit der
Honigbereitung jeden Störenfried angreifeu, mit ihrem
Stachel wie mit einem Schwerte diejenigen verwunden,
welche sich der Brut nähern, und bis zum Tode kämpfen.
Aber die an edler Gesinnung dem Abraham gleichende
Mutter der Jünglinge liess sich von dem Mitgefühl mit
ihren Söhnen nicht beugen.
15. Ja, die Vernunft ist Herrin über die Leiden-
schaften, und die Gottesfurcht jener Mutter überwog die
Liebe zu den Kindern. Sie konnte wählen zwischen
der Frömmigkeit und der zeitlichen Rettung ihrer sieben
Söhne gemäss dem Versprechen des Tyrannen, und sie
zog die Frömmigkeit vor, die zum ewigen Leben führt
im Gehorsam gegen Gott. O, wie soll ich die zärtlichen
Gefühle der Eltern für ihre Kinder schildern? Diese
Gefühle prägen dem kleinen Wesen des Kindes auf
wunderbare Weise die Gleichheit der Seele und der Ge-
stalt ein, hauptsächlich deshalb, weil die Mütter grösseres
Mitgefühl mit den Kindern hegen wie die Väter. Denn
1 Diese Bedeutung hat hier offenbar das Wort aXoyos.
Ueber die Makkabäer.
241
weil die Mütter weit schwächere und liebebedürftigere
Seelen haben, ist ihre Zuneigung zu den Kindern um
so grösser. Mehr als alle anderen Mütter aber liebte die
Mutter jener sieben Jünglinge ihre Kinder, da die
sieben Schwangerschaften ihr die Liebe zu denselben
notwendigerweise einpflanzen und die vielen Schmerzen,
die sie um jeden einzelnen erduldet hatte, ihr be-
sonderes Mitgefühl für die Söhne wecken mussten —
und doch schätzte sie aus Gottesfurcht die zeitliche
Kettung der Kinder gering. Übrigens bewirkten die
vortrefflichen Eigenschaften und besonders die Gesetzes-
treue der Jünglinge, dass die Liebe der Mutter zu ihnen
sich noch steigerte. Denn sie waren gerecht, mässig,
edelmütig, liebevoll gegeneinander, und ihrer Mutter so
zugethan, dass sie sogar bis zum Tode in der Beob-
achtung des Gesetzes ihr gehorchten. Aber obwohl sich
so manches ereignete, das bei der liebenden Mutter
Mitgefühl erregen musste, konnten doch die verschieden-
artigsten Martern der sämtlichen Jünglinge ihre Ver-
nunft vom rechten Wege nicht ablenken ; vielmehr er-
mahnte sie jeden einzelnen der Söhne und dann auch
alle miteinander, für die Frömmigkeit in den Tod zu
gehen. O heilige Natur, Bande des Blutes, sinnige Zärt-
ligkeit, edle Erziehung, unbezwingliche Mutterliebe!
Einen ihrer Söhne nach dem anderen sah die Mutter
den Flammen preisgegeben, und doch blieb sie stand-
haft um des Glaubens willen; sie sah, wie das Fleisch
ihrer Kinder im Feuer schmolz, wie die Zehen und
Finger zuckend am Boden lagen, wie die Muskeln
vom Nacken bis zum Kinn gleich einer Maske zutage
traten. Jetzt, arme Mutter, erfuhrst du ihretwegen
grössere Schmerzen, als du bei ihrer Geburt ausgestanden
hattest. Du bist das einzige Weib, das die vollendete
Frömmigkeit zur Welt brachte! Dich erschütterte nicht
der sterbende Erstgeborene, nicht der Zweite, der in
vseinen Martern kläglich dich anschaute, nicht der Dritte,
als er seinen Geist aufgab; dich machte es nicht wankend,
als du sehen musstest, wie sie der Reihe nach in ihren
Josepbus, KlelnörbS^tÄ - »»«^.
242 Des tflavius Josephus kleinere Schriften.
Qualen die Henker anstarrten und ihre verfallenen Züge
den nahen Tod verkündeten. Nicht jammertest du, als
du das Fleisch deiner Kinder versengt, ihre abge-
schnittenen Hände und Köpfe auf ein anderliegend, eine
Leiche über die andere fallend erblicktest; und als du
den Platz mit den Überresten deiner gefolterten Söhne be-
deckt sahst, vergossest du keine Thräne. Die Gesänge
der Sirenen, die Stimmen der Schwäne machen auf die
Zuhörer keinen solchen Eindruck, wie die Rufe der
gepeinigten Kinder auf die Mutter. Wie oft und wie
sehr wurde da, als die Söhne mit Rad und Feuer ge-
martert wurden, auch die Mutter gequält! Aber die
fromme Vernunft stärkte mitten in den Gemütsbewegungen
ihr Herz und bewog sie, die Mutterliebe für jetzt zu
unterdrücken, obwohl sie den Tod ihrer sieben Kinder
und die grässliche Mannigfaltigkeit der Martern mit
ansehen musste. Das alles überwand die edle Mutter
im Vertrauen auf Gott. Und wenn sie auch in ihrer
Seele wie zur Ratssitzung vereint eine Anzahl mächtiger
Räte hatte, die Natur, die Verwandtschaft, die Mutter-
liebe, die Folterung der Söhne, und dabei über zwei
Beschlüsse hinsichtlich ihrer Kinder verfügte, einen tod-
bringenden und einen rettenden, so stimmte sie dennoch
nicht für die zeitliche Rettung ihrer Söhne, sondern gedachte
des gottesfürchtigen Mutes, den ihr Vater Abraham be-
wiesen hatte. O Mutter des Volkes, Rächerin des Ge-
setzes, Beschützerin der Frömmigkeit, preisgekrönte
Siegerin im Kampf der Gefühle ; du Weib, starkmütiger
als Männer, tapferer und ausdauernder als Helden ! Denn
wie die Arche des Noe bei der allgemeinen Über-
schwemmung, die Welt in sich tragend, mutig dem An-
prall der Wogen standhielt, so hast auch du, Wächterin
des Gesetzes, obwohl rings von der Brandung der Leiden-
schaften umtost und von heftigen Winden, den Martern
der Söhne, geschüttelt, aus Gottesfurcht wacker dem
Sturme getrotzt.
16 . Wenn nun sogar ein Weib und dazu noch eine
bejahrte Mutter von sieben Kindern den Anblick ihrer
Go gle
Ueber die Makkabker. 243
zu Tode gemarterten Söhne ertrug, dann ist gewiss die
fromme Vernunft Beherrcherin der Triebe. Ich habe
also gezeigt, dass nicht bloss Männer über die Affekte
erhaben waren, sondern auch eine Frau die grössten
Qualen für nichts achten konnte. Waren doch die
um Daniel lagernden Löwen 1 nicht so wild, und der
für Misael entfachte Ofen 2 nicht so schrecklich glühend,
wie die natürliche Liebe zu den Kindern jene Heldin
verzehrte, die ihre sieben Söhne so vielfach gemartert
sah. Aber durch dH fromme Vernunft erstickte die
Mutter ihre so zahlreichen und heftigen Gemütsbewegungen.
Es muss auch beachtet werden, dass, wenn die Frau
zaghaft gewesen wäre, sie als Mutter ihre Kinder wenigstens
bejammert haben würde. Vielleicht hätte sie dann so
gesprochen: „O ich Elende und tief Unglückliche, die
ich sieben Söhne geboren habe und nun die Mutter
von keinem bin! Zwecklos die sieben Empfängnisse,
unnütz die sieben Schwangerschaften , vergeblich die
mühsame Ernährung, unheilbringend die milchspendende
Brust! Umsonst ertrug ich euretwegen, ihr Kinder,
grosse Schmerzen und die noch schwereren Sorgen der
Erziehung. Denn ach, von meinen Söhnen sind die
einen unvermählt, die anderen nutzlos verheiratet. Ich
soll eure Kinder nicht sehen, nicht ,als Grossmutter
glücklich gepriesen werden. Fürwahr, beklagenswert bin
ich, die Mutter so vieler und edler Söhne, da ich jetzt
verlassen und allein stehe! Und wenn ich gestorben
bin, werde ich keinen Sohn haben, der mich begräbt!“
Aber in derartigen Wehklagen erging sich die heilige
und gottesfürchtige Mutter keineswegs; auch verleidete
sie so wenig einem ihrer Söhne den Gang zum Tode,
dass sie sich sogar der Trauer über die Gestorbenen ent-
hielt Vielmehr ermähnte sie, als wäre ihr Geist von
Erz und als leitete sie die Schar ihrer Kinder zur Un-
sterblichkeit, die Teuren flehentlich, für ihre religiöse
Überzeugung den Tod auf sich zu nehmen.
1 Daniel 6, W ff. 3 Daniel 3.
1 «*
244
Des Flavius Josephns kleinere Schriften.
Ja, diese Mutter war ihrer Frömmigkeit wegen eine
erprobte Gottesstreiterin, sie besiegte mit der Ausdauer
des Weibes den Tyrannen, sie wurde in Tbat und Wort
kräftiger als ein Mann erfunden! Denn als du mit
deinen Kindern ergriffen wurdest, standest du im Anblick
der Marter Eleazars und riefst deinen Söhnen in hebrä-
ischer Sprache zu: „Meine Kinder, das ist ein edler
Kampf; zu ihm seid ihr berufen, um für euer Volk
Zeugnis zu geben; streitet deshalb mutig für das väter-
liche Gesetz. Es wäre ja schimpflich, wenn dieser Alte
um der Frömmigkeit willen die Qualen aushielte, ihr
aber als starke Jünglinge davor zurückbebtet. Erinnert
euch, dass ihr durch Gottes Gnade die Welt betreten
habt und euch des Lebens erfreuen durftet Sonach
müsst ihr eben um Gottes willen jede Pein ertragen.
Für ihn eilte auch unser Vater Abraham seinen Sohn
Isaak zu schlachten, der eines Volkes Ahnherr werden
sollte, und Isaak erschrak nicht, als er die schwert-
bewaffnete Hand des Vaters auf sich niederzucken sah.
Daniel der Gerechte ward den Löwen vorgeworfen,
Ananias, Azarias und Misael wurden in den feurigen
Ofen geschleudert — und sie harrten aus um Gottes
willen. Und ihr, die ihr das gleiche Gottvertrauen hegt,
wollet nicht betrübt sein; denn es ist unvernünftig, dass
frommsinnige Menschen den Leiden erliegen sollten.“
Solche Ermahnungen richtete die Mutter an jeden ihrer
Söhne und beschwor sie, lieber zu sterben als den Be-
fehl Gottes zu übertreten, zumal sie wüssten, dass alle,
die um Gottes willen gestorben seien, in Gott weiter
lebten, wie Abrabam, Isaak und Jakob und alle anderen
Patriarchen.
17. Einige von den Kriegsknechten erzählten übrigens,
die Mutter habe, als auch sie zum Tode geführt werden
sollte, sich selbst in die Flammen gestürzt, damit niemand
ihren Leib berühre. 1 O edle Frau, die in Gemeinschaft
1 Auch der Talmud (Abodah Sarah 18, 1) berichtet, die Mutter
habe sich selbst getötot, während das 2. Makkabäerhuch (7, 41) nur
kurz sagt: Zuletzt starb auch die Mutter der Jünglinge.
Ueber die Makkabäer.
245
mit ihren sieben Söhnen die Gewalt des Tyrannen
brach, seine verruchten Anschläge zunichte machte und
echten Glaubensmut bewies! Wie ein Dach auf Säulen,
so hast du, auf deine Kinder gestützt und ohne zu
wanken, den Stürmen der Folterung widerstanden. Sei
also voll Zuversicht, heilige Mutter, da du für deine
Ausdauer eine feste Hoffnung bei Gott hast! Nicht
steht so erhaben der Mond mit den Sternen am Himmel,
wie du deshalb, weil du deine sternengleichen Söhne
strahlend zur Frömmigkeit geführt, bei Gott hohe Ehre
geniessest und mit ihnen im Himmel ewig lebst . 1 Vom
Erzval er Abraham stammten ja die Deinen ab. Könnten
wir die Geschichte dieser Frömmigkeit in einem Gemälde
darstellen, wie würden wir da bei dem Anblick der
Mutter schaudern, die von dem peinvollen Bekennertod
ihrer sieben Kinder nicht erschüttert wird! Und recht
wäre es gewesen, dem Volke zum Gedächtnis auf das
Grabmal die Inschrift zu setzen:
HIER RUHEN EIN GREISER PRIESTER,
EINE MATRONE UND SIEBEN JUENG-
LINGE, GETOETET DURCH EINES TY-
RANNEN GEWALT, DER DIE VER-
FASSUNG DER HEBRAEER ZERSTOE-
REN WOLLTE. SIE HABEN IHR VOLK
VERTEIDIGT, INDEM SIE AUF GOTT
SCHAUTEN UND BIS IN DEN TOD
ALLE MARTERN ERTRUGEN.
In der That war der Kampf, den sie ausfochten, ein
göttlicher. Die nach der Standhaftigkeit urteilende Ver-
nunft war Preisrichterin , der Gewinn unvergängliches,
ewiges Leben. Als Vorkämpfer trat Eleazar auf; um
die Wette mit ihm rang die Mutter der sieben Jüng-
1 Wörtlich: zum Stern geworden bist (ri<mpiaou), Freudentbal
allerdings will fa. a. O. S. 70) diese Lesart nicht gelten lassen, sondern
£<rcr.pt<Jai oder eonipi£ai schreiben.
246
Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften.
linge; die Brüder stritten, gegen sie stritt der Tyrann ;
die Welt und die Menschheit schauten zu; die Gottes-
furcht siegte und bekränzte ihre Kämpfer. Wer be-
wunderte nicht die Streiter des göttlichen Gesetzes?
Und wen erfüllte ihr Anblick nicht mit staunendem
Schrecken ? Der Tyrann selbst und sein ganzer Rat
hegten ja die grösste Achtung vor ihrer Standhaftigkeit,
um deretwillen sie jetzt am Throne Gottes stehen und
die selige Ewigkeit leben. Sagt doch schon Moyses:
„Und alle, die sich heiligen, sind unter deiner Hand.“ 1
So fanden auch sie, die sich für Gott heiligten, die ver-
diente Ehre, nicht allein in der Belohnung, die sie jetzt
erlangten, sondern auch darin, dass durch sie die Feinde
der Nation zurückgedrängt, der Tyrann bestraft und
das Vaterland entsühnt wurde, indem sie gleichsam als
Versöhnungsopfer sich darbrachten für die Sünden des
Volkes. Durch das Blut jener Frommen und das Sühn-
opfer ihres Todes rettete die göttliche Vorsehung das
bis dahin hart bedrängte Israel. Der Tyrann Antiochus
aber, 2 der sich von dem Heldenmut der Braven und
ihrer Ausdauer bei der Folterung mit eigenen Augen
überzeugt hatte, liess ihre Standhaftigkeit seinen Soldaten
als Muster verkünden, wodurch er diesen Ehrgefühl und
Tapferkeit für die Feldschlacht sowohl als für den Be-
lagerungskrieg beibrachte und alle seine Feinde völlig
niederwarf. O Söhne Israels, Abkömmlinge von Abra-
hams Geschlecht, folget diesem Gesetz und lebet gottes-
fürchtig in jeder Hinsicht, da ihr erkennt, dass die
fromme Vernunft Herrin ist über die Gemütsbewegungen
und nicht allein über die inneren, sondern auch über
die von aussen kommenden Schmerzen.
18. Dafür, dass jene Edlen um der Frömmigkeit
willen ihren Körper der Peinigung hingaben, wurden
sie nicht nur von den Menschen bewundert, sondern
1 3. Mos. 10, 3.
a Das an dieser Stelle ganz unverständliche yap ist durch & za
ersetzen.
Ueber die Makkabäer.
247
auch des Lebens bei Gott gewürdigt; durch sie erhielt
das Volk Frieden und vertrieb seine Feinde, nachdem
das Gesetz im Vaterlande wieder zur Geltung gebracht
war. Der Tyrann Antiochus aber wurde, wie ihn nach
seinem Tode die Vergeltung trifft, so auch hinieden schon
bestraft. Denn als er auf keine Weise die Jerusalemiten
zur Annahme fremder Gebräuche und zum Verlassen
der väterlichen Sitten zu zwingen vermochte, brach er
von Jerusalem auf und zog gegen die Perser zu Felde . 1
Die Mutter der sieben Jünglinge, jene gerechte Frau,
sprach übrigens zu ihren Kindern noch folgendes: „Ich
war ein keusches Mädchen und überschritt nicht die
Schwelle des väterlichen Hauses, sondern hütete die
Mauern der Wohnung. Nicht verdarb mich auf dem
Felde 2 die böse Verführerin Einsamkeit, noch zerstörte
die schlimme, betrügerische Schlange die Heiligkeit meiner
Jungfrauschaft. Die Zeit meiner Blüte verlebte ich mit
meinem Manne; doch als ihr heranwuchset, starb der
Vater, zufriedenen Sinnes, denn er war reich mit Kindern
gesegnet und brauchte nicht zu klagen, dass er vereinsamt
geblieben sei. Während er noch unter uns weilte, lehrte
er uns das Gesetz und die Propheten. Er las uns, wie
Kain den Abel tötete, wie Isaak geopfert werden sollte,
wie Joseph im Kerker schmachtete; er erzählte uns von
dem Eiferer Phinees , 3 unterwies uns über die Männer
im feurigen Ofen, Ananias, Azarias und Misael, und er-
klärte uns seine Meinung über Daniel in der Löwen-
grube, den er glücklich pries. Ferner machte er uns
bekannt mit der Schrift des Esai'as, in der es heisst:
„Und wenn du auch durch Feuer gehst, die Flamme
wird dich nicht verbrennen .“ 4 Dann sang er uns den
Hymnendichter David, welcher spricht: „Zahlreich sind
die Leiden der Gerechten, und aus allen wird der Herr
1 In diesem Feldzug erlag er einer qualvollen Krankheit (sieho
2. Makk. 9 ; Jüd. Altert. X II, 9, 1).
2 5. Mos. 22, 25.
8 4. Mos. 25, 7 ff.
4 Jesaias 43, 7.
Go gle
248
Des Plavius Josephus kleinere Schrif ten.
sie erretten,“ 1 und erwähnte den Spruch Solomons : „Der
Baum des Lebens gehört allen, die seinen Willen thun.“ 2
Auch den Jezekiel lehrte er uns kennen, der da sagt:
„Werden diese dürren Gebeine wieder aufleben?“ 3 —
und des Gesanges vergass er nicht, den Moyses ver*
kündete mit den Worten: „Ich werde töten und lebendig
machen, dies ist euer Leben und die Länge der Tage.“ 4
0 wie schrecklich und auch wieder nicht schrecklich
war der Tag, da der grausame Griechen ty rann Feuer
unter den Marterkesseln anzünden und mit wildem Grimm
die sieben Söhne der Abraham stochter zu der Schwinge
und allen übrigen Foltern schleppen, ihre Augensterne
blenden, ihre Zunge ausschneiden und sie unter mannig-
fachen Qualen töten liess! Dafür hat die göttliche Ge-
rechtigkeit den Mörder getroffen und wird ihn fürder noch
treffen. Die Kinder Abrahams hingegen sind mit dem
greisen Eleazar und ihrer siegreichen Mutter dem Chor
der Väter beigesellt; denn heilige und unsterbliche Seelen
haben sie empfangen von Gott, der gepriesen sei in afte
Ewigkeit. Amen.
1 Paalen 34, 20.
2 Sprüche Sul. 3, IS.
8 Ezech. 37, 3.
4 b. Mos. 80, 20.
^ Halle a. 8., Druck vou Otto Heiulel.
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