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Full text of "Flavius Josephus Werke: Altertümer, Krieg, Apion, Leben. Übersetzt von Heinrich Clementz"

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Des Flavius Josephus 

kleinere Schriften 

(Selbstbiographie — Gegen Apion — 

Über die Makkabäer). 


Übersetzt und mit Anmerkungen versehen 


Dr. Heinrich Clementz. 



Halle a. d. S. 

Verlag von Otto Hendel. 


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NEW YORK PUBLIC LIBRARY 






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NEW YORK PUBLIC LIBRARY 



Des Flavius Josephu 
Selbstbiographie. 



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Vorbemerkung. 

Die Selbstbiographie schrieb Josephus, um sich gegen 
die Beschuldigungen zu verteidigen, welche Justus von 
Tiberias 1 und andere gegen ihn erhoben hatten. Man 
warf ihm nämlich vor, eine Reihe von Thatsachen, zumal 
solche, die seine Statthalterschaft in Galilaea betrafen, 
wissentlich verschwiegen oder verfälscht zu haben. Justus 
von Tiberias- insbesondere hatte wie Josephus eine Ge- 
schichte des Jüdischen Krieges 2 3 herausgegeben und darin 
seine Angriffe gegen den Befehlshaber von Galilaea ver- 
öffentlicht. Dieses Werk ist nicht auf uns gekommen; 
wir vermögen deshalb nicht zu sagen, wie der Verfasser 
seine Anklagen zu beweisen versucht hat. Einige der- 
selben müssen wohl nicht ganz unbegründet gewesen sein 
was daraus hervorgeht, dass der mittlere, wichtigste Teil 
der Selbstbiographie, der vornehmlich der Widerlegung 

1 Vergl. über ihn : Creuzer, Studien und Kritiken, 1853, S. 57 — 59, 

und besonders: Bärwald, Flavius Josephus in Galilaea etc., S. 20 — 26. 
Die letztere Schrift giebt übrigens einen dankenswerten Kommentar 
zur Selbstbiographie des Josephus, wenn man sich auch mit den 
darin enthaltenen Ausführungen Uber Agrippa II., Joannes von Gischala 
und Josephus (letzterer wird schlankweg als Verräter gebrandmarkt) 
nicht durchgängig einverstanden erklären kann. 

3 Als Teil seines Gesamtwerkes: IIep\ ’IouSouüjv ßaatXecov ttov ev 
rote «m’pfiaaiv (Ueber die gekrönten Könige der Juden). Dass Justus 
ausser dieser Chronik, die bis Trajan reichte, noch eine besondere 
Geschichte des Jüdischen Krieges verfasst habe, wie Müller (Des 
Fl. Jos. Schrift gegen den Apion, S. 6) annimmt, ist eine durch nichts 
bestätigte Vermutung. Photius (9. Jahrh. n. Chr.) , dem die Chronik 
noch Vorgelegen hat, hezeiebnet deren Stil als kurz und gedrängt, 
fügt aber hinzu, Justus habe eine Menge der wichtigsten Begeben- 
heiten übergangen und namentlich in Bezug auf den Krieg der Römer 
gegen die Juden und die Zerstörung Jerusalems erdichtetes Zeug 
vorgebracht (Phot. bibl. cod. 33). 



dienen sollte, in merklicher Aufregung und stellenweise 
sogar in offenkundiger Verlegenheit geschrieben ist. 

Dem Zweck der Biographie entsprechend ist der in 
diesem mittleren Teil behandelte Lebensabschnitt, weil 
er sich auf die Statthalterschaft in Galilaea bezieht, am 
ausführlichsten geschildert, und so mag die Schrift nicht 
unpassend als Anhang zur Geschichte des Jüdischen 
Krieges aufgefasst werden. 

Was die Zeit betrifft, in der das Werkchen geschrieben 
wurde, so ergiebt sich aus Abschnitt 66, wo der 101 
n. Chr. erfolgte Tod Agrippas II. vorausgesetzt wird, dass 
die Abfassung erst nach diesem Ereignis, also im Jahre 
102 oder 103 n.Chr. stattgefunden hat. 

Im übrigen ist die flott geschriebene Biographie ohne 
weitere vorgängige Erläuterungen verständlich. 



1. Ich habe einen Stammbaum aufzuweisen, der nicht 
unberühmt ist, sondern bis in die ältesten Priester- 
familien zurückreicht. Bekanntlich gründet sich der 
Adel bei dem einen Volk auf diese, bei dem anderen 
auf jene Voraussetzung, und so wird bei uns als Kenn- 
zeichen vornehmer Geburt die Zugehörigkeit zur Priester- 
schaft angesehen. Übrigens leite ich meine Abstammung 
nicht nur aus priesterlichem Geschlecht, sondern — was 
viel besagen will — sogar aus der ersten der vierund- 
zwanzig Klassen und zwar aus der vornehmsten Familie 
derselben her. Mütterlicherseits bin ich auch könig- 
lichem Geblüt entsprossen; denn die Asamonäer, die 
Vorfahren meiner Mutter, sind während eines beträcht- 
lichen Zeitraumes Hohepriester und Könige unseres Volkes 
gewesen. Mein Stammbaum ist folgender: Mein Urahn 
Simon mit dem Beinamen Psellos lebte um die Zeit, als 
ein Sohn des Hohepriesters Simon, derselbe, der zuerst 
unter den Hohepriestern den Namen Hyrkanus trug, 
das hohepriesterliche Amt bekleidete. Simon Psellos hatte 
neun Söhne. Einer von diesen, Matthias, des Ephlias 
Sohn genannt, heiratete die Tochter des Hohepriesters 
Jonathas, der zuerst von den Asamonäern die Hohe- 
priesterwürde an sein Haus brachte und dessen Bruder 
Simon gleichfalls Hohepriester war, und erhielt von ihr 
im ersten Jahre der Regierung des Hyrkanus einen Sohn, 
Matthias mit dem Beinamen „der Bucklige.“ Des letzteren 
Sohn war Joseph, geboren im neunten Regierungsjahre 
Alexandras, und von Joseph ward im zehnten Jahre der 
Regierung des Königs Archelaus Matthias gezeugt. Der Sohn 



8 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


dieses Matthias bin ich selbst, geboren im ersten Jahre der 
Herrschaft des Caesars Gajus. Ich habe wiederum drei 
Söhne, von denen der älteste, Hyrkanus, im vierten, 
Justus im siebenten, und Agrippa im neunten Jahre der 
Regierung des Imperators Vespasianus das Licht der 
Welt erblickte. Indem ich so meinen Stammbaum, wie 
ich ihn in den amtlichen Urkunden vorfand, veröffent- 
liche, sehe ich mit Verachtung auf diejenigen hinab, die 
mich verleumden wollen. 

2. Mein Vater Matthias war aber nicht bloss um 
seines Adels, sondern noch mehr um seiner Gerechtigkeit 
willen ein hervorragender Mann und deshalb in unserer 
Hauptstadt Jerusalem allgemein geachtet. Mit meinem 
leiblichen Bruder Matthias gemeinsam erzogen, eignete 
ich mir einen hohen Grad von Bildung an, und man 
glaubte von mir, dass ich die anderen an Gedächtnis 
und Verstand überträfe. So kam es, dass ich schon als 
Knabe von etwa vierzehn Jahren meiner Wissbegierde 
wegen von jedermann gelobt wurde, und dass selbst die 
Hohepriester und Vornehmen der Stadt mich besuchten, 
um eine besonders gründliche Auslegung des Gesetzes 
von mir zu erfahren. Im Alter von sechzehn Jahren 
fasste ich den Entschluss, unsere Sekten zu prüfen, deren 
es, wie ich des öfteren 1 auseinandergesetzt habe, drei 
giebt: Pharisäer, Sadducäer und Essener. Ich glaubte 
nämlich dadurch die beste herausfinden zu können, dass 
ich sie alle kennen lernte. Unter harten Abtötungen 
und zahlreichen Mühseligkeiten durchlief ich die drei 
Sekten, und als ich dann meinen Wissensdrang noch immer 
nicht für befriedigt hielt, wurde ich der eifrige Schüler 
eines gewissen Banus, der, wie ich vernahm, in der 
Wüste lebte, Kleider von Baumrinde trug, wildwachsende 
Kräuter ass und zur Reinigung sich öfters am Tage wie 
in der Nacht mit kaltem Wasser wusch. Bei ihm brachte 
ich drei Jahre zu und kehrte, nachdem meine Absicht 
erreicht war, in die Stadt zurück. Im neunzehnten 


1 J. A. XIII, 5, 9 ; Jüd. Krieg II, 8. 



Selbstbiographie. 


0 


Lebensjahre begann ich dann die öffentliche Laufbahn als 
Anhänger der Pharisäersekte, welche den griechischen 
Stoikern nahe kommt. 1 

3. Mit dem vollendeten sechsundzwanzigsten Lebens- 
jahr unternahm ich eine Reise nach Rom aus folgender 
Veranlassung. Um die Zeit, als Felix Landpfleger von 
Judaea war, 2 liess derselbe einige mir sehr befreundete 
Priester, wackere und ehrenwerte Männer, einer ganz 
unbedeutenden Ursache wegen verhaften und schickte sie 
nach Rom, wo sie sich vor dem Caesar verantworten 
sollten. In der Absicht nun, zu ihrer Befreiung das 
meinige beizutragen, besonders aber, weil ich erfuhr, dass 
sie auch im Unglück die Ehrfurcht gegen Gott nicht 
ausser acht liessen und sich von Feigen und Nüssen 
ernährten, fuhr ich nach Rom, hatte aber zur See schwere 
Gefahren zu bestehen. Unser Schiff nämlich sank mitten 
auf dem Adriatischen Meere unter, und wir mussten, 
fast sechshundert an der Zahl, die ganze Nacht hindurch 
schwimmen. Endlich gegen Tagesanbruch kam uns durch 
Gottes Fürsorge ein Fahrzeug aus Kyrene zu Gesicht, 
in welches ich nebst einigen anderen, die den übrigen 
vorausgeschwommen waren, im ganzen etwa achtzig, auf- 
genommen wurde. So ward ich gerettet und kam nach 
Dikaearchia, welches die Italiener Puteoli nennen und 
wo ich bei Aliturus gastliche Aufnahme fand. Dieser 
Mann, ein geborener Jude, war Schauspieler und stand 
bei Nero in hoher Gunst. Durch ihn wurde ich mit der 
Gemahlin des Caesars, Poppaea, bekannt und trug ihr 
nun sogleich die Bitte um Freilassung der Priester vor. 
Sie gewährte mir denn auch diese Gnade, und nachdem 
ich obendrein noch reichlich von ihr beschenkt worden 
war, kehrte ich nach Hause zurück. 

4. Hier fand ich das Feuer des Aufruhrs schon am 
glimmen und musste die Wahrnehmung machen, dass 


1 Der stoische Monotheismus war aber in Wirklichkeit Pan- 
theismus, und zwar ein recht materialistisch gefärbter. 

2 53—61 n.Chr. 



10 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

gar viele sich mit dem verwegenen Plane trugen, von 
den Römern abzufallen. Ich versuchte nun die Empörer 
zu beschwichtigen und auf andere Gedanken zu bringen, 
indem ich ihnen vorstellte, mit wem sie es aufnehmen 
wollten und dass sie den Römern nicht nur an Kriegs- 
erfahrung, sondern auch an Glück nachstehen würden: 
sie möchten daher nicht so leichtfertig und sinnlos über 
Vaterland, Familie und sich selbst die äusserste Gefahr 
herauf beschwören. So sprach ich und drang eifrig in 
sie, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, weil ich 
voraussah, dass der Krieg für uns in der schrecklichsten 
Weise enden würde. Glauben aber fand ich nicht» 
denn der Wahnsinn der Verzweifelten überstieg alles 
Mass. 

5. Schliesslich musste ich fürchten, durch derartige 
Reden den Hass der Menge sowie den Argwohn auf 
mich zu laden, als hielte ich es mit den Feinden, und 
demzufolge von den Empörern ergriffen und getötet zu 
werden. Ich zog mich daher, weil die Antonia bereits 
genommen war, ins Innere des Tempels zurück. Nach 
der Ermordung des Manaem und der Anführer des 
räuberischen Gesindels aber schlich ich mich wieder aus dem 
Heiligtum hinaus und hielt mich zu den Hohepriestern 
und den einflussreichsten Pharisäern. Unsere Besorgnis 
hatte übrigens schon einen hohen Grad erreicht; sahen 
wir doch das Volk in Waffen, uns selbst aber in gänz- 
licher Ratlosigkeit und ausser stände, dem Aufruhr Ein- 
halt zu thun, während uns die offenkundigste Gefahr 
bedrohte. Zum Schein stimmten wir deshalb dem Vor- 
haben der Empörer bei, rieten aber zur Mässigung, da 
wir hofften, Gessius 1 werde binnen kurzem mit bedeu- 
tender Truppenmacht heranziehen und den aufständischen 
Bewegungen ein Ende machen. 

6. Er kam denn auch, wurde aber in einem Treffen 
geschlagen und verlor eine Menge seiner Leute. Diese 

1 Statt Gessius ist nach Jild. Krieg II, 19 hier wie im folgenden 
zu lesen: Cestius. 



Selbstbiographie. 


11 


Niederlage des Gessius war das Verderben unseres ganzen 
Volkes. Den Kriegslustigen schwoll darob der Kamm, 
und im Vollgefühl ihres Sieges über die Römer hofften 
sie, dieselben vollends vernichten zu können. Hierzu 
kamen als treibendes Moment noch andere Vorfälle, die 
6ich folgendermassen abspielten. Die Bewohner der be- 
nachbarten syrischen Städte ergriffen die bei ihnen an- 
sässigen Juden und metzelten sie samt Weibern und 
Kindern ohne jeden stichhaltigen Grund nieder: denn 
die Ärmsten batten weder an Abfall von den Römern 
gedacht, noch gegen die Syrer etwas feindseliges im 
Schilde geführt. Am gottlosesten und grausamsten trieben 
es die Bürger von Skythopolis. Als sie nämlich von 
- den auswärtigen Juden* angegriffen wurden, zwangen sie 
deren Stammesgenossen , die unter ihnen lebten , gegen 
diese zu den Waffen zu greifen, was nach unseren Ge- 
setzen ein Frevel ist, und überwanden mit ihrer Hilfe 
die Angreifer. Kaum aber hatten sie gesiegt, als sie die 
Treue gegen ihre Mitbewohner und Kampfgenossen ver- 
gassen und dieselben samt und sonders ermordeten, viele 
tausend an der Zahl. Ein gleiches Schicksal traf die 
Juden zu Damaskus. Doch diese Vorgänge habe ich in 
meinem Werke über den Jüdischen Krieg ausführlicher 
besprochen ; hier erwähne ich sie nur flüchtig, um dem 
Leser zu beweisen, dass die Juden den Krieg gegen die 
Römer nicht mit Vorbedacht unternommen haben, sondern 
grössten teils dazu gezwungen wurden. 

7. Als die Männer, welche zu Jerusalem an der Spitze 
standen , nach dem Siege über Gessius sahen , dass die 
Räuber samt den Empörern stark bewaffnet waren, be- 
gannen sie zu furchten, sie möchten diesen ihren Feinden 
unterliegen, wenn sie selbst unbewaffnet blieben. In der 
That hat sich später gezeigt, wie begründet die Besorgnis 
war. Um diese Zeit erfuhren sie auch, dass noch nicht 
ganz Galilaea von den Römern abgefallen sei, vielmehr 
ein Teil des Landes sich ruhig verhalte. Sie schickten 
mich daher nebst zwei anderen höchst wackeren Priestern, 
Joazar und Judas, dorthin mit dem Auftrag ab, die 



12 


Des Flaviua Josephus kleinere Schriften. 


Übelgesinnten zur Niederlegung der Waffen zu bereden 
und ihnen klar zu machen , dass es besser sei, wenn 
nur der kräftigste Teil des Volkes sich derselben bediene. 
Unsere Partei nämlich war wohl entschlossen, für den 
Notfall die Waffen bereit zu halten, wollte jedoch zu- 
nächst ab warten, was die Römer thun würden. 

8. Mit diesen Aufträgen also kam ich nach Galilaea. 
Hier fand ich die Sepphoriten in grosser Unruhe wegen 
ihrer Vaterstadt, die von den Galiläern einesteils wegen 
ihrer Freundschaft für die Römer, andernteils weil sie 
mit Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, einen 
Vertrag abgeschlossen hatte, mit Plünderung bedroht 
wurde. Sogleich aber befreite ich sie insgesamt von 
ihrer Furcht, indem ich das ihnen feindlich gesinnte 
Volk günstig für sie stimmte und ihnen sogar die Er- 
laubnis gab, so oft sie wollten, ihre Verwandten zu be- 
suchen, welche in Dora, einer phoenicischen Stadt, bei 
Gessius als Geiseln sich befanden. Die Bewohner von 
Tiberias dagegen traf ich bereits in bewaffnetem Aufruhr, 
der sich aus folgender Ursache entwickelt hatte. 

9. Drei Parteien gab es in der Stadt. Die erste be- 
stand aus lauter angesehenen Männern mit Julius Capellus 
an der Spitze. Dieser Capellus und sein Anhang, näm- 
lich Herodes, des Miaros Sohn, Herodes, des Gamalos 
Sohn, und Kompsos, der Sohn des Kompsos, dessen 
Bruder Krispos früher einmal Statthalter unter Agrippa 
gewesen war, jetzt aber auf seinen Gütern jenseits des 
Jordan weilte, rieten zur Treue gegen die Römer und 
den König, und nur Pistos liess sich, da er leicht erreg- 
baren Gemütes war, von seinem Sohne Justus aufhetzen 
und trat der Meinung jener Männer nicht bei. Die zweite 
Partei, die sich aus dem niedersten Pöbel zusammensetzte, 
war entschieden für den Krieg. An der Spitze der dritten 
Partei endlich stand des Pistos Sohn Justus, der sich zwar 
den Anschein gab, als sei er inbetreff etwaigen kriege- 
rischen Vorgehens noch unschlüssig, gleichwohl aber eine 
Änderung der bestehenden Verhältnisse herbeiwünschte, 
weil er bei einem solchen Umsturz seine eigene Macht 



Selbstbiographie. 


13 


zu begründen hoffte. In dieser Absicht trat er unter 
die Volksmenge und suchte derselben begreiflich zu 
machen, dass ihre Stadt von jeher zu Galilaea gehört 
habe und zu den Zeiten ihres Gründers, des Tetrarchen 
Herodes, der Sepphoris unter Tiberias gestellt, die erste 
Stadt im Lande gewesen sei. Diesen Vorrang habe sie 
auch unter König Agrippa dem Vater nicht eingebüsst, 
sei vielmehr im Besitz desselben geblieben bis auf Felix, 
den Landpfleger von Judaea. Jetzt erst, behauptete er, 
sei sie ihres Vorzuges verlustig gegangen, seit Nero sie 
dem jüngeren Agrippa zum Geschenk gemacht habe. 
Schnell sei nun Sepphoris, nachdem es sich den Römern 
unterworfen, die Hauptstadt Galilaeas geworden, und 
Tiberias habe den königlichen Hof sowie das Archiv 
verloren. Mit diesen und ähnlichen Reden gegen den 
König Agrippa suchte er das Volk zum Aufstand zu 
reizen und schloss dann folgendermassen : Jetzt sei es 
an der Zeit, zu den Waffen zu greifen, die Galiläer als 
Kampfgenossen heranzuziehen — denn gern würden 
diese, welche die Sepphoriten wegen deren Treue gegen 
die Römer längst hassten, ihnen folgen — und sich 
durch einen mit grosser Heeresmacht unternommenen 
Kriegszug an dem Könige zu rächen. Durch solche 
Vorstellungen gelang es ihm denn auch, sich die Menge 
geneigt zu machen; denn er war in der That ein ge- 
wandter Volksredner und verstand es, die begründetsten 
Ein würfe durch Trug und Täuschung zu widerlegen. 
Auch hatte er sich griechische Bildung angeeignet, und 
das gab ihm den Mut, gleichfalls die Geschichte dieses 
Krieges zu verfassen, freilich nur, um durch seine Schrift 
die Wahrheit zu verdrehen. Doch ich werde noch im 
Verlauf meiner Darstellung über das lasterhafte Leben 
dieses Mannes reden und darthun, wie er in Gemein- 
schaft mit seinem Bruder das Vaterland an den Rand 
des Verderbens brachte. Damals also bewog Justus 
seine Mitbürger, die Waffen zu ergreifen, und nachdem 
er viele gegen ihren Willen mitzuthun gezwungen hatte, 
zog er mit der ganzen Rotte aus und äscherte die Dörfer 



14 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

der Gadarener und Hippener ein , welche auf der 
Grenze des Gebietes von Tiberias und Skythopolis 
lagen. 

10. So standen damals die Dinge in Tiberias; in 
Gischala aber begab sich folgendes. Als Joannes, der 
Sohn des Levi, dort bemerkte, dass einige seiner Mit- 
bürger auf Abfall von den Körnern sannen, suchte er 
sie zu beruhigen und riet ihnen, treu zu bleiben, konnte 
aber trotz aller Bemühungen nichts erreichen. Die Be- 
völkerung der Umgegend nämlich, die Gadarener, Ga- 
barener, Soganäer und Tyrier, fielen mit grosser Streit- 
macht über Gischala her, nahmen die Stadt im Sturm 
und kehrten erst, nachdem sie dieselbe in Brand gesteckt 
und geschleift hatten, wieder heim. Joannes aber er- 
grimmte darüber, bewaffnete die Leute, die er auf bringen 
konnte, zog gegen die erwähnten Nachbarn zu Felde 
und baute dann Gischala nicht nur viel schöner wieder 
auf, sondern befestigte es auch zwecks künftiger Sicher- 
heit mit Mauern. 

11. Gamala dagegen hielt den Körnern die Treue, 
und zwar aus folgendem Grunde. Philippus, Sohn 
des Jakim und Truppenführer unter König Agrippa, 
war wider Erwarten aus dem belagerten Königspalast 
in Jerusalem entkommen, geriet aber dann in Gefahr, 
von Manaem und dessen Banditen umgebracht zu werden. 
Einige Babylonier indes, die mit ihm verwandt waren 
und sich damals in Jerusalem befanden, hinderten die 
Käuber, ihren Anschlag auszuführen. Philippus hielt 
sich nun vier Tage in Jerusalem versteckt und entfloh 
am fünften, nachdem er sich, um nicht erkannt zu 
werden, falsches Haar aufgesetzt hatte. Er kam sodann 
in ein Dorf seines Gebietes nahe bei der Festung Gamala 
und wollte von hier aus einige seiner Untergebenen zu 
sich entbieten lassen. Die Gottheit aber vereitelte die 
Verwirklichung dieses Planes — zu seinem Glück, denn 
im entgegengesetzten Falle wäre er unrettbar verloren 
gewesen. Auf einmal nämlich ergriff ihn ein hitziges 
Fieber, und er schrieb nun an die Söhne des Königs 



Selbstbiographie. 


15 


Agripp a 1 sowie an Berenike 1 2 * einige Briefe, die er durch 
einen Freigelassenen an Varus übermittelte. Dieser 
Yams 8 war um jene Zeit von der königlichen Familie 
zum Reichsverweser ernannt worden, weil deren Mit- 
glieder selbst nachBerytus 4 reisten, um dort den Gessius 
zu empfangen. Zu seinem grossen Verdrusse aber er- 
fuhr Varus aus den Briefen die Rettung des Philippus: 
musste er doch befürchten, jetzt nach der Rückkehr 
dieses Mannes der königlichen Familie entbehrlich ge- 
worden zu sein. Er führte deshalb den Überbringer der 
Briefe vor das Volk, beschuldigte ihn, dieselben gefälscht 
zu haben, und behauptete, er habe die Nachricht, dass 
Philippus zu Jerusalem mit den Juden gegen die Römer 
Krieg führe, erfunden. Hierauf liess er ihn hinrichten. 
Als nun der Freigelassene nicht zurückkehrte, wusste 
sich Philippus dies nicht zu erklären und schickte daher 
einen zweiten Boten nach, um zu erfahren, was dem 
anderen zugestossen sei. Aber auch diesen liess Varus 
sogleich nach seiner Ankunft auf falsche Beschuldigungen 
hin ums Leben bringen. Die Syrer in Caesarea hatten 
übrigens seinem Stolze geschmeichelt und ihm vor- 
geschwindelt, Agrippa werde zur Strafe für die Übel- 
thaten der Juden von den Römern hingerichtet werden, 
und dann könne es nicht ausbleiben, dass die Herrschaft 
auf Varus übergehe, der ja, wie allgemein bekannt, von 
Königen abstamme. In der That war Varus königlichen 
Geblütes, nämlich ein Enkel des Tetrarchen am Libanon, 
Soemus. Durch solche Schmeicheleien übermütig ge- 
worden, unterschlug Varus die Briefe und suchte es auf 
jede Weise zu verhindern, dass der König deren Inhalt 


1 Obgleich nirgends von einer Gemahlin Agripp&s II. die Rede 
ist, geht doch ans dieser Stelle hervor, dass er verheiratet war. 
Nolde (genealog. Tafel bei Haverkamp II zu p. 337) irrt also, wenn 
er ihn ayotpo$ nennt. 

2 Die Schwester des Königs. 

8 In der Geschichte des Jüdischen Krieges (II, 18, 6) heisst er 
Noarus. 

4 Jüd. Krieg II, 18, 6: Antiochia. 



16 


Des Flavius Josepbus kleinere Schriften; 


erführe. Demgemäss liess er alle Ausgänge bewachen, 
damit niemand dem König über die Vorgänge Bericht 
erstatten könne, und tötete sogar den Syrern zu Gefallen 
eine Menge Juden. Ja, er beschloss, mit den Tracho- 
nitern von Batanaea bewaffnet über die babylonischen 
Juden — wie sie hiessen — in Ekbatana 1 herzufallen. 
Zu diesem Zweck liess er zwölf der angesehensten Juden 
von Caesarea rufen und befahl ihnen , sich nach Ekba- 
tana zu begeben und ihren dortigen ßtammesgenossen 
zu sagen: Varus habe vernommen, dass sie sich gegen 
den König empören wollten; weil er das aber nicht 
glauben könne, schicke er sie, die zwölf, um sie zur 
Niederlegung der Waffen zu veranlassen. Leisteten sie 
dieser Aufforderung Folge, so werde Varus dies als 
Beweis ansehen, dass er mit gutem Grund dem Gerüchte 
keinen Glauben geschenkt habe. Ausserdem liess Varus 
ihnen befehlen , siebzig ihrer vornehmsten Männer zu 
ihm zu schicken, damit sie die gegen sie erhobenen Be- 
schuldigungen widerlegten. Als nun die zwölf zu ihren 
Volksgenossen in Ekbatana kamen, fanden sie, dass 
diese nicht im entferntesten an Empörung dachten, und 
rieten ihnen, die siebzig abzusenden. Ohne allen Arg- 
wohn thaten sie dies denn auch, und die Abgeordneten 
begaben sich mit den zwölf Gesandten nach Caesarea. 
Varus zog ihnen mit den königlichen Truppen entgegen 
und liess sie sowie die Gesandten sämtlich niedermachen ; 
alsdann rückte er gegen die Juden von Ekbatana aus. 
Einer von den siebzig aber, der entkommen war, warnte 
seine Mitbürger. Diese griffen sogleich zu den Waffen 
und zogen sich mit Weib und Kind nach der Festung 
Gamala zurück, indem sie die reich mit Schätzen ge- 
füllten Dörfer und ihre zahlreichen Viehherden preis- 
gaben. Nicht sobald hatte Philippus dies erfahren, als 
auch er sich nach Gamala begab, wo ihn gleich nach 

1 Gemeint ist nicht die modische Hauptstadt E., sondern Ekbatana 
oder Agbatana auf dem Karmelgebirge, das heutige Haifa (yergl. 
Herodot 111, 64; Plinius, Xaturgesch. V, 17). Wegen der Bezeich- 
nung „babylonische Juden“ vergl. Jttd. Altert. XVII, 2, 1 ff. 



Selbstbiographie. 


17 


seiner Ankunft die Menge mit lautem Zuruf bestürmte, 
er solle den Oberbefehl übernehmen und sie gegen 
Varus und die Syrer von Caesarea führen; denn es 
ging das Gerücht, dass der König von den letzteren 
ermordet worden sei. Philippus aber suchte ihr Un- 
gestüm zu beschwichtigen, indem er sie an die Wohl- 
thaten des Königs erinnerte, ihnen die Macht der Römer 
zu bedenken gab und sie auf den Schaden hin wies, den 
sie sich durch den Krieg mit einem so gewaltigen Volke 
zuziehen würden. Sobald aber der König erfuhr, dass 
Varus im Sinne habe, die vielen tausend Juden zu Cae- 
sarea samt Frauen und Kindern an einem Tage um- 
zubringen, sandte er ihm sogleich, wie ich schon anderswo 
berichtet habe, 1 einen Nachfolger in der Person des 
Aequus Modius. Auf diese Weise erhielt Philippus die 
Festung Gamala und deren Umgebung in der Treue 
gegen die Römer. 2 

12. Als ich nun nach Galilaea kam und von diesen 
Vorgängen Kunde erhielt, erbat ich mir in einem 
Schreiben an das Synedrium zu Jerusalem Verhaltungs- 
befehle. Meine Vorgesetzten forderten mich auf, zu 
bleiben und in Gemeinschaft mit meinen Amtsgenossen, 
falls diese dazu bereit wären, für den Schutz Galilaeas 
Sorge zu tragen. Allein meine Mitgesandten, die sich 
von dem ihnen zustehenden Zehnten schon ein grosses 
Vermögen gesammelt hatten, waren anfangs entschlossen, 
in die Heimat zurückzukehren ; schliesslich jedoch bewog 
ich sie durch meine Bitten zu dem Versprechen, wenigstens 
so lange zu bleiben, bis wir eine ordentliche Verwaltung 
eingerichtet hätten. Ich begab mich nun mit ihnen von 
Sepphoris nach einem Dorfe Namens Bethmaus, 3 welches 
vier Stadien von Tiberias entfernt liegt, und beschied 
dorthin den Rat und die vornehmsten Einwohner von 
Tiberias. Sie kamen denn auch, und Justus mit ihnen. 

1 Jtid. Krieg II, 18, 6. Vergl. Jost, Geschichte der Juden II, 
Anhang, S. 88 ff. 

a Vgl. hierzu Bärwald, a. a. O. S. 36 ff. 

8 Dieses Dorf bt heute unbekannt. 

Joaephus, Kleinere Schriften. ä 



18 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Sogleich erklärte ich ihnen, dass ich samt meinen Ge- 
nossen vom Synedrium zu Jerusalem beauftragt sei, 
ihnen zur Pflicht zu machen, dass der von dem Te- 
trarchen Herodes erbaute, mit Tierbildern geschmückte 
Palast niedergerissen werde, weil unsere Gesetze eine 
solche Bauart untersagten; ich ersuche sie daher, dieser 
Aufforderung so schnell wie möglich zu entsprechen. 
Zunächst sträubten sich Capellus und die Häupter der 
Bürgerschaft energisch dagegen, doch gaben sie endlich 
unseren dringenden Vorstellungen nach. Jesus indes, 
der Sohn des Sapphias, von dem ich schon erwähnte, 
dass er sich an die Spitze einer Rotte von Matrosen 
und vermögenslosen Volkes gesetzt hatte, kam uns zu- 
vor und steckte in Verbindung mit einigen Galiläern 
den ganzen Palast in Brand, weil er sich grosser Schätze 
zu bemächtigen hoffte, da er die Decken einiger Ge- 
mächer vergoldet sah. Sehr wider unseren Willen ge- 
lang es ihm denn auch, vieles zu rauben. Wir selbst 
waren übrigens nach der Zusammenkunft mit Capellus 
und den angesehenen Bewohnern der Stadt von Beth- 
maus nach Obergalilaea gegangen. Jesus und dessen 
Rotte ermordeten nun alle in Tiberias wohnenden 
Griechen und jeden anderen, der vor dem Kriege ihr 
Feind gewesen war. 

13. Die Nachricht von diesen Ereignissen regte mich 
gewaltig auf. Ich begab mich nun nach Tiberias hinab 
und suchte die königlichen Geräte in Sicherheit zu 
bringen, so viele ihrer den Händen der Räuber noch 
zu entreissen waren , insbesondere einige Leuchter aus 
korinthischem Erz, prächtige Tische und eine ansehn- 
liche Menge ungeprägten Silbers. Ich war entschlossen, 
alles, was ich retten konnte, für den König aufzu- 
bewahren. Zu diesem Zweck Hess ich zehn Mitglieder 
des Rates sowie Capellus, den Sohn des Antyllus, rufen, 
und übergab ihnen die Gerätschaften mit dem Befehl, 
sie an niemand als an mich selbst abzuliefern. Von 
hier ging ich mit meinen Amtsgenossen nach Gischala 
zu Joannes, um seine Gesinnung zu erforschen. Gar 



j ^ Selbstbiographie. 19 

bald merkte ich, dass er auf Empörung ausging und 
nach der Herrschaft trachtete; denn er bat mich um die 
Erlaubnis, das Getreide, welches für Rechnung des 
Caesars in Obergalilaea aufgespeichert lag, wegschaffen 
zu dürfen. Wie er sagte, wollte er das alles zum Bau 
der Mauern seiner Vaterstadt verwenden. Da ich aber 
sein Inneres durchschaute, schlug ich ihm die Bitte ab. 
Es lag nämlich in meiner Absicht, das Getreide ent- 
weder für die Römer aufzubewahren oder für mich selbst, 
letzteres, weil ich vom Gemeindevorstand zu Jerusalem 
bevollmächtigt war, auch für die Bedürfnisse jener Gegend 
Sorge zu tragen. Als nun Joannes von mir nichts er- 
langen konnte, wandte er sich an meine Amtsgenossen. 
Diesen freilich fiel es nicht ein, sich für die Zukunft 
vorzusehen; übrigens waren sie auch für Geldgeschenke 
sehr empfänglich. Infolgedessen brachte er es durch 
Bestechung dahin, dass sie ihm alles Getreide, welches 
in seinem Gebiet aufgeschüttet lag, zu nehmen erlaubten. 
Von zweien überstimmt, musste ich schweigen. Darauf 
beging Joannes noch einen anderen Betrug. Er be- 
hauptete nämlich, die Juden in Caesarea Philippi, welche 
auf Befehl des königlichen Statthalters die Stadt nicht 
verlassen durften, hätten, weil es ihnen an dem nötigen 
reinen Öl fehle, an ihn die Bitte gerichtet, ihnen solches 
zu verschaffen, damit sie nicht gezwungen seien, von 
den Griechen hergestelltes Öl zu gebrauchen und auf 
diese Weise das jüdische Gesetz zu übertreten. Diese 
von Joannes vorgebrachten Äusserungen hatten indes 
nichts mit der Religion zu schaffen, sondern entsprangen 
offenbar nur seiner schnöden Gewinnsucht. Er wusste 
nämlich sehr wohl, dass in Caesarea zwei Sextare 1 eine 
Drachme 2 kosteten, während in Gischala achtzig Sextare 
nur vier Drachmen galten. Darum liess er alles öl von 
hier hinüberschiffen, nachdem er zum Schein meine Er- 
laubnis eingeholt hatte. Denn freiwillig gab ich es 


1 Ein Sextar = Vs Liter. 

5 Eine Drachme = 79 Pfg. 

2 * 


Go gle 



20 


Des Flavlus Joseph as kleinere Schriften. 


nicht zu, sondern nur aus Furcht vor dem Pöbel, weil 
ich besorgen musste, bei fortgesetzter Weigerung gesteinigt 
zu werden. Dank meiner Nachgiebigkeit gewann Joannes 
durch diese verschmitzte Handlungsweise eine Unmenge 
Geld. 

14. In Gischala entliess ich meine Mitgesandten nach 
Jerusalem und verwandte nun meine ganze Sorgfalt auf 
die Beschaffung von Waffen und die Befestigung der 
Städte. Zu diesem Zweck beschied ich die Tapfersten 
von der Räuberbande zu mir, weil ich die Unmöglich- 
keit, sie zu entwaffnen, einsah, und bewog das Volk, sie 
in Sold zu nehmen, indem ich darauf hin wies, dass es 
besser sei, ihnen freiwillig etwas zu zahlen, als Hab 
und Gut von ihnen plündern zu lassen. Hierauf liess 
ich die Räuber schwören, unser Gebiet nicht mehr be- 
treten zu wollen, es sei denn, dass sie gerufen würden 
oder ihren Sold nicht empfangen hätten, und entliess 
sie mit dem Befehl, weder die Römer noch die Nach- 
barn anzugreifen. Es lag mir nämlich vor allem am 
Herzen, Galilaea den Frieden zu erhalten. Die gali- 
laeischen Beamten aber — etwa siebzig an der Zahl — 
erkor ich unter dem Schein der Freundschaft, um sie 
gewissermassen als Geiseln der Treue in meiner Nähe 
zu haben, zu Begleitern und Gerichtsbeisitzern und fällte 
meine Urteile nach ihrer Ansicht, wobei ich mich ebenso 
sehr vor leichtsinnigen Verstössen gegen das Recht als 
vor Bestechung hütete. 

15. Ich war damals dreissig Jahre alt, und bekannt- • 
lieh ist es in diesem Alter selbst bei gewissenhaftester 
Enthaltsamkeit schwer, aus Neid entspringenden Ver- 
leumdungen zu entgehen, zumal wenn man eine einfluss- 
reiche Stellung bekleidet. Gleichwohl habe ich das 
weibliche Geschlecht stets vor Misshandlungen geschützt 
und als Mann ohne Bedürfnisse jegliches Geschenk 
zurückgewiesen. Nicht einmal die mir als Priester ge- 
bührenden Zehnten nahm ich an, wenn man sie mir 
brachte. Nur von der Beute, welche ich den Syrern 
und den umliegenden Städten abjagte, eignete ich mir 



Selbstbiographie. 


21 


einen Teil an und sandte ihn — ich gestehe es offen — 
meinen Verwandten nach Jerusalem. Und obwohl ich 
die Sepphoriten zweimal, Tiberias viermal, Gadara ein- 
mal und den Joannes, der mir stets nach dem Leben 
trachtete, ebenfalls zu wiederholten Malen in meine 
Gewalt bekam, habe ich mich doch weder an ihm noch 
an einer der genannten Städte gerächt, wie der Verlauf 
dieser Erzählung darthun wird. Deshalb hat mich auch, 
wie ich glaube, Gott, dem rechtschaffene Handlungen 
nicht verborgen bleiben, aus ihren Händen errettet und 
nachher noch vor manchen Gefahren bewahrt. Doch 
hiervon später. 

16. Die Galiläer kamen mir übrigens mit solchem 
Wohlwollen entgegen, dass sie selbst dann, als ihre 
Städte erstürmt und ihre Weiber und Kinder in die 
Sklaverei geschleppt waren, nicht so sehr über ihr 
eigenes Unglück jammerten, als um meine Erhaltung 
Sorge trugen. Das aber sah Joannes mit neidischen 
Blicken, und in seiner Tücke schrieb er an mich, ich 
möchte ihm erlauben, die warmen Bäder von Tiberias 1 
behufs Herstellung seiner Gesundheit zu benutzen. Ich 
ahnte nichts arges dabei und gewährte ihm die Bitte, 
schrieb sogar an die von mir eingesetzten Beamten der 
Stadt, sie sollten für Joannes und sein Gefolge eine 
Herberge bereit halten und ihnen alles zukommen 
lassen, dessen sie bedürften. Ich selbst befand mich 
um diese Zeit in einem galilaeischen Dorfe mit Namen 
Kana. 

17. Kaum war Joannes in Tiberias angelangt, als 
er die Einwohner der Stadt aufforderte, mir untreu zu 
werden und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Viele 
lauschten denn auch begierig seinen Worten, da sie 
neuerungssüchtig und von Natur zu Umsturz und 
Empörung geneigt waren. Vor allen anderen aber be- 
eilten sich Justus und dessen Vater Pistos, von mir 


1 S. die Anmerkung auf Seite 294 meiner Uebersetzung des 
, Jüdischen Krieges“. 



22 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


abzufallen und sich mit Joannes zu verbinden. Doch 
es gelang mir, ihnen zuvorzukommen und die Ausführung 
ihres Planes zu vereiteln. Silas nämlich, den ich, wie 
schon erwähnt, 1 zum Kommandanten von Tiberias er- 
nannt hatte, liess mich durch einen Boten von der 
Stimmung der Einwohnerschaft in Kenntnis setzen und 
mich auffordern, eiligst zu kommen, weil die Stadt, 
wenn ich zögerte, leicht in fremde Gewalt geraten 
würde. Als ich den Brief des Silas gelesen hatte, brach 
ich unverzüglich mit zweihundert Mann auf, marschierte 
die ganze Nacht hindurch und sandte einen Boten 
voraus, um meine Ankunft in Tiberias melden zu 
lassen. Frühmorgens nahte ich mich der Stadt; das 
Volk kam mir entgegen, und auch Joannes war dabei. 
Er begrüsste mich in höchster Verwirrung, eilte aber 
dann schnell wieder in seine Herberge zurück, weil er 
fürchtete, die Entdeckung seiner Umtriebe möchte ihn 
das Leben kosten. Sowie ich nun die Bennbahn er- 
reicht hatte, entliess ich meine Leibwächter bis auf einen 
und behielt ausser ihm nur zehn Bewaffnete bei mir. 
Alsdann stellte ich mich auf eine kleine Anhöhe und 
warnte das Volk vor einem so übereilten Abfall. Ihr 
Wankelmut, sagte ich, werde ihnen nur Schande ein- 
tragen und sie auch bei späteren Statthaltern in den 
begründeten Verdacht bringen , dass sie diesen ebenso 
wenig die Treue halten würden wie mir. 

18. Noch hatte ich nicht ausgesprochen, als einer 
von meinen Leuten mir zurief, ich möchte herabsteigen: 
es sei jetzt nicht an der Zeit, mich um das Wohlwollen 
der Bürger von Tiberias zu kümmern, vielmehr solle 
ich an meine Rettung denken und Zusehen, wie ich 
meinen Feinden entrinnen könne. Sobald nämlich 
Joannes gemerkt hatte, dass ich nur von wenigen Dienern 
umgeben war, hatte er die zuverlässigsten seiner Be- 
waffneten, deren etwa tausend sein Gefolge bildeten, ab- 
gesandt, um mich zu ermorden. Schon kamen die Leute 


1 Jüd. Krieg II, 21, 6. 



Selbstbiographie. 


23 


heran, und sie hätten auch sicherlich ihren Auftrag voll* 
streckt, wenn ich nicht samt meinem Leibwächter 
Jakobus von der Anhöhe hinabgesprungen wäre. Ein 
gewisser Herodes aus Tiberias bot mir nun hilfreiche 
Hand und führte mich an den See, wo ich ein Fahr- 
zeug bestieg. So gelang es mir wider Erwarten, 
meinen Feinden zu entgehen und mich nach Tarichaea 1 
zu retten. 

19. Als die Einwohner dieser Stadt von der Treu- 
losigkeit der Tiberienser hörten, entrüsteten sie sich aufs 
heftigste, griffen zu den Waffen und bestürmten mich, 
sie gegen Tiberias zu führen, an dessen Bewohnern sie 
ihren Äusserungen gemäss für ihren Statthalter Rache 
nehmen wollten. Zugleich Hessen sie die Kunde von 
dem Geschehenen in ganz Galilaea verbreiten, um die 
Bevölkerung gegen Tiberias aufzureizen, und dieselbe 
auffordern, so zahlreich wie möglich herbeizukommen, 
um die Beschlüsse des Statthalters auszuführen. Wirk- 
lich strömten auch viele Galiläer von allen Seiten her 
zusammen und beschworen mich, vor Tiberias zu rücken, 
die Stadt im Sturm zu nehmen, sie dem Erdboden gleich 
zu machen und die Weiber und Kinder als Sklaven zu 
verkaufen. Dasselbe rieten mir auch meine Freunde, 
die aus Tiberias entkommen waren. Allein ich. konnte 
ihnen nicht beipflichten, weil ich es für frevelhaft hielt, 
den Bürgerkrieg zu beginnen. Weiter als zu einem 
Wortstreit, meinte ich, solle es nicht kommen — „und 
obendrein,“ sagte ich zu den Galiläern, „würde dies 
keinen Vorteil bringen, da die Römer nur darauf warten, 
dass ihr euch durch Aufruhr gegenseitig zu Grunde 
richtet.“ Mit diesen Worten beschwichtigte ich die 
wütende Aufregung der Galiläer. 

20. Joannes, der seine Anschläge misslungen sah, 
fürchtete nun für sich selbst, brach mit seinen Bewaff- 
neten von Tiberias auf und zog nach Gischala. In 


1 In den „Jüd. Altertümern“ und im „Jiid. Kriege“ heisst die 
Stadt Taricheae. 



24 


Des Flavius Josephos kleinere Schriften. 


einem Briefe, den er an mich schrieb, entschuldigte er 
sich wegen des Vorgefallenen, indem er behauptete, es sei 
nicht mit seinem Willen geschehen. Zugleich bat er 
mich unter eidlichen Beteuerungen und schrecklichen 
Beschwörungen, durch die er seinem Schreiben Glauben 
zu verschaffen wähnte, ich möchte doch keinen Verdacht 
gegen ihn hegen. 

21. Die Galiläer jedoch, deren unterdessen noch viele 
aus der ganzen Landschaft in Wehr und Waffen sich 
eingefunden hatten, wussten zu gut, wie schlecht und 
eidbrüchig der Mensch war, und verlangten gegen ihn 
geführt zu werden, um ihn samt seiner Vaterstadt Gischala 
vom Erdboden zu vertilgen. Ich dankte ihnen für ihren 
guten Willen und gelobte, ihre Anhänglichkeit in noch 
höherem Grade zu vergelten , forderte aber zugleich 
Mässigung von ihnen und Nachsicht, wenn ich es vor- 
ziehen würde, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu stillen. 
Auf diese Weise gelang es mir, die Galiläer zu beruhigen, 
und ich begab mich nun nach Sepphoris. 

22. Da die Bewohner dieser Stadt entschlossen waren, 
den Römern treu zu bleiben, fürchteten sie sich vor 
meiner Ankunft und versuchten, mich durch ander- 
weitige Geschäfte abzulenken, damit sie selber unbehelligt 
blieben. Sie schickten daher zu dem Räuberhauptmann 
Jesus in die Gegend von Ptolema'is und versprachen ihm 
eine grosse Summe Geldes, wenn er uns mit seiner achtzig 
Mann starken Bande angreifen wolle. Jesus ging auf 
das Anerbieten ein und schickte sich an, uns, unvor- 
bereitet und ahnungslos wie wir waren, zu überfallen. 
In dieser Absicht bat er mich durch einen Boten um 
die Erlaubnis, mich begrüssen zu dürfen. Als ich ihm 
nun ohne jedes Misstrauen die Bitte gewährte, brach er 
sogleich mit seiner Rotte von Banditen auf und rückte 
gegen mich heran. Sein heimtückischer Anschlag aber 
sollte ihm nicht gelingen; denn als er schon ziemlich 
nahe war, kam ein Überläufer von ihm zu mir und ent- 
deckte mir seine Bosheit. Alsbald begab ich mich nun 
nach dem Marktplatz, ohne merken zu lassen, dass ich 



Selbstbiographie. 


25 


um den Anschlag wisse, zog eine beträchtliche Anzahl 
bewaffneter Galiläer und auch Tiberienser heran, gebot 
sodann, alle Zugänge zur Stadt aufs strengste zu be- 
wachen, und gab den Thorwächtern Befehl, nur den 
Jesus, wenn er käme, sowie die ersten seiner Leute ein- 
zulassen, die übrigen aber auszuschliessen oder, wenn 
sie Gewalt brauchten, wegzujagen. Sie thaten, wie ihnen 
befohlen war, und als Jesus mit einigen Banditen ein- 
trat, forderte ich ihn auf, schleunigst die Waffen zu 
strecken: er sei des Todes, wenn er nicht Folge leiste. 
Da er sich rings von Bewaffneten umgeben sah, ge- 
horchte er voller Schrecken ; diejenigen seiner Leute aber, 
welche ausgeschlossen waren, flohen davon, als sie seine 
Gefangennahme erfuhren. Ich nahm nun Jesus beiseite 
und eröffnete ihm, dass ich den Plan, den er gegen mich 
geschmiedet, sehr gut kenne und auch wisse, wer ihn 
dazu angestiftet habe. Dennoch wolle ich ihm das Ge- 
schehene verzeihen, wenn er seinen Sinn ändere und mir 
Treue gelobe. Er versprach denn auch, sich fügen zu 
wollen, worauf ich ihn freiliess und ihm erlaubte, seine 
Mannschaft wieder zu sammeln. Den Sepphoriten aber 
drohte ich mit entsprechender Strafe, wenn sie ihre Wider- 
setzlichkeit nicht aufgäben. 

23. Um dieselbe Zeit kamen zwei angesehene Unter- 
thanen des Königs aus der Landschaft Trachonitis mit 
Pferden, Waffen und Geld zu mir. Die Juden wollten 
sie anfangs nötigen, sich beschneiden zu lassen, wenn sie 
es mit ihnen zu halten gedächten. Ich litt jedoch nicht, 
dass man ihnen Gewalt anthat, sondern erklärte, jeder 
Mensch müsse Gott nach eigener freier Wahl, nicht ge- 
zwungen verehren, und nie dürften Leute, welche ihre 
Zuflucht zu uns nähmen, in die Lage kommen, ihren 
Schritt zu bereuen. Dem pflichtete die Menge bei, und 
ich liess sodann die Ankömmlinge aufs reichlichste ver- 
pflegen. 

24. Unterdessen hatte der König Agrippa eine Heeres- 
abteilung unter dem Befehl des Aequus Modius ab- 
geschickt, um die Festung Gamala zu erobern. Weil 



26 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


aber diese Truppen sich zur regelrechten Einschliessung 
des Kastells nicht stark genug fühlten, besetzten sie die 
Landstrassen und belagerten Gamala auf diese Weise. 
Zur selben Zeit brach der Decurio Aebutius, dem die 
Bewachung der grossen Ebene anvertraut war und der 
in Erfahrung gebracht hatte, dass ich in das Dorf Simo- 
nias 1 auf der Grenze Galilaeas, sechzig Stadien von ihm 
entfernt, gekommen sei, in der Nacht mit hundert Reitern 
und etwa zweihundert Fusssoldaten , deren Befehlshaber 
er war, sowie mit den Bürgern von Gaba, seinen Bundes- 
genossen, auf und gelangte noch vor Tagesanbruch bis 
zu dem Dorfe, wo ich mich einquartiert hatte. Da ich 
nun meinerseits eine ziemliche Streitmacht ihm entgegen- 
stellte, suchte Aebutius uns in die Ebene zu locken, wo 
er sich auf seine Reiterei verlassen konnte, vermochte 
uns aber nicht zum Verlassen unserer Stellung zu be- 
wegen. Ich erkannte nämlich sehr wohl, dass er mit 
seinen Reitern im Vorteil sein würde, wenn wir in die 
Ebene hinabstiegen, da wir lauter Fusstruppen waren. 
Deshalb beschloss ich, den Feind auf der Stelle anzu- 
greifen. Eine Zeitlang hielt Aebutius mit seinen Leuten 
wacker stand; als er aber sah, dass ihm auf diesem 
Terrain seine Reiterei nichts nütze, zog er unverrichteter 
Sache nach Gaba zurück, nachdem er drei Mann im 
Gefecht verloren hatte. Ich folgte ihm mit zweitausend 
Schwerbewaffneten auf dem Fusse nach. Bei Besara, 2 
einer Stadt an der Grenze des Gebietes von Ptolemais, 
zwanzig Stadien von Gaba, wo Aebutius sich aufhielt; 
liess ich meine Leute halt machen und befahl ihnen, 
die Wege sorgfältig zu bewachen, damit die Feinde uns 
nicht überfallen könnten, während wir das Getreide weg- 
führten. Die Prinzessin Berenike nämlich hatte aus den 
umliegenden Dörfern grosse Fruchtvorräte zusammen- 
bringen und in Besara aufspeichern lassen. Dieses Ge- 


1 Auf einer Hügelreihe im Norden der Ebene Jezreel gelegen, 
das heutige Dorf Semünieh. 

2 Heute unbekannt. 



Selbstbiograpbie. 


27 


treide lud ich nun auf Kamele und Esel, die ich in 
grosser Anzahl mitführte, und schickte es nach Galilaea. 
Nachdem dies geschehen, forderte ich den Aebutius zum 
Gefecht heraus. Er aber liess sich, erschreckt durch 
unsere Kühnheit und unseren Kampfeseifer, darauf nicht 
ein, und so wandte ich mich denn gegen Neapolitanus, 
der, wie ich vernahm, das Gebiet von Tiberias aus- 
plünderte. Dieser Neapolitanus befehligte eine Reiter- 
schwadron, mit welcher er Skythopolis gegen feindliche 
Angriffe verteidigen sollte. Alsbald that ich nun seinen 
ferneren Verheerungen in der Gegend von Tiberias Ein- 
halt und richtete mein Augenmerk wieder auf Galilaea. 

25. Als nämlich Joannes, der Sohn des Levi, der 
sich, wie oben gesagt, in Gischala aufhielt, erfuhr, dass 
mir alles nach Wunsch gehe und dass ich bei meinen 
Untergebenen ebenso beliebt als den Feinden ein Schrecken 
sei, ward ihm gar nicht wohl zu Mut: in meinem Glücke 
glaubte er seinen Untergang sehen zu müssen, und von 
massloser Eifersucht gequält, hoffte er mich stürzen zu 
können, wenn es ihm gelänge, mich bei meinen Unter-* 
gebenen verhasst zu machen. Zu diesem Zweck ver- 
suchte er die Bewohner von Tiberias und Sepphoris sowie 
auch von Gabara — den drei grössten Städten in Gali- 
laea — zum Abfall von mir und zu einem Bündnis mit 
ihm zu verleiten; er werde sie, behauptete er, besser als 
ich zum Kampfe führen. Die Sepphoriten nun wollten 
weder von ihm noch von mir etwas wissen , weil sie die 
Römer als ihre Herren anerkannten ; die Tiberienser 
Hessen sich zwar nicht zum Abfall bereden, sagten ihm 
aber doch ihre Freundschaft zu; die Gabarener dagegen 
schlugen sich ohne weiteres auf seine Seite, da sie von 
Simon, dem angesehensten Bürger der Stadt und ver- 
trauten Freunde des Joannes, gegen mich aufgehetzt 
wurden. Offen freilich wollten sie sich nicht zum Auf- 
ruhr bekennen, denn sie fürchteten sich gewaltig vor 
den Galiläern, deren Ergebenheit gegen mich sie aus 
Erfahrung kannten; insgeheim aber erspähten sie eine 
günstige Gelegenheit, mich zu überfallen. Wirklich 



28 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


geriet ich auch aus folgender Veranlassung in die grösste 
Gefahr. 

26. Einige verwegene junge Leute aus Dabaritta 
hatten in Erfahrung gebracht, dass die Gemahlin des 
königlichen Verwalters Ptolemaeus 1 mit vielem Gepäck 
und unter Bedeckung weniger Reiter aus dem Gebiete 
des Königs durch die grosse Ebene in die römische 
Provinz zu reisen beabsichtige, und überfielen nun plötz- 
lich die Reisenden. Die Dame musste fliehen; was sie 
mit sich führte, ward samt und sonders geplündert. 
Hierauf brachten die Räuber vier mit Kleidern und 
allerhand Gerät beladene Maultiere zu mir nach Tari- 
chaea; auch eine beträchtliche Menge Silber und fünf- 
hundert Goldstücke waren dabei. Ich nahm mir nun 
vor, diese Schätze dem Ptolemaeus wieder zuzustellen ; 
denn er war mein Stammesgenosse, und überdies verbietet 
ja unser Gesetz, selbst Feinde zu berauben. Deshalb 
erklärte ich den Überbringern, die Sachen müsse man 
.aufbewahren , um sie zu verkaufen und mit dem Erlös 
die Mauern Jerusalems wiederherzustellen. Die jungen 
Leute aber ärgerten sich darüber, dass sie von dem 
Raube nicht, wie sie erwarteten, ihren Anteil bekommen 
sollten; sie durchzogen daher die Dörfer in der Um- 
gebung von Tiberias und streuten das Gerücht aus, ich 
wolle das Land an die Römer verraten. Es sei nur ein 
Kniff von mir, wenn ich sage, man müsse den Raub zum 
Aufbau der Mauern Jerusalems verwenden; in Wahr- 
heit habe ich vor, die eingebrachten Gegenstände dem 
Eigentümer zurückzugeben. Damit errieten sie aller- 
dings meine eigentliche Absicht ; denn kaum hatten sie 
sich entfernt, als ich zwei angesehene und als Freunde 
des Königs bekannte Männer, Dassion und des Levi 
Sohn Jannaeus, zu mir beschied und ihnen die Sachen 
mit dem Befehl übergab, sie dem Könige zuzusenden. 
Zugleich verbot ich ihnen bei Todesstrafe, etwas davon 
verlauten zu lassen. 

1 Nach Jiid. Krieg 11,21,3 war es Ptolemaeus selbst. 



Selbstbiographie. 


29 


27. Durch ganz Galilaea verbreitete sich nun das 
Gerede, ich beabsichtige, das Land an die Römer zu 
verraten, und alles verlangte voll Erbitterung, Rache an 
mir zu nehmen. Sogar die Bewohner von Tarichaea 
schenkten den jungen Leuten Glauben und bewogen 
meine Leibwächter, mich, während ich schlief, zu ver- 
lassen und eiligst nach der Rennbahn zu kommen, wo 
das gesamte Volk inbetreff ihres Führers mit ihnen 
beschliessen wolle. Sie Hessen sich beschwätzen und 
kamen. In der Rennbahn hatte sich bereits eine grosse 
Menge versammelt, und alle schrien einstimmig, der nichts- 
würdige Frevler, der an ihnen zum Verräter geworden, 
müsse sterben. Am meisten wiegelte sie Jesus, der Sohn 
des Sapphias, auf, ein niederträchtiger Mensch, zur An- 
zettelung von Unruhen wie geschaffen, Umstürzler und 
Empörer wie nur wenige. Ei* nahm das moysaische 
Gesetz in die Hand, trat vor und sprach: „Mitbürger, 
wenn ihr nicht um euretwillen den Josephus hassen 
könnt, so schaut hier auf unser altehrwürdiges Gesetz, 
an welchem euer Befehlshaber zum Verräter werden 
wollte. Um dieses Gesetzes willen vereinigt euren Hass 
auf ihn und strafet ihn für sein verwegenes Beginnen.“ 

28. Seine Worte riefen allgemeinen Beifall wach, 
und nun stürmte er an der Spitze einer Schar von Be- 
waffneten mordgierig nach dem Hause, wo ich wohnte. 
Ich hatte keine Ahnung von den Vorgängen und war, 
ehe der Tumult losbrach, vor Ermüdung fest ein- 
geschlafen. Simon aber, der allein von meiner ganzen 
Leibwache bei mir geblieben war, sah die Leute .daher- 
rennen, weckte mich und machte mich auf die drohende 
Gefahr aufmerksam. Er hat mich sodann , tapfer wie 
ein Feldherr von seiner Hand den Tod zu erleiden, 
bevor die Feinde eindrängen und mich fesselten oder 
um brächten. Ich aber verwarf seinen Vorschlag, befahl 
mich der Obhut Gottes und schickte mich an, mitten 
unter die Menge zu treten. Hierauf legte ich ein 
schwarzes Gewand an, band mir das Schwert an den 
Nacken und schlich mich auf einem anderen Wege, wo 



30 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


ich keinen Feind anzutreffen hoffte, nach der Rennbahn. 
Als ich hier plötzlich erschien, mich zu Boden warf und 
die Erde mit meinen Thränen netzte, erregte ich all- 
gemeines Mitleid. Sowie ich diesen Wechsel in der 
Stimmung der Menge bemerkte, versuchte ich sie zu 
entzweien, ehe die Bewaffneten aus meinem Hause 
zurückkehrten. Ich gab zu, dass ich gefehlt hätte, wie 
sie selbst glaubten, bat aber, sie zunächst darüber be- 
lehren zu dürfen, zu welchem Zweck die geraubten 
Schätze auf bewahrt würden; gern wollte ich dann 
sterben, wenn sie es verlangten. Während nun die 
Menge mich aufforderte, zu sprechen, kamen die Be- 
waffneten herbei und wollten , wie sie meiner ansichtig 
wurden, über mich herfallen. Auf den Zuruf des Volkes 
jedoch hielten sie an sich und warteten , bis ich ein- 
gestehen würde, dass die Schätze für den König auf- 
bewahrt worden seien, um mich dann als offenkundigen 
Verräter niedermachen zu können. 

29. Nachdem allgemeine Stille eingetreten war, 
sprach ich zu ihnen: „Männer, Volksgenossen, wenn ich 
nach dem Rechte sterben muss, so bitte ich nicht um 
mein Leben. Doch möchte ich vor meinem Tode euch 
die Wahrheit berichten. Ich hatte erfahren, wie sehr 
diese Stadt die Gastfreundschaft pflegt und dass sie 
eine Menge Leute beherbergt, die ihre Heimat verlassen 
haben und hierhergekommen sind, um euer Schicksal zu 
teilen. Darum wollte ich mit eben diesen Schätzen, 
deretwegen ihr mir so heftig grollt, euch Mauern bauen 
und das Geld ganz dazu verwenden.“ Hierauf erhoben 
die Tarichaeaten und deren Gäste ein Freudengeschrei, 
dankten mir und sprachen mir Mut ein; die Galiläer 
und Tiberienser dagegen verharrten in ihrem Zorn. Es 
entstand nun ein Zwist unter ihnen, da die einen 
meinen Tod verlangten, die anderen mich unbesorgt 
sein hiessen. Als ich aber versprach, auch in Tiberias 
und den übrigen Städten, wo es erforderlich sei, Mauern 
zu bauen, fassten sie Vertrauen zu mir und begaben 
eich allesamt nach Hause. So entging ich ganz unver- 



Selbstbiographie. 


31 


hofft der Gefahr und kehrte mit meinen Freunden und 
zwanzig Bewaffneten in meine Wohnung zurück. 

30. Abermals aber kamen die Räuber und die An- 
stifter der Empörung, weil sie fürchteten, wegen ihrer 
Übelthaten von mir zur Strafe gezogen zu werden, mit 
sechshundert Bewaffneten vor das von mir bewohnte 
Haus, , um es anzuzünden. Als mir ihr Anrücken ge- 
meldet ward, entschloss ich mich, da ich Fliehen für 
schimpflich hielt, der Gefahr unverzagt entgegenzutreten. 
Ich gab daher Befehl , die Thüren des Hauses zu 
schliessen, stieg auf das Dach und rief meinen Gegnern 
zu, sie sollten einige Leute zu mir hereinschicken, um 
die Schätze in Empfang zu nehmen ; so würde sich doch 
wohl endlich ihre zornige Aufregung legen. Der Ver- 
wegenste aus der Rotte trat nun ein. Ich aber liess ihn 
in den entlegensten Winkel des Hauses schleppen und 
mit Geisselhieben zerfleischen, ihm die eine Hand ab- 
hauen, sie ihm um den Hals hängen und warf ihn so zur 
Thür hinaus. 1 Die aussen Stehenden ergriff Entsetzen 
und gewaltige Angst, und da sie glaubten, ich hätte 
drinnen eine Schar Bewaffneter, die ihnen an Zahl über- 
legen sei, fürchteten sie ebenso zugerichtet zu werden, 
wenn sie blieben, und flohen deshalb eiligst davon. 
Durch diese List entging ich auch der zweiten Nach- 
stellung. 

31. Doch es fanden sich noch einmal einige, die das 
Volk auf hetzten, indem sie riefen, die königlichen Be- 
amten, die zu mir gekommen seien, dürften nicht am 
Leben bleiben, wenn sie nicht zum Glauben derer über- 
träten, bei denen sie Schutz suchten. Man verschrie sie 
als Giftmischer und als Leute, welche die Römer ins 
Land ziehen würden. Die Menge liess sich nur zu gern 
beschwätzen, weil die schwindelhaften Äusserungen ihr 
gerade passten. Sobald ich Kenntnis davon erhielt, 
richtete ich aufs neue die Mahnung an das Volk, man 
dürfe solche Leute, die bei uns Schutz gesucht, nicht 


1 Vergl. die etwas abweichende Darstellung Jüd. Krieg II, 21, 5. 



32 


• Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


verfolgen. Die dumme Anschuldigung wegen der Gift- 
mischerei aber verlachte ich und stellte den Leuten vor, 
die Römer würden doch wohl nicht so viele tausend 
Soldaten halten , wenn sie ihre Feinde durch Gift be- 
siegen könnten. Eine Zeitlang wirkten meine Worte; 
kaum aber hatte sich das Volk verlaufen, als es wiederum 
durch boshafte Menschen gegen jene Beamten auf- 
gebracht wurde, und eines Tages fiel man über ihre 
Wohnung in Tarichaea her, um sie zu ermorden. Die 
Nachricht davon erfüllte mich mit Schrecken, weil ich 
fürchtete, dass nach einem solchen Frevel niemand mehr 
seine Zuflucht hierher nehmen würde. Ich begab mich 
deshalb mit noch einigen anderen in das Haus, ver- 
schloss es, liess von da einen Gang nach dem See 
graben , ein Schiff* heranbringen , bestieg es mit ihnen 
und setzte nach dem Gebiete der Hippener über. Ihre 
Pferde vergütete ich ihnen, weil ich dieselben bei einer 
solchen Flucht nicht mitnehmen konnte, und entliess sie 
mit der Bitte, ihr Missgeschick standhaft zu ertragen. 
Ich selbst war sehr ärgerlich darüber, dass ich die Leute, 
die mir ihre Sicherheit anvertraut hatten, wieder in 
Feindesland absetzen musste; doch war es mir, wenn 
es denn einmal sein sollte, immer noch lieber, sie durch 
die Hand der Römer umkommen zu sehen, als in meinem 
eigenen Gebiet. Zu meiner Freude aber wurden sie ge- 
rettet, denn König Agrippa verzieh ihnen, was sie ver- 
brochen hatten. So erging es diesen Männern. 

32. Unterdessen hatten die Bewohner von Tiberias 
den König um Soldaten zur Bewachung ihres Gebietes 
ersucht, da sie entschlossen seien, sich ihm zu ergeben. 
Also schrieben sie. Sowie ich aber hin kam, baten sie 
mich, meinem Versprechen gemäss ihre Mauern aufzu- 
bauen, denn sie hätten vernommen, dass Tarichaea 
bereits mit Festungswerken versehen sei. Ich sagte zu 
und liess alles zum Bau herbeischaffen und die Arbeiter 
ans Werk gehen. Drei Tage jedoch, nachdem ich aus 
Tiberias nach Tarichaea, welches dreissig Stadien von 
dort entfernt liegt, abgereist war, geschah es, dass einige 



Selbstbiographie. 


33 


römische Reiter in der Nähe der Stadt gesehen wurden, 
was die Vermutung wachrief, das königliche Heer sei im 
Anmarsch. Alsbald brachen nun die Tiberienser in 
Lobsprüche auf den König und in Schmähungen gegen 
mich aus. Ein Eilbote meldete mir ihren Entschluss, 
abzufallen. Die Nachricht erschreckte mich heftig, denn 
ich hatte eben meine Soldaten von Tarichaea nach Hause 
beurlaubt, einmal weil der folgende Tag ein Sabbat war, 
und dann auch weil ich Tarichaea nicht mit Ein- 
quartierung belästigen wollte. So oft ich mich dort 
auf hielt, sorgte ich nicht einmal für eine Leibwache, da 
ich die Treue der Einwohner gegen mich des öfteren 
erprobt hatte. Ich befand mich also in grosser Ver- 
legenheit, da ausser meinen Freunden nur sieben Be- 
waffnete bei mir waren. Meine Truppen wieder zurück- 
zurufen, ging nicht an, weil der Tag sich schon zum 
Ende neigte; doch auch wenn sie kamen, durften sie 
am folgenden Tage nicht zu den Waffen greifen, weil 
unsere Gesetze dies verbieten, mag die Not auch noch 
so dringend sein. Wollte ich aber gegen Tiberias die 
Bewohner von Tarichaea und deren Gäste ins Feld 
führen, so ging das ebenfalls nicht, da sie, wie ich sah, 
nicht stark genug sein würden. Überdies musste ich 
fürchten, zu spät zu kommen ; denn es stand zu erwarten, 
dass die Streitmacht des Königs früher eintreffen und 
mich nicht in die Stadt gelangen lassen würde. Ich 
beschloss daher, eine Kriegslist zu versuchen. In dieser 
Absicht stellte ich sogleich die treuesten meiner Freunde 
an die Thore von Tarichaea mit dem Auftrag, ein 
wachsames Auge auf alle zu haben, die hinausgehen 
wollten. Alsdann rief ich die Vornehmsten der Stadt 
zusammen und befahl jedem von ihnen, ein Schiff bereit 
zu halten, es mit einem Steuermann zu besteigen und 
mir nach Tiberias zu folgen. Ich selbst bestieg eben- 
falls mit meinen Freunden und den erwähnten sieben 
Bewaffneten ein Boot und fuhr auf Tiberias zu. 

33. Als die Tiberienser merkten, dass keine könig- 
lichen Truppen heranrückten, und dagegen den See voll 

JosephuB, Kleinere Schriften. 3 



34 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

von Schiffen erbliekten, begannen sie für die Stadt zu 
fürchten. In ihrem Schrecken glaubten sie, die Fahr- 
zeuge seien vollständig bemannt, und nun schlug ihre 
Stimmung^ sehr bald um. Sie warfen die Waffen von 
sich, kamen mir mit Frauen und Kindern entgegen, 
empfingen mich, da sie wähnten, ich hätte von ihrer 
Absicht nichts erfahren, unter lauten Lobeserhebungen 
und baten um Schonung für die Stadt. Als ich mich 
etwas mehr genähert hatte, Hess ich in einiger Ent- 
fernung vom Lande Anker werfen, damit die Tibe- 
rienser nicht merkten, wie leer meine Schiffe waren. Ich 
selbst fuhr nun ans Ufer, schalt sie wegen ihres Un- 
verstandes und warf ihnen vor, dass sie so leichtsinnig 
und ohne jeden triftigen Grund von mir abfallen wollten, 
versprach ihnen aber für die Zukunft Verzeihung, wenn 
sie zehn von den Vorstehern der Stadt zu mir senden 
würden. Sie gehorchten bereitwillig und schickten die 
Männer, die ich alsdann nach Tarichaea einschiffen und 
dort bewachen liess. 

34. Durch Wiederholung dieser List bekam ich nach 
und nach den ganzen Rat sowie eine nicht geringere 
Zahl angesehener Männer in meine Gewalt und schickte 
sie alle nach Tarichaea. Als nun die Einwohner sahen, 
in welch schlimme Lage sie geraten waren, baten sie 
mich, den Anstifter der Empörung zu bestrafen. Dieser 
hiess Kleitos und war ein tollkühner, verwegener Jüng- 
ling. Ich hielt es nun zwar nicht für erlaubt, einen 
Volksgenossen hinzurichten; anderseits aber sah ich 
auch ein, wie notwendig es sei, ein abschreckendes Bei- 
spiel aufzustellen. Deshalb befahl ich einem meiner 
Leibwächter Namens Levi, hinzugehen und dem Kleitos 
die eine Hand abzuhauen. Doch der Beauftragte fürchtete 
sich, allein unter eine so grosse Volksmenge zu treten. 
Um nun seine Feigheit vor den Tiberiensern zu ver- 
bergen, rief ich dem Kleitos zu: „Da du infolge deines 
Undankes gegen mich verdient hast, beide Hände zu 
verlieren, so werde dein eigener Henker, damit du nicht 
durch Ungehorsam eine noch schlimmere Strafe ver- 



Selbstbiogra phi e. 


35 


wirkst !“ Er aber bat mich inständig, ihm doch die eine 
Hand zu lassen, was ich ihm denn auch nach einigem 
Zögern zugestand. Willig fasste er nun, um nicht beide 
Hände zu verlieren, sein Schwert und hieb sich die 
linke ab. Damit hatte der Aufruhr sein Ende er- 
reicht. 

35. Als ich nach Tarichaea zurückgekehrt war und 
die dort eingekerkerten Tiberienser erfuhren, welcher 
List ich mich gegen sie bedient hatte, wunderten sie 
sich, dass ich ohne Blutvergiessen ihres Unverstandes 
Herr geworden war. Ich liess nun einige von ihnen, 
darunter auch' Justus und dessen Vater Pistos, aus dem 
Gefängnis holen und zog sie zur Tafel. Während der 
Mahlzeit erklärte ich, wohl sei mir die gewaltige Macht 
der Römer bekannt, aber der Empörer wegen wolle ich 
nicht davon reden. Dann riet ich ihnen, dasselbe zu 
thun und den richtigen Zeitpunkt abzuwarten; auch 
möchten sie nicht grollen, weil ich ihr Oberbefehlshaber 
sei, deiin nicht leicht würden sie einen anderen be- 
kommen, der so viel Milde beweise wie ich. Dem Justus 
rief ich noch besonders ins Gedächtnis, dass die Gali- 
läer vor meiner Ankunft aus Jerusalem und ehe noch 
von Krieg die Rede gewesen , seinem Bruder wegen 
einer demselben zugeschriebenen Brieffälschung die Hände 
abgehauen, ferner dass nach dem Abzug des Philippus 
die Gamaliter im Kampfe gegen die Babylonier den 
Ohares, einen Verwandten des Philippus, getötet und 
dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus, durchaus 
nicht mässig bestraft hätten. 1 Nachdem ich so über 
Tisch mit ihnen gesprochen, gab ich am Morgen Befehl, 
den Justus und dessen sämtliche Begleiter aus der Haft 
zu entlassen. 

36. Kurz vorher nämlich war Philippus, der Sohn 
des Jakim, aus der Festung Gamala fortgezogen, und 


1 Josephus will andeuten, dass Justus allen Grund habe, die 
Galil&er zu hassen, und dass er gut thun würde, sich ihm anzu- 
schliessen. — Vor acocppövo^ ist nach Josts Vorgang ou eingeschohen. 

3 * 



36 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


zwar unter folgenden näheren Umständen. Philippus 
hatte kaum erfahren, dass Yarus vom Könige Agrippa 
abgefallen und dessen Nachfolger Aequus Modius, der 
mit Philippus schon seit langem befreundet war, an- 
gekommen sei, als er an diesen schrieb, ihm seine 
Schicksale erzählte und ihn bat, den beigeschlossenen 
Brief an die königliche Familie gelangen zu lassen. 
Modius freute sich sehr über den Empfang des Schreibens, 
weil er daraus ersah, dass Philippus wohlbehalten war, 
und sandte den Brief an die königliche Familie, die 
damals in Berytus weilte. Sobald nun Agrippa erkannte, 
dass das über Philippus umlaufende Gerücht — die 
Sage hatte ihn zum Anführer der Juden im Kriege 
gegen die Römer » gemacht — falsch sei, schickte er 
Reiter ab, um den Philippus an seinen Hof zu berufen. 
Als er angekommen war, begrüsste der König ihn huld- 
vollst und stellte ihn den römischen Offizieren als den 
Mann vor, den das Gerücht als Abtrünnigen bezeichnet 
habe. Sodann befahl er ihm, mit einer Abteilung 
Reiterei unverzüglich nach der Festung Gamala zurück- 
zukehren, alle seine Leute von dort abzuholen und die 
Babylonier wieder nach Batanaea zu versetzen. 1 Zu- 
gleich beauftragte er ihn, dafür zu sorgen, dass seine 
Untergebenen sich aller aufrührerischen Umtriebe ent- 
hielten. Demzufolge begab sich Philippus schnell dort- 
hin, um die Befehle des Königs zu vollziehen. 

37. In Gamala aber hatte unterdessen Josephus, der 
Sohn eines heilkundigen Weibes, eine Anzahl verwegener 
junger Leute beredet, sich mit ihm zu erheben, und den 
Vorstehern der Stadt zugesetzt, dass sie vom Könige ab- 
fallen und die Waffen ergreifen möchten, indem er ihnen 
vorspiegelte , er werde ihnen die Freiheit verschaffen. 
Einige brachte er mit Gewalt auf seine Seite, andere, 
die ihm nicht beistimmten , liess er aus dem Wege 
räumen. Damals töteten die Gamal iter auch den Chares 
sowie dessen Bruder Jesus, den Schwager des Justus 


1 Vergl. Abschnitt 11. Batanaea == Ekbatana. 



Selbstbiographie. 


37 


von Tiberias, wovon ich schon oben Erwähnung gethan 
habe. Hierauf schickten sie zu mir und verlangten 
militärische Hilfe sowie Leute zum Aufbau ihrer Stadt- 
mauern. Ich versagte ihnen keinen dieser Wünsche. 
Zur selben Zeit fiel die Landschaft Gaulanitis bis an das 
Dorf Solyma 1 vom Könige ab. Sogane und Seleukia, 
zwei schon von Natur sehr feste Flecken, umgab ich 
damals mit Ringmauern, desgleichen auch einige Dörfer 
in Obergalilaea, obwohl dieselben auf Felsen lagen, 
nämlich Jamnia, Meroth und Achabara. In Unter- 
galilaea befestigte ich die Städte Tarichaea, Tiberias 
und Sepphoris, sowie folgende Flecken: die Höhle von 
Arbela, 2 Bersabe, Selamin, Jotapata, Kapharekcho, Sigo, 
Japha und den Berg Tabor. In alle diese Plätze schaffte 
ich eine Menge Proviant und auch Waffen, zur Sicher- 
heit. für kommende Fälle. 

38. Mittlerweile wuchs bei Joannes, dem Sohne des 
Levi, der Hass gegen mich von Tag zu Tag. Dass mir 
alles so gut von statten ging, ärgerte ihn nicht wenig, 
und da er entschlossen war, mich ganz aus dem Wege 
zu räumen, befestigte er seine Vaterstadt Gischala und 
schickte seinen Bruder Simon sowie Jonathas, den Sohn 
des Sisenna, mit etwa hundert Bewaffneten nach Jeru- 
salem zu Simon, dem Sohne des Gamaliel, um ihn auf- 
zufordern, dass er den Gemeindevorstand zu Jerusalem 
berede, mir den Oberbefehl über Galilaea abzunehmen 
und ihn dem Joannes zu übertragen. Dieser Simon war 
aus Jerusalem gebürtig, gehörte einer vornehmen Familie 
an und bekannte sich zur Sekte der Pharisäer, die in 
strenger Beobachtung der väterlishen Satzungen alle 
anderen übertrifft. Er war ein überaus umsichtiger und 
verständiger Mann und wusste durch seine Klugheit 
auch die schwankendsten Verhältnisse wieder ins Gleich- 

1 Heute unbekannt. 

2 Arbela, dem heutigen Irbid, gegenüber liegen die Felsenhöhlen 
von Kulat Ibn Ma’an , welche , ein natürliches Bollwerk bildend, 
wiederholt in Kriegszeiten eine Rolle spielten (vergl. besonders Jüd. 
Krieg I, 16, 2 ff.). 



38 


Des Flavins Josepbus kleinere Schriften. 


gewicht zu bringen. Als alter Freund und Vertrauter 
des Joannes stand er damals mit mir auf gespanntem 
Fuss. Aus diesem Grunde ging er auf den Wunsch des 
Joannes ein und beredete die Hohepriester Ananus und 
Jesus, den Sohn des Gamalas, sowie einige andere von 
derselben Partei, mir die Flügel zu stutzen und nicht 
zu dulden, dass ich bis zum Gipfel des Ruhmes gelange. 
Dass ich aus Galilaea entfernt würde, meinte er, könne 
ihm nur zum Vorteil gereichen. Zugleich forderte er 
die Partei des Ananus auf, nicht zu zögern, damit ich 
nicht, wenn der Plan mir zu Ohren käme, mit Heeres- 
macht gegen die Stadt anrücke. Diesen Rat gab Simon ; 
der Hohepriester Ananus indes war der Ansicht, die 
Sache könne doch wohl nicht so leicht abgemacht 
werden, denn viele von den Hohepriestern und den 
Vorstehern des Volkes gäben mir das Zeugnis, dass ich 
meinen Posten trefflich verwalte. Einen Mann aber, 
dem man nichts vorwerfen könne, in Anklagezustand zu 
versetzen, sei das Werk eines Schurken. 

39. Als Ananus diese Erklärung abgegeben hatte, 
bat Simon ihn und die anderen, zu schweigen, damit 
nichts von diesen Verhandlungen unter die Leute komme. 
Er werde schon dafür sorgen, fügte er hinzu, dass ich 
sobald als möglich Galilaea räumen müsse. Hierauf 
beschied er den Bruder des Joannes zu sich und ersuchte 
ihn, dem Ananus und dessen Anhängern Geschenke zu 
senden ; vielleicht würden sie sich dadurch zur Änderung 
ihrer Gesinnung bewegen lassen. Schliesslich erreichte 
denn auch Simon seine Absicht: Ananus und dessen 
Partei liessen sich bestechen und beschlossen nun, mich 
aus Galilaea zu entfernen, ohne dass jemand in der 
Stadt davon Kenntnis erlange. Sie schickten dem- 
gemäss einige sowohl durch Geburt wie Gelehrsamkeit 
hervorragende Männer ab. Zwei von diesen, nämlich 
die Pharisäer Jonathas und Ananias, waren Laien, 
während der dritte, Joazar, der ebenfalls der Pharisäer- 
sekte angehörte, aus priesterlichem Geschlecht stammte. 
Simon endlich, der jüngste der Abgeordneten, war Mit> 



Selbsfcbiögraphie. 


o9 


glied einer hohepriesterlichen Familie. Die Tier Männer 
hatten den Auftrag, in einer Volksversammlung die 
Galiläer nach der Ursache ihrer Anhänglichkeit an mich 
zü fragen. Gäben die Galiläer dann als Grund meine 
Zugehörigkeit zur Bürgerschaft Jerusalems an, so sollten 
sie antworten, dass auch sie alle vier von dort stammten. 
Beriefen sich die Leute aber auf meine genaue Kenntnis 
des Gesetzes, so sollten sie erklären, dass auch sie die 
väterlichen Satzungen kannten, und würde etwa das 
Volk auf meine priesterlichen Charakter Bezug nehmen, 
so sollten sie entgegnen, dass auch unter ihnen zwei 
Priester sich befänden. 

40. Ausser diesen Aufträgen gaben sie dem Jonathas 
und seinen Genossen vierzigtausend Silberstücke aus 
der Staatskasse mit. Zugleich beriefen sie einen gewissen 
Galiläer Jesus, der, wie man hörte, mit einer Schar von 
sechshundert Bewaffneten nach Jerusalem gekommen 
war, zahlten ihm Sold für drei Monate und hiessen ihn 
die Gesandtschaft des Jonathas geleiten. Ausserdem 
schickten sie auch noch dreihundert Mann aus der 
Bürgerschaft mit, nachdem sie dieselben reichlich mit 
Geld zum Lebensunterhalt versehen hatten. Sobald 
diese Mannschaft, der sich noch der Bruder des* Joannes 
mit seinen hundert Bewaffneten anschloss, zum Abmarsch 
bereit war, machten sich Jonathas und dessen Mit- 
gesandte auf den Weg. In Bezug auf meine Person 
hatten sie den Auftrag, mich, wenn ich die Waffen frei- 
willig niederlegen würde , lebend nach Jerusalem zu 
schicken, wenn ich aber Widerstand leistete, mich ohne 
jede Scheu vor Verantwortlichkeit niederzustossen. 
Uebrigens hätten sie dem Joannes geschrieben, er solle 
sich auf einen Kampf gegen mich gefasst machen; auch 
war an die Bewohner von Sepphoris, Gabara und 
Tiberias der Befehl ergangen, den Joannes mit Hilfs- 
truppen zu unterstützen. 

41. Von diesen Umtrieben benachrichtigte mich mein 
Vater; er erfuhr nämlich alles von meinem Freunde 
Jesus, dem Sohne des Gamalas, der bei den Verhand- 



40 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


lungen zugegen gewesen war. Es kränkte mich tief, 
dass meine Mitbürger so undankbar sein und aus Neid 
meine Ermordung anbefeblen sollten ; auch empfand ich 
es schmerzlich, dass mein Vater in seinem Briefe mich 
inständig bat, zu ihm zu kommen, weil er seinen Sohn 
zu sehen wünsche, bevor er sterbe. Ich teilte diese 
Nachricht meinen Freunden mit und erklärte ihnen, dass 
ich in drei Tagen heimzukehren gedächte. Alle, die es 
hörten , zeigten sich traurig bewegt und baten mich 
unter Thränen, sie nicht zu verlassen: denn wenn ich 
nicht mehr ihr Oberbefehlshaber sei, müssten sie zu 
Grunde gehen. Als ich aber ihren Bitten gegenüber 
taub blieb und nur auf meine eigene Rettung bedacht 
war, schickten die Galiläer, die nach meiner Abreise den 
Räubern schutzlos preisgegehen zu sein fürchteten, Boten 
im ganzen Lande umher, um die Kunde von meinem 
beabsichtigten Weggang zu verbreiten. Haufenweise 
strömten nun aus allen Orten die Leute samt Weibern 
und Kindern zusammen, anscheinend nicht so sehr aus 
Anhänglichkeit an mich, als weil sie für sich selbst 
fürchteten ; denn so lange ich da war, glaubten sie vor 
allem Ungemach gesichert zu sein. Sie kamen samt und 
sonders nach Asochis in der grossen Ebene, wo ich mich 
damals aufhielt. 

42. In jener Nacht hatte ich einen wunderbaren 
Traum. Als ich mich nämlich , tief betrübt und er- 
schüttert wegen der erhaltenen Nachricht, zu Bett gelegt 
hatte, schien auf einmal jemand vor mir zu stehen und 
zu sagen: „Tröste dich, du Trauernder, und entschlage 
dich aller Furcht; denn dasselbe, worüber du dich jetzt 
betrübst, wird dich gross machen und dir in allen deinen 
Unternehmungen Glück bringen. Und nicht allein deine 
gegenwärtige Sendung wirst du durchführen, sondern 
noch vieles andere. Lass also den Mut nicht sinken 
und denke daran , dass du mit den Römern noch Krieg 
führen musst!“ Nach dieser Traumerscheinung erhob 
ich mich, um in die Ebene hinabzugehen. Kaum aber 
hatten mich die Galiläer erblickt, als sich die ganze 



Selbstbiographie. 


41 


Menge, darunter auch viele Weiber und Kinder, zu 
Boden warf und mich thränenden Auges bat, ich möge 
sie doch nicht in die Gewalt der äusseren Feinde geraten 
lassen, noch ihr Land dem Übermut der inneren Wider- 
sacher preisgeben. Als jedoch ihre Bitten keinen Erfolg 
hatten, suchten sie mich durch Eidschwüre zum Bleiben 
zu bewegen. Zugleich schmähten sie in herben Worten 
die Gemeinde von Jerusalem, die ihnen den Frieden 
ihres Landes missgönne. 

43. Als ich diese Klagen vernahm und die Nieder- 
geschlagenheit der Leute sah, ward ich von Mitleid be- 
wegt und erwog bei mir, dass es doch der Mühe wert 
sei, um einer so grossen Menschenmenge willen der 
augenscheinlichsten Gefahr zu trotzen. Ich versprach 
daher zu bleiben und befahl, dass fünftausend Bewaff- 
nete mit dem nötigen Proviant zu mir stossen sollten; 
die übrigen entliess ich nach Hause. Sobald die fünf- 
tausend Mann zur Stelle waren, brach ich mit ihnen sowie 
mit dreitausend Mann zu Fuss und achtzig Reitern, 
die ich schon vorher bei mir hatte, nach Chabolo, 1 einem 
Dorf im Gebiete von Ptolemais, auf. Dort liess ich 
halt machen und stellte mich , als wollte ich gegen 
Placidus anrücken. Dieser nämlich war auf Befehl des 
Cestius Gallus mit zwei Kohorten Fussvolk und einer 
Reiterschwadron angekommen, um die galilaeischen Dörfer 
in der Nähe von Ptolemais einzuäschern. Während nun 
Placidus vor der Stadt Ptolemais Verschanzungen auf- 
warf, errichtete auch ich mein Lager etwa sechzig Stadien 
vom Dorfe entfernt. Hierauf führten wir mehrmals 
unsere Streitkräfte zum Kampf heraus, doch kam es 
nie weiter als zu Scharmützeln. Denn als Placidus 
merkte, dass ich thunlichst bald schlagen wolle, wich 
er furchtsam zurück, entfernte sich aber nicht von 
Ptolemais. 

44. Um diese Zeit kam Jonathas mit der Gesandt- 


1 Grenzort des Stammgebietes Äser im Nordosten Palaestinas, 
heute das Dorf Kabul, vier Stunden südöstlich von St. Jean d’Acre. 



42 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


schaft aus Jerusalem an, die, wie erwähnt, von der 
Partei des Simon und des Höhepriesters Ananus ab- 
geordnet war, und suchte mich durch Hinterlist zu 
fangen ; denn offen wagte er mich nicht anzugreifen. 
Er schrieb mir demnach folgenden Brief: „Jonathas und 
seine Mitgesandten aus Jerusalem entbieten dem Josephus 
ihren Grass. Es ist der Obrigkeit von Jerusalem zu 
Ohren gekommen , dass Joannes von Gischala dir oft- 
mals nachgestellt hat. Deshalb schickt sie uns, um ihm 
darüber Vorwürfe zu machen und ihn zum Gehorsam 
gegen dich zu ermahnen. Da wir uns nun mit dir über 
ein gemeinsames 1 Vorgehen beraten wollen, so ersuchen 
wir dich, schleunigst zu uns zu kommen, aber ohne 
grosses Gefolge, denn unser Dorf kann nicht viele Sol- 
daten aufnehmen/* So schrieben sie in zweifacher Ab- 
sicht: entweder hätten sie, wenn ich unbewaffnet kam, 
mich gefangen genommen , oder, wenn ich zahlreiche 
Mannschaft .mitbrachte, mich für einen Feind erklärt 
Den Brief brachte mir ein Reiter, ein verwegener Bursche, 
der einst im königlichen Dienst gestanden hatte. Es 
war um die zweite Stunde der Nacht , 1 und eben sass 
ich mit meinen Freunden und den vornehmsten Gali- 
läern beim Mahle, als mir ein Diener meldete, es sei ein 
jüdischer Reiter angekommen. Sogleich liess ich ihn 
hereinrafen; allein der Mensch würdigte mich keines 
Grasses, sondern reichte mir den Brief mit den Worten: 
„Das schicken dir die Gesandten aus Jerusalem. Ant- 
worte so schnell wie möglich, denn ich muss unverzüg- 
lich zu ihnen zurückkehren.“ Meine Tischgenossen 
staunten über die Dreistigkeit des Soldaten; ich aber 
lud ihn ein, Platz zu nehmen und mit uns zu speisen. 
Doch er weigerte sich. Unterdessen hielt ich den Brief 
in der Hand, wie ich ihn empfangen hatte, und setzte 
über andere Dinge das Gespräch mit meinen Freunden 
fort. Bald aber stand ich auf, entliess die anderen zur 
Ruhe und behielt nur vier meiner vertrautesten Freunde 


1 8 Ubr abends. 



Selbstbiographie. 


43 


bei mir. Dann befahl ich einem Diener, Wein zu holen, 
entfaltete den Brief, ohne dass jemand es merkte, und 
siegelte ihn rasch wieder, nachdem ich seinen Inhalt 
überlesen hatte. Hierauf liess ich, den Brief fortwährend 
in der Hand haltend, als hätte ich ihn nicht geöffnet, 
dem Soldaten zwanzig Drachmen Botenlohn auszahlen. 
Mit vielem Dank nahm er die Silberstücke an ; ich aber 
schloss daraus auf seine Geldgier und sprach, um ihn 
an dieser seiner schwachen Seite .zu fangen , also zu 
ihm: „Willst du mit uns trinken, so erhältst du bei 
jedem Becher eine Drachme.“ Freudig ging er darauf 
ein, nahm, um nur recht viel Geld zu bekommen, eine 
Menge Wein zu sich, ward berauscht und konnte nun 
kein Geheimnis mehr verschweigen, sodass er ungefragt 
den ganzen Anschlag verriet und auch mitteilte, über 
mich sei der Tod beschlossen. Kaum hatte ich dies er- 
fahren, so schrieb ich folgendermassen zurück: „Josephus 
mit bestem Gruss an Jonathas und seine Gefährten. 
Es freut mich, zu vernehmen, dass ihr wohlbehalten in 
Galilaea angelangt seid, umsomehr, als ich euch die 
Verwaltung des Landes übergeben und nach Hause 
zurückkehren kann ; denn dies war schon lange mein 
Wunsch. Ich hätte euch nun freilich nicht bloss bis 
Xaloth, sondern noch weiter unaufgefordert entgegen- 
kommen sollen; doch es ist mir nicht möglich, und ihr 
wollt mich deshalb entschuldigen. Ich liege nämlich 
vor Chabolo, um Placidus zu beobachten, der einen 
Einfall in Galilaea plant Kommt also zu mir, sobald 
ihr diesen Brief gelesen habt. Lebt wohl.“ 

46. Dieses Schreiben übergab ioh dem Soldaten zur 
Bestellung und sandte ihn in Begleitung von dreissig 
angesehenen Galiläern zurück. Letztere waren von mir 
beauftragt, die Gesandten zu begrüssen , ausserdem aber 
sich auf nichts einzulassen. Jedem von ihnen gab ich 
noch einen treuen Soldaten bei, der acht geben sollte, 
dass niemand mit Jonathas oder dessen Gefährten eine 
Unterredung anfange. So reisten sie ab. Als nun 
Jonathas und seine Kollegen den ersten Versuch mis6- 

Go gle 



44 


Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. 


glückt sahen, schrieben sie an mich einen zweiten Brief 
folgenden Inhalts : „Jonathas und seine Genossen ent* 
bieten dem Josephus ihren Gruss. Wir fordern dich 
auf, innerhalb dreier Tage ohne bewaffnetes Geleit zu 
uns nach Gabaroth 1 zu kommen, damit wir dich über 
deine Beschuldigungen gegen Joannes vernehmen.“ 
Nachdem sie dies geschrieben und die von mir geschickten 
Galiläer begrüsst hatten, begaben sie sich nach Japha, 
dem grössten Flecken Galilaeas, der stark befestigt und 
dicht bevölkert war. Die Einwohner aber zogen ihnen 
samt Weibern und Kindern entgegen und schrien mit 
lauter Stimme: „Macht euch fort und lasst uns unseren 
wackeren Befehlshaber!“ Jonathas und seine Begleiter 
gerieten über dieses Geschrei in Erbitterung, wagten 
aber nicht, ihren Groll offen zu zeigen, und machten 
sich, ohne die Leute einer Antwort zu würdigen, nach 
anderen Dörfern auf. Überall aber empfing sie das 
nämliche Geschrei; niemand, hiess es, vermöge sie zu 
überzeugen, dass Josephus nicht mehr ihr Statthalter 
sein solle. Unverrichteter Sache zogen sich deshalb die 
Gesandten zurück und gingen nach Sepphoris, der grössten 
Stadt Galilaeas. Die Einwohner, welche römerfreundlich 
gesinnt waren, kamen ihnen zwar entgegen, äusserten 
jedoch über mich weder Lob noch Tadel. Als hierauf 
die Abgeordneten von Sepphoris nach Asochis reisten 
und dort wieder dasselbe Geschrei wie in Japha hören 
mussten, vermochten sie ihren Zorn nicht mehr zu be- 
meistern und liessen ihre Bewaffneten mit Knitteln auf 
die Schreier einhauen. In Gabara stiess dann Joannes 
mit dreitausend Mann zu ihnen. Da ich aber aus dem 
Briefe wusste, dass sie entschlossen waren, gegen mich 
zu kämpfen, brach ich mit dreitausend Bewaffneten von 
Chabolo auf, nachdem ich das dortige Lager meinem 
treuesten Freund unterstellt hatte, und begab mich nach 
Jotapata, um meinen Gegnern auf vierzig Stadien nahe 
zu sein. Alsdann schrieb ich folgenden Brief an sie: 


1 Dasselbe wie Gabara. 



Selbst biographie . 


45 


„Wenn ihr durchaus darauf besteht, dass ich mich bei 
euch einfinde, so wisset, dass es zweihundertvier Städte 
und Dörfer in Galilaea giebt. In jeden dieser Orte will 
ich je nach eurem Wunsch kommen, nur nicht nach 
Gabara und Gischala, denn dieses ist die Vaterstadt 
des Joannes, jenes aber mit ihm verbündet und be- 
freundet“ 

46. Auf diesen Brief gaben mir Jonathas und seine 
Genossen keine weitere Antwort, veranstalteten vielmehr 
eine Zusammenkunft ihrer Freunde, zu der auch Joannes 
zugezogen wurde, und hielten Rat wie sie mich angreifen 
könnten. Joannes war der Meinung, man solle in alle 
Städte und Dörfer Galilaeas schicken, denn in jedem 
Orte sei doch der eine oder andere mir abgeneigt; diese 
müsse man dann gegen mich, den gemeinsamen Feind, 
aufrufen. Komme nun ein solches Vorgehen zu stände, 
so solle man die Nachricht davon nach Jerusalem 
schicken, damit auch die dortigen Bürger, nachdem sie 
erfahren hätten, dass ich von den Galiläern als Feind 
behandelt würde, sich in gleichem Sinne aussprächen. 
Wenn das geschähe, würden die Galiläer, die mir noch 
treu seien, mich aus Furcht verlassen. Dieser Rat des 
Joannes gefiel den anderen ausnehmend gut Aber 
schon um die dritte Stunde der Nacht war ich davon 
durch einen gewissen Sakchaeus benachrichtigt der von 
ihm zu mir überging und mir den Anschlag verriet 
Jetzt beschloss ich, nicht länger zu zögern. Ich trug 
daher einem meiner erprobtesten Leute Namens JakobuB 
auf, mit zweihundert Mann alle Wege zwischen Gabara 
und dem übrigen Galilaea zu bewachen, die Wanderer 
aufzugreifen und sie mir zuzusenden , besonders wenn 
sich Briefe bei ihnen vorfanden. Ebenso schickte ich 
meinen Freund Jeremias mit sechshundert Mann an die 
Grenzen Galilaeas, um die Strassen nach Jerusalem zu 
beobachten, alle Reisenden, bei denen Briefe gefunden 
würden, festzunehmen, und die Boten selbst sogleich 
einzukerkern, die Briefe aber an mich gelangen zu 
lassen. 



46 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 

47. Nachdem ich diese Anordnungen getroffen hatte» 
liess ich die Galiläer auffordern» sich am folgenden Tage 
mit Waffen und dreitägigem Proviant vor Gabaroth 
einzufinden. Meine eigenen Soldaten teilte ich in vier 
Scharen, bildete aus den zuverlässigsten Leuten meine 
Leibwache und setzte Befehlshaber über sie, denen ich 
einschärfte, keinen unbekannten Soldaten mit ihren 
Untergebenen in Verbindung treten zu lassen. Als ich 
tags darauf um die fünfte Stunde nach Gabaroth kam, 
fand ich die ganze Ebene vor dem Dorf mit Bewaffneten 
gefüllt, die meinem Aufgebot zufolge als Hilfstruppen 
aus Galilaea zusammengeströmt waren; ausserdem lief 
noch eine grosse Menge Menschen aus den Dörfern 
herbei. Wie ich nun auf sie zuschritt und eine An* 
spräche an sie halten wollte, tönte mir ein lautes Freuden- 
geschrei entgegen, und alle begrüssten mich als Wohl- 
thäter und Retter des Landes. Ich dankte ihnen und 
ermahnte sie, niemand zu brandschatzen und nirgends 
zu plündern, sondern, mit ihrem Mundvorrat zufrieden, 
sich in der Ebene zu lagern; denn es sei mein Wunsch, 
den Aufruhr ohne Blutvergiessen zu dämpfen. Am 
nämlichen Tage schon fielen die Eilboten des Jonathas 
mit ihren Briefen den von mir aufgestellten Wachtposten 
in die Hände und wurden meinem Befehl gemäss an 
Ort und Stelle in Gewahrsam genommen. In den Briefen 
fand ich übrigens nichts als Schmähungen und Lügen, 
und ohne irgend jemand von ihrem Inhalt Mitteilung zu 
machen, entschloss ich mich zum Angriff. 

48. Als Jonathas und seine Genossen meine Ankunft 
erfuhren, zogen sie sich mit Joannes und allen ihren 
Leuten in das Haus des Jesus zurück, ein hohes, turm- 
ähnliches Gebäude, das ganz wie eine Festung aussah. 
Hier versteckten sie eine Anzahl Bewaffneter, verschlossen 
die Thüren bis auf eine und erwarteten, dass ich gleich 
vom Marsche weg hereinkommen würde, um sie zu be- 
grüssen. Ihre Leute hatten Befehl, mich allein einzu- 
lassen, die übrigen aber auszusperren; auf diese Weise 
dachten sie mich mit leichter Mühe in ihre Gewalt zu 



Selbstbiograpbie. 


47 


bekommen. Hierin aber tauschten sie sich gewaltig, 
leb begab mich nämlich, da ich ihre Hinterlist merkte, 
gleich nach meiner Ankunft in eine Herberge, die dem 
Hause des Jesus gegenüberlag, anscheinend um auszu- 
ruhen. Alsbald gingen Jonathas und die Seinen in der 
Meinung, ich läge bereits im Schlaf, aufs Feld hinaus 
und suchten meinen Leuten einzureden , ich sei ein 
schlechter Anführer. Aber es kam ganz anders, als sie 
erwartet hatten: Denn bei ihrem Anblick erhoben die 
Galiläer als Zeichen ihres offenkundigen Wohlwollens 
gegen mich ein lautes Geschrei und empfingen die Ge- 
sandten mit heftigen Vorwürfen. Jonathas und seine 
Begleiter, riefen sie, seien gekommen, ohne dass Josephus 
ihnen etwas zuleide gethan, und nur in der Absicht, die 
Galiläer ins Verderben zu stürzen. Sie möchten also nur 
dahin zurückgehen, woher sie gekommen seien ; denn nie 
würden die Galiläer sich bereden lassen , einen anderen 
Statthalter als Josephus anzuerkennen. Sowie mir dies 
gemeldet wurde, zögerte ich keinen Augenblick mehr, 
hinunterzugehen, und trat urplötzlich ins Freie, um selbst 
zu hören, was Jonathas und seine Begleiter sagen 
würden. Stürmisches Freudengeschrei der ganzen Menge 
empfing mich, und unter Segenswünschen bezeugten sie 
mir ihren Dank für die bisherige Verwaltung meines 
Postens. 

49. Dieser Vorgang flösste den Gesandten tödlichen 
Schrecken ein; denn sie fürchteten, von den Galiläern 
mir zulieb niedergehauen zu werden. Ihr erster Gedanke 
war der an Flucht; aber sie vermochten ihn nicht aus- 
zuführen, weil ich ihnen befahl, zu bleiben. So standen 
sie denn da, wie niedergeschmettert durch mein Wort. 
Hierauf ersuchte ich die Menge, mit dem Beifallsgeschrei 
einzuhalten, beorderte meine treuesten Soldaten an die 
Wege, um durch ihre Wachsamkeit einen etwaigen Über- 
fall von seiten des Joannes zu vereiteln, befahl den 
Galiläern, die Waffen in die Hand zu nehmen, damit 
sie nicht durch einen unvermuteten feindlichen Angriff 
in Unordnung gerieten, und rief nun dem Jonathas und 



48 


Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. 


seinen Gefährten den Brief in Erinnerung, worin sie mir 
geschrieben, dass sie von dem Gemeindevorstand zu Jeru- 
salem geschickt worden seien , um die Streitigkeiten 
zwischen mir und Joannes beizulegen , . und mich auf- 
gefordert hatten, zu ihnen zu kommen. Während ich 
dies sprach, hielt ich ihnen, damit sie, durch ihre eigene 
Unterschrift überführt, nichts leugnen könnten, das 
Schreiben entgegen und fuhr dann fort: „Wenn ich dir, 
Jonathas, und deinen Mitgesandten vor Gericht über 
meinen Zwist mit Joannes Rechenschaft geben müsste, 
so hättet ihr doch wohl an dem Zeugnis zweier oder 
dreier ehrenwerten Männer, deren Leumund ihr prüfen 
könntet, genug, um mich von jeder Beschuldigung freizu- 
sprechen. Damit ihl aber wisst, dass ich die Angelegen- 
heiten Galilaeas recht verwaltet habe, erachte ich im 
Gefühle meiner Unschuld drei Zeugen für noch zu wenig, 
stelle euch vielmehr alle diese Männer hier als solche 
auf. Von ihnen müsst ihr Zeugnis über mich verlangen 
und dann urteilen, ob ich nicht mit aller Ehrbarkeit 
und Tüchtigkeit hier gewaltet habe. Euch aber, ihr 
Galiläer, beschwöre ich, nichts von der Wahrheit zu 
.verhehlen, sondern vor diesen Männern gleichwie vor 
Richtern zu sagen, wenn etwas nicht recht ge- 
schehen ist.“ 

50. Noch hatte ich nicht ausgeredet, als die sämt- 
lichen Galiläer mich einstimmig ihren Retter und Wohl- 
thäter nannten, mein bisheriges Verhalten rühmten und 
mich aufforderten, in Zukunft ebenso zu handeln. Alle 
versicherten unter Eidschwur, dass ihre Frauen nicht 
beleidigt worden seien und dass ich keinen Menschen 
je gekränkt hätte. Hierauf verlas ich zwei Briefe der 
Gesandten, welche von meinen Wachtposten aufgefangen 
und an mich geschickt worden waren. Dieselben wimmelten 
von Schmähungen und behaupteten lügnerischerweise, 
ich hätte mich in Galilaea wie ein Tyrann und nicht 
wie ein Feldherr betragen. Ich erklärte übrigens der 
Versammlung, die Boten hätten mir die Briefe freiwillig 
übergeben; meine Gegner sollten nämlich nichts von den 



Selbstbiographie. 


49 


Wachtposten erfahren, damit sie nicht aus Furcht von 
fernerem Schreiben Abstand nähmen. 

51. Als dies die Menge vernahm, stürmte sie in der 
grössten Erbitterung gegen Jonathas und dessen Mit- 
gesandte an, um sie niederzumachen, und sie würden 
ihre Absicht auch wohl erreicht haben, wenn ich ihrem 
Wüten nicht Einhalt geboten hätte. Dem Jonathas aber 
und seinen Gefährten erklärte ich, dass ich ihnen ver- 
zeihe, wenn sie das Vorgefallene bereuen, nach Hause 
gehen und ihren Auftraggebern die Wahrheit über meine 
Amtsführung berichten wollten. Mit diesen Worten ent- 
liesB ich sie, obwohl ich wusste, dass sie ihr Versprechen 
in keinem Punkte halten würden. Das Volk war übrigens 
derart gegen sie aufgebracht, dass es mich dringend bat, 
an den Nichts würdigen Rache nehmen zu dürfen. Ich 
versuchte nun alle möglichen Mittel, um sie zur Schonung 
der Gesandten zu bewegen, weil es mir sattsam bekannt 
war, dass jeder Aufruhr für das Wohl der Allgemein- 
heit verderblich ist. Doch die Menge bestand auf der 
Befriedigung ihrer Rache und drang unaufhaltsam gegen 
das Haus vor, wo die Gesandten abgestiegen waren. 
Als ich aber die zügellose Wut der Meinigen bemerkte, 
stieg ich zu Pferde und befahl ihnen , mir nach dem 
Dorf Sogane zu folgen, welches zwanzig Stadien von 
Gabara entfernt liegt. Durch diese List erreichte ich, 
dass man mir nicht den Vorwurf machen konnte, als 
hätte ich Anlass zum Bürgerkrieg gegeben. 

62. In der Nähe von Sogane liess ich halt machen, 
warnte meine Leute vor leidenschaftlichen Aufwallungen 
und übereilten Racheakten und befahl dann, dass hundert 
durch Alter und Ansehen ausgezeichnete Männer sich 
zur Reise nach Jerusalem rüsten sollten, um dort vor 
dem Volke über die Unruhstifter im Lande Klage zu 
führen. „Gelingt es euch,“ sagte ich, „mit euren Vor- 
stellungen durchzudringen, so verlangt von dem Gemeinde- 
vorstand einen schriftlichen Befehl, der mir gebietet, in 
Galilaea zu bleiben, den Jonathas aber und seine Mit- 
gesandten zurückrüft.“ Als ich ihnen diese Aufträge 

Jonepha», Kleinert^te^f^iU^ 4 



50 


Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. 


erteilt und sie sich eiligst zur Abreise fertig gemacht 
hatten, schickte ich sie am dritten Tage nach jener Ver- 
sammlung unter dem Geleit von fünfhundert Kriegern 
ab. Zugleich schrieb ich an meine Freunde in Samaria^ 
Bie möchten für sichere Reise meiner Abgesandten durch 
die Landschaft Sorge tragen. Samaria nämlich war schon 
von den Römern besetzt; der kürzeste Weg nach Jeru- 
salem aber führt durch dieses Gebiet, denn über Samaria 
gelangt man schon in drei Tagen von Galilaea nach 
der Hauptstadt. Ich selbst gab der Gesandtschaft bis 
zur Grenze Galilaeas das Geleit und stellte Wächter 
an der Landstrasse auf, damit ihre Reise nicht bemerkt 
würde. Alsdann nahm ich meinen Aufenthalt in Japha. 

53. Als Jonathas und seine Kollegen ihre Anschläge 
misslungen sahen, schickten sie den Joannes nach 
Gischala zurück, während sie selbst in der Hoffnung, 
Tiberias auf ihre Seite bringen zu können, sich nach 
dieser Stadt begaben. Jesus nämlich, der damals oberster 
Beamter von Tiberias war, hatte ihnen geschrieben, dass 
er die Einwohner bereden wolle, die Gesandten aufzu- 
nehmen und gemeinsame Sache mit ihnen zu machen. 
Mit dieser Hoffnung also gingen sie dorthin. Ich aber 
erhielt sogleich Kunde davon durch Silas, den ich, wie 
oben bemerkt, als meinen Stellvertreter in Tiberias zurück- 
gelassen hatte; er forderte mich auf, schleunigst zu 
kommen. Alsbald erschien ich denn auch, sah mich 
aber gleich nach meiner Ankunft in die äusserste Lebens- 
gefahr versetzt, und zwar aus folgender Veranlassung. 
Jonathas und seine Genossen hatten bereits die Tibe- 
rienser bearbeitet und viele aus denen, die mir von früher 
her feindlich gesinnt waren, gegen mich aufgewiegelt. 
Als sie nun vernahmen, ich sei da, kamen sie, für ihr 
Leben fürchtend, sogleich zu mir. Sie begrüssten mich, 
wünschten mir Glück zu meiner Verwaltung Galilaeas 
und bekundeten ihre Freude darüber, dass mein An- 
sehen sich so vergrö8sert habe, da ein Teil dieser Ehre 
auch auf sie falle, weil sie nicht nur meine Mitbürger, 
sondern auch meine Lehrer seien. Auf meine Freund- 



Selbstbiographie. 


51 


schaffe, fügten sie hinzu, legten sie viel mehr Gewicht 
als auf die des Joannes. Sie seien zwar schon im Be- 
griff, nach Hause zu reisen, wollten aber noch so lange 
bleiben, bis sie den Joannes mir unterthan gemacht 
hatten. Diese Worte bekräftigten sie mit den furcht- 
barsten Eidschwüren, die bei uns Geltung haben, weshalb 
ich jedes Misstrauen gegen sie fahren liess. Schliesslich 
baten sie mich auch noch, ich möchte mich anderswohin 
begeben, weil morgen Sabbat sei; denn sie würden es 
nicht wünschen, dass Tiberias gerade um ihretwillen in 
Unruhe geriete. 

54. Ganz ohne Argwohn ging ich nach Tarichaea, 
doch liess ich in Tiberias Spione zurück, um achtzu- 
geben, was über mich gesprochen würde. Auch auf dem 
ganzen Wege zwischen beiden Städten hatte ich eine 
Anzahl Leute aufgestellt, damit sie mir durch Meldung 
der Nachricht von einem zum anderen mitteilten, was 
sie von den Spionen in Tiberias erführen. Am folgenden 
Tage versammelten sich alle im Bethause, einem sehr 
geräumigen Gebäude, das eine Menge Menschen fasste. 
Jonathas, der zuerst auftrat, hatte zwar nicht den Mut, 
das Wort „Abfall“ offen auszusprechen, erklärte aber, 
dass die Stadt einen besseren Anführer haben müsse. 
Jesus dagegen, der Vorsteher, enthüllte seine geheimsten 
Gedanken. „Mitbürger,“ sagte er, „es ist besser, dass 
wir vier Männern gehorchen als einem. einzigen, zumal 
solchen, die durch Abstammung und Einsicht gleich aus- 
gezeichnet sind.“ Damit meinte er die Gesandten. Als- 
dann erhob sich Justus, trat der Meinung des Jesus bei 
und gewann einige aus dem grossen Haufen. Die Mehr- 
zahl jedoch war mit diesen Reden nicht zufrieden, und 
es wäre wohl sicher zum Aufruhr gekommen, hätte nicht 
der Eintritt der sechsten Stunde, um welche Zeit wir 
das Sabbatmahl nehmen müssen, die Versammlung be- 
endigt. Jonathas und seine Genossen verschoben nun 
die weiteren Verhandlungen auf den folgenden Tag und 
begaben sich unverrichteter Sache in ihre Wohnung. 
Als mir dieser Vorgang gemeldet wurde, entschloss ich 



52 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

1 

mich, am anderen Morgen in der Frühe nach Tiberias 
zu gehen. Um die erste Stunde traf ich daselbst ein 
und fand die Bürger bereits im Bethause versammelt, 
ohne dass sie gewusst hätten, zu welchem Zweck sie be- 
rufen worden waren. Jonathas und seine Gefährten 
erschraken heftig über meine unerwartete Ankunft, ge- 
rieten aber schnell auf den Einfall, das Gerücht auszu- 
streuen, man habe in der Nachbarschaft, dreissig Stadien 
vor der Stadt, auf der sogenannten Homonoia 1 römische 
Reiter gesehen. Auf An stiften der Gesandten wurde 
dies dem Volke vorgelogen und hinzugefügt, man solle 
doch nicht zulassen, dass das Land von den Feinden 
verwüstet werde. In Wahrheit bezweckte man damit 
nur, mich unter dem Vorwand, dass ich Hilfe bringen 
müsse, aus der Stadt zu entfernen, um dieselbe dann 
gründlich gegen mich aufhetzen zu können. 

55. Obwohl ich nun ihre Absicht durchschaute, liess 
ich mich doch herbei, hinauszugehen , um nicht bei den 
Tiberiensern den Anschein zu erwecken, als kümmere 
ich mich nicht um ihre Sicherheit. Aber nicht die Spur 
von Feinden fand ich an der bezeichneten Stelle, und 
so kehrte ich denn auf dem kürzesten Wege wieder nach 
Tiberias zurück. Als ich ankam, fand ich den Jonathas 
eben damit beschäftigt, vor versammeltem Rat und Volk 
die schwere Anklage gegen mich zu erheben, dass ich 
nicht im mindesten ihnen die Lasten des Krieges zu 
erleichtern suche, sondern in Üppigkeit dahinlebe. Zu- 
gleich brachten die Gesandten vier Briefe vor, die an- 
geblich aus dem benachbarten Galilaea an sie gerichtet 
worden waren, und worin um schleunige Hilfe gebeten 
wurde, da das römische Heer, Reiterei sowohl wie Fuss- 
volk, in drei Tagen eintreffen würde, um das Land zu 
verwüsten ; man möge also eilen und die Bittsteller nicht 
unerhört lassen. Die Tiberienser hielten das für bare 
Münze und schrien mir zu, ich solle doch nicht sitzen 
bleiben, sondern den Stammesgenossen zu Hilfe eilen. 


1 Ein jetzt noch unbekannter Ort. 



Selbstbiographie. 


53 


Die Absicht des Jonathas und seiner Gefährten war mir 
natürlich klar; trotzdem erklärte ich meine Bereitwillig- 
keit, augenblicklich gegen den Feind auszurücken. Aber, 
fuhr ich fort, da wir aus den Briefen erführen, dass die 
Römer an vier Stellen zugleich einfällen würden, so sei 
es nötig, unsere Streitmacht in fünf Haufen zu teilen; 
über vier derselben sollten dann Jonathas und seine 
Freunde das Kommando führen. Denn wackeren Männern 
gezieme es nicht bloss zu raten, sondern auch in der 
Not selbst Hand anzulegen, und mehr wie eine Ab- 
teilung könne ich selbstverständlich nicht befehligen. 
Dieser Vorschlag fand beim Volke die lebhafteste Zu- 
stimmung, und so waren denn die Gesandten genötigt, 
mit in den Krieg zu ziehen. Freilich ärgerten sie sich 
nicht wenig darüber, dass ich ihre Anschläge so schlau 
zu nichte gemacht hatte. 

56. Einer von ihnen mit Namen Ananias, ein schlechter, 
heimtückischer Mensch, schlug nun dem Volke vor, für 
den folgenden Tag Gott zu Ehren ein allgemeines Fasten 
anzuordnen ; unbewaffnet sollten dann alle um dieselbe 
Stunde und am nämlichen Orte erscheinen, um dadurch 
vor Gott zu bekennen, dass Waffen nichts vermögen, 
wenn sie nicht von seiner Hilfe unterstützt werden. 
Das sagte er aber nicht aus Frömmigkeit, sondern um 
mich und die Meinigen wehrlos überfallen zu können. 
Um nun nicht den Schein auf mich zu laden, als ob 
ich einen so frommen Rat verachtete, musste ich not- 
gedrungen nachgeben. Sowie wir uns getrennt hatten, 
schrieb Jonathas an Joannes, er solle bei Tagesanbruch 
mit allen Truppen, die er aufzubringen vermöge, herbei- 
eilen, denn er werde mich mit leichter Mühe in seine 
Gewalt bekommen und dann nach Gutdünken mit mir 
verfahren können. Joannes war nach Empfang des 
Briefes auch gleich bereit, dem Wunsche zu entsprechen. 
Am folgenden Tage aber liess ich mich von zwei sehr 
handfesten und treuen Leibwächtern mit Dolchen im 
Gewände begleiten, damit wir, wenn ich von den Gegnern 
angegriffen würde, uns verteidigen könnten. Ich selbst 



54 


Des Flavins Josephns kleinere Schriften. 


schnallte mir unter dem Oberkleide verdeckt Panzer und 
Schwert um und ging so in das Bethaus. 

57. Jesus, der sich an der Thür aufgestellt hatte, 
schloss alle meine übrigen Begleiter aus und liess nur 
mich selbst mit einigen meiner Freunde eintreten. Während 
wir nun die vorgeschriebenen Ceremonien verrichteten 
und uns zum Gebet wandten, erhob sich Jesus und fragte 
mich, wo das ungeprägte Silber und die königlichen 
Gerätschaften seien, die man beim Brand des Palastes 
gerettet habe. Mit dieser Frage aber wollte er nur Zeit 
gewinnen, bis Joannes eintreffen würde. Ich gab ihm 
zur Antwort, alles befinde sich in den Händen des 
Capellus und der zehn vornehmsten Tiberienser; er möge 
sie nur fragen, ob es sich nicht so verhielte. Als diese 
meine Aussage bestätigten, frug er weiter: „Was ist denn 
aus den zwanzig Goldstücken geworden, um die du einen 
Teil des ungeprägten Silbers verkauft hast?“ „Die 
Goldstücke,“ entgegnete ich, „habe ich den nach Jeru- 
salem abgeordneten Gesandten als Reisegeld mitgegeben.“ 
Hierauf erklärten Jonathas und dessen Gefährten, es 
sei nicht recht von mir gewesen, die Gesandten aus der 
Gemeindekasse zu besolden. Darüber geriet das Volk 
in Erbitterung, denn es durchschaute die Bosheit jener 
Männer. Weil ich nun sah, dass der Ausbruch von 
Feindseligkeiten nahe bevorstand, suchte ich die Menge 
noch mehr gegen die heimtückischen Gesellen aufzu- 
reizen, erklärte aber dann: „Wenn ich nicht recht daran 
gethan habe, unseren Gesandten aus öffentlichen Mitteln 
Reiseunterstützung zu zahlen, so hört nur auf zu grollen, 
denn ich werde die zwanzig Goldstücke aus meiner 
eigenen Tasche ersetzen.“ 

58. Hierauf wussten Jonathas und seine Kollegen 
nichts zu erwidern ; das V olk aber ergrimmte noch mehr, 
weil sie ihren ungerechten Hass gegen mich so offen zur 
Schau trugen. Als Jesus diese veränderte Stimmung 
wahrnahm, hiess er die Menge auseinandergehen und 
ersuchte, dass nur der Rat bleiben möchte; denn es sei 
unmöglich, bei dem allgemeinen Lärm eine solche Unter- 



suchung zu führen. Das Volk aber schrie, es werde 
mich nicht allein bei ihnen lassen. In demselben Augen- 
blick kam ein Bote, der dem Jesus und seinen An- 
hängern verstohlen die Meldung brachte, Joannes sei 
]nit seinem Heer in der Nähe. Da konnte sich Jonathaa 
nicht mehr beherrschen — offenbar, weil Gottes Vor- 
sehung mich retten wollte, denn sonst wäre ich von 
Joannes umgebracht worden — und laut rief er: „Ihr 
Tiberienser, lasst jetzt nur die Untersuchung wegen der 
zwanzig Goldstücke ruhen. Denn um dieser Sache willen 
ist Josephus nicht des Todes schuldig, wohl aber, weil 
er nach der Alleinherrschaft strebt und durch Verführung 
des Volkes von Galilaea die Macht an sich gerissen 
hat“ Nun legten sie Hand an mich und wollten mich 
töten. Meine Begleiter aber hatten nicht sobald die 
Gefahr erkannt, als sie ihre Dolche zogen und jeden 
niederzustossen drohten, der mir Gewalt anthun würde. 
So entrissen sie mich, während das Volk Steine gegen 
Jonathas aufhob, der Wut meiner Feinde. 

59. Als ich aber eine Strecke weit gegangen war, 
merkte ich, dass ich so dem Joannes und seiner Streit- 
macht in die Hände fallen würde. Ich wandte mich 
daher durch eine enge Gasse nach dem See, bestieg ein 
Fahrzeug, das ich gerade antraf, und setzte nach Tari- 
chaea über. So entging ich unverhofft der Gefahr. In 
Tarichaea berief ich sogleich die angesehensten Galiläer 
zusammen und teilte ihnen mit, wie schmählich ich von 
der Gesandtschaft und den Tiberiensern verraten worden 
sei und beinahe ums Leben gekommen wäre. Darüber 
gerieten die Versammelten in heftigen Zorn und riefen 
mir zu, ich solle doch nicht mehr mit dem Angriff zögern 
und ihnen Gelegenheit geben, Joannes, Jonathas und 
deren Anhänger niederzumachen. So erbost sie nun 
auch waren, suchte ich sie doch zu beschwichtigen und 
erklärte ihnen, man müsse erst ab warten, welchen Be- 
scheid unsere Gesandten aus Jerusalem mitbringen würden ; 
denn nur in voller Übereinstimmung mit ihnen dürften 
,wir handeln. Das leuchtete den Galiläern denn auch 



56 


Des Flavius Josephos kleinere Schriften. 


ein. Joannes zog übrigens, als er seinen Anschlag miss- 
glückt sah, nach Gischala ab. 

60. Einige Tage nachher kamen meine Gesandten 
zurück mit der Nachricht, das Volk zu Jerusalem sei 
auf Ananus sowie auf Simon, den Sohn des Gamaliel, 
äusserst schlecht zu sprechen, weil sie ohne Vorwissen 
der Gemeinde Gesandte nach Galilaea geschickt hätten, 
um mich zu stürzen. Die Abgeordneten sagten ferner 
aus, das Volk habe in seiner Erbitterung sogar die 
Häuser jener Männer anzünden wollen. Auch brachten 
sie Briefe mit, worin die Vorsteher zu Jerusalem auf 
dringendes Verlangen der Gemeinde mich als Statt- 
halter Galilaeas bestätigten, den Jonathas dagegen und 
dessen Begleiter nach Hause zurückriefen. Als ich von 
diesen Urkunden Kenntnis genommen hatte, begab ich 
mich nach Arbela, wo ich die Galiläer zur Versamm- 
lung entbot und meine Abgesandten ersuchte, von dem 
Unwillen, den die Bürgerschaft Jerusalems über das 
Vorgehen des Jonathas und seiner Genossen an den 
Tag gelegt, sowie darüber zu berichten, dass ich in 
meiner Eigenschaft als Statthalter bestätigt, die Ge- 
sandten dagegen zurückberufen seien. Den Brief hatte 
ich übrigens sogleich weitergeschickt und den Über- 
bringer beauftragt, die Absichten des Jonathas und 
seiner Kollegen zu erforschen. 

61. Das Schreiben brachte natürlich die letzteren in 
nicht geringe Verlegenheit. Sie Hessen daher den Joannes, 
die Ratsherren von Tiberias und die Vorsteher von Ga- 
bara zusammenrufen und überlegten mit ihnen, was zu 
thun sei. Die Tiberienser waren der Ansicht, man dürfe 
nicht nachgeben, und noch weniger würden sie es ver- 
stehen, wenn die Gesandten eine Stadt, die sich ihnen 
in die Arme geworfen, im Stich lassen wollten; denn 
sicherlich würde ich sogleich über Tiberias herfallen. 
Sie stellten nämlich die erlogene Behauptung auf, ich 
hätte ihnen letzteres bereits angedroht. Joannes trat 
nicht nur dieser Meinung bei, sondern verlangte auch, 
es sollten zwei von den Gesandten nach Jerusalem reisen, 



Selbstbiographie. 


57 


um mich vor der Gemeinde anzuklagen, dass ich Gali- 
laea schlecht verwalte. Diesen Männern werde es nicht 
schwer fallen, Glauben zu finden, einmal wegen ihres 
persönlichen Ansehens, und dann auch, weil die Volks- 
menge recht wankelmütig Bei. Der Vorschlag des Joannes 
fand beifällige Aufnahme, und so beschloss man, dass 
zwei der Gesandten, Jonathas und Ananias, nach Jeru- 
salem gehen, die anderen zwei aber in Tiberias bleiben 
sollten. Die beiden ersten nahmen hundert Bewaffnete 
zu ihrer Bedeckung mit. 

62. Die Tiberienser verlegten sich nun darauf, ihre 
Mauern zu verstärken, und riefen alle Bewohner der 
Stadt zu den Waffen. Auch von Joannes, der sich in 
Gischala befand, Hessen sie eine Anzahl Hilfstruppen 
kommen, um sie nötigenfalls gegen mich zu verwenden. 
Jonathas und sein Genosse waren unterdessen von Tibe- 
rias aufgebrochen ; als sie aber bis Dabaritta gekommen 
waren, das an der galilaeischen Grenze in der grossen 
Ebene liegt, fielen sie um Mitternacht meinen Wacht- 
posten in die Hände. Diese geboten ihnen, die Waffen 
abzulegen , und hielten sie meinem Befehl gemäss an 
Ort und Stelle gefangen. Levi, dem ich das Kommando 
über jenen Posten gegeben hatte, meldete mir sogleich 
den Vorfall. Ich wartete nun zwei Tage, als ob nichts 
geschehen wäre; am dritten forderte ich dann die Tibe- 
rienser auf, die Waffen zu strecken und ihre Leute zu 
entlassen. Sie aber glaubten, Jonathas sei bereits in 
Jerusalem angelangt, und antworteten mir deshalb mit 
Hohn. Ich liese mich jedoch nicht abschrecken, sondern 
versuchte durch List zum Ziele zu kommen, da ich es 
für gottlos hielt, einen Bürgerkrieg anzufangen. Weil 
ich übrigens die beiden zurückgebliebenen Gesandten 
aus Tiberias entfernen wollte, sammelte ich zehntausend 
der besten Streiter, die ich in drei Haufen teilte. Einen 
davon liess ich heimlich in den benachbarten Dörfern 
sich festsetzen, während ich tausend Mann in ein anderes 
Dorf beorderte, das vier Stadien von Tiberias entfernt 
ebenfalls auf einer Anhöhe lag, mit dem Befehl, herbei- 



58 


Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. 


zueilen, sobald sie das entsprechende Bignal vernähmen. 
Ich selbst rückte vor das Dorf und lagerte mich im 
Angesichte der Stadt. Als die Tiberienser dies merkten, 
liefen sie in Masse aus der Stadt heraus und verhöhnten 
mich. In ihrer Thorheit verstiegen sie sich sogar dazu, 
eine zierliche Leichenbahre anzufertigen, sich rings um 
dieselbe aufzustellen und mich unter Scherz und Spott 
wie einen Toten zu beklagen. Es machte mir Spass, 
ihrem unsinnigen Treiben zuzusehen. 

63. Um nun Simon und Joazar durch List zu fangen, 
schickte ich einen Boten in die Stadt und liess sie auf- 
fordern, mit ihren Freunden und einer Anzahl Be- 
deckungsmannschaften herauszukommen: ich wolle Frieden 
schliessen und die Statthalterschaft von Galilaea mit 
ihnen teilen. Aus Unverstand und nebenbei auch aus 
Gewinnsucht liess sich Simon verlocken und kam ohne 
Zögern ; Joazar dagegen witterte die Falle und blieb zu 
Hause. Als nun Simon unter dem bewaffneten Geleit 
seiner Freunde hervortrat, ging ich ihm entgegen, be- 
grüsste ihn freundlich und dankte ihm für sein Kommen. 
Nach einer Weile ging ich mit ihm beiseite, als wollte 
ich ihm etwas unter vier Augen sagen ; sowie ich ihn 
aber auf diese Weise von seinen Begleitern weggebracht 
hatte, fasste ich ihn plötzlich um den Leib und liess 
ihn durch meine Leute in das Dorf abführen. Gleich- 
zeitig gab ich meinen Soldaten das Zeichen, herabzu- 
kommen, und rückte mit ihnen vor Tiberias. Es kam 
nun zu einem hitzigen Treffen. Zunächt schien sich der 
Sieg auf die Seite der Tiberienser zu neigen, und schon 
begannen die Meinigen zu weichen. Kaum aber hatte 
ich dies gesehen, als ich die in meiner Nähe Kämpfenden 
anfeuerte und die nahezu siegreichen Tiberienser in die 
Stadt zurückdrängte. Zugleich liess ich eine andere Ab- 
teilung vom See aus vorrücken mit dem Befehl, das 
erste Haus, das sie erobern würden, in Brand zu stecken. 
Als dies geschah, glaubten die Tiberienser, ihre Stadt 
sei bereits erstürmt, warfen vor Schrecken die Waffen 
weg und flehten mit Weib und Kind mich an, ihrer 



Selbstbiographie. 


59 


Heimat zu schonen. Ihre Bitten riefen mein Mitleid 
wach, und so that ich dem Ungestüm der Soldaten 
Einhalt und zog mich mit der gesamten Truppenmacht, 
weil es schon Abend war, von den Mauern zurück, um 
der Ruhe zu pflegen. Den Simon lud ich sodann zum 
Abendessen ein, tröstete ihn wegen des Vorgefallenen 
und versprach ihm Reisegeld und sicheres Geleit nach 
Jerusalem. 

64. Tags darauf rückte ich mit zehntausend Mann 
in Tiberias ein, berief die angesehensten Bürger nach 
der Rennbahn und forderte sie auf, die Anstifter der 
Empörung namhaft zu machen. Als dies geschehen 
war, liess ich die Schuldigen fesseln und nach Jotapata 
bringen. Dann gab ich Befehl, Jonathas, Ananias und 
die übrigen ihrer Bande zu entledigen, versah sie mit 
Reisegeld und sandte sie sowie Simon und Joazar unter 
einer Bedeckung von fünfhundert Mann nach Jerusalem. 
Die Tiberienser aber kamen noch einmal zu mir und 
baten flehentlich um Verzeihung, indem sie mir ver- 
sprachen, durch künftige Treue ihr Vergehen wieder gut 
zu machen. Zugleich sprachen sie den Wunsch aus, 
dass das, was aus den Händen der Plünderer noch ge- 
rettet werden könne, den Eigentümern wieder zurück- 
gegeben würde. Ich befahl darauf sofort meinen Sol- 
daten, alles herauszugeben, was sie hätten. Geraume 
Zeit sträubten sie sich. Auf einmal sah ich einen 
meiner Leute in einem kostbareren Gewände, als er 
sonst zu tragen pflegte, und sogleich frug ich ihn, woher 
er es habe. Als er gestand, es rühre von der Plün- 
derung der Stadt her, liess ich ihn prügeln und drohte 
den anderen insgesamt mit noch härterer Strafe, wenn 
•ie nicht alles Geraubte auslieferten. Nun kamen eine 
Menge Sachen zum Vorschein, und jeder Tiberienser 
erhielt das zürück , was als sein Eigentum erkannt 
wurde. 

65. Da ich nun bis hierher in meiner Erzählung ge- 
kommen bin, sei es mir gestattet, eine kleine Ab- 
schweifung zu machen und einiges gegen Justus zu 



60 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


bemerken, der ebenfalls ein Werk über diesen Krieg 
verfasst hat, sowie gegen andere, die sich als Geschicht- 
schreiber ausgeben, aber, unbekümmert um die Wahr- 
heit, aus Hass oder Gunst in den Tag hinein lügen. 
Solche Menschen sind um nichts besser als die, welche 
Vertragsurkunden fälschen; aber weil es ihnen nicht so 
ergeht wie jenen, lügen sie un gescheut weiter. Justus 
also unternahm es, über unsere Thaten und den Krieg 
zu schreiben, und um sich den Anschein zu geben, als 
sei er besonders sorgfältig zu Werk gegangen, hat er 
über mich gelogen und nicht einmal über seine Vater- 
stadt die Wahrheit berichtet. Ich bin genötigt, mich 
gegen sein falsches Zeugnis zu verteidigen, und muss 
daher kundthun, was ich bisher verschwiegen habe ; man 
wundere sich also nicht darüber. Der Geschichtschreiber 
soll zwar vor allem die Wahrheit sagen; doch es muss 
ihm auch erlaubt sein, die Bosheit gewisser Leute auf- 
zudecken — nur darf dies nicht mit Bitterkeit geschehen, 
nicht sowohl weil er eine solche Mässigung seinem 
Gegner, als weil er sie sich selbst schuldet. „Nun denn, 
mein lieber Justus,“ — ich will dich anreden, als wärst 
du gegenwärtig — „du Muster unter den Geschicht- 
schreibern (denn dafür hältst du dich selbst), wie kommst 
du zu der Behauptung, dass ich und die Galiläer an der 
Empörung deiner Vaterstadt gegen die Börner und den 
König schuld gewesen seien? Noch ehe ich vom Ge- 
meindevorstand zu Jerusalem zum Statthalter von Gali- 
laea ernannt wurde, hatten doch alle Tiberienser mit 
dir nicht nur die Waffen ergriffen, sondern auch die 
Zehnstädte 1 in Syrien bekriegt. Oder warst du es nicht, 
der ihre Dörfer verbrannte, und fiel nicht dein Diener 
dort auf dem Schlachtfelde? Aber nicht ich allein 
sage dir dies ; du kannst es vielmehr auch in den Denk- 
würdigkeiten des Imperators Vespasianus lesen sowie 
daselbst die Klagen der Zehnstädte finden, welche sie 
bei Vespasianus in Ptolema'is gegen dich als den Ur- 


1 Siehe unter Dekapolis im Namenregister znm Jttd. Krieg. 



Selbstbiographie. 


61 


heber ihres Unglücks vorbrachten. Du hättest auch auf 
Befehl des Vespasianus dafür büssen müssen, wenn nicht 
König Agrippa, der beauftragt war, dich hinrichten zu 
lassen, auf die inständigen Bitten seiner Schwester 
Berenike die Todesstrafe in lange Kerkerhaft um- 
gewandelt hätte. Auch deine späteren Thaten kenn- 
zeichnen deinen Charakter deutlich genug und beweisen, 
dass du es warst, der deine Vaterstadt zum Aufstand 
gegen die Römer verleitete. Ich werde dies gleich noch 
näher darthun. Zunächst muss ich um deinetwillen 
einige Worte mit deinen Mitbürgern reden, damit künf- 
tige Leser meines Geschichtswerkes erfahren, dass ihr 
weder der Römer noch des Königs Freunde wart. Die 
grössten Städte Galilaeas sind bekanntlich Sepphoris und 
Tiberias, letzteres deine Vaterstadt, mein verehrter Justus. 
Sepphoris liegt mitten in Galilaea, ist von vielen Dörfern 
umgeben und hätte also, wenn es nur wollte, sich leicht 
gegen die Römer empören können. Trotzdem zog die Stadt 
es vor, ihrem Herrn treu zu bleiben: sie verschloss mir 
dieThore und untersagte jedem ihrer Bürger, im jüdischen 
Heere zu dienen ; ja , um gegen etwaige Angriffe seitens 
der Juden gesichert zu sein, veranlasst« sie mich durch 
trügerische Vorspiegelungen, sie mit Mauern zu befestigen. 
Später nahm sie eine von Cestius Gallus, dem Befehls- 
haber der römischen Legionen in Syrien, geschickte Be- 
satzungstruppe auf, obwohl ich damals im Besitz grosser 
Macht und allen ein Schrecken war. Und noch später 
während der Belagerung Jerusalems, als unsere herrliche 
Hauptstadt und das allen gemeinsame Heiligtum Gefahr 
lief, in die Hände der Feinde zu fallen, schickten die 
Bürger von Sepphoris nicht die mindeste Hilfe, nur um 
nicht den Anschein zu erwecken, als wollten sie sich 
gegen die Römer auf lehnen. Deine Vaterstadt hingegen, 
mein Justus, die am See Gennesaritis, dreissig Stadien 
von Hippos, sechzig von Gadara und hundertzwanzig 
von Skythopolis entfernt mitten im königlichen Gebiete 
liegt, hätte, wenn sie nur wollte, den Römern leicht treu 
bleiben können; denn sie war ja stark bevölkert, und 



62 


Des Flavias Josephns kleinere Schriften» 


Waffen hattet ihr auch genug. Freilich, ich war ja 
schuld an eurem Abfall, wie du sagst. Wer aber war 
es später, mein teurer Justus? Du weisst ja, dass ich 
vor der Belagerung Jerusalems in die Hände der Römer 
fiel, dass Jotapata und eine Reihe anderer Festungen im 
Sturm genommen wurden, dass eine Menge Galiläer auf 
dem Schlachtfeld verbluteten. Damals hättet ihr, da ihr 
von aller Furcht vor mir befreit wart, die Waffen fort- 
werfen und den Römern wie dem König zu Hilfe 
kommen sollen, weil ihr ja nicht freiwillig, sondern ge- 
zwungen den Krieg gegen sie begonnen hattet. Aber 
nein, ihr habt gewartet, bis Vespasianus mit seiner ganzen 
Streitmacht vor euren Mauern erschien ; aus blosser Angst 
legtet ihr die Waffen nieder, und eure Stadt wäre sicher 
erstürmt worden, hätte Vespasianus nicht den Bitten des 
Königs und den Entschuldigungen , die er zu euren 
Gunsten vorbrachte, nachgegeben. Nicht ich bin daher 
an allem schuld, sondern eure eigene Kriegswut. Er- 
innert ihr euch denn nicht, dass ich, so oft ich auch 
eure Stadt in meine Gewalt bekam, keinen von euch 
hinrichten liess, während ihr selbst, im Bürgerkrieg be- 
griffen, nicht aus Ergebenheit gegen die Römer und den 
König, sondern aus reiner Bosheit hundertfünfundachtzig 
eurer Mitbürger zu derZeit umbrachtet, als ich von den 
Römern in Jotapata belagert wurde? Und zählte man 
nicht bei der Belagerung Jerusalems zweitausend teils 
getötete, teils gefangene Tiberienser? Vielleicht aber 
wirst du leugnen, ein Feind der Römer gewesen zu sein, 
weil du damals zum Könige entflohst Das hast du, 
behaupte ich, nur aus Furcht vor mir gethan. Und dann 
sagst du, ich sei ein Schurke. Aber sprich doch, warum 
hat dich König Agrippa, der dir, als du von Vespasianus 
zum Tode verurteilt warst, das Leben schenkte, der dich 
mit Wohlthaten überhäufte, warum, sage ich, hat er dich 
zweimal ins Gefängnis geworfen und ebenso oft des 
Landes verwiesen? War nioht schon einmal deine Hin- 
richtung von ihm beschlossen, die er nur auf Bitten 
seiner Schwester Berenike wieder rückgängig machte? 



Selbstbiographie. 


63 


Später vertraute er dir, trotz bo vieler Schandthäten, 
sogar den Posten eines Geheim Schreibers an; aber schon 
bald musste er, als er von neuem deine Schlechtigkeit 
erfuhr, dich von seinem Angesicht entfernen. Doch alle 
deine Schurkereien aufzuzählen, unterlasse ich. Wundern 
muss ich mich nur über die Schamlosigkeit, mit der du 
behauptest, unter allen Schriftstellern, welche diese Be- 
gebenheiten erzählt haben, der zuverlässigste zu sein, 
obwohl du doch weder die Vorgänge inGalilaea kanntest 
— du warst ja beim Könige in Berytus — noch von 
dem, was die Römer bei der Belagerung Jotapatas litten 
ocler thaten und was ich vollbrachte, unterrichtet warst: 
denn alle, die dir Mitteilung davon hätten machen 
können, waren ja in der Schlacht gefallen. Doch viel- 
leicht meinst du die Thaten vor Jerusalem besonders 
genau beschrieben zu haben. Wie aber wäre dies mög- 
lich, da du weder den Krieg mitgemacht, noch die Denk- 
würdigkeiten des Caesars gelesen hast? Es bedarf doch 
wohl keines stärkeren Beweises gegen dich, als dass du 
genau das Gegenteil von dem berichtest, was der Caesar 
in jenem Buche sagt. Glaubst du aber trotzdem der 
beste Schriftsteller zu sein, weshalb hast du dann deine 
Geschichte nicht zu Lebzeiten der Imperatoren Vespa- 
sianus und Titus, die ja in diesem Kriege den Oberbefehl 
führten, sowie des Königs Agrippa und seiner Ver- 
wandten, lauter Männern von griechischer Bildung, heraus - 
gegeben ? Du hattest sie ja schon seit zwanzig Jahren 
fertig daliegen und konntest also von Augenzeugen die 
glänzendste Bestätigung erwarten. Doch nein, erst jetzt, 
da diese Männer nicht mehr unter uns weilen und du 
keine Widerlegung zu fürchten brauchst, trittst du damit 
hervor. Ich dagegen habe mich nicht von solchen Be- 
sorgnissen schrecken lassen, sondern ich übergab meine 
Schrift den Imperatoren selbst zu einer Zeit, da die 
Thatsachen allen sozusagen noch vor Augen schwebten; 
denn ich hatte das Bewusstsein, die Wahrheit überall 
hochgehalten zu haben , und ich täuschte mich auch 
nicht in der Hoffnung, ihr Zeugnis dafür zu erlangen. 

Go gle 



64 


Des Flavlus Josephus kleinere Schriften. 


Noch vielen anderen teilte ich meine Geschichte mit, 
von denen einige, wie König Agrippa und seine Ver- 
wandten, an dem Kriege teilgenommen hatten. Der 
Imperator Titus wollte sogar mein Gesch ich ts werk so 
ausschliesslich als die einzig giltige Darstellung jener 
Begebenheiten angesehen wissen, dass er es mit seiner 
eigenhändigen Unterschrift versah und so veröffentlichen 
liess. Und was den König Agrippa anlangt, so hat er 
mir zweiundsechzig Briefe geschrieben, in denen er die 
Wahrheit meiner Schilderung bezeugt Zwei davon will 
ich hier mitteilen, und du magst dir selbst deine Ansicht 
daraus bilden, wenn du Lust hast. • 

I. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus 
besten Gruss! Mit Vergnügen habe ich deine Schrift 
von Anfang bis zu Ende gelesen und mich überzeugt, 
dass du mit viel grösserer Sorgfalt und Treue erzählst 
wie die anderen, die denselben Gegenstand behandelt 
haben. Schicke mir auch die übrigen Bücher. Leb 
wohl, mein Freund. 

II. König Agrippa seinem lieben Freunde Josephus 
besten Gruss! Nach dem, was du geschrieben, scheinst 
du mir keiner weiteren Belehrung zu bedürfen, um alles 
von Anfang an in lichtvoller Darstellung auseinander- 
setzen zu können. Dennoch will ich, wenn du einmal 
zij mir kommst, dir mündlich noch manches mitteilen, 
was dir entgangen ist. 

Nach Vollendung meines Geschieh ts Werkes hat mir 
Agrippa nicht aus Schmeichelei, die bei ihm nicht üb- 
lich war, auch nicht aus Spottsucht, wie du behaupten 
wirst — von einer solchen Erbärmlichkeit war er weit 
entfernt — sondern aufrichtig, wie alle übrigen Leser 
desselben, meine Wahrheitsliebe bezeugt.“ 

So viel gegen Justus, der mich wider meinen Willen 
nötigte, diese Abschweifung zu machen. 

66. Nachdem ich die Angelegenheiten von Tiberias 
geordnet hatte, berief ich meine Freunde zusammen, um 
zu beraten, was mit Joannes geschehen solle. Alle 
Galiläer waren der Meinung , man müsse mit der 



Selbstbiographie. 


65 


gesamten Streitmacht gegen ihn ausrücken, um ihn als den 
Urheber der ganzen Empörung zur Strafe zu ziehen. 
Ich billigte indes diesen Vorschlag nicht, weil ich beab- 
sichtigte, die Unruhen ohne Blutvergiessen zu dämpfen. 
Deshalb ermahnte ich sie, alles aufzubieten, damit wir 
die Namen der Anhänger des Joannes erführen. Das 
gelang uns denn auch, und als ich die Leute genau 
kannte, veröffentlichte ich einen Erlass, in welchem ich 
allen Parteigängern des Joannes Begnadigung versprach, 
wenn sie Reue zeigten, auch eine Frist von zwanzig 
Tagen festsetzte, innerhalb deren sie sich zu ihrem Besten 
entscheiden könnten. Zugleich drohte ich ihnen, ich 
würde, wenn sie die Waffen nicht niederlegten, ihre 
Häuser in Flammen aufgehen lassen und ihre Güter 
einziehen. Als sie dies hörten, erschraken sie nicht 
wenig und verliessen den Joannes. Gegen viertausend 
streckten die Waffen und gingen zu mir über. Nur 
seine Mitbürger und einige Fremdlinge aus der Haupt- 
stadt der Tyrier, im ganzen etwa tausendfünfhundert 
Mann, blieben bei ihm. So war Joannes denn endlich 
überwunden und hielt sich fortan eingeschüchtert in 
seiner Vaterstadt auf. 

67. Um diese Zeit griffen die Sepphoriten wieder zu 
den Waffen, weil sie auf die Festigkeit ihrer Mauern 
pochten und mich mit anderen Angelegenheiten be- 
schäftigt sahen. Sie schickten zu Cestius Gallus, dem 
Statthalter von Syrien, und luden ihn ein, entweder 
selbst so schnell wie möglich zu kommen und ihre Stadt 
zu übernehmen, oder eine Besatzung zu schicken. Gallus 
versprach zu kommen, setzte aber keinen bestimmten 
Zeitpunkt fest. Sobald ich dies erfuhr, zog ich mit 
meinen Leuten aus und nahm Sepphoris durch Über- 
rumpelung. Die Galiläer benutzten diese Gelegenheit, 
um ihren Hass gegen eine Stadt zu befriedigen, auf # die 
sie sehr schlecht zu sprechen waren, und hatten nichts 
geringeres im Sinne, als die gesamte Einwohnerschaft, 
Bürger sowohl wie zufällig Anwesende , bis auf den 
letzten Mann umzubringen. Sie steckten daher, sobald 

JoeephuB, Kleinere Schriften. 5 

Go gle 



66 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


sie eingedrungen waren, die Häuser in Brand, die sie 
sämtlich leer fanden, da die Bewohner sich aus Angst 
in die Burg zurückgezogen hatten. Hierauf plünderten 
sie alles und verübten an dem Eigentum ihrer Volks- 
genossen jede Art von Brutalität Das empörte mich 
gewaltig, und sogleich gab ich Befehl, damit einzuhalten, 
indem ich meinen Leuten vorstellte, wie schändlich es 
sei, in dieser Weise gegen Stammesgenossen zu verfahren. 
Als aber weder Ermahnungen noch Befehle bei ihnen 
fruchteten, weil ihre Rachgier sich mächtiger erwies, 
liess ich durch meine Getreuen das Gerücht verbreiten, 
die Römer hätten mit grosser Heeresmacht die andere 
Seite der Stadt angegriffen. Das that ich indes nur, um 
das Ungestüm der Galiläer zu brechen und Sepphoris 
zu retten. Die List gelang denn auch. Als nämlich 
die Soldaten das Gerücht vernahmen, fürchteten sie für 
ihr eigenes Leben, liessen ihren Raub im Stich und 
flohen davon, zumal sie ihren Feldherrn dasselbe thun 
sahen. Denn um der falschen Nachricht Glauben zu 
verschaffen, stellte ich mich ebenso erschreckt, als sie 
selbst waren. Durch diese List ward Sepphoris unver- 
hofft gerettet. 

68. Auch Tiberias wäre von den Galiläern beinahe 
geplündert worden. Dort nämlich schrieben die Ersten 
des Rates an den König , er möge kommen und die 
Stadt besetzen. Agrippa schrieb ihnen zurück und ver- 
sprach, ihre Bitte zu erfüllen. Als Überbringer des 
Briefes schickte er seinen Kammerdiener Krispos, einen 
geborenen Juden. Diesen Menschen nun erkannten meine 
Galiläer, nahmen ihn fest und führten ihn zu mir. Das 
ganze Volk ward durch die Nachricht von diesem Vor- 
fall aufgebracht und eilte zu den Waffen. Tags darauf 
kamen sie scharenweise nach Asochis, wo ich wohnte, 
machten einen fürchterlichen Lärm, nannten die Bewohner 
von Tiberias Verräter und Königsfreunde und schrien, 
man müsse hinuntergehen und die Stadt dem Erdboden 
gleich machen. Denn sie hassten die Tiberienser nicht 
minder wie die Sepphoriten. 



Selbstbiographie. 


67 


69. Ich war in Verlegenheit, wie ich Tiberias dem 
Zorn der Galiläer entreissen sollte. Leugnen konnte 
ich nicht, dass die Tiberienser an den König geschrieben 
und ihn herbeigerufen hatten, denn der eigenhändige 
Brief, den er an sie gerichtet, bewies das aufs klarste. 
Als ich geraume Zeit überlegt hatte, sprach ich: „Aller- 
dings haben die Tiberienser unrecht gethan, das weiss 
ich wohl. Auch will ich euch nicht wehren, die Stadt 
zu plündern. Doch muss man einen solchen Schritt nur 
nach reiflicher Überlegung wagen. Denn nicht die 
Tiberienser allein haben unsere Freiheit verraten, sondern 
noch viele der angesehensten Männer in Galilaea. 
Wartet also, bis ich die Schuldigen genau ermittelt habe ; 
dann sollt ihr sie in eure Gewalt bekommen und noch 
dazu jedeD, den ihr selbst ausfindig machen werdet.“ 
Durch diese Vorstellungen gelang es mir, die Menge zu 
beschwichtigen: ihre Wut legte sich, und die Leute 
gingen auseinander. Den Boten des Königs hatte ich 
mittlerweile einkerkern lassen. Wenige Tage später 
jedoch schützte ich eine dringende Ursache vor, weshalb 
ich aus dem Gebiet verreisen müsse. Vor meinem Weg- 
gang rief ich nun den Krispos heimlich zu mir und riet 
ihm, den Mann, der ihn bewachte, betrunken zu machen 
und dann zum Könige zu entfliehen, indem ich ihm zu- 
gleich versprach, ihn nicht verfolgen zu lassen. Krispos 
traute meinen Worten und entfloh. Durch meine List 
und Vorsicht entging also Tiberias zum zweitenmal der 
ihm drohenden Gefahr. 

70. Um diese Zeit ging Justus, der Sohn des Pistos, 
ohne mein Vorwissen zum Könige über. Den Grund 
will ich sogleich angeben. Zu Anfang des jüdisch- 
römischen Krieges hatten die Tiberienser beschlossen, 
dem Könige treu zu bleiben und von den Römern nicht 
abzufallen. Justus aber beredete sie damals, die Waffen 
zu ergreifen, teils aus Neuerungssucht, teils weil er 
hoffte, die Gewalt über Galilaea und seine Vaterstadt 
an sich reissen zu können. Doch sein Plan schlug 
fehl: die Galiläer, welche den Tiberiensern schon lange 

6 # 



68 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


-wegen gewisser Beleidigungen, die sie vor dem Kriege 
von ihnen erduldet hatten, abhold waren, wollten keinen 
Justus zum Anführer haben. Auch ich war, nachdem 
mir der Gemeindevorstand zu Jerusalem die Statthalter- 
schaft Galilaeas übertragen hatte, oftmals so sehr gegen 
ihn in Zorn geraten, dass ich ihn beinahe hätte töten 
lassen, weil ich seine Unverschämtheit nicht mehr er- 
tragen konnte. Gerade deswegen nun, weil er fürchtete, 
ich möchte in meiner Erbitterung zur That schreiten, 
unterhandelte er mit dem Könige, bei dem er besser 
und sicherer leben zu können gedachte. 

71. Als die Sepphoriten der ersten Gefahr unverhofft 
entgangen waren, schickten sie noch einmal zu Cestius 
Gallus und wiederholten ihre Aufforderung, schleunigst 
zu kommen und die Stadt in Besitz zu nehmen oder 
wenigstens eine Anzahl Truppen zu senden, die im- 
stande wären, sie gegen feindliche Einfälle zu schützen. 
Schliesslich setzten sie es bei Gallus durch, dass er 
ihnen eine starke Abteilung Reiterei und Fussvolk 
schickte, welche sie bei Nacht einliessen. Da nun die 
Umgegend von den römischen Soldaten arg verwüstet 
wurde, zog ich mit meinen Truppen nach dem Dorfe 
Garis. Nachdem ich hier, zwanzig Stadien von Sepphoris 
entfernt, Verschanzungen aufgeworfen hatte, rückte ich 
zur Nachtzeit vor die Stadt und stürmte die Mauer. 
Viele meiner Leute stiegen auf Leitern hinan und 
brachten den grössten Teil der Stadt in ihre Gewalt 
Bald indes wurden wir, weil wir mit der Örtlichkeit 
nicht vertraut waren, gezwungen, uns zurückzuziehen, 
nachdem wir zwölf römische Fusssoldaten , zwei Reiter 
und einige Sepphoriten getötet, selbst aber nur einen 
einzigen Mann verloren hatten. Am folgenden Tage 
wurden wir bei einem Zusammenstoss mit Reitern auf 
der Ebene geschlagen, jedoch nach tapferer Gegenwehr: 
denn erst als die Römer unsere Flanken zu umgehen 
drohten, räumten die Meinigen das Feld. In diesem 
Gefecht fiel einer meiner Leibwächter Namens Justus, 
der einst denselben Posten beim König bekleidet hatte. 



Selbstbiographie. 


69 


Um dieselbe Zeit traf auch die Streitmacht Agrippas, 
Reiterei und Fussvolk unter Sylla, dem Obersten der 
königlichen Leibgarde ein. Er lagerte sich fünf Stadien 
von Julias 1 und besetzte die Strassen, welche nach Kana 
und der Festung Gamala führten, um den Einwohnern 
dieser Städte die Zufuhr aus Galilaea abzuschneiden. 

72. Kaum war mir dies gemeldet worden, als ich 
zweitausend Schwerbewaffnete unter Jeremias absandte. 
Sie warfen am Jordanfluss, ein Stadion von Julias ent- 
fernt, Verschanzungen auf, liessen sich jedoch bloss auf 
Plänkeln ein, bis ich selbst mit weiteren dreitausend 
Mann zur Stelle war. Tags darauf legte ich nicht weit 
vom Lager der Königlichen einen Hinterhalt in eine 
Schlucht und bot dem Feinde das Treffen an, nachdem 
ich zuvor meinen Soldaten befohlen hatte, so lange 
zurückzugehen, bis die Gegner weit genug von ihrem 
Lager weggelockt wären. Und so geschah es. Sylla 
meinte, es sei uns ernst mit der Flucht, und brach her- 
vor, um uns mit Nachdruck zu verfolgen. Plötzlich 
aber griff ihn der Hinterhalt im Rücken an und brachte 
seine Truppen gänzlich in Verwirrung. Gleichzeitig 
Hess ich kehrt machen und warf mich mit allen meinen 
Streitkräften auf die Königlichen, die ich denn auch bald 
in die Flucht schlug. Ich hätte an jenem Tage einen 
schönen Erfolg zu verzeichnen gehabt, wenn mir nicht 
ein Unfall zugestossen wäre. Das Pferd nämlich, welches 
ich ritt, sank an einer sumpfigen Stelle ein und warf 
mich zu Boden; mit einer Quetschung an der Hand- 
wurzel ward ich 9 in das Dorf Kepharnome 2 gebracht. 
Als meine Leute dies hörten , fürchteten sie noch 
Schlimmeres, liessen von der Verfolgung ab und kehrten 
n grösster Besorgnis um mich zurück. Ich liess Ärzte 
kommen und verblieb, weil ich Fieber hatte, in ihrer 


1 D. l. Livias. 

3 Das biblische Kapharnaum oder Kaperuaum an den Grenzen 
der Stämme Zabulon und Nephthali, heute die Ruinen von 
Teil Hum. 



70 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Behandlung daselbst einen Tag; in der Nacht schaffte 
man mich dann auf ihren Rat nach Tarichaea. 

73. Sylla und die Seinen fassten nun Mut, als sie 
von meinem Unfall Kunde erhielten, und da sie in Er- 
fahrung gebracht hatten, dass die Bewachung unseres 
Lagers vernachlässigt werde, legten sie des Nachts eine 
Reiterabteilung jenseits des Jordan in einen Hinterhalt 
und forderten uns, sowie der Tag graute, zum Kampf 
heraus. Wir nahmen das Treffen an und rückten in 
die Ebene vor; plötzlich aber erschienen die Reiter aus 
dem Hinterhalt, brachten die Juden in Verwirrung und 
trieben sie in die Flucht. Auf unserer Seite fielen sechs 
Mann; doch verfolgten die Königlichen den Sieg nicht 
weiter, denn da sie hörten, dass eine Anzahl Bewaffneter 
von Tarichaea nach Jerusalem übergesetzt sei, traten sie 
aus Angst den Rückzug an. 

74. Bald darauf kam Vespasianus in Begleitung des 
Königs Agrippa nach Tyrus. Die Tyrier wollten nun 
den König anschwärzen, indem sie ihn als ihren und 
der Römer Feind hinstellten. Sein Befehlshaber Philippus, 
sagten sie, habe die König6burg und die auf sein Er- 
suchen nach Jerusalem beorderten römischen Truppen 
verraten. Vespasianus machte den Tyriern Vorwürfe, 
dass sie einen Mann verleumden wollten, der die Königs- 
krone trage und ein Freund der Römer sei. Den Agrippa 
selbst aber forderte er auf, Philippus nach Rom zu 
senden, damit er dort wegen jener Vorfälle vor Nero 
Rechenschaft gebe. Philippus wurde denn auch ab- 
geschickt, aber von Nero, der über den eben erfolgten 
Ausbruch des Bürgerkrieges und anderer Unruten sehr 
erregt war, nicht verhört und kehrte deshalb zum Könige 
zurück. Als nun Vespasianus nach Ptolema'is kam, er- 
hoben die Zehnstädte Syriens laute Klagen wider Justus 
von Tiberias , dass er ihre Dörfer eingeäschert habe. 
Vespasianus übergab ihn dem König, damit er von 
dessen Unterthanen die gebührende Strafe für seine 
Frevel empfange. Agrippa aber begnügte sich damit, 
ihn einzukerkern, indem er diese seine Milde, wie oben 



Selbstbiographie. 


71 


gesagt, vor Vespasianus verhehlte. Did Sepphoriten 
zogen dem Vespasianus entgegen, hiessen ihn willkommen 
und erhielten eine Besatzung unter dem Kommando des 
Placidus. Den Streifzügen, welche diese Truppen in das 
Oberland unternahmen, folgte ich auf dem Fusse, bis 
Vespasianus in Galilaea einrückte. Was sich nun zu- 
trug, wie er bei Tarichaea das erste Treffen gegen mich 
schlug, wie wir von da uns nach Jotapata zurückziehen 
mussten, unter welchen Umständen ich gefangen, ge- 
fesselt und wieder befreit wurde, was ich im ferneren 
Verlaufe des Jüdischen Krieges und bei der Belagerung 
Jerusalems gethan: das alles habe ich in meiner Ge- 
schichte des Krieges ausführlich erzählt. Nun glaube 
ich noch die Geschichte meines Lebens, soweit ich sie 
dort nicht aufgezeichnet habe, hinzufügen zu müssen. 

75. Als ich zu Ende der Belagerung Jotapatas in 
die Hände der Römer gefallen war, wurde ich mit aller 
Sorgfalt bewacht, von Vespasianus aber in grossen Ehren 
gehalten. Auf seinen Befehl heiratete ich eine Lands- 
männin aus der Zahl der Gefangenen von Caesarea. 
Sie- blieb indes nicht lange bei mir, sondern verliess 
mich, als ich schon befreit war und mit Vespasianus 
nach Alexandria zög. Von da wurde ich mit Titus zur 
Belagerung Jerusalems entsandt und geriet zu wieder- 
holten Malen in Lebensgefahr, weil nicht nur die Juden 
mich aus Rache in ihre Gewalt zu bekommen suchten 
sondern auch die Römer jeden Verlust, den sie erlitten, 
meinem Verrat zuschrieben und vom Caesar verlangten, 
dass er mich als Verräter bestrafe. Titus jedoch, der 
die Wechselfalle des Krieges zu gut kannte, schwieg zu 
diesen Klagen still und beschwichtigte dadurch die Auf- 
regung seiner Soldaten. Nach der Einnahme Jerusalems 
forderte mich Titus oftmals auf, aus den Trümmern 
meiner Vaterstadt zu nehmen, was mir beliebe; denn 
gern wolle er mir alles gewähren. Ich aber kannte nach 
der Niederwerfung meines Vaterlandes in dem Unglück, 
das mich betroffen, keinen süsseren Trost als die persön- 
liche Freiheit von Mitbürgern, und erbat sie mir dem- 



72 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


gemäss von Titus. Ferner erhielt ich durch seine Gnade 
die heiligen Schriften zum Geschenk. Später erlangte 
ich durch meine Fürbitte die Freilassung meines Bruders 
und fünfzig anderer Männer, die mir sehr befreundet 
waren. Mit des Caesars Erlaubnis ging ich auch in den 
Tempel, wo eine grosse Menge gefangener Weiber und 
Kinder eingeschlossen war, und rettete alle, die ich als 
Angehörige meiner Freunde und Verwandten erkannte, 
hundertneunzig an der Zahl; ohne Lösegeld erhielten 
sie die Freiheit wieder. Hierauf ward ich von Titus 
mit Cerealis und tausend Reitern in das Dorf Thekoa 
gesandt, um zu ermitteln, ob der Platz zu einem Lager 
tauglich sei. Auf dem Wege von dort sah ich wieder 
Gefangene, die am Kreuze hingen, und erkannte 
darunter drei meiner Freunde. Mit tiefem Schmerz und 
unter Thränen begab ich mich zu Titus und erzählte 
es ihm. Sogleich liess er sie abnehmen und ihnen die 
sorgfältigste Behandlung angedeihen. Trotzdem starben 
zwei von ihnen während der Behandlung, der dritte aber 
ward gerettet. 

76. Nachdem Titus den Unruhen in Judaea ein Ende 
gemacht hatte, wies er mir in der grossen Ebene 
Ländereien an als Ersatz für die Güter, die ich in der 
Nähe von Jerusalem besass und die, wie er wohl sah, 
keinen Wert mehr hatten, weil eine römische Besatzung 
dort .zurückgelassen wurde. Auf der Rückreise nach 
Rom nahm er mich als Begleiter mit und erzeigte mir 
alle Ehre. Als wir angelangt waren, hatte ich mich der 
besonderen Gunst des Vespasianus zu erfreuen: er ge- 
währte mir Unterkunft in dem Hause, das er vor seiner 
Thronbesteigung bewohnt hatte, beschenkte mich mit 
dem römischen Bürgerrecht und wies mir ein Jahres- 
gehalt an. Bis an sein Lebensende dauerte seine Gnade 
gegen mich ununterbrochen fort Dieses Glück aber 
regte den Neid gegen mich auf und brachte mich in 
Gefahr. Ein Jude Namens Jonathas, der in Kyrene 
einen Aufruhr angezettelt und zweitausend Einwohner 



Selbstbiographie. 


73 


dazu verleitet hatte, war noch nicht zufrieden damit, 
diese Leute ins Verderben gestürzt zu haben, sondern 
sagte auch, als er von dem dortigen Statthalter gefesselt 
nach Rom geschickt wurde, aus, ich hätte ihn mit Waffen 
und Geld unterstützt. Vespasianus aber merkte, dass er 
log, verurteilte ihn zum Tode und liess ihn hinrichten. 
Und so oft auch nachher von Leuten, die mir mein 
Glück neideten, Anklagen gegen mich erhoben wurden: 
jedesmal entging ich ihnen durch Gottes Fügung. Von 
Vespasianus erhielt ich ebenfalls ansehnliche Ländereien 
in Judaea. Um diese Zeit trennte ich mich von meiner 
Gattin, weil mir ihr Wandel nicht gefiel, obwohl sie 
schon Mutter dreier Söhne geworden war, von denen 
zwei gestorben sind und nur der dritte, den ich Hyrkanus 
nannte, noch lebt. Bald darauf nahm ich eine geborene 
Jüdin aus Kreta zur Frau, die Tochter sehr edler und 
angesehener Eltern, die, wie ihr nachheriges Leben 
bewies, sich durch reine Sitten vor vielen Weibern aus- 
zeichnete. Von ihr habe ich zwei Sohne, den älteren 
Justus, den jüngeren Simonides mit dem Beinamen 
Agrippa. So viel über mein Familienleben. 

Mein Verhältnis zu den Imperatoren blieb dasselbe. 
Titus, der nach dem Tode des Vespasianus zur Regierung 
gelangte, hielt mich ebenso in Ehren wie sein Vater, 
und auch er wollte von Anklagen, die des öfteren 
gegen mich erhoben wurden, nichts wissen. Sein Nach- 
folger Domitianus überhäufte mich gleichfalls mit 
Gunstbezeugungen. Die Juden, die mich verklagt 
hatten, bestrafte er, und den Erzieher meines Sohnes, 
einen verschnittenen Sklaven, der gegen mich als An- 
geber auftrat, liess er hinrichten. Ausserdem gewährte 
er mir für meine Besitzungen in Judaea Steuerfreiheit, 
was für denjenigen, dem sie zu teil wird, die höchste 
Auszeichnung ist Auch seine Gattin Domitia blieb 
fortan meine Wohlthäterin. 

Dies ist meine ganze Lebensgeschichte ; meinen 
Charakter mögen andere danach beurteilen, wenn sie es 



74 


Des Flavius Joseph us kleinere Schriften. 


für gut finden. Dir aber, trefflicher Epapbroditos über- 
gebe ich meine dir gewidmete Schrift über die Archaeo- 
logie und schliesse hiermit meine Erzählung. 


1 Da das Leben des Josephus jedenfalls nach dem Jahre 100 
geschrieben wurde, so kann dieser Epapbroditos, dem ausser den 
Altertümern und der Selbstbiographiq auch die Schrift gegen Apion 
gewidmet ist, nicht der bekannte Freigelassene Neros gewesen sein, 
wie vielfach angenommen wird; denn dieser war, als Josephus das 
„Leben >( schrieb , schon längst tot (s. Sueton., Domitian 14 und 
Nero 49). 



Über das hohe Alter 
des jüdischen Volkes, 

gegen Apion. 


Mit Namenregister. 



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Original from 

NEW YORK PUBLIC LIBRARY 



Einleitung. 

(Nach Jost, J. 6. Mtilltr and Parst.) 

S. auch Monatsschrift für Gsschichts and Wisssnschaft des 
Judentums, 1851— 52, 8.7—21; 41— 56; 81— 98; 121—145; 1856, 
8. 81—94; 1860, 8. 125—142; 1867, 8. 241 f. a. 289. 

Haben wir den Josephus bisher hauptsächlich als 
Historiker kennen gelernt, so zeigt er sich uns in der 
vorliegenden Schrift von einer ganz neuen Seite, indem 
er — feinsinnig und geistvoll — für sein vielfach ge- 
schmähtes und verleumdetes Volk als Apologet in die 
Schranken tritt. * Gehässige Angriffe auf die Juden, die 
sich vor der Zerstörung des zweiten Tempels nach den 
inner-, vorder- und kleinasiatischen Landschaften, nach 
Aegypten, Nordafrika, Griechenland, Italien, ja bis nach 
Spanien, Gallien und Germanien zerstreut hatten, waren 
damals an der Tagesordnung: man missgönnte ihnen die 
Vorrechte, die sie sich allenthalben durch Fleiss, Treue 
und Gewandtheit erworben hatten, und an denen trotz 
des heissen Kampfes in Palaestina auch die römische 
Herrschaft nichts änderte. Dieser Neid bewirkte alsbald 
thätliche Angriffe und Zusammenrottungen des Pöbels 
gegen die jüdischen Mitbürger, und man glaubte sie um 
so ungescheuter belästigen zu dürfen, als die Angriffe 
von den Vornehmen begünstigt und von den Statt- 
haltern unterstützt oder doch ungestraft gelassen wurden. 
Derartige Aufläufe fanden besonders in Antiochia und 
Alexandria statt. 

In Alexandria hatte sich bekanntlich während der 



78 


Des Flavius Josephas kleinere Schriften. 


letzten Jahrhunderte vor und des ersten nach Christi 
Geburt hellenisches Geistesleben und hellenische Litte- 
ratur zu solcher Blüte entfaltet, dass selbst Athen da- 
durch in den Hintergrund gedrängt worden war. Den 
Vergleich mit dem klassischen Hellenentum freilich konnte 
der alexandrinische Genius nicht aushalten; immerhin 
aber hatte er eine lebhafte und vielumfassende Bewegung 
in der Litteratur hervorgebracht. An dem wissenschaft- 
lichen Leben in Alexandria beteiligten sich nun auch 
die dortigen Juden in heryorragendem Masse, und so 
erklärt es sich, warum gerade in dieser Stadt der Hass 
und das Vorurteil gegen jüdisches Wesen ihren litera- 
rischen Ausdruck fanden. 

Apollonios Molon, Poseidonios, Chairemon, Lysimachos 
und Apion waren die Hauptvertreter der judenfeind- 
lichen Bewegung, die nichts geringeres bezweckte, als 
die Verhassten recht- und schutzlos zu machen und sie 
dadurch der brutalen Willkür des gewaltthätigen Pöbels 
preiszugeben. Hatten aber die früheren Widersacher 
weniger aus zielbewusstem Hass als aus Unkenntnis und 
getrübter Auffassung so ungünstig über die Juden ge- 
urteilt, so trat als eigentlicher Feind und Verfolger der 
letzteren mit der Absicht, sie zu kränken, verächtlich 
zu machen und zu verderben, zuerst Apion auf, und 
zwar in einer Schrift 4 KaTa TouSatav’, von der es un- 
gewiss ist, ob sie eine selbständige Abhandlung dar- 
stellte oder einen Teil des Gesamtwerkes über Aegypten 
ausmachte (s. Müller, Des Flavius Josephus Schrift 
gegen den Apion, S. 16 ). Gegen Apion erhob sich Josephus, 
machte dabei aber zugleich auch gegen die anderen Front, 
und diesem Umstand haben wir das Gedächtnis jener 
judenfeindlichen Litteraten überhaupt zu danken, deren 
Schriften verloren gingen, wenn auch ihre Verleum- 



Gegen Aplon, Einleitung. 


79 


düngen und Lügen in den späteren griechischen und 
römischen Schriftstellern, ja selbst noch bis in die 
neueste Zeit Nachhall fanden. 

Die drei Alexandriner Chairemon, Lysimachos und 
Apion schöpften nun aus einer früheren Quelle gleichen 
Ursprungs, dem Werke des aegyptischen Oberpriesters 
Manetho aus Sebennytos. Auch dieses Werk ist ver- 
loren gegangen, und was wir davon haben, ward uns 
erst aus zweiter und dritter Hand überliefert. Ja, selbst 
die Auszüge des Julius Africanus (3. Jahrh. n. Chr.) sind 
uns erst durch andere übermittelt worden. Gegen Ma- 
netho als die Quelle der späteren judenfeindlichen Schrift- 
steller musste alsoJosephus zunächst sich wenden. Was 
er aber mitteilt, enthält solche Widersprüche, dass es 
wie Jost bemerkt, wahrscheinlich wird, Josephus selbst 
habe bereits einen verfälschten Manetho vor sich gehabt. 
Fälschungen dieser Art gehörten ja in Alexandria zu 
den alltäglichen Erscheinungen. Beweis dafür ist auch 
dass die Königslisten des Manetho überall da, wo sie 
mit den Inschriften auf Pyramiden, Obelisken u. s. w. 
verglichen werden können, sich als ganz irrig und ver- 
worren herausstellen. Lebhaftes Interesse hat von jeher 
Manethos Bericht über die Hyksos oder Hirtenkönige 
erregt, und nicht minder oft und eingehend ist die 
Frage der Identificierung der Juden mit den aussätzigen 
Aegyptern sowie das Verhältnis dieser Aussätzigen zu 
den Hyksos schriftstellerisch behandelt worden. Es ist 
hier nicht der Ort, die verschiedenen Ansichten darzu- 
legen ; ich verweise deshalb auf J. G. Müllers ausführ- 
lichen kritischen Exkurs' (a. a. O. S. 214 ff.) und Zipsers 
Abhandlung über diesen Gegenstand (Zipser, Des Flavius 
Josephus Werk über das hohe Alter des jüdischen Volkes 
gegen Apion, S. 59 ff.), ferner auf die Schriften von 



80 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 

Uhlemann (Israeliten und Hyksos in Aegypten) und 
De Cara (Gli Hy k bös o re pastori di Egitto). Dass 
Josephus die Israeliten und Hyksos für identisch gehalten 
hat, kann jedenfalls nach neueren Untersuchungen als 
feststehend erachtet werden. 

Der talentloseste, unselbständigste und oberflächlichste 
unter den Widersachern war zweifellos Apion. Trotz- 
dem musste er als einer der gefährlichsten gelten, denn 
keiner hatte so viel aus den Vorurteilen und Schwatze- 
reien des heidnischen Pöbels geschöpft und sie für ge- 
schichtliche Wahrheit ausgegeben, wie gerade er. Dass 
er übrigens mit seinen Machwerken nicht nur der urteils- 
losen Menge imponierte, sondern auch bei ernsten For- 
schern Eindruck machte, beweisen einzelne Äusserungen 
des grossen Tacitus, der, offenbar durch Apions Ver- 
unglimpfungen der jüdischen Religion veranlasst, jüdischen 
Glauben und jüdische Sitte sonderbar und abstossend 
fand (Histor. V, 2 — 5). Dazu kommt noch ein weiteres, 
die Gefährlichkeit Apions kennzeichnendes Moment. Er 
beschränkte sich nämlich nicht auf die literarische Be- 
fehdung der Juden, sondern bethätigte seinen Judenhass 
auch in praktischer Weise. Denn als unter der Herr- 
schaft Caligulas in Alexandria Unruhen gegen die Juden 
ausbrachen und der wackere Philo an der Spitze einer 
jüdischen Gesandtschaft nach Rom ging, um vom Caesar 
Abhilfe zu erbitten , da liess sich Apion mit noch 
einigen anderen Pöbelführern von den heidnischen Alexan- 
drinern abordnen, um in Rom den Juden entgegenzu- 
arbeiten* (Jüd. Altert XVIH, 8, 1; Philo, de legat. ad 
Gaium), und er setzte es in der That durch, dass der 
wahnwitzige Caesar die Bittsteller mit ihrem Anliegen 
höhnisch abwies. Es lässt sich denken, welchen Abscheu 
dieJJuden fortan vor Apion empfunden haben mögen, 


Go gle 



Gegen Apion, Einleitung. 


81 


und wie sein Name an erster Stelle genannt werden 
musste, wenn von den Feinden des auserwählten 
Volkes die Rede war. Eine Schrift gegen die Wider- 
sacher des Judentums konnte sich also nicht besser 
einführen als dadurch, dass sie die Bezeichnung „Gegen 
Apion“ trug. 

Ausser dieser, seit Schedelius (15. Jahrh.) allgemein 
gebräuchlichen Überschrift führt nun die Abhandlung 
auch noch eine andere, die als eigentlicher Titel zu be- 
trachten ist, nämlich: Über das hohe Alter des jüdischen 
Volkes. Mit ihr bekundet Josephus seine Absicht, den 
angefochtenen Adel seiner Nation zu retten und dadurch 
zu bewirken, dass die Geschichte und Religion des 
jüdischen Volkes ein Gegenstand aufmerksamerer For- 
schung würden; denn einem Volke, einem Staat, einer 
Gesetzgebung oder Religion hohes Alter absprechen 
heisst nach antiker Auffassung nichts geringeres, als 
ihnen jede höhere Berechtigung streitig machen. Diese 
seine Absicht hat Josephus vollkommen erreicht: es ist 
ihm gelungen , das hohe Alter seines Volkes zu be- 
weisen, und die Art, wie er den Beweis führte, reiht 
seine Schutzschrift den besten Werken christlicher Apo- 
logeten würdig an. 

Die Abfassungszeit der vorliegenden Schrift fällt, wie 
sich aus I, 10 ergiebt, später als die der Altertümer, 
wahrscheinlich auch später als die der Selbstbiographie. 
Sie wäre mithin frühestens in das Jahr 102 n. Ohr. zu 
verlegen. 

Weil übrigens Apion bereits im Titel der Schrift 
eine ausgezeichnete Stelle einnimmt, sei über ihn und 
seinen Charakter hier das Notwendige bemerkt. — Er 
war ein hellen isierter Aegyptier und stammte aus der 
grösseren, südlichen Oase. Da er sich aber in Alexandria 

Joeephas, Kleinere Schriften. 6 



82 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


unter Apollonios, Didymos und Euphranor mit grie- 
chischen Studien befasste, galt er nach seinem eigenen 
Willen als Alexandriner. Nachdem er längere Zeit in 
der gebildeten Welt umhergereist war und sich durch 
seine Vorlesungen, besonders über Homer (Seneca, Epist- 
88, 34 f.) das Bürgerrecht der vornehmsten Städte er- 
worben hatte, liess er sich in Kom als Lehrer der Gram- 
matik und Rhetorik nieder. Infolge seiner Belesenheit 
in der griechischen Litteratur gelangte er zu grossem 
Ansehen und erhielt, wie Suidas berichtet, wegen seines 
unermüdlichen Fleisses den Beinamen (labor); 

auch Eusebius bezeichnet ihn (Praep. Ev. X, 10) als 
^eptspYOTÄTO? t<3v ypa^aT^oiv ’. Indes war seine Thätig- 
keit von einem sehr niedrigen Geiste beseelt. Auf 
seinen Kunstreisen sammelt er Gunst- und Ehren- 
bezeugungen für sich und erwirbt sich durch seine 
Zungen- und Federfertigkeit den Ehrentitel ( IUeiaTO- 
vucy);’ (der Siegreiche) oder nach der anderen Lesart 
(Klopffechter). Wie wenig aber seine 
Fertigkeit im Dienste der Wahrheitsliebe stand, wird am 
deutlichsten durch das bewiesen, was wir eben durch 
Josephus aus seinen Schriften erfahren. Masslos eitel 
und aufgeblasen , zählt er sich ohne Bedenken den grossen 
Männern des Altertums bei , preist die Alexandriner 
glücklich, dass sie einen Mitbürger wie ihn besässen, 
und verspricht jedem die Unsterblichkeit, dem er seine 
Schriften widmen würde (Plinius, Naturgesch., Vorwort)- 
Anspielend auf einen Ausspruch des Tiberius, der ihn 
^Cymbalum mundi ’ (Allerweltstrompete) genannt hatte, 
meint daher schon Plinius (a. a. O.), man hätte ihn eher 
die Posaune seines eigenen Ruhmes nennen können- 
Seine Schriften sind sämtlich bis auf wenige Bruch- 
stücke, die Carl Müller (Fragm. hist, graec. 1 — 14 2 ) her- 



Gegen Apion, Einleitung. 


83 


ausgegeben hat., verloren gegangen. Nach Josephus 
(C. A. II, 13) starb er eines elenden Todes. 

Vergl. über Apion noch die Artikel s. v. in den 
Encyklopädien von Herzog, Pauly, Ersch u. Gruber; 
sodann Creuzer, Stud. u. Kritik. 1863, I, S.80f. ; Grässe, 
Litteraturgesch. I, 2, S. 730; Parthey, Alexandrinisches 
Museum, ß. 133 ; ßchmitthenner, De rebus judaicis, 1, 13. 


Was die Anordnung des Stoffes betrifft, bo ist die 
Teilung in zwei Bücher eine rein äusserliche und nur 
bedingt durch das Streben, jedem derselben annähernd 
den gleichen Umfang zu geben (I, 35 Ende). Es geht 
deshalb nicht an, bei der Analyse des Gedankenganges 
die Teilung in zwei Bücher zu Grunde zu legen, wie 
dies Müller (a. a. O. S. 18) gethan hat. Vielmehr muss 
nach Parets Vorgang die Schrift also zergliedert werden: 
Einleitung (I, 1 — 11); erster, vorzugsweise abwehrender 
Teil (1, 12 — II, 13); zweiter, positiv apologetischer und 
angreifender Teil (II, 14 — 41). Indem ich dieser letzteren 
Einteilung folge, gebe ich nachstehend den Inhalt der 
Schrift in aller Kürze an. 

Einleitung (I, 1 — 11). 

Die früheren griechischen Geschichtschreiber erwähnen 
das jüdische Volk nicht, und darum wird dessen hohes 
Alter von den Widersachern geleugnet (1). Das Still- 
schweigen der Griechen beweist indes nichts, weil die 
griechische Geschichtschreibung bei weitem nicht so 
ehrwürdig und unanfechtbar ist wie die orientalische 
überhaupt (2 — 5) und die hebräische im besondern (6 — 8). 
Sodann betont Josephus seine eigene Glaubwürdigkeit 
als Geschichtschreiber (9 f.) und giebt die drei Haupt- 
punkte des ersten Teiles der Schrift an (11). 

G* 



84 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Erster, vorzugsweise abwehrender Teil 
(1, 12 — II, 13). 

a. Hätten die alten griechischen Geschichtschreiber 
das jüdische Volk wirklich nicht gekannt und nichts 
von ihm berichtet, so würde das noch keineswegs zu dem 
Schluss berechtigen, dass es jüngeren Ursprungs sei; 
denn die abgesonderte Lage Palästinas und der Umstand, 
dass seine Bewohner keinen Handel treiben, machen die 
Nichterwähnung der Juden in griechischen Geschichts- 
werken verständlich (12). Mit der gleichen Beweis- 
führung könnte man der griechischen Nation ihr hohes 
Alter absprechen. Da sind die Zeugnisse der Nachbar- 
völker des jüdischen Landes denn doch gewichtiger (13). 

b. Nun giebt es aber alte ausserjüdische Zeugnisse 
für das frühe Dasein der jüdischen Nation in Hülle und 
Fülle, und zwar 1) nichtgriechische: bei den 
Aegyptiern Manetho (14 — 17); bei den Phoeniciern staat- 
liche Urkunden, dann Dios, Menander (17 fl) ; bei den 
Chaldäern gleichfalls staatliche Urkunden, ausserdem 
Berossos, Philostratos, Megasthenes (19—21); 2) grie- 
chische: Pythagoras, Herodot, Choirilos, Klearchos 
und Aristoteles, Hekataios, Agatharchides (22), Theo- 
philos, Theodotos u. a. Manche Schriftsteller übrigens 
hätten die Juden erwähnen können, unterlassen es aber 
aus bösem Willen, wie Hieronymos (23). 

c. Allerdings sind diese Zeugnisse, so grosse Beweis- 
kraft für das hohe Alter des jüdischen Volkes sie auch 
besitzen, doch mit falschen und verleumderischen An- 
gaben über die Juden durchsetzt; darum ist es not- 
wendig, die Lügen zu entkräften. Befremdlich ist 
übrigens die Schmähsucht vieler griechischen Schrift- 
steller nicht, wenn man bedenkt, dass sie oft Gefallen 



Gegen Apion, Einleitung. 


85 


daran finden, ihr eigenes Volk zu verunglimpfen (24)- 
Nach einer allgemeinen Bemerkung über die Gehässig- 
keit aegyptischer Berichte inbetreff der Juden (25) werden 
dann mit ihren Erzählungen vom Auszug der Israeliten 
aus Aegypten im einzelnen widerlegt : Manetho, Chairemon 
und Lysimachos (26 — 35); namentlich den beiden letzteren 
wird nachgewiesen, dass sie sich selbst und unterein- 
ander widersprechen. 

Mit dem zweiten Buche wendet sich Josephus gegen 
den Aegyptier Apion und zeigt, wie falsch dieser Gram- 
matiker den Auszug aus Aegypten dargestellt habe, ferner 
wie grundlos- seine Anklagen gegen die alexandrinischen 
Juden seien, denen er die Berechtigung, in Alexandria 
zu wohnen, bestreitet und die er als aufrührerisch hin- 
stellt (II, 1 — 6). Hierauf werden die von grosser Ver- 
bohrtheit zeugenden Beschuldigungen widerlegt, die der 
nämliche Apion gegen die Juden überhaupt erhebt: sie 
beteten einen Eselskopf an, schlachteten Menschen zu 
rituellen Zwecken; müssten sich eidlich verpflichten, alle 
Nichtjuden und besonders die Griechen zu hassen ; seien 
beständig vom Unglück verfolgt, weil die Götter sie nicht 
leiden könnten; hätten keine bedeutenden Männer auf- 
zuweisen; opferten Tiere, ässen kein Schweinefleisch und 
liessen sich beschneiden (7 — 13). Den Schluss des ersten 
Teiles bilden persönliche Bemerkungen über den Ver- 
leumder. 

Zweiter, positiv apologetischer und angreifender 
Teil (II, 14— 41). 

Der Verfasser geht nunmehr, nachdem er sich im 
ersten Teil die Zurückweisung einzelner Anklagen 
und Verleumdungen hat angelegen sein lassen, zu einer 
allgemeinen Darstellung der jüdischen Religionsver- 



86 


Des Flavius Josophus kleinere Schriften. 


fassung über, weil er auf diese Weise am sichersten die 
abfälligen Urteile über das Wesen der hebräischen 
Theokratie und das religiöse Leben der Juden, die vor-, 
nehmlich von Apollonios Molon ausgingen, widerlegen 
zu können glaubt. Aus dieser Darstellung werde sich 
ergeben, dass das mosaische Gesetz nicht zur Gottlosig- 
keit und zum Menscbenhass , sondern zur Frömmigkeit, 
Nächstenliebe und Sittlichkeit erziehe (14). 

a. Zunächst wird, wie dies bereits I, 31 geschehen 
ist, Moses nochmals als ältester Gesetzgeber hingestellt 
und hervorgehoben , dass er sich durch Reinheit der 
Sitten ausgezeichnet habe (16 f.). 

b. Dann folgt eine allgemeine Schilderung seines 
Werkes, der Gesetzgebung, mit der er die theokratische 
Verfassung der Juden begründete. Die Gotteserkenntnis 
machte er zum Gemeingut des Volkes; alle Verhältnisse 
des Lebens sollten auf Frömmigkeit begründet sein, alle 
bürgerlichen Pflichten von den Pflichten gegen Gott sich 
herleiten. Auch sorgte er im Gegensatz zu anderen 
Gesetzgebern dafür, dass theoretische Unterweisung in 
den Gesetzes Vorschriften und praktische Bethätigung der- 
selben Hand in Hand gingen (16 f.). Zu dem Zweck 
muss jeder Jude mit den Bestimmungen des Gesetzes bis 
ins kleinste vertraut sein (17 f.). Die hierdurch be- 
wirkte Einheit des Glaubens erklärt das feste Zusammen- 
halten der Israeliten (19) und den Mangel an genialen 
Männern (20 f.). Wie die Verfassung Gottherrschaft 
(Theokratie), so ist das gesamte Leben der Juden ein 
einziger feierlicher Gottesdienst (21 f.). 

c. Hierauf wird das mosaische Gesetz im einzelnen 
besprochen: Gott und seine Werke (22) ; Tempel, Priester, 
Opfer, Gebete und Reinigungen (23); Bestimmungen 
über Ehe und Geschlechtsverkehr (24), Kindererziehung 



Gegen Apion, Einleitung. 


87 


(26), Totenbestattung (26); das pflichtmässige Verhalten 
gegen Eltern und Greise ; Gesetze über Freundschaft, 
Rechtsprechung, Eigentum (27); Benehmen gegen Fremde 
und Andersgläubige (28), Feinde und Tiere (29). — 
Der fromme Israelit verlangt für seine Gesetzestreue 
keine materielle Belohnung, sondern begnügt sich mit 
dem Zeugnis, das sein gutes Gewissen ihm- erteilt (30). 
Überhaupt steht das Gesetz auf einer idealen Höhe, die 
selbst Plato in seiner Politeia bei weitem nicht erreicht; 
nie wurde es verändert (31), und das Volk hängt an 
ihm mit einer Liebe, die alles Ungemach erträgt und 
selbst den Bekennertod nicht scheut (32). 

d. Hatte Josephus bisher schon einige kritische Be- 
merkungen über ausseijüdische Gesetzgebungen einfliessen 
lassen, so unternimmt er jetzt, nicht ohne vorgängige 
Entschuldigung (33), einen Angriff auf die griechische 
Götterlehre (33 f.) und äussert sich missbilligend über 
solche Gesetzgeber, die der Religion keine Bedeu- 
tung im Staate beimassen, sie vielmehr den Dichtern 
und Künstlern überliessen (35). Es folgen einige 
weitere Bemerkungen über Apollonios Molon, dem die 
echten griechischen Philosophen und besonders Plato, 
letzterer als Nachahmer des Moses, gegenübergestellt 
werden (36). Sodann weist der Verfasser darauf hin, 
dass die Abneigung gegen den Verkehr mit Fremden 
und überhaupt die Unduldsamkeit, die man den Juden 
zum Vorwurf mache, weit mehr eine Eigentümlichkeit 
der besten griechischen Gesetzgebungen als der jüdischen 
seien (36 f.) , dass die Israeliten lediglich die Rein- 
erhaltung ihres Gesetzes im Auge hätten (38), aber auch 
bereitwillig Fremde in ihre religiöse Gemeinschaft auf- 
nähmen, und dass der jüdische Glaube bei Griechen und 
Barbaren stets grössere Anerkennung und Verbreitung 



88 


Des Flavias Joscphas kleinere Schriften. 


finde, woraus die Vortrefflichkeit des Gesetzes sich aufs 
klarste ergebe (39). Endlich fasst er die Hauptpunkte 
der Schrift nochmals kurz zusammen, kommt zu dem 
Ergebnis, dass die Verleumder wirkungsvoll abgethan 
seien, und schlies6t mit der Widmung an Epaphro- 
ditos (40 f.) 



Erstes Buch. 


1. Bereits in dem Werke über die Altertümer, 
welches die Geschichte von fünftausend Jahren umfasst 
und auf Grund unserer heiligen Bücher von mir in 
griechischer Sprache geschrieben wurde, habe ich, treff- 
licher Epaphroditos, die Leser desselben meiner Meinung 
nach hinreichend davon überzeugt, das9 unser, der Juden 
Volk das älteste ist, dass es am ehesten ein selbständiges 
Dasein erlangte, und wie es in dem Lande, welches wir 
jetzt bewohnen, sich ansiedelte. Da ich aber sehe, dass 
gar viele den böswilligen Verdächtigungen gewisser 
Menschen Glauben schenken, meinen Ausführungen in 
der Schrift über die Altertümer nicht trauen und die 
spätere Entstehung unseres Volkes aus dem Umstand 
herzuleiten suchen, dass es von den berühmten grie- 
chischen Geschichtschreibern keiner Erwähnung für wert 
gehalten wurde, so glaubte ich über alle diese Punkte 
eine kurze Abhandlung schreiben zu müssen, einmal um 
die geflissentliche Verdrehung der Thatsachen seitens 
der Lästerer und die Böswilligkeit jener Leute zu kenn- 
zeichnen, dann aber auch um die Unwissenheit der 
anderen zu belehren und allen, die die Wahrheit zu er- 
fahren wünschen, das hohe Alter unseres Volkes zu 
beweisen. .Als Zeugen für meine Behauptungen werde 
ich diejenigen anführen, die, was Kenntnis des Alter- 
tums überhaupt betrifft, bei den Griechen als besonders 
glaubwürdig gelten; solche aber, deren Schriften über 
uns von Verleumdungen und Lügen wimmeln, will ich 
sich selbst widerlegen lassen. Auch werde ich versuchen, 
die Gründe anzugeben, weshalb so wenige Griechen in 



90 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


ihren Geschichtswerken unseres Volkes Erwähnung ge- 
than, anderseits aber auch zu Nutz und Frommen derer, 
die es nicht wissen oder sich stellen, als wüssten sie es 
nicht, diejenigen Männer namhaft machen, die unsere 
Geschichte nicht übergangen haben. 

2. Zunächst muss ich mich lebhaft über diejenigen 
verwundern, die da meinen, man dürfe in Bezug auf die 
ältesten Begebenheiten sich nur an die Griechen halten 
und bei ihnen allein die Wahrheit suchen, während wir 
und die anderen Menschen keinen Glauben verdienten. 
Sehe ich doch, dass das gerade Gegenteil davon zu- 
trifft, wofern man überhaupt den Thatsachen gemäss 
urteilen und nicht etwa von leeren Einbildungen sich 
leiten lassen will. Bei den Griechen nämlich ist, wie 
du finden wirst, alles neu und sozusagen erst gestern 
und vorgestern geschehen : die Gründung der Städte, die 
Erfindung der Künste und die Aufzeichnung der Gesetze ; 
fast das allerneueste aber ist bei ihnen die Pflege der 
Geschichtschreibung. Anderseits giebt es, wie sie selbst 
gestehen, die älteste und stetigste Überlieferung bei den 
Aegyptiern, Chaldäern und Phoeniciern; uns nämlich 
will ich für jetzt noch nicht mit diesen zusammen er- 
wähnen. Alle jene Völkerschaften wohnen ja in Gegenden, 
welche am wenigsten den aus umliegenden Ländern 
kommenden Verderbnissen ausgesetzt sind, und sie haben 
von jeher eine besondere Sorgfalt darauf verwendet, dass 
die bei ihnen sich abspielenden Vorgänge nicht der Ver- 
gessenheit anheimfallen möchten, sondern stets von den 
weisesten Männern in öffentlichen Urkunden niedergelegt 
würden. Griechenland dagegen war in seiner ganzen 
Ausdehnung von tausendfältigen Drangsalen heimgesucht, 
welche die Erinnerung an die Vergangenheit verwischten, 
und weil das Leben immer wieder auf neuen Grund- 
lagen sich vollzog, so glaubte jedes Zeitalter, das, womit 
es selbst begann, sei überhaupt der Anfang gewesen. 
Auch lernten die Griechen erst spät und unzureichend 
die Buchstabenschrift: denn selbst die, welche den Ge- 
brauch der Schrift am weitesten in die Vorzeit zurück- 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


91 


versetzen, können nichts anderes zu ihren Gunsten an- 
führen, als dass ihnen dieselbe von den Phoeniciern und 
von Kadmos überkommen ist, und auch aus dieser Zeit 
vermag niemand ein Schriftstück aufzuweisen, das sich 
in Tempel- oder Staatsarchiven erhalten hätte.' Ja, es 
ist sogar recht fraglich, ob auch nur die, welche um 
vieles später den Feldzug nach Troja unternahmen, sich 
der Schrift bedient haben ; kommt doch als die richtigere 
Ansicht mehr und mehr diejenige zur Geltung, dass 
ihnen die jetzt übliche Buchstabenschrift unbekannt 
war . 1 Überhaupt findet sich aber bei den Griechen kein 
Schriftwerk, von dem ein höheres Alter als das der 
homerischen Dichtung erwiesen wäre. Dieser Dichter 
lebte indes offenbar lange nach der trojanischen Epoche, 
und auch er hat ja, wie es heisst, sein Gedicht nicht 
schriftlich pufgezeichnet hinterlassen, sondern es soll, 
nachdem sich die einzelnen Gesänge durch Überlieferung 
fortgepflanzt hatten, erst später zu einem Ganzen ver- 
bunden worden sein, weshalb es auch so viele Text- 
verschiedenheiten aufweise. Diejenigen vollends, die sich 
bei den Griechen zuerst auf Geschichtschreibung ver- 
legten, z. B. der Milesier Kadmos, der Argeier Akusilaos 2 
und wer etwa ausser ihnen sonst noch genannt wird, 
fallen der Zeit nach erBt kurz vor den Kriegszug der 
Perser gegen Griechenland. Auch sind jene Männer, 
welche zuerst unter den Griechen über himmlische und 
göttliche Dinge philosophische Untersuchungen anstellten, 
wie der Syrier Pherekydes, Pythagoras und Thaies, nach 
allgemeinem und einhelligem Zugeständnis Schüler der 
Aegyptier und Chaldäer gewesen und haben nur weniges 
schriftlich aufgezeichnet. Anscheinend halten die Griechen 
deren Schriften für die ältesten; dass sie aber auch 


1 Vergl. jedoch Plinius, Naturgesch., VII, 57 ; XIII, 11. Josephus 
will wohl sagen, der Gebrauch, den die spätere Zeit von der Buch- 
stabenschrift machte, sei damals unbekannt gewesen. 

2 Näheres ftber die in dieser Abhandlung erwähnten Schrift- 
steller etc. s. im Namenregister. 



92 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


wirklich von ihnen verfasst sind, glauben sie nur 
halb. 

3. Wie unvernünftig ist es daher von den Griechen, 
zu meinen, sie allein kannten die Vorzeit und niemand 
ausser ihnen besitze die genaue Geschichte derselben! 
Kann man doch gerade von ihren Geschichtschreibern 
mit leichter Mühe erfahren, dass sie ohne zuverlässige 
Kenntnis der Thatsachen und nur nach den Vermutungen 
geschrieben haben, wie ein jeder sie über die Begeben- 
heiten hegte. Denn in ihren Büchern widerlegen sie 
meist einander selbst und scheuen sich nicht, über gleiche 
Vorgänge die entgegengesetztesten Behauptungen aufzu- 
stellen. Ganz überflüssig wäre es, wenn ich die, welche 
es besser wissen als ich, darüber belehren wollte, in wie 
vielfacher Hinsicht Hellanikos bei der Aufstellung der 
Geschlechtsregister mit Akusilaos nicht übpreinstimmt, 
wie oft Akusilaos den Hesiod berichtigt, oder wie Ephoros 
dem Hellanikos, dem Ephoros Timaios, dem Timaios 
seine Nachfolger, dem Herodot aber alle miteinander 
eine Menge Unwahrheiten nach weisen. Was die Ge- 
schichte der Sikuler betrifft, glaubt Timaios dem An- 
tiochos, Philistos, Kallias und deren Schülern wider- 
sprechen zu müssen ; in der attischen Geschichte weichen 
die, welche über Attika geschrieben, in der argolischen 
die, welche über Argos berichtet haben, voneinander ab. 
Doch was brauche ich die Geschichte von Städten und 
kleineren Gemeinwesen überhaupt zu erwähnen, da sogar 
über den Perserkrieg und dessen einzelne Begebenheiten 
die berühmtesten Schriftsteller nicht einig sind? Wird 
doch von manchen selbst Thukydides des Mangels 
an Wahrheitsliebe bezichtigt, obwohl er, wie man an- 
nimmt, die genaueste Geschichte seiner Zeit ge- 
schrieben hat. 

4. Will man nach den Gründen dieses erheblichen 
Mangels an Übereinstimmung forschen, so mag man 
vielleicht deren viele entdecken; auf zwei aber, die ich 
sogleich anführen werde, lege ich das grösste Gewicht. 
Der meiner Meinung nach wichtigste, mit dem ich 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


03 


beginne, liegt darin, dass bei den Griechen von jeher 
kein Eifer darauf verwandt worden ist, die jeweiligen 
Ereignisse in öffentlichen Urkunden aufzuzeichnen. 
Gerade dieser Fehler hat bei denen, die später über die 
alten Begebenheiten etwas schreiben wollten, dem Irrtum 
und der Entstellung Thür und Thor geöffnet. Denn 
abgesehen davon, dass auf derartige Aufzeichnungen von 
den übrigen Griechen kein Wert gelegt wurde, finden 
wir nicht einmal bei den Athenern, die doch als echte 
Ureinwohner des Landes und besondere Hüter der 
Bildung angesehen werden, dass etwas in dieser Be- 
ziehung geschehen sei. Vielmehr galten für die ältesten 
öffentlichen Schriften bei ihnen die Gesetze über den 
Mord, welche ihnen von Drakon gegeben wurden, einem 
Manne, der nur kurze Zeit vor der Tyrannenherrschaft 
des Peisistratos lebte. Über die Arkader, die von dem 
hohen Alter ihres Volkes so viel Aufhebens machen, 
brauche ich ohnehin kein Wort zu verlieren; denn sie 
haben ja auch später kaum irgend eine literarische Be- 
deutung erlangt. 

5. Dieser Umstand also, dass keine älteren Aufzeich- 
nungen vorhanden waren , aus denen die Wissbegierigen 
sich unterrichten und durch welche; die Verfälscher der 
Wahrheit überführt werden konnten, erklärt den vielfachen 
Widerspruch der Geschichtschreiber untereinander. Dem 
ersten Grunde ist dann noch der folgende hinzuzufügen. 
Diejenigen, welche sich auf Geschichtschreibung verlegten, 
bemühten sich nicht sowohl um die Wahrheit — ob- 
gleich sie nicht müde wurden, dies zu versichern — 
sondern sie wollten nur ihre Redegewandtheit zeigen, 1 
und jedes Mittel, wodurch sie andere hierin übertreffen 
zu können meinten, war ihnen eben recht. So. wandten 
sich denn die einen zur Fabelei, andere lobten aus Ge- 
fallsucht Städte oder Könige, wieder andere unternahmen 
es, die Thatsachen selbst oder die, welche sie schilderten, 


1 So auch Aristot., Polit. V, 10; Strabo I ; Josephus, Jüd. Krieg, 
Voiwort 5. 


Go gle 



94 


Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. 


zu verkleinern, und glaubten sich dadurch besonderen 
Ruhm zu verschaffen: kurzum, sie gefallen sich in einer 
Thätigkeit, die das gerade Qegenteil von echter Ge- 
schichtschreibung ist. Denn während für die Wahrheit 
der letzteren der Beweis darin liegt, dass über die 
gleichen Gegenstände alle dasselbe sagen und schreiben, 
glaubten sie nur dann als recht wahrheitsliebend zu er- 
scheinen, wenn jeder den nämlichen Gegenstand anders 
darstellte. Allerdings was äussere Form und die Meister- 
schaft darin an geht, müssen wir den griechischen Schrift- 
stellern den Vorrang lassen, nicht aber auch in betreff 
der Wahrheit der Urgeschichte überhaupt und am aller- 
wenigsten hinsichtlich der jedem Volke eigentümlichen 
Geschichte der Vorzeit. 

6. Dass nun bei den Aegyptiem und Babyloniern 
von alters her mit der Besorgung geschichtlicher Auf- 
zeichnungen die Priester und bei den Babyloniern ins- 
besondere die Chaldäer 1 betraut waren, dass ferner von 
den Völkern, die zu den Griechen Verkehrsbeziehungen 
unterhielten, vornehmlich die Phoenicier sowohl im Handel 
und Wandel als zur Herstellung staatlicher Urkunden 
sich der Schrift bedienten, glaube ich, da es allgemein 
zugegeben wird, nicht weiter ausführen zu sollen. Dass 
aber unsere Vorfahren die gleiche Sorgfalt — ob nicht 
vielleicht eine noch grössere als die Genannten, lasse 
ich dahingestellt — auf geschichtliche Aufzeichnungen 
verwandten, indem sie dieselben den Hohepriestern 
und Propheten übertrugen , und dass diese Aufzeich- 
nungen . bis zu unseren Zeiten mit grosser Gewissen- 
haftigkeit bewahrt worden sind und, wenn ich kühner 
reden darf, auch in Zukunft werden bewahrt bleiben, 
will ich versuchen in Kürze darzuthun. 

7. Sie haben nämlich nicht nur von Anfang an diese 
Verrichtung den besten und im Dienste Gottes eifrigsten 
Männern übertragen, sondern sie Hessen es sich auch 


1 Gemeint sind die Chaldäer im engeren Sinne, die Mitglieder 
der Priesterkaste. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


95 


angelegen sein, das Geschlecht der Priester unvermischt 
und rein zu erhalten. Denn wer des Priestertums teil- 
haftig ist, darf nur mit einer Landsmännin Kinder 
zeugen und bei ihr weder auf Geld noch auf sonstige 
Vorzüge sehen, sondern er muss zunächst ihre Herkunft 
prüfen, indem er die Erbfolge aus den alten Geschlechtern 
in Betracht zieht und zahlreiche Zeugen beibringt. Und 
so halten wir es nicht nur in Judaea selbst — sondern 
überall, wo zahlreichere Gemeinden unseres Volkes sich 
befinden, da werden auch die Vorschriften über die Ehe- 
Bchliessung der Priester genau beobachtet, wie in 
Aegypten, in Babylon und wo sonst in der Welt jüdische 
Priester zerstreut sind. Denn die letzteren schicken dann 
die Namen ihrer Eltern und der Voreltern väterlicher- 
seits nach Jerusalem unter gleichzeitiger Angabe von 
Zeugen. Bricht ein Krieg aus, wie dies schon oft der 
Fall war, z.B. als Antiochus Epiphanes, Pompejus 
Magnus und Quintilius Varus ins Land einfielen, be- 
sonders aber in unseren Tagen , 1 so stellen die übrig- 
gebliebenen Priester aus den alten Urkunden wieder 
neue zusammen und prüfen die noch lebenden Weiber. 
Denn die in Kriegsgefangenschaft geratenen nehmen sie 
nicht in die Listen auf, weil sie bei ihnen den in diesem 
Falle so häufigen geschlechtlichen Verkehr mit Fremden 
vermuten. Der beste Beweis für die Sorgfalt, womit 
hierbei zu Werk gegangen wird, ist der, dass bei uns 
alle Hohepriester seit zweitausend Jahren mit Namen 
und unter Angabe ihres Stammbaums von väterlicher 
Seite in den Urkunden aufgeführt sind, und wer irgend 
eine der genannten Bedingungen nicht erfüllt, darf weder 
den Altardienst versehen noch an den übrigen heiligen 
Handlungen teilnehmen. Erklärlich ist ja auch die Ge- 
nauigkeit der Register, oder vielmehr sie muss unbedingt 
vorhanden sein, da nicht jeder nach Belieben die Ein- 
tragungen machen durfte, wobei es ohne Widersprüche 
wohl nicht hergegangen wäre, sondern jenes Recht nur 


Bezieht sich auf den Krieg unter Vespasianus und Titus. 



96 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


den Propheten zustand, welche die ältesten Ereignisse 
der Vorzeit durch göttliche Eingebung erfahren und die 
Begebnisse der eigenen Tage genau so, wie sie sich zu- 
trugen, geschildert haben. 

8. Denn bei uns giebt es keine Unzahl voneinander 
abweichender und sich gegenseitig widersprechender 
Bücher, sondern nur zweiundzwanzig, 1 welche die ge- 
samte Vergangenheit schildern und mit Recht als gött- 
lich angesehen werden. Fünf derselben sind von Moyses; 2 
sie enthalten die Gesetze und die Geschichte von der 
Entstehung des Menschengeschlechtes bis zum Tode des 
Verfassers. Dieser Zeitraum erstreckt sich über beiläufig 
drei Jahrtausende. Vom Ableben des Moyses aber bis 
zur Regierung des Artaxerxes, der nach Xerxes über 
die Perser herrschte, haben die auf Moyses folgenden 
Propheten die Begebenheiten ihrer Zeit in dreizehn 
Büchern aufgezeichnet; die übrigen vier enthalten Lob- 
gesänge auf Gott und Vorschriften für das Leben der 
Menschen. Auch von Artaxerxes an bis auf unsere 
Tage ist alles eingehend beschrieben ; diese Bücher stehen 
aber nicht in gleichem Ansehen wie die früheren, weil 
es da an der genauen Aufeinanderfolge der Propheten 
mangelte. 3 Ein Beweis für das Vertrauen , das wir 
jenen volkstümlichen Schriften entgegenbringen, ergiebt 
sich übrigens aus folgender Thatsache. In den vielen 
Jahrhunderten , die seit Abfassung der erwähnten Bücher 
verstrichen sind, hat noch niemand sich erdreistet, 
Zusätze im Text anzubringen oder Verstümmelungen 
und sonstige Änderungen daran vorzunehmen. Alle 

1 Josephus zählt hier folgendermassen : 1), 2), S), 4), 5) Penta- 
teuch, 6) Josua, 7) Richter, 8) Ruth, 9) Sam. I, II, Kön. I, II, 
10) Chronik I, II, 11) Esra, 12) Nehemia , 13) Esther, 14) Hiob, 
15) PsalmeD, 16) Sprüche Salomons, 17) Prediger nebst dem Hoben 
Lied, 18)Jesaias, 19) Jeremias nebst den Klageliedern, 20) Ezechiel, 
21) Daniel, 22) Kleine Propheten. 

* Ueber die von Josephus beliebte Schreibweise und Ableitung 
des Namens vergl. J. A. II, 9, 6 sowie Abschnitt 31 des vorliegenden 
Buches. 

a Hier sind wohl die Apokryphen gemeint. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


97 


Juden bringen vielmehr den Glauben an deren göttlichen 
Ursprung gleichsam mit zur Welt wie auch den Vorsatz, 
ihnen treu zu bleiben und, wenn es sein muss, mit 
Freuden für sie zu sterbpn. Hat man doch schon oft 
Kriegsgefangene gesehen, die massenhaft bei der Auf- 
führung von Schauspielen Folterqualen und alle mög- 
lichen Todesarten auf sich nahmen, nur um kein Wort 
gegen die Gesetze und die dazu gehörigen Schriften aus- 
sprechen zu müssen. Welcher Grieche würde das für 
sein Gesetz erdulden oder auch nur den geringsten 
Schaden sich gefallen lassen, selbst wenn er dadurch 
die gesamte Litteratur seines Vaterlandes vom Unter- 
gang retten könnte? Denn sie halten ihre Schriften 
doch nur für rednerische Kunststücke, in denen die 
Verfasser sich nach Herzenslust breit machten. Und 
mit Recht denken sie in dieser Weise sogar von 
den älteren Schriftstellern; müssen sie doch sehen, wie 
einige ihrer Zeitgenossen über Ereignisse schreiben, bei 
denen sie nicht persönlich zugegen waren und über die 
sie nicht einmal bei Augenzeugen sich zu erkundigen 
für gut fanden. Selbst über den Krieg, den wir jüngst 
führten, haben gewisse Leute Berichte geschrieben und 
veröffentlicht, ohne an Ort und Stelle gewesen zu sein, 
ja ohne auch nur in die Nähe des Kriegsschauplatzes 
sich begeben zu haben. Vielmehr stellten sie nur vom 
Hörensagen einiges zusammen und waren dann dreist 
genug, den Namen Geschichte durch derartiges Geschreibsel 
zu verunglimpfen. 1 

9. Ich dagegen habe sowohl den Krieg im allgemeinen, 
wie auch die einzelnen Begebenheiten desselben wahr- 
heitsgetreu schildern können, weil ich an allen Ereig- 
nissen persönlich teilnahra. Denn zunächst befehligte 
ich, so lange noch Widerstand möglich war, die soge- 


1 Bezieht sich auf Justus von Tiberias (vergl. Selbstbiographie, 
Abschnitt 65) , für den der Franzose Salvador (Geschichte der 
Römerherrschaft in Judaea) eine Lanze brechen zu müssen 
glaubte. 

Josephus, Kleinere Schriften. 7 

Go gle 



Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


nannten Galiläer; hierauf geriet ich in römische Kriegs- 
gefangenschaft und wurde während meiner Haft von 
Vespasianus und Titus genötigt, ihnen beständig zur 
Seite zu bleiben, wobei man mich anfangs gefesselt hielt ; 
später ward ich meiner Bande entledigt und von Alexan- 
dria aus mit Titus zur Belagerung Jerusalems geschickt. 
In dieser Zeit entzog sich nicht das Geringste meiner 
Kenntnis ; denn was ich im Lager der Römer sah, schrieb 
ich sorgfältig nieder, und die Berichte der Überläufer 
waren ohnehin nur mir verständlich. Als ich sodann in 
Rom Müsse fand und den ganzen Stoff beisammen hatte, 
verfasste ich die genaue Darstellung der Begebenheiten, 
indem ich der griechischen Sprache wegen einige Hilfs- 
kräfte heranzog. Dabei gab mir das Bewusstsein der 
Wahrhaftigkeit einen solchen Mut, dass ich die beiden 
Männer, die aus jenem Kriege als Imperatoren hervor- 
gingen, Vespasianus und Titus, vor allen anderen als 
Zeugen glaubte anrufen zu dürfen. Denn ihnen zuerst 
übergab ich die Bücher, die ich hernach an viele Römer 
verkaufte, welche den Krieg mitgemacht hatten, sowie 
ferner an viele meiner Landsleute. Unter den letzteren 
befanden sich Männer, die auch mit griechischer Weis- 
heit wohl vertraut waren, wie Julius Archelaus, 1 der er- 
lauchte Herodes 2 und der hoch bewunderte König Agrippa 
selbst. Sie alle bezeugten mir, dass ich gewissenhaft der 
Wahrheit die Ehre gegeben, und sie würden gewiss 
nicht geschwiegen haben, wenn ich aus Unwissenheit 
oder Liebedienerei irgendwelche Thatsachen verdreht oder 
übergangen hätte. 

10. Nichtsdestoweniger erfrechten sich gewisse schlechte 
Menschen, mein Geschichtswerk zu verkleinern, indem 
sie dasselbe nur als Übungsstück hinstellen, wie es etwa 


1 Sohn des Helkiäs und Schwiegersohn Agrippas des Grossen 
(s. J. A. XIX, 9, 1 ; XX, 7,1; 7, 3). 

2 Wahrscheinlich ein Sohn des jüngeren Phasael und der Sa- 
lampsio (s. J. A. XVIII, 5, 4). Dass er zur königlichen Familie Herodes’ 
des Grossen gehörte, beweist das Prädikat „erlaucht“ (oEjivoTatos) . 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


99 


von jungen Leuten in der Schule angefertigt wird. Damit 
bringen eie freilich eine ungeheuerliche Anklage und 
Verleumdung vor. Man sollte doch wissen, dass, wer 
anderen eine Darstellung thatsächlicher Begebenheiten 
verspricht, zuvor selbst genaue Kenntnis davon erlangt 
haben muss, entweder dadurch , dass er mit dabei ge- 
wesen ist, oder dadurch, dass er sie von Augenzeugen 
vernommen hat; und eben dies glaube ich bei beiden 
Werken recht sorgfältig gethan zu haben. Denn die 
Altertümer übersetzte ich, wie schon erwähnt, aus den 
heiligen Schriften, da ich als Priester und Abkömmling 
eines Priestergeschlechtes die in den letzteren enthaltene 
Weisheit besonders verstehe; die Geschichte des Krieges 
aber schrieb ich, nachdem ich bei vielen Ereignissen 
desselben die handelnde Hauptperson, bei den meisten 
Augenzeuge gewesen war, überhaupt aber alles, was 
während des Krieges verhandelt und vollführt wurde, 
mit sämtlichen Einzelheiten in Erfahrung gebracht hatte. 
Wie könnte also das Benehmen derer, die sich er- 
kühnen, mir die Wahrheit streitig zu machen, etwas 
anderes als Frechheit sein? Mögen sie immerhin sagen, 
sie hätten die Denkwürdigkeiten der Imperatoren ge- 
lesen : bei dem , was auf unserer, der Gegner, Seite vor- 
ging, sind sie doch nicht zugegen gewesen. 

11. Notgedrungen machte ich diese Abschweifung, 
wodurch ich zugleich die mangelhafte Befähigung derer, 
die sich als Geschichtschreiber aufspielen, zeigen wollte. 
Nachdem ich nun im Vorstehenden genugsam, wie ich 
glaube, bewiesen habe, dass schriftliche Aufzeichnung 
alter Begebenheiten bei den Barbaren mehr als bei den 
Griechen zu Hause ist, will ich zunächst mit denen, die 
aus dem angeblichen Stillschweigen griechischer Ge- 
schichtschreiber über uns Veranlassung nehmen, das hohe 
Alter unseres Volkes zu leugnen, eine kurze Erörterung 
halten und sodann aus den schriftlichen Urkunden 
anderer Völker Zeugnisse für unser frühes Dasein bei- 
bringen sowie die völlige Grundlosigkeit der gegen unsere 
Nation vorgebrachten Schmähungen darthun. 

Go gle oGsS . o 


7 



100 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 

12. Wir Juden bewohnen weder ein Küstenland, 1 
noch haben wir Freude am Handel 2 und dem dadurch 
begünstigten Verkehr mit den Fremden — sondern unsere 
Städte liegen weit vom Meere entfernt, und wir be- 
schäftigen uns hauptsächlich mit der Bearbeitung unseres 
vortrefflichen Ackerbodens. Den grössten Eifer aber 
verwenden wir auf die Erziehung der Kinder, und die 
Beobachtung der Gesetze wie der durch sie überlieferten 
Frömmigkeit machen wir zur wichtigsten Aufgabe unseres 
Lebens. Erwägt man nun ausser dem Gesagten noch 
die Eigentümlichkeit unserer Lebensweise, so ergiebt sich, 
dass keiner von den Anlässen vorlag, welche in früheren 
Zeiten einen Verkehr der Unsern mit den Griechen 
hätten bewirken können, wie ein solcher Verkehr der 
letzteren mit den Aegyptiern durch die Ein- und Aus- 
fuhr, mit den Bewohnern der phoenicischen Küste durch 
den Eifer im Klein- und Grosshandel aus Liebe zum 
Geldgewinn entstand. Auch verlegten sich unsere Vor- 
fahren nicht wie gewisse andere Völker auf Räubereien 3 
oder Eroberungskriege, obgleich ihr Land viele Tausende 
beherzter Männer aufwies, ßo kam es denn, dass die 
Phoenicier, indem sie des Handels wegen zu den Griechen 
segelten, alsbald mit diesen bekannt wurden, und durch 
sie die Aegyptier und weiterhin alle diejenigen, aus deren 
Ländern sie, weite Meeresstrecken durchfahrend, den 
Griechen Schiffsladungen zubrachten. In der Folge lernten 
sie auch die Meder und Perser dadurch kennen, dass 
diese ihre Herrschaft weiter über Asien ausbreiteten, die 
letzteren insbesondere durch deren Kriegszug in den 
anderen Weltteil; von den Thrakern erhielt man Nach- 
richt, weil sie in ziemlicher Nähe wohnten, von den 


1 In etwas gezwungener Weise verwertet hier Josephus für seine 
Beweisführung den Umstand, das9 die KUstenstädte Paiaestinas vor- 
zugsweise von Heiden bewohnt waren. 

2 Thatsfichlich war die Hauptbeschäftigung der damaligen palae- 
stinischen Juden Ackerbau und Handwerk; den Handel begünstigte 
ja auch das Gesetz in keiner Weise. 

J D. h. Seeräuberei. 


Go gle 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


101 


Skythen durch die den Pontus befahrenden Schiffer. 
Überhaupt kam zu denen, welche sich in Geschicht- 
schreibung versuchen wollten, viel eher die Kunde von 
den Küstenbewohnern, mochte es sich nun um das öst- 
liche oder das westliche Meer handeln, als von den 
Völkern im Binnenlande, über die sie zumeist gar nichts 
erfuhren. Das war augenscheinlich schon in Europa der 
Fall: denn die Stadt Rom, die bereits seit langer Zeit 
eine bedeutende Macht erlangt hatte und von der so 
herrliche Kriegsthaten ausgegangen waren, hat weder 
Herodot noch Thukydides noch ein Zeitgenosse dieser 
beiden erwähnt, sondern erst verhältnismässig spät drang 
ein dunkles Gerücht von ihr zu den Griechen. Und 
vollends über die Gallier und Iberer sind die Geschicht- 
schreiber, welche für die gründlichsten gelten , wie z. B. 
Ephoros, in solcher Unwissenheit, dass dieser die Iberer, 
die doch einen grossen Teil der westlichen Erde innehaben, 
für die Bewohner einer einzigen Stadt hält, und dass 
jene Geschichtschreiber insgemein ihnen Gewohnheiten 
als wirklich bei ihnen bestehend zuschreiben, die weder 
unter ihnen anzutreffen noch sonst von jemand behauptet 
worden sind. Dass sie die Wahrheit nicht kannten, lag 
an dem mangelhaften Verkehr, dass sie falsche Berichte 
schrieben, an der Sucht, mehr als andere erzählen zu 
wollen. Ist es da noch zu verwundern, wenn auch unser 
Volk, das so weit vom Meere entfernt wohnt und eine 
so eigentümliche Lebensweise führt, nicht gar vielen 
bekannt wurde und keinen Anlass bot, es in Schrift- 
werken zu erwähnen? 

13. Gesetzt nun den Fall, wir wollten umgekehrt 
zum Beweis dafür, dass die Griechen keine alte Nation 
sind, uns darauf stützen, dass in unseren Schriften nichts 
von ihnen erwähnt wird. Würden sie dann nicht alle 
uns auslachen, vermutlich die gleichen Gründe, die ich 
eben geltend machte, Vorbringen und ihre Nachbarvölker 
als Zeugen ihres frühen Daseins anführen ? Nun , so 
will auch ich dasselbe zu thun versuchen. Die Aegyptier 
hauptsächlich und die Phoenicier möchte ich als Zeugen 



102 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


aufrufen , und es wird wohl niemand ihr Zeugnis als 
falsch verwerfen können. Denn bekanntlich sind die 
Aegyptier insgesamt sehr schlecht auf uns zu sprechen, 
wie unter den Phoeniciern besonders die Tyrier. Von 
den Chaldäern kann ich allerdings nicht dasselbe sagen, 
weil sie das Stammvolk unseres Geschlechtes sind und 
auch in ihren Schriften der Juden als eines ihnen ver- 
wandten Volkes Erwähnung thun. Nachdem ich von 1 
ihnen Beweise beigebracht, werde ich zu den griechischen 
Schriftstellern übergehen, welche die Juden erwähnt haben, 
damit die Verleumder auch von dieser Seite keine 
Gründe für ihren Widerspruch gegen uns mehr heran- 
ziehen können. 

14. Beginnen will ich also mit den aegyptischen 
Urkunden. Sie selbst hierher zu setzen ist freilich nicht 
angängig. Manetho aber war bekanntlich* geborener 
Aegyptier und besass griechische Bildung, denn er schrieb 
in griechischer Sprache 2 die Geschichte seines Vater- 
landes und zwar, wie er selbst sagt, indem er aus den 
heiligen Büchern übersetzte; auch weist er nach, dass 
Herodot, was die aegyptische Geschichte anlangt, aus 
Unkenntnis viele Irrtümer begangen hat. Dieser Manetho 
nun schreibt im zweiten Buche seiner „ Aegyptiaka “ 
über uns wie folgt (ich führe seine eigenen Worte an, 
da ich ihn gewissermassen als Zeugen sprechen lassen 
will): „Wir hatten einen König mit Namen Timaos ; 
während seiner Regierung entzog uns die Gottheit — ich 
weiss nicht weshalb — ihre Gunst: ganz unerwartet 
drangen Menschen von unbekannter Abstammung aus 
den östlichen Gegenden mit keckem Mut in unser Land 
ein und brachten es leicht und ohne Schwertstreich in 
ihre Gewalt. Und nachdem sie sich der Befehlshaber 
bemächtigt hatten, legten sie schonungslos die Städte in 
Asche und verwüsteten die Heiligtümer der Götter; alle 
Eingeborenen behandelten sie aufs feindseligste, indem 

1 Statt rao'i ist zu setzen rocpi. 

* S. jedoch Uhlemann, Israeliten und Hyksos in Aegypten, S. 6. 


Go gle 



Gegen Apion, Erstes Bncb. 


103 


sie die einen niedermachten, den anderen Weib und 
Kind in die Sklaverei fortechleppten. Schliesslich machten 
sie einen aus ihrer Mitte Namens Salatis zum König. 
Dieser liess sich in Memphis nieder, legte dem oberen 
und unteren Lande schwere Steuern auf und versah die 
geeignetsten Plätze mit Besatzungen. Hauptsächlich aber 
befestigte er die östlichen Teile des Landes, um sich 
gegen die damals übermächtigen Assyrier zu schützen, 
von denen er annahm, dass sie einen Einfall ins näm- 
liche Königreich planten. Da er nun im Saitischen 
Bezirk eine östlich vom bubastischen Arm des Flusses 1 
sehr günstig gelegene Stadt entdeckte, die nach dem 
Verfasser einer älteren Götterlehre Auaris genannt wurde, 
erweiterte er sie , befestigte sie mit äusserst starken 
Mauern und legte eine Besatzung von nahezu zwei- 
hundertvierzigtausend Schwerbewaffneten hinein. Hierher 
kam er zur Sommerszeit, teils um die Verteilung von 
Proviant und Sold vorzunehmen, teils auch um durch 
fleissige Einübung der Krieger den Auswärtigen Furcht 
einzuflössen. Er schied nach neunzehnjähriger Regierung 
aus dem Leben. Nach ihm herrschte ein anderer mit 
Namen Beon vierundvierzig Jahre, hierauf Apachnas 
sechsunddreissig Jahre und sieben Monate, sodann Apo- 
phis einundsechzig Jahre, weiterhin Janias fünfzig Jahre 
und einen Monat, endlich noch Assis neunundvierzig Jahre 
und zwei Monate. Das waren ihre sechs ersten Könige, 
welche beständig mit Aegypten im Kriege lagen und es 
sozusagen mit Stumpf und Stiel zu vertilgen suchten. 
Das ganze Volk führte den Namen Hyksos, d. h. Hirten- 
könige; denn Hyk bedeutet in der heiligen 2 Sprache 
„König“, Sos aber heisst „Hirt“ und hat diese Bedeutung 
auch in der gemeinen Sprache. So entstand das zu- 
sammengesetzte Wort Hyksos. Einige halten sie für 


1 Um den in dieser Ortsbestimmung liegenden geographischen 
Widerspruch zu beseitigen, wäre statt „im Saitischen Bezirk“ zu 
lesen: im Sethroi'tischen Bezirk. Vergl. übrigens: Poitevin, Recher- 
ches sur la ville £gyptienne d’Avaris. 

2 D. i. hieroglyphischen. 



101 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


Araber.“ In einem anderen Exemplar übrigens heisst es, 
die Silbe Hyk bedeute nicht „Könige“, sondern durch 
das ganze Wort würden kriegsgefangene Hirten be- 
zeichnet. Thatsächlich ist im Aegyptischen das Wort 
Hyk neben der anderen Form Hak — mit der Aspi- 
ration — die eigentliche Bezeichnung für Kriegsgefangene. 
Diese Auslegung erscheint mir glaubwürdiger und mehr 
mit der alten Geschichte übereinstimmend. Die vorhin 
erwähnten Könige der Hirten nun, erzählt Manetho 
weiter, und deren Nachkommen hätten fünfbundertelf 
Jahre lang über Aegypten geherrscht. Darauf hätten 
die Könige von Thebais und dem übrigen Aegypten einen 
Aufstand gegen die Hirten erregt, und es sei ein heftiger 
und langwieriger Krieg zwischen ihnen ausgebrochen. 
Schliesslich habe ein König Namens Alisphragmuthosis 
die Hirten besiegt, sie aus ganz Aegypten vertrieben 
und in einen zehntausend Joch umfassenden Ort ein* 
geschlossen, der Auaris geheissen habe. Die Hirten 
hätten, fährt Manetho fort, diesen Platz mit einer grossen 
und starken Mauer umzogen, um ihre gesamte Habe 
sowie die gemachte Beute dort sicher bergen zu können. 
Des Alisphragmuthosis Sohn Thummosis habe sie als- 
dann mit vierhundertachtzigtausend Mann belagert und 
die Festung zu stürmen versucht, aber die Belagerung 
aufgeben müssen und einen Vertrag mit ihnen geschlossen, 
demzufolge sie Aegypten verlassen und, ohne irgendwie 
belästigt zu werden, sollten ziehen dürfen, wohin es ihnen 
beliebe. Dieser Übereinkunft gemäss seien sie mit ihren 
Familien und ihrem ganzen Besitztum in der Stärke 
von nicht weniger als zweihundertvierzigtausend Köpfen 
aus Aegypten aufgebrochen und hätten den Weg durch 
die Wüste nach Syrien eingeschlagen. Weil sie sich 
aber vor der Herrschaft der Assyrier, die damals Asien 
in ihrer Gewalt hatten, fürchteten, hätten sie in dem 
Lande, welches jetzt Judaea heisst, eine Stadt erbaut, 
die Tausende von Menschen fassen konnte, und diese 
Stadt Jerusalem genannt/ In einem anderen Buche der 
„Aegyptiaka“ berichtet Manetho, dieses sogenannte Hirten- 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


105 


Volk werde in seinen eigenen heiligen Büchern 1 auch 
als Kriegsgefangene bezeichnet, und darin hat er recht. 
Denn unsere ältesten Vorfahren hatten die Gewohnheit, 
Herden zu weiden, führten ein Nomadenleben und wurden 
deshalb Hirten genannt 2 * Anderseits werden sie von 
den Aegyptiern in deren Schriften nicht ohne Grund als 
Gefangene bezeichnet, da ja unser Ahnherr Joseph dem 
Aegyptierkönig gegenüber sich selbst einen Gefangenen 
nannte 8 und später mit des Königs Erlaubnis seine 
Brüder nach Aegypten kommen liess. Hierüber 4 * * indes 
werde ich noch anderswo eine genauere Untersuchung 
anstellen. 

16. Jetzt aber will ich als Zeugen für das hohe Alter 
jener Ereignisse abermals die Aegyptier reden lassen 
und Manethos Mitteilungen über das Verhältnis der Zeit- 
ordnung wiedergeben. Er sagt nämlich folgendes: „Nach 
dem Auszug des Hirtenvolkes aus Aegypten gen Jeru- 
salem herrschte der König Tethmosis, der sie verjagt 
hatte, bis zu seinem Tode noch fünfundzwanzig Jahre 
und vier Monate, worauf sein Sohn Chebron dreizehn 
Jahre lang das Scepter führte. Alsdann regierten der 
Reihe nach: Amenophis zwanzig Jahre und sieben Mo- 
nate; dessen ßchwesster Amessis einundzwanzig Jahre 
und neun Monate; Mephres zwölf Jahre und neun 
Monate; Mephramuthosis einundzwanzig Jahre und zehn 
Monate; Thmosis neun Jahre und acht Monate; Ameno- 
phis dreissig Jahre und zehn Monate; Oros sechsund- 
dreissig Jahre und fünf Monate; dessen Tochter Aken- 
chres zwölf Jahre und einen Monat ; deren Bruder Rathotis 
neun Jahre; Akencheresl. zwölf Jahre und fünf Monate; 


1 Hiernach wäre Manetho mit dem alten Testament bekannt ge- 
wesen, was sicher nicht sntraf. Ob Josepbus ihn missverstan- 
den hat ? 

8 1. Mos. 46, 82 und 94; 47, 8 f. 

8 1. Mos. 47, 4 (deine Knechte). 

4 Bezieht sich nicht auf den Patriarchen Joseph, sondern auf das 

hohe Alter der Juden nach Manetho, wovon unten (Abschnitt 16 

uud 26) wieder die Rede ist. 



106 


Des Flavias Josephus kleiuere Schriften. 


Akencheres IL zwölf Jahre und drei Monate; Annais 
vier Jahre und einen Monat; Ramesses ein Jahr und vier 
Monate; Armesses, der Sohn des Miammos, Sechsund- 
sechzig Jahre und zwei Monate; Amenophis neunzehn 
Jahre und sechs Monate; endlich Sethosis, auch Ra- 
messes 1 genannt, der eine starke Reiterei und eine be- 
trächtliche Kriegsflotte besass. Dieser setzte seinen Bruder 
Armais als Verwalter des aegyp tischen Reiches ein und 
übertrug ihm alle königlichen Rechte; nur verbot er ihm, 
das Diadem zu tragen, die Königin als Mutter der 
Prinzen zu beleidigen und mit den Kebsweibern des 
Königs Umgang zu pflegen. Er selbst zog gegen Cypern 
und Phoenicien und sodann gegen die Assyrier und 
Meder zu Felde und unterwarf sie alle teils mit Waffen- 
gewalt, teils durch den blossen Schrecken, den seine 
Macht ihnen einflösste, und ohne Schwertstreich. Diese 
Erfolge machten ihn übermütig, und alsbald unternahm 
er einen zweiten, noch verwegeneren Kriegszug, um die 
Städte und Länder im Osten 2 zu unterjochen. Einige 
Zeit nachher nun fing der in Aegypten zurückgelassene 
Armais an, sonder Scheu alles zu treiben, was sein 
Bruder ihm untersagt hatte: er vergriff sich an der 
Königin, gebrauchte ohne Bedenken die Kebsweiber, 
trug auf Zureden seiner Freunde die Königskrone und 
warf sich in aller Form zum Gegenkönig seines Bruders 
auf. Der Beamte jedoch, der mit der Oberaufsicht über 
die Heiligtümer Aegyptens betraut war. schickte dem 
Sethosis eine von ihm verfasste Denkschrift, worin er 
diesen von allem in Kenntnis setzte und ihm namentlich 
mitteilte, wie sein Bruder Armais sich wider ihn auf- 
gelehnt habe. Sethosis kehrte deshalb schleunigst zurück, 
erschien vor Pelusium und musste sieb sein eigenes 
Reich wieder erobern. Von ihm erhielt das Land den 
Namen Aegypten; denn Sethosis wurde — so sagt Ma- 


& 


1 Ramses IL Nach Parets Vorgang schiebe ich 6 vor 'Papia- 
ar); ein. 

! Nach Diodor. I, 47 : Baktrien. 


Go gle 



Gegen Apion, Erstes Buch. 107 

netho — auch Aigyptos, sein Bruder Armais auch Danaos 
genannt.“ 

16. Soweit Manetho. Rechnet man nun die erwähnten 
Jahre zusammen, so ergiebt sich, dass die sogenannten 
Hirten, unsere Vorfahren, als sie aus Aegypten fort- 
gezogen waren, sich in ihrem jetzigen Lande dreihundert- 
dreiundneunzig Jahre früher ansiedelten als Danaos 
nach Argos kam. Und doch halten die Argeier diesen 
für ihren ersten Stammvater. Zwei äusserst . wichtige 
Thatsachen also hat uns Manetho aus den aegyptischen 
Urkunden bezeugt: erstens, dass unsere Vorfahren von 
auswärts nach Aegypten gekommen, zweitens, dass sie 
von dort wieder weggezogen sind und zwar in so uralter 
Zeit, dass ihr Auszug fast tausend Jahre vor den Troja- 
nischen Krieg fallt. Die übrigen Angaben Manethos 
aber, die er nach eigenem Geständnis nicht aus aegyp- 
tischen Urkunden, sondern aus unverbürgten Sagen ge- 
schöpft hat, werde ich unten im einzelnen widerlegen 
und dabei zeigen, wie unglaubwürdig sein diesbezügliches 
Gerede ist. 

17. Ich will nun zu den Mitteilungen übergehen, 
welche die phoenicischen Urkunden über unser Volk 
enthalten, und die ihnen entnommenen Zeugnisse hier- 
hersetzen. Bei den Tyriern nämlich giebt es weit zurück - 
reichende, von Staatswegen verfasste Schriften über alles, 
was sich bei ihnen selbst zutrug und was nach aussen 
hin 1 geschah. Darin findet sich auch die Angabe, dass 
zu Jerusalem von dem Könige Solomon hundertdreiund- 
vierzig Jahre acht Monate vor der Gründung Karthagos 
durch die Tyrier ein Tempel erbaut worden sei, und es 
wird auch die Einrichtung unseres Tempels daselbst be- 
schrieben. Hirom 2 nämlich, der König der Tyrier, hatte, 
dem Beispiel seines Vaters folgend, mit unserm Könige 
Solomon Freundschaft geschlossen, und da er es sich 
zur Ehre anrechnete, im Verein mit Solomon zur präch- 

1 Statt dXXrjXooc lies: aXXou?. 

2 In den „Jüdischen Altertümern“ hebst er Hiram. 

Go gle 



108 


Des Flavias. Josephas kleinere Schriften. 


tigen Ausgestaltung des Bauwerkes beizutragen, schenkte 
er hundertzwanzig Talente Gold und schickte zugleich 
für die Bedachung überaus schöne Baumstämme, die er 
auf dem sogenannten Libanongebirge hatte fallen lassen. 
Solomon machte ihm dagegen ausser vielem andern auch 
ein Stück Land in dem Bezirk von Galilaea, der Cha- 
bulon heisst, zum Geschenk. Vornehmlich jedoch war 
es der Drang nach Weisheit, der ihre Freundschaft 
knüpfte; denn sie sandten sich gegenseitig schwierige 
Aufgaben zum Lösen, worin Solomon, der auch sonst 
der weisere war, den Hirom übertraf. Noch jetzt werden 
bei den Tyriern viele von den Briefen anf bewahrt, die 
sie miteinander wechselten . 1 Dass aber diese Angaben 
über die bei den Tyriern vorhandenen Schriftstücke nicht 
etwa von mir erfunden sind, mag das Zeugnis des Dios 
beweisen, eines Mannes, dem man eine besondere Kenntnis 
der phoenicischen Geschichte zutraut. Er schreibt in 
seiner Geschichte der Phoenicier folgendermassen : 2 
„Nach dem Tode desAbibalos bestieg dessen Sohn Hirora 
den Thron. Dieser versah nuch den östlichen Teil von 
Tyrus mit Festungswerken, erweiterte die Stadt und 
brachte mit ihr den bis dahin abseits auf einer Insel 
stehenden Tempel des Olympischen Zeus dadurch in 
Verbindung, dass er zwischen Stadt und Insel einen 
Damm anlegte. Den Tempel schmückte er mit goldenen 
Weihgeschenken; auch stieg er auf den Libanon und 
Hess dort Bäume für die Erbauung von Tempeln fallen. 
Der Beherrscher von Jerusalem, Solomon, soll dem Hirom 
Kätselfragen geschickt und von ihm ebensolche verlangt 
haben unter der Bedingung, dass der, welcher sie nicht 
lösen könne, dem Errater eine Geldzahlung leisten müsse. 
Hirom sei darauf eingegangen, und da er die Rätsel 
nicht zu lösen vermochte, habe er grosse Summen als 
Strafe bezahlt. Später aber habe ein Tyrier mit Namen 
Abdemon die Aufgaben gelöst und nun seinerseits andere 


1 Proben dieser (zweifellos unechten) Briefe s. J. A. VIII, 2, G f 

3 Vergl. J. A. VIII, 5, 3. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


109 


gestellt, deren LösuDg dem Solomon nicht gelang, worauf 
dieser dem Hirom noch weit mehr Geld habe entrichten 
müssen.“ 1 So werden durch das Zeugnis des Dios unsere 
obigen Mitteilungen bestätigt. 

18. Des weiteren führe ich Men ander von Ephesos 
an. Ejt hat die Begebenheiten unter allen Königen 
griechischer wie barbarischer Nationalität beschrieben und 
sich bemüht, aus den einzelnen Landesurkunden die ge- 
schichtlichen Tbatsachen kennen zu lernen. In seinem 
Bericht über die früheren Könige von Tyrus nun kommt 
er auch auf Hirom zu sprechen und äussert sich folgen- 
dermassen: „Nach dem Tode des Abibalos folgte ihm 
in der Regierung sein Sohn Hirom, der dreiundfünfzig 
Jahre lebte und vierunddreissig Jahre den Thron inne- 
hatte. Er legte den sogenannten weiten Platz an, stiftete 
in den Tempel des Zeus die goldene Säule, begab sich 
auf das Libanongebirge und liess dort Gedern fallen, 
um das zur Bedachung von Tempeln nötige Holz zu 
gewinnen. Die alten Tempel liess er uiederreissen und 
neue erbauen; dem Herakles und der Astarte weihte er 
je ein Heilgtum, zunächst das des Herakles im Monat 
Peritios, später, als er aus einem siegreichen Feldzug 
gegen die Tityer, welche die Steuern verweigert hatten, 
zurückkehrte, auch das der Astarte. Während seiner 
Regierung lebte ein jüngerer Sohn des Abdemon, der in 
dem von Solomon, dem Könige zu Jerusalem, angeregten 
Rätsel Wettstreit den Sieg errang.“ Der Zeitraum von 
diesem Könige bis zur Gründung Karthagos wird sodann 
folgen dermassen berechnet: „Als Hirom gestorben war, 
folgte ihm auf dem Throne sein Sohn Baleazar, der 
sieben Jahre regierte und dreiund vierzig Jahre alt wurde. 
Dessen Sohn und Nachfolger Abdastratos starb nach 
neunjähriger Regierung im neiinundzwanzigsten Lebens- 
jahr, meuchlings ermordet von den vier Söhnen seiner 
Amme, deren ältester zwölf Jahre lang die Herrschaft 


1 Einige dieser R&tsel hat der Midrasch aufbewahrt (Rabba zu 
IV. M. P. 19; Menachoth p. 37, a. Tosephot und Pessikta). 



110 Des Flavins Josephus kleinere Schriften. 

behauptete. Nach ihm regierte zwölf Jahre lang des 
Delaiastartos Sohn Astartos, der ein Alter von fünfzig 
Jahren erreichte. Hierauf herrschte neun Jahre lang 
dessen Bruder Aserymos, der im vierundfunfzigsten Lebens- 
jahr von seinem Bruder Pheles umgebracht wurde. 
Dieser bemächtigte sich sodann des Thrones und starb 
nach achtmonatlicher Regierung im Alter von fünfzig 
Jahren. Ihn tötete Ithobal, der Priester der Astarte, 
der nun zweiunddreiesig Jahre lang König blieb und 
achtundsechzig Jahre alt wurde, worauf ihm sein Sohn 
Badezor folgte, der nach sechsjähriger Regierung im 
fünfund vierzigsten Lebensjahre starb. Dessen Sohn und 
Nachfolger war Matgenos; dieser erreichte ein Alter von 
zweiunddreissig Jahren und regierte neun Jahre lang. 
Alsdann kam sein Sohn Pygmalion auf den Thron, der 
diesen siebenund vierzig Jahre innehatte und im Alter von 
sechsundfunfzig Jahren starb. Im siebenten Jahre seiner 
Regierung baute seine Schwester, 1 die aus ihrer Heimat 
geflohen war, in Libyen die Stadt Karthago.“ Mithin 
umfasst der gesamte Zeitraum von der Thronbesteigung 
Hiroms bis zur Gründung von Karthago hundertfünf- 
undfünfzig Jahre acht Monate. Da aber im zwölften 
Regierungsjahre Hiroms der Tempel in Jerusalem er- 
richtet wurde, so sind von der Erbauung des Tempels 
bis zur Gründung Karthagos hundertdreiundvierzig Jahre 
und acht Monate verflossen. Was brauche ich nun 
diesem phoen mischen Zeugnis noch weiter hinzuzufügen? 
Lässt doch die unter den Zeugen herrschende Über- 
einstimmung die Wahrheit in recht hellem Lichte er- 
scheinen. Selbstverständlich aber ist die Ankunft unserer 
Vorfahren in Judaea weit früher anzusetzen als die Er- 
bauung des Tempels; denn erst nachdem sie das ganze 
Land erobert hatten, begannen sie das Heiligtum zu 
errichten, wie ich dies in den „Altertümern“ aus den 
heiligen Schriften genau nachgewiesen habe. 

19. Ich wende mich nunmehr zu dem, was die 


1 Dido (tyrisch Elissa). 



Gegen Apion, Erstes Bach. 


111 


geschichtlichen Urkunden der Chaldäer über unser Volk 
melden, Schriften, die auch in anderer Hinsicht vielfach 
mit den unseren übereinstimmen. Ein Zeuge hierfür 
ist Berosus, ein geborener Chaldäer, der übrigens der 
gebildeten Welt wohlbekannt ist, da er über die Astro- 
nomie und die Philosophie der Chaldäer einige für die 
Griechen bestimmte Abhandlungen veröffentlichte. Dieser 
Berosus nun hat, den ältesten Aufzeichnungen folgend, 
über die Sintflut und den dadurch bewirkten Untergang 
des Menschengeschlechtes ganz wie Moyses berichtet» 
sowie auch über die Arche, in welcher „Nochos“, der 
Erzvater unseres Geschlechtes, gerettet wurde, indem die- 
selbe auf dem Gipfel des Armenischen Gebirges landete . 1 
Dann zählt er unter Hinzufügung der Zeitangaben die 
Nachkommen des Nochos auf und kommt endlich auf 
Nabopalassar, den König von Babylon und Chaldaea, 
dessen Thaten er schildert. Hierbei erwähnt er, wie 
Nabopalassar seinen Sohn Nabuchodonosor mit einer 
grossen Streitmacht nach Aegypten und in unser Land 
schickte, da er von dem Abfall der Bewohner Kunde 
erhalten hatte; wie dieser alle besiegte, den Tempel zu 
Jerusalem in Flammen aufgehen liess, unser ganze» 
Volk wegführte und nach Babylon versetzte, und wie 
alsdann unsere Hauptstadt siebzig Jahre lang bis auf 
den Perserkönig Cyrus verödet blieb. Auch habe der 
Babylonier, sagt Berosus, Aegypten, Syrien, Phoenicien 
und Arabien unterjocht und alle früheren Könige der 
Chaldäer und Babylonier durch glänzende Kriegsthaten 
übertroffen. EtwaB weiter unten in seiner Geschichte 
des Altertums kommt Berosus nochmals auf ihn zu 
sprechen. Ich setze seine eigenen Worte hierher, die 
also lauten: „Als sein Vater Nabopalassar den Abfall 
des Satrapen, den er über Aegypten und die Gegenden 
von Coelesyrien und Phoenicien gesetzt hatte, erfuhr. 


1 Berosus hat dabei wohl nicht ans den hebr&ischen Quellen ge- 
schöpft, sondern aus der (in neuerer Zeit von George Smith heraus- 
gegebenen) Sintflut-Keilinschrift. Vergl. Ausland 1873, S. 497 f. 



112 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

übergab er, da er selbst den Strapazen nicht gewachsen 
war, seinem noch jugendlichen Sohne Nabuchodonosor 
einen Teil des Heeres und sandte ihn gegen den Satrapen 
aus. Nabuchodonosor stiess alsbald mit dem Empörer 
zusammen , lieferte ihm ein Treffen und bemächtigte 
sich nicht nur seiner Person, sondern unteijochte auch 
sein Land. Um diese Zeit erkrankte sein Vater Nabo- 
palassar und starb nach einundzwanzigjähriger Regierung 
in der Stadt Babylon. Als Nabuchodonosor bald darauf 
vom Tode seines Vaters Kunde erhielt, ordnete er die 
Angelegenheiten Aegyptens und der übrigen Landesteile 
und gab einigen seiner Freunde den Auftrag, die ge- 
fangenen Juden, Phoenicier, Syrer und Aegyptier samt 
dem schwerbewaffneten Teile des Heeres und dem Gepäck 
nach Babylonien zu führen; dann brach er auch selbst 
auf und legte in wenigen Tagen den Weg durch die 
Wüste nach Babylon zurück. Hier übernahm er die 
von den Chaldäern 1 besorgte Leitung des Staates sowie 
die Königswürde, die der beste derselben ihm inzwischen 
gesichert hatte, und trat überhaupt die Vollherrschaft 
über sein väterliches Reich an. Sowie nun die Gefangenen 
ankamen, liess er ihnen in den passendsten Gegenden 
Babyloniens Wohnsitze anweisen; dann schmückte er 
mit der Kriegsbeute den Tempel des Bel und die übrigen 
Heiligtümer aufs herrlichste, liess in der bisherigen 
Hauptstadt Neubauten aufführen und erweiterte sie durch 
eine zweite ausserhalb liegende in der wohlmeinenden 
Absicht, künftige Belagerer an der Ableitung des Flusses 
und der dadurch bewirkten Bedrängung der Stadt zu 
hindern. Ferner zog er um die innere Stadt drei Ring- 
mauern und ebenso viele um die äussere, teils aus ge- 
brannten Ziegeln und Asphalt, teils aus blossen Ziegel- 
steinen. Nachdem er so die Stadt gehörig befestigt und 
die Thore mit prächtigem Schmuck versehen hatte, er- 
baute er im Anschluss an den Palast seines Vaters einen 
anderen, der jenen an Höhe und glänzender Ausstattung 


1 S. die Anmerkung zu Abschnitt 6. 



Gegen Apion, Erstes Bach. 


113 


übertraf. Ihn in seinen Einzelheiten zu schildern, würde 
wohl zu lange aufhalten; ich begpüge mich deshalb mit 
der Angabe, dass er trotz seiner Grösse und Pracht 
.bereits in fünfzehn Tagen vollendet wurde. Innerhalb 
dieses Palastes liess der König auch hohe steinerne 
Terrassen errichten, und indem er ihnen durch Bepflanzen 
mit allerlei Baumen das Ansehen natürlicher Berge gab, 
schuf er den sogenannten hängenden Park, vornehmlich 
seiner Gattin 1 zulieb, die in Medien erzogen war und 
deshalb ein starkes Verlangen nach Berglandschaft 
hegte.“ 2 

20. Vorstehendes berichtet Berosus über den ge- 
nannten König, und ausserdem noch vieles andere im 
dritten Buche seiner „Chaldaika“, wo er auch die Meinung 
der griechischen Geschichtschreiber, dass Babylon von 
der assyrischen Königin Semiramis gegründet worden 
sei, als falsch und ihre Erzählung von den Wunder- 
werken, die sie daselbst errichtet haben soll, als erdichtet 
verwirft. Und hierin muss man allerdings den Schriften 
der Chaldäer Glauben schenken, besonders da sich auch 
in den Archiven der Phoenicier über die Unteijochung 
von ganz Syrien und Phoenicien durch jenen König der 
Babylonier Aufzeichnungen finden, welche mit den An- 
gaben des Berosus übereinstimmen. Auch Philostratos 
bestätigt dieselben in seinem Geschichtswerk, indem er 
der Belagerung von Tyrus gedenkt, desgleichen Mega- 
sthenes im vierten Buche seiner „Indika“, wo er zu zeigen 
sucht, dass der genannte König der Babylonier, was 
Tapferkeit und Heldenthaten .anlangt, den Herakles 
.übertroffen habe. Denn er habe, sagt Megasthenes, 
sogar den grössten Teil von Libyen und ausserdem ganz 


1 Amytis, Tochter des modischen Königs Kyaxares (Herodot I, 
74; 175). 

* Mit dieser Erzählung des Berosus stimmt eine an) Euphrat 
gefundene, seit 1807 im Ostindienbaus zu London befindliche Keil- 
insehnft, die 1854 von R&wllnson entziffert wurde (s. Ausland 1854, 
&. 1245) vollkommen überein — wieder ein Beweis, dass Berosus 
die Keilinschriften als erste Quelle benutzt hat. 

Josephus, Kleinere Schriften. 8 

Go gle 



114 


Des Flavius Joseph us kleinere Schriften. 


Iberien unter seine Botmässigkeit gebracht. Was so* 
dann die oben erwähnte Einäscherung des Tempels zu 
Jerusalem durch die kriegerischen Scharen der Babylonier 
betrifft sowie den begonnenen Wideraufbau desselben» 
als Cyrus die Herrschaft über Asien erlangt hatte, so 
werden diese Thatsachen vollauf durch die Mitteilungen 
des Berosus bestätigt. Er äussert sich nämlich im dritten 
Buche wie folgt: „Kaum hatte Nabuchodonosor mit dem 
Bau der erwähnten Mauer begonnen , als er in eine 
Krankheit fiel und nach dreiundvierzigjähriger Regierung 
starb. Den Thron bestieg nun sein Sohn Evilmaraduch, 
der ein Gesetzesverächter und übermütiger Herrscher 
war und nach nur zweijähriger Regierung 1 von Neriglissoor, 
dem Gatten seiner Schwester, meuchlings ermordet wurde 
Nach seinem Tode trat eben dieser Neriglissoor, durch 
dessen Hinterlist er sein £<eben gelassen hatte, die Herr- 
schaft an und blieb vier Jahre lang König. Dessen 
Sohn Laborosoarchod kam als neunmonatliches Kind 
auf den Thron, wurde aber, weil man recht schlimme 
Charaktereigenschaften an ihm bemerkte, alsbald von 
seiner Umgebung umgebracht, worauf seine Mörder sich 
versammelten und nach gemeinsamem Beschluss einem 
der Mitverschworenen , dem Babylonier Nabonned, die 
Krone aufs [Haupt setzten. Unter ihm wurden die 
Mauern der Hauptstadt Babylon, da wo sie an den 
Fluss stiessen, mittels gebrannter Ziegelsteine und Asphalt 
schöner als vorher aufgebaut. Im siebzehnten Jahre 
seiner Regierung rückte Cyrus, nachdem er mit grosser 
Streitmacht aus Persien aufgebrochen war und das ganze 
übrige Asien unterjocht hatte, gegen Babylonien heran. 
Als Nabonned von seinem Anmarsch Kunde erhielt, 
zog er ihm an der Spitze eines Heeres entgegen und 
lieferte ihm ein Treffen, wurde aber geschlagen und 
schloss sich mit wenigen seiner Leute, die gleich ihm 

1 Nach J. A. X, 11,2 regierte er achtzehn Jahre. Winer nimmt 
zur Erklärung dieser Verschiedenheit eine Mitregentschaft oder eine 
Provinzialregentschaft an. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


115 


entkommen waren, in die Stadt Borsippos ein. Cyrus 
eroberte unterdessen Babylon, liess die äusseren Mauern 
der Stadt, weil die Festung ihm viel zu schaffen gemacht 
und sich als schwer einnehmbar erwiesen hatte, schleifen 
und marschierte hierauf nach Borsippos, um Nabonned 
zu belagern. Dieser aber ergab sich, ohne es aüf eine 
Belagerung ankommen zu lassen, und wurde deshalb von 
Cyrus freundlich behandelt, der ihm nun Karmanien 
als Wohnsitz an wies und ihn aus Babylonien dorthin 
schickte. In diesem Lande brachte Nabonned den Rest 
seines Lebens zu und starb auch daselbst.“ 

21. Diese Erzählung hat den Schein der Wahrheit 
für sich und stimmt auch mit unseren Büchern überein. 
Denn in den letzteren findet sich die Angabe, dass 
Nabuchodonosor im achtzehnten Jahre seiner Regierung 
unseren Tempel zerstört habe, der dann fünfzig Jahre 
in diesem Zustand blieb, dass aber im zweiten Jahre 
der Regierung des Cyrus der Grund zu seinem Wieder- 
aufbau gelegt und dieser im zweiten Jahre der Herr- 
schaft des Darius vollendet worden sei. Ich will aber 
auch noch die phoenicischen Urkunden hierhersetzen, 
um es selbst an einem Überm ass von Beweisen nicht 
fehlen zu lassen. In diesen Urkunden ist folgende Zeit- 
rechnung enthalten: „Unter dem Könige Ithobal be- 
lagerte Nabuchodonosor Tyrus dreizehn Jahre lang. Nach 
ihm regierte Baal zehn Jahre. Hierauf wurden Richter 
eingesetzt, von denen Eknibal, des Baslach Sohn, zwei 
Monate, Chelbes, des Abdaios Sohn, zehn Monate, der 
Oberpriester Abbar drei Monate, Mytgonos und Gera- 
stratos, die Söhne des Abdelemon, sechs Jahre diese 
Würde bekleideten, jedoch so, dass dazwischen die ein- 
jährige Königsherrschaft des Bai atoros fiel. 1 Nach seinem 
Tode berief man aus Babylonien den Merbal, welcher 


1 M&ller (Des Flav. Jos. Schrift gegen den Apion, S. 158) und 
Movers (Phoenicier II, 1, 438; 465) meinen, dass in den unruhigen 
Richterzeiten ein Jahr lang ein Nebenkönig, eben dieser Balatoros, 
regiert habe. 



116 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


vier Jahre regierte, und als auch dieser gestorben war, 
seinen Bruder Hirom, dessen Regierung zwanzig Jahre 
dauerte; zu seiner Zeit herrschte Cyrus über die Perser.“ 
Die gesamte Zeit betragt mithin vierundfünfzig Jahre 
und drei Monate. Denn Nabuchodoonsor begann im 
siebenten Jahre seiner Regieruifg Tyrus zu belagern, 
während der Perser Cyrus im vierzehnten Jahre Hiroms 
auf den Thron gelangte. Hinsichtlich des Tempels 
stimmen demnach die Urkunden der Chaldäer und 
Tyrier mit den unseren überein, und das von mir Ge- 
sagte bildet einen zwingenden und unwiderleglichen 
Beweis für das hohe Alter unseres Volkes. Wer also 
nicht um jeden Preis recht haben will, dem wird, denke 
ich, das Mitgeteilte genügen. 

22. Nun muss ich aber auch noch den Ansprüchen 
derer gerecht werden , die den Urkunden der Barbaren 
keinen Glauben beimessen, sondern nur die Griechen 
für glaubwürdig halten. Doch auch von diesen kann 
ich viele namhaft machen, die unser Volk kannten und 
nicht vergassen* es in ihren Schriften gelegentlich zu 
erwähnen. So war offenbar der Samier Pythagoras, der 
in grauer Vorzeit lebte und den man seiner Weisheit 
und Frömmigkeit wegen hoch über alle Philosophen 
stellt, nicht nur mit unseren Hinrichtungen vertraut, 
sondern hat auch gar manches davon entlehnt. Von 
ihm selbst allerdings ist kein unbestritten echtes Werk 
vorhanden; viele aber haben über ihn geschrieben, und 
unter ihnen ist der bedeutendste Hermippos, ein durch- 
aus gewissenhafter Geschichtsforscher. Er sagt in dem 
ersten seiner über Pythagoras verfassten Bücher: „Nach 
dem Tode eines seiner Schüler mit Namen Kalliphon 
aus Kroton behauptete Pythagoras, dessen Seele ver- 
kehre mit ihm Tag und Nacht und habe ihn ermahnt, 
an einer Stelle, wo ein Esel unter seiner Last zusammen- 
gebrochen sei, nicht vorüberzugehen, auch sich ab- 
gestandenen Wassers zu enthalten und jegliche Lästerung 
zu meiden.“ Alsdann fügt er noch hinzu: „Indem, er 
also handelte und lehrte, huldigte er den Ansichten der 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


117 


Juden 1 und Thraker, die er auch zu den seinigen 
machte.“ Mit Recht wird also behauptet, dass dieser 
Mann viele Gesetzesbestimmungen der Juden in seine 
Philosophie aufgenommen habe. Übrigens war unser 
Volk auch schon ganzen Gemeinwesen im Altertum 
nicht unbekannt, und bereits damals hatten viele unserer 
Sitten sich hierhin und dorthin verbreitet und bei einzelnen 
Nachahmung gefunden. Das bezeugt Theophrastos in 
seinem Werk über die Gesetze. Er sagt nämlich, bei 
den Tyriern sei es gesetzlich verboten , fremde Eide zu 
schwören, unter denen er ausser einigen anderen auch den 
sogenannten Eid Korban aufzählt. Nirgends aber als 
bei den Juden allein findet sich dieser Eid , 2 der, aus 
dem Hebräischen übersetzt, etwa „Geschenk an Gott“ 
bedeutet Ja, selbst Herodot von Halikarnassos hat 
unser Volk nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern 
er scheint es andeutungsweise zu erwähnen. In seinem 
zweiten Buche nämlich, wo er von den Kolchern erzählt, 
berichtet er folgendes : 3 „Die Kolcher, Aegyptier und 
Aethiopen sind die einzigen, welche von alters her die 
Schamteile beschneiden. Die Phoenicier dagegen und 
die Syrier in Palaestina geben zu, dass sie es von den 
Aegyptiern gelernt hätten; die Syrier um den Thermodon 
aber und den Fluss Parthenios sowie deren Grenznachbarn 
die Makronen , behaupten , erst in neuerer Zeit sei die 
Sitte von den Kolchern zu ihnen gekommen. Die Ge- 
nannten sind die einzigen unter den Menschen, die sich 
beschneiden, und sie haben es augenscheinlich den 
Aegyptiern nachgethan. Was aber die Aegyptier und 
Aethiopen betrifft, so kann ich nicht angeben, welches 
dieser Völker es von dem anderen gelernt hat.“ Herodot 
sagt also, die Syrer in Palaestina bedienten sich der 
Beschneidung. Unter allen Bewohnern Palaestinas aber 


* Vergl. 2. Mo». 28, 5; 6. Mos. 22, 4. 

2 Josephns kann hier nur die 4. Mos. 30, 2 ff. erwähnten Gelübde 
im Sinne haben, durch welche irgend ein Gegenstand für das Heilig- 
tum geweiht wurde. 

3 Herodot II, 104. 



118 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


thun dies allein die Juden; er kann mithin nur sie ge- 
meint haben. Auch der Dichter Choirilos, der noch 
viel früher lebte, hat unseres Volkes Erwähnung gethan, 
indem er es an dem Kriegszug des Xerxes gegen Griechen- 
land teilnehmen lässt Nachdem er nämlich alle Volker 
hergezählt hat, führt er auch das unsrige an mit den 
Worten: 

Hinter ihm zog ein Völkchen daher von seltsamem 
Anblick ; 

Sprache Phoeniciens tönt’ aus seinem Munde; zu 
Hause 

War’s in den Solymerbergen am See, der breit sich 
erstrecket: 

Struppig der Scheitel, geschoren ringsum, und darüber 
trug e& 

Abgezogene Pferdegesichter , 1 im Rauche getrocknet 

Es wird wohl, denke ich, jedem klar sein, dass die 
Worte des Dichters sich nur auf uns beziehen können, 
da die Solymerberge und der breiteste und grösste aller 
syrischen Seen, der Asphaltsee, in unserem Lande, das 
wir noch jetzt bewohnen, sich befinden. In dieser Weise 
also hat Choirilos unser Volk erwähnt. Dass aber die 
Griechen, und zwar nicht etwa die schlechtesten, sondern 
die um ihrer Weisheit willen am meisten bewunderten, 
die Juden kannten und denjenigen von uns, mit denen 
sie in Berührung kamen, achtungsvoll begegneten, ist 
leicht zu beweisen. So lässt z. B. Klearchos, ein Schüler 
des Aristoteles und einer der ausgezeichnetsten Peri- 
patetiker, in seinem ersten Buche über den Schlaf seinen 
Lehrer Aristoteles, indem er diesen redend einführt, von 
einem Juden eine Geschichte erzählen, die ich nach- 
stehend wörtlich wiedergebe. (Aristoteles:) „Ein aus- 
führlicher Bericht über ihn würde wohl zu sehr auf halten ; 
was aber an ihm Bewunderung verdient und sein Streben 


1 Vergl. Herodot VII, 70. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


119 


nach Weisheit erkennen lässt, das mag ganz passend in 
ähnlicherWeise (wie vorhin Erzähltes) besprochen werden. 
Wohlgemerkt übrigens, Hyperochides, was ich hier sage, 
wird dir wie ein Traum Vorkommen.“ Ehrerbietig ent- 
gegnete Hyperochides : „Eben darum möchten wir’s alle gern 
hören / 4 „Nun denn , 44 fuhr Aristoteles fort, „wir wollen 
nach der Vorschrift der Rhetoriker zunächst die Ab- 
stammung des Mannes ermitteln, um die Glaubwürdig- 
keit der Berichterstatter nicht in Frage zu stellen . 44 
„Sprich nur, wie es dir beliebt , 44 äusserte sich Hyper- 
ochides. (Aristoteles:) „Jener Mann also war seiner 
Herkunft nach einer der Juden aus Coelesyrien, welche 
Nachkommen der indischen Philosophen sind. Bei den 
Indern heissen, wie man sagt, die Philosophen Kalaner , 1 
bei den Syrern Juden. Diesen Namen erhielten sie von 
einer Örtlichkeit; denn die von ihnen bewohnte Gegend 
wird Judaea genannt. Der Name ihrer Hauptstadt ist 
ein merkwürdiges Wortgebild : er lautet Jerusalem. Jener 
Mensch nun war viel gereist, hatte sich aus dem Binnen- 
land in die Küstenorte begeben und war nicht nur 
seiner Sprache, sondern auch seiner geistigen Bildung 
nach fast ein Grieche geworden. Gerade während unseres 
Aufenthaltes in Asien kam er zufällig in die Orte, wo 
wir uns befanden, und traf mit uns und einigen anderen 
Jüngern der Wissenschaft, deren Weisheit er erproben 
wollte, zusammen. Übrigens teilte er in dem vertrauten 
Verkehr, den er mit vielen gebildeten Männern unter- 
hielt, mehr mit, als er empfing . 44 Vorstehendes sagt 
Aristoteles bei Klearchos und schildert dann auch noch 
die grosse und bewundernswerte Mässigkeit des jüdischen 
Mannes im Essen und Trinken , sowie seine sonstige 
Enthaltsamkeit. Wer Lust hat, mag das weitere in dem 
Buche selbst nachlesen; denn ich hüte mich, mehr daraus 


1 Ein solcher Kalanus oder Gymnosophist befand sich im Heere 
Alexanders des Grossen, wo der Name Kalanus als nomen proprium 
gefasst wurdie. Der Mann hiess aber nach Plutarch (Alex. 6d) 
Spinas oder Sphines. Ganz richtig wird also hier K. als Gattungs- 
name gebraucht. 



120 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


mitzuteilen, als hierher gehört Während nun jener 
Bericht des Klearchos, in dem von uns die Rede ist* 
nur als eine Abschweifung sich darstellt — denn sein 
eigentlicher Gegenstand war ein anderer — hat dagegen 
Hekataios von Abdera, ein Gelehrter und dabei ein 
höchst fähiger Staatsmann, welcher gleichzeitig mit dem 
Könige Alexander den Gipfel des Ruhmes erstieg und 
Beziehungen zu Ptolemaeus Lagi unterhielt, nicht nur 
beiläufig der Juden Erwähnung gethan, sondern ein 
eigenes Buch über sie geschrieben J aus dessen Inhalt 
ich einiges in aller Kürze durchgehen will. Zunächst 
bestimme ich die Zeitperiode. Hekataios erwähnt die 
Schlacht, welche Ptolemaeus bei Gaza dem Demetrius 
lieferte; sie fällt, wie Kastor berichtet* in das elfte Jahr 
nach Alexanders Tod 1 2 und in die hundertsiebzehnte 
Olympiade. Denn sowie er an diese Olympiade kommt* 
sagt er: „Um jene Zeit schlug Ptolemaeus bei Gaza den 
Demetrius, Sohn des Antigones, mit dem Beinamen 
Poliorketes." Alexanders Tod aber erfolgte nach all- 
gemeiner Annahme in der hundertvierzehnten Olympiade. 
Somit ist es klar, dass unser Volk zu Alexanders und 
des ersteren Zeit blühte. Hekataios fahrt dann fort: 
„Nach der Schlacht bei Gaza ward Ptolemaeus Herr 
der syrischen Landschaften. Viele, die von seiner Güte 
und Menschenfreundlichkeit hörten, wünschten ihn nach 
Aegypten zu begleiten und an der .Verwaltung des 
Reiches teilzunehmen. Unter ihnen befand sich auch 
der Hohepriester der Juden, Ezekias, ein Mann von 
etwa Sechsundsechzig Jahren, der bei seinen Landsleuten 
in hohem Ansehen stand, grosse Einsicht und rednerische 
Vorzüge bekundete und Erfahrung in Staatsgeschäften 
wie kaum • sonst jemand besass. Übrigens sind die 
Priester der Juden, die den Zehnten yom Ertrage des 

1 Dieses Buch wird aber schon von Origenes (c. Celsum I, 3, 2) 
für apokryph gehalten. S. auch Willrich, Forschungen *ur helle- 
nistisch-jüdischen Geschichte und Litteratur, S. 86 ff. 

2 Alexander starb 323 v. Chr. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


121 


Landes beziehen und das Gemeinwesen verwalten, fast 
fünfzehnhundert Köpfe stark.“ An einer anderen Stelle 
erwähnt er den Mann nochmals mit folgenden Worten: 
„Dieser Hohepriester stand zu uns in vertrauten Be- 
ziehungen. Sowie er Bekannte traf, las er ihnen alle 
unterscheidenden Merkmale der Juden vor; denn er 
besass eine Schrift, worin die Wohnplätze und die Ver- 
fassung der Juden geschildert waren.“ Ferner erzählt 
Hekataios von unserem Verhalten gegen die Gesetze und 
dass wir es für besonders ehrenvoll halten, lieber alles 
mögliche zu erdulden als sie zu übertreten. „So können 
sie denn,“ fährt er fort, „trotz aller üblen Nach- 
rede von seiten ihrer Grenznachbarn und Besucher, und 
trotz der wiederholten schmählichen Behandlung durch 
die persischen Könige und Satrapen in ihrer Überzeugung 
nicht erschüttert werden, sondern sie lassen um eben 
dieser Überzeugung willen Folterqualen und die schreck- 
lichsten Todesarten widerstandslos über sich ergehen, um 
nur den Glauben ihrer Väter nicht verleugnen zu müssen/? 
Alsdann führt er ziemlich viele Beispiele von unserer 
unwandelbaren Treue gegen die Gesetze an. Er erzählt 
nämlich, Alexander habe, als er einst in Babylon war, 
den Entschluss gefasst, den verfallenen Tempel des Bel* 
wiederherzustellen, und deshalb allen seinen Soldaten 
ohne Ausnahme befohlen, Erde herbeizuschaffen* Nur 
die Juden hätten nicht gehorcht, vielmehr sich anhaltend 
schlagen lassen und grosse Geldstrafen gezahlt, bis der 
König ihnen schliesslich Verzeihung gewährt und Straf- 
losigkeit zugesichert habe. „Ais diese,“ fahrt er fort, 
„in ihr Heimatland zurückkehrten, wo ihre Landsleute 
Tempel und Altäre errichtet hatten, rissen sie diese 
sämtlich nieder und wurden zum Teil dafür von den 
Satrapen in Strafe genommen, während andere Ver- 
zeihung erlangten “ Ausdrücklich fügt er dann hinzu, 
sie hätten wegen dieses Verhaltens Bewunderung ver- 
dient Ferner spricht er von dem gewaltigen Anwachsen 
der jüdischen Bevölkerung, wofür er als Beweis anführt, 
dass viele tausend der Unseren früher von den Persern 



122 Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 

nach Babylon geschleppt worden und dass nach Alexanders 
Tod wegen der Unruhen in Syrien ebenfalls Tausende 
nach Aegypten und Phoenicien ausgewandert seien. Der- 
Belbe Geschichtschreiber schildert auch die Grösse und 
Schönheit des von uns bewohnten Landes. „Sie haben," 
sagt er, „fast drei Millionen Joch 1 des besten und frucht- 
barsten Landes in Besitz ; denn dies ist die Flächen- 
ausdehnung Judaeas.“ Ja, er erzählt noch weiter von 
Jerusalem selbst als von einer überaus schönen und 
grossen Stadt» welche wir von alters her bewohnten, sowie 
von ihrer zahlreichen Einwohnerschaft und der Ein- 
richtung des Tempels, indem er sich also auslässt: „Die 
Juden haben in ihrem Lande umher eine Menge be- 
festigter Städte und Dörfer; besonders fest aber ist eine 
Stadt, die annähernd fünfzig Stadien im Umfang hat 
und von etwa hundertzwanzigtausend Menschen bewohnt 
wird. Diese letztere nennen sie Jerusalem. Hier be- 
findet sich, so ziemlich inmitten der Stadt, eine steinerne, 
etwa fünf Plethren 2 lange und hundert Ellen breite 
Ringmauer mit zwei Thoren. Innerhalb dieser Um- 
friedigung steht ein viereckiger Altar, der nicht aus be- 
hauenen, sondern aus zusammengelesenen rohen Steinen 
'erbaut ist; jede seiner Seiten ist zwanzig Ellen lang, 
und in der Höhe misst er zehn Ellen. Neben ihm liegt 
ein grosses Gebäude, in welchem ein Altar und ein 
Leuchter sich befinden, beide von Gold, zwei Talente im 
Gewicht. Über ihnen ist ein Licht angebracht, das Tag 
und Nacht nicht verlöschen darf. Weder Bildwerke noch 
Weihgeschenke sieht man dort, auch nicht die Spur 
einer Anpflanzung, wie einen Hain oder dergleichen. In 
dem Heiligtum halten sich bei Nacht wie bei Tage 
Priester auf, die gewisse Weihen vornehmen und hier 
keinen Wein trinken dürfen." Ausserdem bezeugt er, 

1 apoupa, ein Flächenmass, das aber nicht überall gleich gross 
war. Die aegyptische A. mass nach Herodot II, 168 hundert Ellen 
im Geviert. 

2 1 Plethron = 80,83 Meter. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


123 


dass wir die Kriegszüge Alexanders und später die seiner 
Nachfolger mitgemacht haben. Ich will nur das an- 
fuhren, was er von der That eines an dem Feldzuge be- 
teiligten Juden berichtet und wovon er seiner Angabe 
gemäsB selbst Augenzeuge war, nämlich folgendes: „Als 
ich ans Rote Meer reiste, befand sich in der jüdischen 
Reiterabteilung, die uns geleitete, auch ein mutiger und 
starker Mann mit Namen Mosollam , 1 der bei Griechen wie 
Barbaren allgemein als der beste Bogenschütz anerkannt 
war. Als nun die ganze Schar auf der Strasse bei- 
sammen marschierte und ein Wahrsager, der den Flug 
der Vögel beobachten wollte, alles Stillstehen hiess, 
fragte der Jude, weshalb man denn warte. Der Wahr- 
sager machte ihn nun auf einen bestimmten Vogel auf- 
merksam und erklärte ihm, wenn dieser sitzen bleibe, 
wo er sich jetzt befinde, sei es auch für sie ratsam, an 
Ort und Stelle zu verweilen; wenn er sich aber erhebe 
und vor- oder rückwärts fliege , müssten sie dement- 
sprechend weiterziehen oder umkehren. Ohne ein Wort 
zu sagen, spannte der Jude den Bogen und schoss den 
Vogel tot. Hierüber wurden der Wahrsager und einige 
andere unwillig, und als sie ihn deshalb verwünschten, 
entgegnete er: „Was seid ihr doch für verrückte Menschen, 
dass ihr euch mit diesem Unglücksvogel einlasst! Wie 
hätte er, der nicht einmal voraussah, was seiner eigenen 
Rettung diente, uns einen vernünftigen Rat inbetreff 
unseres Marsches geben können? Denn wäre er imstande 
gewesen, die Zukunft vorher zu wissen, so hätte er sich 
wohl nicht an diesen Ort begeben, aus Furcht, der Jude 
Mosollam könnte ihn mit einem Pfeilschuss töten!“ 
Doch genug von dem Zeugnis des Hekataios; wer Lust 
hat, kann ja das nähere leicht aus dem Buche selbst 
erfahren. — Als einen weiteren Schriftsteller, der unser 
Volk erwähnt hat, stehe ich nicht an den Agatharchides 
zu nennen, obwohl er uns wegen unserer Einfalt zu 
verspotten für gut findet. Er spricht von uns bei 


1 Meschullam. 



124 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Gelegenheit des Berichtes über Stratonike , 1 von der 
er erzählt, wie sie ihren Mann Demetrius verlassen 
habe und aus Macedonien nach Syrien gekommen sei; 
alsdann habe sie, da Seleukus ihrer Erwartung ent- 
gegen sie nicht ehelichen wollte und D&metrius bei 
Babylon ein Heer zusammenzog, zu Antiochia einen 
Aufstand erregt. Der König aber sei alsbald von seinem 
Feldzug zurückgekehrt und habe Antiochia erobert; 
hierauf sei sie nach Seleukia geflohen und, obwohl sie 
rasch zu Schiff entkommen konnte, wenn sie nicht auf 
einen Traum geachtet hätte, der ihr hiervon abriet, ge- 
fangen genommen und getötet worden. Im Anschluss 
an diesen Bericht spottet nun Agatharchides über das 
abergläubische Gebaren der Stratonike, wobei er dann 
auch auf uns zu sprechen kommt, und «war folgender- 
massen: „Die sogenannten Juden bewohnen eine über- 
aus stark befestigte Stadt, welche die Eingeborenen Jeru- 
salem nennen. Sie haben die Gewohnheit, sich am 
siebenten Tage der Arbeit zu enthalten und während 
desselben weder Waffen zu tragen noch den Acker zu 
bauen noch irgend einer anderen Beschäftigung obzu- 
liegen; vielmehr beten sie mit ausgebreiteten Händen 
im Tempel bis zum Abend. Einst zog Ptolemaeus Lagi 
an einem solchen Tage mit Heeresmacht in die Stadt 
ein, und da die Bewohner an ihrer unsinnigen Gewohn- 
heit festhielten, anstatt ihre Vaterstadt zu beschützen, 
bekam diese einen harten Gebieter. Es war somit der 
Beweis geliefert, dass das Gesetz einen ganz verderb- 
lichen Brauch eingeführt hatte. Auch zogen alle, nur 
nicht die Juden, aus diesem Ereignis die Lehre, dass 
man solchen Träumereien nicht nachhängen dürfe und 
den hergebrachten Wahn von einem religiösen Gesetz 
auf geben müsse, sobald vernünftige Überlegung in be- 
drängter Lage keinen Ausweg mehr sieht" Die Treue 
gegen das Gesetz kommt also dem Agatharchides lächer- 
lich vor; prüft man aber ohne Vorurteil, so wird man 


1 Tochter Antiochus’ I. (Soter). 



Gegen Apion, Erste« Buch. 


125 


eine bedeutsame und durchaus lobenswerte Erscheinung 
darin finden, dass es Leute giebt, welche die Beob- 
achtung der Gesetze und die Frömmigkeit gegen Gott 
allzeit höher achten wie ihre eigene und des Vaterlandes 
Rettung. 

23. Nun glaube ich auch einen Beweis dafür bei- 
bringen zu müssen, dass manche Schriftstell sr unser Volk 
wohl kannten, aber aus Neid oder anderen unreinen 
Beweggründen keinen Vermerk von ihm nehmen wollten. 
Das ist z. B. bei Hieronymos der Fall , der eine Ge- 
schichte der Diadochen schrieb, mit Hekataios gleich- 
zeitig lebte, ein Freund des Königs Antigonus 1 war und 
das Amt eines Statthalters von Syrien bekleidete. 
Während nämlich Hekataios ein besonderes Werk über 
uns verfasste, hat Hieronymos in seiner Geschichte mit 
keiner Silbe unseres Volkes gedacht, obwohl er sozu- 
sagen in Judaea aufgewachsen war: so verschiedentlich 
war das Interesse, das jene beiden Männer für uns hegten. 
Der eine glaubte uns eines genauen Berichtes würdigen 
zu sollen ; dem anderen verdunkelte eine unbillige Leiden- 
schaft gänzlich die Erkenntnis der Wahrheit. Doch es 
genügen, um das hohe Alter unseres Volkes zu be- 
weisen, die Aufzeichnungen der Aegyptier, Chaldäer und 
Phoenicier, an welche sich noch eine beträchtliche Zahl 
griechischer Schriftwerke anreiht. Denn ausser den bereits 
erwähnten Geschichtschreibern haben Theophilos, Theo- 
dotos, Mnaseas, Aristophanes , Hermogenes, Euhemeros, 
Konon , Zopyrion und auch wohl noch viele andere — 
alle Bücher habe ich ja nicht gelesen — unser Er- 
wähnung gethan, und zwar nicht bloss beiläufig. Freilich 
haben die Genannten der Mehrzahl nach unsere alte 
Geschichte nicht wahrheitsgetreu dargestellt, weil unsere 
heiligen Bücher ihnen nicht zugänglich waren ; was aber 
die Frage angeht, die uns hier zunächst beschäftigt, 
nämlich das hohe Alter unseres Volkes, so haben eie 
sich alle einstimmig zu gunsten desselben ausgesprochen. 

1 A. Gonatas, König' von Macedonien. (seit 277 v. Cbr.) 



126 


Des Flavius Josephus kleiaere Schriften. 


Auch Demetrius Phalereus, der ältere Philo und Eupo- 
lemos sind allerdings nicht ganz bei der Wahrheit ge« 
blieben; doch kann man ihnen das nachsehen, denn es 
war ihnen nicht möglich, sich genau an unsere Schriften 
zu halten. 

24. Jetzt erübrigt mir noch eine besonders wichtige 
Aufgabe, die ich mir zu Beginn dieser Abhandlung ge- 
stellt habe, nämlich die Grundlosigkeit der Verleum- 
dungen und Schmähungen nachzuweisen, welche hier und 
da gegen unser Volk vorgebracht wurden, sowie die 
Schriftsteller, die sie sich haben zu schulden kommen 
lassen, durch ihr eigenes Zeugnis zu überführen. Dass 
dergleichen Verunglimpfungen infolge der Böswilligkeit 
dieses oder jenes Geschichtschreibers auch sonst häufig 
Vorkommen, ist, wie ich wohl annehmen darf, allen, die 
mit geschichtlichen Studien vertrauter sind, hinreichend 
bekannt. Denn gar manche gefielen sich darin, den Adel 
ganzer Völker wie der berühmtesten Städte zu beflecken 
und deren Verfassung zu schmähen. So hat Theopompos 
die staatlichen Einrichtungen der Athener, Polykrates 
die der Lakedaemonier, der Verfasser des „Tripolitikos“ 1 
— Theopompos nämlich ist es sicher nicht, wie man 
hier und da glaubt — dazu noch die der Thebäer ver- 
leumdet. Eine Reihe von Beschimpfungen schleuderte 
auch Timaios in seinen Geschichtswerken gegen die er- 
wähnten und gegen andere Gemeinwesen. Mit besonderer 
Vorliebe befolgt man dieses System gerade bei den be- 
rühmtesten Städten, teils aus Missgunst und Böswillig- 
keit, teils in der Hoffnung, sich durch neue Behaup- 
tungen einen Namen zu machen. Bei beschränkten 
Köpfen sehen diese Verleumder ihre Erwartungen auch 
stets erfüllt; Leute von gesundem Urteil dagegen ver- 
dammen das nichtswürdige Treiben. 

25. Den Anfang mit Schmähungen gegen uns machten 
die Aegyptier, und um sich ihr Wohlgefallen zu er- 

1 Dieses „Dreistädtebuch“, eine Schmähschrift gegen Athen, 
Sparta und Theben, war von einem Feinde des Theopompos in dessen 
Manier geschrieben worden, um ihn verhasst zu machen. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


127 


werben, haben auch sonst manche sich damit abgegeben, 
die Wahrheit zu verdrehen, indem sie weder die als ge- 
schichtliche Thatsache feststehende Einwanderung unserer 
Vorfahren nach Aegypten zugeben, noch ihren Auszug 
Wahrheitsgemäss darstellen. Gründe, uns zu hassen und 
zu beneiden, hatten ja die Aegyptier genug, vor allem 
den, dass unsere Vorfahren in Aegypten das herrschende 
Element waren und, als sie nach dem Auszug von dort 
die Reise in ihr Heimatland machten, abermals der 
Gunst des Glückes sich erfreuten. Arge Feindschaft er- 
regte ferner bei ihnen der religiöse Gegensatz ; denn der 
Unterschied unserer Gottesverehrung von der dort vor- 
geschriebenen ist ebenso gross wie der Abstand zwischen 
der Natur Gottes und der der unvernünftigen Tiere. 
Herrscht doch bei ihnen der allgemeine Glaube, die 
letzteren seien Götter, so Behr sie auch in der Art, sie 
zu verehren, voneinander abweichen mögen. Fürwahr, 
das sind gedankenlose und ganz unverständige Leute, 
die sich seit uralter Zeit an schlechte Vorstellungen über 
die Götter gewöhnt haben. Unsere ehrwürdige Lehre 
von Gott anzunehmen, dazu konnten sie sich nicht auf- 
rafien, und als sie sahen, wie zahlreich die Anhänger 
unseres Glaubens wurden, da regte sich ihr Neid. Einige 
von ihnen gingen in ihrer geistigen Beschränktheit und 
in ihrem Unverstand so weit, dass sie sich nichts daraus 
machten, ihren eigenen alten Urkunden zu widersprechen ; 
ja, von ihrer Leidenschaft verblendet, merkten sie es 
nicht einmal, wenn sie in ihren Schriften mit sich selbst 
in Widerspruch gerieten. 

26. Bei einem von ihnen, demselben, den ich weiter 
oben als Zeugen für das hohe Alter unseres Volkes 
angeführt habe , werde ich etwas länger verweilen, 
nämlich bei Manetho. Indem dieser Schriftsteller, der 
eine aegyptische Geschichte durch Übersetzung des Textes 
der heiligen Bücher zu liefern verspricht, von unseren 
Vorfahren erzählt, dass sie zu vielen Tausenden nach 
Aegypten gekommen seien und dessen Bevölkerung unter- 
jocht hätten, indem er ferner selbst zugiebt, dass sie in 



128 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


späterer Zeit das Land wieder verlassen, das jetzige 
Judaea in Besitz genommen, Jerusalem gegründet und 
den Tempel erbaut hätten , • folgte er insoweit wirklich 
dem Text der Urkunden. Dann aber verfahrt er will- 
kürlich, erklärt, er wolle die über die Juden umlaufenden 
Sagen und Gerüchte wiedergeben, streut unzuverlässiges 
Gerede in die Erzählung ein und sucht einen Haufen 
aussätziger und an sonstigen Krankheiten leidender 
Aegyptier, die, wie er sagt, zur Verbannung aus Aegypten 
verurteilt waren, mit uns in einen Topf zu werfen . 1 
Dabei erwähnt er einen König Amenophis, dessen Name 
erdichtet ist und dessen Regierungszeit er eben darum 
nicht zu bestimmen wagt, obwohl er bei anderen Königen 
die Jahreszahlen pünktlich beifügt. An diesen Namen 
nun knüpft er gewisse Sagen und vergisst beinahe, dass 
er den Auszug der Hirten nach Jerusalem fünfhundert- 
achtzehn Jahre früher, als Tethmosis König war. an- 
gesetzt hat. Sodann kommt eine Reihe von Königen, 
die zusammen dreihundertdreiundneunzig Jahre regierten, 
bis auf die Brüder Setho und Hermaios, von denen der 
erstere nach Manetho den Namen Aigyptos, der letztere 
den Namen Danaos erhalten haben soll. Setho vertrieb 
den Hermaios und war neunundfünfzig Jahre König; 
hierauf regierte sein ältester Sohn Rampses Sechsund- 
sechzig Jahre lang. Nachdem nun Manetho selbst zu- 
gestanden hat, dass unsere Väter um so viele Jahre 
früher aus Aegypten ausgewandert sind, bringt er noch 
den eingeschobenen König Amenophis daher und erzählt, 
dieser habe wie einst Oros, einer seiner Vorfahren auf 
dem Thron, die Götter zu schauen verlangt und seinen 
Wunsch dem ebenfalls Amenophis heissenden Sohne des 
Paapis kundgethan, der um seiner Weisheit und Pro- 
phetengabe willen im Rufe eines der Gottheit verwandten 
Mannes gestanden habe. Dieser Namensbruder nun habe 
ihm gesagt, er werde die Götter schauen dürfen, wenn er 
das ganze Land von Aussätzigen und. anderen Unreinen 


Vergl. hierzu Ewald, Geschichte Israels II, S. 56— 77. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


129 


säubere. Hierüber erfreut, habe der König alle, die an 
körperlichen Gebrechen litten, achtzigtausend an der 
Zahl, aus ganz Aegypten zusammenbringen lassen und 
in die Steinbrüche östlich vom Nil geschickt, damit sie 
dort, getrennt von den übrigen Aegyptiern, beschäftigt 
würden . 1 Unter ihnen hätten sich auctf einige mit dem 
Aussatz behaftete schriftgelehrte Priester befunden. Jener 
Amenophis aber, der weise, mit der Zukunft vertraute 
Mann, habe für sich und den König den Zorn der 
Götter befürchtet, wenn sie diese Priester gewaltsam be- 
handelt sähen, und deshalb die Weissagung hinzugefügt, 
mit den Unreinen würden sich noch andere Menschen 
verbünden und Aegypten dreizehn Jahre lang in ihrer 
Gewalt haben. Doch habe er sich nicht getraut, dies 
dem Könige zu sagen, sondern alles schriftlich hinter- 
lassen und sich ums Leben gebracht, worüber der König 
ganz mutlos geworden sei. Hierauf fährt Manetho wört- 
lich also fort: „Als nun die Unreinen lange Zeit hin- 
durch in den Steinbrüchen schwer gearbeitet hatten, 
baten sie den König, er möge ihnen zur Erholung und 
zum Schutz die damals verödete Stadt der Hirten an- 
weisen, worauf er ihnen Auaris überliess, das der Götter- 
lehre zufolge von alters her dem Typhon 2 verfallen war. 
Kaum waren sie hier eingezogen, als sie im Vertrauen 
auf die Beschaffenheit der Gegend abfielen und sich in 
der Person eines Priesters von Heliopolis mit Namen 
Osarsiph einen Führer erwählten, dem sie unbedingten 
Gehorsam eidlich gelobten. Er legte ihnen nun vor 
allem die gesetzliche Verpflichtung auf, die Götter nicht 
anzubeten, keines der in Aegypten als besonders heilig 
verehrten Tiere zu verschonen , vielmehr sie alle zu 
schlachten und zu verzehren, und mit niemand als mit 
den Eidgenossen sich einzulassen. Nachdem er solche 

1 U ebersetzt nach Holwerdas Verbesserung: eiev xe^toptapivoi 
(statt ot lYxExwpi<jp.evoi). 

2 Typbon = Zerstörer des Lebens, Gegensatz des Osiris, Ungeheuer 
mit hundert Schlangenköpfen, Erzeuger der lernäischen Schlange, der 
Chimaira, der Sphinx u.a. 

Josephus, Kleinei^j^^ütap|(-> 9 



1 30 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

und noch sehr viele andere mit den Sitten der Aegyptier 
in schreiendem Widerspruch stehende Gesetze erlassen 
hatte, befahl er ihnen, mit vereinten Kräften die Mauern 
der Stadt wieder aufzubauen und sich zum Kriege gegen 
den König Amenophis zu rüsten. Er selbst nahm einige 
Priester und eine Anzahl gleich ihm Verseuchter zu sich 
und begab sich als Gesandter zu den von Tethmosis 
verjagten Hirten in eine Stadt Namens Jerusalem, er- 
zählte ihnen, wie es ihm und seinen Leidensgefährten 
ergangen sei, und forderte sie auf, vereint mit ihm gegen 
Aegypten zu marschieren. Zunächst, versprach er ihnen, 
werde er sie in die Vaterstadt ihrer Ahnen, Auaris, 
führen, die Lebensmittel für die gesamte Menge in Hülle 
und Fülle herbeischaffen, im Notfall für sie kämpfen 
und ihnen das Land mit leichter Mühe unterwerfen. 
Hocherfreut zogen sie alle, gegen zweihunderttausend 
Mann, bereitwillig mit ihm fort und kamen bald darauf 
in Auaris an. Als Amenophis, der König der Aegyptier, 
von ihrem Anrücken Kunde erhielt, geriet er, der Weis- 
sagung Amenophis’, des Sohnes des Paapis, gedenkend, 
in nicht geringe Bestürzung, zog grosse Scharen der 
Aegyptier zusammen, hielt Kriegsrat mit den Befehls- 
habern, liess die in den Tempeln vornehmlich verehrten 
heiligen Tiere heranbringen und gebot den Priestern der 
einzelnen Ortschaften, die Bildnisse der Götter in mög- 
lichst sichere Verstecke zu schaffen. Seinen fünfjährigen 
Sohn Setho, der nach seinem Vater Rampses auch Ra- 
messes hiess, schickte er einem Freunde zu. Er selbst 
rückte an der Spitze der übrigen Aegyptier, die fast dreihun - 
derttausend durch und durch streitbare Männer zählten, 
vor, lieferte jedoch den ihm entgegenziehenden Feinden 
keine Schlacht, sondern kehrte in der Meinung, er werde 
vielleicht gegen eine Gottheit zu kämpfen haben, wieder 
um und begab sich nach Memphis. Hier nahm er den 
Apis und die übrigen dort untergebrachten heiligen 
Tiere und zog mit der Flotte und dem gesamten Heere 
der Aegyptier eiligst hinauf nach Aethiopien. Der 
König der Aethiopen nämlich war ihm zu Dank ver- 

G o gle 



131 


Gegen Apion, Erstes Buch. 

pflichtet, weshalb er auch die ganze Menge gastlich auf- 
nahm und mit allen Lebensmitteln, wie das Land sie 
lieferte, versah. Auch wies er ihnen Städte und Dörfer 
an, welche für die dem Könige vorher bestimmten drei- 
zehn Jahre des Verlustes seiner Herrschaft genügen 
konnten, und gab ihnen ein aethiopisches Heer bei, das 
für den König Amenophis und die Seinen die Grenzen 
gegen Aegypten hin bewachen sollte. So sah es in 
Aethiopien aus. Die Solymiter aber verfuhren , als sie 
mit den unreinen Aegyptiern in das Land gekommen 
waren, gegen dessen Bewohner so ruchlos, dass die da- 
maligen Zeugen ihrer Frevel keine schlimmere Herr- 
schaft für möglich hielten. Denn es war ihnen nicht 
genug, Städte und Dörfer einzuäschern, Heiligtümer zu 
plündern und Bildnisse von Göttern zu zerstören, sondern 
sie gebrauchten sogar die letzteren beständig beim Braten 
der göttlich verehrten heiligen Tiere, nötigten die Priester 
und Wahrsager, diese zu schlachten und zu opfern, und 
jagten sie selbst nackt davon. Der ihre Verfassung 
einrichtete und ihnen Gesetze gab, war, wie es heisst, 
ein Priester aus Heliopolis mit Namen Osarsiph — so 
genannt nach dem in Heliopolis verehrten Osiris 1 — , 
und seitdem er an dieses Volk sich anschloss, soll er 
den veränderten Namen Moyses angenommen haben. 

27. Das also ist es, was die Aegyptier über die Juden 
berichten ; vieles andere übergehe ich der Kürze halber. 
Übrigens sagt Manetho an einer anderen Stelle, Ame- 
nophis sei später mit grosser Streitmacht wie auch sein 
Sohn Rampses, der gleichfalls ein Heer befehligte, aus 
Aethiopien zurückgekehrt; die beiden hätten dann den 
Hirten und den Unreinen eine Schlacht geliefert, sie 
besiegt, viele von ihnen getötet und die übrigen bis zu 
den Grenzen Syriens verfolgt. Dies und ähnliches ist 
in Manethos Schrift zu finden. Dass er aber damit 
thörichtes Geschwätz und offenbare Lügen vorbringt, 
werde ich beweisen, und nur einen Punkt nehme ich um 

1 Osar-sif = Schwert des Osiris. 



82 


Des Flavias Josephas kleinere Schriften. 


dessetwillen , was ich gleich gegen ihn sagen will, von 
diesem Urteil aus. Er selbst nämlich hat uns das aus- 
drückliche Zugeständnis gemacht, dass die Juden ursprüng- 
lich keine Aegyptier waren, vielmehr von auswärts nach 
Aegypten kamen, es in ihre Gewalt brachten und später 
wieder fortzogen. Dass aber die körperlich Siechen unter 
den Aegyptiern sich nachher nicht mit uns verbanden, 
und dass Moyses, der Führer des Volkes, nicht zu 
ihnen gehörte, sondern viele Menschenalter früher lebte, 
das will ich aus Manethos eigenen Angaben zu beweisen 
suchen. 

28. Lächerlich ist zunächst die Veranlassung, die er 
jenen erdichteten Begebenheiten zu Grunde legt. „Der 
König Amenophis,“ sagt er, „begehrte die Götter zu 
schauen.“ Was für Götter? Sollen es die gewesen sein, 
die bei den Aegyptiern als solche galten, der Stier, der 
Bock, Krokodile und Hundsaffen, so sah er diese ja; 
die himmlischen Götter aber, wie konnte er sie sehen? 
Und warum hatte er dieses Verlangen? Antwort: „Weil 
einer der früheren Könige sie gesehen hatte.“ Durch 
ihn musste er also doch auch erfahren haben , wie be- 
schaffen sie sind und wie er es angestellt hatte, sie zu 
Gesicht zu bekommen, sodass es eines neuen Kunstgriffs 
nicht bedurfte! Aber vielleicht war der Wahrsager, 
durch dessen Vermittelung der König seinen Zweck zu 
erreichen hoffte, ein besonders weiser Mann. Nun, warum 
hätte er dann nicht auch wissen sollen, wie unmöglich 
die Erfüllung jenes Verlangens war, das ja thatsächlich 
nie gestillt wurde. Und wodurch sollen die Götter sich 
veranlasst gesehen haben, wegen der Verstümmelten 
oder Aussätzigen sich dem Anblick zu entziehen? Sie 
geraten doch über Schandthaten und nicht über körper- 
liche Gebrechen in Zorn. Wie war es ferner möglich, 
achtzigtausend Aussätzige und Sieche sozusagen an einem 
Tage zusammenzubringen? Und wie kam es, dass der 
König dem Wahrsager nicht folgte? Dieser hatte ihm 
ja geraten, die Kranken über die Grenze Aegyptens zu 
schaffen. Er aber steckte sie in die Steinbrüche, als. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


133 


hätte er Arbeiter nötig gehabt, nicht aber das Land 
säubern wollen. Des weiteren berichtet er, der Wahr- 
sager habe, weil er den Zorn der Götter und das dem 
Lande der Aegyptier drohende Unheil voraussah, sich 
das Leben genommen und dem Könige seine Weissagung 
schriftlich hinterlassen. Aber weshalb wusste der Wahr- 
sager nicht gleich anfangs seinen eigenen Tod vor- 
aus? Und warum hat er nicht sofort dem Könige den 
Wunsch, die Götter zu sehen, ausgeredet? Wie unwahr- 
scheinlich ist ferner bei ihm die Furcht vor zukünftigem 
Unglück, das nicht mehr zu seinen Lebzeiten eintreten 
sollte ! Oder welches schlimmere Leid stand ihm bevor, 
dass er so grosse Eile hatte, sich selbst zu töten ? Doch 
das unsinnigste kommt noch : der König, der dies er- 
fährt und wegen der Zukunft sehr besorgt ist, treibt 
jene Siechen, von denen er der Verkündigung gemäss 
Aegypten hätte reinigen sollen, auch jetzt noch nicht 
aus dem Lande, sondern schenkt ihnen auf ihre Bitten 
die einst von den Hirten bewohnte, Auaris genannte 
Stadt. Hier, sagt Manetho, sammelten sie sich und 
wählten zu ihrem Oberhaupt einen aus den ehemaligen 
Priestern von Heliopolis, der ihnen dann vorschrieb, 
weder die Götter anzubeten noch die in Aegypten heilig 
gehaltenen Tiere zu verschonen, sondern sie alle zu 
opfern und zu verzehren, und mit niemand als mit Eid- 
genossen in Verbindung zu treten ; denn er habe die 
Menge durch Eidschwüre verpflichtet, diese Gesetze un- 
verbrüchlich zu halten. Auch habe er Auaris befestigt 
und den König mit Krieg überzogen. Manetho fügt 
dann noch hinzu, der Gesetzgeber habe nach Jerusalem 
geschickt und dessen Bewohner aufgefordert, seine Kampf- 
genossen zu werden, unter dem Versprechen, ihnen 
Auaris schenken zu wollen; denn diese Stadt sei der 
Stammsitz derer, die aus Jerusalem zu ihm kommen 
würden, und von ihr aus könnten sie ganz Aegypten 
unteijochen. Sie seien auch in der That, fährt er fort, 
zweihunderttausend streitbare Männer an der Zahl, heran - 
gerückt, und Amenophis, der König der Aegyptier. sei, 



134 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


um nicht gegen einen Gott ankämpfen zu müssen, 
schleunigst nach Aethiopien geflohen, nachdem er zuvor 
den Apis und einige andere heilige Tiere den Priestern 
in Verwahr gegeben hatte. Die Ankömmlinge aus Jeru- 
salem hätten alsdann die Städte zerstört, die Tempel 
eingeäschert, die Pferde getötet und überhaupt alle er- 
denklichen Frevel und Grausamkeiten begangen. Der 
Schöpfer ihrer Verfassung und ihrer heiligen Gesetze, 
sagt er weiter, sei aus Heliopolis gewesen und nach dem 
daselbst verehrten Osiris Osarsiph genannt worden, habe 
aber seinen Namen in Moyses geändert. Nach dreizehn 
Jahren — der ihm vom Schicksal bestimmten Verban- 
nungszeit — sei dann Amenophis an der Spitze einer 
gewaltigen Streitmacht aus Aethiopien zurückgekehrt, 
habe die Hirten und die Unreinen in einer Schlacht 
besiegt, viele von ihnen niedergemetzelt und die übrigen 
bis zur Grenze Syriens verfolgt 

29. Abermals merkt Manetho nicht, wie er gegen 
alle Wahrscheinlichkeit hier lügt. Denn wenn auch die 
Aussätzigen und ihre zahlreichen Verbündeten dem 
Könige und den Urhebern der auf die Prophezeiung 
des Wahrsagers hin gegen sie ergriffenen Massregeln 
zunächst grollten, so müssen sie sicherlich, als sie 
die Steinbrüche verlassen durften und vom König eine 
Stadt nebst Ländereien zum Geschenk erhielten, milder 
gegen ihn gestimmt worden sein. Aber selbst wenn sie 
ihn hassten, hätten sie doch wohl ihm allein nach dem 
Leben getrachtet und nicht das ganze Volk, unter dem 
sie bei ihrer grossen Anzahl gewiss recht viele Ver- 
wandte hatten, mit Krieg überzogen. Doch auch für 
den Fall, dass sie entschlossen gewesen wären, mit 
Menschen zu kämpfen, hätten sie immerhin deren 
Götter nicht zu beleidigen gewagt und keine Gesetze 
aufgestellt, die ihren väterlichen Satzungen, unter denen 
sie erzogen waren , schnurstracks zuwiderliefen. Wir 
müssen übrigens dem Manetho Dank dafür wissen, dass 
er als die Haupturheber dieses Frevels nicht die Zuzügler 
aus Jerusalem hinstellt, sondern eben die Aegyptier 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


135 


selbst, deren Priester ihn vornehmlich geplant und die 
Menge durch Eidschwüre verpflichtet haben sollen. Aber 
wie reimt sich dies? Da soll niemand von ihren An- 
gehörigen und Freunden an ihrer Empörung teilgenommen, 
niemand den Gefahren des Kampfes gleich ihnen sich 
unterzogen haben, während dagegen die Unreinen nach 
Jerusalem geschickt und von hier sich Bundesgenossen 
geholt hätten. Welcher Art war denn die Freundschaft 
oder Verwandtschaft, die sie bisher mit diesen verbunden 
haben sollte? Nein, sie waren im Gegenteil deren Feinde 
und vermöge ihrer Sitten himmelweit von jenen ver- 
schieden. Trotzdem sollen sie auf das blosse Ver- 
sprechen hin, sie würden Aegypten in ihre Gewalt be- 
kommen, ihnen unverzüglich willfahrt haben — als 
hätten sie das Land, aus dem sie doch mit Gewalt ver- 
trieben worden waren, nicht gekannt. Ja, wären sie 
arm oder sonst übel dran gewesen, so hätten sie viel- 
leicht alles aufs Spiel gesetzt. Aber sie bewohnten eine 
wohlhabende Stadt und genossen die Früchte eines grossen 
Landes , das noch gesegneter ist wie Aegypten ; warum 
also hätten sie alten Feinden, die noch dazu mit einer 
Krankheit behaftet waren, vor der selbst die nächsten 
Angehörigen sich scheu zurückziehen, in ihrem tollkühnen 
Unternehmen Hilfe leisten sollen? Die spätere Flucht 
des Königs konnten sie selbstverständlich nicht vorher- 
wissen ; vielmehr sagt ja Manetho selbst, der Sohn des 
Amenophis sei ihnen mit dreihunderttausend Mann bis 
Pelusium entgegengezogen. Das war den dort Befind- 
lichen zweifellos bekannt; woraus aber hätten sie auf 
seine Sinnesänderung und die von ihm geplante Flucht 
schliessen sollen? Weiter berichtet er, die Ankömmlinge 
aus Jerusalem hätten die Getreide Vorräte Aegyptens ge- 
raubt und viele Greuel verübt. Und deshalb schimpft 
er über sie und thut, als ob keine Feinde ihnen entgegen- 
gerückt wären oder als dürfte man von auswärts herbei- 
gerufenen Kriegern das zur Last legen, was schon vor 
ihrer Ankunft geborene Aegyptier gethan und in Zu- 
kunft zu thun geschworen hatten. „Aber längere Zeit 



136 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


nachher,“ heisst es weiter, „rückte Amenophis heran, 
siegte in einem Treffen und trieb die Feinde unter 
stetem Gemetzel bis nach Syrien.“ Natürlich, so leicht 
ist es für jeden Feind , sich Aegyptens zu bemächtigen, 
er mag kommen, woher er will; und die, welche damals 
das Land als Eroberer beherrschten, haben selbstver- 
ständlich auf die Kunde, dass Amenophis noch lebe, 
weder die Pässe nach Aethiopien, zu deren Befestigung 
sie so viele Mittel besassen, verschanzt noch überhaupt 
ihr Heer in Bereitschaft gehalten! Und dann sagt 
Manetho noch: „Mordend verfolgte er sie bis nach 
Syrien durch die wasserlose Sandwüste.“ Bekanntlich 
ist aber diese Wüste selbst für ein nicht im Kampfe 
begriffenes Heer nur schwer zu durchziehen. 

30. Nach Manetho stammt also unser Volk weder 
aus Aegypten, noch haben sich Bewohner dieses Landes 
mit ihm vermischt. Denn von den Aussätzigen und 
Kranken müssen doch viele in den Steinbrüchen, wo 
sie lange Zeit verweilten und schwere Leiden erduldeten, 
viele auch in den nachmaligen Schlachten, die meisten 
jedoch im letzten Treffen und auf der Flucht um- 
gekommen sein. 

31. Es erübrigt mir nun noch, ein Wort mit ihm über 
Moyses zu reden. Diesen halten auch die Aegyptier 
für einen bewundernswerten und gottgesandten Mann ; 
sie möchten ihn aber sich selbst aneignen, indem sie die 
unglaubliche Verleumdung ausstreuen, er sei ein Priester 
aus Heliopolis gewesen und wegen seines Aussatzes ver- 
trieben worden, während doch aus den Urkunden erhellt, 
dass er fünfhundertachtzehn Jahre früher gelebt und unsere 
Väter in das jetzt von ihnen bewohnte Land geführt 
hat. Dass er aber auch an keinem derartigen Gebrechen 
litt, geht aus seinen eigenen Anordnungen deutlich her- 
vor. Den Aussätzigen nämlich verbot er, in der Stadt 
zu bleiben oder in einem Dorfe Wohnung zu nehmen — 
sondern sie sollen allein und mit zerrissenen Kleidern 
im Freien umherwandeln, und wer sie auch nur berührt 
oder unter einem Dache mit ihnen zusammenwohnt, den 



Gegen Aplon, Erstes Buch. 


137 


erklärt er für unrein. Ja, selbst für den Fall, dass die 
Krankheit geheilt wird und der Leib seine frühere Be- 
schaffenheit wiedererlangt, schrieb er gewisse Reinigungen 
vor, nämlich Abwaschungen und Bäder in Quellwasser 
und das Abscheren aller Haare; und erst wenn der Ge- 
heilte viele und mannigfaltige Opfer dargebracht hat, 
erlaubt er ihm den Eintritt in die heilige Stadt. 1 Wäre 
er nun selbst mit diesem Gebrechen behaftet gewesen, 
so hätte man doch im Gegenteil eine gewisse menschen- 
freundliche Fürsorge für seine Leidensgenossen von ihm 
erwarten dürfen. Aber nicht allein inbetreff der Aus- 
sätzigen hat er solche Bestimmungen erlassen, sondern 
er schlie8st sogar alle, die auch nur den geringsten 
körperlichen Fehler aufweisen, von der Priesterwürde 
aus, und wenn jemand mitten während der heiligen 
Handlungen von einem solchen Unglück betroffen wird, 
so nimmt er ihm sein Amt. 2 Wie ist es nun denkbar, 
dasB er solche Bestimmungen traf, die gegen ihn selbst 
zur Anwendung kommen mussten, und dass er Gesetze zu 
seiner eigenen Schmach und Schande gab? Auch dass 
er den Namen gewechselt haben soll, ist höchst un- 
wahrscheinlich. „Früher ,“ sagt Manetho, „hiess er Osar- 
siph.“ Dieser Name stimmt aber doch gar nicht mit der 
späteren Änderung; der wahre Name bezeichnet viel- 
mehr den Moyses als einen aus dem Wasser Geretteten: 
denn Wasser heisst bei den Aegyptiern „Moy“. Ich 
glaube nun den genügenden Beweis erbracht zu haben, 
dass Manetho zwar, so lange er sich an die alten Ur- 
kunden hält, der geschichtlichen Wahrheit ziemlich nahe 
kommt, dass er aber, sowie er sich unverbürgten Sagen 
zuwendet, entweder selbst unglaubwürdige Vermutungen 
aufstellt oder den Leuten glaubt, deren Aussagen vom 
Hasse beeinflusst sind. 3 


1 3. Mos. 13 ff.; Matth. 8, 4; Mark. 1,44; Luk. 5, 14. 

2 3. Mos. 21, 17 ff. 

3 Historische Treue konnte man von Manetho auch wohl nicht 
erwarten. Denn wie er selbst in der Vorrede an Ptolemaeus Pbila- 
delphus angiebt, war seine Schrift eine Antwort auf die Frage dieses 



138 


Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften. 


32. Nach ihm möchte ich noch Chairemon einer 
Prüfung unterziehen ; denn auch er will eine „Aegyptische 
Geschichte“ geschrieben haben. Er führt denselben 
Königsnamen an wie Manetho, nämlich Amenophis, 
nennt dessen Sohn Ramesses und sagt dann weiter, Isis 
sei dem Amenophis im Traum erschienen und habe ihm 
Vorwürfe darüber gemacht, dass ihr Heiligtum im Kriege 
verwüstet worden sei. Ein Schriftgelehrter Namens 
Phritiphantes habe ihm nun erklärt, das Schreckbild 
werde ihn in Ruhe lassen, wenn er Aegypten von den 
mit unreinen Krankheiten behafteten Leuten säubere. 
Darauf habe der König zweihundertfünfzigtausend Sieche 
zusammengebracht und des Landes verwiesen. Ihre 
Führer seien die Schriftkundigen Moyses und Joseph 
gewesen: denn auch letzterer habe die heilige Schrift 
verstanden. Die aegyptische Bezeichnung für Moyses 
habe Tisithen, für Joseph Peteseph gelautet. Diese 
seien nun nach Pelusium gekommen und hätten dort 
dreihundertachtzigtausend von Amenophis zurückgelassene 
Menschen getroffen, denen er die Übersiedelung nach 
Aegypten nicht habe gestatten wollen. Mit ihnen ver- 
bündet hätten sie alsdann einen Feldzug gegen Aegypten 
unternommen. Amenophis aber habe ihrem Angriff 
nicht standgehalten, sondern sei mit Zurücklassung seiner 
schwangeren Gattin nach Aethiopien geflohen. In einer 
Höhle versteckt habe nun das Weib einen Sohn Messenes 1 
geboren, der, zum Manne herangereift, die etwa zwei- 
hunderttausend Köpfe zählenden Juden nach Syrien 
verjagt und seinen Vater Amenophis aus Aethiopien 
wieder heimgeholt habe. 

33. Soweit Chairemon. Die Lügenhaftigkeit der 
beiden Schriftsteller ergiebt sich aber, wie ich glaube, 

Königs : jzepi Ttov ueXXovTcov tu> xocrpcu yiyveaflat’ (Uber die iu- 
künftigen Schicksale der Welt). Ein Werk aber, dessen Hauptzweck 
die Prophezeiung war, nahm es mit der geschichtlichen Wahrheit 
vermutlich nicht allzu genau. 

1 Nach Bekker ist hier zu lesen: Ramesses. S. auch Ewald, 
Gesch. Israels II, S. 124. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


139 


von selbst aus ihren Berichten aufs deutlichste. Lägen 
nämlich den letzteren wahre Begebenheiten zu Grunde, 
so könnten die beiderseitigen Angaben nicht so sehr 
voneinander ab weichen. Nur wer sich mit Lügen ab- 
giebt, kümmert sich nicht um die Übereinstimmung seiner 
Schriften mit anderen, sondern erdichtet, was ihm selbst 
gut dünkt So erzählt denn Manetho, das Verlangen 
des Königs, die Götter zu schauen, sei die Veranlassung 
zur Ausweisung der Unreinen gewesen, während Chai- 
remon anderseits sich einen Traum von der Isis zurecht- 
legt. Bei jenem heisst der Mann, der dem Könige den 
Rat gab, das Land zu säubern, Amenophis, bei diesem 
Phritiphantes. Recht nett stimmen auch die Zahlen- 
angaben überein: der eine spricht von achtzigtausend, 
der andere von zweihundertfünfzigtausend Personen. 
Ferner: Manetho schickt die Unreinen zunächst in die 
Steinbrüche, dann giebt er ihnen Auaris zum Wohnsitz, 
lässt sie die anderen Aegyptier mit Krieg überziehen und 
nun erst Hilfe von Jerusalem herbeirufen; nach Chai- 
remon dagegen treffen sie gleich nach ihrem Auszug aus 
Aegypten bei Pelusium dreihundertachtzigtausend von 
Amenophis dort zurück gelassene Menschen an, mit denen 
vereint sie wieder über die Aegyptier herfallen und 
den Amenophis nach Aethiopien verjagen. Das schönste 
aber ist, dass der Erfinder des Traumes von der Isis 
und den Aussätzigen weder sagt, was die vielen Myriaden, 
die jenes Heer bildeten, für Leute waren noch woher 
sie kamen : ob sie geborene Aegyptier oder von auswärts 
herangezogen waren. Ja, nicht einmal den Grund giebt 
er an, warum der König sie nicht nach Aegypten habe 
führen wollen. Sodann stellt Chairemon dem Moyses 
als mit ihm des Landes verwiesen den Joseph zur Seite, 
der doch vier Menschenalter , d. h. etwa hundertsiebzig 
Jahre vor Moyses starb. Weiter: Ramesses, der Sohn 
des Amenophis, steht nach Manetho bereits im Jünglings- 
alter, zieht mit seinem Vater in den Kampf und flieht 
gleich ihm nach Aethiopien; Chairemon aber lässt ihn 
erst nach dem Tode seines Vaters in einer Höhle ge- 



140 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. 

boren werden , später eine Schlacht gewinnen und dann 
zweihunderttausend Juden nach Syrien vertreiben. Welche 
Leichtfertigkeit! Denn wie er vorher nichts davon sagt, 
wer denn die dreihundertachtzigtausend waren, so hören 
wir auch nicht, wie die vierhundertdreissigtausend um- 
kamen, ob sie in der Schlacht fielen oder sich dem 
Ramesses ergaben. Das allerseltsamste aber ist, dass 
man bei ihm gar keine Klarheit darüber gewinnen kann, 
wer die von ihm genannten Juden sind oder welchem 
Teile er diese Bezeichnung beilegt, ob den zweihundert- 
fünfzigtausend Aussätzigen oder den dreihundertachtzig- 
tausend, die bei Pelusium standen. Doch es könnte 
thöricht aussehen, wenn ich solche Schriftsteller, die sich 
selbst widerlegt haben, noch ferner widerlegen wollte; 
denn sie kommen , wenn andere dies nicht thun, jeden- 
falls schlimmer weg. 

34. Endlich will ich noch den Lysimachos anführen, 
der nicht nur auf demselben Boden der Lüge steht wie 
die Genannten, sondern ihre Unglaubwürdigkeit mit 
seinen Erdichtungen sogar noch überbietet. Deshalb 
kann es keinem Zweifel unterliegen, dass ihm lediglich 
der Hass die Feder führte. Er sagt nämlich, unter dem 
aegyptischen König Bokchoris sei das mit Aussatz, 
Krätze und anderen Krankheiten behaftete Volk der 
Juden in die Tempel geflohen und habe hier um Speise 
gebettelt. Immer weiter habe die Krankheit sich aus- 
gebreitet, und dazu sei auch noch das Land unfruchtbar 
geworden. Der König Bokchoris habe nun zu Ammon 1 
geschickt, um einen Orakelspruch inbetreff der Un- 
fruchtbarkeit zu erhalten, und es sei ihm von dem Gotte 
der Bescheid erteilt worden, er solle die Heiligtümer von 
den unreinen und gottlosen Menschen säubern, diese 
aus den Tempeln in die Wüste jagen, die Krätzigen und 
Aussätzigen aber, über deren Dasein die Sonne 2 zürne, 


1 Vergl. Tacitus, Hist. V, 8. Das Orakel des Ammon war das 
bedeutendste in Aegypten (Herodot I, 46 ; II, 83). 

‘ Ueber den Sonnengott der Aegyptier vergl. Herzog, R.-E. XIV, 532. 



Gegen Apion, Erstes Buch. 


141 


ertränken und die Tempel durch Sühnopfer heiligen ; 
dann werde die Fruchtbarkeit des Landes sich wieder 
einstellen. Nach Empfang dieses Spruches habe Bok- 
choris die Priester und Altardiener berufen und ihnen 
befohlen , die Unreinen auszusondern und sie durch 
Soldaten in die Wüste abführen, die Aussätzigen aber 
in Blei einhüllen und ins Meer versenken zu lassen. 
Demgemäss habe man die Aussätzigen und Krätzigen 
ertränkt und die übrigen samt und sonders in Einöden 
versetzt, damit sie hier zu Grunde gingen. Sie aber 
hätten sich zusammengeschart und nach gepflogener Be- 
ratung in der ersten Nacht bei brennendem Feuer und 
Lampenlicht gewacht, um sich zu schützen, in der nächst- 
folgenden aber durch Fasten die Götter zu versöhnen 
gesucht und um Rettung zu ihnen gefleht. Tags darauf 
habe dann ein gewisser Moyses ihnen geraten, unverzagt 
und geradeswegs vorwärts zu dringen, bis sie bewohnte 
Gegenden erreichten, und ihnen ausdrücklich anbefohlen, 
keinem Menschen eine wohlwollende Gesinnung zu be- 
weisen, niemand den besten, sondern jedem den schlech- 
testen Rat zu geben und die Tempel und Altäre der 
Götter, wo sie solche anträfen, zu zerstören. Die anderen 
hätten ihm Beifall gezollt, ihren Entschluss ins Werk 
gesetzt, die Wüste durchzogen und seien nach vielen 
Mühseligkeiten endlich in bewohnte Gegenden gekommen. 
Unter steter Misshandlung von Menschen, Plünderung 
und Einäscherung von Tempeln hätten sie dann das 
jetzt Judaea genannte Land erreicht, eine Stadt gegründet 
und daselbst sich niedergelassen. Von dem Gebaren der 
Gründer sei diese Stadt Hierosyla 1 genannt worden ; 
später aber, als sie zu grösserer Macht gelangten, hätten 
sie den Namen, um der damit verbundenen Schmähung 
zu entgehen, geändert und die Stadt Hierosolyrna , sich 
selbst also Hierosolymer genannt. 

35. Dieser Lysimachos wusste also nicht denselben 
König anzugeben wie jene, sondern erdichtete wieder 


D. i. Tempelraub. 



142 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

einen neuen Namen. Auch erwähnt er nichts von einem 
Traum und einem aegyptischen Wahrsager, sondern er 
schlägt den Weg zu Ammon ein, um einen Orakelspruch 
inbetreff der Krätzigen und Aussätzigen zu holen. Wenn 
er nun erzählt, es hätten sich eine Menge Juden in 
den Tempeln zusammengefunden, legt er dann diesen 
Namen den Aussätzigen als solchen bei, oder sollen 
bloss die Juden mit. Krankheiten behaftet gewesen sein? 
Er sagt ja: das Volk der Juden. Was denn für eins? 
Ein von aussen zugewandertes, oder ein im Lande ein- 
heimisches? Waren es Aegyptier, weshalb nennst du 
sie Juden? Waren es Ausländer, warum sagst du nicht, 
woher sie kamen? Und wie konnte es geschehen, dass, 
nachdem der König viele von ihnen im Meer ertränkt 
und die übrigen in öde Gegenden vertrieben hatte, doch 
noch eine so grosse Anzahl übrig war? Oder auf welche 
Weise konnten sie die Wüste durchziehen, das jetzt von 
uns bewohnte Land in Besitz nehmen, sogar eine Stadt 
daselbst gründen und den in aller Welt berühmten 
Tempel erbauen? Sodann hätte Lysimachos nicht nur 
den Namen des Gesetzgebers nennen, sondern auch sein 
Geschlecht und seine Abstammung sowie die Gründe an- 
geben sollen, weshalb er seinen Leuten auf dem Marsch 
derartige Gesetze hinsichtlich der Götter und inbetreff 
der gegen die Menschen zu verübenden Ungerechtigkeiten 
gab. Waren seine Begleiter geborene Aegyptier, so 
werden sie wohl ihren von den Vätern überkommenen 
Gebräuchen nicht so ohne weiteres untreu geworden sein ; 
waren sie anderswoher, so hatten sie doch sicher schon 
gewisse durch lange Gewohnheit bei ihnen fest einge- 
wurzelte Gesetze. Wenn sie übrigens wirklich hätten 
schwören müssen, gegen die, von welchen sie vertrieben 
waren, nie mehr eine freundliche Gesinnung zu hegen, 
so könnte man da9 noch verständlich finden ; dass aber 
Leute, die, wie Lysimachos selbst sagt, in schlimmer 
Lage waren und jedermanns Beistand bedurften, mir 
nichts dir nichts alle Menschen mit den fürchterlichsten 
Kriegsdrohungen angegangen sein sollen, das ist der reine 



Gegen Apion, Erstes Bach. 


143 


Unsinn, der freilich nicht den Verleumdeten zur Last 
fallt, sondern dem Erfinder dieser Lüge. Wagt er doch 
sogar die Behauptung, sie selbst hätten der Stadt vom 
Tempelraub den Namen gegeben und diesen erst nachher 
geändert. Daraus erhellt ja deutlich, dass den späteren 
Geschlechtern dieser Name Hass und Schande zuzog, 
während doch die Gründer der Stadt, indem sie ihn er- 
fanden, sich selbst damit hatten ehren wollen. In seiner 
unbändigen Schmähsucht hat der Treffliche auch ganz 
übersehen, dass die jüdische Bezeichnung für Tempelraub 
nicht dieselbe ist wie die griechische. Doch was braucht 
man gegen einen so unverschämten Lügner noch weitere 
Worte zu verschwenden? Übrigens hat ja dieses Buch 
schon einen angemessenen Umfang erhalten, und so will 
ich denn lieber von neuem ansetzen und das, was sonst 
noch zum vorliegenden Thema gehört, im folgenden 
Buche behandeln. 



Zweites Bueh. 


1. In dem vorigen Buche, geehrtester Epaphroditos, 
habe ich das hohe Alter unseres Volkes zu beweisen 
und die Wahrheit meiner Darlegungen durch die 
Schriften der Phoenicier, Chaldäer und Aegyptier wie 
auch durch viele griechische Geschichtschreiber, die ich 
als Zeugen anführte, zu erhärten versucht; sodann wider- 
legte ich Manetho, Chairemon und einige andere. Jetzt 
will ich mir zunächst angelegen sein lassen, die Angriffe 
der übrigen, welche etwas gegen uns geschrieben haben, 
zurückzu weisen. Ob ich mir freilich Mühe geben solle, 
den Grammatiker Apion zu widerlegen, darüber war ich 
im Zweifel. Denn ein Teil dessen, was er schreibt, ähnelt 
dem von anderen bereits Gesagten, ein weiterer Teil be- 
steht aus seinen eigenen überaus geistlosen Zusätzen, das 
meiste aber verrät einen so schlechten Geschmack und, 
um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, einen so 
hochgradigen Mangel an Bildung, wie er sich von dem 
niedrigen Charakter eines Mannes, der all seiner Tage 
nur ein Marktschreier war, erwarten liess. Weil jedoch 
die meisten Menschen infolge ihres Unverstandes sich 
durch derartiges Geschwätz mehr einnehmen lassen, als 
durch gewissenhaft verfasste Schriftwerke, und an 
Schimpfereien ihre Freude, gegen Lobsprüche aber Wider- 
willen haben, so hielt ich es doch für geboten, auch ihn, 
der uns öffentlich, als ständen wir vor Gericht, seine 
Anklage entgegenschleudert, nicht unbeurteilt zu lassen. 
Denn es ist auch, wie ich sehe, die Art der meisten 
Menschen, sich gewaltig zu freuen, wenn jemand, der 
zuerst einen anderen geschmäht hat, hinwiederum seiner 



Gegen Apion, Zweites Bach. 


145 


eigenen Schwächen überführt wird. Zwar ist es nicht 
so leicht, seine Schrift zu lesen und sich darüber klar 
zu werden, was er denn eigentlich sagen will. Soviel 
sich aber bei der grossen Unordnung und dem Gewirrer 
von Lügen erkennen lässt, bezieht sich der eine Teil 
seiner Darlegungen auf die schon oben untersuchte 
Frage, nämlich den Auszug unserer Vorfahren aus 
Aegypten, während der zweite Anklagen gegen die in 
Alexandria wohnenden Juden und der dritte Beschul- 
digungen gegen uns enthält, die mit den beiden vorigen 
Gegenständen verquickt sind und unseren Tempel- 
gottesdienst sowie die anderen gesetzlichen Einrichtungen 
betreffen. 

2. Dass nun, um mit dem ersten Punkt zu beginnen, 
unsere Väter weder geborene Aegyptier waren noch 
wegen körperlicher Gebrechen oder anderer derartiger 
Mängel aus Aegypten vertrieben worden sind, habe ich 
meinem Dafürhalten gemäss oben nicht nur hinreichend, 
sondern sogar bis zum Überfluss nachgewiesen. Was 
aber von Apion noch hinzugefügt wird, das will ich 
jetzt kurz besprechen. Im dritten Buche seiner „Aegyp- 
tiaka“ sagt er: „Moyses stammte, wie ich von den Ältesten 
der Aegyptier erfuhr, aus Heliopolis. Obwohl er den 
Gebräuchen seiner Väter zu folgen verpflichtet war, ver- 
legte er doch die Abhaltung der Gebete, die bis dahin 
unter freiem Himmel stattfand, in eingefriedigte Räume, 
wie die Stadt sie aufwies, und gab letzterer durchweg 
die Richtung gegen Osten; so nämlich ist die Lage der 
Sonneustadt Anstelle der Obelisken errichtete er Säulen, 
an deren Fuss ein kahnähnliches Gebilde angebracht 
war, auf welches der Schatten der Säulenspitze fiel, so- 
dass dessen Lauf stets dem der Sonne am Himmel 
folgte.“ 1 So lautet der wunderliche Satz des Gramma- 
tikers; um aber zu zeigen, dass sein Inhalt erlogen ist, 

1 Also Sonnenuhren. Vergl. hierzu Müller a. a. O., S. 227; Zipser, 
Des Flavins Jos. Werk über das hohe Alter des jüdischen Volkes, 
S. 102 ff. 

Joaepbua, KleinereJScbrifteq. i 10 



146 Des Flavias Josephas kleinere-Scbriften. 

bedarf es keiner Worte, sondern die Thatsachen beweisen 
dies aufs klarste. Denn weder hat Moyses selbst, als er 
Gott dem Herrn das erste Zelt errichtete, ein derartiges 
Gebilde darin angebracht, noch schrieb er jemals vor, 
dass seine Nachfolger ein solches verfertigen müssten, 
und auch der spätere Erbauer des Tempels in Jerusalem, 
Solomon, hat sich der Verwendung jedes derartigen Bei- 
werkes, wie Apion sich eins zusammenstoppelte, enthalten. 
Dass Moyses aus Heliopolis war, will er von den Ältesten 
gehört haben. Freilich, er war ja der Jüngere und 
musste jenen glauben, und sie waren natürlich so alt, 
dass sie Moyses selbst gekannt und mit ihm verkehrt 
hatten! Und während der Grammatiker von dem Dichter 
Homer nicht mit Bestimmtheit angeben kann, in welcher 
Stadt er geboren war, und ebensowenig von Pythagoras, 
der doch sozusagen gestern und vorgestern auf Erden 
wandelte, ist er mit Moyses, der so unendlich viele 
Jahre vor jenen lebte, ganz im reinen und glaubt ein- 
fach, was er von den Ältesten vernommen hat — ein 
deutlicher Beweis, dass er lügt. Was sodann die Zeit 
betrifft, in der Moyses die Aussätzigen , Blinden und 
Lahmen weggeführt haben soll, so steht da, wie ich 
finde, der gewissenhafte Grammatiker mit denen, die vor 
ihm schrieben, in recht netter Übereinstimmung. Manetho 
nämlich setzt den Auszug der Juden aus Aegypten in 
die Regierungszeit des Königs Tethmosis, d. i. dreihundert- 
dreiundneunzig Jahre früher als Danaos nach Argos floh, 
Lysimachos in die Zeit des Königs Bokchoris, also fünf- 
zehnhundert Jahre früher, Molon und andere, wie es 
ihnen beliebte; der Allerzu verlässigste aber, nämlich 
Apion, hat die Zeit des Auszuges ganz genau bestimmt: 
er giebt die siebente Olympiade an und zwar das erste 
Jahr derselben , 1 in welchem, wie er sagt, die Phoenicier 
Karthago gründeten. Die zusätzliche Bemerkung ; über 
Karthago machte er jedenfalls in der Meinung, dies 
werde der augenfälligste Beweis für die Wahrheit seiner 


1 752 v. Chr. 



Gegen Apion, Zweites Buch. 147 

Angabe sein; er hat aber nicht bemerkt, dass er damit 
gerade einen Beweis gegen sich anführte. Denn wenn 
man hinsichtlich jener Ansiedelung den Urkunden der 
Phoenicier trauen darf, so ergiebt sich aus diesen, dass 
der König Hirom — die ihn betreffenden Belegstellen aus 
den phoenicischen Annalen erwähnte ich bereits oben — 
mehr als hundertfünfzig Jahre vor der Gründung Kar- 
thagos lebte, mit Solomon, dem Erbauer des Tempels in 
Jerusalem, befreundet war und vieles zur Vollendung 
des Tempels beitrug. Solomon selbst aber erbaute den 
Tempel erst sechshundertzwölf Jahre nach dem Auszug 
der Juden aus Aegypten. Nachdem Apion sodann die 
Zahl der Vertriebenen nach dem Vorgang des Lysimachos 
willkürlich auf hundertzehntausend angesetzt hat, giebt 
er eine wunderbare und überaus glaubwürdige Erklärung 
für die Entstehung des Namens Sabbat. Er sagt näm- 
lich: „Nach sechstägigem Marschieren bekamen die Juden 
Iieistengeschwüre und mussten deshalb am siebenten 
Tage ruhen, nachdem sie glücklich das jetzt Judaea ge- 
nannte Land erreicht hatten. Darum nannten sie mit 
Beibehaltung eines aegyptischen Wortes den siebenten 
Tag Sabbat; denn der Schmerz, den Leistengeschwüre 
verursachen, heisst bei den Aegyptiern Sabbatosis.“ Man 
weiss nicht, soll man über derartiges Geschwätz lachen 
oder die Schamlosigkeit, die sich im Niederschreiben 
solcher Dinge kundgiebt, verabscheuen? Es müssten 
also die hundertzehntausend Menschen samt und sonders 
an Leistengeschwüren gelitten haben ! Aber wenn es, 
wie Apion behauptet, lauter Blinde, Lahme und mit 
allerhand Krankheiten behaftete Leute waren, so hätten 
sie doch wohl keinen einzigen Tag marschieren können ; 
waren sie aber imstande, die weite Einöde zu durch- 
wandern und noch dazu mit den Waffen in der Hand 
ihre Gegner zu bekämpfen, so sind sie gewiss nicht nach 
dem sechsten Tage sämtlich an Leistengeschwüren er- 
krankt. Denn es ist weder eine Naturnotwendigkeit, dass 
man vom Marschieren ein derartiges Leiden bekommt 
— haben doch schon Heere von vielen tausend Mann, 

Go gle 



148 


Des Flavius Josephos kleinere Schriften. 


ohne auszusetzen, ähnliche Märsche zurückgelegt — , noch 
spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies gerade 
hier der Fall gewesen sei ; die Geschichte ist eben gar 
zu widersinnig. Kaum hat ferner der Schlaukopf Apion 
behauptet, sie seien in sechs Tagen nach Judaea ge- 
kommen, als er auch schon gleich wieder bemerkt, Moyses 
habe den zwischen Aegypten und Arabien liegenden 
Berg Sinai bestiegen, sich hier vierzig Tage lang ver- 
borgen gehalten und nach seiner Rückkehr von dort 
den Juden die Gesetze gegeben. Aber wie war es doch 
möglich, dass dieselben Menschen vierzig Tage in der 
wasserlosen Wüste blieben und trotzdem das ganze 
Zwischenland in sechs Tagen durchzogen? Die gram- 
matische Ableitung des Wortes Sabbat vollends ist ent- 
weder ein Zeichen von arger Unverschämtheit oder von 
tiefster Unwissenheit. Die Worte Sabbo und Sabbat 
haben nämlich durchaus nichts miteinander gemein: 
Sabbat bedeutet in der jüdischen Sprache das Ausruhen 
von jeder Arbeit, Sabbo dagegen bezeichnet, wie Apion 
behauptet, bei den Aegyptiern den Schmerz, den Leisten- 
geschwüre erzeugen. 

3. Derartige Erfindungen, die er den schon vor- 
handenen anreiht, bringt der Aegyptier Apion über 
Moyses und den Auszug der Juden aus Aegypten vor. 
Darf es übrigens wunder nehmen, dass er über unsere 
Vorfahren lügt und sie als geborene Aegyptier hinstellt, 
wenn er über seine eigene Person die umgekehrte Lüge 
auftischt? Er ist nämlich in der Oase Aegyptens ge- 
boren; gleichwohl hat er — sicher der erste von allen 
Aegyptiern, der dies that — sein wirkliches Vaterland 
und seine Herkunft abgeschworen und sich fälschlich 
für einen Alexandriner ausgegeben. Damit gesteht er 
selbst zu, wie verächtlich er von seiner Abstammung 
denkt. Selbstverständlich nennt er nun alle, die er 
hasst und in ein schlechtes Licht stellen möchte, Aegyp- 
tier. Hielte er die Aegyptier nicht für ein durch und 
durch schlechtes Volk, so würde er seine Verwandt- 
schaft mit ihnen nicht leugnen; denn wer auf sein 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


149 


Vaterland stolz ist, setzt eine Ehre darein, sich nach 
ihm zu nennen, und straft diejenigen Lugen, die ohne 
Berechtigung dies zu thun wagen. Zweierlei können 
also die Beziehungen der Aegyptier zu uns sein: ent- 
weder machen sie Anspruch auf Verwandtschaft mit 
uns, um dadurch im Ansehen zu steigen, oder sie wollen 
auch uns in den üblen Ruf bringen , in dem sie selbst 
stehen. Der edle Apion aber scheint die Schimpferei 
gegen uns gewissermassen aus Dankbarkeit für das ihm 
geschenkte Bürgerrecht an die Alexandriner übertragen 
zu wollen, und da er ihre feindliche Gesinnung gegen 
die jüdischen Bewohner Alexandrias kannte, nahm er 
sich vor, diese zu verlästern, und warf dann alle 
anderen Juden mit ihnen zusammen — in dem einen 
wie dem anderen Punkte ein unverschämter Lügner. 

4. Wir wollen jetzt sehen, welches denn die schlimmen 
Unthaten sind, die er den Juden in Alexandria vorwirft. 
„Sie kamen,“ sagt er, „von Syrien her und Hessen sich 
an einem hafenlosen Meere nieder, in der Nähe der 
Brandung.“ Nun, wenn an dem Ort etwas zu tadeln 
ist, so betrifft ja dieser Tadel seine eigene — freilich 
nicht wirkliche, sondern nur angebliche — Vaterstadt 
Alexandria. Denn auch der unmittelbar ans Meer 
stossende Teil derselben ist, wie allseitig zugegeben wird, 
zur Ansiedelung sehr geeignet. Wenn aber die Juden 
den Platz mit Gewalt in Besitz nahmen und ihn auch 
später behaupteten, so ist das ein Zeichen ihrer Tapfer- 
keit. ln Wirklichkeit jedoch hat Alexander ihnen den- 
selben zur Niederlassung angewiesen und ihnen mit den 
Macedoniern gleichen Rang zuerkannt. Ich möchte wohl 
wissen, was Apion sagen würde, wenn sie sich in der 
Nekropolis 1 niedergelassen hätten, während sie jetzt in 
der Nähe des königlichen Palastes ihren Wohnsitz 
nehmen durften und ihr Stamm den Beinamen Mace- 
donier erhielt, den sie noch bis heute führen. Wenn 
übrigens Apion die Briefe des Königs Alexander und 


S. Namenregister. 



150 


Des FUvius Josephus kleinere Sokriften. 


des Ptolemaeus Lagi sowie der nachfolgenden aegyp- 
tischen Könige gelesen und ferner die in Alexandria 
stehende Säule gesehen hat, auf der die von dem grossen 
Caesar den Juden verliehenen Rechte verzeichnet sind 1 
— wenn er, sage ich, diese Urkunden kannte und 
dennoch das Gegenteil von dem, was sie melden, in 
seiner Schrift zu behaupten sich erdreistete, so ist er 
ein schlechter, wenn er sie aber nicht kannte, ein un- 
wissender Mensch. Sich darüber zu wundern, dass die 
in Alexandria wohnenden Juden Alexandriner genannt 
wurden, verrät den gleichen Mangel an Bildung. Denn 
alle, die jemals in eine Kolonie berufen wurden, erhalten, 
so verschieden auch ihre Herkunft sein mag, ihren 
Namen von dem Gründer der Ansiedelung. Beispiele -aus 
der Fremde anzuführen, ist unnötig; vielmehr bleibe ich 
bei uns und weise darauf hin, dass die jüdischen Be- 
wohner von Antiochia Antiochener genannt werden, weil 
der Gründer der Stadt, Seleukos, ihnen das Bürgerrecht 
verliehen, hat. Ebenso führen die Juden in Ephesos 
und anderen ionischen Städten den gleichen Gesamt- 
namen wie die eingeborenen Bürger; die Diadochen 
haben ihnen dies gestattet. Auch erlaubten ja die Römer 
in ihrer Grossmut fast allen Menschen, und zwar nicht 
.nur einzelnen Männern, sondern auch ganzen Völker- 
schaften, sich die Bezeichnung Römer beizulegen. Dem<- 
zufolge werden die ehemaligen Iberer, Tyrrhener und 
Sabiner Römer genannt Wenn aber Apion diese Art 
-des Bürgerrechtes nicht gelten lassen will, so höre er vor 
allem auf, sich selbst einen Alexandriner zu nennen. 
Denn geboren ist er, wie ich oben sagte, mitten in 
Aegypten; wie kann er also ein Alexandriner sein, wenn 
das geschenkte Bürgerrecht seiner gegen uns vorgebrachten 
Behauptung gemäss keines ist? ^ Freilich nur den 
Aegyptiern haben die Römer, die jetzigen Herren der 
Welt, die Annahme jedes fremden Bürgerrechtes ver- 


1 S. Jüd. Altert. XIV, 7,2; 10, lff; XIX, 5, 2. 



Gegen Apion, Zweites Bucb. 151 

boten . 1 Apion jedoch ist so edelmütig , dass er, weil 
sein Verlangen nach dem steht, was ihm versagt war, 
diejenigen zu verkleinern sucht, die es mit Fug und 
Recht besitzen. Denn Alexander hat nicht etwa des- 
halb, weil es ihm an Ansiedlern für die von ihm so 
eifrig gegründete Stadt mangelte, eine Menge Juden 
dorthin berufen, sondern weil er alle in Betracht 
kommenden Menschen hinsichtlich ihrer Tüchtigkeit und 
Zuverlässigkeit einer genauen Prüfung unterzog und 
dabei den Angehörigen unseres Volkes den Preis zu- 
erkennen musste. Er hatte überhaupt grosse Achtung 
vor uns, wie denn auch Hekataios bezeugt, dass er den 
Juden wegen der Biederkeit und Treue, die sie ihm 
gegenüber an den Tag legten, das Samariterland als 
steuerfreies Gebiet zu ihrem bisherigen Besitz noch hin- 
zugeschenkt habe. Ähnlich wie Alexander war auch 
Ptolemaeus Lagi gegen die in Alexandria ansässigen 
Juden gesinnt. Denn ihnen vertraute er die aegyptischen 
Festungen an, überzeugt) dass sie dieselben treu und 
tapfer behaupten würden; auch sandte er in der Ab- 
sicht, seine Herrschaft in Kyrene und den anderen 
Städten Libyens zu befestigen, eine Schar jüdischer An- 
siedler dorthin. Und was seinen Nachfolger Ptolemaeus 
Philadelphus betrifft, so gab er nicht nur die sämtlichen 
in seinem Reiche lebenden Kriegsgefangenen frei, sondern 
machte ihnen auch zu wiederholten Malen Geldgeschenke ; 
dass wichtigste -aber ist, dass er unsere Gese.tze kennen 
zu lernen und unsere heiligen Bücher zu lesen verlangte. 
Zu diesem Zweck beschied er Männer zu sich, die ihm 
das Gesetz verdolmetschen sollten, und damit ein vor- 
treffliches Schriftstück zustande käme, übertrug er die 
Vorbereitungen nicht etwa dem ersten besten , sondern 
betraute damit den Demetrius Phalereus, der unter seinen 


1 Von diesem Verbot ist aus anderen Quellen nichts bekannt; 
wohl. aber bestand die einschränkende Bestimmung, dass Aegyptief 
nur dann römische Bürger werden konnten, wenn sie vorher da» 
Bürgerrecht in Alexandria erworben hatten. 



152 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Zeitgenossen durch Bildung hervorragte, sowie Andreas 
und Aristeas, denen die Bewachung der Person des 
Königs oblag. 1 Er wäre doch wohl kaum so begierig 
gewesen, unsere Gesetze und die bei uns einheimische 
Weisheit kennen zu lernen, wenn er von den Männern, 
die damit vertraut waren , geringschätzig gedacht und 
nicht vielmehr seine ganze Bewunderung ihnen gezollt hätte. 

5. Auch dass alle übrigen Könige seiner macedonischen 
Vorfahren die freundlichste Gesinnung gegen uns hegten, 
weiss Apion nicht So hat der dritte Ptolemaeus mit 
dem Beinamen Euergetes nach der Eroberung von Ge- 
samt-Syrien nicht etwa den aegyp tischen Göttern zum 
Dank für den errungenen Sieg geopfert sondern er kam 
nach Jerusalem, brachte daselbst Gott dem Herrn zahl- 
reiche Opfer nach der bei uns gütigen Gesetzesvorschrift 
dar und stiftete Weihgeschenke in den Tempel, die 
seines Sieges würdig waren. 2 Ptolemaeus Philometor 
ferner und seine Gemahlin Kleopatra vertrauten die 
ganze Regierung Juden an und ernannten zu Befehls- 
habern der gesamten Streitmacht die Juden Onias und 
Dositheos, deren Namen Apion allerdings bespöttelt und 
deren Handlungen er schmäht anstatt sie zu bewundern 
und ihnen Dank dafür zu wissen, dass sie eben die 
Stadt Alexandria, deren Bürger er zu sein vorgiebt 
retteten. Denn als die Alexandriner mit der Königin 
Kleopatra im Kriege lagen und Gefahr liefen, elend um- 
zukommen, da brachten jene Männer einen Vergleich 
zustande und machten so dem Bürgerkrieg ein Ende. 
Apion freilich sagt: „Später zog Onias mit einem, un- 
ansehnlichen Heere vor die Stadt, während der römische 
Legat Thermus daselbst anwesend war.“ Daran, entgegne 
ich, that er sehr recht. Denn Ptolemaeus mit dem Bei- 
namen PhyBkon rückte nach dem Tode seines Bruders 

1 S. Jüd. Altert. XII, 2, 2 ff. 

2 Womit übrigens nicht gesagt sein soll, dass Ptolemaeus den 
Gott der Juden als den allein wahren Gott anerkannt habe. Er 
ehrte ihn vielmehr wie jeden anderen Landesgott. So auch Ptol. 
Philopator (3. Makk. 1,9). 


Go gle 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


153 


Ptolemaeus Philometor von Kyrene heran, um Kleopatra 
und die Söhne des Königs aus dem Reiche zu vertreiben 1 
und sich dasselbe unrechtmässigerweise anzueignen. 
Gerade deswegen überzog ihn Onias in Kleopatras In- 
teresse mit Krieg und wahrte so die Treue gegen das 
'Königshaus auch in den Zeiten der Not Gott stellte 
übrigens seiner Gerechtigkeit ein glänzendes Zeugnis aus. 
Als nämlich Ptolemaeus Physkon im Begriff stand, dem 
Heere des Onias eine Schlacht zu liefern, nahm er alle 
Juden in der Stadt samt ihren Weibern und Kindern 
gefangen und warf sie nackt und gefesselt den Elefanten 
vor, damit sie von diesen zu Tode getreten würden, in 
welcher Absicht er die Tiere trunken gemacht hatte. 
Doch es geschah das gerade Gegenteil von dem, was er 
wollte : die Elefanten liessen die ihnen vorgeworfenen 
Juden liegen, griffen seine Freunde an und brachten 
viele derselben um. Bald darauf hatte Ptolemaeus eine 
schreckliche Erscheinung, die ihn warnte, den Juden 
etwas zuleide zu thun, und da auch seine liebste Bei- 
schläferin — von einigen Ithaka, von anderen Irene 
genannt — ihn flehentlich bat, keinen derartigen Frevel 
zu begehen, gab er ihr nach und bereute, was er gethan 
hatte oder zu thun beabsichtigte. Mit Recht feiern da- 
her, wie bekannt, die in Alexandria ansässigen Juden 
diesen Tag, weil sie damals die offenbare Hilfe Gottes 
erfuhren. Apion aber, der über alles schimpft, erdreistet 
sich auch wegen des Krieges gegen Physkon die Juden 
anzuklagen, statt sie, wie es Bich gehörte, zu loben . 2 Er 
erwähnt auch die letzte Kleopatra, welche Königin der 
Alexandriner war, und macht gewissermassen uns dafür 
verantwortlich, dass sie uns mit Undank lohnte, obwohl 
er doch eigentlich gegen sie hätte Partei nehmen müssen. 
Alle erdenkliche Ungerechtigkeit und Bosheit verübte ja 


1 Von hier bis zum Beginn des Abschnittes 9 ist der griechische 
Text verloren gegangen and nur eine alte lateinische Uebersetzung 
vorhanden. 

2 Nach 3. Makk. 5 und 6 handelte es sich um Ptol. Philopator, 
nicht um Physkon. 



154 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


dieses Weib nicht nur gegen ihre Blutsverwandten und 
gegen die Männer, deren Liebe sie entflammt hatte, 
sondern auch gegen die Römer insgesamt und besonders 
gegen die Imperatoren, von denen sie mit Wohlthaten 
überhäuft worden war. Ihre Schwester Arsinoe, die ihr 
nichts zuleide gethan, ermordete sie im Tempel; ihren 
Bruder brachte sie durch Hinterlist um; die heimischen 
Götter und die Gräber ihrer Ahnen plünderte sie. Ob- 
wohl sie dem ersten Caesar ihr Königreich verdankte, 
trug sie kein Bedenken, sich gegen seinen Sohn und 
Nachfolger zu empören ; den Antonius berückte sie durch 
ihre Liebeskünste und brachte ihn dahin, dass er sein 
Vaterland hasste und seine Freunde verriet; den einen 
nahm sie die Königskrone, die anderen trieb sie in ihrer 
Tollheit zu verbrecherischen Thaten. Doch was will das 
alles dagegen besagen, dass sie den Antonius selbst, das 
heisst ihren Gatten und den Vater der Söhne, die sie 
ihm geboren, bei der Seeschlacht im Stiche liess und ihn 
zwang, unter Verzichtleistung auf Heer und Oberbefehl 
ihr zu folgen? Und als nun Alexandria zum letztenmal 
von Caesar erobert wurde, kam sie so weit, dass sie nur 
dann noch Hoffnung zu hegen wagte, wenn ihm die 
Vernichtung der Juden gelang; denn gegen alle benahm 
sie sich grausam und treulos. [— ] l Dafür hat sie frei- 
lich auch die gebührende Strafe erlitten; wir aber können 
uns auf das gewichtige Zeugnis des grossen Caesar über 
die treue Hilfe, die wir ihm gegen die Aegyptier ge* 
leistet haben , 2 berufen, ferner auf den Senat und seine 
Beschlüsse, und endlich auf die Briefe des Caesar Augustus, 
in denen unsere Verdienste anerkannt werden. Diese 
Briefe hätte Apion einsehen müssen und nicht minder 
die Zeugnisse, die uns von Geschlecht zu Geschlecht 
unter Alexander und allen Ptolemäern ausgestellt wurden, 
sowie die Bestimmungen, welche der Senat und die 

1 Der hier im Text folgende Setz wurde etwas weiter nach unten 
verschoben, wohin er dem Zusammenhang nach zweifellos gehört. 

2 S. J. A. XIV, 8, 1 ; Jüd. Krieg I, 9, 8. 



Gegen Apion, Zweites Bach. 


155 


bedeutendsten römischen Feldherren zu unseren Gunsten 
getroffen haben. [Und dass die Juden, wie Apion sagt, 
während einer Hungersnot keinen Weizen auf dem Tische 
haben , ist das vielleicht etwas unrühmliches ?] Denn 
wenn Germanicus nicht allen Einwohnern Alexandrias 
Getreide zuteilen konnte, so beweist das doch nur einen 
durch Unfruchtbarkeit des Bodens erzeugten Fruchtmangel, 
begründet aber keinen Vorwurf gegen die Juden. Welche 
Gesinnung übrigens alle Imperatoren gegen die alexam- 
drinischen Juden hegten, unterliegt keinem Zweifel. Denn 
die Getreideverwaltung ist ihnen ebensowenig wie den 
Alexandrinern überhaupt abgenommen worden; vielmehr 
hat man den Juden die ihnen von den früheren Königen 
anvertrauten Ämter belassen, nämlich die Bewachung 
.des Flusses und die Aufsicht über die gesamte Besatzung, 
da man sie solcher Vertrauensposten nicht unwert hielt. 

6. Apion aber bringt noch mehr vor. Er sagt: Wenn 
sie Bürger sind, weshalb verehren sie nicht die gleichen 
Götter wie die Alexandriner ? Ich antworte: Wie kommt 
es, dass ihr, die ihr doch alle Aegyptier seid, wegen der 
Religion miteinander in heftiger und unversöhnlicher 
Fehde liegt? 1 Und sprechen wir euch etwa den Namen 
Aegyptier oder auch überhaupt die Bezeichnung Menschen 
ab, weil ihr Tiere, die der menschlichen Natur feindlich 
sind, verehrt und mit vieler Sorgfalt füttert? Unser 
Volk dagegen bildet eine geschlossene Einheit. Wenn 
aber unter euch Aegyptiern so tiefgreifende Meinungs- 
verschiedenheiten herrschen, wie magst du dich da noch 
wundern , dass die von auswärts in Alexandria Ein- 
gewanderten ihren Gesetzen, die von jeher bei ihnen be- 
stehen, treu geblieben sind? Ferner stellt Apion uns 
auch als Aufwiegler hin. Wenn aber diese Beschuldigung 
gegen die alexandrinischen Juden gerechtfertigt wäre, 
könnte er uns ebenso gut aus unserer allbekannten Ein- 


1 Jeder Nomos hatte seine besonderem Götter und seinen besonderen 
Tempeldienst; zudem hatte jeder Tempel eine eigene Trias von 
Göttern, die an derSpitze der anderen Götter stand. Vgl. Strabo XVII, 1, 



156 


Des Flavias Josepbas kleinere Schriften. 


tracht einen Vorwurf machen. Viel eher wird man 
finden, dass gerade Alexandriner vom Schlage Apions 
es sind, die Unruhen zu erregen trachten. Denn so 
lange die Griechen und Macedonier Herren der Stadt 
waren , zettelten sie keinen Aufruhr gegen uns an, 
sondern liessen die alten religiösen Feierlichkeiten ruhig 
geschehen. Als aber die Aegyptier in Alexandria an 
Zähl bedeutend Zunahmen, da blieb bei der durch die 
Zeitverhältnisse bedingten Verwirrung auch der Hader 
nicht aus. Unser Volk indes lud keine Schuld auf sich, 
und nur von den Aegyptiern gingen solche Belästigungen 
aus, indem sie den Juden weder mit macedonischer Treue 
noch mit griechischer Klugheit entgegen kamen, sondern 
alle schlechten Charaktereigenschaften der Aegyptier her- 
vorkehrten und ihre uralte Feindschaft an uns ausliessen. 
Die Beschuldigung, die sie gegen uns erheben, fallt da- 
her auf sie selbst zurück. Übrigens besitzen die meisten 
von ihnen das alexandrinische Bürgerrecht zu Unrecht 
und bezeichnen nun diejenigen als Fremde, die dasselbe 
anerkannterraassen vollgiltig sich erworben haben. Denn 
den Aegyptiern ist, soviel man weiss, weder von einem 
alexandrinischen König noch von irgend einem römischen 
Imperator das Bürgerrecht der Stadt geschenkt worden. 
Uns aber hat Alexander daselbst Wohnsitze angewiesen, 
die Könige haben unsere Gerechtsame erweitert, die Römer 
waren so gnädig, uns dieselben stets zu belassen. Und 
nun will Apion sie uns deshalb aberkennen, weil wir 
keine Bildsäulen von Imperatoren aufstellen, als wäre 
ihnen dies unbekannt gewesen oder als hätten sie es 
nötig, dass ein Apion sich ihrer annehme 1 Statt dessen 
hätte er die Grossmut und Selbstbeherrschung der Römer 
bewundern sollen, weil sie ihre Unterthanen nicht zwingen» 
die Landesgebräuche mit Füssen zu treten, sondern sich 
so ehren lassen, wie die zur Huldigung Verpflichteten 
es mit ihrem Gewissen und ihren Gesetzen vereinbaren 
können. Für solche Ehrenbezeugungen nämlich, die ihnen 
aus zwingender Not erwiesen werden, wissen sie keinen 
Dank. Bei den Griechen freilich und einigen anderen 



Gegen Apion, Zweites Bach. 


157 


Völkern hält man es für schön, Bildsäulen zu errichten : 
man hat seine Freude daran, den Vater, die Gattin, die 
Kinder abzubilden, und stellt auch hier und da solche 
Personen im Bilde dar, die einen gar nichts angehen; 
ja, manche thun dies sogar mit fleissigen Sklaven. Was 
wunder also, wenn man sieht, dass sie auch die Fürsten 
und Gebieter in dieser Weise ehren ? Unser Gesetz- 
geber hingegen hat, nicht etwa weil er als Prophet die 
zukünftige Macht der Römer ahnte, die man nicht ehren 
dürfe , sondern lediglich deshalb die Herstellung von 
Bildwerken verboten, weil sie weder Gott noch den 
Menschen Nutzen bringen, mithin wertlos sind, und weil 
sie kein beseeltes Wesen, geschweige denn den unbe- 
seelten 1 Gott getreu wiedergeben können. 2 Andere Ehren- 
bezeugungen dagegen nächst Gott auch hervorragenden 
Menschen zu erweisen, hat er nicht untersagt, wie wir 
denn thatsächlich die Imperatoren und das römische 
Volk durch dergleichen Kundgebungen verherrlichen. 
Denn ohne Unterlass bringen wir Opfer für sie dar, und 
wir begehen nicht nur diese feierlichen Handlungen 
tagtäglich auf gemeinsame Kosten sämtlicher Juden, 
sondern thun auch den Imperatoren allein damit eine 
Ehre an, die wir keinem anderen Menschen gewähren, 
indem wir derartige Opfer weder für das öffentliche 
Wohl noch für unsere Kinder darbringen. Diese allge- 
meinen Bemerkungen wollte ich zur Widerlegung dessen, 
was Apion über Alexandria vorbringt, hier anführen. 

7. Wundern aber muss ich mich auch über die, 
welche ihm zu seinen Ausfällen Veranlassung gegeben 
haben, nämlich Poseidon ios und Apollonios Molon; denn 
auch sie fragen im Tone des Vorwurfs, weshalb wir 
nicht dieselben Götter wie andere verehren. Dabei 


1 D. h. unerschaffenen. Das Fehlen des griechischen Urtextes ist 
hier besonders zu bedauern. Müllers Erklärung (a. a. O. S. 257), der 
au einen heidnischen Götzen denkt, wird durch den Zusammenhang 
widerlegt. 

9 Der Hauptgrund war indes, wie sich aus 2. Mos. 20, 4 f. er- 
giebt, die Verhütung des Götzendienstes. 



158 


Des Fl&Yius Josephäs kleinere Schriften. 


glauben sie keine Unehrerbietigkeit zu begeben, wenn 
sie sich mit Lügen abgeben und über unseren Tempel 
widersinnige Lästerungen Vorbringen, während es doch 
für gebildete Menschen die grösste Schande ist, auf 
irgend eine Weise zu lügen und vollends überden welt- 
bekannten, so unendlich heiligen Tempel. In diesem 
Heiligtum, erfrecht sich Apion zu behaupten, hätten die 
Juden einen Eselskopf aufgestellt; den beteten sie an, 
und ihm gelte der ganze Gottesdienst 1 Derselbe , ver- 
sichert er, sei abhanden gekommen, als Antiochus Epi- 
phanes den Tempel plünderte, wobei er jenen aus Gold 
gefertigten, ungemein wertvollen Kopf gefunden habe. 
Darauf antworte ich zunächst: Selbst wenn etwas der- 
artiges bei uns vorhanden gewesen wäre, hätte der 
Aegyptier kein Recht, uns deshalb zu schelten, da ein 
Esel nicht geringer ist als Böcke und andere Tiere, 
die bei ihnen für Götter gehalten werden. Merkt er 
übrigens nicht, wie die Thatsachen seine ungeheuerliche 
Lüge zu Schanden machen? Wir haben nämlich immer 
die gleichen Gesetze, bei denen wir unerschütterlich be- 
harren. Und obwohl nun unsere Hauptstadt wie so viele 
andere von mancher Drangsal heimgesucht wurde und 
(Antiochus) der Gott, Pompejus Magnus, Licinius Crassus 
und jüngst noch der Caesar Titus als Sieger im Kampfe 
sich des Tempels bemächtigten, fanden sie nichts der- 
gleichen, sondern die reinste Gottes Verehrung, über die 
wir freilich vor anderen nichts aussagen dürfen. Antio- 
chus hatte übrigens keinen stichhaltigen Grund zur 
Plünderung des Tempels, vielmehr trieb ihn dazu nur 
seine Geldnot; denn er war kein Feind, sondern griff 
uns, seine Bundesgenossen und Freunde, an, und auch 
er fand nichts darin, worüber man hätte spotten können. 
Dies bezeugen auch viele ehrenwerte Geschichtschreiber: 


1 Worauf diese Lüge fusste, hat Hüller (a. a. O. 8. 258 f.) gezeigt- 
Auch den Christen wurde ein solcher Eseladienst n&chgesagt (Ter- 
tullian, Apolog. c. 16; Minucius Felix, Octavins 28; Kuhn, Roma, 
S. 123 f.). 



Gegen Aplon, Zweites Buch. 


159 


Polybios von Megalopolis, der Eappadocier Strabo, Niko- 
laus von Damaskus, Timagenes, der Chronist Kastor und 
Apollodor; sie alle sagen, Antiochus habe, weil es ihm 
an Geld mangelte, das Bündnis mit den Juden gebrochen 
und den mit Gold und Silber gefüllten Tempel ge- 
plündert. Das hätte Apion bedenken sollen ; doch er 
hat eben das Herz eines Esels und die Unverschämtheit 
eines Hundes, der ja bei ihnen verehrt wird. Ein anderer 
Grund, weshalb er so gelogen haben sollte, ist nicht 
denkbar. Wir erzeigen den Eseln weder irgend eine 
Ehre noch schreiben wir ihnen irgend welchen Einfluss 
zu, wie die Aegyptier den Krokodilen und Schlangen ; 
glauben sie doch, dass jemand, der von den letzteren 
gebissen oder von Krokodilen geraubt wird, zur Seligkeit 
und Gemeinschaft der Götter gelangt. Bei uns sind die 
Esel, was sie auch bei anderen verständigen Leuten sind: 
nützliche Lasttiere, und wenn sie beim Dreschen auf der 
Tenne fressen oder sich faul zeigen, erhalten sie tüchtig 
Schläge; denn sie müssen in der Landwirtschaft und 
bei anderen Arbeiten Dienste thun. Apion aber ist ent- 
weder so ungebildet, dass er nicht einmal ordentlich 
lügen kann, oder er vermag selbst dann, wenn er von 
Thatsachen ausgeht, zu keinem richtigen Schluss zu ge- 
langen — sonst würde er nicht mit allen seinen Läste- 
rungen gegen uns so schlecht abschneiden. 

8. Er bringt auch noch eine andere für uns äusserst 
beleidigende Fabel vor , welche zugleich die Griechen 
angeht. Es dürfte genügen, hierüber zu bemerken: 
Leute, die von religiösen Dingen reden wollen, sollten 
doch wissen, dass es weit grössere Unreinheit verrät, 
wenn man Priestern frevelhafte Handlungen andichtet, 
als wenn man durch einen Tempel wie auf einem ge- 
meinen Wege geht. Jenen Lügnern aber lag mehr daran, 
einen gottesräuberischen König in Schutz zu nehmen, 
als über uns und den Tempel wahrheitsgemäss und ge- 
ziemend cu berichten. Denn um dem Antiochus zu 
schmeicheln, ferner um die Treulosigkeit und den Tempel- 
raub, womit er sich aus Geldmangel gegen unser Volk 

Go gle 



160 


Des Flavias Josephas kleinere Schriften. 


versündigte, zu beschönigen,, legen sie uns verleumde- 
rischerweise auch noch Absichten bei, die wir erst spater 
hätten verwirklichen wollen. Apion natürlich führt an- 
stelle der anderen das grosse Wort Er sagt nämlich, 
Antiochus habe im Tempel ein Kuhebett gefunden, auf 
dem ein Mensch lag. Vor diesem habe ein mit Lecker- 
bissen von Seefisch und Geflügel besetzter kleiner Tisch 
gestanden, worüber der König in Erstaunen geraten sei 
Alsbald nun sei der Mensch ehrfurchtsvoll dem Könige 
zu Füssen gesunken, als wenn dieser ihm die grösste 
Hilfe gewähren könne, und habe ihn mit ausgestreckter 
Hand um Befreiung angefleht. Antiochus habe ihn 
dann aufgefordert, sich zu setzen und zu sagen, wer er 
sei, weshalb er hier sich befinde und was die Speisen zu 
bedeuten bätteD, worauf er seufzend und weinend seine Not 
mit folgenden Worten geklagt habe: Er sei ein Grieche, 
und während er, um sich seinen Lebensunterhalt zu 
verdienen, die Provinz durchzogen habe, sei er plötzlich 
von wildfremden Menschen ergriffen, in einen Tempel 
geschleppt und hier ein gesperrt worden ; nie bekomme 
er jemand zu sehen, doch werde er mit allen möglichen 
Leckerbissen gemästet. Anfangs hätten diese unerwar- 
teten Wohlthaten ihm Freude bereitet, später aber habe 
er Verdacht geschöpft und sei dann in Stumpfsinn ver- 
fallen ; zuletzt habe er einen näher herankommenden 
Diener gefragt und von ihm erfahren, dass es ein ge- 
heimes Gesetz der Juden gebe, dem zulieb er genährt 
werde, und sie thäten das jedes Jahr zu einer bestimmten 
Zeit. Sie fingen nämlich einen fremden Griechen auf, 
mästeten ihn ein Jahr lang, führten ihn dann in einen 
gewissen Wald, schlachteten ihn, opferten seinen Leib 
unter herkömmlichen feierlichen Geremonien , genössen 
etwas von seinen Ei nge weiden und schwüren bei der 
Opferung des Griechen einen Eid, dessen Landsleute zu 
hassen; schliesslich würfen sie die Überreste des Un- 
glücklichen in eine Grube . 1 Der Gefangene habe dann 

1 Apion war also der erste, der die Juden des ritaeilen Hördes 

Go gle 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


161 


hinzugefügt, dass ihm nur noch wenige Tage beschieden 
seien, und den König gebeten, ihn aus seiner schreck- 
lichen Lage zu befreien, einmal aus Ehrfurcht gegen die 
Götter der Griechen, und dann auch um durch seine 
Rettung die hinterlistigen Anschläge der Juden zunichte 
zu machen. Das ist nun freilich nicht bloss ein ganz 
schauervolles Märchen, sondern strotzt auch von greu- 
licher Unverschämtheit, und obendrein wird Antiochus 
noch nicht einmal von dem Verbrechen der Tempel- 
schändung reingewaschen, wie es die Absicht derer war, 
die solche Fabeleien zu seinen Gunsten niederschrieben. 
Denn nicht weil er etwas dergleichen argwöhnte, betrat 
er den Tempel, sondern was er dort fand, überraschte 
ihn förmlich. Er sündigte also aus bösem Willen und 
bleibt ein gottloser Mensch trotz allem, was unmässige 
Verlogenheit über ihn vorbrachte. Es ist übrigens an 
der Hand der Thatsachen sehr leicht, das Lügengewebe 
zu durchschauen. Denn unsere Gesetze stehen bekanntlich 
nicht nur mit den Griechen in Widerspruch, sondern 
auch, und zwar in besonders hohem Grade, mit den 
Aegyptiern und vielen anderen. Es giebt aber kein 
Land, aus dem nicht von Zeit zu Zeit Reisende zu uns 
kämen. Weshalb sollten wir nun gegen die Griechen 
allein stets neue, blutige Verschwörungen an zetteln ? Oder 
wie wäre es möglich, dass zu diesen Menschenopfern 
alle Juden ohne Ausnahme sich versammelten und dass 
jene Eingeweide genügten, so vielen Tausenden als Speise 
zu dienen, wie Apion sagt? Und warum hat der König 
den von ihm entdeckten Menschen, wer es auch immer 
gewesen sein mag — denn seinen Namen verschweigt 
die Geschichte — nicht mit Gepränge in sein Vaterland 
zurückgefuhrt? Dadurch hätte er sich ja den Ruf der 
Frömmigkeit und besonderer Vorliebe für die Griechen 
verschaffen sowie auch den allgemeinen Judenhass als 
mächtigen Verbündeten ausnutzen können. Doch genug 


beschuldigte. S. hierzu Müller, a. a. O. , S. 263 ff.; Zipser, desgl. 
8. 116 f. 

Josephe«, Kleinere Schriften. 

Go gle 


11 



162 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


hiervon : unvernünftige Menschen muss man nicht mit 
Worten, sondern durch Thatsachen zu überzeugen ver- 
suchen. Und in dieser Beziehung wissen doch alle, die 
die bauliche Einrichtung unseres Tempels gesehen haben, 
wie er beschaffen war und mit welch peinlicher Genauig- 
keit man auf seine Reinhaltung achtete. Vier Höfe hatte 
er im Umkreis, und jeder derselben stand dem Gesetze 
gemäss unter besonderer Aufsicht. In den äusseren Hof 
durften alle, auch die Fremden, eintreten, und nur die 
Weiber, welche ihre monatliche Reinigung hatten, waren 
davon ausgeschlossen ; der zweite stand allen Juden offen 
sowie auch ihren Ehefrauen, wenn sie von jeglicher Be- 
fleckung rein waren ; der dritte war für die reinen und 
geweihten Juden männlichen Geschlechtes bestimmt; in 
den vielten konnte niemand gelangen ausser den Prie- 
stern , die ihre Amtstracht angelegt hatten, in das Aller- 
heiligste aber nur die Hohepriester in der ihnen eigen- 
tümlichen Gewandung. Und so genau hatte man alles 
beim Gottesdienst vorgesehen, dass selbst die Stunden, 
zu denen die Priester eintraten, bestimmt waren. Früh 
morgens, wenn der Tempel geöffnet wurde, mussten sie 
hineingehen und die üblichen Opfer darbringen , des- 
gleichen des Mittags, bis der Tempel geschlossen wurde. 
Ferner durfte kein Gerät, welcher Art es auch sein 
mochte, in den Tempel gebracht werden, sondern es 
standen in ihm nur ein Altar, ein Tisch, ein Rauchfass 
und ein Leuchter, wie dies alles im Gesetz vorgeschrieben 
ist. Selbstverständlich wird auch kein unaussprechlicher 
Geheimdienst im Innern des Heiligtums getrieben noch 
irgend ein Mahl daselbst aufgetischt. Was ich hier 
sage, stützt sich auf das offenbare Zeugnis unseres ganzen 
Volkes und auf thatsächliche Beobachtungen. Denn ob- 
wohl es vier Priesterklassen giebt, von denen jede über 
fünftausend Köpfe zählt, so hat doch nur eine gewisse 
Anzahl von Priestern an bestimmten Tagen Dienst; sind 
diese fertig, so kommt der Reihe nach eine andere Ab- 
teilung zur Darbringung der Opfer, und zwar versammeln 
sich die einzelnen Priester gegen Mittag im Heiligtum 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


163 


und übernehmen von ihren Vorgängern die Tempel- 
schlüssel sowie die genau abgezählten heiligen Gefasse, 
übrigens ohne etwas von Speisen oder Getränken in den 
Tempel mitzunehmen ; denn auch ■ zum Altar dürfen der- 
gleichen Dinge mit Ausnahme dessen, was zum Opfer 
bestimmt ist, nicht gebracht werden. 

Können wir demnach etwas anderes von Apion sagen, 
als er habe, ohne diese Thatsachen zu prüfen, unglaub- 
liches Geschwätz vorgebracht? Schändlich ist es aller- 
dings, wenn ein Grammatiker so gar keine Kenntnis 
davon hat, was geschichtliche Wahrheit ist. Er kannte 
unseren Tempelgottesdienst, lässt ihn aber ganz unberück- 
sichtigt; dagegen fabelt er von der Gefangennahme eines 
Griechen, von einer scheusslichen Speise, von überaus 
üppigen und herrlichen Mahlzeiten und von dem Ein- 
tritt schlechter Menschen in einen Raum, den selbst die 
vornehmsten Juden, wenn sie keine Priester waren, nicht 
betreten durften. Das ist nichts anderes als vollendete 
Gottlosigkeit und absichtliche Lüge, lediglich darauf be- 
rechnet, solche Leute irre zu führen, denen es um die 
Erforschung der Wahrheit nicht zu thun war. Durch 
derartige, mit Worten kaum wiederzugebende Schlechtig- 
keiten, die man uns anhing, suchte man uns in den 
Augen der Welt verächtlich zu machen. 

9. Und wiederum spottet er über uns, als wäre er 
ein erzfrommer Mann, und fügt zu der Fabel noch weitere 
angebliche Thatsachen hinzu. Er sagt nämlich, jener 
Mensch habe erzählt, vor langer Zeit, als die Juden mit 
den Idumäern im Kriege lagen, sei aus einer Stadt der 
Idumäer ein Verehrer des Apollo mit Namen Zabidos 
zu den Juden gekommen und habe ihnen versprochen, 
Apollo, den Gott der Bewohner von Dora, ihnen in die 
Hände zu liefern; derselbe werde in unseren Tempel 
kommen, wenn alle sich hinaufbegäben und die ganze 
Masse der Juden mitnähmen. Zabidos habe alsdann 
eine hölzerne Maschine verfertigt, sich hineingestellt, drei 
Reihen Lichter daran befestigt und sei so umhergewandelt, 
dass die fern von ihm Stehenden den Eindruck ge- 
il* 



164 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


wonnen hätten, es bewege sich ein Gestirn über die 
Erde . 1 Die Juden, über das sonderbare Schauspiel er- 
staunt, hätten sich, da sie weit davon entfernt gewesen, 
ruhig verhalten; Zabidos aber sei ganz leise in den 
Tempel gegangen, habe hier den goldenen Eselskopf 
geraubt — so witzig stellt Apion die Sache dar — und 
sich eiligst wieder nach Dora zurück begeben. Da legt, 
kann man sagen, Apion dem Esel, das heisst sich selbst, viel 
auf und belastet ihn mit seinem unsinnigen und erlogenen 
Geschwätz. Er schreibt nämlich Orte hin, die es gar 
nicht giebt, und vorhandene Städte verlegt er aus Un- 
wissenheit in ganz falsche Gegenden. Idumaea liegt an 
den Grenzen unseres Landes bei Gaza, und Dora ist 
keine Stadt in Idumaea. Dagegen in Phoenicien am 
Karmelgebirge giebt es eine Stadt Dora, die aber mit 
Apions Gefasel wohl nichts zu thun hat ; denn sie ist vier 
Tagereisen von Judaea entfernt. Und wie kann er uns 
einen Vorwurf daraus machen, dass wir nicht dieselben 
Götter haben wie . andere, wenn unsere Väter sich so 
leicht bereden Hessen, Apollo werde zu ihnen kommen, 
und ihn schon mit den Sternen auf Erden umherwandeln 
zu sehen wähnten ? Ein Licht hatten sie natürlich noch 
nie gesehen, sie, die so grosse und schöne Feste mit An- 
zündung von Lichtern feiern! Auch begegnete ihm, als 
er durch das Land heimzog, selbstverständlich niemand 
von den vielen Tausenden, und trotz des damals herr- 
schenden Krieges fand er die Stadtmauern von Wachen 
entblösst! Doch ich verlasse diesen Gegenstand und 
erwähne nur noch eins: die Thore des Tempels waren 
sieben Ellen hoch, zwanzig Ellen breit, über und über 
mit Goldplatten bekleidet, ja so gut wie aus massivem 
Gold gefertigt; nicht weniger als zweihundert 2 Mann 
mussten bei ihrer Schliessung mitwirken, was täglich 
geschah, da es streng untersagt war, sie offen zu lassen 


1 Hier setzt der griechische Text wieder ein. 

2 Im „Jüd. Krieg“ (VI, 5, 3) heisst es: zwanzig. Wahrscheinlich 
sind hier alle Thore zusammen gemeint. 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


165 


— und doch hat jener Lampenträger sie mit Leichtig- 
keit geöffnet, weil er meinte, sie öffnen zu können, und 
noch dazu soll er das gethan haben, während er den 
Eselskopf trug! Hat er uns übrigens den Kopf zurück- 
gebracht, oder nahm Apion ihn und stellte ihn uns 
wieder zu, damit Antiochus ihn entdecken und dem 
Apion Stoff zu einer zweiten Fabelei geben könnte? 

10. Erlogen ist auch der Eid, den er uns andichtet, 
als ob wir bei Gott, d|m Schöpfer des Himmels, der 
Erde und des Meeres schwören müssten, keinem Fremden 
und besonders keinem Griechen wohlwollend zu begegnen. 
Wollte er einmal lügen, so hätte er uns schwören lassen 
sollen, dass wir gegen keinen Fremden, namentlich aber 
gegen keinen Aegyptier eine freundliche Gesinnung 
zu hegen gewillt seien. So nämlich würde die Lüge in- 
betreff des Eides wenigstens zu den früher von ihm auf- 
getischten Märchen gepasst haben, da es ja die Aegyptier 
waren, die unsere Väter, ihre Stammesgenossen, nicht 
etwa um ihrer Bosheit willen, sondern unter dem Druck 
von Schicksalsschlägen vertrieben. Von den Griechen 
aber sind wir mehr durch den Raum als durch unsere 
Bestrebungen geschieden und haben darum keinen Grund, 
sie zu hassen oder zu beneiden. Im Gegenteil, viele 
von ihnen haben sich für unsere Gesetze interessiert, 
und manche sind treue Anhänger derselben geworden, 
während andere, die keine Kraft zum Ausharren besassen, 
wieder abfielen. Übrigens hat noch niemand behauptet, es 
sei ihm etwas von einem derartigen jüdischen Eid zu 
Ohren gekommen; nur Apion, wie es scheint, hörte 
davon, denn er selbst hat ihn erfunden. 

11. Gewaltig erstaunen wird man auch ob der tiefen 
Weisheit Apions, die sich im folgenden kundgiebt. Ein 
Beweis dafür, sagt er, dass wir keine vernünftigen Ge- 
setze hätten und auch Gott die ihm gebührende Ver- 
ehrung nicht zollten, sei der Umstand, dass wir keine 
herrschende Stellung einnähmen, sondern bald von diesem, 
bald von jenem Volk unteijocht worden seien und be- 
sonders mit unserer Hauptstadt schon viel Unglück ge- 



166 


Des Flavius Joßcphus kleinere Schriften. 


habt hätten — als ob s i e (die Alexandriner) von jeher 
die Herren der weltbezwingenden Stadt (Rom) gewesen 
und nicht vielmehr umgekehrt an das römische Joch 
gewöhnt wären! Und doch dürfte, nicht mancher die 
gleiche Grossmut erfahren haben, wie sie von seiten der 
Römer. Es wird nun wohl niemand in der Welt umhin 
können zu sagen, dass alle vorstehenden Behauptungen 
Apions sich gerade so gut gegen ihn selbst kehren wie 
gegen uns. Denn nur wenigen Völkern war es ver- 
gönnt, längere Zeit die Oberherrschaft zu fuhren, und 
auch sie hat der Schicksalswechsel immer wieder den 
anderen unterthan gemacht; ja, die meisten Nationen 
haben sogar zu wiederholten Malen unter fremder Bot- 
mässigkeit gestanden. Die Aegyptier allein waren, an- 
geblich weil die Götter in ihr Land flohen und dadurch, 
dass , sie sich in Tiere verwandelten, gerettet würden , 1 
so ausnehmend bevorzugt, dass sie keinem asiatischen 
oder europäischen Herrscher jemals sich unterzuordnen 
brauchten — sie, denen bekanntlich nicht einmal von 
ihren einheimischen Tyrannen ein einziger Tag der Frei- 
heit gewährt wurde! Welche Behandlung sie von den 
Persern erfuhren, die ihnen nicht nur einmal, sondern 
öfters ihre Städte zerstörten, ihre Tempel verwüsteten, 
ihre vermeintlichen Götter schlachteten, will ich ihnen 
nicht zu ihrer Schande Vorhalten; denn es steht mir 
nicht an, die Oberflächlichkeit eines Apion nachzu- 
ahmen, der weder an das Unglück der Athener noch an 
das der Lakedaemonier denkt, von denen die letzteren 
allgemein als die tapfersten, die ersteren als die frömmsten 
Griechen bezeichnet werden. Auch will ich nicht davon 
reden, wie oft solche Könige, die wegen ihrer Frömmig- 
keit berühmt waren , z. B. Krösus, in ihrem Leben von 
widrigen Schicksalen heimgesucht wurden, nicht reden 
von der Einäscherung der Akropolis in Athen, des 
Tempels in Ephesos, des in Delphi, und von zahlreichen 
anderen Unglücksfallen, die noch niemand den davon 

1 S. Plutarch, Isis 72; Ovid, Metam.V, 34 f. 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


167 


Betroffenen, sondern den Urhebern vorgeworfen hat. Jetzt 
aber fand sich einer, der uns alle miteinander anklagt: 
Apion, dem das traurige Geschick seiner Landsleute in 
Aegypten aus dem Gedächtnis entschwunden ist, weil 
die sagenhaften Thaten des aegyptischen Königs Sesostris 
ihn geblendet haben. Wir dagegen wollen von unseren 
Königen David und Solomon, die doch auch viele Völker- 
schaften unteijochten , nichts erwähnen und sie mit 
Stillschweigen übergehen ; die eine allgemein bekannte 
Thatsache aber, von der Apion nichts weiss, sei hier 
hervorgehoben: während die Aegyptier zu den Persern 
und deren Nachfolgern in der Herrschaft über Asien, 
den Macedoniern, in einem geradezu sklavischen Ab- 
hängigkeitsverhältnis standen, waren wir fast hundert 
zwanzig Jahre lang 1 frei und geboten noch dazu über 
die umliegenden Staaten, bis auf Pompejus den Grossen. 
Und als die sämtlichen Fürsten des Erdkreises von den 
Römern gewaltsam unterjocht wurden, da blieben allein 
meine Landsleute wegen ihrer Treue deren Bundes- 
genossen und Freunde. 

12. „Aber wir haben keine grossen Männer aufzu- 
weisen, wie z. B. Erfinder von Künsten und ausgezeichnete 
Gelehrte/ 1 Dann zählt Apion den Sokrates, den Zeno, 
den Kleanthes und etliche andere Männer von Bedeu- 
tung auf jind setzt — das aller wunderlichste von dem, 
was er vorbringt — seinen höchsteigenen Namen hinzu, 
indem er Alexandria glücklich preist, dass es einen 
Bürger wie ihn besitze. Er hatte es allerdings nötig, sein 
eigener Lobredner zu werden. Denn bei allen anderen 
Leuten galt er für einen schlechten Marktschreier, für 
einen verdorbenen Menschen und Schriftsteller, weshalb 
man Alexandria mit Recht bedauern müsste, wenn es 
sich auf diesen Menschen etwas einbildete. Dass aber 
bei uns Männer gefunden werden, die so gut wie irgend 


1 Genau: 102 Jahre, nämlich von 165 v. Chr. (Befreiung Jeru- 
salems durch Judas Makkabaeus) bis 63 v. Chr. (Eroberung Jeru- 
salems durch Pompejus). 



168 


Des Flavins Josephus kleinere Schriften. 


einer des Lobes würdig sind, das wissen diejenigen sehr 
wohl, die sich mit der alten jüdischen Geschichte ver- 
vertraut gemacht haben. 

13. Was sonst noch in der Schmähschrift steht, würde 
vielleicht besser unerwidert bleiben, damit Apion so recht 
als sein eigener und der Aegyptier Ankläger dastehe. 
Er macht uns nämlich zum Vorwurf, dass wir Tiere 
opfern und kein Schweinefleisch essen ; auch spottet er 
über die Beschneidung. Nun findet sich aber der Brauch, 
die Haustiere zu schlachten, bei allen anderen Menschen, 
und Apion verrät sich, indem er die Opfer tadelt, nur 
als Aegyptier; wäre er ein Grieche oder Macedonier, so 
würde er es uns nicht übel nehmen. Die letzteren 
pflegen ja Gelübde zu thun , wonach sie den Göttern 
ganze Hekatomben opfern, und sie verwenden die Opfer- 
tiere zu Mahlzeiten, ohne dass deshalb, wie Apion be- 
fürchtet, der Welt das Nutzvieh ausgeht. Wenn dagegen 
alle es wie die Aegyptier machen wollten, so würde die 
Welt gar bald menschenleer und voll der wildesten 
Tiere werden, welche die Aegyptier in dem Wahn, dass 
sie Götter seien , sorgfältig aufziehen. Richtete man 
ferner die Frage an ihn, welche Leute unter den 
Aegyptiern er für die weisesten und frömmsten hielte, so 
würde er zweifellos die Priester als solche anerkennen. 
Denn ihnen sollen die Könige von jeher zwei Gebote 
gegeben haben: die Götter zu ehren und nach Weisheit 
zu streben. Gerade die Priester aber lassen sich alle 
beschneiden 1 und enthalten sich des Schweinefleisches. 
Gleichwohl bringt sonst kein Aegyptier in Gemeinschaft 
mit ihnen den Göttern blutige Opfer dar. Apion war 
also nicht recht bei Verstand, als er den Aegyptiern 
zulieb uns zu schmähen sich anschickte; er klagt ja in 
Wirklichkeit nur sie an, die nicht bloss den von ihm 
verlästerten Sitten anhangen, sondern auch, wie Herodot 

1 Josephus will nicht sagen, dass bei den Aegyptiern die Be- 
schneidung auf die Priester beschränkt war, sondern dass die Priester 
ausnahmslos sich ihr unterzogen. 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


169 


sagt, andere Völker die Beschneidung lehrten. 1 Deshalb 
halte ich es auch für wahrscheinlich, dass Apion eben 
wegen der Beschimpfung seiner heimatlichen Gesetze 
nach Gebühr bestraft worden ist. Denn er musste sich 
notgedrungen der Beschneidung unterziehen, weil an 
seinen ßchamteilen ein Geschwür sich bildete. Die Be- 
schneidung half ihm indes nichts, sondern er verfaulte 
bei lebendigem Leibe und starb unter fürchterlichen 
Qualen. Der Gutgesinnte soll ja die religiösen Satzungen 
seiner Heimat gewissenhaft halten, ohne die der anderen 
zu schmähen. Apion aber ist jenen untreu geworden 
und hat die unseren verlästert. So beschloss dieser 
Mann sein Leben, und damit sei auch meine Rede gegen 
ihn zu Ende. 

14. Weil nun aber auch Apollonios Molon und Lysi- 
machos und einige andere teils aus Unwissenheit, zumeist 
jedoch aus Böswilligkeit ebenso ungerechte wie unzu- 
treffende Urteile über unseren Gesetzgeber Moyses und 
unsere Gesetze gefallt haben, indem sie jenen verleum- 
derisch als Gaukler und Betrüger bezeichnen und von 
den Gesetzen behaupten, sie wiesen uns nicht zur Tugend, 
sondern zur Schlechtigkeit an, so will ich in aller Kürze 
auch noch über unsere Religionsverfassung im ganzen 
und über die Einzelheiten derselben, so gut ich kann, 
mich verbreiten. Es wird dann hoffentlich klar werden» 
dass unsere Gesetze zur Gottesfurcht, zur Pflege der ge- 
sellschaftlichen Beziehungen und zur Nächstenliebe im 
allgemeinen, sowie zur Gerechtigkeit, zur Ausdauer in 
Beschwerden und zur Todesverachtung die beste An- 
leitung geben. Nur bitte ich diejenigen, in deren Hände 
diese Schrift gelangt, sie ohne missgünstiges Vorurteil zu 
lesen. Denn es liegt nicht in meiner Absicht, eine 
Lobrede auf unser Volk zu schreiben, sondern ich halte 
hinsichtlich der vielen falschen Beschuldigungen, die man 
gegen uns erhebt, diejenige Rechtfertigung für die beste. 


1 Dagegen nimmt Zipser (a. a. O. S. 189 ff.) die Priorität der Be- 
schneidang für die Juden in Anspruch. 

Go gle 



170 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


welche auf die Gesetze Bezug nimmt, nach denen wir unser 
ganzes Leben einrichten — zumal da Apollonios seine 
Vorwürfe nicht wie Apion in gehöriger Ordnung, sondern 
vereinzelt und in seiner ganzen Schrift zerstreut gegen 
uns hat anrücken lassen. Bald verlästert er uns als 
gottlos und menschenfeindlich , bald wieder wirft er uns 
Feigheit vor; an anderen Stellen dagegen beschuldigt er 
uns der Tollkühnheit und des Fanatismus. Ferner sagt 
er, wir seien die ungebildetsten unter den Barbaren 1 
und hätten deshalb allein keinen Beitrag zu den für 
das Leben nützlichen Erfindungen geliefert Alle diese 
Beschuldigungen werden, denke ich, klar widerlegt sein, 
wenn es sich herausstellt, dass gerade das Gegenteil von 
dem, was er behauptet, uns durch die Gesetze vorge- 
schrieben und von uns aufs pünktlichste befolgt wird. 
Wenn ich hierbei genötigt sein sollte, zu erwähnen, 
dass es bei anderen Völkern entgegengesetzte Bräuche 
giebt, so fällt die Schuld davon Verdientermassen auf 
die, welche unsere Einrichtungen durch Vergleichung 
derselben mit fremden als schlechter hinzustellen suchen. 
Ihnen glaube ich auch zwei Ausflüchte abschneiden zu 
können, nämlich die, dass die Gesetze, von denen ich 
die hauptsächlichsten anführen werde, nicht wirklich die 
unsem seien, und die andere, dass wir unsere eigenen 
Gesetze nicht besonders treu beobachteten. 

15. Indem ich etwas weit aushole, möchte ich vorab 
darauf hinweisen, dass diejenigen, die zuerst das Ver- 
langen nach einem gesetzlich geordneten Gemeinschafts- 
leben hegten und demgemäss ein solches einfuhrten, 
selbstverständlich das Lob der Gesittung und edler 
Charaktereigenschaften vor denen, voraus haben, die 
gesetz- und ordnungslos dahinleben. Aus diesem Grunde 
sucht auch jede Gemeinschaft die bei ihr geltenden 
Gesetze möglichst weit ins Altertum hinaufzurücken, 
damit es nicht den Anschein gewinne, als habe sie 
fremde Einrichtungen nachgeahmt, sondern damit um- 

1 Barbar liiess bei den Qriechen jeder Ausländer. 



Gegen Apion, Zweites Bach. 


171 


gekehrt sie selbst als die Lehrerin gelte, die anderen 
das Leben auf gesetzlicher Grundlage beigebracht habe. 
Unter diesen Umständen ist der Vorzug eines Gesetz- 
gebers darin zu suchen, dass er das Beste herauszufinden 
versteht und seine Bestimmungen denen annehmbar macht, 
die sich danach richten sollen, der Vorzug der Menge 
aber darin, dass sie allen Beschlüssen treu bleibt und 
weder durch Glück noch durch Unglück sich verleiten 
lässt,, etwas daran zu ändern. Ich stelle nun die Be- 
hauptung auf, dass unser Gesetzgeber alle irgend sonst 
in der Geschichte erwähnten Gesetzgeber an hohem Alter 
übertrifft. Denn Lykurgos und Solon wie auch der 
Lokrer Zaleukos und alle anderen bei den Griechen in 
hoher Bewunderung stehenden Gesetzgeber sind, mit ihm 
verglichen, offenbar erst von gestern und vorgestern. 
War ja doch nicht einmal die Bezeichnung f vofiiog’ für 
t Gesetz * bei den Griechen von alters her bekannt, wie 
daraus hervorgeht, dass Homer in keinem seiner Ge- 
dichte das Wort gebraucht . 1 Zu seiner Zeit nämlich 
gab es nichts dergleichen, sondern nach unbestimmten 
Meinungen wurden die Massen gelenkt und durch die 
Befehle der Könige. Deshalb galt auch lange Zeit hin- 
durch nur ungeschriebenes Herkommen, das noch dazu 
in vielen Stücken je nach Umständen wieder geändert 
wurde. Unser Gesetzgeber dagegen, der älteste von allen 
— das gestehen ja selbst diejenigen zu, die sonst nichts 
gutes an uns lassen — , bewährte sich als der beste 
Führer nnd Ratgeber der Massen, schuf ihnen in seinem 
Gesetz eine für alle Verhältnisse passende Lebensordnung, 
bewog sie zu deren Annahme und wusste es durchzu- 
setzen, dass sie, mit den einzelnen Bestimmungen ver- 
traut, dieselben zugleich getreulich beobachteten. 

16. Betrachten wir einmal die erste seiner Gross- 
thaten. Als unsere Vorfahren beschlossen hatten, Aegypten 

1 Bei Börner lautet die Bezeichnung: bei Drakon und 

Solon: fi-eopot. Das Wort vo[aos kommt am frühesten bei Hesiod 
vor (op. 278. 890; vergl. Theog. 66. 417). 



172 Des Flavias Josepha« kleinere Schriften. 

zu verlassen und in ihr Stammland zurückzukehren, da 
stellte er sich an die Spitze der nach Hunderttausenden 
zählenden Menge und brachte sie aus vielen Drangsalen 
in Sicherheit ; denn sie mussten die wasserlose Sandwüste 
durchziehen, Feinde besiegen und ihre Weiber und Kinder 
samt der Beute mit dem Schwert in der Hand ver- 
teidigen. In allen diesen Gefahren bewies er sich als 
überaus trefflicher Feldherr, als einsichtsvoller Ratgeber 
und als der treueste Versorger des ganzen Volkes. Er 
brachte es zuwege, dass alle samt und sonders an ihm 
hingen, und obwohl sie jedem seiner Befehle gehorchten, 
zog er doch daraus keinerlei Vorteil für seine Person 
In einer Lage, wo die meisten Befehlshaber nach tyran- 
nischer Herrschaft streben und das Volk an ein durch 
und durch gesetzloses Leben gewöhnen, gerade da hielt 
er, der Inhaber der Gewalt, es im Gegenteil für seine 
Pflicht, fromm zu leben und den Massen nur Wohl- 
wollen zu erzeigen in der Hoffnung, auf diese Weise 
seine eigene Tugend am deutlichsten hervortreten lassen 
und denjenigen, die ihn zum Führer gewählt hatten, den 
sichersten Weg zur Rettung angeben zu können. Weil 
er nun wirklich diese schöne Absicht hegte und glänzende 
Thaten vollbrachte, glaubten wir mit gutem Grund, an 
ihm einen gottgesandten Führer und Ratgeber zu haben ; 
und nachdem er zuvor den eigenen festen Entschluss 
gefasst hatte, alle seine Handlungen und Gedanken 
nach dem Willen Gottes einzurichten , hielt er sich in 
erster Linie für verpflichtet, die gleiche Überzeugung auch 
den Massen beizubringen. Denn wer da glaubt, dass 
Gott auf sein Leben schaue, der ist keiner Sünde 
fähig. Ein solcher Mann eben war unser Gesetzgeber, 
kein Gaukler, auch kein Betrüger, wie die Lästerer ihn 
ungerechterweise nennen, sondern dem Minos vergleich- 
bar, dessen die Griechen sich rühmen, und den anderen 
Gesetzgebern nach ihm. Sie legten ja ihren Gesetzen 
göttlichen Ursprung bei, und Minos namentlich führte 
die seinen auf Apollo und dessen delphisches Orakel 
zurück, s^ei es dass sie selbst daran glaubten, sei es dass 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


173 


sie, indem sie dies Vorgaben, eher Glauben zu finden 
hofften. Wer aber seinen Gesetzen die höchste Vollendung 
gegeben, und wer in Bezug auf den Glauben an Gott 
das richtige getroffen hat, das kann nur durch eine Ver- 
gleichung des Inhalts der Gesetze selbst entschieden 
werden, auf den ich nun zu sprechen komme. Unendlich 
sind im einzelnen die Verschiedenheiten der Sitten und 
Gesetze im Menschengeschlecht : hier hat man die Regie- 
rung der Staaten Monarchen, dort wenigen mächtigen 
Familien, anderwärts dem Volke überlassen. Unser Ge- 
setzgeber hingegen hat auf keine solche Regierungsform 
Rücksicht genommen, sondern den Staat, wie man mit 
einem etwas erzwungenen Wort sagen könnte, zu einer 
Gottherrschaft 1 gemacht, indem er Gott die Herrschaft 
und Gewalt anheimgab und die grosse Masse bewog, auf 
ihn als den Urheber alles Guten, das die Menschen im 
staatlichen wie privaten Leben gemessen und das ihnen, 
wenn sie darum baten, selbst im Unglück zuteil wurde, 
hinzuschauen; denn seinem Wissen könne nichts ent- 
gehen, was sie tbäten oder was auch nur ein einzelner 
Mensch bei sich denke. Ihn selbst stellte er als un- 
geschaffen und in alle Ewigkeit unveränderlich dar; an 
Schönheit sei er erhaben über jede vergängliche Gestalt, 
und offenbar werde er uns durch das Wirken seiner 
Macht, wiewohl wir ihn seinem Wesen nach nicht zu 
erkennen vermöchten. Dass solche Gedanken über Gott 
die Weisesten bei den Griechen erst fassen lernten, nach- 
dem er den Anfang damit gemacht, will ich jetzt nicht 
weiter erörtern; dass es aber vortreffliche, dem Wesen 
und der Herrlichkeit Gottes angemessene Gedanken sind, 
davon legten sie lautes Zeugnis ab. Haben doch, wie 
bekannt, Pythagoras, Anaxagoras, Plato, nach ihnen die 
Philosophen der Stoa und beinahe alle anderen die 
gleichen Ansichten über die Natur Gottes gehabt. Aber 
während sie ihre Lehre einigen wenigen mitteilten und 


1 Joseph as war der erste, der das Wort Theokratie fllr die in 
der Thora begründete Verfassung des jüdischen Staates gebrauchte. 



174 


Des Flavins Josephus kleinere Schriften. 


den in vorgefassten Meinungen befangenen Volksmassen 
die Wahrheit nicht zu verkünden sich getrauten, hat 
unser Gesetzgeber, der freilich auch Thaten aufweisen 
konnte, die den Gesetzen entsprachen, nicht nur seinen 
Zeitgenossen jene Überzeugung beigebracht, sondern 
auch ihren sämtlichen Nachkommen bis ins fernste Ge- 
schlecht den unerschütterlichen Glauben an Gott ein- 
gepflanzt Dass übrigens seine Gesetzgebung sich in so 
hervorragender Weise von den anderen unterschied und 
zum Gemeingut wurde, erklärt sich daraus, dass er die 
Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil der Tugend 
machte, sondern die übrigen guten Eigenschaften wie 
Gerechtigkeit, Standhaftigkeit, Besonnenheit, vollkommene 
Eintracht der Bürger untereinander, als Äusserungen der 
Frömmigkeit erkannte und sie demgemäss erläuterte. Denn 
alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei 
uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott, weil Moyse* 
nichts davon ungeprüft und ungeregelt liess. Es giebt 
ferner bei jeder Art von Bildung und Erziehung zwei 
Wege, den der mündlichen Belehrung und den der An- 
gewöhnung durch Übung. Nun gingen die anderen Ge- 
setzgeber in ihren Ansichten auseinander, sodass die, 
welche sich vornehmlich für den einen Weg entschieden, 
von dem anderen nichts wissen wollten. Die Lakedae- 
monier und die Kreter z. B. pflegten durch Angewöhnung 
zu erziehen, nicht durch Belehrung, während die Athener 
und fast alle übrigen Griechen durch gesetzliche Vor- 
schriften befahlen, was man thun oder lassen solle, und 
dabei keinen Wert auf praktische Einübung legten. 

17. Unser Gesetzgeber dagegen hat diese beiden Er- 
ziehungsweisen aufs sorgfältigste miteinander verbunden. 
Denn einerseits war er darauf bedacht, dass der Sitten- 
übung die theoretische Anweisung nicht fehle, und ander- 
seits wollte er das in Worte gefasste Gesetz auch praktisch 
ausgeführt wissen, indem er, sowie die Erziehung und 
häusliche Lebensweise eines jeden begann, nichts, auch 
nicht das geringste der Wahl und Willkür derer über- 
liesB, für die seine Gesetze bestimmt waren. Ja, selbst 


Go gle 



Gegen Apion, Zweites Bach. 175 

bezüglich der Speisen , welche man essen dürfe und 
welche nicht, der Personen, die an dieser Lebensweise 
teilnehmen sollten, der Mühen, Anstrengungen in den 
einzelnen Gewerben, und wiederum bezüglich der Er- 
holung von den Mühen stellte er in seinem Gesetz eine 
Eegel und Richtschnur auf, damit wir unter ihm wie 
unter einem Vater und Gebieter leben und weder ab- 
sichtlich noch aus Unwissenheit sündigen möchten. Denn 
auch den Entschuldigungsgrund, dass man von den Vor- 
schriften keine Kenntnis habe, wollte er aus der Weit 
schaffen, indem er das Gesetz zugleich zum schönsten 
und notwendigsten Bildungsmittel machte und uns die 
Verpflichtung auferlegte , es nicht bloss einmal oder 
zweimal oder öfters zu hören, sondern auch an jedem 
siebenten Tage uns aller sonstigen Geschäfte zu ent- 
halten, zur Anhörung des Gesetzes zusammenzukommen 
und dasselbe gründlich zu erlernen 1 — eine Anordnung, 
die meines Wissens alle anderen Gesetzgeber ausser acht 
gelassen haben. 

18. Übrigens sind die meisten Menschen so weit ent- 
fernt, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, dass sie 
dieselben vielmehr kaum kennen und erst, wenn sie ge- 
sündigt haben, von anderen erfahren, sie hätten das 
Gesetz übertreten. Selbst die Inhaber der höchsten und 
wichtigsten Ämter bekennen ihre Unwissenheit in diesem 
Punkte, indem sie als Vorsteher der Verwaltung solche 
Männer neben sich thätig sein lassen, die ihrem Vor- 
geben gemäss mit den Gesetzen vertraut sind. Bei uns 
hingegen mag man den ersten besten über die Gesetze 
befragen, und er wird sämtliche Bestimmungen derselben 
leichter hersagen als seinen eigenen Namen. Weil wir 
nämlich gleich vom Erwachen des Bewusstseins an die 
Gesetze erlernen, sind sie in unsere Seelen sozusagen 


1 Nach 6. Mos. 31, 10 ff. sollte die Vorlesung der Thora nur alle 
sieben Jahre stattfinden. Erst seit Esra gab es Lebrvortrfige am 
Sabbat (Soferim X), die im Zeitalter des Josephus allgemein in den 
Synagogen üblich wurden. 



176 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


eingegraben. Übertretungen kommen infolgedessen selten 
vor; zugleich aber ist auch jede die Abwendung der 
Strafe bezweckende Ausrede unmöglich gemacht 

19. Dies vor allem hat die wunderbare Eintracht 
unter uns geschaffen. Denn eine und dieselbe Über- 
zeugung von Gott haben, im Leben und in den Sitten 
sich nicht voneinander unterscheiden — das bringt die 
schöhste sittliche Übereinstimmung unter den Menschen 
zustande. Wir sind die einzigen, bei denen man keine 
sich widersprechenden Ansichten von Gott hört, wie 
solches vielfach bei Rinderen Völkern der Fall ist, wo 
oft nicht nur der gemeine Mann seine unsinnigen Ein- 
fälle über die Gottheit verlauten lässt, sondern auch 
manche Philosophen das gleiche thun, indem die einen 
das Dasein Gottes überhaupt zu leugnen sich erkühnen, 1 
andere wenigstens seine Fürsorge für die Menschen in 
Abrede stellen. Auch in Bezug auf die Lebensweise 
sieht man bei uns keine Verschiedenheiten; vielmehr ist 
unser aller Thun ein gemeinsames, getragen, von dem 
einheitlichen, dem Gesetz entsprechenden Bekenntnis, 
dass Gottes Auge alles sieht. Übrigens kann man die 
Ansicht, dass Gottesfurcht das Ziel sei, auf welches alle 
übrigen Bestrebungen des Lebens hin arbeiten müssten, 
selbst aus dem Munde unserer Weiber und Sklaven ver- 
nehmen. 

20. Daraus erklärt es sich auch, wie uns von manchen 
der Vorwurf gemacht werden konnte, wir hätten weder 
auf dem praktischen noch auf dem theoretischen Gebiet 
erfinderische Köpfe aufzuweisen. Andere Völker sehen 
einen Vorzug darin, dass man nicht beim Althergebrachten 
stehen bleibt, und wer am eifrigsten weiterzukommen 
trachtet, dem spricht man einen besonders hohen Grad 
von Weisheit zu; wir dagegen halten nur den für klug 
und tugendhaft, der in seinem Thun und Denken mit 
den ursprünglichen gesetzlichen Vorschriften überhaupt 
nicht in Widerspruch gerät. Das ist doch sicher ein 

1 Hier hat Josephus wohl die Skeptiker im Sinne. 


Go gle 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


177 


Beweis für die Vortrefflichkeit der Bestimmungen unseres 
Gesetzes, wie umgekehrt die häufigen Änderungen anderer 
Gesetzgebungen deren Verbesserungsbedürftigkeit klar zu« 
tage treten lassen. 

21. Weil wir nun überzeugt sind, dass das Gesetz gleich 
von Anfang an den Willen Gottes zum Ausdruck bringen 
sollte, würde es eine Gottlosigkeit sein, wenn wir in irgend 
einer Beziehung von ihm ab wichen. Was möchte denn 
auch jemand daran ändern? Und was könnte er schöneres 
selbst erfinden oder besseres von anderen entlehnen? 
Etwa die Einrichtung des Gemeinwesens überhaupt? 
Wo aber fände sich eine vortrefflichere und vernünf- 
tigere Verfassung als die, welche Gott, den Lenker des 
Weltalls, an die Spitze stellt, den Priestern die gesamte 
Verwaltung des Staates überträgt und dem Hohepriester 
die ausschliessliche Beaufsichtigung der übrigen Priester 
anvertraut Die letzteren hat übrigens der Gesetzgeber 
gleich anfangs nicht mit Rücksicht auf ihren Reichtum 
oder andere zufällige Vorzüge in ihr Ehrenamt ein- 
gesetzt, sondern er hat hauptsächlich denjenigen seiner 
Genossen, die sich durch Gehorsam und sittliche Kraft 
vor den anderen auszeichneten, den Gottesdienst zuge- 
wiesen. Sie wachten denn .'auch getreulich über dem 
Gesetz und den anderen Einrichtungen ; denn die Priester 
führten ihrem Amt gemäss die Aufsicht über alle, richteten 
bei vorkommenden Streitigkeiten 1 und bestraften die 
Verurteilten. 2 

22. Wo wäre demnach eine gleich ehrwürdige Staats- 
verwaltung zu finden? Wo eine, die mit der Ehrfurcht 
gegen Gott in schönerem Einklang stände? Wenn alle 
Schichten des Volkes zur Frömmigkeit erzogen werden, 
wenn die Pflege der letzteren vornehmlich den Priestern 
an vertraut ist — sieht das nicht aus, als ob das 


1 Im Laufe der Entwicklung wurde jedoch das Richteramt den 
Priestern ganz entzogen und eigens von der Gemeinde erwählten 
Richtern übertragen. 

a Nach 5. Mos. 25, 2f. hatten die Priester die Vollziehung der 
Strafe nur zu beaufsichtigen, nicht selbst zu besorgen. 

Joaephus, Kleinere Schriften. 1 ^ 12 



178 


Des Flavius Joseph ns kleinere Schriften. 


gesamte öffentliche Leben eine einzige heilige Festfeier 
wäre? Was Fremde unter dem Namen Mysterien und 
Weihen in wenigen Tagen begehen, ohne es jedoch dauernd 
in ihrem Herzen bewahren zu können, daran halten wir 
mit jubelnder Freude und unverrückten Sinnes allzeit 
fest. — Welcher Art sind nun die Gebote und Verbote 
im einzelnen? Vor allem sind sie einfach und fasslich. 
Das erste lehrt von Gott und zwar folgendermassen : 
Gott ist alles; er ist vollkommen und selig, sich selbst 
und allen genügend ; Anfang, Mitte und Ende von allem. 1 
Offenbar durch seine Werke und Gnaden, erkennbar wie 
alles andere, ist er doch nach Gestalt und Grösse uns 
völlig unbekannt; denn kein Stoff, und wäre es der 
kostbarste, ist wert, dass sein Bild daraus Verfertigt 
werde, keine Kunst vermag etwas zu ersinnen, das ihm 
gliche; etwas ihm ähnliches auch nur zu erdenken oder 
zu vermuten, ist bei uns schon sündhaft. Seine Werke 
schauen wir: Licht, Himmel, Erde, Sonne und Mond, 
die Gewässer, die stets sich erneuernden Tiergeschlechter, 
und die fruchttragenden Gewächse. Dies hat Gott ge- 
macht , nicht mit Händen, nicht durch Arbeit, noch 
bedurfte er dazu einer fremden Beihilfe — sondern er 
wollte Gutes, und gut war es alsbald geschaffen. Diesem 
Gott müssen alle gehorchen, und in Tugendübung sollen 
sie ihn ehren; denn das ist der würdigste Gottesdienst. 

28. Weil immer gleiches zu gleichem passt, 2 soll der 
eine Gott auch nur einen Tempel haben, der das ge- 
meinsame Eigentum aller ist, wie sie alle denselben Gott 
verehren. 8 Der Gottesdienst wird, ohne Unterlass von 


1 Vergl. Jeremias 41, 4; 44, 6; Offenb. Joh. 1, 8 ; 21, 6; 22, IS. 

2 Ein oft citiertes griechisches Sprichwort (z. B. Odyssee, XVII. Ge- 
sang, Vers 218 ; Aristot. Ethik. IX, S, 3). 

9 Man beachte, wie Josephus hier den Oniastempel in Aegypten 
völlig ignoriert. Er hat also gleich seinen Glaubensgenossen in 
Palaestina und Alexandria diesen Tempol für ungesetzlich gehalten, 
obwohl er mehr als irgend ein anderer von ihm berichtet (J. A. XII, 
9, 7 ; XIII , 3, 1 ; 10, 4 ; XX , 10 ; Jüd. Krieg VII, 10, 3 f.). Des- 
gleichen berücksichtigt er ibn nicht J. A. IV, 8, 5. 

Go gle 



Gegen Apion, Zweites Bach. 


179 


den Priestern besorgt, an deren Spitze jeweilig der erste 
seiner Klasse steht Er soll mit seinen Amtsgenossen 
Gott dem Herrn opfern, über dem Gesetz wachen, Zwistig- 
keiten beilegen und die einer rechtswidrigen Handlung 
Überfuhrten bestrafen. Wer ihm nicht gehorcht, soll 
genau so büssen, als hätte er sich gegen Gott selbst ver- 
gangen. Die Opfer bringen wir übrigens nicht unter Frass 
und Völlerei dar — was Gott missfällig und nur ein Anlass 
zur Zügellosigkeit und Verschwendung wäre — , sondern 
wir bleiben dabei vernünftig, anständig und nüchtern, 
damit die heilige Handlung durchaus würdevoll verlaufe. 
Während der Darbringung des Opfers beten wir vor- 
schriftsmässig zunächst für das Wohl des Gemeinwesens 
und dann erst für unser eigenes ; denn wer jenes höher 
achtet als sein persönliches Interesse, an dem hat Gott 
sicherlich das grösste Wohlgefallen. Bei der Anrufung 
Gottes im Gebet aber soll man nicht flehen, dass er uns 
das Gute beschere — denn aus eigenem Antrieb hat er 
es allen gegeben und angeboten — , sondern dass wir 
imstande seien, es aufzunehmen und bei uns zu bewahren. 
Ausser der Darbringung von Opfern hat das Gesetz 
noch besondere Reinigungen vorgeschrieben nach einer 
Leichen bestattung, nach dem ausserehelichen oder ehe- 
lichen Beischlaf und bei vielen anderen Anlässen, deren 
Aufzählung hier zu weit fuhren würde. Das also ist 
unsere Lehre von Gott und seinem Dienst, welche zu- 
gleich die Bedeutung eines Gesetzes hat. 

24. Wie lauten die Bestimmungen über die Ehe? 
Das Gesetz erkennt nur den naturgemässen Verkehr 
mit dem Weibe an, und zwar zum Zweck der Kinder- 
erzeugung; den Beischlaf unter Männern verdammt es, 
und wer dieses Laster begeht, hat den Tod verwirkt. 
Heiraten darf man nicht um der Mitgift willen, auch 
keine gewaltsame Entführung oder listige Überredung 
dabei anwenden, sondern man soll um das Weib bei 
dem, der sie zu vergeben hat, anhalten, wofern die Ver- 
wandtschaft mit ihr dies gestattet. Das Weib, heisst es 
weiter, steht in jeder Beziehung unter dem Manne. Sie 



180 


De3 Flavius Josephus kleinere Schriften. 


soll ihm daher unterthan sein, nicht um von ihm Miss- 
handlungen erfahren zu müssen, sondern damit sie von 
ihm geleitet werde ; denn Gott hat dem Manne die Herr- 
schaft gegeben. Nur mit ihr darf er vertrauten Umgang 
pflegen ; eines anderen Gattin begehren, ist Sünde. Wer 
dies thut, ferner wer eine Jungfrau, die einem anderen 
verlobt ist, notzüchtigt oder eine Ehefrau verfuhrt, der 
verfällt unbedingt der Todesstrafe. Die Kinder müssen, 
so will es das Gesetz, alle grossgezogen werden. 1 Den 
Weibern ist es verboten, die Leibesfrucht abzutreiben 
oder sonst zu vernichten; wird eine dabei ertappt, so 
soll sie als Kindsmörderin angesehen werden, weil sie 
ein Leben im Keime erstickt und die Nachkommenschaft 
verringert hat. Wenn jemand einen ausserehelichen 
Beischlaf vollzogen oder eine Schändung begangen hat, 
kann er nicht für rein gelten ; aber auch nach der recht- 
mässigen Begattung zwischen Mann und Frau gebietet 
das Gesetz eine Waschung. Denn in der Seele wie im 
Leibe entsteht dadurch eine Befleckung , als wenn die 
Seele in eine niedrigere Sphäre versenkt würde. Über- 
haupt leidet die Seele durch ihre enge Verbindung mit 
dem Körper, weshalb sie sich. auch wieder von ihm löst, 
nämlich im Tode. Aus diesem Grunde hat das Gesetz 
in allen derartigen Fällen Reinigungen angeordnet. 

25. Zur Feier der Geburt von Kindern Schmausereien 
zu veranstalten und dadurch Anlass zur Völlerei zu 
geben, ist untersagt; vielmehr soll die Erziehung schon 
gleich im Anfang Mässigung predigen. Ferner besteht 
die Vorschrift, die Kinder lesen zu lehren, ihnen die 
Kenntnis der Gesetze beizubringen und sie über die 
Thaten der Vorfahren zu unterrichten, damit sie diese 
nachahmen und mit den Gesetzen von Jugend auf so 
vertraut werden, dass sie vor Übertretungen bewahrt 
bleiben und auch keine Unkenntnis vorschützen können. 

26. Die den Verstorbenen zu erweisenden letzten 


1 D. h. die Eltern können nickt über das Leben ihrer Kinder 
verfügen und dürfen namentlich keine Neugeborenen aussetzen. 



Gegen Apion, Zweites Bach. 


181 


Ehren erblickt das Gesetz weder in prunkvoller Be- 
stattung noch darin, dass man ihnen glänzende Denk- 
male setzt, sondern es sollen nur die nächsten Ange- 
hörigen ein einfaches Leichenbegängnis halten. 1 Eine 
weitere gesetzliche Bestimmung lautet dahin, dass alle, 
die einem Leichenzug begegnen , ihn begleiten und an 
der Trauer teilnehmen müssen; das Haus aber, in dem 
die Leiche gelegen hat, soll mitsamt seinen Bewohnern 
gereinigt werden, damit es einem etwaigen Mörder recht 
zum Bewusstsein komme, wie sehr er sich verunreinigt 
habe. 2 

27. Die Verpflichtung, den Eltern mit Ehrfurcht zu 
begegnen, stellt das Gesetz unmittelbar hinter die Pflichten 
gegen Gott. Wer die Liebe, die er von ihnen empflng, 
nicht erwidert und irgend eine Ausschreitung gegen sie 
begeht, der soll gesteinigt werden. Auch sollen über- 
haupt die älteren Leute von den jüngeren geehrt werden, 
weil Gott das älteste Wesen ist. 3 — Vor Freunden darf 
man nichts geheim halten ; denn wo kein vollkommenes 
Vertrauen bestehe, sei von echter Freundschaft nicht die 
Kede. Wenn einmal zwischen Freunden eine Zwistigkeit 


1 Vergl. jedoch Jüd. Krieg II, 1, 1. Zur Erklärung dieses schein- 

baren Widerspruches s. Zipser, 8. 170f. 

3 Dass diese Erklärung nicht die richtige sein kann, liegt auf 
der Hand. Eine viel zutreffendere und schönere Deutung giebt 

R. Aaron ha-Levi, indem er (Sepher ha-Chinnuch No. 263) zum 
Verbot Levit. 21, 1 sich also äussert: „Weil die Priester zum Dienste 
Gottes ausersehen sind, müssen sie sich besonders vor jeder Ver- 
unreinigung durch einen Leichnam hüten. Ich habe bereits oben 
auseinandergesetzt, dass alles Hässliche und Ekelhafte Verunreinigung 
hervorruft. Den menschlichen Leichnam aber haben die Weisen 
den Erzvater aller Unreinheit genannt. Das kommt daher, dass, 
wenn die Seele, welche Leben und Sittlichkeit spendet, sich vom 
Körper getrennt hat, deijenige Teil des Menschen allein zurückbleibt, 
der seines rein irdischen Ursprungs wegen minderwertig ist und 
gewiss die dem Menschen von Gott eingehauchte Seele zur Sünde 
und Unsittlichkeit verleitete. Darum ist es nicht mehr als billig, 
dass, sobald alle Hoheit und Würde ihn verlassen hat, der Körper, 
der die blosse Materie ist, seine ganze Umgebung verunreinigt.“ 

S. auch Zipser, a. a. O. S. 1 7 1 f. 

3 Vergl. Daniel, Kap. 7, V. 9, 13, 22: Der Uralte der Tage. 



182 


Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften. 


ausbricht, soll man doch die Geheimnisse nicht verraten. 
— Ein Richter, der Geschenke annimmt, ist des Todes 
schuldig. — Wer einen um Hilfe Flehenden unerhört 
lässt, obwohl er ihm beizustehen vermag, begeht ein 
Verbrechen. — Was einer dem anderen nicht in Ver- 
wahr gegeben hat, darf er ihm auch nicht nehmen ; über- 
haupt soll niemand fremdes Eigentum anrühren, und 
niemand für Darlehen einen Zins fordern. Diese und 
noch viele derartige Bestimmungen halten das auf gegen- 
seitigen Verpflichtungen beruhende Gesellschaftsleben bei 
uns aufrecht. 

28. Bemerkenswert ist aber auch die Art, wie der 
Gesetzgeber über das pflichtgemässe Verhalten gegen 
Fremde gedacht hat. Es wird sich nämlich zeigen, wie 
er aufs allerbeste dafür sorgte, dass einerseits unser 
heimisches Leben nicht verdorben würde und anderseits 
diejenigen, die sich daran anzuschliessen wünschten, keine 
abstossende Behandlung erführen. Denn alle, die zu 
uns kommen und nach unseren Gesetzen leben wollen, 
müssen wir freundlich aufnehmen, weil nicht bloss die 
Zugehörigkeit zum selben Stamme, sondern auch gemein- 
same Lebensgrundsätze eine Verwandtschaft bedingen 
.können. Zij denen aber, die nur zufällig und vorüber- 
gehend mit uns in Verkehr treten, dürfen wir keine 
vertrauten Beziehungen unterhalten. 

29. Im übrigen ist es uns zur strengen Pflicht ge- 
macht, stets hilfreiche Hand zu leisten. So müssen wir 
jedem, der dessen bedarf, Wasser, Feuer, Nahrung ver- 
abfolgen, ihm den Weg zeigen, ihn nicht unbeerdigt 
liegen lassen. Mild soll auch das Verfahren gegen die 
Feinde im Kriege sein. Der Gesetzgeber verbietet näm- 
lich, ihr Land mit Feuer zu verwüsten, und gestattet 
auch das Fällen der Obstbäume nicht; ja, selbst die 
Plünderung der in der Schlacht Gefallenen ist untersagt 
Kriegsgefangene, zumal solche weiblichen Geschlechtes, 
will er vor Misshandlung geschützt wissen. Überhaupt 
hat er uns Sanftmut und Nächstenliebe so sehr zur 
Pflicht gemacht, dass er sogar der unvernünftigen Tiere 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


183 


nicht vergase. Denn er gestattet nur den rechtmässigen 
Gebrauch derselben und hat jieden anderen untersagt. 
Tiere, die wie schutzflehend in Häuser sich flüchten, ver- 
bot er umzubringen; mit jungen Vögeln auch die alten 
aus dem Nest zu nehmen, erlaubt er nicht; arbeitende 
Tiere sollen auch in Feindesland geschont und nicht 
geschlachtet werden. So hat er in jeder Beziehung sein 
Augenmerk auf Milde gerichtet, indem er die genannten 
Gesetze im Tone freundlicher Belehrung gab. Ander- 
seits aber setzte er auch schwere Strafen fest, die an den 
Übertretern unnachsichtlich zu vollstrecken seien. 

30. Für die meisten Vergehen nämlich bestimmte 
er die Todesstrafe, z. B. für Ehebruch, Mädchenschändung* 
den Versuch, mit Männern widernatürliche Unzucht zu 
treiben, und für das Eingehen auf einen solchen Ver- 
such. Auch die Knechte stehen unter demselben uner- 
bittlichen Gesetz. Ferner wird bestraft — und zwar 
nicht so mild wie bei anderen , sondern weit strenger — , 
wer falsches Mass und Gewicht verwendet, wer im 
Handel übervorteilt und sich hinterlistiger Kniffe be- 
dient, wer fremdes Eigentum wegnimmt und anvertrautes 
Gut nicht herausgiebt. Misshandelt jemand seine Eltern 
oder begeht er einen Frevel gegen Gott, so wird er, auch 
wenn die That nicht völlig zur Ausführung gekommen 
ist, augenblicklich hingerichtet. Diejenigen hingegen, 
welche das Gesetz in allen Punkten befolgen, erhalten 
zur Belohnung nicht Silber und Gold, auch keinen Kranz 
aus öl- oder Eppichzweigen 1 oder eine andere Auszeich- 
nung dieser Art, sondern ein jeder von ihnen begnügt 
sich mit dem Zeugnis, das sein eigenes Gewissen ihm 
ausstellt, und glaubt auf die durch Gott als wahr be- 
kräftigten Verheissungen des Gesetzgebers hin, dass 
denen, die das Gesetz treu beobachten und, wenn es 
sein muss, mit Freuden für dasselbe in den Tod gehen, 


1 Don olympischen Siegern ward ein Kranz aus Oelzweigen, den 
nemeischen und isthmischen ein solcher aus Eppichzweigen als 
Preis zuteil. 



184 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


von Gott immer wieder ein neues Dasein und ein besseres 
Leben beschert wird. Ich würde es nicht über mich 
gewinnen, diese Dinge hier zu erwähnen, wenn es nicht 
allbekannte Thatsache wäre, dass schon zu wiederholten 
Malen viele der Unseren mit Starkmut das äusserste er- 
duldeten, um nur ja kein Wort gegen das Gesetz aus- 
sprechen zu müssen. 

31. Nehmen wir nun an, unser Volk wäre nicht so 
allgemein bekannt, wie es jetzt ist, und man wüsste 
nichts von unserm Gehorsam gegen die Gesetze, sondern 
es würde jemand diese Gesetze unter dem Vorgeben, er 
habe sie verfasst, den Griechen vorlesen oder sagen, 
jenseits der bekannten Erde habe er Menschen getroffen, 
die eben diese erhabene Ansicht von Gott hegten und 
eben solche Gesetze seit Jahrhunderten treu beobachteten : 
würden da nicht alle im Hinblick auf die bei ihnen 
selbst so häufigen Veränderungen in Erstaunen geraten? 
Denjenigen ihrer Landsleute nämlich, welche ähnliche 
Gedanken über Staatsverfassung und Gesetzgebung in 
ihren Schriften zum Ausdruck gebracht haben, wird der 
Vorwurf gemacht, sie seien Phantasten, die sich auf un- 
mögliche Voraussetzungen stützten. Von anderen Philo- 
sophen, die derartige Versuche unternahmen, will ich 
schweigen und nur auf Plato hinweisen, der bei den 
Griechen wegen seiner hohen Sittenreinheit und der über- 
zeugenden Kraft seiner Darstellung, durch die er alle 
anderen Jünger der Philosophie weit überragt, nur mit 
Bewunderung genannt wird. Auch er wird ja von denen, 
die sich für Meister in der Politik ausgeben, bis auf den 
heutigen Tag fast nur verspottet und lächerlich gemacht. 
Übrigens wird man bei genauem Zusehen finden, dass 
er sich nicht immer mit schwerverständlichen Problemen 
befasst, sondern häufig den Gewohnheiten der Menge 
nahekommt. Freilich gesteht er offen ein, es sei nicht 
ratsam, die richtigen Vorstellnngen von Gott unter den 
unwissenden Haufen zu bringen. 1 Gleichwohl erklärt 

1 Timaios § 9 (Bekker’sclie Textausgabe, Band VII, S. 255, Zeile lf.). 



Gegen Apion, Zweite« Buch. 


185 


man die Lehren Platos für gehaltloses Zeug und schwül- 
stige Stilübungen. Die meiste Bewunderung als Gesetz- 
geber geniesst Lykurgos, und überall verkündet man 
das Lob Spartas, weil es den Gesetzen dieses Mannes 
so ausnehmend treu geblieben sei. Wir wollen zugeben, 
dass der Eifer, mit dem die Gesetze befolgt werden, ein 
Beweis für ihre Vortrefflichkeit ist Nun aber mögen 
die Verehrer der Lakedaemonier die Zeit, während welcher 
es eine spartanische Verfassung gab, mit dem mehr als 
zweitausendjährigen Bestehen der unserigen vergleichen 
und dann auch noch bedenken, dass die Lakedaemonier 
nur so lange im Rufe treuer Gesetzeserfüllung standen, 
als sie von niemand abhängig waren, dagegen fast alle 
ihre Gesetze in Vergessenheit geraten Hessen, sowie ihr 
Glück sich wandte. Wir aber, die wir durch den Wechsel 
der Herrschaft über Asien von tausendfachem Unglück 
heiragesucht wurden, gaben selbst in der äussersten Be- 
drängnis unsere Gesetze niemals preis. Auch blieben 
wir ihnen nicht etwa aus Bequemlichkeit und Hang zum 
Wohlleben treu, sondern sie legten uns, recht betrachtet, 
weit grössere Mühen und Arbeiten auf, als die Lake- 
daemonier ihrem, wie bekannt, mit grosser Zähigkeit 
festgehaltenen Gesetze zulieb je ertrugen. Denn ohne 
den Ackerbau zu betreiben oder sich mit Künsten ab- 
zumühen, lebten sie in ihrer Stadt frei von aller An- 
strengung, behaglich und durch körperliche Übungen 
ihre Schönheit pflegend ; andere mussten ihre Diener 
sein, die ihnen alle Lebensbedürfnisse herbeischafften 
und auftischten, ohne dass sie selbst eine Hand zu rühren 
brauchten. Ausser Essen und Trinken kannten sie als 
ziemlich und nutzbringend nur die eine Aufgabe, jede 
Anstrengung und jedes Ungemach zu ertragen, damit sie 
alle, gegen die sie zu Felde ziehen würden, niederwerfen 
könnten. Dass sie aber diesen Zweck nicht erreichten, 
brauche ich nicht besonders zu erwähnen; denn nicht 
nur einzelne von ihnen, sondern auch ganze Massen 
haben sich gar oft den gesetzlichen Bestimmungen zu- 
wider in Wehr und Waffen den Feinden ergeben. 



186 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


32. Weiss nun jemand bei uns, ich will nicht sagen 
ebenso viele, nein, nur zwei oder drei anzugeben, die 
an unseren Gesetzen aus Furcht vor dem Tode Verrat 
begangen hätten, und zwar nicht vor dem so überaus 
leichten Tode in der Schlacht, sondern dem Tode auf 
der Folterbank, der für den allerschwersten gilt? Wahr- 
lich, manche von denen, die uns besiegt haben, verfuhren, 
wie ich glaube, nicht aus Hass mit aller Strenge gegen 
uns, sondern nur um mit eigenen Augen das Wunder 
zu schauen, dass es Menschen giebt, die ein Unglück 
für ihre Person lediglich dann vorhanden glauben, wenn 
sie zu einer That oder Äusserung gegen ihre Gesetze 
gezwungen werden. Es darf übrigens nicht befremden, 
dass wir dem Tode mit einem bei allen anderen Völ- 
kern unbekannten Mannesmut entgegengehen. Denn die 
Pflichten, welche uns gar nicht schwer Vorkommen, werden 
anderen keineswegs leicht, wie z. B. die Befolgung der 
Vorschrift, mit eigenen Händen 1 zu arbeiten, Einfach- 
heit in der Nahrung zu beobachten, beim Essen und 
Trinken, beim Beischlaf, bei besonderen Aufwendungen 
nicht nach zufälligem Belieben oder nach blossen Ge- 
lüsten zu verfahren, und auch hinsichtlich der Ruhe die 
eiumal feststehende Ordnung einzuhalten. Wir dagegen 
haben uns über die Verordnungen in betreff der Lebens- 
weise selbst dann nicht hinweggesetzt, Wenn wir mit dem 
Schwert in der Hand uns auf den Feind warfen und 
ihn frischweg in die Flucht schlugen. Indem wir so dem 
Gesetz freudigen Gehorsam erzeigen, wird es uns leicht 
möglich, auf dem Schlachtfeld reichliohe Beweise von 
Tapferkeit zu geben. 

33. Und doch verlästern uns Menschen wie Lysi- 
machos, Molon und andere Federfuchser dieser Art, 
nichtsnutzige Sophisten und Jugendverführer, als wären 
.wir die schlechtesten aller Erden bewohner. Es ist nun 
eigentlich nicht meine Absicht, die Einrichtungen anderer 
Völker einer Prüfung zu unterziehen; denn wir pflegen 

1 D. h. ohne ausschliessliche Verwendung von Sklaven. 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


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wohl das Eigene treu zu bewahren, nicht aber gegen 
Fremdes anzugehen. Hat doch der Gesetzgeber schon 
mit Rücksicht auf den Namen „Gott“ uns streng unter- 
sagt, die Götter, an welche andere Nationen glauben, zu 
verspotten oder zu lästern. 1 Weil aber unsere An- 
kläger meinen, uns dadurch schlagen zu können, dass 
sie ihr eigenes Volk herausstreichen, darf ich nicht 
ganz schweigen, zumal die folgenden Bemerkungen nicht 
erst von mir, der ich sie jetzt niederschreibe, ins Treffen 
geführt, sondern schon von vielen hochangesehenen Ge- 
lehrten 2 ausgesprochen worden sind. Denn wo finden 
wir unter den Griechen einen ob seiner Weisheit be- 
wunderten Mann, der nicht den namhaftesten Dichtem 
und den angesehensten Gesetzgebern Vorwürfe darüber 
gemacht hätte, dass sie von jeher so niedrige Ansichten 
über die Götter im Volke verbreiteten? Sie gaben näm- 
lich die Zahl derselben ganz nach Belieben an, Hessen 
sie bald auf diese, bald auf jene Art voneinander ab- 
stammen und unterschieden sie wie Tiergeschlechter nach 
Wohnplätzen und Lebensweise, indem sie den einen 
die Erde, anderen das Meer, wieder anderen, und zwar 
den ältesten, den Tartaros an wiesen, wo sie gefesselt 
seien; über die, welchen sie den Himmel zuteilten, setzten 
sie als Herrn einen bestimmten Gott, der zwar Vater 
heisst, sich aber wie ein Tyrann und Despot benimmt; 
deshalb müssen auch seine Gattin, sein Bruder und die 
aus seinem eigenen Haupt geborene Tochter sich wider 
ihn verschwören, um ihn zu fangen und in Gewahr- 
sam zu bringen, wie er selbst seinem Vater gethan 
hatte. 

34. Mit Recht halten die verständigeren Menschen 
derartige Ansichten für sehr tadelnswert und spotten 
auch darüber, dass man sich die Götter teils ohne Bart 


1 Jüd. Altert. III, 7,7; IV, 8, 1 0. Ob auch die Stelle 2. Mos. 22, 28 
hierher zu rechnen sei, ist fraglich. 

• So von Heraklit, Xenophanes, Demokrit, Plato, den Pythagoräern, 
den Stoikern u. a. 



188 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


und jugendlich, teils älter und bärtig denken soll, ferner 
darüber, dass der eine Gott diese, der andere jene Kunst 
versteht, weshalb man unter ihnen hier einen Erzschmied, 
dort eine Weberin, dann wieder einen Krieger findet, 
der sich sogar mit Menschen schlägt, oder Zitherspieler 
und solche, deren Liebhaberei das Bogenschiessen ist; 
weiterhin machen sie sich über die vielen Streitigkeiten 
unter den Göttern und ihre Zänkereien wegen der 
Menschen lustig, wobei es nicht nur zum Handgemenge, 
sondern selbst dahin kommt, dass sie, von Menschenhand 
verwundet, wehklagen und sich krank fühlen. Die grösste 
Schamlosigkeit aber liegt darin, dass — unsinnig genug 
— fast allen Göttern, männlichen sowohl als weiblichen, 
geschlechtliche Unmässigkeit und Liebesabenteuer nach- 
gesagt werden. Der edelste und erste unter ihnen, der 
Göttervater selbst, lässt es zu, dass die von ihm ver- 
führten und geschwängerten Weiber eingekerkert oder 
im Meer ertränkt werden, und die von ihm erzeugten 
Kinder kann er, wenn das Geschick sie ereilt, weder 
retten noch auch ihren Tod ohne Thränen ertragen. 
Fürwahr, recht nett ist dies und noch anderes, was damit 
in Zusammenhang steht! Schauen doch die Götter im 
Himmel dem Ehebruch so ohne alle Scham zu, dass 
manche ihren Neid gegen die darein Verwickelten offen 
gestehen. Was kann man aber auch von ihnen anderes 
erwarten, wenn sogar der älteste, ihr König, das Ver- 
langen, seiner Gattin beizuwohnen, nicht einmal so lange 
bezähmen konnte, bis er mit ihr ins Schlafgemach ge- 
kommen war? Und wenn es von anderen Göttern heisst, 
sie hätten bei den Menschen als Knechte gedient, ihnen 
bald Häuser gebaut, bald die Herden gehütet, oder sie 
seien wie Missethäter in ein ehernes Gefängnis ein- 
gesperrt worden — muss da nicht jeder rechtlich Den- 
kende sich ereifern, die Erfinder solcher Märchen schelten 
und die grosse Dummheit derer, die sie gläubig weiter 
erzählen, verdammen? Auch Furcht sogar und Schreck, 
Tollwut und Betrug, ja die allerschlimmsten Leiden- 
schaften haben jene Leute dem Wesen und der Person 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


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von Göttern angedichtet Alsdann beredeten sie die 
Staaten, den gutartigeren unter ihnen Opfer darzubringen. 
Daraus aber erwuchs den Burgern die arge Verlegen- 
heit, dass sie nur einen Teil der Götter für Spender des 
Guten halten konnten, während sie die anderen als Un- 
heilbringer bezeichnen mussten. Die letzteren suchen sie 
sich deshalb wie die schlimmsten Menschen durch Gaben 
und Geschenke vom Halse zu halten, indem sie sich 
grossen Unheils von ihnen versehen, wenn sie ihnen den 
schuldigen Tribut nicht entrichten. 

35. Was ist nun die Ursache dieser Verkehrtheit und 
des fehlerhaften Verhaltens gegen die Gottheit? Meines 
Erachtens der Umstand, dass die Gesetzgeber weder den 
richtigen Begriff vom Wesen Gottes hatten noch auch 
die Gotteserkenntnis, soweit sie ihnen erreichbar war, 
als Ausgangspunkt benutzten, von welchem aus sie dem 
Gemeinwesen seine sonstige Ordnung hätten geben können, 
dass sie vielmehr die ganze Angelegenheit, als wäre sie 
höchst unwichtig, den Dichtern und Rednern überliessen. 
Die ersteren führten dann Götter ein, welche sie wollten, 
selbst solche, die allen möglichen Leiden unterworfen 
waren, während die Redner das Volk zu Beschlüssen 
verleiteten, die fremden Göttern das Heimatrecht im 
Staate verschafften. Reichlichen Gebrauch von der Frei- 
heit, welche die Griechen ihnen in diesem Punkte Hessen, 
haben auch die Maler und Bildhauer gemacht, indem 
jeder von ihnen irgend eine Gestalt ersann, die dann 
der eine in Thon , der andere in einem Gemälde wieder- 
gab; die am meisten bewunderten Künstler freilich be- 
nutzten als Stoff für ihre stets neuen Darstellungen 
Elfenbein und Gold. Nach und nach sind sodann die 
Götter, welche früher in hohen Ehren standen, veraltet, 
und auf andere, neu eingeführte hat man die jenen ge- 
zollte Verehrung übertragen. Ebenso steht ein Teil der 
alten Tempel jetzt leer, während andere ganz nach 
Willkür neu erbaut wurden. Und doch sollte man im 
Gegenteil die Ansichten über Gott und seine Verehrung 
unabänderlich festhalten. 



190 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


36. Apollonios Molon gehört nun freilich zu den un- 
verständigen und aufgeblasenen Schriftstellern. Die 
echten griechischen Philosophen jedoch waren durchweg 
unserer oben dargelegten Ansicht, und auch die geist- 
losen Flunkereien der Allegorien 1 waren ihnen wohl- 
bekannt, weshalb sie diese nach Gebühr verachtet haben 
und unserer richtigen, geziemenden Lehre von Gott bei- 
getreten sind. Von ihr ging auch Plato aus; denn ab- 
gesehen davon, dass er überhaupt keinen Dichter in 
seinem Staat haben will, schickt er selbst den Homer, 
nachdem er ihn bekränzt und mit Oel übergossen hat, 
höflich weg, 2 damit er nicht die richtige Ansicht über 
Gott durch seine Fabeln verdunkele. Übrigens hat Plato 
sich auch darin aufs genaueste nach unserem Gesetz- 
geber gerichtet, dass er seinen Bürgern an erster Stelle 
die Verpflichtung auflegte, sämtliche Gesetze eingehend 
zu erlernen; desgleichen untersagte er den Verkehr mit 
Ausländern und sorgte so dafür, dass seine aus treuen 
Beobachtern des Gesetzes bestehende Gemeinde unver- 
mischt erhalten blieb. Alles das bedenkt Apollonios 
Molon nicht, wenn er uns einen Vorwurf daraus macht, 
dass wir diejenigen, die in anderen Ansichten über Gott 
befangen sind, nicht bei uns dulden und mit Leuten von 
ganz anderen Lebensgewohnheiten keine Gemeinschaft 
haben wollen. Aber auch dieser Zug ist nicht aus- 
schliesslich unserem Volke eigen, sondern er kehrt ins- 
gemein bei allen Griechen und gerade bei den angesehen- 
sten ihrer Stämme wieder. Und was die Lakedaemonier 
angeht, so haben sie von jeher die Fremden ausgewiesen 
und ihren Staatsangehörigen verboten, ins Ausland zu 
reisen, weil sie in beiden Fällen verderbliche Folgen für 
die allgemeine Sittlichkeit befürchteten. Ihnen kann 
man nun wohl mit Recht vorwerfen, sie benähmen sich 
abstossend, weil sie niemand das Bürgerrecht verleihen 


1 Die Allegorien bezweckten, da9 Anstössige aas den Göttermythen 
zu entfernen. 

2 Politeia 111,9 (Bekker’sche Textausgabe, Band VI, S. 41 2 f.). 



Gegen Aplon, Zweites Bach. 


191 


oder den Aufenthalt gestatten; wir aber nehmen, obwohl 
wir die Nachahmung fremder Sitten verschmähen, dennoch 
mit Freuden alle auf, die sich den unseren anschliessen 
wollen. Das ist doch sicherlich, sollt’ ich meinen, ein 
Zeichen von Menschenfreundlichkeit und Grossmut. 

37. Doch genug von den Lakedaemoniern. Wie aber 
die Athener, die sich ja laut rühmen, dass ihre Stadt 
jedermann offen stehe, in diesem Punkte dachten, davon 
hat Apollonios gleichfalls keine Ahnung. Dass sie z. B, 
jeden, der auch nur ein Wort gegen ihre Gesetze ver- 
lauten liess, unerbittlich bestraften, ist ihm unbekannt. 
Weshalb denn sonst hat Sokrates sterben müssen? Er 
hatte ja weder die Stadt den Feinden verraten noch 
einen Tempel beraubt, sondern weil er neue Eide schwur 
und — sei es im Ernst oder, wie manche glauben, scherz- 
weise — behauptete, ein gewisses Daimonion mache ihm 
Offenbarungen, darum wurde er verurteilt» den tödlichen 
Schierlingssaft zu trinken; auch beschuldigte ihn sein 
Ankläger, er verderbe die Jugend, indem er sie anleite, 
die heimische Verfassung und die Gesetze zu verachten. 
Nun hat Sokrates als athenischer Bürger diese Strafe 
erlitten; Anaxagoras dagegen war aus Klazomenae, und 
doch wäre er, weil er dem Glauben der Athener, die 
Sonne sei ein Gott, entgegentrat und das Gestirn für 
eine glühende Masse erklärte, beinahe zum Tode ver- 
urteilt worden, denn nur wenige Stimmen fehlten. Auf 
den Kopf des Meliers Diagoras setzten sie den Preis 
yon einem Talent, weil es hiess, er mache ihre Mysterien 
lächerlich. Auch Protagoras entging nur durch schleunige 
Flucht der Gefahr, verhaftet und hingerichtet zu werden ; 
er sollte eine Schrift verfasst haben, deren Inhalt sich 
mit den Ansichten der Athener über die Gottheit nicht 
deckte. Kann es übrigens wunder nehmen, dass sie in 
dieser Weise gegen hochangesehene Männer verfuhren, 
wenn sie nicht einmal Weibern gegenüber Schonung 
walten Hessen ? Haben sie doch erst neulich eine Priesterin 1 


Gemeint ist die Priesterin Tbeoris (Plutorch, Demosth. 14f.). 



192 Des Fl&vius Josephas kleinere Schriften. 

getötet, die von irgend jemand beschuldigt worden 
war, dass sie insgeheim fremde Götter lehre. Das war 
bei ihnen gesetzlich verboten, und wer es dennoch that, 
hatte den Tod verwirkt. Galt aber bei ihnen ein solches 
Gesetz, dann haben sie sicherlich die Götter anderer 
Nationen nicht als solche anerkannt; denn sonst hätten 
sie nicht sich selbst die Freude missgönnt, mehrere zu 
besitzen. So verhielt es sich mit diesen Dingen in dem 
wohlgeordneten Staate der Athener. Aber selbst die 
mordlustigen Skythen, die sich nur wenig von wilden 
Tieren unterschieden, glauben ihre heimischen Einrich- 
tungen schützen zu müssen. So töteten sie den Ana- 
charsis , 1 dessen Weisheit die Griechen mit Bewunderung 
erfüllt hatte, gleich nach seiner Rückkehr, weil er ihnen 
von griechischem Wesen an gesteckt schien. Auch bei den 
Persern sind viele, wie man liest, um derselben Ursache 
willen hingerichtet worden. Und doch fand Apollonios 
gerade an den Gesetzen der Perser ersichtliches Wohl- 
gefallen und zollte ihnen seine Hochachtung, wahrschein- 
lich deshalb, weil die Griechen einen Geschmack von 
der Tapferkeit dieses Volkes und seiner einheitlichen 
Ansicht inbetreff der Götter bekommen hatten : von der 
Tapferkeit durch die Tempelbrande, welche die Perser 
entfachten, von dem Götterglauben durch den beinahe 
gelungenen Versuch derselben, Griechenland zu knechten. 
Er machte auch alle persischen Gebräuche nach, indem 
er fremden Weibern Gewalt an that und Knaben ver- 
schnitt. Bei uns dagegen wird auf Todesstrafe erkannt, 
wenn jemand auch nur ein unvernünftiges Tier in der 
angegebenen Weise misshandelt, und zum Gehorsam 
gegen diese Gesetze konnte uns weder die Furcht vor 
unseren Zwingherren veranlassen noch der Wunsch, es 
denen gleichzuthun, die bei anderen eine besondere Wert- 
schätzung geniessen. So haben wir uns auch im tapferen 
Dreinschlagen nicht deshalb geübt, weil wir behufs 
Stärkung unserer Macht kriegerische Unternehmungen 


1 S. HerodotIV, 76. 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


193 


planten, sondern weil wir unsere Gesetze beschirmen 
wollten. Aus jeder anderen Drangsal machen wir uns 
nicht viel; will uns aber jemand nötigen, unser Gesetz 
preiszugeben, dann wählen wir den Krieg, auch wenn 
unsere Kräfte nicht langen, und lassen uns selbst d urch 
das äusserste Unglück nicht wankend machen. Warum 
sollte es uns auch nach den Gesetzen fremder Völker 
gelüsten, da wir doch sehen, dass sie nicht einmal von 
denen unverändert gelassen werden, die sie gegeben 
haben? Zwar thaten die Lakedaemonier gut daran, dass 
sie ihrer staatlichen Abgeschlossenheit ein Ende machten 
und dadurch die Zahl der Heiraten vermehrten, und 
ebenso zweckmässig handelten die Eieier und Thebaner, 
indem sie den bis dahin geduldeten widernatürlichen 
und höchst abscheulichen Geschlechtsverkehr zwischen 
männlichen Personen untersagten; aber inan erkennt 
doch daraus, dass sie sich später zu dem, was sie früher 
in allen Ehren und ohne jeden Nachteil thun zu dürfen 
geglaubt hatten ,. nicht mehr bekennen mochten, wenn 
sie es auch thatsächlich nicht aufgaben. Jedenfalls haben 
sie nicht mehr die ursprünglichen Gesetze, die doch 
einst bei den Griechen so grosse Geltung hatten, dass 
man selbst den Göttern geschlechtlichen Umgang mit 
männlichen Personen nachsagte. Ebenso verhält es sich 
mit den Eheschliessungen zwischen leiblichen Geschwistern, 
die zur Entschuldigung unziemlicher und naturwidriger 
Wollust dienen mussten. 

38. Ich verzichte darauf, auch noch von den Strafen 
zu reden und zu zeigen, wie von jeher die meisten Ge- 
setzgeber den Schlechten so manche Arten der Ab- 
findung zugestanden, indem sie für Ehebruch Geldstrafen, 
für Notzucht die Verpflichtung zur Ehe mit der Ge- 
schändeten festsetzten, ferner wie viele Ausflüchte bei 
einer Anklage wegen Gottlosigkeit sich darboten, falls 
überhaupt eine solche je erhoben wird. Bei den meisten 
Völkern ist ja die Übertretung der Gesetze Gegenstand 
eines besonderen Studiums geworden. Nicht so bei uns. 
Wird uns auch unser Reichtum, unsere Heimat und was 

Joaephua, Kleinere Schriften. 13 

Go gle 



194 


Des Flavins Josephus kleinere Schriften. 


wir sonst gutes haben, entrissen: das Gesetz wenigstens 
bleibt uns unzerstörbar, und kein Jude kommt so weit 
von seinem Vaterlande weg und fürchtet einen erbitterten 
Tyrannen so sehr, dass nicht seine Scheu vor dem Gesetz 
doch noch grösser wäre. Werden wir also durch die 
Trefflichkeit der Gesetze veranlasst, eine solche Ge- 
sinnung gegen sie zu hegen, so gebe man nur zu, dass 
wir die besten Gesetze haben. Glaubt man aber, wir 
hielten trotz ihrer Minderwertigkeit so treu an ihnen 
fest, um wie viel mehr haben dann unsere Ankläger 
Strafe verdient, dass sie ihren eigenen besseren nicht 
treu bleiben! Weil nun die Länge der Zeit als der zu* 
verlässigste Prüfstein für alle Einrichtungen angesehen 
wird, möchte ich gerade sie auch für die Vorzüge unseres 
Gesetzgebers und der durch sie überlieferten Lehre von 
Gott Zeugnis ablegen lassen. Denn im Vergleich zu 
allen anderen Gesetzgebern gehört er offenbar einer weit 
früheren Zeitepoche an. 

39. Von uns nun sind die Gesetze auch allen anderen 
Menschen beigebracht worden, 1 und immer mehr hat 
man sie zum Muster genommen. Zuerst nämlich haben 
die griechischen Philosophen , während sie scheinbar an 
ihren heimischen Satzungen festhielten, in That und 
Lehre sich an Moyses angeschlossen , indem sie ähnliche 
Begriffe von Gott hegten und gleich ihm die Einfachheit 
der Lebensweise sowie die auf Gegenseitigkeit beruhende 
Gesellschaftsordnung gehandhabt wissen wollten. Aber 
auch schon unter den Massen bemerkt man seit längerer 
Zeit viel Eifer für unsere Religion, und es giebt kein 
Volk und keine griechische oder barbarische Stadt, wo 
nicht unser Brauch, am siebenten Tage die Arbeit ruhen 
zu lassen, Eingang gefunden hätte und wo nicht das 
Fasten, Anzünden von Lichtern und viele unserer Ab- 
stinenzgebote beobachtet würden. Auch unsere bürger* 
liehe Eintracht, unsere Wohlthätigkeit, unseren gewerb- 
lichen Fleiss, unsere Ausdauer in Drangsalen, wenn es 


Paulus, Römerbrief 2, 19 ff. 



Gegen Apion, Zweites Buch. 


195 


sich um die Verteidigung des Gesetzes handelt, suchen 
sie nachzuahmen. Am meisten freilich muss man sich 
darüber wundern, dass das Gesetz lediglich durch die 
ihm innewohnende Kraft, ohne Anwendung sinnlicher 
Reizmittel und Lockungen dies vermocht hat: wie Gott 
das Weltall durchdringt, 1 so hat sich das Gesetz durch 
die ganze Menschheit verbreitet Schaue nur ein jeder 
auf sein eigenes Vaterland und seine Familie, und er 
wird finden , dass meine Behauptung allen Glauben 
verdient Unsere Ankläger sollten daher entweder alle 
Menschen vorsätzlicher Schlechtigkeit beschuldigen, weil 
sie sich zu mangelhaften fremden Einrichtungen mehr 
als zu ihren eigenen vollkommenen hingezogen fühlen, oder 
auf hören uns zu verlästern. Wir massen uns ja kein 
gehässiges Benehmen an, wenn wir unseren Gesetzgeber 
ehren und seine Offenbarungen über Gott für wahr 
halten. Denn hätten wir auch kein Verständnis für die 
Vortrefflichkeit aller seiner Gesetze, so müsste uns doch 
schon die Menge derer, die sie als musterhaft ansehen, 
einen hohen Begriff von ihnen beibringem 

40. Übrigens habe ich von unseren Gesetzen und 
unserer Verfassung bereits in meinen „Altertümern“ 2 
eine genaue Darstellung gegeben. Hier wollte ich nur, 
soweit es nötig war, daran erinnern, nicht in der Absicht, 
fremde Gebräuche zu tadeln oder die bei uns geltenden 
herauszustreichen, sondern um den Schriftstellern, die 
uns unrecht gethan, den Nachweis zu liefern, dass sie 
die Wahrheit selbst schamlos ins Angesicht schlugen. 
Ich glaube nun mein Versprechen durch die vorliegende 
Schrift hinreichend eingelöst zu haben. Denn ich wies 
das überaus hohe Alter unseres Volkes nach, von dem 
die Widersacher behaupten, dass es erst in jüngster Zeit 
aufgetreten sei. Zu dem Zweck führte ich eine Reihe 
alter Schriftsteller an, die uns in ihren Werken erwähnen, 
während jene versichern, kein einziger habe dies gethan. 


1 S. Dähne, Alexandrinische Religionsphilosophie II, 8. 243. 

2 Besonders hn dritten Buche. 



196 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Ferner behaupten sie, unsere Vorfahren seien Aegyptier 
gewesen; es wurde aber gezeigt, dass sie von auswärts 
nach Aegypten kamen. Und was die Lüge betrifft, sie 
seien wegen körperlichen Siechtums ausgewiesen worden, 
so ergab es sich klar, dass sie freiwillig und vor Ge- 
sundheit strotzend in ihr Heimatland zurückkehrten. 
Endlich beschimpften jene Menschen unseren Gesetz- 
geber, indem sie ihn als durch und durch lasterhaft hin- 
stellten ; wir aber fanden, dass zuerst Gott der Herr und 
dann auch die Zeit für seinen tugendhaften Wandel 
Zeugnis gab. 

41. Über die Gesetze waren nicht viele Worte nötig. 
Vielmehr zeigte es sich an ihnen selbst, dass sie nicht 
Gottlosigkeit, sondern die wahrste Frömmigkeit lehren; 
dass sie nicht zum Menschenhass, sondern zu gegenseitiger 
Wohlthätigkeit auffordern; dass sie, dem Bösen abhold, 
der Gerechtigkeit Vorschub leisten, Müssiggang und Üppig- 
keit verbannen, Genügsamkeit und Lust zur Arbeit ein- 
schärfen, von Eroberungskriegen abhalten, dagegen 
Mannesmut einflössen, wo es gilt, für sie selbst einzu- 
treten ; dass sie unerbittlich sind im Strafen, durch Wort- 
klauberei sich nicht umgehen lassen und stets durch die 
That bekräftigt werden: denn wir haben immer Werke 
aufzuweisen, die noch deutlicher reden als die Schrift 
Deshalb darf ich kühn behaupten, dass wir gar viele 
und herrliche Tugenden bei anderen eingeführt haben. 
Denn nichts ist vortrefflicher als unwandelbare Frömmig- 
keit, nichts ein deutlicheres Zeichen der Gerechtigkeit 
als der Gehorsam gegen die Gesetze. Und was könnte 
es nützlicheres geben als gegenseitige Eintracht, infolge 
deren es weder im Unglück zur Trennung noch im 
Glück zu übermütigen Zänkereien kommt, und als jene 
Gesinnung, die im Kriege Todesverachtung, im Frieden 
Lust an Handwerk und Ackerbau, überhaupt aber die 
Überzeugung bewirkt, dass Gottes Vorsehung alles in 
der Welt regiert? Wenn derartige Lehren bei anderen 
früher niedergeschrieben und treuer befolgt wurden als 
bei uns, gut, so sind wir als Schüler ihnen zu Dank 



Gegen Apion, Zweites Bach. 


197 


verpflichtet; wenn sie jedoch, wie man sehen kann, bei 
uns am meisten das Leben beeinflussen, und wenn von 
mir dargethan wurde, dass auch die erste Entdeckung 
derselben uns zuzuschreiben ist, dann sind Menschen 
wie Apion und Molon sowie alle, die am Lügen und 
Lastern ihre Freude haben, als widerlegt zu betrachten. 
Dir aber, Epaphroditos, dem begeisterten Freunde der 
Wahrheit, und um deinetwillen allen, die gleich dir mit 
unserem Volke näher bekannt werden möchten, sei dieses 
und das vorige Buch gewidmet. 



Namenregister. 


A. 

Abbar, tvrischer Richter, I, 21* 
Abdastratos , tyrischer König, 

I, 18. 

Abdemon, Tyrier, 1, 17 f. 
Abibalos, tyrischer König, 1, 17 f. 
Ae gy pten, Ableitung des N amens 
I, lo; Aegyptier, die, 1,6; 
12 f. ; 22; 24; 11,11. 
Agatharchides, Schriftsteller, aus 
Knidos gebürtig, lebte um 120 
v. Chr. , I, 22. S. auch J. A. 
XII, 1. 

Akencheres I. , aegyptischer 
König, I, 15. 

Akencheres II. , aegyptischer 
König, 1, 15. 

Akenchres, aegyptische Königin, 

I, 15. 

Akusilaos, Geschichtschreiber 
aus Argos, lebte im 6. Jahr- 
hundert v. Chr., I, 2f. S. auch 

J. A. I, 3, 9. 

Alexander der Grosse, König von 
Macedonien, 1,22; 11,4. 
Alexandria, aegyptische Stadt, 
II, 4 ff. 

Allsphragmnthosls, aegyptischer 
König, 1, 14. 

Amenophis (drei dieses Namens), 
aegyptische Könige, 1,15; 26 ff. 
Amessis, aegyptische Königin, 
1, 15. 

Anacharsls, Skythe, Zeitgenosse 
des Solon, wegen seiner Vor- 
liebe für griechisches Wesen 
von seinen Landsleuten ge- 
tötet, II, 37. 

Anaxagoras, berühmter Atomi- 
stiker, Lehrer des Perikies, geh. 

Go gle 


500 v. Chr. in Klazomenae 

f est. 428 v. Chr. in Lampsakos, 
I, 16; 37. 

Andreas, Befehlshaber der Leib- 
wache des Ptolemaens Phila- 
delphus, 11,4. S. auch J.A. 
XII, 2, 2. 

Antlochla, Hauptstadt v. Syrien, 
II, 4. 

Antiochus Eplphanes, syrischer 
König, II, 7f. 

Antioehns, Schriftsteller. Ver- 
I fasser einer sicil. Geschichte, 
sonst unbekannt, I, 3. 
Apachnas, aegypt. König, 1, 14 
Apion ; alexandrinischer Gram- 
matiker, Geburtsort II, 3; 
Charakter II, 1 ; Widerlegung 
seiner Angaben über die Juden 
II, 2—14; seine Eitelkeit II, 
12; sein Tod 11,13. Vergl. J. 
A. XVIII, 8, 1. 

Apollodoros, Geschichtschreiber, 
wahrscheinlich identisch mit 
dem griechischen Grammatiker 
A., der um 140 v. Chr. lebte 
und zuerst zwischen Licht und 
Schatten unterschied, II, 7. 
Apollonlos Molon, griechischer 
Schriftsteller a. Rhodos, später 
Lehrer der Beredsamkeit in 
Rom, von Cicero, Caesar und 
anderen vornehmen Römern 
sehr geschätzt, II, 7; 14 ; 33; 36 f. 
Apophls, aegypt. König, I, 14. 
Archelans,J ulius, Schwiegersohn 
Agrippas d. Gr., 1, 9. 

Argos, Argeier, 1,16. 
Aristophanes v. Byzanz, alexan- 
drinischer Grammatiker und 
Kritiker, unter Ptolemaeus II. 



Gegen Apion, Namenregister. 


199 


. und Ptol. III. Vorsteher der 1 
alexandrin. Bibliothek , geb. ' 
260, gest. etwa 180 v. Chr.,1,23. i 

Aristoteles, der berühmte Philo- 1 
soph. 1,22. ( 

Arkader, die. 1,4. 

Armais, Bruder des aegyptischen 

■ Königs Sethosis (s. auch Da- 
naos), 1, 15. 

Azmals, aegypt. König, 1,15. 

Armesses, aegypt. König, 1, 15. 

Aserymos, tyrischer König, 1, 18. 

Assis, aegyptischer König, 1, 14. 

Astartos, tyrischer König, I, 18. 

Astarte, phoenic. Göttin, 1, 18. 

Athener, die, II, 37. 

Attika, griechische Provinz, 1, 3. 

Auaris, aegyptische Stadt, öst- 
lich von der bubastischen 
Mündung des Nil gelegen, ! 
militärischer und religiöser | 
Mittelpunkt des Reiches der ! 
Hyksos, I, 14; 26. 

B. 

Baal, tyrischer König, 1,21. 

Babylon, Babylonier, 1, 19 f. 

Badezor, tyrischer König, 1, 18. 

Balatoros, tyrischer König, 1,21. 

Baleazar, tyrischer König, 1, 18. 

Bel, tyrischer Gott, I, 22. 

Beon, aegyptischer König, 1, 14. 

Ber©ssos(Berosu8), chaldaeischer 
Priester u. Geschichtschreiber, 
Zeitgenosse des Manetho,1 , 1 9f . 

Bokchoris, aegypt. König, I, 34. 

Borslppos, Stadt in Babylonien, 
südlich von Babylon auf der 
östlichen Seite des Euphrat 
gelegen, jetzt Barzip oder Birs 
Nimrud, 1, 20. 

Bubastischer Xtlarm, so ge- 
nannt , weil er durch den 
Nomos Bubastites floss, 1, 14. 

c. 

Chabuion, Distrikt in Galilaea 
(vgl. J. A. VIII, 5, 3), 1^ 17. 


Chairemon , Verfasser einer 
aegyptischen Geschichte, Zeit- 
genosse des Josephus, längere 
Zeit Vorsteher der alexän- 
drinischen Bibliothek, I, 32 f. 

Chaldäer, die, I, 6; 19. 

Chelbes, tyrischer Richter, I, 21. 

Choirilos, attischer Dichter (Sa- 
tyrspiele), lebte um 524 v.Chr., 
1 , 22 . 

Cyrus, Perserkönig, 1,12; 20 f. 

D. 

Danaos, Bruder d. aegyptischen 
Königs Sethosis (s. auch Ar- 
mais). 1,15; 1,26 (hier Her- 
maios genannt). 

Danaos, erster König von Arges, 
1, 16. 

Demetrius Phalereus , Ober- 
bibliothekar des Königs Pto- 
lemaeus Philadelphus, I, 23; 
11,4. 

Diagoras, Atomistiker aus Melos, 
lebte etwa 470 — 420 v. Chr., 

| II. 37. 

(Dido), Schwester d. Pygmalion, 
Gründerin von Karthago, 1, 18. 

Dios, Verfasser einer phoenic. 
Geschichte (vergl. J. A. VIII, 
5, 3), I, 17. 

Dora, Stadt in Phoenicien nahe 
beim Karmel, II. 9. 

Dositheos, jüd. Befehlshaber im 
aegyptischen Heere, II, 5. 

Drakon, der bekannte Gesetz- 
geber (um 620 v. Chr.), I. 4. 

E. 

Eknibal, tyrischer Richter, 1,21. 

Eieier (Bewohner von Elis), die, 
II, 37. 

Epaphroditos , des Flavius Jo- 
sephus Freund, 1, 1 ; II, 41. 

Ephoros, Geschichtschreiber (um 
320 v.Chr.), 1,3; 12 (vergl. J. 
A. I, 3, 9). 



200 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


Euhemeros, Schrift8teller(um 312 
v. Chr.) , der Stifter der nach 
ihm benannten mythologischen 
Theorie), 1,23. 

Eupolemos , Geschichtschreiber, 
etwa 140 — 100 v. Chr., I, 23. 

Evümaradnch (J. A. X, 11, 2 
Abilamarodach) , König von 
Babylonien, 1,20. 

Ezekias, Hohepriester, 1,22. 

G. 

Gerastratos, tvrischer Richter, 

1 , 21 . 

Griechen, die, 1,2: 4; 12; II, 
11; 15 f.; 33 ff. 

H. 

Hekataios , Geschichtschreiber, 
aus Al>dera gebürtig, lebte zur 
Zeit des Ptolemaeus Lagi, I, 
22 f.; 11,4. S. auch J. A. 1, 7,2. 

Heliopolis, Stadt in Aegypten, 

Hellanf kos , Geschichtschreiber 
aus Mytilene, 496—41 1 v.Chr., 
1, 3. S. auch J. A. 1, 3, 9. 

Herakles, tvrischer Gott, 1,18. 

Hermaios (derselbe wie Armais 
1,15), 1,26. 

Hermippos, Schriftsteller, „der 
Smyrnäer“ oder „der Kalli- 
macheer“, lebte zu Anfang des 
3. Jahrh. v. Chr., I, 22. 

Hermogenes,G eschichtschreiber, 
sonst so gut wie unbekannt, 
I, 23. 

Herodot* der berühmte Ge- 
schichtschreiber, geb. etwa 500 
v. Chr. zu Halikarnasso8, gest. 
424 v. Chr. in Italien, 1,3; 
12; 14 ; 22; 11,13. 

Hesiod, griechischer Dichter d. 
8. Jahrhunderts v.Chr., Haupt 
der sogenannten boeotischen 
oder didaktischen Dichter- 
schule, Verfasser der „Theo- 

Go gle 


gonie“, 1,3. S. auch J. A. 
1,3, 9. 

Hieronymos, aegyptischer Ge- 
schichtschreiber, geb. zwischen 
370 und 360, gest. zwischen 
266 und 256 v. Chr.. 1,23. 
Vergl. J. A. I, 3, 6 ; 3,9. 

Hirom (J. A. Hiram) , König 
von Tyrus, I, 17 ; II, 2. 

Hirom, tyrischer König zur 
Zeit des Cyrus, I, 21. 

Homer, der berühmte Dichter, 
1,2; II, 15; 36. 

I. J. 

Jan las, König von Aegypten, 
1, 14. 

Joseph (der aegyptische). Sohn 
des Patriarchen Jakob, 1,32. 

Isis, aegyptische Göttin, 1,32. 

Ithobal, König von Tyrus und 
Sidon, 1,18; 21. 

K. 

Kadmos, Sohn des Agenor, 
Gründer von Theben in Boe- 
otien, 1,2. 

Kadmos, griechischer Geschicht- 
schreiber aus Milet, einer der 
sogenannten Logographen, 1,2. 

Kalaner, indische Bezeichnung 
für Philosophen, 1,22. 

Kalllas, Verfasser einer si- 
cilischen Geschichte in 22 
Büchern , aus Syrakus ge- 
bürtig (um 300 v.Chr.), 1,3, 

Kalilphon , Schüler des Pytha- 
goras, aus Kroton, I. 22. 

Karmanlen, Landschaft östlich 
von Persis, nördlich vom Per- 
sischen Golf, heute die Provinz 
Kirman, I, 20. 

Kastor, Chronist, sonst un- 
bekannt, II, 7. 

Kleanthes, Stoiker, aus Assos 
gebürtig, lebte im 3. Jahrh. 
v. Chr., II, 12. 



Gegen Apion, Namenregister. 


201 


KJearehos, Peripatetiker, 1, 22. 
Kleopatra, Gattin und leibliche 
Schwester des Ptolemaeus 
Philometor, II, 5. 

Kleopatra, die berüchtigte letzte 
Königin von Aegypten, II, 5. 
Solcher, die, 1,22. 

Konon , Schriftsteller aus dem 
l.Jahrh. v.Chr, 1,23. 
Korban, jüdischer Eid, 1,22. 
Kroesus, letzter König v. Lydien, 


Laborosoarchod, (J. A. X, 11, 2 
Laborosordach), König von 
Babylonien, 1,20. 

Lysimachos, alexandrinischer 
Grammatiker und Geschicht- 
schreiber aus dem 2. oder 

I. Jahrh. v. Chr., I, 84 f; 

II, 2; 14. 

M. 

Makronen, die, mächtiger Volks- 
stamm im NO von Pontus, 
östlich neben den Kolchern 
(Herodot VII, 78; Xenophon, 
Anabasis IV, 8, 3), I. 22. 

Manetho, aegypt. Ma - n - Thot, 
d. i. von Thot (dem Gotte der 
Zeitrechnung) geliebt, aegypt. 
Oberpriester und Geschieht- ! 
Schreiber zu Heliopolis, aus 1 
Sebennytos gebürtig , lebte 
um 250 v. Onr. und schrieb 
sein Hauptwerk auf Ver- 
anlassung des Ptolemaeus 
Philadelphus , 1,14; 26—33; 
11,2. Vergl. J. A. I, 3, 9. Was 
aus seinen Werken erhalten 
ist, hat C. Müller (Fragm. 
hist, graec. II, 511 — 616) ge- 
sammelt. 

Matgenos, tyrischer König, I, 18. 

Megasthenes, Verfasser einer in- 
dischen Geschichte, lebte zur 

Go gle 


I Zeit d Seleukus Nikntor, 1,20. 

Vergl. J. A. X. 11, 1. 

Memphis, Stadt in Aegypten, 

1. 14. 

Menander , Geschichtschreiber 
i aus Ephesos oder (nach 
Clemens Alex.) aus Pergamos, 

1.18. Vergl. J.A. VIII, 5, 3; 

I 13, 2; IX, 14, 2. 

Mephramnthosls, aegyptischer 
König, I, 15. 

Mephres , aegyptischer König, 

1. 15. 

Merbal, tyrischer König, 1,21. 
Messenes, Sohn des aegyptischen 
Königs Amenophis, 1, 32. 
Minos, Sohn des Zeus, Be- 
herrscher von Kreta, später 
Richter in der Unterwelt, 
II, 16. 

Mnaseas , Geschichtschreiber, 
Verfasser eines grossen his- 
torisch-geographisch. Werkes, 
lebte in der 1. Hälfte des 
2. Jahrhunderts v. Chr., I, 23. 
S. auch J. A. I, 3, 6. 

Mosollam , Jüdischer Bogen- 
schütz, 1, 22. 

Moyses, 1, 8 ; 26 ; 31 f ; II, 2 ; 15 f. 

Seine Gesetze II, 17—31. 
Mytgonos , tyrischer Richter, 
1 , 21 . 

N. 

Nabonned, (J. A. X, 11, 2 Nabo- 
andel), babylonischer König, 
1 , 20 . 

Nabopalassar, chaldäisch.König, 

1. 19. 

Nabuchodonosor, babylonischer 
König, 1, 19f. 

Nekropolis« „die Totenstadt“, 
westl. Vorstadt Alexandrias. 
Sie hiess so, weil sich dort 
Häuser zum Einbalsamieren 
der Toten und Gärten mit 
Begräbnisstätten befanden. 
11,4. 



202 


Des Flavius Joseph» s kleinere Schriften. 


Neriglissoor, (J. A. X, 11, 2 Ni- 
glisar), babylonischer König, 

Nikolaus von Damaskus, Ge- 
schichtschreiber, besonders be- 
kannt aus der Geschichte 
Herodes’ des Grossen, II, 7. 


0 . 

Oase, die, Geburtsort Apions. 
Zu verstehen ist hier zum 
Unterschied von der kleinen 
Oase in Mittelaegypten die 
grosse Oase in Oberaegypten, 
die schon Herodot (III, 2, 6) 
kennt und ebenfalls als 
iröXt? v Oaoi? bezeichnet. II, 3. 

Onias, jüdischer Befehlshaber 
im aegyptischen Heere, 11,5. 

Osarsiph, Oberpriester aus Heli- 
opolis, von dem Manetho be- 
hauptete, dass er mit dem 
Moyses der Juden identisch 
sei, I, 26. 

P. 

Paapis, Vater des aegyptischen 
Weisen Amenophis, I, 26. 

Palaestlna, 1, 22. 

Parthenios, der bedeutendste 
Fluss Paphlagoniens , jetzt 
Bartan-Öu oder Bartine. Er 
bildete die Grenze Paphla- 
goniens gegen Bithynien und 
mündete 90 Stadien westlich 
von der Stadt Amastris (jetzt 
Amasra) ins Meer [vergl. 
Homer, Odyssee II, Vers 854; 
Herodot II, 104; Xenophon, 
Anabasis V, 6, 9 ; VI, 2, 1]. 
1 , 22 . 

Peisistratos, athenischer Tyrann, 
I» 4. 

Perser, ihre Sitten II, 37. 

Pheles, tyrischer König, 1, 18. 

Pherekydes, Philosoph, „der 


Syrier“, d. i. von der Insel 
Syros stammend, lebte in der 

I. Hälfte des 6. Jahrhunderts 
v. Chr., 1,2. 

Phlllstos, sicilischer Geschicht- 
schreiber aus Syrakus, lebte 
um 430 v. Chr., 1,3. 

Philo, Schriftsteller, zum Unter- 
schied von dem berühmten 
Alexandriner Philo „der äl- 
tere“ genannt* 1,23. 

Phüostratos, Verfasser einer 
indischen und phoenicischen 
Geschichte (s. J. A. X, 11, 1), 
sonst unbekannt, 1,20. 

Phöenlcier, die, 1,2; 6; 12 f; 
19 ; 22. 

Phritiphantes, aegypt. Schrift- 
gelehrter, 1,32. 

Plato, der grosse Philosoph, 
geb. in Athen 428, gest. 347 
v.Chr., IX, 16; 31; 36. 

Polybios , Geschichtschreiber, 
geb. um 204 v. Chr. zu Mega- 
lopolis, gest. etwa 121 v.Chr, 

II, 7. S. auch J. A. XII, 3, 3; 
9, 1. 

Polykrates, Geschichtschreiber, 
Verfasser einer lakedaemo- 
nischen Geschichte, Lebenszeit 
unbekannt, 1,24. 

Poseidonlos, stoischer Philosoph 
aus Rhodos, mit Cioero und 
Pom pejus befreundet, 11,7. 

Protagoras, Sophist, aus Abdera 
gebürtig, lebte zwischen 480 
und 410 v. Chr., II, 37. 

Ptolemaeus I. (Lagi) , König 
von Aegypten, 1,22; 11,4. 

Ptolemaeus II. (Philadelphia), 
König von Aegypten, II, 4. 

Ptolemaeus III. (Euergetes), 
König von Aegypten, 11,5. 

Ptolemaeus VI. (Philometor), 
König von Aegypten, 11,5. 

Ptolemaeus VII. ( Physkon), 

König von Aegypten, II, 5. 

Pygmalion , tyrischer König, 
1,18. 



Gegen Apion, Namenregister. 


203 


Pythagoras, der bekannte Phi- 
losoph und Vater der Geo- 
metrie, lebte zwischen 550 
und 500 v. Chr. , I, 2; 22; 
II, 16. 


R. 


Ramesses, König von Aegypten, 
1,15; 26; 32. 

Rampses, König von Aegypten, 
1,26. 


Rathotls, König von Aegypten, 
1, 15. 


s. 

Sabbat, Ableitung des Namens, 

11 , 2 . 

Baltischer Nomos, Bezirk von 
Aegypten, so genannt nach 
der Stadt Sai's im Delta, 1, 14. 
Salatis, König von Aegypten, 

1. 14. 

Skythen, die, 11,37. 

Selenkos I. (Nikator), König von 
Syrien, 11,4. 

Semlranüs , Königin von As- 
syrien, 1,20. 

Sesostris, König von Aegypten, 

Setho, auch Aigyptos genannt, 
König von Aegypten, I, 26. 
Sethosls, König von Aegypten, 

1. 15. 

Sofarates, der berühmte Phi- 
losoph, geb. 469 v. Chr. in 
Athen, II, 12; 37. 

Solomon, König der Israeliten, 
1, 17. 

Solon, athenischer Gesetzgeber, 
geb. 639, gest. 559 v. Chr. in 
Athen, II, 15. 

Solymerberge, die, in Palaestina, 

1 , 22 . 

Spartaner, die, I, 31. 

Stoiker, die, II, 16. 

Strabo , „der Kappadocier“, 
griechischer Geograph, geb. 66 


v. Chr. in Amasia,- gest. 24 
n. Chr., 11,7. 

Strfctontke, Gattin des mace- 
donischen Königs Demetrios, 
I 22 

Syrer, die, 1,22. 

T. 

Tethmosis, König von Aegypten, 
I, 26. 

Thaies, griechischer Philosoph 
aus Milet, 640— 550 v. Chr., 
1 , 2 . 

Thebaner, die, 11,37. 

Theodotos , Geschichtschreiber 
aus Tarsus, 1,23. 

Theophilos, Geschichtschreiber 
(wahrscheinlich aus der Dia- 
dochenzeit), sonst unbekannt, 
1, 23. 

Theophrastos, griechischer Phi- 
losoph, Schüler des Aristoteles, 
lebte 390—286 v. Chr., 1,22. 

Theopompos, Geschichtschreiber, 
lebte um 380 v. Chr., 1,24. 

Thermodon, ein durch die 
Amazonensage berühmt ge- 
wordener Fluss in Kappa- 
docien, jetzt Termeh, I, 22. 

Thermus, römischer Legat, II, 5. 

Thmosfs, König von Aegypten, 

1,15. 

Thnkydides, der berühmte Ge- 
schichtschreiber, geb. um 460 
v. Chr. in Athen , gest. etwa 
396 v. Chr., 1,3; 12. 

Thummosis, König von Aegypten 
(I, 15 Tethmosis genannt), 
1,14. 

Timaos, König von Aegypten, 
1, 14. 

Timalos, sicilischer Geschicht- 
schreiber, geb. um 352, gest. 
um 256 v. Chr., 1,3; 24. 

Timagenes, Geschichtschreiber 
aus Alexandria, lebte im 
1. Jahrh. v. Chr., 11,7. 

Tltyer, die, 1, 18. 



Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


204 


Tyrrhener, die, 11,4. 

Tyrler, die, 1,13; 17 f; 21 f. 

z. 

Zabidos, Idumäer, II, 9. 
Zalenkos , lokrischer Gesetz- 
geber, etwa 700—600 v. Chr., 
II, 15. 


Zeno , griechischer Philosoph 
aus Kition , Begründer der 
stoischen Schule, lebte 340 
bis 260 v. Chr., JI, 12. 

Zopyrion , Geschichtschreiber 
und Grammatiker , schrieb 
ein Lexikon, das z. T. in den 
Suidas überging, 1,23. 



Ober die Makkabäer 

oder 

über die Herrschaft der Vernunft. 



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Original from 

NEW YORK PUBLIC LIBRARY 



Einleitung. 

Lange Zeit war ich unschlüssig, ob ich die Schrift 
„Über die Makkabäer“ in die Gesamtausgabe der Werke 
des Flavius Josephus aufnehmen solle. Es sind ja neuer- 
dings sehr gewichtige Stimmen laut geworden, welche 
ihm die Autorschaft absprechen , und besonders hat 
Freude nthal in einer geistreichen Untersuchung 1 den 
fast völligen Nachweis erbracht, dass Josephus der Ver- 
fasser der Abhandlung nicht sein könne. Ich sage: 
fast — denn so ganz ist die Frage denn doch noch 
nicht gelöst, zumal auf der anderen Seite eine Reihe 
namhafter Forscher wie Paret, Jost und viele andere 
die Autorschaft des Josephus warm verteidigt haben. 
Insbesondere möchte ich die Beweisführung Freuden thals, 
aus dem Passus: coowep Euo&aprv 7cot£?v (Abschnitt 1, 
Ende) gehe mit Bestimmtheit hervor, dass der Verfasser 
ein Prediger von Beruf gewesen sein müsse, nicht für unan- 
fechtbar halten. Denn wenn, wie Grimm behauptet, die 
Predigt — und eine Predigt muss die Abhandlung in 
der That genannt werden — nicht zum Vortragen, 
sondern nur zum Lesen bestimmt war, eine Ansicht, 
gegen die sich nichts triftiges einwenden lässt, warum 


1 Dr. J. Freudenthal , Die Flavius Josephus beigelegte Schrift 
Ueber die Herrschaft der Vernunft* (IV. Makkab&erbuch), eine Predigt 
aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Breslau (Jahresber. 
des jüd.- theolog. Seminars) 1869. 



208 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

hätte der Verfasser sich nicht auch als gewohnheits- 
massigen Prediger einführen können, ohne in Wirklich- 
keit ein solcher zu sein? 

Ich will also die Frage, zu der sich auch noch 
Fritzsche (Libri apocryphi V. T.), Schürer (Neu- 
testamentliche Zeitgeschichte S. 650), H e i n z e (Der Logos 
S. 202), Creuzer (Stud. und Krit 1853, S. 84, 86) und 
Reu ss (Ersch und Grubers Encyklop. s. v. Josephus) 
geäussert haben, offen lassen und die Abhandlung schon 
um dessetwillen den Schriften des Josephus anreihen, 
weil sie Jahrhunderte hindurch mit seinem klangvollen 
Namen geziert war und in den meisten Textausgaben 
seiner Werke enthalten ist. Es sei übrigens hier gleich 
bemerkt, dass wir heute wohl nicht mehr den ursprüng- 
lichen Text vor uns haben; denn vielfach lassen sich 
daran die Spuren der Interpolations- und Anstückelungs- 
arbeit erkennen, sodass Freudenthal das Büchlein mit 
Recht den Torso eines interessanten Kunstwerkes nennt. 

„Über die Makkabäer oder über die Herrschaft der 
Vernunft“ lautet der Titel, und wenn dessen zweite 
Hälfte kaum bezeichnender gewählt werden konnte, so 
ist die erste dafür um so unzutreffender; denn von den 
Makkabäern handelt die Schrift nicht, sondern es kann 
durch den ersten Teil der Überschrift nur angedeutet 
sein, dass die berichteten Ereignisse sich in der Zeit der 
Makkabäer zutrugen und ihre Erzählung aus einem der 
Makkabäerbücher (dem zweiten) geschöpft ist. Dass sie 
hin und wieder als „ IV. Makkabäerbuch “ den deutero- 
kanonischen Schriften des alten Testamentes beigesellt 
wird, will ich nur nebenbei erwähnen. 

Das Werkchen stellt, wie gesagt, eine Predigt dar, 
und zwar eine sehr kunstvoll disponierte , 1 sauber stili- 


1 S. Freudenthal, a. a. O. S. 18 f. 



Ueber die Makkabäer, Einleitung. 


209 


sierte, von innigster Religiosität durchwehte Predigt, die 
man früher allgemein für eine Perle diesbezüglicher 
Litteratur hielt. So nennt Eusebius 1 die Schrift „ein 
nicht unedles Kunstwerk“, Hieronymus 2 „ein sehr 
anmutiges Buch“, der Lexikograph S ui das 3 „eine ganz 
vortreffliche Rede oder Abhandlung“. In neuerer Zeit 
hat sie eine sehr verschiedenartige Beurteilung erfahren. 
Ewald 4 und Paret 5 z. B. sind voll ihres Lobes, während 
Gr ätz 6 und Grimm 7 sie als „geschmackloses Martyro- 
logium“ bezw. als „Machwerk erkünstelter Begeisterung“ 
bezeichnen. Sei dem wie ihm wolle, jeder unbefangene 
Leser wird zugeben müssen, dass sie in der That die 
volle Beachtung aller Freunde jüdisch-hellenischer Predigt- 
litteratur verdient. 

Was den Inhalt der Rede betrifft, so wird in ihr 
nach Art der griechischen Rhetorenschulen als Schwer- 
punkt des Ganzen ein philosophischer Satz hingestellt, 
nämlich der, dass die fromme Vernunft Beherrscherin 
der sinnlichen und seelischen Triebe der Menschennatur 
sei, dass sie dieselben zwar nicht ausrotten , wohl aber 
lenken, zügeln und zurückdrängen könne. Zu diesem 
Satz bringt der Verfasser zunächst eine kurze theoretische 
Erörterung, die man trotz seines in der Einleitung ge- 
gebenen Versprechens, mit philosophischer Gründlich- 
keit untersuchen zu wollen, nicht gerade als ein Zeichen 
glänzender philosophischer Befähigung ansehen kann. 


1 Hist, eccles. III, 10. 

2 Catal. script. eccles. s. v. Josephus. 

8 S. V. 

4 Gescb. Israels IV, 3, S. 634. 

6 Einl. zu den Schriften d. Jos., S. 27. 

6 Gescb. der Juden 111, 2, S. 445. 

7 Einl. zu IV. Makk. S. 287. 

Josephus, Kleinere Schriften. 14 



210 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Dann aber geht er, weil das Geschichtliche ihm die 
Hauptsache ist, rasch zu einem ^tatsächlichen Beweis 
aus der Geschichte des jüdischen Volkes über, indem 
er berichtet, wie einige jüdische Märtyrer allen Ver- 
lockungen und Drohungen des Antiochus Epiphanes 
wie auch den schrecklichsten Qualen widerstanden, um 
nicht von der Religion ihrer Väter abfallen zu müssen. 
Wenn er dabei in der Schilderung der grauenvollen 
Marterscenen des Guten etwas zu viel thut, so kann 
man ihm das nicht sonderlich übel nehmen; denn seine 
Zeitgenossen hatten — die fast alltäglich gewordenen 
blutigen Cirkusspiele beweisen es — ganz andere Nerven 
als wir, und so rechtfertigte und entschuldigte der 
Kulturzustand jenes alten Publikums, das Vorgänge 
wie die geschilderten nicht zu den Unmöglichkeiten 
rechnen konnte, eine derartige Behandlung des Themas. 
Übrigens soll die Geschichte der Märtyrer nicht nur 
als konkretes Beispiel für einen abstrakten Satz ver- 
wendet, sondern auch durchaus selbständig dem Zu- 
hörer bezw. Leser vorgeführt werden. So sind, während 
äusserlich die Einheit des Ganzen gewahrt ist, in 
Wirklichkeit zwei gleich schwer wiegende Stoffe neben- 
einander gestellt und nehmen in gleichem Masse unsere 
Aufmerksamkeit in Anspruch , der eine durch seine 
philosophische, der andere durch seine religiöse und 
nationale Bedeutung. 

Dass die Quelle, aus der der Autor schöpfte, vor- 
nehmlich das zweite Makkabäerbuch (3; 4, 7— 17; 5, 
1 — 11; 6, 8 — 11, 18 — 31; 7) war, leuchtet auf den 
ersten Blick ein; 1 sind doch manche Stellen der Rede 


1 In dieser Ansicht kann mich auch Willrich nicht irre 
machen , der das zweite Makkabäerbuch für jünger als das vierte 



Ueber die Makkabäer, Einleitung. 


211 


wörtlich daraus entlehnt Allerdings weicht er in den 
Einzelheiten des Martyriums auch wieder vielfach von 
diesem Buche ab, und* insofern mag er, wie Freuden- 
thal nach weist, zugleich ein älteres grösseres Geschichts- 
werk des Jason von Kyrene benutzt haben. 

Wann die vorliegende Abhandlung entstanden ist, 
lässt sich nicht genau bestimmen. Seit den Ereignissen 
unter Antiochus Epiphanes muss jedenfalls schon eine 
längere Zeit verstrichen gewesen sein ; denn die Über- 
lieferung von den grossen Glaubenskämpfen ist bereits 
zur Sage geworden, und die Personen zeigen sich uns 
in jener nebelhaft schwankenden, verklärten Gestalt, 
die sie erst anzunehmen pflegen, wenn die deutliche 
Erinnerung verwischt ist und entlegene Vergangenheit 
einen Glorienschein um ihre Helden webt. Anderseits 
können wir wohl das Jahr 70 n. Chr. als die obere 
Grenze des Zeitraumes betrachten, innerhalb dessen das 
Werkchen geschrieben wurde, da der Verfasser ein so 
gewaltiges Ereignis wie die Tempelzerstörung unter 
Titus sicher nicht unerwähnt gelassen hätte, wenn die 
Predigt erst nach diesem Zeitpunkt entstanden wäre. 
Bedenkt man dazu noch, dass an keiner einzigen Stelle 
der Schrift von Unruhen in Judaea die Rede ist, so wird 
man unter Berücksichtigung aller vorgenannten Um- 
stände die Abfassung etwa in das letzte Jahrzehnt vor 
Beginn des Jüdischen Krieges, also in die Jahre 56 — 66 
n. Chr. verlegen dürfen. 

Ganz treffend sagt Freudenthal : Der Verfasser war 
ein strenggläubiger Jude, aber zugleich ein Grieche voll 
Schönheitssinn und Formtalent, ein gelehriger Schüler 


erklärt (Forschungen zur hellenistisch -jüdischen Geschichte und 
Litteratar, S. 166 f.). 



21*2 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


griechischer Philosophie und griechischer Rhetorik. Ich 
füge hinzu: Haben wir nicht aus den anderen Werken 
des Josephus erfahren, dass er das Zeug in sich hatte, 
ein solcher Mann zu sein? 

Brauweiler, im Januar 1901. 

Dr. Heinrich Clement z. 



• 1. Im Begriff, mit philosophischer Gründlichkeit die 
Frage zu erörtern, ob die fromme Vernunft Beherrscherin 
der Gemütsbewegungen sei, möchte ich euch wohlweislich 
raten, dieser philosophischen Darlegung eure Aufmerk- 
samkeit zu schenken. Denn abgesehen davon, das6 eine 
solche Belehrung für jeden, dem seine Geistesbildung 
am Herzen liegt, notwendig ist, enthält sie auch das 
Lob der höchsten Tugend, das heisst^ der Einsicht, 1 
indem sie untersucht, ob die Vernunft in'"der That über 
die der Massigkeit feindlichen Leidenschaften, Schlem- 
merei nämlich und Begehrlichkeit, obzusiegen vermag, 
ferner ob sie mächtiger erscheint als die dJer Gerechtig- 
keit hinderlichen Affekte, wie z. Bosheit, und als 
diejenigen Triebe, die der Mannhaftigkeit zuwider sind, 
wie Zorn, Furcht und Unlust. Hat denn aber, so könnte 
jemand einwerfen, die Vernunft, wenn sie die Leiden- 
schaften bezwingt, keine Gewalt über Vergesslichkeit 
und Unwissenheit? Das ist allerdings eine lächerliche 
Frage. Denn die Vernunft herrscht nicht über ihre 
eigenen Störungen, sondern über die der Gerechtigkeit, 
Tapferkeit und Besonnenheit widerstreitenden Triebe, und 
auch über diese nicht so, dass sie sie ausrottet, sondern 
so, dass sie ihnen nicht weicht. Ich könnte euch nun 
an zahlreichen und verschiedenartigen Beispielen zoigen, 
dass die Vernunft über die Gemütsbewegungen herrscht; 
weitaus am besten aber glaube ich dies darzuthun, wenn 
ich euch jene starkmütigen Menschen vorführe, die um 
der Tugend willen starben, ich meine Eleazar sowie die 


1 Ich setze nach apETrJ; ein Komma und lasse ct: vor s.povr'aEo.>; 
Ausfallen, da sich sonst kein rechter Sinn ergiebt. 



214 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


sieben Brüder und deren Mutter. Denn indem sie den 
göttlichen Gesetzen zulieb alle Folterqualen und den 
Tod verachteten und aus Gottesfurcht ihr Leben für 
nichts anschlugen, lieferten sie den Beweis, dass die Ver- 
nunft den Gemütsbewegungen völlig überlegen ist. Loben 
muss ich die heldenhaften Männer, die damals um der 
Gerechtigkeit willen mitsamt der Mutter in den Tod 
gingen; wegen der Ehre aber, die sie erlangten, möchte 
ich sie selig preisen. Ihr Starkmut und ihre Ausdauer 
erregten ja nicht nur bei allen übrigen Menschen, sondern 
selbst bei ihren Peinigern Bewunderung, und indem sie 
den Tyrannen durch ihre Standhaftigkeit besiegten, legten 
sie den Grund zur Befreiung ihres Volkes von der Zwing- 
herrschaft. Ich glaube nunmehr ohne weiteres zur Frage 
selbst übergehen zu sollen und mache, wie dies meine 
Gewohnheit ist, den Anfang mit der Begründung des 
Themas, um alsdann die Rede auf jene Märtyrer zu 
bringen. Gott dem Allweisen aber sei die Ehre! 

2. Wir fragen also, ob die Vernunft über die Ge- 
mütsbewegungen herrscht, und untersuchen, was eigent- 
lich Vernunft ist und was Affekt, ferner wie viele Arten 
der Affekte es giebt und ob sie alle von der Vernunft 
regiert werden. Vernunft ist der Geist* der mit richtiger 
Überlegung das auf Weisheit hinzielende Leben allem 
anderen vorzieht; Weisheit ist Erkenntnis göttlicher und 
menschlicher Dinge und ihrer Gründe. Die letztere aber 
besteht in der auf Grund des Gesetzes erlangten Bil- 
dung, vermöge deren wir das Göttliche in seiner Erhaben- 
heit, das Menschliche zu unserm Nutzen kennen lernen. 
Nun giebt sich die Weisheit in vierfacher Hinsicht als 
Scharfsinn, Gerechtigkeit* Starkmut und Massigkeit kund. 
Obenan steht der Scharfsinn, kraft dessen die Vernunft 
den Affekten überlegen ist. Von den Affekten aber sind 
die zwei umfassendsten Arten die Lust und der Schmerz, 
und jede dieser beiden Gemütsbewegungen kann auf den 
Körper sowohl als auf die Seele einwirken. Übrigens 
zählt man in der Lust wie im Schmerz eine Menge von 
Stufenfolgen. Der Lust geht vorher die Begierde, und 



Ueber die Makkabäer. 


215 


€8 folgt ihr das Wohlgefühl; der Unlust aber geht vorher 
das Widerstreben, und es folgt ihr die Bekümmernis. 
Der Zorn ist eine der Lust und der Unlust gemeinsame 
Leidenschaft, die zum Ausbruch kommt, wenn jemand 
darüber nachdenkt, dass ihm etwas fehl ging. In die 
Lust einbegriffen ist auch jene bösartige Gemütsstimmung, 
die unter allen Leidenschaften die mannigfaltigsten 
Formen aufweist und sich in Bezug auf die Seele als 
Prahlerei, Geldgier, Ehrgeiz, Zanksucht und Neid, in 
Bezug auf den Körper als Vielfresserei, Schlemmerei und 
Alleinessen 1 offenbart. Nun giebt es, gerade als wenn 
Lust und Unlust zwei Pflanzen des Körpere und der 
Seele wären, viele Nebenschösslinge dieser Pflanzen; sie 
alle reinigt der grosse Gärtner Vernunft, beschneidet sie, 
bindet sie auf, begiesst sie, verpflanzt sie in jeder mög- 
lichen Weise und veredelt so die Stimmungen und Leiden- 
schaften ihrem Wesen nach. Denn die Vernunft geht 
allen Tugenden voran und beherrscht die Gemütsbe- 
wegungen, und dass sie dies thut, erkennen wir ja 
schon von vornherein an den der Mässigkeit feindlichen 
Dingen selbst Mässigkeit ist somit das, was die Be- 
gierden zügelt. Von den letzteren aber sind die einen 
seelisch, die anderen körperlich, und über beide Arten 
herrscht offenbar die Vernunft. Denn wenn wir uns zu 
verbotener Nahrung hingezogen fühlen, was veranlasst 
uns, die daraus entspringende Lust aufzugeben? Doch 
sicherlich die Erwägung, dass die Vernunft die Begierden 
im Zaum zu halten vermag. Ich glaube also, dass wir 
uns der Begehrlichkeit nach Fischen, Geflügel, Vier- 
füsslern und allen sonstigen Speisen, die uns durch das 
Gesetz verboten sind, lediglich deshalb enthalten, weil 
die Vernunft die Oberhand hat. Die begehrlichen Leiden- 
schaften werden eben von dem verständigen Geist ge- 

1 Gemeinsame, durch Gespräche gewürzte Mahlzeiten waren bei 
den geselligen Griechen und dann auch bei den Völkern, die deren 
Sitten annahmen, sehr gebräuchlich, während das Alleinessen, ohne 
alle Gesellschaft, als Zeichen einer rohen, nur auf die Befriedigung 
sinnlicher Genüsse gerichteten Denkungsart galt. 



216 


Des Flavins Josepbus kleinere Schriften. 


bändigt und abgelenkt, und alle körperlichen Triebe 
schlägt die Vernunft in Feßseln. 1 

3. Was ist übrigens wunderbares daran, wenn sogar 
das Verlangen der Seele nach Vereinigung mit der 
Schönheit aufgehoben wird? In diesem Sinne wird die 
Selbstbeherrschung Josephs gepriesen, weil er durch ver- 
nünftige Überlegung die Wollust niederkämpfte. Denn 
obgleich er noch jung war und in dem Alter stand, wo 
man sich nach geschlechtlichem Umgang sehnt, drängte 
er dennoch die aufwallende Leidenschaft zurück. Aber 
die Vernunft bezwingt offenbar nicht nur den heftigen 
Trieb zur Wollust, sondern sie herrscht auch — das 
wird man nicht verkennen — über jede andere Be- 
gierde. So heisst es ja im Gesetz: „Du sollst nicht be- 
gehren deines Nächsten Weib noch alles, was sein ist.“ 
Wenn nun das Gesetz uns nicht einmal erlaubt, zu be- 
gehren, wie viel mehr muss es uns dann die Über- 
zeugung beibringen, dass die Vernunft den Begierden 
halt gebieten kann wie auch den Leidenschaften, die 
der Gerechtigkeit im Wege stehen! Denn wie könnte 
ein an Alleinessen , Schwelgerei und Unmässigkeit im 
Trinken gewöhnter Mensch sich ändern, wenn die Vernunft 
nicht augenscheinlich Herrin über die Leidenschaften 
wäre ? Ebenso bezwingt ein treuer Anhänger des Gesetzes, 
mag er auch noch so geldgierig sein, den eigenen 
Charakter,, indem er den Dürftigen ohne Zins Darlehen 
giebt 2 und beim Eintritt des siebenten Jahres die Schuld- 
summe [erlässt. 3 Ferner beeinflusst das Gesetz mittels 
der Vernunft einen Geizhals, sodass er weder auf den 
abgeernteten Feldern noch in den Weinbergen Nachlese 
hält. 4 Und in den übrigen Verhältnissen des Lebens 


1 Wer denkt hier nicht an Platos berühmtes Gleichnis von der 
Wagenlenkerin Vernunft, welche die feurigen Rosse — die ver- 
schiedenen Neigungen der Menschennatur — zusammen hält und 
zügelt? 

2 2. Mos. 22, 24; 3. Mos. 26, 35—37 ; 5. Mos. 23, 20 f. 

8 5. Mos. 15, 1 ff. 

4 3. Mos. 19, 9f. 



Ueber die Makkabäer. 


217 


kann man gleichfalls sehen, wie die Vernunft über die 
Triebe erhaben ist. Das Gesetz nämlich herrscht auch 
über die Wertschätzung der £ltern, indem es die Tugend 
ihretwegen nicht preisgiebt, und steht höher als die Zu- 
neigung zur Gattin, indem es wegen einer Übertretung 
sie zurechtweist, und lenkt die Liebe zu den Kindern, 1 
indem es für begangene Sünden sie bestraft, und ge- 
bietet nicht minder dem Verkehr der Freunde, indem 
es um ihrer Schlechtigkeit willen sie züchtigt. Haltet 
es übrigens nicht für widersinnig, dass die Vernunft 
durch Vermittlung des Gesetzes sogar die Feindschaft 
in mildere Bahnen lenkt: denn man soll die Nutzbäume 
der Feinde nicht abhauen, 2 das in Verlust geratene 
Eigentum der Gegner aufbewahren und ihre gefallenen 
Tiere wieder aufrichten. 3 Auch den stärkeren Affekten 
gegenüber, als da sind Herrschsucht, Ehrgeiz, Prahlerei, 
Anmassung und Neid, zeigt sich die Vernunft als Siegerin. 
Alle diese schlimmen Leidenschaften wendet der ver : 
ständige Geist zum Guten, verdrängt und bezwingt sie 
gleichwie den Zorn ; denn auch über diesen ist er Meister. 
So that Moyses, als er dem Dathan und Abiram grollte, 
in seinem Zorn nichts gegen die beiden, sondern be- 
schwichtigte seinen Grimm durch vernünftige Über- 
legung. 4 * Denn der verständige Geist besitzt, wie ich 
schon sagte, die Macht, den Leidenschaften die Spitze 
zu bieten und sie teils anderswohin zu lenken, teils zu 
unterdrücken. Weshalb denn sonst erhob unser hoch- 
weiser Vater Jakob gegen Simeon und Levi den Vor- 
wurf, dass sie ohne vernünftige Überlegung das ganze 
Volk der Sikimiten niedergemacht hätten, 6 indem er 
6agte: „Verflucht sei ihr Zorn“? Wenn nämlich die 
Vernunft den Zorn nicht beherrschen könnte, würde er 
so nicht gesprochen haben. Als Gott den Menschen 

1 5. Mos. 21, 18; Sprüche Sal. 13, 24; 19,18; 23, 13 f. ; 29, 15 ; 17. 

2 5. Mos. 20, 19 f. 

8 2. Mos. 23,2; 4; 5. 

4 4. Mos. 16. 

8 1. Mos. 49, 5— 7. 



218 Des Flavius Josepbus kleinere Schriften. 

bildete und ihn mit Vernunft und freiem Willen 
schmückte, da pflanzte er ihm auch die Leidenschaften 
und Seelenstimmungen ein und setzte den Verstand als 
Herrscher über die inneren Sinneswerkzeuge auf den 
Thron. Auch gab er dem Verstand ein Gesetz, nach 
welchem dieser sein königliches Amt besonnen, gerecht, 
gütig und wacker versehen müsse. 

Warum aber, könnte jemand aufs neue ein werfen, hat 
die Vernunft, wenn sie Herrin über die Leidenschaften 
ist, nicht auch Gewalt über Vergesslichkeit und Un- 
wissenheit? Das ist, nochmals gesagt, eine überaus 
lächerliche Frage; denn die Vernunft beherrscht zweifellos 
nicht ihre eigenen Störungen, sondern die rein körper- 
lichen Affekte. So kann niemand die Begehrlichkeit in 
uns vernichten, aber dass wir der Begehrlichkeit nicht 
sklavisch unterthan sind, das zu bewirken ist die Ver- 
nunft imstande. Den Zorn kann niemand in unserer 
.Seele vernichten, aber dass wir nicht Knechte des Zornes 
sind, dazu vermag die Vernunft ihre Hilfe zu leihen. 
Die Bosheit kann niemand in uns vernichten, aber dass 
wir von der Bosheit nicht unterjocht werden, dazu kann 
die Vernunft als treue Mitstreiterin beitragen. Die Ver- 
nunft rottet eben die Leidenschaften nicht mit Stumpf 
und Stiel aus, sondern sie kämpft dieselben nieder. Das 
lässt sich recht klar an dem Durste des Königs David 
beweisen . 1 Den ganzen Tag über hatte David an der 
Spitze seines] Volk es die Feinde bekämpft und viele von 
ihnen getötet. Als es nun Abend geworden war, ging 
er schweissbedeckt und aufs äusserste ermattet zum 
königlichen Zelt, um welches das ganze Heer unserer 
Vorfahren sich gelagert hatte. Die anderen eilten sämt- 
lich zur Abendmahlzeit; der König aber mochte, obwohl 
es ihn sehr dürstete und eine Menge Quellen in der Nähe 
waren, seinen Durst aus diesen nicht stillen, sondern es 
ergriff ihn ein unsinniges Verlangen nach dem Wasser, 
das im feindlichen Lager floss, und dieses Verlangen 


1 2. Sam. 28, 13—17. 



Ueber die Makkabäer. 


219 


dörrte ihn aus und verzehrte ihn sozusagen gänzlich. 
Weil nun die Leibwächter jammerten, dass der König 
Durst leiden müsse, warfen sich drei jugendliche und 
starke Krieger aus Ehrfurcht vor dem Wunsche ihres 
Königs in volle Waffenrüstung, ergriffen einen Krug 
und überstiegen die feindliche Verschanzung. Unbemerkt 
von den Wachtposten am Thor schlüpften sie hinein, 
spürten im ganzen Lager umher, fanden die Quelle und 
brachten voll Mut dem Könige daraus zu trinken. Aber 
obwohl David vor Durst brannte, bedachte er doch, wie 
überaus gefahrvoll es sei, den Geist glauben zu machen, 
ein Trunk habe denselben Wert wie Blut. Deshalb 
liess er der Begierde gegenüber die Vernunft zur Geltung 
kommen und spendete das Wasser Gott dem Herrn. 
Denn der vernünftige Geist ist, wie schon bemerkt, im- 
stande, den Zwang der Leidenschaften zu besiegen, die 
Flammen verzehrender Triebe zu löschen, die Schmerzen 
des Körpers, seien sie noch so stark, zu bemeistern und 
durch das edle Streben der Vernunft alle Herrschgelüste 
der Leidenschaften zu verachten. Nunmehr aber wird 
es Zeit für uns, das Beispiel zur Theorie von der Herr- 
schaft der Vernunft aufzustellen wie folgt. 

4. Unsere Väter lebten wegen ihrer Treue gegen die 
Gesetz^ in tiefem Frieden und genossen einen guten 
Ruf, weshalb denn auch Seleukus Nikanor, 1 der König 
von Asien, ihnen Gelder für den Tempeldienst spendete 
und ihre Verfassung billigte. Dann aber suchten einige 
Umstürzler die allgemeine Eintracht zu stören und be- 
schworen vielfaches Unheil herauf. Ein gewisser Simon - 
nämlich war mit Onias, einem edlen und vortrefflichen 
Manne, der damals die Hohepriesterwürde auf Lebens- 
zeit besass, verfeindet, und da er ihm trotz aller erdenk- 
lichen Verleumdungen beim Volke nicht zu schaden 
vermochte, entfernte er sich heimlich, um das Vaterland 


1 Muss heissen : Philopator. Als König von Asien wird er hier 
bezeichnet, weil das Reich der Seleukiden asiatische Länder umfasste. 
’ Nach 2. Makk. 3, 4 Vorsteher des Tempels. 



220 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

zu verraten. Er begab sich also zu Apollonius, dem Statt- 
halter von Syrien, Phoenicien und Cilicien , 1 und sprach zu 
ihm: „Aus Eifer für das Interesse des Königs bin ich 
gekommen, um anzuzeigen, dass viele Tausende an Privat- 
geldern, welche mit dem Tempel nichts gemein haben, in den 
Schatzkammern Jerusalems aufgehäuft liegen ; sie kommen 
doch eigentlich dem Könige Seleukus zu.“ Als Apollonius 
sich eingehend über die Sache unterrichtet hatte, lobte 
er den Simon wegen seiner Anhänglichkeit an den König; 
alsdann eilte er zu Seleukus und machte ihm von dem 
reichen Schatz Mitteilung. Der König erteilte ihm die 
nötige Vollmacht, und nun rückte er eiligst mit dem 
verwünschten Simon und einem gewaltigen Heere gegen 
unsere Vaterstadt heran . 2 Gleich nach seiner Ankunft 
erklärte er, er sei im Auftrag des Königs erschienen, 
um die in den Schatzkammern liegenden Privatgelder 
zu holen. Ob dieser Rede trauerte das Volk und wider- 
sprach dem Vorhaben; man hielt es für schrecklich, dass 
diejenigen, die ihre Ersparnisse dem heiligen Schatz 3 
an vertraut hatten, deren beraubt werden sollten, und 
sträubte sich nach Möglichkeit. Apollonius aber betrat 
unter Drohungen das Heiligtum, während die Priester 
mit Weib und Kind im Tempel zu Gott flehten, er möge 
den geweihten Ort vor Schändung bewahren, ^.ls nun 
Apollonius mit bewaffneter Macht eindrang, um das 
Geld zu rauben , erschien vom Himmel her hoch zu 
zu Ross und mit blitzenden Waffen eine Engelschar, 
welche die Soldaten mit Furcht und Entsetzen erfüllte. 
Halb entseelt fiel Apollonius in dem für das Volk be- 
stimmten Vorhofe des Tempels zu Boden, breitete die 
Hände gen Himmel aus und beschwor die Hebräer 

1 2. Makkabäer 8, 5 beisst es : Statthalter von Coelesyrien und 
Phoenicien. 

2 Nach 2. Makk. 3 , 7 ff. war es nicht Apollonius, sondern der 
königliche Schatzmeister Heliodor, der nach Jerusalem zog, um die 
Gelder wegzunehmen. 

8 Die Schatzkammern befanden sich im Tempel (s. Jüdischer 
Krieg V, 5, 2). 



Ueber die Makkabäer. 


221 


uuter Thränen, für ihn zu beten und das himmlische 
Heer zu besänftigen. Der Hohepriester Onias, den diese 
Worte rührten und der ausserdem besorgt war, König 
Seleukus möchte glauben, Apollonius sei nicht der gött- 
lichen Gerechtigkeit, sondern einem Angriff von mensch- 
licher Seite erlegen, betete denn auch für ihn . 1 So 
wurde Apollonius wider Erwarten gerettet und eilte von 
dannen, um dem König seine Erlebnisse zu berichten. Als 
nun Seleukus gestorben war, folgte ihm in der Regierung 
sein Sohn 2 Antiochus Epiphanes, ein sehr grausamer 
und übermütiger Mann, der dem Onias die Hohepriester- 
würde nahm und sie an dessen Bruder Jason übertrug, 
weil dieser versprochen hatte, ihm jährlich dreitausend- 
sechshundertundsechzig 3 Talente zu geben, wenn er ihm 
das Amt verleihen würde. Daraufhin machte Antiochus 
ihn zum Hohepriester und vertraute ihm auch die Leitung 
des Volkes an. Jason aber lenkte und verführte das 
Volk zu allerlei Ungesetzlichkeiten. So erbaute er nicht 
nur eine Ringschule gerade auf dem Burgfelsen 4 unserer 
Vaterstadt, sondern er schaffte auch die Besorgung des 
Heiligtums gänzlich ab. Darüber erzürnt, liess die gött- 
liche Gerechtigkeit den Antiochus als Feind gegen die 
Stadt anrücken. Als dieser nämlich in Aegypten mit 
Ptolemaeus Krieg führte, vernahm er, dass sich das Ge- 
rücht von seinem Tode verbreitet habe und wie sehr die 
Bewohner Jerusalems darüber erfreut seien. Sogleich 
brach er nun gegen sie auf, und nachdem er sie besiegt 
hatte, erliess er den Befehl, dass alle, die man bei der 
Befolgung des väterlichen Gesetzes ertappe, mit dem 
Tode bestraft werden sollten. Als er aber auf keine 
Weise die Gesetzestreue des Volkes zu brechen ver- 
mochte, vielmehr sehen musste, wie alle seine Drohungen 
und Strafen vergeblich waren und sogar Frauen dafür, 

1 Vergl. hierzu 2. Makk. 3, 27 — 34, wo der Hergang etwas anders 
dargestellt ist. 

2 Muss heissen : Bruder. 

u Nach 2. Makk. 4,8 f. nur 590. 

4 Akra. 



222 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


dass sie ihre Knäblein hatten beschneiden lassen, sich 
mitsamt den Kindern zerschmettern Hessen, obwohl ihr 
Schicksal ihnen klar vor Augen stand — als, sage ich, 
seine Befehle so vom Volke verachtet wurden, da zwang 
er selbst durch Anwendung der Folter jeden einzelnen, 
unreine Speisen zu kosten und das Judentum abzu- 
schwören. 

&. So nahm denn der Tyrann Antiochus nebst seinen 
Beisitzern auf einer Erhöhung Platz, rings umgeben von 
seinen bewaffneten Schergen, und befahl diesen, einen 
Hebräer nach dem anderen herbeizuschleppen und sie 
zu nötigen, Fleisch von Schweinen und solchen Tieren, 
die den Götzen geopfert waren, zu essen ; wer sich weigere, 
Unreines zu gemessen, der solle auf dem Rad gefoltert 
und getötet werden. Nachdem nun schon viele aus der 
Menge herangeschleppt waren, führte man vor den König 
einen Mann mit Namen Eleazar, der aus priesterlichem 
Geschlecht stammte, von Beruf Schriftgelehrter war und 
bereits in hohem Alter stand ; wegen der letzteren Eigen- 
schaft kannten ihn viele aus der Umgebung des Tyrannen. 
Bei seinem Anblick sagte Antiochus : „Bevor ich mit den 
Foltern gegen dich beginne, alter Mann, will ich dir 
raten, vom Schweinefleisch zu kosten und dich dadurch 
zu retten. Ich habe Scheu vor deinem Alter und deinen 
grauen Haaren; freilich scheinst du mir trotz dieser 
grauen Haare nicht verständig geworden zu sein, da du 
dem Aberglauben der Juden noch anhängst. Denn 
weshalb sträubst du dich, von dem Fleische dieses Tieres 
zu essen, das die Natur uns als überaus wohlschmeckende 
Nahrung geschenkt hat? Es ist ja widersinnig, sich der 
Genüsse zu enthalten, die von jeder Schande frei sind, 
und unrecht, die Gaben der Natur zurückzuweisen. Und 
noch viel unvernünftiger handelst du meines Erachtens, 
wenn du auf Grund einer eingebildeten Ansicht von der 
Wahrheit auch noch meine Person geringschätzest und 
dir dadurch Strafe zuziehst. Willst du nicht erwachen 
aus dem Schlaf, in den eure Weisheitslehre dich ver- 
senkt hat, das Thörichte deiner Ansichten verbannen, 



Ueber die Makkabäer. 


223 


e ine deinem Alter ziemende Verständigkeit annehmen, 
einer Wahrheit huldigen, die dir nur von Nutzen sein 
kann, und zum Dank für mein freundliches Zureden 
Mitleid mit deinem Greisenalter haben ? Bedenke ferner, 
dass, wenn es wirklich eine Macht giebt, die euren 
Aberglauben schirmt, sie dir wohl jede durch Gewalt 
erzwungene Gesetzesübertretung verzeihen wird." Wäh- 
rend der Tyrann dem Eleazar auf solche Weise das 
gesetzwidrige Mahl aufzudrängen versuchte, erbat dieser 
sich das Wort und begann, als er die Erlaubnis zu 
sprechen erhalten hatte, mit lauter Stimme folgender- 
massen zu reden : „Wir, Antiochus, die wir das göttliche 
Gesetz in all unserem Thun befolgen, hegen die Meinung, 
kein Zwang könne so stark sein, dass wir dem Gesetz 
den Gehorsam versagen müssten. Deshalb glauben wir 
ihm in keinem Punkte entgegenhandeln zu sollen. Ja, 
selbst wenn unser Gesetz, wie du annimmst, nicht in 
Wahrheit von Gott herstammte, von uns aber für gött- 
lich gehalten würde, so dürften wir auch dann unsere 
Ansicht in betreff der Gottesverehrung nicht aufgeben. 
Denke nur nicht, es sei eine kleine Sünde, wenn wir 
Unreines essen. Denn es ist ganz gleich, oh man in 
kleinen oder in grossen Dingen gegen das Gesetz verstösst; 
wird es doch in beiden Fällen auf die nämliche Weise 
mit Füssen getreten ! Du verspottest unsere Philosophie, 
als wäre es ein Zeichen von Thorheit, dass wir unser 
Leben danach einrichten. Aber sie lehrt uns Mässig- 
keit, sodass wir alle Lüste und Begierden unterdrücken, 
übt uns in Tapferkeit, sodass wir jede Mühsal gern er- 
tragen, und unterweist uns in Gerechtigkeit und Frömmig- 
keit, sodass wir nur den wahren Gott und zwar mit ge- 
bührender Pracht verehren. Darum gemessen wir nichts 
Unreines. Denn eben weil wir fest glauben, Gott selbst 
habe das Gesetz aufgestellt, sind wir auch überzeugt, 
dass der Gesetzgeber unserer Natur entsprechend ver- 
fahren ist In diesem Sinne hat der Urheber des Gesetzes 
uns gestattet, das unserer körperlichen Eigenart Zuträg- 
liche zu verspeisen, hingegen verboten, von dem Fleische 



224 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


zu essen, das ihr widersteht. Es entspricht nun ganz 
dem Gebaren eines Tyrannen, uns nicht nur zur Ge- 
setzesübertretung im allgemeinen, sondern auch zur Miss- 
achtung des Speiseverbotes zwingen zu wollen ; du würdest 
uns ja weidlich auslachen, wenn wir die uns so verhasste 
unreine Nahrung verzehrten. Doch du wirst, was meine 
Person betrifft, ein solches Gelächter nicht erheben, auch 
nicht — das versichere ich dir bei dem heiligen Schwur 
unserer Vorfahren, dem Gesetz die Treue zu halten — , 
wenn du mir die Augen ausstechen und die Eingeweide 
rösten liessest. Ich bin nicht so alt und schwächlich, 
dass mir nicht um der Frömmigkeit willen die Vernunft 
wieder verjüngt würde. Lass also, was das anbetrifft, 
nur die Räder bereitstellen und das Feuer noch stärker 
entfachen; ich habe nicht soviel Mitleid mit meinem 
Alter, dass ich deshalb das väterliche Gesetz für un- 
giltig erklären möchte. Nein, ich werde dich nicht ver- 
leugnen, weise belehrendes Gesetz, nicht dich abschwören, 
teure Enthaltsamkeit, nicht dich entehren, nach Erkenntnis 
ringende Vernunft, nicht dir entsagen, geliebtes Priester- 
tum, noch dir, Gesetzeskunde; und nicht beflecken wird 
dieser Mund mein ehrwürdiges Alter und die letzten 
Tage eines gottesfürchtigen Lebens. Rein sollen mich 
die Väter aufnehmen, wenn ich furchtlos deinen Martern 
bis zum Tode getrotzt habe. Du wirst allerdings in 
deiner Ruchlosigkeit mich quälen; meine religiöse Über- 
zeugung aber kannst du weder durch Worte noch durch 
thätliches Vorgehen erschüttern!“ 

6. Ah Eleazar in solcher Weise die' Aufforderung 
des Tyrannen beantwortet hatte, rissen ihn die um- 
stehenden Soldaten mit roher Gewalt zu den Folter- 
werkzeugen. Zunächst entkleideten sie den Greis, der 
aber aufs reichste geschmückt blieb durch den Glanz 
seiner Frömmigkeit; dann banden sie ihm die Hände 
auf dem Rücken zusammen und marterten ihn mit 
Geisselhieben , während vom anderen Ende des Platzes 
ein Herold rief: „Gehorche den Befehlen des Königs!“ 
Der hochherzige und wahrhaft edle Eleazar indes gab, 



Ueber die Makkabäer. 


225 


als wäre die Folterung für ihn nur ein Traum, nicht im 
mindesten nach, sondern er wandte die Augen hoch gen 
Himmel und liess als altersschwacher Greis sein Fleisch 
von den Hieben zerreissen. Blutüberströmt und mit 
Wunden bedeckt sank er schliesslich zu Boden, weil sein 
Körper die Schmerzen nicht mehr ertragen konnte; aber 
auch da noch blieb sein Geist standhaft und ungebeugt. 
Einer von den grausamen Kriegsknechten sprang nun 
gegen seine Weichen an und trat ihn mit dem Fuss, 
damit er sich von seinem Fall erhöbe. Eleazar aber 
verachtete die Schmerzen, die ihm der Tritt verursachte, 
spottete der Gewalt, harrte in seinen Qualen aus und 
triumphierte ungeachtet seines hohen Alters gleich einem 
tüchtigen Ringkämpfer über seine Peiniger, indem er, 
während der Schweiss ihm vom Antlitz rann und seine 
Brust sich keuchend hob, in seiner Seelenstärke sogar 
bei den Henkern Bewunderung erregte. Deshalb gingen 
einige aus der Umgebung des Königs teils aus Erbarmen 
mit seinem Alter, teils aus Mitleid für ihn, da sie ihn 
von früher her kannten, teils aus Achtung vor seinem 
Starkmut zu ihm und sprachen: „Weshalb stürzest du 
dich thörichterweise selbst in dieses Leid, Eleazar? Wir 
wollen dir von dem gesottenen Fleisch vorsetzen, und 
dann kannst du dich ja anstellen, als ob du Schweine- 
fleisch ässest, und dich so retten.“ Der Greis aber, den 
dieser Rat erst recht grausam zu peinigen schien, rief 
mit lauter Stimme: „Fern sei es, dass wir Söhne Abra- 
hams so schimpflich denken und aus Zaghaftigkeit eine 
That erheucheln, die uns nicht ziemt. Auch wäre es 
ja unvernünftig, wenn wir, die wir bis zur Schwelle des 
Greisenalters der Wahrheit gefolgt sind und den hieraus 
entspringenden Glauben als treue Anhänger des Gesetzes 
bewahrt haben, jetzt noch die Gesinnung wechselten und 
mit unseren grauen Haaren der Jugend das Urbild der 
Gottlosigkeit vorführten. Auf diese Weise würden wir 
ein Beispiel für die Übertretung der Speiseverbote geben 
und, abgesehen davon, dass wir den Rest unserer Tage 
in Schimpf und Schande verleben müssten, auch noch 

Josephua, Kleinere Schriften. 15 

Go gle 



226 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


wegen unserer Feigheit von allen verhöhnt, von dem 
Tyrannen aber als Schwächlinge verachtet werden. Unser 
göttliches Gesetz bis in den Tod zu schirmen, wäre uns 
dann versagt, während hingegen ihr als echte Söhne 
Abrahams mit edlem Sinn für eure Religion sterben 
könntet. Doch was zögert ihr, Söldner des Tyrannen?“ 
Als sie ihn nun den Martern gegenüber so standhaft 
sahen und sich überzeugen mussten, dass er selbst durch 
ihr Mitleid sich nicht zur Sinnesänderung bewegen liess, 
schleppten sie ihn über das Feuer, warfen ihn hinein, 
brannten ihn mit grässlichen Werkzeugen und gossen 
ihm übelriechende Flüssigkeiten in die Nase. Er aber, 
schon bis auf die Knochen versengt und im Begriff, den 
Geist aufzugeben, richtete die Augen zu Gott empor und 
betete: „Du weisst, o Gott, dass ich, obwohl Rettung 
mir möglich war, den qualvollen Feuertod für das Gesetz 
erleide. Deshalb sei deinem Volke gnädig, lass, indem 
du dich zu ihren Gunsten mit unserer Strafe begnügst, mein 
Blut zum Sühnmittel für sie werden und nimm statt 
ihrer Seelen die meinige an!“ Mit diesen Worten starb 
der heilige Mann voll Heldenmut an den Martern und 
widerstand allen Qualen bis zum Tode durch die Ver-*^ 
nunft um des Gesetzes willen. Geht daraus nicht klar 
hervor, dass die fromme Vernunft Herrin über die Triebe 
ist? Denn hätten diese sich der Vernunft überlegen 
gezeigt, so wäre ihnen von mir das Zeugnis der Herr- 
schaft erteilt worden. Da aber im vorliegenden Falle 
die Vernunft die Oberhand behalten hat, so müssen wir 
ihr billigerweise die Fähigkeit, zu regieren, einräumen. 
Auch sind wir, um nicht der Lächerlichkeit zu verfallen, 
genötigt zuzugeben, dass sie die Kraft hierzu besitzt, 
da sie ja die von aussen kommenden Schmerzen be- 
zwingt. Sie herrscht aber, wie ich gezeigt habe, nicht 
allein über die Schmerzen, sondern auch über die Ge- 
lüste, denen sie in keiner Hinsicht nachgiebt. 

7. Wie ein vortrefflicher Steuermann nämlich lenkte 
die Vernunft unseres Vaters Eleazar das Schiff der 
Frömmigkeit in dem Meer der Triebe, und obwohl er 

Go gle 



Ueber die Makkabäer. 


227 


von den Wogen der Martern überflutet, d. h. den Droh- 
ungen des Tyrannen entsprechend gepeinigt wurde, 
wandte er keineswegs das Steuer der Frömmigkeit, bis 
er in den Hafen des ewigen Sieges eingelaufen war. 
Niemals widerstand eine mit vielen und mannigfaltigen 
Maschinen belagerte Stadt so wie der hochheilige Eleazar, 
der, während Qualen und Folterwerkzeuge seinen makel- 
losen Geist bedrängten, seine Peiniger durch die Ver- 
nunft, die Beschützerin der Frömmigkeit, besiegte. Wie 
einen vorspringenden Felsen stellte Vater Eleazar seine 
Gesinnung hin und zerteilte so die Wogen der Triebe. 
O du deines Amtes würdiger Priester, nicht entweihtest 
du deine unbefleckten Zähne, nicht den an rituelle Speise 
gewöhnten Leib durch Verzehren unreiner Nahrung ! 
Treuer Befolger des Gesetzes, weisheits voller Jünger des gött- 
lichen Wortes, wahres Vorbild aller, die das Gesetz mit dem 
eigenen Blute heiligen und durch ihren in den tödlichsten 
Martern vergossenen edlen Schweiss beschirmen wollen! 
Du, Vater, hast durch deine Standhaftigkeit unsere Ge- 
setzestreue ruhmvoll bezeugt, durch deine erhabene Rede 
die heiligen Bräuche vor dem Verfall bewahrt, durch 
deine Thaten die Worte der göttlichen Weisheit be- 
kräftigt, du Greis, stärker als Foltern, machtvoller als 
Flammenglut, Eleazar, grösster Bezwinger der Leiden- 
schaften! Denn wie der Vater Aaron, bewaffnet mit 
dem Rauchfass, durch das mörderische Feuer schritt und 
den flammenden Engel 1 besiegte, so ist Aarons Nach- 
komme Eleazar trotz des ihn verzehrenden Feuers seinen 
vernünftigen Entschliessungen nicht untreu geworden. 
Und was das wunderbarste ist: er, der Greis, dessen 
körperliche Kraft schon gebrochen, dessen Muskeln ge- 
lähmt, dessen Sehnen geschwächt waren, wurde durch 
die Vernunft dem Geiste nach wieder jung. O glück- 
seliges Greisenalter, ehrwürdiges Silberhaar, Leben 


1 Bezieht sich auf 4. Mos. 16, 46—48. Die dort erwähnte Seuche 
ist hier als das Werk eines Glutengels aufgefasst. Vergl. Tract. 
Sabbath 89, 1. 


Go gle 



228 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


voll Gesetzestreue, dem der Glaube das Todessiegel auf- 
drückte ! 

Steht es nun fest, dass dieser altersschwache Mann 
die tödlichen Qualen aus Frömmigkeit verachtete, so ist 
zweifellos die fromme Vernunft Beherrscherin der Triebe. 
Man könnte freilich ein werfen: Nicht alle bezwingen die 
Leidenschaften, weil nicht alle eine scharf überlegende 
Vernunft besitzen. Aber so viele der Frömmigkeit zu- 
gethan sind , die streben aus ganzem Herzen nach ein- 
sichtsvoller Vernunft, und nur sie allein können über 
die Triebe des Fleisches Gewalt haben. Dem scheint 
mir nun die Schwäche der Vernunft nicht im Wege zu 
stehen. Denn wenn jemand sein ganzes Denken nacb 
den Vorschriften der Philosophie einrichtet, wenn er auf 
Gott vertraut, wenn er überzeugt ist, man könne nur 
dadurch glückselig werden, dass man um der Tugend 
willen jede Drangsal erträgt — sollte die Gottesfurcht 
eines solchen Menschen nicht über alle Leidenschaften 
triumphieren? Ja, der Weise allein ist mutig, der Weise 
allein Herr seiner Triebe! 

8. Aus diesem Grunde haben selbst knabenhafte Jüng- 
linge, die den Eingebungen frommer Vernunft folgten, 
noch schwerere Martern überwunden. Als nämlich der 
Tyrann bei seinem ersten Versuch so offenkundig unter- 
legen war, da er einen Greis nicht zwingen konnte, ver- 
botene Speise zu gemessen, befahl er in heftigem Zorn, 
andere aus der gefangenen Hebräerschar vorzuführen; 
wenn sie unreine Nahrung zu sich nähmen, sollten sie frei 
ausgehen, im Falle der Weigerung aber grausam ge- 
foltert werden. Auf diesen Befehl des Tyrannen wurden 
mit ihrer alten Mutter sieben Brüder herangebracht, 
schöne, bescheidene, edle, gottesfürchtige und in jeder 
Hinsicht liebenswürdige Menschen. Kaum hatte der 
Tyrann sie erblickt, wie sie gleichsam als Chor 1 die 


1 Das Bild ist hergenommen aus der griechischen Tragödie, iu 
der der Chor (12 — 24 Säuger) uuter einstimmigem Gesang seuten- 
tiösen Inhalts gemessene Tänze auf der Orchestra aufluhrte. 



Ueber die Makkabäer. 


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Mutter umgaben, als er aus Gefallen an ihnen und von 
ihrem edlen Anstand betroffen ihnen zulächelte, sie näher 
heranrief und sprach: „Ihr Jünglinge, freundlich be- 
wundere ich die Schönheit eines jeden von euch, und da 
ich eine solche Brüderschar gar hoch schätze, so wider- 
rate ich euch nicht nur, das wütende Benehmen des eben 
gefolterten Greises nachzuahmen , sondern lade euch 
auch ein, meine Freundschaft zu gemessen, wenn ihr 
meinen Rat befolgt habt. Denn wie ich die, welche 
meinen Befehlen nicht gehorchen, zur Strafe ziehen kann, 
so vermag ich anderseits denen wohlzuthun, die sich 
meinem Willen fugen. Erfüllt ihr nun mein Gebot, so 
sollt ihr Würden und Befehlshaberstellen in meinem 
Reiche erhalten und eurer Jugend froh werden, nach- 
dem ihr euch aus den ererbten Fesseln eurer Satzungen 
losgemacht und griechische Lebensart angenommen habt. 
Erregt ihr aber durch Ungehorsam meinen Zorn, so 
werdet ihr mich nötigen, schreckliche Strafen zu ver- 
hängen und jeden einzelnen von euch auf der Folter 
sterben zu lassen. Habt also Mitleid mit euch selbst, 
da auch ich, obwohl euer Feind, um eurer Jugend und 
schönen Gestalt willen mich euer erbarme, und bedenket 
wohl, dass euch im Falle der Gehorsamsverweigerung 
nichts als ein qualvoller Tod bevorsteht.“ Nach diesen 
Worten liess er die Folterwerkzeuge vor ihnen aufstellen, 
damit auch die Furcht vor diesen sie veranlassen möchte, 
Unreines zu verzehren. Als nun die Räder, eisernen 
Hände, Gliederverrenker, Schraubstöcke, Schindwerk- 
zeuge, die Schwingen, Ressel, Pfannen, Fingerschrauben 
und Keile sowie die Blasebälge zum Entfachen des Feuers 
von den Kriegsknechten herbeigeschleppt waren, erhob 
der Tyrann abermals seine Stimme und sprach : „Fürchtet 
euch, ihr Knaben 1 Das gerechte Wesen, dem ihr eure 
Verehrung darbringt, wird euch übrigens die erzwungene 
Missachtung des Gesetzes gnädig nachsehen “ Sie aber 
waren, als sie die schmeichelnden Worte vernahmen und 
die grässlichen Werkzeuge sahen, so weit entfernt, in 
Schrecken zu geraten, dass sie sogar dem Tyrannen 



230 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


widersprachen und durch edle Beredsamkeit auf sein 
grausames Gemüt einzu wirken suchten. Wären nun 
Feiglinge und Verzagte unter ihnen gewesen, welcher 
Worte, meint ihr, hätten sie sich wohl bedient? Sicher- 
lich würden sie dann gesprochen haben wie folgt: „Ach, 
was sind wir unglücklich und überaus thöricht zugleich ! 
Der König ermahnt uns ja und sichert uns Wohlthaten 
zu für den Fall, dass wir ihm gehorchen. Warum also 
gefallen wir uns in eitlen Ratschlüssen und wagen den 
todbringenden Ungehorsam? Wollen wir uns nicht viel- 
mehr, liebe Brüder* vor den Marterwerkzeugen ängstigen, 
die Schrecken der Folterung bedenken, den leeren Ruhm, 
der daraus entspringt, und die verderbliche Prahlerei 
.fliehen? Lasst uns Mitleid haben mit unserem Jüng- 
lingsalter, Erbarmen mit den grauen Haaren unserer 
Mutter, und beherzigen wir, dass der Ungehorsam uns 
.den Tod bringen muss, dass aber anderseits die göttliche 
Gerechtigkeit uns verzeihen wird, wenn wir in anbetracht 
•unserer Zwangslage den König fürchten. Weshalb 
.wollen wir dem freudevollen, Leben entsagen und auf 
die Süssigkeit der Welt verzichten? Übrigens verurteilt 
das Gesetz selbst uns nicht wegen der Handlungen zum 
Tode, die wir gegen unseren Willen, aus Furcht vor den 
Martern begehen. Woher denn kommt uns solcher Wider- 
spruchsgeist, und warum haben wir Vergnügen an einer 
Halsstarrigkeit, die uns dem Tod in die Arme werfen 
wird, da, wir doch unbehelligt leben können, wenn wir 
des Königs Willen thun?“ £.ber nichts von alledem 
Hessen die der Folterung harrenden Jünglinge verlauten, 
ja sie dachten nicht einmal daran; denn sie schätzten 
die Triebe gering und bemeisterten die Schmerzen. 
Deshalb sprachen sie, sowie der Tyrann auf hörte, ihnen 
den Genuss unreiner Speise anzuraten, als hätten sie 
alle zusammen nur eine Seele, einstimmig zu ihm: 

9. „Was zauderst du, Tyrann? Handle, wie es dir 
beliebt! Denn wir sind bereit, eher zu sterben, als 
unseren väterlichen Satzungen untreu zu werden. Wir 
hätten uns auch mit Recht vor unseren Ahnen zu schämen, 



Ueber die Makkabäer. 


231 


wenn wir dem Gesetze nicht vollauf gehorchten und den 
Rat des Moyses verschmähten. Mute uns also keine 
Gesetzesübertretung zu, und da du uns hassest, so hege 
kein grösseres Mitleid mit uns als wir selbst. Härter 
wie der Tod kommt uns ja dein Erbarmen .vor, das uns 
zum Zwecke unserer Rettung das Gesetz missachten 
lassen will. Du suchst uns dadurch zu erschrecken, dass 
du uns mit dem Martertode drohst, als ob du soeben 
von Eleazar nichts gelernt hättest. Wenn aber unter 
den Hebräern die Greise so gottesfürchtig sind, dass 
sie um der Religion willen selbst vor Foltern nicht 
zurückbeben, wie viel mehr ziemt es da uns Jüng- 
lingen, unter Verachtung deiner Straf- und Zwangs- 
mittel zu sterben, denen sogar unser greiser Lehrer Eleazar 
getrotzt hat! Stelle uns also auf die Probe, Tyrann, 
und glaube nicht, dass, wenn du uns wegen unserer 
Frömmigkeit zu Tode peinigst, deine Martern unseren 
Seelen etwas schaden könnten. Denn wir werden durch 
standhaftes Ertragen dieser Qualen die der Tugend ver- 
heissenen Belohnungen erlangen und bei Gott sein, um 
dessetwillen wir ja leiden; du aber wirst für den an 
uns begangenen grausamen Mord von der göttlichen 
Gerechtigkeit zur verdienten ewigen Strafe gezogen 
werden.“ Als sie so sprachen, geriet der Tyrann nicht 
nur wegen ihres Ungehorsams in Erbitterung gegen sie, 
sondern zürnte ihnen auch ob ihrer Unglücksprophe- 
zeiung. Auf seinen Befehl führten nun die Schergen 
sogleich den ältesten der Jünglinge herbei, zerrissen ihm 
die Kleider und banden ihm die Hände und Arme mit 
Riemen zusammen. Dann geisselten sie ihn, und als sie 
des Schlagens überdrüssig waren und nichts ausgerichtet 
hatten, warfen sie den edlen Jüngling aufs Rad, streckten 
ihn hier aus und verrenkten ihm den ganzen Körper. 
An allen Gliedern zerbrochen, stiess er die Verwünschung 
aus: „Verruchtester Tyrann, Feind der himmlischen 
Gerechtigkeit, herzloser Wüterich, nicht weil ich jemand 
getötet oder gegen Gott gefrevelt habe, marterst du mich 
so, sondern weil ich das göttliche Gesetz beschirmte.“ 



232 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


Und als die Soldaten zu ihm sagten: „Entschliesse dich, 
zu essen, damit du von der Folter erlöst wirst", ant- 
wortete er: „Euer Rad, elende Knechte, ist nicht stark 
genug, meine Vernunft zu ertöten. Zerschneidet mir die 
Glieder, verbrennt mir das Fleisch, zerreisst mir die 
Gelenke! An allen diesen Martern werde ich euch 
zeigen, dass nur die Söhne der Hebräer im Kampfe für 
die Tugend unbesiegbar sind!" Als er so sprach, zün- 
deten sie Feuer unter ihm an und drückten das Rad 
noch stärker zu Boden, sodass es über und über mit 
Blut befleckt wurde, während die rieselnde Lymphe den 
Haufen glühender Kohlen auslöschte und über die 
Speichen des Marterwerkzeuges die Fleischstücke herab- 
fielen. Aber obgleich dem hochherzigen und seines 
Vaters Abraham würdigen Jüngling schon die Bänder 
der Knochen zerschnitten waren, seufzte er nicht, sondern 
hielt, als ob die Flammen ihn gegen den Untergang 
gefeit hätten, tapfern Gemütes die Martern aus. „Be- 
nehmt euch wie ich, Brüder,“ rief er, „verlasset mich 
nicht in alle Ewigkeit, verleugnet nicht eure Verwandt- 
schaft mit mir, dem Standhaften. Kämpfet den heiligen 
und edlen Kampf für die Frömmigkeit, durch welche 
die gerechte und bereits bei unsern Vätern wirksame 
Vorsehung veranlasst wird, uns gnädig zu sein und den 
schändlichen. Tyrannen zu bestrafen.“ Mit diesen Worten 
hauchte der heilige Jüngling seinen Geist aus. Während 
man nun allseitig seine Seelenstärke bewunderte, führten 
die Schergen den Nächstjüngeren vor, legten ihm die 
eisernen Hände an und befestigten ihn mit scharfen 
Nägeln an der Schwinge. Und als die wilden Panther 
auf die vorder Folterung an ihn gerichtete Frage, ob 
er essen wolle, die gebührende Antwort erhalten hatten, 
zogen sie die eisernen Hände an und rissen ihm von 
den Nackenmuskeln bis zum Kinn .das ganze Fleisch 
und die Kopfhaut ab. Er aber ertrug diesen Schmerz 
wacker und sprach : „Wie süss ist doch jegliche Todesart 
für unsere angestammte Frömmigkeit! Glaubst du nicht, 
grausamster aller Tyrannen, dass du jetzt stärker ge- 



Ueber die Makkabäer. 


233 


peinigt wirst als ich, da du sehen musst, wie die hoch- 
mütigen Pläne deiner Tyrannei durch die Standhaftig- 
keit, die wir unserer Religion zulieb an den Tag legen, 
vereitelt werden? Denn was mich betrifft, so fühle ich 
meine Leiden durch die der Tugend eigenen Freuden 
gemildert; du hingegen bist mitten in deinen gottlosen 
Drohungen gefoltert, abscheulichster Tyrann, wie du auch 
der Strafe, die Gottes Zorn über dich verhängt, nicht 
entgehen wirst." 

10. Als auch dieser den ruhmvollen Tod erlitten hatte, 
schleppte man den Dritten heran, der von vielen ein- 
dringlich ermahnt wurde, zu essen und sich zu retten. 
Er aber entgegnete ihnen: „Wisset ihr nicht, dass mich 
derselbe Vater zeugte, dieselbe Mutter gebar wie die 
eben Gestorbenen, und dass wir im selben Glauben er- 
zogen sind? Ich werde mich nicht weigern, die edle 
Zusammengehörigkeit mit meinen Brüdern zu bekennen." 
Die Henker jedoch vernahmen die Worte des Jünglings 
mit Unwillen, banden ihm Hände und Füsse auf die 
gliederverrenkenden Maschinen und rissen sie ausein- 
ander, indem sie die Knochen aus den Gelenken hoben ; 
so zerbrachen sie ihm Finger, Arme, Schenkel und Ell- 
bogen. Als sie ihn nun auf keine Weise einzuschüchtern 
vermochten, quälten sie ihn dadurch, dass sie ihm die 
Haut samt den Spitzen der Finger abzogen. Dann 
legten sie ihn aufs Rad und zerstückelten ihn von den 
Halswirbeln an, sodass er sein eigenes Fleisch zerfetzt 
und an den Eingeweiden die Blutstropfen herabfliessen 
sah. Im Begriff zu sterben aber rief er aus: „Wir, ent- 
setzlicher Tyrann, ertragen diese Leiden um des gött- 
lichen Gebotes und der Tugend willen ; du aber wirst 
für deine Gottlosigkeit und Mordsucht unaufhörliche 
Qualen erdulden müssen." Würdig seiner Brüder, gab 
er sodann den Geist auf, und nun zogen sie den Vierten 
herbei mit den Worten: „Geberde nicht auch du dich 
so rasend wie deine Brüder.“ Er aber antwortete ihnen: 
„Das Feuer, das ihr gegen mich zur Anwendung bringen 
wollt, brennt nicht so gewaltig, dass es mich feige machen 



234 


Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 


könnte. Bei dem glückseligen Tode meiner Brüder, bei 
dem ewigen Verderben des Tyrannen, bei dem rühm- 
lichen Leben der Frommen : ich will die Verwandtschaft 
mit den Braven nicht verleugnen. Ersinne Martern, 
Tyrann, damit du auch durch sie erfahrest, dass ich ein 
Bruder der soeben Gepeinigten bin.“ Als dies der mord- 
gierige, durch und durch ruchlose Bluthund Antiochus 
vernahm, befahl er, ihm die Zunge auszuschneiden. Der 
Jüngling aber sprach : „ Und wenn du mir das Werk- 
zeug der Sprache raubst, Gott erhört auch die Stummen. 
Sieh, ich strecke die Zunge vor; schneidet sie ab! Unsere 
Vernunft wirst du ja damit nicht verstummen machen. 
Mit Freuden lassen wir uns für das Gesetz Gottes die 
Glieder des Körpers verstümmeln; dich aber wird binnen 
kurzem Gott der Herr heimsuchen, weil du die Zunge 
ausschneidest, die ihm Lohlieder sang.“ 

11. Kaum war auch er an den Martern gestorben, 
als der Fünfte heraneilte und ausrief: „Ohne Zögern 
unterwerfe ich mich der Folter, die du, Tyrann , um der 
Tugend willen über uns verhängst. Freiwillig trat ich 
vor, damit du, wenn auch ich deiner Hand erlegen bin, 
der himmlischen Gerechtigkeit um so zahlreichere Frevel 
* zu büssen hast. Du Menschenfeind und Tugendhasser, 
weshalb wütest du so gegen uns? Etwa weil wir den 
Schöpfer des Weltalls verehren und nach seinem vor- 
trefflichen Gesetze leben? Aber dafür kommen uns Be- 
lohnungen, nicht Strafen zu!“ Als er so gesprochen, 
fesselten ihn die Kriegsknechte und schleppten ihn zur 
Schwinge. Hier banden sie ihn auf die Knie nieder, 
zwängten diese in eiserne Fussfesseln und bogen seine 
Hüften über einen radformigen Keil zurück. Da er nun 
hierum ganz wie ein Skorpion um ein Rad gekrümmt 
war, zerbarsten ihm die Glieder. Aber obgleich ihm auf 
diese Weise der Atem benommen wurde und er zu er- 
sticken drohte, brachte er noch die Worte hervor: 
„Gegen deinen Willen, Tyrann, erzeigst du uns einen 
grossen Gefallen, indem du uns in den Stand setzest* 
durch edle Schmerzen unsere Anhänglichkeit an das 



Ueber dio Makkabäer. 


235 


Gesetz darzuthun.“ Alsdann verschied er, und nun ward 
der sechste Knabe vorgeführt. Dieser entgegnete auf 
die Frage des Tyrannen, ob er essen und frei sein wolle, 
folgendermassen : „An Jahren bin ich jünger als meine 
Brüder, doch der Gesinnung nach ebenso alt wie sie. 
Zu gleichem Thun geboren und erzogen, müssen wir für 
die gemeinsamen Zwecke auch in gleicher Weise sterben. 
Gefällt es dir also, mich zu foltern, wenn ich die ver- 
botene Speise nicht geniesse, gut, so foltere mich!“ 
Nach diesen Worten wurde er aufs Rad geschleppt und, 
nachdem ihm dort die Glieder ausgerenkt und die Wirbel 
zerbrochen waren, langsam verbrannt. Die Schergen 
nämlich machten scharfe Spiesse glühend, brachten sie 
an seinen Rücken, durchbohrten ihm die Seiten und ver- 
sengten seine Eingeweide. Er aber rief trotz seiner 
Qualen aus: „O heiliger Wettkampf, zu dem unsere 
Brüderschar berufen wurde, um für den Glauben die 
Folter zu bestehen, und in dem wir nicht unterlegen 
sind! Denn unbesiegt, Tyrann, ist die fromme Lehre. 
Mit der Tugend bewehrt, will ich wie meine Brüder 
sterben; du aber, Tyrann, rufst selbst einen gewaltigen 
Rächer gegen dich auf. Du Schöpfer von Foltern, Feind 
aller wahrhaft frommen Menschen, wir sechs schwache 
Knaben sind deiner Tyrannei Meister geworden! Denn 
dass du unsere Vernunft nicht beugen und uns nicht 
zum Verzehren unreiner Speise zwingen konntest, ist 
das nicht gleichbedeutend mit deiner Niederlage? Deine 
Flammen waren kühl für uns, deine Marterwerkzeuge 
schmerzlos, deine Gewalt ohne Kraft! Uns stehen ja 
nicht die Schwertträger eines Tyrannen, sondern die des 
göttlichen Gesetzes zur Seite, und deshalb ist unsere 
-Vernunft unüberwindlich.“ 

12. Als er hierauf in einen Kessel geschleudert und 
selig entschlafen war, trat auch der Siebente, der jüngste 
von allen, vor. Mit ihm fühlte der Tyrann Mitleid, und 
obwohl er von den anderen Brüdern schwer beleidigt 
worden war, liess er ihn, als er bemerkte, wie man ihm 
schon die Fesseln anlegte, näher kommen und versuchte 



2o6 Des Flavius Josephus kleinere Schriften. 

ihm folgen dermassen zuzureden: „Du siehst das Ende 
deiner thörichten Brüder ; denn wegen ihres Ungehorsams 
sind sie zu Tode gemartert worden. Auch du wirst, 
wenn du dich widerspenstig benimmst, schrecklich ge- 
foltert werden und vorzeitig sterben. Gehorchst du aber, 
so sollst du mein Freund sein und an der Leitung des 
Reiches teilnehmen.“ Während dieser Ermahnungen 
winkte er die Mutter des Knaben heran, um sie da- 
durch, dass er ihr sein Mitleid wegen des Verlustes 
so vieler Söhne bezeugte, zu veranlassen, den Übrig- 
gebliebenen zum Gehorsam zu bewegen und ihn so zu 
retten. Nachdem aber die Mutter, wie ich gleich er- 
zählen werde, ihm in hebräischer Sprache zugeredet hatte, 
rief er: „Bindet mich los, ich habe dem König und 
allen seinen anwesenden Freunden etwas zu sagen.“ 
Antiochus und seine Umgebung, aufs höchste erfreut 
über die Ankündigung des Knaben, Hessen ihm schnell 
die Fesseln abnehmen. Er aber eilte zu den Pfannen, 
trat ganz nahe an sie heran und sprach: „Du ruchloser 
Tyrann, schändlichster aller Bösewichte, scheust du dich 
nicht, nachdem du Reichtum und Herrschaft von Gott 
empfangen, dessen Diener zu töten und die frommen 
Bekenner zu martern? Dafür straft dich die göttliche 
Gerechtigkeit mit viel heftiger und ununterbrochen 
brennendem Feuer 1 und mit Foltern, die dich in alle 
Ewigkeit nicht lassen werden. Trugst du, wütende Bestie, 
kein Bedenken, Wesen von gleichen Gefühlen, aus den- 
selben Stoffen gebildet, der Zunge zu berauben und, 
nachdem du sie verstümmelt, zu Tode zu quälen? Sie 
freilich sterben in edler Erfüllung ihrer religiösen Pflichten ; 
du aber, Elender, wirst jämmerlich klagen, weil du die 
Streiter der Tugend ohne Grund gemordet hast „Des- 
halb,“ fuhr er fort, „will auch ich jetzt sterben und 
hinter der V^rtrefflichkeit meiner Brüder nicht feige 
zurückstehen. Zugleich aber rufe ich den Gott der 

1 Vergl. hierzu die Tftlmudstellen : Ros-hasanah 17,1; Shnhedrin 
DO, 2; Sabbath 113,2. 



l’eber die Makkabäer. 


237 


Väter an, dass er unserm Volke gnädig sein, dich hin- 
gegen in deinem irdischen Leben sowohl als nach dem 
Tode bestrafen möge.“ Nachdem er dieses Gebet ge- 
sprochen, stürzte er sich selbst in die Pfannen und gab 
so den Geist auf. 

13. Haben nun die sieben Brüder in der That den 
grausamsten Schmerzen bis zum Tode getrotzt, so ist 
dadurch völlig bewiesen, dass die fromme Vernunft über 
die Triebe herrscht. Denn ebenso wie wir uns zu dem 
Geständnis bequemen müssten, dass die Jünglinge ihren 
Trieben unterlegen wären , wenn sie ihnen nachgegeben 
und Unreines verzehrt hätten , ebenso müssen wir jetzt, 
da dies nicht der Fall ist, sondern sie durch ihr ver- 
nünftiges, Gott wohlgefälliges Handeln die Triebe unter- 
drückten und die Herrschaft des Geistes daran erkennen 
liessen, dass er über Leidenschaften und Qualen trium- 
phierte, zugestehen, dass die Vernunft solcher Menschen, 
die selbst durch Feuersglut nicht erschüttert wurden, 
über die Triebe erhaben war. Wie nämlich Bollwerke, 
die den Häfen vorgebaut sind, den drohenden Anprall 
der Wogen Zurückschlagen und den in die Rhede Ein- 
fahrenden einen sicheren Ankerplatz gewährleisten, so 
hat die siebentürmige Vernunft der Jünglinge den Hafen 
der Gottesfurcht befestigt und die zügellosen Leiden- 
schaften gebändigt. Im heiligen Chor der Frömmigkeit 
ermunterten sie sich gegenseitig folgendermassen : „Lasst 
uns, ihr Brüder, für das Gesetz brüderlich sterben. Eifern 
wir den drei Jünglingen in Assyrien nach, die sich 
gleichfalls aus dem feurigen Ofen nichts machten. 
Fürchten wir uns nicht, den Beweis für unsere Frömmig- 
keit zu liefern!“ Der eine rief: „Bleibe mutig, mein 
Bruder“, der andere: „Halte wacker stand“; ein Dritter 
wies auf die Ereignisse der Vorzeit hin : „Erinnert euch, 
woher ihr stammt und wer der Vater war, von dessen 
Hand Isaak um der Frömmigkeit willen geschlachtet 
werden sollte.“ Alle aber schauten strahlenden Antlitzes 
und mit hohem Mut erfüllt einander an und sprachen ; 
„Von ganzem Herzen wollen wir uns weihen Gott dem 



238 


Des F1&T1U9 Josephus kleinere Schriften. 


Herrn, dem Schöpfer der Seelen, und mit unseren Leibern 
einen Schutzwall um das Gesetz bilden. Fürchtet euch 
nicht vor dem, der scheinbar unsere Körper tötet; denn 
wer Gottes Gebot Übertritt, dessen Seele setzt sich der 
grossen Gefahr aus, in ewiger Qual verharren zu müssen. 
Waffnen wir uns also mit der die Triebe beherrschenden 
göttlichen Vernunft. So nämlich werden, wenn wir aus 
dem Leben geschieden sind, Abraham, Isaak und Jakob 
uns in ihren Schoss aufnehmen und alle Väter uns 
preisen.“ Und jedem einzelnen Bruder, der von ihnen 
weggerissen wurde, riefen die anderen zu: „Beschäme 
uns nicht, Bruder, und täusche nicht unsere schon dahin- 
gerafften Brüder. Ihr kennt ja recht gut die Ureachen 
der brüderlichen Liebe, welche die all weise Vorsehung 
Gottes den Kindern durch die Väter zuteil werden liess 
und durch den Mutterleib einpflanzte: in letzterem wohnen 
die Brüder gleich lange Zeit; sie werden in derselben 
Zeit gestaltet, durch dasselbe Blut ernährt, durch die- 
selbe Lebenskraft vollendet, nach Ablauf derselbeh Zeit 
geboren, und sie schöpfen ihre Milch aus denselben 
Quellen , von denen die einander liebenden Seelen an 
der gleichen Mutterbrust getränkt werden ; auch gewinnen 
sie gar sehr durch die gemeinsame Erziehung, das täg- 
liche Beisammensein, die sonstige Bildung und Übung 
im Gesetze Gottes.“ Indem die sieben Brüder in dieser 
Weise ihre gegenseitige Zuneigung betonten, schlossen 
sie sich immer fester aneinander an. Denn nachdem sie 
unter dem gleichen Gesetz erzogen waren, die gleichen 
Tugenden geübt hatten und in Gerechtigkeit mitsammen 
gross geworden waren, liebten sie sich jetzt nur um so 
mehr. Der Wetteifer in der Tugend erhöhte ja ihre 
gegenseitige Übereinstimmung, weil einer des anderen 
Liebe durch Frömmigkeit noch stärker entfachte. Aber 
obwohl ihr Zusammenleben und ihre Gewöhnung an die 
Tugend den Trieb zur Bruderliebe selbst über die Natur 
hinaus bei ihnen vermehrte, hielten doch die Übrig- 
bleibenden um der Frömmigkeit willen den Anblick 
ihrer gequälten und bis zum Tode gemarterten Brüder 



Ueber die Makkabäer. 


209 


aus. Ja, sie drängten sich sogar zur Folterung, sodass 
sie nicht allein die Schmerzen verachteten, sondern auch 
die Aufwallungen brüderlicher Liebe bemeisterten. 

14. O Vernunft, königlicher als Könige, freier als 
Freie! O heilige, harmonische Übereinstimmung der 
sieben Brüder in der Frömmigkeit ! Niemand von ihnen 
zitterte, niemand bebte vor dem Gang zum Tode, sondern 
sie alle eilten zur Marterbank, als ob sie den Weg zur 
Unsterblichkeit einschlügen. Denn wie Hände und Füsse 
übereinstimmend nach den Befehlen der Seele sich be- 
wegen, so wurden jene heiligen Knaben durch die un- 
vergängliche Frömmigkeit wie durch eine einzige Seele 
angetrieben, für ihre religiöse Überzeugung zu sterben.' 
O heilige Siebenzahl gleichgesinnter Brüder ! Denn wie 
die Schöpfungstage um die Sieben, so bewegten sich die 
Knaben im Kreise um die Frömmigkeit 1 und lösten so 
die Furcht vor dem Martertode. Wir freilich schaudern, 
wenn wir die Misshandlung jener Jünglinge erfahren; 
sie aber, die nicht allein von der Peinigung hörten, 
sondern auch die augenblickliche Ausführung der Drohung 
sahen, priesen sich glücklich, da sie wegen ihrer Stand- 
haftigkeit im Ertragen von Leiden, insbesondere von 
Feuerqualen, Bewunderung erregten. Und was könnte 
es auch schmerzlicheres geben als Flamraenpein? Denn 
des Feuers Macht, scharf und schneidend, vernichtete 
ihre Leiber im nu. Und doch kann es nicht wunder 
nehmen, dass die Vernunft jener Männer in den Qualen 
die Oberhand behielt, wenn sogar der Geist einer Frau 
sich über viel mannigfaltigere Schmerzen hinwegsetzte. 
Ertrug doch die Mutter der sieben Jünglinge die jedem 
einzelnen ihrer Kinder auferlegte Pein. Richtet euer 


1 Nach dem Vorschläge Freudenthals vertausche ich euozßetav 
und eßöojxdSa, wodurch sich für die überaus schwierige Stelle obiger 
Sinn ergiebt. Die Schöpfungstage kreisen ewig um die Sieben, d. li. 
sie folgen aufeinander in immer gleichen Kreisen von sieben Tagen, 
deren Mittelpunkt der siebente Tag ist, und so bewegten sich die 
sieben Jünglinge um die Frömmigkeit Als ihren Mittelpunkt (s. 
Freudenthal, a. a. O. S. 164 f.). 



240 


Des Flavias Josephus kleinere Schriften. 


Augenmerk darauf , wie verbreitet die innige Liebe zu 
den Kindern ist, die alle Geschöpfe zum Mitgefühl mit 
ihrer Leibesfrucht veranlasst: denn auch die unver- 
nünftigen Tiere hegen die nämliche Sorgfalt und Zu- 
neigung für ihre Jungen, wie die Menschen. Zahme 
Vögel beschützen ihre Brut, indem sie sich auf den 
Dächern der Häuser ansiedeln ; andere gebären , nach- 
dem sie sich auf Bergeshöhen oder in den Abhängen der 
Schluchten oder in Höhlen und Wipfeln der Bäume ein- 
genistet haben, und suchen jeden Näherkommenden ab- 
zuwehren. Ist ihnen aber das letztere nicht möglich, so 
umflattern sie die Jungen in schmerzlicher Sorge, rufen 
mit der ihnen eigentümlichen Stimme den Bedrängten 
zu und trachten ihnen auf diese Weise nach Möglich- 
keit zu helfen. Doch was bedarf es, um das Vor- 
handensein elterlicher Zuneigung zu den Sprösslingen 
nachzuweisen , der Beispiele von weniger intelligenten 1 
Tieren? Schaut auf die Bienen, wie sie um die Zeit der 
Honigbereitung jeden Störenfried angreifeu, mit ihrem 
Stachel wie mit einem Schwerte diejenigen verwunden, 
welche sich der Brut nähern, und bis zum Tode kämpfen. 
Aber die an edler Gesinnung dem Abraham gleichende 
Mutter der Jünglinge liess sich von dem Mitgefühl mit 
ihren Söhnen nicht beugen. 

15. Ja, die Vernunft ist Herrin über die Leiden- 
schaften, und die Gottesfurcht jener Mutter überwog die 
Liebe zu den Kindern. Sie konnte wählen zwischen 
der Frömmigkeit und der zeitlichen Rettung ihrer sieben 
Söhne gemäss dem Versprechen des Tyrannen, und sie 
zog die Frömmigkeit vor, die zum ewigen Leben führt 
im Gehorsam gegen Gott. O, wie soll ich die zärtlichen 
Gefühle der Eltern für ihre Kinder schildern? Diese 
Gefühle prägen dem kleinen Wesen des Kindes auf 
wunderbare Weise die Gleichheit der Seele und der Ge- 
stalt ein, hauptsächlich deshalb, weil die Mütter grösseres 
Mitgefühl mit den Kindern hegen wie die Väter. Denn 

1 Diese Bedeutung hat hier offenbar das Wort aXoyos. 



Ueber die Makkabäer. 


241 


weil die Mütter weit schwächere und liebebedürftigere 
Seelen haben, ist ihre Zuneigung zu den Kindern um 
so grösser. Mehr als alle anderen Mütter aber liebte die 
Mutter jener sieben Jünglinge ihre Kinder, da die 
sieben Schwangerschaften ihr die Liebe zu denselben 
notwendigerweise einpflanzen und die vielen Schmerzen, 
die sie um jeden einzelnen erduldet hatte, ihr be- 
sonderes Mitgefühl für die Söhne wecken mussten — 
und doch schätzte sie aus Gottesfurcht die zeitliche 
Kettung der Kinder gering. Übrigens bewirkten die 
vortrefflichen Eigenschaften und besonders die Gesetzes- 
treue der Jünglinge, dass die Liebe der Mutter zu ihnen 
sich noch steigerte. Denn sie waren gerecht, mässig, 
edelmütig, liebevoll gegeneinander, und ihrer Mutter so 
zugethan, dass sie sogar bis zum Tode in der Beob- 
achtung des Gesetzes ihr gehorchten. Aber obwohl sich 
so manches ereignete, das bei der liebenden Mutter 
Mitgefühl erregen musste, konnten doch die verschieden- 
artigsten Martern der sämtlichen Jünglinge ihre Ver- 
nunft vom rechten Wege nicht ablenken ; vielmehr er- 
mahnte sie jeden einzelnen der Söhne und dann auch 
alle miteinander, für die Frömmigkeit in den Tod zu 
gehen. O heilige Natur, Bande des Blutes, sinnige Zärt- 
ligkeit, edle Erziehung, unbezwingliche Mutterliebe! 
Einen ihrer Söhne nach dem anderen sah die Mutter 
den Flammen preisgegeben, und doch blieb sie stand- 
haft um des Glaubens willen; sie sah, wie das Fleisch 
ihrer Kinder im Feuer schmolz, wie die Zehen und 
Finger zuckend am Boden lagen, wie die Muskeln 
vom Nacken bis zum Kinn gleich einer Maske zutage 
traten. Jetzt, arme Mutter, erfuhrst du ihretwegen 
grössere Schmerzen, als du bei ihrer Geburt ausgestanden 
hattest. Du bist das einzige Weib, das die vollendete 
Frömmigkeit zur Welt brachte! Dich erschütterte nicht 
der sterbende Erstgeborene, nicht der Zweite, der in 
vseinen Martern kläglich dich anschaute, nicht der Dritte, 
als er seinen Geist aufgab; dich machte es nicht wankend, 
als du sehen musstest, wie sie der Reihe nach in ihren 

Josepbus, KlelnörbS^tÄ - »»«^. 



242 Des tflavius Josephus kleinere Schriften. 

Qualen die Henker anstarrten und ihre verfallenen Züge 
den nahen Tod verkündeten. Nicht jammertest du, als 
du das Fleisch deiner Kinder versengt, ihre abge- 
schnittenen Hände und Köpfe auf ein anderliegend, eine 
Leiche über die andere fallend erblicktest; und als du 
den Platz mit den Überresten deiner gefolterten Söhne be- 
deckt sahst, vergossest du keine Thräne. Die Gesänge 
der Sirenen, die Stimmen der Schwäne machen auf die 
Zuhörer keinen solchen Eindruck, wie die Rufe der 
gepeinigten Kinder auf die Mutter. Wie oft und wie 
sehr wurde da, als die Söhne mit Rad und Feuer ge- 
martert wurden, auch die Mutter gequält! Aber die 
fromme Vernunft stärkte mitten in den Gemütsbewegungen 
ihr Herz und bewog sie, die Mutterliebe für jetzt zu 
unterdrücken, obwohl sie den Tod ihrer sieben Kinder 
und die grässliche Mannigfaltigkeit der Martern mit 
ansehen musste. Das alles überwand die edle Mutter 
im Vertrauen auf Gott. Und wenn sie auch in ihrer 
Seele wie zur Ratssitzung vereint eine Anzahl mächtiger 
Räte hatte, die Natur, die Verwandtschaft, die Mutter- 
liebe, die Folterung der Söhne, und dabei über zwei 
Beschlüsse hinsichtlich ihrer Kinder verfügte, einen tod- 
bringenden und einen rettenden, so stimmte sie dennoch 
nicht für die zeitliche Rettung ihrer Söhne, sondern gedachte 
des gottesfürchtigen Mutes, den ihr Vater Abraham be- 
wiesen hatte. O Mutter des Volkes, Rächerin des Ge- 
setzes, Beschützerin der Frömmigkeit, preisgekrönte 
Siegerin im Kampf der Gefühle ; du Weib, starkmütiger 
als Männer, tapferer und ausdauernder als Helden ! Denn 
wie die Arche des Noe bei der allgemeinen Über- 
schwemmung, die Welt in sich tragend, mutig dem An- 
prall der Wogen standhielt, so hast auch du, Wächterin 
des Gesetzes, obwohl rings von der Brandung der Leiden- 
schaften umtost und von heftigen Winden, den Martern 
der Söhne, geschüttelt, aus Gottesfurcht wacker dem 
Sturme getrotzt. 

16 . Wenn nun sogar ein Weib und dazu noch eine 
bejahrte Mutter von sieben Kindern den Anblick ihrer 

Go gle 



Ueber die Makkabker. 243 

zu Tode gemarterten Söhne ertrug, dann ist gewiss die 
fromme Vernunft Beherrcherin der Triebe. Ich habe 
also gezeigt, dass nicht bloss Männer über die Affekte 
erhaben waren, sondern auch eine Frau die grössten 
Qualen für nichts achten konnte. Waren doch die 
um Daniel lagernden Löwen 1 nicht so wild, und der 
für Misael entfachte Ofen 2 nicht so schrecklich glühend, 
wie die natürliche Liebe zu den Kindern jene Heldin 
verzehrte, die ihre sieben Söhne so vielfach gemartert 
sah. Aber durch dH fromme Vernunft erstickte die 
Mutter ihre so zahlreichen und heftigen Gemütsbewegungen. 
Es muss auch beachtet werden, dass, wenn die Frau 
zaghaft gewesen wäre, sie als Mutter ihre Kinder wenigstens 
bejammert haben würde. Vielleicht hätte sie dann so 
gesprochen: „O ich Elende und tief Unglückliche, die 
ich sieben Söhne geboren habe und nun die Mutter 
von keinem bin! Zwecklos die sieben Empfängnisse, 
unnütz die sieben Schwangerschaften , vergeblich die 
mühsame Ernährung, unheilbringend die milchspendende 
Brust! Umsonst ertrug ich euretwegen, ihr Kinder, 
grosse Schmerzen und die noch schwereren Sorgen der 
Erziehung. Denn ach, von meinen Söhnen sind die 
einen unvermählt, die anderen nutzlos verheiratet. Ich 
soll eure Kinder nicht sehen, nicht ,als Grossmutter 
glücklich gepriesen werden. Fürwahr, beklagenswert bin 
ich, die Mutter so vieler und edler Söhne, da ich jetzt 
verlassen und allein stehe! Und wenn ich gestorben 
bin, werde ich keinen Sohn haben, der mich begräbt!“ 
Aber in derartigen Wehklagen erging sich die heilige 
und gottesfürchtige Mutter keineswegs; auch verleidete 
sie so wenig einem ihrer Söhne den Gang zum Tode, 
dass sie sich sogar der Trauer über die Gestorbenen ent- 
hielt Vielmehr ermähnte sie, als wäre ihr Geist von 
Erz und als leitete sie die Schar ihrer Kinder zur Un- 
sterblichkeit, die Teuren flehentlich, für ihre religiöse 
Überzeugung den Tod auf sich zu nehmen. 

1 Daniel 6, W ff. 3 Daniel 3. 

1 «* 



244 


Des Flavius Josephns kleinere Schriften. 


Ja, diese Mutter war ihrer Frömmigkeit wegen eine 
erprobte Gottesstreiterin, sie besiegte mit der Ausdauer 
des Weibes den Tyrannen, sie wurde in Tbat und Wort 
kräftiger als ein Mann erfunden! Denn als du mit 
deinen Kindern ergriffen wurdest, standest du im Anblick 
der Marter Eleazars und riefst deinen Söhnen in hebrä- 
ischer Sprache zu: „Meine Kinder, das ist ein edler 
Kampf; zu ihm seid ihr berufen, um für euer Volk 
Zeugnis zu geben; streitet deshalb mutig für das väter- 
liche Gesetz. Es wäre ja schimpflich, wenn dieser Alte 
um der Frömmigkeit willen die Qualen aushielte, ihr 
aber als starke Jünglinge davor zurückbebtet. Erinnert 
euch, dass ihr durch Gottes Gnade die Welt betreten 
habt und euch des Lebens erfreuen durftet Sonach 
müsst ihr eben um Gottes willen jede Pein ertragen. 
Für ihn eilte auch unser Vater Abraham seinen Sohn 
Isaak zu schlachten, der eines Volkes Ahnherr werden 
sollte, und Isaak erschrak nicht, als er die schwert- 
bewaffnete Hand des Vaters auf sich niederzucken sah. 
Daniel der Gerechte ward den Löwen vorgeworfen, 
Ananias, Azarias und Misael wurden in den feurigen 
Ofen geschleudert — und sie harrten aus um Gottes 
willen. Und ihr, die ihr das gleiche Gottvertrauen hegt, 
wollet nicht betrübt sein; denn es ist unvernünftig, dass 
frommsinnige Menschen den Leiden erliegen sollten.“ 
Solche Ermahnungen richtete die Mutter an jeden ihrer 
Söhne und beschwor sie, lieber zu sterben als den Be- 
fehl Gottes zu übertreten, zumal sie wüssten, dass alle, 
die um Gottes willen gestorben seien, in Gott weiter 
lebten, wie Abrabam, Isaak und Jakob und alle anderen 
Patriarchen. 

17. Einige von den Kriegsknechten erzählten übrigens, 
die Mutter habe, als auch sie zum Tode geführt werden 
sollte, sich selbst in die Flammen gestürzt, damit niemand 
ihren Leib berühre. 1 O edle Frau, die in Gemeinschaft 

1 Auch der Talmud (Abodah Sarah 18, 1) berichtet, die Mutter 
habe sich selbst getötot, während das 2. Makkabäerhuch (7, 41) nur 
kurz sagt: Zuletzt starb auch die Mutter der Jünglinge. 



Ueber die Makkabäer. 


245 


mit ihren sieben Söhnen die Gewalt des Tyrannen 
brach, seine verruchten Anschläge zunichte machte und 
echten Glaubensmut bewies! Wie ein Dach auf Säulen, 
so hast du, auf deine Kinder gestützt und ohne zu 
wanken, den Stürmen der Folterung widerstanden. Sei 
also voll Zuversicht, heilige Mutter, da du für deine 
Ausdauer eine feste Hoffnung bei Gott hast! Nicht 
steht so erhaben der Mond mit den Sternen am Himmel, 
wie du deshalb, weil du deine sternengleichen Söhne 
strahlend zur Frömmigkeit geführt, bei Gott hohe Ehre 
geniessest und mit ihnen im Himmel ewig lebst . 1 Vom 
Erzval er Abraham stammten ja die Deinen ab. Könnten 
wir die Geschichte dieser Frömmigkeit in einem Gemälde 
darstellen, wie würden wir da bei dem Anblick der 
Mutter schaudern, die von dem peinvollen Bekennertod 
ihrer sieben Kinder nicht erschüttert wird! Und recht 
wäre es gewesen, dem Volke zum Gedächtnis auf das 
Grabmal die Inschrift zu setzen: 

HIER RUHEN EIN GREISER PRIESTER, 

EINE MATRONE UND SIEBEN JUENG- 
LINGE, GETOETET DURCH EINES TY- 
RANNEN GEWALT, DER DIE VER- 
FASSUNG DER HEBRAEER ZERSTOE- 
REN WOLLTE. SIE HABEN IHR VOLK 
VERTEIDIGT, INDEM SIE AUF GOTT 
SCHAUTEN UND BIS IN DEN TOD 
ALLE MARTERN ERTRUGEN. 

In der That war der Kampf, den sie ausfochten, ein 
göttlicher. Die nach der Standhaftigkeit urteilende Ver- 
nunft war Preisrichterin , der Gewinn unvergängliches, 
ewiges Leben. Als Vorkämpfer trat Eleazar auf; um 
die Wette mit ihm rang die Mutter der sieben Jüng- 

1 Wörtlich: zum Stern geworden bist (ri<mpiaou), Freudentbal 
allerdings will fa. a. O. S. 70) diese Lesart nicht gelten lassen, sondern 
£<rcr.pt<Jai oder eonipi£ai schreiben. 



246 


Des Fl&vius Josephus kleinere Schriften. 


linge; die Brüder stritten, gegen sie stritt der Tyrann ; 
die Welt und die Menschheit schauten zu; die Gottes- 
furcht siegte und bekränzte ihre Kämpfer. Wer be- 
wunderte nicht die Streiter des göttlichen Gesetzes? 
Und wen erfüllte ihr Anblick nicht mit staunendem 
Schrecken ? Der Tyrann selbst und sein ganzer Rat 
hegten ja die grösste Achtung vor ihrer Standhaftigkeit, 
um deretwillen sie jetzt am Throne Gottes stehen und 
die selige Ewigkeit leben. Sagt doch schon Moyses: 
„Und alle, die sich heiligen, sind unter deiner Hand.“ 1 
So fanden auch sie, die sich für Gott heiligten, die ver- 
diente Ehre, nicht allein in der Belohnung, die sie jetzt 
erlangten, sondern auch darin, dass durch sie die Feinde 
der Nation zurückgedrängt, der Tyrann bestraft und 
das Vaterland entsühnt wurde, indem sie gleichsam als 
Versöhnungsopfer sich darbrachten für die Sünden des 
Volkes. Durch das Blut jener Frommen und das Sühn- 
opfer ihres Todes rettete die göttliche Vorsehung das 
bis dahin hart bedrängte Israel. Der Tyrann Antiochus 
aber, 2 der sich von dem Heldenmut der Braven und 
ihrer Ausdauer bei der Folterung mit eigenen Augen 
überzeugt hatte, liess ihre Standhaftigkeit seinen Soldaten 
als Muster verkünden, wodurch er diesen Ehrgefühl und 
Tapferkeit für die Feldschlacht sowohl als für den Be- 
lagerungskrieg beibrachte und alle seine Feinde völlig 
niederwarf. O Söhne Israels, Abkömmlinge von Abra- 
hams Geschlecht, folget diesem Gesetz und lebet gottes- 
fürchtig in jeder Hinsicht, da ihr erkennt, dass die 
fromme Vernunft Herrin ist über die Gemütsbewegungen 
und nicht allein über die inneren, sondern auch über 
die von aussen kommenden Schmerzen. 

18. Dafür, dass jene Edlen um der Frömmigkeit 
willen ihren Körper der Peinigung hingaben, wurden 
sie nicht nur von den Menschen bewundert, sondern 


1 3. Mos. 10, 3. 

a Das an dieser Stelle ganz unverständliche yap ist durch & za 
ersetzen. 



Ueber die Makkabäer. 


247 


auch des Lebens bei Gott gewürdigt; durch sie erhielt 
das Volk Frieden und vertrieb seine Feinde, nachdem 
das Gesetz im Vaterlande wieder zur Geltung gebracht 
war. Der Tyrann Antiochus aber wurde, wie ihn nach 
seinem Tode die Vergeltung trifft, so auch hinieden schon 
bestraft. Denn als er auf keine Weise die Jerusalemiten 
zur Annahme fremder Gebräuche und zum Verlassen 
der väterlichen Sitten zu zwingen vermochte, brach er 
von Jerusalem auf und zog gegen die Perser zu Felde . 1 

Die Mutter der sieben Jünglinge, jene gerechte Frau, 
sprach übrigens zu ihren Kindern noch folgendes: „Ich 
war ein keusches Mädchen und überschritt nicht die 
Schwelle des väterlichen Hauses, sondern hütete die 
Mauern der Wohnung. Nicht verdarb mich auf dem 
Felde 2 die böse Verführerin Einsamkeit, noch zerstörte 
die schlimme, betrügerische Schlange die Heiligkeit meiner 
Jungfrauschaft. Die Zeit meiner Blüte verlebte ich mit 
meinem Manne; doch als ihr heranwuchset, starb der 
Vater, zufriedenen Sinnes, denn er war reich mit Kindern 
gesegnet und brauchte nicht zu klagen, dass er vereinsamt 
geblieben sei. Während er noch unter uns weilte, lehrte 
er uns das Gesetz und die Propheten. Er las uns, wie 
Kain den Abel tötete, wie Isaak geopfert werden sollte, 
wie Joseph im Kerker schmachtete; er erzählte uns von 
dem Eiferer Phinees , 3 unterwies uns über die Männer 
im feurigen Ofen, Ananias, Azarias und Misael, und er- 
klärte uns seine Meinung über Daniel in der Löwen- 
grube, den er glücklich pries. Ferner machte er uns 
bekannt mit der Schrift des Esai'as, in der es heisst: 
„Und wenn du auch durch Feuer gehst, die Flamme 
wird dich nicht verbrennen .“ 4 Dann sang er uns den 
Hymnendichter David, welcher spricht: „Zahlreich sind 
die Leiden der Gerechten, und aus allen wird der Herr 


1 In diesem Feldzug erlag er einer qualvollen Krankheit (sieho 
2. Makk. 9 ; Jüd. Altert. X II, 9, 1). 

2 5. Mos. 22, 25. 

8 4. Mos. 25, 7 ff. 

4 Jesaias 43, 7. 

Go gle 



248 


Des Plavius Josephus kleinere Schrif ten. 


sie erretten,“ 1 und erwähnte den Spruch Solomons : „Der 
Baum des Lebens gehört allen, die seinen Willen thun.“ 2 
Auch den Jezekiel lehrte er uns kennen, der da sagt: 
„Werden diese dürren Gebeine wieder aufleben?“ 3 — 
und des Gesanges vergass er nicht, den Moyses ver* 
kündete mit den Worten: „Ich werde töten und lebendig 
machen, dies ist euer Leben und die Länge der Tage.“ 4 

0 wie schrecklich und auch wieder nicht schrecklich 
war der Tag, da der grausame Griechen ty rann Feuer 
unter den Marterkesseln anzünden und mit wildem Grimm 
die sieben Söhne der Abraham stochter zu der Schwinge 
und allen übrigen Foltern schleppen, ihre Augensterne 
blenden, ihre Zunge ausschneiden und sie unter mannig- 
fachen Qualen töten liess! Dafür hat die göttliche Ge- 
rechtigkeit den Mörder getroffen und wird ihn fürder noch 
treffen. Die Kinder Abrahams hingegen sind mit dem 
greisen Eleazar und ihrer siegreichen Mutter dem Chor 
der Väter beigesellt; denn heilige und unsterbliche Seelen 
haben sie empfangen von Gott, der gepriesen sei in afte 
Ewigkeit. Amen. 

1 Paalen 34, 20. 

2 Sprüche Sul. 3, IS. 

8 Ezech. 37, 3. 

4 b. Mos. 80, 20. 


^ Halle a. 8., Druck vou Otto Heiulel. 

VJ©5-f>4ri0-a,,ic r v<m Berlin hi Leipzig.