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Full text of "Flavius Josephus Werke: Altertümer, Krieg, Apion, Leben. Übersetzt von Heinrich Clementz"

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1 : 6400 

Der Tempel zu Jerusalem. 

A Äussere Schranke d. Heiligtums. F Frauen vorhof. 

B Stufen. G Das grosse oder schöne Thor 

C Das eherne od. korinthische Thor. H Vorhof der Israeliten. 

Schatzkammern. I Vorhof der Priester. 

Säulenhallen. K Brandopferaltar. 

L Aufstieg zum Altar. 

M Vorhalle. 

N Das Heilige^ 

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Digitized by V^OO^Jf$jv ERS | TY 0 F CALIFORNIA 


Flavius Josephus, 

Geschichte 

des 

Jüdischen Krieges. 

Übersetzt 

und mit Einleitung und Anmerkungen versehen 
von 

Dr. Heinrich Cleineiitz. 


Mit ausführlichem Namenregister uml zwei von 
F. Spie ss gezeichneten Tafeln. 



Halle a. d. S., 
Verlag von Otto Hendel. 


Digitized by 


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Original from 

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Einleitung. 


as Meisterwerk des Historikers Flavius Jo- 
sephus (siehe das Nähere über Leben, 
Schriften und Charakter in der Einleitung 
zu meiner Übersetzung der „Jüdischen 
i ist seine Geschichte des Jüdischen Krieges, 
die er, obwohl sie zeitlich den „Altertümern“ nachfolgt, 
doch früher als diese geschrieben hat. Was in der Ein- 
leitung zu letzterem Werke von seiner Darstellungsweise 
gesagt wurde, dass sie nämlich klar, lebendig und elegant 
sei, trifft gerade bei der Geschichte des „Jüdischen Krieges“ 
besonders zu . 1 Geschickte Verteilung und Anordnung 
des Stoffes, spannende Erzählung, ergreifende Darstellung 
tragischer Begebenheiten, malerische Naturschilderungen 
verleihen dem Werke einen prägnanten, originellen 
Charakter, woran freilich die abwechselungsreiche Folge 
der Ereignisse selbst nicht den kleinsten Anteil hat. 
Sind die „Altertümer“ wegen ihres engen Anschlusses 
an das alte Testament stellenweise nicht frei von 
schleppender und trockener Darstellungsweise, so muss 
dem „Jüdischen Kriege“ hingegen eine besondere 
Lebendigkeit der Erzählung nachgerühmt werden, die 
ihn von jeher zu einer Lieblingslektüre aller Freunde 
gediegener Geschichtschreibung gemacht hat. 

Wer lernte auch nicht gern die ergreifenden Schick- 

l Oberthür nennt Josephus den griechischen Livius. 

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4 


Einleitung. 


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;\Valc- «Je# ‘ terblfefidetan** irregeleiteten Volkes kennen, das, 
mit hohen Geistesgaben ausgestattet und im Besitze un- 
schätzbarer natürlicher Hilfsquellen, anscheinend zu etwas 
Besserem bestimmt war, als unter den ehernen Tritten 
des römischen Eroberers zermalmt zu werden? Und wen 
ergriffe nicht, wenn er diese packenden Schilderungen 
höchsten menschlichen Elendes, dieses verzweifelte 
Bingen eines gottgläubigen, markigen Volkes mit dem 
heidnischen, in der Kriegstaktik wohlbewanderten Welt- 
bezwinger, diese blutigen Schlussscenen des erschütternden 
Dramas insbesondere an seinem geistigen Auge vorüber- 
ziehen sieht, das tiefste Mitgefühl? Mitgefühl mit den 
Leidenden wohlverstanden, nicht mit den halsstarrigen 
Führern des Aufstandes und ihrem Anhang räuberischer 
Spiessgesellen, die in ihrer Verblendung sondergleichen 
dem Schicksal selbst dann noch zu trotzen wagten, als 
der Untergang ihnen unabwendbar erscheinen musste. 
Das war kein edler Heldenmut, keine Aufopferung für 
die heimatliche Scholle mehr — das war wahnwitzige 
Auflehnung gegen die göttliche Macht, der kein Mensch 
ungestraft sich widersetzen kann. 

So endete denn dieser Verzweiflungskampf mit der 
Zerstörung der majestätischen, heiligen Stadt Jerusalem, 
mit der Einäscherung des gewaltigen Jehovah - Tempels, 
mit der Knechtung des unglücklichen Volkes — der 
erste Akt des düsteren Schauspiels, das mit dem zweiten, 
nämlich der 62 Jahre später unter Hadrian 1 erfolgten 
gänzlichen Niederwerfung der Juden und Verödung 
Judaeas seinen Abschluss fand. 

Auch in dem vorliegenden Werke zeigt Josephus wie 
in den „Altertümern“ vielfach das Bestreben, seinen 


l 13") n. Chr. 


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Einleitung. 


5 


heidnischen Lesern nicht zu nahe zu treten. Insbesondere 
äus8ert er diese Rücksichtnahme hinsichtlich seiner hohen 
Gönner Vespasianus und Titus, deren Thaten überall 
ins gehörige Licht gerückt sind, und deren edle, menschen- 
freundliche Gesinnung nach der Darstellung ihres 
Schützlings ausser allem Zweifel zu stehen scheint. 
Wir gehen aber wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, 
dass die erste Ausarbeitung der Geschichte des Jüdischen 
Krieges, die in des Josephus Muttersprache, der syro- 
chaldaeischen , für die innerasiatischen Völkerschaften 
(siehe Vorwort 1) geschrieben war, im Hervorheben 
der Verdienste der beiden Cäsaren etwas masshaltender 
gewesen sei. Diese syro -chaldaeische Bearbeitung ist 
nämlich nicht mehr vorhanden; vielmehr besitzen wir 
nur die griechische Übersetzung oder, besser geäagt, die 
den Machthabern zu Gefallen vorgenommeue Um- 
arbeitung derselben. 1 Gleichwohl darf die Schilderung, 
was die nackten historischen Thatsachen angeht, als 
durchaus wahrheitsgetreu gelten, wofür als Beweis u. a. 
der Umstand herangezogen werden kann, dass König 
Agrippa II., mit dem Josephus regen brieflichen Ver- 
kehr unterhielt, sich mit der Darstellung des Krieges 
ausdrücklich einverstanden erklärte (Selbstbiographie des 
Josephus, Abschnitt 65). Weniger freilich will die am 
nämlichen Ort gemachte Bemerkung besagen, dass 
Titus die Bearbeitung durchgesehen und zur Be- 
glaubigung unterschrieben habe. Übrigens wird die 

l Ausserdem haben wir noch den syrischen Text des sechsten 
Buches, der wahrscheinlich eine Übersetzung aus der ursprünglichen 
syro-chaldaeischen Bearbeitung darstellt und somit ein Bild davon 
geben dürfte, wie Josephus die Uebertragung aus dem Syro-chal- 
daeischen ins Griechische vorgenommen hat und von welchen Grund- 
sätzen er dabei geleitet wurde (vergl. Kottek, das ♦>. Buch des Bellum 
judaicum nach der von Ceriani photolithographisch edierten Peschitta- 
Handschrift). 



6 


Einleitung. 


Wahrheitsliebe unseres Schriftstellers auch durch die 
denselben Gegenstand behandelnden Werke anderer 
Historiker (Tacitus, Dio Cassius) erhärtet, deren Be- 
schreibung der Belagerung bezw. Zerstörung Jerusalems 
ich des Vergleiches halber für interessant genug hielt, 
um sie unten folgen lassen zu sollen. Dass die geo- 
graphischen und topischen Einzelheiten des „Jüdischen 
Krieges“ sowohl wie auch der „Altertümer“ vollen An- 
spruch auf Zuverlässigkeit haben, wird ja durch die 
neueren und neuesten Untersuchungen immer klarer 
dargethan. 

Die Quellen, aus denen Jo6ephus bei Abfassung der 
Geschichte des Jüdischen Krieges schöpfte, waren ver- 
schiedenartige und lassen erkennen, dass unser Schrift- 
steller in der That, wie er im Vorwort (Abschnitt 5) 
hervorhebt, weder Mühe noch Kosten gescheut hat, um 
etwas Gediegenes und Vollständiges bieten zu können. 
Zunächst kam ihm in dieser Hinsicht seine eigene An- 
schauung zu statten, da er in der ersten Zeit des Krieges 
als Kommandant von Galilaea den thätigsten Anteil an 
den Ereignissen nahm, und es ist klar, dass die Schilderung 
dieser Periode des Krieges als den Thatsachen am ge- 
nauesten entsprechend angesehen werden muss. Als 
Josephus dann nach dem Falle der von ihm heldenmütig 
verteidigten Festung Jotapata in römische Gefangenschaft 
geraten war und durch sein schlaues, berechnendes Auf- 
treten die Gunst des Vespasianus sowie später die 
Möglichkeit erlangt hatte, der Belagerung seiner Vater- 
stadt als Zuschauer beizuwohnen, fand er während seiner 
Anwesenheit im Lager der Römer vor Jerusalem die 
beste Gelegenheit, schriftliche Notizen teils nach eigenen 
Wahrnehmungen, teils nach den Berichten der zahlreichen 
jüdischen Überläufer, die der Hunger und das grausame 



Einleitung. 


7 


Wüten der Zeloten aus der belagerten Stadt trieb, in 
ausgiebigstem Masse zu sammeln (vergl. „Gegen Apion“ I, 9). 
Dieses höchst wertvolle Material ergänzte er dann endlich 
noch durch eine weitläufige Correspondenz , die er von 
Rom aus führte, und die ihm — das können wir ihm 
in anbetracht der damaligen Verkehrs Verhältnisse glauben 
— ganz erhebliche Unkosten verursacht haben muss. 

Was die Zeit der Abfassung des Werkes anlangt, 
so ergiebt sich aus den vorstehenden Ausführungen von 
selbst, dass es jedenfalls noch vor Ablauf der Regierungs- 
zeit des Vespasianus, also noch vor dem Jahre 79 n. 
Ohr. geschrieben sein muss. Da anderseits nach beendetem 
Kriege zur Vervollständigung und Sichtung des Materials 
sowie zur Übersetzung aus dem Syro-chaldaeischen 
immerhin eine geraume Zeit erforderlich war, so wird 
man das Jahr 75 oder 76 n. Chr. wohl als dasjenige be- 
zeichnen dürfen, in welchem Josephus die Arbeit in der 
Form vollendete, wie sie uns jetzt vorliegt. 

Das Werk zerfällt in zwei Teile, von denen der erste 
einen Zeitraum von 234 Jahren (168 vor bis 66 nach Chr.) 
umfasst und die Vorgeschichte des Krieges nebst einer 
Darlegung der Ursachen desselben enthält. Auf den 
ersten Blick könnte es wohl scheinen, als hätte Josephus 
da etwas zu weit ausgeholt; doch wird man hei näherer 
Betrachtung finden, dass die Ereignisse seit 168 v. Chr. 
so eng untereinander in Zusammenhang stehen, dass 
eine andere Anordnung nicht möglich war, wenn eine 
wirklich klare Schilderung der politischen Verhältnisse 
vor dem Kriege gegeben werden sollte. In gedrängter 
Kürze bietet somit dieser erste Teil zunächst die Ge- 
schichte der Juden unter den unabhängigen Fürsten aus 
dem Asmonäergeschlecht , schildert dann, w r ie mit dem 
Emporkommen des idumaeischen Königshauses und ins- 


Go gle 


Jhi'IVERSITY OF CAUf-ORNlÄ; 



8 


Einleitung. 


besondere mit der Einmischung der Römer die Selb- 
ständigkeit der Juden zu Grunde ging, und wendet sich 
hierauf nach einem Überblick über die Regierungszeit 
Herodes* des Grossen und dessen zerrüttete häusliche 
Verhältnisse zu den direkten Ursachen des Krieges, als 
welche die schlechte Regierung des Ethnarchen Arche- 
laus, der durch die unselige Erwartung eines politischen 
Messias geschürte Fanatismus einzelner Juden und die 
Bedrückung des Volkes durch römische Landpfleger zu 
bezeichnen sind. Unter dem grausamen Wüterich 
Gessius Florus läuft dann endlich das Mass über, und 
der Aufruhr schlägt in hellen Flammen empor. Diese 
ganze Vorgeschichte hat Josephus in das erste Buch 
und die 16 ersten Kapitel des zweiten Buches zusammen- 
gedrängt, und es ist bei dieser Kürze wohl verständlich, 
dass manches nur flüchtig und ungenau berichtet wird. 
Vielleicht ist es diesem Umstand zum Teil zuzuschreiben, 
dass in den später verfassten „Altertümern“ die Ge- 
schichte der Herodianer mit ausführlicher Breite dar- 
gestellt wurde, wobei dann die früheren Ungenauigkeiten 
von selbst ihre Ergänzung bezw. Berichtigung fanden. 
Deshalb dürfte es für den Leser zweckmässig sein, sich 
mit den entsprechenden Abschnitten der „Altertümer“ 
bekannt zu machen. Ich werde übrigens nicht verfehlen, 
an den in Betracht kommenden Stellen auf die Ab- 
weichungen beider Werke voneinander hinzuweisen. 

Mit dem 17. Kapitel des zweiten Buches beginnt dann 
der zweite Teil des Werkes, die eigentliche Geschichte 
des Krieges, der im April des Jahres 73 n. Chr. mit 
der Einnahme Masadas durch die Römer sein Ende 
erreichte. 

Bezüglich der geographischen und sonstigen Hilfs- 
mittel beim Studium des „Jüdischen Krieges 1 * verweise ich 



Einleitung. 


9 


auf die von mir in der Einleitung zu den „Altertümern“ 
gemachten Angaben. Ganz besonderes Interesse erweckt 
natürlich die Topographie Jerusalems, die unser Schrift- 
steller teils in breiten Schilderungen, teils in einzelnen 
gelegentlichen Bemerkungen behandelt. Zu ihrer Ver- 
anschaulichung dienen die beiden der vorliegenden 
Übersetzung beigegebenen, von F. Spiess äusserst sorg- 
fältig und korrekt nach der Darstellung des Josephus 
gezeichneten Tafeln, die einen Plan von Jerusalem und 
einen Grundriss des Tempels samt der Burg Antonia 
vor Augen führen, und für deren gütige Überlassung 
dem Autor auch an dieser Stelle mein wärmster Dank 
erstattet sei. Hierbei will ich nicht ermangeln, auf die 
sehr instruktiven Monographien aufmerksam zu machen, 
denen die Tafeln entnommen sind, nämlich: F. Spiess, 
Das Jerusalem des Josephus, und desselben Verfassers: 
Der Tempel zu Jerusalem während des letzten Jahr- 
hunderts seines Bestandes nach Josephus (Berlin, Carl 
Habel, 1881). Sie behandeln mit erschöpfender Gründ- 
lichkeit Jerusalem und den Tempel zu der Zeit, die der 
Zerstörung voranging. 

Die Übersetzung habe ich wiederum nach der Text- 
ausgabe von Dindorf (Paris 1865) angefertigt und dabei 
die alte Havercamp’sche Ausgabe zum Vergleich heran- 
gezogen; aus der letzteren stammen insbesondere die bei 
Dindorf fehlenden Kapitelüberschriften. Für die geo- 
graphischen Anmerkungen, die ich wieder in das Namen- 
register verwies, leistete mir wie bei den „Altertümern“ 
Böttgers „topographisch -historisches Lexikon zu den 
Schriften des Flavius Josephus“ die besten Dienste, wie 
ich auch von Räumers „Palästina“ mehrfach mit 
Nutzen zu verwenden in der Lage war. 

Möge denn diese neue Übersetzung, für deren Voll- 



10 


Einleitung, 


ständigkeit und engen Anschluss an den Urtext ich 
Gewähr leiste, auch ihrerseits dazu beitragen, das 
Interesse für den Schriftsteller Josephus zu wecken und 
zu beleben , wozu gerade dieses sein bestes Werk in 
erster Linie berufen erscheint. 

Brauweiler, im Mai 1900. 

Dr. Heinrich Clementz. 



Tacitus, Historien, Y, 10 — 13. 

10. Gleichwohl (nämlich trotz der Tyrannei und 
Willkür der Landpfleger) hielt die Geduld der Juden 
stand bis auf den Landpfleger Gessius Florus. Ünter 
diesem brach der Krieg aus, und Cestius Gallus, der 
Legat von Syrien, welcher sich Mühe gab, ihn zu unter- 
drücken, bestand wechselnde, öfters aber unglückliche 
Schlachten. Als nun Cestius eines natürlichen Todes 
oder aus Verdruss gestorben war, sandte Nero den Ves- 
pasianus, der in Zeit von zwei Sommern mit siegreichem 
Heere durch sein Glück, seinen Ruf und seinen tüchtigen 
Gehilfen Herr des ganzen platten Landes und aller 
Städte ausser Jerusalem wurde. Das nächste Jahr, in 
welchem der Bürgerkrieg wütete, ging, was die Juden 
betraf, ruhig vorüber. Sobald aber in Italien der Friede 
errungen war, wandte sich die Sorge wieder dem Ausland 
zu, und es wuchs die Erbitterung darüber, dass allein 
die Juden sich nicht gefügt hatten. Gleichzeitig schien 
es im Hinblick auf alle Ereignisse und Unfälle der 
neuen Regierung zweckmässiger, dass Titus im Felde 
blieb. So schlug er also, wie oben (V, 1) erwähnt, vor 
den Mauern Jerusalems sein Lager auf und liess die 
Legionen sich zum Kampf rüsten. 

11. Die Juden stellten ihre Schlachtlinie dicht vor 
den Mauern auf, um im Falle eines Sieges w r eiter vor- 
zudringen und im Falle einer Niederlage gleich eine 
Zuflucht zu haben. Die mit den leichtbewaffneten 
Kohorten gegen sie abgeschickte Reiterei kämpfte un- 
entschieden. Bald zogen sich die Feinde zurück, lieferten 
jedoch an den folgenden Tagen häufig Gefechte vor den 
Thoren, bis sie infolge beständiger Verluste hinter die 
Mauern zurückgedrängt wurden. Nun schritten die 
Römer zum Sturmangriff. Denn es schien unwürdig, 
die Aushungerung der Feinde abzuwarten; auch ver- 
langte man nach dem Kampf, ein Teil aus Tapferkeit, 
viele aber aus Wildheit und aus Sucht, dafür belohnt 



12 


Tacitu9, Historien. 


zu werden. Dem Titus seihst schwebten Rom, Macht- 
stellung und Vergnügen vor Augen, und wenn Jerusalem 
nicht sogleich fiel, schien es damit noch weite Wege zu 
haben. Aber die an sich schon hochgelegene Stadt 
war noch besonders befestigt durch Werke und Wälle, 
mit denen auch ein ebener Platz genügend wäre verwahrt 
gewesen. Denn zwei unermesslich hohe Hügel wurden 
von Mauern eingeschlossen, welche künstlich schief oder 
einwärts gekrümmt erbaut worden waren, damit die 
Flanken der ßturmkolonnen den Geschossen ausgesetzt 
wären. Der äusserste Rand der Felsenmasse war abschüssig, 
und dazu erhoben sich noch Türme, wo der Berg dies 
möglich machte, zu 60 und in Vertiefungen zu 120 Fuss, 
wunderbar anzuschauen und, von fern gesehen, einander 
gleich. Weitere Mauern waren innerhalb um die Königs- 
burg gezogen, und in beträchtliche Höhe ragte der 
Antoniusturm empor, den Herodes so dem Marcus Antonius 
zu Ehren genannt hatte. 

12. Der Tempel erhob sich wie eine Burg wieder mit 
eigenen Mauern, welche an mühsamer Arbeit die anderen 
noch übertrafen. Ja, selbst die Säulenhallen, welche 
rings um den Tempel liefen, bildeten ein vortreffliches 
Bollwerk. Es gab da eine Quelle von unversieglichem 
Wasser, unterirdische Gemächer in den Bergen, Fischteiche 
und Cisternen zur Aufbewahrung des Regenwassers. 
Vorausgesehen hatten die Erbauer wegen der Ver- 
schiedenheit der Sitten häufige Kriege. Daher war alles 
auf eine wenn auch noch so lange Belagerung eingerichtet. 
Auch hatte bei der Eroberung durch Pompejus die Furcht 
und ausserdem die Erfahrung ihnen noch manches an 
die Hand gegeben. Ja, sie hatten sich während des 
Claudius habsüchtiger Zeiten das Befestigungsrecht er- 
kauft und führten im Frieden Mauern wie zum Kriege 
auf. Ihre Zahl vermehrte sich übrigens durch ein ge- 
waltiges Zusammenströmen von Menschen, wenn andere 
Städte zerstört worden waren. Und gerade die Aller- 
hartnäckigsten hatten dorthin ihre Zuflucht genommen, 
weshalb sie um so mehr zum Aufruhr geneigt waren. 
Sie hatten drei Anführer und ebenso viele Heere. Die 
äusserste und ausgedehnteste Ringmauer hatte Simo, der 
auch Bargioras (Sohn des Gioras) genannt wurde, die 
mittlere Stadt Johannes und den Tempel Eleazar besetzt. 



Tacitus, ‘Historien. 


13 


Johannes’ und Simos Stärke beruhte auf der grossen 
Zahl und Bewaffnung ihrer Anhänger, diejenige Eleazars 
aber in der Örtlichkeit. Doch wüteten unter ihnen selber 
Kampf, Hinterlist und Brandstiftung, und es ging eine 
grosse Menge Getreide in Flammen auf. Alsdann sandte 
Johannes unter dem Vorwand, opfern zu wollen, Leute 
ab, welche den Eleazar und dessen Schar niedermachten, 
und bemächtigte sich des Tempels. Auf diese Weise 
teilte sich nun die Stadt in zwei Parteien, bis bei An- 
näherung der Römer der von aussen drohende Krieg die 
Eintracht wiederherstellte. 

13. Wohl hatten sich wunderbare Vorzeichen ein- 
gestellt, die jedoch dieses dem Aberglauben ergebene, 
heiligem Brauch aber abgeneigte Volk weder durch 
Schlachtopfer noch durch Gelübde zu sühnen für erlaubt 
hält. Man erblickte Schlachtreihen am Himmel im 
Kampfe und rötlich schimmernde Waffen und den 
Tempel von plötzlichem Wolkenfeuerschein erhellt. Auf 
einmal öffneten sich die Thore des Heiligtums, und man 
vernahm eine übermenschliche Stimme: „Die Götter 
ziehen aus“, und zugleich der Ausziehenden gewaltiges 
Getöse. Alles das deuteten nur wenige in schrecklichem 
Sinne; die Mehrzahl war der Überzeugung, es stehe in 
den alten Schriften der Priester, gerade um diese Zeit 
werde das Morgenland mächtig werden, und von Judaea 
werde die Macht ausgehen, welche die Weltherrschaft 
gewinnen solle. Diese rätselhaften Worte hatten sich 
auf Vespasianus und Titus bezogen; das Volk aber 
deutete, wie es die Art der menschlichen Begehrlichkeit 
ist, ein so hocherhabenes Geschick auf sich selbst und 
ward nicht einmal durch Unglück zur rechten Einsicht 
bekehrt. Die gesamte Menge der Belagerten, jedweden 
Alters, männlichen und leiblichen Geschlechtes, betrug, 
wie wir vernahmen, 600000 Köpfe. Waffen hatte jeder 
der sie nur tragen konnte, und mehr Leute noch, als 
die Zahl erwarten liess, wagten sich damit in den Kampf. 
Männer und Frauen erwiesen sich gleich hartnäckig 
und fürchteten sich mehr vor dem Leben, falls man sie 
zur Auswanderung würde zwingen wollen, als vor dem 
Tode. Das war die Stadt, das war das Volk, gegen 
welche nun der Caesar Titus, weil die Örtlichkeit 
stürmischen und augenblicklichen Angriff nicht zuliess, 



14 


Dio Cassius. 


mit Wällen und Schutzdächern zu kämpfen beschloss. 
Die Arbeiten wurden unter die Legionen verteilt, und 
die Gefechte ruhten einstweilen, bis man alles fertig 
hatte, wie es von den Alten zur Eroberung von Städten 
schon erfunden war oder jetzt neu ersonnen wurde. 

(Der Schluss ist wohl mit dem Rest des fünften Buches 
und den Büchern VI bis XIV verloren gegangen; doch lässt 
sich schon aus diesem Bruchstück unschwer erkennen, dass 
Tacitus die Darstellung des Josephus gekannt und benutzt, 
mithin auch für zuverlässig gehalten hat.) 


Dio Cassius, LXVI, 4-7. 

4. Titus erhielt die Führung des Krieges gegen die 
Juden. Nachdem er sie anfangs durch Gesandtschaften 
und Versprechungen zur Unterwerfung zu bestimmen 
gesucht, aber nichts ausgerichtet hatte, beschloss er, sie 
förmlich zu bekriegen. Die ersten Schlachten verliefen 
unentschieden; dann aber schlug er die Juden und 
belagerte Jerusalem. Die Stadt hatte drei Mauern, die 
um den Tempel mitgerechnet. Nun warfen die Römer 
gegen die Mauer Erdwälle auf und besetzten dieselben 
mit Maschinen. Unternahmen die Juden Ausfälle, so 
gingen sie ihnen zu Leibe und trieben sie zurück; von 
den Mauern aber scheuchten sie. sie mit Schleudern und 
Geschossen weg. Denn auch von den auswärtigen 
Königen waren ihnen viele Hilfstruppen gesandt worden. 
Aber die Juden erhielten ebenfalls nicht nur aus dem 
Lande selbst, sondern auch von ihren Glaubensgenossen 
aus den römischen Provinzen und selbst von jenseits des 
Euphrat Unterstützungen und warfen ihrerseits teils aus 
der Hand, teils aus Maschinen Geschosse und Steine» 
die von der Höhe herab um so wirksamer waren. 
Sobald sie eine günstige Gelegenheit erspäht hatten, 
machten sie bei Tag und Nacht Ausfälle, steckten die 
Maschinen in Brand, metzelten viele Feinde nieder, 
untergruben die Wälle und warfen die Erde davon an 
ihre eigene Mauer. Die Sturmböcke zogen sie mit 
Schleifen herauf oder rissen sie mit Haken in die Höhe, 
oder sie suchten durch dicke, mit Eisen beschlagene Bretter, 



Dio C&ssius. 


15 


die sie vor der Mauer hinabliessen, die Stösse derselben 
unschädlich zu machen. Am meisten aber litten die 
Römer durch Mangel an Wasser, das nur schlecht war 
und aus der Ferne herbeigeschafft werden musste. Den 
Juden dagegen kamen unterirdische Gänge, die sie von 
innen her unter der Mauer weg nach entfernten Gegenden 
führten, sehr zu statten. Aus ihnen stürzten sie sich 
hervor auf die, welche Wasser holten, und fügten den 
Vereinzelten grossen Schaden zu. Titus Hess deshalb 
alle diese Ausgänge verschütten. 

5. Bei diesen Kämpfen blieb es natürlich nicht aus, 
dass auf beiden Seiten viele verwundet, viele auch ge- 
tötet wurden. Titus selbst wurde von einem Stein an 
der linken Schulter getroffen und behielt davon eine 
Schwäche in der Hand. Endlich erstiegen die Römer 
die äussere Mauer, bezogen zwischen den beiden Mauern 
(der ersten und zweiten) ihr Lager und berannten nun 
die zweite , hatten aber hier ungleich härtere Arbeit. 
Da nämlich alle Juden sich hinter dieselbe zurückzogen, 
konnten sie, in eine engere Verteidigungslinie zusammen- 
gedrängt, sich ihrer Feinde leichter erwehren. Titus 
Hess ihnen daher von neuem durch Herolde Verzeihung 
anbieten; gleichwohl aber beharrten sie auch jetzt noch 
bei ihrem Widerstand. Den Römern verdarben unter- 
dessen die Gefangenen und Überläufer heimlich das 
Wasser und mordeten jeden, den sie einzeln trafen, 
sodass Titus keinen mehr anzunehmen befahl. Mittler- 
weile entsank auch auf seiten der Römer einigen der 
Mut, wie das wohl bei einer längeren Belagerung vor- 
zukommen pflegt, zumal da sie anfingen, dem Gerüchte 
von der Unbezwingbarkeit der Stadt Glauben zu schenken, 
und sie gingen zu den Juden über. Diese nahmen sie, 
so grossen Mangel an Lebensmitteln sie auch hatten, 
sehr gut auf, um ihren Feinden zu zeigen, dass man 
sogar zu ihnen übergehe. 

6. Als nun auch in die (zweite) Mauer Bresche gelegt 
war, waren die Juden doch noch nicht bezwungen, sondern 
hieben eine Menge der eindringenden Feinde zusammen. 
Auch steckten sie einige der nächstgelegenen Gebäude 
in Brand, um die Römer, falls sie auch dieser Mauer 
Herr werden sollten, vom ferneren Vordringen abzuhalten. 
Allein damit beschädigten sie auch die Mauer und setzten 


Go gle 



16 


Dio Cassius. 


ferner, was nicht in ihrer Absicht lag, die Festungswerke 
um den Tempel in Brand. So ward denn den Römern 
der Weg zum Tempel selbst eröffnet Aus religiöser 
Scheu drangen sie indes nicht sogleich ein, und Titus 
vermochte sie erst spät in das Innere vorzuschieben. 
Die Juden ihrerseits erachteten es als ein grosses Glück, 
um und für ihren Tempel kämpfend das Leben zu lassen. 
Die vom Volke hatten sich unten im Vorhof, die vom 
hohen Rat auf den Treppen, die Priester aber im Tempel 
selbst aufgestellt. Und so gering auch ihre Zahl gegen 
die Übermacht war, so wurden sie doch nicht eher über- 
wunden, als bis ein Teil des Tempels in Brand geriet. 
Jetzt stürzten sie sich freiwillig in die Schwerter der 
Feinde, oder mordeten einander selbst, oder sprangen 
ins Feuer. Allen erschien es kein Tod, sondern Sieg, 
Heil und Seligkeit, unter den Trümmern ihres Tempels 
begraben zu werden. 

7. Gleichwohl machte man Gefangene, darunter auch 
ihren Anführer Bargioras (den Sohn des Gioras), der 
allein beim Triumph mit dem Leben büssen musste. So 
wurde denn Jerusalem gerade am Saturnustage (Sabbat), 
der auch den heutigen Juden noch heilig ist, erobert. 
Seit dieser Zeit musste jeder, der den Gebräuchen seiner 
Väter treu blieb, jährlich dem Jupiter Capitolinus zwei 
Denare entrichten. Beide Sieger (Vespasianus und Titus) 
nun erhielten zwar den Titel Imperator, doch führte 
keiner von ihnen den Namen Judaicus, obgleich ihnen 
alle bei einem so grossen Siege hergebrachten Ehren- 
bezeugungen und somit auch Triumphbögen zuerkannt 
wurden. 



Erstes Bueh, 


Inhalt. 

1. Vorwort, enthaltend die Gründe, die den Autor zur Abfassung 

des Geschichte Werkes bewogen, sowie eine allgemeine Inhalts- 
übersicht. 

2. Wie Antiochus Epiphanes wegen einer Empörung der Jerusalemer 

deren Stadt einnahm und die Juden schlecht behandelte. Wie 
Onias zu Ptolemaeus floh. 

3. Wie die Priester Matthias (Mattathias) das Volk um sich scharte 

und den Bakchides (Apelles), der gegen Eleazar grausam ge- 
wütet hatte, umbrachte. Wie er darauf gegen Antiochus Krieg 
führte und sterbend den Oberbefehl seinem ältesten Sohne 
Judas hinterliess, der durch glückliche Feldzüge dem Verfall 
Einhalt that. 

4. Wie nach des Epiphanes Tod dessen Sohn und Nachfolger 

Antiochus gegen Jerusalem zu Felde zog und die Stadt besetzte, 
und wie Eleazar, des Judas Bruder, von einem Elefanten zu 
Tode gedrückt wurde , ohne eine nennenswerte Kriegsthat 
vollbracht zu haben. Wie Judas und sein Bruder Joannes 
umkamen. 

5. Wie des Judas Bruder Jonathas zur I Herrschaft gelangte, von 

des Antiochus Erzieher Tryphon aber mit List gefangen ge- 
nommen und getötet wurde. 

6. Wie Simon, der jüngste der Brüder, nachdem er den Ober- 

befehl übernommen und durch seine Thatkraft die Juden nach 
170jähriger Bedrückung von der Herrschaft der Macedonier 
befreit hatte, vom Volke zum Hohepriester gewählt wurde, aber 
den Nachstellungen seines Schwiegersohnes Ptolemaeus bei 
Gelegenheit eines Gastmahies zum Opfer fiel. 

7. Wie Joannes mit dem Beinamen Hyrkanus, Simons Sohn und 

Nachfolger, den Händen des Ptolemaeus entging und den 
Antiochus vertrieb. Welche Kriegsthaten er selbst sowohl als 
auch seine Söhne Aristobulus und Antigonus vollbrachten, und 
wie er nach 33jiihriger friedlicher Regierung mit Hinterlassung 
von 5 Söhnen starb, nachdem er des Volkes Fürst, Hohepriester 
und Prophet gewesen war.' 

S. Wie Aristobulus, des Hyrkanus ältester Sohn, 471 Jahre nach 
Beendigung der babylonischen Gefangenschaft sich die Königs- 
krone aufsetzte und nach tyrannischer Regierung von nur ein- 
jähriger Dauer starb. 

Josephus, jüdischer Krieg. 2 



18 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


9. Wie des Aristobulus Bruder Alexander nach ihm den Thron 
bestieg, und was er während seiner Regierung vollbrachte. 
Wie seine Unterthanen ihn seiner Grausamkeit wegen hassten, 
und wie er nach 27 jähriger Regierung aus dem Leben schied. 

10. Wie seine Gattin Alexandra glänzend regierte, ihren ältesten 

Sohn Hyrkanus zum Hohepriester ernannte, den Aristobulus 
ins Privatleben verwies und durch die Macht der Pharisäer in 
Gefahr geriet. 

11. Wie Aristobulus, als seine Mutter nach neunjähriger Regierung 

starb, unter Ausschluss seines Bruders von der Leitung des 
Staates den Thron bestieg, später aber sich mit ihm dahin einigte, 
dass er selbst die Königswürde und Hyrkanus das Hohepriester- 
amt behielt. 

12. Wie unter der Herrschaft des Aristobulus dessen Gegner und 

besonders der Idumäer Antipater aus Furcht vor ihm den 
Hyrkanus beredeten, zum Araberkönige Aretas zu fliehen. Wie 
Hyrkanus von einem grossen Kriegsheer in sein Vaterland 
zurückgefiihrt wurde und über seinen Bruder beinahe obgesiegt 
hätte, wenn der römische Feldherr Scaurus nicht von Aristobulue 
durch Geschenke bewogen worden wäre, Jerusalem zu ent- 
setzen. 

13. Wie Pompejus auf Hyrkanus’ und Antipaters Bitten und im 

Zorn über des Aristobulus Anmassung Jerusalem erstürmte und 
dem Hyrkanus die hohepriesterliche Würde wieder verlieh. 

14. Wie Pompejus die syrischen Städte, welche die Makkabäer einst 

für die Juden erobert hatten , diesen wieder abnahm und über 
die Städte und das übrige Syrien den Scaurus als Statthalter 
setzte. Von der Erzeugung und Bereitung des Balsams. Was 
Pompejus im Tempel vorfand. Zahl der auf beiden Seiten 
Gefallenen. 

15. Wie Pompejus nach der Gefangennahme des Aristobulus und 

seiner Familie sich nach Rom begab, und wie Alexander, einer 
der Söhne des Aristobulus, auf der Reise entwich. Wie Scaurus 
in Arabien einfiel, sich aber wieder zurückzog. Thaten und 
Schicksale des flüchtigen Alexander. 

10. Wie Gabinius, der Nachfolger des Scanrus in Syrien, den 
Alexander besiegte, ihm auf seine Bitte Verzeihung gewährte 
und ganz Judaea in fünf Gerichtsbezirke teilte. 

17. Wie auch Aristobulus, der aus Rom geflohen und gegen Gabinius 

zu Felde gezogen war, endlich besiegt und abermals in Fesseln 
nach Rom geschickt wurde. 

18. Wie Gabinius auf seinem Marsche gegen die Parther durch des 

Ptolemaeus Angelegenheit aufgehalten wurde, und wie er die 
wiederum in Aufruhr geratenen Juden zu Paaren trieb. 

19. Wie des Gabinius Nachfolger Crassus von. den Parthern getötet 

wurde. Des Cassius Kriegsthaten in Syrien. 

20. Von Antipater und seiner Familie. 


Go gle 


IJNIVERSITY OF CAI IFOEM'i/Y 



Erstes Buch, Inhalt. 


19 


21. Wie Caesar den Aristobulus freiliess und nach Jerusalem schickte, 

und was dieser sowie seine Kinder von den Anhängern des 
Pompejus zu erdulden hatten. 

22. Wie Antipater aus Gefälligkeit gegen Caesar dem Mithradates 

bei der Belagerung von Pelusium Hilfe leistete und sich 
tapfer schlug. Caesar schenkt ihm dafür das römische Bürger- 
recht und Steuerfreiheit. Wie er von Aristobulus' Sohn Antigonus 
bei Caesar angeklagt wurde, aber obsiegte, worauf Hyrkanus 
in der Hohepriesterwürde bestätigt und er selbst zum Statt- 
halter von ganz Judaea ernannt wurde. 

23. Wie Antipater die von Pompejus zerstörte Stadtmauer wieder- 

herstellte, einen Aufstand in der Provinz dämpfte und alsdann 
seinen ältesten Sohn Phasael zum Befehlshaber von Jerusalem 
nebst Umgegend, den Herodes aber in derselben Eigenschaft 
für Galilaea ernannte. 

24. Wie Hyrkanus auf Anreizung von seiten der Neider des Herodes 

und weil er auch selbst auf dessen kriegerische Erfolge eifer- 
süchtig wurde, ihn vor Gericht lud, dann aber freisprach, und 
wie Herodes im Unmut darüber gegen Hyrkanus zu Felde zog, 
auf seines Vaters und Phasaels Rat jedoch von weiteren Unter- 
nehmungen Abstand nahm. 

25. Von dem bei Apamea unter den Römern ausgebrochenen Bürger- 

kriege. 

26. Wie Brutus und Cassius den Caesar meuchlings ermordeten. 

Des Cassius Auftreten in Judaea. Antipater von Malichus 
vergiftet. 

27. Wie Herodes mit Hilfe des Cassius gegen Malichus einschritt, 

und wie Helix, um den Tod seines Bruders Malichus zu rächen, 
gegen Phasael zu Felde zog, von diesem besiegt wurde, dann 
aber von Herodes auf seine Bitte freien Abzug erhielt. Wie 
der Tyrann Marion von Herodes aus Galilaea vertrieben 
wurde. 

28. Wie Herodes zu seiner ersten Gattin eine zweite nahm, nämlich 

Mariamne, die Enkelin des Hyrkanus und Tochter des Ari- 
stobulus. 

29. Wie nach des Cassius Ermordung Antonius nach Asien kam und 

Herodes sowie dessen Bruder, die von den Juden angeklagt 
waren, nicht nur in der Herrschaft beliess, sondern auch beide 
zu Tetrarchen ernannte. 

30. Was von den Parthern Barzaphames und Pakorus angestellt 

wurde, um dem Antigonus wieder auf den Thron zu helfen. 
Wie Phasael umkam und Herodes ihren Nachstellungen entging, 
Hyrkanus aber , seiner Ohren beraubt , nach Parthien weg- 
geführt wurde, und wie Antigonus die Herrschaft erlangte. 

31. Wie Herodes sich zum Araberkönig begab, um von ihm Geld 

zum Loskauf seines Bruders zu erhalten , aber in seiner Er- 
wartung sich getäuscht fand und über Alexandria nach Rom 
reiste, wo er bei Antonius und Caesar Augustus sein Unglück 

2 * 


Go gle 


UNVERSITY OF CALIFORNIA 



20 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Kriegos. 


beklagte, die mit Hilfe der Parther erfolgte Thronbesteigung 
des Antigonus meldete und von beiden mit Zustimmung des 
Senates zum König ernannt wurde. 

32. Wie Antigonus die in Masada eingeschlossenen Verwandten des 

Herodes belagerte. 

33. Wie Herodes nach seiner .Rückkehr von Rom gegen Antigonus 

Krieg führte und, während er die Seinen zum Kriege gegen die 
Parther sandte, selbst die Räuber in ihren Höhlen angrifi und 
in seine Gewalt brachte. 

34. Wie während des Herodes Unternehmung gegen Antigonus die 

Galiläer einen Aufruhr gegen Samäria anzettelten, und wie 
Herodes deshalb zurückkehrte und den Aufstand niederwarf. 
Wie er dann nach Überwindung der Parther Hilfstruppen von 
Antonius zum Kriege gegen Antigonus erhielt, aber, daderen Führer 
Machaeras sich, als schlechter Bundesgenosse erwies, zu Antonius 
zurückkehrte und ihm bei der Belagerung von Samosata half, 
während sein Bruder Joseph in seiner Abwesenheit sich in ein 
Treffen mit Antigonus einliess, sein ganzes Heer verlor und 
selbst fiel, worauf die Untergebenen sich wieder empörten. 

35. Wie Herodes zurückkehrte, mit den Anhängern des Antigonus 

kämpfte, ausser anderen kleineren Städten auch Jericho ein- 
nahm und Pappus, dem Heerführer des Antigonus, der seinen 
Bruder Joseph getötet hatte, das Haupt abschlagen liess. 

36. Wie er im dritten Jahre seiner Königsherrschaft Jerusalem er- 

oberte und den Jerusalemern arg mitspielte. Des Antigonus 
Tod. 

37. Was Antonius der Kleopatra zuliebe that. 

38. Wie beim Ausbruch des Krieges von Actium Herodes von 

Antonius gegen die Araber geschickt wurde und dieselben 
völlig niederwarf. Seine Rede an das von einem Erdbeben 
eingeschüchterte Heer. 

39. Wie Herodes nach der Schlacht bei Actium sich zum Caesar 

begab, mit ihm verhandelte und reich beschenkt wurde. 

40. Von der Wiederherstellung des Tempels und den durch Herodes 

errichteten Bauwerken. Seine körperlichen und geistigen 
Vorzüge. 

41. Von dem Leid und den Zwistigkeiten, die in des Herodes Familie 

wegen seiner Gattin Mariamne entstanden, und was ihm wider- 
fuhr, weil er einst den Hyrkanus, der Mariamne Grossvater, 
gefangennehmen und ihn wie seinen Bruder Joseph hatte um- 
bringen lassen. Hinrichtung der Mariamne. 

42. Wie Herodes infolge der Verleumdungen von seiten seines Sohnes 

Antipater gegen die Söhne der Mariamne in Erbitterung geriet, 
den Alexander nach Rom schleppte, um seine Bestrafung beim 
Caesar zu erwirken . sich aber mit ihm aussöhnte und nach 
Jerusalem zurückkehrte, wo er dem Volke über alles Vorge- 
fallene Bericht erstattete. 

43. Charakter Antipaters und der Söhne Mariamues. 



Erstes Buch, Inhalt. 


21 


44. Von Herodes’ Bruder Pheroras und seinen Streitigkeiten mit ihm. 

45. Von des Herodes Verschnittenen, und wie sie die Ursache waren, 

dass Alexander in Lebensgefahr geriet. 

46. Wie Alexanders Schwiegervater Archelwus aus Kappadocien kam 

und die Prinzen mit ihrem Vater aussöhnte. 

47. Von der Betrügerei des Lakedaemoniers Eurykles, der den Herodes 

abermals gegen seine Söhne aufreizte. 

48. Wie Herodes infolge der Verleumdungen von seiten Salomes 

Alexander und Aristobulus einkerkern liess, sie beim Caesar 
verklagte und nach erhaltener Ermächtigung hinrichten liess. 

49. Wie Antipater allgemein verhasst wurde, und wie der König 

die Kinder der Hingerichteten mit seinen Verwandten verlobte. 

50. Wie des Pheroras Gattin und Antipaters Mutter mit Salome in 

Zwist gerieten und den Grund zum Verderben Antipaters und 
der Seinen legten. Wie Antipater, um seinem Vater aus den 
Augen .zu kommen, sich mit glänzender Ausstattung nach Rom 
zum Caesar begab. Vom Araber Syllaeus und dem Tode des 
Pheroras. 

51. Wie des Pheroras Ende dem Antipater zum Verderben gereichte. 

52. Wie des Pheroras Gattin sich vom Dache hinabstürzte, aber 

durch Fügung Gottes, der den Antipater zur Strafe ziehen 
wollte, am Leben erhalten wurde. 

53. Antipaters Rückkehr von Rom. und wie aus Hass gegen ihn 

niemand von den Vorgängen in Judaea ihm Bericht erstattete. 

54. Wie der König eine Gerichtssitzung anberaumte und den Nikolaus 

zum Ankläger Antipaters in Anwesenheit des Varus bestellte. 
Antipaters Verteidigung. 

55. Wie Antipater durch einen zufällig aufgefangenen Brief Akmes, 

der Sklavin der Julia, überführt wurde, auch gegen Salome 
Ränke geschmiedet zu haben 

56. Von den Gesetzesieb rem Judas und Matthias, und von dem goldenen 

Adler. 

57. Von des Königs Krankheit, und wie er angesichts des Todes 

viele vornehme Juden aus ganz Judaea Zusammenkommen 
liess und ihre Niedermetzelung anordnete, sobald er selbst 
den Geist aufgegeben hätte. 

58. Wie Herodes seinen Sohn Antipater hinrichten liess und am 

fünften Tage nachher selbst starb. 



V orwort. 


1. Der Krieg der Juden gegen die Römer, der an 
Bedeutung unter allen Kriegen zwischen einzelnen Städten 
oder Völkern nicht nur unseres Zeitalters, sondern auch 
vergangener Tage seinesgleichen sucht, ist zwar schon 
wiederholt beschrieben worden. Doch unternahmen dies 
teils solche Schriftsteller, die, ohne Zeugen der Ereignisse 
gewesen zu sein, aus blossen Gerüchten thörichtes, wider- 
spruchsvolles Gerede sammelten und nach sophistischer 
Weise 1 verarbeiteten, teils solche, die zwar mit dabei 
waren, aber aus Liebedienerei gegen die Römer oder aus 
Hass gegen die Juden es mit der Wahrheit nicht genau 
nahmen, sodass ihre Schriften aus einem Gemisch von 
Anklagen und Lobhudeleien bestehen, historische Treue 
dagegen stark vermissen lassen. Aus diesem Grunde 
habe ich, Josephus, des Matthias Sohn, aus Jerusalem 
gebürtiger Hebräer und Priester, der ich im Anfänge 
des Krieges selbst gegen die Römer gekämpft und in 
seinem späteren Verlauf als unfreiwilliger Augenzeuge 
ihn mitgemacht habe, den Entschluss gefasst, die Geschichte 
des Krieges, die ich schon früher den innerasiatischen 
Völkern 2 in ihrer Muttersprache habe zugehen lassen, 
nunmehr auch für diejenigen, welche unter dem römischen 
Scepter leben, in griechischer Übersetzung zu bearbeiten. 

2. Als diese, wie gesagt, höchst bedeutungsvolle Be- 
wegung im Entstehen begriffen war, krankte der römische 
Staat an inneren Übeln 3 , während anderseits diejenigen 
Juden, die auf Umsturz der bestehenden Verhältnisse 
sannen, die unruhigen 2eiten zur Erregung eines Auf- 
standes für geeignet hielten, zumal sie an Streitkräften 

1 D. h. nur um ihre schriftstellerische bezw. rednerische Begabung 
zu zeigen. 

2 Welche Völker Josephus damit meint, ergiebt sich aus Vorwort 2. 

3 Gemeint ist die Zerfahrenheit unter Neros tyrannischer Re- 
gierung und der Wirrwarr nach seinem Tode. 



Erstes Buch, Vorwort. 


23 


wie an Geldmitteln keinen Mangel hatten. So war denn 
in der argen Verwirrung bei den einen die Hoffnung, den 
Orient zu gewinnen, nicht minder gross als bei den 
anderen die Furcht, ihn zu verlieren. Hegten doch die 
Juden die feste Überzeugung, ihre Stammesgenossen 
jenseits des Euphrat würden insgesamt zugleich mit ihnen 
zu den Waffen greifen, indes den Römern nicht nur die 
benachbarten Gallier, sondern auch die unruhigen Kelten 
zu schaffen machten. Nach Neros Tode vollends geriet 
alles in Aufruhr; gar manchen veranlasste die günstige 
Gelegenheit, seine Hand nach der Krone auszustrecken, 
und dem nach Geschenken lüsternen Heere war ein 
Thronwechsel allezeit willkommen. Den wahren Sach- 
verhalt so wichtiger Vorgänge nun nicht aufzuklären und, 
während Parther, Babylonier, die fernsten Araber, unsere 
Volksgenossen jenseits des Euphrat und die Adiabener 
durch meine Bemühung von der Entstehung, den vielen 
Wechselfällen und dem endlichen Ausgang des Krieges 
genaue Kenntnis erhalten hatten, die Griechen sowie 
diejenigen Römer, die den Feldzug nicht mitgemacht, 
darüber in Unwissenheit und auf die Lektüre schmeichle- 
rischer oder lügenhafter Machwerke angewiesen zu lassen, 
konnte ich nicht für recht halten. 

3. Und doch entblöden sich die V erfasser nicht, den Titel 
„Geschichten“ über solches Geschreibsel zu setzen, das, 
ganz abgesehen von seinem mangelhaften Inhalt, mir 
wenigstens auch noch seinen Zweck zn verfehlen scheint. 
Denn in der Absicht, die Römer recht gross erscheinen 
zu lassen, suchen sie der Juden Macht durchgehends zu 
verkleinern und verächtlich zu machen. Es will mir 
aber nichteinleuchten, inwiefern die Besieger unbedeutender 
Feinde so gross erscheinen sollten. Dazu kommt noch, 
dass sie weder die lange Dauer des Krieges berück- 
sichtigen, noch die bedeutenden Verluste des römischen 
Heeres, noch die Grösse der Feldherren, deren Ruhm 
meines Erachtens doch sicherlich zusammenschrurapft, 
wenn die so ausserordentlich mühsame Eroberung Jeru- 
salems keine glänzende Kriegsthat gewesen sein soll. 



24 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


4. Dennoch liegt es keineswegs in meiner Absicht, 
mich mit den Lobrednem der Römer zu messen und 
meinerseits nun die Thaten meiner Volksgenossen zu 
verhimmeln , sondern ich will eben nur das auf beiden 
Beiten thatsächlich Geschehene genau berichten, und 
indem ich aus Trauer über das Unglück meiner Vater- 
stadt mich meinem Schmerz überlasse, will ich mit der 
Erzählung der Begebenheiten zugleich meiner Stimmung 
ein kleines Opfer bringen. Denn dass innerer Hader 
den Untergang der Stadt verschuldete, und dass die 
Tyrannen der Juden selbst es waren, welche die Römer 
wider deren Willen zwangen, Hand anzulegen und den 
Feuerbrand in den heiligen Tempel zu werfen, davon ist 
dessen Zerstörer, der Caesar Titus, selbst Zeuge, der 
während des ganzen Krieges Mitleid mit dem Volke hatte, 
weil es sich von den Empörern leiten liess, und der die 
Zerstörung der Stadt zu wiederholten Malen aus eigenem 
Antrieb hinausschob und die Belagerung in die Länge 
zog, um den Schuldigeii Zeit zur Sinnesänderung zu 
lassen. Will mich aber jemand um dessetwillen schelten, 
was ich, seufzend über das traurige Los meiner Vater- 
stadt, gegen die Tyrannen und ihren Anhang von 
Banditen im Tone der Anklage vorbringe, so möge er 
diesen Verstoss gegen das Gesetz der Geschichtschreibung 
meinem Schmerze zugut halten. Denn von allen Städten 
unter der Oberhoheit der Römer hatte keine den grossen 
Wohlstand erreicht , wie die unsere, keine aber stürzte 
auch in eine solche Tiefe des Unglückes hinab. Ja, kein 
Missgeschick aller Zeiten scheint mir mit dem: der Juden 
den Vergleich aushalten zu können. Dass nun auch 
noch nicht einmal ein Fremder die Schuld daran trägt, 
das ist es, was es mir schier unmöglich macht, meiner 
Wehmut Herr zu werden. Ist jedoch jemand ein so 
unerbittlicher Richter, dass sein Herz dem Mitleid völlig 
verschlossen ist, so schreibe er die Thatsachen auf 
Rechnung der Geschichte, die Wehklagen aber auf Rechnung 
des Geschichtschreibers. 



Erstes Bach, Vorwort. 


25 


5. Übrigens könnte ich mit vollem Recht den Ge- 
lehrten der Griechen Vorwürfe darüber machen, dass sie 
trotz so grosser selbsterlebter Begebenheiten, welche bei 
Anstellung eines Vergleiches die früheren Kriege an Be- 
deutung weit hinter sich lassen, dennoch stets an den 
Leistungen der Schriftsteller, die diese vergangenen 
Kriege beschrieben haben, verkleinernde Kritik üben, 
obwohl sie von diesen, wenn auch nicht an gewandter 
Darstellung, so doch jedenfalls an Ehrlichkeit übertroffen 
werden. Da unternehmen es jene Gelehrten, die Geschichte 
der Assyrier oder der Meder zu bearbeiten, als hätten 
die alten Geschichtschreiber das lange nicht so gut ver- 
standen. Und doch sind ihnen dieselben ebensowohl in 
echter Geschichtschreibungskunst, als in planvoller Anlage 
ihrer Werke überlegen. Denn jeder von diesen verfolgte 
eben nur den Zweck, die Begebenheiten der eigenen 
Tage zu schildern, wobei einerseits der Umstand, dass 
sie die Ereignisse gelbst miterlebt hatten, eine besonders 
lichtvolle Darstellung ermöglichte, anderseits aber auch 
lügenhafte Berichte von den mit dem wirklichen Sach- 
verhalt Vertrauten wohl gleich als solche gebrandmarkt 
worden wären. Auf ein besonderes Lob kann also nur 
derjenige Anspruch machen, der die genau den Thatsachen 
entsprechende Geschichte seiner eigenen Zeit der Ver- 
gessenheit entreisst und sie für die Nachwelt aufzeichnet. 
Und fleissige, sorgfältige Arbeit kann nicht dem nach- 
gerühmt werden, der bloss eines anderen Plan und Ge- 
dankengang umformt, sondern nur dem, der einem an 
sich originellen Stoff durch selbständige Darstellung 
Geist und Leben verleiht. So habe auch ich, wiewohl ein 
Fremdling, weder Mühe noch Kosten gescheut, um Griechen 
wie Römern die Geschichte jener Kriegs thaten darbieten 
zu können. Die Einheimischen haben ja zwar, wo es 
Geldgewinn und Rechtsstreitigkeiten gilt, stets einen 
offenen Mund und eine gelöste Zunge. Handelt es sich 
aber um Geschichtschreibung, wo man bei der Wahrheit 
bleiben und mit vieler Mühe die Thatsachen zusammen- 
suchen muss, so spielen sie die Stummen und überlassen 



26 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


es talentlosen Leuten, die zudem oft noch nicht einmal 
recht Bescheid wissen, die Thaten der Feldherren zu 
schildern. So werde denn die echte Geschichtschreibungs- 
kunst bei uns um so mehr in Ehren gehalten, als sie 
bei den Griechen vernachlässigt wird. 

6. Der Juden alte Geschichte zu schreiben und dar- 
zuthun, was für ein Volk sie waren, wie sie den Auszug 
aus Aegypten bewerkstelligten , welche Länderstrecken 
sie durchirrten, welche Gebiete sie dann einn ahmen und 
wie sie von da wieder wegzogen, hielt ich jedoch hier 
nicht für geboten und ausserdem auch für überflüssig, 
da ja einerseits viele Juden vor mir die Geschichte ihrer 
Ahnen hinreichend genau bearbeitet haben, anderseits 
manche Griechen, indem sie jene Schriften in ihre 
Muttersprache übertrugen, von der Wahrheit im all- 
gemeinen nicht sehr abgewichen sind. Meine Darstellung 
soll vielmehr da beginnen, wo diese Schriftsteller und 
die Propheten auf hören. Und zwar werde ich nur den 
von mir selbst miterlebten Krieg ausführlicher und mit 
möglichster Genauigkeit beschreiben, bei den Ereignissen 
vor meiner Zeit dagegen mich mit einem kurzen Über- 
blick begnügen. 

7. Somit werde ich berichten, wie Antiochus mit dem 
Beinamen Epiphanes, nachdem er Jerusalem erobert und 
die Stadt drei Jahre und sechs Monate in seiner Gewalt 
gehabt hatte, von den Asamonäern aus dem Lande ver- 
trieben wurde ; wie deren Nachkommen in einem Thron- 
streit die Entscheidung der Römer und des Pompejus 
anriefen ; wie Herodes, der Sohn des Antipater, mit Hilfe 
des Sosius ihrer Herrschaft ein Ende bereitete ; wie nach 
des Herodes Tod unter dem römischen Caesar Augustus 
und dem Statthalter des Landes Quintilius Varus das 
Volk sich empörte; wie im zwölften Jahre von Neros 
Regierung der Krieg ausbrach; was sich unter Cestius 
ereignete, und wie viele Plätze die Juden zu Beginn des 
Krieges mit stürmender Hand angriflen. 

8. Weiterhin will ich erzählen, wie die Juden die 
umliegenden Städte befestigten; wie Nero nach den 



Erstes Buch, Vorwort. 


27 


Niederlagen des Cestius seine Oberhoheit gefährdet 
glaubte und den Vespasianus mit der Leitung des Krieges 
betraute; wie dieser mit seinem ältesten Sohn in das 
Land der Juden einrückte; wie zahlreich das von ihm be- 
fehligte Römerheer war, und wie viele Hilfstruppen ihm bei 
der Verwüstung von ganz Galilaea zu Gebote standen; wie 
er die Städte dieser Landschaft teils mit Gewalt, teils 
durch freiwillige Kapitulation in seinen Besitz brachte. 
Alsdann will ich die Kriegstaktik der Römer, die vor- 
treffliche Ausbildnng ihrer Legionen, ferner die Grösse 
und natürliche Beschaffenheit von Ober- und Unter- 
galilaea, die Grenzen Judaeas, die Eigentümlichkeiten 
des Landes, seine Seen und Quellen, endlich die Schicksale 
jeder eroberten Stadt mit äusserster Sorgfalt schildern, 
und zwar nach meiner eigenen Anschauung und nach 
meinen Erlebnissen. Denn auch von meinem persönlichen 
Missgeschick will ich nichts verschweigen , da ja meine 
Leser mit den Thatsachen bekannt sind. 

9. Im ferneren Verlauf werde ich mitteilen, wie 
um die Zeit, da es mit den Juden schon bedenklich 
stand, Nero starb und Vespasianus, der eben gegen 
Jerusalem aufgebrochen war, infolge seiner Erhebung 
zum Imperator abberufen wurde; welche Vorzeichen 
dem letzteren diese Würde verkündet hatten ; wie Rom 
von einrückenden Truppen überflutet, und wie Vespasianus 
wider seinen Willen von den Soldaten zum Selbst- 
herrscher ausgerufen wurde; wie hierauf, nachdem er 
zur Ordnung der Reichsangelegenheiten nach Aegypten 
abgereist war, Streitigkeiten unter den Juden ausbrachen 
und Tyrannen die Herrschaft über sie erlangten, die 
aber dann auch ihrerseits sich gegenseitig bekämpften. 

10. Die Erzählung fährt dann fort zu berichten, 
wie Titus von Aegypten her abermals ins Land einfiel; 
auf welche Weise, wo und in welcher Stärke er sein 
Heer zusammenbrachte; wie bei seinem Anrücken die 
Stadt infolge des inneren Haders litt ; wie oft er stürmen 
und wie viele Wälle er aufführen liess. Weiterhin werde 
ich schildern den Umfang und die Grösse der drei 



28 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Mauern, die starke Befestigung der Stadt, den Plan des 
Heiligtums und des Tempels, die Mass Verhältnisse dieser 
Bauwerke und des Altares, und zwar alles mit genauester 
Sorgfalt; sodann auch einige festliche Gebrauche, die 
sieben Reinigungen und die gottesdienstlichen Ver- 
richtungen der Priester, der letzteren und des Hohe- 
priesters Kleidung, sowie die Beschaffenheit des Aller- 
heiligsten im Tempel, ohne dem, was ich als sicher ver- 
bürgen kann, etwas hinzuzufügen noch etwas davon 
zu verschweigen. 

11. Hierauf werde ich das grausame Wüten der 
Tyrannen gegen ihre eigenen Volksgenossen klarlegen 
und auf der anderen Seite das schonende Verhalten der 
Römer gegen die Fremden, dann wie oft Titus, von dem 
Wunsche beseelt, die Stadt und den Tempel zu retten, 
die Empörer zu einem Vergleich aufforderte. Auch 
werde ich die Not und das vielfache Unglück des Volkes 
auseinandersetzen und zeigen, was es bis zum Falle der 
Stadt durch den Krieg, durch inneren Zwist und durch 
Hunger zu leiden hatte. Verschweigen will ich auch 
weder das traurige Geschick der Überläufer noch die 
Hinrichtung der Gefangenen, und sodann werde ich 
berichten, wie der Tempel gegen den Willen des Caesars 
in Flammen aufloderte und was von den heiligen Ge- 
räten der Wut des Feuers entrissen wurde; weiterhin 
die völlige Zerstörung der Stadt und die wunderbaren 
Vorzeichen, die sie angekündigt hatten; die Gefangen- 
nahme der Tyrannen; die Menge der als Sklaven ver- 
kauften Juden und ihr verschiedenartiges Schicksal; 
hierauf wie die Römer die letzten Reste kriegerischen 
Widerstandes brachen und die festen Plätze von Grund 
aus zerstörten; endlich wie Titus das ganze Land bereiste, 
die Ordnung herstellte, nach Italien zurückkehrte und 
triumphierte. 

12. Das alles habe ich, um den Kennern der That- 
sachen und Augenzeugen des Krieges jeden Grund zu 
Klagen oder Vorwürfen zu benehmen, für wahrheitsliebende, 
nicht aber für bloss unterhaltungssüchtige Leser in 



Erstes Buch, 1. Kapitel. 


29 


eieben Büchern beschrieben. Es beginne also die eigent- 
liche Erzählung in der Weise, wie ich es in der all- 
gemeinen Inhaltsübersicht angedeutet habe. 


Erstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XII, 4, 11 — 11,2. 

Antiochus Epiphanes erobert Jerusalem. Die Makkabäer 
Mattathias und Judas. 

1. Zu der Zeit 1 , als Antiochus Epiphanes mit Ptole- 
maeus dem Sechsten 2 wegen des Besitzes von Gesamt- 
Syrien 3 im Streite lag, entstanden unter den vornehmen 
Juden Zwistigkeiten über den Machtvorrang, da niemand 
von denen, die in Würden standen, sich seinesgleichen 
unterordnen wollte. In diesem Zwiste gewann Onias, 
einer von den Hohepriestern, die Oberhand und vertrieb 
die Söhne des Tobias aus der Stadt 4 (Jerusalem). Letztere 
nahmen nun ihre Zuflucht zu Antiochus, den sie baten, 
in Judaea einzurücken und dabei ihre Dienste als Heer- 
führer anzunehmen. Der König liess sich um so leichter 
hierzu bereden, als er sich schon lange mit dieser 
Absicht trug. Er drang daher mit grosser Streitmacht 
ins Land ein, nahm die Stadt mit stürmender Hand 5 6 , 
liess eine grosse Menge der Anhänger des Ptolemaeus 
niedermachen, verstattete seinen Soldaten unein- 
geschränktes Plündern, beraubte selbst den Tempel und 


1 Um 174 v. Chr. 

a Philometor; er vermochte übrigens dem Antiochus das Streit- 
objekt nicht zu entreissen, das er an dessen Bruder und Vorgänger 
Seleukus IV. (Philopator) von Syrien verloren hatte. 

8 oXtj Supia, welches hier Coelesyrien (xo&tj Sopia), Phoenicien 
und Judaea zusammen begreift (vergl. Gegen Apion, II, 5). Judaea 
stand damals unter der Herrschaft der Seleukiden. 

4 Nicht Onias war es, sondern Jesus (Jason), der die Söhne des 

Tobias verjagte (s. Jüd. Altert. XII, 5, 1). 

6 Nach J. A. XII, 5,3 und 4 nahm Antiochus Jerusalem zweimal 
ein, das erste Mal durch Verrat und zwei Jahre später durch List. 
Josephus meint hier die zweite Eroberung (170 v. Chr.). 




30 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


brachte die Abhaltung der täglichen Opfer auf die 
Dauer von drei Jahren und sechs Monaten zum Stillstand. 
Der Hohepriester Onias 1 aber floh zu Ptolemaeus und 
erhielt von ihm einen Platz im Bezirke von Heliopolis 2 , 
wo er ein Jerusalem ähnliches Städtchen und einen Tempel 
nach dem Muster des zu Jerusalem befindlichen erbaute. 
Hierüber werde ich an passender Stelle 3 noch näheres 
mitteilen. 

2. Dem Antiochus indes genügte weder die unverhoffte 
Einnahme der Stadt, noch die Plünderung, noch das ge- 
waltige Blutbad, sondern im Taumel seiner Leidenschaft 
und im Andenken an seine während der Belagerung be- 
standenen Strapazen zwang er die Juden, im Wider- 
spruch mit den heimischen Gesetzen ihre Kinder un- 
beschnitten zu lassen und Schweine auf dem Altar zu 
opfern. Gegen diese Verordnungen lehnte sich das ganze 
Volk auf; die angesehensten Bürger aber erlagen dem 
Richtschwert. Bakchides vollends, der von Antiochus 
geschickte Kommandant der Besatzungstruppen, verschärfte 
die gottlosen Befehle noch durch seine natürliche Grau- 
samkeit und überschritt jedes Mass des Frevels, indem 
er die vornehmen Juden der Reihe nach foltern liess 
und der gesamten Bürgerschaft tagtäglich mit Zerstörung 
der Stadt drohte, bis endlich das Übermass seiner Greuel 
die Bedrängten zu einem Rache versuch trieb. 

3. Matthias nämlich, der Sohn des Asamonaeus 4 , ein 
Priester aus dem Dorfe Modein 5 , bewaffnete sich und die 
Seinigen (er hatte fünf Söhne) und erdolchte den Bakchides 6 , 
worauf er aus Furcht vor der zahlreichen Besatzung 

1 Sohn des Hohepriesters Onias III. Er war jedoch nie wirklicher 
Hohepriester, sondern wird nur so genannt, weil er von Rechts wegen 
die Würde hätte bekleiden sollen. 

- Wegen der Einzelheiten betreffend die Lage von Städten und 
grösseren Gebietsteilen verweise ich hier und im weiteren Verlauf der 
Geschichte auf das Namenregister. 

I VII, 10, 2. 

4 Nach J.A.XII, t>,l Mattathias, der Sohn Joannes’, des Sohnes 
Simous, des Sohnes des Asamonaeus. 

5 J. A. Modiim (Mö 8 i 61 |jl). 

II J. A. XII, 6, 2 Apelles, nicht Bakchides. 



Erstes Buch, 1. Kapitel. 


31 


zunächst sich ins Gebirge zurückzog. Als aber eine 
Menge Volkes sich um ihn scharte, fasste er Mut, stieg 
von den Bergen herab, schlug die Heerführer des An- 
tiochus in förmlicher Schlacht und vertrieb sie aus Judaea. 
Dieses sein Waffenglück verschaffte ihm Macht und An- 
sehen, und gern wählten ihn seine Landsleute aus Dank- 
barkeit für die Befreiung vom Joche der Fremden zum 
Herrscher. Bei seinem Tode hinterliess er den Ober- 
befehl seinem ältesten Sohne Judas 1 . 

4. Dieser setzte nun in der V oraussetzun g, dass Antiochus 
nicht ruhig bleiben werde, aus seinen Landsleuten ein 
Heer zusammen, schloss — der erste, der dies that — 
ein Freundschaftsbündnis mit den Römern und schlug 
den Epiphanes, als derselbe wiederum ins Land einfiel, 
mit grossem Verlust zurück. Im frischen Vollgefühl 
seines Sieges stürzte er sich alsdann auf die in der 
Stadt befindliche Besatzung, die noch nicht vernichtet 
war, warf sie aus der oberen Stadt und drängte sie nach 
der unteren — Akra genannt — zusammen, bemächtigte 
sich des Tempels, reinigte den ganzen Platz, umgab ihn 
mit einer Mauer, liess, weil die früheren gottesdienstlichen 
Geräte unrein geworden, neue anfertigen und in den 
Tempel schaffen, errichtete einen anderen Altar und liess 
die Opfer wieder ihren Anfang nehmen. Kaum erfreute 
sich die Stadt wieder ihres feierlichen Gottesdienstes, da 
starb Antiochus, und Erbe seines Thrones wie seines 
Judenhasses ward sein Sohn Antiochus. 

5. An der Spitze eines Heeres von 60000 Mann zu 
Fuss, ungefähr 5000 Reitern und 80 Elefanten drang 
dieser nun durch Judaea in das Bergland ein, eroberte 
das Städtchen Bethsura und stiess in dem Engpass bei 
dem Orte Bethzacharia mit Judas und seinen Truppen 
zusammen. Bevor jedoch die Heere handgemein wurden, 
erspähte des Judas Bruder Eleazar den Elefanten, der 
merklich über die anderen hervorragte und mit grossem 
Turm und vergoldeter Schutz wehr geschmückt war. In 


1 167 v. Chr. 



32 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

der Meinung nun, auf diesem Elefanten befinde sich 
Antiochus, eilt er den Seinen weit voraus, durchbricht 
den Haufen der Feinde und dringt bis zu dem Ele- 
fanten vor. Wegen der Höhe des Tieres vermochte 
er indes den vermeintlichen König nicht zu erreichen, 
verwundete aber den Elefanten am Bauch, sodass er 
über ihm zusammenbrach und ihn zu Tode drückte. 
So vollbrachte er eigentlich nichts weiter, als dass er, 
ein Leben für den Ruhm in die Schanze schlagend, 
sich an eine Grossthat heranwagte. Der Führer des 
Elefanten war übrigens ein gemeiner Soldat. Wäre 
es jedoch auch zufällig Antiochus gewesen, was hätte 
der kühne Krieger wohl anderes erreicht als den Ruhm, 
in der blossen Hoffnung auf eine herrliche That sich 
dem Tode freiwillig preisgegeben zu haben? 'Für seinen 
Bruder war übrigens dieses Ereignis eine Vorbedeutung 
des Ausganges der Schlacht Denn die Juden hielten 
zwar tapfer und lange Zeit stand ; doch die Königlichen 
gewannen, an Zahl überlegen und vom Glücke be- 
günstigt, endlich die Oberhand. Nach schweren Ver- 
lusten floh Judas mit dem Rest des Heeres in die 
Toparchie 1 von Gophna. Antiochus aber marschierte 
nach Jerusalem; indes zog er nach einem Aufenthalt 
von nur wenigen Tagen aus Mangel an Lebensmitteln 
wieder ab unter Zurücklassung einer, wie ihm schien, 
hinreichend starken Besatzung. Sein übriges Heer 
führte er . dann nach Syrien in die Winterquartiere. 

6. Nach dem Abzug des Königs blieb Judas nicht 
unthätig. Mit der zahlreichen Menge seiner Landsleute, 
die sich an ihn anschloss, und dem Überrest derer, die 
sich aus der Schlacht gerettet hatten, lieferte er bei 
dem Dorfe Adasa den Heerführern des Antiochus wieder 
ein Treffen, in welchem er aber, nachdem er Wunder 
der Tapferkeit verrichtet und viele Feinde niedergemacht 
hatte, seinen Tod fand 2 . Wenige Tage nachher wurde 

1 Bezirk, Kreis. 

2 Nach J. A. XII, 11,2 fiel Judas erst später in dem Treffen 
bei ßezetho. 


Go gle 



Erstes Buch, 2. Kapitel 


33 


sein Bruder Joannes von den Anhängern des Antiochus 
hinterlistigerweise überfallen und getötet 


Zweites Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 1 — 10. 

Von den Nachfolgern des Judas: Jonathas, Simon 
und Joannes Hyrkanus. 

1. Dem Judas folgte sein Bruder Jonathas 1 , der das 
Interesse seiner Landsleute sehr umsichtig wahrnahm, 
durch ein Bündnis mit den Römern seine Herrschaft 
befestigte und sich mit dem jungen Antiochus aussöhnte. 
Doch alles dies gewährleistete ihm keine genügende 
Sicherheit Der Tyrann Tryphon nämlich, der Vormund 
des jungen Antiochus, stellte diesem nach dem Leben 
und suchte daher zunächst dessen Freunde aus dem 
Wege zu räumen. So nahm er auch Jonathas, der sich 
mit nur schwacher Bedeckung nach Ptolemais zu 
Antiochus begeben hatte, h interlistigerweise gefangen 
und legte ihn in Fesseln, worauf er gegen die Juden 
zu Felde zog. Von Simon, dem Bruder des Gefangenen, 
zurückgeschlagen, liess er dann den Jonathas aus Zorn 
über die erlittene Niederlage umbringen. 

2. Nun ergriff Simon mit grosser Energie die Zügel 
der Regierung 2 , eroberte die Nachbarstädte Gazara, Joppe 
und Jamnia, schleifte die Akra und machte deren Be- 
satzung zu Gefangenen. Später verbündete er sich mit 
Antiochus gegen Tryphon, den dieser vor seinem Feld- 
zuge gegen die Meder 3 in Dora belagerte. Obgleich er 
nun zur Niederwerfung Tryphons seinen Beistand ge- 
leistet, vermochte er damit doch nicht die Habgier de| 
Königs zu beschwichtigen. Denn bald darauf sandte 
Antiochus seinen Feldherrn Kendebaeus an der Spitze 

1 160 y. Chr. 

2 143 y. Chr. 

3 Soll heissen : Parther. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 3 



34 


Joseplms, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


eines Heeres, um Judaea zu verwüsten und Simon zu 
unterjochen. Dieser aber, obwohl bereits ein Greis, 
führte den Krieg mit jugendlicher Kraft, schickte seine 
'Söhne mit dem Kern seiner Truppen gegen Kendebaeus 
ins Feld voraus und griff selbst mit einer Heeres- 
abteilung von der anderen Seite an. An vielen Stellen 
und auch im Gebirge legte er Hinterhalte und be- 
herrschte auf diese Weise die sämtlichen Zugänge. Nach 
einem glänzenden Siege wurde er zum Hohepriester 
erwählt und befreite so die Juden von der Herrschaft 
der Macedonier, unter der sie hundertundsiebzig Jahre 
lang gestanden hatten. 

3. Aber auch er fiel heimtückischen Nachstellungen 
zum Opfer, die sein eigener Schwiegersohn Ptolemaeus 
bei Gelegenheit eines Gastmahles ins Werk setzte 1 . 
Dieser hatte auch seine Gattin und zwei seiner Söhne 
eingekerkert und sandte nun Meuchelmörder aus, um 
den dritten, der gleichfalls Hyrkanus hiess, zu töten. 
Der Jüngling ajjer erhielt von deren Ankunft Kunde 
und eilte in dem festen Vertrauen, dass das Volk der 
ruhmreichen Thaten seines Vaters gedenken und das 
freventliche Beginnen des Ptolemaeus verabscheuen 
werde, in die Stadt. Durch ein anderes Thor suchte 
nun auch Ptolemaeus in Jerusalem einzudringen, wurde 
aber vom Volke, das den Hyrkanus bereits aufgenommen 
hatte, sogleich zurückgewiesen. Darauf zog er sich nach 
Dagon, einer der Jericho beherrschenden Burgen, zurück ; 
Hyrkanus aber, der das hohepriesterliche Amt seines 
Vaters angetreten hatte, opferte Gott und brach eiligst 
gegen Ptolemaeus auf, um seiner Mutter und seinen 
Brüdern Hilfe und Rettung zu bringen. 

4. Obgleich er nun bei der Belagerung der Festung 
im Vorteil war, beugte ihn doch schweres Leid, und daa 
mit gutem Grund, darnieder. Ptolemaeus nämlich Hess, 
so oft er bedrängt wurde, des Hyrkanus Mutter und 
Brüder auf die Mauer führen und sie vor seinen Augen 


1 135 v. Chr. 


Go gle 



Erstes Buch, 2. Kapitel. 


35 


geissein, drohte auch, sie hinabstürzen zu lassen, wenn 
er nicht alsbald abziehe. Mitleid und Furcht ergriffen 
bei diesem Anblick jedesmal den Hyrkanus und er- 
wiesen sich mächtiger als sein Zorn. Seine Mutter aber, 
die weder die Geisselung noch der ihr angedrohte Tod 
einzuschüchtern vermochte, streckte die Hände aus und 
beschwor ihren Sohn, doch nicht aus Mitleid mit ihrer 
Qual des Ruchlosen zu schonen, denn der Tod durch 
des Ptolemaeus Hand sei ihr süsser als Unsterblichkeit, 
wenn der Frevler nur für die Schandthaten , die er 
gegen ihre Familie verübt, büssen müsse. Bedachte nun 
Joannes die Standhaftigkeit seiner Mutter und hörte er 
ihr Flehen, so liess er mit Ungestüm den Angriff er- 
neuern ; sah er aber, wie man sie schlug und zerfleischte, 
so wurde es ihm weich ums Herz und er zerfloss in 
Wehmut. Während hierdurch die Belagerung sich in 
die Länge zog, kam das Sabbatjahr heran, welches bei 
den Juden in jedem siebenten Jahre, wie in jeder Woche 
der siebente Tag, gefeiert wird. Auf diese Weise wurde 
Ptolemaeus von der Belagerung befreit, tötete nun die 
Brüder und die Mutter des Joannes und floh zu Zeno 
mit dem Beinamen Kotylas, dem Tyrannen von Phil- 
adelphia. 

5. Mittlerweile rückte Antiochus, noch immer voll 
Erbitterung über das, was er durch Simon gelitten hatte, 
in Judaea ein, setzte sich vor Jerusalem fest und be- 
lagerte den Hyrkanus. Dieser aber öffnete das Grabmal 
Davids, der alle Könige an Reichtum übertroffen hatte, 
entnahm der Gruft über dreitausend Talente 1 und bewog 
durch Zahlung von dreihundert Talenten den Antiochus 
zur Aufhebung der Belagerung. Der Rest des Geldes 
ermöglichte ihm, fremde Söldner zu halten, und zwar 
war er der erste Jude, der dies that. 

6. Als in der Folge Antiochus gegen die Meder zu 
Felde zog und ihm dadurch Gelegenheit zur Rache bot, 
fiel er sogleich über die syrischen Städte her, die er 


* 1 Talent = 4710 Mark. 

3 * 



36 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


wie es auch wirklich der Fall war, von streitbarer 
Mannschaft verlassen zu finden hoffte. So eroberte er 
Medaba und Samaea nebst den umliegenden Städten, 
dann auch Sikim und Garizin, und brachte die Chuthäer, 
die um ein dem Tempel zu Jerusalem nach gebildetes 
Heiligtum herum wohnten, unter seine Botmässigkeit. 
Auch nahm er nicht wenige Städte Idumaeas ein, 
darunter Adoreon und Marissa. 

7. Alsdann rückte er vor Samaria, wo jetzt die vom 
Könige Herodes gegründete Stadt Sebaste liegt, schloss 
sie rings mit einem Walle ein und übertrug die Leitung 
der Belagerung seinen Söhnen Aristobulus und Antigonus. 
Diese betrieben die Belagerung mit allem Eifer, und 
bald wütete in der Stadt eine solche Hungersnot, dass 
die Einwohner selbst die ungewöhnlichsten Nahrungs- 
mittel zu sich nahmen. Sie riefen deshalb den Anti- 
ochus mit dem Beinamen Aspendius 1 zu Hilfe, der 
ihrem Verlangen zwar bereitwillig nachkam, aber von 
Aristobulus geschlagen wurde. Die Brüder setzten ihm 
bis Skythopolis nach; doch er entkam, und seine Ver- 
folger wandten sich nun wieder gegen Samaria, schlossen 
dessen Bewohner abermals gänzlich ein, eroberten als- 
dann die Stadt, zerstörten sie und verkauften die Bürger 
als Sklaven. Und da ihnen das Glück so günstig war, 
liessen sie ihren Eifer nicht erkalten, sondern rückten 
mit ihrem Heere bis vor Skythopolis, berannten die Stadt 
und verwüsteten das ganze Land diesseits des Karmel- 
gebirges. 

8. Aber der Neid über das Glück des Joannes und 
seiner Söhne rief unter den Einheimischen eine Empörung 
wach. In Menge rottete man sich gegen sie zusammen 
und ruhte nicht, bis es zum förmlichen Kampfe kam, 
in welchem die Aufrührer jedoch geschlagen wurden. 
Den Rest seiner Tage verlebte dann Joannes im Glücke, 
und nachdem er volle dreiunddreissig 2 Jahre hindurch 
aufs trefflichste regiert hatte, starb er mit Hinterlassung 

1 oder Grypus (Antiochus VIII.). 

2 Nach J. A. XIII, 10, 7 : 31, nach XX, 10 : 30 Jahre. 



Erstes Buch, 3. Kapitel. 


37 


von fünf Söhnen 1 . Er war in der That selig zu preisen ; 
denn sein Lebensgang giebt nicht die geringste Ver- 
anlassung, dem Schicksal Vorwürfe zu machen. Drei 
der höchsten Würden vereinigte er in seiner Person, die 
Herrschaft über sein Volk, das Hohepriestertum und 
die Propheten würde, und so innig verkehrte mit ihm die 
Gottheit, dass ihm nichts Zukünftiges verborgen blieb. 
Daher sah und sagte er auch von seinen beiden ältesten 
Söhnen voraus, dass sie nicht lange an der Spitze des 
Staates bleiben würden. Übrigens verlohnt es sich der 
Mühe, deren Untergang zu schildern, da er so himmel- 
weit von dem Glücke ihres Vaters verschieden war. 


Drittes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 11. 

Des Aristobulus einjährige Regierung. 

1. Nach dem Tode seines Vaters, vierhunderteinund- 
siebzig Jahre und drei Monate nach der Rückkehr des 
jüdischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft, 
änderte Aristobulus, der älteste der beiden Brüder, die 
Regierungsform in eine Königsherrschaft um und setzte 
sich — der erste Asamonäer, der dies that — die Krone 
auf. Dem Antigonus, seinem nächstjüngeren Bruder, dem 
er augenscheinlich sehr zugethan war, vergönnte er die 
gleiche Ehre, während er die übrigen in Fesseln und 
strengem Gewahrsam hielt. Auch seine Mutter, die mit ihm 
wegen der Regierungsgewalt in Streit lebte, weil Joannes 
sie zur eigentlichen Herrscherin bestimmt hatte, liess 
er ins Gefängnis werfen und trieb sogar seine Grausam- 
keit so weit, dass er sie im Kerker Hungers sterben liess. 

2. Es ereilte ihn aber die Rache in der Person seines 
Bruders Antigonus, den er liebte und an seiner Seite 
mitregieren liess. Dieser fiel nämlich als Opfer von 
Verleumdungen, welche ruchlose Höflinge ersonnen 


106 v. Chr. 



18 


Jos«phu9, Geschichte de9 Jüdischen Krieges. 


hatten. Anfangs zwar schenkte Aristobulus dem Gerede 
keinen Glauben, teils weil er seinem Bruder wirklich 
zugethan war, teils weil er die Anschwärzungen viel- 
fach auf Neid zurückführte. Als aber einst Antigonus 
von einem Kriegszug zurückkehrte und mit glänzendem 
Gepränge zu dem Feste kam, an welchem man nach 
väterlicher Sitte Gott zu Ehren Laubhütten errichtet, 
traf es sich, dass Aristobulus gerade krank darniederlag. 
Antigonus begab sich nun in Begleitung seiner Leib- 
garde am Schlüsse des Festes mit denkbar grösstem 
Prachtaufwand nach dem Tempel, um für seinen Bruder 
von Herzen zu beten. In diesem Augenblick traten die 
Känkestifter vor den König hin und schilderten ihm 
den pomphaften Aufzug der Bewaffneten und das für 
einen Privatmann gar zu stolze Gebaren des Antigonus, 
der mit einer so grossen Schar nur gekommen sei, um 
ihn zu ermorden. Es sei ihm eben unerträglich, einfach 
nur Mitregent zu sein, da er sich des Thrones selbst 
bemächtigen zu können glaube. • 

3. Fast wider seinen Willen schenkte Aristobulus 
diesen Vorstellungen Glauben, und um einerseits seinen 
Argwohn nicht offenkundig werden zu lassen, anderseits 
aber auch für alle Fälle gesichert zu sein, beorderte er 
seine Leibwache in eines der unterirdischen und dunklen 
Gelasse der Burg, in welcher er lag (diese hiess früher 
Baris, erhielt aber später den Namen Antonia), und gab 
Befehl, den Antigonus, falls er unbewaffnet komme, 
passieren zu lassen, wenn er dagegen bewaffnet sei, ihn 
niederzumachen. Zugleich liess er seinen Bruder auf- 
fordern, ohne Waffen zu ihm zu kommen. Daraufhin 
entwarf die Königin mit den Feinden des Antigonus 
einen sehr verschmitzten Plan. Sie beredeten nämlich 
die Abgesandten des Königs, dessen Befehl zu ver- 
schweigen und dem Antigonus zu melden, sein Bruder 
habe vernommen, eine wie herrliche Rüstung er sich in 
Galilaea habe anfertigen lassen ; weil aber seine Krank- 
heit es ihm bisher unmöglich gemacht habe, dieselbe in 
Augenschein zu nehmen, so sei es jetzt, da Antigonus 


Go gle 


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Erstes Buch, 8. Kapitel. 


39 


abzureisen gedenke, sein dringender Wunsch, ihn in 
diesem Waffenschmuck zu sehen. 

4. Kaum hatte Antigonus da6 vernommen, so zog er, 
da die bisher von seinem Bruder ihm entgegengebrachte 
Gesinnung keinen Argwohn in ihm aufkommen liess, in 
seiner Waffenrüstnng wie zur Parade einher. Als er 
aber bis zu dem dunklen Gelasse, welches Stratonsturm 
hiess, gekommen war, wurde er von den Soldaten der 
Leibwache niedergestossen , ein deutlicher Beweis dafür, 
dass Verleumdung alle Bande des Wohlwollens und der 
Natur zerreisst, und dass keines der besseren Gefühle 
stark genug ist, um der Missgunst die Spitze bieten zu 
können. 

5. Verwundern muss man sich hierbei über einen ge- 
wissen Essener Judas, dem in seinen Weissagungen noch 
nie ein teilweiser oder gänzlicher Misserfolg begegnet war. 
Als dieser damals den Antigonus durch den Tempel- 
raum schreiten sah, rief er seinen vertrauten Schülern, 
deren nicht wenige um ihn weilten, zu: „Ach, nun wäre 
es mir besser, ich schiede von der Welt, da die Wahrheit 
vor mir gestorben und eine meiner Weissagungen falsch 
befunden worden ist! Ist doch Antigonus noch am 
Leben, der heute hätte sterben sollen. Beim Stratonsturm 
— so wollte es sein Schicksal — hätte Meuchelmord 
ihn dahinraffen sollen ; doch der liegt sechshundert Stadien 1 
von hier entfernt, und schon ist die vierte Stunde des 
Tages. Wahrlich, die Zeit straft die Prophezeiung Lügen!“ 
Nach diesen Worten versank der Greis lange in weh- 
mütiges, gedankenvolles Schweigen, bis eine Weile nach- 
her die Ermordung des Antigonus in dem unterirdischen 
Gelasse gemeldet wurde, das, gleichwie Caesarea am 
Meer, Stratonsturm hiess. Hierdurch war der Seher 
verwirrt worden. 

6. Die Reue über diesen Frevel verschlimmerte übrigens 
sogleich des Aristobulus Krankheit. Die beständigen 
Gewissensbisse wegen des Mordes Hessen ihn mehr und 


1 Ein Stadion = 185 Meter. 



40 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


mehr dahinschwinden , bis endlich das Übermass des 
Grams seine Eingeweide zerriss und er Blut in Strömen 
von sich gab. Als nun einer der ihn pflegenden Pagen 
dasselbe forttrug, stolperte er nach göttlicher Fügung 
gerade an der Stelle, wo Antigonus ermordet worden 
war, und verschüttete das Blut des Mörders über die 
Flecken vom Blute des Dahin geschlachteten. Sogleich 
erhoben die Zuschauer ein Jammergeschrei, als wenn 
der Page das Blut absichtlich dort verschüttet hätte. 
Der König aber hätte das Geschrei kaum vernommen, 
als er sofort nach der Ursache sich erkundigte, und da 
niemand ihm dieselbe mitteilen mochte, bestand er. um 
so mehr darauf, sie zu erfahren. Doch erst als er mit 
Zwangsmassregeln drohte, gestand man ihm die Wahr- 
heit, und nun füllten sich seine Augen mit Thränen, 
und er sprach unter tiefem Aufseufzen so laut, als seine 
Schwäche es zuliess: „So konnte ich also mit meinen 
Frevelthaten dem allsehenden Auge Gottes nicht ver- 
borgen bleiben, und schnell ereilt mich die Strafe für 
die Ermordung meiner Verwandten. Wie lange denn 
noch, schändlicher Leib, willst du die Seele zurückhalten, 
die dem Bruder und der Mutter verfallen ist? Und wie 
lange soll ich ihnen mein Blut tropfenweise als Opfer 
spenden ? Lieber mögen sie es gleich auf einmal nehmen, 
und nicht treibe fürder die Gottheit ihren Spott mit dem 
Leichenopfer aus meinen Eingeweiden !“ Kaum hatte 
er diese Worte gesprochen , so verschied er, nachdem er 
nur ein Jahr regiert hatte. 1 


Viertes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 12 — 15. 

Thaten des Alexander Jannaeus während seiner 27 jährigen 
Regierung. 

1. Des Aristobulus Gemahlin befreite nun dessen 
Brüder aus der Kerkerhaft und ernannte zum Könige 


1 105 y. Chr. 


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Erstes Buch, 4. Kapitel. 


41 


den Alexander, der sowohl seines Alters als seiner 
Herzensgüte wegen dieses Vorzuges wert zu sein schien. 
Kaum aber war er auf den Thron gelangt, so liess er 
den einen von seinen Brüdern, der Herrschgelüste zeigte, 
umbringen, während er dagegen den anderen, der sich 
mit einem Leben fern von Staatsgeschäften begnügte, 
in Ehren hielt. 

2. Alsdann lieferte er dem Ptolemaeus mit dem 
Beinamen Lathurus, der die Stadt Asochis eingenommen 
hatte, ein Treffen. Aber obgleich er eine Menge Feinde 
niedermachte, neigte sich der Sieg doch auf des Ptole- 
maeus Seite. Bald indes, als dieser, von seiner Mutter 
Kleopatra verfolgt, sich nach Aegypten begeben hatte, 
bekam Alexander durch eine Belagerung Gadara in 
seine Gewalt sowie ferner Amathus, die wichtigste 
Festung jenseits des Jordan, in der auch die kostbarsten 
Schätze des Theodoros, Sohnes des Zeno, aufbewahrt 
wurden. Plötzlich jedoch erschien Theodoros, nahm 
seine eigenen Schätze samt dem Gepäck des Königs und 
tötete gegen 10000 Juden. Alexander aber erholte sich von 
diesem Schlage wieder, wandte sich nach der Meeresküste 
und eroberte Raphia, Gaza und Anthedon, welch letzteres 
später vom Könige Herodes Agrippias genannt wurde. 

3. Als er diese Städte eben unterjocht hatte, brach 
an einem Feste ein Aufstand der Juden gegen ihn aus, 
wie denn überhaupt Empörungen meist bei der Feier 
von Festen entstehen. Diesen Aufruhr niederzuwerfen, 
wäre ihm wohl nicht gelungen, w r enn ihm üicht die 
fremden Söldner geholfen hätten: Pisider nämlich und 
Cilicier, denn Syrer nahm er wegen ihres angestammten 
Hasses gegen die Juden nicht in Sold. Nachdem er 
nun über 6000 von den Empörern getötet hatte, fiel er 
in Arabien ein, unterwarf dieses Land sowie die Galaditer 
und Moabiter, die er tributpflichtig machte, und kehrte 
alsdann nach Amathus zurück. Da übrigens Theodoros, 
durch Alexanders Kriegsglück in Schrecken versetzt, 
die Festung verlassen hatte, traf dieser sie ohne Be- 
satzung an und machte sie dem Eidboden gleich. 



42 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


4. Bald darauf hatte er ein Treffen mit dem Araber- 
könig Obedas zu bestehen, der ihm bei Gaulana 1 einen 
Hinterhalt gelegt hatte. In dieser Schlacht verlor er 
sein ganzes Heer, das in eine tiefe Schlucht gedrängt 
und hier von der Menge der Kamele erdrückt wurde. 
Er selbst entkam nach Jerusalem. Dort aber nahm das 
Volk, das ihn schon längst hasste, aus der Grösse des 
ihm zugestossenen Unglückes Anlass zur Empörung 
gegen ihn. Doch auch diesmal siegte er und metzelte 
in schnell aufeinanderfolgenden Schlachten nicht 
weniger als 50 000 Juden nieder. Indes gereichten 
ihm diese Siege, durch welche er die Kräfte seines 
eigenen Reiches aufrieb, so wenig zur Freude, dass er 
die Waffen niederlegte und auf gütlichem Wege sich 
mit seinen Unterthanen zu verständigen suchte. Doch 
erreichte er durch diese Sinnesänderung und sein wenig 
folgerichtiges Handeln nichts weiter, als dass das Volk 
ihn nur noch mehr hasste. Als er nun nach der 
Ursache dieser Abneigung sich erkundigte und fragte, 
was er denn thun müsse, um die Juden zu besänftigen, 
entgegneten sie: sterben, wiewohl selbst sein Tod sie 
kaum mit ihm aussöhnen werde, da er so viele Schand- 
thaten auf dem Gewissen habe. Zugleich riefen sie den 
Demetrius mit dem Beinamen Eukaerus 2 zu Hilfe, der 
denn auch in der Hoffnung, besondere Vorteile erlangen 
zu können, dem Ruf bereitwillig Folge leistete und 
mit einer Streitmacht heranrückte. Bei Sikim vereinigten 
sich die Juden mit ihren Bundesgenossen. 

5. Aber auch mit dem zweifachen Gegner nahm 
Alexander es auf. Stand ihm doch ausser 1000 Reitern 
und 8000 gedungenen Fusssoldaten auch noch der ihm 
wohlgesinnte Teil der Juden, gegen 10 000 Mann, zu 
Gebote, während die feindlichen Truppen 3000 Reiter 
und 14000 Mann zu Fuss zählten. Ehe es nun zum 
Handgemenge kam, versuchten beide Könige durch 


1 J. A. XIII. 13,5 heisst es: bei dem galaditischen Dorfe Gadara. 

- Sohn des Antiochus Grypus und König von Damaskus. 



Erstes Bach, 4. Kapitel. 


43 


Herolde gegenseitig ihre Truppen zum Abfall zu be- 
wegen: Demetrius hoffte die Söldner Alexanders, dieser 
hingegen die zu Demetrius haltenden Juden auf seine 
Seite zu bringen. Da aber weder die Juden ihre 
Erbitterung noch die Griechen ihre Treue verleugneten, 
blieb nichts anderes übrig, als das Schwert entscheiden 
zu lassen. Der Sieg fiel sodann dem Demetrius zu, 
obwohl Alexanders Söldner sich heldenmütig schlugen. 
Das Endergebnis der Schlacht gestaltete sich übrigens 
für beide Teile gleich unerwartet. Denn einerseits 
blieben dem Demetrius, obwohl er gesiegt hatte, die 
Juden, die ihn herbeigerufen, nicht treu, und anderseits 
gingen zu Alexander, der ins Gebirge geflohen war, aus 
Mitleid mit seinem Unglück 6000 Juden über. Diese 
Wendung der Dinge vermochte Demetrius nicht zu 
ertragen, und in der Meinung, Alexander sei jetzt wieder 
kampfbereit und das gesamte Volk stehe zu ihm, zog 
er alsbald ab. 

6. Doch gab nach dem Abmarsch der Bundesgenossen 
die übrige Menge die Feindseligkeiten nicht auf, sondern 
lag ohne Unterlass mit Alexander im Kriege, bis die 
meisten niedergemacht, die übrigen aber in die Stadt 
Bemeselis gedrängt und nach deren Zerstörung gefangen 
in Jerusalem eingebracht waren. Alexanders Zorn kannte 
nun keine Grenzen mehr, sodass er seine Grausamkeit 
bis zur Gottlosigkeit trieb. Er liess nämlich gegen 800 
von den Gefangenen mitten in der Stadt ans Kreuz 
schlagen, ihre Weiber und Kinder aber vor ihren Augen 
hinschlachten, während er selbst mit seinen Kebsweibern 
zechend und schmausend zusah. Infolgedessen ergriff 
das Volk ein solcher Schrecken, dass in der Nacht 
darauf 8000 seiner Gegner aus ganz Judaea flohen, die 
erst nach dem Tode Alexanders zurückzukehren wagten. 
Nachdem er durch solche Massnahmen seinem Reiche, 
freilich spät und mühsam genug, Ruhe verschafft hatte, 
legte er die Waffen nieder. 

7. Abermals aber wurde er aus seiner Müsse auf- 
gestört durch des Demetrius Bruder Antiochus mit dem 


Go gle 



44 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Beinamen Dionysus, den letzten Seleukiden. Als dieser 
nämlich zu einem Feldzug gegen die Araber aufbrach, 
liess Alexander die ganze Strecke zwischen dem Gebirge 
bei Antipatris 1 und der Küste bei Joppe mit einem 
tiefen Graben durchziehen und vor dem Graben eine 
Mauer mit hölzernen Türmen erbauen, um die leicht 
zugänglichen Angriffsstellen zu schützen. Doch vermochte 
er dadurch den Antiochus nicht abzuwehren. Denn 
dieser verbrannte die Türme, füllte den Graben aus, 
marschierte mit seinem Heere durch Judaea und wandte 
sich sogleich gegen die Araber, indem er die Rache an 
Alexander, der ihn hatte aufhalten wollen, auf eine 
spätere Zeit verschob. Der Araberkönig aber zog sich 
in eine für ihn günstigere Gegend zurück, machte dann 
mit seiner 10000 Mann starken Reiterei eine plötzliche 
Schwenkung und griff das Heer des Antiochus an, noch 
ehe es in Schlachtordnung aufgestellt war. Es entspann 
sich nun ein heisser Kampf, in welchem des Antiochus 
Streitmacht, so lange er selbst am Leben war, wacker 
standhielt, obwohl die Araber ihr gewaltig zusetzten. 
Sobald er aber gefallen war (er scheute nämlich, um 
den Bedrängten Hilfe zu leisten, selbst vor der offen- 
kundigsten Gefahr nicht zurück), wandte sich alles zur 
Flucht. Der grösste Teil seines Heeres kam in der 
Schlacht oder auf dem Rückzuge um, während der Rest, 
der sich in das Dorf Kana flüchtete, bis auf wenige 
Überlebenden dem Hunger erlag. 

8. Hierauf riefen die Daraascener aus Hass gegen 
Ptolemaeus Mennaei 2 den Aretas herbei und ernannten 
ihn zum König von Coelesyrien. Dieser zog alsdann 
gegen Judaea zu Felde und schlug den Alexander in 
einem Treffen, kehrte aber nach Abschluss eines Ver- 
gleiches wieder heim. Alexander eroberte darauf Pella 
und rückte, nach des Theodoros Schätzen lüstern, vor 
Gerasa, schloss die Besatzung mit einer dreifachen 


1 Nach J. A. XIII, 15, 1 hiess die Stadt damals noch Chabarzaba. 

- Beherrscher von Chalkis am Libanon. 



Erstes Buch, 5. Kapitel. 


45 


Mauer ein und erstürmte die Stadt. Ferner verwüstete 
er Gaulana, Seleukia und das sogenannte Antiochusthal, 
nahm dann die starke Festung Gamala, entsetzte den 
Kommandanten derselben, Demetrius, wegen vieler gegen 
ihn erhobener Anklagen seines Amtes und kehrte, nach- 
dem er volle drei Jahre im Felde gelegen, nach Judaea 
zurück, wo er um seiner glänzenden Kriegsthaten willen 
vom Volke begeistert empfangen wurde. Doch kaum 
rastete er von seinen Kriegsstrapazen aus, als eine 
Krankheit sich bei ihm einstellte, und weil das ‘Leiden, 
ein viertägiges Wechselfieber, ihm arg zusetzte, glaubte 
er es durch Wiederaufnahme kriegerischer Thätigkeit 
von sich abschütteln zu können. Als er aber in dieser 
Absicht zur Unzeit einen Kriegszug unternahm und den 
Mühen desselben über seine Kräfte hinaus sich aus- 
setzte, fand er seinen Tod. Er starb mitten im Kriegs- 
getümmel nach 27 jähriger Regierung 1 . 


Fünftes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 16. 

Alexandra und die Pharisäer. 

1. Die Herrschaft hinterliess er seiner Gemahlin 
Alexandra, da er überzeugt war, dass die Juden ihr noch 
am willigsten Gehorsam leisten würden, einmal weil sie 
von seiner Grausamkeit weit entfernt war, dann aber 
auch, weil sie durch ihren Widerstand gegen Ungesetz- 
lichkeiten sich die Zuneigung des Volkes erworben hatte. 
In dieser Erwartung hatte er sich auch nicht getäuscht: 
das schwache Weib wusste sich in der That durch die 
günstige Meinung, die sie von ihrer Frömmigkeit ver- 
breitete, die Herrschaft zu sichern. Denn die väterlichen 
Gebräuche des Volkes beobachtete sie aufs peinlichste 
und entsetzte gleich anfangs die Übertreter der heiligen 


» 79 y. Chr. 



46 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Gesetze ihrer Ämter. Von den beiden Söhnen, die sie 
dem Alexander geboren hatte, ernannte sie den Hyrkanus, 
weil er der ältere und ausserdem zu träge war, als dass 
er ihr in der Regierung Schwierigkeiten hätte bereiten 
können, zum Hohepriester; den jüngeren aber, Aristobulus, 
verwies sie wegen seines feurigen Temperamentes ins 
Privatleben. 

2. Innigen Anteil an ihrer Regierung nahmen übrigens 
die Pharisäer 1 , eine jüdische Sekte, deren Angehörige 
für besonders fromm und gesetzeskundig gelten 2 . Ihnen 
war Alexandra als gottesfürchtige Frau überaus zugethan. 
Sie aber bethörten allmählich die Einfalt des Weibes 
und waren bald die eigentlichen Herrscher, die nach 
Gefallen verbannten und zurückriefen, lösten und banden, 
wen sie wollten. Alles in allem genommen, hatten sie 
den Genuss vom Königtum, während Alexandra die 
Kosten und Beschwerden desselben zur Last fielen. 
Übrigens war sie der Leitung eines grösseren Staatswesens 
wohl gewachsen. Ihr Hauptaugenmerk richtete sie auf 
die Vermehrung ihrer Truppenmacht, wodurch sie dieselbe 
bald auf die doppelte Stärke brachte, und sie nahm 
auch nicht wenige fremde Söldner in ihren Dienst, sodass 
sie, indem sie die Wehrkraft des Volkes steigerte, den 
auswärtigen Fürsten die nötige Furcht «einzuflössen ver- 
mochte. So über ihre Unterthanen herrschend, stand 
sie selbst unter der Herrschaft der Pharisäer. 

3. Ihnen war es auch zuzuschreiben, dass ein gewisser 
Diogenes, ein vornehmer Mann und Freund Alexanders, 
hingerichtet wurde. Sie beschuldigten ihn nämlich, dem 
Alexander die Kreuzigung der 800 angeraten zu haben. 
Ebenso wussten sie es bei der Königin durchzusetzen, dass 
auch die übrigen Männer, die Alexander dazu veranlasst 
hatten, mit dem Tode büssen mussten. Aus religiöser 
Scheu beugte eben Alexandra sich völlig vor den 
Pharisäern, und so überantworteten diese dem Henker, 

1 Vergl, hierzu J. A. XIII, 15, 5. 

2 Man erinnere sich hier daran, dass Josephus selbst Pharisäer 

war. 



Erstes Buch, 5. Kapitel. 


47 


wen sie wollten. Die Angesehensten von denen, die der 
Gefahr ausgesetzt waren, nahmen nun ihre Zuflucht zu 
Aristobulus, und dieser brachte denn auch seine Mutter 
dahin, die Männer ihrer hohen Stellung wegen zu 
schonen und, wenn sie dieselben nicht für unschuldig 
halten könne, es wenigstens bei der Verweisung aus der 
Stadt zu belassen. Nachdem ihnen also Straflosigkeit 
bewilligt worden war, zerstreuten sie sich im Lande 
hierhin und dorthin. Hierauf schickte Alexandra unter 
dem Vorwand, Ptolemaeus bedränge fortwährend Damas- 
kus, ein Heer aus und bemächtigte sich der Stadt, ohne 
dass sie dabei auf besondere Schwierigkeiten gestossen 
wäre. Dann suchte sie den Armenierkönig Tigranes, 
der vor Ptolemais lag und Kleopatra belagerte, durch 
Verträge und Geschenke zum Abzug* zu veranlassen l . 
Doch entfernte sich derselbe alsbald aus freien Stücken 
infolge der in seinem eigenen Lande herrschenden Un- 
ruhen. Denn Lucullus war in Armenien eingefallen. 

4. Um diese Zeit erkrankte Alexandra, und ihr 
jüngerer Sohn Aristobulus hatte nun nichts eiligeres zu 
thun, als mit Hilfe seiner zahlreichen und ihm wegen 
seines jugendlichen Feuers ohne Ausnahme treu er- 
gebenen Anhänger sämtliche Festungen in Besitz zu 
nehmen. Mit dem Gelde, das er in denselben vorfand, 
warb er dann Söldner an und warf sich zum Könige 
auf. Darüber jammerte Hyrkanus gewaltig, und aus 
Mitleid mit ihm gab seine Mutter den Befehl, die Gattin 
und die Kinder des Aristobulus in der Antonia ein- 
zukerkern. Es war dies eine im Norden an den Tempel 
stossende feste Burg, die, wie bereits erwähnt, früher 
Baris hiess, später aber zur Zeit der Herrschaft des 
Antonius nach diesem benannt wurde, wie denn auch 
die Städte Sebaste und Agrippias diese Namen statt 
ihrer früheren dem Sebastos 2 und Agrippa zu Ehren 
erhielten. Bevor jedoch Alexandra gegen Aristobulus 


1 Damit er nicht in Judaea einfalle (vergl. J, A. XIII, 16, 4). 

2 Griechische Bezeichnung für Augustus. 



48 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Kiieges. 


wegen der Verdrängung seines Bruders vom Throne 
einschreiten konnte, starb sie, nachdem sie neun Jahre 
regiert hatte K 


Sechstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 1, 1 — 4, 1. 

Thronstreit zwischen Aristobulus und Hyrkanus. 

Eingreifen des Pompejus. 

1 . Der eigentliche Erbe des Reiches war nun freilich 
Hyrkanus, dem auch seine Mutter noch vor ihrem Tode 
die Königs würde # übertragen hatte; doch an Energie und 
Geist überragte ihn Aristobulus. In einem Treffen bei 
Jericho, wo sie miteinander um die Herrschaft stritten, 
verliessen denn auch den Hyrkanus die meisten seiner 
Anhänger und gingen zu Aristobulus über. Hyrkanus 
floh mit dem Rest seiner Getreuen und vermochte noch 
rechtzeitig die Antonia zu erreichen, wo er sich der 
Gattin und der Kinder des Aristobulus als Geisel für 
seine Rettung versicherte. Bevor es indes zu einem 
unheilbaren Zerwürfnis kam, verglich er sich mit seinem 
Bruder dahin, dass Aristobulus König sein und er selbst 
dem Throne entsagen, im übrigen aber alle Ehren ge- 
messen solle, die dem Bruder des Königs gebührten. 
Unter diesen Bedingungen söhnten sie sich miteinander 
im Tempel aus, umarmten sich vor den Augen des sie 
umgebenden Volkes und vertauschten ihre Wohnungen: 
Aristobulus bezog den Königspalast, Hyrkanus aber das 
Haus des Aristobulus. 

2. Als nun Aristobulus so unverhofft auf den Thron 
gelangt war, beschlich auch seine übrigen Gegner bange 
Furcht, darunter ganz besonders den Antipater, der ihm 
schon längst ein Dorn im Auge war. Von Geburt 


1 70 v. Chr 



Erstes Buch, 6. Kapitel. 


49 


Idumäer 1 , war er infolge seiner Abstammung, seines 
Reichtums und seiner sonstigen Macht der Bedeutendste 
seines Volkes. Dieser Antipater nun beredete einerseits 
den Hyrkanus, zu dem Araberkönige Aretas zu fliehen, 
um sich die Königswürde wieder zu erringen, anderseits 
den Aretas, Hyrkanus aufzunehmen und ihn auf seinen 
Thron zurückzuführen. Und um Aretas zur Gewährung 
von Gastfreundschaft besonders geneigt zu machen, 
schmähte er den Charakter des Aristobulus ebenso sehr, 
als er den des Hyrkanus lobte, fügte auch hinzu, es 
stehe dem Beherrscher eines so glänzenden Reiches wohl 
an, seine schützende Hand über den zu halten, dem 
Unrecht widerfahren sei. Unrecht aber sei Hyrkanus 
in der That geschehen, da er des Thrones beraubt worden 
sei, der ihm seines höheren Alters wegen zukomme. 
Nachdem er in dieser Weise auf beide eingewirkt hatte, 
verliess er bei Nacht in Begleitung des Hyrkanus die 
Stadt und gelangte in eiliger Flucht wohlbehalten nach 
Petra, der Hauptstadt Arabiens. Hier übergab er den 
Hyrkanus dem Aretas, suchte diesen mit einem Schwalle 
von Worten und durch reiche Geschenke zu ködern und 
brachte ihn schliesslich dahin, dass er seinem Schützling 
ein Heer zur Verfügung stellte, um ihn in seine Herr- 
schaft wieder einzusetzen. Dieser Truppenmacht, fünfzig- 
tausend Mann zu Fuss und zu Pferde, vermochte Aristo- 
bulus nicht standzuhalten, sondern er wurde gleich beim 
ersten Zusammenstoss geschlagen und nach Jerusalem 
gedrängt, wo er zweifellos in die Hände seiner Feinde 
geraten wäre, hätte nicht der römische Feldherr Scaurus 
die günstige Gelegenheit sich zunutze gemacht und die 
Stadt entsetzt. Letzterer nämlich war von Pompejus 

1 Die Idumäer oder Edomiter (von ihrem Stammvater Esau oder 
Edom) waren ursprünglich Araber, deren Land sich als ein schmaler, 
zwischen der Ostwüste und der westlichen Sand-Arabah eingeengter 
Gebirgszug bis zum Aelanitischen Meerbusen erstreckte. Joannes 
Hyrkanus unterwarf sie und zwang sie, die Beschneidung anzunehmen 
(J. A. XIII, 9, 1). Übrigens waren sie Götzendiener (J. A. XY, 7, 9). 
Antigonus nennt J. A. XIY, 15, 2 den Idumäer Ilerodes (den 
Grossen) einen „Halbjuden“. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 


4 



50 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Magnus, der gegen Tigranes Krieg führte, aus Armenien 
nach Syrien geschickt worden. Als er nun nach der 
soeben von Metellus und Lollius eroberten Stadt Damaskus 
gekommen war und diese beiden anderswohin beordert 
hatte, erfuhr er den Stand der Dinge in Judaea und 
eilte sogleich dorthin , wie wenn er ein besonderes Ge- 
schäft zu machen gedächte. 

3. Kaum hatte er das Land betreten, so stellten sich 
auch sogleich Gesandte beider Brüder bei ihm ein, von 
denen jeder für sich Hilfe erbat. Doch schwerer als 
Recht und Billigkeit wogen dreihundert Talente, die 
Aristobulus mitgegeben hatte 1 . Nach Empfang dieses 
Geldes liess Scaurus dem Hyrkanus und den Arabern 
durch Herolde mit dem Einschreiten der Römer und des 
Pompejus drohen, falls sie von der Belagerung nicht 
Abstand nähmen. Daraufhin marschierte Aretas voller 
Bestürzung aus Judaea nach Philadelphia ab, während 
Scaurus nach Damaskus zurückkehrte. Dem Aristobulus 
aber genügte es nicht, der Gefangenschaft entgangen zu 
sein, sondern er setzte nun mit seiner ganzen Streitmacht 
den Feinden nach und lieferte ihnen bei dem Orte 
Papyron ein Treffen, in welchem er über sechstausend 
Mann niedermachte, darunter auch Antipaters Bruder 
Phallion. 

4. So des Beistandes der Araber beraubt, setzten 
Hyrkanus und Antipater ihre Hoffnung auf die Gegner, 
und da Pompejus auf seinem Marsche durch Syrien eben 
in Damaskus angelangt war, nahmen sie zu ihm ihre 
Zuflucht. Ohne Geschenke, nur auf die schon bei Aretas 
geltend gemachten Rechtsgründe sich beziehend, baten 
sie ihn , das gewaltsame Vorgehen des Aristobulus zu 
missbilligen und den auf den Thron zu setzen, der seinem 
Alter und Charakter nach Anspruch darauf habe. Doch 
auch Aristobulus liess nicht auf sich warten, sondern 


1 Nach J. A. XIV, 2, 3 hatte jeder der Brüder vierhundert Talente 
geboten, Scaurus aber des Aristobulus* Anerbieten angenommen, weil 
dieser eine geringere Gegenleistung verlangte. 


Go gle 


UNIVi IlSltTOt C , LircWl, 



Erstes Bueb, 6. Kapitel. 


51 


fand sich im Vertrauen auf die Bestechung des Scaurus 
ebenfalls ein, und zwar mit allem möglichen königlichen 
Gepränge. Da er es aber für unwürdig hielt, den Unter- 
würfigen zu spielen, und es nicht über sich bringen konnte, 
sich um seines Vorteils willen tiefer zu erniedrigen, als 
es ihm seinem Stand gemäss zieme , zog er sich an der 
Stadt Dion vorbei zurück. 

5. Hierüber ergrimmte Pompejus, und da ihn gleich- 
zeitig auch Hyrkanus und dessen Anhänger mit Bitten 
bestürmten , brach er mit dem römischen Heere und 
vielen syrischen Hilfstruppen gegen Aristobulus auf. 
Als er nun an Pella und Skythopolis vorbei nach Koreae 
gekommen war, wo landeinwärts Judaea beginnt, vernahm 
er, Aristobulus habe sich nach Alexandrium, einer aufs 
beste ausgerüsteten und hoch auf dem Gipfel eines 
Berges gelegenen Festung, geflüchtet. Er liess ihm 
daher befehlen, herunterzusteigen. Dieser herrischen 
Aufforderung gegenüber hatte Aristobulus nicht übel 
Lust, es lieber aufs äusserste ankommen zu lassen als 
Folge zu leisten. Da er aber die Seinen von Furcht 
ergriffen sah, und seine Freunde ihm zuredeten, er möge 
doch die unwiderstehliche Kraft der Römer bedenken, 
liess er sich umstimmen und stieg zu Pompejus hinab. 
Hier setzte er weitläufig seine Rechtsansprüche auf den 
Thron auseinander und kehrte dann in seine Festung 
zurück. Später kam er auf Ersuchen seines Bruders 
abermals herab, besprach sich mit diesem über die 
Rechtsfrage und begab sich, unbehindert von Pompejus, 
wieder hinauf. Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, 
verliess er seine Veste, um den Pompejus durch Bitten 
zur Bewilligung seiner Forderungen zu veranlassen ; 
zurück aber ging er, um nicht den Anschein zu erwecken, 
als gäbe er schon zum voraus seine Sache auf. Als 
jedoch Pompejus ihn aufforderte, die Festungen auszuliefern, 
und ihn zwang, den Kommandanten derselben, die die 
Weisung hatten, nur schriftlichen Befehlen ihres Königs 
zu gehorchen, durch eigenhändige Briefe den Befehl zum 
Abzug zu erteilen, fügte er sich zwar diesem Ansinnen, 

4 * 


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52 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zog sich aber alsdann voll Erbitternng nach Jerusalem 
zurück und rüstete sich zum Kampfe gegen Pompejus. 

6. Der indes folgte ihm, ohne ihm Zeit zu Vor- 
bereitungen zu lassen, auf dem Fusse nach und wurde 
in seinem Kriegseifer noch wesentlich bestärkt durch die 
Kunde vom Tode des Mithradates, die er bei Jericho er- 
hielt. Hier ist die fruchtbarste Gegend Judaeas, und 
es gedeihen daselbst die Palme und der Balsam in Menge. 
Letzterer wird gewonnen, indem man mit scharfen Steinen 
den Schaft der Stauden in seinem unteren Teile ritzt 
und die aus den Einschnitten fliessenden Thränen 
sammelt. Dort schlug Pompejus für eine Nacht sein 
Lager auf und rückte in der Morgenfrühe gegen Jeru- 
salem vor. Durch sein Erscheinen in Schrecken versetzt, 
ging Aristobulus ihm als Bittsteller entgegen, und es 
gelang ihm auch, durch Geldversprechungen und die 
Zusage, dass er sich selbst nebst der Stadt in seine 
Hände geben wolle, den Zorn des Pompejus zu be- 
schwichtigen. Doch hielt er keine seiner Zusagen , und 
als Gabinius erschien, der zur Empfangnahme des Geldes 
geschickt war, Hessen ihn die Anhänger des Aristobulus 
nicht einmal in die Stadt ein. 


Siebentes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 4, 1 — 4, 5. 

Pompejus erobert Jerusalem, betritt den Tempel und sieht 
das Allerheiligste. Seine ferneren Thaten in Judaea. 

1. Hierüber entrüstet, liess Pompejus 'den Aristobulus 
in Gewahrsam nehmen und sah sich, als er der Stadt 
nähergekommen war, nach einem günstigen Angriffspunkt 
um. Dabei fand er, dass die Mauern ihrer Festigkeit 
wegen und weil sie aussen von einer furchtbaren Schlucht 
umgeben waren, schwer einnehmbar seien, sowie dass 
das jenseits der Schlucht gelegene Heiligtum derartig 
starke Befestigungen aufwies, dass selbst nach dem Falle 



Erstes Buch, 7. Kapitel. 53 

der Stadt die Feinde an ihm einen zweiten Zufluchtsort 
haben würden. 

2. Während er nun geraume Zeit zu keinem rechten 
Entschluss kommen konnte, brach unter den Einwohnern 
der Stadt ein Streit aus, indem die Anhänger des Aristo- 
bulus für den Krieg und die Befreiung de9 Königs, die 
auf des Hyrkanus Seite stehenden Bürger aber dafür 
sich erklärten, dass man dem Pompejus die Thore öffnen 
solle. Übrigens bewirkte die Furcht vor dem wohl- 
geschulten Heere der Römer, dass die letztere Partei 
immer stärker wurde. Als nun die Anhänger des Aristo- 
bulus sich in der Minderheit sahen, zogen sie sich in 
den Tempel zurück, brachen die denselben mit der Stadt 
verbindende Brücke ab und rüsteten sich zum äussersten 
Widerstand. Die andere Partei aber nahm die Römer 
in die Stadt auf und übergab ihnen den Königspalast, 
worauf Pompejus einen seiner Unterbefehlshaber, Piso, 
mit einer Heeresabteilung hineinsandte. Dieser besetzte 
die Stadt, und da es ihm nicht gelang, auch nur einen 
der in den Tempel Geflohenen durch gütliches Zureden 
zum Übertritt zu veranlassen, richtete er alles ringsum 
zur Belagerung ein, wobei die Leute des Hyrkanus ihm 
bereitwilligst mit Rat und That zur Hand gingen. 

3. Pompejus selbst liess auf der Nordseite den Graben 
und die ganze Thalschlucht ausfüllen, wozu die Soldaten 
das Material herbeitrugen. Die Ausfüllung war übrigens 
recht schwierig, einmal wegen der bedeutenden Tiefe, 
dann aber auch, weil die Juden von oben her auf alle 
mögliche Weise die Arbeit zu verhindern suchten. Die 
Römer wären mit derselben auch wohl nicht zu Ende 
gekommen, wenn nicht Pompejus jeden siebenten Tag, 
an welchem die Juden aus religiösen Rücksichten sich 
aller Arbeit enthalten, zur Erhöhung des Dammes be- 
nützt und den Soldaten an diesem Tage das Hand- 
gemenge untersagt hätte ; denn zu ihrer persönlichen 
Verteidigung dürfen die Juden sich auch am Sabbat 
wehren. Als nun die Thalschlucht ausgefüllt war, liess 
er hohe Türme auf dem Damm errichten und die von 



54 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Tyrus mitgebrachten Belagerungsmaschinen herbei sch affen, 
mit denen er einen Versuch gegen die Mauer unter- 
nahm, während Steinschleuderer diejenigen zurücktrieben, 
welche dies von oben her zu vereiteln trachteten. 
Übrigens hielten die gerade an dieser Seite durch Grösse 
und Schönheit sich auszeichnenden Türme 6ehr lange stand. 

4. Obwohl nun die Römer viel Ungemach zu er- 
dulden hatten, konnte doch Pompejus nicht umhin, sich 
über die mutige Ausdauer der Juden im allgemeinen 
wie auch besonders darüber zu verwundern, dass sie 
mitten im Hagel der Geschosse nicht das mindeste von 
ihrem Gottesdienst aufgaben. Als wenn nämlich die 
Stadt sich des tiefsten Friedens erfreute, wurden die 
täglichen Opfer, die Reinigungen und der ganze heilige 
Dienst Gott zu Ehren aufs genaueste vollzogen. Ja, 
selbst bei der Erstürmung der Stadt, als tagüber die 
Leichen der Ihrigen sich um den Altar auftürmten, 
Hessen sie von dem gesetzlichen Gottesdienst nicht ab. 
Im dritten Monat der Belagerung nämlich drangen die 
Römer, nachdem sie mit vieler Mühe einen der Türme 
zerstört hatten, in das Heiligtum 1 ein. Der erste, der 
die Mauer zu überspringen wagte, war Cornelius Faustus, 
der Sohn des Sulla, dem zwei Centurionen, Furius und 
Fabius, gefolgt von ihren Abteilungen, sich anschlossen. 
Von allen Seiten umzingelten sie die Juden und töteten 
die einen auf der Flucht nach dem Tempel \ die anderen 
nach kurzer Gegenwehr. 

5. Da nun blieben viele Priester, obwohl sie die 
Feinde mit gezückten Schwertern auf sich zukommen 
sahen, unerschrocken beim heiligen Dienste, und während 
der Darbringung von Trank- und Rauchopfern wurden 
sie dahingemordet, sie, denen die Verehrung der Gottheit 
alles, ihre eigene Rettung aber nichts galt. Die meisten 
fielen übrigens unter dem Schwerte ihrer eigenen, ihnen 
feindlich gesinnten Volksgenossen ; unzählige stürzten 

1 Es ist stets zu unterscheiden zwischen dem Heiligtum (xo teoov) 
oder dem gesamten Tempelbezirk und dem eigentlichen Tempel- 
gebäude (6 vao;). 



Erstes Buch, 7. Kapitel. 


55 


sich die steilen Schluchten hinab; einige auch steckten, 
rasend vor Verzweiflung, die Anbauten der Mauer in 
Brand und fanden in deren Flammen ihr Ende. Zwölf- 
tausend Juden kamen auf diese Weise um, während die 
Römer nur vereinzelte Töte, dagegen mehr Verwundete 
hatten. 

6. Nichts aber konnte das Volk in dieser schreck- 
lichen Lage so schwer treffen, als dass das bis jetzt nie 
gesehene Allerheiligste von Fremden enthüllt wurde. 
Pompejus nämlich ging mit seinem Gefolge in den Teil 
des Tempels, den nur der Hohepriester betreten durfte, 
und betrachtete, was darin war: den Leuchter mit den 
Lampen, den Tisch, die Opferschalen und Räucher- 
gefässe, alles von gediegenem Golde, die Menge des 
aufgespeicherten Räucherwerkes und den gegen zwei- 
tausend Talente betragenden Tempel schätz. Doch rührte 
er weder diesen noch irgend eines der heiligen Geräte 
an; vielmehr liess er gleich am Tage nach der Er- 
stürmung den Tempelraum durch die Tempeldiener 
reinigen und die üblichen Opfer darbringen. Dann 
ernannte er den Hyrkanus wieder zum Hohepriester, 
einmal weil er sich bei der Belagerung als sehr hilfs- 
bereit erwiesen, dann aber ganz besonders, weil er das 
Landvolk, das sich anschickte, für Aristobulus zu den 
Waffen zu greifen, davon abgehalten hatte. Also gewann 
er, wie es einem guten Feldherrn ziemt, das Volk 
mehr durch Wohlwollen als durch Furcht. . Unter den 
Kriegsgefangenen befand sich auch der Schwiegervater 
des Aristobulus, der zugleich dessen Oheim war. Die 
Haupturheber des Krieges nun liess Pompejus mit dem 
Beile hinrichten; den Faustus aber und die, welche an 
dessen Seite heldenhaft gestritten hatten, beschenkte er 
mit herrlichen Kampfpreisen. Dann legte er dem Lande 
und der Stadt Jerusalem eine Steuer auf. 1 

7. Eine weitere Folge des Krieges war, dass Pompejus 
dem Volke die Städte, die es in Coelesyrien erobert 


1 Die Eroberung Jerusalems durch Pompejus fand statt 63 v. Clir. 



56 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


hatte, wieder abnahm, sie dem damaligen römischen 
Legaten unterstellte und die* Juden auf ihre eigenen 
Grenzen beschränkte. Das von den Juden zerstörte 
Gadara baute er einem seiner Freigelassenen, Demetrius, 
der von dort gebürtig war, zu Gefallen wieder auf. 
Sodann befreite er von ihrer Oberherrschaft alle Städte 
im Binnenland, die sie nicht vorher zerstört hatten, 
nämlich Hippos, Skythopolis, Pella, Samaria, Marissa, 
ferner Azot, Jamnia und Arethusa, desgleichen die 
Küstenstädte Gaza, Joppe, Dora und die Stadt, die 
früher Stratonsturm hiess, später aber von dem Könige 
Herodes aufs prächtigste umgebaut und Caesarea ge- 
nannt wurde. Alle diese Städte gab er ihren eingeborenen 
Bürgern zurück und teilte sie der Provinz Syrien zu. 
Nachdem er nun noch die letztere samt Judaea und dem 
Gebiet bis nach Aegypten einerseits und dem Euphrat 
anderseits dem Scaurus, dem er zwei Legionen zur Ver- 
fügung stellte, zur Verwaltung übergeben hatte, eilte 
er selbst durch Cilicien nach Rom, wohin er den Aristo- 
bulus und dessen Familie, zwei Töchter und zwei Söhne, 
als Gefangene mitführte. Von den Söhnen entwich der 
eine', Alexander, unterwegs, während der jüngere, Anti- 
gonus, mit seinen Schwestern nach Rom gebracht wurde. 


Achtes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 5, 1 — 7,3. 

Des Aristobulus Sohn Alexander bekriegt Hyrkanus, 
wird aber von Gabinius geschlagen. Aristobulus ent- 
flieht aus Rom, sammelt ein Heer, wird besiegt und 
wieder nach Rom gebracht. Weiteres von Gabinius. 
Crassus und Cassius. 

1. Unterdessen war Scaurus in Arabien eingefallen. 
0 Dort hielt ihn zwar von Petra das schwer passierbare 
Terrain ab; dagegen verwüstete er die Umgegend von 
Pella, wiewohl er auch hier viel Ungemach auszustehen 



Erstes Buch, 8. Kapitel. 


57 


hatte, da sein Heer durch Hunger litt. Hyrkanus säumte 
nicht zu helfen, indem er durch Antipater Lebensmittel 
schickte. Da übrigens Antipater auch mit Aretas be- 
freundet war, sandte Scaurus ihn zu diesem, damit 
der Araber durch Geld den Frieden von ihm erkaufe. 
Wirklich verstand sich auch Aretas zur Zahlung von 
dreihundert Talenten, worauf Scaurus sein Heer aus 
Arabien zurückzog. 

2. Nun aber bereitete dem Hyrkanus schwere Sorge 
der dem Pompejus entwichene Sohn des Aristobulus, 
Alexander, der im Laufe der Zeit eine starke Truppen- 
macht zusammengebracht hatte und jetzt verheerend in 
Judaea einfiel. Es schien sogar, als ob es ihm schnell 
gelingen würde, Hyrkanus zu stürzen; denn bereits stand 
er vor Jerusalem und machte sich daran, die von 
Pompejus zerstörte Mauer wieder aufzubauen. 1 Doch 
Gabinius, der Nachfolger des Scaurus in Syrien und 
ein Mann von vielfach erprobter Tapferkeit, zog sogleich 
gegen Alexander zu Felde, der vor Bestürzung über des 
Gabinius Anmarsch seine Truppenmacht so vermehrte, 
dass sie zehntausend Fusssoldaten und fünfzehnhundert 
Reiter zählte. Ausserdem befestigte er passende Plätze, 
wie Alexandrium, Hyrkanium und Machaerus in der 
Nähe des arabischen Berglandes. 

3. Gabinius sandte nun den Marcus Antonius mit 
einem Teile seiner Truppen voraus und folgte selbst 
mit der Hauptmacht nach. Mit des Antonius Unter- 
befehlshabern vereinigten sich sodann Antipaters aus- 
erlesene Leute und die übrigen Streitkräfte der Juden 
unter Anführung von Malichus und Pitholaus und 
rückten dem Alexander entgegen. Bald darauf traf 
auch Gabinius mit seinen Truppen ein. Diesem vereinten 
feindlichen Heere hielt sich Alexander nicht gewachsen 
und zog sich deshalb zurück, wurde aber in der Nähe 
von Jerusalem zu einem Treffen gezwungen, in welchem 


1 Nach der offenbar richtigeren Darstellung J. A. XIV, 5, 2 war 
es Hyrkanus, der die Mauer wiedcrherzustellen versuchte. 



58 


' Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


er sechstausend Mann verlor, nämlich dreitausend, die 
fielen, und dreitausend, die in Gefangenschaft gerieten. 
Er selbst floh mit dem Reste nach Alexandrium. 

4. AJs Gabinius vor dieser Festung anlangte und 
eine Menge Juden daselbst gelagert fand, versuchte er, 
indem er ihnen Verzeihung für das Vorgefallene in 
Aussicht stellte, sie ohne Kampf zu gewinnen. Da sie 
aber von einem gütlichen Vergleich nichts wissen 
wollten, machte er viele von ihnen nieder und schloss 
die übrigen in die Festung ein. In diesem Treffen that 
sich der Truppenführer Marcus Antonius sehr hervor; 
zwar benahm er sich auch sonst stets tapfer, doch so 
heldenhaft wie diesmal nirgends. Gabinius liess nun 
eine Abteilung zur Eroberung des Kastells zurück und 
brach selbst auf, um diejenigen Städte, die nicht so viel 
gelitten hatten, in besseren Zustand zu bringen, die 
gänzlich zerstörten aber wieder aufzubauen. So wurden 
auf seinen Befehl wieder wohnlich eingerichtet die Städte 
Skythopolis, Samaria, Anthedon, Apollonia, Jamnia, 
Raphia, Marissa, Adoreos, Gamala, Azot und viele 
andere, und mit Freuden strömten die Einwohner in 
dieselben zusammen. 

5. Nachdem er das besorgt hatte, zog er wieder vor 
Alexandrium und betrieb die Belagerung so nachdrücklich, 
dass Alexander voll Verzweiflung Gesandte mit der 
Bitte um Verzeihung seiner Vergehen zu ihm schickte, 
ihm die noch in seinem Besitz befindlichen Festungen 
Hyrkanium und Machaerus übergab und bald auch 
Alexandrium selbst auslieferte. Alle diese Plätze schleifte 
Gabinius, damit sie nicht zu Brutstätten neuer Kriegs- 
wirren würden, und zwar auf Anraten der Mutter 
Alexanders, die sich aus Besorgnis um die Gefangenen 
in Rom, ihren Gatten und ihre übrigen Kinder, zu 
Gabinius begeben hatte, um ihn zur Milde zu stimmen. 
Hierauf führte Gabinius den Hyrkanus in Jerusalem 
ein, wo er ihm die Obhut des Tempels übertrug und im 
übrigen die Verfassung so einrichtete, dass die An- 
gesehensten an der Spitze standen. Das ganze Volk 



Erstes Buch, 8. Kapitel. 


59 


teilte er sodann in fünf Gemeinschaften und bestimmte, 
dass der eine Teil auf Jerusalem, der zweite auf Gadara, 
der dritte auf Amathus, der vierte auf Jericho, der 
fünfte aufSepphoris in Galilaea angewiesen sein sollte. 1 
Zu ihrer Freude waren die Juden somit von der Herr- 
schaft eines Einzigen befreit und für die Folge einer 
aristokratischen Regierung unterstellt. 2 

6. Nicht lange danach entstanden neue Unruhen 
durch Aristobulus, der von Rom entwichen war und eine 
Menge teils neuerungssüchtiger, teils von früher her ihm 
ergebener Juden an sich gezogen hatte. Zunächst 
machte er den Versuch, Alexandrium, das er besetzt 
hatte, wieder zu befestigen. Als er aber erfuhr, dass 
Gabinius ein Heer unter Sisenna, Antonius und Servilius 
gegen ihn gesandt habe, zog er sich auf Machaerus 
zurück. Dabei entledigte er sich des unnützen Haufens 
und behielt nur die Bewaffneten bei sich, etwa acht- 
tausend an der Zahl , unter denen sich auch der Unter- 
befehlshaber aus Jerusalem, Pitholaus, befand, der mit 
tausend Mann zu ihm übergegangen war. Die Römer 
aber folgten ihnen auf dem Fusse nach, und es kam 
zur Schlacht, in der des Aristobulus Leute zwar wacker 
stritten und lange standhielten, endlich aber von den 
Römern überwältigt wurden. Fünftausend von ihnen 
fielen, gegen zweitausend flüchteten sich auf eine Anhöhe, 
die übrigen tausend aber durchbrachen mit Aristobulus 
die Reihen der Römer und wurden nach Machaerus 
gedrängt. Hier bezog der König am ersten Abend 
Nachtquartier in den Ruinen und befestigte alsdann den 
Platz notdürftig in der Hoffnung, noch ein Heer zu- 
sammenbringen zu können, wenn der Krieg vielleicht 
etwas lässiger geführt würde. Als nun die Römer an- 
griffen, leistete er ihnen zwei Tage lang fast über seine 
Kräfte Widerstand, wurde aber dann gefangen genommen 
und samt seinem mit ihm aus Rom entflohenen Sohne 


1 Nach J. A. XIV, 5, 2 befanden sich in diesen Städten die Ge- 
richtshöfe (Synedrien) für die einzelnen Bezirke. 

2 57 v. Chr. 



60 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Antigonus gefesselt vor Gabinius und von diesem weg 
wieder nach Rom geführt. Dort liess der Senat ihn 
selbst einkerkern, seine Kinder aber nach Judaea bringen, 
weil Gabinius in einem Schreiben mitgeteilt hatte, er 
habe dies der Gattin des Aristobulus für die Auslieferung 
der Festungen versprochen. 

7. Als nun Gabinius gegen die Parther zu Felde 
ziehen wollte, trat ihm die Angelegenheit des Ptole- 
maeus 1 hindernd in den Weg. Seinetwegen musste er 
am Euphrat umkehren, um ihn in Aegypten wieder 
einzusetzen, wobei Hyrkanus und Antipater ihm in allem 
zur Hand gingen. Antipater insbesondere verschaffte 
ihm Geld, Waffen, Getreide und Hilfstruppen; er beredete 
auch die Juden, welche bei Pelusium wohnten und den 
Zugang zu Aegypten zu bewachen hatten, den Gabinius 
passieren zu lassen. Nach dem Abzüge des Gabinius 
geriet übrigens ganz Syrien in Bewegung, und auch die 
Juden wurden zu erneutem Abfall verleitet durch 
Alexander, des Aristobulus Sohn, der eine ansehnliche 
Truppenmacht zusammenbrachte und nichts geringeres 
im Schilde führte, als sämtlichen Römern im Lande den 
Garaus zu machen. Hierüber geriet Gabinius, der wegen 
der Unruhen bereits wieder aus Aegypten herbeigeeilt 
war, in Besorgnis und sandte deshalb den Antipater zu 
einigen der Empörer, die sich denn auch wirklich um- 
stimmen Hessen. Immerhin aber blieben dem Alexander 
noch dreissigtausend Mann treu, zu deren Bekämpfung 
Gabinius nun sogleich ausrückte. Ihm entgegen zogen 
die Juden, und es kam beim Berge Itabyrium 2 zur 
Schlacht, in welcher zehntausend Juden fielen, während 
der Rest in wilder Flucht auseinanderstob. Gabinius 
zog nun nach Jerusalem und richtete' die Verfassung 
nach Antipaters Willen ein. Von dort brach er alsdann 
auf, schlug die Nabatäer 3 und liess die parthischen 

i P. XI. (Auletes). 

- Tabor. 

3 Hauptvolk des Peträisehen Arabien, früher unbedeutend und 
unter dem Namen Nebajoth erwähnt, mächtig zurZeit des Augustus. 


Go gle 


'HlllVERSITY OF CALIFORNIA. 



Erstes Buch, 8. Kapitel. 


61 


Flüchtlinge Mithradates und Orsanes heimlich entwischen, 
während er seinen Soldaten sagte, sie seien entflohen. 1 

8. Des Gabinius Nachfolger in der Verwaltung von 
Syrien war Crassus 2 . Dieser entnahm zu dem Feldzuge 
gegen die Parther dem Tempel in Jerusalem ausser 
allem übrigen Golde auch die zweitausend Talente, die 
Pompejus nicht angetastet hatte. Er hatte übrigens 
kaum den Euphrat überschritten, als er mit seinem 
Heere umkam. Doch das gehört nicht weiter hierher. 

9. Nach dem Tode des Crassus versuchten die Parther 
in Syrien einzudringen, wurden aber von Cassius, der 
sich in diese Provinz- geflüchtet hatte 3 , zurückgeschlagen. 
Nachdem Cassius also sich Syriens versichert hatte, 
eilte er nach Judaea, eroberte Taricheae und schleppte 
gegen dreissigtausend Juden in die Sklaverei. Dann 
liess er auf Antipaters Rat den Pitholaus töten, der die 
aufrührerischen Anhänger des Aristobulus gesammelt 
hatte. Was übrigens Antipater anlangt, so hatte er eine 
vornehme Araberin Namens Kypron geheiratet, die ihm 
vier Söhne gebar, Phasael, Herodes (den nachmaligen 
König), Joseph und Pheroras, sowie ausserdem noch eine 
Tochter Salome. Mit allen Machthabern ringsum bereits 
in gastfreundlichen Beziehungen stehend, trat er durch 
Verwandtschaft in ein besonders enges Verhältnis zu 
dem Araberkönige, dessen Obhut er auch, als er den 
Krieg gegen Aristobulus begann, seine Kinder an vertraute. 
Cassius nun, um auf diesen zurückzukommen, nötigte 
den Alexander zu dem Versprechen, Ruhe halten zu 
wollen, und wandte sich alsdann wieder nach dem 
Euphrat, um den Parthern den Übergang über denselben 
zu wehren, wovon noch an anderer Stelle die Rede sein soll. 

Ihr Reich, dessen Hauptstadt Petra war, endigte zur Zeit des Trajanus. 
Das Land gehörte später zu Palaestina tertia (vergl. Schenkel, Bibel- 
lexikon, IV, S. 269 ff.'). 

1 Vergl. die abweichende Darstellung J. A. XIV, G, 4. 

2 54 v. Chr. 

3 Als Überlebender vom Heere des Crassus. 



62 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Neuntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 7, 4— 8, 5. 

Aristobulus und sein Sohn Alexander umgebracht. Anti- 
pater stellt sich nach des Pompejus Tod auf Caesars Seite. 

Seine Tapferkeit 

1. Als Pompejus mit dem Senat über das Ionische 
Meer geflohen und Caesar Herr über Rom und das 
ganze Reich geworden war, entledigte er den Aristobulus 
seiner Fesseln, übergab ihm zwei Legionen und wollte 
ihn schleunigst nach Syrien senden in der Hoffnung, 
durch ihn diese Provinz und ganz Judaea leicht für 
sich gewinnen zu können. Doch der Neid machte des 
Aristobulus guten Willen wie Caesars Hoffnung zu 
Schanden. Denn Aristobulus wurde von den Anhängern 
des Pompejus durch Gift aus dem Wege geräumt 1 , und 
lange Zeit entbehrte sein Leichnam sogar der Bestattung 
in heimischer Erde, lag vielmehr in Honig einbalsamiert, 
bis er später von Antonius den Juden zugeschickt wurde, 
um in den Königsgräbern beigesetzt zu werden. 

2. Auch sein Sohn Alexander musste den Tod er- 
leiden, denn Scipio liess ihn zu Antiochia mit dem Beile 
hinrichten und zwar auf Befehl des Pompejus und nach- 
dem ihm vorher wegen der den Römern zugefügten 
Unbilden förmlich der Prozess gemacht worden war. 
Seiner Geschwister nahm sich Ptolemaeus Mennaei, der 
Beherrscher von Chalkis am Fusse des Libanon, an, der 
seinen Sohn Philippion nach Askalon sandte, um dieselben 
abzuholen. Letzterem gelang es denn auch, Antigonus 
und dessen Schwestern ihrer Mutter, der Witwe des 
Aristobulus, zu entreissen und zu seinem Vater zu bringen. 
In die jüngere der Schwestern, Alexandra, verliebte er 
sich und heiratete sie, wurde aber ihretwegen von seinem 
eigenen Vater getötet, der nun selbst die Alexandra zur 


1 49 v. Chr. 



Erstes Buch, 9. Kapitel. 


68 


Ehe nahm und um dieser Verbindung willen den Ge- 
schwistern seiner Gemahlin sein besonderes Wohlwollen 
zuwandte. 

3. Nach dem Tode des Pompejus wechselte Antipater 
die Farbe und trat auf Caesars Seite. Als nun der 
pergamenische König Mithradates mit seinem Heere, das 
er nach Aegypten führen wollte 1 , bei Askalon halt 
machen musste, weil er den Weg über Pelusium nicht 
erzwingen konnte, bewog Antipater nicht nur die ihm 
befreundeten Araber zur Hilfeleistung, sondern rückte 
auch selbst mit etwa dreitausend Mann jüdischer Fuss- 
truppen heran. Ferner veranlasste er zur Unterstützung 
des Kriegszuges die syrischen Grossen und die am Libanon 
wohnenden Fürsten Ptolemaeus und Jamblichus, durch 
deren Einfluss dann auch die Städte dieser Gegend bereit- 
willigst ihren Beistand zusagten. Nachdem auf diese 
Weise dank Antipaters Eingreifen die Streitkräfte des 
Mithradates sich bedeutend vermehrt hatten, eilte er vor 
Pelusium und machte sich, als man ihm den Durchmarsch 
verwehrte, an die Belagerung der Stadt. Bei der dann 
folgenden Erstürmung bedeckte sich Antipater mit Kriegs- 
ruhm, indem er in den ihm zugewiesenen Teil der Mauer 
Bresche legte und allen übrigen voran mit seiner Schar 
in die Stadt eindrang. 

4. So fiel nun freilich Pelusium; doch beim weiteren 
Vorrücken ward das Heer abermals aufgehalten, und 
zwar durch die aegyptischen Juden, die den sogenannten 
Bezirk des Onias bewohnten. Da war es dann wieder 
Antipater, der dieselben bewog, nicht nur ihren Wider- 
stand aufzugeben, sondern auch die Truppen mit den 
nötigen Lebensmitteln zu versehen. Infolgedessen ent- 
hielten sich auch die Bewohner der Umgegend von 
Memphis der Feindseligkeiten und schlossen sich freiwillig 
an Mithradates an. Dieser umging nun das Delta und 
lieferte den übrigen Aegyptiern eine Schlacht in der 


1 Als Verbündeter Caesars (vergl. die etwas abweichende Dar- 
stellung J. A. XIV, 8,1). 



64 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Gegend, die „Judenlager“ genannt wird. Hier geriet er 
ßelbst und sein ganzer rechter Flügel in Gefahr; doch 
Antipater kam ihm am Ufer des Flusses entlang zu 
Hilfe und befreite ihn aus der Klemme, nachdem er 
bereits zuvor mit dem von ihm befehligten linken Flügel 
die ihm gegenüberstehende feindliche Abteilung geworfen 
hatte. Alsdann drang er auf die Verfolger des Mithra- 
dates ein, tötete viele von ihnen und setzte den übrigen 
so weit nach, dass er auch noch ihr Lager in seine Ge- 
walt brachte. Dabei fielen von den Seinen nur achtzig 
Mann, während Mithradates auf der Flucht gegen acht- 
hundert verloren hatte. Letzterer erstattete übrigens, 
nachdem er so unverhofft der Gefahr entgangen war, 
dem Caesar einen neidlosen Bericht über Antipaters 
Heldenthaten. 

5. Daraufhin spendete Caesar dem Antipater reich- 
liches Lob und verfehlte auch nicht, besondere Hoffnungen 
in ihm rege zu machen, wodurch er ihn anreizte, noch 
weiteren Gefahren für ihn sich auszusetzen. In solchen 
Wagnissen bewies Antipater stets eine ausserordentliche 
Kühnheit, und bald war fast sein ganzer Körper mit 
Narben, den Denkzeichen seiner Tapferkeit, bedeckt. Als 
nun Caesar in Aegypten Ruhe und Ordnung hergestellt 
hatte und nach Syrien zurückgekehrt war, beschenkte 
er ihn mit Steuerfreiheit und dem römischen Bürgerrecht, 
erwies ihm auch noch sonstige Ehren- und Gunst- 
bezeugungen und machte ihn dadurch zum Gegenstand 
des Neides. Auch dass Hyrkanus von Caesar in seiner 
hohepriesterlichen Würde bestätigt wurde, war lediglich 
dem Einfluss Antipaters zu verdanken. 



Erstes Bach, 10. Kapitel. 


65 


Zehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 9, 1 — 11, 1. 

Caesar ernennt Antipater zum Landpfleger von Judaea. 
Phasael wird Befehlshaber von Jerusalem, Herodes 
Statthalter von Galilaea. Herodes von Hyrkanus vor 
Gericht geladen. Auf Sextus Caesar, der von Bassus 
ermordet wird, folgt Murcus. 

1. Um dieselbe Zeit traf es sich merkwürdigerweise, 
dass des Aristobulus Sohn Antigonus, der sich bei Caesar 
befand, das Ansehen Antipaters noch vermehrte. Denn 
statt das Schicksal seines Vaters, der, wie man glaubte, 
wegen seiner feindseligen Gesinnung gegen Pompejus 
vergiftet worden war, zu bejammern, statt über Scipios 
Grausamkeit gegen seinen Bruder zu klagen, statt sich 
frei von aller Gehässigkeit zu halten und sich auf Er- 
regung von Mitleid zu beschränken, trat er vielmehr als 
förmlicher Ankläger gegen Hyrkanus und Antipater auf 
Er beschuldigte sie nämlich, ihn selbst und seine Ge- 
schwister aller Billigkeit zum Hohn aus dem Vaterlande 
vertrieben und in frechem Übermut ihr Volk vielfach 
drangsaliert zu haben. Und was den Feldzug nach 
Aegypten angehe, so hätten sie dazu nicht aus Ergebenheit 
gegen Caesar Hilfstruppen gestellt, sondern nur aus 
Furcht wegen ihrer früheren Feindseligkeiten und um 
ihre Freundschaft für Pompejus wett zu machen. 

2. Da riss Antipater sein Gewand auf, zeigte seine 
zahlreichen Narben und erklärte, es bedürfe doch wohl 
keiner Worte, um seine gute Gesinnung gegen Caesar 
darzuthun; denn wenn er auch schweige, so lege doch 
sein Leib lautes Zeugnis ab. Wundern aber müsse er 
sich über die Anmassung des Antigonus, der als Sohn 
eines den Römern entlaufenen und denselben feindlich 
gesinnten Mannes an Neuerungssucht und Empörungs- 
geist nur das echte Ebenbild seines Vaters sei, und der 
sich jetzt unterfange, bei dem römischen Machthaber 
andere zu verklagen , während er doch froh sein könne, 
dass er überhaupt noch lebe. Denn nicht etwa aus 

Josephns, Jüdischer Krieg. 5 


Go gle 



66 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Dürftigkeit wolle er jetzt teil an den Staatsgeschäften 
haben, sondern nur, um die Juden zum Aufruhr zu ver- 
leiten und seine Macht zum Schaden derer, die sie ihm 
verliehen, zu missbrauchen. 

3. Kaum hatte Caesar das vernommen, so erklärte 
er den Hyrkanus für besonders wert, Hohepriester zu 
sein; dem Antipater aber liess er die Wahl eines einfluss- 
reichen Postens frei. Als letzterer nun das Mass der 
Ehrung dem Spender derselben anheimgab, wurde er zum 
Landpfleger von ganz Judaea ernannt 1 und erhielt 
ausserdem noch die Erlaubnis, die zerstörten Mauern 
seiner Vaterstadt wieder auf bauen zu lassen 2 . Die Ur- 
kunde über diese Vergünstigungen sandte Caesar nach 
Rom, damit sie dort auf eherne Tafeln eingegraben und 
als Denkmal seiner Gerechtigkeit und der Verdienste 
Antipaters auf dem Kapitolium aufgestellt werde. 

4. Antipater gab hierauf dem Diktator bis zur Grenze 
Syriens das Geleit und kehrte dann nach Judaea zurück. 
Hier stellte er zunächst die von Pompejus zerstörten 
Mauern Jerusalems wieder her und bereiste sodann 
das Land, um den Unruhen ein Ende zu machen, wobei 
er es weder an Drohungen noch an guten Ratschlägen 
fehlen liess. Jeder, der dem Hyrkanus wohlgesinnt sei, 
so erklärte er, solle sich eines glücklichen und ruhigen 
Lebens erfreuen, sein Eigen tnm geschützt sehen und 
vom allgemeinen Frieden Nutzen ziehen. Wer dagegen 
von den eitlen Spiegelfechtereien der Empörer sich 
blenden lasse, die nur auf ihren persönlichen Vorteil 
bedacht seien, der werde an ihm statt eines fürsorglichen 
Beraters einen strengen Herrn, an Hyrkanus statt eines 
milden Regenten einen Tyrannen, an den Römern und 
Caesar statt Führeren und Freunden bittere Feinde haben. 
Denn die letzteren würden natürlich nie den Sturz eines 
Mannes zulassen , den sie selbst eingesetzt hätten. 

1 47 v. Ohr. 

8 Nach J. A. XIV, 8,5 war es Hyrkanus, der diese Erlaubnis 
erhielt, was auch sicher das zutreffendere ist, da ja Jerusalem nicht 
Anti paters Vaterstadt war. 



Erstes Buch, 10. Kapitel. 


67 


Während er so seine Meinung kundgab, ordnete er zu- 
gleich nach eigenem Ermessen die Angelegenheiten des 
Landes ; denn Hyrkanus, das sah er wohl ein, war nicht 
nur zu träge, sondern auch viel zu energielos, um seine 
Herrscherpflichten erfüllen zu können. Er ernannte 
also seinen ältesten Sohn Phasael zum Befehlshaber von 
Jerusalem und Umgegend, den nächstfolgenden aber, 
Herodes, der noch sehr jung war \ sandte er in derselben 
Eigenschaft nach Galilaea. 

6. Herodes nun, ein entschlossener Charakter, fand 
in seinem Wirkungskreise alsbald Gelegenheit, seine 
Thatkraft zu beweisen. Er setzte nämlich den Räuber- 
hauptmann Ezechias, der mit einer starken Bande die 
Grenzgegenden Syriens unsicher machte, gefangen und 
liess ihn nebst vielen seiner Spiessgesellen hinrichten, 
wodurch er sich die Syrer zu ganz besonderem Dank 
verpflichtete, sodass man ihn in Dörfern und Städten 
als Bringer des Friedens und Retter des Eigentums 
feierte. Hierdurch wurde er auch dem Sextus Caesar, 
der ein Verwandter des grossen Caesar und Statthalter 
von Syrien war, bekannt. Phasael seinerseits mochte 
hinter seinem berühmten Bruder an Edelmut nicht zurück- 
stehen und legte es daher besonders darauf an, sich die 
Einwohner Jerusalems geneigt zu machen, indem er, 
obwohl unabhängiger Herr der Stadt, sich jedes an- 
stössigen und übermütigen Auftretens enthielt. So kam 
es, dass Antipater vom Volke wie ein König geachtet 
und von jedermann als wirkliches Staatsoberhaupt geehrt 
wurde. Doch änderte er selbst seine Ergebenheit und 
Treue gegen Hyrkanus nicht im mindesten. 

6. Aber niemand vermag im Glücke der Missgunst 
zu entgehen. Schon längst war dem Hyrkanus der Ruhm 
der jungen Leute ein Dorn im Auge; ganz besonders 
aber ärgerten ihn die Heldenthaten des Herodes und 
das protzige Ausposaunen derselben durch eine Menge 
von Herolden. Auch reizten ihn manche neidische 


1 Nach J. A. XIV, 9, 2 : 25 Jahre alt. 


Go gle 


Ul\m/ßRSIf^'Üf C 



68 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Höflinge, denen die Klugheit Antipaters oder seiner 
Söhne im Wege stand und die dem Hyrkanus vor- 
stellten, er habe recht eigentlich dem Antipater und 
dessen Söhnen die Regierung abgetreten und sitze nun 
da mit dem blossen Titel eines Königs ohne alle Macht. 
Wie lange er denn noch in der Täuschung verharren 
und sich Gegenkönige gross ziehen wolle? Denn da sei 
doch von Statthaltern nicht mehr die Rede, sondern 
offen geberdeten sie sich wie die thatsächlichen Herrscher, 
die ihn als Null betrachteten. Habe doch Herodes, ohne 
von ihm schriftlich oder mündlich beauftragt worden 
zu sein, eine Menge Juden auf gesetzwidrige Weise ums 
Leben gebracht. Noch aber sei der Übelthäter nicht 
König, sondern Privatmann ; somit müsse er vor Gericht 
gestellt werden, um sich vor Hyrkanus und den heimischen 
Gesetzen zu verantworten , die es nicht gestatteten, 
jemand ohne rechtskräftige Verurteilung hinzurichten. 

7. Derartige Vorstellungen zündeten allmählich bei 
Hyrkanus, und so lud er denn endlich im höchsten 
Zorn den Herodes vor Gericht. Auf Zureden seines 
Vaters und im Vertrauen auf die Lage der Dinge reiste 
dieser auch wirklich nach Jerusalem, doch nicht ohne 
zuvor Galilaea durch militärische Posten gesichert zu 
haben. Auch nahm er eine Leibwache mit, die zwar 
nicht so stark war, dass sie dem Hyrkanus hätte ge- 
fährlich werden können, immerhin aber genügte, ihn 
seinen Neidern gegenüber nicht unbewehrt erscheinen 
zu lassen. Sextus Caesar indes sandte aus Besorgnis, 
es möchte dem jungen Manne infolge der von seinen 
Widersachern gesponnenen Ränke etwas Schlimmes zu- 
stossen, an Hyrkanus den gemessenen Befehl, die gegen 
ersteren erhobene und auf Mord lautende Anklage fallen 
zu lassen. Daraufhin sprach Hyrkanus den Herodes 
frei, wozu er auch ohnedem schon neigte, da er ihm im 
Grunde genommen sehr zugethan war. 1 


1 Etwas anders und offenbar richtiger lautet die Darstellung 
J. A. XIV, 9, 4 und 5. 



Erstes Buch, 1 0. Kapitel. 


69 


8. Herodes begab sich nun in der Meinung, wider 
den Willen des Königs 1 der Verurteilung entgangen zu 
sein, nach Damaskus zu Sextus Caesar, entschlossen, 
einer abermaligen Vorladung nicht mehr Folge zu 
leisten. Wiederum aber suchten ränkesüchtige Menschen 
den Hyrkanus aufzustacheln, indem sie Vorgaben, Herodes 
sei im Zorn davongegangen und rüste nun wider ihn. 
Diesen Einflüsterungen schenkte der König Glauben, und 
da er wohl einsah, dass sein Gegner ihn; überlegen sei, 
wusste er vor Ratlosigkeit nicht aus noch ein. Als nun 
aber Sextus Caesar den Herodes auch noch zum Statt- 
halter von Coelesyrien und Samaria ernannte, geriet 
Hyrkanus nicht nur wegen der Sympathie des Volkes 
für ihn, sondern auch wegen seiner nunmehr wirklich 
angsterregenden Macht in die äusserste Beklemmung 
und erwartete nichts anderes, als dass Herodes in Bälde 
mit einem Heere gegen ihn anrücken werde. 

9. Diese Vermutung erwies sich auch als richtig. 
Denn Herodes, erbittert über die ihm zugedachte Ver- 
urteilung, sammelte in der That ein Heer und zog vor 
Jerusalem, um Hyrkanus zu stürzen. Er hätte diesen 
Plan auch wohl ausgeführt, wenn nicht sein Bruder 
und sein Vater ihm entgegengeeilt wären und seinen 
Groll beschwichtigt hätten, indem sie ihn beschworen, 
er möge in seinem Rachedurst es bei der furchterregenden 
Drohung bewenden lassen und den König schonen, 
unter dem er zu so grosser Macht gelangt sei. Wenn 
er über die Vorladung vor Gericht sich entrüstet habe, 
so solle er anderseits auch dankbar anerkennen, dass 
er losgekommen sei, und seine Rettung nicht damit 
vergelten, dass er hartnäckig bei seinen Racheplänen 
verharre. Übrigens möge er bedenken, dass die Gottheit 
es sei, die das Kriegsglück in der Hand habe, und dass 
somit der ungerechten Sache kein Erfolg winke, wenn 
auch ein Heer für sie streite. Er dürfe deshalb nicht 


1 Hyrkanus führte ausser der Bezeichnung „Hohepriester“ auch 
den Titel „König“. 



70 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gar so zuversichtlich auf den Sieg hoffen, zumal er im 
Begriff stehe, gegen einen König zu Felde zu ziehen, 
der ihm sehr zugethan sei und ihm viele Wohlthaten, 
nie aber Feindseligkeiten erwiesen habe. Denn der 
Schatten von Unrecht, der jetzt scheinbar auf Hyrkanus 
laste, sei doch nur darauf zurückzuführen, dass er schlechte 
Ratgeber gehabt habe. Diesen Vorstellungen gabHerodes 
nach , besonders da er der Meinung war , für seine 
Zukunftspläne .genüge es schon, dass er dem Volke ein- 
mal einen Begriff von seiner Macht habe beibringen 
können. 

10. Mittlerweile brachen bei Apamea Unruhen unter 
den Römern aus, und es kam zum Bürgerkriege dadurch, 
dass Caecilius Bassus, ein Anhänger des Pompejus, den 
Sextus Caesar meuchlings ermordet und sich den 
Oberbefehl über dessen Heer zugelegt hatte, die anderen 
Offiziere Caesars 1 aber, um den Mord zu rächen, mit 
ihrer gesamten Streitmacht Bassus zu Leibe rückten. 
Dem letzteren sandte Antipater sowohl um des getöteten 
als um des noch lebenden Caesar 1 willen, die beide seine 
Freunde waren , durch seine Söhne Hilfstruppen zu. 
Während nun der Krieg sich in die Länge zog, kam 
Murcus als Nachfolger des Sextus aus Italien an. 


Elftes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 11,2 — 11,6. 

Herodes wird Statthalter von ganz Syrien. Antipater von 
Malichus vergiftet. Ermordung des Malichus. 

1. In eben diese Zeit fiel auch der Anfang des grossen 
römischen Bürgerkrieges, dessen nähere Veranlassung 
darin zu suchen war, dass Brutus und Cassius plötzlich 
den Caesar meuchlings ermordeten 2 . Dieser Mord rief 
die grösste Aufregung hervor. Die Machthaber gerieten 

1 Gemeint ist Gajus Julius Caesar. 

2 15. März 44 v. Chr. 



Erstes Buch, 1 1 . Kapitel. 


71 


miteinander in Streit, und jeder schlug sich in der 
Hoffnung, seine persönlichen Zwecke erreichen zu können, 
zu der Partei, die ihm den grössten Vorteil zu versprechen 
schien. Da machte sich Cassius nach Syrien auf, um 
die bei Apamea stehenden Truppen für sich zu gewinnen. 
Hier söhnte er Murcus mit Bassus aus, stiftete Frieden 
zwischen den einander feindlichen Legionen und befreite 
so Apamea von der Belagerung. Dann durchzog er selbst 
an der Spitze eines Heeres das Land und legte den 
Städten fast unerschwingliche Kriegssteuern auf.1 

2. Als er nun auch die Juden zur Zahlung von 
siebenhundert Talenten verpflichtete, verteilte Antipater 
aus Angst vor den Drohungen des Cassius die schleunige 
Eintreibung des Geldes auf seine Söhne und einige andere 
Verwandten , unter denen sich auch der ihm wenig 
freundlich gesinnte Malichus befand — so sehr drängte 
ihn die Not Der erste, der den Römer zufriedenstellte, 
war Herodes; denn er lieferte alsbald seinen Anteil aus 
Galilaea im Betrage von einhundert Talenten ab und 
kam dadurch in grosse Gunst bei Cassius, der nun die 
übrigen wegen ihrer Saumseligkeit mit Schmähungen 
überhäufte und auch den Städten selbst gewaltig zürnte. 
Die Einwohner von Gophna, Ammaus und zwei anderen 
Städten zweiten Ranges 1 schleppte er in die Sklaverei 
und ging sogar so weit, dem Malichus mit Hinrichtung 
zu drohen, weil er die Eintreibung so lässig vornehme. 
Von ihm jedoch und von den übrigen Städten wandte 
Antipater das Verderben dadurch ab, dass er in aller 
Eile den Cassius durch Zahlung von einhundert Talenten 
beschwichtigte 2 . 

3. Malichus erwies sich indes nach dem Abzüge des 
Cassius gegen Antipater keineswegs dankbar, sann viel- 
mehr gegen den, der schon wiederholt sein Retter gewesen, 
auf Hinterlist und suchte ihn aus dem Wege zu räumen, 
weil er seine Frevelthaten zu verhindern wusste. Antipater, 


1 Lydda und Thamna (J. A. XIV, 11, 2). 

2 Die er von Hyrkanus erhalten hatte (J. A. XIV, 11,2). 



72 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


den die Macht und Verschlagenheit des Mannes beunruhigte, 
begab sich auf die andere Jordanseite, um dort zur 
Abwehr tückischer Anschläge ein Heer zu sammeln. 
Als nun Malichus auf seinen Schlichen ertappt war, 
suchte er die Söhne Antipaters durch Frechheit zu 
berücken, indem er sowohl Phasael, den Befehlshaber 
von Jerusalem, als auch Herodes, dem die Waffenkammer 
unterstellt war, durch Ausflüchte und Eidschwüre dahin 
brachte, dass sie ihn mit ihrem Vater wieder aussöhnten. 
Ja, als Murcus, der damalige Statthalter von Syrien, 
sich anschickte, den Malichus wegen seiner aufrührerischen 
Umtriebe hinrichten zu lassen, trat Antipater sogar für 
Malichus ein und rettete ihm das Leben. 

4. Als sodann der Krieg zwischen dem jungen Caesar 1 

und Antonius einerseits, Cassius und Brutus anderseits 
ausbrach 2 , warben Cassius und Murcus in Syrien ein 
Heer, und da sie sahen, wie Herodes einen grossen Teil 
der dazu erforderlichen Mittel beisteuerte, ernannten sie 
ihn zum Statthalter von ganz Syrien und gaben ihm 
eine Abteilung Truppen zu Fuss und zu Pferde. Cassius 
versprach ihm auch noch obendrein, er wolle ihn nach 
Beendigung des Krieges zum König von Judaea machen. 
Dem Antipater aber kostete die Machtstellung seines 
Sohnes und die demselben eröffnete glänzende Aussicht 
das Leben. Denn Malichus, der eine solche Stärkung 
des Einflusses Antipaters sehr ungern sah, bestach einen 
der königlichen Mundschenken , dem Antipater Gift zu 
reichen. So starb denn dieser thatkräftige und in der 
Leitung wichtiger Angelegenheiten so kundige Mann, 
dem Hyrkanus die Wiedergewinnung und Befestigung 
seiner Herrschaft verdankte, während eines Gastmahles 
als Opfer von Malichus’ Bosheit. , 

5. Malichus verstand übrigens die Erbitterung des 
Volkes, das ihn im Verdacht des Giftmordes hatte, 
dadurch zu beschwichtigen, dass er die That schlankweg 


1 Caesar Octavianus (Augustus). 

- 43 v. Chr. 



Erstes Buch, 11. Kapitel. 


73 


leugnete. Zugleich aber war er darauf bedacht, seine 
Macht zu vergrössern, indem er sich Truppen sammelte; 
denn er nahm an, dass Herodes nicht ruhig bleiben 
würde. Dieser erschien auch in der That alsbald an 
der Spitze eines Heeres, um seinen Vater zu rächen. 
Doch da sein Bruder Phasael ihm riet, den Mann nicht 
offen zu verfolgen, weil derselbe sonst das Volk auf- 
wiegeln würde, liess Herodes sich herbei, die Recht- 
fertigung des Malichus anzuhören, that, als wenn er 
weiter keinen Argwohn mehr gegen ihn hege, und 
veranstaltete seinem Vater ein glänzendes Leichen- 
begängnis . 

6. Sodann wandte er sich nach Samaria, das von 
Unruhen zerrüttet war, und stellte daselbst die Ordnung 
wieder her, worauf er mit seinen Soldaten zu einem 
Feste nach Jerusalem zurückkehrte. Auf Anraten des 
Malichus, dem der Anmarsch des Herodes Furcht ein- 
flösste, sandte nun Hyrkanus dem letzteren den Befehl 
entgegen, keinen Fremden zu den Eingeborenen herein- 
zubringen , da dieselben sich zur Festfeier geheiligt 
hätten. Herodes aber achtete weder diesen Grund noch 
die Person desjenigen, der den Befehl erlassen hatte, 
und rückte bei Nacht in die Stadt ein. Alsbald kam 
Malichus wieder zu ihm und jammerte über Antipater. 
Herodes seinerseits verstellte sich ebenfalls, obwohl er 
seinen Zorn kaum zu bemeistern vermochte, richtete 
aber dann ein Schreiben an Cassius, der so wie so auf 
Malichus nicht gut zu sprechen war, und führte über 
die Ermordung seines Vaters bittere Klage. Cassius 
schrieb ihm zurück, er solle an dem Mörder Rache 
nehmen, und erteilte zugleich den ihm unterstellten 
Tribunen insgeheim den Befehl , Herodes bei diesem 
Akte der Gerechtigkeit zu unterstützen. 

7. Eben hatte Cassius Laodikea eingenommen, und 
von überall her kamen die Grossen zu ihm mit Kränzen 
und sonstigen Geschenken. Diesen Zeitpunkt bestimmte 
Herodes zur Rache. ‘Malichus aber, der sich im Gebiete 
von Tyrus befand, schöpfte Verdacht, beschloss, seinen 


Go gle 



74 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


bei den Tyriern als Geisel lebenden Sohn heimlich von 
dort wegzuschaffen, und schickte sich an, selbst nach 
Judaea zu entfliehen. Seine verzweifelte Lage gab ihm 
sogar noch grossartigere Pläne ein. Er dachte nämlich, 
da Cassius gerade von dem Kriege gegen Antonius in 
Anspruch genommen war, das Volk zum Abfall von 
den Römern verleiten, den Hyrkanus mit leichter Mühe 
stürzen und selbst König werden zu können. 

8. Doch das Schicksal spottete seiner Hoffnungen. 
Herodes nämlich, der seine Absichten durchschaut hatte, 
lud ihn mit Hyrkanus zu einem Gastmahl ein. Dann 
rief er einen der in seiner Nähe befindlichen Sklaven 
zu sich und schickte ihn weg, dem Anschein nach, um 
die Zurüstungen zum Mahle zu treffen, in Wirklichkeit 
aber, um den Tribunen sagen zu lassen, sie möchten 
sich vor der Stadt in einen Hinterhalt legen. Diese 
gingen denn auch, eingedenk der Befehle des Cassius, 
mit Schwertern bewaffnet zur Stadt hinaus bis ans Ufer, 
wo sie den Malichus umringten und durch zahlreiche 
Stiche töteten. Hyrkanus ward darob vor Schrecken 
ohnmächtig, kam aber dann langsam wieder zu sich und 
erkundigte sich bei Herodes, wer den Malichus um- 
gebracht habe. Als ihm darauf einer der Tribunen 
entgegnete: „Ein Befehl des Cassius“, rief er aus: „So 
ist also Cassius mein und meines Vaterlandes Retter, 
indem er den aus dem Wege schaffen liess, der beiden 
gefährlich war!“ Ob nun Hyrkanus wirklich so dachte, 
oder ob er nur aus Furcht seine Worte dem stattgehabten 
Vorfall entsprechend einrichtete, mag dahingestellt 
bleiben — genug, Herodes hatte auf diese Weise seine 
Rache an Malichus befriedigt. 



Erstes Buch, 12. Kapitel. 


75 


Zwölftes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 11,7 — 13,2. 

Phasael schlägt den Helix, Herodes den Antigonus. 

Phasael und Herodes von Antonius 
zu Tetrarchen ernannt. 

1. Als Cassius aus Syrien abgezogen war, brachen 
zu Jerusalem abermals Unruhen aus. Ein gewisser 
Helix nämlich trat an der Spitze eines Heerhaufens 
dem Phasael entgegen, um Herodes in der Person seines 
Bruders für die Ermordung des Malichus zu züchtigen. 
Herodes, der sich damals bei Fabius, dem Kommandanten 
von Damaskus, aufhielt, schickte sich alsbald an, seinem 
Bruder Hilfe zu bringen, wurde aber durch eine Krank- 
heit daran gehindert Mittlerweile hatte Phasael bereits 
aus eigener Kraft den Helix überwunden und warf nun 
dem Hyrkanus Undankbarkeit vor, weil er es mit Helix 
halte und die Festungen in die Gewalt von Malichus’ 
Bruder habe gelangen lassen, der bereits eine ganze 
Anzahl derselben, darunter auch die stärkste von allen, 
Masada, weggenommen hatte. 

2. Gegen des Herodes Macht vermochte er indessen 
nichts auszurichten. Denn kaum war dieser genesen, 
als er ihm auch seinen Raub alsbald wieder abjagte. 
Da er sich übrigens aufs Bitten verlegte, liess ihn Herodes 
aus Masada frei abziehen. Alsdann vertrieb er aus 
Galilaea den Tyrann von Tyrus, Marion, der bereits 
drei der dortigen Festungen erobert hatte. Die auf 
diesem Kriegszug gefangenen Tyrier liess Herodes am 
Leben und schickte einige von ihnen sogar mit Geschenken 
heim, wodurch er sich bei der Bürgerschaft von Tyrus 
ebenso beliebt, als bei dem Tyrannen verhasst machte. 
Obwohl nun Marion seine Herrschaft von Cassius er- 
halten hatte, der ganz Syrien in dergleichen kleine 
Fürstentümer teilte, unterstützte er dennoch aus Hass 
gegen Herodes den Sohn des Aristobulus, Antigonus, 
und das um so lieber, als letzterer auch den Fabius 



76 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


durch Geld dazu vermocht hatte, ihm bei seiner Wieder- 
einsetzung behilflich zu sein. Die sämtlichen hierzu 
nötigen Mittel gewährte dem Antigonus der mit ihm 
verwandte Ptolemaeus. 

3. Gegen diese Feinde zog nun Herodes zu Felde, 
besiegte sie an den Grenzen Judaeas, verjagte den 
Antigonus und kehrte dann nach Jerusalem zurück, wo 
man ihn um dieser Kriegsthat willen allseitig willkommen 
hiess. Denn auch diejenigen, die ihm sonst nicht ge- 
wogen waren, traten ihm jetzt wegen seiner verwandt- 
schaftlichen Beziehungen zu Hyrkanus freundlich ent- 
gegen. Nachdem nämlich Herodes bereits früher au» 
den Eingeborenen des Landes eine Gattin von nicht 
unedler Abkunft, Doris mit Namen, sich erwählt hatte, 
die ihm einen Sohn Antipater gebar, verlobte er sich 
nunmehr mit Mariamne, der Tochter von Anstobulus* 
Sohn Alexander und Enkelin des Hyrkanus, und wurde 
dadurch mit dem Könige verwandt. 

4. Als aber nach der Niederlage des Cassiua bei 
Philippi 1 Caesar nach Italien, Antonius nach Asien sich 
begab, erschienen unter anderen Gesandtschaften, welche 
die einzelnen Staaten an Antonius nach Bithynien 
abordneten, auch vornehme Juden, um über Phasael 
und Herodes Klage zu führen, dass sie die gesamte 
Macht in Händen hätten, während Hyrkanus nicht mehr 
als der Träger eines ehrenvollen Titels sei. Doch auch 
Herodes fand sich ein und hatte den Antonius durch 
reiche Geschenke bald derart für sich eingenommen, 
dass seinen Gegnern nicht einmal mehr das Wort ver- 
stauet wurde. Und so mussten sie denn für jetzt wieder 
abziehen. 

5. Wiederum aber kamen hundert der angesehensten 
Juden nach Daphne bei Antiochia zu Antonius, den 
damals bereits die Liebe zum Sklaven der Kleopatra 
gemacht hatte, und Hessen ihre vornehmsten und be- 
redtesten Genossen als Sprecher auftreten, um die beiden 


1 42 v. dir. 



Erstes Buch, 12. Kapitel. 


77 


Brüder zu verklagen. Ihnen gegenüber verfocht Messala 
die Sache der Beschuldigten, wobei er von Hyrkanus 
als dem nunmehrigen Verwandten derselben unterstützt 
wurde. Nachdem nun Antonius beide Teile angehört 
hatte, fragte er den Hyrkanus, wer wohl am meisten 
sich zum* Regenten eigne. Und da dieser dem Herodes 
und seinem Bruder den Vorzug gab, freute sich Antonius 
sehr, weil er, als er mit Gabinius nach Judaea kam, 
bereite bei ihrem Vater Antipater gastfreundliche Auf- 
nahme gefunden hatte. Er ernannte sodann die Brüder 
zu Tetrarchen 1 und übertrug ihnen die Verwaltung von 
ganz Judaea. 

6. Als nun die Gesandten hierüber ihren Unwillen 
kundgaben, liess er fünfzehn von ihnen festnehmen und 
einkerkem und hatte auch im Sinne, sie hinrichten zu 
lassen 2 ; die übrigen jagte er mit Schimpf und Schande 
davon. Dadurch aber wuchs die Gärung in Jerusalem 
nur nocfc mehr, und abermals ordnete man Gesandte, 
diesmal sogar tausend an der Zahl, nach Tyrus ab, 
wo Antonius, auf dem Zuge nach Jerusalem begriffen, 
sich aufhielt. Als nun diese Gesandten ein lärmendes 
Geschrei erhoben, schickte Antonius den Kommandanten 
von Tyrus gegen sie hinaus mit dem Befehl, alle, deren 
er habhaft werden könne, niederzumachen und dadurch 
die Herrschaft der ' von ihm ernannten Tetrarchen zu 
befestigen. 

7. Vorher aber hatte Herodes in Begleitung des 
Hyrkknus hinaus ans Ufer sich begeben und die Juden 
eindringlich ermahnt, nicht durch unvernünftige Wider- 
setzlichkeit sich selbst den Untergang und ihrem Vater- 
lande den Krieg zuzuziehen. Als jedoch ihr Unwille 
trotz dieser Vorstellungen sich noch steigerte, sandte 
Antonius Bewaffnete hinaus, die eine Menge von ihnen 
niedermetzelten oder verwundeten. Das Begräbnis der 

1 Ehemals Titel für den Beherrscher des vierten Teiles eines 
Landes, hier aber nur kleine Fürsten überhaupt bezeichnend. 

2 Er erliess ihnen jedoch diese Strafe auf Fürsprache des Herodes 
( J. A. XIV, 13, 1). 


Go gle 



78 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Gefallenen und die Pflege der Verwundeten liess übrigens 
Hyrkanus sich angelegen sein. Diejenigen aber, die 
dem Blutbad entronnen waren, hielten sich gleichwohl 
nicht ruhig, sondern reizten die Bevölkerung der 
Umgegend dergestalt auf, dass Antonius in gewaltige 
Erbitterung geriet und nun auch die Gefangenen noch 
hinrichten liess. 


Dreizehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 13, 3 — 13, 10. 

Die Parther setzen Antigonus wieder auf den Thron. 

Hyrkanus gefangen, Herodes flüchtig. Plünderung 
Jerusalems. Phasaels Tod. 

1. Zwei Jahre darauf, als der parthische Satrap 
Barzapharnes und Pakorus, des Partherkönigs 1 Sohn, 
Syrien innehatten, beredete Lysanias, der seinem Vater 
Ptolemaeus Mennaei nach dessen Tod in der Regierung 
gefolgt war, den Satrapen durch das Versprechen von 
eintausend Talenten und fünfhundert Weibern, Antigonus 
wieder auf den Thron zu setzen und Hyrkanus zu 
stürzen. Pakorus ging hierauf ein und zog selbst der 
Meeresküste entlang, während er Barzapharnes durch 
das Binnenland vorrücken hiess. Von den Küsten- 
bewohnern schlossen die Tyrier vor Pakorus ihre Thore, 
während die Bürger von Ptolemais und Sidon ihn auf- 
nahmen. Er übergab sodann einem königlichen Mund- 
schenk, der mit ihm gleichen Namens war, einen Teil 
der Reiterei und befahl ihm, in Judaea einzufallen, 
die Lage der Feinde auszukundschaften und dem 
Antigonus, soweit erforderlich, Hilfe zu leisten. 

2. Während nun diese Truppenabteilung verheerend 
das Karmelgebiet durchzog, strömten viele Juden bei 
Antigonus zusammen und erklärten sich bereit, an dem 
Einfall teilzunehmen. Antigonus schickte sie in den 


1 Orodes I. 



Erstes Buch, 13. Kapitel. 19 

sogenannten Eichwald 1 voraus, um diese Gegend zu be- 
setzen. In dem Kampf, der sich dort entwickelte, schlugen 
sie die Feinde zurück, setzten ihnen nach, eilten nach 
Jerusalem und gelangten, unterwegs durch Zuzüge noch 
verstärkt, bis vor den Königspalast. Hier aber rückten 
ihnen Hyrkanus und Phasael mit ansehnlicher Truppen- 
macht entgegen, und auf dem Marktplatz kam es zum 
Treffen, in welchem Herodes mit seinen Kriegern die 
Feinde zur Flucht nötigte und in den Tempel einschloss, 
wo er sie durch sechzig Mann starke, auf den nächst- 
gelegenen Häusern aufgestellte Posten bewachen liess. 
Der den beiden Brüdern feindlich gesinnte Teil des 
Volkes aber griff die Häuser an und verbrannte sie samt 
den Soldaten. Über diesen Verlust erbittert, drang 
Herodes auf seine Gegner ein und machte viele von 
ihnen nieder. So fielen sie sich täglich rotten weise 
einander an, und es war des Mordens kein Ende. 

3. Um diese Zeit fiel das Fest Pentekoste 2 ein, und 
es füllte sich infolgedessen die Umgebung des Tempels 
sowie überhaupt die ganze Stadt mit einer Menge meist 
bewaffneter Landleute. Phasael hatte die Mauer, Herodes 
mit einer kleinen Schar den Königspalast besetzt» 
Letzterer machte nun auf der Nordseite Ausfälle gegen 
die ungeordneten feindlichen Haufen, metzelte einen 
grossen Teil derselben nieder, trieb die übrigen in die 
Flucht und schloss die einen in die Stadt, die anderen 
in den Tempel, wieder andere in die äussere Umwallung 
ein. Da schlug Antigonus vor, den Pakorus als Ver- 
mittler in die Stadt einzulassen. Phasael ging darauf 
ein und nahm den Parther nebst fünfhundert Reitern 
gastfreundlich auf, wie, wohl derselbe nur dem Anschein 
nach zur Beschwichtigung der Unruhen, in Wahrheit 
vielmehr zur Unterstützung des Antigonus kam. Pakorus 
beredete sodann heimtückischerweise den Phasael, behufs 


1 Ein Holzland am Fusse des Karmel. 

1 Pfingst- oder Erntedankfest, gefeiert am fünfzigsten (izsvxrp oarrj) 
Tag© nach dem Pascha- oder Osterfeste. 


Go gle 



80 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Beilegung des Zwistes als Gesandter zu Barzapharnes zu 
gehen , obgleich Herodes seinem Bruder eindringlich 
davon abriet und ihn aufforderte, lieber den Arglistigen 
aus dem Wege zu räumen, als sich seiner Tücke preis- 
zugeben; denn die Barbaren seien von Natur treulos. 
Phasael aber ging trotzdem mit Hyrkanus hinaus, und 
Pakorus liess, um weniger Verdacht zu erregen, bei 
Herodes einige von den Reitern zurück, die man die 
Freien nannte, während er mit den übrigen dem Phasael 
das Geleit gab. 

4. Als Hyrkanus und Phasael in Galilaea anlangten, 
trafen sie die Bewohner des Landes in bewaffnetem 
Aufruhr. Ihre Begleiter planten nun mit Barzapharnes 
tückische Anschläge und redeten diesem zu, er solle den 
Verrat hinter Freundschaftsbezeugungen verdecken. In- 
folgedessen machte der Satrap ihnen zunächst Geschenke ; 
kaum jedoch waren sie abgezogen, so setzte er seine 
Ränke ins Werk. Die beiden aber kamen hinter die 
Schliche, als man sie an einen Küstenort Namens Ekdippon 
führte. Dort nämlich hörten sie von den versprochenen 
tausend Talenten und vernahmen auch, dass unter 
den fünfhundert Weibern, die Antigonus den Parthern 
zugesagt, der grösste Teil ihrer eigenen Frauen sich be- 
finden solle. Ferner erfuhren sie, dass die Barbaren 
ihnen jede Nacht Hinterhalte gelegt hätten, und dass 
ihre Gefangennehmung wohl schon längst zur Thatsache 
geworden wäre, wenn man damit nicht hätte warten 
wollen, bis Herodes in Jerusalem verhaftet und so daran 
gehindert sei, auf die Kunde von ihrem Schicksal Vorsich ts- 
massregeln zu ergreifen. Und dass es sich bei alledem 
nicht etwa nur um leeres Geschwätz handelte, ging 
daraus hervor, dass sie in der Ferne bereits die ihretwegen 
aufgestellten Wächter erblicken konnten. 

5. Obwohl nun ein gewisser Ophellius, der von 
Saramallas, dem reichsten Syrer der damaligen Zeit, den 
ganzen Anschlag erfahren hatte , dem Phasael dringend 
zur Flucht riet, konnte dieser es doch nicht über sich 
bringen , Hyrkanus im Stich zu lassen. Er begab sich 



Erstes Buch, 13. Kapitel. 


81 


vielmehr geradeswegs zu dem Satrapen und machte ihm 
ins Gesicht hinein Vorwürfe wegen seines Verrates und 
ganz besonders wegen seiner Geldgier, die ihn dazu 
verleitet habe. Sodann bot er ihm für seine Rettung 
eine grössere Summe, als Antigonus sie ihm für die 
Wiedergewinnung des Thrones # versprochen hatte. Der 
Parther aber in seiner Verschmitztheit suchte durch 
Ausflüchte und Eidschwüre den Verdacht von sich ab- 
zuwälzen und begab sich zu Pakorus. Alsbald nun 
nahmen einige der zurückgebliebenen Parther, die hierzu 
Befehl erhalten hatten, Phasael und Hyrkanus gefangen, 
die ihrerseits es an Verwünschungen wegen des gegen 
sie verübten Treubruches und Meineides nicht fehlen 
Hessen. 

6. Unterdessen bemühte sich der von den Parthern ge- 
sandte Mundschenk, auch den Herodes in seine Gewalt 
zu bekommen, indem er ihn dem erhaltenen Auftrag 
gemäss vor die Mauern herauszulocken suchte. Wie aber 
Herodes von Anfang an gegen die Barbaren Verdacht 
geschöpft hatte, so auch jetzt, als er erfuhr, dass ein 
Brief, der ihm die gegen seine Person gerichteten An- 
schläge zur Kenntnis bringen sollte, den Feinden in die 
Hände gefallen sei. Er hütete sich deshalb, die Stadt 
zu verlassen, obwohl Pakorus ihm in unverfänglichster 
Weise hatte sagen lassen, er solle nur getrost den Über- 
bringern des Briefes en tgegen gehen ; denn die Feinde 
hätten das Schreiben keineswegs aufgefangen, auch ent- 
baltf dasselbe nichts von einem heimtückischen Anschlag, 
sondern nur Nachricht über das, was Phasael zuwege 
gebracht habe. Zufällig aber hatte Herodes schon von 
anderer Seite die Gefangennahme seines Bruders erfahren. 
Auch fand sich des Hyrkanus Tochter Mariamne 1 , eine 
sehr verßtändige Frau, bei ihm ein und beschwor ihn, 
in der Stadt zu bleiben und sich nicht den Barbaren 
anzuvertrauen, die ihm doch offenbar nach dem Leben 
trachteten. 


1 Seine zukünftige Schwiegermutter. 
Josephus, jüdischer Krieg. 


6 



82 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


7. Während nun Pakorus und seine Leute noch 
überlegten, wie sie insgeheim ihre Absichten verwirklichen 
könnten, da man mit offener Gewalt einem so schlauen 
Manne wohl nichts anzuhaben vermöge, kam Herodes 
ihnen zuvor und entfloh in der Nacht, ohne dass die 
Feinde es gewahr wurden, mit seinen nächsten An- 
gehörigen auf Idumaea zu. Kaum hatten die Parther 
dies erfahren, als sie ihm sogleich nachsetzten. Herodes 
liess nun seine Mutter, seine Schwester, seine Braut 1 
nebst deren Mutter und den jüngsten von seinen Brüdern 
vorausziehen, während er selbst mit seinen Kriegern 
zum Schutze seiner Verwandten die Barbaren aufhielt 
und bei jedem Angriff eine Menge von ihnen nieder- 
machte. So erreichte er endlich wohlbehalten die Festung 
Masada. 

8. Mehr noch als die Parther machten ihm übrigen» 
auf seiner Flucht die Juden zu schaffen, die ihn be- 
ständig bedrängten und ihm, als er sechzig Stadien von 
der Stadt entfernt war, sogar ein regelrechtes Treffen 
von ziemlich langer Dauer lieferten. Herodes aber 
schlug sie und richtete ein grosses Gemetzel unter ihnen 
an. Später gründete er an dieser Stelle zum Andenken 
an den Sieg eine Ortschaft, die er mit den prächtigsten 
Palästen schmückte, durch eine sehr starke Burg be- 
festigte und nach seinem Namen Herodium 2 nannte« 
Auf seiner damaligen Flucht nun hatten sich täglich 
eine Menge Leute an ihn angeschlossen, so dass, als er 
nach Thresa in Idumaea kam, sein Bruder Joseph > der 
ihm bis dahin entgegen gezogen war, ihm den Rat gab, 
die meisten seiner Begleiter zu entlassen, da Masada 
eine solche Menschenmenge nicht fassen könne. Es 
waren ihrer nämlich über neuntausend an der Zahl. 
Herodes befolgte den Rat, entliess diejenigen, welche 
ihm mehr lästig als nützlich waren, mit Reisegeld in 
verschiedene Gegenden Idumaeas und gelangte mit den 


1 Die Tochter von Aristobulus’ 8ohn Alexander (s. 1, 12, 3). 

2 J. A. XIV, 13, 9 heisst sie Herodia«. 



Erstes Buch, 1 3. Kapitel. 


83 


vertrautesten und rüstigsten seiner Leute, die er bei 
sich behielt, glücklich in die Festung. Dort liess er 
zum Schutze der Frauen achthundert Mann mit allen 
Vorräten für den Fall einer Belagerung zurück und 
begab sich selbst nach Petra in Arabien. 

9. In Jerusalem ergaben sich unterdessen die Parther 
der Plünderung, brachen in die Häuser der Entflohenen 
und in den Königspalast ein und liessen nur den Schatz 
des Hyrkanus unangetastet, der jedoch nicht mehr wie 
dreihundert Talente betrug. Im übrigen fiel ihnen nicht 
so grosse Beute in die Hände, als sie wohl erwartet 
hatten ; denn Herodes, der schon längst einer Treulosigkeit 
von seiten der Barbaren sich versah, hatte seine grössten 
Kostbarkeiten bereits früher nach Idumaea bringen 
lassen , und das nämliche hatten auch seine Anhänger 
gethan. Nach dieser Plünderung gingen die Parther in 
ihrem Übermute so weit, dass sie ohne förmliche Kriegs- 
erklärung das ganze Land verheerend durchzogen, die 
Stadt Marissa zerstörten und nicht nur den Antigonus 
als König einsetzten, sondern ihm auch Phasael und 
Hyrkanus in Fesseln zur Peinigung überantworteten. 
Dem Hyrkanus nun, der vor ihm auf die Knie gesunken 
war, biss Antigonus selbst die Ohren ab 1 , damit er in 
Zukunft bei einer etwaigen Staatsumwälzung nie wieder 
das Hohepriesteramt bekleiden könne ; denn nur körperlich 
Fehlerfreie dürfen dieser Würde teilhaftig werden. 

10. Was Phasael anlangt, so kam dessen Charakter- 
stärke dem Antigonus zuvor. Da er nämlich weder ein 
Schwert erfassen konnte noch sonst seiner Hände mächtig 
war, zerschmetterte er sich den Kopf an einer Stein- 
wand. Sein heldenmütiger Tod erwies ihn als echten 
Bruder des Herodes und liess den Hyrkanus nur um 
so erbärmlicher erscheinen. Übrigens entsprach das 
Ende, das er sich selbst erwählte, ganz den Thaten, die 
er während seines Lebens vollbracht hatte. Es wird 
auch behauptet, er habe sich von der Verwundung 


1 Nach J. A. XIV, 13, 10 liess er sie ihm abschneiden. 

6 * 




84 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


wieder erholt, und erst ein Arzt, der von Antigonus 
unter dem Schein, ihm Hilfe an gedeihen lassen zu 
wollen, geschickt worden sei, habe die Wunde mit einem 
todbringenden Gift gefüllt und ihn so ums Leben 
gebracht. Mag nun das eine oder das andere der Wahr- 
heit entsprechen, jedenfalls war die zuerst erwähnte That 
die eines Helden. Kurz vor seinem Verscheiden soll er, 
als er von einem Weibe die Kunde erhielt, dass Herodes 
entkommen sei, noch gesagt haben: „Nun gehe ich 
frohen Mutes von hinDen, da ich denjenigen lebend 
hinterlasse, der mich an meinen Feinden rächen wird." 

11. So endete Phasael. Die Parther aber verschafften, 
obwohl ihnen die Weiber, nach denen es sie am meisten 
gelüstete, entgangen wareD, dem Antigonus dennoch den 
vollen Besitz der Herrschaft in Jerusalem und führten 
den Hyrkanus gefangen mit sich nach Parthien fort 1 . 


Vierzehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 14, 1 — 14, 5. 

Herodes begiebt sich nach Rom, wo er durch Vermittlung 
von Antonius und Caesar Octavianus zum Könige der 
Juden ernannt wird. 

1. Herodes beschleunigte nun in der Meinung, sein 
Bruder sei noch am Leben, seine Reise nach Arabien, 
um vom Könige Geld zu erhalten, das einzige Mittel, 
wodurch er die Habsucht der Barbaren zu gunsten 
Phasaels beeinflussen zu können hoffte. Für den Fall 
aber, dass der Araber die Freundschaft seines Vaters 
vergessen haben und zu kleinlich sein sollte, ihm das 
Lösegeld zu schenken, gedachte er dasselbe von ihm zu 
leihen und den siebenjährigen Sohn Phasaels, den er 
mit sich genommen, ihm als Pfand zu belassen. Drei- 
hundert Talente war er gewillt als Lösegeld den Parthern 
zu zahlen, und zwar beabsichtigte er, sich dabei der 

1 40 v. Ckr. 


Go gle 





Erstes Buch, 14. Kapitel. 


85 


Vermittlung der Tyrier zu bedienen. Das Schicksal 
aber war seinem Eifer zuvorgekommen: Phasael war 
tot, und des Herodes liebevolles Eintreten zu gunsten 
seines Bruders somit zwecklos geworden. Zudem fand 
er auch, dass von der alten Freundschaft der Araber 
keine Spur mehr vorhanden war. Ja, ihr König Malichus 
sandte ihm sogar den Befehl entgegen, das Land 
schleunigst zu verlassen, wobei die Parther als Vorwand 
herhalten mussten. Dieselben sollten nämlich durch 
eine Gesandtschaft an Malichus das Ersuchen gerichtet 
haben, Herodes aus Arabien hinauszu weisen , während 
es doch in Wirklichkeit dem Könige nur darum zu thun 
war, das, was er Antipater sohuldete, zu behalten, ohne 
sich durch dessen Geschenke veranlasst zu fühlen , nun 
auch seinen in Not befindlichen Söhnen Hilfe zu leisten. 
Den Rat zu diesem unverschämten Benehmen erteilten 
ihm solche Menschen, die gleichfalls Lust hatten, das 
von Antipater in Verwahr gegebene Geld zu unter- 
schlagen, und es waren das gerade die mächtigsten seiner 
Höflinge. 

2. Als Herodes merkte, dass die Araber aus eben 
dem Grunde, der ihn bewogen hatte, auf ihre gute 
Freundschaft zu rechnen, seine Feinde geworden waren, 
antwortete er dem Boten, wie sein Schmerz es ihm 
eingab, und wandte sich nach Aegypten. Hier bezog 
er am ersten Abend sein Nachtquartier in einem Tempel 
auf dem Lande, wo er mit seinem Gefolge, das er ver- 
lassen hatte, wieder zusammentraf. Als er nun tags 
darauf in Rhinokorura anlangte, erfuhr er daselbst den 
Tod seines Bruders, und obwohl ihn einerseits die Trauer 
darüber niederbeugte, fühlte er sich anderseits doch auch 
von einer drückenden Sorge befreit und setzte seine 
Reise fort. Dem Araber war mittlerweile sein Benehmen 
leid geworden, und so sandte er eiligst Boten hinter dem 
Gekränkten her, um ihn zurückrufen zu lassen — doch 
zu spät, denn Herodes war ihnen schon weit voraus und 
in Pelusium angekommen. Hier verweigerten ihm die 
vor Anker liegenden Schiffe die Überfahrt, weshalb er 



86 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sich an die Vorsteher der Stadt wandte, die aus Achtung 
vor dem berühmten und hochstehenden Manne ihn nach 
Alexandria geleiten Hessen. Daselbst ward er von Kleo- 
patra glänzend empfangen, weil sie an ihm einen Feld- 
herrn für den Krieg, zu dem sie gerade rüstete, zu ge- 
winnen hoffte. Herodes indes wies die Anträge der 
Königin zurück und schiffte sich, ohne die Strenge des 
Winters oder die Unruhen in Italien zu fürchten, nach 
Rom ein. 

3. In der Nähe von Pamphylien aber. geriet er in 
einen gefahrvollen Seesturm , musste den grössten Teil 
der Ladung über Bord werfen und rettete sich nur mit 
genauer Not nach Rhodus, das im Kriege gegen Cassius 
gewaltig gelitten hatte. Hier wurde er von seinen 
Freunden Ptolemaeus und Sappinius 1 aufgenommen und 
liess, obwohl er sich in Geldnot befand, einen sehr 
grossen Dreiruderer erbauen, in welchem er mit seinen 
Freunden nach Brundusium fuhr. Von da begab er 
sich sogleich nach Rom; suchte mit Rücksicht auf die 
freundschaftlichen Beziehungen seines Vaters zu Antonius 
den letzteren auf, berichtete ihm sein und seiner Familie 
Missgeschick und stellte ihm besonders vor, wie er jetzt 
seine nächsten Angehörigen in einer Festung unter den 
Gefahren der Belagerung habe zurücklassen müssen und 
trotz Winter und Meeressturm als Hilfesuchender zu 
ihm geeilt sei. 

4. Solchem Unglück vermochte Antonius sein Mitleid 
nicht zu versagen, und in dankbarer Erinnerung an die 
Gastfreundlichkeit Antipaters sowie in Anerkennung der 
vortrefflichen Eigenschaften des Herodes beschloss er, 
den früher von ihm ernannten Tetrarchen nunmehr zum 
Könige der Juden zu machen 2 . Nicht minder wie sein 
Wohlwollen für Herodes veranlasste ihn hierzu sein 
Hass gegen Antigonus 3 , den er für einen Aufrührer 

1 Nach J. A. XIV. 14, 3 hiess er Sappinas. 

2 39 y. Chr. 

3 Herodes hatte ihm übrigens auch Geld versprochen (s. J. A. 
XIV, 14, 4). 



Erstes Buch, 1 5. Kapitel. 


87 


und Römerfeind hielt. An Bereitwilligkeit that es ihm 
übrigens Caesar (Octavianus) noch zuvor. Denn dieser 
gedachte des Kriegszuges, den Antipater mit seinem 
Vater in Aegypten unternommen hatte, sowie seiner 
Gastfreundschaft und seines gegen jedermann gefälligen 
Wesens. Zudem hatte er auch seinerseits die Thatkraft 
des Herodes wohl erkannt. Er berief also den Senat, 
in Welchem Messala und danach Atratinus den Herodes 
vorstellten und die gute Gesinnung seines Vaters wie 
auch seine eigene Ergebenheit gegen die Römer hervor- 
hoben. Zugleich bezeichneten sie den Antigonus als 
Feind, nicht nur seiner früheren Vergehen wegen, sondern 
auch deshalb, weil er mit Umgehung der Römer von den 
Parthern seinen Thron sich habe an weisen lassen. 
Diese Ausführungen machten schon ersichtlichen Eindruck 
auf den Senat; als nun aber auch noch Antonius auf- 
trat und zeigte, wie wichtig es für den Krieg gegen die 
Parther sei, wenn Herodes König werde, stimmte man 
allseitig zu. Nach Schluss der Senatssitzung nahmen 
sodann Antonius und Caesar den Herodes in die Mitte 
und begaben sich unter Begleitung der Konsuln und 
der übrigen Würdenträger hinaus, um zu opfern und 
den Beschluss auf dem Kapitolium niederzulegen. 
Antonius aber bewirtete den Herodes am ersten Tage 
seiner Königswürde mit festlichem Mahle. 


Fünfzehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 14, 6 — 15,3. 

Herodes kehrt nach Judaea zurück, nimmt Joppe, entsetzt 
Masada und rückt vor Jerusalem. 

1. Während dieser Zeit belagerte Antigonus die in 
Masada Eingeschlossenen, die zwar sonst mit allen 
Lebensmitteln reichlich versehen waren, aber Mangel an 
Wasser hatten. Aus diesem Grunde beschloss Joseph, 
der Bruder des Herodes, mit zweihundert seiner Leute 



88 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zu den Arabern zu entfliehen, zumal er gehört hatte, 
dass Malichus sein Benehmen gegen Herodes bereue. 
Er hätte auch wirklich die Festung verlassen, wenn 
nicht gerade in der Nacht, da der Ausmarsch stattfinden 
sollte, ein sehr starker Platzregen gefallen wäre. So 
füllten sich die Cisternen wieder mit Wasser, und die 
Flucht* war zwecklos geworden. Die Belagerten unter- 
nahmen nunmehr Ausfälle gegen Antigonus und machten 
teils in offenem Kampfe, teils aus Hinterhalten heraus 
viele von dessen Leuten nieder. Freilich hatten sie 
nicht jedesmal Glück , sondern es kam auch [hier und 
da vor, dass sie sich mit Verlust zurückziehen mussten. 

2. Unterdessen rückte der römische Feldherr Ventidius, 
der den Auftrag hatte, die Parther aus Syrien zu ver- 
treiben, diesen nach und in Judaea ein, angeblich um 
Joseph und dessen Leuten Hilfe zu bringen, in Wirklich- 
keit aber, um von Antigonus Geld zu erpressen. Dicht 
vor den Mauern Jerusalems schlug er sein Lager auf, 
und als seine Geldgier befriedigt war, liess er, während 
er selbst mit dem grössten Teile seiner Truppen abzog, 
den Silo mit einer kleineren Abteilung zurück, um nicht 
durch den Abmarsch des gesamten Heeres seine schmutzige 
Habsucht offenkundig zutmachen. Antigonus nun gab 
die Hoffnung nicht auf, dass die Parther ihm wieder zu 
Hilfe kommen würden, wollte es aber anderseits auch 
mit Silo nicht verderben, damit dieser seine Pläne nicht 
durchkreuze. 

3. Schon aber war Herodes von Italien her inPtole- 
mais gelandet, hatte ein nicht unbeträchtliches Heer 
von Fremden und Einheimischen gesammelt und zog 
eilends durch Galilaea gegen Antigonus heran, unter- 
stützt von Ventidius und Silo, welche Dellius, der Ab- 
gesandte des Antonius, beauftragt hatte, dem Herodes 
bei seiner Einsetzung behilflich zu sein. Ventidius war 
eben im Begriff, in den einzelnen Städten die durch 
die Parther hervorgerufenen Unruhen zu dämpfen, 
während Silo, von Antigonus bestochen, in Judaea ver- 
blieb. Herodes bedurfte übrigens keiner fremden Ver- 



Erstes Buch, 15. Kapitel. 


89 


Stärkungen; denn im Vorrücken vergrösserte sich seine 
Streitmacht tagtäglich, und bald war ganz Galilaea mit 
wenigen Ausnahmen auf seiner Seite. Als wichtigste 
Aufgabe lag ihm zunächst die Einnahme Masadas am 
Herzen, die seine Verwandten von der Belagerung frei- 
machen sollte. Hierbei war ihm aber Joppe im Wege, 
und er musste diese ihm feindliche Stadt jedenfalls 
nehmen, bevor er auf Jerusalem zu weitermarschierte, 
weil sonst den Feinden eine seinen Rücken bedrohende 
Festung verbleiben würde. Nun schloss sich auch Silo 
bereitwillig an ihn an, da er hierin einen willkommenen 
Vorwand zum Aufbruch fand. Die Juden aber ver- 
folgten den Römer und setzten ihm hart zu. Da warf 
sich Herodes mit einer kleinen Schar ihnen entgegen, 
schlug sie schnell in die Flucht und rettete so den Silo, 
der sich übrigens schlecht verteidigte. 

4. Nachdem er nun Joppe genommen, eilte er nach 
Masada, um seine Angehörigen zu befreien. Von den 
Einheimischen schlossen sich jetzt die einen aus alter, 
noch von seines Vaters Zeit herrührender Freundschaft, 
die anderen aus Begeisterung für seinen eigenen Ruhm 
oder aus Dankbarkeit für die von Vater und Sohn 
erhaltenen Wohlthaten an ihn an; die meisten freilich 
führte ihm die Hoffnung zu, die für sie darin lag, dass 
er des Thrones so gut wie sicher sein konnte. So hatte 
er denn bald eine gewaltige Streitmacht um sich ver- 
sammelt. Als er nun vorrückte, stellte Antigonus ihm 
zwar nach, indem er an passenden Plätzen Hinterhalte 
legte, konnte ihm aber damit wenig oder gar keinen 
Schaden thun. Herodes entsetzte sodann mit leichter 
Mühe die Seinen in Masada, nahm auch noch die 
Festung Resa 1 und rückte auf Jerusalem zu, begleitet 
von Silos Truppen sowie von vielen Einwohnern der 
Stadt, welche die Furcht vor seiner Macht veranlasst 
hatte, gemeinsame Sache mit ihm zu machen. 

5. Kaum hatte er an der Westseite der Stadt sein 


1 Dasselbe wie Thresa (vgl. 1, 13, 8). 



'90 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Lager errichtet, als die dort aufgestellten Wachen die 
Seinigen mit Pfeilen und Wurfspiessen angriffen und 
einzelne Scharen sogar Ausfälle gegen seine Vorposten 
unternahmen. Daraufhin liess Herodes zunächst der 
Mauer entlang ausrufen, er sei zum Heile des Volkes 
und zur Rettung der Stadt gekommen und wolle deshalb 
nicht einmal seinen erklärten Gegnern etwas zuleide 
thun, sondern selbst seinen bittersten Feinden Verzeihung 
für die gegen ihn begangenen Fehler an gedeihen 
lassen. Des Antigonus Anhänger aber veranstalteten 
Gegenkundgebungen und sorgten dafür, dass weder 
jemand auf die Herolde hörte noch zu Herodes überging. 
Unterdessen gab Antigonus den Seinen Befehl, die 
Feinde von der Mauer wegzujagen, und alsbald hatte 
denn auch ein Pfeilregen alles von den Türmen vertrieben. 

6. Da zeigte nun Silo recht deutlich, dass er bestochen 
war. Auf sein Anstiften fing nämlich eine Menge seiner 
Soldaten an, sich laut über Mangel an Proviant zu be- 
klagen, Geld zum Lebensunterhalt zu fordern und zu 
verlangen, dass man sie in ordentliche Winterquartiere 
führe, da die Umgebung der Stadt von den Leuten des 
Antigonus gänzlich ausgeplündert sei. Er brach auch 
in der That auf und schickte sich zum Abzug an. Herodes 
aber wandte sich an den Unterbefehlshaber Silos und 
dessen sämtliche Soldaten mit dem Ersuchen, sie möchten 
ihn, der von Caesar (Octavianus) , Antonius und dem 
Senat hergesandt worden sei, doch nicht im Stiche lassen; 
denn noch am selben Tage werde er ihrer Not ein Ende 
machen. Und sogleich, nachdem er diese Bitte ausgesprochen , 
zog er aufs Land hinaus und brachte ihnen eine solche 
Menge Proviant mit, dass dem Silo jeder Vorwand be- 
nommen war. Damit aber auch für die folgenden Tage 
die Zufuhr gesichert sei, liess er den Samaritanern, deren 
Stadt zu ihm hielt, die Weissagung zugehen, Getreide, 
Wein, öl und Vieh nach Jericho zu schaffen. Sobald 
Antigonus dies vernahm, schickte er Truppen ab teilungen 
in die Umgegend, welche die Proviantkolonnen anhalten 
und abfangen sollten. Seinem Befehl gemäss wurde nun 



Erstes Buch, 16. Kapitel. 


91 


eine grosse Menge Bewaffneter um Jericho herum auf- 
geboten und in den Bergen verteilt, um die Züge mit 
Lebensmitteln zu erspähen. Doch auch Herodes . blieb 
nicht unthätig, sondern erschien mit zehn Kohorten, fünf 
römischen und fünf jüdischen, sowie einer Anzahl Soldner 
verschiedener Nationalität und einigen Reitern vor Jericho. 
Die Stadt selbst fand er verlassen ; in die Burg dagegen 
hatten sich fünfhundert Mann mit Weib und Kind ge- 
flüchtet, die er gefangen nahm, aber alsbald wieder freiliess. 
Nun stürzten sich die Römer in die Stadt, um zu plündern, 
und fanden die Häuser voll von Schätzen aller Art 
Sodann liess der König eine Besatzung in Jericho zurück, 
kehrte um und liess das römische Heer in den ihm er- 
gebenen Städten Idumaeas , Galilaeas und Samarias 
Winterquartiere beziehen. Auch Antigonus erlangte 
übrigens von Silo durch Bestechung die Erlaubnis, einen 
Teil des römischen Heeres in Lydda aufnehmen zu dürfen, 
wodurch er sich die Gunst des Antonius zu erwerben 
gedachte. 


Sechzehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 15, 4 — 15, 9. 

Herodes nimmt Sepphoris und bezwingt die Räuber. 

Des Machaeras Zweideutigkeit. Herodes geht nach 
Samosata zu Antonius. 

1. So Hessen sich’s denn die Römer während der 
Waffenruhe recht wohl sein. Herodes aber blieb nicht 
unthätig, sondern liess seinen Bruder Joseph mit zwei- 
tausend Fusssoldaten und vierhundert Reitern Idumaea 
besetzen, um das Land vor einem Handstreich des 
Antigonus zu schützen. Er selbst brachte seine Mutter 
nebst den andern aus Masada befreiten Verwandten nach 
Samaria in Sicherheit und machte sich dann auf, um die 
noch übrigen Plätze Galilaeas zu erobern und die von 
Antigonus dorthin gelegten Besatzungen zu vertreiben. 



92 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


2. Im heftigsten Schneegestöber kam er vor Sepphoris 
an und nahm die Stadt mit leichter Mühe ein, da die 
Besatzung bei seinem Anmarsch entflohen war. Nachdem 
er hierauf seine vom Unwetter hart mitgenommenen 
Krieger an den reichlich vorhandenen Lebensmitteln sich 
hatte gütlich thun lassen, brach er gegen die in Höhlen 
wohnenden Räuber auf, deren häufige Streifzüge den Be- 
wohnern des Landes ebenso lästig geworden waren, wie ein 
förmlicher Krieg. Drei Kohorten Fusssoldaten und eine 
Reiterabteilung schickte er bis zu dem Dorfe Arbela 
voraus und folgte selbst am vierzigsten Tage mit dem 
Rest seiner Truppen nach. Die Feinde aber fürchteten 
seinen Angriff nicht, sondern setzten sich mit den Waffen 
in der Hand zur Wehr; besassen sie doch ebensowohl 
die Erfahrung von Kriegern , als die Kühnheit von 
Räubern. So kam es zum Treffen, in welchem zunächst 
der feindliche rechte Flügel den linken des Herodes zum 
Weichen brachte. Schnell aber machte Herodes mit 
seinem rechten Flügel eine Schwenkung, kam den 
Seinen zu Hilfe, hielt sie von weiterer Flucht ab und 
brach, über die Verfolger herfallend, deren Andrang, bis 
er sie endlich nach hitzigem Kampfe in die Flucht schlug. 

3. Unter stetem Gemetzel setzte er ihnen nun bis 
zum Jordan nach und rieb den grössten Teil von ihnen 
auf, während der Rest sich auf der anderen Flussseite 
zerstreute. So war denn Galilaea von seinem Haupt- 
schrecken befreit, und es blieb nur noch das Gesindel 
in den Höhlen übrig, dessen Bekämpfung freilich längeren 
Aufenthalt verursachte. Herodes verteilte deshalb zunächst 
unter seine Soldaten Belohnungen für die ausgestandenen 
Strapazen, indem er ihnen Mann für Mann hundertfünfzig 
Silberdrachmen 1 , den Hauptleuten aber noch viel mehr 
zahlen liess. Hierauf schickte er sie in die Winter- 
quartiere und gab seinem jüngsten Bruder Pheroras den 
Auftrag, ihnen Proviant zu verschaffen und Alexandrium 
zu befestigen, was derselbe denn auch besorgte. 


1 Eine (attische) Drachme = 79 Pfennige. 


Go gle 



Erstes Buch, 16. Kapitel. 


93 


4. Um diese Zeit hielt Antonius sich in Athen auf. 
Ventidius aber 1 entbot Silo und Herodes zum Kriege 
gegen die Parther 2 , jedoch mit dem Auftrag, zuvor die 
Ordnung herzustellen. Herodes liess nun mit Vergnügen 
den Silo allein zu Ventidius stossen, während er selbst 
sich gegen die Räuber in den Höhlen aufmachte. Diese 
Höhlen lagen in steilen Bergabhängen und waren von 
keiner Seite her zugänglich; nur ganz schmale und 
schiefe Pfade führten zu ihnen hinauf, und die Fels- 
masse, an der sich ihre Eingänge befanden, fiel in sehr 
tiefe Schluchten ab, aus denen sie sich fast senkrecht 
und wild zerklüftet erhob. Geraume Zeit liess dieses 
schwierige Terrain den König zu keinem rechten Ent- 
schluss kommen, bis er endlich auf eine höchst ge- 
fährliche Erfindung verfiel. Er befahl nämlich, die 
stärksten seiner Leute in Kästen bis zu den Höhlen- 
öffnungen hinabzulassen. Diese Krieger machten dann 
die Räuber samt deren Familien nieder und schleuderten 
Feuerbrände auf die, welche sich zur Wehr setzten. 
Gern hätte nun Herodes einige von ihnen lebend in 
seine Gewalt bekommen und liess sie daher durch einen 
Herold auffordern, sich zu ihm zu verfügen. Niemand 
aber ergab sich freiwillig, und von denen, die dazu 
genötigt wurden, zogen viele den Tod der Gefangenschaft 
vor. Ja, ein greiser Räuber, Vater von sieben Kindern, 
tötete sogar diese seine Söhne nebst ihrer Mutter, als 
sie ihn baten, auf Treu und Glauben hinausgehen zu 
dürfen, in folgender Weise. Er stellte sich selbst an 
den Eingang der Höhle , hiess seine Söhne einzeln 
hervorkommen und stiess dann jeden, wie er bei ihm 
anlangte, nieder. Herodes, der das von fern sah, 
streckte, von Mitleid bewegt, dem Greise seine Rechte 
entgegen und beschwor ihn, doch seiner Kinder zu 
schonen. Der Alte aber mochte davon nichts hören, 
sondern ergoss sich in Schmähungen gegen Herodes 


1 Der sich in Syrien befand (s. J. A. XIV, 15, 5). 

2 38 v. Chr. 


Go gle 



94 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


wegen dessen niedriger Herkunft, tötete dann auch noch 
sein Weib, warf* die Leichen in den Abgrund und stürzte 
zuletzt sich selbst ihnen nach. 1 

5. Auf diese Weise bemächtigte sich Herodes der 
Höhlen und ihrer Bewohner. Sodann liess er einen Teil 
des Heeres, der ihm zur Niederwerfung etwaiger Em- 
pörungen stark genug zu sein schien , unter dem Kom- 
mando des Ptolemaeus zurück und zog selbst mit drei- 
tausend Fusssoldaten und sechshundert Reitern nach 
Samaria gegen Antigonus. Kaum aber war er fort, so 
fassten diejenigen, die auch früher die Unruhen in Galilaea 
gestiftet hatten, wieder Mut, töteten den Ptolemaeus bei 
einem plötzlichen Überfall, verwüsteten das Land und 
zogen sich dann in Sümpfe und unwegsame Gegenden 
zurück. Auf die Nachricht von diesem Aufruhr eilte 
Herodes schnell zur Hilfe herbei, machte eine Menge 
Empörer nieder, entsetzte alle belagerten Festungen und 
trieb von seinen Feinden zur Strafe für die Ruhestörungen 
hundert Talente ein. 

6. Inzwischen waren die Parther aus dem Lande ver- 
trieben und Pakorus getötet worden , und nun sandte 
Ventidius auf Antonius' Befehl dem Herodes tausend 
Reiter nebst zwei Legionen gegen Antigonus zu Hilfe. 
Letzterer aber richtete an Machaeras, den Befehlshaber 
der Truppen, die schriftliche Bitte, er möge auf seine 
Seite treten. Dabei führte er bittere Klage über des 
Herodes Gewaltthätigkeit und dessen anmassendes Be- 
nehmen gegenüber dem Königshause, und versprach 
ihm zugleich ein Geldgeschenk. Machaeras jedoch hütete 
sich, es mit dem zu verderben, der ihn gesandt hatte, 
und da Herodes auch besser zahlte, war er für den Ver- 
rat nicht zu haben, trug aber eine freundliche Gesinnung 
zur Schau und ging trotz der Warnung des Herodes 
hin, um des Antigonus Lage auszukundschaften. An- 


1 Nach Paret waren diese von Joaephus als „Räuber“ gebrand- 
markten Juden zweifellos zugleich Patrioten, die sich der idumäisch- 
römischen Fremdherrschaft widersetzten. 



Erstes Bach, 1 6. Kapitel. 


95 


tigonus indes durchschaute seine Absicht, verschloss ihm 
die Stadtthore und wehrte sich von der Mauer herab 
gegen ihn wie gegen einen Feind, so dass Machaeras 
schliesslich beschämt zu Herodes hach Ammaus zurück- 
kehren musste. Unterwegs liess er aus Zorn über seinen 
Misserfolg sämtliche Juden , die ihm in die Quere kamen, 
niederhauen und schonte dabei nicht einmal die An- 
hänger des Herodes, sondern behandelte sie, als hielten 
sie alle zu Antigonus. 

7. Hierdurch aufgebracht, beschloss Herodes, gegen 
Machaeras wie gegen einen Feind zu Felde zu ziehen. 
Doch bezwang er seinen Groll und eilte zu Antonius, 
um ihn wegen seines nichtswürdigen Benehmens zu ver- 
klagen. Machaeras aber hatte unterdessen seinen Fehler 
eingesehen, reiste dem Könige eilends nach und ver- 
söhnte ihn durch eindringliche Bitten. Gleichwohl gab 
Herodes seine Beise zu Antonius nicht auf, sondern da 
er vernommen hatte, derselbe belagere mit einem starken 
Heere die Festung Samos ata am Euphrat, beeilte er sich 
nur um so mehr in der Erkenntnis, eine gute Gelegen- 
heit erwischt zu haben, um seine Tapferkeit zeigen und 
sich dem Antonius noch gefälliger beweisen zu können. 
Wirklich ging auch nach seiner Ankunft die Belagerung 
rasch zu Ende. Weil er nun eine Menge Barbaren 
niedergemetzelt und reiche Beute eingebracht hatte, ward 
Antonius, der schon zuvor ein Bewunderer seiner Tapfer- 
keit gewesen, in noch höherem Grade für ihn ein- 
genommen; er fügte daher zu den früheren Ehren- 
bezeugungen viele neue hinzu und steigerte seine Hoff- 
nung auf den Königsthron. Der König Antiochus 1 aber 
war genötigt, Samosata zu übergeben. 


1 Von Kommagene, dessen Hauptstadt Samosata war. 



96 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Siebzehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 15, 10 — 16, 1. 

Des Herodes Bruder Joseph wird getötet. Bestrafung 
des Mörders. Herodes belagert Jerusalem und heiratet 
die Mariamne. 

1. Unterdessen aber erlitt des Herodes Sache in 
Judaea selbst einen empfindlichen Schlag. Er hatte 
nämlich seinen Bruder Joseph als Oberbefehlshaber 
zurückgelassen mit der Weisutig, bis zu seiner Rückkehr 
sich jeder kriegerischen Bewegung gegen Antigonus zu 
enthalten , da Machaeras seinem bisherigen Benehmen 
zufolge ein durchaus unzuverlässiger Bundesgenosse sei. 
Sobald jedoch Joseph seinen Bruder in weiter Ferne 
wusste, rückte er unter Missachtung jenes Befehls mit 
fünf von Machaeras ihm mitgegebenen Kohorten gegen 
Jericho aus, um das bereits zur Ernte reife Getreide zu 
rauben. In dem gebirgigen und unwegsamen Terrain 
aber griffen ihn die Feinde an, und nach heldenmütigem 
Kampfe fiel er selbst sowie die gesamte römische Heeres- 
abteilung. Die Kohorten bestanden nämlich durchweg 
aus syrischen Rekruten und ermangelten der sogenannten 
Veteranen 1 , die imstande gewesen wären, ihren noch 
unerfahrenen Kameraden einen festen Halt zu geben. 

2. Dem Antigonus indes genügte der Sieg allein noch 
nicht, sondern er verstieg sich in seiner Erbitterung so- 
gar dazu, sich an Josephs Leichnam zu vergreifen. Nach- 
dem er nämlich die Gefallenen hatte sammeln lassen, 
befahl er, ihm das Haupt abzuschlagen, obwohl Josephs 
Bruder Pheroras fünfzig Talente Lösegeld dafür geben 
wollte. Auf diesen Sieg des Antigonus folgte eine Em- 
pörung in Galilaea, die so weit ging, dass die zu 
Herodes haltenden Grossen von den Anhängern des 
Antigonus an den See 2 geschleppt and ertränkt wurden. 
Auch in Idumaea, wo Machaeras eben ein Kastell mit 


1 Hier altgediente, nicht ausgediente Soldaten bezeichnend. 

2 Genezareth. 



Erstes Buch, 17. Kapitel. 


97 


Namen Gittha wieder befestigte, fing es gewaltig an zu 
gären. Von all diesen Vorgängen wusste übrigens He- 
rodes noch niehts. — Nach dem Falle von Bamosata 1 
hatte Antonius den ßosius zum Statthalter von Syrien 
ernannt und ihm aufgetragen, Herodes gegen Antigonus 
zu unterstützen, während er selbst sich wieder nach 
Aegypten begab. Daraufhin schickte ßosius für Herodes 
Hilfstruppen in der Stärke von zwei Legionen nach 
Judaea voraus und folgte selbst mit dem übrigen Teile 
seines Heeres ihnen auf dem Fusse nach. 

3. Herodes befand sich gerade zu Daphne bei An- 
tiochia, als ihm durch deutliche Träume der Tod seines 
Bruders verkündet wurde. Voller Bestürzung darüber 
war er eben aus dem Bette gesprungen, da traten die 
Unglücksboten bei ihm ein. Nur kurze Zeit indes über- 
liess er sich seinem Schmerz, schob vielmehr die weitere 
Trauer hinaus und eilte dem Feinde entgegen. In fast 
unglaublichen Eilmärschen erreichte er den Libanon, 
wo er achthundert von den Gebirgsbewohnern anwarb 
und auch eine Legion Römer vorfand. Mit dieser Streit- 
macht fiel er nun, ohne auch nur den Anbruch des 
Tages abzuwarten, in Galilaea ein und warf die ihm 
entgegenrückenden Feinde wieder in die Festüng, aus 
der sie sich hervorgewagt hatten. Unverzüglich be- 
stürmte er nun den Platz, wurde aber, ehe es zur Er- 
oberung kam, durch ein fürchterliches Unwetter ge- 
zwungen, in den benachbarten Dörfern Quartier zu be- 
ziehen. Als dann nach wenigen Tagen auch die zweite 
von Antonius gesandte Legion zu ihm stiess, räumten 
die Feinde aus Furcht vor seiner Übermacht bei Nacht 
die Festung. 

4. Hierauf eilte er durch Jericho, um sobald wie 
möglich an den Mördern seines Bruders Rache zu nehmen. 
Dort erlebte er ein seltsames und wunderbares Ereignis, 
das ihn, weil er wider Erwarten wohlbehalten daraus 


1 Nach Dio Cassius (XLIX, 24) hatte Antonius gegen Samosuta 
nichts ausrichten können. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 7 



98 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


hervorging, in den Ruf brachte, ein besonderer Liebling 
der Gottheit zu sein. An jenem Abend nämlich waren 
viele vornehme Gäste bei ihm zur Tafel geladen. Kaum 
hatten nun nach Beendigung des Mahles alle Teilnehmer 
das Haus verlassen, als dasselbe plötzlich zusammen- 
stürzte. Herodes erblickte darin ein Vorzeichen der Ge- 
fahren sowohl, die ihn im Kriege erwarteten, als auch 
seiner Rettung aus denselben, und brach beim Morgen- 
grauen auf. Alsbald stiegen etwa sechstausend Feinde 
von den Bergen herab und plänkelten gegen seine Vor- 
hut, und wenn sie es auch nicht wagten, mit den Römern 
handgemein zu werden, so schleuderten sie doch aus 
der Ferne Steine und Wurfspiesse und verwundeten da- 
mit viele ihrer Gegner. Auch Herodes selbst wurde im 
Vorbeireiten von einem Speer in die Seite getroffen. 

5. Um sich nun den Anschein zu geben, als wären 
die Seinen nicht nur an Kühnheit, sondern auch an 
Zahl ihren Gegnern überlegen, schickte Antigonus einen 
seiner Freunde, Pappus, mit einer Heeresabteilung nach 
Samaria. Dort sollten sie es mit Machaeras aufnehmen. 
Herodes aber durchzog unterdessen das feindliche Gebiet, 
zerstörte fünf kleine Städte, tötete zweitausend ihrer Be- 
wohner und kehrte nach Einäscherung ihrer Häuser ins 
Lager zurück, das er bei einem Dorfe Namens Kana 
aufgeschlagen hatte. 

6. Täglich strömten nun eine grosse Menge Juden 
aus Jericho selbst und anderen Gegenden teils aus Hass 
gegen Antigonus, teils aus Begeisterung für seine eigenen 
Kriegsthaten ihm zu. Die Mehrzahl freilich beseelte da- 
bei ein unbewusstes Verlangen nach Änderung der be- 
stehenden Verhältnisse. Herodes brannte übrigens vor 
Begierde, sich mit dem Feinde zu messen 1 ; aber auch 
die Leute des Pappus zogen ihm, ohne sich vor seiner 
Übermacht und Kampfeslust zu fürchten, mutig ent- 
gegen. In der sich nun entspinnenden Schlacht setzte 


1 Nach J. A. XIV, 15, 12 hatte Pappus sein Lager bei Isanae in 
Samaria aufgeschlagen, wohin also Herodes marschieren musste. 


Go gle 


UWfV! I1SITY m c: 


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Erstes Buch, 1 7. Kapitel. 


99 


ihm ein Teil der feindlichen Reihen für kurze Zeit stark 
zu. Herodes aber, der im Gedanken an den Tod seines 
Bruders vor keiner Gefahr zurückbebte und sich schlug, 
als hätte er es mit den Mördern selbst zu thun, ward 
bald Meister über die, welche sich ihm entgegengeworfen 
hatten, wandte sich dann auch gegen die, die noch stand- 
hielten, schlug sie sämtlich in die Flucht und setzte 
ihnen nach. Unter stetem Blutvergiessen drängte er sie 
hierauf in das Dorf \ aus dem sie hervorgebrochen waren, 
wobei er besonders ihrer Nachhut entsetzliche Verluste 
beibrachte. Schliesslich drang er zugleich mit den 
Feinden in das Dorf ein, wo jedes Haus mit Bewaffneten 
gefüllt und dazu auch noch die Dächer mit Verteidigern 
besetzt waren. Sobald er nun die aussen Stehenden 
überwältigt hatte, liess er die Häuser niederreissen und 
suchte dadurch die innerhalb Befindlichen zum Verlassen 
derselben zu nötigen. So wurden die meisten von den 
einbrechenden Dächern erdrückt; was aber den stürzen- 
den Trümmern entging, fiel unter dem Schwert der Sol- 
daten, und die haufenweise aufgeschichteten Leichen 
versperrten zuletzt den Siegern selbst den Weg. Ein 
solches Blutbad nahm den Feinden allen Mut, und wenn 
sich auch hier und da wieder eine Schar zusammen- 
that, der Anblick der im Dorfe liegenden Toten trieb 
sie doch gleich in wilder Flucht auseinander. Herodes 
wäre nun in seiner Siegesfreude am liebsten sogleich 
nach Jerusalem geeilt, hätte ihn nicht der überaus 
strenge Winter daran gehindert. Hierin allein lag also 
der Grund, weshalb Herodes von der völligen Ausnutzung 
seines Sieges und der gänzlichen Niederwerfung des 
Antigonus , der bereits die Stadt zu verlassen gedachte, 
für jetzt absehen musste. 

7. Gegen Abend liess Herodes seine ermatteten 
Krieger sich erquicken und begab sich selbst noch heiss 
vom Kampfe nach Soldatenart zum Bade, wobei nur 
ein einziger Page ihn bediente. Bevor er nun in den 


1 Isanae. 



100 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Baderaum eintrat, lief vor seinen Augen ein feindlicher 
Soldat mit dem Schwerte in der Hand heraus, ihm nach 
ein zweiter, dritter und noch mehrere. Sie hatten sich 
nach dem Gefecht bewaffnet in den Baderaum geflüchtet 
und hier vor lauter Angst sich verborgen gehalten. Der 
Anblick des Königs aber weckte sie aus ihrer Erstarrung, 
und zitternd liefen sie an ihm, dem Unbewaffneten, vor- 
bei und suchten die Ausgänge zu erreichen. Zufällig 
war niemand von den anderen Kriegern da, der sie hätte 
festnehmen können, und so entkamen sie alle. 

8. Am folgenden Tage liess Herodes dem Feldherrn 
des Antigonus, Pappus, der im Treffen gefallen war, das 
Haupt abschlagen und schickte es seinem Bruder Phe- 
roras zum Zeichen, dass die Ermordung ihres Bruders 
gesühnt sei; denn Pappus war es gewesen, der Joseph 
den Tod gegeben hatte. Sobald nun die Strenge des 
Winters nachliess, rückte er gegen Jerusalem, 1 führte 
sein Heer bis an die Mauern heran und schlug, als sich 
eben das dritte Jahr schloss, seit er in Born zum Könige 
ernannt worden war, gerade vor dem Tempel sein Lager 
auf. Hier nämlich war die Stadt erstürmbar, und von 
dieser Seite 2 aus hatte auch Pompejus früher sie ein- 
genommen. Nachdem sodann Herodes die Belagerungs- 
arbeiten unter seinen Truppen verteilt und die nächste 
Umgebung >ler Stadt hatte abholzen lassen, ordnete er 
das Aufwerfen dreier Wälle sowie die Erbauung von 
Türmen auf denselben an. Zu diesen Arbeiten liess er 
die emsigsten seiner Leute zurück und ging selbst nach 
Samaria, um sich mit der Tochter von Aristobulus’ Sohn 
Alexander 3 zu vermählen, mit der er, wie schon oben 
erwähnt, verlobt war. So machte er die Hochzeit zu 
einer Nebenhandlung der Belagerung; denn bereits fing 
er an, seine Gegner zu verachten. 


1 37 v. Chr. 

2 Der Nordseite. 

3 Mariamne (graecisiert aus dem hebräischen Mirjam), wohl zu 
unterscheiden von der gleichnamigen Tochter des Hohepriesters Simon, 
die ebenfalls des Herodes Gattin war (vergl. I, 28, 4). 



Erstes Buch, 18. Kapital. 



9. Sobald die Vermählungsfeierlichkeiten zu Ende 
waren, kehrte er mit bedeutenden Truppenverstärkungen 
nach Jerusalem zurück, da inzwischen Sosius mit einem 
ansehnlichen Heere von Reitern und Fusssoldaten zu 
ihm gestossen war. Letzteres sandte er durch das Innere 
des Landes voraus, während er selbst seinen Marsch 
durch Phoenicien nahm. 1 Die gesamte Truppenmasse, 
gegen elf Legionen Fusssoldaten und sechstausend Reiter, 
wozu noch die . nicht unbedeutenden Hilfstruppen aus 
Syrien kamen, lagerte sich nun in der Nähe der nörd- 
lichen Stadtmauer. Herodes selbst verliess sich bei 
diesem Vorgehen auf den Senatsbeschluss, durch den er 
zum Könige ernannt worden war, Sosius aber auf An- 
tonius, der das unter seinem Befehl stehende Heer dem 
Herodes zu Hilfe geschickt hatte. 


Achtzehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 16,2 — XV, 1 , 1 ; 

XV, 4, 1 — 4, 3. 

Herodes und Sosius erobern Jerusalem. Des Antigonus 
Tod. Habgier der Kleopatra. 

1. Nun aber bemächtigte sich der in der Stadt ein- 
geschlossenen Menge von Juden eine Aufregung mannig- 
facher Art. Die Schwächeren sammelten sich um den 
Tempel und priesen den glücklich, der in solcher Zeit 
sein Leben endige, weil das als besondere Gunst der Gott> 
heit angesehen werden müsse. Die Verwegenem da- 
gegen verübten rottenweise vielfältige Räubereien und 
plünderten besonders die Umgegend der Stadt aus, weil 
es an Lebensmitteln für die Menschen und Futter für 
die Pferde gebrach. 2 Der besser disciplinierte Teil der 

1 Nach J. A. XIV, 16, 1 kam Herodes direkt von Samaria nach 
Jerusalem, während des Sosius Truppen in zwei Abteilungen getrennt 
durch das Binnenland bezw. der Küste entlang marschierten. 

2 Nach J. A. XI Y, 16,2 war das Jahr, in welches die Belagerung 
fiel, ein Sabbatjahr, und es durfte somit in demselben weder gesät 
noch geerntet werden; daher die Not. 


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streitbaren Mannschaft endlich war zur Abwehr der Be- 
lagerer aufgestellt. Sie trieben die Schanzarbeiter von 
der Mauer weg und ersannen gegen die Belagerungs- 
maschinen immer wieder neue Verteidigüngsmittel. In 
nichts aber übertrafen sie die Feinde so sehr, als in der 
Anlegung von Minengängen. 

2. Gegen die Räubereien legte der König Hinterhalte, 
wodurch es ihm auch gelang, den Ausfallen ein Ende 
zu machen, und dem Mangel an Lebensmitteln steuerte 
er durch Zufuhren aus der Ferne. Mit den kriegs- 
gewandten römischen Truppen war er übrigens gegen 
die Belagerten stark im Vorteil, obwohl die letzteren an 
Kühnheit nicht leicht übertroffen werden konnten. Sie 
vermieden es zwar, im offenen Felde sich mit den Römern 
zu schlagen, da das für sie gleichbedeutend mit sicherem 
Untergang sein musste ; dagegen erschienen sie aus 
ihren unterirdischen Gängen oft unerwartet mitten unter 
den Feinden, und ehe noch ein Teil der Mauer zerstört 
war, hatten sie schon wieder eine andere aufgeführt — 
kurz, es ermatteten weder ihre Hände noch ihre Er- 
findungskraft, und offenbar waren sie zum äussersten 
Widerstand entschlossen. So hielten sie trotz der Stärke 
des sie einschliessenden Heeres fünf Monate lang die 
Belagerung aus, bis endlich einige auserlesene Leute des 
Herodes sich daran machten, die Mauer zu ersteigen, 
und, gefolgt von den Centurionen des Sosius, in die 
Stadt einbrachen. Zuerst wurde die Umgebung des 
Tempels genommen; dann ergoss sich das Heer in die 
Stadt, und es entstand allenthalben ein fürchterliches 
Blutbad. Denn die Römer waren durch die lange Dauer 
der Belagerung aufs höchste erbittert, und die zu Hero- 
des haltenden Juden thaten das ihrige, um keinen von 
der Gegenpartei am Leben zu lassen. Ganze Haufen 
wurden so in den engen Gassen, in den Häusern, wo 
sie sich zuammengedrängt hatten, und auf der Flucht 
nach dem Tempel niedergemetzelt. Weder Kinder, noch 
Greise, noch schwache Frauen konnten auf Mitleid 
rechnen, und obwohl der König überall herumschickte 



Erstes Buch, 18. Kapitel. 


103 


und Schonung anbefahl, hielt doch niemand den Arm 
ein, sondern die Soldaten wüteten wie rasend gegen jedes 
Alter. Währenddessen kam Antigonus, der weder für 
sein früheres noch für sein jetziges Geschick eine Em- 
pfindung hatte, aus der Burg herab und warf* sich Sosius 
zu Füssen. Der aber brach, ungerührt durch solchen 
Glückswechsel, in ein unbändiges Gelächter aus und 
schalt ihn Antigone. Doch liess er ihn nicht wie ein 
Weib frei ausgehen, sondern befahl, ihn gefesselt auf- 
zubewahren. 

3. Nach Niederwerfung seiner Feinde war es des 
Herodes erste Sorge, dem Ungestüm der Hilfstruppen 
zu wehren. Das fremde Volk nämlich drängte sich in 
Masse heran, um den Tempel und die Heiligtümer zu 
sehen. Der König jedoch hielt sie teils durch Bitten, 
teils durch Drohungen, teils sogar mit Waffengewalt zu- 
rück, überzeugt, dass sein Sieg schimpflicher als eine 
Niederlage sein würde, wenn die Fremden etwas sähen, 
was nicht angeschaut werden darf. Ebenso verhinderte 
er die Plünderung der Stadt, indem er Sosius ein über 
das anderemal fragte, ob denn die Römer die Stadt 
von Geld und Menschen völlig entblössen und ihn als 
König einer Einöde zurücklassen wollten, während er 
die Herrschaft über die ganze Welt nicht mit dem Blute 
so vieler Bürger erkaufen möchte. Als Sosius hierauf 
entgegnete, man müsse den Soldaten für die Strapazen 
der Belagerung billigerweise die Plünderung zukommen 
lassen, erklärte Herodes, er wolle aus seiner eigenen 
Kasse jedem einzelnen eine Belohnung anweisen. Da- 
durch gelang es ihm, den übrigen Teil der Stadt loszu- 
kaufen, und sogleich erfüllte er nun auch sein Ver- 
sprechen, indem er jeden Soldaten glänzend, die Offiziere 
entsprechend reicher, Sosius selbst aber wahrhaft könig- 
lich beschenkte, sodass niemand ohne Geld von ihm 
schied. Sosius weihte alsdann Gott dem Herrn eine 
goldene Krone und verliess Jerusalem, um den Anti- 
gonus gefangen zu Antonius zu bringen. Dem Leben 
des Antigonus, das er in eitler Hoffnung bis zum letzten 



104 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Augenblick geliebt hatte, machte übrigens, wie sein un- 
edler Sinn es verdiente, 1 das Beil ein Ende. 2 

4. Der König Herodes nahm nun unter den Bürgern 
der Stadt eine Sichtung vor, indem er seine eigenen 
Getreuen durch Verleihung von Ehren stellen sich noch 
gewogener machte, die Anhänger des Antigonus dagegen 
hinrichten liess. Aus Mangel an barem Geld liess er 
sodann aus allen Kleinodien, die er besass, Münzen 
prägen und schickte dieselben dem Antonius und dessen 
Vertrauten zu. Doch vermochte er damit allein sich 
noch keine dauernde Sicherheit zu erkaufen ; denn bereits 
war Antonius, von seiner Leidenschaft für Kleopatra fast 
verzehrt, ganz der Sklave seiner Sinnlichkeit geworden. 
Nachdem nun Kleopatra mit ihrer eigenen Familie der- 
gestalt aufgeräumt hatte, dass keiner ihrer nahen Ver- 
wandten mehr übrig war, kehrte sich ihr Blutdurst fort- 
an nach aussen, und indem sie die syrischen Grossen bei 
Antonius verleumdete, suchte sie ihn zu deren Ermordung 
zu bewegen, um sich alsdann mit leichter Mühe ihrer 
Besitzungen bemächtigen zu können. So hatte sie in 
ihrer Habgier den Blick auch bereits auf Judaea und 
Arabien geworfen und arbeitete nun im geheimen daran, 
die Könige der beiden Länder, Herodes und Malichus, 
aus dem Wege zu räumen. 

6. Obwohl nun Antonius bis jetzt alle ihre Forde- 
rungen bewilligt hatte, vermochte er doch in der Er- 
mordung so wackerer Männer und bedeutender Könige 
nichts anderes als einen Frevel zu erblicken. Immerhin 
aber löste er seine engen freundschaftlichen Beziehungen 
zu denselben und nahm ihnen bedeutende Gebietsteile 
ab, die er der Kleopatra zuwies, so den Palmen wald bei 
Jericho, wo der Balsam gewonnen wird, und sämtliche 
diesseits des Flusses Eleutherus gelegenen Städte mit 
Ausnahme von Tyrus und Sidon. Nachdem sie also 


1 Die Hinrichtung mit dem Beil war somit eine entehrende Strafe. 

2 37 y. Chr. zu Antiochia. Mit seinem Tode erlosch die Herr- 
schaft der Asmonäer. 


Go gle 



Erstes Buch, 19. Kapitel. 


105 


deren Gebieterin geworden, begleitete sie den Antonius 
auf seinem Kriegszug gegen die Parther 1 bis an den 
Euphrat und kam dann über Apamea und Damaskus 
nach Judaea. Hier besänftigte Herodes durch grosse 
Geschenke ihre üble Laune und pachtete ihr die von 
seinem Königreich weggenommenen Ortschaften für 
zweihundert Talente jährlich ab, worauf er ihr unter 
allen möglichen Ehrenbezeugungen bis Pelusium das 
Geleit gab. Bald nachher 2 kam Antonius aus dem 
Lande der Parther 1 an und führte den Sohn des Tigranes, 
Artabazes, gefangen mit sich, den er samt den Kleinodien 
und allen übrigen Beutestücken sogleich der Kleopatra 
zum Geschenk machte. 


Neunzehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XV, 5, 1 — 5, 5. 

Herodes wird von Antonius gegen die Araber geschickt. 

Grosses Erdbeben in Judaea. 

1. Beim Ausbruch des Krieges von Actium 3 rüstete 
sich Herodes, mit Antonius zu Felde zu ziehen, da 
jetzt die Unruhen in Judaea überhaupt aufhörten und 
auch die Festung Hyrkania, die des Antigonus Schwester 
bis dahin noch gehalten hatte, in seinen Händen war 
Kleopatra aber verstand es, ihn arglistiger Weise von 
der Waffen Verbrüderung mit Antonius abzuhalten. Sie 
hatte es nämlich, wie schon erwähnt, auf ihn und den 
Araberkönig abgesehen und beredete deshalb den 
Antonius, dem Herodes den Krieg gegen die Araber 
anzu vertrauen, um im Falle seines Sieges Arabien, im 
Falle seiner Niederlage Judaea in ihre Gewalt zu be- 
kommen und so den einen der beiden Fürsten durch 
den anderen zu vernichten. 


1 Muss nach J. A. XV, 4, 2 heissen : Armenier. 

» 34 v. Chr. 

3 31 v. Chr. 



106 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


2. Der Anschlag fiel jedoch zum Vorteil des Herodes 
aus. Zuerst nahm er den Feinden Geiseln ab , griff sie 
sodann mit einer von ihm angeworbenen beträchtlichen 
Reiterschar bei Diospolis an und schlug sie trotz tapferer 
Gegenwehr. Diese Niederlage rief eine grosse Bewegung 
unter den Arabern hervor: sie sammelten sich alsbald 
wieder bei Kanatha in Coelesyrien und erwarteten in 
grosser Anzahl die Juden. Als Herodes mit seinem 
Heere dort anlangte, gedachte er den Krieg mit aller 
Vorsicht zu führen und liess daher ein befestigtes Lager 
errichten. Doch seine Leute versagten den Gehorsam 
und stürzten sich, durch den ersten Sieg kühn gemacht, 
auf die Araber, die sich denn auch gleich beim ersten 
Angriff zur Flucht wandten. Bei der Verfolgung aber 
wurde dem Herodes ein schlechter Streich gespielt. 
Athenion nämlich, einer der Feldherren Kleopatras, der 
mit ihm von jeher in Feindschaft lebte, reizte die Ein- 
wohner von Kanatha gegen ihn auf. Ihr Angriff machte 
auch den Arabern wieder Mut, sodass sie umkehrten, 
sich zusammenschlossen und auf felsigem, unwegsamem 
Terrain die Leute des Herodes in die Flucht schlugen, 
wobei sie ein schreckliches Blutbad unter ihnen an- 
richteten. Was aus der Schlacht entkommen war, 
flüchtete sich nun nach Ormiza. Die Araber jedoch 
umzingelten das Lager, eroberten dasselbe und machten 
die Mannschaft zu Gefangenen. 

3. Bald nach dieser Niederlage traf Herodes mit 
Hilfstruppen ein, jedoch zu spät. Schuld an dem Unfall 
war lediglich der Ungehorsam seiner Offiziere; denn 
wäre das Gefecht nicht so überstürzt begonnen worden, 
so hätte Athenion keine Gelegenheit zum Verrat ge- 
funden. Übrigens rächte sich Herodes durch häufige 
verheerende Einfälle in das Gebiet der Araber, sodass 
sie für den einmaligen Sieg recht oft büssen mussten. 
Während er nun seinen Feinden zusetzte, traf ihn 
im siebenten Jahre seiner Regierung 1 , als eben der 


1 Vom Tode des Antigonus an gerechnet. 



Erstes Buch, 19. Kapitel. 


107 


Krieg von Actium seinen Höhepunkt erreicht hatte, ein 
anderes Unglück. Zu Beginn des Frühlings nämlich 
richtete eine Erderschütterung eine zahllose Menge Vieh 
und dreissigtausend Menschen in seinem Reiche zu 
Grunde; nur das Heer blieb unbeschädigt, weil es unter 
freiem Himmel lagerte. Das Gerücht nun, das traurigen 
Vorfällen immer noch etwas Schlimmeres anhängt und 
jetzt eine Verwüstung von ganz Judaea meldete, stärkte 
den Mut der Araber gewaltig. Sie fielen daher in der 
Meinung, das entvölkerte Land leicht in Besitz nehmen 
zu können, in dasselbe ein, nachdem sie zuvor die Ge- 
sandten der Juden, welche sich gerade bei ihnen befanden \ 
als Opfer geschlachtet hatten. Als nun das Kriegsvolk 
durch diesen Einfall in den grössten Schrecken geriet 
und infolge der Schlag auf Schlag ein tretenden Unglücks- 
fälle völlig niedergebeugt war, rief Herodes dasselbe 
zusammen und suchte es durch folgende Ansprache zur 
Standhaftigkeit anzufeuern. 

4. „ Widersinnig scheint es mir, dass ihr euch jetzt 
so in Furcht jagen lasst. Dass freilich die von Gott 
gesandten Plagen euch ängstigen, ist natürlich; wenn 
aber ein Angriff von Menschen denselben Eindruck bei 
euch erzeugt, so ist das unmännlich. Was mich betrifft, 
so bin ich so weit entfernt, nach dem Erdbeben vor 
meinen Feinden mich zu fürchten, dass ich vielmehr 
glaube, Gott habe mit demselben den Arabern gewisser- 
massen eine Lockspeise hin werfen wollen , damit sie 
über uns herzufallen veranlasst würden. Denn nicht 
sowohl im Vertrauen auf ihren starken Arm und ihre 
Waffen, als vielmehr im Hinblick auf die unglücklichen 
Naturereignisse, von denen, wir heimgesucht wurden, 
haben sie uns angegriffen. Eine Hoffnung aber, die 
sich nicht auf eigene Kraft gründet, sondern auf fremdes 
Missgeschick, trügt gar sehr. Ist denn etwa das Unglück 
oder sein Gegenteil von Bestand unter den Menschen? 
Oder schwankt nicht vielmehr das Glück, wie die Er- 


Als Friedensunterhändler (s. J. A. XV, 5, 2). 



108 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


fahrung zeigt, hin und her? Beispiele dafür braucht 
ihr wahrlich nicht weit zu suchen. Denn seht, der 
Feind hat uns, die wir in der früheren Schlacht Sieger 
waren, überwunden; aller Wahrscheinlichkeit nach aber 
wird er jetzt, obwohl er sich mit Siegeshoffnungen 
schmeichelt, unterliegen. Allzu grosses Selbstgefühl 
macht un behutsam, Furcht dagegen lehrt Vorsicht: 
daher ist es eben eure Ängstlichkeit, die mir Mut ein- 
flösst Denn da ihr euch mit mehr Ungestüm, als ge- 
boten war, den Feinden entgegen warft und wider meinen 
Willen sie an griffet, fand Athenion Gelegenheit zu 
seinem Verrat. Jetzt aber verbürgt eure Zaghaftigkeit 
und scheinbare Mutlosigkeit mir die Gewissheit des 
Sieges. Bis die Stunde des Kampfes gekommen ist, 
mag ja diese Stimmung am Platze sein; in der Schlacht 
selbst aber müsst ihr euren Mut entflammen und jenen 
gottlosen Horden beweisen, dass weder eine von Menschen 
noch eine von Gott kommende Drangsal die Tapferkeit 
der Juden, so lange noch ein Fünkchen Leben in ihnen 
ist, zunichte machen kann, und dass keiner von euch 
den Araber, den ihr so oft schon fast als Gefangenen 
wegführtet, Herrn seines Eigentums werden lässt Lasset 
euch also durch Naturerscheinungen nicht bange machen 
und haltet nur ja die Erderschütterung nicht für ein 
Anzeichen weiteren Unheils. Denn was in den Ele- 
menten vorgeht, vollzieht sich nach natürlichen Gesetzen 
und bringt den Menschen keinen weiteren Schaden, als 
eben das Naturereignis an sich zu erzeugen pflegt. 
Freilich können Hungersnot, Pest und Erdbeben durch 
besondere Vorboten sich ankündigen; die Plagen selbst 
aber sind doch durch ihre eigene Grösse begrenzt 
Bedenkt doch nur: wie könnte uns denn selbst ein 
siegreicher Feind schlimmeren Schaden zufügen, als das 
Erdbeben gethan hat ? Dagegen aber haben unsere 
Feinde ein gewaltiges Vorzeichen ihrer Vernichtung 
erfahren, das weder die Natur noch irgend eine andere 
Macht ihnen kundgethan hat. Haben sie doch dem 
Völkerrecht zum Hohn unsere Gesandten auf grausame 



Erstes Buch, 19. Kapitel. 


109 


Weise ermordet und ihrer Gottheit als Opfer für den 
Ausgang des Krieges dargebracht! Aber sie werden 
Gottes allsehendem Auge und seinem unbesiegten Arm 
nicht entrinnen. Und allsogleich werden sie uns Ge- 
nugtuung geben müssen, wenn wir noch eine Spur vom 
Sinne unserer Väter in uns haben und zur Bestrafung 
der Treulosigkeit uns erheben. So ziehe denn nun ein 
jeder nicht für sein Weib und seine Kinder, auch nicht 
für das* gefährdete Vaterland, sondern um Rache für 
die Ermordung der Gesandten zu nehmen, in den Kampf. 
Denn bessere Heerführer als wir, die Lebenden, sind die 
Schatten dieser Männer. Ich aber werde, wenn ihr mir 
den Gehorsam nicht versagt, euch voran den Gefahren 
entgegengehen. Und unbezwinglich , das wisset ihr, ist 
eure Tapferkeit, wenn ihr nicht durch Überstürzung 
euch selbst schadet“ 

5. Als er durch diese Ansprache seine Soldaten 
ermuntert hatte und ihre Kampfesfreudigkeit bemerkte, 
opferte er Gott und überschritt nach Beendigung der 
heiligen Handlung mit seinem Heere den Jordan. Bei 
Philadelphia schlug er nicht weit von den Feinden sein 
Lager auf und versuchte in der Hoffnung, dass es bald 
zu einer förmlichen Schlacht kommen werde, zunächst 
durch leichte Scharmützel ein zwischen den beiden 
Heeren liegendes Kastell in seinen Besitz zu bringen, 
zu dessen Eroberung auch der Gegner eine Abteilung 
vorgeschoben hatte. Des Königs Truppen aber schlugen 
sie alsbald zurück und besetzten die befestigte Anhöhe. 
Herodes selbst rückte nun tagtäglich mit seiner Streit- 
macht aus, stellte sie in Schlachtordnung auf und suchte 
die Araber dadurch zum Kampfe zu reizen. Da sich 
aber niemand ihm entgegen stellte — denn ein gewaltiger 
Schrecken hatte sie ergriffen , und ihr Befehlshaber 
Elthemus war beim Anblick des feindlichen Heeres vor 
Furcht fast erstarrt — , rückte er endlich vor und fing 
an, ihre Verschanzungen zu durchbrechen. Auf diese 
Weise zur Gegenwehr gezwungen , zogen sie ohne alle 
Ordnung, Fusssoldaten und Reiter durcheinander, zum 



110 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Treffen aus. An Zahl waren sie den Juden überlegen, 
an Kampflust aber standen sie ihnen nach, obwohl auch 
sie aus Verzweiflung wie wahnsinnig fochten. 

6. So lange sie standhielten , hatten sie demnach 
keine grossen Verluste. Kaum aber hatten sie den 
Kücken gekehrt, als eine Menge von ihnen teils durch 
das Schwert der Juden, teils durch ihre eigenen Leute, 
die sie zertraten, umkam. Fünftausend Mann fielen so 
auf der Flucht, während die übrigen in dichtgedrängten 
Haufen sich hinter die Verschanzungen retteten. Hier 
schloss Herodes sie ein und belagerte sie ; aber noch ehe 
sie durch Waffengewalt zur Übergabe genötigt wurden, 
zwang sie der Durst dazu, da ihnen das Wasser aus- 
gegangen war. Ihre Abgesandten empfing der König 
mit stolzer Verachtung, und als sie sich mit fünfzig 
Talenten loskaufen wollten, setzte er ihnen nur um so 
heftiger zu. Da aber der Durst sie mehr und mehr 
quälte, kamen sie endlich scharenweise hervor und er- 
gaben sich freiwillig den Juden. So wurden in fünf 
Tagen ihrer viertausend gefesselt ; am sechsten rückte 
alsdann die übrige Menge in heller Verzweiflung zum 
Kampfe aus, in welchem Herodes wiederum gegen sieben- 
tausend Mann niedermachte. Durch diese schweren 
Schläge rächte er sich an den Arabern und demütigte 
ihren Stolz in solchem Grade, dass sie seine Oberherrschaft 
anzuerkennen sich bequemen mussten. 


Zwanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XV, 6, 1 ; 6, 6f. ; 10, 1 — 10,3. 

Herodes wird von Octavianus als König bestätigt und 
mit Gunstbezeugungen überhäuft. 

1. Gleich darauf aber ward Herodes mit banger Sorge 
um seine Herrschaft erfüllt, und zwar wegen seiner 
freundschaftlichen Beziehungen zu Antonius; denn so- 
eben hatte Caesar Octavianus bei Actium gesiegt. Seine 


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JiMÄSIl i ÖF C/W.ÖRNI. 



Erstes Buch, 20. Kapitel. 


111 


Angst war indes grösser, als die wirkliche Sachlage be- 
rechtigt erscheinen Hess. Caesar nämlich hielt den 
Antonius noch nicht für überwunden, so lange Herodeg 
demselben treu blieb. Der König fasste nun den 
Entschluss, der Gefahr mutig ins Auge zu schauen. Er 
schiffte sich daher nach Rhodus ein, wo Octavianus sich 
damals aufhielt, und erschien vor ihm ohne Diadem, in 
Kleidung und Gebaren ein einfacher Privatmann, doch 
an Gesinnung ein echter König. Ohne also seine wahren 
Gedanken zu verheimlichen, sprach er freimütig folgender- 
massen: „Caesar, ich bin von Antonius zum Könige der 
Juden gemacht worden und habe, ich gestehe es offen, 
als solcher alles gethan, wodurch ich ihm nützen konnte. 
Imgleichen verhehle ich nicht, dass du mich jedenfalls 
auch im Kampfe an seiner Seite gesehen haben würdest^ 
wenn die Araber mich nicht daran gehindert hätten. 
Nach besten Kräften habe ich ihm Bundesgenossen ver- 
schafft und viele tausend Scheffel Getreide ihm geliefert. 
Ja, selbst nach seiner Niederlage bei Actium habe ich 
meinen Wohlthäter nicht im Stich gelassen. Denn da 
ich ihm als Kampfgenosse nicht mehr zu nützen ver- 
mochte, ward ich sein bester Ratgeber, indem ich ihm 
als einziges Mittel, seine verzweifelte Lage zu bessern, 
den Tod der Kleopatra bezeichnete. Für den Fall, dass 
er dieses Weib aus dem Wege räumen lassen wolle, ver- 
sprach ich ihm Geld, schützende Festungen, ein Heer 
und meine persönliche Teilnahme am Kriege gegen dich. 
Aber die sehnsüchtige Liebe zu Kleopatra und die 
Gottheit selbst, deren Gunst du deinen Sieg verdankest, 
machten ihn taub gegen meine Vorstellungen. So bin 
ich denn also mit Antonius besiegt und lege, weil ich 
auch im Unglück sein Gefährte sein will, die Krone 
nieder. Zu dir aber kam ich in der Hoffnung, mein 
männlich offenes Benehmen werde mir deine Gunst er- 
ringen, und in dem Gedanken, man werde untersuchen, 
was für ein Freund, und nicht, wessen Freund ich ge- 
wesen bin,“ 

2. Hierauf entgegnete Octavianus: „Sei gutes Muts 



112 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


und herrsche von nun an mit noch grösserer Sicherheit 
als König. Denn du bist wert, über viele Menschen zu 
gebieten, da du so treu die Freundschaft pflegtest Suche 
nun aber auch dem ergeben zu bleiben, der mehr Glück 
als sein Gegner hatte und der auf deinen Edelsinn die 
glänzendsten Hoffnungen setzt Wahrlich, Antonius hat 
wohl daran gethan, dass er lieber auf Kleopatra hörte 
als auf dich; denn durch seinen Unverstand habe ich 
dich gewonnen. Übrigens hast du dich, wie ich sehe, 
bereits um mich verdient gemacht Quintus Didius 
nämlich schreibt mir, du habest ihm gegen die Gla-' 
diatoren 1 Hilfe gesandt Ich will dich daher durch 
förmlichen Beschluss in deiner Königs würde bestätigen 
und dir auch weiterhin meine Gunst zu beweisen suchen, 
damit du den Antonius nicht vermissest“ 

3. Nach diesen freundlichen Worten setzte Octavianus 
dem Könige das Diadem auf und machte die ihm er- 
wiesene Gunstbezeugung durch einen Erlass bekannt, 
in welchem er hochherzigerweise das Lob des Herodes 
laut verkündete. Dieser suchte ihn nun durch Geschenke 
auch noch zur Freilassung eines gewissen Alexander zu 
bewegen , der ein Freund des Antonius war und Herodes 
um seine Vermittlung angefleht hatte. Doch der Zorn 
des Caesars 2 behielt die Oberhand, da er dem Manne, 
für den Herodes sich ins Mittel legte, viele und schwere 
Vergehen vorzuwerfen hatte, und so schlug er denn die 
Bitte ab. Später empfing Herodes den Caesar, als der- 
selbe durch Syrien nach Aegypten marschierte, mit dem 
ganzen Gepränge, das einem König zu Gebote steht, 
ritt, als er bei Ptofemais Heerschau hielt, zum ersten- 

1 Diese Gladiatoren, die Antonius in Kyzikos hielt, suchten sich 
nach der Niederlage ihres Herrn nach Aegypten durchzuschlagen, 
um ihm beizustehen , wurden aber von Quintus Didius , dem Statt- 
halter von Syrien, daran gehindert. 

2 Der ursprüngliche Ei ge nn am e, aus dessen graecisierler Form 
Kaiaap unser deutsches Wort Kaiser entstand, war bereits der Titel 
des römischen Alleinherrschers geworden. Dasselbe gilt von dem 
Beinamen Augustus, den der Senat im Jahre 27 v. Chr. dem Octa- 
vianüs erteilte. 



Erstes Buch, 20. Kapitel. 


113 


mal an seiner Seite, gab ihm wie seinen sämtlichen 
Freunden ein Festmahl und liess auch dem Heere alles, 
was zi» einem Schmause gehört, verabreichen. Ferner 
sorgte er dafür, dass die Römer auf ihrem Zuge durch 
die wasserarme Gegend bis Pelusium und ebenso auf 
dem Rückmarsch reichlich mit Wasser versehen wurden 
und dass sie auch an allen übrigen Lebensmitteln keinen 
Mangel litten. Ganz von selbst drängte sich dabei dem 
Caesar und den Soldaten der Gedanke auf, dass das 
Reich des Herodes im Verhältnis zu seinen Leistungen 
viel zu klein sei. Sobald daher Octa vianus nach Aegypten 
gekommen war — wo er übrigens Kleopatra und An- 
tonius bereits nicht mehr am Leben fand — , verlieh er 
ihm nicht nur eine Reihe weiterer Auszeichnungen, 
sondern vergrösserte auch sein Königreich, indem er das 
ihm von Kleopatra früher entrissene Gebiet und ausser- 
dem Gadara, Hippos, Samaria, sowie die Küsten6tädte 
Gaza, Anthedon, Joppe und Stratonsturm hinzufügte. 
Obendrein schenkte er ihm auch noch eine Leibwache 
von vierhundert Galliern, welche früher die persönliche 
Garde der Kleopatra gebildet hatten. So reiche Zu- 
wendungen hatte Herodes vorzugsweise seiner eigenen 
Hochherzigkeit zu verdanken. 

4. Nach Ablauf der ersten Aktiade 1 vergrösserte der 
Caesar das Königreich des Herodes noch weiter durch 
die Landschaft, die Trachon 2 genannt wird, sowie die 
daran grenzenden Landschaften Batanaea und Auranitis, 
und zwar aus folgender Veranlassung. Ein gewisser 
Zenodorus, welcher daß Gebiet des Lysanias gepachtet 
hatte, hetzte unaufhörlich die in Trachon hausenden 
Räuberbanden gegen die Damascener. Diese nahmen 
nun ihre Zuflucht zu Varro, dem Statthalter von Syrien, 
und baten ihn, den Caesar von ihrer schlimmen Lage 


1 Zeitraum von fünf Jahren. Doch wurde die erste Aktiade be- 
reits drei Jahre nach der Schlacht bei Actiurn, die 31 v. Clir. statt- 
fand, gefeiert (s. Dio Cassius LIII, 1). Es ergiebt sich somit für die 
vorliegende Zeitbestimmung des Jahr 28 v. Chr. 

2 Oder Trachonitis. 

JosepbuR, Jtidiucher Erle?. 8 



114 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


in Kenntnis zu setzen. Daraufhin erging von Rofn der 
Befehl, das Kaubgesindel auszurotten. Varro brach also 
mit Heeresmacht auf, säuberte das Land von den Banditen 
und nahm es dem Zenodorus ab. Damit dasselbe nun 
später nicht wiederum den Schlupfwinkel bilde, von dem 
aus die Räuber Damaskus beunruhigen könnten, schenkte 
der Caesar es dem Herodes. Als nach weiteren zehn 
Jahren Augustus abermals in die Provinz kam, ernannte 
er ihn sogar zum Statthalter von ganz Syrien, sodass 
die unter ihm stehenden Landpfleger keinerlei An- 
ordnungen treffen durften, ohne vorher seine Zustimmung 
einzuholen. Nach dem Tode des Zenodorus belehnte der 
Caesar ihn dann auch noch mit dem ganzen Gebiet 
zwischen Trachon und Galilaea. Grösseren Wert indes 
als alle diese Vergünstigungen hatte für Herodes der 
Umstand, dass er dem Augustus nach Agrippa 1 und dem 
Agrippa nach Augustus der liebste Freund war. Nach- 
dem er so den Gipfel äusseren Glückes erklommen hatte, 
gab er auch seinem Geiste höheren Schwung und ver- 
legte sich vorzugsweise auf Werke der Frömmigkeit, wozu 
er wirklich grossartige Pläne entwarf. 


Ein undzwanz igstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XV und XVI, einzelne Kapitel, 
besonders XV, 8 ; 1 1 ; XVI, 5. . 

Von den Prachtbauten und der Freigebigkeit des Herodes. 

Seine persönlichen Vorzüge. 

1. Im fünfzehnten 2 Jahre seiner Regierung nämlich 
liess er den Tempel umbauen, den Tempelbezirk um das 
doppelte erweitern und eine feste Mauer ringsum auf- 
führen, alles mit unermesslichen Kosten und unüber- 
trefflichem Prachtaufwand. Davon zeugten insbesondere 
die grossen, den Tempel umgebenden Säulenhallen und 

1 Marcus Vipsanius Agrippa, Schwiegersohn des Augustus. 

a Nach J. A. XV, 11, 1 im achtzehnten. 


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Erstes Buch, 21. Kapitel. 


115 


die im Norden an denselben stossende feste Burg. Die 
Hallen richtete er von Grund aus neu auf, die Burg 
aber baute er mit grossen Kosten um, sodass sie einem 
Königsschlosse in nichts nachstand, und nannte sie dem 
Antonius zu Ehren Antonia. Seinen eigenen Königs- 
palast legte er in der oberen Stadt an und benannte 
die zwei grössten und schönsten Flügel desselben, mit 
denen nicht einmal der Tempel den Vergleich aushielt, 
nach seinen hohen Freunden Caesareum und Agrippeum. 

2. Doch nicht bloss einzelne Gebäude weihte er dem 
Gedächtnis und Namen dieser Männer, sondern er ging 
noch weiter und that, um sie zu ehren, dasselbe mit 
ganzen Städten. So umgab er im Samariterlande eine 
Stadt mit einer hervorragend schönen Mauer im Umfang 
von beiläufig zwanzig Stadien , versetzte sechstausend 
Einwohner dahin, wies denselben die fruchtbarsten 
Ländereien an, erbaute mitten in der neugegründeten 
Stadt einen gewaltigen Tempel mit einem freien Platze 
von anderthalb Stadien zu Ehren des Caesars und 
nannte die Stadt Sebaste K Ihren Bewohnern aber gab 
er eine ausgezeichnete Gemeindeverfassung. 

3. Als sodann der Caesar ihm noch weitere Land- 
striche schenkte, erbaute Herodes ihm auch dort einen 
Tempel von weissem Marmor, und zwar an den Quellen 
des Jordan ; der Ort heisst Panium. Hier erhebt sich 
ein Berggipfel zu ungeheurer Höhe,’ und an der Seite 
der unter dem Berge befindlichen Schlucht öffnet sich 
eine schattige Grotte, in deren Innerem eine abgrund- 
artige Vertiefung sich in eine unermessliche Kluft senkt, 
die mit stehendem Wasser gefüllt und für das Senkblei 
unergründlich ist. Aussen am Rande dieser Grotte 
sprudeln die Quellen hervor, und hier befindet sich, wie 
einige meinen, der Ursprung des Jordan. Genaueres 
darüber werde ich später 1 2 mitteilen. 

4. Auch zu Jericho liess der König zwischen dem 


1 Dem -sßocaxos (Augustus) zu Ehren. 

- S. unten III, 10, 7. 



116 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Kastell Kypron 1 und dem früheren Königspalast ein 
neues, besseres und bequemeres Gebäude aufführen, das 
er nach seinen Freunden benannte. Kurz, es gab keinen 
Ort in seinem Reiche , den er nicht, falls er sich sonst 
dazu eignete, mit Bauwerken zu Ehren des Caesars ver- 
sehen hätte. Nachdem er nun sein eigenes Land mit 
Tempeln angefüllt hatte, liess er es auch in der Provinz 
nicht an Ehren denk malen für Augustus fehlen und er- 
richtete in vielen Städten Caesareen 2 . 

5. So erschien ihm auch eine Stadt an der Meeres- 
küste mit Namen Stratonsturm, die damals ini Verfall 
begriffen war, wegen der Schönheit des Geländes so 
recht geeignet zur Bethätigung seines Vorhabens, den 
Caesar zu ehren. Er baute sie daher ganz aus weissen 
Steinen wieder auf, schmückte sie mit prächtigen Palästen 
und zeigte hier in besonders hohem Masse seinen an- 
geborenen Sinn für grossartige Unternehmungen. Stratons- 
turm lag nämlich mitten zwischen Dora und Joppe, 
und auf der ganzen Strecke zwischen diesen beiden 
Städten war die Küste ohne Hafen, sodass mancher, 
der an Phoenicien vorbei nach Aegypten zu segelte, auf 
offenem Meer umtreiben musste wegen der Gefahren des 
Südwindes 3 , der selbst bei mässigem Wehen eine solche 
Brandung an den Felsen erzeugt, dass die zurück- 
geworfenen Wellen auf weite Strecken hin das Meer in 
Aufruhr bringen.» Der König jedoch besiegte durch 
seinen Ehrgeiz und unter Aufwendung bedeutender 
Kosten die Natur und schuf einen Hafen, der den 
Piraeus 4 an Grösse übertraf, sowie im Innern desselben 
eine Reihe vortrefflicher Ankerplätze. 

6. Obwohl nun die Örtlichkeit recht ungünstig war, 
reizte doch gerade die Schwierigkeit den Eifer des Königs, 
ein Werk herzustellen, dessen Festigkeit dem Anprall 
der Meereswogen Widerstand leisten könnte und dessen 


1 Wohl dasselbe, wie das unten in Abschnitt 9 erwähnte. 
* D. h. Gebäude zu Ehren des Caesars. 

3 Richtiger des Südwestwindes. 

4 Den Hafen von Athen. 


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Erstes Buch, 2 1 . Kapitel. 


117 


Schönheit die darauf verwendete Mühe nicht im ent- 
ferntesten ahnen lassen sollte. Zunächst also liess er 
den für den Hafen bestimmten Raum in der bereits er- 
wähnten Grösse abstecken und alsdann gewaltige Fels- 
stücke, von denen die meisten fünfzig Fuss lang, neun 
Fuss hoch und zehn Fuss breit waren , zwanzig Ellen 1 
tief ins Meer versenken. Nachdem so die Tiefe aus- 
gefüllt war, liess er den über die Oberfläche des Wassers 
hervorragenden Teil des Dammes auf eine Breite von 
zweihundert Fuss bringen. Hundert Fuss davon waren 
vorgebaut, um die Gewalt der Meeresfluten zu brechen, 
weshalb diese Hälfte den Namen Prokymia 2 erhielt. Der 
übrige Raum diente einer steinernen, rings um den 
Hafen laufenden Mauer als Unterlage und war mit sehr 
hohen Türmen versehen, deren grösster und schönster 
nach Drusus, dem Stiefsohn des Caesars, Drusium ge- 
nannt wurde. 

7. Zahlreiche Gewölbe dienten den Schiffern zur Her- 
berge, und eine vor denselben befindliche, rund um den 
Hafen sich hinziehende Plattform bot den Ankömmlingen 
reichlichen Raum zu Spaziergängen. Die Hafeneinfahrt 
lag gegen Norden, weil der Nordwind dort der mildeste 
von allen Winden ist. Zu beiden Seiten der Einfahrt 
befanden sich drei auf Sockeln ruhende kolossale Stand- 
bilder, die links von einem massiven Turm, rechts von 
zwei miteinander verbundenen aufrechten Säulen getragen 
wurden; diese Säulen waren übrigens grösser als der 
ihnen gegenüberliegende Turm. Die an den Hafen 
stossenden Gebäude waren ebenfalls von ‘wei6sem Mar- 
mor, und die Strasßen der Stadt liefen in gleichen Ab- 
ständen voneinander alle auf den Hafen zu. Dem Hafen- 
eingang gegenüber stand auf einem Hügel ein durch 
Grösse und Schönheit ausgezeichneter Tempel des Caesars, 
und in demselben seine Kolossalbildsäule, die ihrem 
Muster, dem Olympischen Zeus, nichts nachgab, sowie 


1 Eine jüdische Elle ist etwa einem halben Meter gleich. 
* D. i. Bollwerk gegen den Anprall der Wogen. 


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118. 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


eine solche der Roma nach dem Vorbild der Here zu 
Argos. Die Stadt nun weihte Herodes der Provinz, den 
Hafen den ihn benutzenden Seefahrern, die Ehre der 
ganzen Anlage aber dem Caesar, nach welchem er die 
Stadt Caesarea benannte. 

8. Auch die übrigen von ihm dort errichteten Ge- 
bäude, ein Amphitheater und ein Theater, sowie der 
Marktplatz waren des Beinamens, den sie trugen, wohl 
wert. Sodann stiftete der König fünfjährige 1 Kampf- 
spiele, die er gleichfalls nach dem Caesar benannte, und 
setzte fürs erste in der hundertzweiundneunzigsten Olym- 
piade 2 selbst bedeutende Kampfpreise aus, wobei nicht 
nur die eigentlichen Sieger, sondern auch die zweit- und 
drittbesten nach ihnen seine königliche Freigebigkeit 
erfuhren. Weiterhin baute er die in den Kriegen zer- 
störte Seestadt Anthedon wieder auf und gab ihr den 
Namen Agrippium 3 . Ja, aus übergrosser Ergebenheit 
gegen seinen Freund Agrippa liess er dessen Namen 
sogar über dem von ihm erbauten Thore des Tempels 
eingraben. 

9. Auch in kindlicher Liebe liess er sich von niemand 
übertreffen. So gründete er zum Andenken an seinen 
Vater in der schönsten Ebene seines Reiches 4 , die gut 
bewässert war und Überfluss an Bäumen hatte, eine 
Stadt, die er Antipatris nannte. Seiner Mutter aber 
weihte er ein von ihm neu befestigtes, überaus starkes 
und schönes Kastell oberhalb Jericho, indem er ihm den 
Namen Kypron gab, und seinem Bruder Phasael den 
Phasaelsturm zu Jerusalem, dessen Gestalt und gross- 
artige Pracht ich später 5 noch schildern werde. Gleich- 
falls Phasael zu Ehren gründete er die Stadt Phasaelis 


1 D. h. alle fünf Jahre wiederkehrende. 

2 Eige Olympiade war ein Zeitraum von vier Jahren; die Rech- 
nung nach Olympiaden begann 776 v. Chr. 

3 J. A. XIII, 13, 3 heisst sie Agrippias. 

4 Ebene Saron. 

6 V, 4, 3. 


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J N t VE RSITY'Qf C Sf P»iN I , 



Erstes Buch, 21. Kapitel. 


119 


seitwärts von der Thalschlucht, die von Jericho aus in 
nördlicher Richtung sich erstreckt. 

10. Nachdem er so das Andenken seiner Verwandten 
und Freunde verewigt hatte, sorgte er auch für sein 
eigenes, indem er auf dem Gebirge gegen Arabien hin 
eine Festung erbaute, die er nach sich selbst Herodium 

t nannte. Den gleichen Namen gab er einem in Gestalt 
einer weiblichen Brust von Menschenhand aufgeworfenen, 
sechzig Stadien von Jerusalem entfernten Hügel, den er 
aber mit grösserer Pracht ausschmückte. Seine Kuppe 
nämlich umgab er mit runden Türmen, und die von 
diesem Festungsring eingeschlossene Fläche besetzte er 
mit herrlichen Palästen, die nicht nur im Innern glänzend 
anzuschauen , sondern auch aussen an Wänden, Zinnen 
und Dächern mit verschwenderischer Pracht ausgestattet 
waren. Mit ungeheurem Kostenaufwand liess er sodann 
aus weiter Feme Wasser in reichlicher Menge herleiten 
und einen Aufstieg von zweihundert aus blendend weissem 
Marmor bestehenden Treppenstufen herstellen; denn der 
Hügel war ziemlich hoch und durchweg ein Werk von 
Menschenhand. Auch am Fusse desselben errichtete er 
noch weitere Paläste zur Aufnahme seiner Hofhaltung 
und seines Gefolges und gab ihnen eine so reiche Aus- 
stattung, dass die ganze Anlage wie eine Stadt mit dem 
Umfang einer Königsburg aussah. 

11. Als er diese grossartigen Bauwerke vollendet 
hatte, bewies er auch einer Anzahl auswärtiger Städte 
seine fürstliche Freigebigkeit. So versah er Tripolis, 
Damaskus und Ptolemais mit Ringschulen, Byblus mit 
einer Stadtmauer, Berytus und Tyrus mit Säulen gängen, 
Hallen, Tempeln und Märkten, Sidon und Damaskus 
mit Theatern, die Seestadt Laodikea mit einer Wasser- 
leitung, Askalon 1 mit prachtvollen Bädern und Brunnen 
und ausserdem noch mit Säulenhallen von staunens- 
werter Grösse und Arbeit. Anderen Städten schenkte 
er Haine und Wiesen, und viele erhielten sogar Lände- 


1 Nach Eusebius war Herodes in Askalon geboren. 



120 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


reien von ihm, als ob sie zu seinem Reiche gehörten. 
Vorsteherämter fremder Ringschulen dotierte er mit 
festen jährlichen Einkünften, wobei er, wie zum Beispiel 
in Kos, zur Bedingung machte, dass es nie an Kampf- 
preisen fehlen dürfe. Weiterhin spendete er Getreide 
allen, die in Not waren; den Rhodiern gab er oft und 
bei verschiedenen Anlässen Geld zur Ausrüstung ihrer 
Flotte ; den abgebrannten Tempel des Pythischen Apollo 
baute er auf eigene Kosten und schöner wieder auf. 
Wozu soll ich noch die Schenkungen erwähnen, die er 
den Lykiern und den Samiern zukommen liess, oder die 
Freigebigkeit, mit der er in ganz Ionien so manche Not 
linderte? Sind nicht Athen und Lakedaemon, Nikopolis 
und die mysische Stadt Pergamos voll von Weih- 
geschenken des Herodes? Und hat er nicht die wegen 
ihres Schmutzes gemiedene Hauptstrasse von Antiochia 
in Syrien in der Länge von zwanzig Stadien mit ge- 
glättetem Marmor gepflastert und zum Schutz vor 
dem Regen mit einem ebenso langen Säulengang ge- 
schmückt ? 

12. Kamen nun, wie man wohl sagen könnte, diese 
Wohlthaten zunächst nur den einzelnen Gemeinden zu- 
gut, denen sie erwiesen wurden, so bedachte er dagegen 
Elis mit einem Geschenk, an dem nicht nur Griechen- 
land, sondern die ganze Welt Anteil hat, soweit der Ruf 
der olympischen Spiele gedrungen ist. Als er nämlich 
sah, dass diese Spiele aus Mangel an Geld dem Verfall 
nahe waren und somit das einzige Überbleibsel des alten 
Hellas zu verschwinden drohte, trat er nicht nur in dem 
Olympiadenjahr, in welches seine Seereise nach Rom 
fiel, als Preisrichter auf, sondern stiftete- auch für alle 
kommenden Zeiten bestimmte Geldeinkünfte, wodurch er 
das Andenken an seine Thätigkeit als Kampfrichter 
verewigte. Doch ich würde wohl nicht zu Ende kommen, 
wollte ich auch noch alle die Schulden und Abgaben 
herzählen, die er nachliess; als Beispiel erwähne ich nur 
die Städte Phasaelis und Balanea sowie eine Reihe von 
Städtchen an der Grenze von Cilicien, denen er durch 



Erstes Buch, 22. Kapitel. 


121 


Herabminderung ihrer jährlichen Abgaben Erleichterung 
verschaffte. Was übrigens seine Freigebigkeit am meisten 
hemmte, war die Furcht, dadurch Neid zu erregen oder 
in den Verdacht zu geraten, als ob er, indem er den 
Städten grössere Wohlthaten erwies wie ihre eigenen 
Gebieter, weiter ausschauende Pläne verfolge. 

13. Den geistigen Vorzügen des Herodes entsprach 
sein Körper. Von jeher war er ein vortrefflicher Jäger, 
wobei ihm seine Geschicklichkeit im Reiten besonders 
zu statten kam. So erlegte er einst an einem Tage 
vierzig Stück Wild. Das dortige Land nährt nämlich 
auch Wildschweine; reicher jedoch ist es an Hirschen 
und wilden Eseln. Als Krieger War Herodes unwider^ 
stehlich, und auch bei den gymnastischen Übungen 
fürchteten sich gar viele vor ihm, da sie sahen, wie 
gerade er die Lanze warf und wie sicher er mit dem 
Bogen schoss. Bei all diesen «geistigen und körperlichen 
Vorzügen war er auch noch vom Glücke begünstigt. 
Denn selten stiess ihm im Kriege ein Unfall zu, und 
wenn er einmal einen solchen erlitt, war nicht er selbst, 
sondern irgend ein Verräter oder die Unbesonnenheit 
seiner Soldaten daran schuld. 


Zweiundzwanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XV, 2, 3, 6, 7. 

Vom Tode der Hohepriester Aristobulus und Hyrkanus. 

Hinrichtung der Mariamne. 

1. Sein äusseres Glück indes verleidete ihm das 
Schicksal durch häusliche Widerwärtigkeiten, und zwar 
ward eben das Weib, das er so innig liebte, die Ursache 
seines Unglückes. Nachdem er nämlich zur Regierung 
gelangt war, hatte er die Gattin, die er als Privatmann 
geheiratet hatte, eine Jerusalemerin mit Namen Doris, 
entlassen und Mariamne, die Tochter von Aristobulus’ 
Sohn Alexander, geehelicht. Schon früher zwar war 


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122 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


diese Verbindung für ihn die Quelle häuslicher Zwistig- 
keiten geworden; als er aber von Rom zurückgekehrt 
war, wurde sie dies mehr denn je. Zunächst verwies er 
um der Söhne Mariamnes willen seinen Sohn Antipater, 
den er von der Dotfs erhalten hatte, aus der Stadt und 
erlaubte ihm das Betreten derselben nur an Festtagen. 
Sodann räumte er den Grossvater seiner Gattin, Hyr- 
kanus, der aus Parthien zu ihm gekommen war, aus 
dem Wege, weil er ihn im Verdacht einer Verschwörung 
hatte. Hyrkanus war bekanntlich von Barzapharnes bei 
dessen Einfall in Syrien gefangen genommen worden; 
seine Volksgenossen jenseits des Euphrat 1 aber hatten 
aus Mitleid mit ihm seine Freilassung erbeten. Hätte 
er nun ihre Warnungen, nicht zu Herodes zu reisen, be- 
achtet, so wäre er nicht ums Leben gekommen. Die 
Heirat seiner Enkelin aber ward die Verlockung, die ihm 
den Tod brachte. Denn im Vertrauen auf diese Ver- 
bindung und aus übergrossem Heimweh war er zurück- 
gekehrt. Herodes war ihm übrigens nicht etwa deshalb 
feind, weil er wirklich seine Hand nach der Krone aus- 
gestreckt hätte, sondern weil ihm dieselbe von Rechts 
wegen gebührte. 

2. Mariamne gebar dem Herodes fünf Kinder, zwei 
Töchter und drei Söhne. Von den Söhnen starb der 
jüngste in Rom, wo er sich zu seiner Bildung äufhielt. 
Den beiden älteren liess er teils wegen der vornehmen 
Abkunft ihrer Mutter, teils weil sie ihm während seiner 
eigentlichen Regierungszeit geboren waren, eine könig- 
liche Erziehung angedeihen. Noch mehr freilich ver- 
anlasste ihn dazu die Liebe zu Mariamne, welche von 
Tag zu Tag heftiger in ihm entbrannte, sodass er für 
das Herzeleid, das ihm die heissgeliebte Frau bereitete, 
noch nicht einmal eine Empfindung hatte. Denn so 
gross seine Liebe zu Mariamne, so gross war ihr Hass 
gegen ihn. Und da sie für diese Abneigung ihre guten 
auf Thatsachen beruhenden Gründe hatte, und die Über- 


1 Die babylonischen Juden. 



Erstes Bach, 22. Kapitel. 


123 


zeugung, geliebt zu sein, ihr Freimütigkeit verlieh, warf 
sie ihm unverhohlen vor, was er gegen ihren Grossvater 
Hyrkanus und ihren Bruder Aristobulus verbrochen 
hatte. Denn auch den letzteren hatte er trotz seiner 
Jugend nicht geschont, sondern, nachdem er ihn mit 
siebzehn Jahren zum Hohepriester ernannt, gleich 
nach seinem Amtsantritt getötet. Als nämlich Aristo- 
bulus an einem Feste in der heiligen Gewandung zum 
Altäre trat, weinte das versammelte Volk 1 , und das 
war der Grund, weshalb der junge Mann noch in der 
Nacht nach Jericho geschickt und dort von einigen da- 
zu bestellten Galliern beim Baden in einem Teiche er- 
tränkt wurde. 

3. Wegen dieser Schandthat also machte Mariamne 
dem König Vorwürfe und überhäufte auch seine Schwester 
und seine Mutter mit argen Schmähungen. Herodes in 
seiner leidenschaftlichen Liebe schwieg still dazu; bei 
den Frauen dagegen setzte sich ein heftiger Groll fest, 
und um den König so recht in Wallung zu bringen, 
beschuldigten sie seine Gattin des Ehebruchs. Zum Be- 
weise dieser Behauptung brachten sie unter anderem die 
Angabe vor, sie habe ihr Bild dem Antonius nach 
Aegypten gesandt und sich so in übermässiger Sinnlich- 
keit abwesend einem Manne gezeigt, der als Wüstling 
bekannt und auch imstande sei, Gewalt zu gebrauchen. 2 
Wie ein Blitz traf diese Nachricht den Herodes, den 
ohnehin seine Liebe im höchsten Grade eifersüchtig ge- 
macht hatte, und da er ausserdem auch an die Grausam- 
keit der Kleopatra dachte, der zulieb der König Lysa- 
nias und der Araber Malichus ihr Leben hatten lassen 
müssen, fürchtete er nicht nur, seine Gattin möchte ihm 
entrissen werden, sondern hielt auch sein eigenes Leben 
für gefährdet. 

4. Im Begriff, zu verreisen, vertraute er daher dem 
Gemahl seiner Schwester Salome, Joseph mit Namen, 


1 Aus Begeisterung für seine edle Erscheinung (vergl. J. A. XV, 3, 3). 

* Dass das Verleumdung war, ergiebt sich aus J. A. XV, 2, 6. 



124 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


einem zuverlässigen und schon aus verwandtschaftlichen 
Rücksichten ihm wohlgesinnten Manne, seine Gattin an 
und gab ihm insgeheim_den Auftrag, sie zu töten, falls 
Antonius ihn, den König, ums Leben bringen würde. 
Joseph aber verriet das Geheimnis, nicht in böser Ab- 
sicht, sondern um Mariamne die Liebe des Königs zu 
beweisen, der nicht einmal im Tode von ihr getrennt 
sein wolle. Als nun Herodes nach seiner Rückkehr ihr 
im vertraulichen Beisammensein wieder und wieder seine 
Liebe beteuerte und versicherte, dass er nie ein anderes 
Weib mit solcher Innigkeit werde lieben können, ent- 
gegnete sie: „Allerdings hast du deine Liebe zu mir 
glänzend bewiesen, indem du Joseph den Befehl gabst, 
mich zu töten!“ 

5. Kaum hatte Herodes das gehört, als er, seiner 
Sinne nicht mehr mächtig, die Worte hervorstiess : 
„Joseph würde wohl niemals den Befehl verraten haben, 
wenn er dich nicht geschändet hätte!“ Rasend vor 
Zorn sprang er sodann vom Lager auf und rannte in 
seinem Palast hin und her. Diesen für Verleumdungen 
so günstigen Augenblick erhaschte seine Schwester 
Salome und verstärkte den Verdacht gegen Joseph. 
Ausser sich vor Wut und Eifersucht gab Herodes nun 
den Befehl, die beiden auf der Stelle hinzurichten. Doch 
der leidenschaftlichen Aufwallung folgte sogleich die 
Reue, und kaum hatte der Zorn sich gelegt, so flammte 
die Liebe wieder auf. Ja, so stark ward die Glut seiner 
Sehnsucht, dass er an Mariamnes Tod durchaus nicht 
glauben wollte, sondern in seinem Gram sie anredete, 
als sei sie noch am Leben, bis er endlich, von der Zeit 
belehrt, die Dahingeschiedene mit derselben Inbrunst 
betrauerte, mit der er sie im Leben geliebt hatte. 



Erstes Buch, 23. Kapitel. 


125 


Dreiundzwanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XV, 10,1; XVI, 1; 3; 4. 

Mariamnes Söhne bei Herodes verleumdet. 

Die Aussöhnung. 

1 Die Söhne erbten den Hass ihrer Mutter und be- 
trachteten, wenn sie der Unthat ihres Vaters gedachten, 
denselben nicht anders denn als Feind. Bereits in Rom 
hatte diese Gesinnung sich ihrer bemächtigt, als sie dort 
ihrer Studien halber sich aufhielten; nach ihrer Heim- 
kehr aber verschärfte sich dieselbe noch ganz erheblich 
und wuchs mit den Jahren mehr und mehr an. Als sie 
dann, im heiratsfähigen Alter angelangt, sich vermählten, 
der eine mit der Tochter seiner Tante Salome \ die seine 
Mutter angeklagt hatte, der. andere mit der Tochter des 
Kappadocierkönigs Archelaus 2 , gaben sie ihrem Hass 
auch in freimütiger Rede Ausdruck. Ihre Kühnheit 
aber benutzten Verleumder dazu, ihnen Schlingen zu 
legen, und bald sagten gewisse Leute dem Könige ziemlich 
deutlich, seine beiden Söhne führten etwas gegen ihn 
im Schilde; ja, der Schwiegersohn des Archelaus rüste 
sich im Vertrauen auf seinen Schwiegervater bereits zur 
Flucht, um Herodes beim Caesar zu verklagen'. Solche 
Ohrenbläsereien verfehlten auf die Dauer ihre Wirkung 
beim Könige nicht, und so nahm er den Sohn der Doris, 
Antipater, gleichsam als Schutzwehr gegen seine anderen 
Söhne wieder auf und fing an, ihn auf alle mögliche 
l Weise vorzuziehen. 

2. Diese Veränderung aber war für die Söhne der 
Mariamne unerträglich, und da sie den Sohn der Mutter 
aus bürgerlichem Stande in so hohem Grade begünstigt 
sahen, vermochten sie als Sprösslinge eines edlen Ge- 
schlechtes ihren Unwillen nicht zu unterdrücken, sondern 
liessen bei jeder neuen Kränkung ihren Groll offen 

1 Berenike. 

2 Glaphyra. 


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Jlvit^RSroöir C HmiL 



126 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


hervortreten. Während nun die beiden Prinzen von 
Tag zu Tag aufsässiger wurden ,' suchte Antipater seine 
eigenen Interessen zu fördern , indem er seinen Vater 
mit grossem Geschick umschmeichelte, gegen seine 
Brüder allerlei Ränke schmiedete und teils selbst sie 
anschwärzte, teils durch seine Freunde Verleumdungen 
ausstreuen liess, bis er ihnen endlich alle Hoffnung auf 
den Thron abgeschnitten hatte. Denn nicht nur war er 
im Testament bereits als erklärter Thronfolger auf- 
geführt, sondern er wurde auch mit königlichem Ge- 
pränge und Gefolge zum Caesar geschickt, sodass ihm 
zum Könige eigentlich nur das Diadem noch fehlte. Ja, 
allmählich stieg sein Einfluss so sehr, dass er seine 
Mutter in Mariamnes Ehebett zurückbrachte. Den König 
aber wusste er durch zwei Waffen, die er zum Nachteil 
seiner Brüder gebrauchte, Schmeichelei nämlich und Ver- 
leumdung, so zu bearbeiten, dass dieser bereits den Ge- 
danken fasste, die beiden hinrichten zu lassen. 

3. Den Alexander wenigstens schleppte Herodes nach 
Rom und beschuldigte ihn vor dem Caesar, seinem Vater 
mit Gift nach dem Leben getrachtet zu haben 1 . Hierauf 
wusste Alexander zunächst vor schmerzlicher Bestürzung 
kaum etwas zu erwidern. Da er sich aber einem Richter 
gegenüber sah, der erfahrener war als Antipater und 
vernünftiger als Herodes, fasste er sich und verschleierte 
zwar die Fehler seines Vaters voll Ehrerbietung, wies 
aber um so entschiedener dessen falsche Beschuldigungen 
zurück. Nachdem er darauf auch die Unschuld seines 
mit ihm in gleicher Gefahr schwebenden Bruders dar- 
gethan hatte, beschwerte er sich über Antipaters Arglist 
und die ihnen widerfahrene Zurücksetzung, wobei ihm 
nicht nur sein reines Gewissen, sondern auch seine 
machtvolle Beredsamkeit zu Hilfe kam; denn er war 
ein ausgezeichneter Redner. Und als er dann schliesslich 
noch ausrief, ihr Vater möge sie immerhin töten, da er 

1 Nach J. A. XVI, 4, lff. nahm Herodes beide Söhne, Alexander 
und Aristobulus, mit nach Italien, und nach 4,1 fand die Ver- 
handlung nicht in Rom, sondern in Aquileja statt. 



Erstes Buch, 23. Kapitel. 


127 


nun einmal die Beschuldigung gegen sie vorgebracht 
habe, rührte er alle Anwesenden zu Thränen und ver- 
setzte auch den Caesar in eine solche Gemütsbewegung, 
dass dieser die gegen die Prinzen erhobene Anklage 
verwarf und Herodes sogleich mit ihnen aussöhnte. Zur 
Bedingung wurde dabei gemacht, dass die beiden ihrem 
Vater in allen Stücken gehorsam sein sollten, letzterer 
aber zu seinem Nachfolger ernennen könne, wen er wolle. 

4. Hierauf kehrte der König von Rom aus heim und 
gab sich den Anschein, als lege er den gegen seine 
Söhne vorgebrachten Beschuldigungen kein Gewicht 
mehr bei, während er doch in Wirklichkeit von Arg- 
wohn durchaus nicht frei war. Dafür sorgte schon der 
Ränkestifter Antipater, der ihn begleitete, wenn derselbe 
auch au 8 Furcht vor dem hohen Vermittler es nicht 
wagte, seine Feindschaft offen zu zeigen. Als sie nun 
an der Küste von Cilicien d ahin segelten , landeten sie 
auf Elaeusa, wo Archelaus sie freundlich bewirtete, für 
die Rettung seines Schwiegersohnes dankte und sich 
über die Versöhnung hocherfreut zeigte, zumal er selbst 
sogleich an seine Freunde in Rom geschrieben hatte, 
sie möchten Alexander bei der Führung seiner Sache 
behilflich sein. Alsdann gab er seinen Gästen bis 
Zephyrium das Geleit und verehrte ihnen Geschenke im 
Betrage von dreissig Talenten. 

5. In Jerusalem angelangt, versammelte Herodes das 
Volk, stellte ihm seine drei Söhne vor, gab über seine 
Reise Rechenschaft und sprach seinen innigen Dank 
gegen Gott aus sowie gegen den Caesar, der den Zwistig- 
keiten in seinem Hause ein Ende gemacht und seinen 
Söhnen ein Gut verliehen habe, grösser als die Herrschaft, 
nämlich die Eintracht. „An mir", fuhr er fort, „soll es 
gelegen sein, dieses Band noch fester zu knüpfen. Der 
Caesar hat bestimmt, dass ich der alleinige Herrscher 
in meinem Reiche sein und das Recht haben soll, über 
meinen Nachfolger zu entscheiden. Indem ich nun, 
ohne mein eigenes Interesse hintanzusetzen, in seinem 
Sinne zu handeln suche, ernenne ich diese meine drei 


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128 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Söhne zu Königen und bitte nächst Gott auch euch, 
diesem Beschluss zuzustimmqn. Denn bei dem einen 
lässt sein Alter, bei den anderen ihre edle Abkunft den 
Anspruch auf die Thronfolge gerechtfertigt erscheinen, 
und das Königreich ist ja auch so gross, dass es noch 
für mehrere zureichen würde. So wollet denn das Recht 
derer, die der Caesar in Eintracht verbunden und ihr 
Vater eingesetzt hat, anerkennen und einem jeden von 
ihnen die gebührende Ehre rückhaltlos erweisen, und 
zwar nach dem Vorrang des Alters; denn die Freude 
dessen, der mehr geehrt würde, als ihm seinem Alter 
gemäss zusteht, würde wohl nicht so gross sein, wie der 
Schmerz des dadurch Zurückgesetzten. Welche Ver- 
wandten und Freunde nun die Umgebung der einzelnen 
Prinzen bilden sollen, werde ich bestimmen. Dieselben 
werden mir zugleich dafür bürgen müssen, dass die Ein- 
tracht unter meinen Söhnen aufrecht erhalten wird. 
Denn ich weiss recht wohl, dass Hader und Streit viel- 
fach nur durch ränkesüchtige Höflinge hervorgerufen 
werden, dass aber auch anderseits nichts geeigneter ist, 
die gegenseitige Zuneigung zu fördern, als eine recht- 
schaffene Umgebung. Ferner ist es mein Wille, dass 
nicht nur diese meine Söhne, sondern auch die Offiziere 
meines Heeres für jetzt noch an mir allein ihren Rück- 
halt suchen. Denn nicht das Königtum selbst, sondern 
nur dessen Ehre übertrage ich meinen Söhnen, sodass 
also sie die Annehmlichkeiten davon gemessen, während 
ich selbst die Lasten, freilich ungern genug, zu tragen 
habe. Bedenke doch ein jeder von euch mein Alter, 
meine Lebensweise und meine Frömmigkeit. Wahrlich, 
ich bin weder so alt, dass man schon bald mein Ende 
zu erwarten hätte, noch fröne ich der Üppigkeit, die 
selbst junge Leute dahinzuraffen pflegt, und die Gottheit 
habe ich stets so verehrt, dass ich mich wohl auf eine 
recht lange Lebensdauer freuen darf 1 . Wer also in der 

1 Mit seiner Frömmigkeit sah es jedoch in Wirklichkeit sehr 
windig, aus; denn was er darin leistete, diente nur der Be- 
friedigung seines Ehrgeizes und seiner Prachtliebe. 



Erstes Buch, 24. Kapitel. 


129 


Hoffnung auf mein baldiges Ableben meinen Söhnen 
den Hof macht, der wird mir auch um ihretwillen dafür 
büssen müssen. Denn nicht etwa aus Eifersucht will 
ich übertriebene Ehrenbezeugungen gegen die, die ich 
gezeugt, vermieden wissen, sondern weil ich weise, dass 
Schmeichelei für junge Leute leicht eine Anreizung zum 
Trotze wird. Wenn daher jeder, der mit ihnen verkehrt, 
erwägt, dass nur der Gutgesinnte auf meinen Dank 
rechnen kann, der Störenfried dagegen nicht einmal von 
dem, welchem er schmeichelt, eine Belohnung für seine 
Schlechtigkeit zu erwarten hat, so werden, glaube ich, 
alle meine Unterthanen mein Interesse wahrnehmen, 
das ja auch zugleich das meiner Söhne ist ; denn diesen 
kann es nur Nutzen bringen, wenn ich an der Spitze 
und in gutem Einvernehmen mit ihnen bleibe. Ihr aber, 
meine braven Söhne, denkt an die heiligen Bande der 
Natur, die selbst beim wilden Tier die Fortdauer der 
Liebe sichern, an den Caesar, der die Versöhnung 
zwischen uns zustande gebracht, und dann endlich 
auch an mich, der ich da bitte, wo ich befehlen könnte, 
und bleibet Brüder! Ich gebe euch nun königliche 
Gewänder und königliche Hofhaltung und flehe zu Gott, 
dass er dieser meiner Entscheidung seinen Schutz nicht 
versagen möge, wofern ihr nur einig bleibt“ Nach 
dieser Ansprache umarmte er liebevoll jeden seiner 
Söhne und entliess dann das Volk, von welchem der 
eine Teil seinen Worten den besten Erfolg wünschte, 
während die Neuerungssüchtigen sich stellten, als hätten 
.sie nichts gehört. 


Vierundzwanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 7, 2 — 8, 3. 

Neue Ränke am Hofe des Herodes. 

1. Die Brüder aber liessen von ihrer Zwietracht nicht 
ab, und als sie sich trennten, war ihr Argwohn gegen- 
einander schlimmer denn zuvor. Alexander und Aristo- 

Josephas, jüdischer Krieg. 9 




130 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


bulus fühlten sich dadurch gekränkt, dass dem Antipater 
sein Altersvorrang nunmehr förmlich bestätigt worden 
war; dieser hingegen missgönnte seinen Brüdern selbst 
das noch, dass sie die nächsten nach ihm sein sollten. 
Während aber Antipater seine Gedanken für sich zu 
behalten verstand und als äusserst verschmitzter Mensch 
seinen Hass gegen die Brüder geschickt verbarg, hatten 
die letzteren, wie es ihre edle Abkunft mit sich brachte, 
stets das Herz auf der Zunge. Zudem gaben sich viele 
ihrer Freunde eifrig Mühe, sie aufzuhetzen, und noch 
grösser war die Zahl derer, die sich als Späher bei 
ihnen eingeschlichen hatten. So kam es, dass jedes 
Wort Alexanders schon im nächsten Augenblick bei 
Antipater war, von wo es dann mit Zusätzen zu Herodes 
wanderte. Selbst ganz harmlose Äusserungen des jungen 
Mannes wurden in verleumderischem Sinne verdreht und» 
als schuldvoll ausgelegt; hatte er aber einmal auch nur 
ein klein wenig freier gesprochen, so that die Phantasie 
das ihrige, um die Kleinigkeit ins ungeheuerliche auf- 
zubauschen. Dabei schickte Antipater unter der Hand 
stets Leute ab, die Alexander aufhetzen sollten, damit 
die Lüge durch wirkliche Vorgänge wenigstens in etwa 
gestützt würde. Denn wenn selbst nur ein Körnchen 
von dem, was das Gerücht meldete, sich als wahr er- 
wies, fand das übrige um so eher Glauben. Seine 
eigenen Freunde dagegen waren entweder von Natur 
sehr verschwiegen oder durch Geschenke soweit bearbeitet, 
dass sie nichts von dem verlauten liessen, was geheim 
gehalten werden sollte. Ganz treffend könnte man 
Antipaters Leben einen Geheimdienst der Bosheit nennen.. 
Denn auch diejenigen, welche mit Alexander verkehrten, 
hatte er durch Bestechung oder arglistige Schmeichelei, 
seine Hauptlockmittel, zu Verrätern gemacht, die alles, 
was vorging oder geredet wurde,* ihm insgeheim zutrugen.. 
Er selbst gab dabei den richtigen Schauspieler ab und 
wusste mit grosser Schlauheit seine Verleumdungen bei 
Herodes anzubringen, indem er selbst die Maske als 
Bruder trug und andere Leute als Angeber vorschob. 


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Erstes Buch, 24. Kapitel. 


131 


War nun über Alexander etwas hinterbracht worden, 
so kam er scheinbar zufällig zu Herodes, verwarf anfangs 
das Gesagte, wusste es aber dann doch unvermerkt 
glaublich zu machen und den Unwillen des Königs zu 
erregen. Alles musste auf Nachstellungen bezogen 
werden und den Anschein erwecken, als ob Alexander 
die Ermordung seines Vaters plane; nichts aber ver- 
mochte den Verleumdungen mehr Glauben zu verschaffen, 
als Antipaters Auftreten in der Rolle des Verteidigers. 

2. So verbitterte sich denn des Herodes Gemüt mehr 
und mehr, und in dem Masse, wie er tagtäglich seine 
Liebe den jungen Leuten entzog, wandte er dieselbe 
Antipater zu. Mit ihm zog sich übrigens auch die Hof- 
gesellschaft von den Prinzen zurück, die einen freiwillig, 
die anderen auf Befehl, wie Ptolemaeus, der angesehenste 
Freund des Königs, ferner des Herodes Brüder 1 und 
seine ganze übrige Familie. Denn Antipater galt alles, 
und allvermögend war zum grossen Leidwesen Alexanders 
auch Antipaters Mutter, deren Rat stets gegen ihn und 
seinen Bruder Aristobulus sich richtete, und die, weil 
sie schlimmer wie eine Stiefmutter war, die Söhne der 
Königin auch bitterer denn als blosse Stiefsöhne hasste. 
Von allen Seiten wurde nun Antipater um seiner 
glänzenden Aussichten willen der Hof gemacht, während 
anderseits ein Befehl des Königs den Vornehmen jeden 
Verkehr mit Alexander und seiner Umgebung unter- 
sagte und dadurch die beiden jungen Leute vollends 
aller ihrer Freunde beraubte. Denn das vom Caesar 
dem Herodes verliehene, sonst noch keinem König zu- 
gestandene Recht, flüchtige Personen selbst aus einer 
ihm nicht gehörenden Stadt herausholen zu dürfen, 
schreckte nicht nur die einheimischen, sondern auch die 
auswärtigen Freunde der Prinzen ab. Von allen diesen 
Ränken nun hatten die beiden nicht die geringste 
Ahnung, und so konnte es bei ihrer Unvorsichtigkeit 


1 Muss wohl heissen: Bruder, da von des Herodes Brüdern ja 
nur noch einer, Pheroras, am Leben war. 


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132 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

nicht ausbleiben, dass sie mehr und mehr in dieselben 
verstrickt wurden. Ihr Vater nämlich machte ihnen 
niemals offene Vorwürfe, und nur seine Kälte und sein 
rasches Aufbrausen bei unangenehmen Vorfällen liess 
sie den Sachverhalt vermuten. Unterdessen hatte Anti- 
pater auch ihren Oheim Pheroras gegen sie eingenommen 
sowie ihre Tante Salome, mit der er so vertraulich, als 
wäre sie seine Gattin, verkehrte, um sie aufzuhetzen. 
Die Feindseligkeit der Salome erhielt übrigens noch be- 
sondere Nahrung durch die Prahlerei der Gemahlin 
Alexanders, Glaphyra, die gern ihre vornehmen Ahnen 
aufzählte und als Sprössling des Temenos 1 von väter- 
licher und des Darius Hystaspis von mütterlicher Seite 
sich als Gebietern sämtlicher im Königshaüse befind- 
lichen Frauen geberdete. Auch schmähte sie gar häufig 
nicht nur des Herodes Schwester wegen deren niedriger 
Herkunft, sondern auch seine Gattinnen, von denen sie 
behauptete , der König habe sie doch nur um ihrer 
körperlichen Schönheit, nicht um ihres Adels willen zur 
Ehe genommen. Herodes hatte nämlich eine ganze 
Anzahl Frauen, einmal weil den Juden nach ihrem Ge- 
setze Vielweiberei gestattet ist, und dann auch, weil er 
sein Vergnügen daran fand. Alle diese Frauen wurden 
nun infolge von Glaphyras Grossthuerei und Lästerreden 
zu erbitterten Feindinnen Alexanders. 

3. Aber auch Aristobulus zog sich, obwohl er Salomes 
Schwiegersohn war, deren Feindschaft zu, und das um 
so mehr, als sie bereits durch Glaphyras Lästerungen 
in Zorn versetzt war. Er warf nämlich seiner Gattin 
beständig ihre unedle Abkunft vor und beklagte sich 
darüber, dass, während sein Bruder Alexander eine 
Königstochter geheiratet habe, er selbst mit einer Frau 
aus bürgerlichem Stande sich habe begnügen müssen. 
Unter Thränen hinterbrachte sie dies ihrer Mutter Salome 
und fügte hinzu, Alexander und Aristobulus hätten ge- 
droht, sie wollten, wenn sie nur erst am Ruder wären, 


1 Mythischer König von Argos. 


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Erstes Buch, 24. Kapitel. 


133 


die Mütter ihrer übrigen Brüder wie Sklavinnen an den 
Web6tuhl schicken und die Brüder selbst zu Dorf- 
schreibern machen, da dieselben ja, wie sie spöttelnd 
hinzugefügt, eine so vortreffliche Ausbildung genossen 
hätten. Salome vermochte ihren Ärger hierüber nicht 
zu bemeistern, sondern teilte alles ihrem Bruder Herodes 
mit, und da sie gegen ihren eigenen Schwiegersohn auf- 
trat, fand sie leicht Glauben. Noch ein anderes Gerede 
trug dazu bei, den Zorn des Königs zu entflammen. Es 
ward ihm nämlich zu Ohren gebracht, die Söhne der 
Mariamne riefen häufig unter Schluchzen und Ver- 
wünschungen gegen Herodes den Namen ihrer Mutter 
aus, und jedesmal, wenn ihr Vater ein Kleid der Mariamne 
einer der später geehelichten Frauen zuteile, verstiegen 
sie sich zu der Drohung, statt königlicher Gewänder 
würden diese Weiber wohl bald härene anlegen müssen. 

4. So sehr nun auch dieses stolze Gebaren der jungen 
Leute den König beunruhigte, gab er doch die Hoffnung, 
sie auf bessere Wege zu bringen, nicht auf. Im Begriff, 
nach Rom zu reisen, berief er sie daher zu sich und 
stiess zunächst einige Drohungen in seiner Eigenschaft 
als König gegen sie aus; dann aber sprach er ihnen als 
Vater zu, ermahnte sie, ihre Brüder zu lieben, und ver- 
hiess ihnen Verzeihung für die bisher begangenen Fehler, 
wenn sie sich in Zukunft bessern wollten. Die beiden 
wiesen hierauf das gegen sie vorgebrachte Geschwätz als 
lügenhaft zurück und betonten, dass doch schon ihre 
Handlungen dazu angethan seien, ihrer Verteidigung 
Glauben zu verschaffen. Nun solle der König aber 
auch den Klatschereien einen Riegel vorschieben und 
nicht mehr so leichtgläubig sein; denn an Lügen gegen 
sie werde es wohl so lange nicht fehlen, als es jemand 
gebe, der sie glaube. 

5. Indem sie sich mit .diesen Vorstellungen an das 
Vaterherz des Königs wandten, beseitigten sie zwar für 
den Augenblick die Gefahr; um so trauriger aber ge- 
stalteten sich ihre Aussichten für die Zukunft, da sie 
jetzt von der feindseligen Stimmung der Salome und 



134 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

ihres Oheims Pheroras Kenntnis erlangten. Beide waren 
erbitterte und gefährliche, Pheroras aber dazu auch noch 
ein mächtiger Gegner; denn er war Mitregent desHerodes, 
nur ohne Krone, hatte hundert Talente Einkünfte von 
eignem Besitz und genoss den Ertrag des ganzen Landes 
jenseits des Jordan als Geschenk seines Bruders, der ihn 
auch mit Einwilligung des Caesars zum Tetrarchen ge- 
macht und der Ehe mit dem Spross eines Königshauses 
gewürdigt hatte , indem er ihm die Schwester seiner 
eigenen Gattin vermählte. Nach deren Tod hatte der 
König ihm seine älteste Tochter nebst einer Mitgift von 
dreihundert Talenten zugedacht, doch war Pheroras aus 
Liebe zu einer Sklavin der Heirat mit der Königstochter 
aus dem Wege gegangen. Aus Ärger darüber ver- 
mählte nun Herodes seine Tochter mit einem seiner 
Neffen 1 , der später im Kriege gegen die Parther fiel, 
liess aber doch bald seinen Zorn gegen Pheroras aus 
Nachsicht mit dessen Liebeskrankheit fahren. 

6. Schon früher, als die Königin 2 noch lebte, war 
Pheroras beschuldigt worden, dem Könige mit Gift nach 
dem Leben getrachtet zu haben. Jetzt aber häuften sich 
die diesbezüglichen Anschuldigungen wieder in dem 
Masse, dass Herodes, so innig er seinen Bruder auch 
liebte, doch endlich dem Gerede Glauben schenkte und 
in Angst geriet. Nachdem er nun dieserhalb viele von 
den als Mitwisser verdächtigten Personen hatte foltern 
lassen, kam schliesslich die Beihe auch an des Pheroras 
Freunde. Von diesen gestand zwar keiner einen förm- 
lichen Mordanschlag ein, wohl aber vernahm man, dass 
Pheroras Anstalten getroffen habe, seine Geliebte zu ent- 
führen und mit ihr zu den Parthern zu fliehen, ferner 
dass Kostobar, der Gatte der Salome, mit dem sie der 
König vermählt hatte, nachdem ihr erster Gemahl 3 
wegen Ehebruchs hingerichtet worden war, jenen Plan 

1 Einem Sohne Phasaels (s. J. A. XVI, 7,3). 

2 Gemeint ist Mariamne, die, wie es scheint, allein unter allen 
Gattinnen des Herodes so genannt wurde. 

8 Joseph (s. 22, 4 und 5). 


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Erstes Buch, 24. Kapitel. 


135 


und die Flucht habe unterstützen wollen. Aber auch 
Salome blieb nicht frei von Beschuldigungen; denn ihr 
Bruder Pheroras klagte sie an, sich mit Syllaeus, dem 
Verwalter des gegen Herodes äusserst feindlich gesinnten 
Araberkönigs Obedas, in ein Verlöbnis eingelassen zu 
haben. 1 Obwohl sie nun dieser wie aller übrigen von 
Pheroras wider sie erhobenen Anklagen überführt ward, 
erhielt sie dennoch Verzeihung, und auch den Pheroras 
sprach der König von dem ihm zur Last gelegten Ver- 
gehen frei 2 . 

7. So zog sich denn das Gewitter über Alexander 
allein zusammen und entlud sich gänzlich auf sein Haupt. 
Unter seinen Verschnittenen hatte der König drei, die 
er sehr schätzte, wie schon aus den ihnen ob- 
liegenden Dienstverrichtungen hervorging. Der eine 
nämlich versah das Amt eines Mundschenken, der andere 
trug bei Tische auf, und der dritte bediente ihn, wenn 
er zur Ruhe ging, und schlief in seiner nächsten Nähe. 
Diese drei nun machte Alexander durch grosse Geschenke 
seiner Wollust dienstbar. Der König aber erhielt Kennt- 
nis davon und liess sie peinlich verhören. Hierbei ge- 
standen sie den unzüchtigen Umgang sogleich ein und 
gaben auch die Versprechungen an, wodurch Alexander 
sie verführt habe. Von Herodes, habe er gesagt, dürften 
sie nichts mehr erhoffen ; denn er sei ein alter Narr, der 
sich das Haar färbe, um für jung gehalten zu werden. 
Sie sollten sich vielmehr zu ihm halten, da er in Bälde 
selbst wider den Willen seines Vaters zur Herrschaft 
gelangen, seine Feinde züchtigen und seine Freunde, vor 
allen sie selbst, reich und glücklich machen werde. 
Schon seien im stillen die Grossen des Reiches auf seiner 
Seite, und die hohen wie niederen Offiziere hätten ge- 
heime Zusammenkünfte mit ihm. 


1 Nach J. A. XVI, 7, 6 kam 'diese Ehe nichtl zustande, weil 
Syllaeus sich weigerte, zum Judentum überzutreten. 

2 Vergl. hierzu besonders J. A. XVI, 7,3 — 7,6. Die oben 
erwähnte Anklage gegen Pheroras wird übrigens im folgenden Kapitel 
noch einmal, und zwar ausführlicher, behandelt. 




136 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


8. Diese Aussagen erschreckten den König in solchem 
Grade, dass er für den Augenblick nicht einmal offenen 
Gebrauch davon zu machen wagte. Er schickte vielmehr 
unter der Hand bei Nacht wie bei Tage Späher aus, 
durch die er alles erfuhr, was vor sich ging und ge- 
sprochen wurde; wer in Verdacht geriet, musste auf der 
Stelle sein Leben lassen. Voll von schrecklichem Frevel 
ward nun der Königspalast. Jeder nämlich erdichtete 
Verleumdungen, wie Feindschaft und Hass sie ihm ein- 
gaben, und viele missbrauchten den mordgierigen Zorn 
des Königs zum Nachteil ihrer Gegner. Die Lüge fand 
augenblicklich Glauben, und fast schneller, als die Be- 
schuldigung ausgesprochen werden konnte, vollzog sich 
die Strafe. Ja, manchmal wurde jemand, der eben noch 
Ankläger gewesen, selbst angeklagt und zugleich mit 
seinem Opfer hingerichtet. Denn die Sorge um sein 
eigenes Leben verleidete dem König langwierige Unter- 
suchungen. Schliesslich verbitterte sich sein Gemüt 
derart, dass er auch die Unschuldigsten nicht mehr 
gnädig ansah und sogar seine Freunde im höchsten 
Grade abstossend behandelte. So verbot er vielen von 
ihnen den Palast, und an wem seine Hand sich nicht 
vergreifen durfte, den beleidigte er mit Worten. Um 
nun auf Alexander zurückzukommen, so machte Antipater 
sich dessen unerquickliche Lage zunutze und liess, indem 
er seine Verwandten wie eine festgeschlossene Rotte um 
sich scharte, alle möglichen Verleumdungen gegen ihn 
los. Der König aber wurde durch Antipaters Blend- 
werk und Erdichtungen in solche Angst gejagt, dass 
er beständig Alexander mit gezücktem Schwert vor sich 
zu sehen wähnte. Er liess ihn daher plötzlich ergreifen 
und in Fesseln legen und schritt sodann zur Folterung 
seiner Freunde. Die meisten von diesen starben schweigend, 
ohne etwas wider besseres Wissen ausgesagt zu haben; 
diejenigen aber, welche durch die Folterqualen sich zu 
Lügen treiben Hessen, sagten aus, Alexander trachte im 
Verein mit seinem Bruder Aristobulus dem Könige nach 
dem Leben und warte nur auf eine Gelegenheit, ihn auf 


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Erstes Buch, 25. Kapitel. 


187 


der Jagd zu ermorden und dann nach Rom zu fliehen. 
Solchen unwahrscheinlichen , weil in der Todesangst 
hervorgestossenen Geständnissen schenkte der König 
nur zu gern Glauben und tröstete sich über die Ein- 
kerkerung seines Sohnes mit der scheinbaren Gerechtig- 
keit dieser Massregel. 


Fünfundzwanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 8, 5 und 6. 

Archelaus söhnt Alexander und Pheroras wieder mit 
Herodes aus. 

1. Als Alexander einsah, dass es unmöglich sei, 
seinem Vater eine andere Überzeugung beizubringen, 
beschloss er, der Gefahr kühn die Stirn zu bieten. Er 
verfasste daher vier Bücher gegen seine Feinde, worin 
er zwar den verbrecherischen Anschlag eingestand, zu- 
gleich aber auch die meisten seiner Gegner, besonders 
Pheroras und Salome, als seine Mitverschworenen be- 
zeichn ete. Letztere, behauptete er, habe sich sogar einmal 
des Nachts bei ihm eingedrängt und ihn wider seinen 
Willen zum Beischlaf genötigt. Diese Bücher voll 
schwerer Anklagen gegen die mächtigsten Personen 
waren schon in den Händen des Königs, als Archelaus 
aus Angst um seinen Schwiegersohn und seine Tochter 
eilends in Judaea ankam — ein sehr gewandter Helfer in 
der Not, da er die von seiten des Königs drohende 
Gefahr durch List abzuwenden verstand. Kaum nämlich 
war er bei Herodes eingetreten, als er in die Worte 
ausbrach: „Wo ist doch mein verruchter Schwiegersohn, 
und wo finde ich den Vatermörder, dass ich ihm das 
Haupt mit eigener Hand zerfleische ? Auch meine 
Tochter will ich ihrem sauberen Gemahl beigesellen ; 
denn wenn sie auch an seinen Anschlägen nicht teilnahm, 
so ist sie doch durch die eheliche Verbindung mit einem 
solchen Menschen entehrt. Wundern muss ich mich nur 


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138 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


über die von dir, dem Gefährdeten, bewiesene Langmut, 
und dass Alexander überhaupt noch am Leben ist. 
Denn als ich von Kappadocien hierher eilte, nahm ich 
als selbstverständlich an, dass ich ihn schon längst hin- 
gerichtet finden und mit dir nur noch meine Tochter 
zur Verantwortung zu ziehen haben würde, die ich ihm 
aus Hochachtung vor dir und deinem Stande zur Ehe 
gegeben hatte. Nun aber müssen wir über beide be- 
schliessen, und wenn du zu sehr Vater sein solltest und 
zu weichherzig , um den Sohn, der dir nach dem Leben 
trachtete, zu bestrafen, so wollen wir die Rollen tauschen 
und einer des anderen Zorn übernehmen.“ 

2. Durch diese hochtönenden Worte wusste Archelaus 
den Herodes, wiewohl derselbe sich anfangs recht zurück- 
haltend benommen hatte, doch etwas zutraulicher zu 
machen. Und alsbald gab Herodes ihm die von Alexander 
verfassten Bücher zum überlesen, blieb bei jedem Haupt- 
abschnitt derselben stehen und ging den Inhalt mit 
ihm durch. Diese Gelegenheit nahm Archelaus wahr, 
um seinen schlau ersonnenen Plan auszuführen, und 
schob unvermerkt alle Schuld auf die in der Schrift 
genannten Personen, besonders aber auf Pheroras. Sobald 
er nun merkte, dass der König anfing, seinen Worten 
Glauben zu schenken, fuhr er fort: „Wir müssen unter- 
suchen, ob nicht vielmehr dem jungen Manne von diesen 
vielen Bösewichtern Fallen gelegt werden, statt dass er 
dir Nachstellungen bereitet. Denn es liegt doch eigentlich 
gar kein Grund vor, weshalb er sich eines solchen 
Frevels schuldig machen sollte, da er schon jetzt könig- . 
liehe Ehren geniesst und Aussicht auf die Thronfolge 
hat, es müssten denn Verführer dagewesen sein, die 
seinen jugendlichen Leichtsinn ausgebeutet hätten. Solche 
Menschen pflegen ja nicht bloss jungen, sondern auch 
alten Leuten gar oft den Kopf zu verdrehen und vor- 
nehme Familien wie ganze Königreiche ins Verderben 
zu stürzen.“ 

3. Diesen Ausführungen zollte Herodes Beifall, und 
in dem Masse, wie sein Groll gegen Alexander nachliess, 



Erstes Buch, 25. Kapitel. 


139 


verstärkte sich seine Erbitterung gegen Pheroras, von 
dem die vier Bücher vornehmlich handelten. Als letzterer 
nun die gereizte Stimmung des Königs und den mächtigen 
Einfluss des Archelaus bemerkte, setzte er zum Zweck 
seiner Rettung, die er auf ehrenhafte Weise nicht zu 
erreichen vermochte, all seinen Mannesstolz beiseite. 
Ohne sich nämlich weiter um Alexander zu kümmern, 
nahm er seine Zuflucht zu Archelaus. Dieser erklärte 
ihm, er sehe keine Möglichkeit, der Gefahr zu entrinnen, 
da so viele Beschuldigungen gegen ihn vorlägen, aus 
denen klar hervorgehe, dass er dem Könige nach dem 
Leben gestellt und den jungen Mann in seine jetzige 
schlimme Lage gebracht habe; es sei denn, dass er sich 
entschliessen könne, aller Arglist und Lüge zu entsagen, 
die ihm zur Last gelegten Schandthaten einzugestehen 
und Herodes im Vertrauen auf dessen Bruderliebe um 
Verzeihung zu bitten. In diesem Fall wolle er seiner- 
seits alles aufbieten, um ihm beizustehen. 

4. Pheroras ging auf diesen Vorschlag ein, legte, um 
einen recht erbarmenswerten Eindruck zu machen, ein 
schwarzes Gewand an und fiel Herodes zu Füssen. 
Unter Thränen bat er ihn sodann, wie das früher schon 
manchmal geschehen war, um Verzeihung und bekannte 
sich als den ruchlosen Menschen, der alle die ihm vor- 
geworfenen Schlechtigkeiten sich habe zu schulden 
kommen lassen, jammerte aber zugleich darüber, dass 
die Leidenschaft für ein Weib 3 ihn in Geistesverwirrung 
und Wahnsinn gestürzt habe. Nachdem nun Archelaus 
dergestalt es fertig gebracht hatte, Pheroras zum Ankläger 
und Zeugen wider sich selbst zu machen, da erst legte 
er sich aufs Bitten und suchte den Zorn des Herodes 
zu beschwichtigen, indem er ein Beispiel aus seiner 
Familie anführte. „Auch ich,“ sprach er, „hatte einen 
Bruder, von dem ich noch weit schlimmere Unbilden 
erfuhr, und doch habe ich das Gebot der Natur höher 
geachtet als das der Rache. Denn auch in Staaten 


1 Nämlich die 24, 5 erwähnte Sklavin. 



140 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

entstehen leicht, wie in grossen Leibern, infolge der 
Schwere einzelner Teile entzündliche Auswüchse, die 
man nicht abschneiden , sondern durch gelinde Mittel 
heilen muss.“ 

5. Durch solche und ähnliche Vorstellungen gelang 
es Archelaus, den Herodes gegen Pheroras milder zu 
stimmen. Er selbst jedoch hielt an seinem scheinbaren Zorn 
gegen Alexander fest und erklärte sogar, er wolle seine 
Tochter von ihm trennen und mit sich nehmen, bis er 
endlich den Herodes so weit brachte, dass dieser sich 
für den jungen Mann ins Mittel legte und Archelaus 
bat, er möge doch Glaphyra ihrem Gatten belassen. 
Mit gewinnendster Freundlichkeit stellte nun Archelaus 
dem Könige frei, Glaphyra mit irgend einem beliebigen 
Manne zu vermählen, nur nicht mit Alexander; denn 
nichts liege ihm so sehr am Herzen, als die Aufrecht- 
erhaltung der guten Beziehungen, in denen er zu Herodes 
stehe. Letzterer jedoch versicherte, er werde seinen 
Sohn wie ein Geschenk aus Archelaus’ Hand annehmen, 
wenn dieser die Ehe ungelöst lassen wolle, die ja bereits 
mit Kindern gesegnet sei. Auch erfreue sich Glaphyra 
der zärtlichsten Liebe ihres Gatten und werde, so lange 
sie bei ihm bleibe, ihn gewiss vor ähnlichen Verirrungen 
bewahren. Werde sie ihm aber entrissen, so könne das 
leicht den jungen Mann zur Verzweiflung treiben; denn 
wo die angenehm zerstreuenden häuslichen Freuden 
fehlten, da sei das Ungestüm der Jugend nicht mehr in 
Schranken zu halten. Hierauf gab denn Archelaus, 
wiewohl zögernd, endlich nach, liess von seinem schein- 
baren Unwillen gegen Alexander ab und söhnte den 
jungen Mann mit seinem Vater wieder aus. Doch, 
fügte er hinzu, müsse man ihn jedenfalls nach Rom 
schicken, damit er den Caesar sprechen könne; denn er 
selbst habe dem Augustus bereits über alles brieflichen 
Bericht erstattet. 

6. Damit hatte Archelaus die Rolle des Verstellers 
zu Ende gespielt und seinen Schwiegersohn gerettet. 
Gelage und Freudenfeste folgten nun der Versöhnung, 


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Erstes Buch, 26. Kapitel. 


141 


und als Archelaus abreiste, verehrte Herodes ihm siebzig 
Talente, einen goldenen, mit Edelsteinen verzierten 
Thronsessel, mehrere Verschnittene und ein Kebsweib 
Namens Pannychis ; auch das Gefolge ward entsprechend 
beschenkt. Weitere prächtige Gaben erhielt Archelaus 
auf Befehl des Königs von dessen Verwandten. Alsdann 
gaben Herodes und die Grossen ihm das Geleit bis 
Antiochia. 


Sech sund zwan zi gstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 10, 1 ff. 

Eurykles verleumdet die Söhne der Mariamne. 

1. Bald darauf landete in Judaea ein Mann, der in 
listigen Kunstgriffen noch erfahrener war als Archelaus, 
und der nicht bloss die von letzterem zu gunsten 
Alexanders bewirkte Aussöhnung wieder zunichte machte, 
sondern auch dazu noch den Untergang des Prinzen 
verschuldete. Es war dies ein Lakedaemonier mit 
Namen Eurykles, den schnöde Geldgier ins jüdische 
Königreich geführt hatte, nachdem Griechenland für 
seine Verschwendungssucht zu klein geworden war. Dem 
Herodes brachte er als Lockmittel glänzende Geschenke, 
um dadurch seine Zwecke zu fordern, und erhielt auch 
wirklich sogleich Gegengeschenke von weit höherem 
Wert Doch nicht zufrieden mit dieser reinen Gabe, 
glaubte er vielmehr, die Gunst eines Königs auch noch 
mit Blut erkaufen zu müssen. Zunächst also schlich er 
sich bei Herodes durch Schmeicheleien und gleissnerische 
Lobeserhebungen ein, die er mit beredten Worten an- 
zubringen wusste, und als er, was schnell der Fall war, 
des Königs Charakter durchschaut hatte, redete und 
that er alles nur ihm zu Gefallen. Auf diese Weise 
wurde er bald einer der vertrautesten Freunde des 
Herodes und als Spartaner von diesem wie dem ge- 


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142 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


eamten Hofe schon um seines Vaterlandes willen 1 mit 
grösster Auszeichnung behandelt. 

2. Kaum nun hatte dieser Mann die wunden Punkte 
der königlichen Familie, nämlich die Feindseligkeit 
zwischen den Brüdern und die ungleichartige Gesinnung 
des Vaters seinen Söhnen gegenüber bemerkt, als er 
unter dem Vorgeben, ein alter Freund des Archelaus 
zu sein, Wohlwollen für Alexander heuchelte, während 
er doch bereits bei Antipater gastliche Aufnahme ge- 
funden und bei dieser Gelegenheit sich in dessen Ver- 
trauen eingeschlichen hatte. Von Alexander ward er 
übrigens aus dem erwähnten Grunde sogleich wie ein 
erprobter Freund aufgenommen, und auch bei dessen 
Bruder Aristobulus wusste er sich alsbald zu empfehlen. 
In allen Rollen bewandert, verstand er jedem auf eine 
besondere Art beizukommen; vorzugsweise jedoch ward 
er Antipaters Söldling und Alexanders Verräter. Dem 
ersteren machte er Vorwürfe darüber, dass er als der 
älteste Prinz Leute neben sich dulde, die nur darauf 
ausgingen, seine Anwartschaft auf den Thron zunichte 
zu machen, dem Alexander aber darüber, dass er, der 
Sohn einer Königin und Gemahl einer Königstochter, ' 
der noch dazu an Archelaus einen so trefflichen Rückhalt 
habe, es zulasse, dass der Sohn eines bürgerlichen Weibes 
zur Thronfolge gelange. Weil nun Eurykles sich lügen- 
hafterweise auf die Freundschaft des Archelaus bezog, 
glaubte Alexander an ihm einen zuverlässigen Ratgeber 
zu haben und beklagte sich deshalb nicht nur offen- 
herzig bei ihm über Antipater, sondern liess auch die 
Bemerkung fallen, Herodes, der ihre Mutter ermordet 
habe, werde sich wohl auch kein Gewissen daraus machen, 
ihnen den Thron zu entreissen, auf den sie als die 
Söhne eben dieser Mutter ein Anrecht hätten. Auf diese 
Äusserungen hin verfehlte Eurykles nicht, Mitleid und 


1 Die Juden hatten bereits zu wiederholten Malen Freund- 
schaftsbündnisse mit den Lakedaemoniern geschlossen (s. J. A. XU, 
4, 10; XIII, 5, 8). 



Erstes Buch, 26. Kapitel. 


143 


Bedauern zu heucheln. Sobald er aber auch dem Aristo- 
bulus ähnliche Klagen entlockt uiid beide zu unzufriedenen 
Auslassungen über ihren Vater verleitet hatte, hinter- 
brachte er schleunigst das Geheimnis dem Antipater, 
nicht ohne die rein erfundene Behauptung hinzuzufügen, 
die Brüder hätten es auf seine Ermordung abgesehen 
und seien drauf und dran, ihn mit blanker Waffe zu 
überfallen. Reich beschenkt für diese Mitteilungen, 
strich er sodann Antipater bei Herodes gehörig heraus 
und arbeitete endlich geradeswegs auf Aristobulus’ und 
und Alexanders Untergang hin, indem er sie bei ihrem 
Vater anklagte. Alsbald nämlich begab er sich zu 
Herodes und erklärte ihm, er wolle ihm als Gegen- 
geschenk für die empfangenen Wohlthaten und zum 
Dank für die genossene Gastfreundschaft das Leben 
retten. Schon lange sei das Schwert zur Ermordung 
des Königs geschärft und Alexanders Rechte gegen ihn 
ausgestreckt. Doch habe er, Eurykles, die Ausführung 
des Anschlages aufzuhalten gewusst, indem er der Ver- 
schwörung zum Schein als Genosse beigetreten sei. 
Alexander pflege zu sagen, Herodes sei nicht zufrieden, 
auf einem Thron zu sitzen, der ihm nicht gehöre, und 
nach der Ermordung ihrer Mutter deren Reich zu zer- 
stückeln, sondern er stelle auch noch einen Bastard als 
Thronfolger auf, diesen verwünschten Antipater, dem er 
ihr angestammtes Königreich zugedacht habe. Er aber, 
Alexander, werde den Schatten des Hyrkanus und der 
Mariamne ein Sühnopfer darbringen ; denn aus der Hand 
eines solchen Vaters dürfe er die Herrschaft nicht ohne 
Blutvergiessen annehmen. Übrigens vergehe kein Tag, 
an dem er nicht durch vielfache Anlässe gereizt werde, 
und kein Wort komme über seine Lippen, das man 
unverdreht lasse. Sei von der edlen Abkunft anderer 
Menschen die Rede, so schmähe man ihn ohne Grund, 
und besonders Herodes pflege dann zu bemerken : 
„Alexander allein ist edelgeboren, darum missachtet er 
auch seinen Vater, der von geringer Herkunft ist.“ Auf 
der Jagd stosse man sich daran, wenn er schweige; 



144 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


thue er aber seinen Mund auf, um eine Anerkennung 
auszusprechen, so wolle man einen Spott heraushören. 
Bei jeder Gelegenheit fahre sein Vater ihn rauh an, 
und nur gegen Antipater erweise derselbe sich liebreich. 
Gern wolle er deshalb sterben, wenn der Anschlag gegen 
Herodes fehlgehe. Gelinge dagegen die Ermordung des 
Königs, so erwarte er Rettung in erster Linie von seinem 
Schwiegervater Archelaus, zu dem er leicht werde ent- 
kommen können, und nächst ihm vom Caesar, der bis 
jetzt den wahren Charakter des Herodes noch gar nicht 
kenne. Denn nicht wie früher werde er ihm dann 
gegenüberstehen, zitternd vor dem mitanwesenden Vater, 
noch sich auf die seine Person allein betreffenden Klagen 
beschränken, sondern vornehmlich wolle er dann das 
Elend seines Volkes schildern und darthun, wie man 
demselben durch Steuerdruck das Mark ausgepresst, für 
welche Schlemmereien und Schandthaten man das Blut- 
geld verschleudert, was für Menschen es seien, die sich 
vom Eigentum seiner Landsleute bereichert, und denen 
man ganze Städte zum Geschenk gemacht; da endlich 
wolle er auch um Rache rufen für seinen Grossvater 
und seine Mutter und alle Greuel der jetzigen Regierung 
ans Licht bringen. Dass man ihn aber dann noch als 
Vatermörder verurteilen werde, glaube er nun und nimmer. 

3. Als Eurykles mit diesen seinen abenteuerlichen 
Lügen über Alexander zu Ende war* überhäufte er 
Antipater mit Lobsprüchen und hob hervor, wie dieser 
allein seinen Vater liebe, und wie deswegen an ihm 
allein bisher der Anschlag gegen des Königs Leben 
gescheitert sei. Herodes, der die früheren Vorfälle noch 
nicht ganz vergessen hatte, geriet nunmehr in rasenden 
Zorn. Antipater aber nahm, wie auch früher, die günstige 
Gelegenheit wahr, um andere Ankläger gegen seine 
Brüder vorzuschieben, welche aussagten, die Prinzen 
hätten heimliche Zusammenkünfte mit Jucundus und 
Tyrannus gehabt, zwei ehemaligen königlichen Reiter- 
offizieren, die jüngst wegen gewisser Verfehlungen ihres 
Dienstes enthoben worden waren. Dadurch ward Herodes 



Erstes Buch, 26. Kapitel. 


145 


in die äusserste Wut versetzt und liess die letzteren 
augenblicklich der Folter unterwerfen. Sie bekannten 
jedoch nichts von dem, was man ihnen fälschlich zur 
Last gelegt hatte. Nun wurde auch noch ein Brief 
Alexanders vorgebracht, in welchem er den Kommandanten 
einer Festung 1 des Königs ersuchte, ihn nach der Er- 
mordung seines Vaters mit seinem Bruder Aristobulus 
in die Festung aufzunehmen und ihm die Benutzung 
der Waffen und anderen Kriegsgeräte zu gestatten. 
Diesen Brief erklärte Alexander für eine Fälschung des 
Diophantos, eines königlichen Schreibers, der ein frecher 
Mensch und in der Nachahmung von Handschriften 
äusserst geschickt war. Nachdem er übrigens eine Menge 
derartiger Fälschungen begangen hatte, ward er endlich 
wegen einer gleichen Frevelthat hingerichtet. Herodes 
liess darauf den Festungskommandanten ebenfalls foltern, 
vermochte aber auch aus ihm nichts herauszubringen, 
was auf die Anklage Bezug hatte. 

4. Obwohl nun der König die Beweise schwach fand, 
liess er doch seine Söhne verhaften, vorläufig indes ohne 
sie zu fesseln. Den Eurykles aber, der das Verderben 
über sein Haus gebracht und den ganzen schändlichen 
Plan ersonnen hatte, nannte er seinen Retter und Wohl- 
thäter und beschenkte ihn mit fünfzig Talenten. Bevor 
übrigens sein Frevel ruchbar wurde, eilte Eurykles nach 
Kappadocien und entlockte auch dem Archelaus ein 
Geldgeschenk , indem er ihm mit frecher Stirn vorlog, 
-er habe Herodes mit Alexander ausgesöhnt. Alsdann 
setzte er nach Griechenland über und verwandte das 
Sündengeld zu ähnlichen Schurkenstreichen, ward aber 
endlich, nachdem er zweimal beim Caesar wegen auf- 
rührischer Umtriebe in Achaja und Betrügereien gegen 
städtische Kassen verklagt worden war, mit Verbannung 
bestraft. So fand die von ihm an Aristobulus und 
Alexander begangene Unthat ihre Sühne. 

5. Diesem Spartaner verdient der Koer 2 Evaratus 

1 Alexandrium (s. J. A. XVI, 10, 4). 

* Bewohner Ton Kos. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 10 


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Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


einer der besten Freunde Alexanders, gegenübergestellt 
zu werden. Er war um dieselbe Zeit wie Eurykles nach 
Judaea gekommen, und als der König ihn wegen der 
von letzterem gemachten Angaben befragte, versicherte 
er eidlich, nichts dergleichen von den Prinzen gehört zu 
haben. Dieses Zeugnis half freilich den Unglücklichen 
nichts; denn nur für böse Einflüsterungen hatte Herodes 
ein offenes Ohr, und beliebt bei ihm war nur derjenige 
der mit ihm daran glaubte und mit ihm sich darüber 
ereiferte. 


Siebenundzwanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 10, 7 — 11, 8. 

Verurteilung und Hinrichtung der Söhne Mariamnes. 

1. Auch Salome that das ihrige, um Herodes gegen 
seine Söhne aufzustacheln. Um nämlich seine Schwieger- 
mutter und Tante mit in die ihm selbst drohenden Ge- 
fahren zu verstricken, hatte Aristobulus ihr die Warnung 
zugehen lassen, sie solle auf ihre Rettung bedacht sein,, 
denn der König treffe Anstalten zu ihrer Hinrichtung 
auf Grund der bereits früher gegen sie erhobenen An- 
klage, dass sie, um den Araber Syllaeus als Gemahl zu 
gewinnen, demselben die Geheimnisse des mit ihm ver- 
feindeten Königs verrate. Das aber ward gewisser- 
massen die Sturzwelle, die den vom Sturm bereits hart 
mitgenommenen jungen Leuten vollends den Untergang 
bereiten sollte. Salome nämlich hatte nichts eiligeres 
zu thun, als zum Könige zu laufen und ihm die ihr 
zugegangene Warnung mitzuteilen. Herodes vermochte 
sich nun nicht mehr zu halten, liess die beiden Söhne 
fesseln und voneinander trennen und schickte eiligst 
den Obersten Volumnius nebst seinem Freunde Olympus 
mit einem schriftlichen Bericht zum Caesar. Als diese 
Männer in Rom an gelangt waren und das Schreiben des 
Königs überreicht hatten, empfand der Caesar zwar 
inniges Mitleid mit den Prinzen, glaubte aber ihrem. 



Erstes Buch, 27. Kapitel. 


147 


Vater die Gewalt über seine Söhne nicht nehmen zu 
dürfen. Er erwiderte demnach, Herodes sei ja Herr in 
seinem Hause; dennoch werde er wohl daran thun, aus 
seinen Verwandten und den obersten Beamten der 
Provinz einen Gerichtshof zu bilden und die Ver- 
schwörung untersuchen zu lassen. Stelle sich dann die 
Schuld der jungen Leute heraus, so verdienten sie den 
Tod; hätten sie aber nur die Absicht gehabt, zu ent- 
fliehen, so sei eine mildere Strafe am Platz. 

2. Dieser Aufforderung kam Herodes nach, begab 
sich der Anordnung des Caesars zufolge nach Berytus 
und berief den Gerichtshof. Den Vorsitz in demselben 
führten laut der vom Caesar ihnen erteilten schriftlichen 
Anweisung die obersten Beamten , Saturninus und 
Pedanius mit seinen Legaten. Ausserdem hatten sich ein- 
gefunden der Finanzverwalter Volumnius, die Verwandten 
und Freunde des Königs, darunter auch Salome und 
Pheroras, sowie die sämtlichen syrischen Grossen mit 
Ausnahme des Königs Archelaus; denn diesem traute 
Herodes nicht recht, weil er Alexanders Schwiegervater 
war. Seine Söhne selbst liess der König übrigens aus 
wohlerwogenen Gründen dem Gerichte nicht vorführen ; 
wusste er doch, dass ihr blosser Anblick allseitiges Mit- 
gefühl wachrufen und dass, wenn sie das Wort erhielten, 
Alexander mit Leichtigkeit die Anklage entkräften würde. 
Sie wurden vielmehr in Platana, einem Dorf im Gebiete 
der Sidonier, gefangen gehalten. 

3. Nunmehr erhob sich der König und fuhr gegen 
seine Söhne los , als ob sie wirklich anwesend wären. 
Zwar die Anklage wegen des Mordplanes berührte er 
nur obenhin, da diese, wie er wohl selbst fühlte, auf 
sehr schwachen Füssen stand. Dagegen zählte er dem 
Gerichtshof eine Menge von Schmähungen, Spottreden, 
Kränkungen und sonstigen Vergehen gegen seine Person 
her, für welche die Todesstrafe noch viel zu gelinde sei. 
Und als niemand darauf erwiderte, erging er sich in 
Klagen darüber, dass er selbst schwer genug gestraft sei, 
und dass der Sieg, den er über seine Kinder davontrage, 

io* 


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148 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


für ihn nur die Quelle bitteren Grams sein werde. So- 
dann befragte er jeden der Anwesenden um seine 
Meinung. Saturninus, der zuerst ab6timmte, erachtete 
die jungen Leute für schuldig, doch nicht des Todes; 
denn es zieme sich nicht für ihn, eines anderen Mannes 
Kinder dem Untergang zu weihen, während seine eigenen 
drei Söhne ihm zur Seite ständen. Derselben Ansicht 
waren auch die beiden Legaten, denen dann noch einige 
andere Stimmen sich anschlossen. Volumnius war der 
erste, der sich für eine härtere Strafe entschied, und nach 
ihm verurteilten auch alle übrigen Beisitzer des Gerichtes 
die Prinzen zum Tode, die einen aus Liebedienerei, die 
anderen aus Hass gegen Herodes, keiner aber aus Ent- 
rüstung über die Angeklagten. Ganz Syrien und Judaea 
war übrigens auf den Ausgang des Trauerspiels gespannt, 
doch glaubte niemand , Herodes werde die Grausamkeit 
bis zur Hinrichtung seiner Söhne treiben. Er aber 
schleppte die beiden nach Tyrus, fuhr von da zu Schiff 
nach Caesarea und überlegte nur noch, auf welche Weise 
er sie vom Leben zum Tode bringen lassen sollte. 

4. Mittlerweile geschah es, dass ein alter Soldat des 
Königs mit Namen Teron, dessen Sohn ein sehr ver- 
trauter Freund Alexanders war und der auch selbst die 
beiden Prinzen aufrichtig liebte, vor übergrossem Unwillen 
über die Verurteilung derselben wahnsinnig wurde. 
Anfangs lief er umher und schrie, das Recht sei zu 
Boden getreten, die Wahrheit zu Grunde gegangen, die 
Natur verkehrt und die Welt voller Frevel, und was 
sonst der Schmerz einem Menschen eingeben kann, der 
sein Leben in die Schanze geschlagen hat. Endlich wagte 
er dann auch vor den König selbst hinzutreten und ihm 
die Worte entgegenzurufen: „Du bist, wie mir scheint, 
von einem bösen Dämon besessen, dass du den ver- 
ruchtesten Menschen Glauben schenkst gegen diejenigen, 
die dir am teuersten sein sollten. Denn einem Pheroras 
und einer Salome, die du schön so oft des Todes schuldig 
erkennen musstest, traust du, wenn sie wider deine 
Kinder auftreten. Und doch bezwecken diese Bösewichter 



Erstes Buch, 27. Kapitel. 


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nichts anderes, als die rechtmässigen Thronfolger aus 
dem Wege zu räumen und dir Antipater allein übrig 
zu lassen, damit sie einen König bekommen, der ihnen 
in allen Stücken zu willen ist. Überlege indes, ob ihm 
nicht der Tod seiner Brüder den Hass der Soldaten zu- 
ziehen könnte. Denn im ganzen Heere giebt es niemand, 
der nicht Mitleid mit den beiden Prinzen empfände, und 
von den Offizieren machen gar viele aus ihrem Unwillen 
durchaus kein Hehl.“ Alsdann nannte Teron auch die 
Namen der Unzufriedenen. Der König aber Hess dieselben 
auf der Stelle samt Teron und seinem Sohne verhaften. 

5. Nun kam auch ein Hofbarbier Namens Tryphon 
in einem Anfall von Verrücktheit daher und gab sich 
selbst an. „Denke dir,“ sprach er, „dieser Teron wollte 
mich beschwätzen, dich beim Barbieren mit dem Scher- 
messer umzubringen, und er stellte mir dabei ein grosses 
Geschenk von Alexander in Aussicht.“ Kaum hatte 
Herodes dies vernommen, als er sogleich Teron und 
dessen Sohn sowie den Barbier auf die Folter spannen 
liess. Die ersteren jedoch leugneten hartnäckig, und da 
auch der Barbier nichts weiter aussagte, liess er diesen 
noch empfindlicher quälen. Nun aber versprach des 
letzteren Sohn, von Mitleid überwältigt, dem Könige, 
alles angeben zu wollen, wenn er seinen Vater begnadige. 
Und als Herodes ihm dies zugestanden , sagte er aus, 
sein Vater habe auf Alexanders Anstiften den König 
ums Leben bringen wollen. Diese Angabe hielten einige 
für eine Erdichtung, die der Sohn vorgebracht habe, um 
seinen Vater von den Folterqualen zu erlösen, andere 
hingegen für Wahrheit. 

6. In einer Volksversammlung erhob hierauf Herodes 
Anklage gegen Teron und die Offiziere und hetzte das 
Volk dergestalt gegen sie auf, dass sie sogleich mitsamt 
dem Barbier von der Menge durch Steinwürfe und Stock- 
schläge getötet wurden. Seine Söhne aber sandte er 
nach der unweit Caesarea ‘gelegenen Stadt Sebaste 1 und 


Samaria. 



150 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gab Befehl, sie daselbst zu erdrosseln, was unverzüglich 
geschah! Die entseelten Leiber liess er nach der Festung 
Alexandrium bringen, wo sie neben Alexander, ihrem 
Grossvater von mütterlicher Seite , beigesetzt wurden. 
Ein solch trauriges Ende nahmen Alexander und 
Aristobulus. 


Achtundzwanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 1,1 — 1, 3. 

Antipater wird verhasst. Übersicht über die Familie 
des Herodes. 

1. Antipater war nun freilich unbestrittener Thron- 
folger, aber fast unerträglich lastete auf ihm der Hass 
des Volkes; denn allseitig ward es bekannt, dass er 
der eigentliche Urheber aller gegen seine Brüder ge- 
richteten Verleumdungen war. Übrigens beschlich ihn 
keine geringe Furcht, wenn er sah, wie die Nachkommen- 
schaft der Gemordeten mehr und mehr heranwuchs. 
Alexander nämlich hatte von der Glaphyra zwei Söhne, 
Tigranes und Alexander, Aristobulus aber von Berenike, 
der Tochter Salomes, die Söhne Herodes, Agrippa und 
Aristobulus sowie die Töchter Herodias und Mariamne. 
Nach Alexanders Hinrichtung sandte Herodes die 
Glaphyra samt ihrer Mitgift nach Kappadocien zurück, 
des Aristobulus Gattin Berenike aber Vermählte er mit 
Antipaters Oheim von mütterlicher Seite 1 , und zwar 
hatte Antipater selbst diese Heirat zustande gebracht, 
um Salome, mit der er verfeindet war, sich geneigt zu 
machen. Auch den Pheroras suchte er durch Geschenke 
und sonstige Aufmerksamkeiten auf seine Seite zu bringen, 
desgleichen die Freunde des Caesars, denen er beträchtliche 
Geldsummen nach Rom schickte. Ferner überhäufte er 
den Saturninus in Syrien und dessen ganze Umgebung 

1 Theudion, Bruder der Dons (s. J. A. XVII, 4, 2 und im vor- 
liegenden Werke I, 30, 5). 


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Erstes Buch, 28. Kapitel. 


151 


mit Geschenken. Je mehr er aber spendete, desto ver- 
hasster wurde er; denn man wusste wohl, dass er nicht 
freigebig war aus Hochsinn, sondern verschwenderisch 
aus Furcht. So kam es, dass die Empfänger seiner 
Gaben ihm um nichts gewogener, die nicht Beschenkten 
aber um so erbittertere Feinde von ihm wurden. Immer 
glänzender ward seine Freigebigkeit, als er auf einmal 
ganz wider Erwarten bemerken musste, dass der König 
den Waisen seine Sorge zuwandte und durch Mitleid 
mit den Nachkommen seiner Söhne der Reue über deren 
Hinrichtung Ausdruck gab. 

2. Eines Tages nämlich versammelte Herodes seine 
Verwandten und Freunde um sich, stellte ihnen die 
Kinder vor und sprach thränenden Auges wie folgt: 
„Ein trauriges Geschick hat mir die Väter dieser Kinder 
entrissen; sie selbst empfiehlt darum die Stimme der 
Natur und das Mitgefühl mit ihrer Verlassenheit meiner 
Fürsorge. So will ich denn versuchen, nachdem ich als 
Vater so unglücklich gewesen, als Grossvater um so 
liebreicher zu sein, und ihnen, sollt’ ich von hinnen 
scheiden, meine besten Freunde als Beschützer hinter- 
lassen. Deine Tochter, Pheroras, verlobe ich daher mit 
dem ältesten Sohne Alexanders* damit du als sein Vor- 
mund mit ihm in engste Verwandtschaft tretest, und mit 
deinem Sohne, Antipater, verlobe ich die Tochter des 
Aristobulus — mögest du der Waise ein Vater werden! 
Ihre Schwester aber soll mein Herodes zur Ehe nehmen, 
der mütterlicherseits einen Hohepriester zum Grossvater 
hat. Wer mich nun liebt, der trete dieser meiner Ent- 
scheidung bei, und niemand versuche dieselbe umzustossen, 
wofern ihm meine , Freundschaft etwas gilt. Zu Gott 
aber flehe ich, dass er diese Verbindungen zum Heile 
meines Reiches und meiner Enkel segnen und diese 
Kinder mit gnädigerem Auge anschauen möge, als er 
ihre Väter angeschaut hat.“ 

3. Während dieser Ansprache weinte er und legte 
die Hände der Kinder ineinander. Dann umarmte er 
jedes von ihnen herzlich und entliess die Versammlung. 



152 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Antipater aber geriet in die äusserste Bestürzung, und 
jedermann konnte ihm seinen Ärger am Gesicht ablesen. 
War er doch der Meinung, die von seinem Vater den 
Waisen erwiesene Auszeichnung sei gleichbedeutend mit 
seinem eigenen Sturz, und es stehe für ihn abermals 
alles auf dem Spiel, wenn die Kinder Alexanders ausser 
an Archelaus auch noch an dem Tetrarchen Pheroras 1 
einen Beschützer haben sollten. Ferner zog er in Er- 
wägung den Hass des Volkes gegen seine Person, 
desselben Volkes Mitleid mit den Waisen, die Anhäng- 
lichkeit, welche die Juden den durch seine Schuld um- 
gekommenen Brüdern während ihres Lebens bewiesen 
hatten, und das ehrenvolle Andenken, das sie denselben 
nach ihrem Tode noch bewahrten. Das alles brachte 
in ihm den Entschluss zur Reife, die Verlobungen um 
jeden Preis rückgängig zu machen. 

4. Listige Kniffe zu gebrauchen, hielt er indes nicht 
für ratsam, da er seines Vaters Strenge und grosse Reiz- 
barkeit bei argwohnerregenden Anlässen fürchtete. So 
fasste er sich also ein Herz, ging geradeswegs zum 
König und bat ihn, er möge ihn doch der Ehre, der 
er ihn gewürdigt, nicht wieder berauben, indem er anderen 
die wirkliche Gewalt, ihm selbst aber nur den Titel 
eines Königs überlasse. Denn er werde wohl niemals 
zur Regierung gelangen, wenn der Sohn Alexanders 
ausser an seinem Grossvater Archelaus auch noch an 
Pheroras als seinem Schwiegervater eine Stütze finde. 
Er bitte daher inständigst, die Heiratspläne abzuändern, 
was ja bei der grossen Zahl der Mitglieder des Königs- 
hauses nicht schwer fallen könne. Der König war 
nämlich mit neun Frauen vermählt, von denen sieben 
ihm Kinder geboren hatten. Antipater selbst war von 
der Doris, Herodes von der Hohepriesterstochter Mariamne, 
Antipas und Archelaus 2 sowie die Tochter Olympias, 
welche seinen Neffen Joseph zum Manne hatte, von der 


1 Dessen Tetrarchie jenseits des .Jordan lag (s. 24, 5). 

* Der Nachfolger Herodes’ des Grossen. 



Erstes Buch, 28. Kapitel. 


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Samariterin Malthake, Herodes und Philippus von der 
Jerusal ernenn Kleopatra, Phasael von der Pallas. Ferner 
hatte er zwei Töchter Roxane und Salome, erstere von 
der Phaedra, letztere von der Elpis, und ausserdem noch 
zwei Töchter von Alexanders und Aristobulus* Mutter 
Mariamne. Zwei seiner Frauen, Nichten von ihm, waren 
kinderlos. Auf diese zahlreiche Nachkommenschaft also 
stützte Antipater seine Bitte um Abänderung der Ver- 
lobungen. 

6. Der König aber, der aus diesem Gesuche Anti- 
paters dessen wahre Gesinnung gegen die Waisen er- 
kannte, geriet in heftigen Zorn, und schon stieg die leise 
Ahnung in ihm auf, es könnten auch die Väter derselben 
den Intriguen Antipaters zum Opfer gefallen sein. Er 
erteilte ihm daher eine höchst ungnädige Antwort und 
wies ihn ab; später jedoch liess er sich durch seine 
Schmeichelreden umstimmen und gab ihm selbst die 
Tochter des Aristobulus, seinem Sohne aber die Tochter 
des Pheroras zur Frau. 

6. Wieviel hierbei Antipater durch seine Schmeiche- 
leien vermochte, kann man an Salome ersehen , die mit 
einem ähnlichen Anliegen beim Könige nicht durch- 
zudringen imstande war. Als sie nämlich im Vertrauen 
auf die mächtige Fürsprache der Gattin des Caesars, 
Julia 1 , die Bitte vorbrachte, den Araber Sy 11 aeus heiraten 
zu dürfen, schwur Herodes ihr, er werde sie, obwohl sie 
seine leibliche Schwester sei, für seine ärgste Feindin 
halten, wenn sie von ihrem Verlangen nicht Abstand 
nehme. Zuletzt vermählte er sie wider ihren Willen mit 
einem seiner Freunde, Alexas, und von ihren Töchtern 
die eine mit dem Sohne des Alexas, die andere mit 
Antipaters Oheim von mütterlicher Seite. Von Mariamnes 


1 Die Gemahlin des Augustus hiess eigentlich Livia und erhielt 
den Namen Julia erst nach dem Tode des Caesars, als sie in das 
Julische Geschlecht aufgenommen wurde (s. Tacitus, Annalen, I, 8). 
Vergl. übrigens wegen der Intervention der Livia die abweichende 
Darstellung J. A. XVII, 1, 1. 



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Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Töchtern hatte die eine 1 den Sohn seiner Schwester, 
Antipater, die andere 2 seinen Neffen Phasael 3 zum 
Gemahl. 


.Neunundz wanzigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 2, 4 — 3, 8. 

Antipater geht mit dem Testamente des Herodes nach 
Rom. Des Pheroras Tod. 

1. Nachdem Antipater so die Aussichten der Waisen 
zunichte gemacht und die ehelichen Verbindungen seinem 
Interesse gemäss ins Werk gesetzt hatte, glaubte er am 
Ziel seiner Wünsche zu sein. Das zu seiner Bosheit sich 
gesellende Selbstgefühl aber machte ihn nun unerträglich, 
und ausser stände, den allgemeinen Hass von sich ab- 
zuwälzen , suchte er sich dadurch Sicherheit zu ver- 
schaffen, dass er Schrecken um sich verbreitete. Pheroras, 
der schon den künftigen König in ihm erblickte, ging 
ihm dabei hilfreich zur Hand. Obendrein bildete sich 
am Hofe auch eine Weiberclique, welche die Zerwürfnisse 
noch vermehrte. Die Gattin des Pheroras nämlich be- 
trug sich im Verein mit ihrer Mutter und ihrer Schwester, 
an welche sich Antipaters Mutter anschloss, höchst über- 
mütig im Königspalast und erkühnte sich sogar, zwei 
Töchter des Königs zu beschimpfen. Sie zog sich des- 
wegen den heftigsten Unwillen des Herodes zu, wusste 
aber trotzdem mit ihren Genossinnen die anderen zu 
beherrschen. Salome allein störte das Einvernehmen der 
Clique, indem sie dieselbe beim König an schwärzte, als 
führe sie nichts Gutes gegen ihn im Schilde. Sobald 
nun die anderen Frauen erfuhren, dass sie verdächtigt 
waren und der König über sie ungehalten sei, gaben sie 
die offenen Zusammenkünfte und den freundschaftlichen 
Verkehr auf und stellten sich, wenn der König zugegen 

1 Salampsio (s. J. A. XVIII, 5, 4). 

- Kypros (ebend.) 

3 Den Sohn seines verstorbenen Bruders Phasael. 


Go gle 




Erstes Buch, 29. Kapitel. 


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war, als ob sie in Feindschaft miteinander lebten. An 
dieser Verstellerei nahm auch Antipater teil, der einmal 
sogar dem Pheroras eine öffentliche Beleidigung zufügte. 
Insgeheim jedoch hielten sie auch fernerhin Zusammen- 
künfte und nächtliche Schmausereien, und das Bewusst- 
sein, beobachtet zu werden, befestigte ihr Einvernehmen 
nur um so mehr. Salome aber erlangte von ihrem ganzen 
Treiben Kenntnis und hinterbrachte alles dem Könige. 

2. Da entbrannte des Herodes Zorn, und zwar am 
heftigsten gegen die Gattin des Pheroras, die von Salome 
in erster Linie verdächtigt worden war. Er berief daher 
seine Freunde und Verwandten zusammen und brachte 
unter vielen anderen Klagen über diese Frau auch deren 
beleidigendes Verhalten gegen seine Töchter zur Sprache, 
sowie dass sie die Pharisäer durch Geldgeschenke gegen 
ihn aufgehetzt und durch Zaubertränke ihm das Herz 
seines Bruders entfremdet habe. Schliesslich wandte er 
sich in seiner Rede an Pheroras und stellte ihm die 
Wahl, ob er seinen Bruder oder seine Gattin aufgeben 
wolle. Als Pheroras darauf erklärte, lieber wolle er sein 
Leben lassen als sein Weib, wandte sich Herodes, 
unschlüssig darüber, was er thun sollte, an Antipater, 
und befahl ihm, jeden Verkehr mit dem Weibe des 
Pheroras, diesem selbst und seinem Anhang aufzugeben. 
Dieses Verbot übertrat Antipater von jetzt an zwar 
nicht offen, brachte aber insgeheim ganze Nächte in Ge- 
sellschaft der genannten Personen zu. Da jedoch 
Salomes Spioniererei auf die Dauer ihm Angst einjagte, 
veranlasste er durch Vermittlung seiner Freunde in 
Italien, dass er mit einer Reise nach Rom betraut wurde. 
Dieselben schrieben nämlich, es sei nötig, dass Antipater 
binnen kurzem zum Caesar geschickt werde. Daraufhin 
sandte Herodes ihn unverzüglich mit glänzendem Gefolge 
und reichlichen Geldmitteln ab, um dem Caesar sein 
Testament zu überbringen , in welchem als künftiger 
König Antipater und als dessen Nachfolger Herodes, der 
Sohn der Hohepriesterstoch ter Mariarane, bezeichnet war. 

3. Zur selben Zeit fuhr auch der Araber Syllaeus 



156 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Dach Rom, der den Befehlen des Caesars nicht nach- 
gekommen war 1 und jetzt von Antipater wegen derselben 
Dinge verklagt werden sollte, die schon früher Nikolaus 2 
gegen ihn vorgebracht hatte. Ausserdem aber hatte 
Syllaeus auch mit seinem eigenen Könige Aretas sich 
überworfen, weil er mehrere von dessen Freunden, darunter 
Soemus, den mächtigsten Mann in Petra, ums Leben 
gebracht hatte. Mit vielem Gelde hatte er nun des 
Caesars Verwalter Fabatus auf seine Seite zu bringen 
versucht und gedachte an ihm auch gegen Herodes eine 
Stütze zu finden. Herodes aber zog durch ein noch 
reicheres Geldgeschenk den Fabatus von Syllaeus ab 
und wollte mit seiner Hilfe die dem Araber vom Caesar 
auferlegte Geldbusse eintreiben. Syllaeus jedoch ver- 
weigerte nicht nur die Zahlung, sondern verklagte auch 
den Fabatus noch bei Augustus, indem er ihm vorwarf, 
er versehe sein Verwalteramt nichtfim Interesse des Caesars, 
sondern in dem des Herodes. Das erbitterte den Fabatus, 
der bei Herodes noch immer in besonderer Gunst stand, 
so sehr, dass er die Geheimnisse des Syllaeus verriet und 
dem König mitteilte, derselbe habe seinen Leibwächter 
Korinthus bestochen; er solle den Mann nur verhaften 
lassen. Dieser Angabe schenkte der König um so eher 
Glauben, als Korinthus im Palast aufgewachsen und 
Araber von Geburt war. Alsbald nun liess er nicht nur 
den Korinthus festnehmen, sondern auch noch zwei 
andere Araber, die man bei ihm vorfand, einen Freund 
des Syllaeus nämlich und einen Stammeshäuptling. 
Diese gestanden auf der Folter, den Korinthus durch 
das Versprechen einer grossen Belohnung zur Ermordung 
des Herodes verleitet zu haben. So wurden denn auch 
sie, nachdem Saturninus, der Statthalter von Syrien, sie 
verhört hatte, mit nach Rom geschickt. 


1 Hierüber wie über das folgende vergl. J. A. XVI, 10,8. 

2 Hofhistoriograph und Sachwalter des Herodes, eine in den 
J. A. oft erwähnte merkwürdige Persönlichkeit. Über seinen schrift- 
stellerischen Charakter fällt Josephus ein absprechendes Urteil J. A. 
XVI, 7, 1. 



Erstes Buch, 80. Kapitel. 


157 


4. Herodes Hess übrigens nicht nach, dem Pheroras 
wegen Scheidung von seiner Gattin zuzusetzen; denn so 
viele Gründe er auch hatte, sie zu hassen, so wusste er 
doch kein anderes Mittel, sich an ihr zu rächen, bis er 
endlich im Überm ass des Unwillens seinen Bruder samt 
dessen Gattin von seinem Hofe verwies. Diese Kränkung 
nahm Pheroras indes gleichmütig auf und zog sich in 
seine Tetrarchie zurück, schwor aber dabei, dass erst 
mit dem Tode des Herodes seine Abwesenheit vom Hof 
ihr Ende erreichen solle und dass er während seines 
Bruders Lebzeiten nie mehr dahin zurückkehren werde. 
Getreu diesem Schwur weigerte er sich denn auch, zu 
Herödes zu kommen, als dieser krank wurde, obwohl 
derselbe ihn dringend darum bitten liess, weil er in 
Bälde sterben zu müssen glaubte und ihm noch einige 
Aufträge hinterlassen wollte; doch genas er unverhofft. 
Bald nachher erkrankte auch Pheroras, und nun benahm 
Herodes sich versöhnlicher, reiste zu seinem Bruder und 
pflegte ihn sorgsajn. Pheroras aber überstand die Krank- 
heit nicht, sondern starb nach wenigen Tagen, und 
obwohl Herodes ihn bis an sein Ende geliebt hatte, 
munkelte man doch, er habe auch ihn, und zwar mit 
Gift, ums Leben gebracht. Seinen Leichnam liess er 
nach Jerusalem bringen, schrieb dem ganzen Volk die 
tiefste Trauer vor und hielt dem Toten ein prunkvolles 
Leichenbegängnis. Einer der Mörder Alexanders und 
seines Bruders Aristobulus hatte somit sein Ende gefunden. 


Dreissigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 4, lf. 

Antipaters Anschläge gegen Herodes entdeckt. 

1. Bald aber ereilte auch den eigentlichen Urheber 
des Frevels, Antipater, seine Strafe, und zwar gab der 
Tod des Pheroras dazu den Anlass. Einige Freigelassenen 
des letzteren nämlich kamen tief betrübt zum Köüig und 


Go gle 



158 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


teilten ihm mit, sein Bruder sei durch Gift ums Leben 
gekommen. Seine Gattin habe ihm ein ganz ungewöhnlich 
zubereitetes Gericht auftragen lassen, nach dessen Genuss 
er sogleich erkrankt sei, und zwei Tage vorher seien 
deren Mutter und Schwester mit einem kräuterkundigen 
Weibe aus Arabien an gekommen, um dem Pheroras einen 
Liebestrank zu bereiten. Statt dessen aber habe das 
Weib auf Anstiften des Syllaeus, mit dem sie bekannt 
gewesen, ihm ein todbringendes Gift gereicht 

2. Erschüttert von den vielen sich ihm aufdrängenden 
argwöhnischen Gedanken, liess nun der König eine An- 
zahl Sklavinnen und mehrere freie Dienerinnen der 
Folter unterwerfen, wobei eine der letzteren in Ihren 
Qualen ausrief: „Möge Gott, der Herr des Himmels und 
der Erde, die Urheberin dieser unserer Leiden, Antipaters 
Mutter, zur Strafe ziehen !“ Diese Äusserung gab dem 
König einen Anhaltspunkt, von dem aus er zur weiteren 
Erforschung des Sachverhaltes übergehen konnte. Die 
Gefolterte enthüllte darauf den vertrauten Verkehr der 
Mutter Antipaters mit Pheroras und seinen Frauen sowie 
ihre heimlichen Zusammenkünfte, berichtete auch, wie 
Pheroras und Antipater, wenn sie vom Könige gekommen 
seien, mit den Weibern ganze Nächte unter Ausschluss 
aller männlichen und weiblichen Dienerschaft gezecht 
hätten. Diese Aussagen machte eine der freien Dienerinnen. 

3. Alsdann liess Herodes auch die Sklavinnen einzeln 
foltern, und alle machten dieselben Angaben wie die 
zuerst verhörte Dienerin, fügten auch noch hinzu, es sei 
zwischen Antipater und Pheroras verabredet gewesen, 
dass ersterer nach Rom reisen , letzterer nach Peraea 
sich zurückziehen sollte. Denn zu wiederholten Malen 
hätten sie geäussert, Herodes werde wohl jetzt, nachdem 
er Alexander und Aristobulus beseitigt habe, auch gegen 
sie und ihre Frauen wüten ; vor dem, der eine Mariamne 
und deren Kinder habe umbringen können, sei eben 
niemand mehr sicher. Es sei daher geratener, dieser 
Bestie soweit als möglich aus dem Wege zu gehen. Oft 
auch habe Antipater seiner Mutter geklagt, er sei jetzt 



Erstes Bach, 30. Kapitel. 


159 


schon ergraut, während sein Vater täglich jünger aussehe, 
und schliesslich werde er wohl noch aus dem Leben 
scheiden, ehe er zur wirklichen Regierung gelange. 
Aber selbst wenn Herodes vor ihm sterbe — und wie 
lange könne das noch dauern — , werde er sich nur 
kurze Zeit des Besitzes der Herrschaft erfreuen; denn 
die Köpfe der Hydra, Aristobulus’ und Alexanders 
Kinder, wüchsen nach, und seinen eigenen Kindern habe 
ja der König alle Hoffnung abgeschnitten, indem er in 
seinem Testament keines von diesen, sondern Herodes, 
den Sohn der Mariamne, als Thronfolger nach seinem 
(Antipaters) Tod in Aussicht genommen habe. Aber 
darin tausche sich der alte Mann doch sehr, wenn er 
meine, sein Testament sei keiner Änderung fähig; er 
(Antipater) werde Bchon dafür sorgen, dass keiner von 
des Königs Nachkommen am Leben bleibe. Kein Vater 
habe je seine Kinder so gehasst, wie Herodes, aber noch 
grösser sei sein Bruderhass. So habe er ihm jüngst 
hundert Talente gegeben, damit er mit Pheroras kein 
Wort mehr spreche. Auf dessen Frage, was er denn 
dem König zuleide gethan, habe Antipater erwidert; 
„Wir können schon zufrieden sein, wenn er, nachdem 
er uns alles genommen, uns nur das nackte Leben lässt. 
Aber es ist unmöglich, einem so mordgierigen Ungeheuer 
zu entrinnen, das es nicht einmal gern sieht, wenn man 
anderen offen seine Zuneigung beweist. Jetzt freilich 
kommen wir noch insgeheim zusammen, bald jedoch 
werden wir dies auch öffentlich thun können , wenn wir 
einmal das Herz und die Faust echter Männer besitzen/* 
4. Also sagten die gefolterten Sklavinnen aus und 
fügten' noch hinzu, Pheroras habe beabsichtigt, mit ihnen 
nach Peraea zu entfliehen. Was nun dem Könige alle 
diese Angaben besonders glaubhaft machte, war die Er- 
wähnung der hundert Talente; denn davon hatte er nur 
mit Antipater allein gesprochen. Zunächst entlud sich 
infolgedessen sein Zorn über Antipaters Mutter Doris. 
Ihr nahm er allen Schmuck im Werte von vielen Talenten, 
den er ihr früher geschenkt hatte, wieder ab und verstiess 


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160 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sie zum zweitenmal. Die Weiber des Pheroras dagegen 
begnadigte er und liess sie von den durch die Folterung 
entstandenen Verletzungen heilen. Von jetzt an war er 
übrigens vor Angst wie ausser sich. Der leiseste Ver- 
dacht versetzte ihn schon in Aufregung, und er liess 
eine Menge Unschuldiger zur Folter schleppen, um 
nur ja keinen Schuldigen zu übergehen. 

5. So kam er auch an den Samariter Antipater, den 
Verwalter seines Sohnes Antipater. Auf der Folter 
sagte dieser aus, sein Herr habe durch einen seiner 
Freunde, Antiphilus, ein tödliches Gift zur Ermordung 
des Königs aus Aegypten kommen lassen. Von Anti- 
philus habe Antipaters Oheim Theudion dasselbe in 
Empfang genommen und es dem Pheroras eingehändigt, 
der von Antipater beauftragt worden sei, Herodes damit 
umzubringen, während er selbst in Rom ausser dem 
Bereich des Verdachtes sich befinde. Pheroras aber 
habe das Gift seiner Gattin zur Aufbewahrung gegeben. 
Die letztere liess nun der König sogleich rufen und 
befahl ihr, den ihr an vertrauten Gegenstand herbei- 
zuschaffen. Sie ging, anscheinend um das Verlangte zu 
holen, hinaus, stürzte sich aber dann vom Dach hinab, 
um der Untersuchung und der vom Könige angeordneten 
Folterung zu entgehen. Hierbei jedoch fiel sie durch 
augenscheinliche Fügung Gottes, der den Antipater 
strafen wollte, nicht auf den Kopf, sondern auf andere 
Körperteile, und kam so mit dem Leben davon. Als 
man sie nun brachte, liess dier König ihr, weil sie vom 
Falle noch betäubt war, erquickende Mittel reichen und 
fragte sie dann, aus welchem Grunde sie sich hinab- 
gestürzt habe. Wenn sie die Wahrheit gestehe, so wolle 
er, wie er eidlich versicherte, ihr alle Strafen erlassen; 
verheimliche sie dagegen etwas, so werde er ihren Leib 
auf der Folter derart zurichten lassen , dass nichts 
mehr davon zum Begräbnis übrig bleibe. 

6. Hierauf entgegnete das Weib nach kurzem Be- 
denken: „Wozu soll ich noch das Geheimnis bewahren, da 
Pheroras tot ist? Und wozu soll ich Antipater schonen, 



Erstes Buch, SO. Kapitel. 


161 


der uns alle zu Grunde richten wollte? So höre denn, 
o König, und ausser dir sei Gott, den man nicht hinter- 
gehen kann, mein Zeuge, dass ich die Wahrheit sage. 
Als du, in Thränen gebadet, bei dem sterbenden Pheroras 
weiltest, rief er mich zu sich und sprach: „„Wahrlich 
gar sehr, liebes Weib, habe ich mich über die Gesinnung 
getäuscht, die mein Bruder gegen mich hegt. Gehasst 
habe ich ihn, der mich so innig liebt, und töten wollte 
ich den, der mich jetzt schon, da ich noch nicht ge- 
storben bin, so tief betrauert. Ich freilich empfange 
nur den gerechten Lohn für meine Lieblosigkeit; du 
aber hole das für ihn bestimmte Gift, das Antipater 
uns hiergelassen hat und das du aufbewahrst, herbei 
und vernichte es sogleich vor meinen Augen, damit ich 
nicht den Rachegeist mit mir in die Unterwelt 1 nehme. ““ 
Seinen Befehl vollzog ich, holte das Gift und schüttete 
den grössten Teil davon vor seinen Augen ins Feuer, 
den Rest aber bewahrte ich für mich aus Furcht vor 
dir und für den Fall der Not. auf.“ 

7. Mit diesen Worten langte sie die Büchse hervor, 
die noch etwas Gift enthielt Der König aber liess die 
Mutter und den Bruder des Antiphilus peinlich befragen, 
und diese bekannten denn auch, Antiphilus habe die 
Büchse aus Aegypten mitgebracht, wo er sie samt dem 
Gift von seinem Bruder, einem Arzt in Alexandria, er- 
halten habe. So brachten die im Palast umgehenden 
Geister der Brüder Alexander und Aristobulus verborgene 
Frevelthaten ans Licht und zogen diejenigen, auf die 
sich am wenigsten der Verdacht lenkte, zur Verant- 
wortung. Denn auch die Hohepriesterstochter Mariamne 
ward überführt, um die Verschwörung gewusst zu haben ; 
ihre eigenen Brüder hatten es auf der Folter ausgesagt. 


1 Das Scheol (die Scheinwohnung Ps. 49, 15, die Grube des Nichts 
Jes. 38, 17), wo die Schatten ein Scheindasein führen, ohne Wirklich- 
keit, daher sie nicht harren des Herrn (Ps. 6, 6), entspricht der 
Hölle im Gegensatz zu dem für die Guten, Seligen bestimmten 
Orte der Gotteserkenntnis, dem Paradiese; doch hat erst die christ- 
liche Kirche diesen Gegensatz scharf ausgeprägt. 

Josephus, Jüdischer Krieg* 11 



162 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Für die Frevel that der Mutter aber liess der König den 
Sohn büssen, indem er den zum Nachfolger Antipaters 
bestimmten Herodes aus dem Testamente strich. 


Einunddreissigs tes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 4, 3 — 5, 2. 

# \ 

Antipater kehrt von Rom zurück und wird frostig 
empfangen. 

1. Schliesslich trat auch noch ein gewisser Bathyllus 
als Zeuge auf und lieferte die vollgiltigsten Beweise 
für die Anschläge Antipaters, dessen Freigelassener er 
war. Er brachte ein anderes tödliches Mittel zum Vor- 
schein, Natterngift und Säfte von sonstigem Gewürm, 
womit Pheroras und dessen Gattin sich gegen den König 
waffnen sollten für den Fall, dass das erste Gift seine 
Wirkung versagen würde. Gewissermassen als Anhang 
zu den vatermörderischen Plänen legte er dann noch 
Briefe vor, deren Inhalt von Antipater zum Sturze seiner 
Brüder ersonnen war. Zwei Söhne des Königs nämlich» 
Archelaus und Philippus, die bereits im Jünglingsalter 
standen und voll hohen Strebens waren, hielten sich 
ihrer Bildung halber in Rom auf. Um nun diese Jüng- 
linge, die seine Aussichten zunichte zu machen drohten, 
möglichst rasch aus dem Wege zu räumen, schrieb Anti- 
pater teils selbst falsche Briefe unter dem Namen seiner 
Freunde in Rom, teils bestach er andere mit Geld, Briefe 
zu schreiben, welche besagten, die beiden Prinzen 
schmähten häufig ihren Vater, beklagten offen Alexanders 
und Aristobulus , Geschick und seien sehr unwillig 
darüber, dass sie heimkehren sollten. Ihr Vater hatte 
sie nämlich soeben zurückberufen, was den Antipater 
im höchsten Grade beunruhigte. 

2. Übrigens hatte er schon vor seiner Abreise, als er 
noch in Judaea weilte, dergleichen Briefe gegen sie für 
Geld von Rom aus schreiben lassen, ohne den Argwohn 



Erstes Buch, 31. Kapitel. 


163 


seines Vaters wachzurufen; denn er selbst trat als Ver- 
teidiger seiner Brüder auf, indem er bald das Geschriebene 
für falsch erklärte, bald ihre Vergehungen als jugend- 
lichen Leichtsinn darstellte. Weil er aber auf diese 
Weise grosse Geldsummen für diejenigen aufzuwenden 
hatte, welche die Briefe gegen seine Brüder schrieben, 
suchte er etwaige Zeugen irrezuleiten und kaufte kostbare 
Kleider, bunte Teppiche, silberne und goldene Trink- 
gefässe sowie eine Menge anderer Gegenstände zusammen, 
um hinter der Grösse der Ausgaben für diese Sachen 
den Lohn für die Brieffälscher zu verstecken. Schliesslich 
betrug die Rechnung für seinen Gesamtaufwand an 
zweihundert Talente, die, wie er vorgab, grösstenteils der 
Prozess mit Syllaeus verschlungen habe. Da nun durch 
sämtliche Aussagen auf der Folter der Vatermord, durch 
die Briefe aber ein abermaliger Mordplan gegen seine 
Brüder laut bezeugt wurde, so waren damit alle seine 
Schandthaten , die kleineren wie die grösseren, völlig 
enthüllt. Dennoch teilte ihm niemand von denen, die 
nach Rom kamen, mit, wie schlimm die Sachen für ihn 
in Judaea standen, obwohl zwischen jenen Verhören und 
seiner Rückkehr sieben Monate verflossen: so gross und 
allgemein war der Hass, den man gegen ihn empfand. 
Vielleicht schlossen auch die Schatten der gemordeten 
Brüder denen den Mund, welche ihn gern benachrichtigt 
hätten. So kündigte er denn vergnügt in einem Briefe 
seine baldige Rückkehr von Rom an und berichtete 
zugleich , wie ehrenvoll er vom Caesar verabschiedet 
worden sei. 

3. Der König nun, der vor Begierde brannte, den 
Ränkestifter in seine Gewalt zu bekommen, aber auch 
besorgt war, dieser möchte die Sache vorher erfahren 
und auf seiner Hut sein, spielte in seinen Briefen an 
ihn auch seinerseits den Heuchler, schrieb ihm recht 
freundlich und ermahnte ihn besonders zur Eile; falls 
er seine Heimreise beschleunige, werde er, Herodes, auch 
den Klagen gegen seine Mutter ein Ende machen 
können. Die Verstossung seiner Mutter war nämlich 



164 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Antipater nicht unbekannt geblieben. Schon vorher 
hatte er in Tarent auch einen Brief erhalten, der Ihm 
den Tod des Pheroras meldete, und grosse Trauer um 
letzteren getragen. Manche wollten ihm dieses Verhalten 
als ein Zeichen besonderer Anhänglichkeit an seinen 
Oheim hoch anrechnen; doch scheint es, dass er im 
Grunde nur wegen des Misslingens der Verschwörung 
niedergeschlagen war und also in Pheroras nur den 
Helfershelfer seiner Schlechtigkeit beweinte. Übrigens 
beschlich ihn im Gedanken an seine Frevelthaten be- 
reits die Angst, das Gift möchte entdeckt worden sein. 
Als er aber in Gilicien den erwähnten Brief seines 
Vaters erhielt, reiste er sogleich eiligst weiterund landete 
alsbald in Kelenderis, wo ihn der Gedanke an das Un- 
glück seiner Mutter quälte und auch bereits seiner selbst 
wegen bange Ahnungen ihn erfüllten. Seine besonneneren 
Freunde rieten ihm nun, sich nicht eher vor seinem 
Vater blicken zu lassen, als bis er erfahren habe, aus 
welchem Grunde seine Mutter verstossen worden sei; 
dehn es stehe zu befürchten, dass die Anklage gegen 
6ie auch ihn in Mitleidenschaft ziehen würde. Die Un- 
vorsichtigeren hingegen, die nicht sowohl Antipaters 
Interesse im Auge hatten, als vielmehr möglichst bald 
ihre Heimat wiederzusehen wünschten, trieben ihn zur 
Eile, indem sie ihn ermahnten, er solle doch nicht durch 
Zögern den Argwohn seines Vaters erregen und den 
Verleumdern einen willkommenen Anlass bieten. Denn 
wenn bis jetzt etwas gegen ihn angestellt worden sei, 
so habe das nur seine Abwesenheit begünstigt, während 
in seiner Anwesenheit niemand sich dessen erdreisten 
würde. Unvernünftig handle er also, wenn er um eines 
unsicheren Verdachtes willen sicherer Vorteile sich be- 
geben wolle. Er solle vielmehr so rasch wie möglich sich 
dem Vater in die Arme werfen und die Königskrone zu er- 
langen trachten, die auf des Herodes Haupt, so lange dieser 
allein sei, schwanke. Von seinem bösen Dämon getrieben, 
gab Antipater dem letzteren Rate nach, schiffte sich ein und 
landete alsbald in Sebastos, dem Hafen von Caesarea. 


Go gle 



Erstes Buch, 31. Kapitel. 


165 


4. Hier aber fand er sich wider Erwarten einsam und 
verlassen: jeder ging ihm aus dem Wege, und niemand 
wagte es, sich ihm zu nähern. Allen nämlich war er 
in gleichem Masse verhasst, und dieser Hass durfte sich 
jetzt offen zeigen. Viele mieden ihn auch aus Furcht 
vor dem Könige; denn die ganze Stadt durchschwirrten 
bereits böse Gerüchte über Antipater, der allein keine 
Ahnung davon hatte, wie es um ihn stand. Nie ward 
jemand glänzender verabschiedet, als er bei seiner Ab- 
reise von Rom, nie aber auch jemand weniger ehrenvoll 
empfangen. Schon fing er übrigens an, das Unglück 
zu wittern, das ihn zu Hause erwartete; doch war er 
schlau genug, sich das nicht merken zu lassen. Innerlich 
halbtot vor Angst, zwang er sich, die Miene stolzer 
Zuversicht zur Schau zu tragen. Einen Weg zur Flucht 
gab es nicht, und auch sonst sah er keine Möglichkeit, 
sich aus der Schlinge zu ziehen. Etwas Sicheres über 
die Vorgänge zu Hause aber erfuhr er auch hier nicht, 
weil der König jede diesbezügliche Mitteilung aufs strengste 
verboten hatte. So blieb ihm denn nur noch der eine 
Hoffnungsschimmer, dass vielleicht nichts entdeckt worden 
sei, oder wenn auch, dass er durch unverschämtes Auf- 
treten und listige Kniffe doch noch die Anklage ent- 
kräften könne; ein anderer Ausweg zu seiner Rettung 
war nicht denkbar. 

5. In dieser Verfassung betrat er den Königspalast, 
jedoch ohne seine Freunde ; denn diese waren am ersten 
Thore höhnisch zurückgewiesen worden. Im Inneren war 
zufällig Varus 1 , der Statthalter von Syrien, anwesend. 
Antipater ging nun zu seinem Vater hinein, und all 
seine Dreistigkeit zusammennehmend, näherte er sich 
ihm, um ihn zu umarmen. Herodes aber streckte die 
Hände vor, wandte den Kopf weg und rief aus: „Dessen 
kann auch nur ein Vatermörder sich erfrechen, mich 
umarmen zu wollen, wenn er solche Schuld auf sich ge- 


1 Derselbe, der später nach Germanien ging und im Jahre 
9 nach Chr. von Arminius geschlagen wurde. 



166 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


laden hat ! Zum Henker mit dir, ruchloser Mensch, und 
rühre mich nicht an, bis du dich von der Schuld ge- 
reinigt hast! Ein Gericht will ich dir jetzt geben, und 
einen Richter in der Person des Varus, der gerade zu 
gelegener Zeit gekommen ist. Fort nun, und besinne 
dich auf deine Verteidigung bis morgen; denn diese 
Frist will ich dir zu deinen Schlichen noch einräumend 
Vor Bestürzung unfähig, etwas darauf zu erwidern, zog 
Antipater sich zurück und erhielt alsbald den Besuch 
seiner Mutter und seiner Gattin, die ihn mit sämtlichen 
Beweisen bekannt machten. Allmählich fasste er sich 
dann wieder so weit, dass er an seine Verteidigung zu 
denken vermochte. 


Z weiunddr eissigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 5,8 — 6, 1. 

Antipater wird überführt. Herodes ändert sein Testament. 

1. Am folgenden Tage berief der König eine Ver- 
sammlung seiner Freunde und Verwandten, zu der er 
auch Antipaters Freunde einlud. Den Vorsitz führte 
er selbst in Gemeinschaft mit Varus. Er liess nun die 
sämtlichen Zeugen vorführen , unter denen sich auch 
einige erst kürzlich verhaftete Diener der Mutter Anti- 
paters befanden, welche einen Brief von ihr an Anti- 
pater überbracht hatten. Dieser Brief hatte folgenden 
Wortlaut: „Da alles Bewusste zur Kenntnis deines 
Vaters gelangt ist, so hüte dich, in seine Nähe zu 
kommen, es sei denn, du könntest auf die Hilfe des 
Caesars rechnen.“ Als nun diese sowie alle anderen 
Zeugen vorgeführt waren, trat Antipateriein, fiel zu seines 
Vaters Füssen auf sein Angesicht nieder und sprach: 
„Ich bitte dich, Vater, du wollest mich nicht im voraus 
verdammen, sondern meiner Verteidigung gnädiges Ge- 
hör schenken; denn wenn du es gestattest, werde ich 
meine Unschuld beweisen.“ 



Erstes Buch, 32. Kapitel. 


167 


2. Herodes aber herrschte ihn an, er solle schweigen, 
und sprach dann, zu Varus gewandt: „Wie jeder ge- 
wissenhafte Richter, so wirst auch du, Varus, des bin 
ich sicher, in Antipater einen höchst verworfenen 
Menschen erkennen. Ich fürchte nur, du möchtest dich 
voll Abscheu von mir wenden und glauben, ich verdiente 
all dieses Unglück, weil ich solchen Söhnen das Leben 
gegeben habe. Und doch bin ich deswegen im Grunde 
bemitleidenswert , weil ich diesen Bösewichtern von 
Söhnen noch ein so liebevoller Vater war. Meinen 
früheren Söhnen habe ich schon, als sie noch Jünglinge 
waren, Königsrang zuerkannt, habe sie in Rom bilden 
lassen, sie zu Freunden des Caesars und damit zum 
Gegenstände des Neides für andere Könige gemacht. 
Aber ich fand, daBS sie mir nach dem Leben trachteten, 
und so mussten sie, vornehmlich Antipater zulieb, sterben ; 
denn ihm, dem jungen Thronfolger, wollte ich in erster 
Linie Sicherheit verschaffen. Diese schreckliche Bestie 
jedoch missbrauchte meine Geduld und kehrte ihre 
ganze Wut gegen mich. Mein Leben dauerte Antipater 
zu lange, mein Alter ward ihm unbequem, und nicht 
anders als durch Vatermord wollte er König werden. 
Strafe sollte ich dafür verdient haben, dass ich den 
Verstossenen vom Lande wieder hereinholte, die Söhne, 
die eine Königin mir geboren, überging und ihn zum 
Thronfolger ernannte. Das war allerdings, ich gestehe 
es dir, Varus, arge Verblendung von mir. Jene Söhne 
habe ich gegen mich aufgebracht, weil ich ihre gerechten 
Ansprüche zu gunsten Antipaters unterdrückte. Wann 
aber habe ich denselben jemals solche Wohlthaten er- 
wiesen, wie diesem hier? Obwohl selbst noch am Leben, 
habe ich ihm fast meine ganze Gewalt eingeraumt, habe 
ihn ausdrücklich im Testament als Thronfolger bezeichnet, 
habe ihm fünfzig Talente eigener Einkünfte zugewiesen, 
ihm noch reichliche Mittel dazu aus meiner Privatkasse 
bewilligt, ihm jüngst bei seiner Abreise nach Rom drei- 
hundert Talente gegeben und ihn allein vor meiner 
ganzen Familie dadurch ausgezeichnet, dass ich ihn als 



168 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


den Retter seines Vaters dem Caesar empfahl. Was 
haben jene anderen sich zu schulden kommen lassen, das 
mit Antipaters Frevelthaten verglichen werden könnte? 
Und wann wurden jemals gegen sie solche Beweise vor- 
gebracht, wie gegen diesen Bosewicht? Doch der Vater- 
mörder hat sich ja erkühnt, hier noch etwas zu seiner 
Verteidigung anzuführen, und hofft abermals die Wahr- 
heit durch trügerische Künste verhüllen zu können. Sieh 
dich also vor, Varus! Ich kenne das Ungeheuer, ich 
sehe schon voraus , wie er sich den Schein der Glaub- 
würdigkeit zu geben und durch sein heuchlerisches Ge- 
winsel Eindruck zu machen versuchen wird. Er ist es, 
der mich warnte, vor Alexander, so lange dieser noch 
lebte, mich in acht zu nehmen und meine Person nicht 
jedermann anzuvertrauen. Er ist es ferner, der Zutritt 
zu meinem Schlafgemach hatte und aufpasste, dass 
niemand mir nachstellen möchte. Er ist es endlich, der 
meinen Schlaf bewachte, der für meine Sicherheit sorgte, 
der mich in meiner Trauer über die Hingerichteten 
tröstete, der die Gesinnung seiner noch lebenden Brüder 
zu beobachten hatte, kurz: er war mein Hüter und Leib- 
wächter. Wenn ich nun, o Varus, seine Arglist und 
Heuchelei bedenke, so vermag ich kaum zu begreifen, 
wie ich noch lebe und einem so durchtriebenen Verräter 
entrinnen konnte. Aber da einmal, wie es scheint, ein 
böser Dämon mein Haus zu veröden und meine liebsten 
Angehörigen gegen mich aufzuhetzen trachtet, so kann 
ich nur die Ungerechtigkeit meines Geschickes beklagen 
und meine Vereinsamung beweinen. Niemand indes, 
der nach meinem Blute dürstet, soll mir entschlüpfen, 
und machte der Schuldbeweis auch die Runde dnrch alle 
meine Kinder!“ 

3. Hier vermochte der König vor Erschütterung nicht 
weiter zu reden und hiess daher seinen Freund Nikolaus 
die Beweise vortragen. Mittlerweile richtete Antipater, 
der bis dahin zu Füssen seines Vaters hingestreckt ge- 
legen hatte, sich auf und rief: „Du selbst, Vater, hast 
meine Verteidigung geführt! Denn wie kann ich ein 



Erstes Buch, 32. Kapitel. 


169 


Vatermörder sein, da du an mir, wie du selbst gestehst, 
beständig einen Wächter hattest? Meine kindliche Liebe, 
sagst du freilich, sei nichts als Lug und Trug gewesen. 
Wie aber müsste ich, der ich sonst in allem so schlau 
sein soll, doch so unsinnig gewesen sein, um nicht ein- 
zusehen, dass, wer solche Schandthaten ins Werk setzt, 
nicht einmal vor den Menschen sich zu verbergen weiss, 
geschweige denn vor dem allsehenden und allgegenwärtigen 
Richter im Himmel! Oder war mir etwa das Ende 
meiner Brüder unbekannt, die Gott für den verbrecherischen 
Anschlag gegen dich so schwer gezüchtigt hat? Und 
was soll mich denn wider dich aufgebracht haben? 
Etwa die Aussicht, König zu werden? Aber ich war ja 
König! Oder der Gedanke, von dir gehasst zu sein? 
Ward ich denn nicht geliebt? Oder dass ich deinetwegen 
mich vor anderen fürchten musste? Aber ich war ja 
vielmehr anderen furchtbar dadurch, dass ich dich be- 
schützte! Oder vielleicht Geldmangel? Wer durfte 
denn grösseren Aufwand machen als ich? Wäre ich 
aber auch der verworfenste aller Menschen und besässe 
ich die Tücke des wilden Tieres, hätten mich dann nicht, 
o Vater, deine Wohlthaten bezähmen müssen, da du 
mich, wie du selbst sagtest, in dein Haus wieder auf- 
genommen, deinen vielen übrigen Kindern vorgezogen, 
noch bei deinen Lebzeiten zum Könige ernannt und 
durch eine Menge anderer Auszeichnungen zum Gegen- 
stände des Neides gemacht hast? O, welch ein Unglück 
ist diese verwünschte Reise für mich geworden ! Wie- 
viel Anlass habe ich dadurch der Missgunst, wie lange 
Frist meinen Verleumdern gegeben! Aber dir zulieb, 
Vater, und in deinem Interesse habe ich doch die Reise 
unternommen, damit nicht Syllaeus deines Alters spotte. 
Rom ist Zeuge meiner kindlichen Liebe, und nicht 
minder der Caesar, der mich oft den Vaterliebenden 
nannte. Nimm, Vater, dieses Schreiben von ihm, das 
glaubwürdiger ist als die hier gegen mich vorgebrachten 
Verleumdungen; es ist auch zugleich mein einziger Ver- 
teidiger und soll Zeugnis ablegen von meiner zärtlichen 



170 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Liebe zu dir. Erinnere dich, wie ungern ich ahreiste, 
da ich die heimliche Feindseligkeit, die man im Reiche 
gegen mich hegte, wohl kannte. Du, Vater, hast, ohne 
es zu wollen, mich ins Verderben gestürzt, indem du 
mich nötigtest, dem Neide Zeit zum Anschwärzen zu 
lassen. Nun aber bin ich wieder da, bin da, um den 
Beweisen entgegen zu treten, und zu Wasser wie zu 
Lande ist der Vatermörder wohlbehalten geblieben. 
Freilich hilft mir dieses Zeugnis nichts, denn bei Gott 
und bei dir, Vater, bin ich verdammt. Als Verdammter 
aber bitte ich dich , du wollest nicht den Aussagen 
trauen, die andere auf der Folter gemacht — sondern 
gegen mich selbst bringe man das Feuer heran, und in 
meinen Eingeweiden mögen die Marterwerkzeuge wühlen I 
Schonet dann meiner nicht, wenn ihr das Jammern hört, 
das von dem verruchten Körper ausgeht I Denn wenn 
ich wirklich ein Vatermörder bin, so darf ich nicht un- 
gefoltert sterben.“ Diese Worte stiess Antipater unter 
Weinen und Schluchzen hervor und rührte damit alle 
übrigen Anwesenden sowohl als auch den Varus zum 
Mitleid. Herodes allein in seinem Grolle blieb thränen- 
los, denn er wusste zu gut, wie begründet die An- 
klage war. 

4. Auf Befehl des Königs nahm nun Nikolaus das 
Wort und richtete, nachdem er Antipaters Arglist be- 
sprochen und das ihm entgegengebrachte Mitleid wieder 
zerstreut hatte, eine scharfe Anklage wider ihn. Er 
legte ihm nämlich sämtliche Schandthaten zur Last, die 
im Königspalast vorgekommen waren, besonders aber 
den Untergang der beiden Brüder, der, wie er zeigte, 
Antipaters Ränken allein beizumessen war. Überdies, 
fuhr er fort, stelle derselbe auch noch den übrigen 
Mitgliedern des Königshauses nach, die ihm seiner 
Meinung nach die Thronfolge gefährdeten. Denn wer 
seinem Vater einen Gifttrank habe bereiten können, der 
werde auch vor der Ermordung seiner Brüder nicht 
zurückschrecken. Indem Nikolaus sich dann zu den 
Beweisen für den beabsichtigten Giftmord wandte, ging 



Erstes Buch, 32. Kapitel. 


171 


er der Reihe nach die Zeugenaussagen durch und gab 
insbesondere seiner Entrüstung darüber Ausdruck, dass 
Antipater auch den Pheroras zum Brudermörder gemacht 
und durch Verführung der besten Freunde des Königs 
den ^Palast in eine Verbrecherhöhle umgewandelt habe. 
So fuhr er noch eine Weile mit der Darlegung von 
Beweisen fort und schloss dann seine Rede. 

5. Als Varus hierauf an Antipater die Frage richtete, 
was er zu seiner Rechtfertigung anzuführen habe, brachte 
dieser nichts weiter als die Worte hervor: „Gott ist 
Zeuge meiner Unschuld“, und blieb schweigend liegen. 
Varus liess nun das Gift bringen und es einem zum 
Tode verurteilten Gefangenen eingeben, der infolgedessen 
sogleich tot niederfiel. Nachdem sodann der Statthalter 
noch eine geheime Unterredung mit Herodes gehabt, 
erstattete er dem Caesar schriftlichen Bericht über die 
Verhandlung und reiste tags darauf weg. Der König 
aber liess Antipater in Fesseln legen und ordnete eine 
Gesandtschaft ab, um dem Caesar von seinem Unglück 
Nachricht zu geben. 

6. Gleich nach diesen Vorgängen ward auch noch 
ein Anschlag Antipaters gegen Salome entdeckt. Von 
Rom nämlich war ein Diener des Antiphilus mit Briefen 
von Akme, einer *Kammerfrau der Julia, angekommen. 
Diese Akme schrieb dem Könige , sie habe in den 
Papieren der Julia Briefe von Salome gefunden und 
übersende ihm dieselben anbei insgeheim aus Ergebenheit 
gegen ihn. Die Briefe aber enthielten die bittersten 
Schmähungen und schwersten Beschuldigungen wider 
den König und waren von Antipater gefälscht worden, 
der auch die Akme durch Bestechung veranlasst hatte, 
sie dem Herodes zu senden. Überführt wurde nun 
Antipater durch einen an ihn selbst gerichteten Brief, 
in welchem Akme schrieb: „Ich habe deinem Aufträge 
gemäss an deinen Vater geschrieben und ihm die 
bewussten Briefe geschickt. Der König wird, des 
bin ich gewiss, seine Schwester nicht am Leben lassen, 
wenn er dieselben gelesen hat. Ist alles glücklich ab- 



172 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gelaufen, so wirst du hoffentlich deine Versprechungen 
nicht vergessen.“ 

7. Als dieser sowie die gegen Salome gerichteten 
Briefe aufgefangen waren, da erst regte sich beim Könige 
der Verdacht, es möchten solche Fälschungen auch gegen 
Alexander begangen worden sein. Der Gedanke übrigens, 
dass Antipater ihn beinahe zum Mörder seiner Schwester 
gemacht hätte, erbitterte ihn so heftig, dass er denselben 
ohne weiteren Aufschub für alle seine Verbrechen büssen 
lassen wollte. Doch als er eben Anstalten dazu traf, 
ward er von einer schweren Krankheit befallen. Er 
gab nun in betreff der Akme sowie der gegen Salome 
geschmiedeten Ränke dem Caesar Nachricht, liess sich 
alsdann sein Testament bringen und änderte dasselbe 
dahin ab, dass er mit Übergehung seiner ältesten Söhne 
Archelaus und Philippus, die Antipater gleichfalls bei 
ihm verdächtigt hatte, den Antipas als Thronerben be- 
zeichnete. Dem Caesar vermachte er ausser den nicht 
in Geld bestehenden Geschenken tausend und dessen 
Gattin, Kindern, Freunden und Freigelassenen etwa 
fün/hundert Talente; an viele andere Personen verteilte 
er Ländereien; mit den glänzendsten Geschenken aber 
bedachte er seine Schwester Salome. In dieser Weise 
änderte Herodes sein Testament. 


Dreiunddreissigstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 6, 1 — 8, 3. 

Zerstörung des goldenen Adlers. Antipater wird hingerichtet. 

Des Herodes letzte Anordnungen und Tod. 

1. Des Königs Krankheit aber verschlimmerte sich 
mehr und mehr, wozu besonders Kummer und Alter das 
ihrige beitrugen. Er war nämlich fast siebzig Jahre 
alt, und das Unglück, das er mit seinen Kindern gehabt, 
hatte sein Gemüt derart verdüstert, dass er nicht einmal 
in gesunden Tagen seines Lebens so recht froh geworden 
war. Eine weitere Steigerung erfuhr die Krankheit durch 



Erstes Buch, 38. Kapitel. 


173 


den Gedanken, dass Antipater noch lebe; doch wollte 
er ihn vorläufig noch nicht, sondern erst nach seiner 
Wiedergenesung hinrichten lassen. 

2. Um das Unheil voll zu machen, brach nun auch 
noch ein Volksaufstand aus. Es lebten damals in der 
Stadt 1 zwei Schriftgelehrte, die für besondere Kenner 
des väterlichen Gesetzes galten und darum beim Volke 
in sehr hohem Ansehen standen, Judas, der Sohn des 
Sepphoraeus 2 , und Matthias, der feohn des Margalos 3 . 
Wenn diese Männer das Gesetz erklärten, strömten die 
jungen Leute in Menge bei ihnen zusammen, und so 
lehrten sie tagtäglich vor einem ganzen Heere von Zu- 
hörern. Als sie nun erfuhren, wie Gram und Krankheit 
den König allmählich verzehre, Hessen sie ihren Schülern 
gegenüber die Worte fallen, jetzt sei es an der Zeit, die 
Ehre Gottes zu verteidigen und die dem Gesetz der 
Väter zuwider errichteten Bildwerke zu zerstören. Denn 
ungesetzlich sei es, an dem Tempel Standbilder, Büsten 
oder sonstige Bildwerke anzubringen, die den Namen 
lebender Wesen trügen. Herodes nämlich hatte über 
dem grossen Tempelthor einen goldenen Adler auf- 
stellen lassen, und eben diesen rieten die Schriftgelehrten 
herunterzureissen , indem sie hinzufügten, wenn auch 
Gefahr damit verbunden sein sollte, so sei es dooh ehren- 
voll, für das väterliche Gesetz zu sterben. Wer so 
ende, dessen Seele werde unsterblich sein und ewige 
Glückseligkeit gemessen, und nur unedle Menschen, die 
jeder wahren Weisheit bar seien und kein Verständnis 
dafür hätten, was ihrer Seele fromme, zögen den Tod 
durch Krankheit dem Heldentode vor. 

3. Zugleich mit diesen Reden verbreitete sich das 
Gerücht, der König liege in den letzten Zügen, und nun 
gingen die jungen Leute um so dreister ans Werk. 
Mitten am Tage, während eine Menge Volkes in der 
Nähe des Tempels sich auf hielt, Hessen sie sich an 


1 Jerusalem. 

2 J. A. XVII, 6, 2 heisst er Sariphaeus. 

3 J. A. XVII, 6 , 2 : Margalotb. 



174 


Josephus, Gesebicbte des Jüdischen Krieges. 


starken Seilen vom Tempeldach hinab und zerhieben 
den goldenen Adler mit Äxten. Sogleich wurde hiervon 
dem königlichen Palastkommandanten Meldung erstattet, 
der dann eilends mit einer starken Truppenabteilung 
heranrückte, etwa vierzig junge Leute festnahm und sie 
vor den König führte. Gleich auf die erste Frage, ob 
sie es gewesen, die sich erfrecht hätten, den goldenen 
Adler zu zerstören, gestanden sie die That trotzig ein, 
und auf die weitere , wer ihnen dazu den Auftrag ge- 
geben, erwiderten sie: Das Gesetz ihrer Väter. Al6 sie 
dann auch noch gefragt wurden , weshalb sie so freudig 
gestimmt seien, da sie doch den Tod erleiden müssten, 
erklärten sie , nach dem Tode werde ihnen grösseres 
Glück zuteil werden. 

4. Der übermässige Zorn, in welchen der König 
hierüber geriet, bewirkte eine Besserung seiner Krankheit, 
sodass er persönlich in eine Volksversammlung 1 gehen 
konnte, wo er in langer Rede die jungen Leute als 
Tempelschänder anklagte, die unter dem Vorwand, das 
Gesetz zu schützen, weitergehende Absichten verfolgten. 
Sodann verlangte er, sie sollten als Gotteslästerer be- 
straft werden. Weil aber das Volk fürchtete, es könnten 
eine Menge Menschen in die Untersuchung verwickelt 
werden, bat es ihn zunächst, er möge nur die Anstifter 
bestrafen, und hernach, er möge nur gegen die bei der 
That Ertappten einschreiten , den übrigen dagegen Ver- 
zeihung gewähren. Der König, der nur ungern nach- 
gab, liess nun die, welche sich an den Seilen herab- 
gelassen hatten, samt jenen Schriftgelehrten lebendig 
verbrennen, während er die anderen Verhafteten dem 
Henker zur Hinrichtung überantwortete. 

5. Von da an ergriff die Krankheit seinen ganzen 
Leib und erzeugte in dessen einzelnen Teilen verschieden- 
artige Leiden. Das Fieber war zwar nicht heftig, aber 
auf der ganzen Körperoberfläche empfand er unerträg- 
liches Jucken und in den Eingeweiden beständige 


1 Die nach J. A. XVII, 6,3 in Jericho stattfand. 



Erstes Bach, 33. Kapitel. 


175 


Schmerzen. An den Füssen bildeten sich Anschwellungen 
wie bei Wassersüchtigen, im Unterleib eine Entzündung 
und an den Schamteilen ein fauliges Geschwür, welches 
Würmer erzeugte. Ausserdem quälten ihn Atem- 
beechwerden , die ihm das Liegen unmöglich machten, 
und Krämpfe in allen Gliedern.- Die Wahrsager er- 
klärten, die Krankheit sei eine Strafe für die Tötung 
der Schriftgelehrten. Er selbst hing, wiewohl er so viele 
Qualen auszustehen hatte, dennoch mit Zähigkeit am 
Leben, erhoffte seine Genesung und sann auf Heilmittel. 
Und alsbald liess er sich über den Jordan bringen, um 
die warmen Quellen von Kallirrhoe 1 zu gebrauchen, 
deren Wasser in den Asphaltsee 2 fliesst und so süss ist, 
dass man es auch trinken kann. Dort hielten die Ärzte 
es für angezeigt, seinen ganzen Leib in warmem Oel zu 
baden. Als man ihn aber in eine mit Oel gefüllte 
Wanne setzte, wurde es ihm schwarz vor den Augen, 
und er verdrehte sie wie ein Sterbender. Das Geschrei 
jedoch, das seine bestürzten Diener erhoben, brachte ihn 
wieder zu sich, und nun gab er selbst alle Hoffnung, 
zu genesen, auf und liess den Soldaten Mann für 
Mann fünfzig Drachmen , den Offizieren und seinen 
Freunden aber noch weit grössere Geldgeschenke ver- 
abreichen. 

6. Als er auf der Rückreise nach Jericho kam, er- 
griff ihn die schwarze Galle 3 , und als wollte er dem 
Tode selbst noch drohen, verfiel er auf eine ruchlose 
Handlung. Er liess nämlich die angesehensten Männer 
von ganz Judaea aus den einzelnen Ortschaften Zu- 
sammenkommen und sie in dem sogenannten Hippodrom 4 

1 Heute Zerka Main, wo sich warme Schwefelquellen befinden, 
deren heisseste nach Bädeker-Socin eine Temperatur von 61,5° C. hat. 
Die Araber bedienen sich der Quellen noch jetzt vielfach zur Bade- 
und Trinkkur. 

2 Das tote Meer. 

3 D. i. hochgradige Gelbsucht; hiernach scheint das Leiden dea 
Herodes entweder die Leberschrumpfung (Cirrhose) oder der Leber- 
krebs gewesen zu sein. 

4 Der Rennbahn. 


Go gle 



176 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


einschliessen. Sodann beschied er seine Schwester Salome 
nebst ihrem Manne Alexas zu sich und sprach zu ihnen: 
„Ich weiss, dass die Juden meinen Tod wie ein Freuden- 
fest feiern werden. Doch es sollen mir schon andere 
dazu verhelfen , dass ich betrauert werde und ein 
glänzendes Leichenbegängnis erhalte, wenn ihr nur 
meinen Auftrag ausführen wollt. Alsbald naoh meinem 
Ableben nämlich lasset ihr die eingesperrten Männer 
durch Soldaten umzingeln und schleunigst niedermachen, 
damit ganz Judaea und jede einzelne Familie wider 
Willen meinen Tod beweine.“ 

7. Hierauf langten Briefe von den zu Rom befindlichen 
Gesandten an, welche meldeten, dass Akme auf Befehl 
des Caesars hingerichtet und Antipater zum Tode ver- 
urteilt worden sei; doch wenn der Vater, so hiess es 
weiter, ihn lieber in die Verbannung schicken . wolle, 
habe der Caesar nichts dagegen einzuwenden. Herodes 
zeigte nun auf kurze Zeit wieder etwas Lebensmut; als 
aber bald nachher mangelnde Nahrungsaufnahme und 
krampfhafter Husten ihn zermarterten, beschloss er im 
Übermass seiner Leiden, dem Geschick zuvorzukommen. 
Er nahm also einen Apfel und verlangte ein Messer dazu, 
um ihn seiner Gewohnheit gemäss zu zerschneiden, ehe 
er ihn verspeiste. Dann sah er sich um, ob vielleicht 
jemand ihn hindern würde, und erhob seine Rechte, um 
sich zu erstechen. Sogleich aber stürzte sein Vetter 
Achiab herbei, fiel ihm in den Arm und vereitelte den 
Selbstmord. Im Palast erhob sich nun ein gewaltiges 
Klagegeschrei, wie wenn der König schon gestorben 
wäre. Kaum hatte Antipater dasselbe vornommen, als 
er wieder Mut fasste und voller Freude seine Wächter 
bestürmte, ihn gegen ein Geldgeschenk seiner Fesseln 
zu entledigen und entwischen zu lassen. Der Wach- 
kommandant jedoch, weit entfernt, dies zuzugeben, lief 
vielmehr zum Könige und machte ihm von dem Be- 
stechungsversuch Meldung. Mit einer in anbetracht 
seines leidenden Zustandes ausserordentlich starken 
Stimme schrie Herodes auf und schickte sogleich einige 


Go gle 



Erstes Buch, 33. Kapitel. 


177 


Trabanten ab, um Antipater hinzurichten. Nachdem er 
sodann Befehl gegeben, den Leichnam in Hyrkanium 
beizusetzen, änderte er nochmals sein Testament und 
schrieb als Thronfolger seinen ältesten Sohn Archelaus, 
den Bruder des Antipas, hinein, während er den letzteren 
zum Tetrarchen ernannte. 

8. Fünf Tage nach der Hinrichtung seines Sohnes 
starb auch Jlerodes 1 . Seitdem er durch Ermordung des 
Antigonus sich der höchsten Gewalt bemächtigt hatte, 
waren vierunddreissig, seit seiner Ernennung zum Könige 
durch die Römer siebenunddreissig Jahre verflossen. 
Wie kaum ein anderer war er nach aussen hin vom 
Glücke begünstigt. Denn als Privatmann war er in den 
Besitz eines Königreiches gelangt und konnte es nach 
langjähriger Regierung eigenen Kindern hinterlassen; 
nur " in seinem Familienleben traf ihn Unglück über 
Unglück. — Bevor nun das Heer seinen Tod erfuhr, 
begab sich Salome mit ihrem Gatten hinaus und liess die 
Gefangenen frei, die der König umzubringen befohlen 
hatte, indem sie vorgab, er habe sich anders besonnen 
und sende sie jetzt alle wieder in ihre Heimat zurück. 
Erst nachdem diese fort waren, teilte sie den Soldaten 
den Sachverhalt mit und berief sie samt dem übrigen 
Volke zu einer Versammlung in das Amphitheater zu 
Jericho. Dort trat Ptolemaeus auf, dem Herodes seinen 
Siegelring an vertraut hatte, pries den König glücklich, 
tröstete das Volk und las das Schreiben vor, das der 
König den Soldaten hinterlassen hatte und in welchem 
er sie eindringlich ermahnte, seinem Nachfolger die Treue 
zu bewahren. Nach Verlesung des Schreibens eröflhete 
Ptolemaeus das Testament und machte seinen Inhalt be- 
kannt. Philippus war darin zum Erben von Trachon 
und der angrenzenden Länder, Antipas, wie schön oben 
erwähnt, zum Tetrarchen und Archelaus zum Könige 
ernannt. Dem letzteren war zugleich aufgetragen, den 
Siegelring des Herodes und die versiegelten Akten über 


1 4 v. Chr. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 12 

Go gle . jSr, c.,\ 



178 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


die Reichs Verwaltung dem Caesar zu überbringen; denn 
dem Caesar verbleibe die letzte Entscheidung über alle 
Bestimmungen des Testamentes, und er müsse dasselbe 
zunächst bestätigen. Im übrigen solle es bei den früheren 
Anordnungen sein Bewenden haben. 

9. Sogleich wurde nun Archelaus unter lautem Zuruf 
beglückwünscht. Truppweise zogen die Soldaten samt 
dem Volke an ihm vorbei, gelobten ihm Treue und 
flehten Gottes Huld auf ihn herab. Hierauf traf man 
Anstalten zur Beisetzung des Königs. Archelaus liess 
es an keinem Aufwand fehlen und stellte, um ein 
prunkvolles Leichenbegängnis zu ermöglichen, den ge- 
samten königlichen Schmuck zur Schau. Das Paradebett 
war ganz von Gold und mit Edelsteinen besetzt, die 
Decke von buntgesticktem Purpur, und der Leichnam, 
der auf ihr lag, gleichfalls mit einem Purpurgewand um- 
hüllt. Auf seinem Haupte ruhte das Königsdiadem und 
darüber eine goldene Krone, und die Rechte hielt das 
Scepter. Das Paradebett umgaben die Söhne und die 
übrigen zahlreichen Verwandten des Königs; alsdann 
folgten die Soldaten der Leibwache, die thrakische Ab- 
teilung, die Germanen und die Gallier, alle in voller 
Kriegsrüstung. Voran schritt der übrige Teil des Heeres 
unter Führung seiner Obersten und Hauptleute, ebenfalls 
in vollem Waffenschmuek, und daran schlossen sich 
fünfhundert Diener und Freigelassene, welche köstliche 
Spezereien trugen. So zog man mit dem Leichnam zwei- 
hundert Stadien 1 weit nach Herodium, wo er dem Be- 
fehle des Verstorbenen gemäss beigesetzt wurde. Das 
war das Ende des Herodes. 


1 So weit war also Herodium von Jericho, wo Herodes starb, 
entfernt, während die Entfernnng von Jerusalem 60 Stadien betrug 
(s. 13,8 und J. A. XIV, 13,9). Die Angabe J. A. XVII, 8,4, der 
Leichnam sei acht Stadien weit getragen worden, ist somit falsch. 



Zweites Buch 


Inhalt. 

1. Wie Archelaus nach der Trauer um seinen Vater und der Be- 

wirtung des Volkes dem letzteren die Erfüllung seiner Forderungen 
zusagte. 

2. Wie er viele von denen, welche die wegen der Zerstörung des 

Adlers zum Tode verurteilten Gesetzeslehrer betrauerten und 
einen Aufstand gegen ihn schürten, töten liess, darunter besonders 
diejenigen, die zur Zeit des Paschafestes sich versammelt hatten. 

3. Wie Sabinus, als Archelaus nach Rom abreiete, auf dem Marsche 

nach Jerusalem demselben begegnete und auf Varus' Aufforderung 
wieder umkehrte, dann aber nach des letzteren Abreise abermals 
dorthin zog und , wiewohl vergeblich, die Königsburg in Besitz 
zu nehmen und alles Geld zu rauben trachtete. 

4. Wie Antipas mit Archelaus um den Thron stritt, und was jeder 

von beiden zu seinen Gunsten vorbrachte. 

5. Wie das Volk, als Sabinus nach Jerusalem gekommen war und 

nicht nur mit Gewalt die Abgaben eintrieb, sondern auch des 
Königs Schätze aufstöberte, sich zusammenrottete und sich wider 
ihn erhob, sodass die Empörung ganz Judaea ergriff. 

6. Von den Unruhstiftern in Judaea und von denen, die sich die 

Königskrone aufsetzten. 

7. Wie Varus heranzog, den Aufstand niederwarf und gegen die 

Rädelsführer einschritt. 

8. Wie die Juden sich zum Caesar begaben, den Herodes und seine 

Söhne anklagten und begehrten, nicht länger mehr unter Königen 
stehen zu müssen. Wie Archelaus sie widerlegte und ihre An- 
klagen zunichte machte. 

9. Wie der Caesar dem Archelaus die Hälfte des Königreiches gab 
. und ihn zum Ethnarchen ernannte, den Rest aber in zwei 

Tetrarchien teilte, von denen er die eine dem Philippus, die 
andere dem Antipater, der auch Antipas und Herodes genannt 
wurde, verlieh. Was der Caesar den übrigen Nachkommen des 
Herodes zuerkannte. 

10. Vom falschen Alexander und wie er entlarvt wurde. 

11. Wie Archelaus im neunten Jahre seines Thrones und Vermögens 

verlustig ging und in dauernde Verbannung geschickt wurde. 
Seine und seiner Gattin Träume. Sein Reich wird in eine Provinz 
verwandelt und einem Landpfleger unterstellt. 

12 * 


n !j r vifi s i # o f ca l im r n i a 


Go gle 



180 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


12. Von Judas dem Galiläer, der seine Landsleute zum Abfall reizte, 

und von den drei Sekten der Juden, den Sadducäern, Phari- 
säern und Essenern. 

13. Tod von Herodes’ Schwester Salome und des Caesars Augustus. 

Thronbesteigung des Tiberius. Welche Städte die Tetrarchen 
Herodes und Philippus gründeten. 

14. Wie Pilatus, der Landpfleger von Judaea, Bildnisse des Caesars 

nach Jerusalem bringen Hess, aber auf inständige Bitten des 
Volkes sie wieder aus der Stadt entfernte. Wie er den Tempel- 
schatz zur Anlage einer Wasserleitung verwenden wollte, da- 
durch aber das Volk zum Aufruhr trieb und viele Juden um- 
bringen liess. 

15. Wie Agrippa, der Sohn des zugleich mit seinem Bruder von 

Herodes getöteten Aristobulus, sich zu Tiberius begab, um den 
Herodes anzuklagen, vom Caesar aber nicht nur abgewiesen, 
sondern auch ins Gefängnis geworfen und schlecht behandelt 
wurde, weil er des Gajus Regierung herbeigewünscht hatte. 

16. Wie er nach dem Ableben des Tiberius und der Thronbesteigung 

des Gajus freigelassen wurde und die Tetrarchie des verstorbenen 
Philippus sowie auch die von dessen Bruder Herodes erhielt, 
der mit seiner Gattin Herodias seiner Habgier wegen und weil 
er von Agrippa angeschuldigt worden war, nach Hispanien 
verbannt wurde. 

17. Wie Gajus den Petronius nach Judaea schickte, um seine Bild- 

säule im Tempel aufstellen zu lassen , und wie fast sämtHche 
Juden dem Petronius bis nach Ptolemais entgegenzogen und 
ihn beschworen, dies nicht zu thun. Beschreibung von Ptole- 
mais und des Beleusflusses. Vom Grabmal des Memnon und 
dem Glassande. Wie Petronius sich bewegen liess, von der 
Aufstellung der Bildsäule abzusehen. 

18. Wie nach Gajus’ Tod Claudius zur Regierung kam, nachdem 

der Senat auf Agrippas Anraten sich mit ihm ausgesöhnt hatte. 
Wie Claudius den Agrippa mit dem ganzen Reiche seines Vaters 
belehnte und noch andere Landesteile hinzufügte, Agrippas 
Bruder aber, der auch zugleich dessen Schwiegersohn war, zum 
Könige von Chalkis machte. 

19. Wie Agrippa, als er Jerusalem zu befestigen angefangen hatte, 

starb und sein Reich wiederum zur Provinz unter Verwaltung 
eines Landpflegers wurde. Wie alsdann auch Herodes, der 
König von Chalkis, aus dem Leben schied, und Claudius dessen 
Neffen Agrippa, den Sohn Agrippas, mit seinem Reiche belehnte. 
Wie im Gegensatz zu diesen Nachkommen des Aristobulus die 
Nachkommen Alexanders in Grossarmenien herrschten. 

20. Wie unter dem Landpfleger Cumanus infolge des schamlosen 

Benehmens eines Soldaten ein Aufstand in Jerusalem ausbracb 
und gegen zehntausend Juden umkamen. Wie nach Nieder- 
werfung dieser Empörung eine zweite entstand, weil ein Soldat 
in Samaria das Gesetzbuch verbrannt hatte. 


Go gle 


ÜWIVERSft^OF CALIFORNIA 



Zweites Buch, Inhalt. 


181 


21. Wie infolge der Ermordung eines Galiläers durch die Samaritaner 

wiederum ein schwerer Streit entstand, und auf welche Weise 
derselbe von Claudius beigelegt wurde. Claudius versetzt den 
Agrippa von Chalkis in ein grösseres Königreich. 

22. Wie nach Claudius’ Tod Nero den Thron bestieg, die Regierung 

von Kleinarmenien dem Aristobulus, Sohn des Herodes, über- 
trug, dem Gebiete des Agrippa noch vier Städte samt den zu- 
gehörigen Bezirken hinzufügte und den übrigen Teil von Judaea 
dem Landpfleger Felix unterstellte , der viele Übelth&ter kreu- 
zigen liess und den Räuberhauptmann Eleazar, nachdem dieser 
zwanzig Jahre lang das Land beunruhigt hatte, in Ketten nach 
Rom schickte. 

23. Von den sogenannten Sikariern, den falschen Propheten und 

den Volksaufwieglern. Von dem Streite zwischen Juden und 
Griechen zu Caesarea um die bürgerliche Gleichberechtigung, 
und wie jede Partei eine Abordnung an Nero schickte, um 
ihre Sache zu verfechten. 

24. Vom Nachfolger des Festus, dem Landpfleger Albinus, der bos- 

haften Gemütes war, immerhin aber noch ein Muster von 
Rechtschaffenheit im Vergleich zu seinem viel schlimmeren 
Nachfolger Florus. 

25. Wie die Griechen zu Caesarea es bei Nero durchsetzten, dass 

sie als Herren der Stadt anerkannt wurden, worauf der jüdische 
Krieg begann, einesteils weil ein Einwohner von Caesarea in 
einem Topfe Vögel opferte, andern teils weil Florus aus dem 
Tempelschatz siebzehn Talente entnehmen liess. 

26. Von Berenike, der Schwester Agrippas, und was ihr widerfuhr. 

27. Wie Florus den bereits erloschenen Aufruhr wieder entfachte, 

indem er den Juden vorschrieb, sie sollten den Truppen ent- 
gegenziehen und sie begrüssen, den Soldaten dagegen befahl, 
die Begrüssung nicht zu erwidern und , sobald sie unwillige 
Reden vernähmen, sogleich von ihren Waffen Gebrauch zu 
machen. 

28. Wie Florus die Stadt verliess und Bericht über die Empörung 

der Juden an Cestius erstattete, der alsdann den Tribun Nea- 
politanus zur Untersuchung der Angelegenheit schickte. Wie 
Neapolitanus mit Agrippa die Stadt betrat und die Juden im 
Frieden mit den Römern, aber in lauten Klagen gegen Florus 
antraf, worauf er zu seinem Auftraggeber zurückkehrte, während 
der König dem Volke zu ruhigem Verhalten riet. 

29 Wie die Juden, als Agrippa den Aufruhr beschwichtigt hatte 
und den Versuch machte, sie nun auch mit Florus wieder aus- 
zusöhnen, in Wut gerieten und Agrippa durch einen Herold 
sagen Hessen, er solle sich aus der Stadt entfernen. W T ie sie 
darauf die Festung Masada, nachdem sie die römische Be- 
satzung des Platzes niedergemacht hatten, in ihre Gewalt 
brachten. 

30. W r ie man, als Eleazar, des Hohepriestcrs Ananias Sohn, Befehls- 



182 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


haber der Tempelwache war, die hergebrachten Opfer für den 
Caesar zurückwies und dadurch erst recht den Krieg schürte. 

31. Wie die Vornehmen Abgeordnete an Agrippa sandten und von 

ihm eine Streitmacht erhielten, deren sie sich gegen Eleazar 
und seinen aufrührerischen Anhang bedienten. Vom Feste des 
Holztragens und von den Sikariern. 

32. Wie Manaim, der Sohn jenes Galiläers Judas, der einst gegen 

Quirinius das Volk aufgehetzt hatte, sich wider Eleazar erhob, 
und wie er nebst seinem Anhang und allen Königlichen von 
den Leuten Eleazars niedergemacht wurde. 

33. Wie das ganze Volk der Juden, nachdem die Bewohner von 

Caesarea alle ihre jüdischen Mitbürger umgebraeht hatten, sich 
erhob und Greuelthaten in Syrien und den angrenzenden Ge- 
bieten verübte. 

34. Wie die Bewohner von Skythopolis ebenfalls ihre jüdischen 

Mitbürger niedermachten. Bericht über einen gewissen Simon, 
der seine ganze Familie und sich selbst tötete. Wie allent- 
halben die Juden von den Griechen umgebracht wurden. 

35. Wie einige Griechen die bei ihnen lebenden Juden verschonten, 

und wie im Reiche Agrippas die Juden ohne sein Vorwissen 
niedergemacht wurden. 

36. Wie auch anderwärts die J uden schonungslos getötet und nament- 

lich von den Alexandrinern ihrer fünfzigtausend hingeschlachtet 
wurden. 

37. Wie schlimm Cestius auf dem Marsche von Antiochia nach 

Jerusalem hauste, wie viele Städte er einnahm und wie viele 
Menschen er umbringen liess. W T ie die Juden bei seiner An- 
näherung an Jerusalem ihn angriffen und viele Römer nieder- 
metzelten, dann aber geschlagen wurden und sich in die Stadt 
zurückzogen, während Simon, des Gioras Sohn, noch eine grosse 
Anzahl Römer tötete. 

38. Wie Agrippa Friedensunterhandlungen mit den Juden versuchte, 

aber nichts ausrichtete, da die Empörer sich ihm widersetzten. 

39. Wie Cestius dieselben unversehens angriff und die innere Stadt 

samt dem Tempel bedrängte, dann aber, obwohl er die Stadt 
hätte nehmen können, sich zurückzog, da der Lagerpraefekt und 
die Reiterobersten, die von Florus bestochen waren, ihm dazu 
rieten. Wie Cestius darauf wiederum die Belagerung in Angriff 
nahm, aber bald den Rückzug antrat. 

40. Wie Cestius unbesonnenerweise sein Lager von der Stadt ent- 

fernte, und was er auf seinem Rückzug von den Juden zu 
erdulden hatte. 

41. Wie die Damascener ihre jüdischen Mitbürger niedermachten, 

und wie die von der Verfolgung des Cestius zurückkehrenden 
Juden ihr Augenmerk auf die Sicherung der Stadt richteten 
und noch weitere Führer wählten, darunter auch den Verfasser 
dieser Geschichte. 


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Zweites Buch, 1. Kapitel. 


183 


42. Welche Anordnungen Josephus in dem ihm unterstellten Be- 

zirke traf. 

43. Von Joannes, der sich später als Tyrann erwies. Seine Ränke 

gegen Josephus. 

44. Wie es in Jerusalem unter der Verwaltung des Ananus aussah, 

und was Simon, des Gioras Sohn, im Bezirk voh Akrabatta 
trieb. 


Erstes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 8, 4 — 9, 3. 

Des Archelaus Regierungsantritt. Aufruhr in Jerusalem 
und dessen Niederwerfung. 

1. Anlass zu neuen Unruhen gab die Reise nach 
Rom, welche Archelaus unternehmen musste. Nachdem 
er seinen Vater sieben Tage lang betrauert und dem 
Volke einen kostspieligen Leichenschmaus gegeben 
hatte — eine Sitte, infolge deren viele Juden verarmen, 
denn man ist fast genötigt, die Leidtragenden zu be- 
wirten, weil die Unterlassung als Mangel an Pietät ge- 
deutet wird — , legte er ein weisses Gewand an und 
begab sich in den Tempel, wo das Volk ihn mit viel- 
fältigen Segenswünschen empfing. Er selbst begrüsste 
dann das Volk von einem goldenen Throne aus, der 
auf hoher Tribüne errichtet war, und dankte für die eifrige 
Teilnahme am Begräbnis seines Vaters sowie für die 
Huldigung, die man ihm dargebracht, als wenn er schon 
wirklicher König wäre. Er verzichte aber, fuhr er fort, 
für jetzt nicht nur auf die Ausübung der Herrscher- 
gewalt, sondern auch auf die Titel, bis ihn in der Thron- 
folge der Caesar bestätigt habe, dem der Bestimmung 
des Testamentes zufolge über alles die endgiltige Ent- 
scheidung zustehe. Er habe demgemäss auch in Jericho 
das Diadem, das die Soldaten ihm hätten aufsetzen 
wollen, nicht angenommen. Für die Beweise von Treue 
und Ergebenheit werde er übrigens dem Heere wie dem 
Volke seinen vollen Dank erstatten, sobald er höheren 
Orts als wirklicher König anerkannt sei. Er werde 
dann nämlich eifrigst darauf bedacht sein, sich in allen 



184 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Stücken gegen seine Unterthanen milder zu zeigen als 
sein Vater. 

2. Voll Freude über diese Zusage stellte das Volk 
alsbald seine Gesinnung durch hohe Forderungen auf 
die Probe. Die einen nämlich riefen nach Erleichterung 
der Abgaben, andere nach Aufhebung der Zölle, wieder 
andere nach Freilassung der Gefangenen. Um sich beim 
Volke beliebt zu machen, sagte Archelaus alles zu; 
hierauf opferte er und hielt mit seinem Gefolge ein 
Freudenmahl. Gegen Abend aber sammelte sich eine 
nicht unbeträchtliche Schar Unzufriedener, die, nachdem 
die öffentliche Trauer um den König zu Ende war, nun- 
mehr ihrer eigenen Ausdruck geben zu müssen glaubten, 
indem sie diejenigen beklagten, welche Herodes wegen 
der Zerstörung des am Tempelthor angebrachten goldenen 
Adlers hatte hinrichten lassen. Das war keine er- 
heuchelte Trauer, die nun die Stadt erfüllte, sondern 
markerschütterndes Schluchzen und tiefempfundene Weh- 
klage um die Männer, welche, wie man sich ausdrückte, 
für das Gesetz der Väter und den heiligen Tempel ihr 
Leben gelassen hätten. Ihren Tod müsse man, so schrie 
die Menge, an denen rächen, die Herodes zu Amt und 
Würden erhoben habe. Vor allem aber habe der von 
ihm eingesetzte Hohepriester abzudanken und einem 
frömmeren und reineren Platz zu machen. 

3. So sehr Archelaus hierüber in Wallung geriet, 
enthielt er sich doch mit Rücksicht auf die Dringlichkeit 
seiner Reise vorläufig noch des strafenden Einschreitens. 
Er fürchtete nämlich, die Bewegung möchte, wenn er 
sich mit dem Volke verfeinde, so anwachsen, dass seine 
Reise dadurch gänzlich vereitelt würde. Deshalb suchte 
er die Unzufriedenen mehr mit guten Worten als durch 
Anwendung von Gewalt zur Ruhe zu bringen und sandte 
einen höheren Offizier ab, um sie zu friedlichem Ver- 
halten ermahnen zu lassen. Als dieser aber den 
Tempel betrat, jagten ihn die Empörer, ehe er noch zu 
Wort gekommen war, mit Steinwürfen wieder weg, und 

‘auch die anderen Abgesandten des Archelaus, die nach 



Zweites Bach, 1. Kapitel. 


185 


ihm erschienen, um sie zur Besinnung zu bringen, wiesen 
sie unter leidenschaftlichen Drohungen ab. Es war klar, 
wenn sie Verstärkung erhielten, so waren sie gar nicht 
mehr zu bändigen, und gerade jetzt strömte eine Menge 
von Landleuten zu religiösen Feierlichkeiten in der 
Stadt zusammen, da das Fest der ungesäuerten Brote 
bevorstand, welches die Juden Pascha nennen und durch 
Darbringung unzähliger Opfer verherrlichen. Diejenigen 
nun, welche die Gesetzeslehrer betrauerten, hielten sich 
im Tempel beieinander und schürten von hier aus die 
Flamme des Aufruhrs. Darüber geriet Archelaus in 
Angst, und um die Ausbreitung des Empörungsfiebers 
auf das ganze Volk zu verhindern, sandte er in aller 
Stille einen Tribun an der Spitze einer Kohorte ab mit 
dem Auftrag, sich der Rädelsführer gewaltsam zu be- 
mächtigen. Die gesamte Volksmenge aber stürzte sich 
den Soldaten entgegen und warf den grössten Teil von 
ihnen mit Steinen zu Tode. Der Tribun selbst ward 
verwundet und entkam nur mit genauer Not. Hierauf 
wandten sich die Empörer, als wenn nichts Schlimmes 
vorgefallen wäre, dem Opferdienst zu. Archelaus aber 
sah ein, dass das Volk ohne Blutvergiessen nicht länger 
mehr im Zaum zu halten sei. Er liess daher die ge- 
samte Streitmacht gegen dasselbe ausrücken, und zwar 
die Fusstruppen in geschlossenem Zuge durch die Stadt, 
die Reiterei aber auf das Feld 1 . Auf diese Weise 
wurden gegen dreitausend Menschen bei der Darbringung 
der Opfer niedergemacht, während der übrige Teil des 
Volkes sich in das nahe Gebirge zerstreute. Dorthin 
folgten ihnen von Archelaus gesandte Herolde, welche 
den Befehl verkündeten, es solle ein jeder in seine 
Heimat zurückkehren, worauf sie denn alle das Fest 
verliessen und sich davonmachten. 


1 Um das Eindringen der ausserhalb befindlichen Menge in den 
Tempel zu verhindern (s. J. A. XVII, 9,3). 



186 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Zweites Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 9, 3 — 9, 7. 

Archelaus reist nach Rom, wo er von seinen Verwandten 
beim Caesar vergeblich angeklagt wird. 

1. Er selbst begab sich nun, indem er den Philippus 
als Reichsverweser und Hüter seines Hauses zurückliess, 
in Begleitung seiner Mutter sowie seiner Freunde Poplas, 
Ptolemaeus und Nikolaus an die Meeresküste. Zugleich 
mit ihm reisten Salome und deren Kinder ab, ferner 
auch noch andere Blutsverwandten und die Schwieger- 
söhne des Königs, dem Scheine nach, um die Ansprüche 
des Archelaus auf den Thron zu unterstützen, in Wirk- 
lichkeit aber, um ihn wegen des gesetzwidrigen Verfahrens 
im Tempel zu verklagen. 

2. In Caesarea kam ihnen Sabinus, der Finanz- 
verwalter Syriens, entgegen, der im Begriff war, sich 
nach Judaea zu begeben, um die von Herodes hinter- 
lassenen Schätze in Verwahr zu nehmen. Archelaus 
aber sandte den Ptolemaeus zu Varus 1 und liess ihn 
aufs angelegentlichste bitten, Sabinus von der Weiterreise 
abzuhalten. Aus Rücksicht auf Varus unterliess Sabinus 
es auch wirklich, nach den festen Plätzen zu eilen und 
dem Archelaus die Schatzkammern seines Vaters zu ver- 
schliessen, versprach vielmehr, bis zur Entscheidung des 
Caesars sich gedulden zu wollen, und verblieb in Caesarea. 
Sobald aber der eine von denen, die ihn aufhielten 2 , 
nach Antiochia abgereist war, der andere, Archelaus, sich 
nach Rom eingeschifft hatte, brach er unverzüglich nach 
Jerusalem auf, bemächtigte sich des Königspalastes und 
berief die Kommandanten und Schatzmeister der Festungen 
zu sich, um die Höhe der Kassenbestände zu erforschen 
und die Plätze in seine Gewalt zu bekommen. Die 
Kommandanten jedoch hielten sich streng an die Befehle 

1 Dem Statthalter von Syrien und Vorgesetzten des Sabinus. 

- Varus, der mit Ptolemaeus nach Caesarea gekommen war (s. J. 
A. XVII 9, 5). 



Zweites Buch, 2. Kapitel. 


187 


des Archelaus und verblieben sämtlich auf ihrem Posten 
unter Hinweis darauf, dass sie hierfür mehr dem Caesar 
als dem Archelaus verantwortlich seien. 

3. Zur selben Zeit begab sich auch Antipas auf den 
Weg, um seine Ansprüche auf die Thronfolge geltend 
zu machen in der Meinung, das frühere Testament, in 
welchem er als König aufgeführt war 1 , habe grössere 
Kraft als die spätere Abänderung desselben 2 . Übrigens 
hatten Salome und viele seiner übrigen Verwandten, die 
mit Archelaus die Seereise machten, ihm schon vorher 
ihre Unterstützung zugesagt. In seiner Begleitung befand 
sich ausser seiner Mutter auch der Bruder des Nikolaus, 
Ptolemaeus, dessen Einfluss, wie er glaubte, besonders 
massgebend sein würde, weil er in so hohem Grade das 
Vertrauen des Her ödes genossen hatte, dessen liebster 
Freund er gewesen war. Seine grösste Hoffnung jedoch 
setzte er auf die Gewandtheit des Rhetors Irenaeus; im 
Vertrauen auf diesen Mann hatte er auch alle Vor- 
stellungen derer zurückgewiesen, die ihm rieten, dem 
Archelaus als dem älteren und im Testament als Thron- 
folger bezeichneten Mitbewerber den Vorrang zu lassen. 
Nach der Ankunft in Rom traten vollends alle Ver- 
wandten auf seine Seite; denn Archelaus war ihnen 
verhasst. Am erwünschtesten zwar wäre jedem von ihnen 
eine selbständige Regierung unter der Oberhoheit eines 
römischen Statthalters gewesen; für den Fall aber, dass 
dies unmöglich sein sollte, war ihnen Antipas als König 
immer noch am willkommensten. 

4. Auch Sabinus war ihnen zur Erreichung ihrer Ab- 
sichten mit Briefen behilflich, in welchen er Archelaus 
beim Caesar verklagte und Antipas ins beste Licht zu 
rücken suchte. Nachdem sodann Salome und ihr Anhang 
die einzelnen Beschuldigungen schriftlich aufgesetzt 
hatten, legten sie dieselben dem Caesar vor. Aber auch 
Archelaus liess die Begründung seiner Ansprüche nieder- 


1 Ö. I, 32, 7. 

2 S. I, 33, 7. 



188 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


schreiben und die Denkschrift samt dem Siegelring 
seines Vaters durch Ptolemaeus überreichen. Der Caesar 
erwog nun zunächst die von beiden Parteien vorgebrachten 
Gründe, die Grösse des Königreiches, die Höhe der Er- 
träge desselben und die bedeutende Kopfzahl der zur 
Familie des Herodes gehörigen Personen, las alsdann 
auch die Briefe, die Varus und Sabinus über die An- 
gelegenheit geschrieben hatten, und berief schliesslich 
eine Versammlung der vornehmsten Römer, in welcher 
auch der von ihm an Kindesstatt angenommene Sohn 
des Agrippa und der Julia, Gajus 1 , zum' erstenmal Sitz 
und Stimme erhielt. Sogleich ward nun den streitenden 
Parteien das Wort verstauet.. 

5. Zunächst erhob sich Salomes Sohn Antipater, der 
redegewandteste unter den Gegnern des Archelaus, und 
brachte seine Anklage vor, indem er sagte, mit Worten 
bewerbe sich Archelaus wohl um den Thron, in Wirk- 
lichkeit aber sei er schon lange König und belästige 
jetzt das Ohr des Caesars mit eitlen Spiegelfechtereien. 
Ohne die Entscheidung des Caesars abzuwarten, habe 
er nach dem Tode des Herodes insgeheim einige Leute 
angestiftet, ihm das Diadem aufzusetzen, habe sich auf 
dem Throne niedergelassen, sich als König geberdet, die 
Heereseinrichtung geändert, Beförderungen vorgenommen, 
dem Volke alles zugesagt, was es von ihm als seinem 
König begehrte, und die wegen der schwersten Verbrechen 
von seinem Vater Ein gekerkerten freigelassen. Jetzt 
komme er nun daher, um sich von seinem Oberherrn den 
Schatten des Königtums zu erbitten, das er dem Wesen 
nach bereits an sich gerissen habe, und mache so den 
Caesar zum Schiedsrichter nicht über Sachen, sondern 
über blosse Namen. Ausserdem warf er ihm vor, seine 
Trauer um den Vater sei gleichfalls nur Heuchelei ge- 
wesen. Bei Tage habe er eine betrübte Miene zur Schau 


1 Gajus Caesar. Sohn von Augustus’ Tochter Julia und Marcus 
Vipsanius Agrippa. Im Jahre 4 n. Chr. wurde er von Livia, der 
Gemahlin des Augustus, dem Tiberius zulieb aus dem Wege geräumt. 



Zweites Buch, 2. Kapitel. 


189 


getragen, bei Nacht aber sich berauscht 4 und übermütige 
Streiche begangen. Dem Unwillen über dieses Benehmen 
sei es auch allein zuzuschreiben, dass das Volk sich 
empört habe. Als Hauptargument seiner ganzen Rede 
führte er sodann den Umstand an, dass eine so grosse 
Menge Menschen im Bereich des Tempels niedergemacht 
worden sei. Zur Festfeier seien sie gekommen und neben 
ihren eigenen Opfertieren grausam hin geschlachtet worden, 
und im Tempel seien mehr Leichen aufgehäuft gewesen, 
als wenn ein plötzlicher Überfall seitens auswärtiger 
Feinde stattgefunden hätte. Diese seine Grausamkeit 
habe auch sein Vater vorausgesehen und ihm deshalb 
eigentlich jede Aussicht auf die Thronfolge benehmen 
wollen; erst zu der Zeit, da Herodes mehr geistig wie 
körperlich gelitten habe und vernünftiger Überlegung 
nicht mehr fähig gewesen sei, habe er, ohne sich dessen 
bewusst zu sein, ihn in einem Testamentszusatz als 
Thronfolger bezeichnet, obwohl der im früheren Testament 
bestimmte Nachfolger, den er bei gesundem Leibe und 
völlig klarem Verstand eingesetzt, ihm nicht den ge- 
ringsten Anlass zur Klage gegeben habe. Aber selbst 
wenn man dem Urteil eines todkranken Menschen 
grössere Kraft beimessen wolle, müsse man doch jeden- 
falls gelten lassen, dass Archelaus durch sein allen Ge- 
setzen Hohn sprechendes Verfahren die Herrschaft über 
das Königreich verwirkt habe. Denn es sei leicht ein- 
zusehen, wie nach seiner Bestätigung durch den Caesar 
ein Mann sich aufführen werde, der bereits vor Er- 
langung derselben so viele Menschen habe hinwürgen 
lassen. 

6. Nachdem Antipater noch viele derartige Gründe 
vorgebracht und bei jedem Anklagepunkt die meisten 
seiner Verwandten als Zeugen aufgerufen hatte, schloss 
er seine Rede, und es erhob sich nun für Archelaus 
dessen Sachwalter Nikolaus, der die Notwendigkeit 
des Blutbades im Tempel zu verteidigen suchte , indem 
er ausführte, die Getöteten seien nicht bloss Feinde des 
Königreiches, sondern auch des Caesars, des jetzigen 


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190 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Schiedsrichters; gewesen. Bezüglich der übrigen Klage- 
punkte wies er sodann nach, dass gerade die Kläger es 
gewesen seien, die dem Archelaus die betreffenden Rat- 
schläge erteilt hätten. Den Testamentszusatz aber glaubte 
er besonders aus dem Grunde für giltig halten zu müssen, 
weil darin der Caesar als derjenige bezeichnet sei, der 
den Thronfolger zu bestätigen habe. Denn wer so ver- 
nünftig gewesen sei, schloss Nikolaus, sich seiner Gewalt 
zu gunsten des Weltherrschers zu begeben, der habe 
gewiss auch in betreff des Thronfolgers kein falsches 
Urteil gehabt und, indem er den Erben des Reiches 
erwählte, jedenfalls bei vollem Verstand gehandelt, da 
er wohl gewusst habe, von wem derselbe in dieser Würde 
bestätigt werden müsse. 

7. Als nun auch Nikolaus mit seiner Rede zu Ende 
war, trat Archelaus in aller Ruhe vor den Caesar hin 
und warf sich ihm zu Füssen. Huldvollst hiess dieser 
ihn aufstehen und erklärte ihn für würdig, seines Vaters 
Nachfolger zu werden. Doch traf er noch keine be- 
stimmte Entscheidung, sondern entliess die für diesen 
Tag einberufene Ratsversammlung und dachte mit Rück- 
sicht auf das Gehörte darüber nach, ob er einen der im 
Testament Bezeichneten zum Thronfolger ernennen oder 
das Reich unter die sämtlichen Mitglieder der Familie 
verteilen solle; denn bei der grossen Anzahl der letzteren 
schien ihm eine derartige Versorgung derselben geboten 
zu sein. 


Drittes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 10, 1 — 10, 3. 

Aufstand der Juden gegen Sabinus. 

1. Bevor der Caesar in dieser Angelegenheit einen 
bestimmten Entschluss gefasst hatte, erkrankte und starb 
des Archelaus Mutter Malthake, und zugleich langte 
aus Syrien ein Schreiben des Varus an, welches einen 


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Zweites Buch, 3. Kapitel. 


191 


Aufstand der Juden meldete. Varus nämlich war, weil 
er eine Empörung vorausgesehen hatte, nach der Abreise 
des Archelaus in Jerusalem eingerückt, um etwaige 
Unruhen, die jeden Augenblick ausbrechen konnten, 
zu unterdrücken, hatte eine der drei aus Syrien mit-* 
genommenen Legionen in der Stadt gelassen und war 
dann selbst nach Antiochia zurückgekehrt. Anlass 
zu offenem Aufruhr aber gab die Ankunft des Sabinus, 
der von den Besatzungstruppen der Festungen deren 
Übergabe erzwang und mit grosser Strenge nach den 
Schätzen des Königs forschte. Hierbei stützte er sich 
nicht nur auf die von Varus zurückgelassenen Soldaten, 
sondern auch auf die grosse Menge seiner eigenen 
Sklaven, die er sämtlich mit Waffen versehen hatte und 
nun als Werkzeuge seiner Habgier missbrauchte. Um 
diese Zeit fiel gerade das jüdische Fest Pentekoste ein, 
welches sieben Wochen nach dem Paschafeste gefeiert 
wird und seinen Namen von der Anzahl der zwischen 
den beiden Festen liegenden Tage hat 1 . Doch war es 
nicht sowohl gewohnte Gottes Verehrung , die das Volk 
zu diesem Feste hinzog, als vielmehr hochgradige Er- 
bitterung. Fast zahllos war die Menschenmenge, die 
aus Galilaea, Idumaea, Jericho und aus Peraea jenseits 
des Jordan in Jerusalem zusammenströmte ; alle anderen 
aber übertraf an Zahl und Entschlossenheit das Volk 
aus dem eigentlichen Judaea. Sie teilten sich alsdann 
in drei Haufen und schlugen an drei Stellen ein Lager 
auf, eines nördlich vom Tempel, ein anderes im Süden 
bei der Rennbahn, und das dritte westlich in der Nähe 
des Königspalastes. So umzingelten sie die Römer von 
allen Seiten und begannen sie regelrecht zu belagern. 

2. Sabinus, den die grosse Menge der Feinde und 
deren Kampfesfreudigkeit in Schrecken versetzte, schickte 
einen Boten nach dem anderen mit der Bitte um 
schleunige Hilfe an Varus und liess ihm sagen, wenn 
er zögere, werde die Legion zusammengehauen werden. 


1 S. die Anmerkung zu 1, 13, 3. 



192 


Josephu9, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Er selbst bestieg den höchsten Turm der Festungswerke, 
den Phasaelsturm , so genannt nach dem von den 
Parthern getöteten Bruder des Herodes, und gab von 
da aus den Soldaten der Legion das Zeichen zum An- 
griff ; denn in seiner Angst wagte er es nicht einmal, 
zu den Seinigen herabzukommen. Die Soldaten folgten 
seinem Befehl, drangen bis zum Tempel vor und lieferten 
den Juden ein heisses Treffen, in welchem sie mit ihrer 
Kriegserfahrung den ungeübten Gegnern so lange über- 
legen waren, als niemand von oben her ihnen zusetzte. 
Sowie aber die Juden in grosser Anzahl die Hallen er- 
stiegen und ihre Geschosse auf die Köpfe der Römer 
richteten, fielen die letzteren massenhaft, weil sie dem 
gleichzeitigen Angriff von oben und aus der Nähe nicht 
standzuhalten vermochten. 

B. So von zwei Seiten bedrängt, steckten die Römer 
die Hallen, Werke von bewundernswerter Grösse und 
Pracht, in Brand, wobei viele der oben Stehenden so- 
gleich von den Flammen ergriffen wurden und in ihnen 
umkamen, viele auch, indem sie heruntersprangen, dem 
Schwert der Feinde zum Opfer fielen, während andere 
teils auf der entgegengesetzten Seite von der Mauer sich 
hinabstürzten, teils in der Verzweiflung dem Feuer 
zuvorkamen und mit ihren eigenen Waffen sich um- 
brach ten. Diejenigen aber, welche von der Mauer herab- 
geklettert waren und auf die Römer zurannten, wurden 
in ihrer Bestürzung mit leichter Mühe überwältigt. 
Nachdem so der eine Teil der Empörer umgekommen 
war, der andere sich aus Furcht zerstreut hatte, fielen 
die Soldaten über den unbewachten TempelBchatz her 
und raubten etwa 400 Talente, und was nicht auf diese 
Weise gestohlen wurde, eignete Sabinus sich an 1 . 

4. Die Zerstörung der herrlichen Bauwerke und der 
Untergang so vieler Menschen aber erbitterte die Juden 
derart, dass sie bald mit zahlreicheren und kampf- 
geübteren Scharen den Römern entgegentraten, den 


Vergl. hierzu J. A. XVII, 10, 2. 



Zweites Buch, 4. Kapitel. 


193 


Königspalast umzingelten und die gesamte Besatzung 
niederzumachen drohten, wenn dieselbe nicht schleunigst 
abrücke. Für den Fall, dass Sabinus diesem ihrem 
Verlangen gemäss mit seiner Legion abziehen wolle, 
versprachen sie ihm volle Sicherheit. Die meisten der 
königlichen Soldaten waren übrigens zu den Empörern 
übergegangen, während der streitbarste Teil derselben, 
dreitausend Sebastener 1 , unter Führung von Rufus und 
Gratus sich auf die Seite der Römer schlugen. Gratus 
war Befehlshaber der königlichen Fusstruppen, Rufus 
Anführer der. Reiterei, und beide mussten, auch ab- 
gesehen von der ihnen untergebenen Streitmacht, um 
ihrer Entschlossenheit und Einsicht willen auf den 
Ausgang des Kampfes grossen Einfluss haben. Die 
Juden setzten nun die Belagerung eifrig fort und riefen 
bei ihren Angriffen auf die Mauern der Burg den Leuten 
des Sabinus zu, sie sollten doch abziehen und ihnen 
nicht im Wege stehen, wenn sie jetzt nach langer Zeit 
die Freiheit ihrer Väter wiederzugewinnen suchten. 
Sabinus wäre übrigens gern in aller Stille abgerückt, 
doch er traute den Versprechungen seiner Gegner nicht 
und argwöhnte, dass sie mit ihrer Milde ihm nur eine 
Falle stellen wollten. Zudem hoffte er auf baldige Hilfe 
von seiten des Varus und hielt demgemäss die Be- 
lagerung noch weiter aus. 


Viertes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 10,4 — 10, 8. 

Meuterei ehemaliger Soldaten des Herodes. Von Judas, 
Simon und Athrongaeus. 

1. Um diese Zeit brachen auch an vielen anderen 
Orten im Lande Unruhen aus, und gar mancher hielt 
die Gelegenheit für günstig, sich die Königskrone auf- 


1 D. h. Soldaten aus dem Bezirk von Sebaste (Samaria). 
Josephus, Jüdischer Krieg. 13 



194 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zusetzen. So griffen in Idumaea zweitausend frühere 
Krieger des Herodes zu den Waffen und bekämpften 
die Königlichen. Achiab, der Vetter des Königs, führte 
den Krieg gegen sie von den stärksten Festungen aus, 
vermied aber jeden Zusammenstoss in der Ebene. Ferner 
brachte zu Sepphoris in Galilaea ein gewisser Judas, 
der Sohn jenes Räuberhauptmannes Ezekias, der einst 
das Land verheert hatte, aber von dem Könige Herodes 
gefangen genommen worden war, eine nicht unbedeutende 
Schar zusammen, erstürmte die königlichen Zeughäuser, 
bewaffnete seine Leute und griff diejenigen an, welche 
nach der Herrschaft strebten. 

2. In Peraea setzte sich Simon, einer von den Dienern 
des verstorbenen Königs, im Vertrauen auf seine Schön- 
heit und Körpergrösse das Diadem auf, streifte mit den 
Räubern, die er an sich gezogen hatte, umher, steckte 
den königlichen Palast zu Jericho sowie viele andere 
prachtvolle Landhäuser in Brand und machte während 
der Feuersbrünste mit leichter Mühe reiche Beute. Auf 
die Dauer würde er wohl sämtliche Prachtgebäude ein- 
geäschert haben, wenn nicht Gratus, der Anführer der 
königlichen Fusssoldaten , mit den Bogenschützen von 
Trachon und den kampfgeübtesten Sebastenern ihm 
entgegengerückt wäre. In dem Treffen, das sich nun 
entspann , fiel freilich ein grosser Teil des Fussvolkes, 
doch wurde Simon selbst, als er durch eine enge Schlucht 
entfliehen wollte, von Gratus abgeschnitten und durch 
einen Seitenhieb ins Genick getötet. Von einer anderen 
Rotte Aufständischer aus Peraea wurde das Königs- 
schloss zu Betharamathon 1 in der Nähe des Jordan 
niedergebrannt. 

3. Sogar ein Hirt mit Namen Athrongaeus 2 wagte 
es in den unruhigen Zeiten, seine Hand nach der Krone 

% 

1 J. A. XVII, 10, 6 heisst der Ort Amatha. Es handelt sich 
offenbar um dieselbe Stadt, die sonst Betharamphtha genannt wurde 
und später von Herodes Antipas der Gemahlin des Augustus zu 
Ehren den Namen Julias oder Livias erhielt (s. J. A. XVIII, 2,1). 

- J. A. XVII, 10, 7 : Athronges. 




Zweites Buch, 5. Kapitel. 


195 


au8zustrecken. Was ihn in seiner Hoffnung bestärkte, 
war ausser seiner gewaltigen Körperkraft und seinem 
todverachtenden Mute besonders die Hilfe, die ihm seine 
gleichgearteten Brüder gewährten. Jedem von ihnen 
unterstellte er eine Botte von Bewaffneten und liess sie 
an deren Spitze zu kriegerischen Überfallen ausrücken, 
während er selbst wie ein König die wichtigeren Ge- 
schäfte erledigte. Dieser Mann also setzte sich damals 
das Diadem auf und verheerte in Gemeinschaft mit 
seinen Brüdern längere Zeit hindurch das Land. Vorzugs- 
weise suchten sie Römer und Königliche umzubringen; 
aber auch wenn Juden ihnen in die Hände fielen, von 
denen etwas zu erpressen war, schonten sie dieselben 
nicht. Eines Tages wagten sie sogar bei Ammaus eme 
ganze römische Kohorte zu umzingeln, die der Legion 
Proviant und Waffen zuführte. Schon war der Centurio 
Arius samt vierzig der tapfersten Soldaten ihren Ge- 
schossen erlegen, und schon drohte dasselbe Schicksal 
den übrigen Römern, als Gratus mit den Sebastenern 
ihnen zu Hilfe eilte und sie rettete. Nachdem nun die 
Brüder während der ganzen Dauer des Kriegszustandes 
gegen Einheimische wie Fremde viele derartige Gewalt- 
taten begangen hatten, gerieten endlich drei von ihnen 
in Gefangenschaft. Der älteste nämlich fiel dem Arche- 
laus, die beiden nächsten dem Gratus und dem Ptole- 
maeus in die Hände. Der vierte dagegen ergab sich 
dem Archelaus auf Grund eines Vergleiches. Dieses 
Schicksal ereilte sie indes erst später; damals, wie 
gesagt, überzogen sie ganz Judaea mit ihrem Raubkriege. 


Fünftes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 10,9 und 10. 

Varus stellt in Judaea die Ordnung wieder her. 

1. Kaum hatte Varus die Briefe des Sabinus und 
der anderen Befehlshaber erhalten, als er für die ganze 


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196 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Legion zu fürchten begann und den Entschluss fasste, 
ihnen schleunigst Hilfe zu bringen. Zu diesem Zweck 
zog er mit den übrigen zwei Legionen und den zu ihnen 
gehörigen vier Reiterschwadronen nach Ptolemais, wohin 
er die Hilfstruppen der Könige und der anderen Fürsten 
beschieden hatte. Unterwegs nahm er beim Durchmarsch 
durch Berytus 1 auch von dieser Stadt fünfzehnhundert 
Bewaffnete mit. Bei Ptolemais schloss sich dann ausser 
den Truppen der übrigen Verbündeten auch noch der 
Araber Aretas aus Hass gegen Herodes mit beträchtlichen 
Streitkräften zuFuss und zuPferde an ihn an, und nun 
entsandte er sogleich einen Teil des Heeres unter dem 
Kommando seines Freundes Gajus in die unweit Ptole- 
mais gelegenen Grenzgegenden Galilaeas. Dieser schlug 
die ihm entgegenrückenden Scharen in die Flucht, er- 
oberte die Stadt Sepphoris, steckte sie in Brand und 
verkaufte die Einwohner in die Sklaverei. Varus selbst 
marschierte mit dem ganzen übrigen Heer auf Samaria 
zu, ohne indes die Stadt anzugreifen; es ergab sich 
nämlich, dass sie an dem aufrührerischen Treiben der 
anderen Städte nicht teilgenommen hatte. Doch errichtete 
er sein Lager bei dem Dorfe Arus, das dem Ptolemaeus 
gehörte und aus diesem Grunde von den Arabern ge- 
plündert wurde, denen des Herodes Freunde nicht minder 
verhasst waren wie er selbst. Von hier rückte er weiter 
nach Sampho, einem anderen befestigten Dorfe, welches 
die Araber ebenfalls ausraubten, wie sie denn auch alle 
ihnen begegnenden Proviantkolonnen überfielen. Feuer 
und Schwert wüteten allerorts, und nichts vermochte der 
Raubgier der Araber zu entgehen. Auch Ammaus, dessen 
Einwohner sich geflüchtet hatten, ward auf Befehl des 
Varus zur Strafe für die Niedermetzelung des Arius und 
seiner Leute eingeäschert. 

2. Als er nun von dort weitermarschiert und vor 
Jerusalem angelangt war, zerstreute schon der blosse 
Anblick seiner Streitmacht die in ihren Lagern be- 


1 Er kam aus dem nördlich von Berytus gelegenen Antiochia. 



Zweites Buch, 5. Kapitel. 


197 


findlichen Juden 1 , und eiligst flohen dieselben land- 
einwärts. Die Bewohner der Stadt aber öffneten ihm 
die Thore und suchten jede Schuld an dem Aufstand 
von sich abzuwälzen, indem sie angaben, sie selbst hätten 
keineswegs die Ruhe gestört, sondern, nachdem sie not- 
gedrungen des Festes halber die Menschenmenge in die 
Stadt eingelassen, nicht sowohl mit den Aufständischen 
gemeinsame Sache gemacht, als vielmehr im Verein mit 
den Römern die Belagerung ausgehalten. Schon vorher 
waren Joseph, der Vetter des Archelaus, sowie Gratus 
und Rufus mit den königlichen Truppen und den 
Sebastenern, desgleichen die Soldaten der römischen 
Legion in gewohntem Waffenschmuck dem Varus ent- 
gegengezogen. Sabinus dagegen hatte nicht das Herz 
gehabt, ihm unter die Augen zu treten, und war deshalb 
bereits vor seiner Ankunft aus der Stadt hinaus zur 
Meeresküste geeilt. Varus schickte sodann einen Teil 
seines Heeres auf Streifzüge aus, um die Anstifter der 
Empörung dingfest zu machen, und es ward eine grosse 
Anzahl der letzteren eingebracht. Diejenigen nun, 
welche weniger unruhige Köpfe zu sein schienen, liess 
er einkerkern, die schuldigsten aber, gegen zweitausend 
Mann, ans Kreuz schlagen. 

3. Hierauf erhielt er die Meldung, in Idumaea ständen 
noch zehntausend Bewaffnete. Da er indes die Erfahrung 
gemacht hatte , dass die Araber sich nicht wie Bundes- 
genossen benahmen , sondern ganz nach ihrem Belieben 
Krieg führten und aus Hass gegen Herodes mehr, als 
ihm selbst lieb war, das Land verheerten, entliess er sie 
und rückte mit seinen eigenen Legionen in Eilmärschen 
den Aufständischen entgegen. Diese jedoch ergaben 
sich auf Achiabs Rat den Römern, ohne es zum Hand- 
gemenge kommen zu lassen , worauf Varus der grossen 
Masse Verzeihung gewährte, ihre Anführer aber zur 
Aburteilung dem Caesar zuschickte. Augustus nun 
begnadigte die meisten von ihnen, und nur einige Ver- 


1 S. 11,3, 1. 


Go gle 



198 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


wandten des Königs Herodes, die sich an die Empörer 
angeschlossen hatten, liess er hinrichten, weil sie gegen 
den König, der ihrer Familie angehörte, ins Feld ge- 
zogen seien. Nachdem Varus auf diese Weise in Jeru- 
salem die Ordnung wiederhergestellt hatte, bestimmte er, 
dass die bereits früher in der Stadt befindliche Legion dort 
zu verbleiben habe, und begab sich nach Antiochia zurück. 


Sech stes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 11, 1 — 11,5. 

Augustus höit die Klagen der Juden über Archelaus an 
und verteilt das Königreich des Herodes. 

1. Unterdessen hatte Archelaus in Rom noch einen 
anderen Streit mit denjenigen Juden auszutragen, die 
vor dem Aufstande mit Genehmigung des Varus dort 
sich eingefunden hatten, um staatliche Selbständigkeit 
für ihr Volk zu erwirken 1 . Fünfzig Köpfe zählte die 
eigentliche Gesandtschaft, der sich von den zu Rom 
ansässigen Juden noch über achttausend anschlossen. 
Der Caesar berief nun eine Versammlung der vor- 
nehmsten Römer und seiner Freunde in den auf dem 
Palatinus stehenden Tempel des Apollo, ein von ihm 
selbst 2 errichtetes, mit staunenswerter Pracht aus- 
gestattetes Bauwerk. Hier stand die Menge der Juden 
mit den Gesandten auf der einen, Archelaus mit seinen 
Freunden auf der anderen Seite. Die Freunde seiner 
Verwandten jedoch hielten es mit keiner von beiden 
Parteien ; denn einerseits gestattete ihnen Hass und 
Missgunst gegen Archelaus nicht, sich für diesen auf- 
zuwerfen, und anderseits hielt sie die Scheu vor dem 
Caesar ab, sich den Anklägern beizugesellen. Ausserdem 

1 D. h. sie wollten nicht mehr unter Fürsten aus dem ihnen ver- 
hassten Idumäergeschlecht , sondern unmittelbar unter römischer 
Oberherrschaft stehen. 

2 Nach der Schlacht bei Actium. 



Zweites Buch, 6. Kapitel. 


199 


war auch noch Philippus, der Bruder des Archelaus, er- 
schienen, den sein Gönner Varus in zweifacher Absicht 
hergesandt hatte, einmal nämlich, damit er die Sache 
des Archelaus verfechten helfe, und zum andern, damit 
er selbst nicht zu kurz komme, falls der Caesar das 
Reich des Herodes unter dessen sämtliche Nachkommen 
verteilen sollte. 

2. Nachdem nun den Klägern das Wort verstattet 
war, schilderten sie zunächst die Unthaten des Herodes, 
an dem sie, wie sie sagten, keinen König, sondern den 
grausamsten Tyrannen gehabt hätten, der jemals zur 
Regierung gelangt sei. Eine Menge Menschen habe er 
ermordet, und das Los derer, die er am Leben gelassen, 
sei so traurig gewesen, dass sie die Umgekommenen noch 
glücklich gepriesen hätten. Denn er habe nicht nur die 
Leiber einzelner Unterthanen gefoltert, sondern selbst 
ganze Gemeinwesen seien von ihm misshandelt worden. 
Um ausländische Städte verschönern zu können, habe 
er seine eigenen beraubt, und fremden Völkerschaften 
habe er Geschenke gemacht, die mit dem Blute der 
Juden bezahlt worden seien. Infolgedessen sei an die 
Stelle des früheren Wohlstandes und der altehrwürdigen 
Gebräuche völlige Verarmung und Entsittlichung des 
Volkes getreten. Überhaupt hätten die Juden in wenigen 
Jahren durch Herodes mehr Drangsale ausgestanden, 
als ihren Vorfahren in dem langen Zeitraum seit dem 
Auszug aus Babylon und der Rückkehr unter Xerxes 1 
zugestossen seien. Durch allmähliche Gewöhnung an das 
Unglück sei dann das Volk so abgestumpft worden, 
dass es die harte Knechtschaft gewissermassen als Erb- 
teil ruhig hingenommen habe. Denn wie wolle man 
es sonst erklären, dass es Archelaus, den Sohn des ein- 
gefleischten Tyrannen, nach dem Tode seines Vaters so 
willig als König begrüsst, mit ihm den Tod des Herodes 
betrauert und ihm zu der Thronfolge Glück gewünscht 
habe? Archelaus aber habe, um nur ja nicht den echten 


1 S. J. A. XI, 5, 1 f. 



200 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Sohn des Herodes zu verleugnen, seine Regierung mit 
der Ermordung von dreitausend Bürgern begonnen. 
Das seien die Opfer gewesen, durch die er eine glückliche 
Regierung von Gott habe erflehen wollen, und eine 
solche Menge Leichen habe er an einem Feste im 
Tempel des Herrn aufzuhäufen gewagt! Endlich aber 
hätten diejenigen, die trotz so vieler Leiden noch mit dem 
Leben davongekommen seien , im Hinblick auf ihre 
traurige Lage den Entschluss gefasst , lieber nach 
Kriegerart der Gefahr mutig entgegenzutreten, und sie 
bäten nun die Römer, sich der Trümmer Judaeas zu er- 
barmen und dieselben nicht den Würgern des Volkes 
vorzuwerfen, sondern das Land mit Syrien zu vereinigen 
und es durch römische Landpfleger verwalten zu lassen. 
Dann werde es sich zeigen, dass die jetzt als aufrührerisch 
und kriegslustig verschrienen Juden massvollen Herrschern 
sich wohl zu fügen wüssten. Mit dieser Bitte schlossen 
die Juden ihre Klage. Hierauf erhob sich Nikolaus 
und suchte die gegen die beiden Könige vorgebrachten 
Beschuldigungen zu widerlegen. Die Juden dagegen 
schilderte er als ein seinem Charakter nach schwer zu 
regierendes und zum Ungehorsam gegen seine Herrscher 
geneigtes Volk, und auch die Verwandten des Archelaus, 
welche die Partei der Kläger ergriffen hatten, suchte er 
in ungünstigem Licht erscheinen zu lassen. 

3. Als so der Caesar die Klagen beider Teile ent- 
gegengenommen hatte, entliess er die Versammlung. 
Nach wenigen Tagen verlieh er dann dem Archelaus 
die Hälfte des Königreiches sowie den Titel eines 
Ethnarchen und versprach ihm auch noch, ihn später 
zum Könige machen zu wollen, wenn er sich dessen 
würdig zeige. Die andere Hälfte teilte er in zwei 
Tetrarchien und gab dieselben zwei weiteren Söhnen des 
Herodes, die eine dem Philippus, die andere dem Antipas, 
der mit Archelaus um den Thron gestritten hatte. Auf 
des Antipas Anteil entfielen Peraea und Galilaea mit 
zweihundert Talenten jährlicher Einkünfte, während 
Philippus Batanaea und Trachon sowie Auranitis und 



Zweites Bach, 6. Kapitel. 


201 


einige Teile von dem Gebiet des Zeno bei Jamnia 1 
mit hundert Talenten jährlicher Einkünfte erhielt. Zur 
Ethnarchie der Archelaus gehörten Idumaea, ganz Judaea 
und Samaria, welch letzterem der vierte Teil der Steuern 
erlassen wurde zur Belohnung dafür, dass es den Auf- 
stand der übrigen Landesteile nicht mitgemacht hatte. 
Ferner wurden seiner Herrschaft unterstellt die Städte 
Stratonsturm 2 , Sebaste 3 , Joppe und Jerusalem; die 
Griechenstädte 4 Gaza, Gadara und Hippos dagegen 
trennte der Caesar vom Reiche und schlug sie zu Syrien. 
Die Gesamteinkünfte aus dem Anteil des Archelaus be- 
trugen vierhundert Talente. Salome erhielt ausser dem, 
was Herodes ihr in seinem Testament ausgesetzt hatte, 
die Herrschaft über Jamnia, Azot und Phasaelis, und 
obendrein schenkte ihr der Caesar auch noch den Königs- 
palast zu Askalon. Aus allen diesen Besitzungen sollte 
sie jährlich sechzig Talente beziehen, doch wurde ihr 
Gebiet der Ethnarchie des Archelaus untergeordnet. Den 
übrigen Verwandten des Herodes fielen die ihnen im 
Testament vermachten Legate zu. Den beiden noch un-. 
verheirateten Töchtern desselben aber schenkte der 
Caesar zu dem von ihrem Vater bestimmten Erbteil 
fünfhunderttausend Silberstücke und vermählte sie mit 
den Söhnen des Pheroras. Ja, nach Regelung der ganzen 
Erbschaftsangelegenheit überliess er ihnen auch noch 
das ihm von Herodes vermachte Geschenk von tausend 
Talenten und wählte für sich selbst nur einige Kleino- 
dien von geringerem Wert als Andenken an den Ver- 
storbenen aus. 

1 Gemeint ist hier das befestigte Dorf J. in Obergalilaea, weiter 
unten in diesem Abschnitt dagegen die Stadt J. in Judaea. 

2 Caesarea. 

3 Samaria. 

4 D. h. ausschliesslich oder vorwiegend von Griechen bewohnte 
Städte. 



202 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Siebentes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 12, 1 — 13, 5. 

Der falsche Alexander. Archelaus nach Vienna verbannt. 

Tod der Glaphyra. 

Des Archelaus und der Glaphyra Träume. 

1. Um diese Zeit kam auch ein junger Mann nach 
Kom, der, von Geburt Jude, in Sidon bei einem römischen 
Freigelassenen erzogen worden war und in der Hoffnung, 
unentlarvt zu bleiben, wegen der Ähnlichkeit der Ge- 
stalt sich fälschlich für den auf Befehl des Herodes 
hingerichteten Alexander 1 ausgab. Ein Landsmann von 
ihm, der über alle Vorgänge im Königreich genau unter- 
richtet war, lieh ihm dabei seine Hilfe und stiftete ihn 
an , auszusagen , die mit seiner und des Aristobulus 
Hinrichtung betrauten Henker hätten sie aus Mitleid 
entkommen lassen und Leichen von Personen, die ihnen 
ähnlich gewesen, untergeschoben. Durch diese Angaben 
gelang es ihm, die kretensischen Juden zu täuschen und 
eine reichliche Reiseunterstützung von ihnen zu er- 
schwindeln, worauf er sich nach Melos einschiffte. Auch 
hier fand er Glauben, heimste noch glänzendere Geschenke 
ein und beredete endlich sogar seine Gastgeber, mit ihm 
nach Rom zu fahren. Nachdem er dann in Dikaearchia 2 
gelandet und von den dortigen Juden wiederum be- 
schenkt worden war, gaben die Freunde seines angeblichen 
Vaters ihm wie einem Könige das Geleit. Die äussere 
Ähnlichkeit war übrigens so gross, dass selbst diejenigen, 
welche Alexander gesehen und genau gekannt hatten, 
schwuren, er sei es. Roms gesamte Judenschaft strömte 
nun zusammen, um ihn zu sehen, und eine ungeheure 
Menschenmenge erfüllte die Strassen, durch die er ge- 
tragen wurde. Die Melier nämlich waren derart vom 
Taumel ergriffen, dass sie ihn auf einem Sessel trugen 3 

1 Den Sohn der Mariamne (s. I, 27, 6). 

2 Puteoli. 

a Nach J. A. XVII, 12, 1 fuhr er in einem Wagen. 


Go gle 


UN I V£R S \W'MT C4ÄK I , 



Zweites Buch, 7. Kapitel. 


203 


und ihm auf ihre Kosten eine königliche Ausstattung 
beschafften. 

2. Der Caesar, der sich der Gesichtszüge Alexanders 
deutlich erinnerte — war doch der Prinz einst von 
Herodes bei ihm verklagt worden — , durchschaute den 
auf der Ähnlichkeit beruhenden Betrug, noch ehe er 
den Betrüger selbst zu Gesicht bekam. Um jedoch auch 
der günstigeren Annahme einigen Spielraum zu verstatten, 
schickte er einen gewissen Celadus, der den Alexander 
gut gekannt hatte, mit dem Auftrag ab, ihm den jungen 
Mann vorzuführen. Gleich auf den ersten Blick ge- 
wahrte dieser den Unterschied in den Gesichtszügen, 
und da ausserdem die Derbheit des ganzen Körperbaues 
den Sklaven verriet, lag der Betrug offen zutage. Ganz 
besonders empörte ihn die Dreistigkeit, mit welcher der 
Mensch, als man nach Aristobulus fragte, behauptete, 
derselbe sei noch am Leben, aber absichtlich auf Cypern 
zurückgeblieben, um sich vor Nachstellungen zu sichern; 
denn wenn sie voneinander getrennt seien, halte es 
schwerer, ihrer habhaft zu werden. Celadus nahm ihn 
nun beiseite und sprach zu ihm: „Der Caesar will dir 
das Leben schenken, wenn du den namhaft machst, der 
dich zu diesem Betrüge verführt hat.“ Daraufhin ver- 
sprach der junge Mann ein offenes Bekenntnis ablegen 
zu wollen, ging mit Celadus zum Caesar und nannte 
den Juden, der seine Ähnlichkeit mit Alexander zu 
Beutelschneidereien missbraucht hatte. Sie hätten, gab 
er an, in jeder einzelnen Stadt mehr Geschenke erhalten, 
als Alexander in seinem ganzen Leben. Der Caesar 
lachte darüber, steckte den falschen Alexander seines 
kräftigen Körperbaues wegen unter die Ruderer und 
liess den Verführer hinrichten. Die Melier aber schienen 
ihm durch den Geldaufwand, den sie gemacht hatten, 
für ihre Dummheit hinreichend gestraft zu sein. 

3. Als Archelaus nun seine Ethnarchie angetreten 
hatte, behandelte er im Andenken an die frühere Em- 
pörung nicht nur die Juden, sondern auch die Samariter 
so grausam, dass er von Abordnungen beider Völker- 



204 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


schäften beim Caesar verklagt und im neunten 1 Jahre 
seiner Regierung nach Vienna, einer Stadt Galliens, ver- 
bannt wurde. Sein Vermögen ward dem Besitztum des 
Caesars ein verleibt. Bevor er übrigens zu Augustus be- 
schieden wurde, soll er im Traume neun volle und reife 
Ähren gesehen haben, die von Ochsen abgefressen 
wurden. Er liess hierauf die Wahrsager und einige 
Chaldäer rufen und fragte sie, was der Traum wohl be- 
deuten könne. Die einen legten ihn auf diese, die 
anderen auf jene Weise aus; ein gewisser Simon indes, 
der zum Orden der Essener gehörte, hielt dafür, die 
Ähren bedeuteten Jahre, die Ochsen aber einen Wechsel 
der Verhältnisse, weil sie beim Pflügen das Land ver- 
änderten. Archelaus werde daher so viele Jahre regieren, 
als die Zahl der Ähren anzeige, und endlich nach 
mannigfachem Schicksalswechsel sein Leben beschliessen. 
Fünf Tage, nachdem er diese Traumdeutung vernommen 
hatte, ward Archelaus nach Rom berufen, um sich da- 
selbst zu verantworten. 

4. Erwähnenswert ist auch der Traum seiner Gattin 
Glaphyra, der Tochter des Kappadocierkönigs Archelaus, 
die früher mit Alexander vermählt gewesen war. Dieser 
Alexander war bekanntlich ein Bruder des Archelaus, 
von dem hier die Rede ist, und auf Befehl seines Vaters 
Herodes hingerichtet worden, wie ich bereits früher er- 
zählt habe. Nach dem Tode ihres Gatten heiratete 
Glaphyra den König von Libyen, Jubas, und als auch 
dieser gestorben war, kehrte sie heim und lebte bei 
ihrem Vater als Witwe. Hier sah sie der Ethnarch 
Archelaus und verliebte sich dergestalt in sie, dass er 
seine Gattin Mariamne sogleich verstiess und Glaphyra 
zur Ehe nahm. Kurz nach ihrer Ankunft in Judaea 
nun träumte sie, Alexander stehe vor ihr und rede sie 
also an : „ Die Heirat in Libyen hätte dir genügen 

sollen; aber nicht zufrieden damit, kehrst du an meinen 
Herd zurück und nimmst den dritten Mann , und zwar, 

1 Nach .1. A. XVII, 13, 3 im zehnten, nämlich im Jahre 6 n. Chr. 



Zweites Buch, 8. Kapitel. 


205 


o Verwegene, meinen Bruder! Diese Schande lasse ich 
nicht hingehen, sondern ich nehme dich wieder zu mir, 
du magst wollen oder nicht" Kaum zwei Tage, nach- 
dem sie diesen Traum erzählt hatte, gab sie den Geist auf. 


Achtes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVIII, 1,1 — 1, 6. 

Judas der Galiläer. Von den drei Sekten der Juden. 

1. Des Archelaus Gebiet ward nun in eine Provinz 
verwandelt und als Landpfleger ein Römer von ritter- 
lichem Stande, Coponius, dorthin gesandt, dem der Caesar 
Gewalt über Leben und Tod verlieh. Während seiner 
Amtsführung verleitete ein gewisser Galiläer Judas 1 
seine Landsleute zum Abfall, indem er es für schmach- 
voll erklärte, wenn sie noch fernerhin Abgaben an die 
Römer entrichteten und ausser Gott auch sterbliche 
Menschen als ihre Gebieter anerkännten. Er war der 
Begründer einer eigenen Sekte, die mit den anderen 
nichts gemein hat. 2 

2. Es giebt nämlich bei den Juden drei Arten von 
philosophischen Schulen; die eine bilden die Pharisäer, 
die andere die Sadducäer, die dritte, welche nach be- 
sonders strengen Regeln lebt, die sogenannten Essener 3 . 
Die letzteren sind ebenfalls geborene Juden, aber unter- 
einander noch mehr als die anderen durch Liebe ver- 
bunden. Die sinnlichen Freuden meiden sie wie die 
Sünde, und die Tugend erblicken sie in Enthaltsamkeit und 
Beherrschung der Leidenschaften. Über die Ehe denken 

1 Der auch Apostelgeschichte 5, 37 erwähnt wird. 

2 Siehe das Nähere über diese Sekte J. A. XVIII, 1, 6. 

8 Pharisäer bedeutet : Abgesonderte, Sadducäer (Zadukäer) : An- 
hänger des Zaduk; der Name Essener (Essäer) erinnert an das 
aramäisch - assyrische Wort assaya (Arzt) und bezeichnet also eine 
den Therapeuten verwandte Sekte. Die Therapeuten lebten bei 
Alexandria und beschäftigten sich hauptsächlich mit Naturwissen- 
schaften. 



206 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sie gering, dagegen nehmen sie fremde Kinder auf, so 
lange dieselben noch in zartem Alter stehen und bildungs- 
fähig sind, halten sie wie ihre Angehörigen und prägen 
ihnen ihre Sitten ein. Doch wollen sie damit die Ehe 
und die Erzielung von Nachkommenschaft durch dieselbe 
nicht gänzlich aufheben, sondern sich nur vor den 
Ausschweifungen der Weiber sichern, da sie glauben, 
dass keines derselben dem einen Gatten die Treue 
bewahre. 

3. Den Reichtum verachten sie, und bewundernswert 
ist bei ihnen die Gemeinschaft der Güter, sodass man 
niemand unter ihnen findet, der mehr besässe als die 
anderen. Es besteht nämlich die Vorschrift, dass jeder, 
der der Sekte beitreten will, sein Vermögen der Ge- 
samtheit abtreten muss, und so bemerkt man durch- 
gehends weder niedrige Armut noch übermässigen Reich- 
tum, sondern alle verfügen wie Brüder über das aus 
dem Besitztum der einzelnen Ordensmitglieder gebildete 
Gesamtvermögen. Oel halten sie für Schmutz, und 
wenn einer wider seinen Willen gesalbt worden ist, so 
wischt er seinen Körper ab. Denn eine rauhe Haut zu 
haben, gilt ihnen für ebenso ehrenvoll, als beständig in 
weissen Gewändern einherzugehen. Die Verwalter des 
gemeinsamen Vermögens werden durch Stimmenmehrheit 
gewählt, und jeder ohne Unterschied muss sich zu Dienst- 
leistungen für die Gesamtheit bereit finden lassen. 

4. Sie haben keine eigene Stadt, sondern in jeder 
wohnen ihrer viele. Ordensangehörigen, die anderswoher 
kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen finden, 
wie ihr eigener Besitz zur Verfügung, und bei Leuten, 
die sie nie zuvor gesehen, treten sie ein, als wären e» 
vertraute Freunde von ihnen. Deshalb nehmen sie auch 
auf die Reise durchweg nichts anderes mit als Waffen 
zum Schutze gegen die Räuber. In jeder Stadt ist ein 
Beamter eigens für die Fremden angestellt, um sie mit 
Kleidung und allen anderen Bedürfnissen zu versehen* 
In ihrem Anzug und ihrer ganzen äusseren Erscheinung 
machen sie den Eindruck von Knaben, welche noch 


Go gle 


JixflVf^SlWmfr C nüPPÖßjMfA 



Zweites Buch, 8. Kapitel. 


207 


unter der Zuchtrute ihrer Lehrmeister stehen. Kleider 
und Schuhe wechseln sie nicht eher, als bis sie gänzlich 
zerfetzt oder durch langen Gebrauch verschlissen sind. 
Untereinander kaufen und verkaufen sie nichts, sondern 
ein jeder giebt von seinem Eigentum dem anderen, was 
dieser nötig hat, und empfangt umgekehrt von ihm das, 
was er selbst brauchen kann. Ja, sogar ohne alle 
Gegenleistung kann jeder von einem beliebigen Ordens- 
genossen das Nötige beanspruchen. 

5. Auf eine eigentümliche Art verehren sie die Gott- 
heit. Bevor nämlich die Sonne aufgeht, sprechen sie 
kein unheiliges Wort, sondern sie richten an das Gestirn 
gewisse altherkömmliche Gebete, als wollten sie seinen 
Aufgang erflehen. Hierauf werden sie von den Vor- 
stehern zu dem Tagewerk entlassen, auf das ein jeder 
von ihnen sich versteht. Wenn sie sodann bis zur 
fünften Stunde 1 . fleissig gearbeitet haben , kommen sie 
wieder an einem bestimmten Ort zusammen, schürzen 
ein linnenes Tuch um und waschen sich den Leib in 
kaltem Wasser. Nach dieser Reinigung begeben sie sich 
in ein besonderes Gebäude, das kein Angehöriger einer 
anderen Sekte betreten darf, und versammeln sich hier, 
gereinigt, .als ginge es in ein Heiligtum, im SpeisesaaL 
Dort setzen sie sich in aller Ruhe nieder, und es legt 
alsdann der Bäcker ihnen der Reihe nach Brote vor 
während der Koch jedem eine Schüssel mit einem einzigen 
Gericht aufträgt. Ehe das Mahl beginnt, spricht der 
Priester ein Gebet, und vor dem Gebet darf niemand 
etwas verzehren. Nach dem Mahle betet er wiederum, so- 
dass zu Anfang und zu Ende desselben Gott als der 
Spender der Nahrung geehrt wird. Nachdem sie sodann 
ihre gleichsam heiligen Kleider abgelegt, begeben sie 
sich wieder an ihre Arbeit bis zur Abenddämmerung. 
Hierauf kehren sie zurück und speisen auf dieselbe 
Weise; sind zufällig Fremde da, so nehmen diese am 
Mahle teil. Weder Geschrei noch sonstiger Lärm ent- 


1 11 Uhr vormittags. 


Go gle 


( At-ffÖRNi'; 



208 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


weiht je das Haus, sondern ein jeder lässt den anderen 
reden, wie ihn die Reihe trifft. Auf diejenigen, die 
ausserhalb des Hauses sich befinden, macht die in dem- 
selben herrschende Stille den Eindruck eines schauer- 
lichen Geheimnisses; doch hat die Ruhe ihren Grund 
nur in der beständigen Nüchternheit der Ordensmitglieder, 
die Speise und Trank nicht weiter als bis zur Sättigung 
gemessen. 

6. Nichts thun die Essener ohne ausdrücklichen Be- 
fehl ihrer Vorsteher, und nur in zwei Dingen besitzen 
sie völlige Freiheit, in Hilfeleistung nämlich und in 
Ausübung der Barmherzigkeit. So ist es jedem ver- 
stauet, Unterstützungsbedürftigen beizuspringen, wenn 
sie dessen würdig sind, und den Darbenden Nahrung 
zu reichen. An Verwandte jedoch darf ohne Erlaubnis 
der Vorsteher nichts verschenkt werden. Zorn äussern 
die Essener nur, wo er berechtigt ist; Gemütserregungen 
wissen sie zu bemeistern; Treu und Glauben halten sie 
hoch; den Frieden pflegen sie angelegentlich. Das ge- 
gebene Wort gilt bei ihnen mehr wie der Eid; ja, sie 
unterlassen das Schwören , weil sie es für schlimmer als 
den Meineid halten. Wer ohne Anrufung der Gottheit 
keinen Glauben finde, der sei, sagen sie, schon' im voraus 
gerichtet. Mit Vorliebe widmen sie sich dem Studium 
von Schriften der Alten, besonders um zu ergründen, 
was für Leib und Seele heilsam ist. Aus diesen Schriften 
suchen sie Wurzeln zur Bannung von Krankheiten und 
die Eigenschaften der Steine kennen zu lernen. 

7. Wer in die Sekte aufgenommen sein will, erhält 
nicht sogleich Zutritt, sondern er muss zunächst ausser- 
halb des Ordens ein Jahr lang derselben Lebensweise wie 
die Mitglieder sich unterziehen, nachdem man ihm vor- 
her eine kleine Axt, das oben erwähnte Lendentuch und 
ein weisses Gewand gegeben hat. Hat er in diesem 
Zeitraum die Mässigkeitsprobe bestanden, so tritt er der 
Genossenschaft um einen Schritt näher: er nimmt an 
der reinigenden Wasserweihe teil, wird jedoch zu den 
gemeinsamen Mahlen noch nicht zugelassen. Nachdem 



Zweites Buch, 8. Kapitel. 


209 


er nämlich seine Standhaftigkeit dargethan hat, wird 
nun in zwei weiteren Jahren auch sein Charakter ge- 
prüft, und erst wenn er in dieser Beziehung gleichfalls 
würdig erscheint, wird er förmlich in den Orden auf- 
genommen. Bevor er indes bei dem gemeinsamen Mahl 
erscheinen darf, muss er den Ordensangehörigen einen 
furchtbaren Eid schwören, dass er die Gottheit ehren, 
seine Pflichten gegen die Menschen erfüllen, niemand 
aus eigenem Antrieb oder auf Befehl Schaden zufügen, 
stets die Ungerechten hassen und den Gerechten bei- 
stehen, sowie dass er Treue gegen jedermann und be- 
sonders gegen die Obrigkeit üben wolle, weil niemand 
Gewalt habe, ohne dass sie ihm von Gott verliehen sei. 
Ferner muss er schwören, falls er selbst einmal zu 
befehlen habe, nie ob seiner Macht sich brüsten und 
weder in Kleidung noch in sonstigem Schmuck es seinen 
Untergebenen zuvorthun zu wollen. Des weiteren ver- 
pflichtet er sich, stets die Wahrheit zu lieben und die 
Lüge zu Schanden zu machen, seine Hände von Dieb- 
stahl und seine Seele von dem Makel Unrechten Ge- 
winnes rein zu halten, den Ordensbrüdern nichts zu 
verheimlichen, anderen dagegen keines ihrer Geheimnisse 
zu offenbaren, und sollte man ihn auch bis zum Tode 
martern ; endlich, die Lehrsätze des Ordens niemand auf 
anderem Wege mitzuteilen, als er sie selbst kennen ge- 
lernt, den Strassenraub zu verabscheuen, die Bücher der 
Sekte und die Namen der Engel geheim zu halten. 
Durch solche Eidschwüre versichern sich die Essener 
der neu Aufzunehmenden. 

8. Wer schwerer Sünden überwiesen wird, den 
schliessen sie aus dem Orden aus, und der also Aus- 
gestossene kommt oft auf die elendeste Weise um. 
Durch Eidschwüre und Ordensgebräuche gebunden, darf 
er nämlich von Nichtmitgliedern keine Nahrung an- 
nehmen und muss sich deshalb von Kräutern nähren, 
wodurch sein Körper abzehrt und endlich dem Hunger 
erliegt. Sie haben daher schon manchen dieser Unglück- 
lichen, der in den letzten Zügen lag, aus Mitleid wieder 

Josephus, Jüdischer Krieg. 14 



210 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


aufgenommen, indem sie die Qual, die ihn dem Tode 
nahe brachte, als hinreichende Sühne für seine Sünden 
ansahen. 

9. Sehr gewissenhaft und gerecht verfahren sie bei 
gerichtlichen Entscheidungen. Recht sprechen sie nur 
dann, wenn mindestens hundert Mitglieder versammelt 
sind, und das Urteil dieses Gerichtes ist unabänderlich. 
Nächst Gott zollen sie die grösste Verehrung dem Namen 
des Gesetzgebers 1 ; wer ihn lästert, wird mit dem Tode 
bestraft. Dem Alter und der Mehrheit Gehorsam zu 
erweisen, halten sie für ehrenvoll. Wenn daher zehn 
von ihnen beisammen sitzen, redet wohl keiner gegen 
den Sinn der neun übrigen. Ferner hüten sie sich, vor 
anderen oder nach der rechten Seite hin auszuspeien. 
Peinlicher als alle übrigen Juden vermeiden sie es, am 
Sabbat sich mit Arbeit zu befassen, und demzufolge 
bereiten sie sich nicht nur die Speisen tags vorher, um 
am Sabbat kein Feuer anzünden zu müssen, sondern 
sie wagen am Ruhetage nicht einmal ein Gefäss von 
der Stelle zu rücken oder ihre Notdurft zu verrichten. 
An anderen Tagen aber höhlen sie mit der einer Hacke 
ähnlichen kleinen Axt, die jedem neu Eintretenden ver- 
abfolgt wird, eine Grube von der Tiefe eines Fusses 
aus, verhüllen dieselbe mit ihrem Mantel, um den Licht- 
glanz Gottes nicht zu beleidigen, entleeren sich darein 
und scharren dann mit der ausgegrabenen Erde das 
Loch wieder zu; auch suchen sie zu dieser Verrichtung 
die abgelegensten Plätze aus. Und obwohl die Ent- 
leerung der Körperexcremente etwas Natürliches ist, ist 
es doch bei ihnen gebräuchlich, sich nachher zu waschen, 
als ob sie sich verunreinigt hätten. 

10. Nach der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Orden 
sind sie in vier Klassen geteilt, und zwar stehen die 
jüngeren Mitglieder den älteren so sehr nach, dass die 
letzteren, wenn sie von jenen berührt worden sind, sich 
waschen, wie wenn ein Ausländer sie verunreinigt hätte. 


Moyses. 



Zweites Buch, 8. Kapitel. ^ 


211 


Sie leben sehr lange, und viele von ihnen werden — wie 
mir scheint, infolge der Einfachheit ihrer Lebensweise 
und der bei ihnen herrschenden Ordnung — über hundert 
Jahre alt. Dabei lässt das schrecklichste Ungemach sie 
kalt; denn Schmerzen überwinden sie durch Seelenstärke, 
und einen ruhmvollen Tod ziehen sie dem längsten 
Leben vor. Diese ihre Gesinnung trat so recht im 
Kriege gegen die Römer zutage. Auf die Folter wurden 
sie gespannt, ihre Glieder gereckt, verbrannt, zerbrochen ; 
mit allen erdenklichen Marterwerkzeugen quälte man 
sie, um sie zur Lästerung des Gesetzgebers oder zum 
Genuss einer ihnen verbotenen Speise zu zwingen — 
aber weder das eine noch das andere vermochte man 
durchzusetzen. Kein bittendes Wort an ihre Peiniger 
kam über ihre Lippen, und ihre Augen blieben thränen- 
leer. Lächelnd unter Schmerzen spotteten sie ihrer 
Henker, und freudig gaben sie ihre Seelen dahin in der 
sicheren Hoffnung, sie einst wieder zu erhalten. 

11. Sie hegen nämlich den festen Glauben, dass der 
Körper zwar der Verwesung anheimfalle und vergäng- 
lich sei, die Seele dagegen in Ewigkeit fortlebe und dass 
sie , aus dem feinsten Äther stammend , durch einen 
natürlichen Zauberreiz herabgezogen und in den Körper 
gleichwie in ein Gefängnis eingeschlossen werde. So- 
bald die Seele aber von den Banden des Fleisches be- 
freit sei, entschwebe sie, wie aus langer Knechtschaft 
erlöst, in seliger Wonne zur Höhe. In Übereinstimmung 
mit den jüngeren 1 Hellenen lehren sie, den Guten sei 
ein Leben jenseits des Ocean beschieden und ein Ort, 
den weder Regen noch Schnee noch Hitze belästige, 
sondern ein beständiger, vom Ocean her sanft wehender 
Zephyr kühle ; den Bösen dagegen weisen sie eine finstere 
kalte Höhle voll ewiger Qualen an. Derselbe Gedanke 
findet sich, wie mir scheint, bei den Hellenen, indem sie 
ihren Helden, die sie Heroen und Halbgötter nennen, 


1 So übersetze ich das Wort raxtaiv, dessen von Paret vorgeschlagene 
Änderung in xtaiv somit unnötig wird. 



212 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

die Inseln der Seligen zuweisen, den Seelen der Schlechten 
aber den Ort der Frevler im Hades, wo der Sage nach 
ein Sisyphos, Tantalos, Ixion und Tityos ihre Strafen 
erleiden. Damit wollen sie zunächst die Unsterblichkeit 
der Seele feststellen, dann aber auch zur Tugend an- 
treiben und vom Laster abschrecken , indem sie darauf 
rechnen, dass die Guten während ihres irdischen Lebens 
durch die Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode noch 
besser, die Anschläge der Bösen dagegen durch Furcht 
zunichte werden, da die letzteren sich darauf gefasst 
machen müssen, selbst wenn bei Lebzeiten ihre Schlech- 
tigkeit verborgen bleiben sollte, doch noch im Jenseits 
ewiger Strafe zu verfallen. Diese Lehre der Essener 
über die Seele ist das Zauberband, durch welches sie 
diejenigen, die einmal ihre Weisheit gekostet haben, 
dauernd an eich fesseln. 

12. Es finden sich übrigens auch solche unter ihnen, 
die, nachdem sie sich von Jugend auf mit den heiligen 
Büchern, den Sprüchen der Propheten und mancherlei 
Peinigungen vertraut gemacht haben, die Zukunft vor- 
herzuwissen behaupten. Und in der That ist es ein 
seltener Fall, wenn einmal ihre Weissagungen nicht in 
Erfüllung gehen. 

13. Ausserdem giebt es nun noch einen zweiten Zweig 
der Essener, der in Lebensart, Sitten und Gebräuchen 
mit dem anderen ganz überein stimmt, in der Ansicht 
über die Ehe dagegen von ihm abweicht. Sie glauben 
nämlich, dass die, welche nicht in die Ehe träten, den 
wichtigsten Lebenszweck, die Erzielung von Nachkommen- 
schaft, ausser acht Hessen, oder vielmehr, dass, wenn 
alle so dächten, das ganze Menschengeschlecht in kürzester 
Zeit aussterben müsse. Doch erproben sie die Bräute 
drei Jahre lang, und wenn sie nach dreimaliger Reinigung 
deren Fähigkeit, Kinder zu gebären, erkannt haben, 
nehmen sie dieselben zur Ehe. Während der Schwanger- 
schaft enthalten sie sich des Beischlafes zum Beweise, 
dass sie nicht aus Wollust, sondern um Kinder zu er- 
zielen geheiratet haben. Die Weiber baden im Hemd, 


Go gle 



Zweites Buch, 8. Kapitel. 


213 


wie die Männer in einer Schürze. Soviel von den 
Gebräuchen dieser Sekte . 1 

14. Wa 8 nun die beiden zuerst genannten Sekten 
betrifft, so ist die der Pharisäer die älteste unter allen 
dreien. Sie gelten für besonders kundige Erklärer des 
Gesetzes, machen alles von Gott und dem Schicksal ab- 
hängig und lehren, dass Hecht- uod Unrechtthun zwar 
grösstenteils den Menschen freistehe, dass aber bei jeder 
Handlung auch eine Mitwirkung des Schicksals statt- 
finde. 2 Die Seelen sind nach ihrer Ansicht alle unsterb- 
lich, aber nur die der Guten gehen nach dem Tode in 
einen anderen Leib über, während die der Bösen ewiger 
Strafe anheimfallen. Die Sadducäer hingegen, die zweite 
der obengenannten Sekten, leugnen das Schicksal völlig 
und behaupten, Gott habe mit dem Thun und Lassen 
der Menschen gar nichts zu schaffen; vielmehr seien 
gute wie böse Handlungen gänzlich dem freien Willen 
anheimgestellt, und nach eigenem Gutdünken trete ein 
jeder auf die eine oder andere Seite. Weiterhin leugnen 
sie auch die Fortdauer der Seele, 3 sowie die Strafen und 


1 Die Essener waren es vornehmlich, die durch ihr hohes An- 
sehen beim Volke der Lehre Jesu Christi Anhang und Popularität 
verschafften. 

2 Eine Ansicht, welcher der Pharisäer Josephus in den J. A. 
wiederholt Ausdruck verleiht, so z. B. J. A. VIII, 15, 4; 15, 6; IX, 
9,3; XVI, 11,8. 

3 Da jedoch die Unsterblichkeitslehre einen Grundpfeiler jeder 
positiven Religion bildet, und da die Sadducäer erwiesenermassen 
Jahrhunderte hindurch den Pharisäern den Rang streitig machten, 
sodass aus ihrer Mitte oft Hohepriester und Mitglieder des hohen 
Rates hervorgingen, ist es nicht wahrscheinlich, dass sie die Unsterb- 
lichkeit einfach leugneten; vielmehr haben sie w T obl nur die Auf- 
erstehungslehre, die nicht jüdischen Ursprunges ist und ihre Haupt- 
verfechter an den Pharisäern fand, verworfen, die Unsterblichkeit 
aber im Princip geglaubt und darauf die Grundsätze ihrer Religion 
gestützt (s. Spiegler, Geschichte der Philosophie des Judentums, S. 202). 
Die Sekte der Sadducäer löste sich übrigens nach der zweiten Zer- 
störung Jerusalems auf. und ihre Mitglieder traten teils zum 
Christentum über, teils schlossen sie sich an die Pharisäer an, die 
nun unter Führung der Rabbinen den reinen Mosaismus mit einem 
Walle von Satzungen, Ceremonien und Geboten umgaben und zu 



214 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Belohnungen in der Unterwelt. Während aber die 
Pharisäer sich eng aneinander anschliessen und zum 
Wohle der Gesamtheit die Eintracht hoehhalten, ist das 
Benehmen der Sadducäer gegen ihresgleichen weit un- 
freundlicher, sodass sie mit ihren Gesinnungsgenossen so 
abstossend wie mit Fremden verkehren. Das ist es, was 
ich über die philosophischen Schulen der Juden be- 
merken wollte. 


Neuntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVIII, 2, 1 — 7, 2. 

Salomes Tod. Unruhen unter Pilatus. Agrippa von 
Tiberius eingekerkert, aber von Caligula in Freiheit gesetzt. 

Herodes Antipas wird verbannt. 

1. Während nun die Ethnarchie des Archelaus in 
eine Provinz verwandelt wurde, regierten die anderen 
Fürsten, Philippus und Herodes Antipas, ihre Tetrarchien 
weiter. Salome aber war unterdessen gestorben und 
hatte der Gemahlin des Augustus, Julia, 1 ihr Gebiet 
nebst Jamnia und dem Palmenwald bei Phasaelis hinter- 
lassen. Auch als nach dem Tode des Augustus, 2 der 
siebenundfünfzig Jahre, sechs Monate und zwei Tage an 
der Spitze des römischen Staates gestanden hatte , die 
Regierung auf Tiberius, den Sohn der Julia, über- 
gegangen war, verblieben Herodes und Philippus im 
Besitz ihrer Tetrarchien, und es erbaute der letztere im 
Bezirk Paneas an den Quellen des Jordan die Stadt 
Caesarea 3 sowie in Unter -Gaulanitis die Stadt Julias, 4 


seiner Verteidigung mit dem Talmud die heute noch bestehende feste 
Burg des Rabbinismus errichteten (ebendas. S. 202 f.). 

1 S. die Anmerkung zu 1,28,6. 

2 13 n. Chr. 

3 Nach ihrem Erbauer Caesarea Philippi genannt. 

4 Wo früher Bethsaida sich befand, d. h. B. am Ostufei 1 des 
Jordan, nicht das B. der Bibel, welches im Westen des Galilaeischen 
Meeres lag. 



Zweites Buch, 9. Kapitel. 


215 


Herodes aber in Galilaea Tiberias und in Peraea eine 
gleichfalls nach der Julia benannte Stadt. 1 

2. Was Judaea anlangt, so sandte Tiberius dorthin 
den Pilatus als Landpfleger. 2 Einst nun liess dieser 
eine Anzahl verhüllter Bildnisse des Caesars, welche 
die Römer , signa* 3 nennen, zur Nachtszeit nach Jerusalem 
bringen. Kaum aber graute der Tag, als eine hoch- 
gradige Aufregung sich der Stadt bemächtigte. Denn 
was in die Nähe 4 kam, entsetzte sich über den Anblick 
wie über eine schwere Verhöhnung des Gesetzes, das 
den Juden die Aufstellung jedweden Bildwerkes in der 
Stadt untersagte. Allmählich zog die Erbitterung der 
Stadtbewohner auch das Landvolk in grossen Scharen 
herbei, und alle machten sich nun auf den Weg nach 
Caesarea zu Pilatus, den sie flehentlich baten, die Bild- 
nisse aus Jerusalem entfernen und an ihren altherge- 
brachten religiösen Satzungen nicht rütteln zu wollen. 
Da Pilatus aber die Bitte abschlug, warfen sie sich zu 
Boden und blieben fünf Tage und ebenso viele Nächte 
liegen, ohne sich zu rühren. 

3. Am folgenden sechsten Tage nahm Pilatus in der 
grossen Rennbahn auf einer Tribüne Platz und liess das 
Volk herbeirufen, als wolle er ihm Bescheid erteilen, 
gab aber dann den Soldaten, die vorher verständigt 
waren, ein Zeichen, die Juden mit den Waffen in der 
Hand zu umzingeln. So von einer dreifachen Reihe 
Bewaffneter eingeschlossen, gerieten die Juden über den 
unerwarteten Anblick zunächst in gewaltige Bestürzung. 
Als aber Pilatus drohte, er werde sie niedermetzeln 


1 S. die Anmerkung zu II, 4, 2. 

s 25n. Chr. Seine Vorgänger waren seit des Archelaus Ver- 
bannung: Coponius (6 n. Chr.) , Marcus Ambivius (etwa 9 n. Chr.), 
Annius Rufus (etwa 11 n. Chr.), Valerius Gratus (14 n. Chr.). 

3 Feldzeichen, bestehend aus an Spiessen befestigten Adlern, 
denen um diese Zeit noch kleine Brustbilder des Caesars beigefügt 
wurden. 

4 Des Praetoriums, wo die Feldzeichen sich befanden. Das Prae- 
torium war das Absteigequartier der für gewöhnlich in Caesarea 
maritima residierenden Landpfleger. 



216 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


lassen, wenn sie die Bildnisse des Caesars nicht bei sich 
aufnähmen, und den Soldaten einen Wink gab, ihre 
Schwerter zu entblössen , fielen die Juden wie auf Ver- 
abredung sämtlich nieder, boten den Nacken dar und 
erklärten mit lauter Stimme, sie wollten sich lieber um- 
bringen lassen als das Gesetz übertreten. Über dieses 
heldenmütige Eintreten des Volkes für seine Religion 
erstaunte Pilatus und gab Befehl, die Feldzeichen sofort 
aus Jerusalem wegzubringen. 

4. Später rief er neue Unruhen dadurch hervor, dass 
er den Tempelschatz, Korban genannt, zur Anlage einer 
Wasserleitung verwendete, die vierhundert 1 Stadien lang 
werden sollte. Hierüber entrüstete sich das Volk, und 
als Pilatus eines Tages nach Jerusalem kam, umringte 
es lärmend seinen Richterstuhl. Er aber hatte von dem 
beabsichtigten Auflauf zuvor Kunde erhalten und be- 
waffnete Soldaten in bürgerlicher Kleidung heimlich 
unter der Menge verteilt mit dem Befehl, gegen die 
Schreier nicht das Schwert zu gebrauchen, aber mit 
Knitteln auf sie einzuhauen. Als er nun vom Richter- 
stuhl herab das Zeichen gab, kamen viele Juden teils 
unter den Schlägen der Soldaten, teils dadurch um, dass 
sie von ihren eigenen Landsleuten auf der Flucht zer- 
treten wurden. Der Schrecken über das traurige Schick- 
sal der Getöteten aber brachte das Volk alsbald zum 
Stillschweigen. 

5. Um diese Zeit begab sich Agrippa, der Sohn des 
von Herodes, seinem Vater, getöteten Aristobulus, zu 
Tiberius, um den Tetrarchen Herodes zu verklagen, 
wurde aber mit seiner Klage abgewiesen. Doch blieb er 
in Rom und suchte die Gunst anderer einflussreicher 
Römer, besonders von Germanicu8 , Sohn Gajus, der da- 
mals noch Privatmann war, zu gewinnen. Als er den- 
selben eines Tages festlich bewirtete und ihn mit 
Liebenswürdigkeiten überhäuft hatte, breitete er zuletzt 


1 Nach J. A. XVIII, 3, 2 nur 200. Siehe hierzu: Spiess, Jerusa- 
lem des Josephus, S. 54 f. 



Zweites Buch, 9. Kapitel. 


217 


die Hände aus und betete mit lauter Stimme, es möge 
ihm vergönnt sein, den Gajus nach dem hoffentlich bald 
erfolgenden Tode des Tiberius als Herrn der Welt be- 
grüssen zu dürfen. 1 Einer seiner Diener aber hinter- 
brachte dies dem Tiberius, der darüber so unwillig 
wurde, dass er den Agrippa einkerkern und sechs 
Monate lang bei harter Behandlung im Gefängnis zu- 
bringen liess, bis er selbst nach einer Regierung von 
zweiundzwanzig Jahren, sechs Monaten und drei Tagen 
starb. 

6. Kaum war Gajus 2 3 zum Caesar ausgerufen, als er den 
Agrippa freiliess und ihn zum König über die Tetrarchie 
des inzwischen verstorbenen Philippus ernannte. 8 Das 
aber weckte den Neid des Tetrarchen Herodes, dem ins- 
besondere seine Gattin Herodias Hoffnung auf Er- 
langung der Königswürde machte. Sie warf ihm näm- 
lich seine Unthätigkeit vor und behauptete, nur weil er 
nicht zum Caesar habe reisen wollen, sei er um die 
Rangerhöhung gekommen; denn der Caesar, der den 
Privatmann Agrippa zum Könige gemacht, würde doch 
erst recht ihm, dem Tetrarchen, diese Beförderung zu- 
erkannt haben. Durch solche Vorstellungen liess 
Herodes sich bereden und begab sich zu Gajus, wurde 
aber von ihm für seine Habgier mit der Verbannung 
nach Hispanien 4 bestraft. 5 Agrippa nämlich war ihm 
nachgereist, um ihn zu verklagen, und erhielt nun von 
Gajus die Tetrarchie des Herodes noch zu seinem eigenen 
Königreich hinzu. 6 Herodias folgte übrigens ihrem 
Gatten in die Verbannung nach Hispanien, wo er bis 
zu seinem Tode verblieb. 


1 Nach J. A. XVIII, 6, 5 sprach er diesen Wunsch bei Gelegen- 
heit einer gemeinsamen Wagenfahrt aus. Vergleiche übrigens in 
betreff der Schicksale Agrippas die weitläufige Darstellung 
J. A. XVHI, 6. 

2 Gajus Caesar Caligula. 

3 36 n. Chr. 

4 J. A. XVIII, 7, 2 heisst es: nach Lugdunum (Lyon) in Gallien. 

5 38 n. Chr. 

6 40 n. Chr. 



218 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Zehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XVIII, 8, 2 — 8. 9. 

Caligula verlangt, dass sein Standbild im Tempel zu 

Jerusalem aufgerichtet werde. Wie Petronius sich dabei 
benahm 

1. Mittlerweile war der Caesar Gajus infolge seines 
Glückes so übermütig geworden, dass er sich nicht nur 
selbst für einen Gott hielt und von anderen so genannt 
zu werden verlangte, sondern auch sein Vaterland der 
edelsten Männer beraubte. Nicht minder hatten die 
Juden unter seiner Ruchlosigkeit zu leiden. Eines Tages 
nämlich sandte er den Petronius an der Spitze eines 
Heeres nach Jerusalem, um seine Bildsäule im dortigen 
Tempel aufzustellen. 1 Zugleich erteilte er ihm die 
Weisung, er solle, wenn die Juden sich etwa nicht 
fügen wollten, die Widerspenstigen hinrichten lassen 
und das gesamte übrige Volk in die Sklaverei verkaufen. 
Gottes Fürsorge indes verhinderte die Ausführung dieser 
Befehle. — Petronius rückte also von Antiochia aus 
mit drei Legionen und zahlreichen syrischen Hilfstruppen 
gegen Judaea heran. Ein Teil der Juden schenkte den 
Kriegsgerüchten noch keinen Glauben, der andere, der 
sie für zutreffend hielt, war in Verlegenheit, wie er 
6ich verteidigen sollte. Bald jedoch ergriff allgemeiner 
Schrecken das Volk; denn schon stand das Heer vor 
Ptolemais. 

2. Diese Stadt, unweit Galilaeas in der grossen 
Ebene 2 gelegen, ist eine Seestadt und von Bergen um- 
geben. Im Osten nämlich erhebt sich , sechzig Stadien 
entfernt, das Galilaeische Gebirge, gegen Süden in einer 
Entfernung von hundertundzwanzig Stadien der Karmel, 
und nach Norden zu in einem Abstand von hundert 
Stadien der sehr hohe Berg, den die dortige Bevölkerung 
die Tyrische Leiter nennt. Zwei Stadien von der Stadt 

1 39 n. Chr. 

s Jezreel. 



Zweites Buch, 10. Kapitel. 219 

entfernt fliesst der ganz kleine sogenannte Belaeusfluss 1 
vorbei, in dessen Nähe sich ein Denkmal des Memnon 2 
und ein sehr merkwürdiger Platz von hundert Ellen im 
Umfang befindet. Der letztere nämlich ist rund und 
hohl und liefert den Glassand, der sich, sowie er von 
den vielen vor Anker liegenden Schiffen erschöpft wird, 
jedesmal wieder ergänzt, indem die Winde gleichsam ab- 
sichtlich den schimmernden Sand von aussen dorthin 
zusammen treiben. Die Grube verwandelt den gesamten 
Sand sogleich in Glas; noch wunderbarer aber kommt 
es mir vor, dass das aus der Grube Überfliessende Glas 
wieder zu gemeinem Sande wird. 3 Das ist die natürliche 
Beschaffenheit dieser Gegend. 

3. Die Juden versammelten sich nun mit Weib 
und Kind in der Ebene bei Ptolemais und baten den 
Petronius flehentlich um Schutz zunächst für ihre hei- 
mischen Gebräuche und dann auch für sich selbst. Die 
grosse Menge der Flehenden und die Beharrlichkeit, mit 
der sie ihre Bitten vorbrachten, machte auf Petronius 
einen solchen Eindruck, dass er Heer und Bildsäule in 
Ptolemais zurückliess und sich nach Tiberias inGalilaea 
begab, wohin er das Volk und besonders alle an- 
gesehenen Juden berief. Alsdann erörterte er Aveitläufig 
die Macht der Römer und die Drohungen des Caesars 
und suchte ihnen zugleich zu beweisen, wie unvernünftig 
ihr Begehren sei. Alle unterjochten Völkerschaften, 
schloss er, hätten doch in jeder Stadt ausser den Bild- 
säulen anderer Götter auch solche des Caesars auf- 


1 Bei Tacitus (Hist. V, 7) heisst er Belus. 

2 Sohn des Tithonos und der Eos, dessen Gebeine mehrere Orte 
zu besitzen Vorgaben. 

8 Nach der offenbar richtigeren Darstellung des Tacitus (Hist. V, 7) 
wurde der Sand unter Beimischung von Salpeter zu Glas ge- 
schmolzen. S. auch Plinius, Naturgeschichte. V, 17 und XXXVI, 65. 
Noch im Mittelalter holte man den Sand des Belus nach Genua und 
Venedig zur Glasfabrikation. Velde fand am Belus bei al-Mekr im 
Osten von Acre (Ptolemais) die Hügel mit einer Schicht Glas bedeckt. 
Die Bemerkung desJosephus, dass das Überfliessende Glas wieder zu 
Sand geworden sei, ist selbstverständlich irrig. 


Go gle 



220 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gestellt, und wenn nun die Juden allein sich dagegen 
sträubten, so sei dieses Benehmen eigentlich nichts 
anderes als Empörung, und zwar noch dazu eine mit 
Beschimpfung des Caesars verbundene Empörung. 

4. Als die Juden dagegen sich auf ihr Gesetz und 
die althergebrachten Sitten beriefen, die nicht einmal 
das Bild Gottes, geschweige denn das eines Menschen 
im Tempel oder auch nur an irgend einer unge weihten 
Stelle des Landes aufzustellen gestatteten, entgegnete 
Petronius: „Nun, ich muss doch auch das Gesetz meines 
Herrn erfüllen, und wenn ich es übertrete, um euch zu 
schonen, so werde ich, und das mit Hecht, den Tod er- 
leiden. Der mich gesandt hat, wird mit euch Krieg 
führen, nicht ich; denn auch ich stehe, wie ihr, unter 
seiner Botmässigkeit“ Hierauf schrie die ganze Volks- 
menge, sie seien bereit, für ihr Gesetz zu leiden. Nach- 
dem Petronius den Lärm wieder gestillt und gefragt 
hatte, ob sie denn gesonnen seien, gegen den Caesar zu 
kämpfen, antworteten die Juden, täglich zweimal brächten 
sie Opfer für den Caesar und das römische Volk dar. 
Wolle er aber auch noch die Bildsäule aufstellen, so 
müsse er zuvor das ganze Volk der Juden opfern; denn 
samtWeib und Kind seien sie bereit, sich hinschlachten 
zu lassen. Staunen und Mitleid zugleich ergriff den 
Petronius, als er die unerschütterliche Frömmigkeit der 
Juden und ihre Bereitwilligkeit, den Tod zu erleiden, 
gewahrte, und unverrichteterSache trennte man sich für 
diesmal. 

5. An den folgenden Tagen berief er die einfluss- 
reichen Männer besonders zu sich und versammelte auch 
wieder das Volk, wobei er es bald mit Bitten, bald mit 
Zureden versuchte, zumeist jedoch drohte, indem er die 
Macht der Römer, den Unwillen des Gajus und seine 
eigene Zwangslage schilderte. Da aber alles dies nichts 
fruchtete und Petronius erkannte, dass man Gefahr 
laufe, das Land uneingesät zu lassen — war das Volk 
doch nun schon fünfzig Tage lang in der Saatzeit 
raüssig geblieben — , berief er endlich nochmals eine 



Zweites Buch, 11. Kapitel. 


221 


Volksversammlung und sprach : „So will ich denn lieber 
die Gefahr auf mich nehmen: entweder stimme ich mit 
Gottes Hilfe den Caesar um und freue mich mit euch 
der Rettung, oder ich gebe, wenn er in Zorn gerät, mein 
Leben für so viele gern dahin !“ Sodann verabschiedete 
er sich unter den Segenswünschen der Menge, holte in 
Ptolemais sein Heer und kehrte nach Antiochia zurück. 
Von dort schrieb er sogleich an den Caesar, schilderte 
seinen Einmarsch in Judaea, die flehentlichen Bitten des 
Volkes, und wie er, wenn er nicht Land und Leute 
hätte zu Grunde richten wollen, den Juden die Be- 
obachtung ihres Gesetzes habe gestatten und die Erledi- 
gung seines Auftrages unterlassen müssen. Des Gajus 
Antwort auf diesen Brief lautete keineswegs gnädig; 
vielmehr drohte er dem Petronius mit dem Tode, weil 
er bei der Ausführung seiner Befehle sich so lässig ge- 
zeigt habe. Doch der Zufall fügte es, dass die Über- 
bringer dieses Schreibens drei Monate lang durch Sturm 
auf dem Meere hingehalten wurden, während andere mit 
der Nachricht vom Tode des Gajus eine glückliche 
Fahrt hatten, und so erhielt Petronius den Brief mit 
der Todesmeldung siebenundzwanzig Tage früher, als 
das gegen ihn selbst gerichtete Schreiben. 


Elftes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XIX. 

Beziehungen des Caesars Claudius zu Agrippa L 
Tod des letzteren und seines Bruders Herodes von Chalkis. 

1. Als Gajus nach einer Regierung von drei Jahren 
und acht Monaten durch Meuchelmord umgekommen 
war, 1 schleppten die in Rom stehenden Truppen den 
Claudius auf den Thron. Der Senat jedoch vertraute 
gemäss dem Vorschläge der Konsuln Sentius Saturninus 

1 41 n. Chr. S. die ausführliche Schilderung J. A. XIX, 1, lff. 


Go gle 



222 


Jcwephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


und Pomponius Secundus den drei ihm treugebliebenen 
Legionen die Bewachung der Stadt an, versammelte sich 
auf dem Kapitolium und beschloss im Hinblick auf die 
Grausamkeit des Gajus, gegen Claudius Krieg zu führen. 
Es sollte entweder die frühere aristokratische Verfassung 
hergestellt oder ein des Thrones würdiger Mann durch 
Abstimmung gewählt werden. 

3. Damals nun befand sich zufällig Agrippa in Rom 
und wurde vom Senat zu einer Beratung eingeladen, 
während gleichzeitig auch Claudius aus der Kaserne zu 
ihm sandte, um sich seine Dienste zu sichern. Agrippa, 
der wohl erkannte, dass Claudius infolge seiner Macht 
bereits wirklicher Caesar war, begab sich zu diesem hin. 
Claudius schickte ihn nun als Abgeordneten an den 
Senat, um denselben von seinen Absichten in Kenntnis 
zu setzen. Wider seinen Willen, liess er sagen, hätten 
die Soldaten ihn fortgerissen, und wie er einerseits es 
nicht für recht halte, ihren Eifer unberücksichtigt zu 
lassen, so wolle er auch anderseits sein Glück noch 
nicht für gesichert erachten, da ja die Berufung auf den 
Thron gewisse Gefahren mit sich bringe. Er sei 
übrigens entschlossen, wie ein milder Fürst, nicht wie 
ein Tyrann zu regieren; auch werde er mit der Ehre 
des Caesarentitels sich begnügen und bei allen Staats- 
geschäften das Volk um seine Willensmeinung be- 
fragen. Und wäre er selbst von Natur nicht zur Milde 
geneigt, so müsse ihm doch schon das Ende des Gajus 
als hinreichender Antrieb zur Mässigung vor Augen 
stehen. 

3. Diese Botschaft überbrachte Agrippa dem Senat 
und erhielt zur Antwort, im Vertrauen auf das Heer und 
ihr gutes Recht würden sie sich der Knechtschaft nicht 
freiwillig unterwerfen. Als Claudius diesen Bescheid 
vernommen hatte, sandte er den Agrippa abermals hin 
mit der Erklärung, er werde die, welche ihm Treue ge- 
schworen, unter keinen Umständen im Stich lassen und 
sehe sich also zum Kampfe gegen die genötigt, mit denen 
zu streiten er durchaus kein Verlangen trage. Zuvor 



Zweites Buch, 1 1. Kapitel. 


223 


übrigens müsse man einen Platz ausserhalb der Stadt 
für das Treffen bestimmen; denn es wäre doch frevel- 
haft, um des unheilvollen Entschlusses der Senatoren 
willen die Heiligtümer der Vaterstadt mit Bürgerblut 
zu beflecken. Auch von dieser Erklärung gab Agrippa 
dem Senate Kenntnis. 

4. Nun aber zog einer der Soldaten, die auf seiten 
des Senates standen, sein Schwert und rief: „Kameraden, 
wozu sollen wir unsere Brüder morden und unsere Ver- 
wandten bekämpfen, die zu Claudius halten, da wir an 
ihm einen Herrscher haben, dem man nichts Schlechtes 
nachsagen kann, und da wir durch heilige Pflichten 
denen verbunden sind, gegen die wir mit den Waffen * 
in der Hand ausrücken sollen ?“ Nach diesen Worten 
schritt er eilig mitten durch die Versammlung hinaus 
und zog alle übrigen Soldaten mit sich fort. Im ersten 
Augenblick waren die Patrizier über den Abzug der 
Soldaten erschreckt; als aber keine andere Aussicht auf 
Rettung sich ihnen dar bot, eilten sie auf demselben 
Wege wie die Soldaten zu Claudius hin. Gleich vor 
der Stadtmauer stiessen sie auf eine Anzahl Bewaffneter, 
die durch eifriges Eintreten für den neuen Herrscher ihr 
Glück machen wollten und mit gezückten Schwertern 
daherstürmten. Es wäre nun wohl, bevor noch Claudius 
von dem Vorgehen der Soldaten Kenntnis erlangte, um 
die Senatoren an der Spitze des Zuges geschehen gewesen, 
wenn Agrippa nicht zu Claudius geeilt wäre und ihn 
von dem Ernst der Lage benachrichtigt hätte. Ent- 
weder müsse er dem Ungestüm der über die Patrizier 
bis zur Wut erbitterten Soldaten wehren, oder er werde 
die besten Stützen seines Thrones verlieren und Beherrscher 
einer Einöde sein. 

5. Kaum hatte Claudius dies vernommen, als er der 
Aufregung im Heere Einhalt that, den Senat freundlich 
in die Kaserne aufnahm und alsbald mit ihm hinauszog, 
um der Gottheit für seine Thronbesteigung Dankopfer 
darzubringen. Gleich darauf beschenkte er den Agrippa 
mit dem ganzen Königreich seines Grossvaters und 



224 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


fügte noch die von Augustus dem Herodes verliehenen 
Gebiete Trachonitis und Auranitis sowie die sogenannte 
Herrschaft des Lysanias 1 hinzu. 2 Dem Volke machte 
er diese Schenkung in einem Erlasse bekannt, dem 
Senat aber befahl er, die Schenkungsurkunde in eherne 
Tafeln eingraben und diese auf dem Kapitolium nieder- 
legen zu lassen. Auch den Bruder des Agrippa, Herodes, 
der durch seine Ehe mit Berenike zugleich dessen 
Schwiegersohn war, beschenkte er, und zwar mit dem 
Königreiche Chalkis. 

6. Bald flössen dem Agrippa aus einem so weiten 
Gebiet grosse Reichtümer zu, und er verwendete diese 
Gelder auch zu nicht unbedeutenden Unternehmungen. 
So begann er Jerusalem mit einer derart starken Mauer 
zu umgeben, dass, wäre sie vollendet worden, die Be- 
lagerungsarbeiten der Römer wohl keinen Erfolg gehabt 
hätten. Allein ehe das Bauwerk seine Höhe erreichte, 
starb er in Caesarea, 3 nachdem er drei Jahre König und 
vorher ebenfalls drei Jahre Tetrarch gewesen war. Er 
hinterliess drei mit der Kypros gezeugte Töchter, 
Berenike, Mariamne und Drusilla, sowie einen von der- 
selben Mutter geborenen Sohn Agrippa. Da der letztere 
noch viel zu jung war, 4 verwandelte Claudius das König- 
reich wieder in eine Provinz und sandte den Cuspius 
Fadus 5 und nach ihm den Tiberius Alexander 6 als 
Landpfleger dorthin, unter denen das Volk sich ruhig 
verhielt, weil sie seine heimischen Gebräuche unangetastet 
Hessen. Bald darauf 7 starb auch Herodes, der König 
von Chalkis, und hinterliess von Berenike, der Tochter 
seines Bruders, zwei Söhne, Berenikianus und Hyrkanus, 
sowie von seiner früheren Gattin Mariamne einen Sohn 


1 Abilene oder Abila (s. Lukas 3, 1 und J. A. XIX, 5, 1). 

a 41 n. Chr. 

3 44 n. Chr. 

4 Nämlich 17 Jahre alt (geboren 27 n. Chr.). 

6 44 n. Chr. 

c Etwa 45 n. Chr. 

7 49 n. Chr. 



Zweites Buch, 12. Kapitel. 


225 


Ari8tobulus. Ein anderer Bruder Agrippas, Aristobulus 
mit Namen, war mit Hinterlassung einer Tochter Jotape 
als Privatmann gestorben. Das waren, wie schon früher 
erwähnt, die Söhne von Herodes’ Sohn Aristobulus. Den 
letztem wie dessen Bruder Alexander aber hatte Hero- 
des bekanntlich mit der Mariamne gezeugt und, obwohl 
ihr leiblicher Vater, sie beide dem Henker überant- 
wortet. Was Alexanders Nachkommen angeht, so 
herrschten diese in Grossarmenien. 


Zwölftes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XX, 5, 2 — 8,1. 

Unruhen unter Cumanus. Felix Landpfleger von Judaea. 

1. Nach dem Tode des Herodes, der Chalkis be- 
herrschte, setzte Claudius dessen Neffen, den jungen, mit 
seinem Vater gleichnamigen Agrippa, 1 über das König- 
reich des Verstorbenen, während die Verwaltung der 
Provinz von Alexander auf Cumanus überging. 2 Unter 
letzterem begannen wieder die Unruhen, infolge deren 
eine Menge Juden umkamen. Als nämlich das Volk 
zum Fest der ungesäuerten Brote nach Jerusalem zu- 
sammenströmte , war über der Säulenhalle des Tempels 
eirte römische Kohorte aufgestellt, wie denn die Römer 
an Festtagen stets eine Heeresabteilung auf Wache 
stehen hatten, um etwaige aufrührerische Bewegungen 
der versammelten Menge zu unterdrücken. Da zog auf 
einmal einer der Soldaten seinen Mantel in die Höhe, 
kehrte mit einer unanständigen Verbeugung den Juden 
das Gesäss zu und gab einen seiner Stellung ent- 
sprechenden Laut von sich. Voll Entrüstung darüber 
forderte die gesamte Menge von Cumanus mit lautem 
Geschrei die Bestrafung des Soldaten; ja, eine Anzahl 


1 Agrippa II. (reg. 49—101 n. Chr.). 

» 49 n. Chr. 

JosephuB, Jüdischer Krieg. 15 




226 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

jugendlicher Brauseköpfe und der stets zur Empörung 
geneigte Teil des Volkes schritten sogar ohne weiteres 
zum Angriff, rafften Steine zusammen und bewarfen die 
Soldaten damit. Cumanus, der einen Angriff von seiten 
des ganzen Volkes befürchtete, liess sogleich eine grössere 
Abteilung Schwerbewaffneter heranrücken. Als diese 
nun in die Hallen eindrangen, befiel die Juden ein ge- 
waltiger Schrecken, sodass sie eilends aus dem Tempel 
rannten und in die Stadt flohen. Dadurch entstand 
aber an den Ausgängen ein so fürchterliches Gedränge, 
dass mehr als zehntausend Menschen zertreten und er- 
drückt wurden. So wandelte sich die Festfreude in eine 
allgemeine Trauer des ganzen Volkes, und jedes Haus 
hallte wieder von Jammer und Wehklagen. 

2. Bald nach diesem Unglück brachen abermals Un- 
ruhen aus infolge eines Strassenraubes. Auf der Land- 
strasse bei Bethoron nämlich fielen Räuber über einen 
Diener des Caesars mit Namen Stephanus her und 
raubten ihm alles Gepäck, das er bei sich hatte. So- 
gleich sandte Cumanus Streifscharen aus , liess die Be- 
wohner der nächstgelegenen Dörfer gefangen einbringen 
und warf ihnen vor, dass sie die Räuber nicht verfolgt 
und festgenommen hätten. Bei dieser Gelegenheit fand 
ein Soldat in einem Dorfe das heilige Gesetz, zerriss das 
Buch und warf es ins Feuer. Darüber gerieten die 
Juden in eine Aufregung, als ob ihr ganzes Land vom 
Feuer verheert würde, und in ihrer religiösen Angst 
eilten sie, von Zaubermacht fortgerissen und wie auf ein 
gegebenes Zeichen samt und sonders nach Caesarea zu 
Cumanus, den sie inständig baten, den Menschen, der 
Gott und das Gesetz so masslos beschimpft, doch nicht 
ungestraft zu lassen. Cumanus, der wohl einsah, dass 
das Volk nicht ruhig bleiben würde, wenn er ihm keine 
Genugthuung gewähre, liess den Soldaten herbeiholen 
und durch die Reihen seiner Ankläger hindurch zur 
Hinrichtung abführen. Hierauf entfernten sich die 
Juden. 

3. In der Folge kam es zu Streitigkeiten zwischen 


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Zweites Buch, 12. Kapitel. 


227 


Galiläern und Samaritern. Bei dem Dorfe Gema 1 näm- 
lich, das in der grossen Ebene von Samaria liegt, war 
einer der vielen nach Jerusalem zum Feste reisenden 
Juden, ein Galiläer, ermordet worden. Aus diesem An- 
lass rotteten sich eine Menge Galiläer zusammen, um 
den Samaritern ein Treffen zu liefern. Die vornehmsten 
Männer aus Samaria aber begaben sich zu Cumanus 
und baten ihn, nach Galilaea zu kommen und die Ur- 
heber des Mordes zu bestrafen ; denn nur auf diese 
Weise sei es möglich, die Menge zum Auseinandergehen 
zu bewegen und den Kampf zu verhüten. Cumanus 
indes nahm, da er gerade dringende Geschäfte zu er- 
ledigen hatte, auf das Gesuch zunächst keine Rück- 
sicht und liess die Bittsteller unverrichteter Sache heim- 
kehren. 

4. Die Kunde von der Mordthat aber rief auch zu 
Jerusalem allgemeine Aufregung hervor, und alsbald 
liess die Menge von der Festfeier ab und stürmte ohne 
Anführer und ohne den obrigkeitlichen Personen, die 
sie von dem Wagnis abhalten wollten, Folge zu leisten, 
auf Samaria zu. Unterwegs stellten sich an die Spitze 
des aufrührerischen und auf Raub ausgehenden Haufens 
Eleazar, der Sohn des Dinaeus, und ein gewisser Alex- 
ander, welche nun über die der Toparchie Akrabatta 
zunächst wohnenden Samariter herfielen, alles ohne Unter- 
schied des Alters niedermetzelten und die Dörfer in 
Brand steckten. 

5. Da brach Cumanus mit einer Abteilung Reiter, 
den sogenannten Sebastenern, von Caesarea auf, um den 
Bedrängten zu Hilfe zu eilen, nahm eine beträchtliche 
Anzahl der Leute Eleazars gefangen und machte die 
meisten von ihnen nieder. Zu der übrigen Menge aber, 
die zur Bekriegung der Samariter ausgezogen war, be- 
gaben sich in Eile die angesehensten Männer von Jeru- 
salem in Trauergewändern, das Haupt mit Asche be- 
streut, und beschworen sie, heimzukehren und nicht durch 


1 J . A. XX, 6, 1 heisst das Dorf Ginaea. 



228 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


ihren Rachezug gegen die Samariter die Römer gegen 
Jerüsalem aufzureizen. Sie möchten sich doch ihres 
Vaterlandes, des Tempels, ihrer eigenen Weiber und 
Kinder erbarmen und nicht um eines einzigen Galiläers 
willen alles aufs Spiel setzen. Diesen Vorstellungen 
gaben die Juden nach und gingen auseinander. Viele 
von ihnen aber verlegten sich in der Hoffnung, unent- 
deckt zu bleiben, auf das Räuberhandwerk, und so ge- 
hörten bald im ganzen Lande Räubereien und unter den 
Entschlosseneren auch Empörungsversuche zu den all- 
täglichen Ereignissen. Aus diesem Anlass machten sich 
die einflussreichsten Samariter nach Tyrus zu Ummidius 
Quadratus, dem Statthalter von Syrien, auf und baten 
ihn, doch gegen die Verwüster des Landes einschreiten 
zu wollen. Ausser den Samaritern hatten übrigens auch 
die vornehmsten Juden samt dem Hohepriester Jonathas, 
dem Sohne des Ananus, sich eingefunden und erklärten 
nun, die erste Veranlassung zu den Unruhen hätten aller- 
dings die Samariter durch die Ermordung des Galiläers 
gegeben, an dem weiteren Verlauf aber sei Cumanus 
schuld, weil er es unterlassen habe, die Urheber des 
Mordes zur Strafe zu ziehen. 

6. Quadratus vertröstete nun beide Teile durch die 
Zusage, wenn er einmal in die Gegend komme, alles 
genau untersuchen zu wollen. Als er bald darauf nach 
Caesarea kam, liess er alle Empörer, die Cumanus 
lebendig gefangen genommen hatte, ans Kreuz schlagen. 
Von da begab er sich nach Lydda, wo er die Samariter 
nochmals verhörte. Hierauf liess er achtzehn Juden, 
die, wie er erfuhr, am Kampfe sich beteiligt hatten, 
herbeiholen und mit dem Beile hinrichten. Zwei andere 
einflussreiche Männer aber, sowie die Hohepriester Jona- 
thas und Ananias samt dem Sohne des letzteren, Ananus, 
und noch einigen anderen vornehmen Juden sandte er 
zugleich mit den angesehensten Samaritern zum Caesar. 
Dann befahl er dem Cumanus und dem Tribun Celer, 
sich nach Rom einzuschiffen, um vor Claudius wegen 
des Vorgefallenen Rechenschaft abzulegen. Nachdem 



Zweites Buch, 12. Kapitel. 


229 


er diese Anordnungen getroffen hatte, reiste er von Lydd a 
nach Jerusalem, kehrte aber, da er sich überzeugte, 
dass das Volk in aller Ruhe das Fest der ungesäuerten 
Brote feierte, alsbald nach Antiochia zurück. 

7. Bei dem Verhör, welches der Caesar zu Rom mit 
Cumanus und den Samaritern anstellte, war auch Agrippa 
zugegen und trat eifrig zu gunsten der Juden ein, weil 
Cumanus ebenfalls viele mächtige Fürsprecher hatte. 
Schliesslich erklärte der Caesar die Samariter für schuldig 
und liess drei ihrer vornehmsten Männer hinrichten, 
während er den Cumanus mit Verbannung bestrafte. 
Den Celer aber schickte er in Fesseln nach Jerusalem, 
wo er den Juden zur Peinigung überantwortet, durch 
die Stadt geschleppt und dann enthauptet werden 
sollte. 

8. Hierauf 1 ernannte der Caesar den Bruder des 
Pallas, Felix, 2 zum Landpfleger von Judaea, Galilaea, 
Samaria und Peraea. Den Agrippa aber versetzte er 3 
von Chalkis in ein grösseres Königreich, indem er ihm 
die ehemalige Tetrarchie des Philippus, nämlich Tracho- 
nitis, Batanaea und Gaulanitis verlieh; auch fügte er 
noch die Herrschaft des Lysanias und das ehemalige 
Gebiet des Varus 4 hinzu. Nach einer Regierung von 
dreizehn Jahren, acht Monaten und zwanzig Tagen starb 
der Caesar Claudius 5 und hinterliess als Thronerben den 
Nero, den er infolge der Intriguen und Zauberkünste 
seiner Gemahlin Agrippina dazu bestimmt hatte, obwohl 
er von seiner früheren Gemahlin Messalina einen leib- 
lichen Sohn Britannicus hatte. Seine Tochter Octavia, 
gleichfalls von der Messalina, hatte er mit Nero ver- 


1 52 n. Chr. 

2 Der auch Apostelgeschichte 23 — 25 erwähnt wird. Vergleiche 
weiterhin über ihn Tacitus, Annalen XII, 54. 

3 53 n. Chr. 

4 Gemeint ist hier nicht etwa die von Varus verwaltete Provinz 
Syrien , sondern eine ihrer Lage nach unbekannte Privatbesitzung 
dieses Statthalters. 

5 54 n. Chr. 



2.10 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

mählt. Ausserdem war ihm noch eine andere Tochter 
mit Namen Antonia geboren worden, und zwar von der 
Petina. 


Dreizehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XX, 8, 3 — 8, 7. 

Weiteres von Nero, Agrippa und Felix. 

Die Sikarier und der falsche Prophet aus Aegypten. 

Unruhen in Caesarea. 

1. Wie Nero im Taumel seines Glückes und Reich- 
tums frevelnd dem Schicksal trotzte, wie er der Reihe 
nach seinen Bruder, seine Gattin und seine Mutter mordete, 
wie alsdann seine Grausamkeit sich gegen die edelsten 
Männer richtete, und wie er endlich in seinem Wahnsinn 
auf die Bühne und ins Theater sich verirrte, will ich, 
da es allbekannte Dinge sind, hier nicht weiter berühren 
und mich zu den Begebenheiten wenden, die unter seiner 
Regierung bei den Juden sich ereigneten. 

2. Zum Könige von Kleinarmenien ernannte er Ari- 
stobulus, den Sohn des Herodes, 1 und zu dem König- 
reiche des Agrippa fügte er noch vier Städte mit ihren 
Gebieten hinzu, nämlich Abila 2 und Julias in Peraea, 
Taricheae und Tiberias in Galilaea. Den übrigen Teil 
Judaeas unterstellte er dem Landpfleger Felix. Dieser 
nahm den Räuberhauptmann Eleazar, der zwanzig Jahre 
lang das Land verheert hatte, samt vielen seiner Spiess- 
gesellen gefangen und sandte sie nach Rom. Weiterhin 
liess er eine Menge Räuber ans Kreuz schlagen und 
viele Bürger, die mit ihnen gemeinsame Sache gemacht 
hatten, ebenfalls hinrichten. 


1 Von Chalkis. 

2 Nicht das am Libanon gelegene Abila, das Agrippa ja schon 
besass, sondern Abila auf der Ostseite des Jordan gegenüber Jericho 
(s. IV, 7, 6). 


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Zweites Buch, 13. Kapitel. 


231 


3. Nachdem das Land auf diese Weise gesäubert 
war, machte sich in Jerusalem eine andere Art von 
Banditen bemerklich, die man Sikarier 1 nannte. Sie 
begingen am hellen Tage und mitten in der Stadt 
Mordthaten, mischten sich besonders an Festtagen unter 
das Volk und erstachen ihre Gegner mit kleinen Dolchen, 
die sie unter ihrer Kleidung versteckt trugen. Stürzten 
ihre Opfer zu Boden, so beteiligten sich die Mörder an 
den Kundgebungen des Unwillens und waren um dieses 
ihres unbefangenen Benehmens willen gar nicht zu fassen. 
Der erste, der von ihnen erdolcht wurde, war der Hohe- 
priester Jonathas, 2 und in der Folgezeit häuften sich die 
Mordthaten von Tag zu Tag derart, dass die Furcht vor 
ihnen mehr Entsetzen verbreitete als die Unglücksfalle 
selbst, indem wie in der Schlacht niemand auch nur 
einen Augenblick vor dem Tode sicher war. Schon von 
fern witterte man Feinde, ja selbst den Freunden, denen 
man begegnete, traute man nicht mehr, und doch kamen 
trotz aller argwöhnischen Vorsicht immer neue Mord- 
anfälle vor — so gross war die Gewandtheit der Banditen 
und ihre Fertigkeit, sich unsichtbar zu machen. 

4. Gleichzeitig mit diesen Elenden kam eine andere 
Rotte von Bösewichtern auf, deren Hände zwar reiner, 
deren Gesinnungen aber noch ruchloser waren als die 
der Sikarier, und die nicht weniger als diese das Glück 
der Stadt untergraben halfen. Es waren dies Verführer 
und Betrüger, die unter dem Vorwand göttlicher Sendung 
auf Umwälzung und Aufruhr hinarbeiteten und das 
Volk zu religiöser Schwärmerei hinzureissen suchten, 
indem sie es in die Wüste lockten T als ob Gott ihnen 
dort durch Wunderzeichen ihre Befreiung ankündigen 
würde. 3 Felix, der in diesen Vorgängen den Keim der 


1 Von den kleinen krummen Dolchen (sicae), die sie führten (s. 
J. A. XX, 8, 10). 

2 Wie aus J. A. XX, 8, 5 hervorgeht, auf Anstiften des Felix. 

3 Vergl. hierzu die Warnungen des Heilandes bei Matthaeus 
(24, 4; 5; 26). 


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232 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Empörung erkannte, liess Reiterei und Fussvolk gegen 
die Menge ausrücken und viele niedermetzeln. 

5. Eine noch schlimmere Plage für die Juden war 
der falsche Prophet aus Aegypten. Es war nämlich ein 
Betrüger ins Land gekommen, der sieh das Ansehen 
eines Propheten verschafft und gegen dreissigtausend 
Betrogene um sich gesammelt hatte. Mit diesen zog er 
aus der Wüste auf den sogenannten ölberg, von wo er 
mit Gewalt in Jerusalem einzudringen gedachte. Weiter- 
hin beabsichtigte er dann die römische Besatzung zu 
überwältigen und sich zum Beherrscher des Volkes auf- 
zuwerfen, wobei er die Genossen seiner Unternehmung 
als Leibwache gebrauchen wollte. 1 Felix indes vereitelte 
den Plan, indem er dem Betrüger mit römischen Schwer- 
bewaffneten entgegen rückte, unterstützt vom ganzen Volke, 
das an der Gegenwehr teilnahm. Gleich nach Beginn 
des Treffens machte sich der Aegyptier mit wenigen 
Begleitern davon, 2 während die meisten seiner Anhänger 
niedergemacht wurden oder in Gefangenschaft gerieten. 
Der Rest zerstreute sich, und jeder suchte sich in seiner 
Heimat zu verbergen. 

6. Kaum war dieser Schaden beseitigt, so brach wie 
an einem kranken Körper die Entzündung anderswo 
wieder hervor. Die Betrüger und Räuber nämlich thaten 
sich jetzt zusammen, verleiteten viele Juden zum Abfall 
und reizten sie zum Befreiungskämpfe auf. Wer die 
römische Oberhoheit anerkannte, den bedrohten sie mit 
dem Tode, und offen sprachen sie es aus, dass die, 
welche freiwillig die Knechtschaft auf sich nähmen, mit 
Gewalt zur Freiheit geführt werden müssten. Trupp- 
weise verteilten sie sich demgemäss ins Land, plünderten 
die Besitzungen der Grossen, mordeten die Eigentümer 
und äscherten die Dörfer ein, sodass ganz Judaea unter 


1 Vergl. hierzu J. A. XX, 8, 6. 

* Für den entkommenen Aegyptier scheint der in der Apostel- 
geschichte (21, 38) erwähnte römische Hauptmann den Apostel 
Paulus gehalten zu haben. 


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Zweites Buch, 13. Kapitel. 


233 


ihren Frevelthaten zu leiden hatte und der Krieg von 
Tag zu Tag heftiger entbrannte. 

7. Unruhen anderer Art entstanden in Caesarea, in- 
dem die syrischen Bewohner der Stadt mit ihren jüdischen 
Mitbürgern in Zwist gerieten. Letztere nämlich be- 
haupteten, die Stadt gehöre ihnen, weil ein Jude, der 
König Herodes, ihr Erbauer gewesen sei. Die Syrer 
ihrerseits gaben wohl zu, dass ein Jude Caesarea ge- 
gründet habe, nahmen aber die Stadt selbst als Eigen- 
tum der Griechen in Auspruch: denn hätte Herodes sie 
für die Juden bestimmt, so würde er wohl keine Stand- 
bilder und Tempelgebäude in ihr errichtet haben. 
Darüber entbrannte der Streit, und endlich stieg die Er- 
bitterung so gewaltig, dass man zu den Waffen griff 
und tagtäglich die Kühnsten von jeder Partei zum Kampfe 
hervortraten. Denn einerseits vermochten die Ältesten 
der Juden die Heisssporne ihrer Gemeinde nicht mehr 
im Zaum zu halten, und anderseits kam es den Griechen 
schimpflich vor, sich von den Juden an Mut übertreffen 
zu lassen. An Reichtum und Körperkraft waren die 
Juden überlegen, die Griechen aber dadurch, dass die 
Truppen zu ihnen hielten; denn der grösste Teil der 
dort liegenden römischen Streitmacht bestand aus Syrern, 
die den Griechen als Stammesgenossen beizustehen stets 
bereit waren. Die Befehlshaber gaben sich übrigens 
alle Mühe, die Unruhen im Keime zu ersticken, indem 
sie die Kampflustigsten auf beiden Seiten jedesmal 
festnehmen Hessen und sie mit Geisselung und Ein- 
kerkerung bestraftem Das Schicksal der Verhafteten 
aber, weit entfernt, den übrigen Mässigung oder Furcht 
beizubringen, machte diese nur noch erbitterter und 
aufrührerischer. Als eines Tages die Juden Sieger 
geblieben waren, erschien Felix auf dem Marktplatz 
und befahl ihnen unter Drohungen, sich zurückzuziehen; 
da sie sich aber weigerten , der Aufforderung nachzu- 
kommen, liess er eine Truppenabteilung anrücken, 
zahlreiche Juden niedermetzeln und ihre Habe der 
Plünderung preisgeben. Trotzdem dauerten die Reibereien 



234 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


fort, bis endlich Felix die angesehensten Männer von 
jeder Partei aus wählte und sie als Gesandte an Nero 
schickte, vor dessen Richterstuhl sie ihre Händel aus- 
tragen sollten. 


Vierzehntes Kapitel. 

Vergl. Jüdische Altertümer XX, 8,9 — 9, 7. 

Von den Landpflegem Festus, Albinus und Gessius 
Florus. Letzterer treibt durch seine Grausamkeit die Juden 
9 zum Kriege. 

1. Festus, der nun das Landpflegeramt erhielt, 1 schritt 
sogleich nachdrücklich gegen die allgemeine Landplage 
ein, indem er die meisten Räuber aufgreifen und eine 
beträchtliche Anzahl derselben hinrichten liess. Sein 
Nachfolger Albinus 2 aber führte die Verwaltung in ganz 
anderem Geiste als er; denn keine Schändlichkeit gab 
es, die er nicht verübt hätte. Nicht genug, dass er die 
öffentlichen Kassen bestahl, eine Menge Privatleute ihres 
Vermögens beraubte und das ganze Volk mit Abgaben 
belastete — er gab auch noch die, welche von ihrer 
Obrigkeit oder den früheren Landpflegem wegen 
Räubereien eingekerkert worden waren, ihren Verwandten 
gegen Lösegeld frei, und nur wer nicht zahlen konnte, 
blieb als Übelthäter im Gefängnis. Jetzt wuchs auch 
den Umstürzlern in Jerusalem wieder der Mut: die 
Reichen brachten den Albinus durch Bestechung auf 
ihre Seite, sodass sie, unbehelligt von ihm, den Aufruhr 
schüren konnten, und das niedere Volk, dem die Ruhe 
nicht gefiel, hielt sich zu denen, die mit Albinus gemein- 
same Sache gemacht hatten. Jeder Böse wicht hatte bald 
eine eigene Rotte um sich gesammelt, während Albinus 
unter allen wie ein Räuberhauptmann oder Tyrann her- 
vorragte und mit Hilfe seiner Anhänger die friedliebenden 

» Gl n. Ohr. 

2 G3 u. Chr. 



Zweites Buch, 14. Kapitel. 


235 


Bürger brandschatzte. Ja, es kam so weit,, dass die 
Geplünderten, anstatt, wie es richtig gewesen wäre, ihrer 
Entrüstung Ausdruck zu geben, nicht den Mund auf- 
zuthun wagten, und dass die, welche bislang verschont 
geblieben waren, aus Furcht vor ähnlicher Misshandlung 
dem Unhold sogar noch schmeichelten. Ein freies Wort 
zu sprechen getraute sich überhaupt niemand mehr, und 
die Herrschaft nicht eines einzigen, sondern einer ganzen 
Menge Tyrannen Hess man sich ruhig gefallen. Damals 
wurde der Same ausgestreut, aus dem das Verderben der 
Stadt in Bälde erwachsen sollte. 

2. Gleichwohl erschien Albinus noch als Muster von 
Rechtschaffenheit im Vergleich zu seinem Nachfolger 
Gessius Florus. 1 Während nämlich der erstere die 
meisten seiner Schandthaten wenigstens noch im ge- 
heimen und mit einer gewissen Vorsicht verübte, trug 
Gessius seine Frevel gegen das Volk prahlerisch zur 
Schau und schreckte, wie wenn er als Henker zur Be- 
strafung Verurteilter gesandt worden wäre, vor keiner 
Art von Raub und Misshandlung zurück. In seiner 
Grausamkeit kannte er kein Mitleid, in seiner Ruch- 
losigkeit keine Scham, und noch nie hat jemand so wie 
er die Wahrheit in Lug und Trug verkehrt oder 
schlauere Mittel zur Erreichung seiner verbrecherischen 
Absichten zu ersinnen gewusst. An der Habe einzelner 
sich zu bereichern , hielt er nicht für der Mühe wert ; 
dagegen raubte er ganze Städte aus und richtete ganze 
Gemeinwesen zu Grunde. Ja, es fehlte nicht viel, so 
hätte er im Lande ausrufen lassen , es stehe jedem frei, 
Räubereien zu verüben , wofern nur er selbst einen Teil 
von der Beute mitbekäme. Ganze Bezirke wurden 
durch seine Habsucht entvölkert, und gar viele ver- 
liessen die Wohnsitze ihrer Väter und flüchteten sich in 
fremde Provinzen. 2 

3. So lange nun Cestius Gallus in der von ihm ver- 


1 64 n. Chr. 

2 Hier endigen die ,, Altertümer“ des Josephus. 



236 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


walteten Provinz Syrien weilte, getraute sich niemand, 
Gesandte an ihn zu schicken, um Florus zu verklagen. 
Als er aber kurz vor dem Fest der ungesäuerten Brote 
nach Jerusalem kam, umringten ihn nicht weniger als 
drei Millionen 1 Juden, die ihn flehentlich baten, sich der 
schlimmen Lage des Volkes zu erbarmen, und unter 
lautem Geschrei Florus als die Geissei des Landes be- 
zeichneten. Florus, der selbst anwesend war und neben 
Cestius stand, erwiderte diese Anklagen mit höhnischem 
Lachen; Cestius aber beschwichtigte die Menge durch 
das Versprechen, den Florus milder stimmen zu wollen, 
und kehrte nach Antiochia zurück. Um ihm Sand in 
die Augen zu streuen, gab Florus ihm bis Caesarea das 
Geleit, suchte aber dann voll Erbitterung die Juden in 
einen förmlichen Krieg zu verwickeln, durch den allein 
er seine Schandthaten verdecken zu können meinte. So 
lange nämlich Friede war, hatte er stets zu gewärtigen, 
dass die Juden ihn beim Caesar verklagen würden; 
brachte er aber eine Empörung zuwege, so konnte er 
vielleicht hoffen, durch das grössere Übel ihre Aufmerk- 
samkeit von den kleineren abzulenken. So drangsalierte 
er denn das Volk mit jedem Tage mehr, um ihm die 
römische Oberherrschaft möglichst verhasst zu machen. 

4. Unterdessen hatten auch die Griechen zu Caesarea 
es bei Nero durchgesetzt, dass sie als Herren der Stadt 
anerkannt wurden, und erschienen nun mit der Urkunde, 
die diese Entscheidung verbriefte. Damit nahm der 
Krieg seinen Anfang im zwölften Jahre von Neros Re- 
gierung und im siebzehnten der Königsherrschaft des 
Agrippa, und zwar im Monat Artemisios. 2 Die Grösse 


1 Diese ungeheure Zahl erscheint nicht übertrieben, wenn man be- 
denkt, dass nach der Vorschrift des Gesetzes jeder männliche Israelit 
vom 13. Lebensjahre an alljährlich zu den Hauptfesten (Paschafest, 
Wochen- oder Pfingstfest und Laubhüttenfest) ,.vor dem Herrn er- 
scheinen/* d. h. im vorliegenden Falle: nach Jerusalem pilgern 
musste (s. Mos. II, 23, 17; 34, 23 und besonders V, 16, 16). 

2 Josephus gebraucht stets den syro-macedonisehen Kalender, zu 
dessen Erklärung folgendes vergleichende Verzeichnis der Monats- 
namen dienen möge (wegen der durch das hebr. Schaltjahr, das drei- 



Zweites Buch, 14. Kapitel. 


237 


der Leiden freilich, die aus ihm entsprangen, stand zu 
der näheren Veranlassung in gar keinem Verhältnis. 
Die Juden von Caesarea nämlich hatten eine Synagoge 
auf einem Platz, der einem griechischen Einwohner der 
Stadt gehörte. Zu wiederholten Malen hatten sie ver- 
sucht, den Platz käuflich zu erwerben, und einen Preis 
dafür geboten, der den wahren Wert sehr überstieg. Der 
Eigentümer indes kümmerte sich nicht um ihr Anliegen, 
errichtete vielmehr, um sie zu ärgern, auf dem Platze 
Gebäulichkeiten, in denen er Werkstätten unterbrachte, 
sodass für die Juden nur ein enger, höchst unbequemer 
Eingang übrig blieb. Zuerst machten einige jugendliche 
Hitzköpfe Anstalt, den Bau zu hindern ; als aber Florus 
ihrem Ungestüm Einhalt that, wussten die vermögenderen 
Juden, denen auch der Zollpächter Joannes sich an- 
schloss, keinen anderen Rat, als dem Florus acht Talente 
anzubieten, damit er den Bau untersage. Florus ver- 
sprach, um das Geld zu bekommen, alles thun zu wollen ; 
kaum aber hatte er es in Händen, als er von Caesarea 
nach Sebaste reiste und die Streitenden ihre Sache allein 
ausmachen liess, als wenn er den Juden die Erlaubnis, 
zu den Waffen zu greifen, verkauft hätte. 

5. Am folgenden Tage, einem Sabbat, stellte, während 
die Juden in der Synagoge versammelt waren , ein 

zehn Monate hat, öfters stattfindenden Verschiebung ist freilich die 
Übereinstimmung nur eine annähernde): 


Syro- Rom isch 


Heb räisch 

mace don isch 

Attisch bezw. Deutsch 

Nisan 

Xanthikos 

Munychion 

April 

Ijar 

Artemisios 

Thargelion 

Mai 

Siwan 

Daisios 

Skirrhophorion 

Juni 

Tamuz 

Panemos 

Hekatombaion 

Juli 

Ab 

Loos 

Metageitnion 

August 

Elul 

Gorpiaios 

Boedromion 

September 

Tischri 

Hyperberetaios 

Pyanepsion 

Oktober 

Marcheschwan 

Dios 

Maimakterion 

November 

Kislev 

Appellaios 

Poseideon 

Dezember 

Tebet 

Audynaios 

Gamelion 

Januar 

Schwat 

Peritios 

Antkesterion 

Februar 

Adar I (und im 

Dystros 

Elaphebolion 

März 


Schaltjahr A dar II) 


Go gle 


Ul'lfVERSITY'OF C/MJFORNlA 



238 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


händelsüchtiger Einwohner von Caesarea einen um- 
gekehrten Topf vor den Eingang der Synagoge und 
opferte Vögel. 1 Das versetzte die Juden in gewaltige 
Wut; denn in dieser Handlungsweise lag ebensowohl 
eine Verhöhnung ihrer Gesetze als eine Verunreinigung 
des Ortes. Während nun die ruhigeren und besonneneren 
Juden der Meinung waren, man solle sich noch einmal 
an die Behörden wenden, vermochten die leidenschaft- 
lichen und heissblütigen jungen Leute ihre Streitlust 
nicht mehr zu unterdrücken. Die Händelsüchtigen von 
der Gegenpartei standen übrigens auch schon kampf- 
gerüstet da, denn sie hatten das Opfer absichtlich ver- 
anstalten lassen. So kam es denn alsbald zum Hand- 
gemenge. Der römische Reiteroberst Jucundus, der den 
Auftrag hatte, die Ruhe wiederherzustellen, nahm den 
Topf weg und versuchte dem Streit ein Ende zu machen. 
Da er aber gegen die Caesareer nichts ausrichtete, holten 
die Juden eiligst ihre Gesetzbücher und zogen sich nach 
Narbata, einem jüdischen, sechzig Stadien von Caesarea 
entfernten Orte zurück. Nun begaben sich Joannes und 
zwölf der vornehmsten Juden nach Sebaste zu Florus, 
drückten ihr Bedauern über das Vorgefallene aus und 
baten ihn um seinen Beistand, indem sie ihn so neben- 
bei an die acht Talente erinnerten. Er aber liess die 
Abgeordneten ins Gefängnis werfen, weil sie — das 
sollte ihr Vergehen sein — die Gesetzbücher aus Caesarea 
mitgenommen hätten. 

6. Diese Vorgänge versetzten die Bewohner Jerusalems 
in gewaltige Erbitterung; doch hielten sie ihren Zorn 
einstweilen noch zurück. Florus aber fachte, wie wenn 
er sich dazu verdungen hätte, die Kriegsflamme absicht- 
lich an. Er schickte nämlich nach dem Tempelschatz 
und liess siebzehn Talente daraus entnehmen unter dem 
Vorwand, der Caesar habe das Geld nötig. Darob all- 

i Die hierin liegende Beleidigung ergiebt sich aus Mos. III, 14, 4: 
Aussätzige hatten ein solches Opfer darzubringen , wenn sie rein 
wurden. Die Juden sollten somit als aussätzig hingestellt werden 
(vergl. hierzu: Josephus, Gegen Apion, I, 26 f. und J. A. 111,11,4). 



Zweites Buch, 14. Kapitel. 


239 


gemeine Bestürzung im Volke: alsbald strömte es unter 
durchdringendem Geschrei in den Tempel, rief den 
Namen des Caesars an und flehte um Befreiung von der 
Tyrannei des Florus. Einige aus der Menge stiessen 
die ärgsten Schmähungen gegen letzteren aus, gingen 
mit einem Gefäss umher und bettelten um Almosen 
„für den armen, unglücklichen Florus“ Das alles aber, 
weit entfernt, seiner Geldgier ein Ziel zu setzen, reizte 
ihn nur noch zu weiteren Erpressungen. Anstatt näm- 
lich nach Caesarea zu eilen, das dort ausbrechende 
Kriegsfeuer zu löschen und die Ursache der Streitig- 
keiten hinwegzuräumen, wofür er ja auch bezahlt worden 
war, brach er mit Reiterei und Fussvolk nach Jerusalem 
auf, um seinen Forderungen durch die Waffen der Römer 
Nachdruck zu geben und die Stadt durch Drohungen in 
Schrecken zu jagen. 

7. Um seinen Groll im voraus zu beschwichtigen, ging 
das Volk den Soldaten mit bewillkommnenden Zurufen 
entgegen und traf Anstalten, auch Florus selbst aufs 
ehrenvollste zu empfangen. Der aber schickte den 
Centurio Capito mit fünfzig Reitern voraus und liess 
ihnen befehlen, sich heimzuscheren. Sie brauchten jetzt 
keine freundliche Gesinnung gegen den zu heucheln, den 
sie früher so schändlich geschmäht hätten. Wenn sie 
echte Männer seien und eine freimütige Sprache nicht 
scheuten, so sollten sie ihn auch in seiner Gegenwart 
verspotten und ihre Freiheitsliebe nicht nur mit Worten, 
sondern auch mit den Waffen in der Hand beweisen. 
Im selben Augenblick sprengten auch schon Capitos 
Reiter in die Menge hinein, die nun vor lauter Schrecken 
auseinanderstob , noch ehe sie Florus begrüsst und den 
Soldaten ihre unterwürfige Gesinnung hatte begreiflich 
machen können. Alles zog sich sodann in die Häuser 
zurück und verbrachte die Nacht in Zittern und 
Jagen. 

8. Florus aber, der im Königspalast abgestiegen war, 
liess sich am folgenden Tage vor demselben auf einem 
Richterstuhl nieder, worauf die Hohepriester, die Grossen 



240 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


und überhaupt der vornehmere Teil der Bürgerschaft 
sich einfanden und vor dem Richterstuhl Aufstellung 
nahmen. Er verlangte nun von ihnen die Auslieferung 
derer, die ihn beschimpft hätten, und drohte ihnen, sie 
selbst zur Strafe zu ziehen, wofern sie ihm die Schul- 
digen nicht vorfuhrten. Sie dagegen wiesen auf die 
friedliche Stimmung des Volkes hin und erbaten Ver- 
zeihung für die, welche in ihren Reden zu weit gegangen. 
Es sei nicht zu verwundern , wenn in einer so grossen 
Menschenmenge auch einige Schreier und jugendlich un- 
besonnene Leute sich fanden; unmöglich aber sei es, die 
Schuldigen zu ermitteln, da alle ihren Sinn geändert 
hätten und aus Furcht vor Strafe sich aufs Leugnen 
verlegen würden. Florus möge daher dem Volke den 
Frieden und den Römern die Stadt zu erhalten suchen 
und deshalb lieber um der vielen Unschuldigen willen 
den wenigen Schuldigen verzeihen, als wegen einiger 
Böse wich ter den gutgesinnten grösseren Teil des Volkes 
in Gefahr bringen. 

9. Diese Vorstellungen entfachten jedoch erst recht 
seinen Zorn, sodass er den Truppen zuschrie, sie sollten 
den sogenannten oberen Markt plündern und jeden, der 
ihnen in den Weg käme, niederstossen. Dieser Befehl 
ihres Herrn kam den beutegierigen Soldaten sehr ge- 
legen, und sie plünderten nun nicht bloss den ihnen 
angewiesenen Stadtteil aus, sondern stürmten auch in 
jedes beliebige Haus hinein und mordeten die Bewohner. 
In den engen Gassen drängten sich die Fliehenden; wer 
ergriffen wurde, konnte seines Todes gewiss se^n, und 
keine Art von Räuberei gab es, die nicht verübt worden 
wäre. Eine Menge friedliebender Bürger wurden fest- 
genommen und zu Florus geschleppt, der sie schmählich 
geissein und dann kreuzigen liess. Die Gesamtzahl der 
an diesem einen Tage Umgekommenen einschliesslich 
der Weiber und Kinder — denn nicht einmal die Un- 
mündigen wurden verschont — belief sich auf etwa 
dreitausendsechshundert. Was das Unglück aber noch 
schwerer machte, war eine bis dahin bei den Römern 


Go gle 


jiN][vigsitf#f c aejföRMi, 



Zweites Buch, 1 5. Kapitel. 


241 


unerhörte Grausamkeit ; denn Florus erkühnte sich, was 
keiner seiner Vorgänger gewagt hatte, Männer von 
ritterlichem Stande , die zwar ihrer Abstammung nach 
Juden waren, aber eine römische Würde bekleideten, 
vor dem Richterstuhl geissein und ans Kreuz schlagen 
zu lassen. 1 


Fünfzehntes Kapitel. 

Berenikes Fürsprache zu gunsten der Juden. 

Florus facht den kaum erloschenen Aufruhr wieder an. 

1. Um diese Zeit war der König Agrippa nach 
Alexandria gereist, um dem Alexander, 2 der von Nero 
mit der Verwaltung Aegyptens betraut worden war, 
hierzu Glück zu wünschen. Seine Schwester Berenike 
aber war damals gerade in Jerusalem anwesend und 
musste nun die Greuelthaten der Soldaten mit ansehen. 
Von innigem Mitleid ergriffen, sandte sie zu wiederholten 
Malen ihre Reiteroffiziere und Leibwächter zu Florus 
mit der Bitte, er möge doch dem Morden Einhalt ge- 
bieten. Aber weder die grosse Zahl der Getöteten noch 
die edle Abkunft der Fürsprecherin vermochte ihn zu 
zu rühren; er sah vielmehr nur auf den Gewinn, den 
die Plünderungen ihm- eintrugen, und liess ihre Bitten 
völlig unbeachtet. Ja, die Wut der Soldaten richtete 
sich sogar gegen die Königin 3 selbst; denn nicht nur 
marterten und töteten sie die Gefangenen vor Bere- 
nikes Augen, sondern sie würden auch sie selbst ums 
Leben gebracht haben, wenn sie sich nicht schleunigst 
in den Königspalast geflüchtet hätte, wo sie aus Furoht 
vor einem Überfall seitens der Soldaten die ganze Nacht 

1 Die Kreuzigung als supplicium servile durfte gegen römische 
Bürger und Ritter nicht angewendet werden. 

2 Tiberius Alexander, dem ehemaligen Landpfleger von Judaea 
(s. 11, 6 und 12, 1). 

3 Sie war nämlich in erster Ehe mit dem König Herodes von 
Chalkis, in zweiter mit dem König Polemon von Cilicien vermählt 
gewesen (s. J. A. XX, 7, 3). 

JoeephuB, Jüdischer Krieg. 1 G 



242 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


unter dem Schutz einer Wache zubrachte. Der Zweck 
ihres damaligen Aufenthaltes in Jerusalem war die Er- 
füllung eines dem Herrn abgelegten Gelübdes. Es ist 
nämlich Sitte, dass Juden, die von einer schweren Krank- 
heit oder sonst einem Unglück heimgesucht worden sind, 
dreissig Tage lang, bevor sie die Opfer darbringen, dem 
Gebet obliegen, sich des Weines enthalten und ihr 
Haupthaar scheren. In der Erfüllung eines solchen 
Gelübdes begriffen, erschien Berenike damals barfuss als 
Bittstellerin vor dem Richterstuhl des Florus, erfuhr 
aber nicht nur eine unehrerbietige Behandlung, sondern 
geriet auch obendrein noch in Lebensgefahr. 

2. Das geschah am sechzehnten des Monats Arte- 
misios. Am nächsten Tage strömte das Volk in grosser 
Erregung auf dem oberen Markt zusammen und be- 
jammerte unter lautem Klagegeschrei die Gemordeten, 
während zugleich der Hass gegen Florus sich in argen 
Verwünschungen Luft machte. Voll Besorgnis darüber 
zerrissen die Vornehmen und die Hohepriester 1 ihre 
Kleider, fielen einzelnen Männern aus dem Volke zu 
Füssen und beschworen sie, inne zu halten und den 
Florus nicht soweit zu reizen, dass er den bisherigen 
Quälereien noch weitere Grausamkeiten hinzufüge. Als- 
bald beruhigte sich denn auch die Menge, teils aus 
Ehrfurcht vor den Bittenden, teils in der Hoffnung, 
Florus werde nun keine Ungerechtigkeiten mehr be- 
gehen. 

3. Dem Landpfleger jedoch kam das Erlöschen des 
Aufruhrs sehr ungelegen, und er sann daher auf Mittel, 
ihn wieder anzufachen. In dieser Absicht beschied er 
die Hohepriester sowie die angesehensten Bürger zu sich 
und eröffnete ihnen, er könne nur dann überzeugt sein, 
dass die Juden nicht mehr an Empörung dächten, wenn 
sie den von Caesarea heranrückenden Truppen zur 
Begrüssung entgegenzögen. Es waren nämlich zwei 

1 Diesen Titel führten ausser dem amtierenden Hohepriester auch 
dessen Stellvertreter sowie diejenigen Personen, welche früher ein- 
mal die Würde bekleidet hatten. 



Zweites Buch, 15. Kapitel. 


243 


Kohorten im Anmarsch. Während nun die Genannten das 
Volk zusammenriefen , liess er durch vorausgeschickte 
Boten den Centurionen der Kohorten sagen, sie sollten 
ihren Leuten befehlen, die Begrüssung seitens der Juden 
durch nichts zu erwidern und, wenn sie unwillige Reden 
über ihn hörten , von ihren Waffen Gebrauch zu 
machen. Mittlerweile hatten die Hohepriester das Volk 
iin Tempel versammelt und es ermahnt, den Römern 
ruhig entgegenzuziehen und, um ein Unglück zu ver- 
hüten, die Kohorten freundlich zu empfangen. Davon 
aber wollten die Empörungslustigen nichts wissen, und 
was die grosse Masse betraf, so neigte sie unter dem 
noch frischen Eindruck des Gemetzels sich bedenklich 
auf die Seite der Tollkühnen. 

4. In diesem kritischen Augenblick erschienen die 
sämtlichen Priester und Diener Gottes, die heiligen 
Geräte vor sich hertragend und mit dem Schmucke an- 
gethan, den sie beim Gottesdienst zu tragen pflegten, 
ferner die Kithara - Spieler und die Chorsänger mit ihren 
Instrumenten, fielen nieder und flehten das Volk an, 
ihnen doch den Besitz des heiligen Schmuckes zu sichern 
und die Römer nicht zur Wegnahme der gottgeweihten 
Kleinodien zu reizen. Die Hohepriester selbst sah man 
das Haupt mit Asche bestreut und mit entblösster Brust, 
da sie ihre Kleider zerrissen hatten. Sie beschworen 
die einzelnen Vornehmen unter Nennung ihres Namens 
und das Volk im ganzen, doch nicht durch Unterlassung 
einer unbedeutenden Förmlichkeit ihre Vaterstadt denen 
preiszugeben, die sie zu verwüsten trachteten. „Können 
denn/* so frugen sie, „die Soldaten etwa einen besonderen 
Vorteil von der Begrüssung haben , die ihr ihnen bieten 
sollt? Oder wird vielleicht dadurch, dass ihr euch 
weigert, ihnen entgegenzuziehen, das geschehene Unglück 
ungeschehen gemacht? Empfanget also eurer Gewohn- 
heit gemäss die Truppen recht freundlich; denn auf 
diese Weise werdet ihr dem Florus jeden Anlass zum 
Kriege nehmen, eure Vaterstadt vor dem Untergang 
bewahren und euch vor weiteren Misshandlungen sichern. 



244 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Ohnedem verrät es ja eine grosse Unbesonnenheit, wenn 
ihr von den wenigen unruhigen Köpfen euch leiten 
lasst, anstatt, wie es sich bei eurer grossen Anzahl 
gehört, ihre Zustimmung zu euren Beschlüssen zu er- 
zwingen“ 

5. Durch diese Worte beschwichtigten sie nicht nur 
die Menge selbst, sondern sie brachten auch die Empörer 
teils durch Drohungen, teils durch ihre ehrfurcht- 
gebietende Haltung zum Schweigen. Ruhig und in 
festlichem Schmuck zog nun das Volk den Soldaten 
entgegen und begrüsste sie , als sie näher gekommen 
waren. Da aber der Giuss nicht erwidert wurde, fingen 
die Unruhigen an, über Florus zu schimpfen. Damit 
war das Zeichen zum Losschlagen gegeben: im nu 
hatten die Soldaten die Juden umzingelt und hieben 
mit Knitteln auf sie ein, und wer sich zur Flucht 
wandte, wurde von den Reitern verfolgt und von den 
Hufen der Rosse zertreten. Viele erlagen den Schlägen 
der Römer, aber noch weit grösser war die Zahl derer, 
die von ihren eigenen Landsleuten zu Tode gedrückt 
wurden. Fürchterlich war das Drängen an den Thoren: 
jeder suchte vor dem anderen hereinzu kommen, wodurch 
allen die Flucht erschwert wurde und die, welche zu 
Boden stürzten, auf grauenvolle Weise umkamen. Er- 
stickt nämlich und von der Menge derer, die auf sie 
traten, zerquetscht, wurden sie so unkenntlich, dass nie- 
mand mehr die Seinigen auch nur zum Zwecke des Be- 
gräbnisses herauszufinden vermochte. Zugleich mit den 
Fliehenden drangen auch die Soldaten in die Stadt ein, 
unablässig auf alle losschlagend, die sie erreichen konnten, 
und suchten das Volk in den Bezetha genannten Stadt- 
teil zu treiben, um es so zur Seite zu drängen 
und sich des Tempels und der Burg Antonia zu be- 
mächtigen. In der nämlichen Absicht war auch Florus 
mit seiner Streitmacht aus dem Königspalast herbeigeeilt 
und suchte nun an die Festung heranzukommen. Der 
Anschlag misslang indes, denn auf einmal wandte sich 
das Volk, hielt dem Angriff stand und schoss, über die 



Zweites Buch, 16. Kapitel. 


245 


Dächer verteilt, auf die Römer hinab. Da diesen aber 
die aus der Höhe kommenden Geschosse arg zusetzten, 
und sie übrigens auch zu schwach waren, um die in den 
engen Gassen sich aufstauende Menschenmasse zu durch- 
brechen, zogen sie sich in ihr Lager nahe beim Königs- 
palast zurück. 

6. Die Aufrührer konnten sich nun der Besorgnis 
nicht erwehren, Florus möchte bei einem abermaligen 
Angriff den Tempel von der Antonia aus in seine Ge- 
walt bekommen. Sie eilten daher alsbald hinauf und 
rissen die Säulenhallen nieder, welche den Tempel mit 
der Burg verbanden. Das kühlte die Habsucht des 
Florus ab : es hatte ihn nämlich nach den Gottesschätzen 
gelüstet, und darum hatte er die Antonia zu erreichen 
gesucht; nun aber die Hallen abgebrochen waren, ent- 
hielt er sich des Angriffs. Er beschied sodann die Hohe- 
priester samt dem Rate zu sich und erklärte ihnen, er 
wolle die Stadt verlassen und ihnen eine Besatzung in 
der Stärke, die sie wünschten, zurücklassen. Darauf 
versprachen sie, für die Ruhe und Sicherheit der Stadt 
einstehen zu wollen, wenn er ihnen eine einzige Kohorte 
dalasse, jedoch nicht die, welche eben gekämpft habe; 
denn über diese sei das Volk wegen der erlittenen Ver- 
luste erbittert. Diesem Verlangen entsprechend, gab er 
ihnen eine andere Kohorte und kehrte mit den übrigen 
Truppen nach Caesarea zurück. 


Sechzehntes Kapitel. 

Cestius schickt den Neapolitanus zur Untersuchung der 
letzten Vorgänge nach Jerusalem. Rede des Königs 
Agrippa an die Juden. 

1. Um nun dem Kriegsfeuer neuen Brennstoff zuzu- 
führen, sandte Florus an Cestius einen Bericht, in welchem 
er lügenhafterweise die Juden des Abfalls beschuldigte, 
ihnen vorwarf, dass sie den Kampf angefangen, und 
ihnen zur Last legte, das gethan zu haben, was sie viel- 



246 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


mehr von den Römern erlitten hatten. Anderseits 
schwiegen aber auch die obrigkeitlichen Personen in 
Jerusalem nicht still, sondern schilderten gemeinschaft- 
lich mit Berenike dem CestiuB in einem Schreiben das 
aller Gerechtigkeit Hohn sprechende Verfahren deB Florus 
gegen die Stadt. Als Cestius von den beiderseitigen 
Berichten Kenntnis genommen hatte, beriet er sich mit 
seinen Offizieren, was zu thun sei. Einige von diesen 
waren der Meinung, Cestius solle mit einem Heere nach 
Jerusalem auf brechen, um die Stadt für den Abfall zu 
züchtigen, wenn ein solcher wirklich stattgefunden habe, 
oder aber die Juden, falls sie treu geblieben, in dieser 
Gesinnung zu bestärken. Ihm selbst indes schien es 
geratener, zunächst einen seiner Freunde hinzusenden, 
der den Stand der Dinge untersuchen und über die 
Stimmung der Juden zuverlässigen Bericht erstatten 
sollte. Mit dieser Aufgabe betraute er einen seiner 
Tribunen, Neapolitanus, der bei Jamnia mit dem aus 
Alexandria heimkehrenden König Agrippa zusammen- 
traf und ihm den Namen seines Auftraggebers sowie den 
Zweck seiner Sendung mitteilte. 

2. Ebendaselbst fanden sich auch die Hohepriester 
und. Vornehmen der Juden samt dem Rate ein, um dem 
König ihre Aufwartung zu machen. Und nachdem sie 
ihre Huldigung dargebracht, klagten sie ihre Not und 
schilderten ausführlich die Grausamkeit des Florus. So 
sehr nun Agrippa darüber in Unwillen geriet, liess er 
doch mit berechnender Klugheit seinen Zorn gegen die 
Juden aus, mit denen er innerlich Mitleid empfand. Es 
lag nämlich in seiner Absicht, ihren Stolz zu demütigen 
und sie durch die Meinung, als hätten sie ihre Leiden 
selbst verschuldet, von Rachegedanken abzubringen. In 
der That erkannten sie als gebildete und schon mit 
Rücksicht auf ihren eigenen Besitz friedliebende Männer 
sehr wohl, wie gut des Königs Vorwürfe gemeint waren. 
Nun aber kam auch das niedere Volk von Jerusalem 
Agrippa und Neapolitanus etwa sechzig Stadien weit 
entgegengezogen, um sie zu begrüssen, allen voran unter 


Go gle 



Zweites Buch, 16 . Kapitel. 


247 


lauten Wehklagen die Weiber der Gemordeten. Alsbald 
stimmte die gesamte Menge in deren Jammergeheul ein 
und flehte Agrippa um seinen Beistand an; dem Neapo- 
litanus aber klagten sie laut die vielen Misshandlungen, 
die Florus ihnen zugefügt, und zeigten ihm wie dem 
Könige nach dem Einzug in die Stadt den verödeten 
Marktplatz und die zerstörten Häuser. Dann Hessen 
sie durch Agrippa den Neapolitanus bereden, mit nur 
einem Diener die ganze Stadt bis zur Siloaquelle zu 
durchwandern, damit er sich überzeuge, dass die Juden 
in allen anderen Stücken sich fügten und nur gegen 
Florus wegen dessen m assloser Grausamkeit aufgebracht 
seien. Als er nun die ganze Stadt begangen und hin- 
reichende Beweise für die friedliche Gesinnung der 
Bürger gefunden hatte, stieg er zum Tempel hinauf. 
Dorthin liess er dann auch das Volk zusammenrufen, 
erteilte ihm wegen seiner Treue gegen die Römer reiches 
Lob, ermahnte es eindringlich zu friedlichem Verhalten 
und kehrte, nachdem er, soweit ihm dies gestattet war, 
dem Tempel Gottes seine Verehrung bezeugt hatte, zu 
Cestius zurück. 

8. Nach seiner Abreise wandten sich die Juden an 
den König und die Hohepriester mit der Bitte, den 
Florus durch eine Gesandtschaft bei Nero verklagen zu 
lassen, weil nichts geeigneter sei, sie in den Verdacht 
des Abfalls zu bringen, als wenn sie zu den vielen 
Mordthaten Stillschweigen würden. Falls sie nämlich 
den, der zuerst mit Waffengewalt vorgegangen sei, nicht 
schleunigst namhaft machten, werde es den Anschein 
gewinnen, als hätten sie selbst es gethan. Dass unter 
diesen Umständen von Erhaltung der Ruhe beim Volk 
nicht die Rede sein konnte, wenn die Gesandtschaft 
unterblieb, war klar. Agrippa aber sah wohl ein, dass 
er sich durch Zulassung der Anklage gegen Florus 
Feindschaft zuziehen würde, und da er anderseits auch 
von dem Wiederauflodern der Kriegsflamme unter den 
Juden keinen Vorteil für sich erwarten konnte, berief 
er das Volk nach dem durch eine Brücke mit dem Tempel 



248 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


verbundenen Xystos 1 , stellte seine Schwester so neben 
sich, dass sie von jedermann gesehen werden konnte, 
und hielt vor dem Palast der Asamonäer, welcher 
über dem Xystos an der Grenze der Oberstadt lag, 
folgende Rede: 

4. „Wenn ich sähe, dass ihr allesamt auf Krieg mit 
den Römern drängtet, und nicht vielmehr überzeugt 
wäre, dass der lauterste und edelste Teil des Volkes 
entschlossen ist, Frieden zu halten, so würde ich nicht 
vor euch hintreten und es wagen, euch meinen Rat anzu- 
bieten. Denn überflüssig ist ja jedes Wort hinsichtlich 
dessen, was man thun soll, wenn sämtliche Zuhörer sich 
schon zum voraus auf einen verderblichen Entschluss 
geeinigt haben. Da es sich aber hierbei entweder um 
junge ungestüme Leute handelt, die des Krieges Drang- 
sale noch nicht aus Erfahrung kennen, oder um solche, 
die teils von unvernünftiger Hoffnung auf Freiheit ge- 
trieben werden, teils auch von Habgier und der Er- 
wartung, bei dem allgemeinen Wirrwarr die Schwächeren 
ausbeuten zu können, so erachtete ich es für notwendig, 
euch alle hier zu versammeln und zu sagen, was nach 
meiner Ansicht am geeignetsten ist, einerseits jene Toll- 
kühnen zur Ernüchterung und Umkehr zu bringen und 
anderseits die Gutgesinnten davor zu bewahren, dass sie 
von einigen Unbesonnenen ins Verderben gerissen werden. 
Unterbreche mich aber niemand, wenn er etwas hört, 
das ihm nicht gefällt. Denn wer den Aufruhr um jeden 
Preis will, dem steht es ja frei, auch nach meiner Er- 
mahnung bei seiner Gesinnung zu verharren; dagegen 
geht, wenn nicht alle ruhig bleiben, mein Wort auch für 
diejenigen verloren, die es gern hören möchten. — Ich 
weiss, dass gar viele übertreiben, wenn es sich um Klagen 
über die Ungerechtigkeit der Landpfleger oder um Lob- 
reden auf die Freiheit handelt. Bevor ich nun erörtere, 
was ihr selbst seid und was die sind, mit denen ihr 
Krieg zu führen beabsichtigt, will ich zunächst die Ver- 


1 Versammlungsplatz am äussersten Nordostende des Zion. 


Go gle 



Zweites Buch, 16. Kapitel. 


249 


wirrung, die in betreff der V orwände zum Kriege herrscht, 
zu lösen suchen. Wenn ihr euch nämlich nur der Per- 
sonen erwehren wollt, die euch drangsalieren, wozu preist 
ihr dann die Freiheit? Kommt es euch aber überhaupt 
unerträglich vor, dass ihr einen Herrn über euch habt, 
so ist der Tadel gegen die Landpfleger ganz überflüssig ; 
denn dieselben mögen noch so massvoll sein, die Unter- 
würfigkeit bleibt doch nicht weniger schimpflich. Geht 
ihr nun die einzelnen Punkte der Reihe nach durch, 
wie geringfügig erscheint da die Veranlassung zum Kriegei 
Was zunächt die Klagen über die Landpfleger angeht, 
so muss man den Machthabern huldigen, nicht aber ihren 
• Zorn erregen, und wenn ihr kleine Vergehen mit heftigen 
Schimpfworten erwidert, so thut ihr das nur zu eurem 
eignen Nachteil; denn nicht mehr insgeheim und mit 
einer gewissen Scheu fügen sie euch Schaden zu, 
sondern offen richten sie euch zu Grunde! Nichts ver- 
mag den Schlägen so sicher Einhalt zu thun, als wenn 
sie geduldig ertragen werden, und die ergebene Ruhe der 
Misshandelten wandelt gar oft den grausamen Sinn der 
Peiniger. Gesetzt aber auch, die von den Römern ge- 
schickten Beamten seien unverbesserlich hart, so bedrücken 
euch ja weder die Römer in ihrer Gesamtheit, noch der 
Caesar, und diese sind es doch, gegen die ihr Krieg 
führen wollt. Und wird auch einmal zufällig ein ruch- 
loser Mensch als Landpfleger geschickt, so hat er doch 
jedenfalls keinen Auftrag, sich nun auch ruchlos zu be- 
nehmen. Übrigens kann man im Westen unmöglich 
sehen, was hier im Osten vor sich geht, wie ja um- 
gekehrt Nachrichten von uns nur schwer dorthin ge- 
langen. Es ist daher widersinnig, um eines Mannes 
willen viele, um kleiner Ursachen willen ein so mäch- 
tiges Volk bekriegen zu wollen, das nicht einmal weiss, 
worüber wir zu klagen haben. Immerhin muss doch 
auch die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass 
unseren Beschwerden einmal schnelle Abhilfe zu teil 
würde; zunächst nämlich wird nicht ein und derselbe Land- 
pfleger beständig bei uns bleiben, und dann ist es auch 


Go gle 



250 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sehr wahrscheinlich, dass als seine Nachfolger Männer 
von milderer Sinnesart kommen werden. Ist aber der 
Krieg einmal im Gange, so geht es nicht ohne grosse 
Verluste ab, mag man ihn nun beendigen oder weiter- 
führen wollen. — Um nun von der Freiheit zu reden, 
so ist es jetzt nicht an der Zeit, nach ihr zu verlangen. 
Früher hätte man darum kämpfen sollen, sie nicht zu 
verlieren; denn der erste Druck der Knechtschaft ist 
hart, und gerecht der Kampf gegen sie, wenn sie noch 
erst droht. Wer aber, nachdem er einmal unterjocht ist, 
wieder abfällt, ist ein eingebildeter Sklave und kein 
freiheitliebender Mann. Ja , damals hätte man alles 
auf bieten sollen, die Römer nicht hereinzulassen, als • 
Pompejus zuerst das Land betrat. Damals vermochten 
unsere Vorfahren und deren Könige, die an Geldmitteln, 
Streitkräften und persönlichem Mut euch weit überlegen 
waren, selbst einem kleinen Teil der römischen Heeres- 
macht nicht standzuhalten; und ihr, die ihr die Knecht- 
schaft gewissermassen als Erbteil empfangen habt und an 
Hilfsmitteln euren Ahnen, die sich zuerst der römischen 
Oberhoheit fügten, unendlich nachsteht, wollt jetzt gegen 
das ganze grosse römische Reich euch auf lehnen? Schaut 
auf die Athener: sie haben einst für die Freiheit Griechen- 
lands ihre Stadt den Flammen preisgegeben, haben den 
übermütigen Xerxes, der auf dem Lande zu Schiffe fuhr 
und über das Meer zu Fuss ging, dessen Reich keine 
Grenzen kannte und für dessen Heer Europa nicht Raum 
genug bot, verfolgt, als er auf einem einzigen Schiffe 
entfloh, und bei der kleinen Insel Salamis jene gewaltige 
asiatische Macht gebrochen — und doch sind sie jetzt 
den Römern unterthan, und die Stadt, die einst an der 
Spitze Griechenlands stand, wird jetzt durch Befehle 
regiert, die von Italien kommen. Die Lakedaemonier 
ferner, die ihr Thermopylae, Plataeae und einen Agesilaos, 
den Erschliesßer Asiens, hatten, mussten sich dieselben 
Herren gefallen lassen. Und die Macedonier, die noch 
immer von Philippos träumen und ihn sehen, wie er mit 
Alexander die Keime eines Weltreiches ausstreute, fügen 



Zweites Buch, 16. Kapitel. 


251 


sich dem Umschwung und huldigen den Machthabern, 
denen das Glück sich zugewandt hat. Auch unzählige 
andere Völkerschaften, die von noch höherem Freiheits- 
drang beseelt sind, gehorchen dem Scepter der Römer. 
Ihr allein erachtet es für eine Schande, denen unter- 
worfen zu sein, die den Erdkreis in ihrer Gewalt haben. 
Wo ist denn das Heer, wo sind die Waffen, die euch 
dieses Selbstvertrauen einflössen? Und wo ist die Flotte, 
die die Meere der Römer besetzen soll, wo sind die 
Geldmittel, mit denen ihr eure Unternehmungen bestreiten 
wollt? Meint ihr etwa, es seien Aegyptier oder Araber, 
gegen die ihr das Schwert zu ziehen im Begriffe steht? 
Bedenkt ihr denn nicht, was es heisst: das römische 
Reich ? Habt ihr keinen Massstab für eure eigene 
Schwäche? Wurde nicht euer Land schon oftmals von 
den Nachbarvölkern unterjocht? Die Macht der Römer 
dagegen beherrscht siegreich die Erde; ja selbst über 
deren Grenzen hinaus dehnten sie ihr Reich aus. Denn 
nicht genügte ihnen mehr der ganze Euphrat im Osten, 
im Norden der Ister, 1 im Süden Libyen, das sie bis zur 
Wüste durchzogen, undGadira 2 im Westen, sondern jen- 
seits des Ocean suchten sie eine neue Welt, und ihre 
Adler trugen sie bis zu den vormals unbekannten Bri- 
tannen. Und ihr, seid ihr denn reicher als die Gallier, 
tapferer als die Germanen, klüger als die Griechen und 
zahlreicher als alle Völker des Erdkreises ? Was giebt 
euch den Mut, gegen die Römer anzugehen ? Es ist eben, 
werdet ihr sagen, etwas drückendes um die Knechtschaft. 
Wie viel drückender aber muss sie den Griechen sein, 
die für das edelste Volk unter der Sonne gelten und 
ein so ausgedehntes Land bewohnen! Und doch ge- 
horchen sie den sechs Stäben 3 der Römer ! Ebendasselbe 
thun auch die Macedonier, die sicherlich mehr Recht 
hätten als ihr, nach Unabhängigkeit zu streben. Und 


1 Die heutige Donau. 

3 Oder Gades (jetzt Cadiz) in Spanien. 

3 Den Rutenbündeln (fasces) der Liktoren. 


Go gle 



252 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

nun vollends die fünfhundert Städte Asiens, huldigen 
sie nicht dem einen Herrn und den Stäben der Konsuln, 
und das ohne die geringste römische Besatzung? Nicht 
reden will ich von den Heniochen und Kolchern und 
dem Volke der Taurer, von den Anwohnern des Bos- 
porus und den Stämmen am Pontus und am See 
Maeotis , 1 die früher nicht einmal von einheimischen 
Herrschern etwas wussten, jetzt aber von dreitausend 
Schwerbewaffneten im Zaum gehalten werden, während 
vierzig Kriegsschiffe in dem einst unfahrbaren, unge- 
stümen Meere den Frieden schirmen. Mit wie grossem 
Recht könnten Bithynien, Kappadocien und das pam- 
phylische Volk, die Lykier und Cilicier Anspruch auf 
Unabhängigkeit erheben — und doch zahlen sie ihre 
Steuern, ohne durch Waffengewalt dazu gezwungen zu 
sein. Die Thraker, die ein Land bewohnen fünf Tage- 
reisen breit und sieben lang, ein Land, das viel rauher 
und unzugänglicher ist als das eurige und durch seine 
grimmige Kälte den Angreifer abschreckt — gehorchen 
sie nicht einer Besatzung von zweitausend Römern ? Die 
Illyrier ferner, deren Gebiet bis nach Dalmatien und an 
den Ister sich erstreckt, fügen sie sich nicht der kleinen 
Truppe von zwei Legionen, die ihnen dazu auch noch 
die Angriffe der Daker abwehren hilft? Und die Dal- 
mater, die so oft und so hartnäckig ihre Freiheit ver- 
teidigten und nach jeder Niederlage immer wieder Kräfte 
zu neuen Aufständen sammelten, wie ruhig leben sie 
jetzt nicht unter einer einzigen Legion! Eher aber als 
alle übrigen Völker konnten doch sicher die Gallier den 
Abfall wagen, da ihr Land so starke natürliche Be- 
festigungen aufzuweisen hat: im Osten die Alpen, im 
Norden den Rheinstrom, im Süden das Pyrenaeische 
Gebirge und im Westen den Ocean. Obwohl sie indes 
durch solche Bollwerke geschützt sind, dreihundertund- 
fünf Stämme zählen, sozusagen alle Quellen des Wohl- 
standes in ihrem eigenen Lande besitzen und mit ihren 

1 Dem heutigen Asowschen Meer. 


Go gle 


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Zweites Buch, 16 . Kapitel. 


253 


Erzeugnissen fast die ganze Welt überschwemmen, lassen 
sie es sich doch gefallen, den Römern tributpflichtig zu 
sein, und finden nichts darin, dass dieselben über den 
Reichtum ihres Landes nach Belieben verfügen. Und 
das dulden sie nicht etwa, weil sie feige geworden oder 
sonst aus der Art geschlagen sind, da sie ja achtzig 
Jahre lang um ihre Unabhängigkeit gekämpft haben, 
sondern nur aus Scheu vor der Macht der Römer und 
deren Glück, dem sie ihre Erfolge noch mehr wie den 
Waffen verdanken. So genügt denn ein Häuflein von 
zwölfhundert Soldaten, um sie in Schranken zu halten, 
während sie fast mehr Städte in ihrem Lande haben. 
Weiter: den Iberern verhalf in ihrem Freiheitskampf 
weder das aus dem heimatlichen Boden gegrabene Gold 
zum Siege, noch die ungeheure Entfernung von den 
Römern zu Lande wie zu Wasser, noch die Kriegslust 
der Lusitaner und Kantabrer, noch der nahe Ocean mit 
seiner selbst den Eingeborenen furchtbaren Brandung. 
Denn über die Säulen des Herakles 1 hinaus drangen 
die Heere der Römer vor, bahnten sich auf den Höhen 
der Pyrenäen einen Weg durch die Wolken und unter- 
warfen sich auch diese weit entlegenen und schwer zu 
bekämpfenden Völkerschaften, die nun von einer einzigen 
Legion in Ruhe gehalten werden. Wer unter euch hat 
nicht schon von dem zahlreichen Volke der Germanen 
gehört? Ihre Stärke und Grösse habt ihr wohl schon 
oft Gelegenheit gehabt zu sehen, da ja die Römer überall 
Angehörige dieser Nation als Kriegsgefangene haben. 
Sie bewohnen ein ungeheures Gebiet, und noch grösser 
als ihre Körperkraft ist ihr Stolz. Einen Mut besitzen 
sie, der den Tod verachtet, und eine Gemütsart, die hef- 
tiger ist als die der wildesten Tiere. Und doch ist der 
Rhein jetzt die Grenzlinie ihrer Angriffe; von acht 
römischen Legionen bezwungen, werden sie als Gefangene 
zu Sklavendiensten verwendet, und die Masse des Volkes 
sucht ihr Heil in der Flucht Schaut auch auf die 


1 Kalpe und Abyla, das heutige Gibraltar. 


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254 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Mauer der Britannen, ihr, die ihr eure Hoffnung auf die 
Mauern Jerusalems setzt! Sie sind von den Fluten 
des Oceans geschützt und bewohnen eine Insel, die nicht 
kleiner ist als unser Land. Die Römer aber fuhren zu 
Schiffe hin und unteijocbten sie, und seitdem bilden vier 
Legionen die Besatzung der Insel. Doch was bedarf 
es noch vieler Worte, da ja selbst die überaus kriege- 
rischen Parther, die über eine ganze Reihe von Völker- 
schaften gebieten und ungeheure Streitkräfte besitzen, 
den Römern Geiseln schicken und man in Italien den 
Adel des Orients mit verhaltenem Grimm Sklavendienste 
thun sieht. Es beugen sich also fast sämtliche Völker 
des Erdkreises vor den Waffen der Römer; und da 
wollt ihr allein Krieg mit ihnen führen, ohne das Ende 
der Karthager zu bedenken, die sich des grossen Han- 
nibal und ihrer edlen Abkunft von den Phoeniciern 
rühmen konnten, gleichwohl aber dem starken Arme 
Scipios erlagen? Weder die Kyrenäer, in deren Adern 
lakedaemonisches Blut floss, noch die Marmariden, die 
bis weit in die wasserlose Wüste hinein wohnen, noch 
die Syrten, Nasamonen und Mauren, deren Namen allein 
schon Schrecken erregen, noch die zahllosen Horden 
der Nomaden 1 vermochten der Tapferkeit der Römer 
Widerstand zu leisten. So haben sie sich denn auch 
den ganzen dritten Erdteil , 2 dessen Völkerstämme nicht 
einmal leicht aufzuzählen sind, der vom Atlantischen 
Ocean und den Säulen des Herakles begrenzt ist und 
bis zum Roten Meere hin die zahllosen Aethiopen beher- 
bergt, unterworfen. Abgesehen davon, dass diese Völker- 
schaften jährlich eine Getreidemenge zu liefern haben, 
von der die Bevölkerung Roms acht Monate lang sich 
nährt, entrichten sie auch noch eine ganze Reihe weiterer 
Abgaben und steuern zu den Bedürfnissen des Reiches 
bereitwillig bei, ohne eine der Auflagen für entehrend 
zu halten wie ihr, obgleich nur eine einzige Legion bei 


1 D. i Numider. 

* Die Alten kannten nur drei Erdteile: Europa, fAsien, Afrika. 



Zweites Buch, 16. Kapitel. 


255 


ihnen eich auf hält. Wozu aber brauche ich euch an 
Beispielen aus der Ferne die Macht der Römer zu zeigen, 
da doch von ihr das nahe Aegypten Zeugnis giebt, das 
sich bis zu den Aethiopen und dem glücklichen Arabien 
erstreckt, an Indien grenzt und nach Ausweis der Kopf- 
steuer ungerechnet die Bewohner Alexandrias eine Be- 
völkerung von siebeneinhalb Millionen Menschen hat, 
gleichwohl aber sich nicht schämt, unter der Oberhoheit 
der Römer zu stehen. Und doch, welch starken Stütz- 
punkt für eine Aufstandsbewegung böte ihm die Stadt 
Alexandria wegen ihrer zahlreichen Bevölkerung, ihres 
Reichtums und ihrer ungeheuren Grösse. Denn die 
Stadt ist dreissig Stadien lang und nicht weniger als 
zehn Stadien breit; in einem Monat zahlt sie den Römern 
mehr Tribut wie ihr im ganzen Jahr, und ausserdem 
versieht sie auch noch Rom auf die Dauer von vier 
Monaten mit Getreide. Geschützt aber ist sie von allen 
Seiten, sei es durch unzugängliches Wüstenland, sei es 
durch hafenlose Meere, sei es durch Flüsse oder Sümpfe, 
Aber alles dies vermochte nichts gegen das Glück der 
Römer, und so halten heute zwei Legionen das weit aus- 
gedehnte Aegypten und den macedonischen Adel im 
Zaume. Wo wollt ihr also, da auf der Erde alles römisch 
ist, eure Bundesgenossen zum Kriege gegen die Römer 
hernehmen? Etwa aus der unbewohnten Wüste? Es 
liegt ja allerdings auch noch die Möglichkeit vor, dass 
den einen oder anderen von euch seine Gedanken über 
den Euphrat trügen und ihn Hilfe von seiten unserer 
Glaubensgenossen in Adiabene 1 erwarten Hessen. Aber 
sie werden sich in Ermangelung eines triftigen Grundes 
nicht in einen solchen Krieg verwickeln wollen, und 
wenn sie auch den verderblichen Entschluss fassten, 
würden die Parther ihn wohl nicht zur Ausführung 
kommen lassen; denn diese haben das grösste Interesse 
an der Aufrechterhaltung des mit den Römern ge- 
schlossenen Waffenstillstandes, und sie würden den Ver- 


1 Vergl. J. A. XX, 2. 


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256 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


trag zu verletzen glauben, wenn einer ihrer Unterthanen 
gegen die Römer zu Felde zöge. So bliebe denn also 
nichts übrig, als sich auf Gottes Hilfe zu verlassen. 
Aber auch er steht auf seiten der Römer; denn ohne 
Gott wäre es ihnen unmöglich gewesen, ein solches Reich 
zu errichten. Bedenket ferner, wie schwer es euch fallen 
würde, im Kampfe selbst mit schwächeren Feinden euren 
Gottesdienst genau nach Vorschrift zu halten. Gebote, 
deren Erfüllung euch in erster Linie den Beistand Gottes 
sichert, würdet ihr alsdann notgedrungen übertreten und 
euch dadurch sein Missfallen zuziehen. Wenn ihr näm- 
lich den Sabbat heilig halten wollt und euch zu keiner 
Arbeit bewegen lasst, so werdet ihr leicht unterliegen, 
wie eure Vorfahren deshalb von Pompejus überwältigt 
wurden, weil dieser die Belagerung vornehmlich an solchen 
Tagen eifrig betrieb, an denen die Belagerten feiern 
mussten. Übertretet ihr aber im Kriege das Gesetz 
eurer Väter, so weiss ich nicht, um was ihr eigentlich 
noch kämpfen wollt. Denn das soll ja gerade einzig 
und allein euer Streben sein , dass ihre eure väterlichen 
Gesetze vor dem Verfall bewahrt. Wie könnt ihr nun 
aber Gottes Beistand erflehen, wenn ihr mit Vorbedacht 
6eine Verehrung ausser acht lasst? Einen Krieg beginnt 
man stets im Vertrauen auf göttliche oder auf mensch- 
liche Hilfe; kann aber der Kämpfende weder auf die 
eine noch auf die andere rechnen, so ist er selbstver- 
ständlich dem Untergang verfallen. Was hindert euch 
übrigens, jetzt gleich eure Weiber und Kinder eigen- 
händig zu morden und diese unsere herrliche Vaterstadt 
in Brand zu stecken? Ihr handelt dann freilich wie 
Wahnsinnige, aber ihr werdet euch doch die Schmach 
einer Niederlage ersparen. Es ist wohlgethan, meine 
Freunde, sehr wohlgethan, so lange das Schiff noch im 
Hafen liegt, nach dem kommenden Sturm auszuschauen, 
anstatt mitten ins Unwetter hineinzufahren und so dem 
Untergang entgegenzutreiben. Denn wen ein unvorher- 
gesehenes Unglück trifft, dem bleibt doch wenigstens 
noch der Trost des Mitleids; wer aber dem offenen 



Zweites Buch, 16. Kapitel. 


257 


Verderben eich in die Arme wirft, den treffen obendrein 
auch noch Vorwürfe. Es wird doeh wohl niemand 
glauben, die Römer würden auf Bedingungen hin Krieg 
führen und, wenn sie euch besiegt haben, Milde walten 
lassen. Nein, sie werden vielmehr zur Warnung für 
andere Völker die heilige Stadt in Asche legen und euer 
ganzes Geschlecht ausrotten. Denn selbst deijenige von 
euch, dem es gelingen wird, dem Blutbad zu entrinnen, 
wird nirgends eine Zufluchtsstätte finden, da alle Völker 
entweder schon Unterthanen der Römer sind, oder fürchten 
müssen, es zu werden. Ferner wird die Gefahr nicht nur 
euch hier in Jerusalem treffen, sondern auch die jüdischen 
Bewohner anderer Städte; giebt es doch kein Volk auf 
Erden, unter dem nicht eine Anzahl eurer Stammes- 
genossen lebte. Sie alle wird der Feind um eurer Em- 
pörung willen hinschlachten, und infolge des unheilvollen 
Rates einiger wenigen wird in jeder Stadt jüdisches Blut 
in Strömen fliessen ; wer es aber vergiesst, wird straflos 
bleiben. Gesetzt indes den Fall , man würde euer 
schonen — wäre es da, bedenkt das wohl, nicht im 
höc'hsten Grade freventlich von euch gehandelt, wenn 
ihr gegen ein so menschlich gesinntes Volk die Waffen 
ergreifen würdet? Erbarmt euch also wenn nicht eurer 
Weiber und Kinder, so doch dieser eurer Hauptstadt 
und der heiligen Hallen ! §chonet diese geweihte Stätte, 
erhaltet euch den Tempel mit seinen Heiligtümern ! 
Denn auch diese werden die siegreichen Römer nicht 
unangetastet lassen, wenn man ihnen für die frühere 
Schonung derselben so wenig Dank gewusst hat. Ich 
aber rufe alles, was euch heilig ist, die Engel Gottes 
und unser gemeinsames Vaterland zu Zeugen an, dass 
ich nichts, was zu eurem Heile dient, unterlassen habe. 
Wenn ihr nun einen vernünftigen Entschluss fasst, 
werdet ihr wie ich in Frieden leben ; lasst ihr euch aber 
von eurem Ungestüm fortreissen, so mögt ihr allein ohne 
mich der Gefahr entgegenrennen.“ 

5. Nach diesen Worten brachen der König und seine 
Schwester in Thränen aus, wodurch es ihnen gelang, die 

Josephus, Jüdischer Erleg. 17 



258 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


aufwallende Volksleidenschaft grösstenteils zurückzu- 
drängen. Laut riefen nun die versammelten Juden, 
nicht die Römer seien es, gegen die sie Krieg führen 
wollten, sondern Florus, ihr Bedränger. Agrippa aber 
entgegnete ihnen: „Nach euren Thaten zu schliessen, seid 
ihr doch schon im Kriege mit den Römern begriffen; 
denn ihr habt dem Caesar die Abgaben nicht entrichtet 
und die Hallen der Antonir k niedergerissen. Den Vor- 
wurf des Aufruhrs könnt ihr also nur dadurch von euch 
abwälzen, dass ihr die Hallen wieder auf baut und die 
Steuern bezahlt. Dem Florus aber gehört die Burg 
nicht, und ebensowenig ist er es, dem ihr das Geld 
entrichten sollt.“ 


Siebzehntes Kapitel. 

Die Juden beginnen den Krieg gegen die Römer. 

Der Schriftgelehrte Manai'm. 

1. Hierdurch liess sich das Volk beruhigen, und 
alles eilte nun mit Berenike und dem König nach dem 
Tempel hinauf, um die Hallen wieder aufzubauen. Die 
Vorsteher aber und die Mitglieder des Rates verteilten 
sich auf die Dörfer und holten den Tribut ein, der denn 
auch bald in Höhe von vierzig Talenten — so viel war 
noch im Rückstand — beisammen war. So wusste 
Agrippa den drohenden Krieg noch aufzuhalten. Als 
er aber den Versuch machte, das Volk auch zum Ge- 
horsam gegen Florus zu bewegen, bis der Caesar einen 
anderen Landpfleger senden würde, geriet die Menge in 
Erbitterung, beschimpfte den König und liess ihm durch 
einen Herold sagen, er solle die Stadt verlassen; ja, 
einzelne der Aufrührer erfrechten sich sogar, mit Steinen 
nach ihm zu werfen. Da freilich musste Agrippa sich 
sagen, dass die Leidenschaft der Empörer nicht mehr 
zu bändigen sei. Er schickte nun die Vorsteher samt 
den angesehensten Juden nach Caesarea zu Florus, da- 
mit dieser aus ihrer Mitte die Steuereinnehmer für das 



Zweites Buch, 17. Kapitel. 


259 


Land ernenne, und kehrte selbst voll Unwillen über 
die ihm widerfahrene Beschimpfung in sein Königreich 
zurück. 

2. Unterdessen hatte sich eine [Anzahl derjenigen 
Juden, die um jeden Preis den Krieg wollten, zusammen- 
geschart und war gegen eine Festung mit Namen 
Masada aufgebrochen. Dort überrumpelten sie die 
römische Besatzung des Platzes, machten sie nieder und 
legten eine Abteilung ihrer eigenen Leute hinein. # Dra 
dieselbe Zeit geschah es, dass des Hohepriesters Ananias 
Sohn Eleazar, ein äusserst verwegener junger Mann, der 
damals die Tempel wache befehligte, an die dienst- 
thuenden Priester die Aufforderung richtete, keine Gaben 
oder Opfer mehr von Nichtjuden anzunehmen. Das war 
der| eigentliche Anfang des Krieges gegen die Römer; 
denn es lag hierin eine Zurückweisung des Opfers für 
die letzteren und den Caesar. So eindringlich nun auch 
die Hohepriester und die einflussreichsten Männer den 
Widerspenstigen zuredeten, die herkömmlichen Opfer für 
die römische Obrigkeit nicht zu unterlassen, waren die- 
selben doch nicht zur Nachgiebigkeit zu bewegen, ein- 
mal weil sie sich auf die grosse Zahl ihrer Anhänger 
verliessen, zu denen die rüstigsten der Empörer gehörten, 
dann aber auch und zwar vorzugsweise im Vertrauen 
auf Eleazar als den Befehlshaber der Tempel wache. 

3. Es traten nun die Vornehmen mit den Hohe- 
priestern und den angesehensten Pharisäern zusammen, 
um sich angesichts des drohenden Unheils über die 
Lage der Dinge zu beraten. Man beschloss, es mit einer 
Ansprache an die Empörungslustigen zu versuchen, und 
berief das Volk zu einer Versammlung an das eherne 
Thor, welches im inneren Tempelraum gegen Sonnen- 
aufgang lag. Nachdem hierauf die Redner mit heftigen 
Worten dargethan hatten, wie tollkühn es sei, an Ab- 
fall denken und das Vaterland in einen so schreck- 
lichen Krieg stürzen zu wollen, suchten sie die Nichtig- 
keit der Vorwände zum Kriege zu beweisen und führten 
dann weiter aus, wie ihre Vorfahren das Tempelgebäude 

17 * 


Go gle 



260 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


reichlich mit den von Ausländern gestifteten Geschenken 
verziert und stets die Gaben fremder Völker angenommen 
hätten. Auch hätten sie nicht nur niemand an der 
Darbringung von Opfern gehindert — denn das sei im 
höchsten Grade verwerflich — , sondern auch die Weih- 
geschenke, die man jetzt noch nach so langer Zeit im 
Inneren des Tempels sehen könne, dort aufgestellt. Sie 
aber, die Nachkommen, wollten jetzt, nur um die Römer 
zum Kampf herauszufordem und mit ihnen anzubinden, 
Neuerungen bezüglich des Gottesdienstes von Ausländern 
einführen, bedächten aber nicht, dass sie, ganz abgesehen 
von dem Gefährlichen ihres Beginnens, der Stadt auch 
noch den Ruf der Gottlosigkeit zuzögen, wenn bei den 
Juden allein ein Fremder weder opfern noch anbeten 
dürfe. Treffe jemand eine derartige Bestimmung einem 
Privatmann gegenüber, so würden sie das wohl als einen 
gewissermassen zum Gesetz erhobenen Verstoss gegen 
das Gebot der Menschenliebe ansehen und darüber in 
Aufregung geraten; jetzt aber, da es sich um Aus- 
schliessung der Römer und des Caesars von den Opfern 
handle, fänden sie nichts Unrechtes darin. Es stehe 
indes zu befürchten, dass infolge der Zurückweisung 
dieser Opfer gar bald auch ihre eigenen Opferhandlungen 
unmöglich gemacht und der Stadt der Rechtsschutz des 
Reiches entzogen würde, wenn sie sich nicht schleunigst 
eines besseren besännen, die Opfer darbrächten und die 
Beleidigung wieder gut machten, bevor sie den Be- 
leidigten zu Ohren gekommen sei. 

4. Während dieser Ansprache hatte man Priester 
herbeigeholt, die in den alten Gebräuchen besonders 
Bescheid wussten und nun auseinandersetzten, wie die 
Vorfahren jederzeit Opfer von Ausländern angenommen 
hätten. Darauf aber achtete niemand von den Auf- 
ständischen, und was die dienstthuenden Priester betraf, 
die jene den Krieg herauf beschwörende Mässregel durch- 
gesetzt hatten, so waren sie noch nicht einmal in der 
Versammlung erschienen. Da nun die Vornehmen 
merkten, dass die aufrührerische Bewegung ihnen bereits 



Zweites Buch, 17. Kapitel. 


261 


über den Kopf gewachsen war, suchten sie in der Be- 
sorgnis, die Römer möchten ihren Zorn zuerst an ihnen 
selbst auslassen, jede Schuld von sich abzuwälzen. Sie 
schickten deshalb sowohl an Florus als an Agrippa Ge- 
sandte, von denen die ersteren einen gewissen Simon, 
den Sohn des Ananias, zum Führer hatten, während 
unter den letzteren hervorragende Männer aus der Ver- 
wandtschaft des Königs, wie Saulus, Antipas und Kosto- 
bar, sich befanden. Die Gesandtschaften sollten darum 
bitten, dass Florus und Agrippa mit Heeresmacht gegen 
Jerusalem ziehen und den Aufruhr dämpfen möchten, 
bevor es zu spät sei. Für Florus konnte es natürlich 
nichts angenehmeres geben, als die Nachricht von den 
Unruhen, und so liess er in der Absicht, den Krieg zum 
Ausbruch zu bringen, die Gesandten einfach ohne jede 
Antwort. Agrippa aber, dem die Aufständischen nicht 
minder am Herzen lagen als die, gegen welche sie 
Krieg führen wollten, und der einerseits den Römern die 
Juden, anderseits den Juden ihren Tempel und ihre 
Hauptstadt zu erhalten bestrebt war, sah wohl ein, 
dass die Empörung auch ihm keinen Vorteil bringen 
könne, und schickte deshalb dreitausend Reiter aus 
Auranitis, Batanaea und Trachonitis unter Anführung 
des Obersten Darius und des Unterbefehlshabers Phi- 
lippus, Sohnes des Jakim, dem Volk zu Hilfe. 

5. Dadurch ermutigt, besetzten die Vornehmen mit 
den Hohepriestern und dem friedliebenden Teil des 
Volkes die obere Stadt; 1 denn die untere sowie der 
Tempelbezirk befanden sich in den Händen der Empörer. 
Unablässig wurden nun teils mit der Hand, teils mit 
der Schleuder Steine geworfen sowie eine Menge Pfeil- 
schüsse gewechselt Ab und zu machten auch einzelne 
Rotten Ausfälle und bekämpften sich aus der Nähe, 
wobei die Aufständischen an Kühnheit, die Königlichen 
an Kriegserfahrung sich überlegen zeigten. Letztere 
trachteten hauptsächlich danach, in den Besitz des 


1 S. Spiess, Jerusalem des Josephus, Seite 16fF. 



262 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Tempels zu gelangen, um die, welche das Heiligtum 
entweihten, daraus zu vertreiben; die Empörer unter 
Eleazar dagegen bemühten sich , ausser den Stadt- 
teilen, die sie bereits innehatten, auch noch die 
obere Stadt in ihre Gewalt zu bekommen. Sieben 
Tage lang floss hüben wie drüben viel Blut, ohne 
dass eine der beiden Parteien aus ihrer Stellung ge- 
wichen wäre. 

6. Am achten Tage, dem Feste des Holztragens, an 
welchem jedermann dem Brauche gemäss Holz für den 
Altar herbeizubringen pflegt, damit dem Feuer, das 
immerfort brennen soll, 1 die Nahrung nicht fehle, 
schlossen die Anhänger Eleazars ihre Gegner vom 
Gottesdienst aus. Da sich übrigens zugleich mit dem 
unbewaffneten Volk auch viele Sikarier — wie man 
die Banditen mit Dolchen im Gewände nennt — in den 
Tempel eingeschlichen hatten, nahmen sie mit deren 
Hilfe ihre Angriffe alsbald in verstärktem Masse wieder 
auf und drängten die Königlichen, die ihnen an Zahl 
und Entschlossenheit nachstanden, in kräftigem Ansturm 
aus der oberen Stadt hinaus, die sie nun selbst besetzten. 
Hierauf steckten sie das Haus des Hohepriesters Ana- 
nias sowie die Paläste des Agrippa und der Berenike 
in Brand und trugen das Feuer dann auch nach dem 
städtischen Archiv, um so rasch wie möglich die Schuld- 
urkunden zu vernichten und die Eintreibung der Aus- 
stände unmöglich zu machen. Dadurch zogen sie die 
grosse Menge derer, denen die Vernichtung der Urkunden 
zugute kam, auf ihre Seite und .wiegelten so die Besitz- 
losen gegen die Vermögenden auf. Die Anlegung des 
Feuers war ihnen übrigens so leicht gelungen, weil die 
Archivwache sich geflüchtet hatte. Nachdem sie auf 
diese Weise den Nerv der Stadt vernichtet hatten, zogen 
sie gegen die Feinde selbst los. Ein Teil der Vornehmen 
und der Hohepriester verbargen sich in den unterirdischen 
Gängen, während die anderen samt den königlichen 


Mos. III, 6, 12. 



Zweites Buch, 17. Kapitel. 


263 


Truppen sich in den oberen Palast 1 zurückzogen, dessen 
Thore sie eiligst hinter sich schlossen. Unter den 
letzteren befanden sich der Hohepriester Ananias, sein 
Bruder Ezekias und die Mitglieder der an Agrippa ge- 
schickten Gesandtschaft. Vorläufig Hessen nun die 
Aufständischen, zufrieden mit ihrem Sieg und der 
Wirkung der Feuersbrünste, eine kleine Pause ein- 
treten. 

7. Tags darauf aber, am fünfzehnten des Monats 
Loos, griffen sie die Antonia an, und nachdem sie die- 
selbe zwei Tage lang belagert hatten , machten sie die 
Besatzung nieder und steckten das Kastell in Brand. 2 
Hierauf rückten sie vor den Palast, in welchen die 
Königlichen sich geflüchtet hatten, teilten sich in vier 
Haufen und suchten die Mauer zu durchbrechen. An- 
gesichts der überaus zahlreichen Angreifer wagten die 
Eingeschlossenen keinen Ausfall, sondern verteilten sich auf 
den Brustwehren und Türmen, beschossen ihre Gegner 
und töteten eine Menge Banditen unter den Mauern. Bei 
Tage wie bei Nacht kämpfte man ohne Unterlass, die 
Empörer in der Hoffnung, die Besatzung aushungern zu 
können, die Königlichen hingegen in der Meinung, die 
Belagerer würden schliesslich vor Anstrengung ermatten. 

8. Unterdessen machte sich ein gewisser Mana'im, ein 
Sohn jenes streitbaren Schriftgelehrten Judas aus Gali- 
laea, der einst unter Quirin ius es den Juden zum Vor- 
wurf gemacht hatte, dass sie ausser Gott auch noch die 
Römer als Herren anerkännten, 3 mit einigen seiner Ver- 
trauten nach Masada auf, 4 erbrach hier das Zeughaus 


i D. h. den in der oberen Stadt gelegenen Königspalast des 
Herodes, in dessen Nähe sich nach II, 15, 5 ein römisches Truppen- 
lager befand. Letzteres muss übrigens in engster Verbindung mit 
dem Palast gestanden haben , da seine Besatzung , wie wir gleich 
unten (17, 8) erfahren, mit den Juden belagert wurde. 

8 Das aber wohl nur teilweise eingeäschert wurde, da es einige 
Zeit später dem Titus starken Widerstand leistete. 

3 S. II, 8, 1. 

4 Das sich übrigens nach 17, 2 bereits in den Händen der Em- 
pörer befand. 


Go gle 



264 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


des Königs Herodes, bewaffnete ausser seinen Lands- 
leuten auch noch fremde Räuber und kehrte mit dieser 
Rotte als seiner Leibwache wie ein König nach Jeru- 
salem zurück, wo er sich an die Spitze der Empörer 
stellte und die Leitung der Belagerung übernahm. Es 
fehlte indes an Maschinen, und offen die Mauer zu 
untergraben war wegen des Geschosshagels von oben 
nicht möglich. Die Belagerer gruben daher von einer 
entfernten Stelle aus auf einen der Türme hin einen 
unterirdischen Gang, sicherten ihn durch ein Holzgerüst 
vor dem Zusammenfallen, zündeten dann das Gerüst an 
und traten heraus. Sowie nun die Holzstützen verbrannt 
waren, stürzte der Turm augenblicklich ein. Jetzt aber 
zeigte sich nach innen zu eine zweite Mauer, die der 
äusseren gegenüber errichtet war. Die Belagerten hatten 
nämlich den Anschlag ihrer Feinde bemerkt — vielleicht 
weil der Turm, als er untergraben wurde, ins Schwanken 
geriet — und sich ein zweites Bollwerk hergestellt. Von 
diesem unerwarteten Anblick waren die Belagerer, die 
ihres Sieges schon sicher zu sein glaubten, aufs höchste 
betroffen. Auf einmal aber sandten die Eingeschlossenen 
zu Manaim und den Häuptern des Aufstandes und 
baten um freien Abzug, der denn auch den Königlichen 
und Einheimischen bewilligt wurde. Nachdem letztere 
nun wirklich abgezogen waren, bemächtigte sich der 
allein zurückgebliebenen Römer gewaltige Bestürzung, da 
sie gegen eine so grosse Überzahl nichts auszurichten 
vermochten ; um gütlichen Vergleich zu bitten aber 
hielten sie für schmachvoll, ganz abgesehen davon, dass 
sie nicht sicher sein konnten, ob man das gegebene 
Wort auch halten würde. Sie verliessen daher ihr Lager, 
das leicht zu erstürmen war, und flohen nach den könig- 
lichen 1 Türmen Hippikus, Phasael und Mariamne. 
Manaims Leute drangen nun in das verlassene Lager 
ein, machten alle, die noch nicht daraus entkommen 
waren, nieder und steckten es, nachdem sie sich des Ge- 


1 D. li. von Herodes dem König erbauten. 



Zweites Buch, 17. Kapitel. 


265 


päckes bemächtigt hatten, in Brand. Das geschah am 
sechsten des Monats Gorpiaios. 

9. Am folgenden Tage wurde der Hohepriester Ana- 
nias aus der Wasserleitung des Königspalastes, wo er 
sich verborgen hatte, hervorgeholt und mit seinem Bruder 
Ezekias von den Banditen umgebracht Die Auf- 
ständischen aber bewachten die Türme, damit kein Mann 
von der Besatzung derselben entweiche. Die Zerstörung 
der Befestigungen und der Tod des Hohepriesters Ana- 
nias trieb übrigens Manaim zu unsinniger Grausamkeit* 
und in dem Wahne, nun keinen Nebenbuhler in der 
Herrschaft mehr zu haben, ward er ein unerträglicher 
Tyrann. Eleazars Anhänger erhoben sich deshalb wider 
ihn, indem sie sich untereinander etwa folgendermassen 
aussprachen: Nachdem man aus Sehnsucht nach Frei- 
heit sich gegen die Römer aufgelehnt habe, dürfe man 
dieselbe jetzt nicht an einen Landsmann verlieren und 1 
sich die Tyrannei eines Menschen gefallen lassen, der, 
wenn er auch keine Gewalttaten verübe, doch weit 
unter ihnen stehe. Trete aber wirklich die Notwendig- 
keit ein, an die Spitze der Verwaltung einen einzelnen 
Mann zu berufen, so komme diese Würde jedem anderen 
eher als Manaim zu. Mit vereinten Kräften griffen sie 
ihn sodann im Tempel an, wohin er in prunkvollem 
Aufzug, angethan mit königlichem Gewände und gefolgt 
von einer Menge bewaffneter Anhänger, zur Verrichtung 
seiner Andacht sich begeben hatte. Als nun Eleazars 
Leute auf ihn eindrangen, beteiligte sich auch das 
übrige Volk an dem Angriff, raffte Steine zusammen 
und bewarf den Schriftgelehrten in der Meinung, wenn 
nur dieser erst aus dem Wege geräumt sei, werde der 
ganze Aufruhr ein Ende nehmen. Manaim und seine 
Leute hielten eine Zeitlang stand; als sie aber das 
gesamte Volk auf sich losstürmen sahen, floh jeder, 
wohin er konnte. Wer den Gegnern in die Hände fiel, 
wurde niedergemacht, und die Versteckten spürte man 
alsbald auf. Nur wenigen gelang es, unbemerkt nach 
Masada zu entkommen; unter diesen befand sich auch 


Go gle 



266 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


ein Verwandter Manalms, Eleazar, Sohn dej Jairus 
und nachmaliger Tyrann von Masada. 1 Manaim selbst, 
der nach dem sogenannten Ophla 2 geflohen war und sich 
dort feige verkrochen hatte , wurde kurz darauf ans 
Licht gezogen und unter schrecklichen Martern ums 
Leben gebracht, ebenso auch seine Unterbefehlshaber 
und das schlimmste Werkzeug seiner Tyrannei, Ab- 
salom. 

10. Das Volk hatte, wie bereits bemerkt, bei diesem 
Vorgehen in der Hoffnung mitgewirkt, den ganzen Auf- 
stand dadurch vielleicht beendigen zu können ; die 
anderen 3 hingegen verfolgten, indem sieManai'm stürzten, 
durchaus nicht den Zweck, den kriegerischen Unruhen 
ein Ziel zu setzen, sondern dachten dieselben nur noch 
eifriger zu schüren. Und obwohl das Volk sie dringend 
ersuchte, von der ferneren Belagerung der Soldaten Ab- 
stand zu nehmen , setzten sie den Römern nur um so 
ärger zu, bis endlich Metilius — so hiess der römische 
Befehlshaber — und seine Leute nicht länger Wider- 
stand zu leisten vermochten und daher an Eleazar die 
Bitte um eidliche Zusicherung freien Abzugs richten 
Hessen, wogegen sie ihre Waffen und ihre sonstige Habe 
auszuliefern versprachen. Nichts konnte den Anhängern 
Eleazars gelegener kommen, als dieses Gesuch, und so 
sandten sie Gorion, den Sohn des Nikomedes, Ananias, 
den Sohn des Sadduk, und Judas, den Sohn des Jona- 
thas, zu den Römern hin, um den Vergleich durch 
Handschlag und Eid zu bekräftigen. Hierauf zog 
Metilius mit den Seinen ab. So lange sie nun noch im 
Besitz ihrer Waffen waren, griffen die Aufständischen sie 
weder an , noch Hessen sie etwas von Verrat merken. 
Als aber dem Vertrage gemäss alle Römer ihre Schilde 
und Schwerter abgelegt hatten und arglos ihres Weges 
ziehen wollten, stürzten Eleazars Leute plötzlich auf sie 


1 S. VII, 7-9. 

2 Hügel im Südosten der Stadt. 

3 Nämlich Eleazars Anhänger. 



Zweites Buch, 18. Kapitel. 


267 


los, umzingelten sie und sti essen sie nieder, ohne dass 
die Angegriffenen Widerstand leisteten oder sich aufs 
Bitten verlegten ; nur auf den unter Eid abgeschlossenen 
Vertrag beriefen sie sich mit lauter Stimme. So wurden 
sie denn alle grausam ermordet bis auf Metilius; ihn 
allein liessen die Empörer am Leben, weil er um 
Schonung bat und die jüdische Religion samt der Be- 
schneidung anzunehmen versprach. Für die Römer hatte 
übrigens der Verlust nicht viel zu besagen, da sie nur 
wenige Mann von einer ungeheuren Streitmacht ein- 
büssten. Den Juden dagegen erschien das Gemetzel 
wie ein Vorspiel ihres eigenen Unterganges; denn sie 
erkannten wohl, dass die Unthat einen Kriegsgrund 
bilde, den sie nicht mehr aus der Welt schaffen könnten, 
und dass ihre Stadt von einem Frevel befleckt sei, für 
den sie, wenn auch zunächst nicht die Rache der Römer, 
so doch jedenfalls Gottes Strafgericht zu erwarten hätten. 
Demgemäss stellten sie öffentliche Trauer an, und eine 
allgemeine Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der 
Stadt. Die Gutgesinnten aber konnten sich der Furcht 
nicht erwehren, sie möchten für die Empörer büssen 
müssen. Denn die Metzelei hatte gerade an einem 
Sabbat, also an einem Tage stattgefunden, an dem man 
sich des Gottesdienstes wegen aller Thätigkeit zu ent- 
halten pflegt. 


Achtzehntes Kapitel. 

Weit und breit werden die Juden blutig verfolgt. 

1. Am selben Tage und zur selben Stunde geschah 
es wie durch göttliche Fügung, dass die Bewohner von 
Caesarea ihre jüdischen Mitbürger ermordeten, sodass in 
einer Stunde über zwanzigtausend der letzteren hin- 
geschlachtet wurden und in der ganzen Stadt kein Jude 
mehr übrig blieb; denn auch die Flüchtigen liess Florus 
aufgreifen und als Gefangene nach den 'Schiffswerften 
führen. Die Kunde von diesem Gemetzel versetzte das 



268 


Joseplius, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gesamte Volk der Juden derart in Wut, dass sie in 
einzelnen bewaffneten Abteilungen die Dörfer der Syrer 
und die in der Nähe der Grenze liegenden Städte Phila- 
delphia, Sebonitis, Gerasa, Pella und Skythopolis ver- 
heerten. Sodann fielen sie über Gadara, Hippos und 
Gaulanitis her, wo sie die Ortschaften teils verwüsteten, 
teils niederbrannten, und rückten weiterhin auf die 
tyrische Stadt Kedasa sowie auf Ptolemais, Gaba und 
Caesarea los. Auch Sebaste und Askalon vermochten 
ihrem Ansturm nicht zu widerstehen, vielmehr äscherten 
sie die beiden Städte ein und zerstörten dann auch noch 
Anthedon und Gaza. Ausserdem fielen zahlreiche in 
der Nähe dieser Städte liegende Dörfer der Plünderung 
anheim, und haufenweise verbluteteten die männlichen 
Gefangenen unter dem Schwert ihrer Feinde. 

2. Doch auch die Syrer richteten kein geringeres 
Blutbad an; vielmehr töteten sie in den Städten sämt- 
liche Juden, deren sie habhaft werden konnten, und 
zwar nicht allein wie früher aus Hass, sondern auch um 
der ihnen selbst drohenden Gefahr zuvorzukommen. 
Ganz Syrien befand sich in gewaltiger Aufregung, und 
jede einzelne Stadt war in zwei feindliche Heerlager ge- 
spalten , die beiderseitig ihr Heil darin suchten, den 
Gegner zuerst zu verderben. So vergingen die Tage 
unter stetem Gemetzel, während die Nächte infolge der 
allgemeinen Angst noch grauenvoller sich gestalteten. 
Glaubte man nun die Juden ausgerottet zu haben, so 
kamen die als Judenfreunde verdächtigten Personen an 
die Reihe, und was die Zweifelhaften auf beiden Seiten 
betraf, so mochte man sie wohl nicht ohne weiteres um- 
bringen, fürchtete sie aber, besonders wenn sie mit 
anderen vereint auftraten, wie ausgesprochene Feinde. 
Wer sonst für durchaus friedfertig gegolten hatte, den 
trieb jetzt die Habsucht dazu, den Anhängern der Gegen- 
partei nach dem Leben zu trachten. Denn ohne jede 
Scheu riss man das Vermögen der Gemordeten an sich 
und schaffte, als wären sie im Treffen gefallen , die bei 
ihnen Vorgefundenen Beutestücke in die eigene Be- 



Zweites Bach, 18. Kapitel. 


269 


hausung. Ja, man feierte den, der am meisten ein- 
geheimst hatte, wie den Sieger über viele Feinde. Da 
füllten sich die Städte mit unbegrabenen Leichen : 
Greise sah man neben unmündigen Kindern tot dahin- 
gestreckt, und Weiber, denen man nicht einmal die Ver- 
hüllung der Scham gelassen hatte. Unsägliches Elend 
herrschte in der ganzen Provinz, und fast noch schlimmer 
als die wirklich verübten Greuel thaten war die Angst 
vor denen, mit welchen man drohte. 

3. Hatten die Juden bis dahin nur mit Fremden zu 
kämpfen gehabt, so mussten sie dagegen bei ihrem An- 
griff auf Skythopolis die Erfahrung machen, dass ihnen 
ihre dortigen Stammesgenossen selbst als Feinde gegen- 
übertraten. Die letzteren machten nämlich mit den 
Skythopoliten gemeinsame Sache und wollten, indem sie 
verwandtschaftliche Rücksichten ihrer persönlichen Sicher- 
heit zum Opfer brachten, gegen ihre eigenen Landsleute 
zu Felde ziehen. Diese ihre übergrosse Bereitwilligkeit 
erregte indes den Argwohn der Skythopoliten, die nun 
befürchteten, ihre jüdischen Mitbürger möchten bei Nacht 
die Stadt überfallen und dadurch, dass sie ein grosses 
Blutbad unter deren Bewohnern anrichteten, den Abfall 
von ihren Landsleuten wieder gut zu machen suchen. 
Sie forderten sie daher auf, mit ihren Familien in den 
Hain überzusiedeln, wenn sie die Eintracht befestigen 
und ihre Vertragstreue gegen Fremde bekräftigen 
wollten. Arglos leisteten die Juden dieser Aufforderung 
Folge, worauf die Skythopoliten, um sie in Sicherheit 
zu wiegen, zunächst zwei Tage lang sich ruhig ver- 
hielten. In der dritten Nacht aber benutzten sie eine 
günstige Gelegenheit, metzelten die Juden, die teils im 
Schlafe lagen, teils aus Sorglosigkeit keine Wachen 
ausgestellt hatten, über dreizehntausend Menschen an 
der Zahl, nieder und bemächtigten sich ihrer gesamten 
Habe. 

4. Besondere Erwähnung verdient hier das Schicksal, 
das einem gewissen Simon, dem Sohne eines nicht un- 
angeöehenen Mannes Namens Saulus, widerfuhr. Er 



270 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

war von hervorragender Körperstärke und Kühnheit, 
missbrauchte aber beide Eigenschaften zum Schaden 
seiner Landsleute. Täglich zog er aus und tötete viele 
der vor Skythopolis liegenden Juden, und oft, wenn er 
ganze Haufen derselben in die Flucht trieb, hatte er 
allein den Ausschlag im Treffen gegeben. Jetzt aber 
ereilte ihn die verdiente Strafe für die an seinen 
Stammesgenossen begangenen Mordthaten. Als nämlich 
die Skythopoliten die Juden in dem Hain umzingelt 
hatten und sie mit Geschossen überschütteten, zog er 
sein Schwert, griff jedoch keinen seiner Feinde an, gegen 
deren Überzahl , wie er sah , nichts auszurichten war, 
sondern rief in leidenschaftlicher Erregung aus: „Von 
euch, ihr Skythopoliten, widerfahrt mir jetzt, was meine 
Thaten verdienen; habe ich doch meine Freundschaft 
für euch' durch die Niedermetzluug so vieler mir 
stammverwandter Menschen beweisen zu müssen ge- 
glaubt. Wer so schwer gegen sein eigenes Volk frevelte, 
dem geschieht ganz recht, wenn er von Fremden Treu- 
losigkeit erfährt. Fluchbeladen will ich jetzt den Tod 
von meiner eigenen Hand erleiden, da er mir von 
Feindeshand nicht zukommt, und wie dieser Tod eine 
hinreichende Sühne meiner Schandthaten sein soll, so 
verschaffe er mir auch den Ruhm, als echter Mann ge- 
handelt zu haben. Kein Feind soll sich brüsten, er 
habe mich erschlagen , noch über meinen Fall froh- 
locken!“ Während er dies sprach, warf er einen mit- 
leidigen und zugleich wutsprühenden Blick auf seine 
Familie; er hatte nämlich ein Weib, mehrere Kinder 
und hochbetagte Eltern. Hierauf ergriff er zuerst seinen 
Vater beim Silberhaar und durchbohrte ihn mit dem 
Schwert, nach ihm seine Mutter, ohne dass sie sich im 
mindesten sträubte, und endlich sein Weib und seine 
Kinder, die sich sämtlich der Mordwaffe fast entgegen- 
stürzten, um den Feinden zuvorzukommen. Nachdem 
er so seine ganze Familie getötet, stellte er sich, weithin 
sichtbar, auf die entseelten Körper, erhob seine Rechte, 
damit der Anblick niemand entgehe, und stiess sich das 


Go gle 



Zweites Buch, 18. Kapitel. 


271 


Schwert bis zum Griff in den Leib. Schade war’s um 
den jungen Mann wegen seiner Körperkraft und Seelen- 
grösse; doch büsste er gerechterweise, weil er fremden 
Menschen fceine Ergebenheit bewiesen hatte. 

5. Das Blutbad in Skythopolis hatte übrigens zur 
Folge, dass auch die Bewohner anderer Städte sich gegen 
ihre jüdischen Mitbürger erhoben. Dabei wurden in 
Askalon zweitausendfünfhundert, in Ptolema’is zwei- 
tausend Juden niedergemacht und ausserdem noch eine 
beträchtliche Anzahl derselben eingekerkert. Auch die 
Tyrier brachten viele Juden um und legten eine noch 
grössere Menge in Gewahrsam; desgleichen räumten die 
Bewohner von Hippos und Gadara die thatkräftigeren 
Juden aus dem Wege, während sie die zaghafteren ins 
Gefängnis warfen. Ebenso verfuhr man in den übrigen 
syrischen Städten, je nachdem dort Hass gegen die 
Juden oder Furcht vor denselben vorherrschend war. 
Nur die Bewohner von Antiochia, Sidon und Apamea 
schonten ihre jüdischen Mitbürger und Hessen nicht zu, 
dass auch nur einer von ihnen ermordet oder eingekerkert 
wurde, vielleicht weil sie im Vertrauen auf die eigene 
Überzahl etwaigen Unruhen unter den Juden kein Ge- 
wicht beilegten, oder, was ich für zutreffender halte, aus 
Mitleid mit ihnen , da sie keine aufrührerische Ge- 
sinnung bei ihnen wahrnehmen konnten. Auch die 
Gerasener thaten den in der Stadt verbleibenden Juden 
kein Leid an und gaben sogar denen, welche dieselbe 
zu verlassen wünschten, noch bis zur Grenze das Geleit. 

6. Im Reiche Agrippas wurde gleichfalls Verrat an 
den Juden geübt. Der König selbst war zu Cestius 
Gallus nach Antiochia gereist und hatte mit seiner Stell- 
vertretung einen von dessen Freunden Namens Noarus, 
der mit dem Könige Soemus 1 verwandt war, betraut. 
Da kamen aus Batanaea siebzig Männer, die vornehm- 
sten und einsichtsvollsten der dortigen Juden, und baten 
um Truppen, um für den Fall aufrührerischer Bewegungen 


1 Von Emesa. 


Go gle 



272 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


eine genügende Schutzmacht bei sich zu haben, mit deren 
Hilfe sie die Empörung niederwerfen könnten. Diese 
Männer nun liess Noarus durch eine Abteilung könig- 
licher Soldaten, die er bei Nacht aussandtfe, sämtlich 
umbringen. Masslose Geldgier hatte ihn zu der Unthat, 
die übrigens ohne Vorwissen Agrippas verübt wurde, 
getrieben, und er fuhr nun mit grausamer Willkür fort, 
durch ähnliche Frevel gegen das Volk am Verderben 
des Reiches zu arbeiten, bis Agrippa Kunde davon be- 
kam und ihm, da er aus Scheu vor Soemus ihn nicht 
hinrichten lassen mochte, wenigstens die Geschäfte eines 
Reichs Verwesers entzog. Die Empörer hatten sich in- 
zwischen des oberhalb Jericho gelegenen Kastells Kypros 
bemächtigt, die Besatzung niedergemacht und die Festungs- 
werke geschleift. Auch geschah es in diesen Tagen, 
dass die in Machaerus lebenden, sehr zahlreichen Juden 
an die dortige römische Besatzung das Ansinnen stellten, 
die Festung zu verlassen und ihnen dieselbe auszu- 
liefern. Aus Furcht vor gewaltsamer Vertreibung willigten 
die Römer unter der Bedingung freien Abzugs ein, 
und nachdem dieser zugesagt war, übergaben sie die 
Festung, in welche nun Bürger von Machaerus ein- 
rückten. 

7. Was ferner Alexandria betraf, so hatten die ein- 
heimischen Bewohner der Stadt mit den Juden in be- 
ständigem Streit gelebt, seitdem Alexander 1 bei letzteren 
bereitwillige Hilfe gegen die Aegyptier gefunden und 
ihnen dafür die Belohnung zuerkannt hatte, dass sie 
gleiche Rechte wie ihre griechischen Mitbürger gemessen 
sollten. Diese Auszeichnung verblieb ihnen auch unter 
seinen Nachfolgern, die ihnen sogar ein eigenes Stadt- 
viertel an wiesen, damit sie, un vermischt mit Fremden, 
die Reinheit ihrer Lebensweise besser bewahren könnten, 
und ihnen erlaubten, sich Macedonier 2 zu nennen. Als 


1 Von Macedonien (vergl. über dessen Milde gegen die Juden 
J. A. XI, 8). 

8 Vergl. über diesen Ehrentitel „Gegen Apion“, II, 4 und 
J. A. XII, 1. 



Zweites Buch. 1 8. Kapitel. 


273 


später die Römer Herren von Aegypten geworden waren, 
mochte weder der erste Caesar noch einer seiner Nach- 
folger den Juden die ihnen von Alexander verliehenen 
Vorrechte schmälern. Die Folge davon waren beständige 
Reibereien zwischen Juden und Griechen, und obwohl 
die Obrigkeit auf beiden Seiten täglich eine Menge 
Strafen verhängte, vergrösserte sich doch die Spannung 
immer mehr. Wie nun damals an anderen Orten Un- 
ruhen ausbrachen, so nahm auch in Alexandria der Zwist 
-einen schärferen Charakter an. Als eines Tages die 
Alexandriner wegen einer an Nero abzuordnenden Ge- 
sandtschaft eine Versammlung hielten, hatten mit den 
Griechen auch viele Juden Einlass ins Amphitheater 
gefunden. Kaum aber waren die Gegner ihrer ansichtig 
geworden, als sie ein Geschrei erhoben, sie Feinde und 
Spione schimpften, sich auf sie warfen und sie thätlich 
angriffen. Drei Männer gerieten hierbei in die Gewalt 
der Griechen, die sie fortschleppten, um sie lebendig zu 
verbrennen ; die übrigen wurden auf der Flucht zusammen- 
gehauen. Jetzt erhob sich die gesamte Judenschaft zur 
Rache: zuerst bewarfen sie die Griechen mit Steinen, 
•dann aber rafften sie Fackeln zusammen, eilten nach 
dem Amphitheater und drohten das ganze darin ver- 
sammelte Volk dem Flammentod preiszugeben. Dieses 
Vorhaben wäre ihnen auch gelungen, hätte nicht Tibe- 
rius Alexander, der Kommandant der Stadt, ihrer Wut 
Einhalt gethan. Doch bediente er sich, um sie zur Be- 
sinnung zu bringen , zunächst nicht der Waffengewalt, 
sondern liess sie durch die angesehensten Männer er- 
mahnen, sich ruhig zu verhalten und nicht die Streit- 
macht der Römer gegen sich aufzubringen. Die Empörer 
aber beantworteten diese Aufforderung mit Hohngelächter 
und Schmähungen gegen Tiberius. 

8. Da freilich sah Alexander ein, dass die Aufrührer 
nur durch eine nachdrückliche Züchtigung zu bändigen 
seien. Er sandte daher die beiden in der Stadt liegenden 
römischen Legionen sowie noch weitere fünftausend Mann, 
•die zum Verderben der Juden eben aus Libyen ange- 

Josephus, Jüdischer Krieg. 18 

Go gle rniversity or cautornia 



274 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


langt waren, gegen sie aus und gestattete den Soldaten 
nicht nur, die Juden umzubringen, sondern auch ihre 
Habe zu rauben und ihre Häuser einzuäschern. Die 
Truppen drangen nun in das sogenannte Delta ein, wo 
die Judenschaft zusammen wohnte, und vollzogen die ihnen 
erteilten Befehle, erlitten aber auch ihrerseits grosse 
Verluste. Die Juden schlossen sich nämlich dicht zu- 
sammen, stellten die besser Bewaffneten ins Vordertreffen 
und hielten mit grösster Zähigkeit stand. Endlich jedoch 
mussten sie weichen und wurden nun haufenweise er- 
schlagen. Die Niederlage war vollständig: was nicht im 
Freien vom Feinde ereilt wurde, drängte sich in die 
Häuser zusammen; diese aber steckten die Römer von 
unten her in Brand, nachdem sie zuvor das Innere aus- 
geplündert hatten. Die Sieger kannten weder Mitleid 
mit Kindern noch Ehrfurcht vor Greisen; vielmehr 
wurde alles ohne Unterschied des Alters hingeschlachtet, 
sodass der ganze Platz mit Blut überschwemmt war und 
an die fünfzigtausend Leichen haufenweise umherlagen. 
Kein einziger Jude wäre am Leben geblieben, wenn die 
übrigen sich nicht aufs Bitten verlegt hätten. Ihrer er- 
barmte sich Alexander und gab den Römern das Zeichen 
zum Rückzug. Die Soldaten stellten denn auch, an 
Gehorsam gewöhnt, auf den ersten "Wink das Morden 
ein; dagegen hielt es schwer, den aufs äusserste er- 
bitterten alexandrinischen Pöbel zurückzurufen, und kaum 
liess derselbe sich von den Leichen wegreissen. 

9. Das war das Gemetzel in Alexandria. Da übrigens 
die Juden jetzt allerorten blutig verfolgt wurden, glaubte 
auch Cestius nicht mehr unthätig bleiben zu dürfen. Er 
brach daher mit der vollzähligen zwölften Legion und 
zweitausend auserlesenen Soldaten der übrigen Legionen 
so wie mit sechs Kohorten Fussvolk und vier Reiter- 
schwadronen von Antiochia auf. Dazu kamen noch die 
Hilf*6truppen der Könige: von Antioehus 1 zweitausend 
Reiter und dreitausend Fusssoldaten, durchweg Bogen- 


1 Von Kommagene. 


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IJXIVLRS)#« CAl 1 FÜR XI, 



Zweites Buch, 18. Kapitel. 


275 


schützen, von Agrippa die gleiche Anzahl Fussvolk und 
an Reitern etwas weniger als zweitausend; auch Soemus 
stellte viertausend Mann, von denen ein Drittel aus 
Reitern, der grössere Teil aus Bogenschützen bestand. 
Mit dieser Streitmacht rückte Cestius bis Ptolemais vor. 
Von den Städten waren ebenfalls viele Hilfstruppen zu- 
sammengebracht worden, die zwar, was Kriegserfahrung 
betraf, hinter den Soldaten zurückstanden, aber den 
Mangel an Kenntnissen durch Kampfeseifer und Juden- 
hass ersetzten. Agrippa selbst begleitete den Cestius, 
um die Marschlinie anzugeben und für Proviant zu 
sorgen. Mit einem Teile seines Heeres brach nun 
Cestius gegen die feste galilaeische Stadt Zabulon auf, 
welche den Beinamen „der Männer“ führt und die Grenz- 
stadt gegen Ptolemais bildet. Er fand die Stadt menschen- 
leer, da die Bewohner ins Gebirge geflohen waren, dagegen 
voll von Schätzen aller Art. Letztere überliess er den 
Soldaten zur Plünderung; die Stadt selbst aber legte er 
in Asche, obwohl sie Häuser von bewundernswerter 
Schönheit hatte, ähnlich denen zu Tyrus, Sidon und 
Berytus. Hierauf durchstreifte er die Gegend, raubte 
alles, was ihm unter die Hände kam, steckte die um- 
liegenden Dörfer in Brand und kehrte alsdann nach 
Ptolemais zurück. Während nun die Syrer, besonders 
die von Berytus, noch immer mit Plündern beschäftigt 
waren, fassten die Juden, die vom Abmarsch des Cestius 
Kunde erhalten hatten, wieder Mut, fielen unversehens 
über die Zurückgebliebenen her und machten gegen zwei- 
tausend derselben nieder. 

10. Cestius verliess übrigens bald Ptolemais wieder 
und schickte, während er selbst nach Caesarea sich be- 
gab, einen Teil seiner Truppen voraus nach Joppe mit 
dem Befehl, die Stadt, wenn sie dieselbe überrumpeln 
könnten, zu besetzen, wenn aber ihr Anmarsch bemerkt 
werden sollte, seine und des übrigen Heeres Ankunft 
abzuwarten. Teils zur See, teils zu Lande eilte nun die 
Abteilung dorthin und nahm die Stadt von zwei Seiten 
ein. Die Bewohner hatten nicht einmal vorher fliehen, 

38 * 


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276 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


geschweige denn sich zum Kampfe rüsten können und 
wurden nun mit ihren Angehörigen von den eindringenden 
Truppen sämtlich getötet; die Stadt aber ward geplündert 
und den Flammen preisgegeben. Achttausendvierhundert 
betrug die Zahl der Gefallenen. Desgleichen sandte 
Cestius in den unweit Caesareas gelegenen Bezirk von 
Narbata eine starke Reiterabteilung, welche das Land 
verwüstete, eine grosse Menge Eingeborener niedermetzelte, 
ihre Habe plünderte und die Dörfer in Brand steckte. 

11. Nach Galilaea beorderte Cestius den Anführer 
der zwölften Legion, Gallus, mit einer Streitmacht, wie 
sie ihm zur Bezwingung des Volkes auszureichen schien. 
Die festeste Stadt Galilaeas, Sepphoris, nahm den Gallus 
mit freudigem Zuruf auf, und nach ihrem klugen Vor- 
gang blieben auch die übrigen Städte ruhig. Das 
aufrührerische und räuberische Gesindel aber floh ins- 
gesamt auf einen mitten in Galilaea gelegenen Berg, der 
Sepphoris gegenüber liegt und Asamon genannt wird. 
Gegen diese Horden führte Gallus seine Truppen heran. 
So lange sie nun eine höher gelegene Stellung inne- 
hatten, schlugen sie die Angriffe der Römer mit leichter 
Mühe ab und töteten gegen zweihundert ihrer Feinde. 
Als aber die Römer sie umgangen und noch höhere 
Punkte besetzt hatten, wurden sie bald überwältigt; denn 
mit ihrer leichten Ausrüstung vermochten sie den 
Schwerbewaffneten nicht standzuhalten, und wenn sie 
sich zur Flucht wandten, fielen sie den Reitern in die 
Hände. So gelang es nur wenigen, sich an unweg- 
samen Orten zu verbergen, während die übrigen, mehr 
als zweitausend an der Zahl, als Leichen das Schlacht- 
feld bedeckten. 



Zweites Buch, 19. Kapitel. 


277 


Neunzehntes Kapitel. 

Cestius greift Jerusalem an. Sein unglücklicher Rückzug. 

1. Als Gallus keine weiteren Unruhen in Galilaea 
mehr wahrnahm, kehrte er mit seinen Truppen nach 
Caesarea zurück. Cestius aber brach nun an der Spitze 
seiner gesamten Streitmacht auf und rückte vor Anti- 
patris. Dort erfuhr er, dass in dem sogenannten Turm 
des Aphekos eine beträchtliche Schar bewaffneter Juden 
sich gesammelt habe, und sandte deshalb eine Abteilung 
seiner Leute hin , um sie anzugreifen. Ehe es indes 
zum Handgemenge kam , zerstreuten sich die Juden in 
ihrer Angst, und als die Römer anlangten, steckten sie 
das unbesetzte Lager und die umliegenden Dörfer in 
Brand. Von Antipatris marschierte Cestius nach Lydda, 
traf aber die Stadt von Menschen verlassen ; denn wegen 
des Laubhüttenfestes war die ganze Bevölkerung hinauf 
nach Jerusalem gezogen. Nur fünfzig Personen kamen 
zum Vorschein, nach deren Niedermetzelung er die Stadt 
in Flammen aufgehen liess. Alsdann rückte er weiter 
durch Bethoron und schlug an einem Orte Gabao, fünf- 
zig 1 Stadien von Jerusalem entfernt, sein Lager auf. 

2. Kaum hatten die Juden bemerkt, dass der Krieg 
sich der Hauptstadt näherte, als sie die Festfeier dran- 
gaben, zu den Waffen griffen und im Vertrauen auf ihre 
grosse Zahl ohne jede Ordnung und unter lautem Ge- 
schrei sich in den Kampf stürzten. Nicht einmal auf 
den siebenten Tag als Ruhetag nahmen sie Rücksicht, 
während doch sonst der Sabbat aufs strengste von ihnen 
geheiligt wird. Dieser Kampfeseifer, der sie sogar ihre 
religiösen Pflichten vergessen liess , bewirkte denn auch, 
dass sie im Treffen die Oberhand gewannen. Mit 
solchem Ungestüm warfen sie sich auf die Römer, dass 
sie deren Schlachtlinie erschütterten und mordend mitten 
durch sie hindurchdrangen. Wären nicht dem Teile des 


1 Nach J. A. Vm, 11, 7 nur vierzig. 



27 8 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Heeres, der noch standhielt, das weniger erschöpfte 
Fussvolk und die Reiterei durch eine Schwenkung zu 
Hilfe gekommen, so wäre es wohl um die ganze Truppen- 
macht des Cestius geschehen gewesen. Es fielen in dem 
Treffen fünfhundertundfünfzehn Römer, nämlich vier- 
hundert Fusssoldaten und einhundertfünfzehn Reiter, 
von den Juden jedoch nur zweiundzwanzig Mann. Auf 
seiten der letzteren hatten am tapfersten gefochten die 
Verwandten des Königs Monobazus von Adiabene, 
Monobazus und Kenedaeus, nächst ihnen der Peraite 1 
Niger und der Babylonier Silas, welcher von dem König 
Agrippa, unter dem er gedient hatte, zu den Juden 
übergegangen war. Nachdem nun die Juden von 
vorn geworfen waren, zogen sie sich in die Stadt zurück, 
während Simon, des Gioras Sohn, den Römern auf deren 
Marsch nach Bethoron in den Rücken fiel, einen grossen 
Teil ihrer Nachhut zersprengte und eine Menge Last- 
tiere raubte, welche er in die Stadt ein brachte. In den 
folgenden drei Tagen, die Cestius noch in der Gegend 
verweilte, besetzten die Juden die Anhöhen und legten 
Wachen an die Pässe, ein deutliches Zeichen, dass sie, 
sobald die Römer den Rückmarsch antreten würden, 
nicht unthätig zu bleiben gedachten. 

3. Agrippa, der sich, angesichts der starken, die Berge 
besetzt haltenden feindlichen Abteilungen nicht verhehlen 
konnte, dass die Römer in grosser Gefahr schwebten, 
beschloss, es mit gütlichen Worten bei den Juden zu 
versuchen, wodurch er Bie entweder alle vom Kriege ab- 
zubringen oder doch diejenigen, die den Krieg so recht 
nicht wollten, zum Abfall von den Gegnern zu bewegen 
hoffte. Er sandte daher zwei seiner Leute ab, die bei 
den Juden in sehr hohem Ansehen standen, Borkaeus 
und Phoebus, und liess durch sie die Freundschaft des 
Cestius und völlige Verzeihung von seiten der Römer 
für alles Vorgefallene in Aussicht stellen , wenn sie die 
Waffen niederlegen und sich mit ihnen vergleichen wollten. 


1 S. unten 20, 4- 



Zweites Buch, 19. Kapitel. 


279 


Die Aufständischen aber, welche befürchteten, das ganze 
Volk möchte, durch die verheissene Straflosigkeit ver- 
lockt, zu Agrippa übergehen , drangen auf dessen Ab- 
gesandte ein, um sie zu ermorden. Den Phoebus brachten 
sie auch wirklich um, noch ehe er zu Wort gekommen 
war, während Borkaeus, allerdings verwundet, durch 
schleunige Flucht sich zu retten vermochte. Den Teil des 
Volkes aber, der seinen Unwillen hierüber an den Tag 
legte, trieben die Empörer durch Stein würfe und Knittel- 
hiebe in die Stadt hinein. 

4. In diesem unter den Juden selbst ausgebrochenen 
Zwist erkannte Cestius eine günstige Gelegenheit zum 
Angriff. Er führte demnach seine gesamte Streitmacht 
gegen sie heran, jagte sie in die Flucht und verfolgte 
sie bis vor Jerusalem. Hier errichtete er auf dem so- 
genannten Skopos, 1 sieben Stadien von der Stadt ent- 
fernt, ein Lager und unternahm , vielleicht in der Er- 
wartung, die Bewohner würden ihm in etwa entgegen- 
kommen, zunächst drei Tage lang nichts gegen dieselbe, 
sondern liess nur eine starke Abteilung seiner Leute 
Streifzüge in die umliegenden Dörfer machen, um Pro- 
viant zusammenzurauben. Am vierten Tage aber, dem 
30. des Monats Hyperberetaios , stellte er sein Heer in 
Schlachtordnung auf und führte es in die Stadt hinein. 
Dort stand das Volk unter Bewachung der Aufständischen ; 
diese selbst aber, erschreckt durch den planvollen Auf- 
marsch der Römer, gaben alsbald die äusseren Stadtteile 
auf und zogen sich in die innere Stadt und den Tempel 
zurück. Nun rückte Cestius ein und steckte Bezetha, 
die Neustadt und den sogenannten Holzmarkt 2 in Brand, 
Alsdann zog er auf die obere Stadt an und lagerte sich 
gegenüber dem Königspalast. Hätte es ihm in diesem 
Augenblick beliebt, die Mauern zu erstürmen, so würde 
er wohl die Stadt sogleich eingenommen haben, und der 
Krieg wäre zu Ende gewesen. Doch der Lagerpraefekt 


1 Einem Hügel auf dem Wege von Jerusalem nach Anathoth. 

- S. Spiess, Jerusalem des Josephus, S. 103. 



280 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Tyrannius Priscus und die meisten Reiterobersten, die 
von Florus bestochen waren, brachten ihn von diesem 
Plane ab. Das war der Grund, weshalb der Krieg sich 
so sehr in die Länge zog und so reich an schweren 
Unglücksfallen für die Juden geworden ist. 

5. Unterdessen lud auf Anraten von Ananus, dem 
Sohne des Jonathas, eine Anzahl vornehmer Bürger den 
Cestius in die Stadt ein, deren Thore sie ihm zu öffnen 
versprachen. Cestius aber mochte schon aus Ärger nichts 
davon wissen, und da er ihnen auch nicht völlig traute, 
zauderte er so lange, bis die Aufständischen von dem 
verräterischen Anschlag Kenntnis erlangten und Ananus 
mit seinen Anhängern teils von der Mauer hinabstürzten, 
teils durch Steinwürfe in ihre Behausungen trieben. Sie 
selbst verteilten sich auf den Türmen und schossen auf 
diejenigen, welche die Mauer berennen wollten. Fünf 
Tage lang machten die Römer von allen Seiten Ver- 
suche, ohne etwas auszurichten; am sechsten Tage aber 
nahm Cestius eine starke Abteilung auserlesener Mann- 
schaften sowie die Bogenschützen und griff mit ihnen 
die Nordseite des Tempels an. Die Juden leisteten von 
den Säulenhallen herab kräftigen Widerstand und 
schlugen zu wiederholten Malen den Sturm auf die 
Mauern ab, mussten aber endlich dem Geschosshagel 
weichen. Nun bildeten die Römer, indem die Kämpfer 
der vordersten Reihe ihre Schilde fest gegen die Mauer, 
die nachfolgenden aber die ihrigen jedesmal an die 
ihrer Vordermänner anstemmten, die sogenannte Schild- 
kröte, 1 von der die aufschlagenden Geschosse wirkungs- 
los abprallten. In aller Sicherheit konnten die Soldaten 
jetzt die Mauer untergraben, und alsbald schickten sie 
sich an, das Tempelthor in Brand zu stecken. 

6. Gewaltige Angst ergriff nun die Empörer, und 
viele von ihnen flüchteten sich bereits aus der Stadt, 
als stände deren Eroberung im nächsten Augenblick 
bevor. Ebendeshalb aber fasste das Volk wieder frischen 


Vergl. Dio Cassius XLIX, 30 und Livius XLIV, 9. 



Zweites Buch, 1 9. Kapitel. 


281 


Mut: wie die Bösewichter sich davon machten, näherte 
es sich den Thoren, um sie zu öffnen und Cestius als 
Wohlthäter der Stadt aufzunehmen. Hätte dieser die 
Belagerung nur noch kurze Zeit fortgesetzt, so würde er 
die Stadt wohl rasch in seine Gewalt bekommen haben. 
Gott aber hatte, wie ich glaube, um der Frevler willen 
schon damals sich vom Heiligtum abgewandt und liess 
deshalb an jenem Tage den Krieg sein Ende nicht er- 
reichen. 

7. Cestius nämlich, der weder von der Verzweiflung 
der Belagerten noch von der Stimmung des Volkes 
Kenntnis zu haben schien, liess plötzlich seine Soldaten 
den Bückzug antreten, gab, obwohl kein Missgeschick 
ihn getroffen, alle Hoffnung auf und verliess unbe- 
greiflicherweise die Stadt. Infolge seines ganz uner- 
warteten Abmarsches gewannen die Banditen ihre Kühn- 
heit wieder, fielen über die Nachhut der Römer her 
und machten eine Menge Reiter und Fusssoldaten nieder. 
Cestius bezog nun für die erste Nacht das Lager auf 
dem Skopos; tags darauf aber marschierte er weiter und 
reizte dadurch die Feinde nur noch mehr, sodass sie 
abermals seiner Nachhut schwere Verluste beibrachten 
und zugleich auch von der Seite des Weges aus den 
Römern mit Geschossen zusetzten. Die letzten im Zuge 
hatten übrigens nicht den Mut, gegen ihre Verfolger 
Front zu machen, weil sie dieselben ausserordentlich zahl- 
reich wähnten, und was den Angriff auf den Flanken 
betraf, so waren die Römer ihm thatsächlich nicht ge- 
wachsen, da sie selbst schwerbewaffnet waren und die 
Märschlinie zu zerreissen fürchteten, während die Juden 
leichtgerüstet und angriffslustig daherzogen. So mussten 
die Römer grosse Verluste erleiden, ohne ihrerseits dem 
Feinde irgendwie schaden zu können. Auf dem ganzen 
Wege geschlagen und in Verwirrung gebracht, wurden 
sie massenhaft niedergemetzelt; unter den Gefallenen 
befanden sich auch Priscus, der Anführer der sechsten 
Legion, der Tribun Longinus und der Befehlshaber einer 
Reiterschwadron, Aemilius Jucundus. Endlich erreichten 



282 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sie, nachdem sie auch einen grossen Teil ihres Gepäckes 
verloren hatten, mit Mühe ihr früheres Lager bei Gabao. 
Unschlüssig bezüglich dessen, was er beginnen sollte, 
verweilte Cestius hier zwei Tage; als er aber am dritten 
Tage sehen musste, wie die Zahl seiner Feinde sich noch 
vermehrt hatte und alles ringsum von Juden wimmelte, 
ward es ihm klar, dass Zögern ihm nur zum Schaden 
gereiche und dass, je länger er verweile, desto mehr 
Feinde sich ansammeln würden. 

8. Um daher die Flucht zu beschleunigen, gab er 
Befehl, alles zu vernichten, was das Heer auf halten 
könnte. Man tötete nun die Maulesel und die übrigen 
Lasttiere mit Ausnahme derjenigen, welche Geschosse 
und Maschinen trugen ; letztere nämlich konnte man 
einesteils nicht gut entbehren, andernteils befürchtete 
man auch, sie möchten den Juden in die Hände fallen 
und gegen die Römer Verwendung finden. Hierauf 
rückte das Heer weiter auf Bethoron zu. So lange nun 
der Marsch über offenes Feld ging, wurden die Römer 
von den Juden weniger behelligt; sowie sie aber einen 
engen, abschüssigen Hohlweg gedrängt passieren mussten, 
eilte ein Teil der Juden voraus, um ihnen den Ausgang 
zu sperren, während andere die den Schluss des Zuges 
bildenden Römer in die Schlucht hineintrieben und die 
Hauptmasse der jüdischen Streitmacht, die sich an den 
Abhängen zu beiden Seiten des Weges ausgedehnt hatte, 
das feindliche Heer mit einem Hagel von Geschossen 
überschüttete. Da gerieten schon die Fusssoldaten in 
Verlegenheit, wie sie sich wehren sollten; in noch 
grösserer Gefahr aber schwebten die Reiter: denn ein- 
mal gestatteten ihnen die feindlichen Geschosse nicht, 
den Abstieg in Reih und Glied zu machen, und dann 
waren auch die steilen Abhänge, auf denen die Juden 
sich verteilt hatten, für die Pferde unzugänglich, während 
auf der anderen Seite Felsspalten und Abgründe ihnen 
entgegengähnten, in die sie bei jedem Fehltritt hinab- 
stürzen konnten. In dieser entsetzlichen Lage, die weder 
ein Entrinnen ermöglichte, noch den Gedanken an 



Zweites Buch, 19. Kapitel. 


283 


Widerstand auf kommen liess, hatten sie schliesslich 
nichts als lautes Jammergeheul und das Stöhnen der 
Verzweiflung, dem die Schlachtrufe der Juden, unter- 
mischt mit Freuden geschrei und Wutgebrüll, schauerlich 
entgegenhallten. Wenig fehlte, so hätten sie das ganze 
Heer des Cestius aufgerieben, wäre nicht die Nacht 
herein gebrochen, in der die Römer nach Bethoron 
flohen, während die Juden alle geeigneten Punkte ringsum 
besetzten, um den Abmarsch ihrer Feinde überwachen 
zu können. 

9. Cestius sann nunmehr, da er an der Möglichkeit 
eines offenen Rückzuges verzweifelte, auf heimliche Flucht. 
Er las demgemäss etwa vierhundert der beherztesten 
Soldaten aus und stellte sie an den Verschanzungen 
auf mit dem Befehl, auf denselben die Feldzeichen der 
Lagerwachen in die Höhe zu richten, damit bei den 
Juden die Meinung erweckt würde, die Truppen be- 
fanden sich noch insgesamt an dieser Stelle. Er selbst 
zog mit dem übrigen Teil des Heeres in aller Stille 
dreissig Stadien weiter. Als die Juden beim Morgen- 
grauen den römischen Lagerplatz verlassen sahen, fielen 
sie über die vierhundert, die ihnen die Täuschung bei- 
gebracht hatten, her, schossen sie eiligst nieder und 
setzten dem Cestius nach. Dieser aber hatte in der 
Nacht schon einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen 
und beschleunigte auch bei Tage seine Flucht so sehr, 
dass die Soldaten in ihrer Angst und Bestürzung die 
Belagerungstürme und Wurfmaschinen sowie den 
grössten Teil der übrigen Werkzeuge zurückliessen, 
welche nun von den Juden erbeutet wurden und später 
gegen ihre ursprünglichen Besitzer Verwendung fanden. 
Die Juden setzten die Verfolgung der Römer bis Anti- 
patris fort; als sie dieselben hier nicht trafen, traten 
sie den Rückmarsch an, nahmen die Maschinen mit, 
plünderten die Leichen, sammelten die im Stich ge- 
lassene Beute und zogen unter Siegesgesängen in die 
Hauptstadt ein. Sie selbst hatten nur wenige Leute 
verloren, den Römern und deren Bundesgenossen aber 



284 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


hatten sie fünftausenddreihundert Mann zu Fuss und 
dreihundertachtzig Reiter getötet. Das geschah am 
achten des Monats Dios, im zwölften Regierungsjahre 
Neros. 1 


Zwanzigstes Kapitel. 

Cestius schickt Boten an Nero. Ermordung der Juden 
zu Damaskus. Die von der Verfolgung des Cestius 
heimkehrenden Bewohner Jerusalems ernennen weitere 
Befehlshaber für den Krieg, darunter auch Josephus, 
den Verfasser dieser Geschichte. 

1. Nach der Niederlage des Cestius verliessen viele 
angesehene Juden die Stadt, wie der Seemann schwimmend 
das sinkende Schiff verlässt. Unter anderen flohen auch 
Kostobar und Saulus in Gemeinschaft mit Jakims Sohn 
Philippus, einem Kriegsobersten des Königs Agrippa, 
aus der Stadt und begaben sich zu Cestius. Ein ge- 
wisser Antipas aber, der mit den Genannten im Königs- 
palast belagert worden war, verschmähte die Flucht und 
wurde später, wie ich noch berichten werde, 2 von den 
Aufständischen umgebracht. Cestius schickte nun den 
Saulus und dessen Begleiter auf ihre Bitte nach Achaja 
zu Nero, teils um ihre eigene Not dort zu schildern, 
teils um die Schuld für den Ausbruch des Krieges auf 
Florus zu wälzen. Indem er nämlich Neros Zorn gegen 
letzteren wachrief, hoffte er die ihm selbst drohende Ge- 
fahr verringern zu können. 

2. Unterdessen hatten die Damascener von der Nieder- 
lage der Römer Kunde erhalten und wussten nun nichts 
eiligeres zu thun, als die bei ihnen lebenden Juden zu 
ermorden. Und wie sie dieselben schon früher einmal 
aus Argwohn in der Ringschule versammelt hatten, so 
glaubten sie jetzt bei Gelegenheit einer ähnlichen Ver- 
anstaltung den Angriff aufs leichteste ausführen zu 


1 66 n. Ohr. 

* IV, 3, 4. 



Zweites Buch, 20. Kapitel. 


285 


können. Scheu hatten sie nur noch vor ihren Weibern, 
welche mit wenigen Ausnahmen alle zur jüdischen Re- 
ligion übergetreten waren. Sie gaben sich daher die 
grösste Mühe, den Plan vor den Frauen geheim zu halten, 
überfielen die in den engen Raum zusammengedrängten, 
durchweg wehrlosen Juden, zehntausend an der Zahl, 
und schlachteten sie alle in einer Stunde hin, ohne ihrer- 
seits irgendwelchen Verlust zu erleiden. 

3. Als nun die Verfolger des Cestius nach Jerusalem 
zurückgekehrt waren, brachten sie die noch vorhandenen 
Römerfreunde teils mit Gewalt, teils durch Überredung 
auf ihre Seite und hielten sodann im Tempel eine Ver- 
sammlung ab, um noch weitere Heerführer für den 
Krieg zu ernennen. Als Oberbefehlshaber der Stadt 
wurden gewählt Josephus, der Sohn des Gorion, und der 
Hohepriester Ananus; ganz besonders machte man ihnen 
zur Pflicht, die Mauern der Stadt wieder in Stand zu 
setzen. Eleazar aber, den Sohn des Simon, wollte man, 
obwohl er die den Römern abgenommene Beute und die 
dem Cestius geraubte Kasse sowie ausserdem viele Staats- 
gelder in Händen hatte, dennoch nicht an die Spitze der 
Verwaltung stellen , da man ein herrschsüchtiges Wesen 
an ihm bemerkt hatte und die ihm ergebenen Zeloten 
sich wie seine Trabanten benahmen. Nicht lange nach- 
her freilich liess sich das Volk durch den herrschenden 
Geldmangel und Eleazars Zauberkünste derart berücken, 
dass es ihm als dem obersten Gebieter Gehorsam zollte. 

4. Für Idumaea bestimmte man andere Feldherren, 
nämlich Jesus, den Sohn des Sapphias, einen der Hohe- 
priester, und Eleazar, den Sohn des Hohepriesters Ana- 
nias, deren Oberbefehl der bisherige Kommandant von 
Idumaea, Niger — derPera'ite genannt, weil er aus dem 
jenseits des Jordan gelegenen Peraea stammte — unter- 
stellt wurde. Auch für die übrigen Landesteile ward 
gesorgt: nach Jericho sandte man als Befehlshaber 
Josephus, den Sohn des Simon, nach Peraea Manasses, 
in die Toparchie Thamna den Essäer Joannes, welch 
letzterem auch noch Lydda, Joppe und Ammaus zu- 



286 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


geteilt wurden. Das Kommando in den Bezirken von 
Gophna und Akrabatta erhielt des Ananias Sohn 
Joannes, das in beiden Galilaea Josephus, 1 der Sohn 
des Matthias, zu dessen Distrikt auch Gamala, die festeste 
Stadt dieser Gegend, geschlagen wurde. 

5. Jeder dieser Befehlshaber verwaltete nun das ihm 
anvertraute Gebiet nach Massgabe seines guten Willens 
und seiner Befähigung. Josephus insbesondere war, als 
er nach Galilaea kam, zunächst darauf bedacht, sich 
die Zuneigung der Eingeborenen zu erwerben, überzeugt, 
dass er auf diesem Wege am meisten erreichen würde, 
selbst wenn er im übrigen kein Glück haben sollte. 
Ferner erkannte er, dass er einerseits die einflussreichen 
Galiläer auf seine Seite bringen würde, wenn er die 
Gewalt mit ihnen teilte , und dass er anderseits des 
ganzen Volkes sicher sein müsse, wenn er die wich- 
tigsten Anordnungen durch eingeborene und volkstüm- 
liche Männer treffen liesse. Zu diesem Zweck wählte 
er aus den Ältesten des Volkes die siebzig einsichts- 
vollsten aus und machte sie zur höchsten Behörde für 
ganz Galilaea. In jeder einzelnen Stadt aber ernannte er 
sieben Richter zur Entscheidung unwesentlicher Streitig- 
keiten, während die wichtigeren Angelegenheiten und 
die peinlichen Fälle ihm selbst und den Siebzig vor- 
gelegt werden sollten. 

6. Nachdem er so die rechtlichen Verhältnisse inner- 
halb der einzelnen Gemeinden geordnet hatte, liess er 
sich auch ihre äussere Sicherheit angelegen sein, und da 
er einen Einfall der Römer in Galilaea voraussah, be- 
festigte er geeignete Plätze wie Jotapata, Bersabe, Sela- 
min, Kapharekcho, Japha und Sigoph, den sogenannten 
itabyrischen Berg, 2 Taricheae und Tiberias. Weiterhin 
versah er mit Befestigungen die Höhlen am See Genne- 
sar in dem Untergalilaea genannten Landesteil, und in 
Obergalilaea den Achabarenfels, Seph, Jamnith und 


1 Der Verfasser des vorliegenden Geschichtswerkes. 

2 Den Tabor. 


Go gle 


JN|VBp,SITf,Of ( AOf^öRNG; 



Zweites Buch, 19. Kapitel. 


287 


Meroth. In Gaulanitis 1 waren es Seleukia, Sogane und 
Gamala, die Festungswerke erhielten. Nur den Seppho- 
riten überliess er es, selbst ihre Mauern wieder . aufzu- 
bauen, da er sie reichlich mit Geld versehen und ohne 
besondere Aufforderung zum Kriege geneigt fand. Die 
Stadt Gischala befestigte in gleicher Weise dem Befehle 
des Josephus gemäss Joannes, der Sohn des Levi, nach 
eigenem Plan; bei den anderen Verschanzungsarbeiten 
aber war Josephus selbst mit Rat und That behilflich. 
Ausserdem sammelte er in Galilaea ein Heer von über 
hunderttausend jungen Leuten, die er sämtlich mit 
alten Waffen, wie er sie gerade auftreiben konnte, 
ausrüstete. 

7. Von einer Schulung seiner Truppen im Geiste der 
Römer, deren unüberwindliche Macht, wie er wusste, 
vornehmlich auf Gehorsam und steter Waffenübung be- 
ruhte, musste er freilich Abstand nehmen. Da er aber 
erkannte, dass die Leute sich um so leichter an Dis- 
ciplin gewöhnen würden, je zahlreicher die Führer seien, 
teilte er das Heer mehr nach römischer Art ein und 
ernannte eine grössere Anzahl von Offizieren. Die 
Soldaten sonderte er in verschieden grosse Abteilungen 
und stellte sie unter Anführer von je zehn , je hundert 
und je tausend Mann, über welche dann wieder die 
Befehlshaber grösserer Truppenverbände zu gebieten 
hatten. Hierauf lehrte er sie das Weitergeben der 
Losung, die Trompetensignale zum Angriff und Rückzug, 
das Zusammenrücken und die Schwenkungen der Flügel, 
zeigte ihnen auch, wie der siegende Teil dem unter- 
liegenden Hilfe bringen und wie man mit dem be- 
drängten Kampfgenossen aush alten müsse. Ferner prägte 
er ihnen beständig ein, wie man Geistesgegenwart und 
Abhärtung des Körpers sich zu eigen mache; besonders 
aber suchte er den kriegerischen Sinn bei ihnen dadurch 
zu wecken, dass er ihnen bei jeder Gelegenheit die 


1 Gaulanitis war von Agrippa, zu dessen Gebiet es gehört hatte, 
abgefallen (s. des Josephus Selbstbiographie, Abschnitt 37). 



288 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


straffe Ordnung der Römer vor Augen führte und sie 
darauf hinwies, wie sie es mit Männern zu thun haben 
würden, die durch ihre Körperkraft und ihren Mut fast 
die ganze Erde beherrschten. Schon vor dem Beginn 
der Feindseligkeiten, sagte er, wolle er ihre Mannes- 
zucht daran erproben, ob sie ihre schlechten Gewohn- 
heiten ablegten, nämlich das Stehlen, Plündern und 
Rauben, die Unehrlichkeit gegen ihre Landsleute und 
jene Gesinnung, die sich zum Schaden des lieben Näch- 
sten zu bereichern suche. Denn in denjenigen Kriegen 
gehe es am besten, in welche die Kämpfer ein gutes 
Gewissen mitbrächten; die von Haus aus Schlechten 
aber hätten nicht nur die gegen sie anrückenden Feinde, 
sondern auch Gott selbst zum Widersacher. 

8. Unablässig richtete er viele solcher Ermahnungen 
an sie. Er hatte nun ein schlagfertiges Heer von sech- 
zigtausend Mann zu Fuss, zweihundertundfünfzig Reitern 
und ausser diesen Truppen, auf die er das meiste Ver- 
trauen setzte, noch etwa viertausendfünfhundert Söldner 
beisammen; sechshundert auserlesene Streiter bildeten 
seine Leibwache. Mit Ausnahme der Söldner wurde 
übrigens das Heer von den Städten ohne Mühe ernährt; 
denn von den Ausgehobenen schickte jede derselben 
nur die Hälfte zum eigentlichen Dienst, während die 
übrigen zurückbehalten wurden , um ihren im Felde 
stehenden Landsleuten Proviant zuzuführen. So teilten 
sie sich in die kriegerischen und die friedlichen Arbeiten, 
wobei diejenigen, welche die Lebensmittel lieferten, den 
Schutz der Bewaffneten als Gegenleistung genossen. 



Zweites Buch, 21. Kapitel. 


289 


Einundzwanzigstes Kapitel. 

Joannes von Gischala und sein Zerwürfnis mit Josephus. 

Des letzteren fernere Thätigkeit in Galilaea. 

1. Während Josephus dergestalt die Verwaltung 
Galilaeas einrichtete, erhob sich wider ihn ein hinter- 
listiger Mensch aus Gischala, der Sohn eines gewissen 
Levi, mit Namen Joannes, der, verschlagen und tückisch 
wie keiner der Grossen des Landes, in Ruchlosigkeit 
überhaupt seinesgleichen nicht hatte. Anfangs war er arm, 
und noch geraume Zeit hindurch stand Mittellosigkeit 
seinem Frevelmut hindernd im Wege. Dagegen war er 
stets fertig zur Lüge und ein Meister in der Kunst, 
seine Lügen glaubhaft zu machen. Betrug hielt er für 
eine Tugend, und er bediente sich desselben gegen seine 
besten Freunde. Menschenliebe trug er heuchlerisch 
zur Schau, während sein Inneres von unersättlicher, aus 
Gewinnsucht entspringender Mordgier erfüllt war. Stets 
wollte er hoch hinaus, und doch bauten sich alle seine 
Pläne nur auf Niedertracht und Schurkerei auf. War 
er doch eigentlich nichts als ein Räuber, der zunächst 
sein Handwerk auf eigene Faust trieb, bald aber auch 
einige verwegene Gesellen seines Schlages gefunden 
hatte, deren Zahl sich im Laufe der Zeit immer mehr 
vergrösserte. Übrigens war es ihm sehr darum zu thun, 
dass niemand in seine Truppe eintrat, der leicht zu be- 
zwingen war; vielmehr nahm er nur solche Leute, die 
sich durch kräftigen Körperbau, Entschlossenheit und 
Kriegserfahrung auszeichneten. So brachte er nach 
und nach eine Schar von vierhundert Mann zusammen, 
grösstenteils Flüchtlinge aus dem Stadtgebiet von Tyrus 
und den dazu gehörigen Dörfern. Mit ihnen zog er 
plündernd in ganz Galilaea umher und versetzte die 
grosse Masse der Bevölkerung, die ohnehin dem bevor- 
stehenden Kriege mit ängstlicher Spannung entgegen- 
sah, noch mehr in Unruhe. 

2. Schon dachte er daran, Feldherr zu werden, und 

Josephus, jüdischer Krieg. 19 



290 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


trug sich sogar mit noch höheren Plänen ; aber immer 
war es seine Geldnot, die ihm Schwierigkeiten bereitete. 
Kaum hatte er nun die Wahrnehmung gemacht, dass 
Josephus an seinem Thatendrang grossen Gefallen fand, 
als er ihn zunächst zu bereden wusste, ihm den Wieder- 
aufbau der Mauern seiner Vaterstadt anzuvertrauen, 1 
wobei er von den reichen Bürgern derselben grosse 
Summen erpresste. Hierauf stellte er sich in höchst 
verschmitzter Absicht an, als wollte er die Juden in 
Syrien vor dem Gebrauch des nicht von ihren Stammes- 
genossen gelieferten Öles bewahren, und bat sich des- 
halb von Josephus das Recht aus, ihnen öl an die 
Grenze schaffen zu dürfen. Mit tyrischer Münze im 
Wert von vier attischen Drachmen kaufte er sodann je 
vier Amphoren 2 und verkaufte um denselben Preis eine 
halbe Amphora. Galilaea erzeugt überhaupt viel öl 
und hatte gerade damals eine sehr gute Ernte gehabt, 
während die Syrer daran Mangel litten. Indem nun er 
allein ihnen grosse Mengen öl lieferte, gewann er eine 
Unsumme Geldes, das er alsbald gegen den gebrauchte, 
der ihm diesen Erwerb verschafft hatte. Und da er der 
Meinung war, es würde, wenn er Josephus stürzte, ihm 
selbst der Oberbefehl in Galilaea übertragen werden, 
wies er die ihm untergebenen Banditen an, ihre Räube- 
reien noch nachdrücklicher zu betreiben, um entweder, 
wenn an vielen Orten im Lande Aufruhr entstände, den 
zu Hilfe eilenden Statthalter durch Verrat aus dem 
Wege zu räumen, oder, falls letzterer die Räuber ge* 
währen Hesse, ihn bei den Einwohnern anschwärzen zu 
können. Weiterhin streute er das Gerücht aus, Josephua 
wolle den Römern das Land verraten, und suchte durch 
diese und ähnliche Umtriebe den Sturz des Gehassten 
herbeizuführen. 

3. Um diese Zeit überfielen einige junge Leute aus 
dem Dorf Dabaritta, welche zu der Beobachtungstruppe 


1 S. 20, 6. 

2 Eine Amphora = 26 Liter. 



Zweites Buch, 21. Kapitel. 


291 


in der grossen Ebene gehörten, den Verwalter des 
Agrippa und der Berenike, Ptolemaeus, und nahmen 
ihm alles Gepäck ab, das er bei sich führte, worunter 
nicht wenige kostbare Gewänder, eine Menge silberner 
Trinkgefässe und sechshundert Goldstücke sich befanden. 
Da sie jedoch ihren Raub nicht unter sich teilen konnten, 
schafften sie alles nach Taricheae zu Josephus. Dieser 
verwies ihnen den gewaltsamen Eingriff in das Eigentum 
königlicher Personen und gab die erbeuteten Gegenstände 
dem mächtigsten Bürger von Taricheae, Annaeus, in 
Verwahr mit der Absicht, sie gelegentlich den Eigen- 
tümern wieder zuzustellen. Das aber brachte ihn in die 
grösste Gefahr. Die Thäter nämlich, die einerseits ärger- 
lich darüber waren, dass ihnen kein Anteil von der 
Beute zufallen sollte, und anderseits die Absicht des 
Josephus, mit dem Preis ihrer Mühe dem Könige und 
seiner Schwester eine Gefälligkeit zu erweisen, durch- 
schauten, eilten noch in der Nacht durch die Dörfer 
und schilderten überall den Josephus als Verräter. Auch 
in den umliegenden Städten brachten sie alles in Auf- 
ruhr, sodass gegen Morgen hunderttausend Bewaffnete 
sich wider ihn vereinigt hatten. Die Menge sammelte 
sich nun in der Rennbahn zu Taricheae und erhob ein 
lautes und leidenschaftliches Geschrei : die einen riefen, 
man müsse den Verräter absetzen, andere, man solle 
ihn verbrennen. Joannes und mit ihm Jesus, der Sohn 
des Sapphias, damals Befehlshaber von Tiberias, reizten 
die Erbitterung des Haufens immer mehr, bis die Freunde 
und Leibwächter des Josephus aus Angst vor einem 
Angriff der Menge alle bis auf vier ihr Heil in der 
Flucht suchten. Er selbst lag noch zu Bett, als schon 
Feuer angelegt werden sollte; da aber erhob er sich, 
und obwohl die vier Zurückgebliebenen ihm zur Flucht 
rieten, sprang er, ohne sich durch seine Vereinsamung 
oder die Menge der Angreifer erschrecken zu lassen, 
hervor, mit zerrissenem Gewände, das Haupt mit Asche 
bestreut, die Hände auf den Rücken haltend und sein 
eigenes Schwert an den Nacken gebunden. Dieser 

19 * 


Go gle 



292 Josqphus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Auftritt rief bei allen, die es noch gut mit ihm meinten, 
besonders bei den Einwohnern von Taricheae, Mitleid 
wach ; die Landleute aber und diejenigen aus seiner 
näheren Umgebung, die ihn nicht leiden mochten, be- 
schimpften ihn und verlangten, er solle die Schätze, die 
öffentliches Eigentum seien, auf der Stelle herausgeben 
und seine verräterischen Verbindungen eingestehen. 
Sein Gebaren hatte sie nämlich auf den Gedanken ge- 
bracht, er werde nichts von dem in Abrede stellen, wes- 
wegen man ihn im Verdacht hatte, und er habe den 
ganzen auf Erregung von Mitleid berechneten Aufzug 
nur deshalb ins Werk gesetzt, um sich Verzeihung zu 
verschaffen. Dieses sein demütiges Benehmen war indes 
nichts als die Einleitung zu einer Kriegslist, und nur 
in der schlauen Absicht, die auf ihn erbosten Menschen 
an dem Gegenstand ihres Zornes miteinander zu ent- 
zweien, versprach er alles eingestehen zu wollen. Nach- 
dem ihm dann gestattet worden war, das Wort zu er- 
greifen, liess er sich also vernehmen: „Diese Schätze 
hatte ich weder im Sinn an Agrippa zu schicken, noch 
zu meinem eigenen Nutzen zu verwenden; denn nie 
werde ich euren Gegner für meinen Freund halten, noch 
das als Gewinn ansehen, was der Gesamtheit Schaden 
bringt. Vielmehr hatte ich, weil ich sah, dass eure 
Stadt, ihr Bürger von Taricheae, dringend der Befestigung 
bedarf und zur Erbauung einer Mauer kein Geld hat, 
mir vorgenommen, aus Furcht vor dem Volke von Tibe- 
rias und den anderen Städten, welche mit neidischen 
Blicken auf die Beute lauern, die Schätze insgeheim auf- 
zubewahren, um euch damit eine Mauer zu errichten. 
Missfällt euch nun dieser Vorschlag, so lasse ich die 
erbeuteten Gegenstände herbeibringen und gebe sie der 
Plünderung preis ; habe ich es aber gut mit euch gemeint, 
so strafet euren Wohlthäter!“ 

4. Diese Worte riefen bei den Taricheaten freudige 
Zustimmung hervor, während die von Tiberias und die 
anderen schimpften und drohten. Beide Teile Hessen 
nun von Josephus ab und stritten miteinander. Er 


Go gle 



Zweites Buch, 2 1 . Kapitel. 


293 


aber halte jetzt eine Stütze an den auf seiner Seite 
stehenden Taricheaten — es waren ihrer gegen vierzig- 
tausend — , und das gab ihm den Mut, dem ganzen 
Haufen gegenüber eine freiere Sprache zu führen. Zu- 
nächst verwies er ihnen eindringlich ihr voreiliges Ver- 
fahren und erklärte dann, mit dem vorhandenen Gelde 
werde er Taricheae befestigen. Aber auch für die Sicher- 
heit der übrigen Städte solle in gleicher Weise gesorgt 
werden ; denn an Geld würden sie keinen Mangel haben, 
wofern sie nur über die Feinde, gegen die man es ver- 
wenden müsse, einig seien und nicht gegen den, der es 
ihnen verschaffen wolle, sich aufreizen Hessen. 

5. Nun entfernte sich die grosse Masse seiner Gegner, 
wiewohl noch grollend; zweitausend Bewaffnete jedoch 
machten einen Angriff auf ihn und umringten unter 
lauten Drohungen das Haus, in das er sich noch eben 
rechtzeitig geflüchtet hatte. Gegen sie gebrauchte Jo- 
sephus abermals eine List. Er stieg nämlich auf das 
Dach, gebot mit der Hand Stille und rief ihnen zu, er 
wisse nicht, was ihr Begehren sei, denn er könne sie 
'wegen ihres Durcheinanderschreiens nicht verstehen. Er 
werde übrigens alles thun, was sie verlangten, wenn sie 
einige aus ihrer Mitte in das Haus schicken wollten, um 
sich in Ruhe mit ihm zu besprechen. Daraufhin gingen 
die Vornehmsten mit den Anführern zu ihm hinein. Er 
aber liess sie in den entlegensten Winkel des Hauses 
schleppen und sie bei verschlossener Thür geissein, bis 
ihre Eingeweide sichtbar wurden. Unterdessen stand die 
Menge draussen in der Meinung, die Abgeordneten 
hielten sich bei der Verfechtung ihrer Sache etwas 
länger auf. Plötzlich liess nun Josephus die Thür 
öffnen und die bluttriefenden Männer hinausjagen, was 
dem drohenden Haufen einen solchen Schrecken ein- 
flösste, dass er die Waffen wegwarf und auseinanderstob. 

6. Diese Vorgänge steigerten den Hass des Joannes, 
und alsbald ersann er einen zweiten Anschlag gegen 
Josephus. Indem er nämlich eine Krankheit vorschützte, 
bat er ihn schriftlich um die Erlaubnis, die warmen 



294 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Quellen in Tiberias 1 zu seiner Heilung gebrauchen zu 
dürfen. Josephus, der noch keine Ahnung von seiner 
Arglist hatte, schrieb an die Behörden der Stadt, sie 
möchten den Joannes gastfreundlich aufnehmen und ihm 
alles Nötige gewähren. Diese Empfehlung nutzte Joannes 
auch wirklich aus; kaum aber war er zwei Tage dort, als er 
den eigentlichen Zweck seines Aufenthaltes zu verfolgen be- 
gann, indem er die Einwohner teils durch falsche Vor- 
spiegelungen, teils durch Bestechung zum Abfall von Jo- 
sephus zu verleiten suchte. Silas, der von Josephus den 
Auftrag erhalten hatte, die Stadt zu überwachen, setzte diesen 
alsbald brieflich von dem verräterischen Treiben in Kennt- 
nis. Nach Empfang des Schreibens machte sich Josephus 
noch in der Nacht eiligst auf den Weg und kam mit 
Tagesanbruch nach Tiberias, wo das Volk ihm zur Be- 
grüssung entgegenzog. Joannes indes, der wohl ahnte, 
dass des Statthalters Anwesenheit ihm selbst galt, 
schickte einen seiner Vertrauten, schützte körperliche 
Schwäche vor und liess ihm sagen , er sei bettlägerig 
und könne ihm deshalb seine Aufwartung nicht machen. 
Als aber Josephus die Tiberienser in der Rennbahn* 
versammelt hatte und eben den Inhalt des Schreibens 
mit ihnen besprechen wollte, sandte Joannes in aller 
Stille Bewaffnete ab mit dem Auftrag, ihn aus dem 
Wege zu räumen. Kaum hatte das versammelte Volk 
bemerkt, wie die Bewaffneten schon in einiger Entfernung 
ihre Schwerter entblössten, als es ein lautes Geschrei 
erhob. Hierdurch aufmerksam gemacht, wandte Jo- 
sephus sich um und eilte, da er schon die Schwerter zu 
seiner Ermordung gezückt sah, ans Ufer hinab — er 
hatte nämlich, um zum Volke sprechen zu können, 
einen sechs Ellen hohen Erdhügel bestiegen — , sprang 


1 Heute noch finden sich bei Tabariye, dem allen Tiberias, heisse 
Quellen. Ibrahim Pascha liess hier im Jahre 1833 ein prachtvolles 
Badehaus errichten. Die Quellen setzen teils weissen, teils rotgelben 
Niederschlag ab, enthalten Schwefel, Kochsalz und Eisen und sind 
also denen von Aachen ähnlich. Robinson fand die Temperatur der 
• inen Quelle = 49 V 3 0 R. 


Go gle 



Zweites Buch, 21. Kapitel. 


295 


in einen dort liegenden Nachen und flüchtete sich mit 
zwei Leibwächtern in die Mitte des Sees. 

7. Nun aber griffen seine Soldaten plötzlich zu den 
Waffen und rückten gegen die Mordbande aus. Aus 
Besorgnis, es möchte, wenn ein Bürgerkrieg ausbräche, 
die ganze Stadt den feindlichen Umtrieben einiger 
wenigen Leute zum Opfer fallen, liess Josephus den 
Seinigen durch einen Boten sagen , sie sollten nur auf 
ihre eigene Sicherheit Bedacht nehmen, ohne einen der 
Schuldigen zu töten oder zur Verantwortung zu ziehen. 
Diesem Befehl gehorchten die Soldaten und verhielten 
sich ruhig; die Bevölkerung der Umgegend aber rottete 
sich, als sie von dem Verrat und seinem Urheber hörte, 
gegen Joannes zusammen, der sich indessen bereits durch 
die Flucht nach seiner Vaterstadt gerettet hatte. Aus 
allen Städten Galilaeas strömten nun viele tausend Be- 
waffnete zu Josephus und erklärten, sie seien gekommen, 
um gegen Joannes, den gemeinschaftlichen Feind, zu 
ziehen und ihn samt der Stadt, die ihn aufgenommen 
habe, zu verbrennen. Josephus sprach ihnen für ihre 
gute Gesinnung seine Anerkennung aus, suchte aber ihr 
Ungestüm zu mässigen, weil er seine Feinde lieber durch 
Klugheit überwältigen als ums Leben bringen wollte. 
Und nachdem er von den einzelnen Städten die Namen 
deijenigen erfahren hatte, welche mit Joannes abgefallen 
waren — die Bürger brachten nämlich ihre Verwandten 
bereitwillig zur Anzeige — , liess er durch Herolde die 
Drohung verkündigen, er werde die Habe derer, die nicht 
innerhalb fünf Tagen den Joannes verliessen , plündern 
lassen und ihre Häuser samt den Familien dem Feuer 
preisgeben. Dadurch brachte er sogleich dreitausend 
Mann auf seine Seite, die sich bei ihm einfanden und 
ihre Waffen ihm zu Füssen legten. Mit dem Reste 
seiner Anhänger, etwa zweitausend syrischen Flücht- 
lingen, verlegte sich Joannes wieder auf heimliche Nach- 
stellungen, nachdem der offene Angriff missglückt war. 
In aller Stille sandte er Boten nach Jerusalem, um den 
Josephus wegen seiner gewaltigen Streitmacht zu ver- 



296 J osephns, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

dächtigen, und liess sagen, gar bald werde der Statt- 
halter wohl als Tyrann in die Hauptstadt einziehen, 
wenn man sich seiner Person nicht vorher versichere. Das 
Volk hatte dies vorausgesehen und achtete nicht darauf; 
die Vornehmen aber und einige obrigkeitliche Personen 
schickten heimlich Geld an Joannes, damit er Söldner 
anwerben und gegen Josephus zu Felde ziehen könne. 
Auch beschlossen sie unter sich, letzteren von seinem 
Befehlshaberposten abzurufen. Da sie jedoch einsahen, 
der Beschluss allein werde dazu nicht genügen, sandten 
sie zweitausendfünfhundert Schwerbewaffnete und vier 
angesehene Männer, Joaesdros, den Sohn des Nomikos, 
Ananias, den Sohn des Sadduk, Simon und Judas, die 
Söhne des Jonathas, sämtlich hervorragende Redner, 
mit dem Auftrag ab, den Josephus um seine Beliebtheit 
beim Volke zu bringen und, wenn er sich gutwillig 
stelle, Rechenschaft von ihm zu fordern, wenn er aber 
seinen Posten mit Gewalt behaupten wolle, ihn als Feind 
zu behandeln. Den Josephus hatten nun seine Freunde 
von dem Anmarsch einer Truppenabteilung brieflich in 
Kenntnis gesetzt, den Grund aber hatten sie ihm nicht 
angeben können, weil der Plan der Feinde geheim ge- 
halten worden war. Er traf deshalb auch keine Vor- 
sichtsmassregeln , und so fielen alsbald vier Städte zu 
den Gegnern ab, Sepphoris, Gamal a , Gischala und 
Tiberias. Schnell aber brachte er dieselben ohne 
Schwertstreich wieder auf seine Seite, bekam dann durch 
List auch die vier Anführer sowie die mächtigsten der 
Bewaffneten in seine Gewalt und schickte sie nach Jeru- 
salem zurück. Hier war das Volk nicht wenig über sie 
aufgebracht und würde sie wohl samt ihren Begleitern 
umgebracht haben, wenn sie sich nicht durch die Flucht 
gerettet hätten. 

8. Aus Furcht vor Josephus hielt sich Joannes von 
nun an innerhalb der Mauern Gischalas. Wenige Tage 
nachher fiel übrigens Tiberias wieder ab, nachdem die 
Einwohner der Stadt die Hilfe des Königs Agrippa an- 
gerufen hatten. Dieser traf aber zu dem bestimmten 


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Zweites Bach, 21. Kapitel. 


297 


Zeitpunkt nicht ein, und da an demselben Tage einige 
römische Reiter in der Stadt sich zeigten , erklärten die 
Bürger durch einen Herold den Josephus für der Stadt 
verwiesen. Ihr Abfall ward sogleich nach Taricheae 
gemeldet; indes mochte Josephus, weil er gerade fast 
alle seine Soldaten zum Einholen von Proviant aus- 
geschickt hatte, allein gegen die Abtrünnigen nicht aus- 
rücken, anderseits auch nicht bleiben wo er war, weil 
sonst die Königlichen, während er zögerte, die 8tadt er- 
reichen konnten. Am folgenden Tage aber, der als 
Sabbat den Stillstand der Arbeiten gebot, war es ihm 
ohnehin nicht möglich, etwas zu unternehmen. So sann 
er denn darauf, die Abgefallenen zu überlisten : er liess 
die Thore von Taricheae schliessen, damit niemand seinen 
Plan denen, gegen welche er gerichtet war, verraten 
könne, und alle Kähne auf dem See zusammenbringen. 
Es fanden sich deren zweihundertdreissig, und in jedem 
waren nicht mehr als vier Schiffer. Mit ihnen fuhr er 
eiligst nach Tiberias. Er liess nun die halbleeren 
Nachen in einer Entfernung von der Stadt, wo man sie 
nicht deutlich sehen konnte, auf dem See umhertreiben, 
während er selbst mit nur sieben unbewaffneten Leib- 
wächtern mehr in den Gesichtskreis der Stadt hineinfuhr. 
Kaum aber erblickten ihn seine Gegner, die ihn bis 
dahin noch geschmäht hatten, von der Mauer herab, als 
sie in der Meinung, alle Kähne seien mit Kriegern ge- 
füllt, ihre Waffen von sich warfen, wie Schutzflehende 
mit Olivenzweigen schwenkten und ihn baten, die Stadt 
zu verschonen. 

9. Josephus drohte ihnen mit allem Nachdruck und 
machte ihnen Vorwürfe darüber, dass sie, die zuerst sich 
zum Kriege gegen die Römer angeschickt hätten, 
ihre Kräfte nun zum voraus im Bürgerzwist aufrieben, 
womit sie natürlich ihren Feinden den grössten Gefallen 
erzeigten. Weiterhin schalt er sie aus, dass sie jetzt den 
Mann, der für ihre Sicherheit sorge, aus dem Wege zu 
räumen suchten und sich nicht schämten, ihre Stadt dem 
zu verschliessen, der sie mit Mauern umgeben habe. Er 



298 Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

sei jedoch, so schloss er, bereit, diejenigen in Gnaden 
aufzunehmen, die ihre Schuld eingestehen und ihm be- 
hilflich sein wollten , sich der Stadt zu versichern. 
Daraufhin kamen alsbald die zehn einflussreichsten 
Bürger von Tiberias ans Ufer herab. Josephus liess sie 
in eines der Boote einsteigen und weit in den See 
hinausfahren. Alsdann beschied er fünfzig andere 
der angesehensten Mitglieder des Rates zu sich, als 
wollte er auch von ihnen das Gelöbnis der Treue ent- 
gegennehmen. Und immer wieder ersann er neue Vor- 
wände, um noch mehr Bewohner der Stadt wie zum Ab- 
schluss eines Übereinkommens zu sich zu rufen. Den 
Steuerleuten der angefüllten Schiffe aber gab er Befehl, 
so schnell wie möglich nach Taricheae zu segeln und 
die Männer dort ins Gefängnis zu bringen, bis er end- 
lich den ganzen, aus sechshundert Köpfen bestehenden 
Rat und etwa zweitausend vom niederen Volke in seine 
Gewalt bekommen und zu Schiff nach Taricheae ge- 
schleppt hatte. 

10. Die übrigen gaben nun mit lautem Geschrei einen 
gewissen Kleitos als Hauptanstifter des Abfalls an, und 
da sie an Josephus die Aufforderung richteten, seinem 
Zorn gegen ihn freien Lauf zu lassen, erteilte er, weil er 
entschlossen war, niemand am Leben zu strafen, einem 
seiner Trabanten Namens Levi den Befehl, jenem die 
Hände abzuhauen. Der Trabant aber, der sich vor der 
Menge der Feinde fürchtete, weigerte sich, allein hin- 
zugehen. Als nun Kleitos sah, wie Josephus selbst voll 
Unwillen ein Schiff bestieg und heraneilen wollte, um 
die Strafe zu vollziehen, bat er vom Ufer aus flehent- 
lich, man möge ihm doch wenigstens die eine Hand 
lassen. Jesephus bewilligte ihm die Bitte unter der Be- 
dingung, dass er selbst sich die andere Hand abschlage, 
und wirklich zog Kleitos mit der Rechten sein Schwert 
und hieb sich die Linke ab — so gross war seine Angst 
vor Josephus. Auf diese Weise unterwarf sich letzterer 
mit leeren Nachen und sieben Trabanten die Einwohner 
von Tiberias und brachte die Stadt wieder auf seine 


Go gle 



Zweites Buch, 22. Kapitel. 


299 


Seite. Wenige Tage darauf nahm er Gischala, das mit 
Sepphoris abgefallen war, und überliess es seinen Leuten 
zur Plünderung. Übrigens gab er alles, was er zu- 
sammenbringen konnte, den Bürgern der Stadt zurück, 
ebenso denen von Sepphoris und Tiberias; denn er 
wollte ihnen, nachdem er sie überwältigt hatte, durch 
die Plünderung nur eine Warnung erteilen, und gewann 
sich nun durch Rückgabe des Eigentums ihre Zu- 
neigung wieder. 


Zweiundzwanzigstes Kapitel. 

Kriegsrüstungen der Juden. 

Simon, des Gioras Sohn, verlegt sich auf Räubereien. 

1. Damit war die Gärung in Galilaea zu Ende, und 
man wandte sich nun, da die inneren Zwistigkeiten ruhten, 
zu den Kriegsrüstungen gegen die Römer. In Jerusalem 
setzten der Hohepriester Ananus und die Mächtigen, 
soweit sie nicht römisch gesinnt waren, die Mauer in 
Stand und liessen eine Menge Kriegsgerät anfertigen. 
Rings in der Stadt wurden Geschosse und vollständige 
Rüstungen geschmiedet; haufenweise beschäftigten sich 
die jungen Leute mit planlosen Waffenübungen, und 
überall herrschte ein lärmendes Getöse. Grosse Nieder- 
geschlagenheit aber bemächtigte sich der friedliebenden 
Bürger, und gar viele brachen, den kommenden Jammer 
voraussehend , in laute Wehklagen aus. Auch stellten 
sich Wahrzeichen ein, welche von dem ruhigen Teile 
der Bevölkerung für unheilverkündend gehalten wurden, 
während die Anstifter des Krieges sie leichtfertig nach 
ihrem Gefallen auslegten. Noch ehe die Römer heran- 
zogen, hatte Jerusalem bereits das Ansehen einer dem 
Untergang geweihten Stadt. Ananus gedachte nun die 
Kriegsrüstungen für kurze Zeit zu unterbrechen, um die 
Aufständischen und den Wahnsinn der sogenannten 
Zeloten auf das allgemeine Wohl hinzulenken, doch 


Go gle 



300 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


musste er der Gewalt weich en. Später 1 werde ich noch 
berichten, welches Ende er fand. 

2. In der Toparchie Akrabatene brachte Simon , des 
Gioras Sohn, eine Menge Unzufriedener zusammen und 
verlegte sich auf Räubereien, wobei er nicht nur die 
Häuser der Reichen plünderte, sondern auch sie selbst 
körperlich misshandelte. Schon jetzt traten die Anfänge 
seiner späteren Tyrannei zutage. Ananus und die 
anderen obrigkeitlichen Personen schickten Truppen 
gegen ihn aus; er aber flüchtete sich mit seinen Spiess- 
gesellen zu den Räubern nach Masada, 2 wo er bis zum 
Sturze des Ananus und seiner übrigen Gegner verblieb. 
Während dieser Zeit beteiligte er sich an den Streif- 
zügen der Banditen nach Idumaea, dessen Behörden in- 
folge der vielen Mordthaten und beständigen Räubereien 
sich genötigt sahen , ein Heer zu sammeln und Be- 
satzungen in die Dörfer zu legen. So standen damals 
die Dinge in Judaea. 

1 IV, 5,2. 

2 S. 17, 2 und 17, 8. 



Drittes Buch 


Inhalt. 

1. In welche Stimmung Nero geriet, als er von dem Wirrwarr in 

Judaea hörte. 

2. Wie die Juden nach des Cestius Niederlage Askalon angriffen, 

aber zweimal geschlagen wurden und gegen zwanzigtausend 
Mann verloren. 

3. Wie Vespasianus mit den in Antiochia stehenden Truppen nach 

Ptolemais zog , wo ihm Bürger von Sepphoris in Galilaea ent- 
gegenkamen und ihre Unterwerfung anboten. 

4. Beschreibung von Galilaea und von ganz Judaea. Wie Josephus 

sich zur Einnahme von Sepphoris anschickte, aber von dem 
Tribun Placidus, der zu Hilfe eilte, zurückgeschlagen wurde. 

5. Wie Titus von Achaja nach Alexandria übersetzte, dann von dort 

auf brach und zu seinem Vater stiess , der so grosse Streitkriifte 
wie möglich zusammengebracht hatte. 

6. Schilderung des römischen Heer- und Lagerwesens, sowie der 

übrigen vortrefflichen römischen Einrichtungen. 

7. Wie Placidus von Jotapata zurückgeschlagen wurde, und wie 

Vespasianus von Ptolemais aulbrach und in Judaea einfiel. 

8. Das römische Heer auf dem Marsche. 

9. Wie die Juden in Schrecken gerieten, als sie die straffe Zucht 

der Körner gewahrten , und wie die Körner nach der Einnahme 
von Gabara alle Bewohner der Stadt ohne Unterschied des 
Alters niedermachten. 

10. Wie Josephus durch seine Flucht nach Tiberias allen Einwohnern 

Furcht einjagte, und wie er ein Schreiben über den Stand der 
Dinge nach Jerusalem richtete, worauf er nach Jotapata zurück- 
kehrte. 

11. Wie Vespasianus, sobald er vernommen hatte, Josephus sei nach 

Jotapata geflohen, ihn dort belagerte. 

12. Beschreibung von Jotapata. Wie Vespasianus, nachdem er allen 

freien Kaum vor den Mauern mit Erdwerken ausgefüllt hatte, 
die Wurfmaschinen auf stellen liess. 

13. Wie Josephus Gegenmassregeln traf, die Mauern erhöhte, den 

Seinigen das Trinkwasser sparsam zumass und andere Mittel 
ersann, um die Belagerung in die Länge zu ziehen. 

14. Wie Josephus, als er die Hoffnung auf Erhaltung der Stadt auf- 

gegeben hatte und sie deshalb verlassen wollte, von den Bürgern 
daran gehindert wurde. 



302 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


15. Über die Beschaffenheit der „Widder“ genannten Maschine. 
• Wie die Juden die Belagerungswerke der Körner in Brand 

steckten. 

16. Von Eleazar, dem Sohne des Samaeas. Wie Vespasianus am 

Fuss verwundet wurde. 

17. Von der Kraft der Ballisten und Katapulten, und wie weit die 

von den Geschossen derselben abgerissenen Körperteile ge- 
schleudert wurden. 

18. Wie Vespasianus die Stadt mit dreifacher Sturmkolonne umgab, 

und was Josephus dagegen ins Werk setzte. 

19. Wie Josephus siedendes Öl auf die Belagerer hinabgiessen und 

die Sturm brücken durch abgekochtes griechisches Heu schlüpfrig 
machen liess. 

20. Wie Vespasianus die Wälle erhöhen und festere Belagerungs- 
türme an die Stadt heranrücken liess. 

21. Wie die nahe bei Jotapata gelegene Stadt Japha in diesen Tagen 

von den Körnern erstürmt wurde, nachdem zuerst Trajanus und 
sodann Titus dorthin entsandt worden war. 

22. Wie die Samariter von Cerealis gänzlich aufgerieben wurden. 

23. Wie Jotapata infolge der Verräterei eines Überläufers ein- 

genommen wurde, und wie der Centurio Antonius dabei 
umkam. 

24. Wie Josephus sich in einer Cisteme versteckte und samt einer 

Anzahl Waffengefährten dort verborgen blieb, aber, von einem 
Weibe verraten, den Entschluss fasste, sich den Körnern zu er- 
geben. 

25. Wie des Josephus Gefährten sich diesem Plan widersetzten, und 

welche Vorstellungen er ihnen darauf machte. 

26. Wie er, unfähig, sie für seinen Plan zu gewinnen, sie beredete, 

durchs Los zu bestimmen, wer von ihnen durch die Hand 
seiner Gefährten umkommen solle, und wie er dann selbst mit 
noch einem anderen übrig blieb und den Körnern vorgeführt 
wurde. 

27. Des Josephus Ansprache »in Vespasianus, und wie gnädig er von 

ihm behandelt wurde. 

28. Wie Vespasianus nach Caesarea am Meer zurückkehrte, um da- 

selbst mit seinem Heere zu überwintern. 

29. Wie die aus den zerstörten Städten entflohenen Juden sich zu- 

sammenscharten und Joppe wieder befestigten, aber von den 
Römern niedergemacht wurden, die alsdann die Stadt dem Erd- 
boden gleich machten. 

30. Wie die Jerusalemer durch die Nachricht vom Schicksal Jota- 

patas erschüttert wurden, und wie sie zuerst, als ihnen der Tod 
des Josephus gemeldet ward, sich in Wehklagen ergingen, dann 
aber auf die Kunde, er werde von den Römern sehr ehrenvoll 
behandelt, in Erbitterung gerieten und nun noch stürmischer 


Go gle 


jp [ VE.R s IlTOF C aLIPP r N I a 



Drittes Buch, 1. Kapitel. 


303 


nach dem Kriege verlangten , um an Josephus wie an den 
Körnern ihre Rache kühlen zu können. 

31. Wie Vespasianus auf Agrippas Einladung von Caesarea am 

Meer nach Caesarea Philippi sich begab, wo er die Nachricht 
vom Abfall der Städte Tiberias und Taricheae erhielt. 

32. Wie Tiberias genommen wurde, nachdem die Einwohner aus Reue 

über ihren Abfall um Verzeihung gebeten hatten. 

33. Wie Titus von seinem Vater nach Taricheae geschickt wurde und, 

als er die Seinigen über die Menge der Feinde in Schrecken 
geraten sah, sie durch eine Ansprache ermutigte. 

34. Wie die Römer, durch des Titus Rede gestärkt und gehoben, 

Taricheae erstürmten und eine Menge Feinde niedermetzelten. 

35. Beschreibung des Jordan und der Landschaft Gennesar. 

36. Welche Behandlung der Feldherr Vespasianus den gefangenen 
Taricheaten zuteil werden liess. 


Erstes Kapitel. 

Nero betraut den Vespasianus mit der Führung des Krieges 
gegen die Juden. 

1. Als Nero von den Unfällen in Judaea Kunde er- 
hielt, ergriff ihn, wie natürlich, geheime Angst und Be- 
stürzung; äusserlich jedoch spielte er den Übermütigen 
und behauptete in seinem Zorn, an dem Geschehenen 
sei mehr die Nachlässigkeit der Führer als die Tapfer- 
keit der Feinde schuld. Er glaubte nämlich, der 
Majestät des Herrschers gezieme es, unglückliche Er- 
eignisse für nichts zu achten und den Schein anzu- 
nehmen , als sei seine Seele über alle Widerwärtigkeiten 
erhaben. Sein kummervolles Wesen verriet indes deut- 
lich die in seinem Inneren herrschende Unruhe. 

2. Indem er nun überlegte, wem er den aufgeregten 
Orient an vertrauen sollte, um die Juden für ihren Ab- 
fall zu züchtigen und sich der Nachbarvölker, die eben- 
falls schon vom Geiste der Empörung angesteckt waren, 
zu versichern, fand er allein Vespasianus 1 der Aufgabe 

1 Titus Flavius Vespasianus , geboren 9 n. Chr. , hatte bis 
dahin Kriegsdienste in Thrakien, Germanien, Britannien und Afrika 
gethan. 


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304 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gewachsen und fähig, die Führung eines Krieges von 
solcher Bedeutung zu übernehmen. War er doch der 
Mann, der, im Kriegsdienst aufgewachsen und ergraut* 
schon vor längerer Zeit das von den Germanen er- 
schütterte Abendland den Römern wiedergewonnen, das 
bis dahin unbekannte Britannien mit Waffengewalt ihrer 
Oberherrschaft unterworfen und dadurch dem Vater 
Neros, Claudius, einen völlig mühelosen Triumph ver- 
schafft hatte. 

3. Dies alles sah Nero als günstige Vorbedeutung 
an, und da er ausserdem das gesetzte Alter des kriegs- 
erfahrenen Mannes, seine bisherige, jetzt auch noch durch 
seine Söhne verbürgte Ergebenheit, sowie der letzteren 
jugendliche Kraft, deren sich die Klugheit des Vaters 
gleichsam als der Hand bedienen konnte, in Betracht 
zog, vielleicht aber auch, weil Gott schon alles zum 
voraus so geordnet hatte, sandte er ihn ab , 1 um den 
Oberbefehl über die Heere in Syrien zu übernehmen, 
nachdem er zuvor, um seinen Eifer anzuspornen, im 
Drange der Not ihn auf mancherlei Weise zu begütigen 
und durch freundliches Benehmen zu gewinnen gesucht 
hatte . 2 Vespasianus schickte nun von Achaja aus, wo 
er sich mit Nero befand , seinen Sohn Titus nach 
Alexandria, um dort die fünfte und zehnte Legion zu 
holen. Er selbst aber setzte über den Hellespont und 
kam auf dem Landweg in Syrien an, wo er die rö- 
mischen Streitkräfte und von den benachbarten Königen 
zahlreiche Hilfstruppen zusammenzog. 

1 67 n. Chr. 

* Vorher nämlich war er ihm nicht besonders hold gewesen, 
weil Vespasianus häufig, wenn Nero sang, das Theater verliess oder 
einschlief (s. Sueton, Vespas. 3). 



Drittes Buch» 2. Kapitel. 


305 


Zweites Kapitel. 

Niederlage der Juden bei Askalon. Vespasianus marschiert 
nach Ptolemais. 

1. Nach der Niederlage des Cestius durch ihre un- 
erwarteten Erfolge übermütig gemacht, vermochten die 
Juden ihr Ungestüm nicht mehr zu mässigen und 
suchten, wie wenn ihr Glück sie nicht ruhen Hesse, dem 
Kriege immer weitere Ausdehnung zu geben. Unverzüg- 
lich sammelte sich daher alles, was streitbar war, und 
brach gegen Askalon auf. Es ist dies eine alte, fünf- 
hundertzwanzig Stadien von Jerusalem entfernt liegende 
Stadt, die den Juden von jeher verhasst war, weshalb 
sie auch jetzt das erste Ziel ihres Angriffs sein sollte. 
An der Spitze des Unternehmens standen drei durch 
Körperkraft und Einsicht hervorragende Männer, der 
Pera’ite Niger, der Babylonier Silas und der Essäer 
Joannes. Askalon war zwar stark befestigt, aber fast 
ohne Besatzungstruppen: es lagen nämlich in der Stadt 
nur eine Kohorte Fussvolk und eine einzige Reiter- 
schwadron unter dem Kommando des Antonius. 

2. In ihrer Erbitterung hatten die Juden ihren Marsch 
derart beschleunigt, dass sie auf einmal vor der Stadt 
auftauchten, als wären sie ganz aus der Nähe gekommen. 
Antonius aber, der von ihrer Absicht, Askalon anzu- 
greifen, in Kenntnis gesetzt worden war, hatte bereits 
seine Reiter herausgeführt, hielt, ohne sich von der 
Menge der Feinde und ihrer Kühnheit einschüchtern zu 
lassen, ihre ersten Anläufe aus und schlug die, welche 
gegen die Mauer drängten, zurück. Ungeübt gegen 
kriegsgewandte Soldaten kämpfend , zu Fuss gegen 
Reiterei, regellos aufgestellt gegen dichtgeschlossene 
Haufen, Kriegern in voller Rüstung gegenüber nur mit 
schnell zusammengerafften Waffen versehen, mehr von 
Zorneseifer als von vernünftiger Überlegung geleitet, und 
dabei Leuten gegenüberstehend, die wohldiscipliniert 
waren und alle Befehle auf den Wink hin vollzogen, 
wurden die Juden leicht überwältigt. Denn sobald ihre 

Josephus, Jüdischer Krieg. 20 



306 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


vordersten Reihen einmal in Verwirrung geraten waren, 
wandten sie sich vor den Reitern zur Flucht, stiessen 
auf diejenigen, die hinter ihnen der Mauer zudrängten, 
und verwundeten sich untereinander, bis endlich alles 
den Angriffen der Reiterei wich und über die ganze 
Ebene hin sich zerstreute. Diese aber war ausgedehnt 
und den Pferden überall zugänglich, was den Römern 
so sehr zu statten kam , dass sie die meisten Juden 
niedermetzeln konnten. Sie ritten nämlich den Fliehen- 
den voraus und machten dann wieder kehrt gegen sie, 
sprengten die., welche auf der Flucht sich sammelten, 
auseinander und töteten sie massenweise. Andere um- 
zingelten einzelne Haufen der Juden von allen Seiten, 
drängten sie zusammen und schossen sie mit leichter 
Mühe nieder. Die Juden kamen sich eben trotz ihrer 
grossen Anzahl verlassen vor, weil sie völlig den Kopf 
verloren hatten ; den Römern aber, so wenige ihrer auch 
waren, verlieh ihr Glück das Gefühl, als hätten sie 
übrig genug Mannschaft. Indem nun die ersteren aus 
Scham über ihre rasche Flucht und in der Hoffnung auf 
eine günstige Wendung des Treffens mit ihrem Unglück 
rangen und die anderen nicht müde wurden, ihr Glück 
auszunutzen, zog sich der Kampf bis zum Abend hin. 
Schliesslich deckten zehntausend Juden, unter ihnen 
auch die beiden Anführer Joannes und Silas, als Leichen 
das Schlachtfeld, während die übrigen, der Mehrzahl 
nach verwundet, mit dem noch lebenden Niger sich in 
ein idumaeisches Städtchen Namens Sallis flüchteten. 
Auf seiten der Römer waren in diesem Treffen nur 
wenige verwundet worden. 

3. Die schreckliche Niederlage vermochte indes den 
Stolz der Juden nicht zu beugen, sondern das Unglück 
bestärkte sie in ihrer Tollkühnheit nur noch mehr, und 
ungeachtet der vielen Leichen, die zu ihren Füssen 
lagen , Hessen sie sich durch ihre früheren Erfolge so- 
weit verblenden , dass sie einer zweiten Niederlage ge- 
radezu in die Arme liefen. Sie gönnten sich nämlich 
nicht einmal so viel Zeit, als zur Heilung ihrer Wunden 



Drittes Buch, 2. Kapitel. 


307 


erforderlich war; vielmehr sammelten sie unverzüglich 
ihre ganze Streitmacht wieder, um in noch grösserer An- 
zahl und mit grimmigerer Wut denn zuvor Askalon 
abermals anzugreifen. Dorthin aber folgte ihrer Un- 
erfahrenheit und ihren sonstigen kriegerischen Mängeln 
auch ihr früheres Schicksal auf dem Fusse nach. Da 
nämlich Antonius schon vorher die Pässe besetzt hatte, 
fielen sie unvermutet in Hinterhalte, wurden, noch ehe 
sie sich in Schlachtordnung aufstellen konnten, von den 
Reitern umzingelt und verloren wiederum über acht- 
tausend Mann. Die übrigen ergriffen sämtlich die 
Flucht, unter ihnen auch Niger, der während des Rück- 
zuges noch manche kühne That verrichtete. Der Feind 
aber setzte ihnen nach und trieb sie in einen festen 
Turm des Dorfes Bezedel zusammen. Um nun bei dem 
fast uneinnehmbaren Turm sich nicht auf halten zu 
müssen und doch auch den Anführer der Feinde, der 
zugleich deren tapferster Krieger war, nicht lebendig 
entschlüpfen zu lassen, steckten die Leute des Antonius 
das Mauerwerk von unten in Brand. Kaum hatte das 
Feuer den Turm zerstört, als die Römer voller Freude 
davonzogen in der Meinung, auch Niger sei in den 
Flammen umgekommen. Dieser aber war aus dem 
Turm in den verborgensten unterirdischen Gang der 
Burg hinabgesprungen, wo er sich drei Tage später, als 
die Seinigen ihn wehklagend suchten, um ihn zu be- 
graben, durch Rufe aus der Tiefe zu erkennen gab. 
Sein Erscheinen erfüllte alle Juden mit unverhoffter 
Freude; glaubten sie doch, dass Gottes Vorsehung ihnen 
in seiner Person einen Feldherrn für die Zukunft am 
Leben erhalten habe. 

4. Vespasianus, um auf diesen zurückzukommen, 
übernahm also in Antiochia, der Hauptstadt Syriens, 
die, was Grösse und Wohlstand anlangt, unstreitig den 
dritten Platz 1 unter den Städten des römischen Welt- 
reiches einnimmt, sein Heer und vereinigte sich daselbst 


1 Nach Rom und Alexandria. 


20 # 



308 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


auch mit dem König Agrippa, der an der Spitze seiner 
gesamten Streitmacht ihn erwartet hatte; alsdann eilte 
er nach Ptolemais. In dieser Stadt kamen ihm friedlich 
gesinnte Bürger von Sepphoris in Galilaea entgegen, die 
in rechter Würdigung ihres eigenen Vorteils und der 
Macht der Römer schon vor der Ankunft des Vespa- 
sianus mit Cestius Gallus ein Abkommen getroffen und 
Besatzungstruppen erhalten hatten. Zu freundlicher Be- 
grüssung traten sie jetzt vor den Feldherrn hin und 
versprachen, am Kampfe gegen ihre Landsleute teil- 
nehmen zu wollen. Auf ihre Bitte bewilligte Vespa- 
sianus ihnen eine Besatzung von Reiterei und Fussvolk, 
die seinem Dafürhalten nach stark genug war, um 
etwaigen Angriffen unruhiger Juden Widerstand zu 
leisten; denn der Verlust von Sepphoris schien ihm für 
den bevorstehenden Krieg sehr gefährlich, da es die 
grösste Stadt Galilaeas war, die denkbar festeste natür- 
liche Lage hatte und ein für die Überwachung des 
ganzen Volkes höchst wichtiger Posten werden konnte. 


Drittes Kapitel. 

Beschreibung von Galilaea, Samaria und Judaea. 

1. Galilaea zetfällt in das sogenannte Ober- und 
Unterland 1 und ist von Phoenicien und Syrien um- 
geben. 2 Gegen Westen wird es begrenzt von Ptolemais 
und seinem Gebiet sowie vom Karmel, dem einst gali- 
laeischen, jetzt aber tyrischen Gebirge, an welchem die 
Reiterstadt Gaba liegt, so genannt, weil sich in ihr die 
vom König Herodes aus dem Dienst entlassenen Reiter 
angesiedelt hatten. 3 Im Süden zieht es sich an dem 
Samariterland und Skythopolis entlang bis zum Jordan- 
flusse. Gegen Osten stossen daran die Bezirke von 


1 D. i. Nord- und Südgalilaea. 

* Nämlich im Westen und Norden. 

3 S. J. A. XV, 3, 5. 



Drittes Buch, 3. Kapitel. 


309 


Hippos und Qadara, ferner Gaulanitis und das König- 
reich des Agrippa 1 ; im Norden endlich schliesst sich 
Tyrus und dessen Gebiet an. Das galilaeische Unter- 
land erstreckt sich der Lange nach von Tiberias bis 
Chabulon unweit des Küstenstriches von Ptolemals, und 
der Breite nach 2 von dem Dorfe Xaloth in der grossen 
Ebene bis Bersabe, wo die Breiteausdehnung von Ober- 
galilaea beginnt und sich bis zu dem Dorfe Baka an 
der tyrischen Grenze fortsetzt, während die Länge des 
Oberlandes von Thella, einem Dorfe am Jordan, bis 
Meroth reicht. 

2. Ungeachtet des geringen Umfanges dieser beiden 
Landschaften und ihrer durchweg nichtjüdischen Um- 
gebung hielten die Galiläer doch jedem feindlichen 
Angriff stand, da sie von Jugend auf mit dem Kampfe 
vertraut waren und allzeit eine bedeutende Kopfzahl 
aufwiesen. Den Männern fehlte es nie an Mut, und 
dem Lande nie an Männern; letzteres nämlich ist üppig 
und weidereich, mit Bäumen aller Art in Hülle und 
Fülle bepflanzt und so ergiebig, dass es auch den 
trägsten Landmann zur Arbeit anregt. So kommt es, 
dass das ganze Land von seinen Bewohnern angebaut 
ist und kein Teil desselben brach liegt. Aus dem näm- 
lichen Grunde hat es eine Menge von Städten, und 
auch die Bevölkerung der Dörfer ist wegen der Frucht- 
barkeit des Bodens überall so dicht, dass selbst das 
kleinste Dorf mehr als fünfzehntausend Einwohner zählt. 3 - 

3. Überhaupt, wenn man auch der Grösse nach 
Galilaea unter Peraea setzen will, muss man doch, was 
Bedeutung angeht, dem ersteren den Vorrang lassem 
Denn es ist seiner ganzen Ausdehnung nach angebaut 
und geradezu überreich an fruchttragenden Gewächsen;. 
Peraea dagegen ist zwar viel grösser, aber doch meisten- 

1 S. unten Abschnitt 5. 

a Länge bedeutet hier die Ausdehnung von Osten nach Westen, 
Breite die von Norden nach Süden. 

3 Vergl. hierzu von Räumers schöne Untersuchung: Die Glaub- 
würdigkeit des Josephus (von Raumer, Palaestina, 4. Aufl., S. 460 ff.). 



310 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


teils menschenleer, rauh und zum Anbau der edlen 
Früchte zu wild. Die weniger rauhen, fruchtbaren 
Strecken indes und die mit verschiedenartigen Bäumen 
bepflanzten Ebenen werden meist zum Anbau des Öl- 
baumes, des Weinstockes und der Palme benutzt und 
sind von Gebirgsbächen oder, falls diese etwa vom 
Glutwind ausgetrocknet werden sollten, von beständig 
fliessenden Quellen hinlänglich bewässert. Der Länge 
nach erstreckt sich Peraea von Machaerus bis Pella, der 
Breite nach von Philadelphia bis zum Jordan, und zwar 
liegt Pella an der Nordgrenze, während der Jordan die 
Westgrenze bildet ; im Süden ist Moabitis das Nachbar- 
land, und im Osten stösst es an Arabien, Silbonitis, 1 das 
Gebiet von Philadelphia und an Gerasa. 

4. Das Samariterland liegt in der Mitte zwischen 
Judaea und Galilaea. Es beginnt bei dem Dorfe 
Ginaea in der grossen Ebene und endet bei der 
Toparchie Akrabatene. 2 Seine natürliche Beschaffenheit 
ist genau dieselbe wie die von Judaea; beide Land- 
schaften nämlich sind reich an Bergen und Ebenen, 
leicht zu bebauen, fruchtbar, mit Bäumen besät und voll 
wilden und zahmen Obstes. Natürliche Bewässerung 
ist nirgends reichlich vorhanden, dafür aber fallt um so 
mehr Regen. Die fliessenden Gewässer sind alle aus- 
nehmend süss, und die Fülle guter Futterkräuter macht 
das Vieh hier milchreicher als sonstwo. Der beste Be- 
weis für die Trefflichkeit und den Fruchtreichtum 
beider Landschaften ist die Dichtigkeit ihrer Be- 
völkerung. 

5. Auf der Grenze zwischen Samaria und Judaea 
liegt das Dorf Anuath mit dem Beinamen Borkeos, und 
zwar bildet dasselbe den Grenzort Judaeas gegen 
Norden, während das Südende der Landschaft — diese der 
Länge nach gemessen — durch ein an der Grenze gegen 
Arabien liegendes Dorf bezeichnet wird, welches die 

1 Wohl dasselbe wie Sebonitis oder Essebonitis (s. II, 18, 1). 

2 Die aber selbst schon zu Judaea gehörte (s. unten Abschnitt 5). 



Drittes Buch, 4. Kapitel. 


311 


dortigen Juden Jardas nennen. Die Breite erstreckt 
sich vom Jordanfluss bis Joppe. 1 Genau in der Mitte 
Judaeas liegt Jerusalem, daher denn auch manche diese 
Stadt nicht unpassend den Nabel des Landes genannt 
haben. Übrigens entbehrt Judaea auch nicht die An- 
nehmlichkeiten der See, da seine Meeresküste sich bis 
Ptolemai's hinzieht. Eingeteilt wird es in elf Bezirke, 
welche Jerusalem gleichsam als Königsstadt beherrscht, 
indem es sich über das umliegende Land erhebt wie 
das Haupt über den Leib. Die übrigen Städte ver- 
teilen sich auf folgende Toparchien: Gophna, Akra- 
batta, Thamna, Lydda, Ammaus, Pella, Idumaea, 
Engaddai, Herodium und Jericho Weitere Kreisstädte 2 
sind Jamnia und Joppe, und endlich kommen dazu 
noch 3 die Toparchie Gamala, Gaulanitis, Batanaea und 
Trachonitis, welche zugleich zum Gebiete des Königs 
Agrippa gehören. Letzteres beginnt beim Libanon- 
gebirge und den Quellen des Jordan und reicht der 
Breite nach bis zum See Tiberias, während seine Länge 
von dem Dorf Arpha bis Julias sich erstreckt. Die 
Bevölkerung besteht aus einem Gemisch von Juden und 
Syrern. Soviel in möglichster Kürze von Judaea und 
seiner Umgebung. 


Viertes Kapitel. 

Josephus greift Sepphoris an, wird aber zurückgeschlagen. 
Des Titus Ankunft in Ptolemai's. 

1. Die Hilfstruppen, welche Vespasianus unter dem 
Kommando des Placidus den Sepphoriten geschickt 
hatte, tausend Reiter und sechstausend Mann zu Fuss r 


1 Im Gegensatz zu Abschnitt 1 wird hier unter Breite die Aus- 
dehnung von Osten nach Westen, unter Länge die von Süden nach 
Norden verstanden. 

2 Die jedoch nicht zu Judaea, sondern zu Syrien gehörten (siehe 
J.A. XVII, 13, 5). 

3 Als Bestandteile von Palaestina überhaupt. 


Go gle 


U N f VgR S I W<)f C AÜf Ö&NIA 



312 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


schlugen zunächst ein Lager in der grossen Ebene auf, 
um sich dann zu trennen : das Fussvolk wurde als Be- 
satzung in die Stadt selbst gelegt, während die Reiterei 
im Lager verblieb. Beide Abteilungen unternahmen 
übrigens beständige Ausfälle und Streifzüge in die Um- 
gegend und fügten dadurch dem Josephus und seinen 
Leuten, obwohl diese sich nicht rührten, grossen Schaden 
zu, plünderten alles im Umkreise der Stadt aus und trieben 
die Bewohner, wenn sie sich einmal hervorwagten, zu- 
rück. Nichtsdestoweniger machte Josephus einen An- 
griff auf die Stadt und hoffte sie zu erobern, nachdem 
er selbst sie vor ihrem Abfall von den Galiläern so 
stark befestigt hatte, dass es sogar den Römern schwer 
gefallen wäre, sie einzunehmen. Aber gerade deshalb 
schlug auch seine Hoffnung fehl: er war ebensowenig 
imstande, die Sepphoriten mit Gewalt zu bezwingen, als 
sie durch Überredung auf seine Seite zu ziehen. Da- 
gegen musste er nun sehen, wie der Feind mit um so 
grösserer Erbitterung im Lande hauste. Im Unwillen 
über seinen Anschlag nämlich verwüsteten die Römer 
unablässig bei Tage wie bei Nacht die Felder, raubten 
den Landbewohnern ihre Habe, machten die streitbare 
Mannschaft nieder und verkauften die Schwächeren als 
Sklaven. Ganz Galilaea war von Mord und Brand er- 
füllt, und keine Plage noch Drangsal gab es, die nicht 
über das Land gekommen wäre; denn die einzigen Zu- 
fluchtsorte für die Verfolgten waren die von Josephus 
befestigten Städte. 

2. Unterdessen war Titus rascher, als die Winters- 
zeit erwarten liess, von Achaja nach Alexandria über- 
gesetzt und hatte die Streitmacht, die er dort holen 
sollte, übernommen. In Eilmärschen erreichte er als- 
bald Ptolemais, wo er mit seinem Vater zusammentraf 
und die zwei ausgezeichneten Legionen, die er selbst 
raitgebracht hatte , die fünfte nämlich und die zehnte, 1 
mit der von Vespasianus geführten fünfzehnten ver- 


1 Letztere aus Julius Caesars Feldzügen rühmlichst bekannt. 


Go gle 



Drittes Bach, 5. Kapitel. 


313 


einigte. Hierzu kamen noch achtzehn Kohorten, und 
ausserdem hatten sich eingefunden fünf Kohorten von 
Caesarea nebst einer Reiterschwadron sowie fünf weitere 
Schwadronen, die aus syrischen Reitern bestanden. Zehn 
der Kohorten hatten je tausend, die übrigen dreizehn je 
sechshundert Mann zu Fuss, die Reiterschwadronen je 
einhundertzwanzig Mann. Weiterhin wurde ein zahl- 
reiches Heer von den Königen zusammengebracht: Anti- 
öchus, Agrippa und Soemus stellten jeder gegen zwei- 
tausend Bogenschützen zu Fuss und tausend Reiter, und 
der Araber Malchus sandte tausend Reiter nebst fünf- 
tausend Mann Fusstruppen, grösstenteils Bogenschützen, 
sodass das gesamte Heer einschliesslich der königlichen 
Truppen sich auf etwa sechzigtausend Mann zu Fuss 
und zu Pferde belief. Nicht mitgezählt ist dabei der 
Tross, der in grosser Anzahl folgte, obwohl derselbe 
wegen der auch ihm eigenen Übung im Kriege gleich- 
falls dem streitbaren Heere zugerechnet werden könnte. 
Im Frieden nämlich liegen die Diener den gleichen 
Übungen wie ihre Herren ob, und im Kriege bestehen 
sie mit ihnen dieselben Gefahren, sodass sie, was Schulung 
und Körperkraft angeht, von niemand als eben von ihren 
Herren übertroffen werden. 


Fünftes Kapitel. 

Schilderung des römischen Heer- und Lagerwesens. 

1. Ist nun die Klugheit der Römer schon in dem 
einen Punkte zu bewundern , dass sie den Tross der 
Sklaven nicht nur zu den Dienstleistungen des täglichen 
Lebens, sondern auch für die Kriege brauchbar zu machen 
verstehen, so wird man, sieht man auf ihr sonstiges 
Heerwesen, erst recht inne, dass sie den Besitz ihres 
grossen Reiches nur ihrer eigenen Tüchtigkeit verdanken 
und nicht als Geschenk des Glückes anzusehen haben. 
Denn nicht im Kriege erst fangen sie an, sich mit den 



314 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Waffen vertraut zu machen, noch lassen sie die Tage 
der Not herankommen, ehe sie ihre Hände rühren, um 
sie dann im Frieden wieder sinken zu lassen, sondern 
sie leben, als wären sie in den Waffen geboren und 
aufgewachsen, in beständiger Übung derselben und 
warten nicht erst bestimmte Zeiten dafür ab. Bei ihren 
Übungen zeigen sie denselben straffen Ernst wie im 
wirklichen Gefecht, und täglich muss jeder Soldat mit 
allem Eifer Dienst thun wie im Kriege. Daher kommt 
es, dass sie die Schlachten so leicht nehmen; kann doch 
weder Verwirrung ihre gewohnte Schlachtordnung auf- 
lösen, noch Furcht sie ausser Fassung bringen, noch 
Anstrengung sie erschöpfen. Stets ist ihnen deshalb der 
Sieg über diejenigen sicher, welche ihnen in jenen Stücken 
nicht völlig gleichstehen. Recht treffend könnte man 
ihre Übungen unblutige Schlachten , ihre Schlachten 
blutige Übungen nennen. Auch durch plötzlichen Über- 
fall kann der Feind nicht viel gegen sie ausrichten; 
denn wenn sie in Feindesland eingedrungen sind, lassen 
sie sich nicht eher auf eine Schlacht ein, als bis sie ein 
festes Lager aufgeschlagen haben.’ Letzteres aber legen 
sie nicht aufs gerate wohl und in unregelmässiger Form 
an, noch so, dass alle durcheinander daran arbeiten; 
vielmehr wird zunächst der Platz, wenn er uneben ist, 
geebnet, und dann ein Viereck für das Lager abgesteckt. 1 
Hierauf macht sich die Schar der Handwerker mit den 
nötigen Bauwerkzeugen an die Arbeit. 

2. Der innere Raum wird für die Zelte in Beschlag 
genommen; die äussere Umfriedigung aber bietet den 
Anblick einer Mauer dar und ist in gleichen Abständen 
mit Türmen versehen. In den Zwischenräumen zwischen 
den letzteren stellen sie die Schnellwurfmaschinen, Kata- 
pulten, Ballisten 2 und sonstigen Schleuderwerkzeuge auf, 

1 Viereckig war das Lager in den meisten Fällen , aber nicht 
immer. 

a Die Katapulte, in Gestalt einer riesigen Armbrust gebaut, schoss 
Pfeile oder auch Bleikugeln in horizontaler Richtung, während die 
Bailiste mittels der Kraft einer gedrehten Tiersehne Steine in Bogen- 
linien schleuderte. 



Drittes Buch, 5. Kapitel. 


315 


und zwar alle schussfertig. Vier Thore sind in die 
Urawallung gebaut, eines in jede Seite derselben, alle 
bequem für den Durchgang von Lasttieren und breit 
genug für etwa nötig werdende Ausfälle. Innen ist der 
Lagerraum regelrecht in Viertel abgeteilt. In die Mitte 
kommen die Zelte der Führer zu stehen, und in deren 
Mitte wieder erhebt sich, einem Tempel ähnlich, das 
Feldherrnzelt. Der übrige Raum stellt eine gleichsam 
aus dem Stegreif hingeworfene Stadt dar mit einer Art 
Marktplatz, einer Stätte für die Handwerker und Richter- 
sitzen für die Obersten und Hauptleute, von denen aus 
sie etwaige Streitigkeiten schlichten. Die Verschanzung 
des Umkreises und die ganze innere Lagereinrichtung 
wird übrigens von den zahlreichen und geschickten 
Arbeitern mit der Schnelligkeit des Gedankens vollendet. 
Im Notfall kommt dazu noch ein Graben, der an der 
Aussenseite der Umwallung vier Ellen tief und ebenso 
breit gezogen wird. 

3. Sind die Verschanzungen fertig, so lagern die 
Soldaten in Ruhe und Ordnung in den Zelten. Auch 
alle übrigen Verrichtungen werden von ihnen mit der- 
selben Regelmässigkeit und Pünktlichkeit vollzogen: das 
Holztragen, die Herbeischaffung des nötigen Proviants 
und das Wasserholen besorgt immer diejenige Abteilung, 
die an der Reihe ist. Ferner darf niemand sein Früh- 
stück oder Mittagsmahl einnehmen, wann es ihm beliebt, 
sondern es geschieht dies von allen gleichzeitig. Zum 
Schlafengehen, zum Wachen und zum Aufstehen giebt 
die Trompete daB Zeichen ; nichts erfolgt ohne Kom- 
mando. Mit Tagesanbruch erscheinen sämtliche Soldaten 
vor den Centurionen, um sie zu begrüssen, diese ebenso 
vor den Tribunen, mit welchen sodann alle Offiziere zu 
demselben Zweck vor den Oberbefehlshaber treten. Dieser 
giebt ihnen nun herkömmlicherweise die Losung und 
die sonstigen Befehle, damit sie dieselben ihren Unter- 
gebenen mitteilen. Letzteres Verfahren beobachten sie 
auch in der Schlacht, wodurch es ihnen möglich wird, 
in dichten Massen schnelle Bewegungen zum Angriff 



316 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


oder zum Rückzug, je nachdem das eine oder andere 
erforderlich ist, auszuführen. 

4. Soll das Lager verlassen werden, so ertönt ein 
Trompeten signal. Niemand bleibt da noch müssig; auf 
den ersten Wink werden die Zelte abgebrochen und 
alles zum Abmarsch in Bereitschaft gesetzt. Abermals 
giebt die Trompete ein Zeichen, dass man sich fertig 
machen solle. Eiligst laden nun die Soldaten den 
Mauleseln und den übrigen Lasttieren das Gepäck auf 
und stehen dann wie die Wettläufer hinter der Schranke, 
zum Aufbruch gerüstet. Hierauf stecken sie die Ver- 
schanzungen in Brand, einmal weil sie an der Stelle des 
Lagers mit leichter Mühe ein neues errichten können, 
und dann auch um zu verhüten, dass der Feind sich 
ihrer zu seinem eigenen Vorteil bediene. Ein drittes 
Trompetensignal kündigt den Abmarsch an uud treibt 
die aus irgend einem Grunde noch Zögernden zur Eile, 
damit niemand an seinem Platz fehle. Nun fragt der 
zur Rechten des Feldherrn stehende Herold dreimal in 
römischer Sprache, ob alles zum Kampf bereit sei. Als 
Antwort rufen die Soldaten ebenso oft ein lautes und freu- 
diges Ja; zuweilen auch warten sie die Frage gar nicht ab, 
sondern erheben die rechteHand und lassen voll kriegerischer 
Begeisterung ein weithin schallendes Geschrei ertönen. 

5. Alsdann rücken sie aus und ziehen ruhig und in 
grösster Ordnung ihres Weges; jeder hält seinen Platz 
im Gliede bei wie in der Schlacht. Das Fussvolk ist 
mit Brustharnisch und Helm ausgerüstet und trägt an 
beiden Seiten eine Schneidwaffe ; das Schwert zur Linken 
ist bedeutend länger als die Waffe rechts, die nur in 
einem spannenlangen Dolch besteht. Die auserlesenen 
Fusssoldaten in der engeren Umgebung des Feldherrn 
führen Lanzen und runde Schilde, der übrige Teil des 
Fuss Volkes Speere und längliche Schilde, Säge und 
Korb, Spaten und Axt, ausserdem noch Riemen, Sichel, 1 


1 Die Kiemen dienten zur Fesselung der Gefangenen, die Sicheln 
zum Durchschneiden von Stricken oder Riemen , mit denen etwa 
römische Soldaten gebunden sein sollten. 



Drittes Buch, 5. Kapitel. 


317 


Kette und Proviant für drei Tage, sodass die Fussgänger 
beinahe so viel wie die Lasttiere zu tragen haben. 1 2 Die 
Reiter haben an der rechten Seite ein langes Schwert, 
in der Hand einen kürzeren Speer ; an der Seite des 
Pferdes hängt querüber ein länglicher Schild; im Köcher 
führen sie drei oder mehr Wurfspiesse mit breiter Spitze 
und von der Länge einer Lanze. Helm und Panzer 
sind dieselben wie beim Fussvolk. Die auserlesenen 
Reiter in der Nähe des Feldherrn haben keine andere’ 
Ausrüstung wie die in den Schwadronen. Den Vortrab 
bildet immer diejenige Legion, welche durchs Los dazu 
bestimmt ist. 

6. So halten es die Römer auf dem Marsch, im 
Lager und mit den verschiedenen Waffengattungen. 
Was nun die Schlachten betrifft, so geschieht in ihnen 
nichts ohne vorherige Überlegung oder aufs geratewohl, 
sondern es liegt jeder Handlung ein bestimmter Plan 
zu Grunde; umgekehrt folgt dem Entschluss auch gleich 
die Ausführung. Deshalb begehen sie fast gar keine 
Missgriffe, und jeder Verstoss wird leicht wieder gut ge- 
macht. Ein Unfall als Folge eines zuvor entworfenen 
Planes ist ihnen immer noch lieber, als ein Glück, das 
ihnen der Zufall verschafft. Sie sind eben der Meinung, 
dass ein ohne Zuthun des Handelnden gewonnener Vor- 
teil zur Unvorsichtigkeit verleite, während vernünftiges 
Nachdenken, wenn es auch einmal nicht vom Glück be- 
günstigt sei, das edle Streben im Gefolge habe, künftiges 
Misslingen zu verhüten. Auch seien zufällige Erfolge 
nicht das Werk dessen, dem sie zugut kämen; traurige 
Ereignisse dagegen, welcher aller Berechnung zum Trotz 
einträten, gewährten doch wenigstens noch den Trost, 
dass man gehörig überlegt habe. 

7. Mit ihren Waffenübungen wollen sie übrigens 
ebensowohl den Körper als den Geist kräftigen. Ein 


1 Nach Polybius wurde die längere Waffe rechts getragen. Die 
Darstellungen auf der Trajanssäule zeigen beide Arten der 

Gürtung. 



318 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


weiteres Zuchtmittel ist die Abschreckung; denn ihre 
Gesetze bestrafen nicht nur Fahnenflucht, sondern auch 
geringere Vergehen mit dem Tode. Furchtbarer noch 
als die Gesetze ist die Strafgewalt der Feldherren, die 
nur dadurch, dass sie den Tapferen hohe Belohnungen 
zuerkennen, der Meinung entgegenarbeiten können, als 
verführen sie wirklich grausam gegen die Strafwürdigen. 
Der Gehorsam gegen die Führer ist aber auch so gross, 
dass das ganze Heer im Frieden den Anblick einer 
Parade, in der Schlacht den eines einzigen Körpers dar- 
bietet — so festgefügt sind die Reihen, so leicht die 
Schwenkungen, so gespannt die Ohren auf Befehle, die 
Augen auf Winke, so thatbereit die Hände. Daher sind 
die römischen Soldaten stets rasch zum Handeln ent- 
schlossen und nur sehr schwer in eine bedrängte Lage 
zu bringen. Stehen sie einmal in Schlachtordnung, so 
weichen sie weder der Überzahl, noch der Kriegslist, 
noch- der Schwierigkeit des Terrains, noch selbst der 
Ungunst des Glückes ; denn fester als an letzteres glauben 
sie an den Sieg. Was wunder also, wenn ein Volk, das 
immer erst überlegt, bevor es handelt, und hinter dessen 
Beschlüssen ein so schlagfertiges Heer steht, im Osten 
den Euphrat, im Westen den Ocean, im Süden die fetten 
Gefilde Libyens, im Norden die Donau und den Rhein 
zu Grenzen seines Reiches hat? Der Besitz, kann man 
mit Recht jäagen, ist immer noch kleiner, als die Besitzer 
verdienen. 

8. Mit dieser Darlegung bezwecke ich übrigons nicht 
so sehr die Römer zu loben, als vielmehr die Unter- 
jochten zu trösten und die Empörungslustigen auf andere 
Gedanken zu bringen. Vielleicht auch kann die Ein- 
richtung des römischen Heerwesens denen zur Belehrung 
dienen, die Vortreffliches zu schätzen wissen, ohne es 
doch recht zu kennen. Nach dieser Abschweifung will 
ich nunmehr den Faden meiner Erzählung wieder auf- 
nehmen. 


Go gle 



Drittes Buch, 6. Kapitel. 


319 


Sechstes Kapitel. 

Placidus von Jotapata zurückgeschlagen. Vespasianus 
fällt in Galilaea ein. 

1. Vespasianus hielt sich zunächst mit seinem Sohne 
Titus in Ptolemais auf und brachte sein Heer in Ord- 
nung. Unterdessen durchzog Placidus Galilaea, wo er 
eine Menge Einwohner aufgreifen und niedermachen liess. 
Freilich war das nur der schwächere und mutlos ge- 
wordene Teil der Galiläer; denn die streitbare Mann- 
schaft floh, wie Placidus wohl merkte, jedesmal in die 
von Josephus befestigten Städte. Er rückte daher gegen 
die festeste derselben, Jotapata, heran, in der Hoffnung,, 
sie durch Überrumpelung leicht einnehmen, sich selbst 
dadurch bei den beiden Feldherren rühmlich st empfehlen 
und den letzteren einen bedeutenden Vorteil für die 
Weiterführung des Krieges verschaffen zu können; er 
glaubte nämlich, nach dem Falle der stärksten Festung 
würden die übrigen Städte sich wohl aus Furcht ergeben. 
Seine Hoffnung erwies sich indes als trügerisch; denn 
die Bewohner von Jotapata hatten seine Annäherung 
erfahren und erwarteten ihn vor der Stadt, wo sie in 
dem Bewusstsein, für das bedrohte Vaterland und für 
Weib und Kind zu streiten, kampfgerüstet und kampfes- 
mutig in grosser Anzahl unversehens über die Römer 
herfielen. In kurzer Zeit hatten sie dieselben geworfen 
und viele von ihnen verwundet; doch gelang es ihnen 
nicht, mehr als sieben Römer zu töten , da die Feinde 
sich in grösster Ordnung zurückzogen. Zudem drangen 
die Schwerthiebe in die von allen Seiten wohlgeschützten 
Leiber der Römer nicht tief ein, und es wagten auch 
die leichtgerüsteten Juden ihre schwerbewaffneten Gegner 
weniger in der Nähe als vielmehr nur aus der Ferne 
mit Geschossen anzugreifen Auf seiten der Juden be- 
trug der Verlust drei Tote und wenige Verwundete, 
Placidus aber überzeugte sich, dass er zum Angriff 
auf die Stadt zu schwach sei, und wandte sich zur 
Flucht. 



£20 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

2. Nun entschloss sich Vespasianus, selbst in Gali- 
laea einzufallen, und brach deshalb von Ptolemais auf, 
indem er das Heer nach römischer Sitte sich in Marsch 
setzen Hess. Vorauf nämlich schickte er die leicht- 
bewaffneten Hilfstruppen und die Bogenschützen, welche 
unvermutete Angriffe der Feinde Zurückschlagen und 
verdächtige, zu Hinterhalten geeignete Waldungen durch- 
suchen sollten. Ihnen folgte eine Abteilung römischer 
Schwerbewaffneter, Reiterei sowohl als Fussvolk, und 
diesen von jeder Centurie zehn Mann, welche ausser 
ihrem eigenen Gepäck die Werkzeuge zum Abstecken 
des Lagers trugen. Hierauf kamen die Strassenarbeiter, 
deren Aufgabe es war, höckerige Stellen der Heerstrasse 
abzutragen, schwer beschreitbare Strecken zu ebnen und 
hinderliches Buschwerk zu entfernen, damit das Heer 
nicht infolge allzu beschwerlichen Marschierens ermatte. 
An sie schloss sich das Gepäck des Feldherrn und der 
Unterbefehlshaber unter Bedeckung einer zahlreichen 
Reiterschar, und dann ritt er selbst einher, gefolgt von 
auserlesenem Fussvolk, Reiterei und Lanzen trägem. Es 
kamen nun die den Legionen besonders zugeteilten Reiter, 
deren jede einhundertzwanzig hat, weiterhin die Maul- 
tiere mit den Wandeltürmen und den übrigen Belagerungs- 
maschinen; hierauf die Legaten, die Befehlshaber der 
Kohorten und die Tribunen, von auserlesener Mannschaft 
umgeben. Hinter diesen wurden die Feldzeichen getragen, 
in ihrer Mitte der Adler, den bei den Römern jede Legion 
an der Spitze führt. Als König und als der stärkste 
aller Vögel ist er ihnen ein Sinnbild der Herrschaft 
und scheint ihnen den Sieg über jeden Feind, gegen 
den sie zu Felde ziehen , zu verkünden. Diesen 
Heiligtümern 1 folgten die Trompeter, und dann erst kam 
die Hauptmasse des Heeres in sechs Mann hohen Reihen, 
begleitet von einem Centurio, der herkömmlicher weise 
die Ordnung zu beaufsichtigen hat. Der Tross jeder 

1 Die Adler galten als die Gottheiten der Legionen und genossen 
thatsächlich göttliche Verehrung (s. unten VI, 6 , 1 und Tacitus, 
Annalen, II, 17). 


Go gle 



Drittes Buch, 6. Kapitel. 


321 


Legion mit dem von Last- und Zugtieren beförderten 
Gepäck der Soldaten schloss sich unmittelbar an das 
Fussvolk an, und hinter den sämtlichen Legionen 
marschierte das Söldnerheer, dem der Sicherheit halber 
noch der Nach trab folgte, bestehend aus Leicht- und 
Schwerbewaffneten sowie einer Menge Reiterei. 

3. In dieser Weise marschierte Vespasianus mit seinen 
Truppen und langte alsbald an den Grenzen Galiaeas 
an, wo er ein Lager aufschlagen liess und den Kriegs- 
eifer seiner Soldaten vorläufig noch zurückdrängte, ein- 
mal um den Feinden dadurch, dass er ihnen seine 
Heeresmacht vor Augen stellte, Schrecken einzujagen, 
und dann auch, um ihnen vor Beginn des eigentlichen 
Kampfes noch eine Frist zu etwaiger Sinnesänderung zu 
geben; gleichzeitig jedoch traf er schon Vorbereitungen 
zur Erstürmung der Festungen. Wirklich brachte auch 
das Erscheinen des Feldherrn viele der Empörer auf 
andere Gedanken; Schrecken aber flösste es allen ein. 
Diejenigen Juden, welche unter dem Kommando des 
Josephus nicht weit von Sepphoris bei einer Stadt Namens 
Garis lagerten, hatten kaum vernommen, dass der Krieg 
ihnen näher rücke und die Römer drauf und dran seien, 
mit ihnen handgemein zu werden, als sie, ohne einen 
Kampf zu wagen, ja selbst ohne ihre Gegner auch nur 
zu Gesicht bekommen zu haben, in wilder Flucht aus- 
«inanderstoben. Josephus, bei dem nur wenige seiner 
Leute ausharrten, sah wohl ein, dass er mit diesem Häuf- 
lein dem Feinde nicht entgegen treten könne, und da er 
zugleich wahrnahm, wie sehr den Juden der Mut gesunken 
war und wie sie der Mehrzahl nach wohl gern die Hand 
zum Vergleich geboten hätten, wenn sie nur auf Zutrauen 
rechnen durften, beschloss er in banger Sorge um den 
endlichen Ausgang des Krieges, für den Augenblick der 
Gefahr so weit als möglich aus dem Wege zu gehen, 
und floh daher mit denen, die ihm treu geblieben waren, 
nach Tiberias. 


Josephus, jüdischer Krie?. 


21 



322 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Siebentes Kapitel. 

Belagerung und Einnahme von Jotapata. 

1. Vespasianus griff nun die Stadt Gabara 1 an und 
nahm sie beim ersten Anlauf ein, da er sie von der 
streitbaren Mannschaft verlassen fand. Gleich nach 
seinem Einzug liess er alles ohne Unterschied des Alters 
niedermetzeln; denn) in ihrem Hass gegen die Juden 
und im Andenken an das, was Cestius hatte ausstehen 
müssen , kannten die Römer kein Erbarmen. Sodann 
gab er Befehl, nicht nur die Stadt selbst, sondern auch 
alle Dörfer und Flecken der Umgegend in Brand zu 
stecken. Letztere traf man der Mehrzahl nach völlig 
menschenleer, und nur in einigen derselben waren die 
Bewohner geblieben, die nun sämtlich in die Sklaverei 
verkauft wurden. 

2. In der Stadt, die Josephus als Zufluchtsort gewählt 
hatte, verbreitete seine Ankunft als Flüchtling gewaltigen 
Schrecken. Die Bewohner von Tiberias waren nämlich 
überzeugt, dass er niemals geflohen sein würde, wenn er 
nicht an dem glücklichen Ausgang des Krieges völlig 
verzweifelt hätte. In letzterer Hinsicht hatten sie aller- 
dings seine Meinung wirklich erraten ; denn er sah wohl 
ein, wohin das Beginnen der Juden schliesslich führen 
müsse, und erkannte, dass es kein Heil für sie gab 
ausser in freiwilliger Unterwerfung. Er selbst aber wollte,, 
wenngleich er von den Römern Verzeihung erhoffen zu 
dürfen glaubte, lieber hundertmal sterben als durch 
Verrat an seinem Vaterlande und durch Beschimpfung 
der ihm anvertrauten Feldherrnwürde sein Glück bei 
denen machen, die zu bekämpfen er gesandt war. Des- 
halb beschloss er, die Leiter des Aufstandes in Jerusalem 
von der Lage der Dinge genau zu unterrichten, um sich 


1 Im Text steht Gadara, doch lag diese Stadt, wie Paret zutreffend 
bemerkt, dem Vespasianus gar nicht im Wege, weshalb die Änderung 
in Gabara völlig berechtigt erscheint. 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


328 


einerseits nicht durch übertriebene Schilderung der Stärke 
des Feindes später den Vorwurf der Feigheit zuzuziehen 
und anderseits nicht durch verkleinernde Darstellung 
diejenigen zu ermutigen , die etwa schon im Begriff 
standen, sich eines besseren zu besinnen. Er schrieb 
also, wenn man sich auf einen Vergleich einzulassen 
gesonnen sei, so solle man ihm unverzüglich antworten; 
sei man aber zum Kriege entschlossen, so möge man ihm 
ein Heer senden, das es mit den Römern aufnehmen 
könne. Dieses Schreiben liess er schleunigst durch 
Boten nach Jerusalem überbringen. 

3. Da Vespasianus erfahren hatte, dass die meisten 
Feinde nach Jotapata geflüchtet seien, und er überdies 
in der Stadt einen festen Stützpunkt derselben erkannte, 
beschloss er, den Platz zu zerstören. Zunächst sandte 
er deshalb Fussvolk und Reiterei voraus, um den steinigen, 
für Fussgänger beschwerlichen Und für Reiter gänzlich 
unpassierbaren Bergweg zu ebnen. In vier Tagen hatten 
diese Truppen die Arbeit vollendet und dem Heer eine 
breite Strasse eröffnet. Am fünften Tage, dem einund- 
zwanzigsten des Monats Artemisios, langte Josephus von 
Tiberias her in Jotapata an und richtete durch sein 
Erscheinen den gesunkenen Mut der Juden wieder auf. 
Dem Vespasianus aber brachte ein Überläufer die. will- 
kommene Nachricht von der Ankunft des Josephus in 
Jotapata und riet ihm zum schleunigen Vorgehen gegen 
die Stadt, mit deren Eroberung er ganz Judaea in seine 
Gewalt bringen würde, wofern es ihm nur gelänge, sich 
der Person des Josephus zu versichern. Der Feldherr 
nahm diese Nachricht wie die Kunde von einem überaus 
grossen Glücke auf ; er hielt es für göttliche Fügung, dass 
gerade derjenige seiner Feinde, der im Ruf besonderer 
Klugheit stand, freiwillig in die Falle gegangen sei, und 
sandte deshalb sogleich den Placidus sowie den Decurio 
Ebutius, einen durch Tapferkeit und Einsicht ausgezeich- 
neten Mann, mit tausend Reitern ab, um die Stadt ein- 
zuschliessen und auf diese Weise ein heimliches Ent- 
weichen des Josephus zu verhindern. 


Go gle 


21 * 



324 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

4. Am folgenden Tage brach er selbst an der Spitze 
seiner gesamten Streitmacht auf und kam abends vor 
Jotapata an. Im Norden der Stadt, auf einer sieben 
Stadien davon entfernten Anhöhe , lagerte er sich mit 
seinem Heere, da er den Feinden so nahe wie möglich 
zu Gesicht kommen wollte, um sie in Schrecken zu ver- 
setzen. Letzteres gelang ihm auch alsbald in so hohem 
Grade, dass kein Jude mehr über die Festungswerke 
hinauszugehen wagte. Sogleich anzugreifen lag übrigens 
nicht im Sinne der Römer, weil sie den ganzen Tag 
marschiert waren ; sie beschränkten sich vielmehr darauf, 
die Stadt mit einer doppelten Truppenkette zu umziehen 
und weiter draussen mit der Reiterei noch eine dritte 
zu bilden, um den Bewohnern jeden Ausweg zu ver- 
sperren. Gerade hierdurch aber wurden die Juden, die 
jetzt an kein Entrinnen mehr denken konnten, zur Kühn- 
heit angetrieben ; denn nichts macht im Kriege kampfes- 
mutiger als die Not. 

5. Tags darauf erfolgte der Angriff. Anfangs hielten 
die Juden, die in der Gegend geblieben waren und vor 
den Mauern ein Lager errichtet hatten, den Römern 
gegenüber stand; als aber Vespasianus die Bogenschützen, 
die Schleuderer und die ganze Masse der mit Wurf- 
geschossen versehenen Kämpfer vorrücken liess und 
selbst mit dem übrigen Fussvolk den steilen Abhang hinauf- 
drängte, von dessen Gipfel aus die Mauer leicht zu erstürmen 
war, fürchtete Josephus für die Stadt und machte an der 
Spitze der gesamten Besatzung einen Ausfall. In dichten 
Scharen warfen sie sich auf die Römer und trieben die- 
selben von der Mauer weg, wobei sie manche tapfere 
und entschlossene That verrichteten. Freilich erlitten 
sie nicht weniger Schaden als sie zufügten; denn in dem 
gleichen Masse, wie sie selbst von der Verzweiflung, 
wurden die Römer vom Ehrgefühl angestachelt, und 
wenn auf seiten der letzteren Kriegserfahrung und Kraft 
die Waffen führte, so that dies bei den Juden Tollkühn- 
heit, die mit Erbitterung sich paarte. Den ganzen Tag 
über tobte der Kampf, und erst mit einbrechender Nacht 



Drittes Bach, 7. Kapitel. 


325 


gönnten die Juden sich Ruhe. Sie hatten eine Menge 
Römer verwundet und dreizehn getötet, während von 
ihren eigenen Leuten siebzehn gefallen und sechshundert 
verwundet waren. 

6. Kaum graute der Tag, als sie abermals einen 
Ausfall gegen die Römer unternahmen und sich mit noch 
grösserer Hartnäckigkeit in den Kampf stürzten; denn 
der unerwartet erfolgreiche Widerstand vom vorher- 
gehenden Tage hatte ihren Mut gewaltig gehoben. Aber 
auch die Römer wehrten sich kräftiger, weil das Ehr- 
gefühl ihre Wut aufs äusserste steigerte und es ihnen wie 
eine Niederlage vorkam, dass sie nicht sogleich gesiegt 
hatten. Bis zum fünften Tage griffen so die Römer 
ohne Unterlass an, während die Jotapatener ihrerseits 
die Ausfälle und Mauerkämpfe mit stets wachsender 
Erbitterung fortsetzten, und wie die Juden nicht im 
mindesten von der Übermacht der Römer eingeschüchtert 
wurden, so liessen sich anderseits die letzteren durch die 
Schwierigkeiten, welche ihnen die Einnahme der Stadt 
zu bieten schien, nicht entmutigen. 

7. Jotapata liegt fast ganz auf einem steilen Felsen, 
an dessen Seiten so tiefe Schluchten abfallen, dass es 
dem Hinabschauenden schon schwindelt, ehe noch sein 
Blick die Tiefe ermisst; nur im Norden ist die Stadt 
zugänglich, wo sie quer über den sich abfiachenden Berg- 
rücken hingebaut ist. Aber auch diesen Teil hatte 
Josephus in die Festungswerke mit eingeschlossen, damit 
der über ihm ansteigende Berg nicht von den Feinden 
besetzt werden könnte. Die Stadt war übrigens ringsum 
von anderen Bergen verdeckt und entzog Bich deshalb 
völlig dem Anblick, bis man in ihre unmittelbare Nähe 
kam. In solcher Weise war Jotapata befestigt. 

8. Trotz dieser starken natürlichen Beschaffenheit des 
Platzes und der Tollkühnheit der Juden war Vespasianus 
entschlossen, den Kampf fortzusetzen. Er befahl daher, 
die Belagerung noch eifriger zu betreiben, und berief 
seine Offiziere zusammen, um sich mit ihnen über die 
Art des Angriffs zu beraten. Man beschloss, gegen die 



326 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zugängliche Seite der Mauer einen Wall aufzuwerfen, 
worauf Vespasianuß die sämtlichen Soldaten zum Her- 
beischaffen von Baumaterial aussandte. Während nun 
ein Teil der Leute die Anhöhen in der Umgebung der 
Stadt abholzte und zugleich mit den Baumstämmen eine 
Menge Steine heranschleppte, spannten andere zur Ab- 
wehr der von oben kommenden Geschosse Flechtwerk 
über Pfähle aus, unter dessen Schutz die Mannschaften 
an dem Walle arbeiten konnten, ohne nennenswerte 
Verluste durch die von der Mauer herabgeschleuderten 
Wurfgeschosse zu erleiden. Wieder andere trugen die 
in der Nähe befindlichen Hügel ab und führten ihren 
Kameraden beständig Erde zu, sodass also die gesamten 
Arbeiten in drei Teile zerlegt waren und kein Mann 
unthätig blieb. Die Juden ihrerseits warfen grosse Fels- 
stücke und Geschosse aller Art von den Mauern auf 
die Schutzdächer der Feinde, und wenn dieselben auch 
nicht durchschlugen, so störten sie doch die Arbeiter 
durch das laute und furchtbare Getöse, welches sie ver- 
ursachten. 

9.. Nun liess Vespasianus die Wurfmaschinen, deren 
das Heer im ganzen hundertsechzig besass, rings um die 
Stadt aufstellen und nach den die Mauern besetzt 
haltenden Juden richten. Alsbald spieen die Katapulten 
ihre Lanzen, und die Bailisten warfen kolossale Steine, 
Feuerbrände und dichte Schwärme von Pfeilen, welche 
nicht nur den Juden das Betreten der Mauern unmög- 
lich machten, sondern auch noch einen Raum innerhalb 
derselben bestrichen, zumal da ausser den Maschinen 
die zahlreichen arabischen Bogenschützen sowie alle 
Speerwerfer und Schleuderer in Thätigkeit traten. Ob- 
wohl nun die Juden an der Gegenwehr von oben herab 
gehindert waren, blieben sie doch nicht müssig ; vielmehr 
machten sie nach Räuberart Ausfälle in kleineren Rotten, 
rissen den Arbeitern die Schutzdächer nieder und hieben 
auf die Wehrlosen ein. Hatten sie auf diese Weise die 
Schanzarbeiter zum Weichen gebracht, so zerstörten sie 
den Wall und steckten die Pfähle samt dem Flechtwerk 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


327 


in Brand, bis endlich Vespasianus sich überzeugte, dass 
an den Verlusten nur die Trennung der Werke, deren 
Zwischenräume die Angriffe der Juden ermöglichten, 
schuld sei. Er liess demgemäss die Schutzdächer an- 
einander anschliessen, und da hiermit auch eine Ver- 
bindung für die Truppen selbst hergestellt war, wurden 
die feindlichen Überfälle für die Folge vereitelt. 

10. Zusehends wuchs nun der Damm empor, und als 
er schon beinahe die Höhe der Mauerzinnen erreicht 
hatte, erkannte Josephus, wie gefährlich es sein würde, 
wenn er keine Gegenmassregeln zur Rettung der Stadt 
träfe. Er versammelte daher die Bauhandwerker und 
gab ihnen den Befehl, die Mauer zu erhöhen. Da sie 
es aber für unmöglich erklärten, unter dem beständigen 
Geschosshagel zu bauen , ersann er für sie folgendes 
Schutzmittel. Er liess Pfähle einrammen und frisch ab- 
gezogene Ochsenhäute darüber ausbreiten, damit die 
Steine aus den Wurfmaschinen sich in den letzteren 
fangen, die übrigen Geschosse von ihnen abgleiten und 
die Feuerbrände durch die Nässe der Häute unschädlich 
gemacht werden möchten. Hinter dieser Bedeckung 
konnten nun die Bauleute ungefährdet Tag und Nacht 
arbeiten, die Mauer auf die Höhe von zwanzig Ellen 
bringen, zahlreiche Türme auf ihr erbauen und noch 
eine feste Brustwehr errichten. Infolgedessen sank den 
Römern, die bereits in der Stadt zu sein wähnten, ge- 
waltig der Mut, und sie erstaunten ebensowohl über die 
Klugheit des Josephus als über die Geistesgegenwart der 
Belagerten. 

11. Vespasianus selbst aber geriet über diese schlaue 
Erfindung und die Kühnheit der Jotapataner in heftigen 
Zorn, besonders da die letzteren, durch das Gelingen 
des Mauerbaues ermutigt, wiederum Ausfälle gegen die 
Römer machten. Scharmützel zwischen einzelnen Ab- 
teilungen, räuberische Anschläge aller Art, Plünderungen, 
bei denen man mitnahra, was man nur erhaschen konnte, 
und Einäscherungen von Belagerungswerken waren 
wieder an der Tagesordnung, bis Vespasianus beschloss, 



328 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


den Kampf aufzugeben, sich vor die Stadt zu lagern 
und sie durch Aushungern in seine Gewalt zu bringen. 
Er glaubte nämlich, die Jotapatener würden entweder 
aus Mangel an den notwendigsten Lebensbedürfnissen 
ihn um Gnade bitten oder, wenn sie ihre Hartnäckig- 
keit aufs äusserste trieben, durch Hunger zu Grunde 
gehen; jedenfalls hoffte er im Kampfe mit ihnen viel 
leichter fertig werden zu können, wenn er erst einige 
Zeit vergehen Hesse und dann über seine entkräfteten 
Gegner herfiele. Er beschränkte sich daher fürs erste 
darauf, die sämtlichen Zugänge zur Stadt bewachen zu 
lassen. 

12. An Getreide und allen anderen Lebensmitteln 
ausser Salz hatten die Belagerten Überfluss; dagegen 
mangelte es an Wasser, da sich in der Stadt keine 
Quelle befand und die Bewohner sich mit Regenwasser 
behelfen mussten. Es ist aber eine Seltenheit, wenn es 
zur Sommerszeit in jenen Landstrichen regnet. Da nun 
die Belagerung eben in diese Jahreszeit fiel, bemächtigte 
sich der Jotapatener beim Gedanken an den drohenden 
Durst grosse Mutlosigkeit, und sie wurden so nieder- 
geschlagen, als wenn das Wasser schon ganz ausgegangen 
wäre. |In anbetracht des Umstandes nämlich, dass die 
Stadt' mit allen sonstigen Bedürfnissen reichlich versehen 
und der Kampfesmut der Männer ungeschwächt war, 
hatte Josephus, um die Belagerung auf eine den Römern 
unerwartete Weise in die Länge zu ziehen, das Trink- 
wasser in bestimmtem Masse austeilen lassen. Eine solche 
Sparsamkeit aber kam ihnen lästiger vor alß wirklicher 
Mangel; dass sie nicht nach Belieben trinken konnten, 
reizte ihr Verlangen noch mehr, und sie lechzten, als 
ob sie schon am Verschmachten wären. Den Römern 
blieb dieser Zustand nicht unbekannt; sie sahen nämlich 
von ihrem Walle aus über die Mauer hinweg, wie die 
Einwohner der Stadt . an einem bestimmten Orte zu- 
sammenströmten und das Wasser zugemessen erhielten. 
Dorthin richteten sie auch ihre Geschütze und brachten 
so eine Menge Juden ums Leben. 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


329 


13. Bei dieser Sachlage konnte Vespasianus wohl 
hoffen , dass die Cisternen in Bälde geleert und die Be- 
lagerten dann gezwungen sein würden, die Stadt zu 
übergeben. Um ihm diese Hoffnung zu benehmen, lies9 
Josephus viele seiner Leute ihre Kleider ins Wasser 
tauchen und an den Brustwehren auf hängen, sodass die 
Mauer alsbald von Wasser troff. Das entmutigte und 
erschreckte die Römer ; sahen sie doch, wie die, denen es 
ihrer Meinung nach an Trinkwasser gebrach, dasselbe 
zum Hohn massenhaft vergeudeten. Nun gab auch der 
Feldherr die Hoffnung auf, die Stadt durch Aushungern 
bezwingen zu können , und griff wieder zur Waffen- 
gewalt. Das war allerdings ganz nach dem Wunsche 
der Juden ; denn da sie an der Rettung der Stadt wie 
an ihrer eigenen verzweifeln mussten, zogen sie den 
Tod im Kampfe dem durch Hunger und Durst bei 
weitem vor. 

14. Ausser der erwähnten List ersann Josephus noch 
eine andere, um in den Besitz von Lebensmitteln zu 
gelangen. Durch eine unwegsame und deshalb von den 
feindlichen Posten wenig beachtete Schlucht auf der 
westlichen Seite des Thaies wechselte er durch Boten 
ganz nach Belieben Briefe mit den Juden ausserhalb 
der Stadt und verschaffte sich so in reichem Masse die 
Lebensmittel, an denen es in der Stadt mangelte. Hier- 
bei wies er seine Leute an, in der Regel an den Wachen 
vorbeizukriechen und den Rücken mit Fellen zu be- 
decken, damit sie, wenn einmal ein Posten bei Nacht 
ihrer gewahr würde, wie Hunde aussähen. Endlich aber 
kamen die Wachen hinter die List und umstellten die 
Schlucht. 

15. Josephus sah jetzt übrigens, dass die Stadt sich 
nicht lange mehr halten könne und dass, wenn er in 
ihr bliebe, seine Rettung sehr fraglich sein würde; er 
beriet sich daher mit den angesehensten Männern über 
die Flucht. Die Jotapatener aber bekamen Wind davon, 
umringten ihn und baten ihn flehentlich, er möge sie 
doch nicht im Stich lassen, da sie an ihm allein ihren 



330 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Rückhalt hätten. Er sei noch die letzte Hoffnung auf 
Rettung der Stadt; denn so lange er bleibe, würden sie 
alle freudig kämpfen, und selbst wenn sie in Gefangen- 
schaft geraten sollten, sei er ihr einziger Trost. Ihm 
stehe es also schlecht an, vor dem Feinde zu fliehen, 
seine Freunde zu verlassen und aus dem Schiffe, das er 
bei ruhiger See betreten, beim Ausbruch des Sturmes 
zu entspringen. Dann sei das Verderben der Stadt be- 
siegelt, da niemand mehr den Feinden entgegenzutreten 
wagen würde, wenn der fort wäre, der allen den Mut 
gehoben habe. 

16. Von da an liess Josephus nicht mehr merken, 
dass es ihm um seine persönliche Sicherheit zu thun 
war, sondern er erklärte nun, lediglich zu ihrem Besten 
fortgehen zu wollen. Sein Verbleiben in der Stadt näm- 
lich würde ihnen, wenn sie die Belagerung aushielten, 
nicht viel nützen; falle die Stadt aber, so gehe er un- 
nötigerweise mit ihnen zu Grunde. Wenn er dagegen 
durch die Belagerer sich durchschliche, so könnte er 
ihnen draussen die wesentlichsten Dienste leisten; denn 
er würde alsdann die Galiläer auf dem Lande so schnell 
wie möglich sammeln und die Römer dadurch, dass er 
sie anderweitig beschäftige, von ihrer Stadt abziehen. 
Er sehe nioht ein, was er ihnen jetzt durch sein Bleiben 
nützen könne; vielmehr würden die Römer dann nur 
noch eifriger die Belagerung betreiben, da ihnen sehr 
viel daran liege, sich seiner Person zu bemächtigen. Er- 
führen sie aber seine Flucht, so werde die Heftigkeit, 
mit der sie der Stadt zusetzten, bedeutend nachlassen. 
Gleichwohl vermochte er die Leute nicht zu überzeugen, 
sondern er bewirkte nur, dass das Volk sich noch mehr 
um ihn drängte. Knaben, Greise, und Weiber mit Säug- 
lingen im Arm warfen sich weinend vor ihm nieder, 
umklammerten seine Füsse und flehten ihn unter lautem 
Schluchzen an, er möge doch bei ihnen bleiben und ihr 
Schicksal teilen — nicht, wie ich glaube, weil sie ihm 
seine Rettung missgönnten, sondern weil sie ihre eigene 
noch erhofften ; denn so lange sie Josephus bei sich 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


331 


hätten, meinten sie, könne ihnen kein Leid wider- 
fahren. 

17. Überzeugt, dass das Benehmen der Menge, so lange 
er sich nachgiebig zeigte, das von Flehenden bleiben, 
dagegen in offene Gewalt Umschlägen würde, wenn er 
auf seinem Vorhaben bestände, beschloss Josephus aus- 
zuharren, zumal da auch sein sehnliches Verlangen, 
wegzukommen, durch das Mitleid mit den jammernden 
Menschen bedeutend zurückgedrängt wurde. Er waffnete 
sich nun mit dem Mute der Verzweiflung, den die Lage 
der Stadt ihm einflösste, und rief aus: „Jetzt, da es keine 
Hoffnung auf* Rettung mehr giebt, ist es Zeit, den 
Kampf zu beginnen, herrlichen Ruhm mit dem Leben 
zu erkaufen und sich durch Heldenthaten bei der 
Nachwelt zu verewigen!“ Diesen Worten liess er als- 
bald die Ausführung folgen: er unternahm mit den 
rüstigsten Kämpfern einen Ausfall, zersprengte die 
feindlichen Vorposten, drang bis zum Lager der Römer 
vor, zerstörte die Dächer, unter denen die Schanzarbeiter 
sich bargen, und warf Feuer in ihre Werke. In gleicher 
Weise verfuhr er am folgenden und am dritten Tage 
sowie noch mehrere Tage und Nächte hindurch, ohne 
eine Spur von Kampfesmüdigkeit zu zeigen. 

18. Durch diese Ausfälle litten die Römer grossen 
Schaden. Vor den Juden zu fliehen, schämten sie sich ; 
zogen aber die Gegner sich zurück, so wurden sie durch 
die Schwere ihrer Rüstungen an der Verfolgung ge- 
hindert, sodass die Juden, nachdem sie den Römern Ver- 
luste beigebracht, ohne selbst welche zu erleiden, sich 
jedesmal wieder in die Stadt flüchten konnten. Vespa- 
sianus befahl daher seinen Schwerbewaffneten, den An- 
griffen der Juden auszuweichen und sich mit Menschen, 
die den Tod suchten, in kein Gefecht mehr einzulassen; 
denn nichts mache tapferer als Verzweiflung. Übrigens 
werde sich die Kampfeshitze der Juden von selbst ab- 
kühlen, sobald ihr das Ziel fehle, wie das Feuer, wenn 
ihm der Brennstoff ausgehe. Auch zieme es den Römern, 
nur den sicheren Weg zum Siege zu wählen , da sie ja 



332 


Joseplms, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


keinen Verteidigungs-, sondern einen Eroberungskrieg 
führten. Von nun an wurden mit der Zurück treibung 
der Juden zumeist die arabischen Bogenschützen sowie 
die syrischen Schleuderer und Steinwerfer betraut; doch 
blieben auch die sämtlichen Wurfmaschinen in Thätig- 
keit, vor denen sich die Juden durchgehends mit Ver- 
lusten zurückzogen. Kamen sie aber einmal näher an 
die Geschütze heran, so setzten sie den Römern arg zu 
und stritten mit wahrer Todesverachtung; dabei trat für 
die Kampfunfähigen auf beiden Seiten stets wieder 
frische Mannschaft ein. 

19. Fast wollte es übrigens bei der Länge der Zeit 
und den vielen Ausfällen Vespasianus bedünken, als 
wäre er selbst der Belagerte. Er beschloss daher, da 
die Wälle sich schon den Mauern näherten, den Widder 
anrücken zu lassen. Es ist dies ein gewaltiger, einem 
Schiffsmast ähnlicher Balken; an seinem vorderen Ende 
trägt er einen Beschlag von starkem Eisen in Form 
eines Widderkopfes, woher er auch den Namen hat. In 
der Mitte ist er mit Seilen an einem anderen wage- 
rechten Balken aufgehängt, der an beiden Seiten auf 
starken Pfählen ruht Von einer grossen Anzahl Männer 
rückwärts gezogen und dann wieder mit vereinter Kraft 
nach vorn geschnellt, stösst er mit dem an seiner 
Spitze angebrachten Eisen gegen die Mauern an. 1 Kein 
Turm ist so fest, keine Mauer so dick, dass sie, wenn 
sie auch die ersten Stosse aushalten, bei energischer 
Wiederholung derselben standhalten könnten. Mit 
diesem Werkzeug also versuchte eB jetzt der römische 
Feldherr; er trachtete nämlich mit möglichster Eile sich 
der Stadt zu bemächtigen , da eine längere Belagerung 
bei der Rührigkeit der Juden ihm nur Schaden bringen 
konnte. Gleichzeitig machten sich die Römer mit den 
Katapulten und den übrigen Wurfmaschinen herbei, um 
auf diejenigen zu schiessen, die etwa von der Mauer 


1 Per Widder oder Sturmbock arbeitete unter einem besonderen 
Schutzdach (der testudo arietaria). 



Drittes Bach, 7. Kapitel. 


333 


herab Widerstand leisten würden, und ebenso zogen sich 
die Bogenschützen und Schleuderer möglichst dicht an die 
Stadt heran. Während nun angesichts dieser Zurüstungen 
niemand die Mauer zu besteigen wagte, schleppte ein 
Teil der Soldaten den Widder herbei, der zum Schutze 
der Bedienungsmannschaft wie der Maschine selbst rings 
von Weidengeflecht umgeben und oben auch noch mit 
Fellen bedeckt war. Beim ersten Stosse bereits erbebte 
die Mauer, und zugleich erhoben die Belagerten ein 
lautes Geschrei, wie wenn die Stadt schon erstürmt 
wäre. 

20. Als Josephus sah, dass die Römer immer gegen 
dieselbe Stelle der Mauer stiessen und diese dem Ein- 
sturz nahe war, ersann er ein Mittel, um die Gewalt der 
Maschine in etwa zu brechen. Er befahl nämlich seinen 
Leuten, Säcke mit Spreu zu füllen und sie jedesmal an 
die Stelle hinabzulassen, gegen welche sie den Widder 
zielen sähen , damit seine Richtung unsicher und seine 
Stösse durch die Elastizität der Säcke abgeschwächt 
würden. Den Römern erwuchs dadurch ein gewaltiger 
Zeitverlust, da die Juden von der Mauer herab die Säcke 
jedesmal dort anbrachten, wo die Maschine hinzielte, 
und sie den Stössen entgegenhielten, sodass die Mauer 
weniger unter deren Wucht zu leiden hatte. Endlich 
aber kamen die Römer auf den Gedanken, vorn an 
lange Pfähle Sicheln zu binden und damit die Säcke 
abzuschneiden. Auf diese Weise konnte der Widder 
von neuem in Wirksamkeit treten, und da nun die 
Mauer, frisch gebaut wie sie war, alsbald zu wanken 
anfing, griffen Josephus und seine Leute zu einem 
anderen Verteidigungsmittel: zum Feuer. Sie rafften 
nämlich alles dürre Reisig, dessen sie habhaft werden 
konnten, zusammen , machten in drei Abteilungen einen 
Ausfall und steckten die Maschinen, die Schutzdächer 
und die Pfahl werke der Römer in Brand. Diese 
leisteten nur schwachen Widerstand, teils weil die Kühn- 
heit der Belagerten sie ausser Fassung brachte, teils 
weil die Flammen der Verteidigung zuvorgekommen 



334 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


waren. Denn das trockene Holz in Verbindung mit 
Erdharz, Pech und Schwefel verbreitete den Brand mit 
Blitzesschnelle, sodass in einer Stunde die mühsam er- 
richteten Werke der Römer in Asche lagen. 

21. Bei dieser Gelegenheit zeichnete sich ein Jude 
Namens Eleazar, der Sohn des Samaeus, aus Saab in 
Galilaea gebürtig, auf eine rühm- und denkwürdige 
Weise aus. Er hob nämlich einen ungeheuren Stein 
auf und schleuderte ihn von der Mauer herab mit 
solcher Gewalt gegen den Sturmbock, dass er der Ma- 
schine den Kopf abschlug. Dann sprang er hinab, holte 
den Widderkopf mitten aus den Feinden heraus und 
trug ihn mit grosser Unerschrockenheit auf die Mauer 
zu. Sämtliche Feinde machten ihn nun zur Zielscheibe, 
und da er durch keine Rüstung geschützt war, wurde 
er von fünf Geschossen durchbohrt. Ohne indes darauf 
zu achten , erstieg er die Mauer, wo er infolge seiner 
Heldenthat aller Augen auf sich zog; gleich darauf aber 
stürzte er, unter seinen Wunden sich krümmend, mit 
dem Widderkopf herab. Nächst ihm erwiesen sich als 
besonders tapfer die beiden Brüder Netiras und 
Philippus aus dem Dorfe Ruma, gleichfalls Galiläer. 
Sie drangen auf die Soldaten der zehnten Legion ein 
und warfen sich mit solchem Ungestüm den Römern ent- 
gegen, dass sie deren Reihen durchbrachen und alles, 
was ihnen in den Weg kam, vor sich hertrieben. 

22. Ihnen nach stürzte Josephus an der Spitze der 
übrigen Mannschaft mit einer Menge von Feuerbränden 
hinaus und setzte die Maschinen sowie die Flecht- und 
Pfahlwerke der weichenden fünften und zehnten Legion 
in Brand, während andere eiligst die Werkzeuge und 
sämtliches Baumaterial unbrauchbar machten. Gegen 
Abend jedoch richteten die Römer den Sturmbock wieder 
auf und Hessen ihn gegen die Stelle der Mauer wirken, 
die schon vorher beschädigt worden war. Da geschah 
es, dass einer von den Verteidigern der Mauer den 
Vespasianus in die Fusssohle traf. Die Wunde war 
zwar leicht, weil das Geschoss infolge der beträchtlichen 



Drittes Bach, 7. Kapitel. 


335 


Entfernung seine Kraft verloren hatte ; gleichwohl be- 
mächtigte sich der Römer ein gewaltiger Schrecken. Da 
nämlich die nächste Umgebung des Feldherrn durch 
den Anblick' des Blutes in Unruhe geriet, verbreitete 
sich die Nachricht von seiner Verwundung alsbald im 
ganzen Heere. Die meisten Hessen nun von der Be- 
lagerung ab und scharten sich voll Angst und Be- 
stürzung um ihren Feldherrn. Vor allen aber trieb den 
Titus die Sorge um seinen Vater herbei, und da seine 
Züge ängstliche Aufregung verrieten, konnte es bei der 
Anhänglichkeit, mit der die Soldaten ihrem Führer zu- 
gethan waren, nicht ausbleiben , dass grosse Nieder- 
geschlagenheit sich ihrer bemächtigte. Leicht jedoch 
beschwichtigte der Vater den besorgten Sohn und 
machte so auch der Unruhe im Heer ein Ende. Indem 
er nun die Schmerzen unterdrückte und allen um seinet- 
willen Erschrockenen sich zu zeigen suchte, feuerte er 
den Kampfeseifer gegen die Juden in noch höherem 
Grade an; denn jeder wollte jetzt als Rächer des Feld- 
herrn der vorderste im Treffen sein. So stürmten sie 
denn, indem sie sich gegenseitig durch Zuruf ermunterten, 
alsbald wieder gegen die Mauer an. 

23. Obwohl nun von den Leuten des Josephus einer 
nach dem anderen den Katapulten und Ballisten zum 
Opfer fiel, Hessen sie sich doch nicht von der Mauer 
verjagen, sondern warfen mit Feuerbränden, Eisen und 
Steinen gegen die, welche von Flechtwerk geschützt den 
Widder bedienten. Sie richteten indes gar nichts oder 
nur wenig aus, verloren aber selbst eine Menge Leute, 
da sie, ohne die Feinde zu sehen, beständig von diesen 
gesehen wurden. Von den Feuerbränden in ihrer 
eigenen Hand beleuchtet, boten sie den Römern wie bei 
Tage 1 ein deutliches Ziel und konnten sich vor den Ge- 
schossen der Maschinen, weil diese in der Ferne für sie 
unsichtbar waren, nicht schützen. So wurden sie haufen- 
weise von der Gewalt der Schnellwurfmaschinen und 


1 Es handelt sich um einen Angriff zur Nachtzeit. 



336 


Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges. 


Katapulten niedergeschmettert, während gleichzeitig die 
Wucht der von den Bai listen geschleuderten Steinmassen 
Mauerbrüstungen wegriss und die Ecken der Türme 
einschlug. Keine Schar von Kriegern ist so dicht, dass 
sie nicht von der Gewalt und Grösse eines solchen 
Steines bis zum letzten Glied niedergestreckt würde. 
Die Kraft des Geschützes kann man aus einigen 
Vorfällen dieser Nacht ersehen. Einem der Leute des 
Josephus, der auf der Mauer stand, wurde von einem 
Stein der Kopf abgerissen und sein Schädel drei Stadien 
weit weggeschleudert. Ferner wurde gleich nach Tages- 
anbruch eine schwangere Frau, die eben ihr Haus ver- 
lassen hatte, auf den Unterleib getroffen und ihr Kind 
ein halbes Stadion weit fortgerissen: so gross war die 
Gewalt der Balliste. Schrecklicher noch war das von den 
Maschinen verursachte Getöse und das Sausen der Ge- 
schosse. Ein Toter nach dem anderen stürzte mit 
dröhnendem Gepolter von der Mauer herab; innen er- 
hoben die Weiber ein entsetzliches Geschrei; von aussen 
mischte sich darein das Stöhnen der Sterbenden. An 
der Stelle, wo der Kampf tobte, troff die ganze Mauer 
von Blut, und man konnte sie auf Bergen von Leichen 
erklettern. Noch schauerlicher ward das Getöse durch 
den Wiederhall der umliegenden Berge, und nichts, was 
für Auge und Ohr schrecklich sein kann, fehlte in jener 
Nacht. Viele der Verteidiger Jotapatas starben in ihr 
den Heldentod, viele auch wurden verwundet. Um die 
Morgenwache 1 gab die Mauer endlich den unaufhörlich 
arbeitenden Maschinen etwas nach; bevor indes die 
Römer ihre Sturmleitern anlegen konnten, hatte ein Teil 
der Leute des Josephus, die stark gepanzert waren, 
gegenüber dem eingestürzten Stücke der Mauer einen 
neuen Wall errichtet. 

24. Gegen Morgen sammelte Vespasianus sein Heer 


1 Die Nacht (sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens) war bei 
den Römern in vier Wachen von je drei Stunden geteilt. Unter 
Morgen wache ist die letzte Nachtwache zu verstehen. 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


337 


zum Sturm auf die Stadt, nachdem er ihm eine kurze 
Erholung von den Strapazen der Nacht gegönnt hatte. 
Da es ihm nun zunächst darum zu thun war, die Ver- 
teidiger von den eingestürzten Mauerteilen zu vertreiben, 
lie8ß er seine tapfersten Reiter absitzen und sich, von 
Kopf bis zu Fuss bewehrt, mit vorgehaltenen Speeren in 
<lrei Linien vor dem zerstörten Mauerstück aufstellen, 
damit sie, sobald die Sturmleitern angelegt wäre», zuerst 
in die Stadt eindrängen. Hinter ihnen nahm der Kern 
des Fussvolkes Stellung, während die übrige Reiterei am 
ganzeü Berge herum der Mauer entlang aufmarschierte, 
um das heimliche Entweichen von Belagerten während 
der Erstürmung zu verhindern. Rückwärts von dieser 
Postenkette liess er in gleicher Ausdehnung die Bogen- 
schützen antreten mit dem Befehl, sich schussfertig zu 
halten, ebenso die Schleuderer und die Bedienungsmann- 
schaften der Geschütze. Andere beorderte er mit Leitern 
an die unversehrten Teile der Mauer, damit die Auf- 
merksamkeit der Belagerten dadurch, dass sie diese 
Leute abzuwehren versuchten , von der Bewachung der 
Bresche abgelenkt würde; die übrigen sollten dann von 
der Stelle, wo die Römer einzudringen gedachten, durch 
den Geschosshagel verjagt werden. 

25. Josepbus aber durchschaute diesen Plan und 
stellte deshalb die Ermatteten und die Greise an den 
unbeschädigten Teilen der Mauer auf in der Voraus- 
setzung, dass ihnen hier kein Leid geschehen würde; in 
die Nähe der Bresebe dagegen beorderte er die kräf- 
tigsten Abteilungen seiner Leute und an ihre Spitze 
wieder je sechs Krieger, deren besonders gefährdete 
Stellung er selbst teilte. Er wies sie an, ihre Ohren 
gegen das Schlachtgeschrei der Legionen zu verstopfen, 
damit sie nicht eingeschüchtert würden, und gegen die 
Menge der Pfeile sich dadurch zu schützen, dass sie sich 
auf die Knie niederliessen und ihre Schilde über die 
Köpfe hielten. Auch sollten sie sich ein wenig zurück- 
ziehen, bis die Bogenschützen ihre Köcher geleert hätten; 

Josephus, Jüdischer Krieg. 92 



338 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sobald aber der Feind die 8 türm brücken 1 werfen würde, 
sollten sie hervorstürzen und den Römern auf deren 
eigenem Bau entgegen gehen. Ein jeder müsse kämpfen 
nicht um seine Vaterstadt zu retten, sondern als ob er 
schon ihren Untergang rächen wolle. Ferner möchten 
sie sich vor Augen halten, wie die Feinde demnächst 
Greise umbringen, Weiber und Kinder hinschlachten 
würden, und demgemäss schon jetzt ihren Zorn ob der 
kommenden Greuel an denjenigen auslassen, die sie ver- 
üben würden. 

26. In dieser Weise stellte Josephus die 'beiden 
Hauptabteilungen seiner Leute auf. Als aber jetzt die 
vielen unbeschäftigten Einwohner, die Weiber und die 
Kinder nämlich, die Stadt wie mit einem dreifachen 
Gürtel von Kriegern umzogen sahen, während zugleich 
auch die bereits früher vorhandenen Wachen ihre Posten 
beibehielten, als sie ferner bemerkten, wie die Feinde 
mit gezückten Schwertern vor der Mauerlücke standen, 
die über der Stadt sich erhebenden Berge von Waffen 
schimmerten und die Geschosse der arabischen Bogen- 
schützen eben abzufliegen drohten, da erhoben sie ein 
Jammergeschrei wie die letzte Trauerklage über den 
Untergang der Stadt, als ob das Unglück nicht erst be- 
vorstände, sondern schon da wäre. Damit nun die 
Weiber den Kampfesmut der Ihrigen nicht durch Er* 
regung von Mitleid schwächten, Hess Josephus sie in 
die Häuser einschliessen und legte ihnen unter Drohungen 
Stillschweigen auf. Alsdann begab er sich auf seinen 
Posten vor der Bresche, den ihm das Los bestimmt hatte, 
ohne auf diejenigen Römer, welche den anderen Teilen 
der Mauer mit Leitern sich näherten , weiter zu achten, 
und sah mit gespannter Erwartung dem Abfliegen der 
Geschosse entgegen. 

27. Plötzlich schmetterten die Trompeten sämtlicher 
Legionen, das Heer erhob ein fürchterliches Schlacht- 


1 Diese Brücken wurden von den hölzernen , auf Walzen oder 
Rädern beweglichen Belagerungstürmen aus geschlagen. 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


339 


geschrei, und auf ein gegebenes Zeichen wurden von 
allen Seiten die Pfeile abgeschossen , sodass die Luft 
sich verfinsterte. Die Leute des Josephus jedoch, ein- 
gedenk seiner Weisungen, schützten ihre Ohren vor dem 
Geschrei, ihre Leiber vor den Geschossen, und als die 
Sturmbrücken geworfen wurden, stürzten sie sich auf 
ihnen den Feinden entgegen, bevor noch die letzteren 
den Fuss darauf gesetzt hatten. So gerieten sie mit den 
anrückenden Römern ins Handgemenge, wobei Bie zahl- 
reiche von Kraft und Mut zeugende Thaten verrichteten 
und sich bestrebten, trotz ihrer verzweifelten Lage den 
weniger gefährdeten Feinden an Tapferkeit nicht nach- 
zustehen. Sie Hessen daher von den Römern nicht eher 
ab, als bis sie entweder selbst gefallen waren oder den 
Gegner getötet hatten. Da aber die Juden unter der 
anhaltenden Gegenwehr schliesslich ermatteten und durch 
frische Truppen nicht abgelöst werden konnten, während 
auf seiten der Römer anstelle der erschöpften Kämpfer 
stets wieder neue eintraten und für zurückgeschlagene 
Abteilungen alsbald andere ins Gefecht geführt wurden, 
so gelang es den letzteren, indem sie sich gegenseitig 
durch Zurufe ermunterten und nach oben hin mit ihren 
Schilden sich deckten, eine festgeschlossene, undurch- 
dringliche Masse zu bilden. Mit ihrer ganzen Wucht 
drängten sie nun, als wären sie ein einziger Leib, die 
Juden zurück, und schon waren sie drauf und dran, die 
Mauer zu ersteigen. 

28. In dieser angstvollen Lage riet dem Josephus die 
Not (eine treffliche Erfinderin, besonders wenn Ver- 
zweiflung ihre Erfindungskraft schärft), die dicht zu- 
sammengedrängten Feinde mit siedendem öl überschütten 
zu lassen. Viele seiner Leute hatten solches alsbald in 
grosser Menge zur Hand, als wenn sie sich schon vorher 
darauf eingerichtet hätten, und gossen es nun von allen 
Seiten auf die Römer hinab, denen sie dazu auch noch 
die glühend heissen Gefasse auf die Köpfe warfen. Von 
dem öl verbrannt, kamen die Römer völlig aus der 
Ordnung heraus und wälzten sich unter fürchterlichen 



340 


Josephus, Qeschicbte des Jüdischen Krieges. 


Schmerzen die Mauer hinunter; das öl floss nämlich 
auch unter der Rüstung leicht vom Scheitel bis zur 
Fusssohle über den ganzen Leib hin und versengte das 
Fleisch wie eine Flamme, da es seiner Natur nach sich 
schnell erwärmt und wegen seiner Fettigkeit erst lang- 
sam wieder erkaltet. In ihre Panzer und Helme ein- 
gezwängt, konnten sich die Römer von dem Brande nicht 
loemachen, und da sie aufsprangen und sich in ihren 
Schmerzen hin und her wandten, stürzten sie schliesslich 
von den Brücken hinab; andere wurden, indem sie ihren 
eigenen vorwärts drängenden Leuten entgegenflohen, von 
den auf ihren Rücken einhauenden Juden mit leichter 
Mühe überwältigt. 

29. Ebensowenig aber, wie die Juden ihre Über- 
legung, verloren die Römer trotz ihres Unglücks den 
festen Mut, und obwohl sie die schrecklichen Leiden 
ihrer versengten Kameraden sahen, drangen sie doch 
gegen die Juden, die fortgesetzt öl hinabgossen, vor, 
und jeder schmähte seinen Vordermann, dass er ihn an 
der Entfaltung seiner Kraft hindere. Die Juden dagegen 
griffen, um das Vordringen ihrer Gegner zu vereiteln, 
zu einer weiteren List, indem sie abgekochtes griechisches 
Heu 1 auf die Bretter der Sturm brücken schütteten , so- 
dass die Römer ausglitten und hinabrutschten. Niemand 
konnte sich aufrecht halten, mochte er nun fliehen oder 
Vordringen wollen; vielmehr fielen sie entweder auf den 
Sturmbrücken rücklings zu Boden, wo sie zertreten 
wurden, oder sie stürzten in grosser Anzahl auf den 
Wall und wurden hier von den Juden erschossen. Die 
letzteren waren nämlich dadurch, dass ihre Gegner zu 
Fall kamen, vom Handgemenge befreit worden und 
konnten nun wieder von ihren Schusswaffen Gebrauch 
machen. Gegen Abend liess der Feldherr seine Soldaten, 
die bei dem Sturm viel gelitten hatten, den Kampf ein- 


1 Die Samen dieser Pflanze (Trigonelia Foenum graecum L.) 
geben mit Wasser gekocht einen sehr schleimigen, schlüpfrig 
machenden Brei. 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


34 i 


stellen. Die Römer hatten ziemlich viele Tote und eine 
Menge Verwundeter; auf seiten der Jotapatener waren 
sechs Mann gefallen und dreihundert verwundet hinweg- 
getragen worden. Dieses Gefecht fand am zwanzigsten 
des Monats Daisios statt. 

30. Als Vespasianus sein Heer wegen der ihm zu- 
gestossenen Unfälle trösten wollte, fand er die Soldaten 
in heller Entrüstung; keinen Zuspruch begehrten sie 
sondern Gelegenheit zu neuen Kriegsthaten. Er liess 
daher die Wälle noch weiter erhöhen und drei Türme 
errichten, letztere je fünfzig Fuss hoch und ringsum mit 
Eisen beschlagen, damit sie einerseits durch ihr be- 
deutendes Eigengewicht schon festständen und ander- 
seits dem Feuer trotzen könnten. In diese Türme, die, 
er auf dem Walle anbringen liess, legte er Speerwerfer, 
Bogenschützen und die kräftigsten Schleuderer ; auch 
versah er sie mit leichteren Wurfmaschinen. Dadurch, 
dass die Türme sehr hoch waren und Brustwehren 
hatten, entzog ihre Besatzung sich völlig den Blicken 
der Gegner, vermochte aber ihrerseits die auf der Mauer 
stehenden Juden deutlich zu sehen und zu treffen. Weil 
nun die letzteren den von oben kommenden Geschossen 
nicht leicht ausweichen und gegen die unsichtbaren 
Schützen sich nicht verteidigen konnten, auch die Un- 
möglichkeit, mit Handgeschossen die Höhe der Türme 
zu erreichen oder den Eisen beschlag derselben durch 
Feuer zu zerstören , ein sahen , zogen sie sich von der 
Mauer zurück und machten Ausfälle gegen diejenigen 
feindlichen Abteilungen, welche Sturm laufen wollten. 
Auf diese Weise hielten die Jotapatener stand, obwohl 
täglich viele von ihnen umkamen. Besonderen Schaden 
freilich konnten sie den Feinden nicht zufügen ; vielmehr 
mussten sie sich darauf beschränken, sie mit grossen 
eigenen Verlusten von sich abzuhalten. 

31. In denselben Tagen entsandte Vespasianus den 
Anführer der zehnten Legion, Trajanus, 1 an der Spitze 


1 Den Vater des nachmaligen Imperators. 


Go gle 


wNivsiitsiH or 



342 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


von tausend Reitern und zweitausend Fusssoldaten gegen 
eine Nachbarstadt Jotapatas mit Namen Japhb, die sich, 
durch den unerwartet langen Widerstand der Jotapatener 
ermutigt, empört hatte. Trajanus fand die Stadt schwer 
einnehmbar, da sie ausser ihrer von Natur schon festen 
Lage auch noch durch eine doppelte Ringmauer ge- 
schützt war. Weil aber die Bewohner kampfgerüstet ihm 
entgegenzogen, liess er sich mit ihnen in ein Gefecht 
ein und verfolgte sie, nachdem sie nur kurzen Wider- 
stand geleistet hatten. Sie flüchteten sich hinter die 
erste Mauer; die Römer jedoch, die ihnen auf der Ferse 
waren, stürzten sich mit hinein. Als nun die Juden sich 
hinter die zweite Mauer zurückziehen wollten, schlossen 
ihre eigenen Leute aus Furcht, die Feinde möchten auch 
hier miteindringen, die Stadtthore vor ihnen zu. Offen- 
bar war es Gott, der die Galiläer zu gunsten der Römer 
ins Unglück stürzte und der auch damals die ganze 
streitbare Mannschaft der Stadt, ausgeschlossen durch 
die Hände der Ihrigen, dem Mordschwert der Feinde 
preisgab. In dichten Haufen gegen die Thore drängend 
und deren Wächter laut beim Namen rufend, wurden 
sie trotz ihrer flehentlichen Bitten niedergemetzelt Die 
erste Mauer hatten ihnen die Feinde, die zweite ihre 
eigenen Mitbürger verschlossen ; so waren sie also mitten 
zwischen die beiden Ringmauern eingezwängt und kamen 
elendiglich um : viele erlagen dem Schwert ihrer Kame- 
raden, viele auch durchbohrten sich selbst; die meisten 
aber fielen durch die Hand der Römer, ohne sich zu 
irgendwelcher Gegenwehr aufraffen zu können ; denn 
ausser dem Schrecken, den die Feinde ihnen eingejagt 
hatte auch das verräterische Benehmen der Freunde 
ihren Mut völlig gebrochen. So starben sie dahin, nicht 
den Römern, sondern ihren eigenen Leuten fluchend, bis 
endlich alle, zwölftauBend an der Zahl, niedergemacht 
waren. Trajanus nahm nun an, dass die Stadt entweder 
völlig von Verteidigern entblösst sei oder dass, wenn 
sich noch welche darin befanden, sie aus Furcht nichts 
unternehmen würden , und schickte deshalb in der Ab- 



Drittes Buch, 7. Kapitel. 


343 


sicht, die Erstürmung für den Feldherrn aufzusparen, 
Boten an Vespasianus mit der Bitte, er möge seinen 
Sohn Titus zur Vollendung des Sieges absenden. Vespa- 
sianus aber, der vermutete, es könnte doch vielleicht 
noch etwas zu thun sein, gab seinem Sohn eine Streit- 
macht von fünfhundert Reitern und tausend Fusssoldaten 
mit Titus rückte nun eilends vor die Stadt stellte sein 
Heer in Schlachtordnung auf und übergab dem Traja- 
nus den linken Flügel, während er selbst an der Spitze 
des rechten Flügels den Sturm eröffnete. Als die Sol- 
daten von allen Seiten Leitern an die Mauer anlegten, 
zogen sich die Galiläer, nachdem sie kurze Zeit von oben 
her Widerstand geleistet hatten, von der Umwallung 
zurück, worauf Titus mit den Seinigen die Mauern er- 
stieg und alsbald die Stadt besetzte, doch nicht ohne 
gegen die innen zusammengescharten Juden noch einen 
harten Kampf bestanden zu haben. In den engen 
Gassen nämlich stürzte sich die streitbare Mannschaft 
den Römern entgegen , während die Weiber von den 
Dächern herab alles, was gerade zur Hand war, ihnen 
auf die Köpfe warfen. Sechs Stunden lang dauerte die 
Gegenwehr ; als aber die kampffähige Mannschaft dahin- 
gerafft war, wurde das übrige Volk teils unter freiem 
Himmel, teils in den Häusern niedergemacht, jung und 
alt ohne Unterschied, und nichts Männliches mehr am 
Leben gelassen ausser den unmündigen Kindern, welche 
samt den Weibern in die Sklaverei geschleppt wurden. 
Die Zahl der in der Stadt und bei dem voran gegangenen 
Treffen Gefallenen betrug fünfzehntausend, die der Ge- 
fangenen zweitausendeinhundertdreissig. Diese Nieder- 
lage erlitten die Galiläer am fünfundzwanzigsten des 
Monats Daisios. 

32. Auch die Samariter suchte das Unglück heim. 
Sie hatten sich auf dem von ihnen heilig gehaltenen 
Berge Garizin versammelt, und obwohl sie sich äusser- 
lich ruhig verhielten, lag doch schon in ihrer Zusammen- 
kunft und in ihrem ganzen Gebaren eine Kriegsdrohung. 
Die Niederlage ihrer Nachbarn hatte sie eben nicht ge- 


Go gle 



344 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

witzigt; vielmehr wollten sie, ohne ihre eigene Schwäche 
in Betracht zu ziehen , es mit dem Glüoke der Römer 
aufnehmen und warteten deshalb begierig auf eine Ge- 
legenheit zum Aufruhr. Vespasianus hielt es für geraten, 
einer Bewegung ihrerseits zuvorzukommen und ihre 
Empörungslust zu dämpfen; denn in ganz Samaria um- 
her lagen seit längerer Zeit römische Besatzungen, für 
die man bei der grossen Menge und der Haltung der 
Versammelten besorgt sein musste. Er sandte daher den 
Anführer der fünften Legion, Cerealis, mit sechshundert 
Reitern und dreitausend Mann Fussvolk gegen sie ab* 
Diesem schien es jedoch wegen der Überzahl der oben 
befindlichen Feinde nicht ratsam, den Berg zu ersteigen 
und sich mit ihnen in ein Gefecht einzulassen, und so 
beschränkte er sich vorläufig darauf, den Fuss des 
Berges von allen Seiten mit seinen Leuten zu um- 
stellen und sie den ganzen Tag zu beobachten. Nu ti 
traf es sich, dass die Samariter an Wassermangel litten, 
und da es an jenem Tage — mitten im Sommer — 
fürchterlich heiss war und die Menge sich auch sonst 
nicht mit den nötigen Lebensmitteln versehen hatte, 
starben einige von ihnen noch am selben Tage vor 
Durst, während andere einem solchen Tod die Knecht- 
schaft vorzogen und zu den Römern übergingen. Als 
Cerealis von diesen Überläufern erfuhr, dass die da oben 
von ihren Leiden gänzlich entkräftet seien, erstieg er 
den Berg und schloss die Feinde ringsum mit seiner 
Streitmacht ein. Sodann liess er sie auffordern, sich zu 
ergeben, ermahnte sie, auf ihre Rettung bedacht zu sein, 
und sicherte ihnen Schonung ihres Lebens zu, wenn sie 
die Waffen von sich werfen 'wollten. Da er aber hiermit 
nichts ausrichtete, fiel er über sie her und liess den 
ganzen Haufen, elftausendsechshundert an der Zahl, 
niedermachen. Dieser schwere Schlag traf die Samariter 
am siebenundzwanzigsten des Monats Daisios. 

33. Mittlerweile hielten sich die Jotapatener noch 
immer und trotzten wider Erwarten allen Schrecken der 
Belagerung, bis endlich am siebenundvierzigsten Tage, 


Go gle 



Drittes Bach» 7. Kapitel. 


345 


da die Wälle der Römer bis zur Höhe der Stadtmauer 
emporgestiegen waren , ein Überläufer zu Vespasianus 
kam und ihm mitteilte ; wie klein und schwach das 
Häuflein der Belagerten sei und wie sie, durch be- 
ständiges Wachen und unaufhörliche Gefechte auf- 
gerieben, einen Sturmangriff nicht mehr auszuhalten 
vermöchten. Aber auch mit List würden sie zu über- 
wältigen sein, wenn jemand es darauf anlege; denn um 
die letzte Nachtwache, wo sie einige Ruhe vor den An- 
griffen zu haben glaubten und der Morgenschlummer die 
Todmüden überfalle, lägen auch die Wachtposten in 
tiefem Schlafe, und er rate daher, um eben diese Stunde 
zum Angriff zu schreiten. Vespasianus traute zwar dem 
Überläufer nicht recht, da er die Treue der Juden gegen- 
einander kannte und wusste, wie wenig sie sich aus 
körperlichen Strafen machten; hatte doph schon einmal 
ein gefangener .Jotapatener allen Folterqualen wider- 
standen, ohne den Feinden, die ihm mit Feuer zusetzten, 
irgend etwas über die Zustände im Innern der Stadt 
zu verraten, und darum lächelnd den Kreuzestod er- 
litten. Die innere Wahrscheinlichkeit seiner Angaben 
jedoch verschaffte dem Verräter Glauben, sodass Vespa- 
sianus auf den Gedanken kam , er sage vielleicht doch 
die Wahrheit; überdies hielt er dafür, dass eine etwaige 
Hinterlist jedenfalls für die Römer keine besonders 
üblen Folgen haben könne. Er liess daher den Mann 
bewachen und sein Heer sich zum Sturm auf die Stadt 
rüsten. 

84. Um die angegebene Stunde näherten sich die 
Römer leise der Mauer. Titus mit dem Tribun Domitius 
Sabinus uud einigen wenigen Leuten der fünften und 
zehnten Legion erstieg sie zuerst, und nachdem sie die 
Wachtposten niedergestossen hatten, betraten sie in aller 
Stille die Stadt. Nach ihnen führten der Tribun Sextus 
Cerealis und Placidus ihre Mannschaft hinein. Die 
Burg war besetzt, mitten in der Stadt bewegten sich die 
Feinde, und bereits war es Tag; gleichwohl hatten die 
Überfallenen noch keine Ahnung von der Einnahme 



346 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

der Festung. Die meisten waren eben von Ermattung 
und Schlaf gelähmt, und den Blick derer, die wach 
wurden, trübte ein dichter Nebel, der sich gerade über 
die Stadt lagerte. Erst als das ganze Heer seinen Ein- 
zug gehalten hatte, erhoben sie sich, aber nur um ihr 
Unglück gewahr zu werden und sich unter dem Mord- 
schwert des Feindes von der wirklich erfolgten Ein- 
nahme der Stadt zu überzeugen. Die Römer, eingedenk 
dessen, was sie während der Belagerung ausgestanden 
hatten, kannten nun weder Mitleid noch Schonung, 
sondern hieben auf das Volk ein, indes sie es jählings 
die Burg hinabdrängten. Hierbei benahm die Ungunst 
der Örtlichkeit auch den noch Kampffähigen alle Mög- 
lichkeit der Gegenwehr; denn da sie in die engen 
Gassen hineingepresst wurden und an den abschüssigen 
Stellen ausglitten, wurden sie von den die Burg herab- 
wogenden Kriegern erdrückt Das trieb viele, selbst 
solche von der auserlesenen Mannschaft des Josephus, 
zum Selbstmord,. Als sie sich nämlich ausser stände 
sahen, einen «Römer niederzumachen, scharten sie sich, 
um wenigstens nicht unter dem Schwert der Feinde zu 
fallen, am äussersten Ende der Stadt zusammen und 
brachten sich selbst ums Leben. 

35. Einer Anzahl Wachmannschaften, welche gleich 
anfangs die Einnahme der Stadt bemerkten, war es ge- 
lungen, zu entkommen und einen der nördlichen Türme 
zu ersteigen. Hier wehrten sie sich noch einige Zeit; 
als sie sich aber von der Menge der Feinde umzingelt 
sahen, wollten sie Unterhandlungen anknüpfen. Doch 
es war zu spät, und so Hessen sie sich von den ein- 
dringenden Römern willig niedermetzeln. Übrigens 
hätten die letzteren sich rühmen können, das Ende der 
Belagerung habe sie keinen Tropfen Blut gekostet, wenn 
nicht ein Centurio Namens Antonius bei der Einnahme 
der Stadt gefallen wäre, und zwar als Opfer einer Treu- 
losigkeit. Von den zahlreichen Juden nämlich, die sich 
in die Höhlen geflüchtet hatten, flehte einer den Anto- 
nius an, er möge ihm zum Zeichen, dass er ihm das 


Go gle 



Drittes Buch, 8. Kapitel. 


347 


Leben schenken wolle, die Hand geben und ihm dadurch 
zugleich herauf helfen. Unvorsichtigerweise reichte Anto- 
nius ihm auch wirklich die Hand; der Jude aber stiess 
ihm von unten den Speer in den Leib, sodass er plötz- 
lich tot hinfiel. 

36. An diesem Tage machten die Römer nur die 
Menge derer nieder, die ihnen gerade zu Gesicht kamen. 
An den folgenden Tagen aber durchsuchten sie die 
Schlupfwinkel und verfolgten die in den unterirdischen 
Gängen und in Höhlen Verborgenen, wobei sie kein 
Alter schonten, unmündige Kinder und Weiber aus- 
genommen. An Gefangenen brachten sie zwölfhundert 
Mann zusammen; die Gesamtzahl derer, die bei der 
Einnahme der Stadt und in den vorangegangenen Kämpfen 
gefallen waren, betrug vierzigtausend. Vespasianus liess 
nun die Stadt schleifen und ihre sämtlichen Festungs- 
werke einäschern. So fiel Jotapata im dreizehnten Regie- 
rungsjahre Neros, 1 am ersten des Monats Panemos. 


Achtes Kapitel. 

Josephus wird gefangen genommen« Seine Unterredung 
mit Vespasianus. 

1. Die Römer suchten nun teils aus eigener Erbitterung 
gegen Josephus, teils weil der Feldherr auf seine Ge- 
fangennahme, die er als beinahe entscheidend für den 
Ausgang des Krieges ansah, sehr erpicht war, unter den 
Toten und in allen verborgenen Schlupfwinkeln der 
Stadt nach, um den Gehassten zu finden. Er aber hatte 
sich während der Einnahme der Stadt wie unter gött- 
lichem Beistand mitten durch die Feinde geschlichen 
und war in eine tiefe Cisterne hinabgesprungen, die sich 
seitwärts zu einer von oben unsichtbaren, geräumigen 
Höhle erweiterte. In diesem Versteck traf er vierzig 


1 67 n. Chr. 



348 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


vornehme Männer an, die auf eine Reihe von Tagen 
mit Lebensmitteln versehen waren. Bei Tage nun hielt 
er sich verborgen, weil die Feinde alles ringsum besetzt 
hatten; bei Nacht dagegen stieg er hinauf, um einen 
Weg zur Flucht ausfindig zu machen und sich nach den 
Posten umzusehen. Da aber eben um seinetwillen die 
Umgebung von allen Seiten so scharf bewacht wurde, 
dass an heimliches Entschlüpfen nicht zu denken war, 
begab er sich wieder in die Höhle zurück. Zwei Tage 
lang entging er so den Nachforschungen; am dritten 
aber wurde er von einer Frau, die bei ihnen gewesen 
und gefangen genommen worden war, verraten. Unver- 
züglich schickte nun Vespasianus zwei Tribunen, Pau- 
linus und Gallicanus, mit dem Auftrag ab, dem Josephus 
Sicherheit zu versprechen und ihn zum Verlassen der 
Höhle zu bewegen. 

2. Die beiden gingen hin, sprachen ihm zu und ver- 
bürgten ihm sein Leben. Sie konnten indes nichts bei 
ihm ausrichten ; denn lediglich die Wahrscheinlichkeit 
dessen, was er für die mannigfachen Schädigungen der 
Römer zu gewärtigen hatte, und nicht der milde Charakter 
derer, die ihm zuredeten, bestimmte seine Meinung be- 
züglich des ihm bevorstehenden Loses. Demgemäss 
.konnte er sich der Befürchtung nicht erwehren, man wolle 
ihn nur hervorlocken, um ihn hinzurichten. Schliesslich 
sandte Vespasianus einen dritten Boten in der Person 
des dem Josephus wohlbekannten und von früher her 
mit ihm befreundeten Tribuns Nikanor. Dieser kam 
und schilderte das milde Verfahren der Römer gegen die 
einmal von ihnen Besiegten, legte auch dar, wie die 
Heerführer den Josephus um seiner Tapferkeit willen 
mehr bewunderten als hassten, und wie der Feldherr 
keineswegs beabsichtige, ihn hinrichten zu lassen, da er 
ja diese Strafe an ihm vollziehen könne, auch ohne 
dass er hervorkäme, sondern entschlossen sei, ihm als 
einem tapferen Manne das Leben zu schenken. Übrigens 
würde Vespasianus, so fügte er hinzu, dem Josephus 
ebensowenig in hinterlistiger Absicht seinen Freund 



Drittes Buch, 8. Kapitel. 


349 


gesandt und so das Schändlichste mit dem Besten, Treu- 
losigkeit mit Freundschaft maskiert haben, als er selbst 
sich dazu hergegeben haben würde, einen Freund zu 
betrügen. 

3. Da aber Josephus auch dem Nikanor gegenüber 
sich noch nicht entscheiden konnte, trafen die Soldaten 
in ihrem Zorn Anstalten, Feuer in die Höhle zu werfen. 
Ihr Anführer jedoch hielt sie zurück, weil ihm sehr viel 
daran lag, den Mann lebendig in seine Gewalt zu bekommen. 
Während nun Nikanor in ihn drang und die feindliche 
Schar fortgesetzt Drohungen ausstiess, traten dem Josephus 
nächtliche Träume in die Erinnerung, in welchen ihm 
Gott das bevorstehende Unglück der Juden und das 
künftige Geschick der römischen Imperatoren offenbart 
hatte. Josephus verstand es nämlich, bei der Auslegung 
von Träumen auch diejenigen Verkündigungen zu er- 
klären, die die Gottheit zweideutig gelassen hatte, da 
er als Priester und Priesterssohn mit den Weissagungen 
der heiligen Bücher wohl vertraut war. Gerade zu dieser 
Stunde nun ward er von göttlicher Begeisterung ergriffen, 
und indem er die Schreck bilder kürzlich gehabter Träume 
sich vergegenwärtigte, schickte er in der Stille ein Gebet 
zu Gott und sprach: „Weil du beschlossen hast, das 
Volk der Juden, das du geschaffen, zu beugen, weil 
alles Glück zu den Römern gewandert ist und du meine 
Seele erwählt hast, die Zukunft zu offenbaren, so biete 
ich den Römern die Hand und bleibe am Leben. Dich 
aber rufe ich zum Zeugen an, dass ich nicht als Ver- 
räter, sondern als dein Diener zu ihnen übergehe.“ 

4. Nach diesem Gebet sagte er dem Nikanor zu. Als 
aber nun die Juden, die sich mit ihm in dem Versteck 
befanden, merkten, dass er dem Zureden der Feinde 
nachzugeben entschlossen sei, umringten sie ihn in dichten 
Haufen und riefen: „Fürwahr, gar schwer werden über 
dich die Gesetze der Väter seufzen, und tief wirst du 
den Gott betrüben, der den Juden Seelen anerschuf, die 
den Tod verachten. Ist denn das Leben dir, Josephus, 
so lieb, dass du es über dich bringst, als Sklave das 



350 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Licht zu schauen? Wie schnell doch hast du deiner 
selbst vergessen! Und denkst du nicht mehr daran, 
wie viele Juden auf deinen Zuspruch hin für die Frei- 
heit gestorben sind? Falsch war also der Ruf von 
Tapferkeit, in dem du standest, falsch auch der von 
deiner Einsicht, weil du nun Begnadigung von denen er- 
hoffst, gegen die du so hartnäckig gestritten hast, noch 
mehr aber, weil du, falls diese Begnadigung überhaupt 
sicher ist, sie aus ihrer Hand entgegen nehmen willst! 
Aber wenn auch du, vom Glück der Römer geblendet, 
deiner selbst vergessen hast, so müssen doch wir für die 
Ehre unseres Vaterlandes besorgt sein. Unsern Arm 
und unser Schwert stellen wir dir zur Verfügung; stirbst 
du nun freiwillig, so fällst du als Heerführer der Juden, 
wenn aber unfreiwillig, als Verräter!“ Mit diesen Worten 
zückten sie ihre Schwerter gegen ihn und drohten ihn 
niederzustossen, wenn er sich den Römern ergäbe. 

5. Aus Furcht vor ihrem Angriff und in der Über- 
zeugung, dass er einen Verrat an den Aufträgen Gottes 
begehen würde, wenn er vor deren Verkündigung stürbe, 
begann Josephus im Drange der Not Vernunftgrunde 
gegen sie geltend zu machen. „Wozu sind wir doch,“ 
sprach er, „o Freunde, so erpicht darauf, uns selbst zu 
morden? Oder weshalb wollen wir die innigsten Bande, 
die zwischen Leib und Seele, zerreissen ? Man sagt, ich 
sei ein anderer geworden — nun, das wissen ja die 
Römer am besten. Schön ist’s, im Kriege zu sterben, 
aber nach Kriegsbrauch, das heisst von der Hand des 
Siegers. Wenn ich vor dem Schwert der Römer fliehe, 
dann verdiene ich in der That, durch mein eigenes 
Schwert, durch meine eigene Hand ums Leben zu 
kommen ; wenn aber die Römer # den Wunsch hegen, 
einen Feind zu schonen, um wie viel mehr müssen wir 
uns da selbst schonen! Es wäre doch thöricht, wenn 
wir selbst uns das anthun würden, wegen dessen wir mit 
ihnen im Kampfe liegen. Ehrenvoll ist es, für die Frei- 
heit zu sterben, das sage auch ich, aber kämpfend und 
durch die Hand derer, die sie uns entreissen wollen. 


Go gle 



Drittes Buch. 8. Kapitel. 


351 


Nun aber ziehen sie weder gegen uns in die Schlacht, 
noch haben sie vor, uns das Leben zu nehmen. Feig- 
heit ist ebensowohl, nicht sterben zu wollen, wenn man 
soll, als sterben zu wollen, wenn man nicht soll. Was 
fürchten wir denn eigentlich, dass wir nicht zu den 
Römern hinaufgehen ? Doch den Tod, nicht wahr? Aber 
ist es denn so sicher, dass wir das von seiten der Römer 
zu fürchten haben, was wir uns jetzt selbst zufügen 
wollen? Nein, sagt ein anderer, die Knechtschaft ist 
es, die wir fürchten — als wenn wir jetzt so recht in 
Freiheit schwelgten ! Da kommt wieder ein anderer 
und meint, es sei heldenmütig, sich selbst zu töten. 
Nein, im Gegenteil, es ist die schlimmste Feigheit; ich 
wenigstens halte den für einen sehr zaghaften Steuer- 
mann, der aus Furcht vor einem Unwetter beim Aus- 
bruch des Sturmes sein Fahrzeug freiwillig versenkt. 
Zudem widerstrebt ja auch der Selbstmord dem innersten 
Wesen alles Lebendigen und ist zugleich ein Frevel 
gegen Gott, unseren Schöpfer. Es giebt kein Tier, das 
mit Vorbedacht den Tod suchte oder ihn sich selbst zu- 
fügte. Denn es ist ein festes Naturgesetz, dass man gern 
leben will, weshalb wir auch diejenigen Menschen, die 
uns das Leben offen zu nehmen trachten, für Feinde 
halten und uns an denen, die ihm heimlich nachstellen, 
rächen. Und meint ihr denn, Gott werde nicht zürnen, 
wenn der Mensch sein Geschenk für nichts achtet? Von 
ihm haben wir ja unser Dasein empfangen und müssen 
daher auch ihm dessen Auf hören anheimstellen. Alle 
haben wir sterbliche, aus vergänglichem Stoff gebildete 
Leiber; in dem Leibe aber wohnt eine unsterbliche 
Seele, ein Teil der Gottheit. Wenn nun jemand ein 
von Menschen ihm an vertrautes Gut verschwendet 
oder schlecht verwaltet, so gilt er für frevelhaft und 
treulos; wenn aber einer das von Gott ihm an vertraute 
Gut gewaltsam aus seinem eignen Körper wegschafft, 
kann er dann noch wähnen, dem Auge dessen verborgen 
zu bleiben, den er damit beleidigt hat? Man hält es 
für recht, dass entlaufene Sklaven gezüchtigt werden, 



352 


Josophus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


selbst wenn sie böse Herren verlassen haben — und 
da sollte es keine Sünde sein, wenn wir Gott, dem 
besten Herrn, entlaufen? Wisst ihr denn nicht, dass 
die, welche nach dem Gesetz der Natur aus dem Leben 
scheiden und die von Gott entliehene Schuld heimzahlen, 
wenn der Geber sie wieder nehmen will, ewigen Ruhm, 
lange Dauer ihres Hauses und Geschlechtes erlangen, 
reine Seelen behalten, die der Erhörung ihrer Gebete 
sicher sein können, und in dem heiligsten Raume des 
Himmels Wohnung nehmen, von wo sie im Verlauf der 
Aeonen wiederum in unbefleckte Leiber wandern dürfen , 1 
dass aber die Seelen aller derer, die mit eigner Hand 
wider sich selbst gewütet haben, die finstere Unterwelt 
aufnimmt, und dass Gott, ihr Vater, diese in doppelter 
Hinsicht frevelhaften Menschen noch in ihren Nach- 
kommen straft? Deshalb hasst Gott dieses Verbrechen, 
und vom weisesten Gesetzgeber ward es mit Strafe be- 
legt . 2 Denn die Selbstmörder muss man bei uns bis 
Sonnenuntergang unbegraben hinwerfen, während wir es 
doch für Pflicht halten, selbst Feinde zu bestatten; bei 
anderen Völkern ist es Brauch, solchen Toten die rechte 
Hand, mit der sie sich selbst gemordet haben, abzu- 
hauen, um anzudeuten, dass, wie ein solcher Leib sich 
der Seele entausserte , so auch die Hand nicht an den 
Körper gehöre. Deshalb, meine Freunde, ziemt es sich, 
recht zu denken und nicht dem Unglück, das uns als 
Menschen getroffen, auch noch einen Frevel gegen unsern 
Schöpfer hinzuzufügen. Sollen wir am Leben bleiben, 
so wollen wir unserer Rettung nichts in den Weg legen ; 
denn das macht uns kein|p Schande bei denen, welchen 
wir unsere Tapferkeit durch so viele Thaten bewiesen 
haben. Sollen wir aber den Tod erleiden, gut, so ge- 
schehe es durch die Sieger. Ich möchte nun freilich 
nicht zu den Reihen der Feinde übergehen, um ein Ver- 


1 Lehre der Pharisäer (s. II, 8, 14). 

2 In den mosaischen Schriften, soweit sie heute bekannt sind, 
findet sich eine solche Bestimmung nirgends. 



Drittes Bucfa, 8. Kapitel. 


353 


räter an mir selbst zu werden; denn dann wäre ich ja 
noch thörichter als ein gewöhnlicher Überläufer, der so 
handelt, um sein Leben zu retten, während ich es zum 
Verderben thäte, und zwar zu meinem eigenen. Was 
ich mir aber wünschte, wäre ein Verrat von seiten der 
Börner; wenn sie mich nämlich trotz dem gegebenen 
Worte umbrächten , würde ich freudig sterben , und es 
wäre mir diese Treulosigkeit ein grösserer Trost als der 
Sieg.“ 1 

6. Vieles derartige sprach Josephus, um seine Ge- 
fährten vom Selbstmord abzubringen. Die Verzweiflung 
indes machte sie taub gegen alle Vorstellungen; schon 
längst hatten sie sich dem Tode geweiht und wurden 
darum nur noch erbitterter gegen ihn. Von allen Seiten 
mit gezückten Schwertern auf ihn eindringend, beschul- 
digten sie ihn der Feigheit, und jeder zeigte sich bereit, 
ihn auf der Stelle niederzustossen. Er aber wusste, in- 
dem er den einen bei seinem Namen anrief, den anderen 
mit dem Blick des Feldherrn ahschaute, einen dritten 
bei der Hand, ergriff, einen vierten durch Bitten um- 
stimmte, in seiner Not, die die verschiedenartigsten Ge- 
fühle in ihm auf kommen liess, jedesmal das Mordschw'ert 
von sich abzuwehren, gleichwie das eingekreiste Wild 
sich stets gegen den wendet, der es gerade anzugreifen 
Miene maoht. Da sie nun selbst in dieser äussersten 
Bedrängnis noch den Feldherrn in ihm ehrten, wurden ihre 
Arme gelähmt, die Dolche entglitten ihren Händen, und 
viele, die das Schwert gegen ihn erhoben hatten, steckten 
es aus freien Stücken wieder ein. 

7. Trotz dieser verzweifelten Lage Verliese übrigens 
den Josephus seine Besonnenheit nicht; vielmehr setzte 
er nun im Vertrauen auf Gottes Fürsorge sein Leben aufs 
Spiel, indem er zu seinen Gefährten sprach: „Da der 
Entschluss, zu sterben, nun einmal feststeht, wohlan, so 
wollen wir das Los darüber entscheiden lassen, wer von 


1 Zu ergänzen ist: Da die Römer dann eine Handlung begehen 
würden, wegen deren Gottes Rache sie treffen müsste. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 23 


Go gle 



354 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


uns jedesmal den anderen niederstossen soll. Es falle 
also der Ausgeloste von der Hand dessen, der nach ihm 
bezeichnet wird. Auf diese Weise wird das Todeslos 
alle treffen, ohne dass der einzelne darauf angewiesen 
ist, sich selbst zu töten. Denn es wäre doch unrecht, 
wenn nach dem Tode seiner Gefährten der letzte sich’s 
reuen liesse und sein Leben rettete.“ Dieser Vorschlag 
verschaffte ihm wieder Zutrauen, und nachdem die anderen 
sich einverstanden erklärt hatten, loste er auch selbst 
mit. Wie nun ein jeder vom Lose getroffen wurde, liess er 
sich willig von dem Nächstfolgenden hinschlachten in dem 
Bewusstsein, dass gleich darauf ja auch der Feldherr 
sterben müsse; denn der Tod mit Josephus erschien 
ihnen angenehmer als das Leben. Übrig blieb nun eben 
Josephus, sage man durch glücklichen Zufall oder durch 
göttliche Fügung, 1 mit noch einem Gefährten, und da 
er weder vom Lose getroffen werden noch, wenn er 
schliesslich allein dagewesen wäre, seine Hand mit dem 
Blute eines Landsmannes beflecken mochte, überredete 
er auch diesen, sich den Römern zu ergeben und da- 
durch sein Leben zu retten. 

8. Nachdem Josephus so aus dem Kampfe mit den 
Römern sowohl als mit seinen eigenen Leuten heil her- 
vorgegangen war, wurde er von Nikanor zu Vespasianus 
geführt. Alle Römer strömten herbei, um ihn zu sehen, 
und die Menge, die sich um den Feldherrn drängte, er- 
hob verschiedenartigen Lärm, indem die einen über sein© 
Gefangennahme jubelten, andere Drohungen ausstiessen, 
wieder andere sich mit Gewalt einen Weg bahnten, 
um ihn in der Nähe betrachten zu können. Die weiter 
Entfernten schrien, man solle den Feind hinrichten, die 
näher Stehenden gedachten seiner Thaten und erstaunten 
ob dem Wechsel seines Schicksals. Unter den Offizieren 
aber gab es keinen, der trotz noch so grosser vorheriger 


1 Viel näher liegt es, an einen Betrug von seiten des Josephus 
zu denken (s. die Einleitung zu meiner Übersetzung der „Alter- 
tümer“). 



Drittes Buch, 8. Kapitel. 


355 


Erbitterung damals nicht durch seinen Anblick gerührt 
worden wäre. Besonders war es der edelgesinnte Titus, 
den des Josephus Ausdauer im Unglück und das Mit- 
gefühl mit seinem Alter 1 mächtig ergriff. Wenn er sich 
die jüngsten Heldenthaten des Josephus vergegenwärtigte 
und ihn betrachtete, wie er jetzt in der Hand seiner 
Feinde war, kam ihm so recht der Gedanke an die 
Macht des Schicksals, den schnellen Wechsel des Kriegs- 
glücks und die Unbeständigkeit aller menschlichen Dinge, 
und augenscheinlich war dies auch die Stimmung der 
meisten Anwesenden, die aus ihrem Mitleid mit dem 
Gefangenen kein Hehl : machten. Titus verwendete sich 
nun in ausgiebigster Weise bei seinem Vater, um dem 
Josephus das Leben zu retten; gleichwohl liess Vespa- 
sianus ihn in strengsten Gewahrsam nehmen, um ihn 
unverzüglich dem Nero zuzusenden. 

9. Als Josephus dies vernahm, verlangte er mit 
Vespasianus ein Wort unter vier Augen zu reden. Der 
Feldherr hiess ^darauf alle Anwesenden mit Ausnahme 
seines Sohnes Titus und zweier Freunde sich entfernen, 
und Josephus begann nun also zu sprechen: „Du bist 
freilich der Meinung, Vespasianus, nur einen Kriegs- 
gefangenen erwischt zu haben, als du den Josephus in 
deine Gewalt bekamst aber weit gefehlt, denn ich er- 
scheine vor dir als Verkündiger wichtiger Dinge. Hätte 
ich mich nicht eines Auftrages von Gott zu entledigen, 
so würde ich wohl gewusst haben, was das Gesetz der 
Juden verlangt und wie es Heerführern ziemt zu sterben. 
Du willst mich an Nero schicken ? Wozu denn ? 
Werden etwa seine Nachfolger, die noch vor dir auf 
den Thron kommen, denselben lange behaupten? Nein, 
du Vespasianus wirst Caesar und Selbstherrscher werden, 
du und auch dieser dein Sohn ! Lass mich jetzt nur 
noch sicherer fesseln und für dich auf bewahren; denn 
du, Caesar, wirst nicht bloss mein Gebieter sein, sondern 


1 Beide waren ungefähr gleichalterig (Josephus geb. 37 , jTitus 
41 n. Chr.). 

-3 * 


Go gle 


C ÄLifORilKHA. 



356 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Herr über die Erde, das Meer und das ganze Menschen- 
geschlecht. In engeren Gewahrsam also musst du mich 
nehmen, damit du mich hinrichten lassen kannst, wenn 
ich leichtfertig im Namen Gottes rede !“ 1 Vespasianus 
schien diesen Worten anfänglich nicht zu trauen und 
sie für eine List des Josephus zu halten, durch die er 
sich das Leben zu retten suche. Allmählich aber begann 
er doch daran zu glauben, da Gott selbst Gedanken an 
die Thronbesteigung in ihm wachrief und ihm auch schon 
durch sonstige Zeichen die künftige Herrschaft angedeutet 
hatte . 2 Zudem erfuhr er, dass der Gefangene auch in 
anderen Fällen bereits zutreffend geweissagt habe. Einer 
der Freunde des Feldherrn nämlich, der bei der geheimen 
Unterredung zugegen war, sprach seine Verwunderung 
darüber aus, dass Josephus weder die Zerstörung Jota- 
patas noch seine eigene Gefangennehmung vorausgesagt 
habe; es scheine somit, als ob das, was er jetzt vorbringe, 
nur leeres Geschwätz sei, um sich die Gunst des Feindes 
zu erwerben. Darauf entgegnete Josephus, allerdings 
habe er den Jotapatenern vorhergesagt, dass sie nach 
siebenundvierzig Tagen in Feindeshand fallen und er 
selbst lebendig würde gefangen werden. Vespasianus 
erkundigte sich insgeheim bei den Gefangenen, und da 
er die Angabe wahr fand, fing er nun auch an, der 
Weissagung, die seine eigene Person betraf, Glauben zu 
schenken. Er liess den Josephus zwar noch im Ge- 
fängnis und in Fesseln, beschenkte ihn jedoch mit einem 
Prachtgewand und anderen Kostbarkeiten und liess ihm 
auch für die Folge eine freundliche Behandlung zu teil 
werden — eine Auszeichnung, die Josephus vornehmlich 
dem Titus zu verdanken hatte. 


1 Vergl. Suetonius, Vespasian. 5 : Et unus ex nobilibus captivis 
Josephus, cum conjiceretur in vincula, constantissime asseveravit, 
fore ut ab eodem brevi solveretur, verum jam imperatore. 

a S. Tacitus, Histor. II, 78. 



Drittes Buch, 9. Kapitel. 


357 


Neuntes Kapitel. 

Eroberung Joppes und Übergabe von Tiberias. 

1. Am vierten des Monats Panemos brach Vespa- 
sianus wieder nach Ptolemais auf und rückte von da 
nach Caesarea am Meer, einer sehr grossen, meist von 
Griechen bewohnten Stadt Judaeas. Die Einwohner 
nahmen das Heer und den Feldherrn mit lauten Segens- 
wünschen und sonstigen Freudenbezeugungen auf, teils 
aus Ergebenheit gegen die Römer, teils und zwar noch 
mehr aus Hass gegen die Überwundenen. Deshalb ver- 
langten auch ganze Haufen von ihnen unter lautem 
Geschrei die Hinrichtung desjosephus; doch wies Vespa- 
sianus dieses Ansinnen, weil es von der urteilslosen 
Menge kam, mit vornehmer Ruhe zurück. Dann legte 
er zwei seiner Legionen nach Caesarea ins Winterquartier, 
da er die Stadt hierzu geeignet fand ; die fünfzehnte da- 
gegen quartierte er, um Caesarea nicht mit dem ganzen 
Heere zu belasten, in Skythopolis ein. Wegen seiner 
Lage in der Ebene und am Meere war Caesarea zur 
Winterszeit ebenso angenehm warm, als erstickend heiss 
im Sommer. 

2. Unterdessen hatten sich diejenigen Juden, die ent- 
weder während der Unruhen den Händen der Feinde 
entschlüpft oder aus den zerstörten Städten entkommen 
waren, in beträchtlicher Menge zusammengeschart und 
das früher von Cestius verwüstete Joppe als Stützpunkt 
für weitere kriegerische Unternehmungen wieder befestigt. 
In das vom Feinde unsicher gemachte Land freilich 
durften sie sich nicht hinauswagen, und so beschlossen 
sie denn, aufs Meer zu gehen. Sie bauten eine grosse 
Anzahl Piraten schiffe, verübten Räubereien auf dem See- 
wege zwischen Syrien, Phoenicien und Aegypten, und 
bewirkten, dass in jenen Gewässern sich bald kein Fahr- 
zeug mehr blicken liess. Vespasianus aber hatte kaum 
von ihrem Treiben gehört, als er Truppen zu Fuss und 
zu Pferde nach Joppe sandte, die bei Nacht in die 



358 


Josephus. Geschichte des Jüdischen Krieges. 


unbesetzte Stadt ein drangen. Die Bewohner nämlich 
hatten von dem beabsichtigten Angriff vorher Kenntnis 
erlangt, aus Furcht vor den Römern auf die Verteidigung 
der Stadt verzichtet und sich auf die Schiffe geflüchtet, 
wo sie ausser Schussweite übernachteten. 

3. Joppe hat von Natur keinen Hafen, ist vielmehr 
von einer zerklüfteten, steil abfallenden Küste begrenzt, 
die an den beiden Enden der Stadt sich ein wenig aus^ 
biegt; aber auch diese kurzen Ausläufer bestehen nur 
aus schroffen Felswänden und ins Meer hineinragenden 
Klippen. Hier zeigt man noch heute Spuren von den 
Fesseln der Andromeda, 1 welche das hohe Alter dieser 
Sage beweisen. Der Nordwind, der gerade gegen das 
Ufer stürmt und an den entgegenstehenden Felsen eine 
gewaltige Brandung erzeugt, macht die Rhede noch ge- 
fährlicher als die offene See. Auf dieser Rhede trieben 
die Bewohner Joppes, als gegen Morgen ein heftiger 
Sturm — schwarzer Nordwind heisst er bei den Schiffern, 
die jene Gewässer befahren — sich erhob und einen 
* Teil der Schiffe sogleich aneinander zerschellte, andere 
wider die Felsen warf; viele auch, die aus Furcht vor 
dem klippenreichen Ufer und den dasselbej besetzt 
haltenden Feinden der Brandung entgegen die offene 
See zu erreichen suchten, versenkte die turmhoch auf- 
steigende Flut in die Tiefe. Nirgends winkte den Ge- 
ängstigten ein Zufluchtsort, nirgends ein Rettun gszeichen"; 
aus dem Meere trieb sie die Gewalt des Sturmes, die 
*Stadt versperrten ihnen die Römer. Lautes Jammer- 
geschrei ertönte, wenn die Fahrzeuge zusammenstiesBen, 
und schreckliches Krachen, wenn sie zerschellten; die 
Bemannung ward teils über Bord gespült, teils ging sie 
im Schiff bruch unter. Manche auch kamen den Fluten 
dadurch zuvor, dass sie sich, als wäre diese Todesart 
leichter, mit dem Schwerte durchbohrten. Die meisten 
jedoch wurden von den Wellen umhergeschleudert und 


i Der von Perseus befreiten Tochter des Kepheus und der 
Kassiopeia. 



Dritte« Buch, 9. Kapitel. 


359 


an den Felswänden zerschmettert, sodass das Meer weit- 
hin vom Blute gerötet war und das Gestade voll von 
Leichen lag; denn auch von denen, die noch lebend 
ans Land gespült wurden, Hessen die am Ufer stehenden 
Römer keinen am Leben. Viertausendzweihundert be- 
trug die Zahl der vom Meer ausgeworfenen Toten. Nach- 
dem die Römer so die Stadt ohne Schwertstreich 
eingenommen hatten, machten sie dieselbe dem Erdboden 
gleich. 

4. In kurzer Zeit wurde also Joppe zweimal 1 von 
den Römern erobert. Damit nun nicht abermals See- 
räuber in der Stadt sich einnisten könnten, liess Vespa- 
sianus auf der Burg ein Truppenlager errichten und in 
dasselbe Reiterei sowie eine Anzahl Fusssoldaten legen. 
Letztere mussten an Ort und Stelle bleiben, um das 
Lager zu bewachen, während die Reiter plündernd die 
Umgegend durchstreifen und die nahe bei Joppe ge- 
legenen Dörfer und Städtchen zerstören sollten. Diesem 
Befehl kamen die Soldaten pünktlich nach und durch- 
zogen tagtäglich raubend und verheerend die ganze 
Umgebung. 

5. Als die Kunde von dem Schicksal Jotapatas nach 
Jerusalem gelangte, wollten die meisten anfangs nicht 
daran glauben, einmal wegen der Grösse des Unglücks, 
und dann auch weil niemand da war, der das, was be- 
richtet wurde, gesehen hatte. Denn nicht einmal ein 
Bote war bei der Einnahme der Stadt entkommen, 
sondern lediglich das Gerücht, das ohnehin schon gern 
Unheil verkündigt, erzählte ohne weitere Beglaubigung 
den Fall der Festung. Allmählich aber verbreitete sich 
die Wahrheit durch die angrenzenden Bezirke und war 
bald bei sämtlichen Bürgern über jeden Zweifel erhaben, 
nur dass zu den wirklichen Ereignissen noch manches 
hinzugedichtet wurde, was gar nicht geschehen war. So 
hiess es beispielsweise, auch Josephus sei bei der Ein- 
nahme der Stadt gefallen. Diese Nachricht erfüllte 


1 S. II, 18, 10. 



360 


Josephu8, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


ganz Jerusalem mit tiefem Schmerz, und während in 
den einzelnen Häusern und Familien die Umgekommenen 
je nach dem Grade der Verwandtschaft beweint wurden, 
war die Trauer um den Feldherrn eine wahre Volks- 
trauer. Die einen beklagten den Verlust von Gast- 
freunden, andere den von sonstigen lieben Personen, 
Brüdern oder entfernten Verwandten; den Josephus aber 
beweinten alle, sodass dreissig Tage lang des Jammerns 
in der Stadt kein Ende war. Viele auch nahmen 
Flötenspieler 1 in Sold, um ihre Klagegesänge begleiten 
zu lassen. 

6. Als aber mit der Zeit der wahre Sachverhalt sowie 
die näheren Umstände vom Falle Jotapatas bekannt 
wurden und nicht nur der Tod des Josephus sich als 
erdichtet heraustellte, sondern man auch noch obendrein 
erfuhr, dass er lebe und von seiten der römischen Offi- 
ziere ihm eine Behandlung zuteil werde, wie sie ein 
Kriegsgefangener nicht zu erhoffen sich getraue, ward 
der Groll der Juden gegen den Lebenden ebenso gross, 
wie zuvor die Sympathie für den Totgeglaubten gewesen 
war. Hier schalt man sein Benehmen Feigheit, dort 
Verräterei , und in der ganzen Stadt hörte man nichts 
als unwillige und schmähende Reden über ihn. Waren 
die Juden schon wegen der Niederlage an sich erbittert* 
so steigerte das widrige Schicksal ihren Ingrimm noch 
viel mehr. Das Unglück, welches vernünftige Menschen 
veranlasst, auf ihre Sicherheit bedacht zu sein und sich 
vor ähnlichen Vorkommnissen zu hüten, war für sie nur 
der Stachel, der sie an trieb, neues Unheil zu suchen, 
und das Ende des einen Übels ward für sie stets der 
Anfang eines anderen. Übrigens nahm auch ihre Ge- 
reiztheit gegen die Römer immer mehr zu, weil sie in 
ihnen zugleich den Josephus zu strafen gedachten. So 
stürmisch sah es damals in Jerusalem aus. 

7. Mittlerweile war Vespasianus von dem König 
Agrippa, der den Feldherrn und sein Heer mit der 


1 Vergl. Matthaeus 9, 23. 



Drittes Buch, 9. Kapitel. 


361 


ganzen Pracht seines Hauses zu empfangen und mit 
Hilfe der Römer seinen wankenden Thron zu befestigen 
vorhatte, persönlich eingeladen worden , dessen König- 
reich zu besuchen. Er brach daher von Caesarea am 
Meer auf und marschierte nach Caesarea Philippi , 1 wo 
er seinen Truppen eine zwanzigtägige Erholung gönnte, 
während er selbst mit Schmausereien sich die Zeit ver- 
trieb und der Gottheit Dankopfer für seine Siege dar- 
brachte. Als ihm aber gemeldet ward, dass Taricheae 
abgefallen und in Tiberias Unruhen ausgebrochen seien 
(beide Städte gehörten zum Gebiete Agrippas), hielt er, 
entschlossen, die Juden überall zu Paaren zu treiben, 
eine kriegerische Unternehmung gegen dieselben für an- 
gebracht Zugleich wünschte er dem Könige den Dank 
für die genossene Gastfreundschaft dadurch zu erstatten, 
dass er ihm die beiden Städte wieder zurechtbrachte. 
Er sandte demgemäss seinen Sohn Titus nach Caesarea 
mit dem Aufträge, das dort befindliche Heer nach dem 
nahe bei Tiberias gelegenen Skythopolis, der grössten 
Stadt im Gebiete der Dekapolis , 2 zu führen, wohin er 
sich dann auch selbst begab, um mit seinem Sohne zu- 
sammen zutreffen. Von hier rückte er nun mit drei Le- 
gionen aus und schlug dreissig Stadien von Tiberias 
entfernt an einem Orte Namens Sennabris, wo ihn die 
Empörer leicht sehen konnten, ein Lager auf. Sodann 
schickte er den Decurio Valerianus an der Spitze von 
fünfzig Reitern ab, um in Güte mit den Bürgern der 
Stadt zu unterhandeln und sie zur Übergabe aufzufordern. 
Der Feldherr hatte nämlich vernommen , dass die Ein- 
wohnerschaft sehnlichst den Frieden wünsche und der 
Aufruhr nur von einigen wenigen Kriegslustigen geschürt 
werde. Valerianus ritt also hin und stieg, als er in der 
Nähe der Mauer angelangt war, samt seiner Begleitung 
vom Pferde, damit es nicht den Anschein gewänne, als 

1 Der Name Neronias , den nach J. A. XX, 9, 4 Agrippa dieser 
Stadt gegeben hatte, scheint also nicht sehr gebräuchlich gewesen 
zu Bein. 

2 8. Namenregister. 



362 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

wollten sie plänkeln. Bevor er jedoch zu Wort kam, 
stürzten sich die entschlossensten der Aufrührer be- 
waffnet ihm entgegen, an ihrer Spitze ein gewisser Jesus, 
Sohn des Saphatos , der Führer des Raubgesindels. 
Valerianus, der sich gegen den Befehl des Feldherrn 
auch dann in kein Gefecht hätte einlassen mögen, wenn 
er seines Sieges sicher gewesen wäre, hielt es für ge- 
fährlich, mit seiner kleinen Schar gegen die Übermacht 
anzukämpfen, zumal seine Leute den wohlbewaffneten 
Juden gegenüber nur unvollständig gerüstet waren ; 
ausserdem aber hatte ihn auch die unerwartete Kühn- 
heit der Gegner in Schrecken versetzt. So entfloh er 
denn zu Fuss, und fünf andere Römer Hessen ebenfalls 
ihre Pferde im Stich, die nun von Jesus und seiner 
Mannschaft unter lautem Jubel in die Stadt ein- 
gebracht wurden, gleich als wären die Tiere in offener 
Schlacht und nicht vielmehr durch Hinterlist erbeutet 
worden. 

8. Über diesen Vorfall bestürzt, flohen die Ältesten 
des Volkes und die angesehensten Männer der Stadt 
ins römische Lager, fielen, nachdem sie den König für 
sich gewonnen, vor Vespasianus nieder und baten ihn 
flehentlich, er möge sie doch gnädig anhören und nicht 
um des Wahnsinns einiger wenigen Leute willen die 
ganze Stadt büssen lassen, sondern die stets gut römisch 
gesinnte Bevölkerung schonen und nur die Anstifter 
der Empörung strafen, deren Späherblick es ihnen bis jetzt 
unmöglich gemacht habe, die längst beabsichtigte Über- 
gabe an die Römer ins Werk zu setzen. Obwohl nun 
der Feldherr wegen des Pferderaubes der ganzen Stadt 
gewaltig zürnte, willfahrte er doch den an ihn ge- 
richteten Bitten, weil er sah, dass auch Agrippa ängstlich 
für die Bürgerschaft besorgt war. Als auf diese Weise 
die Bittsteller der Stadt Gnade erwirkt hatten, hielten 
Jesus und sein Anhang sich nicht mehr für sicher und 
flohen deshalb nach Taricheae. Tags darauf sandte der 
Feldherr den Trajanus mit einer Anzahl Reiter nach 
einer Bergspitze voraus, um zu erforschen, ob die ge- 


Go gle 



Drittes Buch, 10. Kapitel. 


863 


samte Bevölkerung der Stadt zu friedlichem Verhalten 
neige, und da er vernahm, dass ihre Gesinnung dieselbe 
wie die der Bittsteller sei, rückte er mit seinem Heere 
näher heran. Nun öffneten die Einwohner ihm die 
Stadtthore und zogen ihm unter Segenswünschen ent- 
gegen, indem sie ihn ihren Retter und Wohlthäter 
nannten. Weil aber das Heer wegen der Enge der 
Thore sich arg drängen musste, liess Vespasianus ein 
Stück der südlichen Mauer einreissen und so den Ein- 
gang erweitern. Doch untersagte er dem Könige zu Ge- 
fallen seinen Soldaten jede Art von Plünderung und 
Gewalttätigkeit und sah auch ihm zulieb von einer 
Zerstörung der Mauern ab, weil Agrippa sich für die 
künftige Treue der Einwohnerschaft verbürgte. So 
brachte Vespasianus die Stadt, die übrigens infolge der 
Empörung viel gelitten hatte, wieder unter die Bot- 
mässigkeit des Königs. 


Zehntes Kapitel. 

Vespasianus erobert Taricheae. 

Beschreibung des Jordanlaufes sowie des Sees und der 
Landschaft Gennesar. 

1. Von Tiberias rückte Vespasianus weiter vor und 
schlug zwischen dieser Stadt und Taricheae ein Lager 
auf, dem er in der Voraussetzung, dass der Kampf sich 
hier in die Länge ziehen werde, eine stärkere Befestigung 
gab; hatten sich doch im Vertrauen auf die Festigkeit 
der Stadt und auf den von den Eingeborenen Gennesar 
genannten See alle Unzufriedenen in Taricheae zu- 
sammengefunden. Die Stadt, welche ebenso wie Tiberias 
am Fu6se eines Berges lag, war von Josephus auf allen 
Seiten, wo der See sie nicht bespülte, stark befestigt 
worden, wenn auch nicht so stark wie Tiberias; denn 
die Ringmauer um letztere Stadt hatte er zu Beginn des 
Aufstandes erbaut, als ihm noch Geld und Arbeitskräfte 
reichlich zu Gebote standen, während Taricheae nur vom 


Go gle 



364 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Beste seiner Freigebigkeit Nutzen ziehen konnte. Da- 
gegen hatten die Taricheaten eine Menge Kähne in 
Bereitschaft, die einesteils im Fall einer Niederlage zu 
Lande die Flucht ermöglichen, andernteils bei einem 
etwa notwendig werdenden Seegefecht Verwendung finden 
sollten. Während nun die Römer mit der Verschanzung 
ihres Lagers beschäftigt waren, machten Jesus und seine 
Leute, die sich weder vor der Übermacht noch vor der 
straffen Ordnung des Feindes fürchteten, einen Ausfall, 
zerstreuten schon beim ersten Anlauf die Schanzarbeiter, 
rissen einen kleinen Teil der Werke ein und flüchteten 
erst dann, als sie Schwerbewaffnete sich gegen sie 
scharen sahen, zu den Ihrigen zurück, ohne Verluste er- 
litten zu haben. Die Römer setzten ihnen nach und 
drängten sie auf die Schiffe; sie aber fuhren so weit in 
den See hinaus, dass sie die Gegner noch im Bereich 
ihrer Geschosse hatten, warfen dann Anker und rückten 
mit ihren Kähnen dicht aneinander, um vom Wasser 
aus gegen die Feinde auf dem Lande zu kämpfen. 
Unterdessen hatte Vespasianus erfahren, dass auch in 
der Ebene vor der Stadt eine grosse Menge Juden sich 
zusammengerottet habe, und liess deshalb seinen Sohn 
mit sechshundert auserlesenen Reitern gegen sie Vor- 
gehen. 

2. Als dieser die bedeutende Überzahl der Feinde 
gewahrte, liess er seinem Vater melden, er habe Ver- 
stärkung nötig. Da er aber zugleich sah, dass der 
grösste Teil der Reiter noch vor dem Eintreffen weiterer 
Truppen anzugreifen entschlossen war, andere hingegen 
vor der Menge der Juden insgeheim sich ängstigten, 
stellte er sich so auf, dass man ihn überall hören konnte, 
und sprach: „Römer! Gleich zu Beginn meiner An- 
sprache halte ich es für erspriesslich , euch an eure Ab- 
stammung zu erinnern, damit ihr wisst, was für Leute 
ihr selbst seid im Vergleich zu denen, gegen die wir zu 
kämpfen im Begriff stehen. Unserm starken Arm ist 
bis jetzt noch kein Volk der Erde entronnen; die Juden 
aber, ich muss das zu ihren Gunsten sagen, sind, obwohl 



Drittes Buch, 10. Kapitel. 


365 


stets besiegt, noch immer nicht matt geworden. Es 
stände uns daher übel an, wollten wir in unserm Glück 
erlahmen, während unsere Gegner trotz ihrer Unfälle 
sich aufrecht halten. Nun bemerke ich zwar mit Ver- 
gnügen, dass ihr, soweit ersichtlich, gutes Mutes seid; 
gleichwohl kann ich mich der Besorgnis nicht entschlagen, 
die Überzahl der Feinde möchte doch den einen oder 
anderen mit geheimem Zagen erfüllen. Darum bedenke 
jeder von euch nochmals, wer er selbst ist und mit wem 
er sich messen wird, sowie auch dass die Juden, toll- 
kühne Menschen zwar und Verächter des Todes, dabei 
aber ohne Kenntnis von Taktik und Kriegführung, eher 
eine Bande als ein Heer genannt werden können. Was 
brauche ich demgegenüber von unserer Kriegserfahrung 
und Kriegszucht noch zu reden? Üben wir doch allein 
deshalb während des Friedens den Gebrauch der Waffen, 
damit wir im Kriege nicht nötig haben, uns dem Feinde 
gegenüber zu zählen ! Zu was diente denn auch der 
beständige Heeresdienst, wenn wir nur in gleicher An- 
zahl uns mit ungeübten Gegnern einlassen könnten? 
Bedenkt ferner , dass ihr in voller Rüstung gegen 
Leichtbewaffnete, zu Pferde gegen Fussgänger, unter 
einem Anführer gegen schlecht geleitete Haufen kämpfen 
sollt, und dass diese Vorzüge eure Zahl bedeutend ver- 
vielfachen, während die erwähnten Nachteile die der 
Feinde um vieles vermindern. Übrigens hängt die Ent- 
scheidung der Schlachten durchaus nicht von der 
Menschenmenge ab, selbst wenn diese aus lauter kampf- 
tüchtigen Soldaten bestände, sondern von der Tapferkeit, 
seien es auch kleinere Scharen, denen sie innewoh'nt. 
Die letzteren nämlich lassen sich leicht zur Schlacht 
ordnen und können sich gegenseitig Hilfe bringen, 
während übergrosse Heere sich selbst mehr Schaden zu- 
fügen, als sie von seiten des Feindes erleiden. Was 
die Juden leitet, ist die der Verzweiflung eigene Toll- 
kühnheit, die zwar standhält, so lange sich Erfolge 
zeigen, bei den kleinsten Unfällen jedoch alsbald er- 
lischt; unsere Führer dagegen sind Tapferkeit, Manns- 



366 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zucht und jener edle Sinn, der im Glück seine Kraft 
entfaltet, aber auch bei Schicksalsschlägen ausharrt bis 
ans Ende. Dann aber kämpft ihr doch jedenfalls um 
höhere Güter als die Juden, -die des Krieges Ungemach 
für Freiheit und Vaterland auf sich nehmen, während 
wir nichts grösseres kennen wie den Ruhm und das 
Streben, der Meinung entgegenzutreten, als seien uns in 
den Juden ebenbürtige Gegner erstanden, nachdem wir 
den Erdkreis uns unterthan gemacht. Halten wir uns 
ausserdem vor Augen, dass wir eine Niederlage ja schon 
deswegen nicht zu fürchten brauchen, weil eine ansehn- 
liche Truppe uns zu Hilfe kommen wird, und das bereits 
recht bald. Aber auch allein können wir den Sieg an 
uns reissen, und gut würde es uns anstehen, wenn wir 
dies schon vor dem Eintreffen der von meinem Vater 
gesandten Verstärkungen thäten, damit unser Ruhm da- 
durch grösser würde, dass wir ihn nicht mit anderen 
zu teilen hätten. Diese Stunde wird, glaube ich, die 
Entscheidung bringen über meinen Vater, über mich 
und über euch: sie wird beweisen, ob er seiner früheren 
Heldenthaten würdig ist, ob ich sein Sohn bin, ob ihr 
meine Soldaten seid. Denn wie er zu siegen gewöhnt 
ist, so würde ich es nicht über mich bringen, besiegt 
ihm unter die Augen zu treten. Und ihr, solltet ihr 
euch nicht schämen, überwunden zu werden, wenn 
euer Führer euch in die Gefahr vorangeht? Fürwahr, 
das werde ich thun, der erste werde ich sein, der auf 
die Feinde eindringt! Haltet euch also nicht schlechter 
wie ich, seid überzeugt, dass mein Angriff unter dem 
Beistand der Gottheit erfolgt, und glaubt, dass wir im 
Handgemenge mehr ausrichten werden als im Kampfe 
aus der Ferne.“ 

3. Nach dieser Ansprache des Titus ergriff wunder- 
bare Kampf begier die Männer, und als kurz vor dem 
Gefecht Trajanus mit vierhundert Reitern zu ihnen stiess, 
murrten sie, wie wenn ihnen der Siegesruhm durch deren 
Teilnahme geschmälert würde. Übrigens sandte Vespa- 
sianus auch noch den Antonius Silo mit zweitausend 



Drittes Buch, 10. Kapitel. 


367 


Bogenschützen ab, um die Anhöhe gegenüber der Stadt 
zu besetzen und die auf der Mauer befindlichen Juden 
zu vertreiben. Diesem Befehl gemäss scheuchten sie 
auch wirklich diejenigen Feinde zurück, die von dort 
aus den Ihrigen Hilfe leisten wollten. Titus sprengte 
nun zuerst auf die Gegner ein, ihm nach unter Kriegs- 
geschrei die übrigen, die sich der feindlichen Front ent- 
lang über die Ebene ausdehnten und so den Anschein 
einer bedeutend zahlreicheren Truppe erweckten. Die 
Juden gerieten zwar über das Ungestüm und die gute 
Ordnung der Römer in Bestürzung, hielten aber immer- 
hin eine Zeitlang dem Andrang derselben stand; schliess- 
lich jedoch räumten sie vor den Lanzen der mächtig 
daherstürmenden Reiter das Feld. Haufenweise wurden 
sie nun von den Hufen der Rosse zertreten ; die übrigen 
stoben auseinander und flohen, so schnell sie konnten, 
der Stadt zu. Viele von diesen machte Titus nieder, 
indem er von hinten auf sie einhieb, andere, die sich 
zu Knäueln zusammengeschart hatten, sprengte er aus- 
einander, wieder andere überholte er und durchbohrte 
sie von vorn; nicht gering auch war die Zahl derer, die 
im Gedränge übereinander stürzten und ihm so in die 
Hände fielen. Allen aber suchte er die Flucht nach 
der Mauer abzuschneiden und sie in die Ebene zurück- 
zutreiben, bis es den wuchtigen Massen der Juden end- 
lich doch gelang, sich durchzuschlagen und in die Stadt 
einzudringen. 

4. Drinnen brach sogleich ein heftiger Zwist unter 
ihnen aus. Die eingeborene Bevölkerung nämlich hatte 
um ihrer Habe und um der Stadt willen schon gleich 
anfangs sich für den Krieg nicht besonders begeistern 
können, und noch viel weniger war dies jetzt nach der 
Niederlage der Fall; die zahlreichen Fremdlinge aber 
wollten ihn mit Gewalt erzwingen. Leidenschaftlich 
gegeneinander erbittert, erhoben sie nun ein gewaltiges 
Geschrei und einen Lärm, als wären sie nahe daran, zu 
den Waffen zu greifen. Titus, der nicht weit von der 
Mauer entfernt stand, hatte kaum das Getöse vernommen, 



368 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


als er ausrief: „Nun ist es Zeit, Kameraden! Was 
zögern wir noch, da die Gottheit selbst uns die Juden 
in die Hand giebt? Greift zu, da ihr siegen könnt! 
Hört ihr nicht das Geschrei? Die unserm Schwert ent- 
ronnen sind, hadern nun miteinander. Unser ist die 
Stadt, wenn wir eilen. Ausser der Eile aber brauchen 
wir Anstrengung und Kraftaufwand ; denn nichts grosses 
gelingt ohne Wagnis. Zuvorkommen müssen wir nicht 
nur der Wiederaussöhnung unserer Feinde, die unter 
dem Druck der Not gar leicht zustande kommt, sondern 
auch einer Hilfeleistung von seiten der Unsrigen, damit 
wir, nachdem uns der Sieg über eine so grosse Menge 
Feinde geglückt ist, obendrein auch noch allein die 
Stadt einnehmen!“ 

5. Mit diesen Worten schwingt er sich aufs Pferd, 
sprengt nach dem See und dringt durch das Wasser 
hindurch zuerst in die Stadt ein, ihm nach die übrigen. 
Schrecken über seine Kühnheit befiel die Juden auf der 
Mauer, sodass niemand zu kämpfen oder sonstigen 
Widerstand zu leisten wagte. Jesus und sein Anhang 
verliessen ihre Posten und flohen ins offene Feld, andere, 
die zum See hinabliefen, fielen unter dem Schwerte der 
ihnen entgegenkommenden Feinde. Viele wurden nieder- 
gemacht, als sie eben die Kähne besteigen wollten, 
andere, während sie versuchten, den schon Abgefahrenen 
nachzuschwimmen. Ein gewaltiges Blutbad entstand nun 
in der Stadt, da ausser den Fremdlingen, die sich, so- 
weit sie nicht geflohen waren, zur Wehr setzten, auch 
die Eingeborenen getötet wurden , letztere ohne alle 
Gegenwehr, weil sie in der Hoffnung auf Gnade und in 
dem Bewusstsein, den Krieg nicht gewollt zu haben, 
sich des Kampfes enthielten. Endlich, nachdem er die 
Schuldigen niedergehauen, erbarmte sich Titus der Ein- 
wohner und liess das Morden einstellen. Die auf den 
See geflüchteten Juden aber hatten nicht sobald die 
Einnahme der Stadt bemerkt, als sie möglichst weit aus 
dem Bereich der Feinde zu kommen trachteten. 

6. Sogleich sandte nun Titus einen Beiter ab, um 



Drittes Buch, 10. Kapitel. 


369 


seinem Vater die frohe Kunde von der Kriegsthat 
bringen zu lassen. Vespasianus war natürlich hoch- 
erfreut über die Tapferkeit seines Sohnes und über den 
gelungenen Schlag; denn der grösste Teil des Krieges 
schien damit beendet zu sein. Sogleich erschien er 
vor Taricheae, liess die Stadt umzingeln und bewachen 
damit niemand daraus entschlüpfen könne, und gab 
Befehl, jeden niederzuhauen , der dies versuchen sollte. 
Tags darauf begab er sich ans Seegestade und liess zur 
Verfolgung der entflohenen Juden Flösse bauen, die denn 
auch bei dem Überfluss an Holz und der Menge der 
Werkleute bald fertig gestellt waren. 

7. Der See Gennesar, 1 der seinen Namen von der an- 
grenzenden Landschaft hat, ist vierzig Stadien breit und 
hundertvierzig lang. Gleichwohl ist sein Wasser süss 
und zum Trinken sehr geeignet; denn es ist dünnflüssiger 
als das dicke Wasser von Sumpfseen, überall klar, weil 
der See von sandigen Ufern begrenzt ist, und so tempe- 
riert, dass es sich gut schöpfen lässt. Es ist milder als 
Fluss- oder Quellwasser, bleibt aber dabei doch immer 
kühler, als man nach der Ausdehnung des Sees erwarten 
sollte. Wird das Wasser der freien Luft ausgesetzt, so 
giebt es dem Schnee an Kälte fast nichts nach; zur 
Sommerszeit pflegen deshalb die Einwohner dies bei 
Nacht zu thun. Es giebt im See auch allerlei Arten 
von Fischen, die an Geschmack und Gestalt von denen 
anderer Gewässer verschieden sind. 2 In der Mitte wird 
er vom Jordan durchschnitten. Die mutmassliche Quelle 
des Jordan 3 ist das Panium 4 ; doch wird sie selbst durch 


1 Im alten Testament Kinnereth, bei den Evangelisten Galilae- 
isches Meer, See Genezareth, See Tiberias genannt. 

2 Nach Burckhardt ist nur der nördliche Teil des Sees fischreich. 
Der Grund hiervon liegt wohl darin, dass am südlichen Ende die 
Fische durch das Wasser der heissen Quellen von Tiberias verscheucht 
werden. 

8 D. h. des östlichen Jordanarmes, der für die Juden als in ihrem 
Gebiete liegend allein in Retracht kam. 

4 Gebirgige Landschaft des Distriktes Panias (s. a. J. A. XV, 10, 3). 

Joeephus, Jüdischer Krieg. 24 



370 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


unterirdischen Zufluss aus der sogenannten Phiala 1 
gespeist. Letztere liegt an der Strasse nach Trachonitis, 
hundertzwanzig Stadien von Caesarea entfernt, nicht 
weit rechts vom Wege. Wegen seiner runden Form 
wird dieses Wasserbecken mit Recht Phiala genannt, 
denn es hat einen kreisförmigen Rand. Stets reicht das 
Wasser bis an diesen Rand heran, ohne sich zu senken 
oder überzufliessen. Der Tetrarch Philippus von Tracho- 
nitis wies zuerst nach, dass hier die Quelle des Jordan 
sein müsse, die vor ihm unbekannt war. Er liess näm- 
lich Spreu in die Phiala werfen, die im Panium, wo 
man früher den Ursprung des Flusses vermutete, wieder 
zum Vorschein kam. Die natürliche Schönheit des Panium 
ward übrigens noch erhöht durch die Prachtliebe des 
Königs Agrippa, der die Örtlichkeit mit Hilfe seiner 
Reichtümer ausschmückte. An der hier befindlichen 
Höhle beginnt der sichtbare Lauf des Jordan; er durch- 
schneidet sodann die Sümpfe und Moräste des Sees 
Semechonitis 2 , legt hierauf wieder huudertzwanzig Stadien 
zurück 3 und durchströmt an der Stadt Julias vorbei 
den See Gennesar in der Mitte, um endlich nach einem 
langen Weg durch die Wüste in den Asphaltsee ein- 
zumünden. 

8. Den Gennesar entlang erstreckt sich eine gleich- 
namige Landschaft von wunderbarer natürlicher Schön- 
heit. Infolge der Fettigkeit des Bodens versagt sie 
keinerlei Gewächs, und es haben sie denn auch die Be- 
wohner mit allen möglichen Arten davon bepflanzt, zu- 
mal das ausgezeichnete Klima 4 ebenfalls zum Aufkommen 


1 D. h. Schale. Die Angabe , dass die Quelle des östlichen 
Jordanarmes aus der Phiala gespeist werde, ist nach neueren Unter- 
suchungen irrig, sodass man annehmen muss, der Tetrarch Philippus 
habe den Versuch mit der Spreu an einer anderen, mehr nördlich 
liegenden Stelle gemacht. 

2 D. i. des Sees Merom. 

3 Die Länge seines Laufes von der Quelle bis zum Meromsee 
beträgt also gleichfalls hundertzwanzig Stadien. 

4 Dieses tropische Klima erklärt sich durch die tiefe Lage des 
Sees, dessen Spiegel nach Russegger 625, nach anderen 700 Fuss 



Drittes Buch, 10. Kapitel. 


371 


der verschiedensten Gewächssorten beiträgt. Nussbäume, 
welche am meisten der Kühle bedürfen, wachsen dort 
in grosser Menge ebenso wie Palmen, die nur in der 
Hitze gedeihen; nahe bei ihnen stehen wieder Feigen- 
und Ölbäume, denen eine gemässigte Temperatur mehr 
zusagt. Was sich hier vollzieht, könnte man ebensowohl 
einen Wettstreit der Natur nennen, die das einander 
Widerstrebende auf einen Punkt zu vereinen trachtet, 
als einen edlen Kampf der Jahreszeiten, deren jede diese 
Landschaft in Besitz zu nehmen sucht. Denn der Bbden 
bringt die verschiedensten, anscheinend einander fremden 
Obstsorten nicht bloss einmal im Jahre, sondern lange 
Zeit hindurch fortwährend hervor. So liefert er die 
königlichen Früchte, Weintrauben und Feigen, zehn 
Monate lang ohne jede Unterbrechung , während die 
übrigen Früchte das ganze Jahr hindurch mit jenen der 
Reihe nach reif werden. Zu dem milden Klima gesellt 
sich dann noch die Bewässerung durch eine sehr kräftige 
Quelle, die von den Eingeborenen des Landes Kaphar- 
naum 1 genannt wird. Einige haben diese Quelle schon 
für eine Ader des Nil gehalten, da in ihr Rabenfische 2 
wie im See bei Alexandria sich finden. Die Landschaft 
dehnt sich am Ufer des gleichnamigen Sees in der Länge 
von dreissig und der Breite von zwanzig Stadien aus. 
So verhält es sich mit der natürlichen Beschaffenheit 
jener Gegend. 

9. Als die Flösse fertig waren, bemannte Vespasianus 
sie mit so viel Truppen, als er zur Vernichtung der auf 
den See geflohenen Gegner für nötig hielt, und stiess 
vom Ufer ab. Nun aber vermochten die dort zusammen- 


unter dem Spiegel des Mittelmeeres liegt (v. Raumer, Palästina, 

4. Aufl., S. 56). 

1 Nicht zu verwechseln mit dem Orte Kapharnaum oder Kaper- 
naum, der bei Josephus Kepharnome heisst. Vergl. übrigens von 
Raumer, a. a. O. S. 130 ff. 

2 Der Rabenfisch oder Meerrabe (Coracinus niger, subniger und 
chalcis) ist ein Stachel flösse r , wird bis 50 Centimeter lang und 
3 Kilogramm schwer (s. Brehms Tierleben Bd. 8, S. 76, Abbildung 

5. 73). 


24 



372 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


getriebenen Juden weder ans Land zu entkommen, da 
dieses überall von Feinden besetzt war, noch waren sie 
einem Kampfe zu Wasser gewachsen; denn die kleinen, 
nach Piratenart leichtgebauten Kähne erwiesen sich im 
Vergleich zu den Flössen als viel zu schwach, und die 
wenig zahlreiche Bemannung fürchtete sich, an die in 
dichten Reihen angreifenden Römer heranzufahren. 
Gleichwohl umschwärmten sie die Flösse und kamen 
ihnen auch hier und da näher, wobei sie aus grösserer 
Entfernung Steine gegen die Römer schleuderten oder 
aus der Nähe sie durch Plänkelangriffe reizten. Beides 
aber schlug mehr zu ihrem eigenen Schaden aus: denn 
mit ihren Steinwürfen erreichten sie nichts weiter, als 
dass sie* weil sie gut Bepanzerte trafen, ein beständiges 
Geklirr hervorbrachten und dafür in den Bereich der 
feindlichen Geschosse kamen; wagten sie dagegen näher 
heranzufahren, so unterlagen sie, noch ehe sie selbst 
etwas ausrichten konnten, und versanken alsbald mit 
ihren Kähnen in die Tiefe. Viele, die sich durchzu* 
schlagen versuchten, durchbohrten die Römer mit ihren 
Speeren, andere machten sie, nachdem sie auf die Nachen 
gesprungen waren, mit dem Schwerte nieder, wieder 
andere umzingelten sie mit den Flössen und nahmen sie 
mitsamt ihren Fahrzeugen gefangen. Tauchte einer der 
Versunkenen wieder auf, so ereilte ihn alsbald ein Pfeil, 
oder es kam ihm ein Floss über den Hals, und wollte 
jemand in der Verzweiflung ein feindliches Fahrzeug zu 
ersteigen versuchen, so hieben ihm die Römer den Kopf 
oder die Hände ab. Ringsum wütete so ein schreckliches 
und vielgestaltiges Morden, bis endlich der Rest der 
Juden sich zur Flucht wandte und, auf den Fahrzeugen 
umzingelt, ans Land gedrängt wurde. Auch hierbei 
kamen viele um , indem sie entweder noch draussen 
auf dem See durchbohrt wurden oder gleich nach der 
Landung unter dem Schwerte der Römer fielen. Mit 
Blut gefärbt und voll von Leichen war der ganze See, 
da nicht ein einziger Mann sein Leben gerettet hatte. 
Während der nächstfolgenden Tage aber erfüllte die 


Go gle 



Drittes Buch, 10. Kapitel. 


373 


ganze Gegend ein schrecklicher Gestank, und grässlich 
war der Anblick, den sie darbot; denn die Ufer waren 
mit Schiffstrümmern bedeckt und mit aufgeschwollenen 
Leichen, die in der Sonnenhitze verwesten und die Luft 
verpesteten, was den Juden nicht minder schmerzlich, 
als den Siegern widerlich war. So endete dieses See- 
gefecht Einschliesslich derer, die zuvor in der Stadt 
gefallen waren, hatten bei. den Kämpfen sechstausend- 
fünfhundert Menschen ihr Leben eingebüsst 

10. Nach der Schlacht setzte sich Vespasianus in 
Taricheae zu Gericht um die fremden Zuzügler, die allem 
Anschein nach an den Feindseligkeiten schuld waren, 
von den Eingeborenen zu scheiden und sich mit seinen 
Offizieren zu beraten , ob man auch diese Aufwiegler 
am Leben lassen solle. Alle erklärten ihre Freilassung 
für gefährlich ; denn als Leute ohne Heimat würden sie 
sicherlich nicht ruhig bleiben, sondern imstande sein, 
auch diejenigen zum Kriege zu nötigen, die ihnen weiter- 
hin noch Aufnahme gewährten. Vespasianus sah eben- 
falls ein, dass sie der Schonung nicht wert seien und 
ihre Freiheit nur zum Schaden derer missbrauchen würden, 
die sie ihnen verschafften ; er besann sich daher nur 
noch über die Art und Weise, wie er sich ihrer entledigen 
solle. Tötete er sie auf der Stelle, so hatte er einen 
neuen Aufstand der Eingeborenen zu befürchten, die 
zweifellos die Niedermetzelung so vieler um Gnade 
flehender Menschen nicht gutwillig geschehen lassen 
würden, und auch abgesehen davon konnte er es nicht 
über sich bringen, gewaltsam gegen Leute vorzugehen, 
die sich ihm auf Treu und Glauben ergeben hatten. 
Seine Freunde indes gewannen die Oberhand, indem sie 
geltend machten, den Juden gegenüber sei alles erlaubt, 
und man müsse das Nützliche dem Anständigen vorziehen, 
wenn sich nicht beides miteinander verbinden lasse. 
Demgemäss bewilligte er ihnen in zweideutigen Worten 
Schonung, erlaubte ihnen aber nur auf der Strasse nach 
Tiberias abzuziehen. Sie glaubten gern, was sie wünschten, 
und zogen, offen ihre Habseligkeiten tragend, auf dem 


Go gle 



374 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


ihnen bezeichneten Wege von dannen. Die Römer aber 
besetzten inzwischen die ganze Strasse nach Tiberias, 
damit niemand einen Nebenweg einschlage, und schlossen 
sie in die Stadt ein. Bald erschien Vespasianus, liess 
alle in der Rennbahn Zusammenkommen und befahl 
sodann, die Greise und Schwachen, zwölf hundert an der 
Zahl, niederzumachen. Von den jüngeren Leuten las 
er die sechstausend kräftigsten aus, um sie dem Nero 
an den Isthmus 1 zu schicken; die übrige Menge aber, 
gegen dreissigtausend vierhundert Köpfe, verkaufte er 
mit Ausnahme derer, die er dem Agrippa schenkte. Er 
überliess es nämlich dem letzteren, mit denen, die aus 
seinem Reiche waren, nach Belieben zu verfahren, worauf 
der König auch diese verkaufte. Der übrige Haufe aus 
Trachonitis, Gaulanitis sowie den Bezirken von Hippos 
und Gadara bestand zum grössten Teil aus Aufrührern, 
Flüchtlingen und solchen Menschen, die infolge ihrer im 
Frieden begangenen Schandthaten sich dem Kriege zu- 
gewandt hatten ; sie wurden am achten des Monats 
Gorpiaios gefangen genommen. 


1 Die Landenge von Korinth, deren Durchstechung Nero eifrig 
betrieb, aber nicht vollendete. Letzteres geschah bekanntlich erst 
im Jahre 1893. 



Viertes Buch. 


Inhalt. 

1. Wie viele Festungen die Römer in ihre Gewalt brachten. Vom 

Semechonitischen See. 

2. Beschreibung der Stadt Gumala. Was den Römern bei der Be- 

lagerung dieser Stadt widerfuhr. Wie Agrippa, während er 
seine Volksgenossen zum Einvernehmen mit den Römern er- 
mahnte, von einem Stein getroffen wurde. 

3. Wie die Römer, nachdem sie in die Mauern Gamalas Bresche 

gelegt, in die Stadt eindrangen, aber mit grossem Verlust zurück- 
geschlagen wurden. 

4. Wie Vespasianus mit wenigen Begleitern allein zurückblieb und 

nur mit Mühe entkam. Wie der Decurio Ebutius im Kampfe 
fiel. Von dem Centurio Gallus. 

5. Wie Vespasianus das ob seines Missgeschickes niedergeschlagene 

Heer mit Worten ermutigte, und wie er sich abermals zur Be- 
lagerung der Stadt rüstete. 

6. Vom Berge Tabor, und wie er von Placidus genommen ward. 

7. Zerstörung von Gamala, und wie ausser zwei Frauen niemand 

dem Blutbade entging. 

8. Wie in der Stadt Gischala, die allein noch unbezwungen übrig 

geblieben war, Joannes, des Levi Sohn, einen Aufstand erregte. 
Wie Vespasianus den Titus gegen die Stadt marschieren liess, 
während er selbst nach Caesarea zurückkehrte. 

9. Wie Titus die Bewohner der Stadt in Güte zu gewinnen ver- 

suchte, und wie Joannes nur um einen Tag Aufschub bat und 
in der Nacht nach Jerusalem floh. Titus zieht mit Tages- 
anbruch in die Stadt ein. 

10. Wie man den Joannes in Jerusalem empfing. In der Stadt und 

deren Umgebung brechen Unruhen aus. 

11. Von den Zeloten und ihrem Treiben. 

12. Wie das Volk sich wider sie erhob auf Anregung des Hohe" 

priesterff'Ananus. Verhöhnung des Hohepriestertums durch die 
Zeloten. 

13. Rede des Ananus an das Volk gegen die Zeloten. 

14. Wie die Zeloten einerseits und Ananus nebst seinem Anhang 

anderseits förmliche Schlachten gegeneinander schlugen, und 
wie das Volk die Zeloten zwang, sich in den Tempel zurück- 
zuziehen. 


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U:\nVLRSITY OF CALIFORNIA 



376 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


15. Wie Joannes als Friedensnnterhändler zu den Zeloten geschickt 

wurde, sie aber noch mehr reizte, sodass sie die Idumäer za 
Hilfe riefen. 

16. Wie die Idumäer dem Ruf sogleich Folge leisteten, aber keinen 

Einlass fanden und vor der Stadt übernachten mussten. Rede 
des flohepriesters Jesus an die Idumäer. 

17. Wie die Zeloten während eines fürchterlichen Unwetters die 

Querbalken an den Thoren durchsägten und die Idumäer ein- 
liessen, ihre Gegner niedermachten und in der Stadt schrecklich 
hausten. 

18. Ermordung der Hohepriester Ananus und Jesus. 

19. Wie die Zeloten gegen das Volk wie gegen einen Haufen Tiere 

wüteten. Ermordung des Zacharias, Sohnes des Baruch. 

20. Wie die Idumäer im Unwillen über das Treiben der Zeloten 

heimkehrten, und wie die Zeloten nach ihrem Abzüge noch 
schrecklicher in der Stadt hausten. 

21. Wie die Römer sogleich gegen die Juden losziehen wollten, Vespa- 

sianus aber sie davon abhielt. 

22. Wie eine Menge Juden zu den Römern übergingen wegen der 

Grausamkeit der Zeloten , die den von ihnen Gemordeten sogar 
das Begräbnis versagten. 

23. Wie Jounnes, der Sohn des Levi, allmählich sich zum Herrscher 

aufschwang. 

24. Welches Unheil die Zeloten in der Festung Masada während der 

Feier des Paschafestes anrichteten. Auftreten verschiedener 
Räuberbanden. 

25. Wie Vespasianus Gadara in seine Gewalt brachte und die flüch- 

tigen Empörer durch Placidus niedermachen liess. Wie letzterer 
die benachbarten Städtchen und Dörfer einnahm. 

26. Wie Vindex in Gallien von Nero abfiel, und wie Vespasianus 

die Ortschaften ringsum verwüstete und Jericho eroberte. 

27. Beschreibung Jerichos , der grossen Ebene und des Asphaltsees. 

28. Wie Vespasianus, um Jerusalem einzuschliessen , Besatzungen in 

die eroberten Städte legte, und wie er die Stadt Gerasa durch 
Lucius zerstören liess. 

29. Wie Nero ermordet und Galba zum Imperator ausgerufen wurde, 

alsdann Otho und nach diesem Vitellius, die alle nach kurzer 
Regierung starben. 

30. Von Simon dem Tyrannen und seinen Unternehmungen gegen 

die Zeloten. 

31. der Stadt Chebron, in der unser Stammvater Abr&m ge- 
wohnt hat. 

32. Wie die Zeloten, während Simon Idumaea durchzog, dessen 

Gattin hinterlistigerweise aufgreifen liessen. 

33. Nochmals von Galba und den Imperatoren, die nach ihn in Rom 

herrschten und starben. 


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Viertes Buch, 1. Kapitel. 


877 


34. Wie Vespasianus die Bezirke von Gophna und Akrabatta sowie 

noch andere Städte eroberte. 

35. Weiteres von Simon dem Tyrannen sowie von der Drangsal, 

welche die Stadt zu erleiden hatte. Wie das Volk sich gegen 
die Zeloten erhob und den Simon in die Stadt aufnahm. 

36. Wie Vitellius aus Germanien nach Rom kam. 

37. Wie die Soldaten auf die Nachricht von den Vorgängen in Rom 
den Vespasianus zum Imperator ausriefen. 

38. Wie Vespasianus zunächst sich Mühe gab, Alexandria und 

Aegypten in seine Gewalt zu bekommen. Beschreibung Aegyp- 
tens und des Nililusses. 

39. Wie Vespasianus den Schreiber dieser Zeilen, Josephus, seiner 

Fesseln entledigte. 

40. Wie Vespasianus, nachdem er die Verhältnisse zu Alexandria 

geordnet , nach Antiochia zog und den Mucianus nach Italien 
voraussandte. 

41. Wie des Vitellius Heerführer Caecinna beim Anblick der 

gewaltigen Streitmacht des Vespasianus seinen Untergebenen 
riet, zu Antonius überzugehen. Wie Antonius Primus, als den 
Soldaten ihr Beginnen leid wurde und sie im Begriff standen, 
den Caecinna gefesselt zu Vitellius zu schicken, ihnen zuvor- 
kam, viele von ihnen niedermachen liess und Caecinna zu 
Vespasianus sandte. 

42. Wie nach des Vitellius Besiegung und Ermordung Vespasianus 

nach Rom eilte und seinen Sohn Titus gegen Jerusalem vor- 
rücken liess. 


Erstes Kapitel. 

Belagerung lind Einnahme von Gamala. 

1. Nachdem so die Taricheaten bezwungen waren, 
kehrten diejenigen Galiläer, die auch nach der Eroberung 
Jotapatas noch im Aufruhr gegen die Römer beharrt 
hatten, zum Gehorsam zurück, und die Sieger brachten 
nun sämtliche Festungen und Städte in ihre Gewalt 
mit Ausnahme von Gischala und der Besatzung des 
Berges Tabor. Zu letzterer hielt auch die Taricheae 
gegenüber jenseits des Sees gelegene Stadt Gamala, die 
ebenso wie Sogane und Seleukia Grenzstadt vom Ge- 
biete Agrippas war. Sogane und Gamala gehörten zu 
Gaulanitis, ersteres zu dem sogenannten oberen, letzteres 




378 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zu dem unteren ; Seleukia dagegen lag am Semechoniti- 
schen See. Dieser ist dreissig Stadien breit und sechzig 
lang; seine Marschen erstrecken sich bis zur üppigen 
Landschaft Daphne, wo sich die Quellen befinden, die 
den sogenannten kleinen Jordan 1 speisen und mit ihm 
unterhalb des Tempels des goldenen Kalbes 2 in den 
grossen einmünden. Sogane und Seleukia nun hatte 
Agrippa zu Beginn der Empörung auf seine Seite ge- 
bracht; Gamala aber ergab sich nicht, weil es noch 
mehr wie Jotapata auf seine von Natur geschützte Lage 
trotzte. Von einem hohen Gebirgszuge nämlich läuft 
ein abschüssiger Felsgrat aus, der in der Mitte einen 
Höcker bildet. Letzterer zieht sich, nachdem er sich 
erhoben, eine Strecke weit in die Länge und fallt dann 
vorn ebenso steil ab als hinten, sodass das Ganze einem 
Kamel gleicht, von dem auch der Ort seinen Namen 
hat, nur dass die Einwohner diese Ableitung des Namens 
in der Aussprache nicht deutlich hervortreten lassen. 
An den Seiten und nach vorn zieht sich der Ort in un- 
zugängliche Schluchten hinab, und nur nach hinten, 
wo Gamala mit dem Berge zusammenhängt, vermindert 
sich die Unzugänglichkeit ein wenig; doch hatten auch 
an dieser Seite die Einwohner durch Anlegung eines 
der Quere nach sich erstreckenden Grabens die Stadt 
abzuschneiden und schwerer zugänglich zu machen ge- 
sucht. An der abschüssigen Seitenwand des Höhenzuges 
hingebaut, standen die Häuser überaus dicht aneinander 
gedrängt, sodass es schien, als ob die Stadt in der Luft 
schwebe und wegen ihrer steilen Lage über sich selbst 
Zusammenstürzen wolle. Gamala sah gegen Süden. Ein 
gleichfalls südlich gelegener, zu bedeutender Höhe an- 
steigender Hügel diente der Stadt als Burg, von deren 
oberstem Teil aus eine mit keiner Mauer eingefasste 


1 Der kleine Jordan ist der mittlere, kürzeste, aber wasserreichste 
Quellfluss des Jordan, heute Nähr Laddän genannt; vergl. J. A. 
V, 3, 1. 

2 Vergl. hierzu J. A. VIII, 8, 4; an dieser Stelle heisst die Land- 
schaft Dan. 



Viertes Buch, 1. Kapitel. 


879 


jäh abschüssige Stelle sich in eine sehr tiefe Schlucht 
senkte. Innerhalb der Mauer und zwar am äussersten 
Ende der Stadt befand sich auch eine Quelle. 

2. Diese schon infolge ihrer natürlichen Lage schwer 
einnehmbare Stadt hatte Josephus durch Gräben und 
unterirdische Gänge noch fester gemacht. Die Bewohner 
verliessen sich auf die Natur der Örtlichkeit noch mehr 
als die Jotapatener, hatten aber viel weniger streitbare 
Mannschaft und nahmen auch im Vertrauen auf die 
Festigkeit des Platzes keine Verstärkungen auf. Die 
Stadt war nämlich ihrer starken Festungswerke wegen 
voll von Flüchtlingen, weshalb sie sich auch gegen 
ein Belagerungsheer Agrippas sieben Monate lang ge- 
halten hatte. 

3. Vespasianus brach nun von Ammaus (das Wort 
bedeutet „warme Bäder“ — es befinden sich nämlich 
daselbst warme Heilquellen), wo er im Angesichte von 
Tiberias ein Lager errichtet hatte, auf und rückte vor 
Gamala. Eine vollständige Einschliessung freilich liess 
die Lage der Stadt nicht zu; doch stellte er an den 
Punkten, wo dies möglich war, Posten auf und ordnete 
die Besetzung des die Stadt beherrschenden Berges an. 
Nachdem die Legionen in gewohnter Weise auf dem- 
selben ein Lager gebaut hatten, begann er an der 
Hinterseite mit Aufführung der Dämme, ebenso im 
Osten, wo an dem höchsten Punkte der Stadt sich ein 
Turm befand, bei dem die fünfte und die zehnte Legion 
lagerten. Die fünfte arbeitete von hier aus gegen die 
Mitte der Stadt, während von der zehnten die Gräben 
und die natürlichen Vertiefungen ausgefüllt wurden. 
Da geschah es, dass einer der Schleuderer den König 
Agrippa, als dieser sich der Mauer näherte und mit den 
auf ihr stehenden Juden in betreff der Übergabe unter- 
handeln wollte, mit einem Stein am rechten Ellbogen 
traf. Alsbald scharten des Königs Freunde sich um 
ihn; die Römer aber verlegten sich aus Zorn über die 
Verletzung des Königs und aus Furcht für sich selbst 
jetzt nur noch eifriger auf die Belagerung. Sie glaubten 


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880 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


nämlich, dass Leute, die gegen ihren eigenen Landsmann 
und wohlmeinenden Ratgeber so erbittert seien, in der 
Grausamkeit gegen Fremde und Feinde alles Mass 
überschreiten würden. 

4. Als nun die Dämme durch die Menge der Hände 
und durch die Übung, welche die Römer in solchen 
Arbeiten hatten, schnell vollendet waren, brachten sie 
die Maschinen heran. Unterdessen hatten Ghares und 
Josephus, die angesehensten Männer der Stadt, ihre 
Bewaffneten zum Kampf geordnet. Die letzteren waren 
übrigens ziemlich mutlos, da sie, mit Wasser und 
sonstigen Lebensmitteln nicht hinreichend versehen, die 
Belagerung nicht lange aushalten zu können glaubten; 
die Führer aber munterten sie auf und Hessen sie trotz- 
dem an die Mauer heranrücken. Wirklich gelang es 
ihnen auch, diejenigen ihrer Gegner, welche die Maschinen 
aufstellen wollten, eine Zeitlang zurückzuschlagen; als 
sie aber mit Katapulten und Bailisten beschossen wurden, 
zogen sie sich alsbald wieder in die Stadt hinein. Nun 
Hessen die Römer an drei Stellen Sturmböcke wirken 
und brachten auf diese Weise die Mauer zum Wanken. 
Unter lautem Trompetengeschmetter, Waffengeklirr und 
Schlachtgeschrei strömten sie sodann durch die Breschen 
in die Stadt ein und gerieten mit den innen befindlichen 
Gegnern ins Handgemenge. Gegen ihre ersten Anläufe 
hielten die Juden stand, hinderten die Römer am Vor- 
dringen und schlugen sie tapfer zurück; endlich aber 
mussten sie doch der Überzahl und dem von allen Seiten 
erfolgenden Angriff weichen und sich in die höher ge- 
legenen Stadtteile zurückziehen. Als die Feinde ihnen 
auch hierher nachdrängten, machten sie wieder kehrt, 
stürzten sich auf die Römer und trieben diese gegen 
den steilen Abhang zusammen, wo sie auf engem und 
schwierigem Terrain sich nicht mehr zu helfen wussten 
und niedergemacht wurden. Andere flüchteten bei der 
Unmöglichkeit, sich gegen die höher stehenden Juden 
zu wehren oder sich durch die Reihen ihrer eigenen 
vorwärts stürmenden Leute durchzuschlagen , auf die 


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Viertes Bach, 1. Kapitel. 


881 


Dächer der feindlichen Häuser , die vom Erdboden aus 
zu erreichen waren. Kaum aber waren die Dächer ge- 
füllt, als sie unter der Last einbrachen, und sobald ein 
Haus zusammenstürzte, warf es viele der tiefer stehenden 
Gebäude um, wie diese hinwiederum die weiter unter- 
halb gelegenen. Das brachte einer Menge Römer den 
Tod; denn in ihrer Ratlosigkeit sprangen sie auf die 
Däener, auch wenn sie dieselben schon einsinken sahen. 
Viele wurden so unter den Trümmern begraben, viele 
auch auf der Flucht verstümmelt ; die meisten aber 
kamen dadurch um, dass sie in den Staubwolken er- 
stickten. Hierin glaubten die Gamalenser den Beistand 
Gottes zu erkennen, drangen nun, ihrer eigenen Verluste 
nicht achtend, um so heftiger auf die Römer ein und 
töteten sie, wie sie in den steifen Gassen ausglitten und 
zu Boden stürzten, alsbald durch Schüsse von oben her. 
Steine lieferten ihnen die Haustrümmer in Menge, und 
Waffen die erschlagenen Feinde; denn den Gefallenen 
rissen sie die Schwerter von der Seite und gebrauchten 
sie gegen die mit dem Tode ringenden Römer. Viele 
der letzteren übrigens töteten sich, als sie in Gefahr 
waren, von den Dächern zu fallen, dadurch, dass sie 
sich selbst hinabstürzten. Aber auch für die, welche 
die Flucht ergriffen hatten , war es nicht leicht , zu ent- 
kommen; denn da sie der Wege unkundig waren und 
in dem dichten Staube sich gegenseitig nicht er- 
kannten, verirrten sie sich und fielen einer über den 
anderen hin. 

5. Wer nur irgend einen Ausweg finden konnte, zog 
sich aus der Stadt zurück. Vespasianus aber blieb stets 
den Bedrängten zur Seite; denn inniges Mitleid ergriff 
ihn, als er die Stadt über seinen Soldaten Zusammen- 
stürzen sah. Seiner eigenen Sicherheit nicht achtend, 
war er, ohne es selbst gewahr zu werden, beinahe bis 
zum höchsten Punkte der Stadt vorgedrungen, wo er 
mitten in der grössten Gefahr mit nur wenigen Be- 
gleitern sich plötzlich allein sah ; sein Sohn Titus näm- 
lich war, mit einer Sendung an Mucianus in Syrien 


Go gle 



382 Josephos, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

betraut, damals gerade abwesend. Da nun der Feldherr 
es weder für sicher noch für ehrenvoll hielt, den Rück- 
weg anzutreten, und zugleich der vielen Gefahren, die 
er von Jugend auf überstanden, sowie seiner dabei be- 
wiesenen Tapferkeit gedachte, liess er, wie von göttlicher 
Begeisterung durchdrungen, die Leiber und Rüstungen 
der Seinigen sich gleichsam zu einer einzigen Masse 
zusammenschliessen , stemmte sich so den von oben 
herab wogenden feindlichen Scharen entgegen und hielt, 
ohne vor der Menge der Juden und ihrer Geschosse zu 
erschrecken, so lange stand, bis die Feinde, in seiner 
Geistesgegenwart etwas Übermenschliches erkennend, in 
ihrem Ungestüm nachliessen. Wie nun ihr Andrang 
schwächer wurde, zog er selbst sich Schritt vor Schritt 
zurück, doch ohne ihnen^len Rücken zu kehren, bis er 
sich ausserhalb der Mauer befand. Eine Menge Römer 
fielen in diesem Kampfe, darunter auch der Decurio 
Ebutius, ein Mann, der nicht nur in dem Treffen, wo er 
fiel, sondern auch schon früher bei jeder Gelegenheit 
sich wahrhaft heldenmütig bewiesen und den Juden 
grosse Verluste beigebracht hatte. Ein anderer Römer, 
der Centurio Gallus, wurde samt zehn seiner Soldaten 
im Kampfgewühl umzingelt; doch gelang es ihm, in ein 
Haus zu entschlüpfen. Hier vernahm er, wie die Be- 
wohner bei der Abendmahlzeit über die Anschläge des 
Volkes gegen die Römer sowohl wie gegen ihn und 
seine Kameraden (er selbst nämlich und seine Leute 
waren geborene Syrer) sich besprachen. Er fiel deshalb 
in der Nacht über sie her, tötete sie alle und rettete 
sich dann mit seinen Soldaten zu den Römern. 

6. Das römische Heer ward nun durch den Gedanken 
an seine Verluste und weil ihm bis dahin noch nirgends 
ein solches Unglück zugestossen war, sehr niedergeschlagen ; 
noch mehr aber schämte es sich, den Feldherrn in der 
Gefahr allein gelassen zu haben. Vespasianus suchte 
es deshalb zu trösten, that jedoch seiner eigenen Person 
keine Erwähnung, um auch nicht den leisesten Tadel 
auszusprechen, sondern erklärte, man müsse gemeinsame 



Viertes Buch, 1. Kapitel. 


38S 


Unfälle mit festem Mut zu ertragen wissen und bedenken, 
wie es in der Natur des Krieges liege, dass kein Sieg 
ohne Blutvergiessen gewonnen werde. Habe das Glück 
auch einmal einen Schritt rückwärts gethan, so werde 
sich das doch wieder ändern, und nachdem sie tausende 
von Juden niedergemacht, hätten sie dem Geschick nun 
auch selbst ein kleines Opfer bringen müssen. Wie es 
niedrige Gesinnung verrate, wenn man sich im Glück 
masslos überhebe, so sei es anderseits unmännlich, sich 
durch Unglück allzusehr beugen zu lassen. Denn schnell 
wechsele das eine mit dem anderen , und der allein sei 
ein wackerer Mann, der auch bei Unfällen besonnen 
bleibe und die erlittenen Schläge frohen Mutes wieder 
gut zu machen suche. „Von dem, was soeben geschehen,“ 
fuhr er fort, „liegt der Grund weder darin, dass wir uns 
feige benommen hätten , noch in der Tapferkeit der 
Juden, sondern lediglich die Beschaffenheit des Terrains 
hat ihnen einen Vorteil und uns Verluste gebracht 
Hinsichtlich dieses Punktes aber könnte man euch viel- 
leicht den Vorwurf machen, dass ihr in eurem Kampfes- 
eifer zu weit gegangen seid. Denn nachdem die Juden 
in die höher gelegenen Stadtteile sich zurückgezogen, 
hättet ihr innehalten und nicht den von oben drohenden 
Gefahren euch aussetzen, sondern nur die untere Stadt 
behaupten und allmählich die Gegner zu einem regel- 
rechten Kampf hervorlocken sollen, dessen Ausgang 
dann wohl nicht zweifelhaft gewesen wäre. Nun aber 
habt ihr, indem ihr gar zu sehr auf den Sieg erpicht 
wart, eure eigne Sicherheit ausser acht gelassen. Un- 
besonnenheit im Kampfe indes und hitziges Drauflos- 
gehen ist nicht üblich bei den Römern, die alle Erfolge 
ihrer Kriegserfahrung und Taktik verdanken, sondern 
die Art von Barbaren und ganz besonders auch der 
Juden. Wir müssen daher auf die uns eigentümliche 
Tapferkeit zurückkommen und durch den Unfall, der 
uns freilich nicht hätte begegnen sollen, uns eher er- 
mutigen als einschüchtern lassen. Den besten Trost 
aber suche ein jeder in seiner eignen Faust: dann wird 



384 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


es euch gelingen, die Gefallenen zu rächen und ihre 
Mörder zur Strafe zu ziehen. Was mich betrifft, so 
werde ich es stets halten wie vorhin, nämlich in jedem 
Kampf euch gegen die Feinde vorangehen und zuletzt 
das Schlachtfeld verlassen.“ 

7. Mit solchen Worten richtete er den gesunkenen 
Mut seines Heeres wieder auf. Auf der anderen Seite 
war die Freude der Gamalenser über den unerwartet 
grossen Sieg nur von kurzer Dauer; denn bereits fingen 
ihnen die Lebensmittel an auszugehen, und zudem mussten 
sie jetzt einsehen, dass ihnen nicht nur die Hoffnung 
auf gütlichen Vergleich, sondern auch die Flucht ganz 
und gär abgeschnitten sei, was sie völlig mutlos und 
niedergeschlagen machte. Gleichwohl thaten sie noch 
alles mögliche für ihre Rettung: die tapfersten von ihnen 
bewachten die Breschen, und die übrigen besetzten die 
noch stehenden Teile der Mauer. Als aber die Römer 
mit der Arbeit an den Dämmen fortfuhren und einen 
abermaligen Sturm versuchten, entflohen viele aus der 
Stadt, teils durch unzugängliche Schluchten, wo keine 
Wachtposten standen, teils durch die unterirdischen Gänge. 
Was dann noch aus Furcht vor Gefangenschaft zurück- 
blieb , ward durch Hunger aufgerieben ; denn alle 
Lebensmittel nahm man für die streitbare Mannschaft 
in Beschlag. 

8. Trotz dieser grossen Drangsal aber blieben sie 
standhaft. Vespasianus unternahm nun als Nebenarbeit 
einen Zug gegen die Besatzung des Berges Tabor, der 
mitten zwischen der grossen Ebene und Skythopolis 
liegt. Er erhebt sich bis zur Höhe von dreissig Stadien 1 
und ist an der Nordseite kaum zu ersteigen. Auf 
seinem Gipfel dehnt sich eine ebene Fläche von sechs- 
undzwanzig Stadien aus, die ganz von Festungswerken 
umgeben ist. Diese umfangreiche Ringmauer hatte 


1 Soll wohl heissen müssen: drei Stadien, denn der Tabor ist 
nach Schuberts Barometermessung 1748, nach Russegger 1755 Fuss, 
nach neueren Messungen 613 Meter hoch. 



Viertes Buch,l. Kapitel. 


385 


Josephus in vierzig Tagen erbaut, und es war ihm dabei 
ausser dem übrigen Baubedarf auch Wasser von unten 
heraufgescbafft worden, weil man oben nur Regenwasser ' 
hatte. Hier war eine grosse Menge Juden zusammen- 
geschart, gegen welche nun Vespasianus den Placidus 
mit sechshundert Reitern entsandte. Da es jedoch dieser • 
Truppenabteilung nicht möglich war, den Berg zu er- 
steigen, suchte Placidus die Leute dadurch herabzulocken, 
dass er ihnen einen gütlichen Vergleich und Begnadigung 
anbot. Sie kamen denn auch wirklich, aber nur um ihm 
gleichfalls eine Falle zu stellen. Denn wie Placidus 
nur deshalb so freundlich mit ihnen redete, um sie auf 
der Ebene überwältigen zu können, so gingen sie ihrer- 
seits auf seinen Vorschlag scheinbar gutwillig ein, in 
der That aber um unversehens über ihn herzufallen. 
Die Hinterlist des Placidus indes trug den Sieg davon. 
Kaum nämlich hatten die Juden das Gefecht begonnen, 
als er zum Schein den Rückzug antrat und die Ver- 
folger tief in die Ebene hineinzog. Dann aber liess er 
plötzlich seine Reiter gegen sie kehrt machen, schlug 
sie in die Flucht und machte die meisten von ihnen 
nieder, während er zugleich der übrigen Menge den 
Weg nach dem Berge abschnitt. Die letztere liess in- 
folgedessen den Tabor im Stich und floh nach Jerusalem 
zu; die eigentlichen Bewohner aber nahmen einen Ver- 
gleich an und ergaben, da ihnen auch das Wasser 
ausgegangen war, sich selbst und den Berg dem Placidus. 

9. Von den Bewohnern Gamalas waren inzwischen 
die kühneren heimlich entflohen, während die Schwachen 
vom Hunger aufgerieben wurden. Die streitbare Mann- 
schaft aber hielt die Belagerung noch weiter aus, bis 
endlich am zweiundzwanzigsten des Monats Hyperbere- 
taios drei Soldaten der fünfzehnten Legion um die Morgen- 
wache an den höchsten, ihrem Lager gegenüberliegenden 
Turm sich heranschlichen und ihn in aller Stille unter- 
gruben, wobei infolge des nächtlichen Dunkels die auf 
dem Turm befindlichen Wachen weder ihre Annäherung, 
noch, als sie da waren, ihre Anwesenheit bemerkten. 

Josephus, jüdischer Krieg. 25 

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386 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Die Soldaten wälzten nun unter Vermeidung jeglichen 
Geräusches die fünf mächtigsten Quadern heraus und 
, sprangen dann schnell weg; plötzlich stürzte der Turm 
mit gewaltigem Krachen zusammen , die Wächter unter 
seinen Trümmern begrabend. Auf den anderen Posten 
. floh alles in grösster Bestürzung davon, und nun machten 
die Römer eine Menge Juden nieder, die sich durchzu- 
schlagen versuchten; auch Josephus wurde, wie er eben 
durch die Mauerlücke entspringen wollte, von einem 
Geschoss ereilt und getötet. Unter den Einwohnern der 
Stadt aber entstand infolge des markerschütternden Ge- 
töses ein Durcheinanderrennen und eine Angst, als ob 
das ganze feindliche Heer schon eingedrungen wäre. 
An diesem Tage gab auch Chares, der gerade krank 
darniederlag, den Geist auf, und zwar trug der Schreckea 
nicht wenig zu dem tödlichen Ausgange der Krankheit 
bei. Die Römer waren übrigens durch ihren früheren 
Unfall gewitzigt worden und rückten erst am dreiund- 
zwanzigsten des genannten Monats in die Stadt ein. 

10. Unterdessen war auch Titus angekommen und 
drang, erbittert über den Schlag, den die Römer in seiner 
Abwesenheit erlitten hatten, mit zweihundert auserlesenen 
Reitern und einigem Fussvolk in aller Stille in die 
Stadt ein. Die Wachen jedoch merkten seine Annäherung 
und eilten mit lautem Geschrei zu den Waffen; auch 
wurde sein Einmarsch drinnen in . der Stadt schnell be- 
kannt, worauf die einen ihre Kinder ergriffen und sie 
samt den Weibern unter Jammergeheul auf die Burg 
schleppten, andere sich dem Titus entgegenwarfen , der 
6ie nacheinander niedermetzelte. Wem es aber nicht 
gelang, auf die Höhe der Burg zu entkommen, der geriet 
alsbald in der Verzweiflung unter die Posten der Römer. 
Ringsum vernahm man das Stöhnen der Sterbenden, 
und ström weise rann das Blut die Abhänge der Stadt 
hinunter. Gegen diejenigen Juden, welche sich auf die 
Burg geflüchtet hatten, führte nun Vespasianus, seinen 
Sohn unterstützend, die gesamte Streitmacht heran. Der 
rings von Felszacken eingefasste und schwer zu 



Viertes Bach, 1. Kapitel. 


387 


ersteigende Gipfel aber ragte in schwindelnde Höhe, 
wimmelte von Menschen und war zudem von tiefen Ab- 
gründen umgeben, sodass es den Juden nicht schwer 
fiel, die emporklimmenden Römer zu durchbohren und 
den anderen mit Geschossen und hinabgewälzten Steinen 
zuzusetzen, während sie selbst wegen der Höhe ihrer 
Stellung mit Pfeilen so gut wie gar nicht zu erreichen 
waren. Da erhob sich zu ihrem Verderben wie von Gott 
gesandt ein widriger Sturm, der die Geschosse der Römer 
gegen sie jagte, ihre eigenen aber ablenkte und in schiefer 
Richtung zur Tiefe gelangen liess. Weil sie nun bei 
der Heftigkeit des Sturmes auf dem steilen Rand, wo 
es ihnen an Stützpunkten fehlte, weder festen Fuss fassen 
noch auch die Heraufsteigenden sehen konnten, gelang es den 
Römern, die Höhe zu erklettern und die Juden zu um- 
zingeln, noch ehe dieselben in der Lage waren, sich zur 
Wehr zu setzen oder um Schonung zu flehen. Ver- 
mehrt ward übrigens die Erbitterung der Römer noch 
durch das Andenken an ihre beim ersten Sturm ge- 
fallenen Kameraden. Schliesslich stürzten sich eine 
Menge Juden, die nicht mehr ein noch aus wussten, 
samt Weibern und Kindern in den Abgrund, der sich 
seitwärts von der Burg in eine ungeheure Tiefe senkte. 
Ja, die Wut der Eingeschlossenen gegen sich selbst er- 
schien fast noch grösser als die der Römer; denn 
während von den letzteren viertausend Juden nieder- 
gemacht wurden, fand man mehr als fünftausend, die 
sich selbst in die Tiefe gestürzt hatten. Niemand kam 
mit dem Leben davon ausser zwei Frauen; beide waren 
Töchter der Schwester jenes Philippus , der den aus- 
gezeichneten Heerführer des Königs Agrippa, Jakim , 1 
zum Vater hatte. Gerettet wurden sie dadurch, dass sie 
sich während der Erstürmung der Stadt vor der Wut 
der Römer versteckten; denn diese schonten selbst der 
Säuglinge nicht, von denen sie viele ergriffen und die 


S. II, 17, 4; 20, 1. 



388 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Burg hinabschleuderten. So fiel Gamala am dreiund- 
zwanzigsten des Monats Hyper beretaios ; begonnen hatte 
die Empörung am vierundzwanzigsten des Monats 
Gorpiaios. 


Zweites Kapitel. 

Übergabe von Gischala. 

1. Das Städtchen Gischala war nun in Galilaea allein 
noch unbezwungen. Die Bevölkerung desselben war zwar 
friedlich gesinnt, da sie grösstenteils aus Ackerbauern 
und dergleichen Leuten bestand, die kein anderes Inter- 
esse als ihre Ernteaussichten kennen; zu ihrem Ver- 
derben aber hatte sich ein nicht unbedeutender Haufe 
Raubgesindel bei ihnen eingenistet, der auch einen Teil 
der Bürgerschaft mit dem Fieber der Empörung an- 
steckte. Der Mann, der diese Leute zum Abfall auf- 
hetzte und zusammenscharte , war Joannes, der Sohn 
eines gewissen Levi, 1 ein Mensch von betrügerischem 
und höchst zweideutigem Charakter, stets geneigt, sich 
mit weitgehenden Hoffnungen zu tragen, und dabei mit 
Fähigkeiten ausgerüstet, die ihn in den Stand setzten, 
dieselben zu verwirklichen; übrigens ein Freund von 
aufrührerischem Treiben, weil er, wie jedermann einsah, 
dadurch die Herrschaft zu erlangen gedachte. Seiner 
Führung also unterstanden die Rebellen in Gischala, 
deren Anwesenheit daran schuld war , dass die Bürger- 
schaft der Stad^ die sonst vielleicht wegen der Übergabe 
unterhandelt hätte, jetzt in kriegerischer Haltung den 
Anmarsch der Römer erwartete. Vespasianus sandte 
nun den Titus an der Spitze von tausend Reitern gegen 
sie aus, und nachdem er sodann die zehnte Legion nach 
Skythopolis verlegt hatte, trat er selbst mit den beiden 
übrigen Legionen den Rückmarsch nach Caesarea an, 
um ihnen eine Erholung von den beständigen Strapazen 

1 S. II, 20, 1 ff. 


ANIVLRSITY OT CALirORNI, 


Go gle 



Viertes Buch, 2. Kapitel. 


389 


zu gewähren; die reichen Proviantvorräte dieser Städte 
würden, so hoffte er, die Leiber und den Mut seiner 
Soldaten zu den bevorstehenden Kämpfen wieder kräf- 
tigen. Denn er verhehlte sich nicht, dass vor Jerusalem 
noch ein tüchtiges Stück Arbeit seiner harre, da es die 
Königsstadt, das Herz des Landes und der Sammelplatz 
der aus den bisherigen Gefechten entkommenen Juden 
war. Die natürliche, durch künstliche Werke noch er- 
höhte Festigkeit der Stadt flösste ihm keine geringe Be- 
sorgnis ein, zumal er, auch abgesehen von den Festungs- 
werken, die Einwohnerschaft wegen ihres Mutes und 
ihrer Kühnheit für schwer überwindlich hielt. Aus 
diesem Grunde bereitete er seine Soldaten wie Athleten 
zum Kampfe vor. 

2. Als Titus mit seiner Reiterschar vor Gischala an- 
gelangt war, hätte er die Stadt ohne sonderliche Mühe 
durch Überrumpelung nehmen können. Da er aber 
wusste, dass bei einer gewaltsamen Einnahme die Sol- 
daten das Volk in Masse niedermetzeln würden, und er 
nicht bloss des Mordens satt war, sondern auch Mitleid 
mit der Menge derer empfand, die dann unschuldig mit 
den Schuldigen umkommen müssten, zog er es vor, die 
Stadt durch Übergabe infolge eines Vertrages zu ge- 
winnen. Er wandte sich daher an die in grosser An- 
zahl auf der Mauer stehenden Männer, die fast durch- 
gehends zu der verworfenen Rebellenrotte gehörten, und 
erklärte ihnen, er begreife nicht, worauf sie sich eigent- 
lich verliessen, dass sie, nachdem alle Städte gefallen, 
allein den Waffen der Römer noch Widerstand leisten 
wollten. Sie sähen doch, wie sogar weit festere Städte 
schon nach einem einzigen Sturm zerstört worden seien, 
und wie alle diejenigen sich ihres Besitzes in Sicherheit 
erfreuen dürften, die sich der Gnade der Römer an- 
vertraut hätten. Diese biete er auch ihnen jetzt an, und 
es solle ihr übermütiges Benehmen ihnen vergeben und 
vergessen sein. Verzeihlich sei ja ihre Hoffnung auf 
Freiheit, keineswegs aber ihr starres Festhalten an dem, 
was sich nun einmal nicht ermöglichen lasse. Wollten 


Go gle 



390 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sie nun seinen freundlichen Worten und seinem An- 
erbieten betreffs einer gütlichen Vereinbaruug kein Ge- 
hör schenken, so müsse er schonungslos die Waffen 
gegen sie gebrauchen, und sie würden dann erkennen, 
dass die Zerstörung solcher Mauern für die Belagerungs- 
maschinen der Römer ein Kinderspiel sei. Pochten sie 
also auf ihre Festungswerke, so zeigten sie eben, dass 
sie allein unter den Galiläern bei ihrer Wehrlosigkeit 
auch noch mit Einbildung geplagt seien. 

3. Hierauf war es nicht nur keinem von der Bürger- 
schaft verstattet zu antworten, sondern es durfte nicht 
einmal jemand die Mauer besteigen; denn sie war ganz 
von den Räubern besetzt, und an den Thoren standen 
Wachen, damit niemand zu einer Unterhandlung hinaus- 
ginge oder Reiter in die Stadt aufnähme. Nur Joannes 
ergriff das Wort und entgegnete, er sei mit den Vor- 
schlägen einverstanden und werde die, welche sie nicht 
annehmen wollten, durch gute Worte oder mit Gewalt 
dazu vermögen. Er müsse aber diesen Tag — der ein 
Sabbat war — nach dem Gesetz der Juden feiern, da 
es ihnen an einem solchen ebensowenig gestattet sei, 
Friedensunterhandlungen zu führen, als die Waffen zu 
ergreifen. Auch den Römern könne es ja nicht un- 
bekannt sein, dass die Juden an jedem siebenten Tage 
sich aller körperlichen Thätigkeit enthalten müssten. 
Wer aber einen anderen zur Übertretung dieses Gebotes 
nötigen wolle, begehe eine nicht minder grosse Sünde 
als der, welcher sich dazu nötigen lasse. Übrigens 
bringe dieser Aufschub dem Titus nicht den geringsten 
Schaden. Denn was könnte wohl jemand in der Nacht 
weiter unternehmen, als einen Fluchtversuch, den der 
römische Befehlshaber durch Umstellung der Stadt zu 
vereiteln vermöge? Wie es aber für die Juden von 
grossem Werte sei, keine Bestimmung ihrer väterlichen 
Gesetze zu übertreten, so zieme es anderseits dem, der 
ihnen unerwarteterweise den Frieden schenke, die Ge- 
setze der also Begnadigten zu achten. Mit solchen 
Worten hinterging er den Titus; denn es war ihm nicht 



Viertes Buch, 2. Kapitel. 


391 


sowohl um den Sabbat, als um seine persönliche Sicher- 
heit zu thun. Musste er doch fürchten, nach der Ein- 
nahme der Stadt alsbald im Stich gelassen zu werden, 
wogegen er in der Nacht durch die Flucht sein Leben 
retten zu können hoffte. Dass nun Titus nicht allein 
der listigen Bitte um Aufschub Gehör schenkte, sondern 
sogar sein Lager etwas weiter von der Stadt weg nach 
Kydyssa verlegte, war sicherlich eine Fügung Gottes, 
der den Joannes zum Verderben Jerusalems auf- 
bewahren wollte. Dieses Kydyssa ist ein befestigter 
tyrischer Grenzflecken, der mit den Galiläern in steter 
Feindschaft und Fehde lag, übrigens stark bevölkert 
war und Festungswerke hatte, auf die er sich bei den 
Streitigkeiten mit jenem Volke wohl verlassen konnte. 

4. In der Nacht nun , als er in der Umgebung der 
Stadt keine feindlichen Wachtposten mehr bemerkte, 
brach Joannes, die günstige Gelegenheit ergreifend, nicht 
nur mit seinen eigenen bewaffneten Anhängern, sondern 
auch mit einer Menge müssiger Leute und deren 
Familien auf und floh ajif Jerusalem zu. Doch nur 
zwanzig Stadien weit konnte er, der selbst von der Angst 
um seine Freiheit und sein Leben gehetzt wurde, den 
Haufen der Weiber und Kinder mitschleppen, und als 
er seinen Marsch fortsetzte , liess er sie im Stich. 
Schrecklich erscholl jetzt das Jammergeschrei der Ver- 
lassenen; denn je weiter sich die Ihrigen entfernten, 
desto näher wähnten sie die Feinde, und in der Meinung, 
die, welche sie zu Gefangenen machen würden, seien 
ihnen bereits auf der Ferse, gerieten sie in die äusserste 
Bestürzung und schauten sich bei jedem Geräusch, das 
ihr eigenes Rennen verursachte, um, als wären ihre Ver- 
folger schon da. Viele verirrten sich in unwegsame 
Gegenden, viele auch wurden bei dem Eifer, einander 
zuvorzukommen, auf der Strasse zertreten. Kläglich kamen 
insbesondere die Weiber und Kinder um , von denen 
manche mit Aufbietung aller Kraft ihren Männern und 
Verwandten zuriefen und sie jammernd anflehten, doch 
auf sie zu warten. Aber mächtiger erwies sich der Be- 


Go gle 



392 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


fehl des Joannes , der die Männer anschrie, sie sollten 
auf ihre eigene Kettung bedacht sein und dahin fliehen, 
wo sie auch für die Zurückgelassenen, falls diese ge- 
raubt würden, an den Römern Rache nehmen könnten; 
Infolgedessen zerstreute sich die Menge der Flüchtlinge 
so rasch, als es die Kraft und Behendigkeit eines jeden 
gestattete. 

5. Mit Tagesanbruch erschien Titus vor den Mauern 
Gischalas, um den Vertrag auszuführen. Alsbald öffneten 
die Bürger ihm die Thore, zogen ihm mit Weib und 
Kind entgegen und begrüssten ihn als ihren Wohlthäter, 
der die Stadt von den Bedrängern befreit habe. Zu- 
gleich meldeteten sie ihm die Flucht des Joannes, baten 
ihn auch, er möge sie selbst verschonen und nach dem 
Einzug in die Stadt die noch darin befindlichen 
Empörungsiustigen zur Strafe ziehen. Ohne zunächst 
auf diese Bitten des Volkes zu achten, schickte Titus 
unverzüglich eine Reiterschar zur Verfolgung des Joannes 
ab. Diesen selbst indes vermochten die Soldaten nicht 
einzuholen , weil er schon nach Jerusalem entkommen 
war ; dagegen töteten sie ungefähr sechstausend von 
denen, die mit ihm geflohen waren, und trieben gegen 
dreitausend Weiber und Kinder, nachdem sie dieselben 
umzingelt hatten, zurück. Titus ärgerte sich zwar nicht 
wenig, dass er den Joannes nicht sogleich für den Be- 
trug büssen lassen konnte; doch fand er für dieses 
Fehlschlagen seiner Rache in der Menge der Gefangenen 
und Getöteten hinlängliche Genugthuung und zog nun 
unter dem lauten Jubel der Bevölkerung in die Stadt 
ein. Alsdann gab er den Soldaten Befehl, nach Kriegs- 
brauch einen kleinen Teil der Mauer einzureissen. Die 
Aufwiegler in der Stadt aber suchte er mehr durch 
Drohungen als durch Strafen in Schranken zu halten; 
denn er fürchtete, es könnten bei einer Aussonderung 
der Schuldigen viele aus Privathass und Feindschaft 
Unschuldige zur Anzeige bringen, und hielt es daher 
für besser, die Schuldigen in steter Angst schweben zu 
lassen, als einen Unschuldigen mit ihnen zu Grunde zu 



Viertes Bach, 3. Kapitel. 


395 


richten. Die ersteren, so hoffte er, würden vielleicht 
aus Furcht vor Strafe und aus Dankbarkeit für die 
Verzeihung ihrer früheren Vergehen anderen Sinnes 
werden, während die Hinrichtung von Unschuldigen sich 
nicht mehr gut machen lasse. Doch versicherte er sich 
der Stadt durch eine Besatzung, mit der er ebensowohl 
die unruhigen Geister ein schüchtern, als den fried- 
liebenden Bürgern neuen Mut machen wollte. So war 
denn nun ganz Galilaea bezwungen, nachdem es die 
Römer manchen Tropfen Schweiss gekostet hatte. 


Drittes Kapitel. 

Joannes von Gischala und die Zeloten. 

1. Als Joannes in Jerusalem einzog, strömte das ge- 
samte Volk zu ihm hin , und um jeden der ihn be- 
gleitenden Flüchtlinge sammelten sich grosse Massen 
von Menschen, die sich nach den draussen im Lande 
vorgekommenen Unfällen erkundigten. Schon das 
heisere, abgebrochene Keuchen der Ankömmlinge verriet 
ihre Not. Gleichwohl brüsteten sie sich noch in ihrem 
Unglück und behaupteten, sie seien nicht vor den 
Römern geflohen, sondern nur gekommen, um sie von 
einem sicheren Orte aus zu bekämpfen; denn es sei 
ebenso unvernünftig wie nutzlos, für Gischala und der- 
gleichen armselige Städtchen sein Leben aufs Spiel zu 
setzen, anstatt Waffen wie Kräfte zu schonen und für 
die Hauptstadt aufzusparen. Alsdann schilderten sie die 
Einnahme Gischalas, wobei denn doch viele auf den 
Gedanken kamen, dass das, was sie mit schön 
klingendem Worte Abzug nannten, in Wirklichkeit 
nichts als eine Flucht gewesen sei. Als man nun 
vollends das Los der Gefangenen erfuhr, ward das Volk 
in nicht geringe Bestürzung versetzt, denn es sah darin 
die deutlichen Vorzeichen seines eigenen Unterganges. 
Joannes liess sich übrigens das Schicksal der von ihm 


Go gle 



394 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


im Stiche Gelassenen nicht sonderlich an fechten, sondern 
ging bei den Leuten umher und suchte sie durch Hoff- 
nungen, die er in ihnen wachrief, zum Kriege anzu- 
treiben, indem er die Macht der Römer als schwach 
hinstellte, die seines Volkes dagegen herausstrich und 
mit leisem Spott über die Beschränktheit der un- 
erfahrenen Menge bemerkte, die Römer, denen es bei 
den Dörfern Galilaeas schon so schlecht ergangen sei 
und die dort ihre Belagerungsmaschinen zu Schanden 
gestossen hätten , würden , selbst wenn sie Flügel 
nähmen , die Mauern Jerusalems niemals übersteigen 
können. 

2. Durch derartige Reden Hessen sich die jüngeren 
Leute grösstenteils bethören und für den Krieg be- 
geistern; die besonnenen und älteren Männer dagegen 
sahen sämtlich das kommende Unheil voraus und be- 
trauerten die Stadt, wie wenn sie bereits dahin wäre. 
So widerstreitend waren die Gefühle, die sich des Volkes 
bemächtigt hatten. Ehe es aber in Jerusalem zum 
Bürgerkriege kam, war das Volk draussen im Lande 
schon entzweit. Während nämlich Titus von Gischala 
nach Caesarea marschiert war, hatte Vespasianus sich 
von Caesarea nach Jamnia und Azot aufgemacht, die 
beiden Städte unterjocht, Besatzungen hineingelegt und 
mit einer grossen Menge Kriegsgefangener, die sich 
ihm ergeben hatten, den Rückweg angetreten. Da 
brachen in jeder Stadt Unruhen und Bürgerzwistigkeiten 
aus ; kaum , dass die Leute vom Druck der Römer er- 
leichtert auf atmeten, kehrten sie die Waffen gegenein- 
ander, und alsbald lagen die Kriegslustigen in hartem 
Kampfe mit den Friedliebenden. Zunächst entbrannte 
der Streit in denjenigen Familien, die schon von früher 
her sich nicht recht vertrugen; dann befehdeten sich 
auch die Stämme, die zuvor in aller Freundschaft gelebt 
hatten, und da jeder sich zu seinen Gesinnungsgenossen 
schlug, standen sich in kurzem ganze Scharen feindlich 
gegenüber. Überall herrschte Hader und Zwietracht. 
Schliesslich gewannen die Empörungssüchtigen und 



Viertes Buch, 3. Kapitel. 


395 


Kriegslustigen infolge ihrer Jugend und Kühnheit über 
die älteren und verständigen Männer die Oberhand, und 
nachdem sich zunächst nur einzelne auf Räubereien 
gegen ihre Landsleute verlegt hatten, rotteten sie sich 
bald in förmlichen Banden zusammen, um die Land- 
bevölkerung auszuplündern. Hierbei gaben sie an 
Grausamkeit und Willkür den Römern nicht das 
mindeste nach, sodass den von ihnen Misshandelten die 
Unterwerfung durch die Römer bei weitem erträglicher 
vorkam. 

3. Die Besatzungen der Städte leisteten teils aus 
Verdruss über ihre bisherigen Unfälle , teils aus Hass 
gegen die Juden den Geplagten keine oder nur geringe 
Hilfe, bis endlich die Anführer der allerorts hausenden 
Räuberbanden, der Plünderung im Lande satt, sich zu 
einer Rotte der Bosheit zusammenscharten und zum Ver- 
derben Jerusalems in diese Stadt einbrachen, die damals 
einer einheitlichen Regierung entbehrte und altem 
Brauche gemäss alle Volksgenossen ohne besondere 
Vorsichtsm assregeln aufnahm; war man doch allgemein 
der Überzeugung, die Herbeiströmenden kämen nur in 
der guten Absicht, Hilfe zu bringen. Sie aber stürzten, 
auch abgesehen von den Unruhen, die sie erregten, die 
Stadt nachmals ins tiefste Elend; denn von der unnützen 
und müs8igen Menge wurden die Lebensmittel, die für 
die streitbare Mannschaft wohl hingereicht hätten, vor- 
zeitig aufgebraucht und dadurch der vorhandenen 
Kriegsdrangsal noch Bürgerzwist und Hungersnot hinzü- 
gesellt. 

4. Auch anderes Banditenvolk kam vom Lande in 
die Stadt herein, verband sich mit dem noch schlimmeren 
Gesindel, das schon drinnen war, und beging im Verein 
mit diesem die ärgsten Schandthaten. Raub und Dieb- 
stahl genügten ihrer Frechheit nicht mehr, sondern sie 
verstiegen sich sogar zu Mordthaten, und zwar verübten 
sie dieselben nicht etwa bei Nacht oder heimlich oder 
an gemeinen Leuten, sondern offen, am hellen Tage und 
bei den Vornehmsten anfangend. Zuerst nahmen sie 



396 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

einen der mächtigsten Männer der Stadt, Antipas, 1 der 
aus königlichem Geschlecht stammte und dem der Staats- 
schatz anvertraut war, gefangen und kerkerten ihn ein* 
hierauf einen anderen vornehmen Mann Namens Levi 
und Sophas, den Sohn des Raguel, beide gleichfalls von 
königlichem Geblüt; endlich alle, die im Lande grosses 
Ansehen genossen. Gewaltige Bestürzung aber ver- 
breitete sich im Volke, und als ob die Stadt schon vom 
Feind erobert wäre, dachte jeder nur] noch an seine 
eigene Sicherheit. 

5. Blosse Gefangenschaft der also Ergriffenen genügte 
indes den Frevlern nicht; auch hielten sie es nicht für 
ratsam, so mächtige Männer längere Zeit in Haft zu 
halten, weil deren zahlreiche Familien wohl imstande 
waren, sie zu rächen. Zudem fürchteten sie, das Volk 
möchte über ihr gesetzwidriges Verfahren in Erregung 
geraten und sich wider sie erheben. Sie beschlossen 
daher, die Gefangenen aus dem Wege zu räumen, und 
beauftragten damit denjenigen ihrer Genossen, der am 
leichtesten sich zu Mordthaten bereit finden liess , näm- 
lich einen gewissen Joannes, in der Landessprache 
„Sohn der Gazelle“ genannt. Dieser nahm zehn Be- 
waffnete mit sich ins Gefängnis und brachte mit deren 
Hilfe die Eingekerkerten ums Leben. Zur Rechtfertigung 
des schweren Verbrechens ersannen sie einen gewichtigen 
Vorwand: sie behaupteten nämlich, die Gefangenen 
hätten mit den Römern wegen der Übergabe Jerusalems 
unterhandelt und seien demgemäss nur deshalb getötet 
worden, weil sie an der gemeinsamen Freiheit Verrat 
begangen hätten. Ja, bald prahlten sie sogar noch mit 
ihrem Frevel, als wenn sie dadurch die Wohlthäter und 
Retter der Stadt geworden wären. 

6. Während nun das Volk immer mutloser und zag- 
hafter wurde, steigerte sich der Wahnsinn jener Ruch- 
losen in solchem Grade, dass sie sogar die Wahl der 


1 S. II, 17, 4. 



Viertes Buch, 3. Kapitel. 


397 


Oberpriester 1 sich anmassten. Sie schafften die Vor- 
rechte der Familien ab, aus denen nach bestimmter 
Reihenfolge diese Klassenhäupter ernannt wurden, und 
übertrugen die Würde an gewöhnliche Leute aus 
niederem Stande, um an ihnen Helfershelfer für ihre 
Schandthaten zu gewinnen; denn diese Menschen, die 
ganz ohne eigenes Verdienst zu so hohen Ehrenstellen 
gelangt waren, mussten selbstverständlich denen zu 
Willen sein, die ihnen dazu verholfen hatten. Die Vor- 
nehmen hetzten sie durch allerlei Kniffe und Ohren- 
bläsereien gegeneinander, und die Reibereien unter denen, 
die ihnen noch in den Weg treten konnten, nützten sie 
für ihre Zwecke aus, bis sie endlich, übersättigt von den 
Freveln gegen Menschen, ihre Frechheit auch gegen die 
Gottheit kehrten und mit befleckten Füssen das Aller- 
heiligste zu betreten wagten. 

7. Nun aber erhob sich wider sie das Volk, auf- 
gereizt von dem ältesten der Hohepriester, Ananus, einem 
höchst verständigen Manne, der auch vielleicht die Stadt 
gerettet haben würde, wenn er den Händen der Mörder 
entronnen wäre. Die Frevler jedoch machten den 
Tempel Gottes zu einem Bollwerk gegen die unruhigen 
Bewegungen des Volkes, und das Heiligtum ward ihnen 
Zufluchtsort und Zwingburg. Schliesslich fügten sie zu 
ihren Greuelthaten auch noch Hohn hinzu, der schmerz- 
licher als jene empfunden wurde. Um nämlich zu ver- 
suchen, wie weit das Volk sich von ihnen einschüchtern 
lassen würde, und um zugleich ihre eigene Stärke zu 
erproben, wagten sie es, die Hohepriester durchs Los zu 
wählen, während doch, wie schon bemerkt, das Anrecht 
auf diese Würde durch Abstammung erworben wird. 
Zum Vorwand ihres Unterfangens musste ihnen eine 
alte Sitte dienen: denn auch in früheren Zeiten, be- 
haupteten sie, sei die hohepriesterliche Würde durchs 
Los zugeteilt worden; in Wirklichkeit aber bezweckte 


1 Gemeint sind hier die Vorsteher der vieruudzwanzig Priester- 
klassen. 



398 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


ihr Vorhaben die Auflösung eines sehr bestimmt 
lautenden Gesetzes und war nichts weiter als ein Kunst- 
griff zur Stärkung ihrer Macht, indem sie eben die 
höchsten Stellen eigenmächtig besetzen wollten. 

8. So beriefen sie denn einen der hohepriesterlichen 
Stämme, Eniachim genannt, und wählten einen Hohe- 
priester durchs Los. Zufällig traf nun das Los einen 
Menschen, an dessen Person das Frevelhafte ihres Be- 
ginnens so recht offenkundig wurde, einen gewissen 
Phannias nämlich, den Sohn Samuels aus dem Dorfe 
Aphtha. Abgesehen davon, dass er überhaupt keinem 
hohepriesterlichen Geschlecht angehörte, war er auch so 
ungebildet, dass er nicht einmal wusste, was Hohe- 
priestertum eigentlich sei. Wider seinen Willen 
schleppten sie ihn vom Lande herein, schmückten ihn, 
wie man auf der Bühne zu thun pflegt, mit einer 
fremden Maske, bekleideten ihn mit dem heiligen Ge- 
wand und unterwiesen ihn gelegentlich darin, was er 
zu besorgen habe. Ihnen freilich diente dieser ungeheuer- 
liche Frevel nur zu Scherz und Spott ; den anderen 
Priestern dagegen, die von fern zusahen, wie das Gesetz 
verhöhnt wurde, traten die Thränen in die Augen, und 
tief seufzten sie über die Verunglimpfung der heiligen 
Ämter. 

9. Solche Frechheit ertrug das Volk nicht länger, 
und alles erhob sich nun zum Sturze der Tyrannei. Die 
angesehensten Männer, Gorion, des Josephus Sohn, und 
Symeon, der Sohn des Gamaliel, forderten sowohl die 
grosse Masse in den Versammlungen, als auch einzelne, 
die sie besuchten, auf, endlich einmal die Verderber der 
Freiheit zu bestrafen und das Heiligtum von den Blut- 
hunden zu säubern. Auch die geachtetesten unter den 
Hohepriestern, Jesus, des Gamalas Sohn, und Ananus, 
des Ananus Sohn, warfen dem Volke seine Lässigkeit 
eindringlich in den Versammlungen vor und stachelten 
es gegen die Eiferer 1 auf. So nämlich nannten sie sich, 


Zeloten. 



Viertes Buch, S. Kapitel. 


399 


wie wenn sie für gute Zwecke eiferten, während ihr 
Wetteifer sich in Wirklichkeit doch nur auf Schlechtig- 
keiten bezog, in denen sie sich gegenseitig zu über bieten 
trachteten. 

10. Als nun das Volk in grosser Menge zusammen- 
gekommen war und alles über die Besetzung des Heilig- 
tums, die Räubereien und die Mordthaten sich entrüstet 
zeigte — ohne dass übrigens irgend jemand zur Rache 
schreiten wollte, weil man, und zwar mit Recht, die 
Zeloten für schwer überwindlich hielt — erhob sich 
mitten in der Versammlung Ananus, schaute mehrmals 
thränenden Auges zum Tempel hinauf und sprach: 
„Lieber wäre ich gestorben, als dass ich das Haus Gottes 
so voll greulicher Frevel und die nie betretenen heiligen 
Stätten von den Füssen der Mörderrotten befleckt sehen 
muss. Aber mit dem hohepriesterlichen Gewände an- 
gethan und den heiligsten der ehrwürdigen Namen 
tragend, 1 lebe ich noch und lebe gern, 2 ohne dass ich 
bis jetzt den meinem Greisen alter gebührenden rühm- 
lichen Tod erlitten hätte. Bleibe ich freilich allein und 
wie in einer Wüste, so will ich auch allein meine Seele 
Gott zum Opfer bringen. Denn wozu soll ich inmitten 
eines Volkes leben, das kein Gefühl mehr für seine 
früheren Leiden Bat und bei dem sogar die Empfindung 
für die schweren Drangsale, von denen es in der Gegen- 
wart heimgesucht wird, geschwunden ist ? Plündert man 
euch, so bleibt ihr gleichgiltig, schlägt man euch, so 
schweigt ihr, und über die Gemordeten wagt niemand 
auch nur laut zu seufzen. Welch harte Tyrannei! Doch 
was tadle ich die Tyrannen ? Sind Bie nicht durch euch 
und eure Langmut gross geworden? Habt nicht ihr, 
als sie noch wenig zahlreich waren, ihre ersten Zusammen- 
rottungen ausser acht gelassen und durch euer Still- 
schweigen es verschuldet, dass sie zum grossen Haufen 

1 Bezieht sich auf den Namen Gottes (Jehovah), der in die Stirn- 
platte der hohepriesterlichen Kopfbedeckung eingraviert war. 

- Zu ergänzen: Wenn ich euch für ein baldiges Vorgehen gegen 
die Tyrannen begeistern kann. 


Go gle 



400 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


anwuchsen? Habt nicht ihr, indem ihr sie sich ruhig 
bewaffnen liesset, ihre Waffen gegen euch selbst gekehrt, 
anstatt ihre ersten Anläufe zurückzuschlagen, damals, 
als sie eure Verwandten mit Schmähungen angriffen? 
Durch eure Gleichgiltigkeit habt ihr die Frevler zu 
Räubereien ermutigt, und wenn Häuser verwüstet wurden, 
hattet ihr kein Wort dagegen ! Darum konnten sie 
denn auch die Besitzer dieser Häuser wegführen, und 
niemand kam den Unglücklichen zu Hilfe, als sie mitten 
durch die Stadt geschleppt wurden, als man mit Fesseln 
diejenigen quälte, die ihr verraten hattet ! Ich will nicht 
sagen, wie viele, wie hochangesehene Männer ohne An- 
klage, ohne Verhör so behandelt wurden. Niemand nahm 
sich der Gefesselten an : die Folge war, dass wir sie 
zuletzt noch hinmorden sehen mussten. Wir sahen zu, 
als wie aus einer Herde unvernünftiger Tiere immer 
wieder das beste Opfer herausgeholt wurde — aber nie- 
mand erhob seine Stimme, geschweige denn dass jemand 
die Hand gerührt hätte. Und nun duldet ihr, duldet 
ihr es, dass das Heiligtum mit Füssen getreten wird? 
Und wenn ihr auch jenen Ruchlosen eine Stufe nach 
der anderen zu ihren vermessenen Schritten selbst ge- 
ebnet habt, seid ihr denn nicht wenigstens jetzt ihrer 
Übermacht müde? Sie würden doch sicherlich noch 
weiter gehen, wenn es etwas Grösseres als das Heilig- 
tum zu verwüsten gäbe. In ihren Händen ist der festeste 
Punkt der Stadt — denn eine Burg oder Festung muss 
man jetzt den Tempel nennen. Da nun eine so gewaltige 
Tyrannei hinter diesen Mauern euch bedroht und ihr eure 
Feinde über euren Häuptern erblickt, was habt ihr im 
Sinn und womit wollt ihr euer Gemüt beruhigen? 
Wartet ihr etwa auf die Römer, dass sie ungern 
Heiligtümern zu Hilfe kommen? Steht es so schlimm 
mit unserer Stadt, und sind wir so tief im Elend versunken, 
dass die Feinde sich unser erbarmen sollen? Werdet 
ihr euch nicht erheben, ihr Beklagenswerten, euch gegen 
die Schläge, wie man ja selbst bei Tieren sehen kann, 
auf lehnen und an denen, die euch schlagen, Rache 



Viertes Buch, 3. Kapitel. 


401 


nehmen,? Wollt ihr euch nicht die einem jeden von 
euch zugefügten Unbilden ins Gedächtnis rufen und, 
indem ihr eurer Leiden gedenkt, den Mut zum Wider- 
stande schärfen? Ist denn das edelste und natürlichste 
aller Gefühle, die Liebe zur Freiheit, völlig in euch er- 
tötet? Sind wir etwa Sklaven naturen und Bedienten- 
seelen geworden, als wäre es Unterwürfigkeit, was wir 
von unsern Vorfahren überkommen haben? Nein, sie 
haben viele und grosse Kriege für ihre Selbständigkeit 
geführt und sowohl der Macht der Aegyptier als der 
der Meder standgehalten, nur um nicht in Abhängigkeit 
zu geraten! Doch was brauche ich von unsern Ahnen 
zu sprechen? Eben der gegenwärtige Krieg mit den 
Römern, von dem ich übrigens jetzt nicht erörtern will, 
ob er zweckmässig und nützlich ist oder nicht, aus 
welchem Grunde wird er denn geführt? Doch wohl für 
die Freiheit! Wenn wir uns nun den Herren der Welt 
nicht fügen wollen, wie sollen wir da unsere eigenen 
Landsleute als Tyrannen über uns dulden? Wird man 
von auswärtigen Feinden unterjocht, so mag nian dafür 
die Ungunst des Schicksals verantwortlich machen ; kriecht 
man aber vor seinen eigenen Mitbürgern und noch dazu 
vor den schlechtesten zu Kreuz, so ist dies ein Zeichen 
von Feigheit und Knechtessinn. Da ich übrigens gerade 
die Römer erwähnte, will ich euch nicht vorenthalten, 
was mir soeben während meiner Rede in den Sinn kam, 
nämlich dass wir, wenn uns auch die Römer, was ich 
nicht hoffen will, unterjochen sollten, jedenfalls nichts 
schlimmeres erdulden würden, als was diese unsere Mit- 
bürger uns angethan haben. Oder ist es nicht zum 
weinen, dass, während wir von den Römern selbst Weih- 
geschenke im Tempel sehen, unsere eignen Landsleute 
dort ihren Raub auf häufen, nachdem sie den Adel der 
Hauptstadt ermordet und Männer aus dem Wege ge- 
räumt haben, die der Feind im Falle des Sieges geschont 
haben würde? Ist es ferner nicht bejammernswert, dass, 
während die Römer niemals die Schwelle der Ungeweihten 
überschritten und keinen unserer heiligen Gebräuche 

Josephua, Jüdischer Krieg. 26 



402 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


verletzten, sondern in ehrfurchtsvollem Schauer nur von 
fern die Einfriedigung des Heiligtums zu betrachten 
wagten, Leute, die in diesem Lande geboren, in unserer 
Religion erzogen sind und sich Juden nennen, mitten 
im Allerheiligsten umherwandeln, da ihre Hände noch 
vom Blute ihrer Volksgenossen rauchen? Wer sollte 
da noch den von aussen kommenden Krieg und die 
im Vergleich zu unseren Landsleuten viel mensch- 
licheren Feinde fürchten ? Will man die Dinge beim 
rechten Namen nennen, so wird man finden, dass die 
Römer unsere Gesetze uns in dem Masse erhalten, wie 
unsere eignen Leute sie mit Füssen treten. Dass da- 
her diese Feinde unserer Freiheit vernichtet werden 
müssen, und dass keine Strafe, die man erdenken mag, 
für ihre Schandthaten streng genug ist, diese Überzeugung, 
hoffe ich, habt ihr alle schon von Hause mit hierher- 
gebracht, wie ihr wohl auch schon vor meiner Rede durch 
das, was ihr erlitten, gegen sie aufgebracht wart Nur 
erschrecken vielleicht die meisten vor ihrer Menge, ihrer 
Kühnheit und ihrer vorteilhaften Stellung. Aber wie 
an alledem eure Gleichgiltigkeit schuld ist, so wird 
durch längeres Zögern das alles nur noch schlimmer 
werden. Denn ihre Zahl erhält tagtäglich neuen Zu- 
wachs, da alle Bösewichte zu ihnen als ihren Gesinnungs- 
genossen übergehen; ihre Kühnheit aber wird um so 
mehr entflammt, je weniger sie auf Hindernisse stösst; 
und was ihre Stellung über unsern Häuptern angeht, 
so werden sie dieselbe bald zur Anwendung von Waffen- 
gewalt benutzen, wenn wir ihnen Zeit dazu lassen. 
Rücken wir ihnen aber zu Leibe, so wird, glaubt es mir, 
ihr schlechtes Gewissen sie entmutigen, und den Vorteil 
ihrer örtlich höheren Stellung wird ihre innere Verfassung 
zu Schanden machen. Vielleicht auch, dass die beleidigte 
Gottheit ihre Geschosse wider sie selbst kehrt, und die 
Frevler durch ihre eignen Pfeile fallen. Fürwahr, sie 
werden uns kaum erblicken , so sind sie schon dahin. 
Ist nun auch Gefahr damit verbunden, so wird es dock 
anderseits reiche Ehren eintragen, an den heiligen Thoren. 



Viertes Buch, 3. Kapitel. 


403 


zu fallen und, wenn auch nicht für Weib und Kind, 
so doch für Gott und sein Heiligtum das Leben zu 
lassen. Ich selbst will mit Rat und That euch voran- 
gehen : nichts, was ich für eure Sicherheit erdenken kann, 
wird euch mangeln, und ihr sollt sehen, dass ich auch 
meiner eignen Person nicht schonen werde.“ 

11. Mit solchen Worten suchte Ananus das Volk 
gegen die Zeloten aufzustacheln, obwohl er sich nicht 
verhehlen konnte, dass sie schon jetzt wegen ihrer grossen 
Zahl, jugendlichen Kraft und Entschlossenheit, besonders 
aber wegen des Bewusstseins ihrer bisherigen Thaten schwer 
zu bewältigen sein würden. Da sie nämlich für ihre 
Vergehen keine Verzeihung zu gewärtigen hatten, konnte 
man sich des äussersten Widerstandes von ihrer Seite 
versehen. Trotzdem war er gewillt, lieber alles zu wagen, 
als die Dinge in dieser Verwirrung zu lassen. Das 
Volk aber schrie, er solle sie gegen diejenigen führen, 
gegen die er sie zum Kampf aufgefordert habe, und es 
zeigte sich der eine immer bereitwilliger als der andere, 
der Gefahr zuerst die Stirn zu bieten. 

12. Während aber Ananus die zum Kampfe Taug- 
lichen auslas und ordnete, erfuhren die Zeloten den An- 
schlag; denn sie hatten Leute, die ihnen alles hinter- 
brachten, was beim Volke vorging. Voll Erbitterung 
stürzten sie darauf teils in geschlossenen Reihen, teils 
in kleineren Haufen aus dem Tempel hervor und machten 
schonungslos alles nieder, was ihnen in den Weg kam. 
Schnell sammelte Ananus das Volk, das den Zeloten 
zwar an Zahl überlegen war, an Bewaffnung aber und 
festgefügter Ordnung ihnen nachstand. Die beiderseitigen 
Mängel indes glich die hüben wie drüben herrschende 
Kampfeslust aus ; die von der Stadt nämlich zeigten sich von 
einer Erbitterung durchdrungen, die stärker war als alle 
Waffen, während die vom Tempel eine Kühnheit be- 
sassen, die es mit jeder Überzahl aufnehmen zu wollen 
schien. Die einen glaubten in der Stadt nicht länger 
wohnen zu können, wenn sie dieselbe nicht von den 
Banditen säuberten ; die Zeloten anderseits wussten wohl, 



404 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

dass im Fall ihrer Niederlage alle erdenklichen Strafen 
ihrer harrten. So gerieten sie denn in leidenschaftlichem 
Kampf aneinander und beschossen sich zuerst in der 
Stadt sowohl als vor dem Tempel mit Steinen und 
Wurfspeeren, die sie von fern schleuderten; sobald aber 
ein Teil sich zur Flucht gewandt hatte, griffen die Sieger 
zum Schwert. Gross war auf beiden Seiten die Zahl 
der Toten und Verwundeten. Wer vom Volke kampf- 
unfähig wurde, den zogen seine Angehörigen ins Haus 
hinein; die verwundeten Zeloten dagegen begaben sich 
wieder in den Tempel zurück und netzten den heiligen 
Boden mit ihrem Blut, sodass man mit Recht sagen 
kann, ihr Blut allein habe das Heiligtum befleckt . 1 Bei 
den Ausfallen gewannen nun zwar die Räuber im Ge- 
fecht stets die Oberhand; auf seiten des Volkes aber 
wuchs sowohl die Erbitterung als die Zahl der Kämpfer 
beständig an, und während man hier die Weichenden 
mit Vorwürfen überschüttete und die Nachdrängenden 
denen, welche fliehen wollten, den Rückweg abschnitten, 
wälzten sie sich mit der ganzen Wucht ihrer Masse 
gegen die Feinde. Diese vermochten dem Anprall nicht 
länger zu widerstehen und zogen sich allmählich in den 
Tempel zurück ; die Leute des Ananus aber drangen 
zugleich mit ihnen ein. Gewaltige Bestürzung ergriff 
die Zeloten, als sie die erste Ringmauer verloren hatten, 
und nachdem sie in den inneren Raum geflohen waren, 
schlossen sie eiligst die Thore hinter sich. Ananus 
jedoch konnte sich nicht entschliessen, die heiligen 
Pforten zu stürmen, zumal da die Feinde von oben herab 
ihre Geschosse warfen; denn selbst für den Fall, dass 
ihm der Sieg beschieden sein sollte, hielt er es für sünd- 
haft, das Volk ohne vorgängige Reinigung hineinzu- 
führen. Er wählte daher aus der Menge etwa sechs- 
tausend Bewaffnete durchs Los und stellte sie als 
Wächter an den Hallen auf, bestimmte auch, dass andere 
sie ablösen und so der Reihe nach alle auf Wache 


1 D. h. das Blut der Opfertiere war reiner als das der Zeloten. 



Viertes Buch, 3. Kapitel. 


405 


ziehen sollten. Viele aus den Vornehmen jedoch wurden 
von den Befehlshabern dieser Verpflichtung enthoben 
und Hessen ärmere Leute, die sie dafür bezahlten, anstatt 
ihrer selbst den Wachdienst versehen. 

13. An dem Untergang aller dieser Menschen aber 
trug die Schuld jener Joannes, der, wie oben erwähnt, 
aus Gischala entflohen war, ein höchst verschmitzter 
Mann, der ein leidenschaftliches Verlangen nach Ge- 
waltherrschaft in seiner Seele trug und schon längst 
Schlimmes gegen den Staat im Schilde führte. Damals 
begleitete er, volksfreundliche Gesinnung heuchelnd, den 
Ananus auf allen seinen Gängen, mochte der Hohe- 
priester nun tagüber mit den Machthabern sich beraten 
oder nachts die Wachen besichtigen. Die erlauschten 
Geheimnisse hinterbrachte er dann den Zeloten , und 
jeder Anschlag des Volkes wurde, noch ehe er gehörig 
beraten war, durch ihn den Feinden bekannt. Um 
dabei keinen Verdacht zu erregen, benahm er sich über- 
mässig zuvorkommend gegen Ananus und die Vorsteher 
des Volkes. Durch seine Liebedienerei aber erreichte er 
gerade das Gegenteil von dem, was er damit bezweckte ; 
denn seine faden Schmeicheleien machten ihn nur um 
so verdächtiger, und dass er überall zugegen war, wo 
man seiner gar nicht begehrte, lieferte den Beweis, dass 
er Geheimnisse verriet. Man hatte nämlich gar bald 
weg, dass bei den Feinden die Beschlüsse des Volkes 
stets bekannt waren, und niemand traute man die Ver- 
räterei eher zu, als eben dem Joannes. Ihn aus dem 
Wege zu räumen war indes nicht leicht, da er durch 
seine Schlechtigkeit zu grossem Einfluss gelangt war und 
als den besseren Ständen angehörig bei vielen Männern 
Deckung fand, die in der Verwaltung Sitz und Stimme 
hatten. Man beschloss daher, sich seiner Treue durch 
einen Eid zu versichern. Ohne Anstand schwur nun 
Joannes, es mit dem Volke halten, keinen Beschluss 
und keine Massregel den Feinden verraten und zum 
Sturze derer, welche die Waffen ergreifen würden, mit 
Rat und That beitragen zu wollen. Ananus und die 


Go gle 





406 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Seinen glaubten dem Eide und Hessen ihn fortan arglos 
an ihren Beratungen teilnehmen. Ja, sie ordneten ihn 
sogar als Gesandten an die Zeloten ab, um über die 
Schlichtung des Streites zu unterhandeln ; denn es lag 
ihnen ebenso viel daran, selber den Tempel nicht ent- 
heiligen zu müssen, als dass keiner ihrer Landsleute in 
ihm sein Leben verlöre. 

14. Joannes aber ging, wie wenn er den Zeloten und 
nicht vielmehr ihren Gegnern Treue geschworen hätte, zu 
den ersteren hinein und erklärte, er habe zwar schon oft 
um ihretwillen Bich in Gefahr begeben, um sie von allem 
in Kenntnis zu setzen, was die Partei des Ananus ins- 
geheim gegen sie im Schilde führe; jetzt aber werde er 
mit ihnen allen in die grösste Gefahr geraten, wenn 
Gott ihnen keine besondere Hilfe sende. Denn Ananus 
wolle nicht länger mehr zuwarten, sondern habe, nach- 
dem er das Volk beschwätzt, Gesandte an Vespasianus 
geschickt, damit dieser in aller Eile heranrücke und sich 
der Stadt bemächtige. Ein Reinigungsopfer zum An- 
griff auf sie, die Zeloten, sei für den folgenden Tag an- 
gesagt, damit das Volk entweder unter dem Vorwand des 
Gottesdienstes eindringen oder auch unter Anwendung von 
Gewalt mit ihnen handgemein werden könne. Er wisse 
nicht, wie lange sie die Belagerung noch auszuhalten 
oder solcher Übermacht Widerstand zu leisten vermöchten. 
Dann setzte er hinzu, er sei durch göttliche Fügung in 
den Tempel geschickt worden, um wegen Beilegung der 
Zwistigkeiten zu verhandeln. Einen Vergleich nämlich 
trage ihnen Ananus jetzt an, aber nur um über sie her- 
zufallen, wenn sie waffenlos ihm gegenüberständen. Sie 
müssten daher behufs Rettung ihres Lebens entweder 
die Belagerer um Gnade bitten oder irgendwelche Hilfe 
von auswärts sich zu verschaffen suchen. Diejenigen 
übrigens, welche sich im Falle des Unterliegens etwa mit 
der Hoffnung auf Verzeihung trügen, hätten wohl ihre 
eigenen Frevel vergessen oder glaubten vielleicht, die 
Reue der Übelthäter müsse nun auch notwendigerweise 
gleich eine versöhnliche Stimmung bei den Misshandelten 



Viertes Buch, 4. Kapitel. 


407 


zur Folge haben. Gar oft aber bleibe der Hass gegen 
die Beleidiger trotz all ihrer Reue bestehen, und die Er- 
bitterung der Geschädigten werde vielfach, wenn sie die 
Macht erlangten, nur um so heftiger. Auf alle Fälle 
würden ihnen die Freunde und Angehörigen der Ge- 
töteten stets aufsässig bleiben wie auch die grosse Masse 
des Volkes, das über die Abschaffung der Gesetze und 
der ordentlichen Rechtspflege gewaltig ergrimmt sei, und 
wenn auch ein kleiner Teil des letzteren zum Mitleid 
neige, so verschwinde derselbe doch völlig unter der 
Menge derer, die auf Befriedigung ihrer Rache beständen. 


Viertes Kapitel. 

r 

Die Idumäer kommen, von den Zeloten gerufen, nach 
Jerusalem. 

1. Durch derartige verschmitzte Lügen setzte er alle 
Zeloten in Schrecken. Worin die Hilfe von auswärts 
bestehen sollte, wagte er zwar nicht gerade heraus zu 
sagen, doch hatte er offenbar die Idumäer im Sinne. Um 
nun die Anführer der Zeloten noch besonders aufzureizen, 
gab er eine lügenhafte Schilderung von der Grausam- 
keit des Ananus und sagte, auf sie seien ganz besonders 
seine Drohungen zugespitzt. Diese Anführer waren 
Eleazar, der Sohn des Simon, 1 der sowohl im Erdenken 
zweckmässiger Pläne als in deren Ausführung das grösste 
Zutrauen genoss, und Zacharias, der Sohn des Phalek 
beide aus priesterlichem Geschlecht. Als diese Männer 
ausser den Drohungen, die ihnen allen galten, auch noch 
die eigens gegen ihre Person gerichteten vernahmen und 
obendrein erfuhren, wie die Partei des Ananus, um die 
höchste Gewalt an sich zu reissen, die Römer herbei- 
rufen wolle (denn auch diese Lüge hatte Joannes hin- 
zugefügt), waren sie eine Weile unschlüssig, was sie bei 


i S. II, 20, 3. 



408 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


der Kürze der ihnen noch zur Verfügung stehenden 
Zeit thun sollten. Sie glaubten nämlich, das Volk werde 
wohl bald zum Angriff gegen sie Vorgehen und durch 
rasche Ausführung seines Anschlages ihnen jeden Bei- 
stand von aussen her gänzlich abschneiden; so werde 
es mit ihnen bereits zum äussersten gekommen sein, ehe 
auch nur einer ihrer Bundesgenossen davon Kenntnis 
erlangen könne. Nichtsdestoweniger beschloss man, die 
Iduraäer herbeizurufen. Zu diesem Zweck schrieben sie 
einen kurzen Brief des Inhalts: Ananus hintergehe das 
Volk und wolle die Hauptstadt an die Römer verraten; 
sie selbst, die sich zur Rettung der bedrohten Freiheit 
von ihm losgesagt, würden im Tempel belagert; die Zeit 
in der ein Versuch zu ihrem Entsatz noch Erfolg ver- 
heisse, sei nur kurz; kämen also die Idumäer nicht 
schleunigst zu Hilfe, so würden sie, die Zeloten, dem 
Ananus und ihren übrigen Feinden, die Stadt aber den 
Römern in die Hände fallen. Eine ausführliche Dar- 
legung des Sachverhaltes sollten die Boten den Führern 
der Idumäer mündlich geben. Für die Sendung wurden 
zwei der entschlossensten Männer vorgeschlagen, die in 
derartigen Verhandlungen erfahren, mit der nötigen 
Überredungsgabe ausgerüstet und, was ihnen noch mehr 
zu statten kam, ausgezeichnete Schnellläufer waren. Im 
Tempel wusste man übrigens, dass die Idumäer sich 
nicht lange würden bitten lassen. Denn sie sind ein 
ungestümes, zügelloses Volk, das stets auf der Lauer 
nach Unruhen liegt und am Aufruhr seine helle Freude 
hat; auch bedarf es nicht vieler guten Worte, um es 
unter die Waffen zu bringen, zumal sich dort alles 
zum Kampf wie zu einem Feste drängt. Eile war aber 
für die Botschaft erforderlich, und da die Abgesandten, 
die beide Ananias hiessen, den besten Willen dazu 
hatten, waren sie schnell bei den Führern der Idumäer 
angelangt. 

2. Diese gerieten durch den Inhalt des Briefes und 
den mündlichen Bericht der Boten in gewaltige Erregung, 
rannten alsbald wie wütend im Volke umher und predigten 



Viertes Buch, 4. Kapitel. 


409 


den Krieg. Fast schneller als der Aufruf erfolgt war, 
versammelte sich die Menge, und alles ergriff die Waffen 
zur Befreiung der Hauptstadt, wie man sich ausdrückte. 
Fast zwanzigtausend Mann stark erschienen sie nun vor 
Jerusalem unter vier Anführern, nämlich Joannes und 
Jakobus, den Söhnen des Sosas, Simon, dem Sohne des 
Kathlas, und Phineas, dem Sohne des Klusoth. 

3. Die Abreise der Boten war übrigens dem Ananus 
sowohl als den Wachen verborgen geblieben, keineswegs 
aber der Anmarsch der^Idumäer. Letzteren vielmehr 
hatte der Hohepriester zuvor erfahren und deshalb die 
Thore schliessen und die Mauern mit Wachtposten be- 
setzen lassen. Er beabsichtigte jedoch zunächst noch 
nicht, sie zu bekämpfen, sondern wollte sie vor der An- 
wendung von Waffengewalt durch gütliches Zureden zu 
gewinnen suchen. Zu diesem Behuf stellte sich Jesus, 
der älteste der Hohepriester nach Ananus, auf den Turm, 
der den Idumäern gegenüberlag, und sprach zu ihnen : 
„Bei den vielen und mannigfaltigen Drangsalen, von 
denen unsere Stadt heimgesucht wird, ist mir kein Zu- 
fall unverständlicher, als dass die Bösewichte stets wieder 
unerwartete Hilfe erhalten. Denn ihr seid ja den ver- 
worfensten Menschen gegen uns mit einer Bereitwillig- 
keit zu Hilfe geeilt, wie ihr sie wohl selbst in dem 
Falle nicht bewiesen haben würdet, wenn die Hauptstadt 
euch zum Beistand gegen Barbaren gerufen hätte. Sähe 
ich freilich, dass euer Heer den Leuten ähnlich ist, die 
euch herbeigewünscht haben, so könnte ich euren Eifer 
wohl verstehen; denn nichts stiftet Freundschaften so 
rasch als Übereinstimmung der Charaktere. Nun aber 
findet man, wenn man jene Menschen der Reihe nach 
prüft, einen jeden von ihnen tausendfachen Todes würdig; 
sind sie doch die Schandflecken und der Auswurf des 
ganzen Landes, sie, die zuerst ihr eignes Vermögen 
verschleudert und ihren Frevelmut an den Dörfern und 
Städten der Umgegend ausgelassen und dann auch noch 
heimlich in die heilige Stadt sich eingeschlichen haben 
— Räuber, die durch masslose Schandthaten sogar den 


Go gle 



410 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


heiligen Boden entweihen, und die man jetzt ohne Scheu 
im Heiligtum sich berauschen und mit der den Toten 
entrissenen Beute ihre unersättlichen Bäuche füllen 
sieht. Eure Scharen dagegen und euer Waffenschmuck 
bieten einen Anblick dar, wie er sich erwarten liess, 
wenn die Hauptstadt euch durch gemeinsamen Beschluss 
als Bundesgenossen gegen Fremde herbeigerufen hätte. 
Kann man es daher anders als einen Hohn des Schick- 
sals nennen, wenn man ein ganzes Volk mit einer 
Horde von Bösewichten gemeinsame Sache machen sieht ? 
Schon lange ist es mir ein Rätsel , was euch eigentlich 
so rasch in Bewegung gesetzt hat. Sicherlich ist es ein 
gewichtiger Grund, der euch für Räuber und gegen ein 
stammverwandtes Volk die Waffen ergreifen hiess. Wir 
hörten etwas von Römern und Verrat, denn soeben 
machten einige von euch Lärm darüber und erklärten, 
sie seien zur Befreiung der Hauptstadt gekommen. 
Mehr aber als über alle anderen Frechheiten dieser 
Ruchlosen müssen wir über die Erfindung dieser Lüge 
staunen. Natürlich, Männer von freiheitliebendem 
Charakter, die eben darum zum Kampf mit äusseren 
Feinden stets gerüstet sind, konnte man durch nichts 
anderes gegen uns in Harnisch bringen, als dadurch, 
dass man uns für Verräter an der ersehnten Freiheit 
ausgab. Ihr solltet aber doch bedenken, wer diese Ver- 
leumdung vorbringt und gegen wen sie gerichtet ist, 
und die Wahrheit nicht aus erdichtetem Gerede, sondern 
aus der allgemeinen Lage der Dinge entnehmen. Aus 
welcher Veranlassung sollten wir uns denn gerade jetzt 
den Römern verkaufen, da es uns ja freistand, entweder 
gleich anfangs überhaupt nicht abzufallen, oder nach 
dem Abfall sogleich wieder auf ihre Seite zu treten, so 
lange das Land ringsum noch unverwüstet war? Jetzt 
nämlich wäre es uns, selbst wenn wir wollten, nicht 
leicht, uns mit den Römern auszusöhnen, da die Unter- 
jochung Galilaeas sie stolz gemacht hat und es für uns 
eine Schmach, ärger als der Tod, sein würde, wenn wir 
ihnen jetzt gute Worte gäben, nachdem sie uns auf 



Viertes Buch, 4. Kapitel. 


411 


den Leib gerückt sind. Ich für meine Person 
würde gewiss den Frieden dem Tode vorziehen ; 
nachdem, aber der Krieg einmal begonnen hat und 
blutige Zusammen stösse erfolgt sind, möchte ich denn 
doch weit lieber eines rühmlichen Todes sterben, als in 
Kriegsgefangenschaft lebeA. Und wer soll denn ins- 
geheim zu den Römern geschickt haben ? Etwa nur wir, 
die Vorsteher des Volkes, oder auch das Volk selbst 
auf Grund eines gemeinsamen Beschlusses? Wenn wir, 
so nenne man doch die Freunde, die wir geschickt, die 
Diener, die bei dem Verrate mitgeholfen hätten! Wurde 
etwa einer derselben auf dem Hinwege aufgegriffen 
oder auf dem Rückwege gefangen? Ist man vielleicht 
einem Briefe anf die Spur gekommen ? Und wie 
konnten wir so vielen Bürgern verborgen bleiben, unter 
deren Augen wir zu jeder Stunde aus- und eingeh en? 
Und dabei sollten die wenigen Leute da oben, die noch 
dazu belagert sind und nicht einmal aus dem Tempel 
in die Stadt gelangen können , Kenntnis von den Vor- 
gängen erhalten haben, die sich im Lande draussen in 
aller Stille abspielten? Gewiss nicht! Vielmehr erst 
jetzt, seitdem sie merken, dass sie für ihre Frechheiten 
zur Rechenschaft gezogen werden sollen, haben sie davon 
erfahren; so lange sie aber nichts zu fürchten hatten, 
stand keiner von uns im Verdacht des Verrates. Schieben 
sie dagegen die Schuld auf das Volk, so war doch 
wohl die Beratung öffentlich, und es musste, da niemand 
von der Versammlung ausgeschlossen werden durfte, 
die Kunde davon als bestimmtes Gerücht schneller zu 
euch gelangt sein wie die förmliche Anzeige. Nun aber 
weiter: hätte man nicht auch Gesandte schicken müssen, 
um einen Vergleich zu schliessen ? Man sage also, wer 
dazu ernannt wurde! Doch nein, das alles ist ja nur 
Spiegelfechterei von Leuten, die nicht gern sterben und 
die ihnen drohende Bestrafung hinausschieben möchten. 
Wenn es der Stadt je bestimmt sein sollte, durch Verrat 
zu fallen, so wäre zu dieser Schandthat niemand anders 
fähig als eben diese unsere Verleumder, deren Freveln 



412 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


nur noch ein einziger fehlt — die Verräterei. Ihr aber 
solltet, da ihr nun einmal mit den Waffen in der Hand 
euch eingefunden habt — das wäre das richtigste — der 
Hauptstadt euren Beistand leihen und die Tyrannen 
vertilgen helfen, die das Gesetz mit Füssen getreten 
haben und bei ihren Urteilssprüchen lediglich das 
Schwert entscheiden lassen. Haben sie doch vornehme 
Männer, gegen die niemand als Kläger aufgetreten war, 
mitten vom Markte weggeschleppt, im Kerker miss- 
handelt und endlich, ohne ihrer flehenden Rufe zu achten, 
dahingeschlachtet. Ihr könnt, wenn anders ihr nicht als 
ausgesprochene Feinde die Stadt betreten wollt, die Be- 
weise von dem, was ich soeben sagte, mit eignen 
Augen sehen: Häuser, die jene Ruchlosen leer geplündert, 
Weiber und Kinder der Gemordeten in schwarzen 
Trauerkleidern, Jammer und Wehklage in ganz Jeru- 
salem! Denn es giebt kaum einen Menschen hier, der 
nicht von den räuberischen Anfällen dieser Gottlosen zu 
erzählen wüsste, die ihren Wahnsinn so weit trieben, dass 
sie ihr Banditenunwesen nicht nur vom Lande und den 
auswärtigen Städten herein in dieses Herz und Haupt 
der gesamten Nation, sondern auch aus der Stadt in den 
Tempel trugen. Der ist ihnen nun Festung, Zufluchts- 
ort und Rüstkammer für ihre Anschläge wider uns ge- 
worden. Die Stätte, die in der ganzen Welt verehrt 
wird und selbst bei Fremden, die an den Grenzen der 
Erde wohnen und sie nur vom Hörensagen kennen , in 
hohem Ansehen steht, wird nun von diesen Menschen, 
den Kindern unseres eignen Landes, mit Füssen ge- 
treten. Und trotz ihrer verzweifelten Lage finden sie 
noch ihr Vergnügen daran, Völker gegen Völker, Städte 
gegen Städte aufzuhetzen und die Nation zum Zer- 
fleischen ihrer eignen Eingeweide zu treiben. Statt 
dessen wäre es, wie schon gesagt, ehrenhaft und an- 
ständig von euch gehandelt, wenn ihr im Bunde mit 
uns die Frevler ausrotten und sie für den Betrug strafen 
würdet, den sie dadurch begingen, dass sie euch als 
Bundesgenossen zu rufen sich erfrechten, obwohl sie euch 



Viertes Buch, 4. Kapitel. 


413 


als Rächer hätten fürchten müssen. Glaubt ihr jedoch, 
die Aufforderung von seiten solcher Menschen nicht ver- 
ächtlich ab weisen zu sollen , so steht es euch ja frei, 
nach Niederlegung der Waffen in eui^r Eigenschaft als 
Stammesgenossen 1 in die Stadt einzuziehen und eine 
Stellung zu wählen, die zwischen der von Bundesgenossen 
und Feinden die Mitte hält, nämlich die als Schieds- 
richter. Bedenket jedoch, wie sehr sie im Vorteil sein 
werden, wenn ihnen wegen so schwerer und offenkundiger 
Verbrechen eine förmliche gerichtliche Verhandlung vor 
euch zugestanden wins^, während sie unschuldigen 
Männern noch nicht einmal das Wort zur Verteidigung 
geben wollten. Doch möge ihnen um eurer Gegenwart 
willen diese Vergünstigung gewährt sein! Wollt ihr 
aber ebensowenig an unserm Zorn Anteil nehmen als 
das Schiedsrichteramt versehen, so bleibt euch als drittes 
noch übrig, beide Parteien zu verlassen und so weder 
aus unserm Unglück Nutzen zu ziehen noch auf seiten 
derer zu verbleiben, die auf das Verderben der Stadt 
hinarbeiten. Habt ihr nämlich gar so dringenden Ver- 
dacht, dass jemand von uns Unterhandlungen mit den 
Römern anknüpfen wolle, so könnt ihr ja die Zugänge 
bewachen und, falls etwas von dem, dessen man uns 
beschuldigt, als wahr erfunden wird, dann kommen, Je- 
rusalem besetzen und die des Verrates Überwiesenen zur 
Strafe ziehen ; denn es ist doch wohl nicht denkbar, dass 
die Feinde euch, die ihr der Stadt so nahe wohnt, zu- 
vorkommen sollten. Wenn euch aber keiner dieser Vor- 
schläge annehmbar und billig erscheint, so wundert euch 
nicht, dass wir die Thore verriegelt halten, so lange ihr 
unter den Waffen steht.“ 

4. In dieser Weise redete Jesus. Die Menge der 
Idumäer aber achtete nicht auf seine Worte, sondern 
zeigte sich erbittert darüber, dass ihr Einzug in die 
Stadt nicht sogleich erfolgen konnte; auch wehrten sich 
die Anführer entschieden gegen die Ablegung der Waffen, 


1 Vergl. die Anmerkung zu I, 6, 2. 



414 


Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


da sie sich wie Kriegsgefangene vorkämen, wenn sie auf 
fremden Befehl dieselben von sich werfen würden. 
Einer der Führer, Simon, des Kathlas Sohn, stellte sich, • 
nachdem er mit. Mühe die lärmende Aufregung der 
Seinen beschwichtigt hatte, auf einen Platz, wo er von 
den Hohepriestern gehört werden konnte, und rief aus, 
er wundere sich nicht mehr, dass die Vorkämpfer der 
Freiheit im Tempel belagert würden , da man sogar vor 
dem Volk die gemeinsame Hauptstadt verschliesse und, 
während man sich zum Empfange der Römer rüste, denen 
man vielleicht die Thore bekränzen werde, mit den 
Idumäern sich von Türmen herab bespreche und ihnen 
zumut«, die Waffen fortzuwerfen, die sie für die Freiheit 
ergriffen hätten. „Während man nun,“ fuhr er fort, 
„den Stamme8genossen nicht einmal die Bewachung der 
Hauptstadt anvertrauen will, macht man sie dennoch zu 
Schiedsrichtern im Streit, und während man einige 
wenige Männer anklagt, weil sie ohne eigentlichen Ur- 
teilsspruch die Todesstrafe verhängt haben, bringt man 
Schande über das ganze Volk, indem man vor Lands- 
leuten die Stadt verschliesst, die doch jedem Fremden 
zu gottesdienstlichen Zwecken offen steht Natürlich, 
w r ir sind ja gekommen, um gegen Landsleute mit Mord 
und Totschlag zu wüten, und nicht vielmehr herbeigeeilt, 
um euch im Unglück die Freiheit zu sichern! Das 
nämliche werden auch wohl die Belagerten euch zuleide 
gethan, und so glaubwürdigen Verdacht, vermute ich, 
werdet ihr auch gegen sie gehegt haben. Während ihr 
nun da drinnen diejenigen, die es gut mit dem Staate 
meinen, in Gewahrsam haltet, den Scharen der be- 
freundetsten Volksstämme die Thore verriegelt und ihnen 
so entehrende Zumutungen macht, behauptet ihr, man 
tyrannisiere euch, und hängt den Namen Despoten den- 
jenigen an, die von euch vergewaltigt werden. Wer 
mag solch heuchlerische Reden anhören, wenn die 
Thaten das gerade Gegenteil davon beweisen? Da fehlt 
ja nur noch, dass ihr sagt, die Idumäer schlössen euch 
von der Hauptstadt aus, während ihr ihnen die Heilig- 


Go gle 



Viertes Buch, 4. Kapitel. 


415 


tümer der Väter verwehrt. Das allein könnte man mit 
Recht den im Tempel Belagerten vorwerfen, dass sie, da 
sie einmal den Mut fanden, die Verräter zu bestrafen, 
welche ihr, deren Mitverschworene, ausgezeichnete und 
unbescholtene Männer nennt, nicht gleich mit euch den 
Anfang gemacht und damit dem Verrat das Haupt ab- 
geschlagen haben. Aber wenn auch sie weichherziger 
waren, als sie hätten sein sollen : wir Idumäer werden 
das Haus Gottes beschützen , uns im Kampfe für das 
gemeinsame Vaterland an die Spitze stellen und gleich- 
zeitig die von aussen anrückenden Feinde wie die Ver- 
räter da drinnen ab wehren. Hier vor den Mauern 
werden wir unter den Waffen bleiben, bis entweder die 
Römer eurer Anträge überdrüssig werden, oder ihr zur 
Sache der Freiheit euch bekehrt.“ 

5. Diesen Worten schrie der ganze Haufe der Idu- 
mäer Beifall zu. Jesus aber zog 6ich traurig zurück ; 
denn er sah , dass die Idumäer nichts gutes im Sinne 
hatten, und dass die Stadt nun von zwei Seiten bedrängt 
war. Auch den Idumäern war übrigens nicht ganz wohl 
zu Mut. Anfangs nämlich hatten sie sich gewaltig über 
die Schmach entrüstet, die man ihnen durch Aus- 
schliessung von der Stadt angethan, und die Partei der 
Zeloten für sehr mächtig gehalten ; als sie aber merkten, 
dass diese sich nicht im mindesten zu ihrer Unter- 
stützung regten, fingen sie an unschlüssig zu werden, 
und viele von ihnen bereuten schon, dass sie überhaupt 
gekommen waren. Die Scham jedoch , unverrichteter 
Sache abziehen zu müssen, erwies sich stärker als die 
Reue, und so blieben sie denn an Ort und Stelle vor 
der Mauer, so unbehaglich ihre Lage auch sein mochte. 
In der Nacht nämlich brach ein schreckliches Unwetter 
los : heftiger Sturm , gewaltige Regengüsse , unablässiges 
Blitzen mit furchtbaren Donnerschlägen und unheim- 
liches Gebrüll der erschütterten Erde. Augenscheinlich 
war die Weltordnung zum Verderben der Menschen in 
Verwirrung geraten , und man musste darin die Vor- 
zeichen eines schweren Unglücks erkennen. 


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41 6 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

6. Die Idumäer sowohl wie die in der Stadt be- 
kamen von diesen Naturereignissen den gleichen Ein- 
druck: die ersteren den, dass Gott über ihren Feldzug 
zürne und ihr bewaffnetes Vorgehen gegen die Haüpt- 
stadt nicht ungestraft lassen wolle, Ananus und seine 
Leute dagegen, dass ihnen der Sieg schon ohne Schlacht 
in die Hand gegeben sei, weil Gott für sie streite. Beide 
indes waren schlechte Propheten: sie weissagten den 
Feinden, was ihnen selbst widerfahren sollte. Die Idu- 
mäer nämlich schlossen sich dicht aneinander, um sich 
gegenseitig zu erwärmen , und bewirkten durch Zu- 
sammenfügen der Schilde über ihren Köpfen , dass sie 
von den Regengüssen weniger zu leiden hatten; die Ze- 
loten aber, durch die ihren Bundesgenossen drohende 
Gefahr noch mehr als durch die eigene geängstigt, traten 
zusammen und überlegten , ob sie ihnen nicht irgendwie 
Hilfe leisten könnten. Die Heissblütigeren meinten, 
man solle mit Waffengewalt sich der Wachen bemäch- 
tigen , alsdann mitten in die Stadt eindringen und den 
Idumäern ohne weiteres die Thore öffnen; denn die 
Wachen würden wohl über den unvermuteten Angriff in 
Bestürzung geraten und davonlaufen, zumal die meisten 
schlecht bewaffnet und ohne Kriegserfahrung seien, und 
was die übrigen Bewohner der Stadt angehe, so würden 
sie, vom Unwetter in die Häuser getrieben, schwer zu- 
sammenzubringen sein. Aber wenn auch das Unter- 
nehmen mit Gefahr verknüpft sei, müssten sie sich doch eher 
allen erdenklichen Unbilden aussetzen, als dass sie so viele 
Menschen um ihretwillen elend umkommen liessen. Die 
Besonneneren dagegen rieten von Gewalt ab, da sie nicht 
nur die Abteilung, die sie beobachtete, verstärkt, sondern 
auch die Stadtmauer wegen der Idumäer sorgfältig be- 
wacht sahen; auch glaubten sie, Ananus sei überall zu- 
gegen und mache stündlich die Runde bei den Posten. 
Das war auch wirklich in den früheren Nächten der 
Fall gewesen, gerade in jener Nacht aber unterlassen 
worden, nicht infolge der Sorglosigkeit des Ananus, 
sondern weil schon jetzt das Verhängnis in Wirksamkeit 


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Viertes Buch, 4. Kapitel. 


417 


trat, das seinen und der zahlreichen Wachmannschaft 
Untergang beschlossen hatte. Denn das Verhängnis 
war es offenbar, das, als die Nacht vorrückte und der 
Sturm immer heftiger tobte, die Wächter auf der Halle 
in Schlaf versenkte, den Zeloten hingegen den Gedanken 
eingab, mit den im Heiligtum befindlichen Sägen die 
Querbalken der Thore zu durchsägen. Dass das Ge- 
räusch nicht gehört wurde, dazu half das Heulen des 
Sturmes und das anhaltende Rollen des Donners. 

7. Unbemerkt schlichen sich also die Zeloten aus 
dem Tempel und öffneten, als sie bei der Mauer an- 
gelangt waren, mit Hilfe der erwähnten Sägen das den 
Idumäern zunächst gelegene Thor. Diese gerieten an- 
fänglich in Schrecken, da sie sich von den Leuten des 
Ananus angegriffen glaubten, und schnell hatte jeder zu 
seiner Verteidigung die Hand am Schwerte; bald jedoch 
erkannten sie die Erschienenen und gingen mit ihnen 
hinein. Hätten sie sich nun sogleich auf die Stadt ge- 
worfen, so würden sie wohl, ohne auf Widerstand zu 
stossen, das ganze Volk bis auf den letzten Mann 
niedergemacht haben — so gross war ihre Erbitterung. 
Indes hatten sie zunächst nichts eiligeres zu thun, als 
die Zeloten von der Belagerung zu befreien, zumal auch 
die, welche sie eingelassen hatten, inständig baten, sie 
möchten doch diejenigen, um deretwillen sie gekommen, 
nicht in ihrer bedrängten Lage belassen und keine 
grössere Gefahr über sie herauf beschwören. Denn wenn 
nur erst die Wachmannschaften überwältigt seien, werde 
es ihnen nicht schwer fallen, auf die Stadt loszugehen; 
hätten sie aber die letztere einmal in Alarm versetzt, so 
könnten sie nicht mehr daran denken, die Besatzung zu 
bemeistern, da die Bürger, sobald sie den Stand der 
Dinge merkten, sich in Schlachtordnung aufstellen und 
die Zugänge zur Höhe 1 verrammeln würden. 

1 D. i. zum Tempel. 


JosephuR, Jüdischer Krieg. 


27 



418 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Fünftes Kapitel. 

Die vereinigten Idumäer und Zeloten richten ein schreckliches 
Blutbad an. Abzug der ersteren. 

1. Das leuchtete den Idumäern ein, und bo eilten sie 
denn durch die Stadt dem Tempel zu, wo die Zeloten 
ihrer Ankunft mit gespannter Erwartung entgegensahen. 
Kaum waren sie oben angelangt, als die Belagerten er- 
mutigt aus dem inneren Tempel herausgingen, sich unter 
die Idumäer mischten und die Wachen angriffen. Einige 
der letzteren, die ganz vorn lagen, machten sie im 
Schlafe nieder; auf das Geschrei der Erwachten aber 
sprang die ganze Abteilung auf und griff bestürzt zu 
den Waffen, um sich zu wehren. So lange sie sich nun 
von den Zeloten allein angegriffen wähnten , fassten sie 
Mut in dem Gedanken, durch ihre Überzahl die Gegner 
bewältigen zu können; wie sie aber noch andere von 
aussen hereinströmen sahen, ward es ihnen klar, dass 
die Idumäer in die Stadt eingefallen seien. Alsbald warf 
jetzt der grössere Teil mit dem Mut auch die Waffen 
weg und verlegte sich aufs Jammern, und nur wenige 
von den jüngeren Leuten scharten sich dicht zusammen, 
warfen sich den Idumäern mit grosser Tapferkeit ent- 
gegen und schützten längere Zeit die unthätige Menge. 
Die letztere machte durch ihr Geschrei die übrigen 
Stadtbewohner auf das Unglück aufmerksam; aber auch 
von diesen wagte, als der Einfall der Idumäer bekannt 
wurde, niemand den anderen zu Hilfe zu eilen, sondern 
es ward nur deren Wehgeschrei in verstärktem Masse 
erwidert und namentlich von den Weibern ein lautes 
Geheul angestimmt, während die Wächter droben Mann 
für Mann in Lebensgefahr schwebten. Die Zeloten hin- 
gegen vereinigten ihren jubelnden Schlachtruf mit dem 
der Idumäer, und das Toben der Elemente machte dieses 
allgemeine Geschrei nur noch grausiger. Die Idumäer 
ihrerseits verschonten niemand , sondern grausam von 
Natur, wie sie waren, und erbittert darüber, dass das 



Viertes Buch, 5. Kapitel. 


419 


Unwetter sie so hart mitgenommen, Hessen sie ohne Er- 
barmen das Schwert gegen diejenigen wüten, die sie aus- 
geschlossen hatten, und zwar nicht minder gegen die, 
welche um Gnade baten, als gegen solche, die sich zur 
Wehr setzten. Vielen auch rannten sie die Waffe in 
den Leib, obwohl dieselben sie an ihre Stammverwandt- 
schaft erinnerten und sie anflehten, doch das gemeinsame 
Heiligtum scheuen zu wollen. Kein Ausweg zur Flucht 
zeigte sich den Unglücklichen, keine Hoffnung auf 
Rettung: in dichte Haufen zusammengedrängt, erlagen 
sie dem Schwert ihrer Gegner , und als diese in ihrer 
Mordlust ihnen immer mehr zusetzten und sie zuletzt an 
Stellen jagten, wo sie überhaupt nicht mehr weiter 
konnten, stürzten sie sich aus Verzweiflung in die Stadt 
hinab und starben auf diese Weise freiwillig eines, wie 
mir scheint, noch jammervolleren Todes als der war, dem 
sie entflohen. Den ganzen äusseren Tempelraum durch- 
flossen Ströme von Blut, und als der Tag anbrach, zählte 
man achttausendfünfhundert Tote. 

2. Noch aber war die Wut der Idumäer nicht ge- 
sättigt, sondern sie wandten sich jetzt gegen die Stadt, 
raubten sämtliche Häuser aus und stiessen nieder, was 
ihnen in die Quere kam. Doch bald dünkte es ihnen 
Zeitverlust, sich mit dem gemeinen Volk weiter herum- 
zuschlagen; vielmehr suchten sie die Hohepriester auf- 
zuspüren, und da sie in grossen Massen auf dieselben 
Jagd machten, waren sie binnen kurzem ihrer habhaft 
und brachten sie sogleich ums Leben. Einige stellten 
sich nun auf die Leichen und höhnten bald über die 
wohlwollende Gesinnung des Ananus gegen das Volk, 
bald über die Rede, die Jesus von der Mauer herab ge- 
halten hatte. Ja, sie trieben ihren Frevelmut so weit, 
dass sie die entseelten Körper unbeerdigt beiseite warfen, 
während doch die Juden für das Begräbnis ihrer Toten 
so ängstlich besorgt sind, dass sie selbst die Leichen der 
zum Kreuzestod Verurteilten vor Sonnenuntergang ab- 
nehmen und bestatten. 1 Ich irre wohl nicht, wenn ich 

1 Vergl. 5. Mos. 21, 22 f. 


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420 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sage: mit dem Tode des Ananus bereits nahm der Unter- 
gang der Stadt seinen Anfang, und von dem Tage an, 
da die Juden ihren Hohepriester, den Mann, der ihnen 
den Weg zur Rettung gewiesen, mitten in der Stadt hin- 
schlachten sahen, war schon ihre Mauer zerstört, ihre 
Sache verloren. Denn Ananus war nicht nur ein ehr- 
würdiger und höchst rechtschaffener Mann, sondern liebte 
es auch trotz der hohen Stellung, die ihm seine Geburt, 
sein Amt und seine Würde verliehen, selbst mit den 
niedrigsten Leuten auf gleichem Fusse zu verkehren ; 
zudem war er in hohem Grade freiheitliebend und ein 
Verehrer der Volksherrschaft. Stets setzte er seinen 
eigenen Vorteil dem gemeinen Wohle nach; den Frieden 
aber schätzte er über alles, da er die Unüberwindlich- 
keit der Römer kannte und voraussah, dass die Juden, 
wenn sie sich nicht vernünftigerweise mit ihnen aus- 
söhnten, im Kriege unbedingt ihren Untergang finden 
müssten. Wäre nun Ananus am Leben geblieben, so 
würde eine solche Aussöhnung sicherlich zustande ge- 
kommen sein; denn als mächtiger Redner wusste er auf 
das Volk einzuwirken, und wenn er auch noch über 
diejenigen Meister geworden wäre, die ihm im Wege 
standen oder zum Kriege drängten, so hätten die Juden 
unter einem solchen Führer den Römern wohl noch viel 
zu schaffen gemacht. Aufs engste mit ihm verbunden 
war Jesus, der zwar ihm nicht gleichkam, jedoch die 
anderen an Bedeutung überragte. Gott aber hatte, wie 
mir scheint, den Untergang der entweihten Stadt be- 
schlossen, und da er das Heiligtum durch Feuer reinigen 
wollte, nahm er diejenigen von der Erde hinweg, die 
sich desselben noch ann ahmen und es liebten. So sah 
man denn die Männer, die kurz zuvor noch, mit dem 
heiligen Gewand bekleidet, an der Spitze des in alle 
Himmelsgegenden verbreiteten Gottesdienstes gestanden 
hatten und von den aus der ganzen Welt nach Jeru- 
salem strömenden Pilgern ehrfurchtsvoll begrüsst worden 
waren, jetzt nackt den Hunden und wilden Tieren zum 
Frasse hingeworfen. Die Tugend selbst, glaube ich, be- 


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Viertes Buch, 5. Kapitel. 


421 


seufzte das Schicksal dieser Edlen und weklagte darüber, 
dass sie im Kampfe mit der Bosheit so schmählich unter- 
liegen mussten. Ein solch trauriges Ende nahmen die 
Hohepriester Ananus und Jesus. 

3. Kaum waren sie tot, als die Zeloten in Gemein- 
schaft mit den Scharen der Idumäer über das Volk wie 
über eine Herde unreiner Tiere herfielen und ihrer Mord- 
lust freien Lauf Hessen. Der gemeine Mann wurde, wo 
man seiner nur habhaft werden konnte, niedergehauen ; 
die Vornehmen dagegen und die jüngeren Leute nahm 
man gefangen, fesselte sie und kerkerte sie ein in der 
Hoffnung, es möchten manche von ihnen, wenn die Hin- 
richtung aufgeschoben würde, übertreten. Keiner aber 
hörte auf die Anerbietungen der Gegner, und alle wollten 
lieber sterben als zum Schaden des Vaterlandes die 
Partei der Frevler ergreifen. Schrecklich waren die 
Martern, die sie für ihre Weigerung auszustehen hatten: 
man geisselte und folterte sie, und erst wenn ihr Körper 
die Qualen nicht mehr ertragen konnte, ward ihnen 
zögernd der Gnadenstoss zuteil. Wer tagüber in Ge- 
fangenschaft geriet, wurde nachts hingerichtet; die 
Leichen trug man hinaus und warf sie aufs freie Feld, 
um Platz für neue Gefangene zu gewinnen. Des Volkes 
aber bemächtigte sich ein solches Entsetzen, dass nie- 
mand einen ermordeten Verwandten offen zu beweinen 
oder zu bestatten wagte, sondern nur insgeheim, hinter 
verschlossenen Thüren rannen die Thränen , und wenn 
jemand einen Seufzer ausstossen wollte, sah er sich zuvor 
ängstlich um, ob ihn auch kein Feind höre: denn gar 
bald hätte der Trauernde das Schicksal des Betrauerten 
geteilt. Kam die Nacht heran, so nahm man ein wenig 
Erde und warf sie auf die Leichen ; wer es am hellen 
Tage that, musste für tollkühn gelten. Zwölftausend 
der edelsten jungen Leute fanden auf diese Weise 
den Tod. 

4. Übersättigt vom unablässigen Morden, spielten die 
Zeloten nun auch noch mit Gerichtssitzung und Urteils- 
spruch Komödie, und zwar ersahen sie sich als Opfer 


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422 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


einen der vornehmsten Männer, Zacharias, den Sohn des 
Baruch. Infolge seines Hasses gegen alles Schlechte und 
seiner besonders grossen Liebe zur Freiheit war er ihnen 
ein Dorn im Auge; dabei war er reich, und so eröffnete 
sich ihnen, wenn sie den Mann, der durch seinen Ein- 
fluss ihren Sturz herbeizuführen vermochte, aus dem 
Wege räumten, zugleich die angenehme Aussicht, sich 
seines Vermögens bemächtigen zu können. Sie beriefen 
also durch förmlichen Beschluss siebzig in Amt und 
Würden stehende Bürger als machtloses Scheingericht 
und klagten den Zacharias an, dass er die Stadt an die 
Römer habe verraten wollen und in dieser Absicht mit 
Vespasianus in Verbindung getreten sei. Die Anklage 
war übrigens weder durch Zeugenaussagen noch durch 
sonstige Beweise gestützt, sondern sie erklärten bloss, sie 
seien völlig davon überzeugt, und meinten nun, das ge- 
nüge, um die Wahrheit der Beschuldigungen darzuthun. 
Als Zacharias sah, dass man ihn hinterlistigerweise nicht 
sowohl vor Gericht gestellt als vielmehr in einen Kerker 
gelockt habe und er rettungslos verloren sei, wollte er 
sein Leben nicht hergeben, ohne wenigstens frei von der 
Leber weg gesprochen zu haben. Er erhob sich also, 
spöttelte über die Zuversicht, mit der man die Anklage 
ins Werk gesetzt, und widerlegte kurz die gegen ihn 
vorgebrachten Beschuldigungen. Sodann aber richtete 
er das Wort an seine Ankläger, hielt ihnen ihr ganzes 
Sündenregister vor und erging sich in bitteren Weh- 
klagen über die im Staatswesen herrschende Zerfahren- 
heit. Die Zeloten fielen ihm lärmend in die Rede, 
griffen aber nicht zum Schwert, sondern hielten noch 
an sich, einmal um die lächerliche Gerichtskomödie zu 
Ende zu spielen, und dann auch um die Richter auf die 
Probe zu stellen, ob sie trotz der ihnen selbst drohenden 
Gefahr das Recht nicht ausser acht lassen würden. Und 
in der That, die Siebzig erklärten den Angeklagten für 
nichtschuldig, bereit, lieber mit ihm zu sterben, als die 
Verantwortung für seinen Tod auf sich zu nehmen. 
Die Zeloten aber erhoben über die Freisprechung ein 


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Viertes Buch, 5. Kapitel. 


423 


gewaltiges Geschrei und machten aus ihrem Zorn gegen 
die Richter kein Hehl, weil diese nicht hatten verstehen 
wollen, dass es mit der ihnen eingeräumten Befugnis 
nicht so ernst gemeint war. Schliesslich fielen zwei der 
Frechsten über Zacharias her, stiessen ihn mitten im 
Tempel nieder und verhöhnten ihn noch, als er zu Boden 
sank, mit den Worten : „Da hast du auch unsere Stimme, 
auf dass die Freisprechung um so mehr gelte!“ Als- 
dann warfen sie ihn sogleich aus dem Tempel in die 
unter demselben befindliche Schlucht. Die Richter aber 
trieben sie mit flachen Schwerthieben aus der Tempel- 
umfriedigung hinaus und nahmen nur deshalb von ihrer 
Ermordung Abstand, damit sie sich in der Stadt zer- 
streuen und überall die Nachricht von der Knechtung 
des Volkes verbreiten könnten. 

5. Nun aber begannen die Idumäer zu bereuen, dass 
sie sich hatten herbeirufen lassen ; denn solche Vorgänge 
widerten sie an. Überdies kam auch noch insgeheim 
einer der Zeloten zu ihnen, versammelte sie und stellte 
ihnen vor, was sie schon alles für Frevelthaten im Ver- 
ein mit denen, die sie gerufen, verübt hätten; alsdann 
legte er ihnen eingehend den Zustand der Hauptstadt 
dar. Sie hätten, führte er aus, zu den Waffen gegriffen 
in der Meinung, die Hohepriester wollten die Hauptstadt 
an die Römer verraten, hätten jedoch keinen Beweis da- \ 
für gefunden und müssten nun die Beschützer derjenigen 
spielen, welche das Märchen vom Verrat aufgetischt 
hätten und jetzt wie Feinde und Tyrannen sich benähmen. 
Gleich von Anfang an hätten sie dies verhindern müssen ; 
da sie aber einmal die Mitschuld an der Ermordung 
ihrer Stammesgenossen auf sich geladen hätten, sollten 
sie sich wenigstens entschlossen, ihren Freveln ein Ende 
zu machen, und nicht dableiben, um die Macht derer zu 
verstärken, die ihr eigenes Vaterland ins Verderben 
stürzten. Wenn auch einige von ihnen noch immer 
darüber ergrimmt seien, dass man ihnen die Thore ver- 
schlossen und den Einzug verwehrt habe, so müssten sie 
doch zugeben, dass die Schuldigen ihre Strafe erlitten 



424 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

hätten; denn Ananus habe sein Leben gelassen, und in 
einer einzigen Nacht sei fast das ganze Volk aufgerieben 
worden. Vielen ihrer eigenen Leute sei dies, wie er wohl 
merke, durchaus nicht nach dem Sinn; anderseits könne 
er sich nicht verhehlen, dass die Grausamkeit derer, die 
sie gerufen, alles Mass überschreite, da sie sich nicht 
einmal vor denen mehr scheuten, denen sie ihre Rettung 
zu danken hätten. Wagten sie doch vor den Augen 
ihrer Bundesgenossen die grössten Schandthaten zu be- 
gehen, und natürlich bleibe die Verantwortung dafür so 
lange auf den Idumäern sitzen, als niemand sie hindere 
und sich von ihrem Treiben lossage. Weil nun die 
Verräterei sich als Verleumdung herausgestellt habe, ein 
baldiges Eintreffen der Römer aber nicht zu erwarten 
und die Stadt von einer schwer bezwingbaren Macht 
geschützt sei, so möchten sie nach Hause zurückkehren 
und alles das, was sie in Gemeinschaft mit jenen Un- 
holden und auf deren Vorspiegelungen hin Übles gethan, 
dadurch wieder gut zu machen suchen, dass sie für die 
Folge nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben wollten. 


Sechstes Kapitel. 

Die Schreckensherrschaft der Zeloten. Vespasianus dämpft 
die Angriffslust seiner Soldaten. 

1. Diesen Vorstellungen gaben die Idumäer nach 
und befreiten zunächst die eingekerkerten Bürger, etwa 
zweitausend an der Zahl, welche sogleich der Stadt den 
Rücken kehrten und sich zu Simon begaben, von dem 
weiter unten die Rede sein wird; hierauf verliessen sie 
Jerusalem und zogen heim. Ihr Abzug kam beiden 
Parteien unerwartet. Das Volk, das von ihrer Sinnes- 
änderung keine Kenntnis hatte, fasste für kurze Zeit 
wieder Mut, da es seine Feinde völlig los zu sein glaubte ; 
anderseits schwoll aber auch den Zeloten der Kamm, 
weil sie sich nicht sowohl von Bundesgenossen verlassen, als 



Viertes Buch, 6. Kapitel. 


425 


vielmehr von Leuten befreit fühlten, denen ihre Schand- 
thaten missfielen und die sie davon abzubringen suchten. 
Jetzt kannte ihre Bosheit kein Zögern und keine Be- 
denklichkeit mehr, sondern mit Blitzesschnelle fassten 
sie ihre Pläne und setzten sie fast noch rascher ins 
Werk. Am meisten richtete sich ihr Blutdurst gegen 
tapfere und edle Männer: die letzteren suchten sie aus 
Neid zu verderben, die ersteren aus Furcht; denn erst 
dann hielten sie sich für sicher, wenn alle einflussreichen 
Bürger aus dem Wege geräumt waren. Ausser vielen 
anderen ward so auch ein gewisser Gorion umgebracht, 
ein Mann von hohem Ansehen und edler Abkunft, der 
der Volksherrschaft besonders zugethan und von einem 
Unabhängigkeitssinn wie nur irgend ein Jude durch- 
drungen war. Von seinen vorzüglichen Eigenschaften 
war es namentlich seine Freimütigkeit im Reden, die 
ihn zu Fall brachte. Ja, nicht einmal der Peraite Niger, 
der sich in den Kämpfen mit den Römern so sehr her- 
vorgethan hatte , 1 entging den Mörderhänden der Zeloten : 
laut rufend und seine Narben zeigend ward er mitten 
durch die Stadt geschleppt. Als man ihn zum Thor 
hinausgeführt hatte und er seinen Tod vor Augen sah, 
bat er, man möge ihm doch wenigstens ein Begräbnis 
zuteil werden lassen; seine Henker aber erklärten ihm 
drohend, bevor sie die Hinrichtung vollzogen, sie würden 
ihm die Erde, nach der er so sehr verlange, nicht ver- 
gönnen. Sterbend rief Niger die Rache der Römer, Pest, 
Hunger und Krieg auf sie herab und wünschte ihnen 
obendrein noch, dass sie einer durch des anderen Schwert 
verbluten möchten. Das alles hat Gott an den Frevlern 
erfüllt und seine Gerechtigkeit besonders dadurch offen- 
bart, dass sie schon bald nachher untereinander in Zwist 
gerieten und ihren Wahnsinn gegenseitig zu kosten be- 
kamen. Nigers Tod benahm ihnen übrigens jede Sorge 
bezüglich ihres eigenen Sturzes, und bereits gab es nie- 
mand mehr im Volke, für dessen Tötung man nicht 


1 S. II, 19, 2 ; III, 2, 1 ff. 


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426 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


irgend einen Vorwand ersonnen hätte. Denjenigen aus 
der Bürgerschaft, die sich mannhaft gegen die Zeloten 
zur Wehr gesetzt hatten, war ja schon lange der Garaus 
gemacht; wollte man nun auch die Ruhigen und Fried- 
liebenden hinwegräumen, so musste man Beschuldigungen 
Vorbringen, wie sie sich gerade als zweckdienlich erwiesen. 
So ward denn der eine, der sich überhaupt nicht an sie 
anschloss, als hochmütig, der andere, der sich ihnen mit 
einem gewissen Selbstbewusstsein näherte, als Verächter, 
wer ihnen aber völlig zu Willen war, als Verräter ver- 
dächtigt. Für die grössten wie für die unbedeutendsten 
Vergehen gab es nur eine Strafe: den Tod, und nur 
wer den niedrigsten Volksschichten angehörte, 6ei es 
weil er unedel geboren, sei es weil er arm war, konnte 
auf Schonung rechnen. 

2. Sämtliche Heerführer der Römer hielten die Zwie- 
tracht der Feinde für ein unverhofftes Glück und wollten 
daher unverzüglich gegen die Stadt aufbrechen. In 
diesem Sinne drangen sie auch in Vespasianus, für den, 
wie sie glaubten, jetzt alles gewonnen war. Die gött- 
liche Vorsehung, njeinten sie, werde mit ihnen streiten, 
indem sie die Feinde gegeneinander das Schwert ziehen 
lasse; jedoch heisse es rasch handeln, denn die Juden 
würden entweder aus Überdruss am Bürgerkrieg oder 
aus Reue wohl bald wieder einig werden. Vespasianus 
aber entgegnete ihnen, sie zeigten kein sonderliches Ver- 
ständnis für das jetzt einzuhaltende Verfahren, wenn sie 
trotz der damit verbundenen Gefahr wie im Theater 
ihre Ausrüstung und Geschicklichkeit zur Schau stellen 
wollten , anstatt nur darauf ihr Augenmerk zu richten, 
was vorteilhaft und gefahrlos zugleich sei. Denn wenn 
sie jetzt sogleich auf die Stadt losgingen, würden sie 
gerade dadurch bewirken, dass die Feinde sich mitein- 
ander aussöhnten und ihre noch ungebrochene Kraft 
gegen die Römer kehrten. Warteten sie aber noch zu, 
so würden sie es nach und nach mit einer immer kleineren 
Anzahl von Feinden zu thun haben, da der innere 
Hader dieselben aufreibe. Ein weit besserer Anführer 



Viertes Bach, 6. Kapitel. 


427 


als er, Vespasianus, sei Gott, der dem Römerheer ohne 
Anstrengung von seiner Seite die Juden in die Hände 
geben und einen gefahrlosen Sieg verschaffen wolle. 
Während nun die Feinde durch ihre eigne Hand um- 
kämen und am ärgsten Übel, dem Bürgerkrieg, litten, 
zögen sie selbst, die Römer, es doch vor, diesen Wirren 
ruhig zuzuschauen, anstatt mit Menschen, die den Tod 
suchten und im Wahnsinn gegeneinander wüteten, sich 
in einen Kampf einzulassen. Sei aber jemand der An- 
sicht, ein Sieg ohne Kampf habe gar zu wenig Be- 
deutung, so solle er sich belehren lassen, dass es nütz- 
licher sei, seinen Zweck in Ruhe zu erreichen, als das 
gefährliche Waffenglück zu versuchen. Denn mindestens 
ebenso viel Ruhm wie glänzende Waffen thaten bringe es, 
wenn man durch Selbstbeherrschung und Überlegung 
den Erfolg derselben erziele. In dem nämlichen Masse, 
wie die Feinde sich schwächten, werde däs Römerheer 
von seinen beständigen Strapazen sich erholen und an 
Kraft zunehmen. Ohnedem sei es ja jetzt nicht an der 
Zeit, sich auf einen glänzenden Sieg gefasst zu machen. 
Denn die Juden seien augenblicklich weder mit An- 
fertigung von Kriegsmaterial noch mit Errichtung von 
Festungswerken und Werbung von Hilfstruppen be- 
schäftigt, und es sei somit ausgeschlossen, dass der Auf- 
schub zum Nachteil derer ausschlage, die ihn veran- 
lassten; vielmehr hätten die Gegner unter der Geissei 
des Bürgerkrieges und innerer Zwietracht täglich viel 
Schlimmeres auszustehen, als die Römer ihnen durch 
siegreiche Angriffe zufügen könnten. Schon die Rück- 
sicht auf ihre Sicherheit verlange daher, dass man 
die, welche sich selbst aufzureiben im Begriffe 
ständen , ruhig dabei belasse ; dann aber dürfe man 
auch den Ruhm des Sieges nicht dadurch schmälern, 
dass man ein innerlich zerrüttetes Volk an greife. 
Denn mit gutem Grund könne in diesem Falle den 
Römern der Vorwurf gemacht werden, sie verdankten 
ihren Sieg nicht sich selbst, sondern der Uneinigkeit 
der Feinde. 


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428 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


3. Alle Offiziere gaben ihre Zustimmung zu diesen 
Worten kund, und gar bald zeigte es sich auch, wie 
richtig des Vespasianus Feldherrn blick gesehen hatte. 
Tag für Tag nämlich kamen nun bei den Römern eine 
Menge Überläufer an , die den Zeloten entwischt waren. 
Freilich war die Flucht ihnen nicht leicht geworden, da 
die letzteren alle Ausgänge mit Wachen besetzt hatten, 
welche jeden, der sich in irgend einer Weise als Über- 
läufer verdächtig machte, ums Leben brachten. Doch 
wer Geld gab, wurde durchgelassen, und nur wer dies 
nicht that, war ein Verräter. So kam es, dass lediglich 
die Armen niedergemetzelt wurden, während die Reichen 
sich die Flucht erkauften. Alsbald lagen nun überall 
auf den Landstrassen Haufen von Leichen aufgetürmt, 
sodass viele, die ihr Heil in der Flucht hatten suchen 
wollen, lieber wieder den Untergang in der Stadt 
wählten, weil* die Hoffnung auf ein Begräbnis den Tod 
in der Vaterstadt weniger schrecklich erscheinen liess. 
Die Zeloten aber trieben die Unmenschlichkeit so weit, 
dass sie weder den in der Stadt noch den auf den Land- 
strassen Gefallenen ein Begräbnis vergönnten; vielmehr 
Hessen sie, als hätten sie sich verschworen, zugleich mit 
den Gesetzen des Vaterlandes auch die der Natur zu- 
nichte zu machen und zu ihren Freveln gegen die 
Menschen hin auch noch die Gottheit zu entweihen, die 
Leichen an der Sonne verfaulen. Wer einen seiner An- 
gehörigen bestattete , ward wie ein Überläufer mit dem 
Tode bestraft, und es musste gleich selbst das Begräbnis 
entbehren, wer es einem anderen zuteil werden lassen 
wollte. Kurz, keines der besseren Gefühle war in jenen 
Unglückstagen so gänzlich vernichtet, wie das Mitleid. 
Was Erbarmen hätte wecken sollen, diente jetzt nur 
dazu, die Ruchlosen zu erbittern; von den Lebenden 
ging ihr Grimm auf die Gemordeten , von den Toten 
wieder auf die Lebenden über; wer bei der unsäglich 
angstvollen Lage noch übrig blieb, pries die Umge- 
kommenen selig, weil sie Ruhe gefunden, und wer im 
Gefängnis den Folterqualen ausgesetzt war, schätzte im 



Viertes Buch, 7- Kapitel. 


429 


Vergleich mit seinem Elend sogar diejenigen glücklich, 
die unbegraben umherlagen. Alle menschlichen Rechte 
wurden von den Schandbuben mit Füssen getreten, die 
göttlichen verhöhnt, die Sprüche der Propheten als be- 
trügerisches Geschwätz verlacht. Denn gar vieles hatten 
die letzteren von Tugend und Laster vorhergesagt, und 
indem die Zeloten sich darüber hinwegsetzten, führten 
sie auch die den Untergang ihres Vaterlandes betreffenden 
Prophezeiungen jener Seher der Erfüllung entgegen. Es 
gab ja alte Aussprüche gottbegeisterter Männer, dass die 
Stadt dann dem Feinde verfallen und das Allerheiligste 
nach Kriegsbrauch in Flammen aufgehen werde, wenn 
einmal Aufruhr ausbreche und Bürgerhände den gott- 
geweihten Raum befleckten. 1 Obwohl die Zeloten diesen 
Weissagungen gegenüber nicht gerade ungläubig sich 
verhielten, trugen sie doch selbst zu deren Erfüllung das 
ihrige bei. 


Siebentes Kapitel. 

Tyrannei des Joannes. Greuelthaten in der Umgebung 
von Masada. Vespasianus erobert Gadara. 

1. Wir müssen jetzt auf Joannes zurückkommen, 2 der, 
wie schon erwähnt, ein merkliches Gelüst, den Tyrannen 
zu spielen, bekundete. Er hielt es unter seiner Würde, 
nur derselben Ehre wie seine Genossen teilhaftig zu 
werden, zog daher bei verschiedenen Gelegenheiten einige 
der Schlechtesten an sich und machte sich so allmählich 
von seiner Partei unabhängig. Da er nun den Be- 
schlüssen der anderen stets den Gehorsam versagte, 
seine eigenen aber in herrischem Ton als Befehle hin- 
stellte, konnte es keinem Zweifel mehr unterliegen, dass 


1 S. Micha 3, 9—12; Ezech. 24, 9—13. Vielleicht auch hat Jo- 
seph us hier ungeschriebene, im Munde des Volkes fortlebende Weis- 
sagungen im Sinn. 

2 S. 3, 1 f. 


Go gle 


UNIVERSITY OF CALffÖRNIA 



430 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


er nach Alleinherrschaft strebte. Einige fügten sich ihm 
aus Furcht, andere aus Ergebenheit — er verstand es 
nämlich meisterlich, sich durch List und Trug einen 
Anhang zu verschaflen — , manche auch, weil sie es im 
Interesse ihrer eigenen Sicherheit für zweckmässig hielten, 
dass die Verantwortlichkeit für die bisherigen Frevel- 
thaten statt von vielen von einem einzigen Manne ge- 
tragen würde. Überdies führte die Entschlossenheit, die 
er sowohl im Handeln wie im Überlegen zeigte, ihm 
noch eine Menge weiterer Spiessgesellen zu. Immerhin 
aber blieb auch eine erkleckliche Anzahl Gegner übrig, 
die sich zum kleineren Teil von Missgunst leiten Hessen, 
da sie es für drückend hielten, sich einem Manne unter- 
zuordnen, dem sie bisher gleichgestanden hatten; bei 
den meisten jedoch war es Scheu vor der Herrschaft 
eines Einzigen, was sie ihm abgeneigt machte. Sie 
sahen nämlich voraus, dass sie ihn, wenn er einmal die 
Gewalt in Händen hätte, nicht leicht mehr stürzen 
könnten, und dass ihm dann ihre frühere Widersetzlich- 
keit nur als Vorwand für ein strenges Einschreiten gegen 
sie dienen würde; deshalb waren sie fest entschlossen, 
lieber im Kampf gegen ihn alles zu erdulden, als sich 
freiwillig knechten zu lassen und nach Sklavenart unter- 
zugehen. Aus diesen Gründen kam es zu einer Trennung 
von Joannes, der seinerseits wie ein König über seine 
Parteigänger herrschte. Gegeneinander hatten sie überall 
Wachen ausgestellt; doch machten sie von den Waffen 
keinen Gebrauch, und wenn dies je geschah, so blieb es 
bei kleinen Scharmützeln. Um so heftiger aber be- 
kämpften sie das Volk und wetteiferten miteinander, 
welche Partei demselben die grössere Beute abjagen 
könne. So war denn die Stadt jetzt von drei sehr 
schlimmen Übeln heiragesucht, Krieg, Tyrannei und Partei- 
hader, von denen der Krieg dem Volke verhältnismässig 
noch am leichtesten vorkam. Unter diesen Umständen 
konnte es nicht ausbleiben, dass viele Bewohner Jeru- 
salems ihren eigenen Landsleuten entliefen, zu den 
Fremden flohen und bei den Römern ihr Heil suchten, 



Viertes Buch, 7. Kapitel. 


431 


an dem sie unter ihren Volksgenossen verzweifeln 
mussten. 

2. Noch eine vierte Plage übrigens brach zum Ver- 
derben des Volkes herein. Nicht weit von Jerusalem 
lag eine sehr starke Festung mit Namen Masada, die 
von den alten Königen 1 sowohl zur Bergung ihrer Schätze 
in Kriegsgefahren als zu ihrer persönlichen Sicherheit erbaut 
worden war. Sie war in den Händen der sogenannten 
Sikarier, 2 die bisher weiter ins Land gehende Raubzüge 
aus Furcht unterlassen und sich auf Ausplünderung der 
nächsten Umgebung, lediglich zur Beschaffung der not- 
wendigsten Lebensmittel, beschränkt hatten. Jetzt aber, 
da sie erführen, dass die Streitmacht der Römer sich 
nicht rühre und die Juden zu Jerusalem infolge von 
Parteihader und Willkürherrschaft unter sich uneins ge- 
worden seien, verlegten sie sich auf keckere Wagestücke. 
Am Fest der ungesäuerten Brote, welches die Juden zum 
Andenken an ihre Befreiung aus der aegyptischen Knecht- 
schaft und an die Heimkehr in ihr Stammland feiern, 
stiegen sie, unbemerkt von denen, die ihnen hätten 
hindernd in den Weg treten können, bei Nacht aus 
ihrem Schlupfwinkel herab und berannten ein Städtchen 
Namens Engaddi. Den wehrfähigen Teil der Einwohner- 
schaft hatten sie, ehe er auch nur zu den Waffen greifen 
und sich sammeln konnte, alsbald zerstreut und aus der 
Stadt gejagt; die Weiber und Kinder aber, die zur Flucht 
nicht stark genug waren, wurden, über siebenhundert an 
der Zahl, niedergemetzelt. Hierauf plünderten sie die 
Häuser rein aus, raubten die reifen Feldfrüchte und 
kehrten mit ihrer Beute nach Masada zurück. Auf 
gleiche Weise hausten sie in sämtlichen nahe bei der 
Festung gelegenen Dörfern sowie in der ganzen Umgegend, 
und von Tag zu Tag ward ihre Rotte durch bedeutenden 
Zufluss von allen Seiten verstärkt. Auch in den anderen 
Teilen Judaeas , die bisher in dieser Beziehung Ruhe 


1 Nach VII, 8, 3 von dem Makkabäer Jonathas. 
3 S. II, 13, 3. 


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432 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gehabt hatten, regte sich das Räuberunwesen. Ist der 
edelste Teil eines Körpers entzündet, so erkranken zu- 
gleich mit ihm alle übrigen Glieder. Nicht anders war 
es auch hier. Die in der Hauptstadt herrschende Zwie- 
tracht und Zerrüttung liess die Bösewichte auf dem 
Lande bei ihren Räubereien straflos ausgehen; hatten 
sie nun die Dörfer ihrer Landsleute ausgeplündert, so 
zogen sie sich in die Wüste zurück , verbanden sich da- 
selbst durch Eidschwüre, thaten sich zu Scharen zu- 
sammen, die zwar weniger zahlreich als Heerhaufen, 
jedoch stärker als Räuberbanden waren, und fielen dann 
über Heiligtümer und Städte her. Hier und da begab es 
sich wohl, dass sie von den Angegriffenen, wie es im 
Kriege denen zu geschehen pflegt, die unterlegen sind, 
übel zugerichtet wurden; dafür aber kamen sie in anderen 
Fällen der Rache der Gegner zuvor, indem sie nach 
Räuberart mit der Beute sich rasch davonmachten. 
So gab es bald keinen Teil Judaeas mehr, der nicht 
in das Verderben der Hauptstadt mit hineingezogen 
worden wäre. 

3. Von alledem ward Vespasianus durch Überläufer 
in Kenntnis gesetzt. Denn obwohl die Empörer sämt- 
liche Ausgänge bewachten und jeden, der sich aus irgend 
einem Grunde näherte, niederstiessen, gab es doch 
manche, die sich durchschlichen, zu den Römern ent- 
flohen und auf den Feldherrn ein zu wirken suchten, dass 
er der Stadt zu Hilfe eile und die Trümmer des Volkes 
rette, indem sie ihm vorstellten, wie die meisten wegen 
ihrer Anhänglichkeit an die Römer ermordet worden 
seien und die noch Lebenden um derselben Gesinnung 
willen in Todesgefahr schwebten. Aus Mitgefühl mit 
ihren Leiden brach er auch wirklich auf, dem Anschein 
nach, um Jerusalem zu belagern, in der That aber um 
es zu entsetzen. Zuvor jedoch musste er, was noch 
übrig war, bewältigen, um nichts in seinem Rücken zu 
lassen, was ihm bei der Belagerung hinderlich werden 
konnte. Er rückte daher zunächst vor Gadara, die 
wohlbefestigte Hauptstadt von Peraea , und zog am 


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Viertes Bach, 7. Kapitel. 


433 


vierten des Monats Dystros 1 in sie ein. Es hatten 
nämlich die angesehensten Einwohner der Stadt teils 
aus Sehnsucht nach Frieden, teils aus Sorge um ihre 
Habe — Gadara zählte viele reiche Bürger — Gesandte 
in betreff der Übergabe an ihn geschickt, ohne dass die 
Erapörungslustigen etwas davon gemerkt hätten ; letzteren 
kam die Sache vielmehr erst zu Ohren, als Vespasianus 
bereits ganz in der Nähe stand. Sie selbst freilich 
durften nicht hoffen, die Stadt halten zu können, einmal 
weil sie ihren Gegnern in der Stadt an Zahl nicht ge- 
wachsen waren, und dann auch weil sie die Römer schon 
fast vor den Thoren sahen. Sie beschlossen daher, zu 
fliehen. Doch hielten sie es für unrühmlich, dies ohne 
Blutvergiessen zu thun und ohne an den Schuldigen 
Rache genommen zu haben, und so bemächtigten sie sich 
eines gewissen Dolesos, welcher nicht nur infolge seiner 
Stellung und Herkunft der erste Mann der Stadt war, 
sondern auch für den Urheber der Gesandtschaft galt, 
töteten ihn und machten sich, nachdem sie zuvor noch 
ihre Wut an seinem Leichnam ausgelassen hatten, aus 
dem Staube. Als nun das Römerheer anrückte, empfingen 
die Gadarener den Vespasianus mit freudigen Zurufen 
und erhielten von ihm die Zusicherung seines Schutzes 
sowie eine Besatzung von Reiterei und Fussvolk zur 
Abwehr etwaiger Angriffe seitens der Flüchtlinge. Die 
Stadtmauer hatten sie, ohne erst die Aufforderung der 
Römer abzuwarten, niedergerissen, um dadurch, dass eie 
selbst sich jeden Widerstand unmöglich machten, ihre 
Friedensliebe aufs deutlichste zu bekunden. 

4. Zur Verfolgung der Flüchtlinge, die Gadara ver- 
lassen hatten, sandte Vespasianus den Placidus mit 
fünfhundert Reitern und dreitausend Mann zu Fuss ab, 
während er selbst mit dem übrigen Heer nach Caesarea 
zurückkehrte. Als nun die Verfolgten auf einmal der 
ihnen nachsetzenden Reiter ansichtig wurden, drängten 
sie sich, ehe es zum Handgemenge kam, in ein Dorf 


1 Frühjahr 68 n. Chr. 
Josephus, Jüdischer Krieg. 


28 



'434 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Namens Bethennabris zusammen. Hier fanden sie eine 

% 

nicht unbedeutende Anzahl junger Leute, welche sie 
teils mit, teils ohne deren Einwilligung bewaffneten ; als- 
dann machten sie unbesonnenerweise gegen die Truppen 
des Placidus einen Ausfall. Diese wichen beim ersten 
Angriff etwas zurück in der Absicht, ihre Gegner weiter 
von der Mauer wegzuziehen ; kaum aber hatten sie die 
Juden an einen günstigen Ort gelockt, als sie die- 
selben umzingelten und mit Lanzen auf sie eindrangen. 
Denen, welche fliehen wollten, schnitten die Reiter den 
Weg ab, während unter dem kämpfenden Haufen das 
Fussvolk ein gewaltiges Blutbad anrichtete. So rannten 
die Juden in ihr Verderben, ohne etwas mehr als ihre 
Tollkühnheit bewiesen zu haben. Da nämlich die Römer 
dichtgeschlossene Reihen bildeten und hinter ihren 
Rüstungen wie von einer Mauer gedeckt standen, fanden 
die Juden ebenso wenig Gelegenheit, ihre Geschosse an- 
zubringen, als es ihnen gelang, die feindlichen Linien 
zu durchbrechen. Dagegen wurden sie selbst entweder 
von den Römern durchbohrt oder liefen wie wilde 
Tiere in deren Schwerter hinein, und was nicht im Hand- 
gemenge fiel, ward von den Reitern zerstreut und nieder- 
gehauen. 

5. Placidus nämlich war (insbesondere darauf bedacht^ 
ihnen den Rückweg nach dem Dorf abzuschneiden; er 
sprengte daher beständig mit seinen Reitern nach dieser Seite 
hin, liess aber dann plötzlich kehrt machen und die Juden 
mit einem Pfeilregen überschütten, wodurch die näher 
befindlichen dem sicheren Untergang verfielen und die 
entfernteren abgeschreckt wurden. Endlich gelang es 
den Tapfersten doch, sich bis zur Mauer durchzuschlagen. 
Die Wächter aber wussten nun nicht, was sie thun 
sollten. Die Gadarener einfach draussen zu lassen, 
konnten sie um ihrer eigenen Leute willen nicht über 
sich bringen ; anderseits mussten sie , wenn sie ihnen 
Aufnahme gewährten, befürchten, mit ihnen zu Grunde 
zu gehen. Das letztere war denn auch wirklich der 
Fall. Während nun die Masse der Fliehenden sich an 


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Viertes Buch, 7. Kapitel. 


435 


der Mauer staute, wären die römischen Reiter beinahe 
mit eingedrungen ; doch gelang es den Juden noch eben, 
die Thore vor ihnen zu schliessen , sodass Placidus 
stürmen lassen musste. Bis zum Abend währte der 
Kampf ; dann gelangten die Römer, die tapfer gefochten 
hatten, in den Besitz der Mauer und des Dorfes. Die 
wehrlose Bevölkerung wurde niedergemetzelt, während 
die streitbare Mannschaft davonfloh; hierauf plünderten 
die Soldaten die Häuser und steckten das Dorf in Brand. 
Die flüchtigen Juden rissen übrigens auch die Land- 
bevölkerung mit sich fort und erfüllten ringsum alles 
mit Schrecken, indem sie ihre eigene Niederlage über- 
trieben und erzählten, das ganze Römerheer sei im An- 
marsch begriffen. In dichten Scharen flohen sie nun 
auf Jericho zu, das allein ihnen noch Hoffnung auf 
Rettung gab, da es starke Mauern und eine zahlreiche 
Einwohnerschaft hatte. Placidus setzte ihnen im Ver- 
trauen auf seine Reiter und sein bisheriges Kriegsglück 
bis zum Jordan nach und machte unterwegs alles nieder, 
was ihm in den Weg kam; dann trieb er die ganze 
Menge in der Nähe des Flusses, der von Regengüssen 
angeschwollen war und deshalb nicht durchwatet werden 
konnte, zusammen und stellte ihnen gegenüber seine 
Truppen in Schlachtordnung auf. Flucht war nun für 
die Juden unmöglich geworden, und so zwang sie denn 
die Not zum Kampfe: in langer Linie dehnten sie sich 
am Ufer aus und versuchten auf diese Weise dem Ge- 
schosshagel und dem Anprall der Reiterei standzuhalten. 
Die letztere indes hieb sie massenhaft nieder oder drängte 
sie in den Fluss hinein; fünfzehntausend Juden fielen 
so unter dem Schwert ihrer Gegner, und fast zahllos 
war die Menge derer, die mit Gewalt in den Jordan ge- 
trieben wurden. In Gefangenschaft gerieten über zwei- 
tausendzweihundert; ausserdem fiel eine reiche Beute an 
Eseln, Schafen, Kamelen und Rindvieh den Siegern in 
die Hände. 

6. Den Juden kam diese Niederlage, die freilich 
hinter den bisherigen nicht zurückstand, doch noch grösser 

2S* 


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436 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


vor, als sie wirklich war ; denn nicht nur troff die ganze 
Gegend, welche die Flüchtigen durchzogen hatten, von 
Blut, sondern es war auch der Jordan vor lauter Leichen 
nicht mehr zu passieren, und sogar den Asphaltsee be- 
deckten tote Körper, die massenhaft aus dem Flusse in 
ihn hinabgeschwemmt waren. Placidus anderseits ver- 
folgte sein Glück, brach gegen die umliegenden Städtchen 
und Dörfer auf, eroberte Abila, Julias und Bethsimoth 
sowie die sämtlichen Ortschaften bis zum Asphaltsee 
und legte in jede derselben eine aus den tauglichsten 
Überläufern gebildete Besatzung. Hierauf liess er seine 
Soldaten Kähne besteigen und alles niedermachen, was 
sich auf den See geflüchtet hatte. Sonach war nun ganz 
Peraea mit Ausnahme von Machaerus teils freiwillig, 
teils mit Gewalt in den Besitz der Römer übergegangen. 


Achtes Kapitel. 

Vespasianus beschleunigt die Kriegführung. 

Beschreibung der Lage Jerichos sowie der grossen Ebene 
und des toten Meeres. 

1. Mittlerweile waren Nachrichten eingelaufen, dass 
in Gallien ein Aufstand ausgebrochen und Vindex mit 
den Häuptlingen der Eingeborenen von Nero abgefallen 
sei, wie in Einzelwerken des näheren zu lesen ist. 1 Diese 
Meldungen veranlassten den Vespasianus, die Kriegführung 
zu beschleunigen ; denn er sah bereits die künftigen 
Bürgerkämpfe und die gefahrvolle Lage des ganzen 
Reiches voraus und glaubte durch Herstellung friedlicher 
Zustände im Orient die Besorgnisse Italiens verringern 
zu können. Während der Dauer des Winters hatte er 
sich der eroberten Städtchen und Dörfer dadurch ver- 
sichert, dass er Besatzungen hineinlegte und die ersteren 
der Verwaltung von Centurionen , die letzteren der von 


i Z. B. bei Dio Cassius, LXIII, 22—24. 


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Viertes Buch, 8. Kapitel. 


4°*7 


Decurionen unterstellte; auch hatte er viele der ver- 
wüsteten Ortschaften wieder auf bauen lassen. Mit dem 
Beginn des Frühlings aber brach er an der Spitze des 
grössten Teiles seiner Streitmacht von Caesarea nach 
Antipatris auf, wo er zwei Tage lang die Angelegen- 
heiten der Stadt ordnete ; am dritten zog er dann weiter 
und verwüstete die ganze Gegend ringsum mit Feuer 
und Schwert. Nach Unterjochung der Toparchie Thamna 
rückte er vor Lydda und Jamnia, nahm beide ein, ver- 
sah sie mit Besatzungen, die aus geeigneten Bewohnern 
früher übergetretener Städte gebildet waren, und kam 
nach Ammaus. Hier schnitt er zunächst der Bevölkerung 
die Wege nach der Hauptstadt ab, errichtete ein festes 
Lager, in welchem er die fünfte Legion zurückliess, und 
marschierte mit dem übrigen Heere weiter in die Toparchie 
Bethleptepha. 1 Diese sowie das angrenzende Gebiet ver- 
heerte er durch Brennen und Sengen, befestigte alsdann 
geeignete Punkte in Idumaea und nahm zwei Dörfer im 
Herzen dieser Landschaft, Betaris und Kaphartobas, ein, 
wo er über zehntausend Menschen niedermachte und 
mehr als tausend gefangen nahm. Die übrige Menge 
veijagte er und legte in die beiden Ortschaften einen 
ansehnlichen Teil seiner Truppen , welche das ganze 
umliegende Bergland verwüstend durchzogen. Er selbst 
kehrte mit dem Rest des Heeres nach Ammaus zurück, 
von wo er durch das Samariterland an Neapolis oder, 
wie es bei den Eingeborenen heisst, Mabortha vorbei 
nach Korea hinabmarschierte. In Korea liess er am 
zweiten des Monats Daisios ein Lager schlagen und 
langte tags darauf vor Jericho an; hier stiess Trajanus 
einer seiner Heerführer, mit Truppen zu ihm, die er nach 
Unterjochung der jenseits des Jordan gelegenen Landes- 
teile aus Peraea hergebracht hatte. 

2. Die Bewohner Jerichos hatten sich grösstenteils, 

1 Eine Toparchie dieses Namens ist III, 3, 5, wo die 11 Topar- 
chien Judaeas aufgezählfc werden, nicht erwähnt und auch sonst un- 
bekannt. Vielleicht ist die Josua 19, 6 genannte Stadt Bethlebaoth 
im Stamme Simeon gemeint. 



438 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


ohne das Erscheinen der Römer abzuwarten , auf das 
Jerusalem gegenüberliegende Gebirge geflüchtet und die 
Stadt fast leer gelassen; die Zurückgebliebenen, die 
übrigens auch noch ziemlich zahlreich waren, verfielen 
dem Schwerte der Römer. Jericho liegt in einer Ebene 
und ist von einem kahlen, unfruchtbaren Höhenzug über- 
ragt, der sich in bedeutender Länge gegen Norden bis 
in die Gegend von Skythopolis, gegen Süden bis an das 
frühere Sodomitergebiet und die Ufer des toten Meeres 
erstreckt — ein durchweg rauher und wegen seiner 
Unfruchtbarkeit gänzlich unbewohnter Landstrich. Ihm 
gegenüber zieht sich den Jordan entlang ein anderes 
Gebirge, das bei Julias und noch weiter nördlich beginnt 
und in südlicher Richtung bis Somorrha , 1 Nachbarstadt 
von Petra in Arabien, läuft. Zu diesem Gebirge gehört 
auch der sogenannte Eisenberg , 2 welcher der Länge nach 
bis zum Moabiterland sich hinstreckt. Die Mittellandschaft 
zwischen den beiden Bergketten heisst die grosse Ebene , 3 
die von dem Dorfe Ginnabris 4 bis zum Asphaltsee reicht. 
Ihre Länge beträgt zweihundertdreissig, ihre Breite hundert- 
zwanzig Stadien. Sie wird in der Mitte vom Jordan 
durchschnitten und hat zwei Seen von entgegengesetzter 
Beschaffenheit, den Asphaltsee und den See Tiberias; 
das Wasser des ersteren nämlich ist salzig und dem 
Pflanzen wuchs schädlich, das des letzteren süss und be- 
fruchtend. Zur Sommerzeit ist die Ebene wie ausgebrannt 
und weist eine Luft auf, die infolge der übermässigen 
Hitze sehr nachteilig auf die Gesundheit ein wirkt; denn 
ausser dem Jordan hat sie nicht die Spur von Wasser, 
weshalb auch die Palmen an den Ufern dieses Flusses 
ansehnlich und üppig, die weiter davon entfernten da- 
gegen kümmerlich entwickelt sind. 

1 S. die Bemerkung zu diesem Namen im Begister. 

- D. i. der Basalt nördlich vom Amon im heutigen el Kura. 
Basalt (der Hauptmasse nach Feldspat) enthält bis zu 20 Prozent 
Eisen. 

3 8o hiess also ausser der Ebene Jezreel auch die Jordanebene 
oder das Jordanthal (el Ghor). 

4 Wohl dasselbe wie Ginnaea. 



Viertes Buch, 8. Kapitel. 


439 


3. In der Nähe von Jericho befindet sich eine starke, 
der Bewässerung der Fluren äusserst dienliche Quelle, 
die dicht bei der alten Stadt hervorsprudelt, der ersten, 
die Jesus, 1 der Sohn des Nave, als Heerführer der 
Hebräer im Lande der Chananäer mit dem Schwert er- 
oberte. Diese Quelle soll vor Zeiten nicht nur die Erd- 
und Baumfrüchte, sondern auch die Leibesfrucht der 
Weiber vernichtet und überhaupt allem Lebenden Tod 
und Verderben gebracht haben, von dem Propheten 
Elissaeus aber, dem Schüler und Nachfolger des Elias, 
gereinigt und überaus heilkräftig und befruchtend ge- 
macht worden sein. Aus Dankbarkeit für die gastliche 
Aufnahme, die er bei den Bewohnern Jerichos gefunden 
und die ausserordentlich freundliche Gesinnung, die sie 
ihm entgegenbrachten, bedachte er sie und das Land 
mit einem für alle Zeiten bleibenden Geschenk. Er 
begab sich nämlich zur Quelle hin, warf ein irdenes 
Gefass mit Salz in das strömende Wasser, erhob seine 
Hechte gen Himmel und flehte, indem er ein sühnendes 
Trankopfer in die Quelle goss, dass ihre Beschaffenheit 
gemildert und süssere Adern in ihr geöffnet würden, 
sowie dass der Himmel gedeihlichere Lüfte mit dem 
Wasser mischen und so den Umwohnern Fruchtbarkeit 
des Bodens und Kindersegen verleihen, auch ihnen das 
Wasser nicht entziehen möge, so lange sie gerecht blieben. 
Durch dieses Gebet, dem er mancherlei Ceremonien, wie 
seine Kunst sie ihn lehrte, vorausschickte, wandelte er 
die Quelle um, und das Wasser, das zuvor die Ursache 
von Kinderlosigkeit und Hungersnot gewesen war, be- 
wirkte von nun an Kindersegen und Überfluss. 2 Denn 
es hat, wenn es zur Berieselung benutzt wird, eine solche 
Kraft, dass es selbst bei nur leichter Benetzung des 
Bodens denselben fruchtbarer macht als anderes Wasser, 
das bis zur Sättigung des Erdreichs stehen bleibt ; dadurch 
erklärt es sich auch, dass es bei sparsamem Verbrauch 


1 Josua. 

* S. 2. Buch der Könige 2, 18—22. 



440 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sich recht nutzbringend erweist, während es bei reich- 
licherer Verwendung nur wenig Vorteil darbietet. Aus 
dem gleichen Grunde bewässert die Quelle eine grössere 
Bodenfläche wie irgend eine andere; durchläuft sie doch 
eine Ebene von siebzig Stadien Länge und zwanzig 
Stadien Breite, in welcher sie die herrlichsten, dicht bei 
einander liegenden Prunkgärten speist. Der von ihr ver- 
sorgten Palmen giebt es mancherlei Arten, die nach Ge- 
schmack und Benennung verschieden sind. Die fetteren 
werden getreten und liefern so eine Menge Honig, welcher 
dem Bienenhonig, der sich übrigens dort auch findet, 
nicht viel nachgiebt. Ferner wächst daselbst der Opo- 
balsam , 1 das köstlichste Erzeugnis des Landes, sowie die 
Henna 2 und der Myrobalanus . 3 Mit Recht kann man 
deshalb diesen Landstrich, in welchem die seltensten 
und kostbarsten Erzeugnisse der Natur in so reicher 
Fülle gedeihen, einen gottgesegneten nennen. Auch was 
die sonstigen Fruchtarten angeht, kann nicht leicht eine 
andere Gegend der Erde mit ihm verglichen werden — 
so reichlich giebt der Boden zurück, was man hinein- 
gelegt hat. Es scheint mir dies von der Wärme der 
Luft und der vorzüglichen Beschaffenheit des Wassers 
herzukommen, indem jene die Pflanzen hervorlockt und 
ihr üppiges Wachstum befördert, die Feuchtigkeit aber 
dieselben starke Wurzeln schlagen lässt und ihnen im 
Sommer Kraft verleiht. In letzterer Jahreszeit ist die 
Gegend so drückend heiss, dass nicht leicht jemand ins 
Freie hinausgeht. Das Wasser, welches man vor Sonnen- 
aufgang schöpft und dann der Luft aussetzt, wird sehr 
kalt und nimmt eine der umgebenden Luft entgegen- 


1 D i. der aus Einschnitten in die Rinde des Balsamstrauches 
hervorquillende, zuerst weissliche, dann sich rötende Saft (o”ü$). 

2 Henna- oder Alhennastrauch (Lawsonia alba) , dessen Blätter 
bekanntlich zum Färben der Fingernägel im Orient Verwendung 
finden. 

8 Aus der Frucht des Myrobalanus oder Zakkumbaumes (Elae- 
agnus angustifolius L.) wird noch heutzutage ein sehr heilsames Öl, 
das Öl von Jericho oder Zachaeus-Öl gepresst (s. auch Plinius, 
Naturgeschichte, XII, 46). 



Viertes Bach, 8. Kapitel. 


441 


gesetzte Temperatur an ; im Winter dagegen erwärmt es 
sich und ist dann zum Baden sehr geeignet. Auch ist 
die Luft in dieser Jahreszeit dort so mild, dass die Ein- 
geborenen sich in Leinwand kleiden, während es im 
übrigen Judaea schneit Von Jerusalem ist Jericho 
hundertfünfzig, vom Jordan sechzig Stadien entfernt 
Die Gegend bis Jerusalem ist öde und felsig, der Strich 
bis zum Jordan und zum Asphaltsee zwar ebener, aber 
gleichfalls wüst und unfruchtbar. Damit glaube ich über 
die gesegnete Lage Jerichos genug gesagt zu haben. 

4. Eine genauere Beschreibung verdient noch die 
natürliche Beschaffenheit des Asphaltsees. Sein Wasser 
ist, wie schon bemerkt, bitter und der Vegetation nicht 
zuträglich, dabei so leicht, 1 dass es selbst die schwersten 
Gegenstände, die man hinein wirft, trägt und man bei 
aller Anstrengung nicht leicht unterzutauchen vermag. 
So liess auch Vespasianus, als er an den See kam, um 
ihn zu besichtigten, einige des Schwimmens unkundige 
Personen mit auf dem Kücken gebundenen Händen in 
die Tiefe werfen, und siehe, sie alle trieben, wie von 
einem Wind in die Höhe gehoben, auf der Oberfläche 
umher. Merkwürdig ist ferner der Farbenwechsel des 
Sees; dreimal am Tage nämlich ändert er seine Ober- 
fläche und wirft die Sonnenstrahlen in buntem Schillern 
zurück. 2 An vielen Stellen stösst er schwarze Asphalt- 
klumpen aus, die, an Gestalt und Grösse kopflosen 
Stieren vergleichbar, auf dem Wasser schwimmen. Die 
Arbeiter auf dem See nähern Bich denselben , ergreifen 


1 D. h. leichttragend; denn in Wirklichkeit ist das Wasser in- 
folge seines Salzgehaltes specifisch schwerer. Sein specifisches Ge- 
wicht verhält sich zu dem des destillierten Wassers nach Marcet 
wie 1211 : 1000, nach Gay-Lussac wie 1228:1000. Vergl. Tacitus, 
Histor. V, 6. 

2 Diese Fluorescenz-Erscheinungen sind wohl auf die raschere 
oder langsamere Verdunstung des ungemein salzigen Wassers zurück- 
zuführen. Nach Gay-Lussac sind in 100 Teilen dieses Seewassers 
enthalten: 3,98 salzsaurer Kalk, 15,31 salzsaure Magnesia, 6,95 Chlor- 
natrium (Kochsalz). Der starke Salzgehalt verursacht auch den 
bittem, ekelhaften Geschmack des Wassers. 



442 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


die zusammenhängenden Massen und ziehen sie in die 
Kähne; haben sie die letzteren gefüllt, so wird es ihnen 
nicht leicht, die Klumpen loszumachen, da sie infolge 
ihrer Zähigkeit an dem Fahrzeug kleben bleiben, bis sie 
durch monatliches Blut von Weibern oder durch Harn 
davon getrennt werden: denn diese Flüssigkeiten allein 
vermögen den Asphalt zu lösen. Der harzige Stoff findet 
nicht nur beim Schiffbau Verwendung, sondern dient 
auch zu Heilzwecken und wird deshalb vielen Arzneien 
beigemischt. Die Länge des Sees, die sich bis Zoar in 
Arabien erstreckt, beträgt fünfhundertachtzig, die Breite 
hundertfünfzig Stadien. An seine Ufer stösst das Sodo- 
miterland, einst ein glückliches Fleckchen Erde, da es 
fruchtbare Gefilde und wohlhabende Städte aufwies, jetzt 
aber völlig vom Feuer zerstört. Es soll wegen der GotN 
losigkeit seiner Bewohner durch Blitze in Brand gesetzt 
worden sein. Noch heute finden sich die Spuren des 
vom Himmel gesandten Feuers, und es sind im See die 
schattenhaften Umrisse von fünf Städten zu sehen. Auch 
erzeugt sich stets von neuem Asche in gewissen Früchten, 
welche an Farbe essbaren ähnlich sind; pflückt man 
sie aber mit der Hand, so lösen sie sich in Staub und 
Asche auf . 1 So werden die Sagen über das Land der 
Sodomiter durch den Augenschein bestätigt. 


1 Diese „Qodoms&pfel“ sind die Früchte der Asclepias gigantea, 
welche grossen, platten, gelblichen Äpfeln gleichen ; äusserlich schön, 
brechen sie, wenn man sie drückt, platzend auf wie mit Luft gefüllte 
Blasen, und nur die Fetzen der dünnen Schale und ein paar Fasern 
bleiben in der Hand zurück. 



Viertes Buch, 9. Kapitel. 


443 


Neuntes Kapitel. 

Vespasianus verschiebt auf die Nachricht vom Tode Neros 
den Angriff auf Jerusalem. Simon, des Gioras Sohn, zieht 
in die Hauptstadt ein. 

1. Um nun Jerusalem von allen Seiten ein- 
zuschliessen, errichtete Vespasianus sowohl in Jericho 
als in Adida ein Lager und legte in beide Städte eine 
aus Römern und Bundesgenossen gemischte Besatzung. 
Zugleich sandte er den Lucius Annius mit einer Reiter- 
truppe und einer starken Abteilung Fussvolk nach 
Gerasa. Dieser nahm die Stadt im Sturm, tötete alle 
junge Mannschaft, soweit sie nicht rechtzeitig geflohen 
war, tausend an der Zahl, machte ihre Angehörigen zu 
Kriegsgefangenen und überliess die Habe der Einwohner 
seinen Soldaten zur Plünderung. Nachdem er sodann 
noch die Häuser in Brand gesteckt hatte, ging er auf 
die umliegenden Dörfer los. Wer dazu imstande war, 
suchte sein Heil in der Flucht; die Schwächeren kamen 
um; alles übrige ging in Flammen auf. Das ganze 
Bergland wie die Ebene befanden sich nun im Kriegs- 
zustand, und es waren somit den Bewohnern Jerusalems 
sämtliche Auswege abgeschnitten. Die, welche im Sinne 
hatten, zu den Feinden überzugehen, sahen sich von den 
Zeloten bewacht; die anderen aber, die sich noch nicht 
für die Römer begeistern konnten, wurden durch das 
Heer in Schrecken gehalten, das jetzt von allen Seiten 
die Stadt einschloss. 

2. Als Vespasianus nach Caesarea zurückgekehrt war 
und sich eben anschickte, mit seiner ganzen Heeres- 
macht gegen Jerusalem aufzubrechen, ward ihm die Er- 
mordung Neros 3 gemeldet. Wie dieser Imperator, der 
dreizehn Jahre und acht Tage regierte, den Thron da- 
durch beschimpfte, dass er den verruchtesten Menschen, 
Nymphidius und Tigellinus, und den unwürdigsten Frei- 


1 9. Juni 68 n. Chr. 



444 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


gelassenen die Regierungsgeschäfte überliess; wie diese 
sich dann gegen ihn verschworen, er aber, von allen 
seinen Leibwächtern verlassen, mit nur vier ihm treu- 
gebliebenen Freigelassenen entfloh und in einer Vorstadt 
Roms sich selbst entleibte; wie diejenigen, die ihn ge- 
stürzt, kurz nachher dafür büssen mussten; welchen 
Ausgang der gallische Krieg nahm, und wie Galba, zum 
Imperator ernannt, aus Hispanien zurückkehrte, bald 
aber, von seinen Soldaten schmutziger Gesinnung be- 
zichtigt, mitten auf dem Forum zu Rom meuchlings er- 
mordet und Otho zum Imperator ausgerufen wurde; 
Othos Feldzug gegen die Heerführer des Vitellius und 
seinen Sturz ; 1 dann die Empörungen unter Vitellius und 
den Kampf um das Kapitolium; endlich wie Antonius 
Primus und Mucianus nach Vernichtung des Vitellius 2 
und der germanischen Legionen den Bürgerkrieg be- 
endeten — das alles ins einzelne zu schildern, wird mir 
erlassen sein, da es überall sattsam bekannt und von 
vielen griechischen wie römischen Schriftstellern bereits 
aufgezeichnet ist. Um des Zusammenhanges der Be- 
gebenheiten willen und um den Faden der Geschichte 
nicht zu zerreissen, habe ich die Hauptpunkte über- 
sichtlich angegeben. — Vespasianus verschob nun zu- 
nächst den Feldzug nach Jerusalem ; denn er war in 
gespannter Erwartung, wem nach Nero die Herrschaft 
zufallen würde. Auch hernach, als er hörte, dass Galba 
Imperator geworden, wollte er nicht ans Werk gehen, 
ehe er von letzterem einen Auftrag dazu erhalten hätte. 
Er sandte daher seinen Sohn Titus zu Galbä, um ihn 
beglückwünschen und Verhaltungsmassregeln betreffs der 
Juden entgegennehmen zu lassen. In der nämlichen 
Absicht schiffte sich mit Titus auch der König Agrippa 
nach Rom ein. Aber während sie auf Kriegsschiffen 
der Küste von Achaja entlang fuhren (denn es war 
Winter), war Galba schon ermordet worden ; nur sieben 


1 16. April 69 n. Chr. 

? Dezember 69 n. Chr. 


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Viertes Buch, 9. Kapitel. 


445 


Monate und sieben Tage hatte er den Thron innegehabt. 
Nach ihm kam Otho zur Regierung, und zwar be- 
mächtigte er sich der Herrschaft mit Gewalt. Während 
nun Agrippa, ohne sich den Regierungswechsel sonder- 
lich anfechten zu lassen, nach Rom weiterzureisen be- 
schloss, segelte Titus wie auf göttlichen Antrieb von 
Griechenland nach Syrien und kam alsbald bei seinem 
Vater in Caesarea an. In ängstlicher Spannung wegen 
der Lage des römischen Reiches , das ihrer Meinung 
nach wie ein Schiff im Sturm schwankte, schenkten 
nun die beiden dem Kriege gegen die Juden weniger 
Beachtung und hielten, besorgt um ihr eigenes Vater- 
land, einen Angriff auf die Fremden zur Zeit für un- 
thunlich. 

3. Statt dessen aber brach ein anderer Krieg über 
Jerusalem herein. Ein junger Mann aus Gerasa, Simon, 
des Gioras Sohn, 1 der dem in der Hauptstadt be- 
reits allgewaltigen Joannes zwar an Verschlagenheit 
nachstand, an Körperkraft und Waghalsigkeit dagegen 
ihn übertraf und um letzterer Eigenschaft willen vom 
Hohepriester Ananus aus der Toparchie Akrabatene, wo 
er den Herrscher spielte, vertrieben worden war, hatte 
sich an die Räuber angeschlossen, die Masada besetzt 
hielten. 2 Anfangs zwar hatten sie ihm misstraut und 
ihm nur gestattet, samt den Weibern, die er mitbrachte, 
den unteren Teil der Festung zu bewohnen, während sie 
selbst den höher gelegenen einnahmen. Bald jedoch 
durfte er, weil er sich als echter Spiessgeselle erwies 
und sich allmählich Zutrauen erworben hatte, an ihren 
Raubzügen teilnehmen und half nun die Umgegend von 
Masada verwüsten, vermochte aber die Banditen nicht 
zu grösseren Unternehmungen zu bewegen. An die 
Festung gewöhnt, wie sie waren, trugen sie nämlich Be- 
denken, sich von diesem ihrem Schlupfwinkel weit zu 
entfernen. Simon indes wollte höher hinaus: sein Ziel 


1 S.II, 19,2. 

* S. II, 22, 2. 



446 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


war die Tyrann enherrschaft. Sobald er daher den Tod 
des Ananus erfahren hatte, trennte er sich von ihnen, 
schlug sich ins Gebirge, liess durch Herolde den Sklaven 
Freiheit, den Freien Belohnungen versprechen und 
scharte so die Schlechten aus der ganzen Gegend um 
seine Person. 

4. Bald hatte er eine starke Bande beisammen und 
plünderte nun zunächst die Dörfer im Gebirge aus; als 
er aber immer grösseren Zuwachs erhielt, wagte er sich 
auch in die Ebene hinab. Selbst den Städten wurde 
er jetzt furchtbar, und zugleich veranlasste seine Macht 
sowie der glückliche Erfolg seiner Unternehmungen eine 
Reihe angesehener Leute , auf seine Seite zu treten, 
sodass sein Heer bereits nicht mehr aus Sklaven und 
Räubern allein bestand, sondern auch nicht wenige sess- 
hafte Bürger aufwies, die ihm wie ihrem Könige ge- 
horchten. Nunmehr dehnte er seine Streifzüge über die 
Toparchie Akrabatene und selbst bis in den grösseren 
Bezirk Idumaea aus. Bei einem Dorfe Nam nämlich 
hatte er eine Art Bollwerk errichtet, das ihm wie eine 
Festung zu seiner Sicherheit diente, und ausserdem hatte 
er in einer Schlucht mit Namen Pharan viele Höhlen 
erweitern lassen; diese Höhlen gebrauchte er nun samt 
vielen anderen Verstecken, die er dort schon fertig vor- 
fand, als Schatzkammern und Magazine für die Beute. 
Ebenso verwahrte er in ihnen die geraubten Feldfrüchte, 
und ein bedeutender Teil seiner Rotte wohnte daselbst. 
Dass er es mit diesen Übungszügen seiner Bande und 
mit den sonstigen Zurüstungen auf eine Unternehmung 
gegen Jerusalem abgesehen hatte, konnte keinem Zweifel 
unterliegen. 

5. Aus Furcht vor einem heimlichen Überfall und 
um das Emporkommen eines Mannes, dessen Macht zu 
ihrem Schaden tagtäglich an wuchs, zu verhindern, 
rückten die Zeloten in grosser Anzahl bewaffnet ihm 
entgegen. Simon liess sich auf das Treffen ein, machte 
in demselben eine Menge seiner Gegner nieder und trieb 
die übrigen in die Stadt zurück. Da er jedoch seinen 



Viertes Bach, 9. Kapitel. 


447 


Streitkräften noch nicht soweit traute, dass er einen 
Sturm auf die Mauer hätte wagen können, zog er ab, 
um zunächst Idumaea zu erobern, und rückte an der 
Spitze von zwanzigtausend Bewaffneten gegen dessen 
Grenzen heran. Die Häuptlinge der Idumäer sammelten 
in aller Eile die streitbarste Mannschaft des Landes, 
gegen fünfundzwanzigtausend an der Zahl, und er- 
warteten, während sie die übrige Menge zum Schutz 
ihrer Habe gegen die Einfälle der Sikarier Masadas zu- 
rückliessen, den Simon an der Grenze ihres Gebietes. 
Dort kam es zur Schlacht; aber obwohl den ganzen Tag 
gefochten wurde, blieb es unentschieden, wer von beiden 
Teilen gesiegt habe, und es kehrten schliesslich die 
Idumäer nach Hause, Simon nach Nai’n zurück. Kurz 
nachher fiel er mit noch grösseren Streitkräften aber- 
mals in Idumaea ein, lagerte sich bei einem Dorfe mit 
Namen Thekoa und schickte den Eleazar, einen seiner 
vertrauten Freunde, ab, um die Besatzung des nahe- 
gelegenen Kastells Herodium zur Übergabe desselben 
zu bewegen. Zunächst nahm die Besatzung den Eleazar 
zuvorkommend auf, da sie ja den Zweck seiner Sendung 
noch nicht kannte ; als er aber etwas von Übergabe 
verlauten liess, verfolgten sie ihn mit gezückten 
Schwertern, bis er keinen Ausweg zur Flucht mehr sah 
und sich von der Mauer in die unterhalb derselben be- 
findliche Schlucht stürzte, wo er sogleich seinen Geist 
aufgab. Die Idumäer aber bekamen nun doch Angst 
vor Simons Macht und beschlossen daher, bevor sie sich 
in ein Gefecht einliessen, das Heer des Feindes aus- 
zukundschaften . 

6. Zu diesem Dienst erbot sich Jakobus, einer der 
Anführer, mit grosser Bereitwilligkeit; insgeheim aber 
plante er Verrat. Aus dem Dorfe Alurus , wo damals 
das idumaeische Heer beisammen war, machte er sich 
zu* Simon auf und traf zunächst mit ihm die Verab- 
redung, ihm seine Vaterstadt verraten zu wollen, wo- 
gegen Simon ihm eidlich versichern müsse, dass er ihn 
stets in Amt und Würden belassen werde; weiterhin 


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Jo9ephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


stellte er ihm dann auch noch seine Mitwirkung bei der 
Unterjochung von ganz Idumaea in Aussicht. Auf 
dieses Anerbieten hin bewirtete Simon ihn gastlich und 
suchte ihn durch glänzende Versprechungen noch mehr 
zu ködern. Als nun Jakobus zu den Seinigen zurück- 
kam, war sein erstes, mit lügnerischen Worten Simons 
Heer als überaus stark zu schildern; hierauf suchte er 
durch vertrauliche Besprechungen mit den Führern und 
einzelnen von der Mannschaft das gesamte Kriegsvolk 
dahin zu bringen , dass sie Simon aufnehmen und ihm, 
ohne erst die Waffen entscheiden zu lassen, die höchste 
Gewalt übertragen möchten. Während er auf diese 
Weise seine Landsleute bearbeitete, rief er den Simon 
durch Boten herbei und versprach ihm, die Idumäer zer- 
streuen zu wollen. Diese Zusage hielt er auch; denn 
kaum befand sich Simons Heer in der Nähe, als er sich 
aufs Pferd schwang und an der Spitze seiner Mit- 
verschworenen davonsprengte. Schrecken befiel jetzt 
das ganze Volk, und noch ehe es zum Handgemenge 
kam, lösten sich die Reihen auf, und alles lief der 
Heimat zu. 

7. Simon zog nun, was er wohl selbst nicht erwartet 
hatte, ohne Blutvergiessen in Idumaea ein und nahm 
durch Überrumpelung zuerst die Stadt Chebron , wo er 
reiche Beute machte und grosse Mengen Getreide raubte. 
Die Eingeborenen behaupten , dass Chebron nicht nur 
älter als die übrigen Städte jener Gegend, sondern sogar 
älter als Memphis in Aegypten sei ; berechnet man doch 
das Alter der Stadt auf zweitausenddreihundert Jahre. 
Die Sage macht sie auch zum Wohnsitz Abrams, des 
Stammvaters der Juden, nach seiner Auswanderung aus 
Mesopotamien, und von hier aus sollen seine Nach- 
kommen nach Aegypten gezogen sein. Die aus dem 
schönsten Marmor mit grosser Pracht hergestellten Grab- 
denkmäler der letzteren werden noch heute in jenem 
Städtchen gezeigt. Sechs Stadien von Chebron entfernt 
zeigt man auch eine riesige Terebinthe, von der man 
sagt, dass sie seit Erschaffung der Welt dort stehe. — 



Viertes Buch, 9. Kapitel. 


449 


Von hier aus durchzog also Simon ganz Idumaea und 
verheerte nicht nur die Dörfer und Städte, sondern ver- 
wüstete auch das gesamte Ackerland; denn ausser seinen 
Schwerbewaffneten folgten ihm noch weitere vierzig- 
tausend Mann, sodase für eine solche Menge selbst die 
unentbehrlichsten Lebensmittel nicht hinreichten. Die 
Drangsalierung des Landes ward noch vermehrt durch 
die Grausamkeit des Gefürchteten und seine Erbitterung 
gegen das Volk, infolge deren die Verödung Idumaeas 
«inen immer höheren Grad erreichte. Denn wie man 
hinter einem Heuschreckenschwarm ganze Wälder ent- 
laubt sehen kann, so liess Simons Heer eine völlige 
Wüste in seinem Rücken, indem es hier sengte, dort 
niederriss, alles, was das Erdreich trug, durch Zertreten 
oder Abweiden vernichtete und das bebaute Land durch 
seinen Marsch in einen Zustand versetzte, der schlimmer 
war als der von unfruchtbarem Boden. Kurz, auch nicht 
die Spur des früheren Wohlstandes blieb in den ver- 
wüsteten Gegenden übrig. 

8. Diese Vorgänge rüttelten die Zeloten aus ihrer 
Unthätigkeit auf. In offener Feldschlacht Simon zu 
bekämpfen, getrauten sie sich freilich nicht; dagegen 
legten sie in einem Engpass einen Hinterhalt, der die 
Gattin Simons und deren zahlreiches Gefolge aufgriff. 
Jubelnd, wie wenn sie Simon selbst zum Gefangenen 
gemacht hätten, zogen sie hierauf in die Hauptstadt 
«in und erwarteten nichts geringeres, als dass er sogleich 
die Waffen strecken und demütig um Freilassung seiner 
Gattin bitten würde. Ihn aber erfüllte kein Mitleid, 
sondern nur Zorn wegen dieses Raubes, und alsbald er- 
schien er vor den Mauern Jerusalems und liess wie ein 
angeschossenes Wild, das den, welcher es verwundet, 
nicht erreichen kann , an allen , die ihm in die Quere 
kamen, seine Wut aus. Wer, um Gemüse oder Holz zu 
holen, sich vor die Stadtthore hinauswagte, mochten es 
auch Unbewaffnete oder Greise sein, ward ergriffen und 
zu Tode gepeinigt; es fehlte nur noch, dass Simon in seiner 
Raserei die Leichen der Gemordeten verzehrte. Viele 

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Josephus, jüdischer Krieg. 29 

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450 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

sandte er mit % abgehauenen Händen in die Stadt zurück, 
teils um seinen Feinden Schrecken einzujagen, teils auch 
um dadurch das Volk gegen die Schuldigen aufzureizen. 
Den Unglücklichen hatte man aufgetragen zu melden, 
Simon schwöre bei Gott dem Allwissenden: wenn sie 
ihm nicht auf der Stelle sein Weib herausgäben, so 
werde er die Mauer stürmen und, ohne irgend ein Alter 
zu schonen oder die Schuldigen von den Unschuldigen 
zu trennen, allen Bewohnern der Stadt ein gleiches an- 
thun. Diese Drohung versetzte nicht nur das Volk, 
sondern auch die Zeloten in Bestürzung, und alsbald 
gab man ihm sein Weib zurück, worauf er, ein wenig 
besänftigt, in dem beständigen Blutvergiessen eine Pause 
eintreten liess. 

9. Aber nicht in Judaea allein tobte Aufruhr und 
Bürgerkrieg , sondern auch in Italien. Galba nämlich 
war mitten auf dem Forum zu Rom ermordet und zum 
Imperator Otho ausgerufen worden, der indes mit seinem 
von den germanischen Legionen erwählten Nebenbuhler 
Vitellius im Kampfe lag. Bei Bedriacum in Gallien 
kam es zwischen Otho und den Heerführern des 
Vitellius, Valens und Caecinna, zur Schlacht, in welcher 
am ersten Tage Otho, am zweiten das Heer des Vitellius 
die Oberhand behielt. Nachdem viel Blut geflossen, 
tötete Otho, der in Brixellum die Niederlage erfuhr, sich 
selbst; nur drei Monate und zwei Tage hatte er an der 
Spitze des Reiches gestanden. Sein Heer ging zu den 
Feldherren des Vitellius über, und dieser zog nun mit 
seiner Streitmacht jn Rom ein. Unterdessen war auch 
Vespasianus am fünften des Monats Daisios wieder von 
Caesarea aufgebrochen und gegen die noch nicht unter- 
jochten Gegenden Judaeas zu Felde gezogen. Zunächst 
erstieg er das Bergland und eroberte zwei Toparchien, 
die von Gophna und Akrabatta, hierauf die Städtchen 
Bethel und Ephraim, irj welche er Besatzungen legte; 
dann ritt er weiter bis vor Jerusalem. Viele Juden, die 
ihm in die Hände fielen, wurden niedergehauen, viele 
auch zu Gefangenen gemacht. Einer seiner Offiziere, 



Viertes Bach, 9. Kapitel. 


451 


Cerealis, verwüstete mit einer Abteilung Reiterei und 
Fussvolk das sogenannte obere Idumaea und steckte ein 
Städtchen Kaphethra, das er durch Überrumpelung ge- 
nommen hatte, in Brand ; ein anderes, Kapharabis genannt, 
belagerte er förmlich, da es eine sehr starke Ringmauer 
hatte. Während er sich nun gefasst machte, hier längere 
Zeit liegen bleiben zu müssen, öffneten ihm die Einwohner 
plötzlich die Thore, flehten um Gnade und ergaben sich. 
Cerealis versicherte sich ihrer und zog dann vor eine andere 
Stadt, das uralte Chebron, das, wie schon bemerkt, un- 
weit Jerusalems im Gebirge liegt. Nachdem er sich den 
Eingang erzwungen hatte, liess er die gesamte waffen- 
fähige Mannschaft niedermachen und die Stadt in Asche 
legen. Nunmehr war alles bis auf die von den Räubern 
besetzten Festungen Herodium, Masada und Machaerus 
unterjocht, und es lag somit Jerusalem den Römern als 
nächstes Ziel vor Augen. 

10. Simon jhatte nicht sobald sein Weib aus den 
Händen der Zeloten befreit, als er in die noch verschont 
gebliebenen Teile Idumaeas zurückkehrte und das Volk 
von allen Seiten so sehr in die Enge trieb, dass viele 
in ihrer Not nach Jerusalem flohen. Er selbst aber 
folgte ihnen bis vor die Stadt nach, umzingelte abermals 
die Mauer und tötete alle aufs Land gehenden Arbeiter, 
deren er habhaft werden konnte. War nun dem Volke 
von den äusseren Feinden Simon schon furchtbarer 
als die Römer, so flössten ihm doch, die Zeloten im 
Innern der Stadt noch weit grösseren Schrecken ein. 
Übrigens hatten inzwischen Bosheit und Frechheit auch 
die Mannszucht unter den galilaeischen Truppen auf- 
gelöst. Denn nachdem Joannes mit ihrer Hilfe den 
Gipfel der Macht erklommen hatte, erlaubte er ihnen 
dafür kraft seiner nunmehrigen Stellung als Herrscher, 
alles zu thun, wonach es sie gelüstete. Unersättlich war 
nun ihre Raubgier; die Häuser der Reichen wurden 
durchstöbert; Männer morden und Weiber schänden 
diente ihnen zur Kurzweil. Noch triefend vom Blute, 
verprassten sie das Geraubte und ergaben sich aus 


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w'NIVLRSITY OT CALI TO RN I, 



452 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Übersättigung ungescheut weibischem Gebaren, indem 
sie sich das Haar frisierten, Weiberkleider anzogen, 
sich mit wohlriechendem öl salbten und sich zur Zierde 
die Augen bemalten. Aber nicht allein was Putz an- 
langt, suchten sie es den Weibern gleichzuthun, sondern 
sie liessen sich auch als solche gebrauchen und ersannen 
im Übermass der Geilheit widernatürliche Lüste: wie in 
einem Bordell wälzten sie sich in der Stadt umher und 
befleckten dieselbe mit lauter Werken der Unzucht. 
Weiber dem Gesicht nach, führten sie mit der Hand den 
Mordstahl; zierlichen Schrittes einhertänzelnd, ver- 
wandelten sie sich plötzlich in angreifende Krieger; aus 
ihren feingefärbten Oberkleidern zogen sie Schwerter 
hervor und durchbohrten jeden, der ihnen in den Weg 
kam. War jemand dem Joannes entronnen, so lauerte 
auf ihn der noch blutdürstigere Simon, und wer sich vor 
den Zwingherren im Innern der Stadt gerettet hatte, fiel 
dem Tyrannen vor den Thoren zum Opfer. Wollte aber 
einer zu den Römern übergehen, so fand er jeden Weg 
zur Flucht abgeschnitten. 

11. Infolgedessen brach unter dem Kriegs volk eine 
Empörung gegen Joannes aus, indem sämtliche Idumäer 
in demselben sich von den übrigen trennten, um gegen 
den Tyrannen, auf dessen Macht sie eifersüchtig waren 
und dessen Grausamkeit ihren Hass erregte, einen Schlag 
zu versuchen. Alsbald kam es nun zum Handgemenge, 
in welchem viele Zeloten ihr Leben verloren, während 
die übrigen in den von der Grapte, einer Verwandten 
des Adiabenerkönigs Izates, erbauten Palast 1 zusammen- 
getrieben wurden. Die Idumäer, welche mit den Zeloten 
in den Palast gelangt waren, drängten die letzteren 
von da weiter in den Tempel und machten sich dann 
an die Plünderung der Schätze des Joannes; denn der 
erwähnte Palast, in welchem er wohnte, diente ihm auch 
als Aufbewahrungsort für die Beute, die seine Tyrannei 
ihm einbrachte. Unterdessen strömte die in der Stadt 


1 S. Spiess, Jerusalem des Josephus, S. 44. 


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Viertes Buch, 9. Kapitel. 


453 


zerstreute Menge der Zeloten zu denen, die sich in den 
Tempel geflüchtet hatten, und schon traf Joannes An- 
stalten, sie gegen das Volk und die Idumäer in den 
Kampf zu führen. Die letzteren aber, die ihnen an 
Streitbarkeit überlegen waren, fürchteten nicht so sehr 
einen offenen Angriff von seiten der Zeloten, als dass 
diese in der Verzweiflung nachts aus dem Tempel her- 
vorschleichen , sie selbst überfallen und die Stadt in 
Brand stecken möchten. Sie kamen daher zusammen 
und überlegten mit den Hohepriestern, in welcher Weise 
man sich gegen einen solchen Anschlag sichern könne. 
Gott aber wandte ihre Gedanken auf einen schlimmen 
Weg, sodass sie ein Rettungsmittel ersannen, das 
schlimmer war als der völlige Untergang. Um nämlich 
Joannes zu stürzen, beschlossen sie, den Simon in die 
Stadt aufzunehmen und unter demütigem Flehen einen 
zweiten Tyrannen sich auf den Hals zu laden. Ein 
solcher Beschluss kam auch wirklich zur Ausführung: 
sie sandten den Hohepriester Matthias ab, um den viel- 
gefürchteten Simon zu bitten, dass er in die Stadt ein- 
rücken möge. Dieser Bitte schlossen sich in der Hoff- 
nung, ihre Häuser und ihr Vermögen wiederzuerhalten, 
auch diejenigen an, welche vor den Zeloten aus Jerusalem 
geflohen waren. Voll Übermut gewährte Simon ihnen 
die Gnade, ihr Despot zu sein, und zog in die Stadt ein 
unter dem Vorgeben, sie von den Zeloten befreien zu 
wollen, weshalb das Volk ihn als seinen Retter und 
Schirmherrn begrüsste. Kaum aber war er mit seinen 
Truppen drinnen, als er sein Augenmerk nur auf das 
richtete, was seine Oberherrschaft fördern konnte, und 
diejenigen, die ihn eingeladen hatten, genau in dem- 
selben Masse als Feinde ansah wie die, gegen welche 
er gerufen worden war. 

12. So ward Simon im dritten Jahre des Krieges, im 
Monat Xanthikos, 1 Herr von Jerusalem. Joannes aber 
und die vielen Zeloten, denen jeder Ausweg aus dem Tempel 


1 Frühjahr 69 n. Chr. 



454 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


versperrt und all ihr Besitztum in der Stadt genommen 
war (denn Simon und seine Leute hatten nichts eiligeres 
zu thun gehabt, als die gesamte Habe ihrer Gegner zu 
plündern), befanden sich jetzt in einer verzweifelten 
Lage. Obendrein machte nun Simon auch noch mit 
Unterstützung des Volkes einen förmlichen Angriff auf 
den Tempel. Indes schlugen die Zeloten, auf den Hallen 
und Zinnen stehend, denselben ab, und Simons Leute 
wurden massenhaft getötet oder verwundet hinweg- 
getragen ; denn von ihrem höheren Standort herab 
schossen die Zeloten leicht und sicher. Obwohl sie nun 
durch die Örtlichkeit schon so sehr begünstigt waren, 
errichteten sie , um ihre Geschosse von noch höheren 
Stellen aus werfen zu können, doch noch vier mächtige 
Türme: einen an der nordöstlichen Ecke, einen zweiten 
oberhalb des Xystos, den dritten an der Ecke, die der 
unteren Stadt gegenüberlag; der letzte endlich war über 
dem Gipfel der Pastophorien 1 erbaut, wo herkömmlicher- 
weise ein Priester am Abend vor dem Sabbat sich hin- 
stellte und mit der Trompete den Anbruch des Ruhe- 
tages verkündete, wie auch am folgenden Abend dessen 
Schluss, um dadurch das eine Mal dem Volke zu 
melden, dass es sich von Arbeiten enthalten, das andere 
Mal, dass es sie wieder aufnehmen solle. Auf diesen 
Türmen verteilten sie Katapulten und andere Schnell- 
wurfmaschinen sowie Bogenschützen und Schleuderer. 
Von da an liess Simon mit seinen Angriffen etwas nach, 
weil die meisten seiner Leute anfingen kleinmütig zu 
werden ; doch hielt er infolge seiner numerischen Stärke 
immer noch stand , obwohl die weithin fliegenden Ge- 
schosse der Maschinen eine Menge seiner Streiter zu 
Boden streckten. 


1 Nebengebäude des Tempels zur Aufbewahrung der gottesdienst- 
lichen Kleider und Gefässe, ähnlich den Sakristeien christlicher 
Kirchen. 



Viertes Buch, 10. Kapitel. 


455 


Zehntes Kapitel. 

Die Soldaten in Judaea und Aegypten rufen Vespasianus 
zum Imperator aus. Josephus wird seiner Fesseln ent- 
ledigt 

1. Um dieselbe Zeit war auch Rom von schweren 
Plagen heimgesucht. Vitellius nämlich war mit seinem 
Heer und einer weiteren grossen Menschenmenge, die 
er mit sich schleppte, aus Germanien angekommen und 
hatte, da er in den für das Militär bestimmten Räum- 
lichkeiten nicht alles unterbringen konnte, ganz Rom 
zum Kriegslager gemacht und jedes Haus mit Be- 
waffneten gefüllt. Als nun die letzteren mit Augen, die 
an dergleichen nicht gewöhnt waren , den Reichtum der 
Römer schauten und sich rings von Silber und Gold 
umstrahlt sahen, vermochten sie ihre Begierde kaum so 
weit zu zügeln, dass sie sich nicht sogleich an die 
Plünderung machten und jeden, der sie daran hindern 
konnte, niederstiessen. So sah es in Italien aus. 

2. Vespasianus war soeben nach Unteijochung der 
nächsten Umgegend Jerusalems in Caesarea wieder ein- 
getroffen , als er von den Unruhen in Rom hörte und 
dass Vitellius Imperator geworden sei. Wiewohl er nun 
ebenso sehr zu gehorchen als zu befehlen verstand, rief 
doch diese Nachricht seinen Unwillen wach, da er einen 
Mann, der an dem gleichsam verwaisten Reiche seine 
Tollheit ausliess, des Thrones nicht wert erachtete. Be- 
sonders schmerzlich berührte ihn der Umstand , dass er 
mit der Bekriegung Fremder sich beschäftigen sollte, 
während sein eigenes Vaterland dem Untergang ent- 
gegentrieb. In dem Masse aber, wie sein Zorn ihn zur 
Rache aufstachelte, hielt ihn der Gedanke an die grosse 
Entfernung davon zurück; wie manchen Streich, über- 
legte er, könnte ihm, zumal die Seereise in den Winter 
fallen würde, das Schicksal spielen, ehe er in Italien 
zu landen vermöchte. Das war es, was ihn seine zornige 
Ungeduld vorerst noch bemeistern hiess. 


Go gle 


Ulflf ! IlSirto C ' I I! ORlMI/',. 



456 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


3. Seine Offiziere und Soldaten dagegen sprachen bei 
ihren kameradschaftlichen Zusammenkünften bereits ganz 
offen von einem Regierungswechsel und machten ihrem 
Unwillen in heftigen Worten Luft. Die Soldaten in 
Rom, hiess es, die im Wohlleben schwelgten und deren 
zarte Ohren nicht einmal das Wort Krieg vertragen 
könnten, vergäben den Thron nach Gutdünken und 
Hessen sich bei der Ernennung der Imperatoren ledig- 
lich von ihrer Habgier leiten. Und da sollten sie, die 
so viele Strapazen durchgemacht hätten und unter den 
Helmen ergraut seien, die höchste Gewalt an andere 
verschenken, während sie einen der Herrschaft würdigeren 
Mann in ihrer Mitte hätten ? Würden sie etwa je wieder 
Gelegenheit finden, ihm für seine Güte zu danken, wenn 
sie die jetzige Vorbeigehen Hessen? Dem Vespasianus 
stehe doch der Thron vor Vitellius ebenso sicher zu, wie 
ihnen das Recht der Ernennung vor denen, die den 
letzteren gewählt hätten. Die Kriege, die sie selbst mit- 
gemacht, ständen doch denen in Germanien an Be- 
deutung gewiss nicht nach, und das Schwert wüssten sie 
mindestens so gut zu führen wie diejenigen , die sich 
von dort einen Tyrannen geholt hätten. Ein Kampf 
werde übrigens gar nicht nötig sein; denn weder der 
Senat noch das römische Volk werde das Lotterleben eines 
Vitellius lieber wollen als die sittliche Tüchtigkeit eines 
Vespasianus, und ebensowenig würden sie den grausamen 
Tyrannen dem milden Fürsten, den kinderlosen 1 Herrn 
dem, der zugleich Vater sei, vorziehen. Die beste Bürg- 
schaft des Friedens seien die wirklichen Vorzüge der 
Herrscher. Gebühre nun der reifen Erfahrung des 
Alters der Thron, so hätten sie Vespasianus, wenn aber 
der Kraft der Jugend, Titus; das Alter des einen wie 
des anderen könnten sie sich demnach zunutze machen. 
Für den Erwählten aber würden sie nicht nur selbst 


1 Vitellius hatte Kinder, doch waren dieselben zur Regierung 
unfähig. Ein Sohn von ihm war fast blödsinnig (siehe Sueton., 
Vitellius 6). 


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Viertes Buch, 10. Kapitel. 


457 


mit aller Kraft einzu9tehen wissen, da sie ja drei Legi- 
onen stark seien und noch die Hilfstruppen der Könige 
hätten, sondern es würden auch der ganze Orient und 
diejenigen Teile Europas, die den Yitellius nicht zu 
fürchten brauchten , sowie ferner die Bundesgenossen in 
Italien, der Bruder 1 und der zweite Sohn 2 des Vespa- 
sianus ihre Mitwirkung nicht versagen. Dem letzteren 
würden sich übrigens noch viele vornehme Jünglinge 
anschlies9en , und was den ersteren betreffe, so sei ihm 
sogar die Bewachung der Stadt an vertraut, womit für 
ein Unternehmen wie das ihrige schon viel gewonnen 
sei. Freilich, wenn sie zögerten, würde der Senat 
vielleicht einen Mann zum Imperator wählen, vor dem 
das Militär, die eigentliche Stütze des Reiches, keine 
Achtung haben könne. 

4. Derartige Gespräche führten die Soldaten, wenn 
sie unter sich waren. Alsbald nun versammelten sie 
sich in Masse, riefen, indem sie sich gegenseitig er- 
mutigten, Vespasianus zum Imperator aus und forderten 
ihn auf, das bedrohte Reich zu retten. Schon seit ge- 
raumer Zeit hatte die Lage des Staates dem Feldherrn 
Sorge bereitet, ohne dass er daran gedacht hätte, selbst 
den Thron zu besteigen. Wohl hielt er sich um seiner 
Thaten willen desselben für würdig; er zog aber die 
Sicherheit des Privatlebens den Gefahren einer so 
glänzenden Stellung vor und weigerte sich deshalb, die 
Wahl anzunehmen. Die Offiziere jedoch drangen nur 
um so mehr in ihn, und die Soldaten umringten ihn 
sogar mit gezückten Schwertern und drohten ihn zu er- 
morden, wenn er nicht für die hohe Würde, die man ihm 
zugedacht, leben wolle. Er bemühte sich hierauf, ihnen 
in längerer Rede die Gründe darzulegen, die ihn ver- 
anlassten, auf den Thron zu verzichten; als er sie aber 
nicht zu überzeugen vermochte, gab er schliesslich seinen 
Wählern nach. 


1 Sabinus. 

- Domitianus. 



458 


Josephu9, Geschichte des jüdischen Krieges. 


5. Weil nun Mucianus und die anderen Offiziere ihn 
zur förmlichen Übernahme der Herrscher würde drängten 
und das übrige Heer sich mit lautem Zuruf bereit er- 
klärte, unter seiner Führung gegen jeden Feind anzu- 
gehen, suchte er vor allem sich Alexandrias zu ver- 
sichern; denn es war ihm wohlbekannt, welch hohe Be- 
deutung Aegypten wegen seiner Getreidelieferungen für 
das ganze Reich hatte. Einmal im Besitz dieses Landes, 
hoffte er Vitellius stürzen zu können, und sollte derselbe 
sich auch mit Gewalt behaupten wollen; das Volk zu 
Rom nämlich, so rechnete er, würde seiner wohl bald 
überdrüssig werden, wenn es unter ihm Hunger leiden 
müsse. 1 Ferner gedachte er die beiden in Alexandria 
stehenden Legionen zur Verstärkung seiner Streitmacht 
heranzuziehen, und endlich sollte Aegypten ihm ein Zu- 
fluchtsort für unvorhergesehene Unglücksfalle werden. 
Denn es ist zu Lande nur schwer angreifbar und an der 
Seeseite ohne Hafen; im Westen sind ihm die wasserlosen 
Wüsten Libyens vorgelagert; gegen Süden grenzt es an 
Syene und die unschiffbaren Wasserfalle des Nil; im 
Osten wird es bis Koptos hin vom Roten Meere bespült ; 
gegen Norden endlich dient ihm das Land bis Syrien 
und das sogenannte Aegyptische Meer, das ganz ohne 
Buchten ist, als Bollwerk. So hat Aegypten auf allen 
Seiten seine natürlichen Befestigungen. Seine Länge 
von Pelusium bis Syene beträgt zweitausend Stadien; 
zu Schiff aber hat man von Plinthine bis Pelusium drei- 
tausendsechshundert Stadien zu durchfahren. Der Nil 
ist schiffbar nur bis zur sogenannten Elephantenstadt; 2 
denn weiter hinauf zu fahren, gestatten die eben er- 
wähnten Wasserfälle nicht. Der Hafen von Alexandria 
ist auch im Frieden für Schiffe schwer zugänglich, da 
seine Mündung eng ist und die Fahrstrasse sich in 
krummer Linie zwischen verborgenen Klippen hinzieht. 

1 Vergl. bezüglich der Wichtigkeit Aegyptens für die Versorgung 
Roms mit Getreide den entsprechenden Passus der Rede Agrippas 
11 , 16 , 4 ( 8 . 255 ). 

- D. i. Elephantine (s. Register). 



Viertes Bach, 10. Kapitel. 


459 


Die linke Seite des Hafens wird durch künstliche 
Festungswerke geschützt; rechts legt sich vor ihn die 
kleine Insel Pharos mit ihrem hohen Turm, der den 
Seefahrern auf dreihundert Stadien hinaus Licht spendet 
und sie dadurch veranlasst, bei Nacht wegen der Schwie- 
rigkeit des Einfahrens in einiger Entfernung beizulegen. 
Dieses Inselchen ist von gewaltigen künstlichen Dämmen 
umgeben; indem sich nun die Meeresbrandung an letzteren 
und an den gegenüberliegenden Uferbefestigungen bricht, 
macht sie diese Passage ausserordentlich schwierig und 
bei der Schmalheit der Einfahrt gefährlich. Innen da- 
gegen ist der Hafen , der einen Umfang von dreissig 
Stadien hat, sehr sicher. Was das Land von auswärts 
zum Lebensgenuss braucht, wird hier eingeführt und 
dafür der Überfluss an seinen eigenen Erzeugnissen in 
die ganze Welt verschickt. 

6. Kein Wunder, dass Vespasianus, um festere Zu- 
stände im Reiche zu schaffen, sich dieses Landes zu 
versichern trachtete. Er schrieb demgemäss unverzüglich 
an den Statthalter von Aegypten und Alexandria, Tibe- 
rius Alexander, 1 schilderte ihm die Ergebenheit des 
Heeres und teilte ihm mit, wie er selbst, indem er die 
schwere Last der Regierung notgedrungen auf sich nehme, 
seiner Mitwirkung und Hilfe nicht entraten möchte. 
Alexander hatte den Brief kaum gelesen, als er aufs 
bereitwilligste die Legionen und das Volk für Vespa- 
sianus vereidigte. Diesen war die Tüchtigkeit des Mannes 
durch seine Thaten auf dem nahen Kriegsschauplatz 
wohl bekannt geworden , und so gehorchten sie mit 
Freuden; Alexander aber, dem eine so wichtige Rolle 
bei der Erhebung des neuen Herrschers an vertraut worden 
war, traf nun auch Anstalten zum würdigen Empfange 
desselben. Das Gerücht von der im Orient stattgehabten 
Ernennung des Vespasianus zum Imperator verbreitete 
sich übrigens unglaublich schnell, und jede Stadt feierte 
Feste, liess die Freudenbotschaft ausrufen und brachte 


1 Den früheren Landpfleger von Judaea. 



460 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Opfer für das Wohlergehen des Erwählten dar. Auch 
die Legionen in Moesien und Pannonien, die kurz zuvor 
gegen das waghalsige Unternehmen des Vitellius sich 
aufgelehnt hatten, schwuren nun mit um so grösserer 
Freude dem Vespasianus als ihrem Herrn den Eid der 
Treue. Unterdessen war der Gefeierte von Caesarea 
nach Berytus aufgebrochen, wo eine Reihe von Gesandt- 
schaften aus Syrien und anderen Provinzen seiner 
harrte, um ihm von den einzelnen Städten Kränze und 
Glückwunschschreiben zu überreichen. Auch Mucianus, 
der Statthalter von Syrien, hatte sich eingefunden und 
meldete ihm, wie die Bevölkerung ihre Ergebenheit 
kundgethan und alle Städte den Huldigungseid geleistet 
hätten. 

7. Da nun alles nach Wunsch ging und die Verhält- 
nisse fast ganz zu seinen Gunsten sich gestalteten, kam 
Vespasianus auf den Gedanken, dass er doch wohl nicht 
ohne göttliche Fügung das Staatsruder ergriffen, sondern 
ein gerechtes Geschick ihm die Weltherrschaft verliehen 
habe. Ausser vielen anderen Vorzeichen, durch die ihm 
bald hier, bald da diese Herrschaft angekündigt worden 
war, fielen ihm jetzt auch die Worte des Joseph us ein, 
der noch bei Lebzeiten Neros ihn den künftigen Impe- 
rator zu nennen gewagt hatte. 1 Er erschrak, dass dieser 
Mann noch als Gefangener bei ihm sein sollte. Dem- 
zufolge berief er den Mucianus samt den übrigen Offizieren 
sowie seine Freunde zu sich, schilderte ihnen zunächst 
das thatkräftige Wesen des Josephus und wie viel der- 
selbe ihm bei Jotapata zu schaffen gemacht, und erwähnte 
dann seine Prophezeiungen, die ihm damals lediglich 
wie eine Erfindung der Angst vorgekomraen seien, später 
jedoch durch die Ereignisse als göttliche Eingebungen 
sich erwiesen hätten. „Es wäre daher eine Schande,“ 
fuhr er fort, „wenn dieser Mann, der mir die Herrschaft 
geweissagt und eine Kundgebung der Gottheit überbracht 
hat, noch länger als Kriegsgefangener behandelt würde 


S. III, 8, 9. 



Viertes Buch, 11. Kapitel. 


461 


und das Schicksal eines Gefesselten ertragen müsste" 
Hierauf gab er Befehl, den Josephus zu rufen und ihm 
die Ketten abzunehmen. Während nun die Offiziere 
aus dieser einem Fremden bewiesenen Erkenntlichkeit 
die glänzendsten Hoffnungen für sich selbst herleiteten, 
sprach Titus, der sich bei seinem Vater befand: „Die 
Gerechtigkeit verlangt, dass man dem Josephus mit dem 
Eisen auch die Schmach abnehme, die man ihm -an- 
gethan ; denn wenn wir seine Ketten nicht lösen, sondern 
zerhauen, wird es sein, als wäre er nie gefesselt gewesen" 
Dieses Verfahren wird nämlich bei denen beobachtet, die 
zu Unrecht in Ketten gelegt worden sind. Vespasianus 
war damit einverstanden , und sogleich trat ein Soldat 
herzu und zerhieb die Fesseln mit einer Axt. So ge- 
langte Josephus zum Lohn für seine Prophezeiung wieder 
in den vollen Besitz seiner Ehre und genoss fortan in 
allem, was die Zukunft betraf, eine besondere Glaub- 
würdigkeit. 


Elftes Kapitel. 

Nach dem Sturze des Vitellius eilt Vespasianus nach 
Rom, Titus vor Jerusalem. 

1. Als Vespasianus den Gesandtschaften Bescheid er- 
teilt und die Statthalterposten nach Verdienst und 
Würdigkeit besetzt hatte, begab er sich nach Antiochia. 
Indem er nun hier überlegte, wohin er sich wenden 
'sollte, kam er zu der Erkenntnis, dass die Angelegen- 
heiten in Rom doch wichtiger seien als der Zug nach 
Alexandria; letztere Stadt nämlich war ihm ohnehin sicher, 
wogegen er Rom durch Vitellius beunruhigt sah. Er 
sandte daher den Mucianus an der Spitze einer be- 
deutenden Streitmacht von Reiterei und Fussvolk nach 
Italien voraus, und zwar führte dieser, da es gerade 
mitten im Winter war und er aus diesem Grunde die 
Seereise scheute, sein Heer auf dem Landweg durch 
Kappadocien und Phrygien. 

2. Unterdessen war auch Antonius Primus mit der 



462 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


dritten Legion aus Moesien, wo er damals Statthalter 
war, eiligst aufgebrochen, um sich mit Vitellius zu schlagen. 
Dieser sandte ihm den Caecinna Alienus, auf den er 
wegen seines Sieges über Otho grosse Stücke hielt, mit 
bedeutender Heeresmacht entgegen. Caecinna rückte in 
Eilmärschen Von Rom aus und stiess bei Cyemona, einer 
Stadt Galliens an der italienischen Grenze, auf seinen 
Gegner Antonius. Als er aber hier die Stärke und gute 
Ordnung des feindlichen Heeres sah, wagte er keine 
Schlacht, sondern sann, weil auch der Rückzug ihm ge- 
fährlich schien, auf Verrat. In dieser Absicht ver- 
sammelte er die ihm untergebenen Centurionen und 
Tribunen und suchte sie zum Anschluss an Antonius zu 
bewegen, indem er die Macht des Vitellius herabsetzte, 
des Vespasianus Stärke dagegen herausstrich. Der eine, 
sagte er, sei nur dem Namen nach Herrscher, während 
der andere die Macht habe ; sie thäten daher am besten, 
aus der Not eine Tugend zu machen und, da sie ja doch 
im Kampfe den kürzeren ziehen würden, durch freiwillige 
Sinnesänderung der Gefahr zuvorzukommen. Übrigens 
sei Vespasianus auch ohne ihre Hilfe imstande, sich das 
zu unterwerfen, was ihm noch fehle, während Vitellius 
selbst mit ihnen nicht einmal das, was er habe, zu be- 
haupten vermöge. 

3. Durch viele derartige Vorstellungen gelang es 
ihm, sie urazustimmen, und er ging nun mit seiner ganzen 
Streitmacht zu Antonius über. In derselben Nacht aber 
überkam Reue die Soldaten und Furcht vor dem, der 
sie abgesandt, falls dieser etwa doch die Oberhand ge- 
winnen sollte. Mit gezückten Schwertern fielen sie über 
Caecinna her, um ihn zu ermorden, und würden ihr 
Vorhaben auch wirklich ausgeführt haben , wenn die 
Tribunen nicht kniefällig Fürbitte für ihn eingelegt 
hätten. Sie nahmen daraufhin zwar von seiner Er- 
mordung Abstand, fesselten ihn aber als Verräter und 
schickten sich an, ihn dem Vitellius zuzusenden. Kaum 
hatte Primus dies vernommen, als er seine Leute so- 
gleich aufbrechen liess und sie in voller Rüstung gegen 



Viertes Buch, 1 1 . Kapitel, 


46a 


die Abtrünnigen führte. Die letzteren nahmen die Schlacht 
an, wandten sich indes nach kurzem Widerstand und 
flohen auf Cremona zu. Primus aber schnitt ihnen mit 
seiner Reiterei sämtliche Wege ab, machte den grössten 
Teil der Fliehenden, den er vor der Stadt umzingelt 
hatte, nieder und drang zugleich mit den übrigen in 
Cremona ein, das er dann seinen Kriegern zur Plünderung 
preisgab. Dabei kam ausser vielen fremdem Kauf leuten 
und einer Menge Eingeborener das ganze, dreissigtausend- 
zweihundert Mann starke Heer des Vitellius um j 1 aber auch 
Antonius verlor von seiner moesischen Legion viertausend- 
fünfhundert Mann. Den Caecinna liess er sodann seiner 
Fesseln entledigen und sandte ihn behufs Meldung der 
Ereignisse an Vespasianus. Dieser nahm den Boten 
gnädig auf und verhüllte die Schande seines Verrates 
durch unverhoffte Ehrenbezeugungen. 

4. Die Nachricht, dass Antonius heranrücke, flösste 
auch dem Sabinus neuen Mut ein; er zog die Mann- 
schaften, welche den Nachtwachdienst versahen, zusammen 
und besetzte mit ihnen in der Nacht das Kapitolium. 
Als der Tag angebrochen war , schlossen sich ihm noch 
viele vornehme Männer an, darunter auch, sein Neffe 
Domitianus, von dem man das meiste für den Sieg er- 
hoffte. Primus machte übrigens dem Vitellius wenig 
Sorge; dagegen war er voll Erbitterung über die Teil- 
nehmer an der Empörung des Sabinus, und da er aus 
angeborener Grausamkeit nach edlem Blut lechzte, griff 
er mit dem Teile des Heeres, den er mitgebracht hatte, 
das Kapitolium an. Heldenmütig stritten nun sowohl 
die stürmenden Truppen als diejenigen, die vom Tempel 
herab kämpften; endlich aber gelang es den an Zahl 
überlegenen Germanen, sich des Hügels zu bemächtigen. 
Nui wie durch ein Wunder rettete sich Domitianus mit 
den vielen vornehmen Römern; die übrige Menge da- 
gegen wurde niedergemetzelt, Sabinus vor Vitellius ge- 
führt und hingerichtet, und der Tempel, nachdem die 


1 Vergl. Dio Caasius LXV, 15. 



464 


Josephus, Gescbichte des Jüdischen Krieges. 


Soldaten die darin befindlichen Weihgeschenke geraubt 
hatten, in Brand gesteckt. Einen Tag später drang 
Antonius mit seinem Heer in die Stadt ein, und obwohl, 
des Vitellius Truppen, an drei Stellen Roms verteilt, 
kräftigen Widerstand leisteten, wurden sie gänzlich auf- 
gerieben. Vitellius selbst, der berauscht war und an 
schwelgerischer Tafel wie an einem Henkersmahl sich 
bis zum Übermass gesättigt hatte, ward, als er aus 
seinem Palast hervorkam, vom Pöbel fortgeschleppt, auf 
alle mögliche Weise misshandelt und verhöhnt und end- 
lich mitten in der Stadt ermordet. Seine Regierung 
hatte nur acht Monate und fünf Tage gedauert; wäre 
ihm ein längeres Leben beschieden gewesen, so würde 
das ganze Reich, glaube ich, für seine Schwelgerei nicht 
gelangt haben. Ausser ihm waren über fünfzigtausend 
Menschen bei jenem Gemetzel umgekommen, das am 
dritten des Monats Apellaios stattfand. Tags darauf 
zog Mucianus mit seinen Truppen ein und befahl zu- 
nächst den Leuten des Antonius, das Morden einzu- 
stellen; denn fortwährend durchsuchten diese die Häuser 
und machten noch viele Soldaten des Vitellius wie auch 
eine Menge Bürger, die sie für dessen Parteigänger 
hielten, nieder, ohne in ihrer Erbitterung genau zu 
unterscheiden. Alsdann führte er Domitianus vor und 
empfahl ihn dem Volke als Herrscher bis zur Ankunft 
seines Vaters. Von aller Furcht befreit, jauchzte nun 
die Bürgerschaft dem Imperator Vespasianus zu und 
feierte zu gleicher Zeit seine Erhebung auf den Thron 
und des Vitellius Sturz. 

5. Eben war Vespasianus in Alexandria angekommen, 
als er die erfreulichen Nachrichten aus Rom vernahm. 
Dort hatten sich aus allen Teilen der Welt, deren Be- 
herrscher er nun war, Gesandte eingefunden, um ihm 
Glück zu wünschen, und so gewaltig drängten sich die 
Menschenmassen, dass die Stadt, obwohl nach Rom die 
grösste des Erdkreises , sich als zu klein erwies. Weil 
nun seine Regierung allenthalben anerkannt und der 
römische Staat unverhofft gerettet war, richtete Vespa- 



Viertes Buch, 11. Kapitel. 


465 


sianus seine Gedanken wieder auf die in Judaea noch 
erforderlichen Massregeln. Ihn selbst drängte es 
übrigens, sich zu Ende des Winters nach Rom einzu- 
schiffen, weshalb er auch die Geschäfte in Alexandria 
schnell erledigte, und so sandte er denn seinen Sohn 
Titus mit auserlesener Streitmacht zur Eroberung Jeru- 
salems ab. Dieser marschierte zu Land bis Nikopolis, 
welches zwanzig Stadien von Alexandria entfernt liegt, 
liess hier sein Heer Kriegsschiffe besteigen und' segelte 
auf dem Nil bis zur Stadt Thmuis im Mendesischen 
Bezirk. Dort stieg er aus, zog zu Fuss weiter und über- 
nachtete bei einem Städtchen Namens Tanis. Das zweite 
Nachtlager hielt er in Herakleopolis, das dritte in Pelu- 
sium, wo er sich zwei Rasttage gönnte. Am dritten 
Tage setzte er über die Nilmündung bei Pelusium, zog 
dann eine Tagereise weit durch die Wüste und lagerte 
bei dem Tempel des Zeus Kasios , 1 tags darauf bei 
Ostrakine. Diese Station hat kein Wasser, weshalb die 
Einwohner es von auswärts herbeiholen müssen. Hierauf 
rastete er in Rhinokorura, erreichte am vierten Tage 
Raphia, die erste Stadt Syriens, schlug am fünften Tage 
sein Lager in Gaza auf, am folgenden bei Askalon, 
marschierte von da nach Jamnia, dann nach Joppe, und 
endlich von Joppe nach Caesarea, ^o er die übrigen 
Streitkräfte an sich zu ziehen gedachte. 

♦ 

1 So genannt nach dem Berge Kasios (heute El Kas Kasaroun 
oder El Katieh), auf welchem sich ausser dem Tempel auch das 
<3rab des ermordeten Pompejus befand (s. Strabo XVI, 760; Plinius, 
Naturgeschichte V, 12). 



Fünfles Buch, 


Inhalt. 

1. Wie der Aufruhr in Jerusalem drei Parteien erzeugte. 

2. Des Geschichtschreibers Klage über die Heimsuchung der 

Stadt. 

3. Während die Empörer unter sich im Streit liegen, werden viele 

Getreidemagazine in Brand gesteckt. 

4. In Jerusalem wird tagtäglich gekämpft, und die Verwandten und 

Freunde der Gefallenen wagen dieselben nicht einmal mehr zu 
betrauern. 

5. Wie Joannes von dem für den Tempel bestimmten Bauholz 

Türme wider die Anhänger der Gegenpartei errichten wollte, 
aber durch die Ankunft der Römer daran gehindert wurde. 

6. Des Titus Marschordnung beim Vorrücken gegen Jerusalem. 

7. Titus macht mit sechshundert Mann einen Erkundigungsritt auf 

Jerusalem zu. Wie er sich hierbei tapfer gegen den Ansturm 
der Juden wehrte. 

8. Wie er bis zu dem Skopos genannten Platze vordrang und dort 

die einzelnen Abteilungen seines Heeres lagerte. 

9. Wie die Juden, als sie die Römer gegen sich heranziehen sahen, 

ihren Hader vergassen, für kurze Zeit Frieden schlossen und 
bei einem plötzlichen Ausfall die zehnte Legion in die Flucht 
schlugen. 

10. Wie Titus, von den Seinen abgeschnitten, mitten unter den Feinden 

sich tapfer schlug, und wie seine Freunde ihm zuredeten, er 
möge sich nicht so tollkühn der Gefahr aussetzen. 

11. Wie Joannes die Zeloten überwand und der Aufruhr sich dem- 

gemäss auf zwei Parteien beschränkte. 

12. Wie Tittfs die zu Belagerungswerken geeigneten Örtlichkeite.n 

ebnen liess und den Römern, die unvorsichtigerweise in einen 
Hinterhalt der Juden gefallen waren, Verzeihung gewährte. 
Wie er, nachdem das ganze Terrain bis zur Mauer geebnet war, 
das Lager näher an die Stadt heranrückte. 


.tmUVERSITY OF CftÜFORN(/\ 


Go gle 



Fünftes Bach, Inhalt. 


467 


13. Beschreibung der Stadtmauern. 

14. Beschreibung des Tempels. 

15. Von den Priestern, sowie von ihrer und des Hohepriesters 

Kleidung. 

16. Von den Tyrannen Simon und Joannes und den Anführern, die 

sie ernannten. 

17. Während Titus die Stadtmauer umreitet und auskundschaftet, 

wird sein Freund Nikanor an der Seite des Josephus verwundet, 
weshalb er die Aufführung der Wälle und die Herbeischaffung 
von Belagerungsmaschinen beschleunigen lässt. 

18. Nochmals die Tyrannen Joannes und Simon, und wie sie sich 

gegenseitig Hilfe leisteten. Über die Wirkung der von den 
Bailisten geschleuderten Steingeschosse. 

19. Wie die Tyrannen, nachdem die Mauer an drei Stellen von 

den Maschinen beschädigt war, sich zum Kampfe gegen die 
Börner einigten und deren Belagerungs werke einäscherten. Wie 
Joannes, der Anführer der Idumäer, durch einen Pfeilschuss 
getötet wurde. 

20. Wie einer der drei von den Römern erbauten Türme von selbst 

einstürzte, und wie dieselben unter vielem Blutvergiessen mit 
Hilfe des von den Juden „Nikon“ genannten Sturmbockes die 
erste Mauer nahmen. 

21. Wie Titus alsbald sich zur Berennung der zweiten Mauer an- 

schickte, die Juden dagegen dem Angriff standhielten und alles 
verschanzten. 

22. Von dem römischen Krieger Longinus. 

23. Von dem verschmitzten Juden Kastor, der den Titus und die 

Börner hinters Licht führte. 

24. Wie die Römer sich der zweiten Mauer bemächtigten, aber wieder 

zurückgeschlagen wurden und erst beim nochmaligen Angriff 
die Mauer erstürmten. 

25. Wie Titus von der Belagerung Abstand zu nehmen versprach, 

falls die Juden sich ergeben wollten, und wie die Juden 
hierauf nicht eingingen, weshalb er von neuem zur Belagerung 
schritt. 

26. Des Josephus Ermahnungen an seine Landsleute, und wie infolge 

davon viele aus dem Volke zu den Römern übergingen. 

27. Hungersnot und andere schreckliche Leiden des Volkes. 

28. Wie Titus die Juden, die bei der Suche nach Nahrungsmitteln 

gefangen genommen wurden, kreuzigen liess, und wie die 
Tyrannen, damit niemand mehr an Übergabe denke, die Ver- 
wandten der Überläufer auf die Mauer führen Hessen und ihnen 
die Gekreuzigten zeigten unter Hinweis darauf, dass auch ihnen, 
falls sie überliefen, dasselbe bevorstehe. Wie sich hierdurch 
viele von der Flucht abhaiten Hessen, bis der wahre Sachver- 
halt bekannt wurde. 

30 * 


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'IffJIVERSITY OF CALIFORNIA 



468 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


29. Von Antiochus Epiphanes, und was ihm und den Seinigen 

zustiess. 

30. Wie die Juden mit Hilfe unterirdischer Gänge die Verschan- 

zungen zum Einsturz brachten und, als die Römer wiederum 
Maschinen herangeschafft hatten, bei einem Ausfall dieselben 
in Brand steckten , wobei auf beiden Seiten eine Menge Kämpfer 
fielen. 

31. Wie nach Einäscherung der Verschanzungen Titus seine Offiziere 

zum Kriegsrat versammelte, die Stadt mit einer Ringmauer 
umgeben und abermals Wälle bauen liess. 

32. Das Elend des Volkes infolge der Hungersnot und die Greuel - 

thaten der Empörer. 

33. Von Matthias, dem der Tyrann Simon seinen Einlass in die 

Stadt verdankte und den er trotzdem nebst vielen anderen 
Vornehmen hinrichten liess. Der Vater des Josephus wird weiter 
in strengem Gewahrsam gehalten. 

34. Wie Judas, einer der Unterbefehlshaber Simons, in dem Augen- 

blick, als er den ihm an vertrauten Turm dem Titus über- 
. geben wollte, vor Ausführung seines Verrates festgenommen 
wurde. 

35. Wie Josephus, als er wiederum den Bürgern zusprach, von einem 

Stein getroffen wurde, und wie infolgedessen seine Volksgenossen 
zunächst den Mut verloren, dann aber sich wieder ermannten, 
als sie ihn wohlbehalten sahen. 

36. Was den ausgehungerten Überläufern widerfuhr, als sie gierig 

Speise zu sich nahmen, und wie einigen von ihnen der Leib 
aufgeschnitten wurde, weil man vermutete, sie hätten Goldstücke 
verschluckt. 

37. Wie der Tyrann Joannes gottesdienstliche Gerate zu seinem und 

seiner Spiessgesellen Vorteil einschmelzen liess. 

38. Anzahl der Leichen, die durch ein einziges Stadtthor innerhalb 

zweier Monate hinausgetragen wurden. 



Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


469 


Erstes Kapitel. 

Das Parteigetriebe in Jerusalem. 

1. So war denn Titus, nachdem er auf die angegebene 
Weise die Wüste zwischen Aegypten und Syrien durch- 
zogen hatte, in Caesarea angelangt, wo er vor allem sein 
Heer in Ordnung zu bringen gedachte. Übrigens hatte 
bereits zu der Zeit, da er in Alexandria seinem Vater 
die neue, von Gott ihnen verliehene Herrschaft befestigen 
half, der Aufruhr in Jerusalem frisches Leben bekommen 
und drei Parteien erzeugt, von welchen die eine der 
anderen feindlich gegenüberstand, was man eigentlich 
noch ein Glück im Unglück und ein Werk der Gerech- 
tigkeit nennen darf. Die Willkürherrschaft, mit der die 
Zeloten das Volk drangsalierten und die den eigent- 
lichen Anfang der Zerstörung Jerusalems bildete, ist ja 
ihrem Ursprung nach und in ihrem verderblichen Fort- 
schreiten oben ausführlich geschildert worden. Nicht 
mit Unrecht kann man dieselbe als Aufruhr im Aufruhr 
bezeichnen, der wie ein tollwütiges Tier in Ermangelung 
der Nahrung von aussen bereits gegen das eigene Fleisch 
zu wüten begann. 

2. Simons Sohn Eleazar nämlich, derselbe, der gleich 
anfangs die Zeloten veranlasst hatte, sich vom Volke zu 
trennen und den Tempel zu besetzen, stiftete scheinbar aus 
Entrüstung über die unaufhörlichen Greuelthaten des 
immer noch mordgierigen Joannes, in Wirklichkeit aber 
weil er sich dem später aufgekommenen Tyrannen nicht 
unterordnen wollte, aus Begier nach der obersten Ge- 
walt und blosser Herrsucht eine neue Partei, indem er 
aus den Reihen der Machthaber Judas, den Sohn des 
Chelkias, und Simon, den Sohn des Ezron, an sich zog, 
denen noch ein anderer, nicht unbedeutender Mann, 
Ezekias, der Sohn des Chobar, beitrat. Jeder von diesen 
hatte auch noch einen ziemlichen Anhang unter den 
Zeloten. Sie besetzten nun den inneren Tempelraum 
und pflanzten über den geweihten Thoren im Angesicht 


Go gle 



470 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


des Allerheiligsteii ihre Waffen auf. Mit Lebensmitteln 
reichlich versehen, waren sie wohlgemut; denn die Opfer- 
gaben überhoben diese Menschen, die nichts für unerlaubt 
hielten, aller Not Nur ihre geringe Anzahl machte 
ihnen Sorge; sie verhielten sich daher, nachdem sie ihre 
Waffen dort niedergelegt hatten, zunächst ruhig. Was 
übrigens Joannes mit seiner zahlreicheren Mannschaft 
vor ihnen voraus hatte, büsste er durch die Ungunst 
seiner Stellung wieder ein; denn da die Feinde sich 
über seinem Haupte befanden, musste jeder Angriff auf 
sie mit Verlusten verbunden sein. Seine zornige Auf- 
regung aber liess ihn nicht ruhen, und obwohl er mehr 
Schaden erlitt, als er dem Eleazar und dessen Anhängern 
zufügen konnte, nahmen die Feindseligkeiten kein Ende; 
auf beiden Seiten gab es beständige Ausfälle, und ohne 
Unterlass flogen die Geschosse hin und her, sodass der 
Tempel bald keine Stelle mehr aufwies, die nicht mit dem 
Blute der Gefallenen befleckt gewesen wäre. 

3. Aber auch Simon, des Gioras Sohn, jener Tyrann, 
den das Volk in seiner Verzweiflung zu Hilfe gerufen 
und der ausser der oberen Stadt auch einen grossen 
Teil der unteren in seiner Gewalt hatte, setzte nun dem 
Joannes und dessen Leuten, weil sie schon von oben 
bedrängt wurden, noch nachdrücklicher zu. Freilich 
musste er ebenso von unten herauf gegen Joannes an- 
kämpfen, wie dieser gegen die höher stehende dritte 
Partei, und natürlich war Joannes um soviel gegen die 
letztere im Nachteil, als er vor Simon durch seine höhere 
Stellung voraus hatte; seine eigenen Verluste hielten 
sich daher mit denen, die er seinen Gegnern beibrachte, 
so ziemlich im Gleichgewicht. Die Angriffe von unten 
schlug er bequem mit der blanken Waffe ab, und gegen 
die Schüsse vom Tempel her wehrte er sich mit Maschinen ; 
denn es standen ihm eine Anzahl Katapulten und 
sonstige Wurfmaschinen zu Gebot, mit denen er freilich 
nicht nur seine Feinde sich vom Halse hielt, sondern 
auch viele Opfernden tötete. Obwohl nämlich die An- 
hänger Eleazars in ihrer Raserei sich jede Art von 



Fünftes Bach, 1 . Kapitel. 


471 


Gottlosigkeit erlaubten, Hessen sie doch diejenigen, welche 
opfern wollten, in den Tempel ein, wobei sie die Ein- 
heimischen mit argwöhnischer Vorsicht, die Fremden da- 
gegen sorgloser durchsuchten. Hatten aber diese Leute 
beim Eintritt die Grausamkeit der Besatzung durch 
Bitten besänftigt, so wurden sie nichtsdestoweniger vom 
Aufruhr dahingerafft ; denn die Geschosse der Maschinen 
flogen infolge der grossen Kraft, mit der sie geschleudert 
wurden, bis an den Altar und den Tempel und trafen 
Priester wie Opfernde. So sanken viele, die von den 
Enden der Erde zu dem hochberühmten, allen Menschen 
heiligen Ort gepilgert waren, noch vor ihren Opfertieren 
zu Boden und netzten den Altar, den sämtliche Griechen 
und Barbaren verehren, mit ihrem Blute. Leichen von 
Einheimischen und Fremden, von Priestern und Laien 
lagen hier durcheinander aufgehäuft, und ihr Blut 
bildete in den heiligen Bäumen einen förmlichen See. 
Hast du dergleichen , unseligste der Städte , von den 
Körnern erfahren müssen ? Nein, sie kamen nur, um die 
Greuel deiner eigenen Kinder zu sühnen ! Denn Gottes 
Stadt warst du nicht mehr und konntest es nicht bleiben, 
nachdem du das Grab deiner eigenen Bewohner geworden 
warst und den Tempel zum Beerdigungsplatz für die 
Opfer des Bürgerkrieges gemacht hattest. Vielleicht, dass 
du einmal wieder bessere Tage siehst, wenn du den Gott, der 
dich zerstörte, versöhnt hast ! Doch das Gesetz der Geschicht- 
schreibung will die Äusserungen des Schmerzes zurück- 
gedrängt wissen; denn nicht heisst es jetzt ein Klage- 
lied um die Heimat anstimmen, sondern den Gang der 
Ereignisse schildern. Ich fahre daher in der Geschichte 
des Aufstandes fort. 

4. So waren denn die inneren Feinde der Stadt in 
drei unter sich feindliche Lager gespalten. 1 Eleazar 
mit seinem Anhang, in dessen Gewahrsam die heiligen 
Erstlingsfrüchte sich befanden, tobte gegen Joannes; 
dessen Bande raubte die Bürger aus und lag mit Simon 


1 Vergl. Tacitus, Histor. V, 12. 


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472 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


im Streit, und auch ihn musste die Stadt für den Kampf 
wider die Gegen aufrührer mit Proviant versehen. So 
oft nun Joannes von beiden Seiten angegriffen wurde, 
teilte er seine Leute, stellte sie in entgegengesetzten 
Richtungen auf und beschoss die aus der Stadt An- 
stürmenden von den Hallen herab, während er sich 
gegen die- Speerwürfe vom Tempel her mit seinen 
Maschinen verteidigte. Liessen ihn die Angreifer da 
oben einmal freier aufatmen, wenn, wie so oft, Trunken- 
heit und Ermattung dieselben in Unthätigkeit versetzte, 
so machte er mit stärkeren Streitkräften desto kühnere 
Ausfälle gegen Simon und steckte, soweit er diesen in 
die Stadt hinuntertrieb, stets die mit Getreide und aller- 
hand sonstigem Vorrat gefüllten Häuser in Brand. 
Zog aber Joannes sich wieder zurück, so that der ihm 
nachsetzende Simon das gleiche, als ob sie geflissentlich 
den Römern zulieb alles, was die Stadt für die Zeit der 
Belagerung angesammelt hatte, vernichten und den Nerv 
ihrer eigenen Macht durchschneiden wollten. Die Folge 
davon war, dass alles in der Umgebung des Tempels 
eingeäschert wurde, sowie dass mitten in der Stadt ein 
öder, als förmliches Schlachtfeld tauglicher Raum zwischen 
den kämpfenden Parteien entstand und sämtliches Ge- 
treide, das auf Jahre hinaus für eine Belagerung gereicht 
haben würde, bis auf weniges in Flammen aufging. 
Natürlich mussten dann die Bewohner der Stadt schliess- 
lich dem Hunger erliegen, was schlechterdings unmög- 
lich gewesen wäre, wenn sie nicht selbst dieses Schicksal 
sich bereitet hätten. 

5. Während auf diese Weise innere Feinde und zu- 
sammengelaufenes Gesindel die Stadt in allen ihren 
ihren Teilen bedrängten, wurde die mitten dazwischen 
befindliche Bürgerschaft wie ein grosser Leib zerfleischt. 
Greise und Weiber beteten aus Verzweiflung über das 
Elend Jerusalems für die Römer und warteten sehn- 
süchtig auf den Krieg von aussen, um von den inneren 
Übeln erlöst zu werden. Furcht und Schrecken war 
über die eigentlichen Bewohner gekommen, und dabei 


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Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


475 


waren sie nicht nur aller Mittel und Wege zur Ver- 
besserung ihrer Lage beraubt, sondern hatten auch nicht 
die geringste Aussicht mehr auf friedlichen Vergleich 
oder auf Flucht, so sehr sie nach letzterer verlangen 
mochten. Denn alles war mit Wachen besetzt, und 
wenn auch die Anführer der Banditen im übrigen ein- 
ander befehdeten: die Freunde einer Verständigung mit 
den Römern und die als Überläufer Verdächtigten 
mordeten sie wie gemeinsame Feinde, sodass das einzige, 
worin sie übereinstimmten, die Niedermetzelung derer 
war, die länger zu leben verdient hatten. Tag und 
Nacht erscholl ohne Unterlass das laute Geschrei der 
Kämpfenden ; noch grauenvoller aber war das stille 
Seufzen der Trauernden. Schlag auf Schlag zwar lieferte 
das Unglück immer neuen Stoff zu Wehklagen ; aber 
das Entsetzen schloss den Mund für lautes Jammern, 
und die Angst unterdrückte jede Äusserung der Gefühle. 
Um so mehr wurden die Ärmsten von verhaltenem 
Kummer gequält. Keine Rücksicht kannte man mehr 
für lebende Angehörige, und den Toten liess man kein 
Begräbnis mehr an gedeihen — so sehr hatte die Verzweif- 
lung sie alle ergriffen. Wer am Aufstand nicht teilnahm, 
war in völligen Stumpfsinn versunken; sah doch jeder 
nichts anderes als seinen baldigen Untergang vor Augen. 
Auf Haufen von Toten stehend kämpften die Empörer, 
und als saugten sie Wahnsinn aus den Leichen zu ihren 
Füssen, geberdeten sie sich nur um so wilder; stets 
neues Verderben gegeneinander ersinnend und jeden 
Beschluss unbarmherzig ins Werk setzend, Hessen sie 
keine Art von Misshandlung und Grausamkeit un- 
geschehen. Joannes wollte sogar das heilige Holz zum 
Bau von Kriegsmaschinen verwenden. Das Volk und 
die Priester hatten nämlich früher einmal beschlossen, 
den Tempel unten zu stützen und ihn um zwanzig Ellen 
zu erhöhen ; mit vieler Mühe und ungeheuren Kosten 
hatte der König Agrippa sodann vom Libanon Bauholz 
herbeischaffen lassen, und zwar lauter schöngewachsene 
und wegen ihrer Grösse sehenswerte Stämme. Da nun 



474 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


der Krieg das Werk unterbrochen hatte, liess Joannes 
das Holz zerschneiden, um Türme davon zu bauen, für 
deren Höhe er in anbetracht des Umstandes, dass sie 
gegen die vom Tempel herab Kämpfenden zur Ver- 
wendung kommen sollten, die Länge der Stämme gerade 
passend fand. Die Türme gedachte er hinter der Mauer 
gegenüber der westlichen Galerie zu errichten, wo dies 
auch allein möglich war, weil die anderen Teile des 
Tempels wegen der Treppen zu weit zurückstanden. 

6. Durch diese im Frevel gegen Gott erbauten Werke 
hoffte Joannes seine Feinde bewältigen zu können. Der 
Herr aber vereitelte seine Bemühung, indem er, ehe 
auch nur einer der Türme dastand, die Körner herbei- 
führte. Unterdessen nämlich war Titus, nachdem er 
einen Teil seines Heeres an sich gezogen und einen 
anderen brieflich beordert hatte, vor Jerusalem zu ihm 
zu stossen, von Caesarea aufgebrochen. 1 Zur Verfügung 
stand ihm ausser den drei Legionen, welche zuvor mit 
seinem Vater Judaea verheert hatten, 2 noch die zwölfte, 
die früher unter Cestius geschlagen worden war, 3 übrigens 
aber durch Tapferkeit sich auszeichnete und jetzt im 
Andenken an jene Schlappe um so freudiger in den 
Kampf eilte, um dieselbe wieder gut zu machen. Die 
fünfte Legion hatte Befehl erhalten, über Ammaus zu 
ihm zu stossen, die zehnte, über Jericho nach Jerusalem 
zu marschieren. Er selbst rückte an der Spitze der 
übrigen Truppen aus, an welche die sämtlich verstärkten 
Hilfsheere der Könige und ausserdem noch viele 
Bundesgenossen aus Syrien sich anschlossen. Übrigens 
war auch die Mannschaft, welche Vespasianus aus den 
vier Legionen ausgewählt und mit Mucianus nach Italien 
geschickt hatte, diesen aus den von Titus mitgebrachten 
Streitkräften wieder ersetzt worden. Die letzteren be- 
standen aus zweitausend Mann Kern truppen von dem 


1 Frühjahr 70 n. Chr. 

- Nämlich der fünften, zehnten und fünfzehnten. 

3 8. II, 18, 9; 19, 7 ff. 



Fünftes Buch, 2. Kapitel. 


475 


Heere zu Alexandria sowie weiteren dreitausend Mann 
von den Besatzungen am Euphrat. Im Gefolge des 
Titus befand sich auch sein als ergeben und einsichts- 
voll aufs beste bewährter Freund Tiberius Alexander, 
der vordem Statthalter von Aegypten gewesen war, jetzt 
aber eine der höchsten Befehlshaberstellen im Heer inne- 
hatte. Er war dieser Ehre gewürdigt worden, weil er 
zuerst dem neu emporgekommenen Herrscherhause ge- 
huldigt und mit leuchtender Treue sein eigenes Geschick 
an dessen noch dunkle Zukunft gekettet hatte. 1 Durch 
Alter und Erfahrung sich auszeichnend, begleitete er 
jetzt den Titus als Ratgeber in den Angelegenheiten 
des Krieges. 


Zweites Kapitel. 

Titus rückt vor Jerusalem. Angriff der Juden auf die 
zehnte Legion am Oelberg. 

1. Den Zug des Titus in Feindesland eröffneten die 
königlichen und die sämtlichen übrigen Hilfstruppen. 
Ihnen folgten die Strassenbauer und Lagerabstecker, 
dann das Gepäck der Offiziere; hinter der wohlbewaff- 
neten Bedeckung des letzteren der Feldherr selbst in- 
mitten von Lanzenträgern und sonstiger auserlesener 
Mannschaft. Hierauf kam die zu den einzelnen Legionen 
gehörige Reiterei , welche vor den Maschinen herritt. 
Auf letztere folgten die Tribunen mit den Kerntruppen 
und die Befehlshaber der Kohorten, weiterhin unter Vor- 
antritt der Trompeter 2 die Feldzeichen mit dem Adler 
in der Mitte, und dann erst kam die Hauptmasse des 
Heeres in sechs Mann hohen Reihen. An jede Legion 
schloss sich deren Tross an, von welchem das Gepäck 
geführt wurde. Ganz zuletzt marschierten die Söldner 


1 S. IV, 10, 6. 

2 Nach III, 6, 2, wo die Marschordnung der Römer schon einmal 
beschrieben wurde, kamen die Trompeter hinter den Feldzeichen. 


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476 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


samt der sie überwachenden Nachhut. In dieser bei den 
Römern gebräuchlichen Ordnung zog Titus mit seinem 
Heere zunächst durch das Samariterland bis nach 
Gophna, das schon früher von seinem Vater erobert und 
mit einer Besatzung versehen worden war. 1 Hier brachte 
er eine Nacht zu, rückte gegen Morgen weiter und schlug 
nach eintägigem Marsch auf einem von den Juden in 
ihrer Muttersprache „Dornenthal“ genannten Platze bei 
dem Dorfe Gabathsaul (das heisst „Saulsberg“) etwa 
dreissig Stadien von Jerusalem entfernt sein Lager auf. 
Von dort machte er sich dann mit ungefähr sechshundert 
auserlesenen Reitern auf den Weg, um die Festungs- 
werke von Jerusalem auszukundschaften und die Stimmung 
der Juden daraufhin zu erforschen, ob sie nicht vielleicht* 
ohne es zum Kampf kommen zu lassen, bei seinem An- 
blick sich aus Furcht ergeben würden. Er hatte näm- 
lich in Erfahrung gebracht, dass, wie es ja auch that- 
sächlich der Fall war, die von Empörern und Räubern 
tyrannisierte Bürgerschaft sich nach Frieden sehne und 
nur darum sich nicht zu rühren wage, weil sie zu einer 
Auflehnung gegen die Bedrücker zu schwach sei. 

2. So lange er nun geradeaus auf der zur Mauer 
führenden Landstrasse hinritt, zeigte sich niemand vor 
den Thoren. Als er aber bei dem Psephinusturm 2 vom 
Wege abbog und seine Reiterschar einen Seitenpfad ein- 
schlagen lies9, stürzten plötzlich unzählige Feinde an 
den sogenannten Frauentürmen durch das dem Denkmal 
der Helena gegenüberliegende Thor heraus, durchbrachen 
die Linie der Reiter, warfen sich den noch auf dem 
Hauptwege befindlichen entgegen, hinderten sie, sich an 
diejenigen anzuschliessen, welche die Schwenkung bereits 
gemacht hatten, und schnitten so den Titus mit wenigen 
seiner Begleiter ab. Weiter vorzudringen, war ihm 


1 S. IV, 9, 9. 

2 Vergl. bezüglich dieses Turmes sowie aller in diesem und den 
folgenden Kapiteln vorkommenden Örtlichkeiten und Bauwerke 
Jerusalems den Plan und die mehrfach erwähnte Schrift: Spiess, 
Jerusalem des Josephus. 


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Fünftes Buch } 2. Kapitel. 


477 


unmöglich; denn von der Mauer an war alles zu Nutz- 
pflanzungen eingerichtet und deshalb mit Gräben durch- 
zogen sowie von querliegenden Gärten mit zahlreichen 
Zäunen eingenommen. Aber auch den Rückweg zu den 
Seinigen sah er sich durch die Menge der zwischen 
letzteren und ihm selbst befindlichen Feinde versperrt. 
Schliesslich ergriffen seine Leute, die keine Ahnung von 
der Gefahr des Prinzen hatten und der Meinung waren, 
auch er wolle mit ihnen umkehren, die Flucht. Nun 
ward es ihm freilich klar, dass seine Rettung nur noch 
an seiner persönlichen Tapferkeit hänge. Er wendet 
also sein Ross, ruft seinen Begleitern zu, ihm zu folgen, 
und stürzt sich mitten unter die Feinde, um sich den 
Rückweg zu den Seinigen zu erzwingen. Da konnte 
man so recht erkennen, wie Gottes Vorsehung auch die 
Wechselfälle des Krieges und die den Fürsten drohenden 
Gefahren beeinflusst; denn so viele Pfeile auch gegen 
Titus anschwirrten, der weder Helm noch Panzer trug 
(er war ja, wie oben erwähnt, nicht als Krieger, sondern 
als Kundschafter ausgeritten): kein einziges Geschoss 
berührte seinen Körper, sondern alle flogen, wie wenn 
sie absichtlich ihr Ziel verfehlt hätten, wirkungslos an 
ihm vorbei. Mit dem Schwert bahnte er sich nun durch 
die von der Seite auf ihn eindringenden Juden eine 
Gasse und jagte, indem er eine Menge derer, die sich 
ihm entgegenwarfen, niederritt, hoch zu Ross über die 
am Boden liegenden Feinde dahin. Beim Anblick dieser 
Kühnheit des Caesars 1 erhoben seine Gegner ein ge- 
waltiges Geschrei und feuerten sich gegenseitig durch 
Zurufe an, auf ihn loszugehen; aber wo er sein Pferd 
hinlenkte, da stob alles in wilder Flucht auseinander. 
Seine gleich ihm gefährdeten Begleiter hatten sich, wie- 
wohl sie hinten und an den Seiten von den feindlichen 
Geschossen vielfach getroffen wurden , dicht an ihn 


1 Caesar war um diese Zeit die besondere Bezeichnung des vom 
regierenden Imperator bei Lebzeiten ernannten Nachfolgers, also des 
Kronprinzen, geworden. 


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478 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


angeschlossen; denn sie alle sahen ein, dass sie nur 
dann noch auf Rettung hoffen durften , wenn sie dem 
Feldherrn, bevor er umzingelt wurde, einen Ausweg er- 
öffnen halfen. Dabei fielen zwei von den letzten in der 
Schar: der eine wurde zu Pferde umringt und mit Speer- 
würfen getötet, der andere, nachdem er abgesprungen 
war; des letzteren Pferd führten die Juden als Beute 
fort. Mit den übrigen aber entkam Titus glücklich ins 
Lager. Bei den Juden weckte der Erfolg dieses ersten 
Zusammenstosses mit den Römern thörichte Hoffnungen, 
und die augenblickliche Gunst des Glückes fiösste ihnen 
für später gewaltige Zuversicht ein. 

3. Tags darauf brach der Caesar, nachdem in der 
Nacht die von Ammaus heranziehende Legion sich mit 
ihm vereinigt hatte, auf und rückte bis zu dem „Skopos“ 
genannten Platze vor. Von hier aus erblickte man 
Jerusalem und den glänzenden Riesenbau des Tempels, 
weshalb diese im Norden an die Stadt sich lehnende 
Hochebene sehr passend Skopos 1 genannt wird. Sieben 
Stadien von der Stadt entfernt liess Titus für die zwei 
Legionen ein gemeinsames Lager schlagen, für die fünfte 
aber eines drei Stadien weiter rückwärts; denn weil die 
Soldaten der letzteren von dem nächtlichen Marsch noch 
ermüdet waren, glaubte er ihnen eine geschützte Örtlich- 
keit anweisen zu müssen, damit sie desto unbesorgter an 
den Verschanzungen arbeiten könnten. Kaum hatten 
sie den Bau des Lagers begonnen, als auch schon die 
zehnte Legion von Jericho her sich einfand, wo sie eine 
Abteilung Schwerbewaffneter zurückgelassen hatte, um 
diesen bereits von Vespasianus eroberten Zugang zu 
bewachen. Sie erhielt Befehl, sechs Stadien von Jeru- 
salem auf dem sogenannten ölberg sich zu lagern, 
welcher der Stadt ostwärts gegenüberliegt und von ihr 
durch eine tiefe Thalschlucht mit Namen Kedron ge- 
trennt wird. 

4. Jetzt erst machte den gegenseitigen Reibereien der 


1 D. i. Warte, Ausblick. 



Fünftes Buch, 2. Kapitel. 


479 


Parteien, die sich in der Stadt ohne Unterlass hefehdeten, 
der plötzlich und mit Macht von aussen hereinbrechende 
Krieg ein Ende. Mit Schrecken erblickten die Em- 
pörer das dreifache Lager der Römer und begannen 
nunmehr, freilich nicht aus edlen Beweggründen, die 
Eintracht zu pflegen. „Worauf warten wir denn noch,“ 
sprachen sie zu einander, „und warum dulden wir es, 
dass man uns durch feste Werke den Atem benimmt? 
In aller Ruhe verschanzt sich der Feind uns gegenüber; 
wir aber sitzen hinter unsern Mauern, sehen ihm zu, als 
wenn seine Werke uns zu Nutz und Frommen gereichten, 
legen die Hände in den Schoss und lassen unsere 
Rüstungen verstauben. Tapfer sind wir fürwahr, aber 
nur gegen uns selbst, und den Römern wird unsere 
Zwietracht die Stadt ohne Schwertstreich in die Hände 
liefern.“ Durch derartige Reden ermutigten sie sich 
gegenseitig, griffen dann vereint zu den Waffen und 
machten einen plötzlichen Ausfall gegen die zehnte 
Legion. Unter betäubendem Geschrei stürmten sie durch 
das Thal und fielen über die mit Schanzarbeiten be- 
schäftigten Römer her. Da diese sich behufs A usführung 
der Arbeiten in kleinere Trupps geteilt und aus dem 
gleichen Grunde fast durchgehends ihre Waffen ab- 
gelegt hatten (sie meinten nämlich, die Juden würden 
entweder nicht Mut genug zu einem Ausfall haben oder 
aber, selbst wenn sie Lust dazu verspürten, durch ihre 
Parteistreitigkeiten von dem Unternehmen abgehalten 
werden), gerieten sie infolge des plötzlichen Angriffs in 
Unordnung. Ein Teil liess die Arbeit im Stich und zog 
sich sogleich zurück; viele liefen nach ihren Waffen, 
wurden aber, ehe sie sich den Feinden entgegenstellen 
konnten, niedergemacht. Den Juden anderseits schlossen 
sich, durch den Sieg der ersten ermutigt, immer neue 
Kämpfer an, und da nun einmal das Glück sie be- 
günstigte, kamen sie sich selbst sowohl als auch den 
Feinden viel zahlreicher vor, wie sie in Wirklichkeit 
waren. Soldaten , die an eine bestimmte Schlacht- 
ordnung gewöhnt sind und in geschlossenen Gliedern 



480 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zu kämpfen verstehen, verlieren, sobald Unordnung ein- 
reisst, am ehesten die Fassung; so wichen auch jetzt die 
für diesmal überrumpelten Römer vor dem Angriff zu- 
rück. Machten sie nun, wenn die Juden sie eingeholt 
hatten, auf der Flucht kehrt, so hielten die Verfolger 
jedesmal in ihrem Lauf inne und brachten den etwas 
unvorsichtig daherstürmenden Feinden manche Wunde 
bei. Als aber die Menge der Angreifer immer grösser 
wurde, nahm auch die Verwirrung bei den Römern 
zu, und sie wurden schliesslich ganz von ihrem Lager 
abgedrängt. Die gesamte Legion schien verloren zu 
sein. Schnell aber eilte nun Titus, der inzwischen be- 
nachrichtigt worden war, ihr zu Hilfe. Unter heftigen 
Vorwürfen wegen ihrer Feigheit zwingt er die Fliehenden 
zur Umkehr, fallt selbst mit seinen Kerntruppen den 
Juden in die Flanke, bringt ihnen schwere Verluste an 
Toten und noch grössere an Verwundeten bei, schlägt 
sie dann sämtlich in die Flucht und drängt sie in die 
Thalschlucht zusammen. Kaum jedoch hatten die Ver- 
folgten , die auf dem abschüssigen Terrain hart mit- 
genommen worden waren, sich durchgeschlagen , als sie 
sich den Römern abermals entgegenstellten und über die 
Schlucht hinüber kämpften. Bis zum Mittag wurde auf 
diese Art weitergefochten. Als aber die Sonne sich 
etwas gegen Abend neigte, liess Titus nur die Mannschaft, 
mit der er zu Hilfe gekommen war, und andere von 
den Kohorten ihre Stellung den Juden gegenüber für 
den Fall, dass diese einen neuen Angriff versuchen 
sollten, beibehalten; den übrigen Teil der Legion da- 
gegen schickte er wieder zur Schanzarbeit auf die Spitze 
des Berges. 

5. Hierin erblickten die Juden eine Flucht der Römer, 
und da ein von ihnen auf der Mauer aufgestellter 
Kundschafter durch Schütteln seines Kleides das näm- 
liche andeutete, brach eine ganz frische Schar mit 
solchem Ungestüm hervor, dass ihr Lauf dem der wildesten 
Tiere glich. Wirklich hielt auch keiner der in Schlacht- 
ordnung stehenden Feinde ihren Anprall aus, sondern 



Fünftes Bach, 2. Kapitel. 


481 


als hätte grobes Geschütz sie getroffen , so wurde die 
Linie der Römer durchbrochen, und alles floh den Berg 
hinan. Nur Titus mit einigen wenigen hielt in der 
Mitte des Abhanges stand. Sein Gefolge, welches aus 
Achtung vor dem Feldherrn trotz der Gefahr bei ihm 
ausharrte, forderte ihn dringend auf, den Juden, die den 
Tod suchten, aus dem Wege zu gehen und nicht für 
diejenigen sein Leben aufs Spiel zu setzen, die ihn zu 
schützen verpflichtet seien. Er möge doch seine hohe 
Stellung in Betracht ziehen, als Leiter des Krieges und 
dereinst auch des römischen Weltreiches nicht den 
Dienst eines gemeinen Soldaten thun und seine Person, 
an der alles hänge, keiner so augenscheinlichen Gefahr 
preisgeben. Er aber schien das alles nicht zu hören, 
leistete vielmehr denen, die ihm entgegen die Höhe er- 
stiegen, kräftigen Widerstand, hieb die mit Gewalt an- 
stürmenden Juden nieder, warf sich an dem steilen Ab- 
hang auf die dichte Masse der Feinde und drängte sie 
dadurch zurück. Diesen verursachte die Entschlossenheit 
und der kühne Mut des Feldherrn nicht geringen 
Schrecken; gleichwohl zogen sie sich auch jetzt noch 
nicht in die Stadt zurück, sondern schwenkten auf 
beiden Seiten ab, um den weiter oben Fliehenden nach- 
zusetzen. Titus jedoch machte ihren Angriff dadurch 
unwirksam, dass er ihnen in die Flanke fiel. Unter- 
dessen aber waren die Schanzarbeiter auf dem Berge, 
als sie ihre Kameraden unten fliehen sahen, wieder von 
Angst und Bestürzung ergriffen worden , und es löste 
sich nun die ganze Legion auf, weil alles den Anlauf 
der Juden für unwiderstehlich hielt und auch den Caesar 
selbst auf der Flucht wähnte ; denn hätte er stand- 
gehalten, meinten sie, so würden die übrigen wohl nicht 
davongelaufen sein. Wie von panischem Schrecken er- 
fasst, stoben sie nach allen Richtungen auseinander, bis 
endlich einige den Feldherrn mitten im Kampfgewühl 
erblickten und voll Angst um ihn seine gefährliche Lage 
der ganzen Legion durch lautes Geschrei anzeigten. 
Bcham brachte nun alle zur Umkehr, und indem sie sich 

Jo8ephu«, Jüdischer Krieg:. 31 

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482 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

gegenseitig wegen der Flucht, noch mehr aber darüber 
Vorwürfe machten, dass sie den Caesar im Stiche ge- 
lassen, warfen sie sich mit aller Kraft auf die Juden 
und drängten dieselben, nachdem sie einmal angefangen 
hatten zu weichen, vollends in das Thal hinab. Noch 
während des Rückzugs zwar kämpften die Juden; die 
Römer aber waren durch ihre höhere Stellung im Vor- 
teil und trieben alles in die Schlucht zusammen. Mittler- 
weile setzte Titus denen zu, die ihn angegriffen hatten, 
und schickte die Legion wieder an die Sch anzarbeiten, 
um allein mit den Truppen, die zuvor unter ihm im 
Gefecht gewesen waren, den Feind abzuwehren. Um 
nun, wie es sich gehört, ohne aus Schmeichelei zu über- 
treiben oder aus Neid zu verkleinern, die Wahrheit zu 
sagen: der Caesar allein hat zweimal die bedrohte Legion 
gerettet und sie in den Stand gesetzt, ihr Lager un- 
behelligt zu verschanzen. 


Drittes Kapitel. 

Neue Unruhen in Jerusalem. Die Römer erleiden eine 
Schlappe. 

1. Während nun der äussere Krieg für kurze Zeit 
ruhte, erwachte der Parteihader im Innern aufs neue. 
Vor der Thür stand das Fest der ungesäuerten Brote, 
der vierzehnte des Monats Xanthikos, auf welchen die 
Juden den Anfang ihrer Befreiung von der aegyptischen 
Knechtschaft setzen. Eleazars Anhänger öffneten daher 
die Thore und Hessen das Volk, das seine Andacht 
verrichten wollte, in den Tempel ein. Joannes aber 
missbrauchte das Fest, um einen hinterlistigen Anschlag 
ins Werk zu setzen. Er versah nämlich diejenigen 
seiner Leute, welche weniger bekannt und obendrein 
grösstenteils auch noch unrein waren , insgeheim mit 
Waffen und liess sie mit der übrigen Menge das Heilig- 
tum betreten in der Absicht, sich desselben zu be- 


Go gle 



Fünftes Buch, 3. Kapitel. 


483 


mächtigen. Kaum waren sie drinnen, als sie ihre Ober- 
kleider abwarfen und sich plötzlich in voller Rüstung 
zeigten. Alsbald entstand nun im Tempel die grösste 
Bestürzung und Verwirrung, indem das bei den Partei- 
kämpfen unbeteiligte Volk den Angriff gegen alle ohne 
Unterschied, die Zeloten aber nur gegen ihre Leute ge- 
richtet glaubten. Die letzteren sprangen daher, ohne 
sich um die Bewachung der Thore weiter zu kümmern 
oder sich in ein Gefecht einzulassen, von den Mauer- 
zinnen herab und flüchteten in die unterirdischen Gänge 
des Tempels; das Volk dagegen, das sich zitternd um 
Altar und Tempel drängte, ward zertreten oder mit 
Knitteln und Schwertern erschlagen. Eine Menge 
ruhiger Bürger fiel bei dieser Gelegenheit der Rachsucht 
und dem persönlichen Hass ihrer Feinde zum Opfer, 
von denen sie wie Anhänger der Gegenpartei ermordet 
wurden. Wer früher einmal einen dieser Aufrührer vor 
den Kopf gestossen hatte, galt jetzt, wenn sein Feind 
ihn erkannte, als Zelot und musste auf qualvolle 
Weise sein Leben enden. Nachdem die Böse wichte 
so an den Unschuldigen ihre Wut ersättigt hatten, be- 
willigten sie den Schuldigen Waffenstillstand und 
Hessen sie, als sie aus den unterirdischen Gängen her- 
vorkamen, frei ausgehen. Sie selbst waren damit 
in den Besitz des inneren Tempels und seiner sämt- 
lichen Vorräte gelangt und fassten nun um so mehr 
Mut zum Kampfe gegen Simon. Auf diese Weise ent- 
standen aus den bisherigen drei Parteien von Empörern 
deren zwei. 

2. Unterdessen hatte Titus sich entschlossen, sein 
Lager vom Skopos weg und näher an die Stadt heran 
zu rücken. Er stellte daher eine auserlesene Streit- 
macht von Reiterei und Fussvolk in der Stärke, wie sie 
ihm erforderlich schien, zum Schutz gegen etwaige Aus- 
fälle der Juden auf und gab dem gesamten übrigen 
Heere den Befehl, allen Zwischenraum bis zur Mauer 
zu ebnen. Sämtliche Zäune und sonstigen Ein- 
friedigungen, mit denen die Bewohner Jerusalems ihre 

31 * 


Go gle 



484 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Gemüse- und Obstgärten umgeben hatten, wurden nun 
ausgerissen, alle fruchttragenden Bäume im ganzen Um- 
kreis abgehauen und die Vertiefungen und Boden- 
einschnitte damit ausgefüllt; die felsigen Vorsprünge 
aber wurden mittels eiserner Werkzeuge beseitigt. So 
ebneten sie die ganze Strecke vom Skopos bis zum 
Grabmal des Herodes 1 in der Nähe des Schlangen- 
teiches. 

3. In diesen Tagen legten die Juden den Römern 
auf folgende Weise einen Hinterhalt. Die verwegensten 
der Empörer begaben sich an den sogenannten Frauen- 
türmen aus der Stadt, gerade so, als wären sie von den 
friedliebenden Bürgern hinausgejagt worden. Wie aus 
Furcht vor einem Angriff der Römer drängten sie sich 
dicht zusammen und suchten sich einer hinter dem 
andern zu verbergen. Genossen von ihnen, dem An- 
schein nach gewöhnliche Bürger, standen währenddessen 
vereinzelt auf der Mauer, schrien nach Frieden, baten 
um Schonung und riefen die Römer unter dem Ver- 
sprechen herbei , ihnen die Thore öffnen zu wollen. 
Zugleich warfen sie nach ihren Leuten draussen 
mit Steinen, wie wenn sie dieselben vom Thore weg- 
zujagen beabsichtigten. Diese hingegen stellten sich, als 
wollten sie den Eingang erzwingen, verlegten sich dann 
wieder bei den anderen aufs Bitten, liefen ein über das 
anderemal auf die Römer zu, kehrten aber immer wieder 
wie aus Furcht zurück. Bei den Soldaten fand diese 
List auch wirklich Glauben, und da sie ebenso über- 
zeugt waren, dass sie die einen schon zum Strafvollzüge 
in der Hand hätten, wie dass die anderen ihnen die 
Stadt öffnen würden, gingen sie sogleich ans Werk. 
Dem Titus aber kam der Umstand, dass man ihn so 
ganz unerwartet herbeirief, verdächtig vor; hatte 
er doch erst tags zuvor die Juden durch Jo- 


1 Herodes war bekanntlich in Herodium beigesetzt. Es scheint 
sich also hier um ein Grab zu handeln, das ursprünglicher Be- 
stimmung entgegen unbenutzt blieb. 


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LIPÖ:R 



Fünftes Buch, 3. Kapitel. 


485 


sephus 1 zur Übergabe auffordern lassen, ohne irgendwelche 
Geneigtheit zu finden. Er befahl daher den Soldaten, an 
Ort und Stelle zu bleiben. Einige indes von denen, die ganz 
vorn bei den Arbeiten beschäftigt waren, hatten bereits 
in aller Eile die Waffen ergriffen und ihren Lauf nach 
den Thoren hin genommen. Die anscheinend aus der 
Stadt Vertriebenen wichen zunächst vor ihnen zurück ; 
sowie aber die Soldaten zwischen den Türmen des 
Thores sich befanden, stürmten die anderen vorwärts, 
umzingelten sie und griffen sie von hinten an. Gleich- 
zeitig überschütteten die auf der Mauer stehenden Juden 
sie mit einem Hagel von Steinen und allerhand 
sonstigen Geschossen, sodass eine beträchtliche Anzahl 
Römer fielen und die übrigen grösstenteils verwundet 
wurden. Einerseits nämlich war es wegen der von 
hinten andringenden Feinde sehr schwierig für sie, von 
der Mauer wegzukommen, und anderseits trieb sie die 
Scham über den Ungehorsam, den sie gegen ihre 
Führer sich erlaubt hatten, sowie die Furcht vor Strafe 
an, den einmal begangenen Fehler nun auch zu Ende 
zu führen. Deshalb hielten sie mit grösster Zähigkeit 
im Kampfe aus, und es gelang ihnen denn auch 
schliesslich , nachdem die Juden ihnen eine Menge 
Wunden beigebracht, dafür aber ebenso viele er- 
halten hatten , die sie umzingelnden Feinde zurück- 
zuschlagen. Noch auf dem Rückweg wurden sie bis 
zum Grabmal der Helena von den Juden mit Ge- 
schossen verfolgt. 

4. Hierauf liessen die Juden in gemeiner Weise 
ihren Übermut wegen der gelungenen Überlistung aus, 
verhöhnten die Römer, dass sie sich hatten täuschen 
lassen, sprangen, ihre Schilde zusammenschlagend, herum 
und jauchzten vor Freude. Die Soldaten aber erwartete 
nichts anderes als drohende Worte der Centurionen und 


1 Dass Josephus den Caesar von Alexandria aus vor Jerusalem 
begleitete, erfahren wir aus seiner Selbstbiographie (Abschnitt 75) 
sowie aus der Schrift „Gegen Apion“ (I, 9). 



486 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


der Zorn des Caesars, der also anhub: „Die Juden, 
welche nur blinde Verzweiflung in den Kampf führt 
und die dabei doch alles mit Überlegung und Umsicht 
angreifen, Fallen und Hinterhalte legen, sehen sich um 
ihres Gehorsams und ihres treuen, kameradschaftlichen 
Zusammenhaltens willen vom Glück begünstigt; die 
Römer hingegen, die infolge ihrer Mannszucht und ihres 
Gehorsams gegen die Anführer sonst das Glück be- 
ständig auf ihrer Seite haben, kommen jetzt durch die 
entgegengesetzten Eigenschaften zu Fall und werden 
besiegt, weil sie ihren Thatendrang nicht zu zügeln ver- 
stehen und, was das schlimmste ist, ohne Führung in 
Gegenwart des Caesars zu kämpfen wagen. Fürwahr, 
tief werden die Kriegsgesetze aufseufzen , und nicht 
minder mein Vater, wenn er diese Niederlage erfahrt, 
er, der in Kriegen ergraut, niemals eine solche Schlappe 
erlitt! Jene Gesetze aber bestrafen auch das geringste 
Vergehen gegen die Kriegszucht mit dem Tode. Und 
jetzt mussten sie sogar eine ganze Heeresabteilung Reih 
und Glied verlassen sehen! Augenblicklich sollen die 
Verwegenen erfahren, dass bei den Römern selbst der 
Sieg keinen Ruhm bringt, wenn er im Ungehorsam gegen 
höheren Befehl errungen wurde!“ Diesen an die Offi- 
ziere gerichteten Worten nach hatte es den Anschein, 
als wollte er gegen alle beteiligten Soldaten die Strenge 
des Gesetzes walten lassen. Den Schuldigen selbst ent- 
schwand auch bereits der Mut, da sie den verdienten 
Tod vor Augen sahen. Die Legionen aber umringten 
den Feldherrn und baten ihn flehentlich um Gnade für 
ihre Kameraden, sowie dass er die unbesonnene That 
einiger wenigen um des Gehorsams der grossen Mehr- 
heit willen vergeben möge; denn sicherlich würden diese 
den eben begangenen Fehler in Zukunft durch Tapfer- 
keit wieder gut zu machen suchen. 

5. Den Bitten willfahrte der Caesar um so lieber, als 
dies auch in seinem eigenen Interesse lag; denn die 
Bestrafung des Einzelnen, glaubte er, müsse nach dessen 
That, die einer ganzen Menge dagegen nach der Zweck- 



Fünftes Buch, S. Kapitel. 


487 


mässigkeit beurteilt werden. Er verzieh also den Sol- 
daten, nachdem er sie eindringlich ermahnt hatte, 
künftig vorsichtiger zu sein, und überlegte, wie er die 
Juden für ihre Hinterlist züchtigen könne. Als sodann 
nach vier Tagen der ganze Raum bis zur Mauer geebnet 
war, liess er, um das Gepäck und den übrigen Teil des 
Heeres sicher heranzubringen, den Kern seiner Truppen 
in siebenfacher Linie von Norden nach Westen zu 
längs der Mauer aufmarschieren. Ganz vorn stand das 
Fussvolk, hinter demselben die Reiterei, und zwar jede 
dieser Truppengattungen in dreifacher Linie; die 
siebente Reihe bildeten die inmitten beider Heeresteile 
aufgestellten Bogenschützen. Nachdem durch diese An- 
ordnung den Juden weitere Ausfälle unmöglich gemacht 
waren, konnte das Lastvieh der drei Legionen und der 
Tross in Sicherheit vorbeiziehen. Titus selbst lagerte 
etwa zwei Stadien vor der Mauer, bei einer Ecke der- 
selben gegenüber dem Psephinusturm , wo der Abschnitt 
der Ringmauer, der nach Norden sah, westwärts aus- 
bog. Der übrige Teil seiner Streitmacht bezog ein 
Lager bei dem sogenannten Hippikusturm J ebenfalls 
zwei Stadien von der Stadt entfernt. Die zehnte 
Legion jedoch verblieb in ihrer Stellung auf dem öl- 
berge . 1 2 


1 S. die Anmerkung bei Spiess, S. 26. 

2 Genau in derselben Weise wie Titus verfuhr später Gottfried 
von Bouillon. Die Franken nämlich lagerten vom Stephansthor (dem 
alten Schafthor, nahe dem Nordostende der Stadt) längs der Nord- 
und Westseite Jerusalems bis zum Davidsturm, und auch den Ölberg 
besetzten sie wegen der Ausfälle der Sarazenen aus dem östlichen 
Thor (v. Raumer, Palaestina, 4. Aufl. S. 388). 



488 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Viertes* Kapitel. 

Beschreibung von Jerusalem. 

1. Drei Mauern bildeten den Festungsgürtel der Stadt, 
soweit nicht unzugängliche Schluchten sie umgaben; 
denn an solchen Stellen hatte sie nur eine einfache 
Ringmauer. Sie selbst war auf zwei einander gegenüber- 
liegenden Hügeln erbaut, zwischen denen ein Thal- 
einschnitt sich hinzog, in welchen die beiderseitigen 
Häuserreihen einmündeten. Von den Hügeln war der, 
welcher die obere Stadt trug, 1 viel höher und mehr in 
die Länge gestreckt. Wegen seiner Festigkeit ward er 
von dem Könige David, dem Vater Solomons, des ersten 
Erbauers des Tempels, „Burg“ genannt; bei uns heisst 
er der obere Markt. Der andere Hügel dagegen, Akra 
mit Namen, auf welchem die untere Stadt stand, ist 
nach zwei Seiten gekrümmt Ihm gegenüber lag ein 
dritter Hügel, von Natur niedriger als Akra und früher 
von ersterem durch ein breites Thal getrennt. In 
späterer Zeit jedoch, als die Asamonäer regierten, füllten 
diese das Thal aus, um die Stadt mit dem Tempel zu 
verbinden; weiterhin trugen sie die Höhe von Akra ab 
und machten den Hügel dadurch so niedrig, dass der 
Tempel auch ihn überragte. Das Thal, welches, wie 
schon gesagt, den Hügel der oberen Stadt von dem 
der unteren trennt~und Tyropoion 2 heisst, erstreckt sich 
bis zum Siloa hinab; mit diesem Namen bezeichnen wir 
eine dort rinnende, süsse und wasserreiche Quelle. 
Aussen waren die beiden Hügel der Stadt von tiefen 
Schluchten umgeben und wegen der steilen Abhänge 
auf beiden Seiten nirgends zugänglich. 

2. Von den drei Mauern war die älteste schon wegen 
der Schluchten und des über ihnen sich erhebenden 
Hügels, auf dem sie gebaut war, schwer einzunehmen; 


1 Der Zion. 

2 D i. Käsemacherthiil. 


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Fünftes Buch, 4. Kapitel. 


489 


ihre natürliche Festigkeit aber war noch bedeutend da- 
durch verstärkt worden, dass David und Solomon sowie 
auch die Könige nach ihnen in der Ausführung dieses 
Werkes sich gegenseitig zu über bieten gesucht hatten. 
Im Norden bei dem sogenannten Hippikusturm beginnend, 
lief sie zum Xystos, schloss sich dann an das Rathaus 
an und endigte an der westlichen Halle des Heiligtums. 
Auf der anderen westlichen Seite begann sie bei eben- 
demselben Turm , erstreckt sich an einem Platz mit 
Namen Bethso vorbei bis zum Essenerthor, wandte sich 
dann nach Süden 1 der Siloaquelle zu, bog hierauf wieder 
ostwärts 2 an den Fischteich Solomons, lief von da bis 
zu einem Platze Ophla und schloss sich endlich an die 
östliche Halle des Tempelbezirkes an. Die zweite Mauer 
begann bei dem Thor Gennath , 3 das noch zur ersten 
Mauer gehörte, umzog die Nordseite von Akra und er- 
streckte sich 4 bis zur Burg Antonia. Die dritte nahm 
ihren Anfang wiederum bei dem Hippikusturm, von wo 
sie zunächst in nördlicher Richtung bis zum Psephinus- 
turm lief, dann gegenüber dem Grabmal der Helena, 
der Königin von Adiabene und Mutter des Königs 
Izates, nach den Königshöhlen sich wandte und bei dem 
Eckturm an dem sogenannten Walkersdenkmal umbog; 
hernach schloss sie sich an die alte Mauer an und 
endigte im Thal Kedron. Diese dritte Mauer hatte 
Agrippa um den neugebauten Stadtteil gezogen, welcher 
zuvor ganz schutzlos gewesen war. Infolge Anwachsens 
der Bevölkerung nämlich hatte sich Jerusalem allmählich 
über die Mauern hinaus vergrössert, und nachdem man 
bereits den nördlichen Abhang des Tempelberges in den 
Bereich der Stadt gezogen, musste man bald noch weiter 
gehen und auch den vierten Hügel überbauen , der 
Bezetha heiöst. Dieser lag der Antonia gegenüber und 
war von ihr durch einen tiefen Graben getrennt, den 


1 D. h. mit der Front nach Süden. 

2 D. h. mit der Front nach Osten. 

3 D. i. Gartenthor. 

4 In südlicher Richtung. 



490 


Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


man absichtlich gezogen hatte, damit nicht die unteren 
Bauwerke der Burg infolge ihres Zusammenhanges mit 
dem Hügel zu leicht zugänglich und in ihrer Höhe all- 
zusehr beeinträchtigt würden ; denn die Tiefe des Grabens 
bewirkte natürlich eine bedeutende Vergrösserung der 
Türme. Der Name Bezetha , den der neu angebaute 
Stadtteil in der Landessprache erhielt, lässt sich im 
Griechischen mit Kainopolis 1 wiedergeben. Weil nun 
auch die Bewohner von Bezetha eines Schutzes bedurften, 
begann der Vater des jetzt lebenden Königs, der gleich- 
falls Agrippa hiess, mit dem Bau der vorhin erwähnten 
Mauer ; hernach aber fürchtete er, die Grossartigkeit des 
Werkes könnte ihn beim Caesar Claudius in den Ver- 
dacht bringen, als ob er Abfall und Empörung plane, 
und hörte deshalb auf zu bauen, nachdem er nur die 
Fundamente gelegt hatte. 2 Hätte er aber die Mauer, 
wie sie begonnen wurde, vollendet, so würde die Stadt 
wohl uneinnehmbar geworden sein. Denn die Mauer 
war aus zwanzig Ellen langen uud zehn Ellen breiten 
Steinblöcken zusammengefügt, die man mit eisernen 
Werkzeugen so leicht nicht hätte untergraben noch 
mit Maschinen erschüttern können; sie selbst war zehn 
Ellen breit, und ihre Höhe würde die Breite zweifellos 
überstiegen haben, wenn der Eifer dessen, der das Werk 
begonnen, nicht auf Hindernisse gestossen wäre. Später 
gewann sie trotz eifriger Anstrengungen der Juden die 
Höhe von nur zwanzig Ellen, und da noch Brustwehren 
von zwei und Zinnen von drei Ellen hinzukamen, belief 
sich die Gesamthöhe auf fünfundzwanzig Ellen. 

3. Überragt wurde die Mauer von zwanzig Ellen breiten 
und ebenso hohen Türmen, welche viereckig und wie 
die Mauer selbst massiv gebaut waren ; die Art der Zu- 
sammenfügung und die Schönheit der Steine gab den 
zum Tempel verwendeten nichts nach. Über dem zwanzig 
Ellen hohen, massiven Grundstock der Türme befanden 


1 D. h. Neustadt. 

2 Vergl. J. A. XIX, 7, 2. 



Fünftes Buch, 4. Kapitel. 


49 i 


sich prächtige Gemächer, und über diesen noch Söller- 
räume mit Behältern zur Aufnahme des Regenwassere, 
zu denen eine beträchtliche Anzahl breiter Treppen 
hinaufführte. Solcher Türme hatte die dritte Mauer 
neunzig; der Zwischenraum zwischen je zwei Türmen 
belief sich auf zweihundert Ellen. Auf der mittleren 
Mauer waren vierzehn, auf der alten sechzig Türme ver- 
teilt. Der Umfang der ganzen Stadt betrug dreiund- 
dreissig Stadien. War nun die dritte Mauer an sich 
schon bewundernswert, so erst recht der an ihrer nord- 
westlichen Ecke befindliche Psephinusturm, in dessen 
Nähe Titus lagerte. Zu einer Höhe von siebzig Eilen 
emporragend, gewährte er bei Sonnenaufgang die Fern- 
sicht nach Arabien und den äussersten Teilen des 
Hebräerlandes bis zum Meere. Er war achteckig. Diesem 
Turm gegenüber waren vom König Herodes der Hippikus 
und nahe dabei noch zwei weitere Türme auf der alten 
Mauer errichtet worden, welche an Grösse, Schönheit 
und Festigkeit in der Welt ihresgleichen nicht hatten; 
denn mit diesen hervorragenden Werken wollte er nicht 
nur seinen angeborenen Sinn für grossartige Unter- 
nehmungen und seinen Eifer für die Stadt beweisen, 
sondern auch den Gefühlen seines Herzens eine Huldigung 
darbringen, indem er den drei liebsten Personen, deren 
Namen er den Türmen beilegte, seinem Bruder, seinem 
Freunde und seiner Gattin damit ein Denkmal setzte. 
Letztere hatte er, wie oben 1 erwähnt, aus Eifersucht um- 
bringen lassen; die beiden anderen waren ihm durch 
den Krieg, wo sie heldenmütig gekämpft hatten, ent- 
rissen worden . 2 Der Hippikus, so genannt nach seinem 
Freunde, war viereckig, fünfundzwanzig Ellen breit und 
lang, dreissig Ellen hoch und durchweg massiv. Über 
diesem aus lauter Felsquadern zusammengefügten Grund- 
stock befand sich zur Aufnahme des Regen wassers ein 
zwanzig Ellen tiefer Behälter und oberhalb des letzteren 


1 I, 22, 5. 

3 S. bezüglich Phasaels I, 13, 10. 



492 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

noch ein fünfundzwanzig Ellen hohes, in verschieden- 
artige Gemächer eingeteiltes Wohngebäude. Das Ganze 
war von zwei Ellen hohen Türmchen und drei Ellen 
hohen Brustwehren gekrönt, sodass die Gesamthöhe des 
Turmes an achtzig Ellen betrug. Der zweite Turm, den 
er seinem Bruder zu Ehren Phasael benannte, war vierzig 
Ellen lang und breit, und dter massive Unterbau gleich- 
falls vierzig Ellen hoch. Über dem letzteren lief rings- 
herum eine zehn Ellen hohe, durch Brustwehren und 
Vorsprünge geschützte Galerie, und inmitten derselben 
erhob sich ein weiterer Turm, der in Prunkgemächer 
abgeteilt und sogar mit einem Baderaum versehen war, 
sodass der Turm ganz das Ansehen eines Königsschlosses 
hatte. Seine Spitze war noch reicher als die des vorhin 
beschriebenen mit Zinnen und Türmchen verziert. Im 
ganzen betrug seine Höhe an neunzig Ellen. Seiner 
äusseren Gestalt nach glich er dem Leuch türm auf 
Pharos vor Alexandria, den er jedoch an Umfang ganz 
bedeutend übertraf. Damals musste er dem Tyrannen 
Simon als Zwingburg dienen. Der dritte Turm, Mariamne 
(so hatte die Königin geheissen), war bis zur Höhe .von 
zwanzig Ellen massiv; seine Länge und Breite betrug 
gleichfalls je zwanzig Ellen. Die oben befindlichen 
Wohnräume waren noch kostbarer und mannigfaltiger 
eingerichtet wie die der anderen Türme, da der König 
es für passend gehalten hatte, das nach einer Frau be- 
nannte Bauwerk mehr auszuschmücken als die, welche 
die Namen männlicher Personen trugen; dafür übertrafen 
die letzteren den Mariamne türm an Festigkeit. Die 
Gesamthöhe des dritten Turmes betrug fünfundfünfzig 
Ellen 

4. Die schon an sich bedeutende Grösse dieser Türme 
wurde durch ihren Standort noch um vieles gehoben; 
denn die alte Mauer, auf der sie standen, war ja ihrer- 
seits wieder auf einem hohen Hügel erbaut und ragte 
über ihn wie ein höherer Gipfel etwa dreissig Ellen 
empor, sodass die auf ihr befindlichen Türme noch weit 
grösser erscheinen mussten. Staunenswert war auch die 


Go gle 



Fünftes Buch, 4. Kapitel. 


493 


Grösse ihrer Quadern. Denn nicht aus gewöhnlichen 
Steinen oder aus Felsstücken, die von einem Arbeiter 
getragen werden konnten, waren sie erbaut, sondern 
aus behauenen Blöcken weissen Marmors, von denen 
jeder zwanzig Ellen lang, zehn Ellen breit und 
fünf Ellen hoch war. Diese Blöcke hatte man so 
geschickt übereinander gefügt, dass es schien, als sei 
jeder der Türme wie eine einzige Felsmasse aus der 
Erde hervorgewachsen und dann erst von Künstlerhand 
geformt und gerichtet worden — so wenig waren die 
Fugen des Mauerwerkes zu sehen. An die drei Türme, 
welche nördlich standen, schloss sich nach innen zu der 
Palast des Königs an, dessen prunkvolle Ausstattung 
jeder Beschreibung spottete und alles bislang Dagewesene 
in den Schatten stellte. Er war von einer dreissig Ellen 
hohen Ringmauer umgeben , die in gleichen Zwischen- 
räumen reichverzierte Türme trug, und hatte kolossale 
Speisesäle mit Ruhepolstern für hunderte von Gästen. 
Ohnegleichen war die Mannigfaltigkeit der seltenen, aus 
aller Herren Länder herbeigeschafften und hier ver- 
wendeten Steine, und die Saaldecken bildeten hinsicht- 
lich der Länge der Balken und Pracht der Verzierungen 
wahre Wunderwerke. Gemächer hatte der Palast in 
Menge und in tausendfacher Abwechselung der Formen, 
alle vollständig eingerichtet, die meisten Zimmergeräte 
von Silber und Gold; ferner eine grosse Anzahl in- 
einander verschlungener kreisförmiger Galerien, jede 
mit verschiedener Anordnung der Säulen. Die unter 
freiem Himmel liegenden Teile des Palastes prangten 
überall im Grünen. Da gab es vielgestaltige Park- 
anlagen mit langen, si^ durchschneidenden Spazierwegen; 
nahe dabei tiefe Wasserbecken, und an vielen Stellen 
Teiche mit zahlreichen ehernen Kunstwerken, durch 
welche das Wasser ausströmte; an den künstlichen 
Seen eine Menge Türmchen für zahme Tauben. Doch 
es ist nicht möglich, diesen herrlichen Palast in allen 
seinen Einzelheiten gebührend zu schildern , diesen 
Palast, dessen Verwüstung noch jetzt peinliche Er- 



494 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


inDerungen weckt. Denn nicht die Römer waren es, die 
dies alles niederbrannten, sondern die inneren Feinde 
verübten den Greuel, wie oben gesagt, 1 gleich zu Beginn 
des Aufstandes. An der Antonia brach das Feuer aus, 
ergriff dann den Königspalast und verzehrte endlich 
auch noch den Oberbau der drei Türme. 


Fünftes Kapitel. 

Beschreibung des Tempels und der Antonia. 

1. Der Tempel 2 war, wie schon bemerkt, auf dem 
Rücken eines stark befestigten Hügels erbaut Anfangs 
hatte der Gipfelraum des letzteren kaum für das eigent- 
liche Tempelgebäude und den Altar gereicht, da der 
Hügel auf allen Seiten steil und abschüssig war. Nach- 
dem aber König Solomon, der erste Erbauer des Tempels, 
den östlichen Teil mit einer Böschungsmauer umgeben 
hatte, wurde auf dem Erdaufwurf eine Säulenhalle, 
damals die einzige, errichtet; an den übrigen Seiten 
dagegen stand der Tempel noch frei. In den folgenden 
Jahrhunderten erbreiterte das Volk durch fortgesetzte 
Anschüttungen die ebene Fläche auf dem Hügel; dann 
durchbrach man auch die nördliche Mauer und nahm 
noch so viel Raum hinzu, als nachher die Einfriedigung 
des ganzen Tempelbezirkes umschloss. Nachdem nun 
der Hügel von seinem Fuss an mit einer dreifachen 
Terrasse unterbaut und so ein alle Erwartungen über- 
steigendes Werk zu Ende geführt war — während einer 
Reihe von Jahrhunderten hatt§ dazu der gesamte 
Tempelschatz , in welchen die aus der ganzen Welt 
Gott dargebrachten Opfergaben flössen, verwendet werden 
müssen — , umgab man sowohl den oberen als den 


1 II, 17, 6f. 

2 Vergl. J. A. X V, 11 sowie das Titelbild zum 2. Bande meiner 
Übersetzung der J. A. 



Fünftes Buch, 5. Kapitel. 


495 


unteren Kaum des Heiligtums mit einer Ringmauer, 
deren niedrigster Teil auf einem dreihundert Ellen hohen 
und stellenweise sogar noch höheren Unterbau ruhte. 
Doch war nicht die ganze Tiefe dieses Fundamentes 
sichtbar; denn grösstenteils hatte man die Vertiefungen 
ausgefüllt, um sie mit den Gassen der Stadt auf gleiche 
Höhe zu bringen. Die zu dem Unterbau verwendeten 
Felsstücke hatten eine Grösse von je vierzig Ellen. Die 
reichlich vorhandenen Geldmittel und der Wetteifer des 
Volkes förderten übrigens das Unternehmen in kaum 
glaublicher Weise, sodass es möglich wurde, durch Be- 
harrlichkeit mit der Zeit ein Werk fertig zu stellen, 
dessen Vollendung man früher nie zu erhoffen gewagt 
hatte. 

2. Würdig solcher Fundamente waren aber auch die 
auf ihnen errichteten Bauten. Sämtliche Hallen waren 
doppelt und ruhten auf fünfundzwanzig Ellen hohen 
Säulen, die aus dem weissesten Marmor bestanden und 
ein Getäfel von Cedernholz trugen. Die Kostbarkeit des 
Materials, seine schöne Bearbeitung und harmonische 
Zusammenfügung gewährten einen unvergesslichen An- 
blick, und doch hatte weder der Pinsel des Malers noch 
der Meissei des Bildhauers das Werk von aussen ge- 
schmückt. Die Breite der Hallen betrug dreissig Ellen, 
und der ganze Umfang derselben, die Antonia mit ein- 
gerechnet, sechs Stadien. Der gesamte nicht überdachte 
Raum war mit Mosaik von allerhand Steinen gepflastert. 
Ging man über diesen Hof, so kam man an ein den 
zweiten Tempelraum umschliessendes, drei Ellen hohes 
Steingitter von sehr gefälliger Arbeit. An ihm waren 
in gleichen Abständen Säulen angebracht, welche das 
Gesetz der Reinigkeit teils in griechischer, teils in rö- 
mischer Sprache verkündeten, dass nämlich kein Fremder 
das Heiligtum betreten dürfe; denn so hiess dieser 
zweite Raum des Tempels, zu dem man auf vierzehn 
Stufen aus dem ersten hinanstieg. 1 Die Fläche des 


1 D. h. wenn man das Steingitter passiert hatte. 



496 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Heiligtums bildete ein Viereck und war mit einer be- 
sonderen Mauer umgeben. Die äussere Höhe dieser 
Mauer, welche eigentlich vierzig Ellen betrug, wurde 
zum Teil durch die Treppe verdeckt. Innen dagegen 
erschien die Mauer nur fünfundzwanzig Ellen hoch; 
denn da sie an einen höheren, mit Treppen versehenen 
Raum angebaut und in ihrem unteren Abschnitt durch 
den Hügel verdeckt war, konnte man sie hier nicht in 
ihrer ganzen Höhe sehen. Zwischen der obersten, vier- 
zehnten Treppenstufe und der Mauer befand sich 
übrigens noch ein ganz ebener Raum von zehn Ellen. 
Von hier aus führten sodann weitere fünfstufige Treppen 
zu den Thoren, deren zusammen acht gegen Süden und 
Norden, nämlich vier nach jeder dieser beiden Rich- 
tungen, und zwei gegen Osten sahen. Letzteres hatte 
seinen guten Grund; denn da man nach dieser Himmels- 
gegend für die Frauen einen eigenen Platz, wo sie ihre 
Andacht verrichten konnten, umfriedigt hatte, so war 
auch ein zweites Thor erforderlich , welches dem ersten 
gegenüber die Mauer durchbrach. Auch von den 
anderen Himmelsgegenden, nämlich von Süden und von 
Norden, führte je ein Thor in den Vorhof der Frauen. 
Durch die anderen Thore einzutreten, war den Frauen 
nicht gestattet; ja sie durften, auch wenn sie durch das 
ihrige hineingelangt waren, die Umfriedigung nicht 
überschreiten. Dieser Platz stand übrigens einheimischen 
wie fremden jüdischen Frauen ohne Unterschied zur 
Verrichtung ihrer Andacht offen. Die Westseite hatte 
kein Thor, sondern es lief hier die Mauer ununter- 
brochen fort. Die Hallen, welche zwischen den Thoren 
an der inneren Seite der Mauer angebracht waren und 
zu den Schatzkammern führten, ruhten auf überaus 
schönen und grossen Säulen. Sie bildeten nur eine 
einfache Reihe, standen aber, abgesehen von der 
Grösse, denen des unteren Hofes in keiner Beziehung 
nach. 

3. Neun der Thore waren einschliesslich ihrer 
Pfosten und Oberschwellen über und über mit Gold und 


Go gle 


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Fünftes Bach, 5. Kapitel. 


497 


Silber bekleidet; eines, das Aussenthor des eigentlichen 
Tempels, war sogar von korinthischem Erz und übertraf 
die versilberten und vergoldeten ganz bedeutend an 
Wert. Jedes Thor hatte zwei je dreissig Ellen hohe 
und fünfzehn Ellen breite Flügel. Gleich hinter dem 
Eingang erweiterte sich der Raum nach beiden Seiten 
hin mittels turmartiger Nischen von dreissig Ellen 
Breite und über vierzig Ellen Höhe, deren jede auf zwei 
im Umfang zwölf Ellen messenden Säulen ruhte. Alle 
Thore hatten gleiche Grösse; nur dasjenige, welches 
oberhalb des korinthischen Thores aus dem Vorhof der 
Frauen von Osten her ins Heiligtum sich öffnete und 
dem Thor des Tempelgebäudes gegenüberlag, war be- 
deutend grösser. Es hatte nämlich eine Höhe von 
fünfzig Ellen und Thüren von vierzig Eilen Breite, auch 
viel reicheren Schmuck und ganz massive Gold- und 
Silberbekleidung. Diese Metallbeschläge hatte an den 
neun Thoren Alexander, 1 der Vater des Tiberius, an- 
bringen lassen. Fünfzehn Stufen führten von der 
Mauer, welche den Vorhof der Frauen begrenzte, zu 
dem grösseren Thore, fünf Stufen weniger als zu den 
anderen Thoren. 

4. Zum Tempelhause selbst, welches inmitten des ge- 
weihten Heiligtums stand, stieg man auf zwölf Stufen 
hinan. Die Front des Gebäudes war gleich hoch und 
breit, nämlich hundert Ellen, das Hintergebäude aber 
um vierzig Ellen schmäler, da der Vorderbau rechts und 
links flügelförmig zwanzig Ellen weit über dasselbe 
hinausragte. Das vordere Thor des Heiligtums, siebzig 
Ellen hoch und fünfundzwanzig breit, hatte keine 
Thüren; denn es sollte ein Sinnbild des unabsehbaren, 
offenen Himmels sein. Seine Vorderseite war überall 
vergoldet, und wenn man hindurchsah, hatte man den 
vollen Anblick des eigentlichen Tempelhauses, welches 

1 Alexander Lvsimachos , Alabarch von Alexandria, Bruder des 
berühmten Alexandriners Philo (vergl. J. A. XVIII, 6, 3; 8, 1; XIX, 
5, 1). Sein Sohn Tiberius Alexander war der mehrfach erwähnte 
frühere Landpfleger von Judaea. 

Joeephus, JUdlacher Krieg. 32 



498 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zugleich das höchste Bauwerk des Tempels war. Auch 
um die nach einwärts schauende Öffnung des Thores 
strahlte alles von Gold. Der innere Tempelraum zerfiel 
also in zwei Abteilungen ; offen aber war nur die vordere, 
die in ununterbrochener Höhe neunzig, in der Länge 
fünfzig und in der Breite etwa zwanzig Ellen mass. 
Das Thor, welches in diese Abteilung führte, war, wie 
gesagt, durchweg vergoldet, samt der ganzen dasselbe 
umgebenden Wand; über ihm befanden sich goldene 
Rebzweige, von welchen mannsgrosse Trauben herab- 
hingen. Die andere der beiden Abteilungen des Tempel- 
gebäudes war niedriger als die vordere, und es führten 
in sie fünfundfünfzig Ellen hohe und sechzehn Ellen 
breite goldene Thüren. Vor den letzteren wallte ein 
gleich langer babylonischer Vorhang herab, bunt gestickt 
aus Hyacinth, Byssus, Scharlach und Purpur, wunder- 
schön gewoben mit sehenswerter Mischung der Stoffe. 
Er sollte ein Bild des Weltalls sein; der Scharlach 
nämlich sollte das Feuer, der Byssus die Erde, der Hya- 
cinth die Luft, der Purpur das Meer andeuten, zwei der 
Stoffe durch ihre Farbe, Byssus und Purpur durch ihren 
Ursprung, indem jenen die Erde, diesen das Meer er- 
zeugt. 1 Die Stickerei zeigte den Anblick des ganzen 
Himmels mit Ausnahme der Bilder des Tierkreises. 2 

5. Durch diesen Eingang also gelangte man in den 
niedrigeren Teil des Tempel gebäudes. Dieser war sechzig 
Ellen hoch, ebenso lang und zwanzig Ellen breit. Seiner 
Länge nach zerfiel er wieder in zwei Räume. Die vordere 
Abteilung, 3 deren Länge auf vierzig Ellen bemessen 
war, enthielt drei bewunderungswürdige, weltberühmte 
Kunstwerke: den Leuchter, den Tisch und das Rauch- 
fass. Die sieben Lampen, welche sich von dem Leuchter 


1 Byssus nämlich war feinste Leinwand, Purpur der mit dem 
Safte der Meerschnecken Purpura und Murex gefärbte Stoff. 

* Nach dem mosaischen Gesetz war es den Juden bekanntlich 
verboten, Bildnisse von Menschen oder Tieren herzustellen. 

3 Das Heilige. 



Fünftes Buch, 5. Kapitel. 


499 


abzweigten, bedeuteten die sieben Planeten, 1 die zwölf 
Brote auf dem Tisch den Tierkreis und das Jahr; das 
Rauchfass aber, welches mit dreizehn verschiedenen 
Sorten Räucherwerk aus dem Meere, der unbewohnten 
Wüste und der bewohnten Erde gefüllt wurde, zeigte 
an, dass alles von Gott komme und für Gott da sei. 
Die innerste Abteilung des Tempels endlich hatte zwanzig 
Ellen im Geviert und war von dem vorderen Raume 
wiederum durch einen Vorhang getrennt. In ihr befand 
sich einfach gar nichts 2 ; von niemand durfte sie be- 
treten, verletzt oder gesehen werden ; sie hiess das Aller- 
heiligste. Rechts und links stiessen an die niedrigere 
Tempelabteilung viele durcheinander gehende dreistöckige 
Wohnungen, welche beiderseits vom Thore aus zugäng- 
lich waren. Der obere Teil des Tempelhauses hatte 
keine derartigen Anbauten mehr und war daher schmäler. 
Seine Höhe betrug gegen vierzig Ellen ; auch war er 
einfacher gearbeitet als der untere. Rechnet man diese 
vierzig Ellen zu den sechzig vom Boden aus, so ergiebt 
sich eine Gesamthöhe von hundert Ellen. 

6. Der äussere Anblick des Tempels bot alles dar, 
was Auge und Herz entzücken konnte. Auf allen Seiten 
mit schweren goldenen Platten bekleidet, schimmerte er 
bei Sonnenaufgang im hellsten Feuerglanz und blendete 
das Auge gleich den Strahlen des Tagesgestirns. Fremden, 
die nach Jerusalem pilgerten, erschien er von fern wie 
ein schneebedeckter Hügel; denn wo er nicht vergoldet 
war, leuchtete er in blendender Weisse. Seine Spitze 
starrte von scharfen goldenen Spiessen, damit er nicht 
von Vögeln, die sich auf ihn niederliessen, verunreinigt 
würde. Von den zu seinem Bau verwendeten Quadern 
waren manche fünfund vierzig Ellen lang, fünf Ellen 
hoch und sechs Ellen breit. Vor ihm stand der fünf- 


1 Zu den Planeten rechneten die Alten: Sonne, Mond, Merkur, 
Venus, Mars, Jupiter und Saturn. 

2 Nämlich nichts weiter als ein Stein, auf den der Hohepriester 
am Versöhnungstage ein Gefäss mit Räucherwerk stellte. Die heilige 
Lade war mit dem ersten Tempel zu Grunde gegangen. 

32 * 



500 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zehn Ellen hohe, fünfzig Ellen lange und breite Altar, 
viereckig von Gestalt und an seinen Ecken mit horn- 
artigen Vorsprüngen versehen; von Süden her führte 
ein sanft ansteigender Weg zu ihm hinauf. Er war 
ohne Anwendung eines eisernen Werkzeuges gebaut; 
überhaupt hatte Eisen ihn nie berührt. Rings um 
Tempel und Altar lief ein zierlich gearbeitetes, etwa 
eine Elle hohes Gitter von schönem Gestein, welches 
das gewöhnliche Volk von den Priestern schied. Samen- 
flüssigen und Aussätzigen war die ganze Stadt verboten, 
Weibern während ihrer monatlichen Reinigung der 
Tempel; letztere durften übrigens, auch wenn sie rein 
waren, die oben bezeichnete Grenze nicht überschreiten. 
Männer, die nicht völlig rein waren, mussten dem inneren 
Hofe fembleiben, desgleichen Priester, bei denen dies 
der Fall war. 

7. Geborene Priester, die wegen eines körperlichen 
Gebrechens den heiligen Dienst nicht versehen durften, 
befanden sich dennoch innerhalb des Gitters bei den 
körperlich Untadeligen und erhielten auch die ihnen 
kraft ihrer Abstammung zustehenden Opferteile, trugen 
aber gewöhnliche Kleidung; denn nur der Dienstthuende 
durfte das heilige Gewand anlegen. Zur Opferstätte 
und zum Tempel traten nur makellose Priester, in Byssus 
gekleidet und, was die Hauptsache war, ohne Wein ge- 
nossen zu haben — aus Ehrfurcht vor dem Dienst, damit 
sie bei ihren Verrichtungen keinen Fehler begingen. 
Der Hohepriester ging mit ihnen hinauf, aber nicht 
immer, sondern nur an den Sabbaten, den Neumonden 
und wenn ein herkömmliches Fest oder eine Zusammen- 
kunft des ganzen Volkes das Jahr über gefeiert wurde. 
Wenn er Dienst that, trug er zuunterst einen Gürtel, 
der die Lenden bis zur Scham bedeckte, ferner einen 
Leibrock aus Leinen und darüber ein bis an die Knöchel 
reichendes, hyacinthblaues , den ganzen Körper um- 
wallendes Oberkleid, das mit Fransen besetzt war. An 
den Fransen hingen goldene Glöckchen und Granatäpfel 
abwechselnd, jene eine Sinnbild des Donners, diese des 



Fünftes Buch, 5. Kapitel. 


501 


Blitzes. Die Binde, welche das Oberkleid an die Brust 
befestigte, war aus fünf Streifen bunt gewirkt, nämlich 
aus Gold, Purpur, Scharlach, Byssus und Hyacinth, 
also denselben Stoffen, aus denen, wie oben gesagt, auch 
die Vorhänge des Tempels gewoben waren. Über diesem 
Gewand trug er noch ein in denselben Farben gesticktes 
ßchulterkleid , bei welchem jedoch der Goldstoff vor- 
herrschend war. Der Schnitt dieses Kleidungsstückes 
glich einem Panzerhemd. Zusammengehalten wurde es 
von zwei goldenen Spangen, in welche die schönsten 
und grössten Sardonyxe mit den eingravierten Namen 
der Stämme des Volkes gefasst waren. An der vorderen 
Seite hingen zwölf Steine herab, je drei in vier Reihen 
geordnet, nämlich ein Karneol, Topas, Smaragd, ein 
Rubin, Jaspis, Sapphir, ein Achat, Amethyst, Bernstein* 
ein Onyx, Beryll, Chrysolith. Auf jedem dieser Steine 
stand wieder ein Stammesname. Den Kopf deckte eine 
Tiara aus Byssus mit Hyacinth durchwoben. Um die- 
selbe schlang sich ein goldener Reif, der mit den heiligen 
Buchstaben beschrieben war ; unter letzteren versteht 
man vier bestimmte Laute . 1 Dieses Gewand trug er 
übrigens nicht für gewöhnlich — da legte er ein ge- 
ringeres an — , sondern nur wenn er in das Allerheiligste 
ging. Das geschah aber bloss einmal im Jahr, nämlich 
an dem Tage, da altem Brauche gemäss sämtliche Juden 
Gott zu Ehren fasten . 2 Über die Stadt, den Tempel 
und die darauf bezüglichen Gesetze und Gebräuche 
werde ich indes an anderem Orte mich ausführlicher 
verbreiten 3 ; denn gar vieles bleibt noch davon zu sagen 
übrig. 


1 Gemeint ist der Name Gottes (Jehovah, rnrP), den Josephus 
nicht erwähnt, weil er von den Juden nicht ausgesprochen werden 
durfte (J. A. II, 12, 4). 

8 D. i. am Versöhnungstage. 

» Wie aus J. A. XX, 11, 2 hervorgeht, wollte Josephus ein 
solches Werk schreiben ; doch hat er diesen Plan wahrscheinlich 
nie zur Ausführung gebracht , da nichts dergleichen auf uns ge- 
kommen ist: 



502 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


8. Was nun die Antonia betrifft, so lag dieselbe in 
dem Winkel, den zwei der Hallen des äusseren Tempel- 
raumes, die westliche und die nördliche, miteinander 
bildeten. Gebaut war sie über einem fünfzig Ellen 
hohen, auf allen Seiten abschüssigen Felsen. Sie war 
ein Werk des Königs Herodes, durch das er seine 
Prachtliebe in hohem Grade bekundete. Zunächst näm- 
lich war der Fels von seinem Fusse an mit geglätteten 
Steinplatten belegt, einmal des schönen Aussehens wegen, 
und dann auch damit jeder, der hinaufzuklettern oder 
hinabzusteigen versuchen sollte, davon abglitte. Vor 
dem eigentlichen Burggebäude erhob sich sodann eine 
drei Ellen hohe Mauer, 'innerhalb deren die Antonia 
selbst noch um vierzig Ellen anstieg. Das Innere hatte 
die Räumlichkeiten und die Einrichtung eines Palastes; 
denn es war in Gemächer jeder Art und Bestimmung 
geteilt, in Hallen, Bäder und geräumige Kasernenhöfe, 
sodass die Burg, was Ausstattung mit allen Bequemlich- 
keiten anging, den Eindruck einer Stadt, in Bezug auf 
Pracht den eines Königspalastes machte. Das Ganze 
sah wie ein Turm aus, war aber an den Ecken wieder 
mit vier Türmen besetzt, von denen zwei je fünfzig, die 
beiden anderen, nämlich der südliche und östliche, je 
siebzig Ellen hoch waren, sodass man von ihnen auä 
den ganzen Tempelraum überschauen konnte. Wo die 
Burg an die Tempelhallen grenzte, führte je eine Treppe 
in diese |hinunter, auf welchen die Wachmannschaften 
der stets in der Antonia liegenden römischen Legion 
herabstiegen, um, in den Hallen verteilt, an Festtagen 
das Volk zu überwachen, damit es keine aufrührerischen 
Bewegungen ^anstelle. Wie der Tempel eine Zwingburg 
für die Stadt^ so war dies für den Tempel die Antonia. 
In letzterer lag auch die Besatzung für alle drei ; ausser- 
dem hatte die obere (Stadt noch eine eigene Festung, 
den Palast des Herodes. Der, wie bereits bemerkt, von 
der Antonia getrennte Hügel Bezetha war der höchste 
von den Hügeln und mit einem Teil der Neustadt ver- 
bunden. Er allein nahm auch, wenn man von Norden 



Fünftes Buch, 6. Kapitel. 


503 


kam, die Aussicht auf den Tempel weg. Da ich übrigens 
von der Stadt und den Mauern unten noch eingehender 
zu reden gedenke, so möge es für jetzt bei dem Gesagten 
sein Bewenden haben. 


Sechstes Kapitel. 

Weiteres von Simon und Joannes. Nikanors Verwundung. 

Titus beschleunigt die Belagerungsarbeiten. 

1. Von den streitbaren Empörern in der Stadt 
bildeten, die Idumäer ungerechnet, zehntausend den An- 
hang Simons, und diese zehntausend standen unter fünfzig 
Anführern, über welche Simon selbst als Oberbefehls- 
haber gebot Die Idumäer, welche zu ihm hielten, 
zählten fünftausend Mann unter zehn Führern, von denen 
Jakobus, der Sohn des Sosas, und Simon, der Sohn des 
Kathlas, unstreitig die hervorragendsten waren. 1 Joannes 
anderseits, der den Tempel besetzt hielt, hatte sechs- 
tausend Schwerbewaffnete unter zwanzig Anführern. An 
ihn hatten sich bekanntlich nach Beilegung des früheren 
Streites auch die Zeloten an geschlossen, 2 welche, zwei- 
tausendvierhundert Mann stark, unter ihren ehemaligen 
Befehlshabern Eleazar und Simon, dem Sohne des Ari, 
standen. Die zwei Hauptparteien befehdeten sich übrigens 
noch immer, und das Volk musste dabei, wie oben be- 
merkt, den Kampfpreis hergeben, indem diejenigen 
Bürger, die das frevelhafte Treiben nicht mitmachen 
wollten, von beiden ausgeplündert wurden. Simon hatte 
die obere Stadt und ;die grosse Mauer bis zum Kedron 
sowie von der alten Mauer den Teil inne, der sich 
bei der Siloaquelle nach Osten 3 wendet und bis zum 


1 Au 8 dieser Stelle wie aüs IV, 9, 11 muss man schliessen, dass 
die früher zu Hilfe gerufenen Idumäer (s. IV, 4) entweder nicht 
alle heimgekehrt waren (IV, ti, 1), oder sich teilweise später wieder 
eingefunden hatten. 

2 S. V, 3, 1. 

3 D. h. mit der Front nach Osten, also nordwärts. 


Go gle 



504 Josephos, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Palast des Monobazus läuft. Dieser Monobazus, neben- 
bei gesagt, war König der jenseits des Euphrat wohnenden 
Adiabener. Ferner gehörten zu Simons Machtbereich 
die erwähnte Quelle selbst, dann Akra (das ist die untere 
Stadt) und der Bezirk bis zum Palast der Helena, der 
Mutter des Monobazus. 1 Joannes dagegen gebot über 
den Tempel und einen beträchtlichen Teil der Umgebung 
desselben, sowie über Ophla und das Kedronthal. Durch 
Einäscherung der zwischen ihren beiderseitigen Gebieten 
belegenen Stadtteile hatten die Parteihäupter sich für 
ihre Kämpfe wider einander Raum verschafft. 2 Denn 
selbst als die Römer bereits vor den Mauern Jerusalems 
lagerten, Hessen sie die Waffen nicht ruhen, und kaum 
dass sie nach dem ersten Ausfall etwas klüger geworden 
waren, so fielen sie auch schon wieder in die vorige 
Krankheit zurück, entzweiten sich miteinander, bekämpften 
sich gegenseitig und thaten alles, was die Belagerer nur 
wünschen mochten. Fürwahr, kein schlimmeres Leid 
hatten sie von den Römern zu erdulden, als sie selbst 
einander zufügten , und keine neue Drangsal hätte 
die Stadt nach diesen Vorgängen mehr treffen können; 
denn schon vor ihrem Fall war sie von grösserem Un- 
heil heimgesucht worden, sodass die Eroberer ihren Zu- 
stand nur verbesserten. Mit anderen Worten: wie der 
Bürgerkrieg der Stadt, so machten die Römer dem 
Bürgerkrieg ein Ende , der noch viel stärker als die 
Mauern sich erwies. Alle Trübsal kann man demnach 
mit gutem Grund den Einheimischen, alles Gerechte den 
Römern zuschreiben. Doch es bilde sich jeder sein Ur- 
teil an der Hand der Thatsachen. 

2. Während in Jerusalem die Dinge so standen, um- 
ritt Titus mit einer auserlesenen Reiterschar die Stadt 
und suchte eine Stelle zu erspähen, wo sich ein Angriff 
auf die Mauern ausführen Hesse. Überall aber fand er 
Schwierigkeiten ; denn von den Schluchten aus war ohne- 

1 S. J. A. XX, 2; 4, 3. 

■ S. V, 1, 3 


Go gle 



Fünftes Buch, 6. Kapitel. 


505 


bin eine Annäherung nicht möglich, und an den anderen 
Seiten kam ihm die äussere Mauer für die Maschinen 
zu mächtig vor. Endlich beschloss er, einen Angriff bei 
dem Grabmal des Hohepriesters Joannes zu versuchen. 
An dieser Stelle nämlich war der äussere Festungsgürtel 
niedriger und der zweite nicht zusammenhängend, da 
man die Umwallungsarbeiten an dem weniger dicht be- 
völkerten Teile der Neustadt vernachlässigt hatte. Von 
hier aus war es deswegen auch leicht, die dritte Mauer 
zu erreichen, nach deren Erstürmung er die obere Stadt 
und dann durch die Antonia den Tempel zu nehmen 
gedachte. Während dieses Rittes um die Stadt geschah 
es nun, dass einer seiner Freunde, Nikanor mit Namen, 
als er in Begleitung des Josephus sich der Mauer 
näherte, um den auf derselben stehenden Juden, denen 
er wohlbekannt war, Friedensvorschläge zu machen, an 
der linken Schulter durch einen Pfeilschuss verwundet 
wurde. Hieraus ersah der Caesar den trotzigen Sinn 
der Belagerten; Hessen sie doch nicht einmal diejenigen 
unbehelligt, die zu ihrem eigenen Besten mit ihnen in 
Verbindung treten wollten. Er betrieb daher die Be- 
lagerung von jetzt ab nur noch eifriger, erlaubte den 
Legionen, die Umgebung der Stadt zu verwüsten, und 
gab Befehl, Material zur Errichtung von Wällen zu 
sammeln. Alsdann beorderte er das Heer in drei Ab- 
teilungen zur Arbeit und stellte in den Zwischenräumen 
der Wälle die Schleuderer und Bogenschützen, in der 
Front aber die Skorpionen , 1 Katapulten und Ballisten 
auf, um dadurch etwaigen Ausfällen der Feinde gegen 
die Werke wie auch den Angriffen von der Mauer her 
wirksam begegnen zu können. Während nun die nähere 
Umgebung der Stadt durch schleuniges Fällen der 
Bäume abgeholzt und die Stämme zu den Wällen zu- 
sammengetragen wurden, mit deren Errichtung sich das 
ganze Heer eifrigst beschäftigte, blieben auch die Juden 
keineswegs unthätig. Das Volk, das unter lauter Raub 


Der Skorpion war eine etwas kleinere Abart der Katapulte. 



506 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


und Mord lebte, fasste eben jetzt wieder Mut; denn es 
hoffte, wenn seine Bedränger vom Kampfe mit den 
äusseren Feinden ganz in Anspruch genommen wären, 
freier aufatmen und für den Fall, dass die Römer siegen 
sollten, an den Schuldigen sich rächen zu können. 

3. Joannes aber blieb aus Furcht vor Simon in seiner 
Stellung, so sehr auch seine Leute den Feinden vor der 
Stadt entgegenzurücken verlangten. [Simon dagegen 
ruhte schon aus dem Grunde nicht, weil er sich näher 
an den Belagerungsarbeiten befand, sondern stellte die 
dem Cestius abgenomraenen und die von der Besatzung 
der Antonia erbeuteten Wurfmaschinen 1 an verschiedenen 
Punkten der Mauer auf. Ihr Besitz war jedoch den 
Juden von keinem besonderen Nutzen, weil sie nicht 
damit umzugehen verstanden , und nur einige wenige, 
welche die Bedienung von Überläufern erlernt hatten, 
versuchten ihre Kunst an den Maschinen, freilich un- 
geschickt genug. Dagegen beunruhigten sie die Schanz- 
arbeiter durch Steinwürfe und Pfeilschüsse, machten in 
wohlgeordneten Haufen Ausfälle und lieferten den Römern 
manches Scharmützel. Die Arbeiter indes fanden gegen 
die Geschosse an dem über Pfähle ausgespannten Flecht- 
werk, gegen die Ausfälle jan ihren eigenen Kriegs- 
maschinen hinreichenden Schutz. Alle Legionen nämlich 
waren in dieser jBeziehung aufs beste ausgerüstet; be- 
sonders die zehnte besass ungewöhnlich starke Skorpionen 
und grosse Bailisten, mit denen sie ebensowohl den Aus- 
fällen die Spitze bieten , als auch die auf [der Mauer 
stehenden Juden [verscheuchen konnte. Schleuderten 
doch die Maschinen talentschwere 2 Felsstücke, welche 
zwei Stadien weit und selbst noch weiter flogen, sodass 
nicht nur die Feinde in den vordersten Reihen, sondern 
auch ihre Hintermänner davor zurückwichen. Anfangs 
zwar wussten die Juden sich vor den Steingeschossen 
zu sichern ; denn abgesehen davon , dass dieselben sich 


1 S. II, 7, 7 und 19, 9. 

2 1 Talent als Gewicht = 26 kg. 



Fünftes Buch, 6. Kapitel. 


507 


durch ihr Schwirren vorher ankündigten , konnten sie 
auch infolge ihrer Helligkeit — sie waren weiss — schon 
von fern gesehen werden. Jedesmal nun, wenn die 
Maschine geladen wurde und der Stein fortflog, zeigten 
die auf den Türmen postierten Wächter dies an, indem 
sie in der Landessprache riefen: „Das Geschoss kommt!“ 
Sogleich wichen dann die, gegen welche es seine Richtung 
nahm, auseinander und warfen sich hin. Gebrauchte 
man diese Vorsicht, so fiel das Felsstück meist unwirk- 
sam zur Erde. Bald aber kamen die Römer auf den 
Gedanken, die Steine zu schwärzen, und da sie nun nicht 
mehr im voraus erkennbar waren , traf jeder einzelne 
Schuss und streckte eine Anzahl Juden zugleich nieder. 
Trotz des Schadens indes, den die Belagerten erlitten, 
Hessen sie die Römer beim Bau der Wälle nicht in Ruhe, 
sondern suchten sie Tag und Nacht durch allerlei listige 
und kühne Unternehmungen daran zu hindern. 

4. Als die Werke vollendet waren, massen die Bau- 
meister den Abstand bis zur Mauer, indem sie ein an 
einer Schnur befestigtes Blei von den Wällen dorthin 
warfen; bei anderem Verfahren nämlich wären sie von 
oben beschossen worden. Hierbei ergab sich, dass die 
Mauer von den Sturmböcken erreicht werden konnte, 
und so schaffte man denn die letzteren heran. Zugleich 
liess Titus, um zu verhindern, dass die Widder von den 
Juden unwirksam gemacht würden, die Wurfmaschinen 
in grösserer Nähe der Mauer aufstellen und gab dann 
Befehl, mit den Stössen zu beginnen. Als nun auf ein- 
mal von drei Stellen her ein furchtbares Krachen in der 
Stadt erdröhnte, schrien die Bewohner vor Schrecken auf, 
und auch der Empörer bemächtigte sich eine gewaltige 
Angst. Jetzt endlich, da sie sich von gemeinsamer Ge- 
fahr bedroht sahen, dachten die beiden Parteien daran, 
sich auch gemeinsam zu verteidigen , und laut riefen 
sich die Entzweiten zu, sie arbeiteten ja eigentlich nur 
den Feinden in die Hände, während sie, selbst wenn 
Gott ihnen keine dauernde Eintracht verleihen würde, 
doch wenigstens für den Augenblick Frieden schliessen 



508 


Josephu*, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


und gegen die Römer Zusammenhalten müssten. In der 
That liess nun Simon denen im Tempel durch einen 
Herold Sicherheit verbürgen, wenn sie sich zur Mauer 
begeben wollten, und Joannes ging, wiewohl misstrauisch, 
darauf ein. Hass und Zwietracht schien vergessen; wie 
ein Mann standen sie zusammen, besetzten die Mauer, 
schleuderten von hier aus eine Menge Feuerbrände gegen 
die Maschinen und beschossen die Bedienungsmann- 
schaften der Sturmböcke ohne Unterlass mit Pfeilen. Die 
Keckeren stürzten truppweise hervor , zerrissen die 
Schutzdächer der Schanzarbeiter und fielen über die 
letzeren her, wobei sie, freilich weniger ihrer taktischen 
Überlegenheit als ihrer Tollkühnheit zufolge, meist sieg- 
reich blieben. Der Caesar aber ward nicht müde, den 
Arbeitern beizustehen, indem er mit Hilfe der zu beiden 
Seiten der Werke aufgestellten Reiter und Bogenschützen 
die Brandwerfer abwehrte, die von den Türmen herab 
schiessenden Juden vertrieb und den Sturmböcken freien 
Spielraum verschaffte. Die Mauer gab indes den Stössen 
nicht nach, nur dass der Widder der fünfzehnten Legion 
die Ecke eines Turmes ein wenig verrückte; die Mauer 
selbst aber blieb unversehrt, da sie durch den weit vor- 
ragenden Turm, der nicht leicht etwas von der Umwallung 
mit sich reissen konnte, nicht besonders gefährdet war* 
5. Für kurze Zeit enthielten sich nun die Juden 
weiterer Ausfälle. Als sie aber eines Tages bemerkten,, 
wie die Römer — die der Meinung waren, Furcht und 
Ermattung habe ihre Gegner veranlasst, sich ruhig zu 
halten — bei den Arbeiten und auf den einzelnen Lager- 
plätzen sich zerstreut hatten, brachen sie durch ein ver- 
decktes Thor in der Nähe des Hippikusturmes in grosser 
Menge hervor, steckten die Werke in Brand und schickten 
sich an, die Lagerverschanzungen des Feindes zu berennen* 
Auf ihr Geschrei schlossen sich die näher befindlichen 
Römer alsbald zusammen, und auch die entfernteren 
eilten herbei. Aber die Tollkühnheit der Juden war 
schneller als die Taktik der Römer, und nachdem sie die 
ersten, die ihnen begegneten , in die Flucht geschlagen 



Fünftes Buch, 6. Kapitel. 


509 


hatten, warfen sie sich auf die anderen, die sich eben 
sammelten. Bei den Maschinen entspann sich nun ein 
furchtbarer Kampf: die Juden thaten alles, sie anzu- 
zünden, die Römer hingegen suchten dies mit äusserster 
Anstrengung zu verhindern. Hüben wie drüben ertönte 
verworrenes Geschrei, und eine Menge derer, die in den 
vordersten Reihen stritten, fiel unter dem Schwert ihrer 
Gegner. Endlich aber gewannen die Juden infolge ihrer 
Tollkühnheit die Oberhand: das Feuer ergriff die Werke, 
und alle Römer würden wohl mitsamt den Maschinen ver- 
brannt sein, hätten nicht die meisten der alexandrinischen 
Kerntruppen mit einer ihnen selbst nachher unbegreif- 
lichen Kraftanstrengung, durch welche sie in diesem 
Kampfe die berühmtesten ihrer Kameraden übertrafen, 
so lange stand geh alten, bis der Caesar sich an der Spitze 
seiner tapfersten Reiter den Feinden entgegen geworfen 
hatte. Zwölf der vordersten macht er eigenhändig nieder; 1 
ihr Schicksal bringt die übrige Menge zum Weichen; er 
verfolgt sie, treibt alle in die Stadt zurück und bewahrt 
so die Werke vor der völligen Einäscherung. In diesem 
Gefecht ward auch ein Jude lebendig gefangen genommen, 
den Titus vor der Mauer ans Kreuz schlagen liess, um 
durch den abschreckenden Anblick die übrigen zum Nach- 
geben zu bewegen. Ferner wurde nach dem Rückzug 
der Idumäeranführer Joannes, 2 während er von der 
Mauer herab mit einem befreundeten Soldaten sprach, 
von einem arabischen Bogenschützen in die Brust ge- 
schossen und starb auf der Stelle — zum grossen Leid- 
wesen der Juden nicht minder wie der Empörer: denn 
sr war ein durch persönliche Tapferkeit und Einsicht 
ausgezeichneter Mann gewesen. 

1 Vergl. Sueton., Titus 5. 

2 S. IV, 4, 2. 



510 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Siebentes Kapitel, 

Erstürmung der ersten Mauer und Angriff auf die zweite. 

Von dem römischen Reiter Longinus und dem Juden 
Kastor. 

1. In der folgenden Nacht befiel die Körner ein 
plötzlicher Schrecken. Einer der fünfzig Ellen hohen 
Türme nämlich, welche Titus auf den Wällen hatte er- 
richten lassen, um die letzteren gegen Angriffe von der 
Mauer her zu schützen, stürzte um Mitternacht von selbst 
wieder ein. Das hierbei entstehende fürchterliche Ge- 
töse versetzte das ganze Heer in Bestürzung: alles eilte 
in dem Glauben, es sei ein feindlicher Angriff erfolgt, 
zu den Waffen. Masslose Verwirrung herrschte bei den 
einzelnen Legionen, und da niemand die Sache auf- 
klären konnte, meinten sie in ihrer Ratlosigkeit bald 
dies, bald jenes. Schliesslich, als kein Feind sich blicken 
liess, graute es ihnen sogar vor sich selber, sodass jeder 
seinen Nebenmann ängstlich nach der Losung fragte, 
wie wenn sich Juden ins Lager eingeschlichen hätten. 
Panischer Schrecken schien sie alle ergriffen zu haben, 
bis endlich Titus das Geschehene erfuhr und den Sach- 
verhalt bekannt machen liess ; gleichwohl waren sie nur 
schwer zu beruhigen. 

2. Die Juden ihrerseits hielten allen sonstigen An- 
griffen gegenüber wacker stand; grossen Schaden aber 
verursachten ihnen die Türme, von deren Höhe aus sie 
mit leichteren Maschinen beschossen und mit einem 
Hagel von Speeren, Pfeilen und Steinen überschüttet 
wurden. Sie selbst dagegen vermochten die Türme weder 
zu erreichen, weil dieselben sehr hoch waren, noch sie 
zu nehmen, da sie einerseits ihrer Wucht halber nicht 
leicht umgestürzt, anderseits wegen ihres Beschlages von 
Eisen nicht in Brand gesteckt werden konnten. Gingen 
aber die Juden ausser Schussweite zurück, so waren sie 
den Angriffen der Widder gegenüber völlig machtlos, 
die durch ihr unaufhörliches Stossen allmählich doch 


Go gle 



Fünftes Bach, 7. Kapitel. 


511 


etwas ausrichteten. Schon fing die Mauer an, dem 
Nikon 1 — so nannten die Juden selbst den grössten 
Sturmbock wegen seiner unwiderstehlichen Kraft — 
nachzugeben; die Belagerten aber waren von den vielen 
Gefechten und den Nachtwachen, die sie fern von der 
eigentlichen Stadt hatten bestehen müssen, längst er- 
mattet, hatten auch, sei es aus Leichtsinn, sei es aus 
gänzlichem Mangel an Überlegung, die Bewachung der 
Mauer angesichts der beiden anderen, die ihnen ausser- 
dem noch zu Gebote standen, für überflüssig gehalten 
und sich grösstenteils entmutigt zurückgezogen. So 
kletterten denn die Römer, während sämtliche Wacht- 
posten sich hinter die zweite Mauer flüchteten, an der 
vom Nikon beschädigten Stelle in die Höhe, und sobald 
die ersten hinüber waren, öffneten sie die Thore und 
Hessen das ganze Heer einziehen. Am fünfzehnten Tage 
der Belagerung — es war der siebente des Monats Arte- 
misios — gelangten die Römer in den Besitz der ersten 
Mauer; eine grosse Strecke derselben rissen sie nieder, 
ebenso den nördlichen Teil der Stadt, wie dies früher 
auch Cestius gethan hatte. 2 

3. Titus verlegte nun sein Lager hinter die erste 
Mauer an das sogenannte „Lager der Assyrier“, nachdem 
er zuvor das ganze Terrain bis zum Kedron besetzt 
hatte, und da er jetzt nur noch um Schussweite von der 
zweiten Mauer entfernt war, schritt er alsbald zum An- 
griff. Die Juden, die sich auf der Mauer verteilt hatten, 
leisteten hartnäckigen Widerstand, und zwar die Leute 
des Joannes von der Antonia, der nördlichen Tempel- 
halle und dem Grabmal des Königs Alexander 3 aus; 
Simons Truppen dagegen besetzten den Eingang bei 
dem Grabmal des Joannes und verteidigten die Strecke 
bis zu dem Thor, an welchem die Wasserleitung zum 
Hippikusturm hinlief. Zu wiederholten Malen stürzten 


1 D. h. Sieger. 

* S. II, 19, 4. 

3 Alexander Jannaeus (105—79 v. Chr.). 


Go gle 



512 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sie nun aus den Thoren hervor und gerieten mit den 
Feinden aneinander, wurden aber immer wieder hinter 
die Mauern zurückgedräDgt; denn da sie in der römischen 
Kriegskunst nicht bewandert waren, zogen sie beim 
Handgemenge stets den kürzeren, während sie im Mauer- 
gefecht die Oberhand behielten. Führte bei den Römern 
Kraft und Erfahrung das Schwert, so that dies auf 
seiten der Juden jene Tollkühnheit, die der Angst ent- 
springt, sowie die diesem Volke eigene Ausdauer im 
Unglück; dazu kam bei den Juden noch die Hoff- 
nung auf Rettung, wie bei den Römern die auf raschen 
Sieg. Weder hier noch dort machte sich Ermattung 
geltend, sondern ohne Unterlass erfolgten Angriffe, 
Mauergefechte, Ausfälle kleinerer Scharen den ganzen 
Tag über, und keine Art von Kampf blieb unversucht. 
Kaum war die Sonne aufgegangen, so begannen die 
Feindseligkeiten, und erst die Dunkelheit machte den- 
selben ein Ende. Schlaflos aber war die Nacht für 
beide Teile und unheimlicher als der Tag: für die 
Juden, weil sie jeden Augenblick die Erstürmung der 
Mauer, für die Römer, weil sie beständig einen Angriff 
auf ihr Lager befürchten mussten. Beiderseits brachte 
man deshalb die Nacht unter den Waffen zu, und gleich 
beim Morgengrauen stand man wieder kampfgerüstet da. 
Bei den Juden stritt man sich, wer, um den Führern 
zu gefallen, zuerst der Gefahr entgegengehen dürfe; am 
.meisten geachtet und gefürchtet war übrigens Simon, an 
dem seine Untergebenen so sehr hingen, dass auf seinen 
Befehl jeder mit der grössten Bereitwilligkeit Hand an 
sich selbst gelegt haben würde. Was anderseits die 
Römer zur Tapferkeit anspornte, war ausser der Ge- 
wohnheit, stets zu siegen und nie besiegt zu werden, der 
unausgesetzte Heeresdienst, die beständige Übung in den 
Waffen und die Grösse des Reiches, vor allem aber die 
Person des Titus, der überall zugegen und allen zur 
Seite war. Unter den Augen des Feldherrn, der stets 
mitkämpfte, schlaff zu werden, zog den Ruf der Schande 
nach sich ; wer aber wacker stritt, dem war er, der 



Künties Buch, 7. Kapitel. 


513 


Zeuge, auch zugleich als Belohner nahe, und dem 
Caesar auch nur als tapfer bekannt zu werden, be- 
deutete schon Gewinn. Das war der Grund, weshalb 
viele Soldaten gar oft einen ihre Kräfte übersteigenden 
Kampfesmut bewiesen. Als zum Beispiel in jenen 
Tagen eine starke Abteilung Juden sich vor der Mauer 
in Schlachtordnung aufgestellt hatte und die beiden 
Heere erst noch aus der Ferne' einander beschossen, 
sprengte ein Reiter Namens Longinus aus den Reihen 
der Römer hervor mitten in den feindlichen Heerhaufen, 
trieb ihn durch sein stürmisches Anrennen auseinander 
und tötete die zwei tapfersten Juden, indem er dem 
«inen, der sich ihm entgegen warf, einen Stoss ins Ge- 
sicht versetzte, den anderen mit der aus der Wunde des 
-ersten gezogenen Lanze, als er sich eben zur Flucht 
wandte , von der Seite durchbohrte ; hierauf eilte er 
mitten aus dem Haufen der Feinde siegreich zu den 
Seinigen zurück. Das war nun freilich eine ganz be- 
sondere Heldenthat, und gar viele suchten es ihm an 
Tapferkeit gleichzuthun. Die Juden aber machten sich 
nichts aus dem Verlust, den sie erlitten hatten; ihr 
Sinnen und Trachten war vielmehr nur darauf gerichtet, 
wie sie ihren Gegnern Schaden zufügen könnten. Der Tod 
schien ihnen eine Kleinigkeit, wenn es ihnen nur ge- 
lang, zugleich einen Feind mit ins Verderben zu reissen. 
Dem Caesar dagegen lag an der Sicherheit seiner 
Soldaten ebenso viel, als am Sieg : unvorsichtiges Drauf- 
losgehen nannte er Raserei, und Tapferkeit erkannte er 
nur da an, wo man mit Bedacht und, ohne selbst 
Schaden zu nehmen, vorging. Er ermahnte daher seine 
Leute aufs dringendste, sie sollten sich tapfer zeigen, 
ohne der Gefahr blindlings entgegenzurennen. 

4. Es ward nun unter persönlicher Leitung des 
Feldherrn der Sturmbock an den mittleren Turm der 
nördlichen Mauer herangebracht, in welchem ein ver- 
schlagener Jude Namens Kastor mit zehn Gleich- 
gesinnten auf der Lauer lag, nachdem die übrigen vor 
den Bogenschützen geflohen waren. Eine Zeitlang 

Josepbus, Jüdischer Krieg. 33 



514 


Joseph as, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


blieben die Juden, unter den Brustwehren kauernd, 
ruhig liegen; als aber der Turm zu zittern anfing, er- 
hoben sie sich an verschiedenen Stellen. Kastor selbst 
streckte wie einer, der um Gnade fleht, die Hände aus, 
rief nach dem Caesar und bat mit kläglicher Stimme 
um Erbarmen. Treuherzig schenkte Titus ihm Glauben 
und gab sich der Hoffnung hin, die Juden seien jetzt 
im Begriff, ihren Sinn zu ändern; er liess also den 
Widder einhalten, untersagte den Bogenschützen, weiter 
auf die Flehenden zu schiessen, und forderte Kastor auf, 
sein Begehren auszusprechen. Als dieser erklärte, er 
wolle herabkommen und sich ergeben, entgegnete Titus, 
er wünsche ihm Glück zu seinem vernünftigen Ent- 
schluss und würde sich freuen, wenn alle so gesinnt 
wären; gern würde er dann der Stadt die Hand zur 
Versöhnung bieten. Fünf von den zehn schlossen sich 
hierauf an Kastors heuchlerische Bitte an; die übrigen 
aber schrien, sie würden niemals Knechte der Römer 
werden, so lange sie als freie Männer sterben könnten. 
Während sie sich nun geraume Zeit herumzankten, ward 
der Angriff ausgesetzt. Unterdessen liess Kastor dem 
Simon sagen, sie möchten sich in aller Ruhe über die 
dringendsten Angelegenheiten beraten'; er wolle den 
römischen Feldherrn noch eine gute Weile zum besten 
haben. Gleichzeitig suchte er dem Anschein nach auch 
die Widerspenstigen zur Ergebung zu bereden. Sie aber 
erhoben wie voll Entrüstung die gezückten Schwerter 
über die Brustwehr, durchstiessen sich die Schilde und 
sanken, als wenn sie selbst durchbohrt wären, zu Boden. 
Staunen ergriff den Caesar und seine Umgebung über 
die Entschlossenheit dieser Männer, und da sie von 
unten aus den Hergang nicht genau sehen konnten, 
bewunderten sie dieselben wegen ihres Stark mutes und 
bedauerten sie zugleich wegen ihres Schicksals. Auf 
einmal schoss jemand den Kastor neben die Nase; der 
Getroffene zog den Pfeil heraus, zeigte ihn dem Titus 
und beklagte sich über ungerechte Behandlung. Der 
Caesar gab dem, der geschossen hatte, einen Verweis 



Fünftes Buch, 8. Kapitel. 


515 


und beauftragte den neben ihm stehenden Josephus, 
hinzugehen und dem Kastor die Hand zu reichen. 
Josephus aber weigerte sich, weil die Bittenden doch 
nichts gutes im Schilde führten, und hielt auch seine 
Freunde, die hineilen wollten, davon ab. Hierauf erbot 
sich ein Überläufer mit Namen Aeneas, hinzugehen, und 
da Kastor auch noch rief, es möchte jemand das Geld, 
das er bei sich habe, in Empfang nehmen, lief Aeneas 
um so eifriger auf den Turm zu und hielt den Mantel 
hin. Kastor jedoch ergriff ein Felsstück und warf es 
auf ihn hinab; den Aeneas indes traf er nicht, ver- 
wundete aber einen anderen Soldaten, der mit heran- 
gekommen war. Als der Caesar diesen Betrug bedachte, 
überzeugte er sich, dass Mitleid im Kriege nur schäd- 
lich sei, während ein harter Sinn unter der Hinterlist 
weniger zu leiden habe; voll Zorn über die Verhöhnung 
liess er daher den Sturmbock mit noch grösserer Gewalt 
gegen die Mauer anprallen. Sowie aber der Turm unter 
den Stössen der Maschine wich , steckten Kastor und 
seine Gefährten ihn in Brand und sprangen durch die 
Flammen in den unter ihm befindlichen geheimen Gang, 
wodurch sie abermals den Römern eine hohe Meinung 
von ihrem Starkmut beibrachten; denn diese glaubten 
nicht anders, als dass ihre Gegner sich ins Feuer ge- 
stürzt hätten. 


Achtes Kapitel. 

Erstürmung der zweiten Mauer. 

1. An dieser Stelle gewann der Caesar die zweite 
Mauer, fünf Tage nach Einnahme der ersten. Als 
die Juden sie verlassen hatten, zog er mit tausend 
Reitern und der auserlesenen Mannschaft, die seine 
persönliche Bedeckung bildete, da ein, wo der Woll- 
markt, die Sch miede werk Stätten und der Kleidermarkt 
der Neustadt sich befanden und die Gassen in schiefer 


ss* 



516 Josephus, Oe*ehichte des Jüdischen Krieges. 

Richtung auf die Mauer zuliefen. Hätte er nun sogleich 
entweder einen grösseren Teil der Mauer eingerissen 
oder den eroberten Stadtteil nach Kriegsbrauch zerstört, 
so wäre meiner Meinung nach sein Sieg durch keinen 
Verlust getrübt worden. In der Hoffnung jedoch, durch* 
Unterlassung einer harten Massregel, zu welcher er die 
Macht in Händen hatte, den Sinn der Juden erweichen 
zu können, liess er den Eingang nicht so breit her- 
steilen, wie es für einen etwaigen Rückzug zweckmässig 
gewesen wäre; denn wenn er ihnen eine besondere Ver- 
günstigung zuteil werden liesse, so würden sie, meinte 
er, ihm doch wohl keinen Hinterhalt legen. Ja, er ver- 
bot sogar nach dem Einzug, irgend einen der gefangenen 
Juden zu töten oder die Häuser in Brand zu stecken; 
zugleich gab er den Aufrührern anheim, auf eigne Faust 
den Kampf fortzusetzen, wenn nur das Volk dabei 
keinen Schaden litte, und versprach dem letzteren, ihm 
seine gesamte Habe wieder zustellen zu wollen. Es lag 
ihm nämlich sehr viel daran, für sich selbst die Stadt 
und für diese den Tempel zu retten. Das Volk fand 
er denn auch ohne weiteres geneigt, auf seine Vorschläge 
einzugehen; die kriegslustigen Juden dagegen fassten 
seine Menschenfreundlichkeit als Schwäche auf und 
glaubten, Titus habe solche Anerbietungen nur gemacht* 
weil er sich nicht stark genug fühle, die ganze Stadt in 
seine Gewalt zu bringen. Den Bürgern drohten sie mit 
Tod, wenn einer von ihnen auch nur den Gedanken an 
Übergabe hegen würde, und wer etwas von Frieden ver- 
lauten liess, den stiessen sie nieder. Alsbald griffen sie 
auch wirklich die einziehenden Römer an, indem sie sich 
teils in den Gassen ihnen entgegenwarfen , teils von den 
Häusern herab ihnen zusetzten; andere machten durch 
die oberen Thore Ausfälle auf die noch ausserhalb der 
Mauer befindlichen Römer und versetzten dadurch die 
auf ihr postierten Wachmannschaften in solchen 
Schrecken, dass sie eilends von den Türmen hinab- 
sprangen und ins Lager zurückliefen. Während nun 
(Irinnen die auf allen Seiten von Feinden umringten, 


Go gle 



Fünftes Buch, 8. "Kapitel. 


517 


draussen die für ihre verlassenen Kameraden besorgten 
Soldaten ein lautes Geschrei erhoben, wurden die Juden 
immer zahlreicher, und da sie ausserdem durch ihre ge- 
naue Bekanntschaft mit den Gassen bedeutend im Vor- 
teil waren , verwundeten sie eine Menge ihrer Gegner 
und drängten sie unaufhaltsam zurück. Notgedrungen 
leisteten die Römer Widerstand, weil sie durch die enge 
Maueröffnung nicht in grösseren Massen fliehen konnten, 
und fast schien es um alle, die in die Stadt eingezogen 
waren , geschehen zu sein. Da aber kam Titus ihnen 
zu Hilfe: rasch verteilte er die Bogenschützen an den 
Strassenenden, stürzte sich selbst ins ärgste Gedränge 
und trieb die Feinde durch einen Hagel von Geschossen 
zurück. An seiner Seite focht Domitius Sabinus, 1 der 
auch in diesem Gefecht sich als tapferer Krieger be- 
währte. Unaufhörlich liess nun der Caesar die Bogen- 
schützen ihre Pfeile abschiessen und verhinderte dadurch 
die Annäherung der Juden, bis seine sämtlichen Soldaten, 
den Rückzug bewerkstelligt hatten. 

2. So wurden die Römer, nachdem sie schon die 
zweite Mauer genommen hatten, wieder zurück geworfen. 
Den kriegerisch gesinnten Juden aber schwoll nun der 
Kamm, und ihre Erfolge machten sie übermütig. Die 
Römer, meinten sie, würden wohl jetzt nicht mehr wagen, 
die Stadt zu betreten, und ebensowenig imstande sein, 
zu siegen, wenn es wieder zum Kampf kommen sollte. 
Gott verfinsterte ihnen eben um ihrer Frevel willen den 
Verstand, dass sie weder sahen, wie die verjagten 
Truppen nur einen kleinen Teil des römischen Heeres 
bildeten, noch die sie beschleichende Hungersnot be- 
merkten. Sie selbst freilich konnten ja noch vom Elend 
des Volkes sich sättigen und das Blut der Einwohner 
trinken! Die Gutgesinnten aber litten schon seit ge- 
raumer Zeit Mangel, und viele starben dahin, weil es 
ihnen an den notwendigsten Lebensmitteln gebrach. In 
der Vernichtung des Volkes indes erblickten die Em- 


1 S. III, 7,34. 



518 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


pörer nur eine Erleichterung für 9ich selbst: denn 
lediglich diejenigen erachteten sie der Erhaltung wert, 
die vom Frieden nichts wissen und nur leben 
-wollten, um die Römer zu bekämpfen ; wurde die anders 
gesinnte Menge aufgerieben, so freuten sie sich, wie von 
einer drückenden Last befreit. In dieser Weise be- 
nahmen sie sich gegen die Bewohner der Stadt; die 
Römer aber schlugen sie, wenn dieselben wieder einzu- 
* dringen versuchten , mit gewaffneter Hand zurück und 
deckten die Bresche mit ihren Leibern. Drei Tage lang 
hielten sie so unter zäher Gegenwehr stand; am vierten 
aber ward ihnen der heldenmütige Angriff des Titus zu 
stark: sie wurden geworfen und wichen in ihre frühere 
Stellung zurück. Titus war nun wieder Herr der Mauer 
geworden, deren ganzen nördlichen Teil er sogleich 
schleifen liess; in die Türme der südlichen Strecke da- 
gegen legte er Besatzungstruppen und richtete alsdann 
seine Gedanken auf die Erstürmung der dritten Mauer. 


Neuntes Kapitel. 

Titus versucht die Juden durch Josephus zur Übergabe 
zu bewegen. f 

1. Einstweilen jedoch beschloss er, mit der Be- 
lagerung etwas einzuhalten und den Aufrührern Bedenk- 
zeit zu geben, um zu sehen, ob sie nicht im Hinblick 
auf die Schleifung der zweiten Mauer oder, da die 
Räubereien ihnen wohl keinen genügenden Unterhalt 
auf längere Zeit mehr verschaffen konnten, aus Furcht 
vor der Hungersnot sich etwas nachgiebiger zeigen 
würden. Die Pause benutzte er zu einem notwendigen 
Geschäft. Da nämlich der Termin bevorstand, an 
welchem den Mannschaften der Sold verabfolgt werden 
musste, 1 befahl er den Offizieren, das Heer an einen 

1 Es geschah dies alle vier Monate, später (seit Domitian) 
vierteljährlich. Der tägliche Sold des Legionärs betrug nach unserem 



Fünftes Buch, 9. Kapitel. 


519 


den Feind sichtbaren Ort ausrücken zu lassen und jedem 
Soldaten seine Löhnung auszuzahlen. Die Truppen 
zogen nun, wie üblich, mit entblössten Schwertern und 
in voller Rüstung einher; die Reiter führten ausserdem 
ihre aufgeputzten Pferde am Zügel. Weithin glitzerte 
die Umgebung der Stadt von Silber und Gold, und so 
entzückend der Anblick für die Römer war, so schreck- 
lich war er für ihre Feinde. Die alte Mauer in ihrer 
ganzen Ausdehnung sowie die Nordseite des Tempels 
waren mit Zuschauern dicht besetzt; selbst die Dächer 
der Häuser sah man voll Neugieriger und kein 
Plätzchen gab es in der Stadt, das nicht schwarz von 
Menschen wimmelte. Gewaltige Angst überfiel jetzt 
auch die trotzigsten Juden, als sie die ganze Heeres- 
macht an einem Orte versammelt und dazu die Schön- 
heit der Waffen, die vortreffliche Ordnung unter den 
Soldaten sahen, und es hätten bei diesem Anblick, wie 
mir scheint, die Empörer anderen Sinnes werden müssen, 
wenn sie nicht um der allzugrossen Frevel willen, die 
sie am Volke verübt, eine Begnadigung seitens der 
Römer für unmöglich gehalten hätten. Da ihnen näm- 
lich, wenn sie die Feindseligkeiten einstellten, ihrer 
Meinung nach nur der Verbrechertod bevorstand, so 
zogen sie den im Kampfe denn doch bei weitem vor. 
Auch forderte ja eben die Macht des Verhängnisses, 
dass die Unschuldigen samt den Schuldigen zu Grunde 
gehen sollten, und mit den Aufrührern die ganze 
Stadt. 

2. Vier Tage brauchten die Römer, . um an alle 
Legionen den Sold auszuzahlen. Am fünften lies Titus, 
als die Juden noch immer nicht mit Friedensvorschlägen 
herausrücken wollten, sein Heer sich in zwei Abteilungen 
trennen, von denen die eine der Antonia gegenüber, die 
andere bei dem Grabmal des Joannes Wälle aufwerfen 
sollte. Von letzterem Punkte aus gedachte er die obere 


Gelde etwa 50—60 Pfennige: der Centurio erhielt das doppelte, der 
Reiter das dreifache. 


Go gle 



520 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Stadt, von der Antonia her den Tempel zu nehmen; 
denn so lange er das Heiligtum nicht eroberte, war an 
ungefährdeten Besitz der Stadt nicht zu denken. An 
diesen beiden Stellen also führten die Legionen je einen 
Wall auf. Denen nun , die in der Nähe des Grabmal» 
arbeiteten, suchten die Idumäer und die wohlbewaffnete 
Mannschaft des Simon, denen bei der Antonia die Leute 
des Joannes und die Rotte der Zeloten durch Ausfälle 
Schwierigkeiten zu machen. Hierbei waren die Juden 
nicht nur, was den Gebrauch der Handwaffen betraf, 
durch ihren höheren Standort im Vorteil, sondern auch 
dadurch ihren Gegnern überlegen , dass sie inzwischen 
mit den Maschinen umzugehen gelernt hatten; denn die 
tägliche Übung steigerte allmählich ihre Geschicklich- 
keit. Sie hatten dreihundert Skorpionen und vierzig 
Ballisten, mit denen sie die Römer beim Bau der Wälle 
empfindlich störten. Der Caesar aber, der sich der Er- 
kenntnis nicht verschliessen konnte, dass die Erhaltung 
der Stadt einen Gewinn, ihr Untergang einen Verlust 
für ihn bedeute, liess, während er die Belagerung be- 
trieb, auch die andere Aufgabe nicht ausser acht, näm- 
lich die Juden zur Sinnesänderung zu bewegen. Rat 
und That gingen bei ihm Hand in Hand, und da er 
wusste, dass man [mit Worten oft mehr auszurichten 
imstande 6ei alsfc mit Waffengewalt, ermahnte er nicht 
nur selbst die Belagerten, die schon halb eroberte Stadt 
durch Übergabe zu retten, sondern sandte auch in der 
Hoffnung, ein Landsmann möchte vielleicht grössere» 
Entgegenkommen bei ihnen finden, Men Josephus ab, 
um ihnen in ihrer Muttersprache Vorstellungen machen 
zu lassen. 

3. Josephus umging die Mauer, suchte einen Ort 
auf, wo er ausser Schussweite und doch deutlich ver- 
nehmbar war, und legte ihnen dringend ans Herz, sie 
möchten doch ihrer selbst und des Volkes, wie auch der 
Vaterstadt und des Tempels schonen und gegen die» 
alles nicht gleichgiltiger sei wie die Fremden. Während 
die Römer, die doch anderen Glaubens seien, die Heilig- 



Fünftes Buch, 9. Kapitel. 


521 


tümer ihrer Feinde achteten und bis jetzt ihre Hände 
davon zurückgehalten hätten, setzten diejenigen, welche 
unter dem Schutze dieser Heiligtümer aufgewachsen 
seien und im Falle ihrer Erhaltung die alleinigen Be- 
sitzer derselben bleiben würden, alles daran, sie zu 
Grunde zu richten. Wie sie sähen, seien die stärksten 
Mauern bereits gefallen, und übrig sei nur noch eine, 
deren Schwäche im Vergleich zu den schon eroberten 
sich nicht leugnen lasse. Auch kännten sie ja die Macht 
der Römer als unwiderstehlich, und römische Oberherr- 
schaft sei ihnen ebenfalls nichts neues. Wenn ein Be- 
freiungskrieg ein ruhmvolles Unternehmen sei, so hätten 
sie denselben gleich anfangs führen sollen; wenn sie 
aber, nachdem sie einmal unterworfen seien und die 
Fremdherrschaft sich so lange hätten gefallen lassen, 
noch das Joch abschütteln wollten, so heisse das nicht 
nach Freiheit, sondern nach schmählichem Untergang 
verlangen. Unbedeutenderen Oberherren könne man 
allenfalls die Huldigung verweigern, nicht aber denen, 
die den Erdkreis in ihrer Gewalt hätten. Denn was 
für Länder seien es, die noch nicht unter der Botmässig- 
keit der Römer ständen? Doch nur die, welche wegen 
ihrer Hitze oder Kälte keinen Wert für sie haben 
könnten. Überall sei das Glück ihr Begleiter gewesen, 
und Gott, der die Weltherrschaft bei den einzelnen 
Nationen umgehen lasse, sei nun einmal auf Italiens 
Seite. Übrigens gelte ein schon bei den Tieren fest- 
stehendes Gesetz auch für die Menschen, dass man 
nämlich dem Stärkeren nachgeben müsse, und dass die- 
jenigen Sieger seien, die die kräftigsten Waffen besässen. 
Deshalb hätten auch die Vorfahren der Juden, die an 
Körperkraft, Seelen stärke und sonstigen Verteidigungs- 
mitteln ihren Nachkommen weit überlegen gewesen seien, 
den Römern sich gefügt, was sie gewiss nicht über sich 
gebracht haben würden, wenn sie nicht ein gesehen hätten, 
dass Gott mit denselben gewesen sei. Was ihnen , den 
Belagerten, denn den Mut zum Widerstand gebe? Der 
grösste Teil der Stadt sei doch schon erobert, und sie 



522 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


da drinneu würden, auch wenn die Mauern stehen 
blieben, schlimmer dran sein wie Kriegsgefangene. Zu- 
dem sei die in der Stadt herrschende Hungersnot, die 
vorderhand noch erst das Volk bedränge, in kurzem 
aber auch die streitbare Mannschaft aufreiben werde, 
den Römern kein Geheimnis mehr. Wenn diese also 
auch von der Belagerung Abstand nähmen und auf- 
hörten, mit dem Schwert in der Hand in die Stadt ein- 
zudringen, so sitze doch ein unbezwingbarer innerer 
Feind den Juden auf dem Nacken, der mit jeder Stunde 
an Stärke gewinne. Denn gegen den Hunger könnten 
sie sich doch wohl nicht mit den Waffen wehren. Oder 
seien sie vielleicht die einzigen, die auf solche Weise 
dieser Plage beizukommen verständen ? Sie thäten da- 
her, fuhr Josephus fort, wohl daran, ihren Sinn zu 
ändern, ehe der Schaden unheilbar werde, und auf ihre 
Rettung bedacht zu sein , so lange es noch Zeit sei. Die 
Römer würden ihnen das Geschehene sicher nicht nach- 
tragen, wenn sie ihren Starrsinn nur nicht aufs äusserste 
trieben; es liege nämlich in deren Art, als Sieger Milde 
zu beweisen und ihren Vorteil höher anzuschlagen wie 
die Befriedigung ihrer Rache. Diesen Vorteil wahrten 
sie aber nicht, wenn sie eine menschenleere Stadt, auch 
nicht, wenn sie ein entvölkertes Land in Besitz nähmen. 
Darum lasse der Caesar auch jetzt noch den Belagerten 
seine Gnade anbieten. Müsse er aber die Stadt mit 
Gewalt nehmen, nachdem sie in der äussersten Not seinen 
gütlichen Vorstellungen kein Gehör geschenkt habe, so 
werde er niemand verschonen. Ejass übrigens bald auch 
die dritte Mauer fallen werde, dafür bürge die Er- 
stürmung der beiden ersten, und selbst wenn dieses 
Bollwerk uneinnehmbar wäre, so müsse doch der Hunger 
gegen die Juden und für die Römer streiten. 

4. Während Josephus diese Worte an sie richtete, 
verspotteten ihn viele von der Mauer herab ; andere 
schimpften, ja einige schossen sogar auf ihn. Da er sie 
nun selbst mit solchen klaren Erwägungen nicht zu 
überzeugen vermochte, ging er auf die Geschichte seines 



Fünftes Buch, 9. Kapitel. 


523 


Volkes über und rief: „0 ihr Unglücklichen, die ihr 
«urer wahren Helfer vergesst, mit euren Fäusten und 
Waffen wollt ihr die Römer bekämpfen? Wen haben 
wir denn jemals auf diese Weise besiegt? War nicht 
stets Gott der Herr, der die Juden ins Dasein rief, auch 
ihr Rächer, wenn ihnen Unrecht geschah ? Schaut zurück 
auf die Vergangenheit, damit ihr seht, auf wen ihr euch 
im Kampfe verlassen müsst und welch erhabenen Bundes- 
genossen ihr beleidigt habt. Ruft euch ins Gedächtnis 
die Wunderthaten zur Zeit eurer Väter; erinnert euch, 
wie viele Feinde einstmals diese heilige Stätte vernichtet 
hat! Mich schaudert zwar, wenn ich die Thaten Gottes 
vor unwürdigen Ohren erzählen soll: aber höret gleich- 
wohl zu, damit ihr erkennt, dass ihr nicht nur gegen 
die Römer, sondern auch gegen Gott ankämpft. Der 
König von Aegypten, Nechao, sonst auch Pharao ge- 
nannt, zog seiner Zeit mit tausenden von Streitern in 
unser Land und raubte die Fürstin Sarra, die Stamm- 
mutter unseres Volkes. Was that nun ihr Gatte Abram, 
unser Ahnherr? Hat er sich an dem Frevler mit den 
Waffen gerächt? Nein — sondern obwohl er drei- 
hundertachtzehn Vasallen hatte, deren jeder über eine 
Unzahl Reisige gebot, hielt er sich trotzdem für ver- 
lassen, wenn Gott ihm nicht beistand; er hob also seine 
reinen Hände empor zu dem Orte, den ihr jetzt entweiht, 
und gewann sich die Hilfe des nie besiegten Kampf- 
genossen. Wurde darauf nicht gleich am zweiten Abend die 
Fürstin unberührt ihrem Gatten zurückgesandt, während 
der Aegyptier, nachdem er an der von euch mit Bruder- 
mord befleckten Stätte angebetet, geschreckt durch nächt- 
liche Traumgesichte, davonfloh und die gottgeliebten 
Hebräer mit Gold und Silber beschenkte? 1 Soll ich 
schweigen oder reden von der Übersiedelung unserer 
Väter nach Aegypten , wo sie vierhundert Jahre lang 
vergewaltigt und von fremden Königen unterdrückt 
wurden, aber, anstatt sich , wie sie konnten, mit den 


1 Vergl. J. A. I, 8, 1. 


II l'MlSljSM c -! li-Oi’ I 


Go gle 



524 Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

Waffen in der Hand zu wehren, ihre Sache Gott be- 
fahlen? Wer weiss nicht, wie hierauf Aegypten von 
allerhand Getier wimmelte und von allen möglichen 
Krankheiten heimgesucht ward, wie das Land seine 
Fruchtbarkeit, der Nil sein Wasser verlor, und zehn 
Plagen aufeinander folgten, um deretwillen unsere Väter 
mit sicherem Geleit entlassen wurden, ohne Blutvergiessen, 
ohne Gefahr, bloss weil Gott diejenigen führte, die sein 
Heiligtum pflegten? Und als von den Assyriern unsere 
heilige Lade geraubt wurde, seufzte da nicht das ganze 
Palaestinerland , x der Götze Dagon und das ganze Volk 
derer, die sie weggeschleppt hatten? Faulige Geschwüre 
entstanden an ihren Schamteilen, und mit den Speisen 
gingen die Eingeweide von ihnen ; darum brachten die- 
selben Hände, die sie geraubt, unter Cymbel- und 
Paukenschall sie wieder zurück und sühnten das Heilig- 
tum mit zahllosen Opfern. Gott war es, der unseren 
Väter diese Genugthuung verschaffte, weil sie, ohne zum 
Schwert zu greifen, ihm die Entscheidung anheirastellten. 
Fiel etwa der Assyrierkönig Senacherim, als er mit den 
Völkerscharen von ganz Asien diese Stadt umzingelt 
hatte, durch Menschenhände? Keineswegs — denn 
diese ruhten vom Kampf und waren zum Gebet aus- 
gestreckt; aber der Engel Gottes schlug in einer einzigen 
Nacht das zahllose Heer, und als der Assyrier sich mit 
Tagesanbruch erhob, fand er hundertfünfundachtzig- 
tausend Tote und floh mit dem Rest seines Heeres vor 
den unbewaffneten Hebräern, die ihn noch nicht einmal 
verfolgten. Bekannt ist euch ja auch wohl die Ge- 
fangenschaft in Babylon, wo das Volk siebzig Jahre 
lang fern von der Heimat leben musste und niemals 
daran dachte, seine Befreiung zu erzwingen , bis Cyrus 
Gott zu Ehren sie ihm freiwillig anbot und unter seinem 
Schutz das Heiligtum des Bundesgottes wiederhergestellt 
wurde. Überhaupt lässt sich kein Fall anführen, in 
welchem unsere Väter mit dem Schwert allein etwas 


1 Palaestiner heissen bei Josephus die Philister. 



525 


Fünftes Buch, 9. Kapitel. 


ausgerichtet hätten oder ohne Waffen, wenn sie ihre 
Sache Gott anheimstellten, unterlegen wären. Blieben 
sie ruhig zu Hause, so siegten sie nach dem Ratschluss 
-des göttlichen Richters; zogen sie zum Kampf aus, so 
wurden sie stets geschlagen. Zum Beispiel als der 
Babylonierkönig diese Stadt belagerte und unser König 
Sedekias trotz der Warnung des Propheten Jeremias 
sich in eine Schlacht einliess, da geriet Sedekias selber 
in Gefangenschaft und sah die Stadt samt dem Tempel 
der Zerstörung anheimfallen. Und doch, wie viel ge- 
rechter war jener König als eure Führer, wie viel besser 
sein Volk als ihr! Denn weder König noch Volk 
trachteten dem Jeremias nach dem Leben, als dieser 
mit lauter Stimme verkündete, sie seien um ihrer Sünden 
willen bei Gott in Ungnade gefallen und würden, wenn 
sie die Stadt nicht übergäben, in die Gefangenschaft 
geschleppt werden. Ihr dagegen — von den Freveln, 
die ihr da drinnen begeht , will ich gar nicht reden , da 
mir Worte fehlen, sie zu schildern — schmäht mich, 
der ich euch heilsamen Rat erteilen will, und wertet 
nach mir im Unmut darüber, dass ich euch an eure 
Sünden erinnere, und möget nicht einmal reden hören 
von dem, was ihr doch Tag um Tag verübt. Nun aber 
weiter! Als Antiochus Epiphanes , der Frevel über 
Frevel gegen die Gottheit begangen, die Stadt bedrängte, 
machten unsere Vorfahren in Wehr und Waffen einen 
Ausfall, und was geschah? Sie selbst wurden in der 
Schlacht niedergemetzelt, Jerusalem von den Feinden 
geplündert, und das Heiligtum für die Dauer von drei 
Jahren und sechs Monaten der Verödung preisgegeben. 
Doch wozu bedarf es weiterer Beispiele ? Um nun auf 
die Römer zu kommen, wer ist schuld, dass sie gegen 
dieses Land zu Felde zogen? War es nicht die Gott- 
losigkeit seiner Bewohner? Und was gab den ersten 
Anlass zur Unterjochung Judaeas? War es nicht ein 
Bürgerkrieg unserer Vorfahren, als der Wahnsinn von 
Aristobulus und Hyrkanus und die zwischen ihnen 
herrschende Feindschaft den Pompejus gegen Jerusalem 



526 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


heranführte und Gott das Volk, das der Freiheit nicht 
mehr wert war, den Römern unterwarf? Nach dreimonat- 
licher Belagerung ergaben sie sich, und doch hatten sie 
nicht in dem Masse, wie ihr, gegen das Gesetz und den 
Tempel sich vergangen ; auch besassen sie weit be- 
deutendere Mittel zur Kriegführung. Wohlbekannt ist 
uns ja ferner das Ende von Aristobuls Sohn Antigonue, 
unter dessen Regierung der Herr das sündige Volk 
abermals mit Knechtung heimsuchte : Antipaters Sohn 
Herodes führte Sosius, Sosius die Streitmacht der Römer 
herbei, welche Jerusalem umzingelte und sechs Monate 
lang belagerte, bis seine Bewohner zur Strafe für ibro 
Schandthaten bezwungen wurden und die Stadt der 
Plünderung anheirafiel. Wie ihr seht, war das Volk zu 
keiner Zeit auf Waffengewalt angewiesen; liess es sich 
aber auf Kriegführen ein , so blieb die Unterjochung- 
nicht aus. Es sollten also diejenigen, welche die heilige 
Stätte besetzt halten, meiner Meinung nach die Ent- 
scheidung Gott dem Herrn anheimstellen und, indem sie 
den Richter im Himmel für ihre Sache zu gewinnen 
suchen, auf Anwendung menschlicher Gewalt völlig ver- 
zichten. Welche von den Vorschriften aber, an deren 
Erfüllung der Gesetzgeber einen Segen geknüpft hat, 
habt ihr befolgt? Oder vielmehr, muss ich fragen, was 
habt ihr unterlassen von dem, was er mit einem Fluch 
belastete? Wie viel gottloser seid ihr als eure Väter, 
die doch schneller als ihr zu Fall kamen ! Heimliche 
Sünden, wie Diebstahl, Hinterlist und Ehebruch, sind 
euch schon zu gering; Raub und Mord betreibt ihr um 
die Wette und bahnt euch neue, nie betretene Wege der 
Bosheit. Der Tempel ist ein Schlupfwinkel jeglichen 
Gelichters geworden, und Hände von Eingeborenen haben 
die gottgeweihte Stätte verunreinigt, welche selbst die 
Römer von fern verehrten, indem sie unseren Gesetzen 
zulieb manche ihrer eigenen Sitten aufgaben. Und trotz, 
alledem erwartet ihr noch Hilfe von dem, gegen welchen 
ihr also gefrevelt habt? Aber auch zugegeben, ihr 
wäret ebenso fromme Beter und flehtet mit ebenso reinen 



Fünftes Buch, 9. Kapitel. 


527 


Händen um göttlichen Beistand, wie einst unser König, 
als er sich Hilfe gegen die Assyrier erbat und Gott 
jenes gewaltige Heer in ein^r Nacht zu Boden schlug — 
ist dehn das Beginnen der Römer dem der Assyrier zu 
vergleichen, sodass ihr euch auf eine ähnliche Hilfe 
Hoffnung machen könntet ? Hat nicht Sedekias von den 
Assyriern die Verschonung der Stadt mit Geld erkauft, 
und sind sie nicht dennoch eidbrüchig herangekommen, 
den Tempel zu verbrennen? Die Römer hingegen 
fordern lediglich den herkömmlichen Tribut,. den unsere 
Väter den ihrigen stets entrichteten. Haben sie diese 
Forderung durchgesetzt, so wollen sie weder die Stadt 
zerstören, noch das Heiligtum antasten; vielmehr geben 
sie uns alles übrige, unsere Familien, den Besitz unseres 
Vermögens, frei und schirmen die heiligen Gesetze. Nur 
Wahnsinn kann erwarten, dass Gott sich gegen Gerechte 
ebenso erzeigen werde wie gegen Ungerechte. Ohnehin 
weiss er ja schnell zu helfen, wenn es not thut. Die 
Assyrier hat er in der ersten Nacht, da sie vor Jeru- 
salem lagerten, zerschmettert; wenn er daher unser Ge- 
schlecht der Freiheit oder die Römer der Bestrafung 
wert erachtete, so würde er wohl, [wie einst über die 
Assyrier, auf der Stelle auch über die Römer herein- 
gebrochen sein, als Pompejus seine Hand an das Volk 
legte, als später Sosius heranrückte, als Vespasianus 
Galilaea verheerte, und endlich in diesen Tagen, als 
Titus sich der Stadt näherte. Allein (Pompejus) 
Magnus und Sosius blieben nicht bloss ungeschlagen, 
sondern sie nahmen auch die Stadt in siegreichem An- 
sturm, und Vespasianus legte in dem Kriege mit uns 
den Grund zu seiner jetzigen Herrscherwürde. Und nun 
dem Titus vollends fliessen ergiebiger selbst die Quellen, 
die ehedem für euch kein Wasser gaben. Vor seiner 
Ankunft waren ja, wie ihr wisst, die Siloaquelle und 
alle Quellen ausserhalb der Stadt versiegt , sodass man 
das Wasser mass weise kaufen musste ; jetzt aber strömen 
diese Quellen zum Vorteil eurer Feinde so reichlich, 
dass sie nicht nur für die Römer selbst und deren Vieh^ 



528 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sondern auch noch für die Gärten Wasser in hin- 
reichender Menge spenden. Übrigens kennt ihr dieses 
Wunderzeichen schon von ^iner früheren Eroberung her, 
nämlich aus der Zeit, da der vorerwähnte Babylonier 
die Stadt einnahm und den Tempel verbrannte, während 
doch die damaligen Bewohner Jerusalems keine der- 
artigen Gottlosigkeiten begangen hatten, wie ihr. Ich muss 
daher annehmen, die Gottheit sei aus dem Allerheiligsten 
geflohen und stehe jetzt auf seiten derer, die ihr be- 
kämpft. -Wenn nun schon ein ehrbarer Mensch ein 
lasterhaftes Haus fliehen und seine Bewohner verab- 
scheuen wird: glaubt ihr dann, dass Gott euch in eurem 
Sündenleben nahe bleiben werde, er, der alles, auch das 
Verborgene, sieht und das Verschwiegene hört? Und 
was sucht man denn noch bei euch zu verschweigen und 
zu verbergen? Ist ja doch alles selbst den Feinden 
schon zu Ohren gekommen! Ihr prahlt mit eurer Ge- 
setzesübertretung, wetteifert tagtäglich , wer der schlech- 
teste ist, und tragt eure Schandthaten zur Schau, als 
wären es Tugenden. Aber trotz alledem steht euch noch 
ein Weg zur Bettung offen , wenn ihr ihn nur betreten 
wollt, und die Gottheit verzeiht denen gern, die ge- 
ständig sind und Reue an den Tag legen. Verstockte! 
werft eure Rüstungen weg, habt Mitleid mit unserer 
schon halb zerstörten Vaterstadt; wendet euch um und 
schaut, welche Pracht, welche Stadt, welchen Tempel, 
wie vieler Völker Geschenke ihr preiszugeben im Be- 
griffe steht! Wer möchte an das alles den Feuerbrand 
legen, wer es verschwinden lassen wollen? Was ver- 
diente mehr als dies, der Vernichtung entrissen zu 
werden, ihr Unerbittlichen, gefühlloser als Steine?! Und 
wenn ihr dafür kein Auge habt, so erbarmt euch doch 
eurer Familien ! Stelle jeder sich seine Kinder, sein 
Weib, seine Eltern vor, die binnen kurzem der Hunger 
oder das Schwert dahinraffen wird! Ich weiss wohl, 
auch mir schwebt eine Mutter, ein Weib, eine nicht un- 
angesehene Familie und ein altberühmtes Geschlecht in 
Gefahr: vielleicht glaubt ihr, dass ich um deretwillen 


Go gle 



Fünftes Bach, 10. Kapitel. 


529 


also rate. Keineswegs! Tötet sie, nehmt mein eigenes 
Blut als Preis für eure Rettung; denn auch ich bin zu 
sterben bereit, wenn ich durch meinen Tod bewirken 
kann, dass ihr euch eines bessern besinnt!* 4 


Zehntes Kapitel. 

Viele aus dem Volke suchen zu den Römern überzugehen. 

Elend der Zurückgebliebenen infolge der Hungersnot. 

1. Trotz dieser eindringlichen Worte indes, die Jo- 
sephus seinen Landsleuten unter Thränen zurief, vermochte 
er die Empörer weder zur Nachgiebigkeit zu bewegen, 
noch ihnen die Überzeugung beizubringen, dass sie im 
Falle der Ergebung sich für sicher halten könnten ; unter 
dem Volke dagegen entstand eine Bewegung zu gunsten 
der Übergabe. Einige verkauften ihren Grundbesitz zu 
Spottpreisen, andere ihre kostbaren Kleinodien, ver- 
schluckten die dafür gelösten Goldstücke, damit sie nicht 
von den Räubern entdeckt würden, und liefen zu. den 
Römern über. Ging dann das Gold wieder von ihnen 
so waren sie für die notwendigsten Bedürfnisse versehen ; 
denn Titus liess die meisten nach beliebigen Orten im 
Lande ziehen. Hierdurch ward die Lust, zum Feinde 
überzulaufen, nur noch grösser, weil man so dem Jammer 
in der Stadt entging, ohne in die Sklaverei der Römer 
zu geraten. Die Leute des Joannes aber wie die des 
Simon suchten die Flucht der Juden aus der Stadt mit 
grösserem Eifer zu verhindern, als die Einfalle seitens 
der Römer, und auf wen auch nur ein Schatten von 
Verdacht fiel, der wurde ohne weiteres niedergestossen. 

2. Für die Wohlhabenden war übrigens das Ver- 
bleiben in der Stadt ebenso verderblich wie die Flucht; 
denn unter dem Vorwand der Ausreisserei wurde mancher 
um seines Vermögens willen umgebracht. Mit der 
Hungersnot stieg auch die Wut der Aufrührer, und beide 
Plagen wurden von Tag zu Tag entsetzlicher, öffentlich 

Joeephus, Jüdischer Krieg. 34 



530 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


war nirgends mehr Getreide zu sehen ; sie drangen daher 
in die Häuser ein und durchsuchten sie. Fand 
sich etwas, so misshandelten sie die Bewohner, weil sie 
den Besitz abgeleugnet, fand sich nichts, so folterten 
sie dieselben, weil sie das Getreide mit so grosser Sorg- 
falt versteckt hätten. Ob Lebensmittel vorhanden seien 
oder nicht, schloss man aus dem körperlichen Zustand 
der Unglücklichen. Wer noch wohlgenährt aussah, von 
dem nahm man an, dass er Speisen vorrätig habe; die 
Ausgemergelten dagegen Hess man laufen, weil man es 
für überflüssig hielt, Leute zu töten, die doch bald 
Hungers sterben würden. Viele der reicheren Bürger 
gaben heimlich ihr ganzes Vermögen dahin für ein 
einziges Mass Weizen, ärmere für ein Mass Gerste; als- 
dann schlossen sie sich in die verborgensten Winkel der 
Häuser ein und verzehrten in ihrem Heisshunger das 
Getreide ungemahlen oder buken es, wie die Not und 
die Angst es ihnen eben gestattete. Ein Tisch ward 
nirgends mehr gedeckt, sondern noch roh zog man die 
Speisen aus dem Feuer und verschlang sie gierig. 

3. Mitleiderregend war die Nahrung, und be weinens- 
wert der Anblick: die Stärkeren hatten Überfluss, den 
Schwachen blieb nur die Wehklage. Über alle Gefühle 
setzt sich der Hunger hinweg, keines aber ertötet er so 
völlig wie das Mitleid: denn worauf man sonst noch 
Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, das lässt man im 
Hunger ausser acht So rissen hier die Weiber den 
Männern, Kinder den Vätern und, was das jammervollste 
war, Mütter ihren Säuglingen die Speisen aus dem 
Munde; während die Lieblinge in ihren Armen ver- 
schmachteten, scheuten sie sich nicht, ihnen den letzten 
Tropfen Milch wegzunehmen. Aber selbst bei dieser 
Art, den Hunger zu stillen, entgingen sie dem Späher- 
auge der Empörer nicht, die überall lauerten, um auch 
das noch ihnen zu rauben. Sowie sie ein Haus ver- 
schlossen sahen, galt ihnen dies als Zeichen, dass die 
Bewohner etwas verzehrten; plötzlich zertrümmerten sie 
dann die Thüren, stürzten hinein und rissen ihnen die 



Fünftes Buch, 10. Kapitel. 


531 


Speisen beinahe aus der Kehle. Greise, welche ihr 
Stück Brot mit den Zähnen festhielten, wurden geschlagen, 
Weiber an den Haaren herumgezerrt, wenn sie etwas, 
das sie in den Händen hatten, zu verbergen trachteten. 
Weder Alt noch Jung konnte auf Mitleid rechnen: selbst 
ganz kleine Kinder, welche an ihren Bissen hingen, 
wurden ergriffen und zu Boden geschleudert. Verschlang 
aber jemand, um den Räubern zuvorzukommen, das, 
was ihm genommen werden sollte, so verfuhren sie mit 
ihm noch grausamer, gleich als wären sie ihres Rechtes 
verlustig gegangen. Foltern schrecklicher Art ersannen 
sie, um Nahrungsmittel aufzuspüren : sie verstopften den 
Unglücklichen die Öffnungen der Scham mit Erbsen 
und stiessen ihnen spitze Stäbe ins Gesäss. Schauder- 
hafte Qualen musste mancher erdulden, nur damit er 
ein Brot verrate oder eine Hand voll verstecktes Mehl 
anzeige. Die Peiniger selbst aber litten durchaus keinen 
Mangel — freilich wäre ihr Beginnen weniger grausam 
gewesen, wenn die Not sie dazu getrieben hätte — , 
sondern sie bezweckten nichts anderes, als ihre Wut zu 
sättigen und sich für die kommenden Tage mit einem 
Vorrat von Lebensmitteln zu versehen. Trafen sie 
jemand, der bei Nacht sich bis in die Nähe der römischen 
Posten geschlichen hatte, um wildwachsendes Gemüse 
und Kräuter zu sammeln , so nahmen sie ihm , wenn er 
eben den Feinden entkommen zu sein glaubte, alles 
wieder ab, und mochte er auch noch so flehentlich bitten 
und bei dem hehren Namen Gottes sie beschwören, ihm 
doch wenigstens einen Teil von dem zu lassen, was er 
mit Lebensgefahr geholt, so vergönnten sie ihm gleichwohl 
nicht das mindeste; ja der Geplünderte konnte von 
Glück reden, wenn er nicht noch obendrein ermordet 
wurde. 

4. Solche Misshandlungen mussten sich die ärmeren 
Leute von den Spiessgesellen der Tyrannen gefallen 
lassen; die angesehenen und reichen dagegen wurden 
vor die letzteren selbst geführt und teils auf falsche 
Anklagen hin wegen geheimer Umtriebe, teils unter dem 



532 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Vorwand getötet, dass sie die Stadt den Römern hätten 
verraten wollen. In der Regel liess man einen Angeber 
auftreten, der sie fälschlich beschuldigte, sie seien willens 
gewesen, zum Feinde überzugehen. War der Angeklagte 
dann von Simon ausgeplündert, so wurde er zu Joannes 
geschickt, und die von Joannes Beraubten nahm Simon 
in Empfang. So tranken sie sich gegenseitig gleichsam 
das Blut ihrer Mitbürger zu und teilten sich in die 
Leichen der Unglücklichen. Wegen der obersten Ge- 
walt lagen sie miteinander im Streit, in der Verübung 
von Schandthaten aber waren sie einmütig. Wer den 
anderen an der Misshandlung seiner Mitbürger nicht 
teilnehmen liess, galt als selbstsüchtiger Schurke, und wer 
nicht teilnehmen durfte, bedauerte die Entziehung der 
Gelegenheit zu Grausamkeiten wie den Verlust eines 
besonders wertvollen Gutes. 

5. Die Frevelthaten der Tyrannen im einzelnen zu 
schildern, ist unmöglich; darum kurz gesagt: keine Stadt 
hat je ähnliches auszustehen gehabt, und kein Geschlecht, 
so lange die Welt steht, war erfinderischer in Werken 
der Bosheit. Zuletzt fluchten sie auch noch dem Volke 
der Hebräer, um gegen Fremde weniger ruchlos zu er- 
scheinen, und gaben damit selbst zu, dass sie, wie es ja 
auch wirklich der Fall war, Sklaven, zusammengelaufenes 
Gesindel und der Abschaum des Volkes seien. Sie waren 
es, welche die Stadt zerstörten: sie nötigten die Römer 
gegen deren Willen, dem traurigen Siege den Namen zu 
leihen, und schleppten sozusagen das zögernde Feuer in 
den Tempel hinein. Ohne Schmerz, ohne Thräne sahen 
sie ihn von der oberen Stadt aus in Flammen aufgehen ; 
bei den Römern freilich fanden diese Gefühle Raum. 
Doch wir werden darauf unten bei der Erzählung der 
Begebenheiten selber zurückkommen. 



Fünftes Buch, 1 1 . Kapitel. 


533 


Elftes Kapitel. 

Viele Juden werden vor der Mauer gekreuzigt. 

Antiochus Epiphanes von Kommagene. Zerstörung der 
römischen Werke durch die Belagerten. 

1. Unterdessen liess Titus den Bau der Wälle be- 
schleunigen, wiewohl seine Leute von der Mauer her 
viel zu leiden hatten. Zugleich sandte er Reiterab- 
teilungen aus, um den Juden aufzulauern, welche auf 
der Suche nach Nahrungsmitteln in die Schluchten 
hinabgestiegen waren. Es befanden sich darunter wohl 
auch manche streitbare Männer, denen das Geraubte 
nicht mehr langen wollte ; meist aber waren es arme 
Leute aus den niederen Volksschichten, welche nur die 
Sorge um ihre Angehörigen abhielt, zu den Römern über- 
zugehen. Denn wenn sie mit Weib und Kind fliehen wollten, 
hatten sie keine Aussicht, der Wachsamkeit der Empörer 
zu entgehen ; die Ihrigen aber in der Gewalt der Räuber 
zurückzulassen, konnten sie sich nicht entschlossen, weil 
dieselben dann voraussichtlich um ihrer, der Entflohenen, 
willen, würden ermordet werden. Den Mut, die Stadt 
zu verlassen, flösste ihnen der Hunger ein ; waren sie nun 
unbemerkt hinausgelangt, so drohte ihnen nur noch die 
Gefahr, den Feinden in die Hände zu fallen. Wurden 
sie ergriffen, so wehrten sie sich unwillkürlich aus Angst 
vor der Hinrichtung; nachdem sie aber einmal Wider- 
stand geleistet hatten, schien es ihnen zu spät, um 
Gnade zu bitten. Sie mussten nun zunächt die Geisselung 
und alle möglichen Foltern über sich ergehen lassen 
und wurden dann angesichts der Mauer gekreuzigt. 
Titus hatte zwar Mitleid mit ihrem Schicksal, zumal da 
jeden Tag fünfhundert, manchmal auch noch mehr Ge- 
fangene eingebracht wurden, hielt es aber anderseits für 
gefährlich, diese mit Gewalt bezwungenen Juden frei 
ausgehen zu lassen; denn hätte man eine solche Menge 
bewachen wollen, so wären sie gar leicht eine Wache 
ihrer Wächter geworden. Der Hauptgrund aber, weshalb 


Go gle 



534 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


er die Hinrichtung der Gefangenen zuliess, war die 
Hoffnung, der Anblick werde die Belagerten zur Nach- 
giebigkeit bewegen, da diese ein gleiches Schicksal zu 
gewärtigen hatten, wenn sie sich nicht ergaben. Die 
Soldaten nagelten nun in ihrer gewaltigen Erbitterung 
die Gefangenen zum Hohn in den verschiedensten Körper- 
lagen an, und da ihrer gar so viele waren, gebrach 
es bald an Raum für die Kreuze und an Kreuzen für 
die Leiber. 

2. Weit entfernt jedoch, auf dieses grauenhafte Schau- 
spiel hin ihren Sinn zu ändern, benutzten die Aufrührer 
dasselbe vielmehr dazu , auch das übrige Volk umzu- 
stimmen. Sie schleppten die Angehörigen der Über- 
läufer und die Bürger, welche auf Übergabe drangen, 
zur Mauer und zeigten ihnen, was diejenigen zu erdulden 
hatten, die zum Feinde geflohen waren; zugleich be- 
haupteten sie, die Gekreuzigten seien als Schutzflehende, 
nicht als Kriegsgefangene so behandelt worden. Das 
hielt manchen, der sich mit dem Gedanken an Flucht 
getragen hatte, in der Stadt zurück, bis der wahre 
Sachverhalt bekannt wurde. Einige jedoch liefen trotz- 
dem sogleich davon und ihrem sicheren Verderben ent- 
gegen, da sie den Tod von Feindeshand im Vergleich 
mit dem durch Hunger für eine Wohlthat hielten. 
Vielen Gefangenen liess übrigens Titus die Hände ab- 
hauen, schickte sie, damit sie nicht für Überläufer gälten 
und ihr jammervoller Zustand ihnen Glauben verschaffe, 
zu Joannes und Simon zurück und liess den beiden 
Tyrannen vorstellen, sie möchten doch nun endlich ein- 
halten und ihn nicht zur Verwüstung der Stadt zwingen, 
vielmehr noch im letzten Augenblick in sich gehen und 
nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch ihre herrliche 
Vaterstadt und den Tempel retten, an dem fortan 
niemand ausser ihnen ein Eigentumsrecht haben solle. 
Inzwischen umritt er die Wälle und feuerte die Schanz- 
arbeiter an, um darzuthun , dass seinen Drohungen die 
Ausführung binnen kurzem folgen werde. Die Antwort 
der auf der Mauer befindlichen Juden aber bestand 



Fünfte« Buch, 1 1 . Kapitel. 


585 


darin, dass sie den Caesar und dessen Vater beschimpften. 
Der Tod, riefen sie, den sie für nichts achteten, sei ihnen 
viel lieber als die Knechtschaft ; den Römern aber 
würden sie nach Möglichkeit Schaden zufügen, so lange 
noch Atem in ihnen sei. An der Vaterstadt liege ihnen 
nicht das mindeste, da sie ja doch, wie Titus sage, zu 
Grunde gehen müssten, und Gott habe noch einen 
besseren Tempel als diesen , nämlich die Welt. Doch 
auch der Tempel Jerusalems werde von dem, dessen 
Wohnung er sei , gerettet werden ; mit ihm ira Bunde 
verlachten sie jede Drohung, hinter der die That zu- 
rückbleibe : denn der Ausgang stehe bei Gott. Solcherlei 
Äusserungen, mit Sch mäh Worten vermischt, riefen sie 
dem Caesar zu. 

3. Um diese Zeit fand sich auch Antiochus Epi- 
phanes 1 an der Spitze einer stattlichen Schar Schwer- 
bewaffneter und mit einer Leibwache, der sogenannten 
macedonischen Truppe, vor Jerusalem ein. Es waren 
lauter gleich alterige , schlankgewachsene Leute, kaum 
über die Knabenjahre hinaus, auf macedonische Art 
ausgerüstet und geschult, woher sie auch ihre Benennung 
hatten; die meisten jedoch blieben hinter dem Ruhm 
ihres Volkes zurück. Von allen Königen, die der 
römischen Oberherrschaft unterstanden, war der Komma- 
gener wohl der glücklichste, ehe sich sein Schicksal 
wandte; 2 aber auch an ihm bewahrheitete sich noch in 
seinem Greisenalter der Satz, dass niemand vor seinem 
Tode glücklich zu preisen sei. Sein Sohn nun, welcher 
damals zu einer Zeit erschien, wo der Vater noch auf 
dem Gipfel seines Glückes stand, gab seiner Ver- 
wunderung darüber Ausdruck, dass die Römer mit dem 
Sturm auf die Mauer zögerten; er selbst nämlich war 
ein gewandter Krieger, von Natur waghalsig und mit 
einer so gewaltigen Körperkraft ausgerüstet, dass seine 
Tollkühnheit selten ihr Ziel verfehlte. Titus lächelte 


1 Von Kommagene (vergl. über ihn J. A. XIX, 9, 1, XX, 7, 1). 

* S. unten VII, 7, 1. 



586 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


und entgegnete nur: „Unsere Aufgabe sei auch die 
eurige“ Da stürmte Antiochus, wie er war, mit seinen 
Macedoniern gegen die Mauer an. Er für seine Pereon 
wusste dabei freilich infolge seiner Starke und Ge- 
wandtheit den Geschossen der Juden auszuweichen, 
während seine eigenen Pfeile stets trafen ; seine jungen 
Krieger aber wurden bis auf ein kleines Häuflein auf- 
gerieben. Diese wenigen harrten übrigens, um ihrem 
Versprechen nicht untreu zu werden, um die Wette im 
Kampfe aus und traten endlich, vielfach verwundet, den 
Rückzug an. Sie hatten gelernt, dass auch geborene 
Macedonier, wenn sie siegen wollen, Alexanders Glück 
nicht entbehren können. 

4. Mit Mühe und nach siebzehntägiger unausgesetzter 
Arbeit vollendeten die Römer am neunundzwanzigsten 
des Monats Artemisios den Bau der Wälle, den sie 
am zwölften desselben Monats begonnen hatten. Vier 
Hauptwälle hatten sie angelegt Der eine, der Antonia 
gegenüber, war von der fünften Legion mitten durch 
den sogenannten Struthionteich, 1 ein anderer etwa 
zwanzig Ellen weiter entfernt von der zwölften Legion 
aufgeführt worden. Die zehnte Legion hatte in be- 
deutendem Abstand von diesen Wällen im Norden bei 
dem sogenannten Amygdalonteich 2 ihr Werk errichtet; 
dreissig Ellen weiter an dem Grabmal des Hohepriesters 
Joannes befanden sich dann die Schanzarbeiten der 
fünfzehnten Legion. Schon wurden die Maschinen 
herbeigeschafFt Joannes aber liess unterdessen von 
innen her in dem Zwischenraum zwischen der Antonia 
und den Wällen einen unterirdischen Gang graben und 
diesen wie auch zugleich damit die Werke selbst durch 
Pfahle stützen. Dann brachte er mit Pech und Asphalt 
bestrichenes Holz hinein und liess es anzünden. Als 
nun die Pfähle von unten herauf verbrannt waren, fiel 


1 Kann sowohl Sperlings- als Seifenkrautteich heissen (Spiess); 
erstere Übersetzung ist die gebräuchlichere. 

2 D. i. Mandelteich. 



Fünftes Buch, 11. Kapitel. 


537 


der Gang ein, und die Verschanzungen stürzten mit 
heftigem Krachen nach. Zuerst erhob sich nur ein 
dichter, mit 6taub untermischter Qualm, da das Feuer 
durch den Schutt halb erstickt war; als aber das zu- 
sammengesunkene Holz verkohlt war, brach die Flamme 
lichterloh hervor. Dieses unvorhergesehene Ereignis 
versetzte die Römer in Schrecken, und die List, mit 
der er es ersonnen war, raubte ihnen völlig den Mut. 
Schon hatten sie geglaubt, dem Siege nahe zu sein; das 
soeben Geschehene aber kühlte auch die Erwartungen, 
die sie auf die Zukunft setzten, bedeutend ab. Dem 
Feuer Einhalt zu thun hielten sie für zwecklos; denn 
wenn es auch gelöscht wurde: die Dämme blieben doch 
versunken. 

5. Zwei Tage später griff Simon mit den Seinigen 
auch die anderen Wälle an , wo die Römer bereits die 
Sturmböcke herangerückt hatten und mit ihnen die 
Mauer erschütterten. Ein gewisser Tephthaeus aus der 
Stadt Garsis in Galilaea, ferner Megassar, ein Kammer- 
diener der Mariamne, 1 und ein Adiabener, des Naba- 
taeus Sohn, nach einem körperlichen Gebrechen Cha- 
geiras — d. i. der Lahme — zubenannt, ergriffen 
Fackeln und stürmten auf die Maschinen los. Toll- 
kühnere Männer und gefürchtetere als sie hatte die Stadt 
in diesem Kriege nicht aufzuweisen ; denn gerade als 
wenn sie Kameraden entgegenzögen und nicht vielmehr 
einer dichtgedrängten Feindesschar, zeigten sie weder 
Furcht noch Bedenken, noch gaben sie ihren Plan auf, 
sondern mitten durch die Reihen der Feinde drangen 
sie vor, um die Maschinen in Brand zu stecken. Ein 
Hagel von Geschossen empfing sie, und von allen Seiten 
wurden sie mit dem Schwert angegriffen ; gleichwohl 
zogen sie sich nicht eher aus ihrer gefährlichen Stellung 
zurück, als bis das Feuer die Geschütze ergriffen hatte. 
Als nun die Flamme emporschlug, liefen die Römer aus 

1 Gemeint ist wohl nicht die GattiD des Herodes, die Asmo- 
näerin M. , sondern eine ihrer Nachkommen (s. die Stammtafel der 
Asmonäer zu meiner Übers, der J. A.). 



538 


Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


den einzelnen Lagern zur Hilfe herbei; die Juden aber 
drängten sie von der Mauer weg und gerieten mit denen, 
die den Brand löschen wollten, ins Handgemenge, wobei 
sie ihr eigenes Leben nicht im mindesten schonten. 
Wenn die Römer ihre Sturmböcke, während das Flecht- 
werk über denselben schon brannte, aus dem Feuer 
zogen, suchten die Juden mitten in den Flammen sich 
der Maschinen zu bemächtigen und Hessen sie selbst 
dann nicht los, wenn sie glühendes Eisen anfassen 
mussten. Von den Geschützen sprang das Feuer auf 
die Wälle über, bevor die Hilfsmannschaft dies ver- 
hindern konnte. Schliesslich gaben die Römer, als rings 
um sie her der Brand wütetete, jede Hoffnung auf Er- 
haltung ihrer Werke auf und zogen sich ins Lager zu- 
rück. Die Juden aber, durch Zuzug aus der Stadt mehr 
und mehr verstärkt und durch ihren Erfolg kühn ge- 
macht, stürmten nun mit einem Ungestüm, das keine 
Grenzen zu kennen schien, vorwärts und waren alsbald 
bei den Lagerverschanzungen angelangt, wo sie mit den 
Wachen handgemein wurden. Vor dem Lager steht 
nämlich bei den Römern ein Wachtposten, der regel- 
mässig abgelöst 'wird, und es ist strenges Gesetz bei 
ihnen, dass, wer aus irgend einem Grunde seinen Posten 
verlässt, mit dem Tode bestraft wird. Die Wachen, 
welche lieber als tapfere Soldaten sterben wie als Ver- 
brecher hingerichtet sein wollten, hielten stand; viele 
von denen aber, die geflohen waren, schämten sich, als 
sie ihre Kameraden in Not sahen, und machten wieder 
kehrt. Auf der Umwallung des Lagers pflanzten sie 
nun schnell die Skorpionen auf und hielten damit den 
aus der Stadt hervorgebrochenen Haufen ab , der zu 
seiner Sicherheit und zu seinem Schutze keinerlei Vor- 
sichtsmassregeln getroffen hatte. Die Juden nämlich 
banden mit jedem an, der ihnen in den Weg kam, und 
warfen nicht selten die Feinde durch die Last ihrer 
Leiber um, mit denen sie unvorsichtiger Weise in deren 
Speere gerannt waren. Weniger durch wohlüberlegtes 
als durch keckes Handeln waren sie somit den 



Fünftes Bach, 1 1 . Kapitel. 


539 


Hörnern voraus, und die letzteren gingen den Juden 
mehr darum aus dem Wege, weil diese so tollkühn 
waren, als weil sie besonderen Schaden von ihnen er- 
litten hätten. 

6. Schon aber war der Caesar von der Antonia her, 
wohin er sich begeben hatte, um einen Platz für andere 
Dämme auszusuchen, wieder bei den Seinen eingetroffen 
und machte ihnen strenge Vorwürfe darüber, dass sie, 
im Besitz der feindlichen Mauern, ihre eigenen Werke 
preisgäben und nun selbst die Rolle der Belagerten 
spielen müssten, nachdem sie die Juden wie aus einem 
Gefängnis gegen sich losgelassen hätten. Dann fiel er 
mit seinen Kern truppen den Feinden in die Flanke. 
Obwohl nun die Juden schon von der Front her hart 
bedrängt wurden, wandten sie sich doch auch gegen 
Titus und wehrten sich tapfer. Bald entstand ein 
wirres Durcheinander in den beiderseitigen Schlacht- 
reihen: der Staub blendete die Augen, das Geschrei 
übertäubte die Ohren, und hüben wie drüben vermochte 
man den Freund vom Feinde nicht mehr zu unter- 
scheiden. Während aber die Juden jetzt weniger im 
Gefühl ihrer Stärke als aus Verzweiflung standhielten, 
spornte dagegen die Römer der Gedanke an Ruhm und 
Waffenehre sowie die Rücksicht auf den Caesar an, der 
allen voran der Gefahr ins Auge sah. Im Übermass 
ihrer Erbitterung, glaube ich, würden sie wohl schliess- 
lich die ganze Schar der Juden niedergemacht haben, 
hätten diese sich nicht, ohne den Ausgang des Treffens 
abzuwarten, in die Stadt zurückgezogen. Das Einsinken 
der Dämme hatte übrigens die Römer völlig mutlos ge- 
macht, da sie die Arbeit vieler Tage in einer Stunde 
vernichtet sahen, und viele verzweifelten nunmehr 
daran, mit den gewöhnlichen Maschinen die Stadt er- 
obern zu können. 


Go gle 



540 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Zwölftes Kapitel. 

Titus umgiebt Jerusalem mit einer Ringmauer. 

Fernere Schilderung der Hungersnot 

1. Titus hielt nun Kriegsrat Die hitzigeren Offiziere 
waren der Meinung, man solle mit der ganzen Streit- 
macht auf einmal die Mauern zu erstürmen suchen. 
Denn bis jetzt seien die Juden nur mit einzelnen Teilen 
des Heeres handgemein geworden; wenn man aber in 
Masse gegen sie vorrücke, würden sie wohl den Anprall 
nicht aushalten können, da der Geschosshagel sie völlig 
zermalmen müsse. Von den Besonneneren dagegen 
rieten die einen, abermals Dämme zu bauen, die anderen, 
ohne dergleichen Werke die Belagerung fortzusetzen, 
lediglich das Verlassen der Stadt seitens der Einwohner 
und die Einfuhr von Lebensmitteln in dieselbe zu ver- 
hindern und so die Feinde dem Hunger zu überlassen, 
ohne dass man sich weiter mit ihnen schlage: denn mit 
der Verzweiflung sei nicht zu kämpfen: Durchs Schwert 
zu fallen sei der Wunsch der Juden; geschehe das aber 
nicht, so warte ihrer ein schrecklicheres Los. Titus 
selbst hielt es nicht für ehrenvoll, mit einem so grossen 
Heere ganz müssig zu liegen, anderseits aber auch für 
unnötig, mit Leuten zu kämpfen, die einander selbst 
den Untergang bereiteten. Neue Wälle aufzuführen er- 
klärte er wegen Mangel an Bauholz für ein schwieriges 
Stück Arbeit, sämtliche Ausgänge zu sperren für noch 
schwieriger. Denn mit dem Heere die Stadt völlig zu 
umzingeln, sei wegen der Grösse Jerusalems und der 
ungünstigen Terrain Verhältnisse nicht leicht, auch mit 
Rücksicht auf die Ausfälle der Juden gefährlich. 
Übrigens würden die Belagerten, wenn man auch alle 
bekannten Ausgänge bewache, im Drange der Not und, 
gestützt auf ihre Kenntnis der Örtlichkeit, geheime er- 
sinnen. Werde nun auf verborgenen Wegen Proviant 
in die Stadt geschafft, so müsse die Belagerung sich da- 
durch bedeutend in die Länge ziehen, und er furchte, 


Go gle 



Fünftes Buch, 12. Kapitel. 


541 


dass, je mehr Zeit verstreiche, desto weniger Ruhm mit 
dem Siege verbunden sein möchte. Auf die Dauer könne 
man freilich alles zu Ende führen, aber der Ruhm sei 
wesentlich durch rasches Handeln bedingt. Um nun 
Schnelligkeit mit Sicherheit zu vereinigen, müsse man 
die ganze Stadt mit einer Ringmauer umschliessen ; nur 
so sei man imstande, alle Auswege zu sperren, und es 
müssten dann die Juden entweder in völliger Verzweif- 
lung Jerusalem übergeben oder, ohne dass die Römer ein 
Glied zu rühren brauchten, der Hungersnot zum Opfer fallen. 
Selbstverständlich werde er in diesem Falle auch nicht 
die Hände in den Schoss legen, sondern sich den Bau 
neuer Wälle angelegen sein lassen, da er dann einen 
viel schwächeren Widerstand zu erwarten habe. Halte 
indes jemand dieses Werk für zu gross und zu schwer 
ausführbar, so solle er bedenken, da98 kleine Unter- 
nehmungen sich für die Römer nicht schickten, und 
etwas Bedeutendes ohne Anstrengung zu vollenden keinem 
leicht sei, ausser der Gottheit allein. 

2. Mit diesen Darlegungen überzeugte er die Offiziere 
und gab sogleich Befehl, den Truppenteilen ihre Arbeit 
anzuweisen. Ein wunderbarer Eifer ergriff nun die 
Soldaten, und nachdem die einzelnen Strecken der Ring- 
mauer verteilt waren, arbeiteten nicht nur die Legionen, 
sondern in denselben auch die Kohorten miteinander um 
die Wette. Der Gemeine suchte dem Decurio, der 
Decurio dem Centurio, und dieser dem Tribun zu ge- 
gefallen; der Ehrgeiz der Tribunen strebte dann wieder 
nach dem Beifall der Legaten, und den Wetteifer der 
letzteren belohnte der Caesar. Titus machte nämlich 
oftmals des Tages die Runde, um das Werk zu besich- 
tigen. Von dem Lager der Assyrier aus , wo er sein 
Hauptquartier hatte, führte er die Mauer in die untere 
Neustadt, von hier über den Kedron an den ölberg, und 
liess sie dann nach Süden hin den Berg bis zum Pe- 
ristereonfels 1 sowie den nahegelegenen Hügel umfassen, 

i D. i. Taubenfels. Für denselben hält man die Prophetengräber 
oder. .das sogenannte kleine Labyrinth an der südlichen Vorkuppe 
des Ölberges. 



542 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


der sich über dem Thal bei der Siloaquelle erhebt; 
von da an gab er ihr eine westliche Richtung und liess 
sie in eben dieses Thal sich senken. Alsdann erstreckte 
sie sich bei dem Grabmal des Hohepriesters Ananus 
aufwärts und schloss den Berg ein, wo einst Pompejus 
gelagert hatte, 1 zog sich hierauf gegen Norden an einem 
Dorf Erbsenhausen vorbei, umfasste weiterhin das Grab- 
mal des Herodes und endigte nach Osten zu bei dem 
Lager des Feldherrn, wo sie auch ihren Anfang ge- 
nommen hatte. Die ganze Umwallungslinie hatte eine 
Länge von neununddreissig Stadien ; aussen waren dreizehn 
Wachtkastelle an sie angebaut, deren Umfang zusammen- 
gerechnet zehn Stadien betrug. 2 3 In drei Tagen war der 
Bau errichtet und damit ein Werk, für welches Monate 
nicht zu viel gewesen wären, in unglaublich kurzer Zeit 
vollendet worden. Nachdem nun der Feldherr mit dieser 
Ringmauer die Stadt eingeschlossen und Truppen in die 
einzelnen Wachtkastelle gelegt hatte, machte er selbst 
in der ersten Nachtwache die Runde, um nachzusehen; 
die zweite übertrug er dem Alexander, 8 und die dritte 
fiel den Führern der Legionen zu. Die Wachmann- 
schaften ihrerseits losten die Schlafstunden aus und be- 
gingen dann die ganze Nacht hindurch die Zwischen- 
räume zwischen den einzelnen Kastellen. 

3. Mit der Möglichkeit, aus der Stadt zu entkommen, 
war nun den Juden jegliche Aussicht auf Rettung ab- 
geschnitten, und die Hungersnot, die immer schrecklicher 
wurde, raffte das Volk häuser- und familienweise dahin. 
Die Dächer lagen voll entkräfteter Weiber und Kinder, 
die Gassen voll toter Greise. Knaben und Jünglinge, 
krankhaft angeschwollen, wankten wie Gespenster über 

1 Dass Pompejus vor seinem Einrücken in die Stadt (s. J. A. XIV, 
4, lff.) an dieser Stelle, d. h. auf der Höhe zwischen dem untersten 
Abschnitt des Kedronthales und der nach Bethlehem führenden 
Strasse gelagert habe, wird nur hier berichtet. Er hätte demnach, 
von Jericho kommend, Jerusalem südlich umgangen. 

2 Das ergiebt für den Umfang des einzelnen Kastells etwa 
142 Meter. 

3 S. V, 1, 6. 



Fünftes Buch, 12. Kapitel. 


543 


die öffentlichen Plätze und sanken zu Boden, wo einen 
die Hungerseuche ergriff. Ihre Ad gehörigen zu bestatten 
vermochten die Entkräfteten nicht mehr; die noch 
Rüstigeren aber scheuten sich davor wegen der Menge 
der Toten und der Ungewissheit ihres eigenen Schick- 
sals. Viele starben auf den Leichen, die sie beerdigen 
wollten, viele auch schleppten sich, noch ehe das Ver- 
hängnis sie ereilte, zu den Grabstätten. Keine Thräne, 
keine Wehklage begleitete dieses entsetzliche Elend: 
alles Gefühl hatte der Hunger ertötet. Mit trockenen 
Augen und weitgeöffnetem Munde starrten die langsam 
Dahinsterbenden auf die, welche vor ihnen zur Ruhe 
gekommen waren. Tiefes Schweigen, wie eine bange 
Todesnacht, lag über der Stadt Fürchterlicher aber als 
alles dies waren die Räuber : gleich Totengräbern drangen 
sie in die Häuser ein, plünderten die Leichen, rissen 
ihnen die Verhüllung weg und gingen unter wüstem 
Gelächter hinaus oder erprobten die Spitzen ihrer Dolche 
an den entseelten Körpern; ja, sie durchbohrten sogar 
manchmal solche, die hingefallen waren, aber noch 
lebten, um die Schärfe des Mordstahls zu prüfen. Andere 
dagegen, die sich den Gnadenstoss von ihnen erbaten, 
überliessen sie voll übermütigen Hohnes dem Hunger. 
Sämtliche Sterbenden blickten starren Auges zum Tempel 
hinauf, wo sie die Empörer lebend zurückliessen. An- 
fangs sorgten diese noch dafür, dass die Toten auf öffent- 
liche Kosten begraben wurden, weil sie den Geruch 
nicht ertragen konnten; später aber, als der Leichen 
gar zu viele wurden, warf man sie einfach von den 
Mauern in die Schluchten hinab. 

4. Als Titus auf einem seiner Rundgänge diese 
Schluchten mit Toten gefüllt und die Menge Jauche 
sah, die aus den verwesenden Leichen floss, breitete er 
seufzend seine Hände aus und rief Gott zum Zeugen 
an, dass dies nicht sein Werk sei. So sah es in der 
Stadt aus. Die Römer hingegen waren, da jetzt auch 
die Aufrührer, von Zaghaftigkeit und den Qualen des 
Hungers ergriffen, keine Ausfälle mehr machten, froh- 



544 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


lieh und wohlgemut; denn sie hatten an Getreide und 
anderen notwendigen Lebensmitteln , die ihnen aus 
Syrien und den benachbarten Provinzen zugeführt 
wurden, durchaus keinen Mangel. Viele stellten sich 
in der Nähe der Mauer auf, zeigten geflissentlich ihren 
reichen Vorrat an Speisen und reizten durch ihren 
Überfluss den Hunger der Feinde noch mehr. Da aber 
all dieser Jammer die Empörer nicht nachgiebig machte, 
fing Titus aus Mitleid mit dem Reste der Bürgerschaft und 
um wenigstens das, was noch übrig war, vom Untergang 
zu retten, wieder an Wälle zu errichten, so schwer sich 
auch das Bauholz beschaffen liess. Für die früheren 
Werke nämlich waren bereits alle Bäume im Umkreis 
der Stadt gefällt worden, und die Soldaten mussten 
nun anderes Holz aus einer Entfernung bis zu neunzig 
Stadien herbeiholen. Allein der Antonia gegenüber 
warfen sie sodann vier Dämme auf, weit grösser als 
die früheren; der Caesar aber ritt von einer Legion zur 
anderen und trieb die Arbeiter zur Eile an, um so den 
Räubern zu zeigen , dass sie in seiner Hand seien. Sie 
allein indes fühlten keine Reue wegen ihrer Frevel- 
thaten; es war, als hätten sie ihre Seelen von den Leibern 
getrennt und gebrauchten beide, wie wenn sie nicht 
ihnen gehörten. Kein besseres Gefühl rührte ihre Seele, 
keinen Schmerz empfand ihr Körper: wie Hunde zer- 
fleischten sie das tote Volk, und mit den Kranken füllten 
sie noch die Gefängnisse. 



Fünftes Bach, 13. Kapitel. 


545 


Dreizehntes Kapitel. 

Mord und Tempelraub in Jerusalem. 

1. Simon liess sogar den Matthias, mit dessen Hilfe 
er sich der Stadt bemächtigt hatte, 1 eines qualvollen 
Todes sterben. Matthias, des Boethos Sohn, einer von 
den Hohepriestern , der beim Volke sehr angesehen war 
und dessen Vertrauen in hohem Grade besass, hatte, als 
die Zeloten im Bunde mit Joannes die Bürgerschaft 
Jerusalems drangsalierten, die letztere überredet, Simon 
als Retter aufzunehmen , ohne ihm vorher Bedingungen 
zu stellen oder sich schlimmer Dinge von ihm zu ver- 
sehen. Kaum jedoch war Simon eingezogen und Herr 
der Stadt geworden, als er den, der für ihn eingetreten 
war, genau wie die anderen zu seinen Feinden rechnete, 
wie wenn er jenen Schritt nur aus Dummheit gethan 
hätte. Damals also wurde er vor Simon geführt, als 
Römerfreund angeklagt und von dem Tyrannen, der ihm 
nicht einmal das Wort zur Verteidigung gestattete, samt 
dreien seiner Söhne zum Tode verurteilt; der vierte war 
schon vorher zu Titus entkommen. Und als er Simon 
flehentlich bat, ihn zum Dank dafür, dass er ihm die 
Stadt geöffnet, vor seinen Söhnen hinrichten zu lassen, 
gab dieser sogar Befehl, ihn zuletzt zum Tode zu führen. 
So ward er denn auf den Leichen seiner Kinder, die 
man vor seinen Augen ermordet hatte, hin geschlachtet, 
und zwar nachdem er an einen für die Römer sichtbaren 
Ort geführt worden war. Letzteres nämlich hatte Simon 
dem grausamsten seiner Spiessgesellen, Ananus, dem 
Sohne des Bamados, aufgetragen, der dann noch die 
höhnische Frage an Matthias richtete: ob nun diejenigen, 
zu denen er habe entlaufen wollen, ihm helfen würden? 
Die Leichen verbot Simon zu beerdigen. Nach ihnen 
wurde ein Priester Ananias, der Sohn des Masambalos, 
ein angesehener Mann, ferner der Ratsschreiber Aristeus 


1 S. IV, 9, 11. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 36 

GO gle ;,nivlrsitVöfca 



546 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


von Ammaus und fünfzehn andere hervorragende Männer 
aus dem Volke hingerichtet. Den Vater des Josephus 
aber hielt man noch immer in strengem Gewahrsam und 
liess aus Furcht vor Verrat öffentlich bekannt machen, 
dass niemand aus der Bürgerschaft ihn sprechen oder 
besuchen dürfe. Wer seinem Unwillen darüber Ausdruck 
gab, wurde ohne weiteres niedergestossen. 

2. Auf diese Ereignisse hin berief ein gewisser Judas,, 
des Judas Sohn, einer von Simons Unterbefehlshabern r 
dem dieser auch die Bewachung eines Turmes anvertraut 
hatte, zum Teil vielleicht aus Mitleid mit den grausam 
Ermordeten, hauptsächlich jedoch aus Sorge um sein 
eigenes Leben, die zehn zuverlässigsten seiner Unter- 
gebenen zu sich und sprach zu ihnen : „Wie lange noch 
wollen wir solche Greuel dulden? Oder welche Hoff- 
nung auf Rettung haben wir, wenn wir diesem Bösewicht 
treu bleiben ? Kämpft nicht schon der Hunger wider uns ? 
Sind nicht die Römer nahezu in der Stadt? Und wie treulos 
benimmt sich Simon gegen die, die ihm Gutes gethanl 
Müssen wir nicht bei ihm in steter Angst vor der Hinrich- 
tung leben, während wir auf das Wort der Römer bauen 
können? Wohlan denn, übergeben wir ihnen die Mauer 
und retten wir uns selbst und die Stadt! Dem Simon 
geschieht kein Unrecht, wenn er bald in Verzweiflung 
gerät und seine Schandthaten büssen muss.“ Nachdem 
er durch solche Vorstellungen die zehn für seinen Plan 
gewonnen hatte, sandte er gegen Morgen die übrige ihm 
unterstellte Mannschaft an verschiedene Plätze weg, 
damit nichts von dem Anschlag verraten würde, und rief 
selbst um die dritte Stunde von dem Turm aus die Römer 
herbei. Von diesen nahmen die einen den Antrag ver- 
ächtlich auf, andere hegten Misstrauen, und die meisten 
mochten aus dem Grunde nichts davon wissen, weil sie 
ja doch binnen kurzem ohne Gefahr die Stadt in ihre 
Gewalt zu bekommen gedachten. Als aber Titus mit 
seinen Schwerbewaffneten sich eben der Mauer nähern 
wollte, kam Simon, der von der Sache Kenntnis erlangt 
hatte, ihm zuvor, besetzte in aller Eile den Turm und 


Go gle 



Fünftes Buch, 13. Kapitel. 


547 


liess die Männer ergreifen, sie vor den Augen der Römer 
niedermachen und ihre verstümmelten Leichen die Mauer 
hinabwerfen. 

3. Um jene Zeit wurde Josephus, der mit seinen Er- 
mahnungen nicht nachliess, bei einem Rundgang um die 
Mauer von einem Steinwurf am Kopfe getroffen, sodass 
er augenblicklich betäubt zu Boden sank. Auf seinen 
Fall hin stürzten die Juden heraus und würden ihn 
wohl in die Stadt geschleppt haben, wenn der Caesar 
nicht schleunigst Leute zu seinem Schutz abgesandt 
hätte. Während diese sich mit den Juden herumschlugen, 
wurde Josephus fast ohne alles Bewusstsein von dem, 
was vorging, weggetragen ; die Empörer aber erhoben 
in der Meinung, den Mann aus dem Wege geräumt zu 
haben, nach dessen Tod sie so sehr verlangten, ein lautes 
Freuden geschrei. Alsbald verbreitete sich die Nachricht 
in der Stadt und rief bei den noch übrigen Bewohnern 
grosse Niedergeschlagenheit hervor, weil sie in der That 
den für tot hielten, auf dessen Einfluss hin sie zu den 
Römern überzugehen wagen konnten. Als die Mutter 
des Josephus im Gefängnis den Tod ihres Sohnes erfuhr, 
äusserte sie ihren Wächtern gegenüber, die aus Jotapata 
waren, sie glaube es gern, denn sie habe ja auch bei 
Lebzeiten des Josephus seiner nie froh werden können ; 
zu ihren Dienerinnen aber sagte sie insgeheim unter 
Wehklagen, das habe sie also davon, dass sie Mutter so 
vieler Kinder geworden sei, nämlich den Sohn nicht 
einmal begraben zu dürfen, von dem sie einst bestattet 
zu werden gehofft habe. Doch es sollte die falsche 
Kunde ihr keinen langen Kummer und den Räubern 
keine lange Freude bereiten. Josephus nämlich, der 
sich rasch von seinem Unfall erholt hatte, erschien vor 
der Mauer und rief seinen Gegnern zu, gar bald würden 
sie ihm für seine Verwundung Genugthuung geben 
müssen; das Volk hingegen forderte er abermals auf, 
sich zu ergeben. Sein Anblick flösste den Bürgern wieder 
Zuversicht, den Empörern aber Schrecken ein. 

4. Manche Überläufer sprangen in der Not geradezu 



548 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


von der Mauer hinab; andere stürmten, als wollten sie 
kämpfen, mit Steinen in der Hand hervor und flohen 
dann zu den Römern. Hier aber traf sie ein traurigeres 
Los, wie die in der Stadt: die Sättigung, die sie bei 
den Römern fanden, führte ihren Tod rascher herbei 
als der Hunger, dem sie bis dahin ausgesetzt waren. 
Denn wenn sie bei den Feinden anlangten, waren sie 
infolge des Mangels, den sie gelitten, aufgedunsen und 
wie wassersüchtig; überluden sie sich dann gierig den 
leeren Magen, so zerbarsten sie, und nur die kamen 
mit dem Leben davon, welche, durch Erfahrung ge- 
witzigt, ihren Heisshunger bezwangen und dem Körper, 
der an Speise nicht mehr gewöhnt war, dieselbe all- 
mählich zuführten. Der also Geretteten aber wartete 
eine andere Plage. Bei den Syrern nämlich ertappte 
man einen Überläufer, der aus seinem Kot Goldstücke 
auslas. Solche pflegten die Juden ja, wie oben erzählt, 
zu verschlingen, ehe sie sich hinaus wagten , da die 
Empörer alle durchsuchten; und es war eine Menge 
Gold in der Stadt: man kaufte um zwölf Attiken, was 
sonst fünfundzwanzig galt. Da nun die List bei einem, 
der sie angewandt, entdeckt war, durchlief alsbald 
sämtliche Lagerplätze das Gerücht, die Überläufer seien, 
wenn sie ankämen, ganz mit Gold gefüllt. Viele 
Araber und auch Syrer schnitten infolgedessen den um 
Gnade Flehenden die Bäuche auf, um sie nach Gold 
zu durchsuchen. Keine schlimmere Misshandlung ist 
wohl den Juden widerfahren: in einer einzigen Nacht 
wurde gegen zweitausend Überläufern der Leib auf- 
geschlitzt. 

5. Als der Caesar diese Greuelthat erfuhr, hatte er 
nicht übel Lust, die Schuldigen mit Reiterei umzingeln 
und durch Lanzenstiche töten zu lassen. Nur die 
grosse Anzahl derselben hielt ihn davon ab; denn 
derer, die er hätte strafen müssen, waren viel mehr als 
der auf jene Weise Ermordeten. Er beschied daher die 
Anführer der Hilfstruppen und der Legionen — denn 
auch römische Soldaten wurden der Teilnahme an der 



Fünftes Buch, 13. Kapitel. 


549 


Unthat bezichtigt — zu sich und fragte sie voll Ent- 
rüstung, ob es denn wirklich unter seinen eigenen 
Kriegern welche gebe, die solche Schändlichkeiten um 
eines unsicheren Gewinnes willen verüben könnten, 
und ob sie sich nicht ihrer aus Gold und Silber ge- 
fertigten Waffen schämten. Die Araber und Syrer aber 
fuhr er an: „Also wollt ihr in einem Kriege, der euch 
persönlich gar nichts angeht, zuerst eure Leidenschaften 
eigenmächtig befriedigen und dann eure grausame 
Mordlust und euren Judenhass den Römern anhängen? 
Denn leider haben sich ja auch einige meiner eigenen 
Soldaten an eurem schändlichen Treiben beteiligt!“ 
Hierauf drohte er den fremden Truppen mit Hinrich- 
tung, wenn noch einmal jemand bei einer solchen 
Greuelthat betroffen würde; den Legionen aber gab er 
Befehl, die Verdächtigen zu ermitteln und ihm vor- 
zuführen. Die Geldgier indes achtet, wie es scheint, 
keiner Strafe; ein entsetzliches Verlangen nach Gewinn 
ist dem Menschen angeboren, und keine Leidenschaft 
treibt ihn so unaufhaltsam ins Verderben, wie die 
Habsucht, während doch sonst die Begierden ihre 
Grenzen haben und durch Furcht im Zaum gehalten 
werden können. Freilich war dabei auch Gottes Hand 
im Spiele, der das ganze Volk verworfen hatte und 
ihm jedes Rettungsmittel zum Verderben ausschlagen 
liess. Was der Caesar unter Drohungen verboten 
hatte , das beging man jetzt heimlich an den Über- 
läufern: die Barbaren fingen die Flüchtlinge ab, ehe 
sie von allen erblickt werden konnten, und stiessen sie 
nieder; dann spähten sie umher, ob nicht ein Römer 
zusehe, schnitten die Unglücklichen auf und holten 
aus deren Einge weiden den scheusslichen Gewinn. Nur 
bei einigen wenigen übrigens fand sich Gold vor; die 
meisten wurden um einer trügerischen Hoffnung willen 
ermordet. Immerhin brachte ihr trauriges Schicksal viele 
andere, die überzugehen im Sinne hatten, von ihrem 
Vorhaben wieder ab. 

6. Unterdessen verlegte sich Joannes, als beim Volke 


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550 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


nichts mehr zu holen war, auf die Beraubung des 
Tempels. Eine Menge der in demselben befindlichen 
Weihgeschenke, gottesdienstlichen Gerate, Mischgefasse, 
Schüsseln und Tische liess er einschmelzen; nicht 
einmal der von Augustus und seiner Gemahlin gestif- 
teten Weinkrüge schonte er. Die römischen Caesaren 
hatten den Tempel stets in Ehren gehalten und seinen 
Schmuck vermehrt; jetzt aber raubte ein geborener Jude 
die Geschenke der Ausländer. Gottgeweihte Gegen- 
stände, sagte er zu seiner Umgebung, dürfe man ohne 
Bedenken zu Ehren der Gottheit verwenden, und es 
sei nicht mehr wie recht, dass die , welche für das 
Heiligtum kämpften, auch von ihm lebten. Deshalb 
holte er auch das im inneren Tempel befindliche heilige 
öl und den heiligen Wein, den die Priester auf bewahrten, 
um ihn über die Brandopfer zu giessen, hervor und 
verteilte beides unter seine Leute, welche jeder mehr 
als ein Hin 1 davon versalbten und vertranken. Zu 
verschweigen, was mein Gefühl mir eingiebt, kann ich 
nicht über mich bringen: wenn die Römer das Ver- 
brechergesindel nicht alsbald vernichtet hätten, so wäre 
die Stadt, glaube ich, von der Erde verschlungen oder 
von einer Sintflut überschwemmt l oder , wie Sodoma, 
vom Feuer des Himmels verzehrt worden ; denn sie 
barg ein viel gottloseres Geschlecht, 'als dasjenige war, 
über welches jene Strafgerichte hereinbrachen. Fürwahr, 
der Wahnsinn dieser Frevler stürzte das ganze Volk 
ins Verderben. 

7. Wozu aber soll ich die Drangsale einzeln auf- 
zählen? Versicherte doch Mannaeus, des Lazarus Sohn, 
der um diese Zeit zu Titus floh, dass durch ein einziges 
Thor, welches er zu bewachen hatte, von dem Tage an, 
da das Lager vor J der Stadt errichtet worden war, also 
vom vierzehnten desJMonats Xanthikos bis zum Neu- 
mond des PanemoB hundertfünfzehntausendachthundert- 
undachtzig Leichen hinausgetragen worden seien — 


1 1 Hin = 12 Log, 1 Log = dem Inhalt von 6 Eierschalen. 



Fünftes Buch, 13. Kapitel. 


551 


«ine wahrhaft erschreckliche Anzahl. Übrigens hatte 
er nicht als Befehlshaber der Thorwache nebenbei, 
sondern kraft besonderen amtlichen Auftrags die Toten 
gezählt, weil er aus der Stadtkasse den Beerdigungs- 
lohn auszahlen musste. Die anderen wurden von ihren 
Angehörigen begraben ; das Begräbnis aber bestand 
darin, dass man die Leichen aus der Stadt trug und 
hinabstürzte. Viele angesehene Überläufer, die nach 
ihm kamen, gaben die Gesamtzahl der Leichen von 
Armen, welche zu den Thoren hinausgeworfen wurden, 
auf sechshunderttausend an; die Zahl der übrigen sei 
nicht zu ermitteln gewesen. Als die Kraft der Leute 
nicht mehr ausreichte, um die Armen vors Thor zu 
tragen, habe man, sagten sie weiter, die Leichen in die 
grösseren Häuser zusammen geschleppt und daselbst ein- 
geschlossen. Das Mass 1 Weizen sei um ein Talent 
verkauft worden, und als man hernach wegen der Ein- 
schliessung der Stadt auch kein Gemüse mehr habe 
sammeln können, sei die Not bei manchen so hoch ge- 
stiegen, dass sie die Kloaken und alten Rindermist 
durchstöbert hätten, um irgend etwas Essbares daraus 
zu sammeln; was man sonst nur mit Ekel habe; sehen 
können, sei damals Nahrungsmittel geworden. Die Römer 
fühlten Erbarmen, als sie dies hörten; die Empörer aber, 
die alles mit eigenen Augen schauten, blieben ungerührt 
und starren Sinnes, bis die Not auch sie* ergriff. Das 
Verhängnis, das bereits über der Stadt wie über ihren 
eigenen Häuptern schwebte, hatte sie gänzlich verstockt 
gemacht. 


1 Dieses Mass (jJLs'xpov) war wohl der in Judaea gangbare römische 
Scheffel (modius) = 8,75 Liter. 



Sechstes Buch, 


Inhalt. 

1. Von der Verzweiflung der Empörer und dem Wüten der Hungers- 

not. Trauriger Anblick der Umgebung Jerusalems nach Er- 
richtung der Wälle durch die Römer. 

2. Wie nach Vollendung der Verschanzungen Römer und Juden in 

gleiche iBesorgnis gerieten. Wie die Juden einen Ausfall 
machten } aber die Belagerungswerke nicht einzuäschern ver- 
mochten. 

3. Wie die Römer durch die Stösse ihrer Maschinen und durch 

Untergrabung die Mauer der - Antonia zum Einsturz brachten, 
aber beim Anblick einer zweiten Mauer, die Joannes durch 
seine Leute hatte aufführen lassen, den Mut verloren. 

4. Wie Titus seine Soldaten, die den Sturm auf die Mauer nicht 

wagten, durch eine vortreffliche Ansprache ermutigte. 

5. Wie Sabinus und mit ihm einige andere die Mauer erstiegen und 

die Juden in die Flacht schlugen. Sabinus fällt nach Erlegung 
vieler Feinde. 

6. Wie die Römer auch die dritte Mauer nahmen. Beschreibung 

des Kampfes zwischen Römern und Juden um den Tempel. 

7. Von dem Centurio Julianus, der eine Menge Juden nieder- 

machte, dann aber selbst fiel. Flucht der Römer in die An- 
tonia. 

8. Wie Titas die Antonia schleifen liess und denJosephus ersuchte, 

nochmals den Juden zuzureden. 

9. Wie eine grosse Anzahl Bürger, als die Aufständischen sich an 

des Josephus Vorstellungen nicht kehrten, die Stadt verliessen, 
um zu den Römern überzugehen, und wie Titus sie nach 
Gophna schickte. 

10. Wie die Überläufer die Empörer baten, dem Caesar die Stadt zu 
übergeben, aber dieselben dadurch nur noch trotziger machten, 
und wie Titus den letzteren durch Josephus Vorwürfe machen 
liess und, als sie in ihrer Hartnäckigkeit verharrten, wieder zur 
Anwendung von Gewalt schritt. 


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jniversii^of c al^crnia 



Sechstes Buch, Inhalt. 


553 


11. Wie Titns aus seinen gesamten Truppen die tapfersten Leute 

auswählte und sie gegen den Tempel entsandte, während er 
selbst von der Antonia aus der Entwicklung des Kampfes ent- 
gegensah. 

12. Wie der Kampf entbrannte und unter grossen beiderseitigen Ver- 

lusten unentschieden blieb. 

13. Wie die Römer Wälle gegen den Tempel aufwarfen. 

14. Wie Titus, als einige seiner Reiter ihre Pferde verloren hatten, 

durch Bestrafung eines der Schuldigen die übrigen zu besserer 
Bewachung ihrer Pferde anhielt. 

15. Wie eine Menge Empörer am Ölberg einen heimlichen Ausfall 

versuchten, aber geschlagen wurden. Wie der Reiter Pedanius 
einen feindlichen Jüngling auf der Flucht ergriff und gleich 
einem kostbaren Kleinod zum Caesar brachte. 

16. Wie die Juden die Nebengebäude des Tempels in Brand steckten, 

damit die Römer nicht von ihnen aus sich des Heiligtums be- 
mächtigen könnten. 

17. W 7 ie ein Jude die Römer zum Einzelkarapf herausforderte und 

zunächst siegreich blieb, dann aber seiner Prahlerei wegen fiel. 

18. Von einer Kriegslist der Juden, die vielen Römern den Tod in 

den Flammen brachte. 

19. Wie der römische Soldat Longus sich selbst umbrachte, und wie 

ein gewisser Sertorius seinen Kameraden Lucius, der ihn aüf- 
fing, zu Boden schmetterte. 

20. Weitere Schilderung der durch die Hungersnot angerichteten Ver- 

heerungen. 

21. Von der Jüdin Maria, die ihr eigenes Kind verzehrte. 

22. Wie die Römer nach Vollendung der Wälle Sturmböcke herbei- 

schafften, und wie nach Anlegung der Leitern ein erbitterter 
Kampf sich entspann, in welchem die Römer schliesslich er- 
lagen. Wie Titus , hierüber ergrimmt, Feuer an die Thore 
legen Hess. 

23. Von den Spiessgesellen des Tyrannen Simon, die zu Titus über- 

gingen. 

24. Wie Titus wegen dos Tempels Kriegsrat hielt und, während die 

Meinungen geteilt waren, sich energisch gegen die Einäscherung 
des Heiligtums aussprach. 

25. Wie die Juden die römischen Wachtposten angriffen und die- 

selben beinahe in die Flucht geschlagen hätten, wenn der 
Oesar den Seinen nicht zu Hilfe geeilt wäre und die Juden 
verjagt hätte. 

26. Wie der Tempel gegen den Willen des Titus in Flammen 

aufging. 

27. Wie der Tempel in demselben Monat und an demselben Tage 

abbrannte, da er einst von den Babyloniern eingeäschert 
worden war. 


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OF CALIFORNIA 




554 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


28. Wie nach Anzündung des Tempels Juden jeglichen Alters um- 

kamen, und wie das Stöhnen der Sterbenden sich mit dem 
Schlachtgeschrei der Römer mischte. 

29. Wie einige Priester die auf dem Tempel angebrachten Spiesse 

als Wurfgeschosse gegen die Römer gebrauchten, und wie zwei 
vornehme Juden sich selbst in die Flammen stürzten. Wie die 
Römer den bisher noch vom Feuer verschont gebliebenen Teil 
des Tempels ebenfalls in Brand steckten und gegen sechstausend 
Menschen dem Flammentod preisgaben. 

30. Von dem falschen Propheten , dem das Volk zu seinem Schaden 

Glauben schenkte. 

31. Von den Wahrzeichen, die der Zerstörung vorangingen. 

32. Wie die Römer ihre Feldzeichen in den Tempel brachten und 

dem Titus zujubelten. Von der gewaltigen Menge Goldes, die 
erbeutet wurde. 

33. Von dem Knaben, der sich mit den Priestern auf die Tempel- 

mauer geflüchtet hatte, und wie er die Römer hinterging. Wie 
die Priester, von Hunger erschöpft, endlich zu Titus herab- 
stiegen, der sie hinrichten liess. 

34. Wie die Tyrannen den Titus um eine Unterredung baten, und 

welch herrliche Ansprache er an sie hielt. 

35. Wie Titus, als die Tyrannen unverminderten Trotz zur Schau 

trugen, in gewaltigem Zorn ihnen verkünden liess, dass sie auf 
keine Gnade mehr rechnen könnten, und wie er darauf seinen 
Soldaten befahl, alles in Brand zu stecken. 

36. Von den Verwandten des Königs Izates, die zum Caesar ihre Zu- 

flucht nahmen, und wie dieser sie nach Rom bringen liess. 

37. Wie die Empörer sich in den Königspalast warfen, die Römer 

daraus vertrieben , die ganze dort versammelte Menge nieder- 
machten und zwei Römer lebendig gefangen nahmen. 

38. Wie die Römer das räuberische Gesindel verjagten und den noch 

unversehrten Teil der Stadt ebenfalls den Flammen preis- 
gaben. 

39. Wie die Tyrannen im Vertrauen auf die unterirdischen Gänge 

den Kampf bis aufs äusserste forlsetzten. 

40. Wie der Caesar Herr der oberen Stadt wurde, und wie einige 

Empörer beschlossen, die untere Stadt zu übergeben, aber von 
Simon, dem ihr Plan zu Ohren gekommen war, umgebracht 
wurden. 

41. Von dem Priester, der sich zum Caesar flüchtete und ihm viele 

Kostbarkeiten auslieferte. 

42. Wie die Römer nochmals Dämme bauten, Maschinen heran- 

schafften und, nachdem die Empörer in die unterirdischen 
Gänge geflohen waren, die ganze Siadt in ihre Gewalt 
brachten. 



Sechstes Buch, 1. Kapitel. 


555 


43. Wie der Caesar in die Stadt einzog, ihre Festigkeit bewunderte, 

sie sodann gänzlich zerstören und nur drei Türme als Wahr- 
zeichen seiner Tapferkeit stehen liess. 

44. Wie der Caesar, nachdem er das Raubgesindel und die Empörer, 

die sich gegenseitig zur Anzeige brachten , hatte hinrichten 
lassen, die übrigen teils für den Triumphzug auf bewahrte, teils 
in die Provinzen verschenkte oder in die Bergwerke Aegyptens 
schickte, grösstenteils aber verkaufte. 

45. Gesamtzahl der während des Krieges gefangenen und getöteten 

Juden. 

40. Wie es den in die unterirdischen Gänge geflohenen Juden 
erging. 

47. Rückblick auf die früheren Schicksale der Stadt. 


Erstes Kapitel. 

Die Lage der Stadt verschlimmert sich. Angriff der Römer 
auf die Antonia. 

1. Von Tag zu Tag wurden nun die Leiden Jeru- 
salems schrecklicher, da das Unglück die Empörer immer 
mehr erbitterte und die Hungersnot, die im Volke be- 
reits so grässlich wütete, auch sie selbst wegzuraffen be- 
gann. Kein Wunder, dass bald in der Stadt ganze 
Haufen von Leichen sich auftürmten, die einen entsetz- 
lichen Anblick darboten, pestartigen Geruch verbreiteten 
und den Kämpfenden sogar bei ihren Ausfällen hinder- 
lich waren; mussten doch die letzteren, wie wenn sie in 
der Schlacht durch ein fürchterliches Blutbad sich Bahn 
gebrochen hätten, im Vordringen über Leichen hinweg- 
schreiten. Aber weder Schauder noch Mitgefühl ergriff 
die Frevler, wenn sie dieselben mit Füssen traten, noch 
sahen Bie in dieser Beschimpfung der Toten ein schlimmes 
Vorzeichen ihres eigenen Unterganges, sondern mit vom 
Brudermord befleckten Händen stürzten sie zum Kampf 
gegen die Fremden hinaus, als hätten sie — fast könnte 
es so scheinen — Gott dem Herrn Vorwürfe darüber 
machen wollen, dass er mit seinem Strafgericht so lange 
zögere. Denn Hoffnung auf Sieg war es schon nicht 


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■UNIVERSITY OE CALlf-ÖRNIA 



556 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


mehr, was ihnen den Mut zur Fortsetzung des Krieges 
gab, sondern Verzweiflung. Die Römer ihrerseits 
vollendeten, wiewohl die Herbeischaffung des erforder- 
lichen Bauholzes ihnen viele Mühe verursachte, die 
Wälle in einundzwanzig Tagen, wobei sie, wie schon 
oben bemerkt, 1 das an die Stadt anstossende Gelände 
bis auf neunzig Stadien im Umkreis völlig kahl machten. 
Wahrhaft kläglich war die Gegend anzuschauen: sie, 
die zuvor im reichen Schmuck von Bäumen und Lust- 
gärten geprangt hatte, war jetzt allenthalben verwüstet 
und des Holzes beraubt. Kein Fremder, der das alte 
Judaea und die herrlichen Vorstädte Jerusalems gesehen, 
hätte beim Anblick der damaligen Verödung mit seinen 
Thränen und Seufzern über die gewaltige Veränderung 
zurückhalten können. Denn jede Spur von Schönheit 
hatte der Krieg vernichtet, und wenn jemand, der früher 
die Örtlichkeit gekannt, plötzlich daselbst erschienen 
wäre, er würde sie nicht wieder erkannt, sondern die 
Stadt, die vor ihm lag, gesucht haben. 

2. Die Vollendung der Wälle gab übrigens den 
Römern nicht geringeren Anlass zu Besorgnissen 
wie den Juden. Letztere nämlich mussten, wenn es 
ihnen nicht wiederum gelang, dieselben in Brand zu 
setzen, der baldigen Eroberung der Stadt gewärtig sein; 
die Römer dagegen hatten, wenn auch diese Werke ver- 
nichtet wurden, keine Aussicht mehr, Jerusalem in ihre 
Gewalt zu bekommen, einmal wegen des gänzlichen 
Mangels an Baumaterial, dann aber auch weil die Sol- 
daten von den harten Strapazea geschwächt und durch 
die sich häufenden Unfälle entmutigt waren. Dazu kam, 
dass die in der Stadt herrschende Not bei den Römern 
fast noch grössere Niedergeschlagenheit erzeugte wie bei 
den Bewohnern selbst, die nicht nur trotz ihrer entsetz- 
lichen Leiden unnachgiebiger denn je geworden waren, 
sondern auch immer wieder die Hoffnungen der Römer 
vereitelten, indem sie gegen die Wälle durch List, gegen 


1 V, 12, 4. 


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Sechstes Buch, 1 . Kapitel. 


557 


die Maschinen durch die Festigkeit ihrer Mauern, im 
Handgemenge durch ihre Tollkühnheit Vorteil über 
Vorteil errangen. Und dann die Hauptsache: da die 
Römer nun erkannt hatten, dass die Juden eine Seelen- 
stärke besassen, die sie über Bürgerzwist, Hunger, 
Krieg und so viele andere Drangsale sich hinwegsetzen 
liess, kamen sie zu der Ansicht, dass die Kampflust 
ihrer Gegner ebenso unüberwindlich sei wie deren Aus- 
dauer im Unglück, und legten sich demgemäss die Frage 
vor, was solche Menschen, vom Glück begünstigt, nicht 
unternehmen würden, da schon das Missgeschick sie 
immer trotziger mache. Diese Erwägungen veranlassten 
die Römer denn auch , an den Dämmen noch stärkere 
Wachtposten als früher aufzustellen. 

3. Die Mannschaft des Joannes in der Antonia aber 
sah sich nun ebenfalls für die Zukunft vor, wenn etwa 
die Mauer durchbrochen werden sollte, und machte, noch 
ehe die Widder in Wirksamkeit traten, einen Angriff 
auf die Werke. Doch gelang ihnen das Unternehmen 
diesmal nicht: sie brachen zwar mit Fackeln hervor, 
zogen sich aber, bevor sie die Wälle erreicht hatten, um 
eine Hoffnung ärmer wieder zurück. Vor allem ent- 
behrte ihr Plan offenbar eines einheitlichen Zusammen- 
wirkens, da sie in kleineren Haufen, die keine Fühlung 
miteinander hatten, und ängstlich zaudernd, kurz gar 
nicht in der sonstigen Art der Juden ihren Ausfall 
machten; es mangelte eben an allem, was sie sonst 
kennzeichnete, an Kühnheit, raschem Vorgehen, fest- 
geschlossenem Angriff und an der Kunst, den Rücken 
zu decken. Zudem mussten sie, während ihr eigener 
Anlauf die frühere Energie vermissen liess , die Römer 
in einer stärkeren Stellung als gewöhnlich sehen; die- 
selben hatten nämlich mit ihren Leibern und Rüstungen 
die Dämme so vollständig gedeckt, dass nirgends eine 
Lücke zu bemerken war, wo man Feuer hätte anlegen 
können, und jeder einzelne war fest entschlossen, lieber 
zu sterben als seinen Posten aufzugeben. Alle ihre 
Hoffnungen waren ja, wenn diese Werke ebenfalls in 



558 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Flammen aufgingen, zunichte gemacht, und dann 
empörte sich auch das Ehrgefühl der Soldaten bei dem 
Gedanken, dass immer List über Tapferkeit, Tollheit 
über Kriegskunst, Masse über Erfahrung, Juden über 
Römer den Sieg davon tragen sollten. Die Geschütze, in 
deren Bereich die Angreifer sich befanden, wirkten 
übrigens kräftig mit: fiel dann einer derselben, so hielt 
er seinen Hintermann auf, und die mit weiterem Vor- 
dringen verbundene Gefahr nahm ihnen allen Mut. So 
wandten sich denn von denen, die auf Schussweite her- 
angekommen waren, die einen, ehe sie handgemein 
wurden, aus Schrecken über die wohlgeordnete, dicht- 
gedrängte Feindesschar zur Flucht, während andere 
von Wurfspeeren verwundet sich zurückgezogen; schliess- 
lich kehrten alle, indem sie sich gegenseitig Feiglinge 
schalten, unverrichteter Sache wieder um. Dieser An- 
griffsversuch fand am Neumond des Monats Panemos 
statt. Kaum waren nun die Juden vertrieben , als die 
Römer ihre Sturmböcke heranbrachten , obwohl sie von 
der Antonia aus mit Felsstücken, Feuerbränden, eisernen 
und allen möglichen anderen Geschossen, welche die 
Not den Juden in die Hand gab, beworfen wurden. Die 
letzteren suchten nämlich, so grosses Vertrauen sie auch 
auf die Mauern setzten und so geringschätzig sie von 
den Maschinen der Römer dachten, deren Annäherung 
doch zu verhindern. Die Römer dagegen schrieben den 
Eifer, mit dem ihre Gegner die Antonia vor den Stössen 
der Maschinen zu schützen trachteten, der Schwäche 
der Mauer zu und arbeiteten in der Hoffnung, die Fun- 
damente möchten schadhaft sein , auch ihrerseits mit 
äusserster Anstrengung ; dennoch wollten die getroffenen 
Stellen nicht nachgeben. Wiewohl nun die Römer an- 
haltend beschossen wurden , Hessen sie sich doch durch 
die Gefahr, die ihnen von oben drohte, nicht im 
mindesten abschrecken, sondern fuhren fort, die 
Sturmböcke kräftig wirken zu lassen. Da sie aber 
immer noch im Nachteil waren und namentlich 
durch die Steinwürfe empfindlichen Verlust erlitten, 



Sechstes Buch, 1 . Kapitel. 


559 


so bildeten einige von ihnen mit ihren Schilden ein 
Schutzdach über sich , untergruben mit Händen und 
Hebeln die Fundamente und brachen endlich mit un- 
säglicher Mühe vier Quadern heraus. Unterdessen war 
es dunkel geworden, und auf beiden Seiten ruhte nun 
der Kampf. In der Nacht aber fiel die von den Sturm- 
böcken erschütterte Mauer an der Stelle, wo Joannes 
gegen die früheren Wälle einen unterirdischen Gang 
gegraben hatte , auf einmal zusammen , indem die Mine 
einsank. 

4. Dieses Ereignis bewirkte hinsichtlich der beider- 
seitigen Ermutigung das Gegenteil von dem, was man 
hätte erwarten sollen. Die Juden nämlich, welche der 
plötzliche Einsturz, gegen den sie keine Vorkehrungen 
getroffen hatten, eigentlich hätte verzagt machen sollen, 
waren gutes Mutes, weil doch’ die Antonia selber stehen 
geblieben war; den Römern aber verdarb die unverhoffte 
Freude über den Zusammenbruch der Mauer sogleich 
wieder der Anblick einer zweiten, welche die Leute des 
Joannes hinter der 7 eingestürzten errichtet hatten. Diese 
neue Mauer war zwar, wie es schien, leichter zu er- 
stürmen als die erste, einmal weil die Trümmer der 
letzteren den Aufstieg erleichterten, und dann auch weil 
man annahm , dass sie weit schwächer wie die Antonia 
sei und als Gelegenheitsbau rasch zerstört werden könne ; 
gleichwohl wagte sich niemand hinauf, weil die ersten, 
die sie zu ersteigen versucht haben würden, dem sicheren 
Verderben entgegengingen. 

5. Titus versammelte nun in der Überzeugung, dass 
die Kampfesfreudigkeit der Krieger vornehmlich durch 
hoffnungerweckenden Zuspruch gehoben werde, und dass 
Ermunterungen und Versprechungen oft die Gefahren 
vergessen, ja manchmal den Tod verachten lehrten, die 
tapfersten seiner Leute, um ihren Mut zu erproben, und 
sprach also zu ihnen: „Kameraden! Eine Aufmunterung 
zu gefahrlosen Unternehmungen bedeutet nicht nur eine 
Beschimpfung derer, an die sie gerichtet wird, sondern 
zieht auch dem, von welchem sie ausgeht, den Vorwurf 



560 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


unmännlicher Gesinnung zu. Angefeuert werden muss 
der Mensch, meine ich, nur zu gefährlichen Unterneh- 
mungen, da die anderen ein jeder wohl aus eignem 
Antrieb vollführen wird. Darum will ich selbst es 
schlankweg zugeben : die Ersteigung der Mauer ist 
schwierig, und nur das weiter ausführen, dass mit Schwie- 
rigkeiten zu kämpfen gerade dem ziemt, der nach dem 
Ruhm der Tapferkeit strebt, dass der Heldentod etwas 
Herrliches ist, und dass die wackere That denen, die 
sie zuerst wagen, nicht unbelohnt bleiben wird. Zu- 
nächst nun soll euren Mut eben das anfeuern, was 
manchen vielleicht abschrecken würde, ich meine die 
Beharrlichkeit der Juden und ihre zähe Ausdauer im 
Unglück. Es wäre doch eine Schande, wenn ihr als 
Römer und als meine Soldaten, die ihr im Frieden 
Krieg führen gelernt habt und im Kriege gewöhnt seid 
zu siegen, an Kraft oder Mut euch von den Juden 
übertreffen liesset, und zwar jetzt, da ihr den Sieg bei- 
nahe in der Hand habt und des göttlichen Beistandes 
euch erfreut. Unsere Unfälle sind ja nur Folgen des 
verzweifelten Mutes der Juden; ihre Leiden dagegen 
werden durch eure Tapferkeit und das Eingreifen der 
Gottheit vergrössert. Denn Bürgerkrieg, Hungersnot, 
Belagernng, Einsturz von Mauern ohne Zuthun der 
Maschinen — was bedeutet das anders als Gottes Zorn 
über sie, Gottes Hilfe mit uns? Uns wird man doch 
hoffentlich nicht nachsagen, dass wir Schwächeren unter- 
legen wären und dazu noch den Beistand Gottes von 
der Hand gewiesen hätten! Wenn die Juden, denen 
eine Niederlage darum nicht besonders schimpflich vor- 
kommt, weil sie sich schon wiederholt in den Zustand 
der Knechtschaft haben fügen müssen, dennoch, um 
nicht wiederum in denselben zu geraten , den Tod ver- 
achten und ein über das anderemal mitten in unsere 
Scharen herein Ausfälle machen, nicht in der Hoffnung 
auf Sieg, sondern lediglich um ihre Tapferkeit zu be- 
weisen — wäre es da nicht schändlich, wenn wir, die 
Beherrscher fast aller Länder und des Meeres, für die 




Sechstes Buch, 1. Kapitel. 


561 


es schon eine Schmach bedeutet, wenn sie nicht in jedem 
Falle den Sieg erringen, mit so gewaltiger Streitmacht 
ruhig dasitzen und warten wollten, bis Hunger und 
Elend mit unseren Feinden aufgeräumt haben , ohne 
auch nur einmal einen recht kräftigen Schlag gegen sie 
zu versuchen, da wir doch mit einem kleinen Einsatz 
alles gewinnen können? Ersteigen wir die Antonia, so 
haben wir die Stadt: denn wenn auch mit denen da 
drinnen noch ein leichter Kampf sich entspinnen sollte, 
was ich übrigens nicht glaube, so verbürgt uns doch die 
hohe Lage unserer Stellung, vermöge deren wir den 
Feind werden erdrücken können, einen raschen und voll- 
ständigen Sieg. Ich will jetzt nicht den Tod in der 
Schlacht preisen und die Unsterblichkeit derer, die im 
heissen Kampfe fallen; wünschen aber möchte ich den 
anders Gesinnten den friedlichen Tod auf dem Kranken- 
bett, wo mit dem Leibe zugleich auch die Seele dem 
Grabe verfallt. Denn wer wüsste nicht, dass die Seelen 
der Tapferen , die im Schlachtgetümmel durchs Schwert 
vom Leibe befreit worden sind, das reinste Element, der 
Äther, aufnimmt und in Gestirne versetzt, von wo sie 
als gute Geister und gnädige Heroen ihren Nachkommen 
erscheinen , während die in kranken Körpern dahin- 
siechenden , wenn sie auch noch so rein wären von 
Sünden und Befleckung, die Nacht der Unterwelt ver- 
hüllt, wo tiefe Vergessenheit sie umfangt und Leib, 
Leben und Gedächtnis ihnen auf einmal genommen 
wird? Hat überhaupt das Schicksal dem Menschen den 
unvermeidlichen Tod bestimmt, und ist das Schwert ein 
weit erträglicherer Diener dieses Schicksals als irgend 
welche Krankheit: wäre es da nicht unedel, wenn wir 
einem guten Zweck zu opfern uns weigerten, was wir 
ja doch dem Schicksal einmal opfern müssen? Meine 
Worte beruhten übrigens bisher auf der Voraussetzung, 
dass die, welche den Angriff wagen, nicht lebendig 
davonkommen würden; nun muss aber auch der andere 
Fall erwogen werden, dass es nämlich tapferen Männern 
gelingen kann, sich selbst aus der grössten Gefahr zu 

Josephus, JUdiacher Krieg. 36 



562 


Josephas, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


retten. Die Trümmer sind ja zunächst nicht schwer zu 
ersteigen; ist das aber einmal geschehen, so wird der 
Neubau mit Leichtigkeit zerstört werden können. Geht 
ihr also in grösserer Anzahl mit frischem Mut an die 
Sache heran, so werdet ihr euch gegenseitig aufmuntern 
und unterstützen, und es wird dann euer entschlossenes 
Vorgehen gar schnell den Dünkel der Feinde brechen. 
Vielleicht wird euch sogar das Gelingen des Unter- 
nehmens keinen Tropfen Blut kosten, wofern ihr es nur 
richtig angreift. Natürlich werden sie euch während 
des Hinaufsteigen s mit aller Kraft abzuwehren suchen; 
habt ihr aber einmal, sei es mit List, sei es mit Gewalt, 
das Ziel erreicht, so werden sie euch keinen Widerstand 
mehr leisten, selbst wenn ihr anfänglich nur zu wenigen 
sein solltet. Ich meinerseits werde es als Ehrensache 
betrachten, denjenigen von euch, der zuerst die Mauer 
ersteigt, durch entsprechende Belohnungen zum Gegen- 
stand des Neides zu machen: bleibt er am Leben, so 
soll er über die, die jetzt seinesgleichen sind, befehlen; 
aber auch das Andenken der Gefallenen werde ich aufs 
glänzendste ehren.“ 

6. Während dieser Ansprache des Titus schreckte das 
Heer noch immer vor der Grösse der Gefahr zurück; 
nur einer von denen , die in den Kohorten dienten , ein 
geborener SyrerJNamens Sabinus, bewies sich als tapferer 
und unerschrockener Krieger, obwohl man ihn, wenn 
man ihn nur so ansah, seinem Äusseren nach kaum für 
einen rechten Soldaten hätte halten sollen. Er war 
nämlich schwarz von Hautfarbe, dabei hagerund sehnig; 
aber in dem schmächtigen, für die Fülle seiner Kraft 
viel zu winzigen Körper wohnte eine echte Helden seele. 
Dieser Mann also erhob sich vor allen anderen und 
sprach: „Willig opfere ich mich dir, Caesar, und der 
erste will ich sein, der die Mauer ersteigt; nur wünsche 
ich mir zu meinem Mut und guten Willen noch dein 
Glück hinzu. Sollte es mir aber nicht vergönnt sein, 
meinen Anschlag durchzuführen, so wisse, dass der 
Misserfolg mir nicht unerwartet kam, sondern dass ich 



Sechstes Buch, 1. Kapitel. 


563 


aus freiem Entschluss den Tod für dich gewählt habe/* 
Als er so gesprochen , hielt er mit der Linken den 
Schild über seinen Kopf, zog mit der Rechten das 
Schwert und ging — etwa um die sechste Stunde des 
Tages — auf die Mauer zu. Von den übrigen folgten 
ihm nur elf Mann, die es ihm an Tapferkeit gleichthun 
wollten; er aber stürmte, wie von einer höheren Macht 
getrieben, allen voran. Die Posten auf der Mauer 
warfen mit Speeren nach ihnen, überschütteten sie auf 
allen Seiten mit einem Hagel von Geschossen und 
wälzten ungeheure [Stein blocke auf sie herab, welche 
einige von den elfen mit fortrissen. Sabinus jedoch 
warf sich mutig den Geschossen entgegen, und obwohl 
er unter dem Pfeilregen fast verschwand, hielt er nicht 
eher ein, als bis er oben auf der Mauer angelangt war 
und die Feinde vertrieben hatte. Die Juden nämlich 
wandten sich voll Schrecken über seine Kraft und 
Geistesgegenwart zur Flucht; auch glaubten sie nicht 
anders, als dass noch mehrere mit ihm die Höhe er- 
klommen hätten. Aber hier war wieder ein Fall, wo 
man dem Schicksal grollen möchte, weil es so neidisch 
ist auf die Tapferkeit und ausserordentliche Helden- 
thaten stets zu vereiteln sucht. Denn als dieser wackere 
Mann sein Unternehmen zu Ende geführt hatte, glitt 
er aus, strauchelte über einen Stein und fiel vornüber 
mit hörbarem Geräusch auf denselben hin. Die Juden 
machten nun wieder kehrt, und da sie ihn verlassen am 
Boden liegen sahen, setzten sie ihm von allen Seiten 
mit Geschossen zu. Er aber stemmte sich aufs Knie 
und verteidigte sich noch eine Zeitlang mit vorgehaltenem 
Schild, wobei er mehreren von denen, die ihm nahe 
kamen, Hiebe beibrachte; endlich jedoch liess er, über 
und über mit Wunden bedeckt, die Rechte sinken und 
gab, unter Pfeilen fast vergraben, den Geist auf. Um 
seiner Tapferkeit willen hätte man dem' Braven wohl 
ein besseres Los wünschen können; freilich war sein 
Beginnen derart, dass er dabei fallen musste. Von den 
elfen töteten die Juden noch drei, die gleichfalls bereits 

36 * 


Go gle 



564 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


die Höhe erstiegen hatten, durch Stein würfe, während die 
übrigen acht, allerdings verwundet, geborgen und ins 
Lager geschafft werden konnten. Das geschah am dritten 
des Monats Panemos. 

7. Zwei Tage nachher thaten sich einige der auf den 
Dämmen postierten Wachmannschaften, zwanzig an der 
Zahl, zusammen und rückten , nachdem sie zuvor auch 
noch den Adlerträger der fünften Legion, zwei Mann 
aus den Reiterschwadronen und einen Trompeter für ihr 
Unternehmen gewonnen, um die neunte Stunde der 
Nacht in aller Stille über die Trümmer auf die Antonia 
los, töteten die vordersten Posten, welche im Schlafe 
lagen, besetzten die Mauer und Hessen den Trompeter 
das Signal blasen. Daraufhin erhoben sich sogleich die 
übrigen Wachtposten und flohen davon, ohne sich nach 
der Zahl der Angreifer umzusehen; denn der Schreck 
und das Trompetensignal hatten in ihnen den Wahn er- 
regt, die Feinde seien in Masse heraufgeklettert Der 
Caesar hatte nicht sobald das Signal vernommen, als er 
das Heer in Eile sich waffnen liess und mit den Offi- 
zieren an der Spitze einer auserlesenen Schar zuerst die 
Burg hinanstieg. Da nun die Juden sich in den Tempel 
zurückzogen , drangen die Römer ebenfalls ein , und 
zwar durch den unterirdischen Gang, den Joannes gegen 
die Wälle der Römer geführt hatte. Die Empörer aber 
wehrten sich, obwohl sie in zwei feindliche Parteien 
unter Joannes und Simon gespalten waren, dennoch 
gegen die Römer gemeinschaftlich mit einem Aufwand 
von Kraft und Mut, der nicht grösser hätte sein können; 
denn sie sahen wohl ein, dass mit der Besetzung des 
Heiligtums durch die Römer das Schicksal der Stadt 
besiegelt sein würde, wie umgekehrt die Römer darin 
den Anfang ihres Sieges erblickten. So entspann sich 
denn an den Thoren ein harter Kampf, indem die 
Römer sich den Eingang zu erzwingen und damit, den 
Tempel in Besitz zu nehmen, die Juden hingegen die 
Römer in die Antonia hineinzudrängen suchten. Von 
Schusswaffen und Wurfspeeren konnte man beiderseits 



Sechstes Buch, 1. Kapitel. 


565 


keinen Gebrauch machen; vielmehr musste Mann gegen 
Mann mit dem Schwert kämpfen. Bald war auch in 
der Hitze des Gefechtes nicht mehr zu unterscheiden, 
auf welcher Seite der einzelne stritt, da die Krieger 
eine einzige wirre Masse bildeten, im Gedränge sich 
gegeneinander verschoben und den Zuruf ihrer Kame- 
raden wegen des allgemeinen Getöses nicht verstehen 
konnten. Hüben wie drüben floss viel Blut, und die 
Kämpfenden zertraten den Gefallenen Glieder und 
Rüstungen. Je nachdem nun die Wagschale bei einem 
der streitenden Teile stieg oder sank, erscholl das auf- 
munternde Geschrei der im Vorteil Befindlichen oder 
das Klagegeheul der Weichenden. Übrigens war weder 
Raum zur Flucht noch zur Verfolgung da, und so 
wogte der Kampf unter steigender Verwirrung unent- 
schieden hin und her. Wer ganz nach vorn geschoben 
wurde, musste entweder töten oder sich töten lassen, da 
an Flucht nicht zu denken war; denn die Nachrückenden 
drängten ihre eigenen Leute immer weiter vorwärts und 
Hessen nicht den kleinsten Zwischenraum zwischen den 
Streitenden. Endlich gewann der wilde Mut der Juden 
über die kriegskundigen Römer die Oberhand, und der 
Kampf neigte sich auf allen Punkten dem Ende zu, 
nachdem er von der neunten Stunde der Nacht bis zur 
siebenten des Tages 1 gedauert hatte. Auf seiten der 
Juden war die ganze Streitmacht, die im Hinblick auf 
die drohende Eroberung der Stadt sich zur grössten 
Tapferkeit an gespornt fühlte, im Gefecht gewesen, bei 
den Römern aber nur ein Teil des Heeres, da die Le- 
gionen, auf welche die Kämpfenden ihre Hoffnung 
setzten, die Burg noch nicht erstiegen hatten. Aus 
diesem Grunde begnügten sich auch die Römer vorläufig 
mit der Besetzung der Antonia. 

8. Als nun der Centurio Julianus, ein Bithynier von 
nicht unedler Abkunft und, was Kriegserfahrung, Körper- 
stärke und Geistesgegenwart betraf, der ausgezeichnetste 


1 D. i. von 3 Uhr nachts bis 1 Uhr nachmittags. 



566 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Mann, den ich in jenem Kriege kennen lernte, die 
Römer weichen und sich nur noch schwach verteidigen 
sah, sprang er von der Antonia her, wo er an Titus’ 
Seite stand, vor und trieb die schon siegreichen Juden 
in eine Ecke des inneren Tempelhofes zurück. Die 
ganze Masse der Feinde floh vor ihm, da seine Starke 
und Kühnheit ihnen übermenschlich vorkam. Er aber 
fuhr mitten unter den Zersprengten von einer Seite zur 
anderen und stiess nieder, was ihm in die Quere kam 
— ein Anblick ebenso erstaunlich [für den Caesar wie 
schaudererregend für die übrigen. Doch auch ihn 
verfolgte das Schicksal, dem kein Sterblicher entrinnen 
kann. Gleich den übrigen Soldaten trug er Schuhe, die 
mit scharfen Nägeln dicht beschlagen waren * ; indem 
er nun über das Pflaster dahinrannte, glitt er aus und 
fiel rücklings nieder. Das laute Klirren seiner Rüstung 
gab den Fliehenden das Zeichen zur Umkehr. Sogleich 
erhoben die Römer auf der Antonia aus Besorgnis für 
den Mann ein lautes Geschrei; die Juden aber um- 
ringten ihn in dichten Haufen und stiessen*von allen 
Seiten mit Speeren und Schwertern auf ihn los. Manchen 
Stoss fing er mit dem Schilde auf und versuchte zu 
wiederholten Malen, sich zu erheben ; aber immer wieder 
wurde er von der Überzahl der auf ihn Einhauenden 
zu Boden geschlagen. Doch selbst als er dalag, ver- 
wundete er noch viele seiner Gegner mit dem Schwert. 
Es währte nämlich geraume Zeit, bis er getötet wurde, 
weiUer den Nacken einzog und alle [tödlich verwundbaren 
Stellen durch Helm und Panzer gedeckt waren ; erstmals 
man ihm die Glieder abgehauen hatte und*niemand~ilim 
Hilfe zu bringen * wagte , erlag er. Inniges Mitgefühl 
empfand der Caesar, als er diesen heldenmütigen Mann 
vor den Augen so vieler" Krieger niedermachen sah - Er 
selbst wäre ihm gern beigesprungen, doch die örtlich - 


1 S. die Abbildung eines solchen Schuhes bei Lindenschmit : 
Tracht und Bewaffnung des römischen Heeres während der Kaiser- 
zeit, Tafel XII. 


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Sechstes Bach, 2. Kapitel. 


567 


keit machte es ihm unmöglich; die aber, welche es 
hätten thun sollen, lähmte der Schreck. Endlich wurde 
Julianus, der fast allen seinen Mördern Wunden bei- 
gebracht hatte, nach hartem Todeskampf mit Mühe 
vollends umgebracht und hinterliess nicht nur bei den 
Römern und dem Caesar, sondern auch bei seinen 
Feinden ein ruhmreiches Andenken. Die letzteren rissen 
nun den Leichnam an sich, schlugen die Römer aber- 
mals zurück und beschränkten sie auf die Antonia. Es 
hatten sich auf seiten der Juden in diesem Gefecht be- 
sonders hervorgethan : Alexas und Gyphthaeus von der 
Schar des Joannes; von der des Simon: Malachias, 
Judas, des Merton Sohn, und Jakobus, des Sosas Sohn, 
der Anführer der Idumäer ; von den Zeloten endlich zwei 
Brüder Simon und Judas, die Söhne des Ari. 


Zweites Kapitel. 

Titus lässt die Antonia schleifen. Kämpfe um den 
Tempel. 

1. Der Caesar gab nun seinen Soldaten Befehl, die 
Grundmauern der Antonia zu zerstören, um dem ganzen 
Heere den Zugang zum Tempel zu erleichtern. Da er 
übrigens an diesem Tage — es war der siebzehnte des 
Monats Panemos — erfahren hatte, dass das Opfer, 
welches tagtäglich der Gottheit dargebracht wurde, 1 aus 
Mangel an Männern zum grossen Leidwesen des Volkes 
eingestellt worden sei, bescbied er den Josephus zu sich 
und trug ihm auf, dem Joannes ähnlich wie früher vor- 
zustellen, er möge, wenn gar so schlimme Kampflust 
ihn beseele, mit einer beliebigen Anzahl Streiter hervor- 
treten, ohne die Stadt und den Tempel mit sich ins Ver- 
derben zu reissen, und endlich auf hören, das Heiligtum 
zu beflecken und gegen Gott zu freveln. Es solle ihm 


1 S. J. A. III, 10, 1; 2. Mos. 29, 38-42. 



568 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


indes freistehen, den unterbrochenen Opferdienst durch 
irgendwelche Juden, die er dazu bestimmen möge, wieder 
aufnehmen zu lassen. Josephus stellte sich so auf, dass 
er nicht von Joannes allein, sondern auch von der 
Menge gehört werden konnte, verkündete das, was Titus 
ihm aufgetragen, in hebräischer Sprache und fügte noch 
die inständige Bitte hinzu, sie möchten doch die Vater* 
Stadt schonen, das Feuer, das gleichsam den Tempel 
schon belecke, abwehren und Gott die täglichen Opfer 
wieder darbringen. Diese Worte nahm das Volk mit 
trauervollem Schweigen entgegen; der Tyrann aber über- 
häufte Josephus mit Schmähungen und Flüchen und er- 
klärte schliesslich, er fürchte die Eroberung nun und 
nimmer, denn die Stadt stehe unter Gottes Schutz. Als 
Antwort rief ihm Josephus mit lauter Stimme zu: 
„Freilich, du hast ja diese Stadt der Gottheit rein be- 
wahrt, und das Heiligtum ist immer noch unbefleckt; 
gegen den, auf dessen Beistand du pochst, hast du natür- 
lich nicht das mindeste verbrochen, und er empfängt 
von dir die hergebrachten Opferspenden ! Wenn jemand 
dir, ruchloser Mensch, dein tägliches Brot wegnimmt, so 
siehst du in ihm deinen Feind; und nun wähnst du an 
dem Gott, dem du seinen uralten Dienst geraubt, einen 
Bundesgenossen im Kampfe zu haben, und willst deine 
Frevel den Römern zur Last legen, die noch heute 
unsere Gesetze achten und darauf dringen, dass die von 
dir abgesch afften Opfer der Gottheit wieder dargebracht 
werden? Wer sollte da nicht über die unnatürliche 
Veränderung, die sich in der Stadt vollzogen hat, jammern 
und wehklagen? Freunde und Feinde suchen wieder 
gut zu machen, was du gegen Gott gefrevelt, während 
du selber, ein Jude, der unter dem Gesetz aufgewachsen 
ist, schlimmer gegen das Gesetz wütest, als ein Feind 
dies vermöchte. Aber auch noch im letzten Augenblick 
von seinem sündhaften Wandel sich bekehren, ist keine 
Schande, Joannes, und zu dem Entschluss, die Stadt zu 
retten, sollte dich das schöne Beispiel unseres Königs 
Jechonias reizen, der seinerzeit, als der Babylonier gegen 



Sechstes Bach, 2. Kapitel. 


569 


ihn mit Heeresmacht heranzog, freiwillig die Stadt ver- 
ließs und sich mit seiner Familie in selbstgewählte 
Kriegsgefangenschaft begab, 1 um nicht diese ehrwürdige 
Statte den Feinden überantworten und das Gotteshaus 
einäschern lassen zu müssen. Darum wird er auch bei 
allen Juden in einem heiligen Liede gefeiert, und sein 
Gedächtnis, von Jahrhundert zu Jahrhundert sich er- 
neuernd, bleibt unsterblich bis auf die spätesten Ge- 
schlechter. Ein herrliches Vorbild fürwahr, Joannes, 
selbst wenn Gefahr mit dessen Nachahmung verbunden 
sein sollte 1 Nun verbürge ich dir aber auch noch Be- 
gnadigung von seiten der Römer. Bedenke, dass ich als 
Landsmann zu dir rede und als Jude dir diese Zu- 
sicherung gebe, und du musst darauf achten, von wem 
und in welchem Sinne dir ein Rat erteilt wird! Traun, 
ich werde nie in meinem Leben so ganz Kriegs- 
gefangener sein, dass ich mein Volk verleugnete und 

mein Vaterland vergässe! Schon wieder aber 

tobst du gegen mich und überhäufst mich mit deinen 
Schmähungen! Nein, ich verdiene noch Härteres, weil 
ich dem Schicksal zum Trotz noch mit Ermahnungen 
komme und Menschen , die von Gott verworfen sind, 
mit Gewalt retten will ! Wer kennt nicht die Schriften 
der alten Propheten und den Orakelspruch wider diese 
unglückliche Stadt, dessen Erfüllung jetzt bevorsteht? 
Dann, weissagten sie, werde Jerusalem zu Grunde 
gehen, wenn jemand anfange, das Blut seiner Volks- 
genossen zu vergiessen. Ist nun nicht die Stadt und 
der ganze Tempel voll von Leichen derer, die ihr er- 
mordet habt? Gott also, Gott selbst führt mit den 
Römern das Feuer heran, das den Tempel läutern soll, 
und vertilgt die mit so schändlichen Greueln belastete 
Stadt !“ 

2. So sprach Josephus unter Weinen und Wehklagen 
und vermochte endlich vor Schluchzen nicht weiter zu 
reden. Die Römer hatten Mitleid mit seinem Schmerz 

1 S. J. A. X, 7, 1 ; 2. Könige 24, 12. 



570 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

und achteten seinen guten Willen ; Joannes und seine 
Spiessgesellen aber zeigten sich nur um so erbitterter 
gegen die Körner und brannten vor Verlangen, sich der 
Person des Josepbus zu bemächtigen. Viele vornehme 
Juden jedoch wurden durch seine Kede gerührt, und 
während einige von ihnen, obwohl sie nun ihr eigenes 
Verderben wie das der Stadt vor Augen sahen, 
an Ort und Stelle blieben , erspähten andere eine 
günstige Gelegenheit zu gefahrloser Flucht und gingen 
zu den Römern über. Unter den letzteren befanden sich 
die Hohepriester JoBephus und Jesus, deren Väter 
gleichfalls diesem Stande angehörten, ferner drei Söhne 
eines gewissen Ismael, der zu Kyrene enthauptet worden 
war, vier Söhne von Matthias und ein Sohn jenes 
anderen Matthias, der, nachdem sein Vater und seine 
drei Brüder von Simon, dem Sohne des Gioras, ermordet 
worden waren, allein, wie oben erzählt , 1 mit dem Leben 
davongekommen war. Zugleich mit den Hohepriestern 
flohen auch noch viele andere Vornehmen zu den 
Körnern. Der Caesar nahm sie nicht nur von vorn- 
herein freundlich auf, sondern liess sie sogar, weil er 
wusste, dass sie sich unter einem Volk von fremden 
Sitten nicht behaglich fühlen würden, nach Gophna 
ziehen, wo sie vorläufig bleiben sollten ; sobald der Krieg 
ihn weniger in Anspruch nähme, wolle er einem jeden 
sein Vermögen zurückerstatten. Wohlgemut und in 
aller Sicherheit begaben sie sich in das ihnen an- 
gewiesene Städtchen. Da sie aber nun nicht mehr zu 
sehen waren, streuten die Empörer — natürlich in der 
Absicht, die übrigen von der Flucht abzuschrecken — 
abermals das Gerücht aus, die Überläufer seien von den 
Feinden niedergemacht worden. Eine Zeitlang war 
denn auch diese List , wie bereits früher , 2 von Erfolg 
begleitet, da die Leute in der That durch Furcht sich 
abhalten Hessen, zu den Römern überzugehen. 


1 S. V, 13, 1. 

2 S. V, 11, 2. 


Go gle 



Sechstes Bach, 2. Kapitel. 


571 


3. Später aber, als Titus die Männer aus Gophna 
zurückkommen und in Begleitung des Josephus vor den 
Augen des Volkes rings um die Mauer gehen liess, 
flohen die Juden abermals in Menge zu den Römern. 
Zu einer grossen Schar vereinigt, stellten sie sich nun 
alle vor der römischen Linie auf und flehten unter 
Seufzern und Thränen die Empörer an, sie möchten die 
ganze Stadt den Römern öffnen und ihr Vaterland noch 
einmal retten, oder doch wenigstens den Tempel gänzlich 
räumen und ihn dem Volke erhalten; denn nur im 
äussersten Notfall würden die Römer es wagen, das 
Heiligtum in Brand zu stecken. Das aber versetzte die 
Empörer in noch grössere Wut: sie erwiderten die Vor- 
stellungen der Überläufer mit groben Schmähungen und 
pflanzten über den heiligen Thoren die Skorpionen, 
Katapulten und Ballisten auf, sodass der Tempel selbst 
wie eine Festung aussah, während die geweihten Räume, 
die ihn umgaben, wegen der Menge der daselbst auf- 
gehäuften Leichen einem Totenacker glichen. Im 
Heiligtum wie im Allerheiligsten trieben sie sich, die 
Hände noch dampfend vom Blut ihrer ermordeten Mit- 
bürger, bewaffnet umher und begingen derartige Greuel- 
thaten, dass die Römer einen gewaltigen Abscheu vor 
den Juden empfanden, die so gegen ihre eigenen Heilig- 
tümer frevelten — einen Abscheu, wie ihn die Juden 
nicht stärker hätten hegen können, wenn die Römer mit 
gleicher Brutalität gegen sie selbst vorgegangen wären. 
Denn nicht einmal unter den gemeinen Soldaten fand 
sich einer, der nicht mit Ehrfurcht und heiligem Schauer 
und mit dem Wunsche, dass die Räuber vor dem Ein- 
tritt unheilbaren Unglücks noch anderen Sinnes werden 
möchten, zum Tempel emporgeblickt hätte. 

4. Im überwallenden Drange seines Gefühls rief nun 
der Caesar nochmals der Rotte des Joannes die vor- 
wurfsvollen Worte zu: „Habt nicht ihr, verruchte 
Frevler, jenes Gitter um das Heiligtum gezogen ? Habt 
nicht ihr an demselben jene Säulen errichtet, auf denen 
in griechischer und römischer Sprache das Verbot, die 



572 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Schranke zu überschreiten, eingegraben steht? Und 
haben nicht wir euch gestattet, den Übertreter dieser 
Vorschrift, selbst wenn es ein Römer war, mit dem Tode 
zu bestrafen ? Jetzt aber tretet ihr Bösewichte in jenen 
Raumen auf Leichen herum und besudelt den Tempel 
mit dem Blute von Fremden wie von Einheimischen! 
Ich rufe die Götter meines Landes und den, der früher 
einmal auf diese Stadt gnädig herabsah (denn jetzt, 
glaube ich, thut er’s nimmer), ich rufe mein Heer, die 
bei mir weilenden Juden und euch selbst zu Zeugen auf, 
dass ich euch nicht zwang, diese Stätte zu entweihen ; 
und wenn ihr einen anderen Kampfplatz wählen wollt, 
so wird kein Römer das Heiligtum betreten oder 
schänden. Den Tempel erhalte ich euch selbst gegen 
euren Willen.“ 

5. Als Josephus ihnen dies aus dem Munde des 
Caesars verkündete, trugen die Räuber und der Tyrann 
in dem Wahn, dass nicht Wohlwollen, sondern Feigheit 
die Worte eingegeben habe, übermütigen Hohn zur 
Schau. Da erkannte Titus, dass diese Menschen weder 
Mitleid mit sich selbst fühlten noch irgendwelche Sorge 
um den Tempel hegten, und ging demgemäss, wiewohl 
ungern, wieder zu kriegerischen Massregeln über. Ihnen 
mit der ganzen Streitmacht zu Leibe zu rücken, war 
freilich, weil der Tempelraum dieselbe nicht fassen 
konnte, unmöglich; er wählte daher aus jeder Centurie 
die dreissig tapfersten Soldaten aus, wies je tausend 
einem Tribun zu, unterstellte diese wieder dem Ober- 
kommando des Cerealis und gab Befehl, um die neunte 
Stunde der Nacht die Wachen zu überfallen. Auch er 
selbst warf sich in die Rüstung, entschlossen, den Kampf 
mitzumachen; seine Freunde aber suchten, unterstützt 
von den Offizieren, ihn unter Hinweis auf die Grösse 
der Gefahr zurückzuhalten. Er werde, der Sache mehr 
nützen, meinten sie, wenn er ruhig auf der Antonia 
bleibe und den Soldaten gegenüber das Amt des Kampf- 
richters versehe, als wenn er hinabsteige und im 
Schlachtgetümmel voranschreite ; unter den Augen ihres 



Sechstes Buch, 2. Kapitel. 


573 


Feldherrn würden ja alle sich als wackere Streiter er- 
weisen. Diesen Vorstellungen gab Titus nach und er- 
klärte den Soldaten , nur darum wolle er Zurückbleiben, 
damit er ihr Verhalten beurteilen könne, und damit kein 
Tapferer mit Belohnungen, kein Feiger mit Strafen 
übergangen werde; denn er, der die Macht habe, zu 
strafen und zu belohnen, müsse sich selbst davon über- 
zeugen, wie sie die Sache angreifen würden. So entliess 
er denn um die angegebene Stunde die zur Aus- 
führung des Anschlages bestimmte Mannschaft und 
begab sich selbst auf die Warte der Antonia, wo 
er der Entwicklung des Kampfes mit Spannung ent- 
gegensah. 

6. Die Wachen lagen übrigens nicht, wie die An- 
greifer gehofft hatten, im Schlafe, sondern sprangen mit 
lautem Geschrei auf und begannen unverzüglich das 
Handgemenge. Auf den Hilferuf der Vorposten stürzten 
dann auch die übrigen in dichten Haufen aus dem 
Innern hervor. Den Anprall der ersten hielten die 
Börner aus; die nachfolgenden Juden aber warfen sich 
auf ihre eigenen Leute, und viele wurden von ihren 
Kameraden als Feind« behandelt. Am Schlachtruf ein- 
ander zu erkennen, war wegen des beiderseitigen ver- 
worrenen Geschreis nicht möglich, und den Gebrauch 
der Augen verhinderte die Nacht, abgesehen davon, dass 
die einen ihre Wut, andere die Furcht blind machte. 
Deshalb hieb man ohne weiteres drauf los, mochte es 
treffen, wen es wollte. Die Römer, welche ihre Schilde 
dicht aneinander schlossen und in geordneten Ab- 
teilungen vorgingen, litten durch diese Verwirrung 
weniger; denn jeder von ihnen kannte sein Losungswort. 
Die Juden aber, die sich immer wieder zerstreuten und 
•planlos bald vordrangen, bald zurückwichen, hielten sich 
nicht selten gegenseitig für Feinde, und mancher 
empfing in der Dunkelheit den fliehenden Freund wie 
einen angreifenden Römer. Auf diese Weise wurden 
mehr Juden von ihren eigenen Landsleuten wie von den 
Feinden verwundet, bis endlich der Tag graute und die 



574 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Kämpfer einander zu erkennen vermochten : Da erst 
schieden sie sich in Gefechtskolonnen, und Angriff wie 
Verteidigung erfolgte nach den Regeln der Taktik. Auf 
beiden Seiten ward nun mit gleicher Ausdauer und 
Zähigkeit gestritten: bei den Römern, die sich von 
Titus beobachtet wussten, wetteiferte Mann mit Mann, 
Abteilung mit Abteilung, und jeder hoffte, dieser Tag 
werde ihm, wenn er tapfer kämpfe, eine Beförderung 
bringen; die Juden anderseits fühlten sich nicht nur 
durch die Sorge um ihr eigenes Leben und das 
Heiligtum , sondern auch durch die Gegenwart des 
Tyrannen aufgestachelt , der sie bald durch Zu- 
spruch, bald durch Geisseih iebe und Drohungen an- 
feuerte. So kam es, dass der Kampf fast auf ein 
und denselben Punkt beschränkt blieb und nur selten 
auf kleinere Strecken sich verschob; denn keiner der 
streitenden Teile hatte Raum zur Flucht oder zur Ver- 
folgung. Bei jeder Wendung des Gefechtes erscholl der 
lärmende Zuruf der Römer auf der Antonia, die ihren 
Kameraden zujubelten, wenn sie im Vorteil waren, oder 
auch sie ermunterten, standzuhalten, wenn sie sich 
wandten. Es war wie ein Schaugefecht ; denn kein 
Zwischenfall des Kampfes entging dem Caesar und 
seiner Umgebung. Endlich trennten sich die Streiten- 
den, die den Kampf in der neunten Stunde der Nacht 
begonnen hatten, nach der fünften des Tages; keiner 
der beiden Teile hatte den anderen zum Weichen ge- 
bracht, und so blieb der Ausgang des Treffens zweifel- 
haft. Von den Römern hatten sich viele im Kampf 
hervorgethan ; auf seiten der Juden von der Schar Si- 
mons: Judas , des Merton, und Simon, des Josias Sohn, 
von den Idumäern: Jakobus, des Sosas, und Simon, des 
Kathlas Sohn, von den Leuten des Joannes: Gyph- 
thaeus und Alexas, von den Zeloten Simon, der Sohn 
des Ari. 

7. Unterdessen hatte der übrige Teil des Römerheeres 
nach siebentägiger Arbeit die Grundmauern der Antonia 
zerstört und einen breiten Weg zum Tempel hinauf ge- 



Sechstes Buch, 2. Kapitel. 


575 


ebnet. Auf diese Weise der ersten Ringmauer nahe ge- 
kommen, begannen die Legionen Wälle zu bauen, einen 
gegenüber der nordwestlichen Ecke des inneren Vor- 
hofes, den zweiten in der Nähe der nördlichen Galerie 
zwischen den beiden Thoren, den dritten an der west- 
lichen Halle des äusseren Vorhofes, den vierten aussen 
bei der nördlichen Halle. Der Bau dieser Werke war 
jedoch mit grosser Mühe und vielen Schwierigkeiten 
verknüpft, und dabei mussten sie noch das Baumaterial 
aus einer Entfernung bis zu hundert Stadien herbei- 
s ch affen. Zuweilen litten auch die Römer, wenn sie in 
dem Gefühl ihrer Überlegenheit die nötige Vorsicht ver- 
gassen, durch feindliche Hinterhalte, während anderseits 
die Juden immer tollkühner sich benahmen. Manche 
Reiter zum Beispiel Hessen, wenn sie auszogen, um 
Holz oder Futter zu holen, so lange sie damit be- 
schäftigt waren, ihre Pferde losgezäumt weiden, welche 
dann von den scharenweise hervorbrechenden Juden ab- 
gefangen wurden. Da der Fall sich öfter wiederholte, 
glaubte der Caesar, dass, wie es auch wirklich zutraf, 
mehr die Nachlässigkeit seiner eigenen Krieger als die 
Tapferkeit der Juden an diesen Verlusten schuld sei, 
und beschloss daher, durch strenges Einschreiten die 
Leute zu besserer Bewachung ihrer Pferde anzuhalten. 
Als nun wieder einer der Soldaten so beraubt worden 
war, liess er ihn hinrichten und bewirkte durch dieses 
abschreckende Beispiel, dass die übrigen ihre Pferde in 
Obacht nahmen: sie Hessen sie von da an nicht mehr 
frei weiden , sondern ritten zu jenen Verrichtungen aus, 
als wären sie mit den Tieren fest verwachsen. In der 
oben erwähnten W eise belagerten also die Legionen den 
Tempel durch Aufwerfen von Wällen. 

8. Einen Tag nach der Besetzung der-Antonia durch 
die Römer rotteten sich die Empörer, vom Hunger ge- 
drängt, den sie mit dem Ertrag ihrer Räubereien nicht 
mehr zu stillen vermochten, in Masse zusammen und 
machten um die elfte Stunde des Tages einen Ausfall 
auf die römische Vorpostenkette am ölberg. Sie ge- 



576 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

dachten dieselbe mit leichter Mühe zu durchbrechen 
da sie die Soldaten unvorbereitet und mit der Pflege 
ihres Körpers beschäftigt anzutreffen wähnten. Die 
Römer aber hatten ihre Annäherung rechtzeitig bemerkt 
und liefen von den nahen Posten schnell zusammen, um 
ihnen das Übersteigen des Walles und den gewaltsamen 
Durchbruch zu verwehren. Es entspann sich nun ein 
hitziges Gefecht, in welchem beiderseits manche kühne 
That vollbracht wurde: die Römer suchten ihre Kraft 
und Geschicklichkeit, die Juden ihr wildes Ungestüm 
und ihre schrankenlose Wut zur Geltung zu bringen. 
Jene stachelte das Ehrgefühl, diese die Not. Diesmal 
die Juden, die schon wie in einem Netz gefangen sassen, 
entschlüpfen zu lassen, dünkte den Römern die grösste 
8chande; die Juden hingegen hatten nur dann Aussicht 
auf Rettung, wenn sie die Ringmauer mit Gewalt durch- 
brachen. Bei dieser Gelegenh eit zeichnete sich besonders 
ein Reiter Namens Pedanius aus. Als nämlich die 
Juden sich schon zur Flucht wandten und in das Thal 
hinabgedrängt wurden , sprengte derselbe in scharfem 
Galopp von der Seite herbei, fasste einen der fliehenden 
Feinde, einen kräftig gebauten und gut bewaffneten 
Jüngling, an der Ferse und jagte mit ihm davon — 
so tief hatte er sich von seinem in vollem Lauf befind- 
lichen Pferde herab gebeugt und damit nicht nur die ge- 
waltige Kraft seiner Arme und seines übrigen Körpers, 
sondern auch seine hohe Gewandtheit im Reiten be- 
kundet. Wie wenn er ein Kleinod geraubt hätte, brachte 
er den Gefangenen zum Caesar. Dieser zollte der Kraft 
des Mannes, der das Kunststück fertig gebracht hatte, 
seine Bewunderung; den Jüngling aber liess er wegen 
seiner Teilnahme an dem Angriff auf die Mauer hin- 
richten. Alsdann wandte er seine Aufmerksamkeit 
wieder den Kämpfen um den Tempel und dem Bau der 
Wälle zu. 

9. Da nun die Juden in den Gefechten fortgesetzt 
schwere Verluste erlitten, und da die immer höher 
steigende Kriegsnot bereits an die Thore des Tempels 



Sechstes Bach, 2. Kapitel. 


577 


pochte, schnitten die Belagerten, wie man bei einem 
brandigen Körper zu thun pflegt, die schon angesteckten 
Glieder ab, um die Ausbreitung der Krankheit zu ver- 
hüten — das heisst, sie zündeten die nordwestliche 
Tempelhalle an der Stelle, wo sie mit der Antonia zu- 
sammenhing, an und rissen sie noch auf eine weitere 
Strecke von zwanzig Ellen ein. Die Juden waren es 
also, die zuerst mit eigenen Händen den Feuerbrand an 
die heiligen Gebäude legten. Zwei Tage nachher, am 
vierundzwanzigsten des obengenannten Monats, äscherten 
die Römer die daneben befindliche Halle ein, und als 
die Flammen bereits fünfzehn Ellen weit um sich ge- 
griffen hatten, deckten die Juden das Dach ab und zer- 
störten, ohne dem Feuer irgendwie Einhalt zu thun, 
alles, was zwischen ihnen und der Antonia lag, wiewohl 
sie die Einäscherung hätten verhindern können. Ruhig 
sahen sie dem Feuer zu und Hessen es seine Ver- 
heerungen anrichten, soweit dies für sie von Nutzen 
war. Mittlerweile hörten übrigens die Gefechte in der 
Nähe des Tempels nicht auf, sondern es fanden dort 
beständig Scharmützel zwischen kleineren Abteilungen 
statt. 

10. In diesen Tagen trat aus der Mitte der Juden 
ein Mann Namens Jonathas, klein von Gestalt und un- 
ansehnlich, seiner Herkunft und auch seinen übrigen 
Verhältnissen nach unbedeutend, bei dem Grabmal des 
Hohepriesters Joannes hervor, erging sich in über- 
mütigen Reden gegen die Römer und forderte den 
Tapfersten von ihnen zum Zweikampf heraus. Die 
meisten der dort aufgestellten Soldaten hielten ihn nicht 
der Beachtung wert; manche fürchten sich auch wohl 
vor ihm; anderen kam der vernünftige Gedanke, mit 
einem, der den Tod suche, dürfe man sich in keinen 
Kampf einlassen, weil Verzweifelnde masslos ungestüm 
seien und vor der Gottheit keine Ehrfurcht mehr hätten. 
Dann aber verrate es auch weniger Mut als Tollkühn- 
kühnheit, sein Leben im Kampfe mit Menschen zu 
wagen, deren Besiegung keinen Ruhm einbringe und 

Josephus, Jüdischer Krieg. 3 ^ 



578 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


von denen besiegt zu werden nicht bloss schimpflich, 
sondern auch gefährlich sei. Geraume Zeit hindurch 
trat niemand hervor; als aber der Jude, ein grosser 
Prahlhans und Römerfresser, seinen Gegnern in scharfen 
Spottreden Feigheit vorwarf, sprang einer aus den 
Reiterschwadronen mit Namen Pedanius , empört über 
sein Geschwätz und seine Anmassung, vielleicht auch 
in unbesonnener Geringschätzung des Knirpses, auf ihn 
zu. Bei dem nun folgenden Zweikampf liess den 
Pedanius, obwohl er im allgemeinen dem Juden über- 
legen war, sein Glück im Stich, sodass er zu Boden fiel. 
Jonathas sprang herzu und tötete ihn; dann trat er auf 
den Leichnam, schwenkte mit der Rechten das blutige 
Schwert, mit der Linken den Schild, und verhöhnte, 
indem er dem Heere gegenüber frohlockte und mit dem 
Fall des Kriegers prahlte, die zuschauenden Römer, bis 
ihn mitten in seinem Tanzen und thörichten Prahlen 
der Centurio Priscus mit einem Pfeil durchbohrte. 
Daraufhin erhoben die Juden wie die Römer, freilich 
aus verschiedenen Beweggründen, ein lautes Geschrei; 
Jonathas aber sank , indem er sich vor Schmerzen 
krümmte, auf den Leichnam seines Gegners hin — ein 
deutlicher Beweis, wie schnell im Kriege dem un- 
verdienten Glück die Demütigung auf dem Fusse folgt. 


Drittes Kapitel. 

Infolge einer Kriegslist der Juden kommen viele Römer 
in den Flammen um. Grauenhafte That einer jüdischen 
Frau. 

1. Mittlerweile fuhren die Empörer nicht nur mit 
der offenen Bekämpfung der auf den Wällen auf- 
gestellten Mannschaften fort, sondern setzten auch wieder 
einmal, und zwar am siebenundzwanzigsten des ge- 
nannten Monats, eine Kriegslist ins Werk. Sie füllten 
nämlich die Zwischenräume zwischen dem Gebälk und 



Sechstes Buch, 3. Kapitel. 


579 


dem Dache der westlichen Halle mit trockenem Holz, 
Erdharz und Pech nnd zogen sich dann, scheinbar er- 
mattet, zurück. Eine Anzahl Römer setzten nun unvor- 
sichtigerweise in ihrem Eifer den Weichenden nach und 
erkletterten mit Hilfe von Leitern die Halle; die be- 
sonneneren dagegen, denen der unvermutete Abzug der 
Juden verdächtig vorkam, blieben zurück. Kaum aber 
war die Halle mit den eindringenden Römern gefüllt, 
als die Juden sie der ganzen Ausdehnung nach in 
Brand steckten. Plötzlich loderten nun an allen Seiten 
die Flammen empor und versetzten die ausser Gefahr 
befindlichen Römer in Schrecken, die vom Brande über- 
raschten aber in helle Verzweiflung. Rings von Feuer 
umgeben, stürzten sich die letzteren teils in die hinter 
ihnen liegende Stadt, teils mitten in den Schwarm der 
Feinde hinab ; viele auch versuchten sich durch einen 
kühnen Sprung zu den Ihrigen zu retten, brachen aber 
die Glieder. Den meisten schnitten so die Flammen 
jeden Ausweg zur Flucht ab, und wenn manche dem 
Feuer dadurch zuvorkamen, dass sie sich selbst ent- 
leibten, so fielen doch schliesslich auch die, welche be- 
reits eines anderen Todes gestorben waren, dem alles 
verzehrenden Brande zum Opfer. So aufgebracht nun 
der Caesar über die Unglücklichen war, da sie ohne Be- 
fehl die Hallen erstiegen hatten, so fühlte er doch auch 
wieder Mitleid mit ihnen, zumal da niemand ihnen bei- 
zuspringen vermochte. Immerhin war es für die dem 
Verderben Geweihten ein Trost, dass sie den Schmerz 
dessen sahen, für den sie ihr Leben dahingaben; denn 
sie konnten deutlich wahrnehmen, wie er sich zu nähern 
versuchte, ihnen zurief und seine Umgebung aufforderte, 
nach Kräften Hilfe zu leisten. Diese Zurufe des Feld- 
herm und seine wehmütige Stimmung nahm jeder wie 
eine glänzende Bestattung auf und ging so mit Freuden 
in den Tod. Einigen wenigen gelang es übrigens, dem 
Feuer dadurch zu entgehen, dass sie sich auf die breite 
Wandmauer der Halle zurückzogen; hier aber wurden 
sie von den Juden umzingelt und, nachdem sie längere 



580 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Zeit kräftigen Widerstand geleistet hatten, endlich alle- 
samt niedergemacht. 

2. Der letzte, welcher fiel, war ein junger Mann 
Namens Longus, dessen That einen verklärenden 
Schimmer über diesen schaurigen Vorfall ausbreitet; 
und wenn auch alle Umgekommenen sich eines ruhm- 
vollen Andenkens würdig erwiesen, so benahm doch er 
sich offenbar am tapfersten. Die Juden nämlich hatten 
ihn, teils weil seine Körperstärke ihnen Bewunderung 
einflösste, teils weil sie anders ihn nicht ums Leben 
bringen konnten, aufgefordert , herabzusteigen und sich 
ihnen zu ergeben, während auf der anderen Seite sein 
Bruder Cornelius ihn beschwor, ihrer Soldatenehre und 
den römischen Waffen doch eine solche Schmach nicht 
anzuthun. Dieser Bitte gab er nach, holte im Angesicht 
beider Heere mit dem Schwerte aus und versetzte sich 
selbst den Todesstoss. Ein anderer aus der vom Feuer 
umringten Römerschar, Sertorius mit Namen, rettete sich 
durch eine List. Er rief nämlich seinem Zeltkameraden 
Lucius mit lauter Stimme zu: „Ich setze dich zum Erben 
meines Vermögens ein, wenn du näher kommst und mich 
auffängst!“ Lucius lief bereitwillig herzu, und während 
der, welcher auf ihn herabsprang, mit dem Leben da- 
vonkam, ward Lucius selbst so heftig gegen das Stein- 
pflaster geschmettert, dass er auf der Stelle tot blieb. 
Der ganze Vorfall nahm den Römern zwar für den 
Augenblick allen Mut, machte sie aber zugleich für die 
Zukunft vorsichtiger, indem er sie die hinterlistigen An- 
schläge der Juden vereiteln lehrte, durch welche sie 
bisher — hauptsächlich weil sie die Örtlichkeit und den 
Charakter ihrer Gegner nicht genau kannten — so 
manche Schlappe erlitten hatten. Die Halle brannte 
übrigens bis zu dem Turm nieder, den Joannes im 
Kampfe gegen Simon über den aus dem Xystos heraus- 
führenden Thoren erbaut und nach sich selbst benannt 
hatte. Was noch stand , rissen die Juden vollends ein, 
die Leichen der gefallenen Römer mit den Trümmern 
deckend. Tags darauf Hessen die Römer auch die ganze 



Sechstes Buch, 3 Kapitel. 


581 


nördliche Halle bis zur östlichen in Flammen aufgehen 
also bis zu der Stelle, wo die beiden Hallen hoch über 
dem Kedronthal einen Winkel miteinander bildeten. 
So sah es damals in der Umgebung des Tempels aus. 

3. In der Stadt forderte unterdessen die Hungersnot 
zahllose Opfer und erzeugte unsägliches Elend. Wo in 
einem Hause auch nur ein Schatten von Nahrungs- 
mitteln sich zeigte, da entbrannte ein förmlicher Kampf 
die besten Freunde wurden handgemein miteinander und 
suchten sich die armseligsten Brocken zur Fristung ihres 
Daseins zu entreissen. Selbst den Sterbenden glaubte 
man nicht, dass sie keinen Bissen mehr hätten, und die 
Räuber durchsuchten demgemäss alle, die in den letzten 
Zügen lagen, ob sich nicht einer vielleicht nur sterbend 
stelle und doch noch irgend eine Speise in den Falten 
seiner Kleider verborgen halte. Mit vor Gier weit 
aufgerissenem Munde rannten sie wie tolle Hunde un- 
stät umher, schlugen, wo sie hinstürmten, gleich Be- 
trunkenen die Thüren ein und sprangen in der Ver- 
zweiflung wohl zwei- oder dreimal in einer Stunde in 
dasselbe Haus. Alles brachte die Not ihnen zwischen 
die Zähne: Dinge, welche nicht einmal die unflätigsten 
Tiere vertragen können, lasen sie auf und scheuten sich 
nicht, sie zu verzehren. An Gürtel sogar und Schuhe 
machten sie sich endlich heran und kauten sie wie auch 
das Leder, das sie von den Schilden rissen. Manchem 
diente ein Überrest alten Heues zur Speise; denn von 
Fleischfasern, die der eine oder andere sammelte, ver- 
kaufte man das kleinste Gewicht zu vier Attiken. Doch 
was brauche ich die unverschämte Gier zu schildern, 
mit der der Hunger über leblose Gegenstände her- 
fiel? Ich bin im Begriff, eine That zu berichten, der- 
gleichen weder bei den Griechen noch bei den Barbaren 
je verübt ward — schauderhaft zu sagen, unglaublich zu 
hören. Gern würde ich, um nicht bei der Nachwelt in 
den Ruf eines abenteuerlichen Lügners zu kommen, 
diesen Vorfall verschwiegen haben, hätte ich nicht un- 
zählige Zeugen unter meinen Zeitgenossen. Übrigens 



582 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

würde ich auch meiner Vaterstadt einen schlechten 
Dienst erweisen, wenn ich nicht einmal im Wort 
wiedergeben wollte, was über sie in Wirklichkeit er- 
ging- 

4. Eine Frau aus dem Lande jenseits des Jordan, 
Maria mit Namen, die Tochter Eleazars aus dem Dorfe 
Bethezob (das Wort bedeutet: Hyssop-Haus), hervor- 
ragend durch Geburt und Reichtum, war mit der übrigen 
Menge nach Jerusalem geflohen, wo sie die Belagerung 
mit durchmachte. Ihr sonstiges Vermögen, das sie aus 
Peraea nach Jerusalem mitgebracht, hatten ihr die Ty- 
rannen bereits weggenommen, und die ihr noch ver- 
bliebenen Kleinodien sowie etwaige Nahrungsmittel, die 
ausfindig zu machen waren, raubten ihr deren Spiess- 
gesellen, die Tag für Tag in ihr Haus stürzten. Grosse 
Erbitterung bemächtigte sich infolgedessen der Frau, 
und oft suchte sie durch Schmähungen und Ver- 
wünschungen die Räuber gegen sich aufzubringen. Als 
aber keiner sie aus Zorn oder Mitleid tötete, und sie es 
müde war, immer nur Nahrung für andere zu suchen, 
ganz abgesehen davon, dass alles Suchen jetzt auch 
keinen Erfolg mehr hatte, ging ihr der Hunger durch 
Mark und Bein, und noch heftiger als der Hunger ent- 
brannte ihr Zorn. Da hörte sie nur noch auf die 
Stimme der Erbitterung und der Not, und sie schritt 
zum Unnatürlichen, ergriff ihr Kind, einen Säugling, 
und sprach: „Unglückliches Knäblein! Unter Krieg, 
Hunger und Aufruhr — für wen soll ich dich da er- 
halten ? Bei den Römern harret unser die Knechtschaft, 
falls sie uns überhaupt am Leben lassen; vor der 
Knechtschaft aber ist schon der Hunger da, und die 
Empörer sind grausamer als beides. Wohlan denn, 
werde mir Speise, den Tyrannen ein Rachegeist, den 
Lebenden eine Fabel! Das allein fehlt noch, um das 
Elend der Juden voll zu machen!“ Mit diesen Worten 
schlachtet sie ihr Kind, brät es und verzehrt die eine 
Hälfte; die andere bedeckt und verwahrt sie. Im nu 
aber sind jetzt die Empörer wieder da und drohen ihr, 



Sechstes Buch, S. Kapitel. 


58B 


wie sie den fluchwürdigen Bratengeruch einsaugen, mit 
augenblicklicher Ermordung, wenn sie nicht zeige, was 
sie zubereitet habe. Daraufhin deckt sie mit den Worten: 
„Da habe ich für euch noch ein schönes Stück verspart“ 
die Reste ihres Kindes auf. Schauder und Entsetzen 
ergriff die Räuber, und sie standen bei diesem Anblick 
wie festgewurzelt. Maria aber fuhr fort: „Das ist mein 
leibliches Kind, das mein Werk. Esset, denn auch ich 
habe gegessen; seid nicht weichherziger als ein Weib, 
nicht gefühlvoller als eine Mutter! Seid ihr aber zu 
gewissenhaft, und graut euch vor meinem Schlachtopfer 
— gut, so soll der Rest mir verbleiben, wie ich auch die 
andere Hälfte verzehrt habe.“ Zitternd schlichen die 
Empörer hinaus; das war ihnen denn doch zu viel, und 
so Hessen sie, wiewohl ungern, der Mutter das scheuss- 
liche Mahl. Alsbald verbreitete sich das Gerücht von 
diesem Greuel in der ganzen Stadt, und jedermann 
schauderte, wenn er sich die That vorstellte, als hätte 
er sie selbst verübt. Die Hungernden aber drängten 
6ich fortan zum Tode und priesen die Vorangegangenen 
glücklich, dass sie solchen Jammer nicht mehr gesehen 
und gehört hätten. 

5. Schnell war die Kunde von diesem Vorfall auch 
zu den Römern gelangt. Manche wollten ihn nicht 
glauben ; andere fühlten Mitleid ; die meisten aber hassten 
jetzt das Volk nur noch mehr. Der Caesar seinerseits 
rechtfertigte sich deswegen vor Gott und sprach: „Frieden, 
Selbständigkeit und Verzeihung für alles, dessen sie sich 
erdreistet, habe ich den Juden angeboten ; sie aber haben 
statt Eintracht Zwietracht, statt Frieden Krieg, statt 
Sättigung und Wohlstand Hunger erkoren, mit eigner 
Hand an das Heiligtum, das wir erhalten wollten, den 
Feuer brand gelegt, und sie tragen auch die Verant- 
wortung für dieses grässliche Mahl. Bedecken aber will 
ich jetzt den Greuel des Kinderfrasses mit den Trümmern 
ihrer Hauptstadt, und nicht soll fürder die Sonne über 
einer Stadt mehr scheinen, in der Mütter sich also 
nähren. Eher noch als die Mütter freilich hätten die Väter 



584 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


eine solche Speise verdient , weil sie nach so grenzen- 
losem Jammer noch unter den Waffen bleiben.“ Während 
er so redete, überzeugte er sich mehr und mehr von der 
völligen Verzweiflung der Empörer; jetzt, meinte er, 
nachdem sie dies alles durchgemacht, würden sie ihre 
Gesinnung wohl nicht mehr ändern, während, wenn sie 
es nicht wirklich erlebt hätten, ihre Umkehr wahrschein- 
lich gewesen wäre. 


Viertes Kapitel. 

Der Tempel geht, gegen den Willen des Titus, in 
Flammen auf. 

1. Als die beiden Legionen am achten des Monats 
Loos die Wälle vollendet hatten, liess der Caesar die 
Sturmböcke gegen die westliche Galerie des inneren 
Tempelhofes heranbringen. Schon ehe dies geschah, 
hatte übrigens der stärkste Widder trotz sechstägigen 
unausgesetzten Stossens nicht das mindeste gegen die 
Mauerwand ausrichten können, und so widerstanden die 
Quadern wegen ihrer Grösse und der Festigkeit ihres 
Gefüges auch jetzt den neu hinzugekommenen Maschinen. 
Andere untergruben mittlerweile die Fundamente des 
nördlichen Thores und brachen nach angestrengter Arbeit 
die vordersten Steine los, während das Thor selbst, von 
den inneren Quadern gehalten, stehen blieb. Nunmehr 
verzweifelten die Römer an der Wirksamkeit ihrer Ma- 
schinen und Hebel, und legten deshalb Leitern an die 
Halle an. Die Juden gaben sich keine Mühe, sie dabei 
zu stören; kaum aber waren die Römer oben augelangt, 
als sie sich ihnen entgegenwarfen und sie teils rücklings 
von der Mauer hinunterstiessen, teils gegen die Brüstung 
drängten und niedermachten. Viele auch wurden, als 
sie eben die Leitern verliessen und sich mit ihren 
Schilden noch nicht gedeckt hatten, durchbohrt, während 
andere dadurch verunglückten, dass die Juden einige 
der Leitern, die mit Bewaffneten dicht besetzt waren, 



Sechstes Bnch, 4. Kapitel. 


585 


von oben her umwarfen. Auch die Juden verloren 
übrigens eine Menge Leute. Ganz besonders kämpften 
die Träger der Feldzeichen um diese auf Leben und 
Tod, da sie deren Verlust für die ärgste Schande hielten. 
Schliesslich jedoch bemächtigten sich die Juden auch der 
Feldzeichen und hieben alles nieder, was heraufgestiegen 
war, soda88 die übrigen Römer, entsetzt über das 
Schicksal der Umgekommenen, sich zurückzogen. Auf 
seiten der Römer fiel kein Mann, der nicht seine volle 
Pflicht und Schuldigkeit gethan hätte ; unter den Empörern 
zeichneten sich wieder dieselben durch Tapferkeit aus, 
die sich schon in den früheren Gefechten hervorgethan 
hatten, und ausser ihnen noch Eleazar, der Neffe des 
Tyrannen Simon. Als nun der Caesar erkannte, dass 
die Schonung fremder Heiligtümer seinen Soldaten nur 
Tod und Verderben bringe, befahl er, Feuer an die 
Thore zu legen. 

2. Eben um diese Zeit gingen Ananus von Ammaus, 1 
der blutdürstigste unter den Spiessgesellen des Simon, 
und Archelaus, der Sohn des Magadatus, zu ihm über; 
sie hofften auf Gnade , weil sie die Juden zu einer Zeit 
verlassen hatten, wo diese im Vorteil waren. Ihre 
Pfiffigkeit aber kam dem Caesar verächtlich vor, und 
da er ausserdem erfuhr, wie grausam sie sich gegen die 
Juden benommen hätten, zeigte er nicht übel Lust, sie 
beide hinrichten zu lassen. Nur die Not, sagte er, habe 
sie hergetrieben ; da sie also nicht aus freien Stücken 
zu ihm kämen, hätten sie keinen Anspruch auf Be- 
gnadigung, zumal sie aus der von ihnen selbst in Brand 
gesteckten Vaterstadt entsprungen seien. Gleichwohl 
opferte er seinen Zorn dem einmal gegebenen Wort 
und entliess die Männer, ohne sie indes in der Behand- 
lung den übrigen gleichzustellen. Unterdessen hatten 
die Soldaten bereits Feuer an die Thore gelegt, und das 
überall schmelzende Silber eröffnete den Flammen den 
Zugang zu dem hölzernen Gebälk, von wo sie prasselnd 


1 S. V, 13, 1. 



586 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


hervorbrachen und die Hallen ergriffen. Als aber die 
Juden ringsum den Brand auf lodern sahen, da entsank 
ihnen mit der Leibeskraft auch der Mut; vor lauter 
Schrecken getraute sich niemand Widerstand zu leisten, 
sondern wie gelähmt standen sie da und sahen zu. So 
niederschlagend übrigens der Brand auf sie einwirkte, 
so dachten sie doch nicht im entferntesten daran, behufs 
Rettung dessen, was noch übrig war, ihren Sinn zu 
ändern ; vielmehr zeigten sie sich, als sei die Einäscherung 
des Tempels nunmehr beschlossene Sache, nur um so 
erbitterter gegen die Römer. Den ganzen Tag und die 
folgende Nacht hindurch wütete das Feuer; denn die 
Römer konnten die Hallen nur einzeln und nicht alle 
zugleich in Brand setzen. 

3. Tags darauf beorderte Titus einen Teil des Heeres 
zum Löschen und liess zugleich bei den Thoren einen 
regelrechten Weg anlegen, um den Legionen den Auf- 
stieg zu erleichtern. Dann beschied er die Offiziere zu 
sich, von denen zunächst die sechs vornehmsten zu- 
sammentraten, nämlich Tiberius Alexander, der Ober- 
befehlshaber der gesamten Streitkräfte, Sextus Cerealis, 
der Anführer der fünften, Larcius Lepidus, der Anführer 
der zehnten, Titus Phrygius, der der fünfzehnten Legion, 
ferner Liternius Fronto, der Präfekt der beiden alexan- 
drinischen Legionen, und Marcus Antonius Julianus, der 
Landpfleger von Judaea. An diese schlossen sich die 
übrigen Statthalter und Kriegstribunen an, und Titus 
hielt nun mit ihnen allen Kriegsrat wegen des Tempels. 
Die einen meinten, man solle dem Kriegsrecht freien 
Lauf lassen; denn so lange der Tempel, dieser Sammel- 
punkt aller Juden, noch stehe, würden sie niemals auf- 
hören, an Empörung zu denken. Andere äusserten ihre 
Ansicht dahin, dass man, wenn die Juden den Tempel 
räumten und niemand mehr zu seiner Verteidigung das 
Schwert ziehe, ihn erhalten, wenn sie dagegen bei ihrem 
Widerstand beharrten, ihn verbrennen solle; denn dann 
sei er eben eine Festung und kein Tempel. Auch 
würden im letzteren Falle nicht die Römer sich einer 



Sechstes Buch, 4. Kapitel. 


587 


Gottlosigkeit schuldig machen , sondern lediglich die, 
welche sie dazu genötigt hätten. Titus aber hielt dafür, 
man solle, selbst wenn die Juden vom Tempel herab 
sich wehren würden, seine Rache nicht an leblosen 
Dingen statt an Menschen auslassen und unter keinen 
Umstanden ein so herrliches Bauwerk den Flammen 
preisgeben. Denn der Schaden treffe im Grunde ja doch 
die Römer, wie umgekehrt der Tempel, wenn er erhalten 
bleibe, eine Zierde des Reiches sein werde. Dieser An- 
sicht traten Fronto, Alexander und Cerealis aufs ent- 
schiedenste bei. Darauf entliess der Caesar die Ver- 
sammlung und befahl den Offizieren, ihren Truppen 
Ruhe zu gönnen, damit sie in den kommenden Gefechten 
desto kräftiger losschlagen könnten; nur aus den Ko- 
horten las er eine bestimmte Anzahl Leute aus, die den 
Weg durch die Trümmer bahnen und das Feuer löschen 
sollten. 

4. An jenem Tage wagten die Juden vor Ermattung 
und Bestürzung keinen Angriff; am folgenden aber 
sammelten sie ihre Streitkräfte und machten mit frischem 
Mut um die zweite Stunde durch das östliche Thor einen 
Ausfall gegen die Wachen des äusseren Tempelhofes. 
Diese setzten dem Angriff nachdrücklichen Widerstand 
entgegen, und indem sie sich vorn mit ihren Schilden 
deckten, standen sie dichtgedrängt wie eine Mauer. 
Gleichwohl erkannte man, dass sie nicht lange würden 
standhalten können , da die Angreifer ihnen an Zahl 
wie an Tollkühnheit überlegen waren. Der Caesar 
jedoch, der von der Antonia aus zusah, kam der un- 
günstigen Wendung des Gefechtes zuvor und eilte den 
Seinigen mit einer auserlesenen Reiterschar zu Hilfe. 
Deren Angriff hielten die Juden nicht aus, sondern sie 
flohen, nachdem die vordersten gefallen waren, grössten- 
teils davon. Sobald aber die Römer abgezogen waren, 
machten sie kehrt und fielen ihnen in den Rücken; 
daraufhin wandten sich nun auch die Römer wieder 
um und schlugen ihre Gegner abermals in die Flucht, 
sodass um die fünfte Stunde des Tages alle über- 



588 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


wältigt und in das Innere des Tempels ein geschlossen 
waren. 

5. Titus zog sich hierauf in die Antonia zurück, ent- 
schlossen, am folgenden Tage in aller Frühe mit seiner 
ganzen Heeresmacht anzugreifen und den Tempel zu 
umzingeln. Über diesen jedoch hatte Gott schon längst 
das Feuer verhängt, und es war endlich im Laufe der 
Zeiten der Unglückstag — der zehnte des Monats Loos 
— gekommen, an dem auch der frühere Tempel vom 
Babylonierkönig eingeäschert worden war; nur waren 
es diesmal die Einheimischen selbst, durch deren Ver- 
anlassung und Schuld er den Flammen zum Opfer fiel. 
Kaum nämlich hatte Titus sich entfernt, als die Empörer 
nach kurzer East abermals gegen die Römer ausrückten. 
Hierbei kam es zum Handgemenge zwischen der Be- 
satzung des Tempels und denjenigen Mannschaften, 
die das Feuer in den Gebäuden des inneren Vor- 
hofes löschen sollten. Als nun die letzteren den zurück- 
weichenden Juden nachsetzten und bis zum Tempel- 
gebäude vorgedrungen waren, ergriff einer der Soldaten, 
ohne einen Befehl dazu abzu warten oder die schweren 
Folgen seiner That zu bedenken, wie auf höheren An- 
trieb einen Feuerbrand und schleuderte ihn, von einem 
Kameraden emporgehoben, durch das goldene Fenster, 
wo man von Norden her in die den Tempel umgebenden 
Gemächer eintrat, ins Innere. Sowie die Flammen auf- 
loderten, erhoben die Juden, entsprechend der Grosse des 
Unglücks, ein gewaltiges Geschrei und rannten, ohne 
der Gefahr zu achten oder ihre Kräfte zu schonen, von 
allen Seiten herbei, um dem Feuer zu wehren: denn es 
drohte unterzugehen, was sie bisher vor dem äussersten 
zu bewahren gesucht hatten. 

6. Ein Eilbote meldete es dem Titus. Schnell sprang 
dieser von seinem Lager im Zelt, wo er eben vom Kampfe 
ausruhte, auf und lief, wie er war, zum Tempel hin, um 
dem Brande Einhalt zu thun — ihm nach die sämtlichen 
Offiziere und die durch den Wirrwarr erschreckten 
Legionen. Wie bei der ungeordneten Bewegung einer 



Sechstes Buch, 4. Kapitel. 


589 


solchen Menschenmenge leicht erklärlich, entstand nun 
ein fürchterliches, mit betäubendem Lärm untermischtes 
Getümmel. Der Caesar wollte durch Schreien und Hand- 
bewegungen den Kämpfenden zu verstehen geben, man 
solle löschen ; sie aber hörten sein Rufen nicht , da es 
von dem noch lauteren Geschrei der anderen übertönt 
wurde, und die Zeichen, die er mit der Hand gab, be- 
achteten sie nicht, weil sie teils von der Aufregung des 
Kampfes, teils von ihrer Erbitterung völlig eingenommen 
waren. Keine gütlichen Vorstellungen, keine Drohungen 
vermochten den stürmischen Andrang der Legionen auf- 
zuhalten: die Wut allein führte das Kommando. An 
den Eingängen kam es zu einem so schrecklichen Ge- 
dränge, dass viele von ihren Kameraden zertreten wurden ; 
viele auch gerieten auf die noch glühenden und rauchenden 
Trümmer der Hallen und teilten so das Schicksal der 
Besiegten. In die Nähe des Tempels gekommen, stellten 
sie sich, als hörten sie nicht einmal die Befehle des 
Feldherrn, und schrien ihren Vordermännern zu, sie 
sollten Feuer in den Tempel werfen. Die Empörer 
hatten übrigens die Hoffnung, den Brand noch ein- 
dämmen zu können, völlig aufgegeben ; denn allenthalben 
wurden sie niedergemetzelt oder in die Flucht getrieben. 
Auch ganze Haufen von Bürgern, lauter schwache, 
wehrlose Leute, fielen, wo der Feind sie traf, dem 
Schwert zum Opfer. Besonders um den Altar her 
türmten sich die Toten in Masse auf: stromweise floss 
das Blut an seinen Stufen, und dumpf rollten die Leichen 
derer, die oben auf ihm ermordet wurden, an seinen 
Wänden herunter. 

7. Als nun der Caesar dem Ungestüm seiner wie 
rasend gewordenen Soldaten nicht mehr zu wehren ver- 
mochte und die Flammen immer weiter um sich griffen, 
betrat er mit den Offizieren das Allerheiligste und be- 
schaute, was darin war. Alles fand er weit erhaben 
über den Ruf, den es bei den Fremden genosß, und ganz 
entsprechend der fast prahlerisch hohen Meinung, welche 
die Einheimischen davon hatten. Da übrigens das Feuer 


Go gle 



590 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


bis in die innersten Räume noch nicht vorgedrungen war, 
sondern nur erst die an den Tempel anstossenden Ge- 
mächer verzehrte, glaubte er, und zwar mit Recht, das 
Werk selbst könne noch gerettet werden. Er sprang 
also hervor und suchte nicht nur persönlich die Soldaten 
zum Löschen anzuhalten, sondern befahl auch dem seiner 
Leibwache angehörenden Centurio Liberalis, die Wider- 
spenstigen durch Stock Schläge 1 zu zwingen. Aber Er- 
bitterung, Judenhass und die allgemeine Kampfwut er- 
wiesen sich stärker als die Rücksicht auf den Caesar 
und die Furcht vor seiner Strafgewalt. Die meisten 
freilich feuerte die Aussicht auf Raub an, da sie der 
festen Überzeugung waren , es müsse , weil sie aussen 
alles von Gold gefertigt sahen, das Innere erst recht 
von Schätzen aller Art strotzen. Während nun der 
Caesar heraussprang, um die Soldaten zurückzuhalten, 
hatte schon einer von denen, die ins Innere ein gedrungen 
waren, im Dunkel Feuer unter die Thürangeln gelegt, 
und da jetzt auch von innen plötzlich die Flamme her- 
vorschoss, zogen sich die Offiziere mit dem Caesar zurück, 
und niemand gab sich mehr die Mühe, die aussen um 
das Heiligtum streifenden Soldaten von weiterer Brand- 
legung abzuhalten. Auf diese Weise ging der Tempel 
gegen den Willen des Titus in Flammen auf. 

8. So sehr man nun auch den Untergang eines 
Werkes beklagen muss, welches von allen, die wir durch 
eigene Anschauung oder vom Hörensagen kennen lernten, 
ebensowohl hinsichtlich seiner Pracht und Grösse im all- 
gemeinen, wie inbetreff der Kostbarkeit seiner einzelnen 
Bestandteile und besonders der hehren Bedeutung des 
Allerheiligsten das staunenswerteste war, so mag man 
doch noch reichen Trost finden in dem Gedanken an 
das Geschick, 2 dem, wie nichts Lebendiges, so auch kein 


i Der Centurio führte den Rebstock (vitis) als Abzeichen seines 
Ranges stets bei sich (s. Lindenschmit a. a. O., Tafel I, Fig. 1, 6, 7). 

* Dass Josephus unter Geschick (ei papas vrj) den Ratschluss Gottes, 
das Walten der alles leitenden göttlichen Vorsehung versteht, hat 



Sechstes Buch, 5. Kapitel. 


591 


Werk von Menschenhand und keine Gegend der Erde 
entrinnen kann. Merkwürdig ist die Genauigkeit, mit 
der dasselbe die Zeitläufte einhielt. Es bestimmte näm- 
lich , wie schon gesagt , zur Zerstörung sogar denselben 
Monat und denselben Tag, an welchem der Tempel 
einstmals von den Babyloniern in Asche gelegt worden 
war. 1 Von seiner ersten Erbauung durch den König 
Solomon bis zu der in unseren Tagen erfolgten Zer- 
störung, die in das zweite Regierungsjahr des Vespa- 
sianus fiel, rechnet man tausendeinhundertunddreissig 
Jahre, sieben Monate und fünfzehn Tage, und von der 
zweiten Erbauung, für die im zweiten Jahre der 
Regierung des Cyrus der Prophet Aggaeus seine Stimme 
erhob, bis zur Zerstörung unter Vespasianus sechshundert- 
neununddreissig Jahre und fünfundvierzig Tage. 


Fünftes Kapitel. 

Unmittelbare Folgen des Tempelbrandes. Von den 
Vorzeichen der Zerstörung. 

1. Während der Tempel brannte, raubten die Sol- 
daten, was ihnen unter die Hände kam, und hieben die 
Juden, die sie antrafen, zu hunderten nieder. Kein Er- 
barmen hatten sie mit dem Alter, keine Achtung vor 
der Würde. Kinder und Greise, Laien und Priester 
ohne Unterschied erlagen dem Schwerte des Feindes, 
und unter den Angehörigen aller Volksklassen wütete 
die Kriegsfurie, ganz gleich, ob die Leute um Gnade 
flehten oder sich zur Wehr setzten. Mit dem Prasseln 
der allenthalben hervorbrechenden Flammen mischte 
sich das Stöhnen der zu Boden Geschmetterten. Wenn 
man die Höhe des Hügels und die Grösse des brennenden 


Lewinsky in seiner Schrift : Beiträge zur Kenntnis der religions- 
philosophischen Anschauungen des Flavins Josephus (S. 28 ff.) dar- 
gethan. 

1 Dies geschah 586 v. Chr. 


Go gle 


J N [VGR S Ifpöf C (\ 



592 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Riesenbaues in Betracht zog, hätte man glauben können, 
die ganze Stadt stehe in Flammen; grausiger aber und 
gellender lässt sich nichts denken als das Geschrei, das 
über dem Ganzen tobte. Denn während die römischen 
Legionen, die in geschlossenem Zuge vordrangen, ihre 
Jubelrufe anstimmten, erscholl gleichzeitig das Geheul 
der von Feuer und Schwert umringten Empörer, und 
von oben tönte darein die Wehklage des verlassenen 
Volkes, das sich in der Angst zu den Feinden flüchtete 
und sein Geschick bejammerte. Mit dem Geschrei derer 
auf dem Hügel verband sich dann weiter das der Volks- 
menge in der Stadt, wo viele der Unglücklichen, denen 
der Hunger schon das Mark ausgepresst und den Mund 
verschlossen hatte, beim Anblick des Tempelbrandes den 
Rest ihrer Kräfte zu einem kläglichen Gewimmer zu- 
sammenrafften: und zu alledem der Wiederhall von 
Peraea 1 und den umliegenden Bergen, der das Getöse 
noch entsetzlicher machte. Fürchterlicher jedoch als das 
ganze Kampfgewühl war das wirkliche Schicksal der 
Besiegten. Der Tempelberg schien von Grund aus zu 
glühen, da er rings in Feuer gehüllt war; aber noch 
voller als die Flammenbäche schienen die Blutströme 
zu fliessen, und fast zahlreicher als die Mörder waren 
die Gemordeten. Nirgends sah man mehr vor Leichen 
den Boden ; über ganze Berge von Toten stürmten die 
Soldaten den Fliehenden nach. Die Räuberschar durch- 
brach mit Mühe die römischen Kolonnen und schlug 
sich in den äusseren Vorhof und von da in die Stadt 
durch, während der Rest des Volkes in die äussere 
Halle floh. Einige Priester rissen zunächst die Spiesse 
auf dem Tempel 2 samt dem Blei , in welches dieselben 
eingelassen waren, herunter und schleuderten sie gegen 
die Römer; als sie aber damit nichts ausrichteten und 
das Feuer über sie hereinbrach, zogen sie sich auf die 

1 Selbstverständlich hat man nicht an die fernen Berge des 
eigentlichen Peraea zu denken. Josephus meint vielmehr die hügelige 
Gegend auf der Ost- und Nordseite des Kedron. 

2 S. V, 5, 6. 



Sechstes Buch, 5. Kapitel. 


593 


acht Ellen breite Tempel wand zurück, wo sie einstweilen 
blieben. Zwei andere vornehme Juden jedoch, die sich 
vor die Wahl gestellt sahen, entweder zu den Römern 
überzugehen und so ihr Leben zu retten, oder aber aus- 
zuharren, wollten lieber das Schicksal der übrigen teilen, 
stürzten sich in die Flammen und verbrannten mit dem 
Tempel. Es waren Meir , des Beigas , und Josephus, 
des Dalaeus Sohn. 

2. Da nun die Römer der Ansicht waren, dass nach 
der Einäscherung des Tempels die Schonung der um- 
liegenden Gebäulichkeiten keinen Sinn mehr habe, 
steckten sie alles übrige vollends in Brand, nämlich die 
Reste der Hallen und die sämtlichen Thore mit Aus- 
nahme von zweien, des östlichen und des südlichen, die 
sie indes später gleichfalls zerstörten. Hierauf ver- 
brannten sie auch die Schatzkammern, in denen un- 
geheure Summen baren Geldes, grosse Mengen Kleider- 
stoffe und andere Kostbarkeiten, mit einem Wort die 
gesamten Schätze der Juden aufgehäuft waren, da die 
Reichen dort ihr Vermögen untergebracht hatten. Als- 
dann ging es an die noch unversehrte Halle des 
äusseren Tempelhofes, in welche sich Weiber, Kinder und 
ein zahlreicher gemischter Volkshaufe, etwa sechstausend 
Köpfe stark, geflüchtet hatten. Bevor jedoch der Caesar 
inbetreff dieser Leute sich schlüssig machte oder die 
Offiziere einen Befehl dazu erteilten, zündeten die Sol- 
daten in ihrer Wut die Halle an, worauf die einen 
mitten in den Flammen umkamen, die anderen, indem 
sie sich daraus hervorstürzten; von der ganzen Menge 
ward auch nicht eine Seele gerettet Die Schuld an 
ihrem Untergang trug übrigens ein falscher Prophet, 
der an jenem Tage den Bewohnern der Stadt vorgelogen 
hatte, Gott heisse sie zum Tempel hinaufsteigen, wo sie 
dieZeichen ihrer Rettung schauen würden. Die Tyrannen 
hatten nämlich damals eine Anzahl solcher Propheten 
unter das Volk gesteckt, um demselben zu verkünden, 
es solle der Hilfe Gottes gewärtig sein — einmal damit 
die Leute weniger daran dächten, zu den Römern über- 

Josephus, Jüdischer Krieg. 3b 


Go gle 


UNIVERSITY OE C!/- LIFO R N I/'v 



594 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zugehen, und dann auch damit die, welche sich über die 
Furcht vor den Wachen hinwegsetzten, doch wenigstens 
durch Hoffnung zum Bleiben bewogen würden. Im Unglück 
lässt sich ja der Mensch so leicht bereden, und wenn gar 
ein Betrüger kommt und ihm Befreiung von dem drückenden 
Elend vorspiegelt, geht der Leiden de ganz in Hoffnung auf. 

3. So wurde das beklagenswerte Volk damals von 
Betrügern beschwätzt, die sich als von Gott gesandt aus- 
gaben; den klaren, die künftige Verwüstung andeutenden 
Vorzeichen 1 dagegen schenkten die Unglücklichen nicht 
Beachtung noch Glauben, sondern sie überhörten, als wären 
sie betäubt und hätten weder Augen noch Verstand, die 
lauten Warnungsstimmen Gottes — so zum Beispiel, 
als ein schwertähnliches Gestirn über der Stadt stand 
und ein Komet ein ganzes Jahr lang am Himmel blieb, 
und ferner, als gerade vor dem Aufstand und den ersten 
kriegerischen Bewegungen, da das Volk beim Fest der 
ungesäuerten Brote am achten des Monats Xanthikos 
versammelt war, um die neunte Stunde ein so starkes 
Licht den Altar und den Tempel umstrahlte, dass man 
hätte glauben sollen, es sei heller Tag, eine Erscheinung, 
die fast eine halbe Stunde anhielt. Die Unkundigen 
freilich sahen darin ein gutes Vorzeichen; von den 
Schriftgelehrten aber wurde es sogleich auf das, was 
nachher ein traf, gedeutet. An ebendemselben Feste 
warf eine Kuh, die der Hohepriester als Schlachtopfer 
zum Altar führte, mitten im Tempel ein Lamm. Sodann 
sah man das östliche Thor des inneren Vorhofes, das 
doch von Erz und ungeheuer schwer war, sodass 
zwanzig Mann es nur mit Mühe abends schliessen 
konnten, und das von eisenbeschlagenen Querbalken 
gehalten ward und Riegel hatte, welche tief in die aus 
einem einzigen Steinblock gearbeitete Schwelle ein- 
gelassen wurden, um Mitternacht sich plötzlich von 
selbst öffnen. Die Tempelwächter meldeten es eiligst 
ihrem Hauptmann, der sich unverzüglich hinauf begab. 


1 Vergl. Tacitus, Histor., V, 13. 



Sechstes Buch, 5. Kapitel. 


595 


aber kaum imstande war, das Thor schliessen zu lassen. 
Abermals legten die Laien diesem Vorfall eine günstige 
Bedeutung bei: Gott, meinten sie, öffne ihnen die Thür 
des Heils. Die Schriftgelehrten aber ersahen daraus, 
dass es mit der Sicherheit des Tempels zu Ende gehe 
und dass das Thor den Feinden zulieb sich öffnen werde; 
man habe es also mit einem Vorzeichen der Verwüstung 
zu thun. Wenige Tage nach dem Fest, am einund- 
zwanzigsten des Monats Artemisios, zeigte sich eine ge- 
spensterhafte, kaum glaubliche Erscheinung. Was ich 
erzählen will, könnte man für ein Märchen halten, wäre 
es nicht auch von Augenzeugen berichtet und von dem 
Unglück gefolgt worden, das nach derartigen Zeichen 
einzutreten pflegt Vor Sonnenuntergang nämlich sah 
man über der ganzen Gegend in der Luft Wagen und 
bewaffnete Scharen durch die Wolken dahineilen und 
Städte umkreisen . 1 Weiterhin vernahmen am sogenannten 
Pfingstfest ihrer Versicherung gemäss die Priester, als 
sie in der Nacht, wie ihr Dienst es mit sich brachte, in 
den inneren Vorhof traten, zuerst ein Getöse und Rauschen, 
und später auch den vielstimmigen Ruf: „Lasset uns 
von hinnen ziehen !“ Noch unheimlicher ist folgendes: 
Ein gewisser Jesus, des Ananus Sohn, ein ungebildeter 
Landmann, kam vier Jahre vor dem Ausbruch des 
Krieges, als die Stadt sich noch tiefen Friedens und 
grossen Wohlstandes erfreute, zu dem Fest, an dem der 
Sitte gemäss alle Juden Gott zu Ehren Laubhütten in 
der Nähe des Tempels errichten , und fing da plötzlich 
an zu rufen: „Eine Stimme vom Aufgang, eine Stimme 
vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden; 
eine Stimme über 2 Jerusalem und den Tempel, eine 


1 AI90 eine Luftspiegelung (Fata morghana). Erzählungen wie 
diese sind übrigens sehr geeignet, die Wahrheitsliebe des Geschicht- 
schreibers ausser Zweifel zu stellen. Denn gerade weil Josephus 
von dem natürlichen Hergang keine Ahnung haben konnte , aber 
trotzdem eine richtige Schilderung giebt, muss die Thatsache selbst 
als wahr angenommen werden. 

* „Eine Stimme über" bedeutet soviel als „Wehe!" 

38 * 



596 


Joseplms, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Stimme über Bräutigame und Bräute, eine Stimme über 
das ganze Volk!“ Tag und Nacht rief er dies, in allen 
Gassen der Stadt umherlaufend. Einige vornehme 
Bürger, die sich über das Unglücksgeschrei ärgerten, er- 
griffen den Menschen und züchtigten ihn mit harten 
Schlägen. Er aber fuhr, ohne etwas zu seiner Ent- 
schuldigung oder gegen seine Peiniger vorzubringen, 
immer nur fort, seine früheren Worte zu wiederholen. 
Mit Recht glaubten daher die Vorsteher, es möchte dem 
Benehmen des Menschen ein höherer Antrieb zu Grunde 
liegen, und führten ihn vor den römischen Landpfleger, 
wo er, bis auf die Knochen durch Geisselhiebe zer- 
fleischt, weder um Gnade bat noch Thränen vergoss, 
sondern im kläglichsten Tone jeden Hieb nur mit dem 
Ruf erwiderte: „Wehe Jerusalem!“ Als Albinus — so 
hiess der Landpfleger — ihn fragte, wer und woher er 
sei und weshalb er also rufe, gab er auch hierauf keine 
Antwort, sondern fuhr mit seinem Klagegeschrei über 
die Stadt fort, bis Albinus, von seinem Wahnsinn über- 
zeugt, ihn laufen Hess. Die ganze Zeit hindurch bis 
zum Ausbruch des Krieges verkehrte er mit keinem 
seiner Mitbürger, noch sah man ihn mit jemand reden 
— sondern Tag für Tag klagte er, wie wenn er ein 
Gebet hersage: „Wehe, wehe Jerusalem!“ Er fluchte 
keinem, der ihn schlug (was täglich vorkam), noch 
dankte er dem, der ihm zu essen gab: für niemand 
hatte er eine andere Antwort, als jene Unglücksprophe- 
zeiung. Besonders laut aber liess er seinen Ruf an 
Festtagen erschallen, und obwohl er dies sieben Jahre 
und fünf Monate lang fortsetzte, wurde seine Stimme 
weder heiser noch matt, bis er endlich bei der Be- 
lagerung seine Weissagung in Erfüllung gehen sah und 
mit seinen Wehklagen aufhörte. Während er nämlich 
eines Tages mit dem gellenden Ruf: „Wehe der Stadt, 
dem Volke und dem Tempel“ die Mauer umging, und 
schliesslich hinzusetzte: „Wehe auch mir“, traf ihn ein 
aus einer Wurfmaschine geschleuderter Stein und machte 


Go gle 



Sechstes Buch, 5. Kapitel. 


597 


seinem Leben ein Ende; mit dem Klageruf auf den 
Lippen verschied er. 

4. Bedenkt man das alles , so findet man , dass Gott 
für die Menschen sorgt und ihnen auf mancherlei Weise 
zu erkennen giebt, was zu ihrem Heile dient, dass aber 
nur Thorheit und selbstverschuldetes Elend sie ins Ver- 
derben stürzt. So hatten auch die Juden nach der Zer- 
störung der Antonia den Tempel viereckig gemacht, 
obwohl in ihren heiligen Büchern geschrieben stand : 
dann solle die Sadt und der Tempel erobert werden, 
wenn der letztere ein Viereck würde. 1 Was sie jedoch 
am meisten zum Kriege getrieben hatte, war ein zwei- 
deutiger Orakelspruch, der sich gleichfalls in ihren 
heiligen Schriften fand, dass nämlich um diese Zeit 
einer aus ihrem Lande die Weltherrschaft erlangen 
werde. 2 Dies bezogen sie auf einen ihres Stammes, und 
auch viele ihrer Weisen irrten sich in der Auslegung 
des Spruches. Das Orakel aber wies auf die Herrscher- 
würde des Vespasianus hin , der in Judaea zum Impe- 
rator ausgerufen wurde. Doch es ist den Menschen 
nicht möglich, dem Schicksal zu entrinnen, selbst wenn 
sie es voraussehen. Die Juden deuteten eben manche 
der Vorzeichen nach ihren Wünschen, über andere wieder 
setzten sie sich leichtsinnig hinweg, bis endlich der Fall 
ihrer Hauptstadt und ihr eigenes Verderben sie von 
ihrem Unverstand überzeugten. 


1 Ob sich dies auf Daniel 8, 22 , oder auf Daniel 9, 27, oder au 
Zacharias 1, 18f. bezieht, sei dahingestellt. Letzteres ist am wahr 
scheinlichsten. 

2 S. Tacitus, Histor. V, 13 und Sueton,, Vespas. 4. 



598 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Sechstes Kapitel. 

Siegesjubel der Römer. Titus versucht nochmals, die 
Juden durch Güte zu gewinnen. 

1. Als die Empörer in die Stadt geflohen waren und 
der Tempel mit allen seinen Nebengebäuden in Flammen 
stand, brachten die Römer ihre Feldzeichen in die ge- 
weihten Räume, pflanzten sie gegenüber dem östlichen 
Thore auf, opferten ihnen daselbst 1 und begrüssten unter 
lauten Jubelrufen Titus als Imperator. 2 Mit Beute 
waren alle Soldaten so beladen, dass !in Syrien das 
Pfund Gold um die Hälfte seines Wertes im Preise 
sank. Während nun die Priester sich noch immer auf 
der Tempelmauer verborgen hielten, bat ein vom Durst 
gepeinigter Knabe die römischen Posten um Gnade und 
klagte ihnen seine Not. Aus Mitleid mit seiner Jugend 
und seiner schlimmen Lage sagten sie ihm denn auch 
Schonung zu, worauf er herabkam und nicht nur selbst 
seinen Durst löschte, sondern auch ein mitgebrachtes 
Gefäss mit Wasser füllte und sich eiligst wieder zu den 
Seinigen hinaufflüchtete. Die Wachen konnten ihn nicht 
mehr erwischen und überhäuften ihn wegen seiner Wort- 
brüchigkeit mit Schmähungen. Der Knabe aber ent- 
gegnete, er habe keineswegs vertragswidrig gehandelt, 
denn er habe sie um Gnade gebeten, nicht um bei ihnen 
zu bleiben, sondern nur um hinabsteigen und Wasser 
holen zu können ; beides habe er gethan und somit 
offenbar sein Wort gehalten. Die hintergangenen Sol- 
daten wunderten sich über seine Schlauheit, zumal der 
Knabe noch sehr jung war. Am fünften Tage kamen 
übrigens die Priester, von Hunger getrieben, herab und 


1 S. die Anmerkung zu III, 6, 2. 

2 Diesen Titel erhielt der Feldherr in älterer Zeit, wenn wenig- 
stens 0000 erschlagene Feinde nach dem Siege das Schlachtfeld be- 
deckten und die Soldaten selbst ihn damit begrüsst hatten. Die 
Caesaren jedoch führten den Titel als Bezeichnung ihrer Würde, 
gleichbedeutend mit Staatsoberhaupt. 


Go gle 


UNIVERSITY 


OP C AUFORNIA 



Sechstes Buch, 6. Kapitel. 


599 


wurden von den Wachen vor Titus geführt, den sie um 
Schonung ihres Lebens anflehten. Er aber erklärte 
ihnen, die Zeit der Gnade sei für sie vorüber, und da 
auch der Tempel, um dessetwillen er wohl Grund ge- 
habt hätte, ihnen das Leben zu schenken , dahin sei, so 
zieme es ihnen als Priestern, mit dem Tempel unter- 
zugehen. Demzufolge liess er sie sämtlich hinrichten. 

2. Jetzt endlich Hessen die Tyrannen und deren 
Spiessgesellen , da sie sich auf allen Seiten von den 
Römern bedrängt und durch die Ringmauer auch jeden 
Weg zur Flucht abgeschnitten sahen , den Caesar um 
eine Unterredung bitten. Titus, der von Natur 
menschenfreundlich gesinnt war, hatte den lebhaften 
Wunsch, wenigstens die Stadt noch zu retten, zumal da 
auch seine Freunde in der Voraussetzung, dass die 
Räuber jetzt nachgiebig geworden seien, ihm dazu rieten. 
Er stellte sich daher am westlichen Rande des äusseren 
Vorhofes auf, wo oberhalb des Xystos ein Thor an- 
gebracht war und eine Brücke die obere Stadt mit dem 
Tempel verband; diese Brücke 1 lag jetzt zwischen den 
Tyrannen und dem Caesar in der Mitte. Um die 
Hauptpersonen stand auf beiden Seiten die Menge 
dichtgedrängt: um Simon und Joannes die Juden in 
ängstlicher Spannung wegen der erhofften Begnadigung, 
um den Caesar die Römer, begierig, seinen Spruch zu 
hören. Titus befahl nun den Soldaten, ihre Erbitterung 
zu bezähmen und mit dem Schiessen einzuhalten, liess 
einen Dolmetscher neben sich antreten und begann zum 
Zeichen, dass er der Sieger sei, also zu reden: „Seid ihr 
nun, Verwegene, endlich der Leiden eures Vaterlandes 
satt, nachdem ihr, ohne unsere Macht und eure Schwäche 
zu bedenken, in unvernünftiger Wut und Tollheit das 
Volk, die Stadt und den Tempel zu Grunde gerichtet 
habt? Ganz recht geschähe es euch, wenn auch ihr 


1 Ob die Spuren dieser Brücke im heutigen sogenannten Wilsons- 
oder im sog. Robinsonsbogen zu suchen sind, steht dahin. S. über 
diese Frage Spiess, a. a. O., S. 63 f. 



600 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

noch zu Grunde ginget, die ihr, seitdem Pompejus euch 
unterjochte, unablässig auf Empörung hingearbeitet und 
endlich den offenen Krieg gegen die Römer begonnen 
habt! Auf was baut ihr denn eigentlich? Auf eure 
Menge? Seht, ein sehr kleiner Teil der römischen 
Heeresmacht ist mit euch fertig geworden! Auf die 
Treue von Bundesgenossen? Aber welches Volk ausser- 
halb unseres Reiches sollte denn die Juden den Römern 
vorziehen? Auf eure Körperkraft? Ihr wisset doch, 
dass selbst die Germanen unsere Sklaven sind! Auf 
die Festigkeit eurer Mauern ? Welch mächtigeres Bollwerk 
aber giebt es wie den Ocean? Und doch huldigen die 
Britannen trotzdieser Schutzwehr den Waffen der Römer! 
Auf euren ausdauernden Mut und die Pfiffigkeit eurer 
Anführer? Es kann euch doch nicht unbekannt sein, 
dass selbst die Karthager uns unterlagen! Somit hat 
euch nichts anderes gegen die Römer in Wehr und 
Waffen gebracht, als deren Milde. Wir gaben euch das 
Land in Besitz, wir setzten über euch Könige aus eurem 
eignen Stamme, wir achteten eure heimischen Gesetze 
und Hessen euch nicht allein zu Hause, sondern auch 
unter Fremden nach eurem Gutdünken leben ; ja noch 
mehr, wir gestatteten euch, für euren Gottesdienst 
Steuern zu erheben 1 und Gaben zu sammeln, rügten 
nicht deren freiwillige Spendung und suchten nicht zu 
hindern, dass ihr, die Feinde, reicher wurdet als wir 
selbst, und mit unserem Gel de gegen uns euch rüstetet 
Ihr aber wurdet durch den Genuss so bedeutender Ver- 
günstigungen übermütig, wandtet euch gegen die, welche 
sie euch gewährten, und bespritztet nach Art unzähm- 
barer Schlangen mit eurem Gift die, welche euch 
schmeichelten. Es mag euch noch hingehen, dass ihr 
die Trägheit Neros verächtlich fandet; aber während 
ihr zuvor, freilich nur in schlechter Absicht, wie zer- 
brochene und abgerissene Glieder eines Körpers euch 
wenigstens ruhig verhieltet habt ihr, als die Krankheit des 


1 !S. Matthaeus 17, 24 und unten VII, C, G. 


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Sechstes Bach, 6. Kapitel. 


601 


Reiches zunahm, euch in eurem wahren Wesen gezeigt 
und euch mit unverschämten Plänen und masslosen 
Gelüsten getragen. Da kam mein Vater ins Land, nicht 
um euch für das, was ihr dem Cestius angethan, zu be- 
strafen, sondern nur um euch eine Warnung zu erteilen. 
Denn wäre er zur Vernichtung eurer Nation dagewesen, 
so hätte er ja die Wurzel angreifen und sogleich diese 
Stadt zerstören müssen ; aber er that es nicht , sondern 
verwüstete nur Galilaea und dessen Nachbargebiete, um 
euch Zeit zur Besinnung zu lassen. Doch seine 
Menschenfreundlichkeit hieltet ihr für Schwäche, und 
unsere Sanftmut liess eure Frechheit nur noch grösser 
werden. Nach Neros Hingang vollends benahmt ihr 
euch, wie nur die Bosheit sich benehmen kann: unsere 
inneren Wirren machten euch Mut, und als ich mit 
meinem Vater nach Aegypten abgezogen war, nütztet 
ihr die gute Gelegenheit zu Kriegsrüstungen aus und 
scheutet euch nicht, diejenigen auf dem Herrscherthron 
zu belästigen , die ihr zuvor als mildgesinnte Feldherren 
kennen gelernt hattet. Und als dann das Reich sich in 
den Schutz unseres Hauses begab , alles in ihm wieder 
beruhigt war und die fernsten Völkerschaften Gesandte 
abordneten, um uns zu beglückwünschen: da waren 
wiederum nur die Juden unsere Feinde. Gesandt- 
schaften gingen von euch über den Euphrat, um dort 
den Aufruhr zu predigen ; neue Ringmauern wurden ge- 
baut; Aufstand, Tyrannen zwist, Bürgerkrieg brach aus 
— lauter Dinge, die nur bei so schlechten Menschen 
Vorkommen können, wie ihr seid. Nun erschien ich 
selbst vor der Stadt mit traurigen Aufträgen, die mein 
Vater mir nur ungern erteilt hatte; ich hörte, das Volk 
sei friedlich gesinnt, und freute mich. Vor dem Beginn 
des Krieges forderte ich euch auf, von ihm abzustehen; 
nachdem er lange gewährt, bewies ich Schonung, be* 
gnadigte die Überläufer, hielt den Flüchtlingen mein 
Wort, erbarmte mich der vielen Gefangenen, verhängte 
die härtesten Strafen über ihre Bedränger, führte nur 
gezwungen meine Maschinen gegen eure Mauern heran, 




602 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


hielt die Mordlust meiner Soldaten im Zaum und bot 
euch nach jedem Siege, als wäre ich der Besiegte ge- 
wesen, Frieden an. Als ich dann dem Tempel nahe- 
gekommen war, vergass ich wiederum aus freien Stücken, 
das Kriegsrecht anzuwenden, bat euch, euer eignes 
Heiligtum vor Zerstörung zu bewahren, bewilligte euch 
freien Abzug und Schonung eures Lebens oder auch, 
wenn ihr es so wolltet, Gelegenheit zum Kampf an 
einem anderen Orte — aber an alles das habt ihr euch 
nicht gekehrt; den Tempel habt ihr mit eignen Händen 
in Brand gesteckt: und nun, ihr Ruchlosen, lasset 
ihr mich zu Unterhandlungen rufen? Was könnt ihr 
denn noch retten, das auch nur im entferntesten dem 
Untergegangenen gleichkäme? Und was kann euch an 
eurer eignen Erhaltung liegen, nachdem der Tempel 
zerstört ist? Aber trotzdem steht ihr noch mit den 
Waffen da und wollt in der äussersten Not nicht einmal 
den Anschein erwecken, als brauchtet ihr Gnade. Ihr 
Unseligen! worauf pocht ihr nun noch? Eure Nation 
ist tot, der Tempel dahin, mein die Stadt, in meiner 
Hand euer Leben — und trotz alledem setzt ihr noch 
einen Heldenruhm darein, euch gegen den Tod zu 
wehren? Doch ich will mit eurer Verblendung nicht 
hadern: werft ihr die Waffen weg und ergebt euch, so 
schenke ich euch das Leben; wie ein milder Hausvater 
werde ich dann nur die Unverbesserlichen strafen, die 
übrigen aber mir retten.“ 

3. Darauf entgegneten die Empörer: Gnade könnten 
sie von ihm nicht annehmen, denn sie hätten geschworen, 
dies nun und nimmer zu thun. Dagegen bäten sie um 
freien Abzug mit Weibern und Kindern durch die Ring- 
mauer; sie würden dann in die Wüste ziehen und ihm 
die Stadt überlassen. Empört darüber, dass sie, die 
Überwundenen, ihm noch wie Sieger Bedingungen ver- 
schreiben wollten, liess Titus ihnen verkünden : Kein Über- 
läufer solle sich mehr zeigen , und keiner auf Gnade 
rechnen, denn er werde niemand verschonen. Sie sollten 
sich vielmehr mit aller Macht wehren und sich zu retten 



Sechstes Bach, 7. Kapitel. 


603 


suchen, wie sie könnten; er werde jetzt nur noch nach 
Kriegsbrauch verfahren. Alsdann befahl er seinen 
Soldaten, die Stadt in Brand zu stecken und zu plündern. 
Jenen Tag warteten sie noch ; am folgenden aber legten 
sie das Archiv, den Stadtteil Akra, das Rathaus und 
den Bezirk Ophla in Asche, wobei sich das Feuer bis 
zum Palast der Helena verbreitete, der mitten in der 
Akra stand. Auch die Gassen und Häuser, die mit 
Leichen von Verhungerten angefüllt waren, gingen in 
Flammen auf. 

4. An diesem Tage erschienen die Söhne und die 
Brüder des Königs Izates samt vielen vornehmen Bürgern 
vor dem Caesar und baten um Gnade. Wiewohl nun 
Titus gegen alle noch übrigen Juden aufs äusserste er- 
bittert war, konnte er doch seinen Charakter nicht ver- 
leugnen und nahm die Flehenden auf. Einstweilen liess 
er sie alle bewachen; die Söhne und die anderen Ver- 
wandten des Königs aber führte er später gefesselt nach 
Rom, wo sie ihm als Geiseln dienen sollten. 


Siebentes Kapitel. 

Die ganze untere Stadt wird ein Raub der Flammen. 

Weitere Unthaten der Empörer. 

1. Die Aufrührer griffen nun den Königspalast an, 
wohin um seiner Festigkeit willen viele Juden ihre 
Schätze gebracht hatten, vertrieben die Römer daraus, 
mordeten die ganze dort versammelte Volksmenge, gegen 
achttausendvierhundert Menschen, und raubten das Geld. 
Zwei von den Römern nahmen sie lebendig gefangen, 
einen Reiter und einen Fusssoldaten. Den letzteren 
machten sie auf der Stelle nieder und schleppten ihn 
durch die Stadt, als wollten sie sich in dem Leichnam 
dieses einen Mannes an allen Römern rächen; der Reiter 
dagegen, der ihnen einen guten Rat bezüglich ihrer 
Rettung zu geben versprach, ward vor Simon geführt. 
Als er aber hier nichts zu sagen wusste, übergab man 



604 


Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


ihn einem der Anführer, Ardalas mit Namen, zur Hin- 
richtung. Dieser fesselte ihm die Hände auf dem Rücken, 
verband ihm die Augen und brachte ihn an eine den 
Feinden sichtbare Stelle, um ihn zu enthaupten. Wahrend 
aber der Jude das Schwert zog, entfloh der Gefangene 
eilends zu den Römern. Weil er nun den Händen der 
Feinde entronnen war, konnte Titus es nicht über sich 
bringen , ihm das Leben zu nehmen ; da er es aber für 
schimpflich hielt, wenn ein römischer Soldat sich lebendig 
gefangen nehmen lasse, nahm er ihm die Waffen ab 
und stiess ihn aus dem Heere aus, was für einen Mann 
von Ehre härter ist als die Todesstrafe. 

2. Tags darauf verjagten die Römer das Raubgesindel 
aus der unteren Stadt und steckten alles bis zum Siloa 
in Brand. Obgleich sie übrigens die Freude hatten, die 
Stadt von den Flammen verzehrt zu sehen, entging 
ihnen doch die Beute, da die Empörer alles rein aus- 
geleert und sich mit dem Raub in die obere Stadt zu- 
rückgezogen hatten. Denn trotz des allgemeinen Elends 
empfanden die letzteren nicht die mindeste Reue, sondern 
ergingen sich noch in Prahlereien, als hätten sie ihre 
Sache gut gemacht Angesichts der brennenden Stadt 
erklärten sie, wohlgemut und mit lachender Miene den 
Tod erwarten zu wollen, da das Volk gemordet, der 
Tempel in Asche gelegt, die Stadt am brennen und den 
Feinden nichts mehr übrig gelassen sei. Josephus aber 
ward auch jetzt, trotzdem es bereits zum äussersten ge- 
kommen war, nicht müde, sie um Erhaltung des Restes 
der Stadt zu bitten; allein so ernstlich er ihnen ihre 
Grausamkeit und Gottlosigkeit vorhielt, und so dringend 
er ihnen zu ihrer eigenen Rettung riet: er trug doch 
nichts als Hohn davon. Da sie nun einerseits um ihres 
Eides willen sich den Römern nicht ergeben mochten, ander- 
seits aber wie in einer Falle gefangen sassen und deshalb 
entsprechenden Widerstand nicht leisten konnten, gingen 
sie, weil das Morden ihnen zur zweiten Natur geworden 
war, einzeln vor die Stadt hinaus und lauerten in den 
Trümmern denjenigen Juden auf, die zu den Römern 


Go gle 


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Sechstes Buch, 7. Kapitel. 


605 


überzugehen beabsichtigten. In der That fingen sie 
auch viele auf, die, von Hunger entkräftet, nicht zu 
fliehen vermochten, brachten sie sämtlich ums Leben 
und warfen ihre Leichen den Hunden vor. Jede Todes- 
art kam übrigens den Ärmsten leichter vor als Ver- 
hungern, weshalb sie nicht nur zu den Römern flohen, 
obwohl sie dort keine Gnade mehr zu erwarten hatten, 
sondern auch willig von den mordgierigen Empörern sich 
fangen liessen. So fand sich denn bald in der ganzen 
Stadt kein Plätzchen mehr, das nicht voll von Opfern 
des Hungers oder des Aufruhrs gelegen hätte. 

3. Ihre letzte Hoffnung setzten nun die Tyrannen 
und deren Anhang von Banditen noch auf die unter- 
irdischen Gänge, in denen sie vor Entdeckung sicher 
zu sein glaubten; wenn nach der gänzlichen Eroberung 
der Stadt die Römer abgezogen wären, gedachten sie 
aus den Gängen hervorzukommen und zu fliehen. Das 
war indes nur ein schöner Traum : vor Gott und den 
Römern sich verborgen zu halten, sollte ihnen nicht 
beschieden sein. Im Vertrauen auf diese unterirdischen 
Gelasse steckten sie fortan noch mehr von der Stadt in 
Brand als die Römer; wollten dann die Bewohner der 
brennenden Gebäude in die Minen fliehen, so stiessen 
sie dieselben ohne weiteres nieder nnd plünderten sie, 
und wenn sie bei einem etwas Essbares fanden, ver- 
schlangen sie es gierig, auch wenn es mit Blut befleckt 
war. Ja, dem Raube zulieb bekriegten sie sich unter- 
einander selbst, und wäre nicht die Eroberung dazwischen 
gekommen, so hätten sie, glaube ich, in ihrer tierischen 
Verrohung selbst die Leichen angefressen. 



606 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Achtes Kapitel. 

Jerusalem wird vollends erobert. 

1. Da die obere Stadt wegen ihrer Lage auf einem 
Abhang ohne Dämme nicht einzunehmen war, beorderte 
der Caesar am zwanzigsten des Monats Loos die ein- 
zelnen Abteilungen seines Heeres zur Schanzarbeit 
Schwierig war die Herbeischaffung von Holz; denn die 
ganze Umgebung der Stadt war, wie oben gesagt, beim 
Bau der früheren Wälle bis auf eine Entfernung von 
hundert Stadien völlig davon entblösst worden. Die vier 
Legionen errichteten nun ihre Werke an der Westseite 
der Stadt gegenüber dem Königspalast, während die 
Hilfstruppen und die übrige Menge in der Nähe des 
Xystos, der Brücke und des Turmes arbeiteten, den 
Simon im Kampfe mit Joannes als Stützpunkt für 
seine Unternehmungen gebaut und nach sich selbst be- 
nannt hatte. 

2. In diesen Tagen traten die Anführer der Idumäer 
heimlich zusammen, berieten darüber, ob sie sich ergeben 
sollten, und schickten fünf der Ihrigen mit der Bitte 
um Begnadigung zu Titus. In der Hoffnung, die Ty- 
rannen würden nach dem Abzug der Idumäer, von denen 
so viel im Kampfe abhing, endlich ebenfalls nachgeben, 
sagte ihnen der Caesar nach langem Zögern auch 
wirklich Schonung zu und sandte die Männer zurück. 
Simon aber, der von dem geplanten Abmarsch Wind 
bekommen hatte, liess sogleich die fünf, die zu Titus 
gegangen waren, töten, die Anführer, unter denen Ja- 
kobus, des Sosas Sohn, der vornehmste war, ergreifen 
und ins Gefängnis werfen und die Idumäer, die, ihrer 
Führer beraubt, sich nicht mehr zu helfen wussten, aufs 
schärfste bewachen, indem er die Posten auf der Mauer 
verstärkte. Gleichwohl waren die letzteren nicht im- 
stande, der Ausreisserei Einhalt zu thun; so viele auch 
ermordet wurden : die, welchen die Flucht gelang, waren 
doch noch zahlreicher. Die Römer nahmen sie samt 



Sechstes Buch, 8. Kapitel. 


607 


und sonders auf : nicht nur, dass der Caesar in seiner 
Milde die früheren Anordnungen ausser acht liess, auch 
die Soldaten enthielten sich des Mordens , teils aus 
Übersättigung, teils aus Gewinnsucht. Während sie 
nämlich die einzeln ankommenden Bürger laufen Hessen, 
verkauften sie die übrigen samt Weib und Kind 
in die Sklaverei, und zwar wegen der Menge der Ge- 
fangenen und der geringen Anzahl der Käufer 1 zu 
Spottpreisen. Obwohl übrigens Titus hatte verkündigen 
lassen, dass kein Überläufer allein kommen dürfe (sie 
sollten nämlich ihre Familien mitbringen), gewährte er 
doch auch solchen Flüchtlingen Aufnahme; zugleich 
aber liess er durch geeignete Männer diejenigen aus 
ihnen aussondern, die den Tod verdienten. Eine un- 
geheure Menge wurde in die Sklaverei verkauft; von 
den eigentlichen Bürgern dagegen wurden über vierzig- 
tausend begnadigt, und der Caesar liess sie ziehen, wo- 
hin es ihnen beliebte. 

3. Um ebendieselbe Zeit kam auch ein Priester mit 
Namen Jesus, der Sohn des Thebuthi, nachdem der 
Caesar ihm für den Fall, dass er etliche der heiligen 
Kleinodien ausliefern würde, unter einem Eidschwur 
Schonung zugesagt hatte, hervor und holte aus der 
Tempelmauer zwei Leuchter, ähnlich den im Tempel 
selbst auf bewahrten, Tische, Mischgefasse und Schalen, 
alles massiv von lauterem Golde; zugleich übergab er 
die Vorhänge, die hohepriesterlichen Gewänder mit den 
Steinen und viele andere beim Gottesdienst verwendete 
Geräte. Auch der Schatzmeister des Tempels, Phineas, 
ward ergriffen und zeigte die Gewänder und Gürtel der 
Priester, einen reichen Vorrat von Purpur- und Scharlach- 
stoff, der für die etwaige Ausbesserung des Vorhanges 
in Bereitschaft gehalten wurde, ferner viel Zimmt und 
Kassia und eine Menge anderer Wohlgerüche, von denen 
man ein Gemisch jeden Tag Gott zu Ehren anzündete. 


1 Den Heeren der Eroberer folgten im Altertum die Sklaven- 
händler, wie die Aasgeier den Karawanen. 



608 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Ebenso lieferte er noch eine bedeutende Anzahl weiterer 
Kleinodien und heiligen Zierates aus und verschaffte 
sich dadurch, obwohl er erst nach harter Gegenwehr 
gefangen worden war, die Vergünstigung, dass er gleich 
anderen Überläufern gut behandelt wurde. 

4. Als nun nach achtzehntägiger Arbeit am siebenten 
des Monats Gorpiaios die Wälle vollendet waren, rückten 
die Römer mit den Maschinen heran. Viele der Empörer 
gaben jetzt die Stadt verloren und zogen sich an der 
Mauer in die Akra zurück; andere schlüpften in die 
unterirdischen Gänge ; eine beträchtliche Schar aber 
verteilte sich auf der Mauer und suchte die mit den 
Sturmböcken sich nähernden Feinde abzu wehren. Doch 
auch mit ihnen wurden die Römer infolge ihrer Über- 
zahl und Kraft, zumeist aber weil sie mit frischem 
Mut gegen Verzagte und Erschöpfte kämpften, gar bald 
fertig. Kaum nämlich war ein Stück der Mauer ein- 
gestossen und ein Teil der Türme durch die Gewalt der 
Sturmböcke zum Wanken gebracht* als ihre Verteidiger 
sich spornstreichs davonmachten. Auch der Tyrannen 
bemächtigte sich jetzt eine Angst, die zu der Gefahr in 
gar keinem Verhältnis stand; denn noch ehe die Feinde 
herüber waren, standen sie schon wie vom Schrecken ge- 
lähmt und wussten nicht, ob sie fliehen oder bleiben 
sollten. Da sah man die einst so hochfahrenden 
Menschen, die mit ihren Schandthaten sich gebrüstet 
hatten, demütig zitternd und so verändert, dass sie bei 
all ihrer Schlechtigkeit doch Mitleid erwecken mussten. 
Sie wollten nun zwar einen Angriff auf die Ringmauer 
machen, sich durch die Postenkette durchschlagen und 
so das Freie gewinnen; als sie aber ihre Getreuen, die 
sämtlich geflohen waren, wohin die Not sie trieb, nirgends 
mehr erblickten, und obendrein noch einige Eilboten 
meldeten, die ganze westliche Mauer sei zerstört, 
andere, die Römer seien schon eingedrungen, wieder 
andere, sie seien auf der Suche nach ihnen schon ganz 
nahe, und schliesslich etliche, deren Augen die Furcht 
täuschte, sogar versicherten, sie sähen die Feinde bereits 



Sechstes Bach, 8. Kapitel. 


609 


auf den Türmen — da fielen sie auf ihr Angesicht, 
jammerten über ihre Verblendung und vermochten, als 
wären ihnen die Sehnen durchschnitten, sich nicht mehr 
vom Fleck zu rühren. Jetzt offenbarte sich so recht 
die Macht Gottes über die Ruchlosen und das Glück 
der Römer. Die Tyrannen nämlich vergassen ihre 
Sicherheit und stiegen von den Türmen herab, wo sie 
niemals durch Gewalt, sondern nur durch Hunger 
hätten bezwungen werden können ; die Römer aber, 
denen die schwächeren Mauern so viel zu schaffen 
gemacht hatten, gewannen die, gegen welche kein Be- 
lagerungswerkzeug etwas ausgerichtet hätte, durch die 
Gunst des Glückes; denn die oben beschriebenen drei 
Türme 1 würden jeder Maschine getrotzt haben. 

5. Nachdem die Empörer diese Türme verlassen 
hatten oder vielmehr von Gott daraus vertrieben waren, 
flohen sie schleunigst in die Schlucht unterhalb des 
Siloa und warfen sich, als sie von ihrem Schrecken sich 
ein wenig erholt hatten, gegen den dortigen Teil der 
Ringmauer. Ihre Kühnheit aber hielt mit der Not 
schon nicht mehr gleichen Schritt, denn Angst und 
Elend hatten ihre Kraft gebrochen. So wurden sie 
denn von den Wachen alsbald zurückgeschlagen, stoben 
auseinander und versteckten sich in den unterirdischen 
Gängen. Unterdessen hatten die Römer die Mauern 
besetzt, die Feldzeichen auf den Türmen aufgepflanzt 
und unter freudigem Händeklatschen den Siegesgesang 
angestimmt, da das Ende des Krieges ihnen viel leichter 
geworden war, als sein Anfang erhoffen liess. Es kam 
ihnen selbst unglaublich vor, dass sie ohne Schwert- 
streich die letzte Mauer erstiegen hatten, und sie 
wussten nicht, was sie denken sollten, als sie keinen 
Feind erblickten. Mit gezücktem Schwert strömten sie 
nun in die Gassen, stiessen jeden nieder, der ihnen in 
den Weg kam, und verbrannten die Häuser, in welche 
sich Juden geflüchtet hatten, samt allem, was darin 


1 Hippikus, Phasael und Mariamne. 

Josephos, Jüdischer Krieg. 39 



610 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


war. Sie plünderten viel; oft aber, wenn sie der 
Beute wegen in ein Haus eingedrungen waren, fanden 
sie ganze Familien tot und die Dächer mit Leichen 
von Verhungerten gefüllt — ein Anblick , über den 
sie sich derart entsetzten, dass sie mit leeren Händen 
wieder herauskamen. So tiefes Mitleid sie übrigens 
mit den also Umgekommenen empfanden, so erstreckte 
sich dasselbe doch nicht auf die Lebenden: nieder- 
stossend, was ihnen in den Weg kam, versperrten sie 
die engen Gassen mit lauter Toten und überschwemmten 
die Stadt mit Strömen von Blut, sodass manche Feuers- 
brunst durch Blut gelöscht ward. Gegen Abend stellten 
sie das Morden ein ; der Brand aber wütete die ganze 
Nacht hindurch fort. Am achten Gorpiaios ging die 
Sonne über den rauchenden Trümmern Jerusalems auf, 
einer Stadt, die während ihrer Belagerung von so vielen 
Drangsalen heimgesucht wurde, dass sie, hätte sie seit 
ihrer Gründung ebenso viel Glück genossen, in der 
That beneidenswert gewesen wäre; aber durch nichts 
anderes hatte sie so grosses Unglück verdient, als da- 
durch, dass sie ein Geschlecht erzeugte wie das, welches 
sie ins Verderben stürzte. 


Neuntes Kapitel. 

Anordnungen des Titus. Berechnung der Verluste 
auf jüdischer Seite. Joannes ergiebt sich den Römern. 

1. Als Titus in die obere Stadt einzog, bewunderte 
er ausser ihrer Festigkeit im allgemeinen ganz besonders 
die der Türme, welche die Tyrannen in ihrem Wahn- 
sinn verlassen hatten, und indem er die Höhe der 
massiven Bauten, die Grösse der einzelnen Steinblöcke 
und die Genauigkeit der Zusammenfügung sowie ihre 
gewaltige Länge und Breite betrachtete, rief er aus: 
„Mit Gottes Hilfe haben wir gekämpft! Er war es, der 
die Juden von diesen Bollwerken vertrieb — denn was 



Sechstes Buch, 9. Kapitel. 


611 


vermöchten Menschenhände oder Maschinen gegen solche 
Türme?“ Noch über vieles derartige besprach er sich 
mit seinen Freunden. Alsdann gab er den Gefangenen 
der Tyrannen, die man in den Turmverliessen ge- 
funden hatte, die Freiheit und befahl, den noch er- 
haltenen Teil der Stadt vollends zu zerstören und die 
Mauern zu schleifen; die drei Türme aber liess er als 
Denkmale seines Glückes, das ihm selbst uneinnehmbare 
Bollwerke bezwingen half, stehen. 

2. Da die Krieger nun des Mordens müde waren und 
doch immer noch eine erhebliche Menge Juden zum 
Vorschein kamen, befahl der Caesar, nur die Bewaffneten 
und Widerspenstigen zu töten , die übrigen dagegen 
lebendig gefangen zu nehmen. Gleichwohl machten 
die Soldaten ausser den von Titus Bezeichneten auch 
noch die Alten und Schwachen nieder; diejenigen aber, 
welche im blühenden Alter standen und noch verwend- 
bar waren, trieben sie auf den Tempel berg und schlossen 
sie daselbst in den Weibervorhof ein. Zum Wächter 
über sie bestellte der Caesar einen seiner Freigelassenen, 
während sein Freund Fronto jedem das verdiente Schick- 
sal zusprechen sollte. Dieser liess die Empörer und 
Räuber, die sich alle gegenseitig zur Anzeige brachten, 
hinrichten ; die schönsten und grössten Jünglinge aber 
las er aus , um sie für den Triumphzug aufzubewahren. 
Von den übrigen Gefangenen schickte Titus die mehr 
als siebzehn Jahre alten in die Bergwerke 1 Aegyptens ; 
die meisten jedoch verschenkte er in die Provinzen, wo 
sie bei den Schauspielen entweder durchs Schwert oder 
durch wilde Tiere umkommen sollten. ' Was unter sieb- 
zehn Jahren war, wurde verkauft. Während der Tage 
übrigens, da Fronto die Auswahl traf, starben noch elf- 
tausend den Hungertod, teils weil die Wächter ihnen 
aus Hass keine Lebensmittel verabreichten, teils weil 
sie die dargebotene Nahruug verschmähten. Freilich 


1 S. Diodor. III , 12. In den Bergwerken wurde Gold ge- 
wonnen. 


39 



612 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


mangelte es auch für eine solche Menge an Ge- 
treide. 

3. Die Gesamtzahl der in diesem Kriege gefangenen 
Juden belief sich auf siebenundneun zigtausend; ums 
Leben kamen während der Dauer der Belagerung eine 
Million und hunderttausend. Die meisten waren geborene 
Juden, aber nicht aus Jerusalem. 1 Denn aus dem 
ganzen Lande war das Volk zum Feste der ungesäuerten 
Brote in die Hauptstadt zusammengeströmt, und da es 
hier ganz unversehens von der Belagerung überrascht 
wurde, war bei dem engen Zusammenwohnen der Aus- 
bruch der Pest und später auch der noch verderblicheren 
Hungersnot unvermeidlich. Dass aber die Stadt eine 
solche Menschenmenge fassen konnte, ergiebt sich aus 
einer zu Ce8tiuB , Zeiten stattgehabten Zählung. Um 
nämlich dem Nero, der vom jüdischen Volke sehr ge- 
ringschätzig dachte, den blühenden Zustand Jerusalems 
zu beweisen, beauftragte Cestius die Hohepriester, wo- 
möglich 2 die Bevölkerung zu zählen. Da nun gerade 
das Paschafest einfiel, an welchem von der neunten bis 
zur elften Stunde Opfer dargebracht werden und um 
jedes Opfer 6ich eine Gesellschaft von zehn, oft wohl 
auch zwanzig Männern sammelt (einer allein darf näm- 
lich das Opfermahl nicht verzehren), ermittelte man 
durch Zählung zweihundertsechsunfünfzigtausendfünf- 
hundert Opfertiere. Nehmen wir aber auf jedes Opfer- 
mahl auch nur zehn Teilnehmer, so kommen zwei 


i Bezüglich des Schicksals der Christen zu Jerusalem erfahren wir 
bei Eusebius (Hist, eccles. III, 5), dass sie vor der Belagerung nach 
Pella geflohen waren. 

* Die Juden hielten es für unerlaubt, das Volk zu zählen, ein- 
mal weil sie (nach Hoseas 2, 1) unzählbar wie der Sand am Meere 
sein sollten, und dann auch weil die Zählung dem Könige David so 
schlecht bekommen war (2. Samuel 2\). Die Bevölkerungsziffer 
sollte vielmehr mittelbar so gefunden werden, dass jedem eine Münze 
abgefordert oder die Paschalämmer gezählt würden. Letzteres Ver- 
fahren beobachtete nach dem Midrasch Echa Rabbati auch der 
König Agrippa. 



Sechstes Buch, 9. Kapitel. 


613 


Million und siebenhunderttausend 1 und zwar lauter reine 
und geweihte Personen heraus ; denn Aussätzige, Samen- 
flüssige, in der monatlichen Reinigung begriffene Weiber 
und anderweitig Verunreinigte durften an diesem Opfer 
nicht teilnehmen, ebensowenig Nichtjuden, die etwa zum 
Gottesdienst sich eingefunden hatten. 

4. Die Hauptmasse der Festteilnehmer war demnach 
von auswärts zusammengeströmt, und so hatte denn das 
Schicksal es gerade damals gefügt, dass das ganze Volk 
wie in ein Gefängnis eingeschlossen war und das feind- 
liche Heer eine mit Menschen vollgepfropfte Stadt um- 
zingelte. Darum war auch die Menge der Um- 
gekommenen grösser als bei irgend einer anderen 
Drangsal, die je von Menschen oder von Gott über eine 
Stadt herauf beschworen wurde. Von denen nun, die 
jetzt noch zum Vorschein kamen, töteten die Römer 
einen Teil, andere machten sie zu Gefangenen; die in 
den unterirdischen Gängen aber suchten sie auf und 
stiessen, nachdem sie die Erde durchbrochen hatten, alle 
nieder, die ihnen unter die Hände kamen. Auch in 
diesen Gängen fand man übrigens noch mehr wie zwei- 
tausend Tote, die teils sich selbst, teils einander das 
Leben genommen hatten, zumeist aber dem Hunger er- 
legen waren. Den eindringenden Soldaten wehte infolge- 
dessen ein schrecklicher Leichengeruch entgegen, sodass 
viele von ihnen sich schleunigst wieder zurückzogen; 
andere, welche die Habgier trotzdem hineintrieb, mussten 
über Haufen von Leichen hinwegschreiten. In der That 
stiess man in den Gängen auf eine Menge Kostbar- 
keiten, und die Gewinnsucht hielt jedes Mittel, in deren 
Besitz zu gelangen , für erlaubt. Weiterhin zog man 
viele Gefangenen der Tyrannen heraus; denn selbst im 
letzten Augenblick noch verharrten diese in ihrer Grau- 
samkeit. Dafür strafte sie Gott aber auch beide, wie 
sie’s verdienten. Joannes, der samt seinen Brüdern in 
den unterirdischen Gängen Hunger litt, hielt endlich doch 


1 D. h. in runder Zahl. 


Go gle 



614 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


bei den Römern um die so oft verschmähte Gnade an; 
Simon dagegen ergab sich, nachdem er mit der entsetz- 
lichsten Not gerungen hatte, auf die unten 1 näher zu 
beschreibende Weise. Er wurde als Schlachtopfer für 
den Triumph auf bewahrt, Joannes aber zu lebensläng- 
licher Einkerkerung bestimmt. Die Römer steckten nun 
auch noch die entferntesten Stadtteile in Brand und 
machten die Mauern dem Erdboden gleich. 


Zehntes Kapitel. 

Rückblick auf die früheren Schicksale der Stadt. 

1. So fiel Jerusalem im zweiten Jahre der Regierung 
des Vespasianus, am achten des Monats Gorpiaios. 2 
Fünfmal war es früher erobert, einmal auch zerstört 
worden. Der aegyptische König Asochaeus 3 nämlich, 
dann Antiochus, später Pompejus und nach ihm Sosius 
in Gemeinschaft mit Herodes eroberten die Stadt; doch 
Hessen sie sie stehen. Vor ihnen aber hatte der Baby- 
lönierkönig 4 sie eingenommen und zerstört, vierzehn- 
hundertachtundsechzig Jahre und sechs Monate nach 
ihrer Gründung. Der erste Erbauer Jerusalems war ein 
chananaeischer Herrscher, dessen Name in der Landes- 
sprache „gerechter König“ 5 bedeutet. Das war er in 
der That, und darum diente er zuerst dem Herrn als 
Priester, wie er auch zuerst das Heiligtum gründete und 
die Stadt, die früher Solyma hiess, Hierosolyma 6 nannte. 


1 vii, 2, 2. 

2 September 70 n. Chr. 

3 J. A. VIII, 10, 2 f. heisst er Susak, bei Herodot (I, 102) Se- 
sostris, im alten Testamente (1. Könige 14, 25) Sisak. 

4 Nebukadnezar. 

5 Melchisedek. 

6 D. i. das heilige Solyma. Die von Josephus beliebte Ableitung 
des Namens ist übrigens unrichtig (s. v. Raumer, Palaestina, 4. Aufl. 
S. 337). 



Sechstes Buch, 10. Kapitel. 


615 


Später vertrieb der jüdische König David die Chana- 
näer aus der Stadt und bevölkerte sie mit seinen 
Stammesgenossen; vierhundertsiebenundsiebzig Jahre und 
sechs Monate nach ihm ward sie dann von den Baby- 
loniern zerstört. Von David, dem ersten jüdischen König 
in Jerusalem, bis zur Zerstörung durch Titus verflossen 
elf hundertneunundsiebzig , von der ersten Gründung bis 
zur letzten Eroberung zweitausendeinhundertsiebenund- 
siebzig Jahre . 1 Weder das hohe Alter der Stadt, noch 
ihr ungeheurer Reichtum, noch die Verbreitung des ihr 
zugehörigen Volkes über die ganze Erde, noch der grosse 
Ruf des in ihr gepflegten Gottesdienstes vermochte sie 
vor dem Untergang zu bewahren. Dies war das Ende 
der Belagerung Jerusalems. 

1 Auf besondere Genauigkeit können diese Zahlen schon deshalb 
keinen Anspruch machen, weil sie in den Texten nicht immer 
richtig abgeschrieben worden sind. Infolgedessen hat der eine Codex 
diese, der andere jene Zahl. 



Siebentes Buch. 


Inhalt 

1. Wie die Hörner, nachdem sämtliche Juden getötet oder gefangen 

waren, alles dem Erdboden gleich machten mit Ausnahme dreier 
Türme, die der Nachwelt eine Vorstellung von der einstigen 
Schönheit der Stadt geben sollten. 

2. Rede des Titus an seine Soldaten und lobende Anerkennung ihrer 

Tapferkeit. 

3. Wie er einzelne von ihnen nach Verdienst durch Kampfpreise 

und Geschenke ehrte. 

4. Wie er nach reichlicher Beschenkung der Legionen sich nach 

Caesarea begab, wohin er auch die gesamte Kriegsbeute bringen 
liess. 

5. Vespasianus bricht von Alexandria nach Rom auf. 

6. Wie Titus sich nach Caesarea Philippi begab und dort Spiele 

feierte, bei denen eine grosse Menge Kriegsgefangener den 
Tod fand. 

7. Wie der Tyrann Simon gefangen genommen und für den 

Triumph aufbewahrt wurde. 

8. Wie Titas bei der Feier von seines Bruders Geburtstag viele 

Juden umbringen liess. 

9. Wie die Juden zu Antiochia infolge der Gesetzesübertretung 

eines Juden Antiochus in grosse Gefahr gerieten. 

10. Wie Vespasianus überall und besonders in Rom glänzend' 

empfangen wurde. 

11. Wie die Germanen, die von den Römern abgefallen waren, wieder 

unterjocht wurden. 

12. Wie die Sarmaten wegen eines Einfalles in Moesien gezüchtigt 

und mit grossem Verlust in ihr Land zurückgetrieben wurden. 

13. Wie Titus von Berytus aus zurückkehrte und viele Juden bei 

den von ihm veranstalteten Spielen umbringen liess. Merk* 
würdiger Bericht über den sogenannten Sabbatfluss. 

14. Wie die Antiochener mit ihren Klagen gegen die Juden ab- 

gewiesen wurden. 

15. Wie Titus nach Jerusalem zurückkehrte und beim Anblick der 

verödeten Stadt von Mitleid bewegt wurde. Er reist über 
Alexandria nach Rom. 



Siebentes Buch, Inhalt. 


617 


16. Wie er in Italien begeistert empfangen und unter grossem Ge- 

pränge geleitet wurde, und wie die beiden Caesaren gemeinsam 
zu triumphieren beschlossen. 

17. Beschreibung des Triumphzuges und der in ihm zur Schau mit- 

geführten Beutestücke. 

18. Hinrichtung des Tyrannen Simon während des Trinmphzuges. 

19. Wie im Tempel der Friedensgöttin, den Vespasianus nach dem 

Triumph erbaute, alle Beutestücke niedergelegt wurden. 

20. Wie Bassus nach Judaea kam und , nachdem er das Kastell 

Herodium zur Übergabe gezwungen, auch zur Eroberung der 
Festung Machaerus sich anschickte. 

21. Über die Lage von Machaerus. 

22. Von der in der Königsburg zu Machaerus wachsenden Raute. 

23. Merkwürdiger Bericht von einer anderen Pflanze. 

24. Von den warmen Quellen des Ortes. 

25. Wie Bassus gegen Freigabe des auf eigentümliche Weise gefangen 

genommenen Jünglings Eleazar die Übergabe der sehr stark 
befestigten Stadt erlangte. 

26. Wie er die Juden, die sich in eine Waldschlucht mit Namen 

Jardes geflüchtet hatten , umzingeln und sämtlich nieder- 
machen liess. 

27. Wie Vespasianus an Bassus und Liberius den Befehl sandte, 

das ganze Land der Juden zu verkaufen, und den letzteren, 
wo sie auch wohnen mochten, eine jährliche Steuer von zwei 
Drachmen auf legte, die sie für das Kapitolium, wie früher für 
den Tempel, zu entrichten hätten. 

28. Von dem Unglück des Königs Antiochus von Kommagene. 

29. Von den Alanen und ihren Raubzügen nach Medien und 

Armenien. 

30. Von der Festung Masada und den Sikariern, die dieselbe besetzt 

hielten. 

31. Wie Silva sich zur Belagerung von Masada anschickte. Be- 

schreibung der Stadt. 

32. Von den Vorräten an Waffen und Lebensmitteln, die seit des 

Königs Herodes Zeiten dort lagerten. 

33. Wie der römische Heerführer Masada berannte , die Mauer 

durch Feuer zerstören und in der Absicht, die Feinde 
am folgenden Morgen auzugreifen, dieselben in der Nacht 
streng bewachen liess. 

34. Wie Eleazar, der Führer der Sikarier, alle seine Untergebenen 

durch eindringliche Vorstellungen dahin brachte, dass sie den 
Entschluss fassten, sich samt ihren Familien selbst zu töten. 

35. Wie darauf alle in der Festung befindlichen Menschen ausser 

zwei Weibern und fünf Knaben sich gegenseitig ermordeten. 



618 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


36. Wie die Römer und Silva, die sich harte Strapazen bei der 

Einnahme der Stadt vorgestellt hatten, dieselbe ohne Schwert- 
streich eroberten. 

37. Wie zu Alexandria viele dorthin geflohene Sikarier in harte Be- 

drängnis gerieten, und wie der einst vom Hohepriester Onias 
in Aegypten erbaute Tempel zerstört wurde. 

38. Wie ein gewisser Sikarier Jonathas, seines Zeichens Weber, die 

Juden in Kyrene zum Aufruhr verleitete, und wie infolgedessen 
viele von ihnen umkamen. 

39. Wie von Jonathas auf Anstiften des Statthalters Catullus 

unter anderen auch der Schriftsteller Josephus fälschlich an- 
geklagt wurde. 

40. Wie Yespasianus nach Ermittelung des wahren Sachverhaltes 

den Jonathas lebendig verbrennen liess, und wie Catullus 
zunächst frei ausging, später aber an einer Krankheit starb, 
die Gott ihm zur Strafe für die Ermordung der fälschlich an- 
geklagten Juden schickte. 


Erstes Kapitel. 

Schleifung Jerusalems bis auf drei Türme. Titus belohnt 
sein Heer und entlässt einen Teil desselben. 

1. Da das Heer jetzt nichts mehr zu morden und zu 
rauben hatte, und die Erbitterung sich vergeblich nach 
einem Gegenstand umsah, an dem sie sich hätte sättigen 
können (aus blossem Mitgefühl nämlich würden die 
Soldaten wohl an keinem vorübergegangen sein), befahl 
der Caesar, die ganze Stadt und den Tempel zu schleifen. 
Nur die Türme Phasael, Hippikus und Mariamne, welche 
die anderen überragten, sowie die westliche Strecke der 
Ringmauer sollten stehen bleiben : letztere, um ein festes 
Lager für die künftige Besatzung bilden zu helfen, die 
Türme aber, um der Nachwelt Zeugnis zu geben, wie 
herrlich und wie stark befestigt die Stadt war, die der 
römischen Tapferkeit erlag. Alle übrigen Teile der 
Stadtmauer machten die Sieger so völlig dem Erdboden 
gleich, dass fremde Ankömmlinge kaum hätten glauben 
sollen, die Stätte sei jemals bewohnt gewesen. Ein so 
trauriges Ende nahm die prächtige, weltberühmte Stadt 
Jerusalem infolge des Wahnsinns der Empörer. 


1 CAUFÖRMIA 


Go gle 


ÜNIVBRSIKiO! 



Siebentes Buch, 1. Kapitel. 


619 


2. Als Besatzung beschloss der Caesar die zehnte 
Legion sowie einige Reiterschwadronen und kleinere 
Abteilungen Fussvolk zurückzulassen. Nachdem er 
nunmehr mit allen kriegerischen Operationen zu Ende 
war, verlangte es ihn, dem gesamten Heere wegen der 
glänzenden Erfolge seine Anerkennung auszusprechen 
und denen, die sich hervorgethan, die verdienten Be- 
lohnungen zuzuteilen. Zu diesem Zweck liess er inmitten 
des früheren Lagers eine grosse Tribüne errichten, be- 
stieg dieselbe mit den höheren Offizieren und hielt, weit- 
hin vernehmlich, an das versammelte Heer folgende 
Ansprache: „Dank, vielen Dank sage ich euch für die 
gute Gesinnung, die ihr mir gegenüber an den Tag 
legtet, und die sich bis jetzt stets gleich geblieben ist. 
Des weiteren lobe ich euren Gehorsam, den ihr während 
des ganzen Krieges trotz vieler und schwerer Gefahren 
neben grosser persönlicher Tapferkeit bewiesen habt, 
um auch eurerseits dazu beizutragen, dass die Herr- 
schaft eures Vaterlandes ausgebreitet werde, und um der 
Welt zu zeigen, dass weder ein an Zahl überlegener 
Gegner, noch starke Festungswerke, noch grosse Städte, 
noch unsinnige Tollkühnheit und tierische Wildheit den 
römischen Waffen trotzen können, selbst wenn die Feinde 
hin und wieder vom Glück begünstigt werden. Wir 
haben nun den langwierigen Krieg so rühmlich zu Ende 
geführt, wie wir es bei seinem Beginn nur wünschen 
konnten. Aber nooh rühmlicher und ehrenvoller ist es 
für euch, dass der Herrscher und Lenker des römischen 
Reiches, den ihr erwählt und in die Heimat voraus- 
geschickt habt, weit und breit mit Jubel begrüsst wird, 
dass man allenthalben eurem Beschlüsse zustimmt und 
euch, den Wählern, dafür Dank weiss. Euch allen zolle 
ich darum meine Bewunderung und Achtung; weiss ich 
doch, dass bei keinem von euch der gute Wille hinter 
dem Erreichbaren zurückgeblieben ist. Denen aber, 
die, mit grösserer Körperkraft ausgerüstet, sich im 
Kampfe besonders ausgezeichnet, ihr Leben mit Helden- 
thaten geschmückt und den Ruhm meines Heeres durch 



620 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 

siegreiche Unternehmungen erhöht haben, will ich jetzt 
die entsprechenden Preise und Belohnungen verleihen, 
und keiner, der mehr als andere zu leisten sich bemühte, 
soll der gebührenden Anerkennung verlustig gehen. 
Gar sehr nämlich liegt mir dies am Herzen, wie ich 
denn überhaupt viel lieber das wackere Verhalten 
meiner Kriegsgefährten belohne, als ihre Fehler be- 
strafe.“ 

3. Sogleich befahl er alsdann den damit beauftragten 
Personen, diejenigen zu verlesen, die während des 
Krieges irgend eine glänzende That vollbracht hatten. 
Wie sie nun an ihm vorüberzogen, redete er sie Mann 
für Mann mit Namen an, lobte sie und zeigte eine 
Freude, wie wenn die einzelnen Heldenthaten von ihm 
selbst verrichtet worden wären. Zugleich bedachte er 
sie mit goldenen Kränzen, goldenen Halsketten, grossen 
goldenen Speeren, oder schenkte ihnen silberne Feld- 
zeichen, und liess jeden in einen höheren Bang auf- 
rücken. Auch verteilte er aus der Kriegsbeute noch 
Gold, Silber, kostbare Kleidungsstücke und andere 
Gegenstände in Hülle und Fülle. Als er in dieser 
Weise ihnen allen die verdiente Auszeichnung zuerkannt 
hatte, sprach er einen Segenswunsch über das Heer, 
stieg unter dem Jubel der Menge von der Tribüne 
herab und liess die Siegesopfer darbringen. Vor den 
Altären stand schon eine Masse von Stieren bereit; 
diese wurden jetzt geschlachtet, ihr Fleisch verteilt und 
dem Heere dadurch ein reichliches Mahl verschafft. Er 
selbst schmauste mit den Offizieren drei Tage lang und 
entliess sodann die fremden Truppen, wohin es ihnen 
beliebte. Der zehnten Legion übertrug er die Bewachung 
von Jerusalem, anstatt sie wieder über den Euphrat zu 
schicken, wo sie früher gestanden hatte. Die zwölfte 
Legion dagegen, der er nicht vergessen konnte, dass sie 
einst unter Cestius vor den Juden zurück ge wichen war, 
verwies er gänzlich aus Syrien, wo sie ehedem in Rapha- 
naea gelegen hatte, und schickte sie nach Melitene, einer 
Landschaft am Euphrat auf der Grenze zwischen Arme- 


Go gle 



Siebentes Buch, 2. Kapitel. 


621 


nien und Kappadocien. Zwei Legionen, die fünfte und 
fünfzehnte, wollte er bis zu seiner Ankunft in Aegypten 
bei sich behalten. Hierauf zog er mit seiner Streitmacht 
nach Caesarea am Meer, wo er auch die unermessliche 
Beute unterbringen und die Kriegsgefangenen be- 
wachen liess. Die Abfahrt nach Italien nämlich ver- 
hinderte der Winter. 


Zweites Kapi tel. 

Titus giebt in Caesarea Philippi eine Reihe von Schauspielen. 

Gefangennahme des Tyrannen Simon. 

1. Um die Zeit, da der Caesar Titus die Belagerung 
Jerusalems eben am eifrigsten betrieb, bestieg Vespa- 
sianus in Alexandria ein Kauffahrteischiff und setzte 
nach Rhodus über. Von hier fuhr er auf Dreiruderern 
weiter, besuchte sämtliche Städte, an denen sein Weg 
ihn vorbeiführte, und ward überall mit Glück- und 
Segenswünschen empfangen. Alsdann setzte er 1 von 
Ionien nach Griechenland und weiterhin von Kerkyra 
nach dem Japygischen Vorgebirge über, von wo er seine 
fernere Reise vollends zu Land ausführte. Unterdessen 
brach Titus von Caesarea am Meer auf und begab 
sich nach Caesarea Philippi, wo er längere Zeit ver- 
weilte und mancherlei Spiele aufführen liess. Eine 
Menge Kriegsgefangener fand dabei den Tod, indem sie 
entweder den wilden Tieren vorgeworfen oder gezwungen 
wurden, haufenweise miteinander zu kämpfen. Hier 
war es auch, wo Titus die Gefangennahme Simons, des 
Sohnes des Gioras, erfuhr, die sich folgendennassen zu- 
trug. Simon hatte bekanntlich während der Belagerung 
Jerusalems die obere Stadt inne. Als aber das Römer- 
heer innerhalb der Mauern war und die ganze Stadt 
verwüstete, nahm er seine vertrautesten Freunde samt 
einigen Steinhauern sowie die nötigen eisernen Werk- 
zeuge für die letzteren und Proviant, der für mehrere 

1 69 n. Chr. 



622 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Tage reichen konnte, mit und begab sich in Begleitung 
dieser Männer in eines der finsteren Gelasse. So lange 
nun der alte Gang fortlief, folgten sie demselben; als 
sie aber auf festes Erdreich stiessen, gruben sie weiter 
in der Hoffnung, bei fernerem Vordringen an einer 
sicheren Stelle hervorschlüpfen und sich auf diese Weise 
retten zu können. Beim wirklichen Versuch indes 
mussten sie sich gar bald von der Aussichtslosigkeit 
ihrer Bemühungen überzeugen ; denn die Arbeiter waren 
unter grossen Anstrengungen nur wenige Schritte vor- 
wärts gekommen, als die Lebensmittel, so sparsam man 
auch mit ihnen umgegangen war, auszugehen drohten. 
Da zog Simon, um die Römer durch Erregung von 
Schrecken zu täuschen, einen weissen Leibrock an, be- 
festigte darüber ein purpurnes Obergewand und stieg an 
derselben Stelle, wo früher der Tempel gestanden hatte, 
aus der Erde empor. Zuerst ward es den Soldaten, die 
ihn sahen, gruselig, und sie blieben stehen; dann aber 
traten sie näher und riefen ihn mit „Wer da“ an. Simon 
gab ihnen hierauf keine Antwort, sondern ersuchte 
sie, den Feldherrn zu holen. Eiligst liefen sie zu 
Terentius Rufus, der auch sogleich erschien; er war 
nämlich als Befehlshaber des Heeres zurückgeblieben. 
Als er nun von Simon den ganzen Sachverhalt erfuhr, 
liess er ihn fesseln und bewachen und teilte dem Caesar 
mit, auf welche Weise man seiner habhaft geworden. 
So gab Gott den Simon zur Strafe für die Tyranni- 
sierung seiner Mitbürger, gegen die er so schrecklich 
gewütet hatte, seinen Todfeinden in die Hand, und 
zwar sollte er nicht mit Gewalt von ihnen bezwungen 
werden, sondern freiwillig sich ihnen zur Bestrafung 
stellen und so dasselbe thun müssen, um dessetwillen 
er so viele auf die falsche Anklage hin, dass sie es mit 
den Römern hielten, grausam hatte ermorden lassen. Denn 
wie die Bosheit dem Zorne Gottes nicht entfliehen kann, 
so ist auch seine Gerechtigkeit nicht kraftlos, sondern 
ereilt im Laufe der Zeit stets diejenigen, die sich 
gegen sie vergangen haben, und sucht die Bösen mit 



Siebentes Buch, 3. Kapitel. 


623 


einer Strafe heim, die um so empfindlicher ist, als sie 
derselben schon entronnen zu sein glauben, weil sie nicht 
augenblicklich der That folgte. Das erfuhr auch Simon, 
als er der Rache der Römer anheimfiel. Sein Auftauchen 
aus dem Schoss der Erde bewirkte übrigens, dass in 
jenen Tagen auch die anderen Aufrührer noch massen- 
haft in den unterirdischen Gängen entdeckt wurden. 
Als Titus nun nach Caesarea am Meer zurück gekehrt 
war, führte man ihm den Tyrannen gefesselt vor, wonach 
er befahl, ihn für den Triumph aufzubewahren, den er 
in Rom zu feiern gedachte. 


Drittes Kapitel. 

Titus veranstaltet weitere Festlichkeiten zu Ehren 
seines Bruders und seines Vaters. Missliche Lage der 
Juden zu Antiochia. 

1. Während seines dortigen Aufenthaltes beging er 
aufs glänzendste den Geburtstag seines Bruders 1 und 
liess ihm zu Ehren wieder eine Menge gefangener Juden 
töten; mehr als zweitausendfünfhundert betrug die Zahl 
derer, die teils in den Tiergefechten, teils auf dem 
Scheiterhaufen, teils in den Kämpfen miteinander zu 
Grunde gingen. Aber trotz all dieser und unzähliger 
sonstiger Todesarten , denen die Juden erlagen , schien 
den Römern die Strafe für die Empörer noch nicht 
schwer genug. Hierauf begab 6ich der Caesar nach 
Berytus, einer römischen Kolonie in Phoenicien, wo er 
längere Zeit verweilte und, um den Geburtstag seines 
Vaters 2 zu feiern, für prächtige Spiele und sonstigen 
Pomp den denkbar grössten Aufwand machte. Auch 
hier musste auf die gleiche Weise wie früher wieder eine 
Menge Gefangener das Leben lassen. 

2. Um diese Zeit gerieten auch die Juden zu An- 
tiochia , die bisher von kriegerischen Drangsalen ver- 

1 Domitianus (geb. 24. Oktober 50 n. Chr.). 

2 Vespasianus war geboren am 17. November 9 n. Chr. 



624 


Joseptms, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


schont geblieben waren, 1 in schlimmen Verdacht und 
schwere Lebensgefahr. Der dortigen Bürgerschaft näm- 
lich hatte sich eine gewaltige Erregung bemächtigt, teils 
infolge von Beschuldigungen, die in jüngster Zeit gegen 
die Juden erhoben worden waren, teils auch wegen 
einiger älteren Vorfälle. Letztere muss ich ganz kurz 
schildern, um die Erzählung der späteren Begebenheiten 
verständlich zu machen. 

3. Das jüdische Volk lebt bekanntlich unter den 
Bewohnern der verschiedenen Länder über die ganze 
Erde zerstreut; am meisten aber ist es in der seinem 
Stammlande benachbarten Provinz Syrien und hier 
wieder vorzugsweise in Antiochia wegen der Grösse dieser 
Stadt mit der übrigen Bevölkerung vermischt. Auch 
war ihnen ja von den Königen nach Antiochus daselbst 
freie Niederlassung zugestanden worden. Dieser An- 
tiochus, mit dem Beinamen Epiphanes, hatte Jerusalem 
zerstört und den Tempel geplündert; seine Nachfolger auf 
dem Thron aber hatten alle ehernen Weihgeschenke den 
Juden zu Antiochia gegeben, sie in deren Synagoge ge- 
stiftet und ihnen dieselben bürgerlichen Rechte wie den 
Griechen verliehen. Auch die späteren Könige behan- 
delten sie in gleicher Weise, und da sich infolgedessen 
ihre Zahl beträchtlich vermehrte, verschönerten sie ihr 
Heiligtum durch kunstvolle und prächtige Geschenke 
und zogen eine Menge Griechen zu ihrem Glauben 
herüber, wodurch sie diese gewissennassen zu einem 
Bestandteil ihrer eigenen Gemeinde machten. Um die 
Zeit der Kriegserklärung nun, als Vespasianus neuer- 
dings in Syrien gelandet war und allenthalben die 
Flamme des Judenhasses mächtig emporschlug, trat ein 
Mitglied der jüdischen Gemeinde Namens Antiochus, 
der um seines Vaters, des Vorstehers 2 der antiochenischen 


i S. II, 18, 5. 

* Einen solchen Vorsteher (hier Archon, sonst Alabarch genannt) 
hatten die griechischen Könige zu Alexandria und Antiochia den 
Juden als eigene Obrigkeit zugestanden, und auch unter den Römern 
war diese Einrichtung bestehen geblieben. 



Siebentes Buch, 3. Kapitel. 


625 


Judenschaft, willen hohes Ansehen genoss, im Theater 
vor der dort versammelten Bürgerschaft auf und klagte 
seinen eigenen Vater und die übrigen Juden an, als 
gingen sie mit dem Plan um, in einer bestimmten 
Nacht die ganze Stadt in Brand zu stecken. Zugleich 
lieferte er einige fremde Juden als angebliche Teilhaber 
der Verschwörung in die Hände der Antiochener. Diese 
vermochten sich vor Zorn darüber nicht zu halten und 
Hessen unverzüglich für die Ausgelieferten im Theater 
einen Scheiterhaufen errichten, auf dem dieselben denn 
auch samt und sonders verbrannt wurden. Alsdann 
schickten sich die Griechen an, über ihre jüdischen 
Mitbürger herzufallen; sie glaubten eben, ihre Vater- 
stadt um so sicherer retten zu können, je schneller sie 
an ihnen Rache nähmen. Antiochus fachte ihre Er- 
bitterung noch weiter an, und um von seiner Sinnes- 
änderung und von seinem Hass gegen die jüdischen 
Religionsgebräuche einen Beweis zu geben, opferte er 
nicht nur selbst nach griechischer Sitte, sondern machte 
auch den Vorschlag, die übrigen gleichfalls dazu zu 
nötigen; an der Weigerung werde man dann die Ver- 
schwörer erkennen. Die Antiochener machten auch 
wirklich die Probe, aber nur wenige Juden Hessen sich 
darauf ein; die Widerspenstigen wurden hingerichtet. 
Antiochus erhielt nun vom römischen Statthalter Sol- 
daten, mit deren Hilfe er seine Mitbürger aufs schlimmste 
bedrängte. Er verbot ihnen, am Sabbat zu feiern, 
zwang sie, alle werktäglichen Arbeiten an demselben 
zu verrichten, und wusste seinen harten Massregeln 
solchen Nachdruck zu geben, dass nicht nur in Antiochia, 
sondern nach dem Vorgang dieser Stadt auch ander- 
wärts die Feier des Sabbats eine Zeitlang auf hörte. 

4. Bald nachdem die Juden zu Antiochia dieses Leid 
erduldet, traf sie ein zweiter Unglücksfall, zu dessen 
näherem Verständnis eben die vorstehende Erzählung 
beitragen sollte. Es begab sich nämlich, dass der vier- 
eckige Markt, das Rathaus, das Archiv und der Königs- 
palast abbrannten; nur mit äuss erster Anstrengung 

JosephuB, Jüdischer Krieg. 40 



626 


Josepfcus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


konnte man ein Übergreifen des Feuers auf die ganze 
Stadt verhüten. Antiochus bezichtigte nun die Juden 
der Brandstiftung , und selbst wenn die Antiochener 
nicht schon vorher so schlecht auf sie zu sprechen ge- 
wesen wären, hätte doch diese Verleumdung in der ersten 
Aufregung über das Unglück wirken müssen. Dadurch 
aber, dass Antiochus sich auch noch auf. den früheren 
Vorfall berief, wusste er seine Angaben erst recht glaub- 
lich zu machen, sodass die Antiochener, als hätten sie 
mit eigenen Augen die Juden den Feuerbrand schleudern 
sehen, sich wie rasend auf die Verleumdeten stürzen 
wollten. Nur mit Mühe gelang es dem Legaten Cnejus 
Collega, ihre Aufregung zu beschwichtigen, indem er 
verlangte, dass man ihn über das Geschehene zunächst 
nach Rom berichten lassen solle; Caesennius Paetus 
nämlich, den Vespasianus zum Statthalter von Syrien 
ernannt und bereits dorthin geschickt hatte, war noch 
nicht angekommen. Durch genaue Untersuchung er- 
mittelte übrigens Collega den wahren Sachverhalt: von 
den Juden, die Antiochus beschuldigt hatte, war keiner 
mit dabeigewesen, sondern der ganze Brand stellte sich 
als das Werk einiger ruchlosen Menschen heraus, die 
in hohem Grade verschuldet waren und geglaubt hatten, 
man werde, wenn sie das Rathaus und die städtischen 
Urkunden durch Feuer vernichteten, keine Anforderung 
mehr an sie stellen können. So lange aber die Unter- 
suchung noch im Gange war, schwebten die Juden hin- 
sichtlich der Zukunft in angstvoller Erwartung. 



Siebentes Buch, 4. Kapitel. 


627 


Viertes Kapitel. 

Vespasianus zieht in Rom ein. Die Germanen und 
Sarmaten. 

1. Als dem Caesar Titus gemeldet ward, wie sehr 
sein Vater von allen Städten Italiens erwartet worden 
sei und wie besonders Rom ihm den herzlichsten und 
glänzendsten Empfang bereitet habe, erfüllte ihn diese 
willkommene Zerstreuung seiner Besorgnisse mit denkbar 
innigster Freude. Denn selbst als Vespasianus noch in 
weiter Ferne war, schlugen ihm bereits alle Herzen in 
Italien entgegen, wie wenn er schon da wäre : die blosse 
Erwartung erzeugte — so gross war das Verlangen 
nach ihm — schon den Eindruck seiner wirklichen An- 
kunft, und dabei war die allgemeine Zuneigung durch- 
aus frei von jedem Zwang. Der Senat, eingedenk des 
Unheils, das der rasche Wechsel in der Besetzung 
des Thrones zur Folge gehabt, wünschte sich Glück, 
einen durch ehrwürdiges Alter und den Vollglanz 
kriegerischer Thaten ausgezeichneten Imperator zu er- 
halten. von dem man überzeugt sein konnte, dass er 
seine hohe Stellung nur zum Besten seiner Unterthanen 
benutzen würde. Das Volk aber, durch die inneren 
Wirren fast aufgerieben, sah seiner Ankunft mit noch 
grösserem Verlangen entgegen, weil es nicht nur sichere 
Befreiung von seinen bisherigen Leiden, sondern auch 
geordnete Verhältnisse und Wohlstand vertrauensvoll 
erwartete. Das Heer vollends schaute mit besonderer 
Zuversicht auf ihn; kannte es doch am besten die Be- 
deutung der von ihm so glücklich beendeten Kriege. 
Zudem bekundeten die Soldaten, die die Unfähigkeit 
und Feigheit der anderen Imperatoren zur Genüge er- 
fahren hatten, den lebhaften Wunsch, so manche frühere 
Schmach zu tilgen, weshalb sie ihn als den Mann er- 
sehnten, der allein ihre Macht und Ehre wiederherstellen 
könne. Da somit alle Klassen der Bevölkerung das 
grösste Wohlwollen für ihn an den Tag legten, konnten 

40 * 



628 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


die angesehenen Männer der Stadt es nicht über sich 
bringen , ihn in Rom zu erwarten , sondern eilten ihm 
bis weit vor die Stadt entgegen. Aber auch den anderen 
Bürgern war jeder Aufschub der Begegnung unerträg- 
lich ; sie strömten daher in grossen Scharen hinaus, und 
da ihnen das Gehen lieber und leichter als das Bleiben 
war, überkam die Stadt zum erstenmal ein angenehmes 
Gefühl der Entvölkerung — denn die Zahl derer, die 
ihm entgegenzogen, überwog die der Zurückbleibenden 
um ein bedeutendes. Als nun endlich sein Herannahen 
gemeldet wurde und die Vorausgeeilten die grosse Leut- 
seligkeit rühmten, mit der er jedermann beglücke, da 
wollte die gesamte übrige Bevölkerung ihn am Wege 
empfangen, und wo er vorüberkam, begeisterte sein freund- 
liches Wesen und der milde Ausdruck seines Antlitzes 
die Menge zu den verschiedensten Zurufen, die ihn als 
Wohlthäter, Retter und allein würdigen Beherrscher 
Roms bezeichn eten. Vor lauter Kränzen und Räucher- 
werk sah übrigens die Stadt fast wie ein Tempel aus. 
Nur mit Mühe konnte der Gefeierte durch die Masse 
des ihn umdrängenden Volkes hindurch in den Palast 
gelangen, wo er sogleich den Hausgöttern Dankopfer 
für seine glückliche Ankunft darbrachte. Das Volk 
aber machte sich unterdessen an die Schmausereien : 
nach Stämmen, Geschlechtern und Nachbarschaften 
Hessen sich die Einwohner Roms zu den Mahlzeiten 
nieder und flehten unter Ausgiessung von Trankopfern 
die Gottheit an, dass sie Vespasianus selbst noch viele 
Jahre dem römischen Reiche erhalten und seinen Söhnen 
wie deren spätesten Nachkommen den Thron unbestritten 
bewahren möge. Seit diesem freudigen Empfange, den 
Rom dem Vespasianus bereitet hatte, nahm die Stadt 
ersichtlich an Wohlstand zu. 

2. Geraume Zeit vorher, als Vespasianus noch in 
Alexandria weilte und Titus der Belagerung Jerusalems 
oblag, empörte sich ein grosser Teil der Germanen, 1 

1 Diesen wie den unten erwähnten Sarmaten- Aufstand hat 
Josephus lediglich zura Zwecke der Verherrlichung seiner Gönner 


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Siebentes Buch, 4 . Kapitel. 


629 


mit denen die benachbarten Gallier gemeinsame Sache 
machten: vereint hegten sie grosse Hoffnung, das römische 
Joch von sich abschütteln zu können. Was die Ger- 
manen zum Abfall und zu kriegerischen Unternehmungen 
trieb, war zunächst ihr Volkscharakter, vermöge dessen 
sie, vernünftigen Ratschlägen unzugänglich, bei der ge- 
ringsten Aussicht auf Erfolg sich blindlings in Gefahren 
stürzen; dann aber auch der Hass gegen ihre Zwing- 
herren, weil sie wissen, dass ihr Volk noch von niemand 
ausser den Römern bezwungen worden ist. Zumeist 
jedoch machte die allgemeine Weltlage ihnen Mut. Da 
sie nämlich die römische Weltherrschaft infolge des 
häufigen Wechsels der Imperatoren innerlich erschüttert 
sahen und Kunde davon erhielten, wie alle Teile des 
gewaltigen Reiches in Verwirrung und Schwankung sich 
befänden, glaubten sie diese Verlegenheiten und Miss- 
helligkeiten der Römer in geschickter Weise für sich 
ausbeuten zu können. Aufgereizt und mit solchen Hoff- 
nungen erfüllt wurden sie von ihren Anführern Classicus 
und Vitellius , 1 die offenbar schon lange den Aufruhr 
geplant hatten , aber erst jetzt, durch die Zeitumstände 
ermutigt, ihre Gedanken verlauten Hessen und sich an- 
schickten, mit den ohnehin dazu geneigten Völker- 
schaften den Versuch zu wagen. Schon hatten die 
meisten Stämme der Germanen sich dem Aufstand an- 
geschlossen und die übrigen ihren baldigen Beitritt in 
Aussicht gestellt, als Vespasianus wie auf einen Wink 
der Vorsehung dem früheren Statthalter in Germanien, 
Petilius Cerealis, ein Schreiben zusandte, worin er ihm 
den Titel eines Konsuls verlieh und den Befehl erteilte, 
zur Übernahme der Verwaltung nach Britannien zu 
gehen. Auf der Reise nach seinem Bestimmungsort kam 
nun dem Cerealis die Kunde von dem Abfall der Ger- 


Domitianus und Vespasianus in die Erzählung eingeflochten. Do- 
mitians Verdienste sind allerdings stark übertrieben (s. Sueton., 
Domitian. 7). 

1 Muss nach Tacitus (Histor. IV, 5t — 78) heissen: Claudius 
Civilis. 



630 


Josephas, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


manen zu, und da dieselben sich bereits gesammelt 
hatten, überfiel er sie, brachte ihnen in förmlicher 
Schlacht schwere Verluste bei und zwang sie dadurch, 
ihr tolles Unternehmen aufzugeben und zu vernünftiger 
Überlegung zurückzukehren. Sie wären übrigens, auch 
wenn Cerealis nicht so schnell in ihrem Lande sich 
eingefunden hätte, für ihr Beginnen doch in kurzem ge- 
züchtigt worden. Denn kaum war die Nachricht von 
ihrem Abfall nach Rom gelangt, als der Caesar Domi- 
tian us, ohne, wie ein anderer in seinem noch ganz 
jugendlichen Alter gethan haben würde, sich lange zu 
besinnen , seiner vom Vater ererbten Tapferkeit und 
einer für seine Jahre mächtig gereiften Kriegserfahrung 
gemäss ans Werk ging und sogleich gegen die Barbaren 
auf brach. Das blosse Gerücht von seinem Anrücken 
nahm ihnen völlig den Mut, und so unterwarfen sie 
sich ihm aus Angst und betrachteten es schon als Ge- 
winn, dass sie, ohne besonderen Verlust erlitten zu haben, 
sich wieder unter das vorige Joch beugen durften. Nach- 
dem Domitianus hierauf in Gallien solche Vorkehrungen 
getroffen, dass nicht so leicht wieder ein Aufstand da- 
selbst ausbrechen konnte, zog er, ruhmbedeckt und aus- 
gezeichnet durch Grossthaten, die zwar nicht von seinem 
Alter, wohl aber von dem Sohne eines solchen Vaters 
sich erwarten liessen, in Rom wieder ein. 

3. Zugleich mit der Nachricht von dem oben er- 
wähnten Aufstand der Germanen lief auch die von 
einer skythischen Empörung in Rom ein. Der volk- 
reiche Skythenstamm der Sarmaten nämlich war un- 
bemerkt über den Ister nach Moesien vorgedrungen, 
hatte dann mit grossem Ungestüm und, besonders furcht- 
bar durch das völlig Unerwartete seines Angriffs, sich 
auf die Römer geworfen, einen grossen Teil der dortigen 
Besatzungstruppen niedergemacht, den Legaten Fontejus 
Agrippa nach kräftiger Gegenwehr getötet und das 
ganze den Römern unterworfene Land plündernd und 
verwüstend durchzogen. Als Vespasianus diese Vor- 
gänge und die Verheerung Moesiens erfuhr, sandte er, 


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Siebentes Buch, 5. Kapitel. 


631 


um die Barmaten zu züchtigen, den Kubrius Gallus ab, 
dem es denn auch gelang, einen grossen Teil der Em- 
pörer auf dem Schlachtfeld zu töten , während die 
übrigen entsetzt in ihre Heimat flohen. Hiermit war der 
Krieg zu Ende, und der Feldherr sorgte nun auch für 
die künftige Sicherheit der Gegend, indem er sie mit 
zahlreicheren und stärkeren Besatzungen versah, sodass 
den Barbaren der Übergang über den Ister fortan ganz 
unmöglich wurde. So ward der Kampf in Moesien 
schnell entschieden. 


Fünftes Kapitel. 

Von dem sogenannten Sabbatfluss. Titus weist die 

Antiochener mit ihren Klagen gegen die Juden ab. 

Der Triumph. 

1. Eine Zeitlang hielt sich also der Caesar Titus, 
wie oben erwähnt, in Berytus auf. Von dort besuchte 
er dann der Reihe nach die Städte Syriens und gab in 
jeder derselben prunkvolle Spiele, bei denen jüdische 
Kriegsgefangene durch ihren Tod die Schaulust be- 
friedigen mussten. Auf dieser seiner Reise besichtigte 
er auch einen seiner natürlichen Beschaffenheit wegen 
gar merkwürdigen Fluss, der mitten zwischen Arkaea im 
Königreich des Agrippa und Raphanaea dahinströmt 
und eine wunderbare Eigenschaft besitzt. So lange er 
nämlich fliesst, ist er wasserreich und hat ein ziemlich 
starkes Gefälle; sechs volle Tage aber versiegt er von 
der Quelle an , sodass sein ganzes Bett trocken liegt. 
Dann strömt er am siebenten Tage, wie wenn keine 
Unterbrechung erfolgt wäre, wieder regelmässig und hält 
diese Ordnung stets genau ein, weshalb man ihn auch 
— nach dem heiligen siebenten Tage der Juden — 
Sabbatfluss genannt hat. 1 

1 Nach Plinius (Naturgeschichte 31, 11) verhielt sich die Sache 
gerade umgekehrt: sechs Tage lang strömte der Fluss, und am 
siebenten blieb er aus. 



632 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


2. Als die Bewohner von Antiochia erfuhren, dass 
Titus sich der Stadt nähere, vermochten sie sich vor 
Freude nicht mehr innerhalb ihrer Mauern zu halten, 
sondern zogen ihm eilenden Fusses mehr als dreissig 
Stadien weit entgegen, und zwar strömten nicht nur die 
Männer, sondern auch eine Menge Weiber und Kinder 
zur Stadt hinaus. Wie sie ihn nun von fern erblickten, 
stellten sie sich zu beiden Seiten des Weges auf, 
streckten ihm zur Begrüssung die Hände entgegen und 
geleiteten ihn unter mancherlei freudigen Zurufen in die 
Stadt. In alle ihre Glückwünsche vergassen sie übrigens 
nicht die beharrliche Bitte einzuflechten, Titus möge die 
Juden aus der Stadt vertreiben lassen. Der Caesar aber 
ging darauf nicht ein , sondern hörte die Klagen still- 
schweigend an. Gleichwohl schwebten die Juden, da es 
ungewiss war, was er zu thun vorhatte, eine Zeitlang in 
peinlicher Angst. Titus hielt sich nämlich in Antiochia 
nicht auf, sondern reiste alsbald nach Zeugma am 
Euphrat weiter. Hier erwartete ihn eine Gesandtschaft 
des Partherkönigs Vologeses, die ihm aus Anlass seines 
Sieges über die Juden einen goldenen Kranz überreichte. 
Er nahm das Geschenk an, liess die Gesandten reichlich 
bewirten und kehrte dann wieder nach Antiochia zurück. 
Der inständigen Bitte des Stadtrates und der Bürger- 
schaft, in ihr Theater zu kommen, wo das versammelte 
Volk seiner harrte, gab er freundlichst nach; als sie 
ihm indes hartnäckig zusetzten und stürmisch die Ver- 
treibung der Juden aus der Stadt verlangten, erteilte 
er ihnen die treffende Antwort: „Aber die Hauptstadt 
der Juden, in die man sie verweisen müsste, ist doch 
zerstört, und keinen Ort giebt es mehr, der sie auf- 
nehmen würde“ Mit diesem Anliegen abgewiesen, 
brachten die Antiochener alsbald ein zweites vor: Titus 
möge die ehernen Tafeln, auf denen die Gerechtsame 
der Juden geschrieben standen, für ungiltig erklären. 
Aber auch diese Bitte gewährte er ihnen nicht, sondern 
liess alles bezüglich der Juden zu Antiochia beim alten. 
Hierauf reiste er nach Aegypten ab. Als er nun an 



Siebentes Bncb, 5. Kapitel. 


633 


Jerusalem vorüberkam und die traurige Verödung mit 
der einstigen Pracht der Stadt verglich, auch die Grösse 
der geschleiften Bauwerke sowie deren ehemalige Schön- 
heit sich ins Gedächtnis rief, da empfand er inniges 
Mitleid mit dem Untergang der Stadt, und anstatt sich, 
wie mancher an seiner Stelle gethan haben würde, mit 
der Eroberung einer so gewaltigen Festung zu brüsten, 
verwünschte er vielmehr ein über das anderemal die 
Anstifter der Empörung, die das schreckliche Straf- 
gericht über die Stadt herauf beschworen hatten, und 
bekundete dadurch, wie wenig es in seiner Absicht ge- 
legen habe, seine Tapferkeit an der Vernichtung der 
Gestraften zu erweisen. Von den ungeheuren Reich- 
tümern der Stadt wurde übrigens in den Trümmern noch 
ein gut Teil aufgefunden, und so viel auch die Römer 
schon herausgegraben hatten , die Angaben der Ge- 
fangenen führten doch immer wieder zu erneuter Ent- 
deckung von Gold , Silber und anderen kostbaren 
Gegenständen , welche die Besitzer im Hinblick auf die 
ungewissen Wechselfälle des Krieges in der Erde ver- 
borgen hatten. 

3. Titus setzte nun die beschlossene Reise nach 
Aegypten fort, durcheilte so schnell wie möglich die 
Wüste und langte in Alexandria an, von wo er nach 
Italien überzusetzen beabsichtigte. Zunächst entliess er 
die beiden Legionen , die ihn begleitet hatten , in ihre 
früheren Standquartiere, die fünfte nach Moesien, die 
fünfzehnte nach Pannonien; dann gab er Befehl, aus den 
Kriegsgefangenen die Anführer Simon und Joannes 
sowie weitere siebenhundert durch Grösse und Schönheit 
hervorragende Männer auszulesen und dieselben un- 
verzüglich nach Italien zu befördern, weil er sie im 
Triumph aufzuführen gedachte. Seine eigene Überfahrt 
ging nach Wunsch von statten, und Rom rüstete sich, 
ihn ähnlich wie seinen Vater zu empfangen und ihm 
entgegenzugehen. Besonders ehrenvoll war es für Titus, 
dass sein Vater selbst ihm entgegenzog und ihn be- 
grüsste, und der Bevölkerung gewährte es eine fast 



634 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


himmlische Freude, die drei hohen Häupter nun bei- 
sammen zu sehen. Wenige Tage darauf beschlossen die 
letzteren, den Triumph zur Feier ihrer Thaten gemein- 
sam zu begehen, obwohl der Senat jedem von ihnen 
einen besonderen Triumph bewilligt hatte. Weil nun 
der Tag, an dem die Feier des Siegesfestes Btattfinden 
sollte, vorher bekannt gemacht wurde, blieb von der 
äusserst zahlreichen Bevölkerung Roms auch nicht ein 
Mann zu Hause: jedes Plätzchen, wo man noch eben 
stehen konnte, war besetzt und nur so viel Raum übrig 
gelassen worden, als der Vorbeizug — wollte man über- 
haupt etwas sehen — unbedingt erforderlich machte. 

4. Nachdem noch während der Nacht das gesamte 
Heer in Reih und Glied unter seinen Führern aus- 
gerückt und vor den Thoren — nicht des oberen Palastes, 
sondern in der Nähe des Isistempels, wo die Impera- 
toren ihre Nachtruhe gehalten hatten — aufgestellt war, 
traten beim Beginn der Morgenröte Vespasianus und 
Titus lorbeerbekränzt und mit dem üblichen Purpur- 
gewand bekleidet hervor und schritten nach der Halle 
der Octavia. Hier harrten der Senat, die obersten Be- 
amten und die Vornehmsten aus dem Ritterstande ihrer 
Ankunft. Vor der Halle war eine Tribüne errichtet, 
auf welcher elfenbeinerne Sessel für sie bereit standen. 
Kaum hatten sie sich dorthin begeben und Platz ge- 
nommen, als das Heer ein Jubelgeschrei erhob und laut 
die glänzenden Thaten der Gefeierten pries. Auch die 
Soldaten waren ohne Waffen, in seidenen Kleidern und 
mit Lorbeer bekränzt. Vespasianus nahm nun zunächst 
ihre Glückwünsche entgegen, machte jedoch bald durch 
ein Zeichen, das Schweigen gebot, den weiteren Herzens- 
ergiessungen ein Ende. Als hierauf allseitig tiefe Stille 
eingetreten war, erhob er sich, verhüllte sein Haupt fast 
ganz mit dem Gewand und sprach das herkömmliche 
Gebet; dasselbe that auch Titus. Nach dem Gebet hielt 
Vespasianus an sämtliche Anwesende insgemein eine 
kurze Ansprache und entliess sodann die Soldaten zu 
dem bei dieser Gelegenheit üblichen , von den Impera- 



Siebentes Buch, 5. Kapitel. 


635 


toren ihnen bereiteten Mahle. Er selbst begab sich 
an das Thor, welches nach den Triumphzügen be- 
nannt ist, die der Sitte gemäss durch dasselbe ihren 
Weg nehmen. 'Hier stärkten sich die drei durch einen 
Imbiss, kleideten sich in die Triumphgewänder, brachten 
den Göttern, die bei dem Thore ihren Tempel haben, 
ein Opfer dar und liessen den Zug beginnen, der sich 
alsdann durch die Theater bewegte, damit das Volk ihn 
besser sehen könne. 

5. Unmöglich ist es, die Menge der hierbei gezeigten 
.Sehenswürdigkeiten, die überwältigende Pracht der 
Kunstwerke, Luxusgegenstände und Naturseltenheiten, 
wie man sie nur immer ersinnen mag, gebührend zu 
schildern. Denn beinahe alles Bewundernswerte und 
Kostbare, das begüterte Menschen jemals einzeln in 
ihren Besitz gebracht haben und das bei jedem 
Volke wieder anderer Art ist, war an diesem Tage in 
kolossaler Menge beisammen, um einen Begriff von der 
Grösse des römischen Reiches zu geben. Silber, Gold 
und Elfenbein in den verschiedensten Formen und Be- 
arbeitungen sah man nicht sowohl als Prunkstücke eines 
Festzuges, als vielmehr massenhaft wie in einem Strome 
daherfliessen. Gewänder, aus dem seltensten Purpur ge- 
webt oder nach Art der babylonischen Kunst mit Bild- 
werken aufs feinste durchstickt, schimmernde Edelsteine 
in goldene Kronen gefügt oder in anderen Fassungen 
wurden in solchen Mengen vorbeigetragen, dass es als 
Irrtum ausgelegt werden musste, so etwas für selten zu 
halten. [Auch Götterbilder von erstaunlicher Grösse, 
sämtlich aus kostbaren Stoffen und mit hervorragender 
Kunstfertigkeit gearbeitet, wurden im Zuge mitgeführt, 
ebenso Tiere der verschiedensten Arten, jedes mit 
passendem Zierat geschmückt. Selbst die zahlreichen 
Träger aller dieser Kostbarkeiten erschienen in lauter 
purpurnen, goldgestickten Gewändern. Ganz herrlich 
und staunenerregend war ferner der reiche Schmuck 
derjenigen, die dazu bestimmt waren, den eigentlichen 
Festzug zu bilden. Ja, sogar die Schar der Gefangenen 



636 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


war nicht ungeschmückt, sondern die bunte Farben- 
pracht ihrer Kleidung entzog dem Auge den unheim- 
lichen Anblick der Jammergestalten. Die grösste Be- 
wunderung aber erregte der gewaltige Aufbau der trag- 
baren Schaugerüste; denn ihre Grösse rief überall, wo 
sie vorbeikamen, die Besorgnis wach, sie möchten zu- 
sammenbrechen. Viele derselben nämlich hatten drei, 
auch vier Stockwerke; dabei war ihre ganze Ausstattung 
von fast unbegreiflicher Schönheit. Manche waren mit 
goldgestickten Teppichen behängt, und an allen hatte 
man Kunstwerke aus Gold und Elfenbein angebracht. 
In unzähligen einzelnen Nachbildungen war der Krieg 
in seinen verschiedenen Erscheinungsformen aufs an- 
schaulichste dargestellt. Da sah man gesegnete Fluren 
der Verwüstung anheimfallen , ganze Haufen von 
Feinden tot dahinsinken, andere fliehen, wieder andere 
in Gefangenschaft geraten ; riesige Mauern unter den 
Stössen der Maschinen zusammen brechen; starke 
Festungen einnehmen , Ringmauern volkreicher Städte 
ersteigen, das Heer ins Innere derselben eindringen und 
alles mit Mord erfüllen; die flehenden Geberden der 
Wehrlosen; Feuerbrände in Heiligtümer geschleudert; 
Häuser, die über ihren Bewohnern einstürzten ; endlich 
nach so vielen Zerstörungs- und Trauerscenen Wasser- 
ströme, die sich nicht über angebautes Erdreich oder 
zur Erquickung für Menschen und Tiere, sondern über 
ein noch allenthalben brennendes Land ergossen — denn 
alle diese Leiden hatten die Juden durch den von ihnen 
begonnenen Krieg sich zugezogen. Die künstlerische 
Ausführung und grossartige Pracht dieser Darstellungen 
führten die kriegerischen Ereignisse den damit Un- 
bekannten so vor Augen, als wenn sie selbst dabei ge- 
wesen wären. Jedem Schaugerüst war der Befehls- 
haber der eroberten Stadt in dem Aufzug, wie man ihn 
gefangen genommen hatte, beigegeben. Alsdann folgten 
auch Schiffe in beträchtlicher Anzahl. Massenhaft 
wurden nunmehr die Beutestücke vorbeigetragen, unter 
denen besonders diejenigen Aufsehen erregten, die man 


Go gle 



Siebentes Buch, 5. Kapitel. 


6S7 


im Tempel zu Jerusalem genommen hatte: ein goldener 
Tisch im Gewicht von mehreren Talenten, und ein 
gleichfalls goldener Leuchter, 1 aber von ganz anderer 
Gestalt, wie die sonst bei uns gebräuchlichen. Denn 
mitten aus dem Fussgestell erhob sich ein säulenartiger 
Schaft, von dem dünne, je in Form eines Dreizacks 
gegeneinander gestellte Äste ausliefen ; an jedem der 
Ausläufer befand sich oben eine eherne Lampe, also 
sieben im ganzen, um die Heiligkeit dieser Zahl bei den 
Juden anzudeuten. Das Gesetz der Juden 2 war das 
Beutestück, welches zuletzt zur Schau getragen wurde. 
Hierauf kamen noch eine Anzahl Männer mit Bildsäulen 
der Siegesgöttin, letztere sämtlich aus Gold und Elfen- 
bein verfertigt. Endlich ritt dann Vespasianus selbst 
einher; Titus folgte ihm, und Domitianus ritt ihm zur 
Seite in prachtvollem Schmuck auf herrlichem Rosse. 

6. Das Ziel des Festzuges war der Tempel des 
Jupiter Capitolinus, wo man halt machte. Es ist näm- 
lich eine alte Sitte, dort zu warten, bis ein Bote den 
Tod des feindlichen Heerführers meldet. Dies war Si- 
mon, des Gioras Sohn, der mit den anderen Gefangenen 
im Triumph aufgeführt worden war. Jetzt wurde ihm 
ein Strick umgeworfen und er auf eine Höhe über dem 
Forum geschleppt, während seine Führer ihn zugleich 
geisselten. An dieser Stelle werden nach römischem 
Gesetz die verurteilten Verbrecher hingerichtet. Als nun 
sein Tod verkündet ward , erhob sich ein allgemeines 
Jubelgeschrei, und es begannen die Opfer, die unter den 
vorgeschriebenen Gebeten glücklich zu Ende geführt 
wurden, worauf die Imperatoren in den Palast zurück- 
kehrten. Einige der Festteilnehmer zogen sie alsdann 
selbst zur Tafel; für die übrige Menge aber waren zu 


1 S. das Relief des Titusbogens zu Rom (Abbildung bei Fäh, 
Geschichte der bildenden Künste; Neumann, die JStiftshütte in Wort 
und Bild, u. a.). 

2 Wahrscheinlich eine Thorarolle, wie man aus dem Ende dieses 
Kapitels schliessen möchte , und nicht etwa eine goldene Tafel mit 
den zehn Geboten (s. auch Anm. 2 zu V, 5,5). 



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Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Hause üppige Mahlzeiten bereitet. Denn diesen Tag 
feierte die Stadt Rom als Dankfest für den siegreichen 
Feldzug, als das Ende der inneren Wirren und als den 
Anfang einer, wie man hoffte, glücklichen Zukunft. 

7. Nach dem Triumph und der völligen Beruhigung 
des Reiches beschloss Vespasianus, der Friedensgöttin 
einen Tempel zu erbaueD, und vollendete in sehr kurzer 
Zeit ein Werk, das alle menschlichen Erwartungen über- 
traf. Er verwendete nämlich zu dem Bau nicht bloss 
die ungeheuren Mittel, die ihm sein eigener Reichtum 
an die Hand gab, sondern schmückte ihn auch mit 
älteren Meisterwerken der Malerei und Bildhauerkunst. 
In diesem Heiligtum sollte ja alles gesammelt und nieder- 
gelegt werden, zu dessen Besichtigung im einzelnen man 
sonst die ganze Welt hätte durchreisen müssen. Hierhin 
liess er auch die goldenen Prachtstücke aus dem Tempel 
zu Jerusalem bringen, weil diese Gegenstände in seinen 
Augen besonders wertvoll waren. Das Gesetz der Juden 
dagegen und die purpurnen Vorhänge des Allerheiligsten 
befahl er in seinen Palast zu schaffen und dort sorg- 
fältig aufzubewahren. 


Sechstes Kapitel. 

Eroberung von Machaerus durch Lucilius Bassus. 

1. Unterdessen war Lucilius Bassus mit einem Heere, 
das er von Cerealis Vitellianus übernommen hatte, als 
Legat nach Judaea gesandt worden, hatte das Kastell 
Herodium samt der Besatzung zur Übergabe gezwungen 
und zog nun die ganze, zum grossen Teil in kleinere 
Heerhaufen zersplitterte Streitmacht sowie die zehnte 
Legion 1 an sich, um damit gegen Machaerus 2 zu 


1 Die als Besatzungstruppe in Judaea zurückgeblieben war 
(s. VII, 1,2). 

- Die Festung Machaerus ist besonders dadurch bekannt, dass 
Jonnncs der Täufer daselbst hingerichtet wurde (s. J. A. XVIII, 5, 2). 


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Siebentes Buch, 6. Kapitel. 


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marschieren. Es war nämlich durchaus notwendig, diese 
Festung zu zerstören, da sie sonst ihrer Stärke wegen 
eine Menge Juden zum Abfall gereizt haben wurde, zu- 
mal schon die natürliche Beschaffenheit des Platzes ge- 
eignet war, einer Besatzung festes Vertrauen, den An- 
greifern aber Furcht und Zagen einzuflössen. Denn die 
natürliche Befestigung an sich wird durch einen felsigen 
Hügel gebildet, der zu beträchtlicher Höhe ansteigt und 
schon deshalb sich schwer einnehmen lässt; auch hat 
die Natur selbst dafür gesorgt, dass er so gut wie gar 
nicht zugänglich ist. Er ist nämlich auf allen Seiten 
von unabsehbar tiefen Schluchten umgeben, die man 
nicht einmal leicht durchqueren , geschweige denn mit 
Erde ausfüllen kann. Hat doch der westliche Thal- 
einschnitt, der bis zum Asphaltsee reicht, eine Längen- 
ausdehnung von sechzig Stadien, und dazu wird gerade 
nach dieser Seite hin Machaerus von der höchsten Berg- 
kuppe überragt. Die Schluchten im Norden und Süden 
stehen zwar an Grösse der erstgenannten nach, machen 
aber gleichfalls einen Angriff auf die Festung unmöglich, 
und was den östlichen Einschnitt betrifft, so schliesst er 
bei einer Tiefe von nicht weniger als hundert Ellen sich 
sogleich wieder mit einem Machaerus gegenüberliegenden 
Höhenzug. 

2. Der jüdische König Alexander war der erste, der 
die günstige Lage dieser Örtlichkeit erkannte und eine 
Festung daselbst errichtete, die jedoch später von 
Gabinius im Kriege mit Aristobulus geschleift wurde. 
Als Herodes König geworden war, schien ihm der Platz 
mehr als jeder andere besonderer Sorgfalt und möglichst 
starker Befestigung wert, hauptsächlich wegen der Nach- 
barschaft der Araber, gegen deren Land hin die Festung 
einen günstig gelegenen Punkt bildet. Demzufolge um- 
gab er einen weiten Raum mit Mauern und Türmen und 
gründete daselbst eine Stadt, die man erst passieren 
musste, um in die eigentliche Burg zu gelangen. Gleich- 
wohl versah er auch noch den oberen Gipfel selbst 
ringsum mit einer Mauer und errichtete in deren Ecken 


Go gle 



640 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Türme von je hundertsechzig Ellen Höhe. Mitten in 
dem also befestigten Raum erbaute er dann einen 
Palast mit weitläufigen und prunkvollen Gemächern; 
auch legte er an den geeignetsten Stellen eine Reihe 
von Cisternen an, um das Wasser aufzufangen und die 
Umgebung reichlich damit zu versorgen, und suchte so, 
als wolle er sich mit der Natur in einen Wettstreit ein- 
lassen, die Uneinnehmbarkeit, die sie dem Platze 
verliehen, durch künstliche Befestigungen noch zu über- 
bieten. Ferner versah er den Ort mit einer Menge von 
Geschossen und Kriegsmaschinen und bestrebte sich 
überhaupt, die Bewohner in jeder Beziehung so aus- 
zurüsten, dass sie selbst der langwierigsten Belagerung 
trotzen könnten. 

3. Im Innern des Palastes wuchs einstmals eine Raute 
von erstaunlicher Grösse, denn sie gab einem Feigen- 
baum an Höhe und Umfang des Stammes nichts nach. 1 
Es hiess, sie stehe seit Herodes’ Zeiten, und sie wäre 
vielleicht noch lange dort geblieben, hätten nicht die 
Juden, als sie die Festung besetzten, den Baum um- 
gehauen. Ferner giebt es in dem Thale, das im Norden 
an die Stadt stösst, einen Ort, der Baaras heisst und 
eine Wurzel gleichen Namens erzeugt. 2 Diese Wurzel 
hat eine flammrote Farbe und schiesst zur Abendzeit 
Strahlen von sich. Nähert man sich ihr und will man 
sie anfassen, so ist es schwer, sie festzuhalten, da sie 
sich fortbewegt und nicht eher stehen bleibt, als bis 
man den Urin oder das monatliche Blut eines Weibes 
auf sie giesst. Aber selbst dann zieht die Berührung 
den sicheren Tod nach sich, wenn man die Wurzel nicht 
so trägt, dass sie von der Hand herabhängt. Man kann 
sie übrigens auch auf eine andere, ungefährliche Weise 
gewinnen, und zwar so: Nachdem man sie ringsum durch 


1 Die Raute wird gemeiniglich bis D 4 , der Feigenbaum bis 
10 Meter hoch. Obige Angabe ist demnach wohl übertrieben. 

2 Vielleicht ist Alraunwurzel (Mandragora officinalis) gemeint. 
Das Folgende ist freilich nichts weiter wie Fabel. 



Siebentes Buch, 6. Kapitel. 


641 


Graben dergestalt gelockert hat, dass nur noch ein 
kleiner Teil der Wurzel in der Erde steckt, bindet man 
einen Hund daran. Wenn nun das Tier dem, der es 
angebunden, schnell zu folgen strebt, wird sie leicht 
vollends herausgezogen. Der Hund aber stirbt auf der 
Stelle, gleichsam als stellvertretendes Opfer für den, der 
das Gewächs nehmen wollte. Jetzt hat übrigens der, in 
dessen Hand sie gerät, nichts mehr zu befürchten. Trotz 
der grossen Gefahr beim Einsammeln der Wurzel wird 
sie, um einer besonderen Eigenschaft willen, eifrig gesucht. 
Die sogenannten Dämonen nämlich, das heisst die 
Geister böser Menschen, welche in die Lebenden hinein- 
fahren und alle, denen nicht geholfen wird, töten, 
werden durch jene Wurzel sogleich vertrieben, selbst 
wenn man sie nur in die Nähe der Kranken bringt. 
An diesem Ort fliessen auch mehrere warme Quellen 
von ganz verschiedenartigem Geschmack: die einen sind 
bitter, andere fast ganz süss. Weiter unten in der 
Ebene aber befinden sich zahlreiche Quellen kalten 
Wassers dicht beieinander, und noch merkwürdiger ist 
folgende Erscheinung: In der Nähe erblickt man eine 
Höhle von eben nicht bedeutender Tiefe, die durch 
einen überhängenden Felsen gedeckt ist. Oberhalb 
dieses Felsens ragen, nur wenig voneinander entfernt, 
zwei Erhöhungen wie weibliche Brüste hervor, und es 
entströmt der einen eine ganz kalte, der anderen eine 
sehr heisse Quelle; beide gemischt geben ein überaus 
angenehmes, heilkräftiges, besonders nervenstärkendes 
Bad. Ausserdem hat der Ort auch Schwefel- und 
Alaungruben. 

4. Nachdem Bassus das Kastell von allen Seiten be- 
sichtigt hatte, beschloss er, durch Ausfüllung der öst- 
lichen Thalschlucht sich einen Zugang zu demselben zu 
verschaffen, und ging auch sogleich ans Werk, um bald- 
möglichst Wälle aufwerfen und sich mittels derselben 
die Belagerungsarbeiten erleichtern zu können. Die 
eingeschlossenen Juden trennten sich nun von den 
Fremden und zwangen dieselben, weil sie in ihnen ohne- 

Josephus, Jüdischer Krieg. 41 



642 


Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


hin nur Gesindel erblickten, unten in der Stadt zu 
bleiben und hier den ersten feindlichen Anprall aus- 
zuhalten; das höher gelegene Kastell aber besetzten sie 
selbst, einmal weil es stark befestigt war, und dann 
auch aus Vorsorge für ihre eigene Rettung: sie hofften 
nämlich begnadigt zu werden, wenn sie den Römern die 
Burg übergäben. Zunächst jedoch wollten sie den Ver- 
such machen, die Belagerung überhaupt zu vereiteln. 
Tag für Tag unternahmen sie deshalb kühne Ausfälle, 
bei denen sie mit den Römern, wo diese ihnen entgegen- 
traten , handgemein wurden und ihrerseits zwar viele 
Leute verloren , aber doch auch den Römern keinen ge- 
ringen Schaden zufügten. Was die einen oder anderen 
zum Sieg führte, war jedesmal die Ausnutzung einer 
günstigen Gelegenheit: die Juden behielten die Ober- 
hand, wenn sie die Römer überrumpelten, diese dagegen, 
wenn sie von ihren Wällen aus den Angriff rechtzeitig 
bemerkt hatten und ihn in dichtgeschlossenen Reihen 
erwarteten. Mit solchen Plänkeleien sollte indes die 
Belagerung ihr Ende nicht erreichen; vielmehr wurden 
die Juden durch einen Zufall ganz unversehens zur 
Übergabe des Kastells gezwungen. Unter den Belagerten 
nämlich befand sich ein äusserst verwegener und tapferer 
Jüngling mit Namen Eleazar. Er hatte sich bei den 
Ausfällen stets hervorgethan , indem er die Menge an- 
feuerte, sich in den Kampf zu stürzen und die Römer 
an den Schanzarbeiten zu hindern ; auch hatte er in den 
einzelnen Scharmützeln den Gegnern empfindliche Ver- 
luste beigebracht, seinen Kameraden, die sich mit ihm 
hinauswagten, den Angriff leicht gemacht und dann 
wieder ihnen den Rücken gedeckt, indem er als der letzte 
den Kampfplatz verliess. Eines Tages nun war das 
Gefecht bereits entschieden, und beiderseits hatte man 
den Rückzug angetreten — da blieb Eleazar, um die 
Feinde zu verhöhnen und weil er glaubte, es werde 
keiner von ihnen den Kampf wieder aufnehmen, 
draussen vor dem Thore stehen und fing mit den auf 
der Mauer befindlichen Juden ein Gespräch an, in 



Siebentes Bach, 6. Kapitel. 


643 


welches er sich ganz vertiefte. Diesen günstigen Augen- 
blick erspähte ein im römischen Heere dienender 
Aegyptier Namens Rufus, lief, ehe man sich dessen 
versah, plötzlich herzu, hob den in voller Rüstung da- 
stehenden Jüngling auf und trug ihn, während 
die Zuschauer der Schrecken lähmte, ins Lager 
der Römer. Dort gab der Feldherr Befehl , ihn 
nackt auszuziehen und möglichst vor den Augen der 
Stadtbewohner zu geissein. Aufs tiefste erschütterte die 
Juden das Leiden des Jünglings; die ganze Stadt 
jammerte und wehklagte mit einer Heftigkeit, die 
eigentlich zu dem Unglück des einen Mannes in keinem 
Verhältnis stand. Als Bassus dies merkte, benutzte 
er die Stimmung der Belagerten zu einer Kriegslist; er 
suchte nämlich ihr Mitleid derart zu steigern, dass sie, 
um den Mann zu retten, die Festung übergeben möchten, 
und dieser Plan gelang ihm denn auch. Er liess also 
ein Kreuz aufrichten , als sollte Eleazar sogleich daran 
geschlagen werden. Kaum sahen dies die Juden in der 
Festung, als sie noch schmerzlicher bewegt wurden und 
unter Schluchzen ausriefen, solchen Jammer könne man 
nicht ertragen. Obendrein flehte nun auch noch Eleazar 
sie an, sie möchten ihn doch nicht die qualvollste aller 
Todesarten erdulden lassen, vielmehr sich selbst dadurch 
retten, dass sie der Kraft und dem Glück der Römer 
nachgäben, zumal da sonst schon alles unterjocht sei. 
Seine Vorstellungen brachen ihnen das Herz, und da 
sich auch viele Einwohner der Festung aufs Bitten ver- 
legten (Eleazar gehörte nämlich einer weitverzweigten 
und zahlreichen Familie an), Hessen sie sich gegen ihre 
eigentliche Gesinnung zum Mitleid bewegen und ordneten 
unverzüglich eine Gesandtschaft ab, die wegen Übergabe 
des Kastells unterhandeln und sich nur freien Abzug 
und die Loslassung Eleazars ausbedingen sollte. Die 
Römer und ihr Befehlshaber nahmen diesen Vorschlag 
an. Als aber die zahlreichen Bewohner der unteren 
Stadt von dem Sondervertrag der Juden hörten, be- 
schlossen sie, in der Nacht heimlich davonzulaufen. Wie 


41 



644 


Josepbu?, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


sie nun die Thore öffneten, kam durch die, welche den 
Vergleich geschlossen hatten, dem Bassus Nachricht 
darüber zu, sei es dass sie den Leuten ihre Rettung 
missgönnten, sei es dass sie befürchteten, es möchte 
ihnen selbst die Schuld für deren Entweichen auf- 
gebürdet werden. Die tapfersten der Flüchtlinge 
schlugen sich übrigens durch und entkamen; von denen 
dagegen, die man noch im Innern der Stadt an traf, 
wurden an siebzehnhundert Männer niedergemacht und 
die Weiber nebst den Kindern in die Sklaverei verkauft. 
Den Vertrag mit den Juden aber, die ihm die 
Festung übergeben hatten, glaubte Bassus halten zu 
müssen; er liess sie demnach abziehen und gab ihnen 
den Eleazar frei. 

5. Als er diesen Teil seiner Aufgabe erledigt hatte, 
rückte er in Eilmärschen nach einer Waldschlucht mit 
Namen Jardes, wo nach einer ihm zugegangenen Meldung 
eine Menge bei der Belagerung von Jerusalem und 
Machaerus entlaufener Juden sich gesammelt haben 
sollte. In der That fand er bei seiner Ankunft die 
Nachricht bestätigt Er umzingelte daher zunächst den 
ganzen Ort mit seiner Reiterei, welche den Juden, die 
sich etwa durchzuschlagen versuchen würden, die Flucht 
unmöglich machen sollte; von dem Fussvolk aber liess 
er den Wald, in den die Gegnei* sich geflüchtet hatten, 
umhauen. Infolge dieses Vorgehens sahen sich die 
Juden genötigt, eine verwegene That zu unternehmen, 
da sie sich durch einen tollkühnen Kampf vielleicht 
noch retten zu können hofften. Sie stürzten sich also 
in Masse unter lautem Geschrei hervor und warfen 
sich auf die sie umzingelnden Römer. Diese aber 
wichen nicht um Haaresbreite, und der Kampf zog sich 
bei der verzweifelten Kühnheit auf der einen und der 
zähen Ausdauer auf der anderen Seite ziemlich in die 
Länge. Sein Ende freilich gestaltete sich sehr ungleich : 
von den Römern nämlich waren im ganzen nur zwölf 
Mann gefallen und einige wenige verwundet; von den 
Juden dagegen entkam keiner aus dem Treffen, vielmehr 


Go gle 



Siebentes Bucli, 7. Kapitel. 


645 


wurden sie, dreitausend an der Zahl, samt und sonders 
niedergemacht, darunter auch ihr Anführer Judas, des 
Ari Sohn, von dem ich oben erwähnte, dass er bei 
der Belagerung Jerusalems eine jüdische Abteilung be- 
fehligt und sich durch einen der unterirdischen Gänge 
gerettet habe. 

6. Um diese Zeit schickte Vespasianus an Bassus 
und an Liberius Maximus, der damals Landpfleger war, 
den schriftlichen Befehl , das gesamte Land der Juden 
zu verkaufen. Eine neue Stadt nämlich wollte er da- 
selbst nicht gründen; doch behielt er sich das Acker- 
land als sein persönliches Eigentum vor. Nur acht- 
hundert ausgedienten Soldaten wies er im Bezirk von 
Ammaus, welches dreissig Stadien von Jerusalem ent- 
fernt liegt, Ländereien an. Allen Juden aber, wo sie 
auch wohnen mochten, legte er eine jährliche Kopfsteuer 
von zwei Drachmen auf, die sie für das Kapitolium, 
wie früher für den Tempel zu Jerusalem entrichten 
sollten. So traurig stand es damals um die jüdische 
Nation. 


Siebentes Kapitel. 

Niederlage des Königs Antiochus von Kommagene. 

Die Alanen. 

1. Schon waren vier Jahre seit der Thronbesteigung 
des Vespasianus verflossen, da traf 1 den Kommagener- 
könig Antiochus und dessen ganzes Haus ein schweres 
Unglück 2 aus folgender Veranlassung. Caesennius 
Paetus, der damalige Statthalter von Syrien, schrieb — 
ob der Wahrheit gemäss oder aus Hass gegen Antiochus, 
ist nicht mit Bestimmtheit ermittelt worden — nach 
Rom, Antiochus und dessen Sohn Epiphanes gingen mit 


i 72 n. Ohr. 

- Josephus erwähnt diese Geschichte, weil das Herrscherhaus 
von Kommagene — allerdings mit Ausnahme des Epiphanes \s. J. A. 
XX, 7, 1) — sich zum jüdischen Glauben bekannte. 



646 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


dem Gedanken um, von den Römern abzufallen, und 
hätten zu diesem Zwecke bereits mit dem Partherkönig 
ein Bündnis geschlossen ; man müsse sie deshalb über- 
raschen, damit sie nicht etwa einen Vorsprung gewännen 
und schliesslich noch das ganze römische Reich in 
kriegerische Verwicklungen stürzten. Diese Anzeige 
konnte Vespasianus, nachdem sie ihm einmal erstattet 
war, natürlich nicht auf sich beruhen lassen, da die 
Nachbarschaft der beiden Könige energischere Vor- 
beugungsmassregeln erforderte, ßamosata nämlich, die 
Hauptstadt von Kommagene, liegt am Euphrat, und 
sie würde somit den Parthern, wenn diese etwas der- 
artiges im Schilde führten, den Übergang recht leicht 
gemacht und einen sicheren Zufluchtsort geboten haben. 
Paetus fand also mit seiner Meldung Glauben und er- 
hielt Vollmacht, die ihm zweckmässig scheinenden An- 
ordnungen zu treffen. Er zögerte denn auch nicht, 
sondern fiel plötzlich, ohne dass Antiochus und die 
Seinen eine Ahnung davon hatten, mit der sechsten 
Legion sowie einigen Kohorten und Reiterschwadronen 
in Kommagene ein; es begleiteten ihn ausserdem die 
Könige Aristobulus von Chalkidike und Soemus von 
Emesa. Sie stiessen bei ihrem Vormarsch auf keinerlei 
Widerstand; denn niemand von den Eingeborenen ge- 
traute sich, die Hand zur Gegenwehr zu erheben. Als 
nun Antiochus die unerfreuliche Kunde vernahm, dachte 
er nicht im entferntesten daran, mit den Römern Krieg 
zu führen, sondern beschloss, so wie er war, seinem 
Königreich den Rücken zu kehren und sich mit Weib 
und Kind heimlich davonzumachen; auf diese Weise 
glaubte er sich in den Augen der Römer von jedem 
etwa auf ihm lastenden Verdacht reinigen zu können. 
Er zog also aus der Stadt nach einer hundertzwanzig 
Stadien entfernten Ebene und lagerte sieb daselbst. 

2. Paetus entsandte sogleich, eine Abteilung seiner 
Truppen, um Samosata zu besetzen, was diese denn 
auch wirklich thaten; er selbst brach unterdessen mit 
dem Rest seines Heeres gegen Antiochus auf. Doch 


Go gle 



Siebentes Buch, 7. Kapitel. 


647 


der König liess sich auch durch die Zwangslage, in die 
er jetzt geraten war, nicht bestimmen, etwas Kriegerisches 
gegen die Römer zu unternehmen, sondern harrte, sein 
Schicksal beklagend, der Dinge, die da kommen würden. 
Seinen jugendlichen, kriegskundigen und durch Körper- 
kraft hervorragenden Söhnen Epiphanes und Kallinikos 
indes fiel es nicht ebenso leicht, sich dem Schicksal 
widerstandslos zu beugen: vielmehr rüsteten sie, sich, 
den Gegner zu empfangen. In einem heissen , vom 
Morgen bis zum Abend währenden Gefecht bewiesen sie 
ausgezeichnete persönliche Tapferkeit und zogen sich 
bei einbrechender Nacht zurück, ohne besonderen Ver- 
lust erlitten zu haben. Dem Antiochus aber schien es 
selbst nach dieser so günstig verlaufenen Schlacht nicht 
geraten, zu bleiben, weshalb er mit seiner Gattin und 
seinen Töchtern nach Cilicien floh. Durch diesen Schritt 
jedoch brach er den Mut seiner Soldaten, und da diese 
der Meinung waren, er habe den Thron aufgegeben, 
fielen sie von ihm ab und gingen zu den Römern über, 
ohne aus ihrer verzweifelten Stimmung ein Hehl zu 
machen. Epiphanes und seine Leute mussten sich des- 
halb, ehe die sämtlichen Kampfgenossen sie verliessen, 
vor dem Feinde zu retten suchen. Ganze zehn Reiter 
folgten ihm nun über den Euphrat und begaben sich, 
aus aller Gefahr erlöst, mit ihm zu dem Partherkönige 
Vologeses, von dem sie nicht etwa als Flüchtlinge über 
die Achsel angesehen, sondern, wie wenn sie noch in 
ihrer früheren glücklichen Lage sich befanden, höchst 
ehrenvoll behandelt wurden. 

3. Als Antiochus nach Tarsus in Cilicien gekommen 
war, liess Paetus ihn durch einen Centurio ergreifen 
und sandte ihn gefesselt nach Rom. Vespasianus aber 
duldete es nicht, dass der König in diesem Aufzug zu 
ihm geführt würde, und wollte lieber die alte Freund- 
schaft berücksichtigen, als ihm wegen der — übrigens 
nicht bewiesenen — Empörung unversöhnlichen Groll 
nach tragen. Er gab daher Befehl, ihm schon unterwegs 
die Fesseln abzunehmen, und liess ihn unter Verschiebung 



648 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


der Reise nach Rom in Lakedaemon bleiben; auch wies 
er ihm so bedeutende Geldeinkünfte an, dass er nicht 
bloss reichlich, sondern selbst königlich leben konnte. 
Als Epiphanes und sein Bruder, die bis dahin das 
Schlimmste für ihren Vater befürchtet hatten, dies er- 
fuhren, fühlten sie sich von schwerer Sorgenlast befreit 
und gaben sich der Hoffnung hin, nun auch für sich 
selbst von Vespasianus Verzeihung zu erlangen, zumal 
Vologeses ihretwegen nach Rom geschrieben hatte. Denn 
wenn sie eB auch gewiss nicht schlecht hatten , so 
konnten sie doch ausserhalb des römischen Reiches nicht 
leben. In der That sicherte Vespasianus ihnen huld- 
vollst Straflosigkeit zu, worauf sie sich nach Rom be- 
gaben, und als nicht lange nachher auch ihr; Vater mit 
ihnen zusammentraf, blieben sie daselbst und genossen 
alle möglichen Ehrenbezeugungen. 

4. Das Volk der Alanen, das, wenn ich mich recht, 
entsinne, schon früher als ein in der Gegend des Tanais 
und des Maeotischen Sees wohnender Skythenstamm von 
mir erwähnt wurde, 1 fasste um diese Zeit den Plan, einen 
Raubzug nach Medien und noch weiter hinaus zu unter- 
nehmen, und unterhandelte deshalb mit dem König 
der Hyrkaner; denn dieser ist Herr des Passes, den der 
König Alexander mittels eiserner Thore verschliessbar 
gemacht hatte. 2 Als nun der Hyrkanerkönig ihnen den 
Durchzug gestattete, fielen sie in zahlreichen Horden 
über die nichts ahnenden Meder her und plünderten’ 
das stark bevölkerte, an Nutzvieh aller Art reiche Land 
völlig aus, ohne dass jemand ihnen Widerstand zu leisten 
wagte. Der König des Landes, Pakorus, floh entsetzt 


1 Wahrscheinlich hat Josephus hier das 16. Kapitel des zweiten 
Buches im Sinne, wo im vierten Abschnitt von den Völkerschaften 
am Pontus und am Maeotischen See, aber nicht ausdrücklich von 
den Alanen die Rede ist. Was übrigens der Raubzug dieses Skythen- 
stammes nach Medien mit der Geschichte des Jüdischen Krieges zu 
thun hat, ist völlig unverständlich. 

2 Gemeint sind die sogenannten „Kaspischen Pässe “ (s. Arrian, 
Feldzüge Alexanders, I, 15). 


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Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


m 


in unzugängliche Wildnisse und gab ihnen alles preis, 
und nur mit Mühe gelang es ihm, durch Zahlung von 
hundert Talenten seine Gattin und seine Kebsweiber, 
die in Gefangenschaft geraten waren, wieder loszukaufen. 
Da die Alanen so in aller Bequemlichkeit und ganz 
ohne Schwertstreich ihre Raubsucht befriedigen konnten, 
drangen sie, alles verwüstend, bis nach Armenien vor, 
wo Teridates König war. Dieser rückte ihnen entgegen 
und lieferte ihnen ein Treffen, wäre aber beinahe lebendig 
gefangen worden. Ein Alane nämlich hatte aus der 
Ferne eine Schlinge über ihn geworfen und würde ihn 
fortgeschleppt haben, wenn es dem Könige nicht ge- 
lungen wäre, den Strick noch zeitig mit dem Schwert 
zu zerhauen und sich auf diese Weise zu retten. Durch 
den Kampf noch wilder geworden , verheerten nun die 
Barbaren das ganze Land und kehrten dann mit einer 
Menge Gefangener und der übrigen Beute, die sie in 
beiden Königreichen zusammengeraubt hatten, wieder 
in ihre Heimat zurück. 


Achtes Kapitel. 

Silva belagert die Festung Masada. Eleazars Rede an 
seine Untergebenen. 

1. Nach dem Tode des Bassus übernahm Flavius 
Silva das Amt eines Landpflegers von Judaea. 1 Er 
fand das ganze Land unterjocht mit Ausnahme einer 
einzigen Festung, die noch beim Abfall beharrte und 
gegen die er nun mit allen aus der Umgegend zusammen- 
gezogenen Truppen ausrückte. Diese Festung, Masada 
geheissen, wurde von Sikariern besetzt gehalten, an deren 
Spitze ein einflussreicher Mann Namens Eleazar stand, 2 
ein Nachkomme jenes Judas, der, wie früher erwähnt, 3 


1 7:J n. Chr. 

- S. II, 17, 9 und IV, 7, 2. 

* S. II, g, 1. 



€50 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zu der Zeit, da Quirinius als Schätzungsbeamter nach 
Judaea gesandt worden war, eine Menge Juden beredet 
hatte, sich die Schätzung nicht gefallen zu lassen. Auch 
jetzt hatten sich die Sikarier gegen alle verschworen, 
die sich den Körnern fügen wollten , und behandelten 
dieselben in jeder Beziehung als Feinde, indem sie ihnen 
die Habe raubten und fortschleppten und die Häuser 
in Brand steckten. Zwischen diesen Juden, meinten sie, 
und den Fremden sei ja doch kein Unterschied, da sie 
die so heiss umstrittene Freiheit verraten und ein- 
gestandenermassen die römische Knechtschaft erwählt 
hätten. Solche Reden waren aber nur der Deckmantel, 
hinter dem sie ihre Grausamkeit und Habgier zu ver- 
bergen trachteten, wie dies aus ihren Thaten deutlich 
bervorging. Denn die anderen Juden hatten ja ihren 
Abfall mitgeroacht und sich am Kampfe gegen die 
Römer beteiligt, bis den Bethörten die Unthaten der 
Sikarier noch drückender vorkamen wie das Joch der 
Römer. Wies man nun den Sikariern die Grundlosig- 
keit ihres Vorwandes nach , so setzten sie denen , die 
ihnen mit Fug und Recht ihre Bosheit vorwarfen, nur 
um so ärger zu. Um jene Zeit trieb überhaupt die 
Ruchlosigkeit ihre üppigsten Blühen, sodass es keine 
Schandthat gab, die damals nicht vollbracht worden 
wäre, und hätte man allen Scharfsinn aufgewendet, um 
neue zu erfinden, man würde wohl keine mehr entdeckt 
haben. Das private wie öffentliche Leben krankte in 
gleicher Weise an diesem Übel, und allenthalben setzte 
man einen förmlichen Wetteifer darein, sich gegenseitig 
in Freveln gegen Gott und Ungerechtigkeit gegen den 
Nächsten zu überbieten. Die Gewalthaber drangsalierten 
das gemeine Volk, und dieses hinwiederum suchte die 
Mächtigen zu verderben; jene gelüstete es nach 
tyrannischer Herrschaft, das Volk nach Gewaltthätig- 
keit und Beraubung der Reichen. Die Zügellosigkeit 
und das grausame Wüten gegen die eigenen Volks- 
genossen aber war gerade von den Sikariern ausgegangen, 
die den Verfolgten gegenüber keine Schmähung 


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Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


651 


ungesprochen und keine That zu deren Verderben un- 
versucht Hessen. Doch auch sie erschienen noch ge- 
mässigt im Vergleich zu Joannes. Denn dieser mordete 
nicht nur alle Bürger, die ihm gute und nützliche Rat- 
schläge erteilten, und behandelte sie wie die schlimmsten 
Feinde, sondern er stürzte auch sein Vaterland überhaupt 
in namenloses Unheil, wie es nur von einem Menschen 
ausgehen konnte , der schon die Ruchlosigkeit begangen 
hatte, sich gegen Gott zu empören. Seinen Tisch näm- 
lich sah man mit verbotenen Speisen besetzt, und die 
altehrwürdigen Reinigungsvorschriften des Gesetzes be- 
obachtete er nicht, sodass die Verletzung der Pflichten 
gegen den Einzelnen wie gegen die Gesamtheit bei einem 
Manne nicht wunder nehmen konnte, der so ganz in 
wahnwitzige Gottlosigkeit versunken war. Und dann 
Simon, des Gioras Sohn, verübte er nicht alle erdenk- 
lichen Schändlichkeiten ? Oder gab es irgend eine 
Misshandlung, die er nicht an freigeborenen Juden be- 
gangen hätte, wiewohl er gerade ihnen seine Stellung 
als Gewaltherrscher verdankte ? Ja, selbst freundschaft- 
liche Beziehungen und Bande des Blutes, weit entfernt, 
ihre Mordgier zu dämpfen , machten sie vielmehr von 
Tag zu Tag noch verwegener Denn an Fremden sich 
vergreifen, gehörte, wie sie meinten, nur zu den gewöhn- 
lichen, landläufigen Schlechtigkeiten : eine recht glänzende 
Rolle dagegen wollten sie durch grausames Wüten gegen 
ihre nächsten Angehörigen spielen. Nun kam auch 
noch die Raserei der Idumäer, die es dem wahnsinnigen 
Treiben der Tyrannen gleichzuthun suchte. Diese 
Schandbuben wagten es, die Hohepriester zu erdolchen, 
damit ja keine Spur von Gottesfurcht mehr erhalten 
bleibe; sie vernichteten auch vollends alles, was von 
bürgerlicher Ordnung noch übrig war, und brachten in 
jeder Hinsicht die ausgesprochenste Gesetzlosigkeit zur 
Geltung — ein Zustand, in dem die Sippe der so- 
genannten Zeloten gedieh, die diese ihre Bezeichnung 
durch entsprechende Thaten als zutreffend erwiesen. 
Denn jegliches Werk der Bosheit suchten sie nach- 



652 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


zuahmen, und ihr Wetteifer erstreckte sich auf alles, 
was die Geschichte nur irgend von früheren Unthaten 
berichtet. Ihrer eigenen Vorstellung gemäss sollte frei- 
lich der Name, den sie sich beilegten, auf den Wett- 
eifer im Guten hindeuten, und man kann dieses sonder- 
bare Benehmen nur so erklären, dass sie entweder — 
unmenschlich wie sie waren — die von ihnen Miss- 
handelten damit verhöhnen wollten, oder dass sie wirk- 
lich die grössten Schlechtigkeiten für gute Werke 
hielten. Darum fand aber auch jeder einzelne von 
ihnen das verdiente Ende, indem Gott über sie alle die 
gebührende Strafe verhängte: Qualen, wie die mensch- 
liche Natur sie nur immer zu ertragen fähig ist, brachen 
über sie herein , und auch das letzte aller Leiden , den 
Tod, mussten sie unter den vielfältigsten Peinigungen 
erdulden. Gleichwohl kann man sagen ; es widerfuhr 
ihnen noch weniger, als sie ihren Frevelthaten gemäss 
verdient hatten; eine völlige Vergeltung war ja nicht 
möglich. Diejenigen aber, welche als Opfer ihrer Grau- 
samkeit fielen, nach Gebühr zu beklagen , ist hier nicht 
angebracht, und ich wende mich daher wieder zu dem 
noch übrigen Teile meiner Erzählung. 

2. Gegen Eleazar also und die Sikarier, die mit 
ihm Masada besetzt hielten, rückte der römische Heer- 
führer an der Spitze seiner Streitmacht heran. Die ganze 
Umgegend unterwarf er ohne Mühe und legte in die 
passendsten Orte derselben Besatzungstruppen; die 
Festung selbst aber umgab er, damit den Belagerten 
die Flucht erschwert würde, mit einer Ringmauer und 
verteilte auf dieser die Wachtposten. Alsdann wählte 
er einen mit Rücksicht auf die Belagerung besonders 
zweckmässigen Lagerplatz , und zwar an dem Punkte, 
wo die Felsen des Kastells den nahegelegenen Berg 
berührten, obgleich eben dieser Ort die Herbeischaffung 
des nötigen Proviantes sehr schwierig machte; denn es 
mussten seitens der dazu beorderten Juden nicht nur die 
festen Nahrungsmittel aus weiter Ferne und unter 
grossen Strapazen herangebracht, sondern auch das 



Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


653 


Trinkwasser ins Lager geleitet werden, da in der Nähe 
des Platzes sich keine Quelle befand. Als nun Silva 
auf diese Weise die nötigen Vorbereitungen getroffen 
hatte, begann er mit den Belagerungsarbeiten, die 
wegen der Festigkeit des Kastells die grösste Auf- 
merksamkeit und Anstrengung erheischten. Die Burg 
ist nämlich folgendermassen beschaffen: 

3. Einen Felsen von nicht unbedeutendem Umfang 
und beträchtlicher Höhe umgeben auf allen Seiten un- 
absehbar tiefe, abschüssige und für Menschen wie Tiere 
unbetretbare Schluchten, und nur an zwei Stellen ge- 
stattet der Fels einen freilich immer noch schwierigen 
Zugang von unten her. Der eine dieser Pfade erstreckt sich 
vom Asphaltsee aus gegen Osten, der andere, leichter 
zu begehende, gegen Westen. Den ersteren nennt man 
um seiner Schmalheit und seiner vielfachen Windungen 
willen den Schlangenpfad. Er bricht sich nämlich an 
den Vorsprüngen des Abhanges, kehrt zu wiederholten 
Malen gegen sich selbst zurück und zieht sich dann 
wieder ein wenig in die Länge, sodass er nur langsam 
dem Ziele sich nähert. Beschreitet man diesen Weg, 
so muss man sich stets abwechselnd mit einem Fusse 
fest anstemmen; denn gleitet man aus, so ist man un- 
rettbar verloren, da zu beiden Seiten tiefe Schlünde 
gähnen, deren furchtbarer Anblick auch den Beherztesten 
zaghaft machen kann. Ist man nun auf diesem Pfade 
dreissig Stadien weit hinaufgestiegen , so hat man den 
Gipfel vor sich, der indes nicht etwa in eine schlanke 
Spitze ausläuft, sondern oben eine breite Fläche bildet. 
Auf ihr hatte zuerst der Hohepriester Jonathas 1 eine 
Festung angelegt, die er Masada nannte. Später gab 
der König Herodes sich viele Mühe, dieselbe in guten 
Stand zu setzen. Er umzog nämlich den ganzen, sieben 
Stadien im Umfang messenden Gipfel mit einer zwölf 
Ellen hohen und acht Ellen breiten Ringmauer aus 
weissen Quadern und errichtete auf ihr siebenunddreissig 


1 Bruder des Judas Makkabaeus, regierte lüO — 143 v. Chr. 


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654 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


je fünfzig Ellen hohe Türme, aus denen man in die 
Wohnungen gelangen konnte, welche an die innere Seite 
der Mauer in deren ganzer Länge angebaut waren. Die 
eigentliche Gipfelfläche aber liess der König, weil sie 
besonders fetten und jedes Ackerland in der Ebene an 
Fruchtbarkeit übertreffenden Boden hatte, zum Anbau 
frei, damit bei etwa eintretendem Mangel an Proviant- 
zufuhr die Leute, die dem Kastell ihre Rettung an- 
vertrauen würden, keine Not zu leiden brauchten. Auch 
einen Königspalast erbaute er an dem westlichen Zu- 
gang unterhalb der Gipfelmauer. Dieser Palast, dessen 
Front gegen Norden sah, hatte überaus hohe und starke 
Mauern sowie in den Ecken vier Türme von je sechzig 
Ellen Höhe. Die innere Ausstattung seiner Säle, Hallen 
und Bäder war mannigfaltig und prunkvoll, die Säulen 
überall aus einem Stein , die Wände und Zimmerböden 
mit Mosaik ausgelegt. Ferner hatte er an allen Stellen, 
wo Wohnhäuser lagen, nämlich oben, bei dem Palast 
und vor der Mauer, eine beträchtliche Anzahl grosser 
Cisternen in den Felsen hauen lassen , um dadurch der 
Besatzung einen ebenso reichen Wasservorrat zu ver- 
schaffen, als sie sonst durch Quellen würde erhalten 
haben. Vom Palast aus führte zur Gipfelhöhe ein in 
Stein gehauener, von aussen unsichtbarer Weg. Aber 
auch von den Pfaden, die man sah, konnte der Feind 
nur sehr schwer Gebrauch machen. Der östliche näm- 
lich ist wegen seiner oben geschilderten Beschaffenheit 
nicht zu begehen; den westlichen aber hatte der König 
an der engsten Stelle durch einen grossen Turm ge- 
schützt, der nicht weniger wie tausend Ellen von der 
eigentlichen Festung entfernt war, und den man weder 
umgehen noch auch mit leichter Mühe nehmen konnte. 
Selbst den friedlichen Besuchern des Kastells war da- 
durch der Ein- und Ausgang erschwert. Auf diese 
Weise also hatten sich Natur und Kunst vereinigt, um 
die Festung gegen feindliche Angriffe sicher zu stellen. 

4. Noch grössere Bewunderung musste die reiche 
Fülle der im Innern aufgespeicherten Vorräte erregen 



Siebentes Bnch, 8. Kapitel. 


655 


sowie die lange Zeitdauer, während der sie sich ge- 
halten hatten. Es lag nämlich daselbst eine Unmasse 
Getreide, die auf Jahre hinaus reichen konnte; des- 
gleichen war ein bedeutender Vorrat von Wein, öl, 
Datteln und allerlei Hülsenfrüchten in der Festung auf- 
gehäuft. Als Eleazar mit seinen Sikariern sich des 
Platzes durch List bemächtigt hatte, fand er alles noch 
unverdorben und so frisch, als wäre es eben erst hinein- 
gelegt worden — und doch war seit der Aufspeicherung 
dieser Vorräte bis zur Eroberung des Kastells durch 
die Römer fast ein Jahrhundert verstrichen. Aber auch 
die Römer fanden den Rest der Früchte noch völlig 
geniessbar. Als den wahren Grund dieser Dauerhaftig- 
keit darf man wohl die Beschaffenheit der Luft an- 
nehmen, die wegen der hohen Lage der Festung von 
allen unreinen Dünsten, wie sie näher an der Erde vor- 
zukommen pflegen, frei ist. Des weitern fand sich eine 
Menge von Herodes dort aufgestapelter Waffen aller 
Art vor, die für zehntausend Mann genügen konnten, 
sowie unbearbeitetes Eisen, Erz und Blei. Diese ge- 
waltigen Zurüstungen hatten übrigens ihre guten Gründe. 
Soll doch Herodes die Festung als Zufluchtsort für sich 
selbst in Aussicht genommen haben, da er eine doppelte 
Gefahr argwöhnte: die eine von seiten des jüdischen 
Volkes, von dem er befürchtete, es möchte ihn stürzen 
und das frühere Königshaus wieder auf den Thron 
bringen; die grössere und bedenklichere aber von seiten 
der aegyptischen Königin Kleopatra. Letztere nämlich 
machte aus ihrer Gesinnung kein Hehl, lag vielmehr 
dem Antonius beständig an, er solle Herodes ermorden 
lassen und ihr das Königreich Judaea schenken. In der 
That musste man sich wundern, dass der bis zu 
sklavischer Unterwerfung in sie verliebte Antonius ihrem 
Begehren nicht bereits entsprochen hatte , zumal auf die 
Verweigerung der Gefälligkeit ohnehin niemand sich 
gefasst machte. Derartige Besorgnisse hatten den 
Herodes zur Befestigung Masadas bewogen, und nun 
traf es sich, dass er gerade in dieser Festung den 


Go gle 



656 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Körnern das letzte Stück Arbeit im Kriege gegen die 
Juden hinterliess. 

5. Als nun der römische Feldherr, wie schon erwähnt, 
den ganzen Ort von aussen mit einer Kingmauer um- 
geben und die sorgfältigsten Vorkehrungen getroffen 
hatte, dass niemand von der Besatzung entrinne, liess 
er die Belagerung ihren Anfang nehmen, obwohl er nur 
eine einzige Stelle gefunden hatte, die sich zur Er- 
richtung von Wällen eignete. Hinter dem Turme näm- 
lich, der den von Westen in den Palast und zum 
Gipfel führenden Weg beherrschte, befand sich eine 
felsige Anhöhe von bedeutender Breite, die auch ziem- 
lich weit vorsprang , dabei aber dreihundert Ellen tiefer 
als Masada lag. Diese Anhöhe , die man den weissen 
Felsen nannte , liess Silva jetzt besetzen und dann von 
seinen Leuten Erde herbeischaffen. Alsbald erhob sich 
infolge eifriger Arbeit der zahlreichen Mannschaft ein 
fester Damm von hundert Ellen Höhe; noch aber schien 
die Aufschüttung nicht fest und hoch genug, um den 
Maschinen als Standort zu dienen, und es wurde daher 
oben auf ihr noch ein fünfzig Ellen breiter nnd ebenso 
hoher Oberbau aus grossen Stein blocken errichtet. Die 
Maschinen selbst besassen eine ähnliche Einrichtung, 
wie die früher von Vespasianus und dann auch von 
Titus zu Belagerungszwecken erfundenen; ausserdem 
aber wurde noch ein ganz mit Eisen beschlagener, sech- 
zig Ellen hoher Turm aufgeführt, von dessen Brüstung 
aus die Römer mit zahlreichen Skorpionen und Bailisten 
die Verteidiger der Mauern zurück trieben und sie ver- 
hinderten, auch nur den Kopf emporzurecken. Ferner 
liess Silva einen gewaltigen Sturmbock anfertigen und 
damit unausgesetzt gegen die Mauer stossen, und ob- 
wohl dieselbe schier unzerstörbar war, gelang es ihm 
doch endlich, Bresche in sie zu legen. Schnell aber 
hatten die Sikarier drinnen eine zweite Mauer errichtet, 
der selbst die Maschinen nichts mehr sollten an- 
liaben können. Damit sie nämlich durch ihre Weich- 
heit die Gewalt der Stösse abzuschwächen imstande sei, 



Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


657 


gaben sie ihr folgende Einrichtung. Sie fügten grosse 
Balken mit den Enden der Länge nach aneinander und 
zwar so, dass zwei Reihen derselben in einem Abstand 
von Mauerbreite nebeneinander hinliefen; den mittleren 
Raum zwischen beiden Balkenlagen füllten sie dann mit 
Erde aus. Damit aber bei weiterer Anhöhung dieses 
Walles die Erde nicht nachgebe, verbanden sie die der 
Länge nach liegenden Balken durch andere, die sie der 
Quere nach anbrachten, sodass der ganze Bau Ähnlich- 
keit mit einem Blockhause hatte. Von jetzt an wurden 
die Stösse der Maschinen durch die weiche Masse, gegen 
die sie erfolgten, unwirksam gemacht; ja, der Bau setzte 
sich sogar durch die Erschütterung und ward infolge- 
dessen nur noch fester. Als Silva dies bemerkte, glaubte 
er die Schanze vielleicht eher durch Feuer zerstören zu 
können und befahl deshalb den Soldaten, eine Menge 
brennender Fackeln dagegen zu schleudern. Wirklich 
fing denn auch die Mauer, die ja grösstenteils aus Holz 
bestand, alsbald Feuer und loderte, infolge ihrer lockeren 
Bauart bis zum Grund entzündet, in hellen Flammen 
auf. Nun aber erhob sich beim Beginn des Brandes 
ein Nordwind, der den Römern gefährlich wurde: er 
blies die Flamme von der Festung weg und trieb sie 
ihnen ins Gesicht. Fast verzweifelten sie deswegen an 
dem Erfolge, da sie die Einäscherung ihrer Maschinen 
befürchteten. Plötzlich jedoch drehte sich der Wind 
wie durch göttliche Fügung, schlug gegen Süden um 
und jagte, indem er zugleich stärker wehte, die Flammen 
gegen die Mauer zurück, die schon von oben bis unten 
brannte. Daran erkannten die Römer den Beistand der 
Gottheit und kehrten nunmehr frohen Mutes ins Lager 
zurück, entschlossen, am folgenden Tage zu stürmen. 
Einstweilen Hessen sie die Nacht über alles sorgfältig 
bewachen, damit niemand aus der Festung entweichen 
könne. 

6. An Flucht jedoch dachte Eleazar nicht im ent- 
ferntesten, wie er dieselbe auch keinem anderen gestattet 
haben würde; vielmehr stellte er sich, da er die Mauer 

Joseph us, jüdischer Krieg. 4f 

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658 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


vom Feuer zerstört sah und kein weiteres Mittel zur 
Kettung oder Verteidigung ausfindig machen konnte, die 
Behandlung vor Augen, welche die Weiber und Kinder 
von den Römern erfahren würden, wenn sie in deren 
Hände fielen, und kam so zu dem Entschluss, dass alle 
in den Tod gehen müssten. Weil er nun, wie die Dinge 
einmal standen, dies für das beste hielt, versammelte er 
die starkmütigsten seiner Gefährten und suchte sie mit 
folgenden Worten zur That zu entflammen: ,;Schon 
lange sind wir, wackere Kameraden, entschlossen, weder 
den Römern noch sonst jemand unterthan zu sein ausser 
Gott allein, weil er der wahre und rechtmässige Gebieter 
der Menschen ist; jetzt aber ist der Augenblick ge- 
kommen, der uns mahnt, unsern hehren Entschluss 
durch die That zu bekräftigen. Entehren wir uns also 
nicht selbst dadurch, dass wir, die wir früher nicht ein- 
mal eine ungefährliche Knechtschaft zu ertragen ver- 
mochten, jetzt mit der Knechtschaft uns freiwillig die 
schrecklichsten Qualen zuziehen, die uns sicher bevor- 
stehen, wenn wir in die Hände der Römer fallen. Denn 
wie wir die allerersten waren, die sich gegen ihr Joch 
aufgelehnt haben, so sind wir auch die letzten, die noch 
von ihnen bekämpft werden. Ich halte es für eine be- 
sondere Gnade Gottes, dass er uns in den Stand setzt, 
ehrenvoll als freie Leute unterzugehen, was anderen, 
die unversehens überwältigt wurden, nicht vergönnt war. 
Wir wissen ja schon zum voraus , dass wir morgen in 
Feindeshand geraten werden ; aber noch haben wir die 
freie Wahl, mit unsem Lieben eines edlen Todeß zu 
sterben. Das können die Feinde nicht verhindern, so 
gern sie uns auch lebendig in ihre Gewalt bekommen 
möchten; anderseits aber sind wir auch nicht mehr im- 
stande, sie im Kampfe zu besiegen. Gleich anfangs 
vielleicht, als unsere freiheitlichen Bestrebungen auf so 
grossen Widerstand bei unsern Landsleuten und auf 
noch grösseren von seiten unserer Feinde stiessen, 
hätten wir den Ratschluss Gottes mutmassen und er- 
kennen sollen, dass er das einst ihm so teure Volk der 



Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


659 


Juden dem Verderben geweiht habe. Denn wäre er 
uns gnädig geblieben oder nur massig über uns erzürnt 
gewesen, so würde er wohl dem Untergang so vieler 
Menschen nicht ruhig zugeschaut und seine hochheilige 
Stadt nicht dem Feuer und der Zerstörungswut unserer 
Feinde preisgegeben haben. Und da getrauen wir uns 
noch zu hoffen, es könnte uns gelingen, allein von dem 
ganzen jüdischen Volke übrig zu bleiben und unsere 
Freiheit zu retten, als hätten wir gegen Gott den Herrn 
nicht gesündigt und an keinem Frevel uns beteiligt, 
während wir doch darin die Lehrmeister der anderen 
gewesen sind? Ihr seht also, wie Gott unsere eitlen Er- 
wartungen Lügen straft, indem er eine Plage über uns 
kommen lässt, die unsere Hoffnungen völlig zu Schanden 
macht Denn was hat die Uneinnehmbarkeit dieser 
Festung uns hinsichtlich unserer Rettung genützt? Und 
hat nicht Gott selbst, obwohl wir einen reichen Vorrat 
an Proviant, eine Menge Waffen und allen sonstigen 
Bedarf in Überfluss besitzen, jede Hoffnung auf Rettung 
uns benommen? Nicht der Zufall war es ja, der das 
anfangs den Feinden zugewandte Feuer gegen die von 
uns errichtete Mauer Umschlägen liess, sondern der Zorn 
Gottes wegen der vielen Frevel, die wir in unserer 
Raserei gegen die eignen Landsleute begangen haben. 
Die Strafe dafür aber wollen wir nicht von unsern 
Todfeinden, den Römern, sondern von Gott durch unsere 
eigne Hand erleiden; denn sein Strafgericht ist das 
mildere. Ungeschändet sollen unsere Weiber sterben, 
frei von Sklavenketten unsere Kinder! Und sind sie 
uns im Tode voran gegangen, so wollen wir selbst ein- 
ander den Liebesdienst erweisen — dann wird der 
Ruhm, die Freiheit hochgehalten zu haben, uns ein 
ehrenvolles Leichenbegängnis ersetzen ! Zuvor aber 
wollen wir unsere Kostbarkeiten und die ganze Burg 
durch Feuer vernichten; denn ich bin sicher, dass die 
Römer sich ärgern werden, wenn sie uns nicht lebend 
fangen können und obendrein auch noch um die Beute 
kommen. Nur die Nahrungsmittel wollen wir ihnen 



660 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


übrig lassen, damit sie nach unserm Tode zum Zeugnis 

dienen , dass nicht der Hunger uns bezwang , sondern 

dass wir, wie von Anfang an, so auch jetzt noch ent- 
schlossen waren, den Tod der Knechtschaft vorzu- 
ziehen/* 

7. So sprach El eazar; aber es waren noch lange nicht 
alle Anwesenden mit seinen Worten einverstanden. 
Einige zwar gingen mit wahrem Eifer daran, seinen 
Vorschlag ins Werk zu setzen; ja, sie zeigten sich bei- 
nahe hocherfreut, weil sie einen solchen Tod für ehren- 
voll hielten. Die weichherzigeren seiner Leute dagegen 
ergriff Mitleid mit den Frauen und Kindern, und da 

auch ihnen selbst der sichere Untergang vor Augen 

stand, sahen sie einander unter Thränen an und gaben 
dadurch ihre Abneigung gegen den Plan Eleazars zu 
erkennen. Als nun dieser ihre verzagte Stimmung be- 
merkte und sich nicht verhehlen konnte, dass ihr Mut 
infolge jenes verzweifelten Ratschlages am zusammen- 
brechen sei, beschlich ihn die Furcht, sie möchten durch 
ihr Jammern und Weinen auch noch diejenigen rühren, 
die seine Worte mutigen Herzens angehört hatten. Er 
fuhr deshalb fort, sie zu ermuntern, und begann, während 
seine Gestalt sich hoch aufrichtete und flammende Be- 
geisterung ihn durchdrang, eine schwungvolle Rede über 
die Unsterblichkeit der Seele, indem er mit erhobener 
Stimme, den Blick fest auf die Weinenden gerichtet, 
also sprach: „Wahrlich, gar sehr habe ich mich ge- 
tauscht, indem ich wähnte, den Kampf für die Freiheit 
in Gemeinschaft mit wackeren Männern zu bestehen, 
die zu sterben entschlossen sind, wenn sie nicht mit 
Ehren leben können. Leider aber habt ihr, was Tapfer- 
keit und Mut anlangt, vor jedem beliebigen Alltags- 
menschen nichts voraus, da ihr den Tod selbst dann 
noch fürchtet, wenn er euch vom grössten Elend be- 
freien soll, anstatt ihm unverzagt und, ohne dass es 
einer Aufforderung dazu bedürfte, ins Auge zu schauen. 
Ward uns doch stets von der ersten Regung unseres 
Bewusstseins an nach altehrwürdiger Überlieferung die 


Go gle 



Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


661 


Lehre eingeprägt, die ja auch unsere Ahnen durch ihre 
Thaten und Gesinnungen bekräftigten, dass nicht der 
Tod, sondern das Leben für die Menschen ein Unglück 
sei. Denn der Tod giebt den Seelen die Freiheit und 
eröffnet ihnen den Zugang zu dem reinen Orte, der ihre 
Heimat ist und wo kein Leid sie mehr treffen soll. So 
lange sie aber noch an den sterblichen Leib gefesselt 
und von seinen Gebrechen angesteckt sind, kann man 
sie in Wahrheit als tot bezeichnen; denn die Verbindung 
von Göttlichem mit Sterblichem ist etwas Unnatürliches. 
Freilich vermag die Seele auch Grosses zu vollbringen, 
während sie noch dem Körper innewohnt, indem sie ihn 
eben zum empfindenden Werkzeug ihrer selbst macht, 
unsichtbar ihn bewegend und über seine sterbliche Natur 
durch bedeutende Thaten ihn hervorhebend. Aber erst 
wenn sie, los von der sie zur Erde ziehenden lästigen 
Schwere, ihre wahre Heimat erreicht hat, erst dann wird 
sie einer seligen Wirksamkeit und allerseits ungehemmten 
Kraft teilhaftig und führt, wie Gott selbst, ein ewiges, 
dem menschlichen Auge unsichtbares Dasein. Aller- 
dings kann sie auch, so lange sie noch im Körper sich 
befindet, nicht geschaut werden: ungesehen kommt sie, 
und niemand wird ihrer gewahr, wenn sie wiederum 
geht, und wiewohl sie selbst ihrer Natur nach un- 
veränderlich ist, wird sie doch die Ursache aller Ver- 
änderungen des Körpers. Denn womit die Seele sich 
verbindet, das lebt und gedeiht; wovon sie sich aber 
trennt, das verwelkt und stirbt ab — so gross ist die 
Fülle der in ihr wohnenden Unsterblichkeit Der deut- 
lichste Beweis für das Gesagte sei euch der Schlaf, in 
welchem die Seelen, ungestört vom Leibe, in sich selbst 
zurückgezogen der süssesten Ruhe gemessen, mit Gott, 
dem sie verwandt sind, verkehren, überall hinschweifen 
und vieles Zukünftige weissagen. Wie sollte man also 
den Tod furchten, wenn man die Ruhe im Schlafe liebt|? 
Und wäre es nicht ein Zeichen von Thorheit, wenn 
jemand die irdische Freiheit zu erringen suchte und 
doch die ewige sich missgönnte? Wir sollten daher 


Go gle 



662 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


schon auf Grund der Erziehung, die wir genossen haben, 
anderen ein Beispiel von Sterbensfreudigkeit geben. 
Haben wir aber auch noch Vorbilder aus der Fremde 
nötig, so lasst uns auf die Inder schauen, die Bich der 
Übung der Weisheit befleissigen. Diese edlen Männer 
ertragen das irdische Leben nur widerwillig als einen 
Frondienst, den sie der Natur schulden, und freuen sich, 
wenn die Seele aus den Banden des Körpers erlöst wird: 
ohne dass ein Leid sie drückt oder quält, nur aus 
Sehnsucht nach dem ewigen Leben, kündigen sie den 
anderen an, dass sie gesonnen sind, von der Welt zu 
scheiden. Niemand hindert sie daran, vielmehr preist 
jedermann sie glücklich und giebt ihnen Aufträge an 
verstorbene Verwandten mit — so fest und zuversicht- 
lich glauben sie an eine Wiedervereinigung der Seelen. 
Nachdem sie nun jene Aufträge entgegengenommen, 
übergeben sie ihren Leib dem Feuer, um die Seelen 
in möglichster Reinheit vom Körper zu trennen, und 
sterben unter Lobgesängen. Ihre Lieben aber geleiten 
sie mit leichterem Herzen zum Tode, als andere 
Menschen ihre Mitbürger zu einer weiten Reise; sich 
selbst beweinen sie, jene preisen sie selig, weil sie schon 
in die Reihen der Unsterblichen aufgenommen sind. 
Müssen wir uns nun nicht schämen, dass wir uns zu der 
edlen Gesinnung der Inder nicht emporschwingen können 
und durch unsere Zaghaftigkeit das Gesetz unserer 
Väter, um das die ganze Welt uns beneidet, schmäh- 
lich beschimpfen? Aber wenn man uns auch von jeher 
das gerade Gegenteil gelehrt hätte, nämlich dass das 
irdische Leben des Menschen höchstes Gut und der Tod 
ein Unglück sei, so mahnt uns doch unsere gegen- 
wärtige Lage, ihn wohlgemut zu ertragen, da der Wille 
Gottes und die Notwendigkeit ihn gebieterisch verlangen. 
Schon lange nämlich hat Gott, wie mir scheint, bezüg- 
lich des gesamten Volkes der Juden diesen Ratschluss 
gefasst: wir sollen das Leben verlieren, weil er uns nicht 
mehr gnädig sein will. Euch selbst dürft ihr ja nicht 
die Schuld beimessen, noch es den Römern als Verdienst 



Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


663 


anrechnen, dass der Krieg gegen sie uns alle ins Ver- 
derben gestürzt hat. Denn nicht durch ihre Kraft ist 
solches geschehen, sondern eine höhere Macht hat es 
gefügt, dass sie sich als Sieger betrachten können. 
Waren es zum Beispiel vielleicht römische Waffen, durch 
welche die Juden zu Caesarea ums Leben kamen? Nein, 
sie dachten nicht im entferntesten an Abfall, und 
während sie den Sabbat feierten, fiel der Pöbel von 
Caesarea über sie her, metzelte sie samt Weibern und 
Kindern nieder, ohne dem geringsten Widerstand zu be- 
gegnen, und scheute sich dabei nicht einmal vor den 
Körnern selber, welche nur die Abtrünnigen, das heisst 
Leute unseres Schlages, für Feinde erklärt hatten. Doch 
man wird einwenden, die Bewohner von Caesarea hätten 
stets mit den Juden im Streit gelegen und, indem sie 
eine günstige Gelegenheit benutzten, nur einen alten 
Hass gestillt Nun denn, was sagen wir von den Juden 
zu Skythopolis? Den Griechen zu Gefallen ergriffen sie 
das Schwert gegen uns, anstatt mit uns, ihren Stammes- 
genossen, die Römer zu bekämpfen. Aber was hatten 
sie von dem Wohlwollen und der Freundlichkeit gegen 
ihre griechischen Mitbürger? Mitsamt ihren Familien 
wurden sie unbarmherzig hingeschlachtet; das war der 
Dank für ihre Hilfe. Was sie uns wehren wollten, den 
Griechen anzuthun, das geschah ihnen selbst, als hätte 
es so kommen müssen. Doch es würde zu weit führen, 
wollte ich alles im einzelnen hier Vorbringen : ihr 
wisst ja, dass es keine Stadt in Syrien giebt, die 
nicht ihre jüdischen Bewohner umgebracht hätte, wie- 
wohl diese uns weit friedlicher gegenüberstanden als die 
Römer. So haben, um nur einiges anzuführen, die Da- 
mascener, ohne auch nur einen Schatten von Vorwand 
erdichten zu können, ihre Stadt durch ein scheussliches 
Blutbad befleckt, indem sie achtzehntausend Juden samt 
deren Weibern und Kindern ermordeten. Ferner wurden 
in Aegypten eine Unmenge Juden — sechzigtausend, 
wie man hört — zu Tode gemartert. Allerdings haben 
diese im fremden Lande, weil sie schutzlos ihren Feinden 



664 J osephus, Geschichte des J üdischen Krieges. 

preisgegeben waren, solch jammervollen Tod gefunden; 
aber auch denen, die in ihrem eignen Lande gegen 
die Römer Krieg führten und überall die beste Gewähr 
für den Sieg gaben, ward dieser Sieg nicht zuteil. 
Waffen, Mauern, uneinnehmbare Festungen und ein 
Mut, der den Gefahren des Befreiungskampfes furchtlos 
die Stirn bot, bestärkten das ganze Volk in seinem Vor- 
haben, den Abfall zu wagen. Aber nachdem dies alles 
nur kurze Zeit vorgehalten und uns mit hochfliegenden 
Hoffnungen erfüllt hatte, stellte es sich in der Folge nur 
als Ursache noch viel grösseren Unglücks dar. Eine 
Festung nach der anderen wurde erobert und fiel den 
Feinden in die Hände, als wären sie nur deshalb so 
ausgerüstet gewesen, um den Sieg der Römer noch 
glänzender zu gestalten, und nicht vielmehr um denen, 
die sie erbaut hatten, zur Rettung zu verhelfen. Die in 
der Schlacht Gefallenen waren noch glücklich zu preisen, 
denn sie starben wenigstens mit dem Schwert in der 
Hand und ohne die Freiheit zu verraten. Wer aber 
wollte nicht die Menge derer bemitleiden, die in römische 
Gefangenschaft gerieten? Und wer möchte nicht mit 
Freuden in den Tod gehen, bevor ein gleiches Schicksal 
ihn ereilt? Von diesen Unglücklichen starben die einen 
auf der Folterbank, durch Feuer und Geisselhiebe zer- 
martert; andere wurden, von wilden Tieren halb zerrissen, 
lebendig zu einem zweiten Mahle für die Bestien auf- 
bewahrt — zum Gespött und zur Kurzweil ihrer Peiniger. 
Die Beklagenswertesten aber sind die, welche noch leben 
und den heissersehnten Tod nicht finden können. Und 
wo ist jene grosse Stadt, die Hauptstadt der jüdischen 
Nation, die durch so viele Ringmauern befestigt, durch 
so viele Burgen und gewaltige Türme geschützt war, die 
Stadt, welche kaum die Masse des Kriegsgerätes fasste 
und so viele Myriaden Männer in sich schloss, die für 
sie stritten? Wo ist sie hingekommen, die Stadt, die 
Gott der Herr gewürdigt hatte, in ihr zu wohnen? Vom 
tiefsten Grunde aus ist sie zerstört, und als einziges 
Denkzeichen von ihr blieb nur das Lager ihrer Ver- 



Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


665 


wüster übrig, das noch auf ihren Trümmern steht 
Elende Greise liegen bei der Asche des Tempels, und 
wenige Weiber, die für die schamlose Lust der Feinde 
aufbewahrt sind. Denkt einer an das alles, wie mag er 
da den Tag noch schauen wollen, selbst wenn er fortan 
in Sicherheit leben könnte? Und wer ist der Vater- 
landsfeind, wer die Memme und der Feigling, dem es 
nicht leid thun würde, dass er auch nur bis heute hat 
leben müssen ? Ach wären wir doch alle gestorben, bevor 
wir die heilige Stadt von Feindeshand zerstören und den ge- 
weihten Tempel so frevelhaft vernichten sahen! Freilich 
wurden wir durch die gewiss nicht unedle Hoffnung hin- 
gehalten, vielleicht noch einmal an dem Feind Hache dafür 
nehmen zu können ; nun aber auch diese dahin ist und wir 
einsam der Not gegenüberstehen, wollen wir nicht zögern, 
mit Ehren zu sterben. Lasst uns Erbarmen haben mit 
uns selbst, Erbarmen mit unsern Frauen und Kindern, 
so lange es uns noch freisteht, solche Barmherzigkeit 
zu üben. Denn zum Tode sind wir geboren, und zum 
Tode haben wir auch unsere Kinder gezeugt: selbst die 
Glücklichsten können ihm nicht entgehen; Misshandlung 
aber und Sklaverei, und Zusehen müssen, wie Weiber 
und Kinder zur Schändung geschleppt werden, das sind 
keine Übel, welche etwa die Naturnotwendigkeit den 
Menschen auferlegt, sondern es widerfahrt ihnen solches 
nur um ihrer eignen Feigheit willen, weil sie nämlich, 
obwohl sie es könnten, nicht sterben wollen, ehe sie dies 
alles erleben. Wir dagegen sind im stolzen Vertrauen 
auf unsere Manneskraft von den Römern abgefallen und 
haben noch jüngst ihrer Aufforderung, uns zu ergeben, 
kein Gehör geschenkt Wem sollte es da nicht ein- 
leuchten, wie schwer ihre Rache uns treffen würde, wenn 
sie uns lebend in ihre Gewalt bekämen ? Wehe alsdann 
den Jünglingen, deren Körperstärke gar viele Martern 
wird aushalten müssen! Wehe auch den Greisen, die 
ihres hohen Alters wegen die Qualen nicht mehr er- 
tragen können! Da wird der eine sein Weib zur 
Schändung wegführen sehen, ein anderer die Stimme 


Go gle 



666 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Beines Kindes hören, wie es nach dem Vater jammert, 
dem doch die Hände gebunden sind! Doch nein — so 
lange diese Hände noch frei sind und das Schwert zu 
halten vermögen, sollen sie uns den besten Dienst er- 
weisen ! Ungeknechtet von den Feinden wollen wir 
sterben, als freie Männer samt Weib und Kind aus dem 
Leben scheiden. Das befehlen uns die Gesetze, das er- 
flehen von uns unsere Frauen und Kinder; in die Not- 
wendigkeit aber, diesen Schritt zu thun, hat uns Gott 
versetzt, und das Gegenteil davon liegt im Wunsche 
der Römer: sie fürchten, es möchte einer aus uns vor 
dem Falle der Festung sterben. Eilen wir daher, ihnen 
statt der erhofften Freude, die unsere Gefangennehmung 
ihnen bereiten würde , den grausigen Anblick unserer 
Leichen und das Staunen über unsere Kühnheit zu 
hinterlassen !“ 


Neuntes Kapitel. 

Die Verteidiger Masadas ermorden sich gegenseitig. 

1. Als er nun noch mit seinen Ermahnungen fort- 
fahren wollte, unterbrachen ihn alle, drängten, von 
unaufhaltsamem Ungestüm ergriffen, zur That und rannten, 
wie wenn ein böser Geist sie getrieben hätte, davon. 
Einer suchte dem anderen zuvorzukommen, und jeder 
glaubte sich dadurch besonders tapfer und entschlossen 
zu zeigen, dass er sich nicht unter den Letzten Anden 
liess — ein solch gieriges Verlangen hatte sich ihrer 
bemächtigt, ihre Weiber und Kinder sowie sich selbst 
untereinander zu morden. Auch erkaltete, wie man viel- 
leicht hätte meinen können, dieser ihr Eifer nicht, als 
sie zur Ausführung schritten, sondern sie beharrten bei 
der unerbittlichen Gesinnung, die Eleazars Rede ihnen 
eingeflösst hatte. Freilich erlitten ihre freund- und ver- 
wandtschaftlichen Gefühle keine Einbusse; aber die Ver- 
nunft, die ihnen sagte, dass sie so am besten für ihre 




Siebentes Buch, 9. Kapitel. 


667 


Lieben sorgten, behielt die Oberhand. Bo setzten sie 
denn, indem sie ihre Frauen liebevoll umarmten, ihre 
Kinder herzten und unter Thränen die letzten Küsse auf 
deren Lippen drückten, ihren Entschluss ins Werk, als 
stände ihnen eine fremde Hand zu Gebot; ihren Trost 
-aber fanden sie bei diesem notgedrungenen Morden in 
dem Gedanken an die Misshandlungen, die ihre Ange- 
hörigen erdulden müssten, wenn sie in Feindeshand fallen 
würden. Schliesslich erwies sich keiner als zu schwach 
für das grausige Werk, sondern alle machten ihre Lieben 
der Reihe nach nieder. O der fürchterlichen Not, die es 
den Unglücklichen noch als das kleinste Übel erscheinen 
liess, mit eigener Hand ihre Frauen und Kinder hinzu- 
schlachten! Unfähig, den Schmerz über ihre That zu 
ertragen, und in dem Gefühl, dass sie ein Unrecht an 
den Toten begehen würden, wenn sie dieselben auch nur 
ein kleines Weilchen überlebten, schleppten sie alsdann 
eiligst alles Wertvolle auf einen Haufen zusammen, 
steckten es in Brand und wählten hierauf zehn ihrer 
Genossen aus, welche die Mörder aller übrigen werden 
sollten. Hingestreckt an der Seite seines Weibes und 
seiner Kinder und die Arme über sie ausbreitend, bot 
nun jeder von ihnen aufs bereitwilligste seine Kehle den 
zehn dar, welche den traurigen Dienst vollzogen. Kaum 
aber hatten die letzteren ohne Zittern und Zagen ihre 
sämtlichen Gefährten Mann für Mann durchbohrt, als 
sie durchs Los die gleiche Entscheidung bezüglich ihrer 
selbst trafen: derjenige, auf den das Los fiel, sollte die 
anderen neun und endlich auch sich selbst umbringen; 
hegten sie doch alle das feste Vertrauen zueinander, dass 
jeder von ihnen der Ausführung des Beschlusses in 
thätiger wie leidender Hinsicht gleich freudig sich fügen 
werde. So unterzogen sich denn die neun dem Tode 
durchs Schwert; der eine aber, der zuletzt noch am 
Leben war, besichtigte nur noch den Haufen der Da- 
liegenden, ob nicht etwa bei dem grossen Gemetzel einer 
übrig geblieben sei, der zum Sterben seiner Nachhilfe 
bedürfe, und als er sie alle wirklich tot fand, legte er 



668 Josephus, Oeschichte des Jüdischen Krieges. 

Feuer an den Palast, durchbohrte dann sich selbst mit 
kräftiger Faust und sank neben seinen Unglücksgefährten 
nieder. Also starben sie in der Überzeugung, keine Seele 
übrig gelassen zu haben, die in die Gewalt der Römer 
geraten könnte. Eine bejahrte Frau jedoch sowie eine 
Verwandte Eleazars, letztere ein an Verstand und Bil- 
dung die meisten ihres Geschlechtes weit überagendes 
Weib, hatten sich, während die Gedanken der anderen 
von der Ermordung der Gefährten ganz in Anspruch ge- 
nommen waren, heimlich nebst fünf Kindern in eine 
unterirdische Trinkwasserleitung verkrochen. Die Zahl 
der Toten, Weiber und Kinder mit eingerechnet, belief 
sich auf neunhundertsechzig. Diese Schreckensthat ge- 
schah am fünfzehnten des Monats Xanthikos. 1 

2. Früh morgens nun setzten sich die Römer, die auf 
bewaffneten Widerstand rechneten, in Bereitschaft, ver- 
banden ihren Wall und die Mauer durch Fallbrücken 
und betraten die Festung. Als sie jedoch keinen Feind 
erblickten, sondern überall eine unheimliche Leere, im 
Innern des Kastells Feuer, sonst aber tiefe Stille ge- 
wahrten, konnten sie sich nicht denken, was geschehen 
sei. Endlich stimmten sie, als sollten die Geschosse 
eben abfliegen, den Schlachtruf an, um dadurch den 
einen oder anderen von den Bewohnern hervorzulocken. 
Dieses Geschrei vernahmen die Weiber, krochen sogleich 
aus den unterirdischen Gängen heraus und berichteten 
den Hergang mit allen seinen Einzelheiten; besonders 
die eine der Frauen wusste alles , was gesprochen und 
gethan worden war, aufs genaueste zu erzählen. Die 
Römer indes schenkten ihr, weil sie die ungeheuerliche 
That nicht glauben wollten, nur wenig Aufmerksamkeit, 
sondern bahnten sich, indem sie den Brand zu löschen 
versuchten, einen Weg durch die Flammen und drangen 
in das Innere des Palastes ein. Als sie aber hier in 
Wirklichkeit die Menge der Gemordeten entdeckten, 
freuten sie sich nicht wie über den Untergang von 

1 73 n. Chr. 


Go gle 



Siebentes Buch, 10. Kapitel. 


669 


Feinden, sondern zollten dem hochherzigen Entschluss 
und der unerschütterlichen Todesverachtung so vieler bei 
der That beteiligten Personen ihre volle Bewunderung. 


Zehntes Kapitel. 

Sikarier-Unruhen in Alexandria. Vespasianus lässt den 
Oniastempel schliessen. 

1. Als Masada auf diese Weise erobert war, liess 
der römische Feldherr eine Besatzung in dem Kastell 
zurück und zog mit seinen Truppen nach Caesarea ab. 
Denn kein Feind war in Judaea übrig geblieben, 
sondern das Land war nunmehr durch den langen Krieg 
in seiner ganzen Ausdehnung völlig unteijocht Da- 
gegen kamen jetzt viele der auswärtigen Juden, selbst 
solche, die sehr weit von ihrem Stammland entfernt 
wohnten, infolge des Aufstandes in eine missliche Lage. 
So mussten beispielsweise kurz nach dem Falle Masadas 
zu Alexandria in Aegypten eine Menge Juden das 
Leben lassen. Diejenigen aus der Sikarierrotte nämlich, 
denen die Flucht dorthin geglückt war, hatten nicht ge- 
nug daran, dass sie mit heiler Haut davongekommen 
waren, sondern suchten aufs neue Unruhen zu stiften, 
indem sie viele von denen, die ihnen Aufnahme gewährt 
hatten, beredeten, sich für die Freiheit zu erheben, die 
Körner nicht für besser zu halten, als sich selbst, und 
keinen Herrn anzuerkennen ausser Gott Als nun ein 
Teil der vornehmeren Juden sich ihnen widersetzte, 
räumten sie die einen aus dem Wege, den anderen aber 
lagen sie mit ihren Aufwiegeleien jetzt erst recht an. 
Angesichts dieses wahnwitzigen Treibens glaubten die 
obersten Mitglieder des Rates es nicht mit ihrer Sicher- 
heit vereinbaren zu können, wenn sie die Sikarier noch 
länger gewähren liessen. Sie beriefen daher die ganze 
Judenschaft zu einer Versammlung, deckten die An- 



670 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Schläge der Verwegenen auf und schilderten sie als die 
Urheber alles den Juden bislang zugestossenen Un- 
glücks. Jetzt aber, fuhren sie fort, da den Sikariern 
trotz der gelungenen Flucht keine Rettung winke (denn 
sowie sie von den Römern erkannt seien, würden sie wohl 
ihre baldige Hinrichtung zu gewärtigen haben), suchten 
sie in ihr verdientes Schicksal auch noch diejenigen mit 
hineinzuziehen, die sich niemals an ihren verbrecherischen 
Umtrieben beteiligt hätten. Die Vorsteher ermahnten 
darum das Volk, sich vor dem Unheil, das die Aufrührer 
stiften wollten, in acht zu nehmen und durch Aus- 
lieferung der Bösewichte sich den Römern gegenüber 
zu rechtfertigen. In richtiger Erkenntnis der grossen 
Gefahr, die ihnen drohte, nahmen sie sich denn auch 
ausnahmslos diese Vorstellungen zu Herzen, stürzten 
sich auf die Sikarier und machten sie dingfest. Sechs- 
hundert derselben wurden so auf der Stelle gefangen 
genommen; andere, die sich in das Innere Aegyptens 
und besonders nach Theben geflüchtet hatten, wurden 
bald darauf ergriffen und eingeliefert. Ihr Starrsinn 
und ihre Tollheit oder Seelenstärke — wie man’s nennen 
will — rief allgemeines Erstaunen wach. Denn alle 
erdenklichen Martern und Verstümmelungen, die man 
nur deshalb an ihrem Körper vollzog, damit sie den 
römischen Imperator als ihren Gebieter anerkennen 
sollten, vermochten nicht einen von ihnen zur Nach- 
giebigkeit zu bewegen oder ihm das geforderte Bekennt- 
nis abzuzwingen; vielmehr verharrten sie in ihrer durch 
keine Not zu beugenden Gesinnung, als wenn ihr Leib 
gegen Folterung und Flammenqualen völlig abgestumpft 
wäre, ihre Seele aber sogar noch Freude darüber 
empfände. Die grösste Verwunderung jedoch erregten 
bei den Zuschauern die kleinen Knaben: denn auch 
von ihnen war keiner dahin zu bringen, dass er den 
Imperator seinen Herrn genannt hätte — so sehr 
überwog ihre gewaltige Kühnheit die Schwäche ihres 
Körpers. 

2. Lupus, der damalige Statthalter zu Alexandria, 



Siebentes Buch, 10. Kapitel. 


671 


berichtete schleunigst über diese Bewegung nach Rom, 
worauf Vespasianus, der überzeugt war, dass die Em- 
pörungssucht der Juden nie zur Ruhe kommen werde, 
und zugleich befürchtete, sie möchten sich wieder zu 
grösseren Scharen zusammenthun und dann auch andere 
zum Abfall verleiten, dem Lupus befahl, den jüdischen 
Tempel im sogenannten Distrikt des Onias zu zerstören. 
Dieser Tempel liegt in Aegypten und verdankt seine 
Erbauung wie seinen Namen folgender Veranlassung. 
Onias, der Sohn des Simon, 1 einer der Hohepriester zu 
Jerusalem, war vor Antiochus, dem König von Syrien, 
als dieser die Juden mit Krieg überzog, nach Alexandria 
geflohen. Hier fand er wegen seines Zerwürfnisses mit 
Antiochus freundliche Aufnahme bei Ptolemaeus und 
versprach diesem dafür, er werde das ganze jüdische 
Volk auf seine Seite bringen, wenn der König seinen 
Worten Gehör schenken wolle. Ptolemaeus sicherte ihm 
thunlichste Unterstützung zu, und nun bat Onias um 
die Erlaubnis, irgendwo in Aegypten einen Tempel er- 
bauen und einen Gottesdienst nach der Sitte seiner 
Väter einrichten zu dürfen. Dann nämlich, meinte er, 
würden die Juden gegen Antiochus, den Verwüster des 
Tempels zu Jerusalem, noch hartnäckiger kämpfen, gegen 
Ptolemaeus aber desto grössere Anhänglichkeit an den 
Tag legen und sich um der freien Religionsübung willen 
massenhaft in seinem Lande ansiedeln. 

3. Diesen Ausführungen pflichtete der König bei und 
schenkte ihm einen Platz im Bezirke von Heliopolis, 
hundertachtzig Stadien von Memphis entfernt. Hier 
legte Onias zunächst Festungswerke an und erbaute als- 
dann den Tempel, jedoch nicht nach dem Muster des zu 
Jerusalem befindlichen, sondern in der Weise, dass er 
mehr einer Burg glich, die, aus grossen Quadern be- 
stehend, sich etwa sechzig Ellen hoch erhob. Dem 
Altar dagegen gab er eine ähnliche Gestalt, wie sie der 
in der Heimat auf wies, und schmückte auch den Tempel 


1 Vergl. die 6. Anmerkung zu I, 1, 1 sowie J. A. XII, 1, 7. 



672 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


mit ähnlichen Weihgeschenken. Nur bei dem Leuchter 
machte er eine Ausnahme. Er liess nämlich keinen 
stehenden Armleuchter verfertigen, sondern eine goldene 
Lampe , von welcher Strahlen ausgingen, und hängte 
dieselbe an einer goldenen Kette auf. 1 Das ganze 
Heiligtum umgab er mit einer Backsteinmauer, die 
massiv steinerne Thore hatte. Der König schenkte ihm 
sodann noch ein weiteres ausgedehntes Grundstück, von 
dessen Ertrag die Priester ihr reichliches Auskommen 
haben und ausserdem die Aufwendungen für den Gottes- 
dienst bestreiten sollten. 2 Onias aber hatte bei diesem 
Beginnen keine lauteren Absichten, sondern liess sich 
von seinem Hass gegen die Juden zu Jerusalem leiten, 
denen er es nicht vergessen konnte , dass sie ihn 
zur Flucht genötigt hatten; und nun glaubte er, durch 
die Erbauung dieses Tempels eine Menge Juden von 
dort weglocken zu können. Es gab übrigens auch eine 
darauf bezügliche Weissagung, die schon vor mehr als 
sechshundert Jahren ergangen war: der Prophet Esaias 
nämlich hatte die Erbauung dieses Tempels in Aegypten 
durch einen jüdischen Mann vorhergesagt 3 Auf die 
angegebene Weise also war der Tempel entstanden. 

4. Kaum hatte nun Lupus, der Befehlshaber von 
Alexandria, den entsprechenden Bescheid aus Rom er- 
halten, als er in dem geweihten Bezirk erschien und den 
Tempel, aus dem er zuvor einige Weihgeschenke fort- 
genommen hatte, abschloss. Bald darauf aber starb er, 
und sein Nachfolger im Amte, Paulinus, nahm nicht 
nur unter harten Drohungen gegen die Priester, falls sie 
etwas verheimlichten, die sämtlichen Weihgeschenke aus 
dem Tempel weg und verbot nicht nur den Andächtigen, 
die heiligen Räume zu betreten, sondern verschloss auch 


1 Ähnlich der bei den Juden im Mittelalter und fast bis in die 
neueste Zeit gebräuchlichen sogen. Sabbatlampe. 

2 Yergl. über den Oniastempel: Monatsschrift für Gesch. und 
Wissensch. d. Judent., 1851—52, S. 273— 77; 1872, S. 150-55; Grätz, 
Gesch. d. Juden III, S. 31 ff. 

3 Josephus meint hier die Stelle Jesaias 19, 19. 




Siebentes Bach, 11. Kapitel. 


673 


die Thore und machte den Tempel völlig unzugänglich, 
sodass keine Spur von Gottesdienst an dem Orte mehr 
übrig blieb. Von der Erbauung des Tempels bis zu 
seiner Verschliessung waren dreihundertdreiund vierzig 
Jahre 1 verflossen. 


Elftes Kapitel. 

Der Sikarier Jonathas in Kyrene. Schiasswort. 

1. Der Wahnsinn der Sikarier steckte übrigens, wie 
«ine Seuche, sogar Kyrene und dessen Nachbarstädte 
an. Dorthin nämlich hatte sich ein äusserst verruchter 
Mensch mit Namen Jonathas, seines Zeichens Weber, 
geflüchtet, der eine beträchtliche Schar besitzloser Leute 
an sich zog und sie in die Wüste führte, wo er ihnen 
Wunder und Erscheinungen zu zeigen versprach. Sein 
betrügerisches Treiben erregte nun zwar im allgemeinen 
wenig Aufmerksamkeit; gleichwohl sahen die vornehmsten 
Juden zu Kyrene sich veranlasst, seinen Auszug und 
sein Vorhaben dem Statthalter des Pentapolitanischen 
Libyen, Catullus, zu melden. Dieser sandte Reiterei 
und Fussvolk aus, die den unbewaffneten Haufen 
leicht überwältigten. Der grössere Teil fiel im Hand- 
gemenge; einige jedoch wurden lebendig gefangen ge- 
nommen und vor Catullus geführt. Der Anstifter des 
ganzen Unternehmens, Jonathas, war allerdings für den 
Augenblick entkommen: lange und sorgfältige Nach- 
forschungen im ganzen Lande aber führten schliesslich 
Joch zu seiner Verhaftung. Als er nun vor Catüllus 
gebracht wurde, verstand er die Sache so zu drehen 
und zu deuten, dass er selber straflos ausging; dagegen 
gab er dem Statthalter Anlass zu den ungerechtesten 
Handlungen, indem er lügenhafterweise die reicheren 
Juden beschuldigte, sie hätten ihm zu seinem Anschlag 
geraten. 


1 Da Onias etwa im Jahre 170 v. Chr. nach Aegypten floh und 
die Schliessung des Tempels 73 n. Chr. stattfand, wäre 243 die 
richtige Zahl. 

Josephus, Jüdischer Krieg. 43 

'■GO glC JNIVLKSITY OT CALirOKNIA 



674 


Josephus, Oescbicbte des Jüdischen Krieges. 


2. Catullus griff diese Verleumdungen begierig auf 
und suchte der Sache durch hochtönende Worte eine 
besondere Wichtigkeit beizulegen, damit es den Anschein 
gewinne, als habe auch er eine Art von jüdischem Krieg 
beendigt. Noch schlimmer aber war es, dass er, der für 
seine Person jenem Geschwätz so leicht Glauben schenkte, 
den Sikariern auch noch Unterricht im Verleumden gab. 
So brachte Jonathas auf sein Geheiss i einen Juden 
Namens Alexander, dem Catullus schon lange feind war 
und seinen Hass bereits offen zu erkennen gegeben 
hatte, zur Anzeige und verwickelte auch Alexanders 
Gattin Berenike in die Beschuldigungen, worauf der 
Statthalter zunächst diese beiden hinrichten und sodann 
auch alle vermögenden Juden, dreitausend Mann auf 
einmal, umbringen liess. Er glaubte das ungefährdet 
thun zu können, weil er das Vermögen der Getöteten 
zu den Einkünften des Imperators schlug. • 

3. Damit aber nicht anderswo die Juden seine Un- 
gerechtigkeiten an den Tag bringen möchten, dehnte er 
sein Lügensystem 'noch weiter aus und beredete den 
Jonathas sowie einige von dessen Mitgefangenen, die 
angesehensten Juden in Alexandria und Born auf- 
rührerischer Umtriebe zu bezichtigen. Unter denen, die 
auf diese Weise heimtückisch verklagt wurden, befand 
sich auch Josephus, der Verfasser des vorliegenden Ge- 
schichtswerkes. Dem Catullus aber sollte sein hinter- 
listiger Abschlag nicht 'gelingen. Denn*'als er, den 
Jonathas und .'dessen Genossen y in Fesseln mit [sich 
führenden der Meinung, es werde, weil die Verleum- 
dungen in seinem Namen und durch ihn vorgebracht 
waren, von jeder weiteren Untersuchung Abstand ge- 
nommen werden, in Kom anlangte, liess Vespasianus, 
dem die Sache verdächtig vorkam, den wirklichen That- 
bestand genau erforschen und sprach, nachdem er sich 
von der Grundlosigkeit der gegen jene Männer er- 
hobenen Beschuldigungen überzeugt hatte, dieselben auf 
Verwendung des Titus völlig frei. Über Jonathas hin- 



Siebentes Buch, 11. Kapitel. 


675 


gegen verhängte er die verdiente Strafe: er wurde ge- 
geisselt und dann lebendig verbrannt. 

4. Der Milde der beiden Herrscher hatte Catullus 
es für jetzt zu danken , dass er nicht härter als mit 
einem Verweis bestraft wurde. Nicht lange nachher 
aber befiel ihn eine verwickelte, unheilbare Krankheit, 
und endlich fand er, nicht bloss am Leibe zermartert, 
sondern von noch viel schlimmeren Seelenqualen heim- 
gesucht, einen® schmerzhaften Tod. Schreckbilder ver- 
folgten ihn unablässig, und ein über das anderemal 
schrie er, er sehe die Schatten der von ihm Gemordeten 
neben seinem Lager stehen; er vermochte sich dann 
nicht mehr zu halten und sprang aus dem Bett, als 
nahe man ihm mit Folter und Feuer. Mehr und mehr 
nahm das Übel J zu: schliesslich faulten ihm die Ein- 
geweide und fielen aus seinem Körper heraus, und so 
starb er — ein Beispiel, so deutlich wie irgend ein 
anderes, dass die göttliche Vorsehung den Bösewicht der 
verdienten Strafe anheimfallen lässt. 

B. Hiermit schliesse ich die Geschichte, welche ich 
meinem Versprechen gemäss mit aller Sorgfalt für die- 
jenigen geschrieben habe, die zu erfahren wünschten, 
wie dieser Krieg der^ Römer gegen die Juden verlief. 
Über die Art der Darstellung sei das Urteil den Lesern 
anheimgestellt ; was die Richtigkeit der Thatsachen an- 
langt, so habe ich, wie ich zuversichtlich behaupten 
darf, auf diese in der ganzen Schrift mein einziges 
Augenmerk gerichtet 



Namenregister. 


a Adida (in den J. A. Addida), 

Stadt in Judaea, das heutige 
Abila, Stadt in Peraea, zwölf östlich von Lydda gelegene 

römische Meilen östlich von grosse Dorf el Chaditeh, IV, 9,1. 

Gadara, die jetzige südlich vom Adoreos (Adoreon, Adora), Stadt 
Hieromax liegende Trümmer- in Judaea, das heutige Dorf 
stadt Abil mit prachtvollen Dura oder Döra im Distrikt 

Ruinen, IV, 7, 6. Hebron, I, 2, 6 ; 8, 4. 

Abram, des Tharrus Sohn, Stamm- Aegypten, II, 16, 4 ; IV, 1 0, 5. 

vater der Israeliten, V, 9, 4. Aemilius Jucundus, Reiteroberst, 
Absalom, Manaims Anhänger, II, 11,19,7. 

17,9. Aethlopien (s. Kiepert, Lehrbuch 

Achabarenfels , der, in Ober- der alten Geographie, S 204 ff), 

galilaea, nach Robinson der 11,16,4. 

heutige ’Akbarah, II, 20, 6. Agesilaos , König der Lakedae- 
Achaja, die bekannte Landschaft monier, II, 16,4. 

Altgriechenlands, 1,26,4; 111,1,3. Aggaeus, Prophet, VI, 4, 8. 
Achiab, Herodes* des Grossen Agrippa der Grosse, Aristobuls 
Vetter, 1, 33, 7 ; II, 4, 1 ; 5, 3. Sohn , Herodes’ des Grossen 
Actinm, die flache, sandige Land- Enkel, 1,28,1; 11,9,6; 11, lff. 
zunge und westliche Spitze Agrippa, Agrippas des Grossen 
Acarnaniens, welche mit der Sohn, II, 12,8; 13, 2; 15,1; 

gegenüberliegenden Spitze von 16, 3 ff. ; III, 4, 2 ; 9, 7 ; IV, 1,1; 

Epirus die breite Mündung 1,3; 9, 2. 

des Ambrakischen Meerbusens Agrippa, Marcus Vipsanius, des 
bildet, 1, 20, 1 . Herodes Freund, 1, 20, 4 ; 21,1. 

Adasa, Flecken in Judaea, nach Agrippias (Anthedon), Hafenstadt 
Joseph Schwarz das heutige im Süden Palaestinas, zwanzig 
zwischen Migdal und Askalon Stadien von Gaza, wahrschein- 
liegende Dorf Dschora di al lieh das heutige Kefr-Hette, 
Chadas, 1,1,6. 1,4,2; 8,4; 21,8; 11,18,1. 

Adiabene, assyrische Landschaft, Akme, Sklavin der Gemahlin des 
bildete in den ersten Christ- Augustus, I, 32, 6 ; 33, 7. 
liehen Jahrhunderten ein Akra, Stadtteil von Jerusalem, 
eigenes, von den Persern ab- 1,1,4; V, 4, 1; VI, 6, 3. 
hängiges Königreich, II, 16, 4. Akrabatene, der Bezirk (die 


Go gle 



Namenregister. 


677 


Toparehie) von Akrabatta, II, 
20,4; IV, 9, 4; 9,9. 

Akrabatta, Stadt in Judaea, das 
heutige Akrabeh, III, 3, 5 

Alanen, die, skythisches oder 
sarmatisches Volk am Asow- 
schen Meere, VII, 7,4. 

Albinns, Land pfleger von Judaea, 
II, 14, 1. 

Alexander Jannaeus, des Hyr- 
kanus Sohn, I, 4, 1 ff. 

Alexander, des Königs Aristo- 
bulus Sohn, 1, 8, 4 ; 8, 7 ; 9, 2. 

Alexander, Herodes’ des Grossen 
Sohn, 1, 23, 1 ff. 

Alexander, des Alexander und 
der Glaphyra Sohn, 1,28,1. 

Alexander, kyrenäischer Jude, 
VII, 11,2. 

Alexander, Räuber, 11,12,4. 

Alexander, des Marcus Antonius 
Freund, 1,20,3. 

Alexander, der falsche , II, 7, 1 f. 

Alexandra, des Aristobulus Gattin, 
auch Salome genannt, 1,4,1. 

Alexandra, des Alexander Jan- 
naeus Gattin, I, 5, 1 ff. 

Alexandra, des Königs Aristo- 
bulus Tochter, 1,9,2. 

Alexandria, die bekannte Hafen- 
stadt in Aegypten, 11,16,4; 
IV, 10, 5; ihre jüdischen Be- 
wohner 11,18,7; VII, 10, 1. 

Alcxandrium, Kastell in Judaea 
(s. J.A. XIII, 16,4; XIV, 3, 4; 
15, 4), vielleicht das heutige 
Kefr Stüna (van de Velde), 
1,6,4; 8,5; 16,3. 

Alexas, Herodes’ des Grossen 
Freund und Schwager, 1,28,6; 
33,6; 33,8. 

Alexas, tapferer Jude, VI, 1, 8 ; 2, 6. 

Alpen, die, II, 16, 4. 

Alurus. Dorf in Idumaea, jetzt 
unbekannt. IV, 9, 6. 

Amathus, Festung in Peraea, 
jetzt Am&teh, drei Stunden 
südlich von Pella an der Ost- 

. seite des Jordan, 1,4,2; 8,4. 


Ammans (Emmaus), Städtchen in 
Judaea, das heutige Dorf 
Amwäs (s. J. A.XIII, 1, 3; XIV, 
11,2; XVII, 10, 9), 1,11,2; II, 
5,1; VII, 6, 6. 

Ammans, Städtchen mit heissen 
Quellen , eine Viertelstunde 
südlich von Tiberias (s. J. A. 
XVIII, 2, 3), IV, 1,3. 
Amygdalontelch, nach Sepp der 
alte Hiskia- Teich zwischen 
Zion und der Grabeskirche, 
V, 11, 4. 

Ananias, Hohepriester, 11,12,6; 
17,6; 17,9. 

Ananias, des Sadduk Sohn, II, 
17, 10. 

Ananias, Pharisäer, 11,21,7. 
Ananias (zwei dieses Namens), 
Zeloten, IV, 4,1. 

Ananias, Hohepriester, V, 13, 1. 
Ananus, des Hohepriesters Ana- 
nias Sohn, II, 12, 6. 

Ananus, Hohepriester, 11,20,3; 

IV, 3, 9 ff. ; 4,3; 5,2. 

Ananus, des Jonathas Sohn, II, 
19, 5. 

Ananus, des Bamados Sohn, V, 
13,1; VI, 4, 2. 

Annaeus, Bürger von Taricheae, 
11,21,3. 

Annius, Lucius, römischer Offi- 
zier, IV, 9, 1. 

Anthedon, s. Agrippias. 
Antigonus, des Hyrkanus Sohn, 

I, 2, 7 ; 3, 1 

Antigonus, des Königs Aristo- 
bulus Sonn, 1, 8, 6; 10, 3 ; 12, 2f. ; 
13, lff.; 15,1; 15,5; 17,1; 
17,51; 18, lff. 

Antiochia, die Hauptstadt Syriens, 
jetzt Antaki, 1, 21, 11 ; II, 18, 5; 
VII, 3, 31; 5,2. 

AntiochusIY., Epiphanes, I, l,lff. 
Antiochus V., Eupator, 1, 1, 5. 
Antiochus VII., Soter, 1, 2, 2 ; 2, 5. 
Antiochus VIII., Grypus, 1,2,7. 
Antiochus XII., des Antiochus 
Grypus Sohn, 1,4,7. 


Go gle 



678 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Antiochus, König vonKommagene, 
1,16,7. 

Antiochus, König vonKommagene, 
111,4,2; V, 11, 3; VII, 7,1 ff. 
Antiochus Epiphaues, des Kom- 
mageners Antiochus Sohn, 
V, 11, 3 ; VII, 7, lf. 

Antiochus , zu Antiochia an- 
sässiger Jude, VII, 3,3 f. 
Antiochusthal , ein Gebirgspass 
östlich vom See Tibenas in 
Gaulanitis (s. auch J. A. XIII, 
15,3), 1,4,8. 

Antipas (Herodes), Sohn Herodes , 
des Grossen und derMalthake, 

I, 28,4; 32,7; 33,7; II, 2, 3ff ; 
6,3; 9,1; 9,6. 

Antipas, Verwandter des Königs 
Agrippa, II, 17, 4. 

Antipas, vornehmer Jude, IV, 3, 4. 
Antipater, Vater Herodes’ des 
Grossen, 1, 6, 2 ; 8, 1 ; 8, 9 ; 9, 3 f. ; 
10, 3ff ; 11,2; 11,4. 

Antipater, Sohn Herodes’ des 
Grossen und der Doris, 1, 23, lf. ; 
23,5; 24, lf.; 24,8; 26,2; 
28,1; 29, 1 ff ; 30, 1 ff. ; 81, 5ff ; 
32, 5 ; 33, 7. 

Antipater, Samariter, I, 30, 5. 
Antipater , Sohn der Salome, 

II, 2, 5. 

Antipatris, Stadt in Judaea, früher 
Chabarzaba genannt (J. A. XIII, 
15, 1), auch Kapharsaba (J. A. 
XVI, 5, 2), heutige Lage un- 
bekannt, 1, 4, 7 ; 21, 9 ; II, 19, 1 ; 
19,9; IV, 8,1. 

Antiphilus, Antipaters Freund, 
1,30,5; 32,6. 

Antonia, Burg zu Jerusalem, 
1,3,3; 5,4; 21,1; 11,15,6; 
16.5; 17, 7; V, 5, 8. 

Antonius, Marcus, I, 8, 3 ; 12, 4 f. ; 
14, 3f.; 16,4; 16,7; 18, 4f.; 

19,1; 20,1. 

Antonius, Stadtkommandant von 
Askalon, III, 2,1 ff 
Antonius Silo, römischer Offizier, 

III, 10, 3. 


Antonius , römischer Centurio, 
111,7,35. 

Antonius Primus, Präfekt von 
Moesien, IV, 11,2 f. 

Antonius Julianus, Marcus, Land- 
pfleger von Judaea, VI, 4, 3. 

Anuath Borkeos , Grenzort 
zwischen Galilaea und Samaria, 
nach Tuch das jetzige Dorf 
Burkä , nicht weit südöstlich 
von Beitin (Bethel), III, 3, 5. 

Apamea, Stadt in Syrien, Haupt- 
stadt der Landschaft Apamene 
am Orontes, südlich von An- 
tiochia, heute die prächtigen 
Ruinen Kala at-el-Medik im 
Paschalik Tarablüs , 1, 10, 10 ; 

II, 18,5. 

Apheks Turm, II, 19, 1. 

Aphtha, Dorf in Judaea, heute 
unbekannt, IV, 3,8. 

Apollonia, Seestadt in Palaestina 
zwischen Caesarea und Joppe 
(Plinius , Naturgesch. V, 14), 
jetzt ein verödetes Dorf Arsuf, 
1,8,4. 

Araber, die, 1, 19, 1 ff 

Arbela, Dorf in Galilaea am See 
Genezareth in der Nähe von 
Magdala , ohne Zweifel das 
heutige Irbid , in dessen Nähe 
noch jetzt Höhlen an auf- 
steigenden Bergwänden zu sehen 
sind (vergl. Robinson, Palaestina 

III, S. 497, 532 ff), 1,16,2. 

ArchelaYs , Flecken in Judaea 

nahe bei Jericho, jetzt el-Ba- 
saliye, II, 9, 1. 

Archelaus , König von Kappa- 
docien, 1,23,4; 25, 1 ff ; 26,4; 
27,2. 

Archelaus, Sohn Herodes’ des 
Grossen und der Malthake, I, 
28, 4; 31,1; 33, 7; 33. 9 ; II, 1,1; 
1,21; 2,1; 2,3ff ; 6,2; 7,3. 

Archelaus , Parteigänger des 
Simon Bargioras, VI, 4, 2. 

Ardalas, einer der Aufständischen- 
führer zu Jerusalem , VII, 7, 1. 


Go gle 



Namenregister. 


679 


Aretas, Araberkönig, 1, 4, 8 ; 6, 2 f 

8 , 1 . 

Aretas (früher Aeneas genannt), 
Araberköni^, 1, 29, 3; II, 5, 1. 
Arethusa, syrische Stadt zwischen 
Epiphania und Emesa , jetzt 
Rostan oder Restun, I, 7, 7. 
Aristeus, vornehmer Jude, V, 13, 1. 
Aristobnlus, des Hyrkanus Sohn, 
1,2,7; 3, lff ; 3,6. 
Aristobnlus', des Alexander Jan- 
naeus Sohn , 1, 5, 2 f. ; 6, 1 f. ; 
6, 4 ff. ; 7, 1; 7,7; 8, 6; 9,1. 
Aristobnlus, Herodes’ des Grossen 
Sohn, 1,23, lff.; 26,4; 27,2; 
27,6; 28,2. 

Aristobulus, Herodes’ des Grossen 
Enkel, II, 11,6. 

Aristobulus, Sohn von Agrippas 
Bruder Herodes, II, 11, 6. 
Aristobulus, König von Chalkidike, 
VII, 7,1. 

Artus, römischer Centurio, II, 4,3; 
5,1. 

Arkaea (in den J. A. Arke ge- 
nannt) , phonicische Stadt am 
Fusse des Libanon , heute 
Ruinen in der Nähe des ara- j 
bischen Dorfes Irkä, VII, 5, 1. j 
Armenien, die bekannte asiatische | 
Gebirgslandschaft, II, 11, 6; j 
13,2; VII, 7, 4. j 

Arpha , ein im Osten gelegener, ! 
jetzt noch unbekannter Grenz- i 
ort des transjordanischen Ju-i 
daea, III, 3, 5. ! 

Artabazes, König von Armenien, j 

I, 19, 5. | 

Artaxias, Sohn des Partherkönigs 

Artabazes, I, 19, 5. " j 

Arus, Flecken, wahrscheinlich in j 
Samaria, II, 5, 1. | 

Asamon , Berg in Galilaea , nach i 
Sepp der heutige Dschebel . 
Dschermak, II, 18, 11. I 

Askalon, Stadt in Judaea, einst 
eine der fünf Philisterhaupt- 
städte, jetzt Askulan, 1,21, 11; 

II, 6,3; 18,1; 18,5; III, 2, lff. 


Asochaeus (Susak), König von 
Aegypten, VI, 10. 

Asochis , Stadt im Westen Gali- 
laeas am See Tiberias, nach 
Robinson (Neue Forschungen, 
S. 142—144) das jetzige Kefr- 
Menda, 1,4,2. 

Asphaltsee, der (das tote Meer), 
I, 33, 5 ; III, 10, 7. Beschrei- 
bung IV, 8,4. 

Assyrierlager, Teil von Jerusalem, 
nordwestlich zwischen Golgo- 
tha und dem Hügel der Jere- 
miasgrotte gelegen , benannt 
nach dem Standort, wo Sena- 
cherib sein Lager aufgeschlagen 
hatte, V, 7, 3; 12, 2. 

Athener, die, !, 21, 11; 11,16,4. 

Athenion, Heerführer im Dienste 
der Kleopatra, 1, 19, 2. 

Athrongaeus, Hirt, strebt nach 
der Königskrone, II, 4, 3. 

Atratinus , vornehmer Römer, 
1, 14, 4. 

Auranitls, Landschaft Palaestinas 
jenseits des Jordan, jetzt Hau- 
rän, 1,20,4; 11,6,3. 

Azot, alte Philisterstadt, jetzt das 
elende Dorf Esdud, 1, 7, 7 ; 8, 4 ; 
IV, 3, 2. 


B. 

Baaras, ein Thal nördlich von 
Machaerus, jetzt wahrscheinlich 
das Thal Zerka Main, VII, 6, 3. 

Baka, Dorf in Galilaea, jetzt un- 
bekannt, III, 3, 1. 

Bakchides , Befeh shaber von 
Jerusalem unter Antiochus 
Epiphanes, 1,1,2; 1,3. 

Balanea, südlichste Küstenstadt 
Syriens, jetzt Banias, 1,21, 12. 

Barzapharnes,parthischer Satrap, 
1,13, lff 

Bassus , Caecilius , Mörder des 
Statthalters Sextus Caesar, 
I, 10,10; 11,1. 

Bassos, Lucilius, Legat, VII, 6, lff. 


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680 


Josephufl, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Batanaea (Basan), der nördlichste 
Teil des Ostjordanlandes , jetzt 
el Botthin oder Ard el Bathenyeh, 
1,20,4; 11,6,3. 

Bathyllus , Antipaters Frei- 
gelassener, 1,31,1. 

Bedriacum, Flecken Oberitaliens 
zwischen Verona und Cremona, 

IV, 9, 7. 

Beleusflnss , bei Tacitus (Histor. 

V, 7) Belus, bei Plinius (Natur- 

f esch. V, 17) Pagida genannt, 
ochst wahrscheinlich der heu- 
tige Nähr Zerka oder Kroko- 
dimuss, II, 10,2. 

Bemeselis (in den J. A. Bethome 
genannt), Stadt Judaeas, heute 
unbekannt, 1, 4, 6. 

Berenike, Tochter Agrippas des 
Grossen und der Kypros, II, 
11,6; 15,1. 

Berenike, Tochter der Salome, 
1,28,1. 

Berenike, Gattin des kyrenäischen 
Juden Alexander, VII, 11.2. 
Berenikianus, Sohn von Agrippas 
d. Gr. Bruder Herodes, II, 
11 , 6 . 

Bersabe 9 Ort an der Grenze von 
Ober- und N iedergalilaea , II, 
20,6; 111,3,1. 

Berytns. Stadt in Phoenicien, 
jetzt Beirut, 1,21,11; 27,2; 
VII, 8, 1. 

Beslmoth , altamoritische Stadt 
auf dem linken Jordanufer in 
der Nähe des toten Meeres, 
IV, 7, 6. 

Betaris, Flecken in Idumaea, 
jetzt unbekannt, IV, 8, 1. 
Betharamathon, s. Amathus, mit 
dem es identisch ist, II, 4, 2. 
Betharamphtba« Stadt im Jordan- 
thal , von Herodes Antipas 
Julias (Livias) genannt, II, 9, 1. 
Bethel, Stadt in Judaea, das 
heutige Beitin, IV, 9, 8. 
Bethennabris , Dorf in Peraea, 
jetzt unbekannt, IV, 7, 4. 


Bethezob , Dorf in Peraea , jetzt 
unbekannt, VI, 3,4. 

Bethleptephoron , Toparchie Ju- 
daeas, IV, 8, 1. 

Bethoron, Stadt in Samaria, das 
heutige Beiturel-F6ka und B.- 
Tachta (das obere und untere 
B.), 11,12,2; 19,1; 19,8. 

Bethslmoth, s. Besimoth. 

Bethso, Teil von Jerusalem, V r 
4,2. 

Bethsnra, Stadt in Judaea, das 
heutige Beit Sür, 1, 1, 5. 

Bethzaeharia , Ort zwischen 
Jerusalem und Bethsura, das 
heutige Beit Zakärieh mit alten 
Cisternen, Gräbern und sonstigen 
Ruinen, 1,1,5. 

Bezedel, Dorf Palaestinas in der 
Nähe von Askalon, jetzt un- 
bekannt, III, 2, 3. 

Bezetha, Stadtteil von Jerusalem, 

; II, 15,5; 19,4; V,4,2; 5,8. 

Bithynien, asiatische Landschaft 
(8. Kiepert, Lehrb. d. alten 
Geogr. S. 99 f.), 11,16,4. 

Borkaeus, Gesandter König 
Agrippas des Jüngeren, II, 19,3. 

Brlxellnm, Stadt in Gallia cis- 

? adana am rechten Ufer de» 
’adus (Po), jetzt Bresello oder 
Brescello, IV, 9, 9. 

Brundnsium , uralte Stadt Cala- 
briens, jetzt Brindisi, 1, 14, 3. 
Brutus, Jul. Caesars Mörder, I, 
11 , 1 . 

Byblus, uralte Stadt Phoeniciens 
unweit des Meeres zwischen 
Tripolis und Berytus , jetzt 
Dschabla oder Dschubeil, I, 
21 , 11 . 

c. 

Caecinna , Heerführer unter 
Vitellius, dann unter Vespa- 
sianus, IV, 9, 9; li,2f. 

Caesar, Gajus Julius , 1, 8, 1 ; 
9,8; 9,5; 10,3; 11,1. 



Namenregister. ? 


681 


Caesar Octavianus (Augustus), 

I, 12, 4; 14, 4; 20, 1 ff. ; 21,7; 
23,3; 27,1; 32,7; 33, 1; 33,8; 
II, 2, 2 ff. ; 6, 2 ff. ; 7, 2 f . ; 9,1. 

Caesarea maritima, Küstenstadt 
Palaestinas , Residenz der 
römischen Landpfleger, heute 
Kaisariye, ein elender Trümmer- 
haufe, auf dem nur wenige 
Araber wohnen, 1,2,5; 21,5; 
II, 13, 7; 14, 4 f. ; 18,1; III, 
9 1 • VII 3 1. 

Caesarea Philipp!, Stadt Palae- 
stinas an den Jordanquellen, 
das alte Baal-Gad, heute das 
Dorf B&ni&s, II, 9,1; 111,9,7; 
VII, 2,1. 

Capito, römischer Cen turio,1 1 , 1 4,7 . 
Cassius, römischer Feldherr, I, 
8,9; 11, 1 f. ; 11, 6f. ; 12, 2 ; 12, 4. 
Catullus, Statthalter des Penta- 
politanischen Libyen, VII, 11,1 ff. 
Celadus, Freigelassener des Au- 
gustus, 11,7,2. 

Celer, Tribun, 11,12,7. 

Cerealis, Sextus , Befehlshaber 
unter Vespasianus, 111,7,32; 
7,34; IV, 9, 9; VI, 2, 5; 4,3. 
Cerealis, Petilius, Truppenführer 
unter Vespasianus, VII, 4, 2. 
Cestius Gallus, Statthalter von 
Syrien, 11,14,3; 16,1; 18, 9 f.; 
18,11; 19, 1 f. ; 19,41; 19,6ff.; 
20, 1. 

Chabulon, Grenzort Untergalilaeas 
nahe bei Ptolemais, vielleicht 
dasselbe wieZabulon (II, 18, 9), 
heute das Dorf Kabul vier 
Stunden südöstlich von St. 
Jean d’Acre, 111,3,1. Vergl. 

J. A. VIII, 5, 3; Leben des 
Josephus 43. 

Chageiras, tapferer Adiabener, 

V, 11, 5. 

Chalkis, syrische Stadt am Liba- 
non, jetzt 'Andjar (arab. Ain 
el Jurr), 11,11,5. 

Chares, Anführer der Bewohner 
von Gamala, IV, 1,4; 1,9. 


Chebron, Stadt in Judaea, das 
Hebron der heil. Schrift, von 
den Arabern el-Challl (Freund 
Gottes) genannt, IV, 9, 7 ; 9, 9. 
Cilicien, I, 7, 7. Seine Bewohner 

I, 4, 3. 

Classicus, Germanenhäuptling, 
VII, 4, 2. 

Claudius, Tiberius , römischer 
Caesar, II, 11, 1 ff.; 12,8. 
Collega, Cnejus, Legat, VII, 3, 4. 
Coponius,Landpfleger von Judaea, 

II , 8 , 1 . 

Cornelius, römischer Soldat, VI, 
3, 2. 

Crassns, römischer Feldherr, I, 

8 , 8 . 

Cremona, Stadt in Italien am 
Nordufer des Po, IV, 11,3. 
Cumanus, Landpfleger von Judaea, 
II, 12,1 ff. 

Cypern (Kürpo$), die bekannte 
Insel im Mittelmeer, II, 7, 2. 
Cyrus, Perserkönig, V,9, 4. 

D. 

Dabaritta, Levitenstadt auf der 
Grenze der Stämme Zabulon 
und Isachar am Nordende der 

G rossen Kison-Ebene, jetzt das 
)orf Debürijeh oder nach Reland 
(Palaestina, S. 737) der Flecken 
Dabei ra in der Gegend von 
Diocaesarea am südlichen Fusse 
des Tabor, II, 21, 3. 

Dagon, Philistergott, V, 9, 4. 
Daker, die, 11,16,4. 

Dalmater, die, Bewohner des 

g -ossen Landstriches, den die 
riechen und Römer Illyrien 
nannten, II, 16, 4. 

Damaskus, die bekannte Stadt 
in Syrien, 1,4,8; 21,11; II, 
20,1; VII, 8, 7. 

Daphne, Vorstadt von Antiocbia, 

1 , 12 , 5 ; 17 , 3 . 

Daphne, Gegend von Palaestina 
nahe beim See Merom, IV, 1, 1. 


Go gle 



682 


Josephas, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Darias, Heerführer im Dienste 
Agrippas des Jüngeren, II, 17, 4. 
Dekapolis, die Zehnstädte, zur 
Zeit Christi ein zwar nicht 


geographisch, wohl aber politisch 
eine Einheit bildender Bund 


autonomer, d. h. nur dem 
römischen Statthalter in Syrien 
unterstellter Städte mit über- 
wiegend griechischer Bildung, 
ausser Skythopolis alle im Ost- 
jordanland gelegen. Sicher 
gehörten zur Dekapolis : Skytho- 
polis, Hippos, Pella, Gadara, 
Philadelphia , Dion , Abila. 
Plinius rechnet (V, 16) noch 
Kanatha, Damaskus und 
Raphanaea, Ptolemaeus Capi- 
tolias hinzu — III, 9, 7. 

Delilas, des M. Antonius Freund, 
1 , 15 , 3 . 

Delta, die bekannte Gegend 
Unteraegyptens zwischen dem 
kanopischen und dem pelu- 
sischen Nilarm, II, 18, 8. 

Demetrius III., Eukaerus, I, 
4, 4 f. 

Dldias, Quintus, Statthalter von 
Syrien, 1,20,2. 

Dikaearehia (Puteoli), Stadt in 
Italien, II, 7, 1. 

Diogenes , Alexanders Freund, 

1 , 5 , 8 . 

Diophantos, Sekretär Herodes* 
des Grossen, 1, 26, 3. 

Dolesos, angesehener Bewohner 
von Gadara, IV, 7, 3. 

Domitianus,des Vespasianus Sohn, 
IV, 11,4; VII, 4, 2. 

Domitius Sabinus, Tribun, III, 
7,34; V, 8, 4. 

Dora, Küstenstadt Phoeniciens, 
1,2,2; 7,7; 21,5. 

Doris, Herodes’ des Grossen 
Gattin, 1,23, 1; 24,2; 30,4. 

Drususturm, der, am Hafen zu 
Caesarea gelegen, 1,21,6. 

Dry mos, Eichwald am Fusse des 
Karmel, 1, 13, 2. 


E. 

Ebutius, römischer Decurio, III, 
7.3; IV, 1,5. 

Ekdlppon (in den J. A. Aktipus 
genannt), Seestadt Phoeniciens 
in der Ebene von Akko, wahr- 
scheinlich der heutige, süd- 
westlich von Eleutheropolis ge- 
legene Ort Kesäba, 1, 13, 4. 

Elenzar, des Dinaeus Sohn, Räuber , 
II, 12, 4. 

Eleazar, des Ananias Sohn, Be- 
fehlshaber der Tempelwache, 
11,17,2; 17,5; 17,9; 20,4. 

Eleazar, Simons Sohn, 11,20,3; 
IV, 4,1; V, 1, 2; 3,1; 6,1. 

Eleazar, des Jairus Sohn, II, 17, 9. 

Eleazar, des Samaeas Sohn, III, 
7,21. 

Eleazar, des Simon Gioras Ver- 
trauter, IV, 9, 5. 

Eleazar, des Simon Gioras Neffe, 
VI, 4,1. 

Eleazar, Führer der Sikarier zu 
Masada, VII, 7,1; 8, 6ff. ; 9,1. 

Elephantine, Stadt und Insel im 
Nil, Syene gegenüber, unter- 
halb des kleinen und letzten 
Nilfalles , jetzt Dschefiret el 
Sag oder Dschefiret Assuan, 
IV, 10, 5. 

Elaeusa, Insel an der Küste von 
Cilicien, 1,23,4. 

Elentherus, Grenzfluss zwischen 
Syrien und Phoenicien, jetzt 
Nähr el Kebir, 1, 18, 5. 

Elissaeus, Prophet, IV, 8, 8. 

Eithemas, arabischer Heerführer, 
1, 19, 5. 

Emesa, Stadt in Syrien, jetzt 
Heins oder Höms, VII, 7, 1. 

Engaddi, Stadt in Südpalaestina, 
in der Wüste des Stammes 
Juda am Ufer des toten Meeres, 
jetzt r Ain Jidy, III, 3, 5; IV,' 7 ,2. 

Eniachim, Name für die hohe- 
priesterlichen Klassen, IV, 
3,8. 


jnivlrsity or c: 


Go gle 


JJPOUNI, 



Namenregister. 


683 


Ephraim, Städtchen in Judaea, 
f*das heutige Et-Taijibeh, IV, 9,9. 
Erbsenhausen (epfißivO-tov ooto*) 
• * Dorf bei Jerusalem, V, 12, 2. 
EsaYas, Prophet, VII, 10,3. 
Essener, die, II, 8, 2 ff. 
Essenerthor, V, 4, 2. 
Eurykles,Lakedaemonier,I, 26,lff. 
Evarat us, Vertrauter von Herodes’ 
des Grossen Sohn Alexander, 
I, 26, 5. 

Ezechias, Räuberhauptmann, I, 
10,5; 11,4,1. 

Ezechias, Bruder des Hohe* 
priesters Ananias, II, 17, 8. 
Ezechias, des Chobar Sohn, V, 1, 2. 

F. 

Fabatus, Statthalter in Arabien, 
1,29, 3. 

Fabius, Statthalter zu Damaskus, 

I, 12, 1 f. 

Fabius, römischer Centurio, I, 7, 4. 
Faustus, Cornelius, tapferer Römer, 

U, 4. 

Felix, Landpfleger von Judaea, 

II, 12,8; 13, 3 ff. 

Festus, Landpfleger von Judaea, 
II, 14, 1. 

Flavius Silva, Befehlshaber von 
Judaea unter Vespasianus, VII, 
8, 1 ff. 

Florus, Gessius, Landpfleger von 
Judaea, II, 14, 2 ff.; 15,lff ; 17,4; 
19,4; 20,1. 

Fontejus Agrlppa, Legat, VII, 4,3. 
Frauentttrme,die(Yuvatx£?oL Truoyoi), 

V, 2, 2. 

Fronto, Liternius , römischer 
Truppenfiihrer, VI, 4, 3 ; 9, 2. 
Furius, römischer Centurio, I, 7, 4. 

G. 

Gaba, Stadt in Galilaea, die so- 
genannte „Reiterstadt“, heute 
unbekannt, III, 3, 1. 

Gabaon, Stadt im Stamme Ben- 


jamin (Gibeon = Hügelstadt), 
das heutige el-Dschib, 2 1 ' 2 
Stunden nordwestlich von Je- 
rusalem, II, 19, 1 ; 19, 7. 
Gabara, Stadt in Galilaea, heute 
Kübarah, III, 7, 1. 

Gabathsaul (Gabatha), Philister- 
stadt, nach Robinson das heutige 
Dorf Jebäta, nach Bädeker- 
Socin das Dorf Djeb'a, V, 2, 1. 
Gabinius, römischer Feldherr, I, 
8, 2 ff. 

Gadara, Hauptstadt von Peraea, 
jetzt das kleine Dorf Um- oder 
Om-Keis (Mkös), I, 4, 2 ; 7,7 ; 
8,5; 11,6,3; 18,1; 18,5; III, 
3,1; IV, 7, 3. 

Gades (Gadeira), Stadt und Insel 
in Hispania Baetica, das heutige 
Cadix, II, 16, 4. 

Gajus, des Agrippa Sohn, Adop- 
tivsohn des Augustus, 11,2,4. 
Gqius, römischer Truppenführer, 

II, 5, 1. 

Gajus Caligula, römischer Caesar, 
II, 9, 5 f. ; 10,1. 

Galaditis (Galaaditis), Landschaft 
Palaestinas jenseits des Jordan, 

I, 4,3; 11,3,3. 

Galba, römischer Imperator, IV, 
9,2; 9,9. 

Galilaea, die bekannte Landschaft 
Palaestinas, II, 6, 3; 15, 5 f. ; 
20, 4 ff. ; 111,3,1. 

Galiicanus, Tribun, III, 8, 1 . 
Gallier, die, I, 33, 9; II, 16,4; 
VII, 4, 2. 

Gallus, Befehlshaber einer Legion, 

II, 18,11. 

Gallus, römischer Centurio, IV, 1,5. 
Gamala, Stadt in Unter- Gau- 
lanitis , wahrscheinlich das 
heutige Kalat el Hösn , nach 
anderen das heutige Chan el 
Akaba, 1,4,8; 8,4; 11,20,6; 
IV, 1, 1 f. 

Garis, Dorf in der Nähe von 
Sepphoris , heute noch un- 
bekannt, III, 6, 3. 


Go gle 



684 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Garizin, der aus der heil. Schrift 
(5. Mos. 27, 12) bekannte Berg 
in Samaria, jetzt Djebel el Tor, 
1 , 2 , 6 . 

Garste, Stadt in Galilaea, jetzt 
noch unbekannt, V, 1 1 , 5. 

Gaul an a, Stadt in Batnnaea, 
heutige Lage ungewiss ,1,4,4; 
4, 8. 

Gaulanitls, Landschaft Palästinas, 
das heutige Dschölän, II, 20, 6; 
111,3,1; 3,5; 10,10; IV, 1,1. 

Gaza, Stadt in Judaea, eine der 
alten fünf Philisterhauptstädte, 
noch heute ein bedeutender 
Handelsplatz , 1, 4, 2 ; 7, 7 ; II, 
6,3; 18,1. 

Gazara, Stadt in Samaria, heute 
nur noch Ruinen zwischen el 
Kulab und Ekron (Akir) bei 
Tell-el-Djezer, 1, 2, 2. 

Gema, dasselbe wie Ginaea (s. 
dieses), 11,12,8. 

Gennaththor, V, 4, 2. 

Gennesar, der See Tiberias und 
die an ihn grenzende Land- 
schaft, II, 20, 6 ; 111,10,7. 

Gerasa, Stadt in Galaditis, die 
heutige in der Provinz Dschebel 
f Adjlün gelegene Stadt Djerasch, 

1, 4,8; 11,18, 1; 18,5; IV, 9,1. 

Germanen, die, 1, 33, 9 ; II, 16, 4 ; 

VII, 4, 2. 

Ginnabris , nach Paret dasselbe 
wie Ginaea , nach Böttger 
identisch mit Sennabris (s. 
dieses), indem ein Abschreiber 
£ mit T verwechselte, IV, 8,2. 

Ginaea , Dorf auf der Grenze 
zwischen Samaria und der 
Ebene Jezreel, II, 12, 3 ; III, 3,4. 

Gischala, Stadt in Galilaea, das 
heutige in der Provinz Szafed 
östlich von Jotapata auf einer 
Anhöhe gelegene Dorf el- 
Dscbisch, 11,20,6; 21,2; IV, 

2, Iff. 

Gittha. ein Kastell Idumaeas, 
vielleicht das heutige Jutteh 


oder Gaddi südöstlich von He- 
bron, 1,17,2. 

Glaphyra, Tochter des Kappa- 
docierkönigs Archelaus, 1, 24, 2f. ; 
28, 1 f. ; 11,7,4. 

Gophna , Stadt in Judaeä , das 
heutige zwischen Nabulus 
(Sichern) und Jerusalem gelegene 
Dorf Djifna , 1,11,2; V, 2, 1 ; 

VI , 2, 2. Die Toparchie Gophna 
11,20,4; 111,3,5; IV, 9, 9. 

Gorion, des Josephus Sohn, IV, 
3,9; 6,1. 

Gorion. des Nikodemus Sohn, 
11,17,10. 

Grapte « Verwandte des Königs 
Izates von Adiabene, IV, 9, 11. 

Gratns, jüdischer Anführer, II, 
3,4; 4, 2 f. ; 5, 2. 

Gyphthaens« tapferer Jude, VI, 

1 , 8 ; 2 , 6 . 

H. 

Hmmlbal, karthagischer Feldherr, 
11,16, 4. 

Helenas Denkmal« bei Jerusalem 
gelegen, V,2,2; 4,2. 

Helenas Palast« in Jerusalem ge- 
legen, V, 6, 1. 

Heliopolis, Stadt in Unteraegypten, 
heute nur noch Ruinen, 1,1,1; 

VII, 10, 3. 

Helix« Aufwiegler, 1, 12, 1. 

Henloehen. die, asiatisches Volk 
au der nordöstlichen Küste des 
Pontus Euxinus, II, 16,4. 

Herakleopolis« aegyptische Stadt, 
im Delta gelegen, IV, 11,5. 

Herodes der Grosse , 1,8,9 bis 
33, 8. 

Herodes« Herodes’ d. Gr. und 
der Mariamne Sohn, 1,28,4; 
29,2; 30,7. 

Herodes , Her. d. Gr. und der 
Kleopatra Sohn, I, 28, 4. 

Herodes, Sohn des Aristobulus 
und der Berenike , 1, 28, 1 ; 
II, 11,5 f. 


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Namenregister. 


685 


Herodes’ Grabmal, V, 12, 2. 

Herodias, Tochter des Aristobulus 
und der Bereoike, 1,28, 1; II, 
9,6. 

Herodium, Kastell an der Grenze 
Arabiens, I, 21, 10. 

Herodium, Kastell in Judaea, 
der heutige Dschebel el Furei- 
dis oder Ferdis (Berg des klei- 
nen Paradieses), 1,13,8; III, 
3,5; VII, 6, 1. 

Hippene, der Bezirk (dieToparchie) 
von Hippos, III, 3, 1. 

Hippikusturm , der , V, 4, 3 ; 
VII, 1,1. 

Hippos, Stadt in Galilaea, heutige 
Lage ungewiss, 11,6,3; 18,1; 
18, 5. 

Hyrkania, Landschaft in Asien, 
im Norden und Westen vom 
Kaspischen Meere und Medien, 
im Osten von den Margianischen 
Gebirgen, im Süden von Parthien 
begrenzt, VII, 7, 4. 

Hyrkanlum (Hyrkania), Kastell 
in Palaestina , von Gabinius 
zerstört, 1, 8, 2 ; 8, 5 ; 19, 1. 

Hyrkanus, des Alexander Jannaeus 
Sohn, 1,6, 1 ff. ; 7,6; 10, 3 f . ; 
10, 6f.; 11,7 f; 13, 4f.; 13, 9; 
13, 11; 22, 1. 

Hyrkanus, Sohn des Herodes und 
der Berenike, 11,11,6. 


I. J. 

Jakobus, des Sosas Sohn, IV, 
4,2; 9,6; V, 6, 1; VI, 1,8; 
2 , 6 ; 8,2 

Jambllchus , Fürst auf dem 
Libanon, 1,9,3. 

Jamnia, Stadt in Judaea zwischen 
Joppe und Asdod, heute nur 
noch Trümmer , 1,2,2; 6,3, 

. II, 9, 1 ; IV, 3, 2 ; 8, 1. 

Jamnia, befestigtes Dorf in Ober- 
galilaea, 11,6,8. 

Jamnith , dasselbe wie Jamnia, 
II, 20, 6. 


Japha, Stadt in Galilaea, das 
heutige Jafa, V 2 Stunde süd- 
westlich von Nazareth, II, 20, 6; 

III, 7,31. 

Japyglsches Vorgebirge , jetzt 
Cap Leuka oder Finisterre in 
Calabrien, rechts am Eingang 
in den Tarentinischen Meer- 
busen, VII, 2, 1. 

Jardas, Dorf am Südende Judaeas 
gegen Arabien hin, heute un- 
bekannt, III, 3, 5. 

Jardes, Waldschlucht in Palae- 
stina, VII, 6, 5. 

Iberer, die, II, 16, 4. 

Idumaea (s. Schenkel, Bibellexikon 

II, S. 51 ff. ; Pauly, Realencyklop. 

IV, S. 60 ff.), 11,6,3; 20,4; 

III, 3,5; IV, 4 f. ; 6,1; 8,1; 

9, 4ff. ; 9,10; V, 6, 1 ; VI, 8, 2; 
VII, 8,1. 

Jericho, das heutige Dorf er-Riha. 
1,6,6; 8,5; 11,20, 4; 111,3,5; 

IV, 8, 2 f. ; 9,1. 

Jerusalem, genaue Beschreibung 


Jesus (Josua), des Nave Sohn, 
IV, 8, 3. 

Jesus, des Sapphias Sohn, Hohe- 
priester, II, 20, 4; 21. 3. 

Jesus, Hohepriester, IV, 4, 3. 
Jesus, des Gamalas Sohn, Hohe- 
priester, IV, 3, 9. 

Jesus , Räuberanführer , III, 9, 7 ; 
10, 1 ; 10, 5. 

Jesus, des Thebuthi Sohn, Priester, 
VI, 8, 3. 

Jesus, des Ananus Sohn, VI, 5, 3. 
Illyrier, die, II, 16, 4. 

Joaesdros, des Nomikos Sohn, 

II, 21,7. 

Joannes, Jude aus Caesarea, II, 
14, 5 f. 

Joannes, Essener, Kommandant 
des Bezirkes Thamna, II, 20, 4. 

III, 2, 1 ff 

Joannes, des Ananias Sohn, Kom- 
mandant der Bezirke Akrabatta 
und Gophna, II, 20, 4. 


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686 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Joannes, „der Sohn der Gazelle“ 
(Jochanan ben Zebhi), IV, 3, 5. 
Joannes, des Sosas Sohn, Idu- 
mäeranfiihrer, IV, 4, 2 ; V, 6, 5 ; 
8, 2. 

Joannes ans Gischala, des Levi 
Sohn, II, 20, 6 ; 21, 1 f. ; 21, 6 ff. : 
IV. 2,1 ff ; 3,1; 3,13f.; 7,1; 
9, 1 1 f . ; V, 1, 2f.; 1, 5 ; 3, 1 ; 6, 1 ; 
6,4; 11,4; 13,6; VI, 1,3; 2,1; 
2,3; 6, 1 ff. ; 8,4; 9,4. 

Joannes 9 Grabmal, V, 6, 1. 
Jonathas, des Mattathias Sohn, 
1,2, 1. 

Jonathas, jüdischer Kämpfer, 

VI, 2, 10. 

Jonathas, Sikarier, VII, 11,1 ff. 
Joppe, Küstenstadt Judaeas, das 
heutige Jaffa, 1, 2, 2 ; 4, 7 ; 7,7; 
15,4; 11,6,3; 8,1; 18, 10; III, 
9 2f. 

Jordan, der, 1, 21, 3; III, 3, 1 ff. ; 
10, 7 ; IV, 1, 1. 

Joseph, Antipaters Sohn, 1, 13.8; 

15,1; 16, 1; 17, lf. 

Joseph, Herodes' d. Gr. Schwager, 
1,22, 4 f. 

Joseph, Herodes* d. Gr. Neffe, 
1,28,4; 11,5,2. 

Joseph, des Gorion Sohn, II, 20, 3. 
Joseph, des Simon Sohn, II. 20, 4. 
Joseph, Anführer der Gamalenser, 
IV, 1,4; 1,9. 

Joseph, Hohepriester, VI, 2. 2. 
Josephus, des Dalaeus Sohn, VI, 5,1 . 
Josephns, Flavius, II, 20, 4 ff; 
21, 3 ff. ; 21, 7 ff. ; 111,4,1; 6,3; 
7, 2 ff. ; 8, 1 ff. ; 8, 8 f. ; 9, 1 ; 9, 5 f. ; 
IV, 10,7; V, 9, 8 f. ; 13,8; VI, 
2,1 ff.-; 7,2; VII, 11,3. 
Jotapata, Stadt in Galilaea, jetzt 
Teil Djöfät , 11,20,6 ; 111,6,1; 
7, 4 ff.; Lage der Stadt III, 7, 7. 
lrenaeus, des Herodes Antipas 
Sachwalter, II, 2, 3 
Ismael, des Phabi Sohn, Hohe- 
priester, VI, 2, 2. 

Ister, der (die Donau), II, 16, 4 ; 

VII, 4, 3. | 


Itabyriumgebirge (der Tabor), 
11,20,6; IV, 1.8. 

Judaea, Beschreibung von, ni, 
8, lff. 

Judas Makkabaeus, 1, 1, 4ffJ *1” 
Judas, Essener und Seher, I, 8, 5. 
Judas, des Räubers Ezechias 
Sohn, II, 4, 1. 

Judas, des Sariphaeus Sohn, Ge- 
setzeslehrer, I, 33, 3 f. 

Judas der Galiltter (Gaulaniter), 
II, 8, 1; 8,6. 

Judas, des Jonathas Bruder, II, 
21,7. 

Judas, des Chelkias Sohn, V, 1, 2. 
Judas, des Judas Sohn, V, 13, 2. 
Judas, des Ari Sohn, VI, 1,8; 
VII, 6, 5. 

Judas, des Merton Sohn, VI, 1,8; 
2,5. 

Julia (Livia) , Gemahlin des 
Caesars Augustus , I, 28, 6 ; 
32,7; 33,8; 11,9,1. 

Julianus, tapferer Bithynier, VI, 

1 , 8 . 

Julias (Livias), Stadt in Peraea, 
11,9,1; IV, 7, 6. 

Julias, Stadt in Galilaea am See 
Tiberias, früher Bethsaida ge- 
nannt, II, 9, 1 ; III, 10, 7. 

Izates, Sohn des Adiabenerkönigs 
Monobazus und der Helena, 

VI, 6, 4. 

K 

Kallinikos , Sohn des Königs 
Antiochus von Kommagene, 

VII, 7, 2. 

Kallirrhoe, heisse Quelle und 
Badeort in Peraea, an der Ost- 
seite des toten Meeres, jetzt 
Zerka Main, I, 33, 5. 

Kana, Dorf in Galilaea, das 
heutige Käna el-Djelil, 1, 17, 5. 
Kana, Dorf in Judaea, 1, 4, 7. 

I Kanatha, Stadt in Gilead, das 
| heutige Kunawät mit gewaltigen 
1 Ruinen, 1, 19, 2. 


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Namenregister, 


687 


Kantabrer, die, Volk in Spanien, 

11.16.4. 

Kapharabis , Städtchen in Idu- 
maea, jetzt unbekannt, IV, 9, 9. 
Kapharnaum, Quelle in Galilaea, 

III, 10, 8. 

Kapharekcho, Dorf in Unter- 
galilaea, heute unbekannt, II, 
20 , 6 . 

Khphartobas, Dorf in Idumaea, 
jetzt unbekannt, IV, 8, 1. 
Kaphethra, Städtchen in Idumaea, 
jetzt unbekannt, IV, 9, 9. 
Kappadoclen, Provinz Kleinasiens, 

IV, 11, 1; VII, 1,3; Bewohner 
K, 16, 4. 

Karmelgebirge, jetzt Jebel Mar 
Elyas, II, 10, 2; III, 8, 1. 
Karthager, die, II, 16, 4; VI, 6, 2. 
Kasios , ein Sanddünengebirge 
zwischen Arabien und Aegypten, 
jetzt El Kas Kasaroun oder El 
Katieh, IV, 11, 5. 

Kastor, verschmitzter Jude, V, 

7.4. 

Kedasa (Kedesa, auch Kydyssa), 
Stadt in Galilaea, heute Kedes, 
II, 18, 1; IV, 2, 3 (hier als 
tyrischer Grenzflecken be- 
zeichnet). 

Kedronthal, trennt Jerusalem vom 
Oelberg, V, 2, 4; 4, 2; 6, 1; 

VI, 3, 2. 

Kelenderis, Stadt in Cilicien, 
jetzt Kalandria oder Gulnar, 

1.31.3. 

Kendebaeus, Heerführer unter 
Antiochus Soter, 1,2,2, 
Kenedaeus, Verwandter des 
Adiabenerkönigs Monobazus, 
II, 19, 2. 

Kleopatra, Königin von Aegypten, 
I, 12, 5; 14, 2; 18, 4f.; 19, 1; 

VII, 8,4. 

Kleopatra, Herodes’ d. Gr. Gattin, 

1.28.4. 

Kolcher, die, asiatisches Volk, 

11.16.4. 

Koptos, aegyptische Stadt in 


Oberthebais, V 4 Stunde östlich 
vom Nil entfernt, jetzt Kebti 
oder Keft, IV, 10, 5. 

Korban, Tempelscbatz der Juden, 
II, 9, 4. 

Koreae, Stadt in Judaea, das 
heutige Küriyüt, I, 6, 5 ; IV, 8, 1. 

Korinthus, Araber. 1, 29, 3. 

Korkyra (Kerkyra), jetzt Korfu, 
Insel des Ionischen Meeres, 
VII, 2,1. 

Kos, Insel im Aegaeischen Meere, 
jetzt Stanchio, Isola longa, I. 
21 , 11 . 

Kostobar, Verwandter König 
Agrippas des Jüngeren, II, 17,4; 
21 , 1 . 

Kreta, die bekannte Insel des 
Mittelmeeres , jetzt Kandia, 
11,7,1. 

Kydyssa, s. Kedasa. 

Kypron, Antipaters Gattin, I, 8, 9, 

Kypros, Herodes’ d. Gr. Tochter, 

I, 24, 5. 

Kypros, Tochter Phasaels und 
der Salampsio, II, 11, 6. 

Kypros, Kastell bei Jericho, I, 
21,4; 11,18,6. 

Kyrene, Stadt in Libyen, jetzt 
Kavron, Kuren oder Grenneh 
auf dem Plateau von Barka, 

II, 16,4; VII, 11,1 ff. 

L. 

Lakedaemonier, die, II, 16, 4. 

Laodikea, Stadt an 'der West- 
küste Syriens, südlich vom Berge 
Kasios, jetzt Lädikije, 1,21. 11. 

Larcius Lepidus, Führer einer 
Legion, VI, 4,3. 

Levi, vornehmer Jude, IV, 3, 4. 

Libanon, das bekannte Gebirge, 
1,17,3; 111,3,5. 

Liberalis, römischer Centurio, 
VI, 4, 7. 

Liberins Maximus, Landpfleger 
von Judaea, VII, 6, 6. 

Libya pentapolitana, so genannt 




688 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


nach der Zahl seiner Haupt- 
städte Kyrene, Berenike , Ten- 
chira (Arsinoe), Ptolemais und 
Apollonia, Landschaft an der 
Nordküste Afrikas, VII, 11,1. 

Lolliu8,römischerHeerführer,I,6,2. 

Longinus, Tribun. 11,19.7. 

Longinus, römischer Reiter, V, 
7,3; VI, 3, 2. 

Lucius, römischer Soldat, VI, 3, 2. 

Lugdunum, Stadt in Gallien, 
das heutige Lyon, 11,9,6. 

Lupus, Statthalter in Alexandria, 
VII, 10,2; 10,4. 

Lydda (Diospolis), Stadt in Judaea, 
Hauptstaat einer Toparchie, 
das heutige Ludd oder Ludda, 
unweit Jana an der Strasse von 
Jerusalem nach Caesarea ge- 
legen, 1,11,2; 15,6: 19,2; II, 
12,6; 111,3,5; IV, 8, 1. 

Lykier, die, kleinasiatisches Volk, 
1,21,11; 11,16,4. 

Lysanias, Sohn des Ptolemaeus 
Mennaei, Tyrann von Chalkis, 

I, 13,1; 20,4. 

M. 

Macedonier, die, II, 16, 4. 

Machaeras, römischer Heerführer, 
1, 16, 6. 

Machaerus, Kastell an der Grenze 
von Palaestina und Arabien, 
jetzt Mkaur, 1,8,1; 8,5; II, 
18,6; 111,3,3; VII, 6, 1 ; 6, 3 ff. 

Maeotischer See , das heutige 
Asowsche Meer, VII, 7,4 

Malachias, tapferer Jude, VI, 1, 8. 

Malchus, Araber, 111,4,2. 

Malichus,arabischer König, 1, 14, l f. 

Malichus, vornehmer Jude, I, 8, 3; 

I I , 2 ff . ; 11, 7 f. 

Malthake, Herodes’ des Grossen 
Gattin, 1,28,4. 

Manai’m, des Galiläers Judas 
Sohn, II, 17, 8 f. 

Manasses, Kommandant von 
Peraea, 11,20,4. 


Mannaeus, des Lazarus Sohn, V, 
13,7. 

Maria, jüdische Frau, tötet und 
verzehrt ihr eigenes Kind, VI, 

3.4. 

Mariamne, Alexanders Tochter, 
Herodes’ d. Gr. Gattin, 1, 12, 3 ; 
17, 8. 

Mariamne, des Hohepriestern 
Simon Tochter, Herodes’ d. Gr. 
Gattin, I, 28, 4 ; 30, 7. 
Mariamne, Tochter des Aristo- 
bulus und der Berenike, I, 28, 1. 
Mariamne, Tochter Agrippas des 
Grossen und der Kypros, II, 
11 , 6 . 

Mariamne, Gattin des Ethnarchen 
Archelaus, II, 7, 4. 

Mariamne, Turm zu Jerusalem, 
II, 17,8 ; V, 4, 3 ; VII, 1, 1. 
Marlon, Tyrann vonTyrus, 1, 12,2. 
Marissa, Stadt in Judaea, die 
heutige Trümmerstätte Maräsch, 
1,7,7; 13,9. 

Marmariden, die , afrikanisches 
Volk, II, 16, 4. 

Musada, Festung Judaeas am 
toten Meer in der Nähe von 
Engaddi, jetzt Sebbeh, I V, 7, 2; 
9,3; VII, 8,1; 8, 3 ff. ; 9,1. 
Mattathias, Vater des Judas 
Makkabaeus, 1, 1, 3. 

Matthias, des Margaloth Sohn, 
Gesetzeslehrer, I, 33, 3f. 
Matthias, Hohepriester, IV, 9, 11 ; 

V. 13, 1; VI, 2, 2. 

Matthias, des Flavius Josephus 
Vater, Vorwort 1 ; V, 13, 1. 
Mauren, die, afrikanisches Volk, 

11.16.4. 

Medaba, Stadt in Palaestina, jetzt 
Mädeba, 1 / A Stunde südöstlich 
von Hesb&n, I, 2, 6. 

Medien, VII, 7, 4. 

Megassar, tapferer Jude, V, 11,5. 
Melr, des Beigas Sohn, Priester, 

VI, 5,1. 

Melamboreas, der sogenannte 
schwarze Nordwind, III, 9, 3. 


Go gle 



Namenregister. 


689 


Melchlsedek, König von Solyma, 

VI, 10. 

Melitene , Landschaft im nörd- 
lichen Teile von Kleinarmenien 
mit der gleichnamigen Haupt- 
stadt, dem heutigen Malathija 
in Kurdistan, Ejalet Charput, 

VII, 1,8. 

Melos, Insel des Aegaeischen 
Meeres, jetzt Milo, II, 7, 1. 
Memnons Denkmal, II, 10, 2. 
Memphis, aegyptische Stadt im 
Delta , heute nur noch un- 
bedeutende Trümmer, IV, 9, 7 ; 
VII, 10, 3. 

Meroth, Stadt in Nordpalaestina, 
heutige Lage ungewiss, II, 20, 6 ; 
111 , 8 , 1 . 

Messala (M. Valerius Messala 
Corvinus), berühmter Redner, 

I, 12, 5. 

Messala, römischer Senator, I, 
14, 4. 

Metellus, Quintus, Konsul, 1, 6, 2. 
Metilius, Kommandant der rö- 
mischen Besatzung von Jerusa- 
lem, 11,7,10. 

Mithradates, ein Parther, 1, 8 , 7. 
Mithradates von Pergamon, I, 
9 3f. 

Moabitis (s. J. A.), IV, 8, 2. 
Modeln (in den J. A. Modiim 
genannt), Dorf in Judaea, 1, 1, 3. 
Moesien (Mysia), Landschaft im 
Nord westen Kleinasiens, IV, 
10,6; 11,3; VII, 4, 3. 
Monobazus, Verwandter des gleich- 
namigen Königs von Adiabene, 

II, 19, 2. 

Monobazus 9 Palast, V, 6, 1. 
Mncianns, Statthalter von Syrien, 
IV, 1,5; 10, 5f.; 11, 1. 

Murcus , Praetor von Syrien, I, 
10, 10; 11, 1 ff. 

N. 

Nai’n, Dorf im südlichen Ost- 
jordanland, nicht zu ver- 

Jooephus, Jttdlacher Krieg. 

Go gle 


wechseln mit dem N. der heil. 
Schrift, IV, 9,4 f. 

Narb ata, Ort in Palaestina, jetzt 
unbekannt , II, 14, 5 ; Bezirk 
von N. II, 18, 10. 

Nasamonen , die , afrikanisches 
Volk (s. Herodot IV, 172; 
Plinius, Hist, natur. IV, 5, 5; 

V, 5, 5 ; VII, 2, 2), 11,16,4. 
Neapolis, von den Eingeborenen 

Mabortha genannt, die Stadt 
Sichern in Samaria, IV, 8, 1. 
Neapolitanus, römischer Tribun, 
II, 16, 1 f. 

Nero, römischer Caesar, II, 12, 8; 

13,2; III, 1, lf. ; IV, 9, 2. 
Netiras,tapfererGaliläer, III, 7, 21. 
Niger, tapferer Jude, 11,19,2; 

20, 4 ; III, 2, 1 ff. ; IV, 6, 1. 
Nikanor, Tribun, III, 8, 2 ff 
Nikanor, des Titus Freund, V, 
6, 2. 

Nikolaus von Damaskus, 1, 32, 3 ; 

II, 2, 6 f . ; 6, 2. 

Nikon, Name für einen Sturm- 
bock, V, 7, 2. 

Nikopolis, Stadt in Epirus, jetzt 
Paleoprevyza, I, 21, 11. 
Nikopolis, Stadt in Aegypten, 
westlich vom eigentlichen Delta, 
an dem von Alexandria nach 
Kanopus führenden Kanal, jetzt 
Kars oder Kiessera, IV, 11,5. 
Nil, der bekannte Fluss Aegyptens, 

III, 10,8; IV, 10, 5. 

Noarus, Statthalter König 

Agrippas d. Jüngeren, II, 18, 6. 
Numider, die, afrikanisches Volk, 
H, i6, 4. 

Nymphidius, N^GrosFrciffGlsssGiicr« 

IV, 9,1. 

0 . 

Obedas, arabischer König, 1, 4, 4. 
Obodas, arabischer König, 1, 24, 6. 
Octavias Säulenhalle, VII, 5, 4. 
Oelberg, der, 11,13,5; V, 2, 3; 

VI, 2, 8, 

44 

CNIVLRSITY OP CALIFORNIA 



m 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


Olympias, Tochter HerodeB , d. Gr. 
und der Malthake, 1, 28, 4. 

Olympischen Spiele, die, 1, 21, 12. 

Olympus, Herodes’ des Grossen 
Freund, 1, 27, 1. 

Onias, (auch Menelaus genannt), 
Hohepriester, 1, 1, 1. 

Onias, des Onias Sohn, Hohe- 
priester , Erbauer des Onias- 
tempels in Aegypten, 1,1,1; 
VII, 9, 2f. 

Ophellius , Phasaels Freund, 
1, 13, 5. 

Ophla, Anhöhe am südöstlichen 
Teile des Tempelberges in der 
Nähe des Kedronthales, II, 17, 9 ; 
V, 4, 2 ; 6,1; VI, 6, 3. 

Orsanes, vornehmer Parther, 1, 8,7. 

Ostrakine, Ort in Unteraegypten 
östlich vom Nil, an der Strasse 
von Rhinokorura nach Pelusium, 
jetzt Straki, IV, 11, 5. 

Otho, römischer Imperator, IV, 
9,2; 9,9. 

p. 

Pakorus, Sohn des Partherkönigs 
Arades, 1,13; 16,6. 

Pakorus, Sohn des Partherkönigs 
Artabanus, VII, 7, 4. 

Pallas, Herodes’ des Grossen 
Gattin, 1, 28, 4. 

Pallas, Bruder des Landpflegers 
Felix, II, 12,8. 

Paneas, Stadt in der Landschaft 
Paneas, II, 9, 1. 

Panlum, Berg in Paneas, wo die 
Quellen des Jordan vermutet 
wurden, I, 21, 3; III, 10, 7. 

Pannonien, Land an der Donau, 
IV, 10, 6; VII, 5, 3. 

Pannychis, Herodes’ des Grossen 
Kebsweib, 1, 25, 6. 

Pappns, Heerführer im Dienste 
des Antigon us, 1, 17, 5f. 

Papyron, Ort in Arabien, I, 6, 3. 

Parther, die, I, 13 ; 16, 6. 

Paschafest, das, II, 1, 3. 


Pastophorien, Nebengebäude des 
Tempels zu Jerusalem, IV, 9, 12. 
Paulinus, Tribun, III, 8, 1. 
Paulinus, Statthalter in Alexan- 
dria, VII, 10, 4. 

Pedanius, Legat, 1,27,2. 
Pedanlus , tapferer römischer 
Soldat, VI, 2, 8. 

Pella , Stadt an der Grenze 
Peraeas gegen Norden, das 
jetzige Tüoakat Fahil , 1, 4, 8 ; 
6,5; 7,6; II, 18, 1; 111,3,3; 
3, 5. 

Pelusium, aegyptische Stadt an 
der östlichen Nilmündung, I, 
9,4; IV, 10,5. 

Pentekoste , das Pfingst- oder 
Erntedankfest, II, 3, 1. 

Peraea , Landschaft Palaestinas 
jenseits des Jordan (Beschrei- 
bung 111,3,3), 11,6,3; 20,4; 

IV, 7, 3 ff. 

Pergamon, altberühmte Stadt in 
Mysien , heute Bergamas in 
Kleinasien im Ejalet Chadaren- 
digiar, 1, 21, 11. 

Peristereon, Fels bei Jerusalem, 

V, 12, 2. 

Petra (Arke), Hauptstad tArabiens, 

I, 6, 2 ; 13, 8. 

Petronius, Statthalter von Syrien, 

II, 10, 1 ff ; 10, 5. 

Phaedra, Herodes’ des Grossen 

Gattin, 1,28,4. 

Phalllon, Antipaters Bruder, 

I, 6, 3. 

Phannias, Samuels Sohn, Hohe- 
priester, IV, 3, 8. 

Pharan, Thalschlucht in Judaea 
nahe beim toten Meer, IV, 9, 4. 
Pharisäer, die, 11,8,14. 

Pharos , das bekannte Inselchen 
bei Alexandria, IV, 10, 5. 
Phasaöl , Sohn des Idumäers 
Antipater, I, 8, 9 ; 10, 4 ; 10, 9 ; 
12, 1; 13, 4L; 13,10. 

Phasa£l , Sohn Herodes’ des 
Grossen und der Pallas, I, 
28,4. 


Go gle 



Namenregister. 


691 


PhasaBl, des Pheroras Sohn, I, 
24,5; 28,6. 

Phasagl, der höchste von den 
Türmen Jerusalems , 1, 21, 9 ; 
11,3,2; 17,8; VII, 1,1. 

Phasaölis, Stadt in Palaestina 
nördlich von Jericho, das heutige 
f Ain el Fasail, 1,21,9; 11,9,1. 

Pheroras, Herodes' des Grossen 
jüngster Bruder, 1,8,9; 16,3; 
24,5; 25,1; 25, 3; 27, 2; 29, lf. ; 
29,4; 30,6. 

Phlala, kleiner Bergsee im nörd- 
lichen Palaestina . hundert- 
zwanzig Stadien nördlich von 
Baneas , jetzt Birket el Rau 
oder Rani, III, 10,7. 

Philadelphia, Stadt in Peraea, 
heute Ammän , II, 18, 1 ; III, 
3, 3. 

Philippio, des Ptolemaeus Men- 
naei Sohn, 1, 9, 2. 

Philippus, Sohn Herodes’ des 
Grossen und der Kleopatra, I, 
28,4; 31,1; 33,7; II, 6,1; 6, 3; 
9, 1 ; III, 10, 7. 

Philippus, Heerführer im Dienste 
Agrippasdes Jüngeren, II, 17,4; 
20 , 1 . 

Philippus, tapferer Galiläer, III, 
7,21. 

Phineas, des Klusoth Sohn, IV, 
4,2. 

Phineas, Hüter des Tempel- 
schatzes, VI, 8, 3. 

Phoebus, Gesandter des Königs 
Agrippa, II, 19, 3. 

Pilatus, Pontius, Landpfleger von 
Judaea, II, 9, 2 f . ; 9, 4. 

Pisider, Söldner des Alexander 
Jannaeus, 1, 4, 3. 

Pltholaus, jüdischer Anführer, 
I 8 3*89 

Placidus, Tribun, III, 4, 1 ; 6, 1 ; 
7,3; 7,34; IV, 1,8; 8,4. 

Platana, Ort in Phoenicien, heute 
unbekannt, 1,27,2. 

Plinthine, westliche Grenzstadt 
Unteraegyptens .ausserhalb des 


Delta an dem nach ihr be- 
nannten Sinus Plinthinetes 
(jetzt Golfe des Arabes), IV, 
10, 5. 

Pompejus, römischer Feldherr, 
I» 6, 4f. ; 7,1; 7,2f.; 7,6; 7,7; 

9.1. 

Pomponius, Quintus, Konsul, II, 

11 . 1 . 

Poplas, des Ethnarchen Archelaus 
Freund, II, 2, 1. 

Priscus, römischer Centurio, VI, 

2 , 10 . 

Psephinusturm , der, V, 2, 2; 
4, 2f. 

Ptolemaeus VIII. 9 Lathurus, 
König von Aegypten, I, 4, 1. 
Ptolemaeus XII., Auletes, König 
von Aegypten, 1, 8, 7. 
Ptolemaeus Mennaei, Tyrann von 
Chalkis, 1,9,2. 

Ptolemaeus, des Jamblichus Sohn, 
1, 9, 3. 

Ptolemaeus, des Judenfursten 
Simon Schwiegersohn, 1,2, 3 f. 
Ptolemaeus von Rhodus, Herodes' 
des Grossen Freund , 1, 14, 3 ; 
24,2; 33,8; 11,2, 1. 
Ptolemaeus , Statthalter von 
Galilaea unter Herodes, 1, 16, 5. 
Ptolemaeus, Bruder des Nikolaus 
von Damaskus, II, 2, 3. 
Ptolemaeus, Verwalter König 
Agrippas des Jüngeren , II, 
21,3. 

PtolemaYs (Ake), Stadt in 
Phoenicien, jetzt St. Jean d’Acre 
(bei den Arabern Akka), I, 5, 3 ; 
13,1; 21,11; 11,18,1. 

Pudens, römischer Soldat, VI, 

2 , 10 . 

Pythischer Tempel, 1,21,11. 

Q. 

Quadratus, Ummidius, Statthalter 
von Syrien, II, 12, 5 f. 
Quirlnius, gewesener Konsul, 
Schätzungsoeamter, II, 8, 1. 


Go gle 


■ükivifi 



692 


Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. 


R. 

Raphanaea, Stadt der syrischen 
Provinz Kassiotis, westlich von 
Epiphania und östlich von Arka 
am nördlichen Ende des Liba- 
non, nachRobinson die heutigen 
Ruinen von Rafaniyeh, VII, 
1,3; 5,1. 

Raphia, Küstenstadt Palaestinas, 
südwestlich von Gaza am An- 
fang der Wüste, jetzt Bir-Refä, 

I, 4,2; 8,4; IV, 11, 5. 

Rhein, der, II, 16, 4. 
Rhinokorura, Grenzstadt zwischen 

Judaea und Aegypten , das 
heutige el -'Arisch, 1, 14, 2 ; IV, 

II, 5. 

Rhodus, die ' bekannte Insel des 
Aegaeischen Meeres , 1, 14, 3 ; 
21 , 11 . 

Rom, Hauptstadt Italiens , I, 
21, 7; II, 6, 1 ; 7, 1 ff. ; VII, 5,4ff 
Rubrius Gallus, römischer Heer- 
führer, VII, 4, 3. 

Rufus, jüdischer Anführer, II, 
3,4; 5,2. 

Rufus, römischer Soldat, VII, 
6,4. 

Ruma, Dorf in Galilaea, wieder- 

S stunden in dem heutigen 

ümeh auf einem niederen Teil 
in der grossen Ebene el-Bettauf, 
111,7,21. 

s. 

Saab, Dorf in Galilaea , das 
heutige Kefr Sabt in der Nähe 
von Tiberias, 111,7,21. 
Sabbatfluss, der, nach Bädeker- 
Socin jetzt Fuwär ed-Dör, nach 
anderen Arka, VII, 5, 1. 
Sabinas, Statthalter von Syrien, 
11,2,2; 3, 1 ff ; 5,2. 

Sabinas, Bruder des Vespasianus, 
IV, 11,4. 

Sabinas, tapferer Syrer, VI, 1,6. 
Saddnctter, die, II, 8, 14. 


Sallis, Städtchen in Idumaea, 
jetzt noch unbekannt, 111,2,2. 

Salome, Schwester Herodes’ des 
Grossen, 1,8,9; 27; 29; 32,6; 
33,6; 33,8; 11,2,2; 6,3; 9.1. 

Salome, Tochter Herodes’ des 
Grossen und derElpis, 1,28,4. 

Samaea (Samega), Stadt am Süd- 
ende des Sees Genezareth, das 
heutige Dorf Semakh(Robinson) , 
1 , 2 , 6 . 

Samarla, Landschaft Palaestinas, 
Beschreibung 111,3,4. 

Samaria, Stadt in Mittel palaestina, 
heute das unbedeutende Dorf 
Sebastiye, 1,8,4; 21,1. 

Samos, Insel des Aegaeischen 
Meeres, jetzt Samo, von den 
Türken Susam Adassi genannt, 
1 , 21 , 11 . 

Samosata, HauptstadtvonKomma- 

f ene, am westlichen Ufer des 
luphrat, heute nur noch ein 
Trümmerhaufe bei dem Flecken 
Someisat, 1, 16, 7 ; VII, 7, 1. 
Sampho , befestigter Flecken 
Samarias, vielleicht das heutige 
Dorf el-SÄviye, II, 5, 1. 
Sappinius (Sappinas) , Herodes’ 
des Grossen Freund, 1, 14, 3. 
Saramallas, reicher Syrer, 1, 13, 5. 
Sariphaeus, Vater des Gesetzes- 
lehrers Judas, 1,33,2. 
Sarmaten, die, skythischer Volks- 
stamm, VII, 4, 3. 

Satuminus, Statthalter von Syrien , 

| 1,27,2; 28,1. 

Saulus, Verwandter des Königs 
Agrippa, II, 17, 4; 20, 1. 
Saulus, Jude aus Skythopolis, 
II, 18, 4. 

Scaurus, römischer Feldherr, I, 
6,3; 7,7; 8,1. 

Scipio, Mörder Alexanders, des 
Sohnes des Aristobulus, I, 9, 2. 
Sebaste (Samaria) , I, 21, 1 ; II, 
6,3; 8,1; 18,1. 

Sebaste, Insel , früher Elaeusa 
genannt (s. d.), 1,23,4. 


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Namenregister. 


693 


Sebastos, Hafen von Caesarea, 
1, 31, 3. 

Sebonltis (Essebonitis), Landschaft 
Palaestinas, zu Peraea gehörig, 
einige Meilen östlich von der 
Nordspitze des toten Meeres, 
wo heute die Ruinen von Hes- 
bän liegen, II, 18, 1. 

Selamin, Dorf in Galilaea, nach 
Robinson die heutige Trümmer- 
stätte Khirbet Sellämeh. II, 20,6. 

Seleukia, Stadt in Obergaulanitis 
am See Merom, heutige Lage 
noch nicht ermittelt, 11,20.6; 
IV, 1, 1. 

Semecbonitischer See (der See 
Merom), III, 10,7; IV, 1,1. 

Sennabris, Ort in Galilaea, dreissig 
Stadien südlich von Tiberias, 
heute die Ruinen Sinabri, III, 
9,7. 

Seph, Kastell in Obergalilaea, 
wahrscheinlich das heutige Sa- 
fed, 11,20, 6. 

Sepphoris, Stadt in Galilaea, jetzt 
ein ärmliches Dorf Sefüriye, 

I, 8, 5; 16,2; 11,5,1; 18,11; 
20,6; 111,2,4; 4,1. Herodes 
Antipas gab der Stadt den 
Namen Diocaesarea. 

Sertorius, römischer Soldat, VI, 
3,2. 

Serviltus, Legat, 1, 8, 6. 

Sextus Caesar, Statthalter von 
Syrien, 1,10,5; 10,7; 10,10. 

Sldon, phoenicische Stadt , das 
heutige Saida, 1,13,1; 21,11; 

II, 18,5. 

Sigoph, Dorf in Galilaea, heute 
unbekannt, II, 20, 6. 

S Ikarier, Banditen, nach ihren 
kleinen krummen Dolchen 
(sicae) benannt, II, 13,3; IV, 
7,2; VII, 7 und 9; 10,1; 11,1. 

Sikim (Sichern), Stadt in Samaria 
(s. auch Neapolls), das heutige 
Nabulus, 1,4,4; IV, 8,1. 

Silas, tapferer Babylonier, II, 
19,2; III, 2,1 ff. 


Sllbonitis, s. Sebonitis, III, 3, 2. 
Silo, römischer Heerführer, I, 
15,2; 15,6; 16,4. 

Siloa, Quelle zu Jerusalem, II, 
16,2; V, 4, lf. ; 6,1; 12,2. 
Simon, des Mattathias Sohn, 1,21 ff. 
Simon, Herodes’ des Grossen 
Sklave, II, 4, 2. 

Simon, Essener, 11,7,3. 

Simon, des Gioras Sohn, II, 19, 2 ; 
21,2; IV, 9, 3 ff. ; V, 1, 8 ; 6, lff. ; 

II, 5; 13, lf.; VII, 2,1; 5,6; 

8 , 1 . 

Simon, des Ananias Sohn, II. 
17,4. 

Simon, des Saulus Sohn, II, 18, 4. 
Simon, des Gamaliel Sohn, IV, 
8,9. 

Simon, des Kathlas Sohn, IV, 
4,2; 4,4; V,6,l; VI, 2, 6. 
Simon, des Ezron Sohn, V, 1, 2. 
Simon, des Ari Sohn, V, 6, 1; 
VI, 1,8; 2,6. 

Simon, des Josias Sohn, VI, 2, 6. 
Simon, des Jonathas Sohn, II, 
21,7. 

Sisenna, Legat, 1,8,6. 

Sogmns, Araber, 1,29,3. 

Sogmns, König von Emesa und 
Tetrarch vom Libanon, II, 18, 9 ; 

III, 4,2; VII, 7,1. 

Sogane, Stadt in Obergaulanitis, 
heutige Lage ungewiss , II, 
20,6; IV, 1,1. 

Somorrha, Nachbarstadt von Petra 
in Arabien, heute unbekannt, 

IV, 8, 2. Böttger vermutet auch 
hier eine Verwechselung von 
T und 2 durch einen Ab- 
schreiber, sodass ropofl54 zu 
lesen wäre. 

Sophas, Ragueh Sohn, IV, 3, 4. 
Sosius (Sossius), Statthalter von 
Syrien, 1, 17,2; 18, lff; V, 9, 4; 
VI, 10. 

Stephanus, Diener des Caesars 
Claudius, II, 12, 2. 
Stratonstnrm (Caesarea maritima), 
I, 3, 4f. 



694 


Josephtu, Geschichte des JQdischen Krieges. 


Struthionteich. V, 11,4. 

Syene , südliche Grenzstadt 
Aegyptens gegen Aethiopien 
am östlichen Ufer des Nil auf 
einer Halbinsel, das heutige 
Assuan (die Gegend ist reich 
an rosenrotem Granit = Syenit), 

IV, 10, 5. 

Syllaeus , Araber, I, 24, 6 ; 29, 3. 

Syrten, die (die grosse und 
kleine), zwei tiefe Suchten des 
libyschen Meeres an der Nord- 
küste von Afrika, die grössere 
(östliche) jetzt Golf von Sidra, 
die kleinere Golf von Kabes, 
II, 16, 4. 

T. 

TanaYs, Fluss im Skythenland, 
der heutige Don, VII, 7, 4. 

Tante, aegyptisches Städchen in 
der Gegend der Nilmündungen 
(8. Herodot 11,166), jetzt nur 
noch Ruinen, IV, 11, 5. 

Tarlcheae, Stadt in Galilaea am 
See Tiberias, heute nur noch 
Trümmer, 11,20, 6 ;i 21, 3 ff. ; III, 
10,1; 10, 3 ff.; 10,10. 

Tarsus, Hauptstadt von Cilicien, 
jetzt Tersus oder Tarso im 
Ejalet Adana, VII, 7, 3. 

Taurer, die, Bewohner von 
Chersonesus taurica (Krim), 
rohes, Menschen opferndes See- 
räubervolk, II, 16, 4. 

Taiirus, Gebirge in Asien, II, 16, 4 

Tempel za Jerusalem , genaue 
Beschreibung V, 5. 

Tempel bei Hellopolls (Onias- 
tempel), VII, 9, 2 ; 9, 4. 

Tephthaeus , tapferer Galiläer, 

V, ll, 5. 

Terentlus Rufns, römischer Be- 
fehlshaber, VII, 2, 1. 

Teron, Veteran, 1,27, 4; 27, 6. 

Thamna, Stadt iu Judaea, nach 
Robinson das heutige Tibneh, 
1,11,2; II, 20, 4; III, 3, 5; IV, 8, 1. 


Go gle 


Theben , aegyptische Stadt , jetzt 
Ruinen in den vier Flecken 
Karnak , Luxor , Medinet Abu 
und Gurnu, VII, 10, 1. 

Thekoa , Stadt in Judaea, zwei 
Stunden südlich von Bethlehem, 
jetzt Takü'a, IV, 9, 5. 

Thella, Dorf in Galilaea, vielleicht 
der jetzige Ruinenhügel Thala, 
2 l L Stunden von Kerawa (van 
de Velde), III, 3, 1. 

Theodoras, Sohn des Tyrannen 
Zeno, I, 4, 2 f. 

Theudlon , Schwager Herodes’ 
des Grossen, 1, 28, 1 ; 30, 5. 

Thmuis , aegyptische Stadt, jetzt 
die Ruinen Teil Tm&y oder 
Tmayal Eradid südwestlich von 
Mansurah, IV, 11, 5. 

Thraker, die, Bewohner von 
Thrakien, 1,83,9. 

Threstt (Resa), Festung in Idu- 
maea, heute unbekannt, 1, 13,8; 
15, 4. 

Tiberias, Stadt in Galilaea am 
See Genezareth, jetzt Tabariye, 

II, 9,1; 20,6; 21, 6f.; 21, 8 fF. ; 

III, 9, 7 ff. 

Tiberius Alexander, Landpfleger 
von Judaea, später Statthalter 
in Alexandria , dann Ober- 
befehlshaber im Heere des Ti- 
tus, 11,11,6; 18,7; IV, 10, 6; 
V,l, 6; 5,4; 12,2; VI, 4, 3. 

Tiberius Nero, römischer Caesar, 
II, 9, 1. 

Tigllllnus, Neros Freigelassener, 

IV, 9, 2. 

Tigranes, König von Armenien, 
I, 5,3. 

Tigranes, Sohn des Partherköuigs 
Artabazes, I, 19, 5. 

Tigranes, Sohn Alexanders und 
der Glaphyra, 1,28,1. 

Tiridates , König von Gross- 
armenien, VII, 7, 4. 

Tlt nsFla vius V espaslanus,1 11,1 ,2ff. 

Titus Frngl, Anführer der fünf- 
zehnten Legion, VI, 4,3. 


w'NIVLKSITY OT CALirORNI, 



Namenregister. 


695 


Toparchien, die, von Judaea, III, 
3, 5. 

Trachonitis , Landschaft Palae- 
stina 8 Östlich vom Jordan, I, 
20,4; 11,6,3. 

Trajanns , römischer Offizier 
(Vater des nachmaligen Im- 
perators), III, 7, 81 ; 10, 3. 
Tripolis, phoenicische Stadt mit 
einem Seehafen, jetzt Tarabulus, 
1 , 21 , 11 . 

Tryphon, Barbier Herodes’ des 
Grossen, 1, 27, 5 f. 

Tyrannius Priscus, Tribun, II, 

19. 4. 

Tyropolonthal (Käsemacherthal), 
trennte die Oberstadt Jerusalems 
von der Unterstadt, V, 4, 1. 
Tyrische Leiter (Promontorium 
album), jetzt Ras en Naküra. 

II, 10, 2. 

Tyros, alte phoenicische Handels- 
stadt, das heutige Sür, 1,12,2; 
13,1; 21,11; 11,18,5. 

v. 

Valens, Heerführer unter Vitellius, 
IV, 9, 9. 

Valerianus. römischer Decurio, 

III, 9,7. 

Varro, Statthalter von Syrien, I, 

20 . 4 . 

Varus, Quintilius, Statthalter von 
Syrien, I, 31, 5ff.; 11,2,2; 5, lff. 
Ventidius, römischer Heerführer, 
1,15,2; 16,6. 

Vindex, Gallierhäuptling, IV, 8, 1. 
Vitellins, Imperator, IV, 9, 2; 

9,9; 10,1; 11, 2 ff. ; 11,4. 
Vitellins, Germanenführer , V II, 
4,2. 

Vologeses, Sohn des Parther- 


königs Artabanus III., VII, 
5,2; 7,3. 

Volumnius, Statthalter von Syrien, 
1,27,1; 27,3. # 

X. 

Xaloth, Dorf in Galilaea, das 
heutige Dorf Iksal (Ksal, Zal) 
in der Ebene Esdrelon nahe 
beim Tabor, III, 8, 1. 

Xerxes, Perserkönig, II, 16, 4. 

Xystos, Platz in Jerusalem, II, 
16,8; V, 4, 2 ; VI, 3, 2; 6,2. 

z. 

Zabulon, Grenzstadt Galilaeas 
gegen Ptolemais , heute un- 
bekannt, II, 18, 9. 

Zacharias, des Phalek Sohn, IV, 
4,1. 

Zacharias, des Baruch Sohn, IV, 
5, 4. 

Zeloten, die, IV, 3, 3 ff. 

Zeno, mit dem Beinamen Kotylas, 
Tyrann von Philadelphia, 1, 2, 4. 

Zenodorus, 1,20,4; 11,6,3 (hier 
Zeno genannt). 

Zephyrium, Vorgebirge und 
Städtchen in Cilicien, 1,23,4. 

Zeugma, Stadt in der syrischen 
Provinz Kyrrhestika, von Se- 
leukus Nikator an einer über 
den 'Euphrat geschlagenen 
Schiffbrücke (daher der Name) 
gegründet, heute(nach Reichardt) 
Tscheschme, VII, 6, 2. 

Zoar, arabische Stadt in der Nähe 
des toten Meeres, heute noch 
unbekannt (zu suchen ist sie 
jedenfalls im Gör es Säfea). 
IV, 8,4. 


Berichtigung. 

Seite 217, Anmerkung 3, lies 37 statt 36.