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Du jtrMäitgtltm. Linien, btttichntn. du. aUaiWuafrlau/c
1 : 6400
Der Tempel zu Jerusalem.
A Äussere Schranke d. Heiligtums. F Frauen vorhof.
B Stufen. G Das grosse oder schöne Thor
C Das eherne od. korinthische Thor. H Vorhof der Israeliten.
Schatzkammern. I Vorhof der Priester.
Säulenhallen. K Brandopferaltar.
L Aufstieg zum Altar.
M Vorhalle.
N Das Heilige^
y^oDas AiicAJiiffite. Original from
Digitized by V^OO^Jf$jv ERS | TY 0 F CALIFORNIA
Flavius Josephus,
Geschichte
des
Jüdischen Krieges.
Übersetzt
und mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von
Dr. Heinrich Cleineiitz.
Mit ausführlichem Namenregister uml zwei von
F. Spie ss gezeichneten Tafeln.
Halle a. d. S.,
Verlag von Otto Hendel.
Digitized by
G(X ’gjffö/
Original from
ERSITY OF CALIFORNIA
burdacW
Einleitung.
as Meisterwerk des Historikers Flavius Jo-
sephus (siehe das Nähere über Leben,
Schriften und Charakter in der Einleitung
zu meiner Übersetzung der „Jüdischen
i ist seine Geschichte des Jüdischen Krieges,
die er, obwohl sie zeitlich den „Altertümern“ nachfolgt,
doch früher als diese geschrieben hat. Was in der Ein-
leitung zu letzterem Werke von seiner Darstellungsweise
gesagt wurde, dass sie nämlich klar, lebendig und elegant
sei, trifft gerade bei der Geschichte des „Jüdischen Krieges“
besonders zu . 1 Geschickte Verteilung und Anordnung
des Stoffes, spannende Erzählung, ergreifende Darstellung
tragischer Begebenheiten, malerische Naturschilderungen
verleihen dem Werke einen prägnanten, originellen
Charakter, woran freilich die abwechselungsreiche Folge
der Ereignisse selbst nicht den kleinsten Anteil hat.
Sind die „Altertümer“ wegen ihres engen Anschlusses
an das alte Testament stellenweise nicht frei von
schleppender und trockener Darstellungsweise, so muss
dem „Jüdischen Kriege“ hingegen eine besondere
Lebendigkeit der Erzählung nachgerühmt werden, die
ihn von jeher zu einer Lieblingslektüre aller Freunde
gediegener Geschichtschreibung gemacht hat.
Wer lernte auch nicht gern die ergreifenden Schick-
l Oberthür nennt Josephus den griechischen Livius.
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Go gle
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4
Einleitung.
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;\Valc- «Je# ‘ terblfefidetan** irregeleiteten Volkes kennen, das,
mit hohen Geistesgaben ausgestattet und im Besitze un-
schätzbarer natürlicher Hilfsquellen, anscheinend zu etwas
Besserem bestimmt war, als unter den ehernen Tritten
des römischen Eroberers zermalmt zu werden? Und wen
ergriffe nicht, wenn er diese packenden Schilderungen
höchsten menschlichen Elendes, dieses verzweifelte
Bingen eines gottgläubigen, markigen Volkes mit dem
heidnischen, in der Kriegstaktik wohlbewanderten Welt-
bezwinger, diese blutigen Schlussscenen des erschütternden
Dramas insbesondere an seinem geistigen Auge vorüber-
ziehen sieht, das tiefste Mitgefühl? Mitgefühl mit den
Leidenden wohlverstanden, nicht mit den halsstarrigen
Führern des Aufstandes und ihrem Anhang räuberischer
Spiessgesellen, die in ihrer Verblendung sondergleichen
dem Schicksal selbst dann noch zu trotzen wagten, als
der Untergang ihnen unabwendbar erscheinen musste.
Das war kein edler Heldenmut, keine Aufopferung für
die heimatliche Scholle mehr — das war wahnwitzige
Auflehnung gegen die göttliche Macht, der kein Mensch
ungestraft sich widersetzen kann.
So endete denn dieser Verzweiflungskampf mit der
Zerstörung der majestätischen, heiligen Stadt Jerusalem,
mit der Einäscherung des gewaltigen Jehovah - Tempels,
mit der Knechtung des unglücklichen Volkes — der
erste Akt des düsteren Schauspiels, das mit dem zweiten,
nämlich der 62 Jahre später unter Hadrian 1 erfolgten
gänzlichen Niederwerfung der Juden und Verödung
Judaeas seinen Abschluss fand.
Auch in dem vorliegenden Werke zeigt Josephus wie
in den „Altertümern“ vielfach das Bestreben, seinen
l 13") n. Chr.
Go gle
mi|VERSlf$OF CALIFORNIA
Einleitung.
5
heidnischen Lesern nicht zu nahe zu treten. Insbesondere
äus8ert er diese Rücksichtnahme hinsichtlich seiner hohen
Gönner Vespasianus und Titus, deren Thaten überall
ins gehörige Licht gerückt sind, und deren edle, menschen-
freundliche Gesinnung nach der Darstellung ihres
Schützlings ausser allem Zweifel zu stehen scheint.
Wir gehen aber wohl nicht fehl, wenn wir annehmen,
dass die erste Ausarbeitung der Geschichte des Jüdischen
Krieges, die in des Josephus Muttersprache, der syro-
chaldaeischen , für die innerasiatischen Völkerschaften
(siehe Vorwort 1) geschrieben war, im Hervorheben
der Verdienste der beiden Cäsaren etwas masshaltender
gewesen sei. Diese syro -chaldaeische Bearbeitung ist
nämlich nicht mehr vorhanden; vielmehr besitzen wir
nur die griechische Übersetzung oder, besser geäagt, die
den Machthabern zu Gefallen vorgenommeue Um-
arbeitung derselben. 1 Gleichwohl darf die Schilderung,
was die nackten historischen Thatsachen angeht, als
durchaus wahrheitsgetreu gelten, wofür als Beweis u. a.
der Umstand herangezogen werden kann, dass König
Agrippa II., mit dem Josephus regen brieflichen Ver-
kehr unterhielt, sich mit der Darstellung des Krieges
ausdrücklich einverstanden erklärte (Selbstbiographie des
Josephus, Abschnitt 65). Weniger freilich will die am
nämlichen Ort gemachte Bemerkung besagen, dass
Titus die Bearbeitung durchgesehen und zur Be-
glaubigung unterschrieben habe. Übrigens wird die
l Ausserdem haben wir noch den syrischen Text des sechsten
Buches, der wahrscheinlich eine Übersetzung aus der ursprünglichen
syro-chaldaeischen Bearbeitung darstellt und somit ein Bild davon
geben dürfte, wie Josephus die Uebertragung aus dem Syro-chal-
daeischen ins Griechische vorgenommen hat und von welchen Grund-
sätzen er dabei geleitet wurde (vergl. Kottek, das ♦>. Buch des Bellum
judaicum nach der von Ceriani photolithographisch edierten Peschitta-
Handschrift).
6
Einleitung.
Wahrheitsliebe unseres Schriftstellers auch durch die
denselben Gegenstand behandelnden Werke anderer
Historiker (Tacitus, Dio Cassius) erhärtet, deren Be-
schreibung der Belagerung bezw. Zerstörung Jerusalems
ich des Vergleiches halber für interessant genug hielt,
um sie unten folgen lassen zu sollen. Dass die geo-
graphischen und topischen Einzelheiten des „Jüdischen
Krieges“ sowohl wie auch der „Altertümer“ vollen An-
spruch auf Zuverlässigkeit haben, wird ja durch die
neueren und neuesten Untersuchungen immer klarer
dargethan.
Die Quellen, aus denen Jo6ephus bei Abfassung der
Geschichte des Jüdischen Krieges schöpfte, waren ver-
schiedenartige und lassen erkennen, dass unser Schrift-
steller in der That, wie er im Vorwort (Abschnitt 5)
hervorhebt, weder Mühe noch Kosten gescheut hat, um
etwas Gediegenes und Vollständiges bieten zu können.
Zunächst kam ihm in dieser Hinsicht seine eigene An-
schauung zu statten, da er in der ersten Zeit des Krieges
als Kommandant von Galilaea den thätigsten Anteil an
den Ereignissen nahm, und es ist klar, dass die Schilderung
dieser Periode des Krieges als den Thatsachen am ge-
nauesten entsprechend angesehen werden muss. Als
Josephus dann nach dem Falle der von ihm heldenmütig
verteidigten Festung Jotapata in römische Gefangenschaft
geraten war und durch sein schlaues, berechnendes Auf-
treten die Gunst des Vespasianus sowie später die
Möglichkeit erlangt hatte, der Belagerung seiner Vater-
stadt als Zuschauer beizuwohnen, fand er während seiner
Anwesenheit im Lager der Römer vor Jerusalem die
beste Gelegenheit, schriftliche Notizen teils nach eigenen
Wahrnehmungen, teils nach den Berichten der zahlreichen
jüdischen Überläufer, die der Hunger und das grausame
Einleitung.
7
Wüten der Zeloten aus der belagerten Stadt trieb, in
ausgiebigstem Masse zu sammeln (vergl. „Gegen Apion“ I, 9).
Dieses höchst wertvolle Material ergänzte er dann endlich
noch durch eine weitläufige Correspondenz , die er von
Rom aus führte, und die ihm — das können wir ihm
in anbetracht der damaligen Verkehrs Verhältnisse glauben
— ganz erhebliche Unkosten verursacht haben muss.
Was die Zeit der Abfassung des Werkes anlangt,
so ergiebt sich aus den vorstehenden Ausführungen von
selbst, dass es jedenfalls noch vor Ablauf der Regierungs-
zeit des Vespasianus, also noch vor dem Jahre 79 n.
Ohr. geschrieben sein muss. Da anderseits nach beendetem
Kriege zur Vervollständigung und Sichtung des Materials
sowie zur Übersetzung aus dem Syro-chaldaeischen
immerhin eine geraume Zeit erforderlich war, so wird
man das Jahr 75 oder 76 n. Chr. wohl als dasjenige be-
zeichnen dürfen, in welchem Josephus die Arbeit in der
Form vollendete, wie sie uns jetzt vorliegt.
Das Werk zerfällt in zwei Teile, von denen der erste
einen Zeitraum von 234 Jahren (168 vor bis 66 nach Chr.)
umfasst und die Vorgeschichte des Krieges nebst einer
Darlegung der Ursachen desselben enthält. Auf den
ersten Blick könnte es wohl scheinen, als hätte Josephus
da etwas zu weit ausgeholt; doch wird man hei näherer
Betrachtung finden, dass die Ereignisse seit 168 v. Chr.
so eng untereinander in Zusammenhang stehen, dass
eine andere Anordnung nicht möglich war, wenn eine
wirklich klare Schilderung der politischen Verhältnisse
vor dem Kriege gegeben werden sollte. In gedrängter
Kürze bietet somit dieser erste Teil zunächst die Ge-
schichte der Juden unter den unabhängigen Fürsten aus
dem Asmonäergeschlecht , schildert dann, w r ie mit dem
Emporkommen des idumaeischen Königshauses und ins-
Go gle
Jhi'IVERSITY OF CAUf-ORNlÄ;
8
Einleitung.
besondere mit der Einmischung der Römer die Selb-
ständigkeit der Juden zu Grunde ging, und wendet sich
hierauf nach einem Überblick über die Regierungszeit
Herodes* des Grossen und dessen zerrüttete häusliche
Verhältnisse zu den direkten Ursachen des Krieges, als
welche die schlechte Regierung des Ethnarchen Arche-
laus, der durch die unselige Erwartung eines politischen
Messias geschürte Fanatismus einzelner Juden und die
Bedrückung des Volkes durch römische Landpfleger zu
bezeichnen sind. Unter dem grausamen Wüterich
Gessius Florus läuft dann endlich das Mass über, und
der Aufruhr schlägt in hellen Flammen empor. Diese
ganze Vorgeschichte hat Josephus in das erste Buch
und die 16 ersten Kapitel des zweiten Buches zusammen-
gedrängt, und es ist bei dieser Kürze wohl verständlich,
dass manches nur flüchtig und ungenau berichtet wird.
Vielleicht ist es diesem Umstand zum Teil zuzuschreiben,
dass in den später verfassten „Altertümern“ die Ge-
schichte der Herodianer mit ausführlicher Breite dar-
gestellt wurde, wobei dann die früheren Ungenauigkeiten
von selbst ihre Ergänzung bezw. Berichtigung fanden.
Deshalb dürfte es für den Leser zweckmässig sein, sich
mit den entsprechenden Abschnitten der „Altertümer“
bekannt zu machen. Ich werde übrigens nicht verfehlen,
an den in Betracht kommenden Stellen auf die Ab-
weichungen beider Werke voneinander hinzuweisen.
Mit dem 17. Kapitel des zweiten Buches beginnt dann
der zweite Teil des Werkes, die eigentliche Geschichte
des Krieges, der im April des Jahres 73 n. Chr. mit
der Einnahme Masadas durch die Römer sein Ende
erreichte.
Bezüglich der geographischen und sonstigen Hilfs-
mittel beim Studium des „Jüdischen Krieges 1 * verweise ich
Einleitung.
9
auf die von mir in der Einleitung zu den „Altertümern“
gemachten Angaben. Ganz besonderes Interesse erweckt
natürlich die Topographie Jerusalems, die unser Schrift-
steller teils in breiten Schilderungen, teils in einzelnen
gelegentlichen Bemerkungen behandelt. Zu ihrer Ver-
anschaulichung dienen die beiden der vorliegenden
Übersetzung beigegebenen, von F. Spiess äusserst sorg-
fältig und korrekt nach der Darstellung des Josephus
gezeichneten Tafeln, die einen Plan von Jerusalem und
einen Grundriss des Tempels samt der Burg Antonia
vor Augen führen, und für deren gütige Überlassung
dem Autor auch an dieser Stelle mein wärmster Dank
erstattet sei. Hierbei will ich nicht ermangeln, auf die
sehr instruktiven Monographien aufmerksam zu machen,
denen die Tafeln entnommen sind, nämlich: F. Spiess,
Das Jerusalem des Josephus, und desselben Verfassers:
Der Tempel zu Jerusalem während des letzten Jahr-
hunderts seines Bestandes nach Josephus (Berlin, Carl
Habel, 1881). Sie behandeln mit erschöpfender Gründ-
lichkeit Jerusalem und den Tempel zu der Zeit, die der
Zerstörung voranging.
Die Übersetzung habe ich wiederum nach der Text-
ausgabe von Dindorf (Paris 1865) angefertigt und dabei
die alte Havercamp’sche Ausgabe zum Vergleich heran-
gezogen; aus der letzteren stammen insbesondere die bei
Dindorf fehlenden Kapitelüberschriften. Für die geo-
graphischen Anmerkungen, die ich wieder in das Namen-
register verwies, leistete mir wie bei den „Altertümern“
Böttgers „topographisch -historisches Lexikon zu den
Schriften des Flavius Josephus“ die besten Dienste, wie
ich auch von Räumers „Palästina“ mehrfach mit
Nutzen zu verwenden in der Lage war.
Möge denn diese neue Übersetzung, für deren Voll-
10
Einleitung,
ständigkeit und engen Anschluss an den Urtext ich
Gewähr leiste, auch ihrerseits dazu beitragen, das
Interesse für den Schriftsteller Josephus zu wecken und
zu beleben , wozu gerade dieses sein bestes Werk in
erster Linie berufen erscheint.
Brauweiler, im Mai 1900.
Dr. Heinrich Clementz.
Tacitus, Historien, Y, 10 — 13.
10. Gleichwohl (nämlich trotz der Tyrannei und
Willkür der Landpfleger) hielt die Geduld der Juden
stand bis auf den Landpfleger Gessius Florus. Ünter
diesem brach der Krieg aus, und Cestius Gallus, der
Legat von Syrien, welcher sich Mühe gab, ihn zu unter-
drücken, bestand wechselnde, öfters aber unglückliche
Schlachten. Als nun Cestius eines natürlichen Todes
oder aus Verdruss gestorben war, sandte Nero den Ves-
pasianus, der in Zeit von zwei Sommern mit siegreichem
Heere durch sein Glück, seinen Ruf und seinen tüchtigen
Gehilfen Herr des ganzen platten Landes und aller
Städte ausser Jerusalem wurde. Das nächste Jahr, in
welchem der Bürgerkrieg wütete, ging, was die Juden
betraf, ruhig vorüber. Sobald aber in Italien der Friede
errungen war, wandte sich die Sorge wieder dem Ausland
zu, und es wuchs die Erbitterung darüber, dass allein
die Juden sich nicht gefügt hatten. Gleichzeitig schien
es im Hinblick auf alle Ereignisse und Unfälle der
neuen Regierung zweckmässiger, dass Titus im Felde
blieb. So schlug er also, wie oben (V, 1) erwähnt, vor
den Mauern Jerusalems sein Lager auf und liess die
Legionen sich zum Kampf rüsten.
11. Die Juden stellten ihre Schlachtlinie dicht vor
den Mauern auf, um im Falle eines Sieges w r eiter vor-
zudringen und im Falle einer Niederlage gleich eine
Zuflucht zu haben. Die mit den leichtbewaffneten
Kohorten gegen sie abgeschickte Reiterei kämpfte un-
entschieden. Bald zogen sich die Feinde zurück, lieferten
jedoch an den folgenden Tagen häufig Gefechte vor den
Thoren, bis sie infolge beständiger Verluste hinter die
Mauern zurückgedrängt wurden. Nun schritten die
Römer zum Sturmangriff. Denn es schien unwürdig,
die Aushungerung der Feinde abzuwarten; auch ver-
langte man nach dem Kampf, ein Teil aus Tapferkeit,
viele aber aus Wildheit und aus Sucht, dafür belohnt
12
Tacitu9, Historien.
zu werden. Dem Titus seihst schwebten Rom, Macht-
stellung und Vergnügen vor Augen, und wenn Jerusalem
nicht sogleich fiel, schien es damit noch weite Wege zu
haben. Aber die an sich schon hochgelegene Stadt
war noch besonders befestigt durch Werke und Wälle,
mit denen auch ein ebener Platz genügend wäre verwahrt
gewesen. Denn zwei unermesslich hohe Hügel wurden
von Mauern eingeschlossen, welche künstlich schief oder
einwärts gekrümmt erbaut worden waren, damit die
Flanken der ßturmkolonnen den Geschossen ausgesetzt
wären. Der äusserste Rand der Felsenmasse war abschüssig,
und dazu erhoben sich noch Türme, wo der Berg dies
möglich machte, zu 60 und in Vertiefungen zu 120 Fuss,
wunderbar anzuschauen und, von fern gesehen, einander
gleich. Weitere Mauern waren innerhalb um die Königs-
burg gezogen, und in beträchtliche Höhe ragte der
Antoniusturm empor, den Herodes so dem Marcus Antonius
zu Ehren genannt hatte.
12. Der Tempel erhob sich wie eine Burg wieder mit
eigenen Mauern, welche an mühsamer Arbeit die anderen
noch übertrafen. Ja, selbst die Säulenhallen, welche
rings um den Tempel liefen, bildeten ein vortreffliches
Bollwerk. Es gab da eine Quelle von unversieglichem
Wasser, unterirdische Gemächer in den Bergen, Fischteiche
und Cisternen zur Aufbewahrung des Regenwassers.
Vorausgesehen hatten die Erbauer wegen der Ver-
schiedenheit der Sitten häufige Kriege. Daher war alles
auf eine wenn auch noch so lange Belagerung eingerichtet.
Auch hatte bei der Eroberung durch Pompejus die Furcht
und ausserdem die Erfahrung ihnen noch manches an
die Hand gegeben. Ja, sie hatten sich während des
Claudius habsüchtiger Zeiten das Befestigungsrecht er-
kauft und führten im Frieden Mauern wie zum Kriege
auf. Ihre Zahl vermehrte sich übrigens durch ein ge-
waltiges Zusammenströmen von Menschen, wenn andere
Städte zerstört worden waren. Und gerade die Aller-
hartnäckigsten hatten dorthin ihre Zuflucht genommen,
weshalb sie um so mehr zum Aufruhr geneigt waren.
Sie hatten drei Anführer und ebenso viele Heere. Die
äusserste und ausgedehnteste Ringmauer hatte Simo, der
auch Bargioras (Sohn des Gioras) genannt wurde, die
mittlere Stadt Johannes und den Tempel Eleazar besetzt.
Tacitus, ‘Historien.
13
Johannes’ und Simos Stärke beruhte auf der grossen
Zahl und Bewaffnung ihrer Anhänger, diejenige Eleazars
aber in der Örtlichkeit. Doch wüteten unter ihnen selber
Kampf, Hinterlist und Brandstiftung, und es ging eine
grosse Menge Getreide in Flammen auf. Alsdann sandte
Johannes unter dem Vorwand, opfern zu wollen, Leute
ab, welche den Eleazar und dessen Schar niedermachten,
und bemächtigte sich des Tempels. Auf diese Weise
teilte sich nun die Stadt in zwei Parteien, bis bei An-
näherung der Römer der von aussen drohende Krieg die
Eintracht wiederherstellte.
13. Wohl hatten sich wunderbare Vorzeichen ein-
gestellt, die jedoch dieses dem Aberglauben ergebene,
heiligem Brauch aber abgeneigte Volk weder durch
Schlachtopfer noch durch Gelübde zu sühnen für erlaubt
hält. Man erblickte Schlachtreihen am Himmel im
Kampfe und rötlich schimmernde Waffen und den
Tempel von plötzlichem Wolkenfeuerschein erhellt. Auf
einmal öffneten sich die Thore des Heiligtums, und man
vernahm eine übermenschliche Stimme: „Die Götter
ziehen aus“, und zugleich der Ausziehenden gewaltiges
Getöse. Alles das deuteten nur wenige in schrecklichem
Sinne; die Mehrzahl war der Überzeugung, es stehe in
den alten Schriften der Priester, gerade um diese Zeit
werde das Morgenland mächtig werden, und von Judaea
werde die Macht ausgehen, welche die Weltherrschaft
gewinnen solle. Diese rätselhaften Worte hatten sich
auf Vespasianus und Titus bezogen; das Volk aber
deutete, wie es die Art der menschlichen Begehrlichkeit
ist, ein so hocherhabenes Geschick auf sich selbst und
ward nicht einmal durch Unglück zur rechten Einsicht
bekehrt. Die gesamte Menge der Belagerten, jedweden
Alters, männlichen und leiblichen Geschlechtes, betrug,
wie wir vernahmen, 600000 Köpfe. Waffen hatte jeder
der sie nur tragen konnte, und mehr Leute noch, als
die Zahl erwarten liess, wagten sich damit in den Kampf.
Männer und Frauen erwiesen sich gleich hartnäckig
und fürchteten sich mehr vor dem Leben, falls man sie
zur Auswanderung würde zwingen wollen, als vor dem
Tode. Das war die Stadt, das war das Volk, gegen
welche nun der Caesar Titus, weil die Örtlichkeit
stürmischen und augenblicklichen Angriff nicht zuliess,
14
Dio Cassius.
mit Wällen und Schutzdächern zu kämpfen beschloss.
Die Arbeiten wurden unter die Legionen verteilt, und
die Gefechte ruhten einstweilen, bis man alles fertig
hatte, wie es von den Alten zur Eroberung von Städten
schon erfunden war oder jetzt neu ersonnen wurde.
(Der Schluss ist wohl mit dem Rest des fünften Buches
und den Büchern VI bis XIV verloren gegangen; doch lässt
sich schon aus diesem Bruchstück unschwer erkennen, dass
Tacitus die Darstellung des Josephus gekannt und benutzt,
mithin auch für zuverlässig gehalten hat.)
Dio Cassius, LXVI, 4-7.
4. Titus erhielt die Führung des Krieges gegen die
Juden. Nachdem er sie anfangs durch Gesandtschaften
und Versprechungen zur Unterwerfung zu bestimmen
gesucht, aber nichts ausgerichtet hatte, beschloss er, sie
förmlich zu bekriegen. Die ersten Schlachten verliefen
unentschieden; dann aber schlug er die Juden und
belagerte Jerusalem. Die Stadt hatte drei Mauern, die
um den Tempel mitgerechnet. Nun warfen die Römer
gegen die Mauer Erdwälle auf und besetzten dieselben
mit Maschinen. Unternahmen die Juden Ausfälle, so
gingen sie ihnen zu Leibe und trieben sie zurück; von
den Mauern aber scheuchten sie. sie mit Schleudern und
Geschossen weg. Denn auch von den auswärtigen
Königen waren ihnen viele Hilfstruppen gesandt worden.
Aber die Juden erhielten ebenfalls nicht nur aus dem
Lande selbst, sondern auch von ihren Glaubensgenossen
aus den römischen Provinzen und selbst von jenseits des
Euphrat Unterstützungen und warfen ihrerseits teils aus
der Hand, teils aus Maschinen Geschosse und Steine»
die von der Höhe herab um so wirksamer waren.
Sobald sie eine günstige Gelegenheit erspäht hatten,
machten sie bei Tag und Nacht Ausfälle, steckten die
Maschinen in Brand, metzelten viele Feinde nieder,
untergruben die Wälle und warfen die Erde davon an
ihre eigene Mauer. Die Sturmböcke zogen sie mit
Schleifen herauf oder rissen sie mit Haken in die Höhe,
oder sie suchten durch dicke, mit Eisen beschlagene Bretter,
Dio C&ssius.
15
die sie vor der Mauer hinabliessen, die Stösse derselben
unschädlich zu machen. Am meisten aber litten die
Römer durch Mangel an Wasser, das nur schlecht war
und aus der Ferne herbeigeschafft werden musste. Den
Juden dagegen kamen unterirdische Gänge, die sie von
innen her unter der Mauer weg nach entfernten Gegenden
führten, sehr zu statten. Aus ihnen stürzten sie sich
hervor auf die, welche Wasser holten, und fügten den
Vereinzelten grossen Schaden zu. Titus Hess deshalb
alle diese Ausgänge verschütten.
5. Bei diesen Kämpfen blieb es natürlich nicht aus,
dass auf beiden Seiten viele verwundet, viele auch ge-
tötet wurden. Titus selbst wurde von einem Stein an
der linken Schulter getroffen und behielt davon eine
Schwäche in der Hand. Endlich erstiegen die Römer
die äussere Mauer, bezogen zwischen den beiden Mauern
(der ersten und zweiten) ihr Lager und berannten nun
die zweite , hatten aber hier ungleich härtere Arbeit.
Da nämlich alle Juden sich hinter dieselbe zurückzogen,
konnten sie, in eine engere Verteidigungslinie zusammen-
gedrängt, sich ihrer Feinde leichter erwehren. Titus
Hess ihnen daher von neuem durch Herolde Verzeihung
anbieten; gleichwohl aber beharrten sie auch jetzt noch
bei ihrem Widerstand. Den Römern verdarben unter-
dessen die Gefangenen und Überläufer heimlich das
Wasser und mordeten jeden, den sie einzeln trafen,
sodass Titus keinen mehr anzunehmen befahl. Mittler-
weile entsank auch auf seiten der Römer einigen der
Mut, wie das wohl bei einer längeren Belagerung vor-
zukommen pflegt, zumal da sie anfingen, dem Gerüchte
von der Unbezwingbarkeit der Stadt Glauben zu schenken,
und sie gingen zu den Juden über. Diese nahmen sie,
so grossen Mangel an Lebensmitteln sie auch hatten,
sehr gut auf, um ihren Feinden zu zeigen, dass man
sogar zu ihnen übergehe.
6. Als nun auch in die (zweite) Mauer Bresche gelegt
war, waren die Juden doch noch nicht bezwungen, sondern
hieben eine Menge der eindringenden Feinde zusammen.
Auch steckten sie einige der nächstgelegenen Gebäude
in Brand, um die Römer, falls sie auch dieser Mauer
Herr werden sollten, vom ferneren Vordringen abzuhalten.
Allein damit beschädigten sie auch die Mauer und setzten
Go gle
16
Dio Cassius.
ferner, was nicht in ihrer Absicht lag, die Festungswerke
um den Tempel in Brand. So ward denn den Römern
der Weg zum Tempel selbst eröffnet Aus religiöser
Scheu drangen sie indes nicht sogleich ein, und Titus
vermochte sie erst spät in das Innere vorzuschieben.
Die Juden ihrerseits erachteten es als ein grosses Glück,
um und für ihren Tempel kämpfend das Leben zu lassen.
Die vom Volke hatten sich unten im Vorhof, die vom
hohen Rat auf den Treppen, die Priester aber im Tempel
selbst aufgestellt. Und so gering auch ihre Zahl gegen
die Übermacht war, so wurden sie doch nicht eher über-
wunden, als bis ein Teil des Tempels in Brand geriet.
Jetzt stürzten sie sich freiwillig in die Schwerter der
Feinde, oder mordeten einander selbst, oder sprangen
ins Feuer. Allen erschien es kein Tod, sondern Sieg,
Heil und Seligkeit, unter den Trümmern ihres Tempels
begraben zu werden.
7. Gleichwohl machte man Gefangene, darunter auch
ihren Anführer Bargioras (den Sohn des Gioras), der
allein beim Triumph mit dem Leben büssen musste. So
wurde denn Jerusalem gerade am Saturnustage (Sabbat),
der auch den heutigen Juden noch heilig ist, erobert.
Seit dieser Zeit musste jeder, der den Gebräuchen seiner
Väter treu blieb, jährlich dem Jupiter Capitolinus zwei
Denare entrichten. Beide Sieger (Vespasianus und Titus)
nun erhielten zwar den Titel Imperator, doch führte
keiner von ihnen den Namen Judaicus, obgleich ihnen
alle bei einem so grossen Siege hergebrachten Ehren-
bezeugungen und somit auch Triumphbögen zuerkannt
wurden.
Erstes Bueh,
Inhalt.
1. Vorwort, enthaltend die Gründe, die den Autor zur Abfassung
des Geschichte Werkes bewogen, sowie eine allgemeine Inhalts-
übersicht.
2. Wie Antiochus Epiphanes wegen einer Empörung der Jerusalemer
deren Stadt einnahm und die Juden schlecht behandelte. Wie
Onias zu Ptolemaeus floh.
3. Wie die Priester Matthias (Mattathias) das Volk um sich scharte
und den Bakchides (Apelles), der gegen Eleazar grausam ge-
wütet hatte, umbrachte. Wie er darauf gegen Antiochus Krieg
führte und sterbend den Oberbefehl seinem ältesten Sohne
Judas hinterliess, der durch glückliche Feldzüge dem Verfall
Einhalt that.
4. Wie nach des Epiphanes Tod dessen Sohn und Nachfolger
Antiochus gegen Jerusalem zu Felde zog und die Stadt besetzte,
und wie Eleazar, des Judas Bruder, von einem Elefanten zu
Tode gedrückt wurde , ohne eine nennenswerte Kriegsthat
vollbracht zu haben. Wie Judas und sein Bruder Joannes
umkamen.
5. Wie des Judas Bruder Jonathas zur I Herrschaft gelangte, von
des Antiochus Erzieher Tryphon aber mit List gefangen ge-
nommen und getötet wurde.
6. Wie Simon, der jüngste der Brüder, nachdem er den Ober-
befehl übernommen und durch seine Thatkraft die Juden nach
170jähriger Bedrückung von der Herrschaft der Macedonier
befreit hatte, vom Volke zum Hohepriester gewählt wurde, aber
den Nachstellungen seines Schwiegersohnes Ptolemaeus bei
Gelegenheit eines Gastmahies zum Opfer fiel.
7. Wie Joannes mit dem Beinamen Hyrkanus, Simons Sohn und
Nachfolger, den Händen des Ptolemaeus entging und den
Antiochus vertrieb. Welche Kriegsthaten er selbst sowohl als
auch seine Söhne Aristobulus und Antigonus vollbrachten, und
wie er nach 33jiihriger friedlicher Regierung mit Hinterlassung
von 5 Söhnen starb, nachdem er des Volkes Fürst, Hohepriester
und Prophet gewesen war.'
S. Wie Aristobulus, des Hyrkanus ältester Sohn, 471 Jahre nach
Beendigung der babylonischen Gefangenschaft sich die Königs-
krone aufsetzte und nach tyrannischer Regierung von nur ein-
jähriger Dauer starb.
Josephus, jüdischer Krieg. 2
18
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
9. Wie des Aristobulus Bruder Alexander nach ihm den Thron
bestieg, und was er während seiner Regierung vollbrachte.
Wie seine Unterthanen ihn seiner Grausamkeit wegen hassten,
und wie er nach 27 jähriger Regierung aus dem Leben schied.
10. Wie seine Gattin Alexandra glänzend regierte, ihren ältesten
Sohn Hyrkanus zum Hohepriester ernannte, den Aristobulus
ins Privatleben verwies und durch die Macht der Pharisäer in
Gefahr geriet.
11. Wie Aristobulus, als seine Mutter nach neunjähriger Regierung
starb, unter Ausschluss seines Bruders von der Leitung des
Staates den Thron bestieg, später aber sich mit ihm dahin einigte,
dass er selbst die Königswürde und Hyrkanus das Hohepriester-
amt behielt.
12. Wie unter der Herrschaft des Aristobulus dessen Gegner und
besonders der Idumäer Antipater aus Furcht vor ihm den
Hyrkanus beredeten, zum Araberkönige Aretas zu fliehen. Wie
Hyrkanus von einem grossen Kriegsheer in sein Vaterland
zurückgefiihrt wurde und über seinen Bruder beinahe obgesiegt
hätte, wenn der römische Feldherr Scaurus nicht von Aristobulue
durch Geschenke bewogen worden wäre, Jerusalem zu ent-
setzen.
13. Wie Pompejus auf Hyrkanus’ und Antipaters Bitten und im
Zorn über des Aristobulus Anmassung Jerusalem erstürmte und
dem Hyrkanus die hohepriesterliche Würde wieder verlieh.
14. Wie Pompejus die syrischen Städte, welche die Makkabäer einst
für die Juden erobert hatten , diesen wieder abnahm und über
die Städte und das übrige Syrien den Scaurus als Statthalter
setzte. Von der Erzeugung und Bereitung des Balsams. Was
Pompejus im Tempel vorfand. Zahl der auf beiden Seiten
Gefallenen.
15. Wie Pompejus nach der Gefangennahme des Aristobulus und
seiner Familie sich nach Rom begab, und wie Alexander, einer
der Söhne des Aristobulus, auf der Reise entwich. Wie Scaurus
in Arabien einfiel, sich aber wieder zurückzog. Thaten und
Schicksale des flüchtigen Alexander.
10. Wie Gabinius, der Nachfolger des Scanrus in Syrien, den
Alexander besiegte, ihm auf seine Bitte Verzeihung gewährte
und ganz Judaea in fünf Gerichtsbezirke teilte.
17. Wie auch Aristobulus, der aus Rom geflohen und gegen Gabinius
zu Felde gezogen war, endlich besiegt und abermals in Fesseln
nach Rom geschickt wurde.
18. Wie Gabinius auf seinem Marsche gegen die Parther durch des
Ptolemaeus Angelegenheit aufgehalten wurde, und wie er die
wiederum in Aufruhr geratenen Juden zu Paaren trieb.
19. Wie des Gabinius Nachfolger Crassus von. den Parthern getötet
wurde. Des Cassius Kriegsthaten in Syrien.
20. Von Antipater und seiner Familie.
Go gle
IJNIVERSITY OF CAI IFOEM'i/Y
Erstes Buch, Inhalt.
19
21. Wie Caesar den Aristobulus freiliess und nach Jerusalem schickte,
und was dieser sowie seine Kinder von den Anhängern des
Pompejus zu erdulden hatten.
22. Wie Antipater aus Gefälligkeit gegen Caesar dem Mithradates
bei der Belagerung von Pelusium Hilfe leistete und sich
tapfer schlug. Caesar schenkt ihm dafür das römische Bürger-
recht und Steuerfreiheit. Wie er von Aristobulus' Sohn Antigonus
bei Caesar angeklagt wurde, aber obsiegte, worauf Hyrkanus
in der Hohepriesterwürde bestätigt und er selbst zum Statt-
halter von ganz Judaea ernannt wurde.
23. Wie Antipater die von Pompejus zerstörte Stadtmauer wieder-
herstellte, einen Aufstand in der Provinz dämpfte und alsdann
seinen ältesten Sohn Phasael zum Befehlshaber von Jerusalem
nebst Umgegend, den Herodes aber in derselben Eigenschaft
für Galilaea ernannte.
24. Wie Hyrkanus auf Anreizung von seiten der Neider des Herodes
und weil er auch selbst auf dessen kriegerische Erfolge eifer-
süchtig wurde, ihn vor Gericht lud, dann aber freisprach, und
wie Herodes im Unmut darüber gegen Hyrkanus zu Felde zog,
auf seines Vaters und Phasaels Rat jedoch von weiteren Unter-
nehmungen Abstand nahm.
25. Von dem bei Apamea unter den Römern ausgebrochenen Bürger-
kriege.
26. Wie Brutus und Cassius den Caesar meuchlings ermordeten.
Des Cassius Auftreten in Judaea. Antipater von Malichus
vergiftet.
27. Wie Herodes mit Hilfe des Cassius gegen Malichus einschritt,
und wie Helix, um den Tod seines Bruders Malichus zu rächen,
gegen Phasael zu Felde zog, von diesem besiegt wurde, dann
aber von Herodes auf seine Bitte freien Abzug erhielt. Wie
der Tyrann Marion von Herodes aus Galilaea vertrieben
wurde.
28. Wie Herodes zu seiner ersten Gattin eine zweite nahm, nämlich
Mariamne, die Enkelin des Hyrkanus und Tochter des Ari-
stobulus.
29. Wie nach des Cassius Ermordung Antonius nach Asien kam und
Herodes sowie dessen Bruder, die von den Juden angeklagt
waren, nicht nur in der Herrschaft beliess, sondern auch beide
zu Tetrarchen ernannte.
30. Was von den Parthern Barzaphames und Pakorus angestellt
wurde, um dem Antigonus wieder auf den Thron zu helfen.
Wie Phasael umkam und Herodes ihren Nachstellungen entging,
Hyrkanus aber , seiner Ohren beraubt , nach Parthien weg-
geführt wurde, und wie Antigonus die Herrschaft erlangte.
31. Wie Herodes sich zum Araberkönig begab, um von ihm Geld
zum Loskauf seines Bruders zu erhalten , aber in seiner Er-
wartung sich getäuscht fand und über Alexandria nach Rom
reiste, wo er bei Antonius und Caesar Augustus sein Unglück
2 *
Go gle
UNVERSITY OF CALIFORNIA
20
Josephus, Geschichte des Jüdischen Kriegos.
beklagte, die mit Hilfe der Parther erfolgte Thronbesteigung
des Antigonus meldete und von beiden mit Zustimmung des
Senates zum König ernannt wurde.
32. Wie Antigonus die in Masada eingeschlossenen Verwandten des
Herodes belagerte.
33. Wie Herodes nach seiner .Rückkehr von Rom gegen Antigonus
Krieg führte und, während er die Seinen zum Kriege gegen die
Parther sandte, selbst die Räuber in ihren Höhlen angrifi und
in seine Gewalt brachte.
34. Wie während des Herodes Unternehmung gegen Antigonus die
Galiläer einen Aufruhr gegen Samäria anzettelten, und wie
Herodes deshalb zurückkehrte und den Aufstand niederwarf.
Wie er dann nach Überwindung der Parther Hilfstruppen von
Antonius zum Kriege gegen Antigonus erhielt, aber, daderen Führer
Machaeras sich, als schlechter Bundesgenosse erwies, zu Antonius
zurückkehrte und ihm bei der Belagerung von Samosata half,
während sein Bruder Joseph in seiner Abwesenheit sich in ein
Treffen mit Antigonus einliess, sein ganzes Heer verlor und
selbst fiel, worauf die Untergebenen sich wieder empörten.
35. Wie Herodes zurückkehrte, mit den Anhängern des Antigonus
kämpfte, ausser anderen kleineren Städten auch Jericho ein-
nahm und Pappus, dem Heerführer des Antigonus, der seinen
Bruder Joseph getötet hatte, das Haupt abschlagen liess.
36. Wie er im dritten Jahre seiner Königsherrschaft Jerusalem er-
oberte und den Jerusalemern arg mitspielte. Des Antigonus
Tod.
37. Was Antonius der Kleopatra zuliebe that.
38. Wie beim Ausbruch des Krieges von Actium Herodes von
Antonius gegen die Araber geschickt wurde und dieselben
völlig niederwarf. Seine Rede an das von einem Erdbeben
eingeschüchterte Heer.
39. Wie Herodes nach der Schlacht bei Actium sich zum Caesar
begab, mit ihm verhandelte und reich beschenkt wurde.
40. Von der Wiederherstellung des Tempels und den durch Herodes
errichteten Bauwerken. Seine körperlichen und geistigen
Vorzüge.
41. Von dem Leid und den Zwistigkeiten, die in des Herodes Familie
wegen seiner Gattin Mariamne entstanden, und was ihm wider-
fuhr, weil er einst den Hyrkanus, der Mariamne Grossvater,
gefangennehmen und ihn wie seinen Bruder Joseph hatte um-
bringen lassen. Hinrichtung der Mariamne.
42. Wie Herodes infolge der Verleumdungen von seiten seines Sohnes
Antipater gegen die Söhne der Mariamne in Erbitterung geriet,
den Alexander nach Rom schleppte, um seine Bestrafung beim
Caesar zu erwirken . sich aber mit ihm aussöhnte und nach
Jerusalem zurückkehrte, wo er dem Volke über alles Vorge-
fallene Bericht erstattete.
43. Charakter Antipaters und der Söhne Mariamues.
Erstes Buch, Inhalt.
21
44. Von Herodes’ Bruder Pheroras und seinen Streitigkeiten mit ihm.
45. Von des Herodes Verschnittenen, und wie sie die Ursache waren,
dass Alexander in Lebensgefahr geriet.
46. Wie Alexanders Schwiegervater Archelwus aus Kappadocien kam
und die Prinzen mit ihrem Vater aussöhnte.
47. Von der Betrügerei des Lakedaemoniers Eurykles, der den Herodes
abermals gegen seine Söhne aufreizte.
48. Wie Herodes infolge der Verleumdungen von seiten Salomes
Alexander und Aristobulus einkerkern liess, sie beim Caesar
verklagte und nach erhaltener Ermächtigung hinrichten liess.
49. Wie Antipater allgemein verhasst wurde, und wie der König
die Kinder der Hingerichteten mit seinen Verwandten verlobte.
50. Wie des Pheroras Gattin und Antipaters Mutter mit Salome in
Zwist gerieten und den Grund zum Verderben Antipaters und
der Seinen legten. Wie Antipater, um seinem Vater aus den
Augen .zu kommen, sich mit glänzender Ausstattung nach Rom
zum Caesar begab. Vom Araber Syllaeus und dem Tode des
Pheroras.
51. Wie des Pheroras Ende dem Antipater zum Verderben gereichte.
52. Wie des Pheroras Gattin sich vom Dache hinabstürzte, aber
durch Fügung Gottes, der den Antipater zur Strafe ziehen
wollte, am Leben erhalten wurde.
53. Antipaters Rückkehr von Rom. und wie aus Hass gegen ihn
niemand von den Vorgängen in Judaea ihm Bericht erstattete.
54. Wie der König eine Gerichtssitzung anberaumte und den Nikolaus
zum Ankläger Antipaters in Anwesenheit des Varus bestellte.
Antipaters Verteidigung.
55. Wie Antipater durch einen zufällig aufgefangenen Brief Akmes,
der Sklavin der Julia, überführt wurde, auch gegen Salome
Ränke geschmiedet zu haben
56. Von den Gesetzesieb rem Judas und Matthias, und von dem goldenen
Adler.
57. Von des Königs Krankheit, und wie er angesichts des Todes
viele vornehme Juden aus ganz Judaea Zusammenkommen
liess und ihre Niedermetzelung anordnete, sobald er selbst
den Geist aufgegeben hätte.
58. Wie Herodes seinen Sohn Antipater hinrichten liess und am
fünften Tage nachher selbst starb.
V orwort.
1. Der Krieg der Juden gegen die Römer, der an
Bedeutung unter allen Kriegen zwischen einzelnen Städten
oder Völkern nicht nur unseres Zeitalters, sondern auch
vergangener Tage seinesgleichen sucht, ist zwar schon
wiederholt beschrieben worden. Doch unternahmen dies
teils solche Schriftsteller, die, ohne Zeugen der Ereignisse
gewesen zu sein, aus blossen Gerüchten thörichtes, wider-
spruchsvolles Gerede sammelten und nach sophistischer
Weise 1 verarbeiteten, teils solche, die zwar mit dabei
waren, aber aus Liebedienerei gegen die Römer oder aus
Hass gegen die Juden es mit der Wahrheit nicht genau
nahmen, sodass ihre Schriften aus einem Gemisch von
Anklagen und Lobhudeleien bestehen, historische Treue
dagegen stark vermissen lassen. Aus diesem Grunde
habe ich, Josephus, des Matthias Sohn, aus Jerusalem
gebürtiger Hebräer und Priester, der ich im Anfänge
des Krieges selbst gegen die Römer gekämpft und in
seinem späteren Verlauf als unfreiwilliger Augenzeuge
ihn mitgemacht habe, den Entschluss gefasst, die Geschichte
des Krieges, die ich schon früher den innerasiatischen
Völkern 2 in ihrer Muttersprache habe zugehen lassen,
nunmehr auch für diejenigen, welche unter dem römischen
Scepter leben, in griechischer Übersetzung zu bearbeiten.
2. Als diese, wie gesagt, höchst bedeutungsvolle Be-
wegung im Entstehen begriffen war, krankte der römische
Staat an inneren Übeln 3 , während anderseits diejenigen
Juden, die auf Umsturz der bestehenden Verhältnisse
sannen, die unruhigen 2eiten zur Erregung eines Auf-
standes für geeignet hielten, zumal sie an Streitkräften
1 D. h. nur um ihre schriftstellerische bezw. rednerische Begabung
zu zeigen.
2 Welche Völker Josephus damit meint, ergiebt sich aus Vorwort 2.
3 Gemeint ist die Zerfahrenheit unter Neros tyrannischer Re-
gierung und der Wirrwarr nach seinem Tode.
Erstes Buch, Vorwort.
23
wie an Geldmitteln keinen Mangel hatten. So war denn
in der argen Verwirrung bei den einen die Hoffnung, den
Orient zu gewinnen, nicht minder gross als bei den
anderen die Furcht, ihn zu verlieren. Hegten doch die
Juden die feste Überzeugung, ihre Stammesgenossen
jenseits des Euphrat würden insgesamt zugleich mit ihnen
zu den Waffen greifen, indes den Römern nicht nur die
benachbarten Gallier, sondern auch die unruhigen Kelten
zu schaffen machten. Nach Neros Tode vollends geriet
alles in Aufruhr; gar manchen veranlasste die günstige
Gelegenheit, seine Hand nach der Krone auszustrecken,
und dem nach Geschenken lüsternen Heere war ein
Thronwechsel allezeit willkommen. Den wahren Sach-
verhalt so wichtiger Vorgänge nun nicht aufzuklären und,
während Parther, Babylonier, die fernsten Araber, unsere
Volksgenossen jenseits des Euphrat und die Adiabener
durch meine Bemühung von der Entstehung, den vielen
Wechselfällen und dem endlichen Ausgang des Krieges
genaue Kenntnis erhalten hatten, die Griechen sowie
diejenigen Römer, die den Feldzug nicht mitgemacht,
darüber in Unwissenheit und auf die Lektüre schmeichle-
rischer oder lügenhafter Machwerke angewiesen zu lassen,
konnte ich nicht für recht halten.
3. Und doch entblöden sich die V erfasser nicht, den Titel
„Geschichten“ über solches Geschreibsel zu setzen, das,
ganz abgesehen von seinem mangelhaften Inhalt, mir
wenigstens auch noch seinen Zweck zn verfehlen scheint.
Denn in der Absicht, die Römer recht gross erscheinen
zu lassen, suchen sie der Juden Macht durchgehends zu
verkleinern und verächtlich zu machen. Es will mir
aber nichteinleuchten, inwiefern die Besieger unbedeutender
Feinde so gross erscheinen sollten. Dazu kommt noch,
dass sie weder die lange Dauer des Krieges berück-
sichtigen, noch die bedeutenden Verluste des römischen
Heeres, noch die Grösse der Feldherren, deren Ruhm
meines Erachtens doch sicherlich zusammenschrurapft,
wenn die so ausserordentlich mühsame Eroberung Jeru-
salems keine glänzende Kriegsthat gewesen sein soll.
24
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
4. Dennoch liegt es keineswegs in meiner Absicht,
mich mit den Lobrednem der Römer zu messen und
meinerseits nun die Thaten meiner Volksgenossen zu
verhimmeln , sondern ich will eben nur das auf beiden
Beiten thatsächlich Geschehene genau berichten, und
indem ich aus Trauer über das Unglück meiner Vater-
stadt mich meinem Schmerz überlasse, will ich mit der
Erzählung der Begebenheiten zugleich meiner Stimmung
ein kleines Opfer bringen. Denn dass innerer Hader
den Untergang der Stadt verschuldete, und dass die
Tyrannen der Juden selbst es waren, welche die Römer
wider deren Willen zwangen, Hand anzulegen und den
Feuerbrand in den heiligen Tempel zu werfen, davon ist
dessen Zerstörer, der Caesar Titus, selbst Zeuge, der
während des ganzen Krieges Mitleid mit dem Volke hatte,
weil es sich von den Empörern leiten liess, und der die
Zerstörung der Stadt zu wiederholten Malen aus eigenem
Antrieb hinausschob und die Belagerung in die Länge
zog, um den Schuldigeii Zeit zur Sinnesänderung zu
lassen. Will mich aber jemand um dessetwillen schelten,
was ich, seufzend über das traurige Los meiner Vater-
stadt, gegen die Tyrannen und ihren Anhang von
Banditen im Tone der Anklage vorbringe, so möge er
diesen Verstoss gegen das Gesetz der Geschichtschreibung
meinem Schmerze zugut halten. Denn von allen Städten
unter der Oberhoheit der Römer hatte keine den grossen
Wohlstand erreicht , wie die unsere, keine aber stürzte
auch in eine solche Tiefe des Unglückes hinab. Ja, kein
Missgeschick aller Zeiten scheint mir mit dem: der Juden
den Vergleich aushalten zu können. Dass nun auch
noch nicht einmal ein Fremder die Schuld daran trägt,
das ist es, was es mir schier unmöglich macht, meiner
Wehmut Herr zu werden. Ist jedoch jemand ein so
unerbittlicher Richter, dass sein Herz dem Mitleid völlig
verschlossen ist, so schreibe er die Thatsachen auf
Rechnung der Geschichte, die Wehklagen aber auf Rechnung
des Geschichtschreibers.
Erstes Bach, Vorwort.
25
5. Übrigens könnte ich mit vollem Recht den Ge-
lehrten der Griechen Vorwürfe darüber machen, dass sie
trotz so grosser selbsterlebter Begebenheiten, welche bei
Anstellung eines Vergleiches die früheren Kriege an Be-
deutung weit hinter sich lassen, dennoch stets an den
Leistungen der Schriftsteller, die diese vergangenen
Kriege beschrieben haben, verkleinernde Kritik üben,
obwohl sie von diesen, wenn auch nicht an gewandter
Darstellung, so doch jedenfalls an Ehrlichkeit übertroffen
werden. Da unternehmen es jene Gelehrten, die Geschichte
der Assyrier oder der Meder zu bearbeiten, als hätten
die alten Geschichtschreiber das lange nicht so gut ver-
standen. Und doch sind ihnen dieselben ebensowohl in
echter Geschichtschreibungskunst, als in planvoller Anlage
ihrer Werke überlegen. Denn jeder von diesen verfolgte
eben nur den Zweck, die Begebenheiten der eigenen
Tage zu schildern, wobei einerseits der Umstand, dass
sie die Ereignisse gelbst miterlebt hatten, eine besonders
lichtvolle Darstellung ermöglichte, anderseits aber auch
lügenhafte Berichte von den mit dem wirklichen Sach-
verhalt Vertrauten wohl gleich als solche gebrandmarkt
worden wären. Auf ein besonderes Lob kann also nur
derjenige Anspruch machen, der die genau den Thatsachen
entsprechende Geschichte seiner eigenen Zeit der Ver-
gessenheit entreisst und sie für die Nachwelt aufzeichnet.
Und fleissige, sorgfältige Arbeit kann nicht dem nach-
gerühmt werden, der bloss eines anderen Plan und Ge-
dankengang umformt, sondern nur dem, der einem an
sich originellen Stoff durch selbständige Darstellung
Geist und Leben verleiht. So habe auch ich, wiewohl ein
Fremdling, weder Mühe noch Kosten gescheut, um Griechen
wie Römern die Geschichte jener Kriegs thaten darbieten
zu können. Die Einheimischen haben ja zwar, wo es
Geldgewinn und Rechtsstreitigkeiten gilt, stets einen
offenen Mund und eine gelöste Zunge. Handelt es sich
aber um Geschichtschreibung, wo man bei der Wahrheit
bleiben und mit vieler Mühe die Thatsachen zusammen-
suchen muss, so spielen sie die Stummen und überlassen
26
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
es talentlosen Leuten, die zudem oft noch nicht einmal
recht Bescheid wissen, die Thaten der Feldherren zu
schildern. So werde denn die echte Geschichtschreibungs-
kunst bei uns um so mehr in Ehren gehalten, als sie
bei den Griechen vernachlässigt wird.
6. Der Juden alte Geschichte zu schreiben und dar-
zuthun, was für ein Volk sie waren, wie sie den Auszug
aus Aegypten bewerkstelligten , welche Länderstrecken
sie durchirrten, welche Gebiete sie dann einn ahmen und
wie sie von da wieder wegzogen, hielt ich jedoch hier
nicht für geboten und ausserdem auch für überflüssig,
da ja einerseits viele Juden vor mir die Geschichte ihrer
Ahnen hinreichend genau bearbeitet haben, anderseits
manche Griechen, indem sie jene Schriften in ihre
Muttersprache übertrugen, von der Wahrheit im all-
gemeinen nicht sehr abgewichen sind. Meine Darstellung
soll vielmehr da beginnen, wo diese Schriftsteller und
die Propheten auf hören. Und zwar werde ich nur den
von mir selbst miterlebten Krieg ausführlicher und mit
möglichster Genauigkeit beschreiben, bei den Ereignissen
vor meiner Zeit dagegen mich mit einem kurzen Über-
blick begnügen.
7. Somit werde ich berichten, wie Antiochus mit dem
Beinamen Epiphanes, nachdem er Jerusalem erobert und
die Stadt drei Jahre und sechs Monate in seiner Gewalt
gehabt hatte, von den Asamonäern aus dem Lande ver-
trieben wurde ; wie deren Nachkommen in einem Thron-
streit die Entscheidung der Römer und des Pompejus
anriefen ; wie Herodes, der Sohn des Antipater, mit Hilfe
des Sosius ihrer Herrschaft ein Ende bereitete ; wie nach
des Herodes Tod unter dem römischen Caesar Augustus
und dem Statthalter des Landes Quintilius Varus das
Volk sich empörte; wie im zwölften Jahre von Neros
Regierung der Krieg ausbrach; was sich unter Cestius
ereignete, und wie viele Plätze die Juden zu Beginn des
Krieges mit stürmender Hand angriflen.
8. Weiterhin will ich erzählen, wie die Juden die
umliegenden Städte befestigten; wie Nero nach den
Erstes Buch, Vorwort.
27
Niederlagen des Cestius seine Oberhoheit gefährdet
glaubte und den Vespasianus mit der Leitung des Krieges
betraute; wie dieser mit seinem ältesten Sohn in das
Land der Juden einrückte; wie zahlreich das von ihm be-
fehligte Römerheer war, und wie viele Hilfstruppen ihm bei
der Verwüstung von ganz Galilaea zu Gebote standen; wie
er die Städte dieser Landschaft teils mit Gewalt, teils
durch freiwillige Kapitulation in seinen Besitz brachte.
Alsdann will ich die Kriegstaktik der Römer, die vor-
treffliche Ausbildnng ihrer Legionen, ferner die Grösse
und natürliche Beschaffenheit von Ober- und Unter-
galilaea, die Grenzen Judaeas, die Eigentümlichkeiten
des Landes, seine Seen und Quellen, endlich die Schicksale
jeder eroberten Stadt mit äusserster Sorgfalt schildern,
und zwar nach meiner eigenen Anschauung und nach
meinen Erlebnissen. Denn auch von meinem persönlichen
Missgeschick will ich nichts verschweigen , da ja meine
Leser mit den Thatsachen bekannt sind.
9. Im ferneren Verlauf werde ich mitteilen, wie
um die Zeit, da es mit den Juden schon bedenklich
stand, Nero starb und Vespasianus, der eben gegen
Jerusalem aufgebrochen war, infolge seiner Erhebung
zum Imperator abberufen wurde; welche Vorzeichen
dem letzteren diese Würde verkündet hatten ; wie Rom
von einrückenden Truppen überflutet, und wie Vespasianus
wider seinen Willen von den Soldaten zum Selbst-
herrscher ausgerufen wurde; wie hierauf, nachdem er
zur Ordnung der Reichsangelegenheiten nach Aegypten
abgereist war, Streitigkeiten unter den Juden ausbrachen
und Tyrannen die Herrschaft über sie erlangten, die
aber dann auch ihrerseits sich gegenseitig bekämpften.
10. Die Erzählung fährt dann fort zu berichten,
wie Titus von Aegypten her abermals ins Land einfiel;
auf welche Weise, wo und in welcher Stärke er sein
Heer zusammenbrachte; wie bei seinem Anrücken die
Stadt infolge des inneren Haders litt ; wie oft er stürmen
und wie viele Wälle er aufführen liess. Weiterhin werde
ich schildern den Umfang und die Grösse der drei
28
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Mauern, die starke Befestigung der Stadt, den Plan des
Heiligtums und des Tempels, die Mass Verhältnisse dieser
Bauwerke und des Altares, und zwar alles mit genauester
Sorgfalt; sodann auch einige festliche Gebrauche, die
sieben Reinigungen und die gottesdienstlichen Ver-
richtungen der Priester, der letzteren und des Hohe-
priesters Kleidung, sowie die Beschaffenheit des Aller-
heiligsten im Tempel, ohne dem, was ich als sicher ver-
bürgen kann, etwas hinzuzufügen noch etwas davon
zu verschweigen.
11. Hierauf werde ich das grausame Wüten der
Tyrannen gegen ihre eigenen Volksgenossen klarlegen
und auf der anderen Seite das schonende Verhalten der
Römer gegen die Fremden, dann wie oft Titus, von dem
Wunsche beseelt, die Stadt und den Tempel zu retten,
die Empörer zu einem Vergleich aufforderte. Auch
werde ich die Not und das vielfache Unglück des Volkes
auseinandersetzen und zeigen, was es bis zum Falle der
Stadt durch den Krieg, durch inneren Zwist und durch
Hunger zu leiden hatte. Verschweigen will ich auch
weder das traurige Geschick der Überläufer noch die
Hinrichtung der Gefangenen, und sodann werde ich
berichten, wie der Tempel gegen den Willen des Caesars
in Flammen aufloderte und was von den heiligen Ge-
räten der Wut des Feuers entrissen wurde; weiterhin
die völlige Zerstörung der Stadt und die wunderbaren
Vorzeichen, die sie angekündigt hatten; die Gefangen-
nahme der Tyrannen; die Menge der als Sklaven ver-
kauften Juden und ihr verschiedenartiges Schicksal;
hierauf wie die Römer die letzten Reste kriegerischen
Widerstandes brachen und die festen Plätze von Grund
aus zerstörten; endlich wie Titus das ganze Land bereiste,
die Ordnung herstellte, nach Italien zurückkehrte und
triumphierte.
12. Das alles habe ich, um den Kennern der That-
sachen und Augenzeugen des Krieges jeden Grund zu
Klagen oder Vorwürfen zu benehmen, für wahrheitsliebende,
nicht aber für bloss unterhaltungssüchtige Leser in
Erstes Buch, 1. Kapitel.
29
eieben Büchern beschrieben. Es beginne also die eigent-
liche Erzählung in der Weise, wie ich es in der all-
gemeinen Inhaltsübersicht angedeutet habe.
Erstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XII, 4, 11 — 11,2.
Antiochus Epiphanes erobert Jerusalem. Die Makkabäer
Mattathias und Judas.
1. Zu der Zeit 1 , als Antiochus Epiphanes mit Ptole-
maeus dem Sechsten 2 wegen des Besitzes von Gesamt-
Syrien 3 im Streite lag, entstanden unter den vornehmen
Juden Zwistigkeiten über den Machtvorrang, da niemand
von denen, die in Würden standen, sich seinesgleichen
unterordnen wollte. In diesem Zwiste gewann Onias,
einer von den Hohepriestern, die Oberhand und vertrieb
die Söhne des Tobias aus der Stadt 4 (Jerusalem). Letztere
nahmen nun ihre Zuflucht zu Antiochus, den sie baten,
in Judaea einzurücken und dabei ihre Dienste als Heer-
führer anzunehmen. Der König liess sich um so leichter
hierzu bereden, als er sich schon lange mit dieser
Absicht trug. Er drang daher mit grosser Streitmacht
ins Land ein, nahm die Stadt mit stürmender Hand 5 6 ,
liess eine grosse Menge der Anhänger des Ptolemaeus
niedermachen, verstattete seinen Soldaten unein-
geschränktes Plündern, beraubte selbst den Tempel und
1 Um 174 v. Chr.
a Philometor; er vermochte übrigens dem Antiochus das Streit-
objekt nicht zu entreissen, das er an dessen Bruder und Vorgänger
Seleukus IV. (Philopator) von Syrien verloren hatte.
8 oXtj Supia, welches hier Coelesyrien (xo&tj Sopia), Phoenicien
und Judaea zusammen begreift (vergl. Gegen Apion, II, 5). Judaea
stand damals unter der Herrschaft der Seleukiden.
4 Nicht Onias war es, sondern Jesus (Jason), der die Söhne des
Tobias verjagte (s. Jüd. Altert. XII, 5, 1).
6 Nach J. A. XII, 5,3 und 4 nahm Antiochus Jerusalem zweimal
ein, das erste Mal durch Verrat und zwei Jahre später durch List.
Josephus meint hier die zweite Eroberung (170 v. Chr.).
30
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
brachte die Abhaltung der täglichen Opfer auf die
Dauer von drei Jahren und sechs Monaten zum Stillstand.
Der Hohepriester Onias 1 aber floh zu Ptolemaeus und
erhielt von ihm einen Platz im Bezirke von Heliopolis 2 ,
wo er ein Jerusalem ähnliches Städtchen und einen Tempel
nach dem Muster des zu Jerusalem befindlichen erbaute.
Hierüber werde ich an passender Stelle 3 noch näheres
mitteilen.
2. Dem Antiochus indes genügte weder die unverhoffte
Einnahme der Stadt, noch die Plünderung, noch das ge-
waltige Blutbad, sondern im Taumel seiner Leidenschaft
und im Andenken an seine während der Belagerung be-
standenen Strapazen zwang er die Juden, im Wider-
spruch mit den heimischen Gesetzen ihre Kinder un-
beschnitten zu lassen und Schweine auf dem Altar zu
opfern. Gegen diese Verordnungen lehnte sich das ganze
Volk auf; die angesehensten Bürger aber erlagen dem
Richtschwert. Bakchides vollends, der von Antiochus
geschickte Kommandant der Besatzungstruppen, verschärfte
die gottlosen Befehle noch durch seine natürliche Grau-
samkeit und überschritt jedes Mass des Frevels, indem
er die vornehmen Juden der Reihe nach foltern liess
und der gesamten Bürgerschaft tagtäglich mit Zerstörung
der Stadt drohte, bis endlich das Übermass seiner Greuel
die Bedrängten zu einem Rache versuch trieb.
3. Matthias nämlich, der Sohn des Asamonaeus 4 , ein
Priester aus dem Dorfe Modein 5 , bewaffnete sich und die
Seinigen (er hatte fünf Söhne) und erdolchte den Bakchides 6 ,
worauf er aus Furcht vor der zahlreichen Besatzung
1 Sohn des Hohepriesters Onias III. Er war jedoch nie wirklicher
Hohepriester, sondern wird nur so genannt, weil er von Rechts wegen
die Würde hätte bekleiden sollen.
- Wegen der Einzelheiten betreffend die Lage von Städten und
grösseren Gebietsteilen verweise ich hier und im weiteren Verlauf der
Geschichte auf das Namenregister.
I VII, 10, 2.
4 Nach J.A.XII, t>,l Mattathias, der Sohn Joannes’, des Sohnes
Simous, des Sohnes des Asamonaeus.
5 J. A. Modiim (Mö 8 i 61 |jl).
II J. A. XII, 6, 2 Apelles, nicht Bakchides.
Erstes Buch, 1. Kapitel.
31
zunächst sich ins Gebirge zurückzog. Als aber eine
Menge Volkes sich um ihn scharte, fasste er Mut, stieg
von den Bergen herab, schlug die Heerführer des An-
tiochus in förmlicher Schlacht und vertrieb sie aus Judaea.
Dieses sein Waffenglück verschaffte ihm Macht und An-
sehen, und gern wählten ihn seine Landsleute aus Dank-
barkeit für die Befreiung vom Joche der Fremden zum
Herrscher. Bei seinem Tode hinterliess er den Ober-
befehl seinem ältesten Sohne Judas 1 .
4. Dieser setzte nun in der V oraussetzun g, dass Antiochus
nicht ruhig bleiben werde, aus seinen Landsleuten ein
Heer zusammen, schloss — der erste, der dies that —
ein Freundschaftsbündnis mit den Römern und schlug
den Epiphanes, als derselbe wiederum ins Land einfiel,
mit grossem Verlust zurück. Im frischen Vollgefühl
seines Sieges stürzte er sich alsdann auf die in der
Stadt befindliche Besatzung, die noch nicht vernichtet
war, warf sie aus der oberen Stadt und drängte sie nach
der unteren — Akra genannt — zusammen, bemächtigte
sich des Tempels, reinigte den ganzen Platz, umgab ihn
mit einer Mauer, liess, weil die früheren gottesdienstlichen
Geräte unrein geworden, neue anfertigen und in den
Tempel schaffen, errichtete einen anderen Altar und liess
die Opfer wieder ihren Anfang nehmen. Kaum erfreute
sich die Stadt wieder ihres feierlichen Gottesdienstes, da
starb Antiochus, und Erbe seines Thrones wie seines
Judenhasses ward sein Sohn Antiochus.
5. An der Spitze eines Heeres von 60000 Mann zu
Fuss, ungefähr 5000 Reitern und 80 Elefanten drang
dieser nun durch Judaea in das Bergland ein, eroberte
das Städtchen Bethsura und stiess in dem Engpass bei
dem Orte Bethzacharia mit Judas und seinen Truppen
zusammen. Bevor jedoch die Heere handgemein wurden,
erspähte des Judas Bruder Eleazar den Elefanten, der
merklich über die anderen hervorragte und mit grossem
Turm und vergoldeter Schutz wehr geschmückt war. In
1 167 v. Chr.
32 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
der Meinung nun, auf diesem Elefanten befinde sich
Antiochus, eilt er den Seinen weit voraus, durchbricht
den Haufen der Feinde und dringt bis zu dem Ele-
fanten vor. Wegen der Höhe des Tieres vermochte
er indes den vermeintlichen König nicht zu erreichen,
verwundete aber den Elefanten am Bauch, sodass er
über ihm zusammenbrach und ihn zu Tode drückte.
So vollbrachte er eigentlich nichts weiter, als dass er,
ein Leben für den Ruhm in die Schanze schlagend,
sich an eine Grossthat heranwagte. Der Führer des
Elefanten war übrigens ein gemeiner Soldat. Wäre
es jedoch auch zufällig Antiochus gewesen, was hätte
der kühne Krieger wohl anderes erreicht als den Ruhm,
in der blossen Hoffnung auf eine herrliche That sich
dem Tode freiwillig preisgegeben zu haben? 'Für seinen
Bruder war übrigens dieses Ereignis eine Vorbedeutung
des Ausganges der Schlacht Denn die Juden hielten
zwar tapfer und lange Zeit stand ; doch die Königlichen
gewannen, an Zahl überlegen und vom Glücke be-
günstigt, endlich die Oberhand. Nach schweren Ver-
lusten floh Judas mit dem Rest des Heeres in die
Toparchie 1 von Gophna. Antiochus aber marschierte
nach Jerusalem; indes zog er nach einem Aufenthalt
von nur wenigen Tagen aus Mangel an Lebensmitteln
wieder ab unter Zurücklassung einer, wie ihm schien,
hinreichend starken Besatzung. Sein übriges Heer
führte er . dann nach Syrien in die Winterquartiere.
6. Nach dem Abzug des Königs blieb Judas nicht
unthätig. Mit der zahlreichen Menge seiner Landsleute,
die sich an ihn anschloss, und dem Überrest derer, die
sich aus der Schlacht gerettet hatten, lieferte er bei
dem Dorfe Adasa den Heerführern des Antiochus wieder
ein Treffen, in welchem er aber, nachdem er Wunder
der Tapferkeit verrichtet und viele Feinde niedergemacht
hatte, seinen Tod fand 2 . Wenige Tage nachher wurde
1 Bezirk, Kreis.
2 Nach J. A. XII, 11,2 fiel Judas erst später in dem Treffen
bei ßezetho.
Go gle
Erstes Buch, 2. Kapitel
33
sein Bruder Joannes von den Anhängern des Antiochus
hinterlistigerweise überfallen und getötet
Zweites Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 1 — 10.
Von den Nachfolgern des Judas: Jonathas, Simon
und Joannes Hyrkanus.
1. Dem Judas folgte sein Bruder Jonathas 1 , der das
Interesse seiner Landsleute sehr umsichtig wahrnahm,
durch ein Bündnis mit den Römern seine Herrschaft
befestigte und sich mit dem jungen Antiochus aussöhnte.
Doch alles dies gewährleistete ihm keine genügende
Sicherheit Der Tyrann Tryphon nämlich, der Vormund
des jungen Antiochus, stellte diesem nach dem Leben
und suchte daher zunächst dessen Freunde aus dem
Wege zu räumen. So nahm er auch Jonathas, der sich
mit nur schwacher Bedeckung nach Ptolemais zu
Antiochus begeben hatte, h interlistigerweise gefangen
und legte ihn in Fesseln, worauf er gegen die Juden
zu Felde zog. Von Simon, dem Bruder des Gefangenen,
zurückgeschlagen, liess er dann den Jonathas aus Zorn
über die erlittene Niederlage umbringen.
2. Nun ergriff Simon mit grosser Energie die Zügel
der Regierung 2 , eroberte die Nachbarstädte Gazara, Joppe
und Jamnia, schleifte die Akra und machte deren Be-
satzung zu Gefangenen. Später verbündete er sich mit
Antiochus gegen Tryphon, den dieser vor seinem Feld-
zuge gegen die Meder 3 in Dora belagerte. Obgleich er
nun zur Niederwerfung Tryphons seinen Beistand ge-
leistet, vermochte er damit doch nicht die Habgier de|
Königs zu beschwichtigen. Denn bald darauf sandte
Antiochus seinen Feldherrn Kendebaeus an der Spitze
1 160 y. Chr.
2 143 y. Chr.
3 Soll heissen : Parther.
Josephus, Jüdischer Krieg. 3
34
Joseplms, Geschichte des Jüdischen Krieges.
eines Heeres, um Judaea zu verwüsten und Simon zu
unterjochen. Dieser aber, obwohl bereits ein Greis,
führte den Krieg mit jugendlicher Kraft, schickte seine
'Söhne mit dem Kern seiner Truppen gegen Kendebaeus
ins Feld voraus und griff selbst mit einer Heeres-
abteilung von der anderen Seite an. An vielen Stellen
und auch im Gebirge legte er Hinterhalte und be-
herrschte auf diese Weise die sämtlichen Zugänge. Nach
einem glänzenden Siege wurde er zum Hohepriester
erwählt und befreite so die Juden von der Herrschaft
der Macedonier, unter der sie hundertundsiebzig Jahre
lang gestanden hatten.
3. Aber auch er fiel heimtückischen Nachstellungen
zum Opfer, die sein eigener Schwiegersohn Ptolemaeus
bei Gelegenheit eines Gastmahles ins Werk setzte 1 .
Dieser hatte auch seine Gattin und zwei seiner Söhne
eingekerkert und sandte nun Meuchelmörder aus, um
den dritten, der gleichfalls Hyrkanus hiess, zu töten.
Der Jüngling ajjer erhielt von deren Ankunft Kunde
und eilte in dem festen Vertrauen, dass das Volk der
ruhmreichen Thaten seines Vaters gedenken und das
freventliche Beginnen des Ptolemaeus verabscheuen
werde, in die Stadt. Durch ein anderes Thor suchte
nun auch Ptolemaeus in Jerusalem einzudringen, wurde
aber vom Volke, das den Hyrkanus bereits aufgenommen
hatte, sogleich zurückgewiesen. Darauf zog er sich nach
Dagon, einer der Jericho beherrschenden Burgen, zurück ;
Hyrkanus aber, der das hohepriesterliche Amt seines
Vaters angetreten hatte, opferte Gott und brach eiligst
gegen Ptolemaeus auf, um seiner Mutter und seinen
Brüdern Hilfe und Rettung zu bringen.
4. Obgleich er nun bei der Belagerung der Festung
im Vorteil war, beugte ihn doch schweres Leid, und daa
mit gutem Grund, darnieder. Ptolemaeus nämlich Hess,
so oft er bedrängt wurde, des Hyrkanus Mutter und
Brüder auf die Mauer führen und sie vor seinen Augen
1 135 v. Chr.
Go gle
Erstes Buch, 2. Kapitel.
35
geissein, drohte auch, sie hinabstürzen zu lassen, wenn
er nicht alsbald abziehe. Mitleid und Furcht ergriffen
bei diesem Anblick jedesmal den Hyrkanus und er-
wiesen sich mächtiger als sein Zorn. Seine Mutter aber,
die weder die Geisselung noch der ihr angedrohte Tod
einzuschüchtern vermochte, streckte die Hände aus und
beschwor ihren Sohn, doch nicht aus Mitleid mit ihrer
Qual des Ruchlosen zu schonen, denn der Tod durch
des Ptolemaeus Hand sei ihr süsser als Unsterblichkeit,
wenn der Frevler nur für die Schandthaten , die er
gegen ihre Familie verübt, büssen müsse. Bedachte nun
Joannes die Standhaftigkeit seiner Mutter und hörte er
ihr Flehen, so liess er mit Ungestüm den Angriff er-
neuern ; sah er aber, wie man sie schlug und zerfleischte,
so wurde es ihm weich ums Herz und er zerfloss in
Wehmut. Während hierdurch die Belagerung sich in
die Länge zog, kam das Sabbatjahr heran, welches bei
den Juden in jedem siebenten Jahre, wie in jeder Woche
der siebente Tag, gefeiert wird. Auf diese Weise wurde
Ptolemaeus von der Belagerung befreit, tötete nun die
Brüder und die Mutter des Joannes und floh zu Zeno
mit dem Beinamen Kotylas, dem Tyrannen von Phil-
adelphia.
5. Mittlerweile rückte Antiochus, noch immer voll
Erbitterung über das, was er durch Simon gelitten hatte,
in Judaea ein, setzte sich vor Jerusalem fest und be-
lagerte den Hyrkanus. Dieser aber öffnete das Grabmal
Davids, der alle Könige an Reichtum übertroffen hatte,
entnahm der Gruft über dreitausend Talente 1 und bewog
durch Zahlung von dreihundert Talenten den Antiochus
zur Aufhebung der Belagerung. Der Rest des Geldes
ermöglichte ihm, fremde Söldner zu halten, und zwar
war er der erste Jude, der dies that.
6. Als in der Folge Antiochus gegen die Meder zu
Felde zog und ihm dadurch Gelegenheit zur Rache bot,
fiel er sogleich über die syrischen Städte her, die er
* 1 Talent = 4710 Mark.
3 *
36
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
wie es auch wirklich der Fall war, von streitbarer
Mannschaft verlassen zu finden hoffte. So eroberte er
Medaba und Samaea nebst den umliegenden Städten,
dann auch Sikim und Garizin, und brachte die Chuthäer,
die um ein dem Tempel zu Jerusalem nach gebildetes
Heiligtum herum wohnten, unter seine Botmässigkeit.
Auch nahm er nicht wenige Städte Idumaeas ein,
darunter Adoreon und Marissa.
7. Alsdann rückte er vor Samaria, wo jetzt die vom
Könige Herodes gegründete Stadt Sebaste liegt, schloss
sie rings mit einem Walle ein und übertrug die Leitung
der Belagerung seinen Söhnen Aristobulus und Antigonus.
Diese betrieben die Belagerung mit allem Eifer, und
bald wütete in der Stadt eine solche Hungersnot, dass
die Einwohner selbst die ungewöhnlichsten Nahrungs-
mittel zu sich nahmen. Sie riefen deshalb den Anti-
ochus mit dem Beinamen Aspendius 1 zu Hilfe, der
ihrem Verlangen zwar bereitwillig nachkam, aber von
Aristobulus geschlagen wurde. Die Brüder setzten ihm
bis Skythopolis nach; doch er entkam, und seine Ver-
folger wandten sich nun wieder gegen Samaria, schlossen
dessen Bewohner abermals gänzlich ein, eroberten als-
dann die Stadt, zerstörten sie und verkauften die Bürger
als Sklaven. Und da ihnen das Glück so günstig war,
liessen sie ihren Eifer nicht erkalten, sondern rückten
mit ihrem Heere bis vor Skythopolis, berannten die Stadt
und verwüsteten das ganze Land diesseits des Karmel-
gebirges.
8. Aber der Neid über das Glück des Joannes und
seiner Söhne rief unter den Einheimischen eine Empörung
wach. In Menge rottete man sich gegen sie zusammen
und ruhte nicht, bis es zum förmlichen Kampfe kam,
in welchem die Aufrührer jedoch geschlagen wurden.
Den Rest seiner Tage verlebte dann Joannes im Glücke,
und nachdem er volle dreiunddreissig 2 Jahre hindurch
aufs trefflichste regiert hatte, starb er mit Hinterlassung
1 oder Grypus (Antiochus VIII.).
2 Nach J. A. XIII, 10, 7 : 31, nach XX, 10 : 30 Jahre.
Erstes Buch, 3. Kapitel.
37
von fünf Söhnen 1 . Er war in der That selig zu preisen ;
denn sein Lebensgang giebt nicht die geringste Ver-
anlassung, dem Schicksal Vorwürfe zu machen. Drei
der höchsten Würden vereinigte er in seiner Person, die
Herrschaft über sein Volk, das Hohepriestertum und
die Propheten würde, und so innig verkehrte mit ihm die
Gottheit, dass ihm nichts Zukünftiges verborgen blieb.
Daher sah und sagte er auch von seinen beiden ältesten
Söhnen voraus, dass sie nicht lange an der Spitze des
Staates bleiben würden. Übrigens verlohnt es sich der
Mühe, deren Untergang zu schildern, da er so himmel-
weit von dem Glücke ihres Vaters verschieden war.
Drittes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 11.
Des Aristobulus einjährige Regierung.
1. Nach dem Tode seines Vaters, vierhunderteinund-
siebzig Jahre und drei Monate nach der Rückkehr des
jüdischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft,
änderte Aristobulus, der älteste der beiden Brüder, die
Regierungsform in eine Königsherrschaft um und setzte
sich — der erste Asamonäer, der dies that — die Krone
auf. Dem Antigonus, seinem nächstjüngeren Bruder, dem
er augenscheinlich sehr zugethan war, vergönnte er die
gleiche Ehre, während er die übrigen in Fesseln und
strengem Gewahrsam hielt. Auch seine Mutter, die mit ihm
wegen der Regierungsgewalt in Streit lebte, weil Joannes
sie zur eigentlichen Herrscherin bestimmt hatte, liess
er ins Gefängnis werfen und trieb sogar seine Grausam-
keit so weit, dass er sie im Kerker Hungers sterben liess.
2. Es ereilte ihn aber die Rache in der Person seines
Bruders Antigonus, den er liebte und an seiner Seite
mitregieren liess. Dieser fiel nämlich als Opfer von
Verleumdungen, welche ruchlose Höflinge ersonnen
106 v. Chr.
18
Jos«phu9, Geschichte de9 Jüdischen Krieges.
hatten. Anfangs zwar schenkte Aristobulus dem Gerede
keinen Glauben, teils weil er seinem Bruder wirklich
zugethan war, teils weil er die Anschwärzungen viel-
fach auf Neid zurückführte. Als aber einst Antigonus
von einem Kriegszug zurückkehrte und mit glänzendem
Gepränge zu dem Feste kam, an welchem man nach
väterlicher Sitte Gott zu Ehren Laubhütten errichtet,
traf es sich, dass Aristobulus gerade krank darniederlag.
Antigonus begab sich nun in Begleitung seiner Leib-
garde am Schlüsse des Festes mit denkbar grösstem
Prachtaufwand nach dem Tempel, um für seinen Bruder
von Herzen zu beten. In diesem Augenblick traten die
Känkestifter vor den König hin und schilderten ihm
den pomphaften Aufzug der Bewaffneten und das für
einen Privatmann gar zu stolze Gebaren des Antigonus,
der mit einer so grossen Schar nur gekommen sei, um
ihn zu ermorden. Es sei ihm eben unerträglich, einfach
nur Mitregent zu sein, da er sich des Thrones selbst
bemächtigen zu können glaube. •
3. Fast wider seinen Willen schenkte Aristobulus
diesen Vorstellungen Glauben, und um einerseits seinen
Argwohn nicht offenkundig werden zu lassen, anderseits
aber auch für alle Fälle gesichert zu sein, beorderte er
seine Leibwache in eines der unterirdischen und dunklen
Gelasse der Burg, in welcher er lag (diese hiess früher
Baris, erhielt aber später den Namen Antonia), und gab
Befehl, den Antigonus, falls er unbewaffnet komme,
passieren zu lassen, wenn er dagegen bewaffnet sei, ihn
niederzumachen. Zugleich liess er seinen Bruder auf-
fordern, ohne Waffen zu ihm zu kommen. Daraufhin
entwarf die Königin mit den Feinden des Antigonus
einen sehr verschmitzten Plan. Sie beredeten nämlich
die Abgesandten des Königs, dessen Befehl zu ver-
schweigen und dem Antigonus zu melden, sein Bruder
habe vernommen, eine wie herrliche Rüstung er sich in
Galilaea habe anfertigen lassen ; weil aber seine Krank-
heit es ihm bisher unmöglich gemacht habe, dieselbe in
Augenschein zu nehmen, so sei es jetzt, da Antigonus
Go gle
u ivcnsitfftf cuihcm a
Erstes Buch, 8. Kapitel.
39
abzureisen gedenke, sein dringender Wunsch, ihn in
diesem Waffenschmuck zu sehen.
4. Kaum hatte Antigonus da6 vernommen, so zog er,
da die bisher von seinem Bruder ihm entgegengebrachte
Gesinnung keinen Argwohn in ihm aufkommen liess, in
seiner Waffenrüstnng wie zur Parade einher. Als er
aber bis zu dem dunklen Gelasse, welches Stratonsturm
hiess, gekommen war, wurde er von den Soldaten der
Leibwache niedergestossen , ein deutlicher Beweis dafür,
dass Verleumdung alle Bande des Wohlwollens und der
Natur zerreisst, und dass keines der besseren Gefühle
stark genug ist, um der Missgunst die Spitze bieten zu
können.
5. Verwundern muss man sich hierbei über einen ge-
wissen Essener Judas, dem in seinen Weissagungen noch
nie ein teilweiser oder gänzlicher Misserfolg begegnet war.
Als dieser damals den Antigonus durch den Tempel-
raum schreiten sah, rief er seinen vertrauten Schülern,
deren nicht wenige um ihn weilten, zu: „Ach, nun wäre
es mir besser, ich schiede von der Welt, da die Wahrheit
vor mir gestorben und eine meiner Weissagungen falsch
befunden worden ist! Ist doch Antigonus noch am
Leben, der heute hätte sterben sollen. Beim Stratonsturm
— so wollte es sein Schicksal — hätte Meuchelmord
ihn dahinraffen sollen ; doch der liegt sechshundert Stadien 1
von hier entfernt, und schon ist die vierte Stunde des
Tages. Wahrlich, die Zeit straft die Prophezeiung Lügen!“
Nach diesen Worten versank der Greis lange in weh-
mütiges, gedankenvolles Schweigen, bis eine Weile nach-
her die Ermordung des Antigonus in dem unterirdischen
Gelasse gemeldet wurde, das, gleichwie Caesarea am
Meer, Stratonsturm hiess. Hierdurch war der Seher
verwirrt worden.
6. Die Reue über diesen Frevel verschlimmerte übrigens
sogleich des Aristobulus Krankheit. Die beständigen
Gewissensbisse wegen des Mordes Hessen ihn mehr und
1 Ein Stadion = 185 Meter.
40
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
mehr dahinschwinden , bis endlich das Übermass des
Grams seine Eingeweide zerriss und er Blut in Strömen
von sich gab. Als nun einer der ihn pflegenden Pagen
dasselbe forttrug, stolperte er nach göttlicher Fügung
gerade an der Stelle, wo Antigonus ermordet worden
war, und verschüttete das Blut des Mörders über die
Flecken vom Blute des Dahin geschlachteten. Sogleich
erhoben die Zuschauer ein Jammergeschrei, als wenn
der Page das Blut absichtlich dort verschüttet hätte.
Der König aber hätte das Geschrei kaum vernommen,
als er sofort nach der Ursache sich erkundigte, und da
niemand ihm dieselbe mitteilen mochte, bestand er. um
so mehr darauf, sie zu erfahren. Doch erst als er mit
Zwangsmassregeln drohte, gestand man ihm die Wahr-
heit, und nun füllten sich seine Augen mit Thränen,
und er sprach unter tiefem Aufseufzen so laut, als seine
Schwäche es zuliess: „So konnte ich also mit meinen
Frevelthaten dem allsehenden Auge Gottes nicht ver-
borgen bleiben, und schnell ereilt mich die Strafe für
die Ermordung meiner Verwandten. Wie lange denn
noch, schändlicher Leib, willst du die Seele zurückhalten,
die dem Bruder und der Mutter verfallen ist? Und wie
lange soll ich ihnen mein Blut tropfenweise als Opfer
spenden ? Lieber mögen sie es gleich auf einmal nehmen,
und nicht treibe fürder die Gottheit ihren Spott mit dem
Leichenopfer aus meinen Eingeweiden !“ Kaum hatte
er diese Worte gesprochen , so verschied er, nachdem er
nur ein Jahr regiert hatte. 1
Viertes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 12 — 15.
Thaten des Alexander Jannaeus während seiner 27 jährigen
Regierung.
1. Des Aristobulus Gemahlin befreite nun dessen
Brüder aus der Kerkerhaft und ernannte zum Könige
1 105 y. Chr.
Go gle
UhiWCIKSITY ff ('AI .1 l-OKIMIA
Erstes Buch, 4. Kapitel.
41
den Alexander, der sowohl seines Alters als seiner
Herzensgüte wegen dieses Vorzuges wert zu sein schien.
Kaum aber war er auf den Thron gelangt, so liess er
den einen von seinen Brüdern, der Herrschgelüste zeigte,
umbringen, während er dagegen den anderen, der sich
mit einem Leben fern von Staatsgeschäften begnügte,
in Ehren hielt.
2. Alsdann lieferte er dem Ptolemaeus mit dem
Beinamen Lathurus, der die Stadt Asochis eingenommen
hatte, ein Treffen. Aber obgleich er eine Menge Feinde
niedermachte, neigte sich der Sieg doch auf des Ptole-
maeus Seite. Bald indes, als dieser, von seiner Mutter
Kleopatra verfolgt, sich nach Aegypten begeben hatte,
bekam Alexander durch eine Belagerung Gadara in
seine Gewalt sowie ferner Amathus, die wichtigste
Festung jenseits des Jordan, in der auch die kostbarsten
Schätze des Theodoros, Sohnes des Zeno, aufbewahrt
wurden. Plötzlich jedoch erschien Theodoros, nahm
seine eigenen Schätze samt dem Gepäck des Königs und
tötete gegen 10000 Juden. Alexander aber erholte sich von
diesem Schlage wieder, wandte sich nach der Meeresküste
und eroberte Raphia, Gaza und Anthedon, welch letzteres
später vom Könige Herodes Agrippias genannt wurde.
3. Als er diese Städte eben unterjocht hatte, brach
an einem Feste ein Aufstand der Juden gegen ihn aus,
wie denn überhaupt Empörungen meist bei der Feier
von Festen entstehen. Diesen Aufruhr niederzuwerfen,
wäre ihm wohl nicht gelungen, w r enn ihm üicht die
fremden Söldner geholfen hätten: Pisider nämlich und
Cilicier, denn Syrer nahm er wegen ihres angestammten
Hasses gegen die Juden nicht in Sold. Nachdem er
nun über 6000 von den Empörern getötet hatte, fiel er
in Arabien ein, unterwarf dieses Land sowie die Galaditer
und Moabiter, die er tributpflichtig machte, und kehrte
alsdann nach Amathus zurück. Da übrigens Theodoros,
durch Alexanders Kriegsglück in Schrecken versetzt,
die Festung verlassen hatte, traf dieser sie ohne Be-
satzung an und machte sie dem Eidboden gleich.
42
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
4. Bald darauf hatte er ein Treffen mit dem Araber-
könig Obedas zu bestehen, der ihm bei Gaulana 1 einen
Hinterhalt gelegt hatte. In dieser Schlacht verlor er
sein ganzes Heer, das in eine tiefe Schlucht gedrängt
und hier von der Menge der Kamele erdrückt wurde.
Er selbst entkam nach Jerusalem. Dort aber nahm das
Volk, das ihn schon längst hasste, aus der Grösse des
ihm zugestossenen Unglückes Anlass zur Empörung
gegen ihn. Doch auch diesmal siegte er und metzelte
in schnell aufeinanderfolgenden Schlachten nicht
weniger als 50 000 Juden nieder. Indes gereichten
ihm diese Siege, durch welche er die Kräfte seines
eigenen Reiches aufrieb, so wenig zur Freude, dass er
die Waffen niederlegte und auf gütlichem Wege sich
mit seinen Unterthanen zu verständigen suchte. Doch
erreichte er durch diese Sinnesänderung und sein wenig
folgerichtiges Handeln nichts weiter, als dass das Volk
ihn nur noch mehr hasste. Als er nun nach der
Ursache dieser Abneigung sich erkundigte und fragte,
was er denn thun müsse, um die Juden zu besänftigen,
entgegneten sie: sterben, wiewohl selbst sein Tod sie
kaum mit ihm aussöhnen werde, da er so viele Schand-
thaten auf dem Gewissen habe. Zugleich riefen sie den
Demetrius mit dem Beinamen Eukaerus 2 zu Hilfe, der
denn auch in der Hoffnung, besondere Vorteile erlangen
zu können, dem Ruf bereitwillig Folge leistete und
mit einer Streitmacht heranrückte. Bei Sikim vereinigten
sich die Juden mit ihren Bundesgenossen.
5. Aber auch mit dem zweifachen Gegner nahm
Alexander es auf. Stand ihm doch ausser 1000 Reitern
und 8000 gedungenen Fusssoldaten auch noch der ihm
wohlgesinnte Teil der Juden, gegen 10 000 Mann, zu
Gebote, während die feindlichen Truppen 3000 Reiter
und 14000 Mann zu Fuss zählten. Ehe es nun zum
Handgemenge kam, versuchten beide Könige durch
1 J. A. XIII. 13,5 heisst es: bei dem galaditischen Dorfe Gadara.
- Sohn des Antiochus Grypus und König von Damaskus.
Erstes Bach, 4. Kapitel.
43
Herolde gegenseitig ihre Truppen zum Abfall zu be-
wegen: Demetrius hoffte die Söldner Alexanders, dieser
hingegen die zu Demetrius haltenden Juden auf seine
Seite zu bringen. Da aber weder die Juden ihre
Erbitterung noch die Griechen ihre Treue verleugneten,
blieb nichts anderes übrig, als das Schwert entscheiden
zu lassen. Der Sieg fiel sodann dem Demetrius zu,
obwohl Alexanders Söldner sich heldenmütig schlugen.
Das Endergebnis der Schlacht gestaltete sich übrigens
für beide Teile gleich unerwartet. Denn einerseits
blieben dem Demetrius, obwohl er gesiegt hatte, die
Juden, die ihn herbeigerufen, nicht treu, und anderseits
gingen zu Alexander, der ins Gebirge geflohen war, aus
Mitleid mit seinem Unglück 6000 Juden über. Diese
Wendung der Dinge vermochte Demetrius nicht zu
ertragen, und in der Meinung, Alexander sei jetzt wieder
kampfbereit und das gesamte Volk stehe zu ihm, zog
er alsbald ab.
6. Doch gab nach dem Abmarsch der Bundesgenossen
die übrige Menge die Feindseligkeiten nicht auf, sondern
lag ohne Unterlass mit Alexander im Kriege, bis die
meisten niedergemacht, die übrigen aber in die Stadt
Bemeselis gedrängt und nach deren Zerstörung gefangen
in Jerusalem eingebracht waren. Alexanders Zorn kannte
nun keine Grenzen mehr, sodass er seine Grausamkeit
bis zur Gottlosigkeit trieb. Er liess nämlich gegen 800
von den Gefangenen mitten in der Stadt ans Kreuz
schlagen, ihre Weiber und Kinder aber vor ihren Augen
hinschlachten, während er selbst mit seinen Kebsweibern
zechend und schmausend zusah. Infolgedessen ergriff
das Volk ein solcher Schrecken, dass in der Nacht
darauf 8000 seiner Gegner aus ganz Judaea flohen, die
erst nach dem Tode Alexanders zurückzukehren wagten.
Nachdem er durch solche Massnahmen seinem Reiche,
freilich spät und mühsam genug, Ruhe verschafft hatte,
legte er die Waffen nieder.
7. Abermals aber wurde er aus seiner Müsse auf-
gestört durch des Demetrius Bruder Antiochus mit dem
Go gle
44
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Beinamen Dionysus, den letzten Seleukiden. Als dieser
nämlich zu einem Feldzug gegen die Araber aufbrach,
liess Alexander die ganze Strecke zwischen dem Gebirge
bei Antipatris 1 und der Küste bei Joppe mit einem
tiefen Graben durchziehen und vor dem Graben eine
Mauer mit hölzernen Türmen erbauen, um die leicht
zugänglichen Angriffsstellen zu schützen. Doch vermochte
er dadurch den Antiochus nicht abzuwehren. Denn
dieser verbrannte die Türme, füllte den Graben aus,
marschierte mit seinem Heere durch Judaea und wandte
sich sogleich gegen die Araber, indem er die Rache an
Alexander, der ihn hatte aufhalten wollen, auf eine
spätere Zeit verschob. Der Araberkönig aber zog sich
in eine für ihn günstigere Gegend zurück, machte dann
mit seiner 10000 Mann starken Reiterei eine plötzliche
Schwenkung und griff das Heer des Antiochus an, noch
ehe es in Schlachtordnung aufgestellt war. Es entspann
sich nun ein heisser Kampf, in welchem des Antiochus
Streitmacht, so lange er selbst am Leben war, wacker
standhielt, obwohl die Araber ihr gewaltig zusetzten.
Sobald er aber gefallen war (er scheute nämlich, um
den Bedrängten Hilfe zu leisten, selbst vor der offen-
kundigsten Gefahr nicht zurück), wandte sich alles zur
Flucht. Der grösste Teil seines Heeres kam in der
Schlacht oder auf dem Rückzuge um, während der Rest,
der sich in das Dorf Kana flüchtete, bis auf wenige
Überlebenden dem Hunger erlag.
8. Hierauf riefen die Daraascener aus Hass gegen
Ptolemaeus Mennaei 2 den Aretas herbei und ernannten
ihn zum König von Coelesyrien. Dieser zog alsdann
gegen Judaea zu Felde und schlug den Alexander in
einem Treffen, kehrte aber nach Abschluss eines Ver-
gleiches wieder heim. Alexander eroberte darauf Pella
und rückte, nach des Theodoros Schätzen lüstern, vor
Gerasa, schloss die Besatzung mit einer dreifachen
1 Nach J. A. XIII, 15, 1 hiess die Stadt damals noch Chabarzaba.
- Beherrscher von Chalkis am Libanon.
Erstes Buch, 5. Kapitel.
45
Mauer ein und erstürmte die Stadt. Ferner verwüstete
er Gaulana, Seleukia und das sogenannte Antiochusthal,
nahm dann die starke Festung Gamala, entsetzte den
Kommandanten derselben, Demetrius, wegen vieler gegen
ihn erhobener Anklagen seines Amtes und kehrte, nach-
dem er volle drei Jahre im Felde gelegen, nach Judaea
zurück, wo er um seiner glänzenden Kriegsthaten willen
vom Volke begeistert empfangen wurde. Doch kaum
rastete er von seinen Kriegsstrapazen aus, als eine
Krankheit sich bei ihm einstellte, und weil das ‘Leiden,
ein viertägiges Wechselfieber, ihm arg zusetzte, glaubte
er es durch Wiederaufnahme kriegerischer Thätigkeit
von sich abschütteln zu können. Als er aber in dieser
Absicht zur Unzeit einen Kriegszug unternahm und den
Mühen desselben über seine Kräfte hinaus sich aus-
setzte, fand er seinen Tod. Er starb mitten im Kriegs-
getümmel nach 27 jähriger Regierung 1 .
Fünftes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIII, 16.
Alexandra und die Pharisäer.
1. Die Herrschaft hinterliess er seiner Gemahlin
Alexandra, da er überzeugt war, dass die Juden ihr noch
am willigsten Gehorsam leisten würden, einmal weil sie
von seiner Grausamkeit weit entfernt war, dann aber
auch, weil sie durch ihren Widerstand gegen Ungesetz-
lichkeiten sich die Zuneigung des Volkes erworben hatte.
In dieser Erwartung hatte er sich auch nicht getäuscht:
das schwache Weib wusste sich in der That durch die
günstige Meinung, die sie von ihrer Frömmigkeit ver-
breitete, die Herrschaft zu sichern. Denn die väterlichen
Gebräuche des Volkes beobachtete sie aufs peinlichste
und entsetzte gleich anfangs die Übertreter der heiligen
» 79 y. Chr.
46
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Gesetze ihrer Ämter. Von den beiden Söhnen, die sie
dem Alexander geboren hatte, ernannte sie den Hyrkanus,
weil er der ältere und ausserdem zu träge war, als dass
er ihr in der Regierung Schwierigkeiten hätte bereiten
können, zum Hohepriester; den jüngeren aber, Aristobulus,
verwies sie wegen seines feurigen Temperamentes ins
Privatleben.
2. Innigen Anteil an ihrer Regierung nahmen übrigens
die Pharisäer 1 , eine jüdische Sekte, deren Angehörige
für besonders fromm und gesetzeskundig gelten 2 . Ihnen
war Alexandra als gottesfürchtige Frau überaus zugethan.
Sie aber bethörten allmählich die Einfalt des Weibes
und waren bald die eigentlichen Herrscher, die nach
Gefallen verbannten und zurückriefen, lösten und banden,
wen sie wollten. Alles in allem genommen, hatten sie
den Genuss vom Königtum, während Alexandra die
Kosten und Beschwerden desselben zur Last fielen.
Übrigens war sie der Leitung eines grösseren Staatswesens
wohl gewachsen. Ihr Hauptaugenmerk richtete sie auf
die Vermehrung ihrer Truppenmacht, wodurch sie dieselbe
bald auf die doppelte Stärke brachte, und sie nahm
auch nicht wenige fremde Söldner in ihren Dienst, sodass
sie, indem sie die Wehrkraft des Volkes steigerte, den
auswärtigen Fürsten die nötige Furcht «einzuflössen ver-
mochte. So über ihre Unterthanen herrschend, stand
sie selbst unter der Herrschaft der Pharisäer.
3. Ihnen war es auch zuzuschreiben, dass ein gewisser
Diogenes, ein vornehmer Mann und Freund Alexanders,
hingerichtet wurde. Sie beschuldigten ihn nämlich, dem
Alexander die Kreuzigung der 800 angeraten zu haben.
Ebenso wussten sie es bei der Königin durchzusetzen, dass
auch die übrigen Männer, die Alexander dazu veranlasst
hatten, mit dem Tode büssen mussten. Aus religiöser
Scheu beugte eben Alexandra sich völlig vor den
Pharisäern, und so überantworteten diese dem Henker,
1 Vergl, hierzu J. A. XIII, 15, 5.
2 Man erinnere sich hier daran, dass Josephus selbst Pharisäer
war.
Erstes Buch, 5. Kapitel.
47
wen sie wollten. Die Angesehensten von denen, die der
Gefahr ausgesetzt waren, nahmen nun ihre Zuflucht zu
Aristobulus, und dieser brachte denn auch seine Mutter
dahin, die Männer ihrer hohen Stellung wegen zu
schonen und, wenn sie dieselben nicht für unschuldig
halten könne, es wenigstens bei der Verweisung aus der
Stadt zu belassen. Nachdem ihnen also Straflosigkeit
bewilligt worden war, zerstreuten sie sich im Lande
hierhin und dorthin. Hierauf schickte Alexandra unter
dem Vorwand, Ptolemaeus bedränge fortwährend Damas-
kus, ein Heer aus und bemächtigte sich der Stadt, ohne
dass sie dabei auf besondere Schwierigkeiten gestossen
wäre. Dann suchte sie den Armenierkönig Tigranes,
der vor Ptolemais lag und Kleopatra belagerte, durch
Verträge und Geschenke zum Abzug* zu veranlassen l .
Doch entfernte sich derselbe alsbald aus freien Stücken
infolge der in seinem eigenen Lande herrschenden Un-
ruhen. Denn Lucullus war in Armenien eingefallen.
4. Um diese Zeit erkrankte Alexandra, und ihr
jüngerer Sohn Aristobulus hatte nun nichts eiligeres zu
thun, als mit Hilfe seiner zahlreichen und ihm wegen
seines jugendlichen Feuers ohne Ausnahme treu er-
gebenen Anhänger sämtliche Festungen in Besitz zu
nehmen. Mit dem Gelde, das er in denselben vorfand,
warb er dann Söldner an und warf sich zum Könige
auf. Darüber jammerte Hyrkanus gewaltig, und aus
Mitleid mit ihm gab seine Mutter den Befehl, die Gattin
und die Kinder des Aristobulus in der Antonia ein-
zukerkern. Es war dies eine im Norden an den Tempel
stossende feste Burg, die, wie bereits erwähnt, früher
Baris hiess, später aber zur Zeit der Herrschaft des
Antonius nach diesem benannt wurde, wie denn auch
die Städte Sebaste und Agrippias diese Namen statt
ihrer früheren dem Sebastos 2 und Agrippa zu Ehren
erhielten. Bevor jedoch Alexandra gegen Aristobulus
1 Damit er nicht in Judaea einfalle (vergl. J, A. XIII, 16, 4).
2 Griechische Bezeichnung für Augustus.
48
Josephus, Geschichte des Jüdischen Kiieges.
wegen der Verdrängung seines Bruders vom Throne
einschreiten konnte, starb sie, nachdem sie neun Jahre
regiert hatte K
Sechstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 1, 1 — 4, 1.
Thronstreit zwischen Aristobulus und Hyrkanus.
Eingreifen des Pompejus.
1 . Der eigentliche Erbe des Reiches war nun freilich
Hyrkanus, dem auch seine Mutter noch vor ihrem Tode
die Königs würde # übertragen hatte; doch an Energie und
Geist überragte ihn Aristobulus. In einem Treffen bei
Jericho, wo sie miteinander um die Herrschaft stritten,
verliessen denn auch den Hyrkanus die meisten seiner
Anhänger und gingen zu Aristobulus über. Hyrkanus
floh mit dem Rest seiner Getreuen und vermochte noch
rechtzeitig die Antonia zu erreichen, wo er sich der
Gattin und der Kinder des Aristobulus als Geisel für
seine Rettung versicherte. Bevor es indes zu einem
unheilbaren Zerwürfnis kam, verglich er sich mit seinem
Bruder dahin, dass Aristobulus König sein und er selbst
dem Throne entsagen, im übrigen aber alle Ehren ge-
messen solle, die dem Bruder des Königs gebührten.
Unter diesen Bedingungen söhnten sie sich miteinander
im Tempel aus, umarmten sich vor den Augen des sie
umgebenden Volkes und vertauschten ihre Wohnungen:
Aristobulus bezog den Königspalast, Hyrkanus aber das
Haus des Aristobulus.
2. Als nun Aristobulus so unverhofft auf den Thron
gelangt war, beschlich auch seine übrigen Gegner bange
Furcht, darunter ganz besonders den Antipater, der ihm
schon längst ein Dorn im Auge war. Von Geburt
1 70 v. Chr
Erstes Buch, 6. Kapitel.
49
Idumäer 1 , war er infolge seiner Abstammung, seines
Reichtums und seiner sonstigen Macht der Bedeutendste
seines Volkes. Dieser Antipater nun beredete einerseits
den Hyrkanus, zu dem Araberkönige Aretas zu fliehen,
um sich die Königswürde wieder zu erringen, anderseits
den Aretas, Hyrkanus aufzunehmen und ihn auf seinen
Thron zurückzuführen. Und um Aretas zur Gewährung
von Gastfreundschaft besonders geneigt zu machen,
schmähte er den Charakter des Aristobulus ebenso sehr,
als er den des Hyrkanus lobte, fügte auch hinzu, es
stehe dem Beherrscher eines so glänzenden Reiches wohl
an, seine schützende Hand über den zu halten, dem
Unrecht widerfahren sei. Unrecht aber sei Hyrkanus
in der That geschehen, da er des Thrones beraubt worden
sei, der ihm seines höheren Alters wegen zukomme.
Nachdem er in dieser Weise auf beide eingewirkt hatte,
verliess er bei Nacht in Begleitung des Hyrkanus die
Stadt und gelangte in eiliger Flucht wohlbehalten nach
Petra, der Hauptstadt Arabiens. Hier übergab er den
Hyrkanus dem Aretas, suchte diesen mit einem Schwalle
von Worten und durch reiche Geschenke zu ködern und
brachte ihn schliesslich dahin, dass er seinem Schützling
ein Heer zur Verfügung stellte, um ihn in seine Herr-
schaft wieder einzusetzen. Dieser Truppenmacht, fünfzig-
tausend Mann zu Fuss und zu Pferde, vermochte Aristo-
bulus nicht standzuhalten, sondern er wurde gleich beim
ersten Zusammenstoss geschlagen und nach Jerusalem
gedrängt, wo er zweifellos in die Hände seiner Feinde
geraten wäre, hätte nicht der römische Feldherr Scaurus
die günstige Gelegenheit sich zunutze gemacht und die
Stadt entsetzt. Letzterer nämlich war von Pompejus
1 Die Idumäer oder Edomiter (von ihrem Stammvater Esau oder
Edom) waren ursprünglich Araber, deren Land sich als ein schmaler,
zwischen der Ostwüste und der westlichen Sand-Arabah eingeengter
Gebirgszug bis zum Aelanitischen Meerbusen erstreckte. Joannes
Hyrkanus unterwarf sie und zwang sie, die Beschneidung anzunehmen
(J. A. XIII, 9, 1). Übrigens waren sie Götzendiener (J. A. XY, 7, 9).
Antigonus nennt J. A. XIY, 15, 2 den Idumäer Ilerodes (den
Grossen) einen „Halbjuden“.
Josephus, Jüdischer Krieg.
4
50
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Magnus, der gegen Tigranes Krieg führte, aus Armenien
nach Syrien geschickt worden. Als er nun nach der
soeben von Metellus und Lollius eroberten Stadt Damaskus
gekommen war und diese beiden anderswohin beordert
hatte, erfuhr er den Stand der Dinge in Judaea und
eilte sogleich dorthin , wie wenn er ein besonderes Ge-
schäft zu machen gedächte.
3. Kaum hatte er das Land betreten, so stellten sich
auch sogleich Gesandte beider Brüder bei ihm ein, von
denen jeder für sich Hilfe erbat. Doch schwerer als
Recht und Billigkeit wogen dreihundert Talente, die
Aristobulus mitgegeben hatte 1 . Nach Empfang dieses
Geldes liess Scaurus dem Hyrkanus und den Arabern
durch Herolde mit dem Einschreiten der Römer und des
Pompejus drohen, falls sie von der Belagerung nicht
Abstand nähmen. Daraufhin marschierte Aretas voller
Bestürzung aus Judaea nach Philadelphia ab, während
Scaurus nach Damaskus zurückkehrte. Dem Aristobulus
aber genügte es nicht, der Gefangenschaft entgangen zu
sein, sondern er setzte nun mit seiner ganzen Streitmacht
den Feinden nach und lieferte ihnen bei dem Orte
Papyron ein Treffen, in welchem er über sechstausend
Mann niedermachte, darunter auch Antipaters Bruder
Phallion.
4. So des Beistandes der Araber beraubt, setzten
Hyrkanus und Antipater ihre Hoffnung auf die Gegner,
und da Pompejus auf seinem Marsche durch Syrien eben
in Damaskus angelangt war, nahmen sie zu ihm ihre
Zuflucht. Ohne Geschenke, nur auf die schon bei Aretas
geltend gemachten Rechtsgründe sich beziehend, baten
sie ihn , das gewaltsame Vorgehen des Aristobulus zu
missbilligen und den auf den Thron zu setzen, der seinem
Alter und Charakter nach Anspruch darauf habe. Doch
auch Aristobulus liess nicht auf sich warten, sondern
1 Nach J. A. XIV, 2, 3 hatte jeder der Brüder vierhundert Talente
geboten, Scaurus aber des Aristobulus* Anerbieten angenommen, weil
dieser eine geringere Gegenleistung verlangte.
Go gle
UNIVi IlSltTOt C , LircWl,
Erstes Bueb, 6. Kapitel.
51
fand sich im Vertrauen auf die Bestechung des Scaurus
ebenfalls ein, und zwar mit allem möglichen königlichen
Gepränge. Da er es aber für unwürdig hielt, den Unter-
würfigen zu spielen, und es nicht über sich bringen konnte,
sich um seines Vorteils willen tiefer zu erniedrigen, als
es ihm seinem Stand gemäss zieme , zog er sich an der
Stadt Dion vorbei zurück.
5. Hierüber ergrimmte Pompejus, und da ihn gleich-
zeitig auch Hyrkanus und dessen Anhänger mit Bitten
bestürmten , brach er mit dem römischen Heere und
vielen syrischen Hilfstruppen gegen Aristobulus auf.
Als er nun an Pella und Skythopolis vorbei nach Koreae
gekommen war, wo landeinwärts Judaea beginnt, vernahm
er, Aristobulus habe sich nach Alexandrium, einer aufs
beste ausgerüsteten und hoch auf dem Gipfel eines
Berges gelegenen Festung, geflüchtet. Er liess ihm
daher befehlen, herunterzusteigen. Dieser herrischen
Aufforderung gegenüber hatte Aristobulus nicht übel
Lust, es lieber aufs äusserste ankommen zu lassen als
Folge zu leisten. Da er aber die Seinen von Furcht
ergriffen sah, und seine Freunde ihm zuredeten, er möge
doch die unwiderstehliche Kraft der Römer bedenken,
liess er sich umstimmen und stieg zu Pompejus hinab.
Hier setzte er weitläufig seine Rechtsansprüche auf den
Thron auseinander und kehrte dann in seine Festung
zurück. Später kam er auf Ersuchen seines Bruders
abermals herab, besprach sich mit diesem über die
Rechtsfrage und begab sich, unbehindert von Pompejus,
wieder hinauf. Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend,
verliess er seine Veste, um den Pompejus durch Bitten
zur Bewilligung seiner Forderungen zu veranlassen ;
zurück aber ging er, um nicht den Anschein zu erwecken,
als gäbe er schon zum voraus seine Sache auf. Als
jedoch Pompejus ihn aufforderte, die Festungen auszuliefern,
und ihn zwang, den Kommandanten derselben, die die
Weisung hatten, nur schriftlichen Befehlen ihres Königs
zu gehorchen, durch eigenhändige Briefe den Befehl zum
Abzug zu erteilen, fügte er sich zwar diesem Ansinnen,
4 *
Go gle
UMi\ÄSI1t-§f C /tlFDRNI,
52
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zog sich aber alsdann voll Erbitternng nach Jerusalem
zurück und rüstete sich zum Kampfe gegen Pompejus.
6. Der indes folgte ihm, ohne ihm Zeit zu Vor-
bereitungen zu lassen, auf dem Fusse nach und wurde
in seinem Kriegseifer noch wesentlich bestärkt durch die
Kunde vom Tode des Mithradates, die er bei Jericho er-
hielt. Hier ist die fruchtbarste Gegend Judaeas, und
es gedeihen daselbst die Palme und der Balsam in Menge.
Letzterer wird gewonnen, indem man mit scharfen Steinen
den Schaft der Stauden in seinem unteren Teile ritzt
und die aus den Einschnitten fliessenden Thränen
sammelt. Dort schlug Pompejus für eine Nacht sein
Lager auf und rückte in der Morgenfrühe gegen Jeru-
salem vor. Durch sein Erscheinen in Schrecken versetzt,
ging Aristobulus ihm als Bittsteller entgegen, und es
gelang ihm auch, durch Geldversprechungen und die
Zusage, dass er sich selbst nebst der Stadt in seine
Hände geben wolle, den Zorn des Pompejus zu be-
schwichtigen. Doch hielt er keine seiner Zusagen , und
als Gabinius erschien, der zur Empfangnahme des Geldes
geschickt war, Hessen ihn die Anhänger des Aristobulus
nicht einmal in die Stadt ein.
Siebentes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 4, 1 — 4, 5.
Pompejus erobert Jerusalem, betritt den Tempel und sieht
das Allerheiligste. Seine ferneren Thaten in Judaea.
1. Hierüber entrüstet, liess Pompejus 'den Aristobulus
in Gewahrsam nehmen und sah sich, als er der Stadt
nähergekommen war, nach einem günstigen Angriffspunkt
um. Dabei fand er, dass die Mauern ihrer Festigkeit
wegen und weil sie aussen von einer furchtbaren Schlucht
umgeben waren, schwer einnehmbar seien, sowie dass
das jenseits der Schlucht gelegene Heiligtum derartig
starke Befestigungen aufwies, dass selbst nach dem Falle
Erstes Buch, 7. Kapitel. 53
der Stadt die Feinde an ihm einen zweiten Zufluchtsort
haben würden.
2. Während er nun geraume Zeit zu keinem rechten
Entschluss kommen konnte, brach unter den Einwohnern
der Stadt ein Streit aus, indem die Anhänger des Aristo-
bulus für den Krieg und die Befreiung de9 Königs, die
auf des Hyrkanus Seite stehenden Bürger aber dafür
sich erklärten, dass man dem Pompejus die Thore öffnen
solle. Übrigens bewirkte die Furcht vor dem wohl-
geschulten Heere der Römer, dass die letztere Partei
immer stärker wurde. Als nun die Anhänger des Aristo-
bulus sich in der Minderheit sahen, zogen sie sich in
den Tempel zurück, brachen die denselben mit der Stadt
verbindende Brücke ab und rüsteten sich zum äussersten
Widerstand. Die andere Partei aber nahm die Römer
in die Stadt auf und übergab ihnen den Königspalast,
worauf Pompejus einen seiner Unterbefehlshaber, Piso,
mit einer Heeresabteilung hineinsandte. Dieser besetzte
die Stadt, und da es ihm nicht gelang, auch nur einen
der in den Tempel Geflohenen durch gütliches Zureden
zum Übertritt zu veranlassen, richtete er alles ringsum
zur Belagerung ein, wobei die Leute des Hyrkanus ihm
bereitwilligst mit Rat und That zur Hand gingen.
3. Pompejus selbst liess auf der Nordseite den Graben
und die ganze Thalschlucht ausfüllen, wozu die Soldaten
das Material herbeitrugen. Die Ausfüllung war übrigens
recht schwierig, einmal wegen der bedeutenden Tiefe,
dann aber auch, weil die Juden von oben her auf alle
mögliche Weise die Arbeit zu verhindern suchten. Die
Römer wären mit derselben auch wohl nicht zu Ende
gekommen, wenn nicht Pompejus jeden siebenten Tag,
an welchem die Juden aus religiösen Rücksichten sich
aller Arbeit enthalten, zur Erhöhung des Dammes be-
nützt und den Soldaten an diesem Tage das Hand-
gemenge untersagt hätte ; denn zu ihrer persönlichen
Verteidigung dürfen die Juden sich auch am Sabbat
wehren. Als nun die Thalschlucht ausgefüllt war, liess
er hohe Türme auf dem Damm errichten und die von
54
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Tyrus mitgebrachten Belagerungsmaschinen herbei sch affen,
mit denen er einen Versuch gegen die Mauer unter-
nahm, während Steinschleuderer diejenigen zurücktrieben,
welche dies von oben her zu vereiteln trachteten.
Übrigens hielten die gerade an dieser Seite durch Grösse
und Schönheit sich auszeichnenden Türme 6ehr lange stand.
4. Obwohl nun die Römer viel Ungemach zu er-
dulden hatten, konnte doch Pompejus nicht umhin, sich
über die mutige Ausdauer der Juden im allgemeinen
wie auch besonders darüber zu verwundern, dass sie
mitten im Hagel der Geschosse nicht das mindeste von
ihrem Gottesdienst aufgaben. Als wenn nämlich die
Stadt sich des tiefsten Friedens erfreute, wurden die
täglichen Opfer, die Reinigungen und der ganze heilige
Dienst Gott zu Ehren aufs genaueste vollzogen. Ja,
selbst bei der Erstürmung der Stadt, als tagüber die
Leichen der Ihrigen sich um den Altar auftürmten,
Hessen sie von dem gesetzlichen Gottesdienst nicht ab.
Im dritten Monat der Belagerung nämlich drangen die
Römer, nachdem sie mit vieler Mühe einen der Türme
zerstört hatten, in das Heiligtum 1 ein. Der erste, der
die Mauer zu überspringen wagte, war Cornelius Faustus,
der Sohn des Sulla, dem zwei Centurionen, Furius und
Fabius, gefolgt von ihren Abteilungen, sich anschlossen.
Von allen Seiten umzingelten sie die Juden und töteten
die einen auf der Flucht nach dem Tempel \ die anderen
nach kurzer Gegenwehr.
5. Da nun blieben viele Priester, obwohl sie die
Feinde mit gezückten Schwertern auf sich zukommen
sahen, unerschrocken beim heiligen Dienste, und während
der Darbringung von Trank- und Rauchopfern wurden
sie dahingemordet, sie, denen die Verehrung der Gottheit
alles, ihre eigene Rettung aber nichts galt. Die meisten
fielen übrigens unter dem Schwerte ihrer eigenen, ihnen
feindlich gesinnten Volksgenossen ; unzählige stürzten
1 Es ist stets zu unterscheiden zwischen dem Heiligtum (xo teoov)
oder dem gesamten Tempelbezirk und dem eigentlichen Tempel-
gebäude (6 vao;).
Erstes Buch, 7. Kapitel.
55
sich die steilen Schluchten hinab; einige auch steckten,
rasend vor Verzweiflung, die Anbauten der Mauer in
Brand und fanden in deren Flammen ihr Ende. Zwölf-
tausend Juden kamen auf diese Weise um, während die
Römer nur vereinzelte Töte, dagegen mehr Verwundete
hatten.
6. Nichts aber konnte das Volk in dieser schreck-
lichen Lage so schwer treffen, als dass das bis jetzt nie
gesehene Allerheiligste von Fremden enthüllt wurde.
Pompejus nämlich ging mit seinem Gefolge in den Teil
des Tempels, den nur der Hohepriester betreten durfte,
und betrachtete, was darin war: den Leuchter mit den
Lampen, den Tisch, die Opferschalen und Räucher-
gefässe, alles von gediegenem Golde, die Menge des
aufgespeicherten Räucherwerkes und den gegen zwei-
tausend Talente betragenden Tempel schätz. Doch rührte
er weder diesen noch irgend eines der heiligen Geräte
an; vielmehr liess er gleich am Tage nach der Er-
stürmung den Tempelraum durch die Tempeldiener
reinigen und die üblichen Opfer darbringen. Dann
ernannte er den Hyrkanus wieder zum Hohepriester,
einmal weil er sich bei der Belagerung als sehr hilfs-
bereit erwiesen, dann aber ganz besonders, weil er das
Landvolk, das sich anschickte, für Aristobulus zu den
Waffen zu greifen, davon abgehalten hatte. Also gewann
er, wie es einem guten Feldherrn ziemt, das Volk
mehr durch Wohlwollen als durch Furcht. . Unter den
Kriegsgefangenen befand sich auch der Schwiegervater
des Aristobulus, der zugleich dessen Oheim war. Die
Haupturheber des Krieges nun liess Pompejus mit dem
Beile hinrichten; den Faustus aber und die, welche an
dessen Seite heldenhaft gestritten hatten, beschenkte er
mit herrlichen Kampfpreisen. Dann legte er dem Lande
und der Stadt Jerusalem eine Steuer auf. 1
7. Eine weitere Folge des Krieges war, dass Pompejus
dem Volke die Städte, die es in Coelesyrien erobert
1 Die Eroberung Jerusalems durch Pompejus fand statt 63 v. Clir.
56
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hatte, wieder abnahm, sie dem damaligen römischen
Legaten unterstellte und die* Juden auf ihre eigenen
Grenzen beschränkte. Das von den Juden zerstörte
Gadara baute er einem seiner Freigelassenen, Demetrius,
der von dort gebürtig war, zu Gefallen wieder auf.
Sodann befreite er von ihrer Oberherrschaft alle Städte
im Binnenland, die sie nicht vorher zerstört hatten,
nämlich Hippos, Skythopolis, Pella, Samaria, Marissa,
ferner Azot, Jamnia und Arethusa, desgleichen die
Küstenstädte Gaza, Joppe, Dora und die Stadt, die
früher Stratonsturm hiess, später aber von dem Könige
Herodes aufs prächtigste umgebaut und Caesarea ge-
nannt wurde. Alle diese Städte gab er ihren eingeborenen
Bürgern zurück und teilte sie der Provinz Syrien zu.
Nachdem er nun noch die letztere samt Judaea und dem
Gebiet bis nach Aegypten einerseits und dem Euphrat
anderseits dem Scaurus, dem er zwei Legionen zur Ver-
fügung stellte, zur Verwaltung übergeben hatte, eilte
er selbst durch Cilicien nach Rom, wohin er den Aristo-
bulus und dessen Familie, zwei Töchter und zwei Söhne,
als Gefangene mitführte. Von den Söhnen entwich der
eine', Alexander, unterwegs, während der jüngere, Anti-
gonus, mit seinen Schwestern nach Rom gebracht wurde.
Achtes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 5, 1 — 7,3.
Des Aristobulus Sohn Alexander bekriegt Hyrkanus,
wird aber von Gabinius geschlagen. Aristobulus ent-
flieht aus Rom, sammelt ein Heer, wird besiegt und
wieder nach Rom gebracht. Weiteres von Gabinius.
Crassus und Cassius.
1. Unterdessen war Scaurus in Arabien eingefallen.
0 Dort hielt ihn zwar von Petra das schwer passierbare
Terrain ab; dagegen verwüstete er die Umgegend von
Pella, wiewohl er auch hier viel Ungemach auszustehen
Erstes Buch, 8. Kapitel.
57
hatte, da sein Heer durch Hunger litt. Hyrkanus säumte
nicht zu helfen, indem er durch Antipater Lebensmittel
schickte. Da übrigens Antipater auch mit Aretas be-
freundet war, sandte Scaurus ihn zu diesem, damit
der Araber durch Geld den Frieden von ihm erkaufe.
Wirklich verstand sich auch Aretas zur Zahlung von
dreihundert Talenten, worauf Scaurus sein Heer aus
Arabien zurückzog.
2. Nun aber bereitete dem Hyrkanus schwere Sorge
der dem Pompejus entwichene Sohn des Aristobulus,
Alexander, der im Laufe der Zeit eine starke Truppen-
macht zusammengebracht hatte und jetzt verheerend in
Judaea einfiel. Es schien sogar, als ob es ihm schnell
gelingen würde, Hyrkanus zu stürzen; denn bereits stand
er vor Jerusalem und machte sich daran, die von
Pompejus zerstörte Mauer wieder aufzubauen. 1 Doch
Gabinius, der Nachfolger des Scaurus in Syrien und
ein Mann von vielfach erprobter Tapferkeit, zog sogleich
gegen Alexander zu Felde, der vor Bestürzung über des
Gabinius Anmarsch seine Truppenmacht so vermehrte,
dass sie zehntausend Fusssoldaten und fünfzehnhundert
Reiter zählte. Ausserdem befestigte er passende Plätze,
wie Alexandrium, Hyrkanium und Machaerus in der
Nähe des arabischen Berglandes.
3. Gabinius sandte nun den Marcus Antonius mit
einem Teile seiner Truppen voraus und folgte selbst
mit der Hauptmacht nach. Mit des Antonius Unter-
befehlshabern vereinigten sich sodann Antipaters aus-
erlesene Leute und die übrigen Streitkräfte der Juden
unter Anführung von Malichus und Pitholaus und
rückten dem Alexander entgegen. Bald darauf traf
auch Gabinius mit seinen Truppen ein. Diesem vereinten
feindlichen Heere hielt sich Alexander nicht gewachsen
und zog sich deshalb zurück, wurde aber in der Nähe
von Jerusalem zu einem Treffen gezwungen, in welchem
1 Nach der offenbar richtigeren Darstellung J. A. XIV, 5, 2 war
es Hyrkanus, der die Mauer wiedcrherzustellen versuchte.
58
' Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
er sechstausend Mann verlor, nämlich dreitausend, die
fielen, und dreitausend, die in Gefangenschaft gerieten.
Er selbst floh mit dem Reste nach Alexandrium.
4. AJs Gabinius vor dieser Festung anlangte und
eine Menge Juden daselbst gelagert fand, versuchte er,
indem er ihnen Verzeihung für das Vorgefallene in
Aussicht stellte, sie ohne Kampf zu gewinnen. Da sie
aber von einem gütlichen Vergleich nichts wissen
wollten, machte er viele von ihnen nieder und schloss
die übrigen in die Festung ein. In diesem Treffen that
sich der Truppenführer Marcus Antonius sehr hervor;
zwar benahm er sich auch sonst stets tapfer, doch so
heldenhaft wie diesmal nirgends. Gabinius liess nun
eine Abteilung zur Eroberung des Kastells zurück und
brach selbst auf, um diejenigen Städte, die nicht so viel
gelitten hatten, in besseren Zustand zu bringen, die
gänzlich zerstörten aber wieder aufzubauen. So wurden
auf seinen Befehl wieder wohnlich eingerichtet die Städte
Skythopolis, Samaria, Anthedon, Apollonia, Jamnia,
Raphia, Marissa, Adoreos, Gamala, Azot und viele
andere, und mit Freuden strömten die Einwohner in
dieselben zusammen.
5. Nachdem er das besorgt hatte, zog er wieder vor
Alexandrium und betrieb die Belagerung so nachdrücklich,
dass Alexander voll Verzweiflung Gesandte mit der
Bitte um Verzeihung seiner Vergehen zu ihm schickte,
ihm die noch in seinem Besitz befindlichen Festungen
Hyrkanium und Machaerus übergab und bald auch
Alexandrium selbst auslieferte. Alle diese Plätze schleifte
Gabinius, damit sie nicht zu Brutstätten neuer Kriegs-
wirren würden, und zwar auf Anraten der Mutter
Alexanders, die sich aus Besorgnis um die Gefangenen
in Rom, ihren Gatten und ihre übrigen Kinder, zu
Gabinius begeben hatte, um ihn zur Milde zu stimmen.
Hierauf führte Gabinius den Hyrkanus in Jerusalem
ein, wo er ihm die Obhut des Tempels übertrug und im
übrigen die Verfassung so einrichtete, dass die An-
gesehensten an der Spitze standen. Das ganze Volk
Erstes Buch, 8. Kapitel.
59
teilte er sodann in fünf Gemeinschaften und bestimmte,
dass der eine Teil auf Jerusalem, der zweite auf Gadara,
der dritte auf Amathus, der vierte auf Jericho, der
fünfte aufSepphoris in Galilaea angewiesen sein sollte. 1
Zu ihrer Freude waren die Juden somit von der Herr-
schaft eines Einzigen befreit und für die Folge einer
aristokratischen Regierung unterstellt. 2
6. Nicht lange danach entstanden neue Unruhen
durch Aristobulus, der von Rom entwichen war und eine
Menge teils neuerungssüchtiger, teils von früher her ihm
ergebener Juden an sich gezogen hatte. Zunächst
machte er den Versuch, Alexandrium, das er besetzt
hatte, wieder zu befestigen. Als er aber erfuhr, dass
Gabinius ein Heer unter Sisenna, Antonius und Servilius
gegen ihn gesandt habe, zog er sich auf Machaerus
zurück. Dabei entledigte er sich des unnützen Haufens
und behielt nur die Bewaffneten bei sich, etwa acht-
tausend an der Zahl , unter denen sich auch der Unter-
befehlshaber aus Jerusalem, Pitholaus, befand, der mit
tausend Mann zu ihm übergegangen war. Die Römer
aber folgten ihnen auf dem Fusse nach, und es kam
zur Schlacht, in der des Aristobulus Leute zwar wacker
stritten und lange standhielten, endlich aber von den
Römern überwältigt wurden. Fünftausend von ihnen
fielen, gegen zweitausend flüchteten sich auf eine Anhöhe,
die übrigen tausend aber durchbrachen mit Aristobulus
die Reihen der Römer und wurden nach Machaerus
gedrängt. Hier bezog der König am ersten Abend
Nachtquartier in den Ruinen und befestigte alsdann den
Platz notdürftig in der Hoffnung, noch ein Heer zu-
sammenbringen zu können, wenn der Krieg vielleicht
etwas lässiger geführt würde. Als nun die Römer an-
griffen, leistete er ihnen zwei Tage lang fast über seine
Kräfte Widerstand, wurde aber dann gefangen genommen
und samt seinem mit ihm aus Rom entflohenen Sohne
1 Nach J. A. XIV, 5, 2 befanden sich in diesen Städten die Ge-
richtshöfe (Synedrien) für die einzelnen Bezirke.
2 57 v. Chr.
60
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Antigonus gefesselt vor Gabinius und von diesem weg
wieder nach Rom geführt. Dort liess der Senat ihn
selbst einkerkern, seine Kinder aber nach Judaea bringen,
weil Gabinius in einem Schreiben mitgeteilt hatte, er
habe dies der Gattin des Aristobulus für die Auslieferung
der Festungen versprochen.
7. Als nun Gabinius gegen die Parther zu Felde
ziehen wollte, trat ihm die Angelegenheit des Ptole-
maeus 1 hindernd in den Weg. Seinetwegen musste er
am Euphrat umkehren, um ihn in Aegypten wieder
einzusetzen, wobei Hyrkanus und Antipater ihm in allem
zur Hand gingen. Antipater insbesondere verschaffte
ihm Geld, Waffen, Getreide und Hilfstruppen; er beredete
auch die Juden, welche bei Pelusium wohnten und den
Zugang zu Aegypten zu bewachen hatten, den Gabinius
passieren zu lassen. Nach dem Abzüge des Gabinius
geriet übrigens ganz Syrien in Bewegung, und auch die
Juden wurden zu erneutem Abfall verleitet durch
Alexander, des Aristobulus Sohn, der eine ansehnliche
Truppenmacht zusammenbrachte und nichts geringeres
im Schilde führte, als sämtlichen Römern im Lande den
Garaus zu machen. Hierüber geriet Gabinius, der wegen
der Unruhen bereits wieder aus Aegypten herbeigeeilt
war, in Besorgnis und sandte deshalb den Antipater zu
einigen der Empörer, die sich denn auch wirklich um-
stimmen Hessen. Immerhin aber blieben dem Alexander
noch dreissigtausend Mann treu, zu deren Bekämpfung
Gabinius nun sogleich ausrückte. Ihm entgegen zogen
die Juden, und es kam beim Berge Itabyrium 2 zur
Schlacht, in welcher zehntausend Juden fielen, während
der Rest in wilder Flucht auseinanderstob. Gabinius
zog nun nach Jerusalem und richtete' die Verfassung
nach Antipaters Willen ein. Von dort brach er alsdann
auf, schlug die Nabatäer 3 und liess die parthischen
i P. XI. (Auletes).
- Tabor.
3 Hauptvolk des Peträisehen Arabien, früher unbedeutend und
unter dem Namen Nebajoth erwähnt, mächtig zurZeit des Augustus.
Go gle
'HlllVERSITY OF CALIFORNIA.
Erstes Buch, 8. Kapitel.
61
Flüchtlinge Mithradates und Orsanes heimlich entwischen,
während er seinen Soldaten sagte, sie seien entflohen. 1
8. Des Gabinius Nachfolger in der Verwaltung von
Syrien war Crassus 2 . Dieser entnahm zu dem Feldzuge
gegen die Parther dem Tempel in Jerusalem ausser
allem übrigen Golde auch die zweitausend Talente, die
Pompejus nicht angetastet hatte. Er hatte übrigens
kaum den Euphrat überschritten, als er mit seinem
Heere umkam. Doch das gehört nicht weiter hierher.
9. Nach dem Tode des Crassus versuchten die Parther
in Syrien einzudringen, wurden aber von Cassius, der
sich in diese Provinz- geflüchtet hatte 3 , zurückgeschlagen.
Nachdem Cassius also sich Syriens versichert hatte,
eilte er nach Judaea, eroberte Taricheae und schleppte
gegen dreissigtausend Juden in die Sklaverei. Dann
liess er auf Antipaters Rat den Pitholaus töten, der die
aufrührerischen Anhänger des Aristobulus gesammelt
hatte. Was übrigens Antipater anlangt, so hatte er eine
vornehme Araberin Namens Kypron geheiratet, die ihm
vier Söhne gebar, Phasael, Herodes (den nachmaligen
König), Joseph und Pheroras, sowie ausserdem noch eine
Tochter Salome. Mit allen Machthabern ringsum bereits
in gastfreundlichen Beziehungen stehend, trat er durch
Verwandtschaft in ein besonders enges Verhältnis zu
dem Araberkönige, dessen Obhut er auch, als er den
Krieg gegen Aristobulus begann, seine Kinder an vertraute.
Cassius nun, um auf diesen zurückzukommen, nötigte
den Alexander zu dem Versprechen, Ruhe halten zu
wollen, und wandte sich alsdann wieder nach dem
Euphrat, um den Parthern den Übergang über denselben
zu wehren, wovon noch an anderer Stelle die Rede sein soll.
Ihr Reich, dessen Hauptstadt Petra war, endigte zur Zeit des Trajanus.
Das Land gehörte später zu Palaestina tertia (vergl. Schenkel, Bibel-
lexikon, IV, S. 269 ff.').
1 Vergl. die abweichende Darstellung J. A. XIV, G, 4.
2 54 v. Chr.
3 Als Überlebender vom Heere des Crassus.
62
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Neuntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 7, 4— 8, 5.
Aristobulus und sein Sohn Alexander umgebracht. Anti-
pater stellt sich nach des Pompejus Tod auf Caesars Seite.
Seine Tapferkeit
1. Als Pompejus mit dem Senat über das Ionische
Meer geflohen und Caesar Herr über Rom und das
ganze Reich geworden war, entledigte er den Aristobulus
seiner Fesseln, übergab ihm zwei Legionen und wollte
ihn schleunigst nach Syrien senden in der Hoffnung,
durch ihn diese Provinz und ganz Judaea leicht für
sich gewinnen zu können. Doch der Neid machte des
Aristobulus guten Willen wie Caesars Hoffnung zu
Schanden. Denn Aristobulus wurde von den Anhängern
des Pompejus durch Gift aus dem Wege geräumt 1 , und
lange Zeit entbehrte sein Leichnam sogar der Bestattung
in heimischer Erde, lag vielmehr in Honig einbalsamiert,
bis er später von Antonius den Juden zugeschickt wurde,
um in den Königsgräbern beigesetzt zu werden.
2. Auch sein Sohn Alexander musste den Tod er-
leiden, denn Scipio liess ihn zu Antiochia mit dem Beile
hinrichten und zwar auf Befehl des Pompejus und nach-
dem ihm vorher wegen der den Römern zugefügten
Unbilden förmlich der Prozess gemacht worden war.
Seiner Geschwister nahm sich Ptolemaeus Mennaei, der
Beherrscher von Chalkis am Fusse des Libanon, an, der
seinen Sohn Philippion nach Askalon sandte, um dieselben
abzuholen. Letzterem gelang es denn auch, Antigonus
und dessen Schwestern ihrer Mutter, der Witwe des
Aristobulus, zu entreissen und zu seinem Vater zu bringen.
In die jüngere der Schwestern, Alexandra, verliebte er
sich und heiratete sie, wurde aber ihretwegen von seinem
eigenen Vater getötet, der nun selbst die Alexandra zur
1 49 v. Chr.
Erstes Buch, 9. Kapitel.
68
Ehe nahm und um dieser Verbindung willen den Ge-
schwistern seiner Gemahlin sein besonderes Wohlwollen
zuwandte.
3. Nach dem Tode des Pompejus wechselte Antipater
die Farbe und trat auf Caesars Seite. Als nun der
pergamenische König Mithradates mit seinem Heere, das
er nach Aegypten führen wollte 1 , bei Askalon halt
machen musste, weil er den Weg über Pelusium nicht
erzwingen konnte, bewog Antipater nicht nur die ihm
befreundeten Araber zur Hilfeleistung, sondern rückte
auch selbst mit etwa dreitausend Mann jüdischer Fuss-
truppen heran. Ferner veranlasste er zur Unterstützung
des Kriegszuges die syrischen Grossen und die am Libanon
wohnenden Fürsten Ptolemaeus und Jamblichus, durch
deren Einfluss dann auch die Städte dieser Gegend bereit-
willigst ihren Beistand zusagten. Nachdem auf diese
Weise dank Antipaters Eingreifen die Streitkräfte des
Mithradates sich bedeutend vermehrt hatten, eilte er vor
Pelusium und machte sich, als man ihm den Durchmarsch
verwehrte, an die Belagerung der Stadt. Bei der dann
folgenden Erstürmung bedeckte sich Antipater mit Kriegs-
ruhm, indem er in den ihm zugewiesenen Teil der Mauer
Bresche legte und allen übrigen voran mit seiner Schar
in die Stadt eindrang.
4. So fiel nun freilich Pelusium; doch beim weiteren
Vorrücken ward das Heer abermals aufgehalten, und
zwar durch die aegyptischen Juden, die den sogenannten
Bezirk des Onias bewohnten. Da war es dann wieder
Antipater, der dieselben bewog, nicht nur ihren Wider-
stand aufzugeben, sondern auch die Truppen mit den
nötigen Lebensmitteln zu versehen. Infolgedessen ent-
hielten sich auch die Bewohner der Umgegend von
Memphis der Feindseligkeiten und schlossen sich freiwillig
an Mithradates an. Dieser umging nun das Delta und
lieferte den übrigen Aegyptiern eine Schlacht in der
1 Als Verbündeter Caesars (vergl. die etwas abweichende Dar-
stellung J. A. XIV, 8,1).
64
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Gegend, die „Judenlager“ genannt wird. Hier geriet er
ßelbst und sein ganzer rechter Flügel in Gefahr; doch
Antipater kam ihm am Ufer des Flusses entlang zu
Hilfe und befreite ihn aus der Klemme, nachdem er
bereits zuvor mit dem von ihm befehligten linken Flügel
die ihm gegenüberstehende feindliche Abteilung geworfen
hatte. Alsdann drang er auf die Verfolger des Mithra-
dates ein, tötete viele von ihnen und setzte den übrigen
so weit nach, dass er auch noch ihr Lager in seine Ge-
walt brachte. Dabei fielen von den Seinen nur achtzig
Mann, während Mithradates auf der Flucht gegen acht-
hundert verloren hatte. Letzterer erstattete übrigens,
nachdem er so unverhofft der Gefahr entgangen war,
dem Caesar einen neidlosen Bericht über Antipaters
Heldenthaten.
5. Daraufhin spendete Caesar dem Antipater reich-
liches Lob und verfehlte auch nicht, besondere Hoffnungen
in ihm rege zu machen, wodurch er ihn anreizte, noch
weiteren Gefahren für ihn sich auszusetzen. In solchen
Wagnissen bewies Antipater stets eine ausserordentliche
Kühnheit, und bald war fast sein ganzer Körper mit
Narben, den Denkzeichen seiner Tapferkeit, bedeckt. Als
nun Caesar in Aegypten Ruhe und Ordnung hergestellt
hatte und nach Syrien zurückgekehrt war, beschenkte
er ihn mit Steuerfreiheit und dem römischen Bürgerrecht,
erwies ihm auch noch sonstige Ehren- und Gunst-
bezeugungen und machte ihn dadurch zum Gegenstand
des Neides. Auch dass Hyrkanus von Caesar in seiner
hohepriesterlichen Würde bestätigt wurde, war lediglich
dem Einfluss Antipaters zu verdanken.
Erstes Bach, 10. Kapitel.
65
Zehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 9, 1 — 11, 1.
Caesar ernennt Antipater zum Landpfleger von Judaea.
Phasael wird Befehlshaber von Jerusalem, Herodes
Statthalter von Galilaea. Herodes von Hyrkanus vor
Gericht geladen. Auf Sextus Caesar, der von Bassus
ermordet wird, folgt Murcus.
1. Um dieselbe Zeit traf es sich merkwürdigerweise,
dass des Aristobulus Sohn Antigonus, der sich bei Caesar
befand, das Ansehen Antipaters noch vermehrte. Denn
statt das Schicksal seines Vaters, der, wie man glaubte,
wegen seiner feindseligen Gesinnung gegen Pompejus
vergiftet worden war, zu bejammern, statt über Scipios
Grausamkeit gegen seinen Bruder zu klagen, statt sich
frei von aller Gehässigkeit zu halten und sich auf Er-
regung von Mitleid zu beschränken, trat er vielmehr als
förmlicher Ankläger gegen Hyrkanus und Antipater auf
Er beschuldigte sie nämlich, ihn selbst und seine Ge-
schwister aller Billigkeit zum Hohn aus dem Vaterlande
vertrieben und in frechem Übermut ihr Volk vielfach
drangsaliert zu haben. Und was den Feldzug nach
Aegypten angehe, so hätten sie dazu nicht aus Ergebenheit
gegen Caesar Hilfstruppen gestellt, sondern nur aus
Furcht wegen ihrer früheren Feindseligkeiten und um
ihre Freundschaft für Pompejus wett zu machen.
2. Da riss Antipater sein Gewand auf, zeigte seine
zahlreichen Narben und erklärte, es bedürfe doch wohl
keiner Worte, um seine gute Gesinnung gegen Caesar
darzuthun; denn wenn er auch schweige, so lege doch
sein Leib lautes Zeugnis ab. Wundern aber müsse er
sich über die Anmassung des Antigonus, der als Sohn
eines den Römern entlaufenen und denselben feindlich
gesinnten Mannes an Neuerungssucht und Empörungs-
geist nur das echte Ebenbild seines Vaters sei, und der
sich jetzt unterfange, bei dem römischen Machthaber
andere zu verklagen , während er doch froh sein könne,
dass er überhaupt noch lebe. Denn nicht etwa aus
Josephns, Jüdischer Krieg. 5
Go gle
66 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Dürftigkeit wolle er jetzt teil an den Staatsgeschäften
haben, sondern nur, um die Juden zum Aufruhr zu ver-
leiten und seine Macht zum Schaden derer, die sie ihm
verliehen, zu missbrauchen.
3. Kaum hatte Caesar das vernommen, so erklärte
er den Hyrkanus für besonders wert, Hohepriester zu
sein; dem Antipater aber liess er die Wahl eines einfluss-
reichen Postens frei. Als letzterer nun das Mass der
Ehrung dem Spender derselben anheimgab, wurde er zum
Landpfleger von ganz Judaea ernannt 1 und erhielt
ausserdem noch die Erlaubnis, die zerstörten Mauern
seiner Vaterstadt wieder auf bauen zu lassen 2 . Die Ur-
kunde über diese Vergünstigungen sandte Caesar nach
Rom, damit sie dort auf eherne Tafeln eingegraben und
als Denkmal seiner Gerechtigkeit und der Verdienste
Antipaters auf dem Kapitolium aufgestellt werde.
4. Antipater gab hierauf dem Diktator bis zur Grenze
Syriens das Geleit und kehrte dann nach Judaea zurück.
Hier stellte er zunächst die von Pompejus zerstörten
Mauern Jerusalems wieder her und bereiste sodann
das Land, um den Unruhen ein Ende zu machen, wobei
er es weder an Drohungen noch an guten Ratschlägen
fehlen liess. Jeder, der dem Hyrkanus wohlgesinnt sei,
so erklärte er, solle sich eines glücklichen und ruhigen
Lebens erfreuen, sein Eigen tnm geschützt sehen und
vom allgemeinen Frieden Nutzen ziehen. Wer dagegen
von den eitlen Spiegelfechtereien der Empörer sich
blenden lasse, die nur auf ihren persönlichen Vorteil
bedacht seien, der werde an ihm statt eines fürsorglichen
Beraters einen strengen Herrn, an Hyrkanus statt eines
milden Regenten einen Tyrannen, an den Römern und
Caesar statt Führeren und Freunden bittere Feinde haben.
Denn die letzteren würden natürlich nie den Sturz eines
Mannes zulassen , den sie selbst eingesetzt hätten.
1 47 v. Ohr.
8 Nach J. A. XIV, 8,5 war es Hyrkanus, der diese Erlaubnis
erhielt, was auch sicher das zutreffendere ist, da ja Jerusalem nicht
Anti paters Vaterstadt war.
Erstes Buch, 10. Kapitel.
67
Während er so seine Meinung kundgab, ordnete er zu-
gleich nach eigenem Ermessen die Angelegenheiten des
Landes ; denn Hyrkanus, das sah er wohl ein, war nicht
nur zu träge, sondern auch viel zu energielos, um seine
Herrscherpflichten erfüllen zu können. Er ernannte
also seinen ältesten Sohn Phasael zum Befehlshaber von
Jerusalem und Umgegend, den nächstfolgenden aber,
Herodes, der noch sehr jung war \ sandte er in derselben
Eigenschaft nach Galilaea.
6. Herodes nun, ein entschlossener Charakter, fand
in seinem Wirkungskreise alsbald Gelegenheit, seine
Thatkraft zu beweisen. Er setzte nämlich den Räuber-
hauptmann Ezechias, der mit einer starken Bande die
Grenzgegenden Syriens unsicher machte, gefangen und
liess ihn nebst vielen seiner Spiessgesellen hinrichten,
wodurch er sich die Syrer zu ganz besonderem Dank
verpflichtete, sodass man ihn in Dörfern und Städten
als Bringer des Friedens und Retter des Eigentums
feierte. Hierdurch wurde er auch dem Sextus Caesar,
der ein Verwandter des grossen Caesar und Statthalter
von Syrien war, bekannt. Phasael seinerseits mochte
hinter seinem berühmten Bruder an Edelmut nicht zurück-
stehen und legte es daher besonders darauf an, sich die
Einwohner Jerusalems geneigt zu machen, indem er,
obwohl unabhängiger Herr der Stadt, sich jedes an-
stössigen und übermütigen Auftretens enthielt. So kam
es, dass Antipater vom Volke wie ein König geachtet
und von jedermann als wirkliches Staatsoberhaupt geehrt
wurde. Doch änderte er selbst seine Ergebenheit und
Treue gegen Hyrkanus nicht im mindesten.
6. Aber niemand vermag im Glücke der Missgunst
zu entgehen. Schon längst war dem Hyrkanus der Ruhm
der jungen Leute ein Dorn im Auge; ganz besonders
aber ärgerten ihn die Heldenthaten des Herodes und
das protzige Ausposaunen derselben durch eine Menge
von Herolden. Auch reizten ihn manche neidische
1 Nach J. A. XIV, 9, 2 : 25 Jahre alt.
Go gle
Ul\m/ßRSIf^'Üf C
68
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Höflinge, denen die Klugheit Antipaters oder seiner
Söhne im Wege stand und die dem Hyrkanus vor-
stellten, er habe recht eigentlich dem Antipater und
dessen Söhnen die Regierung abgetreten und sitze nun
da mit dem blossen Titel eines Königs ohne alle Macht.
Wie lange er denn noch in der Täuschung verharren
und sich Gegenkönige gross ziehen wolle? Denn da sei
doch von Statthaltern nicht mehr die Rede, sondern
offen geberdeten sie sich wie die thatsächlichen Herrscher,
die ihn als Null betrachteten. Habe doch Herodes, ohne
von ihm schriftlich oder mündlich beauftragt worden
zu sein, eine Menge Juden auf gesetzwidrige Weise ums
Leben gebracht. Noch aber sei der Übelthäter nicht
König, sondern Privatmann ; somit müsse er vor Gericht
gestellt werden, um sich vor Hyrkanus und den heimischen
Gesetzen zu verantworten , die es nicht gestatteten,
jemand ohne rechtskräftige Verurteilung hinzurichten.
7. Derartige Vorstellungen zündeten allmählich bei
Hyrkanus, und so lud er denn endlich im höchsten
Zorn den Herodes vor Gericht. Auf Zureden seines
Vaters und im Vertrauen auf die Lage der Dinge reiste
dieser auch wirklich nach Jerusalem, doch nicht ohne
zuvor Galilaea durch militärische Posten gesichert zu
haben. Auch nahm er eine Leibwache mit, die zwar
nicht so stark war, dass sie dem Hyrkanus hätte ge-
fährlich werden können, immerhin aber genügte, ihn
seinen Neidern gegenüber nicht unbewehrt erscheinen
zu lassen. Sextus Caesar indes sandte aus Besorgnis,
es möchte dem jungen Manne infolge der von seinen
Widersachern gesponnenen Ränke etwas Schlimmes zu-
stossen, an Hyrkanus den gemessenen Befehl, die gegen
ersteren erhobene und auf Mord lautende Anklage fallen
zu lassen. Daraufhin sprach Hyrkanus den Herodes
frei, wozu er auch ohnedem schon neigte, da er ihm im
Grunde genommen sehr zugethan war. 1
1 Etwas anders und offenbar richtiger lautet die Darstellung
J. A. XIV, 9, 4 und 5.
Erstes Buch, 1 0. Kapitel.
69
8. Herodes begab sich nun in der Meinung, wider
den Willen des Königs 1 der Verurteilung entgangen zu
sein, nach Damaskus zu Sextus Caesar, entschlossen,
einer abermaligen Vorladung nicht mehr Folge zu
leisten. Wiederum aber suchten ränkesüchtige Menschen
den Hyrkanus aufzustacheln, indem sie Vorgaben, Herodes
sei im Zorn davongegangen und rüste nun wider ihn.
Diesen Einflüsterungen schenkte der König Glauben, und
da er wohl einsah, dass sein Gegner ihn; überlegen sei,
wusste er vor Ratlosigkeit nicht aus noch ein. Als nun
aber Sextus Caesar den Herodes auch noch zum Statt-
halter von Coelesyrien und Samaria ernannte, geriet
Hyrkanus nicht nur wegen der Sympathie des Volkes
für ihn, sondern auch wegen seiner nunmehr wirklich
angsterregenden Macht in die äusserste Beklemmung
und erwartete nichts anderes, als dass Herodes in Bälde
mit einem Heere gegen ihn anrücken werde.
9. Diese Vermutung erwies sich auch als richtig.
Denn Herodes, erbittert über die ihm zugedachte Ver-
urteilung, sammelte in der That ein Heer und zog vor
Jerusalem, um Hyrkanus zu stürzen. Er hätte diesen
Plan auch wohl ausgeführt, wenn nicht sein Bruder
und sein Vater ihm entgegengeeilt wären und seinen
Groll beschwichtigt hätten, indem sie ihn beschworen,
er möge in seinem Rachedurst es bei der furchterregenden
Drohung bewenden lassen und den König schonen,
unter dem er zu so grosser Macht gelangt sei. Wenn
er über die Vorladung vor Gericht sich entrüstet habe,
so solle er anderseits auch dankbar anerkennen, dass
er losgekommen sei, und seine Rettung nicht damit
vergelten, dass er hartnäckig bei seinen Racheplänen
verharre. Übrigens möge er bedenken, dass die Gottheit
es sei, die das Kriegsglück in der Hand habe, und dass
somit der ungerechten Sache kein Erfolg winke, wenn
auch ein Heer für sie streite. Er dürfe deshalb nicht
1 Hyrkanus führte ausser der Bezeichnung „Hohepriester“ auch
den Titel „König“.
70
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gar so zuversichtlich auf den Sieg hoffen, zumal er im
Begriff stehe, gegen einen König zu Felde zu ziehen,
der ihm sehr zugethan sei und ihm viele Wohlthaten,
nie aber Feindseligkeiten erwiesen habe. Denn der
Schatten von Unrecht, der jetzt scheinbar auf Hyrkanus
laste, sei doch nur darauf zurückzuführen, dass er schlechte
Ratgeber gehabt habe. Diesen Vorstellungen gabHerodes
nach , besonders da er der Meinung war , für seine
Zukunftspläne .genüge es schon, dass er dem Volke ein-
mal einen Begriff von seiner Macht habe beibringen
können.
10. Mittlerweile brachen bei Apamea Unruhen unter
den Römern aus, und es kam zum Bürgerkriege dadurch,
dass Caecilius Bassus, ein Anhänger des Pompejus, den
Sextus Caesar meuchlings ermordet und sich den
Oberbefehl über dessen Heer zugelegt hatte, die anderen
Offiziere Caesars 1 aber, um den Mord zu rächen, mit
ihrer gesamten Streitmacht Bassus zu Leibe rückten.
Dem letzteren sandte Antipater sowohl um des getöteten
als um des noch lebenden Caesar 1 willen, die beide seine
Freunde waren , durch seine Söhne Hilfstruppen zu.
Während nun der Krieg sich in die Länge zog, kam
Murcus als Nachfolger des Sextus aus Italien an.
Elftes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 11,2 — 11,6.
Herodes wird Statthalter von ganz Syrien. Antipater von
Malichus vergiftet. Ermordung des Malichus.
1. In eben diese Zeit fiel auch der Anfang des grossen
römischen Bürgerkrieges, dessen nähere Veranlassung
darin zu suchen war, dass Brutus und Cassius plötzlich
den Caesar meuchlings ermordeten 2 . Dieser Mord rief
die grösste Aufregung hervor. Die Machthaber gerieten
1 Gemeint ist Gajus Julius Caesar.
2 15. März 44 v. Chr.
Erstes Buch, 1 1 . Kapitel.
71
miteinander in Streit, und jeder schlug sich in der
Hoffnung, seine persönlichen Zwecke erreichen zu können,
zu der Partei, die ihm den grössten Vorteil zu versprechen
schien. Da machte sich Cassius nach Syrien auf, um
die bei Apamea stehenden Truppen für sich zu gewinnen.
Hier söhnte er Murcus mit Bassus aus, stiftete Frieden
zwischen den einander feindlichen Legionen und befreite
so Apamea von der Belagerung. Dann durchzog er selbst
an der Spitze eines Heeres das Land und legte den
Städten fast unerschwingliche Kriegssteuern auf.1
2. Als er nun auch die Juden zur Zahlung von
siebenhundert Talenten verpflichtete, verteilte Antipater
aus Angst vor den Drohungen des Cassius die schleunige
Eintreibung des Geldes auf seine Söhne und einige andere
Verwandten , unter denen sich auch der ihm wenig
freundlich gesinnte Malichus befand — so sehr drängte
ihn die Not Der erste, der den Römer zufriedenstellte,
war Herodes; denn er lieferte alsbald seinen Anteil aus
Galilaea im Betrage von einhundert Talenten ab und
kam dadurch in grosse Gunst bei Cassius, der nun die
übrigen wegen ihrer Saumseligkeit mit Schmähungen
überhäufte und auch den Städten selbst gewaltig zürnte.
Die Einwohner von Gophna, Ammaus und zwei anderen
Städten zweiten Ranges 1 schleppte er in die Sklaverei
und ging sogar so weit, dem Malichus mit Hinrichtung
zu drohen, weil er die Eintreibung so lässig vornehme.
Von ihm jedoch und von den übrigen Städten wandte
Antipater das Verderben dadurch ab, dass er in aller
Eile den Cassius durch Zahlung von einhundert Talenten
beschwichtigte 2 .
3. Malichus erwies sich indes nach dem Abzüge des
Cassius gegen Antipater keineswegs dankbar, sann viel-
mehr gegen den, der schon wiederholt sein Retter gewesen,
auf Hinterlist und suchte ihn aus dem Wege zu räumen,
weil er seine Frevelthaten zu verhindern wusste. Antipater,
1 Lydda und Thamna (J. A. XIV, 11, 2).
2 Die er von Hyrkanus erhalten hatte (J. A. XIV, 11,2).
72
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
den die Macht und Verschlagenheit des Mannes beunruhigte,
begab sich auf die andere Jordanseite, um dort zur
Abwehr tückischer Anschläge ein Heer zu sammeln.
Als nun Malichus auf seinen Schlichen ertappt war,
suchte er die Söhne Antipaters durch Frechheit zu
berücken, indem er sowohl Phasael, den Befehlshaber
von Jerusalem, als auch Herodes, dem die Waffenkammer
unterstellt war, durch Ausflüchte und Eidschwüre dahin
brachte, dass sie ihn mit ihrem Vater wieder aussöhnten.
Ja, als Murcus, der damalige Statthalter von Syrien,
sich anschickte, den Malichus wegen seiner aufrührerischen
Umtriebe hinrichten zu lassen, trat Antipater sogar für
Malichus ein und rettete ihm das Leben.
4. Als sodann der Krieg zwischen dem jungen Caesar 1
und Antonius einerseits, Cassius und Brutus anderseits
ausbrach 2 , warben Cassius und Murcus in Syrien ein
Heer, und da sie sahen, wie Herodes einen grossen Teil
der dazu erforderlichen Mittel beisteuerte, ernannten sie
ihn zum Statthalter von ganz Syrien und gaben ihm
eine Abteilung Truppen zu Fuss und zu Pferde. Cassius
versprach ihm auch noch obendrein, er wolle ihn nach
Beendigung des Krieges zum König von Judaea machen.
Dem Antipater aber kostete die Machtstellung seines
Sohnes und die demselben eröffnete glänzende Aussicht
das Leben. Denn Malichus, der eine solche Stärkung
des Einflusses Antipaters sehr ungern sah, bestach einen
der königlichen Mundschenken , dem Antipater Gift zu
reichen. So starb denn dieser thatkräftige und in der
Leitung wichtiger Angelegenheiten so kundige Mann,
dem Hyrkanus die Wiedergewinnung und Befestigung
seiner Herrschaft verdankte, während eines Gastmahles
als Opfer von Malichus’ Bosheit. ,
5. Malichus verstand übrigens die Erbitterung des
Volkes, das ihn im Verdacht des Giftmordes hatte,
dadurch zu beschwichtigen, dass er die That schlankweg
1 Caesar Octavianus (Augustus).
- 43 v. Chr.
Erstes Buch, 11. Kapitel.
73
leugnete. Zugleich aber war er darauf bedacht, seine
Macht zu vergrössern, indem er sich Truppen sammelte;
denn er nahm an, dass Herodes nicht ruhig bleiben
würde. Dieser erschien auch in der That alsbald an
der Spitze eines Heeres, um seinen Vater zu rächen.
Doch da sein Bruder Phasael ihm riet, den Mann nicht
offen zu verfolgen, weil derselbe sonst das Volk auf-
wiegeln würde, liess Herodes sich herbei, die Recht-
fertigung des Malichus anzuhören, that, als wenn er
weiter keinen Argwohn mehr gegen ihn hege, und
veranstaltete seinem Vater ein glänzendes Leichen-
begängnis .
6. Sodann wandte er sich nach Samaria, das von
Unruhen zerrüttet war, und stellte daselbst die Ordnung
wieder her, worauf er mit seinen Soldaten zu einem
Feste nach Jerusalem zurückkehrte. Auf Anraten des
Malichus, dem der Anmarsch des Herodes Furcht ein-
flösste, sandte nun Hyrkanus dem letzteren den Befehl
entgegen, keinen Fremden zu den Eingeborenen herein-
zubringen , da dieselben sich zur Festfeier geheiligt
hätten. Herodes aber achtete weder diesen Grund noch
die Person desjenigen, der den Befehl erlassen hatte,
und rückte bei Nacht in die Stadt ein. Alsbald kam
Malichus wieder zu ihm und jammerte über Antipater.
Herodes seinerseits verstellte sich ebenfalls, obwohl er
seinen Zorn kaum zu bemeistern vermochte, richtete
aber dann ein Schreiben an Cassius, der so wie so auf
Malichus nicht gut zu sprechen war, und führte über
die Ermordung seines Vaters bittere Klage. Cassius
schrieb ihm zurück, er solle an dem Mörder Rache
nehmen, und erteilte zugleich den ihm unterstellten
Tribunen insgeheim den Befehl , Herodes bei diesem
Akte der Gerechtigkeit zu unterstützen.
7. Eben hatte Cassius Laodikea eingenommen, und
von überall her kamen die Grossen zu ihm mit Kränzen
und sonstigen Geschenken. Diesen Zeitpunkt bestimmte
Herodes zur Rache. ‘Malichus aber, der sich im Gebiete
von Tyrus befand, schöpfte Verdacht, beschloss, seinen
Go gle
74
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
bei den Tyriern als Geisel lebenden Sohn heimlich von
dort wegzuschaffen, und schickte sich an, selbst nach
Judaea zu entfliehen. Seine verzweifelte Lage gab ihm
sogar noch grossartigere Pläne ein. Er dachte nämlich,
da Cassius gerade von dem Kriege gegen Antonius in
Anspruch genommen war, das Volk zum Abfall von
den Römern verleiten, den Hyrkanus mit leichter Mühe
stürzen und selbst König werden zu können.
8. Doch das Schicksal spottete seiner Hoffnungen.
Herodes nämlich, der seine Absichten durchschaut hatte,
lud ihn mit Hyrkanus zu einem Gastmahl ein. Dann
rief er einen der in seiner Nähe befindlichen Sklaven
zu sich und schickte ihn weg, dem Anschein nach, um
die Zurüstungen zum Mahle zu treffen, in Wirklichkeit
aber, um den Tribunen sagen zu lassen, sie möchten
sich vor der Stadt in einen Hinterhalt legen. Diese
gingen denn auch, eingedenk der Befehle des Cassius,
mit Schwertern bewaffnet zur Stadt hinaus bis ans Ufer,
wo sie den Malichus umringten und durch zahlreiche
Stiche töteten. Hyrkanus ward darob vor Schrecken
ohnmächtig, kam aber dann langsam wieder zu sich und
erkundigte sich bei Herodes, wer den Malichus um-
gebracht habe. Als ihm darauf einer der Tribunen
entgegnete: „Ein Befehl des Cassius“, rief er aus: „So
ist also Cassius mein und meines Vaterlandes Retter,
indem er den aus dem Wege schaffen liess, der beiden
gefährlich war!“ Ob nun Hyrkanus wirklich so dachte,
oder ob er nur aus Furcht seine Worte dem stattgehabten
Vorfall entsprechend einrichtete, mag dahingestellt
bleiben — genug, Herodes hatte auf diese Weise seine
Rache an Malichus befriedigt.
Erstes Buch, 12. Kapitel.
75
Zwölftes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 11,7 — 13,2.
Phasael schlägt den Helix, Herodes den Antigonus.
Phasael und Herodes von Antonius
zu Tetrarchen ernannt.
1. Als Cassius aus Syrien abgezogen war, brachen
zu Jerusalem abermals Unruhen aus. Ein gewisser
Helix nämlich trat an der Spitze eines Heerhaufens
dem Phasael entgegen, um Herodes in der Person seines
Bruders für die Ermordung des Malichus zu züchtigen.
Herodes, der sich damals bei Fabius, dem Kommandanten
von Damaskus, aufhielt, schickte sich alsbald an, seinem
Bruder Hilfe zu bringen, wurde aber durch eine Krank-
heit daran gehindert Mittlerweile hatte Phasael bereits
aus eigener Kraft den Helix überwunden und warf nun
dem Hyrkanus Undankbarkeit vor, weil er es mit Helix
halte und die Festungen in die Gewalt von Malichus’
Bruder habe gelangen lassen, der bereits eine ganze
Anzahl derselben, darunter auch die stärkste von allen,
Masada, weggenommen hatte.
2. Gegen des Herodes Macht vermochte er indessen
nichts auszurichten. Denn kaum war dieser genesen,
als er ihm auch seinen Raub alsbald wieder abjagte.
Da er sich übrigens aufs Bitten verlegte, liess ihn Herodes
aus Masada frei abziehen. Alsdann vertrieb er aus
Galilaea den Tyrann von Tyrus, Marion, der bereits
drei der dortigen Festungen erobert hatte. Die auf
diesem Kriegszug gefangenen Tyrier liess Herodes am
Leben und schickte einige von ihnen sogar mit Geschenken
heim, wodurch er sich bei der Bürgerschaft von Tyrus
ebenso beliebt, als bei dem Tyrannen verhasst machte.
Obwohl nun Marion seine Herrschaft von Cassius er-
halten hatte, der ganz Syrien in dergleichen kleine
Fürstentümer teilte, unterstützte er dennoch aus Hass
gegen Herodes den Sohn des Aristobulus, Antigonus,
und das um so lieber, als letzterer auch den Fabius
76
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
durch Geld dazu vermocht hatte, ihm bei seiner Wieder-
einsetzung behilflich zu sein. Die sämtlichen hierzu
nötigen Mittel gewährte dem Antigonus der mit ihm
verwandte Ptolemaeus.
3. Gegen diese Feinde zog nun Herodes zu Felde,
besiegte sie an den Grenzen Judaeas, verjagte den
Antigonus und kehrte dann nach Jerusalem zurück, wo
man ihn um dieser Kriegsthat willen allseitig willkommen
hiess. Denn auch diejenigen, die ihm sonst nicht ge-
wogen waren, traten ihm jetzt wegen seiner verwandt-
schaftlichen Beziehungen zu Hyrkanus freundlich ent-
gegen. Nachdem nämlich Herodes bereits früher au»
den Eingeborenen des Landes eine Gattin von nicht
unedler Abkunft, Doris mit Namen, sich erwählt hatte,
die ihm einen Sohn Antipater gebar, verlobte er sich
nunmehr mit Mariamne, der Tochter von Anstobulus*
Sohn Alexander und Enkelin des Hyrkanus, und wurde
dadurch mit dem Könige verwandt.
4. Als aber nach der Niederlage des Cassiua bei
Philippi 1 Caesar nach Italien, Antonius nach Asien sich
begab, erschienen unter anderen Gesandtschaften, welche
die einzelnen Staaten an Antonius nach Bithynien
abordneten, auch vornehme Juden, um über Phasael
und Herodes Klage zu führen, dass sie die gesamte
Macht in Händen hätten, während Hyrkanus nicht mehr
als der Träger eines ehrenvollen Titels sei. Doch auch
Herodes fand sich ein und hatte den Antonius durch
reiche Geschenke bald derart für sich eingenommen,
dass seinen Gegnern nicht einmal mehr das Wort ver-
stauet wurde. Und so mussten sie denn für jetzt wieder
abziehen.
5. Wiederum aber kamen hundert der angesehensten
Juden nach Daphne bei Antiochia zu Antonius, den
damals bereits die Liebe zum Sklaven der Kleopatra
gemacht hatte, und Hessen ihre vornehmsten und be-
redtesten Genossen als Sprecher auftreten, um die beiden
1 42 v. dir.
Erstes Buch, 12. Kapitel.
77
Brüder zu verklagen. Ihnen gegenüber verfocht Messala
die Sache der Beschuldigten, wobei er von Hyrkanus
als dem nunmehrigen Verwandten derselben unterstützt
wurde. Nachdem nun Antonius beide Teile angehört
hatte, fragte er den Hyrkanus, wer wohl am meisten
sich zum* Regenten eigne. Und da dieser dem Herodes
und seinem Bruder den Vorzug gab, freute sich Antonius
sehr, weil er, als er mit Gabinius nach Judaea kam,
bereite bei ihrem Vater Antipater gastfreundliche Auf-
nahme gefunden hatte. Er ernannte sodann die Brüder
zu Tetrarchen 1 und übertrug ihnen die Verwaltung von
ganz Judaea.
6. Als nun die Gesandten hierüber ihren Unwillen
kundgaben, liess er fünfzehn von ihnen festnehmen und
einkerkem und hatte auch im Sinne, sie hinrichten zu
lassen 2 ; die übrigen jagte er mit Schimpf und Schande
davon. Dadurch aber wuchs die Gärung in Jerusalem
nur nocfc mehr, und abermals ordnete man Gesandte,
diesmal sogar tausend an der Zahl, nach Tyrus ab,
wo Antonius, auf dem Zuge nach Jerusalem begriffen,
sich aufhielt. Als nun diese Gesandten ein lärmendes
Geschrei erhoben, schickte Antonius den Kommandanten
von Tyrus gegen sie hinaus mit dem Befehl, alle, deren
er habhaft werden könne, niederzumachen und dadurch
die Herrschaft der ' von ihm ernannten Tetrarchen zu
befestigen.
7. Vorher aber hatte Herodes in Begleitung des
Hyrkknus hinaus ans Ufer sich begeben und die Juden
eindringlich ermahnt, nicht durch unvernünftige Wider-
setzlichkeit sich selbst den Untergang und ihrem Vater-
lande den Krieg zuzuziehen. Als jedoch ihr Unwille
trotz dieser Vorstellungen sich noch steigerte, sandte
Antonius Bewaffnete hinaus, die eine Menge von ihnen
niedermetzelten oder verwundeten. Das Begräbnis der
1 Ehemals Titel für den Beherrscher des vierten Teiles eines
Landes, hier aber nur kleine Fürsten überhaupt bezeichnend.
2 Er erliess ihnen jedoch diese Strafe auf Fürsprache des Herodes
( J. A. XIV, 13, 1).
Go gle
78
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Gefallenen und die Pflege der Verwundeten liess übrigens
Hyrkanus sich angelegen sein. Diejenigen aber, die
dem Blutbad entronnen waren, hielten sich gleichwohl
nicht ruhig, sondern reizten die Bevölkerung der
Umgegend dergestalt auf, dass Antonius in gewaltige
Erbitterung geriet und nun auch die Gefangenen noch
hinrichten liess.
Dreizehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 13, 3 — 13, 10.
Die Parther setzen Antigonus wieder auf den Thron.
Hyrkanus gefangen, Herodes flüchtig. Plünderung
Jerusalems. Phasaels Tod.
1. Zwei Jahre darauf, als der parthische Satrap
Barzapharnes und Pakorus, des Partherkönigs 1 Sohn,
Syrien innehatten, beredete Lysanias, der seinem Vater
Ptolemaeus Mennaei nach dessen Tod in der Regierung
gefolgt war, den Satrapen durch das Versprechen von
eintausend Talenten und fünfhundert Weibern, Antigonus
wieder auf den Thron zu setzen und Hyrkanus zu
stürzen. Pakorus ging hierauf ein und zog selbst der
Meeresküste entlang, während er Barzapharnes durch
das Binnenland vorrücken hiess. Von den Küsten-
bewohnern schlossen die Tyrier vor Pakorus ihre Thore,
während die Bürger von Ptolemais und Sidon ihn auf-
nahmen. Er übergab sodann einem königlichen Mund-
schenk, der mit ihm gleichen Namens war, einen Teil
der Reiterei und befahl ihm, in Judaea einzufallen,
die Lage der Feinde auszukundschaften und dem
Antigonus, soweit erforderlich, Hilfe zu leisten.
2. Während nun diese Truppenabteilung verheerend
das Karmelgebiet durchzog, strömten viele Juden bei
Antigonus zusammen und erklärten sich bereit, an dem
Einfall teilzunehmen. Antigonus schickte sie in den
1 Orodes I.
Erstes Buch, 13. Kapitel. 19
sogenannten Eichwald 1 voraus, um diese Gegend zu be-
setzen. In dem Kampf, der sich dort entwickelte, schlugen
sie die Feinde zurück, setzten ihnen nach, eilten nach
Jerusalem und gelangten, unterwegs durch Zuzüge noch
verstärkt, bis vor den Königspalast. Hier aber rückten
ihnen Hyrkanus und Phasael mit ansehnlicher Truppen-
macht entgegen, und auf dem Marktplatz kam es zum
Treffen, in welchem Herodes mit seinen Kriegern die
Feinde zur Flucht nötigte und in den Tempel einschloss,
wo er sie durch sechzig Mann starke, auf den nächst-
gelegenen Häusern aufgestellte Posten bewachen liess.
Der den beiden Brüdern feindlich gesinnte Teil des
Volkes aber griff die Häuser an und verbrannte sie samt
den Soldaten. Über diesen Verlust erbittert, drang
Herodes auf seine Gegner ein und machte viele von
ihnen nieder. So fielen sie sich täglich rotten weise
einander an, und es war des Mordens kein Ende.
3. Um diese Zeit fiel das Fest Pentekoste 2 ein, und
es füllte sich infolgedessen die Umgebung des Tempels
sowie überhaupt die ganze Stadt mit einer Menge meist
bewaffneter Landleute. Phasael hatte die Mauer, Herodes
mit einer kleinen Schar den Königspalast besetzt»
Letzterer machte nun auf der Nordseite Ausfälle gegen
die ungeordneten feindlichen Haufen, metzelte einen
grossen Teil derselben nieder, trieb die übrigen in die
Flucht und schloss die einen in die Stadt, die anderen
in den Tempel, wieder andere in die äussere Umwallung
ein. Da schlug Antigonus vor, den Pakorus als Ver-
mittler in die Stadt einzulassen. Phasael ging darauf
ein und nahm den Parther nebst fünfhundert Reitern
gastfreundlich auf, wie, wohl derselbe nur dem Anschein
nach zur Beschwichtigung der Unruhen, in Wahrheit
vielmehr zur Unterstützung des Antigonus kam. Pakorus
beredete sodann heimtückischerweise den Phasael, behufs
1 Ein Holzland am Fusse des Karmel.
1 Pfingst- oder Erntedankfest, gefeiert am fünfzigsten (izsvxrp oarrj)
Tag© nach dem Pascha- oder Osterfeste.
Go gle
80 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Beilegung des Zwistes als Gesandter zu Barzapharnes zu
gehen , obgleich Herodes seinem Bruder eindringlich
davon abriet und ihn aufforderte, lieber den Arglistigen
aus dem Wege zu räumen, als sich seiner Tücke preis-
zugeben; denn die Barbaren seien von Natur treulos.
Phasael aber ging trotzdem mit Hyrkanus hinaus, und
Pakorus liess, um weniger Verdacht zu erregen, bei
Herodes einige von den Reitern zurück, die man die
Freien nannte, während er mit den übrigen dem Phasael
das Geleit gab.
4. Als Hyrkanus und Phasael in Galilaea anlangten,
trafen sie die Bewohner des Landes in bewaffnetem
Aufruhr. Ihre Begleiter planten nun mit Barzapharnes
tückische Anschläge und redeten diesem zu, er solle den
Verrat hinter Freundschaftsbezeugungen verdecken. In-
folgedessen machte der Satrap ihnen zunächst Geschenke ;
kaum jedoch waren sie abgezogen, so setzte er seine
Ränke ins Werk. Die beiden aber kamen hinter die
Schliche, als man sie an einen Küstenort Namens Ekdippon
führte. Dort nämlich hörten sie von den versprochenen
tausend Talenten und vernahmen auch, dass unter
den fünfhundert Weibern, die Antigonus den Parthern
zugesagt, der grösste Teil ihrer eigenen Frauen sich be-
finden solle. Ferner erfuhren sie, dass die Barbaren
ihnen jede Nacht Hinterhalte gelegt hätten, und dass
ihre Gefangennehmung wohl schon längst zur Thatsache
geworden wäre, wenn man damit nicht hätte warten
wollen, bis Herodes in Jerusalem verhaftet und so daran
gehindert sei, auf die Kunde von ihrem Schicksal Vorsich ts-
massregeln zu ergreifen. Und dass es sich bei alledem
nicht etwa nur um leeres Geschwätz handelte, ging
daraus hervor, dass sie in der Ferne bereits die ihretwegen
aufgestellten Wächter erblicken konnten.
5. Obwohl nun ein gewisser Ophellius, der von
Saramallas, dem reichsten Syrer der damaligen Zeit, den
ganzen Anschlag erfahren hatte , dem Phasael dringend
zur Flucht riet, konnte dieser es doch nicht über sich
bringen , Hyrkanus im Stich zu lassen. Er begab sich
Erstes Buch, 13. Kapitel.
81
vielmehr geradeswegs zu dem Satrapen und machte ihm
ins Gesicht hinein Vorwürfe wegen seines Verrates und
ganz besonders wegen seiner Geldgier, die ihn dazu
verleitet habe. Sodann bot er ihm für seine Rettung
eine grössere Summe, als Antigonus sie ihm für die
Wiedergewinnung des Thrones # versprochen hatte. Der
Parther aber in seiner Verschmitztheit suchte durch
Ausflüchte und Eidschwüre den Verdacht von sich ab-
zuwälzen und begab sich zu Pakorus. Alsbald nun
nahmen einige der zurückgebliebenen Parther, die hierzu
Befehl erhalten hatten, Phasael und Hyrkanus gefangen,
die ihrerseits es an Verwünschungen wegen des gegen
sie verübten Treubruches und Meineides nicht fehlen
Hessen.
6. Unterdessen bemühte sich der von den Parthern ge-
sandte Mundschenk, auch den Herodes in seine Gewalt
zu bekommen, indem er ihn dem erhaltenen Auftrag
gemäss vor die Mauern herauszulocken suchte. Wie aber
Herodes von Anfang an gegen die Barbaren Verdacht
geschöpft hatte, so auch jetzt, als er erfuhr, dass ein
Brief, der ihm die gegen seine Person gerichteten An-
schläge zur Kenntnis bringen sollte, den Feinden in die
Hände gefallen sei. Er hütete sich deshalb, die Stadt
zu verlassen, obwohl Pakorus ihm in unverfänglichster
Weise hatte sagen lassen, er solle nur getrost den Über-
bringern des Briefes en tgegen gehen ; denn die Feinde
hätten das Schreiben keineswegs aufgefangen, auch ent-
baltf dasselbe nichts von einem heimtückischen Anschlag,
sondern nur Nachricht über das, was Phasael zuwege
gebracht habe. Zufällig aber hatte Herodes schon von
anderer Seite die Gefangennahme seines Bruders erfahren.
Auch fand sich des Hyrkanus Tochter Mariamne 1 , eine
sehr verßtändige Frau, bei ihm ein und beschwor ihn,
in der Stadt zu bleiben und sich nicht den Barbaren
anzuvertrauen, die ihm doch offenbar nach dem Leben
trachteten.
1 Seine zukünftige Schwiegermutter.
Josephus, jüdischer Krieg.
6
82
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
7. Während nun Pakorus und seine Leute noch
überlegten, wie sie insgeheim ihre Absichten verwirklichen
könnten, da man mit offener Gewalt einem so schlauen
Manne wohl nichts anzuhaben vermöge, kam Herodes
ihnen zuvor und entfloh in der Nacht, ohne dass die
Feinde es gewahr wurden, mit seinen nächsten An-
gehörigen auf Idumaea zu. Kaum hatten die Parther
dies erfahren, als sie ihm sogleich nachsetzten. Herodes
liess nun seine Mutter, seine Schwester, seine Braut 1
nebst deren Mutter und den jüngsten von seinen Brüdern
vorausziehen, während er selbst mit seinen Kriegern
zum Schutze seiner Verwandten die Barbaren aufhielt
und bei jedem Angriff eine Menge von ihnen nieder-
machte. So erreichte er endlich wohlbehalten die Festung
Masada.
8. Mehr noch als die Parther machten ihm übrigen»
auf seiner Flucht die Juden zu schaffen, die ihn be-
ständig bedrängten und ihm, als er sechzig Stadien von
der Stadt entfernt war, sogar ein regelrechtes Treffen
von ziemlich langer Dauer lieferten. Herodes aber
schlug sie und richtete ein grosses Gemetzel unter ihnen
an. Später gründete er an dieser Stelle zum Andenken
an den Sieg eine Ortschaft, die er mit den prächtigsten
Palästen schmückte, durch eine sehr starke Burg be-
festigte und nach seinem Namen Herodium 2 nannte«
Auf seiner damaligen Flucht nun hatten sich täglich
eine Menge Leute an ihn angeschlossen, so dass, als er
nach Thresa in Idumaea kam, sein Bruder Joseph > der
ihm bis dahin entgegen gezogen war, ihm den Rat gab,
die meisten seiner Begleiter zu entlassen, da Masada
eine solche Menschenmenge nicht fassen könne. Es
waren ihrer nämlich über neuntausend an der Zahl.
Herodes befolgte den Rat, entliess diejenigen, welche
ihm mehr lästig als nützlich waren, mit Reisegeld in
verschiedene Gegenden Idumaeas und gelangte mit den
1 Die Tochter von Aristobulus’ 8ohn Alexander (s. 1, 12, 3).
2 J. A. XIV, 13, 9 heisst sie Herodia«.
Erstes Buch, 1 3. Kapitel.
83
vertrautesten und rüstigsten seiner Leute, die er bei
sich behielt, glücklich in die Festung. Dort liess er
zum Schutze der Frauen achthundert Mann mit allen
Vorräten für den Fall einer Belagerung zurück und
begab sich selbst nach Petra in Arabien.
9. In Jerusalem ergaben sich unterdessen die Parther
der Plünderung, brachen in die Häuser der Entflohenen
und in den Königspalast ein und liessen nur den Schatz
des Hyrkanus unangetastet, der jedoch nicht mehr wie
dreihundert Talente betrug. Im übrigen fiel ihnen nicht
so grosse Beute in die Hände, als sie wohl erwartet
hatten ; denn Herodes, der schon längst einer Treulosigkeit
von seiten der Barbaren sich versah, hatte seine grössten
Kostbarkeiten bereits früher nach Idumaea bringen
lassen , und das nämliche hatten auch seine Anhänger
gethan. Nach dieser Plünderung gingen die Parther in
ihrem Übermute so weit, dass sie ohne förmliche Kriegs-
erklärung das ganze Land verheerend durchzogen, die
Stadt Marissa zerstörten und nicht nur den Antigonus
als König einsetzten, sondern ihm auch Phasael und
Hyrkanus in Fesseln zur Peinigung überantworteten.
Dem Hyrkanus nun, der vor ihm auf die Knie gesunken
war, biss Antigonus selbst die Ohren ab 1 , damit er in
Zukunft bei einer etwaigen Staatsumwälzung nie wieder
das Hohepriesteramt bekleiden könne ; denn nur körperlich
Fehlerfreie dürfen dieser Würde teilhaftig werden.
10. Was Phasael anlangt, so kam dessen Charakter-
stärke dem Antigonus zuvor. Da er nämlich weder ein
Schwert erfassen konnte noch sonst seiner Hände mächtig
war, zerschmetterte er sich den Kopf an einer Stein-
wand. Sein heldenmütiger Tod erwies ihn als echten
Bruder des Herodes und liess den Hyrkanus nur um
so erbärmlicher erscheinen. Übrigens entsprach das
Ende, das er sich selbst erwählte, ganz den Thaten, die
er während seines Lebens vollbracht hatte. Es wird
auch behauptet, er habe sich von der Verwundung
1 Nach J. A. XIV, 13, 10 liess er sie ihm abschneiden.
6 *
84
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
wieder erholt, und erst ein Arzt, der von Antigonus
unter dem Schein, ihm Hilfe an gedeihen lassen zu
wollen, geschickt worden sei, habe die Wunde mit einem
todbringenden Gift gefüllt und ihn so ums Leben
gebracht. Mag nun das eine oder das andere der Wahr-
heit entsprechen, jedenfalls war die zuerst erwähnte That
die eines Helden. Kurz vor seinem Verscheiden soll er,
als er von einem Weibe die Kunde erhielt, dass Herodes
entkommen sei, noch gesagt haben: „Nun gehe ich
frohen Mutes von hinDen, da ich denjenigen lebend
hinterlasse, der mich an meinen Feinden rächen wird."
11. So endete Phasael. Die Parther aber verschafften,
obwohl ihnen die Weiber, nach denen es sie am meisten
gelüstete, entgangen wareD, dem Antigonus dennoch den
vollen Besitz der Herrschaft in Jerusalem und führten
den Hyrkanus gefangen mit sich nach Parthien fort 1 .
Vierzehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 14, 1 — 14, 5.
Herodes begiebt sich nach Rom, wo er durch Vermittlung
von Antonius und Caesar Octavianus zum Könige der
Juden ernannt wird.
1. Herodes beschleunigte nun in der Meinung, sein
Bruder sei noch am Leben, seine Reise nach Arabien,
um vom Könige Geld zu erhalten, das einzige Mittel,
wodurch er die Habsucht der Barbaren zu gunsten
Phasaels beeinflussen zu können hoffte. Für den Fall
aber, dass der Araber die Freundschaft seines Vaters
vergessen haben und zu kleinlich sein sollte, ihm das
Lösegeld zu schenken, gedachte er dasselbe von ihm zu
leihen und den siebenjährigen Sohn Phasaels, den er
mit sich genommen, ihm als Pfand zu belassen. Drei-
hundert Talente war er gewillt als Lösegeld den Parthern
zu zahlen, und zwar beabsichtigte er, sich dabei der
1 40 v. Ckr.
Go gle
Erstes Buch, 14. Kapitel.
85
Vermittlung der Tyrier zu bedienen. Das Schicksal
aber war seinem Eifer zuvorgekommen: Phasael war
tot, und des Herodes liebevolles Eintreten zu gunsten
seines Bruders somit zwecklos geworden. Zudem fand
er auch, dass von der alten Freundschaft der Araber
keine Spur mehr vorhanden war. Ja, ihr König Malichus
sandte ihm sogar den Befehl entgegen, das Land
schleunigst zu verlassen, wobei die Parther als Vorwand
herhalten mussten. Dieselben sollten nämlich durch
eine Gesandtschaft an Malichus das Ersuchen gerichtet
haben, Herodes aus Arabien hinauszu weisen , während
es doch in Wirklichkeit dem Könige nur darum zu thun
war, das, was er Antipater sohuldete, zu behalten, ohne
sich durch dessen Geschenke veranlasst zu fühlen , nun
auch seinen in Not befindlichen Söhnen Hilfe zu leisten.
Den Rat zu diesem unverschämten Benehmen erteilten
ihm solche Menschen, die gleichfalls Lust hatten, das
von Antipater in Verwahr gegebene Geld zu unter-
schlagen, und es waren das gerade die mächtigsten seiner
Höflinge.
2. Als Herodes merkte, dass die Araber aus eben
dem Grunde, der ihn bewogen hatte, auf ihre gute
Freundschaft zu rechnen, seine Feinde geworden waren,
antwortete er dem Boten, wie sein Schmerz es ihm
eingab, und wandte sich nach Aegypten. Hier bezog
er am ersten Abend sein Nachtquartier in einem Tempel
auf dem Lande, wo er mit seinem Gefolge, das er ver-
lassen hatte, wieder zusammentraf. Als er nun tags
darauf in Rhinokorura anlangte, erfuhr er daselbst den
Tod seines Bruders, und obwohl ihn einerseits die Trauer
darüber niederbeugte, fühlte er sich anderseits doch auch
von einer drückenden Sorge befreit und setzte seine
Reise fort. Dem Araber war mittlerweile sein Benehmen
leid geworden, und so sandte er eiligst Boten hinter dem
Gekränkten her, um ihn zurückrufen zu lassen — doch
zu spät, denn Herodes war ihnen schon weit voraus und
in Pelusium angekommen. Hier verweigerten ihm die
vor Anker liegenden Schiffe die Überfahrt, weshalb er
86
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sich an die Vorsteher der Stadt wandte, die aus Achtung
vor dem berühmten und hochstehenden Manne ihn nach
Alexandria geleiten Hessen. Daselbst ward er von Kleo-
patra glänzend empfangen, weil sie an ihm einen Feld-
herrn für den Krieg, zu dem sie gerade rüstete, zu ge-
winnen hoffte. Herodes indes wies die Anträge der
Königin zurück und schiffte sich, ohne die Strenge des
Winters oder die Unruhen in Italien zu fürchten, nach
Rom ein.
3. In der Nähe von Pamphylien aber. geriet er in
einen gefahrvollen Seesturm , musste den grössten Teil
der Ladung über Bord werfen und rettete sich nur mit
genauer Not nach Rhodus, das im Kriege gegen Cassius
gewaltig gelitten hatte. Hier wurde er von seinen
Freunden Ptolemaeus und Sappinius 1 aufgenommen und
liess, obwohl er sich in Geldnot befand, einen sehr
grossen Dreiruderer erbauen, in welchem er mit seinen
Freunden nach Brundusium fuhr. Von da begab er
sich sogleich nach Rom; suchte mit Rücksicht auf die
freundschaftlichen Beziehungen seines Vaters zu Antonius
den letzteren auf, berichtete ihm sein und seiner Familie
Missgeschick und stellte ihm besonders vor, wie er jetzt
seine nächsten Angehörigen in einer Festung unter den
Gefahren der Belagerung habe zurücklassen müssen und
trotz Winter und Meeressturm als Hilfesuchender zu
ihm geeilt sei.
4. Solchem Unglück vermochte Antonius sein Mitleid
nicht zu versagen, und in dankbarer Erinnerung an die
Gastfreundlichkeit Antipaters sowie in Anerkennung der
vortrefflichen Eigenschaften des Herodes beschloss er,
den früher von ihm ernannten Tetrarchen nunmehr zum
Könige der Juden zu machen 2 . Nicht minder wie sein
Wohlwollen für Herodes veranlasste ihn hierzu sein
Hass gegen Antigonus 3 , den er für einen Aufrührer
1 Nach J. A. XIV. 14, 3 hiess er Sappinas.
2 39 y. Chr.
3 Herodes hatte ihm übrigens auch Geld versprochen (s. J. A.
XIV, 14, 4).
Erstes Buch, 1 5. Kapitel.
87
und Römerfeind hielt. An Bereitwilligkeit that es ihm
übrigens Caesar (Octavianus) noch zuvor. Denn dieser
gedachte des Kriegszuges, den Antipater mit seinem
Vater in Aegypten unternommen hatte, sowie seiner
Gastfreundschaft und seines gegen jedermann gefälligen
Wesens. Zudem hatte er auch seinerseits die Thatkraft
des Herodes wohl erkannt. Er berief also den Senat,
in Welchem Messala und danach Atratinus den Herodes
vorstellten und die gute Gesinnung seines Vaters wie
auch seine eigene Ergebenheit gegen die Römer hervor-
hoben. Zugleich bezeichneten sie den Antigonus als
Feind, nicht nur seiner früheren Vergehen wegen, sondern
auch deshalb, weil er mit Umgehung der Römer von den
Parthern seinen Thron sich habe an weisen lassen.
Diese Ausführungen machten schon ersichtlichen Eindruck
auf den Senat; als nun aber auch noch Antonius auf-
trat und zeigte, wie wichtig es für den Krieg gegen die
Parther sei, wenn Herodes König werde, stimmte man
allseitig zu. Nach Schluss der Senatssitzung nahmen
sodann Antonius und Caesar den Herodes in die Mitte
und begaben sich unter Begleitung der Konsuln und
der übrigen Würdenträger hinaus, um zu opfern und
den Beschluss auf dem Kapitolium niederzulegen.
Antonius aber bewirtete den Herodes am ersten Tage
seiner Königswürde mit festlichem Mahle.
Fünfzehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 14, 6 — 15,3.
Herodes kehrt nach Judaea zurück, nimmt Joppe, entsetzt
Masada und rückt vor Jerusalem.
1. Während dieser Zeit belagerte Antigonus die in
Masada Eingeschlossenen, die zwar sonst mit allen
Lebensmitteln reichlich versehen waren, aber Mangel an
Wasser hatten. Aus diesem Grunde beschloss Joseph,
der Bruder des Herodes, mit zweihundert seiner Leute
88
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zu den Arabern zu entfliehen, zumal er gehört hatte,
dass Malichus sein Benehmen gegen Herodes bereue.
Er hätte auch wirklich die Festung verlassen, wenn
nicht gerade in der Nacht, da der Ausmarsch stattfinden
sollte, ein sehr starker Platzregen gefallen wäre. So
füllten sich die Cisternen wieder mit Wasser, und die
Flucht* war zwecklos geworden. Die Belagerten unter-
nahmen nunmehr Ausfälle gegen Antigonus und machten
teils in offenem Kampfe, teils aus Hinterhalten heraus
viele von dessen Leuten nieder. Freilich hatten sie
nicht jedesmal Glück , sondern es kam auch [hier und
da vor, dass sie sich mit Verlust zurückziehen mussten.
2. Unterdessen rückte der römische Feldherr Ventidius,
der den Auftrag hatte, die Parther aus Syrien zu ver-
treiben, diesen nach und in Judaea ein, angeblich um
Joseph und dessen Leuten Hilfe zu bringen, in Wirklich-
keit aber, um von Antigonus Geld zu erpressen. Dicht
vor den Mauern Jerusalems schlug er sein Lager auf,
und als seine Geldgier befriedigt war, liess er, während
er selbst mit dem grössten Teile seiner Truppen abzog,
den Silo mit einer kleineren Abteilung zurück, um nicht
durch den Abmarsch des gesamten Heeres seine schmutzige
Habsucht offenkundig zutmachen. Antigonus nun gab
die Hoffnung nicht auf, dass die Parther ihm wieder zu
Hilfe kommen würden, wollte es aber anderseits auch
mit Silo nicht verderben, damit dieser seine Pläne nicht
durchkreuze.
3. Schon aber war Herodes von Italien her inPtole-
mais gelandet, hatte ein nicht unbeträchtliches Heer
von Fremden und Einheimischen gesammelt und zog
eilends durch Galilaea gegen Antigonus heran, unter-
stützt von Ventidius und Silo, welche Dellius, der Ab-
gesandte des Antonius, beauftragt hatte, dem Herodes
bei seiner Einsetzung behilflich zu sein. Ventidius war
eben im Begriff, in den einzelnen Städten die durch
die Parther hervorgerufenen Unruhen zu dämpfen,
während Silo, von Antigonus bestochen, in Judaea ver-
blieb. Herodes bedurfte übrigens keiner fremden Ver-
Erstes Buch, 15. Kapitel.
89
Stärkungen; denn im Vorrücken vergrösserte sich seine
Streitmacht tagtäglich, und bald war ganz Galilaea mit
wenigen Ausnahmen auf seiner Seite. Als wichtigste
Aufgabe lag ihm zunächst die Einnahme Masadas am
Herzen, die seine Verwandten von der Belagerung frei-
machen sollte. Hierbei war ihm aber Joppe im Wege,
und er musste diese ihm feindliche Stadt jedenfalls
nehmen, bevor er auf Jerusalem zu weitermarschierte,
weil sonst den Feinden eine seinen Rücken bedrohende
Festung verbleiben würde. Nun schloss sich auch Silo
bereitwillig an ihn an, da er hierin einen willkommenen
Vorwand zum Aufbruch fand. Die Juden aber ver-
folgten den Römer und setzten ihm hart zu. Da warf
sich Herodes mit einer kleinen Schar ihnen entgegen,
schlug sie schnell in die Flucht und rettete so den Silo,
der sich übrigens schlecht verteidigte.
4. Nachdem er nun Joppe genommen, eilte er nach
Masada, um seine Angehörigen zu befreien. Von den
Einheimischen schlossen sich jetzt die einen aus alter,
noch von seines Vaters Zeit herrührender Freundschaft,
die anderen aus Begeisterung für seinen eigenen Ruhm
oder aus Dankbarkeit für die von Vater und Sohn
erhaltenen Wohlthaten an ihn an; die meisten freilich
führte ihm die Hoffnung zu, die für sie darin lag, dass
er des Thrones so gut wie sicher sein konnte. So hatte
er denn bald eine gewaltige Streitmacht um sich ver-
sammelt. Als er nun vorrückte, stellte Antigonus ihm
zwar nach, indem er an passenden Plätzen Hinterhalte
legte, konnte ihm aber damit wenig oder gar keinen
Schaden thun. Herodes entsetzte sodann mit leichter
Mühe die Seinen in Masada, nahm auch noch die
Festung Resa 1 und rückte auf Jerusalem zu, begleitet
von Silos Truppen sowie von vielen Einwohnern der
Stadt, welche die Furcht vor seiner Macht veranlasst
hatte, gemeinsame Sache mit ihm zu machen.
5. Kaum hatte er an der Westseite der Stadt sein
1 Dasselbe wie Thresa (vgl. 1, 13, 8).
'90
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Lager errichtet, als die dort aufgestellten Wachen die
Seinigen mit Pfeilen und Wurfspiessen angriffen und
einzelne Scharen sogar Ausfälle gegen seine Vorposten
unternahmen. Daraufhin liess Herodes zunächst der
Mauer entlang ausrufen, er sei zum Heile des Volkes
und zur Rettung der Stadt gekommen und wolle deshalb
nicht einmal seinen erklärten Gegnern etwas zuleide
thun, sondern selbst seinen bittersten Feinden Verzeihung
für die gegen ihn begangenen Fehler an gedeihen
lassen. Des Antigonus Anhänger aber veranstalteten
Gegenkundgebungen und sorgten dafür, dass weder
jemand auf die Herolde hörte noch zu Herodes überging.
Unterdessen gab Antigonus den Seinen Befehl, die
Feinde von der Mauer wegzujagen, und alsbald hatte
denn auch ein Pfeilregen alles von den Türmen vertrieben.
6. Da zeigte nun Silo recht deutlich, dass er bestochen
war. Auf sein Anstiften fing nämlich eine Menge seiner
Soldaten an, sich laut über Mangel an Proviant zu be-
klagen, Geld zum Lebensunterhalt zu fordern und zu
verlangen, dass man sie in ordentliche Winterquartiere
führe, da die Umgebung der Stadt von den Leuten des
Antigonus gänzlich ausgeplündert sei. Er brach auch
in der That auf und schickte sich zum Abzug an. Herodes
aber wandte sich an den Unterbefehlshaber Silos und
dessen sämtliche Soldaten mit dem Ersuchen, sie möchten
ihn, der von Caesar (Octavianus) , Antonius und dem
Senat hergesandt worden sei, doch nicht im Stiche lassen;
denn noch am selben Tage werde er ihrer Not ein Ende
machen. Und sogleich, nachdem er diese Bitte ausgesprochen ,
zog er aufs Land hinaus und brachte ihnen eine solche
Menge Proviant mit, dass dem Silo jeder Vorwand be-
nommen war. Damit aber auch für die folgenden Tage
die Zufuhr gesichert sei, liess er den Samaritanern, deren
Stadt zu ihm hielt, die Weissagung zugehen, Getreide,
Wein, öl und Vieh nach Jericho zu schaffen. Sobald
Antigonus dies vernahm, schickte er Truppen ab teilungen
in die Umgegend, welche die Proviantkolonnen anhalten
und abfangen sollten. Seinem Befehl gemäss wurde nun
Erstes Buch, 16. Kapitel.
91
eine grosse Menge Bewaffneter um Jericho herum auf-
geboten und in den Bergen verteilt, um die Züge mit
Lebensmitteln zu erspähen. Doch auch Herodes . blieb
nicht unthätig, sondern erschien mit zehn Kohorten, fünf
römischen und fünf jüdischen, sowie einer Anzahl Soldner
verschiedener Nationalität und einigen Reitern vor Jericho.
Die Stadt selbst fand er verlassen ; in die Burg dagegen
hatten sich fünfhundert Mann mit Weib und Kind ge-
flüchtet, die er gefangen nahm, aber alsbald wieder freiliess.
Nun stürzten sich die Römer in die Stadt, um zu plündern,
und fanden die Häuser voll von Schätzen aller Art
Sodann liess der König eine Besatzung in Jericho zurück,
kehrte um und liess das römische Heer in den ihm er-
gebenen Städten Idumaeas , Galilaeas und Samarias
Winterquartiere beziehen. Auch Antigonus erlangte
übrigens von Silo durch Bestechung die Erlaubnis, einen
Teil des römischen Heeres in Lydda aufnehmen zu dürfen,
wodurch er sich die Gunst des Antonius zu erwerben
gedachte.
Sechzehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 15, 4 — 15, 9.
Herodes nimmt Sepphoris und bezwingt die Räuber.
Des Machaeras Zweideutigkeit. Herodes geht nach
Samosata zu Antonius.
1. So Hessen sich’s denn die Römer während der
Waffenruhe recht wohl sein. Herodes aber blieb nicht
unthätig, sondern liess seinen Bruder Joseph mit zwei-
tausend Fusssoldaten und vierhundert Reitern Idumaea
besetzen, um das Land vor einem Handstreich des
Antigonus zu schützen. Er selbst brachte seine Mutter
nebst den andern aus Masada befreiten Verwandten nach
Samaria in Sicherheit und machte sich dann auf, um die
noch übrigen Plätze Galilaeas zu erobern und die von
Antigonus dorthin gelegten Besatzungen zu vertreiben.
92
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
2. Im heftigsten Schneegestöber kam er vor Sepphoris
an und nahm die Stadt mit leichter Mühe ein, da die
Besatzung bei seinem Anmarsch entflohen war. Nachdem
er hierauf seine vom Unwetter hart mitgenommenen
Krieger an den reichlich vorhandenen Lebensmitteln sich
hatte gütlich thun lassen, brach er gegen die in Höhlen
wohnenden Räuber auf, deren häufige Streifzüge den Be-
wohnern des Landes ebenso lästig geworden waren, wie ein
förmlicher Krieg. Drei Kohorten Fusssoldaten und eine
Reiterabteilung schickte er bis zu dem Dorfe Arbela
voraus und folgte selbst am vierzigsten Tage mit dem
Rest seiner Truppen nach. Die Feinde aber fürchteten
seinen Angriff nicht, sondern setzten sich mit den Waffen
in der Hand zur Wehr; besassen sie doch ebensowohl
die Erfahrung von Kriegern , als die Kühnheit von
Räubern. So kam es zum Treffen, in welchem zunächst
der feindliche rechte Flügel den linken des Herodes zum
Weichen brachte. Schnell aber machte Herodes mit
seinem rechten Flügel eine Schwenkung, kam den
Seinen zu Hilfe, hielt sie von weiterer Flucht ab und
brach, über die Verfolger herfallend, deren Andrang, bis
er sie endlich nach hitzigem Kampfe in die Flucht schlug.
3. Unter stetem Gemetzel setzte er ihnen nun bis
zum Jordan nach und rieb den grössten Teil von ihnen
auf, während der Rest sich auf der anderen Flussseite
zerstreute. So war denn Galilaea von seinem Haupt-
schrecken befreit, und es blieb nur noch das Gesindel
in den Höhlen übrig, dessen Bekämpfung freilich längeren
Aufenthalt verursachte. Herodes verteilte deshalb zunächst
unter seine Soldaten Belohnungen für die ausgestandenen
Strapazen, indem er ihnen Mann für Mann hundertfünfzig
Silberdrachmen 1 , den Hauptleuten aber noch viel mehr
zahlen liess. Hierauf schickte er sie in die Winter-
quartiere und gab seinem jüngsten Bruder Pheroras den
Auftrag, ihnen Proviant zu verschaffen und Alexandrium
zu befestigen, was derselbe denn auch besorgte.
1 Eine (attische) Drachme = 79 Pfennige.
Go gle
Erstes Buch, 16. Kapitel.
93
4. Um diese Zeit hielt Antonius sich in Athen auf.
Ventidius aber 1 entbot Silo und Herodes zum Kriege
gegen die Parther 2 , jedoch mit dem Auftrag, zuvor die
Ordnung herzustellen. Herodes liess nun mit Vergnügen
den Silo allein zu Ventidius stossen, während er selbst
sich gegen die Räuber in den Höhlen aufmachte. Diese
Höhlen lagen in steilen Bergabhängen und waren von
keiner Seite her zugänglich; nur ganz schmale und
schiefe Pfade führten zu ihnen hinauf, und die Fels-
masse, an der sich ihre Eingänge befanden, fiel in sehr
tiefe Schluchten ab, aus denen sie sich fast senkrecht
und wild zerklüftet erhob. Geraume Zeit liess dieses
schwierige Terrain den König zu keinem rechten Ent-
schluss kommen, bis er endlich auf eine höchst ge-
fährliche Erfindung verfiel. Er befahl nämlich, die
stärksten seiner Leute in Kästen bis zu den Höhlen-
öffnungen hinabzulassen. Diese Krieger machten dann
die Räuber samt deren Familien nieder und schleuderten
Feuerbrände auf die, welche sich zur Wehr setzten.
Gern hätte nun Herodes einige von ihnen lebend in
seine Gewalt bekommen und liess sie daher durch einen
Herold auffordern, sich zu ihm zu verfügen. Niemand
aber ergab sich freiwillig, und von denen, die dazu
genötigt wurden, zogen viele den Tod der Gefangenschaft
vor. Ja, ein greiser Räuber, Vater von sieben Kindern,
tötete sogar diese seine Söhne nebst ihrer Mutter, als
sie ihn baten, auf Treu und Glauben hinausgehen zu
dürfen, in folgender Weise. Er stellte sich selbst an
den Eingang der Höhle , hiess seine Söhne einzeln
hervorkommen und stiess dann jeden, wie er bei ihm
anlangte, nieder. Herodes, der das von fern sah,
streckte, von Mitleid bewegt, dem Greise seine Rechte
entgegen und beschwor ihn, doch seiner Kinder zu
schonen. Der Alte aber mochte davon nichts hören,
sondern ergoss sich in Schmähungen gegen Herodes
1 Der sich in Syrien befand (s. J. A. XIV, 15, 5).
2 38 v. Chr.
Go gle
94
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
wegen dessen niedriger Herkunft, tötete dann auch noch
sein Weib, warf* die Leichen in den Abgrund und stürzte
zuletzt sich selbst ihnen nach. 1
5. Auf diese Weise bemächtigte sich Herodes der
Höhlen und ihrer Bewohner. Sodann liess er einen Teil
des Heeres, der ihm zur Niederwerfung etwaiger Em-
pörungen stark genug zu sein schien , unter dem Kom-
mando des Ptolemaeus zurück und zog selbst mit drei-
tausend Fusssoldaten und sechshundert Reitern nach
Samaria gegen Antigonus. Kaum aber war er fort, so
fassten diejenigen, die auch früher die Unruhen in Galilaea
gestiftet hatten, wieder Mut, töteten den Ptolemaeus bei
einem plötzlichen Überfall, verwüsteten das Land und
zogen sich dann in Sümpfe und unwegsame Gegenden
zurück. Auf die Nachricht von diesem Aufruhr eilte
Herodes schnell zur Hilfe herbei, machte eine Menge
Empörer nieder, entsetzte alle belagerten Festungen und
trieb von seinen Feinden zur Strafe für die Ruhestörungen
hundert Talente ein.
6. Inzwischen waren die Parther aus dem Lande ver-
trieben und Pakorus getötet worden , und nun sandte
Ventidius auf Antonius' Befehl dem Herodes tausend
Reiter nebst zwei Legionen gegen Antigonus zu Hilfe.
Letzterer aber richtete an Machaeras, den Befehlshaber
der Truppen, die schriftliche Bitte, er möge auf seine
Seite treten. Dabei führte er bittere Klage über des
Herodes Gewaltthätigkeit und dessen anmassendes Be-
nehmen gegenüber dem Königshause, und versprach
ihm zugleich ein Geldgeschenk. Machaeras jedoch hütete
sich, es mit dem zu verderben, der ihn gesandt hatte,
und da Herodes auch besser zahlte, war er für den Ver-
rat nicht zu haben, trug aber eine freundliche Gesinnung
zur Schau und ging trotz der Warnung des Herodes
hin, um des Antigonus Lage auszukundschaften. An-
1 Nach Paret waren diese von Joaephus als „Räuber“ gebrand-
markten Juden zweifellos zugleich Patrioten, die sich der idumäisch-
römischen Fremdherrschaft widersetzten.
Erstes Bach, 1 6. Kapitel.
95
tigonus indes durchschaute seine Absicht, verschloss ihm
die Stadtthore und wehrte sich von der Mauer herab
gegen ihn wie gegen einen Feind, so dass Machaeras
schliesslich beschämt zu Herodes hach Ammaus zurück-
kehren musste. Unterwegs liess er aus Zorn über seinen
Misserfolg sämtliche Juden , die ihm in die Quere kamen,
niederhauen und schonte dabei nicht einmal die An-
hänger des Herodes, sondern behandelte sie, als hielten
sie alle zu Antigonus.
7. Hierdurch aufgebracht, beschloss Herodes, gegen
Machaeras wie gegen einen Feind zu Felde zu ziehen.
Doch bezwang er seinen Groll und eilte zu Antonius,
um ihn wegen seines nichtswürdigen Benehmens zu ver-
klagen. Machaeras aber hatte unterdessen seinen Fehler
eingesehen, reiste dem Könige eilends nach und ver-
söhnte ihn durch eindringliche Bitten. Gleichwohl gab
Herodes seine Beise zu Antonius nicht auf, sondern da
er vernommen hatte, derselbe belagere mit einem starken
Heere die Festung Samos ata am Euphrat, beeilte er sich
nur um so mehr in der Erkenntnis, eine gute Gelegen-
heit erwischt zu haben, um seine Tapferkeit zeigen und
sich dem Antonius noch gefälliger beweisen zu können.
Wirklich ging auch nach seiner Ankunft die Belagerung
rasch zu Ende. Weil er nun eine Menge Barbaren
niedergemetzelt und reiche Beute eingebracht hatte, ward
Antonius, der schon zuvor ein Bewunderer seiner Tapfer-
keit gewesen, in noch höherem Grade für ihn ein-
genommen; er fügte daher zu den früheren Ehren-
bezeugungen viele neue hinzu und steigerte seine Hoff-
nung auf den Königsthron. Der König Antiochus 1 aber
war genötigt, Samosata zu übergeben.
1 Von Kommagene, dessen Hauptstadt Samosata war.
96
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Siebzehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 15, 10 — 16, 1.
Des Herodes Bruder Joseph wird getötet. Bestrafung
des Mörders. Herodes belagert Jerusalem und heiratet
die Mariamne.
1. Unterdessen aber erlitt des Herodes Sache in
Judaea selbst einen empfindlichen Schlag. Er hatte
nämlich seinen Bruder Joseph als Oberbefehlshaber
zurückgelassen mit der Weisutig, bis zu seiner Rückkehr
sich jeder kriegerischen Bewegung gegen Antigonus zu
enthalten , da Machaeras seinem bisherigen Benehmen
zufolge ein durchaus unzuverlässiger Bundesgenosse sei.
Sobald jedoch Joseph seinen Bruder in weiter Ferne
wusste, rückte er unter Missachtung jenes Befehls mit
fünf von Machaeras ihm mitgegebenen Kohorten gegen
Jericho aus, um das bereits zur Ernte reife Getreide zu
rauben. In dem gebirgigen und unwegsamen Terrain
aber griffen ihn die Feinde an, und nach heldenmütigem
Kampfe fiel er selbst sowie die gesamte römische Heeres-
abteilung. Die Kohorten bestanden nämlich durchweg
aus syrischen Rekruten und ermangelten der sogenannten
Veteranen 1 , die imstande gewesen wären, ihren noch
unerfahrenen Kameraden einen festen Halt zu geben.
2. Dem Antigonus indes genügte der Sieg allein noch
nicht, sondern er verstieg sich in seiner Erbitterung so-
gar dazu, sich an Josephs Leichnam zu vergreifen. Nach-
dem er nämlich die Gefallenen hatte sammeln lassen,
befahl er, ihm das Haupt abzuschlagen, obwohl Josephs
Bruder Pheroras fünfzig Talente Lösegeld dafür geben
wollte. Auf diesen Sieg des Antigonus folgte eine Em-
pörung in Galilaea, die so weit ging, dass die zu
Herodes haltenden Grossen von den Anhängern des
Antigonus an den See 2 geschleppt and ertränkt wurden.
Auch in Idumaea, wo Machaeras eben ein Kastell mit
1 Hier altgediente, nicht ausgediente Soldaten bezeichnend.
2 Genezareth.
Erstes Buch, 17. Kapitel.
97
Namen Gittha wieder befestigte, fing es gewaltig an zu
gären. Von all diesen Vorgängen wusste übrigens He-
rodes noch niehts. — Nach dem Falle von Bamosata 1
hatte Antonius den ßosius zum Statthalter von Syrien
ernannt und ihm aufgetragen, Herodes gegen Antigonus
zu unterstützen, während er selbst sich wieder nach
Aegypten begab. Daraufhin schickte ßosius für Herodes
Hilfstruppen in der Stärke von zwei Legionen nach
Judaea voraus und folgte selbst mit dem übrigen Teile
seines Heeres ihnen auf dem Fusse nach.
3. Herodes befand sich gerade zu Daphne bei An-
tiochia, als ihm durch deutliche Träume der Tod seines
Bruders verkündet wurde. Voller Bestürzung darüber
war er eben aus dem Bette gesprungen, da traten die
Unglücksboten bei ihm ein. Nur kurze Zeit indes über-
liess er sich seinem Schmerz, schob vielmehr die weitere
Trauer hinaus und eilte dem Feinde entgegen. In fast
unglaublichen Eilmärschen erreichte er den Libanon,
wo er achthundert von den Gebirgsbewohnern anwarb
und auch eine Legion Römer vorfand. Mit dieser Streit-
macht fiel er nun, ohne auch nur den Anbruch des
Tages abzuwarten, in Galilaea ein und warf die ihm
entgegenrückenden Feinde wieder in die Festüng, aus
der sie sich hervorgewagt hatten. Unverzüglich be-
stürmte er nun den Platz, wurde aber, ehe es zur Er-
oberung kam, durch ein fürchterliches Unwetter ge-
zwungen, in den benachbarten Dörfern Quartier zu be-
ziehen. Als dann nach wenigen Tagen auch die zweite
von Antonius gesandte Legion zu ihm stiess, räumten
die Feinde aus Furcht vor seiner Übermacht bei Nacht
die Festung.
4. Hierauf eilte er durch Jericho, um sobald wie
möglich an den Mördern seines Bruders Rache zu nehmen.
Dort erlebte er ein seltsames und wunderbares Ereignis,
das ihn, weil er wider Erwarten wohlbehalten daraus
1 Nach Dio Cassius (XLIX, 24) hatte Antonius gegen Samosuta
nichts ausrichten können.
Josephus, Jüdischer Krieg. 7
98
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hervorging, in den Ruf brachte, ein besonderer Liebling
der Gottheit zu sein. An jenem Abend nämlich waren
viele vornehme Gäste bei ihm zur Tafel geladen. Kaum
hatten nun nach Beendigung des Mahles alle Teilnehmer
das Haus verlassen, als dasselbe plötzlich zusammen-
stürzte. Herodes erblickte darin ein Vorzeichen der Ge-
fahren sowohl, die ihn im Kriege erwarteten, als auch
seiner Rettung aus denselben, und brach beim Morgen-
grauen auf. Alsbald stiegen etwa sechstausend Feinde
von den Bergen herab und plänkelten gegen seine Vor-
hut, und wenn sie es auch nicht wagten, mit den Römern
handgemein zu werden, so schleuderten sie doch aus
der Ferne Steine und Wurfspiesse und verwundeten da-
mit viele ihrer Gegner. Auch Herodes selbst wurde im
Vorbeireiten von einem Speer in die Seite getroffen.
5. Um sich nun den Anschein zu geben, als wären
die Seinen nicht nur an Kühnheit, sondern auch an
Zahl ihren Gegnern überlegen, schickte Antigonus einen
seiner Freunde, Pappus, mit einer Heeresabteilung nach
Samaria. Dort sollten sie es mit Machaeras aufnehmen.
Herodes aber durchzog unterdessen das feindliche Gebiet,
zerstörte fünf kleine Städte, tötete zweitausend ihrer Be-
wohner und kehrte nach Einäscherung ihrer Häuser ins
Lager zurück, das er bei einem Dorfe Namens Kana
aufgeschlagen hatte.
6. Täglich strömten nun eine grosse Menge Juden
aus Jericho selbst und anderen Gegenden teils aus Hass
gegen Antigonus, teils aus Begeisterung für seine eigenen
Kriegsthaten ihm zu. Die Mehrzahl freilich beseelte da-
bei ein unbewusstes Verlangen nach Änderung der be-
stehenden Verhältnisse. Herodes brannte übrigens vor
Begierde, sich mit dem Feinde zu messen 1 ; aber auch
die Leute des Pappus zogen ihm, ohne sich vor seiner
Übermacht und Kampfeslust zu fürchten, mutig ent-
gegen. In der sich nun entspinnenden Schlacht setzte
1 Nach J. A. XIV, 15, 12 hatte Pappus sein Lager bei Isanae in
Samaria aufgeschlagen, wohin also Herodes marschieren musste.
Go gle
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Erstes Buch, 1 7. Kapitel.
99
ihm ein Teil der feindlichen Reihen für kurze Zeit stark
zu. Herodes aber, der im Gedanken an den Tod seines
Bruders vor keiner Gefahr zurückbebte und sich schlug,
als hätte er es mit den Mördern selbst zu thun, ward
bald Meister über die, welche sich ihm entgegengeworfen
hatten, wandte sich dann auch gegen die, die noch stand-
hielten, schlug sie sämtlich in die Flucht und setzte
ihnen nach. Unter stetem Blutvergiessen drängte er sie
hierauf in das Dorf \ aus dem sie hervorgebrochen waren,
wobei er besonders ihrer Nachhut entsetzliche Verluste
beibrachte. Schliesslich drang er zugleich mit den
Feinden in das Dorf ein, wo jedes Haus mit Bewaffneten
gefüllt und dazu auch noch die Dächer mit Verteidigern
besetzt waren. Sobald er nun die aussen Stehenden
überwältigt hatte, liess er die Häuser niederreissen und
suchte dadurch die innerhalb Befindlichen zum Verlassen
derselben zu nötigen. So wurden die meisten von den
einbrechenden Dächern erdrückt; was aber den stürzen-
den Trümmern entging, fiel unter dem Schwert der Sol-
daten, und die haufenweise aufgeschichteten Leichen
versperrten zuletzt den Siegern selbst den Weg. Ein
solches Blutbad nahm den Feinden allen Mut, und wenn
sich auch hier und da wieder eine Schar zusammen-
that, der Anblick der im Dorfe liegenden Toten trieb
sie doch gleich in wilder Flucht auseinander. Herodes
wäre nun in seiner Siegesfreude am liebsten sogleich
nach Jerusalem geeilt, hätte ihn nicht der überaus
strenge Winter daran gehindert. Hierin allein lag also
der Grund, weshalb Herodes von der völligen Ausnutzung
seines Sieges und der gänzlichen Niederwerfung des
Antigonus , der bereits die Stadt zu verlassen gedachte,
für jetzt absehen musste.
7. Gegen Abend liess Herodes seine ermatteten
Krieger sich erquicken und begab sich selbst noch heiss
vom Kampfe nach Soldatenart zum Bade, wobei nur
ein einziger Page ihn bediente. Bevor er nun in den
1 Isanae.
100
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Baderaum eintrat, lief vor seinen Augen ein feindlicher
Soldat mit dem Schwerte in der Hand heraus, ihm nach
ein zweiter, dritter und noch mehrere. Sie hatten sich
nach dem Gefecht bewaffnet in den Baderaum geflüchtet
und hier vor lauter Angst sich verborgen gehalten. Der
Anblick des Königs aber weckte sie aus ihrer Erstarrung,
und zitternd liefen sie an ihm, dem Unbewaffneten, vor-
bei und suchten die Ausgänge zu erreichen. Zufällig
war niemand von den anderen Kriegern da, der sie hätte
festnehmen können, und so entkamen sie alle.
8. Am folgenden Tage liess Herodes dem Feldherrn
des Antigonus, Pappus, der im Treffen gefallen war, das
Haupt abschlagen und schickte es seinem Bruder Phe-
roras zum Zeichen, dass die Ermordung ihres Bruders
gesühnt sei; denn Pappus war es gewesen, der Joseph
den Tod gegeben hatte. Sobald nun die Strenge des
Winters nachliess, rückte er gegen Jerusalem, 1 führte
sein Heer bis an die Mauern heran und schlug, als sich
eben das dritte Jahr schloss, seit er in Born zum Könige
ernannt worden war, gerade vor dem Tempel sein Lager
auf. Hier nämlich war die Stadt erstürmbar, und von
dieser Seite 2 aus hatte auch Pompejus früher sie ein-
genommen. Nachdem sodann Herodes die Belagerungs-
arbeiten unter seinen Truppen verteilt und die nächste
Umgebung >ler Stadt hatte abholzen lassen, ordnete er
das Aufwerfen dreier Wälle sowie die Erbauung von
Türmen auf denselben an. Zu diesen Arbeiten liess er
die emsigsten seiner Leute zurück und ging selbst nach
Samaria, um sich mit der Tochter von Aristobulus’ Sohn
Alexander 3 zu vermählen, mit der er, wie schon oben
erwähnt, verlobt war. So machte er die Hochzeit zu
einer Nebenhandlung der Belagerung; denn bereits fing
er an, seine Gegner zu verachten.
1 37 v. Chr.
2 Der Nordseite.
3 Mariamne (graecisiert aus dem hebräischen Mirjam), wohl zu
unterscheiden von der gleichnamigen Tochter des Hohepriesters Simon,
die ebenfalls des Herodes Gattin war (vergl. I, 28, 4).
Erstes Buch, 18. Kapital.
9. Sobald die Vermählungsfeierlichkeiten zu Ende
waren, kehrte er mit bedeutenden Truppenverstärkungen
nach Jerusalem zurück, da inzwischen Sosius mit einem
ansehnlichen Heere von Reitern und Fusssoldaten zu
ihm gestossen war. Letzteres sandte er durch das Innere
des Landes voraus, während er selbst seinen Marsch
durch Phoenicien nahm. 1 Die gesamte Truppenmasse,
gegen elf Legionen Fusssoldaten und sechstausend Reiter,
wozu noch die . nicht unbedeutenden Hilfstruppen aus
Syrien kamen, lagerte sich nun in der Nähe der nörd-
lichen Stadtmauer. Herodes selbst verliess sich bei
diesem Vorgehen auf den Senatsbeschluss, durch den er
zum Könige ernannt worden war, Sosius aber auf An-
tonius, der das unter seinem Befehl stehende Heer dem
Herodes zu Hilfe geschickt hatte.
Achtzehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIV, 16,2 — XV, 1 , 1 ;
XV, 4, 1 — 4, 3.
Herodes und Sosius erobern Jerusalem. Des Antigonus
Tod. Habgier der Kleopatra.
1. Nun aber bemächtigte sich der in der Stadt ein-
geschlossenen Menge von Juden eine Aufregung mannig-
facher Art. Die Schwächeren sammelten sich um den
Tempel und priesen den glücklich, der in solcher Zeit
sein Leben endige, weil das als besondere Gunst der Gott>
heit angesehen werden müsse. Die Verwegenem da-
gegen verübten rottenweise vielfältige Räubereien und
plünderten besonders die Umgegend der Stadt aus, weil
es an Lebensmitteln für die Menschen und Futter für
die Pferde gebrach. 2 Der besser disciplinierte Teil der
1 Nach J. A. XIV, 16, 1 kam Herodes direkt von Samaria nach
Jerusalem, während des Sosius Truppen in zwei Abteilungen getrennt
durch das Binnenland bezw. der Küste entlang marschierten.
2 Nach J. A. XI Y, 16,2 war das Jahr, in welches die Belagerung
fiel, ein Sabbatjahr, und es durfte somit in demselben weder gesät
noch geerntet werden; daher die Not.
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streitbaren Mannschaft endlich war zur Abwehr der Be-
lagerer aufgestellt. Sie trieben die Schanzarbeiter von
der Mauer weg und ersannen gegen die Belagerungs-
maschinen immer wieder neue Verteidigüngsmittel. In
nichts aber übertrafen sie die Feinde so sehr, als in der
Anlegung von Minengängen.
2. Gegen die Räubereien legte der König Hinterhalte,
wodurch es ihm auch gelang, den Ausfallen ein Ende
zu machen, und dem Mangel an Lebensmitteln steuerte
er durch Zufuhren aus der Ferne. Mit den kriegs-
gewandten römischen Truppen war er übrigens gegen
die Belagerten stark im Vorteil, obwohl die letzteren an
Kühnheit nicht leicht übertroffen werden konnten. Sie
vermieden es zwar, im offenen Felde sich mit den Römern
zu schlagen, da das für sie gleichbedeutend mit sicherem
Untergang sein musste ; dagegen erschienen sie aus
ihren unterirdischen Gängen oft unerwartet mitten unter
den Feinden, und ehe noch ein Teil der Mauer zerstört
war, hatten sie schon wieder eine andere aufgeführt —
kurz, es ermatteten weder ihre Hände noch ihre Er-
findungskraft, und offenbar waren sie zum äussersten
Widerstand entschlossen. So hielten sie trotz der Stärke
des sie einschliessenden Heeres fünf Monate lang die
Belagerung aus, bis endlich einige auserlesene Leute des
Herodes sich daran machten, die Mauer zu ersteigen,
und, gefolgt von den Centurionen des Sosius, in die
Stadt einbrachen. Zuerst wurde die Umgebung des
Tempels genommen; dann ergoss sich das Heer in die
Stadt, und es entstand allenthalben ein fürchterliches
Blutbad. Denn die Römer waren durch die lange Dauer
der Belagerung aufs höchste erbittert, und die zu Hero-
des haltenden Juden thaten das ihrige, um keinen von
der Gegenpartei am Leben zu lassen. Ganze Haufen
wurden so in den engen Gassen, in den Häusern, wo
sie sich zuammengedrängt hatten, und auf der Flucht
nach dem Tempel niedergemetzelt. Weder Kinder, noch
Greise, noch schwache Frauen konnten auf Mitleid
rechnen, und obwohl der König überall herumschickte
Erstes Buch, 18. Kapitel.
103
und Schonung anbefahl, hielt doch niemand den Arm
ein, sondern die Soldaten wüteten wie rasend gegen jedes
Alter. Währenddessen kam Antigonus, der weder für
sein früheres noch für sein jetziges Geschick eine Em-
pfindung hatte, aus der Burg herab und warf* sich Sosius
zu Füssen. Der aber brach, ungerührt durch solchen
Glückswechsel, in ein unbändiges Gelächter aus und
schalt ihn Antigone. Doch liess er ihn nicht wie ein
Weib frei ausgehen, sondern befahl, ihn gefesselt auf-
zubewahren.
3. Nach Niederwerfung seiner Feinde war es des
Herodes erste Sorge, dem Ungestüm der Hilfstruppen
zu wehren. Das fremde Volk nämlich drängte sich in
Masse heran, um den Tempel und die Heiligtümer zu
sehen. Der König jedoch hielt sie teils durch Bitten,
teils durch Drohungen, teils sogar mit Waffengewalt zu-
rück, überzeugt, dass sein Sieg schimpflicher als eine
Niederlage sein würde, wenn die Fremden etwas sähen,
was nicht angeschaut werden darf. Ebenso verhinderte
er die Plünderung der Stadt, indem er Sosius ein über
das anderemal fragte, ob denn die Römer die Stadt
von Geld und Menschen völlig entblössen und ihn als
König einer Einöde zurücklassen wollten, während er
die Herrschaft über die ganze Welt nicht mit dem Blute
so vieler Bürger erkaufen möchte. Als Sosius hierauf
entgegnete, man müsse den Soldaten für die Strapazen
der Belagerung billigerweise die Plünderung zukommen
lassen, erklärte Herodes, er wolle aus seiner eigenen
Kasse jedem einzelnen eine Belohnung anweisen. Da-
durch gelang es ihm, den übrigen Teil der Stadt loszu-
kaufen, und sogleich erfüllte er nun auch sein Ver-
sprechen, indem er jeden Soldaten glänzend, die Offiziere
entsprechend reicher, Sosius selbst aber wahrhaft könig-
lich beschenkte, sodass niemand ohne Geld von ihm
schied. Sosius weihte alsdann Gott dem Herrn eine
goldene Krone und verliess Jerusalem, um den Anti-
gonus gefangen zu Antonius zu bringen. Dem Leben
des Antigonus, das er in eitler Hoffnung bis zum letzten
104 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Augenblick geliebt hatte, machte übrigens, wie sein un-
edler Sinn es verdiente, 1 das Beil ein Ende. 2
4. Der König Herodes nahm nun unter den Bürgern
der Stadt eine Sichtung vor, indem er seine eigenen
Getreuen durch Verleihung von Ehren stellen sich noch
gewogener machte, die Anhänger des Antigonus dagegen
hinrichten liess. Aus Mangel an barem Geld liess er
sodann aus allen Kleinodien, die er besass, Münzen
prägen und schickte dieselben dem Antonius und dessen
Vertrauten zu. Doch vermochte er damit allein sich
noch keine dauernde Sicherheit zu erkaufen ; denn bereits
war Antonius, von seiner Leidenschaft für Kleopatra fast
verzehrt, ganz der Sklave seiner Sinnlichkeit geworden.
Nachdem nun Kleopatra mit ihrer eigenen Familie der-
gestalt aufgeräumt hatte, dass keiner ihrer nahen Ver-
wandten mehr übrig war, kehrte sich ihr Blutdurst fort-
an nach aussen, und indem sie die syrischen Grossen bei
Antonius verleumdete, suchte sie ihn zu deren Ermordung
zu bewegen, um sich alsdann mit leichter Mühe ihrer
Besitzungen bemächtigen zu können. So hatte sie in
ihrer Habgier den Blick auch bereits auf Judaea und
Arabien geworfen und arbeitete nun im geheimen daran,
die Könige der beiden Länder, Herodes und Malichus,
aus dem Wege zu räumen.
6. Obwohl nun Antonius bis jetzt alle ihre Forde-
rungen bewilligt hatte, vermochte er doch in der Er-
mordung so wackerer Männer und bedeutender Könige
nichts anderes als einen Frevel zu erblicken. Immerhin
aber löste er seine engen freundschaftlichen Beziehungen
zu denselben und nahm ihnen bedeutende Gebietsteile
ab, die er der Kleopatra zuwies, so den Palmen wald bei
Jericho, wo der Balsam gewonnen wird, und sämtliche
diesseits des Flusses Eleutherus gelegenen Städte mit
Ausnahme von Tyrus und Sidon. Nachdem sie also
1 Die Hinrichtung mit dem Beil war somit eine entehrende Strafe.
2 37 y. Chr. zu Antiochia. Mit seinem Tode erlosch die Herr-
schaft der Asmonäer.
Go gle
Erstes Buch, 19. Kapitel.
105
deren Gebieterin geworden, begleitete sie den Antonius
auf seinem Kriegszug gegen die Parther 1 bis an den
Euphrat und kam dann über Apamea und Damaskus
nach Judaea. Hier besänftigte Herodes durch grosse
Geschenke ihre üble Laune und pachtete ihr die von
seinem Königreich weggenommenen Ortschaften für
zweihundert Talente jährlich ab, worauf er ihr unter
allen möglichen Ehrenbezeugungen bis Pelusium das
Geleit gab. Bald nachher 2 kam Antonius aus dem
Lande der Parther 1 an und führte den Sohn des Tigranes,
Artabazes, gefangen mit sich, den er samt den Kleinodien
und allen übrigen Beutestücken sogleich der Kleopatra
zum Geschenk machte.
Neunzehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XV, 5, 1 — 5, 5.
Herodes wird von Antonius gegen die Araber geschickt.
Grosses Erdbeben in Judaea.
1. Beim Ausbruch des Krieges von Actium 3 rüstete
sich Herodes, mit Antonius zu Felde zu ziehen, da
jetzt die Unruhen in Judaea überhaupt aufhörten und
auch die Festung Hyrkania, die des Antigonus Schwester
bis dahin noch gehalten hatte, in seinen Händen war
Kleopatra aber verstand es, ihn arglistiger Weise von
der Waffen Verbrüderung mit Antonius abzuhalten. Sie
hatte es nämlich, wie schon erwähnt, auf ihn und den
Araberkönig abgesehen und beredete deshalb den
Antonius, dem Herodes den Krieg gegen die Araber
anzu vertrauen, um im Falle seines Sieges Arabien, im
Falle seiner Niederlage Judaea in ihre Gewalt zu be-
kommen und so den einen der beiden Fürsten durch
den anderen zu vernichten.
1 Muss nach J. A. XV, 4, 2 heissen : Armenier.
» 34 v. Chr.
3 31 v. Chr.
106
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
2. Der Anschlag fiel jedoch zum Vorteil des Herodes
aus. Zuerst nahm er den Feinden Geiseln ab , griff sie
sodann mit einer von ihm angeworbenen beträchtlichen
Reiterschar bei Diospolis an und schlug sie trotz tapferer
Gegenwehr. Diese Niederlage rief eine grosse Bewegung
unter den Arabern hervor: sie sammelten sich alsbald
wieder bei Kanatha in Coelesyrien und erwarteten in
grosser Anzahl die Juden. Als Herodes mit seinem
Heere dort anlangte, gedachte er den Krieg mit aller
Vorsicht zu führen und liess daher ein befestigtes Lager
errichten. Doch seine Leute versagten den Gehorsam
und stürzten sich, durch den ersten Sieg kühn gemacht,
auf die Araber, die sich denn auch gleich beim ersten
Angriff zur Flucht wandten. Bei der Verfolgung aber
wurde dem Herodes ein schlechter Streich gespielt.
Athenion nämlich, einer der Feldherren Kleopatras, der
mit ihm von jeher in Feindschaft lebte, reizte die Ein-
wohner von Kanatha gegen ihn auf. Ihr Angriff machte
auch den Arabern wieder Mut, sodass sie umkehrten,
sich zusammenschlossen und auf felsigem, unwegsamem
Terrain die Leute des Herodes in die Flucht schlugen,
wobei sie ein schreckliches Blutbad unter ihnen an-
richteten. Was aus der Schlacht entkommen war,
flüchtete sich nun nach Ormiza. Die Araber jedoch
umzingelten das Lager, eroberten dasselbe und machten
die Mannschaft zu Gefangenen.
3. Bald nach dieser Niederlage traf Herodes mit
Hilfstruppen ein, jedoch zu spät. Schuld an dem Unfall
war lediglich der Ungehorsam seiner Offiziere; denn
wäre das Gefecht nicht so überstürzt begonnen worden,
so hätte Athenion keine Gelegenheit zum Verrat ge-
funden. Übrigens rächte sich Herodes durch häufige
verheerende Einfälle in das Gebiet der Araber, sodass
sie für den einmaligen Sieg recht oft büssen mussten.
Während er nun seinen Feinden zusetzte, traf ihn
im siebenten Jahre seiner Regierung 1 , als eben der
1 Vom Tode des Antigonus an gerechnet.
Erstes Buch, 19. Kapitel.
107
Krieg von Actium seinen Höhepunkt erreicht hatte, ein
anderes Unglück. Zu Beginn des Frühlings nämlich
richtete eine Erderschütterung eine zahllose Menge Vieh
und dreissigtausend Menschen in seinem Reiche zu
Grunde; nur das Heer blieb unbeschädigt, weil es unter
freiem Himmel lagerte. Das Gerücht nun, das traurigen
Vorfällen immer noch etwas Schlimmeres anhängt und
jetzt eine Verwüstung von ganz Judaea meldete, stärkte
den Mut der Araber gewaltig. Sie fielen daher in der
Meinung, das entvölkerte Land leicht in Besitz nehmen
zu können, in dasselbe ein, nachdem sie zuvor die Ge-
sandten der Juden, welche sich gerade bei ihnen befanden \
als Opfer geschlachtet hatten. Als nun das Kriegsvolk
durch diesen Einfall in den grössten Schrecken geriet
und infolge der Schlag auf Schlag ein tretenden Unglücks-
fälle völlig niedergebeugt war, rief Herodes dasselbe
zusammen und suchte es durch folgende Ansprache zur
Standhaftigkeit anzufeuern.
4. „ Widersinnig scheint es mir, dass ihr euch jetzt
so in Furcht jagen lasst. Dass freilich die von Gott
gesandten Plagen euch ängstigen, ist natürlich; wenn
aber ein Angriff von Menschen denselben Eindruck bei
euch erzeugt, so ist das unmännlich. Was mich betrifft,
so bin ich so weit entfernt, nach dem Erdbeben vor
meinen Feinden mich zu fürchten, dass ich vielmehr
glaube, Gott habe mit demselben den Arabern gewisser-
massen eine Lockspeise hin werfen wollen , damit sie
über uns herzufallen veranlasst würden. Denn nicht
sowohl im Vertrauen auf ihren starken Arm und ihre
Waffen, als vielmehr im Hinblick auf die unglücklichen
Naturereignisse, von denen, wir heimgesucht wurden,
haben sie uns angegriffen. Eine Hoffnung aber, die
sich nicht auf eigene Kraft gründet, sondern auf fremdes
Missgeschick, trügt gar sehr. Ist denn etwa das Unglück
oder sein Gegenteil von Bestand unter den Menschen?
Oder schwankt nicht vielmehr das Glück, wie die Er-
Als Friedensunterhändler (s. J. A. XV, 5, 2).
108
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
fahrung zeigt, hin und her? Beispiele dafür braucht
ihr wahrlich nicht weit zu suchen. Denn seht, der
Feind hat uns, die wir in der früheren Schlacht Sieger
waren, überwunden; aller Wahrscheinlichkeit nach aber
wird er jetzt, obwohl er sich mit Siegeshoffnungen
schmeichelt, unterliegen. Allzu grosses Selbstgefühl
macht un behutsam, Furcht dagegen lehrt Vorsicht:
daher ist es eben eure Ängstlichkeit, die mir Mut ein-
flösst Denn da ihr euch mit mehr Ungestüm, als ge-
boten war, den Feinden entgegen warft und wider meinen
Willen sie an griffet, fand Athenion Gelegenheit zu
seinem Verrat. Jetzt aber verbürgt eure Zaghaftigkeit
und scheinbare Mutlosigkeit mir die Gewissheit des
Sieges. Bis die Stunde des Kampfes gekommen ist,
mag ja diese Stimmung am Platze sein; in der Schlacht
selbst aber müsst ihr euren Mut entflammen und jenen
gottlosen Horden beweisen, dass weder eine von Menschen
noch eine von Gott kommende Drangsal die Tapferkeit
der Juden, so lange noch ein Fünkchen Leben in ihnen
ist, zunichte machen kann, und dass keiner von euch
den Araber, den ihr so oft schon fast als Gefangenen
wegführtet, Herrn seines Eigentums werden lässt Lasset
euch also durch Naturerscheinungen nicht bange machen
und haltet nur ja die Erderschütterung nicht für ein
Anzeichen weiteren Unheils. Denn was in den Ele-
menten vorgeht, vollzieht sich nach natürlichen Gesetzen
und bringt den Menschen keinen weiteren Schaden, als
eben das Naturereignis an sich zu erzeugen pflegt.
Freilich können Hungersnot, Pest und Erdbeben durch
besondere Vorboten sich ankündigen; die Plagen selbst
aber sind doch durch ihre eigene Grösse begrenzt
Bedenkt doch nur: wie könnte uns denn selbst ein
siegreicher Feind schlimmeren Schaden zufügen, als das
Erdbeben gethan hat ? Dagegen aber haben unsere
Feinde ein gewaltiges Vorzeichen ihrer Vernichtung
erfahren, das weder die Natur noch irgend eine andere
Macht ihnen kundgethan hat. Haben sie doch dem
Völkerrecht zum Hohn unsere Gesandten auf grausame
Erstes Buch, 19. Kapitel.
109
Weise ermordet und ihrer Gottheit als Opfer für den
Ausgang des Krieges dargebracht! Aber sie werden
Gottes allsehendem Auge und seinem unbesiegten Arm
nicht entrinnen. Und allsogleich werden sie uns Ge-
nugtuung geben müssen, wenn wir noch eine Spur vom
Sinne unserer Väter in uns haben und zur Bestrafung
der Treulosigkeit uns erheben. So ziehe denn nun ein
jeder nicht für sein Weib und seine Kinder, auch nicht
für das* gefährdete Vaterland, sondern um Rache für
die Ermordung der Gesandten zu nehmen, in den Kampf.
Denn bessere Heerführer als wir, die Lebenden, sind die
Schatten dieser Männer. Ich aber werde, wenn ihr mir
den Gehorsam nicht versagt, euch voran den Gefahren
entgegengehen. Und unbezwinglich , das wisset ihr, ist
eure Tapferkeit, wenn ihr nicht durch Überstürzung
euch selbst schadet“
5. Als er durch diese Ansprache seine Soldaten
ermuntert hatte und ihre Kampfesfreudigkeit bemerkte,
opferte er Gott und überschritt nach Beendigung der
heiligen Handlung mit seinem Heere den Jordan. Bei
Philadelphia schlug er nicht weit von den Feinden sein
Lager auf und versuchte in der Hoffnung, dass es bald
zu einer förmlichen Schlacht kommen werde, zunächst
durch leichte Scharmützel ein zwischen den beiden
Heeren liegendes Kastell in seinen Besitz zu bringen,
zu dessen Eroberung auch der Gegner eine Abteilung
vorgeschoben hatte. Des Königs Truppen aber schlugen
sie alsbald zurück und besetzten die befestigte Anhöhe.
Herodes selbst rückte nun tagtäglich mit seiner Streit-
macht aus, stellte sie in Schlachtordnung auf und suchte
die Araber dadurch zum Kampfe zu reizen. Da sich
aber niemand ihm entgegen stellte — denn ein gewaltiger
Schrecken hatte sie ergriffen , und ihr Befehlshaber
Elthemus war beim Anblick des feindlichen Heeres vor
Furcht fast erstarrt — , rückte er endlich vor und fing
an, ihre Verschanzungen zu durchbrechen. Auf diese
Weise zur Gegenwehr gezwungen , zogen sie ohne alle
Ordnung, Fusssoldaten und Reiter durcheinander, zum
110
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Treffen aus. An Zahl waren sie den Juden überlegen,
an Kampflust aber standen sie ihnen nach, obwohl auch
sie aus Verzweiflung wie wahnsinnig fochten.
6. So lange sie standhielten , hatten sie demnach
keine grossen Verluste. Kaum aber hatten sie den
Kücken gekehrt, als eine Menge von ihnen teils durch
das Schwert der Juden, teils durch ihre eigenen Leute,
die sie zertraten, umkam. Fünftausend Mann fielen so
auf der Flucht, während die übrigen in dichtgedrängten
Haufen sich hinter die Verschanzungen retteten. Hier
schloss Herodes sie ein und belagerte sie ; aber noch ehe
sie durch Waffengewalt zur Übergabe genötigt wurden,
zwang sie der Durst dazu, da ihnen das Wasser aus-
gegangen war. Ihre Abgesandten empfing der König
mit stolzer Verachtung, und als sie sich mit fünfzig
Talenten loskaufen wollten, setzte er ihnen nur um so
heftiger zu. Da aber der Durst sie mehr und mehr
quälte, kamen sie endlich scharenweise hervor und er-
gaben sich freiwillig den Juden. So wurden in fünf
Tagen ihrer viertausend gefesselt ; am sechsten rückte
alsdann die übrige Menge in heller Verzweiflung zum
Kampfe aus, in welchem Herodes wiederum gegen sieben-
tausend Mann niedermachte. Durch diese schweren
Schläge rächte er sich an den Arabern und demütigte
ihren Stolz in solchem Grade, dass sie seine Oberherrschaft
anzuerkennen sich bequemen mussten.
Zwanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XV, 6, 1 ; 6, 6f. ; 10, 1 — 10,3.
Herodes wird von Octavianus als König bestätigt und
mit Gunstbezeugungen überhäuft.
1. Gleich darauf aber ward Herodes mit banger Sorge
um seine Herrschaft erfüllt, und zwar wegen seiner
freundschaftlichen Beziehungen zu Antonius; denn so-
eben hatte Caesar Octavianus bei Actium gesiegt. Seine
Go gle
JiMÄSIl i ÖF C/W.ÖRNI.
Erstes Buch, 20. Kapitel.
111
Angst war indes grösser, als die wirkliche Sachlage be-
rechtigt erscheinen Hess. Caesar nämlich hielt den
Antonius noch nicht für überwunden, so lange Herodeg
demselben treu blieb. Der König fasste nun den
Entschluss, der Gefahr mutig ins Auge zu schauen. Er
schiffte sich daher nach Rhodus ein, wo Octavianus sich
damals aufhielt, und erschien vor ihm ohne Diadem, in
Kleidung und Gebaren ein einfacher Privatmann, doch
an Gesinnung ein echter König. Ohne also seine wahren
Gedanken zu verheimlichen, sprach er freimütig folgender-
massen: „Caesar, ich bin von Antonius zum Könige der
Juden gemacht worden und habe, ich gestehe es offen,
als solcher alles gethan, wodurch ich ihm nützen konnte.
Imgleichen verhehle ich nicht, dass du mich jedenfalls
auch im Kampfe an seiner Seite gesehen haben würdest^
wenn die Araber mich nicht daran gehindert hätten.
Nach besten Kräften habe ich ihm Bundesgenossen ver-
schafft und viele tausend Scheffel Getreide ihm geliefert.
Ja, selbst nach seiner Niederlage bei Actium habe ich
meinen Wohlthäter nicht im Stich gelassen. Denn da
ich ihm als Kampfgenosse nicht mehr zu nützen ver-
mochte, ward ich sein bester Ratgeber, indem ich ihm
als einziges Mittel, seine verzweifelte Lage zu bessern,
den Tod der Kleopatra bezeichnete. Für den Fall, dass
er dieses Weib aus dem Wege räumen lassen wolle, ver-
sprach ich ihm Geld, schützende Festungen, ein Heer
und meine persönliche Teilnahme am Kriege gegen dich.
Aber die sehnsüchtige Liebe zu Kleopatra und die
Gottheit selbst, deren Gunst du deinen Sieg verdankest,
machten ihn taub gegen meine Vorstellungen. So bin
ich denn also mit Antonius besiegt und lege, weil ich
auch im Unglück sein Gefährte sein will, die Krone
nieder. Zu dir aber kam ich in der Hoffnung, mein
männlich offenes Benehmen werde mir deine Gunst er-
ringen, und in dem Gedanken, man werde untersuchen,
was für ein Freund, und nicht, wessen Freund ich ge-
wesen bin,“
2. Hierauf entgegnete Octavianus: „Sei gutes Muts
112
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
und herrsche von nun an mit noch grösserer Sicherheit
als König. Denn du bist wert, über viele Menschen zu
gebieten, da du so treu die Freundschaft pflegtest Suche
nun aber auch dem ergeben zu bleiben, der mehr Glück
als sein Gegner hatte und der auf deinen Edelsinn die
glänzendsten Hoffnungen setzt Wahrlich, Antonius hat
wohl daran gethan, dass er lieber auf Kleopatra hörte
als auf dich; denn durch seinen Unverstand habe ich
dich gewonnen. Übrigens hast du dich, wie ich sehe,
bereits um mich verdient gemacht Quintus Didius
nämlich schreibt mir, du habest ihm gegen die Gla-'
diatoren 1 Hilfe gesandt Ich will dich daher durch
förmlichen Beschluss in deiner Königs würde bestätigen
und dir auch weiterhin meine Gunst zu beweisen suchen,
damit du den Antonius nicht vermissest“
3. Nach diesen freundlichen Worten setzte Octavianus
dem Könige das Diadem auf und machte die ihm er-
wiesene Gunstbezeugung durch einen Erlass bekannt,
in welchem er hochherzigerweise das Lob des Herodes
laut verkündete. Dieser suchte ihn nun durch Geschenke
auch noch zur Freilassung eines gewissen Alexander zu
bewegen , der ein Freund des Antonius war und Herodes
um seine Vermittlung angefleht hatte. Doch der Zorn
des Caesars 2 behielt die Oberhand, da er dem Manne,
für den Herodes sich ins Mittel legte, viele und schwere
Vergehen vorzuwerfen hatte, und so schlug er denn die
Bitte ab. Später empfing Herodes den Caesar, als der-
selbe durch Syrien nach Aegypten marschierte, mit dem
ganzen Gepränge, das einem König zu Gebote steht,
ritt, als er bei Ptofemais Heerschau hielt, zum ersten-
1 Diese Gladiatoren, die Antonius in Kyzikos hielt, suchten sich
nach der Niederlage ihres Herrn nach Aegypten durchzuschlagen,
um ihm beizustehen , wurden aber von Quintus Didius , dem Statt-
halter von Syrien, daran gehindert.
2 Der ursprüngliche Ei ge nn am e, aus dessen graecisierler Form
Kaiaap unser deutsches Wort Kaiser entstand, war bereits der Titel
des römischen Alleinherrschers geworden. Dasselbe gilt von dem
Beinamen Augustus, den der Senat im Jahre 27 v. Chr. dem Octa-
vianüs erteilte.
Erstes Buch, 20. Kapitel.
113
mal an seiner Seite, gab ihm wie seinen sämtlichen
Freunden ein Festmahl und liess auch dem Heere alles,
was zi» einem Schmause gehört, verabreichen. Ferner
sorgte er dafür, dass die Römer auf ihrem Zuge durch
die wasserarme Gegend bis Pelusium und ebenso auf
dem Rückmarsch reichlich mit Wasser versehen wurden
und dass sie auch an allen übrigen Lebensmitteln keinen
Mangel litten. Ganz von selbst drängte sich dabei dem
Caesar und den Soldaten der Gedanke auf, dass das
Reich des Herodes im Verhältnis zu seinen Leistungen
viel zu klein sei. Sobald daher Octa vianus nach Aegypten
gekommen war — wo er übrigens Kleopatra und An-
tonius bereits nicht mehr am Leben fand — , verlieh er
ihm nicht nur eine Reihe weiterer Auszeichnungen,
sondern vergrösserte auch sein Königreich, indem er das
ihm von Kleopatra früher entrissene Gebiet und ausser-
dem Gadara, Hippos, Samaria, sowie die Küsten6tädte
Gaza, Anthedon, Joppe und Stratonsturm hinzufügte.
Obendrein schenkte er ihm auch noch eine Leibwache
von vierhundert Galliern, welche früher die persönliche
Garde der Kleopatra gebildet hatten. So reiche Zu-
wendungen hatte Herodes vorzugsweise seiner eigenen
Hochherzigkeit zu verdanken.
4. Nach Ablauf der ersten Aktiade 1 vergrösserte der
Caesar das Königreich des Herodes noch weiter durch
die Landschaft, die Trachon 2 genannt wird, sowie die
daran grenzenden Landschaften Batanaea und Auranitis,
und zwar aus folgender Veranlassung. Ein gewisser
Zenodorus, welcher daß Gebiet des Lysanias gepachtet
hatte, hetzte unaufhörlich die in Trachon hausenden
Räuberbanden gegen die Damascener. Diese nahmen
nun ihre Zuflucht zu Varro, dem Statthalter von Syrien,
und baten ihn, den Caesar von ihrer schlimmen Lage
1 Zeitraum von fünf Jahren. Doch wurde die erste Aktiade be-
reits drei Jahre nach der Schlacht bei Actiurn, die 31 v. Clir. statt-
fand, gefeiert (s. Dio Cassius LIII, 1). Es ergiebt sich somit für die
vorliegende Zeitbestimmung des Jahr 28 v. Chr.
2 Oder Trachonitis.
JosepbuR, Jtidiucher Erle?. 8
114
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
in Kenntnis zu setzen. Daraufhin erging von Rofn der
Befehl, das Kaubgesindel auszurotten. Varro brach also
mit Heeresmacht auf, säuberte das Land von den Banditen
und nahm es dem Zenodorus ab. Damit dasselbe nun
später nicht wiederum den Schlupfwinkel bilde, von dem
aus die Räuber Damaskus beunruhigen könnten, schenkte
der Caesar es dem Herodes. Als nach weiteren zehn
Jahren Augustus abermals in die Provinz kam, ernannte
er ihn sogar zum Statthalter von ganz Syrien, sodass
die unter ihm stehenden Landpfleger keinerlei An-
ordnungen treffen durften, ohne vorher seine Zustimmung
einzuholen. Nach dem Tode des Zenodorus belehnte der
Caesar ihn dann auch noch mit dem ganzen Gebiet
zwischen Trachon und Galilaea. Grösseren Wert indes
als alle diese Vergünstigungen hatte für Herodes der
Umstand, dass er dem Augustus nach Agrippa 1 und dem
Agrippa nach Augustus der liebste Freund war. Nach-
dem er so den Gipfel äusseren Glückes erklommen hatte,
gab er auch seinem Geiste höheren Schwung und ver-
legte sich vorzugsweise auf Werke der Frömmigkeit, wozu
er wirklich grossartige Pläne entwarf.
Ein undzwanz igstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XV und XVI, einzelne Kapitel,
besonders XV, 8 ; 1 1 ; XVI, 5. .
Von den Prachtbauten und der Freigebigkeit des Herodes.
Seine persönlichen Vorzüge.
1. Im fünfzehnten 2 Jahre seiner Regierung nämlich
liess er den Tempel umbauen, den Tempelbezirk um das
doppelte erweitern und eine feste Mauer ringsum auf-
führen, alles mit unermesslichen Kosten und unüber-
trefflichem Prachtaufwand. Davon zeugten insbesondere
die grossen, den Tempel umgebenden Säulenhallen und
1 Marcus Vipsanius Agrippa, Schwiegersohn des Augustus.
a Nach J. A. XV, 11, 1 im achtzehnten.
Go gle
Erstes Buch, 21. Kapitel.
115
die im Norden an denselben stossende feste Burg. Die
Hallen richtete er von Grund aus neu auf, die Burg
aber baute er mit grossen Kosten um, sodass sie einem
Königsschlosse in nichts nachstand, und nannte sie dem
Antonius zu Ehren Antonia. Seinen eigenen Königs-
palast legte er in der oberen Stadt an und benannte
die zwei grössten und schönsten Flügel desselben, mit
denen nicht einmal der Tempel den Vergleich aushielt,
nach seinen hohen Freunden Caesareum und Agrippeum.
2. Doch nicht bloss einzelne Gebäude weihte er dem
Gedächtnis und Namen dieser Männer, sondern er ging
noch weiter und that, um sie zu ehren, dasselbe mit
ganzen Städten. So umgab er im Samariterlande eine
Stadt mit einer hervorragend schönen Mauer im Umfang
von beiläufig zwanzig Stadien , versetzte sechstausend
Einwohner dahin, wies denselben die fruchtbarsten
Ländereien an, erbaute mitten in der neugegründeten
Stadt einen gewaltigen Tempel mit einem freien Platze
von anderthalb Stadien zu Ehren des Caesars und
nannte die Stadt Sebaste K Ihren Bewohnern aber gab
er eine ausgezeichnete Gemeindeverfassung.
3. Als sodann der Caesar ihm noch weitere Land-
striche schenkte, erbaute Herodes ihm auch dort einen
Tempel von weissem Marmor, und zwar an den Quellen
des Jordan ; der Ort heisst Panium. Hier erhebt sich
ein Berggipfel zu ungeheurer Höhe,’ und an der Seite
der unter dem Berge befindlichen Schlucht öffnet sich
eine schattige Grotte, in deren Innerem eine abgrund-
artige Vertiefung sich in eine unermessliche Kluft senkt,
die mit stehendem Wasser gefüllt und für das Senkblei
unergründlich ist. Aussen am Rande dieser Grotte
sprudeln die Quellen hervor, und hier befindet sich, wie
einige meinen, der Ursprung des Jordan. Genaueres
darüber werde ich später 1 2 mitteilen.
4. Auch zu Jericho liess der König zwischen dem
1 Dem -sßocaxos (Augustus) zu Ehren.
- S. unten III, 10, 7.
116
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Kastell Kypron 1 und dem früheren Königspalast ein
neues, besseres und bequemeres Gebäude aufführen, das
er nach seinen Freunden benannte. Kurz, es gab keinen
Ort in seinem Reiche , den er nicht, falls er sich sonst
dazu eignete, mit Bauwerken zu Ehren des Caesars ver-
sehen hätte. Nachdem er nun sein eigenes Land mit
Tempeln angefüllt hatte, liess er es auch in der Provinz
nicht an Ehren denk malen für Augustus fehlen und er-
richtete in vielen Städten Caesareen 2 .
5. So erschien ihm auch eine Stadt an der Meeres-
küste mit Namen Stratonsturm, die damals ini Verfall
begriffen war, wegen der Schönheit des Geländes so
recht geeignet zur Bethätigung seines Vorhabens, den
Caesar zu ehren. Er baute sie daher ganz aus weissen
Steinen wieder auf, schmückte sie mit prächtigen Palästen
und zeigte hier in besonders hohem Masse seinen an-
geborenen Sinn für grossartige Unternehmungen. Stratons-
turm lag nämlich mitten zwischen Dora und Joppe,
und auf der ganzen Strecke zwischen diesen beiden
Städten war die Küste ohne Hafen, sodass mancher,
der an Phoenicien vorbei nach Aegypten zu segelte, auf
offenem Meer umtreiben musste wegen der Gefahren des
Südwindes 3 , der selbst bei mässigem Wehen eine solche
Brandung an den Felsen erzeugt, dass die zurück-
geworfenen Wellen auf weite Strecken hin das Meer in
Aufruhr bringen.» Der König jedoch besiegte durch
seinen Ehrgeiz und unter Aufwendung bedeutender
Kosten die Natur und schuf einen Hafen, der den
Piraeus 4 an Grösse übertraf, sowie im Innern desselben
eine Reihe vortrefflicher Ankerplätze.
6. Obwohl nun die Örtlichkeit recht ungünstig war,
reizte doch gerade die Schwierigkeit den Eifer des Königs,
ein Werk herzustellen, dessen Festigkeit dem Anprall
der Meereswogen Widerstand leisten könnte und dessen
1 Wohl dasselbe, wie das unten in Abschnitt 9 erwähnte.
* D. h. Gebäude zu Ehren des Caesars.
3 Richtiger des Südwestwindes.
4 Den Hafen von Athen.
Go gle
UN1V1ERSITY Of C /'LIFÖRNf/t
Erstes Buch, 2 1 . Kapitel.
117
Schönheit die darauf verwendete Mühe nicht im ent-
ferntesten ahnen lassen sollte. Zunächst also liess er
den für den Hafen bestimmten Raum in der bereits er-
wähnten Grösse abstecken und alsdann gewaltige Fels-
stücke, von denen die meisten fünfzig Fuss lang, neun
Fuss hoch und zehn Fuss breit waren , zwanzig Ellen 1
tief ins Meer versenken. Nachdem so die Tiefe aus-
gefüllt war, liess er den über die Oberfläche des Wassers
hervorragenden Teil des Dammes auf eine Breite von
zweihundert Fuss bringen. Hundert Fuss davon waren
vorgebaut, um die Gewalt der Meeresfluten zu brechen,
weshalb diese Hälfte den Namen Prokymia 2 erhielt. Der
übrige Raum diente einer steinernen, rings um den
Hafen laufenden Mauer als Unterlage und war mit sehr
hohen Türmen versehen, deren grösster und schönster
nach Drusus, dem Stiefsohn des Caesars, Drusium ge-
nannt wurde.
7. Zahlreiche Gewölbe dienten den Schiffern zur Her-
berge, und eine vor denselben befindliche, rund um den
Hafen sich hinziehende Plattform bot den Ankömmlingen
reichlichen Raum zu Spaziergängen. Die Hafeneinfahrt
lag gegen Norden, weil der Nordwind dort der mildeste
von allen Winden ist. Zu beiden Seiten der Einfahrt
befanden sich drei auf Sockeln ruhende kolossale Stand-
bilder, die links von einem massiven Turm, rechts von
zwei miteinander verbundenen aufrechten Säulen getragen
wurden; diese Säulen waren übrigens grösser als der
ihnen gegenüberliegende Turm. Die an den Hafen
stossenden Gebäude waren ebenfalls von ‘wei6sem Mar-
mor, und die Strasßen der Stadt liefen in gleichen Ab-
ständen voneinander alle auf den Hafen zu. Dem Hafen-
eingang gegenüber stand auf einem Hügel ein durch
Grösse und Schönheit ausgezeichneter Tempel des Caesars,
und in demselben seine Kolossalbildsäule, die ihrem
Muster, dem Olympischen Zeus, nichts nachgab, sowie
1 Eine jüdische Elle ist etwa einem halben Meter gleich.
* D. i. Bollwerk gegen den Anprall der Wogen.
Go gle
118.
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
eine solche der Roma nach dem Vorbild der Here zu
Argos. Die Stadt nun weihte Herodes der Provinz, den
Hafen den ihn benutzenden Seefahrern, die Ehre der
ganzen Anlage aber dem Caesar, nach welchem er die
Stadt Caesarea benannte.
8. Auch die übrigen von ihm dort errichteten Ge-
bäude, ein Amphitheater und ein Theater, sowie der
Marktplatz waren des Beinamens, den sie trugen, wohl
wert. Sodann stiftete der König fünfjährige 1 Kampf-
spiele, die er gleichfalls nach dem Caesar benannte, und
setzte fürs erste in der hundertzweiundneunzigsten Olym-
piade 2 selbst bedeutende Kampfpreise aus, wobei nicht
nur die eigentlichen Sieger, sondern auch die zweit- und
drittbesten nach ihnen seine königliche Freigebigkeit
erfuhren. Weiterhin baute er die in den Kriegen zer-
störte Seestadt Anthedon wieder auf und gab ihr den
Namen Agrippium 3 . Ja, aus übergrosser Ergebenheit
gegen seinen Freund Agrippa liess er dessen Namen
sogar über dem von ihm erbauten Thore des Tempels
eingraben.
9. Auch in kindlicher Liebe liess er sich von niemand
übertreffen. So gründete er zum Andenken an seinen
Vater in der schönsten Ebene seines Reiches 4 , die gut
bewässert war und Überfluss an Bäumen hatte, eine
Stadt, die er Antipatris nannte. Seiner Mutter aber
weihte er ein von ihm neu befestigtes, überaus starkes
und schönes Kastell oberhalb Jericho, indem er ihm den
Namen Kypron gab, und seinem Bruder Phasael den
Phasaelsturm zu Jerusalem, dessen Gestalt und gross-
artige Pracht ich später 5 noch schildern werde. Gleich-
falls Phasael zu Ehren gründete er die Stadt Phasaelis
1 D. h. alle fünf Jahre wiederkehrende.
2 Eige Olympiade war ein Zeitraum von vier Jahren; die Rech-
nung nach Olympiaden begann 776 v. Chr.
3 J. A. XIII, 13, 3 heisst sie Agrippias.
4 Ebene Saron.
6 V, 4, 3.
Go gle
J N t VE RSITY'Qf C Sf P»iN I ,
Erstes Buch, 21. Kapitel.
119
seitwärts von der Thalschlucht, die von Jericho aus in
nördlicher Richtung sich erstreckt.
10. Nachdem er so das Andenken seiner Verwandten
und Freunde verewigt hatte, sorgte er auch für sein
eigenes, indem er auf dem Gebirge gegen Arabien hin
eine Festung erbaute, die er nach sich selbst Herodium
t nannte. Den gleichen Namen gab er einem in Gestalt
einer weiblichen Brust von Menschenhand aufgeworfenen,
sechzig Stadien von Jerusalem entfernten Hügel, den er
aber mit grösserer Pracht ausschmückte. Seine Kuppe
nämlich umgab er mit runden Türmen, und die von
diesem Festungsring eingeschlossene Fläche besetzte er
mit herrlichen Palästen, die nicht nur im Innern glänzend
anzuschauen , sondern auch aussen an Wänden, Zinnen
und Dächern mit verschwenderischer Pracht ausgestattet
waren. Mit ungeheurem Kostenaufwand liess er sodann
aus weiter Feme Wasser in reichlicher Menge herleiten
und einen Aufstieg von zweihundert aus blendend weissem
Marmor bestehenden Treppenstufen herstellen; denn der
Hügel war ziemlich hoch und durchweg ein Werk von
Menschenhand. Auch am Fusse desselben errichtete er
noch weitere Paläste zur Aufnahme seiner Hofhaltung
und seines Gefolges und gab ihnen eine so reiche Aus-
stattung, dass die ganze Anlage wie eine Stadt mit dem
Umfang einer Königsburg aussah.
11. Als er diese grossartigen Bauwerke vollendet
hatte, bewies er auch einer Anzahl auswärtiger Städte
seine fürstliche Freigebigkeit. So versah er Tripolis,
Damaskus und Ptolemais mit Ringschulen, Byblus mit
einer Stadtmauer, Berytus und Tyrus mit Säulen gängen,
Hallen, Tempeln und Märkten, Sidon und Damaskus
mit Theatern, die Seestadt Laodikea mit einer Wasser-
leitung, Askalon 1 mit prachtvollen Bädern und Brunnen
und ausserdem noch mit Säulenhallen von staunens-
werter Grösse und Arbeit. Anderen Städten schenkte
er Haine und Wiesen, und viele erhielten sogar Lände-
1 Nach Eusebius war Herodes in Askalon geboren.
120
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
reien von ihm, als ob sie zu seinem Reiche gehörten.
Vorsteherämter fremder Ringschulen dotierte er mit
festen jährlichen Einkünften, wobei er, wie zum Beispiel
in Kos, zur Bedingung machte, dass es nie an Kampf-
preisen fehlen dürfe. Weiterhin spendete er Getreide
allen, die in Not waren; den Rhodiern gab er oft und
bei verschiedenen Anlässen Geld zur Ausrüstung ihrer
Flotte ; den abgebrannten Tempel des Pythischen Apollo
baute er auf eigene Kosten und schöner wieder auf.
Wozu soll ich noch die Schenkungen erwähnen, die er
den Lykiern und den Samiern zukommen liess, oder die
Freigebigkeit, mit der er in ganz Ionien so manche Not
linderte? Sind nicht Athen und Lakedaemon, Nikopolis
und die mysische Stadt Pergamos voll von Weih-
geschenken des Herodes? Und hat er nicht die wegen
ihres Schmutzes gemiedene Hauptstrasse von Antiochia
in Syrien in der Länge von zwanzig Stadien mit ge-
glättetem Marmor gepflastert und zum Schutz vor
dem Regen mit einem ebenso langen Säulengang ge-
schmückt ?
12. Kamen nun, wie man wohl sagen könnte, diese
Wohlthaten zunächst nur den einzelnen Gemeinden zu-
gut, denen sie erwiesen wurden, so bedachte er dagegen
Elis mit einem Geschenk, an dem nicht nur Griechen-
land, sondern die ganze Welt Anteil hat, soweit der Ruf
der olympischen Spiele gedrungen ist. Als er nämlich
sah, dass diese Spiele aus Mangel an Geld dem Verfall
nahe waren und somit das einzige Überbleibsel des alten
Hellas zu verschwinden drohte, trat er nicht nur in dem
Olympiadenjahr, in welches seine Seereise nach Rom
fiel, als Preisrichter auf, sondern stiftete- auch für alle
kommenden Zeiten bestimmte Geldeinkünfte, wodurch er
das Andenken an seine Thätigkeit als Kampfrichter
verewigte. Doch ich würde wohl nicht zu Ende kommen,
wollte ich auch noch alle die Schulden und Abgaben
herzählen, die er nachliess; als Beispiel erwähne ich nur
die Städte Phasaelis und Balanea sowie eine Reihe von
Städtchen an der Grenze von Cilicien, denen er durch
Erstes Buch, 22. Kapitel.
121
Herabminderung ihrer jährlichen Abgaben Erleichterung
verschaffte. Was übrigens seine Freigebigkeit am meisten
hemmte, war die Furcht, dadurch Neid zu erregen oder
in den Verdacht zu geraten, als ob er, indem er den
Städten grössere Wohlthaten erwies wie ihre eigenen
Gebieter, weiter ausschauende Pläne verfolge.
13. Den geistigen Vorzügen des Herodes entsprach
sein Körper. Von jeher war er ein vortrefflicher Jäger,
wobei ihm seine Geschicklichkeit im Reiten besonders
zu statten kam. So erlegte er einst an einem Tage
vierzig Stück Wild. Das dortige Land nährt nämlich
auch Wildschweine; reicher jedoch ist es an Hirschen
und wilden Eseln. Als Krieger War Herodes unwider^
stehlich, und auch bei den gymnastischen Übungen
fürchteten sich gar viele vor ihm, da sie sahen, wie
gerade er die Lanze warf und wie sicher er mit dem
Bogen schoss. Bei all diesen «geistigen und körperlichen
Vorzügen war er auch noch vom Glücke begünstigt.
Denn selten stiess ihm im Kriege ein Unfall zu, und
wenn er einmal einen solchen erlitt, war nicht er selbst,
sondern irgend ein Verräter oder die Unbesonnenheit
seiner Soldaten daran schuld.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XV, 2, 3, 6, 7.
Vom Tode der Hohepriester Aristobulus und Hyrkanus.
Hinrichtung der Mariamne.
1. Sein äusseres Glück indes verleidete ihm das
Schicksal durch häusliche Widerwärtigkeiten, und zwar
ward eben das Weib, das er so innig liebte, die Ursache
seines Unglückes. Nachdem er nämlich zur Regierung
gelangt war, hatte er die Gattin, die er als Privatmann
geheiratet hatte, eine Jerusalemerin mit Namen Doris,
entlassen und Mariamne, die Tochter von Aristobulus’
Sohn Alexander, geehelicht. Schon früher zwar war
Go gle
122
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
diese Verbindung für ihn die Quelle häuslicher Zwistig-
keiten geworden; als er aber von Rom zurückgekehrt
war, wurde sie dies mehr denn je. Zunächst verwies er
um der Söhne Mariamnes willen seinen Sohn Antipater,
den er von der Dotfs erhalten hatte, aus der Stadt und
erlaubte ihm das Betreten derselben nur an Festtagen.
Sodann räumte er den Grossvater seiner Gattin, Hyr-
kanus, der aus Parthien zu ihm gekommen war, aus
dem Wege, weil er ihn im Verdacht einer Verschwörung
hatte. Hyrkanus war bekanntlich von Barzapharnes bei
dessen Einfall in Syrien gefangen genommen worden;
seine Volksgenossen jenseits des Euphrat 1 aber hatten
aus Mitleid mit ihm seine Freilassung erbeten. Hätte
er nun ihre Warnungen, nicht zu Herodes zu reisen, be-
achtet, so wäre er nicht ums Leben gekommen. Die
Heirat seiner Enkelin aber ward die Verlockung, die ihm
den Tod brachte. Denn im Vertrauen auf diese Ver-
bindung und aus übergrossem Heimweh war er zurück-
gekehrt. Herodes war ihm übrigens nicht etwa deshalb
feind, weil er wirklich seine Hand nach der Krone aus-
gestreckt hätte, sondern weil ihm dieselbe von Rechts
wegen gebührte.
2. Mariamne gebar dem Herodes fünf Kinder, zwei
Töchter und drei Söhne. Von den Söhnen starb der
jüngste in Rom, wo er sich zu seiner Bildung äufhielt.
Den beiden älteren liess er teils wegen der vornehmen
Abkunft ihrer Mutter, teils weil sie ihm während seiner
eigentlichen Regierungszeit geboren waren, eine könig-
liche Erziehung angedeihen. Noch mehr freilich ver-
anlasste ihn dazu die Liebe zu Mariamne, welche von
Tag zu Tag heftiger in ihm entbrannte, sodass er für
das Herzeleid, das ihm die heissgeliebte Frau bereitete,
noch nicht einmal eine Empfindung hatte. Denn so
gross seine Liebe zu Mariamne, so gross war ihr Hass
gegen ihn. Und da sie für diese Abneigung ihre guten
auf Thatsachen beruhenden Gründe hatte, und die Über-
1 Die babylonischen Juden.
Erstes Bach, 22. Kapitel.
123
zeugung, geliebt zu sein, ihr Freimütigkeit verlieh, warf
sie ihm unverhohlen vor, was er gegen ihren Grossvater
Hyrkanus und ihren Bruder Aristobulus verbrochen
hatte. Denn auch den letzteren hatte er trotz seiner
Jugend nicht geschont, sondern, nachdem er ihn mit
siebzehn Jahren zum Hohepriester ernannt, gleich
nach seinem Amtsantritt getötet. Als nämlich Aristo-
bulus an einem Feste in der heiligen Gewandung zum
Altäre trat, weinte das versammelte Volk 1 , und das
war der Grund, weshalb der junge Mann noch in der
Nacht nach Jericho geschickt und dort von einigen da-
zu bestellten Galliern beim Baden in einem Teiche er-
tränkt wurde.
3. Wegen dieser Schandthat also machte Mariamne
dem König Vorwürfe und überhäufte auch seine Schwester
und seine Mutter mit argen Schmähungen. Herodes in
seiner leidenschaftlichen Liebe schwieg still dazu; bei
den Frauen dagegen setzte sich ein heftiger Groll fest,
und um den König so recht in Wallung zu bringen,
beschuldigten sie seine Gattin des Ehebruchs. Zum Be-
weise dieser Behauptung brachten sie unter anderem die
Angabe vor, sie habe ihr Bild dem Antonius nach
Aegypten gesandt und sich so in übermässiger Sinnlich-
keit abwesend einem Manne gezeigt, der als Wüstling
bekannt und auch imstande sei, Gewalt zu gebrauchen. 2
Wie ein Blitz traf diese Nachricht den Herodes, den
ohnehin seine Liebe im höchsten Grade eifersüchtig ge-
macht hatte, und da er ausserdem auch an die Grausam-
keit der Kleopatra dachte, der zulieb der König Lysa-
nias und der Araber Malichus ihr Leben hatten lassen
müssen, fürchtete er nicht nur, seine Gattin möchte ihm
entrissen werden, sondern hielt auch sein eigenes Leben
für gefährdet.
4. Im Begriff, zu verreisen, vertraute er daher dem
Gemahl seiner Schwester Salome, Joseph mit Namen,
1 Aus Begeisterung für seine edle Erscheinung (vergl. J. A. XV, 3, 3).
* Dass das Verleumdung war, ergiebt sich aus J. A. XV, 2, 6.
124
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
einem zuverlässigen und schon aus verwandtschaftlichen
Rücksichten ihm wohlgesinnten Manne, seine Gattin an
und gab ihm insgeheim_den Auftrag, sie zu töten, falls
Antonius ihn, den König, ums Leben bringen würde.
Joseph aber verriet das Geheimnis, nicht in böser Ab-
sicht, sondern um Mariamne die Liebe des Königs zu
beweisen, der nicht einmal im Tode von ihr getrennt
sein wolle. Als nun Herodes nach seiner Rückkehr ihr
im vertraulichen Beisammensein wieder und wieder seine
Liebe beteuerte und versicherte, dass er nie ein anderes
Weib mit solcher Innigkeit werde lieben können, ent-
gegnete sie: „Allerdings hast du deine Liebe zu mir
glänzend bewiesen, indem du Joseph den Befehl gabst,
mich zu töten!“
5. Kaum hatte Herodes das gehört, als er, seiner
Sinne nicht mehr mächtig, die Worte hervorstiess :
„Joseph würde wohl niemals den Befehl verraten haben,
wenn er dich nicht geschändet hätte!“ Rasend vor
Zorn sprang er sodann vom Lager auf und rannte in
seinem Palast hin und her. Diesen für Verleumdungen
so günstigen Augenblick erhaschte seine Schwester
Salome und verstärkte den Verdacht gegen Joseph.
Ausser sich vor Wut und Eifersucht gab Herodes nun
den Befehl, die beiden auf der Stelle hinzurichten. Doch
der leidenschaftlichen Aufwallung folgte sogleich die
Reue, und kaum hatte der Zorn sich gelegt, so flammte
die Liebe wieder auf. Ja, so stark ward die Glut seiner
Sehnsucht, dass er an Mariamnes Tod durchaus nicht
glauben wollte, sondern in seinem Gram sie anredete,
als sei sie noch am Leben, bis er endlich, von der Zeit
belehrt, die Dahingeschiedene mit derselben Inbrunst
betrauerte, mit der er sie im Leben geliebt hatte.
Erstes Buch, 23. Kapitel.
125
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XV, 10,1; XVI, 1; 3; 4.
Mariamnes Söhne bei Herodes verleumdet.
Die Aussöhnung.
1 Die Söhne erbten den Hass ihrer Mutter und be-
trachteten, wenn sie der Unthat ihres Vaters gedachten,
denselben nicht anders denn als Feind. Bereits in Rom
hatte diese Gesinnung sich ihrer bemächtigt, als sie dort
ihrer Studien halber sich aufhielten; nach ihrer Heim-
kehr aber verschärfte sich dieselbe noch ganz erheblich
und wuchs mit den Jahren mehr und mehr an. Als sie
dann, im heiratsfähigen Alter angelangt, sich vermählten,
der eine mit der Tochter seiner Tante Salome \ die seine
Mutter angeklagt hatte, der. andere mit der Tochter des
Kappadocierkönigs Archelaus 2 , gaben sie ihrem Hass
auch in freimütiger Rede Ausdruck. Ihre Kühnheit
aber benutzten Verleumder dazu, ihnen Schlingen zu
legen, und bald sagten gewisse Leute dem Könige ziemlich
deutlich, seine beiden Söhne führten etwas gegen ihn
im Schilde; ja, der Schwiegersohn des Archelaus rüste
sich im Vertrauen auf seinen Schwiegervater bereits zur
Flucht, um Herodes beim Caesar zu verklagen'. Solche
Ohrenbläsereien verfehlten auf die Dauer ihre Wirkung
beim Könige nicht, und so nahm er den Sohn der Doris,
Antipater, gleichsam als Schutzwehr gegen seine anderen
Söhne wieder auf und fing an, ihn auf alle mögliche
l Weise vorzuziehen.
2. Diese Veränderung aber war für die Söhne der
Mariamne unerträglich, und da sie den Sohn der Mutter
aus bürgerlichem Stande in so hohem Grade begünstigt
sahen, vermochten sie als Sprösslinge eines edlen Ge-
schlechtes ihren Unwillen nicht zu unterdrücken, sondern
liessen bei jeder neuen Kränkung ihren Groll offen
1 Berenike.
2 Glaphyra.
Go gle
Jlvit^RSroöir C HmiL
126
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hervortreten. Während nun die beiden Prinzen von
Tag zu Tag aufsässiger wurden ,' suchte Antipater seine
eigenen Interessen zu fördern , indem er seinen Vater
mit grossem Geschick umschmeichelte, gegen seine
Brüder allerlei Ränke schmiedete und teils selbst sie
anschwärzte, teils durch seine Freunde Verleumdungen
ausstreuen liess, bis er ihnen endlich alle Hoffnung auf
den Thron abgeschnitten hatte. Denn nicht nur war er
im Testament bereits als erklärter Thronfolger auf-
geführt, sondern er wurde auch mit königlichem Ge-
pränge und Gefolge zum Caesar geschickt, sodass ihm
zum Könige eigentlich nur das Diadem noch fehlte. Ja,
allmählich stieg sein Einfluss so sehr, dass er seine
Mutter in Mariamnes Ehebett zurückbrachte. Den König
aber wusste er durch zwei Waffen, die er zum Nachteil
seiner Brüder gebrauchte, Schmeichelei nämlich und Ver-
leumdung, so zu bearbeiten, dass dieser bereits den Ge-
danken fasste, die beiden hinrichten zu lassen.
3. Den Alexander wenigstens schleppte Herodes nach
Rom und beschuldigte ihn vor dem Caesar, seinem Vater
mit Gift nach dem Leben getrachtet zu haben 1 . Hierauf
wusste Alexander zunächst vor schmerzlicher Bestürzung
kaum etwas zu erwidern. Da er sich aber einem Richter
gegenüber sah, der erfahrener war als Antipater und
vernünftiger als Herodes, fasste er sich und verschleierte
zwar die Fehler seines Vaters voll Ehrerbietung, wies
aber um so entschiedener dessen falsche Beschuldigungen
zurück. Nachdem er darauf auch die Unschuld seines
mit ihm in gleicher Gefahr schwebenden Bruders dar-
gethan hatte, beschwerte er sich über Antipaters Arglist
und die ihnen widerfahrene Zurücksetzung, wobei ihm
nicht nur sein reines Gewissen, sondern auch seine
machtvolle Beredsamkeit zu Hilfe kam; denn er war
ein ausgezeichneter Redner. Und als er dann schliesslich
noch ausrief, ihr Vater möge sie immerhin töten, da er
1 Nach J. A. XVI, 4, lff. nahm Herodes beide Söhne, Alexander
und Aristobulus, mit nach Italien, und nach 4,1 fand die Ver-
handlung nicht in Rom, sondern in Aquileja statt.
Erstes Buch, 23. Kapitel.
127
nun einmal die Beschuldigung gegen sie vorgebracht
habe, rührte er alle Anwesenden zu Thränen und ver-
setzte auch den Caesar in eine solche Gemütsbewegung,
dass dieser die gegen die Prinzen erhobene Anklage
verwarf und Herodes sogleich mit ihnen aussöhnte. Zur
Bedingung wurde dabei gemacht, dass die beiden ihrem
Vater in allen Stücken gehorsam sein sollten, letzterer
aber zu seinem Nachfolger ernennen könne, wen er wolle.
4. Hierauf kehrte der König von Rom aus heim und
gab sich den Anschein, als lege er den gegen seine
Söhne vorgebrachten Beschuldigungen kein Gewicht
mehr bei, während er doch in Wirklichkeit von Arg-
wohn durchaus nicht frei war. Dafür sorgte schon der
Ränkestifter Antipater, der ihn begleitete, wenn derselbe
auch au 8 Furcht vor dem hohen Vermittler es nicht
wagte, seine Feindschaft offen zu zeigen. Als sie nun
an der Küste von Cilicien d ahin segelten , landeten sie
auf Elaeusa, wo Archelaus sie freundlich bewirtete, für
die Rettung seines Schwiegersohnes dankte und sich
über die Versöhnung hocherfreut zeigte, zumal er selbst
sogleich an seine Freunde in Rom geschrieben hatte,
sie möchten Alexander bei der Führung seiner Sache
behilflich sein. Alsdann gab er seinen Gästen bis
Zephyrium das Geleit und verehrte ihnen Geschenke im
Betrage von dreissig Talenten.
5. In Jerusalem angelangt, versammelte Herodes das
Volk, stellte ihm seine drei Söhne vor, gab über seine
Reise Rechenschaft und sprach seinen innigen Dank
gegen Gott aus sowie gegen den Caesar, der den Zwistig-
keiten in seinem Hause ein Ende gemacht und seinen
Söhnen ein Gut verliehen habe, grösser als die Herrschaft,
nämlich die Eintracht. „An mir", fuhr er fort, „soll es
gelegen sein, dieses Band noch fester zu knüpfen. Der
Caesar hat bestimmt, dass ich der alleinige Herrscher
in meinem Reiche sein und das Recht haben soll, über
meinen Nachfolger zu entscheiden. Indem ich nun,
ohne mein eigenes Interesse hintanzusetzen, in seinem
Sinne zu handeln suche, ernenne ich diese meine drei
Go gle
128 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Söhne zu Königen und bitte nächst Gott auch euch,
diesem Beschluss zuzustimmqn. Denn bei dem einen
lässt sein Alter, bei den anderen ihre edle Abkunft den
Anspruch auf die Thronfolge gerechtfertigt erscheinen,
und das Königreich ist ja auch so gross, dass es noch
für mehrere zureichen würde. So wollet denn das Recht
derer, die der Caesar in Eintracht verbunden und ihr
Vater eingesetzt hat, anerkennen und einem jeden von
ihnen die gebührende Ehre rückhaltlos erweisen, und
zwar nach dem Vorrang des Alters; denn die Freude
dessen, der mehr geehrt würde, als ihm seinem Alter
gemäss zusteht, würde wohl nicht so gross sein, wie der
Schmerz des dadurch Zurückgesetzten. Welche Ver-
wandten und Freunde nun die Umgebung der einzelnen
Prinzen bilden sollen, werde ich bestimmen. Dieselben
werden mir zugleich dafür bürgen müssen, dass die Ein-
tracht unter meinen Söhnen aufrecht erhalten wird.
Denn ich weiss recht wohl, dass Hader und Streit viel-
fach nur durch ränkesüchtige Höflinge hervorgerufen
werden, dass aber auch anderseits nichts geeigneter ist,
die gegenseitige Zuneigung zu fördern, als eine recht-
schaffene Umgebung. Ferner ist es mein Wille, dass
nicht nur diese meine Söhne, sondern auch die Offiziere
meines Heeres für jetzt noch an mir allein ihren Rück-
halt suchen. Denn nicht das Königtum selbst, sondern
nur dessen Ehre übertrage ich meinen Söhnen, sodass
also sie die Annehmlichkeiten davon gemessen, während
ich selbst die Lasten, freilich ungern genug, zu tragen
habe. Bedenke doch ein jeder von euch mein Alter,
meine Lebensweise und meine Frömmigkeit. Wahrlich,
ich bin weder so alt, dass man schon bald mein Ende
zu erwarten hätte, noch fröne ich der Üppigkeit, die
selbst junge Leute dahinzuraffen pflegt, und die Gottheit
habe ich stets so verehrt, dass ich mich wohl auf eine
recht lange Lebensdauer freuen darf 1 . Wer also in der
1 Mit seiner Frömmigkeit sah es jedoch in Wirklichkeit sehr
windig, aus; denn was er darin leistete, diente nur der Be-
friedigung seines Ehrgeizes und seiner Prachtliebe.
Erstes Buch, 24. Kapitel.
129
Hoffnung auf mein baldiges Ableben meinen Söhnen
den Hof macht, der wird mir auch um ihretwillen dafür
büssen müssen. Denn nicht etwa aus Eifersucht will
ich übertriebene Ehrenbezeugungen gegen die, die ich
gezeugt, vermieden wissen, sondern weil ich weise, dass
Schmeichelei für junge Leute leicht eine Anreizung zum
Trotze wird. Wenn daher jeder, der mit ihnen verkehrt,
erwägt, dass nur der Gutgesinnte auf meinen Dank
rechnen kann, der Störenfried dagegen nicht einmal von
dem, welchem er schmeichelt, eine Belohnung für seine
Schlechtigkeit zu erwarten hat, so werden, glaube ich,
alle meine Unterthanen mein Interesse wahrnehmen,
das ja auch zugleich das meiner Söhne ist ; denn diesen
kann es nur Nutzen bringen, wenn ich an der Spitze
und in gutem Einvernehmen mit ihnen bleibe. Ihr aber,
meine braven Söhne, denkt an die heiligen Bande der
Natur, die selbst beim wilden Tier die Fortdauer der
Liebe sichern, an den Caesar, der die Versöhnung
zwischen uns zustande gebracht, und dann endlich
auch an mich, der ich da bitte, wo ich befehlen könnte,
und bleibet Brüder! Ich gebe euch nun königliche
Gewänder und königliche Hofhaltung und flehe zu Gott,
dass er dieser meiner Entscheidung seinen Schutz nicht
versagen möge, wofern ihr nur einig bleibt“ Nach
dieser Ansprache umarmte er liebevoll jeden seiner
Söhne und entliess dann das Volk, von welchem der
eine Teil seinen Worten den besten Erfolg wünschte,
während die Neuerungssüchtigen sich stellten, als hätten
.sie nichts gehört.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 7, 2 — 8, 3.
Neue Ränke am Hofe des Herodes.
1. Die Brüder aber liessen von ihrer Zwietracht nicht
ab, und als sie sich trennten, war ihr Argwohn gegen-
einander schlimmer denn zuvor. Alexander und Aristo-
Josephas, jüdischer Krieg. 9
130
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
bulus fühlten sich dadurch gekränkt, dass dem Antipater
sein Altersvorrang nunmehr förmlich bestätigt worden
war; dieser hingegen missgönnte seinen Brüdern selbst
das noch, dass sie die nächsten nach ihm sein sollten.
Während aber Antipater seine Gedanken für sich zu
behalten verstand und als äusserst verschmitzter Mensch
seinen Hass gegen die Brüder geschickt verbarg, hatten
die letzteren, wie es ihre edle Abkunft mit sich brachte,
stets das Herz auf der Zunge. Zudem gaben sich viele
ihrer Freunde eifrig Mühe, sie aufzuhetzen, und noch
grösser war die Zahl derer, die sich als Späher bei
ihnen eingeschlichen hatten. So kam es, dass jedes
Wort Alexanders schon im nächsten Augenblick bei
Antipater war, von wo es dann mit Zusätzen zu Herodes
wanderte. Selbst ganz harmlose Äusserungen des jungen
Mannes wurden in verleumderischem Sinne verdreht und»
als schuldvoll ausgelegt; hatte er aber einmal auch nur
ein klein wenig freier gesprochen, so that die Phantasie
das ihrige, um die Kleinigkeit ins ungeheuerliche auf-
zubauschen. Dabei schickte Antipater unter der Hand
stets Leute ab, die Alexander aufhetzen sollten, damit
die Lüge durch wirkliche Vorgänge wenigstens in etwa
gestützt würde. Denn wenn selbst nur ein Körnchen
von dem, was das Gerücht meldete, sich als wahr er-
wies, fand das übrige um so eher Glauben. Seine
eigenen Freunde dagegen waren entweder von Natur
sehr verschwiegen oder durch Geschenke soweit bearbeitet,
dass sie nichts von dem verlauten liessen, was geheim
gehalten werden sollte. Ganz treffend könnte man
Antipaters Leben einen Geheimdienst der Bosheit nennen..
Denn auch diejenigen, welche mit Alexander verkehrten,
hatte er durch Bestechung oder arglistige Schmeichelei,
seine Hauptlockmittel, zu Verrätern gemacht, die alles,
was vorging oder geredet wurde,* ihm insgeheim zutrugen..
Er selbst gab dabei den richtigen Schauspieler ab und
wusste mit grosser Schlauheit seine Verleumdungen bei
Herodes anzubringen, indem er selbst die Maske als
Bruder trug und andere Leute als Angeber vorschob.
Go gle
Erstes Buch, 24. Kapitel.
131
War nun über Alexander etwas hinterbracht worden,
so kam er scheinbar zufällig zu Herodes, verwarf anfangs
das Gesagte, wusste es aber dann doch unvermerkt
glaublich zu machen und den Unwillen des Königs zu
erregen. Alles musste auf Nachstellungen bezogen
werden und den Anschein erwecken, als ob Alexander
die Ermordung seines Vaters plane; nichts aber ver-
mochte den Verleumdungen mehr Glauben zu verschaffen,
als Antipaters Auftreten in der Rolle des Verteidigers.
2. So verbitterte sich denn des Herodes Gemüt mehr
und mehr, und in dem Masse, wie er tagtäglich seine
Liebe den jungen Leuten entzog, wandte er dieselbe
Antipater zu. Mit ihm zog sich übrigens auch die Hof-
gesellschaft von den Prinzen zurück, die einen freiwillig,
die anderen auf Befehl, wie Ptolemaeus, der angesehenste
Freund des Königs, ferner des Herodes Brüder 1 und
seine ganze übrige Familie. Denn Antipater galt alles,
und allvermögend war zum grossen Leidwesen Alexanders
auch Antipaters Mutter, deren Rat stets gegen ihn und
seinen Bruder Aristobulus sich richtete, und die, weil
sie schlimmer wie eine Stiefmutter war, die Söhne der
Königin auch bitterer denn als blosse Stiefsöhne hasste.
Von allen Seiten wurde nun Antipater um seiner
glänzenden Aussichten willen der Hof gemacht, während
anderseits ein Befehl des Königs den Vornehmen jeden
Verkehr mit Alexander und seiner Umgebung unter-
sagte und dadurch die beiden jungen Leute vollends
aller ihrer Freunde beraubte. Denn das vom Caesar
dem Herodes verliehene, sonst noch keinem König zu-
gestandene Recht, flüchtige Personen selbst aus einer
ihm nicht gehörenden Stadt herausholen zu dürfen,
schreckte nicht nur die einheimischen, sondern auch die
auswärtigen Freunde der Prinzen ab. Von allen diesen
Ränken nun hatten die beiden nicht die geringste
Ahnung, und so konnte es bei ihrer Unvorsichtigkeit
1 Muss wohl heissen: Bruder, da von des Herodes Brüdern ja
nur noch einer, Pheroras, am Leben war.
9 i
132 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
nicht ausbleiben, dass sie mehr und mehr in dieselben
verstrickt wurden. Ihr Vater nämlich machte ihnen
niemals offene Vorwürfe, und nur seine Kälte und sein
rasches Aufbrausen bei unangenehmen Vorfällen liess
sie den Sachverhalt vermuten. Unterdessen hatte Anti-
pater auch ihren Oheim Pheroras gegen sie eingenommen
sowie ihre Tante Salome, mit der er so vertraulich, als
wäre sie seine Gattin, verkehrte, um sie aufzuhetzen.
Die Feindseligkeit der Salome erhielt übrigens noch be-
sondere Nahrung durch die Prahlerei der Gemahlin
Alexanders, Glaphyra, die gern ihre vornehmen Ahnen
aufzählte und als Sprössling des Temenos 1 von väter-
licher und des Darius Hystaspis von mütterlicher Seite
sich als Gebietern sämtlicher im Königshaüse befind-
lichen Frauen geberdete. Auch schmähte sie gar häufig
nicht nur des Herodes Schwester wegen deren niedriger
Herkunft, sondern auch seine Gattinnen, von denen sie
behauptete , der König habe sie doch nur um ihrer
körperlichen Schönheit, nicht um ihres Adels willen zur
Ehe genommen. Herodes hatte nämlich eine ganze
Anzahl Frauen, einmal weil den Juden nach ihrem Ge-
setze Vielweiberei gestattet ist, und dann auch, weil er
sein Vergnügen daran fand. Alle diese Frauen wurden
nun infolge von Glaphyras Grossthuerei und Lästerreden
zu erbitterten Feindinnen Alexanders.
3. Aber auch Aristobulus zog sich, obwohl er Salomes
Schwiegersohn war, deren Feindschaft zu, und das um
so mehr, als sie bereits durch Glaphyras Lästerungen
in Zorn versetzt war. Er warf nämlich seiner Gattin
beständig ihre unedle Abkunft vor und beklagte sich
darüber, dass, während sein Bruder Alexander eine
Königstochter geheiratet habe, er selbst mit einer Frau
aus bürgerlichem Stande sich habe begnügen müssen.
Unter Thränen hinterbrachte sie dies ihrer Mutter Salome
und fügte hinzu, Alexander und Aristobulus hätten ge-
droht, sie wollten, wenn sie nur erst am Ruder wären,
1 Mythischer König von Argos.
Go gle
Erstes Buch, 24. Kapitel.
133
die Mütter ihrer übrigen Brüder wie Sklavinnen an den
Web6tuhl schicken und die Brüder selbst zu Dorf-
schreibern machen, da dieselben ja, wie sie spöttelnd
hinzugefügt, eine so vortreffliche Ausbildung genossen
hätten. Salome vermochte ihren Ärger hierüber nicht
zu bemeistern, sondern teilte alles ihrem Bruder Herodes
mit, und da sie gegen ihren eigenen Schwiegersohn auf-
trat, fand sie leicht Glauben. Noch ein anderes Gerede
trug dazu bei, den Zorn des Königs zu entflammen. Es
ward ihm nämlich zu Ohren gebracht, die Söhne der
Mariamne riefen häufig unter Schluchzen und Ver-
wünschungen gegen Herodes den Namen ihrer Mutter
aus, und jedesmal, wenn ihr Vater ein Kleid der Mariamne
einer der später geehelichten Frauen zuteile, verstiegen
sie sich zu der Drohung, statt königlicher Gewänder
würden diese Weiber wohl bald härene anlegen müssen.
4. So sehr nun auch dieses stolze Gebaren der jungen
Leute den König beunruhigte, gab er doch die Hoffnung,
sie auf bessere Wege zu bringen, nicht auf. Im Begriff,
nach Rom zu reisen, berief er sie daher zu sich und
stiess zunächst einige Drohungen in seiner Eigenschaft
als König gegen sie aus; dann aber sprach er ihnen als
Vater zu, ermahnte sie, ihre Brüder zu lieben, und ver-
hiess ihnen Verzeihung für die bisher begangenen Fehler,
wenn sie sich in Zukunft bessern wollten. Die beiden
wiesen hierauf das gegen sie vorgebrachte Geschwätz als
lügenhaft zurück und betonten, dass doch schon ihre
Handlungen dazu angethan seien, ihrer Verteidigung
Glauben zu verschaffen. Nun solle der König aber
auch den Klatschereien einen Riegel vorschieben und
nicht mehr so leichtgläubig sein; denn an Lügen gegen
sie werde es wohl so lange nicht fehlen, als es jemand
gebe, der sie glaube.
5. Indem sie sich mit .diesen Vorstellungen an das
Vaterherz des Königs wandten, beseitigten sie zwar für
den Augenblick die Gefahr; um so trauriger aber ge-
stalteten sich ihre Aussichten für die Zukunft, da sie
jetzt von der feindseligen Stimmung der Salome und
134 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ihres Oheims Pheroras Kenntnis erlangten. Beide waren
erbitterte und gefährliche, Pheroras aber dazu auch noch
ein mächtiger Gegner; denn er war Mitregent desHerodes,
nur ohne Krone, hatte hundert Talente Einkünfte von
eignem Besitz und genoss den Ertrag des ganzen Landes
jenseits des Jordan als Geschenk seines Bruders, der ihn
auch mit Einwilligung des Caesars zum Tetrarchen ge-
macht und der Ehe mit dem Spross eines Königshauses
gewürdigt hatte , indem er ihm die Schwester seiner
eigenen Gattin vermählte. Nach deren Tod hatte der
König ihm seine älteste Tochter nebst einer Mitgift von
dreihundert Talenten zugedacht, doch war Pheroras aus
Liebe zu einer Sklavin der Heirat mit der Königstochter
aus dem Wege gegangen. Aus Ärger darüber ver-
mählte nun Herodes seine Tochter mit einem seiner
Neffen 1 , der später im Kriege gegen die Parther fiel,
liess aber doch bald seinen Zorn gegen Pheroras aus
Nachsicht mit dessen Liebeskrankheit fahren.
6. Schon früher, als die Königin 2 noch lebte, war
Pheroras beschuldigt worden, dem Könige mit Gift nach
dem Leben getrachtet zu haben. Jetzt aber häuften sich
die diesbezüglichen Anschuldigungen wieder in dem
Masse, dass Herodes, so innig er seinen Bruder auch
liebte, doch endlich dem Gerede Glauben schenkte und
in Angst geriet. Nachdem er nun dieserhalb viele von
den als Mitwisser verdächtigten Personen hatte foltern
lassen, kam schliesslich die Beihe auch an des Pheroras
Freunde. Von diesen gestand zwar keiner einen förm-
lichen Mordanschlag ein, wohl aber vernahm man, dass
Pheroras Anstalten getroffen habe, seine Geliebte zu ent-
führen und mit ihr zu den Parthern zu fliehen, ferner
dass Kostobar, der Gatte der Salome, mit dem sie der
König vermählt hatte, nachdem ihr erster Gemahl 3
wegen Ehebruchs hingerichtet worden war, jenen Plan
1 Einem Sohne Phasaels (s. J. A. XVI, 7,3).
2 Gemeint ist Mariamne, die, wie es scheint, allein unter allen
Gattinnen des Herodes so genannt wurde.
8 Joseph (s. 22, 4 und 5).
Go gle
Erstes Buch, 24. Kapitel.
135
und die Flucht habe unterstützen wollen. Aber auch
Salome blieb nicht frei von Beschuldigungen; denn ihr
Bruder Pheroras klagte sie an, sich mit Syllaeus, dem
Verwalter des gegen Herodes äusserst feindlich gesinnten
Araberkönigs Obedas, in ein Verlöbnis eingelassen zu
haben. 1 Obwohl sie nun dieser wie aller übrigen von
Pheroras wider sie erhobenen Anklagen überführt ward,
erhielt sie dennoch Verzeihung, und auch den Pheroras
sprach der König von dem ihm zur Last gelegten Ver-
gehen frei 2 .
7. So zog sich denn das Gewitter über Alexander
allein zusammen und entlud sich gänzlich auf sein Haupt.
Unter seinen Verschnittenen hatte der König drei, die
er sehr schätzte, wie schon aus den ihnen ob-
liegenden Dienstverrichtungen hervorging. Der eine
nämlich versah das Amt eines Mundschenken, der andere
trug bei Tische auf, und der dritte bediente ihn, wenn
er zur Ruhe ging, und schlief in seiner nächsten Nähe.
Diese drei nun machte Alexander durch grosse Geschenke
seiner Wollust dienstbar. Der König aber erhielt Kennt-
nis davon und liess sie peinlich verhören. Hierbei ge-
standen sie den unzüchtigen Umgang sogleich ein und
gaben auch die Versprechungen an, wodurch Alexander
sie verführt habe. Von Herodes, habe er gesagt, dürften
sie nichts mehr erhoffen ; denn er sei ein alter Narr, der
sich das Haar färbe, um für jung gehalten zu werden.
Sie sollten sich vielmehr zu ihm halten, da er in Bälde
selbst wider den Willen seines Vaters zur Herrschaft
gelangen, seine Feinde züchtigen und seine Freunde, vor
allen sie selbst, reich und glücklich machen werde.
Schon seien im stillen die Grossen des Reiches auf seiner
Seite, und die hohen wie niederen Offiziere hätten ge-
heime Zusammenkünfte mit ihm.
1 Nach J. A. XVI, 7, 6 kam 'diese Ehe nichtl zustande, weil
Syllaeus sich weigerte, zum Judentum überzutreten.
2 Vergl. hierzu besonders J. A. XVI, 7,3 — 7,6. Die oben
erwähnte Anklage gegen Pheroras wird übrigens im folgenden Kapitel
noch einmal, und zwar ausführlicher, behandelt.
136
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
8. Diese Aussagen erschreckten den König in solchem
Grade, dass er für den Augenblick nicht einmal offenen
Gebrauch davon zu machen wagte. Er schickte vielmehr
unter der Hand bei Nacht wie bei Tage Späher aus,
durch die er alles erfuhr, was vor sich ging und ge-
sprochen wurde; wer in Verdacht geriet, musste auf der
Stelle sein Leben lassen. Voll von schrecklichem Frevel
ward nun der Königspalast. Jeder nämlich erdichtete
Verleumdungen, wie Feindschaft und Hass sie ihm ein-
gaben, und viele missbrauchten den mordgierigen Zorn
des Königs zum Nachteil ihrer Gegner. Die Lüge fand
augenblicklich Glauben, und fast schneller, als die Be-
schuldigung ausgesprochen werden konnte, vollzog sich
die Strafe. Ja, manchmal wurde jemand, der eben noch
Ankläger gewesen, selbst angeklagt und zugleich mit
seinem Opfer hingerichtet. Denn die Sorge um sein
eigenes Leben verleidete dem König langwierige Unter-
suchungen. Schliesslich verbitterte sich sein Gemüt
derart, dass er auch die Unschuldigsten nicht mehr
gnädig ansah und sogar seine Freunde im höchsten
Grade abstossend behandelte. So verbot er vielen von
ihnen den Palast, und an wem seine Hand sich nicht
vergreifen durfte, den beleidigte er mit Worten. Um
nun auf Alexander zurückzukommen, so machte Antipater
sich dessen unerquickliche Lage zunutze und liess, indem
er seine Verwandten wie eine festgeschlossene Rotte um
sich scharte, alle möglichen Verleumdungen gegen ihn
los. Der König aber wurde durch Antipaters Blend-
werk und Erdichtungen in solche Angst gejagt, dass
er beständig Alexander mit gezücktem Schwert vor sich
zu sehen wähnte. Er liess ihn daher plötzlich ergreifen
und in Fesseln legen und schritt sodann zur Folterung
seiner Freunde. Die meisten von diesen starben schweigend,
ohne etwas wider besseres Wissen ausgesagt zu haben;
diejenigen aber, welche durch die Folterqualen sich zu
Lügen treiben Hessen, sagten aus, Alexander trachte im
Verein mit seinem Bruder Aristobulus dem Könige nach
dem Leben und warte nur auf eine Gelegenheit, ihn auf
Go gle
Erstes Buch, 25. Kapitel.
187
der Jagd zu ermorden und dann nach Rom zu fliehen.
Solchen unwahrscheinlichen , weil in der Todesangst
hervorgestossenen Geständnissen schenkte der König
nur zu gern Glauben und tröstete sich über die Ein-
kerkerung seines Sohnes mit der scheinbaren Gerechtig-
keit dieser Massregel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 8, 5 und 6.
Archelaus söhnt Alexander und Pheroras wieder mit
Herodes aus.
1. Als Alexander einsah, dass es unmöglich sei,
seinem Vater eine andere Überzeugung beizubringen,
beschloss er, der Gefahr kühn die Stirn zu bieten. Er
verfasste daher vier Bücher gegen seine Feinde, worin
er zwar den verbrecherischen Anschlag eingestand, zu-
gleich aber auch die meisten seiner Gegner, besonders
Pheroras und Salome, als seine Mitverschworenen be-
zeichn ete. Letztere, behauptete er, habe sich sogar einmal
des Nachts bei ihm eingedrängt und ihn wider seinen
Willen zum Beischlaf genötigt. Diese Bücher voll
schwerer Anklagen gegen die mächtigsten Personen
waren schon in den Händen des Königs, als Archelaus
aus Angst um seinen Schwiegersohn und seine Tochter
eilends in Judaea ankam — ein sehr gewandter Helfer in
der Not, da er die von seiten des Königs drohende
Gefahr durch List abzuwenden verstand. Kaum nämlich
war er bei Herodes eingetreten, als er in die Worte
ausbrach: „Wo ist doch mein verruchter Schwiegersohn,
und wo finde ich den Vatermörder, dass ich ihm das
Haupt mit eigener Hand zerfleische ? Auch meine
Tochter will ich ihrem sauberen Gemahl beigesellen ;
denn wenn sie auch an seinen Anschlägen nicht teilnahm,
so ist sie doch durch die eheliche Verbindung mit einem
solchen Menschen entehrt. Wundern muss ich mich nur
Go gle
138 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
über die von dir, dem Gefährdeten, bewiesene Langmut,
und dass Alexander überhaupt noch am Leben ist.
Denn als ich von Kappadocien hierher eilte, nahm ich
als selbstverständlich an, dass ich ihn schon längst hin-
gerichtet finden und mit dir nur noch meine Tochter
zur Verantwortung zu ziehen haben würde, die ich ihm
aus Hochachtung vor dir und deinem Stande zur Ehe
gegeben hatte. Nun aber müssen wir über beide be-
schliessen, und wenn du zu sehr Vater sein solltest und
zu weichherzig , um den Sohn, der dir nach dem Leben
trachtete, zu bestrafen, so wollen wir die Rollen tauschen
und einer des anderen Zorn übernehmen.“
2. Durch diese hochtönenden Worte wusste Archelaus
den Herodes, wiewohl derselbe sich anfangs recht zurück-
haltend benommen hatte, doch etwas zutraulicher zu
machen. Und alsbald gab Herodes ihm die von Alexander
verfassten Bücher zum überlesen, blieb bei jedem Haupt-
abschnitt derselben stehen und ging den Inhalt mit
ihm durch. Diese Gelegenheit nahm Archelaus wahr,
um seinen schlau ersonnenen Plan auszuführen, und
schob unvermerkt alle Schuld auf die in der Schrift
genannten Personen, besonders aber auf Pheroras. Sobald
er nun merkte, dass der König anfing, seinen Worten
Glauben zu schenken, fuhr er fort: „Wir müssen unter-
suchen, ob nicht vielmehr dem jungen Manne von diesen
vielen Bösewichtern Fallen gelegt werden, statt dass er
dir Nachstellungen bereitet. Denn es liegt doch eigentlich
gar kein Grund vor, weshalb er sich eines solchen
Frevels schuldig machen sollte, da er schon jetzt könig- .
liehe Ehren geniesst und Aussicht auf die Thronfolge
hat, es müssten denn Verführer dagewesen sein, die
seinen jugendlichen Leichtsinn ausgebeutet hätten. Solche
Menschen pflegen ja nicht bloss jungen, sondern auch
alten Leuten gar oft den Kopf zu verdrehen und vor-
nehme Familien wie ganze Königreiche ins Verderben
zu stürzen.“
3. Diesen Ausführungen zollte Herodes Beifall, und
in dem Masse, wie sein Groll gegen Alexander nachliess,
Erstes Buch, 25. Kapitel.
139
verstärkte sich seine Erbitterung gegen Pheroras, von
dem die vier Bücher vornehmlich handelten. Als letzterer
nun die gereizte Stimmung des Königs und den mächtigen
Einfluss des Archelaus bemerkte, setzte er zum Zweck
seiner Rettung, die er auf ehrenhafte Weise nicht zu
erreichen vermochte, all seinen Mannesstolz beiseite.
Ohne sich nämlich weiter um Alexander zu kümmern,
nahm er seine Zuflucht zu Archelaus. Dieser erklärte
ihm, er sehe keine Möglichkeit, der Gefahr zu entrinnen,
da so viele Beschuldigungen gegen ihn vorlägen, aus
denen klar hervorgehe, dass er dem Könige nach dem
Leben gestellt und den jungen Mann in seine jetzige
schlimme Lage gebracht habe; es sei denn, dass er sich
entschliessen könne, aller Arglist und Lüge zu entsagen,
die ihm zur Last gelegten Schandthaten einzugestehen
und Herodes im Vertrauen auf dessen Bruderliebe um
Verzeihung zu bitten. In diesem Fall wolle er seiner-
seits alles aufbieten, um ihm beizustehen.
4. Pheroras ging auf diesen Vorschlag ein, legte, um
einen recht erbarmenswerten Eindruck zu machen, ein
schwarzes Gewand an und fiel Herodes zu Füssen.
Unter Thränen bat er ihn sodann, wie das früher schon
manchmal geschehen war, um Verzeihung und bekannte
sich als den ruchlosen Menschen, der alle die ihm vor-
geworfenen Schlechtigkeiten sich habe zu schulden
kommen lassen, jammerte aber zugleich darüber, dass
die Leidenschaft für ein Weib 3 ihn in Geistesverwirrung
und Wahnsinn gestürzt habe. Nachdem nun Archelaus
dergestalt es fertig gebracht hatte, Pheroras zum Ankläger
und Zeugen wider sich selbst zu machen, da erst legte
er sich aufs Bitten und suchte den Zorn des Herodes
zu beschwichtigen, indem er ein Beispiel aus seiner
Familie anführte. „Auch ich,“ sprach er, „hatte einen
Bruder, von dem ich noch weit schlimmere Unbilden
erfuhr, und doch habe ich das Gebot der Natur höher
geachtet als das der Rache. Denn auch in Staaten
1 Nämlich die 24, 5 erwähnte Sklavin.
140 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
entstehen leicht, wie in grossen Leibern, infolge der
Schwere einzelner Teile entzündliche Auswüchse, die
man nicht abschneiden , sondern durch gelinde Mittel
heilen muss.“
5. Durch solche und ähnliche Vorstellungen gelang
es Archelaus, den Herodes gegen Pheroras milder zu
stimmen. Er selbst jedoch hielt an seinem scheinbaren Zorn
gegen Alexander fest und erklärte sogar, er wolle seine
Tochter von ihm trennen und mit sich nehmen, bis er
endlich den Herodes so weit brachte, dass dieser sich
für den jungen Mann ins Mittel legte und Archelaus
bat, er möge doch Glaphyra ihrem Gatten belassen.
Mit gewinnendster Freundlichkeit stellte nun Archelaus
dem Könige frei, Glaphyra mit irgend einem beliebigen
Manne zu vermählen, nur nicht mit Alexander; denn
nichts liege ihm so sehr am Herzen, als die Aufrecht-
erhaltung der guten Beziehungen, in denen er zu Herodes
stehe. Letzterer jedoch versicherte, er werde seinen
Sohn wie ein Geschenk aus Archelaus’ Hand annehmen,
wenn dieser die Ehe ungelöst lassen wolle, die ja bereits
mit Kindern gesegnet sei. Auch erfreue sich Glaphyra
der zärtlichsten Liebe ihres Gatten und werde, so lange
sie bei ihm bleibe, ihn gewiss vor ähnlichen Verirrungen
bewahren. Werde sie ihm aber entrissen, so könne das
leicht den jungen Mann zur Verzweiflung treiben; denn
wo die angenehm zerstreuenden häuslichen Freuden
fehlten, da sei das Ungestüm der Jugend nicht mehr in
Schranken zu halten. Hierauf gab denn Archelaus,
wiewohl zögernd, endlich nach, liess von seinem schein-
baren Unwillen gegen Alexander ab und söhnte den
jungen Mann mit seinem Vater wieder aus. Doch,
fügte er hinzu, müsse man ihn jedenfalls nach Rom
schicken, damit er den Caesar sprechen könne; denn er
selbst habe dem Augustus bereits über alles brieflichen
Bericht erstattet.
6. Damit hatte Archelaus die Rolle des Verstellers
zu Ende gespielt und seinen Schwiegersohn gerettet.
Gelage und Freudenfeste folgten nun der Versöhnung,
Go gle
Erstes Buch, 26. Kapitel.
141
und als Archelaus abreiste, verehrte Herodes ihm siebzig
Talente, einen goldenen, mit Edelsteinen verzierten
Thronsessel, mehrere Verschnittene und ein Kebsweib
Namens Pannychis ; auch das Gefolge ward entsprechend
beschenkt. Weitere prächtige Gaben erhielt Archelaus
auf Befehl des Königs von dessen Verwandten. Alsdann
gaben Herodes und die Grossen ihm das Geleit bis
Antiochia.
Sech sund zwan zi gstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 10, 1 ff.
Eurykles verleumdet die Söhne der Mariamne.
1. Bald darauf landete in Judaea ein Mann, der in
listigen Kunstgriffen noch erfahrener war als Archelaus,
und der nicht bloss die von letzterem zu gunsten
Alexanders bewirkte Aussöhnung wieder zunichte machte,
sondern auch dazu noch den Untergang des Prinzen
verschuldete. Es war dies ein Lakedaemonier mit
Namen Eurykles, den schnöde Geldgier ins jüdische
Königreich geführt hatte, nachdem Griechenland für
seine Verschwendungssucht zu klein geworden war. Dem
Herodes brachte er als Lockmittel glänzende Geschenke,
um dadurch seine Zwecke zu fordern, und erhielt auch
wirklich sogleich Gegengeschenke von weit höherem
Wert Doch nicht zufrieden mit dieser reinen Gabe,
glaubte er vielmehr, die Gunst eines Königs auch noch
mit Blut erkaufen zu müssen. Zunächst also schlich er
sich bei Herodes durch Schmeicheleien und gleissnerische
Lobeserhebungen ein, die er mit beredten Worten an-
zubringen wusste, und als er, was schnell der Fall war,
des Königs Charakter durchschaut hatte, redete und
that er alles nur ihm zu Gefallen. Auf diese Weise
wurde er bald einer der vertrautesten Freunde des
Herodes und als Spartaner von diesem wie dem ge-
Go gle
142
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
eamten Hofe schon um seines Vaterlandes willen 1 mit
grösster Auszeichnung behandelt.
2. Kaum nun hatte dieser Mann die wunden Punkte
der königlichen Familie, nämlich die Feindseligkeit
zwischen den Brüdern und die ungleichartige Gesinnung
des Vaters seinen Söhnen gegenüber bemerkt, als er
unter dem Vorgeben, ein alter Freund des Archelaus
zu sein, Wohlwollen für Alexander heuchelte, während
er doch bereits bei Antipater gastliche Aufnahme ge-
funden und bei dieser Gelegenheit sich in dessen Ver-
trauen eingeschlichen hatte. Von Alexander ward er
übrigens aus dem erwähnten Grunde sogleich wie ein
erprobter Freund aufgenommen, und auch bei dessen
Bruder Aristobulus wusste er sich alsbald zu empfehlen.
In allen Rollen bewandert, verstand er jedem auf eine
besondere Art beizukommen; vorzugsweise jedoch ward
er Antipaters Söldling und Alexanders Verräter. Dem
ersteren machte er Vorwürfe darüber, dass er als der
älteste Prinz Leute neben sich dulde, die nur darauf
ausgingen, seine Anwartschaft auf den Thron zunichte
zu machen, dem Alexander aber darüber, dass er, der
Sohn einer Königin und Gemahl einer Königstochter, '
der noch dazu an Archelaus einen so trefflichen Rückhalt
habe, es zulasse, dass der Sohn eines bürgerlichen Weibes
zur Thronfolge gelange. Weil nun Eurykles sich lügen-
hafterweise auf die Freundschaft des Archelaus bezog,
glaubte Alexander an ihm einen zuverlässigen Ratgeber
zu haben und beklagte sich deshalb nicht nur offen-
herzig bei ihm über Antipater, sondern liess auch die
Bemerkung fallen, Herodes, der ihre Mutter ermordet
habe, werde sich wohl auch kein Gewissen daraus machen,
ihnen den Thron zu entreissen, auf den sie als die
Söhne eben dieser Mutter ein Anrecht hätten. Auf diese
Äusserungen hin verfehlte Eurykles nicht, Mitleid und
1 Die Juden hatten bereits zu wiederholten Malen Freund-
schaftsbündnisse mit den Lakedaemoniern geschlossen (s. J. A. XU,
4, 10; XIII, 5, 8).
Erstes Buch, 26. Kapitel.
143
Bedauern zu heucheln. Sobald er aber auch dem Aristo-
bulus ähnliche Klagen entlockt uiid beide zu unzufriedenen
Auslassungen über ihren Vater verleitet hatte, hinter-
brachte er schleunigst das Geheimnis dem Antipater,
nicht ohne die rein erfundene Behauptung hinzuzufügen,
die Brüder hätten es auf seine Ermordung abgesehen
und seien drauf und dran, ihn mit blanker Waffe zu
überfallen. Reich beschenkt für diese Mitteilungen,
strich er sodann Antipater bei Herodes gehörig heraus
und arbeitete endlich geradeswegs auf Aristobulus’ und
und Alexanders Untergang hin, indem er sie bei ihrem
Vater anklagte. Alsbald nämlich begab er sich zu
Herodes und erklärte ihm, er wolle ihm als Gegen-
geschenk für die empfangenen Wohlthaten und zum
Dank für die genossene Gastfreundschaft das Leben
retten. Schon lange sei das Schwert zur Ermordung
des Königs geschärft und Alexanders Rechte gegen ihn
ausgestreckt. Doch habe er, Eurykles, die Ausführung
des Anschlages aufzuhalten gewusst, indem er der Ver-
schwörung zum Schein als Genosse beigetreten sei.
Alexander pflege zu sagen, Herodes sei nicht zufrieden,
auf einem Thron zu sitzen, der ihm nicht gehöre, und
nach der Ermordung ihrer Mutter deren Reich zu zer-
stückeln, sondern er stelle auch noch einen Bastard als
Thronfolger auf, diesen verwünschten Antipater, dem er
ihr angestammtes Königreich zugedacht habe. Er aber,
Alexander, werde den Schatten des Hyrkanus und der
Mariamne ein Sühnopfer darbringen ; denn aus der Hand
eines solchen Vaters dürfe er die Herrschaft nicht ohne
Blutvergiessen annehmen. Übrigens vergehe kein Tag,
an dem er nicht durch vielfache Anlässe gereizt werde,
und kein Wort komme über seine Lippen, das man
unverdreht lasse. Sei von der edlen Abkunft anderer
Menschen die Rede, so schmähe man ihn ohne Grund,
und besonders Herodes pflege dann zu bemerken :
„Alexander allein ist edelgeboren, darum missachtet er
auch seinen Vater, der von geringer Herkunft ist.“ Auf
der Jagd stosse man sich daran, wenn er schweige;
144
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
thue er aber seinen Mund auf, um eine Anerkennung
auszusprechen, so wolle man einen Spott heraushören.
Bei jeder Gelegenheit fahre sein Vater ihn rauh an,
und nur gegen Antipater erweise derselbe sich liebreich.
Gern wolle er deshalb sterben, wenn der Anschlag gegen
Herodes fehlgehe. Gelinge dagegen die Ermordung des
Königs, so erwarte er Rettung in erster Linie von seinem
Schwiegervater Archelaus, zu dem er leicht werde ent-
kommen können, und nächst ihm vom Caesar, der bis
jetzt den wahren Charakter des Herodes noch gar nicht
kenne. Denn nicht wie früher werde er ihm dann
gegenüberstehen, zitternd vor dem mitanwesenden Vater,
noch sich auf die seine Person allein betreffenden Klagen
beschränken, sondern vornehmlich wolle er dann das
Elend seines Volkes schildern und darthun, wie man
demselben durch Steuerdruck das Mark ausgepresst, für
welche Schlemmereien und Schandthaten man das Blut-
geld verschleudert, was für Menschen es seien, die sich
vom Eigentum seiner Landsleute bereichert, und denen
man ganze Städte zum Geschenk gemacht; da endlich
wolle er auch um Rache rufen für seinen Grossvater
und seine Mutter und alle Greuel der jetzigen Regierung
ans Licht bringen. Dass man ihn aber dann noch als
Vatermörder verurteilen werde, glaube er nun und nimmer.
3. Als Eurykles mit diesen seinen abenteuerlichen
Lügen über Alexander zu Ende war* überhäufte er
Antipater mit Lobsprüchen und hob hervor, wie dieser
allein seinen Vater liebe, und wie deswegen an ihm
allein bisher der Anschlag gegen des Königs Leben
gescheitert sei. Herodes, der die früheren Vorfälle noch
nicht ganz vergessen hatte, geriet nunmehr in rasenden
Zorn. Antipater aber nahm, wie auch früher, die günstige
Gelegenheit wahr, um andere Ankläger gegen seine
Brüder vorzuschieben, welche aussagten, die Prinzen
hätten heimliche Zusammenkünfte mit Jucundus und
Tyrannus gehabt, zwei ehemaligen königlichen Reiter-
offizieren, die jüngst wegen gewisser Verfehlungen ihres
Dienstes enthoben worden waren. Dadurch ward Herodes
Erstes Buch, 26. Kapitel.
145
in die äusserste Wut versetzt und liess die letzteren
augenblicklich der Folter unterwerfen. Sie bekannten
jedoch nichts von dem, was man ihnen fälschlich zur
Last gelegt hatte. Nun wurde auch noch ein Brief
Alexanders vorgebracht, in welchem er den Kommandanten
einer Festung 1 des Königs ersuchte, ihn nach der Er-
mordung seines Vaters mit seinem Bruder Aristobulus
in die Festung aufzunehmen und ihm die Benutzung
der Waffen und anderen Kriegsgeräte zu gestatten.
Diesen Brief erklärte Alexander für eine Fälschung des
Diophantos, eines königlichen Schreibers, der ein frecher
Mensch und in der Nachahmung von Handschriften
äusserst geschickt war. Nachdem er übrigens eine Menge
derartiger Fälschungen begangen hatte, ward er endlich
wegen einer gleichen Frevelthat hingerichtet. Herodes
liess darauf den Festungskommandanten ebenfalls foltern,
vermochte aber auch aus ihm nichts herauszubringen,
was auf die Anklage Bezug hatte.
4. Obwohl nun der König die Beweise schwach fand,
liess er doch seine Söhne verhaften, vorläufig indes ohne
sie zu fesseln. Den Eurykles aber, der das Verderben
über sein Haus gebracht und den ganzen schändlichen
Plan ersonnen hatte, nannte er seinen Retter und Wohl-
thäter und beschenkte ihn mit fünfzig Talenten. Bevor
übrigens sein Frevel ruchbar wurde, eilte Eurykles nach
Kappadocien und entlockte auch dem Archelaus ein
Geldgeschenk , indem er ihm mit frecher Stirn vorlog,
-er habe Herodes mit Alexander ausgesöhnt. Alsdann
setzte er nach Griechenland über und verwandte das
Sündengeld zu ähnlichen Schurkenstreichen, ward aber
endlich, nachdem er zweimal beim Caesar wegen auf-
rührischer Umtriebe in Achaja und Betrügereien gegen
städtische Kassen verklagt worden war, mit Verbannung
bestraft. So fand die von ihm an Aristobulus und
Alexander begangene Unthat ihre Sühne.
5. Diesem Spartaner verdient der Koer 2 Evaratus
1 Alexandrium (s. J. A. XVI, 10, 4).
* Bewohner Ton Kos.
Josephus, Jüdischer Krieg. 10
Go gle
146
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
einer der besten Freunde Alexanders, gegenübergestellt
zu werden. Er war um dieselbe Zeit wie Eurykles nach
Judaea gekommen, und als der König ihn wegen der
von letzterem gemachten Angaben befragte, versicherte
er eidlich, nichts dergleichen von den Prinzen gehört zu
haben. Dieses Zeugnis half freilich den Unglücklichen
nichts; denn nur für böse Einflüsterungen hatte Herodes
ein offenes Ohr, und beliebt bei ihm war nur derjenige
der mit ihm daran glaubte und mit ihm sich darüber
ereiferte.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVI, 10, 7 — 11, 8.
Verurteilung und Hinrichtung der Söhne Mariamnes.
1. Auch Salome that das ihrige, um Herodes gegen
seine Söhne aufzustacheln. Um nämlich seine Schwieger-
mutter und Tante mit in die ihm selbst drohenden Ge-
fahren zu verstricken, hatte Aristobulus ihr die Warnung
zugehen lassen, sie solle auf ihre Rettung bedacht sein,,
denn der König treffe Anstalten zu ihrer Hinrichtung
auf Grund der bereits früher gegen sie erhobenen An-
klage, dass sie, um den Araber Syllaeus als Gemahl zu
gewinnen, demselben die Geheimnisse des mit ihm ver-
feindeten Königs verrate. Das aber ward gewisser-
massen die Sturzwelle, die den vom Sturm bereits hart
mitgenommenen jungen Leuten vollends den Untergang
bereiten sollte. Salome nämlich hatte nichts eiligeres
zu thun, als zum Könige zu laufen und ihm die ihr
zugegangene Warnung mitzuteilen. Herodes vermochte
sich nun nicht mehr zu halten, liess die beiden Söhne
fesseln und voneinander trennen und schickte eiligst
den Obersten Volumnius nebst seinem Freunde Olympus
mit einem schriftlichen Bericht zum Caesar. Als diese
Männer in Rom an gelangt waren und das Schreiben des
Königs überreicht hatten, empfand der Caesar zwar
inniges Mitleid mit den Prinzen, glaubte aber ihrem.
Erstes Buch, 27. Kapitel.
147
Vater die Gewalt über seine Söhne nicht nehmen zu
dürfen. Er erwiderte demnach, Herodes sei ja Herr in
seinem Hause; dennoch werde er wohl daran thun, aus
seinen Verwandten und den obersten Beamten der
Provinz einen Gerichtshof zu bilden und die Ver-
schwörung untersuchen zu lassen. Stelle sich dann die
Schuld der jungen Leute heraus, so verdienten sie den
Tod; hätten sie aber nur die Absicht gehabt, zu ent-
fliehen, so sei eine mildere Strafe am Platz.
2. Dieser Aufforderung kam Herodes nach, begab
sich der Anordnung des Caesars zufolge nach Berytus
und berief den Gerichtshof. Den Vorsitz in demselben
führten laut der vom Caesar ihnen erteilten schriftlichen
Anweisung die obersten Beamten , Saturninus und
Pedanius mit seinen Legaten. Ausserdem hatten sich ein-
gefunden der Finanzverwalter Volumnius, die Verwandten
und Freunde des Königs, darunter auch Salome und
Pheroras, sowie die sämtlichen syrischen Grossen mit
Ausnahme des Königs Archelaus; denn diesem traute
Herodes nicht recht, weil er Alexanders Schwiegervater
war. Seine Söhne selbst liess der König übrigens aus
wohlerwogenen Gründen dem Gerichte nicht vorführen ;
wusste er doch, dass ihr blosser Anblick allseitiges Mit-
gefühl wachrufen und dass, wenn sie das Wort erhielten,
Alexander mit Leichtigkeit die Anklage entkräften würde.
Sie wurden vielmehr in Platana, einem Dorf im Gebiete
der Sidonier, gefangen gehalten.
3. Nunmehr erhob sich der König und fuhr gegen
seine Söhne los , als ob sie wirklich anwesend wären.
Zwar die Anklage wegen des Mordplanes berührte er
nur obenhin, da diese, wie er wohl selbst fühlte, auf
sehr schwachen Füssen stand. Dagegen zählte er dem
Gerichtshof eine Menge von Schmähungen, Spottreden,
Kränkungen und sonstigen Vergehen gegen seine Person
her, für welche die Todesstrafe noch viel zu gelinde sei.
Und als niemand darauf erwiderte, erging er sich in
Klagen darüber, dass er selbst schwer genug gestraft sei,
und dass der Sieg, den er über seine Kinder davontrage,
io*
Go gle
148
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
für ihn nur die Quelle bitteren Grams sein werde. So-
dann befragte er jeden der Anwesenden um seine
Meinung. Saturninus, der zuerst ab6timmte, erachtete
die jungen Leute für schuldig, doch nicht des Todes;
denn es zieme sich nicht für ihn, eines anderen Mannes
Kinder dem Untergang zu weihen, während seine eigenen
drei Söhne ihm zur Seite ständen. Derselben Ansicht
waren auch die beiden Legaten, denen dann noch einige
andere Stimmen sich anschlossen. Volumnius war der
erste, der sich für eine härtere Strafe entschied, und nach
ihm verurteilten auch alle übrigen Beisitzer des Gerichtes
die Prinzen zum Tode, die einen aus Liebedienerei, die
anderen aus Hass gegen Herodes, keiner aber aus Ent-
rüstung über die Angeklagten. Ganz Syrien und Judaea
war übrigens auf den Ausgang des Trauerspiels gespannt,
doch glaubte niemand , Herodes werde die Grausamkeit
bis zur Hinrichtung seiner Söhne treiben. Er aber
schleppte die beiden nach Tyrus, fuhr von da zu Schiff
nach Caesarea und überlegte nur noch, auf welche Weise
er sie vom Leben zum Tode bringen lassen sollte.
4. Mittlerweile geschah es, dass ein alter Soldat des
Königs mit Namen Teron, dessen Sohn ein sehr ver-
trauter Freund Alexanders war und der auch selbst die
beiden Prinzen aufrichtig liebte, vor übergrossem Unwillen
über die Verurteilung derselben wahnsinnig wurde.
Anfangs lief er umher und schrie, das Recht sei zu
Boden getreten, die Wahrheit zu Grunde gegangen, die
Natur verkehrt und die Welt voller Frevel, und was
sonst der Schmerz einem Menschen eingeben kann, der
sein Leben in die Schanze geschlagen hat. Endlich wagte
er dann auch vor den König selbst hinzutreten und ihm
die Worte entgegenzurufen: „Du bist, wie mir scheint,
von einem bösen Dämon besessen, dass du den ver-
ruchtesten Menschen Glauben schenkst gegen diejenigen,
die dir am teuersten sein sollten. Denn einem Pheroras
und einer Salome, die du schön so oft des Todes schuldig
erkennen musstest, traust du, wenn sie wider deine
Kinder auftreten. Und doch bezwecken diese Bösewichter
Erstes Buch, 27. Kapitel.
149
nichts anderes, als die rechtmässigen Thronfolger aus
dem Wege zu räumen und dir Antipater allein übrig
zu lassen, damit sie einen König bekommen, der ihnen
in allen Stücken zu willen ist. Überlege indes, ob ihm
nicht der Tod seiner Brüder den Hass der Soldaten zu-
ziehen könnte. Denn im ganzen Heere giebt es niemand,
der nicht Mitleid mit den beiden Prinzen empfände, und
von den Offizieren machen gar viele aus ihrem Unwillen
durchaus kein Hehl.“ Alsdann nannte Teron auch die
Namen der Unzufriedenen. Der König aber Hess dieselben
auf der Stelle samt Teron und seinem Sohne verhaften.
5. Nun kam auch ein Hofbarbier Namens Tryphon
in einem Anfall von Verrücktheit daher und gab sich
selbst an. „Denke dir,“ sprach er, „dieser Teron wollte
mich beschwätzen, dich beim Barbieren mit dem Scher-
messer umzubringen, und er stellte mir dabei ein grosses
Geschenk von Alexander in Aussicht.“ Kaum hatte
Herodes dies vernommen, als er sogleich Teron und
dessen Sohn sowie den Barbier auf die Folter spannen
liess. Die ersteren jedoch leugneten hartnäckig, und da
auch der Barbier nichts weiter aussagte, liess er diesen
noch empfindlicher quälen. Nun aber versprach des
letzteren Sohn, von Mitleid überwältigt, dem Könige,
alles angeben zu wollen, wenn er seinen Vater begnadige.
Und als Herodes ihm dies zugestanden , sagte er aus,
sein Vater habe auf Alexanders Anstiften den König
ums Leben bringen wollen. Diese Angabe hielten einige
für eine Erdichtung, die der Sohn vorgebracht habe, um
seinen Vater von den Folterqualen zu erlösen, andere
hingegen für Wahrheit.
6. In einer Volksversammlung erhob hierauf Herodes
Anklage gegen Teron und die Offiziere und hetzte das
Volk dergestalt gegen sie auf, dass sie sogleich mitsamt
dem Barbier von der Menge durch Steinwürfe und Stock-
schläge getötet wurden. Seine Söhne aber sandte er
nach der unweit Caesarea ‘gelegenen Stadt Sebaste 1 und
Samaria.
150
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gab Befehl, sie daselbst zu erdrosseln, was unverzüglich
geschah! Die entseelten Leiber liess er nach der Festung
Alexandrium bringen, wo sie neben Alexander, ihrem
Grossvater von mütterlicher Seite , beigesetzt wurden.
Ein solch trauriges Ende nahmen Alexander und
Aristobulus.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 1,1 — 1, 3.
Antipater wird verhasst. Übersicht über die Familie
des Herodes.
1. Antipater war nun freilich unbestrittener Thron-
folger, aber fast unerträglich lastete auf ihm der Hass
des Volkes; denn allseitig ward es bekannt, dass er
der eigentliche Urheber aller gegen seine Brüder ge-
richteten Verleumdungen war. Übrigens beschlich ihn
keine geringe Furcht, wenn er sah, wie die Nachkommen-
schaft der Gemordeten mehr und mehr heranwuchs.
Alexander nämlich hatte von der Glaphyra zwei Söhne,
Tigranes und Alexander, Aristobulus aber von Berenike,
der Tochter Salomes, die Söhne Herodes, Agrippa und
Aristobulus sowie die Töchter Herodias und Mariamne.
Nach Alexanders Hinrichtung sandte Herodes die
Glaphyra samt ihrer Mitgift nach Kappadocien zurück,
des Aristobulus Gattin Berenike aber Vermählte er mit
Antipaters Oheim von mütterlicher Seite 1 , und zwar
hatte Antipater selbst diese Heirat zustande gebracht,
um Salome, mit der er verfeindet war, sich geneigt zu
machen. Auch den Pheroras suchte er durch Geschenke
und sonstige Aufmerksamkeiten auf seine Seite zu bringen,
desgleichen die Freunde des Caesars, denen er beträchtliche
Geldsummen nach Rom schickte. Ferner überhäufte er
den Saturninus in Syrien und dessen ganze Umgebung
1 Theudion, Bruder der Dons (s. J. A. XVII, 4, 2 und im vor-
liegenden Werke I, 30, 5).
Go gle
J|viIV£RSl1f;OF C ÄüPÖRfHa
Erstes Buch, 28. Kapitel.
151
mit Geschenken. Je mehr er aber spendete, desto ver-
hasster wurde er; denn man wusste wohl, dass er nicht
freigebig war aus Hochsinn, sondern verschwenderisch
aus Furcht. So kam es, dass die Empfänger seiner
Gaben ihm um nichts gewogener, die nicht Beschenkten
aber um so erbittertere Feinde von ihm wurden. Immer
glänzender ward seine Freigebigkeit, als er auf einmal
ganz wider Erwarten bemerken musste, dass der König
den Waisen seine Sorge zuwandte und durch Mitleid
mit den Nachkommen seiner Söhne der Reue über deren
Hinrichtung Ausdruck gab.
2. Eines Tages nämlich versammelte Herodes seine
Verwandten und Freunde um sich, stellte ihnen die
Kinder vor und sprach thränenden Auges wie folgt:
„Ein trauriges Geschick hat mir die Väter dieser Kinder
entrissen; sie selbst empfiehlt darum die Stimme der
Natur und das Mitgefühl mit ihrer Verlassenheit meiner
Fürsorge. So will ich denn versuchen, nachdem ich als
Vater so unglücklich gewesen, als Grossvater um so
liebreicher zu sein, und ihnen, sollt’ ich von hinnen
scheiden, meine besten Freunde als Beschützer hinter-
lassen. Deine Tochter, Pheroras, verlobe ich daher mit
dem ältesten Sohne Alexanders* damit du als sein Vor-
mund mit ihm in engste Verwandtschaft tretest, und mit
deinem Sohne, Antipater, verlobe ich die Tochter des
Aristobulus — mögest du der Waise ein Vater werden!
Ihre Schwester aber soll mein Herodes zur Ehe nehmen,
der mütterlicherseits einen Hohepriester zum Grossvater
hat. Wer mich nun liebt, der trete dieser meiner Ent-
scheidung bei, und niemand versuche dieselbe umzustossen,
wofern ihm meine , Freundschaft etwas gilt. Zu Gott
aber flehe ich, dass er diese Verbindungen zum Heile
meines Reiches und meiner Enkel segnen und diese
Kinder mit gnädigerem Auge anschauen möge, als er
ihre Väter angeschaut hat.“
3. Während dieser Ansprache weinte er und legte
die Hände der Kinder ineinander. Dann umarmte er
jedes von ihnen herzlich und entliess die Versammlung.
152
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Antipater aber geriet in die äusserste Bestürzung, und
jedermann konnte ihm seinen Ärger am Gesicht ablesen.
War er doch der Meinung, die von seinem Vater den
Waisen erwiesene Auszeichnung sei gleichbedeutend mit
seinem eigenen Sturz, und es stehe für ihn abermals
alles auf dem Spiel, wenn die Kinder Alexanders ausser
an Archelaus auch noch an dem Tetrarchen Pheroras 1
einen Beschützer haben sollten. Ferner zog er in Er-
wägung den Hass des Volkes gegen seine Person,
desselben Volkes Mitleid mit den Waisen, die Anhäng-
lichkeit, welche die Juden den durch seine Schuld um-
gekommenen Brüdern während ihres Lebens bewiesen
hatten, und das ehrenvolle Andenken, das sie denselben
nach ihrem Tode noch bewahrten. Das alles brachte
in ihm den Entschluss zur Reife, die Verlobungen um
jeden Preis rückgängig zu machen.
4. Listige Kniffe zu gebrauchen, hielt er indes nicht
für ratsam, da er seines Vaters Strenge und grosse Reiz-
barkeit bei argwohnerregenden Anlässen fürchtete. So
fasste er sich also ein Herz, ging geradeswegs zum
König und bat ihn, er möge ihn doch der Ehre, der
er ihn gewürdigt, nicht wieder berauben, indem er anderen
die wirkliche Gewalt, ihm selbst aber nur den Titel
eines Königs überlasse. Denn er werde wohl niemals
zur Regierung gelangen, wenn der Sohn Alexanders
ausser an seinem Grossvater Archelaus auch noch an
Pheroras als seinem Schwiegervater eine Stütze finde.
Er bitte daher inständigst, die Heiratspläne abzuändern,
was ja bei der grossen Zahl der Mitglieder des Königs-
hauses nicht schwer fallen könne. Der König war
nämlich mit neun Frauen vermählt, von denen sieben
ihm Kinder geboren hatten. Antipater selbst war von
der Doris, Herodes von der Hohepriesterstochter Mariamne,
Antipas und Archelaus 2 sowie die Tochter Olympias,
welche seinen Neffen Joseph zum Manne hatte, von der
1 Dessen Tetrarchie jenseits des .Jordan lag (s. 24, 5).
* Der Nachfolger Herodes’ des Grossen.
Erstes Buch, 28. Kapitel.
153
Samariterin Malthake, Herodes und Philippus von der
Jerusal ernenn Kleopatra, Phasael von der Pallas. Ferner
hatte er zwei Töchter Roxane und Salome, erstere von
der Phaedra, letztere von der Elpis, und ausserdem noch
zwei Töchter von Alexanders und Aristobulus* Mutter
Mariamne. Zwei seiner Frauen, Nichten von ihm, waren
kinderlos. Auf diese zahlreiche Nachkommenschaft also
stützte Antipater seine Bitte um Abänderung der Ver-
lobungen.
6. Der König aber, der aus diesem Gesuche Anti-
paters dessen wahre Gesinnung gegen die Waisen er-
kannte, geriet in heftigen Zorn, und schon stieg die leise
Ahnung in ihm auf, es könnten auch die Väter derselben
den Intriguen Antipaters zum Opfer gefallen sein. Er
erteilte ihm daher eine höchst ungnädige Antwort und
wies ihn ab; später jedoch liess er sich durch seine
Schmeichelreden umstimmen und gab ihm selbst die
Tochter des Aristobulus, seinem Sohne aber die Tochter
des Pheroras zur Frau.
6. Wieviel hierbei Antipater durch seine Schmeiche-
leien vermochte, kann man an Salome ersehen , die mit
einem ähnlichen Anliegen beim Könige nicht durch-
zudringen imstande war. Als sie nämlich im Vertrauen
auf die mächtige Fürsprache der Gattin des Caesars,
Julia 1 , die Bitte vorbrachte, den Araber Sy 11 aeus heiraten
zu dürfen, schwur Herodes ihr, er werde sie, obwohl sie
seine leibliche Schwester sei, für seine ärgste Feindin
halten, wenn sie von ihrem Verlangen nicht Abstand
nehme. Zuletzt vermählte er sie wider ihren Willen mit
einem seiner Freunde, Alexas, und von ihren Töchtern
die eine mit dem Sohne des Alexas, die andere mit
Antipaters Oheim von mütterlicher Seite. Von Mariamnes
1 Die Gemahlin des Augustus hiess eigentlich Livia und erhielt
den Namen Julia erst nach dem Tode des Caesars, als sie in das
Julische Geschlecht aufgenommen wurde (s. Tacitus, Annalen, I, 8).
Vergl. übrigens wegen der Intervention der Livia die abweichende
Darstellung J. A. XVII, 1, 1.
154
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Töchtern hatte die eine 1 den Sohn seiner Schwester,
Antipater, die andere 2 seinen Neffen Phasael 3 zum
Gemahl.
.Neunundz wanzigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 2, 4 — 3, 8.
Antipater geht mit dem Testamente des Herodes nach
Rom. Des Pheroras Tod.
1. Nachdem Antipater so die Aussichten der Waisen
zunichte gemacht und die ehelichen Verbindungen seinem
Interesse gemäss ins Werk gesetzt hatte, glaubte er am
Ziel seiner Wünsche zu sein. Das zu seiner Bosheit sich
gesellende Selbstgefühl aber machte ihn nun unerträglich,
und ausser stände, den allgemeinen Hass von sich ab-
zuwälzen , suchte er sich dadurch Sicherheit zu ver-
schaffen, dass er Schrecken um sich verbreitete. Pheroras,
der schon den künftigen König in ihm erblickte, ging
ihm dabei hilfreich zur Hand. Obendrein bildete sich
am Hofe auch eine Weiberclique, welche die Zerwürfnisse
noch vermehrte. Die Gattin des Pheroras nämlich be-
trug sich im Verein mit ihrer Mutter und ihrer Schwester,
an welche sich Antipaters Mutter anschloss, höchst über-
mütig im Königspalast und erkühnte sich sogar, zwei
Töchter des Königs zu beschimpfen. Sie zog sich des-
wegen den heftigsten Unwillen des Herodes zu, wusste
aber trotzdem mit ihren Genossinnen die anderen zu
beherrschen. Salome allein störte das Einvernehmen der
Clique, indem sie dieselbe beim König an schwärzte, als
führe sie nichts Gutes gegen ihn im Schilde. Sobald
nun die anderen Frauen erfuhren, dass sie verdächtigt
waren und der König über sie ungehalten sei, gaben sie
die offenen Zusammenkünfte und den freundschaftlichen
Verkehr auf und stellten sich, wenn der König zugegen
1 Salampsio (s. J. A. XVIII, 5, 4).
- Kypros (ebend.)
3 Den Sohn seines verstorbenen Bruders Phasael.
Go gle
Erstes Buch, 29. Kapitel.
155
war, als ob sie in Feindschaft miteinander lebten. An
dieser Verstellerei nahm auch Antipater teil, der einmal
sogar dem Pheroras eine öffentliche Beleidigung zufügte.
Insgeheim jedoch hielten sie auch fernerhin Zusammen-
künfte und nächtliche Schmausereien, und das Bewusst-
sein, beobachtet zu werden, befestigte ihr Einvernehmen
nur um so mehr. Salome aber erlangte von ihrem ganzen
Treiben Kenntnis und hinterbrachte alles dem Könige.
2. Da entbrannte des Herodes Zorn, und zwar am
heftigsten gegen die Gattin des Pheroras, die von Salome
in erster Linie verdächtigt worden war. Er berief daher
seine Freunde und Verwandten zusammen und brachte
unter vielen anderen Klagen über diese Frau auch deren
beleidigendes Verhalten gegen seine Töchter zur Sprache,
sowie dass sie die Pharisäer durch Geldgeschenke gegen
ihn aufgehetzt und durch Zaubertränke ihm das Herz
seines Bruders entfremdet habe. Schliesslich wandte er
sich in seiner Rede an Pheroras und stellte ihm die
Wahl, ob er seinen Bruder oder seine Gattin aufgeben
wolle. Als Pheroras darauf erklärte, lieber wolle er sein
Leben lassen als sein Weib, wandte sich Herodes,
unschlüssig darüber, was er thun sollte, an Antipater,
und befahl ihm, jeden Verkehr mit dem Weibe des
Pheroras, diesem selbst und seinem Anhang aufzugeben.
Dieses Verbot übertrat Antipater von jetzt an zwar
nicht offen, brachte aber insgeheim ganze Nächte in Ge-
sellschaft der genannten Personen zu. Da jedoch
Salomes Spioniererei auf die Dauer ihm Angst einjagte,
veranlasste er durch Vermittlung seiner Freunde in
Italien, dass er mit einer Reise nach Rom betraut wurde.
Dieselben schrieben nämlich, es sei nötig, dass Antipater
binnen kurzem zum Caesar geschickt werde. Daraufhin
sandte Herodes ihn unverzüglich mit glänzendem Gefolge
und reichlichen Geldmitteln ab, um dem Caesar sein
Testament zu überbringen , in welchem als künftiger
König Antipater und als dessen Nachfolger Herodes, der
Sohn der Hohepriesterstoch ter Mariarane, bezeichnet war.
3. Zur selben Zeit fuhr auch der Araber Syllaeus
156
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Dach Rom, der den Befehlen des Caesars nicht nach-
gekommen war 1 und jetzt von Antipater wegen derselben
Dinge verklagt werden sollte, die schon früher Nikolaus 2
gegen ihn vorgebracht hatte. Ausserdem aber hatte
Syllaeus auch mit seinem eigenen Könige Aretas sich
überworfen, weil er mehrere von dessen Freunden, darunter
Soemus, den mächtigsten Mann in Petra, ums Leben
gebracht hatte. Mit vielem Gelde hatte er nun des
Caesars Verwalter Fabatus auf seine Seite zu bringen
versucht und gedachte an ihm auch gegen Herodes eine
Stütze zu finden. Herodes aber zog durch ein noch
reicheres Geldgeschenk den Fabatus von Syllaeus ab
und wollte mit seiner Hilfe die dem Araber vom Caesar
auferlegte Geldbusse eintreiben. Syllaeus jedoch ver-
weigerte nicht nur die Zahlung, sondern verklagte auch
den Fabatus noch bei Augustus, indem er ihm vorwarf,
er versehe sein Verwalteramt nichtfim Interesse des Caesars,
sondern in dem des Herodes. Das erbitterte den Fabatus,
der bei Herodes noch immer in besonderer Gunst stand,
so sehr, dass er die Geheimnisse des Syllaeus verriet und
dem König mitteilte, derselbe habe seinen Leibwächter
Korinthus bestochen; er solle den Mann nur verhaften
lassen. Dieser Angabe schenkte der König um so eher
Glauben, als Korinthus im Palast aufgewachsen und
Araber von Geburt war. Alsbald nun liess er nicht nur
den Korinthus festnehmen, sondern auch noch zwei
andere Araber, die man bei ihm vorfand, einen Freund
des Syllaeus nämlich und einen Stammeshäuptling.
Diese gestanden auf der Folter, den Korinthus durch
das Versprechen einer grossen Belohnung zur Ermordung
des Herodes verleitet zu haben. So wurden denn auch
sie, nachdem Saturninus, der Statthalter von Syrien, sie
verhört hatte, mit nach Rom geschickt.
1 Hierüber wie über das folgende vergl. J. A. XVI, 10,8.
2 Hofhistoriograph und Sachwalter des Herodes, eine in den
J. A. oft erwähnte merkwürdige Persönlichkeit. Über seinen schrift-
stellerischen Charakter fällt Josephus ein absprechendes Urteil J. A.
XVI, 7, 1.
Erstes Buch, 80. Kapitel.
157
4. Herodes Hess übrigens nicht nach, dem Pheroras
wegen Scheidung von seiner Gattin zuzusetzen; denn so
viele Gründe er auch hatte, sie zu hassen, so wusste er
doch kein anderes Mittel, sich an ihr zu rächen, bis er
endlich im Überm ass des Unwillens seinen Bruder samt
dessen Gattin von seinem Hofe verwies. Diese Kränkung
nahm Pheroras indes gleichmütig auf und zog sich in
seine Tetrarchie zurück, schwor aber dabei, dass erst
mit dem Tode des Herodes seine Abwesenheit vom Hof
ihr Ende erreichen solle und dass er während seines
Bruders Lebzeiten nie mehr dahin zurückkehren werde.
Getreu diesem Schwur weigerte er sich denn auch, zu
Herödes zu kommen, als dieser krank wurde, obwohl
derselbe ihn dringend darum bitten liess, weil er in
Bälde sterben zu müssen glaubte und ihm noch einige
Aufträge hinterlassen wollte; doch genas er unverhofft.
Bald nachher erkrankte auch Pheroras, und nun benahm
Herodes sich versöhnlicher, reiste zu seinem Bruder und
pflegte ihn sorgsajn. Pheroras aber überstand die Krank-
heit nicht, sondern starb nach wenigen Tagen, und
obwohl Herodes ihn bis an sein Ende geliebt hatte,
munkelte man doch, er habe auch ihn, und zwar mit
Gift, ums Leben gebracht. Seinen Leichnam liess er
nach Jerusalem bringen, schrieb dem ganzen Volk die
tiefste Trauer vor und hielt dem Toten ein prunkvolles
Leichenbegängnis. Einer der Mörder Alexanders und
seines Bruders Aristobulus hatte somit sein Ende gefunden.
Dreissigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 4, lf.
Antipaters Anschläge gegen Herodes entdeckt.
1. Bald aber ereilte auch den eigentlichen Urheber
des Frevels, Antipater, seine Strafe, und zwar gab der
Tod des Pheroras dazu den Anlass. Einige Freigelassenen
des letzteren nämlich kamen tief betrübt zum Köüig und
Go gle
158
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
teilten ihm mit, sein Bruder sei durch Gift ums Leben
gekommen. Seine Gattin habe ihm ein ganz ungewöhnlich
zubereitetes Gericht auftragen lassen, nach dessen Genuss
er sogleich erkrankt sei, und zwei Tage vorher seien
deren Mutter und Schwester mit einem kräuterkundigen
Weibe aus Arabien an gekommen, um dem Pheroras einen
Liebestrank zu bereiten. Statt dessen aber habe das
Weib auf Anstiften des Syllaeus, mit dem sie bekannt
gewesen, ihm ein todbringendes Gift gereicht
2. Erschüttert von den vielen sich ihm aufdrängenden
argwöhnischen Gedanken, liess nun der König eine An-
zahl Sklavinnen und mehrere freie Dienerinnen der
Folter unterwerfen, wobei eine der letzteren in Ihren
Qualen ausrief: „Möge Gott, der Herr des Himmels und
der Erde, die Urheberin dieser unserer Leiden, Antipaters
Mutter, zur Strafe ziehen !“ Diese Äusserung gab dem
König einen Anhaltspunkt, von dem aus er zur weiteren
Erforschung des Sachverhaltes übergehen konnte. Die
Gefolterte enthüllte darauf den vertrauten Verkehr der
Mutter Antipaters mit Pheroras und seinen Frauen sowie
ihre heimlichen Zusammenkünfte, berichtete auch, wie
Pheroras und Antipater, wenn sie vom Könige gekommen
seien, mit den Weibern ganze Nächte unter Ausschluss
aller männlichen und weiblichen Dienerschaft gezecht
hätten. Diese Aussagen machte eine der freien Dienerinnen.
3. Alsdann liess Herodes auch die Sklavinnen einzeln
foltern, und alle machten dieselben Angaben wie die
zuerst verhörte Dienerin, fügten auch noch hinzu, es sei
zwischen Antipater und Pheroras verabredet gewesen,
dass ersterer nach Rom reisen , letzterer nach Peraea
sich zurückziehen sollte. Denn zu wiederholten Malen
hätten sie geäussert, Herodes werde wohl jetzt, nachdem
er Alexander und Aristobulus beseitigt habe, auch gegen
sie und ihre Frauen wüten ; vor dem, der eine Mariamne
und deren Kinder habe umbringen können, sei eben
niemand mehr sicher. Es sei daher geratener, dieser
Bestie soweit als möglich aus dem Wege zu gehen. Oft
auch habe Antipater seiner Mutter geklagt, er sei jetzt
Erstes Bach, 30. Kapitel.
159
schon ergraut, während sein Vater täglich jünger aussehe,
und schliesslich werde er wohl noch aus dem Leben
scheiden, ehe er zur wirklichen Regierung gelange.
Aber selbst wenn Herodes vor ihm sterbe — und wie
lange könne das noch dauern — , werde er sich nur
kurze Zeit des Besitzes der Herrschaft erfreuen; denn
die Köpfe der Hydra, Aristobulus’ und Alexanders
Kinder, wüchsen nach, und seinen eigenen Kindern habe
ja der König alle Hoffnung abgeschnitten, indem er in
seinem Testament keines von diesen, sondern Herodes,
den Sohn der Mariamne, als Thronfolger nach seinem
(Antipaters) Tod in Aussicht genommen habe. Aber
darin tausche sich der alte Mann doch sehr, wenn er
meine, sein Testament sei keiner Änderung fähig; er
(Antipater) werde Bchon dafür sorgen, dass keiner von
des Königs Nachkommen am Leben bleibe. Kein Vater
habe je seine Kinder so gehasst, wie Herodes, aber noch
grösser sei sein Bruderhass. So habe er ihm jüngst
hundert Talente gegeben, damit er mit Pheroras kein
Wort mehr spreche. Auf dessen Frage, was er denn
dem König zuleide gethan, habe Antipater erwidert;
„Wir können schon zufrieden sein, wenn er, nachdem
er uns alles genommen, uns nur das nackte Leben lässt.
Aber es ist unmöglich, einem so mordgierigen Ungeheuer
zu entrinnen, das es nicht einmal gern sieht, wenn man
anderen offen seine Zuneigung beweist. Jetzt freilich
kommen wir noch insgeheim zusammen, bald jedoch
werden wir dies auch öffentlich thun können , wenn wir
einmal das Herz und die Faust echter Männer besitzen/*
4. Also sagten die gefolterten Sklavinnen aus und
fügten' noch hinzu, Pheroras habe beabsichtigt, mit ihnen
nach Peraea zu entfliehen. Was nun dem Könige alle
diese Angaben besonders glaubhaft machte, war die Er-
wähnung der hundert Talente; denn davon hatte er nur
mit Antipater allein gesprochen. Zunächst entlud sich
infolgedessen sein Zorn über Antipaters Mutter Doris.
Ihr nahm er allen Schmuck im Werte von vielen Talenten,
den er ihr früher geschenkt hatte, wieder ab und verstiess
Go gle
160
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sie zum zweitenmal. Die Weiber des Pheroras dagegen
begnadigte er und liess sie von den durch die Folterung
entstandenen Verletzungen heilen. Von jetzt an war er
übrigens vor Angst wie ausser sich. Der leiseste Ver-
dacht versetzte ihn schon in Aufregung, und er liess
eine Menge Unschuldiger zur Folter schleppen, um
nur ja keinen Schuldigen zu übergehen.
5. So kam er auch an den Samariter Antipater, den
Verwalter seines Sohnes Antipater. Auf der Folter
sagte dieser aus, sein Herr habe durch einen seiner
Freunde, Antiphilus, ein tödliches Gift zur Ermordung
des Königs aus Aegypten kommen lassen. Von Anti-
philus habe Antipaters Oheim Theudion dasselbe in
Empfang genommen und es dem Pheroras eingehändigt,
der von Antipater beauftragt worden sei, Herodes damit
umzubringen, während er selbst in Rom ausser dem
Bereich des Verdachtes sich befinde. Pheroras aber
habe das Gift seiner Gattin zur Aufbewahrung gegeben.
Die letztere liess nun der König sogleich rufen und
befahl ihr, den ihr an vertrauten Gegenstand herbei-
zuschaffen. Sie ging, anscheinend um das Verlangte zu
holen, hinaus, stürzte sich aber dann vom Dach hinab,
um der Untersuchung und der vom Könige angeordneten
Folterung zu entgehen. Hierbei jedoch fiel sie durch
augenscheinliche Fügung Gottes, der den Antipater
strafen wollte, nicht auf den Kopf, sondern auf andere
Körperteile, und kam so mit dem Leben davon. Als
man sie nun brachte, liess dier König ihr, weil sie vom
Falle noch betäubt war, erquickende Mittel reichen und
fragte sie dann, aus welchem Grunde sie sich hinab-
gestürzt habe. Wenn sie die Wahrheit gestehe, so wolle
er, wie er eidlich versicherte, ihr alle Strafen erlassen;
verheimliche sie dagegen etwas, so werde er ihren Leib
auf der Folter derart zurichten lassen , dass nichts
mehr davon zum Begräbnis übrig bleibe.
6. Hierauf entgegnete das Weib nach kurzem Be-
denken: „Wozu soll ich noch das Geheimnis bewahren, da
Pheroras tot ist? Und wozu soll ich Antipater schonen,
Erstes Buch, SO. Kapitel.
161
der uns alle zu Grunde richten wollte? So höre denn,
o König, und ausser dir sei Gott, den man nicht hinter-
gehen kann, mein Zeuge, dass ich die Wahrheit sage.
Als du, in Thränen gebadet, bei dem sterbenden Pheroras
weiltest, rief er mich zu sich und sprach: „„Wahrlich
gar sehr, liebes Weib, habe ich mich über die Gesinnung
getäuscht, die mein Bruder gegen mich hegt. Gehasst
habe ich ihn, der mich so innig liebt, und töten wollte
ich den, der mich jetzt schon, da ich noch nicht ge-
storben bin, so tief betrauert. Ich freilich empfange
nur den gerechten Lohn für meine Lieblosigkeit; du
aber hole das für ihn bestimmte Gift, das Antipater
uns hiergelassen hat und das du aufbewahrst, herbei
und vernichte es sogleich vor meinen Augen, damit ich
nicht den Rachegeist mit mir in die Unterwelt 1 nehme. ““
Seinen Befehl vollzog ich, holte das Gift und schüttete
den grössten Teil davon vor seinen Augen ins Feuer,
den Rest aber bewahrte ich für mich aus Furcht vor
dir und für den Fall der Not. auf.“
7. Mit diesen Worten langte sie die Büchse hervor,
die noch etwas Gift enthielt Der König aber liess die
Mutter und den Bruder des Antiphilus peinlich befragen,
und diese bekannten denn auch, Antiphilus habe die
Büchse aus Aegypten mitgebracht, wo er sie samt dem
Gift von seinem Bruder, einem Arzt in Alexandria, er-
halten habe. So brachten die im Palast umgehenden
Geister der Brüder Alexander und Aristobulus verborgene
Frevelthaten ans Licht und zogen diejenigen, auf die
sich am wenigsten der Verdacht lenkte, zur Verant-
wortung. Denn auch die Hohepriesterstochter Mariamne
ward überführt, um die Verschwörung gewusst zu haben ;
ihre eigenen Brüder hatten es auf der Folter ausgesagt.
1 Das Scheol (die Scheinwohnung Ps. 49, 15, die Grube des Nichts
Jes. 38, 17), wo die Schatten ein Scheindasein führen, ohne Wirklich-
keit, daher sie nicht harren des Herrn (Ps. 6, 6), entspricht der
Hölle im Gegensatz zu dem für die Guten, Seligen bestimmten
Orte der Gotteserkenntnis, dem Paradiese; doch hat erst die christ-
liche Kirche diesen Gegensatz scharf ausgeprägt.
Josephus, Jüdischer Krieg* 11
162
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Für die Frevel that der Mutter aber liess der König den
Sohn büssen, indem er den zum Nachfolger Antipaters
bestimmten Herodes aus dem Testamente strich.
Einunddreissigs tes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 4, 3 — 5, 2.
# \
Antipater kehrt von Rom zurück und wird frostig
empfangen.
1. Schliesslich trat auch noch ein gewisser Bathyllus
als Zeuge auf und lieferte die vollgiltigsten Beweise
für die Anschläge Antipaters, dessen Freigelassener er
war. Er brachte ein anderes tödliches Mittel zum Vor-
schein, Natterngift und Säfte von sonstigem Gewürm,
womit Pheroras und dessen Gattin sich gegen den König
waffnen sollten für den Fall, dass das erste Gift seine
Wirkung versagen würde. Gewissermassen als Anhang
zu den vatermörderischen Plänen legte er dann noch
Briefe vor, deren Inhalt von Antipater zum Sturze seiner
Brüder ersonnen war. Zwei Söhne des Königs nämlich»
Archelaus und Philippus, die bereits im Jünglingsalter
standen und voll hohen Strebens waren, hielten sich
ihrer Bildung halber in Rom auf. Um nun diese Jüng-
linge, die seine Aussichten zunichte zu machen drohten,
möglichst rasch aus dem Wege zu räumen, schrieb Anti-
pater teils selbst falsche Briefe unter dem Namen seiner
Freunde in Rom, teils bestach er andere mit Geld, Briefe
zu schreiben, welche besagten, die beiden Prinzen
schmähten häufig ihren Vater, beklagten offen Alexanders
und Aristobulus , Geschick und seien sehr unwillig
darüber, dass sie heimkehren sollten. Ihr Vater hatte
sie nämlich soeben zurückberufen, was den Antipater
im höchsten Grade beunruhigte.
2. Übrigens hatte er schon vor seiner Abreise, als er
noch in Judaea weilte, dergleichen Briefe gegen sie für
Geld von Rom aus schreiben lassen, ohne den Argwohn
Erstes Buch, 31. Kapitel.
163
seines Vaters wachzurufen; denn er selbst trat als Ver-
teidiger seiner Brüder auf, indem er bald das Geschriebene
für falsch erklärte, bald ihre Vergehungen als jugend-
lichen Leichtsinn darstellte. Weil er aber auf diese
Weise grosse Geldsummen für diejenigen aufzuwenden
hatte, welche die Briefe gegen seine Brüder schrieben,
suchte er etwaige Zeugen irrezuleiten und kaufte kostbare
Kleider, bunte Teppiche, silberne und goldene Trink-
gefässe sowie eine Menge anderer Gegenstände zusammen,
um hinter der Grösse der Ausgaben für diese Sachen
den Lohn für die Brieffälscher zu verstecken. Schliesslich
betrug die Rechnung für seinen Gesamtaufwand an
zweihundert Talente, die, wie er vorgab, grösstenteils der
Prozess mit Syllaeus verschlungen habe. Da nun durch
sämtliche Aussagen auf der Folter der Vatermord, durch
die Briefe aber ein abermaliger Mordplan gegen seine
Brüder laut bezeugt wurde, so waren damit alle seine
Schandthaten , die kleineren wie die grösseren, völlig
enthüllt. Dennoch teilte ihm niemand von denen, die
nach Rom kamen, mit, wie schlimm die Sachen für ihn
in Judaea standen, obwohl zwischen jenen Verhören und
seiner Rückkehr sieben Monate verflossen: so gross und
allgemein war der Hass, den man gegen ihn empfand.
Vielleicht schlossen auch die Schatten der gemordeten
Brüder denen den Mund, welche ihn gern benachrichtigt
hätten. So kündigte er denn vergnügt in einem Briefe
seine baldige Rückkehr von Rom an und berichtete
zugleich , wie ehrenvoll er vom Caesar verabschiedet
worden sei.
3. Der König nun, der vor Begierde brannte, den
Ränkestifter in seine Gewalt zu bekommen, aber auch
besorgt war, dieser möchte die Sache vorher erfahren
und auf seiner Hut sein, spielte in seinen Briefen an
ihn auch seinerseits den Heuchler, schrieb ihm recht
freundlich und ermahnte ihn besonders zur Eile; falls
er seine Heimreise beschleunige, werde er, Herodes, auch
den Klagen gegen seine Mutter ein Ende machen
können. Die Verstossung seiner Mutter war nämlich
164 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Antipater nicht unbekannt geblieben. Schon vorher
hatte er in Tarent auch einen Brief erhalten, der Ihm
den Tod des Pheroras meldete, und grosse Trauer um
letzteren getragen. Manche wollten ihm dieses Verhalten
als ein Zeichen besonderer Anhänglichkeit an seinen
Oheim hoch anrechnen; doch scheint es, dass er im
Grunde nur wegen des Misslingens der Verschwörung
niedergeschlagen war und also in Pheroras nur den
Helfershelfer seiner Schlechtigkeit beweinte. Übrigens
beschlich ihn im Gedanken an seine Frevelthaten be-
reits die Angst, das Gift möchte entdeckt worden sein.
Als er aber in Gilicien den erwähnten Brief seines
Vaters erhielt, reiste er sogleich eiligst weiterund landete
alsbald in Kelenderis, wo ihn der Gedanke an das Un-
glück seiner Mutter quälte und auch bereits seiner selbst
wegen bange Ahnungen ihn erfüllten. Seine besonneneren
Freunde rieten ihm nun, sich nicht eher vor seinem
Vater blicken zu lassen, als bis er erfahren habe, aus
welchem Grunde seine Mutter verstossen worden sei;
dehn es stehe zu befürchten, dass die Anklage gegen
6ie auch ihn in Mitleidenschaft ziehen würde. Die Un-
vorsichtigeren hingegen, die nicht sowohl Antipaters
Interesse im Auge hatten, als vielmehr möglichst bald
ihre Heimat wiederzusehen wünschten, trieben ihn zur
Eile, indem sie ihn ermahnten, er solle doch nicht durch
Zögern den Argwohn seines Vaters erregen und den
Verleumdern einen willkommenen Anlass bieten. Denn
wenn bis jetzt etwas gegen ihn angestellt worden sei,
so habe das nur seine Abwesenheit begünstigt, während
in seiner Anwesenheit niemand sich dessen erdreisten
würde. Unvernünftig handle er also, wenn er um eines
unsicheren Verdachtes willen sicherer Vorteile sich be-
geben wolle. Er solle vielmehr so rasch wie möglich sich
dem Vater in die Arme werfen und die Königskrone zu er-
langen trachten, die auf des Herodes Haupt, so lange dieser
allein sei, schwanke. Von seinem bösen Dämon getrieben,
gab Antipater dem letzteren Rate nach, schiffte sich ein und
landete alsbald in Sebastos, dem Hafen von Caesarea.
Go gle
Erstes Buch, 31. Kapitel.
165
4. Hier aber fand er sich wider Erwarten einsam und
verlassen: jeder ging ihm aus dem Wege, und niemand
wagte es, sich ihm zu nähern. Allen nämlich war er
in gleichem Masse verhasst, und dieser Hass durfte sich
jetzt offen zeigen. Viele mieden ihn auch aus Furcht
vor dem Könige; denn die ganze Stadt durchschwirrten
bereits böse Gerüchte über Antipater, der allein keine
Ahnung davon hatte, wie es um ihn stand. Nie ward
jemand glänzender verabschiedet, als er bei seiner Ab-
reise von Rom, nie aber auch jemand weniger ehrenvoll
empfangen. Schon fing er übrigens an, das Unglück
zu wittern, das ihn zu Hause erwartete; doch war er
schlau genug, sich das nicht merken zu lassen. Innerlich
halbtot vor Angst, zwang er sich, die Miene stolzer
Zuversicht zur Schau zu tragen. Einen Weg zur Flucht
gab es nicht, und auch sonst sah er keine Möglichkeit,
sich aus der Schlinge zu ziehen. Etwas Sicheres über
die Vorgänge zu Hause aber erfuhr er auch hier nicht,
weil der König jede diesbezügliche Mitteilung aufs strengste
verboten hatte. So blieb ihm denn nur noch der eine
Hoffnungsschimmer, dass vielleicht nichts entdeckt worden
sei, oder wenn auch, dass er durch unverschämtes Auf-
treten und listige Kniffe doch noch die Anklage ent-
kräften könne; ein anderer Ausweg zu seiner Rettung
war nicht denkbar.
5. In dieser Verfassung betrat er den Königspalast,
jedoch ohne seine Freunde ; denn diese waren am ersten
Thore höhnisch zurückgewiesen worden. Im Inneren war
zufällig Varus 1 , der Statthalter von Syrien, anwesend.
Antipater ging nun zu seinem Vater hinein, und all
seine Dreistigkeit zusammennehmend, näherte er sich
ihm, um ihn zu umarmen. Herodes aber streckte die
Hände vor, wandte den Kopf weg und rief aus: „Dessen
kann auch nur ein Vatermörder sich erfrechen, mich
umarmen zu wollen, wenn er solche Schuld auf sich ge-
1 Derselbe, der später nach Germanien ging und im Jahre
9 nach Chr. von Arminius geschlagen wurde.
166
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
laden hat ! Zum Henker mit dir, ruchloser Mensch, und
rühre mich nicht an, bis du dich von der Schuld ge-
reinigt hast! Ein Gericht will ich dir jetzt geben, und
einen Richter in der Person des Varus, der gerade zu
gelegener Zeit gekommen ist. Fort nun, und besinne
dich auf deine Verteidigung bis morgen; denn diese
Frist will ich dir zu deinen Schlichen noch einräumend
Vor Bestürzung unfähig, etwas darauf zu erwidern, zog
Antipater sich zurück und erhielt alsbald den Besuch
seiner Mutter und seiner Gattin, die ihn mit sämtlichen
Beweisen bekannt machten. Allmählich fasste er sich
dann wieder so weit, dass er an seine Verteidigung zu
denken vermochte.
Z weiunddr eissigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 5,8 — 6, 1.
Antipater wird überführt. Herodes ändert sein Testament.
1. Am folgenden Tage berief der König eine Ver-
sammlung seiner Freunde und Verwandten, zu der er
auch Antipaters Freunde einlud. Den Vorsitz führte
er selbst in Gemeinschaft mit Varus. Er liess nun die
sämtlichen Zeugen vorführen , unter denen sich auch
einige erst kürzlich verhaftete Diener der Mutter Anti-
paters befanden, welche einen Brief von ihr an Anti-
pater überbracht hatten. Dieser Brief hatte folgenden
Wortlaut: „Da alles Bewusste zur Kenntnis deines
Vaters gelangt ist, so hüte dich, in seine Nähe zu
kommen, es sei denn, du könntest auf die Hilfe des
Caesars rechnen.“ Als nun diese sowie alle anderen
Zeugen vorgeführt waren, trat Antipateriein, fiel zu seines
Vaters Füssen auf sein Angesicht nieder und sprach:
„Ich bitte dich, Vater, du wollest mich nicht im voraus
verdammen, sondern meiner Verteidigung gnädiges Ge-
hör schenken; denn wenn du es gestattest, werde ich
meine Unschuld beweisen.“
Erstes Buch, 32. Kapitel.
167
2. Herodes aber herrschte ihn an, er solle schweigen,
und sprach dann, zu Varus gewandt: „Wie jeder ge-
wissenhafte Richter, so wirst auch du, Varus, des bin
ich sicher, in Antipater einen höchst verworfenen
Menschen erkennen. Ich fürchte nur, du möchtest dich
voll Abscheu von mir wenden und glauben, ich verdiente
all dieses Unglück, weil ich solchen Söhnen das Leben
gegeben habe. Und doch bin ich deswegen im Grunde
bemitleidenswert , weil ich diesen Bösewichtern von
Söhnen noch ein so liebevoller Vater war. Meinen
früheren Söhnen habe ich schon, als sie noch Jünglinge
waren, Königsrang zuerkannt, habe sie in Rom bilden
lassen, sie zu Freunden des Caesars und damit zum
Gegenstände des Neides für andere Könige gemacht.
Aber ich fand, daBS sie mir nach dem Leben trachteten,
und so mussten sie, vornehmlich Antipater zulieb, sterben ;
denn ihm, dem jungen Thronfolger, wollte ich in erster
Linie Sicherheit verschaffen. Diese schreckliche Bestie
jedoch missbrauchte meine Geduld und kehrte ihre
ganze Wut gegen mich. Mein Leben dauerte Antipater
zu lange, mein Alter ward ihm unbequem, und nicht
anders als durch Vatermord wollte er König werden.
Strafe sollte ich dafür verdient haben, dass ich den
Verstossenen vom Lande wieder hereinholte, die Söhne,
die eine Königin mir geboren, überging und ihn zum
Thronfolger ernannte. Das war allerdings, ich gestehe
es dir, Varus, arge Verblendung von mir. Jene Söhne
habe ich gegen mich aufgebracht, weil ich ihre gerechten
Ansprüche zu gunsten Antipaters unterdrückte. Wann
aber habe ich denselben jemals solche Wohlthaten er-
wiesen, wie diesem hier? Obwohl selbst noch am Leben,
habe ich ihm fast meine ganze Gewalt eingeraumt, habe
ihn ausdrücklich im Testament als Thronfolger bezeichnet,
habe ihm fünfzig Talente eigener Einkünfte zugewiesen,
ihm noch reichliche Mittel dazu aus meiner Privatkasse
bewilligt, ihm jüngst bei seiner Abreise nach Rom drei-
hundert Talente gegeben und ihn allein vor meiner
ganzen Familie dadurch ausgezeichnet, dass ich ihn als
168
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
den Retter seines Vaters dem Caesar empfahl. Was
haben jene anderen sich zu schulden kommen lassen, das
mit Antipaters Frevelthaten verglichen werden könnte?
Und wann wurden jemals gegen sie solche Beweise vor-
gebracht, wie gegen diesen Bosewicht? Doch der Vater-
mörder hat sich ja erkühnt, hier noch etwas zu seiner
Verteidigung anzuführen, und hofft abermals die Wahr-
heit durch trügerische Künste verhüllen zu können. Sieh
dich also vor, Varus! Ich kenne das Ungeheuer, ich
sehe schon voraus , wie er sich den Schein der Glaub-
würdigkeit zu geben und durch sein heuchlerisches Ge-
winsel Eindruck zu machen versuchen wird. Er ist es,
der mich warnte, vor Alexander, so lange dieser noch
lebte, mich in acht zu nehmen und meine Person nicht
jedermann anzuvertrauen. Er ist es ferner, der Zutritt
zu meinem Schlafgemach hatte und aufpasste, dass
niemand mir nachstellen möchte. Er ist es endlich, der
meinen Schlaf bewachte, der für meine Sicherheit sorgte,
der mich in meiner Trauer über die Hingerichteten
tröstete, der die Gesinnung seiner noch lebenden Brüder
zu beobachten hatte, kurz: er war mein Hüter und Leib-
wächter. Wenn ich nun, o Varus, seine Arglist und
Heuchelei bedenke, so vermag ich kaum zu begreifen,
wie ich noch lebe und einem so durchtriebenen Verräter
entrinnen konnte. Aber da einmal, wie es scheint, ein
böser Dämon mein Haus zu veröden und meine liebsten
Angehörigen gegen mich aufzuhetzen trachtet, so kann
ich nur die Ungerechtigkeit meines Geschickes beklagen
und meine Vereinsamung beweinen. Niemand indes,
der nach meinem Blute dürstet, soll mir entschlüpfen,
und machte der Schuldbeweis auch die Runde dnrch alle
meine Kinder!“
3. Hier vermochte der König vor Erschütterung nicht
weiter zu reden und hiess daher seinen Freund Nikolaus
die Beweise vortragen. Mittlerweile richtete Antipater,
der bis dahin zu Füssen seines Vaters hingestreckt ge-
legen hatte, sich auf und rief: „Du selbst, Vater, hast
meine Verteidigung geführt! Denn wie kann ich ein
Erstes Buch, 32. Kapitel.
169
Vatermörder sein, da du an mir, wie du selbst gestehst,
beständig einen Wächter hattest? Meine kindliche Liebe,
sagst du freilich, sei nichts als Lug und Trug gewesen.
Wie aber müsste ich, der ich sonst in allem so schlau
sein soll, doch so unsinnig gewesen sein, um nicht ein-
zusehen, dass, wer solche Schandthaten ins Werk setzt,
nicht einmal vor den Menschen sich zu verbergen weiss,
geschweige denn vor dem allsehenden und allgegenwärtigen
Richter im Himmel! Oder war mir etwa das Ende
meiner Brüder unbekannt, die Gott für den verbrecherischen
Anschlag gegen dich so schwer gezüchtigt hat? Und
was soll mich denn wider dich aufgebracht haben?
Etwa die Aussicht, König zu werden? Aber ich war ja
König! Oder der Gedanke, von dir gehasst zu sein?
Ward ich denn nicht geliebt? Oder dass ich deinetwegen
mich vor anderen fürchten musste? Aber ich war ja
vielmehr anderen furchtbar dadurch, dass ich dich be-
schützte! Oder vielleicht Geldmangel? Wer durfte
denn grösseren Aufwand machen als ich? Wäre ich
aber auch der verworfenste aller Menschen und besässe
ich die Tücke des wilden Tieres, hätten mich dann nicht,
o Vater, deine Wohlthaten bezähmen müssen, da du
mich, wie du selbst sagtest, in dein Haus wieder auf-
genommen, deinen vielen übrigen Kindern vorgezogen,
noch bei deinen Lebzeiten zum Könige ernannt und
durch eine Menge anderer Auszeichnungen zum Gegen-
stände des Neides gemacht hast? O, welch ein Unglück
ist diese verwünschte Reise für mich geworden ! Wie-
viel Anlass habe ich dadurch der Missgunst, wie lange
Frist meinen Verleumdern gegeben! Aber dir zulieb,
Vater, und in deinem Interesse habe ich doch die Reise
unternommen, damit nicht Syllaeus deines Alters spotte.
Rom ist Zeuge meiner kindlichen Liebe, und nicht
minder der Caesar, der mich oft den Vaterliebenden
nannte. Nimm, Vater, dieses Schreiben von ihm, das
glaubwürdiger ist als die hier gegen mich vorgebrachten
Verleumdungen; es ist auch zugleich mein einziger Ver-
teidiger und soll Zeugnis ablegen von meiner zärtlichen
170
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Liebe zu dir. Erinnere dich, wie ungern ich ahreiste,
da ich die heimliche Feindseligkeit, die man im Reiche
gegen mich hegte, wohl kannte. Du, Vater, hast, ohne
es zu wollen, mich ins Verderben gestürzt, indem du
mich nötigtest, dem Neide Zeit zum Anschwärzen zu
lassen. Nun aber bin ich wieder da, bin da, um den
Beweisen entgegen zu treten, und zu Wasser wie zu
Lande ist der Vatermörder wohlbehalten geblieben.
Freilich hilft mir dieses Zeugnis nichts, denn bei Gott
und bei dir, Vater, bin ich verdammt. Als Verdammter
aber bitte ich dich , du wollest nicht den Aussagen
trauen, die andere auf der Folter gemacht — sondern
gegen mich selbst bringe man das Feuer heran, und in
meinen Eingeweiden mögen die Marterwerkzeuge wühlen I
Schonet dann meiner nicht, wenn ihr das Jammern hört,
das von dem verruchten Körper ausgeht I Denn wenn
ich wirklich ein Vatermörder bin, so darf ich nicht un-
gefoltert sterben.“ Diese Worte stiess Antipater unter
Weinen und Schluchzen hervor und rührte damit alle
übrigen Anwesenden sowohl als auch den Varus zum
Mitleid. Herodes allein in seinem Grolle blieb thränen-
los, denn er wusste zu gut, wie begründet die An-
klage war.
4. Auf Befehl des Königs nahm nun Nikolaus das
Wort und richtete, nachdem er Antipaters Arglist be-
sprochen und das ihm entgegengebrachte Mitleid wieder
zerstreut hatte, eine scharfe Anklage wider ihn. Er
legte ihm nämlich sämtliche Schandthaten zur Last, die
im Königspalast vorgekommen waren, besonders aber
den Untergang der beiden Brüder, der, wie er zeigte,
Antipaters Ränken allein beizumessen war. Überdies,
fuhr er fort, stelle derselbe auch noch den übrigen
Mitgliedern des Königshauses nach, die ihm seiner
Meinung nach die Thronfolge gefährdeten. Denn wer
seinem Vater einen Gifttrank habe bereiten können, der
werde auch vor der Ermordung seiner Brüder nicht
zurückschrecken. Indem Nikolaus sich dann zu den
Beweisen für den beabsichtigten Giftmord wandte, ging
Erstes Buch, 32. Kapitel.
171
er der Reihe nach die Zeugenaussagen durch und gab
insbesondere seiner Entrüstung darüber Ausdruck, dass
Antipater auch den Pheroras zum Brudermörder gemacht
und durch Verführung der besten Freunde des Königs
den ^Palast in eine Verbrecherhöhle umgewandelt habe.
So fuhr er noch eine Weile mit der Darlegung von
Beweisen fort und schloss dann seine Rede.
5. Als Varus hierauf an Antipater die Frage richtete,
was er zu seiner Rechtfertigung anzuführen habe, brachte
dieser nichts weiter als die Worte hervor: „Gott ist
Zeuge meiner Unschuld“, und blieb schweigend liegen.
Varus liess nun das Gift bringen und es einem zum
Tode verurteilten Gefangenen eingeben, der infolgedessen
sogleich tot niederfiel. Nachdem sodann der Statthalter
noch eine geheime Unterredung mit Herodes gehabt,
erstattete er dem Caesar schriftlichen Bericht über die
Verhandlung und reiste tags darauf weg. Der König
aber liess Antipater in Fesseln legen und ordnete eine
Gesandtschaft ab, um dem Caesar von seinem Unglück
Nachricht zu geben.
6. Gleich nach diesen Vorgängen ward auch noch
ein Anschlag Antipaters gegen Salome entdeckt. Von
Rom nämlich war ein Diener des Antiphilus mit Briefen
von Akme, einer *Kammerfrau der Julia, angekommen.
Diese Akme schrieb dem Könige , sie habe in den
Papieren der Julia Briefe von Salome gefunden und
übersende ihm dieselben anbei insgeheim aus Ergebenheit
gegen ihn. Die Briefe aber enthielten die bittersten
Schmähungen und schwersten Beschuldigungen wider
den König und waren von Antipater gefälscht worden,
der auch die Akme durch Bestechung veranlasst hatte,
sie dem Herodes zu senden. Überführt wurde nun
Antipater durch einen an ihn selbst gerichteten Brief,
in welchem Akme schrieb: „Ich habe deinem Aufträge
gemäss an deinen Vater geschrieben und ihm die
bewussten Briefe geschickt. Der König wird, des
bin ich gewiss, seine Schwester nicht am Leben lassen,
wenn er dieselben gelesen hat. Ist alles glücklich ab-
172
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gelaufen, so wirst du hoffentlich deine Versprechungen
nicht vergessen.“
7. Als dieser sowie die gegen Salome gerichteten
Briefe aufgefangen waren, da erst regte sich beim Könige
der Verdacht, es möchten solche Fälschungen auch gegen
Alexander begangen worden sein. Der Gedanke übrigens,
dass Antipater ihn beinahe zum Mörder seiner Schwester
gemacht hätte, erbitterte ihn so heftig, dass er denselben
ohne weiteren Aufschub für alle seine Verbrechen büssen
lassen wollte. Doch als er eben Anstalten dazu traf,
ward er von einer schweren Krankheit befallen. Er
gab nun in betreff der Akme sowie der gegen Salome
geschmiedeten Ränke dem Caesar Nachricht, liess sich
alsdann sein Testament bringen und änderte dasselbe
dahin ab, dass er mit Übergehung seiner ältesten Söhne
Archelaus und Philippus, die Antipater gleichfalls bei
ihm verdächtigt hatte, den Antipas als Thronerben be-
zeichnete. Dem Caesar vermachte er ausser den nicht
in Geld bestehenden Geschenken tausend und dessen
Gattin, Kindern, Freunden und Freigelassenen etwa
fün/hundert Talente; an viele andere Personen verteilte
er Ländereien; mit den glänzendsten Geschenken aber
bedachte er seine Schwester Salome. In dieser Weise
änderte Herodes sein Testament.
Dreiunddreissigstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 6, 1 — 8, 3.
Zerstörung des goldenen Adlers. Antipater wird hingerichtet.
Des Herodes letzte Anordnungen und Tod.
1. Des Königs Krankheit aber verschlimmerte sich
mehr und mehr, wozu besonders Kummer und Alter das
ihrige beitrugen. Er war nämlich fast siebzig Jahre
alt, und das Unglück, das er mit seinen Kindern gehabt,
hatte sein Gemüt derart verdüstert, dass er nicht einmal
in gesunden Tagen seines Lebens so recht froh geworden
war. Eine weitere Steigerung erfuhr die Krankheit durch
Erstes Buch, 38. Kapitel.
173
den Gedanken, dass Antipater noch lebe; doch wollte
er ihn vorläufig noch nicht, sondern erst nach seiner
Wiedergenesung hinrichten lassen.
2. Um das Unheil voll zu machen, brach nun auch
noch ein Volksaufstand aus. Es lebten damals in der
Stadt 1 zwei Schriftgelehrte, die für besondere Kenner
des väterlichen Gesetzes galten und darum beim Volke
in sehr hohem Ansehen standen, Judas, der Sohn des
Sepphoraeus 2 , und Matthias, der feohn des Margalos 3 .
Wenn diese Männer das Gesetz erklärten, strömten die
jungen Leute in Menge bei ihnen zusammen, und so
lehrten sie tagtäglich vor einem ganzen Heere von Zu-
hörern. Als sie nun erfuhren, wie Gram und Krankheit
den König allmählich verzehre, Hessen sie ihren Schülern
gegenüber die Worte fallen, jetzt sei es an der Zeit, die
Ehre Gottes zu verteidigen und die dem Gesetz der
Väter zuwider errichteten Bildwerke zu zerstören. Denn
ungesetzlich sei es, an dem Tempel Standbilder, Büsten
oder sonstige Bildwerke anzubringen, die den Namen
lebender Wesen trügen. Herodes nämlich hatte über
dem grossen Tempelthor einen goldenen Adler auf-
stellen lassen, und eben diesen rieten die Schriftgelehrten
herunterzureissen , indem sie hinzufügten, wenn auch
Gefahr damit verbunden sein sollte, so sei es dooh ehren-
voll, für das väterliche Gesetz zu sterben. Wer so
ende, dessen Seele werde unsterblich sein und ewige
Glückseligkeit gemessen, und nur unedle Menschen, die
jeder wahren Weisheit bar seien und kein Verständnis
dafür hätten, was ihrer Seele fromme, zögen den Tod
durch Krankheit dem Heldentode vor.
3. Zugleich mit diesen Reden verbreitete sich das
Gerücht, der König liege in den letzten Zügen, und nun
gingen die jungen Leute um so dreister ans Werk.
Mitten am Tage, während eine Menge Volkes in der
Nähe des Tempels sich auf hielt, Hessen sie sich an
1 Jerusalem.
2 J. A. XVII, 6, 2 heisst er Sariphaeus.
3 J. A. XVII, 6 , 2 : Margalotb.
174
Josephus, Gesebicbte des Jüdischen Krieges.
starken Seilen vom Tempeldach hinab und zerhieben
den goldenen Adler mit Äxten. Sogleich wurde hiervon
dem königlichen Palastkommandanten Meldung erstattet,
der dann eilends mit einer starken Truppenabteilung
heranrückte, etwa vierzig junge Leute festnahm und sie
vor den König führte. Gleich auf die erste Frage, ob
sie es gewesen, die sich erfrecht hätten, den goldenen
Adler zu zerstören, gestanden sie die That trotzig ein,
und auf die weitere , wer ihnen dazu den Auftrag ge-
geben, erwiderten sie: Das Gesetz ihrer Väter. Al6 sie
dann auch noch gefragt wurden , weshalb sie so freudig
gestimmt seien, da sie doch den Tod erleiden müssten,
erklärten sie , nach dem Tode werde ihnen grösseres
Glück zuteil werden.
4. Der übermässige Zorn, in welchen der König
hierüber geriet, bewirkte eine Besserung seiner Krankheit,
sodass er persönlich in eine Volksversammlung 1 gehen
konnte, wo er in langer Rede die jungen Leute als
Tempelschänder anklagte, die unter dem Vorwand, das
Gesetz zu schützen, weitergehende Absichten verfolgten.
Sodann verlangte er, sie sollten als Gotteslästerer be-
straft werden. Weil aber das Volk fürchtete, es könnten
eine Menge Menschen in die Untersuchung verwickelt
werden, bat es ihn zunächst, er möge nur die Anstifter
bestrafen, und hernach, er möge nur gegen die bei der
That Ertappten einschreiten , den übrigen dagegen Ver-
zeihung gewähren. Der König, der nur ungern nach-
gab, liess nun die, welche sich an den Seilen herab-
gelassen hatten, samt jenen Schriftgelehrten lebendig
verbrennen, während er die anderen Verhafteten dem
Henker zur Hinrichtung überantwortete.
5. Von da an ergriff die Krankheit seinen ganzen
Leib und erzeugte in dessen einzelnen Teilen verschieden-
artige Leiden. Das Fieber war zwar nicht heftig, aber
auf der ganzen Körperoberfläche empfand er unerträg-
liches Jucken und in den Eingeweiden beständige
1 Die nach J. A. XVII, 6,3 in Jericho stattfand.
Erstes Bach, 33. Kapitel.
175
Schmerzen. An den Füssen bildeten sich Anschwellungen
wie bei Wassersüchtigen, im Unterleib eine Entzündung
und an den Schamteilen ein fauliges Geschwür, welches
Würmer erzeugte. Ausserdem quälten ihn Atem-
beechwerden , die ihm das Liegen unmöglich machten,
und Krämpfe in allen Gliedern.- Die Wahrsager er-
klärten, die Krankheit sei eine Strafe für die Tötung
der Schriftgelehrten. Er selbst hing, wiewohl er so viele
Qualen auszustehen hatte, dennoch mit Zähigkeit am
Leben, erhoffte seine Genesung und sann auf Heilmittel.
Und alsbald liess er sich über den Jordan bringen, um
die warmen Quellen von Kallirrhoe 1 zu gebrauchen,
deren Wasser in den Asphaltsee 2 fliesst und so süss ist,
dass man es auch trinken kann. Dort hielten die Ärzte
es für angezeigt, seinen ganzen Leib in warmem Oel zu
baden. Als man ihn aber in eine mit Oel gefüllte
Wanne setzte, wurde es ihm schwarz vor den Augen,
und er verdrehte sie wie ein Sterbender. Das Geschrei
jedoch, das seine bestürzten Diener erhoben, brachte ihn
wieder zu sich, und nun gab er selbst alle Hoffnung,
zu genesen, auf und liess den Soldaten Mann für
Mann fünfzig Drachmen , den Offizieren und seinen
Freunden aber noch weit grössere Geldgeschenke ver-
abreichen.
6. Als er auf der Rückreise nach Jericho kam, er-
griff ihn die schwarze Galle 3 , und als wollte er dem
Tode selbst noch drohen, verfiel er auf eine ruchlose
Handlung. Er liess nämlich die angesehensten Männer
von ganz Judaea aus den einzelnen Ortschaften Zu-
sammenkommen und sie in dem sogenannten Hippodrom 4
1 Heute Zerka Main, wo sich warme Schwefelquellen befinden,
deren heisseste nach Bädeker-Socin eine Temperatur von 61,5° C. hat.
Die Araber bedienen sich der Quellen noch jetzt vielfach zur Bade-
und Trinkkur.
2 Das tote Meer.
3 D. i. hochgradige Gelbsucht; hiernach scheint das Leiden dea
Herodes entweder die Leberschrumpfung (Cirrhose) oder der Leber-
krebs gewesen zu sein.
4 Der Rennbahn.
Go gle
176
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
einschliessen. Sodann beschied er seine Schwester Salome
nebst ihrem Manne Alexas zu sich und sprach zu ihnen:
„Ich weiss, dass die Juden meinen Tod wie ein Freuden-
fest feiern werden. Doch es sollen mir schon andere
dazu verhelfen , dass ich betrauert werde und ein
glänzendes Leichenbegängnis erhalte, wenn ihr nur
meinen Auftrag ausführen wollt. Alsbald naoh meinem
Ableben nämlich lasset ihr die eingesperrten Männer
durch Soldaten umzingeln und schleunigst niedermachen,
damit ganz Judaea und jede einzelne Familie wider
Willen meinen Tod beweine.“
7. Hierauf langten Briefe von den zu Rom befindlichen
Gesandten an, welche meldeten, dass Akme auf Befehl
des Caesars hingerichtet und Antipater zum Tode ver-
urteilt worden sei; doch wenn der Vater, so hiess es
weiter, ihn lieber in die Verbannung schicken . wolle,
habe der Caesar nichts dagegen einzuwenden. Herodes
zeigte nun auf kurze Zeit wieder etwas Lebensmut; als
aber bald nachher mangelnde Nahrungsaufnahme und
krampfhafter Husten ihn zermarterten, beschloss er im
Übermass seiner Leiden, dem Geschick zuvorzukommen.
Er nahm also einen Apfel und verlangte ein Messer dazu,
um ihn seiner Gewohnheit gemäss zu zerschneiden, ehe
er ihn verspeiste. Dann sah er sich um, ob vielleicht
jemand ihn hindern würde, und erhob seine Rechte, um
sich zu erstechen. Sogleich aber stürzte sein Vetter
Achiab herbei, fiel ihm in den Arm und vereitelte den
Selbstmord. Im Palast erhob sich nun ein gewaltiges
Klagegeschrei, wie wenn der König schon gestorben
wäre. Kaum hatte Antipater dasselbe vornommen, als
er wieder Mut fasste und voller Freude seine Wächter
bestürmte, ihn gegen ein Geldgeschenk seiner Fesseln
zu entledigen und entwischen zu lassen. Der Wach-
kommandant jedoch, weit entfernt, dies zuzugeben, lief
vielmehr zum Könige und machte ihm von dem Be-
stechungsversuch Meldung. Mit einer in anbetracht
seines leidenden Zustandes ausserordentlich starken
Stimme schrie Herodes auf und schickte sogleich einige
Go gle
Erstes Buch, 33. Kapitel.
177
Trabanten ab, um Antipater hinzurichten. Nachdem er
sodann Befehl gegeben, den Leichnam in Hyrkanium
beizusetzen, änderte er nochmals sein Testament und
schrieb als Thronfolger seinen ältesten Sohn Archelaus,
den Bruder des Antipas, hinein, während er den letzteren
zum Tetrarchen ernannte.
8. Fünf Tage nach der Hinrichtung seines Sohnes
starb auch Jlerodes 1 . Seitdem er durch Ermordung des
Antigonus sich der höchsten Gewalt bemächtigt hatte,
waren vierunddreissig, seit seiner Ernennung zum Könige
durch die Römer siebenunddreissig Jahre verflossen.
Wie kaum ein anderer war er nach aussen hin vom
Glücke begünstigt. Denn als Privatmann war er in den
Besitz eines Königreiches gelangt und konnte es nach
langjähriger Regierung eigenen Kindern hinterlassen;
nur " in seinem Familienleben traf ihn Unglück über
Unglück. — Bevor nun das Heer seinen Tod erfuhr,
begab sich Salome mit ihrem Gatten hinaus und liess die
Gefangenen frei, die der König umzubringen befohlen
hatte, indem sie vorgab, er habe sich anders besonnen
und sende sie jetzt alle wieder in ihre Heimat zurück.
Erst nachdem diese fort waren, teilte sie den Soldaten
den Sachverhalt mit und berief sie samt dem übrigen
Volke zu einer Versammlung in das Amphitheater zu
Jericho. Dort trat Ptolemaeus auf, dem Herodes seinen
Siegelring an vertraut hatte, pries den König glücklich,
tröstete das Volk und las das Schreiben vor, das der
König den Soldaten hinterlassen hatte und in welchem
er sie eindringlich ermahnte, seinem Nachfolger die Treue
zu bewahren. Nach Verlesung des Schreibens eröflhete
Ptolemaeus das Testament und machte seinen Inhalt be-
kannt. Philippus war darin zum Erben von Trachon
und der angrenzenden Länder, Antipas, wie schön oben
erwähnt, zum Tetrarchen und Archelaus zum Könige
ernannt. Dem letzteren war zugleich aufgetragen, den
Siegelring des Herodes und die versiegelten Akten über
1 4 v. Chr.
Josephus, Jüdischer Krieg. 12
Go gle . jSr, c.,\
178
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
die Reichs Verwaltung dem Caesar zu überbringen; denn
dem Caesar verbleibe die letzte Entscheidung über alle
Bestimmungen des Testamentes, und er müsse dasselbe
zunächst bestätigen. Im übrigen solle es bei den früheren
Anordnungen sein Bewenden haben.
9. Sogleich wurde nun Archelaus unter lautem Zuruf
beglückwünscht. Truppweise zogen die Soldaten samt
dem Volke an ihm vorbei, gelobten ihm Treue und
flehten Gottes Huld auf ihn herab. Hierauf traf man
Anstalten zur Beisetzung des Königs. Archelaus liess
es an keinem Aufwand fehlen und stellte, um ein
prunkvolles Leichenbegängnis zu ermöglichen, den ge-
samten königlichen Schmuck zur Schau. Das Paradebett
war ganz von Gold und mit Edelsteinen besetzt, die
Decke von buntgesticktem Purpur, und der Leichnam,
der auf ihr lag, gleichfalls mit einem Purpurgewand um-
hüllt. Auf seinem Haupte ruhte das Königsdiadem und
darüber eine goldene Krone, und die Rechte hielt das
Scepter. Das Paradebett umgaben die Söhne und die
übrigen zahlreichen Verwandten des Königs; alsdann
folgten die Soldaten der Leibwache, die thrakische Ab-
teilung, die Germanen und die Gallier, alle in voller
Kriegsrüstung. Voran schritt der übrige Teil des Heeres
unter Führung seiner Obersten und Hauptleute, ebenfalls
in vollem Waffenschmuek, und daran schlossen sich
fünfhundert Diener und Freigelassene, welche köstliche
Spezereien trugen. So zog man mit dem Leichnam zwei-
hundert Stadien 1 weit nach Herodium, wo er dem Be-
fehle des Verstorbenen gemäss beigesetzt wurde. Das
war das Ende des Herodes.
1 So weit war also Herodium von Jericho, wo Herodes starb,
entfernt, während die Entfernnng von Jerusalem 60 Stadien betrug
(s. 13,8 und J. A. XIV, 13,9). Die Angabe J. A. XVII, 8,4, der
Leichnam sei acht Stadien weit getragen worden, ist somit falsch.
Zweites Buch
Inhalt.
1. Wie Archelaus nach der Trauer um seinen Vater und der Be-
wirtung des Volkes dem letzteren die Erfüllung seiner Forderungen
zusagte.
2. Wie er viele von denen, welche die wegen der Zerstörung des
Adlers zum Tode verurteilten Gesetzeslehrer betrauerten und
einen Aufstand gegen ihn schürten, töten liess, darunter besonders
diejenigen, die zur Zeit des Paschafestes sich versammelt hatten.
3. Wie Sabinus, als Archelaus nach Rom abreiete, auf dem Marsche
nach Jerusalem demselben begegnete und auf Varus' Aufforderung
wieder umkehrte, dann aber nach des letzteren Abreise abermals
dorthin zog und , wiewohl vergeblich, die Königsburg in Besitz
zu nehmen und alles Geld zu rauben trachtete.
4. Wie Antipas mit Archelaus um den Thron stritt, und was jeder
von beiden zu seinen Gunsten vorbrachte.
5. Wie das Volk, als Sabinus nach Jerusalem gekommen war und
nicht nur mit Gewalt die Abgaben eintrieb, sondern auch des
Königs Schätze aufstöberte, sich zusammenrottete und sich wider
ihn erhob, sodass die Empörung ganz Judaea ergriff.
6. Von den Unruhstiftern in Judaea und von denen, die sich die
Königskrone aufsetzten.
7. Wie Varus heranzog, den Aufstand niederwarf und gegen die
Rädelsführer einschritt.
8. Wie die Juden sich zum Caesar begaben, den Herodes und seine
Söhne anklagten und begehrten, nicht länger mehr unter Königen
stehen zu müssen. Wie Archelaus sie widerlegte und ihre An-
klagen zunichte machte.
9. Wie der Caesar dem Archelaus die Hälfte des Königreiches gab
. und ihn zum Ethnarchen ernannte, den Rest aber in zwei
Tetrarchien teilte, von denen er die eine dem Philippus, die
andere dem Antipater, der auch Antipas und Herodes genannt
wurde, verlieh. Was der Caesar den übrigen Nachkommen des
Herodes zuerkannte.
10. Vom falschen Alexander und wie er entlarvt wurde.
11. Wie Archelaus im neunten Jahre seines Thrones und Vermögens
verlustig ging und in dauernde Verbannung geschickt wurde.
Seine und seiner Gattin Träume. Sein Reich wird in eine Provinz
verwandelt und einem Landpfleger unterstellt.
12 *
n !j r vifi s i # o f ca l im r n i a
Go gle
180
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
12. Von Judas dem Galiläer, der seine Landsleute zum Abfall reizte,
und von den drei Sekten der Juden, den Sadducäern, Phari-
säern und Essenern.
13. Tod von Herodes’ Schwester Salome und des Caesars Augustus.
Thronbesteigung des Tiberius. Welche Städte die Tetrarchen
Herodes und Philippus gründeten.
14. Wie Pilatus, der Landpfleger von Judaea, Bildnisse des Caesars
nach Jerusalem bringen Hess, aber auf inständige Bitten des
Volkes sie wieder aus der Stadt entfernte. Wie er den Tempel-
schatz zur Anlage einer Wasserleitung verwenden wollte, da-
durch aber das Volk zum Aufruhr trieb und viele Juden um-
bringen liess.
15. Wie Agrippa, der Sohn des zugleich mit seinem Bruder von
Herodes getöteten Aristobulus, sich zu Tiberius begab, um den
Herodes anzuklagen, vom Caesar aber nicht nur abgewiesen,
sondern auch ins Gefängnis geworfen und schlecht behandelt
wurde, weil er des Gajus Regierung herbeigewünscht hatte.
16. Wie er nach dem Ableben des Tiberius und der Thronbesteigung
des Gajus freigelassen wurde und die Tetrarchie des verstorbenen
Philippus sowie auch die von dessen Bruder Herodes erhielt,
der mit seiner Gattin Herodias seiner Habgier wegen und weil
er von Agrippa angeschuldigt worden war, nach Hispanien
verbannt wurde.
17. Wie Gajus den Petronius nach Judaea schickte, um seine Bild-
säule im Tempel aufstellen zu lassen , und wie fast sämtHche
Juden dem Petronius bis nach Ptolemais entgegenzogen und
ihn beschworen, dies nicht zu thun. Beschreibung von Ptole-
mais und des Beleusflusses. Vom Grabmal des Memnon und
dem Glassande. Wie Petronius sich bewegen liess, von der
Aufstellung der Bildsäule abzusehen.
18. Wie nach Gajus’ Tod Claudius zur Regierung kam, nachdem
der Senat auf Agrippas Anraten sich mit ihm ausgesöhnt hatte.
Wie Claudius den Agrippa mit dem ganzen Reiche seines Vaters
belehnte und noch andere Landesteile hinzufügte, Agrippas
Bruder aber, der auch zugleich dessen Schwiegersohn war, zum
Könige von Chalkis machte.
19. Wie Agrippa, als er Jerusalem zu befestigen angefangen hatte,
starb und sein Reich wiederum zur Provinz unter Verwaltung
eines Landpflegers wurde. Wie alsdann auch Herodes, der
König von Chalkis, aus dem Leben schied, und Claudius dessen
Neffen Agrippa, den Sohn Agrippas, mit seinem Reiche belehnte.
Wie im Gegensatz zu diesen Nachkommen des Aristobulus die
Nachkommen Alexanders in Grossarmenien herrschten.
20. Wie unter dem Landpfleger Cumanus infolge des schamlosen
Benehmens eines Soldaten ein Aufstand in Jerusalem ausbracb
und gegen zehntausend Juden umkamen. Wie nach Nieder-
werfung dieser Empörung eine zweite entstand, weil ein Soldat
in Samaria das Gesetzbuch verbrannt hatte.
Go gle
ÜWIVERSft^OF CALIFORNIA
Zweites Buch, Inhalt.
181
21. Wie infolge der Ermordung eines Galiläers durch die Samaritaner
wiederum ein schwerer Streit entstand, und auf welche Weise
derselbe von Claudius beigelegt wurde. Claudius versetzt den
Agrippa von Chalkis in ein grösseres Königreich.
22. Wie nach Claudius’ Tod Nero den Thron bestieg, die Regierung
von Kleinarmenien dem Aristobulus, Sohn des Herodes, über-
trug, dem Gebiete des Agrippa noch vier Städte samt den zu-
gehörigen Bezirken hinzufügte und den übrigen Teil von Judaea
dem Landpfleger Felix unterstellte , der viele Übelth&ter kreu-
zigen liess und den Räuberhauptmann Eleazar, nachdem dieser
zwanzig Jahre lang das Land beunruhigt hatte, in Ketten nach
Rom schickte.
23. Von den sogenannten Sikariern, den falschen Propheten und
den Volksaufwieglern. Von dem Streite zwischen Juden und
Griechen zu Caesarea um die bürgerliche Gleichberechtigung,
und wie jede Partei eine Abordnung an Nero schickte, um
ihre Sache zu verfechten.
24. Vom Nachfolger des Festus, dem Landpfleger Albinus, der bos-
haften Gemütes war, immerhin aber noch ein Muster von
Rechtschaffenheit im Vergleich zu seinem viel schlimmeren
Nachfolger Florus.
25. Wie die Griechen zu Caesarea es bei Nero durchsetzten, dass
sie als Herren der Stadt anerkannt wurden, worauf der jüdische
Krieg begann, einesteils weil ein Einwohner von Caesarea in
einem Topfe Vögel opferte, andern teils weil Florus aus dem
Tempelschatz siebzehn Talente entnehmen liess.
26. Von Berenike, der Schwester Agrippas, und was ihr widerfuhr.
27. Wie Florus den bereits erloschenen Aufruhr wieder entfachte,
indem er den Juden vorschrieb, sie sollten den Truppen ent-
gegenziehen und sie begrüssen, den Soldaten dagegen befahl,
die Begrüssung nicht zu erwidern und , sobald sie unwillige
Reden vernähmen, sogleich von ihren Waffen Gebrauch zu
machen.
28. Wie Florus die Stadt verliess und Bericht über die Empörung
der Juden an Cestius erstattete, der alsdann den Tribun Nea-
politanus zur Untersuchung der Angelegenheit schickte. Wie
Neapolitanus mit Agrippa die Stadt betrat und die Juden im
Frieden mit den Römern, aber in lauten Klagen gegen Florus
antraf, worauf er zu seinem Auftraggeber zurückkehrte, während
der König dem Volke zu ruhigem Verhalten riet.
29 Wie die Juden, als Agrippa den Aufruhr beschwichtigt hatte
und den Versuch machte, sie nun auch mit Florus wieder aus-
zusöhnen, in Wut gerieten und Agrippa durch einen Herold
sagen Hessen, er solle sich aus der Stadt entfernen. W T ie sie
darauf die Festung Masada, nachdem sie die römische Be-
satzung des Platzes niedergemacht hatten, in ihre Gewalt
brachten.
30. W r ie man, als Eleazar, des Hohepriestcrs Ananias Sohn, Befehls-
182
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
haber der Tempelwache war, die hergebrachten Opfer für den
Caesar zurückwies und dadurch erst recht den Krieg schürte.
31. Wie die Vornehmen Abgeordnete an Agrippa sandten und von
ihm eine Streitmacht erhielten, deren sie sich gegen Eleazar
und seinen aufrührerischen Anhang bedienten. Vom Feste des
Holztragens und von den Sikariern.
32. Wie Manaim, der Sohn jenes Galiläers Judas, der einst gegen
Quirinius das Volk aufgehetzt hatte, sich wider Eleazar erhob,
und wie er nebst seinem Anhang und allen Königlichen von
den Leuten Eleazars niedergemacht wurde.
33. Wie das ganze Volk der Juden, nachdem die Bewohner von
Caesarea alle ihre jüdischen Mitbürger umgebraeht hatten, sich
erhob und Greuelthaten in Syrien und den angrenzenden Ge-
bieten verübte.
34. Wie die Bewohner von Skythopolis ebenfalls ihre jüdischen
Mitbürger niedermachten. Bericht über einen gewissen Simon,
der seine ganze Familie und sich selbst tötete. Wie allent-
halben die Juden von den Griechen umgebracht wurden.
35. Wie einige Griechen die bei ihnen lebenden Juden verschonten,
und wie im Reiche Agrippas die Juden ohne sein Vorwissen
niedergemacht wurden.
36. Wie auch anderwärts die J uden schonungslos getötet und nament-
lich von den Alexandrinern ihrer fünfzigtausend hingeschlachtet
wurden.
37. Wie schlimm Cestius auf dem Marsche von Antiochia nach
Jerusalem hauste, wie viele Städte er einnahm und wie viele
Menschen er umbringen liess. W T ie die Juden bei seiner An-
näherung an Jerusalem ihn angriffen und viele Römer nieder-
metzelten, dann aber geschlagen wurden und sich in die Stadt
zurückzogen, während Simon, des Gioras Sohn, noch eine grosse
Anzahl Römer tötete.
38. Wie Agrippa Friedensunterhandlungen mit den Juden versuchte,
aber nichts ausrichtete, da die Empörer sich ihm widersetzten.
39. Wie Cestius dieselben unversehens angriff und die innere Stadt
samt dem Tempel bedrängte, dann aber, obwohl er die Stadt
hätte nehmen können, sich zurückzog, da der Lagerpraefekt und
die Reiterobersten, die von Florus bestochen waren, ihm dazu
rieten. Wie Cestius darauf wiederum die Belagerung in Angriff
nahm, aber bald den Rückzug antrat.
40. Wie Cestius unbesonnenerweise sein Lager von der Stadt ent-
fernte, und was er auf seinem Rückzug von den Juden zu
erdulden hatte.
41. Wie die Damascener ihre jüdischen Mitbürger niedermachten,
und wie die von der Verfolgung des Cestius zurückkehrenden
Juden ihr Augenmerk auf die Sicherung der Stadt richteten
und noch weitere Führer wählten, darunter auch den Verfasser
dieser Geschichte.
Go gle
IJMiyCRSITY OF CALIFORlli^
Zweites Buch, 1. Kapitel.
183
42. Welche Anordnungen Josephus in dem ihm unterstellten Be-
zirke traf.
43. Von Joannes, der sich später als Tyrann erwies. Seine Ränke
gegen Josephus.
44. Wie es in Jerusalem unter der Verwaltung des Ananus aussah,
und was Simon, des Gioras Sohn, im Bezirk voh Akrabatta
trieb.
Erstes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 8, 4 — 9, 3.
Des Archelaus Regierungsantritt. Aufruhr in Jerusalem
und dessen Niederwerfung.
1. Anlass zu neuen Unruhen gab die Reise nach
Rom, welche Archelaus unternehmen musste. Nachdem
er seinen Vater sieben Tage lang betrauert und dem
Volke einen kostspieligen Leichenschmaus gegeben
hatte — eine Sitte, infolge deren viele Juden verarmen,
denn man ist fast genötigt, die Leidtragenden zu be-
wirten, weil die Unterlassung als Mangel an Pietät ge-
deutet wird — , legte er ein weisses Gewand an und
begab sich in den Tempel, wo das Volk ihn mit viel-
fältigen Segenswünschen empfing. Er selbst begrüsste
dann das Volk von einem goldenen Throne aus, der
auf hoher Tribüne errichtet war, und dankte für die eifrige
Teilnahme am Begräbnis seines Vaters sowie für die
Huldigung, die man ihm dargebracht, als wenn er schon
wirklicher König wäre. Er verzichte aber, fuhr er fort,
für jetzt nicht nur auf die Ausübung der Herrscher-
gewalt, sondern auch auf die Titel, bis ihn in der Thron-
folge der Caesar bestätigt habe, dem der Bestimmung
des Testamentes zufolge über alles die endgiltige Ent-
scheidung zustehe. Er habe demgemäss auch in Jericho
das Diadem, das die Soldaten ihm hätten aufsetzen
wollen, nicht angenommen. Für die Beweise von Treue
und Ergebenheit werde er übrigens dem Heere wie dem
Volke seinen vollen Dank erstatten, sobald er höheren
Orts als wirklicher König anerkannt sei. Er werde
dann nämlich eifrigst darauf bedacht sein, sich in allen
184
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Stücken gegen seine Unterthanen milder zu zeigen als
sein Vater.
2. Voll Freude über diese Zusage stellte das Volk
alsbald seine Gesinnung durch hohe Forderungen auf
die Probe. Die einen nämlich riefen nach Erleichterung
der Abgaben, andere nach Aufhebung der Zölle, wieder
andere nach Freilassung der Gefangenen. Um sich beim
Volke beliebt zu machen, sagte Archelaus alles zu;
hierauf opferte er und hielt mit seinem Gefolge ein
Freudenmahl. Gegen Abend aber sammelte sich eine
nicht unbeträchtliche Schar Unzufriedener, die, nachdem
die öffentliche Trauer um den König zu Ende war, nun-
mehr ihrer eigenen Ausdruck geben zu müssen glaubten,
indem sie diejenigen beklagten, welche Herodes wegen
der Zerstörung des am Tempelthor angebrachten goldenen
Adlers hatte hinrichten lassen. Das war keine er-
heuchelte Trauer, die nun die Stadt erfüllte, sondern
markerschütterndes Schluchzen und tiefempfundene Weh-
klage um die Männer, welche, wie man sich ausdrückte,
für das Gesetz der Väter und den heiligen Tempel ihr
Leben gelassen hätten. Ihren Tod müsse man, so schrie
die Menge, an denen rächen, die Herodes zu Amt und
Würden erhoben habe. Vor allem aber habe der von
ihm eingesetzte Hohepriester abzudanken und einem
frömmeren und reineren Platz zu machen.
3. So sehr Archelaus hierüber in Wallung geriet,
enthielt er sich doch mit Rücksicht auf die Dringlichkeit
seiner Reise vorläufig noch des strafenden Einschreitens.
Er fürchtete nämlich, die Bewegung möchte, wenn er
sich mit dem Volke verfeinde, so anwachsen, dass seine
Reise dadurch gänzlich vereitelt würde. Deshalb suchte
er die Unzufriedenen mehr mit guten Worten als durch
Anwendung von Gewalt zur Ruhe zu bringen und sandte
einen höheren Offizier ab, um sie zu friedlichem Ver-
halten ermahnen zu lassen. Als dieser aber den
Tempel betrat, jagten ihn die Empörer, ehe er noch zu
Wort gekommen war, mit Steinwürfen wieder weg, und
‘auch die anderen Abgesandten des Archelaus, die nach
Zweites Bach, 1. Kapitel.
185
ihm erschienen, um sie zur Besinnung zu bringen, wiesen
sie unter leidenschaftlichen Drohungen ab. Es war klar,
wenn sie Verstärkung erhielten, so waren sie gar nicht
mehr zu bändigen, und gerade jetzt strömte eine Menge
von Landleuten zu religiösen Feierlichkeiten in der
Stadt zusammen, da das Fest der ungesäuerten Brote
bevorstand, welches die Juden Pascha nennen und durch
Darbringung unzähliger Opfer verherrlichen. Diejenigen
nun, welche die Gesetzeslehrer betrauerten, hielten sich
im Tempel beieinander und schürten von hier aus die
Flamme des Aufruhrs. Darüber geriet Archelaus in
Angst, und um die Ausbreitung des Empörungsfiebers
auf das ganze Volk zu verhindern, sandte er in aller
Stille einen Tribun an der Spitze einer Kohorte ab mit
dem Auftrag, sich der Rädelsführer gewaltsam zu be-
mächtigen. Die gesamte Volksmenge aber stürzte sich
den Soldaten entgegen und warf den grössten Teil von
ihnen mit Steinen zu Tode. Der Tribun selbst ward
verwundet und entkam nur mit genauer Not. Hierauf
wandten sich die Empörer, als wenn nichts Schlimmes
vorgefallen wäre, dem Opferdienst zu. Archelaus aber
sah ein, dass das Volk ohne Blutvergiessen nicht länger
mehr im Zaum zu halten sei. Er liess daher die ge-
samte Streitmacht gegen dasselbe ausrücken, und zwar
die Fusstruppen in geschlossenem Zuge durch die Stadt,
die Reiterei aber auf das Feld 1 . Auf diese Weise
wurden gegen dreitausend Menschen bei der Darbringung
der Opfer niedergemacht, während der übrige Teil des
Volkes sich in das nahe Gebirge zerstreute. Dorthin
folgten ihnen von Archelaus gesandte Herolde, welche
den Befehl verkündeten, es solle ein jeder in seine
Heimat zurückkehren, worauf sie denn alle das Fest
verliessen und sich davonmachten.
1 Um das Eindringen der ausserhalb befindlichen Menge in den
Tempel zu verhindern (s. J. A. XVII, 9,3).
186
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Zweites Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 9, 3 — 9, 7.
Archelaus reist nach Rom, wo er von seinen Verwandten
beim Caesar vergeblich angeklagt wird.
1. Er selbst begab sich nun, indem er den Philippus
als Reichsverweser und Hüter seines Hauses zurückliess,
in Begleitung seiner Mutter sowie seiner Freunde Poplas,
Ptolemaeus und Nikolaus an die Meeresküste. Zugleich
mit ihm reisten Salome und deren Kinder ab, ferner
auch noch andere Blutsverwandten und die Schwieger-
söhne des Königs, dem Scheine nach, um die Ansprüche
des Archelaus auf den Thron zu unterstützen, in Wirk-
lichkeit aber, um ihn wegen des gesetzwidrigen Verfahrens
im Tempel zu verklagen.
2. In Caesarea kam ihnen Sabinus, der Finanz-
verwalter Syriens, entgegen, der im Begriff war, sich
nach Judaea zu begeben, um die von Herodes hinter-
lassenen Schätze in Verwahr zu nehmen. Archelaus
aber sandte den Ptolemaeus zu Varus 1 und liess ihn
aufs angelegentlichste bitten, Sabinus von der Weiterreise
abzuhalten. Aus Rücksicht auf Varus unterliess Sabinus
es auch wirklich, nach den festen Plätzen zu eilen und
dem Archelaus die Schatzkammern seines Vaters zu ver-
schliessen, versprach vielmehr, bis zur Entscheidung des
Caesars sich gedulden zu wollen, und verblieb in Caesarea.
Sobald aber der eine von denen, die ihn aufhielten 2 ,
nach Antiochia abgereist war, der andere, Archelaus, sich
nach Rom eingeschifft hatte, brach er unverzüglich nach
Jerusalem auf, bemächtigte sich des Königspalastes und
berief die Kommandanten und Schatzmeister der Festungen
zu sich, um die Höhe der Kassenbestände zu erforschen
und die Plätze in seine Gewalt zu bekommen. Die
Kommandanten jedoch hielten sich streng an die Befehle
1 Dem Statthalter von Syrien und Vorgesetzten des Sabinus.
- Varus, der mit Ptolemaeus nach Caesarea gekommen war (s. J.
A. XVII 9, 5).
Zweites Buch, 2. Kapitel.
187
des Archelaus und verblieben sämtlich auf ihrem Posten
unter Hinweis darauf, dass sie hierfür mehr dem Caesar
als dem Archelaus verantwortlich seien.
3. Zur selben Zeit begab sich auch Antipas auf den
Weg, um seine Ansprüche auf die Thronfolge geltend
zu machen in der Meinung, das frühere Testament, in
welchem er als König aufgeführt war 1 , habe grössere
Kraft als die spätere Abänderung desselben 2 . Übrigens
hatten Salome und viele seiner übrigen Verwandten, die
mit Archelaus die Seereise machten, ihm schon vorher
ihre Unterstützung zugesagt. In seiner Begleitung befand
sich ausser seiner Mutter auch der Bruder des Nikolaus,
Ptolemaeus, dessen Einfluss, wie er glaubte, besonders
massgebend sein würde, weil er in so hohem Grade das
Vertrauen des Her ödes genossen hatte, dessen liebster
Freund er gewesen war. Seine grösste Hoffnung jedoch
setzte er auf die Gewandtheit des Rhetors Irenaeus; im
Vertrauen auf diesen Mann hatte er auch alle Vor-
stellungen derer zurückgewiesen, die ihm rieten, dem
Archelaus als dem älteren und im Testament als Thron-
folger bezeichneten Mitbewerber den Vorrang zu lassen.
Nach der Ankunft in Rom traten vollends alle Ver-
wandten auf seine Seite; denn Archelaus war ihnen
verhasst. Am erwünschtesten zwar wäre jedem von ihnen
eine selbständige Regierung unter der Oberhoheit eines
römischen Statthalters gewesen; für den Fall aber, dass
dies unmöglich sein sollte, war ihnen Antipas als König
immer noch am willkommensten.
4. Auch Sabinus war ihnen zur Erreichung ihrer Ab-
sichten mit Briefen behilflich, in welchen er Archelaus
beim Caesar verklagte und Antipas ins beste Licht zu
rücken suchte. Nachdem sodann Salome und ihr Anhang
die einzelnen Beschuldigungen schriftlich aufgesetzt
hatten, legten sie dieselben dem Caesar vor. Aber auch
Archelaus liess die Begründung seiner Ansprüche nieder-
1 Ö. I, 32, 7.
2 S. I, 33, 7.
188
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
schreiben und die Denkschrift samt dem Siegelring
seines Vaters durch Ptolemaeus überreichen. Der Caesar
erwog nun zunächst die von beiden Parteien vorgebrachten
Gründe, die Grösse des Königreiches, die Höhe der Er-
träge desselben und die bedeutende Kopfzahl der zur
Familie des Herodes gehörigen Personen, las alsdann
auch die Briefe, die Varus und Sabinus über die An-
gelegenheit geschrieben hatten, und berief schliesslich
eine Versammlung der vornehmsten Römer, in welcher
auch der von ihm an Kindesstatt angenommene Sohn
des Agrippa und der Julia, Gajus 1 , zum' erstenmal Sitz
und Stimme erhielt. Sogleich ward nun den streitenden
Parteien das Wort verstauet..
5. Zunächst erhob sich Salomes Sohn Antipater, der
redegewandteste unter den Gegnern des Archelaus, und
brachte seine Anklage vor, indem er sagte, mit Worten
bewerbe sich Archelaus wohl um den Thron, in Wirk-
lichkeit aber sei er schon lange König und belästige
jetzt das Ohr des Caesars mit eitlen Spiegelfechtereien.
Ohne die Entscheidung des Caesars abzuwarten, habe
er nach dem Tode des Herodes insgeheim einige Leute
angestiftet, ihm das Diadem aufzusetzen, habe sich auf
dem Throne niedergelassen, sich als König geberdet, die
Heereseinrichtung geändert, Beförderungen vorgenommen,
dem Volke alles zugesagt, was es von ihm als seinem
König begehrte, und die wegen der schwersten Verbrechen
von seinem Vater Ein gekerkerten freigelassen. Jetzt
komme er nun daher, um sich von seinem Oberherrn den
Schatten des Königtums zu erbitten, das er dem Wesen
nach bereits an sich gerissen habe, und mache so den
Caesar zum Schiedsrichter nicht über Sachen, sondern
über blosse Namen. Ausserdem warf er ihm vor, seine
Trauer um den Vater sei gleichfalls nur Heuchelei ge-
wesen. Bei Tage habe er eine betrübte Miene zur Schau
1 Gajus Caesar. Sohn von Augustus’ Tochter Julia und Marcus
Vipsanius Agrippa. Im Jahre 4 n. Chr. wurde er von Livia, der
Gemahlin des Augustus, dem Tiberius zulieb aus dem Wege geräumt.
Zweites Buch, 2. Kapitel.
189
getragen, bei Nacht aber sich berauscht 4 und übermütige
Streiche begangen. Dem Unwillen über dieses Benehmen
sei es auch allein zuzuschreiben, dass das Volk sich
empört habe. Als Hauptargument seiner ganzen Rede
führte er sodann den Umstand an, dass eine so grosse
Menge Menschen im Bereich des Tempels niedergemacht
worden sei. Zur Festfeier seien sie gekommen und neben
ihren eigenen Opfertieren grausam hin geschlachtet worden,
und im Tempel seien mehr Leichen aufgehäuft gewesen,
als wenn ein plötzlicher Überfall seitens auswärtiger
Feinde stattgefunden hätte. Diese seine Grausamkeit
habe auch sein Vater vorausgesehen und ihm deshalb
eigentlich jede Aussicht auf die Thronfolge benehmen
wollen; erst zu der Zeit, da Herodes mehr geistig wie
körperlich gelitten habe und vernünftiger Überlegung
nicht mehr fähig gewesen sei, habe er, ohne sich dessen
bewusst zu sein, ihn in einem Testamentszusatz als
Thronfolger bezeichnet, obwohl der im früheren Testament
bestimmte Nachfolger, den er bei gesundem Leibe und
völlig klarem Verstand eingesetzt, ihm nicht den ge-
ringsten Anlass zur Klage gegeben habe. Aber selbst
wenn man dem Urteil eines todkranken Menschen
grössere Kraft beimessen wolle, müsse man doch jeden-
falls gelten lassen, dass Archelaus durch sein allen Ge-
setzen Hohn sprechendes Verfahren die Herrschaft über
das Königreich verwirkt habe. Denn es sei leicht ein-
zusehen, wie nach seiner Bestätigung durch den Caesar
ein Mann sich aufführen werde, der bereits vor Er-
langung derselben so viele Menschen habe hinwürgen
lassen.
6. Nachdem Antipater noch viele derartige Gründe
vorgebracht und bei jedem Anklagepunkt die meisten
seiner Verwandten als Zeugen aufgerufen hatte, schloss
er seine Rede, und es erhob sich nun für Archelaus
dessen Sachwalter Nikolaus, der die Notwendigkeit
des Blutbades im Tempel zu verteidigen suchte , indem
er ausführte, die Getöteten seien nicht bloss Feinde des
Königreiches, sondern auch des Caesars, des jetzigen
Go #le
190
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Schiedsrichters; gewesen. Bezüglich der übrigen Klage-
punkte wies er sodann nach, dass gerade die Kläger es
gewesen seien, die dem Archelaus die betreffenden Rat-
schläge erteilt hätten. Den Testamentszusatz aber glaubte
er besonders aus dem Grunde für giltig halten zu müssen,
weil darin der Caesar als derjenige bezeichnet sei, der
den Thronfolger zu bestätigen habe. Denn wer so ver-
nünftig gewesen sei, schloss Nikolaus, sich seiner Gewalt
zu gunsten des Weltherrschers zu begeben, der habe
gewiss auch in betreff des Thronfolgers kein falsches
Urteil gehabt und, indem er den Erben des Reiches
erwählte, jedenfalls bei vollem Verstand gehandelt, da
er wohl gewusst habe, von wem derselbe in dieser Würde
bestätigt werden müsse.
7. Als nun auch Nikolaus mit seiner Rede zu Ende
war, trat Archelaus in aller Ruhe vor den Caesar hin
und warf sich ihm zu Füssen. Huldvollst hiess dieser
ihn aufstehen und erklärte ihn für würdig, seines Vaters
Nachfolger zu werden. Doch traf er noch keine be-
stimmte Entscheidung, sondern entliess die für diesen
Tag einberufene Ratsversammlung und dachte mit Rück-
sicht auf das Gehörte darüber nach, ob er einen der im
Testament Bezeichneten zum Thronfolger ernennen oder
das Reich unter die sämtlichen Mitglieder der Familie
verteilen solle; denn bei der grossen Anzahl der letzteren
schien ihm eine derartige Versorgung derselben geboten
zu sein.
Drittes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 10, 1 — 10, 3.
Aufstand der Juden gegen Sabinus.
1. Bevor der Caesar in dieser Angelegenheit einen
bestimmten Entschluss gefasst hatte, erkrankte und starb
des Archelaus Mutter Malthake, und zugleich langte
aus Syrien ein Schreiben des Varus an, welches einen
Go gle
JN [VERS ITT OF ( fÄWMI.
Zweites Buch, 3. Kapitel.
191
Aufstand der Juden meldete. Varus nämlich war, weil
er eine Empörung vorausgesehen hatte, nach der Abreise
des Archelaus in Jerusalem eingerückt, um etwaige
Unruhen, die jeden Augenblick ausbrechen konnten,
zu unterdrücken, hatte eine der drei aus Syrien mit-*
genommenen Legionen in der Stadt gelassen und war
dann selbst nach Antiochia zurückgekehrt. Anlass
zu offenem Aufruhr aber gab die Ankunft des Sabinus,
der von den Besatzungstruppen der Festungen deren
Übergabe erzwang und mit grosser Strenge nach den
Schätzen des Königs forschte. Hierbei stützte er sich
nicht nur auf die von Varus zurückgelassenen Soldaten,
sondern auch auf die grosse Menge seiner eigenen
Sklaven, die er sämtlich mit Waffen versehen hatte und
nun als Werkzeuge seiner Habgier missbrauchte. Um
diese Zeit fiel gerade das jüdische Fest Pentekoste ein,
welches sieben Wochen nach dem Paschafeste gefeiert
wird und seinen Namen von der Anzahl der zwischen
den beiden Festen liegenden Tage hat 1 . Doch war es
nicht sowohl gewohnte Gottes Verehrung , die das Volk
zu diesem Feste hinzog, als vielmehr hochgradige Er-
bitterung. Fast zahllos war die Menschenmenge, die
aus Galilaea, Idumaea, Jericho und aus Peraea jenseits
des Jordan in Jerusalem zusammenströmte ; alle anderen
aber übertraf an Zahl und Entschlossenheit das Volk
aus dem eigentlichen Judaea. Sie teilten sich alsdann
in drei Haufen und schlugen an drei Stellen ein Lager
auf, eines nördlich vom Tempel, ein anderes im Süden
bei der Rennbahn, und das dritte westlich in der Nähe
des Königspalastes. So umzingelten sie die Römer von
allen Seiten und begannen sie regelrecht zu belagern.
2. Sabinus, den die grosse Menge der Feinde und
deren Kampfesfreudigkeit in Schrecken versetzte, schickte
einen Boten nach dem anderen mit der Bitte um
schleunige Hilfe an Varus und liess ihm sagen, wenn
er zögere, werde die Legion zusammengehauen werden.
1 S. die Anmerkung zu 1, 13, 3.
192
Josephu9, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Er selbst bestieg den höchsten Turm der Festungswerke,
den Phasaelsturm , so genannt nach dem von den
Parthern getöteten Bruder des Herodes, und gab von
da aus den Soldaten der Legion das Zeichen zum An-
griff ; denn in seiner Angst wagte er es nicht einmal,
zu den Seinigen herabzukommen. Die Soldaten folgten
seinem Befehl, drangen bis zum Tempel vor und lieferten
den Juden ein heisses Treffen, in welchem sie mit ihrer
Kriegserfahrung den ungeübten Gegnern so lange über-
legen waren, als niemand von oben her ihnen zusetzte.
Sowie aber die Juden in grosser Anzahl die Hallen er-
stiegen und ihre Geschosse auf die Köpfe der Römer
richteten, fielen die letzteren massenhaft, weil sie dem
gleichzeitigen Angriff von oben und aus der Nähe nicht
standzuhalten vermochten.
B. So von zwei Seiten bedrängt, steckten die Römer
die Hallen, Werke von bewundernswerter Grösse und
Pracht, in Brand, wobei viele der oben Stehenden so-
gleich von den Flammen ergriffen wurden und in ihnen
umkamen, viele auch, indem sie heruntersprangen, dem
Schwert der Feinde zum Opfer fielen, während andere
teils auf der entgegengesetzten Seite von der Mauer sich
hinabstürzten, teils in der Verzweiflung dem Feuer
zuvorkamen und mit ihren eigenen Waffen sich um-
brach ten. Diejenigen aber, welche von der Mauer herab-
geklettert waren und auf die Römer zurannten, wurden
in ihrer Bestürzung mit leichter Mühe überwältigt.
Nachdem so der eine Teil der Empörer umgekommen
war, der andere sich aus Furcht zerstreut hatte, fielen
die Soldaten über den unbewachten TempelBchatz her
und raubten etwa 400 Talente, und was nicht auf diese
Weise gestohlen wurde, eignete Sabinus sich an 1 .
4. Die Zerstörung der herrlichen Bauwerke und der
Untergang so vieler Menschen aber erbitterte die Juden
derart, dass sie bald mit zahlreicheren und kampf-
geübteren Scharen den Römern entgegentraten, den
Vergl. hierzu J. A. XVII, 10, 2.
Zweites Buch, 4. Kapitel.
193
Königspalast umzingelten und die gesamte Besatzung
niederzumachen drohten, wenn dieselbe nicht schleunigst
abrücke. Für den Fall, dass Sabinus diesem ihrem
Verlangen gemäss mit seiner Legion abziehen wolle,
versprachen sie ihm volle Sicherheit. Die meisten der
königlichen Soldaten waren übrigens zu den Empörern
übergegangen, während der streitbarste Teil derselben,
dreitausend Sebastener 1 , unter Führung von Rufus und
Gratus sich auf die Seite der Römer schlugen. Gratus
war Befehlshaber der königlichen Fusstruppen, Rufus
Anführer der. Reiterei, und beide mussten, auch ab-
gesehen von der ihnen untergebenen Streitmacht, um
ihrer Entschlossenheit und Einsicht willen auf den
Ausgang des Kampfes grossen Einfluss haben. Die
Juden setzten nun die Belagerung eifrig fort und riefen
bei ihren Angriffen auf die Mauern der Burg den Leuten
des Sabinus zu, sie sollten doch abziehen und ihnen
nicht im Wege stehen, wenn sie jetzt nach langer Zeit
die Freiheit ihrer Väter wiederzugewinnen suchten.
Sabinus wäre übrigens gern in aller Stille abgerückt,
doch er traute den Versprechungen seiner Gegner nicht
und argwöhnte, dass sie mit ihrer Milde ihm nur eine
Falle stellen wollten. Zudem hoffte er auf baldige Hilfe
von seiten des Varus und hielt demgemäss die Be-
lagerung noch weiter aus.
Viertes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 10,4 — 10, 8.
Meuterei ehemaliger Soldaten des Herodes. Von Judas,
Simon und Athrongaeus.
1. Um diese Zeit brachen auch an vielen anderen
Orten im Lande Unruhen aus, und gar mancher hielt
die Gelegenheit für günstig, sich die Königskrone auf-
1 D. h. Soldaten aus dem Bezirk von Sebaste (Samaria).
Josephus, Jüdischer Krieg. 13
194
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zusetzen. So griffen in Idumaea zweitausend frühere
Krieger des Herodes zu den Waffen und bekämpften
die Königlichen. Achiab, der Vetter des Königs, führte
den Krieg gegen sie von den stärksten Festungen aus,
vermied aber jeden Zusammenstoss in der Ebene. Ferner
brachte zu Sepphoris in Galilaea ein gewisser Judas,
der Sohn jenes Räuberhauptmannes Ezekias, der einst
das Land verheert hatte, aber von dem Könige Herodes
gefangen genommen worden war, eine nicht unbedeutende
Schar zusammen, erstürmte die königlichen Zeughäuser,
bewaffnete seine Leute und griff diejenigen an, welche
nach der Herrschaft strebten.
2. In Peraea setzte sich Simon, einer von den Dienern
des verstorbenen Königs, im Vertrauen auf seine Schön-
heit und Körpergrösse das Diadem auf, streifte mit den
Räubern, die er an sich gezogen hatte, umher, steckte
den königlichen Palast zu Jericho sowie viele andere
prachtvolle Landhäuser in Brand und machte während
der Feuersbrünste mit leichter Mühe reiche Beute. Auf
die Dauer würde er wohl sämtliche Prachtgebäude ein-
geäschert haben, wenn nicht Gratus, der Anführer der
königlichen Fusssoldaten , mit den Bogenschützen von
Trachon und den kampfgeübtesten Sebastenern ihm
entgegengerückt wäre. In dem Treffen, das sich nun
entspann , fiel freilich ein grosser Teil des Fussvolkes,
doch wurde Simon selbst, als er durch eine enge Schlucht
entfliehen wollte, von Gratus abgeschnitten und durch
einen Seitenhieb ins Genick getötet. Von einer anderen
Rotte Aufständischer aus Peraea wurde das Königs-
schloss zu Betharamathon 1 in der Nähe des Jordan
niedergebrannt.
3. Sogar ein Hirt mit Namen Athrongaeus 2 wagte
es in den unruhigen Zeiten, seine Hand nach der Krone
%
1 J. A. XVII, 10, 6 heisst der Ort Amatha. Es handelt sich
offenbar um dieselbe Stadt, die sonst Betharamphtha genannt wurde
und später von Herodes Antipas der Gemahlin des Augustus zu
Ehren den Namen Julias oder Livias erhielt (s. J. A. XVIII, 2,1).
- J. A. XVII, 10, 7 : Athronges.
Zweites Buch, 5. Kapitel.
195
au8zustrecken. Was ihn in seiner Hoffnung bestärkte,
war ausser seiner gewaltigen Körperkraft und seinem
todverachtenden Mute besonders die Hilfe, die ihm seine
gleichgearteten Brüder gewährten. Jedem von ihnen
unterstellte er eine Botte von Bewaffneten und liess sie
an deren Spitze zu kriegerischen Überfallen ausrücken,
während er selbst wie ein König die wichtigeren Ge-
schäfte erledigte. Dieser Mann also setzte sich damals
das Diadem auf und verheerte in Gemeinschaft mit
seinen Brüdern längere Zeit hindurch das Land. Vorzugs-
weise suchten sie Römer und Königliche umzubringen;
aber auch wenn Juden ihnen in die Hände fielen, von
denen etwas zu erpressen war, schonten sie dieselben
nicht. Eines Tages wagten sie sogar bei Ammaus eme
ganze römische Kohorte zu umzingeln, die der Legion
Proviant und Waffen zuführte. Schon war der Centurio
Arius samt vierzig der tapfersten Soldaten ihren Ge-
schossen erlegen, und schon drohte dasselbe Schicksal
den übrigen Römern, als Gratus mit den Sebastenern
ihnen zu Hilfe eilte und sie rettete. Nachdem nun die
Brüder während der ganzen Dauer des Kriegszustandes
gegen Einheimische wie Fremde viele derartige Gewalt-
taten begangen hatten, gerieten endlich drei von ihnen
in Gefangenschaft. Der älteste nämlich fiel dem Arche-
laus, die beiden nächsten dem Gratus und dem Ptole-
maeus in die Hände. Der vierte dagegen ergab sich
dem Archelaus auf Grund eines Vergleiches. Dieses
Schicksal ereilte sie indes erst später; damals, wie
gesagt, überzogen sie ganz Judaea mit ihrem Raubkriege.
Fünftes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 10,9 und 10.
Varus stellt in Judaea die Ordnung wieder her.
1. Kaum hatte Varus die Briefe des Sabinus und
der anderen Befehlshaber erhalten, als er für die ganze
Go gle
uiNiivERsiffw California
196
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Legion zu fürchten begann und den Entschluss fasste,
ihnen schleunigst Hilfe zu bringen. Zu diesem Zweck
zog er mit den übrigen zwei Legionen und den zu ihnen
gehörigen vier Reiterschwadronen nach Ptolemais, wohin
er die Hilfstruppen der Könige und der anderen Fürsten
beschieden hatte. Unterwegs nahm er beim Durchmarsch
durch Berytus 1 auch von dieser Stadt fünfzehnhundert
Bewaffnete mit. Bei Ptolemais schloss sich dann ausser
den Truppen der übrigen Verbündeten auch noch der
Araber Aretas aus Hass gegen Herodes mit beträchtlichen
Streitkräften zuFuss und zuPferde an ihn an, und nun
entsandte er sogleich einen Teil des Heeres unter dem
Kommando seines Freundes Gajus in die unweit Ptole-
mais gelegenen Grenzgegenden Galilaeas. Dieser schlug
die ihm entgegenrückenden Scharen in die Flucht, er-
oberte die Stadt Sepphoris, steckte sie in Brand und
verkaufte die Einwohner in die Sklaverei. Varus selbst
marschierte mit dem ganzen übrigen Heer auf Samaria
zu, ohne indes die Stadt anzugreifen; es ergab sich
nämlich, dass sie an dem aufrührerischen Treiben der
anderen Städte nicht teilgenommen hatte. Doch errichtete
er sein Lager bei dem Dorfe Arus, das dem Ptolemaeus
gehörte und aus diesem Grunde von den Arabern ge-
plündert wurde, denen des Herodes Freunde nicht minder
verhasst waren wie er selbst. Von hier rückte er weiter
nach Sampho, einem anderen befestigten Dorfe, welches
die Araber ebenfalls ausraubten, wie sie denn auch alle
ihnen begegnenden Proviantkolonnen überfielen. Feuer
und Schwert wüteten allerorts, und nichts vermochte der
Raubgier der Araber zu entgehen. Auch Ammaus, dessen
Einwohner sich geflüchtet hatten, ward auf Befehl des
Varus zur Strafe für die Niedermetzelung des Arius und
seiner Leute eingeäschert.
2. Als er nun von dort weitermarschiert und vor
Jerusalem angelangt war, zerstreute schon der blosse
Anblick seiner Streitmacht die in ihren Lagern be-
1 Er kam aus dem nördlich von Berytus gelegenen Antiochia.
Zweites Buch, 5. Kapitel.
197
findlichen Juden 1 , und eiligst flohen dieselben land-
einwärts. Die Bewohner der Stadt aber öffneten ihm
die Thore und suchten jede Schuld an dem Aufstand
von sich abzuwälzen, indem sie angaben, sie selbst hätten
keineswegs die Ruhe gestört, sondern, nachdem sie not-
gedrungen des Festes halber die Menschenmenge in die
Stadt eingelassen, nicht sowohl mit den Aufständischen
gemeinsame Sache gemacht, als vielmehr im Verein mit
den Römern die Belagerung ausgehalten. Schon vorher
waren Joseph, der Vetter des Archelaus, sowie Gratus
und Rufus mit den königlichen Truppen und den
Sebastenern, desgleichen die Soldaten der römischen
Legion in gewohntem Waffenschmuck dem Varus ent-
gegengezogen. Sabinus dagegen hatte nicht das Herz
gehabt, ihm unter die Augen zu treten, und war deshalb
bereits vor seiner Ankunft aus der Stadt hinaus zur
Meeresküste geeilt. Varus schickte sodann einen Teil
seines Heeres auf Streifzüge aus, um die Anstifter der
Empörung dingfest zu machen, und es ward eine grosse
Anzahl der letzteren eingebracht. Diejenigen nun,
welche weniger unruhige Köpfe zu sein schienen, liess
er einkerkern, die schuldigsten aber, gegen zweitausend
Mann, ans Kreuz schlagen.
3. Hierauf erhielt er die Meldung, in Idumaea ständen
noch zehntausend Bewaffnete. Da er indes die Erfahrung
gemacht hatte , dass die Araber sich nicht wie Bundes-
genossen benahmen , sondern ganz nach ihrem Belieben
Krieg führten und aus Hass gegen Herodes mehr, als
ihm selbst lieb war, das Land verheerten, entliess er sie
und rückte mit seinen eigenen Legionen in Eilmärschen
den Aufständischen entgegen. Diese jedoch ergaben
sich auf Achiabs Rat den Römern, ohne es zum Hand-
gemenge kommen zu lassen , worauf Varus der grossen
Masse Verzeihung gewährte, ihre Anführer aber zur
Aburteilung dem Caesar zuschickte. Augustus nun
begnadigte die meisten von ihnen, und nur einige Ver-
1 S. 11,3, 1.
Go gle
198
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
wandten des Königs Herodes, die sich an die Empörer
angeschlossen hatten, liess er hinrichten, weil sie gegen
den König, der ihrer Familie angehörte, ins Feld ge-
zogen seien. Nachdem Varus auf diese Weise in Jeru-
salem die Ordnung wiederhergestellt hatte, bestimmte er,
dass die bereits früher in der Stadt befindliche Legion dort
zu verbleiben habe, und begab sich nach Antiochia zurück.
Sech stes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 11, 1 — 11,5.
Augustus höit die Klagen der Juden über Archelaus an
und verteilt das Königreich des Herodes.
1. Unterdessen hatte Archelaus in Rom noch einen
anderen Streit mit denjenigen Juden auszutragen, die
vor dem Aufstande mit Genehmigung des Varus dort
sich eingefunden hatten, um staatliche Selbständigkeit
für ihr Volk zu erwirken 1 . Fünfzig Köpfe zählte die
eigentliche Gesandtschaft, der sich von den zu Rom
ansässigen Juden noch über achttausend anschlossen.
Der Caesar berief nun eine Versammlung der vor-
nehmsten Römer und seiner Freunde in den auf dem
Palatinus stehenden Tempel des Apollo, ein von ihm
selbst 2 errichtetes, mit staunenswerter Pracht aus-
gestattetes Bauwerk. Hier stand die Menge der Juden
mit den Gesandten auf der einen, Archelaus mit seinen
Freunden auf der anderen Seite. Die Freunde seiner
Verwandten jedoch hielten es mit keiner von beiden
Parteien ; denn einerseits gestattete ihnen Hass und
Missgunst gegen Archelaus nicht, sich für diesen auf-
zuwerfen, und anderseits hielt sie die Scheu vor dem
Caesar ab, sich den Anklägern beizugesellen. Ausserdem
1 D. h. sie wollten nicht mehr unter Fürsten aus dem ihnen ver-
hassten Idumäergeschlecht , sondern unmittelbar unter römischer
Oberherrschaft stehen.
2 Nach der Schlacht bei Actium.
Zweites Buch, 6. Kapitel.
199
war auch noch Philippus, der Bruder des Archelaus, er-
schienen, den sein Gönner Varus in zweifacher Absicht
hergesandt hatte, einmal nämlich, damit er die Sache
des Archelaus verfechten helfe, und zum andern, damit
er selbst nicht zu kurz komme, falls der Caesar das
Reich des Herodes unter dessen sämtliche Nachkommen
verteilen sollte.
2. Nachdem nun den Klägern das Wort verstattet
war, schilderten sie zunächst die Unthaten des Herodes,
an dem sie, wie sie sagten, keinen König, sondern den
grausamsten Tyrannen gehabt hätten, der jemals zur
Regierung gelangt sei. Eine Menge Menschen habe er
ermordet, und das Los derer, die er am Leben gelassen,
sei so traurig gewesen, dass sie die Umgekommenen noch
glücklich gepriesen hätten. Denn er habe nicht nur die
Leiber einzelner Unterthanen gefoltert, sondern selbst
ganze Gemeinwesen seien von ihm misshandelt worden.
Um ausländische Städte verschönern zu können, habe
er seine eigenen beraubt, und fremden Völkerschaften
habe er Geschenke gemacht, die mit dem Blute der
Juden bezahlt worden seien. Infolgedessen sei an die
Stelle des früheren Wohlstandes und der altehrwürdigen
Gebräuche völlige Verarmung und Entsittlichung des
Volkes getreten. Überhaupt hätten die Juden in wenigen
Jahren durch Herodes mehr Drangsale ausgestanden,
als ihren Vorfahren in dem langen Zeitraum seit dem
Auszug aus Babylon und der Rückkehr unter Xerxes 1
zugestossen seien. Durch allmähliche Gewöhnung an das
Unglück sei dann das Volk so abgestumpft worden,
dass es die harte Knechtschaft gewissermassen als Erb-
teil ruhig hingenommen habe. Denn wie wolle man
es sonst erklären, dass es Archelaus, den Sohn des ein-
gefleischten Tyrannen, nach dem Tode seines Vaters so
willig als König begrüsst, mit ihm den Tod des Herodes
betrauert und ihm zu der Thronfolge Glück gewünscht
habe? Archelaus aber habe, um nur ja nicht den echten
1 S. J. A. XI, 5, 1 f.
200
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Sohn des Herodes zu verleugnen, seine Regierung mit
der Ermordung von dreitausend Bürgern begonnen.
Das seien die Opfer gewesen, durch die er eine glückliche
Regierung von Gott habe erflehen wollen, und eine
solche Menge Leichen habe er an einem Feste im
Tempel des Herrn aufzuhäufen gewagt! Endlich aber
hätten diejenigen, die trotz so vieler Leiden noch mit dem
Leben davongekommen seien , im Hinblick auf ihre
traurige Lage den Entschluss gefasst , lieber nach
Kriegerart der Gefahr mutig entgegenzutreten, und sie
bäten nun die Römer, sich der Trümmer Judaeas zu er-
barmen und dieselben nicht den Würgern des Volkes
vorzuwerfen, sondern das Land mit Syrien zu vereinigen
und es durch römische Landpfleger verwalten zu lassen.
Dann werde es sich zeigen, dass die jetzt als aufrührerisch
und kriegslustig verschrienen Juden massvollen Herrschern
sich wohl zu fügen wüssten. Mit dieser Bitte schlossen
die Juden ihre Klage. Hierauf erhob sich Nikolaus
und suchte die gegen die beiden Könige vorgebrachten
Beschuldigungen zu widerlegen. Die Juden dagegen
schilderte er als ein seinem Charakter nach schwer zu
regierendes und zum Ungehorsam gegen seine Herrscher
geneigtes Volk, und auch die Verwandten des Archelaus,
welche die Partei der Kläger ergriffen hatten, suchte er
in ungünstigem Licht erscheinen zu lassen.
3. Als so der Caesar die Klagen beider Teile ent-
gegengenommen hatte, entliess er die Versammlung.
Nach wenigen Tagen verlieh er dann dem Archelaus
die Hälfte des Königreiches sowie den Titel eines
Ethnarchen und versprach ihm auch noch, ihn später
zum Könige machen zu wollen, wenn er sich dessen
würdig zeige. Die andere Hälfte teilte er in zwei
Tetrarchien und gab dieselben zwei weiteren Söhnen des
Herodes, die eine dem Philippus, die andere dem Antipas,
der mit Archelaus um den Thron gestritten hatte. Auf
des Antipas Anteil entfielen Peraea und Galilaea mit
zweihundert Talenten jährlicher Einkünfte, während
Philippus Batanaea und Trachon sowie Auranitis und
Zweites Bach, 6. Kapitel.
201
einige Teile von dem Gebiet des Zeno bei Jamnia 1
mit hundert Talenten jährlicher Einkünfte erhielt. Zur
Ethnarchie der Archelaus gehörten Idumaea, ganz Judaea
und Samaria, welch letzterem der vierte Teil der Steuern
erlassen wurde zur Belohnung dafür, dass es den Auf-
stand der übrigen Landesteile nicht mitgemacht hatte.
Ferner wurden seiner Herrschaft unterstellt die Städte
Stratonsturm 2 , Sebaste 3 , Joppe und Jerusalem; die
Griechenstädte 4 Gaza, Gadara und Hippos dagegen
trennte der Caesar vom Reiche und schlug sie zu Syrien.
Die Gesamteinkünfte aus dem Anteil des Archelaus be-
trugen vierhundert Talente. Salome erhielt ausser dem,
was Herodes ihr in seinem Testament ausgesetzt hatte,
die Herrschaft über Jamnia, Azot und Phasaelis, und
obendrein schenkte ihr der Caesar auch noch den Königs-
palast zu Askalon. Aus allen diesen Besitzungen sollte
sie jährlich sechzig Talente beziehen, doch wurde ihr
Gebiet der Ethnarchie des Archelaus untergeordnet. Den
übrigen Verwandten des Herodes fielen die ihnen im
Testament vermachten Legate zu. Den beiden noch un-.
verheirateten Töchtern desselben aber schenkte der
Caesar zu dem von ihrem Vater bestimmten Erbteil
fünfhunderttausend Silberstücke und vermählte sie mit
den Söhnen des Pheroras. Ja, nach Regelung der ganzen
Erbschaftsangelegenheit überliess er ihnen auch noch
das ihm von Herodes vermachte Geschenk von tausend
Talenten und wählte für sich selbst nur einige Kleino-
dien von geringerem Wert als Andenken an den Ver-
storbenen aus.
1 Gemeint ist hier das befestigte Dorf J. in Obergalilaea, weiter
unten in diesem Abschnitt dagegen die Stadt J. in Judaea.
2 Caesarea.
3 Samaria.
4 D. h. ausschliesslich oder vorwiegend von Griechen bewohnte
Städte.
202
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Siebentes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVII, 12, 1 — 13, 5.
Der falsche Alexander. Archelaus nach Vienna verbannt.
Tod der Glaphyra.
Des Archelaus und der Glaphyra Träume.
1. Um diese Zeit kam auch ein junger Mann nach
Kom, der, von Geburt Jude, in Sidon bei einem römischen
Freigelassenen erzogen worden war und in der Hoffnung,
unentlarvt zu bleiben, wegen der Ähnlichkeit der Ge-
stalt sich fälschlich für den auf Befehl des Herodes
hingerichteten Alexander 1 ausgab. Ein Landsmann von
ihm, der über alle Vorgänge im Königreich genau unter-
richtet war, lieh ihm dabei seine Hilfe und stiftete ihn
an , auszusagen , die mit seiner und des Aristobulus
Hinrichtung betrauten Henker hätten sie aus Mitleid
entkommen lassen und Leichen von Personen, die ihnen
ähnlich gewesen, untergeschoben. Durch diese Angaben
gelang es ihm, die kretensischen Juden zu täuschen und
eine reichliche Reiseunterstützung von ihnen zu er-
schwindeln, worauf er sich nach Melos einschiffte. Auch
hier fand er Glauben, heimste noch glänzendere Geschenke
ein und beredete endlich sogar seine Gastgeber, mit ihm
nach Rom zu fahren. Nachdem er dann in Dikaearchia 2
gelandet und von den dortigen Juden wiederum be-
schenkt worden war, gaben die Freunde seines angeblichen
Vaters ihm wie einem Könige das Geleit. Die äussere
Ähnlichkeit war übrigens so gross, dass selbst diejenigen,
welche Alexander gesehen und genau gekannt hatten,
schwuren, er sei es. Roms gesamte Judenschaft strömte
nun zusammen, um ihn zu sehen, und eine ungeheure
Menschenmenge erfüllte die Strassen, durch die er ge-
tragen wurde. Die Melier nämlich waren derart vom
Taumel ergriffen, dass sie ihn auf einem Sessel trugen 3
1 Den Sohn der Mariamne (s. I, 27, 6).
2 Puteoli.
a Nach J. A. XVII, 12, 1 fuhr er in einem Wagen.
Go gle
UN I V£R S \W'MT C4ÄK I ,
Zweites Buch, 7. Kapitel.
203
und ihm auf ihre Kosten eine königliche Ausstattung
beschafften.
2. Der Caesar, der sich der Gesichtszüge Alexanders
deutlich erinnerte — war doch der Prinz einst von
Herodes bei ihm verklagt worden — , durchschaute den
auf der Ähnlichkeit beruhenden Betrug, noch ehe er
den Betrüger selbst zu Gesicht bekam. Um jedoch auch
der günstigeren Annahme einigen Spielraum zu verstatten,
schickte er einen gewissen Celadus, der den Alexander
gut gekannt hatte, mit dem Auftrag ab, ihm den jungen
Mann vorzuführen. Gleich auf den ersten Blick ge-
wahrte dieser den Unterschied in den Gesichtszügen,
und da ausserdem die Derbheit des ganzen Körperbaues
den Sklaven verriet, lag der Betrug offen zutage. Ganz
besonders empörte ihn die Dreistigkeit, mit welcher der
Mensch, als man nach Aristobulus fragte, behauptete,
derselbe sei noch am Leben, aber absichtlich auf Cypern
zurückgeblieben, um sich vor Nachstellungen zu sichern;
denn wenn sie voneinander getrennt seien, halte es
schwerer, ihrer habhaft zu werden. Celadus nahm ihn
nun beiseite und sprach zu ihm: „Der Caesar will dir
das Leben schenken, wenn du den namhaft machst, der
dich zu diesem Betrüge verführt hat.“ Daraufhin ver-
sprach der junge Mann ein offenes Bekenntnis ablegen
zu wollen, ging mit Celadus zum Caesar und nannte
den Juden, der seine Ähnlichkeit mit Alexander zu
Beutelschneidereien missbraucht hatte. Sie hätten, gab
er an, in jeder einzelnen Stadt mehr Geschenke erhalten,
als Alexander in seinem ganzen Leben. Der Caesar
lachte darüber, steckte den falschen Alexander seines
kräftigen Körperbaues wegen unter die Ruderer und
liess den Verführer hinrichten. Die Melier aber schienen
ihm durch den Geldaufwand, den sie gemacht hatten,
für ihre Dummheit hinreichend gestraft zu sein.
3. Als Archelaus nun seine Ethnarchie angetreten
hatte, behandelte er im Andenken an die frühere Em-
pörung nicht nur die Juden, sondern auch die Samariter
so grausam, dass er von Abordnungen beider Völker-
204
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
schäften beim Caesar verklagt und im neunten 1 Jahre
seiner Regierung nach Vienna, einer Stadt Galliens, ver-
bannt wurde. Sein Vermögen ward dem Besitztum des
Caesars ein verleibt. Bevor er übrigens zu Augustus be-
schieden wurde, soll er im Traume neun volle und reife
Ähren gesehen haben, die von Ochsen abgefressen
wurden. Er liess hierauf die Wahrsager und einige
Chaldäer rufen und fragte sie, was der Traum wohl be-
deuten könne. Die einen legten ihn auf diese, die
anderen auf jene Weise aus; ein gewisser Simon indes,
der zum Orden der Essener gehörte, hielt dafür, die
Ähren bedeuteten Jahre, die Ochsen aber einen Wechsel
der Verhältnisse, weil sie beim Pflügen das Land ver-
änderten. Archelaus werde daher so viele Jahre regieren,
als die Zahl der Ähren anzeige, und endlich nach
mannigfachem Schicksalswechsel sein Leben beschliessen.
Fünf Tage, nachdem er diese Traumdeutung vernommen
hatte, ward Archelaus nach Rom berufen, um sich da-
selbst zu verantworten.
4. Erwähnenswert ist auch der Traum seiner Gattin
Glaphyra, der Tochter des Kappadocierkönigs Archelaus,
die früher mit Alexander vermählt gewesen war. Dieser
Alexander war bekanntlich ein Bruder des Archelaus,
von dem hier die Rede ist, und auf Befehl seines Vaters
Herodes hingerichtet worden, wie ich bereits früher er-
zählt habe. Nach dem Tode ihres Gatten heiratete
Glaphyra den König von Libyen, Jubas, und als auch
dieser gestorben war, kehrte sie heim und lebte bei
ihrem Vater als Witwe. Hier sah sie der Ethnarch
Archelaus und verliebte sich dergestalt in sie, dass er
seine Gattin Mariamne sogleich verstiess und Glaphyra
zur Ehe nahm. Kurz nach ihrer Ankunft in Judaea
nun träumte sie, Alexander stehe vor ihr und rede sie
also an : „ Die Heirat in Libyen hätte dir genügen
sollen; aber nicht zufrieden damit, kehrst du an meinen
Herd zurück und nimmst den dritten Mann , und zwar,
1 Nach .1. A. XVII, 13, 3 im zehnten, nämlich im Jahre 6 n. Chr.
Zweites Buch, 8. Kapitel.
205
o Verwegene, meinen Bruder! Diese Schande lasse ich
nicht hingehen, sondern ich nehme dich wieder zu mir,
du magst wollen oder nicht" Kaum zwei Tage, nach-
dem sie diesen Traum erzählt hatte, gab sie den Geist auf.
Achtes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVIII, 1,1 — 1, 6.
Judas der Galiläer. Von den drei Sekten der Juden.
1. Des Archelaus Gebiet ward nun in eine Provinz
verwandelt und als Landpfleger ein Römer von ritter-
lichem Stande, Coponius, dorthin gesandt, dem der Caesar
Gewalt über Leben und Tod verlieh. Während seiner
Amtsführung verleitete ein gewisser Galiläer Judas 1
seine Landsleute zum Abfall, indem er es für schmach-
voll erklärte, wenn sie noch fernerhin Abgaben an die
Römer entrichteten und ausser Gott auch sterbliche
Menschen als ihre Gebieter anerkännten. Er war der
Begründer einer eigenen Sekte, die mit den anderen
nichts gemein hat. 2
2. Es giebt nämlich bei den Juden drei Arten von
philosophischen Schulen; die eine bilden die Pharisäer,
die andere die Sadducäer, die dritte, welche nach be-
sonders strengen Regeln lebt, die sogenannten Essener 3 .
Die letzteren sind ebenfalls geborene Juden, aber unter-
einander noch mehr als die anderen durch Liebe ver-
bunden. Die sinnlichen Freuden meiden sie wie die
Sünde, und die Tugend erblicken sie in Enthaltsamkeit und
Beherrschung der Leidenschaften. Über die Ehe denken
1 Der auch Apostelgeschichte 5, 37 erwähnt wird.
2 Siehe das Nähere über diese Sekte J. A. XVIII, 1, 6.
8 Pharisäer bedeutet : Abgesonderte, Sadducäer (Zadukäer) : An-
hänger des Zaduk; der Name Essener (Essäer) erinnert an das
aramäisch - assyrische Wort assaya (Arzt) und bezeichnet also eine
den Therapeuten verwandte Sekte. Die Therapeuten lebten bei
Alexandria und beschäftigten sich hauptsächlich mit Naturwissen-
schaften.
206
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sie gering, dagegen nehmen sie fremde Kinder auf, so
lange dieselben noch in zartem Alter stehen und bildungs-
fähig sind, halten sie wie ihre Angehörigen und prägen
ihnen ihre Sitten ein. Doch wollen sie damit die Ehe
und die Erzielung von Nachkommenschaft durch dieselbe
nicht gänzlich aufheben, sondern sich nur vor den
Ausschweifungen der Weiber sichern, da sie glauben,
dass keines derselben dem einen Gatten die Treue
bewahre.
3. Den Reichtum verachten sie, und bewundernswert
ist bei ihnen die Gemeinschaft der Güter, sodass man
niemand unter ihnen findet, der mehr besässe als die
anderen. Es besteht nämlich die Vorschrift, dass jeder,
der der Sekte beitreten will, sein Vermögen der Ge-
samtheit abtreten muss, und so bemerkt man durch-
gehends weder niedrige Armut noch übermässigen Reich-
tum, sondern alle verfügen wie Brüder über das aus
dem Besitztum der einzelnen Ordensmitglieder gebildete
Gesamtvermögen. Oel halten sie für Schmutz, und
wenn einer wider seinen Willen gesalbt worden ist, so
wischt er seinen Körper ab. Denn eine rauhe Haut zu
haben, gilt ihnen für ebenso ehrenvoll, als beständig in
weissen Gewändern einherzugehen. Die Verwalter des
gemeinsamen Vermögens werden durch Stimmenmehrheit
gewählt, und jeder ohne Unterschied muss sich zu Dienst-
leistungen für die Gesamtheit bereit finden lassen.
4. Sie haben keine eigene Stadt, sondern in jeder
wohnen ihrer viele. Ordensangehörigen, die anderswoher
kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen finden,
wie ihr eigener Besitz zur Verfügung, und bei Leuten,
die sie nie zuvor gesehen, treten sie ein, als wären e»
vertraute Freunde von ihnen. Deshalb nehmen sie auch
auf die Reise durchweg nichts anderes mit als Waffen
zum Schutze gegen die Räuber. In jeder Stadt ist ein
Beamter eigens für die Fremden angestellt, um sie mit
Kleidung und allen anderen Bedürfnissen zu versehen*
In ihrem Anzug und ihrer ganzen äusseren Erscheinung
machen sie den Eindruck von Knaben, welche noch
Go gle
JixflVf^SlWmfr C nüPPÖßjMfA
Zweites Buch, 8. Kapitel.
207
unter der Zuchtrute ihrer Lehrmeister stehen. Kleider
und Schuhe wechseln sie nicht eher, als bis sie gänzlich
zerfetzt oder durch langen Gebrauch verschlissen sind.
Untereinander kaufen und verkaufen sie nichts, sondern
ein jeder giebt von seinem Eigentum dem anderen, was
dieser nötig hat, und empfangt umgekehrt von ihm das,
was er selbst brauchen kann. Ja, sogar ohne alle
Gegenleistung kann jeder von einem beliebigen Ordens-
genossen das Nötige beanspruchen.
5. Auf eine eigentümliche Art verehren sie die Gott-
heit. Bevor nämlich die Sonne aufgeht, sprechen sie
kein unheiliges Wort, sondern sie richten an das Gestirn
gewisse altherkömmliche Gebete, als wollten sie seinen
Aufgang erflehen. Hierauf werden sie von den Vor-
stehern zu dem Tagewerk entlassen, auf das ein jeder
von ihnen sich versteht. Wenn sie sodann bis zur
fünften Stunde 1 . fleissig gearbeitet haben , kommen sie
wieder an einem bestimmten Ort zusammen, schürzen
ein linnenes Tuch um und waschen sich den Leib in
kaltem Wasser. Nach dieser Reinigung begeben sie sich
in ein besonderes Gebäude, das kein Angehöriger einer
anderen Sekte betreten darf, und versammeln sich hier,
gereinigt, .als ginge es in ein Heiligtum, im SpeisesaaL
Dort setzen sie sich in aller Ruhe nieder, und es legt
alsdann der Bäcker ihnen der Reihe nach Brote vor
während der Koch jedem eine Schüssel mit einem einzigen
Gericht aufträgt. Ehe das Mahl beginnt, spricht der
Priester ein Gebet, und vor dem Gebet darf niemand
etwas verzehren. Nach dem Mahle betet er wiederum, so-
dass zu Anfang und zu Ende desselben Gott als der
Spender der Nahrung geehrt wird. Nachdem sie sodann
ihre gleichsam heiligen Kleider abgelegt, begeben sie
sich wieder an ihre Arbeit bis zur Abenddämmerung.
Hierauf kehren sie zurück und speisen auf dieselbe
Weise; sind zufällig Fremde da, so nehmen diese am
Mahle teil. Weder Geschrei noch sonstiger Lärm ent-
1 11 Uhr vormittags.
Go gle
( At-ffÖRNi';
208
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
weiht je das Haus, sondern ein jeder lässt den anderen
reden, wie ihn die Reihe trifft. Auf diejenigen, die
ausserhalb des Hauses sich befinden, macht die in dem-
selben herrschende Stille den Eindruck eines schauer-
lichen Geheimnisses; doch hat die Ruhe ihren Grund
nur in der beständigen Nüchternheit der Ordensmitglieder,
die Speise und Trank nicht weiter als bis zur Sättigung
gemessen.
6. Nichts thun die Essener ohne ausdrücklichen Be-
fehl ihrer Vorsteher, und nur in zwei Dingen besitzen
sie völlige Freiheit, in Hilfeleistung nämlich und in
Ausübung der Barmherzigkeit. So ist es jedem ver-
stauet, Unterstützungsbedürftigen beizuspringen, wenn
sie dessen würdig sind, und den Darbenden Nahrung
zu reichen. An Verwandte jedoch darf ohne Erlaubnis
der Vorsteher nichts verschenkt werden. Zorn äussern
die Essener nur, wo er berechtigt ist; Gemütserregungen
wissen sie zu bemeistern; Treu und Glauben halten sie
hoch; den Frieden pflegen sie angelegentlich. Das ge-
gebene Wort gilt bei ihnen mehr wie der Eid; ja, sie
unterlassen das Schwören , weil sie es für schlimmer als
den Meineid halten. Wer ohne Anrufung der Gottheit
keinen Glauben finde, der sei, sagen sie, schon' im voraus
gerichtet. Mit Vorliebe widmen sie sich dem Studium
von Schriften der Alten, besonders um zu ergründen,
was für Leib und Seele heilsam ist. Aus diesen Schriften
suchen sie Wurzeln zur Bannung von Krankheiten und
die Eigenschaften der Steine kennen zu lernen.
7. Wer in die Sekte aufgenommen sein will, erhält
nicht sogleich Zutritt, sondern er muss zunächst ausser-
halb des Ordens ein Jahr lang derselben Lebensweise wie
die Mitglieder sich unterziehen, nachdem man ihm vor-
her eine kleine Axt, das oben erwähnte Lendentuch und
ein weisses Gewand gegeben hat. Hat er in diesem
Zeitraum die Mässigkeitsprobe bestanden, so tritt er der
Genossenschaft um einen Schritt näher: er nimmt an
der reinigenden Wasserweihe teil, wird jedoch zu den
gemeinsamen Mahlen noch nicht zugelassen. Nachdem
Zweites Buch, 8. Kapitel.
209
er nämlich seine Standhaftigkeit dargethan hat, wird
nun in zwei weiteren Jahren auch sein Charakter ge-
prüft, und erst wenn er in dieser Beziehung gleichfalls
würdig erscheint, wird er förmlich in den Orden auf-
genommen. Bevor er indes bei dem gemeinsamen Mahl
erscheinen darf, muss er den Ordensangehörigen einen
furchtbaren Eid schwören, dass er die Gottheit ehren,
seine Pflichten gegen die Menschen erfüllen, niemand
aus eigenem Antrieb oder auf Befehl Schaden zufügen,
stets die Ungerechten hassen und den Gerechten bei-
stehen, sowie dass er Treue gegen jedermann und be-
sonders gegen die Obrigkeit üben wolle, weil niemand
Gewalt habe, ohne dass sie ihm von Gott verliehen sei.
Ferner muss er schwören, falls er selbst einmal zu
befehlen habe, nie ob seiner Macht sich brüsten und
weder in Kleidung noch in sonstigem Schmuck es seinen
Untergebenen zuvorthun zu wollen. Des weiteren ver-
pflichtet er sich, stets die Wahrheit zu lieben und die
Lüge zu Schanden zu machen, seine Hände von Dieb-
stahl und seine Seele von dem Makel Unrechten Ge-
winnes rein zu halten, den Ordensbrüdern nichts zu
verheimlichen, anderen dagegen keines ihrer Geheimnisse
zu offenbaren, und sollte man ihn auch bis zum Tode
martern ; endlich, die Lehrsätze des Ordens niemand auf
anderem Wege mitzuteilen, als er sie selbst kennen ge-
lernt, den Strassenraub zu verabscheuen, die Bücher der
Sekte und die Namen der Engel geheim zu halten.
Durch solche Eidschwüre versichern sich die Essener
der neu Aufzunehmenden.
8. Wer schwerer Sünden überwiesen wird, den
schliessen sie aus dem Orden aus, und der also Aus-
gestossene kommt oft auf die elendeste Weise um.
Durch Eidschwüre und Ordensgebräuche gebunden, darf
er nämlich von Nichtmitgliedern keine Nahrung an-
nehmen und muss sich deshalb von Kräutern nähren,
wodurch sein Körper abzehrt und endlich dem Hunger
erliegt. Sie haben daher schon manchen dieser Unglück-
lichen, der in den letzten Zügen lag, aus Mitleid wieder
Josephus, Jüdischer Krieg. 14
210
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
aufgenommen, indem sie die Qual, die ihn dem Tode
nahe brachte, als hinreichende Sühne für seine Sünden
ansahen.
9. Sehr gewissenhaft und gerecht verfahren sie bei
gerichtlichen Entscheidungen. Recht sprechen sie nur
dann, wenn mindestens hundert Mitglieder versammelt
sind, und das Urteil dieses Gerichtes ist unabänderlich.
Nächst Gott zollen sie die grösste Verehrung dem Namen
des Gesetzgebers 1 ; wer ihn lästert, wird mit dem Tode
bestraft. Dem Alter und der Mehrheit Gehorsam zu
erweisen, halten sie für ehrenvoll. Wenn daher zehn
von ihnen beisammen sitzen, redet wohl keiner gegen
den Sinn der neun übrigen. Ferner hüten sie sich, vor
anderen oder nach der rechten Seite hin auszuspeien.
Peinlicher als alle übrigen Juden vermeiden sie es, am
Sabbat sich mit Arbeit zu befassen, und demzufolge
bereiten sie sich nicht nur die Speisen tags vorher, um
am Sabbat kein Feuer anzünden zu müssen, sondern
sie wagen am Ruhetage nicht einmal ein Gefäss von
der Stelle zu rücken oder ihre Notdurft zu verrichten.
An anderen Tagen aber höhlen sie mit der einer Hacke
ähnlichen kleinen Axt, die jedem neu Eintretenden ver-
abfolgt wird, eine Grube von der Tiefe eines Fusses
aus, verhüllen dieselbe mit ihrem Mantel, um den Licht-
glanz Gottes nicht zu beleidigen, entleeren sich darein
und scharren dann mit der ausgegrabenen Erde das
Loch wieder zu; auch suchen sie zu dieser Verrichtung
die abgelegensten Plätze aus. Und obwohl die Ent-
leerung der Körperexcremente etwas Natürliches ist, ist
es doch bei ihnen gebräuchlich, sich nachher zu waschen,
als ob sie sich verunreinigt hätten.
10. Nach der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Orden
sind sie in vier Klassen geteilt, und zwar stehen die
jüngeren Mitglieder den älteren so sehr nach, dass die
letzteren, wenn sie von jenen berührt worden sind, sich
waschen, wie wenn ein Ausländer sie verunreinigt hätte.
Moyses.
Zweites Buch, 8. Kapitel. ^
211
Sie leben sehr lange, und viele von ihnen werden — wie
mir scheint, infolge der Einfachheit ihrer Lebensweise
und der bei ihnen herrschenden Ordnung — über hundert
Jahre alt. Dabei lässt das schrecklichste Ungemach sie
kalt; denn Schmerzen überwinden sie durch Seelenstärke,
und einen ruhmvollen Tod ziehen sie dem längsten
Leben vor. Diese ihre Gesinnung trat so recht im
Kriege gegen die Römer zutage. Auf die Folter wurden
sie gespannt, ihre Glieder gereckt, verbrannt, zerbrochen ;
mit allen erdenklichen Marterwerkzeugen quälte man
sie, um sie zur Lästerung des Gesetzgebers oder zum
Genuss einer ihnen verbotenen Speise zu zwingen —
aber weder das eine noch das andere vermochte man
durchzusetzen. Kein bittendes Wort an ihre Peiniger
kam über ihre Lippen, und ihre Augen blieben thränen-
leer. Lächelnd unter Schmerzen spotteten sie ihrer
Henker, und freudig gaben sie ihre Seelen dahin in der
sicheren Hoffnung, sie einst wieder zu erhalten.
11. Sie hegen nämlich den festen Glauben, dass der
Körper zwar der Verwesung anheimfalle und vergäng-
lich sei, die Seele dagegen in Ewigkeit fortlebe und dass
sie , aus dem feinsten Äther stammend , durch einen
natürlichen Zauberreiz herabgezogen und in den Körper
gleichwie in ein Gefängnis eingeschlossen werde. So-
bald die Seele aber von den Banden des Fleisches be-
freit sei, entschwebe sie, wie aus langer Knechtschaft
erlöst, in seliger Wonne zur Höhe. In Übereinstimmung
mit den jüngeren 1 Hellenen lehren sie, den Guten sei
ein Leben jenseits des Ocean beschieden und ein Ort,
den weder Regen noch Schnee noch Hitze belästige,
sondern ein beständiger, vom Ocean her sanft wehender
Zephyr kühle ; den Bösen dagegen weisen sie eine finstere
kalte Höhle voll ewiger Qualen an. Derselbe Gedanke
findet sich, wie mir scheint, bei den Hellenen, indem sie
ihren Helden, die sie Heroen und Halbgötter nennen,
1 So übersetze ich das Wort raxtaiv, dessen von Paret vorgeschlagene
Änderung in xtaiv somit unnötig wird.
212 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
die Inseln der Seligen zuweisen, den Seelen der Schlechten
aber den Ort der Frevler im Hades, wo der Sage nach
ein Sisyphos, Tantalos, Ixion und Tityos ihre Strafen
erleiden. Damit wollen sie zunächst die Unsterblichkeit
der Seele feststellen, dann aber auch zur Tugend an-
treiben und vom Laster abschrecken , indem sie darauf
rechnen, dass die Guten während ihres irdischen Lebens
durch die Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode noch
besser, die Anschläge der Bösen dagegen durch Furcht
zunichte werden, da die letzteren sich darauf gefasst
machen müssen, selbst wenn bei Lebzeiten ihre Schlech-
tigkeit verborgen bleiben sollte, doch noch im Jenseits
ewiger Strafe zu verfallen. Diese Lehre der Essener
über die Seele ist das Zauberband, durch welches sie
diejenigen, die einmal ihre Weisheit gekostet haben,
dauernd an eich fesseln.
12. Es finden sich übrigens auch solche unter ihnen,
die, nachdem sie sich von Jugend auf mit den heiligen
Büchern, den Sprüchen der Propheten und mancherlei
Peinigungen vertraut gemacht haben, die Zukunft vor-
herzuwissen behaupten. Und in der That ist es ein
seltener Fall, wenn einmal ihre Weissagungen nicht in
Erfüllung gehen.
13. Ausserdem giebt es nun noch einen zweiten Zweig
der Essener, der in Lebensart, Sitten und Gebräuchen
mit dem anderen ganz überein stimmt, in der Ansicht
über die Ehe dagegen von ihm abweicht. Sie glauben
nämlich, dass die, welche nicht in die Ehe träten, den
wichtigsten Lebenszweck, die Erzielung von Nachkommen-
schaft, ausser acht Hessen, oder vielmehr, dass, wenn
alle so dächten, das ganze Menschengeschlecht in kürzester
Zeit aussterben müsse. Doch erproben sie die Bräute
drei Jahre lang, und wenn sie nach dreimaliger Reinigung
deren Fähigkeit, Kinder zu gebären, erkannt haben,
nehmen sie dieselben zur Ehe. Während der Schwanger-
schaft enthalten sie sich des Beischlafes zum Beweise,
dass sie nicht aus Wollust, sondern um Kinder zu er-
zielen geheiratet haben. Die Weiber baden im Hemd,
Go gle
Zweites Buch, 8. Kapitel.
213
wie die Männer in einer Schürze. Soviel von den
Gebräuchen dieser Sekte . 1
14. Wa 8 nun die beiden zuerst genannten Sekten
betrifft, so ist die der Pharisäer die älteste unter allen
dreien. Sie gelten für besonders kundige Erklärer des
Gesetzes, machen alles von Gott und dem Schicksal ab-
hängig und lehren, dass Hecht- uod Unrechtthun zwar
grösstenteils den Menschen freistehe, dass aber bei jeder
Handlung auch eine Mitwirkung des Schicksals statt-
finde. 2 Die Seelen sind nach ihrer Ansicht alle unsterb-
lich, aber nur die der Guten gehen nach dem Tode in
einen anderen Leib über, während die der Bösen ewiger
Strafe anheimfallen. Die Sadducäer hingegen, die zweite
der obengenannten Sekten, leugnen das Schicksal völlig
und behaupten, Gott habe mit dem Thun und Lassen
der Menschen gar nichts zu schaffen; vielmehr seien
gute wie böse Handlungen gänzlich dem freien Willen
anheimgestellt, und nach eigenem Gutdünken trete ein
jeder auf die eine oder andere Seite. Weiterhin leugnen
sie auch die Fortdauer der Seele, 3 sowie die Strafen und
1 Die Essener waren es vornehmlich, die durch ihr hohes An-
sehen beim Volke der Lehre Jesu Christi Anhang und Popularität
verschafften.
2 Eine Ansicht, welcher der Pharisäer Josephus in den J. A.
wiederholt Ausdruck verleiht, so z. B. J. A. VIII, 15, 4; 15, 6; IX,
9,3; XVI, 11,8.
3 Da jedoch die Unsterblichkeitslehre einen Grundpfeiler jeder
positiven Religion bildet, und da die Sadducäer erwiesenermassen
Jahrhunderte hindurch den Pharisäern den Rang streitig machten,
sodass aus ihrer Mitte oft Hohepriester und Mitglieder des hohen
Rates hervorgingen, ist es nicht wahrscheinlich, dass sie die Unsterb-
lichkeit einfach leugneten; vielmehr haben sie w T obl nur die Auf-
erstehungslehre, die nicht jüdischen Ursprunges ist und ihre Haupt-
verfechter an den Pharisäern fand, verworfen, die Unsterblichkeit
aber im Princip geglaubt und darauf die Grundsätze ihrer Religion
gestützt (s. Spiegler, Geschichte der Philosophie des Judentums, S. 202).
Die Sekte der Sadducäer löste sich übrigens nach der zweiten Zer-
störung Jerusalems auf. und ihre Mitglieder traten teils zum
Christentum über, teils schlossen sie sich an die Pharisäer an, die
nun unter Führung der Rabbinen den reinen Mosaismus mit einem
Walle von Satzungen, Ceremonien und Geboten umgaben und zu
214 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Belohnungen in der Unterwelt. Während aber die
Pharisäer sich eng aneinander anschliessen und zum
Wohle der Gesamtheit die Eintracht hoehhalten, ist das
Benehmen der Sadducäer gegen ihresgleichen weit un-
freundlicher, sodass sie mit ihren Gesinnungsgenossen so
abstossend wie mit Fremden verkehren. Das ist es, was
ich über die philosophischen Schulen der Juden be-
merken wollte.
Neuntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVIII, 2, 1 — 7, 2.
Salomes Tod. Unruhen unter Pilatus. Agrippa von
Tiberius eingekerkert, aber von Caligula in Freiheit gesetzt.
Herodes Antipas wird verbannt.
1. Während nun die Ethnarchie des Archelaus in
eine Provinz verwandelt wurde, regierten die anderen
Fürsten, Philippus und Herodes Antipas, ihre Tetrarchien
weiter. Salome aber war unterdessen gestorben und
hatte der Gemahlin des Augustus, Julia, 1 ihr Gebiet
nebst Jamnia und dem Palmenwald bei Phasaelis hinter-
lassen. Auch als nach dem Tode des Augustus, 2 der
siebenundfünfzig Jahre, sechs Monate und zwei Tage an
der Spitze des römischen Staates gestanden hatte , die
Regierung auf Tiberius, den Sohn der Julia, über-
gegangen war, verblieben Herodes und Philippus im
Besitz ihrer Tetrarchien, und es erbaute der letztere im
Bezirk Paneas an den Quellen des Jordan die Stadt
Caesarea 3 sowie in Unter -Gaulanitis die Stadt Julias, 4
seiner Verteidigung mit dem Talmud die heute noch bestehende feste
Burg des Rabbinismus errichteten (ebendas. S. 202 f.).
1 S. die Anmerkung zu 1,28,6.
2 13 n. Chr.
3 Nach ihrem Erbauer Caesarea Philippi genannt.
4 Wo früher Bethsaida sich befand, d. h. B. am Ostufei 1 des
Jordan, nicht das B. der Bibel, welches im Westen des Galilaeischen
Meeres lag.
Zweites Buch, 9. Kapitel.
215
Herodes aber in Galilaea Tiberias und in Peraea eine
gleichfalls nach der Julia benannte Stadt. 1
2. Was Judaea anlangt, so sandte Tiberius dorthin
den Pilatus als Landpfleger. 2 Einst nun liess dieser
eine Anzahl verhüllter Bildnisse des Caesars, welche
die Römer , signa* 3 nennen, zur Nachtszeit nach Jerusalem
bringen. Kaum aber graute der Tag, als eine hoch-
gradige Aufregung sich der Stadt bemächtigte. Denn
was in die Nähe 4 kam, entsetzte sich über den Anblick
wie über eine schwere Verhöhnung des Gesetzes, das
den Juden die Aufstellung jedweden Bildwerkes in der
Stadt untersagte. Allmählich zog die Erbitterung der
Stadtbewohner auch das Landvolk in grossen Scharen
herbei, und alle machten sich nun auf den Weg nach
Caesarea zu Pilatus, den sie flehentlich baten, die Bild-
nisse aus Jerusalem entfernen und an ihren altherge-
brachten religiösen Satzungen nicht rütteln zu wollen.
Da Pilatus aber die Bitte abschlug, warfen sie sich zu
Boden und blieben fünf Tage und ebenso viele Nächte
liegen, ohne sich zu rühren.
3. Am folgenden sechsten Tage nahm Pilatus in der
grossen Rennbahn auf einer Tribüne Platz und liess das
Volk herbeirufen, als wolle er ihm Bescheid erteilen,
gab aber dann den Soldaten, die vorher verständigt
waren, ein Zeichen, die Juden mit den Waffen in der
Hand zu umzingeln. So von einer dreifachen Reihe
Bewaffneter eingeschlossen, gerieten die Juden über den
unerwarteten Anblick zunächst in gewaltige Bestürzung.
Als aber Pilatus drohte, er werde sie niedermetzeln
1 S. die Anmerkung zu II, 4, 2.
s 25n. Chr. Seine Vorgänger waren seit des Archelaus Ver-
bannung: Coponius (6 n. Chr.) , Marcus Ambivius (etwa 9 n. Chr.),
Annius Rufus (etwa 11 n. Chr.), Valerius Gratus (14 n. Chr.).
3 Feldzeichen, bestehend aus an Spiessen befestigten Adlern,
denen um diese Zeit noch kleine Brustbilder des Caesars beigefügt
wurden.
4 Des Praetoriums, wo die Feldzeichen sich befanden. Das Prae-
torium war das Absteigequartier der für gewöhnlich in Caesarea
maritima residierenden Landpfleger.
216
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
lassen, wenn sie die Bildnisse des Caesars nicht bei sich
aufnähmen, und den Soldaten einen Wink gab, ihre
Schwerter zu entblössen , fielen die Juden wie auf Ver-
abredung sämtlich nieder, boten den Nacken dar und
erklärten mit lauter Stimme, sie wollten sich lieber um-
bringen lassen als das Gesetz übertreten. Über dieses
heldenmütige Eintreten des Volkes für seine Religion
erstaunte Pilatus und gab Befehl, die Feldzeichen sofort
aus Jerusalem wegzubringen.
4. Später rief er neue Unruhen dadurch hervor, dass
er den Tempelschatz, Korban genannt, zur Anlage einer
Wasserleitung verwendete, die vierhundert 1 Stadien lang
werden sollte. Hierüber entrüstete sich das Volk, und
als Pilatus eines Tages nach Jerusalem kam, umringte
es lärmend seinen Richterstuhl. Er aber hatte von dem
beabsichtigten Auflauf zuvor Kunde erhalten und be-
waffnete Soldaten in bürgerlicher Kleidung heimlich
unter der Menge verteilt mit dem Befehl, gegen die
Schreier nicht das Schwert zu gebrauchen, aber mit
Knitteln auf sie einzuhauen. Als er nun vom Richter-
stuhl herab das Zeichen gab, kamen viele Juden teils
unter den Schlägen der Soldaten, teils dadurch um, dass
sie von ihren eigenen Landsleuten auf der Flucht zer-
treten wurden. Der Schrecken über das traurige Schick-
sal der Getöteten aber brachte das Volk alsbald zum
Stillschweigen.
5. Um diese Zeit begab sich Agrippa, der Sohn des
von Herodes, seinem Vater, getöteten Aristobulus, zu
Tiberius, um den Tetrarchen Herodes zu verklagen,
wurde aber mit seiner Klage abgewiesen. Doch blieb er
in Rom und suchte die Gunst anderer einflussreicher
Römer, besonders von Germanicu8 , Sohn Gajus, der da-
mals noch Privatmann war, zu gewinnen. Als er den-
selben eines Tages festlich bewirtete und ihn mit
Liebenswürdigkeiten überhäuft hatte, breitete er zuletzt
1 Nach J. A. XVIII, 3, 2 nur 200. Siehe hierzu: Spiess, Jerusa-
lem des Josephus, S. 54 f.
Zweites Buch, 9. Kapitel.
217
die Hände aus und betete mit lauter Stimme, es möge
ihm vergönnt sein, den Gajus nach dem hoffentlich bald
erfolgenden Tode des Tiberius als Herrn der Welt be-
grüssen zu dürfen. 1 Einer seiner Diener aber hinter-
brachte dies dem Tiberius, der darüber so unwillig
wurde, dass er den Agrippa einkerkern und sechs
Monate lang bei harter Behandlung im Gefängnis zu-
bringen liess, bis er selbst nach einer Regierung von
zweiundzwanzig Jahren, sechs Monaten und drei Tagen
starb.
6. Kaum war Gajus 2 3 zum Caesar ausgerufen, als er den
Agrippa freiliess und ihn zum König über die Tetrarchie
des inzwischen verstorbenen Philippus ernannte. 8 Das
aber weckte den Neid des Tetrarchen Herodes, dem ins-
besondere seine Gattin Herodias Hoffnung auf Er-
langung der Königswürde machte. Sie warf ihm näm-
lich seine Unthätigkeit vor und behauptete, nur weil er
nicht zum Caesar habe reisen wollen, sei er um die
Rangerhöhung gekommen; denn der Caesar, der den
Privatmann Agrippa zum Könige gemacht, würde doch
erst recht ihm, dem Tetrarchen, diese Beförderung zu-
erkannt haben. Durch solche Vorstellungen liess
Herodes sich bereden und begab sich zu Gajus, wurde
aber von ihm für seine Habgier mit der Verbannung
nach Hispanien 4 bestraft. 5 Agrippa nämlich war ihm
nachgereist, um ihn zu verklagen, und erhielt nun von
Gajus die Tetrarchie des Herodes noch zu seinem eigenen
Königreich hinzu. 6 Herodias folgte übrigens ihrem
Gatten in die Verbannung nach Hispanien, wo er bis
zu seinem Tode verblieb.
1 Nach J. A. XVIII, 6, 5 sprach er diesen Wunsch bei Gelegen-
heit einer gemeinsamen Wagenfahrt aus. Vergleiche übrigens in
betreff der Schicksale Agrippas die weitläufige Darstellung
J. A. XVHI, 6.
2 Gajus Caesar Caligula.
3 36 n. Chr.
4 J. A. XVIII, 7, 2 heisst es: nach Lugdunum (Lyon) in Gallien.
5 38 n. Chr.
6 40 n. Chr.
218
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Zehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XVIII, 8, 2 — 8. 9.
Caligula verlangt, dass sein Standbild im Tempel zu
Jerusalem aufgerichtet werde. Wie Petronius sich dabei
benahm
1. Mittlerweile war der Caesar Gajus infolge seines
Glückes so übermütig geworden, dass er sich nicht nur
selbst für einen Gott hielt und von anderen so genannt
zu werden verlangte, sondern auch sein Vaterland der
edelsten Männer beraubte. Nicht minder hatten die
Juden unter seiner Ruchlosigkeit zu leiden. Eines Tages
nämlich sandte er den Petronius an der Spitze eines
Heeres nach Jerusalem, um seine Bildsäule im dortigen
Tempel aufzustellen. 1 Zugleich erteilte er ihm die
Weisung, er solle, wenn die Juden sich etwa nicht
fügen wollten, die Widerspenstigen hinrichten lassen
und das gesamte übrige Volk in die Sklaverei verkaufen.
Gottes Fürsorge indes verhinderte die Ausführung dieser
Befehle. — Petronius rückte also von Antiochia aus
mit drei Legionen und zahlreichen syrischen Hilfstruppen
gegen Judaea heran. Ein Teil der Juden schenkte den
Kriegsgerüchten noch keinen Glauben, der andere, der
sie für zutreffend hielt, war in Verlegenheit, wie er
6ich verteidigen sollte. Bald jedoch ergriff allgemeiner
Schrecken das Volk; denn schon stand das Heer vor
Ptolemais.
2. Diese Stadt, unweit Galilaeas in der grossen
Ebene 2 gelegen, ist eine Seestadt und von Bergen um-
geben. Im Osten nämlich erhebt sich , sechzig Stadien
entfernt, das Galilaeische Gebirge, gegen Süden in einer
Entfernung von hundertundzwanzig Stadien der Karmel,
und nach Norden zu in einem Abstand von hundert
Stadien der sehr hohe Berg, den die dortige Bevölkerung
die Tyrische Leiter nennt. Zwei Stadien von der Stadt
1 39 n. Chr.
s Jezreel.
Zweites Buch, 10. Kapitel. 219
entfernt fliesst der ganz kleine sogenannte Belaeusfluss 1
vorbei, in dessen Nähe sich ein Denkmal des Memnon 2
und ein sehr merkwürdiger Platz von hundert Ellen im
Umfang befindet. Der letztere nämlich ist rund und
hohl und liefert den Glassand, der sich, sowie er von
den vielen vor Anker liegenden Schiffen erschöpft wird,
jedesmal wieder ergänzt, indem die Winde gleichsam ab-
sichtlich den schimmernden Sand von aussen dorthin
zusammen treiben. Die Grube verwandelt den gesamten
Sand sogleich in Glas; noch wunderbarer aber kommt
es mir vor, dass das aus der Grube Überfliessende Glas
wieder zu gemeinem Sande wird. 3 Das ist die natürliche
Beschaffenheit dieser Gegend.
3. Die Juden versammelten sich nun mit Weib
und Kind in der Ebene bei Ptolemais und baten den
Petronius flehentlich um Schutz zunächst für ihre hei-
mischen Gebräuche und dann auch für sich selbst. Die
grosse Menge der Flehenden und die Beharrlichkeit, mit
der sie ihre Bitten vorbrachten, machte auf Petronius
einen solchen Eindruck, dass er Heer und Bildsäule in
Ptolemais zurückliess und sich nach Tiberias inGalilaea
begab, wohin er das Volk und besonders alle an-
gesehenen Juden berief. Alsdann erörterte er Aveitläufig
die Macht der Römer und die Drohungen des Caesars
und suchte ihnen zugleich zu beweisen, wie unvernünftig
ihr Begehren sei. Alle unterjochten Völkerschaften,
schloss er, hätten doch in jeder Stadt ausser den Bild-
säulen anderer Götter auch solche des Caesars auf-
1 Bei Tacitus (Hist. V, 7) heisst er Belus.
2 Sohn des Tithonos und der Eos, dessen Gebeine mehrere Orte
zu besitzen Vorgaben.
8 Nach der offenbar richtigeren Darstellung des Tacitus (Hist. V, 7)
wurde der Sand unter Beimischung von Salpeter zu Glas ge-
schmolzen. S. auch Plinius, Naturgeschichte. V, 17 und XXXVI, 65.
Noch im Mittelalter holte man den Sand des Belus nach Genua und
Venedig zur Glasfabrikation. Velde fand am Belus bei al-Mekr im
Osten von Acre (Ptolemais) die Hügel mit einer Schicht Glas bedeckt.
Die Bemerkung desJosephus, dass das Überfliessende Glas wieder zu
Sand geworden sei, ist selbstverständlich irrig.
Go gle
220
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gestellt, und wenn nun die Juden allein sich dagegen
sträubten, so sei dieses Benehmen eigentlich nichts
anderes als Empörung, und zwar noch dazu eine mit
Beschimpfung des Caesars verbundene Empörung.
4. Als die Juden dagegen sich auf ihr Gesetz und
die althergebrachten Sitten beriefen, die nicht einmal
das Bild Gottes, geschweige denn das eines Menschen
im Tempel oder auch nur an irgend einer unge weihten
Stelle des Landes aufzustellen gestatteten, entgegnete
Petronius: „Nun, ich muss doch auch das Gesetz meines
Herrn erfüllen, und wenn ich es übertrete, um euch zu
schonen, so werde ich, und das mit Hecht, den Tod er-
leiden. Der mich gesandt hat, wird mit euch Krieg
führen, nicht ich; denn auch ich stehe, wie ihr, unter
seiner Botmässigkeit“ Hierauf schrie die ganze Volks-
menge, sie seien bereit, für ihr Gesetz zu leiden. Nach-
dem Petronius den Lärm wieder gestillt und gefragt
hatte, ob sie denn gesonnen seien, gegen den Caesar zu
kämpfen, antworteten die Juden, täglich zweimal brächten
sie Opfer für den Caesar und das römische Volk dar.
Wolle er aber auch noch die Bildsäule aufstellen, so
müsse er zuvor das ganze Volk der Juden opfern; denn
samtWeib und Kind seien sie bereit, sich hinschlachten
zu lassen. Staunen und Mitleid zugleich ergriff den
Petronius, als er die unerschütterliche Frömmigkeit der
Juden und ihre Bereitwilligkeit, den Tod zu erleiden,
gewahrte, und unverrichteterSache trennte man sich für
diesmal.
5. An den folgenden Tagen berief er die einfluss-
reichen Männer besonders zu sich und versammelte auch
wieder das Volk, wobei er es bald mit Bitten, bald mit
Zureden versuchte, zumeist jedoch drohte, indem er die
Macht der Römer, den Unwillen des Gajus und seine
eigene Zwangslage schilderte. Da aber alles dies nichts
fruchtete und Petronius erkannte, dass man Gefahr
laufe, das Land uneingesät zu lassen — war das Volk
doch nun schon fünfzig Tage lang in der Saatzeit
raüssig geblieben — , berief er endlich nochmals eine
Zweites Buch, 11. Kapitel.
221
Volksversammlung und sprach : „So will ich denn lieber
die Gefahr auf mich nehmen: entweder stimme ich mit
Gottes Hilfe den Caesar um und freue mich mit euch
der Rettung, oder ich gebe, wenn er in Zorn gerät, mein
Leben für so viele gern dahin !“ Sodann verabschiedete
er sich unter den Segenswünschen der Menge, holte in
Ptolemais sein Heer und kehrte nach Antiochia zurück.
Von dort schrieb er sogleich an den Caesar, schilderte
seinen Einmarsch in Judaea, die flehentlichen Bitten des
Volkes, und wie er, wenn er nicht Land und Leute
hätte zu Grunde richten wollen, den Juden die Be-
obachtung ihres Gesetzes habe gestatten und die Erledi-
gung seines Auftrages unterlassen müssen. Des Gajus
Antwort auf diesen Brief lautete keineswegs gnädig;
vielmehr drohte er dem Petronius mit dem Tode, weil
er bei der Ausführung seiner Befehle sich so lässig ge-
zeigt habe. Doch der Zufall fügte es, dass die Über-
bringer dieses Schreibens drei Monate lang durch Sturm
auf dem Meere hingehalten wurden, während andere mit
der Nachricht vom Tode des Gajus eine glückliche
Fahrt hatten, und so erhielt Petronius den Brief mit
der Todesmeldung siebenundzwanzig Tage früher, als
das gegen ihn selbst gerichtete Schreiben.
Elftes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XIX.
Beziehungen des Caesars Claudius zu Agrippa L
Tod des letzteren und seines Bruders Herodes von Chalkis.
1. Als Gajus nach einer Regierung von drei Jahren
und acht Monaten durch Meuchelmord umgekommen
war, 1 schleppten die in Rom stehenden Truppen den
Claudius auf den Thron. Der Senat jedoch vertraute
gemäss dem Vorschläge der Konsuln Sentius Saturninus
1 41 n. Chr. S. die ausführliche Schilderung J. A. XIX, 1, lff.
Go gle
222
Jcwephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
und Pomponius Secundus den drei ihm treugebliebenen
Legionen die Bewachung der Stadt an, versammelte sich
auf dem Kapitolium und beschloss im Hinblick auf die
Grausamkeit des Gajus, gegen Claudius Krieg zu führen.
Es sollte entweder die frühere aristokratische Verfassung
hergestellt oder ein des Thrones würdiger Mann durch
Abstimmung gewählt werden.
3. Damals nun befand sich zufällig Agrippa in Rom
und wurde vom Senat zu einer Beratung eingeladen,
während gleichzeitig auch Claudius aus der Kaserne zu
ihm sandte, um sich seine Dienste zu sichern. Agrippa,
der wohl erkannte, dass Claudius infolge seiner Macht
bereits wirklicher Caesar war, begab sich zu diesem hin.
Claudius schickte ihn nun als Abgeordneten an den
Senat, um denselben von seinen Absichten in Kenntnis
zu setzen. Wider seinen Willen, liess er sagen, hätten
die Soldaten ihn fortgerissen, und wie er einerseits es
nicht für recht halte, ihren Eifer unberücksichtigt zu
lassen, so wolle er auch anderseits sein Glück noch
nicht für gesichert erachten, da ja die Berufung auf den
Thron gewisse Gefahren mit sich bringe. Er sei
übrigens entschlossen, wie ein milder Fürst, nicht wie
ein Tyrann zu regieren; auch werde er mit der Ehre
des Caesarentitels sich begnügen und bei allen Staats-
geschäften das Volk um seine Willensmeinung be-
fragen. Und wäre er selbst von Natur nicht zur Milde
geneigt, so müsse ihm doch schon das Ende des Gajus
als hinreichender Antrieb zur Mässigung vor Augen
stehen.
3. Diese Botschaft überbrachte Agrippa dem Senat
und erhielt zur Antwort, im Vertrauen auf das Heer und
ihr gutes Recht würden sie sich der Knechtschaft nicht
freiwillig unterwerfen. Als Claudius diesen Bescheid
vernommen hatte, sandte er den Agrippa abermals hin
mit der Erklärung, er werde die, welche ihm Treue ge-
schworen, unter keinen Umständen im Stich lassen und
sehe sich also zum Kampfe gegen die genötigt, mit denen
zu streiten er durchaus kein Verlangen trage. Zuvor
Zweites Buch, 1 1. Kapitel.
223
übrigens müsse man einen Platz ausserhalb der Stadt
für das Treffen bestimmen; denn es wäre doch frevel-
haft, um des unheilvollen Entschlusses der Senatoren
willen die Heiligtümer der Vaterstadt mit Bürgerblut
zu beflecken. Auch von dieser Erklärung gab Agrippa
dem Senate Kenntnis.
4. Nun aber zog einer der Soldaten, die auf seiten
des Senates standen, sein Schwert und rief: „Kameraden,
wozu sollen wir unsere Brüder morden und unsere Ver-
wandten bekämpfen, die zu Claudius halten, da wir an
ihm einen Herrscher haben, dem man nichts Schlechtes
nachsagen kann, und da wir durch heilige Pflichten
denen verbunden sind, gegen die wir mit den Waffen *
in der Hand ausrücken sollen ?“ Nach diesen Worten
schritt er eilig mitten durch die Versammlung hinaus
und zog alle übrigen Soldaten mit sich fort. Im ersten
Augenblick waren die Patrizier über den Abzug der
Soldaten erschreckt; als aber keine andere Aussicht auf
Rettung sich ihnen dar bot, eilten sie auf demselben
Wege wie die Soldaten zu Claudius hin. Gleich vor
der Stadtmauer stiessen sie auf eine Anzahl Bewaffneter,
die durch eifriges Eintreten für den neuen Herrscher ihr
Glück machen wollten und mit gezückten Schwertern
daherstürmten. Es wäre nun wohl, bevor noch Claudius
von dem Vorgehen der Soldaten Kenntnis erlangte, um
die Senatoren an der Spitze des Zuges geschehen gewesen,
wenn Agrippa nicht zu Claudius geeilt wäre und ihn
von dem Ernst der Lage benachrichtigt hätte. Ent-
weder müsse er dem Ungestüm der über die Patrizier
bis zur Wut erbitterten Soldaten wehren, oder er werde
die besten Stützen seines Thrones verlieren und Beherrscher
einer Einöde sein.
5. Kaum hatte Claudius dies vernommen, als er der
Aufregung im Heere Einhalt that, den Senat freundlich
in die Kaserne aufnahm und alsbald mit ihm hinauszog,
um der Gottheit für seine Thronbesteigung Dankopfer
darzubringen. Gleich darauf beschenkte er den Agrippa
mit dem ganzen Königreich seines Grossvaters und
224
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
fügte noch die von Augustus dem Herodes verliehenen
Gebiete Trachonitis und Auranitis sowie die sogenannte
Herrschaft des Lysanias 1 hinzu. 2 Dem Volke machte
er diese Schenkung in einem Erlasse bekannt, dem
Senat aber befahl er, die Schenkungsurkunde in eherne
Tafeln eingraben und diese auf dem Kapitolium nieder-
legen zu lassen. Auch den Bruder des Agrippa, Herodes,
der durch seine Ehe mit Berenike zugleich dessen
Schwiegersohn war, beschenkte er, und zwar mit dem
Königreiche Chalkis.
6. Bald flössen dem Agrippa aus einem so weiten
Gebiet grosse Reichtümer zu, und er verwendete diese
Gelder auch zu nicht unbedeutenden Unternehmungen.
So begann er Jerusalem mit einer derart starken Mauer
zu umgeben, dass, wäre sie vollendet worden, die Be-
lagerungsarbeiten der Römer wohl keinen Erfolg gehabt
hätten. Allein ehe das Bauwerk seine Höhe erreichte,
starb er in Caesarea, 3 nachdem er drei Jahre König und
vorher ebenfalls drei Jahre Tetrarch gewesen war. Er
hinterliess drei mit der Kypros gezeugte Töchter,
Berenike, Mariamne und Drusilla, sowie einen von der-
selben Mutter geborenen Sohn Agrippa. Da der letztere
noch viel zu jung war, 4 verwandelte Claudius das König-
reich wieder in eine Provinz und sandte den Cuspius
Fadus 5 und nach ihm den Tiberius Alexander 6 als
Landpfleger dorthin, unter denen das Volk sich ruhig
verhielt, weil sie seine heimischen Gebräuche unangetastet
Hessen. Bald darauf 7 starb auch Herodes, der König
von Chalkis, und hinterliess von Berenike, der Tochter
seines Bruders, zwei Söhne, Berenikianus und Hyrkanus,
sowie von seiner früheren Gattin Mariamne einen Sohn
1 Abilene oder Abila (s. Lukas 3, 1 und J. A. XIX, 5, 1).
a 41 n. Chr.
3 44 n. Chr.
4 Nämlich 17 Jahre alt (geboren 27 n. Chr.).
6 44 n. Chr.
c Etwa 45 n. Chr.
7 49 n. Chr.
Zweites Buch, 12. Kapitel.
225
Ari8tobulus. Ein anderer Bruder Agrippas, Aristobulus
mit Namen, war mit Hinterlassung einer Tochter Jotape
als Privatmann gestorben. Das waren, wie schon früher
erwähnt, die Söhne von Herodes’ Sohn Aristobulus. Den
letztem wie dessen Bruder Alexander aber hatte Hero-
des bekanntlich mit der Mariamne gezeugt und, obwohl
ihr leiblicher Vater, sie beide dem Henker überant-
wortet. Was Alexanders Nachkommen angeht, so
herrschten diese in Grossarmenien.
Zwölftes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XX, 5, 2 — 8,1.
Unruhen unter Cumanus. Felix Landpfleger von Judaea.
1. Nach dem Tode des Herodes, der Chalkis be-
herrschte, setzte Claudius dessen Neffen, den jungen, mit
seinem Vater gleichnamigen Agrippa, 1 über das König-
reich des Verstorbenen, während die Verwaltung der
Provinz von Alexander auf Cumanus überging. 2 Unter
letzterem begannen wieder die Unruhen, infolge deren
eine Menge Juden umkamen. Als nämlich das Volk
zum Fest der ungesäuerten Brote nach Jerusalem zu-
sammenströmte , war über der Säulenhalle des Tempels
eirte römische Kohorte aufgestellt, wie denn die Römer
an Festtagen stets eine Heeresabteilung auf Wache
stehen hatten, um etwaige aufrührerische Bewegungen
der versammelten Menge zu unterdrücken. Da zog auf
einmal einer der Soldaten seinen Mantel in die Höhe,
kehrte mit einer unanständigen Verbeugung den Juden
das Gesäss zu und gab einen seiner Stellung ent-
sprechenden Laut von sich. Voll Entrüstung darüber
forderte die gesamte Menge von Cumanus mit lautem
Geschrei die Bestrafung des Soldaten; ja, eine Anzahl
1 Agrippa II. (reg. 49—101 n. Chr.).
» 49 n. Chr.
JosephuB, Jüdischer Krieg. 15
226 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
jugendlicher Brauseköpfe und der stets zur Empörung
geneigte Teil des Volkes schritten sogar ohne weiteres
zum Angriff, rafften Steine zusammen und bewarfen die
Soldaten damit. Cumanus, der einen Angriff von seiten
des ganzen Volkes befürchtete, liess sogleich eine grössere
Abteilung Schwerbewaffneter heranrücken. Als diese
nun in die Hallen eindrangen, befiel die Juden ein ge-
waltiger Schrecken, sodass sie eilends aus dem Tempel
rannten und in die Stadt flohen. Dadurch entstand
aber an den Ausgängen ein so fürchterliches Gedränge,
dass mehr als zehntausend Menschen zertreten und er-
drückt wurden. So wandelte sich die Festfreude in eine
allgemeine Trauer des ganzen Volkes, und jedes Haus
hallte wieder von Jammer und Wehklagen.
2. Bald nach diesem Unglück brachen abermals Un-
ruhen aus infolge eines Strassenraubes. Auf der Land-
strasse bei Bethoron nämlich fielen Räuber über einen
Diener des Caesars mit Namen Stephanus her und
raubten ihm alles Gepäck, das er bei sich hatte. So-
gleich sandte Cumanus Streifscharen aus , liess die Be-
wohner der nächstgelegenen Dörfer gefangen einbringen
und warf ihnen vor, dass sie die Räuber nicht verfolgt
und festgenommen hätten. Bei dieser Gelegenheit fand
ein Soldat in einem Dorfe das heilige Gesetz, zerriss das
Buch und warf es ins Feuer. Darüber gerieten die
Juden in eine Aufregung, als ob ihr ganzes Land vom
Feuer verheert würde, und in ihrer religiösen Angst
eilten sie, von Zaubermacht fortgerissen und wie auf ein
gegebenes Zeichen samt und sonders nach Caesarea zu
Cumanus, den sie inständig baten, den Menschen, der
Gott und das Gesetz so masslos beschimpft, doch nicht
ungestraft zu lassen. Cumanus, der wohl einsah, dass
das Volk nicht ruhig bleiben würde, wenn er ihm keine
Genugthuung gewähre, liess den Soldaten herbeiholen
und durch die Reihen seiner Ankläger hindurch zur
Hinrichtung abführen. Hierauf entfernten sich die
Juden.
3. In der Folge kam es zu Streitigkeiten zwischen
Go gle
JUFÖ'fil
Zweites Buch, 12. Kapitel.
227
Galiläern und Samaritern. Bei dem Dorfe Gema 1 näm-
lich, das in der grossen Ebene von Samaria liegt, war
einer der vielen nach Jerusalem zum Feste reisenden
Juden, ein Galiläer, ermordet worden. Aus diesem An-
lass rotteten sich eine Menge Galiläer zusammen, um
den Samaritern ein Treffen zu liefern. Die vornehmsten
Männer aus Samaria aber begaben sich zu Cumanus
und baten ihn, nach Galilaea zu kommen und die Ur-
heber des Mordes zu bestrafen ; denn nur auf diese
Weise sei es möglich, die Menge zum Auseinandergehen
zu bewegen und den Kampf zu verhüten. Cumanus
indes nahm, da er gerade dringende Geschäfte zu er-
ledigen hatte, auf das Gesuch zunächst keine Rück-
sicht und liess die Bittsteller unverrichteter Sache heim-
kehren.
4. Die Kunde von der Mordthat aber rief auch zu
Jerusalem allgemeine Aufregung hervor, und alsbald
liess die Menge von der Festfeier ab und stürmte ohne
Anführer und ohne den obrigkeitlichen Personen, die
sie von dem Wagnis abhalten wollten, Folge zu leisten,
auf Samaria zu. Unterwegs stellten sich an die Spitze
des aufrührerischen und auf Raub ausgehenden Haufens
Eleazar, der Sohn des Dinaeus, und ein gewisser Alex-
ander, welche nun über die der Toparchie Akrabatta
zunächst wohnenden Samariter herfielen, alles ohne Unter-
schied des Alters niedermetzelten und die Dörfer in
Brand steckten.
5. Da brach Cumanus mit einer Abteilung Reiter,
den sogenannten Sebastenern, von Caesarea auf, um den
Bedrängten zu Hilfe zu eilen, nahm eine beträchtliche
Anzahl der Leute Eleazars gefangen und machte die
meisten von ihnen nieder. Zu der übrigen Menge aber,
die zur Bekriegung der Samariter ausgezogen war, be-
gaben sich in Eile die angesehensten Männer von Jeru-
salem in Trauergewändern, das Haupt mit Asche be-
streut, und beschworen sie, heimzukehren und nicht durch
1 J . A. XX, 6, 1 heisst das Dorf Ginaea.
228
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ihren Rachezug gegen die Samariter die Römer gegen
Jerüsalem aufzureizen. Sie möchten sich doch ihres
Vaterlandes, des Tempels, ihrer eigenen Weiber und
Kinder erbarmen und nicht um eines einzigen Galiläers
willen alles aufs Spiel setzen. Diesen Vorstellungen
gaben die Juden nach und gingen auseinander. Viele
von ihnen aber verlegten sich in der Hoffnung, unent-
deckt zu bleiben, auf das Räuberhandwerk, und so ge-
hörten bald im ganzen Lande Räubereien und unter den
Entschlosseneren auch Empörungsversuche zu den all-
täglichen Ereignissen. Aus diesem Anlass machten sich
die einflussreichsten Samariter nach Tyrus zu Ummidius
Quadratus, dem Statthalter von Syrien, auf und baten
ihn, doch gegen die Verwüster des Landes einschreiten
zu wollen. Ausser den Samaritern hatten übrigens auch
die vornehmsten Juden samt dem Hohepriester Jonathas,
dem Sohne des Ananus, sich eingefunden und erklärten
nun, die erste Veranlassung zu den Unruhen hätten aller-
dings die Samariter durch die Ermordung des Galiläers
gegeben, an dem weiteren Verlauf aber sei Cumanus
schuld, weil er es unterlassen habe, die Urheber des
Mordes zur Strafe zu ziehen.
6. Quadratus vertröstete nun beide Teile durch die
Zusage, wenn er einmal in die Gegend komme, alles
genau untersuchen zu wollen. Als er bald darauf nach
Caesarea kam, liess er alle Empörer, die Cumanus
lebendig gefangen genommen hatte, ans Kreuz schlagen.
Von da begab er sich nach Lydda, wo er die Samariter
nochmals verhörte. Hierauf liess er achtzehn Juden,
die, wie er erfuhr, am Kampfe sich beteiligt hatten,
herbeiholen und mit dem Beile hinrichten. Zwei andere
einflussreiche Männer aber, sowie die Hohepriester Jona-
thas und Ananias samt dem Sohne des letzteren, Ananus,
und noch einigen anderen vornehmen Juden sandte er
zugleich mit den angesehensten Samaritern zum Caesar.
Dann befahl er dem Cumanus und dem Tribun Celer,
sich nach Rom einzuschiffen, um vor Claudius wegen
des Vorgefallenen Rechenschaft abzulegen. Nachdem
Zweites Buch, 12. Kapitel.
229
er diese Anordnungen getroffen hatte, reiste er von Lydd a
nach Jerusalem, kehrte aber, da er sich überzeugte,
dass das Volk in aller Ruhe das Fest der ungesäuerten
Brote feierte, alsbald nach Antiochia zurück.
7. Bei dem Verhör, welches der Caesar zu Rom mit
Cumanus und den Samaritern anstellte, war auch Agrippa
zugegen und trat eifrig zu gunsten der Juden ein, weil
Cumanus ebenfalls viele mächtige Fürsprecher hatte.
Schliesslich erklärte der Caesar die Samariter für schuldig
und liess drei ihrer vornehmsten Männer hinrichten,
während er den Cumanus mit Verbannung bestrafte.
Den Celer aber schickte er in Fesseln nach Jerusalem,
wo er den Juden zur Peinigung überantwortet, durch
die Stadt geschleppt und dann enthauptet werden
sollte.
8. Hierauf 1 ernannte der Caesar den Bruder des
Pallas, Felix, 2 zum Landpfleger von Judaea, Galilaea,
Samaria und Peraea. Den Agrippa aber versetzte er 3
von Chalkis in ein grösseres Königreich, indem er ihm
die ehemalige Tetrarchie des Philippus, nämlich Tracho-
nitis, Batanaea und Gaulanitis verlieh; auch fügte er
noch die Herrschaft des Lysanias und das ehemalige
Gebiet des Varus 4 hinzu. Nach einer Regierung von
dreizehn Jahren, acht Monaten und zwanzig Tagen starb
der Caesar Claudius 5 und hinterliess als Thronerben den
Nero, den er infolge der Intriguen und Zauberkünste
seiner Gemahlin Agrippina dazu bestimmt hatte, obwohl
er von seiner früheren Gemahlin Messalina einen leib-
lichen Sohn Britannicus hatte. Seine Tochter Octavia,
gleichfalls von der Messalina, hatte er mit Nero ver-
1 52 n. Chr.
2 Der auch Apostelgeschichte 23 — 25 erwähnt wird. Vergleiche
weiterhin über ihn Tacitus, Annalen XII, 54.
3 53 n. Chr.
4 Gemeint ist hier nicht etwa die von Varus verwaltete Provinz
Syrien , sondern eine ihrer Lage nach unbekannte Privatbesitzung
dieses Statthalters.
5 54 n. Chr.
2.10 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
mählt. Ausserdem war ihm noch eine andere Tochter
mit Namen Antonia geboren worden, und zwar von der
Petina.
Dreizehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XX, 8, 3 — 8, 7.
Weiteres von Nero, Agrippa und Felix.
Die Sikarier und der falsche Prophet aus Aegypten.
Unruhen in Caesarea.
1. Wie Nero im Taumel seines Glückes und Reich-
tums frevelnd dem Schicksal trotzte, wie er der Reihe
nach seinen Bruder, seine Gattin und seine Mutter mordete,
wie alsdann seine Grausamkeit sich gegen die edelsten
Männer richtete, und wie er endlich in seinem Wahnsinn
auf die Bühne und ins Theater sich verirrte, will ich,
da es allbekannte Dinge sind, hier nicht weiter berühren
und mich zu den Begebenheiten wenden, die unter seiner
Regierung bei den Juden sich ereigneten.
2. Zum Könige von Kleinarmenien ernannte er Ari-
stobulus, den Sohn des Herodes, 1 und zu dem König-
reiche des Agrippa fügte er noch vier Städte mit ihren
Gebieten hinzu, nämlich Abila 2 und Julias in Peraea,
Taricheae und Tiberias in Galilaea. Den übrigen Teil
Judaeas unterstellte er dem Landpfleger Felix. Dieser
nahm den Räuberhauptmann Eleazar, der zwanzig Jahre
lang das Land verheert hatte, samt vielen seiner Spiess-
gesellen gefangen und sandte sie nach Rom. Weiterhin
liess er eine Menge Räuber ans Kreuz schlagen und
viele Bürger, die mit ihnen gemeinsame Sache gemacht
hatten, ebenfalls hinrichten.
1 Von Chalkis.
2 Nicht das am Libanon gelegene Abila, das Agrippa ja schon
besass, sondern Abila auf der Ostseite des Jordan gegenüber Jericho
(s. IV, 7, 6).
Go gle
illlVpgSlTr Öf CALIFORNIA
Zweites Buch, 13. Kapitel.
231
3. Nachdem das Land auf diese Weise gesäubert
war, machte sich in Jerusalem eine andere Art von
Banditen bemerklich, die man Sikarier 1 nannte. Sie
begingen am hellen Tage und mitten in der Stadt
Mordthaten, mischten sich besonders an Festtagen unter
das Volk und erstachen ihre Gegner mit kleinen Dolchen,
die sie unter ihrer Kleidung versteckt trugen. Stürzten
ihre Opfer zu Boden, so beteiligten sich die Mörder an
den Kundgebungen des Unwillens und waren um dieses
ihres unbefangenen Benehmens willen gar nicht zu fassen.
Der erste, der von ihnen erdolcht wurde, war der Hohe-
priester Jonathas, 2 und in der Folgezeit häuften sich die
Mordthaten von Tag zu Tag derart, dass die Furcht vor
ihnen mehr Entsetzen verbreitete als die Unglücksfalle
selbst, indem wie in der Schlacht niemand auch nur
einen Augenblick vor dem Tode sicher war. Schon von
fern witterte man Feinde, ja selbst den Freunden, denen
man begegnete, traute man nicht mehr, und doch kamen
trotz aller argwöhnischen Vorsicht immer neue Mord-
anfälle vor — so gross war die Gewandtheit der Banditen
und ihre Fertigkeit, sich unsichtbar zu machen.
4. Gleichzeitig mit diesen Elenden kam eine andere
Rotte von Bösewichtern auf, deren Hände zwar reiner,
deren Gesinnungen aber noch ruchloser waren als die
der Sikarier, und die nicht weniger als diese das Glück
der Stadt untergraben halfen. Es waren dies Verführer
und Betrüger, die unter dem Vorwand göttlicher Sendung
auf Umwälzung und Aufruhr hinarbeiteten und das
Volk zu religiöser Schwärmerei hinzureissen suchten,
indem sie es in die Wüste lockten T als ob Gott ihnen
dort durch Wunderzeichen ihre Befreiung ankündigen
würde. 3 Felix, der in diesen Vorgängen den Keim der
1 Von den kleinen krummen Dolchen (sicae), die sie führten (s.
J. A. XX, 8, 10).
2 Wie aus J. A. XX, 8, 5 hervorgeht, auf Anstiften des Felix.
3 Vergl. hierzu die Warnungen des Heilandes bei Matthaeus
(24, 4; 5; 26).
Go gle
JNIVERSITY or CaLH ORN!/
232
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Empörung erkannte, liess Reiterei und Fussvolk gegen
die Menge ausrücken und viele niedermetzeln.
5. Eine noch schlimmere Plage für die Juden war
der falsche Prophet aus Aegypten. Es war nämlich ein
Betrüger ins Land gekommen, der sieh das Ansehen
eines Propheten verschafft und gegen dreissigtausend
Betrogene um sich gesammelt hatte. Mit diesen zog er
aus der Wüste auf den sogenannten ölberg, von wo er
mit Gewalt in Jerusalem einzudringen gedachte. Weiter-
hin beabsichtigte er dann die römische Besatzung zu
überwältigen und sich zum Beherrscher des Volkes auf-
zuwerfen, wobei er die Genossen seiner Unternehmung
als Leibwache gebrauchen wollte. 1 Felix indes vereitelte
den Plan, indem er dem Betrüger mit römischen Schwer-
bewaffneten entgegen rückte, unterstützt vom ganzen Volke,
das an der Gegenwehr teilnahm. Gleich nach Beginn
des Treffens machte sich der Aegyptier mit wenigen
Begleitern davon, 2 während die meisten seiner Anhänger
niedergemacht wurden oder in Gefangenschaft gerieten.
Der Rest zerstreute sich, und jeder suchte sich in seiner
Heimat zu verbergen.
6. Kaum war dieser Schaden beseitigt, so brach wie
an einem kranken Körper die Entzündung anderswo
wieder hervor. Die Betrüger und Räuber nämlich thaten
sich jetzt zusammen, verleiteten viele Juden zum Abfall
und reizten sie zum Befreiungskämpfe auf. Wer die
römische Oberhoheit anerkannte, den bedrohten sie mit
dem Tode, und offen sprachen sie es aus, dass die,
welche freiwillig die Knechtschaft auf sich nähmen, mit
Gewalt zur Freiheit geführt werden müssten. Trupp-
weise verteilten sie sich demgemäss ins Land, plünderten
die Besitzungen der Grossen, mordeten die Eigentümer
und äscherten die Dörfer ein, sodass ganz Judaea unter
1 Vergl. hierzu J. A. XX, 8, 6.
* Für den entkommenen Aegyptier scheint der in der Apostel-
geschichte (21, 38) erwähnte römische Hauptmann den Apostel
Paulus gehalten zu haben.
Go gle
üNIVERSITY OE CALIFORNIA
Zweites Buch, 13. Kapitel.
233
ihren Frevelthaten zu leiden hatte und der Krieg von
Tag zu Tag heftiger entbrannte.
7. Unruhen anderer Art entstanden in Caesarea, in-
dem die syrischen Bewohner der Stadt mit ihren jüdischen
Mitbürgern in Zwist gerieten. Letztere nämlich be-
haupteten, die Stadt gehöre ihnen, weil ein Jude, der
König Herodes, ihr Erbauer gewesen sei. Die Syrer
ihrerseits gaben wohl zu, dass ein Jude Caesarea ge-
gründet habe, nahmen aber die Stadt selbst als Eigen-
tum der Griechen in Auspruch: denn hätte Herodes sie
für die Juden bestimmt, so würde er wohl keine Stand-
bilder und Tempelgebäude in ihr errichtet haben.
Darüber entbrannte der Streit, und endlich stieg die Er-
bitterung so gewaltig, dass man zu den Waffen griff
und tagtäglich die Kühnsten von jeder Partei zum Kampfe
hervortraten. Denn einerseits vermochten die Ältesten
der Juden die Heisssporne ihrer Gemeinde nicht mehr
im Zaum zu halten, und anderseits kam es den Griechen
schimpflich vor, sich von den Juden an Mut übertreffen
zu lassen. An Reichtum und Körperkraft waren die
Juden überlegen, die Griechen aber dadurch, dass die
Truppen zu ihnen hielten; denn der grösste Teil der
dort liegenden römischen Streitmacht bestand aus Syrern,
die den Griechen als Stammesgenossen beizustehen stets
bereit waren. Die Befehlshaber gaben sich übrigens
alle Mühe, die Unruhen im Keime zu ersticken, indem
sie die Kampflustigsten auf beiden Seiten jedesmal
festnehmen Hessen und sie mit Geisselung und Ein-
kerkerung bestraftem Das Schicksal der Verhafteten
aber, weit entfernt, den übrigen Mässigung oder Furcht
beizubringen, machte diese nur noch erbitterter und
aufrührerischer. Als eines Tages die Juden Sieger
geblieben waren, erschien Felix auf dem Marktplatz
und befahl ihnen unter Drohungen, sich zurückzuziehen;
da sie sich aber weigerten , der Aufforderung nachzu-
kommen, liess er eine Truppenabteilung anrücken,
zahlreiche Juden niedermetzeln und ihre Habe der
Plünderung preisgeben. Trotzdem dauerten die Reibereien
234
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
fort, bis endlich Felix die angesehensten Männer von
jeder Partei aus wählte und sie als Gesandte an Nero
schickte, vor dessen Richterstuhl sie ihre Händel aus-
tragen sollten.
Vierzehntes Kapitel.
Vergl. Jüdische Altertümer XX, 8,9 — 9, 7.
Von den Landpflegem Festus, Albinus und Gessius
Florus. Letzterer treibt durch seine Grausamkeit die Juden
9 zum Kriege.
1. Festus, der nun das Landpflegeramt erhielt, 1 schritt
sogleich nachdrücklich gegen die allgemeine Landplage
ein, indem er die meisten Räuber aufgreifen und eine
beträchtliche Anzahl derselben hinrichten liess. Sein
Nachfolger Albinus 2 aber führte die Verwaltung in ganz
anderem Geiste als er; denn keine Schändlichkeit gab
es, die er nicht verübt hätte. Nicht genug, dass er die
öffentlichen Kassen bestahl, eine Menge Privatleute ihres
Vermögens beraubte und das ganze Volk mit Abgaben
belastete — er gab auch noch die, welche von ihrer
Obrigkeit oder den früheren Landpflegem wegen
Räubereien eingekerkert worden waren, ihren Verwandten
gegen Lösegeld frei, und nur wer nicht zahlen konnte,
blieb als Übelthäter im Gefängnis. Jetzt wuchs auch
den Umstürzlern in Jerusalem wieder der Mut: die
Reichen brachten den Albinus durch Bestechung auf
ihre Seite, sodass sie, unbehelligt von ihm, den Aufruhr
schüren konnten, und das niedere Volk, dem die Ruhe
nicht gefiel, hielt sich zu denen, die mit Albinus gemein-
same Sache gemacht hatten. Jeder Böse wicht hatte bald
eine eigene Rotte um sich gesammelt, während Albinus
unter allen wie ein Räuberhauptmann oder Tyrann her-
vorragte und mit Hilfe seiner Anhänger die friedliebenden
» Gl n. Ohr.
2 G3 u. Chr.
Zweites Buch, 14. Kapitel.
235
Bürger brandschatzte. Ja, es kam so weit,, dass die
Geplünderten, anstatt, wie es richtig gewesen wäre, ihrer
Entrüstung Ausdruck zu geben, nicht den Mund auf-
zuthun wagten, und dass die, welche bislang verschont
geblieben waren, aus Furcht vor ähnlicher Misshandlung
dem Unhold sogar noch schmeichelten. Ein freies Wort
zu sprechen getraute sich überhaupt niemand mehr, und
die Herrschaft nicht eines einzigen, sondern einer ganzen
Menge Tyrannen Hess man sich ruhig gefallen. Damals
wurde der Same ausgestreut, aus dem das Verderben der
Stadt in Bälde erwachsen sollte.
2. Gleichwohl erschien Albinus noch als Muster von
Rechtschaffenheit im Vergleich zu seinem Nachfolger
Gessius Florus. 1 Während nämlich der erstere die
meisten seiner Schandthaten wenigstens noch im ge-
heimen und mit einer gewissen Vorsicht verübte, trug
Gessius seine Frevel gegen das Volk prahlerisch zur
Schau und schreckte, wie wenn er als Henker zur Be-
strafung Verurteilter gesandt worden wäre, vor keiner
Art von Raub und Misshandlung zurück. In seiner
Grausamkeit kannte er kein Mitleid, in seiner Ruch-
losigkeit keine Scham, und noch nie hat jemand so wie
er die Wahrheit in Lug und Trug verkehrt oder
schlauere Mittel zur Erreichung seiner verbrecherischen
Absichten zu ersinnen gewusst. An der Habe einzelner
sich zu bereichern , hielt er nicht für der Mühe wert ;
dagegen raubte er ganze Städte aus und richtete ganze
Gemeinwesen zu Grunde. Ja, es fehlte nicht viel, so
hätte er im Lande ausrufen lassen , es stehe jedem frei,
Räubereien zu verüben , wofern nur er selbst einen Teil
von der Beute mitbekäme. Ganze Bezirke wurden
durch seine Habsucht entvölkert, und gar viele ver-
liessen die Wohnsitze ihrer Väter und flüchteten sich in
fremde Provinzen. 2
3. So lange nun Cestius Gallus in der von ihm ver-
1 64 n. Chr.
2 Hier endigen die ,, Altertümer“ des Josephus.
236
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
walteten Provinz Syrien weilte, getraute sich niemand,
Gesandte an ihn zu schicken, um Florus zu verklagen.
Als er aber kurz vor dem Fest der ungesäuerten Brote
nach Jerusalem kam, umringten ihn nicht weniger als
drei Millionen 1 Juden, die ihn flehentlich baten, sich der
schlimmen Lage des Volkes zu erbarmen, und unter
lautem Geschrei Florus als die Geissei des Landes be-
zeichneten. Florus, der selbst anwesend war und neben
Cestius stand, erwiderte diese Anklagen mit höhnischem
Lachen; Cestius aber beschwichtigte die Menge durch
das Versprechen, den Florus milder stimmen zu wollen,
und kehrte nach Antiochia zurück. Um ihm Sand in
die Augen zu streuen, gab Florus ihm bis Caesarea das
Geleit, suchte aber dann voll Erbitterung die Juden in
einen förmlichen Krieg zu verwickeln, durch den allein
er seine Schandthaten verdecken zu können meinte. So
lange nämlich Friede war, hatte er stets zu gewärtigen,
dass die Juden ihn beim Caesar verklagen würden;
brachte er aber eine Empörung zuwege, so konnte er
vielleicht hoffen, durch das grössere Übel ihre Aufmerk-
samkeit von den kleineren abzulenken. So drangsalierte
er denn das Volk mit jedem Tage mehr, um ihm die
römische Oberherrschaft möglichst verhasst zu machen.
4. Unterdessen hatten auch die Griechen zu Caesarea
es bei Nero durchgesetzt, dass sie als Herren der Stadt
anerkannt wurden, und erschienen nun mit der Urkunde,
die diese Entscheidung verbriefte. Damit nahm der
Krieg seinen Anfang im zwölften Jahre von Neros Re-
gierung und im siebzehnten der Königsherrschaft des
Agrippa, und zwar im Monat Artemisios. 2 Die Grösse
1 Diese ungeheure Zahl erscheint nicht übertrieben, wenn man be-
denkt, dass nach der Vorschrift des Gesetzes jeder männliche Israelit
vom 13. Lebensjahre an alljährlich zu den Hauptfesten (Paschafest,
Wochen- oder Pfingstfest und Laubhüttenfest) ,.vor dem Herrn er-
scheinen/* d. h. im vorliegenden Falle: nach Jerusalem pilgern
musste (s. Mos. II, 23, 17; 34, 23 und besonders V, 16, 16).
2 Josephus gebraucht stets den syro-macedonisehen Kalender, zu
dessen Erklärung folgendes vergleichende Verzeichnis der Monats-
namen dienen möge (wegen der durch das hebr. Schaltjahr, das drei-
Zweites Buch, 14. Kapitel.
237
der Leiden freilich, die aus ihm entsprangen, stand zu
der näheren Veranlassung in gar keinem Verhältnis.
Die Juden von Caesarea nämlich hatten eine Synagoge
auf einem Platz, der einem griechischen Einwohner der
Stadt gehörte. Zu wiederholten Malen hatten sie ver-
sucht, den Platz käuflich zu erwerben, und einen Preis
dafür geboten, der den wahren Wert sehr überstieg. Der
Eigentümer indes kümmerte sich nicht um ihr Anliegen,
errichtete vielmehr, um sie zu ärgern, auf dem Platze
Gebäulichkeiten, in denen er Werkstätten unterbrachte,
sodass für die Juden nur ein enger, höchst unbequemer
Eingang übrig blieb. Zuerst machten einige jugendliche
Hitzköpfe Anstalt, den Bau zu hindern ; als aber Florus
ihrem Ungestüm Einhalt that, wussten die vermögenderen
Juden, denen auch der Zollpächter Joannes sich an-
schloss, keinen anderen Rat, als dem Florus acht Talente
anzubieten, damit er den Bau untersage. Florus ver-
sprach, um das Geld zu bekommen, alles thun zu wollen ;
kaum aber hatte er es in Händen, als er von Caesarea
nach Sebaste reiste und die Streitenden ihre Sache allein
ausmachen liess, als wenn er den Juden die Erlaubnis,
zu den Waffen zu greifen, verkauft hätte.
5. Am folgenden Tage, einem Sabbat, stellte, während
die Juden in der Synagoge versammelt waren , ein
zehn Monate hat, öfters stattfindenden Verschiebung ist freilich die
Übereinstimmung nur eine annähernde):
Syro- Rom isch
Heb räisch
mace don isch
Attisch bezw. Deutsch
Nisan
Xanthikos
Munychion
April
Ijar
Artemisios
Thargelion
Mai
Siwan
Daisios
Skirrhophorion
Juni
Tamuz
Panemos
Hekatombaion
Juli
Ab
Loos
Metageitnion
August
Elul
Gorpiaios
Boedromion
September
Tischri
Hyperberetaios
Pyanepsion
Oktober
Marcheschwan
Dios
Maimakterion
November
Kislev
Appellaios
Poseideon
Dezember
Tebet
Audynaios
Gamelion
Januar
Schwat
Peritios
Antkesterion
Februar
Adar I (und im
Dystros
Elaphebolion
März
Schaltjahr A dar II)
Go gle
Ul'lfVERSITY'OF C/MJFORNlA
238
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
händelsüchtiger Einwohner von Caesarea einen um-
gekehrten Topf vor den Eingang der Synagoge und
opferte Vögel. 1 Das versetzte die Juden in gewaltige
Wut; denn in dieser Handlungsweise lag ebensowohl
eine Verhöhnung ihrer Gesetze als eine Verunreinigung
des Ortes. Während nun die ruhigeren und besonneneren
Juden der Meinung waren, man solle sich noch einmal
an die Behörden wenden, vermochten die leidenschaft-
lichen und heissblütigen jungen Leute ihre Streitlust
nicht mehr zu unterdrücken. Die Händelsüchtigen von
der Gegenpartei standen übrigens auch schon kampf-
gerüstet da, denn sie hatten das Opfer absichtlich ver-
anstalten lassen. So kam es denn alsbald zum Hand-
gemenge. Der römische Reiteroberst Jucundus, der den
Auftrag hatte, die Ruhe wiederherzustellen, nahm den
Topf weg und versuchte dem Streit ein Ende zu machen.
Da er aber gegen die Caesareer nichts ausrichtete, holten
die Juden eiligst ihre Gesetzbücher und zogen sich nach
Narbata, einem jüdischen, sechzig Stadien von Caesarea
entfernten Orte zurück. Nun begaben sich Joannes und
zwölf der vornehmsten Juden nach Sebaste zu Florus,
drückten ihr Bedauern über das Vorgefallene aus und
baten ihn um seinen Beistand, indem sie ihn so neben-
bei an die acht Talente erinnerten. Er aber liess die
Abgeordneten ins Gefängnis werfen, weil sie — das
sollte ihr Vergehen sein — die Gesetzbücher aus Caesarea
mitgenommen hätten.
6. Diese Vorgänge versetzten die Bewohner Jerusalems
in gewaltige Erbitterung; doch hielten sie ihren Zorn
einstweilen noch zurück. Florus aber fachte, wie wenn
er sich dazu verdungen hätte, die Kriegsflamme absicht-
lich an. Er schickte nämlich nach dem Tempelschatz
und liess siebzehn Talente daraus entnehmen unter dem
Vorwand, der Caesar habe das Geld nötig. Darob all-
i Die hierin liegende Beleidigung ergiebt sich aus Mos. III, 14, 4:
Aussätzige hatten ein solches Opfer darzubringen , wenn sie rein
wurden. Die Juden sollten somit als aussätzig hingestellt werden
(vergl. hierzu: Josephus, Gegen Apion, I, 26 f. und J. A. 111,11,4).
Zweites Buch, 14. Kapitel.
239
gemeine Bestürzung im Volke: alsbald strömte es unter
durchdringendem Geschrei in den Tempel, rief den
Namen des Caesars an und flehte um Befreiung von der
Tyrannei des Florus. Einige aus der Menge stiessen
die ärgsten Schmähungen gegen letzteren aus, gingen
mit einem Gefäss umher und bettelten um Almosen
„für den armen, unglücklichen Florus“ Das alles aber,
weit entfernt, seiner Geldgier ein Ziel zu setzen, reizte
ihn nur noch zu weiteren Erpressungen. Anstatt näm-
lich nach Caesarea zu eilen, das dort ausbrechende
Kriegsfeuer zu löschen und die Ursache der Streitig-
keiten hinwegzuräumen, wofür er ja auch bezahlt worden
war, brach er mit Reiterei und Fussvolk nach Jerusalem
auf, um seinen Forderungen durch die Waffen der Römer
Nachdruck zu geben und die Stadt durch Drohungen in
Schrecken zu jagen.
7. Um seinen Groll im voraus zu beschwichtigen, ging
das Volk den Soldaten mit bewillkommnenden Zurufen
entgegen und traf Anstalten, auch Florus selbst aufs
ehrenvollste zu empfangen. Der aber schickte den
Centurio Capito mit fünfzig Reitern voraus und liess
ihnen befehlen, sich heimzuscheren. Sie brauchten jetzt
keine freundliche Gesinnung gegen den zu heucheln, den
sie früher so schändlich geschmäht hätten. Wenn sie
echte Männer seien und eine freimütige Sprache nicht
scheuten, so sollten sie ihn auch in seiner Gegenwart
verspotten und ihre Freiheitsliebe nicht nur mit Worten,
sondern auch mit den Waffen in der Hand beweisen.
Im selben Augenblick sprengten auch schon Capitos
Reiter in die Menge hinein, die nun vor lauter Schrecken
auseinanderstob , noch ehe sie Florus begrüsst und den
Soldaten ihre unterwürfige Gesinnung hatte begreiflich
machen können. Alles zog sich sodann in die Häuser
zurück und verbrachte die Nacht in Zittern und
Jagen.
8. Florus aber, der im Königspalast abgestiegen war,
liess sich am folgenden Tage vor demselben auf einem
Richterstuhl nieder, worauf die Hohepriester, die Grossen
240
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
und überhaupt der vornehmere Teil der Bürgerschaft
sich einfanden und vor dem Richterstuhl Aufstellung
nahmen. Er verlangte nun von ihnen die Auslieferung
derer, die ihn beschimpft hätten, und drohte ihnen, sie
selbst zur Strafe zu ziehen, wofern sie ihm die Schul-
digen nicht vorfuhrten. Sie dagegen wiesen auf die
friedliche Stimmung des Volkes hin und erbaten Ver-
zeihung für die, welche in ihren Reden zu weit gegangen.
Es sei nicht zu verwundern , wenn in einer so grossen
Menschenmenge auch einige Schreier und jugendlich un-
besonnene Leute sich fanden; unmöglich aber sei es, die
Schuldigen zu ermitteln, da alle ihren Sinn geändert
hätten und aus Furcht vor Strafe sich aufs Leugnen
verlegen würden. Florus möge daher dem Volke den
Frieden und den Römern die Stadt zu erhalten suchen
und deshalb lieber um der vielen Unschuldigen willen
den wenigen Schuldigen verzeihen, als wegen einiger
Böse wich ter den gutgesinnten grösseren Teil des Volkes
in Gefahr bringen.
9. Diese Vorstellungen entfachten jedoch erst recht
seinen Zorn, sodass er den Truppen zuschrie, sie sollten
den sogenannten oberen Markt plündern und jeden, der
ihnen in den Weg käme, niederstossen. Dieser Befehl
ihres Herrn kam den beutegierigen Soldaten sehr ge-
legen, und sie plünderten nun nicht bloss den ihnen
angewiesenen Stadtteil aus, sondern stürmten auch in
jedes beliebige Haus hinein und mordeten die Bewohner.
In den engen Gassen drängten sich die Fliehenden; wer
ergriffen wurde, konnte seines Todes gewiss se^n, und
keine Art von Räuberei gab es, die nicht verübt worden
wäre. Eine Menge friedliebender Bürger wurden fest-
genommen und zu Florus geschleppt, der sie schmählich
geissein und dann kreuzigen liess. Die Gesamtzahl der
an diesem einen Tage Umgekommenen einschliesslich
der Weiber und Kinder — denn nicht einmal die Un-
mündigen wurden verschont — belief sich auf etwa
dreitausendsechshundert. Was das Unglück aber noch
schwerer machte, war eine bis dahin bei den Römern
Go gle
jiN][vigsitf#f c aejföRMi,
Zweites Buch, 1 5. Kapitel.
241
unerhörte Grausamkeit ; denn Florus erkühnte sich, was
keiner seiner Vorgänger gewagt hatte, Männer von
ritterlichem Stande , die zwar ihrer Abstammung nach
Juden waren, aber eine römische Würde bekleideten,
vor dem Richterstuhl geissein und ans Kreuz schlagen
zu lassen. 1
Fünfzehntes Kapitel.
Berenikes Fürsprache zu gunsten der Juden.
Florus facht den kaum erloschenen Aufruhr wieder an.
1. Um diese Zeit war der König Agrippa nach
Alexandria gereist, um dem Alexander, 2 der von Nero
mit der Verwaltung Aegyptens betraut worden war,
hierzu Glück zu wünschen. Seine Schwester Berenike
aber war damals gerade in Jerusalem anwesend und
musste nun die Greuelthaten der Soldaten mit ansehen.
Von innigem Mitleid ergriffen, sandte sie zu wiederholten
Malen ihre Reiteroffiziere und Leibwächter zu Florus
mit der Bitte, er möge doch dem Morden Einhalt ge-
bieten. Aber weder die grosse Zahl der Getöteten noch
die edle Abkunft der Fürsprecherin vermochte ihn zu
zu rühren; er sah vielmehr nur auf den Gewinn, den
die Plünderungen ihm- eintrugen, und liess ihre Bitten
völlig unbeachtet. Ja, die Wut der Soldaten richtete
sich sogar gegen die Königin 3 selbst; denn nicht nur
marterten und töteten sie die Gefangenen vor Bere-
nikes Augen, sondern sie würden auch sie selbst ums
Leben gebracht haben, wenn sie sich nicht schleunigst
in den Königspalast geflüchtet hätte, wo sie aus Furoht
vor einem Überfall seitens der Soldaten die ganze Nacht
1 Die Kreuzigung als supplicium servile durfte gegen römische
Bürger und Ritter nicht angewendet werden.
2 Tiberius Alexander, dem ehemaligen Landpfleger von Judaea
(s. 11, 6 und 12, 1).
3 Sie war nämlich in erster Ehe mit dem König Herodes von
Chalkis, in zweiter mit dem König Polemon von Cilicien vermählt
gewesen (s. J. A. XX, 7, 3).
JoeephuB, Jüdischer Krieg. 1 G
242
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
unter dem Schutz einer Wache zubrachte. Der Zweck
ihres damaligen Aufenthaltes in Jerusalem war die Er-
füllung eines dem Herrn abgelegten Gelübdes. Es ist
nämlich Sitte, dass Juden, die von einer schweren Krank-
heit oder sonst einem Unglück heimgesucht worden sind,
dreissig Tage lang, bevor sie die Opfer darbringen, dem
Gebet obliegen, sich des Weines enthalten und ihr
Haupthaar scheren. In der Erfüllung eines solchen
Gelübdes begriffen, erschien Berenike damals barfuss als
Bittstellerin vor dem Richterstuhl des Florus, erfuhr
aber nicht nur eine unehrerbietige Behandlung, sondern
geriet auch obendrein noch in Lebensgefahr.
2. Das geschah am sechzehnten des Monats Arte-
misios. Am nächsten Tage strömte das Volk in grosser
Erregung auf dem oberen Markt zusammen und be-
jammerte unter lautem Klagegeschrei die Gemordeten,
während zugleich der Hass gegen Florus sich in argen
Verwünschungen Luft machte. Voll Besorgnis darüber
zerrissen die Vornehmen und die Hohepriester 1 ihre
Kleider, fielen einzelnen Männern aus dem Volke zu
Füssen und beschworen sie, inne zu halten und den
Florus nicht soweit zu reizen, dass er den bisherigen
Quälereien noch weitere Grausamkeiten hinzufüge. Als-
bald beruhigte sich denn auch die Menge, teils aus
Ehrfurcht vor den Bittenden, teils in der Hoffnung,
Florus werde nun keine Ungerechtigkeiten mehr be-
gehen.
3. Dem Landpfleger jedoch kam das Erlöschen des
Aufruhrs sehr ungelegen, und er sann daher auf Mittel,
ihn wieder anzufachen. In dieser Absicht beschied er
die Hohepriester sowie die angesehensten Bürger zu sich
und eröffnete ihnen, er könne nur dann überzeugt sein,
dass die Juden nicht mehr an Empörung dächten, wenn
sie den von Caesarea heranrückenden Truppen zur
Begrüssung entgegenzögen. Es waren nämlich zwei
1 Diesen Titel führten ausser dem amtierenden Hohepriester auch
dessen Stellvertreter sowie diejenigen Personen, welche früher ein-
mal die Würde bekleidet hatten.
Zweites Buch, 15. Kapitel.
243
Kohorten im Anmarsch. Während nun die Genannten das
Volk zusammenriefen , liess er durch vorausgeschickte
Boten den Centurionen der Kohorten sagen, sie sollten
ihren Leuten befehlen, die Begrüssung seitens der Juden
durch nichts zu erwidern und, wenn sie unwillige Reden
über ihn hörten , von ihren Waffen Gebrauch zu
machen. Mittlerweile hatten die Hohepriester das Volk
iin Tempel versammelt und es ermahnt, den Römern
ruhig entgegenzuziehen und, um ein Unglück zu ver-
hüten, die Kohorten freundlich zu empfangen. Davon
aber wollten die Empörungslustigen nichts wissen, und
was die grosse Masse betraf, so neigte sie unter dem
noch frischen Eindruck des Gemetzels sich bedenklich
auf die Seite der Tollkühnen.
4. In diesem kritischen Augenblick erschienen die
sämtlichen Priester und Diener Gottes, die heiligen
Geräte vor sich hertragend und mit dem Schmucke an-
gethan, den sie beim Gottesdienst zu tragen pflegten,
ferner die Kithara - Spieler und die Chorsänger mit ihren
Instrumenten, fielen nieder und flehten das Volk an,
ihnen doch den Besitz des heiligen Schmuckes zu sichern
und die Römer nicht zur Wegnahme der gottgeweihten
Kleinodien zu reizen. Die Hohepriester selbst sah man
das Haupt mit Asche bestreut und mit entblösster Brust,
da sie ihre Kleider zerrissen hatten. Sie beschworen
die einzelnen Vornehmen unter Nennung ihres Namens
und das Volk im ganzen, doch nicht durch Unterlassung
einer unbedeutenden Förmlichkeit ihre Vaterstadt denen
preiszugeben, die sie zu verwüsten trachteten. „Können
denn/* so frugen sie, „die Soldaten etwa einen besonderen
Vorteil von der Begrüssung haben , die ihr ihnen bieten
sollt? Oder wird vielleicht dadurch, dass ihr euch
weigert, ihnen entgegenzuziehen, das geschehene Unglück
ungeschehen gemacht? Empfanget also eurer Gewohn-
heit gemäss die Truppen recht freundlich; denn auf
diese Weise werdet ihr dem Florus jeden Anlass zum
Kriege nehmen, eure Vaterstadt vor dem Untergang
bewahren und euch vor weiteren Misshandlungen sichern.
244
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Ohnedem verrät es ja eine grosse Unbesonnenheit, wenn
ihr von den wenigen unruhigen Köpfen euch leiten
lasst, anstatt, wie es sich bei eurer grossen Anzahl
gehört, ihre Zustimmung zu euren Beschlüssen zu er-
zwingen“
5. Durch diese Worte beschwichtigten sie nicht nur
die Menge selbst, sondern sie brachten auch die Empörer
teils durch Drohungen, teils durch ihre ehrfurcht-
gebietende Haltung zum Schweigen. Ruhig und in
festlichem Schmuck zog nun das Volk den Soldaten
entgegen und begrüsste sie , als sie näher gekommen
waren. Da aber der Giuss nicht erwidert wurde, fingen
die Unruhigen an, über Florus zu schimpfen. Damit
war das Zeichen zum Losschlagen gegeben: im nu
hatten die Soldaten die Juden umzingelt und hieben
mit Knitteln auf sie ein, und wer sich zur Flucht
wandte, wurde von den Reitern verfolgt und von den
Hufen der Rosse zertreten. Viele erlagen den Schlägen
der Römer, aber noch weit grösser war die Zahl derer,
die von ihren eigenen Landsleuten zu Tode gedrückt
wurden. Fürchterlich war das Drängen an den Thoren:
jeder suchte vor dem anderen hereinzu kommen, wodurch
allen die Flucht erschwert wurde und die, welche zu
Boden stürzten, auf grauenvolle Weise umkamen. Er-
stickt nämlich und von der Menge derer, die auf sie
traten, zerquetscht, wurden sie so unkenntlich, dass nie-
mand mehr die Seinigen auch nur zum Zwecke des Be-
gräbnisses herauszufinden vermochte. Zugleich mit den
Fliehenden drangen auch die Soldaten in die Stadt ein,
unablässig auf alle losschlagend, die sie erreichen konnten,
und suchten das Volk in den Bezetha genannten Stadt-
teil zu treiben, um es so zur Seite zu drängen
und sich des Tempels und der Burg Antonia zu be-
mächtigen. In der nämlichen Absicht war auch Florus
mit seiner Streitmacht aus dem Königspalast herbeigeeilt
und suchte nun an die Festung heranzukommen. Der
Anschlag misslang indes, denn auf einmal wandte sich
das Volk, hielt dem Angriff stand und schoss, über die
Zweites Buch, 16. Kapitel.
245
Dächer verteilt, auf die Römer hinab. Da diesen aber
die aus der Höhe kommenden Geschosse arg zusetzten,
und sie übrigens auch zu schwach waren, um die in den
engen Gassen sich aufstauende Menschenmasse zu durch-
brechen, zogen sie sich in ihr Lager nahe beim Königs-
palast zurück.
6. Die Aufrührer konnten sich nun der Besorgnis
nicht erwehren, Florus möchte bei einem abermaligen
Angriff den Tempel von der Antonia aus in seine Ge-
walt bekommen. Sie eilten daher alsbald hinauf und
rissen die Säulenhallen nieder, welche den Tempel mit
der Burg verbanden. Das kühlte die Habsucht des
Florus ab : es hatte ihn nämlich nach den Gottesschätzen
gelüstet, und darum hatte er die Antonia zu erreichen
gesucht; nun aber die Hallen abgebrochen waren, ent-
hielt er sich des Angriffs. Er beschied sodann die Hohe-
priester samt dem Rate zu sich und erklärte ihnen, er
wolle die Stadt verlassen und ihnen eine Besatzung in
der Stärke, die sie wünschten, zurücklassen. Darauf
versprachen sie, für die Ruhe und Sicherheit der Stadt
einstehen zu wollen, wenn er ihnen eine einzige Kohorte
dalasse, jedoch nicht die, welche eben gekämpft habe;
denn über diese sei das Volk wegen der erlittenen Ver-
luste erbittert. Diesem Verlangen entsprechend, gab er
ihnen eine andere Kohorte und kehrte mit den übrigen
Truppen nach Caesarea zurück.
Sechzehntes Kapitel.
Cestius schickt den Neapolitanus zur Untersuchung der
letzten Vorgänge nach Jerusalem. Rede des Königs
Agrippa an die Juden.
1. Um nun dem Kriegsfeuer neuen Brennstoff zuzu-
führen, sandte Florus an Cestius einen Bericht, in welchem
er lügenhafterweise die Juden des Abfalls beschuldigte,
ihnen vorwarf, dass sie den Kampf angefangen, und
ihnen zur Last legte, das gethan zu haben, was sie viel-
246
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
mehr von den Römern erlitten hatten. Anderseits
schwiegen aber auch die obrigkeitlichen Personen in
Jerusalem nicht still, sondern schilderten gemeinschaft-
lich mit Berenike dem CestiuB in einem Schreiben das
aller Gerechtigkeit Hohn sprechende Verfahren deB Florus
gegen die Stadt. Als Cestius von den beiderseitigen
Berichten Kenntnis genommen hatte, beriet er sich mit
seinen Offizieren, was zu thun sei. Einige von diesen
waren der Meinung, Cestius solle mit einem Heere nach
Jerusalem auf brechen, um die Stadt für den Abfall zu
züchtigen, wenn ein solcher wirklich stattgefunden habe,
oder aber die Juden, falls sie treu geblieben, in dieser
Gesinnung zu bestärken. Ihm selbst indes schien es
geratener, zunächst einen seiner Freunde hinzusenden,
der den Stand der Dinge untersuchen und über die
Stimmung der Juden zuverlässigen Bericht erstatten
sollte. Mit dieser Aufgabe betraute er einen seiner
Tribunen, Neapolitanus, der bei Jamnia mit dem aus
Alexandria heimkehrenden König Agrippa zusammen-
traf und ihm den Namen seines Auftraggebers sowie den
Zweck seiner Sendung mitteilte.
2. Ebendaselbst fanden sich auch die Hohepriester
und. Vornehmen der Juden samt dem Rate ein, um dem
König ihre Aufwartung zu machen. Und nachdem sie
ihre Huldigung dargebracht, klagten sie ihre Not und
schilderten ausführlich die Grausamkeit des Florus. So
sehr nun Agrippa darüber in Unwillen geriet, liess er
doch mit berechnender Klugheit seinen Zorn gegen die
Juden aus, mit denen er innerlich Mitleid empfand. Es
lag nämlich in seiner Absicht, ihren Stolz zu demütigen
und sie durch die Meinung, als hätten sie ihre Leiden
selbst verschuldet, von Rachegedanken abzubringen. In
der That erkannten sie als gebildete und schon mit
Rücksicht auf ihren eigenen Besitz friedliebende Männer
sehr wohl, wie gut des Königs Vorwürfe gemeint waren.
Nun aber kam auch das niedere Volk von Jerusalem
Agrippa und Neapolitanus etwa sechzig Stadien weit
entgegengezogen, um sie zu begrüssen, allen voran unter
Go gle
Zweites Buch, 16 . Kapitel.
247
lauten Wehklagen die Weiber der Gemordeten. Alsbald
stimmte die gesamte Menge in deren Jammergeheul ein
und flehte Agrippa um seinen Beistand an; dem Neapo-
litanus aber klagten sie laut die vielen Misshandlungen,
die Florus ihnen zugefügt, und zeigten ihm wie dem
Könige nach dem Einzug in die Stadt den verödeten
Marktplatz und die zerstörten Häuser. Dann Hessen
sie durch Agrippa den Neapolitanus bereden, mit nur
einem Diener die ganze Stadt bis zur Siloaquelle zu
durchwandern, damit er sich überzeuge, dass die Juden
in allen anderen Stücken sich fügten und nur gegen
Florus wegen dessen m assloser Grausamkeit aufgebracht
seien. Als er nun die ganze Stadt begangen und hin-
reichende Beweise für die friedliche Gesinnung der
Bürger gefunden hatte, stieg er zum Tempel hinauf.
Dorthin liess er dann auch das Volk zusammenrufen,
erteilte ihm wegen seiner Treue gegen die Römer reiches
Lob, ermahnte es eindringlich zu friedlichem Verhalten
und kehrte, nachdem er, soweit ihm dies gestattet war,
dem Tempel Gottes seine Verehrung bezeugt hatte, zu
Cestius zurück.
8. Nach seiner Abreise wandten sich die Juden an
den König und die Hohepriester mit der Bitte, den
Florus durch eine Gesandtschaft bei Nero verklagen zu
lassen, weil nichts geeigneter sei, sie in den Verdacht
des Abfalls zu bringen, als wenn sie zu den vielen
Mordthaten Stillschweigen würden. Falls sie nämlich
den, der zuerst mit Waffengewalt vorgegangen sei, nicht
schleunigst namhaft machten, werde es den Anschein
gewinnen, als hätten sie selbst es gethan. Dass unter
diesen Umständen von Erhaltung der Ruhe beim Volk
nicht die Rede sein konnte, wenn die Gesandtschaft
unterblieb, war klar. Agrippa aber sah wohl ein, dass
er sich durch Zulassung der Anklage gegen Florus
Feindschaft zuziehen würde, und da er anderseits auch
von dem Wiederauflodern der Kriegsflamme unter den
Juden keinen Vorteil für sich erwarten konnte, berief
er das Volk nach dem durch eine Brücke mit dem Tempel
248
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
verbundenen Xystos 1 , stellte seine Schwester so neben
sich, dass sie von jedermann gesehen werden konnte,
und hielt vor dem Palast der Asamonäer, welcher
über dem Xystos an der Grenze der Oberstadt lag,
folgende Rede:
4. „Wenn ich sähe, dass ihr allesamt auf Krieg mit
den Römern drängtet, und nicht vielmehr überzeugt
wäre, dass der lauterste und edelste Teil des Volkes
entschlossen ist, Frieden zu halten, so würde ich nicht
vor euch hintreten und es wagen, euch meinen Rat anzu-
bieten. Denn überflüssig ist ja jedes Wort hinsichtlich
dessen, was man thun soll, wenn sämtliche Zuhörer sich
schon zum voraus auf einen verderblichen Entschluss
geeinigt haben. Da es sich aber hierbei entweder um
junge ungestüme Leute handelt, die des Krieges Drang-
sale noch nicht aus Erfahrung kennen, oder um solche,
die teils von unvernünftiger Hoffnung auf Freiheit ge-
trieben werden, teils auch von Habgier und der Er-
wartung, bei dem allgemeinen Wirrwarr die Schwächeren
ausbeuten zu können, so erachtete ich es für notwendig,
euch alle hier zu versammeln und zu sagen, was nach
meiner Ansicht am geeignetsten ist, einerseits jene Toll-
kühnen zur Ernüchterung und Umkehr zu bringen und
anderseits die Gutgesinnten davor zu bewahren, dass sie
von einigen Unbesonnenen ins Verderben gerissen werden.
Unterbreche mich aber niemand, wenn er etwas hört,
das ihm nicht gefällt. Denn wer den Aufruhr um jeden
Preis will, dem steht es ja frei, auch nach meiner Er-
mahnung bei seiner Gesinnung zu verharren; dagegen
geht, wenn nicht alle ruhig bleiben, mein Wort auch für
diejenigen verloren, die es gern hören möchten. — Ich
weiss, dass gar viele übertreiben, wenn es sich um Klagen
über die Ungerechtigkeit der Landpfleger oder um Lob-
reden auf die Freiheit handelt. Bevor ich nun erörtere,
was ihr selbst seid und was die sind, mit denen ihr
Krieg zu führen beabsichtigt, will ich zunächst die Ver-
1 Versammlungsplatz am äussersten Nordostende des Zion.
Go gle
Zweites Buch, 16. Kapitel.
249
wirrung, die in betreff der V orwände zum Kriege herrscht,
zu lösen suchen. Wenn ihr euch nämlich nur der Per-
sonen erwehren wollt, die euch drangsalieren, wozu preist
ihr dann die Freiheit? Kommt es euch aber überhaupt
unerträglich vor, dass ihr einen Herrn über euch habt,
so ist der Tadel gegen die Landpfleger ganz überflüssig ;
denn dieselben mögen noch so massvoll sein, die Unter-
würfigkeit bleibt doch nicht weniger schimpflich. Geht
ihr nun die einzelnen Punkte der Reihe nach durch,
wie geringfügig erscheint da die Veranlassung zum Kriegei
Was zunächt die Klagen über die Landpfleger angeht,
so muss man den Machthabern huldigen, nicht aber ihren
• Zorn erregen, und wenn ihr kleine Vergehen mit heftigen
Schimpfworten erwidert, so thut ihr das nur zu eurem
eignen Nachteil; denn nicht mehr insgeheim und mit
einer gewissen Scheu fügen sie euch Schaden zu,
sondern offen richten sie euch zu Grunde! Nichts ver-
mag den Schlägen so sicher Einhalt zu thun, als wenn
sie geduldig ertragen werden, und die ergebene Ruhe der
Misshandelten wandelt gar oft den grausamen Sinn der
Peiniger. Gesetzt aber auch, die von den Römern ge-
schickten Beamten seien unverbesserlich hart, so bedrücken
euch ja weder die Römer in ihrer Gesamtheit, noch der
Caesar, und diese sind es doch, gegen die ihr Krieg
führen wollt. Und wird auch einmal zufällig ein ruch-
loser Mensch als Landpfleger geschickt, so hat er doch
jedenfalls keinen Auftrag, sich nun auch ruchlos zu be-
nehmen. Übrigens kann man im Westen unmöglich
sehen, was hier im Osten vor sich geht, wie ja um-
gekehrt Nachrichten von uns nur schwer dorthin ge-
langen. Es ist daher widersinnig, um eines Mannes
willen viele, um kleiner Ursachen willen ein so mäch-
tiges Volk bekriegen zu wollen, das nicht einmal weiss,
worüber wir zu klagen haben. Immerhin muss doch
auch die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass
unseren Beschwerden einmal schnelle Abhilfe zu teil
würde; zunächst nämlich wird nicht ein und derselbe Land-
pfleger beständig bei uns bleiben, und dann ist es auch
Go gle
250
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sehr wahrscheinlich, dass als seine Nachfolger Männer
von milderer Sinnesart kommen werden. Ist aber der
Krieg einmal im Gange, so geht es nicht ohne grosse
Verluste ab, mag man ihn nun beendigen oder weiter-
führen wollen. — Um nun von der Freiheit zu reden,
so ist es jetzt nicht an der Zeit, nach ihr zu verlangen.
Früher hätte man darum kämpfen sollen, sie nicht zu
verlieren; denn der erste Druck der Knechtschaft ist
hart, und gerecht der Kampf gegen sie, wenn sie noch
erst droht. Wer aber, nachdem er einmal unterjocht ist,
wieder abfällt, ist ein eingebildeter Sklave und kein
freiheitliebender Mann. Ja , damals hätte man alles
auf bieten sollen, die Römer nicht hereinzulassen, als •
Pompejus zuerst das Land betrat. Damals vermochten
unsere Vorfahren und deren Könige, die an Geldmitteln,
Streitkräften und persönlichem Mut euch weit überlegen
waren, selbst einem kleinen Teil der römischen Heeres-
macht nicht standzuhalten; und ihr, die ihr die Knecht-
schaft gewissermassen als Erbteil empfangen habt und an
Hilfsmitteln euren Ahnen, die sich zuerst der römischen
Oberhoheit fügten, unendlich nachsteht, wollt jetzt gegen
das ganze grosse römische Reich euch auf lehnen? Schaut
auf die Athener: sie haben einst für die Freiheit Griechen-
lands ihre Stadt den Flammen preisgegeben, haben den
übermütigen Xerxes, der auf dem Lande zu Schiffe fuhr
und über das Meer zu Fuss ging, dessen Reich keine
Grenzen kannte und für dessen Heer Europa nicht Raum
genug bot, verfolgt, als er auf einem einzigen Schiffe
entfloh, und bei der kleinen Insel Salamis jene gewaltige
asiatische Macht gebrochen — und doch sind sie jetzt
den Römern unterthan, und die Stadt, die einst an der
Spitze Griechenlands stand, wird jetzt durch Befehle
regiert, die von Italien kommen. Die Lakedaemonier
ferner, die ihr Thermopylae, Plataeae und einen Agesilaos,
den Erschliesßer Asiens, hatten, mussten sich dieselben
Herren gefallen lassen. Und die Macedonier, die noch
immer von Philippos träumen und ihn sehen, wie er mit
Alexander die Keime eines Weltreiches ausstreute, fügen
Zweites Buch, 16. Kapitel.
251
sich dem Umschwung und huldigen den Machthabern,
denen das Glück sich zugewandt hat. Auch unzählige
andere Völkerschaften, die von noch höherem Freiheits-
drang beseelt sind, gehorchen dem Scepter der Römer.
Ihr allein erachtet es für eine Schande, denen unter-
worfen zu sein, die den Erdkreis in ihrer Gewalt haben.
Wo ist denn das Heer, wo sind die Waffen, die euch
dieses Selbstvertrauen einflössen? Und wo ist die Flotte,
die die Meere der Römer besetzen soll, wo sind die
Geldmittel, mit denen ihr eure Unternehmungen bestreiten
wollt? Meint ihr etwa, es seien Aegyptier oder Araber,
gegen die ihr das Schwert zu ziehen im Begriffe steht?
Bedenkt ihr denn nicht, was es heisst: das römische
Reich ? Habt ihr keinen Massstab für eure eigene
Schwäche? Wurde nicht euer Land schon oftmals von
den Nachbarvölkern unterjocht? Die Macht der Römer
dagegen beherrscht siegreich die Erde; ja selbst über
deren Grenzen hinaus dehnten sie ihr Reich aus. Denn
nicht genügte ihnen mehr der ganze Euphrat im Osten,
im Norden der Ister, 1 im Süden Libyen, das sie bis zur
Wüste durchzogen, undGadira 2 im Westen, sondern jen-
seits des Ocean suchten sie eine neue Welt, und ihre
Adler trugen sie bis zu den vormals unbekannten Bri-
tannen. Und ihr, seid ihr denn reicher als die Gallier,
tapferer als die Germanen, klüger als die Griechen und
zahlreicher als alle Völker des Erdkreises ? Was giebt
euch den Mut, gegen die Römer anzugehen ? Es ist eben,
werdet ihr sagen, etwas drückendes um die Knechtschaft.
Wie viel drückender aber muss sie den Griechen sein,
die für das edelste Volk unter der Sonne gelten und
ein so ausgedehntes Land bewohnen! Und doch ge-
horchen sie den sechs Stäben 3 der Römer ! Ebendasselbe
thun auch die Macedonier, die sicherlich mehr Recht
hätten als ihr, nach Unabhängigkeit zu streben. Und
1 Die heutige Donau.
3 Oder Gades (jetzt Cadiz) in Spanien.
3 Den Rutenbündeln (fasces) der Liktoren.
Go gle
252 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
nun vollends die fünfhundert Städte Asiens, huldigen
sie nicht dem einen Herrn und den Stäben der Konsuln,
und das ohne die geringste römische Besatzung? Nicht
reden will ich von den Heniochen und Kolchern und
dem Volke der Taurer, von den Anwohnern des Bos-
porus und den Stämmen am Pontus und am See
Maeotis , 1 die früher nicht einmal von einheimischen
Herrschern etwas wussten, jetzt aber von dreitausend
Schwerbewaffneten im Zaum gehalten werden, während
vierzig Kriegsschiffe in dem einst unfahrbaren, unge-
stümen Meere den Frieden schirmen. Mit wie grossem
Recht könnten Bithynien, Kappadocien und das pam-
phylische Volk, die Lykier und Cilicier Anspruch auf
Unabhängigkeit erheben — und doch zahlen sie ihre
Steuern, ohne durch Waffengewalt dazu gezwungen zu
sein. Die Thraker, die ein Land bewohnen fünf Tage-
reisen breit und sieben lang, ein Land, das viel rauher
und unzugänglicher ist als das eurige und durch seine
grimmige Kälte den Angreifer abschreckt — gehorchen
sie nicht einer Besatzung von zweitausend Römern ? Die
Illyrier ferner, deren Gebiet bis nach Dalmatien und an
den Ister sich erstreckt, fügen sie sich nicht der kleinen
Truppe von zwei Legionen, die ihnen dazu auch noch
die Angriffe der Daker abwehren hilft? Und die Dal-
mater, die so oft und so hartnäckig ihre Freiheit ver-
teidigten und nach jeder Niederlage immer wieder Kräfte
zu neuen Aufständen sammelten, wie ruhig leben sie
jetzt nicht unter einer einzigen Legion! Eher aber als
alle übrigen Völker konnten doch sicher die Gallier den
Abfall wagen, da ihr Land so starke natürliche Be-
festigungen aufzuweisen hat: im Osten die Alpen, im
Norden den Rheinstrom, im Süden das Pyrenaeische
Gebirge und im Westen den Ocean. Obwohl sie indes
durch solche Bollwerke geschützt sind, dreihundertund-
fünf Stämme zählen, sozusagen alle Quellen des Wohl-
standes in ihrem eigenen Lande besitzen und mit ihren
1 Dem heutigen Asowschen Meer.
Go gle
j ini \\/M s \if of c MsRmNi a
Zweites Buch, 16 . Kapitel.
253
Erzeugnissen fast die ganze Welt überschwemmen, lassen
sie es sich doch gefallen, den Römern tributpflichtig zu
sein, und finden nichts darin, dass dieselben über den
Reichtum ihres Landes nach Belieben verfügen. Und
das dulden sie nicht etwa, weil sie feige geworden oder
sonst aus der Art geschlagen sind, da sie ja achtzig
Jahre lang um ihre Unabhängigkeit gekämpft haben,
sondern nur aus Scheu vor der Macht der Römer und
deren Glück, dem sie ihre Erfolge noch mehr wie den
Waffen verdanken. So genügt denn ein Häuflein von
zwölfhundert Soldaten, um sie in Schranken zu halten,
während sie fast mehr Städte in ihrem Lande haben.
Weiter: den Iberern verhalf in ihrem Freiheitskampf
weder das aus dem heimatlichen Boden gegrabene Gold
zum Siege, noch die ungeheure Entfernung von den
Römern zu Lande wie zu Wasser, noch die Kriegslust
der Lusitaner und Kantabrer, noch der nahe Ocean mit
seiner selbst den Eingeborenen furchtbaren Brandung.
Denn über die Säulen des Herakles 1 hinaus drangen
die Heere der Römer vor, bahnten sich auf den Höhen
der Pyrenäen einen Weg durch die Wolken und unter-
warfen sich auch diese weit entlegenen und schwer zu
bekämpfenden Völkerschaften, die nun von einer einzigen
Legion in Ruhe gehalten werden. Wer unter euch hat
nicht schon von dem zahlreichen Volke der Germanen
gehört? Ihre Stärke und Grösse habt ihr wohl schon
oft Gelegenheit gehabt zu sehen, da ja die Römer überall
Angehörige dieser Nation als Kriegsgefangene haben.
Sie bewohnen ein ungeheures Gebiet, und noch grösser
als ihre Körperkraft ist ihr Stolz. Einen Mut besitzen
sie, der den Tod verachtet, und eine Gemütsart, die hef-
tiger ist als die der wildesten Tiere. Und doch ist der
Rhein jetzt die Grenzlinie ihrer Angriffe; von acht
römischen Legionen bezwungen, werden sie als Gefangene
zu Sklavendiensten verwendet, und die Masse des Volkes
sucht ihr Heil in der Flucht Schaut auch auf die
1 Kalpe und Abyla, das heutige Gibraltar.
Go gle
254
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Mauer der Britannen, ihr, die ihr eure Hoffnung auf die
Mauern Jerusalems setzt! Sie sind von den Fluten
des Oceans geschützt und bewohnen eine Insel, die nicht
kleiner ist als unser Land. Die Römer aber fuhren zu
Schiffe hin und unteijocbten sie, und seitdem bilden vier
Legionen die Besatzung der Insel. Doch was bedarf
es noch vieler Worte, da ja selbst die überaus kriege-
rischen Parther, die über eine ganze Reihe von Völker-
schaften gebieten und ungeheure Streitkräfte besitzen,
den Römern Geiseln schicken und man in Italien den
Adel des Orients mit verhaltenem Grimm Sklavendienste
thun sieht. Es beugen sich also fast sämtliche Völker
des Erdkreises vor den Waffen der Römer; und da
wollt ihr allein Krieg mit ihnen führen, ohne das Ende
der Karthager zu bedenken, die sich des grossen Han-
nibal und ihrer edlen Abkunft von den Phoeniciern
rühmen konnten, gleichwohl aber dem starken Arme
Scipios erlagen? Weder die Kyrenäer, in deren Adern
lakedaemonisches Blut floss, noch die Marmariden, die
bis weit in die wasserlose Wüste hinein wohnen, noch
die Syrten, Nasamonen und Mauren, deren Namen allein
schon Schrecken erregen, noch die zahllosen Horden
der Nomaden 1 vermochten der Tapferkeit der Römer
Widerstand zu leisten. So haben sie sich denn auch
den ganzen dritten Erdteil , 2 dessen Völkerstämme nicht
einmal leicht aufzuzählen sind, der vom Atlantischen
Ocean und den Säulen des Herakles begrenzt ist und
bis zum Roten Meere hin die zahllosen Aethiopen beher-
bergt, unterworfen. Abgesehen davon, dass diese Völker-
schaften jährlich eine Getreidemenge zu liefern haben,
von der die Bevölkerung Roms acht Monate lang sich
nährt, entrichten sie auch noch eine ganze Reihe weiterer
Abgaben und steuern zu den Bedürfnissen des Reiches
bereitwillig bei, ohne eine der Auflagen für entehrend
zu halten wie ihr, obgleich nur eine einzige Legion bei
1 D. i Numider.
* Die Alten kannten nur drei Erdteile: Europa, fAsien, Afrika.
Zweites Buch, 16. Kapitel.
255
ihnen eich auf hält. Wozu aber brauche ich euch an
Beispielen aus der Ferne die Macht der Römer zu zeigen,
da doch von ihr das nahe Aegypten Zeugnis giebt, das
sich bis zu den Aethiopen und dem glücklichen Arabien
erstreckt, an Indien grenzt und nach Ausweis der Kopf-
steuer ungerechnet die Bewohner Alexandrias eine Be-
völkerung von siebeneinhalb Millionen Menschen hat,
gleichwohl aber sich nicht schämt, unter der Oberhoheit
der Römer zu stehen. Und doch, welch starken Stütz-
punkt für eine Aufstandsbewegung böte ihm die Stadt
Alexandria wegen ihrer zahlreichen Bevölkerung, ihres
Reichtums und ihrer ungeheuren Grösse. Denn die
Stadt ist dreissig Stadien lang und nicht weniger als
zehn Stadien breit; in einem Monat zahlt sie den Römern
mehr Tribut wie ihr im ganzen Jahr, und ausserdem
versieht sie auch noch Rom auf die Dauer von vier
Monaten mit Getreide. Geschützt aber ist sie von allen
Seiten, sei es durch unzugängliches Wüstenland, sei es
durch hafenlose Meere, sei es durch Flüsse oder Sümpfe,
Aber alles dies vermochte nichts gegen das Glück der
Römer, und so halten heute zwei Legionen das weit aus-
gedehnte Aegypten und den macedonischen Adel im
Zaume. Wo wollt ihr also, da auf der Erde alles römisch
ist, eure Bundesgenossen zum Kriege gegen die Römer
hernehmen? Etwa aus der unbewohnten Wüste? Es
liegt ja allerdings auch noch die Möglichkeit vor, dass
den einen oder anderen von euch seine Gedanken über
den Euphrat trügen und ihn Hilfe von seiten unserer
Glaubensgenossen in Adiabene 1 erwarten Hessen. Aber
sie werden sich in Ermangelung eines triftigen Grundes
nicht in einen solchen Krieg verwickeln wollen, und
wenn sie auch den verderblichen Entschluss fassten,
würden die Parther ihn wohl nicht zur Ausführung
kommen lassen; denn diese haben das grösste Interesse
an der Aufrechterhaltung des mit den Römern ge-
schlossenen Waffenstillstandes, und sie würden den Ver-
1 Vergl. J. A. XX, 2.
Go gle
256
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
trag zu verletzen glauben, wenn einer ihrer Unterthanen
gegen die Römer zu Felde zöge. So bliebe denn also
nichts übrig, als sich auf Gottes Hilfe zu verlassen.
Aber auch er steht auf seiten der Römer; denn ohne
Gott wäre es ihnen unmöglich gewesen, ein solches Reich
zu errichten. Bedenket ferner, wie schwer es euch fallen
würde, im Kampfe selbst mit schwächeren Feinden euren
Gottesdienst genau nach Vorschrift zu halten. Gebote,
deren Erfüllung euch in erster Linie den Beistand Gottes
sichert, würdet ihr alsdann notgedrungen übertreten und
euch dadurch sein Missfallen zuziehen. Wenn ihr näm-
lich den Sabbat heilig halten wollt und euch zu keiner
Arbeit bewegen lasst, so werdet ihr leicht unterliegen,
wie eure Vorfahren deshalb von Pompejus überwältigt
wurden, weil dieser die Belagerung vornehmlich an solchen
Tagen eifrig betrieb, an denen die Belagerten feiern
mussten. Übertretet ihr aber im Kriege das Gesetz
eurer Väter, so weiss ich nicht, um was ihr eigentlich
noch kämpfen wollt. Denn das soll ja gerade einzig
und allein euer Streben sein , dass ihre eure väterlichen
Gesetze vor dem Verfall bewahrt. Wie könnt ihr nun
aber Gottes Beistand erflehen, wenn ihr mit Vorbedacht
6eine Verehrung ausser acht lasst? Einen Krieg beginnt
man stets im Vertrauen auf göttliche oder auf mensch-
liche Hilfe; kann aber der Kämpfende weder auf die
eine noch auf die andere rechnen, so ist er selbstver-
ständlich dem Untergang verfallen. Was hindert euch
übrigens, jetzt gleich eure Weiber und Kinder eigen-
händig zu morden und diese unsere herrliche Vaterstadt
in Brand zu stecken? Ihr handelt dann freilich wie
Wahnsinnige, aber ihr werdet euch doch die Schmach
einer Niederlage ersparen. Es ist wohlgethan, meine
Freunde, sehr wohlgethan, so lange das Schiff noch im
Hafen liegt, nach dem kommenden Sturm auszuschauen,
anstatt mitten ins Unwetter hineinzufahren und so dem
Untergang entgegenzutreiben. Denn wen ein unvorher-
gesehenes Unglück trifft, dem bleibt doch wenigstens
noch der Trost des Mitleids; wer aber dem offenen
Zweites Buch, 16. Kapitel.
257
Verderben eich in die Arme wirft, den treffen obendrein
auch noch Vorwürfe. Es wird doeh wohl niemand
glauben, die Römer würden auf Bedingungen hin Krieg
führen und, wenn sie euch besiegt haben, Milde walten
lassen. Nein, sie werden vielmehr zur Warnung für
andere Völker die heilige Stadt in Asche legen und euer
ganzes Geschlecht ausrotten. Denn selbst deijenige von
euch, dem es gelingen wird, dem Blutbad zu entrinnen,
wird nirgends eine Zufluchtsstätte finden, da alle Völker
entweder schon Unterthanen der Römer sind, oder fürchten
müssen, es zu werden. Ferner wird die Gefahr nicht nur
euch hier in Jerusalem treffen, sondern auch die jüdischen
Bewohner anderer Städte; giebt es doch kein Volk auf
Erden, unter dem nicht eine Anzahl eurer Stammes-
genossen lebte. Sie alle wird der Feind um eurer Em-
pörung willen hinschlachten, und infolge des unheilvollen
Rates einiger wenigen wird in jeder Stadt jüdisches Blut
in Strömen fliessen ; wer es aber vergiesst, wird straflos
bleiben. Gesetzt indes den Fall , man würde euer
schonen — wäre es da, bedenkt das wohl, nicht im
höc'hsten Grade freventlich von euch gehandelt, wenn
ihr gegen ein so menschlich gesinntes Volk die Waffen
ergreifen würdet? Erbarmt euch also wenn nicht eurer
Weiber und Kinder, so doch dieser eurer Hauptstadt
und der heiligen Hallen ! §chonet diese geweihte Stätte,
erhaltet euch den Tempel mit seinen Heiligtümern !
Denn auch diese werden die siegreichen Römer nicht
unangetastet lassen, wenn man ihnen für die frühere
Schonung derselben so wenig Dank gewusst hat. Ich
aber rufe alles, was euch heilig ist, die Engel Gottes
und unser gemeinsames Vaterland zu Zeugen an, dass
ich nichts, was zu eurem Heile dient, unterlassen habe.
Wenn ihr nun einen vernünftigen Entschluss fasst,
werdet ihr wie ich in Frieden leben ; lasst ihr euch aber
von eurem Ungestüm fortreissen, so mögt ihr allein ohne
mich der Gefahr entgegenrennen.“
5. Nach diesen Worten brachen der König und seine
Schwester in Thränen aus, wodurch es ihnen gelang, die
Josephus, Jüdischer Erleg. 17
258
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
aufwallende Volksleidenschaft grösstenteils zurückzu-
drängen. Laut riefen nun die versammelten Juden,
nicht die Römer seien es, gegen die sie Krieg führen
wollten, sondern Florus, ihr Bedränger. Agrippa aber
entgegnete ihnen: „Nach euren Thaten zu schliessen, seid
ihr doch schon im Kriege mit den Römern begriffen;
denn ihr habt dem Caesar die Abgaben nicht entrichtet
und die Hallen der Antonir k niedergerissen. Den Vor-
wurf des Aufruhrs könnt ihr also nur dadurch von euch
abwälzen, dass ihr die Hallen wieder auf baut und die
Steuern bezahlt. Dem Florus aber gehört die Burg
nicht, und ebensowenig ist er es, dem ihr das Geld
entrichten sollt.“
Siebzehntes Kapitel.
Die Juden beginnen den Krieg gegen die Römer.
Der Schriftgelehrte Manai'm.
1. Hierdurch liess sich das Volk beruhigen, und
alles eilte nun mit Berenike und dem König nach dem
Tempel hinauf, um die Hallen wieder aufzubauen. Die
Vorsteher aber und die Mitglieder des Rates verteilten
sich auf die Dörfer und holten den Tribut ein, der denn
auch bald in Höhe von vierzig Talenten — so viel war
noch im Rückstand — beisammen war. So wusste
Agrippa den drohenden Krieg noch aufzuhalten. Als
er aber den Versuch machte, das Volk auch zum Ge-
horsam gegen Florus zu bewegen, bis der Caesar einen
anderen Landpfleger senden würde, geriet die Menge in
Erbitterung, beschimpfte den König und liess ihm durch
einen Herold sagen, er solle die Stadt verlassen; ja,
einzelne der Aufrührer erfrechten sich sogar, mit Steinen
nach ihm zu werfen. Da freilich musste Agrippa sich
sagen, dass die Leidenschaft der Empörer nicht mehr
zu bändigen sei. Er schickte nun die Vorsteher samt
den angesehensten Juden nach Caesarea zu Florus, da-
mit dieser aus ihrer Mitte die Steuereinnehmer für das
Zweites Buch, 17. Kapitel.
259
Land ernenne, und kehrte selbst voll Unwillen über
die ihm widerfahrene Beschimpfung in sein Königreich
zurück.
2. Unterdessen hatte sich eine [Anzahl derjenigen
Juden, die um jeden Preis den Krieg wollten, zusammen-
geschart und war gegen eine Festung mit Namen
Masada aufgebrochen. Dort überrumpelten sie die
römische Besatzung des Platzes, machten sie nieder und
legten eine Abteilung ihrer eigenen Leute hinein. # Dra
dieselbe Zeit geschah es, dass des Hohepriesters Ananias
Sohn Eleazar, ein äusserst verwegener junger Mann, der
damals die Tempel wache befehligte, an die dienst-
thuenden Priester die Aufforderung richtete, keine Gaben
oder Opfer mehr von Nichtjuden anzunehmen. Das war
der| eigentliche Anfang des Krieges gegen die Römer;
denn es lag hierin eine Zurückweisung des Opfers für
die letzteren und den Caesar. So eindringlich nun auch
die Hohepriester und die einflussreichsten Männer den
Widerspenstigen zuredeten, die herkömmlichen Opfer für
die römische Obrigkeit nicht zu unterlassen, waren die-
selben doch nicht zur Nachgiebigkeit zu bewegen, ein-
mal weil sie sich auf die grosse Zahl ihrer Anhänger
verliessen, zu denen die rüstigsten der Empörer gehörten,
dann aber auch und zwar vorzugsweise im Vertrauen
auf Eleazar als den Befehlshaber der Tempel wache.
3. Es traten nun die Vornehmen mit den Hohe-
priestern und den angesehensten Pharisäern zusammen,
um sich angesichts des drohenden Unheils über die
Lage der Dinge zu beraten. Man beschloss, es mit einer
Ansprache an die Empörungslustigen zu versuchen, und
berief das Volk zu einer Versammlung an das eherne
Thor, welches im inneren Tempelraum gegen Sonnen-
aufgang lag. Nachdem hierauf die Redner mit heftigen
Worten dargethan hatten, wie tollkühn es sei, an Ab-
fall denken und das Vaterland in einen so schreck-
lichen Krieg stürzen zu wollen, suchten sie die Nichtig-
keit der Vorwände zum Kriege zu beweisen und führten
dann weiter aus, wie ihre Vorfahren das Tempelgebäude
17 *
Go gle
260
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
reichlich mit den von Ausländern gestifteten Geschenken
verziert und stets die Gaben fremder Völker angenommen
hätten. Auch hätten sie nicht nur niemand an der
Darbringung von Opfern gehindert — denn das sei im
höchsten Grade verwerflich — , sondern auch die Weih-
geschenke, die man jetzt noch nach so langer Zeit im
Inneren des Tempels sehen könne, dort aufgestellt. Sie
aber, die Nachkommen, wollten jetzt, nur um die Römer
zum Kampf herauszufordem und mit ihnen anzubinden,
Neuerungen bezüglich des Gottesdienstes von Ausländern
einführen, bedächten aber nicht, dass sie, ganz abgesehen
von dem Gefährlichen ihres Beginnens, der Stadt auch
noch den Ruf der Gottlosigkeit zuzögen, wenn bei den
Juden allein ein Fremder weder opfern noch anbeten
dürfe. Treffe jemand eine derartige Bestimmung einem
Privatmann gegenüber, so würden sie das wohl als einen
gewissermassen zum Gesetz erhobenen Verstoss gegen
das Gebot der Menschenliebe ansehen und darüber in
Aufregung geraten; jetzt aber, da es sich um Aus-
schliessung der Römer und des Caesars von den Opfern
handle, fänden sie nichts Unrechtes darin. Es stehe
indes zu befürchten, dass infolge der Zurückweisung
dieser Opfer gar bald auch ihre eigenen Opferhandlungen
unmöglich gemacht und der Stadt der Rechtsschutz des
Reiches entzogen würde, wenn sie sich nicht schleunigst
eines besseren besännen, die Opfer darbrächten und die
Beleidigung wieder gut machten, bevor sie den Be-
leidigten zu Ohren gekommen sei.
4. Während dieser Ansprache hatte man Priester
herbeigeholt, die in den alten Gebräuchen besonders
Bescheid wussten und nun auseinandersetzten, wie die
Vorfahren jederzeit Opfer von Ausländern angenommen
hätten. Darauf aber achtete niemand von den Auf-
ständischen, und was die dienstthuenden Priester betraf,
die jene den Krieg herauf beschwörende Mässregel durch-
gesetzt hatten, so waren sie noch nicht einmal in der
Versammlung erschienen. Da nun die Vornehmen
merkten, dass die aufrührerische Bewegung ihnen bereits
Zweites Buch, 17. Kapitel.
261
über den Kopf gewachsen war, suchten sie in der Be-
sorgnis, die Römer möchten ihren Zorn zuerst an ihnen
selbst auslassen, jede Schuld von sich abzuwälzen. Sie
schickten deshalb sowohl an Florus als an Agrippa Ge-
sandte, von denen die ersteren einen gewissen Simon,
den Sohn des Ananias, zum Führer hatten, während
unter den letzteren hervorragende Männer aus der Ver-
wandtschaft des Königs, wie Saulus, Antipas und Kosto-
bar, sich befanden. Die Gesandtschaften sollten darum
bitten, dass Florus und Agrippa mit Heeresmacht gegen
Jerusalem ziehen und den Aufruhr dämpfen möchten,
bevor es zu spät sei. Für Florus konnte es natürlich
nichts angenehmeres geben, als die Nachricht von den
Unruhen, und so liess er in der Absicht, den Krieg zum
Ausbruch zu bringen, die Gesandten einfach ohne jede
Antwort. Agrippa aber, dem die Aufständischen nicht
minder am Herzen lagen als die, gegen welche sie
Krieg führen wollten, und der einerseits den Römern die
Juden, anderseits den Juden ihren Tempel und ihre
Hauptstadt zu erhalten bestrebt war, sah wohl ein,
dass die Empörung auch ihm keinen Vorteil bringen
könne, und schickte deshalb dreitausend Reiter aus
Auranitis, Batanaea und Trachonitis unter Anführung
des Obersten Darius und des Unterbefehlshabers Phi-
lippus, Sohnes des Jakim, dem Volk zu Hilfe.
5. Dadurch ermutigt, besetzten die Vornehmen mit
den Hohepriestern und dem friedliebenden Teil des
Volkes die obere Stadt; 1 denn die untere sowie der
Tempelbezirk befanden sich in den Händen der Empörer.
Unablässig wurden nun teils mit der Hand, teils mit
der Schleuder Steine geworfen sowie eine Menge Pfeil-
schüsse gewechselt Ab und zu machten auch einzelne
Rotten Ausfälle und bekämpften sich aus der Nähe,
wobei die Aufständischen an Kühnheit, die Königlichen
an Kriegserfahrung sich überlegen zeigten. Letztere
trachteten hauptsächlich danach, in den Besitz des
1 S. Spiess, Jerusalem des Josephus, Seite 16fF.
262
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Tempels zu gelangen, um die, welche das Heiligtum
entweihten, daraus zu vertreiben; die Empörer unter
Eleazar dagegen bemühten sich , ausser den Stadt-
teilen, die sie bereits innehatten, auch noch die
obere Stadt in ihre Gewalt zu bekommen. Sieben
Tage lang floss hüben wie drüben viel Blut, ohne
dass eine der beiden Parteien aus ihrer Stellung ge-
wichen wäre.
6. Am achten Tage, dem Feste des Holztragens, an
welchem jedermann dem Brauche gemäss Holz für den
Altar herbeizubringen pflegt, damit dem Feuer, das
immerfort brennen soll, 1 die Nahrung nicht fehle,
schlossen die Anhänger Eleazars ihre Gegner vom
Gottesdienst aus. Da sich übrigens zugleich mit dem
unbewaffneten Volk auch viele Sikarier — wie man
die Banditen mit Dolchen im Gewände nennt — in den
Tempel eingeschlichen hatten, nahmen sie mit deren
Hilfe ihre Angriffe alsbald in verstärktem Masse wieder
auf und drängten die Königlichen, die ihnen an Zahl
und Entschlossenheit nachstanden, in kräftigem Ansturm
aus der oberen Stadt hinaus, die sie nun selbst besetzten.
Hierauf steckten sie das Haus des Hohepriesters Ana-
nias sowie die Paläste des Agrippa und der Berenike
in Brand und trugen das Feuer dann auch nach dem
städtischen Archiv, um so rasch wie möglich die Schuld-
urkunden zu vernichten und die Eintreibung der Aus-
stände unmöglich zu machen. Dadurch zogen sie die
grosse Menge derer, denen die Vernichtung der Urkunden
zugute kam, auf ihre Seite und .wiegelten so die Besitz-
losen gegen die Vermögenden auf. Die Anlegung des
Feuers war ihnen übrigens so leicht gelungen, weil die
Archivwache sich geflüchtet hatte. Nachdem sie auf
diese Weise den Nerv der Stadt vernichtet hatten, zogen
sie gegen die Feinde selbst los. Ein Teil der Vornehmen
und der Hohepriester verbargen sich in den unterirdischen
Gängen, während die anderen samt den königlichen
Mos. III, 6, 12.
Zweites Buch, 17. Kapitel.
263
Truppen sich in den oberen Palast 1 zurückzogen, dessen
Thore sie eiligst hinter sich schlossen. Unter den
letzteren befanden sich der Hohepriester Ananias, sein
Bruder Ezekias und die Mitglieder der an Agrippa ge-
schickten Gesandtschaft. Vorläufig Hessen nun die
Aufständischen, zufrieden mit ihrem Sieg und der
Wirkung der Feuersbrünste, eine kleine Pause ein-
treten.
7. Tags darauf aber, am fünfzehnten des Monats
Loos, griffen sie die Antonia an, und nachdem sie die-
selbe zwei Tage lang belagert hatten , machten sie die
Besatzung nieder und steckten das Kastell in Brand. 2
Hierauf rückten sie vor den Palast, in welchen die
Königlichen sich geflüchtet hatten, teilten sich in vier
Haufen und suchten die Mauer zu durchbrechen. An-
gesichts der überaus zahlreichen Angreifer wagten die
Eingeschlossenen keinen Ausfall, sondern verteilten sich auf
den Brustwehren und Türmen, beschossen ihre Gegner
und töteten eine Menge Banditen unter den Mauern. Bei
Tage wie bei Nacht kämpfte man ohne Unterlass, die
Empörer in der Hoffnung, die Besatzung aushungern zu
können, die Königlichen hingegen in der Meinung, die
Belagerer würden schliesslich vor Anstrengung ermatten.
8. Unterdessen machte sich ein gewisser Mana'im, ein
Sohn jenes streitbaren Schriftgelehrten Judas aus Gali-
laea, der einst unter Quirin ius es den Juden zum Vor-
wurf gemacht hatte, dass sie ausser Gott auch noch die
Römer als Herren anerkännten, 3 mit einigen seiner Ver-
trauten nach Masada auf, 4 erbrach hier das Zeughaus
i D. h. den in der oberen Stadt gelegenen Königspalast des
Herodes, in dessen Nähe sich nach II, 15, 5 ein römisches Truppen-
lager befand. Letzteres muss übrigens in engster Verbindung mit
dem Palast gestanden haben , da seine Besatzung , wie wir gleich
unten (17, 8) erfahren, mit den Juden belagert wurde.
8 Das aber wohl nur teilweise eingeäschert wurde, da es einige
Zeit später dem Titus starken Widerstand leistete.
3 S. II, 8, 1.
4 Das sich übrigens nach 17, 2 bereits in den Händen der Em-
pörer befand.
Go gle
264
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
des Königs Herodes, bewaffnete ausser seinen Lands-
leuten auch noch fremde Räuber und kehrte mit dieser
Rotte als seiner Leibwache wie ein König nach Jeru-
salem zurück, wo er sich an die Spitze der Empörer
stellte und die Leitung der Belagerung übernahm. Es
fehlte indes an Maschinen, und offen die Mauer zu
untergraben war wegen des Geschosshagels von oben
nicht möglich. Die Belagerer gruben daher von einer
entfernten Stelle aus auf einen der Türme hin einen
unterirdischen Gang, sicherten ihn durch ein Holzgerüst
vor dem Zusammenfallen, zündeten dann das Gerüst an
und traten heraus. Sowie nun die Holzstützen verbrannt
waren, stürzte der Turm augenblicklich ein. Jetzt aber
zeigte sich nach innen zu eine zweite Mauer, die der
äusseren gegenüber errichtet war. Die Belagerten hatten
nämlich den Anschlag ihrer Feinde bemerkt — vielleicht
weil der Turm, als er untergraben wurde, ins Schwanken
geriet — und sich ein zweites Bollwerk hergestellt. Von
diesem unerwarteten Anblick waren die Belagerer, die
ihres Sieges schon sicher zu sein glaubten, aufs höchste
betroffen. Auf einmal aber sandten die Eingeschlossenen
zu Manaim und den Häuptern des Aufstandes und
baten um freien Abzug, der denn auch den Königlichen
und Einheimischen bewilligt wurde. Nachdem letztere
nun wirklich abgezogen waren, bemächtigte sich der
allein zurückgebliebenen Römer gewaltige Bestürzung, da
sie gegen eine so grosse Überzahl nichts auszurichten
vermochten ; um gütlichen Vergleich zu bitten aber
hielten sie für schmachvoll, ganz abgesehen davon, dass
sie nicht sicher sein konnten, ob man das gegebene
Wort auch halten würde. Sie verliessen daher ihr Lager,
das leicht zu erstürmen war, und flohen nach den könig-
lichen 1 Türmen Hippikus, Phasael und Mariamne.
Manaims Leute drangen nun in das verlassene Lager
ein, machten alle, die noch nicht daraus entkommen
waren, nieder und steckten es, nachdem sie sich des Ge-
1 D. li. von Herodes dem König erbauten.
Zweites Buch, 17. Kapitel.
265
päckes bemächtigt hatten, in Brand. Das geschah am
sechsten des Monats Gorpiaios.
9. Am folgenden Tage wurde der Hohepriester Ana-
nias aus der Wasserleitung des Königspalastes, wo er
sich verborgen hatte, hervorgeholt und mit seinem Bruder
Ezekias von den Banditen umgebracht Die Auf-
ständischen aber bewachten die Türme, damit kein Mann
von der Besatzung derselben entweiche. Die Zerstörung
der Befestigungen und der Tod des Hohepriesters Ana-
nias trieb übrigens Manaim zu unsinniger Grausamkeit*
und in dem Wahne, nun keinen Nebenbuhler in der
Herrschaft mehr zu haben, ward er ein unerträglicher
Tyrann. Eleazars Anhänger erhoben sich deshalb wider
ihn, indem sie sich untereinander etwa folgendermassen
aussprachen: Nachdem man aus Sehnsucht nach Frei-
heit sich gegen die Römer aufgelehnt habe, dürfe man
dieselbe jetzt nicht an einen Landsmann verlieren und 1
sich die Tyrannei eines Menschen gefallen lassen, der,
wenn er auch keine Gewalttaten verübe, doch weit
unter ihnen stehe. Trete aber wirklich die Notwendig-
keit ein, an die Spitze der Verwaltung einen einzelnen
Mann zu berufen, so komme diese Würde jedem anderen
eher als Manaim zu. Mit vereinten Kräften griffen sie
ihn sodann im Tempel an, wohin er in prunkvollem
Aufzug, angethan mit königlichem Gewände und gefolgt
von einer Menge bewaffneter Anhänger, zur Verrichtung
seiner Andacht sich begeben hatte. Als nun Eleazars
Leute auf ihn eindrangen, beteiligte sich auch das
übrige Volk an dem Angriff, raffte Steine zusammen
und bewarf den Schriftgelehrten in der Meinung, wenn
nur dieser erst aus dem Wege geräumt sei, werde der
ganze Aufruhr ein Ende nehmen. Manaim und seine
Leute hielten eine Zeitlang stand; als sie aber das
gesamte Volk auf sich losstürmen sahen, floh jeder,
wohin er konnte. Wer den Gegnern in die Hände fiel,
wurde niedergemacht, und die Versteckten spürte man
alsbald auf. Nur wenigen gelang es, unbemerkt nach
Masada zu entkommen; unter diesen befand sich auch
Go gle
266
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ein Verwandter Manalms, Eleazar, Sohn dej Jairus
und nachmaliger Tyrann von Masada. 1 Manaim selbst,
der nach dem sogenannten Ophla 2 geflohen war und sich
dort feige verkrochen hatte , wurde kurz darauf ans
Licht gezogen und unter schrecklichen Martern ums
Leben gebracht, ebenso auch seine Unterbefehlshaber
und das schlimmste Werkzeug seiner Tyrannei, Ab-
salom.
10. Das Volk hatte, wie bereits bemerkt, bei diesem
Vorgehen in der Hoffnung mitgewirkt, den ganzen Auf-
stand dadurch vielleicht beendigen zu können ; die
anderen 3 hingegen verfolgten, indem sieManai'm stürzten,
durchaus nicht den Zweck, den kriegerischen Unruhen
ein Ziel zu setzen, sondern dachten dieselben nur noch
eifriger zu schüren. Und obwohl das Volk sie dringend
ersuchte, von der ferneren Belagerung der Soldaten Ab-
stand zu nehmen , setzten sie den Römern nur um so
ärger zu, bis endlich Metilius — so hiess der römische
Befehlshaber — und seine Leute nicht länger Wider-
stand zu leisten vermochten und daher an Eleazar die
Bitte um eidliche Zusicherung freien Abzugs richten
Hessen, wogegen sie ihre Waffen und ihre sonstige Habe
auszuliefern versprachen. Nichts konnte den Anhängern
Eleazars gelegener kommen, als dieses Gesuch, und so
sandten sie Gorion, den Sohn des Nikomedes, Ananias,
den Sohn des Sadduk, und Judas, den Sohn des Jona-
thas, zu den Römern hin, um den Vergleich durch
Handschlag und Eid zu bekräftigen. Hierauf zog
Metilius mit den Seinen ab. So lange sie nun noch im
Besitz ihrer Waffen waren, griffen die Aufständischen sie
weder an , noch Hessen sie etwas von Verrat merken.
Als aber dem Vertrage gemäss alle Römer ihre Schilde
und Schwerter abgelegt hatten und arglos ihres Weges
ziehen wollten, stürzten Eleazars Leute plötzlich auf sie
1 S. VII, 7-9.
2 Hügel im Südosten der Stadt.
3 Nämlich Eleazars Anhänger.
Zweites Buch, 18. Kapitel.
267
los, umzingelten sie und sti essen sie nieder, ohne dass
die Angegriffenen Widerstand leisteten oder sich aufs
Bitten verlegten ; nur auf den unter Eid abgeschlossenen
Vertrag beriefen sie sich mit lauter Stimme. So wurden
sie denn alle grausam ermordet bis auf Metilius; ihn
allein liessen die Empörer am Leben, weil er um
Schonung bat und die jüdische Religion samt der Be-
schneidung anzunehmen versprach. Für die Römer hatte
übrigens der Verlust nicht viel zu besagen, da sie nur
wenige Mann von einer ungeheuren Streitmacht ein-
büssten. Den Juden dagegen erschien das Gemetzel
wie ein Vorspiel ihres eigenen Unterganges; denn sie
erkannten wohl, dass die Unthat einen Kriegsgrund
bilde, den sie nicht mehr aus der Welt schaffen könnten,
und dass ihre Stadt von einem Frevel befleckt sei, für
den sie, wenn auch zunächst nicht die Rache der Römer,
so doch jedenfalls Gottes Strafgericht zu erwarten hätten.
Demgemäss stellten sie öffentliche Trauer an, und eine
allgemeine Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der
Stadt. Die Gutgesinnten aber konnten sich der Furcht
nicht erwehren, sie möchten für die Empörer büssen
müssen. Denn die Metzelei hatte gerade an einem
Sabbat, also an einem Tage stattgefunden, an dem man
sich des Gottesdienstes wegen aller Thätigkeit zu ent-
halten pflegt.
Achtzehntes Kapitel.
Weit und breit werden die Juden blutig verfolgt.
1. Am selben Tage und zur selben Stunde geschah
es wie durch göttliche Fügung, dass die Bewohner von
Caesarea ihre jüdischen Mitbürger ermordeten, sodass in
einer Stunde über zwanzigtausend der letzteren hin-
geschlachtet wurden und in der ganzen Stadt kein Jude
mehr übrig blieb; denn auch die Flüchtigen liess Florus
aufgreifen und als Gefangene nach den 'Schiffswerften
führen. Die Kunde von diesem Gemetzel versetzte das
268
Joseplius, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gesamte Volk der Juden derart in Wut, dass sie in
einzelnen bewaffneten Abteilungen die Dörfer der Syrer
und die in der Nähe der Grenze liegenden Städte Phila-
delphia, Sebonitis, Gerasa, Pella und Skythopolis ver-
heerten. Sodann fielen sie über Gadara, Hippos und
Gaulanitis her, wo sie die Ortschaften teils verwüsteten,
teils niederbrannten, und rückten weiterhin auf die
tyrische Stadt Kedasa sowie auf Ptolemais, Gaba und
Caesarea los. Auch Sebaste und Askalon vermochten
ihrem Ansturm nicht zu widerstehen, vielmehr äscherten
sie die beiden Städte ein und zerstörten dann auch noch
Anthedon und Gaza. Ausserdem fielen zahlreiche in
der Nähe dieser Städte liegende Dörfer der Plünderung
anheim, und haufenweise verbluteteten die männlichen
Gefangenen unter dem Schwert ihrer Feinde.
2. Doch auch die Syrer richteten kein geringeres
Blutbad an; vielmehr töteten sie in den Städten sämt-
liche Juden, deren sie habhaft werden konnten, und
zwar nicht allein wie früher aus Hass, sondern auch um
der ihnen selbst drohenden Gefahr zuvorzukommen.
Ganz Syrien befand sich in gewaltiger Aufregung, und
jede einzelne Stadt war in zwei feindliche Heerlager ge-
spalten , die beiderseitig ihr Heil darin suchten, den
Gegner zuerst zu verderben. So vergingen die Tage
unter stetem Gemetzel, während die Nächte infolge der
allgemeinen Angst noch grauenvoller sich gestalteten.
Glaubte man nun die Juden ausgerottet zu haben, so
kamen die als Judenfreunde verdächtigten Personen an
die Reihe, und was die Zweifelhaften auf beiden Seiten
betraf, so mochte man sie wohl nicht ohne weiteres um-
bringen, fürchtete sie aber, besonders wenn sie mit
anderen vereint auftraten, wie ausgesprochene Feinde.
Wer sonst für durchaus friedfertig gegolten hatte, den
trieb jetzt die Habsucht dazu, den Anhängern der Gegen-
partei nach dem Leben zu trachten. Denn ohne jede
Scheu riss man das Vermögen der Gemordeten an sich
und schaffte, als wären sie im Treffen gefallen , die bei
ihnen Vorgefundenen Beutestücke in die eigene Be-
Zweites Bach, 18. Kapitel.
269
hausung. Ja, man feierte den, der am meisten ein-
geheimst hatte, wie den Sieger über viele Feinde. Da
füllten sich die Städte mit unbegrabenen Leichen :
Greise sah man neben unmündigen Kindern tot dahin-
gestreckt, und Weiber, denen man nicht einmal die Ver-
hüllung der Scham gelassen hatte. Unsägliches Elend
herrschte in der ganzen Provinz, und fast noch schlimmer
als die wirklich verübten Greuel thaten war die Angst
vor denen, mit welchen man drohte.
3. Hatten die Juden bis dahin nur mit Fremden zu
kämpfen gehabt, so mussten sie dagegen bei ihrem An-
griff auf Skythopolis die Erfahrung machen, dass ihnen
ihre dortigen Stammesgenossen selbst als Feinde gegen-
übertraten. Die letzteren machten nämlich mit den
Skythopoliten gemeinsame Sache und wollten, indem sie
verwandtschaftliche Rücksichten ihrer persönlichen Sicher-
heit zum Opfer brachten, gegen ihre eigenen Landsleute
zu Felde ziehen. Diese ihre übergrosse Bereitwilligkeit
erregte indes den Argwohn der Skythopoliten, die nun
befürchteten, ihre jüdischen Mitbürger möchten bei Nacht
die Stadt überfallen und dadurch, dass sie ein grosses
Blutbad unter deren Bewohnern anrichteten, den Abfall
von ihren Landsleuten wieder gut zu machen suchen.
Sie forderten sie daher auf, mit ihren Familien in den
Hain überzusiedeln, wenn sie die Eintracht befestigen
und ihre Vertragstreue gegen Fremde bekräftigen
wollten. Arglos leisteten die Juden dieser Aufforderung
Folge, worauf die Skythopoliten, um sie in Sicherheit
zu wiegen, zunächst zwei Tage lang sich ruhig ver-
hielten. In der dritten Nacht aber benutzten sie eine
günstige Gelegenheit, metzelten die Juden, die teils im
Schlafe lagen, teils aus Sorglosigkeit keine Wachen
ausgestellt hatten, über dreizehntausend Menschen an
der Zahl, nieder und bemächtigten sich ihrer gesamten
Habe.
4. Besondere Erwähnung verdient hier das Schicksal,
das einem gewissen Simon, dem Sohne eines nicht un-
angeöehenen Mannes Namens Saulus, widerfuhr. Er
270 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
war von hervorragender Körperstärke und Kühnheit,
missbrauchte aber beide Eigenschaften zum Schaden
seiner Landsleute. Täglich zog er aus und tötete viele
der vor Skythopolis liegenden Juden, und oft, wenn er
ganze Haufen derselben in die Flucht trieb, hatte er
allein den Ausschlag im Treffen gegeben. Jetzt aber
ereilte ihn die verdiente Strafe für die an seinen
Stammesgenossen begangenen Mordthaten. Als nämlich
die Skythopoliten die Juden in dem Hain umzingelt
hatten und sie mit Geschossen überschütteten, zog er
sein Schwert, griff jedoch keinen seiner Feinde an, gegen
deren Überzahl , wie er sah , nichts auszurichten war,
sondern rief in leidenschaftlicher Erregung aus: „Von
euch, ihr Skythopoliten, widerfahrt mir jetzt, was meine
Thaten verdienen; habe ich doch meine Freundschaft
für euch' durch die Niedermetzluug so vieler mir
stammverwandter Menschen beweisen zu müssen ge-
glaubt. Wer so schwer gegen sein eigenes Volk frevelte,
dem geschieht ganz recht, wenn er von Fremden Treu-
losigkeit erfährt. Fluchbeladen will ich jetzt den Tod
von meiner eigenen Hand erleiden, da er mir von
Feindeshand nicht zukommt, und wie dieser Tod eine
hinreichende Sühne meiner Schandthaten sein soll, so
verschaffe er mir auch den Ruhm, als echter Mann ge-
handelt zu haben. Kein Feind soll sich brüsten, er
habe mich erschlagen , noch über meinen Fall froh-
locken!“ Während er dies sprach, warf er einen mit-
leidigen und zugleich wutsprühenden Blick auf seine
Familie; er hatte nämlich ein Weib, mehrere Kinder
und hochbetagte Eltern. Hierauf ergriff er zuerst seinen
Vater beim Silberhaar und durchbohrte ihn mit dem
Schwert, nach ihm seine Mutter, ohne dass sie sich im
mindesten sträubte, und endlich sein Weib und seine
Kinder, die sich sämtlich der Mordwaffe fast entgegen-
stürzten, um den Feinden zuvorzukommen. Nachdem
er so seine ganze Familie getötet, stellte er sich, weithin
sichtbar, auf die entseelten Körper, erhob seine Rechte,
damit der Anblick niemand entgehe, und stiess sich das
Go gle
Zweites Buch, 18. Kapitel.
271
Schwert bis zum Griff in den Leib. Schade war’s um
den jungen Mann wegen seiner Körperkraft und Seelen-
grösse; doch büsste er gerechterweise, weil er fremden
Menschen fceine Ergebenheit bewiesen hatte.
5. Das Blutbad in Skythopolis hatte übrigens zur
Folge, dass auch die Bewohner anderer Städte sich gegen
ihre jüdischen Mitbürger erhoben. Dabei wurden in
Askalon zweitausendfünfhundert, in Ptolema’is zwei-
tausend Juden niedergemacht und ausserdem noch eine
beträchtliche Anzahl derselben eingekerkert. Auch die
Tyrier brachten viele Juden um und legten eine noch
grössere Menge in Gewahrsam; desgleichen räumten die
Bewohner von Hippos und Gadara die thatkräftigeren
Juden aus dem Wege, während sie die zaghafteren ins
Gefängnis warfen. Ebenso verfuhr man in den übrigen
syrischen Städten, je nachdem dort Hass gegen die
Juden oder Furcht vor denselben vorherrschend war.
Nur die Bewohner von Antiochia, Sidon und Apamea
schonten ihre jüdischen Mitbürger und Hessen nicht zu,
dass auch nur einer von ihnen ermordet oder eingekerkert
wurde, vielleicht weil sie im Vertrauen auf die eigene
Überzahl etwaigen Unruhen unter den Juden kein Ge-
wicht beilegten, oder, was ich für zutreffender halte, aus
Mitleid mit ihnen , da sie keine aufrührerische Ge-
sinnung bei ihnen wahrnehmen konnten. Auch die
Gerasener thaten den in der Stadt verbleibenden Juden
kein Leid an und gaben sogar denen, welche dieselbe
zu verlassen wünschten, noch bis zur Grenze das Geleit.
6. Im Reiche Agrippas wurde gleichfalls Verrat an
den Juden geübt. Der König selbst war zu Cestius
Gallus nach Antiochia gereist und hatte mit seiner Stell-
vertretung einen von dessen Freunden Namens Noarus,
der mit dem Könige Soemus 1 verwandt war, betraut.
Da kamen aus Batanaea siebzig Männer, die vornehm-
sten und einsichtsvollsten der dortigen Juden, und baten
um Truppen, um für den Fall aufrührerischer Bewegungen
1 Von Emesa.
Go gle
272
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
eine genügende Schutzmacht bei sich zu haben, mit deren
Hilfe sie die Empörung niederwerfen könnten. Diese
Männer nun liess Noarus durch eine Abteilung könig-
licher Soldaten, die er bei Nacht aussandtfe, sämtlich
umbringen. Masslose Geldgier hatte ihn zu der Unthat,
die übrigens ohne Vorwissen Agrippas verübt wurde,
getrieben, und er fuhr nun mit grausamer Willkür fort,
durch ähnliche Frevel gegen das Volk am Verderben
des Reiches zu arbeiten, bis Agrippa Kunde davon be-
kam und ihm, da er aus Scheu vor Soemus ihn nicht
hinrichten lassen mochte, wenigstens die Geschäfte eines
Reichs Verwesers entzog. Die Empörer hatten sich in-
zwischen des oberhalb Jericho gelegenen Kastells Kypros
bemächtigt, die Besatzung niedergemacht und die Festungs-
werke geschleift. Auch geschah es in diesen Tagen,
dass die in Machaerus lebenden, sehr zahlreichen Juden
an die dortige römische Besatzung das Ansinnen stellten,
die Festung zu verlassen und ihnen dieselbe auszu-
liefern. Aus Furcht vor gewaltsamer Vertreibung willigten
die Römer unter der Bedingung freien Abzugs ein,
und nachdem dieser zugesagt war, übergaben sie die
Festung, in welche nun Bürger von Machaerus ein-
rückten.
7. Was ferner Alexandria betraf, so hatten die ein-
heimischen Bewohner der Stadt mit den Juden in be-
ständigem Streit gelebt, seitdem Alexander 1 bei letzteren
bereitwillige Hilfe gegen die Aegyptier gefunden und
ihnen dafür die Belohnung zuerkannt hatte, dass sie
gleiche Rechte wie ihre griechischen Mitbürger gemessen
sollten. Diese Auszeichnung verblieb ihnen auch unter
seinen Nachfolgern, die ihnen sogar ein eigenes Stadt-
viertel an wiesen, damit sie, un vermischt mit Fremden,
die Reinheit ihrer Lebensweise besser bewahren könnten,
und ihnen erlaubten, sich Macedonier 2 zu nennen. Als
1 Von Macedonien (vergl. über dessen Milde gegen die Juden
J. A. XI, 8).
8 Vergl. über diesen Ehrentitel „Gegen Apion“, II, 4 und
J. A. XII, 1.
Zweites Buch. 1 8. Kapitel.
273
später die Römer Herren von Aegypten geworden waren,
mochte weder der erste Caesar noch einer seiner Nach-
folger den Juden die ihnen von Alexander verliehenen
Vorrechte schmälern. Die Folge davon waren beständige
Reibereien zwischen Juden und Griechen, und obwohl
die Obrigkeit auf beiden Seiten täglich eine Menge
Strafen verhängte, vergrösserte sich doch die Spannung
immer mehr. Wie nun damals an anderen Orten Un-
ruhen ausbrachen, so nahm auch in Alexandria der Zwist
-einen schärferen Charakter an. Als eines Tages die
Alexandriner wegen einer an Nero abzuordnenden Ge-
sandtschaft eine Versammlung hielten, hatten mit den
Griechen auch viele Juden Einlass ins Amphitheater
gefunden. Kaum aber waren die Gegner ihrer ansichtig
geworden, als sie ein Geschrei erhoben, sie Feinde und
Spione schimpften, sich auf sie warfen und sie thätlich
angriffen. Drei Männer gerieten hierbei in die Gewalt
der Griechen, die sie fortschleppten, um sie lebendig zu
verbrennen ; die übrigen wurden auf der Flucht zusammen-
gehauen. Jetzt erhob sich die gesamte Judenschaft zur
Rache: zuerst bewarfen sie die Griechen mit Steinen,
•dann aber rafften sie Fackeln zusammen, eilten nach
dem Amphitheater und drohten das ganze darin ver-
sammelte Volk dem Flammentod preiszugeben. Dieses
Vorhaben wäre ihnen auch gelungen, hätte nicht Tibe-
rius Alexander, der Kommandant der Stadt, ihrer Wut
Einhalt gethan. Doch bediente er sich, um sie zur Be-
sinnung zu bringen , zunächst nicht der Waffengewalt,
sondern liess sie durch die angesehensten Männer er-
mahnen, sich ruhig zu verhalten und nicht die Streit-
macht der Römer gegen sich aufzubringen. Die Empörer
aber beantworteten diese Aufforderung mit Hohngelächter
und Schmähungen gegen Tiberius.
8. Da freilich sah Alexander ein, dass die Aufrührer
nur durch eine nachdrückliche Züchtigung zu bändigen
seien. Er sandte daher die beiden in der Stadt liegenden
römischen Legionen sowie noch weitere fünftausend Mann,
•die zum Verderben der Juden eben aus Libyen ange-
Josephus, Jüdischer Krieg. 18
Go gle rniversity or cautornia
274
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
langt waren, gegen sie aus und gestattete den Soldaten
nicht nur, die Juden umzubringen, sondern auch ihre
Habe zu rauben und ihre Häuser einzuäschern. Die
Truppen drangen nun in das sogenannte Delta ein, wo
die Judenschaft zusammen wohnte, und vollzogen die ihnen
erteilten Befehle, erlitten aber auch ihrerseits grosse
Verluste. Die Juden schlossen sich nämlich dicht zu-
sammen, stellten die besser Bewaffneten ins Vordertreffen
und hielten mit grösster Zähigkeit stand. Endlich jedoch
mussten sie weichen und wurden nun haufenweise er-
schlagen. Die Niederlage war vollständig: was nicht im
Freien vom Feinde ereilt wurde, drängte sich in die
Häuser zusammen; diese aber steckten die Römer von
unten her in Brand, nachdem sie zuvor das Innere aus-
geplündert hatten. Die Sieger kannten weder Mitleid
mit Kindern noch Ehrfurcht vor Greisen; vielmehr
wurde alles ohne Unterschied des Alters hingeschlachtet,
sodass der ganze Platz mit Blut überschwemmt war und
an die fünfzigtausend Leichen haufenweise umherlagen.
Kein einziger Jude wäre am Leben geblieben, wenn die
übrigen sich nicht aufs Bitten verlegt hätten. Ihrer er-
barmte sich Alexander und gab den Römern das Zeichen
zum Rückzug. Die Soldaten stellten denn auch, an
Gehorsam gewöhnt, auf den ersten "Wink das Morden
ein; dagegen hielt es schwer, den aufs äusserste er-
bitterten alexandrinischen Pöbel zurückzurufen, und kaum
liess derselbe sich von den Leichen wegreissen.
9. Das war das Gemetzel in Alexandria. Da übrigens
die Juden jetzt allerorten blutig verfolgt wurden, glaubte
auch Cestius nicht mehr unthätig bleiben zu dürfen. Er
brach daher mit der vollzähligen zwölften Legion und
zweitausend auserlesenen Soldaten der übrigen Legionen
so wie mit sechs Kohorten Fussvolk und vier Reiter-
schwadronen von Antiochia auf. Dazu kamen noch die
Hilf*6truppen der Könige: von Antioehus 1 zweitausend
Reiter und dreitausend Fusssoldaten, durchweg Bogen-
1 Von Kommagene.
Go gle
IJXIVLRS)#« CAl 1 FÜR XI,
Zweites Buch, 18. Kapitel.
275
schützen, von Agrippa die gleiche Anzahl Fussvolk und
an Reitern etwas weniger als zweitausend; auch Soemus
stellte viertausend Mann, von denen ein Drittel aus
Reitern, der grössere Teil aus Bogenschützen bestand.
Mit dieser Streitmacht rückte Cestius bis Ptolemais vor.
Von den Städten waren ebenfalls viele Hilfstruppen zu-
sammengebracht worden, die zwar, was Kriegserfahrung
betraf, hinter den Soldaten zurückstanden, aber den
Mangel an Kenntnissen durch Kampfeseifer und Juden-
hass ersetzten. Agrippa selbst begleitete den Cestius,
um die Marschlinie anzugeben und für Proviant zu
sorgen. Mit einem Teile seines Heeres brach nun
Cestius gegen die feste galilaeische Stadt Zabulon auf,
welche den Beinamen „der Männer“ führt und die Grenz-
stadt gegen Ptolemais bildet. Er fand die Stadt menschen-
leer, da die Bewohner ins Gebirge geflohen waren, dagegen
voll von Schätzen aller Art. Letztere überliess er den
Soldaten zur Plünderung; die Stadt selbst aber legte er
in Asche, obwohl sie Häuser von bewundernswerter
Schönheit hatte, ähnlich denen zu Tyrus, Sidon und
Berytus. Hierauf durchstreifte er die Gegend, raubte
alles, was ihm unter die Hände kam, steckte die um-
liegenden Dörfer in Brand und kehrte alsdann nach
Ptolemais zurück. Während nun die Syrer, besonders
die von Berytus, noch immer mit Plündern beschäftigt
waren, fassten die Juden, die vom Abmarsch des Cestius
Kunde erhalten hatten, wieder Mut, fielen unversehens
über die Zurückgebliebenen her und machten gegen zwei-
tausend derselben nieder.
10. Cestius verliess übrigens bald Ptolemais wieder
und schickte, während er selbst nach Caesarea sich be-
gab, einen Teil seiner Truppen voraus nach Joppe mit
dem Befehl, die Stadt, wenn sie dieselbe überrumpeln
könnten, zu besetzen, wenn aber ihr Anmarsch bemerkt
werden sollte, seine und des übrigen Heeres Ankunft
abzuwarten. Teils zur See, teils zu Lande eilte nun die
Abteilung dorthin und nahm die Stadt von zwei Seiten
ein. Die Bewohner hatten nicht einmal vorher fliehen,
38 *
Go gle
JNfVERSITYOF
C /'ilgMlA
276
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
geschweige denn sich zum Kampfe rüsten können und
wurden nun mit ihren Angehörigen von den eindringenden
Truppen sämtlich getötet; die Stadt aber ward geplündert
und den Flammen preisgegeben. Achttausendvierhundert
betrug die Zahl der Gefallenen. Desgleichen sandte
Cestius in den unweit Caesareas gelegenen Bezirk von
Narbata eine starke Reiterabteilung, welche das Land
verwüstete, eine grosse Menge Eingeborener niedermetzelte,
ihre Habe plünderte und die Dörfer in Brand steckte.
11. Nach Galilaea beorderte Cestius den Anführer
der zwölften Legion, Gallus, mit einer Streitmacht, wie
sie ihm zur Bezwingung des Volkes auszureichen schien.
Die festeste Stadt Galilaeas, Sepphoris, nahm den Gallus
mit freudigem Zuruf auf, und nach ihrem klugen Vor-
gang blieben auch die übrigen Städte ruhig. Das
aufrührerische und räuberische Gesindel aber floh ins-
gesamt auf einen mitten in Galilaea gelegenen Berg, der
Sepphoris gegenüber liegt und Asamon genannt wird.
Gegen diese Horden führte Gallus seine Truppen heran.
So lange sie nun eine höher gelegene Stellung inne-
hatten, schlugen sie die Angriffe der Römer mit leichter
Mühe ab und töteten gegen zweihundert ihrer Feinde.
Als aber die Römer sie umgangen und noch höhere
Punkte besetzt hatten, wurden sie bald überwältigt; denn
mit ihrer leichten Ausrüstung vermochten sie den
Schwerbewaffneten nicht standzuhalten, und wenn sie
sich zur Flucht wandten, fielen sie den Reitern in die
Hände. So gelang es nur wenigen, sich an unweg-
samen Orten zu verbergen, während die übrigen, mehr
als zweitausend an der Zahl, als Leichen das Schlacht-
feld bedeckten.
Zweites Buch, 19. Kapitel.
277
Neunzehntes Kapitel.
Cestius greift Jerusalem an. Sein unglücklicher Rückzug.
1. Als Gallus keine weiteren Unruhen in Galilaea
mehr wahrnahm, kehrte er mit seinen Truppen nach
Caesarea zurück. Cestius aber brach nun an der Spitze
seiner gesamten Streitmacht auf und rückte vor Anti-
patris. Dort erfuhr er, dass in dem sogenannten Turm
des Aphekos eine beträchtliche Schar bewaffneter Juden
sich gesammelt habe, und sandte deshalb eine Abteilung
seiner Leute hin , um sie anzugreifen. Ehe es indes
zum Handgemenge kam , zerstreuten sich die Juden in
ihrer Angst, und als die Römer anlangten, steckten sie
das unbesetzte Lager und die umliegenden Dörfer in
Brand. Von Antipatris marschierte Cestius nach Lydda,
traf aber die Stadt von Menschen verlassen ; denn wegen
des Laubhüttenfestes war die ganze Bevölkerung hinauf
nach Jerusalem gezogen. Nur fünfzig Personen kamen
zum Vorschein, nach deren Niedermetzelung er die Stadt
in Flammen aufgehen liess. Alsdann rückte er weiter
durch Bethoron und schlug an einem Orte Gabao, fünf-
zig 1 Stadien von Jerusalem entfernt, sein Lager auf.
2. Kaum hatten die Juden bemerkt, dass der Krieg
sich der Hauptstadt näherte, als sie die Festfeier dran-
gaben, zu den Waffen griffen und im Vertrauen auf ihre
grosse Zahl ohne jede Ordnung und unter lautem Ge-
schrei sich in den Kampf stürzten. Nicht einmal auf
den siebenten Tag als Ruhetag nahmen sie Rücksicht,
während doch sonst der Sabbat aufs strengste von ihnen
geheiligt wird. Dieser Kampfeseifer, der sie sogar ihre
religiösen Pflichten vergessen liess , bewirkte denn auch,
dass sie im Treffen die Oberhand gewannen. Mit
solchem Ungestüm warfen sie sich auf die Römer, dass
sie deren Schlachtlinie erschütterten und mordend mitten
durch sie hindurchdrangen. Wären nicht dem Teile des
1 Nach J. A. Vm, 11, 7 nur vierzig.
27 8 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Heeres, der noch standhielt, das weniger erschöpfte
Fussvolk und die Reiterei durch eine Schwenkung zu
Hilfe gekommen, so wäre es wohl um die ganze Truppen-
macht des Cestius geschehen gewesen. Es fielen in dem
Treffen fünfhundertundfünfzehn Römer, nämlich vier-
hundert Fusssoldaten und einhundertfünfzehn Reiter,
von den Juden jedoch nur zweiundzwanzig Mann. Auf
seiten der letzteren hatten am tapfersten gefochten die
Verwandten des Königs Monobazus von Adiabene,
Monobazus und Kenedaeus, nächst ihnen der Peraite 1
Niger und der Babylonier Silas, welcher von dem König
Agrippa, unter dem er gedient hatte, zu den Juden
übergegangen war. Nachdem nun die Juden von
vorn geworfen waren, zogen sie sich in die Stadt zurück,
während Simon, des Gioras Sohn, den Römern auf deren
Marsch nach Bethoron in den Rücken fiel, einen grossen
Teil ihrer Nachhut zersprengte und eine Menge Last-
tiere raubte, welche er in die Stadt ein brachte. In den
folgenden drei Tagen, die Cestius noch in der Gegend
verweilte, besetzten die Juden die Anhöhen und legten
Wachen an die Pässe, ein deutliches Zeichen, dass sie,
sobald die Römer den Rückmarsch antreten würden,
nicht unthätig zu bleiben gedachten.
3. Agrippa, der sich, angesichts der starken, die Berge
besetzt haltenden feindlichen Abteilungen nicht verhehlen
konnte, dass die Römer in grosser Gefahr schwebten,
beschloss, es mit gütlichen Worten bei den Juden zu
versuchen, wodurch er Bie entweder alle vom Kriege ab-
zubringen oder doch diejenigen, die den Krieg so recht
nicht wollten, zum Abfall von den Gegnern zu bewegen
hoffte. Er sandte daher zwei seiner Leute ab, die bei
den Juden in sehr hohem Ansehen standen, Borkaeus
und Phoebus, und liess durch sie die Freundschaft des
Cestius und völlige Verzeihung von seiten der Römer
für alles Vorgefallene in Aussicht stellen , wenn sie die
Waffen niederlegen und sich mit ihnen vergleichen wollten.
1 S. unten 20, 4-
Zweites Buch, 19. Kapitel.
279
Die Aufständischen aber, welche befürchteten, das ganze
Volk möchte, durch die verheissene Straflosigkeit ver-
lockt, zu Agrippa übergehen , drangen auf dessen Ab-
gesandte ein, um sie zu ermorden. Den Phoebus brachten
sie auch wirklich um, noch ehe er zu Wort gekommen
war, während Borkaeus, allerdings verwundet, durch
schleunige Flucht sich zu retten vermochte. Den Teil des
Volkes aber, der seinen Unwillen hierüber an den Tag
legte, trieben die Empörer durch Stein würfe und Knittel-
hiebe in die Stadt hinein.
4. In diesem unter den Juden selbst ausgebrochenen
Zwist erkannte Cestius eine günstige Gelegenheit zum
Angriff. Er führte demnach seine gesamte Streitmacht
gegen sie heran, jagte sie in die Flucht und verfolgte
sie bis vor Jerusalem. Hier errichtete er auf dem so-
genannten Skopos, 1 sieben Stadien von der Stadt ent-
fernt, ein Lager und unternahm , vielleicht in der Er-
wartung, die Bewohner würden ihm in etwa entgegen-
kommen, zunächst drei Tage lang nichts gegen dieselbe,
sondern liess nur eine starke Abteilung seiner Leute
Streifzüge in die umliegenden Dörfer machen, um Pro-
viant zusammenzurauben. Am vierten Tage aber, dem
30. des Monats Hyperberetaios , stellte er sein Heer in
Schlachtordnung auf und führte es in die Stadt hinein.
Dort stand das Volk unter Bewachung der Aufständischen ;
diese selbst aber, erschreckt durch den planvollen Auf-
marsch der Römer, gaben alsbald die äusseren Stadtteile
auf und zogen sich in die innere Stadt und den Tempel
zurück. Nun rückte Cestius ein und steckte Bezetha,
die Neustadt und den sogenannten Holzmarkt 2 in Brand,
Alsdann zog er auf die obere Stadt an und lagerte sich
gegenüber dem Königspalast. Hätte es ihm in diesem
Augenblick beliebt, die Mauern zu erstürmen, so würde
er wohl die Stadt sogleich eingenommen haben, und der
Krieg wäre zu Ende gewesen. Doch der Lagerpraefekt
1 Einem Hügel auf dem Wege von Jerusalem nach Anathoth.
- S. Spiess, Jerusalem des Josephus, S. 103.
280
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Tyrannius Priscus und die meisten Reiterobersten, die
von Florus bestochen waren, brachten ihn von diesem
Plane ab. Das war der Grund, weshalb der Krieg sich
so sehr in die Länge zog und so reich an schweren
Unglücksfallen für die Juden geworden ist.
5. Unterdessen lud auf Anraten von Ananus, dem
Sohne des Jonathas, eine Anzahl vornehmer Bürger den
Cestius in die Stadt ein, deren Thore sie ihm zu öffnen
versprachen. Cestius aber mochte schon aus Ärger nichts
davon wissen, und da er ihnen auch nicht völlig traute,
zauderte er so lange, bis die Aufständischen von dem
verräterischen Anschlag Kenntnis erlangten und Ananus
mit seinen Anhängern teils von der Mauer hinabstürzten,
teils durch Steinwürfe in ihre Behausungen trieben. Sie
selbst verteilten sich auf den Türmen und schossen auf
diejenigen, welche die Mauer berennen wollten. Fünf
Tage lang machten die Römer von allen Seiten Ver-
suche, ohne etwas auszurichten; am sechsten Tage aber
nahm Cestius eine starke Abteilung auserlesener Mann-
schaften sowie die Bogenschützen und griff mit ihnen
die Nordseite des Tempels an. Die Juden leisteten von
den Säulenhallen herab kräftigen Widerstand und
schlugen zu wiederholten Malen den Sturm auf die
Mauern ab, mussten aber endlich dem Geschosshagel
weichen. Nun bildeten die Römer, indem die Kämpfer
der vordersten Reihe ihre Schilde fest gegen die Mauer,
die nachfolgenden aber die ihrigen jedesmal an die
ihrer Vordermänner anstemmten, die sogenannte Schild-
kröte, 1 von der die aufschlagenden Geschosse wirkungs-
los abprallten. In aller Sicherheit konnten die Soldaten
jetzt die Mauer untergraben, und alsbald schickten sie
sich an, das Tempelthor in Brand zu stecken.
6. Gewaltige Angst ergriff nun die Empörer, und
viele von ihnen flüchteten sich bereits aus der Stadt,
als stände deren Eroberung im nächsten Augenblick
bevor. Ebendeshalb aber fasste das Volk wieder frischen
Vergl. Dio Cassius XLIX, 30 und Livius XLIV, 9.
Zweites Buch, 1 9. Kapitel.
281
Mut: wie die Bösewichter sich davon machten, näherte
es sich den Thoren, um sie zu öffnen und Cestius als
Wohlthäter der Stadt aufzunehmen. Hätte dieser die
Belagerung nur noch kurze Zeit fortgesetzt, so würde er
die Stadt wohl rasch in seine Gewalt bekommen haben.
Gott aber hatte, wie ich glaube, um der Frevler willen
schon damals sich vom Heiligtum abgewandt und liess
deshalb an jenem Tage den Krieg sein Ende nicht er-
reichen.
7. Cestius nämlich, der weder von der Verzweiflung
der Belagerten noch von der Stimmung des Volkes
Kenntnis zu haben schien, liess plötzlich seine Soldaten
den Bückzug antreten, gab, obwohl kein Missgeschick
ihn getroffen, alle Hoffnung auf und verliess unbe-
greiflicherweise die Stadt. Infolge seines ganz uner-
warteten Abmarsches gewannen die Banditen ihre Kühn-
heit wieder, fielen über die Nachhut der Römer her
und machten eine Menge Reiter und Fusssoldaten nieder.
Cestius bezog nun für die erste Nacht das Lager auf
dem Skopos; tags darauf aber marschierte er weiter und
reizte dadurch die Feinde nur noch mehr, sodass sie
abermals seiner Nachhut schwere Verluste beibrachten
und zugleich auch von der Seite des Weges aus den
Römern mit Geschossen zusetzten. Die letzten im Zuge
hatten übrigens nicht den Mut, gegen ihre Verfolger
Front zu machen, weil sie dieselben ausserordentlich zahl-
reich wähnten, und was den Angriff auf den Flanken
betraf, so waren die Römer ihm thatsächlich nicht ge-
wachsen, da sie selbst schwerbewaffnet waren und die
Märschlinie zu zerreissen fürchteten, während die Juden
leichtgerüstet und angriffslustig daherzogen. So mussten
die Römer grosse Verluste erleiden, ohne ihrerseits dem
Feinde irgendwie schaden zu können. Auf dem ganzen
Wege geschlagen und in Verwirrung gebracht, wurden
sie massenhaft niedergemetzelt; unter den Gefallenen
befanden sich auch Priscus, der Anführer der sechsten
Legion, der Tribun Longinus und der Befehlshaber einer
Reiterschwadron, Aemilius Jucundus. Endlich erreichten
282
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sie, nachdem sie auch einen grossen Teil ihres Gepäckes
verloren hatten, mit Mühe ihr früheres Lager bei Gabao.
Unschlüssig bezüglich dessen, was er beginnen sollte,
verweilte Cestius hier zwei Tage; als er aber am dritten
Tage sehen musste, wie die Zahl seiner Feinde sich noch
vermehrt hatte und alles ringsum von Juden wimmelte,
ward es ihm klar, dass Zögern ihm nur zum Schaden
gereiche und dass, je länger er verweile, desto mehr
Feinde sich ansammeln würden.
8. Um daher die Flucht zu beschleunigen, gab er
Befehl, alles zu vernichten, was das Heer auf halten
könnte. Man tötete nun die Maulesel und die übrigen
Lasttiere mit Ausnahme derjenigen, welche Geschosse
und Maschinen trugen ; letztere nämlich konnte man
einesteils nicht gut entbehren, andernteils befürchtete
man auch, sie möchten den Juden in die Hände fallen
und gegen die Römer Verwendung finden. Hierauf
rückte das Heer weiter auf Bethoron zu. So lange nun
der Marsch über offenes Feld ging, wurden die Römer
von den Juden weniger behelligt; sowie sie aber einen
engen, abschüssigen Hohlweg gedrängt passieren mussten,
eilte ein Teil der Juden voraus, um ihnen den Ausgang
zu sperren, während andere die den Schluss des Zuges
bildenden Römer in die Schlucht hineintrieben und die
Hauptmasse der jüdischen Streitmacht, die sich an den
Abhängen zu beiden Seiten des Weges ausgedehnt hatte,
das feindliche Heer mit einem Hagel von Geschossen
überschüttete. Da gerieten schon die Fusssoldaten in
Verlegenheit, wie sie sich wehren sollten; in noch
grösserer Gefahr aber schwebten die Reiter: denn ein-
mal gestatteten ihnen die feindlichen Geschosse nicht,
den Abstieg in Reih und Glied zu machen, und dann
waren auch die steilen Abhänge, auf denen die Juden
sich verteilt hatten, für die Pferde unzugänglich, während
auf der anderen Seite Felsspalten und Abgründe ihnen
entgegengähnten, in die sie bei jedem Fehltritt hinab-
stürzen konnten. In dieser entsetzlichen Lage, die weder
ein Entrinnen ermöglichte, noch den Gedanken an
Zweites Buch, 19. Kapitel.
283
Widerstand auf kommen liess, hatten sie schliesslich
nichts als lautes Jammergeheul und das Stöhnen der
Verzweiflung, dem die Schlachtrufe der Juden, unter-
mischt mit Freuden geschrei und Wutgebrüll, schauerlich
entgegenhallten. Wenig fehlte, so hätten sie das ganze
Heer des Cestius aufgerieben, wäre nicht die Nacht
herein gebrochen, in der die Römer nach Bethoron
flohen, während die Juden alle geeigneten Punkte ringsum
besetzten, um den Abmarsch ihrer Feinde überwachen
zu können.
9. Cestius sann nunmehr, da er an der Möglichkeit
eines offenen Rückzuges verzweifelte, auf heimliche Flucht.
Er las demgemäss etwa vierhundert der beherztesten
Soldaten aus und stellte sie an den Verschanzungen
auf mit dem Befehl, auf denselben die Feldzeichen der
Lagerwachen in die Höhe zu richten, damit bei den
Juden die Meinung erweckt würde, die Truppen be-
fanden sich noch insgesamt an dieser Stelle. Er selbst
zog mit dem übrigen Teil des Heeres in aller Stille
dreissig Stadien weiter. Als die Juden beim Morgen-
grauen den römischen Lagerplatz verlassen sahen, fielen
sie über die vierhundert, die ihnen die Täuschung bei-
gebracht hatten, her, schossen sie eiligst nieder und
setzten dem Cestius nach. Dieser aber hatte in der
Nacht schon einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen
und beschleunigte auch bei Tage seine Flucht so sehr,
dass die Soldaten in ihrer Angst und Bestürzung die
Belagerungstürme und Wurfmaschinen sowie den
grössten Teil der übrigen Werkzeuge zurückliessen,
welche nun von den Juden erbeutet wurden und später
gegen ihre ursprünglichen Besitzer Verwendung fanden.
Die Juden setzten die Verfolgung der Römer bis Anti-
patris fort; als sie dieselben hier nicht trafen, traten
sie den Rückmarsch an, nahmen die Maschinen mit,
plünderten die Leichen, sammelten die im Stich ge-
lassene Beute und zogen unter Siegesgesängen in die
Hauptstadt ein. Sie selbst hatten nur wenige Leute
verloren, den Römern und deren Bundesgenossen aber
284
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hatten sie fünftausenddreihundert Mann zu Fuss und
dreihundertachtzig Reiter getötet. Das geschah am
achten des Monats Dios, im zwölften Regierungsjahre
Neros. 1
Zwanzigstes Kapitel.
Cestius schickt Boten an Nero. Ermordung der Juden
zu Damaskus. Die von der Verfolgung des Cestius
heimkehrenden Bewohner Jerusalems ernennen weitere
Befehlshaber für den Krieg, darunter auch Josephus,
den Verfasser dieser Geschichte.
1. Nach der Niederlage des Cestius verliessen viele
angesehene Juden die Stadt, wie der Seemann schwimmend
das sinkende Schiff verlässt. Unter anderen flohen auch
Kostobar und Saulus in Gemeinschaft mit Jakims Sohn
Philippus, einem Kriegsobersten des Königs Agrippa,
aus der Stadt und begaben sich zu Cestius. Ein ge-
wisser Antipas aber, der mit den Genannten im Königs-
palast belagert worden war, verschmähte die Flucht und
wurde später, wie ich noch berichten werde, 2 von den
Aufständischen umgebracht. Cestius schickte nun den
Saulus und dessen Begleiter auf ihre Bitte nach Achaja
zu Nero, teils um ihre eigene Not dort zu schildern,
teils um die Schuld für den Ausbruch des Krieges auf
Florus zu wälzen. Indem er nämlich Neros Zorn gegen
letzteren wachrief, hoffte er die ihm selbst drohende Ge-
fahr verringern zu können.
2. Unterdessen hatten die Damascener von der Nieder-
lage der Römer Kunde erhalten und wussten nun nichts
eiligeres zu thun, als die bei ihnen lebenden Juden zu
ermorden. Und wie sie dieselben schon früher einmal
aus Argwohn in der Ringschule versammelt hatten, so
glaubten sie jetzt bei Gelegenheit einer ähnlichen Ver-
anstaltung den Angriff aufs leichteste ausführen zu
1 66 n. Ohr.
* IV, 3, 4.
Zweites Buch, 20. Kapitel.
285
können. Scheu hatten sie nur noch vor ihren Weibern,
welche mit wenigen Ausnahmen alle zur jüdischen Re-
ligion übergetreten waren. Sie gaben sich daher die
grösste Mühe, den Plan vor den Frauen geheim zu halten,
überfielen die in den engen Raum zusammengedrängten,
durchweg wehrlosen Juden, zehntausend an der Zahl,
und schlachteten sie alle in einer Stunde hin, ohne ihrer-
seits irgendwelchen Verlust zu erleiden.
3. Als nun die Verfolger des Cestius nach Jerusalem
zurückgekehrt waren, brachten sie die noch vorhandenen
Römerfreunde teils mit Gewalt, teils durch Überredung
auf ihre Seite und hielten sodann im Tempel eine Ver-
sammlung ab, um noch weitere Heerführer für den
Krieg zu ernennen. Als Oberbefehlshaber der Stadt
wurden gewählt Josephus, der Sohn des Gorion, und der
Hohepriester Ananus; ganz besonders machte man ihnen
zur Pflicht, die Mauern der Stadt wieder in Stand zu
setzen. Eleazar aber, den Sohn des Simon, wollte man,
obwohl er die den Römern abgenommene Beute und die
dem Cestius geraubte Kasse sowie ausserdem viele Staats-
gelder in Händen hatte, dennoch nicht an die Spitze der
Verwaltung stellen , da man ein herrschsüchtiges Wesen
an ihm bemerkt hatte und die ihm ergebenen Zeloten
sich wie seine Trabanten benahmen. Nicht lange nach-
her freilich liess sich das Volk durch den herrschenden
Geldmangel und Eleazars Zauberkünste derart berücken,
dass es ihm als dem obersten Gebieter Gehorsam zollte.
4. Für Idumaea bestimmte man andere Feldherren,
nämlich Jesus, den Sohn des Sapphias, einen der Hohe-
priester, und Eleazar, den Sohn des Hohepriesters Ana-
nias, deren Oberbefehl der bisherige Kommandant von
Idumaea, Niger — derPera'ite genannt, weil er aus dem
jenseits des Jordan gelegenen Peraea stammte — unter-
stellt wurde. Auch für die übrigen Landesteile ward
gesorgt: nach Jericho sandte man als Befehlshaber
Josephus, den Sohn des Simon, nach Peraea Manasses,
in die Toparchie Thamna den Essäer Joannes, welch
letzterem auch noch Lydda, Joppe und Ammaus zu-
286
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
geteilt wurden. Das Kommando in den Bezirken von
Gophna und Akrabatta erhielt des Ananias Sohn
Joannes, das in beiden Galilaea Josephus, 1 der Sohn
des Matthias, zu dessen Distrikt auch Gamala, die festeste
Stadt dieser Gegend, geschlagen wurde.
5. Jeder dieser Befehlshaber verwaltete nun das ihm
anvertraute Gebiet nach Massgabe seines guten Willens
und seiner Befähigung. Josephus insbesondere war, als
er nach Galilaea kam, zunächst darauf bedacht, sich
die Zuneigung der Eingeborenen zu erwerben, überzeugt,
dass er auf diesem Wege am meisten erreichen würde,
selbst wenn er im übrigen kein Glück haben sollte.
Ferner erkannte er, dass er einerseits die einflussreichen
Galiläer auf seine Seite bringen würde, wenn er die
Gewalt mit ihnen teilte , und dass er anderseits des
ganzen Volkes sicher sein müsse, wenn er die wich-
tigsten Anordnungen durch eingeborene und volkstüm-
liche Männer treffen liesse. Zu diesem Zweck wählte
er aus den Ältesten des Volkes die siebzig einsichts-
vollsten aus und machte sie zur höchsten Behörde für
ganz Galilaea. In jeder einzelnen Stadt aber ernannte er
sieben Richter zur Entscheidung unwesentlicher Streitig-
keiten, während die wichtigeren Angelegenheiten und
die peinlichen Fälle ihm selbst und den Siebzig vor-
gelegt werden sollten.
6. Nachdem er so die rechtlichen Verhältnisse inner-
halb der einzelnen Gemeinden geordnet hatte, liess er
sich auch ihre äussere Sicherheit angelegen sein, und da
er einen Einfall der Römer in Galilaea voraussah, be-
festigte er geeignete Plätze wie Jotapata, Bersabe, Sela-
min, Kapharekcho, Japha und Sigoph, den sogenannten
itabyrischen Berg, 2 Taricheae und Tiberias. Weiterhin
versah er mit Befestigungen die Höhlen am See Genne-
sar in dem Untergalilaea genannten Landesteil, und in
Obergalilaea den Achabarenfels, Seph, Jamnith und
1 Der Verfasser des vorliegenden Geschichtswerkes.
2 Den Tabor.
Go gle
JN|VBp,SITf,Of ( AOf^öRNG;
Zweites Buch, 19. Kapitel.
287
Meroth. In Gaulanitis 1 waren es Seleukia, Sogane und
Gamala, die Festungswerke erhielten. Nur den Seppho-
riten überliess er es, selbst ihre Mauern wieder . aufzu-
bauen, da er sie reichlich mit Geld versehen und ohne
besondere Aufforderung zum Kriege geneigt fand. Die
Stadt Gischala befestigte in gleicher Weise dem Befehle
des Josephus gemäss Joannes, der Sohn des Levi, nach
eigenem Plan; bei den anderen Verschanzungsarbeiten
aber war Josephus selbst mit Rat und That behilflich.
Ausserdem sammelte er in Galilaea ein Heer von über
hunderttausend jungen Leuten, die er sämtlich mit
alten Waffen, wie er sie gerade auftreiben konnte,
ausrüstete.
7. Von einer Schulung seiner Truppen im Geiste der
Römer, deren unüberwindliche Macht, wie er wusste,
vornehmlich auf Gehorsam und steter Waffenübung be-
ruhte, musste er freilich Abstand nehmen. Da er aber
erkannte, dass die Leute sich um so leichter an Dis-
ciplin gewöhnen würden, je zahlreicher die Führer seien,
teilte er das Heer mehr nach römischer Art ein und
ernannte eine grössere Anzahl von Offizieren. Die
Soldaten sonderte er in verschieden grosse Abteilungen
und stellte sie unter Anführer von je zehn , je hundert
und je tausend Mann, über welche dann wieder die
Befehlshaber grösserer Truppenverbände zu gebieten
hatten. Hierauf lehrte er sie das Weitergeben der
Losung, die Trompetensignale zum Angriff und Rückzug,
das Zusammenrücken und die Schwenkungen der Flügel,
zeigte ihnen auch, wie der siegende Teil dem unter-
liegenden Hilfe bringen und wie man mit dem be-
drängten Kampfgenossen aush alten müsse. Ferner prägte
er ihnen beständig ein, wie man Geistesgegenwart und
Abhärtung des Körpers sich zu eigen mache; besonders
aber suchte er den kriegerischen Sinn bei ihnen dadurch
zu wecken, dass er ihnen bei jeder Gelegenheit die
1 Gaulanitis war von Agrippa, zu dessen Gebiet es gehört hatte,
abgefallen (s. des Josephus Selbstbiographie, Abschnitt 37).
288
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
straffe Ordnung der Römer vor Augen führte und sie
darauf hinwies, wie sie es mit Männern zu thun haben
würden, die durch ihre Körperkraft und ihren Mut fast
die ganze Erde beherrschten. Schon vor dem Beginn
der Feindseligkeiten, sagte er, wolle er ihre Mannes-
zucht daran erproben, ob sie ihre schlechten Gewohn-
heiten ablegten, nämlich das Stehlen, Plündern und
Rauben, die Unehrlichkeit gegen ihre Landsleute und
jene Gesinnung, die sich zum Schaden des lieben Näch-
sten zu bereichern suche. Denn in denjenigen Kriegen
gehe es am besten, in welche die Kämpfer ein gutes
Gewissen mitbrächten; die von Haus aus Schlechten
aber hätten nicht nur die gegen sie anrückenden Feinde,
sondern auch Gott selbst zum Widersacher.
8. Unablässig richtete er viele solcher Ermahnungen
an sie. Er hatte nun ein schlagfertiges Heer von sech-
zigtausend Mann zu Fuss, zweihundertundfünfzig Reitern
und ausser diesen Truppen, auf die er das meiste Ver-
trauen setzte, noch etwa viertausendfünfhundert Söldner
beisammen; sechshundert auserlesene Streiter bildeten
seine Leibwache. Mit Ausnahme der Söldner wurde
übrigens das Heer von den Städten ohne Mühe ernährt;
denn von den Ausgehobenen schickte jede derselben
nur die Hälfte zum eigentlichen Dienst, während die
übrigen zurückbehalten wurden , um ihren im Felde
stehenden Landsleuten Proviant zuzuführen. So teilten
sie sich in die kriegerischen und die friedlichen Arbeiten,
wobei diejenigen, welche die Lebensmittel lieferten, den
Schutz der Bewaffneten als Gegenleistung genossen.
Zweites Buch, 21. Kapitel.
289
Einundzwanzigstes Kapitel.
Joannes von Gischala und sein Zerwürfnis mit Josephus.
Des letzteren fernere Thätigkeit in Galilaea.
1. Während Josephus dergestalt die Verwaltung
Galilaeas einrichtete, erhob sich wider ihn ein hinter-
listiger Mensch aus Gischala, der Sohn eines gewissen
Levi, mit Namen Joannes, der, verschlagen und tückisch
wie keiner der Grossen des Landes, in Ruchlosigkeit
überhaupt seinesgleichen nicht hatte. Anfangs war er arm,
und noch geraume Zeit hindurch stand Mittellosigkeit
seinem Frevelmut hindernd im Wege. Dagegen war er
stets fertig zur Lüge und ein Meister in der Kunst,
seine Lügen glaubhaft zu machen. Betrug hielt er für
eine Tugend, und er bediente sich desselben gegen seine
besten Freunde. Menschenliebe trug er heuchlerisch
zur Schau, während sein Inneres von unersättlicher, aus
Gewinnsucht entspringender Mordgier erfüllt war. Stets
wollte er hoch hinaus, und doch bauten sich alle seine
Pläne nur auf Niedertracht und Schurkerei auf. War
er doch eigentlich nichts als ein Räuber, der zunächst
sein Handwerk auf eigene Faust trieb, bald aber auch
einige verwegene Gesellen seines Schlages gefunden
hatte, deren Zahl sich im Laufe der Zeit immer mehr
vergrösserte. Übrigens war es ihm sehr darum zu thun,
dass niemand in seine Truppe eintrat, der leicht zu be-
zwingen war; vielmehr nahm er nur solche Leute, die
sich durch kräftigen Körperbau, Entschlossenheit und
Kriegserfahrung auszeichneten. So brachte er nach
und nach eine Schar von vierhundert Mann zusammen,
grösstenteils Flüchtlinge aus dem Stadtgebiet von Tyrus
und den dazu gehörigen Dörfern. Mit ihnen zog er
plündernd in ganz Galilaea umher und versetzte die
grosse Masse der Bevölkerung, die ohnehin dem bevor-
stehenden Kriege mit ängstlicher Spannung entgegen-
sah, noch mehr in Unruhe.
2. Schon dachte er daran, Feldherr zu werden, und
Josephus, jüdischer Krieg. 19
290
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
trug sich sogar mit noch höheren Plänen ; aber immer
war es seine Geldnot, die ihm Schwierigkeiten bereitete.
Kaum hatte er nun die Wahrnehmung gemacht, dass
Josephus an seinem Thatendrang grossen Gefallen fand,
als er ihn zunächst zu bereden wusste, ihm den Wieder-
aufbau der Mauern seiner Vaterstadt anzuvertrauen, 1
wobei er von den reichen Bürgern derselben grosse
Summen erpresste. Hierauf stellte er sich in höchst
verschmitzter Absicht an, als wollte er die Juden in
Syrien vor dem Gebrauch des nicht von ihren Stammes-
genossen gelieferten Öles bewahren, und bat sich des-
halb von Josephus das Recht aus, ihnen öl an die
Grenze schaffen zu dürfen. Mit tyrischer Münze im
Wert von vier attischen Drachmen kaufte er sodann je
vier Amphoren 2 und verkaufte um denselben Preis eine
halbe Amphora. Galilaea erzeugt überhaupt viel öl
und hatte gerade damals eine sehr gute Ernte gehabt,
während die Syrer daran Mangel litten. Indem nun er
allein ihnen grosse Mengen öl lieferte, gewann er eine
Unsumme Geldes, das er alsbald gegen den gebrauchte,
der ihm diesen Erwerb verschafft hatte. Und da er der
Meinung war, es würde, wenn er Josephus stürzte, ihm
selbst der Oberbefehl in Galilaea übertragen werden,
wies er die ihm untergebenen Banditen an, ihre Räube-
reien noch nachdrücklicher zu betreiben, um entweder,
wenn an vielen Orten im Lande Aufruhr entstände, den
zu Hilfe eilenden Statthalter durch Verrat aus dem
Wege zu räumen, oder, falls letzterer die Räuber ge*
währen Hesse, ihn bei den Einwohnern anschwärzen zu
können. Weiterhin streute er das Gerücht aus, Josephua
wolle den Römern das Land verraten, und suchte durch
diese und ähnliche Umtriebe den Sturz des Gehassten
herbeizuführen.
3. Um diese Zeit überfielen einige junge Leute aus
dem Dorf Dabaritta, welche zu der Beobachtungstruppe
1 S. 20, 6.
2 Eine Amphora = 26 Liter.
Zweites Buch, 21. Kapitel.
291
in der grossen Ebene gehörten, den Verwalter des
Agrippa und der Berenike, Ptolemaeus, und nahmen
ihm alles Gepäck ab, das er bei sich führte, worunter
nicht wenige kostbare Gewänder, eine Menge silberner
Trinkgefässe und sechshundert Goldstücke sich befanden.
Da sie jedoch ihren Raub nicht unter sich teilen konnten,
schafften sie alles nach Taricheae zu Josephus. Dieser
verwies ihnen den gewaltsamen Eingriff in das Eigentum
königlicher Personen und gab die erbeuteten Gegenstände
dem mächtigsten Bürger von Taricheae, Annaeus, in
Verwahr mit der Absicht, sie gelegentlich den Eigen-
tümern wieder zuzustellen. Das aber brachte ihn in die
grösste Gefahr. Die Thäter nämlich, die einerseits ärger-
lich darüber waren, dass ihnen kein Anteil von der
Beute zufallen sollte, und anderseits die Absicht des
Josephus, mit dem Preis ihrer Mühe dem Könige und
seiner Schwester eine Gefälligkeit zu erweisen, durch-
schauten, eilten noch in der Nacht durch die Dörfer
und schilderten überall den Josephus als Verräter. Auch
in den umliegenden Städten brachten sie alles in Auf-
ruhr, sodass gegen Morgen hunderttausend Bewaffnete
sich wider ihn vereinigt hatten. Die Menge sammelte
sich nun in der Rennbahn zu Taricheae und erhob ein
lautes und leidenschaftliches Geschrei : die einen riefen,
man müsse den Verräter absetzen, andere, man solle
ihn verbrennen. Joannes und mit ihm Jesus, der Sohn
des Sapphias, damals Befehlshaber von Tiberias, reizten
die Erbitterung des Haufens immer mehr, bis die Freunde
und Leibwächter des Josephus aus Angst vor einem
Angriff der Menge alle bis auf vier ihr Heil in der
Flucht suchten. Er selbst lag noch zu Bett, als schon
Feuer angelegt werden sollte; da aber erhob er sich,
und obwohl die vier Zurückgebliebenen ihm zur Flucht
rieten, sprang er, ohne sich durch seine Vereinsamung
oder die Menge der Angreifer erschrecken zu lassen,
hervor, mit zerrissenem Gewände, das Haupt mit Asche
bestreut, die Hände auf den Rücken haltend und sein
eigenes Schwert an den Nacken gebunden. Dieser
19 *
Go gle
292 Josqphus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Auftritt rief bei allen, die es noch gut mit ihm meinten,
besonders bei den Einwohnern von Taricheae, Mitleid
wach ; die Landleute aber und diejenigen aus seiner
näheren Umgebung, die ihn nicht leiden mochten, be-
schimpften ihn und verlangten, er solle die Schätze, die
öffentliches Eigentum seien, auf der Stelle herausgeben
und seine verräterischen Verbindungen eingestehen.
Sein Gebaren hatte sie nämlich auf den Gedanken ge-
bracht, er werde nichts von dem in Abrede stellen, wes-
wegen man ihn im Verdacht hatte, und er habe den
ganzen auf Erregung von Mitleid berechneten Aufzug
nur deshalb ins Werk gesetzt, um sich Verzeihung zu
verschaffen. Dieses sein demütiges Benehmen war indes
nichts als die Einleitung zu einer Kriegslist, und nur
in der schlauen Absicht, die auf ihn erbosten Menschen
an dem Gegenstand ihres Zornes miteinander zu ent-
zweien, versprach er alles eingestehen zu wollen. Nach-
dem ihm dann gestattet worden war, das Wort zu er-
greifen, liess er sich also vernehmen: „Diese Schätze
hatte ich weder im Sinn an Agrippa zu schicken, noch
zu meinem eigenen Nutzen zu verwenden; denn nie
werde ich euren Gegner für meinen Freund halten, noch
das als Gewinn ansehen, was der Gesamtheit Schaden
bringt. Vielmehr hatte ich, weil ich sah, dass eure
Stadt, ihr Bürger von Taricheae, dringend der Befestigung
bedarf und zur Erbauung einer Mauer kein Geld hat,
mir vorgenommen, aus Furcht vor dem Volke von Tibe-
rias und den anderen Städten, welche mit neidischen
Blicken auf die Beute lauern, die Schätze insgeheim auf-
zubewahren, um euch damit eine Mauer zu errichten.
Missfällt euch nun dieser Vorschlag, so lasse ich die
erbeuteten Gegenstände herbeibringen und gebe sie der
Plünderung preis ; habe ich es aber gut mit euch gemeint,
so strafet euren Wohlthäter!“
4. Diese Worte riefen bei den Taricheaten freudige
Zustimmung hervor, während die von Tiberias und die
anderen schimpften und drohten. Beide Teile Hessen
nun von Josephus ab und stritten miteinander. Er
Go gle
Zweites Buch, 2 1 . Kapitel.
293
aber halte jetzt eine Stütze an den auf seiner Seite
stehenden Taricheaten — es waren ihrer gegen vierzig-
tausend — , und das gab ihm den Mut, dem ganzen
Haufen gegenüber eine freiere Sprache zu führen. Zu-
nächst verwies er ihnen eindringlich ihr voreiliges Ver-
fahren und erklärte dann, mit dem vorhandenen Gelde
werde er Taricheae befestigen. Aber auch für die Sicher-
heit der übrigen Städte solle in gleicher Weise gesorgt
werden ; denn an Geld würden sie keinen Mangel haben,
wofern sie nur über die Feinde, gegen die man es ver-
wenden müsse, einig seien und nicht gegen den, der es
ihnen verschaffen wolle, sich aufreizen Hessen.
5. Nun entfernte sich die grosse Masse seiner Gegner,
wiewohl noch grollend; zweitausend Bewaffnete jedoch
machten einen Angriff auf ihn und umringten unter
lauten Drohungen das Haus, in das er sich noch eben
rechtzeitig geflüchtet hatte. Gegen sie gebrauchte Jo-
sephus abermals eine List. Er stieg nämlich auf das
Dach, gebot mit der Hand Stille und rief ihnen zu, er
wisse nicht, was ihr Begehren sei, denn er könne sie
'wegen ihres Durcheinanderschreiens nicht verstehen. Er
werde übrigens alles thun, was sie verlangten, wenn sie
einige aus ihrer Mitte in das Haus schicken wollten, um
sich in Ruhe mit ihm zu besprechen. Daraufhin gingen
die Vornehmsten mit den Anführern zu ihm hinein. Er
aber liess sie in den entlegensten Winkel des Hauses
schleppen und sie bei verschlossener Thür geissein, bis
ihre Eingeweide sichtbar wurden. Unterdessen stand die
Menge draussen in der Meinung, die Abgeordneten
hielten sich bei der Verfechtung ihrer Sache etwas
länger auf. Plötzlich liess nun Josephus die Thür
öffnen und die bluttriefenden Männer hinausjagen, was
dem drohenden Haufen einen solchen Schrecken ein-
flösste, dass er die Waffen wegwarf und auseinanderstob.
6. Diese Vorgänge steigerten den Hass des Joannes,
und alsbald ersann er einen zweiten Anschlag gegen
Josephus. Indem er nämlich eine Krankheit vorschützte,
bat er ihn schriftlich um die Erlaubnis, die warmen
294
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Quellen in Tiberias 1 zu seiner Heilung gebrauchen zu
dürfen. Josephus, der noch keine Ahnung von seiner
Arglist hatte, schrieb an die Behörden der Stadt, sie
möchten den Joannes gastfreundlich aufnehmen und ihm
alles Nötige gewähren. Diese Empfehlung nutzte Joannes
auch wirklich aus; kaum aber war er zwei Tage dort, als er
den eigentlichen Zweck seines Aufenthaltes zu verfolgen be-
gann, indem er die Einwohner teils durch falsche Vor-
spiegelungen, teils durch Bestechung zum Abfall von Jo-
sephus zu verleiten suchte. Silas, der von Josephus den
Auftrag erhalten hatte, die Stadt zu überwachen, setzte diesen
alsbald brieflich von dem verräterischen Treiben in Kennt-
nis. Nach Empfang des Schreibens machte sich Josephus
noch in der Nacht eiligst auf den Weg und kam mit
Tagesanbruch nach Tiberias, wo das Volk ihm zur Be-
grüssung entgegenzog. Joannes indes, der wohl ahnte,
dass des Statthalters Anwesenheit ihm selbst galt,
schickte einen seiner Vertrauten, schützte körperliche
Schwäche vor und liess ihm sagen , er sei bettlägerig
und könne ihm deshalb seine Aufwartung nicht machen.
Als aber Josephus die Tiberienser in der Rennbahn*
versammelt hatte und eben den Inhalt des Schreibens
mit ihnen besprechen wollte, sandte Joannes in aller
Stille Bewaffnete ab mit dem Auftrag, ihn aus dem
Wege zu räumen. Kaum hatte das versammelte Volk
bemerkt, wie die Bewaffneten schon in einiger Entfernung
ihre Schwerter entblössten, als es ein lautes Geschrei
erhob. Hierdurch aufmerksam gemacht, wandte Jo-
sephus sich um und eilte, da er schon die Schwerter zu
seiner Ermordung gezückt sah, ans Ufer hinab — er
hatte nämlich, um zum Volke sprechen zu können,
einen sechs Ellen hohen Erdhügel bestiegen — , sprang
1 Heute noch finden sich bei Tabariye, dem allen Tiberias, heisse
Quellen. Ibrahim Pascha liess hier im Jahre 1833 ein prachtvolles
Badehaus errichten. Die Quellen setzen teils weissen, teils rotgelben
Niederschlag ab, enthalten Schwefel, Kochsalz und Eisen und sind
also denen von Aachen ähnlich. Robinson fand die Temperatur der
• inen Quelle = 49 V 3 0 R.
Go gle
Zweites Buch, 21. Kapitel.
295
in einen dort liegenden Nachen und flüchtete sich mit
zwei Leibwächtern in die Mitte des Sees.
7. Nun aber griffen seine Soldaten plötzlich zu den
Waffen und rückten gegen die Mordbande aus. Aus
Besorgnis, es möchte, wenn ein Bürgerkrieg ausbräche,
die ganze Stadt den feindlichen Umtrieben einiger
wenigen Leute zum Opfer fallen, liess Josephus den
Seinigen durch einen Boten sagen , sie sollten nur auf
ihre eigene Sicherheit Bedacht nehmen, ohne einen der
Schuldigen zu töten oder zur Verantwortung zu ziehen.
Diesem Befehl gehorchten die Soldaten und verhielten
sich ruhig; die Bevölkerung der Umgegend aber rottete
sich, als sie von dem Verrat und seinem Urheber hörte,
gegen Joannes zusammen, der sich indessen bereits durch
die Flucht nach seiner Vaterstadt gerettet hatte. Aus
allen Städten Galilaeas strömten nun viele tausend Be-
waffnete zu Josephus und erklärten, sie seien gekommen,
um gegen Joannes, den gemeinschaftlichen Feind, zu
ziehen und ihn samt der Stadt, die ihn aufgenommen
habe, zu verbrennen. Josephus sprach ihnen für ihre
gute Gesinnung seine Anerkennung aus, suchte aber ihr
Ungestüm zu mässigen, weil er seine Feinde lieber durch
Klugheit überwältigen als ums Leben bringen wollte.
Und nachdem er von den einzelnen Städten die Namen
deijenigen erfahren hatte, welche mit Joannes abgefallen
waren — die Bürger brachten nämlich ihre Verwandten
bereitwillig zur Anzeige — , liess er durch Herolde die
Drohung verkündigen, er werde die Habe derer, die nicht
innerhalb fünf Tagen den Joannes verliessen , plündern
lassen und ihre Häuser samt den Familien dem Feuer
preisgeben. Dadurch brachte er sogleich dreitausend
Mann auf seine Seite, die sich bei ihm einfanden und
ihre Waffen ihm zu Füssen legten. Mit dem Reste
seiner Anhänger, etwa zweitausend syrischen Flücht-
lingen, verlegte sich Joannes wieder auf heimliche Nach-
stellungen, nachdem der offene Angriff missglückt war.
In aller Stille sandte er Boten nach Jerusalem, um den
Josephus wegen seiner gewaltigen Streitmacht zu ver-
296 J osephns, Geschichte des Jüdischen Krieges.
dächtigen, und liess sagen, gar bald werde der Statt-
halter wohl als Tyrann in die Hauptstadt einziehen,
wenn man sich seiner Person nicht vorher versichere. Das
Volk hatte dies vorausgesehen und achtete nicht darauf;
die Vornehmen aber und einige obrigkeitliche Personen
schickten heimlich Geld an Joannes, damit er Söldner
anwerben und gegen Josephus zu Felde ziehen könne.
Auch beschlossen sie unter sich, letzteren von seinem
Befehlshaberposten abzurufen. Da sie jedoch einsahen,
der Beschluss allein werde dazu nicht genügen, sandten
sie zweitausendfünfhundert Schwerbewaffnete und vier
angesehene Männer, Joaesdros, den Sohn des Nomikos,
Ananias, den Sohn des Sadduk, Simon und Judas, die
Söhne des Jonathas, sämtlich hervorragende Redner,
mit dem Auftrag ab, den Josephus um seine Beliebtheit
beim Volke zu bringen und, wenn er sich gutwillig
stelle, Rechenschaft von ihm zu fordern, wenn er aber
seinen Posten mit Gewalt behaupten wolle, ihn als Feind
zu behandeln. Den Josephus hatten nun seine Freunde
von dem Anmarsch einer Truppenabteilung brieflich in
Kenntnis gesetzt, den Grund aber hatten sie ihm nicht
angeben können, weil der Plan der Feinde geheim ge-
halten worden war. Er traf deshalb auch keine Vor-
sichtsmassregeln , und so fielen alsbald vier Städte zu
den Gegnern ab, Sepphoris, Gamal a , Gischala und
Tiberias. Schnell aber brachte er dieselben ohne
Schwertstreich wieder auf seine Seite, bekam dann durch
List auch die vier Anführer sowie die mächtigsten der
Bewaffneten in seine Gewalt und schickte sie nach Jeru-
salem zurück. Hier war das Volk nicht wenig über sie
aufgebracht und würde sie wohl samt ihren Begleitern
umgebracht haben, wenn sie sich nicht durch die Flucht
gerettet hätten.
8. Aus Furcht vor Josephus hielt sich Joannes von
nun an innerhalb der Mauern Gischalas. Wenige Tage
nachher fiel übrigens Tiberias wieder ab, nachdem die
Einwohner der Stadt die Hilfe des Königs Agrippa an-
gerufen hatten. Dieser traf aber zu dem bestimmten
Go gle
Zweites Bach, 21. Kapitel.
297
Zeitpunkt nicht ein, und da an demselben Tage einige
römische Reiter in der Stadt sich zeigten , erklärten die
Bürger durch einen Herold den Josephus für der Stadt
verwiesen. Ihr Abfall ward sogleich nach Taricheae
gemeldet; indes mochte Josephus, weil er gerade fast
alle seine Soldaten zum Einholen von Proviant aus-
geschickt hatte, allein gegen die Abtrünnigen nicht aus-
rücken, anderseits auch nicht bleiben wo er war, weil
sonst die Königlichen, während er zögerte, die 8tadt er-
reichen konnten. Am folgenden Tage aber, der als
Sabbat den Stillstand der Arbeiten gebot, war es ihm
ohnehin nicht möglich, etwas zu unternehmen. So sann
er denn darauf, die Abgefallenen zu überlisten : er liess
die Thore von Taricheae schliessen, damit niemand seinen
Plan denen, gegen welche er gerichtet war, verraten
könne, und alle Kähne auf dem See zusammenbringen.
Es fanden sich deren zweihundertdreissig, und in jedem
waren nicht mehr als vier Schiffer. Mit ihnen fuhr er
eiligst nach Tiberias. Er liess nun die halbleeren
Nachen in einer Entfernung von der Stadt, wo man sie
nicht deutlich sehen konnte, auf dem See umhertreiben,
während er selbst mit nur sieben unbewaffneten Leib-
wächtern mehr in den Gesichtskreis der Stadt hineinfuhr.
Kaum aber erblickten ihn seine Gegner, die ihn bis
dahin noch geschmäht hatten, von der Mauer herab, als
sie in der Meinung, alle Kähne seien mit Kriegern ge-
füllt, ihre Waffen von sich warfen, wie Schutzflehende
mit Olivenzweigen schwenkten und ihn baten, die Stadt
zu verschonen.
9. Josephus drohte ihnen mit allem Nachdruck und
machte ihnen Vorwürfe darüber, dass sie, die zuerst sich
zum Kriege gegen die Römer angeschickt hätten,
ihre Kräfte nun zum voraus im Bürgerzwist aufrieben,
womit sie natürlich ihren Feinden den grössten Gefallen
erzeigten. Weiterhin schalt er sie aus, dass sie jetzt den
Mann, der für ihre Sicherheit sorge, aus dem Wege zu
räumen suchten und sich nicht schämten, ihre Stadt dem
zu verschliessen, der sie mit Mauern umgeben habe. Er
298 Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sei jedoch, so schloss er, bereit, diejenigen in Gnaden
aufzunehmen, die ihre Schuld eingestehen und ihm be-
hilflich sein wollten , sich der Stadt zu versichern.
Daraufhin kamen alsbald die zehn einflussreichsten
Bürger von Tiberias ans Ufer herab. Josephus liess sie
in eines der Boote einsteigen und weit in den See
hinausfahren. Alsdann beschied er fünfzig andere
der angesehensten Mitglieder des Rates zu sich, als
wollte er auch von ihnen das Gelöbnis der Treue ent-
gegennehmen. Und immer wieder ersann er neue Vor-
wände, um noch mehr Bewohner der Stadt wie zum Ab-
schluss eines Übereinkommens zu sich zu rufen. Den
Steuerleuten der angefüllten Schiffe aber gab er Befehl,
so schnell wie möglich nach Taricheae zu segeln und
die Männer dort ins Gefängnis zu bringen, bis er end-
lich den ganzen, aus sechshundert Köpfen bestehenden
Rat und etwa zweitausend vom niederen Volke in seine
Gewalt bekommen und zu Schiff nach Taricheae ge-
schleppt hatte.
10. Die übrigen gaben nun mit lautem Geschrei einen
gewissen Kleitos als Hauptanstifter des Abfalls an, und
da sie an Josephus die Aufforderung richteten, seinem
Zorn gegen ihn freien Lauf zu lassen, erteilte er, weil er
entschlossen war, niemand am Leben zu strafen, einem
seiner Trabanten Namens Levi den Befehl, jenem die
Hände abzuhauen. Der Trabant aber, der sich vor der
Menge der Feinde fürchtete, weigerte sich, allein hin-
zugehen. Als nun Kleitos sah, wie Josephus selbst voll
Unwillen ein Schiff bestieg und heraneilen wollte, um
die Strafe zu vollziehen, bat er vom Ufer aus flehent-
lich, man möge ihm doch wenigstens die eine Hand
lassen. Jesephus bewilligte ihm die Bitte unter der Be-
dingung, dass er selbst sich die andere Hand abschlage,
und wirklich zog Kleitos mit der Rechten sein Schwert
und hieb sich die Linke ab — so gross war seine Angst
vor Josephus. Auf diese Weise unterwarf sich letzterer
mit leeren Nachen und sieben Trabanten die Einwohner
von Tiberias und brachte die Stadt wieder auf seine
Go gle
Zweites Buch, 22. Kapitel.
299
Seite. Wenige Tage darauf nahm er Gischala, das mit
Sepphoris abgefallen war, und überliess es seinen Leuten
zur Plünderung. Übrigens gab er alles, was er zu-
sammenbringen konnte, den Bürgern der Stadt zurück,
ebenso denen von Sepphoris und Tiberias; denn er
wollte ihnen, nachdem er sie überwältigt hatte, durch
die Plünderung nur eine Warnung erteilen, und gewann
sich nun durch Rückgabe des Eigentums ihre Zu-
neigung wieder.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Kriegsrüstungen der Juden.
Simon, des Gioras Sohn, verlegt sich auf Räubereien.
1. Damit war die Gärung in Galilaea zu Ende, und
man wandte sich nun, da die inneren Zwistigkeiten ruhten,
zu den Kriegsrüstungen gegen die Römer. In Jerusalem
setzten der Hohepriester Ananus und die Mächtigen,
soweit sie nicht römisch gesinnt waren, die Mauer in
Stand und liessen eine Menge Kriegsgerät anfertigen.
Rings in der Stadt wurden Geschosse und vollständige
Rüstungen geschmiedet; haufenweise beschäftigten sich
die jungen Leute mit planlosen Waffenübungen, und
überall herrschte ein lärmendes Getöse. Grosse Nieder-
geschlagenheit aber bemächtigte sich der friedliebenden
Bürger, und gar viele brachen, den kommenden Jammer
voraussehend , in laute Wehklagen aus. Auch stellten
sich Wahrzeichen ein, welche von dem ruhigen Teile
der Bevölkerung für unheilverkündend gehalten wurden,
während die Anstifter des Krieges sie leichtfertig nach
ihrem Gefallen auslegten. Noch ehe die Römer heran-
zogen, hatte Jerusalem bereits das Ansehen einer dem
Untergang geweihten Stadt. Ananus gedachte nun die
Kriegsrüstungen für kurze Zeit zu unterbrechen, um die
Aufständischen und den Wahnsinn der sogenannten
Zeloten auf das allgemeine Wohl hinzulenken, doch
Go gle
300
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
musste er der Gewalt weich en. Später 1 werde ich noch
berichten, welches Ende er fand.
2. In der Toparchie Akrabatene brachte Simon , des
Gioras Sohn, eine Menge Unzufriedener zusammen und
verlegte sich auf Räubereien, wobei er nicht nur die
Häuser der Reichen plünderte, sondern auch sie selbst
körperlich misshandelte. Schon jetzt traten die Anfänge
seiner späteren Tyrannei zutage. Ananus und die
anderen obrigkeitlichen Personen schickten Truppen
gegen ihn aus; er aber flüchtete sich mit seinen Spiess-
gesellen zu den Räubern nach Masada, 2 wo er bis zum
Sturze des Ananus und seiner übrigen Gegner verblieb.
Während dieser Zeit beteiligte er sich an den Streif-
zügen der Banditen nach Idumaea, dessen Behörden in-
folge der vielen Mordthaten und beständigen Räubereien
sich genötigt sahen , ein Heer zu sammeln und Be-
satzungen in die Dörfer zu legen. So standen damals
die Dinge in Judaea.
1 IV, 5,2.
2 S. 17, 2 und 17, 8.
Drittes Buch
Inhalt.
1. In welche Stimmung Nero geriet, als er von dem Wirrwarr in
Judaea hörte.
2. Wie die Juden nach des Cestius Niederlage Askalon angriffen,
aber zweimal geschlagen wurden und gegen zwanzigtausend
Mann verloren.
3. Wie Vespasianus mit den in Antiochia stehenden Truppen nach
Ptolemais zog , wo ihm Bürger von Sepphoris in Galilaea ent-
gegenkamen und ihre Unterwerfung anboten.
4. Beschreibung von Galilaea und von ganz Judaea. Wie Josephus
sich zur Einnahme von Sepphoris anschickte, aber von dem
Tribun Placidus, der zu Hilfe eilte, zurückgeschlagen wurde.
5. Wie Titus von Achaja nach Alexandria übersetzte, dann von dort
auf brach und zu seinem Vater stiess , der so grosse Streitkriifte
wie möglich zusammengebracht hatte.
6. Schilderung des römischen Heer- und Lagerwesens, sowie der
übrigen vortrefflichen römischen Einrichtungen.
7. Wie Placidus von Jotapata zurückgeschlagen wurde, und wie
Vespasianus von Ptolemais aulbrach und in Judaea einfiel.
8. Das römische Heer auf dem Marsche.
9. Wie die Juden in Schrecken gerieten, als sie die straffe Zucht
der Körner gewahrten , und wie die Körner nach der Einnahme
von Gabara alle Bewohner der Stadt ohne Unterschied des
Alters niedermachten.
10. Wie Josephus durch seine Flucht nach Tiberias allen Einwohnern
Furcht einjagte, und wie er ein Schreiben über den Stand der
Dinge nach Jerusalem richtete, worauf er nach Jotapata zurück-
kehrte.
11. Wie Vespasianus, sobald er vernommen hatte, Josephus sei nach
Jotapata geflohen, ihn dort belagerte.
12. Beschreibung von Jotapata. Wie Vespasianus, nachdem er allen
freien Kaum vor den Mauern mit Erdwerken ausgefüllt hatte,
die Wurfmaschinen auf stellen liess.
13. Wie Josephus Gegenmassregeln traf, die Mauern erhöhte, den
Seinigen das Trinkwasser sparsam zumass und andere Mittel
ersann, um die Belagerung in die Länge zu ziehen.
14. Wie Josephus, als er die Hoffnung auf Erhaltung der Stadt auf-
gegeben hatte und sie deshalb verlassen wollte, von den Bürgern
daran gehindert wurde.
302
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
15. Über die Beschaffenheit der „Widder“ genannten Maschine.
• Wie die Juden die Belagerungswerke der Körner in Brand
steckten.
16. Von Eleazar, dem Sohne des Samaeas. Wie Vespasianus am
Fuss verwundet wurde.
17. Von der Kraft der Ballisten und Katapulten, und wie weit die
von den Geschossen derselben abgerissenen Körperteile ge-
schleudert wurden.
18. Wie Vespasianus die Stadt mit dreifacher Sturmkolonne umgab,
und was Josephus dagegen ins Werk setzte.
19. Wie Josephus siedendes Öl auf die Belagerer hinabgiessen und
die Sturm brücken durch abgekochtes griechisches Heu schlüpfrig
machen liess.
20. Wie Vespasianus die Wälle erhöhen und festere Belagerungs-
türme an die Stadt heranrücken liess.
21. Wie die nahe bei Jotapata gelegene Stadt Japha in diesen Tagen
von den Körnern erstürmt wurde, nachdem zuerst Trajanus und
sodann Titus dorthin entsandt worden war.
22. Wie die Samariter von Cerealis gänzlich aufgerieben wurden.
23. Wie Jotapata infolge der Verräterei eines Überläufers ein-
genommen wurde, und wie der Centurio Antonius dabei
umkam.
24. Wie Josephus sich in einer Cisteme versteckte und samt einer
Anzahl Waffengefährten dort verborgen blieb, aber, von einem
Weibe verraten, den Entschluss fasste, sich den Körnern zu er-
geben.
25. Wie des Josephus Gefährten sich diesem Plan widersetzten, und
welche Vorstellungen er ihnen darauf machte.
26. Wie er, unfähig, sie für seinen Plan zu gewinnen, sie beredete,
durchs Los zu bestimmen, wer von ihnen durch die Hand
seiner Gefährten umkommen solle, und wie er dann selbst mit
noch einem anderen übrig blieb und den Körnern vorgeführt
wurde.
27. Des Josephus Ansprache »in Vespasianus, und wie gnädig er von
ihm behandelt wurde.
28. Wie Vespasianus nach Caesarea am Meer zurückkehrte, um da-
selbst mit seinem Heere zu überwintern.
29. Wie die aus den zerstörten Städten entflohenen Juden sich zu-
sammenscharten und Joppe wieder befestigten, aber von den
Römern niedergemacht wurden, die alsdann die Stadt dem Erd-
boden gleich machten.
30. Wie die Jerusalemer durch die Nachricht vom Schicksal Jota-
patas erschüttert wurden, und wie sie zuerst, als ihnen der Tod
des Josephus gemeldet ward, sich in Wehklagen ergingen, dann
aber auf die Kunde, er werde von den Römern sehr ehrenvoll
behandelt, in Erbitterung gerieten und nun noch stürmischer
Go gle
jp [ VE.R s IlTOF C aLIPP r N I a
Drittes Buch, 1. Kapitel.
303
nach dem Kriege verlangten , um an Josephus wie an den
Körnern ihre Rache kühlen zu können.
31. Wie Vespasianus auf Agrippas Einladung von Caesarea am
Meer nach Caesarea Philippi sich begab, wo er die Nachricht
vom Abfall der Städte Tiberias und Taricheae erhielt.
32. Wie Tiberias genommen wurde, nachdem die Einwohner aus Reue
über ihren Abfall um Verzeihung gebeten hatten.
33. Wie Titus von seinem Vater nach Taricheae geschickt wurde und,
als er die Seinigen über die Menge der Feinde in Schrecken
geraten sah, sie durch eine Ansprache ermutigte.
34. Wie die Römer, durch des Titus Rede gestärkt und gehoben,
Taricheae erstürmten und eine Menge Feinde niedermetzelten.
35. Beschreibung des Jordan und der Landschaft Gennesar.
36. Welche Behandlung der Feldherr Vespasianus den gefangenen
Taricheaten zuteil werden liess.
Erstes Kapitel.
Nero betraut den Vespasianus mit der Führung des Krieges
gegen die Juden.
1. Als Nero von den Unfällen in Judaea Kunde er-
hielt, ergriff ihn, wie natürlich, geheime Angst und Be-
stürzung; äusserlich jedoch spielte er den Übermütigen
und behauptete in seinem Zorn, an dem Geschehenen
sei mehr die Nachlässigkeit der Führer als die Tapfer-
keit der Feinde schuld. Er glaubte nämlich, der
Majestät des Herrschers gezieme es, unglückliche Er-
eignisse für nichts zu achten und den Schein anzu-
nehmen , als sei seine Seele über alle Widerwärtigkeiten
erhaben. Sein kummervolles Wesen verriet indes deut-
lich die in seinem Inneren herrschende Unruhe.
2. Indem er nun überlegte, wem er den aufgeregten
Orient an vertrauen sollte, um die Juden für ihren Ab-
fall zu züchtigen und sich der Nachbarvölker, die eben-
falls schon vom Geiste der Empörung angesteckt waren,
zu versichern, fand er allein Vespasianus 1 der Aufgabe
1 Titus Flavius Vespasianus , geboren 9 n. Chr. , hatte bis
dahin Kriegsdienste in Thrakien, Germanien, Britannien und Afrika
gethan.
Go gle
JNfVERSWOF C (\Uf(5R1M!/\
304
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gewachsen und fähig, die Führung eines Krieges von
solcher Bedeutung zu übernehmen. War er doch der
Mann, der, im Kriegsdienst aufgewachsen und ergraut*
schon vor längerer Zeit das von den Germanen er-
schütterte Abendland den Römern wiedergewonnen, das
bis dahin unbekannte Britannien mit Waffengewalt ihrer
Oberherrschaft unterworfen und dadurch dem Vater
Neros, Claudius, einen völlig mühelosen Triumph ver-
schafft hatte.
3. Dies alles sah Nero als günstige Vorbedeutung
an, und da er ausserdem das gesetzte Alter des kriegs-
erfahrenen Mannes, seine bisherige, jetzt auch noch durch
seine Söhne verbürgte Ergebenheit, sowie der letzteren
jugendliche Kraft, deren sich die Klugheit des Vaters
gleichsam als der Hand bedienen konnte, in Betracht
zog, vielleicht aber auch, weil Gott schon alles zum
voraus so geordnet hatte, sandte er ihn ab , 1 um den
Oberbefehl über die Heere in Syrien zu übernehmen,
nachdem er zuvor, um seinen Eifer anzuspornen, im
Drange der Not ihn auf mancherlei Weise zu begütigen
und durch freundliches Benehmen zu gewinnen gesucht
hatte . 2 Vespasianus schickte nun von Achaja aus, wo
er sich mit Nero befand , seinen Sohn Titus nach
Alexandria, um dort die fünfte und zehnte Legion zu
holen. Er selbst aber setzte über den Hellespont und
kam auf dem Landweg in Syrien an, wo er die rö-
mischen Streitkräfte und von den benachbarten Königen
zahlreiche Hilfstruppen zusammenzog.
1 67 n. Chr.
* Vorher nämlich war er ihm nicht besonders hold gewesen,
weil Vespasianus häufig, wenn Nero sang, das Theater verliess oder
einschlief (s. Sueton, Vespas. 3).
Drittes Buch» 2. Kapitel.
305
Zweites Kapitel.
Niederlage der Juden bei Askalon. Vespasianus marschiert
nach Ptolemais.
1. Nach der Niederlage des Cestius durch ihre un-
erwarteten Erfolge übermütig gemacht, vermochten die
Juden ihr Ungestüm nicht mehr zu mässigen und
suchten, wie wenn ihr Glück sie nicht ruhen Hesse, dem
Kriege immer weitere Ausdehnung zu geben. Unverzüg-
lich sammelte sich daher alles, was streitbar war, und
brach gegen Askalon auf. Es ist dies eine alte, fünf-
hundertzwanzig Stadien von Jerusalem entfernt liegende
Stadt, die den Juden von jeher verhasst war, weshalb
sie auch jetzt das erste Ziel ihres Angriffs sein sollte.
An der Spitze des Unternehmens standen drei durch
Körperkraft und Einsicht hervorragende Männer, der
Pera’ite Niger, der Babylonier Silas und der Essäer
Joannes. Askalon war zwar stark befestigt, aber fast
ohne Besatzungstruppen: es lagen nämlich in der Stadt
nur eine Kohorte Fussvolk und eine einzige Reiter-
schwadron unter dem Kommando des Antonius.
2. In ihrer Erbitterung hatten die Juden ihren Marsch
derart beschleunigt, dass sie auf einmal vor der Stadt
auftauchten, als wären sie ganz aus der Nähe gekommen.
Antonius aber, der von ihrer Absicht, Askalon anzu-
greifen, in Kenntnis gesetzt worden war, hatte bereits
seine Reiter herausgeführt, hielt, ohne sich von der
Menge der Feinde und ihrer Kühnheit einschüchtern zu
lassen, ihre ersten Anläufe aus und schlug die, welche
gegen die Mauer drängten, zurück. Ungeübt gegen
kriegsgewandte Soldaten kämpfend , zu Fuss gegen
Reiterei, regellos aufgestellt gegen dichtgeschlossene
Haufen, Kriegern in voller Rüstung gegenüber nur mit
schnell zusammengerafften Waffen versehen, mehr von
Zorneseifer als von vernünftiger Überlegung geleitet, und
dabei Leuten gegenüberstehend, die wohldiscipliniert
waren und alle Befehle auf den Wink hin vollzogen,
wurden die Juden leicht überwältigt. Denn sobald ihre
Josephus, Jüdischer Krieg. 20
306
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
vordersten Reihen einmal in Verwirrung geraten waren,
wandten sie sich vor den Reitern zur Flucht, stiessen
auf diejenigen, die hinter ihnen der Mauer zudrängten,
und verwundeten sich untereinander, bis endlich alles
den Angriffen der Reiterei wich und über die ganze
Ebene hin sich zerstreute. Diese aber war ausgedehnt
und den Pferden überall zugänglich, was den Römern
so sehr zu statten kam , dass sie die meisten Juden
niedermetzeln konnten. Sie ritten nämlich den Fliehen-
den voraus und machten dann wieder kehrt gegen sie,
sprengten die., welche auf der Flucht sich sammelten,
auseinander und töteten sie massenweise. Andere um-
zingelten einzelne Haufen der Juden von allen Seiten,
drängten sie zusammen und schossen sie mit leichter
Mühe nieder. Die Juden kamen sich eben trotz ihrer
grossen Anzahl verlassen vor, weil sie völlig den Kopf
verloren hatten ; den Römern aber, so wenige ihrer auch
waren, verlieh ihr Glück das Gefühl, als hätten sie
übrig genug Mannschaft. Indem nun die ersteren aus
Scham über ihre rasche Flucht und in der Hoffnung auf
eine günstige Wendung des Treffens mit ihrem Unglück
rangen und die anderen nicht müde wurden, ihr Glück
auszunutzen, zog sich der Kampf bis zum Abend hin.
Schliesslich deckten zehntausend Juden, unter ihnen
auch die beiden Anführer Joannes und Silas, als Leichen
das Schlachtfeld, während die übrigen, der Mehrzahl
nach verwundet, mit dem noch lebenden Niger sich in
ein idumaeisches Städtchen Namens Sallis flüchteten.
Auf seiten der Römer waren in diesem Treffen nur
wenige verwundet worden.
3. Die schreckliche Niederlage vermochte indes den
Stolz der Juden nicht zu beugen, sondern das Unglück
bestärkte sie in ihrer Tollkühnheit nur noch mehr, und
ungeachtet der vielen Leichen, die zu ihren Füssen
lagen , Hessen sie sich durch ihre früheren Erfolge so-
weit verblenden , dass sie einer zweiten Niederlage ge-
radezu in die Arme liefen. Sie gönnten sich nämlich
nicht einmal so viel Zeit, als zur Heilung ihrer Wunden
Drittes Buch, 2. Kapitel.
307
erforderlich war; vielmehr sammelten sie unverzüglich
ihre ganze Streitmacht wieder, um in noch grösserer An-
zahl und mit grimmigerer Wut denn zuvor Askalon
abermals anzugreifen. Dorthin aber folgte ihrer Un-
erfahrenheit und ihren sonstigen kriegerischen Mängeln
auch ihr früheres Schicksal auf dem Fusse nach. Da
nämlich Antonius schon vorher die Pässe besetzt hatte,
fielen sie unvermutet in Hinterhalte, wurden, noch ehe
sie sich in Schlachtordnung aufstellen konnten, von den
Reitern umzingelt und verloren wiederum über acht-
tausend Mann. Die übrigen ergriffen sämtlich die
Flucht, unter ihnen auch Niger, der während des Rück-
zuges noch manche kühne That verrichtete. Der Feind
aber setzte ihnen nach und trieb sie in einen festen
Turm des Dorfes Bezedel zusammen. Um nun bei dem
fast uneinnehmbaren Turm sich nicht auf halten zu
müssen und doch auch den Anführer der Feinde, der
zugleich deren tapferster Krieger war, nicht lebendig
entschlüpfen zu lassen, steckten die Leute des Antonius
das Mauerwerk von unten in Brand. Kaum hatte das
Feuer den Turm zerstört, als die Römer voller Freude
davonzogen in der Meinung, auch Niger sei in den
Flammen umgekommen. Dieser aber war aus dem
Turm in den verborgensten unterirdischen Gang der
Burg hinabgesprungen, wo er sich drei Tage später, als
die Seinigen ihn wehklagend suchten, um ihn zu be-
graben, durch Rufe aus der Tiefe zu erkennen gab.
Sein Erscheinen erfüllte alle Juden mit unverhoffter
Freude; glaubten sie doch, dass Gottes Vorsehung ihnen
in seiner Person einen Feldherrn für die Zukunft am
Leben erhalten habe.
4. Vespasianus, um auf diesen zurückzukommen,
übernahm also in Antiochia, der Hauptstadt Syriens,
die, was Grösse und Wohlstand anlangt, unstreitig den
dritten Platz 1 unter den Städten des römischen Welt-
reiches einnimmt, sein Heer und vereinigte sich daselbst
1 Nach Rom und Alexandria.
20 #
308
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
auch mit dem König Agrippa, der an der Spitze seiner
gesamten Streitmacht ihn erwartet hatte; alsdann eilte
er nach Ptolemais. In dieser Stadt kamen ihm friedlich
gesinnte Bürger von Sepphoris in Galilaea entgegen, die
in rechter Würdigung ihres eigenen Vorteils und der
Macht der Römer schon vor der Ankunft des Vespa-
sianus mit Cestius Gallus ein Abkommen getroffen und
Besatzungstruppen erhalten hatten. Zu freundlicher Be-
grüssung traten sie jetzt vor den Feldherrn hin und
versprachen, am Kampfe gegen ihre Landsleute teil-
nehmen zu wollen. Auf ihre Bitte bewilligte Vespa-
sianus ihnen eine Besatzung von Reiterei und Fussvolk,
die seinem Dafürhalten nach stark genug war, um
etwaigen Angriffen unruhiger Juden Widerstand zu
leisten; denn der Verlust von Sepphoris schien ihm für
den bevorstehenden Krieg sehr gefährlich, da es die
grösste Stadt Galilaeas war, die denkbar festeste natür-
liche Lage hatte und ein für die Überwachung des
ganzen Volkes höchst wichtiger Posten werden konnte.
Drittes Kapitel.
Beschreibung von Galilaea, Samaria und Judaea.
1. Galilaea zetfällt in das sogenannte Ober- und
Unterland 1 und ist von Phoenicien und Syrien um-
geben. 2 Gegen Westen wird es begrenzt von Ptolemais
und seinem Gebiet sowie vom Karmel, dem einst gali-
laeischen, jetzt aber tyrischen Gebirge, an welchem die
Reiterstadt Gaba liegt, so genannt, weil sich in ihr die
vom König Herodes aus dem Dienst entlassenen Reiter
angesiedelt hatten. 3 Im Süden zieht es sich an dem
Samariterland und Skythopolis entlang bis zum Jordan-
flusse. Gegen Osten stossen daran die Bezirke von
1 D. i. Nord- und Südgalilaea.
* Nämlich im Westen und Norden.
3 S. J. A. XV, 3, 5.
Drittes Buch, 3. Kapitel.
309
Hippos und Qadara, ferner Gaulanitis und das König-
reich des Agrippa 1 ; im Norden endlich schliesst sich
Tyrus und dessen Gebiet an. Das galilaeische Unter-
land erstreckt sich der Lange nach von Tiberias bis
Chabulon unweit des Küstenstriches von Ptolemals, und
der Breite nach 2 von dem Dorfe Xaloth in der grossen
Ebene bis Bersabe, wo die Breiteausdehnung von Ober-
galilaea beginnt und sich bis zu dem Dorfe Baka an
der tyrischen Grenze fortsetzt, während die Länge des
Oberlandes von Thella, einem Dorfe am Jordan, bis
Meroth reicht.
2. Ungeachtet des geringen Umfanges dieser beiden
Landschaften und ihrer durchweg nichtjüdischen Um-
gebung hielten die Galiläer doch jedem feindlichen
Angriff stand, da sie von Jugend auf mit dem Kampfe
vertraut waren und allzeit eine bedeutende Kopfzahl
aufwiesen. Den Männern fehlte es nie an Mut, und
dem Lande nie an Männern; letzteres nämlich ist üppig
und weidereich, mit Bäumen aller Art in Hülle und
Fülle bepflanzt und so ergiebig, dass es auch den
trägsten Landmann zur Arbeit anregt. So kommt es,
dass das ganze Land von seinen Bewohnern angebaut
ist und kein Teil desselben brach liegt. Aus dem näm-
lichen Grunde hat es eine Menge von Städten, und
auch die Bevölkerung der Dörfer ist wegen der Frucht-
barkeit des Bodens überall so dicht, dass selbst das
kleinste Dorf mehr als fünfzehntausend Einwohner zählt. 3 -
3. Überhaupt, wenn man auch der Grösse nach
Galilaea unter Peraea setzen will, muss man doch, was
Bedeutung angeht, dem ersteren den Vorrang lassem
Denn es ist seiner ganzen Ausdehnung nach angebaut
und geradezu überreich an fruchttragenden Gewächsen;.
Peraea dagegen ist zwar viel grösser, aber doch meisten-
1 S. unten Abschnitt 5.
a Länge bedeutet hier die Ausdehnung von Osten nach Westen,
Breite die von Norden nach Süden.
3 Vergl. hierzu von Räumers schöne Untersuchung: Die Glaub-
würdigkeit des Josephus (von Raumer, Palaestina, 4. Aufl., S. 460 ff.).
310
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
teils menschenleer, rauh und zum Anbau der edlen
Früchte zu wild. Die weniger rauhen, fruchtbaren
Strecken indes und die mit verschiedenartigen Bäumen
bepflanzten Ebenen werden meist zum Anbau des Öl-
baumes, des Weinstockes und der Palme benutzt und
sind von Gebirgsbächen oder, falls diese etwa vom
Glutwind ausgetrocknet werden sollten, von beständig
fliessenden Quellen hinlänglich bewässert. Der Länge
nach erstreckt sich Peraea von Machaerus bis Pella, der
Breite nach von Philadelphia bis zum Jordan, und zwar
liegt Pella an der Nordgrenze, während der Jordan die
Westgrenze bildet ; im Süden ist Moabitis das Nachbar-
land, und im Osten stösst es an Arabien, Silbonitis, 1 das
Gebiet von Philadelphia und an Gerasa.
4. Das Samariterland liegt in der Mitte zwischen
Judaea und Galilaea. Es beginnt bei dem Dorfe
Ginaea in der grossen Ebene und endet bei der
Toparchie Akrabatene. 2 Seine natürliche Beschaffenheit
ist genau dieselbe wie die von Judaea; beide Land-
schaften nämlich sind reich an Bergen und Ebenen,
leicht zu bebauen, fruchtbar, mit Bäumen besät und voll
wilden und zahmen Obstes. Natürliche Bewässerung
ist nirgends reichlich vorhanden, dafür aber fallt um so
mehr Regen. Die fliessenden Gewässer sind alle aus-
nehmend süss, und die Fülle guter Futterkräuter macht
das Vieh hier milchreicher als sonstwo. Der beste Be-
weis für die Trefflichkeit und den Fruchtreichtum
beider Landschaften ist die Dichtigkeit ihrer Be-
völkerung.
5. Auf der Grenze zwischen Samaria und Judaea
liegt das Dorf Anuath mit dem Beinamen Borkeos, und
zwar bildet dasselbe den Grenzort Judaeas gegen
Norden, während das Südende der Landschaft — diese der
Länge nach gemessen — durch ein an der Grenze gegen
Arabien liegendes Dorf bezeichnet wird, welches die
1 Wohl dasselbe wie Sebonitis oder Essebonitis (s. II, 18, 1).
2 Die aber selbst schon zu Judaea gehörte (s. unten Abschnitt 5).
Drittes Buch, 4. Kapitel.
311
dortigen Juden Jardas nennen. Die Breite erstreckt
sich vom Jordanfluss bis Joppe. 1 Genau in der Mitte
Judaeas liegt Jerusalem, daher denn auch manche diese
Stadt nicht unpassend den Nabel des Landes genannt
haben. Übrigens entbehrt Judaea auch nicht die An-
nehmlichkeiten der See, da seine Meeresküste sich bis
Ptolemai's hinzieht. Eingeteilt wird es in elf Bezirke,
welche Jerusalem gleichsam als Königsstadt beherrscht,
indem es sich über das umliegende Land erhebt wie
das Haupt über den Leib. Die übrigen Städte ver-
teilen sich auf folgende Toparchien: Gophna, Akra-
batta, Thamna, Lydda, Ammaus, Pella, Idumaea,
Engaddai, Herodium und Jericho Weitere Kreisstädte 2
sind Jamnia und Joppe, und endlich kommen dazu
noch 3 die Toparchie Gamala, Gaulanitis, Batanaea und
Trachonitis, welche zugleich zum Gebiete des Königs
Agrippa gehören. Letzteres beginnt beim Libanon-
gebirge und den Quellen des Jordan und reicht der
Breite nach bis zum See Tiberias, während seine Länge
von dem Dorf Arpha bis Julias sich erstreckt. Die
Bevölkerung besteht aus einem Gemisch von Juden und
Syrern. Soviel in möglichster Kürze von Judaea und
seiner Umgebung.
Viertes Kapitel.
Josephus greift Sepphoris an, wird aber zurückgeschlagen.
Des Titus Ankunft in Ptolemai's.
1. Die Hilfstruppen, welche Vespasianus unter dem
Kommando des Placidus den Sepphoriten geschickt
hatte, tausend Reiter und sechstausend Mann zu Fuss r
1 Im Gegensatz zu Abschnitt 1 wird hier unter Breite die Aus-
dehnung von Osten nach Westen, unter Länge die von Süden nach
Norden verstanden.
2 Die jedoch nicht zu Judaea, sondern zu Syrien gehörten (siehe
J.A. XVII, 13, 5).
3 Als Bestandteile von Palaestina überhaupt.
Go gle
U N f VgR S I W<)f C AÜf Ö&NIA
312
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
schlugen zunächst ein Lager in der grossen Ebene auf,
um sich dann zu trennen : das Fussvolk wurde als Be-
satzung in die Stadt selbst gelegt, während die Reiterei
im Lager verblieb. Beide Abteilungen unternahmen
übrigens beständige Ausfälle und Streifzüge in die Um-
gegend und fügten dadurch dem Josephus und seinen
Leuten, obwohl diese sich nicht rührten, grossen Schaden
zu, plünderten alles im Umkreise der Stadt aus und trieben
die Bewohner, wenn sie sich einmal hervorwagten, zu-
rück. Nichtsdestoweniger machte Josephus einen An-
griff auf die Stadt und hoffte sie zu erobern, nachdem
er selbst sie vor ihrem Abfall von den Galiläern so
stark befestigt hatte, dass es sogar den Römern schwer
gefallen wäre, sie einzunehmen. Aber gerade deshalb
schlug auch seine Hoffnung fehl: er war ebensowenig
imstande, die Sepphoriten mit Gewalt zu bezwingen, als
sie durch Überredung auf seine Seite zu ziehen. Da-
gegen musste er nun sehen, wie der Feind mit um so
grösserer Erbitterung im Lande hauste. Im Unwillen
über seinen Anschlag nämlich verwüsteten die Römer
unablässig bei Tage wie bei Nacht die Felder, raubten
den Landbewohnern ihre Habe, machten die streitbare
Mannschaft nieder und verkauften die Schwächeren als
Sklaven. Ganz Galilaea war von Mord und Brand er-
füllt, und keine Plage noch Drangsal gab es, die nicht
über das Land gekommen wäre; denn die einzigen Zu-
fluchtsorte für die Verfolgten waren die von Josephus
befestigten Städte.
2. Unterdessen war Titus rascher, als die Winters-
zeit erwarten liess, von Achaja nach Alexandria über-
gesetzt und hatte die Streitmacht, die er dort holen
sollte, übernommen. In Eilmärschen erreichte er als-
bald Ptolemais, wo er mit seinem Vater zusammentraf
und die zwei ausgezeichneten Legionen, die er selbst
raitgebracht hatte , die fünfte nämlich und die zehnte, 1
mit der von Vespasianus geführten fünfzehnten ver-
1 Letztere aus Julius Caesars Feldzügen rühmlichst bekannt.
Go gle
Drittes Bach, 5. Kapitel.
313
einigte. Hierzu kamen noch achtzehn Kohorten, und
ausserdem hatten sich eingefunden fünf Kohorten von
Caesarea nebst einer Reiterschwadron sowie fünf weitere
Schwadronen, die aus syrischen Reitern bestanden. Zehn
der Kohorten hatten je tausend, die übrigen dreizehn je
sechshundert Mann zu Fuss, die Reiterschwadronen je
einhundertzwanzig Mann. Weiterhin wurde ein zahl-
reiches Heer von den Königen zusammengebracht: Anti-
öchus, Agrippa und Soemus stellten jeder gegen zwei-
tausend Bogenschützen zu Fuss und tausend Reiter, und
der Araber Malchus sandte tausend Reiter nebst fünf-
tausend Mann Fusstruppen, grösstenteils Bogenschützen,
sodass das gesamte Heer einschliesslich der königlichen
Truppen sich auf etwa sechzigtausend Mann zu Fuss
und zu Pferde belief. Nicht mitgezählt ist dabei der
Tross, der in grosser Anzahl folgte, obwohl derselbe
wegen der auch ihm eigenen Übung im Kriege gleich-
falls dem streitbaren Heere zugerechnet werden könnte.
Im Frieden nämlich liegen die Diener den gleichen
Übungen wie ihre Herren ob, und im Kriege bestehen
sie mit ihnen dieselben Gefahren, sodass sie, was Schulung
und Körperkraft angeht, von niemand als eben von ihren
Herren übertroffen werden.
Fünftes Kapitel.
Schilderung des römischen Heer- und Lagerwesens.
1. Ist nun die Klugheit der Römer schon in dem
einen Punkte zu bewundern , dass sie den Tross der
Sklaven nicht nur zu den Dienstleistungen des täglichen
Lebens, sondern auch für die Kriege brauchbar zu machen
verstehen, so wird man, sieht man auf ihr sonstiges
Heerwesen, erst recht inne, dass sie den Besitz ihres
grossen Reiches nur ihrer eigenen Tüchtigkeit verdanken
und nicht als Geschenk des Glückes anzusehen haben.
Denn nicht im Kriege erst fangen sie an, sich mit den
314
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Waffen vertraut zu machen, noch lassen sie die Tage
der Not herankommen, ehe sie ihre Hände rühren, um
sie dann im Frieden wieder sinken zu lassen, sondern
sie leben, als wären sie in den Waffen geboren und
aufgewachsen, in beständiger Übung derselben und
warten nicht erst bestimmte Zeiten dafür ab. Bei ihren
Übungen zeigen sie denselben straffen Ernst wie im
wirklichen Gefecht, und täglich muss jeder Soldat mit
allem Eifer Dienst thun wie im Kriege. Daher kommt
es, dass sie die Schlachten so leicht nehmen; kann doch
weder Verwirrung ihre gewohnte Schlachtordnung auf-
lösen, noch Furcht sie ausser Fassung bringen, noch
Anstrengung sie erschöpfen. Stets ist ihnen deshalb der
Sieg über diejenigen sicher, welche ihnen in jenen Stücken
nicht völlig gleichstehen. Recht treffend könnte man
ihre Übungen unblutige Schlachten , ihre Schlachten
blutige Übungen nennen. Auch durch plötzlichen Über-
fall kann der Feind nicht viel gegen sie ausrichten;
denn wenn sie in Feindesland eingedrungen sind, lassen
sie sich nicht eher auf eine Schlacht ein, als bis sie ein
festes Lager aufgeschlagen haben.’ Letzteres aber legen
sie nicht aufs gerate wohl und in unregelmässiger Form
an, noch so, dass alle durcheinander daran arbeiten;
vielmehr wird zunächst der Platz, wenn er uneben ist,
geebnet, und dann ein Viereck für das Lager abgesteckt. 1
Hierauf macht sich die Schar der Handwerker mit den
nötigen Bauwerkzeugen an die Arbeit.
2. Der innere Raum wird für die Zelte in Beschlag
genommen; die äussere Umfriedigung aber bietet den
Anblick einer Mauer dar und ist in gleichen Abständen
mit Türmen versehen. In den Zwischenräumen zwischen
den letzteren stellen sie die Schnellwurfmaschinen, Kata-
pulten, Ballisten 2 und sonstigen Schleuderwerkzeuge auf,
1 Viereckig war das Lager in den meisten Fällen , aber nicht
immer.
a Die Katapulte, in Gestalt einer riesigen Armbrust gebaut, schoss
Pfeile oder auch Bleikugeln in horizontaler Richtung, während die
Bailiste mittels der Kraft einer gedrehten Tiersehne Steine in Bogen-
linien schleuderte.
Drittes Buch, 5. Kapitel.
315
und zwar alle schussfertig. Vier Thore sind in die
Urawallung gebaut, eines in jede Seite derselben, alle
bequem für den Durchgang von Lasttieren und breit
genug für etwa nötig werdende Ausfälle. Innen ist der
Lagerraum regelrecht in Viertel abgeteilt. In die Mitte
kommen die Zelte der Führer zu stehen, und in deren
Mitte wieder erhebt sich, einem Tempel ähnlich, das
Feldherrnzelt. Der übrige Raum stellt eine gleichsam
aus dem Stegreif hingeworfene Stadt dar mit einer Art
Marktplatz, einer Stätte für die Handwerker und Richter-
sitzen für die Obersten und Hauptleute, von denen aus
sie etwaige Streitigkeiten schlichten. Die Verschanzung
des Umkreises und die ganze innere Lagereinrichtung
wird übrigens von den zahlreichen und geschickten
Arbeitern mit der Schnelligkeit des Gedankens vollendet.
Im Notfall kommt dazu noch ein Graben, der an der
Aussenseite der Umwallung vier Ellen tief und ebenso
breit gezogen wird.
3. Sind die Verschanzungen fertig, so lagern die
Soldaten in Ruhe und Ordnung in den Zelten. Auch
alle übrigen Verrichtungen werden von ihnen mit der-
selben Regelmässigkeit und Pünktlichkeit vollzogen: das
Holztragen, die Herbeischaffung des nötigen Proviants
und das Wasserholen besorgt immer diejenige Abteilung,
die an der Reihe ist. Ferner darf niemand sein Früh-
stück oder Mittagsmahl einnehmen, wann es ihm beliebt,
sondern es geschieht dies von allen gleichzeitig. Zum
Schlafengehen, zum Wachen und zum Aufstehen giebt
die Trompete daB Zeichen ; nichts erfolgt ohne Kom-
mando. Mit Tagesanbruch erscheinen sämtliche Soldaten
vor den Centurionen, um sie zu begrüssen, diese ebenso
vor den Tribunen, mit welchen sodann alle Offiziere zu
demselben Zweck vor den Oberbefehlshaber treten. Dieser
giebt ihnen nun herkömmlicherweise die Losung und
die sonstigen Befehle, damit sie dieselben ihren Unter-
gebenen mitteilen. Letzteres Verfahren beobachten sie
auch in der Schlacht, wodurch es ihnen möglich wird,
in dichten Massen schnelle Bewegungen zum Angriff
316
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
oder zum Rückzug, je nachdem das eine oder andere
erforderlich ist, auszuführen.
4. Soll das Lager verlassen werden, so ertönt ein
Trompeten signal. Niemand bleibt da noch müssig; auf
den ersten Wink werden die Zelte abgebrochen und
alles zum Abmarsch in Bereitschaft gesetzt. Abermals
giebt die Trompete ein Zeichen, dass man sich fertig
machen solle. Eiligst laden nun die Soldaten den
Mauleseln und den übrigen Lasttieren das Gepäck auf
und stehen dann wie die Wettläufer hinter der Schranke,
zum Aufbruch gerüstet. Hierauf stecken sie die Ver-
schanzungen in Brand, einmal weil sie an der Stelle des
Lagers mit leichter Mühe ein neues errichten können,
und dann auch um zu verhüten, dass der Feind sich
ihrer zu seinem eigenen Vorteil bediene. Ein drittes
Trompetensignal kündigt den Abmarsch an uud treibt
die aus irgend einem Grunde noch Zögernden zur Eile,
damit niemand an seinem Platz fehle. Nun fragt der
zur Rechten des Feldherrn stehende Herold dreimal in
römischer Sprache, ob alles zum Kampf bereit sei. Als
Antwort rufen die Soldaten ebenso oft ein lautes und freu-
diges Ja; zuweilen auch warten sie die Frage gar nicht ab,
sondern erheben die rechteHand und lassen voll kriegerischer
Begeisterung ein weithin schallendes Geschrei ertönen.
5. Alsdann rücken sie aus und ziehen ruhig und in
grösster Ordnung ihres Weges; jeder hält seinen Platz
im Gliede bei wie in der Schlacht. Das Fussvolk ist
mit Brustharnisch und Helm ausgerüstet und trägt an
beiden Seiten eine Schneidwaffe ; das Schwert zur Linken
ist bedeutend länger als die Waffe rechts, die nur in
einem spannenlangen Dolch besteht. Die auserlesenen
Fusssoldaten in der engeren Umgebung des Feldherrn
führen Lanzen und runde Schilde, der übrige Teil des
Fuss Volkes Speere und längliche Schilde, Säge und
Korb, Spaten und Axt, ausserdem noch Riemen, Sichel, 1
1 Die Kiemen dienten zur Fesselung der Gefangenen, die Sicheln
zum Durchschneiden von Stricken oder Riemen , mit denen etwa
römische Soldaten gebunden sein sollten.
Drittes Buch, 5. Kapitel.
317
Kette und Proviant für drei Tage, sodass die Fussgänger
beinahe so viel wie die Lasttiere zu tragen haben. 1 2 Die
Reiter haben an der rechten Seite ein langes Schwert,
in der Hand einen kürzeren Speer ; an der Seite des
Pferdes hängt querüber ein länglicher Schild; im Köcher
führen sie drei oder mehr Wurfspiesse mit breiter Spitze
und von der Länge einer Lanze. Helm und Panzer
sind dieselben wie beim Fussvolk. Die auserlesenen
Reiter in der Nähe des Feldherrn haben keine andere’
Ausrüstung wie die in den Schwadronen. Den Vortrab
bildet immer diejenige Legion, welche durchs Los dazu
bestimmt ist.
6. So halten es die Römer auf dem Marsch, im
Lager und mit den verschiedenen Waffengattungen.
Was nun die Schlachten betrifft, so geschieht in ihnen
nichts ohne vorherige Überlegung oder aufs geratewohl,
sondern es liegt jeder Handlung ein bestimmter Plan
zu Grunde; umgekehrt folgt dem Entschluss auch gleich
die Ausführung. Deshalb begehen sie fast gar keine
Missgriffe, und jeder Verstoss wird leicht wieder gut ge-
macht. Ein Unfall als Folge eines zuvor entworfenen
Planes ist ihnen immer noch lieber, als ein Glück, das
ihnen der Zufall verschafft. Sie sind eben der Meinung,
dass ein ohne Zuthun des Handelnden gewonnener Vor-
teil zur Unvorsichtigkeit verleite, während vernünftiges
Nachdenken, wenn es auch einmal nicht vom Glück be-
günstigt sei, das edle Streben im Gefolge habe, künftiges
Misslingen zu verhüten. Auch seien zufällige Erfolge
nicht das Werk dessen, dem sie zugut kämen; traurige
Ereignisse dagegen, welcher aller Berechnung zum Trotz
einträten, gewährten doch wenigstens noch den Trost,
dass man gehörig überlegt habe.
7. Mit ihren Waffenübungen wollen sie übrigens
ebensowohl den Körper als den Geist kräftigen. Ein
1 Nach Polybius wurde die längere Waffe rechts getragen. Die
Darstellungen auf der Trajanssäule zeigen beide Arten der
Gürtung.
318
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
weiteres Zuchtmittel ist die Abschreckung; denn ihre
Gesetze bestrafen nicht nur Fahnenflucht, sondern auch
geringere Vergehen mit dem Tode. Furchtbarer noch
als die Gesetze ist die Strafgewalt der Feldherren, die
nur dadurch, dass sie den Tapferen hohe Belohnungen
zuerkennen, der Meinung entgegenarbeiten können, als
verführen sie wirklich grausam gegen die Strafwürdigen.
Der Gehorsam gegen die Führer ist aber auch so gross,
dass das ganze Heer im Frieden den Anblick einer
Parade, in der Schlacht den eines einzigen Körpers dar-
bietet — so festgefügt sind die Reihen, so leicht die
Schwenkungen, so gespannt die Ohren auf Befehle, die
Augen auf Winke, so thatbereit die Hände. Daher sind
die römischen Soldaten stets rasch zum Handeln ent-
schlossen und nur sehr schwer in eine bedrängte Lage
zu bringen. Stehen sie einmal in Schlachtordnung, so
weichen sie weder der Überzahl, noch der Kriegslist,
noch- der Schwierigkeit des Terrains, noch selbst der
Ungunst des Glückes ; denn fester als an letzteres glauben
sie an den Sieg. Was wunder also, wenn ein Volk, das
immer erst überlegt, bevor es handelt, und hinter dessen
Beschlüssen ein so schlagfertiges Heer steht, im Osten
den Euphrat, im Westen den Ocean, im Süden die fetten
Gefilde Libyens, im Norden die Donau und den Rhein
zu Grenzen seines Reiches hat? Der Besitz, kann man
mit Recht jäagen, ist immer noch kleiner, als die Besitzer
verdienen.
8. Mit dieser Darlegung bezwecke ich übrigons nicht
so sehr die Römer zu loben, als vielmehr die Unter-
jochten zu trösten und die Empörungslustigen auf andere
Gedanken zu bringen. Vielleicht auch kann die Ein-
richtung des römischen Heerwesens denen zur Belehrung
dienen, die Vortreffliches zu schätzen wissen, ohne es
doch recht zu kennen. Nach dieser Abschweifung will
ich nunmehr den Faden meiner Erzählung wieder auf-
nehmen.
Go gle
Drittes Buch, 6. Kapitel.
319
Sechstes Kapitel.
Placidus von Jotapata zurückgeschlagen. Vespasianus
fällt in Galilaea ein.
1. Vespasianus hielt sich zunächst mit seinem Sohne
Titus in Ptolemais auf und brachte sein Heer in Ord-
nung. Unterdessen durchzog Placidus Galilaea, wo er
eine Menge Einwohner aufgreifen und niedermachen liess.
Freilich war das nur der schwächere und mutlos ge-
wordene Teil der Galiläer; denn die streitbare Mann-
schaft floh, wie Placidus wohl merkte, jedesmal in die
von Josephus befestigten Städte. Er rückte daher gegen
die festeste derselben, Jotapata, heran, in der Hoffnung,,
sie durch Überrumpelung leicht einnehmen, sich selbst
dadurch bei den beiden Feldherren rühmlich st empfehlen
und den letzteren einen bedeutenden Vorteil für die
Weiterführung des Krieges verschaffen zu können; er
glaubte nämlich, nach dem Falle der stärksten Festung
würden die übrigen Städte sich wohl aus Furcht ergeben.
Seine Hoffnung erwies sich indes als trügerisch; denn
die Bewohner von Jotapata hatten seine Annäherung
erfahren und erwarteten ihn vor der Stadt, wo sie in
dem Bewusstsein, für das bedrohte Vaterland und für
Weib und Kind zu streiten, kampfgerüstet und kampfes-
mutig in grosser Anzahl unversehens über die Römer
herfielen. In kurzer Zeit hatten sie dieselben geworfen
und viele von ihnen verwundet; doch gelang es ihnen
nicht, mehr als sieben Römer zu töten , da die Feinde
sich in grösster Ordnung zurückzogen. Zudem drangen
die Schwerthiebe in die von allen Seiten wohlgeschützten
Leiber der Römer nicht tief ein, und es wagten auch
die leichtgerüsteten Juden ihre schwerbewaffneten Gegner
weniger in der Nähe als vielmehr nur aus der Ferne
mit Geschossen anzugreifen Auf seiten der Juden be-
trug der Verlust drei Tote und wenige Verwundete,
Placidus aber überzeugte sich, dass er zum Angriff
auf die Stadt zu schwach sei, und wandte sich zur
Flucht.
£20 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
2. Nun entschloss sich Vespasianus, selbst in Gali-
laea einzufallen, und brach deshalb von Ptolemais auf,
indem er das Heer nach römischer Sitte sich in Marsch
setzen Hess. Vorauf nämlich schickte er die leicht-
bewaffneten Hilfstruppen und die Bogenschützen, welche
unvermutete Angriffe der Feinde Zurückschlagen und
verdächtige, zu Hinterhalten geeignete Waldungen durch-
suchen sollten. Ihnen folgte eine Abteilung römischer
Schwerbewaffneter, Reiterei sowohl als Fussvolk, und
diesen von jeder Centurie zehn Mann, welche ausser
ihrem eigenen Gepäck die Werkzeuge zum Abstecken
des Lagers trugen. Hierauf kamen die Strassenarbeiter,
deren Aufgabe es war, höckerige Stellen der Heerstrasse
abzutragen, schwer beschreitbare Strecken zu ebnen und
hinderliches Buschwerk zu entfernen, damit das Heer
nicht infolge allzu beschwerlichen Marschierens ermatte.
An sie schloss sich das Gepäck des Feldherrn und der
Unterbefehlshaber unter Bedeckung einer zahlreichen
Reiterschar, und dann ritt er selbst einher, gefolgt von
auserlesenem Fussvolk, Reiterei und Lanzen trägem. Es
kamen nun die den Legionen besonders zugeteilten Reiter,
deren jede einhundertzwanzig hat, weiterhin die Maul-
tiere mit den Wandeltürmen und den übrigen Belagerungs-
maschinen; hierauf die Legaten, die Befehlshaber der
Kohorten und die Tribunen, von auserlesener Mannschaft
umgeben. Hinter diesen wurden die Feldzeichen getragen,
in ihrer Mitte der Adler, den bei den Römern jede Legion
an der Spitze führt. Als König und als der stärkste
aller Vögel ist er ihnen ein Sinnbild der Herrschaft
und scheint ihnen den Sieg über jeden Feind, gegen
den sie zu Felde ziehen , zu verkünden. Diesen
Heiligtümern 1 folgten die Trompeter, und dann erst kam
die Hauptmasse des Heeres in sechs Mann hohen Reihen,
begleitet von einem Centurio, der herkömmlicher weise
die Ordnung zu beaufsichtigen hat. Der Tross jeder
1 Die Adler galten als die Gottheiten der Legionen und genossen
thatsächlich göttliche Verehrung (s. unten VI, 6 , 1 und Tacitus,
Annalen, II, 17).
Go gle
Drittes Buch, 6. Kapitel.
321
Legion mit dem von Last- und Zugtieren beförderten
Gepäck der Soldaten schloss sich unmittelbar an das
Fussvolk an, und hinter den sämtlichen Legionen
marschierte das Söldnerheer, dem der Sicherheit halber
noch der Nach trab folgte, bestehend aus Leicht- und
Schwerbewaffneten sowie einer Menge Reiterei.
3. In dieser Weise marschierte Vespasianus mit seinen
Truppen und langte alsbald an den Grenzen Galiaeas
an, wo er ein Lager aufschlagen liess und den Kriegs-
eifer seiner Soldaten vorläufig noch zurückdrängte, ein-
mal um den Feinden dadurch, dass er ihnen seine
Heeresmacht vor Augen stellte, Schrecken einzujagen,
und dann auch, um ihnen vor Beginn des eigentlichen
Kampfes noch eine Frist zu etwaiger Sinnesänderung zu
geben; gleichzeitig jedoch traf er schon Vorbereitungen
zur Erstürmung der Festungen. Wirklich brachte auch
das Erscheinen des Feldherrn viele der Empörer auf
andere Gedanken; Schrecken aber flösste es allen ein.
Diejenigen Juden, welche unter dem Kommando des
Josephus nicht weit von Sepphoris bei einer Stadt Namens
Garis lagerten, hatten kaum vernommen, dass der Krieg
ihnen näher rücke und die Römer drauf und dran seien,
mit ihnen handgemein zu werden, als sie, ohne einen
Kampf zu wagen, ja selbst ohne ihre Gegner auch nur
zu Gesicht bekommen zu haben, in wilder Flucht aus-
«inanderstoben. Josephus, bei dem nur wenige seiner
Leute ausharrten, sah wohl ein, dass er mit diesem Häuf-
lein dem Feinde nicht entgegen treten könne, und da er
zugleich wahrnahm, wie sehr den Juden der Mut gesunken
war und wie sie der Mehrzahl nach wohl gern die Hand
zum Vergleich geboten hätten, wenn sie nur auf Zutrauen
rechnen durften, beschloss er in banger Sorge um den
endlichen Ausgang des Krieges, für den Augenblick der
Gefahr so weit als möglich aus dem Wege zu gehen,
und floh daher mit denen, die ihm treu geblieben waren,
nach Tiberias.
Josephus, jüdischer Krie?.
21
322
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Siebentes Kapitel.
Belagerung und Einnahme von Jotapata.
1. Vespasianus griff nun die Stadt Gabara 1 an und
nahm sie beim ersten Anlauf ein, da er sie von der
streitbaren Mannschaft verlassen fand. Gleich nach
seinem Einzug liess er alles ohne Unterschied des Alters
niedermetzeln; denn) in ihrem Hass gegen die Juden
und im Andenken an das, was Cestius hatte ausstehen
müssen , kannten die Römer kein Erbarmen. Sodann
gab er Befehl, nicht nur die Stadt selbst, sondern auch
alle Dörfer und Flecken der Umgegend in Brand zu
stecken. Letztere traf man der Mehrzahl nach völlig
menschenleer, und nur in einigen derselben waren die
Bewohner geblieben, die nun sämtlich in die Sklaverei
verkauft wurden.
2. In der Stadt, die Josephus als Zufluchtsort gewählt
hatte, verbreitete seine Ankunft als Flüchtling gewaltigen
Schrecken. Die Bewohner von Tiberias waren nämlich
überzeugt, dass er niemals geflohen sein würde, wenn er
nicht an dem glücklichen Ausgang des Krieges völlig
verzweifelt hätte. In letzterer Hinsicht hatten sie aller-
dings seine Meinung wirklich erraten ; denn er sah wohl
ein, wohin das Beginnen der Juden schliesslich führen
müsse, und erkannte, dass es kein Heil für sie gab
ausser in freiwilliger Unterwerfung. Er selbst aber wollte,,
wenngleich er von den Römern Verzeihung erhoffen zu
dürfen glaubte, lieber hundertmal sterben als durch
Verrat an seinem Vaterlande und durch Beschimpfung
der ihm anvertrauten Feldherrnwürde sein Glück bei
denen machen, die zu bekämpfen er gesandt war. Des-
halb beschloss er, die Leiter des Aufstandes in Jerusalem
von der Lage der Dinge genau zu unterrichten, um sich
1 Im Text steht Gadara, doch lag diese Stadt, wie Paret zutreffend
bemerkt, dem Vespasianus gar nicht im Wege, weshalb die Änderung
in Gabara völlig berechtigt erscheint.
Drittes Buch, 7. Kapitel.
328
einerseits nicht durch übertriebene Schilderung der Stärke
des Feindes später den Vorwurf der Feigheit zuzuziehen
und anderseits nicht durch verkleinernde Darstellung
diejenigen zu ermutigen , die etwa schon im Begriff
standen, sich eines besseren zu besinnen. Er schrieb
also, wenn man sich auf einen Vergleich einzulassen
gesonnen sei, so solle man ihm unverzüglich antworten;
sei man aber zum Kriege entschlossen, so möge man ihm
ein Heer senden, das es mit den Römern aufnehmen
könne. Dieses Schreiben liess er schleunigst durch
Boten nach Jerusalem überbringen.
3. Da Vespasianus erfahren hatte, dass die meisten
Feinde nach Jotapata geflüchtet seien, und er überdies
in der Stadt einen festen Stützpunkt derselben erkannte,
beschloss er, den Platz zu zerstören. Zunächst sandte
er deshalb Fussvolk und Reiterei voraus, um den steinigen,
für Fussgänger beschwerlichen Und für Reiter gänzlich
unpassierbaren Bergweg zu ebnen. In vier Tagen hatten
diese Truppen die Arbeit vollendet und dem Heer eine
breite Strasse eröffnet. Am fünften Tage, dem einund-
zwanzigsten des Monats Artemisios, langte Josephus von
Tiberias her in Jotapata an und richtete durch sein
Erscheinen den gesunkenen Mut der Juden wieder auf.
Dem Vespasianus aber brachte ein Überläufer die. will-
kommene Nachricht von der Ankunft des Josephus in
Jotapata und riet ihm zum schleunigen Vorgehen gegen
die Stadt, mit deren Eroberung er ganz Judaea in seine
Gewalt bringen würde, wofern es ihm nur gelänge, sich
der Person des Josephus zu versichern. Der Feldherr
nahm diese Nachricht wie die Kunde von einem überaus
grossen Glücke auf ; er hielt es für göttliche Fügung, dass
gerade derjenige seiner Feinde, der im Ruf besonderer
Klugheit stand, freiwillig in die Falle gegangen sei, und
sandte deshalb sogleich den Placidus sowie den Decurio
Ebutius, einen durch Tapferkeit und Einsicht ausgezeich-
neten Mann, mit tausend Reitern ab, um die Stadt ein-
zuschliessen und auf diese Weise ein heimliches Ent-
weichen des Josephus zu verhindern.
Go gle
21 *
324 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
4. Am folgenden Tage brach er selbst an der Spitze
seiner gesamten Streitmacht auf und kam abends vor
Jotapata an. Im Norden der Stadt, auf einer sieben
Stadien davon entfernten Anhöhe , lagerte er sich mit
seinem Heere, da er den Feinden so nahe wie möglich
zu Gesicht kommen wollte, um sie in Schrecken zu ver-
setzen. Letzteres gelang ihm auch alsbald in so hohem
Grade, dass kein Jude mehr über die Festungswerke
hinauszugehen wagte. Sogleich anzugreifen lag übrigens
nicht im Sinne der Römer, weil sie den ganzen Tag
marschiert waren ; sie beschränkten sich vielmehr darauf,
die Stadt mit einer doppelten Truppenkette zu umziehen
und weiter draussen mit der Reiterei noch eine dritte
zu bilden, um den Bewohnern jeden Ausweg zu ver-
sperren. Gerade hierdurch aber wurden die Juden, die
jetzt an kein Entrinnen mehr denken konnten, zur Kühn-
heit angetrieben ; denn nichts macht im Kriege kampfes-
mutiger als die Not.
5. Tags darauf erfolgte der Angriff. Anfangs hielten
die Juden, die in der Gegend geblieben waren und vor
den Mauern ein Lager errichtet hatten, den Römern
gegenüber stand; als aber Vespasianus die Bogenschützen,
die Schleuderer und die ganze Masse der mit Wurf-
geschossen versehenen Kämpfer vorrücken liess und
selbst mit dem übrigen Fussvolk den steilen Abhang hinauf-
drängte, von dessen Gipfel aus die Mauer leicht zu erstürmen
war, fürchtete Josephus für die Stadt und machte an der
Spitze der gesamten Besatzung einen Ausfall. In dichten
Scharen warfen sie sich auf die Römer und trieben die-
selben von der Mauer weg, wobei sie manche tapfere
und entschlossene That verrichteten. Freilich erlitten
sie nicht weniger Schaden als sie zufügten; denn in dem
gleichen Masse, wie sie selbst von der Verzweiflung,
wurden die Römer vom Ehrgefühl angestachelt, und
wenn auf seiten der letzteren Kriegserfahrung und Kraft
die Waffen führte, so that dies bei den Juden Tollkühn-
heit, die mit Erbitterung sich paarte. Den ganzen Tag
über tobte der Kampf, und erst mit einbrechender Nacht
Drittes Bach, 7. Kapitel.
325
gönnten die Juden sich Ruhe. Sie hatten eine Menge
Römer verwundet und dreizehn getötet, während von
ihren eigenen Leuten siebzehn gefallen und sechshundert
verwundet waren.
6. Kaum graute der Tag, als sie abermals einen
Ausfall gegen die Römer unternahmen und sich mit noch
grösserer Hartnäckigkeit in den Kampf stürzten; denn
der unerwartet erfolgreiche Widerstand vom vorher-
gehenden Tage hatte ihren Mut gewaltig gehoben. Aber
auch die Römer wehrten sich kräftiger, weil das Ehr-
gefühl ihre Wut aufs äusserste steigerte und es ihnen wie
eine Niederlage vorkam, dass sie nicht sogleich gesiegt
hatten. Bis zum fünften Tage griffen so die Römer
ohne Unterlass an, während die Jotapatener ihrerseits
die Ausfälle und Mauerkämpfe mit stets wachsender
Erbitterung fortsetzten, und wie die Juden nicht im
mindesten von der Übermacht der Römer eingeschüchtert
wurden, so liessen sich anderseits die letzteren durch die
Schwierigkeiten, welche ihnen die Einnahme der Stadt
zu bieten schien, nicht entmutigen.
7. Jotapata liegt fast ganz auf einem steilen Felsen,
an dessen Seiten so tiefe Schluchten abfallen, dass es
dem Hinabschauenden schon schwindelt, ehe noch sein
Blick die Tiefe ermisst; nur im Norden ist die Stadt
zugänglich, wo sie quer über den sich abfiachenden Berg-
rücken hingebaut ist. Aber auch diesen Teil hatte
Josephus in die Festungswerke mit eingeschlossen, damit
der über ihm ansteigende Berg nicht von den Feinden
besetzt werden könnte. Die Stadt war übrigens ringsum
von anderen Bergen verdeckt und entzog Bich deshalb
völlig dem Anblick, bis man in ihre unmittelbare Nähe
kam. In solcher Weise war Jotapata befestigt.
8. Trotz dieser starken natürlichen Beschaffenheit des
Platzes und der Tollkühnheit der Juden war Vespasianus
entschlossen, den Kampf fortzusetzen. Er befahl daher,
die Belagerung noch eifriger zu betreiben, und berief
seine Offiziere zusammen, um sich mit ihnen über die
Art des Angriffs zu beraten. Man beschloss, gegen die
326
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zugängliche Seite der Mauer einen Wall aufzuwerfen,
worauf Vespasianuß die sämtlichen Soldaten zum Her-
beischaffen von Baumaterial aussandte. Während nun
ein Teil der Leute die Anhöhen in der Umgebung der
Stadt abholzte und zugleich mit den Baumstämmen eine
Menge Steine heranschleppte, spannten andere zur Ab-
wehr der von oben kommenden Geschosse Flechtwerk
über Pfähle aus, unter dessen Schutz die Mannschaften
an dem Walle arbeiten konnten, ohne nennenswerte
Verluste durch die von der Mauer herabgeschleuderten
Wurfgeschosse zu erleiden. Wieder andere trugen die
in der Nähe befindlichen Hügel ab und führten ihren
Kameraden beständig Erde zu, sodass also die gesamten
Arbeiten in drei Teile zerlegt waren und kein Mann
unthätig blieb. Die Juden ihrerseits warfen grosse Fels-
stücke und Geschosse aller Art von den Mauern auf
die Schutzdächer der Feinde, und wenn dieselben auch
nicht durchschlugen, so störten sie doch die Arbeiter
durch das laute und furchtbare Getöse, welches sie ver-
ursachten.
9.. Nun liess Vespasianus die Wurfmaschinen, deren
das Heer im ganzen hundertsechzig besass, rings um die
Stadt aufstellen und nach den die Mauern besetzt
haltenden Juden richten. Alsbald spieen die Katapulten
ihre Lanzen, und die Bailisten warfen kolossale Steine,
Feuerbrände und dichte Schwärme von Pfeilen, welche
nicht nur den Juden das Betreten der Mauern unmög-
lich machten, sondern auch noch einen Raum innerhalb
derselben bestrichen, zumal da ausser den Maschinen
die zahlreichen arabischen Bogenschützen sowie alle
Speerwerfer und Schleuderer in Thätigkeit traten. Ob-
wohl nun die Juden an der Gegenwehr von oben herab
gehindert waren, blieben sie doch nicht müssig ; vielmehr
machten sie nach Räuberart Ausfälle in kleineren Rotten,
rissen den Arbeitern die Schutzdächer nieder und hieben
auf die Wehrlosen ein. Hatten sie auf diese Weise die
Schanzarbeiter zum Weichen gebracht, so zerstörten sie
den Wall und steckten die Pfähle samt dem Flechtwerk
Drittes Buch, 7. Kapitel.
327
in Brand, bis endlich Vespasianus sich überzeugte, dass
an den Verlusten nur die Trennung der Werke, deren
Zwischenräume die Angriffe der Juden ermöglichten,
schuld sei. Er liess demgemäss die Schutzdächer an-
einander anschliessen, und da hiermit auch eine Ver-
bindung für die Truppen selbst hergestellt war, wurden
die feindlichen Überfälle für die Folge vereitelt.
10. Zusehends wuchs nun der Damm empor, und als
er schon beinahe die Höhe der Mauerzinnen erreicht
hatte, erkannte Josephus, wie gefährlich es sein würde,
wenn er keine Gegenmassregeln zur Rettung der Stadt
träfe. Er versammelte daher die Bauhandwerker und
gab ihnen den Befehl, die Mauer zu erhöhen. Da sie
es aber für unmöglich erklärten, unter dem beständigen
Geschosshagel zu bauen , ersann er für sie folgendes
Schutzmittel. Er liess Pfähle einrammen und frisch ab-
gezogene Ochsenhäute darüber ausbreiten, damit die
Steine aus den Wurfmaschinen sich in den letzteren
fangen, die übrigen Geschosse von ihnen abgleiten und
die Feuerbrände durch die Nässe der Häute unschädlich
gemacht werden möchten. Hinter dieser Bedeckung
konnten nun die Bauleute ungefährdet Tag und Nacht
arbeiten, die Mauer auf die Höhe von zwanzig Ellen
bringen, zahlreiche Türme auf ihr erbauen und noch
eine feste Brustwehr errichten. Infolgedessen sank den
Römern, die bereits in der Stadt zu sein wähnten, ge-
waltig der Mut, und sie erstaunten ebensowohl über die
Klugheit des Josephus als über die Geistesgegenwart der
Belagerten.
11. Vespasianus selbst aber geriet über diese schlaue
Erfindung und die Kühnheit der Jotapataner in heftigen
Zorn, besonders da die letzteren, durch das Gelingen
des Mauerbaues ermutigt, wiederum Ausfälle gegen die
Römer machten. Scharmützel zwischen einzelnen Ab-
teilungen, räuberische Anschläge aller Art, Plünderungen,
bei denen man mitnahra, was man nur erhaschen konnte,
und Einäscherungen von Belagerungswerken waren
wieder an der Tagesordnung, bis Vespasianus beschloss,
328
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
den Kampf aufzugeben, sich vor die Stadt zu lagern
und sie durch Aushungern in seine Gewalt zu bringen.
Er glaubte nämlich, die Jotapatener würden entweder
aus Mangel an den notwendigsten Lebensbedürfnissen
ihn um Gnade bitten oder, wenn sie ihre Hartnäckig-
keit aufs äusserste trieben, durch Hunger zu Grunde
gehen; jedenfalls hoffte er im Kampfe mit ihnen viel
leichter fertig werden zu können, wenn er erst einige
Zeit vergehen Hesse und dann über seine entkräfteten
Gegner herfiele. Er beschränkte sich daher fürs erste
darauf, die sämtlichen Zugänge zur Stadt bewachen zu
lassen.
12. An Getreide und allen anderen Lebensmitteln
ausser Salz hatten die Belagerten Überfluss; dagegen
mangelte es an Wasser, da sich in der Stadt keine
Quelle befand und die Bewohner sich mit Regenwasser
behelfen mussten. Es ist aber eine Seltenheit, wenn es
zur Sommerszeit in jenen Landstrichen regnet. Da nun
die Belagerung eben in diese Jahreszeit fiel, bemächtigte
sich der Jotapatener beim Gedanken an den drohenden
Durst grosse Mutlosigkeit, und sie wurden so nieder-
geschlagen, als wenn das Wasser schon ganz ausgegangen
wäre. |In anbetracht des Umstandes nämlich, dass die
Stadt' mit allen sonstigen Bedürfnissen reichlich versehen
und der Kampfesmut der Männer ungeschwächt war,
hatte Josephus, um die Belagerung auf eine den Römern
unerwartete Weise in die Länge zu ziehen, das Trink-
wasser in bestimmtem Masse austeilen lassen. Eine solche
Sparsamkeit aber kam ihnen lästiger vor alß wirklicher
Mangel; dass sie nicht nach Belieben trinken konnten,
reizte ihr Verlangen noch mehr, und sie lechzten, als
ob sie schon am Verschmachten wären. Den Römern
blieb dieser Zustand nicht unbekannt; sie sahen nämlich
von ihrem Walle aus über die Mauer hinweg, wie die
Einwohner der Stadt . an einem bestimmten Orte zu-
sammenströmten und das Wasser zugemessen erhielten.
Dorthin richteten sie auch ihre Geschütze und brachten
so eine Menge Juden ums Leben.
Drittes Buch, 7. Kapitel.
329
13. Bei dieser Sachlage konnte Vespasianus wohl
hoffen , dass die Cisternen in Bälde geleert und die Be-
lagerten dann gezwungen sein würden, die Stadt zu
übergeben. Um ihm diese Hoffnung zu benehmen, lies9
Josephus viele seiner Leute ihre Kleider ins Wasser
tauchen und an den Brustwehren auf hängen, sodass die
Mauer alsbald von Wasser troff. Das entmutigte und
erschreckte die Römer ; sahen sie doch, wie die, denen es
ihrer Meinung nach an Trinkwasser gebrach, dasselbe
zum Hohn massenhaft vergeudeten. Nun gab auch der
Feldherr die Hoffnung auf, die Stadt durch Aushungern
bezwingen zu können , und griff wieder zur Waffen-
gewalt. Das war allerdings ganz nach dem Wunsche
der Juden ; denn da sie an der Rettung der Stadt wie
an ihrer eigenen verzweifeln mussten, zogen sie den
Tod im Kampfe dem durch Hunger und Durst bei
weitem vor.
14. Ausser der erwähnten List ersann Josephus noch
eine andere, um in den Besitz von Lebensmitteln zu
gelangen. Durch eine unwegsame und deshalb von den
feindlichen Posten wenig beachtete Schlucht auf der
westlichen Seite des Thaies wechselte er durch Boten
ganz nach Belieben Briefe mit den Juden ausserhalb
der Stadt und verschaffte sich so in reichem Masse die
Lebensmittel, an denen es in der Stadt mangelte. Hier-
bei wies er seine Leute an, in der Regel an den Wachen
vorbeizukriechen und den Rücken mit Fellen zu be-
decken, damit sie, wenn einmal ein Posten bei Nacht
ihrer gewahr würde, wie Hunde aussähen. Endlich aber
kamen die Wachen hinter die List und umstellten die
Schlucht.
15. Josephus sah jetzt übrigens, dass die Stadt sich
nicht lange mehr halten könne und dass, wenn er in
ihr bliebe, seine Rettung sehr fraglich sein würde; er
beriet sich daher mit den angesehensten Männern über
die Flucht. Die Jotapatener aber bekamen Wind davon,
umringten ihn und baten ihn flehentlich, er möge sie
doch nicht im Stich lassen, da sie an ihm allein ihren
330
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Rückhalt hätten. Er sei noch die letzte Hoffnung auf
Rettung der Stadt; denn so lange er bleibe, würden sie
alle freudig kämpfen, und selbst wenn sie in Gefangen-
schaft geraten sollten, sei er ihr einziger Trost. Ihm
stehe es also schlecht an, vor dem Feinde zu fliehen,
seine Freunde zu verlassen und aus dem Schiffe, das er
bei ruhiger See betreten, beim Ausbruch des Sturmes
zu entspringen. Dann sei das Verderben der Stadt be-
siegelt, da niemand mehr den Feinden entgegenzutreten
wagen würde, wenn der fort wäre, der allen den Mut
gehoben habe.
16. Von da an liess Josephus nicht mehr merken,
dass es ihm um seine persönliche Sicherheit zu thun
war, sondern er erklärte nun, lediglich zu ihrem Besten
fortgehen zu wollen. Sein Verbleiben in der Stadt näm-
lich würde ihnen, wenn sie die Belagerung aushielten,
nicht viel nützen; falle die Stadt aber, so gehe er un-
nötigerweise mit ihnen zu Grunde. Wenn er dagegen
durch die Belagerer sich durchschliche, so könnte er
ihnen draussen die wesentlichsten Dienste leisten; denn
er würde alsdann die Galiläer auf dem Lande so schnell
wie möglich sammeln und die Römer dadurch, dass er
sie anderweitig beschäftige, von ihrer Stadt abziehen.
Er sehe nioht ein, was er ihnen jetzt durch sein Bleiben
nützen könne; vielmehr würden die Römer dann nur
noch eifriger die Belagerung betreiben, da ihnen sehr
viel daran liege, sich seiner Person zu bemächtigen. Er-
führen sie aber seine Flucht, so werde die Heftigkeit,
mit der sie der Stadt zusetzten, bedeutend nachlassen.
Gleichwohl vermochte er die Leute nicht zu überzeugen,
sondern er bewirkte nur, dass das Volk sich noch mehr
um ihn drängte. Knaben, Greise, und Weiber mit Säug-
lingen im Arm warfen sich weinend vor ihm nieder,
umklammerten seine Füsse und flehten ihn unter lautem
Schluchzen an, er möge doch bei ihnen bleiben und ihr
Schicksal teilen — nicht, wie ich glaube, weil sie ihm
seine Rettung missgönnten, sondern weil sie ihre eigene
noch erhofften ; denn so lange sie Josephus bei sich
Drittes Buch, 7. Kapitel.
331
hätten, meinten sie, könne ihnen kein Leid wider-
fahren.
17. Überzeugt, dass das Benehmen der Menge, so lange
er sich nachgiebig zeigte, das von Flehenden bleiben,
dagegen in offene Gewalt Umschlägen würde, wenn er
auf seinem Vorhaben bestände, beschloss Josephus aus-
zuharren, zumal da auch sein sehnliches Verlangen,
wegzukommen, durch das Mitleid mit den jammernden
Menschen bedeutend zurückgedrängt wurde. Er waffnete
sich nun mit dem Mute der Verzweiflung, den die Lage
der Stadt ihm einflösste, und rief aus: „Jetzt, da es keine
Hoffnung auf* Rettung mehr giebt, ist es Zeit, den
Kampf zu beginnen, herrlichen Ruhm mit dem Leben
zu erkaufen und sich durch Heldenthaten bei der
Nachwelt zu verewigen!“ Diesen Worten liess er als-
bald die Ausführung folgen: er unternahm mit den
rüstigsten Kämpfern einen Ausfall, zersprengte die
feindlichen Vorposten, drang bis zum Lager der Römer
vor, zerstörte die Dächer, unter denen die Schanzarbeiter
sich bargen, und warf Feuer in ihre Werke. In gleicher
Weise verfuhr er am folgenden und am dritten Tage
sowie noch mehrere Tage und Nächte hindurch, ohne
eine Spur von Kampfesmüdigkeit zu zeigen.
18. Durch diese Ausfälle litten die Römer grossen
Schaden. Vor den Juden zu fliehen, schämten sie sich ;
zogen aber die Gegner sich zurück, so wurden sie durch
die Schwere ihrer Rüstungen an der Verfolgung ge-
hindert, sodass die Juden, nachdem sie den Römern Ver-
luste beigebracht, ohne selbst welche zu erleiden, sich
jedesmal wieder in die Stadt flüchten konnten. Vespa-
sianus befahl daher seinen Schwerbewaffneten, den An-
griffen der Juden auszuweichen und sich mit Menschen,
die den Tod suchten, in kein Gefecht mehr einzulassen;
denn nichts mache tapferer als Verzweiflung. Übrigens
werde sich die Kampfeshitze der Juden von selbst ab-
kühlen, sobald ihr das Ziel fehle, wie das Feuer, wenn
ihm der Brennstoff ausgehe. Auch zieme es den Römern,
nur den sicheren Weg zum Siege zu wählen , da sie ja
332
Joseplms, Geschichte des Jüdischen Krieges.
keinen Verteidigungs-, sondern einen Eroberungskrieg
führten. Von nun an wurden mit der Zurück treibung
der Juden zumeist die arabischen Bogenschützen sowie
die syrischen Schleuderer und Steinwerfer betraut; doch
blieben auch die sämtlichen Wurfmaschinen in Thätig-
keit, vor denen sich die Juden durchgehends mit Ver-
lusten zurückzogen. Kamen sie aber einmal näher an
die Geschütze heran, so setzten sie den Römern arg zu
und stritten mit wahrer Todesverachtung; dabei trat für
die Kampfunfähigen auf beiden Seiten stets wieder
frische Mannschaft ein.
19. Fast wollte es übrigens bei der Länge der Zeit
und den vielen Ausfällen Vespasianus bedünken, als
wäre er selbst der Belagerte. Er beschloss daher, da
die Wälle sich schon den Mauern näherten, den Widder
anrücken zu lassen. Es ist dies ein gewaltiger, einem
Schiffsmast ähnlicher Balken; an seinem vorderen Ende
trägt er einen Beschlag von starkem Eisen in Form
eines Widderkopfes, woher er auch den Namen hat. In
der Mitte ist er mit Seilen an einem anderen wage-
rechten Balken aufgehängt, der an beiden Seiten auf
starken Pfählen ruht Von einer grossen Anzahl Männer
rückwärts gezogen und dann wieder mit vereinter Kraft
nach vorn geschnellt, stösst er mit dem an seiner
Spitze angebrachten Eisen gegen die Mauern an. 1 Kein
Turm ist so fest, keine Mauer so dick, dass sie, wenn
sie auch die ersten Stosse aushalten, bei energischer
Wiederholung derselben standhalten könnten. Mit
diesem Werkzeug also versuchte eB jetzt der römische
Feldherr; er trachtete nämlich mit möglichster Eile sich
der Stadt zu bemächtigen , da eine längere Belagerung
bei der Rührigkeit der Juden ihm nur Schaden bringen
konnte. Gleichzeitig machten sich die Römer mit den
Katapulten und den übrigen Wurfmaschinen herbei, um
auf diejenigen zu schiessen, die etwa von der Mauer
1 Per Widder oder Sturmbock arbeitete unter einem besonderen
Schutzdach (der testudo arietaria).
Drittes Bach, 7. Kapitel.
333
herab Widerstand leisten würden, und ebenso zogen sich
die Bogenschützen und Schleuderer möglichst dicht an die
Stadt heran. Während nun angesichts dieser Zurüstungen
niemand die Mauer zu besteigen wagte, schleppte ein
Teil der Soldaten den Widder herbei, der zum Schutze
der Bedienungsmannschaft wie der Maschine selbst rings
von Weidengeflecht umgeben und oben auch noch mit
Fellen bedeckt war. Beim ersten Stosse bereits erbebte
die Mauer, und zugleich erhoben die Belagerten ein
lautes Geschrei, wie wenn die Stadt schon erstürmt
wäre.
20. Als Josephus sah, dass die Römer immer gegen
dieselbe Stelle der Mauer stiessen und diese dem Ein-
sturz nahe war, ersann er ein Mittel, um die Gewalt der
Maschine in etwa zu brechen. Er befahl nämlich seinen
Leuten, Säcke mit Spreu zu füllen und sie jedesmal an
die Stelle hinabzulassen, gegen welche sie den Widder
zielen sähen , damit seine Richtung unsicher und seine
Stösse durch die Elastizität der Säcke abgeschwächt
würden. Den Römern erwuchs dadurch ein gewaltiger
Zeitverlust, da die Juden von der Mauer herab die Säcke
jedesmal dort anbrachten, wo die Maschine hinzielte,
und sie den Stössen entgegenhielten, sodass die Mauer
weniger unter deren Wucht zu leiden hatte. Endlich
aber kamen die Römer auf den Gedanken, vorn an
lange Pfähle Sicheln zu binden und damit die Säcke
abzuschneiden. Auf diese Weise konnte der Widder
von neuem in Wirksamkeit treten, und da nun die
Mauer, frisch gebaut wie sie war, alsbald zu wanken
anfing, griffen Josephus und seine Leute zu einem
anderen Verteidigungsmittel: zum Feuer. Sie rafften
nämlich alles dürre Reisig, dessen sie habhaft werden
konnten, zusammen , machten in drei Abteilungen einen
Ausfall und steckten die Maschinen, die Schutzdächer
und die Pfahl werke der Römer in Brand. Diese
leisteten nur schwachen Widerstand, teils weil die Kühn-
heit der Belagerten sie ausser Fassung brachte, teils
weil die Flammen der Verteidigung zuvorgekommen
334
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
waren. Denn das trockene Holz in Verbindung mit
Erdharz, Pech und Schwefel verbreitete den Brand mit
Blitzesschnelle, sodass in einer Stunde die mühsam er-
richteten Werke der Römer in Asche lagen.
21. Bei dieser Gelegenheit zeichnete sich ein Jude
Namens Eleazar, der Sohn des Samaeus, aus Saab in
Galilaea gebürtig, auf eine rühm- und denkwürdige
Weise aus. Er hob nämlich einen ungeheuren Stein
auf und schleuderte ihn von der Mauer herab mit
solcher Gewalt gegen den Sturmbock, dass er der Ma-
schine den Kopf abschlug. Dann sprang er hinab, holte
den Widderkopf mitten aus den Feinden heraus und
trug ihn mit grosser Unerschrockenheit auf die Mauer
zu. Sämtliche Feinde machten ihn nun zur Zielscheibe,
und da er durch keine Rüstung geschützt war, wurde
er von fünf Geschossen durchbohrt. Ohne indes darauf
zu achten , erstieg er die Mauer, wo er infolge seiner
Heldenthat aller Augen auf sich zog; gleich darauf aber
stürzte er, unter seinen Wunden sich krümmend, mit
dem Widderkopf herab. Nächst ihm erwiesen sich als
besonders tapfer die beiden Brüder Netiras und
Philippus aus dem Dorfe Ruma, gleichfalls Galiläer.
Sie drangen auf die Soldaten der zehnten Legion ein
und warfen sich mit solchem Ungestüm den Römern ent-
gegen, dass sie deren Reihen durchbrachen und alles,
was ihnen in den Weg kam, vor sich hertrieben.
22. Ihnen nach stürzte Josephus an der Spitze der
übrigen Mannschaft mit einer Menge von Feuerbränden
hinaus und setzte die Maschinen sowie die Flecht- und
Pfahlwerke der weichenden fünften und zehnten Legion
in Brand, während andere eiligst die Werkzeuge und
sämtliches Baumaterial unbrauchbar machten. Gegen
Abend jedoch richteten die Römer den Sturmbock wieder
auf und Hessen ihn gegen die Stelle der Mauer wirken,
die schon vorher beschädigt worden war. Da geschah
es, dass einer von den Verteidigern der Mauer den
Vespasianus in die Fusssohle traf. Die Wunde war
zwar leicht, weil das Geschoss infolge der beträchtlichen
Drittes Bach, 7. Kapitel.
335
Entfernung seine Kraft verloren hatte ; gleichwohl be-
mächtigte sich der Römer ein gewaltiger Schrecken. Da
nämlich die nächste Umgebung des Feldherrn durch
den Anblick' des Blutes in Unruhe geriet, verbreitete
sich die Nachricht von seiner Verwundung alsbald im
ganzen Heere. Die meisten Hessen nun von der Be-
lagerung ab und scharten sich voll Angst und Be-
stürzung um ihren Feldherrn. Vor allen aber trieb den
Titus die Sorge um seinen Vater herbei, und da seine
Züge ängstliche Aufregung verrieten, konnte es bei der
Anhänglichkeit, mit der die Soldaten ihrem Führer zu-
gethan waren, nicht ausbleiben , dass grosse Nieder-
geschlagenheit sich ihrer bemächtigte. Leicht jedoch
beschwichtigte der Vater den besorgten Sohn und
machte so auch der Unruhe im Heer ein Ende. Indem
er nun die Schmerzen unterdrückte und allen um seinet-
willen Erschrockenen sich zu zeigen suchte, feuerte er
den Kampfeseifer gegen die Juden in noch höherem
Grade an; denn jeder wollte jetzt als Rächer des Feld-
herrn der vorderste im Treffen sein. So stürmten sie
denn, indem sie sich gegenseitig durch Zuruf ermunterten,
alsbald wieder gegen die Mauer an.
23. Obwohl nun von den Leuten des Josephus einer
nach dem anderen den Katapulten und Ballisten zum
Opfer fiel, Hessen sie sich doch nicht von der Mauer
verjagen, sondern warfen mit Feuerbränden, Eisen und
Steinen gegen die, welche von Flechtwerk geschützt den
Widder bedienten. Sie richteten indes gar nichts oder
nur wenig aus, verloren aber selbst eine Menge Leute,
da sie, ohne die Feinde zu sehen, beständig von diesen
gesehen wurden. Von den Feuerbränden in ihrer
eigenen Hand beleuchtet, boten sie den Römern wie bei
Tage 1 ein deutliches Ziel und konnten sich vor den Ge-
schossen der Maschinen, weil diese in der Ferne für sie
unsichtbar waren, nicht schützen. So wurden sie haufen-
weise von der Gewalt der Schnellwurfmaschinen und
1 Es handelt sich um einen Angriff zur Nachtzeit.
336
Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges.
Katapulten niedergeschmettert, während gleichzeitig die
Wucht der von den Bai listen geschleuderten Steinmassen
Mauerbrüstungen wegriss und die Ecken der Türme
einschlug. Keine Schar von Kriegern ist so dicht, dass
sie nicht von der Gewalt und Grösse eines solchen
Steines bis zum letzten Glied niedergestreckt würde.
Die Kraft des Geschützes kann man aus einigen
Vorfällen dieser Nacht ersehen. Einem der Leute des
Josephus, der auf der Mauer stand, wurde von einem
Stein der Kopf abgerissen und sein Schädel drei Stadien
weit weggeschleudert. Ferner wurde gleich nach Tages-
anbruch eine schwangere Frau, die eben ihr Haus ver-
lassen hatte, auf den Unterleib getroffen und ihr Kind
ein halbes Stadion weit fortgerissen: so gross war die
Gewalt der Balliste. Schrecklicher noch war das von den
Maschinen verursachte Getöse und das Sausen der Ge-
schosse. Ein Toter nach dem anderen stürzte mit
dröhnendem Gepolter von der Mauer herab; innen er-
hoben die Weiber ein entsetzliches Geschrei; von aussen
mischte sich darein das Stöhnen der Sterbenden. An
der Stelle, wo der Kampf tobte, troff die ganze Mauer
von Blut, und man konnte sie auf Bergen von Leichen
erklettern. Noch schauerlicher ward das Getöse durch
den Wiederhall der umliegenden Berge, und nichts, was
für Auge und Ohr schrecklich sein kann, fehlte in jener
Nacht. Viele der Verteidiger Jotapatas starben in ihr
den Heldentod, viele auch wurden verwundet. Um die
Morgenwache 1 gab die Mauer endlich den unaufhörlich
arbeitenden Maschinen etwas nach; bevor indes die
Römer ihre Sturmleitern anlegen konnten, hatte ein Teil
der Leute des Josephus, die stark gepanzert waren,
gegenüber dem eingestürzten Stücke der Mauer einen
neuen Wall errichtet.
24. Gegen Morgen sammelte Vespasianus sein Heer
1 Die Nacht (sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens) war bei
den Römern in vier Wachen von je drei Stunden geteilt. Unter
Morgen wache ist die letzte Nachtwache zu verstehen.
Drittes Buch, 7. Kapitel.
337
zum Sturm auf die Stadt, nachdem er ihm eine kurze
Erholung von den Strapazen der Nacht gegönnt hatte.
Da es ihm nun zunächst darum zu thun war, die Ver-
teidiger von den eingestürzten Mauerteilen zu vertreiben,
lie8ß er seine tapfersten Reiter absitzen und sich, von
Kopf bis zu Fuss bewehrt, mit vorgehaltenen Speeren in
<lrei Linien vor dem zerstörten Mauerstück aufstellen,
damit sie, sobald die Sturmleitern angelegt wäre», zuerst
in die Stadt eindrängen. Hinter ihnen nahm der Kern
des Fussvolkes Stellung, während die übrige Reiterei am
ganzeü Berge herum der Mauer entlang aufmarschierte,
um das heimliche Entweichen von Belagerten während
der Erstürmung zu verhindern. Rückwärts von dieser
Postenkette liess er in gleicher Ausdehnung die Bogen-
schützen antreten mit dem Befehl, sich schussfertig zu
halten, ebenso die Schleuderer und die Bedienungsmann-
schaften der Geschütze. Andere beorderte er mit Leitern
an die unversehrten Teile der Mauer, damit die Auf-
merksamkeit der Belagerten dadurch, dass sie diese
Leute abzuwehren versuchten , von der Bewachung der
Bresche abgelenkt würde; die übrigen sollten dann von
der Stelle, wo die Römer einzudringen gedachten, durch
den Geschosshagel verjagt werden.
25. Josepbus aber durchschaute diesen Plan und
stellte deshalb die Ermatteten und die Greise an den
unbeschädigten Teilen der Mauer auf in der Voraus-
setzung, dass ihnen hier kein Leid geschehen würde; in
die Nähe der Bresebe dagegen beorderte er die kräf-
tigsten Abteilungen seiner Leute und an ihre Spitze
wieder je sechs Krieger, deren besonders gefährdete
Stellung er selbst teilte. Er wies sie an, ihre Ohren
gegen das Schlachtgeschrei der Legionen zu verstopfen,
damit sie nicht eingeschüchtert würden, und gegen die
Menge der Pfeile sich dadurch zu schützen, dass sie sich
auf die Knie niederliessen und ihre Schilde über die
Köpfe hielten. Auch sollten sie sich ein wenig zurück-
ziehen, bis die Bogenschützen ihre Köcher geleert hätten;
Josephus, Jüdischer Krieg. 92
338
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sobald aber der Feind die 8 türm brücken 1 werfen würde,
sollten sie hervorstürzen und den Römern auf deren
eigenem Bau entgegen gehen. Ein jeder müsse kämpfen
nicht um seine Vaterstadt zu retten, sondern als ob er
schon ihren Untergang rächen wolle. Ferner möchten
sie sich vor Augen halten, wie die Feinde demnächst
Greise umbringen, Weiber und Kinder hinschlachten
würden, und demgemäss schon jetzt ihren Zorn ob der
kommenden Greuel an denjenigen auslassen, die sie ver-
üben würden.
26. In dieser Weise stellte Josephus die 'beiden
Hauptabteilungen seiner Leute auf. Als aber jetzt die
vielen unbeschäftigten Einwohner, die Weiber und die
Kinder nämlich, die Stadt wie mit einem dreifachen
Gürtel von Kriegern umzogen sahen, während zugleich
auch die bereits früher vorhandenen Wachen ihre Posten
beibehielten, als sie ferner bemerkten, wie die Feinde
mit gezückten Schwertern vor der Mauerlücke standen,
die über der Stadt sich erhebenden Berge von Waffen
schimmerten und die Geschosse der arabischen Bogen-
schützen eben abzufliegen drohten, da erhoben sie ein
Jammergeschrei wie die letzte Trauerklage über den
Untergang der Stadt, als ob das Unglück nicht erst be-
vorstände, sondern schon da wäre. Damit nun die
Weiber den Kampfesmut der Ihrigen nicht durch Er*
regung von Mitleid schwächten, Hess Josephus sie in
die Häuser einschliessen und legte ihnen unter Drohungen
Stillschweigen auf. Alsdann begab er sich auf seinen
Posten vor der Bresche, den ihm das Los bestimmt hatte,
ohne auf diejenigen Römer, welche den anderen Teilen
der Mauer mit Leitern sich näherten , weiter zu achten,
und sah mit gespannter Erwartung dem Abfliegen der
Geschosse entgegen.
27. Plötzlich schmetterten die Trompeten sämtlicher
Legionen, das Heer erhob ein fürchterliches Schlacht-
1 Diese Brücken wurden von den hölzernen , auf Walzen oder
Rädern beweglichen Belagerungstürmen aus geschlagen.
Drittes Buch, 7. Kapitel.
339
geschrei, und auf ein gegebenes Zeichen wurden von
allen Seiten die Pfeile abgeschossen , sodass die Luft
sich verfinsterte. Die Leute des Josephus jedoch, ein-
gedenk seiner Weisungen, schützten ihre Ohren vor dem
Geschrei, ihre Leiber vor den Geschossen, und als die
Sturmbrücken geworfen wurden, stürzten sie sich auf
ihnen den Feinden entgegen, bevor noch die letzteren
den Fuss darauf gesetzt hatten. So gerieten sie mit den
anrückenden Römern ins Handgemenge, wobei Bie zahl-
reiche von Kraft und Mut zeugende Thaten verrichteten
und sich bestrebten, trotz ihrer verzweifelten Lage den
weniger gefährdeten Feinden an Tapferkeit nicht nach-
zustehen. Sie Hessen daher von den Römern nicht eher
ab, als bis sie entweder selbst gefallen waren oder den
Gegner getötet hatten. Da aber die Juden unter der
anhaltenden Gegenwehr schliesslich ermatteten und durch
frische Truppen nicht abgelöst werden konnten, während
auf seiten der Römer anstelle der erschöpften Kämpfer
stets wieder neue eintraten und für zurückgeschlagene
Abteilungen alsbald andere ins Gefecht geführt wurden,
so gelang es den letzteren, indem sie sich gegenseitig
durch Zurufe ermunterten und nach oben hin mit ihren
Schilden sich deckten, eine festgeschlossene, undurch-
dringliche Masse zu bilden. Mit ihrer ganzen Wucht
drängten sie nun, als wären sie ein einziger Leib, die
Juden zurück, und schon waren sie drauf und dran, die
Mauer zu ersteigen.
28. In dieser angstvollen Lage riet dem Josephus die
Not (eine treffliche Erfinderin, besonders wenn Ver-
zweiflung ihre Erfindungskraft schärft), die dicht zu-
sammengedrängten Feinde mit siedendem öl überschütten
zu lassen. Viele seiner Leute hatten solches alsbald in
grosser Menge zur Hand, als wenn sie sich schon vorher
darauf eingerichtet hätten, und gossen es nun von allen
Seiten auf die Römer hinab, denen sie dazu auch noch
die glühend heissen Gefasse auf die Köpfe warfen. Von
dem öl verbrannt, kamen die Römer völlig aus der
Ordnung heraus und wälzten sich unter fürchterlichen
340
Josephus, Qeschicbte des Jüdischen Krieges.
Schmerzen die Mauer hinunter; das öl floss nämlich
auch unter der Rüstung leicht vom Scheitel bis zur
Fusssohle über den ganzen Leib hin und versengte das
Fleisch wie eine Flamme, da es seiner Natur nach sich
schnell erwärmt und wegen seiner Fettigkeit erst lang-
sam wieder erkaltet. In ihre Panzer und Helme ein-
gezwängt, konnten sich die Römer von dem Brande nicht
loemachen, und da sie aufsprangen und sich in ihren
Schmerzen hin und her wandten, stürzten sie schliesslich
von den Brücken hinab; andere wurden, indem sie ihren
eigenen vorwärts drängenden Leuten entgegenflohen, von
den auf ihren Rücken einhauenden Juden mit leichter
Mühe überwältigt.
29. Ebensowenig aber, wie die Juden ihre Über-
legung, verloren die Römer trotz ihres Unglücks den
festen Mut, und obwohl sie die schrecklichen Leiden
ihrer versengten Kameraden sahen, drangen sie doch
gegen die Juden, die fortgesetzt öl hinabgossen, vor,
und jeder schmähte seinen Vordermann, dass er ihn an
der Entfaltung seiner Kraft hindere. Die Juden dagegen
griffen, um das Vordringen ihrer Gegner zu vereiteln,
zu einer weiteren List, indem sie abgekochtes griechisches
Heu 1 auf die Bretter der Sturm brücken schütteten , so-
dass die Römer ausglitten und hinabrutschten. Niemand
konnte sich aufrecht halten, mochte er nun fliehen oder
Vordringen wollen; vielmehr fielen sie entweder auf den
Sturmbrücken rücklings zu Boden, wo sie zertreten
wurden, oder sie stürzten in grosser Anzahl auf den
Wall und wurden hier von den Juden erschossen. Die
letzteren waren nämlich dadurch, dass ihre Gegner zu
Fall kamen, vom Handgemenge befreit worden und
konnten nun wieder von ihren Schusswaffen Gebrauch
machen. Gegen Abend liess der Feldherr seine Soldaten,
die bei dem Sturm viel gelitten hatten, den Kampf ein-
1 Die Samen dieser Pflanze (Trigonelia Foenum graecum L.)
geben mit Wasser gekocht einen sehr schleimigen, schlüpfrig
machenden Brei.
Drittes Buch, 7. Kapitel.
34 i
stellen. Die Römer hatten ziemlich viele Tote und eine
Menge Verwundeter; auf seiten der Jotapatener waren
sechs Mann gefallen und dreihundert verwundet hinweg-
getragen worden. Dieses Gefecht fand am zwanzigsten
des Monats Daisios statt.
30. Als Vespasianus sein Heer wegen der ihm zu-
gestossenen Unfälle trösten wollte, fand er die Soldaten
in heller Entrüstung; keinen Zuspruch begehrten sie
sondern Gelegenheit zu neuen Kriegsthaten. Er liess
daher die Wälle noch weiter erhöhen und drei Türme
errichten, letztere je fünfzig Fuss hoch und ringsum mit
Eisen beschlagen, damit sie einerseits durch ihr be-
deutendes Eigengewicht schon festständen und ander-
seits dem Feuer trotzen könnten. In diese Türme, die,
er auf dem Walle anbringen liess, legte er Speerwerfer,
Bogenschützen und die kräftigsten Schleuderer ; auch
versah er sie mit leichteren Wurfmaschinen. Dadurch,
dass die Türme sehr hoch waren und Brustwehren
hatten, entzog ihre Besatzung sich völlig den Blicken
der Gegner, vermochte aber ihrerseits die auf der Mauer
stehenden Juden deutlich zu sehen und zu treffen. Weil
nun die letzteren den von oben kommenden Geschossen
nicht leicht ausweichen und gegen die unsichtbaren
Schützen sich nicht verteidigen konnten, auch die Un-
möglichkeit, mit Handgeschossen die Höhe der Türme
zu erreichen oder den Eisen beschlag derselben durch
Feuer zu zerstören , ein sahen , zogen sie sich von der
Mauer zurück und machten Ausfälle gegen diejenigen
feindlichen Abteilungen, welche Sturm laufen wollten.
Auf diese Weise hielten die Jotapatener stand, obwohl
täglich viele von ihnen umkamen. Besonderen Schaden
freilich konnten sie den Feinden nicht zufügen ; vielmehr
mussten sie sich darauf beschränken, sie mit grossen
eigenen Verlusten von sich abzuhalten.
31. In denselben Tagen entsandte Vespasianus den
Anführer der zehnten Legion, Trajanus, 1 an der Spitze
1 Den Vater des nachmaligen Imperators.
Go gle
wNivsiitsiH or
342
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
von tausend Reitern und zweitausend Fusssoldaten gegen
eine Nachbarstadt Jotapatas mit Namen Japhb, die sich,
durch den unerwartet langen Widerstand der Jotapatener
ermutigt, empört hatte. Trajanus fand die Stadt schwer
einnehmbar, da sie ausser ihrer von Natur schon festen
Lage auch noch durch eine doppelte Ringmauer ge-
schützt war. Weil aber die Bewohner kampfgerüstet ihm
entgegenzogen, liess er sich mit ihnen in ein Gefecht
ein und verfolgte sie, nachdem sie nur kurzen Wider-
stand geleistet hatten. Sie flüchteten sich hinter die
erste Mauer; die Römer jedoch, die ihnen auf der Ferse
waren, stürzten sich mit hinein. Als nun die Juden sich
hinter die zweite Mauer zurückziehen wollten, schlossen
ihre eigenen Leute aus Furcht, die Feinde möchten auch
hier miteindringen, die Stadtthore vor ihnen zu. Offen-
bar war es Gott, der die Galiläer zu gunsten der Römer
ins Unglück stürzte und der auch damals die ganze
streitbare Mannschaft der Stadt, ausgeschlossen durch
die Hände der Ihrigen, dem Mordschwert der Feinde
preisgab. In dichten Haufen gegen die Thore drängend
und deren Wächter laut beim Namen rufend, wurden
sie trotz ihrer flehentlichen Bitten niedergemetzelt Die
erste Mauer hatten ihnen die Feinde, die zweite ihre
eigenen Mitbürger verschlossen ; so waren sie also mitten
zwischen die beiden Ringmauern eingezwängt und kamen
elendiglich um : viele erlagen dem Schwert ihrer Kame-
raden, viele auch durchbohrten sich selbst; die meisten
aber fielen durch die Hand der Römer, ohne sich zu
irgendwelcher Gegenwehr aufraffen zu können ; denn
ausser dem Schrecken, den die Feinde ihnen eingejagt
hatte auch das verräterische Benehmen der Freunde
ihren Mut völlig gebrochen. So starben sie dahin, nicht
den Römern, sondern ihren eigenen Leuten fluchend, bis
endlich alle, zwölftauBend an der Zahl, niedergemacht
waren. Trajanus nahm nun an, dass die Stadt entweder
völlig von Verteidigern entblösst sei oder dass, wenn
sich noch welche darin befanden, sie aus Furcht nichts
unternehmen würden , und schickte deshalb in der Ab-
Drittes Buch, 7. Kapitel.
343
sicht, die Erstürmung für den Feldherrn aufzusparen,
Boten an Vespasianus mit der Bitte, er möge seinen
Sohn Titus zur Vollendung des Sieges absenden. Vespa-
sianus aber, der vermutete, es könnte doch vielleicht
noch etwas zu thun sein, gab seinem Sohn eine Streit-
macht von fünfhundert Reitern und tausend Fusssoldaten
mit Titus rückte nun eilends vor die Stadt stellte sein
Heer in Schlachtordnung auf und übergab dem Traja-
nus den linken Flügel, während er selbst an der Spitze
des rechten Flügels den Sturm eröffnete. Als die Sol-
daten von allen Seiten Leitern an die Mauer anlegten,
zogen sich die Galiläer, nachdem sie kurze Zeit von oben
her Widerstand geleistet hatten, von der Umwallung
zurück, worauf Titus mit den Seinigen die Mauern er-
stieg und alsbald die Stadt besetzte, doch nicht ohne
gegen die innen zusammengescharten Juden noch einen
harten Kampf bestanden zu haben. In den engen
Gassen nämlich stürzte sich die streitbare Mannschaft
den Römern entgegen , während die Weiber von den
Dächern herab alles, was gerade zur Hand war, ihnen
auf die Köpfe warfen. Sechs Stunden lang dauerte die
Gegenwehr ; als aber die kampffähige Mannschaft dahin-
gerafft war, wurde das übrige Volk teils unter freiem
Himmel, teils in den Häusern niedergemacht, jung und
alt ohne Unterschied, und nichts Männliches mehr am
Leben gelassen ausser den unmündigen Kindern, welche
samt den Weibern in die Sklaverei geschleppt wurden.
Die Zahl der in der Stadt und bei dem voran gegangenen
Treffen Gefallenen betrug fünfzehntausend, die der Ge-
fangenen zweitausendeinhundertdreissig. Diese Nieder-
lage erlitten die Galiläer am fünfundzwanzigsten des
Monats Daisios.
32. Auch die Samariter suchte das Unglück heim.
Sie hatten sich auf dem von ihnen heilig gehaltenen
Berge Garizin versammelt, und obwohl sie sich äusser-
lich ruhig verhielten, lag doch schon in ihrer Zusammen-
kunft und in ihrem ganzen Gebaren eine Kriegsdrohung.
Die Niederlage ihrer Nachbarn hatte sie eben nicht ge-
Go gle
344 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
witzigt; vielmehr wollten sie, ohne ihre eigene Schwäche
in Betracht zu ziehen , es mit dem Glüoke der Römer
aufnehmen und warteten deshalb begierig auf eine Ge-
legenheit zum Aufruhr. Vespasianus hielt es für geraten,
einer Bewegung ihrerseits zuvorzukommen und ihre
Empörungslust zu dämpfen; denn in ganz Samaria um-
her lagen seit längerer Zeit römische Besatzungen, für
die man bei der grossen Menge und der Haltung der
Versammelten besorgt sein musste. Er sandte daher den
Anführer der fünften Legion, Cerealis, mit sechshundert
Reitern und dreitausend Mann Fussvolk gegen sie ab*
Diesem schien es jedoch wegen der Überzahl der oben
befindlichen Feinde nicht ratsam, den Berg zu ersteigen
und sich mit ihnen in ein Gefecht einzulassen, und so
beschränkte er sich vorläufig darauf, den Fuss des
Berges von allen Seiten mit seinen Leuten zu um-
stellen und sie den ganzen Tag zu beobachten. Nu ti
traf es sich, dass die Samariter an Wassermangel litten,
und da es an jenem Tage — mitten im Sommer —
fürchterlich heiss war und die Menge sich auch sonst
nicht mit den nötigen Lebensmitteln versehen hatte,
starben einige von ihnen noch am selben Tage vor
Durst, während andere einem solchen Tod die Knecht-
schaft vorzogen und zu den Römern übergingen. Als
Cerealis von diesen Überläufern erfuhr, dass die da oben
von ihren Leiden gänzlich entkräftet seien, erstieg er
den Berg und schloss die Feinde ringsum mit seiner
Streitmacht ein. Sodann liess er sie auffordern, sich zu
ergeben, ermahnte sie, auf ihre Rettung bedacht zu sein,
und sicherte ihnen Schonung ihres Lebens zu, wenn sie
die Waffen von sich werfen 'wollten. Da er aber hiermit
nichts ausrichtete, fiel er über sie her und liess den
ganzen Haufen, elftausendsechshundert an der Zahl,
niedermachen. Dieser schwere Schlag traf die Samariter
am siebenundzwanzigsten des Monats Daisios.
33. Mittlerweile hielten sich die Jotapatener noch
immer und trotzten wider Erwarten allen Schrecken der
Belagerung, bis endlich am siebenundvierzigsten Tage,
Go gle
Drittes Bach» 7. Kapitel.
345
da die Wälle der Römer bis zur Höhe der Stadtmauer
emporgestiegen waren , ein Überläufer zu Vespasianus
kam und ihm mitteilte ; wie klein und schwach das
Häuflein der Belagerten sei und wie sie, durch be-
ständiges Wachen und unaufhörliche Gefechte auf-
gerieben, einen Sturmangriff nicht mehr auszuhalten
vermöchten. Aber auch mit List würden sie zu über-
wältigen sein, wenn jemand es darauf anlege; denn um
die letzte Nachtwache, wo sie einige Ruhe vor den An-
griffen zu haben glaubten und der Morgenschlummer die
Todmüden überfalle, lägen auch die Wachtposten in
tiefem Schlafe, und er rate daher, um eben diese Stunde
zum Angriff zu schreiten. Vespasianus traute zwar dem
Überläufer nicht recht, da er die Treue der Juden gegen-
einander kannte und wusste, wie wenig sie sich aus
körperlichen Strafen machten; hatte doph schon einmal
ein gefangener .Jotapatener allen Folterqualen wider-
standen, ohne den Feinden, die ihm mit Feuer zusetzten,
irgend etwas über die Zustände im Innern der Stadt
zu verraten, und darum lächelnd den Kreuzestod er-
litten. Die innere Wahrscheinlichkeit seiner Angaben
jedoch verschaffte dem Verräter Glauben, sodass Vespa-
sianus auf den Gedanken kam , er sage vielleicht doch
die Wahrheit; überdies hielt er dafür, dass eine etwaige
Hinterlist jedenfalls für die Römer keine besonders
üblen Folgen haben könne. Er liess daher den Mann
bewachen und sein Heer sich zum Sturm auf die Stadt
rüsten.
84. Um die angegebene Stunde näherten sich die
Römer leise der Mauer. Titus mit dem Tribun Domitius
Sabinus uud einigen wenigen Leuten der fünften und
zehnten Legion erstieg sie zuerst, und nachdem sie die
Wachtposten niedergestossen hatten, betraten sie in aller
Stille die Stadt. Nach ihnen führten der Tribun Sextus
Cerealis und Placidus ihre Mannschaft hinein. Die
Burg war besetzt, mitten in der Stadt bewegten sich die
Feinde, und bereits war es Tag; gleichwohl hatten die
Überfallenen noch keine Ahnung von der Einnahme
346 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
der Festung. Die meisten waren eben von Ermattung
und Schlaf gelähmt, und den Blick derer, die wach
wurden, trübte ein dichter Nebel, der sich gerade über
die Stadt lagerte. Erst als das ganze Heer seinen Ein-
zug gehalten hatte, erhoben sie sich, aber nur um ihr
Unglück gewahr zu werden und sich unter dem Mord-
schwert des Feindes von der wirklich erfolgten Ein-
nahme der Stadt zu überzeugen. Die Römer, eingedenk
dessen, was sie während der Belagerung ausgestanden
hatten, kannten nun weder Mitleid noch Schonung,
sondern hieben auf das Volk ein, indes sie es jählings
die Burg hinabdrängten. Hierbei benahm die Ungunst
der Örtlichkeit auch den noch Kampffähigen alle Mög-
lichkeit der Gegenwehr; denn da sie in die engen
Gassen hineingepresst wurden und an den abschüssigen
Stellen ausglitten, wurden sie von den die Burg herab-
wogenden Kriegern erdrückt Das trieb viele, selbst
solche von der auserlesenen Mannschaft des Josephus,
zum Selbstmord,. Als sie sich nämlich ausser stände
sahen, einen «Römer niederzumachen, scharten sie sich,
um wenigstens nicht unter dem Schwert der Feinde zu
fallen, am äussersten Ende der Stadt zusammen und
brachten sich selbst ums Leben.
35. Einer Anzahl Wachmannschaften, welche gleich
anfangs die Einnahme der Stadt bemerkten, war es ge-
lungen, zu entkommen und einen der nördlichen Türme
zu ersteigen. Hier wehrten sie sich noch einige Zeit;
als sie sich aber von der Menge der Feinde umzingelt
sahen, wollten sie Unterhandlungen anknüpfen. Doch
es war zu spät, und so Hessen sie sich von den ein-
dringenden Römern willig niedermetzeln. Übrigens
hätten die letzteren sich rühmen können, das Ende der
Belagerung habe sie keinen Tropfen Blut gekostet, wenn
nicht ein Centurio Namens Antonius bei der Einnahme
der Stadt gefallen wäre, und zwar als Opfer einer Treu-
losigkeit. Von den zahlreichen Juden nämlich, die sich
in die Höhlen geflüchtet hatten, flehte einer den Anto-
nius an, er möge ihm zum Zeichen, dass er ihm das
Go gle
Drittes Buch, 8. Kapitel.
347
Leben schenken wolle, die Hand geben und ihm dadurch
zugleich herauf helfen. Unvorsichtigerweise reichte Anto-
nius ihm auch wirklich die Hand; der Jude aber stiess
ihm von unten den Speer in den Leib, sodass er plötz-
lich tot hinfiel.
36. An diesem Tage machten die Römer nur die
Menge derer nieder, die ihnen gerade zu Gesicht kamen.
An den folgenden Tagen aber durchsuchten sie die
Schlupfwinkel und verfolgten die in den unterirdischen
Gängen und in Höhlen Verborgenen, wobei sie kein
Alter schonten, unmündige Kinder und Weiber aus-
genommen. An Gefangenen brachten sie zwölfhundert
Mann zusammen; die Gesamtzahl derer, die bei der
Einnahme der Stadt und in den vorangegangenen Kämpfen
gefallen waren, betrug vierzigtausend. Vespasianus liess
nun die Stadt schleifen und ihre sämtlichen Festungs-
werke einäschern. So fiel Jotapata im dreizehnten Regie-
rungsjahre Neros, 1 am ersten des Monats Panemos.
Achtes Kapitel.
Josephus wird gefangen genommen« Seine Unterredung
mit Vespasianus.
1. Die Römer suchten nun teils aus eigener Erbitterung
gegen Josephus, teils weil der Feldherr auf seine Ge-
fangennahme, die er als beinahe entscheidend für den
Ausgang des Krieges ansah, sehr erpicht war, unter den
Toten und in allen verborgenen Schlupfwinkeln der
Stadt nach, um den Gehassten zu finden. Er aber hatte
sich während der Einnahme der Stadt wie unter gött-
lichem Beistand mitten durch die Feinde geschlichen
und war in eine tiefe Cisterne hinabgesprungen, die sich
seitwärts zu einer von oben unsichtbaren, geräumigen
Höhle erweiterte. In diesem Versteck traf er vierzig
1 67 n. Chr.
348
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
vornehme Männer an, die auf eine Reihe von Tagen
mit Lebensmitteln versehen waren. Bei Tage nun hielt
er sich verborgen, weil die Feinde alles ringsum besetzt
hatten; bei Nacht dagegen stieg er hinauf, um einen
Weg zur Flucht ausfindig zu machen und sich nach den
Posten umzusehen. Da aber eben um seinetwillen die
Umgebung von allen Seiten so scharf bewacht wurde,
dass an heimliches Entschlüpfen nicht zu denken war,
begab er sich wieder in die Höhle zurück. Zwei Tage
lang entging er so den Nachforschungen; am dritten
aber wurde er von einer Frau, die bei ihnen gewesen
und gefangen genommen worden war, verraten. Unver-
züglich schickte nun Vespasianus zwei Tribunen, Pau-
linus und Gallicanus, mit dem Auftrag ab, dem Josephus
Sicherheit zu versprechen und ihn zum Verlassen der
Höhle zu bewegen.
2. Die beiden gingen hin, sprachen ihm zu und ver-
bürgten ihm sein Leben. Sie konnten indes nichts bei
ihm ausrichten ; denn lediglich die Wahrscheinlichkeit
dessen, was er für die mannigfachen Schädigungen der
Römer zu gewärtigen hatte, und nicht der milde Charakter
derer, die ihm zuredeten, bestimmte seine Meinung be-
züglich des ihm bevorstehenden Loses. Demgemäss
.konnte er sich der Befürchtung nicht erwehren, man wolle
ihn nur hervorlocken, um ihn hinzurichten. Schliesslich
sandte Vespasianus einen dritten Boten in der Person
des dem Josephus wohlbekannten und von früher her
mit ihm befreundeten Tribuns Nikanor. Dieser kam
und schilderte das milde Verfahren der Römer gegen die
einmal von ihnen Besiegten, legte auch dar, wie die
Heerführer den Josephus um seiner Tapferkeit willen
mehr bewunderten als hassten, und wie der Feldherr
keineswegs beabsichtige, ihn hinrichten zu lassen, da er
ja diese Strafe an ihm vollziehen könne, auch ohne
dass er hervorkäme, sondern entschlossen sei, ihm als
einem tapferen Manne das Leben zu schenken. Übrigens
würde Vespasianus, so fügte er hinzu, dem Josephus
ebensowenig in hinterlistiger Absicht seinen Freund
Drittes Buch, 8. Kapitel.
349
gesandt und so das Schändlichste mit dem Besten, Treu-
losigkeit mit Freundschaft maskiert haben, als er selbst
sich dazu hergegeben haben würde, einen Freund zu
betrügen.
3. Da aber Josephus auch dem Nikanor gegenüber
sich noch nicht entscheiden konnte, trafen die Soldaten
in ihrem Zorn Anstalten, Feuer in die Höhle zu werfen.
Ihr Anführer jedoch hielt sie zurück, weil ihm sehr viel
daran lag, den Mann lebendig in seine Gewalt zu bekommen.
Während nun Nikanor in ihn drang und die feindliche
Schar fortgesetzt Drohungen ausstiess, traten dem Josephus
nächtliche Träume in die Erinnerung, in welchen ihm
Gott das bevorstehende Unglück der Juden und das
künftige Geschick der römischen Imperatoren offenbart
hatte. Josephus verstand es nämlich, bei der Auslegung
von Träumen auch diejenigen Verkündigungen zu er-
klären, die die Gottheit zweideutig gelassen hatte, da
er als Priester und Priesterssohn mit den Weissagungen
der heiligen Bücher wohl vertraut war. Gerade zu dieser
Stunde nun ward er von göttlicher Begeisterung ergriffen,
und indem er die Schreck bilder kürzlich gehabter Träume
sich vergegenwärtigte, schickte er in der Stille ein Gebet
zu Gott und sprach: „Weil du beschlossen hast, das
Volk der Juden, das du geschaffen, zu beugen, weil
alles Glück zu den Römern gewandert ist und du meine
Seele erwählt hast, die Zukunft zu offenbaren, so biete
ich den Römern die Hand und bleibe am Leben. Dich
aber rufe ich zum Zeugen an, dass ich nicht als Ver-
räter, sondern als dein Diener zu ihnen übergehe.“
4. Nach diesem Gebet sagte er dem Nikanor zu. Als
aber nun die Juden, die sich mit ihm in dem Versteck
befanden, merkten, dass er dem Zureden der Feinde
nachzugeben entschlossen sei, umringten sie ihn in dichten
Haufen und riefen: „Fürwahr, gar schwer werden über
dich die Gesetze der Väter seufzen, und tief wirst du
den Gott betrüben, der den Juden Seelen anerschuf, die
den Tod verachten. Ist denn das Leben dir, Josephus,
so lieb, dass du es über dich bringst, als Sklave das
350 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Licht zu schauen? Wie schnell doch hast du deiner
selbst vergessen! Und denkst du nicht mehr daran,
wie viele Juden auf deinen Zuspruch hin für die Frei-
heit gestorben sind? Falsch war also der Ruf von
Tapferkeit, in dem du standest, falsch auch der von
deiner Einsicht, weil du nun Begnadigung von denen er-
hoffst, gegen die du so hartnäckig gestritten hast, noch
mehr aber, weil du, falls diese Begnadigung überhaupt
sicher ist, sie aus ihrer Hand entgegen nehmen willst!
Aber wenn auch du, vom Glück der Römer geblendet,
deiner selbst vergessen hast, so müssen doch wir für die
Ehre unseres Vaterlandes besorgt sein. Unsern Arm
und unser Schwert stellen wir dir zur Verfügung; stirbst
du nun freiwillig, so fällst du als Heerführer der Juden,
wenn aber unfreiwillig, als Verräter!“ Mit diesen Worten
zückten sie ihre Schwerter gegen ihn und drohten ihn
niederzustossen, wenn er sich den Römern ergäbe.
5. Aus Furcht vor ihrem Angriff und in der Über-
zeugung, dass er einen Verrat an den Aufträgen Gottes
begehen würde, wenn er vor deren Verkündigung stürbe,
begann Josephus im Drange der Not Vernunftgrunde
gegen sie geltend zu machen. „Wozu sind wir doch,“
sprach er, „o Freunde, so erpicht darauf, uns selbst zu
morden? Oder weshalb wollen wir die innigsten Bande,
die zwischen Leib und Seele, zerreissen ? Man sagt, ich
sei ein anderer geworden — nun, das wissen ja die
Römer am besten. Schön ist’s, im Kriege zu sterben,
aber nach Kriegsbrauch, das heisst von der Hand des
Siegers. Wenn ich vor dem Schwert der Römer fliehe,
dann verdiene ich in der That, durch mein eigenes
Schwert, durch meine eigene Hand ums Leben zu
kommen ; wenn aber die Römer # den Wunsch hegen,
einen Feind zu schonen, um wie viel mehr müssen wir
uns da selbst schonen! Es wäre doch thöricht, wenn
wir selbst uns das anthun würden, wegen dessen wir mit
ihnen im Kampfe liegen. Ehrenvoll ist es, für die Frei-
heit zu sterben, das sage auch ich, aber kämpfend und
durch die Hand derer, die sie uns entreissen wollen.
Go gle
Drittes Buch. 8. Kapitel.
351
Nun aber ziehen sie weder gegen uns in die Schlacht,
noch haben sie vor, uns das Leben zu nehmen. Feig-
heit ist ebensowohl, nicht sterben zu wollen, wenn man
soll, als sterben zu wollen, wenn man nicht soll. Was
fürchten wir denn eigentlich, dass wir nicht zu den
Römern hinaufgehen ? Doch den Tod, nicht wahr? Aber
ist es denn so sicher, dass wir das von seiten der Römer
zu fürchten haben, was wir uns jetzt selbst zufügen
wollen? Nein, sagt ein anderer, die Knechtschaft ist
es, die wir fürchten — als wenn wir jetzt so recht in
Freiheit schwelgten ! Da kommt wieder ein anderer
und meint, es sei heldenmütig, sich selbst zu töten.
Nein, im Gegenteil, es ist die schlimmste Feigheit; ich
wenigstens halte den für einen sehr zaghaften Steuer-
mann, der aus Furcht vor einem Unwetter beim Aus-
bruch des Sturmes sein Fahrzeug freiwillig versenkt.
Zudem widerstrebt ja auch der Selbstmord dem innersten
Wesen alles Lebendigen und ist zugleich ein Frevel
gegen Gott, unseren Schöpfer. Es giebt kein Tier, das
mit Vorbedacht den Tod suchte oder ihn sich selbst zu-
fügte. Denn es ist ein festes Naturgesetz, dass man gern
leben will, weshalb wir auch diejenigen Menschen, die
uns das Leben offen zu nehmen trachten, für Feinde
halten und uns an denen, die ihm heimlich nachstellen,
rächen. Und meint ihr denn, Gott werde nicht zürnen,
wenn der Mensch sein Geschenk für nichts achtet? Von
ihm haben wir ja unser Dasein empfangen und müssen
daher auch ihm dessen Auf hören anheimstellen. Alle
haben wir sterbliche, aus vergänglichem Stoff gebildete
Leiber; in dem Leibe aber wohnt eine unsterbliche
Seele, ein Teil der Gottheit. Wenn nun jemand ein
von Menschen ihm an vertrautes Gut verschwendet
oder schlecht verwaltet, so gilt er für frevelhaft und
treulos; wenn aber einer das von Gott ihm an vertraute
Gut gewaltsam aus seinem eignen Körper wegschafft,
kann er dann noch wähnen, dem Auge dessen verborgen
zu bleiben, den er damit beleidigt hat? Man hält es
für recht, dass entlaufene Sklaven gezüchtigt werden,
352
Josophus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
selbst wenn sie böse Herren verlassen haben — und
da sollte es keine Sünde sein, wenn wir Gott, dem
besten Herrn, entlaufen? Wisst ihr denn nicht, dass
die, welche nach dem Gesetz der Natur aus dem Leben
scheiden und die von Gott entliehene Schuld heimzahlen,
wenn der Geber sie wieder nehmen will, ewigen Ruhm,
lange Dauer ihres Hauses und Geschlechtes erlangen,
reine Seelen behalten, die der Erhörung ihrer Gebete
sicher sein können, und in dem heiligsten Raume des
Himmels Wohnung nehmen, von wo sie im Verlauf der
Aeonen wiederum in unbefleckte Leiber wandern dürfen , 1
dass aber die Seelen aller derer, die mit eigner Hand
wider sich selbst gewütet haben, die finstere Unterwelt
aufnimmt, und dass Gott, ihr Vater, diese in doppelter
Hinsicht frevelhaften Menschen noch in ihren Nach-
kommen straft? Deshalb hasst Gott dieses Verbrechen,
und vom weisesten Gesetzgeber ward es mit Strafe be-
legt . 2 Denn die Selbstmörder muss man bei uns bis
Sonnenuntergang unbegraben hinwerfen, während wir es
doch für Pflicht halten, selbst Feinde zu bestatten; bei
anderen Völkern ist es Brauch, solchen Toten die rechte
Hand, mit der sie sich selbst gemordet haben, abzu-
hauen, um anzudeuten, dass, wie ein solcher Leib sich
der Seele entausserte , so auch die Hand nicht an den
Körper gehöre. Deshalb, meine Freunde, ziemt es sich,
recht zu denken und nicht dem Unglück, das uns als
Menschen getroffen, auch noch einen Frevel gegen unsern
Schöpfer hinzuzufügen. Sollen wir am Leben bleiben,
so wollen wir unserer Rettung nichts in den Weg legen ;
denn das macht uns kein|p Schande bei denen, welchen
wir unsere Tapferkeit durch so viele Thaten bewiesen
haben. Sollen wir aber den Tod erleiden, gut, so ge-
schehe es durch die Sieger. Ich möchte nun freilich
nicht zu den Reihen der Feinde übergehen, um ein Ver-
1 Lehre der Pharisäer (s. II, 8, 14).
2 In den mosaischen Schriften, soweit sie heute bekannt sind,
findet sich eine solche Bestimmung nirgends.
Drittes Bucfa, 8. Kapitel.
353
räter an mir selbst zu werden; denn dann wäre ich ja
noch thörichter als ein gewöhnlicher Überläufer, der so
handelt, um sein Leben zu retten, während ich es zum
Verderben thäte, und zwar zu meinem eigenen. Was
ich mir aber wünschte, wäre ein Verrat von seiten der
Börner; wenn sie mich nämlich trotz dem gegebenen
Worte umbrächten , würde ich freudig sterben , und es
wäre mir diese Treulosigkeit ein grösserer Trost als der
Sieg.“ 1
6. Vieles derartige sprach Josephus, um seine Ge-
fährten vom Selbstmord abzubringen. Die Verzweiflung
indes machte sie taub gegen alle Vorstellungen; schon
längst hatten sie sich dem Tode geweiht und wurden
darum nur noch erbitterter gegen ihn. Von allen Seiten
mit gezückten Schwertern auf ihn eindringend, beschul-
digten sie ihn der Feigheit, und jeder zeigte sich bereit,
ihn auf der Stelle niederzustossen. Er aber wusste, in-
dem er den einen bei seinem Namen anrief, den anderen
mit dem Blick des Feldherrn ahschaute, einen dritten
bei der Hand, ergriff, einen vierten durch Bitten um-
stimmte, in seiner Not, die die verschiedenartigsten Ge-
fühle in ihm auf kommen liess, jedesmal das Mordschw'ert
von sich abzuwehren, gleichwie das eingekreiste Wild
sich stets gegen den wendet, der es gerade anzugreifen
Miene maoht. Da sie nun selbst in dieser äussersten
Bedrängnis noch den Feldherrn in ihm ehrten, wurden ihre
Arme gelähmt, die Dolche entglitten ihren Händen, und
viele, die das Schwert gegen ihn erhoben hatten, steckten
es aus freien Stücken wieder ein.
7. Trotz dieser verzweifelten Lage Verliese übrigens
den Josephus seine Besonnenheit nicht; vielmehr setzte
er nun im Vertrauen auf Gottes Fürsorge sein Leben aufs
Spiel, indem er zu seinen Gefährten sprach: „Da der
Entschluss, zu sterben, nun einmal feststeht, wohlan, so
wollen wir das Los darüber entscheiden lassen, wer von
1 Zu ergänzen ist: Da die Römer dann eine Handlung begehen
würden, wegen deren Gottes Rache sie treffen müsste.
Josephus, Jüdischer Krieg. 23
Go gle
354
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
uns jedesmal den anderen niederstossen soll. Es falle
also der Ausgeloste von der Hand dessen, der nach ihm
bezeichnet wird. Auf diese Weise wird das Todeslos
alle treffen, ohne dass der einzelne darauf angewiesen
ist, sich selbst zu töten. Denn es wäre doch unrecht,
wenn nach dem Tode seiner Gefährten der letzte sich’s
reuen liesse und sein Leben rettete.“ Dieser Vorschlag
verschaffte ihm wieder Zutrauen, und nachdem die anderen
sich einverstanden erklärt hatten, loste er auch selbst
mit. Wie nun ein jeder vom Lose getroffen wurde, liess er
sich willig von dem Nächstfolgenden hinschlachten in dem
Bewusstsein, dass gleich darauf ja auch der Feldherr
sterben müsse; denn der Tod mit Josephus erschien
ihnen angenehmer als das Leben. Übrig blieb nun eben
Josephus, sage man durch glücklichen Zufall oder durch
göttliche Fügung, 1 mit noch einem Gefährten, und da
er weder vom Lose getroffen werden noch, wenn er
schliesslich allein dagewesen wäre, seine Hand mit dem
Blute eines Landsmannes beflecken mochte, überredete
er auch diesen, sich den Römern zu ergeben und da-
durch sein Leben zu retten.
8. Nachdem Josephus so aus dem Kampfe mit den
Römern sowohl als mit seinen eigenen Leuten heil her-
vorgegangen war, wurde er von Nikanor zu Vespasianus
geführt. Alle Römer strömten herbei, um ihn zu sehen,
und die Menge, die sich um den Feldherrn drängte, er-
hob verschiedenartigen Lärm, indem die einen über sein©
Gefangennahme jubelten, andere Drohungen ausstiessen,
wieder andere sich mit Gewalt einen Weg bahnten,
um ihn in der Nähe betrachten zu können. Die weiter
Entfernten schrien, man solle den Feind hinrichten, die
näher Stehenden gedachten seiner Thaten und erstaunten
ob dem Wechsel seines Schicksals. Unter den Offizieren
aber gab es keinen, der trotz noch so grosser vorheriger
1 Viel näher liegt es, an einen Betrug von seiten des Josephus
zu denken (s. die Einleitung zu meiner Übersetzung der „Alter-
tümer“).
Drittes Buch, 8. Kapitel.
355
Erbitterung damals nicht durch seinen Anblick gerührt
worden wäre. Besonders war es der edelgesinnte Titus,
den des Josephus Ausdauer im Unglück und das Mit-
gefühl mit seinem Alter 1 mächtig ergriff. Wenn er sich
die jüngsten Heldenthaten des Josephus vergegenwärtigte
und ihn betrachtete, wie er jetzt in der Hand seiner
Feinde war, kam ihm so recht der Gedanke an die
Macht des Schicksals, den schnellen Wechsel des Kriegs-
glücks und die Unbeständigkeit aller menschlichen Dinge,
und augenscheinlich war dies auch die Stimmung der
meisten Anwesenden, die aus ihrem Mitleid mit dem
Gefangenen kein Hehl : machten. Titus verwendete sich
nun in ausgiebigster Weise bei seinem Vater, um dem
Josephus das Leben zu retten; gleichwohl liess Vespa-
sianus ihn in strengsten Gewahrsam nehmen, um ihn
unverzüglich dem Nero zuzusenden.
9. Als Josephus dies vernahm, verlangte er mit
Vespasianus ein Wort unter vier Augen zu reden. Der
Feldherr hiess ^darauf alle Anwesenden mit Ausnahme
seines Sohnes Titus und zweier Freunde sich entfernen,
und Josephus begann nun also zu sprechen: „Du bist
freilich der Meinung, Vespasianus, nur einen Kriegs-
gefangenen erwischt zu haben, als du den Josephus in
deine Gewalt bekamst aber weit gefehlt, denn ich er-
scheine vor dir als Verkündiger wichtiger Dinge. Hätte
ich mich nicht eines Auftrages von Gott zu entledigen,
so würde ich wohl gewusst haben, was das Gesetz der
Juden verlangt und wie es Heerführern ziemt zu sterben.
Du willst mich an Nero schicken ? Wozu denn ?
Werden etwa seine Nachfolger, die noch vor dir auf
den Thron kommen, denselben lange behaupten? Nein,
du Vespasianus wirst Caesar und Selbstherrscher werden,
du und auch dieser dein Sohn ! Lass mich jetzt nur
noch sicherer fesseln und für dich auf bewahren; denn
du, Caesar, wirst nicht bloss mein Gebieter sein, sondern
1 Beide waren ungefähr gleichalterig (Josephus geb. 37 , jTitus
41 n. Chr.).
-3 *
Go gle
C ÄLifORilKHA.
356
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Herr über die Erde, das Meer und das ganze Menschen-
geschlecht. In engeren Gewahrsam also musst du mich
nehmen, damit du mich hinrichten lassen kannst, wenn
ich leichtfertig im Namen Gottes rede !“ 1 Vespasianus
schien diesen Worten anfänglich nicht zu trauen und
sie für eine List des Josephus zu halten, durch die er
sich das Leben zu retten suche. Allmählich aber begann
er doch daran zu glauben, da Gott selbst Gedanken an
die Thronbesteigung in ihm wachrief und ihm auch schon
durch sonstige Zeichen die künftige Herrschaft angedeutet
hatte . 2 Zudem erfuhr er, dass der Gefangene auch in
anderen Fällen bereits zutreffend geweissagt habe. Einer
der Freunde des Feldherrn nämlich, der bei der geheimen
Unterredung zugegen war, sprach seine Verwunderung
darüber aus, dass Josephus weder die Zerstörung Jota-
patas noch seine eigene Gefangennehmung vorausgesagt
habe; es scheine somit, als ob das, was er jetzt vorbringe,
nur leeres Geschwätz sei, um sich die Gunst des Feindes
zu erwerben. Darauf entgegnete Josephus, allerdings
habe er den Jotapatenern vorhergesagt, dass sie nach
siebenundvierzig Tagen in Feindeshand fallen und er
selbst lebendig würde gefangen werden. Vespasianus
erkundigte sich insgeheim bei den Gefangenen, und da
er die Angabe wahr fand, fing er nun auch an, der
Weissagung, die seine eigene Person betraf, Glauben zu
schenken. Er liess den Josephus zwar noch im Ge-
fängnis und in Fesseln, beschenkte ihn jedoch mit einem
Prachtgewand und anderen Kostbarkeiten und liess ihm
auch für die Folge eine freundliche Behandlung zu teil
werden — eine Auszeichnung, die Josephus vornehmlich
dem Titus zu verdanken hatte.
1 Vergl. Suetonius, Vespasian. 5 : Et unus ex nobilibus captivis
Josephus, cum conjiceretur in vincula, constantissime asseveravit,
fore ut ab eodem brevi solveretur, verum jam imperatore.
a S. Tacitus, Histor. II, 78.
Drittes Buch, 9. Kapitel.
357
Neuntes Kapitel.
Eroberung Joppes und Übergabe von Tiberias.
1. Am vierten des Monats Panemos brach Vespa-
sianus wieder nach Ptolemais auf und rückte von da
nach Caesarea am Meer, einer sehr grossen, meist von
Griechen bewohnten Stadt Judaeas. Die Einwohner
nahmen das Heer und den Feldherrn mit lauten Segens-
wünschen und sonstigen Freudenbezeugungen auf, teils
aus Ergebenheit gegen die Römer, teils und zwar noch
mehr aus Hass gegen die Überwundenen. Deshalb ver-
langten auch ganze Haufen von ihnen unter lautem
Geschrei die Hinrichtung desjosephus; doch wies Vespa-
sianus dieses Ansinnen, weil es von der urteilslosen
Menge kam, mit vornehmer Ruhe zurück. Dann legte
er zwei seiner Legionen nach Caesarea ins Winterquartier,
da er die Stadt hierzu geeignet fand ; die fünfzehnte da-
gegen quartierte er, um Caesarea nicht mit dem ganzen
Heere zu belasten, in Skythopolis ein. Wegen seiner
Lage in der Ebene und am Meere war Caesarea zur
Winterszeit ebenso angenehm warm, als erstickend heiss
im Sommer.
2. Unterdessen hatten sich diejenigen Juden, die ent-
weder während der Unruhen den Händen der Feinde
entschlüpft oder aus den zerstörten Städten entkommen
waren, in beträchtlicher Menge zusammengeschart und
das früher von Cestius verwüstete Joppe als Stützpunkt
für weitere kriegerische Unternehmungen wieder befestigt.
In das vom Feinde unsicher gemachte Land freilich
durften sie sich nicht hinauswagen, und so beschlossen
sie denn, aufs Meer zu gehen. Sie bauten eine grosse
Anzahl Piraten schiffe, verübten Räubereien auf dem See-
wege zwischen Syrien, Phoenicien und Aegypten, und
bewirkten, dass in jenen Gewässern sich bald kein Fahr-
zeug mehr blicken liess. Vespasianus aber hatte kaum
von ihrem Treiben gehört, als er Truppen zu Fuss und
zu Pferde nach Joppe sandte, die bei Nacht in die
358
Josephus. Geschichte des Jüdischen Krieges.
unbesetzte Stadt ein drangen. Die Bewohner nämlich
hatten von dem beabsichtigten Angriff vorher Kenntnis
erlangt, aus Furcht vor den Römern auf die Verteidigung
der Stadt verzichtet und sich auf die Schiffe geflüchtet,
wo sie ausser Schussweite übernachteten.
3. Joppe hat von Natur keinen Hafen, ist vielmehr
von einer zerklüfteten, steil abfallenden Küste begrenzt,
die an den beiden Enden der Stadt sich ein wenig aus^
biegt; aber auch diese kurzen Ausläufer bestehen nur
aus schroffen Felswänden und ins Meer hineinragenden
Klippen. Hier zeigt man noch heute Spuren von den
Fesseln der Andromeda, 1 welche das hohe Alter dieser
Sage beweisen. Der Nordwind, der gerade gegen das
Ufer stürmt und an den entgegenstehenden Felsen eine
gewaltige Brandung erzeugt, macht die Rhede noch ge-
fährlicher als die offene See. Auf dieser Rhede trieben
die Bewohner Joppes, als gegen Morgen ein heftiger
Sturm — schwarzer Nordwind heisst er bei den Schiffern,
die jene Gewässer befahren — sich erhob und einen
* Teil der Schiffe sogleich aneinander zerschellte, andere
wider die Felsen warf; viele auch, die aus Furcht vor
dem klippenreichen Ufer und den dasselbej besetzt
haltenden Feinden der Brandung entgegen die offene
See zu erreichen suchten, versenkte die turmhoch auf-
steigende Flut in die Tiefe. Nirgends winkte den Ge-
ängstigten ein Zufluchtsort, nirgends ein Rettun gszeichen";
aus dem Meere trieb sie die Gewalt des Sturmes, die
*Stadt versperrten ihnen die Römer. Lautes Jammer-
geschrei ertönte, wenn die Fahrzeuge zusammenstiesBen,
und schreckliches Krachen, wenn sie zerschellten; die
Bemannung ward teils über Bord gespült, teils ging sie
im Schiff bruch unter. Manche auch kamen den Fluten
dadurch zuvor, dass sie sich, als wäre diese Todesart
leichter, mit dem Schwerte durchbohrten. Die meisten
jedoch wurden von den Wellen umhergeschleudert und
i Der von Perseus befreiten Tochter des Kepheus und der
Kassiopeia.
Dritte« Buch, 9. Kapitel.
359
an den Felswänden zerschmettert, sodass das Meer weit-
hin vom Blute gerötet war und das Gestade voll von
Leichen lag; denn auch von denen, die noch lebend
ans Land gespült wurden, Hessen die am Ufer stehenden
Römer keinen am Leben. Viertausendzweihundert be-
trug die Zahl der vom Meer ausgeworfenen Toten. Nach-
dem die Römer so die Stadt ohne Schwertstreich
eingenommen hatten, machten sie dieselbe dem Erdboden
gleich.
4. In kurzer Zeit wurde also Joppe zweimal 1 von
den Römern erobert. Damit nun nicht abermals See-
räuber in der Stadt sich einnisten könnten, liess Vespa-
sianus auf der Burg ein Truppenlager errichten und in
dasselbe Reiterei sowie eine Anzahl Fusssoldaten legen.
Letztere mussten an Ort und Stelle bleiben, um das
Lager zu bewachen, während die Reiter plündernd die
Umgegend durchstreifen und die nahe bei Joppe ge-
legenen Dörfer und Städtchen zerstören sollten. Diesem
Befehl kamen die Soldaten pünktlich nach und durch-
zogen tagtäglich raubend und verheerend die ganze
Umgebung.
5. Als die Kunde von dem Schicksal Jotapatas nach
Jerusalem gelangte, wollten die meisten anfangs nicht
daran glauben, einmal wegen der Grösse des Unglücks,
und dann auch weil niemand da war, der das, was be-
richtet wurde, gesehen hatte. Denn nicht einmal ein
Bote war bei der Einnahme der Stadt entkommen,
sondern lediglich das Gerücht, das ohnehin schon gern
Unheil verkündigt, erzählte ohne weitere Beglaubigung
den Fall der Festung. Allmählich aber verbreitete sich
die Wahrheit durch die angrenzenden Bezirke und war
bald bei sämtlichen Bürgern über jeden Zweifel erhaben,
nur dass zu den wirklichen Ereignissen noch manches
hinzugedichtet wurde, was gar nicht geschehen war. So
hiess es beispielsweise, auch Josephus sei bei der Ein-
nahme der Stadt gefallen. Diese Nachricht erfüllte
1 S. II, 18, 10.
360
Josephu8, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ganz Jerusalem mit tiefem Schmerz, und während in
den einzelnen Häusern und Familien die Umgekommenen
je nach dem Grade der Verwandtschaft beweint wurden,
war die Trauer um den Feldherrn eine wahre Volks-
trauer. Die einen beklagten den Verlust von Gast-
freunden, andere den von sonstigen lieben Personen,
Brüdern oder entfernten Verwandten; den Josephus aber
beweinten alle, sodass dreissig Tage lang des Jammerns
in der Stadt kein Ende war. Viele auch nahmen
Flötenspieler 1 in Sold, um ihre Klagegesänge begleiten
zu lassen.
6. Als aber mit der Zeit der wahre Sachverhalt sowie
die näheren Umstände vom Falle Jotapatas bekannt
wurden und nicht nur der Tod des Josephus sich als
erdichtet heraustellte, sondern man auch noch obendrein
erfuhr, dass er lebe und von seiten der römischen Offi-
ziere ihm eine Behandlung zuteil werde, wie sie ein
Kriegsgefangener nicht zu erhoffen sich getraue, ward
der Groll der Juden gegen den Lebenden ebenso gross,
wie zuvor die Sympathie für den Totgeglaubten gewesen
war. Hier schalt man sein Benehmen Feigheit, dort
Verräterei , und in der ganzen Stadt hörte man nichts
als unwillige und schmähende Reden über ihn. Waren
die Juden schon wegen der Niederlage an sich erbittert*
so steigerte das widrige Schicksal ihren Ingrimm noch
viel mehr. Das Unglück, welches vernünftige Menschen
veranlasst, auf ihre Sicherheit bedacht zu sein und sich
vor ähnlichen Vorkommnissen zu hüten, war für sie nur
der Stachel, der sie an trieb, neues Unheil zu suchen,
und das Ende des einen Übels ward für sie stets der
Anfang eines anderen. Übrigens nahm auch ihre Ge-
reiztheit gegen die Römer immer mehr zu, weil sie in
ihnen zugleich den Josephus zu strafen gedachten. So
stürmisch sah es damals in Jerusalem aus.
7. Mittlerweile war Vespasianus von dem König
Agrippa, der den Feldherrn und sein Heer mit der
1 Vergl. Matthaeus 9, 23.
Drittes Buch, 9. Kapitel.
361
ganzen Pracht seines Hauses zu empfangen und mit
Hilfe der Römer seinen wankenden Thron zu befestigen
vorhatte, persönlich eingeladen worden , dessen König-
reich zu besuchen. Er brach daher von Caesarea am
Meer auf und marschierte nach Caesarea Philippi , 1 wo
er seinen Truppen eine zwanzigtägige Erholung gönnte,
während er selbst mit Schmausereien sich die Zeit ver-
trieb und der Gottheit Dankopfer für seine Siege dar-
brachte. Als ihm aber gemeldet ward, dass Taricheae
abgefallen und in Tiberias Unruhen ausgebrochen seien
(beide Städte gehörten zum Gebiete Agrippas), hielt er,
entschlossen, die Juden überall zu Paaren zu treiben,
eine kriegerische Unternehmung gegen dieselben für an-
gebracht Zugleich wünschte er dem Könige den Dank
für die genossene Gastfreundschaft dadurch zu erstatten,
dass er ihm die beiden Städte wieder zurechtbrachte.
Er sandte demgemäss seinen Sohn Titus nach Caesarea
mit dem Aufträge, das dort befindliche Heer nach dem
nahe bei Tiberias gelegenen Skythopolis, der grössten
Stadt im Gebiete der Dekapolis , 2 zu führen, wohin er
sich dann auch selbst begab, um mit seinem Sohne zu-
sammen zutreffen. Von hier rückte er nun mit drei Le-
gionen aus und schlug dreissig Stadien von Tiberias
entfernt an einem Orte Namens Sennabris, wo ihn die
Empörer leicht sehen konnten, ein Lager auf. Sodann
schickte er den Decurio Valerianus an der Spitze von
fünfzig Reitern ab, um in Güte mit den Bürgern der
Stadt zu unterhandeln und sie zur Übergabe aufzufordern.
Der Feldherr hatte nämlich vernommen , dass die Ein-
wohnerschaft sehnlichst den Frieden wünsche und der
Aufruhr nur von einigen wenigen Kriegslustigen geschürt
werde. Valerianus ritt also hin und stieg, als er in der
Nähe der Mauer angelangt war, samt seiner Begleitung
vom Pferde, damit es nicht den Anschein gewänne, als
1 Der Name Neronias , den nach J. A. XX, 9, 4 Agrippa dieser
Stadt gegeben hatte, scheint also nicht sehr gebräuchlich gewesen
zu Bein.
2 8. Namenregister.
362 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
wollten sie plänkeln. Bevor er jedoch zu Wort kam,
stürzten sich die entschlossensten der Aufrührer be-
waffnet ihm entgegen, an ihrer Spitze ein gewisser Jesus,
Sohn des Saphatos , der Führer des Raubgesindels.
Valerianus, der sich gegen den Befehl des Feldherrn
auch dann in kein Gefecht hätte einlassen mögen, wenn
er seines Sieges sicher gewesen wäre, hielt es für ge-
fährlich, mit seiner kleinen Schar gegen die Übermacht
anzukämpfen, zumal seine Leute den wohlbewaffneten
Juden gegenüber nur unvollständig gerüstet waren ;
ausserdem aber hatte ihn auch die unerwartete Kühn-
heit der Gegner in Schrecken versetzt. So entfloh er
denn zu Fuss, und fünf andere Römer Hessen ebenfalls
ihre Pferde im Stich, die nun von Jesus und seiner
Mannschaft unter lautem Jubel in die Stadt ein-
gebracht wurden, gleich als wären die Tiere in offener
Schlacht und nicht vielmehr durch Hinterlist erbeutet
worden.
8. Über diesen Vorfall bestürzt, flohen die Ältesten
des Volkes und die angesehensten Männer der Stadt
ins römische Lager, fielen, nachdem sie den König für
sich gewonnen, vor Vespasianus nieder und baten ihn
flehentlich, er möge sie doch gnädig anhören und nicht
um des Wahnsinns einiger wenigen Leute willen die
ganze Stadt büssen lassen, sondern die stets gut römisch
gesinnte Bevölkerung schonen und nur die Anstifter
der Empörung strafen, deren Späherblick es ihnen bis jetzt
unmöglich gemacht habe, die längst beabsichtigte Über-
gabe an die Römer ins Werk zu setzen. Obwohl nun
der Feldherr wegen des Pferderaubes der ganzen Stadt
gewaltig zürnte, willfahrte er doch den an ihn ge-
richteten Bitten, weil er sah, dass auch Agrippa ängstlich
für die Bürgerschaft besorgt war. Als auf diese Weise
die Bittsteller der Stadt Gnade erwirkt hatten, hielten
Jesus und sein Anhang sich nicht mehr für sicher und
flohen deshalb nach Taricheae. Tags darauf sandte der
Feldherr den Trajanus mit einer Anzahl Reiter nach
einer Bergspitze voraus, um zu erforschen, ob die ge-
Go gle
Drittes Buch, 10. Kapitel.
863
samte Bevölkerung der Stadt zu friedlichem Verhalten
neige, und da er vernahm, dass ihre Gesinnung dieselbe
wie die der Bittsteller sei, rückte er mit seinem Heere
näher heran. Nun öffneten die Einwohner ihm die
Stadtthore und zogen ihm unter Segenswünschen ent-
gegen, indem sie ihn ihren Retter und Wohlthäter
nannten. Weil aber das Heer wegen der Enge der
Thore sich arg drängen musste, liess Vespasianus ein
Stück der südlichen Mauer einreissen und so den Ein-
gang erweitern. Doch untersagte er dem Könige zu Ge-
fallen seinen Soldaten jede Art von Plünderung und
Gewalttätigkeit und sah auch ihm zulieb von einer
Zerstörung der Mauern ab, weil Agrippa sich für die
künftige Treue der Einwohnerschaft verbürgte. So
brachte Vespasianus die Stadt, die übrigens infolge der
Empörung viel gelitten hatte, wieder unter die Bot-
mässigkeit des Königs.
Zehntes Kapitel.
Vespasianus erobert Taricheae.
Beschreibung des Jordanlaufes sowie des Sees und der
Landschaft Gennesar.
1. Von Tiberias rückte Vespasianus weiter vor und
schlug zwischen dieser Stadt und Taricheae ein Lager
auf, dem er in der Voraussetzung, dass der Kampf sich
hier in die Länge ziehen werde, eine stärkere Befestigung
gab; hatten sich doch im Vertrauen auf die Festigkeit
der Stadt und auf den von den Eingeborenen Gennesar
genannten See alle Unzufriedenen in Taricheae zu-
sammengefunden. Die Stadt, welche ebenso wie Tiberias
am Fu6se eines Berges lag, war von Josephus auf allen
Seiten, wo der See sie nicht bespülte, stark befestigt
worden, wenn auch nicht so stark wie Tiberias; denn
die Ringmauer um letztere Stadt hatte er zu Beginn des
Aufstandes erbaut, als ihm noch Geld und Arbeitskräfte
reichlich zu Gebote standen, während Taricheae nur vom
Go gle
364
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Beste seiner Freigebigkeit Nutzen ziehen konnte. Da-
gegen hatten die Taricheaten eine Menge Kähne in
Bereitschaft, die einesteils im Fall einer Niederlage zu
Lande die Flucht ermöglichen, andernteils bei einem
etwa notwendig werdenden Seegefecht Verwendung finden
sollten. Während nun die Römer mit der Verschanzung
ihres Lagers beschäftigt waren, machten Jesus und seine
Leute, die sich weder vor der Übermacht noch vor der
straffen Ordnung des Feindes fürchteten, einen Ausfall,
zerstreuten schon beim ersten Anlauf die Schanzarbeiter,
rissen einen kleinen Teil der Werke ein und flüchteten
erst dann, als sie Schwerbewaffnete sich gegen sie
scharen sahen, zu den Ihrigen zurück, ohne Verluste er-
litten zu haben. Die Römer setzten ihnen nach und
drängten sie auf die Schiffe; sie aber fuhren so weit in
den See hinaus, dass sie die Gegner noch im Bereich
ihrer Geschosse hatten, warfen dann Anker und rückten
mit ihren Kähnen dicht aneinander, um vom Wasser
aus gegen die Feinde auf dem Lande zu kämpfen.
Unterdessen hatte Vespasianus erfahren, dass auch in
der Ebene vor der Stadt eine grosse Menge Juden sich
zusammengerottet habe, und liess deshalb seinen Sohn
mit sechshundert auserlesenen Reitern gegen sie Vor-
gehen.
2. Als dieser die bedeutende Überzahl der Feinde
gewahrte, liess er seinem Vater melden, er habe Ver-
stärkung nötig. Da er aber zugleich sah, dass der
grösste Teil der Reiter noch vor dem Eintreffen weiterer
Truppen anzugreifen entschlossen war, andere hingegen
vor der Menge der Juden insgeheim sich ängstigten,
stellte er sich so auf, dass man ihn überall hören konnte,
und sprach: „Römer! Gleich zu Beginn meiner An-
sprache halte ich es für erspriesslich , euch an eure Ab-
stammung zu erinnern, damit ihr wisst, was für Leute
ihr selbst seid im Vergleich zu denen, gegen die wir zu
kämpfen im Begriff stehen. Unserm starken Arm ist
bis jetzt noch kein Volk der Erde entronnen; die Juden
aber, ich muss das zu ihren Gunsten sagen, sind, obwohl
Drittes Buch, 10. Kapitel.
365
stets besiegt, noch immer nicht matt geworden. Es
stände uns daher übel an, wollten wir in unserm Glück
erlahmen, während unsere Gegner trotz ihrer Unfälle
sich aufrecht halten. Nun bemerke ich zwar mit Ver-
gnügen, dass ihr, soweit ersichtlich, gutes Mutes seid;
gleichwohl kann ich mich der Besorgnis nicht entschlagen,
die Überzahl der Feinde möchte doch den einen oder
anderen mit geheimem Zagen erfüllen. Darum bedenke
jeder von euch nochmals, wer er selbst ist und mit wem
er sich messen wird, sowie auch dass die Juden, toll-
kühne Menschen zwar und Verächter des Todes, dabei
aber ohne Kenntnis von Taktik und Kriegführung, eher
eine Bande als ein Heer genannt werden können. Was
brauche ich demgegenüber von unserer Kriegserfahrung
und Kriegszucht noch zu reden? Üben wir doch allein
deshalb während des Friedens den Gebrauch der Waffen,
damit wir im Kriege nicht nötig haben, uns dem Feinde
gegenüber zu zählen ! Zu was diente denn auch der
beständige Heeresdienst, wenn wir nur in gleicher An-
zahl uns mit ungeübten Gegnern einlassen könnten?
Bedenkt ferner , dass ihr in voller Rüstung gegen
Leichtbewaffnete, zu Pferde gegen Fussgänger, unter
einem Anführer gegen schlecht geleitete Haufen kämpfen
sollt, und dass diese Vorzüge eure Zahl bedeutend ver-
vielfachen, während die erwähnten Nachteile die der
Feinde um vieles vermindern. Übrigens hängt die Ent-
scheidung der Schlachten durchaus nicht von der
Menschenmenge ab, selbst wenn diese aus lauter kampf-
tüchtigen Soldaten bestände, sondern von der Tapferkeit,
seien es auch kleinere Scharen, denen sie innewoh'nt.
Die letzteren nämlich lassen sich leicht zur Schlacht
ordnen und können sich gegenseitig Hilfe bringen,
während übergrosse Heere sich selbst mehr Schaden zu-
fügen, als sie von seiten des Feindes erleiden. Was
die Juden leitet, ist die der Verzweiflung eigene Toll-
kühnheit, die zwar standhält, so lange sich Erfolge
zeigen, bei den kleinsten Unfällen jedoch alsbald er-
lischt; unsere Führer dagegen sind Tapferkeit, Manns-
366
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zucht und jener edle Sinn, der im Glück seine Kraft
entfaltet, aber auch bei Schicksalsschlägen ausharrt bis
ans Ende. Dann aber kämpft ihr doch jedenfalls um
höhere Güter als die Juden, -die des Krieges Ungemach
für Freiheit und Vaterland auf sich nehmen, während
wir nichts grösseres kennen wie den Ruhm und das
Streben, der Meinung entgegenzutreten, als seien uns in
den Juden ebenbürtige Gegner erstanden, nachdem wir
den Erdkreis uns unterthan gemacht. Halten wir uns
ausserdem vor Augen, dass wir eine Niederlage ja schon
deswegen nicht zu fürchten brauchen, weil eine ansehn-
liche Truppe uns zu Hilfe kommen wird, und das bereits
recht bald. Aber auch allein können wir den Sieg an
uns reissen, und gut würde es uns anstehen, wenn wir
dies schon vor dem Eintreffen der von meinem Vater
gesandten Verstärkungen thäten, damit unser Ruhm da-
durch grösser würde, dass wir ihn nicht mit anderen
zu teilen hätten. Diese Stunde wird, glaube ich, die
Entscheidung bringen über meinen Vater, über mich
und über euch: sie wird beweisen, ob er seiner früheren
Heldenthaten würdig ist, ob ich sein Sohn bin, ob ihr
meine Soldaten seid. Denn wie er zu siegen gewöhnt
ist, so würde ich es nicht über mich bringen, besiegt
ihm unter die Augen zu treten. Und ihr, solltet ihr
euch nicht schämen, überwunden zu werden, wenn
euer Führer euch in die Gefahr vorangeht? Fürwahr,
das werde ich thun, der erste werde ich sein, der auf
die Feinde eindringt! Haltet euch also nicht schlechter
wie ich, seid überzeugt, dass mein Angriff unter dem
Beistand der Gottheit erfolgt, und glaubt, dass wir im
Handgemenge mehr ausrichten werden als im Kampfe
aus der Ferne.“
3. Nach dieser Ansprache des Titus ergriff wunder-
bare Kampf begier die Männer, und als kurz vor dem
Gefecht Trajanus mit vierhundert Reitern zu ihnen stiess,
murrten sie, wie wenn ihnen der Siegesruhm durch deren
Teilnahme geschmälert würde. Übrigens sandte Vespa-
sianus auch noch den Antonius Silo mit zweitausend
Drittes Buch, 10. Kapitel.
367
Bogenschützen ab, um die Anhöhe gegenüber der Stadt
zu besetzen und die auf der Mauer befindlichen Juden
zu vertreiben. Diesem Befehl gemäss scheuchten sie
auch wirklich diejenigen Feinde zurück, die von dort
aus den Ihrigen Hilfe leisten wollten. Titus sprengte
nun zuerst auf die Gegner ein, ihm nach unter Kriegs-
geschrei die übrigen, die sich der feindlichen Front ent-
lang über die Ebene ausdehnten und so den Anschein
einer bedeutend zahlreicheren Truppe erweckten. Die
Juden gerieten zwar über das Ungestüm und die gute
Ordnung der Römer in Bestürzung, hielten aber immer-
hin eine Zeitlang dem Andrang derselben stand; schliess-
lich jedoch räumten sie vor den Lanzen der mächtig
daherstürmenden Reiter das Feld. Haufenweise wurden
sie nun von den Hufen der Rosse zertreten ; die übrigen
stoben auseinander und flohen, so schnell sie konnten,
der Stadt zu. Viele von diesen machte Titus nieder,
indem er von hinten auf sie einhieb, andere, die sich
zu Knäueln zusammengeschart hatten, sprengte er aus-
einander, wieder andere überholte er und durchbohrte
sie von vorn; nicht gering auch war die Zahl derer, die
im Gedränge übereinander stürzten und ihm so in die
Hände fielen. Allen aber suchte er die Flucht nach
der Mauer abzuschneiden und sie in die Ebene zurück-
zutreiben, bis es den wuchtigen Massen der Juden end-
lich doch gelang, sich durchzuschlagen und in die Stadt
einzudringen.
4. Drinnen brach sogleich ein heftiger Zwist unter
ihnen aus. Die eingeborene Bevölkerung nämlich hatte
um ihrer Habe und um der Stadt willen schon gleich
anfangs sich für den Krieg nicht besonders begeistern
können, und noch viel weniger war dies jetzt nach der
Niederlage der Fall; die zahlreichen Fremdlinge aber
wollten ihn mit Gewalt erzwingen. Leidenschaftlich
gegeneinander erbittert, erhoben sie nun ein gewaltiges
Geschrei und einen Lärm, als wären sie nahe daran, zu
den Waffen zu greifen. Titus, der nicht weit von der
Mauer entfernt stand, hatte kaum das Getöse vernommen,
368
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
als er ausrief: „Nun ist es Zeit, Kameraden! Was
zögern wir noch, da die Gottheit selbst uns die Juden
in die Hand giebt? Greift zu, da ihr siegen könnt!
Hört ihr nicht das Geschrei? Die unserm Schwert ent-
ronnen sind, hadern nun miteinander. Unser ist die
Stadt, wenn wir eilen. Ausser der Eile aber brauchen
wir Anstrengung und Kraftaufwand ; denn nichts grosses
gelingt ohne Wagnis. Zuvorkommen müssen wir nicht
nur der Wiederaussöhnung unserer Feinde, die unter
dem Druck der Not gar leicht zustande kommt, sondern
auch einer Hilfeleistung von seiten der Unsrigen, damit
wir, nachdem uns der Sieg über eine so grosse Menge
Feinde geglückt ist, obendrein auch noch allein die
Stadt einnehmen!“
5. Mit diesen Worten schwingt er sich aufs Pferd,
sprengt nach dem See und dringt durch das Wasser
hindurch zuerst in die Stadt ein, ihm nach die übrigen.
Schrecken über seine Kühnheit befiel die Juden auf der
Mauer, sodass niemand zu kämpfen oder sonstigen
Widerstand zu leisten wagte. Jesus und sein Anhang
verliessen ihre Posten und flohen ins offene Feld, andere,
die zum See hinabliefen, fielen unter dem Schwerte der
ihnen entgegenkommenden Feinde. Viele wurden nieder-
gemacht, als sie eben die Kähne besteigen wollten,
andere, während sie versuchten, den schon Abgefahrenen
nachzuschwimmen. Ein gewaltiges Blutbad entstand nun
in der Stadt, da ausser den Fremdlingen, die sich, so-
weit sie nicht geflohen waren, zur Wehr setzten, auch
die Eingeborenen getötet wurden , letztere ohne alle
Gegenwehr, weil sie in der Hoffnung auf Gnade und in
dem Bewusstsein, den Krieg nicht gewollt zu haben,
sich des Kampfes enthielten. Endlich, nachdem er die
Schuldigen niedergehauen, erbarmte sich Titus der Ein-
wohner und liess das Morden einstellen. Die auf den
See geflüchteten Juden aber hatten nicht sobald die
Einnahme der Stadt bemerkt, als sie möglichst weit aus
dem Bereich der Feinde zu kommen trachteten.
6. Sogleich sandte nun Titus einen Beiter ab, um
Drittes Buch, 10. Kapitel.
369
seinem Vater die frohe Kunde von der Kriegsthat
bringen zu lassen. Vespasianus war natürlich hoch-
erfreut über die Tapferkeit seines Sohnes und über den
gelungenen Schlag; denn der grösste Teil des Krieges
schien damit beendet zu sein. Sogleich erschien er
vor Taricheae, liess die Stadt umzingeln und bewachen
damit niemand daraus entschlüpfen könne, und gab
Befehl, jeden niederzuhauen , der dies versuchen sollte.
Tags darauf begab er sich ans Seegestade und liess zur
Verfolgung der entflohenen Juden Flösse bauen, die denn
auch bei dem Überfluss an Holz und der Menge der
Werkleute bald fertig gestellt waren.
7. Der See Gennesar, 1 der seinen Namen von der an-
grenzenden Landschaft hat, ist vierzig Stadien breit und
hundertvierzig lang. Gleichwohl ist sein Wasser süss
und zum Trinken sehr geeignet; denn es ist dünnflüssiger
als das dicke Wasser von Sumpfseen, überall klar, weil
der See von sandigen Ufern begrenzt ist, und so tempe-
riert, dass es sich gut schöpfen lässt. Es ist milder als
Fluss- oder Quellwasser, bleibt aber dabei doch immer
kühler, als man nach der Ausdehnung des Sees erwarten
sollte. Wird das Wasser der freien Luft ausgesetzt, so
giebt es dem Schnee an Kälte fast nichts nach; zur
Sommerszeit pflegen deshalb die Einwohner dies bei
Nacht zu thun. Es giebt im See auch allerlei Arten
von Fischen, die an Geschmack und Gestalt von denen
anderer Gewässer verschieden sind. 2 In der Mitte wird
er vom Jordan durchschnitten. Die mutmassliche Quelle
des Jordan 3 ist das Panium 4 ; doch wird sie selbst durch
1 Im alten Testament Kinnereth, bei den Evangelisten Galilae-
isches Meer, See Genezareth, See Tiberias genannt.
2 Nach Burckhardt ist nur der nördliche Teil des Sees fischreich.
Der Grund hiervon liegt wohl darin, dass am südlichen Ende die
Fische durch das Wasser der heissen Quellen von Tiberias verscheucht
werden.
8 D. h. des östlichen Jordanarmes, der für die Juden als in ihrem
Gebiete liegend allein in Retracht kam.
4 Gebirgige Landschaft des Distriktes Panias (s. a. J. A. XV, 10, 3).
Joeephus, Jüdischer Krieg. 24
370
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
unterirdischen Zufluss aus der sogenannten Phiala 1
gespeist. Letztere liegt an der Strasse nach Trachonitis,
hundertzwanzig Stadien von Caesarea entfernt, nicht
weit rechts vom Wege. Wegen seiner runden Form
wird dieses Wasserbecken mit Recht Phiala genannt,
denn es hat einen kreisförmigen Rand. Stets reicht das
Wasser bis an diesen Rand heran, ohne sich zu senken
oder überzufliessen. Der Tetrarch Philippus von Tracho-
nitis wies zuerst nach, dass hier die Quelle des Jordan
sein müsse, die vor ihm unbekannt war. Er liess näm-
lich Spreu in die Phiala werfen, die im Panium, wo
man früher den Ursprung des Flusses vermutete, wieder
zum Vorschein kam. Die natürliche Schönheit des Panium
ward übrigens noch erhöht durch die Prachtliebe des
Königs Agrippa, der die Örtlichkeit mit Hilfe seiner
Reichtümer ausschmückte. An der hier befindlichen
Höhle beginnt der sichtbare Lauf des Jordan; er durch-
schneidet sodann die Sümpfe und Moräste des Sees
Semechonitis 2 , legt hierauf wieder huudertzwanzig Stadien
zurück 3 und durchströmt an der Stadt Julias vorbei
den See Gennesar in der Mitte, um endlich nach einem
langen Weg durch die Wüste in den Asphaltsee ein-
zumünden.
8. Den Gennesar entlang erstreckt sich eine gleich-
namige Landschaft von wunderbarer natürlicher Schön-
heit. Infolge der Fettigkeit des Bodens versagt sie
keinerlei Gewächs, und es haben sie denn auch die Be-
wohner mit allen möglichen Arten davon bepflanzt, zu-
mal das ausgezeichnete Klima 4 ebenfalls zum Aufkommen
1 D. h. Schale. Die Angabe , dass die Quelle des östlichen
Jordanarmes aus der Phiala gespeist werde, ist nach neueren Unter-
suchungen irrig, sodass man annehmen muss, der Tetrarch Philippus
habe den Versuch mit der Spreu an einer anderen, mehr nördlich
liegenden Stelle gemacht.
2 D. i. des Sees Merom.
3 Die Länge seines Laufes von der Quelle bis zum Meromsee
beträgt also gleichfalls hundertzwanzig Stadien.
4 Dieses tropische Klima erklärt sich durch die tiefe Lage des
Sees, dessen Spiegel nach Russegger 625, nach anderen 700 Fuss
Drittes Buch, 10. Kapitel.
371
der verschiedensten Gewächssorten beiträgt. Nussbäume,
welche am meisten der Kühle bedürfen, wachsen dort
in grosser Menge ebenso wie Palmen, die nur in der
Hitze gedeihen; nahe bei ihnen stehen wieder Feigen-
und Ölbäume, denen eine gemässigte Temperatur mehr
zusagt. Was sich hier vollzieht, könnte man ebensowohl
einen Wettstreit der Natur nennen, die das einander
Widerstrebende auf einen Punkt zu vereinen trachtet,
als einen edlen Kampf der Jahreszeiten, deren jede diese
Landschaft in Besitz zu nehmen sucht. Denn der Bbden
bringt die verschiedensten, anscheinend einander fremden
Obstsorten nicht bloss einmal im Jahre, sondern lange
Zeit hindurch fortwährend hervor. So liefert er die
königlichen Früchte, Weintrauben und Feigen, zehn
Monate lang ohne jede Unterbrechung , während die
übrigen Früchte das ganze Jahr hindurch mit jenen der
Reihe nach reif werden. Zu dem milden Klima gesellt
sich dann noch die Bewässerung durch eine sehr kräftige
Quelle, die von den Eingeborenen des Landes Kaphar-
naum 1 genannt wird. Einige haben diese Quelle schon
für eine Ader des Nil gehalten, da in ihr Rabenfische 2
wie im See bei Alexandria sich finden. Die Landschaft
dehnt sich am Ufer des gleichnamigen Sees in der Länge
von dreissig und der Breite von zwanzig Stadien aus.
So verhält es sich mit der natürlichen Beschaffenheit
jener Gegend.
9. Als die Flösse fertig waren, bemannte Vespasianus
sie mit so viel Truppen, als er zur Vernichtung der auf
den See geflohenen Gegner für nötig hielt, und stiess
vom Ufer ab. Nun aber vermochten die dort zusammen-
unter dem Spiegel des Mittelmeeres liegt (v. Raumer, Palästina,
4. Aufl., S. 56).
1 Nicht zu verwechseln mit dem Orte Kapharnaum oder Kaper-
naum, der bei Josephus Kepharnome heisst. Vergl. übrigens von
Raumer, a. a. O. S. 130 ff.
2 Der Rabenfisch oder Meerrabe (Coracinus niger, subniger und
chalcis) ist ein Stachel flösse r , wird bis 50 Centimeter lang und
3 Kilogramm schwer (s. Brehms Tierleben Bd. 8, S. 76, Abbildung
5. 73).
24
372
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
getriebenen Juden weder ans Land zu entkommen, da
dieses überall von Feinden besetzt war, noch waren sie
einem Kampfe zu Wasser gewachsen; denn die kleinen,
nach Piratenart leichtgebauten Kähne erwiesen sich im
Vergleich zu den Flössen als viel zu schwach, und die
wenig zahlreiche Bemannung fürchtete sich, an die in
dichten Reihen angreifenden Römer heranzufahren.
Gleichwohl umschwärmten sie die Flösse und kamen
ihnen auch hier und da näher, wobei sie aus grösserer
Entfernung Steine gegen die Römer schleuderten oder
aus der Nähe sie durch Plänkelangriffe reizten. Beides
aber schlug mehr zu ihrem eigenen Schaden aus: denn
mit ihren Steinwürfen erreichten sie nichts weiter, als
dass sie* weil sie gut Bepanzerte trafen, ein beständiges
Geklirr hervorbrachten und dafür in den Bereich der
feindlichen Geschosse kamen; wagten sie dagegen näher
heranzufahren, so unterlagen sie, noch ehe sie selbst
etwas ausrichten konnten, und versanken alsbald mit
ihren Kähnen in die Tiefe. Viele, die sich durchzu*
schlagen versuchten, durchbohrten die Römer mit ihren
Speeren, andere machten sie, nachdem sie auf die Nachen
gesprungen waren, mit dem Schwerte nieder, wieder
andere umzingelten sie mit den Flössen und nahmen sie
mitsamt ihren Fahrzeugen gefangen. Tauchte einer der
Versunkenen wieder auf, so ereilte ihn alsbald ein Pfeil,
oder es kam ihm ein Floss über den Hals, und wollte
jemand in der Verzweiflung ein feindliches Fahrzeug zu
ersteigen versuchen, so hieben ihm die Römer den Kopf
oder die Hände ab. Ringsum wütete so ein schreckliches
und vielgestaltiges Morden, bis endlich der Rest der
Juden sich zur Flucht wandte und, auf den Fahrzeugen
umzingelt, ans Land gedrängt wurde. Auch hierbei
kamen viele um , indem sie entweder noch draussen
auf dem See durchbohrt wurden oder gleich nach der
Landung unter dem Schwerte der Römer fielen. Mit
Blut gefärbt und voll von Leichen war der ganze See,
da nicht ein einziger Mann sein Leben gerettet hatte.
Während der nächstfolgenden Tage aber erfüllte die
Go gle
Drittes Buch, 10. Kapitel.
373
ganze Gegend ein schrecklicher Gestank, und grässlich
war der Anblick, den sie darbot; denn die Ufer waren
mit Schiffstrümmern bedeckt und mit aufgeschwollenen
Leichen, die in der Sonnenhitze verwesten und die Luft
verpesteten, was den Juden nicht minder schmerzlich,
als den Siegern widerlich war. So endete dieses See-
gefecht Einschliesslich derer, die zuvor in der Stadt
gefallen waren, hatten bei. den Kämpfen sechstausend-
fünfhundert Menschen ihr Leben eingebüsst
10. Nach der Schlacht setzte sich Vespasianus in
Taricheae zu Gericht um die fremden Zuzügler, die allem
Anschein nach an den Feindseligkeiten schuld waren,
von den Eingeborenen zu scheiden und sich mit seinen
Offizieren zu beraten , ob man auch diese Aufwiegler
am Leben lassen solle. Alle erklärten ihre Freilassung
für gefährlich ; denn als Leute ohne Heimat würden sie
sicherlich nicht ruhig bleiben, sondern imstande sein,
auch diejenigen zum Kriege zu nötigen, die ihnen weiter-
hin noch Aufnahme gewährten. Vespasianus sah eben-
falls ein, dass sie der Schonung nicht wert seien und
ihre Freiheit nur zum Schaden derer missbrauchen würden,
die sie ihnen verschafften ; er besann sich daher nur
noch über die Art und Weise, wie er sich ihrer entledigen
solle. Tötete er sie auf der Stelle, so hatte er einen
neuen Aufstand der Eingeborenen zu befürchten, die
zweifellos die Niedermetzelung so vieler um Gnade
flehender Menschen nicht gutwillig geschehen lassen
würden, und auch abgesehen davon konnte er es nicht
über sich bringen, gewaltsam gegen Leute vorzugehen,
die sich ihm auf Treu und Glauben ergeben hatten.
Seine Freunde indes gewannen die Oberhand, indem sie
geltend machten, den Juden gegenüber sei alles erlaubt,
und man müsse das Nützliche dem Anständigen vorziehen,
wenn sich nicht beides miteinander verbinden lasse.
Demgemäss bewilligte er ihnen in zweideutigen Worten
Schonung, erlaubte ihnen aber nur auf der Strasse nach
Tiberias abzuziehen. Sie glaubten gern, was sie wünschten,
und zogen, offen ihre Habseligkeiten tragend, auf dem
Go gle
374
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ihnen bezeichneten Wege von dannen. Die Römer aber
besetzten inzwischen die ganze Strasse nach Tiberias,
damit niemand einen Nebenweg einschlage, und schlossen
sie in die Stadt ein. Bald erschien Vespasianus, liess
alle in der Rennbahn Zusammenkommen und befahl
sodann, die Greise und Schwachen, zwölf hundert an der
Zahl, niederzumachen. Von den jüngeren Leuten las
er die sechstausend kräftigsten aus, um sie dem Nero
an den Isthmus 1 zu schicken; die übrige Menge aber,
gegen dreissigtausend vierhundert Köpfe, verkaufte er
mit Ausnahme derer, die er dem Agrippa schenkte. Er
überliess es nämlich dem letzteren, mit denen, die aus
seinem Reiche waren, nach Belieben zu verfahren, worauf
der König auch diese verkaufte. Der übrige Haufe aus
Trachonitis, Gaulanitis sowie den Bezirken von Hippos
und Gadara bestand zum grössten Teil aus Aufrührern,
Flüchtlingen und solchen Menschen, die infolge ihrer im
Frieden begangenen Schandthaten sich dem Kriege zu-
gewandt hatten ; sie wurden am achten des Monats
Gorpiaios gefangen genommen.
1 Die Landenge von Korinth, deren Durchstechung Nero eifrig
betrieb, aber nicht vollendete. Letzteres geschah bekanntlich erst
im Jahre 1893.
Viertes Buch.
Inhalt.
1. Wie viele Festungen die Römer in ihre Gewalt brachten. Vom
Semechonitischen See.
2. Beschreibung der Stadt Gumala. Was den Römern bei der Be-
lagerung dieser Stadt widerfuhr. Wie Agrippa, während er
seine Volksgenossen zum Einvernehmen mit den Römern er-
mahnte, von einem Stein getroffen wurde.
3. Wie die Römer, nachdem sie in die Mauern Gamalas Bresche
gelegt, in die Stadt eindrangen, aber mit grossem Verlust zurück-
geschlagen wurden.
4. Wie Vespasianus mit wenigen Begleitern allein zurückblieb und
nur mit Mühe entkam. Wie der Decurio Ebutius im Kampfe
fiel. Von dem Centurio Gallus.
5. Wie Vespasianus das ob seines Missgeschickes niedergeschlagene
Heer mit Worten ermutigte, und wie er sich abermals zur Be-
lagerung der Stadt rüstete.
6. Vom Berge Tabor, und wie er von Placidus genommen ward.
7. Zerstörung von Gamala, und wie ausser zwei Frauen niemand
dem Blutbade entging.
8. Wie in der Stadt Gischala, die allein noch unbezwungen übrig
geblieben war, Joannes, des Levi Sohn, einen Aufstand erregte.
Wie Vespasianus den Titus gegen die Stadt marschieren liess,
während er selbst nach Caesarea zurückkehrte.
9. Wie Titus die Bewohner der Stadt in Güte zu gewinnen ver-
suchte, und wie Joannes nur um einen Tag Aufschub bat und
in der Nacht nach Jerusalem floh. Titus zieht mit Tages-
anbruch in die Stadt ein.
10. Wie man den Joannes in Jerusalem empfing. In der Stadt und
deren Umgebung brechen Unruhen aus.
11. Von den Zeloten und ihrem Treiben.
12. Wie das Volk sich wider sie erhob auf Anregung des Hohe"
priesterff'Ananus. Verhöhnung des Hohepriestertums durch die
Zeloten.
13. Rede des Ananus an das Volk gegen die Zeloten.
14. Wie die Zeloten einerseits und Ananus nebst seinem Anhang
anderseits förmliche Schlachten gegeneinander schlugen, und
wie das Volk die Zeloten zwang, sich in den Tempel zurück-
zuziehen.
Go gle
U:\nVLRSITY OF CALIFORNIA
376
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
15. Wie Joannes als Friedensnnterhändler zu den Zeloten geschickt
wurde, sie aber noch mehr reizte, sodass sie die Idumäer za
Hilfe riefen.
16. Wie die Idumäer dem Ruf sogleich Folge leisteten, aber keinen
Einlass fanden und vor der Stadt übernachten mussten. Rede
des flohepriesters Jesus an die Idumäer.
17. Wie die Zeloten während eines fürchterlichen Unwetters die
Querbalken an den Thoren durchsägten und die Idumäer ein-
liessen, ihre Gegner niedermachten und in der Stadt schrecklich
hausten.
18. Ermordung der Hohepriester Ananus und Jesus.
19. Wie die Zeloten gegen das Volk wie gegen einen Haufen Tiere
wüteten. Ermordung des Zacharias, Sohnes des Baruch.
20. Wie die Idumäer im Unwillen über das Treiben der Zeloten
heimkehrten, und wie die Zeloten nach ihrem Abzüge noch
schrecklicher in der Stadt hausten.
21. Wie die Römer sogleich gegen die Juden losziehen wollten, Vespa-
sianus aber sie davon abhielt.
22. Wie eine Menge Juden zu den Römern übergingen wegen der
Grausamkeit der Zeloten , die den von ihnen Gemordeten sogar
das Begräbnis versagten.
23. Wie Jounnes, der Sohn des Levi, allmählich sich zum Herrscher
aufschwang.
24. Welches Unheil die Zeloten in der Festung Masada während der
Feier des Paschafestes anrichteten. Auftreten verschiedener
Räuberbanden.
25. Wie Vespasianus Gadara in seine Gewalt brachte und die flüch-
tigen Empörer durch Placidus niedermachen liess. Wie letzterer
die benachbarten Städtchen und Dörfer einnahm.
26. Wie Vindex in Gallien von Nero abfiel, und wie Vespasianus
die Ortschaften ringsum verwüstete und Jericho eroberte.
27. Beschreibung Jerichos , der grossen Ebene und des Asphaltsees.
28. Wie Vespasianus, um Jerusalem einzuschliessen , Besatzungen in
die eroberten Städte legte, und wie er die Stadt Gerasa durch
Lucius zerstören liess.
29. Wie Nero ermordet und Galba zum Imperator ausgerufen wurde,
alsdann Otho und nach diesem Vitellius, die alle nach kurzer
Regierung starben.
30. Von Simon dem Tyrannen und seinen Unternehmungen gegen
die Zeloten.
31. der Stadt Chebron, in der unser Stammvater Abr&m ge-
wohnt hat.
32. Wie die Zeloten, während Simon Idumaea durchzog, dessen
Gattin hinterlistigerweise aufgreifen liessen.
33. Nochmals von Galba und den Imperatoren, die nach ihn in Rom
herrschten und starben.
Go gle
JNIVERSITY OP CALtfORNL
Viertes Buch, 1. Kapitel.
877
34. Wie Vespasianus die Bezirke von Gophna und Akrabatta sowie
noch andere Städte eroberte.
35. Weiteres von Simon dem Tyrannen sowie von der Drangsal,
welche die Stadt zu erleiden hatte. Wie das Volk sich gegen
die Zeloten erhob und den Simon in die Stadt aufnahm.
36. Wie Vitellius aus Germanien nach Rom kam.
37. Wie die Soldaten auf die Nachricht von den Vorgängen in Rom
den Vespasianus zum Imperator ausriefen.
38. Wie Vespasianus zunächst sich Mühe gab, Alexandria und
Aegypten in seine Gewalt zu bekommen. Beschreibung Aegyp-
tens und des Nililusses.
39. Wie Vespasianus den Schreiber dieser Zeilen, Josephus, seiner
Fesseln entledigte.
40. Wie Vespasianus, nachdem er die Verhältnisse zu Alexandria
geordnet , nach Antiochia zog und den Mucianus nach Italien
voraussandte.
41. Wie des Vitellius Heerführer Caecinna beim Anblick der
gewaltigen Streitmacht des Vespasianus seinen Untergebenen
riet, zu Antonius überzugehen. Wie Antonius Primus, als den
Soldaten ihr Beginnen leid wurde und sie im Begriff standen,
den Caecinna gefesselt zu Vitellius zu schicken, ihnen zuvor-
kam, viele von ihnen niedermachen liess und Caecinna zu
Vespasianus sandte.
42. Wie nach des Vitellius Besiegung und Ermordung Vespasianus
nach Rom eilte und seinen Sohn Titus gegen Jerusalem vor-
rücken liess.
Erstes Kapitel.
Belagerung lind Einnahme von Gamala.
1. Nachdem so die Taricheaten bezwungen waren,
kehrten diejenigen Galiläer, die auch nach der Eroberung
Jotapatas noch im Aufruhr gegen die Römer beharrt
hatten, zum Gehorsam zurück, und die Sieger brachten
nun sämtliche Festungen und Städte in ihre Gewalt
mit Ausnahme von Gischala und der Besatzung des
Berges Tabor. Zu letzterer hielt auch die Taricheae
gegenüber jenseits des Sees gelegene Stadt Gamala, die
ebenso wie Sogane und Seleukia Grenzstadt vom Ge-
biete Agrippas war. Sogane und Gamala gehörten zu
Gaulanitis, ersteres zu dem sogenannten oberen, letzteres
378
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zu dem unteren ; Seleukia dagegen lag am Semechoniti-
schen See. Dieser ist dreissig Stadien breit und sechzig
lang; seine Marschen erstrecken sich bis zur üppigen
Landschaft Daphne, wo sich die Quellen befinden, die
den sogenannten kleinen Jordan 1 speisen und mit ihm
unterhalb des Tempels des goldenen Kalbes 2 in den
grossen einmünden. Sogane und Seleukia nun hatte
Agrippa zu Beginn der Empörung auf seine Seite ge-
bracht; Gamala aber ergab sich nicht, weil es noch
mehr wie Jotapata auf seine von Natur geschützte Lage
trotzte. Von einem hohen Gebirgszuge nämlich läuft
ein abschüssiger Felsgrat aus, der in der Mitte einen
Höcker bildet. Letzterer zieht sich, nachdem er sich
erhoben, eine Strecke weit in die Länge und fallt dann
vorn ebenso steil ab als hinten, sodass das Ganze einem
Kamel gleicht, von dem auch der Ort seinen Namen
hat, nur dass die Einwohner diese Ableitung des Namens
in der Aussprache nicht deutlich hervortreten lassen.
An den Seiten und nach vorn zieht sich der Ort in un-
zugängliche Schluchten hinab, und nur nach hinten,
wo Gamala mit dem Berge zusammenhängt, vermindert
sich die Unzugänglichkeit ein wenig; doch hatten auch
an dieser Seite die Einwohner durch Anlegung eines
der Quere nach sich erstreckenden Grabens die Stadt
abzuschneiden und schwerer zugänglich zu machen ge-
sucht. An der abschüssigen Seitenwand des Höhenzuges
hingebaut, standen die Häuser überaus dicht aneinander
gedrängt, sodass es schien, als ob die Stadt in der Luft
schwebe und wegen ihrer steilen Lage über sich selbst
Zusammenstürzen wolle. Gamala sah gegen Süden. Ein
gleichfalls südlich gelegener, zu bedeutender Höhe an-
steigender Hügel diente der Stadt als Burg, von deren
oberstem Teil aus eine mit keiner Mauer eingefasste
1 Der kleine Jordan ist der mittlere, kürzeste, aber wasserreichste
Quellfluss des Jordan, heute Nähr Laddän genannt; vergl. J. A.
V, 3, 1.
2 Vergl. hierzu J. A. VIII, 8, 4; an dieser Stelle heisst die Land-
schaft Dan.
Viertes Buch, 1. Kapitel.
879
jäh abschüssige Stelle sich in eine sehr tiefe Schlucht
senkte. Innerhalb der Mauer und zwar am äussersten
Ende der Stadt befand sich auch eine Quelle.
2. Diese schon infolge ihrer natürlichen Lage schwer
einnehmbare Stadt hatte Josephus durch Gräben und
unterirdische Gänge noch fester gemacht. Die Bewohner
verliessen sich auf die Natur der Örtlichkeit noch mehr
als die Jotapatener, hatten aber viel weniger streitbare
Mannschaft und nahmen auch im Vertrauen auf die
Festigkeit des Platzes keine Verstärkungen auf. Die
Stadt war nämlich ihrer starken Festungswerke wegen
voll von Flüchtlingen, weshalb sie sich auch gegen
ein Belagerungsheer Agrippas sieben Monate lang ge-
halten hatte.
3. Vespasianus brach nun von Ammaus (das Wort
bedeutet „warme Bäder“ — es befinden sich nämlich
daselbst warme Heilquellen), wo er im Angesichte von
Tiberias ein Lager errichtet hatte, auf und rückte vor
Gamala. Eine vollständige Einschliessung freilich liess
die Lage der Stadt nicht zu; doch stellte er an den
Punkten, wo dies möglich war, Posten auf und ordnete
die Besetzung des die Stadt beherrschenden Berges an.
Nachdem die Legionen in gewohnter Weise auf dem-
selben ein Lager gebaut hatten, begann er an der
Hinterseite mit Aufführung der Dämme, ebenso im
Osten, wo an dem höchsten Punkte der Stadt sich ein
Turm befand, bei dem die fünfte und die zehnte Legion
lagerten. Die fünfte arbeitete von hier aus gegen die
Mitte der Stadt, während von der zehnten die Gräben
und die natürlichen Vertiefungen ausgefüllt wurden.
Da geschah es, dass einer der Schleuderer den König
Agrippa, als dieser sich der Mauer näherte und mit den
auf ihr stehenden Juden in betreff der Übergabe unter-
handeln wollte, mit einem Stein am rechten Ellbogen
traf. Alsbald scharten des Königs Freunde sich um
ihn; die Römer aber verlegten sich aus Zorn über die
Verletzung des Königs und aus Furcht für sich selbst
jetzt nur noch eifriger auf die Belagerung. Sie glaubten
Go gle
880
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
nämlich, dass Leute, die gegen ihren eigenen Landsmann
und wohlmeinenden Ratgeber so erbittert seien, in der
Grausamkeit gegen Fremde und Feinde alles Mass
überschreiten würden.
4. Als nun die Dämme durch die Menge der Hände
und durch die Übung, welche die Römer in solchen
Arbeiten hatten, schnell vollendet waren, brachten sie
die Maschinen heran. Unterdessen hatten Ghares und
Josephus, die angesehensten Männer der Stadt, ihre
Bewaffneten zum Kampf geordnet. Die letzteren waren
übrigens ziemlich mutlos, da sie, mit Wasser und
sonstigen Lebensmitteln nicht hinreichend versehen, die
Belagerung nicht lange aushalten zu können glaubten;
die Führer aber munterten sie auf und Hessen sie trotz-
dem an die Mauer heranrücken. Wirklich gelang es
ihnen auch, diejenigen ihrer Gegner, welche die Maschinen
aufstellen wollten, eine Zeitlang zurückzuschlagen; als
sie aber mit Katapulten und Bailisten beschossen wurden,
zogen sie sich alsbald wieder in die Stadt hinein. Nun
Hessen die Römer an drei Stellen Sturmböcke wirken
und brachten auf diese Weise die Mauer zum Wanken.
Unter lautem Trompetengeschmetter, Waffengeklirr und
Schlachtgeschrei strömten sie sodann durch die Breschen
in die Stadt ein und gerieten mit den innen befindlichen
Gegnern ins Handgemenge. Gegen ihre ersten Anläufe
hielten die Juden stand, hinderten die Römer am Vor-
dringen und schlugen sie tapfer zurück; endlich aber
mussten sie doch der Überzahl und dem von allen Seiten
erfolgenden Angriff weichen und sich in die höher ge-
legenen Stadtteile zurückziehen. Als die Feinde ihnen
auch hierher nachdrängten, machten sie wieder kehrt,
stürzten sich auf die Römer und trieben diese gegen
den steilen Abhang zusammen, wo sie auf engem und
schwierigem Terrain sich nicht mehr zu helfen wussten
und niedergemacht wurden. Andere flüchteten bei der
Unmöglichkeit, sich gegen die höher stehenden Juden
zu wehren oder sich durch die Reihen ihrer eigenen
vorwärts stürmenden Leute durchzuschlagen , auf die
Go gle
Viertes Bach, 1. Kapitel.
881
Dächer der feindlichen Häuser , die vom Erdboden aus
zu erreichen waren. Kaum aber waren die Dächer ge-
füllt, als sie unter der Last einbrachen, und sobald ein
Haus zusammenstürzte, warf es viele der tiefer stehenden
Gebäude um, wie diese hinwiederum die weiter unter-
halb gelegenen. Das brachte einer Menge Römer den
Tod; denn in ihrer Ratlosigkeit sprangen sie auf die
Däener, auch wenn sie dieselben schon einsinken sahen.
Viele wurden so unter den Trümmern begraben, viele
auch auf der Flucht verstümmelt ; die meisten aber
kamen dadurch um, dass sie in den Staubwolken er-
stickten. Hierin glaubten die Gamalenser den Beistand
Gottes zu erkennen, drangen nun, ihrer eigenen Verluste
nicht achtend, um so heftiger auf die Römer ein und
töteten sie, wie sie in den steifen Gassen ausglitten und
zu Boden stürzten, alsbald durch Schüsse von oben her.
Steine lieferten ihnen die Haustrümmer in Menge, und
Waffen die erschlagenen Feinde; denn den Gefallenen
rissen sie die Schwerter von der Seite und gebrauchten
sie gegen die mit dem Tode ringenden Römer. Viele
der letzteren übrigens töteten sich, als sie in Gefahr
waren, von den Dächern zu fallen, dadurch, dass sie
sich selbst hinabstürzten. Aber auch für die, welche
die Flucht ergriffen hatten , war es nicht leicht , zu ent-
kommen; denn da sie der Wege unkundig waren und
in dem dichten Staube sich gegenseitig nicht er-
kannten, verirrten sie sich und fielen einer über den
anderen hin.
5. Wer nur irgend einen Ausweg finden konnte, zog
sich aus der Stadt zurück. Vespasianus aber blieb stets
den Bedrängten zur Seite; denn inniges Mitleid ergriff
ihn, als er die Stadt über seinen Soldaten Zusammen-
stürzen sah. Seiner eigenen Sicherheit nicht achtend,
war er, ohne es selbst gewahr zu werden, beinahe bis
zum höchsten Punkte der Stadt vorgedrungen, wo er
mitten in der grössten Gefahr mit nur wenigen Be-
gleitern sich plötzlich allein sah ; sein Sohn Titus näm-
lich war, mit einer Sendung an Mucianus in Syrien
Go gle
382 Josephos, Geschichte des Jüdischen Krieges.
betraut, damals gerade abwesend. Da nun der Feldherr
es weder für sicher noch für ehrenvoll hielt, den Rück-
weg anzutreten, und zugleich der vielen Gefahren, die
er von Jugend auf überstanden, sowie seiner dabei be-
wiesenen Tapferkeit gedachte, liess er, wie von göttlicher
Begeisterung durchdrungen, die Leiber und Rüstungen
der Seinigen sich gleichsam zu einer einzigen Masse
zusammenschliessen , stemmte sich so den von oben
herab wogenden feindlichen Scharen entgegen und hielt,
ohne vor der Menge der Juden und ihrer Geschosse zu
erschrecken, so lange stand, bis die Feinde, in seiner
Geistesgegenwart etwas Übermenschliches erkennend, in
ihrem Ungestüm nachliessen. Wie nun ihr Andrang
schwächer wurde, zog er selbst sich Schritt vor Schritt
zurück, doch ohne ihnen^len Rücken zu kehren, bis er
sich ausserhalb der Mauer befand. Eine Menge Römer
fielen in diesem Kampfe, darunter auch der Decurio
Ebutius, ein Mann, der nicht nur in dem Treffen, wo er
fiel, sondern auch schon früher bei jeder Gelegenheit
sich wahrhaft heldenmütig bewiesen und den Juden
grosse Verluste beigebracht hatte. Ein anderer Römer,
der Centurio Gallus, wurde samt zehn seiner Soldaten
im Kampfgewühl umzingelt; doch gelang es ihm, in ein
Haus zu entschlüpfen. Hier vernahm er, wie die Be-
wohner bei der Abendmahlzeit über die Anschläge des
Volkes gegen die Römer sowohl wie gegen ihn und
seine Kameraden (er selbst nämlich und seine Leute
waren geborene Syrer) sich besprachen. Er fiel deshalb
in der Nacht über sie her, tötete sie alle und rettete
sich dann mit seinen Soldaten zu den Römern.
6. Das römische Heer ward nun durch den Gedanken
an seine Verluste und weil ihm bis dahin noch nirgends
ein solches Unglück zugestossen war, sehr niedergeschlagen ;
noch mehr aber schämte es sich, den Feldherrn in der
Gefahr allein gelassen zu haben. Vespasianus suchte
es deshalb zu trösten, that jedoch seiner eigenen Person
keine Erwähnung, um auch nicht den leisesten Tadel
auszusprechen, sondern erklärte, man müsse gemeinsame
Viertes Buch, 1. Kapitel.
38S
Unfälle mit festem Mut zu ertragen wissen und bedenken,
wie es in der Natur des Krieges liege, dass kein Sieg
ohne Blutvergiessen gewonnen werde. Habe das Glück
auch einmal einen Schritt rückwärts gethan, so werde
sich das doch wieder ändern, und nachdem sie tausende
von Juden niedergemacht, hätten sie dem Geschick nun
auch selbst ein kleines Opfer bringen müssen. Wie es
niedrige Gesinnung verrate, wenn man sich im Glück
masslos überhebe, so sei es anderseits unmännlich, sich
durch Unglück allzusehr beugen zu lassen. Denn schnell
wechsele das eine mit dem anderen , und der allein sei
ein wackerer Mann, der auch bei Unfällen besonnen
bleibe und die erlittenen Schläge frohen Mutes wieder
gut zu machen suche. „Von dem, was soeben geschehen,“
fuhr er fort, „liegt der Grund weder darin, dass wir uns
feige benommen hätten , noch in der Tapferkeit der
Juden, sondern lediglich die Beschaffenheit des Terrains
hat ihnen einen Vorteil und uns Verluste gebracht
Hinsichtlich dieses Punktes aber könnte man euch viel-
leicht den Vorwurf machen, dass ihr in eurem Kampfes-
eifer zu weit gegangen seid. Denn nachdem die Juden
in die höher gelegenen Stadtteile sich zurückgezogen,
hättet ihr innehalten und nicht den von oben drohenden
Gefahren euch aussetzen, sondern nur die untere Stadt
behaupten und allmählich die Gegner zu einem regel-
rechten Kampf hervorlocken sollen, dessen Ausgang
dann wohl nicht zweifelhaft gewesen wäre. Nun aber
habt ihr, indem ihr gar zu sehr auf den Sieg erpicht
wart, eure eigne Sicherheit ausser acht gelassen. Un-
besonnenheit im Kampfe indes und hitziges Drauflos-
gehen ist nicht üblich bei den Römern, die alle Erfolge
ihrer Kriegserfahrung und Taktik verdanken, sondern
die Art von Barbaren und ganz besonders auch der
Juden. Wir müssen daher auf die uns eigentümliche
Tapferkeit zurückkommen und durch den Unfall, der
uns freilich nicht hätte begegnen sollen, uns eher er-
mutigen als einschüchtern lassen. Den besten Trost
aber suche ein jeder in seiner eignen Faust: dann wird
384
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
es euch gelingen, die Gefallenen zu rächen und ihre
Mörder zur Strafe zu ziehen. Was mich betrifft, so
werde ich es stets halten wie vorhin, nämlich in jedem
Kampf euch gegen die Feinde vorangehen und zuletzt
das Schlachtfeld verlassen.“
7. Mit solchen Worten richtete er den gesunkenen
Mut seines Heeres wieder auf. Auf der anderen Seite
war die Freude der Gamalenser über den unerwartet
grossen Sieg nur von kurzer Dauer; denn bereits fingen
ihnen die Lebensmittel an auszugehen, und zudem mussten
sie jetzt einsehen, dass ihnen nicht nur die Hoffnung
auf gütlichen Vergleich, sondern auch die Flucht ganz
und gär abgeschnitten sei, was sie völlig mutlos und
niedergeschlagen machte. Gleichwohl thaten sie noch
alles mögliche für ihre Rettung: die tapfersten von ihnen
bewachten die Breschen, und die übrigen besetzten die
noch stehenden Teile der Mauer. Als aber die Römer
mit der Arbeit an den Dämmen fortfuhren und einen
abermaligen Sturm versuchten, entflohen viele aus der
Stadt, teils durch unzugängliche Schluchten, wo keine
Wachtposten standen, teils durch die unterirdischen Gänge.
Was dann noch aus Furcht vor Gefangenschaft zurück-
blieb , ward durch Hunger aufgerieben ; denn alle
Lebensmittel nahm man für die streitbare Mannschaft
in Beschlag.
8. Trotz dieser grossen Drangsal aber blieben sie
standhaft. Vespasianus unternahm nun als Nebenarbeit
einen Zug gegen die Besatzung des Berges Tabor, der
mitten zwischen der grossen Ebene und Skythopolis
liegt. Er erhebt sich bis zur Höhe von dreissig Stadien 1
und ist an der Nordseite kaum zu ersteigen. Auf
seinem Gipfel dehnt sich eine ebene Fläche von sechs-
undzwanzig Stadien aus, die ganz von Festungswerken
umgeben ist. Diese umfangreiche Ringmauer hatte
1 Soll wohl heissen müssen: drei Stadien, denn der Tabor ist
nach Schuberts Barometermessung 1748, nach Russegger 1755 Fuss,
nach neueren Messungen 613 Meter hoch.
Viertes Buch,l. Kapitel.
385
Josephus in vierzig Tagen erbaut, und es war ihm dabei
ausser dem übrigen Baubedarf auch Wasser von unten
heraufgescbafft worden, weil man oben nur Regenwasser '
hatte. Hier war eine grosse Menge Juden zusammen-
geschart, gegen welche nun Vespasianus den Placidus
mit sechshundert Reitern entsandte. Da es jedoch dieser •
Truppenabteilung nicht möglich war, den Berg zu er-
steigen, suchte Placidus die Leute dadurch herabzulocken,
dass er ihnen einen gütlichen Vergleich und Begnadigung
anbot. Sie kamen denn auch wirklich, aber nur um ihm
gleichfalls eine Falle zu stellen. Denn wie Placidus
nur deshalb so freundlich mit ihnen redete, um sie auf
der Ebene überwältigen zu können, so gingen sie ihrer-
seits auf seinen Vorschlag scheinbar gutwillig ein, in
der That aber um unversehens über ihn herzufallen.
Die Hinterlist des Placidus indes trug den Sieg davon.
Kaum nämlich hatten die Juden das Gefecht begonnen,
als er zum Schein den Rückzug antrat und die Ver-
folger tief in die Ebene hineinzog. Dann aber liess er
plötzlich seine Reiter gegen sie kehrt machen, schlug
sie in die Flucht und machte die meisten von ihnen
nieder, während er zugleich der übrigen Menge den
Weg nach dem Berge abschnitt. Die letztere liess in-
folgedessen den Tabor im Stich und floh nach Jerusalem
zu; die eigentlichen Bewohner aber nahmen einen Ver-
gleich an und ergaben, da ihnen auch das Wasser
ausgegangen war, sich selbst und den Berg dem Placidus.
9. Von den Bewohnern Gamalas waren inzwischen
die kühneren heimlich entflohen, während die Schwachen
vom Hunger aufgerieben wurden. Die streitbare Mann-
schaft aber hielt die Belagerung noch weiter aus, bis
endlich am zweiundzwanzigsten des Monats Hyperbere-
taios drei Soldaten der fünfzehnten Legion um die Morgen-
wache an den höchsten, ihrem Lager gegenüberliegenden
Turm sich heranschlichen und ihn in aller Stille unter-
gruben, wobei infolge des nächtlichen Dunkels die auf
dem Turm befindlichen Wachen weder ihre Annäherung,
noch, als sie da waren, ihre Anwesenheit bemerkten.
Josephus, jüdischer Krieg. 25
Go glc rniversity üi (yj.ieoiiniy
386
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Die Soldaten wälzten nun unter Vermeidung jeglichen
Geräusches die fünf mächtigsten Quadern heraus und
, sprangen dann schnell weg; plötzlich stürzte der Turm
mit gewaltigem Krachen zusammen , die Wächter unter
seinen Trümmern begrabend. Auf den anderen Posten
. floh alles in grösster Bestürzung davon, und nun machten
die Römer eine Menge Juden nieder, die sich durchzu-
schlagen versuchten; auch Josephus wurde, wie er eben
durch die Mauerlücke entspringen wollte, von einem
Geschoss ereilt und getötet. Unter den Einwohnern der
Stadt aber entstand infolge des markerschütternden Ge-
töses ein Durcheinanderrennen und eine Angst, als ob
das ganze feindliche Heer schon eingedrungen wäre.
An diesem Tage gab auch Chares, der gerade krank
darniederlag, den Geist auf, und zwar trug der Schreckea
nicht wenig zu dem tödlichen Ausgange der Krankheit
bei. Die Römer waren übrigens durch ihren früheren
Unfall gewitzigt worden und rückten erst am dreiund-
zwanzigsten des genannten Monats in die Stadt ein.
10. Unterdessen war auch Titus angekommen und
drang, erbittert über den Schlag, den die Römer in seiner
Abwesenheit erlitten hatten, mit zweihundert auserlesenen
Reitern und einigem Fussvolk in aller Stille in die
Stadt ein. Die Wachen jedoch merkten seine Annäherung
und eilten mit lautem Geschrei zu den Waffen; auch
wurde sein Einmarsch drinnen in . der Stadt schnell be-
kannt, worauf die einen ihre Kinder ergriffen und sie
samt den Weibern unter Jammergeheul auf die Burg
schleppten, andere sich dem Titus entgegenwarfen , der
6ie nacheinander niedermetzelte. Wem es aber nicht
gelang, auf die Höhe der Burg zu entkommen, der geriet
alsbald in der Verzweiflung unter die Posten der Römer.
Ringsum vernahm man das Stöhnen der Sterbenden,
und ström weise rann das Blut die Abhänge der Stadt
hinunter. Gegen diejenigen Juden, welche sich auf die
Burg geflüchtet hatten, führte nun Vespasianus, seinen
Sohn unterstützend, die gesamte Streitmacht heran. Der
rings von Felszacken eingefasste und schwer zu
Viertes Bach, 1. Kapitel.
387
ersteigende Gipfel aber ragte in schwindelnde Höhe,
wimmelte von Menschen und war zudem von tiefen Ab-
gründen umgeben, sodass es den Juden nicht schwer
fiel, die emporklimmenden Römer zu durchbohren und
den anderen mit Geschossen und hinabgewälzten Steinen
zuzusetzen, während sie selbst wegen der Höhe ihrer
Stellung mit Pfeilen so gut wie gar nicht zu erreichen
waren. Da erhob sich zu ihrem Verderben wie von Gott
gesandt ein widriger Sturm, der die Geschosse der Römer
gegen sie jagte, ihre eigenen aber ablenkte und in schiefer
Richtung zur Tiefe gelangen liess. Weil sie nun bei
der Heftigkeit des Sturmes auf dem steilen Rand, wo
es ihnen an Stützpunkten fehlte, weder festen Fuss fassen
noch auch die Heraufsteigenden sehen konnten, gelang es den
Römern, die Höhe zu erklettern und die Juden zu um-
zingeln, noch ehe dieselben in der Lage waren, sich zur
Wehr zu setzen oder um Schonung zu flehen. Ver-
mehrt ward übrigens die Erbitterung der Römer noch
durch das Andenken an ihre beim ersten Sturm ge-
fallenen Kameraden. Schliesslich stürzten sich eine
Menge Juden, die nicht mehr ein noch aus wussten,
samt Weibern und Kindern in den Abgrund, der sich
seitwärts von der Burg in eine ungeheure Tiefe senkte.
Ja, die Wut der Eingeschlossenen gegen sich selbst er-
schien fast noch grösser als die der Römer; denn
während von den letzteren viertausend Juden nieder-
gemacht wurden, fand man mehr als fünftausend, die
sich selbst in die Tiefe gestürzt hatten. Niemand kam
mit dem Leben davon ausser zwei Frauen; beide waren
Töchter der Schwester jenes Philippus , der den aus-
gezeichneten Heerführer des Königs Agrippa, Jakim , 1
zum Vater hatte. Gerettet wurden sie dadurch, dass sie
sich während der Erstürmung der Stadt vor der Wut
der Römer versteckten; denn diese schonten selbst der
Säuglinge nicht, von denen sie viele ergriffen und die
S. II, 17, 4; 20, 1.
388
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Burg hinabschleuderten. So fiel Gamala am dreiund-
zwanzigsten des Monats Hyper beretaios ; begonnen hatte
die Empörung am vierundzwanzigsten des Monats
Gorpiaios.
Zweites Kapitel.
Übergabe von Gischala.
1. Das Städtchen Gischala war nun in Galilaea allein
noch unbezwungen. Die Bevölkerung desselben war zwar
friedlich gesinnt, da sie grösstenteils aus Ackerbauern
und dergleichen Leuten bestand, die kein anderes Inter-
esse als ihre Ernteaussichten kennen; zu ihrem Ver-
derben aber hatte sich ein nicht unbedeutender Haufe
Raubgesindel bei ihnen eingenistet, der auch einen Teil
der Bürgerschaft mit dem Fieber der Empörung an-
steckte. Der Mann, der diese Leute zum Abfall auf-
hetzte und zusammenscharte , war Joannes, der Sohn
eines gewissen Levi, 1 ein Mensch von betrügerischem
und höchst zweideutigem Charakter, stets geneigt, sich
mit weitgehenden Hoffnungen zu tragen, und dabei mit
Fähigkeiten ausgerüstet, die ihn in den Stand setzten,
dieselben zu verwirklichen; übrigens ein Freund von
aufrührerischem Treiben, weil er, wie jedermann einsah,
dadurch die Herrschaft zu erlangen gedachte. Seiner
Führung also unterstanden die Rebellen in Gischala,
deren Anwesenheit daran schuld war , dass die Bürger-
schaft der Stad^ die sonst vielleicht wegen der Übergabe
unterhandelt hätte, jetzt in kriegerischer Haltung den
Anmarsch der Römer erwartete. Vespasianus sandte
nun den Titus an der Spitze von tausend Reitern gegen
sie aus, und nachdem er sodann die zehnte Legion nach
Skythopolis verlegt hatte, trat er selbst mit den beiden
übrigen Legionen den Rückmarsch nach Caesarea an,
um ihnen eine Erholung von den beständigen Strapazen
1 S. II, 20, 1 ff.
ANIVLRSITY OT CALirORNI,
Go gle
Viertes Buch, 2. Kapitel.
389
zu gewähren; die reichen Proviantvorräte dieser Städte
würden, so hoffte er, die Leiber und den Mut seiner
Soldaten zu den bevorstehenden Kämpfen wieder kräf-
tigen. Denn er verhehlte sich nicht, dass vor Jerusalem
noch ein tüchtiges Stück Arbeit seiner harre, da es die
Königsstadt, das Herz des Landes und der Sammelplatz
der aus den bisherigen Gefechten entkommenen Juden
war. Die natürliche, durch künstliche Werke noch er-
höhte Festigkeit der Stadt flösste ihm keine geringe Be-
sorgnis ein, zumal er, auch abgesehen von den Festungs-
werken, die Einwohnerschaft wegen ihres Mutes und
ihrer Kühnheit für schwer überwindlich hielt. Aus
diesem Grunde bereitete er seine Soldaten wie Athleten
zum Kampfe vor.
2. Als Titus mit seiner Reiterschar vor Gischala an-
gelangt war, hätte er die Stadt ohne sonderliche Mühe
durch Überrumpelung nehmen können. Da er aber
wusste, dass bei einer gewaltsamen Einnahme die Sol-
daten das Volk in Masse niedermetzeln würden, und er
nicht bloss des Mordens satt war, sondern auch Mitleid
mit der Menge derer empfand, die dann unschuldig mit
den Schuldigen umkommen müssten, zog er es vor, die
Stadt durch Übergabe infolge eines Vertrages zu ge-
winnen. Er wandte sich daher an die in grosser An-
zahl auf der Mauer stehenden Männer, die fast durch-
gehends zu der verworfenen Rebellenrotte gehörten, und
erklärte ihnen, er begreife nicht, worauf sie sich eigent-
lich verliessen, dass sie, nachdem alle Städte gefallen,
allein den Waffen der Römer noch Widerstand leisten
wollten. Sie sähen doch, wie sogar weit festere Städte
schon nach einem einzigen Sturm zerstört worden seien,
und wie alle diejenigen sich ihres Besitzes in Sicherheit
erfreuen dürften, die sich der Gnade der Römer an-
vertraut hätten. Diese biete er auch ihnen jetzt an, und
es solle ihr übermütiges Benehmen ihnen vergeben und
vergessen sein. Verzeihlich sei ja ihre Hoffnung auf
Freiheit, keineswegs aber ihr starres Festhalten an dem,
was sich nun einmal nicht ermöglichen lasse. Wollten
Go gle
390
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sie nun seinen freundlichen Worten und seinem An-
erbieten betreffs einer gütlichen Vereinbaruug kein Ge-
hör schenken, so müsse er schonungslos die Waffen
gegen sie gebrauchen, und sie würden dann erkennen,
dass die Zerstörung solcher Mauern für die Belagerungs-
maschinen der Römer ein Kinderspiel sei. Pochten sie
also auf ihre Festungswerke, so zeigten sie eben, dass
sie allein unter den Galiläern bei ihrer Wehrlosigkeit
auch noch mit Einbildung geplagt seien.
3. Hierauf war es nicht nur keinem von der Bürger-
schaft verstattet zu antworten, sondern es durfte nicht
einmal jemand die Mauer besteigen; denn sie war ganz
von den Räubern besetzt, und an den Thoren standen
Wachen, damit niemand zu einer Unterhandlung hinaus-
ginge oder Reiter in die Stadt aufnähme. Nur Joannes
ergriff das Wort und entgegnete, er sei mit den Vor-
schlägen einverstanden und werde die, welche sie nicht
annehmen wollten, durch gute Worte oder mit Gewalt
dazu vermögen. Er müsse aber diesen Tag — der ein
Sabbat war — nach dem Gesetz der Juden feiern, da
es ihnen an einem solchen ebensowenig gestattet sei,
Friedensunterhandlungen zu führen, als die Waffen zu
ergreifen. Auch den Römern könne es ja nicht un-
bekannt sein, dass die Juden an jedem siebenten Tage
sich aller körperlichen Thätigkeit enthalten müssten.
Wer aber einen anderen zur Übertretung dieses Gebotes
nötigen wolle, begehe eine nicht minder grosse Sünde
als der, welcher sich dazu nötigen lasse. Übrigens
bringe dieser Aufschub dem Titus nicht den geringsten
Schaden. Denn was könnte wohl jemand in der Nacht
weiter unternehmen, als einen Fluchtversuch, den der
römische Befehlshaber durch Umstellung der Stadt zu
vereiteln vermöge? Wie es aber für die Juden von
grossem Werte sei, keine Bestimmung ihrer väterlichen
Gesetze zu übertreten, so zieme es anderseits dem, der
ihnen unerwarteterweise den Frieden schenke, die Ge-
setze der also Begnadigten zu achten. Mit solchen
Worten hinterging er den Titus; denn es war ihm nicht
Viertes Buch, 2. Kapitel.
391
sowohl um den Sabbat, als um seine persönliche Sicher-
heit zu thun. Musste er doch fürchten, nach der Ein-
nahme der Stadt alsbald im Stich gelassen zu werden,
wogegen er in der Nacht durch die Flucht sein Leben
retten zu können hoffte. Dass nun Titus nicht allein
der listigen Bitte um Aufschub Gehör schenkte, sondern
sogar sein Lager etwas weiter von der Stadt weg nach
Kydyssa verlegte, war sicherlich eine Fügung Gottes,
der den Joannes zum Verderben Jerusalems auf-
bewahren wollte. Dieses Kydyssa ist ein befestigter
tyrischer Grenzflecken, der mit den Galiläern in steter
Feindschaft und Fehde lag, übrigens stark bevölkert
war und Festungswerke hatte, auf die er sich bei den
Streitigkeiten mit jenem Volke wohl verlassen konnte.
4. In der Nacht nun , als er in der Umgebung der
Stadt keine feindlichen Wachtposten mehr bemerkte,
brach Joannes, die günstige Gelegenheit ergreifend, nicht
nur mit seinen eigenen bewaffneten Anhängern, sondern
auch mit einer Menge müssiger Leute und deren
Familien auf und floh ajif Jerusalem zu. Doch nur
zwanzig Stadien weit konnte er, der selbst von der Angst
um seine Freiheit und sein Leben gehetzt wurde, den
Haufen der Weiber und Kinder mitschleppen, und als
er seinen Marsch fortsetzte , liess er sie im Stich.
Schrecklich erscholl jetzt das Jammergeschrei der Ver-
lassenen; denn je weiter sich die Ihrigen entfernten,
desto näher wähnten sie die Feinde, und in der Meinung,
die, welche sie zu Gefangenen machen würden, seien
ihnen bereits auf der Ferse, gerieten sie in die äusserste
Bestürzung und schauten sich bei jedem Geräusch, das
ihr eigenes Rennen verursachte, um, als wären ihre Ver-
folger schon da. Viele verirrten sich in unwegsame
Gegenden, viele auch wurden bei dem Eifer, einander
zuvorzukommen, auf der Strasse zertreten. Kläglich kamen
insbesondere die Weiber und Kinder um , von denen
manche mit Aufbietung aller Kraft ihren Männern und
Verwandten zuriefen und sie jammernd anflehten, doch
auf sie zu warten. Aber mächtiger erwies sich der Be-
Go gle
392
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
fehl des Joannes , der die Männer anschrie, sie sollten
auf ihre eigene Kettung bedacht sein und dahin fliehen,
wo sie auch für die Zurückgelassenen, falls diese ge-
raubt würden, an den Römern Rache nehmen könnten;
Infolgedessen zerstreute sich die Menge der Flüchtlinge
so rasch, als es die Kraft und Behendigkeit eines jeden
gestattete.
5. Mit Tagesanbruch erschien Titus vor den Mauern
Gischalas, um den Vertrag auszuführen. Alsbald öffneten
die Bürger ihm die Thore, zogen ihm mit Weib und
Kind entgegen und begrüssten ihn als ihren Wohlthäter,
der die Stadt von den Bedrängern befreit habe. Zu-
gleich meldeteten sie ihm die Flucht des Joannes, baten
ihn auch, er möge sie selbst verschonen und nach dem
Einzug in die Stadt die noch darin befindlichen
Empörungsiustigen zur Strafe ziehen. Ohne zunächst
auf diese Bitten des Volkes zu achten, schickte Titus
unverzüglich eine Reiterschar zur Verfolgung des Joannes
ab. Diesen selbst indes vermochten die Soldaten nicht
einzuholen , weil er schon nach Jerusalem entkommen
war ; dagegen töteten sie ungefähr sechstausend von
denen, die mit ihm geflohen waren, und trieben gegen
dreitausend Weiber und Kinder, nachdem sie dieselben
umzingelt hatten, zurück. Titus ärgerte sich zwar nicht
wenig, dass er den Joannes nicht sogleich für den Be-
trug büssen lassen konnte; doch fand er für dieses
Fehlschlagen seiner Rache in der Menge der Gefangenen
und Getöteten hinlängliche Genugthuung und zog nun
unter dem lauten Jubel der Bevölkerung in die Stadt
ein. Alsdann gab er den Soldaten Befehl, nach Kriegs-
brauch einen kleinen Teil der Mauer einzureissen. Die
Aufwiegler in der Stadt aber suchte er mehr durch
Drohungen als durch Strafen in Schranken zu halten;
denn er fürchtete, es könnten bei einer Aussonderung
der Schuldigen viele aus Privathass und Feindschaft
Unschuldige zur Anzeige bringen, und hielt es daher
für besser, die Schuldigen in steter Angst schweben zu
lassen, als einen Unschuldigen mit ihnen zu Grunde zu
Viertes Bach, 3. Kapitel.
395
richten. Die ersteren, so hoffte er, würden vielleicht
aus Furcht vor Strafe und aus Dankbarkeit für die
Verzeihung ihrer früheren Vergehen anderen Sinnes
werden, während die Hinrichtung von Unschuldigen sich
nicht mehr gut machen lasse. Doch versicherte er sich
der Stadt durch eine Besatzung, mit der er ebensowohl
die unruhigen Geister ein schüchtern, als den fried-
liebenden Bürgern neuen Mut machen wollte. So war
denn nun ganz Galilaea bezwungen, nachdem es die
Römer manchen Tropfen Schweiss gekostet hatte.
Drittes Kapitel.
Joannes von Gischala und die Zeloten.
1. Als Joannes in Jerusalem einzog, strömte das ge-
samte Volk zu ihm hin , und um jeden der ihn be-
gleitenden Flüchtlinge sammelten sich grosse Massen
von Menschen, die sich nach den draussen im Lande
vorgekommenen Unfällen erkundigten. Schon das
heisere, abgebrochene Keuchen der Ankömmlinge verriet
ihre Not. Gleichwohl brüsteten sie sich noch in ihrem
Unglück und behaupteten, sie seien nicht vor den
Römern geflohen, sondern nur gekommen, um sie von
einem sicheren Orte aus zu bekämpfen; denn es sei
ebenso unvernünftig wie nutzlos, für Gischala und der-
gleichen armselige Städtchen sein Leben aufs Spiel zu
setzen, anstatt Waffen wie Kräfte zu schonen und für
die Hauptstadt aufzusparen. Alsdann schilderten sie die
Einnahme Gischalas, wobei denn doch viele auf den
Gedanken kamen, dass das, was sie mit schön
klingendem Worte Abzug nannten, in Wirklichkeit
nichts als eine Flucht gewesen sei. Als man nun
vollends das Los der Gefangenen erfuhr, ward das Volk
in nicht geringe Bestürzung versetzt, denn es sah darin
die deutlichen Vorzeichen seines eigenen Unterganges.
Joannes liess sich übrigens das Schicksal der von ihm
Go gle
394 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
im Stiche Gelassenen nicht sonderlich an fechten, sondern
ging bei den Leuten umher und suchte sie durch Hoff-
nungen, die er in ihnen wachrief, zum Kriege anzu-
treiben, indem er die Macht der Römer als schwach
hinstellte, die seines Volkes dagegen herausstrich und
mit leisem Spott über die Beschränktheit der un-
erfahrenen Menge bemerkte, die Römer, denen es bei
den Dörfern Galilaeas schon so schlecht ergangen sei
und die dort ihre Belagerungsmaschinen zu Schanden
gestossen hätten , würden , selbst wenn sie Flügel
nähmen , die Mauern Jerusalems niemals übersteigen
können.
2. Durch derartige Reden Hessen sich die jüngeren
Leute grösstenteils bethören und für den Krieg be-
geistern; die besonnenen und älteren Männer dagegen
sahen sämtlich das kommende Unheil voraus und be-
trauerten die Stadt, wie wenn sie bereits dahin wäre.
So widerstreitend waren die Gefühle, die sich des Volkes
bemächtigt hatten. Ehe es aber in Jerusalem zum
Bürgerkriege kam, war das Volk draussen im Lande
schon entzweit. Während nämlich Titus von Gischala
nach Caesarea marschiert war, hatte Vespasianus sich
von Caesarea nach Jamnia und Azot aufgemacht, die
beiden Städte unterjocht, Besatzungen hineingelegt und
mit einer grossen Menge Kriegsgefangener, die sich
ihm ergeben hatten, den Rückweg angetreten. Da
brachen in jeder Stadt Unruhen und Bürgerzwistigkeiten
aus ; kaum , dass die Leute vom Druck der Römer er-
leichtert auf atmeten, kehrten sie die Waffen gegenein-
ander, und alsbald lagen die Kriegslustigen in hartem
Kampfe mit den Friedliebenden. Zunächst entbrannte
der Streit in denjenigen Familien, die schon von früher
her sich nicht recht vertrugen; dann befehdeten sich
auch die Stämme, die zuvor in aller Freundschaft gelebt
hatten, und da jeder sich zu seinen Gesinnungsgenossen
schlug, standen sich in kurzem ganze Scharen feindlich
gegenüber. Überall herrschte Hader und Zwietracht.
Schliesslich gewannen die Empörungssüchtigen und
Viertes Buch, 3. Kapitel.
395
Kriegslustigen infolge ihrer Jugend und Kühnheit über
die älteren und verständigen Männer die Oberhand, und
nachdem sich zunächst nur einzelne auf Räubereien
gegen ihre Landsleute verlegt hatten, rotteten sie sich
bald in förmlichen Banden zusammen, um die Land-
bevölkerung auszuplündern. Hierbei gaben sie an
Grausamkeit und Willkür den Römern nicht das
mindeste nach, sodass den von ihnen Misshandelten die
Unterwerfung durch die Römer bei weitem erträglicher
vorkam.
3. Die Besatzungen der Städte leisteten teils aus
Verdruss über ihre bisherigen Unfälle , teils aus Hass
gegen die Juden den Geplagten keine oder nur geringe
Hilfe, bis endlich die Anführer der allerorts hausenden
Räuberbanden, der Plünderung im Lande satt, sich zu
einer Rotte der Bosheit zusammenscharten und zum Ver-
derben Jerusalems in diese Stadt einbrachen, die damals
einer einheitlichen Regierung entbehrte und altem
Brauche gemäss alle Volksgenossen ohne besondere
Vorsichtsm assregeln aufnahm; war man doch allgemein
der Überzeugung, die Herbeiströmenden kämen nur in
der guten Absicht, Hilfe zu bringen. Sie aber stürzten,
auch abgesehen von den Unruhen, die sie erregten, die
Stadt nachmals ins tiefste Elend; denn von der unnützen
und müs8igen Menge wurden die Lebensmittel, die für
die streitbare Mannschaft wohl hingereicht hätten, vor-
zeitig aufgebraucht und dadurch der vorhandenen
Kriegsdrangsal noch Bürgerzwist und Hungersnot hinzü-
gesellt.
4. Auch anderes Banditenvolk kam vom Lande in
die Stadt herein, verband sich mit dem noch schlimmeren
Gesindel, das schon drinnen war, und beging im Verein
mit diesem die ärgsten Schandthaten. Raub und Dieb-
stahl genügten ihrer Frechheit nicht mehr, sondern sie
verstiegen sich sogar zu Mordthaten, und zwar verübten
sie dieselben nicht etwa bei Nacht oder heimlich oder
an gemeinen Leuten, sondern offen, am hellen Tage und
bei den Vornehmsten anfangend. Zuerst nahmen sie
396 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
einen der mächtigsten Männer der Stadt, Antipas, 1 der
aus königlichem Geschlecht stammte und dem der Staats-
schatz anvertraut war, gefangen und kerkerten ihn ein*
hierauf einen anderen vornehmen Mann Namens Levi
und Sophas, den Sohn des Raguel, beide gleichfalls von
königlichem Geblüt; endlich alle, die im Lande grosses
Ansehen genossen. Gewaltige Bestürzung aber ver-
breitete sich im Volke, und als ob die Stadt schon vom
Feind erobert wäre, dachte jeder nur] noch an seine
eigene Sicherheit.
5. Blosse Gefangenschaft der also Ergriffenen genügte
indes den Frevlern nicht; auch hielten sie es nicht für
ratsam, so mächtige Männer längere Zeit in Haft zu
halten, weil deren zahlreiche Familien wohl imstande
waren, sie zu rächen. Zudem fürchteten sie, das Volk
möchte über ihr gesetzwidriges Verfahren in Erregung
geraten und sich wider sie erheben. Sie beschlossen
daher, die Gefangenen aus dem Wege zu räumen, und
beauftragten damit denjenigen ihrer Genossen, der am
leichtesten sich zu Mordthaten bereit finden liess , näm-
lich einen gewissen Joannes, in der Landessprache
„Sohn der Gazelle“ genannt. Dieser nahm zehn Be-
waffnete mit sich ins Gefängnis und brachte mit deren
Hilfe die Eingekerkerten ums Leben. Zur Rechtfertigung
des schweren Verbrechens ersannen sie einen gewichtigen
Vorwand: sie behaupteten nämlich, die Gefangenen
hätten mit den Römern wegen der Übergabe Jerusalems
unterhandelt und seien demgemäss nur deshalb getötet
worden, weil sie an der gemeinsamen Freiheit Verrat
begangen hätten. Ja, bald prahlten sie sogar noch mit
ihrem Frevel, als wenn sie dadurch die Wohlthäter und
Retter der Stadt geworden wären.
6. Während nun das Volk immer mutloser und zag-
hafter wurde, steigerte sich der Wahnsinn jener Ruch-
losen in solchem Grade, dass sie sogar die Wahl der
1 S. II, 17, 4.
Viertes Buch, 3. Kapitel.
397
Oberpriester 1 sich anmassten. Sie schafften die Vor-
rechte der Familien ab, aus denen nach bestimmter
Reihenfolge diese Klassenhäupter ernannt wurden, und
übertrugen die Würde an gewöhnliche Leute aus
niederem Stande, um an ihnen Helfershelfer für ihre
Schandthaten zu gewinnen; denn diese Menschen, die
ganz ohne eigenes Verdienst zu so hohen Ehrenstellen
gelangt waren, mussten selbstverständlich denen zu
Willen sein, die ihnen dazu verholfen hatten. Die Vor-
nehmen hetzten sie durch allerlei Kniffe und Ohren-
bläsereien gegeneinander, und die Reibereien unter denen,
die ihnen noch in den Weg treten konnten, nützten sie
für ihre Zwecke aus, bis sie endlich, übersättigt von den
Freveln gegen Menschen, ihre Frechheit auch gegen die
Gottheit kehrten und mit befleckten Füssen das Aller-
heiligste zu betreten wagten.
7. Nun aber erhob sich wider sie das Volk, auf-
gereizt von dem ältesten der Hohepriester, Ananus, einem
höchst verständigen Manne, der auch vielleicht die Stadt
gerettet haben würde, wenn er den Händen der Mörder
entronnen wäre. Die Frevler jedoch machten den
Tempel Gottes zu einem Bollwerk gegen die unruhigen
Bewegungen des Volkes, und das Heiligtum ward ihnen
Zufluchtsort und Zwingburg. Schliesslich fügten sie zu
ihren Greuelthaten auch noch Hohn hinzu, der schmerz-
licher als jene empfunden wurde. Um nämlich zu ver-
suchen, wie weit das Volk sich von ihnen einschüchtern
lassen würde, und um zugleich ihre eigene Stärke zu
erproben, wagten sie es, die Hohepriester durchs Los zu
wählen, während doch, wie schon bemerkt, das Anrecht
auf diese Würde durch Abstammung erworben wird.
Zum Vorwand ihres Unterfangens musste ihnen eine
alte Sitte dienen: denn auch in früheren Zeiten, be-
haupteten sie, sei die hohepriesterliche Würde durchs
Los zugeteilt worden; in Wirklichkeit aber bezweckte
1 Gemeint sind hier die Vorsteher der vieruudzwanzig Priester-
klassen.
398
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ihr Vorhaben die Auflösung eines sehr bestimmt
lautenden Gesetzes und war nichts weiter als ein Kunst-
griff zur Stärkung ihrer Macht, indem sie eben die
höchsten Stellen eigenmächtig besetzen wollten.
8. So beriefen sie denn einen der hohepriesterlichen
Stämme, Eniachim genannt, und wählten einen Hohe-
priester durchs Los. Zufällig traf nun das Los einen
Menschen, an dessen Person das Frevelhafte ihres Be-
ginnens so recht offenkundig wurde, einen gewissen
Phannias nämlich, den Sohn Samuels aus dem Dorfe
Aphtha. Abgesehen davon, dass er überhaupt keinem
hohepriesterlichen Geschlecht angehörte, war er auch so
ungebildet, dass er nicht einmal wusste, was Hohe-
priestertum eigentlich sei. Wider seinen Willen
schleppten sie ihn vom Lande herein, schmückten ihn,
wie man auf der Bühne zu thun pflegt, mit einer
fremden Maske, bekleideten ihn mit dem heiligen Ge-
wand und unterwiesen ihn gelegentlich darin, was er
zu besorgen habe. Ihnen freilich diente dieser ungeheuer-
liche Frevel nur zu Scherz und Spott ; den anderen
Priestern dagegen, die von fern zusahen, wie das Gesetz
verhöhnt wurde, traten die Thränen in die Augen, und
tief seufzten sie über die Verunglimpfung der heiligen
Ämter.
9. Solche Frechheit ertrug das Volk nicht länger,
und alles erhob sich nun zum Sturze der Tyrannei. Die
angesehensten Männer, Gorion, des Josephus Sohn, und
Symeon, der Sohn des Gamaliel, forderten sowohl die
grosse Masse in den Versammlungen, als auch einzelne,
die sie besuchten, auf, endlich einmal die Verderber der
Freiheit zu bestrafen und das Heiligtum von den Blut-
hunden zu säubern. Auch die geachtetesten unter den
Hohepriestern, Jesus, des Gamalas Sohn, und Ananus,
des Ananus Sohn, warfen dem Volke seine Lässigkeit
eindringlich in den Versammlungen vor und stachelten
es gegen die Eiferer 1 auf. So nämlich nannten sie sich,
Zeloten.
Viertes Buch, S. Kapitel.
399
wie wenn sie für gute Zwecke eiferten, während ihr
Wetteifer sich in Wirklichkeit doch nur auf Schlechtig-
keiten bezog, in denen sie sich gegenseitig zu über bieten
trachteten.
10. Als nun das Volk in grosser Menge zusammen-
gekommen war und alles über die Besetzung des Heilig-
tums, die Räubereien und die Mordthaten sich entrüstet
zeigte — ohne dass übrigens irgend jemand zur Rache
schreiten wollte, weil man, und zwar mit Recht, die
Zeloten für schwer überwindlich hielt — erhob sich
mitten in der Versammlung Ananus, schaute mehrmals
thränenden Auges zum Tempel hinauf und sprach:
„Lieber wäre ich gestorben, als dass ich das Haus Gottes
so voll greulicher Frevel und die nie betretenen heiligen
Stätten von den Füssen der Mörderrotten befleckt sehen
muss. Aber mit dem hohepriesterlichen Gewände an-
gethan und den heiligsten der ehrwürdigen Namen
tragend, 1 lebe ich noch und lebe gern, 2 ohne dass ich
bis jetzt den meinem Greisen alter gebührenden rühm-
lichen Tod erlitten hätte. Bleibe ich freilich allein und
wie in einer Wüste, so will ich auch allein meine Seele
Gott zum Opfer bringen. Denn wozu soll ich inmitten
eines Volkes leben, das kein Gefühl mehr für seine
früheren Leiden Bat und bei dem sogar die Empfindung
für die schweren Drangsale, von denen es in der Gegen-
wart heimgesucht wird, geschwunden ist ? Plündert man
euch, so bleibt ihr gleichgiltig, schlägt man euch, so
schweigt ihr, und über die Gemordeten wagt niemand
auch nur laut zu seufzen. Welch harte Tyrannei! Doch
was tadle ich die Tyrannen ? Sind Bie nicht durch euch
und eure Langmut gross geworden? Habt nicht ihr,
als sie noch wenig zahlreich waren, ihre ersten Zusammen-
rottungen ausser acht gelassen und durch euer Still-
schweigen es verschuldet, dass sie zum grossen Haufen
1 Bezieht sich auf den Namen Gottes (Jehovah), der in die Stirn-
platte der hohepriesterlichen Kopfbedeckung eingraviert war.
- Zu ergänzen: Wenn ich euch für ein baldiges Vorgehen gegen
die Tyrannen begeistern kann.
Go gle
400 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
anwuchsen? Habt nicht ihr, indem ihr sie sich ruhig
bewaffnen liesset, ihre Waffen gegen euch selbst gekehrt,
anstatt ihre ersten Anläufe zurückzuschlagen, damals,
als sie eure Verwandten mit Schmähungen angriffen?
Durch eure Gleichgiltigkeit habt ihr die Frevler zu
Räubereien ermutigt, und wenn Häuser verwüstet wurden,
hattet ihr kein Wort dagegen ! Darum konnten sie
denn auch die Besitzer dieser Häuser wegführen, und
niemand kam den Unglücklichen zu Hilfe, als sie mitten
durch die Stadt geschleppt wurden, als man mit Fesseln
diejenigen quälte, die ihr verraten hattet ! Ich will nicht
sagen, wie viele, wie hochangesehene Männer ohne An-
klage, ohne Verhör so behandelt wurden. Niemand nahm
sich der Gefesselten an : die Folge war, dass wir sie
zuletzt noch hinmorden sehen mussten. Wir sahen zu,
als wie aus einer Herde unvernünftiger Tiere immer
wieder das beste Opfer herausgeholt wurde — aber nie-
mand erhob seine Stimme, geschweige denn dass jemand
die Hand gerührt hätte. Und nun duldet ihr, duldet
ihr es, dass das Heiligtum mit Füssen getreten wird?
Und wenn ihr auch jenen Ruchlosen eine Stufe nach
der anderen zu ihren vermessenen Schritten selbst ge-
ebnet habt, seid ihr denn nicht wenigstens jetzt ihrer
Übermacht müde? Sie würden doch sicherlich noch
weiter gehen, wenn es etwas Grösseres als das Heilig-
tum zu verwüsten gäbe. In ihren Händen ist der festeste
Punkt der Stadt — denn eine Burg oder Festung muss
man jetzt den Tempel nennen. Da nun eine so gewaltige
Tyrannei hinter diesen Mauern euch bedroht und ihr eure
Feinde über euren Häuptern erblickt, was habt ihr im
Sinn und womit wollt ihr euer Gemüt beruhigen?
Wartet ihr etwa auf die Römer, dass sie ungern
Heiligtümern zu Hilfe kommen? Steht es so schlimm
mit unserer Stadt, und sind wir so tief im Elend versunken,
dass die Feinde sich unser erbarmen sollen? Werdet
ihr euch nicht erheben, ihr Beklagenswerten, euch gegen
die Schläge, wie man ja selbst bei Tieren sehen kann,
auf lehnen und an denen, die euch schlagen, Rache
Viertes Buch, 3. Kapitel.
401
nehmen,? Wollt ihr euch nicht die einem jeden von
euch zugefügten Unbilden ins Gedächtnis rufen und,
indem ihr eurer Leiden gedenkt, den Mut zum Wider-
stande schärfen? Ist denn das edelste und natürlichste
aller Gefühle, die Liebe zur Freiheit, völlig in euch er-
tötet? Sind wir etwa Sklaven naturen und Bedienten-
seelen geworden, als wäre es Unterwürfigkeit, was wir
von unsern Vorfahren überkommen haben? Nein, sie
haben viele und grosse Kriege für ihre Selbständigkeit
geführt und sowohl der Macht der Aegyptier als der
der Meder standgehalten, nur um nicht in Abhängigkeit
zu geraten! Doch was brauche ich von unsern Ahnen
zu sprechen? Eben der gegenwärtige Krieg mit den
Römern, von dem ich übrigens jetzt nicht erörtern will,
ob er zweckmässig und nützlich ist oder nicht, aus
welchem Grunde wird er denn geführt? Doch wohl für
die Freiheit! Wenn wir uns nun den Herren der Welt
nicht fügen wollen, wie sollen wir da unsere eigenen
Landsleute als Tyrannen über uns dulden? Wird man
von auswärtigen Feinden unterjocht, so mag nian dafür
die Ungunst des Schicksals verantwortlich machen ; kriecht
man aber vor seinen eigenen Mitbürgern und noch dazu
vor den schlechtesten zu Kreuz, so ist dies ein Zeichen
von Feigheit und Knechtessinn. Da ich übrigens gerade
die Römer erwähnte, will ich euch nicht vorenthalten,
was mir soeben während meiner Rede in den Sinn kam,
nämlich dass wir, wenn uns auch die Römer, was ich
nicht hoffen will, unterjochen sollten, jedenfalls nichts
schlimmeres erdulden würden, als was diese unsere Mit-
bürger uns angethan haben. Oder ist es nicht zum
weinen, dass, während wir von den Römern selbst Weih-
geschenke im Tempel sehen, unsere eignen Landsleute
dort ihren Raub auf häufen, nachdem sie den Adel der
Hauptstadt ermordet und Männer aus dem Wege ge-
räumt haben, die der Feind im Falle des Sieges geschont
haben würde? Ist es ferner nicht bejammernswert, dass,
während die Römer niemals die Schwelle der Ungeweihten
überschritten und keinen unserer heiligen Gebräuche
Josephua, Jüdischer Krieg. 26
402
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
verletzten, sondern in ehrfurchtsvollem Schauer nur von
fern die Einfriedigung des Heiligtums zu betrachten
wagten, Leute, die in diesem Lande geboren, in unserer
Religion erzogen sind und sich Juden nennen, mitten
im Allerheiligsten umherwandeln, da ihre Hände noch
vom Blute ihrer Volksgenossen rauchen? Wer sollte
da noch den von aussen kommenden Krieg und die
im Vergleich zu unseren Landsleuten viel mensch-
licheren Feinde fürchten ? Will man die Dinge beim
rechten Namen nennen, so wird man finden, dass die
Römer unsere Gesetze uns in dem Masse erhalten, wie
unsere eignen Leute sie mit Füssen treten. Dass da-
her diese Feinde unserer Freiheit vernichtet werden
müssen, und dass keine Strafe, die man erdenken mag,
für ihre Schandthaten streng genug ist, diese Überzeugung,
hoffe ich, habt ihr alle schon von Hause mit hierher-
gebracht, wie ihr wohl auch schon vor meiner Rede durch
das, was ihr erlitten, gegen sie aufgebracht wart Nur
erschrecken vielleicht die meisten vor ihrer Menge, ihrer
Kühnheit und ihrer vorteilhaften Stellung. Aber wie
an alledem eure Gleichgiltigkeit schuld ist, so wird
durch längeres Zögern das alles nur noch schlimmer
werden. Denn ihre Zahl erhält tagtäglich neuen Zu-
wachs, da alle Bösewichte zu ihnen als ihren Gesinnungs-
genossen übergehen; ihre Kühnheit aber wird um so
mehr entflammt, je weniger sie auf Hindernisse stösst;
und was ihre Stellung über unsern Häuptern angeht,
so werden sie dieselbe bald zur Anwendung von Waffen-
gewalt benutzen, wenn wir ihnen Zeit dazu lassen.
Rücken wir ihnen aber zu Leibe, so wird, glaubt es mir,
ihr schlechtes Gewissen sie entmutigen, und den Vorteil
ihrer örtlich höheren Stellung wird ihre innere Verfassung
zu Schanden machen. Vielleicht auch, dass die beleidigte
Gottheit ihre Geschosse wider sie selbst kehrt, und die
Frevler durch ihre eignen Pfeile fallen. Fürwahr, sie
werden uns kaum erblicken , so sind sie schon dahin.
Ist nun auch Gefahr damit verbunden, so wird es dock
anderseits reiche Ehren eintragen, an den heiligen Thoren.
Viertes Buch, 3. Kapitel.
403
zu fallen und, wenn auch nicht für Weib und Kind,
so doch für Gott und sein Heiligtum das Leben zu
lassen. Ich selbst will mit Rat und That euch voran-
gehen : nichts, was ich für eure Sicherheit erdenken kann,
wird euch mangeln, und ihr sollt sehen, dass ich auch
meiner eignen Person nicht schonen werde.“
11. Mit solchen Worten suchte Ananus das Volk
gegen die Zeloten aufzustacheln, obwohl er sich nicht
verhehlen konnte, dass sie schon jetzt wegen ihrer grossen
Zahl, jugendlichen Kraft und Entschlossenheit, besonders
aber wegen des Bewusstseins ihrer bisherigen Thaten schwer
zu bewältigen sein würden. Da sie nämlich für ihre
Vergehen keine Verzeihung zu gewärtigen hatten, konnte
man sich des äussersten Widerstandes von ihrer Seite
versehen. Trotzdem war er gewillt, lieber alles zu wagen,
als die Dinge in dieser Verwirrung zu lassen. Das
Volk aber schrie, er solle sie gegen diejenigen führen,
gegen die er sie zum Kampf aufgefordert habe, und es
zeigte sich der eine immer bereitwilliger als der andere,
der Gefahr zuerst die Stirn zu bieten.
12. Während aber Ananus die zum Kampfe Taug-
lichen auslas und ordnete, erfuhren die Zeloten den An-
schlag; denn sie hatten Leute, die ihnen alles hinter-
brachten, was beim Volke vorging. Voll Erbitterung
stürzten sie darauf teils in geschlossenen Reihen, teils
in kleineren Haufen aus dem Tempel hervor und machten
schonungslos alles nieder, was ihnen in den Weg kam.
Schnell sammelte Ananus das Volk, das den Zeloten
zwar an Zahl überlegen war, an Bewaffnung aber und
festgefügter Ordnung ihnen nachstand. Die beiderseitigen
Mängel indes glich die hüben wie drüben herrschende
Kampfeslust aus ; die von der Stadt nämlich zeigten sich von
einer Erbitterung durchdrungen, die stärker war als alle
Waffen, während die vom Tempel eine Kühnheit be-
sassen, die es mit jeder Überzahl aufnehmen zu wollen
schien. Die einen glaubten in der Stadt nicht länger
wohnen zu können, wenn sie dieselbe nicht von den
Banditen säuberten ; die Zeloten anderseits wussten wohl,
404 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
dass im Fall ihrer Niederlage alle erdenklichen Strafen
ihrer harrten. So gerieten sie denn in leidenschaftlichem
Kampf aneinander und beschossen sich zuerst in der
Stadt sowohl als vor dem Tempel mit Steinen und
Wurfspeeren, die sie von fern schleuderten; sobald aber
ein Teil sich zur Flucht gewandt hatte, griffen die Sieger
zum Schwert. Gross war auf beiden Seiten die Zahl
der Toten und Verwundeten. Wer vom Volke kampf-
unfähig wurde, den zogen seine Angehörigen ins Haus
hinein; die verwundeten Zeloten dagegen begaben sich
wieder in den Tempel zurück und netzten den heiligen
Boden mit ihrem Blut, sodass man mit Recht sagen
kann, ihr Blut allein habe das Heiligtum befleckt . 1 Bei
den Ausfallen gewannen nun zwar die Räuber im Ge-
fecht stets die Oberhand; auf seiten des Volkes aber
wuchs sowohl die Erbitterung als die Zahl der Kämpfer
beständig an, und während man hier die Weichenden
mit Vorwürfen überschüttete und die Nachdrängenden
denen, welche fliehen wollten, den Rückweg abschnitten,
wälzten sie sich mit der ganzen Wucht ihrer Masse
gegen die Feinde. Diese vermochten dem Anprall nicht
länger zu widerstehen und zogen sich allmählich in den
Tempel zurück ; die Leute des Ananus aber drangen
zugleich mit ihnen ein. Gewaltige Bestürzung ergriff
die Zeloten, als sie die erste Ringmauer verloren hatten,
und nachdem sie in den inneren Raum geflohen waren,
schlossen sie eiligst die Thore hinter sich. Ananus
jedoch konnte sich nicht entschliessen, die heiligen
Pforten zu stürmen, zumal da die Feinde von oben herab
ihre Geschosse warfen; denn selbst für den Fall, dass
ihm der Sieg beschieden sein sollte, hielt er es für sünd-
haft, das Volk ohne vorgängige Reinigung hineinzu-
führen. Er wählte daher aus der Menge etwa sechs-
tausend Bewaffnete durchs Los und stellte sie als
Wächter an den Hallen auf, bestimmte auch, dass andere
sie ablösen und so der Reihe nach alle auf Wache
1 D. h. das Blut der Opfertiere war reiner als das der Zeloten.
Viertes Buch, 3. Kapitel.
405
ziehen sollten. Viele aus den Vornehmen jedoch wurden
von den Befehlshabern dieser Verpflichtung enthoben
und Hessen ärmere Leute, die sie dafür bezahlten, anstatt
ihrer selbst den Wachdienst versehen.
13. An dem Untergang aller dieser Menschen aber
trug die Schuld jener Joannes, der, wie oben erwähnt,
aus Gischala entflohen war, ein höchst verschmitzter
Mann, der ein leidenschaftliches Verlangen nach Ge-
waltherrschaft in seiner Seele trug und schon längst
Schlimmes gegen den Staat im Schilde führte. Damals
begleitete er, volksfreundliche Gesinnung heuchelnd, den
Ananus auf allen seinen Gängen, mochte der Hohe-
priester nun tagüber mit den Machthabern sich beraten
oder nachts die Wachen besichtigen. Die erlauschten
Geheimnisse hinterbrachte er dann den Zeloten , und
jeder Anschlag des Volkes wurde, noch ehe er gehörig
beraten war, durch ihn den Feinden bekannt. Um
dabei keinen Verdacht zu erregen, benahm er sich über-
mässig zuvorkommend gegen Ananus und die Vorsteher
des Volkes. Durch seine Liebedienerei aber erreichte er
gerade das Gegenteil von dem, was er damit bezweckte ;
denn seine faden Schmeicheleien machten ihn nur um
so verdächtiger, und dass er überall zugegen war, wo
man seiner gar nicht begehrte, lieferte den Beweis, dass
er Geheimnisse verriet. Man hatte nämlich gar bald
weg, dass bei den Feinden die Beschlüsse des Volkes
stets bekannt waren, und niemand traute man die Ver-
räterei eher zu, als eben dem Joannes. Ihn aus dem
Wege zu räumen war indes nicht leicht, da er durch
seine Schlechtigkeit zu grossem Einfluss gelangt war und
als den besseren Ständen angehörig bei vielen Männern
Deckung fand, die in der Verwaltung Sitz und Stimme
hatten. Man beschloss daher, sich seiner Treue durch
einen Eid zu versichern. Ohne Anstand schwur nun
Joannes, es mit dem Volke halten, keinen Beschluss
und keine Massregel den Feinden verraten und zum
Sturze derer, welche die Waffen ergreifen würden, mit
Rat und That beitragen zu wollen. Ananus und die
Go gle
406
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Seinen glaubten dem Eide und Hessen ihn fortan arglos
an ihren Beratungen teilnehmen. Ja, sie ordneten ihn
sogar als Gesandten an die Zeloten ab, um über die
Schlichtung des Streites zu unterhandeln ; denn es lag
ihnen ebenso viel daran, selber den Tempel nicht ent-
heiligen zu müssen, als dass keiner ihrer Landsleute in
ihm sein Leben verlöre.
14. Joannes aber ging, wie wenn er den Zeloten und
nicht vielmehr ihren Gegnern Treue geschworen hätte, zu
den ersteren hinein und erklärte, er habe zwar schon oft
um ihretwillen Bich in Gefahr begeben, um sie von allem
in Kenntnis zu setzen, was die Partei des Ananus ins-
geheim gegen sie im Schilde führe; jetzt aber werde er
mit ihnen allen in die grösste Gefahr geraten, wenn
Gott ihnen keine besondere Hilfe sende. Denn Ananus
wolle nicht länger mehr zuwarten, sondern habe, nach-
dem er das Volk beschwätzt, Gesandte an Vespasianus
geschickt, damit dieser in aller Eile heranrücke und sich
der Stadt bemächtige. Ein Reinigungsopfer zum An-
griff auf sie, die Zeloten, sei für den folgenden Tag an-
gesagt, damit das Volk entweder unter dem Vorwand des
Gottesdienstes eindringen oder auch unter Anwendung von
Gewalt mit ihnen handgemein werden könne. Er wisse
nicht, wie lange sie die Belagerung noch auszuhalten
oder solcher Übermacht Widerstand zu leisten vermöchten.
Dann setzte er hinzu, er sei durch göttliche Fügung in
den Tempel geschickt worden, um wegen Beilegung der
Zwistigkeiten zu verhandeln. Einen Vergleich nämlich
trage ihnen Ananus jetzt an, aber nur um über sie her-
zufallen, wenn sie waffenlos ihm gegenüberständen. Sie
müssten daher behufs Rettung ihres Lebens entweder
die Belagerer um Gnade bitten oder irgendwelche Hilfe
von auswärts sich zu verschaffen suchen. Diejenigen
übrigens, welche sich im Falle des Unterliegens etwa mit
der Hoffnung auf Verzeihung trügen, hätten wohl ihre
eigenen Frevel vergessen oder glaubten vielleicht, die
Reue der Übelthäter müsse nun auch notwendigerweise
gleich eine versöhnliche Stimmung bei den Misshandelten
Viertes Buch, 4. Kapitel.
407
zur Folge haben. Gar oft aber bleibe der Hass gegen
die Beleidiger trotz all ihrer Reue bestehen, und die Er-
bitterung der Geschädigten werde vielfach, wenn sie die
Macht erlangten, nur um so heftiger. Auf alle Fälle
würden ihnen die Freunde und Angehörigen der Ge-
töteten stets aufsässig bleiben wie auch die grosse Masse
des Volkes, das über die Abschaffung der Gesetze und
der ordentlichen Rechtspflege gewaltig ergrimmt sei, und
wenn auch ein kleiner Teil des letzteren zum Mitleid
neige, so verschwinde derselbe doch völlig unter der
Menge derer, die auf Befriedigung ihrer Rache beständen.
Viertes Kapitel.
r
Die Idumäer kommen, von den Zeloten gerufen, nach
Jerusalem.
1. Durch derartige verschmitzte Lügen setzte er alle
Zeloten in Schrecken. Worin die Hilfe von auswärts
bestehen sollte, wagte er zwar nicht gerade heraus zu
sagen, doch hatte er offenbar die Idumäer im Sinne. Um
nun die Anführer der Zeloten noch besonders aufzureizen,
gab er eine lügenhafte Schilderung von der Grausam-
keit des Ananus und sagte, auf sie seien ganz besonders
seine Drohungen zugespitzt. Diese Anführer waren
Eleazar, der Sohn des Simon, 1 der sowohl im Erdenken
zweckmässiger Pläne als in deren Ausführung das grösste
Zutrauen genoss, und Zacharias, der Sohn des Phalek
beide aus priesterlichem Geschlecht. Als diese Männer
ausser den Drohungen, die ihnen allen galten, auch noch
die eigens gegen ihre Person gerichteten vernahmen und
obendrein erfuhren, wie die Partei des Ananus, um die
höchste Gewalt an sich zu reissen, die Römer herbei-
rufen wolle (denn auch diese Lüge hatte Joannes hin-
zugefügt), waren sie eine Weile unschlüssig, was sie bei
i S. II, 20, 3.
408
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
der Kürze der ihnen noch zur Verfügung stehenden
Zeit thun sollten. Sie glaubten nämlich, das Volk werde
wohl bald zum Angriff gegen sie Vorgehen und durch
rasche Ausführung seines Anschlages ihnen jeden Bei-
stand von aussen her gänzlich abschneiden; so werde
es mit ihnen bereits zum äussersten gekommen sein, ehe
auch nur einer ihrer Bundesgenossen davon Kenntnis
erlangen könne. Nichtsdestoweniger beschloss man, die
Iduraäer herbeizurufen. Zu diesem Zweck schrieben sie
einen kurzen Brief des Inhalts: Ananus hintergehe das
Volk und wolle die Hauptstadt an die Römer verraten;
sie selbst, die sich zur Rettung der bedrohten Freiheit
von ihm losgesagt, würden im Tempel belagert; die Zeit
in der ein Versuch zu ihrem Entsatz noch Erfolg ver-
heisse, sei nur kurz; kämen also die Idumäer nicht
schleunigst zu Hilfe, so würden sie, die Zeloten, dem
Ananus und ihren übrigen Feinden, die Stadt aber den
Römern in die Hände fallen. Eine ausführliche Dar-
legung des Sachverhaltes sollten die Boten den Führern
der Idumäer mündlich geben. Für die Sendung wurden
zwei der entschlossensten Männer vorgeschlagen, die in
derartigen Verhandlungen erfahren, mit der nötigen
Überredungsgabe ausgerüstet und, was ihnen noch mehr
zu statten kam, ausgezeichnete Schnellläufer waren. Im
Tempel wusste man übrigens, dass die Idumäer sich
nicht lange würden bitten lassen. Denn sie sind ein
ungestümes, zügelloses Volk, das stets auf der Lauer
nach Unruhen liegt und am Aufruhr seine helle Freude
hat; auch bedarf es nicht vieler guten Worte, um es
unter die Waffen zu bringen, zumal sich dort alles
zum Kampf wie zu einem Feste drängt. Eile war aber
für die Botschaft erforderlich, und da die Abgesandten,
die beide Ananias hiessen, den besten Willen dazu
hatten, waren sie schnell bei den Führern der Idumäer
angelangt.
2. Diese gerieten durch den Inhalt des Briefes und
den mündlichen Bericht der Boten in gewaltige Erregung,
rannten alsbald wie wütend im Volke umher und predigten
Viertes Buch, 4. Kapitel.
409
den Krieg. Fast schneller als der Aufruf erfolgt war,
versammelte sich die Menge, und alles ergriff die Waffen
zur Befreiung der Hauptstadt, wie man sich ausdrückte.
Fast zwanzigtausend Mann stark erschienen sie nun vor
Jerusalem unter vier Anführern, nämlich Joannes und
Jakobus, den Söhnen des Sosas, Simon, dem Sohne des
Kathlas, und Phineas, dem Sohne des Klusoth.
3. Die Abreise der Boten war übrigens dem Ananus
sowohl als den Wachen verborgen geblieben, keineswegs
aber der Anmarsch der^Idumäer. Letzteren vielmehr
hatte der Hohepriester zuvor erfahren und deshalb die
Thore schliessen und die Mauern mit Wachtposten be-
setzen lassen. Er beabsichtigte jedoch zunächst noch
nicht, sie zu bekämpfen, sondern wollte sie vor der An-
wendung von Waffengewalt durch gütliches Zureden zu
gewinnen suchen. Zu diesem Behuf stellte sich Jesus,
der älteste der Hohepriester nach Ananus, auf den Turm,
der den Idumäern gegenüberlag, und sprach zu ihnen :
„Bei den vielen und mannigfaltigen Drangsalen, von
denen unsere Stadt heimgesucht wird, ist mir kein Zu-
fall unverständlicher, als dass die Bösewichte stets wieder
unerwartete Hilfe erhalten. Denn ihr seid ja den ver-
worfensten Menschen gegen uns mit einer Bereitwillig-
keit zu Hilfe geeilt, wie ihr sie wohl selbst in dem
Falle nicht bewiesen haben würdet, wenn die Hauptstadt
euch zum Beistand gegen Barbaren gerufen hätte. Sähe
ich freilich, dass euer Heer den Leuten ähnlich ist, die
euch herbeigewünscht haben, so könnte ich euren Eifer
wohl verstehen; denn nichts stiftet Freundschaften so
rasch als Übereinstimmung der Charaktere. Nun aber
findet man, wenn man jene Menschen der Reihe nach
prüft, einen jeden von ihnen tausendfachen Todes würdig;
sind sie doch die Schandflecken und der Auswurf des
ganzen Landes, sie, die zuerst ihr eignes Vermögen
verschleudert und ihren Frevelmut an den Dörfern und
Städten der Umgegend ausgelassen und dann auch noch
heimlich in die heilige Stadt sich eingeschlichen haben
— Räuber, die durch masslose Schandthaten sogar den
Go gle
410
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
heiligen Boden entweihen, und die man jetzt ohne Scheu
im Heiligtum sich berauschen und mit der den Toten
entrissenen Beute ihre unersättlichen Bäuche füllen
sieht. Eure Scharen dagegen und euer Waffenschmuck
bieten einen Anblick dar, wie er sich erwarten liess,
wenn die Hauptstadt euch durch gemeinsamen Beschluss
als Bundesgenossen gegen Fremde herbeigerufen hätte.
Kann man es daher anders als einen Hohn des Schick-
sals nennen, wenn man ein ganzes Volk mit einer
Horde von Bösewichten gemeinsame Sache machen sieht ?
Schon lange ist es mir ein Rätsel , was euch eigentlich
so rasch in Bewegung gesetzt hat. Sicherlich ist es ein
gewichtiger Grund, der euch für Räuber und gegen ein
stammverwandtes Volk die Waffen ergreifen hiess. Wir
hörten etwas von Römern und Verrat, denn soeben
machten einige von euch Lärm darüber und erklärten,
sie seien zur Befreiung der Hauptstadt gekommen.
Mehr aber als über alle anderen Frechheiten dieser
Ruchlosen müssen wir über die Erfindung dieser Lüge
staunen. Natürlich, Männer von freiheitliebendem
Charakter, die eben darum zum Kampf mit äusseren
Feinden stets gerüstet sind, konnte man durch nichts
anderes gegen uns in Harnisch bringen, als dadurch,
dass man uns für Verräter an der ersehnten Freiheit
ausgab. Ihr solltet aber doch bedenken, wer diese Ver-
leumdung vorbringt und gegen wen sie gerichtet ist,
und die Wahrheit nicht aus erdichtetem Gerede, sondern
aus der allgemeinen Lage der Dinge entnehmen. Aus
welcher Veranlassung sollten wir uns denn gerade jetzt
den Römern verkaufen, da es uns ja freistand, entweder
gleich anfangs überhaupt nicht abzufallen, oder nach
dem Abfall sogleich wieder auf ihre Seite zu treten, so
lange das Land ringsum noch unverwüstet war? Jetzt
nämlich wäre es uns, selbst wenn wir wollten, nicht
leicht, uns mit den Römern auszusöhnen, da die Unter-
jochung Galilaeas sie stolz gemacht hat und es für uns
eine Schmach, ärger als der Tod, sein würde, wenn wir
ihnen jetzt gute Worte gäben, nachdem sie uns auf
Viertes Buch, 4. Kapitel.
411
den Leib gerückt sind. Ich für meine Person
würde gewiss den Frieden dem Tode vorziehen ;
nachdem, aber der Krieg einmal begonnen hat und
blutige Zusammen stösse erfolgt sind, möchte ich denn
doch weit lieber eines rühmlichen Todes sterben, als in
Kriegsgefangenschaft lebeA. Und wer soll denn ins-
geheim zu den Römern geschickt haben ? Etwa nur wir,
die Vorsteher des Volkes, oder auch das Volk selbst
auf Grund eines gemeinsamen Beschlusses? Wenn wir,
so nenne man doch die Freunde, die wir geschickt, die
Diener, die bei dem Verrate mitgeholfen hätten! Wurde
etwa einer derselben auf dem Hinwege aufgegriffen
oder auf dem Rückwege gefangen? Ist man vielleicht
einem Briefe anf die Spur gekommen ? Und wie
konnten wir so vielen Bürgern verborgen bleiben, unter
deren Augen wir zu jeder Stunde aus- und eingeh en?
Und dabei sollten die wenigen Leute da oben, die noch
dazu belagert sind und nicht einmal aus dem Tempel
in die Stadt gelangen können , Kenntnis von den Vor-
gängen erhalten haben, die sich im Lande draussen in
aller Stille abspielten? Gewiss nicht! Vielmehr erst
jetzt, seitdem sie merken, dass sie für ihre Frechheiten
zur Rechenschaft gezogen werden sollen, haben sie davon
erfahren; so lange sie aber nichts zu fürchten hatten,
stand keiner von uns im Verdacht des Verrates. Schieben
sie dagegen die Schuld auf das Volk, so war doch
wohl die Beratung öffentlich, und es musste, da niemand
von der Versammlung ausgeschlossen werden durfte,
die Kunde davon als bestimmtes Gerücht schneller zu
euch gelangt sein wie die förmliche Anzeige. Nun aber
weiter: hätte man nicht auch Gesandte schicken müssen,
um einen Vergleich zu schliessen ? Man sage also, wer
dazu ernannt wurde! Doch nein, das alles ist ja nur
Spiegelfechterei von Leuten, die nicht gern sterben und
die ihnen drohende Bestrafung hinausschieben möchten.
Wenn es der Stadt je bestimmt sein sollte, durch Verrat
zu fallen, so wäre zu dieser Schandthat niemand anders
fähig als eben diese unsere Verleumder, deren Freveln
412
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
nur noch ein einziger fehlt — die Verräterei. Ihr aber
solltet, da ihr nun einmal mit den Waffen in der Hand
euch eingefunden habt — das wäre das richtigste — der
Hauptstadt euren Beistand leihen und die Tyrannen
vertilgen helfen, die das Gesetz mit Füssen getreten
haben und bei ihren Urteilssprüchen lediglich das
Schwert entscheiden lassen. Haben sie doch vornehme
Männer, gegen die niemand als Kläger aufgetreten war,
mitten vom Markte weggeschleppt, im Kerker miss-
handelt und endlich, ohne ihrer flehenden Rufe zu achten,
dahingeschlachtet. Ihr könnt, wenn anders ihr nicht als
ausgesprochene Feinde die Stadt betreten wollt, die Be-
weise von dem, was ich soeben sagte, mit eignen
Augen sehen: Häuser, die jene Ruchlosen leer geplündert,
Weiber und Kinder der Gemordeten in schwarzen
Trauerkleidern, Jammer und Wehklage in ganz Jeru-
salem! Denn es giebt kaum einen Menschen hier, der
nicht von den räuberischen Anfällen dieser Gottlosen zu
erzählen wüsste, die ihren Wahnsinn so weit trieben, dass
sie ihr Banditenunwesen nicht nur vom Lande und den
auswärtigen Städten herein in dieses Herz und Haupt
der gesamten Nation, sondern auch aus der Stadt in den
Tempel trugen. Der ist ihnen nun Festung, Zufluchts-
ort und Rüstkammer für ihre Anschläge wider uns ge-
worden. Die Stätte, die in der ganzen Welt verehrt
wird und selbst bei Fremden, die an den Grenzen der
Erde wohnen und sie nur vom Hörensagen kennen , in
hohem Ansehen steht, wird nun von diesen Menschen,
den Kindern unseres eignen Landes, mit Füssen ge-
treten. Und trotz ihrer verzweifelten Lage finden sie
noch ihr Vergnügen daran, Völker gegen Völker, Städte
gegen Städte aufzuhetzen und die Nation zum Zer-
fleischen ihrer eignen Eingeweide zu treiben. Statt
dessen wäre es, wie schon gesagt, ehrenhaft und an-
ständig von euch gehandelt, wenn ihr im Bunde mit
uns die Frevler ausrotten und sie für den Betrug strafen
würdet, den sie dadurch begingen, dass sie euch als
Bundesgenossen zu rufen sich erfrechten, obwohl sie euch
Viertes Buch, 4. Kapitel.
413
als Rächer hätten fürchten müssen. Glaubt ihr jedoch,
die Aufforderung von seiten solcher Menschen nicht ver-
ächtlich ab weisen zu sollen , so steht es euch ja frei,
nach Niederlegung der Waffen in eui^r Eigenschaft als
Stammesgenossen 1 in die Stadt einzuziehen und eine
Stellung zu wählen, die zwischen der von Bundesgenossen
und Feinden die Mitte hält, nämlich die als Schieds-
richter. Bedenket jedoch, wie sehr sie im Vorteil sein
werden, wenn ihnen wegen so schwerer und offenkundiger
Verbrechen eine förmliche gerichtliche Verhandlung vor
euch zugestanden wins^, während sie unschuldigen
Männern noch nicht einmal das Wort zur Verteidigung
geben wollten. Doch möge ihnen um eurer Gegenwart
willen diese Vergünstigung gewährt sein! Wollt ihr
aber ebensowenig an unserm Zorn Anteil nehmen als
das Schiedsrichteramt versehen, so bleibt euch als drittes
noch übrig, beide Parteien zu verlassen und so weder
aus unserm Unglück Nutzen zu ziehen noch auf seiten
derer zu verbleiben, die auf das Verderben der Stadt
hinarbeiten. Habt ihr nämlich gar so dringenden Ver-
dacht, dass jemand von uns Unterhandlungen mit den
Römern anknüpfen wolle, so könnt ihr ja die Zugänge
bewachen und, falls etwas von dem, dessen man uns
beschuldigt, als wahr erfunden wird, dann kommen, Je-
rusalem besetzen und die des Verrates Überwiesenen zur
Strafe ziehen ; denn es ist doch wohl nicht denkbar, dass
die Feinde euch, die ihr der Stadt so nahe wohnt, zu-
vorkommen sollten. Wenn euch aber keiner dieser Vor-
schläge annehmbar und billig erscheint, so wundert euch
nicht, dass wir die Thore verriegelt halten, so lange ihr
unter den Waffen steht.“
4. In dieser Weise redete Jesus. Die Menge der
Idumäer aber achtete nicht auf seine Worte, sondern
zeigte sich erbittert darüber, dass ihr Einzug in die
Stadt nicht sogleich erfolgen konnte; auch wehrten sich
die Anführer entschieden gegen die Ablegung der Waffen,
1 Vergl. die Anmerkung zu I, 6, 2.
414
Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges.
da sie sich wie Kriegsgefangene vorkämen, wenn sie auf
fremden Befehl dieselben von sich werfen würden.
Einer der Führer, Simon, des Kathlas Sohn, stellte sich, •
nachdem er mit. Mühe die lärmende Aufregung der
Seinen beschwichtigt hatte, auf einen Platz, wo er von
den Hohepriestern gehört werden konnte, und rief aus,
er wundere sich nicht mehr, dass die Vorkämpfer der
Freiheit im Tempel belagert würden , da man sogar vor
dem Volk die gemeinsame Hauptstadt verschliesse und,
während man sich zum Empfange der Römer rüste, denen
man vielleicht die Thore bekränzen werde, mit den
Idumäern sich von Türmen herab bespreche und ihnen
zumut«, die Waffen fortzuwerfen, die sie für die Freiheit
ergriffen hätten. „Während man nun,“ fuhr er fort,
„den Stamme8genossen nicht einmal die Bewachung der
Hauptstadt anvertrauen will, macht man sie dennoch zu
Schiedsrichtern im Streit, und während man einige
wenige Männer anklagt, weil sie ohne eigentlichen Ur-
teilsspruch die Todesstrafe verhängt haben, bringt man
Schande über das ganze Volk, indem man vor Lands-
leuten die Stadt verschliesst, die doch jedem Fremden
zu gottesdienstlichen Zwecken offen steht Natürlich,
w r ir sind ja gekommen, um gegen Landsleute mit Mord
und Totschlag zu wüten, und nicht vielmehr herbeigeeilt,
um euch im Unglück die Freiheit zu sichern! Das
nämliche werden auch wohl die Belagerten euch zuleide
gethan, und so glaubwürdigen Verdacht, vermute ich,
werdet ihr auch gegen sie gehegt haben. Während ihr
nun da drinnen diejenigen, die es gut mit dem Staate
meinen, in Gewahrsam haltet, den Scharen der be-
freundetsten Volksstämme die Thore verriegelt und ihnen
so entehrende Zumutungen macht, behauptet ihr, man
tyrannisiere euch, und hängt den Namen Despoten den-
jenigen an, die von euch vergewaltigt werden. Wer
mag solch heuchlerische Reden anhören, wenn die
Thaten das gerade Gegenteil davon beweisen? Da fehlt
ja nur noch, dass ihr sagt, die Idumäer schlössen euch
von der Hauptstadt aus, während ihr ihnen die Heilig-
Go gle
Viertes Buch, 4. Kapitel.
415
tümer der Väter verwehrt. Das allein könnte man mit
Recht den im Tempel Belagerten vorwerfen, dass sie, da
sie einmal den Mut fanden, die Verräter zu bestrafen,
welche ihr, deren Mitverschworene, ausgezeichnete und
unbescholtene Männer nennt, nicht gleich mit euch den
Anfang gemacht und damit dem Verrat das Haupt ab-
geschlagen haben. Aber wenn auch sie weichherziger
waren, als sie hätten sein sollen : wir Idumäer werden
das Haus Gottes beschützen , uns im Kampfe für das
gemeinsame Vaterland an die Spitze stellen und gleich-
zeitig die von aussen anrückenden Feinde wie die Ver-
räter da drinnen ab wehren. Hier vor den Mauern
werden wir unter den Waffen bleiben, bis entweder die
Römer eurer Anträge überdrüssig werden, oder ihr zur
Sache der Freiheit euch bekehrt.“
5. Diesen Worten schrie der ganze Haufe der Idu-
mäer Beifall zu. Jesus aber zog 6ich traurig zurück ;
denn er sah , dass die Idumäer nichts gutes im Sinne
hatten, und dass die Stadt nun von zwei Seiten bedrängt
war. Auch den Idumäern war übrigens nicht ganz wohl
zu Mut. Anfangs nämlich hatten sie sich gewaltig über
die Schmach entrüstet, die man ihnen durch Aus-
schliessung von der Stadt angethan, und die Partei der
Zeloten für sehr mächtig gehalten ; als sie aber merkten,
dass diese sich nicht im mindesten zu ihrer Unter-
stützung regten, fingen sie an unschlüssig zu werden,
und viele von ihnen bereuten schon, dass sie überhaupt
gekommen waren. Die Scham jedoch , unverrichteter
Sache abziehen zu müssen, erwies sich stärker als die
Reue, und so blieben sie denn an Ort und Stelle vor
der Mauer, so unbehaglich ihre Lage auch sein mochte.
In der Nacht nämlich brach ein schreckliches Unwetter
los : heftiger Sturm , gewaltige Regengüsse , unablässiges
Blitzen mit furchtbaren Donnerschlägen und unheim-
liches Gebrüll der erschütterten Erde. Augenscheinlich
war die Weltordnung zum Verderben der Menschen in
Verwirrung geraten , und man musste darin die Vor-
zeichen eines schweren Unglücks erkennen.
Go gle
41 6 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
6. Die Idumäer sowohl wie die in der Stadt be-
kamen von diesen Naturereignissen den gleichen Ein-
druck: die ersteren den, dass Gott über ihren Feldzug
zürne und ihr bewaffnetes Vorgehen gegen die Haüpt-
stadt nicht ungestraft lassen wolle, Ananus und seine
Leute dagegen, dass ihnen der Sieg schon ohne Schlacht
in die Hand gegeben sei, weil Gott für sie streite. Beide
indes waren schlechte Propheten: sie weissagten den
Feinden, was ihnen selbst widerfahren sollte. Die Idu-
mäer nämlich schlossen sich dicht aneinander, um sich
gegenseitig zu erwärmen , und bewirkten durch Zu-
sammenfügen der Schilde über ihren Köpfen , dass sie
von den Regengüssen weniger zu leiden hatten; die Ze-
loten aber, durch die ihren Bundesgenossen drohende
Gefahr noch mehr als durch die eigene geängstigt, traten
zusammen und überlegten , ob sie ihnen nicht irgendwie
Hilfe leisten könnten. Die Heissblütigeren meinten,
man solle mit Waffengewalt sich der Wachen bemäch-
tigen , alsdann mitten in die Stadt eindringen und den
Idumäern ohne weiteres die Thore öffnen; denn die
Wachen würden wohl über den unvermuteten Angriff in
Bestürzung geraten und davonlaufen, zumal die meisten
schlecht bewaffnet und ohne Kriegserfahrung seien, und
was die übrigen Bewohner der Stadt angehe, so würden
sie, vom Unwetter in die Häuser getrieben, schwer zu-
sammenzubringen sein. Aber wenn auch das Unter-
nehmen mit Gefahr verknüpft sei, müssten sie sich doch eher
allen erdenklichen Unbilden aussetzen, als dass sie so viele
Menschen um ihretwillen elend umkommen liessen. Die
Besonneneren dagegen rieten von Gewalt ab, da sie nicht
nur die Abteilung, die sie beobachtete, verstärkt, sondern
auch die Stadtmauer wegen der Idumäer sorgfältig be-
wacht sahen; auch glaubten sie, Ananus sei überall zu-
gegen und mache stündlich die Runde bei den Posten.
Das war auch wirklich in den früheren Nächten der
Fall gewesen, gerade in jener Nacht aber unterlassen
worden, nicht infolge der Sorglosigkeit des Ananus,
sondern weil schon jetzt das Verhängnis in Wirksamkeit
Go gle
Viertes Buch, 4. Kapitel.
417
trat, das seinen und der zahlreichen Wachmannschaft
Untergang beschlossen hatte. Denn das Verhängnis
war es offenbar, das, als die Nacht vorrückte und der
Sturm immer heftiger tobte, die Wächter auf der Halle
in Schlaf versenkte, den Zeloten hingegen den Gedanken
eingab, mit den im Heiligtum befindlichen Sägen die
Querbalken der Thore zu durchsägen. Dass das Ge-
räusch nicht gehört wurde, dazu half das Heulen des
Sturmes und das anhaltende Rollen des Donners.
7. Unbemerkt schlichen sich also die Zeloten aus
dem Tempel und öffneten, als sie bei der Mauer an-
gelangt waren, mit Hilfe der erwähnten Sägen das den
Idumäern zunächst gelegene Thor. Diese gerieten an-
fänglich in Schrecken, da sie sich von den Leuten des
Ananus angegriffen glaubten, und schnell hatte jeder zu
seiner Verteidigung die Hand am Schwerte; bald jedoch
erkannten sie die Erschienenen und gingen mit ihnen
hinein. Hätten sie sich nun sogleich auf die Stadt ge-
worfen, so würden sie wohl, ohne auf Widerstand zu
stossen, das ganze Volk bis auf den letzten Mann
niedergemacht haben — so gross war ihre Erbitterung.
Indes hatten sie zunächst nichts eiligeres zu thun, als
die Zeloten von der Belagerung zu befreien, zumal auch
die, welche sie eingelassen hatten, inständig baten, sie
möchten doch diejenigen, um deretwillen sie gekommen,
nicht in ihrer bedrängten Lage belassen und keine
grössere Gefahr über sie herauf beschwören. Denn wenn
nur erst die Wachmannschaften überwältigt seien, werde
es ihnen nicht schwer fallen, auf die Stadt loszugehen;
hätten sie aber die letztere einmal in Alarm versetzt, so
könnten sie nicht mehr daran denken, die Besatzung zu
bemeistern, da die Bürger, sobald sie den Stand der
Dinge merkten, sich in Schlachtordnung aufstellen und
die Zugänge zur Höhe 1 verrammeln würden.
1 D. i. zum Tempel.
JosephuR, Jüdischer Krieg.
27
418
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Fünftes Kapitel.
Die vereinigten Idumäer und Zeloten richten ein schreckliches
Blutbad an. Abzug der ersteren.
1. Das leuchtete den Idumäern ein, und bo eilten sie
denn durch die Stadt dem Tempel zu, wo die Zeloten
ihrer Ankunft mit gespannter Erwartung entgegensahen.
Kaum waren sie oben angelangt, als die Belagerten er-
mutigt aus dem inneren Tempel herausgingen, sich unter
die Idumäer mischten und die Wachen angriffen. Einige
der letzteren, die ganz vorn lagen, machten sie im
Schlafe nieder; auf das Geschrei der Erwachten aber
sprang die ganze Abteilung auf und griff bestürzt zu
den Waffen, um sich zu wehren. So lange sie sich nun
von den Zeloten allein angegriffen wähnten , fassten sie
Mut in dem Gedanken, durch ihre Überzahl die Gegner
bewältigen zu können; wie sie aber noch andere von
aussen hereinströmen sahen, ward es ihnen klar, dass
die Idumäer in die Stadt eingefallen seien. Alsbald warf
jetzt der grössere Teil mit dem Mut auch die Waffen
weg und verlegte sich aufs Jammern, und nur wenige
von den jüngeren Leuten scharten sich dicht zusammen,
warfen sich den Idumäern mit grosser Tapferkeit ent-
gegen und schützten längere Zeit die unthätige Menge.
Die letztere machte durch ihr Geschrei die übrigen
Stadtbewohner auf das Unglück aufmerksam; aber auch
von diesen wagte, als der Einfall der Idumäer bekannt
wurde, niemand den anderen zu Hilfe zu eilen, sondern
es ward nur deren Wehgeschrei in verstärktem Masse
erwidert und namentlich von den Weibern ein lautes
Geheul angestimmt, während die Wächter droben Mann
für Mann in Lebensgefahr schwebten. Die Zeloten hin-
gegen vereinigten ihren jubelnden Schlachtruf mit dem
der Idumäer, und das Toben der Elemente machte dieses
allgemeine Geschrei nur noch grausiger. Die Idumäer
ihrerseits verschonten niemand , sondern grausam von
Natur, wie sie waren, und erbittert darüber, dass das
Viertes Buch, 5. Kapitel.
419
Unwetter sie so hart mitgenommen, Hessen sie ohne Er-
barmen das Schwert gegen diejenigen wüten, die sie aus-
geschlossen hatten, und zwar nicht minder gegen die,
welche um Gnade baten, als gegen solche, die sich zur
Wehr setzten. Vielen auch rannten sie die Waffe in
den Leib, obwohl dieselben sie an ihre Stammverwandt-
schaft erinnerten und sie anflehten, doch das gemeinsame
Heiligtum scheuen zu wollen. Kein Ausweg zur Flucht
zeigte sich den Unglücklichen, keine Hoffnung auf
Rettung: in dichte Haufen zusammengedrängt, erlagen
sie dem Schwert ihrer Gegner , und als diese in ihrer
Mordlust ihnen immer mehr zusetzten und sie zuletzt an
Stellen jagten, wo sie überhaupt nicht mehr weiter
konnten, stürzten sie sich aus Verzweiflung in die Stadt
hinab und starben auf diese Weise freiwillig eines, wie
mir scheint, noch jammervolleren Todes als der war, dem
sie entflohen. Den ganzen äusseren Tempelraum durch-
flossen Ströme von Blut, und als der Tag anbrach, zählte
man achttausendfünfhundert Tote.
2. Noch aber war die Wut der Idumäer nicht ge-
sättigt, sondern sie wandten sich jetzt gegen die Stadt,
raubten sämtliche Häuser aus und stiessen nieder, was
ihnen in die Quere kam. Doch bald dünkte es ihnen
Zeitverlust, sich mit dem gemeinen Volk weiter herum-
zuschlagen; vielmehr suchten sie die Hohepriester auf-
zuspüren, und da sie in grossen Massen auf dieselben
Jagd machten, waren sie binnen kurzem ihrer habhaft
und brachten sie sogleich ums Leben. Einige stellten
sich nun auf die Leichen und höhnten bald über die
wohlwollende Gesinnung des Ananus gegen das Volk,
bald über die Rede, die Jesus von der Mauer herab ge-
halten hatte. Ja, sie trieben ihren Frevelmut so weit,
dass sie die entseelten Körper unbeerdigt beiseite warfen,
während doch die Juden für das Begräbnis ihrer Toten
so ängstlich besorgt sind, dass sie selbst die Leichen der
zum Kreuzestod Verurteilten vor Sonnenuntergang ab-
nehmen und bestatten. 1 Ich irre wohl nicht, wenn ich
1 Vergl. 5. Mos. 21, 22 f.
JNIV'EESITTOf C AUFOWa
Go gle
420
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sage: mit dem Tode des Ananus bereits nahm der Unter-
gang der Stadt seinen Anfang, und von dem Tage an,
da die Juden ihren Hohepriester, den Mann, der ihnen
den Weg zur Rettung gewiesen, mitten in der Stadt hin-
schlachten sahen, war schon ihre Mauer zerstört, ihre
Sache verloren. Denn Ananus war nicht nur ein ehr-
würdiger und höchst rechtschaffener Mann, sondern liebte
es auch trotz der hohen Stellung, die ihm seine Geburt,
sein Amt und seine Würde verliehen, selbst mit den
niedrigsten Leuten auf gleichem Fusse zu verkehren ;
zudem war er in hohem Grade freiheitliebend und ein
Verehrer der Volksherrschaft. Stets setzte er seinen
eigenen Vorteil dem gemeinen Wohle nach; den Frieden
aber schätzte er über alles, da er die Unüberwindlich-
keit der Römer kannte und voraussah, dass die Juden,
wenn sie sich nicht vernünftigerweise mit ihnen aus-
söhnten, im Kriege unbedingt ihren Untergang finden
müssten. Wäre nun Ananus am Leben geblieben, so
würde eine solche Aussöhnung sicherlich zustande ge-
kommen sein; denn als mächtiger Redner wusste er auf
das Volk einzuwirken, und wenn er auch noch über
diejenigen Meister geworden wäre, die ihm im Wege
standen oder zum Kriege drängten, so hätten die Juden
unter einem solchen Führer den Römern wohl noch viel
zu schaffen gemacht. Aufs engste mit ihm verbunden
war Jesus, der zwar ihm nicht gleichkam, jedoch die
anderen an Bedeutung überragte. Gott aber hatte, wie
mir scheint, den Untergang der entweihten Stadt be-
schlossen, und da er das Heiligtum durch Feuer reinigen
wollte, nahm er diejenigen von der Erde hinweg, die
sich desselben noch ann ahmen und es liebten. So sah
man denn die Männer, die kurz zuvor noch, mit dem
heiligen Gewand bekleidet, an der Spitze des in alle
Himmelsgegenden verbreiteten Gottesdienstes gestanden
hatten und von den aus der ganzen Welt nach Jeru-
salem strömenden Pilgern ehrfurchtsvoll begrüsst worden
waren, jetzt nackt den Hunden und wilden Tieren zum
Frasse hingeworfen. Die Tugend selbst, glaube ich, be-
Go gle
Viertes Buch, 5. Kapitel.
421
seufzte das Schicksal dieser Edlen und weklagte darüber,
dass sie im Kampfe mit der Bosheit so schmählich unter-
liegen mussten. Ein solch trauriges Ende nahmen die
Hohepriester Ananus und Jesus.
3. Kaum waren sie tot, als die Zeloten in Gemein-
schaft mit den Scharen der Idumäer über das Volk wie
über eine Herde unreiner Tiere herfielen und ihrer Mord-
lust freien Lauf Hessen. Der gemeine Mann wurde, wo
man seiner nur habhaft werden konnte, niedergehauen ;
die Vornehmen dagegen und die jüngeren Leute nahm
man gefangen, fesselte sie und kerkerte sie ein in der
Hoffnung, es möchten manche von ihnen, wenn die Hin-
richtung aufgeschoben würde, übertreten. Keiner aber
hörte auf die Anerbietungen der Gegner, und alle wollten
lieber sterben als zum Schaden des Vaterlandes die
Partei der Frevler ergreifen. Schrecklich waren die
Martern, die sie für ihre Weigerung auszustehen hatten:
man geisselte und folterte sie, und erst wenn ihr Körper
die Qualen nicht mehr ertragen konnte, ward ihnen
zögernd der Gnadenstoss zuteil. Wer tagüber in Ge-
fangenschaft geriet, wurde nachts hingerichtet; die
Leichen trug man hinaus und warf sie aufs freie Feld,
um Platz für neue Gefangene zu gewinnen. Des Volkes
aber bemächtigte sich ein solches Entsetzen, dass nie-
mand einen ermordeten Verwandten offen zu beweinen
oder zu bestatten wagte, sondern nur insgeheim, hinter
verschlossenen Thüren rannen die Thränen , und wenn
jemand einen Seufzer ausstossen wollte, sah er sich zuvor
ängstlich um, ob ihn auch kein Feind höre: denn gar
bald hätte der Trauernde das Schicksal des Betrauerten
geteilt. Kam die Nacht heran, so nahm man ein wenig
Erde und warf sie auf die Leichen ; wer es am hellen
Tage that, musste für tollkühn gelten. Zwölftausend
der edelsten jungen Leute fanden auf diese Weise
den Tod.
4. Übersättigt vom unablässigen Morden, spielten die
Zeloten nun auch noch mit Gerichtssitzung und Urteils-
spruch Komödie, und zwar ersahen sie sich als Opfer
Go gle
j i\i t via s iif?OF c ( ii
422
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
einen der vornehmsten Männer, Zacharias, den Sohn des
Baruch. Infolge seines Hasses gegen alles Schlechte und
seiner besonders grossen Liebe zur Freiheit war er ihnen
ein Dorn im Auge; dabei war er reich, und so eröffnete
sich ihnen, wenn sie den Mann, der durch seinen Ein-
fluss ihren Sturz herbeizuführen vermochte, aus dem
Wege räumten, zugleich die angenehme Aussicht, sich
seines Vermögens bemächtigen zu können. Sie beriefen
also durch förmlichen Beschluss siebzig in Amt und
Würden stehende Bürger als machtloses Scheingericht
und klagten den Zacharias an, dass er die Stadt an die
Römer habe verraten wollen und in dieser Absicht mit
Vespasianus in Verbindung getreten sei. Die Anklage
war übrigens weder durch Zeugenaussagen noch durch
sonstige Beweise gestützt, sondern sie erklärten bloss, sie
seien völlig davon überzeugt, und meinten nun, das ge-
nüge, um die Wahrheit der Beschuldigungen darzuthun.
Als Zacharias sah, dass man ihn hinterlistigerweise nicht
sowohl vor Gericht gestellt als vielmehr in einen Kerker
gelockt habe und er rettungslos verloren sei, wollte er
sein Leben nicht hergeben, ohne wenigstens frei von der
Leber weg gesprochen zu haben. Er erhob sich also,
spöttelte über die Zuversicht, mit der man die Anklage
ins Werk gesetzt, und widerlegte kurz die gegen ihn
vorgebrachten Beschuldigungen. Sodann aber richtete
er das Wort an seine Ankläger, hielt ihnen ihr ganzes
Sündenregister vor und erging sich in bitteren Weh-
klagen über die im Staatswesen herrschende Zerfahren-
heit. Die Zeloten fielen ihm lärmend in die Rede,
griffen aber nicht zum Schwert, sondern hielten noch
an sich, einmal um die lächerliche Gerichtskomödie zu
Ende zu spielen, und dann auch um die Richter auf die
Probe zu stellen, ob sie trotz der ihnen selbst drohenden
Gefahr das Recht nicht ausser acht lassen würden. Und
in der That, die Siebzig erklärten den Angeklagten für
nichtschuldig, bereit, lieber mit ihm zu sterben, als die
Verantwortung für seinen Tod auf sich zu nehmen.
Die Zeloten aber erhoben über die Freisprechung ein
Go gle
JIM I VERS 11t -pf O'.IJFÖRNL
Viertes Buch, 5. Kapitel.
423
gewaltiges Geschrei und machten aus ihrem Zorn gegen
die Richter kein Hehl, weil diese nicht hatten verstehen
wollen, dass es mit der ihnen eingeräumten Befugnis
nicht so ernst gemeint war. Schliesslich fielen zwei der
Frechsten über Zacharias her, stiessen ihn mitten im
Tempel nieder und verhöhnten ihn noch, als er zu Boden
sank, mit den Worten : „Da hast du auch unsere Stimme,
auf dass die Freisprechung um so mehr gelte!“ Als-
dann warfen sie ihn sogleich aus dem Tempel in die
unter demselben befindliche Schlucht. Die Richter aber
trieben sie mit flachen Schwerthieben aus der Tempel-
umfriedigung hinaus und nahmen nur deshalb von ihrer
Ermordung Abstand, damit sie sich in der Stadt zer-
streuen und überall die Nachricht von der Knechtung
des Volkes verbreiten könnten.
5. Nun aber begannen die Idumäer zu bereuen, dass
sie sich hatten herbeirufen lassen ; denn solche Vorgänge
widerten sie an. Überdies kam auch noch insgeheim
einer der Zeloten zu ihnen, versammelte sie und stellte
ihnen vor, was sie schon alles für Frevelthaten im Ver-
ein mit denen, die sie gerufen, verübt hätten; alsdann
legte er ihnen eingehend den Zustand der Hauptstadt
dar. Sie hätten, führte er aus, zu den Waffen gegriffen
in der Meinung, die Hohepriester wollten die Hauptstadt
an die Römer verraten, hätten jedoch keinen Beweis da- \
für gefunden und müssten nun die Beschützer derjenigen
spielen, welche das Märchen vom Verrat aufgetischt
hätten und jetzt wie Feinde und Tyrannen sich benähmen.
Gleich von Anfang an hätten sie dies verhindern müssen ;
da sie aber einmal die Mitschuld an der Ermordung
ihrer Stammesgenossen auf sich geladen hätten, sollten
sie sich wenigstens entschlossen, ihren Freveln ein Ende
zu machen, und nicht dableiben, um die Macht derer zu
verstärken, die ihr eigenes Vaterland ins Verderben
stürzten. Wenn auch einige von ihnen noch immer
darüber ergrimmt seien, dass man ihnen die Thore ver-
schlossen und den Einzug verwehrt habe, so müssten sie
doch zugeben, dass die Schuldigen ihre Strafe erlitten
424 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hätten; denn Ananus habe sein Leben gelassen, und in
einer einzigen Nacht sei fast das ganze Volk aufgerieben
worden. Vielen ihrer eigenen Leute sei dies, wie er wohl
merke, durchaus nicht nach dem Sinn; anderseits könne
er sich nicht verhehlen, dass die Grausamkeit derer, die
sie gerufen, alles Mass überschreite, da sie sich nicht
einmal vor denen mehr scheuten, denen sie ihre Rettung
zu danken hätten. Wagten sie doch vor den Augen
ihrer Bundesgenossen die grössten Schandthaten zu be-
gehen, und natürlich bleibe die Verantwortung dafür so
lange auf den Idumäern sitzen, als niemand sie hindere
und sich von ihrem Treiben lossage. Weil nun die
Verräterei sich als Verleumdung herausgestellt habe, ein
baldiges Eintreffen der Römer aber nicht zu erwarten
und die Stadt von einer schwer bezwingbaren Macht
geschützt sei, so möchten sie nach Hause zurückkehren
und alles das, was sie in Gemeinschaft mit jenen Un-
holden und auf deren Vorspiegelungen hin Übles gethan,
dadurch wieder gut zu machen suchen, dass sie für die
Folge nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben wollten.
Sechstes Kapitel.
Die Schreckensherrschaft der Zeloten. Vespasianus dämpft
die Angriffslust seiner Soldaten.
1. Diesen Vorstellungen gaben die Idumäer nach
und befreiten zunächst die eingekerkerten Bürger, etwa
zweitausend an der Zahl, welche sogleich der Stadt den
Rücken kehrten und sich zu Simon begaben, von dem
weiter unten die Rede sein wird; hierauf verliessen sie
Jerusalem und zogen heim. Ihr Abzug kam beiden
Parteien unerwartet. Das Volk, das von ihrer Sinnes-
änderung keine Kenntnis hatte, fasste für kurze Zeit
wieder Mut, da es seine Feinde völlig los zu sein glaubte ;
anderseits schwoll aber auch den Zeloten der Kamm,
weil sie sich nicht sowohl von Bundesgenossen verlassen, als
Viertes Buch, 6. Kapitel.
425
vielmehr von Leuten befreit fühlten, denen ihre Schand-
thaten missfielen und die sie davon abzubringen suchten.
Jetzt kannte ihre Bosheit kein Zögern und keine Be-
denklichkeit mehr, sondern mit Blitzesschnelle fassten
sie ihre Pläne und setzten sie fast noch rascher ins
Werk. Am meisten richtete sich ihr Blutdurst gegen
tapfere und edle Männer: die letzteren suchten sie aus
Neid zu verderben, die ersteren aus Furcht; denn erst
dann hielten sie sich für sicher, wenn alle einflussreichen
Bürger aus dem Wege geräumt waren. Ausser vielen
anderen ward so auch ein gewisser Gorion umgebracht,
ein Mann von hohem Ansehen und edler Abkunft, der
der Volksherrschaft besonders zugethan und von einem
Unabhängigkeitssinn wie nur irgend ein Jude durch-
drungen war. Von seinen vorzüglichen Eigenschaften
war es namentlich seine Freimütigkeit im Reden, die
ihn zu Fall brachte. Ja, nicht einmal der Peraite Niger,
der sich in den Kämpfen mit den Römern so sehr her-
vorgethan hatte , 1 entging den Mörderhänden der Zeloten :
laut rufend und seine Narben zeigend ward er mitten
durch die Stadt geschleppt. Als man ihn zum Thor
hinausgeführt hatte und er seinen Tod vor Augen sah,
bat er, man möge ihm doch wenigstens ein Begräbnis
zuteil werden lassen; seine Henker aber erklärten ihm
drohend, bevor sie die Hinrichtung vollzogen, sie würden
ihm die Erde, nach der er so sehr verlange, nicht ver-
gönnen. Sterbend rief Niger die Rache der Römer, Pest,
Hunger und Krieg auf sie herab und wünschte ihnen
obendrein noch, dass sie einer durch des anderen Schwert
verbluten möchten. Das alles hat Gott an den Frevlern
erfüllt und seine Gerechtigkeit besonders dadurch offen-
bart, dass sie schon bald nachher untereinander in Zwist
gerieten und ihren Wahnsinn gegenseitig zu kosten be-
kamen. Nigers Tod benahm ihnen übrigens jede Sorge
bezüglich ihres eigenen Sturzes, und bereits gab es nie-
mand mehr im Volke, für dessen Tötung man nicht
1 S. II, 19, 2 ; III, 2, 1 ff.
Go gle
w'NIVLRSITY OT CALirORNI,
426
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
irgend einen Vorwand ersonnen hätte. Denjenigen aus
der Bürgerschaft, die sich mannhaft gegen die Zeloten
zur Wehr gesetzt hatten, war ja schon lange der Garaus
gemacht; wollte man nun auch die Ruhigen und Fried-
liebenden hinwegräumen, so musste man Beschuldigungen
Vorbringen, wie sie sich gerade als zweckdienlich erwiesen.
So ward denn der eine, der sich überhaupt nicht an sie
anschloss, als hochmütig, der andere, der sich ihnen mit
einem gewissen Selbstbewusstsein näherte, als Verächter,
wer ihnen aber völlig zu Willen war, als Verräter ver-
dächtigt. Für die grössten wie für die unbedeutendsten
Vergehen gab es nur eine Strafe: den Tod, und nur
wer den niedrigsten Volksschichten angehörte, 6ei es
weil er unedel geboren, sei es weil er arm war, konnte
auf Schonung rechnen.
2. Sämtliche Heerführer der Römer hielten die Zwie-
tracht der Feinde für ein unverhofftes Glück und wollten
daher unverzüglich gegen die Stadt aufbrechen. In
diesem Sinne drangen sie auch in Vespasianus, für den,
wie sie glaubten, jetzt alles gewonnen war. Die gött-
liche Vorsehung, njeinten sie, werde mit ihnen streiten,
indem sie die Feinde gegeneinander das Schwert ziehen
lasse; jedoch heisse es rasch handeln, denn die Juden
würden entweder aus Überdruss am Bürgerkrieg oder
aus Reue wohl bald wieder einig werden. Vespasianus
aber entgegnete ihnen, sie zeigten kein sonderliches Ver-
ständnis für das jetzt einzuhaltende Verfahren, wenn sie
trotz der damit verbundenen Gefahr wie im Theater
ihre Ausrüstung und Geschicklichkeit zur Schau stellen
wollten , anstatt nur darauf ihr Augenmerk zu richten,
was vorteilhaft und gefahrlos zugleich sei. Denn wenn
sie jetzt sogleich auf die Stadt losgingen, würden sie
gerade dadurch bewirken, dass die Feinde sich mitein-
ander aussöhnten und ihre noch ungebrochene Kraft
gegen die Römer kehrten. Warteten sie aber noch zu,
so würden sie es nach und nach mit einer immer kleineren
Anzahl von Feinden zu thun haben, da der innere
Hader dieselben aufreibe. Ein weit besserer Anführer
Viertes Bach, 6. Kapitel.
427
als er, Vespasianus, sei Gott, der dem Römerheer ohne
Anstrengung von seiner Seite die Juden in die Hände
geben und einen gefahrlosen Sieg verschaffen wolle.
Während nun die Feinde durch ihre eigne Hand um-
kämen und am ärgsten Übel, dem Bürgerkrieg, litten,
zögen sie selbst, die Römer, es doch vor, diesen Wirren
ruhig zuzuschauen, anstatt mit Menschen, die den Tod
suchten und im Wahnsinn gegeneinander wüteten, sich
in einen Kampf einzulassen. Sei aber jemand der An-
sicht, ein Sieg ohne Kampf habe gar zu wenig Be-
deutung, so solle er sich belehren lassen, dass es nütz-
licher sei, seinen Zweck in Ruhe zu erreichen, als das
gefährliche Waffenglück zu versuchen. Denn mindestens
ebenso viel Ruhm wie glänzende Waffen thaten bringe es,
wenn man durch Selbstbeherrschung und Überlegung
den Erfolg derselben erziele. In dem nämlichen Masse,
wie die Feinde sich schwächten, werde däs Römerheer
von seinen beständigen Strapazen sich erholen und an
Kraft zunehmen. Ohnedem sei es ja jetzt nicht an der
Zeit, sich auf einen glänzenden Sieg gefasst zu machen.
Denn die Juden seien augenblicklich weder mit An-
fertigung von Kriegsmaterial noch mit Errichtung von
Festungswerken und Werbung von Hilfstruppen be-
schäftigt, und es sei somit ausgeschlossen, dass der Auf-
schub zum Nachteil derer ausschlage, die ihn veran-
lassten; vielmehr hätten die Gegner unter der Geissei
des Bürgerkrieges und innerer Zwietracht täglich viel
Schlimmeres auszustehen, als die Römer ihnen durch
siegreiche Angriffe zufügen könnten. Schon die Rück-
sicht auf ihre Sicherheit verlange daher, dass man
die, welche sich selbst aufzureiben im Begriffe
ständen , ruhig dabei belasse ; dann aber dürfe man
auch den Ruhm des Sieges nicht dadurch schmälern,
dass man ein innerlich zerrüttetes Volk an greife.
Denn mit gutem Grund könne in diesem Falle den
Römern der Vorwurf gemacht werden, sie verdankten
ihren Sieg nicht sich selbst, sondern der Uneinigkeit
der Feinde.
Go gle
J N 1 [V&R S IIMf C /VUfÖRMI/i
428
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
3. Alle Offiziere gaben ihre Zustimmung zu diesen
Worten kund, und gar bald zeigte es sich auch, wie
richtig des Vespasianus Feldherrn blick gesehen hatte.
Tag für Tag nämlich kamen nun bei den Römern eine
Menge Überläufer an , die den Zeloten entwischt waren.
Freilich war die Flucht ihnen nicht leicht geworden, da
die letzteren alle Ausgänge mit Wachen besetzt hatten,
welche jeden, der sich in irgend einer Weise als Über-
läufer verdächtig machte, ums Leben brachten. Doch
wer Geld gab, wurde durchgelassen, und nur wer dies
nicht that, war ein Verräter. So kam es, dass lediglich
die Armen niedergemetzelt wurden, während die Reichen
sich die Flucht erkauften. Alsbald lagen nun überall
auf den Landstrassen Haufen von Leichen aufgetürmt,
sodass viele, die ihr Heil in der Flucht hatten suchen
wollen, lieber wieder den Untergang in der Stadt
wählten, weil* die Hoffnung auf ein Begräbnis den Tod
in der Vaterstadt weniger schrecklich erscheinen liess.
Die Zeloten aber trieben die Unmenschlichkeit so weit,
dass sie weder den in der Stadt noch den auf den Land-
strassen Gefallenen ein Begräbnis vergönnten; vielmehr
Hessen sie, als hätten sie sich verschworen, zugleich mit
den Gesetzen des Vaterlandes auch die der Natur zu-
nichte zu machen und zu ihren Freveln gegen die
Menschen hin auch noch die Gottheit zu entweihen, die
Leichen an der Sonne verfaulen. Wer einen seiner An-
gehörigen bestattete , ward wie ein Überläufer mit dem
Tode bestraft, und es musste gleich selbst das Begräbnis
entbehren, wer es einem anderen zuteil werden lassen
wollte. Kurz, keines der besseren Gefühle war in jenen
Unglückstagen so gänzlich vernichtet, wie das Mitleid.
Was Erbarmen hätte wecken sollen, diente jetzt nur
dazu, die Ruchlosen zu erbittern; von den Lebenden
ging ihr Grimm auf die Gemordeten , von den Toten
wieder auf die Lebenden über; wer bei der unsäglich
angstvollen Lage noch übrig blieb, pries die Umge-
kommenen selig, weil sie Ruhe gefunden, und wer im
Gefängnis den Folterqualen ausgesetzt war, schätzte im
Viertes Buch, 7- Kapitel.
429
Vergleich mit seinem Elend sogar diejenigen glücklich,
die unbegraben umherlagen. Alle menschlichen Rechte
wurden von den Schandbuben mit Füssen getreten, die
göttlichen verhöhnt, die Sprüche der Propheten als be-
trügerisches Geschwätz verlacht. Denn gar vieles hatten
die letzteren von Tugend und Laster vorhergesagt, und
indem die Zeloten sich darüber hinwegsetzten, führten
sie auch die den Untergang ihres Vaterlandes betreffenden
Prophezeiungen jener Seher der Erfüllung entgegen. Es
gab ja alte Aussprüche gottbegeisterter Männer, dass die
Stadt dann dem Feinde verfallen und das Allerheiligste
nach Kriegsbrauch in Flammen aufgehen werde, wenn
einmal Aufruhr ausbreche und Bürgerhände den gott-
geweihten Raum befleckten. 1 Obwohl die Zeloten diesen
Weissagungen gegenüber nicht gerade ungläubig sich
verhielten, trugen sie doch selbst zu deren Erfüllung das
ihrige bei.
Siebentes Kapitel.
Tyrannei des Joannes. Greuelthaten in der Umgebung
von Masada. Vespasianus erobert Gadara.
1. Wir müssen jetzt auf Joannes zurückkommen, 2 der,
wie schon erwähnt, ein merkliches Gelüst, den Tyrannen
zu spielen, bekundete. Er hielt es unter seiner Würde,
nur derselben Ehre wie seine Genossen teilhaftig zu
werden, zog daher bei verschiedenen Gelegenheiten einige
der Schlechtesten an sich und machte sich so allmählich
von seiner Partei unabhängig. Da er nun den Be-
schlüssen der anderen stets den Gehorsam versagte,
seine eigenen aber in herrischem Ton als Befehle hin-
stellte, konnte es keinem Zweifel mehr unterliegen, dass
1 S. Micha 3, 9—12; Ezech. 24, 9—13. Vielleicht auch hat Jo-
seph us hier ungeschriebene, im Munde des Volkes fortlebende Weis-
sagungen im Sinn.
2 S. 3, 1 f.
Go gle
UNIVERSITY OF CALffÖRNIA
430
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
er nach Alleinherrschaft strebte. Einige fügten sich ihm
aus Furcht, andere aus Ergebenheit — er verstand es
nämlich meisterlich, sich durch List und Trug einen
Anhang zu verschaflen — , manche auch, weil sie es im
Interesse ihrer eigenen Sicherheit für zweckmässig hielten,
dass die Verantwortlichkeit für die bisherigen Frevel-
thaten statt von vielen von einem einzigen Manne ge-
tragen würde. Überdies führte die Entschlossenheit, die
er sowohl im Handeln wie im Überlegen zeigte, ihm
noch eine Menge weiterer Spiessgesellen zu. Immerhin
aber blieb auch eine erkleckliche Anzahl Gegner übrig,
die sich zum kleineren Teil von Missgunst leiten Hessen,
da sie es für drückend hielten, sich einem Manne unter-
zuordnen, dem sie bisher gleichgestanden hatten; bei
den meisten jedoch war es Scheu vor der Herrschaft
eines Einzigen, was sie ihm abgeneigt machte. Sie
sahen nämlich voraus, dass sie ihn, wenn er einmal die
Gewalt in Händen hätte, nicht leicht mehr stürzen
könnten, und dass ihm dann ihre frühere Widersetzlich-
keit nur als Vorwand für ein strenges Einschreiten gegen
sie dienen würde; deshalb waren sie fest entschlossen,
lieber im Kampf gegen ihn alles zu erdulden, als sich
freiwillig knechten zu lassen und nach Sklavenart unter-
zugehen. Aus diesen Gründen kam es zu einer Trennung
von Joannes, der seinerseits wie ein König über seine
Parteigänger herrschte. Gegeneinander hatten sie überall
Wachen ausgestellt; doch machten sie von den Waffen
keinen Gebrauch, und wenn dies je geschah, so blieb es
bei kleinen Scharmützeln. Um so heftiger aber be-
kämpften sie das Volk und wetteiferten miteinander,
welche Partei demselben die grössere Beute abjagen
könne. So war denn die Stadt jetzt von drei sehr
schlimmen Übeln heiragesucht, Krieg, Tyrannei und Partei-
hader, von denen der Krieg dem Volke verhältnismässig
noch am leichtesten vorkam. Unter diesen Umständen
konnte es nicht ausbleiben, dass viele Bewohner Jeru-
salems ihren eigenen Landsleuten entliefen, zu den
Fremden flohen und bei den Römern ihr Heil suchten,
Viertes Buch, 7. Kapitel.
431
an dem sie unter ihren Volksgenossen verzweifeln
mussten.
2. Noch eine vierte Plage übrigens brach zum Ver-
derben des Volkes herein. Nicht weit von Jerusalem
lag eine sehr starke Festung mit Namen Masada, die
von den alten Königen 1 sowohl zur Bergung ihrer Schätze
in Kriegsgefahren als zu ihrer persönlichen Sicherheit erbaut
worden war. Sie war in den Händen der sogenannten
Sikarier, 2 die bisher weiter ins Land gehende Raubzüge
aus Furcht unterlassen und sich auf Ausplünderung der
nächsten Umgebung, lediglich zur Beschaffung der not-
wendigsten Lebensmittel, beschränkt hatten. Jetzt aber,
da sie erführen, dass die Streitmacht der Römer sich
nicht rühre und die Juden zu Jerusalem infolge von
Parteihader und Willkürherrschaft unter sich uneins ge-
worden seien, verlegten sie sich auf keckere Wagestücke.
Am Fest der ungesäuerten Brote, welches die Juden zum
Andenken an ihre Befreiung aus der aegyptischen Knecht-
schaft und an die Heimkehr in ihr Stammland feiern,
stiegen sie, unbemerkt von denen, die ihnen hätten
hindernd in den Weg treten können, bei Nacht aus
ihrem Schlupfwinkel herab und berannten ein Städtchen
Namens Engaddi. Den wehrfähigen Teil der Einwohner-
schaft hatten sie, ehe er auch nur zu den Waffen greifen
und sich sammeln konnte, alsbald zerstreut und aus der
Stadt gejagt; die Weiber und Kinder aber, die zur Flucht
nicht stark genug waren, wurden, über siebenhundert an
der Zahl, niedergemetzelt. Hierauf plünderten sie die
Häuser rein aus, raubten die reifen Feldfrüchte und
kehrten mit ihrer Beute nach Masada zurück. Auf
gleiche Weise hausten sie in sämtlichen nahe bei der
Festung gelegenen Dörfern sowie in der ganzen Umgegend,
und von Tag zu Tag ward ihre Rotte durch bedeutenden
Zufluss von allen Seiten verstärkt. Auch in den anderen
Teilen Judaeas , die bisher in dieser Beziehung Ruhe
1 Nach VII, 8, 3 von dem Makkabäer Jonathas.
3 S. II, 13, 3.
Go gle
Uhl I V IE RS IT Y OF Cf LIFORNIA
432
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gehabt hatten, regte sich das Räuberunwesen. Ist der
edelste Teil eines Körpers entzündet, so erkranken zu-
gleich mit ihm alle übrigen Glieder. Nicht anders war
es auch hier. Die in der Hauptstadt herrschende Zwie-
tracht und Zerrüttung liess die Bösewichte auf dem
Lande bei ihren Räubereien straflos ausgehen; hatten
sie nun die Dörfer ihrer Landsleute ausgeplündert, so
zogen sie sich in die Wüste zurück , verbanden sich da-
selbst durch Eidschwüre, thaten sich zu Scharen zu-
sammen, die zwar weniger zahlreich als Heerhaufen,
jedoch stärker als Räuberbanden waren, und fielen dann
über Heiligtümer und Städte her. Hier und da begab es
sich wohl, dass sie von den Angegriffenen, wie es im
Kriege denen zu geschehen pflegt, die unterlegen sind,
übel zugerichtet wurden; dafür aber kamen sie in anderen
Fällen der Rache der Gegner zuvor, indem sie nach
Räuberart mit der Beute sich rasch davonmachten.
So gab es bald keinen Teil Judaeas mehr, der nicht
in das Verderben der Hauptstadt mit hineingezogen
worden wäre.
3. Von alledem ward Vespasianus durch Überläufer
in Kenntnis gesetzt. Denn obwohl die Empörer sämt-
liche Ausgänge bewachten und jeden, der sich aus irgend
einem Grunde näherte, niederstiessen, gab es doch
manche, die sich durchschlichen, zu den Römern ent-
flohen und auf den Feldherrn ein zu wirken suchten, dass
er der Stadt zu Hilfe eile und die Trümmer des Volkes
rette, indem sie ihm vorstellten, wie die meisten wegen
ihrer Anhänglichkeit an die Römer ermordet worden
seien und die noch Lebenden um derselben Gesinnung
willen in Todesgefahr schwebten. Aus Mitgefühl mit
ihren Leiden brach er auch wirklich auf, dem Anschein
nach, um Jerusalem zu belagern, in der That aber um
es zu entsetzen. Zuvor jedoch musste er, was noch
übrig war, bewältigen, um nichts in seinem Rücken zu
lassen, was ihm bei der Belagerung hinderlich werden
konnte. Er rückte daher zunächst vor Gadara, die
wohlbefestigte Hauptstadt von Peraea , und zog am
Go gle
u -IVCRSIPGÖ-J il-01’ 'l
Viertes Bach, 7. Kapitel.
433
vierten des Monats Dystros 1 in sie ein. Es hatten
nämlich die angesehensten Einwohner der Stadt teils
aus Sehnsucht nach Frieden, teils aus Sorge um ihre
Habe — Gadara zählte viele reiche Bürger — Gesandte
in betreff der Übergabe an ihn geschickt, ohne dass die
Erapörungslustigen etwas davon gemerkt hätten ; letzteren
kam die Sache vielmehr erst zu Ohren, als Vespasianus
bereits ganz in der Nähe stand. Sie selbst freilich
durften nicht hoffen, die Stadt halten zu können, einmal
weil sie ihren Gegnern in der Stadt an Zahl nicht ge-
wachsen waren, und dann auch weil sie die Römer schon
fast vor den Thoren sahen. Sie beschlossen daher, zu
fliehen. Doch hielten sie es für unrühmlich, dies ohne
Blutvergiessen zu thun und ohne an den Schuldigen
Rache genommen zu haben, und so bemächtigten sie sich
eines gewissen Dolesos, welcher nicht nur infolge seiner
Stellung und Herkunft der erste Mann der Stadt war,
sondern auch für den Urheber der Gesandtschaft galt,
töteten ihn und machten sich, nachdem sie zuvor noch
ihre Wut an seinem Leichnam ausgelassen hatten, aus
dem Staube. Als nun das Römerheer anrückte, empfingen
die Gadarener den Vespasianus mit freudigen Zurufen
und erhielten von ihm die Zusicherung seines Schutzes
sowie eine Besatzung von Reiterei und Fussvolk zur
Abwehr etwaiger Angriffe seitens der Flüchtlinge. Die
Stadtmauer hatten sie, ohne erst die Aufforderung der
Römer abzuwarten, niedergerissen, um dadurch, dass eie
selbst sich jeden Widerstand unmöglich machten, ihre
Friedensliebe aufs deutlichste zu bekunden.
4. Zur Verfolgung der Flüchtlinge, die Gadara ver-
lassen hatten, sandte Vespasianus den Placidus mit
fünfhundert Reitern und dreitausend Mann zu Fuss ab,
während er selbst mit dem übrigen Heer nach Caesarea
zurückkehrte. Als nun die Verfolgten auf einmal der
ihnen nachsetzenden Reiter ansichtig wurden, drängten
sie sich, ehe es zum Handgemenge kam, in ein Dorf
1 Frühjahr 68 n. Chr.
Josephus, Jüdischer Krieg.
28
'434
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Namens Bethennabris zusammen. Hier fanden sie eine
%
nicht unbedeutende Anzahl junger Leute, welche sie
teils mit, teils ohne deren Einwilligung bewaffneten ; als-
dann machten sie unbesonnenerweise gegen die Truppen
des Placidus einen Ausfall. Diese wichen beim ersten
Angriff etwas zurück in der Absicht, ihre Gegner weiter
von der Mauer wegzuziehen ; kaum aber hatten sie die
Juden an einen günstigen Ort gelockt, als sie die-
selben umzingelten und mit Lanzen auf sie eindrangen.
Denen, welche fliehen wollten, schnitten die Reiter den
Weg ab, während unter dem kämpfenden Haufen das
Fussvolk ein gewaltiges Blutbad anrichtete. So rannten
die Juden in ihr Verderben, ohne etwas mehr als ihre
Tollkühnheit bewiesen zu haben. Da nämlich die Römer
dichtgeschlossene Reihen bildeten und hinter ihren
Rüstungen wie von einer Mauer gedeckt standen, fanden
die Juden ebenso wenig Gelegenheit, ihre Geschosse an-
zubringen, als es ihnen gelang, die feindlichen Linien
zu durchbrechen. Dagegen wurden sie selbst entweder
von den Römern durchbohrt oder liefen wie wilde
Tiere in deren Schwerter hinein, und was nicht im Hand-
gemenge fiel, ward von den Reitern zerstreut und nieder-
gehauen.
5. Placidus nämlich war (insbesondere darauf bedacht^
ihnen den Rückweg nach dem Dorf abzuschneiden; er
sprengte daher beständig mit seinen Reitern nach dieser Seite
hin, liess aber dann plötzlich kehrt machen und die Juden
mit einem Pfeilregen überschütten, wodurch die näher
befindlichen dem sicheren Untergang verfielen und die
entfernteren abgeschreckt wurden. Endlich gelang es
den Tapfersten doch, sich bis zur Mauer durchzuschlagen.
Die Wächter aber wussten nun nicht, was sie thun
sollten. Die Gadarener einfach draussen zu lassen,
konnten sie um ihrer eigenen Leute willen nicht über
sich bringen ; anderseits mussten sie , wenn sie ihnen
Aufnahme gewährten, befürchten, mit ihnen zu Grunde
zu gehen. Das letztere war denn auch wirklich der
Fall. Während nun die Masse der Fliehenden sich an
Go gle
Viertes Buch, 7. Kapitel.
435
der Mauer staute, wären die römischen Reiter beinahe
mit eingedrungen ; doch gelang es den Juden noch eben,
die Thore vor ihnen zu schliessen , sodass Placidus
stürmen lassen musste. Bis zum Abend währte der
Kampf ; dann gelangten die Römer, die tapfer gefochten
hatten, in den Besitz der Mauer und des Dorfes. Die
wehrlose Bevölkerung wurde niedergemetzelt, während
die streitbare Mannschaft davonfloh; hierauf plünderten
die Soldaten die Häuser und steckten das Dorf in Brand.
Die flüchtigen Juden rissen übrigens auch die Land-
bevölkerung mit sich fort und erfüllten ringsum alles
mit Schrecken, indem sie ihre eigene Niederlage über-
trieben und erzählten, das ganze Römerheer sei im An-
marsch begriffen. In dichten Scharen flohen sie nun
auf Jericho zu, das allein ihnen noch Hoffnung auf
Rettung gab, da es starke Mauern und eine zahlreiche
Einwohnerschaft hatte. Placidus setzte ihnen im Ver-
trauen auf seine Reiter und sein bisheriges Kriegsglück
bis zum Jordan nach und machte unterwegs alles nieder,
was ihm in den Weg kam; dann trieb er die ganze
Menge in der Nähe des Flusses, der von Regengüssen
angeschwollen war und deshalb nicht durchwatet werden
konnte, zusammen und stellte ihnen gegenüber seine
Truppen in Schlachtordnung auf. Flucht war nun für
die Juden unmöglich geworden, und so zwang sie denn
die Not zum Kampfe: in langer Linie dehnten sie sich
am Ufer aus und versuchten auf diese Weise dem Ge-
schosshagel und dem Anprall der Reiterei standzuhalten.
Die letztere indes hieb sie massenhaft nieder oder drängte
sie in den Fluss hinein; fünfzehntausend Juden fielen
so unter dem Schwert ihrer Gegner, und fast zahllos
war die Menge derer, die mit Gewalt in den Jordan ge-
trieben wurden. In Gefangenschaft gerieten über zwei-
tausendzweihundert; ausserdem fiel eine reiche Beute an
Eseln, Schafen, Kamelen und Rindvieh den Siegern in
die Hände.
6. Den Juden kam diese Niederlage, die freilich
hinter den bisherigen nicht zurückstand, doch noch grösser
2S*
Go gle
436
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
vor, als sie wirklich war ; denn nicht nur troff die ganze
Gegend, welche die Flüchtigen durchzogen hatten, von
Blut, sondern es war auch der Jordan vor lauter Leichen
nicht mehr zu passieren, und sogar den Asphaltsee be-
deckten tote Körper, die massenhaft aus dem Flusse in
ihn hinabgeschwemmt waren. Placidus anderseits ver-
folgte sein Glück, brach gegen die umliegenden Städtchen
und Dörfer auf, eroberte Abila, Julias und Bethsimoth
sowie die sämtlichen Ortschaften bis zum Asphaltsee
und legte in jede derselben eine aus den tauglichsten
Überläufern gebildete Besatzung. Hierauf liess er seine
Soldaten Kähne besteigen und alles niedermachen, was
sich auf den See geflüchtet hatte. Sonach war nun ganz
Peraea mit Ausnahme von Machaerus teils freiwillig,
teils mit Gewalt in den Besitz der Römer übergegangen.
Achtes Kapitel.
Vespasianus beschleunigt die Kriegführung.
Beschreibung der Lage Jerichos sowie der grossen Ebene
und des toten Meeres.
1. Mittlerweile waren Nachrichten eingelaufen, dass
in Gallien ein Aufstand ausgebrochen und Vindex mit
den Häuptlingen der Eingeborenen von Nero abgefallen
sei, wie in Einzelwerken des näheren zu lesen ist. 1 Diese
Meldungen veranlassten den Vespasianus, die Kriegführung
zu beschleunigen ; denn er sah bereits die künftigen
Bürgerkämpfe und die gefahrvolle Lage des ganzen
Reiches voraus und glaubte durch Herstellung friedlicher
Zustände im Orient die Besorgnisse Italiens verringern
zu können. Während der Dauer des Winters hatte er
sich der eroberten Städtchen und Dörfer dadurch ver-
sichert, dass er Besatzungen hineinlegte und die ersteren
der Verwaltung von Centurionen , die letzteren der von
i Z. B. bei Dio Cassius, LXIII, 22—24.
Go gle
UWtVERSITY QF CALIFORNIA
Viertes Buch, 8. Kapitel.
4°*7
Decurionen unterstellte; auch hatte er viele der ver-
wüsteten Ortschaften wieder auf bauen lassen. Mit dem
Beginn des Frühlings aber brach er an der Spitze des
grössten Teiles seiner Streitmacht von Caesarea nach
Antipatris auf, wo er zwei Tage lang die Angelegen-
heiten der Stadt ordnete ; am dritten zog er dann weiter
und verwüstete die ganze Gegend ringsum mit Feuer
und Schwert. Nach Unterjochung der Toparchie Thamna
rückte er vor Lydda und Jamnia, nahm beide ein, ver-
sah sie mit Besatzungen, die aus geeigneten Bewohnern
früher übergetretener Städte gebildet waren, und kam
nach Ammaus. Hier schnitt er zunächst der Bevölkerung
die Wege nach der Hauptstadt ab, errichtete ein festes
Lager, in welchem er die fünfte Legion zurückliess, und
marschierte mit dem übrigen Heere weiter in die Toparchie
Bethleptepha. 1 Diese sowie das angrenzende Gebiet ver-
heerte er durch Brennen und Sengen, befestigte alsdann
geeignete Punkte in Idumaea und nahm zwei Dörfer im
Herzen dieser Landschaft, Betaris und Kaphartobas, ein,
wo er über zehntausend Menschen niedermachte und
mehr als tausend gefangen nahm. Die übrige Menge
veijagte er und legte in die beiden Ortschaften einen
ansehnlichen Teil seiner Truppen , welche das ganze
umliegende Bergland verwüstend durchzogen. Er selbst
kehrte mit dem Rest des Heeres nach Ammaus zurück,
von wo er durch das Samariterland an Neapolis oder,
wie es bei den Eingeborenen heisst, Mabortha vorbei
nach Korea hinabmarschierte. In Korea liess er am
zweiten des Monats Daisios ein Lager schlagen und
langte tags darauf vor Jericho an; hier stiess Trajanus
einer seiner Heerführer, mit Truppen zu ihm, die er nach
Unterjochung der jenseits des Jordan gelegenen Landes-
teile aus Peraea hergebracht hatte.
2. Die Bewohner Jerichos hatten sich grösstenteils,
1 Eine Toparchie dieses Namens ist III, 3, 5, wo die 11 Topar-
chien Judaeas aufgezählfc werden, nicht erwähnt und auch sonst un-
bekannt. Vielleicht ist die Josua 19, 6 genannte Stadt Bethlebaoth
im Stamme Simeon gemeint.
438
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ohne das Erscheinen der Römer abzuwarten , auf das
Jerusalem gegenüberliegende Gebirge geflüchtet und die
Stadt fast leer gelassen; die Zurückgebliebenen, die
übrigens auch noch ziemlich zahlreich waren, verfielen
dem Schwerte der Römer. Jericho liegt in einer Ebene
und ist von einem kahlen, unfruchtbaren Höhenzug über-
ragt, der sich in bedeutender Länge gegen Norden bis
in die Gegend von Skythopolis, gegen Süden bis an das
frühere Sodomitergebiet und die Ufer des toten Meeres
erstreckt — ein durchweg rauher und wegen seiner
Unfruchtbarkeit gänzlich unbewohnter Landstrich. Ihm
gegenüber zieht sich den Jordan entlang ein anderes
Gebirge, das bei Julias und noch weiter nördlich beginnt
und in südlicher Richtung bis Somorrha , 1 Nachbarstadt
von Petra in Arabien, läuft. Zu diesem Gebirge gehört
auch der sogenannte Eisenberg , 2 welcher der Länge nach
bis zum Moabiterland sich hinstreckt. Die Mittellandschaft
zwischen den beiden Bergketten heisst die grosse Ebene , 3
die von dem Dorfe Ginnabris 4 bis zum Asphaltsee reicht.
Ihre Länge beträgt zweihundertdreissig, ihre Breite hundert-
zwanzig Stadien. Sie wird in der Mitte vom Jordan
durchschnitten und hat zwei Seen von entgegengesetzter
Beschaffenheit, den Asphaltsee und den See Tiberias;
das Wasser des ersteren nämlich ist salzig und dem
Pflanzen wuchs schädlich, das des letzteren süss und be-
fruchtend. Zur Sommerzeit ist die Ebene wie ausgebrannt
und weist eine Luft auf, die infolge der übermässigen
Hitze sehr nachteilig auf die Gesundheit ein wirkt; denn
ausser dem Jordan hat sie nicht die Spur von Wasser,
weshalb auch die Palmen an den Ufern dieses Flusses
ansehnlich und üppig, die weiter davon entfernten da-
gegen kümmerlich entwickelt sind.
1 S. die Bemerkung zu diesem Namen im Begister.
- D. i. der Basalt nördlich vom Amon im heutigen el Kura.
Basalt (der Hauptmasse nach Feldspat) enthält bis zu 20 Prozent
Eisen.
3 8o hiess also ausser der Ebene Jezreel auch die Jordanebene
oder das Jordanthal (el Ghor).
4 Wohl dasselbe wie Ginnaea.
Viertes Buch, 8. Kapitel.
439
3. In der Nähe von Jericho befindet sich eine starke,
der Bewässerung der Fluren äusserst dienliche Quelle,
die dicht bei der alten Stadt hervorsprudelt, der ersten,
die Jesus, 1 der Sohn des Nave, als Heerführer der
Hebräer im Lande der Chananäer mit dem Schwert er-
oberte. Diese Quelle soll vor Zeiten nicht nur die Erd-
und Baumfrüchte, sondern auch die Leibesfrucht der
Weiber vernichtet und überhaupt allem Lebenden Tod
und Verderben gebracht haben, von dem Propheten
Elissaeus aber, dem Schüler und Nachfolger des Elias,
gereinigt und überaus heilkräftig und befruchtend ge-
macht worden sein. Aus Dankbarkeit für die gastliche
Aufnahme, die er bei den Bewohnern Jerichos gefunden
und die ausserordentlich freundliche Gesinnung, die sie
ihm entgegenbrachten, bedachte er sie und das Land
mit einem für alle Zeiten bleibenden Geschenk. Er
begab sich nämlich zur Quelle hin, warf ein irdenes
Gefass mit Salz in das strömende Wasser, erhob seine
Hechte gen Himmel und flehte, indem er ein sühnendes
Trankopfer in die Quelle goss, dass ihre Beschaffenheit
gemildert und süssere Adern in ihr geöffnet würden,
sowie dass der Himmel gedeihlichere Lüfte mit dem
Wasser mischen und so den Umwohnern Fruchtbarkeit
des Bodens und Kindersegen verleihen, auch ihnen das
Wasser nicht entziehen möge, so lange sie gerecht blieben.
Durch dieses Gebet, dem er mancherlei Ceremonien, wie
seine Kunst sie ihn lehrte, vorausschickte, wandelte er
die Quelle um, und das Wasser, das zuvor die Ursache
von Kinderlosigkeit und Hungersnot gewesen war, be-
wirkte von nun an Kindersegen und Überfluss. 2 Denn
es hat, wenn es zur Berieselung benutzt wird, eine solche
Kraft, dass es selbst bei nur leichter Benetzung des
Bodens denselben fruchtbarer macht als anderes Wasser,
das bis zur Sättigung des Erdreichs stehen bleibt ; dadurch
erklärt es sich auch, dass es bei sparsamem Verbrauch
1 Josua.
* S. 2. Buch der Könige 2, 18—22.
440
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sich recht nutzbringend erweist, während es bei reich-
licherer Verwendung nur wenig Vorteil darbietet. Aus
dem gleichen Grunde bewässert die Quelle eine grössere
Bodenfläche wie irgend eine andere; durchläuft sie doch
eine Ebene von siebzig Stadien Länge und zwanzig
Stadien Breite, in welcher sie die herrlichsten, dicht bei
einander liegenden Prunkgärten speist. Der von ihr ver-
sorgten Palmen giebt es mancherlei Arten, die nach Ge-
schmack und Benennung verschieden sind. Die fetteren
werden getreten und liefern so eine Menge Honig, welcher
dem Bienenhonig, der sich übrigens dort auch findet,
nicht viel nachgiebt. Ferner wächst daselbst der Opo-
balsam , 1 das köstlichste Erzeugnis des Landes, sowie die
Henna 2 und der Myrobalanus . 3 Mit Recht kann man
deshalb diesen Landstrich, in welchem die seltensten
und kostbarsten Erzeugnisse der Natur in so reicher
Fülle gedeihen, einen gottgesegneten nennen. Auch was
die sonstigen Fruchtarten angeht, kann nicht leicht eine
andere Gegend der Erde mit ihm verglichen werden —
so reichlich giebt der Boden zurück, was man hinein-
gelegt hat. Es scheint mir dies von der Wärme der
Luft und der vorzüglichen Beschaffenheit des Wassers
herzukommen, indem jene die Pflanzen hervorlockt und
ihr üppiges Wachstum befördert, die Feuchtigkeit aber
dieselben starke Wurzeln schlagen lässt und ihnen im
Sommer Kraft verleiht. In letzterer Jahreszeit ist die
Gegend so drückend heiss, dass nicht leicht jemand ins
Freie hinausgeht. Das Wasser, welches man vor Sonnen-
aufgang schöpft und dann der Luft aussetzt, wird sehr
kalt und nimmt eine der umgebenden Luft entgegen-
1 D i. der aus Einschnitten in die Rinde des Balsamstrauches
hervorquillende, zuerst weissliche, dann sich rötende Saft (o”ü$).
2 Henna- oder Alhennastrauch (Lawsonia alba) , dessen Blätter
bekanntlich zum Färben der Fingernägel im Orient Verwendung
finden.
8 Aus der Frucht des Myrobalanus oder Zakkumbaumes (Elae-
agnus angustifolius L.) wird noch heutzutage ein sehr heilsames Öl,
das Öl von Jericho oder Zachaeus-Öl gepresst (s. auch Plinius,
Naturgeschichte, XII, 46).
Viertes Bach, 8. Kapitel.
441
gesetzte Temperatur an ; im Winter dagegen erwärmt es
sich und ist dann zum Baden sehr geeignet. Auch ist
die Luft in dieser Jahreszeit dort so mild, dass die Ein-
geborenen sich in Leinwand kleiden, während es im
übrigen Judaea schneit Von Jerusalem ist Jericho
hundertfünfzig, vom Jordan sechzig Stadien entfernt
Die Gegend bis Jerusalem ist öde und felsig, der Strich
bis zum Jordan und zum Asphaltsee zwar ebener, aber
gleichfalls wüst und unfruchtbar. Damit glaube ich über
die gesegnete Lage Jerichos genug gesagt zu haben.
4. Eine genauere Beschreibung verdient noch die
natürliche Beschaffenheit des Asphaltsees. Sein Wasser
ist, wie schon bemerkt, bitter und der Vegetation nicht
zuträglich, dabei so leicht, 1 dass es selbst die schwersten
Gegenstände, die man hinein wirft, trägt und man bei
aller Anstrengung nicht leicht unterzutauchen vermag.
So liess auch Vespasianus, als er an den See kam, um
ihn zu besichtigten, einige des Schwimmens unkundige
Personen mit auf dem Kücken gebundenen Händen in
die Tiefe werfen, und siehe, sie alle trieben, wie von
einem Wind in die Höhe gehoben, auf der Oberfläche
umher. Merkwürdig ist ferner der Farbenwechsel des
Sees; dreimal am Tage nämlich ändert er seine Ober-
fläche und wirft die Sonnenstrahlen in buntem Schillern
zurück. 2 An vielen Stellen stösst er schwarze Asphalt-
klumpen aus, die, an Gestalt und Grösse kopflosen
Stieren vergleichbar, auf dem Wasser schwimmen. Die
Arbeiter auf dem See nähern Bich denselben , ergreifen
1 D. h. leichttragend; denn in Wirklichkeit ist das Wasser in-
folge seines Salzgehaltes specifisch schwerer. Sein specifisches Ge-
wicht verhält sich zu dem des destillierten Wassers nach Marcet
wie 1211 : 1000, nach Gay-Lussac wie 1228:1000. Vergl. Tacitus,
Histor. V, 6.
2 Diese Fluorescenz-Erscheinungen sind wohl auf die raschere
oder langsamere Verdunstung des ungemein salzigen Wassers zurück-
zuführen. Nach Gay-Lussac sind in 100 Teilen dieses Seewassers
enthalten: 3,98 salzsaurer Kalk, 15,31 salzsaure Magnesia, 6,95 Chlor-
natrium (Kochsalz). Der starke Salzgehalt verursacht auch den
bittem, ekelhaften Geschmack des Wassers.
442
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
die zusammenhängenden Massen und ziehen sie in die
Kähne; haben sie die letzteren gefüllt, so wird es ihnen
nicht leicht, die Klumpen loszumachen, da sie infolge
ihrer Zähigkeit an dem Fahrzeug kleben bleiben, bis sie
durch monatliches Blut von Weibern oder durch Harn
davon getrennt werden: denn diese Flüssigkeiten allein
vermögen den Asphalt zu lösen. Der harzige Stoff findet
nicht nur beim Schiffbau Verwendung, sondern dient
auch zu Heilzwecken und wird deshalb vielen Arzneien
beigemischt. Die Länge des Sees, die sich bis Zoar in
Arabien erstreckt, beträgt fünfhundertachtzig, die Breite
hundertfünfzig Stadien. An seine Ufer stösst das Sodo-
miterland, einst ein glückliches Fleckchen Erde, da es
fruchtbare Gefilde und wohlhabende Städte aufwies, jetzt
aber völlig vom Feuer zerstört. Es soll wegen der GotN
losigkeit seiner Bewohner durch Blitze in Brand gesetzt
worden sein. Noch heute finden sich die Spuren des
vom Himmel gesandten Feuers, und es sind im See die
schattenhaften Umrisse von fünf Städten zu sehen. Auch
erzeugt sich stets von neuem Asche in gewissen Früchten,
welche an Farbe essbaren ähnlich sind; pflückt man
sie aber mit der Hand, so lösen sie sich in Staub und
Asche auf . 1 So werden die Sagen über das Land der
Sodomiter durch den Augenschein bestätigt.
1 Diese „Qodoms&pfel“ sind die Früchte der Asclepias gigantea,
welche grossen, platten, gelblichen Äpfeln gleichen ; äusserlich schön,
brechen sie, wenn man sie drückt, platzend auf wie mit Luft gefüllte
Blasen, und nur die Fetzen der dünnen Schale und ein paar Fasern
bleiben in der Hand zurück.
Viertes Buch, 9. Kapitel.
443
Neuntes Kapitel.
Vespasianus verschiebt auf die Nachricht vom Tode Neros
den Angriff auf Jerusalem. Simon, des Gioras Sohn, zieht
in die Hauptstadt ein.
1. Um nun Jerusalem von allen Seiten ein-
zuschliessen, errichtete Vespasianus sowohl in Jericho
als in Adida ein Lager und legte in beide Städte eine
aus Römern und Bundesgenossen gemischte Besatzung.
Zugleich sandte er den Lucius Annius mit einer Reiter-
truppe und einer starken Abteilung Fussvolk nach
Gerasa. Dieser nahm die Stadt im Sturm, tötete alle
junge Mannschaft, soweit sie nicht rechtzeitig geflohen
war, tausend an der Zahl, machte ihre Angehörigen zu
Kriegsgefangenen und überliess die Habe der Einwohner
seinen Soldaten zur Plünderung. Nachdem er sodann
noch die Häuser in Brand gesteckt hatte, ging er auf
die umliegenden Dörfer los. Wer dazu imstande war,
suchte sein Heil in der Flucht; die Schwächeren kamen
um; alles übrige ging in Flammen auf. Das ganze
Bergland wie die Ebene befanden sich nun im Kriegs-
zustand, und es waren somit den Bewohnern Jerusalems
sämtliche Auswege abgeschnitten. Die, welche im Sinne
hatten, zu den Feinden überzugehen, sahen sich von den
Zeloten bewacht; die anderen aber, die sich noch nicht
für die Römer begeistern konnten, wurden durch das
Heer in Schrecken gehalten, das jetzt von allen Seiten
die Stadt einschloss.
2. Als Vespasianus nach Caesarea zurückgekehrt war
und sich eben anschickte, mit seiner ganzen Heeres-
macht gegen Jerusalem aufzubrechen, ward ihm die Er-
mordung Neros 3 gemeldet. Wie dieser Imperator, der
dreizehn Jahre und acht Tage regierte, den Thron da-
durch beschimpfte, dass er den verruchtesten Menschen,
Nymphidius und Tigellinus, und den unwürdigsten Frei-
1 9. Juni 68 n. Chr.
444
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gelassenen die Regierungsgeschäfte überliess; wie diese
sich dann gegen ihn verschworen, er aber, von allen
seinen Leibwächtern verlassen, mit nur vier ihm treu-
gebliebenen Freigelassenen entfloh und in einer Vorstadt
Roms sich selbst entleibte; wie diejenigen, die ihn ge-
stürzt, kurz nachher dafür büssen mussten; welchen
Ausgang der gallische Krieg nahm, und wie Galba, zum
Imperator ernannt, aus Hispanien zurückkehrte, bald
aber, von seinen Soldaten schmutziger Gesinnung be-
zichtigt, mitten auf dem Forum zu Rom meuchlings er-
mordet und Otho zum Imperator ausgerufen wurde;
Othos Feldzug gegen die Heerführer des Vitellius und
seinen Sturz ; 1 dann die Empörungen unter Vitellius und
den Kampf um das Kapitolium; endlich wie Antonius
Primus und Mucianus nach Vernichtung des Vitellius 2
und der germanischen Legionen den Bürgerkrieg be-
endeten — das alles ins einzelne zu schildern, wird mir
erlassen sein, da es überall sattsam bekannt und von
vielen griechischen wie römischen Schriftstellern bereits
aufgezeichnet ist. Um des Zusammenhanges der Be-
gebenheiten willen und um den Faden der Geschichte
nicht zu zerreissen, habe ich die Hauptpunkte über-
sichtlich angegeben. — Vespasianus verschob nun zu-
nächst den Feldzug nach Jerusalem ; denn er war in
gespannter Erwartung, wem nach Nero die Herrschaft
zufallen würde. Auch hernach, als er hörte, dass Galba
Imperator geworden, wollte er nicht ans Werk gehen,
ehe er von letzterem einen Auftrag dazu erhalten hätte.
Er sandte daher seinen Sohn Titus zu Galbä, um ihn
beglückwünschen und Verhaltungsmassregeln betreffs der
Juden entgegennehmen zu lassen. In der nämlichen
Absicht schiffte sich mit Titus auch der König Agrippa
nach Rom ein. Aber während sie auf Kriegsschiffen
der Küste von Achaja entlang fuhren (denn es war
Winter), war Galba schon ermordet worden ; nur sieben
1 16. April 69 n. Chr.
? Dezember 69 n. Chr.
Go gle
Viertes Buch, 9. Kapitel.
445
Monate und sieben Tage hatte er den Thron innegehabt.
Nach ihm kam Otho zur Regierung, und zwar be-
mächtigte er sich der Herrschaft mit Gewalt. Während
nun Agrippa, ohne sich den Regierungswechsel sonder-
lich anfechten zu lassen, nach Rom weiterzureisen be-
schloss, segelte Titus wie auf göttlichen Antrieb von
Griechenland nach Syrien und kam alsbald bei seinem
Vater in Caesarea an. In ängstlicher Spannung wegen
der Lage des römischen Reiches , das ihrer Meinung
nach wie ein Schiff im Sturm schwankte, schenkten
nun die beiden dem Kriege gegen die Juden weniger
Beachtung und hielten, besorgt um ihr eigenes Vater-
land, einen Angriff auf die Fremden zur Zeit für un-
thunlich.
3. Statt dessen aber brach ein anderer Krieg über
Jerusalem herein. Ein junger Mann aus Gerasa, Simon,
des Gioras Sohn, 1 der dem in der Hauptstadt be-
reits allgewaltigen Joannes zwar an Verschlagenheit
nachstand, an Körperkraft und Waghalsigkeit dagegen
ihn übertraf und um letzterer Eigenschaft willen vom
Hohepriester Ananus aus der Toparchie Akrabatene, wo
er den Herrscher spielte, vertrieben worden war, hatte
sich an die Räuber angeschlossen, die Masada besetzt
hielten. 2 Anfangs zwar hatten sie ihm misstraut und
ihm nur gestattet, samt den Weibern, die er mitbrachte,
den unteren Teil der Festung zu bewohnen, während sie
selbst den höher gelegenen einnahmen. Bald jedoch
durfte er, weil er sich als echter Spiessgeselle erwies
und sich allmählich Zutrauen erworben hatte, an ihren
Raubzügen teilnehmen und half nun die Umgegend von
Masada verwüsten, vermochte aber die Banditen nicht
zu grösseren Unternehmungen zu bewegen. An die
Festung gewöhnt, wie sie waren, trugen sie nämlich Be-
denken, sich von diesem ihrem Schlupfwinkel weit zu
entfernen. Simon indes wollte höher hinaus: sein Ziel
1 S.II, 19,2.
* S. II, 22, 2.
446
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
war die Tyrann enherrschaft. Sobald er daher den Tod
des Ananus erfahren hatte, trennte er sich von ihnen,
schlug sich ins Gebirge, liess durch Herolde den Sklaven
Freiheit, den Freien Belohnungen versprechen und
scharte so die Schlechten aus der ganzen Gegend um
seine Person.
4. Bald hatte er eine starke Bande beisammen und
plünderte nun zunächst die Dörfer im Gebirge aus; als
er aber immer grösseren Zuwachs erhielt, wagte er sich
auch in die Ebene hinab. Selbst den Städten wurde
er jetzt furchtbar, und zugleich veranlasste seine Macht
sowie der glückliche Erfolg seiner Unternehmungen eine
Reihe angesehener Leute , auf seine Seite zu treten,
sodass sein Heer bereits nicht mehr aus Sklaven und
Räubern allein bestand, sondern auch nicht wenige sess-
hafte Bürger aufwies, die ihm wie ihrem Könige ge-
horchten. Nunmehr dehnte er seine Streifzüge über die
Toparchie Akrabatene und selbst bis in den grösseren
Bezirk Idumaea aus. Bei einem Dorfe Nam nämlich
hatte er eine Art Bollwerk errichtet, das ihm wie eine
Festung zu seiner Sicherheit diente, und ausserdem hatte
er in einer Schlucht mit Namen Pharan viele Höhlen
erweitern lassen; diese Höhlen gebrauchte er nun samt
vielen anderen Verstecken, die er dort schon fertig vor-
fand, als Schatzkammern und Magazine für die Beute.
Ebenso verwahrte er in ihnen die geraubten Feldfrüchte,
und ein bedeutender Teil seiner Rotte wohnte daselbst.
Dass er es mit diesen Übungszügen seiner Bande und
mit den sonstigen Zurüstungen auf eine Unternehmung
gegen Jerusalem abgesehen hatte, konnte keinem Zweifel
unterliegen.
5. Aus Furcht vor einem heimlichen Überfall und
um das Emporkommen eines Mannes, dessen Macht zu
ihrem Schaden tagtäglich an wuchs, zu verhindern,
rückten die Zeloten in grosser Anzahl bewaffnet ihm
entgegen. Simon liess sich auf das Treffen ein, machte
in demselben eine Menge seiner Gegner nieder und trieb
die übrigen in die Stadt zurück. Da er jedoch seinen
Viertes Bach, 9. Kapitel.
447
Streitkräften noch nicht soweit traute, dass er einen
Sturm auf die Mauer hätte wagen können, zog er ab,
um zunächst Idumaea zu erobern, und rückte an der
Spitze von zwanzigtausend Bewaffneten gegen dessen
Grenzen heran. Die Häuptlinge der Idumäer sammelten
in aller Eile die streitbarste Mannschaft des Landes,
gegen fünfundzwanzigtausend an der Zahl, und er-
warteten, während sie die übrige Menge zum Schutz
ihrer Habe gegen die Einfälle der Sikarier Masadas zu-
rückliessen, den Simon an der Grenze ihres Gebietes.
Dort kam es zur Schlacht; aber obwohl den ganzen Tag
gefochten wurde, blieb es unentschieden, wer von beiden
Teilen gesiegt habe, und es kehrten schliesslich die
Idumäer nach Hause, Simon nach Nai’n zurück. Kurz
nachher fiel er mit noch grösseren Streitkräften aber-
mals in Idumaea ein, lagerte sich bei einem Dorfe mit
Namen Thekoa und schickte den Eleazar, einen seiner
vertrauten Freunde, ab, um die Besatzung des nahe-
gelegenen Kastells Herodium zur Übergabe desselben
zu bewegen. Zunächst nahm die Besatzung den Eleazar
zuvorkommend auf, da sie ja den Zweck seiner Sendung
noch nicht kannte ; als er aber etwas von Übergabe
verlauten liess, verfolgten sie ihn mit gezückten
Schwertern, bis er keinen Ausweg zur Flucht mehr sah
und sich von der Mauer in die unterhalb derselben be-
findliche Schlucht stürzte, wo er sogleich seinen Geist
aufgab. Die Idumäer aber bekamen nun doch Angst
vor Simons Macht und beschlossen daher, bevor sie sich
in ein Gefecht einliessen, das Heer des Feindes aus-
zukundschaften .
6. Zu diesem Dienst erbot sich Jakobus, einer der
Anführer, mit grosser Bereitwilligkeit; insgeheim aber
plante er Verrat. Aus dem Dorfe Alurus , wo damals
das idumaeische Heer beisammen war, machte er sich
zu* Simon auf und traf zunächst mit ihm die Verab-
redung, ihm seine Vaterstadt verraten zu wollen, wo-
gegen Simon ihm eidlich versichern müsse, dass er ihn
stets in Amt und Würden belassen werde; weiterhin
Go gle
448
Jo9ephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
stellte er ihm dann auch noch seine Mitwirkung bei der
Unterjochung von ganz Idumaea in Aussicht. Auf
dieses Anerbieten hin bewirtete Simon ihn gastlich und
suchte ihn durch glänzende Versprechungen noch mehr
zu ködern. Als nun Jakobus zu den Seinigen zurück-
kam, war sein erstes, mit lügnerischen Worten Simons
Heer als überaus stark zu schildern; hierauf suchte er
durch vertrauliche Besprechungen mit den Führern und
einzelnen von der Mannschaft das gesamte Kriegsvolk
dahin zu bringen , dass sie Simon aufnehmen und ihm,
ohne erst die Waffen entscheiden zu lassen, die höchste
Gewalt übertragen möchten. Während er auf diese
Weise seine Landsleute bearbeitete, rief er den Simon
durch Boten herbei und versprach ihm, die Idumäer zer-
streuen zu wollen. Diese Zusage hielt er auch; denn
kaum befand sich Simons Heer in der Nähe, als er sich
aufs Pferd schwang und an der Spitze seiner Mit-
verschworenen davonsprengte. Schrecken befiel jetzt
das ganze Volk, und noch ehe es zum Handgemenge
kam, lösten sich die Reihen auf, und alles lief der
Heimat zu.
7. Simon zog nun, was er wohl selbst nicht erwartet
hatte, ohne Blutvergiessen in Idumaea ein und nahm
durch Überrumpelung zuerst die Stadt Chebron , wo er
reiche Beute machte und grosse Mengen Getreide raubte.
Die Eingeborenen behaupten , dass Chebron nicht nur
älter als die übrigen Städte jener Gegend, sondern sogar
älter als Memphis in Aegypten sei ; berechnet man doch
das Alter der Stadt auf zweitausenddreihundert Jahre.
Die Sage macht sie auch zum Wohnsitz Abrams, des
Stammvaters der Juden, nach seiner Auswanderung aus
Mesopotamien, und von hier aus sollen seine Nach-
kommen nach Aegypten gezogen sein. Die aus dem
schönsten Marmor mit grosser Pracht hergestellten Grab-
denkmäler der letzteren werden noch heute in jenem
Städtchen gezeigt. Sechs Stadien von Chebron entfernt
zeigt man auch eine riesige Terebinthe, von der man
sagt, dass sie seit Erschaffung der Welt dort stehe. —
Viertes Buch, 9. Kapitel.
449
Von hier aus durchzog also Simon ganz Idumaea und
verheerte nicht nur die Dörfer und Städte, sondern ver-
wüstete auch das gesamte Ackerland; denn ausser seinen
Schwerbewaffneten folgten ihm noch weitere vierzig-
tausend Mann, sodase für eine solche Menge selbst die
unentbehrlichsten Lebensmittel nicht hinreichten. Die
Drangsalierung des Landes ward noch vermehrt durch
die Grausamkeit des Gefürchteten und seine Erbitterung
gegen das Volk, infolge deren die Verödung Idumaeas
«inen immer höheren Grad erreichte. Denn wie man
hinter einem Heuschreckenschwarm ganze Wälder ent-
laubt sehen kann, so liess Simons Heer eine völlige
Wüste in seinem Rücken, indem es hier sengte, dort
niederriss, alles, was das Erdreich trug, durch Zertreten
oder Abweiden vernichtete und das bebaute Land durch
seinen Marsch in einen Zustand versetzte, der schlimmer
war als der von unfruchtbarem Boden. Kurz, auch nicht
die Spur des früheren Wohlstandes blieb in den ver-
wüsteten Gegenden übrig.
8. Diese Vorgänge rüttelten die Zeloten aus ihrer
Unthätigkeit auf. In offener Feldschlacht Simon zu
bekämpfen, getrauten sie sich freilich nicht; dagegen
legten sie in einem Engpass einen Hinterhalt, der die
Gattin Simons und deren zahlreiches Gefolge aufgriff.
Jubelnd, wie wenn sie Simon selbst zum Gefangenen
gemacht hätten, zogen sie hierauf in die Hauptstadt
«in und erwarteten nichts geringeres, als dass er sogleich
die Waffen strecken und demütig um Freilassung seiner
Gattin bitten würde. Ihn aber erfüllte kein Mitleid,
sondern nur Zorn wegen dieses Raubes, und alsbald er-
schien er vor den Mauern Jerusalems und liess wie ein
angeschossenes Wild, das den, welcher es verwundet,
nicht erreichen kann , an allen , die ihm in die Quere
kamen, seine Wut aus. Wer, um Gemüse oder Holz zu
holen, sich vor die Stadtthore hinauswagte, mochten es
auch Unbewaffnete oder Greise sein, ward ergriffen und
zu Tode gepeinigt; es fehlte nur noch, dass Simon in seiner
Raserei die Leichen der Gemordeten verzehrte. Viele
t
Josephus, jüdischer Krieg. 29
Go gle
UNIVERSITY ggf U LfßöRNL
450 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sandte er mit % abgehauenen Händen in die Stadt zurück,
teils um seinen Feinden Schrecken einzujagen, teils auch
um dadurch das Volk gegen die Schuldigen aufzureizen.
Den Unglücklichen hatte man aufgetragen zu melden,
Simon schwöre bei Gott dem Allwissenden: wenn sie
ihm nicht auf der Stelle sein Weib herausgäben, so
werde er die Mauer stürmen und, ohne irgend ein Alter
zu schonen oder die Schuldigen von den Unschuldigen
zu trennen, allen Bewohnern der Stadt ein gleiches an-
thun. Diese Drohung versetzte nicht nur das Volk,
sondern auch die Zeloten in Bestürzung, und alsbald
gab man ihm sein Weib zurück, worauf er, ein wenig
besänftigt, in dem beständigen Blutvergiessen eine Pause
eintreten liess.
9. Aber nicht in Judaea allein tobte Aufruhr und
Bürgerkrieg , sondern auch in Italien. Galba nämlich
war mitten auf dem Forum zu Rom ermordet und zum
Imperator Otho ausgerufen worden, der indes mit seinem
von den germanischen Legionen erwählten Nebenbuhler
Vitellius im Kampfe lag. Bei Bedriacum in Gallien
kam es zwischen Otho und den Heerführern des
Vitellius, Valens und Caecinna, zur Schlacht, in welcher
am ersten Tage Otho, am zweiten das Heer des Vitellius
die Oberhand behielt. Nachdem viel Blut geflossen,
tötete Otho, der in Brixellum die Niederlage erfuhr, sich
selbst; nur drei Monate und zwei Tage hatte er an der
Spitze des Reiches gestanden. Sein Heer ging zu den
Feldherren des Vitellius über, und dieser zog nun mit
seiner Streitmacht jn Rom ein. Unterdessen war auch
Vespasianus am fünften des Monats Daisios wieder von
Caesarea aufgebrochen und gegen die noch nicht unter-
jochten Gegenden Judaeas zu Felde gezogen. Zunächst
erstieg er das Bergland und eroberte zwei Toparchien,
die von Gophna und Akrabatta, hierauf die Städtchen
Bethel und Ephraim, irj welche er Besatzungen legte;
dann ritt er weiter bis vor Jerusalem. Viele Juden, die
ihm in die Hände fielen, wurden niedergehauen, viele
auch zu Gefangenen gemacht. Einer seiner Offiziere,
Viertes Bach, 9. Kapitel.
451
Cerealis, verwüstete mit einer Abteilung Reiterei und
Fussvolk das sogenannte obere Idumaea und steckte ein
Städtchen Kaphethra, das er durch Überrumpelung ge-
nommen hatte, in Brand ; ein anderes, Kapharabis genannt,
belagerte er förmlich, da es eine sehr starke Ringmauer
hatte. Während er sich nun gefasst machte, hier längere
Zeit liegen bleiben zu müssen, öffneten ihm die Einwohner
plötzlich die Thore, flehten um Gnade und ergaben sich.
Cerealis versicherte sich ihrer und zog dann vor eine andere
Stadt, das uralte Chebron, das, wie schon bemerkt, un-
weit Jerusalems im Gebirge liegt. Nachdem er sich den
Eingang erzwungen hatte, liess er die gesamte waffen-
fähige Mannschaft niedermachen und die Stadt in Asche
legen. Nunmehr war alles bis auf die von den Räubern
besetzten Festungen Herodium, Masada und Machaerus
unterjocht, und es lag somit Jerusalem den Römern als
nächstes Ziel vor Augen.
10. Simon jhatte nicht sobald sein Weib aus den
Händen der Zeloten befreit, als er in die noch verschont
gebliebenen Teile Idumaeas zurückkehrte und das Volk
von allen Seiten so sehr in die Enge trieb, dass viele
in ihrer Not nach Jerusalem flohen. Er selbst aber
folgte ihnen bis vor die Stadt nach, umzingelte abermals
die Mauer und tötete alle aufs Land gehenden Arbeiter,
deren er habhaft werden konnte. War nun dem Volke
von den äusseren Feinden Simon schon furchtbarer
als die Römer, so flössten ihm doch, die Zeloten im
Innern der Stadt noch weit grösseren Schrecken ein.
Übrigens hatten inzwischen Bosheit und Frechheit auch
die Mannszucht unter den galilaeischen Truppen auf-
gelöst. Denn nachdem Joannes mit ihrer Hilfe den
Gipfel der Macht erklommen hatte, erlaubte er ihnen
dafür kraft seiner nunmehrigen Stellung als Herrscher,
alles zu thun, wonach es sie gelüstete. Unersättlich war
nun ihre Raubgier; die Häuser der Reichen wurden
durchstöbert; Männer morden und Weiber schänden
diente ihnen zur Kurzweil. Noch triefend vom Blute,
verprassten sie das Geraubte und ergaben sich aus
Go gle
w'NIVLRSITY OT CALI TO RN I,
452
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Übersättigung ungescheut weibischem Gebaren, indem
sie sich das Haar frisierten, Weiberkleider anzogen,
sich mit wohlriechendem öl salbten und sich zur Zierde
die Augen bemalten. Aber nicht allein was Putz an-
langt, suchten sie es den Weibern gleichzuthun, sondern
sie liessen sich auch als solche gebrauchen und ersannen
im Übermass der Geilheit widernatürliche Lüste: wie in
einem Bordell wälzten sie sich in der Stadt umher und
befleckten dieselbe mit lauter Werken der Unzucht.
Weiber dem Gesicht nach, führten sie mit der Hand den
Mordstahl; zierlichen Schrittes einhertänzelnd, ver-
wandelten sie sich plötzlich in angreifende Krieger; aus
ihren feingefärbten Oberkleidern zogen sie Schwerter
hervor und durchbohrten jeden, der ihnen in den Weg
kam. War jemand dem Joannes entronnen, so lauerte
auf ihn der noch blutdürstigere Simon, und wer sich vor
den Zwingherren im Innern der Stadt gerettet hatte, fiel
dem Tyrannen vor den Thoren zum Opfer. Wollte aber
einer zu den Römern übergehen, so fand er jeden Weg
zur Flucht abgeschnitten.
11. Infolgedessen brach unter dem Kriegs volk eine
Empörung gegen Joannes aus, indem sämtliche Idumäer
in demselben sich von den übrigen trennten, um gegen
den Tyrannen, auf dessen Macht sie eifersüchtig waren
und dessen Grausamkeit ihren Hass erregte, einen Schlag
zu versuchen. Alsbald kam es nun zum Handgemenge,
in welchem viele Zeloten ihr Leben verloren, während
die übrigen in den von der Grapte, einer Verwandten
des Adiabenerkönigs Izates, erbauten Palast 1 zusammen-
getrieben wurden. Die Idumäer, welche mit den Zeloten
in den Palast gelangt waren, drängten die letzteren
von da weiter in den Tempel und machten sich dann
an die Plünderung der Schätze des Joannes; denn der
erwähnte Palast, in welchem er wohnte, diente ihm auch
als Aufbewahrungsort für die Beute, die seine Tyrannei
ihm einbrachte. Unterdessen strömte die in der Stadt
1 S. Spiess, Jerusalem des Josephus, S. 44.
Go gle
UN1VERSITY öf CALtfpPNI/Y
Viertes Buch, 9. Kapitel.
453
zerstreute Menge der Zeloten zu denen, die sich in den
Tempel geflüchtet hatten, und schon traf Joannes An-
stalten, sie gegen das Volk und die Idumäer in den
Kampf zu führen. Die letzteren aber, die ihnen an
Streitbarkeit überlegen waren, fürchteten nicht so sehr
einen offenen Angriff von seiten der Zeloten, als dass
diese in der Verzweiflung nachts aus dem Tempel her-
vorschleichen , sie selbst überfallen und die Stadt in
Brand stecken möchten. Sie kamen daher zusammen
und überlegten mit den Hohepriestern, in welcher Weise
man sich gegen einen solchen Anschlag sichern könne.
Gott aber wandte ihre Gedanken auf einen schlimmen
Weg, sodass sie ein Rettungsmittel ersannen, das
schlimmer war als der völlige Untergang. Um nämlich
Joannes zu stürzen, beschlossen sie, den Simon in die
Stadt aufzunehmen und unter demütigem Flehen einen
zweiten Tyrannen sich auf den Hals zu laden. Ein
solcher Beschluss kam auch wirklich zur Ausführung:
sie sandten den Hohepriester Matthias ab, um den viel-
gefürchteten Simon zu bitten, dass er in die Stadt ein-
rücken möge. Dieser Bitte schlossen sich in der Hoff-
nung, ihre Häuser und ihr Vermögen wiederzuerhalten,
auch diejenigen an, welche vor den Zeloten aus Jerusalem
geflohen waren. Voll Übermut gewährte Simon ihnen
die Gnade, ihr Despot zu sein, und zog in die Stadt ein
unter dem Vorgeben, sie von den Zeloten befreien zu
wollen, weshalb das Volk ihn als seinen Retter und
Schirmherrn begrüsste. Kaum aber war er mit seinen
Truppen drinnen, als er sein Augenmerk nur auf das
richtete, was seine Oberherrschaft fördern konnte, und
diejenigen, die ihn eingeladen hatten, genau in dem-
selben Masse als Feinde ansah wie die, gegen welche
er gerufen worden war.
12. So ward Simon im dritten Jahre des Krieges, im
Monat Xanthikos, 1 Herr von Jerusalem. Joannes aber
und die vielen Zeloten, denen jeder Ausweg aus dem Tempel
1 Frühjahr 69 n. Chr.
454
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
versperrt und all ihr Besitztum in der Stadt genommen
war (denn Simon und seine Leute hatten nichts eiligeres
zu thun gehabt, als die gesamte Habe ihrer Gegner zu
plündern), befanden sich jetzt in einer verzweifelten
Lage. Obendrein machte nun Simon auch noch mit
Unterstützung des Volkes einen förmlichen Angriff auf
den Tempel. Indes schlugen die Zeloten, auf den Hallen
und Zinnen stehend, denselben ab, und Simons Leute
wurden massenhaft getötet oder verwundet hinweg-
getragen ; denn von ihrem höheren Standort herab
schossen die Zeloten leicht und sicher. Obwohl sie nun
durch die Örtlichkeit schon so sehr begünstigt waren,
errichteten sie , um ihre Geschosse von noch höheren
Stellen aus werfen zu können, doch noch vier mächtige
Türme: einen an der nordöstlichen Ecke, einen zweiten
oberhalb des Xystos, den dritten an der Ecke, die der
unteren Stadt gegenüberlag; der letzte endlich war über
dem Gipfel der Pastophorien 1 erbaut, wo herkömmlicher-
weise ein Priester am Abend vor dem Sabbat sich hin-
stellte und mit der Trompete den Anbruch des Ruhe-
tages verkündete, wie auch am folgenden Abend dessen
Schluss, um dadurch das eine Mal dem Volke zu
melden, dass es sich von Arbeiten enthalten, das andere
Mal, dass es sie wieder aufnehmen solle. Auf diesen
Türmen verteilten sie Katapulten und andere Schnell-
wurfmaschinen sowie Bogenschützen und Schleuderer.
Von da an liess Simon mit seinen Angriffen etwas nach,
weil die meisten seiner Leute anfingen kleinmütig zu
werden ; doch hielt er infolge seiner numerischen Stärke
immer noch stand , obwohl die weithin fliegenden Ge-
schosse der Maschinen eine Menge seiner Streiter zu
Boden streckten.
1 Nebengebäude des Tempels zur Aufbewahrung der gottesdienst-
lichen Kleider und Gefässe, ähnlich den Sakristeien christlicher
Kirchen.
Viertes Buch, 10. Kapitel.
455
Zehntes Kapitel.
Die Soldaten in Judaea und Aegypten rufen Vespasianus
zum Imperator aus. Josephus wird seiner Fesseln ent-
ledigt
1. Um dieselbe Zeit war auch Rom von schweren
Plagen heimgesucht. Vitellius nämlich war mit seinem
Heer und einer weiteren grossen Menschenmenge, die
er mit sich schleppte, aus Germanien angekommen und
hatte, da er in den für das Militär bestimmten Räum-
lichkeiten nicht alles unterbringen konnte, ganz Rom
zum Kriegslager gemacht und jedes Haus mit Be-
waffneten gefüllt. Als nun die letzteren mit Augen, die
an dergleichen nicht gewöhnt waren , den Reichtum der
Römer schauten und sich rings von Silber und Gold
umstrahlt sahen, vermochten sie ihre Begierde kaum so
weit zu zügeln, dass sie sich nicht sogleich an die
Plünderung machten und jeden, der sie daran hindern
konnte, niederstiessen. So sah es in Italien aus.
2. Vespasianus war soeben nach Unteijochung der
nächsten Umgegend Jerusalems in Caesarea wieder ein-
getroffen , als er von den Unruhen in Rom hörte und
dass Vitellius Imperator geworden sei. Wiewohl er nun
ebenso sehr zu gehorchen als zu befehlen verstand, rief
doch diese Nachricht seinen Unwillen wach, da er einen
Mann, der an dem gleichsam verwaisten Reiche seine
Tollheit ausliess, des Thrones nicht wert erachtete. Be-
sonders schmerzlich berührte ihn der Umstand , dass er
mit der Bekriegung Fremder sich beschäftigen sollte,
während sein eigenes Vaterland dem Untergang ent-
gegentrieb. In dem Masse aber, wie sein Zorn ihn zur
Rache aufstachelte, hielt ihn der Gedanke an die grosse
Entfernung davon zurück; wie manchen Streich, über-
legte er, könnte ihm, zumal die Seereise in den Winter
fallen würde, das Schicksal spielen, ehe er in Italien
zu landen vermöchte. Das war es, was ihn seine zornige
Ungeduld vorerst noch bemeistern hiess.
Go gle
Ulflf ! IlSirto C ' I I! ORlMI/',.
456
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
3. Seine Offiziere und Soldaten dagegen sprachen bei
ihren kameradschaftlichen Zusammenkünften bereits ganz
offen von einem Regierungswechsel und machten ihrem
Unwillen in heftigen Worten Luft. Die Soldaten in
Rom, hiess es, die im Wohlleben schwelgten und deren
zarte Ohren nicht einmal das Wort Krieg vertragen
könnten, vergäben den Thron nach Gutdünken und
Hessen sich bei der Ernennung der Imperatoren ledig-
lich von ihrer Habgier leiten. Und da sollten sie, die
so viele Strapazen durchgemacht hätten und unter den
Helmen ergraut seien, die höchste Gewalt an andere
verschenken, während sie einen der Herrschaft würdigeren
Mann in ihrer Mitte hätten ? Würden sie etwa je wieder
Gelegenheit finden, ihm für seine Güte zu danken, wenn
sie die jetzige Vorbeigehen Hessen? Dem Vespasianus
stehe doch der Thron vor Vitellius ebenso sicher zu, wie
ihnen das Recht der Ernennung vor denen, die den
letzteren gewählt hätten. Die Kriege, die sie selbst mit-
gemacht, ständen doch denen in Germanien an Be-
deutung gewiss nicht nach, und das Schwert wüssten sie
mindestens so gut zu führen wie diejenigen , die sich
von dort einen Tyrannen geholt hätten. Ein Kampf
werde übrigens gar nicht nötig sein; denn weder der
Senat noch das römische Volk werde das Lotterleben eines
Vitellius lieber wollen als die sittliche Tüchtigkeit eines
Vespasianus, und ebensowenig würden sie den grausamen
Tyrannen dem milden Fürsten, den kinderlosen 1 Herrn
dem, der zugleich Vater sei, vorziehen. Die beste Bürg-
schaft des Friedens seien die wirklichen Vorzüge der
Herrscher. Gebühre nun der reifen Erfahrung des
Alters der Thron, so hätten sie Vespasianus, wenn aber
der Kraft der Jugend, Titus; das Alter des einen wie
des anderen könnten sie sich demnach zunutze machen.
Für den Erwählten aber würden sie nicht nur selbst
1 Vitellius hatte Kinder, doch waren dieselben zur Regierung
unfähig. Ein Sohn von ihm war fast blödsinnig (siehe Sueton.,
Vitellius 6).
Go gle
Viertes Buch, 10. Kapitel.
457
mit aller Kraft einzu9tehen wissen, da sie ja drei Legi-
onen stark seien und noch die Hilfstruppen der Könige
hätten, sondern es würden auch der ganze Orient und
diejenigen Teile Europas, die den Yitellius nicht zu
fürchten brauchten , sowie ferner die Bundesgenossen in
Italien, der Bruder 1 und der zweite Sohn 2 des Vespa-
sianus ihre Mitwirkung nicht versagen. Dem letzteren
würden sich übrigens noch viele vornehme Jünglinge
anschlies9en , und was den ersteren betreffe, so sei ihm
sogar die Bewachung der Stadt an vertraut, womit für
ein Unternehmen wie das ihrige schon viel gewonnen
sei. Freilich, wenn sie zögerten, würde der Senat
vielleicht einen Mann zum Imperator wählen, vor dem
das Militär, die eigentliche Stütze des Reiches, keine
Achtung haben könne.
4. Derartige Gespräche führten die Soldaten, wenn
sie unter sich waren. Alsbald nun versammelten sie
sich in Masse, riefen, indem sie sich gegenseitig er-
mutigten, Vespasianus zum Imperator aus und forderten
ihn auf, das bedrohte Reich zu retten. Schon seit ge-
raumer Zeit hatte die Lage des Staates dem Feldherrn
Sorge bereitet, ohne dass er daran gedacht hätte, selbst
den Thron zu besteigen. Wohl hielt er sich um seiner
Thaten willen desselben für würdig; er zog aber die
Sicherheit des Privatlebens den Gefahren einer so
glänzenden Stellung vor und weigerte sich deshalb, die
Wahl anzunehmen. Die Offiziere jedoch drangen nur
um so mehr in ihn, und die Soldaten umringten ihn
sogar mit gezückten Schwertern und drohten ihn zu er-
morden, wenn er nicht für die hohe Würde, die man ihm
zugedacht, leben wolle. Er bemühte sich hierauf, ihnen
in längerer Rede die Gründe darzulegen, die ihn ver-
anlassten, auf den Thron zu verzichten; als er sie aber
nicht zu überzeugen vermochte, gab er schliesslich seinen
Wählern nach.
1 Sabinus.
- Domitianus.
458
Josephu9, Geschichte des jüdischen Krieges.
5. Weil nun Mucianus und die anderen Offiziere ihn
zur förmlichen Übernahme der Herrscher würde drängten
und das übrige Heer sich mit lautem Zuruf bereit er-
klärte, unter seiner Führung gegen jeden Feind anzu-
gehen, suchte er vor allem sich Alexandrias zu ver-
sichern; denn es war ihm wohlbekannt, welch hohe Be-
deutung Aegypten wegen seiner Getreidelieferungen für
das ganze Reich hatte. Einmal im Besitz dieses Landes,
hoffte er Vitellius stürzen zu können, und sollte derselbe
sich auch mit Gewalt behaupten wollen; das Volk zu
Rom nämlich, so rechnete er, würde seiner wohl bald
überdrüssig werden, wenn es unter ihm Hunger leiden
müsse. 1 Ferner gedachte er die beiden in Alexandria
stehenden Legionen zur Verstärkung seiner Streitmacht
heranzuziehen, und endlich sollte Aegypten ihm ein Zu-
fluchtsort für unvorhergesehene Unglücksfalle werden.
Denn es ist zu Lande nur schwer angreifbar und an der
Seeseite ohne Hafen; im Westen sind ihm die wasserlosen
Wüsten Libyens vorgelagert; gegen Süden grenzt es an
Syene und die unschiffbaren Wasserfalle des Nil; im
Osten wird es bis Koptos hin vom Roten Meere bespült ;
gegen Norden endlich dient ihm das Land bis Syrien
und das sogenannte Aegyptische Meer, das ganz ohne
Buchten ist, als Bollwerk. So hat Aegypten auf allen
Seiten seine natürlichen Befestigungen. Seine Länge
von Pelusium bis Syene beträgt zweitausend Stadien;
zu Schiff aber hat man von Plinthine bis Pelusium drei-
tausendsechshundert Stadien zu durchfahren. Der Nil
ist schiffbar nur bis zur sogenannten Elephantenstadt; 2
denn weiter hinauf zu fahren, gestatten die eben er-
wähnten Wasserfälle nicht. Der Hafen von Alexandria
ist auch im Frieden für Schiffe schwer zugänglich, da
seine Mündung eng ist und die Fahrstrasse sich in
krummer Linie zwischen verborgenen Klippen hinzieht.
1 Vergl. bezüglich der Wichtigkeit Aegyptens für die Versorgung
Roms mit Getreide den entsprechenden Passus der Rede Agrippas
11 , 16 , 4 ( 8 . 255 ).
- D. i. Elephantine (s. Register).
Viertes Bach, 10. Kapitel.
459
Die linke Seite des Hafens wird durch künstliche
Festungswerke geschützt; rechts legt sich vor ihn die
kleine Insel Pharos mit ihrem hohen Turm, der den
Seefahrern auf dreihundert Stadien hinaus Licht spendet
und sie dadurch veranlasst, bei Nacht wegen der Schwie-
rigkeit des Einfahrens in einiger Entfernung beizulegen.
Dieses Inselchen ist von gewaltigen künstlichen Dämmen
umgeben; indem sich nun die Meeresbrandung an letzteren
und an den gegenüberliegenden Uferbefestigungen bricht,
macht sie diese Passage ausserordentlich schwierig und
bei der Schmalheit der Einfahrt gefährlich. Innen da-
gegen ist der Hafen , der einen Umfang von dreissig
Stadien hat, sehr sicher. Was das Land von auswärts
zum Lebensgenuss braucht, wird hier eingeführt und
dafür der Überfluss an seinen eigenen Erzeugnissen in
die ganze Welt verschickt.
6. Kein Wunder, dass Vespasianus, um festere Zu-
stände im Reiche zu schaffen, sich dieses Landes zu
versichern trachtete. Er schrieb demgemäss unverzüglich
an den Statthalter von Aegypten und Alexandria, Tibe-
rius Alexander, 1 schilderte ihm die Ergebenheit des
Heeres und teilte ihm mit, wie er selbst, indem er die
schwere Last der Regierung notgedrungen auf sich nehme,
seiner Mitwirkung und Hilfe nicht entraten möchte.
Alexander hatte den Brief kaum gelesen, als er aufs
bereitwilligste die Legionen und das Volk für Vespa-
sianus vereidigte. Diesen war die Tüchtigkeit des Mannes
durch seine Thaten auf dem nahen Kriegsschauplatz
wohl bekannt geworden , und so gehorchten sie mit
Freuden; Alexander aber, dem eine so wichtige Rolle
bei der Erhebung des neuen Herrschers an vertraut worden
war, traf nun auch Anstalten zum würdigen Empfange
desselben. Das Gerücht von der im Orient stattgehabten
Ernennung des Vespasianus zum Imperator verbreitete
sich übrigens unglaublich schnell, und jede Stadt feierte
Feste, liess die Freudenbotschaft ausrufen und brachte
1 Den früheren Landpfleger von Judaea.
460
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Opfer für das Wohlergehen des Erwählten dar. Auch
die Legionen in Moesien und Pannonien, die kurz zuvor
gegen das waghalsige Unternehmen des Vitellius sich
aufgelehnt hatten, schwuren nun mit um so grösserer
Freude dem Vespasianus als ihrem Herrn den Eid der
Treue. Unterdessen war der Gefeierte von Caesarea
nach Berytus aufgebrochen, wo eine Reihe von Gesandt-
schaften aus Syrien und anderen Provinzen seiner
harrte, um ihm von den einzelnen Städten Kränze und
Glückwunschschreiben zu überreichen. Auch Mucianus,
der Statthalter von Syrien, hatte sich eingefunden und
meldete ihm, wie die Bevölkerung ihre Ergebenheit
kundgethan und alle Städte den Huldigungseid geleistet
hätten.
7. Da nun alles nach Wunsch ging und die Verhält-
nisse fast ganz zu seinen Gunsten sich gestalteten, kam
Vespasianus auf den Gedanken, dass er doch wohl nicht
ohne göttliche Fügung das Staatsruder ergriffen, sondern
ein gerechtes Geschick ihm die Weltherrschaft verliehen
habe. Ausser vielen anderen Vorzeichen, durch die ihm
bald hier, bald da diese Herrschaft angekündigt worden
war, fielen ihm jetzt auch die Worte des Joseph us ein,
der noch bei Lebzeiten Neros ihn den künftigen Impe-
rator zu nennen gewagt hatte. 1 Er erschrak, dass dieser
Mann noch als Gefangener bei ihm sein sollte. Dem-
zufolge berief er den Mucianus samt den übrigen Offizieren
sowie seine Freunde zu sich, schilderte ihnen zunächst
das thatkräftige Wesen des Josephus und wie viel der-
selbe ihm bei Jotapata zu schaffen gemacht, und erwähnte
dann seine Prophezeiungen, die ihm damals lediglich
wie eine Erfindung der Angst vorgekomraen seien, später
jedoch durch die Ereignisse als göttliche Eingebungen
sich erwiesen hätten. „Es wäre daher eine Schande,“
fuhr er fort, „wenn dieser Mann, der mir die Herrschaft
geweissagt und eine Kundgebung der Gottheit überbracht
hat, noch länger als Kriegsgefangener behandelt würde
S. III, 8, 9.
Viertes Buch, 11. Kapitel.
461
und das Schicksal eines Gefesselten ertragen müsste"
Hierauf gab er Befehl, den Josephus zu rufen und ihm
die Ketten abzunehmen. Während nun die Offiziere
aus dieser einem Fremden bewiesenen Erkenntlichkeit
die glänzendsten Hoffnungen für sich selbst herleiteten,
sprach Titus, der sich bei seinem Vater befand: „Die
Gerechtigkeit verlangt, dass man dem Josephus mit dem
Eisen auch die Schmach abnehme, die man ihm -an-
gethan ; denn wenn wir seine Ketten nicht lösen, sondern
zerhauen, wird es sein, als wäre er nie gefesselt gewesen"
Dieses Verfahren wird nämlich bei denen beobachtet, die
zu Unrecht in Ketten gelegt worden sind. Vespasianus
war damit einverstanden , und sogleich trat ein Soldat
herzu und zerhieb die Fesseln mit einer Axt. So ge-
langte Josephus zum Lohn für seine Prophezeiung wieder
in den vollen Besitz seiner Ehre und genoss fortan in
allem, was die Zukunft betraf, eine besondere Glaub-
würdigkeit.
Elftes Kapitel.
Nach dem Sturze des Vitellius eilt Vespasianus nach
Rom, Titus vor Jerusalem.
1. Als Vespasianus den Gesandtschaften Bescheid er-
teilt und die Statthalterposten nach Verdienst und
Würdigkeit besetzt hatte, begab er sich nach Antiochia.
Indem er nun hier überlegte, wohin er sich wenden
'sollte, kam er zu der Erkenntnis, dass die Angelegen-
heiten in Rom doch wichtiger seien als der Zug nach
Alexandria; letztere Stadt nämlich war ihm ohnehin sicher,
wogegen er Rom durch Vitellius beunruhigt sah. Er
sandte daher den Mucianus an der Spitze einer be-
deutenden Streitmacht von Reiterei und Fussvolk nach
Italien voraus, und zwar führte dieser, da es gerade
mitten im Winter war und er aus diesem Grunde die
Seereise scheute, sein Heer auf dem Landweg durch
Kappadocien und Phrygien.
2. Unterdessen war auch Antonius Primus mit der
462
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
dritten Legion aus Moesien, wo er damals Statthalter
war, eiligst aufgebrochen, um sich mit Vitellius zu schlagen.
Dieser sandte ihm den Caecinna Alienus, auf den er
wegen seines Sieges über Otho grosse Stücke hielt, mit
bedeutender Heeresmacht entgegen. Caecinna rückte in
Eilmärschen Von Rom aus und stiess bei Cyemona, einer
Stadt Galliens an der italienischen Grenze, auf seinen
Gegner Antonius. Als er aber hier die Stärke und gute
Ordnung des feindlichen Heeres sah, wagte er keine
Schlacht, sondern sann, weil auch der Rückzug ihm ge-
fährlich schien, auf Verrat. In dieser Absicht ver-
sammelte er die ihm untergebenen Centurionen und
Tribunen und suchte sie zum Anschluss an Antonius zu
bewegen, indem er die Macht des Vitellius herabsetzte,
des Vespasianus Stärke dagegen herausstrich. Der eine,
sagte er, sei nur dem Namen nach Herrscher, während
der andere die Macht habe ; sie thäten daher am besten,
aus der Not eine Tugend zu machen und, da sie ja doch
im Kampfe den kürzeren ziehen würden, durch freiwillige
Sinnesänderung der Gefahr zuvorzukommen. Übrigens
sei Vespasianus auch ohne ihre Hilfe imstande, sich das
zu unterwerfen, was ihm noch fehle, während Vitellius
selbst mit ihnen nicht einmal das, was er habe, zu be-
haupten vermöge.
3. Durch viele derartige Vorstellungen gelang es
ihm, sie urazustimmen, und er ging nun mit seiner ganzen
Streitmacht zu Antonius über. In derselben Nacht aber
überkam Reue die Soldaten und Furcht vor dem, der
sie abgesandt, falls dieser etwa doch die Oberhand ge-
winnen sollte. Mit gezückten Schwertern fielen sie über
Caecinna her, um ihn zu ermorden, und würden ihr
Vorhaben auch wirklich ausgeführt haben , wenn die
Tribunen nicht kniefällig Fürbitte für ihn eingelegt
hätten. Sie nahmen daraufhin zwar von seiner Er-
mordung Abstand, fesselten ihn aber als Verräter und
schickten sich an, ihn dem Vitellius zuzusenden. Kaum
hatte Primus dies vernommen, als er seine Leute so-
gleich aufbrechen liess und sie in voller Rüstung gegen
Viertes Buch, 1 1 . Kapitel,
46a
die Abtrünnigen führte. Die letzteren nahmen die Schlacht
an, wandten sich indes nach kurzem Widerstand und
flohen auf Cremona zu. Primus aber schnitt ihnen mit
seiner Reiterei sämtliche Wege ab, machte den grössten
Teil der Fliehenden, den er vor der Stadt umzingelt
hatte, nieder und drang zugleich mit den übrigen in
Cremona ein, das er dann seinen Kriegern zur Plünderung
preisgab. Dabei kam ausser vielen fremdem Kauf leuten
und einer Menge Eingeborener das ganze, dreissigtausend-
zweihundert Mann starke Heer des Vitellius um j 1 aber auch
Antonius verlor von seiner moesischen Legion viertausend-
fünfhundert Mann. Den Caecinna liess er sodann seiner
Fesseln entledigen und sandte ihn behufs Meldung der
Ereignisse an Vespasianus. Dieser nahm den Boten
gnädig auf und verhüllte die Schande seines Verrates
durch unverhoffte Ehrenbezeugungen.
4. Die Nachricht, dass Antonius heranrücke, flösste
auch dem Sabinus neuen Mut ein; er zog die Mann-
schaften, welche den Nachtwachdienst versahen, zusammen
und besetzte mit ihnen in der Nacht das Kapitolium.
Als der Tag angebrochen war , schlossen sich ihm noch
viele vornehme Männer an, darunter auch, sein Neffe
Domitianus, von dem man das meiste für den Sieg er-
hoffte. Primus machte übrigens dem Vitellius wenig
Sorge; dagegen war er voll Erbitterung über die Teil-
nehmer an der Empörung des Sabinus, und da er aus
angeborener Grausamkeit nach edlem Blut lechzte, griff
er mit dem Teile des Heeres, den er mitgebracht hatte,
das Kapitolium an. Heldenmütig stritten nun sowohl
die stürmenden Truppen als diejenigen, die vom Tempel
herab kämpften; endlich aber gelang es den an Zahl
überlegenen Germanen, sich des Hügels zu bemächtigen.
Nui wie durch ein Wunder rettete sich Domitianus mit
den vielen vornehmen Römern; die übrige Menge da-
gegen wurde niedergemetzelt, Sabinus vor Vitellius ge-
führt und hingerichtet, und der Tempel, nachdem die
1 Vergl. Dio Caasius LXV, 15.
464
Josephus, Gescbichte des Jüdischen Krieges.
Soldaten die darin befindlichen Weihgeschenke geraubt
hatten, in Brand gesteckt. Einen Tag später drang
Antonius mit seinem Heer in die Stadt ein, und obwohl,
des Vitellius Truppen, an drei Stellen Roms verteilt,
kräftigen Widerstand leisteten, wurden sie gänzlich auf-
gerieben. Vitellius selbst, der berauscht war und an
schwelgerischer Tafel wie an einem Henkersmahl sich
bis zum Übermass gesättigt hatte, ward, als er aus
seinem Palast hervorkam, vom Pöbel fortgeschleppt, auf
alle mögliche Weise misshandelt und verhöhnt und end-
lich mitten in der Stadt ermordet. Seine Regierung
hatte nur acht Monate und fünf Tage gedauert; wäre
ihm ein längeres Leben beschieden gewesen, so würde
das ganze Reich, glaube ich, für seine Schwelgerei nicht
gelangt haben. Ausser ihm waren über fünfzigtausend
Menschen bei jenem Gemetzel umgekommen, das am
dritten des Monats Apellaios stattfand. Tags darauf
zog Mucianus mit seinen Truppen ein und befahl zu-
nächst den Leuten des Antonius, das Morden einzu-
stellen; denn fortwährend durchsuchten diese die Häuser
und machten noch viele Soldaten des Vitellius wie auch
eine Menge Bürger, die sie für dessen Parteigänger
hielten, nieder, ohne in ihrer Erbitterung genau zu
unterscheiden. Alsdann führte er Domitianus vor und
empfahl ihn dem Volke als Herrscher bis zur Ankunft
seines Vaters. Von aller Furcht befreit, jauchzte nun
die Bürgerschaft dem Imperator Vespasianus zu und
feierte zu gleicher Zeit seine Erhebung auf den Thron
und des Vitellius Sturz.
5. Eben war Vespasianus in Alexandria angekommen,
als er die erfreulichen Nachrichten aus Rom vernahm.
Dort hatten sich aus allen Teilen der Welt, deren Be-
herrscher er nun war, Gesandte eingefunden, um ihm
Glück zu wünschen, und so gewaltig drängten sich die
Menschenmassen, dass die Stadt, obwohl nach Rom die
grösste des Erdkreises , sich als zu klein erwies. Weil
nun seine Regierung allenthalben anerkannt und der
römische Staat unverhofft gerettet war, richtete Vespa-
Viertes Buch, 11. Kapitel.
465
sianus seine Gedanken wieder auf die in Judaea noch
erforderlichen Massregeln. Ihn selbst drängte es
übrigens, sich zu Ende des Winters nach Rom einzu-
schiffen, weshalb er auch die Geschäfte in Alexandria
schnell erledigte, und so sandte er denn seinen Sohn
Titus mit auserlesener Streitmacht zur Eroberung Jeru-
salems ab. Dieser marschierte zu Land bis Nikopolis,
welches zwanzig Stadien von Alexandria entfernt liegt,
liess hier sein Heer Kriegsschiffe besteigen und' segelte
auf dem Nil bis zur Stadt Thmuis im Mendesischen
Bezirk. Dort stieg er aus, zog zu Fuss weiter und über-
nachtete bei einem Städtchen Namens Tanis. Das zweite
Nachtlager hielt er in Herakleopolis, das dritte in Pelu-
sium, wo er sich zwei Rasttage gönnte. Am dritten
Tage setzte er über die Nilmündung bei Pelusium, zog
dann eine Tagereise weit durch die Wüste und lagerte
bei dem Tempel des Zeus Kasios , 1 tags darauf bei
Ostrakine. Diese Station hat kein Wasser, weshalb die
Einwohner es von auswärts herbeiholen müssen. Hierauf
rastete er in Rhinokorura, erreichte am vierten Tage
Raphia, die erste Stadt Syriens, schlug am fünften Tage
sein Lager in Gaza auf, am folgenden bei Askalon,
marschierte von da nach Jamnia, dann nach Joppe, und
endlich von Joppe nach Caesarea, ^o er die übrigen
Streitkräfte an sich zu ziehen gedachte.
♦
1 So genannt nach dem Berge Kasios (heute El Kas Kasaroun
oder El Katieh), auf welchem sich ausser dem Tempel auch das
<3rab des ermordeten Pompejus befand (s. Strabo XVI, 760; Plinius,
Naturgeschichte V, 12).
Fünfles Buch,
Inhalt.
1. Wie der Aufruhr in Jerusalem drei Parteien erzeugte.
2. Des Geschichtschreibers Klage über die Heimsuchung der
Stadt.
3. Während die Empörer unter sich im Streit liegen, werden viele
Getreidemagazine in Brand gesteckt.
4. In Jerusalem wird tagtäglich gekämpft, und die Verwandten und
Freunde der Gefallenen wagen dieselben nicht einmal mehr zu
betrauern.
5. Wie Joannes von dem für den Tempel bestimmten Bauholz
Türme wider die Anhänger der Gegenpartei errichten wollte,
aber durch die Ankunft der Römer daran gehindert wurde.
6. Des Titus Marschordnung beim Vorrücken gegen Jerusalem.
7. Titus macht mit sechshundert Mann einen Erkundigungsritt auf
Jerusalem zu. Wie er sich hierbei tapfer gegen den Ansturm
der Juden wehrte.
8. Wie er bis zu dem Skopos genannten Platze vordrang und dort
die einzelnen Abteilungen seines Heeres lagerte.
9. Wie die Juden, als sie die Römer gegen sich heranziehen sahen,
ihren Hader vergassen, für kurze Zeit Frieden schlossen und
bei einem plötzlichen Ausfall die zehnte Legion in die Flucht
schlugen.
10. Wie Titus, von den Seinen abgeschnitten, mitten unter den Feinden
sich tapfer schlug, und wie seine Freunde ihm zuredeten, er
möge sich nicht so tollkühn der Gefahr aussetzen.
11. Wie Joannes die Zeloten überwand und der Aufruhr sich dem-
gemäss auf zwei Parteien beschränkte.
12. Wie Tittfs die zu Belagerungswerken geeigneten Örtlichkeite.n
ebnen liess und den Römern, die unvorsichtigerweise in einen
Hinterhalt der Juden gefallen waren, Verzeihung gewährte.
Wie er, nachdem das ganze Terrain bis zur Mauer geebnet war,
das Lager näher an die Stadt heranrückte.
.tmUVERSITY OF CftÜFORN(/\
Go gle
Fünftes Bach, Inhalt.
467
13. Beschreibung der Stadtmauern.
14. Beschreibung des Tempels.
15. Von den Priestern, sowie von ihrer und des Hohepriesters
Kleidung.
16. Von den Tyrannen Simon und Joannes und den Anführern, die
sie ernannten.
17. Während Titus die Stadtmauer umreitet und auskundschaftet,
wird sein Freund Nikanor an der Seite des Josephus verwundet,
weshalb er die Aufführung der Wälle und die Herbeischaffung
von Belagerungsmaschinen beschleunigen lässt.
18. Nochmals die Tyrannen Joannes und Simon, und wie sie sich
gegenseitig Hilfe leisteten. Über die Wirkung der von den
Bailisten geschleuderten Steingeschosse.
19. Wie die Tyrannen, nachdem die Mauer an drei Stellen von
den Maschinen beschädigt war, sich zum Kampfe gegen die
Börner einigten und deren Belagerungs werke einäscherten. Wie
Joannes, der Anführer der Idumäer, durch einen Pfeilschuss
getötet wurde.
20. Wie einer der drei von den Römern erbauten Türme von selbst
einstürzte, und wie dieselben unter vielem Blutvergiessen mit
Hilfe des von den Juden „Nikon“ genannten Sturmbockes die
erste Mauer nahmen.
21. Wie Titus alsbald sich zur Berennung der zweiten Mauer an-
schickte, die Juden dagegen dem Angriff standhielten und alles
verschanzten.
22. Von dem römischen Krieger Longinus.
23. Von dem verschmitzten Juden Kastor, der den Titus und die
Börner hinters Licht führte.
24. Wie die Römer sich der zweiten Mauer bemächtigten, aber wieder
zurückgeschlagen wurden und erst beim nochmaligen Angriff
die Mauer erstürmten.
25. Wie Titus von der Belagerung Abstand zu nehmen versprach,
falls die Juden sich ergeben wollten, und wie die Juden
hierauf nicht eingingen, weshalb er von neuem zur Belagerung
schritt.
26. Des Josephus Ermahnungen an seine Landsleute, und wie infolge
davon viele aus dem Volke zu den Römern übergingen.
27. Hungersnot und andere schreckliche Leiden des Volkes.
28. Wie Titus die Juden, die bei der Suche nach Nahrungsmitteln
gefangen genommen wurden, kreuzigen liess, und wie die
Tyrannen, damit niemand mehr an Übergabe denke, die Ver-
wandten der Überläufer auf die Mauer führen Hessen und ihnen
die Gekreuzigten zeigten unter Hinweis darauf, dass auch ihnen,
falls sie überliefen, dasselbe bevorstehe. Wie sich hierdurch
viele von der Flucht abhaiten Hessen, bis der wahre Sachver-
halt bekannt wurde.
30 *
Go gle
'IffJIVERSITY OF CALIFORNIA
468
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
29. Von Antiochus Epiphanes, und was ihm und den Seinigen
zustiess.
30. Wie die Juden mit Hilfe unterirdischer Gänge die Verschan-
zungen zum Einsturz brachten und, als die Römer wiederum
Maschinen herangeschafft hatten, bei einem Ausfall dieselben
in Brand steckten , wobei auf beiden Seiten eine Menge Kämpfer
fielen.
31. Wie nach Einäscherung der Verschanzungen Titus seine Offiziere
zum Kriegsrat versammelte, die Stadt mit einer Ringmauer
umgeben und abermals Wälle bauen liess.
32. Das Elend des Volkes infolge der Hungersnot und die Greuel -
thaten der Empörer.
33. Von Matthias, dem der Tyrann Simon seinen Einlass in die
Stadt verdankte und den er trotzdem nebst vielen anderen
Vornehmen hinrichten liess. Der Vater des Josephus wird weiter
in strengem Gewahrsam gehalten.
34. Wie Judas, einer der Unterbefehlshaber Simons, in dem Augen-
blick, als er den ihm an vertrauten Turm dem Titus über-
. geben wollte, vor Ausführung seines Verrates festgenommen
wurde.
35. Wie Josephus, als er wiederum den Bürgern zusprach, von einem
Stein getroffen wurde, und wie infolgedessen seine Volksgenossen
zunächst den Mut verloren, dann aber sich wieder ermannten,
als sie ihn wohlbehalten sahen.
36. Was den ausgehungerten Überläufern widerfuhr, als sie gierig
Speise zu sich nahmen, und wie einigen von ihnen der Leib
aufgeschnitten wurde, weil man vermutete, sie hätten Goldstücke
verschluckt.
37. Wie der Tyrann Joannes gottesdienstliche Gerate zu seinem und
seiner Spiessgesellen Vorteil einschmelzen liess.
38. Anzahl der Leichen, die durch ein einziges Stadtthor innerhalb
zweier Monate hinausgetragen wurden.
Fünftes Buch, 1. Kapitel.
469
Erstes Kapitel.
Das Parteigetriebe in Jerusalem.
1. So war denn Titus, nachdem er auf die angegebene
Weise die Wüste zwischen Aegypten und Syrien durch-
zogen hatte, in Caesarea angelangt, wo er vor allem sein
Heer in Ordnung zu bringen gedachte. Übrigens hatte
bereits zu der Zeit, da er in Alexandria seinem Vater
die neue, von Gott ihnen verliehene Herrschaft befestigen
half, der Aufruhr in Jerusalem frisches Leben bekommen
und drei Parteien erzeugt, von welchen die eine der
anderen feindlich gegenüberstand, was man eigentlich
noch ein Glück im Unglück und ein Werk der Gerech-
tigkeit nennen darf. Die Willkürherrschaft, mit der die
Zeloten das Volk drangsalierten und die den eigent-
lichen Anfang der Zerstörung Jerusalems bildete, ist ja
ihrem Ursprung nach und in ihrem verderblichen Fort-
schreiten oben ausführlich geschildert worden. Nicht
mit Unrecht kann man dieselbe als Aufruhr im Aufruhr
bezeichnen, der wie ein tollwütiges Tier in Ermangelung
der Nahrung von aussen bereits gegen das eigene Fleisch
zu wüten begann.
2. Simons Sohn Eleazar nämlich, derselbe, der gleich
anfangs die Zeloten veranlasst hatte, sich vom Volke zu
trennen und den Tempel zu besetzen, stiftete scheinbar aus
Entrüstung über die unaufhörlichen Greuelthaten des
immer noch mordgierigen Joannes, in Wirklichkeit aber
weil er sich dem später aufgekommenen Tyrannen nicht
unterordnen wollte, aus Begier nach der obersten Ge-
walt und blosser Herrsucht eine neue Partei, indem er
aus den Reihen der Machthaber Judas, den Sohn des
Chelkias, und Simon, den Sohn des Ezron, an sich zog,
denen noch ein anderer, nicht unbedeutender Mann,
Ezekias, der Sohn des Chobar, beitrat. Jeder von diesen
hatte auch noch einen ziemlichen Anhang unter den
Zeloten. Sie besetzten nun den inneren Tempelraum
und pflanzten über den geweihten Thoren im Angesicht
Go gle
470
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
des Allerheiligsteii ihre Waffen auf. Mit Lebensmitteln
reichlich versehen, waren sie wohlgemut; denn die Opfer-
gaben überhoben diese Menschen, die nichts für unerlaubt
hielten, aller Not Nur ihre geringe Anzahl machte
ihnen Sorge; sie verhielten sich daher, nachdem sie ihre
Waffen dort niedergelegt hatten, zunächst ruhig. Was
übrigens Joannes mit seiner zahlreicheren Mannschaft
vor ihnen voraus hatte, büsste er durch die Ungunst
seiner Stellung wieder ein; denn da die Feinde sich
über seinem Haupte befanden, musste jeder Angriff auf
sie mit Verlusten verbunden sein. Seine zornige Auf-
regung aber liess ihn nicht ruhen, und obwohl er mehr
Schaden erlitt, als er dem Eleazar und dessen Anhängern
zufügen konnte, nahmen die Feindseligkeiten kein Ende;
auf beiden Seiten gab es beständige Ausfälle, und ohne
Unterlass flogen die Geschosse hin und her, sodass der
Tempel bald keine Stelle mehr aufwies, die nicht mit dem
Blute der Gefallenen befleckt gewesen wäre.
3. Aber auch Simon, des Gioras Sohn, jener Tyrann,
den das Volk in seiner Verzweiflung zu Hilfe gerufen
und der ausser der oberen Stadt auch einen grossen
Teil der unteren in seiner Gewalt hatte, setzte nun dem
Joannes und dessen Leuten, weil sie schon von oben
bedrängt wurden, noch nachdrücklicher zu. Freilich
musste er ebenso von unten herauf gegen Joannes an-
kämpfen, wie dieser gegen die höher stehende dritte
Partei, und natürlich war Joannes um soviel gegen die
letztere im Nachteil, als er vor Simon durch seine höhere
Stellung voraus hatte; seine eigenen Verluste hielten
sich daher mit denen, die er seinen Gegnern beibrachte,
so ziemlich im Gleichgewicht. Die Angriffe von unten
schlug er bequem mit der blanken Waffe ab, und gegen
die Schüsse vom Tempel her wehrte er sich mit Maschinen ;
denn es standen ihm eine Anzahl Katapulten und
sonstige Wurfmaschinen zu Gebot, mit denen er freilich
nicht nur seine Feinde sich vom Halse hielt, sondern
auch viele Opfernden tötete. Obwohl nämlich die An-
hänger Eleazars in ihrer Raserei sich jede Art von
Fünftes Bach, 1 . Kapitel.
471
Gottlosigkeit erlaubten, Hessen sie doch diejenigen, welche
opfern wollten, in den Tempel ein, wobei sie die Ein-
heimischen mit argwöhnischer Vorsicht, die Fremden da-
gegen sorgloser durchsuchten. Hatten aber diese Leute
beim Eintritt die Grausamkeit der Besatzung durch
Bitten besänftigt, so wurden sie nichtsdestoweniger vom
Aufruhr dahingerafft ; denn die Geschosse der Maschinen
flogen infolge der grossen Kraft, mit der sie geschleudert
wurden, bis an den Altar und den Tempel und trafen
Priester wie Opfernde. So sanken viele, die von den
Enden der Erde zu dem hochberühmten, allen Menschen
heiligen Ort gepilgert waren, noch vor ihren Opfertieren
zu Boden und netzten den Altar, den sämtliche Griechen
und Barbaren verehren, mit ihrem Blute. Leichen von
Einheimischen und Fremden, von Priestern und Laien
lagen hier durcheinander aufgehäuft, und ihr Blut
bildete in den heiligen Bäumen einen förmlichen See.
Hast du dergleichen , unseligste der Städte , von den
Körnern erfahren müssen ? Nein, sie kamen nur, um die
Greuel deiner eigenen Kinder zu sühnen ! Denn Gottes
Stadt warst du nicht mehr und konntest es nicht bleiben,
nachdem du das Grab deiner eigenen Bewohner geworden
warst und den Tempel zum Beerdigungsplatz für die
Opfer des Bürgerkrieges gemacht hattest. Vielleicht, dass
du einmal wieder bessere Tage siehst, wenn du den Gott, der
dich zerstörte, versöhnt hast ! Doch das Gesetz der Geschicht-
schreibung will die Äusserungen des Schmerzes zurück-
gedrängt wissen; denn nicht heisst es jetzt ein Klage-
lied um die Heimat anstimmen, sondern den Gang der
Ereignisse schildern. Ich fahre daher in der Geschichte
des Aufstandes fort.
4. So waren denn die inneren Feinde der Stadt in
drei unter sich feindliche Lager gespalten. 1 Eleazar
mit seinem Anhang, in dessen Gewahrsam die heiligen
Erstlingsfrüchte sich befanden, tobte gegen Joannes;
dessen Bande raubte die Bürger aus und lag mit Simon
1 Vergl. Tacitus, Histor. V, 12.
Go gle
IlSltfli f AMI URi«
472
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
im Streit, und auch ihn musste die Stadt für den Kampf
wider die Gegen aufrührer mit Proviant versehen. So
oft nun Joannes von beiden Seiten angegriffen wurde,
teilte er seine Leute, stellte sie in entgegengesetzten
Richtungen auf und beschoss die aus der Stadt An-
stürmenden von den Hallen herab, während er sich
gegen die- Speerwürfe vom Tempel her mit seinen
Maschinen verteidigte. Liessen ihn die Angreifer da
oben einmal freier aufatmen, wenn, wie so oft, Trunken-
heit und Ermattung dieselben in Unthätigkeit versetzte,
so machte er mit stärkeren Streitkräften desto kühnere
Ausfälle gegen Simon und steckte, soweit er diesen in
die Stadt hinuntertrieb, stets die mit Getreide und aller-
hand sonstigem Vorrat gefüllten Häuser in Brand.
Zog aber Joannes sich wieder zurück, so that der ihm
nachsetzende Simon das gleiche, als ob sie geflissentlich
den Römern zulieb alles, was die Stadt für die Zeit der
Belagerung angesammelt hatte, vernichten und den Nerv
ihrer eigenen Macht durchschneiden wollten. Die Folge
davon war, dass alles in der Umgebung des Tempels
eingeäschert wurde, sowie dass mitten in der Stadt ein
öder, als förmliches Schlachtfeld tauglicher Raum zwischen
den kämpfenden Parteien entstand und sämtliches Ge-
treide, das auf Jahre hinaus für eine Belagerung gereicht
haben würde, bis auf weniges in Flammen aufging.
Natürlich mussten dann die Bewohner der Stadt schliess-
lich dem Hunger erliegen, was schlechterdings unmög-
lich gewesen wäre, wenn sie nicht selbst dieses Schicksal
sich bereitet hätten.
5. Während auf diese Weise innere Feinde und zu-
sammengelaufenes Gesindel die Stadt in allen ihren
ihren Teilen bedrängten, wurde die mitten dazwischen
befindliche Bürgerschaft wie ein grosser Leib zerfleischt.
Greise und Weiber beteten aus Verzweiflung über das
Elend Jerusalems für die Römer und warteten sehn-
süchtig auf den Krieg von aussen, um von den inneren
Übeln erlöst zu werden. Furcht und Schrecken war
über die eigentlichen Bewohner gekommen, und dabei
Go gle
Fünftes Buch, 1. Kapitel.
475
waren sie nicht nur aller Mittel und Wege zur Ver-
besserung ihrer Lage beraubt, sondern hatten auch nicht
die geringste Aussicht mehr auf friedlichen Vergleich
oder auf Flucht, so sehr sie nach letzterer verlangen
mochten. Denn alles war mit Wachen besetzt, und
wenn auch die Anführer der Banditen im übrigen ein-
ander befehdeten: die Freunde einer Verständigung mit
den Römern und die als Überläufer Verdächtigten
mordeten sie wie gemeinsame Feinde, sodass das einzige,
worin sie übereinstimmten, die Niedermetzelung derer
war, die länger zu leben verdient hatten. Tag und
Nacht erscholl ohne Unterlass das laute Geschrei der
Kämpfenden ; noch grauenvoller aber war das stille
Seufzen der Trauernden. Schlag auf Schlag zwar lieferte
das Unglück immer neuen Stoff zu Wehklagen ; aber
das Entsetzen schloss den Mund für lautes Jammern,
und die Angst unterdrückte jede Äusserung der Gefühle.
Um so mehr wurden die Ärmsten von verhaltenem
Kummer gequält. Keine Rücksicht kannte man mehr
für lebende Angehörige, und den Toten liess man kein
Begräbnis mehr an gedeihen — so sehr hatte die Verzweif-
lung sie alle ergriffen. Wer am Aufstand nicht teilnahm,
war in völligen Stumpfsinn versunken; sah doch jeder
nichts anderes als seinen baldigen Untergang vor Augen.
Auf Haufen von Toten stehend kämpften die Empörer,
und als saugten sie Wahnsinn aus den Leichen zu ihren
Füssen, geberdeten sie sich nur um so wilder; stets
neues Verderben gegeneinander ersinnend und jeden
Beschluss unbarmherzig ins Werk setzend, Hessen sie
keine Art von Misshandlung und Grausamkeit un-
geschehen. Joannes wollte sogar das heilige Holz zum
Bau von Kriegsmaschinen verwenden. Das Volk und
die Priester hatten nämlich früher einmal beschlossen,
den Tempel unten zu stützen und ihn um zwanzig Ellen
zu erhöhen ; mit vieler Mühe und ungeheuren Kosten
hatte der König Agrippa sodann vom Libanon Bauholz
herbeischaffen lassen, und zwar lauter schöngewachsene
und wegen ihrer Grösse sehenswerte Stämme. Da nun
474
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
der Krieg das Werk unterbrochen hatte, liess Joannes
das Holz zerschneiden, um Türme davon zu bauen, für
deren Höhe er in anbetracht des Umstandes, dass sie
gegen die vom Tempel herab Kämpfenden zur Ver-
wendung kommen sollten, die Länge der Stämme gerade
passend fand. Die Türme gedachte er hinter der Mauer
gegenüber der westlichen Galerie zu errichten, wo dies
auch allein möglich war, weil die anderen Teile des
Tempels wegen der Treppen zu weit zurückstanden.
6. Durch diese im Frevel gegen Gott erbauten Werke
hoffte Joannes seine Feinde bewältigen zu können. Der
Herr aber vereitelte seine Bemühung, indem er, ehe
auch nur einer der Türme dastand, die Körner herbei-
führte. Unterdessen nämlich war Titus, nachdem er
einen Teil seines Heeres an sich gezogen und einen
anderen brieflich beordert hatte, vor Jerusalem zu ihm
zu stossen, von Caesarea aufgebrochen. 1 Zur Verfügung
stand ihm ausser den drei Legionen, welche zuvor mit
seinem Vater Judaea verheert hatten, 2 noch die zwölfte,
die früher unter Cestius geschlagen worden war, 3 übrigens
aber durch Tapferkeit sich auszeichnete und jetzt im
Andenken an jene Schlappe um so freudiger in den
Kampf eilte, um dieselbe wieder gut zu machen. Die
fünfte Legion hatte Befehl erhalten, über Ammaus zu
ihm zu stossen, die zehnte, über Jericho nach Jerusalem
zu marschieren. Er selbst rückte an der Spitze der
übrigen Truppen aus, an welche die sämtlich verstärkten
Hilfsheere der Könige und ausserdem noch viele
Bundesgenossen aus Syrien sich anschlossen. Übrigens
war auch die Mannschaft, welche Vespasianus aus den
vier Legionen ausgewählt und mit Mucianus nach Italien
geschickt hatte, diesen aus den von Titus mitgebrachten
Streitkräften wieder ersetzt worden. Die letzteren be-
standen aus zweitausend Mann Kern truppen von dem
1 Frühjahr 70 n. Chr.
- Nämlich der fünften, zehnten und fünfzehnten.
3 8. II, 18, 9; 19, 7 ff.
Fünftes Buch, 2. Kapitel.
475
Heere zu Alexandria sowie weiteren dreitausend Mann
von den Besatzungen am Euphrat. Im Gefolge des
Titus befand sich auch sein als ergeben und einsichts-
voll aufs beste bewährter Freund Tiberius Alexander,
der vordem Statthalter von Aegypten gewesen war, jetzt
aber eine der höchsten Befehlshaberstellen im Heer inne-
hatte. Er war dieser Ehre gewürdigt worden, weil er
zuerst dem neu emporgekommenen Herrscherhause ge-
huldigt und mit leuchtender Treue sein eigenes Geschick
an dessen noch dunkle Zukunft gekettet hatte. 1 Durch
Alter und Erfahrung sich auszeichnend, begleitete er
jetzt den Titus als Ratgeber in den Angelegenheiten
des Krieges.
Zweites Kapitel.
Titus rückt vor Jerusalem. Angriff der Juden auf die
zehnte Legion am Oelberg.
1. Den Zug des Titus in Feindesland eröffneten die
königlichen und die sämtlichen übrigen Hilfstruppen.
Ihnen folgten die Strassenbauer und Lagerabstecker,
dann das Gepäck der Offiziere; hinter der wohlbewaff-
neten Bedeckung des letzteren der Feldherr selbst in-
mitten von Lanzenträgern und sonstiger auserlesener
Mannschaft. Hierauf kam die zu den einzelnen Legionen
gehörige Reiterei , welche vor den Maschinen herritt.
Auf letztere folgten die Tribunen mit den Kerntruppen
und die Befehlshaber der Kohorten, weiterhin unter Vor-
antritt der Trompeter 2 die Feldzeichen mit dem Adler
in der Mitte, und dann erst kam die Hauptmasse des
Heeres in sechs Mann hohen Reihen. An jede Legion
schloss sich deren Tross an, von welchem das Gepäck
geführt wurde. Ganz zuletzt marschierten die Söldner
1 S. IV, 10, 6.
2 Nach III, 6, 2, wo die Marschordnung der Römer schon einmal
beschrieben wurde, kamen die Trompeter hinter den Feldzeichen.
Go gle
476
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
samt der sie überwachenden Nachhut. In dieser bei den
Römern gebräuchlichen Ordnung zog Titus mit seinem
Heere zunächst durch das Samariterland bis nach
Gophna, das schon früher von seinem Vater erobert und
mit einer Besatzung versehen worden war. 1 Hier brachte
er eine Nacht zu, rückte gegen Morgen weiter und schlug
nach eintägigem Marsch auf einem von den Juden in
ihrer Muttersprache „Dornenthal“ genannten Platze bei
dem Dorfe Gabathsaul (das heisst „Saulsberg“) etwa
dreissig Stadien von Jerusalem entfernt sein Lager auf.
Von dort machte er sich dann mit ungefähr sechshundert
auserlesenen Reitern auf den Weg, um die Festungs-
werke von Jerusalem auszukundschaften und die Stimmung
der Juden daraufhin zu erforschen, ob sie nicht vielleicht*
ohne es zum Kampf kommen zu lassen, bei seinem An-
blick sich aus Furcht ergeben würden. Er hatte näm-
lich in Erfahrung gebracht, dass, wie es ja auch that-
sächlich der Fall war, die von Empörern und Räubern
tyrannisierte Bürgerschaft sich nach Frieden sehne und
nur darum sich nicht zu rühren wage, weil sie zu einer
Auflehnung gegen die Bedrücker zu schwach sei.
2. So lange er nun geradeaus auf der zur Mauer
führenden Landstrasse hinritt, zeigte sich niemand vor
den Thoren. Als er aber bei dem Psephinusturm 2 vom
Wege abbog und seine Reiterschar einen Seitenpfad ein-
schlagen lies9, stürzten plötzlich unzählige Feinde an
den sogenannten Frauentürmen durch das dem Denkmal
der Helena gegenüberliegende Thor heraus, durchbrachen
die Linie der Reiter, warfen sich den noch auf dem
Hauptwege befindlichen entgegen, hinderten sie, sich an
diejenigen anzuschliessen, welche die Schwenkung bereits
gemacht hatten, und schnitten so den Titus mit wenigen
seiner Begleiter ab. Weiter vorzudringen, war ihm
1 S. IV, 9, 9.
2 Vergl. bezüglich dieses Turmes sowie aller in diesem und den
folgenden Kapiteln vorkommenden Örtlichkeiten und Bauwerke
Jerusalems den Plan und die mehrfach erwähnte Schrift: Spiess,
Jerusalem des Josephus.
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Fünftes Buch } 2. Kapitel.
477
unmöglich; denn von der Mauer an war alles zu Nutz-
pflanzungen eingerichtet und deshalb mit Gräben durch-
zogen sowie von querliegenden Gärten mit zahlreichen
Zäunen eingenommen. Aber auch den Rückweg zu den
Seinigen sah er sich durch die Menge der zwischen
letzteren und ihm selbst befindlichen Feinde versperrt.
Schliesslich ergriffen seine Leute, die keine Ahnung von
der Gefahr des Prinzen hatten und der Meinung waren,
auch er wolle mit ihnen umkehren, die Flucht. Nun
ward es ihm freilich klar, dass seine Rettung nur noch
an seiner persönlichen Tapferkeit hänge. Er wendet
also sein Ross, ruft seinen Begleitern zu, ihm zu folgen,
und stürzt sich mitten unter die Feinde, um sich den
Rückweg zu den Seinigen zu erzwingen. Da konnte
man so recht erkennen, wie Gottes Vorsehung auch die
Wechselfälle des Krieges und die den Fürsten drohenden
Gefahren beeinflusst; denn so viele Pfeile auch gegen
Titus anschwirrten, der weder Helm noch Panzer trug
(er war ja, wie oben erwähnt, nicht als Krieger, sondern
als Kundschafter ausgeritten): kein einziges Geschoss
berührte seinen Körper, sondern alle flogen, wie wenn
sie absichtlich ihr Ziel verfehlt hätten, wirkungslos an
ihm vorbei. Mit dem Schwert bahnte er sich nun durch
die von der Seite auf ihn eindringenden Juden eine
Gasse und jagte, indem er eine Menge derer, die sich
ihm entgegenwarfen, niederritt, hoch zu Ross über die
am Boden liegenden Feinde dahin. Beim Anblick dieser
Kühnheit des Caesars 1 erhoben seine Gegner ein ge-
waltiges Geschrei und feuerten sich gegenseitig durch
Zurufe an, auf ihn loszugehen; aber wo er sein Pferd
hinlenkte, da stob alles in wilder Flucht auseinander.
Seine gleich ihm gefährdeten Begleiter hatten sich, wie-
wohl sie hinten und an den Seiten von den feindlichen
Geschossen vielfach getroffen wurden , dicht an ihn
1 Caesar war um diese Zeit die besondere Bezeichnung des vom
regierenden Imperator bei Lebzeiten ernannten Nachfolgers, also des
Kronprinzen, geworden.
Go gle
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478
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
angeschlossen; denn sie alle sahen ein, dass sie nur
dann noch auf Rettung hoffen durften , wenn sie dem
Feldherrn, bevor er umzingelt wurde, einen Ausweg er-
öffnen halfen. Dabei fielen zwei von den letzten in der
Schar: der eine wurde zu Pferde umringt und mit Speer-
würfen getötet, der andere, nachdem er abgesprungen
war; des letzteren Pferd führten die Juden als Beute
fort. Mit den übrigen aber entkam Titus glücklich ins
Lager. Bei den Juden weckte der Erfolg dieses ersten
Zusammenstosses mit den Römern thörichte Hoffnungen,
und die augenblickliche Gunst des Glückes fiösste ihnen
für später gewaltige Zuversicht ein.
3. Tags darauf brach der Caesar, nachdem in der
Nacht die von Ammaus heranziehende Legion sich mit
ihm vereinigt hatte, auf und rückte bis zu dem „Skopos“
genannten Platze vor. Von hier aus erblickte man
Jerusalem und den glänzenden Riesenbau des Tempels,
weshalb diese im Norden an die Stadt sich lehnende
Hochebene sehr passend Skopos 1 genannt wird. Sieben
Stadien von der Stadt entfernt liess Titus für die zwei
Legionen ein gemeinsames Lager schlagen, für die fünfte
aber eines drei Stadien weiter rückwärts; denn weil die
Soldaten der letzteren von dem nächtlichen Marsch noch
ermüdet waren, glaubte er ihnen eine geschützte Örtlich-
keit anweisen zu müssen, damit sie desto unbesorgter an
den Verschanzungen arbeiten könnten. Kaum hatten
sie den Bau des Lagers begonnen, als auch schon die
zehnte Legion von Jericho her sich einfand, wo sie eine
Abteilung Schwerbewaffneter zurückgelassen hatte, um
diesen bereits von Vespasianus eroberten Zugang zu
bewachen. Sie erhielt Befehl, sechs Stadien von Jeru-
salem auf dem sogenannten ölberg sich zu lagern,
welcher der Stadt ostwärts gegenüberliegt und von ihr
durch eine tiefe Thalschlucht mit Namen Kedron ge-
trennt wird.
4. Jetzt erst machte den gegenseitigen Reibereien der
1 D. i. Warte, Ausblick.
Fünftes Buch, 2. Kapitel.
479
Parteien, die sich in der Stadt ohne Unterlass hefehdeten,
der plötzlich und mit Macht von aussen hereinbrechende
Krieg ein Ende. Mit Schrecken erblickten die Em-
pörer das dreifache Lager der Römer und begannen
nunmehr, freilich nicht aus edlen Beweggründen, die
Eintracht zu pflegen. „Worauf warten wir denn noch,“
sprachen sie zu einander, „und warum dulden wir es,
dass man uns durch feste Werke den Atem benimmt?
In aller Ruhe verschanzt sich der Feind uns gegenüber;
wir aber sitzen hinter unsern Mauern, sehen ihm zu, als
wenn seine Werke uns zu Nutz und Frommen gereichten,
legen die Hände in den Schoss und lassen unsere
Rüstungen verstauben. Tapfer sind wir fürwahr, aber
nur gegen uns selbst, und den Römern wird unsere
Zwietracht die Stadt ohne Schwertstreich in die Hände
liefern.“ Durch derartige Reden ermutigten sie sich
gegenseitig, griffen dann vereint zu den Waffen und
machten einen plötzlichen Ausfall gegen die zehnte
Legion. Unter betäubendem Geschrei stürmten sie durch
das Thal und fielen über die mit Schanzarbeiten be-
schäftigten Römer her. Da diese sich behufs A usführung
der Arbeiten in kleinere Trupps geteilt und aus dem
gleichen Grunde fast durchgehends ihre Waffen ab-
gelegt hatten (sie meinten nämlich, die Juden würden
entweder nicht Mut genug zu einem Ausfall haben oder
aber, selbst wenn sie Lust dazu verspürten, durch ihre
Parteistreitigkeiten von dem Unternehmen abgehalten
werden), gerieten sie infolge des plötzlichen Angriffs in
Unordnung. Ein Teil liess die Arbeit im Stich und zog
sich sogleich zurück; viele liefen nach ihren Waffen,
wurden aber, ehe sie sich den Feinden entgegenstellen
konnten, niedergemacht. Den Juden anderseits schlossen
sich, durch den Sieg der ersten ermutigt, immer neue
Kämpfer an, und da nun einmal das Glück sie be-
günstigte, kamen sie sich selbst sowohl als auch den
Feinden viel zahlreicher vor, wie sie in Wirklichkeit
waren. Soldaten , die an eine bestimmte Schlacht-
ordnung gewöhnt sind und in geschlossenen Gliedern
480
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zu kämpfen verstehen, verlieren, sobald Unordnung ein-
reisst, am ehesten die Fassung; so wichen auch jetzt die
für diesmal überrumpelten Römer vor dem Angriff zu-
rück. Machten sie nun, wenn die Juden sie eingeholt
hatten, auf der Flucht kehrt, so hielten die Verfolger
jedesmal in ihrem Lauf inne und brachten den etwas
unvorsichtig daherstürmenden Feinden manche Wunde
bei. Als aber die Menge der Angreifer immer grösser
wurde, nahm auch die Verwirrung bei den Römern
zu, und sie wurden schliesslich ganz von ihrem Lager
abgedrängt. Die gesamte Legion schien verloren zu
sein. Schnell aber eilte nun Titus, der inzwischen be-
nachrichtigt worden war, ihr zu Hilfe. Unter heftigen
Vorwürfen wegen ihrer Feigheit zwingt er die Fliehenden
zur Umkehr, fallt selbst mit seinen Kerntruppen den
Juden in die Flanke, bringt ihnen schwere Verluste an
Toten und noch grössere an Verwundeten bei, schlägt
sie dann sämtlich in die Flucht und drängt sie in die
Thalschlucht zusammen. Kaum jedoch hatten die Ver-
folgten , die auf dem abschüssigen Terrain hart mit-
genommen worden waren, sich durchgeschlagen , als sie
sich den Römern abermals entgegenstellten und über die
Schlucht hinüber kämpften. Bis zum Mittag wurde auf
diese Art weitergefochten. Als aber die Sonne sich
etwas gegen Abend neigte, liess Titus nur die Mannschaft,
mit der er zu Hilfe gekommen war, und andere von
den Kohorten ihre Stellung den Juden gegenüber für
den Fall, dass diese einen neuen Angriff versuchen
sollten, beibehalten; den übrigen Teil der Legion da-
gegen schickte er wieder zur Schanzarbeit auf die Spitze
des Berges.
5. Hierin erblickten die Juden eine Flucht der Römer,
und da ein von ihnen auf der Mauer aufgestellter
Kundschafter durch Schütteln seines Kleides das näm-
liche andeutete, brach eine ganz frische Schar mit
solchem Ungestüm hervor, dass ihr Lauf dem der wildesten
Tiere glich. Wirklich hielt auch keiner der in Schlacht-
ordnung stehenden Feinde ihren Anprall aus, sondern
Fünftes Bach, 2. Kapitel.
481
als hätte grobes Geschütz sie getroffen , so wurde die
Linie der Römer durchbrochen, und alles floh den Berg
hinan. Nur Titus mit einigen wenigen hielt in der
Mitte des Abhanges stand. Sein Gefolge, welches aus
Achtung vor dem Feldherrn trotz der Gefahr bei ihm
ausharrte, forderte ihn dringend auf, den Juden, die den
Tod suchten, aus dem Wege zu gehen und nicht für
diejenigen sein Leben aufs Spiel zu setzen, die ihn zu
schützen verpflichtet seien. Er möge doch seine hohe
Stellung in Betracht ziehen, als Leiter des Krieges und
dereinst auch des römischen Weltreiches nicht den
Dienst eines gemeinen Soldaten thun und seine Person,
an der alles hänge, keiner so augenscheinlichen Gefahr
preisgeben. Er aber schien das alles nicht zu hören,
leistete vielmehr denen, die ihm entgegen die Höhe er-
stiegen, kräftigen Widerstand, hieb die mit Gewalt an-
stürmenden Juden nieder, warf sich an dem steilen Ab-
hang auf die dichte Masse der Feinde und drängte sie
dadurch zurück. Diesen verursachte die Entschlossenheit
und der kühne Mut des Feldherrn nicht geringen
Schrecken; gleichwohl zogen sie sich auch jetzt noch
nicht in die Stadt zurück, sondern schwenkten auf
beiden Seiten ab, um den weiter oben Fliehenden nach-
zusetzen. Titus jedoch machte ihren Angriff dadurch
unwirksam, dass er ihnen in die Flanke fiel. Unter-
dessen aber waren die Schanzarbeiter auf dem Berge,
als sie ihre Kameraden unten fliehen sahen, wieder von
Angst und Bestürzung ergriffen worden , und es löste
sich nun die ganze Legion auf, weil alles den Anlauf
der Juden für unwiderstehlich hielt und auch den Caesar
selbst auf der Flucht wähnte ; denn hätte er stand-
gehalten, meinten sie, so würden die übrigen wohl nicht
davongelaufen sein. Wie von panischem Schrecken er-
fasst, stoben sie nach allen Richtungen auseinander, bis
endlich einige den Feldherrn mitten im Kampfgewühl
erblickten und voll Angst um ihn seine gefährliche Lage
der ganzen Legion durch lautes Geschrei anzeigten.
Bcham brachte nun alle zur Umkehr, und indem sie sich
Jo8ephu«, Jüdischer Krieg:. 31
Go gle
JN^/BPISlTf Of C (\LIPC5 RNIia
482 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
gegenseitig wegen der Flucht, noch mehr aber darüber
Vorwürfe machten, dass sie den Caesar im Stiche ge-
lassen, warfen sie sich mit aller Kraft auf die Juden
und drängten dieselben, nachdem sie einmal angefangen
hatten zu weichen, vollends in das Thal hinab. Noch
während des Rückzugs zwar kämpften die Juden; die
Römer aber waren durch ihre höhere Stellung im Vor-
teil und trieben alles in die Schlucht zusammen. Mittler-
weile setzte Titus denen zu, die ihn angegriffen hatten,
und schickte die Legion wieder an die Sch anzarbeiten,
um allein mit den Truppen, die zuvor unter ihm im
Gefecht gewesen waren, den Feind abzuwehren. Um
nun, wie es sich gehört, ohne aus Schmeichelei zu über-
treiben oder aus Neid zu verkleinern, die Wahrheit zu
sagen: der Caesar allein hat zweimal die bedrohte Legion
gerettet und sie in den Stand gesetzt, ihr Lager un-
behelligt zu verschanzen.
Drittes Kapitel.
Neue Unruhen in Jerusalem. Die Römer erleiden eine
Schlappe.
1. Während nun der äussere Krieg für kurze Zeit
ruhte, erwachte der Parteihader im Innern aufs neue.
Vor der Thür stand das Fest der ungesäuerten Brote,
der vierzehnte des Monats Xanthikos, auf welchen die
Juden den Anfang ihrer Befreiung von der aegyptischen
Knechtschaft setzen. Eleazars Anhänger öffneten daher
die Thore und Hessen das Volk, das seine Andacht
verrichten wollte, in den Tempel ein. Joannes aber
missbrauchte das Fest, um einen hinterlistigen Anschlag
ins Werk zu setzen. Er versah nämlich diejenigen
seiner Leute, welche weniger bekannt und obendrein
grösstenteils auch noch unrein waren , insgeheim mit
Waffen und liess sie mit der übrigen Menge das Heilig-
tum betreten in der Absicht, sich desselben zu be-
Go gle
Fünftes Buch, 3. Kapitel.
483
mächtigen. Kaum waren sie drinnen, als sie ihre Ober-
kleider abwarfen und sich plötzlich in voller Rüstung
zeigten. Alsbald entstand nun im Tempel die grösste
Bestürzung und Verwirrung, indem das bei den Partei-
kämpfen unbeteiligte Volk den Angriff gegen alle ohne
Unterschied, die Zeloten aber nur gegen ihre Leute ge-
richtet glaubten. Die letzteren sprangen daher, ohne
sich um die Bewachung der Thore weiter zu kümmern
oder sich in ein Gefecht einzulassen, von den Mauer-
zinnen herab und flüchteten in die unterirdischen Gänge
des Tempels; das Volk dagegen, das sich zitternd um
Altar und Tempel drängte, ward zertreten oder mit
Knitteln und Schwertern erschlagen. Eine Menge
ruhiger Bürger fiel bei dieser Gelegenheit der Rachsucht
und dem persönlichen Hass ihrer Feinde zum Opfer,
von denen sie wie Anhänger der Gegenpartei ermordet
wurden. Wer früher einmal einen dieser Aufrührer vor
den Kopf gestossen hatte, galt jetzt, wenn sein Feind
ihn erkannte, als Zelot und musste auf qualvolle
Weise sein Leben enden. Nachdem die Böse wichte
so an den Unschuldigen ihre Wut ersättigt hatten, be-
willigten sie den Schuldigen Waffenstillstand und
Hessen sie, als sie aus den unterirdischen Gängen her-
vorkamen, frei ausgehen. Sie selbst waren damit
in den Besitz des inneren Tempels und seiner sämt-
lichen Vorräte gelangt und fassten nun um so mehr
Mut zum Kampfe gegen Simon. Auf diese Weise ent-
standen aus den bisherigen drei Parteien von Empörern
deren zwei.
2. Unterdessen hatte Titus sich entschlossen, sein
Lager vom Skopos weg und näher an die Stadt heran
zu rücken. Er stellte daher eine auserlesene Streit-
macht von Reiterei und Fussvolk in der Stärke, wie sie
ihm erforderlich schien, zum Schutz gegen etwaige Aus-
fälle der Juden auf und gab dem gesamten übrigen
Heere den Befehl, allen Zwischenraum bis zur Mauer
zu ebnen. Sämtliche Zäune und sonstigen Ein-
friedigungen, mit denen die Bewohner Jerusalems ihre
31 *
Go gle
484
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Gemüse- und Obstgärten umgeben hatten, wurden nun
ausgerissen, alle fruchttragenden Bäume im ganzen Um-
kreis abgehauen und die Vertiefungen und Boden-
einschnitte damit ausgefüllt; die felsigen Vorsprünge
aber wurden mittels eiserner Werkzeuge beseitigt. So
ebneten sie die ganze Strecke vom Skopos bis zum
Grabmal des Herodes 1 in der Nähe des Schlangen-
teiches.
3. In diesen Tagen legten die Juden den Römern
auf folgende Weise einen Hinterhalt. Die verwegensten
der Empörer begaben sich an den sogenannten Frauen-
türmen aus der Stadt, gerade so, als wären sie von den
friedliebenden Bürgern hinausgejagt worden. Wie aus
Furcht vor einem Angriff der Römer drängten sie sich
dicht zusammen und suchten sich einer hinter dem
andern zu verbergen. Genossen von ihnen, dem An-
schein nach gewöhnliche Bürger, standen währenddessen
vereinzelt auf der Mauer, schrien nach Frieden, baten
um Schonung und riefen die Römer unter dem Ver-
sprechen herbei , ihnen die Thore öffnen zu wollen.
Zugleich warfen sie nach ihren Leuten draussen
mit Steinen, wie wenn sie dieselben vom Thore weg-
zujagen beabsichtigten. Diese hingegen stellten sich, als
wollten sie den Eingang erzwingen, verlegten sich dann
wieder bei den anderen aufs Bitten, liefen ein über das
anderemal auf die Römer zu, kehrten aber immer wieder
wie aus Furcht zurück. Bei den Soldaten fand diese
List auch wirklich Glauben, und da sie ebenso über-
zeugt waren, dass sie die einen schon zum Strafvollzüge
in der Hand hätten, wie dass die anderen ihnen die
Stadt öffnen würden, gingen sie sogleich ans Werk.
Dem Titus aber kam der Umstand, dass man ihn so
ganz unerwartet herbeirief, verdächtig vor; hatte
er doch erst tags zuvor die Juden durch Jo-
1 Herodes war bekanntlich in Herodium beigesetzt. Es scheint
sich also hier um ein Grab zu handeln, das ursprünglicher Be-
stimmung entgegen unbenutzt blieb.
Go gle
LIPÖ:R
Fünftes Buch, 3. Kapitel.
485
sephus 1 zur Übergabe auffordern lassen, ohne irgendwelche
Geneigtheit zu finden. Er befahl daher den Soldaten, an
Ort und Stelle zu bleiben. Einige indes von denen, die ganz
vorn bei den Arbeiten beschäftigt waren, hatten bereits
in aller Eile die Waffen ergriffen und ihren Lauf nach
den Thoren hin genommen. Die anscheinend aus der
Stadt Vertriebenen wichen zunächst vor ihnen zurück ;
sowie aber die Soldaten zwischen den Türmen des
Thores sich befanden, stürmten die anderen vorwärts,
umzingelten sie und griffen sie von hinten an. Gleich-
zeitig überschütteten die auf der Mauer stehenden Juden
sie mit einem Hagel von Steinen und allerhand
sonstigen Geschossen, sodass eine beträchtliche Anzahl
Römer fielen und die übrigen grösstenteils verwundet
wurden. Einerseits nämlich war es wegen der von
hinten andringenden Feinde sehr schwierig für sie, von
der Mauer wegzukommen, und anderseits trieb sie die
Scham über den Ungehorsam, den sie gegen ihre
Führer sich erlaubt hatten, sowie die Furcht vor Strafe
an, den einmal begangenen Fehler nun auch zu Ende
zu führen. Deshalb hielten sie mit grösster Zähigkeit
im Kampfe aus, und es gelang ihnen denn auch
schliesslich , nachdem die Juden ihnen eine Menge
Wunden beigebracht, dafür aber ebenso viele er-
halten hatten , die sie umzingelnden Feinde zurück-
zuschlagen. Noch auf dem Rückweg wurden sie bis
zum Grabmal der Helena von den Juden mit Ge-
schossen verfolgt.
4. Hierauf liessen die Juden in gemeiner Weise
ihren Übermut wegen der gelungenen Überlistung aus,
verhöhnten die Römer, dass sie sich hatten täuschen
lassen, sprangen, ihre Schilde zusammenschlagend, herum
und jauchzten vor Freude. Die Soldaten aber erwartete
nichts anderes als drohende Worte der Centurionen und
1 Dass Josephus den Caesar von Alexandria aus vor Jerusalem
begleitete, erfahren wir aus seiner Selbstbiographie (Abschnitt 75)
sowie aus der Schrift „Gegen Apion“ (I, 9).
486
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
der Zorn des Caesars, der also anhub: „Die Juden,
welche nur blinde Verzweiflung in den Kampf führt
und die dabei doch alles mit Überlegung und Umsicht
angreifen, Fallen und Hinterhalte legen, sehen sich um
ihres Gehorsams und ihres treuen, kameradschaftlichen
Zusammenhaltens willen vom Glück begünstigt; die
Römer hingegen, die infolge ihrer Mannszucht und ihres
Gehorsams gegen die Anführer sonst das Glück be-
ständig auf ihrer Seite haben, kommen jetzt durch die
entgegengesetzten Eigenschaften zu Fall und werden
besiegt, weil sie ihren Thatendrang nicht zu zügeln ver-
stehen und, was das schlimmste ist, ohne Führung in
Gegenwart des Caesars zu kämpfen wagen. Fürwahr,
tief werden die Kriegsgesetze aufseufzen , und nicht
minder mein Vater, wenn er diese Niederlage erfahrt,
er, der in Kriegen ergraut, niemals eine solche Schlappe
erlitt! Jene Gesetze aber bestrafen auch das geringste
Vergehen gegen die Kriegszucht mit dem Tode. Und
jetzt mussten sie sogar eine ganze Heeresabteilung Reih
und Glied verlassen sehen! Augenblicklich sollen die
Verwegenen erfahren, dass bei den Römern selbst der
Sieg keinen Ruhm bringt, wenn er im Ungehorsam gegen
höheren Befehl errungen wurde!“ Diesen an die Offi-
ziere gerichteten Worten nach hatte es den Anschein,
als wollte er gegen alle beteiligten Soldaten die Strenge
des Gesetzes walten lassen. Den Schuldigen selbst ent-
schwand auch bereits der Mut, da sie den verdienten
Tod vor Augen sahen. Die Legionen aber umringten
den Feldherrn und baten ihn flehentlich um Gnade für
ihre Kameraden, sowie dass er die unbesonnene That
einiger wenigen um des Gehorsams der grossen Mehr-
heit willen vergeben möge; denn sicherlich würden diese
den eben begangenen Fehler in Zukunft durch Tapfer-
keit wieder gut zu machen suchen.
5. Den Bitten willfahrte der Caesar um so lieber, als
dies auch in seinem eigenen Interesse lag; denn die
Bestrafung des Einzelnen, glaubte er, müsse nach dessen
That, die einer ganzen Menge dagegen nach der Zweck-
Fünftes Buch, S. Kapitel.
487
mässigkeit beurteilt werden. Er verzieh also den Sol-
daten, nachdem er sie eindringlich ermahnt hatte,
künftig vorsichtiger zu sein, und überlegte, wie er die
Juden für ihre Hinterlist züchtigen könne. Als sodann
nach vier Tagen der ganze Raum bis zur Mauer geebnet
war, liess er, um das Gepäck und den übrigen Teil des
Heeres sicher heranzubringen, den Kern seiner Truppen
in siebenfacher Linie von Norden nach Westen zu
längs der Mauer aufmarschieren. Ganz vorn stand das
Fussvolk, hinter demselben die Reiterei, und zwar jede
dieser Truppengattungen in dreifacher Linie; die
siebente Reihe bildeten die inmitten beider Heeresteile
aufgestellten Bogenschützen. Nachdem durch diese An-
ordnung den Juden weitere Ausfälle unmöglich gemacht
waren, konnte das Lastvieh der drei Legionen und der
Tross in Sicherheit vorbeiziehen. Titus selbst lagerte
etwa zwei Stadien vor der Mauer, bei einer Ecke der-
selben gegenüber dem Psephinusturm , wo der Abschnitt
der Ringmauer, der nach Norden sah, westwärts aus-
bog. Der übrige Teil seiner Streitmacht bezog ein
Lager bei dem sogenannten Hippikusturm J ebenfalls
zwei Stadien von der Stadt entfernt. Die zehnte
Legion jedoch verblieb in ihrer Stellung auf dem öl-
berge . 1 2
1 S. die Anmerkung bei Spiess, S. 26.
2 Genau in derselben Weise wie Titus verfuhr später Gottfried
von Bouillon. Die Franken nämlich lagerten vom Stephansthor (dem
alten Schafthor, nahe dem Nordostende der Stadt) längs der Nord-
und Westseite Jerusalems bis zum Davidsturm, und auch den Ölberg
besetzten sie wegen der Ausfälle der Sarazenen aus dem östlichen
Thor (v. Raumer, Palaestina, 4. Aufl. S. 388).
488
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Viertes* Kapitel.
Beschreibung von Jerusalem.
1. Drei Mauern bildeten den Festungsgürtel der Stadt,
soweit nicht unzugängliche Schluchten sie umgaben;
denn an solchen Stellen hatte sie nur eine einfache
Ringmauer. Sie selbst war auf zwei einander gegenüber-
liegenden Hügeln erbaut, zwischen denen ein Thal-
einschnitt sich hinzog, in welchen die beiderseitigen
Häuserreihen einmündeten. Von den Hügeln war der,
welcher die obere Stadt trug, 1 viel höher und mehr in
die Länge gestreckt. Wegen seiner Festigkeit ward er
von dem Könige David, dem Vater Solomons, des ersten
Erbauers des Tempels, „Burg“ genannt; bei uns heisst
er der obere Markt. Der andere Hügel dagegen, Akra
mit Namen, auf welchem die untere Stadt stand, ist
nach zwei Seiten gekrümmt Ihm gegenüber lag ein
dritter Hügel, von Natur niedriger als Akra und früher
von ersterem durch ein breites Thal getrennt. In
späterer Zeit jedoch, als die Asamonäer regierten, füllten
diese das Thal aus, um die Stadt mit dem Tempel zu
verbinden; weiterhin trugen sie die Höhe von Akra ab
und machten den Hügel dadurch so niedrig, dass der
Tempel auch ihn überragte. Das Thal, welches, wie
schon gesagt, den Hügel der oberen Stadt von dem
der unteren trennt~und Tyropoion 2 heisst, erstreckt sich
bis zum Siloa hinab; mit diesem Namen bezeichnen wir
eine dort rinnende, süsse und wasserreiche Quelle.
Aussen waren die beiden Hügel der Stadt von tiefen
Schluchten umgeben und wegen der steilen Abhänge
auf beiden Seiten nirgends zugänglich.
2. Von den drei Mauern war die älteste schon wegen
der Schluchten und des über ihnen sich erhebenden
Hügels, auf dem sie gebaut war, schwer einzunehmen;
1 Der Zion.
2 D i. Käsemacherthiil.
Go gle
JNIVERSITY ÜF C/YYFÜRNL
Fünftes Buch, 4. Kapitel.
489
ihre natürliche Festigkeit aber war noch bedeutend da-
durch verstärkt worden, dass David und Solomon sowie
auch die Könige nach ihnen in der Ausführung dieses
Werkes sich gegenseitig zu über bieten gesucht hatten.
Im Norden bei dem sogenannten Hippikusturm beginnend,
lief sie zum Xystos, schloss sich dann an das Rathaus
an und endigte an der westlichen Halle des Heiligtums.
Auf der anderen westlichen Seite begann sie bei eben-
demselben Turm , erstreckt sich an einem Platz mit
Namen Bethso vorbei bis zum Essenerthor, wandte sich
dann nach Süden 1 der Siloaquelle zu, bog hierauf wieder
ostwärts 2 an den Fischteich Solomons, lief von da bis
zu einem Platze Ophla und schloss sich endlich an die
östliche Halle des Tempelbezirkes an. Die zweite Mauer
begann bei dem Thor Gennath , 3 das noch zur ersten
Mauer gehörte, umzog die Nordseite von Akra und er-
streckte sich 4 bis zur Burg Antonia. Die dritte nahm
ihren Anfang wiederum bei dem Hippikusturm, von wo
sie zunächst in nördlicher Richtung bis zum Psephinus-
turm lief, dann gegenüber dem Grabmal der Helena,
der Königin von Adiabene und Mutter des Königs
Izates, nach den Königshöhlen sich wandte und bei dem
Eckturm an dem sogenannten Walkersdenkmal umbog;
hernach schloss sie sich an die alte Mauer an und
endigte im Thal Kedron. Diese dritte Mauer hatte
Agrippa um den neugebauten Stadtteil gezogen, welcher
zuvor ganz schutzlos gewesen war. Infolge Anwachsens
der Bevölkerung nämlich hatte sich Jerusalem allmählich
über die Mauern hinaus vergrössert, und nachdem man
bereits den nördlichen Abhang des Tempelberges in den
Bereich der Stadt gezogen, musste man bald noch weiter
gehen und auch den vierten Hügel überbauen , der
Bezetha heiöst. Dieser lag der Antonia gegenüber und
war von ihr durch einen tiefen Graben getrennt, den
1 D. h. mit der Front nach Süden.
2 D. h. mit der Front nach Osten.
3 D. i. Gartenthor.
4 In südlicher Richtung.
490
Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges.
man absichtlich gezogen hatte, damit nicht die unteren
Bauwerke der Burg infolge ihres Zusammenhanges mit
dem Hügel zu leicht zugänglich und in ihrer Höhe all-
zusehr beeinträchtigt würden ; denn die Tiefe des Grabens
bewirkte natürlich eine bedeutende Vergrösserung der
Türme. Der Name Bezetha , den der neu angebaute
Stadtteil in der Landessprache erhielt, lässt sich im
Griechischen mit Kainopolis 1 wiedergeben. Weil nun
auch die Bewohner von Bezetha eines Schutzes bedurften,
begann der Vater des jetzt lebenden Königs, der gleich-
falls Agrippa hiess, mit dem Bau der vorhin erwähnten
Mauer ; hernach aber fürchtete er, die Grossartigkeit des
Werkes könnte ihn beim Caesar Claudius in den Ver-
dacht bringen, als ob er Abfall und Empörung plane,
und hörte deshalb auf zu bauen, nachdem er nur die
Fundamente gelegt hatte. 2 Hätte er aber die Mauer,
wie sie begonnen wurde, vollendet, so würde die Stadt
wohl uneinnehmbar geworden sein. Denn die Mauer
war aus zwanzig Ellen langen uud zehn Ellen breiten
Steinblöcken zusammengefügt, die man mit eisernen
Werkzeugen so leicht nicht hätte untergraben noch
mit Maschinen erschüttern können; sie selbst war zehn
Ellen breit, und ihre Höhe würde die Breite zweifellos
überstiegen haben, wenn der Eifer dessen, der das Werk
begonnen, nicht auf Hindernisse gestossen wäre. Später
gewann sie trotz eifriger Anstrengungen der Juden die
Höhe von nur zwanzig Ellen, und da noch Brustwehren
von zwei und Zinnen von drei Ellen hinzukamen, belief
sich die Gesamthöhe auf fünfundzwanzig Ellen.
3. Überragt wurde die Mauer von zwanzig Ellen breiten
und ebenso hohen Türmen, welche viereckig und wie
die Mauer selbst massiv gebaut waren ; die Art der Zu-
sammenfügung und die Schönheit der Steine gab den
zum Tempel verwendeten nichts nach. Über dem zwanzig
Ellen hohen, massiven Grundstock der Türme befanden
1 D. h. Neustadt.
2 Vergl. J. A. XIX, 7, 2.
Fünftes Buch, 4. Kapitel.
49 i
sich prächtige Gemächer, und über diesen noch Söller-
räume mit Behältern zur Aufnahme des Regenwassere,
zu denen eine beträchtliche Anzahl breiter Treppen
hinaufführte. Solcher Türme hatte die dritte Mauer
neunzig; der Zwischenraum zwischen je zwei Türmen
belief sich auf zweihundert Ellen. Auf der mittleren
Mauer waren vierzehn, auf der alten sechzig Türme ver-
teilt. Der Umfang der ganzen Stadt betrug dreiund-
dreissig Stadien. War nun die dritte Mauer an sich
schon bewundernswert, so erst recht der an ihrer nord-
westlichen Ecke befindliche Psephinusturm, in dessen
Nähe Titus lagerte. Zu einer Höhe von siebzig Eilen
emporragend, gewährte er bei Sonnenaufgang die Fern-
sicht nach Arabien und den äussersten Teilen des
Hebräerlandes bis zum Meere. Er war achteckig. Diesem
Turm gegenüber waren vom König Herodes der Hippikus
und nahe dabei noch zwei weitere Türme auf der alten
Mauer errichtet worden, welche an Grösse, Schönheit
und Festigkeit in der Welt ihresgleichen nicht hatten;
denn mit diesen hervorragenden Werken wollte er nicht
nur seinen angeborenen Sinn für grossartige Unter-
nehmungen und seinen Eifer für die Stadt beweisen,
sondern auch den Gefühlen seines Herzens eine Huldigung
darbringen, indem er den drei liebsten Personen, deren
Namen er den Türmen beilegte, seinem Bruder, seinem
Freunde und seiner Gattin damit ein Denkmal setzte.
Letztere hatte er, wie oben 1 erwähnt, aus Eifersucht um-
bringen lassen; die beiden anderen waren ihm durch
den Krieg, wo sie heldenmütig gekämpft hatten, ent-
rissen worden . 2 Der Hippikus, so genannt nach seinem
Freunde, war viereckig, fünfundzwanzig Ellen breit und
lang, dreissig Ellen hoch und durchweg massiv. Über
diesem aus lauter Felsquadern zusammengefügten Grund-
stock befand sich zur Aufnahme des Regen wassers ein
zwanzig Ellen tiefer Behälter und oberhalb des letzteren
1 I, 22, 5.
3 S. bezüglich Phasaels I, 13, 10.
492 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
noch ein fünfundzwanzig Ellen hohes, in verschieden-
artige Gemächer eingeteiltes Wohngebäude. Das Ganze
war von zwei Ellen hohen Türmchen und drei Ellen
hohen Brustwehren gekrönt, sodass die Gesamthöhe des
Turmes an achtzig Ellen betrug. Der zweite Turm, den
er seinem Bruder zu Ehren Phasael benannte, war vierzig
Ellen lang und breit, und dter massive Unterbau gleich-
falls vierzig Ellen hoch. Über dem letzteren lief rings-
herum eine zehn Ellen hohe, durch Brustwehren und
Vorsprünge geschützte Galerie, und inmitten derselben
erhob sich ein weiterer Turm, der in Prunkgemächer
abgeteilt und sogar mit einem Baderaum versehen war,
sodass der Turm ganz das Ansehen eines Königsschlosses
hatte. Seine Spitze war noch reicher als die des vorhin
beschriebenen mit Zinnen und Türmchen verziert. Im
ganzen betrug seine Höhe an neunzig Ellen. Seiner
äusseren Gestalt nach glich er dem Leuch türm auf
Pharos vor Alexandria, den er jedoch an Umfang ganz
bedeutend übertraf. Damals musste er dem Tyrannen
Simon als Zwingburg dienen. Der dritte Turm, Mariamne
(so hatte die Königin geheissen), war bis zur Höhe .von
zwanzig Ellen massiv; seine Länge und Breite betrug
gleichfalls je zwanzig Ellen. Die oben befindlichen
Wohnräume waren noch kostbarer und mannigfaltiger
eingerichtet wie die der anderen Türme, da der König
es für passend gehalten hatte, das nach einer Frau be-
nannte Bauwerk mehr auszuschmücken als die, welche
die Namen männlicher Personen trugen; dafür übertrafen
die letzteren den Mariamne türm an Festigkeit. Die
Gesamthöhe des dritten Turmes betrug fünfundfünfzig
Ellen
4. Die schon an sich bedeutende Grösse dieser Türme
wurde durch ihren Standort noch um vieles gehoben;
denn die alte Mauer, auf der sie standen, war ja ihrer-
seits wieder auf einem hohen Hügel erbaut und ragte
über ihn wie ein höherer Gipfel etwa dreissig Ellen
empor, sodass die auf ihr befindlichen Türme noch weit
grösser erscheinen mussten. Staunenswert war auch die
Go gle
Fünftes Buch, 4. Kapitel.
493
Grösse ihrer Quadern. Denn nicht aus gewöhnlichen
Steinen oder aus Felsstücken, die von einem Arbeiter
getragen werden konnten, waren sie erbaut, sondern
aus behauenen Blöcken weissen Marmors, von denen
jeder zwanzig Ellen lang, zehn Ellen breit und
fünf Ellen hoch war. Diese Blöcke hatte man so
geschickt übereinander gefügt, dass es schien, als sei
jeder der Türme wie eine einzige Felsmasse aus der
Erde hervorgewachsen und dann erst von Künstlerhand
geformt und gerichtet worden — so wenig waren die
Fugen des Mauerwerkes zu sehen. An die drei Türme,
welche nördlich standen, schloss sich nach innen zu der
Palast des Königs an, dessen prunkvolle Ausstattung
jeder Beschreibung spottete und alles bislang Dagewesene
in den Schatten stellte. Er war von einer dreissig Ellen
hohen Ringmauer umgeben , die in gleichen Zwischen-
räumen reichverzierte Türme trug, und hatte kolossale
Speisesäle mit Ruhepolstern für hunderte von Gästen.
Ohnegleichen war die Mannigfaltigkeit der seltenen, aus
aller Herren Länder herbeigeschafften und hier ver-
wendeten Steine, und die Saaldecken bildeten hinsicht-
lich der Länge der Balken und Pracht der Verzierungen
wahre Wunderwerke. Gemächer hatte der Palast in
Menge und in tausendfacher Abwechselung der Formen,
alle vollständig eingerichtet, die meisten Zimmergeräte
von Silber und Gold; ferner eine grosse Anzahl in-
einander verschlungener kreisförmiger Galerien, jede
mit verschiedener Anordnung der Säulen. Die unter
freiem Himmel liegenden Teile des Palastes prangten
überall im Grünen. Da gab es vielgestaltige Park-
anlagen mit langen, si^ durchschneidenden Spazierwegen;
nahe dabei tiefe Wasserbecken, und an vielen Stellen
Teiche mit zahlreichen ehernen Kunstwerken, durch
welche das Wasser ausströmte; an den künstlichen
Seen eine Menge Türmchen für zahme Tauben. Doch
es ist nicht möglich, diesen herrlichen Palast in allen
seinen Einzelheiten gebührend zu schildern , diesen
Palast, dessen Verwüstung noch jetzt peinliche Er-
494
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
inDerungen weckt. Denn nicht die Römer waren es, die
dies alles niederbrannten, sondern die inneren Feinde
verübten den Greuel, wie oben gesagt, 1 gleich zu Beginn
des Aufstandes. An der Antonia brach das Feuer aus,
ergriff dann den Königspalast und verzehrte endlich
auch noch den Oberbau der drei Türme.
Fünftes Kapitel.
Beschreibung des Tempels und der Antonia.
1. Der Tempel 2 war, wie schon bemerkt, auf dem
Rücken eines stark befestigten Hügels erbaut Anfangs
hatte der Gipfelraum des letzteren kaum für das eigent-
liche Tempelgebäude und den Altar gereicht, da der
Hügel auf allen Seiten steil und abschüssig war. Nach-
dem aber König Solomon, der erste Erbauer des Tempels,
den östlichen Teil mit einer Böschungsmauer umgeben
hatte, wurde auf dem Erdaufwurf eine Säulenhalle,
damals die einzige, errichtet; an den übrigen Seiten
dagegen stand der Tempel noch frei. In den folgenden
Jahrhunderten erbreiterte das Volk durch fortgesetzte
Anschüttungen die ebene Fläche auf dem Hügel; dann
durchbrach man auch die nördliche Mauer und nahm
noch so viel Raum hinzu, als nachher die Einfriedigung
des ganzen Tempelbezirkes umschloss. Nachdem nun
der Hügel von seinem Fuss an mit einer dreifachen
Terrasse unterbaut und so ein alle Erwartungen über-
steigendes Werk zu Ende geführt war — während einer
Reihe von Jahrhunderten hatt§ dazu der gesamte
Tempelschatz , in welchen die aus der ganzen Welt
Gott dargebrachten Opfergaben flössen, verwendet werden
müssen — , umgab man sowohl den oberen als den
1 II, 17, 6f.
2 Vergl. J. A. X V, 11 sowie das Titelbild zum 2. Bande meiner
Übersetzung der J. A.
Fünftes Buch, 5. Kapitel.
495
unteren Kaum des Heiligtums mit einer Ringmauer,
deren niedrigster Teil auf einem dreihundert Ellen hohen
und stellenweise sogar noch höheren Unterbau ruhte.
Doch war nicht die ganze Tiefe dieses Fundamentes
sichtbar; denn grösstenteils hatte man die Vertiefungen
ausgefüllt, um sie mit den Gassen der Stadt auf gleiche
Höhe zu bringen. Die zu dem Unterbau verwendeten
Felsstücke hatten eine Grösse von je vierzig Ellen. Die
reichlich vorhandenen Geldmittel und der Wetteifer des
Volkes förderten übrigens das Unternehmen in kaum
glaublicher Weise, sodass es möglich wurde, durch Be-
harrlichkeit mit der Zeit ein Werk fertig zu stellen,
dessen Vollendung man früher nie zu erhoffen gewagt
hatte.
2. Würdig solcher Fundamente waren aber auch die
auf ihnen errichteten Bauten. Sämtliche Hallen waren
doppelt und ruhten auf fünfundzwanzig Ellen hohen
Säulen, die aus dem weissesten Marmor bestanden und
ein Getäfel von Cedernholz trugen. Die Kostbarkeit des
Materials, seine schöne Bearbeitung und harmonische
Zusammenfügung gewährten einen unvergesslichen An-
blick, und doch hatte weder der Pinsel des Malers noch
der Meissei des Bildhauers das Werk von aussen ge-
schmückt. Die Breite der Hallen betrug dreissig Ellen,
und der ganze Umfang derselben, die Antonia mit ein-
gerechnet, sechs Stadien. Der gesamte nicht überdachte
Raum war mit Mosaik von allerhand Steinen gepflastert.
Ging man über diesen Hof, so kam man an ein den
zweiten Tempelraum umschliessendes, drei Ellen hohes
Steingitter von sehr gefälliger Arbeit. An ihm waren
in gleichen Abständen Säulen angebracht, welche das
Gesetz der Reinigkeit teils in griechischer, teils in rö-
mischer Sprache verkündeten, dass nämlich kein Fremder
das Heiligtum betreten dürfe; denn so hiess dieser
zweite Raum des Tempels, zu dem man auf vierzehn
Stufen aus dem ersten hinanstieg. 1 Die Fläche des
1 D. h. wenn man das Steingitter passiert hatte.
496
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Heiligtums bildete ein Viereck und war mit einer be-
sonderen Mauer umgeben. Die äussere Höhe dieser
Mauer, welche eigentlich vierzig Ellen betrug, wurde
zum Teil durch die Treppe verdeckt. Innen dagegen
erschien die Mauer nur fünfundzwanzig Ellen hoch;
denn da sie an einen höheren, mit Treppen versehenen
Raum angebaut und in ihrem unteren Abschnitt durch
den Hügel verdeckt war, konnte man sie hier nicht in
ihrer ganzen Höhe sehen. Zwischen der obersten, vier-
zehnten Treppenstufe und der Mauer befand sich
übrigens noch ein ganz ebener Raum von zehn Ellen.
Von hier aus führten sodann weitere fünfstufige Treppen
zu den Thoren, deren zusammen acht gegen Süden und
Norden, nämlich vier nach jeder dieser beiden Rich-
tungen, und zwei gegen Osten sahen. Letzteres hatte
seinen guten Grund; denn da man nach dieser Himmels-
gegend für die Frauen einen eigenen Platz, wo sie ihre
Andacht verrichten konnten, umfriedigt hatte, so war
auch ein zweites Thor erforderlich , welches dem ersten
gegenüber die Mauer durchbrach. Auch von den
anderen Himmelsgegenden, nämlich von Süden und von
Norden, führte je ein Thor in den Vorhof der Frauen.
Durch die anderen Thore einzutreten, war den Frauen
nicht gestattet; ja sie durften, auch wenn sie durch das
ihrige hineingelangt waren, die Umfriedigung nicht
überschreiten. Dieser Platz stand übrigens einheimischen
wie fremden jüdischen Frauen ohne Unterschied zur
Verrichtung ihrer Andacht offen. Die Westseite hatte
kein Thor, sondern es lief hier die Mauer ununter-
brochen fort. Die Hallen, welche zwischen den Thoren
an der inneren Seite der Mauer angebracht waren und
zu den Schatzkammern führten, ruhten auf überaus
schönen und grossen Säulen. Sie bildeten nur eine
einfache Reihe, standen aber, abgesehen von der
Grösse, denen des unteren Hofes in keiner Beziehung
nach.
3. Neun der Thore waren einschliesslich ihrer
Pfosten und Oberschwellen über und über mit Gold und
Go gle
U MJVBR S IT Y 0 F CA L IrFO R N I A
Fünftes Bach, 5. Kapitel.
497
Silber bekleidet; eines, das Aussenthor des eigentlichen
Tempels, war sogar von korinthischem Erz und übertraf
die versilberten und vergoldeten ganz bedeutend an
Wert. Jedes Thor hatte zwei je dreissig Ellen hohe
und fünfzehn Ellen breite Flügel. Gleich hinter dem
Eingang erweiterte sich der Raum nach beiden Seiten
hin mittels turmartiger Nischen von dreissig Ellen
Breite und über vierzig Ellen Höhe, deren jede auf zwei
im Umfang zwölf Ellen messenden Säulen ruhte. Alle
Thore hatten gleiche Grösse; nur dasjenige, welches
oberhalb des korinthischen Thores aus dem Vorhof der
Frauen von Osten her ins Heiligtum sich öffnete und
dem Thor des Tempelgebäudes gegenüberlag, war be-
deutend grösser. Es hatte nämlich eine Höhe von
fünfzig Ellen und Thüren von vierzig Eilen Breite, auch
viel reicheren Schmuck und ganz massive Gold- und
Silberbekleidung. Diese Metallbeschläge hatte an den
neun Thoren Alexander, 1 der Vater des Tiberius, an-
bringen lassen. Fünfzehn Stufen führten von der
Mauer, welche den Vorhof der Frauen begrenzte, zu
dem grösseren Thore, fünf Stufen weniger als zu den
anderen Thoren.
4. Zum Tempelhause selbst, welches inmitten des ge-
weihten Heiligtums stand, stieg man auf zwölf Stufen
hinan. Die Front des Gebäudes war gleich hoch und
breit, nämlich hundert Ellen, das Hintergebäude aber
um vierzig Ellen schmäler, da der Vorderbau rechts und
links flügelförmig zwanzig Ellen weit über dasselbe
hinausragte. Das vordere Thor des Heiligtums, siebzig
Ellen hoch und fünfundzwanzig breit, hatte keine
Thüren; denn es sollte ein Sinnbild des unabsehbaren,
offenen Himmels sein. Seine Vorderseite war überall
vergoldet, und wenn man hindurchsah, hatte man den
vollen Anblick des eigentlichen Tempelhauses, welches
1 Alexander Lvsimachos , Alabarch von Alexandria, Bruder des
berühmten Alexandriners Philo (vergl. J. A. XVIII, 6, 3; 8, 1; XIX,
5, 1). Sein Sohn Tiberius Alexander war der mehrfach erwähnte
frühere Landpfleger von Judaea.
Joeephus, JUdlacher Krieg. 32
498
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zugleich das höchste Bauwerk des Tempels war. Auch
um die nach einwärts schauende Öffnung des Thores
strahlte alles von Gold. Der innere Tempelraum zerfiel
also in zwei Abteilungen ; offen aber war nur die vordere,
die in ununterbrochener Höhe neunzig, in der Länge
fünfzig und in der Breite etwa zwanzig Ellen mass.
Das Thor, welches in diese Abteilung führte, war, wie
gesagt, durchweg vergoldet, samt der ganzen dasselbe
umgebenden Wand; über ihm befanden sich goldene
Rebzweige, von welchen mannsgrosse Trauben herab-
hingen. Die andere der beiden Abteilungen des Tempel-
gebäudes war niedriger als die vordere, und es führten
in sie fünfundfünfzig Ellen hohe und sechzehn Ellen
breite goldene Thüren. Vor den letzteren wallte ein
gleich langer babylonischer Vorhang herab, bunt gestickt
aus Hyacinth, Byssus, Scharlach und Purpur, wunder-
schön gewoben mit sehenswerter Mischung der Stoffe.
Er sollte ein Bild des Weltalls sein; der Scharlach
nämlich sollte das Feuer, der Byssus die Erde, der Hya-
cinth die Luft, der Purpur das Meer andeuten, zwei der
Stoffe durch ihre Farbe, Byssus und Purpur durch ihren
Ursprung, indem jenen die Erde, diesen das Meer er-
zeugt. 1 Die Stickerei zeigte den Anblick des ganzen
Himmels mit Ausnahme der Bilder des Tierkreises. 2
5. Durch diesen Eingang also gelangte man in den
niedrigeren Teil des Tempel gebäudes. Dieser war sechzig
Ellen hoch, ebenso lang und zwanzig Ellen breit. Seiner
Länge nach zerfiel er wieder in zwei Räume. Die vordere
Abteilung, 3 deren Länge auf vierzig Ellen bemessen
war, enthielt drei bewunderungswürdige, weltberühmte
Kunstwerke: den Leuchter, den Tisch und das Rauch-
fass. Die sieben Lampen, welche sich von dem Leuchter
1 Byssus nämlich war feinste Leinwand, Purpur der mit dem
Safte der Meerschnecken Purpura und Murex gefärbte Stoff.
* Nach dem mosaischen Gesetz war es den Juden bekanntlich
verboten, Bildnisse von Menschen oder Tieren herzustellen.
3 Das Heilige.
Fünftes Buch, 5. Kapitel.
499
abzweigten, bedeuteten die sieben Planeten, 1 die zwölf
Brote auf dem Tisch den Tierkreis und das Jahr; das
Rauchfass aber, welches mit dreizehn verschiedenen
Sorten Räucherwerk aus dem Meere, der unbewohnten
Wüste und der bewohnten Erde gefüllt wurde, zeigte
an, dass alles von Gott komme und für Gott da sei.
Die innerste Abteilung des Tempels endlich hatte zwanzig
Ellen im Geviert und war von dem vorderen Raume
wiederum durch einen Vorhang getrennt. In ihr befand
sich einfach gar nichts 2 ; von niemand durfte sie be-
treten, verletzt oder gesehen werden ; sie hiess das Aller-
heiligste. Rechts und links stiessen an die niedrigere
Tempelabteilung viele durcheinander gehende dreistöckige
Wohnungen, welche beiderseits vom Thore aus zugäng-
lich waren. Der obere Teil des Tempelhauses hatte
keine derartigen Anbauten mehr und war daher schmäler.
Seine Höhe betrug gegen vierzig Ellen ; auch war er
einfacher gearbeitet als der untere. Rechnet man diese
vierzig Ellen zu den sechzig vom Boden aus, so ergiebt
sich eine Gesamthöhe von hundert Ellen.
6. Der äussere Anblick des Tempels bot alles dar,
was Auge und Herz entzücken konnte. Auf allen Seiten
mit schweren goldenen Platten bekleidet, schimmerte er
bei Sonnenaufgang im hellsten Feuerglanz und blendete
das Auge gleich den Strahlen des Tagesgestirns. Fremden,
die nach Jerusalem pilgerten, erschien er von fern wie
ein schneebedeckter Hügel; denn wo er nicht vergoldet
war, leuchtete er in blendender Weisse. Seine Spitze
starrte von scharfen goldenen Spiessen, damit er nicht
von Vögeln, die sich auf ihn niederliessen, verunreinigt
würde. Von den zu seinem Bau verwendeten Quadern
waren manche fünfund vierzig Ellen lang, fünf Ellen
hoch und sechs Ellen breit. Vor ihm stand der fünf-
1 Zu den Planeten rechneten die Alten: Sonne, Mond, Merkur,
Venus, Mars, Jupiter und Saturn.
2 Nämlich nichts weiter als ein Stein, auf den der Hohepriester
am Versöhnungstage ein Gefäss mit Räucherwerk stellte. Die heilige
Lade war mit dem ersten Tempel zu Grunde gegangen.
32 *
500
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zehn Ellen hohe, fünfzig Ellen lange und breite Altar,
viereckig von Gestalt und an seinen Ecken mit horn-
artigen Vorsprüngen versehen; von Süden her führte
ein sanft ansteigender Weg zu ihm hinauf. Er war
ohne Anwendung eines eisernen Werkzeuges gebaut;
überhaupt hatte Eisen ihn nie berührt. Rings um
Tempel und Altar lief ein zierlich gearbeitetes, etwa
eine Elle hohes Gitter von schönem Gestein, welches
das gewöhnliche Volk von den Priestern schied. Samen-
flüssigen und Aussätzigen war die ganze Stadt verboten,
Weibern während ihrer monatlichen Reinigung der
Tempel; letztere durften übrigens, auch wenn sie rein
waren, die oben bezeichnete Grenze nicht überschreiten.
Männer, die nicht völlig rein waren, mussten dem inneren
Hofe fembleiben, desgleichen Priester, bei denen dies
der Fall war.
7. Geborene Priester, die wegen eines körperlichen
Gebrechens den heiligen Dienst nicht versehen durften,
befanden sich dennoch innerhalb des Gitters bei den
körperlich Untadeligen und erhielten auch die ihnen
kraft ihrer Abstammung zustehenden Opferteile, trugen
aber gewöhnliche Kleidung; denn nur der Dienstthuende
durfte das heilige Gewand anlegen. Zur Opferstätte
und zum Tempel traten nur makellose Priester, in Byssus
gekleidet und, was die Hauptsache war, ohne Wein ge-
nossen zu haben — aus Ehrfurcht vor dem Dienst, damit
sie bei ihren Verrichtungen keinen Fehler begingen.
Der Hohepriester ging mit ihnen hinauf, aber nicht
immer, sondern nur an den Sabbaten, den Neumonden
und wenn ein herkömmliches Fest oder eine Zusammen-
kunft des ganzen Volkes das Jahr über gefeiert wurde.
Wenn er Dienst that, trug er zuunterst einen Gürtel,
der die Lenden bis zur Scham bedeckte, ferner einen
Leibrock aus Leinen und darüber ein bis an die Knöchel
reichendes, hyacinthblaues , den ganzen Körper um-
wallendes Oberkleid, das mit Fransen besetzt war. An
den Fransen hingen goldene Glöckchen und Granatäpfel
abwechselnd, jene eine Sinnbild des Donners, diese des
Fünftes Buch, 5. Kapitel.
501
Blitzes. Die Binde, welche das Oberkleid an die Brust
befestigte, war aus fünf Streifen bunt gewirkt, nämlich
aus Gold, Purpur, Scharlach, Byssus und Hyacinth,
also denselben Stoffen, aus denen, wie oben gesagt, auch
die Vorhänge des Tempels gewoben waren. Über diesem
Gewand trug er noch ein in denselben Farben gesticktes
ßchulterkleid , bei welchem jedoch der Goldstoff vor-
herrschend war. Der Schnitt dieses Kleidungsstückes
glich einem Panzerhemd. Zusammengehalten wurde es
von zwei goldenen Spangen, in welche die schönsten
und grössten Sardonyxe mit den eingravierten Namen
der Stämme des Volkes gefasst waren. An der vorderen
Seite hingen zwölf Steine herab, je drei in vier Reihen
geordnet, nämlich ein Karneol, Topas, Smaragd, ein
Rubin, Jaspis, Sapphir, ein Achat, Amethyst, Bernstein*
ein Onyx, Beryll, Chrysolith. Auf jedem dieser Steine
stand wieder ein Stammesname. Den Kopf deckte eine
Tiara aus Byssus mit Hyacinth durchwoben. Um die-
selbe schlang sich ein goldener Reif, der mit den heiligen
Buchstaben beschrieben war ; unter letzteren versteht
man vier bestimmte Laute . 1 Dieses Gewand trug er
übrigens nicht für gewöhnlich — da legte er ein ge-
ringeres an — , sondern nur wenn er in das Allerheiligste
ging. Das geschah aber bloss einmal im Jahr, nämlich
an dem Tage, da altem Brauche gemäss sämtliche Juden
Gott zu Ehren fasten . 2 Über die Stadt, den Tempel
und die darauf bezüglichen Gesetze und Gebräuche
werde ich indes an anderem Orte mich ausführlicher
verbreiten 3 ; denn gar vieles bleibt noch davon zu sagen
übrig.
1 Gemeint ist der Name Gottes (Jehovah, rnrP), den Josephus
nicht erwähnt, weil er von den Juden nicht ausgesprochen werden
durfte (J. A. II, 12, 4).
8 D. i. am Versöhnungstage.
» Wie aus J. A. XX, 11, 2 hervorgeht, wollte Josephus ein
solches Werk schreiben ; doch hat er diesen Plan wahrscheinlich
nie zur Ausführung gebracht , da nichts dergleichen auf uns ge-
kommen ist:
502
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
8. Was nun die Antonia betrifft, so lag dieselbe in
dem Winkel, den zwei der Hallen des äusseren Tempel-
raumes, die westliche und die nördliche, miteinander
bildeten. Gebaut war sie über einem fünfzig Ellen
hohen, auf allen Seiten abschüssigen Felsen. Sie war
ein Werk des Königs Herodes, durch das er seine
Prachtliebe in hohem Grade bekundete. Zunächst näm-
lich war der Fels von seinem Fusse an mit geglätteten
Steinplatten belegt, einmal des schönen Aussehens wegen,
und dann auch damit jeder, der hinaufzuklettern oder
hinabzusteigen versuchen sollte, davon abglitte. Vor
dem eigentlichen Burggebäude erhob sich sodann eine
drei Ellen hohe Mauer, 'innerhalb deren die Antonia
selbst noch um vierzig Ellen anstieg. Das Innere hatte
die Räumlichkeiten und die Einrichtung eines Palastes;
denn es war in Gemächer jeder Art und Bestimmung
geteilt, in Hallen, Bäder und geräumige Kasernenhöfe,
sodass die Burg, was Ausstattung mit allen Bequemlich-
keiten anging, den Eindruck einer Stadt, in Bezug auf
Pracht den eines Königspalastes machte. Das Ganze
sah wie ein Turm aus, war aber an den Ecken wieder
mit vier Türmen besetzt, von denen zwei je fünfzig, die
beiden anderen, nämlich der südliche und östliche, je
siebzig Ellen hoch waren, sodass man von ihnen auä
den ganzen Tempelraum überschauen konnte. Wo die
Burg an die Tempelhallen grenzte, führte je eine Treppe
in diese |hinunter, auf welchen die Wachmannschaften
der stets in der Antonia liegenden römischen Legion
herabstiegen, um, in den Hallen verteilt, an Festtagen
das Volk zu überwachen, damit es keine aufrührerischen
Bewegungen ^anstelle. Wie der Tempel eine Zwingburg
für die Stadt^ so war dies für den Tempel die Antonia.
In letzterer lag auch die Besatzung für alle drei ; ausser-
dem hatte die obere (Stadt noch eine eigene Festung,
den Palast des Herodes. Der, wie bereits bemerkt, von
der Antonia getrennte Hügel Bezetha war der höchste
von den Hügeln und mit einem Teil der Neustadt ver-
bunden. Er allein nahm auch, wenn man von Norden
Fünftes Buch, 6. Kapitel.
503
kam, die Aussicht auf den Tempel weg. Da ich übrigens
von der Stadt und den Mauern unten noch eingehender
zu reden gedenke, so möge es für jetzt bei dem Gesagten
sein Bewenden haben.
Sechstes Kapitel.
Weiteres von Simon und Joannes. Nikanors Verwundung.
Titus beschleunigt die Belagerungsarbeiten.
1. Von den streitbaren Empörern in der Stadt
bildeten, die Idumäer ungerechnet, zehntausend den An-
hang Simons, und diese zehntausend standen unter fünfzig
Anführern, über welche Simon selbst als Oberbefehls-
haber gebot Die Idumäer, welche zu ihm hielten,
zählten fünftausend Mann unter zehn Führern, von denen
Jakobus, der Sohn des Sosas, und Simon, der Sohn des
Kathlas, unstreitig die hervorragendsten waren. 1 Joannes
anderseits, der den Tempel besetzt hielt, hatte sechs-
tausend Schwerbewaffnete unter zwanzig Anführern. An
ihn hatten sich bekanntlich nach Beilegung des früheren
Streites auch die Zeloten an geschlossen, 2 welche, zwei-
tausendvierhundert Mann stark, unter ihren ehemaligen
Befehlshabern Eleazar und Simon, dem Sohne des Ari,
standen. Die zwei Hauptparteien befehdeten sich übrigens
noch immer, und das Volk musste dabei, wie oben be-
merkt, den Kampfpreis hergeben, indem diejenigen
Bürger, die das frevelhafte Treiben nicht mitmachen
wollten, von beiden ausgeplündert wurden. Simon hatte
die obere Stadt und ;die grosse Mauer bis zum Kedron
sowie von der alten Mauer den Teil inne, der sich
bei der Siloaquelle nach Osten 3 wendet und bis zum
1 Au 8 dieser Stelle wie aüs IV, 9, 11 muss man schliessen, dass
die früher zu Hilfe gerufenen Idumäer (s. IV, 4) entweder nicht
alle heimgekehrt waren (IV, ti, 1), oder sich teilweise später wieder
eingefunden hatten.
2 S. V, 3, 1.
3 D. h. mit der Front nach Osten, also nordwärts.
Go gle
504 Josephos, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Palast des Monobazus läuft. Dieser Monobazus, neben-
bei gesagt, war König der jenseits des Euphrat wohnenden
Adiabener. Ferner gehörten zu Simons Machtbereich
die erwähnte Quelle selbst, dann Akra (das ist die untere
Stadt) und der Bezirk bis zum Palast der Helena, der
Mutter des Monobazus. 1 Joannes dagegen gebot über
den Tempel und einen beträchtlichen Teil der Umgebung
desselben, sowie über Ophla und das Kedronthal. Durch
Einäscherung der zwischen ihren beiderseitigen Gebieten
belegenen Stadtteile hatten die Parteihäupter sich für
ihre Kämpfe wider einander Raum verschafft. 2 Denn
selbst als die Römer bereits vor den Mauern Jerusalems
lagerten, Hessen sie die Waffen nicht ruhen, und kaum
dass sie nach dem ersten Ausfall etwas klüger geworden
waren, so fielen sie auch schon wieder in die vorige
Krankheit zurück, entzweiten sich miteinander, bekämpften
sich gegenseitig und thaten alles, was die Belagerer nur
wünschen mochten. Fürwahr, kein schlimmeres Leid
hatten sie von den Römern zu erdulden, als sie selbst
einander zufügten , und keine neue Drangsal hätte
die Stadt nach diesen Vorgängen mehr treffen können;
denn schon vor ihrem Fall war sie von grösserem Un-
heil heimgesucht worden, sodass die Eroberer ihren Zu-
stand nur verbesserten. Mit anderen Worten: wie der
Bürgerkrieg der Stadt, so machten die Römer dem
Bürgerkrieg ein Ende , der noch viel stärker als die
Mauern sich erwies. Alle Trübsal kann man demnach
mit gutem Grund den Einheimischen, alles Gerechte den
Römern zuschreiben. Doch es bilde sich jeder sein Ur-
teil an der Hand der Thatsachen.
2. Während in Jerusalem die Dinge so standen, um-
ritt Titus mit einer auserlesenen Reiterschar die Stadt
und suchte eine Stelle zu erspähen, wo sich ein Angriff
auf die Mauern ausführen Hesse. Überall aber fand er
Schwierigkeiten ; denn von den Schluchten aus war ohne-
1 S. J. A. XX, 2; 4, 3.
■ S. V, 1, 3
Go gle
Fünftes Buch, 6. Kapitel.
505
bin eine Annäherung nicht möglich, und an den anderen
Seiten kam ihm die äussere Mauer für die Maschinen
zu mächtig vor. Endlich beschloss er, einen Angriff bei
dem Grabmal des Hohepriesters Joannes zu versuchen.
An dieser Stelle nämlich war der äussere Festungsgürtel
niedriger und der zweite nicht zusammenhängend, da
man die Umwallungsarbeiten an dem weniger dicht be-
völkerten Teile der Neustadt vernachlässigt hatte. Von
hier aus war es deswegen auch leicht, die dritte Mauer
zu erreichen, nach deren Erstürmung er die obere Stadt
und dann durch die Antonia den Tempel zu nehmen
gedachte. Während dieses Rittes um die Stadt geschah
es nun, dass einer seiner Freunde, Nikanor mit Namen,
als er in Begleitung des Josephus sich der Mauer
näherte, um den auf derselben stehenden Juden, denen
er wohlbekannt war, Friedensvorschläge zu machen, an
der linken Schulter durch einen Pfeilschuss verwundet
wurde. Hieraus ersah der Caesar den trotzigen Sinn
der Belagerten; Hessen sie doch nicht einmal diejenigen
unbehelligt, die zu ihrem eigenen Besten mit ihnen in
Verbindung treten wollten. Er betrieb daher die Be-
lagerung von jetzt ab nur noch eifriger, erlaubte den
Legionen, die Umgebung der Stadt zu verwüsten, und
gab Befehl, Material zur Errichtung von Wällen zu
sammeln. Alsdann beorderte er das Heer in drei Ab-
teilungen zur Arbeit und stellte in den Zwischenräumen
der Wälle die Schleuderer und Bogenschützen, in der
Front aber die Skorpionen , 1 Katapulten und Ballisten
auf, um dadurch etwaigen Ausfällen der Feinde gegen
die Werke wie auch den Angriffen von der Mauer her
wirksam begegnen zu können. Während nun die nähere
Umgebung der Stadt durch schleuniges Fällen der
Bäume abgeholzt und die Stämme zu den Wällen zu-
sammengetragen wurden, mit deren Errichtung sich das
ganze Heer eifrigst beschäftigte, blieben auch die Juden
keineswegs unthätig. Das Volk, das unter lauter Raub
Der Skorpion war eine etwas kleinere Abart der Katapulte.
506
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
und Mord lebte, fasste eben jetzt wieder Mut; denn es
hoffte, wenn seine Bedränger vom Kampfe mit den
äusseren Feinden ganz in Anspruch genommen wären,
freier aufatmen und für den Fall, dass die Römer siegen
sollten, an den Schuldigen sich rächen zu können.
3. Joannes aber blieb aus Furcht vor Simon in seiner
Stellung, so sehr auch seine Leute den Feinden vor der
Stadt entgegenzurücken verlangten. [Simon dagegen
ruhte schon aus dem Grunde nicht, weil er sich näher
an den Belagerungsarbeiten befand, sondern stellte die
dem Cestius abgenomraenen und die von der Besatzung
der Antonia erbeuteten Wurfmaschinen 1 an verschiedenen
Punkten der Mauer auf. Ihr Besitz war jedoch den
Juden von keinem besonderen Nutzen, weil sie nicht
damit umzugehen verstanden , und nur einige wenige,
welche die Bedienung von Überläufern erlernt hatten,
versuchten ihre Kunst an den Maschinen, freilich un-
geschickt genug. Dagegen beunruhigten sie die Schanz-
arbeiter durch Steinwürfe und Pfeilschüsse, machten in
wohlgeordneten Haufen Ausfälle und lieferten den Römern
manches Scharmützel. Die Arbeiter indes fanden gegen
die Geschosse an dem über Pfähle ausgespannten Flecht-
werk, gegen die Ausfälle jan ihren eigenen Kriegs-
maschinen hinreichenden Schutz. Alle Legionen nämlich
waren in dieser jBeziehung aufs beste ausgerüstet; be-
sonders die zehnte besass ungewöhnlich starke Skorpionen
und grosse Bailisten, mit denen sie ebensowohl den Aus-
fällen die Spitze bieten , als auch die auf [der Mauer
stehenden Juden [verscheuchen konnte. Schleuderten
doch die Maschinen talentschwere 2 Felsstücke, welche
zwei Stadien weit und selbst noch weiter flogen, sodass
nicht nur die Feinde in den vordersten Reihen, sondern
auch ihre Hintermänner davor zurückwichen. Anfangs
zwar wussten die Juden sich vor den Steingeschossen
zu sichern ; denn abgesehen davon , dass dieselben sich
1 S. II, 7, 7 und 19, 9.
2 1 Talent als Gewicht = 26 kg.
Fünftes Buch, 6. Kapitel.
507
durch ihr Schwirren vorher ankündigten , konnten sie
auch infolge ihrer Helligkeit — sie waren weiss — schon
von fern gesehen werden. Jedesmal nun, wenn die
Maschine geladen wurde und der Stein fortflog, zeigten
die auf den Türmen postierten Wächter dies an, indem
sie in der Landessprache riefen: „Das Geschoss kommt!“
Sogleich wichen dann die, gegen welche es seine Richtung
nahm, auseinander und warfen sich hin. Gebrauchte
man diese Vorsicht, so fiel das Felsstück meist unwirk-
sam zur Erde. Bald aber kamen die Römer auf den
Gedanken, die Steine zu schwärzen, und da sie nun nicht
mehr im voraus erkennbar waren , traf jeder einzelne
Schuss und streckte eine Anzahl Juden zugleich nieder.
Trotz des Schadens indes, den die Belagerten erlitten,
Hessen sie die Römer beim Bau der Wälle nicht in Ruhe,
sondern suchten sie Tag und Nacht durch allerlei listige
und kühne Unternehmungen daran zu hindern.
4. Als die Werke vollendet waren, massen die Bau-
meister den Abstand bis zur Mauer, indem sie ein an
einer Schnur befestigtes Blei von den Wällen dorthin
warfen; bei anderem Verfahren nämlich wären sie von
oben beschossen worden. Hierbei ergab sich, dass die
Mauer von den Sturmböcken erreicht werden konnte,
und so schaffte man denn die letzteren heran. Zugleich
liess Titus, um zu verhindern, dass die Widder von den
Juden unwirksam gemacht würden, die Wurfmaschinen
in grösserer Nähe der Mauer aufstellen und gab dann
Befehl, mit den Stössen zu beginnen. Als nun auf ein-
mal von drei Stellen her ein furchtbares Krachen in der
Stadt erdröhnte, schrien die Bewohner vor Schrecken auf,
und auch der Empörer bemächtigte sich eine gewaltige
Angst. Jetzt endlich, da sie sich von gemeinsamer Ge-
fahr bedroht sahen, dachten die beiden Parteien daran,
sich auch gemeinsam zu verteidigen , und laut riefen
sich die Entzweiten zu, sie arbeiteten ja eigentlich nur
den Feinden in die Hände, während sie, selbst wenn
Gott ihnen keine dauernde Eintracht verleihen würde,
doch wenigstens für den Augenblick Frieden schliessen
508
Josephu*, Geschichte des Jüdischen Krieges.
und gegen die Römer Zusammenhalten müssten. In der
That liess nun Simon denen im Tempel durch einen
Herold Sicherheit verbürgen, wenn sie sich zur Mauer
begeben wollten, und Joannes ging, wiewohl misstrauisch,
darauf ein. Hass und Zwietracht schien vergessen; wie
ein Mann standen sie zusammen, besetzten die Mauer,
schleuderten von hier aus eine Menge Feuerbrände gegen
die Maschinen und beschossen die Bedienungsmann-
schaften der Sturmböcke ohne Unterlass mit Pfeilen. Die
Keckeren stürzten truppweise hervor , zerrissen die
Schutzdächer der Schanzarbeiter und fielen über die
letzeren her, wobei sie, freilich weniger ihrer taktischen
Überlegenheit als ihrer Tollkühnheit zufolge, meist sieg-
reich blieben. Der Caesar aber ward nicht müde, den
Arbeitern beizustehen, indem er mit Hilfe der zu beiden
Seiten der Werke aufgestellten Reiter und Bogenschützen
die Brandwerfer abwehrte, die von den Türmen herab
schiessenden Juden vertrieb und den Sturmböcken freien
Spielraum verschaffte. Die Mauer gab indes den Stössen
nicht nach, nur dass der Widder der fünfzehnten Legion
die Ecke eines Turmes ein wenig verrückte; die Mauer
selbst aber blieb unversehrt, da sie durch den weit vor-
ragenden Turm, der nicht leicht etwas von der Umwallung
mit sich reissen konnte, nicht besonders gefährdet war*
5. Für kurze Zeit enthielten sich nun die Juden
weiterer Ausfälle. Als sie aber eines Tages bemerkten,,
wie die Römer — die der Meinung waren, Furcht und
Ermattung habe ihre Gegner veranlasst, sich ruhig zu
halten — bei den Arbeiten und auf den einzelnen Lager-
plätzen sich zerstreut hatten, brachen sie durch ein ver-
decktes Thor in der Nähe des Hippikusturmes in grosser
Menge hervor, steckten die Werke in Brand und schickten
sich an, die Lagerverschanzungen des Feindes zu berennen*
Auf ihr Geschrei schlossen sich die näher befindlichen
Römer alsbald zusammen, und auch die entfernteren
eilten herbei. Aber die Tollkühnheit der Juden war
schneller als die Taktik der Römer, und nachdem sie die
ersten, die ihnen begegneten , in die Flucht geschlagen
Fünftes Buch, 6. Kapitel.
509
hatten, warfen sie sich auf die anderen, die sich eben
sammelten. Bei den Maschinen entspann sich nun ein
furchtbarer Kampf: die Juden thaten alles, sie anzu-
zünden, die Römer hingegen suchten dies mit äusserster
Anstrengung zu verhindern. Hüben wie drüben ertönte
verworrenes Geschrei, und eine Menge derer, die in den
vordersten Reihen stritten, fiel unter dem Schwert ihrer
Gegner. Endlich aber gewannen die Juden infolge ihrer
Tollkühnheit die Oberhand: das Feuer ergriff die Werke,
und alle Römer würden wohl mitsamt den Maschinen ver-
brannt sein, hätten nicht die meisten der alexandrinischen
Kerntruppen mit einer ihnen selbst nachher unbegreif-
lichen Kraftanstrengung, durch welche sie in diesem
Kampfe die berühmtesten ihrer Kameraden übertrafen,
so lange stand geh alten, bis der Caesar sich an der Spitze
seiner tapfersten Reiter den Feinden entgegen geworfen
hatte. Zwölf der vordersten macht er eigenhändig nieder; 1
ihr Schicksal bringt die übrige Menge zum Weichen; er
verfolgt sie, treibt alle in die Stadt zurück und bewahrt
so die Werke vor der völligen Einäscherung. In diesem
Gefecht ward auch ein Jude lebendig gefangen genommen,
den Titus vor der Mauer ans Kreuz schlagen liess, um
durch den abschreckenden Anblick die übrigen zum Nach-
geben zu bewegen. Ferner wurde nach dem Rückzug
der Idumäeranführer Joannes, 2 während er von der
Mauer herab mit einem befreundeten Soldaten sprach,
von einem arabischen Bogenschützen in die Brust ge-
schossen und starb auf der Stelle — zum grossen Leid-
wesen der Juden nicht minder wie der Empörer: denn
sr war ein durch persönliche Tapferkeit und Einsicht
ausgezeichneter Mann gewesen.
1 Vergl. Sueton., Titus 5.
2 S. IV, 4, 2.
510
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Siebentes Kapitel,
Erstürmung der ersten Mauer und Angriff auf die zweite.
Von dem römischen Reiter Longinus und dem Juden
Kastor.
1. In der folgenden Nacht befiel die Körner ein
plötzlicher Schrecken. Einer der fünfzig Ellen hohen
Türme nämlich, welche Titus auf den Wällen hatte er-
richten lassen, um die letzteren gegen Angriffe von der
Mauer her zu schützen, stürzte um Mitternacht von selbst
wieder ein. Das hierbei entstehende fürchterliche Ge-
töse versetzte das ganze Heer in Bestürzung: alles eilte
in dem Glauben, es sei ein feindlicher Angriff erfolgt,
zu den Waffen. Masslose Verwirrung herrschte bei den
einzelnen Legionen, und da niemand die Sache auf-
klären konnte, meinten sie in ihrer Ratlosigkeit bald
dies, bald jenes. Schliesslich, als kein Feind sich blicken
liess, graute es ihnen sogar vor sich selber, sodass jeder
seinen Nebenmann ängstlich nach der Losung fragte,
wie wenn sich Juden ins Lager eingeschlichen hätten.
Panischer Schrecken schien sie alle ergriffen zu haben,
bis endlich Titus das Geschehene erfuhr und den Sach-
verhalt bekannt machen liess ; gleichwohl waren sie nur
schwer zu beruhigen.
2. Die Juden ihrerseits hielten allen sonstigen An-
griffen gegenüber wacker stand; grossen Schaden aber
verursachten ihnen die Türme, von deren Höhe aus sie
mit leichteren Maschinen beschossen und mit einem
Hagel von Speeren, Pfeilen und Steinen überschüttet
wurden. Sie selbst dagegen vermochten die Türme weder
zu erreichen, weil dieselben sehr hoch waren, noch sie
zu nehmen, da sie einerseits ihrer Wucht halber nicht
leicht umgestürzt, anderseits wegen ihres Beschlages von
Eisen nicht in Brand gesteckt werden konnten. Gingen
aber die Juden ausser Schussweite zurück, so waren sie
den Angriffen der Widder gegenüber völlig machtlos,
die durch ihr unaufhörliches Stossen allmählich doch
Go gle
Fünftes Bach, 7. Kapitel.
511
etwas ausrichteten. Schon fing die Mauer an, dem
Nikon 1 — so nannten die Juden selbst den grössten
Sturmbock wegen seiner unwiderstehlichen Kraft —
nachzugeben; die Belagerten aber waren von den vielen
Gefechten und den Nachtwachen, die sie fern von der
eigentlichen Stadt hatten bestehen müssen, längst er-
mattet, hatten auch, sei es aus Leichtsinn, sei es aus
gänzlichem Mangel an Überlegung, die Bewachung der
Mauer angesichts der beiden anderen, die ihnen ausser-
dem noch zu Gebote standen, für überflüssig gehalten
und sich grösstenteils entmutigt zurückgezogen. So
kletterten denn die Römer, während sämtliche Wacht-
posten sich hinter die zweite Mauer flüchteten, an der
vom Nikon beschädigten Stelle in die Höhe, und sobald
die ersten hinüber waren, öffneten sie die Thore und
Hessen das ganze Heer einziehen. Am fünfzehnten Tage
der Belagerung — es war der siebente des Monats Arte-
misios — gelangten die Römer in den Besitz der ersten
Mauer; eine grosse Strecke derselben rissen sie nieder,
ebenso den nördlichen Teil der Stadt, wie dies früher
auch Cestius gethan hatte. 2
3. Titus verlegte nun sein Lager hinter die erste
Mauer an das sogenannte „Lager der Assyrier“, nachdem
er zuvor das ganze Terrain bis zum Kedron besetzt
hatte, und da er jetzt nur noch um Schussweite von der
zweiten Mauer entfernt war, schritt er alsbald zum An-
griff. Die Juden, die sich auf der Mauer verteilt hatten,
leisteten hartnäckigen Widerstand, und zwar die Leute
des Joannes von der Antonia, der nördlichen Tempel-
halle und dem Grabmal des Königs Alexander 3 aus;
Simons Truppen dagegen besetzten den Eingang bei
dem Grabmal des Joannes und verteidigten die Strecke
bis zu dem Thor, an welchem die Wasserleitung zum
Hippikusturm hinlief. Zu wiederholten Malen stürzten
1 D. h. Sieger.
* S. II, 19, 4.
3 Alexander Jannaeus (105—79 v. Chr.).
Go gle
512
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sie nun aus den Thoren hervor und gerieten mit den
Feinden aneinander, wurden aber immer wieder hinter
die Mauern zurückgedräDgt; denn da sie in der römischen
Kriegskunst nicht bewandert waren, zogen sie beim
Handgemenge stets den kürzeren, während sie im Mauer-
gefecht die Oberhand behielten. Führte bei den Römern
Kraft und Erfahrung das Schwert, so that dies auf
seiten der Juden jene Tollkühnheit, die der Angst ent-
springt, sowie die diesem Volke eigene Ausdauer im
Unglück; dazu kam bei den Juden noch die Hoff-
nung auf Rettung, wie bei den Römern die auf raschen
Sieg. Weder hier noch dort machte sich Ermattung
geltend, sondern ohne Unterlass erfolgten Angriffe,
Mauergefechte, Ausfälle kleinerer Scharen den ganzen
Tag über, und keine Art von Kampf blieb unversucht.
Kaum war die Sonne aufgegangen, so begannen die
Feindseligkeiten, und erst die Dunkelheit machte den-
selben ein Ende. Schlaflos aber war die Nacht für
beide Teile und unheimlicher als der Tag: für die
Juden, weil sie jeden Augenblick die Erstürmung der
Mauer, für die Römer, weil sie beständig einen Angriff
auf ihr Lager befürchten mussten. Beiderseits brachte
man deshalb die Nacht unter den Waffen zu, und gleich
beim Morgengrauen stand man wieder kampfgerüstet da.
Bei den Juden stritt man sich, wer, um den Führern
zu gefallen, zuerst der Gefahr entgegengehen dürfe; am
.meisten geachtet und gefürchtet war übrigens Simon, an
dem seine Untergebenen so sehr hingen, dass auf seinen
Befehl jeder mit der grössten Bereitwilligkeit Hand an
sich selbst gelegt haben würde. Was anderseits die
Römer zur Tapferkeit anspornte, war ausser der Ge-
wohnheit, stets zu siegen und nie besiegt zu werden, der
unausgesetzte Heeresdienst, die beständige Übung in den
Waffen und die Grösse des Reiches, vor allem aber die
Person des Titus, der überall zugegen und allen zur
Seite war. Unter den Augen des Feldherrn, der stets
mitkämpfte, schlaff zu werden, zog den Ruf der Schande
nach sich ; wer aber wacker stritt, dem war er, der
Künties Buch, 7. Kapitel.
513
Zeuge, auch zugleich als Belohner nahe, und dem
Caesar auch nur als tapfer bekannt zu werden, be-
deutete schon Gewinn. Das war der Grund, weshalb
viele Soldaten gar oft einen ihre Kräfte übersteigenden
Kampfesmut bewiesen. Als zum Beispiel in jenen
Tagen eine starke Abteilung Juden sich vor der Mauer
in Schlachtordnung aufgestellt hatte und die beiden
Heere erst noch aus der Ferne' einander beschossen,
sprengte ein Reiter Namens Longinus aus den Reihen
der Römer hervor mitten in den feindlichen Heerhaufen,
trieb ihn durch sein stürmisches Anrennen auseinander
und tötete die zwei tapfersten Juden, indem er dem
«inen, der sich ihm entgegen warf, einen Stoss ins Ge-
sicht versetzte, den anderen mit der aus der Wunde des
-ersten gezogenen Lanze, als er sich eben zur Flucht
wandte , von der Seite durchbohrte ; hierauf eilte er
mitten aus dem Haufen der Feinde siegreich zu den
Seinigen zurück. Das war nun freilich eine ganz be-
sondere Heldenthat, und gar viele suchten es ihm an
Tapferkeit gleichzuthun. Die Juden aber machten sich
nichts aus dem Verlust, den sie erlitten hatten; ihr
Sinnen und Trachten war vielmehr nur darauf gerichtet,
wie sie ihren Gegnern Schaden zufügen könnten. Der Tod
schien ihnen eine Kleinigkeit, wenn es ihnen nur ge-
lang, zugleich einen Feind mit ins Verderben zu reissen.
Dem Caesar dagegen lag an der Sicherheit seiner
Soldaten ebenso viel, als am Sieg : unvorsichtiges Drauf-
losgehen nannte er Raserei, und Tapferkeit erkannte er
nur da an, wo man mit Bedacht und, ohne selbst
Schaden zu nehmen, vorging. Er ermahnte daher seine
Leute aufs dringendste, sie sollten sich tapfer zeigen,
ohne der Gefahr blindlings entgegenzurennen.
4. Es ward nun unter persönlicher Leitung des
Feldherrn der Sturmbock an den mittleren Turm der
nördlichen Mauer herangebracht, in welchem ein ver-
schlagener Jude Namens Kastor mit zehn Gleich-
gesinnten auf der Lauer lag, nachdem die übrigen vor
den Bogenschützen geflohen waren. Eine Zeitlang
Josepbus, Jüdischer Krieg. 33
514
Joseph as, Geschichte des Jüdischen Krieges.
blieben die Juden, unter den Brustwehren kauernd,
ruhig liegen; als aber der Turm zu zittern anfing, er-
hoben sie sich an verschiedenen Stellen. Kastor selbst
streckte wie einer, der um Gnade fleht, die Hände aus,
rief nach dem Caesar und bat mit kläglicher Stimme
um Erbarmen. Treuherzig schenkte Titus ihm Glauben
und gab sich der Hoffnung hin, die Juden seien jetzt
im Begriff, ihren Sinn zu ändern; er liess also den
Widder einhalten, untersagte den Bogenschützen, weiter
auf die Flehenden zu schiessen, und forderte Kastor auf,
sein Begehren auszusprechen. Als dieser erklärte, er
wolle herabkommen und sich ergeben, entgegnete Titus,
er wünsche ihm Glück zu seinem vernünftigen Ent-
schluss und würde sich freuen, wenn alle so gesinnt
wären; gern würde er dann der Stadt die Hand zur
Versöhnung bieten. Fünf von den zehn schlossen sich
hierauf an Kastors heuchlerische Bitte an; die übrigen
aber schrien, sie würden niemals Knechte der Römer
werden, so lange sie als freie Männer sterben könnten.
Während sie sich nun geraume Zeit herumzankten, ward
der Angriff ausgesetzt. Unterdessen liess Kastor dem
Simon sagen, sie möchten sich in aller Ruhe über die
dringendsten Angelegenheiten beraten'; er wolle den
römischen Feldherrn noch eine gute Weile zum besten
haben. Gleichzeitig suchte er dem Anschein nach auch
die Widerspenstigen zur Ergebung zu bereden. Sie aber
erhoben wie voll Entrüstung die gezückten Schwerter
über die Brustwehr, durchstiessen sich die Schilde und
sanken, als wenn sie selbst durchbohrt wären, zu Boden.
Staunen ergriff den Caesar und seine Umgebung über
die Entschlossenheit dieser Männer, und da sie von
unten aus den Hergang nicht genau sehen konnten,
bewunderten sie dieselben wegen ihres Stark mutes und
bedauerten sie zugleich wegen ihres Schicksals. Auf
einmal schoss jemand den Kastor neben die Nase; der
Getroffene zog den Pfeil heraus, zeigte ihn dem Titus
und beklagte sich über ungerechte Behandlung. Der
Caesar gab dem, der geschossen hatte, einen Verweis
Fünftes Buch, 8. Kapitel.
515
und beauftragte den neben ihm stehenden Josephus,
hinzugehen und dem Kastor die Hand zu reichen.
Josephus aber weigerte sich, weil die Bittenden doch
nichts gutes im Schilde führten, und hielt auch seine
Freunde, die hineilen wollten, davon ab. Hierauf erbot
sich ein Überläufer mit Namen Aeneas, hinzugehen, und
da Kastor auch noch rief, es möchte jemand das Geld,
das er bei sich habe, in Empfang nehmen, lief Aeneas
um so eifriger auf den Turm zu und hielt den Mantel
hin. Kastor jedoch ergriff ein Felsstück und warf es
auf ihn hinab; den Aeneas indes traf er nicht, ver-
wundete aber einen anderen Soldaten, der mit heran-
gekommen war. Als der Caesar diesen Betrug bedachte,
überzeugte er sich, dass Mitleid im Kriege nur schäd-
lich sei, während ein harter Sinn unter der Hinterlist
weniger zu leiden habe; voll Zorn über die Verhöhnung
liess er daher den Sturmbock mit noch grösserer Gewalt
gegen die Mauer anprallen. Sowie aber der Turm unter
den Stössen der Maschine wich , steckten Kastor und
seine Gefährten ihn in Brand und sprangen durch die
Flammen in den unter ihm befindlichen geheimen Gang,
wodurch sie abermals den Römern eine hohe Meinung
von ihrem Starkmut beibrachten; denn diese glaubten
nicht anders, als dass ihre Gegner sich ins Feuer ge-
stürzt hätten.
Achtes Kapitel.
Erstürmung der zweiten Mauer.
1. An dieser Stelle gewann der Caesar die zweite
Mauer, fünf Tage nach Einnahme der ersten. Als
die Juden sie verlassen hatten, zog er mit tausend
Reitern und der auserlesenen Mannschaft, die seine
persönliche Bedeckung bildete, da ein, wo der Woll-
markt, die Sch miede werk Stätten und der Kleidermarkt
der Neustadt sich befanden und die Gassen in schiefer
ss*
516 Josephus, Oe*ehichte des Jüdischen Krieges.
Richtung auf die Mauer zuliefen. Hätte er nun sogleich
entweder einen grösseren Teil der Mauer eingerissen
oder den eroberten Stadtteil nach Kriegsbrauch zerstört,
so wäre meiner Meinung nach sein Sieg durch keinen
Verlust getrübt worden. In der Hoffnung jedoch, durch*
Unterlassung einer harten Massregel, zu welcher er die
Macht in Händen hatte, den Sinn der Juden erweichen
zu können, liess er den Eingang nicht so breit her-
steilen, wie es für einen etwaigen Rückzug zweckmässig
gewesen wäre; denn wenn er ihnen eine besondere Ver-
günstigung zuteil werden liesse, so würden sie, meinte
er, ihm doch wohl keinen Hinterhalt legen. Ja, er ver-
bot sogar nach dem Einzug, irgend einen der gefangenen
Juden zu töten oder die Häuser in Brand zu stecken;
zugleich gab er den Aufrührern anheim, auf eigne Faust
den Kampf fortzusetzen, wenn nur das Volk dabei
keinen Schaden litte, und versprach dem letzteren, ihm
seine gesamte Habe wieder zustellen zu wollen. Es lag
ihm nämlich sehr viel daran, für sich selbst die Stadt
und für diese den Tempel zu retten. Das Volk fand
er denn auch ohne weiteres geneigt, auf seine Vorschläge
einzugehen; die kriegslustigen Juden dagegen fassten
seine Menschenfreundlichkeit als Schwäche auf und
glaubten, Titus habe solche Anerbietungen nur gemacht*
weil er sich nicht stark genug fühle, die ganze Stadt in
seine Gewalt zu bringen. Den Bürgern drohten sie mit
Tod, wenn einer von ihnen auch nur den Gedanken an
Übergabe hegen würde, und wer etwas von Frieden ver-
lauten liess, den stiessen sie nieder. Alsbald griffen sie
auch wirklich die einziehenden Römer an, indem sie sich
teils in den Gassen ihnen entgegenwarfen , teils von den
Häusern herab ihnen zusetzten; andere machten durch
die oberen Thore Ausfälle auf die noch ausserhalb der
Mauer befindlichen Römer und versetzten dadurch die
auf ihr postierten Wachmannschaften in solchen
Schrecken, dass sie eilends von den Türmen hinab-
sprangen und ins Lager zurückliefen. Während nun
(Irinnen die auf allen Seiten von Feinden umringten,
Go gle
Fünftes Buch, 8. "Kapitel.
517
draussen die für ihre verlassenen Kameraden besorgten
Soldaten ein lautes Geschrei erhoben, wurden die Juden
immer zahlreicher, und da sie ausserdem durch ihre ge-
naue Bekanntschaft mit den Gassen bedeutend im Vor-
teil waren , verwundeten sie eine Menge ihrer Gegner
und drängten sie unaufhaltsam zurück. Notgedrungen
leisteten die Römer Widerstand, weil sie durch die enge
Maueröffnung nicht in grösseren Massen fliehen konnten,
und fast schien es um alle, die in die Stadt eingezogen
waren , geschehen zu sein. Da aber kam Titus ihnen
zu Hilfe: rasch verteilte er die Bogenschützen an den
Strassenenden, stürzte sich selbst ins ärgste Gedränge
und trieb die Feinde durch einen Hagel von Geschossen
zurück. An seiner Seite focht Domitius Sabinus, 1 der
auch in diesem Gefecht sich als tapferer Krieger be-
währte. Unaufhörlich liess nun der Caesar die Bogen-
schützen ihre Pfeile abschiessen und verhinderte dadurch
die Annäherung der Juden, bis seine sämtlichen Soldaten,
den Rückzug bewerkstelligt hatten.
2. So wurden die Römer, nachdem sie schon die
zweite Mauer genommen hatten, wieder zurück geworfen.
Den kriegerisch gesinnten Juden aber schwoll nun der
Kamm, und ihre Erfolge machten sie übermütig. Die
Römer, meinten sie, würden wohl jetzt nicht mehr wagen,
die Stadt zu betreten, und ebensowenig imstande sein,
zu siegen, wenn es wieder zum Kampf kommen sollte.
Gott verfinsterte ihnen eben um ihrer Frevel willen den
Verstand, dass sie weder sahen, wie die verjagten
Truppen nur einen kleinen Teil des römischen Heeres
bildeten, noch die sie beschleichende Hungersnot be-
merkten. Sie selbst freilich konnten ja noch vom Elend
des Volkes sich sättigen und das Blut der Einwohner
trinken! Die Gutgesinnten aber litten schon seit ge-
raumer Zeit Mangel, und viele starben dahin, weil es
ihnen an den notwendigsten Lebensmitteln gebrach. In
der Vernichtung des Volkes indes erblickten die Em-
1 S. III, 7,34.
518
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
pörer nur eine Erleichterung für 9ich selbst: denn
lediglich diejenigen erachteten sie der Erhaltung wert,
die vom Frieden nichts wissen und nur leben
-wollten, um die Römer zu bekämpfen ; wurde die anders
gesinnte Menge aufgerieben, so freuten sie sich, wie von
einer drückenden Last befreit. In dieser Weise be-
nahmen sie sich gegen die Bewohner der Stadt; die
Römer aber schlugen sie, wenn dieselben wieder einzu-
* dringen versuchten , mit gewaffneter Hand zurück und
deckten die Bresche mit ihren Leibern. Drei Tage lang
hielten sie so unter zäher Gegenwehr stand; am vierten
aber ward ihnen der heldenmütige Angriff des Titus zu
stark: sie wurden geworfen und wichen in ihre frühere
Stellung zurück. Titus war nun wieder Herr der Mauer
geworden, deren ganzen nördlichen Teil er sogleich
schleifen liess; in die Türme der südlichen Strecke da-
gegen legte er Besatzungstruppen und richtete alsdann
seine Gedanken auf die Erstürmung der dritten Mauer.
Neuntes Kapitel.
Titus versucht die Juden durch Josephus zur Übergabe
zu bewegen. f
1. Einstweilen jedoch beschloss er, mit der Be-
lagerung etwas einzuhalten und den Aufrührern Bedenk-
zeit zu geben, um zu sehen, ob sie nicht im Hinblick
auf die Schleifung der zweiten Mauer oder, da die
Räubereien ihnen wohl keinen genügenden Unterhalt
auf längere Zeit mehr verschaffen konnten, aus Furcht
vor der Hungersnot sich etwas nachgiebiger zeigen
würden. Die Pause benutzte er zu einem notwendigen
Geschäft. Da nämlich der Termin bevorstand, an
welchem den Mannschaften der Sold verabfolgt werden
musste, 1 befahl er den Offizieren, das Heer an einen
1 Es geschah dies alle vier Monate, später (seit Domitian)
vierteljährlich. Der tägliche Sold des Legionärs betrug nach unserem
Fünftes Buch, 9. Kapitel.
519
den Feind sichtbaren Ort ausrücken zu lassen und jedem
Soldaten seine Löhnung auszuzahlen. Die Truppen
zogen nun, wie üblich, mit entblössten Schwertern und
in voller Rüstung einher; die Reiter führten ausserdem
ihre aufgeputzten Pferde am Zügel. Weithin glitzerte
die Umgebung der Stadt von Silber und Gold, und so
entzückend der Anblick für die Römer war, so schreck-
lich war er für ihre Feinde. Die alte Mauer in ihrer
ganzen Ausdehnung sowie die Nordseite des Tempels
waren mit Zuschauern dicht besetzt; selbst die Dächer
der Häuser sah man voll Neugieriger und kein
Plätzchen gab es in der Stadt, das nicht schwarz von
Menschen wimmelte. Gewaltige Angst überfiel jetzt
auch die trotzigsten Juden, als sie die ganze Heeres-
macht an einem Orte versammelt und dazu die Schön-
heit der Waffen, die vortreffliche Ordnung unter den
Soldaten sahen, und es hätten bei diesem Anblick, wie
mir scheint, die Empörer anderen Sinnes werden müssen,
wenn sie nicht um der allzugrossen Frevel willen, die
sie am Volke verübt, eine Begnadigung seitens der
Römer für unmöglich gehalten hätten. Da ihnen näm-
lich, wenn sie die Feindseligkeiten einstellten, ihrer
Meinung nach nur der Verbrechertod bevorstand, so
zogen sie den im Kampfe denn doch bei weitem vor.
Auch forderte ja eben die Macht des Verhängnisses,
dass die Unschuldigen samt den Schuldigen zu Grunde
gehen sollten, und mit den Aufrührern die ganze
Stadt.
2. Vier Tage brauchten die Römer, . um an alle
Legionen den Sold auszuzahlen. Am fünften lies Titus,
als die Juden noch immer nicht mit Friedensvorschlägen
herausrücken wollten, sein Heer sich in zwei Abteilungen
trennen, von denen die eine der Antonia gegenüber, die
andere bei dem Grabmal des Joannes Wälle aufwerfen
sollte. Von letzterem Punkte aus gedachte er die obere
Gelde etwa 50—60 Pfennige: der Centurio erhielt das doppelte, der
Reiter das dreifache.
Go gle
520
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Stadt, von der Antonia her den Tempel zu nehmen;
denn so lange er das Heiligtum nicht eroberte, war an
ungefährdeten Besitz der Stadt nicht zu denken. An
diesen beiden Stellen also führten die Legionen je einen
Wall auf. Denen nun , die in der Nähe des Grabmal»
arbeiteten, suchten die Idumäer und die wohlbewaffnete
Mannschaft des Simon, denen bei der Antonia die Leute
des Joannes und die Rotte der Zeloten durch Ausfälle
Schwierigkeiten zu machen. Hierbei waren die Juden
nicht nur, was den Gebrauch der Handwaffen betraf,
durch ihren höheren Standort im Vorteil, sondern auch
dadurch ihren Gegnern überlegen , dass sie inzwischen
mit den Maschinen umzugehen gelernt hatten; denn die
tägliche Übung steigerte allmählich ihre Geschicklich-
keit. Sie hatten dreihundert Skorpionen und vierzig
Ballisten, mit denen sie die Römer beim Bau der Wälle
empfindlich störten. Der Caesar aber, der sich der Er-
kenntnis nicht verschliessen konnte, dass die Erhaltung
der Stadt einen Gewinn, ihr Untergang einen Verlust
für ihn bedeute, liess, während er die Belagerung be-
trieb, auch die andere Aufgabe nicht ausser acht, näm-
lich die Juden zur Sinnesänderung zu bewegen. Rat
und That gingen bei ihm Hand in Hand, und da er
wusste, dass man [mit Worten oft mehr auszurichten
imstande 6ei alsfc mit Waffengewalt, ermahnte er nicht
nur selbst die Belagerten, die schon halb eroberte Stadt
durch Übergabe zu retten, sondern sandte auch in der
Hoffnung, ein Landsmann möchte vielleicht grössere»
Entgegenkommen bei ihnen finden, Men Josephus ab,
um ihnen in ihrer Muttersprache Vorstellungen machen
zu lassen.
3. Josephus umging die Mauer, suchte einen Ort
auf, wo er ausser Schussweite und doch deutlich ver-
nehmbar war, und legte ihnen dringend ans Herz, sie
möchten doch ihrer selbst und des Volkes, wie auch der
Vaterstadt und des Tempels schonen und gegen die»
alles nicht gleichgiltiger sei wie die Fremden. Während
die Römer, die doch anderen Glaubens seien, die Heilig-
Fünftes Buch, 9. Kapitel.
521
tümer ihrer Feinde achteten und bis jetzt ihre Hände
davon zurückgehalten hätten, setzten diejenigen, welche
unter dem Schutze dieser Heiligtümer aufgewachsen
seien und im Falle ihrer Erhaltung die alleinigen Be-
sitzer derselben bleiben würden, alles daran, sie zu
Grunde zu richten. Wie sie sähen, seien die stärksten
Mauern bereits gefallen, und übrig sei nur noch eine,
deren Schwäche im Vergleich zu den schon eroberten
sich nicht leugnen lasse. Auch kännten sie ja die Macht
der Römer als unwiderstehlich, und römische Oberherr-
schaft sei ihnen ebenfalls nichts neues. Wenn ein Be-
freiungskrieg ein ruhmvolles Unternehmen sei, so hätten
sie denselben gleich anfangs führen sollen; wenn sie
aber, nachdem sie einmal unterworfen seien und die
Fremdherrschaft sich so lange hätten gefallen lassen,
noch das Joch abschütteln wollten, so heisse das nicht
nach Freiheit, sondern nach schmählichem Untergang
verlangen. Unbedeutenderen Oberherren könne man
allenfalls die Huldigung verweigern, nicht aber denen,
die den Erdkreis in ihrer Gewalt hätten. Denn was
für Länder seien es, die noch nicht unter der Botmässig-
keit der Römer ständen? Doch nur die, welche wegen
ihrer Hitze oder Kälte keinen Wert für sie haben
könnten. Überall sei das Glück ihr Begleiter gewesen,
und Gott, der die Weltherrschaft bei den einzelnen
Nationen umgehen lasse, sei nun einmal auf Italiens
Seite. Übrigens gelte ein schon bei den Tieren fest-
stehendes Gesetz auch für die Menschen, dass man
nämlich dem Stärkeren nachgeben müsse, und dass die-
jenigen Sieger seien, die die kräftigsten Waffen besässen.
Deshalb hätten auch die Vorfahren der Juden, die an
Körperkraft, Seelen stärke und sonstigen Verteidigungs-
mitteln ihren Nachkommen weit überlegen gewesen seien,
den Römern sich gefügt, was sie gewiss nicht über sich
gebracht haben würden, wenn sie nicht ein gesehen hätten,
dass Gott mit denselben gewesen sei. Was ihnen , den
Belagerten, denn den Mut zum Widerstand gebe? Der
grösste Teil der Stadt sei doch schon erobert, und sie
522
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
da drinneu würden, auch wenn die Mauern stehen
blieben, schlimmer dran sein wie Kriegsgefangene. Zu-
dem sei die in der Stadt herrschende Hungersnot, die
vorderhand noch erst das Volk bedränge, in kurzem
aber auch die streitbare Mannschaft aufreiben werde,
den Römern kein Geheimnis mehr. Wenn diese also
auch von der Belagerung Abstand nähmen und auf-
hörten, mit dem Schwert in der Hand in die Stadt ein-
zudringen, so sitze doch ein unbezwingbarer innerer
Feind den Juden auf dem Nacken, der mit jeder Stunde
an Stärke gewinne. Denn gegen den Hunger könnten
sie sich doch wohl nicht mit den Waffen wehren. Oder
seien sie vielleicht die einzigen, die auf solche Weise
dieser Plage beizukommen verständen ? Sie thäten da-
her, fuhr Josephus fort, wohl daran, ihren Sinn zu
ändern, ehe der Schaden unheilbar werde, und auf ihre
Rettung bedacht zu sein , so lange es noch Zeit sei. Die
Römer würden ihnen das Geschehene sicher nicht nach-
tragen, wenn sie ihren Starrsinn nur nicht aufs äusserste
trieben; es liege nämlich in deren Art, als Sieger Milde
zu beweisen und ihren Vorteil höher anzuschlagen wie
die Befriedigung ihrer Rache. Diesen Vorteil wahrten
sie aber nicht, wenn sie eine menschenleere Stadt, auch
nicht, wenn sie ein entvölkertes Land in Besitz nähmen.
Darum lasse der Caesar auch jetzt noch den Belagerten
seine Gnade anbieten. Müsse er aber die Stadt mit
Gewalt nehmen, nachdem sie in der äussersten Not seinen
gütlichen Vorstellungen kein Gehör geschenkt habe, so
werde er niemand verschonen. Ejass übrigens bald auch
die dritte Mauer fallen werde, dafür bürge die Er-
stürmung der beiden ersten, und selbst wenn dieses
Bollwerk uneinnehmbar wäre, so müsse doch der Hunger
gegen die Juden und für die Römer streiten.
4. Während Josephus diese Worte an sie richtete,
verspotteten ihn viele von der Mauer herab ; andere
schimpften, ja einige schossen sogar auf ihn. Da er sie
nun selbst mit solchen klaren Erwägungen nicht zu
überzeugen vermochte, ging er auf die Geschichte seines
Fünftes Buch, 9. Kapitel.
523
Volkes über und rief: „0 ihr Unglücklichen, die ihr
«urer wahren Helfer vergesst, mit euren Fäusten und
Waffen wollt ihr die Römer bekämpfen? Wen haben
wir denn jemals auf diese Weise besiegt? War nicht
stets Gott der Herr, der die Juden ins Dasein rief, auch
ihr Rächer, wenn ihnen Unrecht geschah ? Schaut zurück
auf die Vergangenheit, damit ihr seht, auf wen ihr euch
im Kampfe verlassen müsst und welch erhabenen Bundes-
genossen ihr beleidigt habt. Ruft euch ins Gedächtnis
die Wunderthaten zur Zeit eurer Väter; erinnert euch,
wie viele Feinde einstmals diese heilige Stätte vernichtet
hat! Mich schaudert zwar, wenn ich die Thaten Gottes
vor unwürdigen Ohren erzählen soll: aber höret gleich-
wohl zu, damit ihr erkennt, dass ihr nicht nur gegen
die Römer, sondern auch gegen Gott ankämpft. Der
König von Aegypten, Nechao, sonst auch Pharao ge-
nannt, zog seiner Zeit mit tausenden von Streitern in
unser Land und raubte die Fürstin Sarra, die Stamm-
mutter unseres Volkes. Was that nun ihr Gatte Abram,
unser Ahnherr? Hat er sich an dem Frevler mit den
Waffen gerächt? Nein — sondern obwohl er drei-
hundertachtzehn Vasallen hatte, deren jeder über eine
Unzahl Reisige gebot, hielt er sich trotzdem für ver-
lassen, wenn Gott ihm nicht beistand; er hob also seine
reinen Hände empor zu dem Orte, den ihr jetzt entweiht,
und gewann sich die Hilfe des nie besiegten Kampf-
genossen. Wurde darauf nicht gleich am zweiten Abend die
Fürstin unberührt ihrem Gatten zurückgesandt, während
der Aegyptier, nachdem er an der von euch mit Bruder-
mord befleckten Stätte angebetet, geschreckt durch nächt-
liche Traumgesichte, davonfloh und die gottgeliebten
Hebräer mit Gold und Silber beschenkte? 1 Soll ich
schweigen oder reden von der Übersiedelung unserer
Väter nach Aegypten , wo sie vierhundert Jahre lang
vergewaltigt und von fremden Königen unterdrückt
wurden, aber, anstatt sich , wie sie konnten, mit den
1 Vergl. J. A. I, 8, 1.
II l'MlSljSM c -! li-Oi’ I
Go gle
524 Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Waffen in der Hand zu wehren, ihre Sache Gott be-
fahlen? Wer weiss nicht, wie hierauf Aegypten von
allerhand Getier wimmelte und von allen möglichen
Krankheiten heimgesucht ward, wie das Land seine
Fruchtbarkeit, der Nil sein Wasser verlor, und zehn
Plagen aufeinander folgten, um deretwillen unsere Väter
mit sicherem Geleit entlassen wurden, ohne Blutvergiessen,
ohne Gefahr, bloss weil Gott diejenigen führte, die sein
Heiligtum pflegten? Und als von den Assyriern unsere
heilige Lade geraubt wurde, seufzte da nicht das ganze
Palaestinerland , x der Götze Dagon und das ganze Volk
derer, die sie weggeschleppt hatten? Faulige Geschwüre
entstanden an ihren Schamteilen, und mit den Speisen
gingen die Eingeweide von ihnen ; darum brachten die-
selben Hände, die sie geraubt, unter Cymbel- und
Paukenschall sie wieder zurück und sühnten das Heilig-
tum mit zahllosen Opfern. Gott war es, der unseren
Väter diese Genugthuung verschaffte, weil sie, ohne zum
Schwert zu greifen, ihm die Entscheidung anheirastellten.
Fiel etwa der Assyrierkönig Senacherim, als er mit den
Völkerscharen von ganz Asien diese Stadt umzingelt
hatte, durch Menschenhände? Keineswegs — denn
diese ruhten vom Kampf und waren zum Gebet aus-
gestreckt; aber der Engel Gottes schlug in einer einzigen
Nacht das zahllose Heer, und als der Assyrier sich mit
Tagesanbruch erhob, fand er hundertfünfundachtzig-
tausend Tote und floh mit dem Rest seines Heeres vor
den unbewaffneten Hebräern, die ihn noch nicht einmal
verfolgten. Bekannt ist euch ja auch wohl die Ge-
fangenschaft in Babylon, wo das Volk siebzig Jahre
lang fern von der Heimat leben musste und niemals
daran dachte, seine Befreiung zu erzwingen , bis Cyrus
Gott zu Ehren sie ihm freiwillig anbot und unter seinem
Schutz das Heiligtum des Bundesgottes wiederhergestellt
wurde. Überhaupt lässt sich kein Fall anführen, in
welchem unsere Väter mit dem Schwert allein etwas
1 Palaestiner heissen bei Josephus die Philister.
525
Fünftes Buch, 9. Kapitel.
ausgerichtet hätten oder ohne Waffen, wenn sie ihre
Sache Gott anheimstellten, unterlegen wären. Blieben
sie ruhig zu Hause, so siegten sie nach dem Ratschluss
-des göttlichen Richters; zogen sie zum Kampf aus, so
wurden sie stets geschlagen. Zum Beispiel als der
Babylonierkönig diese Stadt belagerte und unser König
Sedekias trotz der Warnung des Propheten Jeremias
sich in eine Schlacht einliess, da geriet Sedekias selber
in Gefangenschaft und sah die Stadt samt dem Tempel
der Zerstörung anheimfallen. Und doch, wie viel ge-
rechter war jener König als eure Führer, wie viel besser
sein Volk als ihr! Denn weder König noch Volk
trachteten dem Jeremias nach dem Leben, als dieser
mit lauter Stimme verkündete, sie seien um ihrer Sünden
willen bei Gott in Ungnade gefallen und würden, wenn
sie die Stadt nicht übergäben, in die Gefangenschaft
geschleppt werden. Ihr dagegen — von den Freveln,
die ihr da drinnen begeht , will ich gar nicht reden , da
mir Worte fehlen, sie zu schildern — schmäht mich,
der ich euch heilsamen Rat erteilen will, und wertet
nach mir im Unmut darüber, dass ich euch an eure
Sünden erinnere, und möget nicht einmal reden hören
von dem, was ihr doch Tag um Tag verübt. Nun aber
weiter! Als Antiochus Epiphanes , der Frevel über
Frevel gegen die Gottheit begangen, die Stadt bedrängte,
machten unsere Vorfahren in Wehr und Waffen einen
Ausfall, und was geschah? Sie selbst wurden in der
Schlacht niedergemetzelt, Jerusalem von den Feinden
geplündert, und das Heiligtum für die Dauer von drei
Jahren und sechs Monaten der Verödung preisgegeben.
Doch wozu bedarf es weiterer Beispiele ? Um nun auf
die Römer zu kommen, wer ist schuld, dass sie gegen
dieses Land zu Felde zogen? War es nicht die Gott-
losigkeit seiner Bewohner? Und was gab den ersten
Anlass zur Unterjochung Judaeas? War es nicht ein
Bürgerkrieg unserer Vorfahren, als der Wahnsinn von
Aristobulus und Hyrkanus und die zwischen ihnen
herrschende Feindschaft den Pompejus gegen Jerusalem
526
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
heranführte und Gott das Volk, das der Freiheit nicht
mehr wert war, den Römern unterwarf? Nach dreimonat-
licher Belagerung ergaben sie sich, und doch hatten sie
nicht in dem Masse, wie ihr, gegen das Gesetz und den
Tempel sich vergangen ; auch besassen sie weit be-
deutendere Mittel zur Kriegführung. Wohlbekannt ist
uns ja ferner das Ende von Aristobuls Sohn Antigonue,
unter dessen Regierung der Herr das sündige Volk
abermals mit Knechtung heimsuchte : Antipaters Sohn
Herodes führte Sosius, Sosius die Streitmacht der Römer
herbei, welche Jerusalem umzingelte und sechs Monate
lang belagerte, bis seine Bewohner zur Strafe für ibro
Schandthaten bezwungen wurden und die Stadt der
Plünderung anheirafiel. Wie ihr seht, war das Volk zu
keiner Zeit auf Waffengewalt angewiesen; liess es sich
aber auf Kriegführen ein , so blieb die Unterjochung-
nicht aus. Es sollten also diejenigen, welche die heilige
Stätte besetzt halten, meiner Meinung nach die Ent-
scheidung Gott dem Herrn anheimstellen und, indem sie
den Richter im Himmel für ihre Sache zu gewinnen
suchen, auf Anwendung menschlicher Gewalt völlig ver-
zichten. Welche von den Vorschriften aber, an deren
Erfüllung der Gesetzgeber einen Segen geknüpft hat,
habt ihr befolgt? Oder vielmehr, muss ich fragen, was
habt ihr unterlassen von dem, was er mit einem Fluch
belastete? Wie viel gottloser seid ihr als eure Väter,
die doch schneller als ihr zu Fall kamen ! Heimliche
Sünden, wie Diebstahl, Hinterlist und Ehebruch, sind
euch schon zu gering; Raub und Mord betreibt ihr um
die Wette und bahnt euch neue, nie betretene Wege der
Bosheit. Der Tempel ist ein Schlupfwinkel jeglichen
Gelichters geworden, und Hände von Eingeborenen haben
die gottgeweihte Stätte verunreinigt, welche selbst die
Römer von fern verehrten, indem sie unseren Gesetzen
zulieb manche ihrer eigenen Sitten aufgaben. Und trotz,
alledem erwartet ihr noch Hilfe von dem, gegen welchen
ihr also gefrevelt habt? Aber auch zugegeben, ihr
wäret ebenso fromme Beter und flehtet mit ebenso reinen
Fünftes Buch, 9. Kapitel.
527
Händen um göttlichen Beistand, wie einst unser König,
als er sich Hilfe gegen die Assyrier erbat und Gott
jenes gewaltige Heer in ein^r Nacht zu Boden schlug —
ist dehn das Beginnen der Römer dem der Assyrier zu
vergleichen, sodass ihr euch auf eine ähnliche Hilfe
Hoffnung machen könntet ? Hat nicht Sedekias von den
Assyriern die Verschonung der Stadt mit Geld erkauft,
und sind sie nicht dennoch eidbrüchig herangekommen,
den Tempel zu verbrennen? Die Römer hingegen
fordern lediglich den herkömmlichen Tribut,. den unsere
Väter den ihrigen stets entrichteten. Haben sie diese
Forderung durchgesetzt, so wollen sie weder die Stadt
zerstören, noch das Heiligtum antasten; vielmehr geben
sie uns alles übrige, unsere Familien, den Besitz unseres
Vermögens, frei und schirmen die heiligen Gesetze. Nur
Wahnsinn kann erwarten, dass Gott sich gegen Gerechte
ebenso erzeigen werde wie gegen Ungerechte. Ohnehin
weiss er ja schnell zu helfen, wenn es not thut. Die
Assyrier hat er in der ersten Nacht, da sie vor Jeru-
salem lagerten, zerschmettert; wenn er daher unser Ge-
schlecht der Freiheit oder die Römer der Bestrafung
wert erachtete, so würde er wohl, [wie einst über die
Assyrier, auf der Stelle auch über die Römer herein-
gebrochen sein, als Pompejus seine Hand an das Volk
legte, als später Sosius heranrückte, als Vespasianus
Galilaea verheerte, und endlich in diesen Tagen, als
Titus sich der Stadt näherte. Allein (Pompejus)
Magnus und Sosius blieben nicht bloss ungeschlagen,
sondern sie nahmen auch die Stadt in siegreichem An-
sturm, und Vespasianus legte in dem Kriege mit uns
den Grund zu seiner jetzigen Herrscherwürde. Und nun
dem Titus vollends fliessen ergiebiger selbst die Quellen,
die ehedem für euch kein Wasser gaben. Vor seiner
Ankunft waren ja, wie ihr wisst, die Siloaquelle und
alle Quellen ausserhalb der Stadt versiegt , sodass man
das Wasser mass weise kaufen musste ; jetzt aber strömen
diese Quellen zum Vorteil eurer Feinde so reichlich,
dass sie nicht nur für die Römer selbst und deren Vieh^
528
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sondern auch noch für die Gärten Wasser in hin-
reichender Menge spenden. Übrigens kennt ihr dieses
Wunderzeichen schon von ^iner früheren Eroberung her,
nämlich aus der Zeit, da der vorerwähnte Babylonier
die Stadt einnahm und den Tempel verbrannte, während
doch die damaligen Bewohner Jerusalems keine der-
artigen Gottlosigkeiten begangen hatten, wie ihr. Ich muss
daher annehmen, die Gottheit sei aus dem Allerheiligsten
geflohen und stehe jetzt auf seiten derer, die ihr be-
kämpft. -Wenn nun schon ein ehrbarer Mensch ein
lasterhaftes Haus fliehen und seine Bewohner verab-
scheuen wird: glaubt ihr dann, dass Gott euch in eurem
Sündenleben nahe bleiben werde, er, der alles, auch das
Verborgene, sieht und das Verschwiegene hört? Und
was sucht man denn noch bei euch zu verschweigen und
zu verbergen? Ist ja doch alles selbst den Feinden
schon zu Ohren gekommen! Ihr prahlt mit eurer Ge-
setzesübertretung, wetteifert tagtäglich , wer der schlech-
teste ist, und tragt eure Schandthaten zur Schau, als
wären es Tugenden. Aber trotz alledem steht euch noch
ein Weg zur Bettung offen , wenn ihr ihn nur betreten
wollt, und die Gottheit verzeiht denen gern, die ge-
ständig sind und Reue an den Tag legen. Verstockte!
werft eure Rüstungen weg, habt Mitleid mit unserer
schon halb zerstörten Vaterstadt; wendet euch um und
schaut, welche Pracht, welche Stadt, welchen Tempel,
wie vieler Völker Geschenke ihr preiszugeben im Be-
griffe steht! Wer möchte an das alles den Feuerbrand
legen, wer es verschwinden lassen wollen? Was ver-
diente mehr als dies, der Vernichtung entrissen zu
werden, ihr Unerbittlichen, gefühlloser als Steine?! Und
wenn ihr dafür kein Auge habt, so erbarmt euch doch
eurer Familien ! Stelle jeder sich seine Kinder, sein
Weib, seine Eltern vor, die binnen kurzem der Hunger
oder das Schwert dahinraffen wird! Ich weiss wohl,
auch mir schwebt eine Mutter, ein Weib, eine nicht un-
angesehene Familie und ein altberühmtes Geschlecht in
Gefahr: vielleicht glaubt ihr, dass ich um deretwillen
Go gle
Fünftes Bach, 10. Kapitel.
529
also rate. Keineswegs! Tötet sie, nehmt mein eigenes
Blut als Preis für eure Rettung; denn auch ich bin zu
sterben bereit, wenn ich durch meinen Tod bewirken
kann, dass ihr euch eines bessern besinnt!* 4
Zehntes Kapitel.
Viele aus dem Volke suchen zu den Römern überzugehen.
Elend der Zurückgebliebenen infolge der Hungersnot.
1. Trotz dieser eindringlichen Worte indes, die Jo-
sephus seinen Landsleuten unter Thränen zurief, vermochte
er die Empörer weder zur Nachgiebigkeit zu bewegen,
noch ihnen die Überzeugung beizubringen, dass sie im
Falle der Ergebung sich für sicher halten könnten ; unter
dem Volke dagegen entstand eine Bewegung zu gunsten
der Übergabe. Einige verkauften ihren Grundbesitz zu
Spottpreisen, andere ihre kostbaren Kleinodien, ver-
schluckten die dafür gelösten Goldstücke, damit sie nicht
von den Räubern entdeckt würden, und liefen zu. den
Römern über. Ging dann das Gold wieder von ihnen
so waren sie für die notwendigsten Bedürfnisse versehen ;
denn Titus liess die meisten nach beliebigen Orten im
Lande ziehen. Hierdurch ward die Lust, zum Feinde
überzulaufen, nur noch grösser, weil man so dem Jammer
in der Stadt entging, ohne in die Sklaverei der Römer
zu geraten. Die Leute des Joannes aber wie die des
Simon suchten die Flucht der Juden aus der Stadt mit
grösserem Eifer zu verhindern, als die Einfalle seitens
der Römer, und auf wen auch nur ein Schatten von
Verdacht fiel, der wurde ohne weiteres niedergestossen.
2. Für die Wohlhabenden war übrigens das Ver-
bleiben in der Stadt ebenso verderblich wie die Flucht;
denn unter dem Vorwand der Ausreisserei wurde mancher
um seines Vermögens willen umgebracht. Mit der
Hungersnot stieg auch die Wut der Aufrührer, und beide
Plagen wurden von Tag zu Tag entsetzlicher, öffentlich
Joeephus, Jüdischer Krieg. 34
530
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
war nirgends mehr Getreide zu sehen ; sie drangen daher
in die Häuser ein und durchsuchten sie. Fand
sich etwas, so misshandelten sie die Bewohner, weil sie
den Besitz abgeleugnet, fand sich nichts, so folterten
sie dieselben, weil sie das Getreide mit so grosser Sorg-
falt versteckt hätten. Ob Lebensmittel vorhanden seien
oder nicht, schloss man aus dem körperlichen Zustand
der Unglücklichen. Wer noch wohlgenährt aussah, von
dem nahm man an, dass er Speisen vorrätig habe; die
Ausgemergelten dagegen Hess man laufen, weil man es
für überflüssig hielt, Leute zu töten, die doch bald
Hungers sterben würden. Viele der reicheren Bürger
gaben heimlich ihr ganzes Vermögen dahin für ein
einziges Mass Weizen, ärmere für ein Mass Gerste; als-
dann schlossen sie sich in die verborgensten Winkel der
Häuser ein und verzehrten in ihrem Heisshunger das
Getreide ungemahlen oder buken es, wie die Not und
die Angst es ihnen eben gestattete. Ein Tisch ward
nirgends mehr gedeckt, sondern noch roh zog man die
Speisen aus dem Feuer und verschlang sie gierig.
3. Mitleiderregend war die Nahrung, und be weinens-
wert der Anblick: die Stärkeren hatten Überfluss, den
Schwachen blieb nur die Wehklage. Über alle Gefühle
setzt sich der Hunger hinweg, keines aber ertötet er so
völlig wie das Mitleid: denn worauf man sonst noch
Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, das lässt man im
Hunger ausser acht So rissen hier die Weiber den
Männern, Kinder den Vätern und, was das jammervollste
war, Mütter ihren Säuglingen die Speisen aus dem
Munde; während die Lieblinge in ihren Armen ver-
schmachteten, scheuten sie sich nicht, ihnen den letzten
Tropfen Milch wegzunehmen. Aber selbst bei dieser
Art, den Hunger zu stillen, entgingen sie dem Späher-
auge der Empörer nicht, die überall lauerten, um auch
das noch ihnen zu rauben. Sowie sie ein Haus ver-
schlossen sahen, galt ihnen dies als Zeichen, dass die
Bewohner etwas verzehrten; plötzlich zertrümmerten sie
dann die Thüren, stürzten hinein und rissen ihnen die
Fünftes Buch, 10. Kapitel.
531
Speisen beinahe aus der Kehle. Greise, welche ihr
Stück Brot mit den Zähnen festhielten, wurden geschlagen,
Weiber an den Haaren herumgezerrt, wenn sie etwas,
das sie in den Händen hatten, zu verbergen trachteten.
Weder Alt noch Jung konnte auf Mitleid rechnen: selbst
ganz kleine Kinder, welche an ihren Bissen hingen,
wurden ergriffen und zu Boden geschleudert. Verschlang
aber jemand, um den Räubern zuvorzukommen, das,
was ihm genommen werden sollte, so verfuhren sie mit
ihm noch grausamer, gleich als wären sie ihres Rechtes
verlustig gegangen. Foltern schrecklicher Art ersannen
sie, um Nahrungsmittel aufzuspüren : sie verstopften den
Unglücklichen die Öffnungen der Scham mit Erbsen
und stiessen ihnen spitze Stäbe ins Gesäss. Schauder-
hafte Qualen musste mancher erdulden, nur damit er
ein Brot verrate oder eine Hand voll verstecktes Mehl
anzeige. Die Peiniger selbst aber litten durchaus keinen
Mangel — freilich wäre ihr Beginnen weniger grausam
gewesen, wenn die Not sie dazu getrieben hätte — ,
sondern sie bezweckten nichts anderes, als ihre Wut zu
sättigen und sich für die kommenden Tage mit einem
Vorrat von Lebensmitteln zu versehen. Trafen sie
jemand, der bei Nacht sich bis in die Nähe der römischen
Posten geschlichen hatte, um wildwachsendes Gemüse
und Kräuter zu sammeln , so nahmen sie ihm , wenn er
eben den Feinden entkommen zu sein glaubte, alles
wieder ab, und mochte er auch noch so flehentlich bitten
und bei dem hehren Namen Gottes sie beschwören, ihm
doch wenigstens einen Teil von dem zu lassen, was er
mit Lebensgefahr geholt, so vergönnten sie ihm gleichwohl
nicht das mindeste; ja der Geplünderte konnte von
Glück reden, wenn er nicht noch obendrein ermordet
wurde.
4. Solche Misshandlungen mussten sich die ärmeren
Leute von den Spiessgesellen der Tyrannen gefallen
lassen; die angesehenen und reichen dagegen wurden
vor die letzteren selbst geführt und teils auf falsche
Anklagen hin wegen geheimer Umtriebe, teils unter dem
532
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Vorwand getötet, dass sie die Stadt den Römern hätten
verraten wollen. In der Regel liess man einen Angeber
auftreten, der sie fälschlich beschuldigte, sie seien willens
gewesen, zum Feinde überzugehen. War der Angeklagte
dann von Simon ausgeplündert, so wurde er zu Joannes
geschickt, und die von Joannes Beraubten nahm Simon
in Empfang. So tranken sie sich gegenseitig gleichsam
das Blut ihrer Mitbürger zu und teilten sich in die
Leichen der Unglücklichen. Wegen der obersten Ge-
walt lagen sie miteinander im Streit, in der Verübung
von Schandthaten aber waren sie einmütig. Wer den
anderen an der Misshandlung seiner Mitbürger nicht
teilnehmen liess, galt als selbstsüchtiger Schurke, und wer
nicht teilnehmen durfte, bedauerte die Entziehung der
Gelegenheit zu Grausamkeiten wie den Verlust eines
besonders wertvollen Gutes.
5. Die Frevelthaten der Tyrannen im einzelnen zu
schildern, ist unmöglich; darum kurz gesagt: keine Stadt
hat je ähnliches auszustehen gehabt, und kein Geschlecht,
so lange die Welt steht, war erfinderischer in Werken
der Bosheit. Zuletzt fluchten sie auch noch dem Volke
der Hebräer, um gegen Fremde weniger ruchlos zu er-
scheinen, und gaben damit selbst zu, dass sie, wie es ja
auch wirklich der Fall war, Sklaven, zusammengelaufenes
Gesindel und der Abschaum des Volkes seien. Sie waren
es, welche die Stadt zerstörten: sie nötigten die Römer
gegen deren Willen, dem traurigen Siege den Namen zu
leihen, und schleppten sozusagen das zögernde Feuer in
den Tempel hinein. Ohne Schmerz, ohne Thräne sahen
sie ihn von der oberen Stadt aus in Flammen aufgehen ;
bei den Römern freilich fanden diese Gefühle Raum.
Doch wir werden darauf unten bei der Erzählung der
Begebenheiten selber zurückkommen.
Fünftes Buch, 1 1 . Kapitel.
533
Elftes Kapitel.
Viele Juden werden vor der Mauer gekreuzigt.
Antiochus Epiphanes von Kommagene. Zerstörung der
römischen Werke durch die Belagerten.
1. Unterdessen liess Titus den Bau der Wälle be-
schleunigen, wiewohl seine Leute von der Mauer her
viel zu leiden hatten. Zugleich sandte er Reiterab-
teilungen aus, um den Juden aufzulauern, welche auf
der Suche nach Nahrungsmitteln in die Schluchten
hinabgestiegen waren. Es befanden sich darunter wohl
auch manche streitbare Männer, denen das Geraubte
nicht mehr langen wollte ; meist aber waren es arme
Leute aus den niederen Volksschichten, welche nur die
Sorge um ihre Angehörigen abhielt, zu den Römern über-
zugehen. Denn wenn sie mit Weib und Kind fliehen wollten,
hatten sie keine Aussicht, der Wachsamkeit der Empörer
zu entgehen ; die Ihrigen aber in der Gewalt der Räuber
zurückzulassen, konnten sie sich nicht entschlossen, weil
dieselben dann voraussichtlich um ihrer, der Entflohenen,
willen, würden ermordet werden. Den Mut, die Stadt
zu verlassen, flösste ihnen der Hunger ein ; waren sie nun
unbemerkt hinausgelangt, so drohte ihnen nur noch die
Gefahr, den Feinden in die Hände zu fallen. Wurden
sie ergriffen, so wehrten sie sich unwillkürlich aus Angst
vor der Hinrichtung; nachdem sie aber einmal Wider-
stand geleistet hatten, schien es ihnen zu spät, um
Gnade zu bitten. Sie mussten nun zunächt die Geisselung
und alle möglichen Foltern über sich ergehen lassen
und wurden dann angesichts der Mauer gekreuzigt.
Titus hatte zwar Mitleid mit ihrem Schicksal, zumal da
jeden Tag fünfhundert, manchmal auch noch mehr Ge-
fangene eingebracht wurden, hielt es aber anderseits für
gefährlich, diese mit Gewalt bezwungenen Juden frei
ausgehen zu lassen; denn hätte man eine solche Menge
bewachen wollen, so wären sie gar leicht eine Wache
ihrer Wächter geworden. Der Hauptgrund aber, weshalb
Go gle
534
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
er die Hinrichtung der Gefangenen zuliess, war die
Hoffnung, der Anblick werde die Belagerten zur Nach-
giebigkeit bewegen, da diese ein gleiches Schicksal zu
gewärtigen hatten, wenn sie sich nicht ergaben. Die
Soldaten nagelten nun in ihrer gewaltigen Erbitterung
die Gefangenen zum Hohn in den verschiedensten Körper-
lagen an, und da ihrer gar so viele waren, gebrach
es bald an Raum für die Kreuze und an Kreuzen für
die Leiber.
2. Weit entfernt jedoch, auf dieses grauenhafte Schau-
spiel hin ihren Sinn zu ändern, benutzten die Aufrührer
dasselbe vielmehr dazu , auch das übrige Volk umzu-
stimmen. Sie schleppten die Angehörigen der Über-
läufer und die Bürger, welche auf Übergabe drangen,
zur Mauer und zeigten ihnen, was diejenigen zu erdulden
hatten, die zum Feinde geflohen waren; zugleich be-
haupteten sie, die Gekreuzigten seien als Schutzflehende,
nicht als Kriegsgefangene so behandelt worden. Das
hielt manchen, der sich mit dem Gedanken an Flucht
getragen hatte, in der Stadt zurück, bis der wahre
Sachverhalt bekannt wurde. Einige jedoch liefen trotz-
dem sogleich davon und ihrem sicheren Verderben ent-
gegen, da sie den Tod von Feindeshand im Vergleich
mit dem durch Hunger für eine Wohlthat hielten.
Vielen Gefangenen liess übrigens Titus die Hände ab-
hauen, schickte sie, damit sie nicht für Überläufer gälten
und ihr jammervoller Zustand ihnen Glauben verschaffe,
zu Joannes und Simon zurück und liess den beiden
Tyrannen vorstellen, sie möchten doch nun endlich ein-
halten und ihn nicht zur Verwüstung der Stadt zwingen,
vielmehr noch im letzten Augenblick in sich gehen und
nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch ihre herrliche
Vaterstadt und den Tempel retten, an dem fortan
niemand ausser ihnen ein Eigentumsrecht haben solle.
Inzwischen umritt er die Wälle und feuerte die Schanz-
arbeiter an, um darzuthun , dass seinen Drohungen die
Ausführung binnen kurzem folgen werde. Die Antwort
der auf der Mauer befindlichen Juden aber bestand
Fünfte« Buch, 1 1 . Kapitel.
585
darin, dass sie den Caesar und dessen Vater beschimpften.
Der Tod, riefen sie, den sie für nichts achteten, sei ihnen
viel lieber als die Knechtschaft ; den Römern aber
würden sie nach Möglichkeit Schaden zufügen, so lange
noch Atem in ihnen sei. An der Vaterstadt liege ihnen
nicht das mindeste, da sie ja doch, wie Titus sage, zu
Grunde gehen müssten, und Gott habe noch einen
besseren Tempel als diesen , nämlich die Welt. Doch
auch der Tempel Jerusalems werde von dem, dessen
Wohnung er sei , gerettet werden ; mit ihm ira Bunde
verlachten sie jede Drohung, hinter der die That zu-
rückbleibe : denn der Ausgang stehe bei Gott. Solcherlei
Äusserungen, mit Sch mäh Worten vermischt, riefen sie
dem Caesar zu.
3. Um diese Zeit fand sich auch Antiochus Epi-
phanes 1 an der Spitze einer stattlichen Schar Schwer-
bewaffneter und mit einer Leibwache, der sogenannten
macedonischen Truppe, vor Jerusalem ein. Es waren
lauter gleich alterige , schlankgewachsene Leute, kaum
über die Knabenjahre hinaus, auf macedonische Art
ausgerüstet und geschult, woher sie auch ihre Benennung
hatten; die meisten jedoch blieben hinter dem Ruhm
ihres Volkes zurück. Von allen Königen, die der
römischen Oberherrschaft unterstanden, war der Komma-
gener wohl der glücklichste, ehe sich sein Schicksal
wandte; 2 aber auch an ihm bewahrheitete sich noch in
seinem Greisenalter der Satz, dass niemand vor seinem
Tode glücklich zu preisen sei. Sein Sohn nun, welcher
damals zu einer Zeit erschien, wo der Vater noch auf
dem Gipfel seines Glückes stand, gab seiner Ver-
wunderung darüber Ausdruck, dass die Römer mit dem
Sturm auf die Mauer zögerten; er selbst nämlich war
ein gewandter Krieger, von Natur waghalsig und mit
einer so gewaltigen Körperkraft ausgerüstet, dass seine
Tollkühnheit selten ihr Ziel verfehlte. Titus lächelte
1 Von Kommagene (vergl. über ihn J. A. XIX, 9, 1, XX, 7, 1).
* S. unten VII, 7, 1.
586
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
und entgegnete nur: „Unsere Aufgabe sei auch die
eurige“ Da stürmte Antiochus, wie er war, mit seinen
Macedoniern gegen die Mauer an. Er für seine Pereon
wusste dabei freilich infolge seiner Starke und Ge-
wandtheit den Geschossen der Juden auszuweichen,
während seine eigenen Pfeile stets trafen ; seine jungen
Krieger aber wurden bis auf ein kleines Häuflein auf-
gerieben. Diese wenigen harrten übrigens, um ihrem
Versprechen nicht untreu zu werden, um die Wette im
Kampfe aus und traten endlich, vielfach verwundet, den
Rückzug an. Sie hatten gelernt, dass auch geborene
Macedonier, wenn sie siegen wollen, Alexanders Glück
nicht entbehren können.
4. Mit Mühe und nach siebzehntägiger unausgesetzter
Arbeit vollendeten die Römer am neunundzwanzigsten
des Monats Artemisios den Bau der Wälle, den sie
am zwölften desselben Monats begonnen hatten. Vier
Hauptwälle hatten sie angelegt Der eine, der Antonia
gegenüber, war von der fünften Legion mitten durch
den sogenannten Struthionteich, 1 ein anderer etwa
zwanzig Ellen weiter entfernt von der zwölften Legion
aufgeführt worden. Die zehnte Legion hatte in be-
deutendem Abstand von diesen Wällen im Norden bei
dem sogenannten Amygdalonteich 2 ihr Werk errichtet;
dreissig Ellen weiter an dem Grabmal des Hohepriesters
Joannes befanden sich dann die Schanzarbeiten der
fünfzehnten Legion. Schon wurden die Maschinen
herbeigeschafFt Joannes aber liess unterdessen von
innen her in dem Zwischenraum zwischen der Antonia
und den Wällen einen unterirdischen Gang graben und
diesen wie auch zugleich damit die Werke selbst durch
Pfahle stützen. Dann brachte er mit Pech und Asphalt
bestrichenes Holz hinein und liess es anzünden. Als
nun die Pfähle von unten herauf verbrannt waren, fiel
1 Kann sowohl Sperlings- als Seifenkrautteich heissen (Spiess);
erstere Übersetzung ist die gebräuchlichere.
2 D. i. Mandelteich.
Fünftes Buch, 11. Kapitel.
537
der Gang ein, und die Verschanzungen stürzten mit
heftigem Krachen nach. Zuerst erhob sich nur ein
dichter, mit 6taub untermischter Qualm, da das Feuer
durch den Schutt halb erstickt war; als aber das zu-
sammengesunkene Holz verkohlt war, brach die Flamme
lichterloh hervor. Dieses unvorhergesehene Ereignis
versetzte die Römer in Schrecken, und die List, mit
der er es ersonnen war, raubte ihnen völlig den Mut.
Schon hatten sie geglaubt, dem Siege nahe zu sein; das
soeben Geschehene aber kühlte auch die Erwartungen,
die sie auf die Zukunft setzten, bedeutend ab. Dem
Feuer Einhalt zu thun hielten sie für zwecklos; denn
wenn es auch gelöscht wurde: die Dämme blieben doch
versunken.
5. Zwei Tage später griff Simon mit den Seinigen
auch die anderen Wälle an , wo die Römer bereits die
Sturmböcke herangerückt hatten und mit ihnen die
Mauer erschütterten. Ein gewisser Tephthaeus aus der
Stadt Garsis in Galilaea, ferner Megassar, ein Kammer-
diener der Mariamne, 1 und ein Adiabener, des Naba-
taeus Sohn, nach einem körperlichen Gebrechen Cha-
geiras — d. i. der Lahme — zubenannt, ergriffen
Fackeln und stürmten auf die Maschinen los. Toll-
kühnere Männer und gefürchtetere als sie hatte die Stadt
in diesem Kriege nicht aufzuweisen ; denn gerade als
wenn sie Kameraden entgegenzögen und nicht vielmehr
einer dichtgedrängten Feindesschar, zeigten sie weder
Furcht noch Bedenken, noch gaben sie ihren Plan auf,
sondern mitten durch die Reihen der Feinde drangen
sie vor, um die Maschinen in Brand zu stecken. Ein
Hagel von Geschossen empfing sie, und von allen Seiten
wurden sie mit dem Schwert angegriffen ; gleichwohl
zogen sie sich nicht eher aus ihrer gefährlichen Stellung
zurück, als bis das Feuer die Geschütze ergriffen hatte.
Als nun die Flamme emporschlug, liefen die Römer aus
1 Gemeint ist wohl nicht die GattiD des Herodes, die Asmo-
näerin M. , sondern eine ihrer Nachkommen (s. die Stammtafel der
Asmonäer zu meiner Übers, der J. A.).
538
Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges.
den einzelnen Lagern zur Hilfe herbei; die Juden aber
drängten sie von der Mauer weg und gerieten mit denen,
die den Brand löschen wollten, ins Handgemenge, wobei
sie ihr eigenes Leben nicht im mindesten schonten.
Wenn die Römer ihre Sturmböcke, während das Flecht-
werk über denselben schon brannte, aus dem Feuer
zogen, suchten die Juden mitten in den Flammen sich
der Maschinen zu bemächtigen und Hessen sie selbst
dann nicht los, wenn sie glühendes Eisen anfassen
mussten. Von den Geschützen sprang das Feuer auf
die Wälle über, bevor die Hilfsmannschaft dies ver-
hindern konnte. Schliesslich gaben die Römer, als rings
um sie her der Brand wütetete, jede Hoffnung auf Er-
haltung ihrer Werke auf und zogen sich ins Lager zu-
rück. Die Juden aber, durch Zuzug aus der Stadt mehr
und mehr verstärkt und durch ihren Erfolg kühn ge-
macht, stürmten nun mit einem Ungestüm, das keine
Grenzen zu kennen schien, vorwärts und waren alsbald
bei den Lagerverschanzungen angelangt, wo sie mit den
Wachen handgemein wurden. Vor dem Lager steht
nämlich bei den Römern ein Wachtposten, der regel-
mässig abgelöst 'wird, und es ist strenges Gesetz bei
ihnen, dass, wer aus irgend einem Grunde seinen Posten
verlässt, mit dem Tode bestraft wird. Die Wachen,
welche lieber als tapfere Soldaten sterben wie als Ver-
brecher hingerichtet sein wollten, hielten stand; viele
von denen aber, die geflohen waren, schämten sich, als
sie ihre Kameraden in Not sahen, und machten wieder
kehrt. Auf der Umwallung des Lagers pflanzten sie
nun schnell die Skorpionen auf und hielten damit den
aus der Stadt hervorgebrochenen Haufen ab , der zu
seiner Sicherheit und zu seinem Schutze keinerlei Vor-
sichtsmassregeln getroffen hatte. Die Juden nämlich
banden mit jedem an, der ihnen in den Weg kam, und
warfen nicht selten die Feinde durch die Last ihrer
Leiber um, mit denen sie unvorsichtiger Weise in deren
Speere gerannt waren. Weniger durch wohlüberlegtes
als durch keckes Handeln waren sie somit den
Fünftes Bach, 1 1 . Kapitel.
539
Hörnern voraus, und die letzteren gingen den Juden
mehr darum aus dem Wege, weil diese so tollkühn
waren, als weil sie besonderen Schaden von ihnen er-
litten hätten.
6. Schon aber war der Caesar von der Antonia her,
wohin er sich begeben hatte, um einen Platz für andere
Dämme auszusuchen, wieder bei den Seinen eingetroffen
und machte ihnen strenge Vorwürfe darüber, dass sie,
im Besitz der feindlichen Mauern, ihre eigenen Werke
preisgäben und nun selbst die Rolle der Belagerten
spielen müssten, nachdem sie die Juden wie aus einem
Gefängnis gegen sich losgelassen hätten. Dann fiel er
mit seinen Kern truppen den Feinden in die Flanke.
Obwohl nun die Juden schon von der Front her hart
bedrängt wurden, wandten sie sich doch auch gegen
Titus und wehrten sich tapfer. Bald entstand ein
wirres Durcheinander in den beiderseitigen Schlacht-
reihen: der Staub blendete die Augen, das Geschrei
übertäubte die Ohren, und hüben wie drüben vermochte
man den Freund vom Feinde nicht mehr zu unter-
scheiden. Während aber die Juden jetzt weniger im
Gefühl ihrer Stärke als aus Verzweiflung standhielten,
spornte dagegen die Römer der Gedanke an Ruhm und
Waffenehre sowie die Rücksicht auf den Caesar an, der
allen voran der Gefahr ins Auge sah. Im Übermass
ihrer Erbitterung, glaube ich, würden sie wohl schliess-
lich die ganze Schar der Juden niedergemacht haben,
hätten diese sich nicht, ohne den Ausgang des Treffens
abzuwarten, in die Stadt zurückgezogen. Das Einsinken
der Dämme hatte übrigens die Römer völlig mutlos ge-
macht, da sie die Arbeit vieler Tage in einer Stunde
vernichtet sahen, und viele verzweifelten nunmehr
daran, mit den gewöhnlichen Maschinen die Stadt er-
obern zu können.
Go gle
540
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Zwölftes Kapitel.
Titus umgiebt Jerusalem mit einer Ringmauer.
Fernere Schilderung der Hungersnot
1. Titus hielt nun Kriegsrat Die hitzigeren Offiziere
waren der Meinung, man solle mit der ganzen Streit-
macht auf einmal die Mauern zu erstürmen suchen.
Denn bis jetzt seien die Juden nur mit einzelnen Teilen
des Heeres handgemein geworden; wenn man aber in
Masse gegen sie vorrücke, würden sie wohl den Anprall
nicht aushalten können, da der Geschosshagel sie völlig
zermalmen müsse. Von den Besonneneren dagegen
rieten die einen, abermals Dämme zu bauen, die anderen,
ohne dergleichen Werke die Belagerung fortzusetzen,
lediglich das Verlassen der Stadt seitens der Einwohner
und die Einfuhr von Lebensmitteln in dieselbe zu ver-
hindern und so die Feinde dem Hunger zu überlassen,
ohne dass man sich weiter mit ihnen schlage: denn mit
der Verzweiflung sei nicht zu kämpfen: Durchs Schwert
zu fallen sei der Wunsch der Juden; geschehe das aber
nicht, so warte ihrer ein schrecklicheres Los. Titus
selbst hielt es nicht für ehrenvoll, mit einem so grossen
Heere ganz müssig zu liegen, anderseits aber auch für
unnötig, mit Leuten zu kämpfen, die einander selbst
den Untergang bereiteten. Neue Wälle aufzuführen er-
klärte er wegen Mangel an Bauholz für ein schwieriges
Stück Arbeit, sämtliche Ausgänge zu sperren für noch
schwieriger. Denn mit dem Heere die Stadt völlig zu
umzingeln, sei wegen der Grösse Jerusalems und der
ungünstigen Terrain Verhältnisse nicht leicht, auch mit
Rücksicht auf die Ausfälle der Juden gefährlich.
Übrigens würden die Belagerten, wenn man auch alle
bekannten Ausgänge bewache, im Drange der Not und,
gestützt auf ihre Kenntnis der Örtlichkeit, geheime er-
sinnen. Werde nun auf verborgenen Wegen Proviant
in die Stadt geschafft, so müsse die Belagerung sich da-
durch bedeutend in die Länge ziehen, und er furchte,
Go gle
Fünftes Buch, 12. Kapitel.
541
dass, je mehr Zeit verstreiche, desto weniger Ruhm mit
dem Siege verbunden sein möchte. Auf die Dauer könne
man freilich alles zu Ende führen, aber der Ruhm sei
wesentlich durch rasches Handeln bedingt. Um nun
Schnelligkeit mit Sicherheit zu vereinigen, müsse man
die ganze Stadt mit einer Ringmauer umschliessen ; nur
so sei man imstande, alle Auswege zu sperren, und es
müssten dann die Juden entweder in völliger Verzweif-
lung Jerusalem übergeben oder, ohne dass die Römer ein
Glied zu rühren brauchten, der Hungersnot zum Opfer fallen.
Selbstverständlich werde er in diesem Falle auch nicht
die Hände in den Schoss legen, sondern sich den Bau
neuer Wälle angelegen sein lassen, da er dann einen
viel schwächeren Widerstand zu erwarten habe. Halte
indes jemand dieses Werk für zu gross und zu schwer
ausführbar, so solle er bedenken, da98 kleine Unter-
nehmungen sich für die Römer nicht schickten, und
etwas Bedeutendes ohne Anstrengung zu vollenden keinem
leicht sei, ausser der Gottheit allein.
2. Mit diesen Darlegungen überzeugte er die Offiziere
und gab sogleich Befehl, den Truppenteilen ihre Arbeit
anzuweisen. Ein wunderbarer Eifer ergriff nun die
Soldaten, und nachdem die einzelnen Strecken der Ring-
mauer verteilt waren, arbeiteten nicht nur die Legionen,
sondern in denselben auch die Kohorten miteinander um
die Wette. Der Gemeine suchte dem Decurio, der
Decurio dem Centurio, und dieser dem Tribun zu ge-
gefallen; der Ehrgeiz der Tribunen strebte dann wieder
nach dem Beifall der Legaten, und den Wetteifer der
letzteren belohnte der Caesar. Titus machte nämlich
oftmals des Tages die Runde, um das Werk zu besich-
tigen. Von dem Lager der Assyrier aus , wo er sein
Hauptquartier hatte, führte er die Mauer in die untere
Neustadt, von hier über den Kedron an den ölberg, und
liess sie dann nach Süden hin den Berg bis zum Pe-
ristereonfels 1 sowie den nahegelegenen Hügel umfassen,
i D. i. Taubenfels. Für denselben hält man die Prophetengräber
oder. .das sogenannte kleine Labyrinth an der südlichen Vorkuppe
des Ölberges.
542
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
der sich über dem Thal bei der Siloaquelle erhebt;
von da an gab er ihr eine westliche Richtung und liess
sie in eben dieses Thal sich senken. Alsdann erstreckte
sie sich bei dem Grabmal des Hohepriesters Ananus
aufwärts und schloss den Berg ein, wo einst Pompejus
gelagert hatte, 1 zog sich hierauf gegen Norden an einem
Dorf Erbsenhausen vorbei, umfasste weiterhin das Grab-
mal des Herodes und endigte nach Osten zu bei dem
Lager des Feldherrn, wo sie auch ihren Anfang ge-
nommen hatte. Die ganze Umwallungslinie hatte eine
Länge von neununddreissig Stadien ; aussen waren dreizehn
Wachtkastelle an sie angebaut, deren Umfang zusammen-
gerechnet zehn Stadien betrug. 2 3 In drei Tagen war der
Bau errichtet und damit ein Werk, für welches Monate
nicht zu viel gewesen wären, in unglaublich kurzer Zeit
vollendet worden. Nachdem nun der Feldherr mit dieser
Ringmauer die Stadt eingeschlossen und Truppen in die
einzelnen Wachtkastelle gelegt hatte, machte er selbst
in der ersten Nachtwache die Runde, um nachzusehen;
die zweite übertrug er dem Alexander, 8 und die dritte
fiel den Führern der Legionen zu. Die Wachmann-
schaften ihrerseits losten die Schlafstunden aus und be-
gingen dann die ganze Nacht hindurch die Zwischen-
räume zwischen den einzelnen Kastellen.
3. Mit der Möglichkeit, aus der Stadt zu entkommen,
war nun den Juden jegliche Aussicht auf Rettung ab-
geschnitten, und die Hungersnot, die immer schrecklicher
wurde, raffte das Volk häuser- und familienweise dahin.
Die Dächer lagen voll entkräfteter Weiber und Kinder,
die Gassen voll toter Greise. Knaben und Jünglinge,
krankhaft angeschwollen, wankten wie Gespenster über
1 Dass Pompejus vor seinem Einrücken in die Stadt (s. J. A. XIV,
4, lff.) an dieser Stelle, d. h. auf der Höhe zwischen dem untersten
Abschnitt des Kedronthales und der nach Bethlehem führenden
Strasse gelagert habe, wird nur hier berichtet. Er hätte demnach,
von Jericho kommend, Jerusalem südlich umgangen.
2 Das ergiebt für den Umfang des einzelnen Kastells etwa
142 Meter.
3 S. V, 1, 6.
Fünftes Buch, 12. Kapitel.
543
die öffentlichen Plätze und sanken zu Boden, wo einen
die Hungerseuche ergriff. Ihre Ad gehörigen zu bestatten
vermochten die Entkräfteten nicht mehr; die noch
Rüstigeren aber scheuten sich davor wegen der Menge
der Toten und der Ungewissheit ihres eigenen Schick-
sals. Viele starben auf den Leichen, die sie beerdigen
wollten, viele auch schleppten sich, noch ehe das Ver-
hängnis sie ereilte, zu den Grabstätten. Keine Thräne,
keine Wehklage begleitete dieses entsetzliche Elend:
alles Gefühl hatte der Hunger ertötet. Mit trockenen
Augen und weitgeöffnetem Munde starrten die langsam
Dahinsterbenden auf die, welche vor ihnen zur Ruhe
gekommen waren. Tiefes Schweigen, wie eine bange
Todesnacht, lag über der Stadt Fürchterlicher aber als
alles dies waren die Räuber : gleich Totengräbern drangen
sie in die Häuser ein, plünderten die Leichen, rissen
ihnen die Verhüllung weg und gingen unter wüstem
Gelächter hinaus oder erprobten die Spitzen ihrer Dolche
an den entseelten Körpern; ja, sie durchbohrten sogar
manchmal solche, die hingefallen waren, aber noch
lebten, um die Schärfe des Mordstahls zu prüfen. Andere
dagegen, die sich den Gnadenstoss von ihnen erbaten,
überliessen sie voll übermütigen Hohnes dem Hunger.
Sämtliche Sterbenden blickten starren Auges zum Tempel
hinauf, wo sie die Empörer lebend zurückliessen. An-
fangs sorgten diese noch dafür, dass die Toten auf öffent-
liche Kosten begraben wurden, weil sie den Geruch
nicht ertragen konnten; später aber, als der Leichen
gar zu viele wurden, warf man sie einfach von den
Mauern in die Schluchten hinab.
4. Als Titus auf einem seiner Rundgänge diese
Schluchten mit Toten gefüllt und die Menge Jauche
sah, die aus den verwesenden Leichen floss, breitete er
seufzend seine Hände aus und rief Gott zum Zeugen
an, dass dies nicht sein Werk sei. So sah es in der
Stadt aus. Die Römer hingegen waren, da jetzt auch
die Aufrührer, von Zaghaftigkeit und den Qualen des
Hungers ergriffen, keine Ausfälle mehr machten, froh-
544
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
lieh und wohlgemut; denn sie hatten an Getreide und
anderen notwendigen Lebensmitteln , die ihnen aus
Syrien und den benachbarten Provinzen zugeführt
wurden, durchaus keinen Mangel. Viele stellten sich
in der Nähe der Mauer auf, zeigten geflissentlich ihren
reichen Vorrat an Speisen und reizten durch ihren
Überfluss den Hunger der Feinde noch mehr. Da aber
all dieser Jammer die Empörer nicht nachgiebig machte,
fing Titus aus Mitleid mit dem Reste der Bürgerschaft und
um wenigstens das, was noch übrig war, vom Untergang
zu retten, wieder an Wälle zu errichten, so schwer sich
auch das Bauholz beschaffen liess. Für die früheren
Werke nämlich waren bereits alle Bäume im Umkreis
der Stadt gefällt worden, und die Soldaten mussten
nun anderes Holz aus einer Entfernung bis zu neunzig
Stadien herbeiholen. Allein der Antonia gegenüber
warfen sie sodann vier Dämme auf, weit grösser als
die früheren; der Caesar aber ritt von einer Legion zur
anderen und trieb die Arbeiter zur Eile an, um so den
Räubern zu zeigen , dass sie in seiner Hand seien. Sie
allein indes fühlten keine Reue wegen ihrer Frevel-
thaten; es war, als hätten sie ihre Seelen von den Leibern
getrennt und gebrauchten beide, wie wenn sie nicht
ihnen gehörten. Kein besseres Gefühl rührte ihre Seele,
keinen Schmerz empfand ihr Körper: wie Hunde zer-
fleischten sie das tote Volk, und mit den Kranken füllten
sie noch die Gefängnisse.
Fünftes Bach, 13. Kapitel.
545
Dreizehntes Kapitel.
Mord und Tempelraub in Jerusalem.
1. Simon liess sogar den Matthias, mit dessen Hilfe
er sich der Stadt bemächtigt hatte, 1 eines qualvollen
Todes sterben. Matthias, des Boethos Sohn, einer von
den Hohepriestern , der beim Volke sehr angesehen war
und dessen Vertrauen in hohem Grade besass, hatte, als
die Zeloten im Bunde mit Joannes die Bürgerschaft
Jerusalems drangsalierten, die letztere überredet, Simon
als Retter aufzunehmen , ohne ihm vorher Bedingungen
zu stellen oder sich schlimmer Dinge von ihm zu ver-
sehen. Kaum jedoch war Simon eingezogen und Herr
der Stadt geworden, als er den, der für ihn eingetreten
war, genau wie die anderen zu seinen Feinden rechnete,
wie wenn er jenen Schritt nur aus Dummheit gethan
hätte. Damals also wurde er vor Simon geführt, als
Römerfreund angeklagt und von dem Tyrannen, der ihm
nicht einmal das Wort zur Verteidigung gestattete, samt
dreien seiner Söhne zum Tode verurteilt; der vierte war
schon vorher zu Titus entkommen. Und als er Simon
flehentlich bat, ihn zum Dank dafür, dass er ihm die
Stadt geöffnet, vor seinen Söhnen hinrichten zu lassen,
gab dieser sogar Befehl, ihn zuletzt zum Tode zu führen.
So ward er denn auf den Leichen seiner Kinder, die
man vor seinen Augen ermordet hatte, hin geschlachtet,
und zwar nachdem er an einen für die Römer sichtbaren
Ort geführt worden war. Letzteres nämlich hatte Simon
dem grausamsten seiner Spiessgesellen, Ananus, dem
Sohne des Bamados, aufgetragen, der dann noch die
höhnische Frage an Matthias richtete: ob nun diejenigen,
zu denen er habe entlaufen wollen, ihm helfen würden?
Die Leichen verbot Simon zu beerdigen. Nach ihnen
wurde ein Priester Ananias, der Sohn des Masambalos,
ein angesehener Mann, ferner der Ratsschreiber Aristeus
1 S. IV, 9, 11.
Josephus, Jüdischer Krieg. 36
GO gle ;,nivlrsitVöfca
546
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
von Ammaus und fünfzehn andere hervorragende Männer
aus dem Volke hingerichtet. Den Vater des Josephus
aber hielt man noch immer in strengem Gewahrsam und
liess aus Furcht vor Verrat öffentlich bekannt machen,
dass niemand aus der Bürgerschaft ihn sprechen oder
besuchen dürfe. Wer seinem Unwillen darüber Ausdruck
gab, wurde ohne weiteres niedergestossen.
2. Auf diese Ereignisse hin berief ein gewisser Judas,,
des Judas Sohn, einer von Simons Unterbefehlshabern r
dem dieser auch die Bewachung eines Turmes anvertraut
hatte, zum Teil vielleicht aus Mitleid mit den grausam
Ermordeten, hauptsächlich jedoch aus Sorge um sein
eigenes Leben, die zehn zuverlässigsten seiner Unter-
gebenen zu sich und sprach zu ihnen : „Wie lange noch
wollen wir solche Greuel dulden? Oder welche Hoff-
nung auf Rettung haben wir, wenn wir diesem Bösewicht
treu bleiben ? Kämpft nicht schon der Hunger wider uns ?
Sind nicht die Römer nahezu in der Stadt? Und wie treulos
benimmt sich Simon gegen die, die ihm Gutes gethanl
Müssen wir nicht bei ihm in steter Angst vor der Hinrich-
tung leben, während wir auf das Wort der Römer bauen
können? Wohlan denn, übergeben wir ihnen die Mauer
und retten wir uns selbst und die Stadt! Dem Simon
geschieht kein Unrecht, wenn er bald in Verzweiflung
gerät und seine Schandthaten büssen muss.“ Nachdem
er durch solche Vorstellungen die zehn für seinen Plan
gewonnen hatte, sandte er gegen Morgen die übrige ihm
unterstellte Mannschaft an verschiedene Plätze weg,
damit nichts von dem Anschlag verraten würde, und rief
selbst um die dritte Stunde von dem Turm aus die Römer
herbei. Von diesen nahmen die einen den Antrag ver-
ächtlich auf, andere hegten Misstrauen, und die meisten
mochten aus dem Grunde nichts davon wissen, weil sie
ja doch binnen kurzem ohne Gefahr die Stadt in ihre
Gewalt zu bekommen gedachten. Als aber Titus mit
seinen Schwerbewaffneten sich eben der Mauer nähern
wollte, kam Simon, der von der Sache Kenntnis erlangt
hatte, ihm zuvor, besetzte in aller Eile den Turm und
Go gle
Fünftes Buch, 13. Kapitel.
547
liess die Männer ergreifen, sie vor den Augen der Römer
niedermachen und ihre verstümmelten Leichen die Mauer
hinabwerfen.
3. Um jene Zeit wurde Josephus, der mit seinen Er-
mahnungen nicht nachliess, bei einem Rundgang um die
Mauer von einem Steinwurf am Kopfe getroffen, sodass
er augenblicklich betäubt zu Boden sank. Auf seinen
Fall hin stürzten die Juden heraus und würden ihn
wohl in die Stadt geschleppt haben, wenn der Caesar
nicht schleunigst Leute zu seinem Schutz abgesandt
hätte. Während diese sich mit den Juden herumschlugen,
wurde Josephus fast ohne alles Bewusstsein von dem,
was vorging, weggetragen ; die Empörer aber erhoben
in der Meinung, den Mann aus dem Wege geräumt zu
haben, nach dessen Tod sie so sehr verlangten, ein lautes
Freuden geschrei. Alsbald verbreitete sich die Nachricht
in der Stadt und rief bei den noch übrigen Bewohnern
grosse Niedergeschlagenheit hervor, weil sie in der That
den für tot hielten, auf dessen Einfluss hin sie zu den
Römern überzugehen wagen konnten. Als die Mutter
des Josephus im Gefängnis den Tod ihres Sohnes erfuhr,
äusserte sie ihren Wächtern gegenüber, die aus Jotapata
waren, sie glaube es gern, denn sie habe ja auch bei
Lebzeiten des Josephus seiner nie froh werden können ;
zu ihren Dienerinnen aber sagte sie insgeheim unter
Wehklagen, das habe sie also davon, dass sie Mutter so
vieler Kinder geworden sei, nämlich den Sohn nicht
einmal begraben zu dürfen, von dem sie einst bestattet
zu werden gehofft habe. Doch es sollte die falsche
Kunde ihr keinen langen Kummer und den Räubern
keine lange Freude bereiten. Josephus nämlich, der
sich rasch von seinem Unfall erholt hatte, erschien vor
der Mauer und rief seinen Gegnern zu, gar bald würden
sie ihm für seine Verwundung Genugthuung geben
müssen; das Volk hingegen forderte er abermals auf,
sich zu ergeben. Sein Anblick flösste den Bürgern wieder
Zuversicht, den Empörern aber Schrecken ein.
4. Manche Überläufer sprangen in der Not geradezu
548
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
von der Mauer hinab; andere stürmten, als wollten sie
kämpfen, mit Steinen in der Hand hervor und flohen
dann zu den Römern. Hier aber traf sie ein traurigeres
Los, wie die in der Stadt: die Sättigung, die sie bei
den Römern fanden, führte ihren Tod rascher herbei
als der Hunger, dem sie bis dahin ausgesetzt waren.
Denn wenn sie bei den Feinden anlangten, waren sie
infolge des Mangels, den sie gelitten, aufgedunsen und
wie wassersüchtig; überluden sie sich dann gierig den
leeren Magen, so zerbarsten sie, und nur die kamen
mit dem Leben davon, welche, durch Erfahrung ge-
witzigt, ihren Heisshunger bezwangen und dem Körper,
der an Speise nicht mehr gewöhnt war, dieselbe all-
mählich zuführten. Der also Geretteten aber wartete
eine andere Plage. Bei den Syrern nämlich ertappte
man einen Überläufer, der aus seinem Kot Goldstücke
auslas. Solche pflegten die Juden ja, wie oben erzählt,
zu verschlingen, ehe sie sich hinaus wagten , da die
Empörer alle durchsuchten; und es war eine Menge
Gold in der Stadt: man kaufte um zwölf Attiken, was
sonst fünfundzwanzig galt. Da nun die List bei einem,
der sie angewandt, entdeckt war, durchlief alsbald
sämtliche Lagerplätze das Gerücht, die Überläufer seien,
wenn sie ankämen, ganz mit Gold gefüllt. Viele
Araber und auch Syrer schnitten infolgedessen den um
Gnade Flehenden die Bäuche auf, um sie nach Gold
zu durchsuchen. Keine schlimmere Misshandlung ist
wohl den Juden widerfahren: in einer einzigen Nacht
wurde gegen zweitausend Überläufern der Leib auf-
geschlitzt.
5. Als der Caesar diese Greuelthat erfuhr, hatte er
nicht übel Lust, die Schuldigen mit Reiterei umzingeln
und durch Lanzenstiche töten zu lassen. Nur die
grosse Anzahl derselben hielt ihn davon ab; denn
derer, die er hätte strafen müssen, waren viel mehr als
der auf jene Weise Ermordeten. Er beschied daher die
Anführer der Hilfstruppen und der Legionen — denn
auch römische Soldaten wurden der Teilnahme an der
Fünftes Buch, 13. Kapitel.
549
Unthat bezichtigt — zu sich und fragte sie voll Ent-
rüstung, ob es denn wirklich unter seinen eigenen
Kriegern welche gebe, die solche Schändlichkeiten um
eines unsicheren Gewinnes willen verüben könnten,
und ob sie sich nicht ihrer aus Gold und Silber ge-
fertigten Waffen schämten. Die Araber und Syrer aber
fuhr er an: „Also wollt ihr in einem Kriege, der euch
persönlich gar nichts angeht, zuerst eure Leidenschaften
eigenmächtig befriedigen und dann eure grausame
Mordlust und euren Judenhass den Römern anhängen?
Denn leider haben sich ja auch einige meiner eigenen
Soldaten an eurem schändlichen Treiben beteiligt!“
Hierauf drohte er den fremden Truppen mit Hinrich-
tung, wenn noch einmal jemand bei einer solchen
Greuelthat betroffen würde; den Legionen aber gab er
Befehl, die Verdächtigen zu ermitteln und ihm vor-
zuführen. Die Geldgier indes achtet, wie es scheint,
keiner Strafe; ein entsetzliches Verlangen nach Gewinn
ist dem Menschen angeboren, und keine Leidenschaft
treibt ihn so unaufhaltsam ins Verderben, wie die
Habsucht, während doch sonst die Begierden ihre
Grenzen haben und durch Furcht im Zaum gehalten
werden können. Freilich war dabei auch Gottes Hand
im Spiele, der das ganze Volk verworfen hatte und
ihm jedes Rettungsmittel zum Verderben ausschlagen
liess. Was der Caesar unter Drohungen verboten
hatte , das beging man jetzt heimlich an den Über-
läufern: die Barbaren fingen die Flüchtlinge ab, ehe
sie von allen erblickt werden konnten, und stiessen sie
nieder; dann spähten sie umher, ob nicht ein Römer
zusehe, schnitten die Unglücklichen auf und holten
aus deren Einge weiden den scheusslichen Gewinn. Nur
bei einigen wenigen übrigens fand sich Gold vor; die
meisten wurden um einer trügerischen Hoffnung willen
ermordet. Immerhin brachte ihr trauriges Schicksal viele
andere, die überzugehen im Sinne hatten, von ihrem
Vorhaben wieder ab.
6. Unterdessen verlegte sich Joannes, als beim Volke
Go gle
LiÄ! IlSITY <3$ C II! Olli^A
550
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
nichts mehr zu holen war, auf die Beraubung des
Tempels. Eine Menge der in demselben befindlichen
Weihgeschenke, gottesdienstlichen Gerate, Mischgefasse,
Schüsseln und Tische liess er einschmelzen; nicht
einmal der von Augustus und seiner Gemahlin gestif-
teten Weinkrüge schonte er. Die römischen Caesaren
hatten den Tempel stets in Ehren gehalten und seinen
Schmuck vermehrt; jetzt aber raubte ein geborener Jude
die Geschenke der Ausländer. Gottgeweihte Gegen-
stände, sagte er zu seiner Umgebung, dürfe man ohne
Bedenken zu Ehren der Gottheit verwenden, und es
sei nicht mehr wie recht, dass die , welche für das
Heiligtum kämpften, auch von ihm lebten. Deshalb
holte er auch das im inneren Tempel befindliche heilige
öl und den heiligen Wein, den die Priester auf bewahrten,
um ihn über die Brandopfer zu giessen, hervor und
verteilte beides unter seine Leute, welche jeder mehr
als ein Hin 1 davon versalbten und vertranken. Zu
verschweigen, was mein Gefühl mir eingiebt, kann ich
nicht über mich bringen: wenn die Römer das Ver-
brechergesindel nicht alsbald vernichtet hätten, so wäre
die Stadt, glaube ich, von der Erde verschlungen oder
von einer Sintflut überschwemmt l oder , wie Sodoma,
vom Feuer des Himmels verzehrt worden ; denn sie
barg ein viel gottloseres Geschlecht, 'als dasjenige war,
über welches jene Strafgerichte hereinbrachen. Fürwahr,
der Wahnsinn dieser Frevler stürzte das ganze Volk
ins Verderben.
7. Wozu aber soll ich die Drangsale einzeln auf-
zählen? Versicherte doch Mannaeus, des Lazarus Sohn,
der um diese Zeit zu Titus floh, dass durch ein einziges
Thor, welches er zu bewachen hatte, von dem Tage an,
da das Lager vor J der Stadt errichtet worden war, also
vom vierzehnten desJMonats Xanthikos bis zum Neu-
mond des PanemoB hundertfünfzehntausendachthundert-
undachtzig Leichen hinausgetragen worden seien —
1 1 Hin = 12 Log, 1 Log = dem Inhalt von 6 Eierschalen.
Fünftes Buch, 13. Kapitel.
551
«ine wahrhaft erschreckliche Anzahl. Übrigens hatte
er nicht als Befehlshaber der Thorwache nebenbei,
sondern kraft besonderen amtlichen Auftrags die Toten
gezählt, weil er aus der Stadtkasse den Beerdigungs-
lohn auszahlen musste. Die anderen wurden von ihren
Angehörigen begraben ; das Begräbnis aber bestand
darin, dass man die Leichen aus der Stadt trug und
hinabstürzte. Viele angesehene Überläufer, die nach
ihm kamen, gaben die Gesamtzahl der Leichen von
Armen, welche zu den Thoren hinausgeworfen wurden,
auf sechshunderttausend an; die Zahl der übrigen sei
nicht zu ermitteln gewesen. Als die Kraft der Leute
nicht mehr ausreichte, um die Armen vors Thor zu
tragen, habe man, sagten sie weiter, die Leichen in die
grösseren Häuser zusammen geschleppt und daselbst ein-
geschlossen. Das Mass 1 Weizen sei um ein Talent
verkauft worden, und als man hernach wegen der Ein-
schliessung der Stadt auch kein Gemüse mehr habe
sammeln können, sei die Not bei manchen so hoch ge-
stiegen, dass sie die Kloaken und alten Rindermist
durchstöbert hätten, um irgend etwas Essbares daraus
zu sammeln; was man sonst nur mit Ekel habe; sehen
können, sei damals Nahrungsmittel geworden. Die Römer
fühlten Erbarmen, als sie dies hörten; die Empörer aber,
die alles mit eigenen Augen schauten, blieben ungerührt
und starren Sinnes, bis die Not auch sie* ergriff. Das
Verhängnis, das bereits über der Stadt wie über ihren
eigenen Häuptern schwebte, hatte sie gänzlich verstockt
gemacht.
1 Dieses Mass (jJLs'xpov) war wohl der in Judaea gangbare römische
Scheffel (modius) = 8,75 Liter.
Sechstes Buch,
Inhalt.
1. Von der Verzweiflung der Empörer und dem Wüten der Hungers-
not. Trauriger Anblick der Umgebung Jerusalems nach Er-
richtung der Wälle durch die Römer.
2. Wie nach Vollendung der Verschanzungen Römer und Juden in
gleiche iBesorgnis gerieten. Wie die Juden einen Ausfall
machten } aber die Belagerungswerke nicht einzuäschern ver-
mochten.
3. Wie die Römer durch die Stösse ihrer Maschinen und durch
Untergrabung die Mauer der - Antonia zum Einsturz brachten,
aber beim Anblick einer zweiten Mauer, die Joannes durch
seine Leute hatte aufführen lassen, den Mut verloren.
4. Wie Titus seine Soldaten, die den Sturm auf die Mauer nicht
wagten, durch eine vortreffliche Ansprache ermutigte.
5. Wie Sabinus und mit ihm einige andere die Mauer erstiegen und
die Juden in die Flacht schlugen. Sabinus fällt nach Erlegung
vieler Feinde.
6. Wie die Römer auch die dritte Mauer nahmen. Beschreibung
des Kampfes zwischen Römern und Juden um den Tempel.
7. Von dem Centurio Julianus, der eine Menge Juden nieder-
machte, dann aber selbst fiel. Flucht der Römer in die An-
tonia.
8. Wie Titas die Antonia schleifen liess und denJosephus ersuchte,
nochmals den Juden zuzureden.
9. Wie eine grosse Anzahl Bürger, als die Aufständischen sich an
des Josephus Vorstellungen nicht kehrten, die Stadt verliessen,
um zu den Römern überzugehen, und wie Titus sie nach
Gophna schickte.
10. Wie die Überläufer die Empörer baten, dem Caesar die Stadt zu
übergeben, aber dieselben dadurch nur noch trotziger machten,
und wie Titus den letzteren durch Josephus Vorwürfe machen
liess und, als sie in ihrer Hartnäckigkeit verharrten, wieder zur
Anwendung von Gewalt schritt.
Go gle
jniversii^of c al^crnia
Sechstes Buch, Inhalt.
553
11. Wie Titns aus seinen gesamten Truppen die tapfersten Leute
auswählte und sie gegen den Tempel entsandte, während er
selbst von der Antonia aus der Entwicklung des Kampfes ent-
gegensah.
12. Wie der Kampf entbrannte und unter grossen beiderseitigen Ver-
lusten unentschieden blieb.
13. Wie die Römer Wälle gegen den Tempel aufwarfen.
14. Wie Titus, als einige seiner Reiter ihre Pferde verloren hatten,
durch Bestrafung eines der Schuldigen die übrigen zu besserer
Bewachung ihrer Pferde anhielt.
15. Wie eine Menge Empörer am Ölberg einen heimlichen Ausfall
versuchten, aber geschlagen wurden. Wie der Reiter Pedanius
einen feindlichen Jüngling auf der Flucht ergriff und gleich
einem kostbaren Kleinod zum Caesar brachte.
16. Wie die Juden die Nebengebäude des Tempels in Brand steckten,
damit die Römer nicht von ihnen aus sich des Heiligtums be-
mächtigen könnten.
17. W 7 ie ein Jude die Römer zum Einzelkarapf herausforderte und
zunächst siegreich blieb, dann aber seiner Prahlerei wegen fiel.
18. Von einer Kriegslist der Juden, die vielen Römern den Tod in
den Flammen brachte.
19. Wie der römische Soldat Longus sich selbst umbrachte, und wie
ein gewisser Sertorius seinen Kameraden Lucius, der ihn aüf-
fing, zu Boden schmetterte.
20. Weitere Schilderung der durch die Hungersnot angerichteten Ver-
heerungen.
21. Von der Jüdin Maria, die ihr eigenes Kind verzehrte.
22. Wie die Römer nach Vollendung der Wälle Sturmböcke herbei-
schafften, und wie nach Anlegung der Leitern ein erbitterter
Kampf sich entspann, in welchem die Römer schliesslich er-
lagen. Wie Titus , hierüber ergrimmt, Feuer an die Thore
legen Hess.
23. Von den Spiessgesellen des Tyrannen Simon, die zu Titus über-
gingen.
24. Wie Titus wegen dos Tempels Kriegsrat hielt und, während die
Meinungen geteilt waren, sich energisch gegen die Einäscherung
des Heiligtums aussprach.
25. Wie die Juden die römischen Wachtposten angriffen und die-
selben beinahe in die Flucht geschlagen hätten, wenn der
Oesar den Seinen nicht zu Hilfe geeilt wäre und die Juden
verjagt hätte.
26. Wie der Tempel gegen den Willen des Titus in Flammen
aufging.
27. Wie der Tempel in demselben Monat und an demselben Tage
abbrannte, da er einst von den Babyloniern eingeäschert
worden war.
Go gle
t$!l VERSITV
OF CALIFORNIA
554
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
28. Wie nach Anzündung des Tempels Juden jeglichen Alters um-
kamen, und wie das Stöhnen der Sterbenden sich mit dem
Schlachtgeschrei der Römer mischte.
29. Wie einige Priester die auf dem Tempel angebrachten Spiesse
als Wurfgeschosse gegen die Römer gebrauchten, und wie zwei
vornehme Juden sich selbst in die Flammen stürzten. Wie die
Römer den bisher noch vom Feuer verschont gebliebenen Teil
des Tempels ebenfalls in Brand steckten und gegen sechstausend
Menschen dem Flammentod preisgaben.
30. Von dem falschen Propheten , dem das Volk zu seinem Schaden
Glauben schenkte.
31. Von den Wahrzeichen, die der Zerstörung vorangingen.
32. Wie die Römer ihre Feldzeichen in den Tempel brachten und
dem Titus zujubelten. Von der gewaltigen Menge Goldes, die
erbeutet wurde.
33. Von dem Knaben, der sich mit den Priestern auf die Tempel-
mauer geflüchtet hatte, und wie er die Römer hinterging. Wie
die Priester, von Hunger erschöpft, endlich zu Titus herab-
stiegen, der sie hinrichten liess.
34. Wie die Tyrannen den Titus um eine Unterredung baten, und
welch herrliche Ansprache er an sie hielt.
35. Wie Titus, als die Tyrannen unverminderten Trotz zur Schau
trugen, in gewaltigem Zorn ihnen verkünden liess, dass sie auf
keine Gnade mehr rechnen könnten, und wie er darauf seinen
Soldaten befahl, alles in Brand zu stecken.
36. Von den Verwandten des Königs Izates, die zum Caesar ihre Zu-
flucht nahmen, und wie dieser sie nach Rom bringen liess.
37. Wie die Empörer sich in den Königspalast warfen, die Römer
daraus vertrieben , die ganze dort versammelte Menge nieder-
machten und zwei Römer lebendig gefangen nahmen.
38. Wie die Römer das räuberische Gesindel verjagten und den noch
unversehrten Teil der Stadt ebenfalls den Flammen preis-
gaben.
39. Wie die Tyrannen im Vertrauen auf die unterirdischen Gänge
den Kampf bis aufs äusserste forlsetzten.
40. Wie der Caesar Herr der oberen Stadt wurde, und wie einige
Empörer beschlossen, die untere Stadt zu übergeben, aber von
Simon, dem ihr Plan zu Ohren gekommen war, umgebracht
wurden.
41. Von dem Priester, der sich zum Caesar flüchtete und ihm viele
Kostbarkeiten auslieferte.
42. Wie die Römer nochmals Dämme bauten, Maschinen heran-
schafften und, nachdem die Empörer in die unterirdischen
Gänge geflohen waren, die ganze Siadt in ihre Gewalt
brachten.
Sechstes Buch, 1. Kapitel.
555
43. Wie der Caesar in die Stadt einzog, ihre Festigkeit bewunderte,
sie sodann gänzlich zerstören und nur drei Türme als Wahr-
zeichen seiner Tapferkeit stehen liess.
44. Wie der Caesar, nachdem er das Raubgesindel und die Empörer,
die sich gegenseitig zur Anzeige brachten , hatte hinrichten
lassen, die übrigen teils für den Triumphzug auf bewahrte, teils
in die Provinzen verschenkte oder in die Bergwerke Aegyptens
schickte, grösstenteils aber verkaufte.
45. Gesamtzahl der während des Krieges gefangenen und getöteten
Juden.
40. Wie es den in die unterirdischen Gänge geflohenen Juden
erging.
47. Rückblick auf die früheren Schicksale der Stadt.
Erstes Kapitel.
Die Lage der Stadt verschlimmert sich. Angriff der Römer
auf die Antonia.
1. Von Tag zu Tag wurden nun die Leiden Jeru-
salems schrecklicher, da das Unglück die Empörer immer
mehr erbitterte und die Hungersnot, die im Volke be-
reits so grässlich wütete, auch sie selbst wegzuraffen be-
gann. Kein Wunder, dass bald in der Stadt ganze
Haufen von Leichen sich auftürmten, die einen entsetz-
lichen Anblick darboten, pestartigen Geruch verbreiteten
und den Kämpfenden sogar bei ihren Ausfällen hinder-
lich waren; mussten doch die letzteren, wie wenn sie in
der Schlacht durch ein fürchterliches Blutbad sich Bahn
gebrochen hätten, im Vordringen über Leichen hinweg-
schreiten. Aber weder Schauder noch Mitgefühl ergriff
die Frevler, wenn sie dieselben mit Füssen traten, noch
sahen Bie in dieser Beschimpfung der Toten ein schlimmes
Vorzeichen ihres eigenen Unterganges, sondern mit vom
Brudermord befleckten Händen stürzten sie zum Kampf
gegen die Fremden hinaus, als hätten sie — fast könnte
es so scheinen — Gott dem Herrn Vorwürfe darüber
machen wollen, dass er mit seinem Strafgericht so lange
zögere. Denn Hoffnung auf Sieg war es schon nicht
Go gle
■UNIVERSITY OE CALlf-ÖRNIA
556
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
mehr, was ihnen den Mut zur Fortsetzung des Krieges
gab, sondern Verzweiflung. Die Römer ihrerseits
vollendeten, wiewohl die Herbeischaffung des erforder-
lichen Bauholzes ihnen viele Mühe verursachte, die
Wälle in einundzwanzig Tagen, wobei sie, wie schon
oben bemerkt, 1 das an die Stadt anstossende Gelände
bis auf neunzig Stadien im Umkreis völlig kahl machten.
Wahrhaft kläglich war die Gegend anzuschauen: sie,
die zuvor im reichen Schmuck von Bäumen und Lust-
gärten geprangt hatte, war jetzt allenthalben verwüstet
und des Holzes beraubt. Kein Fremder, der das alte
Judaea und die herrlichen Vorstädte Jerusalems gesehen,
hätte beim Anblick der damaligen Verödung mit seinen
Thränen und Seufzern über die gewaltige Veränderung
zurückhalten können. Denn jede Spur von Schönheit
hatte der Krieg vernichtet, und wenn jemand, der früher
die Örtlichkeit gekannt, plötzlich daselbst erschienen
wäre, er würde sie nicht wieder erkannt, sondern die
Stadt, die vor ihm lag, gesucht haben.
2. Die Vollendung der Wälle gab übrigens den
Römern nicht geringeren Anlass zu Besorgnissen
wie den Juden. Letztere nämlich mussten, wenn es
ihnen nicht wiederum gelang, dieselben in Brand zu
setzen, der baldigen Eroberung der Stadt gewärtig sein;
die Römer dagegen hatten, wenn auch diese Werke ver-
nichtet wurden, keine Aussicht mehr, Jerusalem in ihre
Gewalt zu bekommen, einmal wegen des gänzlichen
Mangels an Baumaterial, dann aber auch weil die Sol-
daten von den harten Strapazea geschwächt und durch
die sich häufenden Unfälle entmutigt waren. Dazu kam,
dass die in der Stadt herrschende Not bei den Römern
fast noch grössere Niedergeschlagenheit erzeugte wie bei
den Bewohnern selbst, die nicht nur trotz ihrer entsetz-
lichen Leiden unnachgiebiger denn je geworden waren,
sondern auch immer wieder die Hoffnungen der Römer
vereitelten, indem sie gegen die Wälle durch List, gegen
1 V, 12, 4.
Go gle
Sechstes Buch, 1 . Kapitel.
557
die Maschinen durch die Festigkeit ihrer Mauern, im
Handgemenge durch ihre Tollkühnheit Vorteil über
Vorteil errangen. Und dann die Hauptsache: da die
Römer nun erkannt hatten, dass die Juden eine Seelen-
stärke besassen, die sie über Bürgerzwist, Hunger,
Krieg und so viele andere Drangsale sich hinwegsetzen
liess, kamen sie zu der Ansicht, dass die Kampflust
ihrer Gegner ebenso unüberwindlich sei wie deren Aus-
dauer im Unglück, und legten sich demgemäss die Frage
vor, was solche Menschen, vom Glück begünstigt, nicht
unternehmen würden, da schon das Missgeschick sie
immer trotziger mache. Diese Erwägungen veranlassten
die Römer denn auch , an den Dämmen noch stärkere
Wachtposten als früher aufzustellen.
3. Die Mannschaft des Joannes in der Antonia aber
sah sich nun ebenfalls für die Zukunft vor, wenn etwa
die Mauer durchbrochen werden sollte, und machte, noch
ehe die Widder in Wirksamkeit traten, einen Angriff
auf die Werke. Doch gelang ihnen das Unternehmen
diesmal nicht: sie brachen zwar mit Fackeln hervor,
zogen sich aber, bevor sie die Wälle erreicht hatten, um
eine Hoffnung ärmer wieder zurück. Vor allem ent-
behrte ihr Plan offenbar eines einheitlichen Zusammen-
wirkens, da sie in kleineren Haufen, die keine Fühlung
miteinander hatten, und ängstlich zaudernd, kurz gar
nicht in der sonstigen Art der Juden ihren Ausfall
machten; es mangelte eben an allem, was sie sonst
kennzeichnete, an Kühnheit, raschem Vorgehen, fest-
geschlossenem Angriff und an der Kunst, den Rücken
zu decken. Zudem mussten sie, während ihr eigener
Anlauf die frühere Energie vermissen liess , die Römer
in einer stärkeren Stellung als gewöhnlich sehen; die-
selben hatten nämlich mit ihren Leibern und Rüstungen
die Dämme so vollständig gedeckt, dass nirgends eine
Lücke zu bemerken war, wo man Feuer hätte anlegen
können, und jeder einzelne war fest entschlossen, lieber
zu sterben als seinen Posten aufzugeben. Alle ihre
Hoffnungen waren ja, wenn diese Werke ebenfalls in
558
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Flammen aufgingen, zunichte gemacht, und dann
empörte sich auch das Ehrgefühl der Soldaten bei dem
Gedanken, dass immer List über Tapferkeit, Tollheit
über Kriegskunst, Masse über Erfahrung, Juden über
Römer den Sieg davon tragen sollten. Die Geschütze, in
deren Bereich die Angreifer sich befanden, wirkten
übrigens kräftig mit: fiel dann einer derselben, so hielt
er seinen Hintermann auf, und die mit weiterem Vor-
dringen verbundene Gefahr nahm ihnen allen Mut. So
wandten sich denn von denen, die auf Schussweite her-
angekommen waren, die einen, ehe sie handgemein
wurden, aus Schrecken über die wohlgeordnete, dicht-
gedrängte Feindesschar zur Flucht, während andere
von Wurfspeeren verwundet sich zurückgezogen; schliess-
lich kehrten alle, indem sie sich gegenseitig Feiglinge
schalten, unverrichteter Sache wieder um. Dieser An-
griffsversuch fand am Neumond des Monats Panemos
statt. Kaum waren nun die Juden vertrieben , als die
Römer ihre Sturmböcke heranbrachten , obwohl sie von
der Antonia aus mit Felsstücken, Feuerbränden, eisernen
und allen möglichen anderen Geschossen, welche die
Not den Juden in die Hand gab, beworfen wurden. Die
letzteren suchten nämlich, so grosses Vertrauen sie auch
auf die Mauern setzten und so geringschätzig sie von
den Maschinen der Römer dachten, deren Annäherung
doch zu verhindern. Die Römer dagegen schrieben den
Eifer, mit dem ihre Gegner die Antonia vor den Stössen
der Maschinen zu schützen trachteten, der Schwäche
der Mauer zu und arbeiteten in der Hoffnung, die Fun-
damente möchten schadhaft sein , auch ihrerseits mit
äusserster Anstrengung ; dennoch wollten die getroffenen
Stellen nicht nachgeben. Wiewohl nun die Römer an-
haltend beschossen wurden , Hessen sie sich doch durch
die Gefahr, die ihnen von oben drohte, nicht im
mindesten abschrecken, sondern fuhren fort, die
Sturmböcke kräftig wirken zu lassen. Da sie aber
immer noch im Nachteil waren und namentlich
durch die Steinwürfe empfindlichen Verlust erlitten,
Sechstes Buch, 1 . Kapitel.
559
so bildeten einige von ihnen mit ihren Schilden ein
Schutzdach über sich , untergruben mit Händen und
Hebeln die Fundamente und brachen endlich mit un-
säglicher Mühe vier Quadern heraus. Unterdessen war
es dunkel geworden, und auf beiden Seiten ruhte nun
der Kampf. In der Nacht aber fiel die von den Sturm-
böcken erschütterte Mauer an der Stelle, wo Joannes
gegen die früheren Wälle einen unterirdischen Gang
gegraben hatte , auf einmal zusammen , indem die Mine
einsank.
4. Dieses Ereignis bewirkte hinsichtlich der beider-
seitigen Ermutigung das Gegenteil von dem, was man
hätte erwarten sollen. Die Juden nämlich, welche der
plötzliche Einsturz, gegen den sie keine Vorkehrungen
getroffen hatten, eigentlich hätte verzagt machen sollen,
waren gutes Mutes, weil doch’ die Antonia selber stehen
geblieben war; den Römern aber verdarb die unverhoffte
Freude über den Zusammenbruch der Mauer sogleich
wieder der Anblick einer zweiten, welche die Leute des
Joannes hinter der 7 eingestürzten errichtet hatten. Diese
neue Mauer war zwar, wie es schien, leichter zu er-
stürmen als die erste, einmal weil die Trümmer der
letzteren den Aufstieg erleichterten, und dann auch weil
man annahm , dass sie weit schwächer wie die Antonia
sei und als Gelegenheitsbau rasch zerstört werden könne ;
gleichwohl wagte sich niemand hinauf, weil die ersten,
die sie zu ersteigen versucht haben würden, dem sicheren
Verderben entgegengingen.
5. Titus versammelte nun in der Überzeugung, dass
die Kampfesfreudigkeit der Krieger vornehmlich durch
hoffnungerweckenden Zuspruch gehoben werde, und dass
Ermunterungen und Versprechungen oft die Gefahren
vergessen, ja manchmal den Tod verachten lehrten, die
tapfersten seiner Leute, um ihren Mut zu erproben, und
sprach also zu ihnen: „Kameraden! Eine Aufmunterung
zu gefahrlosen Unternehmungen bedeutet nicht nur eine
Beschimpfung derer, an die sie gerichtet wird, sondern
zieht auch dem, von welchem sie ausgeht, den Vorwurf
560
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
unmännlicher Gesinnung zu. Angefeuert werden muss
der Mensch, meine ich, nur zu gefährlichen Unterneh-
mungen, da die anderen ein jeder wohl aus eignem
Antrieb vollführen wird. Darum will ich selbst es
schlankweg zugeben : die Ersteigung der Mauer ist
schwierig, und nur das weiter ausführen, dass mit Schwie-
rigkeiten zu kämpfen gerade dem ziemt, der nach dem
Ruhm der Tapferkeit strebt, dass der Heldentod etwas
Herrliches ist, und dass die wackere That denen, die
sie zuerst wagen, nicht unbelohnt bleiben wird. Zu-
nächst nun soll euren Mut eben das anfeuern, was
manchen vielleicht abschrecken würde, ich meine die
Beharrlichkeit der Juden und ihre zähe Ausdauer im
Unglück. Es wäre doch eine Schande, wenn ihr als
Römer und als meine Soldaten, die ihr im Frieden
Krieg führen gelernt habt und im Kriege gewöhnt seid
zu siegen, an Kraft oder Mut euch von den Juden
übertreffen liesset, und zwar jetzt, da ihr den Sieg bei-
nahe in der Hand habt und des göttlichen Beistandes
euch erfreut. Unsere Unfälle sind ja nur Folgen des
verzweifelten Mutes der Juden; ihre Leiden dagegen
werden durch eure Tapferkeit und das Eingreifen der
Gottheit vergrössert. Denn Bürgerkrieg, Hungersnot,
Belagernng, Einsturz von Mauern ohne Zuthun der
Maschinen — was bedeutet das anders als Gottes Zorn
über sie, Gottes Hilfe mit uns? Uns wird man doch
hoffentlich nicht nachsagen, dass wir Schwächeren unter-
legen wären und dazu noch den Beistand Gottes von
der Hand gewiesen hätten! Wenn die Juden, denen
eine Niederlage darum nicht besonders schimpflich vor-
kommt, weil sie sich schon wiederholt in den Zustand
der Knechtschaft haben fügen müssen, dennoch, um
nicht wiederum in denselben zu geraten , den Tod ver-
achten und ein über das anderemal mitten in unsere
Scharen herein Ausfälle machen, nicht in der Hoffnung
auf Sieg, sondern lediglich um ihre Tapferkeit zu be-
weisen — wäre es da nicht schändlich, wenn wir, die
Beherrscher fast aller Länder und des Meeres, für die
Sechstes Buch, 1. Kapitel.
561
es schon eine Schmach bedeutet, wenn sie nicht in jedem
Falle den Sieg erringen, mit so gewaltiger Streitmacht
ruhig dasitzen und warten wollten, bis Hunger und
Elend mit unseren Feinden aufgeräumt haben , ohne
auch nur einmal einen recht kräftigen Schlag gegen sie
zu versuchen, da wir doch mit einem kleinen Einsatz
alles gewinnen können? Ersteigen wir die Antonia, so
haben wir die Stadt: denn wenn auch mit denen da
drinnen noch ein leichter Kampf sich entspinnen sollte,
was ich übrigens nicht glaube, so verbürgt uns doch die
hohe Lage unserer Stellung, vermöge deren wir den
Feind werden erdrücken können, einen raschen und voll-
ständigen Sieg. Ich will jetzt nicht den Tod in der
Schlacht preisen und die Unsterblichkeit derer, die im
heissen Kampfe fallen; wünschen aber möchte ich den
anders Gesinnten den friedlichen Tod auf dem Kranken-
bett, wo mit dem Leibe zugleich auch die Seele dem
Grabe verfallt. Denn wer wüsste nicht, dass die Seelen
der Tapferen , die im Schlachtgetümmel durchs Schwert
vom Leibe befreit worden sind, das reinste Element, der
Äther, aufnimmt und in Gestirne versetzt, von wo sie
als gute Geister und gnädige Heroen ihren Nachkommen
erscheinen , während die in kranken Körpern dahin-
siechenden , wenn sie auch noch so rein wären von
Sünden und Befleckung, die Nacht der Unterwelt ver-
hüllt, wo tiefe Vergessenheit sie umfangt und Leib,
Leben und Gedächtnis ihnen auf einmal genommen
wird? Hat überhaupt das Schicksal dem Menschen den
unvermeidlichen Tod bestimmt, und ist das Schwert ein
weit erträglicherer Diener dieses Schicksals als irgend
welche Krankheit: wäre es da nicht unedel, wenn wir
einem guten Zweck zu opfern uns weigerten, was wir
ja doch dem Schicksal einmal opfern müssen? Meine
Worte beruhten übrigens bisher auf der Voraussetzung,
dass die, welche den Angriff wagen, nicht lebendig
davonkommen würden; nun muss aber auch der andere
Fall erwogen werden, dass es nämlich tapferen Männern
gelingen kann, sich selbst aus der grössten Gefahr zu
Josephus, JUdiacher Krieg. 36
562
Josephas, Geschichte des Jüdischen Krieges.
retten. Die Trümmer sind ja zunächst nicht schwer zu
ersteigen; ist das aber einmal geschehen, so wird der
Neubau mit Leichtigkeit zerstört werden können. Geht
ihr also in grösserer Anzahl mit frischem Mut an die
Sache heran, so werdet ihr euch gegenseitig aufmuntern
und unterstützen, und es wird dann euer entschlossenes
Vorgehen gar schnell den Dünkel der Feinde brechen.
Vielleicht wird euch sogar das Gelingen des Unter-
nehmens keinen Tropfen Blut kosten, wofern ihr es nur
richtig angreift. Natürlich werden sie euch während
des Hinaufsteigen s mit aller Kraft abzuwehren suchen;
habt ihr aber einmal, sei es mit List, sei es mit Gewalt,
das Ziel erreicht, so werden sie euch keinen Widerstand
mehr leisten, selbst wenn ihr anfänglich nur zu wenigen
sein solltet. Ich meinerseits werde es als Ehrensache
betrachten, denjenigen von euch, der zuerst die Mauer
ersteigt, durch entsprechende Belohnungen zum Gegen-
stand des Neides zu machen: bleibt er am Leben, so
soll er über die, die jetzt seinesgleichen sind, befehlen;
aber auch das Andenken der Gefallenen werde ich aufs
glänzendste ehren.“
6. Während dieser Ansprache des Titus schreckte das
Heer noch immer vor der Grösse der Gefahr zurück;
nur einer von denen , die in den Kohorten dienten , ein
geborener SyrerJNamens Sabinus, bewies sich als tapferer
und unerschrockener Krieger, obwohl man ihn, wenn
man ihn nur so ansah, seinem Äusseren nach kaum für
einen rechten Soldaten hätte halten sollen. Er war
nämlich schwarz von Hautfarbe, dabei hagerund sehnig;
aber in dem schmächtigen, für die Fülle seiner Kraft
viel zu winzigen Körper wohnte eine echte Helden seele.
Dieser Mann also erhob sich vor allen anderen und
sprach: „Willig opfere ich mich dir, Caesar, und der
erste will ich sein, der die Mauer ersteigt; nur wünsche
ich mir zu meinem Mut und guten Willen noch dein
Glück hinzu. Sollte es mir aber nicht vergönnt sein,
meinen Anschlag durchzuführen, so wisse, dass der
Misserfolg mir nicht unerwartet kam, sondern dass ich
Sechstes Buch, 1. Kapitel.
563
aus freiem Entschluss den Tod für dich gewählt habe/*
Als er so gesprochen , hielt er mit der Linken den
Schild über seinen Kopf, zog mit der Rechten das
Schwert und ging — etwa um die sechste Stunde des
Tages — auf die Mauer zu. Von den übrigen folgten
ihm nur elf Mann, die es ihm an Tapferkeit gleichthun
wollten; er aber stürmte, wie von einer höheren Macht
getrieben, allen voran. Die Posten auf der Mauer
warfen mit Speeren nach ihnen, überschütteten sie auf
allen Seiten mit einem Hagel von Geschossen und
wälzten ungeheure [Stein blocke auf sie herab, welche
einige von den elfen mit fortrissen. Sabinus jedoch
warf sich mutig den Geschossen entgegen, und obwohl
er unter dem Pfeilregen fast verschwand, hielt er nicht
eher ein, als bis er oben auf der Mauer angelangt war
und die Feinde vertrieben hatte. Die Juden nämlich
wandten sich voll Schrecken über seine Kraft und
Geistesgegenwart zur Flucht; auch glaubten sie nicht
anders, als dass noch mehrere mit ihm die Höhe er-
klommen hätten. Aber hier war wieder ein Fall, wo
man dem Schicksal grollen möchte, weil es so neidisch
ist auf die Tapferkeit und ausserordentliche Helden-
thaten stets zu vereiteln sucht. Denn als dieser wackere
Mann sein Unternehmen zu Ende geführt hatte, glitt
er aus, strauchelte über einen Stein und fiel vornüber
mit hörbarem Geräusch auf denselben hin. Die Juden
machten nun wieder kehrt, und da sie ihn verlassen am
Boden liegen sahen, setzten sie ihm von allen Seiten
mit Geschossen zu. Er aber stemmte sich aufs Knie
und verteidigte sich noch eine Zeitlang mit vorgehaltenem
Schild, wobei er mehreren von denen, die ihm nahe
kamen, Hiebe beibrachte; endlich jedoch liess er, über
und über mit Wunden bedeckt, die Rechte sinken und
gab, unter Pfeilen fast vergraben, den Geist auf. Um
seiner Tapferkeit willen hätte man dem' Braven wohl
ein besseres Los wünschen können; freilich war sein
Beginnen derart, dass er dabei fallen musste. Von den
elfen töteten die Juden noch drei, die gleichfalls bereits
36 *
Go gle
564
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
die Höhe erstiegen hatten, durch Stein würfe, während die
übrigen acht, allerdings verwundet, geborgen und ins
Lager geschafft werden konnten. Das geschah am dritten
des Monats Panemos.
7. Zwei Tage nachher thaten sich einige der auf den
Dämmen postierten Wachmannschaften, zwanzig an der
Zahl, zusammen und rückten , nachdem sie zuvor auch
noch den Adlerträger der fünften Legion, zwei Mann
aus den Reiterschwadronen und einen Trompeter für ihr
Unternehmen gewonnen, um die neunte Stunde der
Nacht in aller Stille über die Trümmer auf die Antonia
los, töteten die vordersten Posten, welche im Schlafe
lagen, besetzten die Mauer und Hessen den Trompeter
das Signal blasen. Daraufhin erhoben sich sogleich die
übrigen Wachtposten und flohen davon, ohne sich nach
der Zahl der Angreifer umzusehen; denn der Schreck
und das Trompetensignal hatten in ihnen den Wahn er-
regt, die Feinde seien in Masse heraufgeklettert Der
Caesar hatte nicht sobald das Signal vernommen, als er
das Heer in Eile sich waffnen liess und mit den Offi-
zieren an der Spitze einer auserlesenen Schar zuerst die
Burg hinanstieg. Da nun die Juden sich in den Tempel
zurückzogen , drangen die Römer ebenfalls ein , und
zwar durch den unterirdischen Gang, den Joannes gegen
die Wälle der Römer geführt hatte. Die Empörer aber
wehrten sich, obwohl sie in zwei feindliche Parteien
unter Joannes und Simon gespalten waren, dennoch
gegen die Römer gemeinschaftlich mit einem Aufwand
von Kraft und Mut, der nicht grösser hätte sein können;
denn sie sahen wohl ein, dass mit der Besetzung des
Heiligtums durch die Römer das Schicksal der Stadt
besiegelt sein würde, wie umgekehrt die Römer darin
den Anfang ihres Sieges erblickten. So entspann sich
denn an den Thoren ein harter Kampf, indem die
Römer sich den Eingang zu erzwingen und damit, den
Tempel in Besitz zu nehmen, die Juden hingegen die
Römer in die Antonia hineinzudrängen suchten. Von
Schusswaffen und Wurfspeeren konnte man beiderseits
Sechstes Buch, 1. Kapitel.
565
keinen Gebrauch machen; vielmehr musste Mann gegen
Mann mit dem Schwert kämpfen. Bald war auch in
der Hitze des Gefechtes nicht mehr zu unterscheiden,
auf welcher Seite der einzelne stritt, da die Krieger
eine einzige wirre Masse bildeten, im Gedränge sich
gegeneinander verschoben und den Zuruf ihrer Kame-
raden wegen des allgemeinen Getöses nicht verstehen
konnten. Hüben wie drüben floss viel Blut, und die
Kämpfenden zertraten den Gefallenen Glieder und
Rüstungen. Je nachdem nun die Wagschale bei einem
der streitenden Teile stieg oder sank, erscholl das auf-
munternde Geschrei der im Vorteil Befindlichen oder
das Klagegeheul der Weichenden. Übrigens war weder
Raum zur Flucht noch zur Verfolgung da, und so
wogte der Kampf unter steigender Verwirrung unent-
schieden hin und her. Wer ganz nach vorn geschoben
wurde, musste entweder töten oder sich töten lassen, da
an Flucht nicht zu denken war; denn die Nachrückenden
drängten ihre eigenen Leute immer weiter vorwärts und
Hessen nicht den kleinsten Zwischenraum zwischen den
Streitenden. Endlich gewann der wilde Mut der Juden
über die kriegskundigen Römer die Oberhand, und der
Kampf neigte sich auf allen Punkten dem Ende zu,
nachdem er von der neunten Stunde der Nacht bis zur
siebenten des Tages 1 gedauert hatte. Auf seiten der
Juden war die ganze Streitmacht, die im Hinblick auf
die drohende Eroberung der Stadt sich zur grössten
Tapferkeit an gespornt fühlte, im Gefecht gewesen, bei
den Römern aber nur ein Teil des Heeres, da die Le-
gionen, auf welche die Kämpfenden ihre Hoffnung
setzten, die Burg noch nicht erstiegen hatten. Aus
diesem Grunde begnügten sich auch die Römer vorläufig
mit der Besetzung der Antonia.
8. Als nun der Centurio Julianus, ein Bithynier von
nicht unedler Abkunft und, was Kriegserfahrung, Körper-
stärke und Geistesgegenwart betraf, der ausgezeichnetste
1 D. i. von 3 Uhr nachts bis 1 Uhr nachmittags.
566
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Mann, den ich in jenem Kriege kennen lernte, die
Römer weichen und sich nur noch schwach verteidigen
sah, sprang er von der Antonia her, wo er an Titus’
Seite stand, vor und trieb die schon siegreichen Juden
in eine Ecke des inneren Tempelhofes zurück. Die
ganze Masse der Feinde floh vor ihm, da seine Starke
und Kühnheit ihnen übermenschlich vorkam. Er aber
fuhr mitten unter den Zersprengten von einer Seite zur
anderen und stiess nieder, was ihm in die Quere kam
— ein Anblick ebenso erstaunlich [für den Caesar wie
schaudererregend für die übrigen. Doch auch ihn
verfolgte das Schicksal, dem kein Sterblicher entrinnen
kann. Gleich den übrigen Soldaten trug er Schuhe, die
mit scharfen Nägeln dicht beschlagen waren * ; indem
er nun über das Pflaster dahinrannte, glitt er aus und
fiel rücklings nieder. Das laute Klirren seiner Rüstung
gab den Fliehenden das Zeichen zur Umkehr. Sogleich
erhoben die Römer auf der Antonia aus Besorgnis für
den Mann ein lautes Geschrei; die Juden aber um-
ringten ihn in dichten Haufen und stiessen*von allen
Seiten mit Speeren und Schwertern auf ihn los. Manchen
Stoss fing er mit dem Schilde auf und versuchte zu
wiederholten Malen, sich zu erheben ; aber immer wieder
wurde er von der Überzahl der auf ihn Einhauenden
zu Boden geschlagen. Doch selbst als er dalag, ver-
wundete er noch viele seiner Gegner mit dem Schwert.
Es währte nämlich geraume Zeit, bis er getötet wurde,
weiUer den Nacken einzog und alle [tödlich verwundbaren
Stellen durch Helm und Panzer gedeckt waren ; erstmals
man ihm die Glieder abgehauen hatte und*niemand~ilim
Hilfe zu bringen * wagte , erlag er. Inniges Mitgefühl
empfand der Caesar, als er diesen heldenmütigen Mann
vor den Augen so vieler" Krieger niedermachen sah - Er
selbst wäre ihm gern beigesprungen, doch die örtlich -
1 S. die Abbildung eines solchen Schuhes bei Lindenschmit :
Tracht und Bewaffnung des römischen Heeres während der Kaiser-
zeit, Tafel XII.
Go gle
Sechstes Bach, 2. Kapitel.
567
keit machte es ihm unmöglich; die aber, welche es
hätten thun sollen, lähmte der Schreck. Endlich wurde
Julianus, der fast allen seinen Mördern Wunden bei-
gebracht hatte, nach hartem Todeskampf mit Mühe
vollends umgebracht und hinterliess nicht nur bei den
Römern und dem Caesar, sondern auch bei seinen
Feinden ein ruhmreiches Andenken. Die letzteren rissen
nun den Leichnam an sich, schlugen die Römer aber-
mals zurück und beschränkten sie auf die Antonia. Es
hatten sich auf seiten der Juden in diesem Gefecht be-
sonders hervorgethan : Alexas und Gyphthaeus von der
Schar des Joannes; von der des Simon: Malachias,
Judas, des Merton Sohn, und Jakobus, des Sosas Sohn,
der Anführer der Idumäer ; von den Zeloten endlich zwei
Brüder Simon und Judas, die Söhne des Ari.
Zweites Kapitel.
Titus lässt die Antonia schleifen. Kämpfe um den
Tempel.
1. Der Caesar gab nun seinen Soldaten Befehl, die
Grundmauern der Antonia zu zerstören, um dem ganzen
Heere den Zugang zum Tempel zu erleichtern. Da er
übrigens an diesem Tage — es war der siebzehnte des
Monats Panemos — erfahren hatte, dass das Opfer,
welches tagtäglich der Gottheit dargebracht wurde, 1 aus
Mangel an Männern zum grossen Leidwesen des Volkes
eingestellt worden sei, bescbied er den Josephus zu sich
und trug ihm auf, dem Joannes ähnlich wie früher vor-
zustellen, er möge, wenn gar so schlimme Kampflust
ihn beseele, mit einer beliebigen Anzahl Streiter hervor-
treten, ohne die Stadt und den Tempel mit sich ins Ver-
derben zu reissen, und endlich auf hören, das Heiligtum
zu beflecken und gegen Gott zu freveln. Es solle ihm
1 S. J. A. III, 10, 1; 2. Mos. 29, 38-42.
568
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
indes freistehen, den unterbrochenen Opferdienst durch
irgendwelche Juden, die er dazu bestimmen möge, wieder
aufnehmen zu lassen. Josephus stellte sich so auf, dass
er nicht von Joannes allein, sondern auch von der
Menge gehört werden konnte, verkündete das, was Titus
ihm aufgetragen, in hebräischer Sprache und fügte noch
die inständige Bitte hinzu, sie möchten doch die Vater*
Stadt schonen, das Feuer, das gleichsam den Tempel
schon belecke, abwehren und Gott die täglichen Opfer
wieder darbringen. Diese Worte nahm das Volk mit
trauervollem Schweigen entgegen; der Tyrann aber über-
häufte Josephus mit Schmähungen und Flüchen und er-
klärte schliesslich, er fürchte die Eroberung nun und
nimmer, denn die Stadt stehe unter Gottes Schutz. Als
Antwort rief ihm Josephus mit lauter Stimme zu:
„Freilich, du hast ja diese Stadt der Gottheit rein be-
wahrt, und das Heiligtum ist immer noch unbefleckt;
gegen den, auf dessen Beistand du pochst, hast du natür-
lich nicht das mindeste verbrochen, und er empfängt
von dir die hergebrachten Opferspenden ! Wenn jemand
dir, ruchloser Mensch, dein tägliches Brot wegnimmt, so
siehst du in ihm deinen Feind; und nun wähnst du an
dem Gott, dem du seinen uralten Dienst geraubt, einen
Bundesgenossen im Kampfe zu haben, und willst deine
Frevel den Römern zur Last legen, die noch heute
unsere Gesetze achten und darauf dringen, dass die von
dir abgesch afften Opfer der Gottheit wieder dargebracht
werden? Wer sollte da nicht über die unnatürliche
Veränderung, die sich in der Stadt vollzogen hat, jammern
und wehklagen? Freunde und Feinde suchen wieder
gut zu machen, was du gegen Gott gefrevelt, während
du selber, ein Jude, der unter dem Gesetz aufgewachsen
ist, schlimmer gegen das Gesetz wütest, als ein Feind
dies vermöchte. Aber auch noch im letzten Augenblick
von seinem sündhaften Wandel sich bekehren, ist keine
Schande, Joannes, und zu dem Entschluss, die Stadt zu
retten, sollte dich das schöne Beispiel unseres Königs
Jechonias reizen, der seinerzeit, als der Babylonier gegen
Sechstes Bach, 2. Kapitel.
569
ihn mit Heeresmacht heranzog, freiwillig die Stadt ver-
ließs und sich mit seiner Familie in selbstgewählte
Kriegsgefangenschaft begab, 1 um nicht diese ehrwürdige
Statte den Feinden überantworten und das Gotteshaus
einäschern lassen zu müssen. Darum wird er auch bei
allen Juden in einem heiligen Liede gefeiert, und sein
Gedächtnis, von Jahrhundert zu Jahrhundert sich er-
neuernd, bleibt unsterblich bis auf die spätesten Ge-
schlechter. Ein herrliches Vorbild fürwahr, Joannes,
selbst wenn Gefahr mit dessen Nachahmung verbunden
sein sollte 1 Nun verbürge ich dir aber auch noch Be-
gnadigung von seiten der Römer. Bedenke, dass ich als
Landsmann zu dir rede und als Jude dir diese Zu-
sicherung gebe, und du musst darauf achten, von wem
und in welchem Sinne dir ein Rat erteilt wird! Traun,
ich werde nie in meinem Leben so ganz Kriegs-
gefangener sein, dass ich mein Volk verleugnete und
mein Vaterland vergässe! Schon wieder aber
tobst du gegen mich und überhäufst mich mit deinen
Schmähungen! Nein, ich verdiene noch Härteres, weil
ich dem Schicksal zum Trotz noch mit Ermahnungen
komme und Menschen , die von Gott verworfen sind,
mit Gewalt retten will ! Wer kennt nicht die Schriften
der alten Propheten und den Orakelspruch wider diese
unglückliche Stadt, dessen Erfüllung jetzt bevorsteht?
Dann, weissagten sie, werde Jerusalem zu Grunde
gehen, wenn jemand anfange, das Blut seiner Volks-
genossen zu vergiessen. Ist nun nicht die Stadt und
der ganze Tempel voll von Leichen derer, die ihr er-
mordet habt? Gott also, Gott selbst führt mit den
Römern das Feuer heran, das den Tempel läutern soll,
und vertilgt die mit so schändlichen Greueln belastete
Stadt !“
2. So sprach Josephus unter Weinen und Wehklagen
und vermochte endlich vor Schluchzen nicht weiter zu
reden. Die Römer hatten Mitleid mit seinem Schmerz
1 S. J. A. X, 7, 1 ; 2. Könige 24, 12.
570 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
und achteten seinen guten Willen ; Joannes und seine
Spiessgesellen aber zeigten sich nur um so erbitterter
gegen die Körner und brannten vor Verlangen, sich der
Person des Josepbus zu bemächtigen. Viele vornehme
Juden jedoch wurden durch seine Kede gerührt, und
während einige von ihnen, obwohl sie nun ihr eigenes
Verderben wie das der Stadt vor Augen sahen,
an Ort und Stelle blieben , erspähten andere eine
günstige Gelegenheit zu gefahrloser Flucht und gingen
zu den Römern über. Unter den letzteren befanden sich
die Hohepriester JoBephus und Jesus, deren Väter
gleichfalls diesem Stande angehörten, ferner drei Söhne
eines gewissen Ismael, der zu Kyrene enthauptet worden
war, vier Söhne von Matthias und ein Sohn jenes
anderen Matthias, der, nachdem sein Vater und seine
drei Brüder von Simon, dem Sohne des Gioras, ermordet
worden waren, allein, wie oben erzählt , 1 mit dem Leben
davongekommen war. Zugleich mit den Hohepriestern
flohen auch noch viele andere Vornehmen zu den
Körnern. Der Caesar nahm sie nicht nur von vorn-
herein freundlich auf, sondern liess sie sogar, weil er
wusste, dass sie sich unter einem Volk von fremden
Sitten nicht behaglich fühlen würden, nach Gophna
ziehen, wo sie vorläufig bleiben sollten ; sobald der Krieg
ihn weniger in Anspruch nähme, wolle er einem jeden
sein Vermögen zurückerstatten. Wohlgemut und in
aller Sicherheit begaben sie sich in das ihnen an-
gewiesene Städtchen. Da sie aber nun nicht mehr zu
sehen waren, streuten die Empörer — natürlich in der
Absicht, die übrigen von der Flucht abzuschrecken —
abermals das Gerücht aus, die Überläufer seien von den
Feinden niedergemacht worden. Eine Zeitlang war
denn auch diese List , wie bereits früher , 2 von Erfolg
begleitet, da die Leute in der That durch Furcht sich
abhalten Hessen, zu den Römern überzugehen.
1 S. V, 13, 1.
2 S. V, 11, 2.
Go gle
Sechstes Bach, 2. Kapitel.
571
3. Später aber, als Titus die Männer aus Gophna
zurückkommen und in Begleitung des Josephus vor den
Augen des Volkes rings um die Mauer gehen liess,
flohen die Juden abermals in Menge zu den Römern.
Zu einer grossen Schar vereinigt, stellten sie sich nun
alle vor der römischen Linie auf und flehten unter
Seufzern und Thränen die Empörer an, sie möchten die
ganze Stadt den Römern öffnen und ihr Vaterland noch
einmal retten, oder doch wenigstens den Tempel gänzlich
räumen und ihn dem Volke erhalten; denn nur im
äussersten Notfall würden die Römer es wagen, das
Heiligtum in Brand zu stecken. Das aber versetzte die
Empörer in noch grössere Wut: sie erwiderten die Vor-
stellungen der Überläufer mit groben Schmähungen und
pflanzten über den heiligen Thoren die Skorpionen,
Katapulten und Ballisten auf, sodass der Tempel selbst
wie eine Festung aussah, während die geweihten Räume,
die ihn umgaben, wegen der Menge der daselbst auf-
gehäuften Leichen einem Totenacker glichen. Im
Heiligtum wie im Allerheiligsten trieben sie sich, die
Hände noch dampfend vom Blut ihrer ermordeten Mit-
bürger, bewaffnet umher und begingen derartige Greuel-
thaten, dass die Römer einen gewaltigen Abscheu vor
den Juden empfanden, die so gegen ihre eigenen Heilig-
tümer frevelten — einen Abscheu, wie ihn die Juden
nicht stärker hätten hegen können, wenn die Römer mit
gleicher Brutalität gegen sie selbst vorgegangen wären.
Denn nicht einmal unter den gemeinen Soldaten fand
sich einer, der nicht mit Ehrfurcht und heiligem Schauer
und mit dem Wunsche, dass die Räuber vor dem Ein-
tritt unheilbaren Unglücks noch anderen Sinnes werden
möchten, zum Tempel emporgeblickt hätte.
4. Im überwallenden Drange seines Gefühls rief nun
der Caesar nochmals der Rotte des Joannes die vor-
wurfsvollen Worte zu: „Habt nicht ihr, verruchte
Frevler, jenes Gitter um das Heiligtum gezogen ? Habt
nicht ihr an demselben jene Säulen errichtet, auf denen
in griechischer und römischer Sprache das Verbot, die
572
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Schranke zu überschreiten, eingegraben steht? Und
haben nicht wir euch gestattet, den Übertreter dieser
Vorschrift, selbst wenn es ein Römer war, mit dem Tode
zu bestrafen ? Jetzt aber tretet ihr Bösewichte in jenen
Raumen auf Leichen herum und besudelt den Tempel
mit dem Blute von Fremden wie von Einheimischen!
Ich rufe die Götter meines Landes und den, der früher
einmal auf diese Stadt gnädig herabsah (denn jetzt,
glaube ich, thut er’s nimmer), ich rufe mein Heer, die
bei mir weilenden Juden und euch selbst zu Zeugen auf,
dass ich euch nicht zwang, diese Stätte zu entweihen ;
und wenn ihr einen anderen Kampfplatz wählen wollt,
so wird kein Römer das Heiligtum betreten oder
schänden. Den Tempel erhalte ich euch selbst gegen
euren Willen.“
5. Als Josephus ihnen dies aus dem Munde des
Caesars verkündete, trugen die Räuber und der Tyrann
in dem Wahn, dass nicht Wohlwollen, sondern Feigheit
die Worte eingegeben habe, übermütigen Hohn zur
Schau. Da erkannte Titus, dass diese Menschen weder
Mitleid mit sich selbst fühlten noch irgendwelche Sorge
um den Tempel hegten, und ging demgemäss, wiewohl
ungern, wieder zu kriegerischen Massregeln über. Ihnen
mit der ganzen Streitmacht zu Leibe zu rücken, war
freilich, weil der Tempelraum dieselbe nicht fassen
konnte, unmöglich; er wählte daher aus jeder Centurie
die dreissig tapfersten Soldaten aus, wies je tausend
einem Tribun zu, unterstellte diese wieder dem Ober-
kommando des Cerealis und gab Befehl, um die neunte
Stunde der Nacht die Wachen zu überfallen. Auch er
selbst warf sich in die Rüstung, entschlossen, den Kampf
mitzumachen; seine Freunde aber suchten, unterstützt
von den Offizieren, ihn unter Hinweis auf die Grösse
der Gefahr zurückzuhalten. Er werde, der Sache mehr
nützen, meinten sie, wenn er ruhig auf der Antonia
bleibe und den Soldaten gegenüber das Amt des Kampf-
richters versehe, als wenn er hinabsteige und im
Schlachtgetümmel voranschreite ; unter den Augen ihres
Sechstes Buch, 2. Kapitel.
573
Feldherrn würden ja alle sich als wackere Streiter er-
weisen. Diesen Vorstellungen gab Titus nach und er-
klärte den Soldaten , nur darum wolle er Zurückbleiben,
damit er ihr Verhalten beurteilen könne, und damit kein
Tapferer mit Belohnungen, kein Feiger mit Strafen
übergangen werde; denn er, der die Macht habe, zu
strafen und zu belohnen, müsse sich selbst davon über-
zeugen, wie sie die Sache angreifen würden. So entliess
er denn um die angegebene Stunde die zur Aus-
führung des Anschlages bestimmte Mannschaft und
begab sich selbst auf die Warte der Antonia, wo
er der Entwicklung des Kampfes mit Spannung ent-
gegensah.
6. Die Wachen lagen übrigens nicht, wie die An-
greifer gehofft hatten, im Schlafe, sondern sprangen mit
lautem Geschrei auf und begannen unverzüglich das
Handgemenge. Auf den Hilferuf der Vorposten stürzten
dann auch die übrigen in dichten Haufen aus dem
Innern hervor. Den Anprall der ersten hielten die
Börner aus; die nachfolgenden Juden aber warfen sich
auf ihre eigenen Leute, und viele wurden von ihren
Kameraden als Feind« behandelt. Am Schlachtruf ein-
ander zu erkennen, war wegen des beiderseitigen ver-
worrenen Geschreis nicht möglich, und den Gebrauch
der Augen verhinderte die Nacht, abgesehen davon, dass
die einen ihre Wut, andere die Furcht blind machte.
Deshalb hieb man ohne weiteres drauf los, mochte es
treffen, wen es wollte. Die Römer, welche ihre Schilde
dicht aneinander schlossen und in geordneten Ab-
teilungen vorgingen, litten durch diese Verwirrung
weniger; denn jeder von ihnen kannte sein Losungswort.
Die Juden aber, die sich immer wieder zerstreuten und
•planlos bald vordrangen, bald zurückwichen, hielten sich
nicht selten gegenseitig für Feinde, und mancher
empfing in der Dunkelheit den fliehenden Freund wie
einen angreifenden Römer. Auf diese Weise wurden
mehr Juden von ihren eigenen Landsleuten wie von den
Feinden verwundet, bis endlich der Tag graute und die
574
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Kämpfer einander zu erkennen vermochten : Da erst
schieden sie sich in Gefechtskolonnen, und Angriff wie
Verteidigung erfolgte nach den Regeln der Taktik. Auf
beiden Seiten ward nun mit gleicher Ausdauer und
Zähigkeit gestritten: bei den Römern, die sich von
Titus beobachtet wussten, wetteiferte Mann mit Mann,
Abteilung mit Abteilung, und jeder hoffte, dieser Tag
werde ihm, wenn er tapfer kämpfe, eine Beförderung
bringen; die Juden anderseits fühlten sich nicht nur
durch die Sorge um ihr eigenes Leben und das
Heiligtum , sondern auch durch die Gegenwart des
Tyrannen aufgestachelt , der sie bald durch Zu-
spruch, bald durch Geisseih iebe und Drohungen an-
feuerte. So kam es, dass der Kampf fast auf ein
und denselben Punkt beschränkt blieb und nur selten
auf kleinere Strecken sich verschob; denn keiner der
streitenden Teile hatte Raum zur Flucht oder zur Ver-
folgung. Bei jeder Wendung des Gefechtes erscholl der
lärmende Zuruf der Römer auf der Antonia, die ihren
Kameraden zujubelten, wenn sie im Vorteil waren, oder
auch sie ermunterten, standzuhalten, wenn sie sich
wandten. Es war wie ein Schaugefecht ; denn kein
Zwischenfall des Kampfes entging dem Caesar und
seiner Umgebung. Endlich trennten sich die Streiten-
den, die den Kampf in der neunten Stunde der Nacht
begonnen hatten, nach der fünften des Tages; keiner
der beiden Teile hatte den anderen zum Weichen ge-
bracht, und so blieb der Ausgang des Treffens zweifel-
haft. Von den Römern hatten sich viele im Kampf
hervorgethan ; auf seiten der Juden von der Schar Si-
mons: Judas , des Merton, und Simon, des Josias Sohn,
von den Idumäern: Jakobus, des Sosas, und Simon, des
Kathlas Sohn, von den Leuten des Joannes: Gyph-
thaeus und Alexas, von den Zeloten Simon, der Sohn
des Ari.
7. Unterdessen hatte der übrige Teil des Römerheeres
nach siebentägiger Arbeit die Grundmauern der Antonia
zerstört und einen breiten Weg zum Tempel hinauf ge-
Sechstes Buch, 2. Kapitel.
575
ebnet. Auf diese Weise der ersten Ringmauer nahe ge-
kommen, begannen die Legionen Wälle zu bauen, einen
gegenüber der nordwestlichen Ecke des inneren Vor-
hofes, den zweiten in der Nähe der nördlichen Galerie
zwischen den beiden Thoren, den dritten an der west-
lichen Halle des äusseren Vorhofes, den vierten aussen
bei der nördlichen Halle. Der Bau dieser Werke war
jedoch mit grosser Mühe und vielen Schwierigkeiten
verknüpft, und dabei mussten sie noch das Baumaterial
aus einer Entfernung bis zu hundert Stadien herbei-
s ch affen. Zuweilen litten auch die Römer, wenn sie in
dem Gefühl ihrer Überlegenheit die nötige Vorsicht ver-
gassen, durch feindliche Hinterhalte, während anderseits
die Juden immer tollkühner sich benahmen. Manche
Reiter zum Beispiel Hessen, wenn sie auszogen, um
Holz oder Futter zu holen, so lange sie damit be-
schäftigt waren, ihre Pferde losgezäumt weiden, welche
dann von den scharenweise hervorbrechenden Juden ab-
gefangen wurden. Da der Fall sich öfter wiederholte,
glaubte der Caesar, dass, wie es auch wirklich zutraf,
mehr die Nachlässigkeit seiner eigenen Krieger als die
Tapferkeit der Juden an diesen Verlusten schuld sei,
und beschloss daher, durch strenges Einschreiten die
Leute zu besserer Bewachung ihrer Pferde anzuhalten.
Als nun wieder einer der Soldaten so beraubt worden
war, liess er ihn hinrichten und bewirkte durch dieses
abschreckende Beispiel, dass die übrigen ihre Pferde in
Obacht nahmen: sie Hessen sie von da an nicht mehr
frei weiden , sondern ritten zu jenen Verrichtungen aus,
als wären sie mit den Tieren fest verwachsen. In der
oben erwähnten W eise belagerten also die Legionen den
Tempel durch Aufwerfen von Wällen.
8. Einen Tag nach der Besetzung der-Antonia durch
die Römer rotteten sich die Empörer, vom Hunger ge-
drängt, den sie mit dem Ertrag ihrer Räubereien nicht
mehr zu stillen vermochten, in Masse zusammen und
machten um die elfte Stunde des Tages einen Ausfall
auf die römische Vorpostenkette am ölberg. Sie ge-
576 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
dachten dieselbe mit leichter Mühe zu durchbrechen
da sie die Soldaten unvorbereitet und mit der Pflege
ihres Körpers beschäftigt anzutreffen wähnten. Die
Römer aber hatten ihre Annäherung rechtzeitig bemerkt
und liefen von den nahen Posten schnell zusammen, um
ihnen das Übersteigen des Walles und den gewaltsamen
Durchbruch zu verwehren. Es entspann sich nun ein
hitziges Gefecht, in welchem beiderseits manche kühne
That vollbracht wurde: die Römer suchten ihre Kraft
und Geschicklichkeit, die Juden ihr wildes Ungestüm
und ihre schrankenlose Wut zur Geltung zu bringen.
Jene stachelte das Ehrgefühl, diese die Not. Diesmal
die Juden, die schon wie in einem Netz gefangen sassen,
entschlüpfen zu lassen, dünkte den Römern die grösste
8chande; die Juden hingegen hatten nur dann Aussicht
auf Rettung, wenn sie die Ringmauer mit Gewalt durch-
brachen. Bei dieser Gelegenh eit zeichnete sich besonders
ein Reiter Namens Pedanius aus. Als nämlich die
Juden sich schon zur Flucht wandten und in das Thal
hinabgedrängt wurden , sprengte derselbe in scharfem
Galopp von der Seite herbei, fasste einen der fliehenden
Feinde, einen kräftig gebauten und gut bewaffneten
Jüngling, an der Ferse und jagte mit ihm davon —
so tief hatte er sich von seinem in vollem Lauf befind-
lichen Pferde herab gebeugt und damit nicht nur die ge-
waltige Kraft seiner Arme und seines übrigen Körpers,
sondern auch seine hohe Gewandtheit im Reiten be-
kundet. Wie wenn er ein Kleinod geraubt hätte, brachte
er den Gefangenen zum Caesar. Dieser zollte der Kraft
des Mannes, der das Kunststück fertig gebracht hatte,
seine Bewunderung; den Jüngling aber liess er wegen
seiner Teilnahme an dem Angriff auf die Mauer hin-
richten. Alsdann wandte er seine Aufmerksamkeit
wieder den Kämpfen um den Tempel und dem Bau der
Wälle zu.
9. Da nun die Juden in den Gefechten fortgesetzt
schwere Verluste erlitten, und da die immer höher
steigende Kriegsnot bereits an die Thore des Tempels
Sechstes Bach, 2. Kapitel.
577
pochte, schnitten die Belagerten, wie man bei einem
brandigen Körper zu thun pflegt, die schon angesteckten
Glieder ab, um die Ausbreitung der Krankheit zu ver-
hüten — das heisst, sie zündeten die nordwestliche
Tempelhalle an der Stelle, wo sie mit der Antonia zu-
sammenhing, an und rissen sie noch auf eine weitere
Strecke von zwanzig Ellen ein. Die Juden waren es
also, die zuerst mit eigenen Händen den Feuerbrand an
die heiligen Gebäude legten. Zwei Tage nachher, am
vierundzwanzigsten des obengenannten Monats, äscherten
die Römer die daneben befindliche Halle ein, und als
die Flammen bereits fünfzehn Ellen weit um sich ge-
griffen hatten, deckten die Juden das Dach ab und zer-
störten, ohne dem Feuer irgendwie Einhalt zu thun,
alles, was zwischen ihnen und der Antonia lag, wiewohl
sie die Einäscherung hätten verhindern können. Ruhig
sahen sie dem Feuer zu und Hessen es seine Ver-
heerungen anrichten, soweit dies für sie von Nutzen
war. Mittlerweile hörten übrigens die Gefechte in der
Nähe des Tempels nicht auf, sondern es fanden dort
beständig Scharmützel zwischen kleineren Abteilungen
statt.
10. In diesen Tagen trat aus der Mitte der Juden
ein Mann Namens Jonathas, klein von Gestalt und un-
ansehnlich, seiner Herkunft und auch seinen übrigen
Verhältnissen nach unbedeutend, bei dem Grabmal des
Hohepriesters Joannes hervor, erging sich in über-
mütigen Reden gegen die Römer und forderte den
Tapfersten von ihnen zum Zweikampf heraus. Die
meisten der dort aufgestellten Soldaten hielten ihn nicht
der Beachtung wert; manche fürchten sich auch wohl
vor ihm; anderen kam der vernünftige Gedanke, mit
einem, der den Tod suche, dürfe man sich in keinen
Kampf einlassen, weil Verzweifelnde masslos ungestüm
seien und vor der Gottheit keine Ehrfurcht mehr hätten.
Dann aber verrate es auch weniger Mut als Tollkühn-
kühnheit, sein Leben im Kampfe mit Menschen zu
wagen, deren Besiegung keinen Ruhm einbringe und
Josephus, Jüdischer Krieg. 3 ^
578
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
von denen besiegt zu werden nicht bloss schimpflich,
sondern auch gefährlich sei. Geraume Zeit hindurch
trat niemand hervor; als aber der Jude, ein grosser
Prahlhans und Römerfresser, seinen Gegnern in scharfen
Spottreden Feigheit vorwarf, sprang einer aus den
Reiterschwadronen mit Namen Pedanius , empört über
sein Geschwätz und seine Anmassung, vielleicht auch
in unbesonnener Geringschätzung des Knirpses, auf ihn
zu. Bei dem nun folgenden Zweikampf liess den
Pedanius, obwohl er im allgemeinen dem Juden über-
legen war, sein Glück im Stich, sodass er zu Boden fiel.
Jonathas sprang herzu und tötete ihn; dann trat er auf
den Leichnam, schwenkte mit der Rechten das blutige
Schwert, mit der Linken den Schild, und verhöhnte,
indem er dem Heere gegenüber frohlockte und mit dem
Fall des Kriegers prahlte, die zuschauenden Römer, bis
ihn mitten in seinem Tanzen und thörichten Prahlen
der Centurio Priscus mit einem Pfeil durchbohrte.
Daraufhin erhoben die Juden wie die Römer, freilich
aus verschiedenen Beweggründen, ein lautes Geschrei;
Jonathas aber sank , indem er sich vor Schmerzen
krümmte, auf den Leichnam seines Gegners hin — ein
deutlicher Beweis, wie schnell im Kriege dem un-
verdienten Glück die Demütigung auf dem Fusse folgt.
Drittes Kapitel.
Infolge einer Kriegslist der Juden kommen viele Römer
in den Flammen um. Grauenhafte That einer jüdischen
Frau.
1. Mittlerweile fuhren die Empörer nicht nur mit
der offenen Bekämpfung der auf den Wällen auf-
gestellten Mannschaften fort, sondern setzten auch wieder
einmal, und zwar am siebenundzwanzigsten des ge-
nannten Monats, eine Kriegslist ins Werk. Sie füllten
nämlich die Zwischenräume zwischen dem Gebälk und
Sechstes Buch, 3. Kapitel.
579
dem Dache der westlichen Halle mit trockenem Holz,
Erdharz und Pech nnd zogen sich dann, scheinbar er-
mattet, zurück. Eine Anzahl Römer setzten nun unvor-
sichtigerweise in ihrem Eifer den Weichenden nach und
erkletterten mit Hilfe von Leitern die Halle; die be-
sonneneren dagegen, denen der unvermutete Abzug der
Juden verdächtig vorkam, blieben zurück. Kaum aber
war die Halle mit den eindringenden Römern gefüllt,
als die Juden sie der ganzen Ausdehnung nach in
Brand steckten. Plötzlich loderten nun an allen Seiten
die Flammen empor und versetzten die ausser Gefahr
befindlichen Römer in Schrecken, die vom Brande über-
raschten aber in helle Verzweiflung. Rings von Feuer
umgeben, stürzten sich die letzteren teils in die hinter
ihnen liegende Stadt, teils mitten in den Schwarm der
Feinde hinab ; viele auch versuchten sich durch einen
kühnen Sprung zu den Ihrigen zu retten, brachen aber
die Glieder. Den meisten schnitten so die Flammen
jeden Ausweg zur Flucht ab, und wenn manche dem
Feuer dadurch zuvorkamen, dass sie sich selbst ent-
leibten, so fielen doch schliesslich auch die, welche be-
reits eines anderen Todes gestorben waren, dem alles
verzehrenden Brande zum Opfer. So aufgebracht nun
der Caesar über die Unglücklichen war, da sie ohne Be-
fehl die Hallen erstiegen hatten, so fühlte er doch auch
wieder Mitleid mit ihnen, zumal da niemand ihnen bei-
zuspringen vermochte. Immerhin war es für die dem
Verderben Geweihten ein Trost, dass sie den Schmerz
dessen sahen, für den sie ihr Leben dahingaben; denn
sie konnten deutlich wahrnehmen, wie er sich zu nähern
versuchte, ihnen zurief und seine Umgebung aufforderte,
nach Kräften Hilfe zu leisten. Diese Zurufe des Feld-
herm und seine wehmütige Stimmung nahm jeder wie
eine glänzende Bestattung auf und ging so mit Freuden
in den Tod. Einigen wenigen gelang es übrigens, dem
Feuer dadurch zu entgehen, dass sie sich auf die breite
Wandmauer der Halle zurückzogen; hier aber wurden
sie von den Juden umzingelt und, nachdem sie längere
580
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Zeit kräftigen Widerstand geleistet hatten, endlich alle-
samt niedergemacht.
2. Der letzte, welcher fiel, war ein junger Mann
Namens Longus, dessen That einen verklärenden
Schimmer über diesen schaurigen Vorfall ausbreitet;
und wenn auch alle Umgekommenen sich eines ruhm-
vollen Andenkens würdig erwiesen, so benahm doch er
sich offenbar am tapfersten. Die Juden nämlich hatten
ihn, teils weil seine Körperstärke ihnen Bewunderung
einflösste, teils weil sie anders ihn nicht ums Leben
bringen konnten, aufgefordert , herabzusteigen und sich
ihnen zu ergeben, während auf der anderen Seite sein
Bruder Cornelius ihn beschwor, ihrer Soldatenehre und
den römischen Waffen doch eine solche Schmach nicht
anzuthun. Dieser Bitte gab er nach, holte im Angesicht
beider Heere mit dem Schwerte aus und versetzte sich
selbst den Todesstoss. Ein anderer aus der vom Feuer
umringten Römerschar, Sertorius mit Namen, rettete sich
durch eine List. Er rief nämlich seinem Zeltkameraden
Lucius mit lauter Stimme zu: „Ich setze dich zum Erben
meines Vermögens ein, wenn du näher kommst und mich
auffängst!“ Lucius lief bereitwillig herzu, und während
der, welcher auf ihn herabsprang, mit dem Leben da-
vonkam, ward Lucius selbst so heftig gegen das Stein-
pflaster geschmettert, dass er auf der Stelle tot blieb.
Der ganze Vorfall nahm den Römern zwar für den
Augenblick allen Mut, machte sie aber zugleich für die
Zukunft vorsichtiger, indem er sie die hinterlistigen An-
schläge der Juden vereiteln lehrte, durch welche sie
bisher — hauptsächlich weil sie die Örtlichkeit und den
Charakter ihrer Gegner nicht genau kannten — so
manche Schlappe erlitten hatten. Die Halle brannte
übrigens bis zu dem Turm nieder, den Joannes im
Kampfe gegen Simon über den aus dem Xystos heraus-
führenden Thoren erbaut und nach sich selbst benannt
hatte. Was noch stand , rissen die Juden vollends ein,
die Leichen der gefallenen Römer mit den Trümmern
deckend. Tags darauf Hessen die Römer auch die ganze
Sechstes Buch, 3 Kapitel.
581
nördliche Halle bis zur östlichen in Flammen aufgehen
also bis zu der Stelle, wo die beiden Hallen hoch über
dem Kedronthal einen Winkel miteinander bildeten.
So sah es damals in der Umgebung des Tempels aus.
3. In der Stadt forderte unterdessen die Hungersnot
zahllose Opfer und erzeugte unsägliches Elend. Wo in
einem Hause auch nur ein Schatten von Nahrungs-
mitteln sich zeigte, da entbrannte ein förmlicher Kampf
die besten Freunde wurden handgemein miteinander und
suchten sich die armseligsten Brocken zur Fristung ihres
Daseins zu entreissen. Selbst den Sterbenden glaubte
man nicht, dass sie keinen Bissen mehr hätten, und die
Räuber durchsuchten demgemäss alle, die in den letzten
Zügen lagen, ob sich nicht einer vielleicht nur sterbend
stelle und doch noch irgend eine Speise in den Falten
seiner Kleider verborgen halte. Mit vor Gier weit
aufgerissenem Munde rannten sie wie tolle Hunde un-
stät umher, schlugen, wo sie hinstürmten, gleich Be-
trunkenen die Thüren ein und sprangen in der Ver-
zweiflung wohl zwei- oder dreimal in einer Stunde in
dasselbe Haus. Alles brachte die Not ihnen zwischen
die Zähne: Dinge, welche nicht einmal die unflätigsten
Tiere vertragen können, lasen sie auf und scheuten sich
nicht, sie zu verzehren. An Gürtel sogar und Schuhe
machten sie sich endlich heran und kauten sie wie auch
das Leder, das sie von den Schilden rissen. Manchem
diente ein Überrest alten Heues zur Speise; denn von
Fleischfasern, die der eine oder andere sammelte, ver-
kaufte man das kleinste Gewicht zu vier Attiken. Doch
was brauche ich die unverschämte Gier zu schildern,
mit der der Hunger über leblose Gegenstände her-
fiel? Ich bin im Begriff, eine That zu berichten, der-
gleichen weder bei den Griechen noch bei den Barbaren
je verübt ward — schauderhaft zu sagen, unglaublich zu
hören. Gern würde ich, um nicht bei der Nachwelt in
den Ruf eines abenteuerlichen Lügners zu kommen,
diesen Vorfall verschwiegen haben, hätte ich nicht un-
zählige Zeugen unter meinen Zeitgenossen. Übrigens
582 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
würde ich auch meiner Vaterstadt einen schlechten
Dienst erweisen, wenn ich nicht einmal im Wort
wiedergeben wollte, was über sie in Wirklichkeit er-
ging-
4. Eine Frau aus dem Lande jenseits des Jordan,
Maria mit Namen, die Tochter Eleazars aus dem Dorfe
Bethezob (das Wort bedeutet: Hyssop-Haus), hervor-
ragend durch Geburt und Reichtum, war mit der übrigen
Menge nach Jerusalem geflohen, wo sie die Belagerung
mit durchmachte. Ihr sonstiges Vermögen, das sie aus
Peraea nach Jerusalem mitgebracht, hatten ihr die Ty-
rannen bereits weggenommen, und die ihr noch ver-
bliebenen Kleinodien sowie etwaige Nahrungsmittel, die
ausfindig zu machen waren, raubten ihr deren Spiess-
gesellen, die Tag für Tag in ihr Haus stürzten. Grosse
Erbitterung bemächtigte sich infolgedessen der Frau,
und oft suchte sie durch Schmähungen und Ver-
wünschungen die Räuber gegen sich aufzubringen. Als
aber keiner sie aus Zorn oder Mitleid tötete, und sie es
müde war, immer nur Nahrung für andere zu suchen,
ganz abgesehen davon, dass alles Suchen jetzt auch
keinen Erfolg mehr hatte, ging ihr der Hunger durch
Mark und Bein, und noch heftiger als der Hunger ent-
brannte ihr Zorn. Da hörte sie nur noch auf die
Stimme der Erbitterung und der Not, und sie schritt
zum Unnatürlichen, ergriff ihr Kind, einen Säugling,
und sprach: „Unglückliches Knäblein! Unter Krieg,
Hunger und Aufruhr — für wen soll ich dich da er-
halten ? Bei den Römern harret unser die Knechtschaft,
falls sie uns überhaupt am Leben lassen; vor der
Knechtschaft aber ist schon der Hunger da, und die
Empörer sind grausamer als beides. Wohlan denn,
werde mir Speise, den Tyrannen ein Rachegeist, den
Lebenden eine Fabel! Das allein fehlt noch, um das
Elend der Juden voll zu machen!“ Mit diesen Worten
schlachtet sie ihr Kind, brät es und verzehrt die eine
Hälfte; die andere bedeckt und verwahrt sie. Im nu
aber sind jetzt die Empörer wieder da und drohen ihr,
Sechstes Buch, S. Kapitel.
58B
wie sie den fluchwürdigen Bratengeruch einsaugen, mit
augenblicklicher Ermordung, wenn sie nicht zeige, was
sie zubereitet habe. Daraufhin deckt sie mit den Worten:
„Da habe ich für euch noch ein schönes Stück verspart“
die Reste ihres Kindes auf. Schauder und Entsetzen
ergriff die Räuber, und sie standen bei diesem Anblick
wie festgewurzelt. Maria aber fuhr fort: „Das ist mein
leibliches Kind, das mein Werk. Esset, denn auch ich
habe gegessen; seid nicht weichherziger als ein Weib,
nicht gefühlvoller als eine Mutter! Seid ihr aber zu
gewissenhaft, und graut euch vor meinem Schlachtopfer
— gut, so soll der Rest mir verbleiben, wie ich auch die
andere Hälfte verzehrt habe.“ Zitternd schlichen die
Empörer hinaus; das war ihnen denn doch zu viel, und
so Hessen sie, wiewohl ungern, der Mutter das scheuss-
liche Mahl. Alsbald verbreitete sich das Gerücht von
diesem Greuel in der ganzen Stadt, und jedermann
schauderte, wenn er sich die That vorstellte, als hätte
er sie selbst verübt. Die Hungernden aber drängten
6ich fortan zum Tode und priesen die Vorangegangenen
glücklich, dass sie solchen Jammer nicht mehr gesehen
und gehört hätten.
5. Schnell war die Kunde von diesem Vorfall auch
zu den Römern gelangt. Manche wollten ihn nicht
glauben ; andere fühlten Mitleid ; die meisten aber hassten
jetzt das Volk nur noch mehr. Der Caesar seinerseits
rechtfertigte sich deswegen vor Gott und sprach: „Frieden,
Selbständigkeit und Verzeihung für alles, dessen sie sich
erdreistet, habe ich den Juden angeboten ; sie aber haben
statt Eintracht Zwietracht, statt Frieden Krieg, statt
Sättigung und Wohlstand Hunger erkoren, mit eigner
Hand an das Heiligtum, das wir erhalten wollten, den
Feuer brand gelegt, und sie tragen auch die Verant-
wortung für dieses grässliche Mahl. Bedecken aber will
ich jetzt den Greuel des Kinderfrasses mit den Trümmern
ihrer Hauptstadt, und nicht soll fürder die Sonne über
einer Stadt mehr scheinen, in der Mütter sich also
nähren. Eher noch als die Mütter freilich hätten die Väter
584
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
eine solche Speise verdient , weil sie nach so grenzen-
losem Jammer noch unter den Waffen bleiben.“ Während
er so redete, überzeugte er sich mehr und mehr von der
völligen Verzweiflung der Empörer; jetzt, meinte er,
nachdem sie dies alles durchgemacht, würden sie ihre
Gesinnung wohl nicht mehr ändern, während, wenn sie
es nicht wirklich erlebt hätten, ihre Umkehr wahrschein-
lich gewesen wäre.
Viertes Kapitel.
Der Tempel geht, gegen den Willen des Titus, in
Flammen auf.
1. Als die beiden Legionen am achten des Monats
Loos die Wälle vollendet hatten, liess der Caesar die
Sturmböcke gegen die westliche Galerie des inneren
Tempelhofes heranbringen. Schon ehe dies geschah,
hatte übrigens der stärkste Widder trotz sechstägigen
unausgesetzten Stossens nicht das mindeste gegen die
Mauerwand ausrichten können, und so widerstanden die
Quadern wegen ihrer Grösse und der Festigkeit ihres
Gefüges auch jetzt den neu hinzugekommenen Maschinen.
Andere untergruben mittlerweile die Fundamente des
nördlichen Thores und brachen nach angestrengter Arbeit
die vordersten Steine los, während das Thor selbst, von
den inneren Quadern gehalten, stehen blieb. Nunmehr
verzweifelten die Römer an der Wirksamkeit ihrer Ma-
schinen und Hebel, und legten deshalb Leitern an die
Halle an. Die Juden gaben sich keine Mühe, sie dabei
zu stören; kaum aber waren die Römer oben augelangt,
als sie sich ihnen entgegenwarfen und sie teils rücklings
von der Mauer hinunterstiessen, teils gegen die Brüstung
drängten und niedermachten. Viele auch wurden, als
sie eben die Leitern verliessen und sich mit ihren
Schilden noch nicht gedeckt hatten, durchbohrt, während
andere dadurch verunglückten, dass die Juden einige
der Leitern, die mit Bewaffneten dicht besetzt waren,
Sechstes Bnch, 4. Kapitel.
585
von oben her umwarfen. Auch die Juden verloren
übrigens eine Menge Leute. Ganz besonders kämpften
die Träger der Feldzeichen um diese auf Leben und
Tod, da sie deren Verlust für die ärgste Schande hielten.
Schliesslich jedoch bemächtigten sich die Juden auch der
Feldzeichen und hieben alles nieder, was heraufgestiegen
war, soda88 die übrigen Römer, entsetzt über das
Schicksal der Umgekommenen, sich zurückzogen. Auf
seiten der Römer fiel kein Mann, der nicht seine volle
Pflicht und Schuldigkeit gethan hätte ; unter den Empörern
zeichneten sich wieder dieselben durch Tapferkeit aus,
die sich schon in den früheren Gefechten hervorgethan
hatten, und ausser ihnen noch Eleazar, der Neffe des
Tyrannen Simon. Als nun der Caesar erkannte, dass
die Schonung fremder Heiligtümer seinen Soldaten nur
Tod und Verderben bringe, befahl er, Feuer an die
Thore zu legen.
2. Eben um diese Zeit gingen Ananus von Ammaus, 1
der blutdürstigste unter den Spiessgesellen des Simon,
und Archelaus, der Sohn des Magadatus, zu ihm über;
sie hofften auf Gnade , weil sie die Juden zu einer Zeit
verlassen hatten, wo diese im Vorteil waren. Ihre
Pfiffigkeit aber kam dem Caesar verächtlich vor, und
da er ausserdem erfuhr, wie grausam sie sich gegen die
Juden benommen hätten, zeigte er nicht übel Lust, sie
beide hinrichten zu lassen. Nur die Not, sagte er, habe
sie hergetrieben ; da sie also nicht aus freien Stücken
zu ihm kämen, hätten sie keinen Anspruch auf Be-
gnadigung, zumal sie aus der von ihnen selbst in Brand
gesteckten Vaterstadt entsprungen seien. Gleichwohl
opferte er seinen Zorn dem einmal gegebenen Wort
und entliess die Männer, ohne sie indes in der Behand-
lung den übrigen gleichzustellen. Unterdessen hatten
die Soldaten bereits Feuer an die Thore gelegt, und das
überall schmelzende Silber eröffnete den Flammen den
Zugang zu dem hölzernen Gebälk, von wo sie prasselnd
1 S. V, 13, 1.
586
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hervorbrachen und die Hallen ergriffen. Als aber die
Juden ringsum den Brand auf lodern sahen, da entsank
ihnen mit der Leibeskraft auch der Mut; vor lauter
Schrecken getraute sich niemand Widerstand zu leisten,
sondern wie gelähmt standen sie da und sahen zu. So
niederschlagend übrigens der Brand auf sie einwirkte,
so dachten sie doch nicht im entferntesten daran, behufs
Rettung dessen, was noch übrig war, ihren Sinn zu
ändern ; vielmehr zeigten sie sich, als sei die Einäscherung
des Tempels nunmehr beschlossene Sache, nur um so
erbitterter gegen die Römer. Den ganzen Tag und die
folgende Nacht hindurch wütete das Feuer; denn die
Römer konnten die Hallen nur einzeln und nicht alle
zugleich in Brand setzen.
3. Tags darauf beorderte Titus einen Teil des Heeres
zum Löschen und liess zugleich bei den Thoren einen
regelrechten Weg anlegen, um den Legionen den Auf-
stieg zu erleichtern. Dann beschied er die Offiziere zu
sich, von denen zunächst die sechs vornehmsten zu-
sammentraten, nämlich Tiberius Alexander, der Ober-
befehlshaber der gesamten Streitkräfte, Sextus Cerealis,
der Anführer der fünften, Larcius Lepidus, der Anführer
der zehnten, Titus Phrygius, der der fünfzehnten Legion,
ferner Liternius Fronto, der Präfekt der beiden alexan-
drinischen Legionen, und Marcus Antonius Julianus, der
Landpfleger von Judaea. An diese schlossen sich die
übrigen Statthalter und Kriegstribunen an, und Titus
hielt nun mit ihnen allen Kriegsrat wegen des Tempels.
Die einen meinten, man solle dem Kriegsrecht freien
Lauf lassen; denn so lange der Tempel, dieser Sammel-
punkt aller Juden, noch stehe, würden sie niemals auf-
hören, an Empörung zu denken. Andere äusserten ihre
Ansicht dahin, dass man, wenn die Juden den Tempel
räumten und niemand mehr zu seiner Verteidigung das
Schwert ziehe, ihn erhalten, wenn sie dagegen bei ihrem
Widerstand beharrten, ihn verbrennen solle; denn dann
sei er eben eine Festung und kein Tempel. Auch
würden im letzteren Falle nicht die Römer sich einer
Sechstes Buch, 4. Kapitel.
587
Gottlosigkeit schuldig machen , sondern lediglich die,
welche sie dazu genötigt hätten. Titus aber hielt dafür,
man solle, selbst wenn die Juden vom Tempel herab
sich wehren würden, seine Rache nicht an leblosen
Dingen statt an Menschen auslassen und unter keinen
Umstanden ein so herrliches Bauwerk den Flammen
preisgeben. Denn der Schaden treffe im Grunde ja doch
die Römer, wie umgekehrt der Tempel, wenn er erhalten
bleibe, eine Zierde des Reiches sein werde. Dieser An-
sicht traten Fronto, Alexander und Cerealis aufs ent-
schiedenste bei. Darauf entliess der Caesar die Ver-
sammlung und befahl den Offizieren, ihren Truppen
Ruhe zu gönnen, damit sie in den kommenden Gefechten
desto kräftiger losschlagen könnten; nur aus den Ko-
horten las er eine bestimmte Anzahl Leute aus, die den
Weg durch die Trümmer bahnen und das Feuer löschen
sollten.
4. An jenem Tage wagten die Juden vor Ermattung
und Bestürzung keinen Angriff; am folgenden aber
sammelten sie ihre Streitkräfte und machten mit frischem
Mut um die zweite Stunde durch das östliche Thor einen
Ausfall gegen die Wachen des äusseren Tempelhofes.
Diese setzten dem Angriff nachdrücklichen Widerstand
entgegen, und indem sie sich vorn mit ihren Schilden
deckten, standen sie dichtgedrängt wie eine Mauer.
Gleichwohl erkannte man, dass sie nicht lange würden
standhalten können , da die Angreifer ihnen an Zahl
wie an Tollkühnheit überlegen waren. Der Caesar
jedoch, der von der Antonia aus zusah, kam der un-
günstigen Wendung des Gefechtes zuvor und eilte den
Seinigen mit einer auserlesenen Reiterschar zu Hilfe.
Deren Angriff hielten die Juden nicht aus, sondern sie
flohen, nachdem die vordersten gefallen waren, grössten-
teils davon. Sobald aber die Römer abgezogen waren,
machten sie kehrt und fielen ihnen in den Rücken;
daraufhin wandten sich nun auch die Römer wieder
um und schlugen ihre Gegner abermals in die Flucht,
sodass um die fünfte Stunde des Tages alle über-
588
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
wältigt und in das Innere des Tempels ein geschlossen
waren.
5. Titus zog sich hierauf in die Antonia zurück, ent-
schlossen, am folgenden Tage in aller Frühe mit seiner
ganzen Heeresmacht anzugreifen und den Tempel zu
umzingeln. Über diesen jedoch hatte Gott schon längst
das Feuer verhängt, und es war endlich im Laufe der
Zeiten der Unglückstag — der zehnte des Monats Loos
— gekommen, an dem auch der frühere Tempel vom
Babylonierkönig eingeäschert worden war; nur waren
es diesmal die Einheimischen selbst, durch deren Ver-
anlassung und Schuld er den Flammen zum Opfer fiel.
Kaum nämlich hatte Titus sich entfernt, als die Empörer
nach kurzer East abermals gegen die Römer ausrückten.
Hierbei kam es zum Handgemenge zwischen der Be-
satzung des Tempels und denjenigen Mannschaften,
die das Feuer in den Gebäuden des inneren Vor-
hofes löschen sollten. Als nun die letzteren den zurück-
weichenden Juden nachsetzten und bis zum Tempel-
gebäude vorgedrungen waren, ergriff einer der Soldaten,
ohne einen Befehl dazu abzu warten oder die schweren
Folgen seiner That zu bedenken, wie auf höheren An-
trieb einen Feuerbrand und schleuderte ihn, von einem
Kameraden emporgehoben, durch das goldene Fenster,
wo man von Norden her in die den Tempel umgebenden
Gemächer eintrat, ins Innere. Sowie die Flammen auf-
loderten, erhoben die Juden, entsprechend der Grosse des
Unglücks, ein gewaltiges Geschrei und rannten, ohne
der Gefahr zu achten oder ihre Kräfte zu schonen, von
allen Seiten herbei, um dem Feuer zu wehren: denn es
drohte unterzugehen, was sie bisher vor dem äussersten
zu bewahren gesucht hatten.
6. Ein Eilbote meldete es dem Titus. Schnell sprang
dieser von seinem Lager im Zelt, wo er eben vom Kampfe
ausruhte, auf und lief, wie er war, zum Tempel hin, um
dem Brande Einhalt zu thun — ihm nach die sämtlichen
Offiziere und die durch den Wirrwarr erschreckten
Legionen. Wie bei der ungeordneten Bewegung einer
Sechstes Buch, 4. Kapitel.
589
solchen Menschenmenge leicht erklärlich, entstand nun
ein fürchterliches, mit betäubendem Lärm untermischtes
Getümmel. Der Caesar wollte durch Schreien und Hand-
bewegungen den Kämpfenden zu verstehen geben, man
solle löschen ; sie aber hörten sein Rufen nicht , da es
von dem noch lauteren Geschrei der anderen übertönt
wurde, und die Zeichen, die er mit der Hand gab, be-
achteten sie nicht, weil sie teils von der Aufregung des
Kampfes, teils von ihrer Erbitterung völlig eingenommen
waren. Keine gütlichen Vorstellungen, keine Drohungen
vermochten den stürmischen Andrang der Legionen auf-
zuhalten: die Wut allein führte das Kommando. An
den Eingängen kam es zu einem so schrecklichen Ge-
dränge, dass viele von ihren Kameraden zertreten wurden ;
viele auch gerieten auf die noch glühenden und rauchenden
Trümmer der Hallen und teilten so das Schicksal der
Besiegten. In die Nähe des Tempels gekommen, stellten
sie sich, als hörten sie nicht einmal die Befehle des
Feldherrn, und schrien ihren Vordermännern zu, sie
sollten Feuer in den Tempel werfen. Die Empörer
hatten übrigens die Hoffnung, den Brand noch ein-
dämmen zu können, völlig aufgegeben ; denn allenthalben
wurden sie niedergemetzelt oder in die Flucht getrieben.
Auch ganze Haufen von Bürgern, lauter schwache,
wehrlose Leute, fielen, wo der Feind sie traf, dem
Schwert zum Opfer. Besonders um den Altar her
türmten sich die Toten in Masse auf: stromweise floss
das Blut an seinen Stufen, und dumpf rollten die Leichen
derer, die oben auf ihm ermordet wurden, an seinen
Wänden herunter.
7. Als nun der Caesar dem Ungestüm seiner wie
rasend gewordenen Soldaten nicht mehr zu wehren ver-
mochte und die Flammen immer weiter um sich griffen,
betrat er mit den Offizieren das Allerheiligste und be-
schaute, was darin war. Alles fand er weit erhaben
über den Ruf, den es bei den Fremden genosß, und ganz
entsprechend der fast prahlerisch hohen Meinung, welche
die Einheimischen davon hatten. Da übrigens das Feuer
Go gle
590
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
bis in die innersten Räume noch nicht vorgedrungen war,
sondern nur erst die an den Tempel anstossenden Ge-
mächer verzehrte, glaubte er, und zwar mit Recht, das
Werk selbst könne noch gerettet werden. Er sprang
also hervor und suchte nicht nur persönlich die Soldaten
zum Löschen anzuhalten, sondern befahl auch dem seiner
Leibwache angehörenden Centurio Liberalis, die Wider-
spenstigen durch Stock Schläge 1 zu zwingen. Aber Er-
bitterung, Judenhass und die allgemeine Kampfwut er-
wiesen sich stärker als die Rücksicht auf den Caesar
und die Furcht vor seiner Strafgewalt. Die meisten
freilich feuerte die Aussicht auf Raub an, da sie der
festen Überzeugung waren , es müsse , weil sie aussen
alles von Gold gefertigt sahen, das Innere erst recht
von Schätzen aller Art strotzen. Während nun der
Caesar heraussprang, um die Soldaten zurückzuhalten,
hatte schon einer von denen, die ins Innere ein gedrungen
waren, im Dunkel Feuer unter die Thürangeln gelegt,
und da jetzt auch von innen plötzlich die Flamme her-
vorschoss, zogen sich die Offiziere mit dem Caesar zurück,
und niemand gab sich mehr die Mühe, die aussen um
das Heiligtum streifenden Soldaten von weiterer Brand-
legung abzuhalten. Auf diese Weise ging der Tempel
gegen den Willen des Titus in Flammen auf.
8. So sehr man nun auch den Untergang eines
Werkes beklagen muss, welches von allen, die wir durch
eigene Anschauung oder vom Hörensagen kennen lernten,
ebensowohl hinsichtlich seiner Pracht und Grösse im all-
gemeinen, wie inbetreff der Kostbarkeit seiner einzelnen
Bestandteile und besonders der hehren Bedeutung des
Allerheiligsten das staunenswerteste war, so mag man
doch noch reichen Trost finden in dem Gedanken an
das Geschick, 2 dem, wie nichts Lebendiges, so auch kein
i Der Centurio führte den Rebstock (vitis) als Abzeichen seines
Ranges stets bei sich (s. Lindenschmit a. a. O., Tafel I, Fig. 1, 6, 7).
* Dass Josephus unter Geschick (ei papas vrj) den Ratschluss Gottes,
das Walten der alles leitenden göttlichen Vorsehung versteht, hat
Sechstes Buch, 5. Kapitel.
591
Werk von Menschenhand und keine Gegend der Erde
entrinnen kann. Merkwürdig ist die Genauigkeit, mit
der dasselbe die Zeitläufte einhielt. Es bestimmte näm-
lich , wie schon gesagt , zur Zerstörung sogar denselben
Monat und denselben Tag, an welchem der Tempel
einstmals von den Babyloniern in Asche gelegt worden
war. 1 Von seiner ersten Erbauung durch den König
Solomon bis zu der in unseren Tagen erfolgten Zer-
störung, die in das zweite Regierungsjahr des Vespa-
sianus fiel, rechnet man tausendeinhundertunddreissig
Jahre, sieben Monate und fünfzehn Tage, und von der
zweiten Erbauung, für die im zweiten Jahre der
Regierung des Cyrus der Prophet Aggaeus seine Stimme
erhob, bis zur Zerstörung unter Vespasianus sechshundert-
neununddreissig Jahre und fünfundvierzig Tage.
Fünftes Kapitel.
Unmittelbare Folgen des Tempelbrandes. Von den
Vorzeichen der Zerstörung.
1. Während der Tempel brannte, raubten die Sol-
daten, was ihnen unter die Hände kam, und hieben die
Juden, die sie antrafen, zu hunderten nieder. Kein Er-
barmen hatten sie mit dem Alter, keine Achtung vor
der Würde. Kinder und Greise, Laien und Priester
ohne Unterschied erlagen dem Schwerte des Feindes,
und unter den Angehörigen aller Volksklassen wütete
die Kriegsfurie, ganz gleich, ob die Leute um Gnade
flehten oder sich zur Wehr setzten. Mit dem Prasseln
der allenthalben hervorbrechenden Flammen mischte
sich das Stöhnen der zu Boden Geschmetterten. Wenn
man die Höhe des Hügels und die Grösse des brennenden
Lewinsky in seiner Schrift : Beiträge zur Kenntnis der religions-
philosophischen Anschauungen des Flavins Josephus (S. 28 ff.) dar-
gethan.
1 Dies geschah 586 v. Chr.
Go gle
J N [VGR S Ifpöf C (\
592
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Riesenbaues in Betracht zog, hätte man glauben können,
die ganze Stadt stehe in Flammen; grausiger aber und
gellender lässt sich nichts denken als das Geschrei, das
über dem Ganzen tobte. Denn während die römischen
Legionen, die in geschlossenem Zuge vordrangen, ihre
Jubelrufe anstimmten, erscholl gleichzeitig das Geheul
der von Feuer und Schwert umringten Empörer, und
von oben tönte darein die Wehklage des verlassenen
Volkes, das sich in der Angst zu den Feinden flüchtete
und sein Geschick bejammerte. Mit dem Geschrei derer
auf dem Hügel verband sich dann weiter das der Volks-
menge in der Stadt, wo viele der Unglücklichen, denen
der Hunger schon das Mark ausgepresst und den Mund
verschlossen hatte, beim Anblick des Tempelbrandes den
Rest ihrer Kräfte zu einem kläglichen Gewimmer zu-
sammenrafften: und zu alledem der Wiederhall von
Peraea 1 und den umliegenden Bergen, der das Getöse
noch entsetzlicher machte. Fürchterlicher jedoch als das
ganze Kampfgewühl war das wirkliche Schicksal der
Besiegten. Der Tempelberg schien von Grund aus zu
glühen, da er rings in Feuer gehüllt war; aber noch
voller als die Flammenbäche schienen die Blutströme
zu fliessen, und fast zahlreicher als die Mörder waren
die Gemordeten. Nirgends sah man mehr vor Leichen
den Boden ; über ganze Berge von Toten stürmten die
Soldaten den Fliehenden nach. Die Räuberschar durch-
brach mit Mühe die römischen Kolonnen und schlug
sich in den äusseren Vorhof und von da in die Stadt
durch, während der Rest des Volkes in die äussere
Halle floh. Einige Priester rissen zunächst die Spiesse
auf dem Tempel 2 samt dem Blei , in welches dieselben
eingelassen waren, herunter und schleuderten sie gegen
die Römer; als sie aber damit nichts ausrichteten und
das Feuer über sie hereinbrach, zogen sie sich auf die
1 Selbstverständlich hat man nicht an die fernen Berge des
eigentlichen Peraea zu denken. Josephus meint vielmehr die hügelige
Gegend auf der Ost- und Nordseite des Kedron.
2 S. V, 5, 6.
Sechstes Buch, 5. Kapitel.
593
acht Ellen breite Tempel wand zurück, wo sie einstweilen
blieben. Zwei andere vornehme Juden jedoch, die sich
vor die Wahl gestellt sahen, entweder zu den Römern
überzugehen und so ihr Leben zu retten, oder aber aus-
zuharren, wollten lieber das Schicksal der übrigen teilen,
stürzten sich in die Flammen und verbrannten mit dem
Tempel. Es waren Meir , des Beigas , und Josephus,
des Dalaeus Sohn.
2. Da nun die Römer der Ansicht waren, dass nach
der Einäscherung des Tempels die Schonung der um-
liegenden Gebäulichkeiten keinen Sinn mehr habe,
steckten sie alles übrige vollends in Brand, nämlich die
Reste der Hallen und die sämtlichen Thore mit Aus-
nahme von zweien, des östlichen und des südlichen, die
sie indes später gleichfalls zerstörten. Hierauf ver-
brannten sie auch die Schatzkammern, in denen un-
geheure Summen baren Geldes, grosse Mengen Kleider-
stoffe und andere Kostbarkeiten, mit einem Wort die
gesamten Schätze der Juden aufgehäuft waren, da die
Reichen dort ihr Vermögen untergebracht hatten. Als-
dann ging es an die noch unversehrte Halle des
äusseren Tempelhofes, in welche sich Weiber, Kinder und
ein zahlreicher gemischter Volkshaufe, etwa sechstausend
Köpfe stark, geflüchtet hatten. Bevor jedoch der Caesar
inbetreff dieser Leute sich schlüssig machte oder die
Offiziere einen Befehl dazu erteilten, zündeten die Sol-
daten in ihrer Wut die Halle an, worauf die einen
mitten in den Flammen umkamen, die anderen, indem
sie sich daraus hervorstürzten; von der ganzen Menge
ward auch nicht eine Seele gerettet Die Schuld an
ihrem Untergang trug übrigens ein falscher Prophet,
der an jenem Tage den Bewohnern der Stadt vorgelogen
hatte, Gott heisse sie zum Tempel hinaufsteigen, wo sie
dieZeichen ihrer Rettung schauen würden. Die Tyrannen
hatten nämlich damals eine Anzahl solcher Propheten
unter das Volk gesteckt, um demselben zu verkünden,
es solle der Hilfe Gottes gewärtig sein — einmal damit
die Leute weniger daran dächten, zu den Römern über-
Josephus, Jüdischer Krieg. 3b
Go gle
UNIVERSITY OE C!/- LIFO R N I/'v
594
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zugehen, und dann auch damit die, welche sich über die
Furcht vor den Wachen hinwegsetzten, doch wenigstens
durch Hoffnung zum Bleiben bewogen würden. Im Unglück
lässt sich ja der Mensch so leicht bereden, und wenn gar
ein Betrüger kommt und ihm Befreiung von dem drückenden
Elend vorspiegelt, geht der Leiden de ganz in Hoffnung auf.
3. So wurde das beklagenswerte Volk damals von
Betrügern beschwätzt, die sich als von Gott gesandt aus-
gaben; den klaren, die künftige Verwüstung andeutenden
Vorzeichen 1 dagegen schenkten die Unglücklichen nicht
Beachtung noch Glauben, sondern sie überhörten, als wären
sie betäubt und hätten weder Augen noch Verstand, die
lauten Warnungsstimmen Gottes — so zum Beispiel,
als ein schwertähnliches Gestirn über der Stadt stand
und ein Komet ein ganzes Jahr lang am Himmel blieb,
und ferner, als gerade vor dem Aufstand und den ersten
kriegerischen Bewegungen, da das Volk beim Fest der
ungesäuerten Brote am achten des Monats Xanthikos
versammelt war, um die neunte Stunde ein so starkes
Licht den Altar und den Tempel umstrahlte, dass man
hätte glauben sollen, es sei heller Tag, eine Erscheinung,
die fast eine halbe Stunde anhielt. Die Unkundigen
freilich sahen darin ein gutes Vorzeichen; von den
Schriftgelehrten aber wurde es sogleich auf das, was
nachher ein traf, gedeutet. An ebendemselben Feste
warf eine Kuh, die der Hohepriester als Schlachtopfer
zum Altar führte, mitten im Tempel ein Lamm. Sodann
sah man das östliche Thor des inneren Vorhofes, das
doch von Erz und ungeheuer schwer war, sodass
zwanzig Mann es nur mit Mühe abends schliessen
konnten, und das von eisenbeschlagenen Querbalken
gehalten ward und Riegel hatte, welche tief in die aus
einem einzigen Steinblock gearbeitete Schwelle ein-
gelassen wurden, um Mitternacht sich plötzlich von
selbst öffnen. Die Tempelwächter meldeten es eiligst
ihrem Hauptmann, der sich unverzüglich hinauf begab.
1 Vergl. Tacitus, Histor., V, 13.
Sechstes Buch, 5. Kapitel.
595
aber kaum imstande war, das Thor schliessen zu lassen.
Abermals legten die Laien diesem Vorfall eine günstige
Bedeutung bei: Gott, meinten sie, öffne ihnen die Thür
des Heils. Die Schriftgelehrten aber ersahen daraus,
dass es mit der Sicherheit des Tempels zu Ende gehe
und dass das Thor den Feinden zulieb sich öffnen werde;
man habe es also mit einem Vorzeichen der Verwüstung
zu thun. Wenige Tage nach dem Fest, am einund-
zwanzigsten des Monats Artemisios, zeigte sich eine ge-
spensterhafte, kaum glaubliche Erscheinung. Was ich
erzählen will, könnte man für ein Märchen halten, wäre
es nicht auch von Augenzeugen berichtet und von dem
Unglück gefolgt worden, das nach derartigen Zeichen
einzutreten pflegt Vor Sonnenuntergang nämlich sah
man über der ganzen Gegend in der Luft Wagen und
bewaffnete Scharen durch die Wolken dahineilen und
Städte umkreisen . 1 Weiterhin vernahmen am sogenannten
Pfingstfest ihrer Versicherung gemäss die Priester, als
sie in der Nacht, wie ihr Dienst es mit sich brachte, in
den inneren Vorhof traten, zuerst ein Getöse und Rauschen,
und später auch den vielstimmigen Ruf: „Lasset uns
von hinnen ziehen !“ Noch unheimlicher ist folgendes:
Ein gewisser Jesus, des Ananus Sohn, ein ungebildeter
Landmann, kam vier Jahre vor dem Ausbruch des
Krieges, als die Stadt sich noch tiefen Friedens und
grossen Wohlstandes erfreute, zu dem Fest, an dem der
Sitte gemäss alle Juden Gott zu Ehren Laubhütten in
der Nähe des Tempels errichten , und fing da plötzlich
an zu rufen: „Eine Stimme vom Aufgang, eine Stimme
vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden;
eine Stimme über 2 Jerusalem und den Tempel, eine
1 AI90 eine Luftspiegelung (Fata morghana). Erzählungen wie
diese sind übrigens sehr geeignet, die Wahrheitsliebe des Geschicht-
schreibers ausser Zweifel zu stellen. Denn gerade weil Josephus
von dem natürlichen Hergang keine Ahnung haben konnte , aber
trotzdem eine richtige Schilderung giebt, muss die Thatsache selbst
als wahr angenommen werden.
* „Eine Stimme über" bedeutet soviel als „Wehe!"
38 *
596
Joseplms, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Stimme über Bräutigame und Bräute, eine Stimme über
das ganze Volk!“ Tag und Nacht rief er dies, in allen
Gassen der Stadt umherlaufend. Einige vornehme
Bürger, die sich über das Unglücksgeschrei ärgerten, er-
griffen den Menschen und züchtigten ihn mit harten
Schlägen. Er aber fuhr, ohne etwas zu seiner Ent-
schuldigung oder gegen seine Peiniger vorzubringen,
immer nur fort, seine früheren Worte zu wiederholen.
Mit Recht glaubten daher die Vorsteher, es möchte dem
Benehmen des Menschen ein höherer Antrieb zu Grunde
liegen, und führten ihn vor den römischen Landpfleger,
wo er, bis auf die Knochen durch Geisselhiebe zer-
fleischt, weder um Gnade bat noch Thränen vergoss,
sondern im kläglichsten Tone jeden Hieb nur mit dem
Ruf erwiderte: „Wehe Jerusalem!“ Als Albinus — so
hiess der Landpfleger — ihn fragte, wer und woher er
sei und weshalb er also rufe, gab er auch hierauf keine
Antwort, sondern fuhr mit seinem Klagegeschrei über
die Stadt fort, bis Albinus, von seinem Wahnsinn über-
zeugt, ihn laufen Hess. Die ganze Zeit hindurch bis
zum Ausbruch des Krieges verkehrte er mit keinem
seiner Mitbürger, noch sah man ihn mit jemand reden
— sondern Tag für Tag klagte er, wie wenn er ein
Gebet hersage: „Wehe, wehe Jerusalem!“ Er fluchte
keinem, der ihn schlug (was täglich vorkam), noch
dankte er dem, der ihm zu essen gab: für niemand
hatte er eine andere Antwort, als jene Unglücksprophe-
zeiung. Besonders laut aber liess er seinen Ruf an
Festtagen erschallen, und obwohl er dies sieben Jahre
und fünf Monate lang fortsetzte, wurde seine Stimme
weder heiser noch matt, bis er endlich bei der Be-
lagerung seine Weissagung in Erfüllung gehen sah und
mit seinen Wehklagen aufhörte. Während er nämlich
eines Tages mit dem gellenden Ruf: „Wehe der Stadt,
dem Volke und dem Tempel“ die Mauer umging, und
schliesslich hinzusetzte: „Wehe auch mir“, traf ihn ein
aus einer Wurfmaschine geschleuderter Stein und machte
Go gle
Sechstes Buch, 5. Kapitel.
597
seinem Leben ein Ende; mit dem Klageruf auf den
Lippen verschied er.
4. Bedenkt man das alles , so findet man , dass Gott
für die Menschen sorgt und ihnen auf mancherlei Weise
zu erkennen giebt, was zu ihrem Heile dient, dass aber
nur Thorheit und selbstverschuldetes Elend sie ins Ver-
derben stürzt. So hatten auch die Juden nach der Zer-
störung der Antonia den Tempel viereckig gemacht,
obwohl in ihren heiligen Büchern geschrieben stand :
dann solle die Sadt und der Tempel erobert werden,
wenn der letztere ein Viereck würde. 1 Was sie jedoch
am meisten zum Kriege getrieben hatte, war ein zwei-
deutiger Orakelspruch, der sich gleichfalls in ihren
heiligen Schriften fand, dass nämlich um diese Zeit
einer aus ihrem Lande die Weltherrschaft erlangen
werde. 2 Dies bezogen sie auf einen ihres Stammes, und
auch viele ihrer Weisen irrten sich in der Auslegung
des Spruches. Das Orakel aber wies auf die Herrscher-
würde des Vespasianus hin , der in Judaea zum Impe-
rator ausgerufen wurde. Doch es ist den Menschen
nicht möglich, dem Schicksal zu entrinnen, selbst wenn
sie es voraussehen. Die Juden deuteten eben manche
der Vorzeichen nach ihren Wünschen, über andere wieder
setzten sie sich leichtsinnig hinweg, bis endlich der Fall
ihrer Hauptstadt und ihr eigenes Verderben sie von
ihrem Unverstand überzeugten.
1 Ob sich dies auf Daniel 8, 22 , oder auf Daniel 9, 27, oder au
Zacharias 1, 18f. bezieht, sei dahingestellt. Letzteres ist am wahr
scheinlichsten.
2 S. Tacitus, Histor. V, 13 und Sueton,, Vespas. 4.
598
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Sechstes Kapitel.
Siegesjubel der Römer. Titus versucht nochmals, die
Juden durch Güte zu gewinnen.
1. Als die Empörer in die Stadt geflohen waren und
der Tempel mit allen seinen Nebengebäuden in Flammen
stand, brachten die Römer ihre Feldzeichen in die ge-
weihten Räume, pflanzten sie gegenüber dem östlichen
Thore auf, opferten ihnen daselbst 1 und begrüssten unter
lauten Jubelrufen Titus als Imperator. 2 Mit Beute
waren alle Soldaten so beladen, dass !in Syrien das
Pfund Gold um die Hälfte seines Wertes im Preise
sank. Während nun die Priester sich noch immer auf
der Tempelmauer verborgen hielten, bat ein vom Durst
gepeinigter Knabe die römischen Posten um Gnade und
klagte ihnen seine Not. Aus Mitleid mit seiner Jugend
und seiner schlimmen Lage sagten sie ihm denn auch
Schonung zu, worauf er herabkam und nicht nur selbst
seinen Durst löschte, sondern auch ein mitgebrachtes
Gefäss mit Wasser füllte und sich eiligst wieder zu den
Seinigen hinaufflüchtete. Die Wachen konnten ihn nicht
mehr erwischen und überhäuften ihn wegen seiner Wort-
brüchigkeit mit Schmähungen. Der Knabe aber ent-
gegnete, er habe keineswegs vertragswidrig gehandelt,
denn er habe sie um Gnade gebeten, nicht um bei ihnen
zu bleiben, sondern nur um hinabsteigen und Wasser
holen zu können ; beides habe er gethan und somit
offenbar sein Wort gehalten. Die hintergangenen Sol-
daten wunderten sich über seine Schlauheit, zumal der
Knabe noch sehr jung war. Am fünften Tage kamen
übrigens die Priester, von Hunger getrieben, herab und
1 S. die Anmerkung zu III, 6, 2.
2 Diesen Titel erhielt der Feldherr in älterer Zeit, wenn wenig-
stens 0000 erschlagene Feinde nach dem Siege das Schlachtfeld be-
deckten und die Soldaten selbst ihn damit begrüsst hatten. Die
Caesaren jedoch führten den Titel als Bezeichnung ihrer Würde,
gleichbedeutend mit Staatsoberhaupt.
Go gle
UNIVERSITY
OP C AUFORNIA
Sechstes Buch, 6. Kapitel.
599
wurden von den Wachen vor Titus geführt, den sie um
Schonung ihres Lebens anflehten. Er aber erklärte
ihnen, die Zeit der Gnade sei für sie vorüber, und da
auch der Tempel, um dessetwillen er wohl Grund ge-
habt hätte, ihnen das Leben zu schenken , dahin sei, so
zieme es ihnen als Priestern, mit dem Tempel unter-
zugehen. Demzufolge liess er sie sämtlich hinrichten.
2. Jetzt endlich Hessen die Tyrannen und deren
Spiessgesellen , da sie sich auf allen Seiten von den
Römern bedrängt und durch die Ringmauer auch jeden
Weg zur Flucht abgeschnitten sahen , den Caesar um
eine Unterredung bitten. Titus, der von Natur
menschenfreundlich gesinnt war, hatte den lebhaften
Wunsch, wenigstens die Stadt noch zu retten, zumal da
auch seine Freunde in der Voraussetzung, dass die
Räuber jetzt nachgiebig geworden seien, ihm dazu rieten.
Er stellte sich daher am westlichen Rande des äusseren
Vorhofes auf, wo oberhalb des Xystos ein Thor an-
gebracht war und eine Brücke die obere Stadt mit dem
Tempel verband; diese Brücke 1 lag jetzt zwischen den
Tyrannen und dem Caesar in der Mitte. Um die
Hauptpersonen stand auf beiden Seiten die Menge
dichtgedrängt: um Simon und Joannes die Juden in
ängstlicher Spannung wegen der erhofften Begnadigung,
um den Caesar die Römer, begierig, seinen Spruch zu
hören. Titus befahl nun den Soldaten, ihre Erbitterung
zu bezähmen und mit dem Schiessen einzuhalten, liess
einen Dolmetscher neben sich antreten und begann zum
Zeichen, dass er der Sieger sei, also zu reden: „Seid ihr
nun, Verwegene, endlich der Leiden eures Vaterlandes
satt, nachdem ihr, ohne unsere Macht und eure Schwäche
zu bedenken, in unvernünftiger Wut und Tollheit das
Volk, die Stadt und den Tempel zu Grunde gerichtet
habt? Ganz recht geschähe es euch, wenn auch ihr
1 Ob die Spuren dieser Brücke im heutigen sogenannten Wilsons-
oder im sog. Robinsonsbogen zu suchen sind, steht dahin. S. über
diese Frage Spiess, a. a. O., S. 63 f.
600 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
noch zu Grunde ginget, die ihr, seitdem Pompejus euch
unterjochte, unablässig auf Empörung hingearbeitet und
endlich den offenen Krieg gegen die Römer begonnen
habt! Auf was baut ihr denn eigentlich? Auf eure
Menge? Seht, ein sehr kleiner Teil der römischen
Heeresmacht ist mit euch fertig geworden! Auf die
Treue von Bundesgenossen? Aber welches Volk ausser-
halb unseres Reiches sollte denn die Juden den Römern
vorziehen? Auf eure Körperkraft? Ihr wisset doch,
dass selbst die Germanen unsere Sklaven sind! Auf
die Festigkeit eurer Mauern ? Welch mächtigeres Bollwerk
aber giebt es wie den Ocean? Und doch huldigen die
Britannen trotzdieser Schutzwehr den Waffen der Römer!
Auf euren ausdauernden Mut und die Pfiffigkeit eurer
Anführer? Es kann euch doch nicht unbekannt sein,
dass selbst die Karthager uns unterlagen! Somit hat
euch nichts anderes gegen die Römer in Wehr und
Waffen gebracht, als deren Milde. Wir gaben euch das
Land in Besitz, wir setzten über euch Könige aus eurem
eignen Stamme, wir achteten eure heimischen Gesetze
und Hessen euch nicht allein zu Hause, sondern auch
unter Fremden nach eurem Gutdünken leben ; ja noch
mehr, wir gestatteten euch, für euren Gottesdienst
Steuern zu erheben 1 und Gaben zu sammeln, rügten
nicht deren freiwillige Spendung und suchten nicht zu
hindern, dass ihr, die Feinde, reicher wurdet als wir
selbst, und mit unserem Gel de gegen uns euch rüstetet
Ihr aber wurdet durch den Genuss so bedeutender Ver-
günstigungen übermütig, wandtet euch gegen die, welche
sie euch gewährten, und bespritztet nach Art unzähm-
barer Schlangen mit eurem Gift die, welche euch
schmeichelten. Es mag euch noch hingehen, dass ihr
die Trägheit Neros verächtlich fandet; aber während
ihr zuvor, freilich nur in schlechter Absicht, wie zer-
brochene und abgerissene Glieder eines Körpers euch
wenigstens ruhig verhieltet habt ihr, als die Krankheit des
1 !S. Matthaeus 17, 24 und unten VII, C, G.
Go gle
Sechstes Bach, 6. Kapitel.
601
Reiches zunahm, euch in eurem wahren Wesen gezeigt
und euch mit unverschämten Plänen und masslosen
Gelüsten getragen. Da kam mein Vater ins Land, nicht
um euch für das, was ihr dem Cestius angethan, zu be-
strafen, sondern nur um euch eine Warnung zu erteilen.
Denn wäre er zur Vernichtung eurer Nation dagewesen,
so hätte er ja die Wurzel angreifen und sogleich diese
Stadt zerstören müssen ; aber er that es nicht , sondern
verwüstete nur Galilaea und dessen Nachbargebiete, um
euch Zeit zur Besinnung zu lassen. Doch seine
Menschenfreundlichkeit hieltet ihr für Schwäche, und
unsere Sanftmut liess eure Frechheit nur noch grösser
werden. Nach Neros Hingang vollends benahmt ihr
euch, wie nur die Bosheit sich benehmen kann: unsere
inneren Wirren machten euch Mut, und als ich mit
meinem Vater nach Aegypten abgezogen war, nütztet
ihr die gute Gelegenheit zu Kriegsrüstungen aus und
scheutet euch nicht, diejenigen auf dem Herrscherthron
zu belästigen , die ihr zuvor als mildgesinnte Feldherren
kennen gelernt hattet. Und als dann das Reich sich in
den Schutz unseres Hauses begab , alles in ihm wieder
beruhigt war und die fernsten Völkerschaften Gesandte
abordneten, um uns zu beglückwünschen: da waren
wiederum nur die Juden unsere Feinde. Gesandt-
schaften gingen von euch über den Euphrat, um dort
den Aufruhr zu predigen ; neue Ringmauern wurden ge-
baut; Aufstand, Tyrannen zwist, Bürgerkrieg brach aus
— lauter Dinge, die nur bei so schlechten Menschen
Vorkommen können, wie ihr seid. Nun erschien ich
selbst vor der Stadt mit traurigen Aufträgen, die mein
Vater mir nur ungern erteilt hatte; ich hörte, das Volk
sei friedlich gesinnt, und freute mich. Vor dem Beginn
des Krieges forderte ich euch auf, von ihm abzustehen;
nachdem er lange gewährt, bewies ich Schonung, be*
gnadigte die Überläufer, hielt den Flüchtlingen mein
Wort, erbarmte mich der vielen Gefangenen, verhängte
die härtesten Strafen über ihre Bedränger, führte nur
gezwungen meine Maschinen gegen eure Mauern heran,
602
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hielt die Mordlust meiner Soldaten im Zaum und bot
euch nach jedem Siege, als wäre ich der Besiegte ge-
wesen, Frieden an. Als ich dann dem Tempel nahe-
gekommen war, vergass ich wiederum aus freien Stücken,
das Kriegsrecht anzuwenden, bat euch, euer eignes
Heiligtum vor Zerstörung zu bewahren, bewilligte euch
freien Abzug und Schonung eures Lebens oder auch,
wenn ihr es so wolltet, Gelegenheit zum Kampf an
einem anderen Orte — aber an alles das habt ihr euch
nicht gekehrt; den Tempel habt ihr mit eignen Händen
in Brand gesteckt: und nun, ihr Ruchlosen, lasset
ihr mich zu Unterhandlungen rufen? Was könnt ihr
denn noch retten, das auch nur im entferntesten dem
Untergegangenen gleichkäme? Und was kann euch an
eurer eignen Erhaltung liegen, nachdem der Tempel
zerstört ist? Aber trotzdem steht ihr noch mit den
Waffen da und wollt in der äussersten Not nicht einmal
den Anschein erwecken, als brauchtet ihr Gnade. Ihr
Unseligen! worauf pocht ihr nun noch? Eure Nation
ist tot, der Tempel dahin, mein die Stadt, in meiner
Hand euer Leben — und trotz alledem setzt ihr noch
einen Heldenruhm darein, euch gegen den Tod zu
wehren? Doch ich will mit eurer Verblendung nicht
hadern: werft ihr die Waffen weg und ergebt euch, so
schenke ich euch das Leben; wie ein milder Hausvater
werde ich dann nur die Unverbesserlichen strafen, die
übrigen aber mir retten.“
3. Darauf entgegneten die Empörer: Gnade könnten
sie von ihm nicht annehmen, denn sie hätten geschworen,
dies nun und nimmer zu thun. Dagegen bäten sie um
freien Abzug mit Weibern und Kindern durch die Ring-
mauer; sie würden dann in die Wüste ziehen und ihm
die Stadt überlassen. Empört darüber, dass sie, die
Überwundenen, ihm noch wie Sieger Bedingungen ver-
schreiben wollten, liess Titus ihnen verkünden : Kein Über-
läufer solle sich mehr zeigen , und keiner auf Gnade
rechnen, denn er werde niemand verschonen. Sie sollten
sich vielmehr mit aller Macht wehren und sich zu retten
Sechstes Bach, 7. Kapitel.
603
suchen, wie sie könnten; er werde jetzt nur noch nach
Kriegsbrauch verfahren. Alsdann befahl er seinen
Soldaten, die Stadt in Brand zu stecken und zu plündern.
Jenen Tag warteten sie noch ; am folgenden aber legten
sie das Archiv, den Stadtteil Akra, das Rathaus und
den Bezirk Ophla in Asche, wobei sich das Feuer bis
zum Palast der Helena verbreitete, der mitten in der
Akra stand. Auch die Gassen und Häuser, die mit
Leichen von Verhungerten angefüllt waren, gingen in
Flammen auf.
4. An diesem Tage erschienen die Söhne und die
Brüder des Königs Izates samt vielen vornehmen Bürgern
vor dem Caesar und baten um Gnade. Wiewohl nun
Titus gegen alle noch übrigen Juden aufs äusserste er-
bittert war, konnte er doch seinen Charakter nicht ver-
leugnen und nahm die Flehenden auf. Einstweilen liess
er sie alle bewachen; die Söhne und die anderen Ver-
wandten des Königs aber führte er später gefesselt nach
Rom, wo sie ihm als Geiseln dienen sollten.
Siebentes Kapitel.
Die ganze untere Stadt wird ein Raub der Flammen.
Weitere Unthaten der Empörer.
1. Die Aufrührer griffen nun den Königspalast an,
wohin um seiner Festigkeit willen viele Juden ihre
Schätze gebracht hatten, vertrieben die Römer daraus,
mordeten die ganze dort versammelte Volksmenge, gegen
achttausendvierhundert Menschen, und raubten das Geld.
Zwei von den Römern nahmen sie lebendig gefangen,
einen Reiter und einen Fusssoldaten. Den letzteren
machten sie auf der Stelle nieder und schleppten ihn
durch die Stadt, als wollten sie sich in dem Leichnam
dieses einen Mannes an allen Römern rächen; der Reiter
dagegen, der ihnen einen guten Rat bezüglich ihrer
Rettung zu geben versprach, ward vor Simon geführt.
Als er aber hier nichts zu sagen wusste, übergab man
604
Josephns, Geschichte des Jüdischen Krieges.
ihn einem der Anführer, Ardalas mit Namen, zur Hin-
richtung. Dieser fesselte ihm die Hände auf dem Rücken,
verband ihm die Augen und brachte ihn an eine den
Feinden sichtbare Stelle, um ihn zu enthaupten. Wahrend
aber der Jude das Schwert zog, entfloh der Gefangene
eilends zu den Römern. Weil er nun den Händen der
Feinde entronnen war, konnte Titus es nicht über sich
bringen , ihm das Leben zu nehmen ; da er es aber für
schimpflich hielt, wenn ein römischer Soldat sich lebendig
gefangen nehmen lasse, nahm er ihm die Waffen ab
und stiess ihn aus dem Heere aus, was für einen Mann
von Ehre härter ist als die Todesstrafe.
2. Tags darauf verjagten die Römer das Raubgesindel
aus der unteren Stadt und steckten alles bis zum Siloa
in Brand. Obgleich sie übrigens die Freude hatten, die
Stadt von den Flammen verzehrt zu sehen, entging
ihnen doch die Beute, da die Empörer alles rein aus-
geleert und sich mit dem Raub in die obere Stadt zu-
rückgezogen hatten. Denn trotz des allgemeinen Elends
empfanden die letzteren nicht die mindeste Reue, sondern
ergingen sich noch in Prahlereien, als hätten sie ihre
Sache gut gemacht Angesichts der brennenden Stadt
erklärten sie, wohlgemut und mit lachender Miene den
Tod erwarten zu wollen, da das Volk gemordet, der
Tempel in Asche gelegt, die Stadt am brennen und den
Feinden nichts mehr übrig gelassen sei. Josephus aber
ward auch jetzt, trotzdem es bereits zum äussersten ge-
kommen war, nicht müde, sie um Erhaltung des Restes
der Stadt zu bitten; allein so ernstlich er ihnen ihre
Grausamkeit und Gottlosigkeit vorhielt, und so dringend
er ihnen zu ihrer eigenen Rettung riet: er trug doch
nichts als Hohn davon. Da sie nun einerseits um ihres
Eides willen sich den Römern nicht ergeben mochten, ander-
seits aber wie in einer Falle gefangen sassen und deshalb
entsprechenden Widerstand nicht leisten konnten, gingen
sie, weil das Morden ihnen zur zweiten Natur geworden
war, einzeln vor die Stadt hinaus und lauerten in den
Trümmern denjenigen Juden auf, die zu den Römern
Go gle
t,i\H¥l I^HQTOf ( II! OUNI/
Sechstes Buch, 7. Kapitel.
605
überzugehen beabsichtigten. In der That fingen sie
auch viele auf, die, von Hunger entkräftet, nicht zu
fliehen vermochten, brachten sie sämtlich ums Leben
und warfen ihre Leichen den Hunden vor. Jede Todes-
art kam übrigens den Ärmsten leichter vor als Ver-
hungern, weshalb sie nicht nur zu den Römern flohen,
obwohl sie dort keine Gnade mehr zu erwarten hatten,
sondern auch willig von den mordgierigen Empörern sich
fangen liessen. So fand sich denn bald in der ganzen
Stadt kein Plätzchen mehr, das nicht voll von Opfern
des Hungers oder des Aufruhrs gelegen hätte.
3. Ihre letzte Hoffnung setzten nun die Tyrannen
und deren Anhang von Banditen noch auf die unter-
irdischen Gänge, in denen sie vor Entdeckung sicher
zu sein glaubten; wenn nach der gänzlichen Eroberung
der Stadt die Römer abgezogen wären, gedachten sie
aus den Gängen hervorzukommen und zu fliehen. Das
war indes nur ein schöner Traum : vor Gott und den
Römern sich verborgen zu halten, sollte ihnen nicht
beschieden sein. Im Vertrauen auf diese unterirdischen
Gelasse steckten sie fortan noch mehr von der Stadt in
Brand als die Römer; wollten dann die Bewohner der
brennenden Gebäude in die Minen fliehen, so stiessen
sie dieselben ohne weiteres nieder nnd plünderten sie,
und wenn sie bei einem etwas Essbares fanden, ver-
schlangen sie es gierig, auch wenn es mit Blut befleckt
war. Ja, dem Raube zulieb bekriegten sie sich unter-
einander selbst, und wäre nicht die Eroberung dazwischen
gekommen, so hätten sie, glaube ich, in ihrer tierischen
Verrohung selbst die Leichen angefressen.
606
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Achtes Kapitel.
Jerusalem wird vollends erobert.
1. Da die obere Stadt wegen ihrer Lage auf einem
Abhang ohne Dämme nicht einzunehmen war, beorderte
der Caesar am zwanzigsten des Monats Loos die ein-
zelnen Abteilungen seines Heeres zur Schanzarbeit
Schwierig war die Herbeischaffung von Holz; denn die
ganze Umgebung der Stadt war, wie oben gesagt, beim
Bau der früheren Wälle bis auf eine Entfernung von
hundert Stadien völlig davon entblösst worden. Die vier
Legionen errichteten nun ihre Werke an der Westseite
der Stadt gegenüber dem Königspalast, während die
Hilfstruppen und die übrige Menge in der Nähe des
Xystos, der Brücke und des Turmes arbeiteten, den
Simon im Kampfe mit Joannes als Stützpunkt für
seine Unternehmungen gebaut und nach sich selbst be-
nannt hatte.
2. In diesen Tagen traten die Anführer der Idumäer
heimlich zusammen, berieten darüber, ob sie sich ergeben
sollten, und schickten fünf der Ihrigen mit der Bitte
um Begnadigung zu Titus. In der Hoffnung, die Ty-
rannen würden nach dem Abzug der Idumäer, von denen
so viel im Kampfe abhing, endlich ebenfalls nachgeben,
sagte ihnen der Caesar nach langem Zögern auch
wirklich Schonung zu und sandte die Männer zurück.
Simon aber, der von dem geplanten Abmarsch Wind
bekommen hatte, liess sogleich die fünf, die zu Titus
gegangen waren, töten, die Anführer, unter denen Ja-
kobus, des Sosas Sohn, der vornehmste war, ergreifen
und ins Gefängnis werfen und die Idumäer, die, ihrer
Führer beraubt, sich nicht mehr zu helfen wussten, aufs
schärfste bewachen, indem er die Posten auf der Mauer
verstärkte. Gleichwohl waren die letzteren nicht im-
stande, der Ausreisserei Einhalt zu thun; so viele auch
ermordet wurden : die, welchen die Flucht gelang, waren
doch noch zahlreicher. Die Römer nahmen sie samt
Sechstes Buch, 8. Kapitel.
607
und sonders auf : nicht nur, dass der Caesar in seiner
Milde die früheren Anordnungen ausser acht liess, auch
die Soldaten enthielten sich des Mordens , teils aus
Übersättigung, teils aus Gewinnsucht. Während sie
nämlich die einzeln ankommenden Bürger laufen Hessen,
verkauften sie die übrigen samt Weib und Kind
in die Sklaverei, und zwar wegen der Menge der Ge-
fangenen und der geringen Anzahl der Käufer 1 zu
Spottpreisen. Obwohl übrigens Titus hatte verkündigen
lassen, dass kein Überläufer allein kommen dürfe (sie
sollten nämlich ihre Familien mitbringen), gewährte er
doch auch solchen Flüchtlingen Aufnahme; zugleich
aber liess er durch geeignete Männer diejenigen aus
ihnen aussondern, die den Tod verdienten. Eine un-
geheure Menge wurde in die Sklaverei verkauft; von
den eigentlichen Bürgern dagegen wurden über vierzig-
tausend begnadigt, und der Caesar liess sie ziehen, wo-
hin es ihnen beliebte.
3. Um ebendieselbe Zeit kam auch ein Priester mit
Namen Jesus, der Sohn des Thebuthi, nachdem der
Caesar ihm für den Fall, dass er etliche der heiligen
Kleinodien ausliefern würde, unter einem Eidschwur
Schonung zugesagt hatte, hervor und holte aus der
Tempelmauer zwei Leuchter, ähnlich den im Tempel
selbst auf bewahrten, Tische, Mischgefasse und Schalen,
alles massiv von lauterem Golde; zugleich übergab er
die Vorhänge, die hohepriesterlichen Gewänder mit den
Steinen und viele andere beim Gottesdienst verwendete
Geräte. Auch der Schatzmeister des Tempels, Phineas,
ward ergriffen und zeigte die Gewänder und Gürtel der
Priester, einen reichen Vorrat von Purpur- und Scharlach-
stoff, der für die etwaige Ausbesserung des Vorhanges
in Bereitschaft gehalten wurde, ferner viel Zimmt und
Kassia und eine Menge anderer Wohlgerüche, von denen
man ein Gemisch jeden Tag Gott zu Ehren anzündete.
1 Den Heeren der Eroberer folgten im Altertum die Sklaven-
händler, wie die Aasgeier den Karawanen.
608
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Ebenso lieferte er noch eine bedeutende Anzahl weiterer
Kleinodien und heiligen Zierates aus und verschaffte
sich dadurch, obwohl er erst nach harter Gegenwehr
gefangen worden war, die Vergünstigung, dass er gleich
anderen Überläufern gut behandelt wurde.
4. Als nun nach achtzehntägiger Arbeit am siebenten
des Monats Gorpiaios die Wälle vollendet waren, rückten
die Römer mit den Maschinen heran. Viele der Empörer
gaben jetzt die Stadt verloren und zogen sich an der
Mauer in die Akra zurück; andere schlüpften in die
unterirdischen Gänge ; eine beträchtliche Schar aber
verteilte sich auf der Mauer und suchte die mit den
Sturmböcken sich nähernden Feinde abzu wehren. Doch
auch mit ihnen wurden die Römer infolge ihrer Über-
zahl und Kraft, zumeist aber weil sie mit frischem
Mut gegen Verzagte und Erschöpfte kämpften, gar bald
fertig. Kaum nämlich war ein Stück der Mauer ein-
gestossen und ein Teil der Türme durch die Gewalt der
Sturmböcke zum Wanken gebracht* als ihre Verteidiger
sich spornstreichs davonmachten. Auch der Tyrannen
bemächtigte sich jetzt eine Angst, die zu der Gefahr in
gar keinem Verhältnis stand; denn noch ehe die Feinde
herüber waren, standen sie schon wie vom Schrecken ge-
lähmt und wussten nicht, ob sie fliehen oder bleiben
sollten. Da sah man die einst so hochfahrenden
Menschen, die mit ihren Schandthaten sich gebrüstet
hatten, demütig zitternd und so verändert, dass sie bei
all ihrer Schlechtigkeit doch Mitleid erwecken mussten.
Sie wollten nun zwar einen Angriff auf die Ringmauer
machen, sich durch die Postenkette durchschlagen und
so das Freie gewinnen; als sie aber ihre Getreuen, die
sämtlich geflohen waren, wohin die Not sie trieb, nirgends
mehr erblickten, und obendrein noch einige Eilboten
meldeten, die ganze westliche Mauer sei zerstört,
andere, die Römer seien schon eingedrungen, wieder
andere, sie seien auf der Suche nach ihnen schon ganz
nahe, und schliesslich etliche, deren Augen die Furcht
täuschte, sogar versicherten, sie sähen die Feinde bereits
Sechstes Bach, 8. Kapitel.
609
auf den Türmen — da fielen sie auf ihr Angesicht,
jammerten über ihre Verblendung und vermochten, als
wären ihnen die Sehnen durchschnitten, sich nicht mehr
vom Fleck zu rühren. Jetzt offenbarte sich so recht
die Macht Gottes über die Ruchlosen und das Glück
der Römer. Die Tyrannen nämlich vergassen ihre
Sicherheit und stiegen von den Türmen herab, wo sie
niemals durch Gewalt, sondern nur durch Hunger
hätten bezwungen werden können ; die Römer aber,
denen die schwächeren Mauern so viel zu schaffen
gemacht hatten, gewannen die, gegen welche kein Be-
lagerungswerkzeug etwas ausgerichtet hätte, durch die
Gunst des Glückes; denn die oben beschriebenen drei
Türme 1 würden jeder Maschine getrotzt haben.
5. Nachdem die Empörer diese Türme verlassen
hatten oder vielmehr von Gott daraus vertrieben waren,
flohen sie schleunigst in die Schlucht unterhalb des
Siloa und warfen sich, als sie von ihrem Schrecken sich
ein wenig erholt hatten, gegen den dortigen Teil der
Ringmauer. Ihre Kühnheit aber hielt mit der Not
schon nicht mehr gleichen Schritt, denn Angst und
Elend hatten ihre Kraft gebrochen. So wurden sie
denn von den Wachen alsbald zurückgeschlagen, stoben
auseinander und versteckten sich in den unterirdischen
Gängen. Unterdessen hatten die Römer die Mauern
besetzt, die Feldzeichen auf den Türmen aufgepflanzt
und unter freudigem Händeklatschen den Siegesgesang
angestimmt, da das Ende des Krieges ihnen viel leichter
geworden war, als sein Anfang erhoffen liess. Es kam
ihnen selbst unglaublich vor, dass sie ohne Schwert-
streich die letzte Mauer erstiegen hatten, und sie
wussten nicht, was sie denken sollten, als sie keinen
Feind erblickten. Mit gezücktem Schwert strömten sie
nun in die Gassen, stiessen jeden nieder, der ihnen in
den Weg kam, und verbrannten die Häuser, in welche
sich Juden geflüchtet hatten, samt allem, was darin
1 Hippikus, Phasael und Mariamne.
Josephos, Jüdischer Krieg. 39
610
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
war. Sie plünderten viel; oft aber, wenn sie der
Beute wegen in ein Haus eingedrungen waren, fanden
sie ganze Familien tot und die Dächer mit Leichen
von Verhungerten gefüllt — ein Anblick , über den
sie sich derart entsetzten, dass sie mit leeren Händen
wieder herauskamen. So tiefes Mitleid sie übrigens
mit den also Umgekommenen empfanden, so erstreckte
sich dasselbe doch nicht auf die Lebenden: nieder-
stossend, was ihnen in den Weg kam, versperrten sie
die engen Gassen mit lauter Toten und überschwemmten
die Stadt mit Strömen von Blut, sodass manche Feuers-
brunst durch Blut gelöscht ward. Gegen Abend stellten
sie das Morden ein ; der Brand aber wütete die ganze
Nacht hindurch fort. Am achten Gorpiaios ging die
Sonne über den rauchenden Trümmern Jerusalems auf,
einer Stadt, die während ihrer Belagerung von so vielen
Drangsalen heimgesucht wurde, dass sie, hätte sie seit
ihrer Gründung ebenso viel Glück genossen, in der
That beneidenswert gewesen wäre; aber durch nichts
anderes hatte sie so grosses Unglück verdient, als da-
durch, dass sie ein Geschlecht erzeugte wie das, welches
sie ins Verderben stürzte.
Neuntes Kapitel.
Anordnungen des Titus. Berechnung der Verluste
auf jüdischer Seite. Joannes ergiebt sich den Römern.
1. Als Titus in die obere Stadt einzog, bewunderte
er ausser ihrer Festigkeit im allgemeinen ganz besonders
die der Türme, welche die Tyrannen in ihrem Wahn-
sinn verlassen hatten, und indem er die Höhe der
massiven Bauten, die Grösse der einzelnen Steinblöcke
und die Genauigkeit der Zusammenfügung sowie ihre
gewaltige Länge und Breite betrachtete, rief er aus:
„Mit Gottes Hilfe haben wir gekämpft! Er war es, der
die Juden von diesen Bollwerken vertrieb — denn was
Sechstes Buch, 9. Kapitel.
611
vermöchten Menschenhände oder Maschinen gegen solche
Türme?“ Noch über vieles derartige besprach er sich
mit seinen Freunden. Alsdann gab er den Gefangenen
der Tyrannen, die man in den Turmverliessen ge-
funden hatte, die Freiheit und befahl, den noch er-
haltenen Teil der Stadt vollends zu zerstören und die
Mauern zu schleifen; die drei Türme aber liess er als
Denkmale seines Glückes, das ihm selbst uneinnehmbare
Bollwerke bezwingen half, stehen.
2. Da die Krieger nun des Mordens müde waren und
doch immer noch eine erhebliche Menge Juden zum
Vorschein kamen, befahl der Caesar, nur die Bewaffneten
und Widerspenstigen zu töten , die übrigen dagegen
lebendig gefangen zu nehmen. Gleichwohl machten
die Soldaten ausser den von Titus Bezeichneten auch
noch die Alten und Schwachen nieder; diejenigen aber,
welche im blühenden Alter standen und noch verwend-
bar waren, trieben sie auf den Tempel berg und schlossen
sie daselbst in den Weibervorhof ein. Zum Wächter
über sie bestellte der Caesar einen seiner Freigelassenen,
während sein Freund Fronto jedem das verdiente Schick-
sal zusprechen sollte. Dieser liess die Empörer und
Räuber, die sich alle gegenseitig zur Anzeige brachten,
hinrichten ; die schönsten und grössten Jünglinge aber
las er aus , um sie für den Triumphzug aufzubewahren.
Von den übrigen Gefangenen schickte Titus die mehr
als siebzehn Jahre alten in die Bergwerke 1 Aegyptens ;
die meisten jedoch verschenkte er in die Provinzen, wo
sie bei den Schauspielen entweder durchs Schwert oder
durch wilde Tiere umkommen sollten. ' Was unter sieb-
zehn Jahren war, wurde verkauft. Während der Tage
übrigens, da Fronto die Auswahl traf, starben noch elf-
tausend den Hungertod, teils weil die Wächter ihnen
aus Hass keine Lebensmittel verabreichten, teils weil
sie die dargebotene Nahruug verschmähten. Freilich
1 S. Diodor. III , 12. In den Bergwerken wurde Gold ge-
wonnen.
39
612
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
mangelte es auch für eine solche Menge an Ge-
treide.
3. Die Gesamtzahl der in diesem Kriege gefangenen
Juden belief sich auf siebenundneun zigtausend; ums
Leben kamen während der Dauer der Belagerung eine
Million und hunderttausend. Die meisten waren geborene
Juden, aber nicht aus Jerusalem. 1 Denn aus dem
ganzen Lande war das Volk zum Feste der ungesäuerten
Brote in die Hauptstadt zusammengeströmt, und da es
hier ganz unversehens von der Belagerung überrascht
wurde, war bei dem engen Zusammenwohnen der Aus-
bruch der Pest und später auch der noch verderblicheren
Hungersnot unvermeidlich. Dass aber die Stadt eine
solche Menschenmenge fassen konnte, ergiebt sich aus
einer zu Ce8tiuB , Zeiten stattgehabten Zählung. Um
nämlich dem Nero, der vom jüdischen Volke sehr ge-
ringschätzig dachte, den blühenden Zustand Jerusalems
zu beweisen, beauftragte Cestius die Hohepriester, wo-
möglich 2 die Bevölkerung zu zählen. Da nun gerade
das Paschafest einfiel, an welchem von der neunten bis
zur elften Stunde Opfer dargebracht werden und um
jedes Opfer 6ich eine Gesellschaft von zehn, oft wohl
auch zwanzig Männern sammelt (einer allein darf näm-
lich das Opfermahl nicht verzehren), ermittelte man
durch Zählung zweihundertsechsunfünfzigtausendfünf-
hundert Opfertiere. Nehmen wir aber auf jedes Opfer-
mahl auch nur zehn Teilnehmer, so kommen zwei
i Bezüglich des Schicksals der Christen zu Jerusalem erfahren wir
bei Eusebius (Hist, eccles. III, 5), dass sie vor der Belagerung nach
Pella geflohen waren.
* Die Juden hielten es für unerlaubt, das Volk zu zählen, ein-
mal weil sie (nach Hoseas 2, 1) unzählbar wie der Sand am Meere
sein sollten, und dann auch weil die Zählung dem Könige David so
schlecht bekommen war (2. Samuel 2\). Die Bevölkerungsziffer
sollte vielmehr mittelbar so gefunden werden, dass jedem eine Münze
abgefordert oder die Paschalämmer gezählt würden. Letzteres Ver-
fahren beobachtete nach dem Midrasch Echa Rabbati auch der
König Agrippa.
Sechstes Buch, 9. Kapitel.
613
Million und siebenhunderttausend 1 und zwar lauter reine
und geweihte Personen heraus ; denn Aussätzige, Samen-
flüssige, in der monatlichen Reinigung begriffene Weiber
und anderweitig Verunreinigte durften an diesem Opfer
nicht teilnehmen, ebensowenig Nichtjuden, die etwa zum
Gottesdienst sich eingefunden hatten.
4. Die Hauptmasse der Festteilnehmer war demnach
von auswärts zusammengeströmt, und so hatte denn das
Schicksal es gerade damals gefügt, dass das ganze Volk
wie in ein Gefängnis eingeschlossen war und das feind-
liche Heer eine mit Menschen vollgepfropfte Stadt um-
zingelte. Darum war auch die Menge der Um-
gekommenen grösser als bei irgend einer anderen
Drangsal, die je von Menschen oder von Gott über eine
Stadt herauf beschworen wurde. Von denen nun, die
jetzt noch zum Vorschein kamen, töteten die Römer
einen Teil, andere machten sie zu Gefangenen; die in
den unterirdischen Gängen aber suchten sie auf und
stiessen, nachdem sie die Erde durchbrochen hatten, alle
nieder, die ihnen unter die Hände kamen. Auch in
diesen Gängen fand man übrigens noch mehr wie zwei-
tausend Tote, die teils sich selbst, teils einander das
Leben genommen hatten, zumeist aber dem Hunger er-
legen waren. Den eindringenden Soldaten wehte infolge-
dessen ein schrecklicher Leichengeruch entgegen, sodass
viele von ihnen sich schleunigst wieder zurückzogen;
andere, welche die Habgier trotzdem hineintrieb, mussten
über Haufen von Leichen hinwegschreiten. In der That
stiess man in den Gängen auf eine Menge Kostbar-
keiten, und die Gewinnsucht hielt jedes Mittel, in deren
Besitz zu gelangen , für erlaubt. Weiterhin zog man
viele Gefangenen der Tyrannen heraus; denn selbst im
letzten Augenblick noch verharrten diese in ihrer Grau-
samkeit. Dafür strafte sie Gott aber auch beide, wie
sie’s verdienten. Joannes, der samt seinen Brüdern in
den unterirdischen Gängen Hunger litt, hielt endlich doch
1 D. h. in runder Zahl.
Go gle
614
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
bei den Römern um die so oft verschmähte Gnade an;
Simon dagegen ergab sich, nachdem er mit der entsetz-
lichsten Not gerungen hatte, auf die unten 1 näher zu
beschreibende Weise. Er wurde als Schlachtopfer für
den Triumph auf bewahrt, Joannes aber zu lebensläng-
licher Einkerkerung bestimmt. Die Römer steckten nun
auch noch die entferntesten Stadtteile in Brand und
machten die Mauern dem Erdboden gleich.
Zehntes Kapitel.
Rückblick auf die früheren Schicksale der Stadt.
1. So fiel Jerusalem im zweiten Jahre der Regierung
des Vespasianus, am achten des Monats Gorpiaios. 2
Fünfmal war es früher erobert, einmal auch zerstört
worden. Der aegyptische König Asochaeus 3 nämlich,
dann Antiochus, später Pompejus und nach ihm Sosius
in Gemeinschaft mit Herodes eroberten die Stadt; doch
Hessen sie sie stehen. Vor ihnen aber hatte der Baby-
lönierkönig 4 sie eingenommen und zerstört, vierzehn-
hundertachtundsechzig Jahre und sechs Monate nach
ihrer Gründung. Der erste Erbauer Jerusalems war ein
chananaeischer Herrscher, dessen Name in der Landes-
sprache „gerechter König“ 5 bedeutet. Das war er in
der That, und darum diente er zuerst dem Herrn als
Priester, wie er auch zuerst das Heiligtum gründete und
die Stadt, die früher Solyma hiess, Hierosolyma 6 nannte.
1 vii, 2, 2.
2 September 70 n. Chr.
3 J. A. VIII, 10, 2 f. heisst er Susak, bei Herodot (I, 102) Se-
sostris, im alten Testamente (1. Könige 14, 25) Sisak.
4 Nebukadnezar.
5 Melchisedek.
6 D. i. das heilige Solyma. Die von Josephus beliebte Ableitung
des Namens ist übrigens unrichtig (s. v. Raumer, Palaestina, 4. Aufl.
S. 337).
Sechstes Buch, 10. Kapitel.
615
Später vertrieb der jüdische König David die Chana-
näer aus der Stadt und bevölkerte sie mit seinen
Stammesgenossen; vierhundertsiebenundsiebzig Jahre und
sechs Monate nach ihm ward sie dann von den Baby-
loniern zerstört. Von David, dem ersten jüdischen König
in Jerusalem, bis zur Zerstörung durch Titus verflossen
elf hundertneunundsiebzig , von der ersten Gründung bis
zur letzten Eroberung zweitausendeinhundertsiebenund-
siebzig Jahre . 1 Weder das hohe Alter der Stadt, noch
ihr ungeheurer Reichtum, noch die Verbreitung des ihr
zugehörigen Volkes über die ganze Erde, noch der grosse
Ruf des in ihr gepflegten Gottesdienstes vermochte sie
vor dem Untergang zu bewahren. Dies war das Ende
der Belagerung Jerusalems.
1 Auf besondere Genauigkeit können diese Zahlen schon deshalb
keinen Anspruch machen, weil sie in den Texten nicht immer
richtig abgeschrieben worden sind. Infolgedessen hat der eine Codex
diese, der andere jene Zahl.
Siebentes Buch.
Inhalt
1. Wie die Hörner, nachdem sämtliche Juden getötet oder gefangen
waren, alles dem Erdboden gleich machten mit Ausnahme dreier
Türme, die der Nachwelt eine Vorstellung von der einstigen
Schönheit der Stadt geben sollten.
2. Rede des Titus an seine Soldaten und lobende Anerkennung ihrer
Tapferkeit.
3. Wie er einzelne von ihnen nach Verdienst durch Kampfpreise
und Geschenke ehrte.
4. Wie er nach reichlicher Beschenkung der Legionen sich nach
Caesarea begab, wohin er auch die gesamte Kriegsbeute bringen
liess.
5. Vespasianus bricht von Alexandria nach Rom auf.
6. Wie Titus sich nach Caesarea Philippi begab und dort Spiele
feierte, bei denen eine grosse Menge Kriegsgefangener den
Tod fand.
7. Wie der Tyrann Simon gefangen genommen und für den
Triumph aufbewahrt wurde.
8. Wie Titas bei der Feier von seines Bruders Geburtstag viele
Juden umbringen liess.
9. Wie die Juden zu Antiochia infolge der Gesetzesübertretung
eines Juden Antiochus in grosse Gefahr gerieten.
10. Wie Vespasianus überall und besonders in Rom glänzend'
empfangen wurde.
11. Wie die Germanen, die von den Römern abgefallen waren, wieder
unterjocht wurden.
12. Wie die Sarmaten wegen eines Einfalles in Moesien gezüchtigt
und mit grossem Verlust in ihr Land zurückgetrieben wurden.
13. Wie Titus von Berytus aus zurückkehrte und viele Juden bei
den von ihm veranstalteten Spielen umbringen liess. Merk*
würdiger Bericht über den sogenannten Sabbatfluss.
14. Wie die Antiochener mit ihren Klagen gegen die Juden ab-
gewiesen wurden.
15. Wie Titus nach Jerusalem zurückkehrte und beim Anblick der
verödeten Stadt von Mitleid bewegt wurde. Er reist über
Alexandria nach Rom.
Siebentes Buch, Inhalt.
617
16. Wie er in Italien begeistert empfangen und unter grossem Ge-
pränge geleitet wurde, und wie die beiden Caesaren gemeinsam
zu triumphieren beschlossen.
17. Beschreibung des Triumphzuges und der in ihm zur Schau mit-
geführten Beutestücke.
18. Hinrichtung des Tyrannen Simon während des Trinmphzuges.
19. Wie im Tempel der Friedensgöttin, den Vespasianus nach dem
Triumph erbaute, alle Beutestücke niedergelegt wurden.
20. Wie Bassus nach Judaea kam und , nachdem er das Kastell
Herodium zur Übergabe gezwungen, auch zur Eroberung der
Festung Machaerus sich anschickte.
21. Über die Lage von Machaerus.
22. Von der in der Königsburg zu Machaerus wachsenden Raute.
23. Merkwürdiger Bericht von einer anderen Pflanze.
24. Von den warmen Quellen des Ortes.
25. Wie Bassus gegen Freigabe des auf eigentümliche Weise gefangen
genommenen Jünglings Eleazar die Übergabe der sehr stark
befestigten Stadt erlangte.
26. Wie er die Juden, die sich in eine Waldschlucht mit Namen
Jardes geflüchtet hatten , umzingeln und sämtlich nieder-
machen liess.
27. Wie Vespasianus an Bassus und Liberius den Befehl sandte,
das ganze Land der Juden zu verkaufen, und den letzteren,
wo sie auch wohnen mochten, eine jährliche Steuer von zwei
Drachmen auf legte, die sie für das Kapitolium, wie früher für
den Tempel, zu entrichten hätten.
28. Von dem Unglück des Königs Antiochus von Kommagene.
29. Von den Alanen und ihren Raubzügen nach Medien und
Armenien.
30. Von der Festung Masada und den Sikariern, die dieselbe besetzt
hielten.
31. Wie Silva sich zur Belagerung von Masada anschickte. Be-
schreibung der Stadt.
32. Von den Vorräten an Waffen und Lebensmitteln, die seit des
Königs Herodes Zeiten dort lagerten.
33. Wie der römische Heerführer Masada berannte , die Mauer
durch Feuer zerstören und in der Absicht, die Feinde
am folgenden Morgen auzugreifen, dieselben in der Nacht
streng bewachen liess.
34. Wie Eleazar, der Führer der Sikarier, alle seine Untergebenen
durch eindringliche Vorstellungen dahin brachte, dass sie den
Entschluss fassten, sich samt ihren Familien selbst zu töten.
35. Wie darauf alle in der Festung befindlichen Menschen ausser
zwei Weibern und fünf Knaben sich gegenseitig ermordeten.
618
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
36. Wie die Römer und Silva, die sich harte Strapazen bei der
Einnahme der Stadt vorgestellt hatten, dieselbe ohne Schwert-
streich eroberten.
37. Wie zu Alexandria viele dorthin geflohene Sikarier in harte Be-
drängnis gerieten, und wie der einst vom Hohepriester Onias
in Aegypten erbaute Tempel zerstört wurde.
38. Wie ein gewisser Sikarier Jonathas, seines Zeichens Weber, die
Juden in Kyrene zum Aufruhr verleitete, und wie infolgedessen
viele von ihnen umkamen.
39. Wie von Jonathas auf Anstiften des Statthalters Catullus
unter anderen auch der Schriftsteller Josephus fälschlich an-
geklagt wurde.
40. Wie Yespasianus nach Ermittelung des wahren Sachverhaltes
den Jonathas lebendig verbrennen liess, und wie Catullus
zunächst frei ausging, später aber an einer Krankheit starb,
die Gott ihm zur Strafe für die Ermordung der fälschlich an-
geklagten Juden schickte.
Erstes Kapitel.
Schleifung Jerusalems bis auf drei Türme. Titus belohnt
sein Heer und entlässt einen Teil desselben.
1. Da das Heer jetzt nichts mehr zu morden und zu
rauben hatte, und die Erbitterung sich vergeblich nach
einem Gegenstand umsah, an dem sie sich hätte sättigen
können (aus blossem Mitgefühl nämlich würden die
Soldaten wohl an keinem vorübergegangen sein), befahl
der Caesar, die ganze Stadt und den Tempel zu schleifen.
Nur die Türme Phasael, Hippikus und Mariamne, welche
die anderen überragten, sowie die westliche Strecke der
Ringmauer sollten stehen bleiben : letztere, um ein festes
Lager für die künftige Besatzung bilden zu helfen, die
Türme aber, um der Nachwelt Zeugnis zu geben, wie
herrlich und wie stark befestigt die Stadt war, die der
römischen Tapferkeit erlag. Alle übrigen Teile der
Stadtmauer machten die Sieger so völlig dem Erdboden
gleich, dass fremde Ankömmlinge kaum hätten glauben
sollen, die Stätte sei jemals bewohnt gewesen. Ein so
trauriges Ende nahm die prächtige, weltberühmte Stadt
Jerusalem infolge des Wahnsinns der Empörer.
1 CAUFÖRMIA
Go gle
ÜNIVBRSIKiO!
Siebentes Buch, 1. Kapitel.
619
2. Als Besatzung beschloss der Caesar die zehnte
Legion sowie einige Reiterschwadronen und kleinere
Abteilungen Fussvolk zurückzulassen. Nachdem er
nunmehr mit allen kriegerischen Operationen zu Ende
war, verlangte es ihn, dem gesamten Heere wegen der
glänzenden Erfolge seine Anerkennung auszusprechen
und denen, die sich hervorgethan, die verdienten Be-
lohnungen zuzuteilen. Zu diesem Zweck liess er inmitten
des früheren Lagers eine grosse Tribüne errichten, be-
stieg dieselbe mit den höheren Offizieren und hielt, weit-
hin vernehmlich, an das versammelte Heer folgende
Ansprache: „Dank, vielen Dank sage ich euch für die
gute Gesinnung, die ihr mir gegenüber an den Tag
legtet, und die sich bis jetzt stets gleich geblieben ist.
Des weiteren lobe ich euren Gehorsam, den ihr während
des ganzen Krieges trotz vieler und schwerer Gefahren
neben grosser persönlicher Tapferkeit bewiesen habt,
um auch eurerseits dazu beizutragen, dass die Herr-
schaft eures Vaterlandes ausgebreitet werde, und um der
Welt zu zeigen, dass weder ein an Zahl überlegener
Gegner, noch starke Festungswerke, noch grosse Städte,
noch unsinnige Tollkühnheit und tierische Wildheit den
römischen Waffen trotzen können, selbst wenn die Feinde
hin und wieder vom Glück begünstigt werden. Wir
haben nun den langwierigen Krieg so rühmlich zu Ende
geführt, wie wir es bei seinem Beginn nur wünschen
konnten. Aber nooh rühmlicher und ehrenvoller ist es
für euch, dass der Herrscher und Lenker des römischen
Reiches, den ihr erwählt und in die Heimat voraus-
geschickt habt, weit und breit mit Jubel begrüsst wird,
dass man allenthalben eurem Beschlüsse zustimmt und
euch, den Wählern, dafür Dank weiss. Euch allen zolle
ich darum meine Bewunderung und Achtung; weiss ich
doch, dass bei keinem von euch der gute Wille hinter
dem Erreichbaren zurückgeblieben ist. Denen aber,
die, mit grösserer Körperkraft ausgerüstet, sich im
Kampfe besonders ausgezeichnet, ihr Leben mit Helden-
thaten geschmückt und den Ruhm meines Heeres durch
620 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
siegreiche Unternehmungen erhöht haben, will ich jetzt
die entsprechenden Preise und Belohnungen verleihen,
und keiner, der mehr als andere zu leisten sich bemühte,
soll der gebührenden Anerkennung verlustig gehen.
Gar sehr nämlich liegt mir dies am Herzen, wie ich
denn überhaupt viel lieber das wackere Verhalten
meiner Kriegsgefährten belohne, als ihre Fehler be-
strafe.“
3. Sogleich befahl er alsdann den damit beauftragten
Personen, diejenigen zu verlesen, die während des
Krieges irgend eine glänzende That vollbracht hatten.
Wie sie nun an ihm vorüberzogen, redete er sie Mann
für Mann mit Namen an, lobte sie und zeigte eine
Freude, wie wenn die einzelnen Heldenthaten von ihm
selbst verrichtet worden wären. Zugleich bedachte er
sie mit goldenen Kränzen, goldenen Halsketten, grossen
goldenen Speeren, oder schenkte ihnen silberne Feld-
zeichen, und liess jeden in einen höheren Bang auf-
rücken. Auch verteilte er aus der Kriegsbeute noch
Gold, Silber, kostbare Kleidungsstücke und andere
Gegenstände in Hülle und Fülle. Als er in dieser
Weise ihnen allen die verdiente Auszeichnung zuerkannt
hatte, sprach er einen Segenswunsch über das Heer,
stieg unter dem Jubel der Menge von der Tribüne
herab und liess die Siegesopfer darbringen. Vor den
Altären stand schon eine Masse von Stieren bereit;
diese wurden jetzt geschlachtet, ihr Fleisch verteilt und
dem Heere dadurch ein reichliches Mahl verschafft. Er
selbst schmauste mit den Offizieren drei Tage lang und
entliess sodann die fremden Truppen, wohin es ihnen
beliebte. Der zehnten Legion übertrug er die Bewachung
von Jerusalem, anstatt sie wieder über den Euphrat zu
schicken, wo sie früher gestanden hatte. Die zwölfte
Legion dagegen, der er nicht vergessen konnte, dass sie
einst unter Cestius vor den Juden zurück ge wichen war,
verwies er gänzlich aus Syrien, wo sie ehedem in Rapha-
naea gelegen hatte, und schickte sie nach Melitene, einer
Landschaft am Euphrat auf der Grenze zwischen Arme-
Go gle
Siebentes Buch, 2. Kapitel.
621
nien und Kappadocien. Zwei Legionen, die fünfte und
fünfzehnte, wollte er bis zu seiner Ankunft in Aegypten
bei sich behalten. Hierauf zog er mit seiner Streitmacht
nach Caesarea am Meer, wo er auch die unermessliche
Beute unterbringen und die Kriegsgefangenen be-
wachen liess. Die Abfahrt nach Italien nämlich ver-
hinderte der Winter.
Zweites Kapi tel.
Titus giebt in Caesarea Philippi eine Reihe von Schauspielen.
Gefangennahme des Tyrannen Simon.
1. Um die Zeit, da der Caesar Titus die Belagerung
Jerusalems eben am eifrigsten betrieb, bestieg Vespa-
sianus in Alexandria ein Kauffahrteischiff und setzte
nach Rhodus über. Von hier fuhr er auf Dreiruderern
weiter, besuchte sämtliche Städte, an denen sein Weg
ihn vorbeiführte, und ward überall mit Glück- und
Segenswünschen empfangen. Alsdann setzte er 1 von
Ionien nach Griechenland und weiterhin von Kerkyra
nach dem Japygischen Vorgebirge über, von wo er seine
fernere Reise vollends zu Land ausführte. Unterdessen
brach Titus von Caesarea am Meer auf und begab
sich nach Caesarea Philippi, wo er längere Zeit ver-
weilte und mancherlei Spiele aufführen liess. Eine
Menge Kriegsgefangener fand dabei den Tod, indem sie
entweder den wilden Tieren vorgeworfen oder gezwungen
wurden, haufenweise miteinander zu kämpfen. Hier
war es auch, wo Titus die Gefangennahme Simons, des
Sohnes des Gioras, erfuhr, die sich folgendennassen zu-
trug. Simon hatte bekanntlich während der Belagerung
Jerusalems die obere Stadt inne. Als aber das Römer-
heer innerhalb der Mauern war und die ganze Stadt
verwüstete, nahm er seine vertrautesten Freunde samt
einigen Steinhauern sowie die nötigen eisernen Werk-
zeuge für die letzteren und Proviant, der für mehrere
1 69 n. Chr.
622
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Tage reichen konnte, mit und begab sich in Begleitung
dieser Männer in eines der finsteren Gelasse. So lange
nun der alte Gang fortlief, folgten sie demselben; als
sie aber auf festes Erdreich stiessen, gruben sie weiter
in der Hoffnung, bei fernerem Vordringen an einer
sicheren Stelle hervorschlüpfen und sich auf diese Weise
retten zu können. Beim wirklichen Versuch indes
mussten sie sich gar bald von der Aussichtslosigkeit
ihrer Bemühungen überzeugen ; denn die Arbeiter waren
unter grossen Anstrengungen nur wenige Schritte vor-
wärts gekommen, als die Lebensmittel, so sparsam man
auch mit ihnen umgegangen war, auszugehen drohten.
Da zog Simon, um die Römer durch Erregung von
Schrecken zu täuschen, einen weissen Leibrock an, be-
festigte darüber ein purpurnes Obergewand und stieg an
derselben Stelle, wo früher der Tempel gestanden hatte,
aus der Erde empor. Zuerst ward es den Soldaten, die
ihn sahen, gruselig, und sie blieben stehen; dann aber
traten sie näher und riefen ihn mit „Wer da“ an. Simon
gab ihnen hierauf keine Antwort, sondern ersuchte
sie, den Feldherrn zu holen. Eiligst liefen sie zu
Terentius Rufus, der auch sogleich erschien; er war
nämlich als Befehlshaber des Heeres zurückgeblieben.
Als er nun von Simon den ganzen Sachverhalt erfuhr,
liess er ihn fesseln und bewachen und teilte dem Caesar
mit, auf welche Weise man seiner habhaft geworden.
So gab Gott den Simon zur Strafe für die Tyranni-
sierung seiner Mitbürger, gegen die er so schrecklich
gewütet hatte, seinen Todfeinden in die Hand, und
zwar sollte er nicht mit Gewalt von ihnen bezwungen
werden, sondern freiwillig sich ihnen zur Bestrafung
stellen und so dasselbe thun müssen, um dessetwillen
er so viele auf die falsche Anklage hin, dass sie es mit
den Römern hielten, grausam hatte ermorden lassen. Denn
wie die Bosheit dem Zorne Gottes nicht entfliehen kann,
so ist auch seine Gerechtigkeit nicht kraftlos, sondern
ereilt im Laufe der Zeit stets diejenigen, die sich
gegen sie vergangen haben, und sucht die Bösen mit
Siebentes Buch, 3. Kapitel.
623
einer Strafe heim, die um so empfindlicher ist, als sie
derselben schon entronnen zu sein glauben, weil sie nicht
augenblicklich der That folgte. Das erfuhr auch Simon,
als er der Rache der Römer anheimfiel. Sein Auftauchen
aus dem Schoss der Erde bewirkte übrigens, dass in
jenen Tagen auch die anderen Aufrührer noch massen-
haft in den unterirdischen Gängen entdeckt wurden.
Als Titus nun nach Caesarea am Meer zurück gekehrt
war, führte man ihm den Tyrannen gefesselt vor, wonach
er befahl, ihn für den Triumph aufzubewahren, den er
in Rom zu feiern gedachte.
Drittes Kapitel.
Titus veranstaltet weitere Festlichkeiten zu Ehren
seines Bruders und seines Vaters. Missliche Lage der
Juden zu Antiochia.
1. Während seines dortigen Aufenthaltes beging er
aufs glänzendste den Geburtstag seines Bruders 1 und
liess ihm zu Ehren wieder eine Menge gefangener Juden
töten; mehr als zweitausendfünfhundert betrug die Zahl
derer, die teils in den Tiergefechten, teils auf dem
Scheiterhaufen, teils in den Kämpfen miteinander zu
Grunde gingen. Aber trotz all dieser und unzähliger
sonstiger Todesarten , denen die Juden erlagen , schien
den Römern die Strafe für die Empörer noch nicht
schwer genug. Hierauf begab 6ich der Caesar nach
Berytus, einer römischen Kolonie in Phoenicien, wo er
längere Zeit verweilte und, um den Geburtstag seines
Vaters 2 zu feiern, für prächtige Spiele und sonstigen
Pomp den denkbar grössten Aufwand machte. Auch
hier musste auf die gleiche Weise wie früher wieder eine
Menge Gefangener das Leben lassen.
2. Um diese Zeit gerieten auch die Juden zu An-
tiochia , die bisher von kriegerischen Drangsalen ver-
1 Domitianus (geb. 24. Oktober 50 n. Chr.).
2 Vespasianus war geboren am 17. November 9 n. Chr.
624
Joseptms, Geschichte des Jüdischen Krieges.
schont geblieben waren, 1 in schlimmen Verdacht und
schwere Lebensgefahr. Der dortigen Bürgerschaft näm-
lich hatte sich eine gewaltige Erregung bemächtigt, teils
infolge von Beschuldigungen, die in jüngster Zeit gegen
die Juden erhoben worden waren, teils auch wegen
einiger älteren Vorfälle. Letztere muss ich ganz kurz
schildern, um die Erzählung der späteren Begebenheiten
verständlich zu machen.
3. Das jüdische Volk lebt bekanntlich unter den
Bewohnern der verschiedenen Länder über die ganze
Erde zerstreut; am meisten aber ist es in der seinem
Stammlande benachbarten Provinz Syrien und hier
wieder vorzugsweise in Antiochia wegen der Grösse dieser
Stadt mit der übrigen Bevölkerung vermischt. Auch
war ihnen ja von den Königen nach Antiochus daselbst
freie Niederlassung zugestanden worden. Dieser An-
tiochus, mit dem Beinamen Epiphanes, hatte Jerusalem
zerstört und den Tempel geplündert; seine Nachfolger auf
dem Thron aber hatten alle ehernen Weihgeschenke den
Juden zu Antiochia gegeben, sie in deren Synagoge ge-
stiftet und ihnen dieselben bürgerlichen Rechte wie den
Griechen verliehen. Auch die späteren Könige behan-
delten sie in gleicher Weise, und da sich infolgedessen
ihre Zahl beträchtlich vermehrte, verschönerten sie ihr
Heiligtum durch kunstvolle und prächtige Geschenke
und zogen eine Menge Griechen zu ihrem Glauben
herüber, wodurch sie diese gewissennassen zu einem
Bestandteil ihrer eigenen Gemeinde machten. Um die
Zeit der Kriegserklärung nun, als Vespasianus neuer-
dings in Syrien gelandet war und allenthalben die
Flamme des Judenhasses mächtig emporschlug, trat ein
Mitglied der jüdischen Gemeinde Namens Antiochus,
der um seines Vaters, des Vorstehers 2 der antiochenischen
i S. II, 18, 5.
* Einen solchen Vorsteher (hier Archon, sonst Alabarch genannt)
hatten die griechischen Könige zu Alexandria und Antiochia den
Juden als eigene Obrigkeit zugestanden, und auch unter den Römern
war diese Einrichtung bestehen geblieben.
Siebentes Buch, 3. Kapitel.
625
Judenschaft, willen hohes Ansehen genoss, im Theater
vor der dort versammelten Bürgerschaft auf und klagte
seinen eigenen Vater und die übrigen Juden an, als
gingen sie mit dem Plan um, in einer bestimmten
Nacht die ganze Stadt in Brand zu stecken. Zugleich
lieferte er einige fremde Juden als angebliche Teilhaber
der Verschwörung in die Hände der Antiochener. Diese
vermochten sich vor Zorn darüber nicht zu halten und
Hessen unverzüglich für die Ausgelieferten im Theater
einen Scheiterhaufen errichten, auf dem dieselben denn
auch samt und sonders verbrannt wurden. Alsdann
schickten sich die Griechen an, über ihre jüdischen
Mitbürger herzufallen; sie glaubten eben, ihre Vater-
stadt um so sicherer retten zu können, je schneller sie
an ihnen Rache nähmen. Antiochus fachte ihre Er-
bitterung noch weiter an, und um von seiner Sinnes-
änderung und von seinem Hass gegen die jüdischen
Religionsgebräuche einen Beweis zu geben, opferte er
nicht nur selbst nach griechischer Sitte, sondern machte
auch den Vorschlag, die übrigen gleichfalls dazu zu
nötigen; an der Weigerung werde man dann die Ver-
schwörer erkennen. Die Antiochener machten auch
wirklich die Probe, aber nur wenige Juden Hessen sich
darauf ein; die Widerspenstigen wurden hingerichtet.
Antiochus erhielt nun vom römischen Statthalter Sol-
daten, mit deren Hilfe er seine Mitbürger aufs schlimmste
bedrängte. Er verbot ihnen, am Sabbat zu feiern,
zwang sie, alle werktäglichen Arbeiten an demselben
zu verrichten, und wusste seinen harten Massregeln
solchen Nachdruck zu geben, dass nicht nur in Antiochia,
sondern nach dem Vorgang dieser Stadt auch ander-
wärts die Feier des Sabbats eine Zeitlang auf hörte.
4. Bald nachdem die Juden zu Antiochia dieses Leid
erduldet, traf sie ein zweiter Unglücksfall, zu dessen
näherem Verständnis eben die vorstehende Erzählung
beitragen sollte. Es begab sich nämlich, dass der vier-
eckige Markt, das Rathaus, das Archiv und der Königs-
palast abbrannten; nur mit äuss erster Anstrengung
JosephuB, Jüdischer Krieg. 40
626
Josepfcus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
konnte man ein Übergreifen des Feuers auf die ganze
Stadt verhüten. Antiochus bezichtigte nun die Juden
der Brandstiftung , und selbst wenn die Antiochener
nicht schon vorher so schlecht auf sie zu sprechen ge-
wesen wären, hätte doch diese Verleumdung in der ersten
Aufregung über das Unglück wirken müssen. Dadurch
aber, dass Antiochus sich auch noch auf. den früheren
Vorfall berief, wusste er seine Angaben erst recht glaub-
lich zu machen, sodass die Antiochener, als hätten sie
mit eigenen Augen die Juden den Feuerbrand schleudern
sehen, sich wie rasend auf die Verleumdeten stürzen
wollten. Nur mit Mühe gelang es dem Legaten Cnejus
Collega, ihre Aufregung zu beschwichtigen, indem er
verlangte, dass man ihn über das Geschehene zunächst
nach Rom berichten lassen solle; Caesennius Paetus
nämlich, den Vespasianus zum Statthalter von Syrien
ernannt und bereits dorthin geschickt hatte, war noch
nicht angekommen. Durch genaue Untersuchung er-
mittelte übrigens Collega den wahren Sachverhalt: von
den Juden, die Antiochus beschuldigt hatte, war keiner
mit dabeigewesen, sondern der ganze Brand stellte sich
als das Werk einiger ruchlosen Menschen heraus, die
in hohem Grade verschuldet waren und geglaubt hatten,
man werde, wenn sie das Rathaus und die städtischen
Urkunden durch Feuer vernichteten, keine Anforderung
mehr an sie stellen können. So lange aber die Unter-
suchung noch im Gange war, schwebten die Juden hin-
sichtlich der Zukunft in angstvoller Erwartung.
Siebentes Buch, 4. Kapitel.
627
Viertes Kapitel.
Vespasianus zieht in Rom ein. Die Germanen und
Sarmaten.
1. Als dem Caesar Titus gemeldet ward, wie sehr
sein Vater von allen Städten Italiens erwartet worden
sei und wie besonders Rom ihm den herzlichsten und
glänzendsten Empfang bereitet habe, erfüllte ihn diese
willkommene Zerstreuung seiner Besorgnisse mit denkbar
innigster Freude. Denn selbst als Vespasianus noch in
weiter Ferne war, schlugen ihm bereits alle Herzen in
Italien entgegen, wie wenn er schon da wäre : die blosse
Erwartung erzeugte — so gross war das Verlangen
nach ihm — schon den Eindruck seiner wirklichen An-
kunft, und dabei war die allgemeine Zuneigung durch-
aus frei von jedem Zwang. Der Senat, eingedenk des
Unheils, das der rasche Wechsel in der Besetzung
des Thrones zur Folge gehabt, wünschte sich Glück,
einen durch ehrwürdiges Alter und den Vollglanz
kriegerischer Thaten ausgezeichneten Imperator zu er-
halten. von dem man überzeugt sein konnte, dass er
seine hohe Stellung nur zum Besten seiner Unterthanen
benutzen würde. Das Volk aber, durch die inneren
Wirren fast aufgerieben, sah seiner Ankunft mit noch
grösserem Verlangen entgegen, weil es nicht nur sichere
Befreiung von seinen bisherigen Leiden, sondern auch
geordnete Verhältnisse und Wohlstand vertrauensvoll
erwartete. Das Heer vollends schaute mit besonderer
Zuversicht auf ihn; kannte es doch am besten die Be-
deutung der von ihm so glücklich beendeten Kriege.
Zudem bekundeten die Soldaten, die die Unfähigkeit
und Feigheit der anderen Imperatoren zur Genüge er-
fahren hatten, den lebhaften Wunsch, so manche frühere
Schmach zu tilgen, weshalb sie ihn als den Mann er-
sehnten, der allein ihre Macht und Ehre wiederherstellen
könne. Da somit alle Klassen der Bevölkerung das
grösste Wohlwollen für ihn an den Tag legten, konnten
40 *
628
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
die angesehenen Männer der Stadt es nicht über sich
bringen , ihn in Rom zu erwarten , sondern eilten ihm
bis weit vor die Stadt entgegen. Aber auch den anderen
Bürgern war jeder Aufschub der Begegnung unerträg-
lich ; sie strömten daher in grossen Scharen hinaus, und
da ihnen das Gehen lieber und leichter als das Bleiben
war, überkam die Stadt zum erstenmal ein angenehmes
Gefühl der Entvölkerung — denn die Zahl derer, die
ihm entgegenzogen, überwog die der Zurückbleibenden
um ein bedeutendes. Als nun endlich sein Herannahen
gemeldet wurde und die Vorausgeeilten die grosse Leut-
seligkeit rühmten, mit der er jedermann beglücke, da
wollte die gesamte übrige Bevölkerung ihn am Wege
empfangen, und wo er vorüberkam, begeisterte sein freund-
liches Wesen und der milde Ausdruck seines Antlitzes
die Menge zu den verschiedensten Zurufen, die ihn als
Wohlthäter, Retter und allein würdigen Beherrscher
Roms bezeichn eten. Vor lauter Kränzen und Räucher-
werk sah übrigens die Stadt fast wie ein Tempel aus.
Nur mit Mühe konnte der Gefeierte durch die Masse
des ihn umdrängenden Volkes hindurch in den Palast
gelangen, wo er sogleich den Hausgöttern Dankopfer
für seine glückliche Ankunft darbrachte. Das Volk
aber machte sich unterdessen an die Schmausereien :
nach Stämmen, Geschlechtern und Nachbarschaften
Hessen sich die Einwohner Roms zu den Mahlzeiten
nieder und flehten unter Ausgiessung von Trankopfern
die Gottheit an, dass sie Vespasianus selbst noch viele
Jahre dem römischen Reiche erhalten und seinen Söhnen
wie deren spätesten Nachkommen den Thron unbestritten
bewahren möge. Seit diesem freudigen Empfange, den
Rom dem Vespasianus bereitet hatte, nahm die Stadt
ersichtlich an Wohlstand zu.
2. Geraume Zeit vorher, als Vespasianus noch in
Alexandria weilte und Titus der Belagerung Jerusalems
oblag, empörte sich ein grosser Teil der Germanen, 1
1 Diesen wie den unten erwähnten Sarmaten- Aufstand hat
Josephus lediglich zura Zwecke der Verherrlichung seiner Gönner
Go gle
Siebentes Buch, 4 . Kapitel.
629
mit denen die benachbarten Gallier gemeinsame Sache
machten: vereint hegten sie grosse Hoffnung, das römische
Joch von sich abschütteln zu können. Was die Ger-
manen zum Abfall und zu kriegerischen Unternehmungen
trieb, war zunächst ihr Volkscharakter, vermöge dessen
sie, vernünftigen Ratschlägen unzugänglich, bei der ge-
ringsten Aussicht auf Erfolg sich blindlings in Gefahren
stürzen; dann aber auch der Hass gegen ihre Zwing-
herren, weil sie wissen, dass ihr Volk noch von niemand
ausser den Römern bezwungen worden ist. Zumeist
jedoch machte die allgemeine Weltlage ihnen Mut. Da
sie nämlich die römische Weltherrschaft infolge des
häufigen Wechsels der Imperatoren innerlich erschüttert
sahen und Kunde davon erhielten, wie alle Teile des
gewaltigen Reiches in Verwirrung und Schwankung sich
befänden, glaubten sie diese Verlegenheiten und Miss-
helligkeiten der Römer in geschickter Weise für sich
ausbeuten zu können. Aufgereizt und mit solchen Hoff-
nungen erfüllt wurden sie von ihren Anführern Classicus
und Vitellius , 1 die offenbar schon lange den Aufruhr
geplant hatten , aber erst jetzt, durch die Zeitumstände
ermutigt, ihre Gedanken verlauten Hessen und sich an-
schickten, mit den ohnehin dazu geneigten Völker-
schaften den Versuch zu wagen. Schon hatten die
meisten Stämme der Germanen sich dem Aufstand an-
geschlossen und die übrigen ihren baldigen Beitritt in
Aussicht gestellt, als Vespasianus wie auf einen Wink
der Vorsehung dem früheren Statthalter in Germanien,
Petilius Cerealis, ein Schreiben zusandte, worin er ihm
den Titel eines Konsuls verlieh und den Befehl erteilte,
zur Übernahme der Verwaltung nach Britannien zu
gehen. Auf der Reise nach seinem Bestimmungsort kam
nun dem Cerealis die Kunde von dem Abfall der Ger-
Domitianus und Vespasianus in die Erzählung eingeflochten. Do-
mitians Verdienste sind allerdings stark übertrieben (s. Sueton.,
Domitian. 7).
1 Muss nach Tacitus (Histor. IV, 5t — 78) heissen: Claudius
Civilis.
630
Josephas, Geschichte des Jüdischen Krieges.
manen zu, und da dieselben sich bereits gesammelt
hatten, überfiel er sie, brachte ihnen in förmlicher
Schlacht schwere Verluste bei und zwang sie dadurch,
ihr tolles Unternehmen aufzugeben und zu vernünftiger
Überlegung zurückzukehren. Sie wären übrigens, auch
wenn Cerealis nicht so schnell in ihrem Lande sich
eingefunden hätte, für ihr Beginnen doch in kurzem ge-
züchtigt worden. Denn kaum war die Nachricht von
ihrem Abfall nach Rom gelangt, als der Caesar Domi-
tian us, ohne, wie ein anderer in seinem noch ganz
jugendlichen Alter gethan haben würde, sich lange zu
besinnen , seiner vom Vater ererbten Tapferkeit und
einer für seine Jahre mächtig gereiften Kriegserfahrung
gemäss ans Werk ging und sogleich gegen die Barbaren
auf brach. Das blosse Gerücht von seinem Anrücken
nahm ihnen völlig den Mut, und so unterwarfen sie
sich ihm aus Angst und betrachteten es schon als Ge-
winn, dass sie, ohne besonderen Verlust erlitten zu haben,
sich wieder unter das vorige Joch beugen durften. Nach-
dem Domitianus hierauf in Gallien solche Vorkehrungen
getroffen, dass nicht so leicht wieder ein Aufstand da-
selbst ausbrechen konnte, zog er, ruhmbedeckt und aus-
gezeichnet durch Grossthaten, die zwar nicht von seinem
Alter, wohl aber von dem Sohne eines solchen Vaters
sich erwarten liessen, in Rom wieder ein.
3. Zugleich mit der Nachricht von dem oben er-
wähnten Aufstand der Germanen lief auch die von
einer skythischen Empörung in Rom ein. Der volk-
reiche Skythenstamm der Sarmaten nämlich war un-
bemerkt über den Ister nach Moesien vorgedrungen,
hatte dann mit grossem Ungestüm und, besonders furcht-
bar durch das völlig Unerwartete seines Angriffs, sich
auf die Römer geworfen, einen grossen Teil der dortigen
Besatzungstruppen niedergemacht, den Legaten Fontejus
Agrippa nach kräftiger Gegenwehr getötet und das
ganze den Römern unterworfene Land plündernd und
verwüstend durchzogen. Als Vespasianus diese Vor-
gänge und die Verheerung Moesiens erfuhr, sandte er,
Go gle
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Siebentes Buch, 5. Kapitel.
631
um die Barmaten zu züchtigen, den Kubrius Gallus ab,
dem es denn auch gelang, einen grossen Teil der Em-
pörer auf dem Schlachtfeld zu töten , während die
übrigen entsetzt in ihre Heimat flohen. Hiermit war der
Krieg zu Ende, und der Feldherr sorgte nun auch für
die künftige Sicherheit der Gegend, indem er sie mit
zahlreicheren und stärkeren Besatzungen versah, sodass
den Barbaren der Übergang über den Ister fortan ganz
unmöglich wurde. So ward der Kampf in Moesien
schnell entschieden.
Fünftes Kapitel.
Von dem sogenannten Sabbatfluss. Titus weist die
Antiochener mit ihren Klagen gegen die Juden ab.
Der Triumph.
1. Eine Zeitlang hielt sich also der Caesar Titus,
wie oben erwähnt, in Berytus auf. Von dort besuchte
er dann der Reihe nach die Städte Syriens und gab in
jeder derselben prunkvolle Spiele, bei denen jüdische
Kriegsgefangene durch ihren Tod die Schaulust be-
friedigen mussten. Auf dieser seiner Reise besichtigte
er auch einen seiner natürlichen Beschaffenheit wegen
gar merkwürdigen Fluss, der mitten zwischen Arkaea im
Königreich des Agrippa und Raphanaea dahinströmt
und eine wunderbare Eigenschaft besitzt. So lange er
nämlich fliesst, ist er wasserreich und hat ein ziemlich
starkes Gefälle; sechs volle Tage aber versiegt er von
der Quelle an , sodass sein ganzes Bett trocken liegt.
Dann strömt er am siebenten Tage, wie wenn keine
Unterbrechung erfolgt wäre, wieder regelmässig und hält
diese Ordnung stets genau ein, weshalb man ihn auch
— nach dem heiligen siebenten Tage der Juden —
Sabbatfluss genannt hat. 1
1 Nach Plinius (Naturgeschichte 31, 11) verhielt sich die Sache
gerade umgekehrt: sechs Tage lang strömte der Fluss, und am
siebenten blieb er aus.
632
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
2. Als die Bewohner von Antiochia erfuhren, dass
Titus sich der Stadt nähere, vermochten sie sich vor
Freude nicht mehr innerhalb ihrer Mauern zu halten,
sondern zogen ihm eilenden Fusses mehr als dreissig
Stadien weit entgegen, und zwar strömten nicht nur die
Männer, sondern auch eine Menge Weiber und Kinder
zur Stadt hinaus. Wie sie ihn nun von fern erblickten,
stellten sie sich zu beiden Seiten des Weges auf,
streckten ihm zur Begrüssung die Hände entgegen und
geleiteten ihn unter mancherlei freudigen Zurufen in die
Stadt. In alle ihre Glückwünsche vergassen sie übrigens
nicht die beharrliche Bitte einzuflechten, Titus möge die
Juden aus der Stadt vertreiben lassen. Der Caesar aber
ging darauf nicht ein , sondern hörte die Klagen still-
schweigend an. Gleichwohl schwebten die Juden, da es
ungewiss war, was er zu thun vorhatte, eine Zeitlang in
peinlicher Angst. Titus hielt sich nämlich in Antiochia
nicht auf, sondern reiste alsbald nach Zeugma am
Euphrat weiter. Hier erwartete ihn eine Gesandtschaft
des Partherkönigs Vologeses, die ihm aus Anlass seines
Sieges über die Juden einen goldenen Kranz überreichte.
Er nahm das Geschenk an, liess die Gesandten reichlich
bewirten und kehrte dann wieder nach Antiochia zurück.
Der inständigen Bitte des Stadtrates und der Bürger-
schaft, in ihr Theater zu kommen, wo das versammelte
Volk seiner harrte, gab er freundlichst nach; als sie
ihm indes hartnäckig zusetzten und stürmisch die Ver-
treibung der Juden aus der Stadt verlangten, erteilte
er ihnen die treffende Antwort: „Aber die Hauptstadt
der Juden, in die man sie verweisen müsste, ist doch
zerstört, und keinen Ort giebt es mehr, der sie auf-
nehmen würde“ Mit diesem Anliegen abgewiesen,
brachten die Antiochener alsbald ein zweites vor: Titus
möge die ehernen Tafeln, auf denen die Gerechtsame
der Juden geschrieben standen, für ungiltig erklären.
Aber auch diese Bitte gewährte er ihnen nicht, sondern
liess alles bezüglich der Juden zu Antiochia beim alten.
Hierauf reiste er nach Aegypten ab. Als er nun an
Siebentes Bncb, 5. Kapitel.
633
Jerusalem vorüberkam und die traurige Verödung mit
der einstigen Pracht der Stadt verglich, auch die Grösse
der geschleiften Bauwerke sowie deren ehemalige Schön-
heit sich ins Gedächtnis rief, da empfand er inniges
Mitleid mit dem Untergang der Stadt, und anstatt sich,
wie mancher an seiner Stelle gethan haben würde, mit
der Eroberung einer so gewaltigen Festung zu brüsten,
verwünschte er vielmehr ein über das anderemal die
Anstifter der Empörung, die das schreckliche Straf-
gericht über die Stadt herauf beschworen hatten, und
bekundete dadurch, wie wenig es in seiner Absicht ge-
legen habe, seine Tapferkeit an der Vernichtung der
Gestraften zu erweisen. Von den ungeheuren Reich-
tümern der Stadt wurde übrigens in den Trümmern noch
ein gut Teil aufgefunden, und so viel auch die Römer
schon herausgegraben hatten , die Angaben der Ge-
fangenen führten doch immer wieder zu erneuter Ent-
deckung von Gold , Silber und anderen kostbaren
Gegenständen , welche die Besitzer im Hinblick auf die
ungewissen Wechselfälle des Krieges in der Erde ver-
borgen hatten.
3. Titus setzte nun die beschlossene Reise nach
Aegypten fort, durcheilte so schnell wie möglich die
Wüste und langte in Alexandria an, von wo er nach
Italien überzusetzen beabsichtigte. Zunächst entliess er
die beiden Legionen , die ihn begleitet hatten , in ihre
früheren Standquartiere, die fünfte nach Moesien, die
fünfzehnte nach Pannonien; dann gab er Befehl, aus den
Kriegsgefangenen die Anführer Simon und Joannes
sowie weitere siebenhundert durch Grösse und Schönheit
hervorragende Männer auszulesen und dieselben un-
verzüglich nach Italien zu befördern, weil er sie im
Triumph aufzuführen gedachte. Seine eigene Überfahrt
ging nach Wunsch von statten, und Rom rüstete sich,
ihn ähnlich wie seinen Vater zu empfangen und ihm
entgegenzugehen. Besonders ehrenvoll war es für Titus,
dass sein Vater selbst ihm entgegenzog und ihn be-
grüsste, und der Bevölkerung gewährte es eine fast
634
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
himmlische Freude, die drei hohen Häupter nun bei-
sammen zu sehen. Wenige Tage darauf beschlossen die
letzteren, den Triumph zur Feier ihrer Thaten gemein-
sam zu begehen, obwohl der Senat jedem von ihnen
einen besonderen Triumph bewilligt hatte. Weil nun
der Tag, an dem die Feier des Siegesfestes Btattfinden
sollte, vorher bekannt gemacht wurde, blieb von der
äusserst zahlreichen Bevölkerung Roms auch nicht ein
Mann zu Hause: jedes Plätzchen, wo man noch eben
stehen konnte, war besetzt und nur so viel Raum übrig
gelassen worden, als der Vorbeizug — wollte man über-
haupt etwas sehen — unbedingt erforderlich machte.
4. Nachdem noch während der Nacht das gesamte
Heer in Reih und Glied unter seinen Führern aus-
gerückt und vor den Thoren — nicht des oberen Palastes,
sondern in der Nähe des Isistempels, wo die Impera-
toren ihre Nachtruhe gehalten hatten — aufgestellt war,
traten beim Beginn der Morgenröte Vespasianus und
Titus lorbeerbekränzt und mit dem üblichen Purpur-
gewand bekleidet hervor und schritten nach der Halle
der Octavia. Hier harrten der Senat, die obersten Be-
amten und die Vornehmsten aus dem Ritterstande ihrer
Ankunft. Vor der Halle war eine Tribüne errichtet,
auf welcher elfenbeinerne Sessel für sie bereit standen.
Kaum hatten sie sich dorthin begeben und Platz ge-
nommen, als das Heer ein Jubelgeschrei erhob und laut
die glänzenden Thaten der Gefeierten pries. Auch die
Soldaten waren ohne Waffen, in seidenen Kleidern und
mit Lorbeer bekränzt. Vespasianus nahm nun zunächst
ihre Glückwünsche entgegen, machte jedoch bald durch
ein Zeichen, das Schweigen gebot, den weiteren Herzens-
ergiessungen ein Ende. Als hierauf allseitig tiefe Stille
eingetreten war, erhob er sich, verhüllte sein Haupt fast
ganz mit dem Gewand und sprach das herkömmliche
Gebet; dasselbe that auch Titus. Nach dem Gebet hielt
Vespasianus an sämtliche Anwesende insgemein eine
kurze Ansprache und entliess sodann die Soldaten zu
dem bei dieser Gelegenheit üblichen , von den Impera-
Siebentes Buch, 5. Kapitel.
635
toren ihnen bereiteten Mahle. Er selbst begab sich
an das Thor, welches nach den Triumphzügen be-
nannt ist, die der Sitte gemäss durch dasselbe ihren
Weg nehmen. 'Hier stärkten sich die drei durch einen
Imbiss, kleideten sich in die Triumphgewänder, brachten
den Göttern, die bei dem Thore ihren Tempel haben,
ein Opfer dar und liessen den Zug beginnen, der sich
alsdann durch die Theater bewegte, damit das Volk ihn
besser sehen könne.
5. Unmöglich ist es, die Menge der hierbei gezeigten
.Sehenswürdigkeiten, die überwältigende Pracht der
Kunstwerke, Luxusgegenstände und Naturseltenheiten,
wie man sie nur immer ersinnen mag, gebührend zu
schildern. Denn beinahe alles Bewundernswerte und
Kostbare, das begüterte Menschen jemals einzeln in
ihren Besitz gebracht haben und das bei jedem
Volke wieder anderer Art ist, war an diesem Tage in
kolossaler Menge beisammen, um einen Begriff von der
Grösse des römischen Reiches zu geben. Silber, Gold
und Elfenbein in den verschiedensten Formen und Be-
arbeitungen sah man nicht sowohl als Prunkstücke eines
Festzuges, als vielmehr massenhaft wie in einem Strome
daherfliessen. Gewänder, aus dem seltensten Purpur ge-
webt oder nach Art der babylonischen Kunst mit Bild-
werken aufs feinste durchstickt, schimmernde Edelsteine
in goldene Kronen gefügt oder in anderen Fassungen
wurden in solchen Mengen vorbeigetragen, dass es als
Irrtum ausgelegt werden musste, so etwas für selten zu
halten. [Auch Götterbilder von erstaunlicher Grösse,
sämtlich aus kostbaren Stoffen und mit hervorragender
Kunstfertigkeit gearbeitet, wurden im Zuge mitgeführt,
ebenso Tiere der verschiedensten Arten, jedes mit
passendem Zierat geschmückt. Selbst die zahlreichen
Träger aller dieser Kostbarkeiten erschienen in lauter
purpurnen, goldgestickten Gewändern. Ganz herrlich
und staunenerregend war ferner der reiche Schmuck
derjenigen, die dazu bestimmt waren, den eigentlichen
Festzug zu bilden. Ja, sogar die Schar der Gefangenen
636
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
war nicht ungeschmückt, sondern die bunte Farben-
pracht ihrer Kleidung entzog dem Auge den unheim-
lichen Anblick der Jammergestalten. Die grösste Be-
wunderung aber erregte der gewaltige Aufbau der trag-
baren Schaugerüste; denn ihre Grösse rief überall, wo
sie vorbeikamen, die Besorgnis wach, sie möchten zu-
sammenbrechen. Viele derselben nämlich hatten drei,
auch vier Stockwerke; dabei war ihre ganze Ausstattung
von fast unbegreiflicher Schönheit. Manche waren mit
goldgestickten Teppichen behängt, und an allen hatte
man Kunstwerke aus Gold und Elfenbein angebracht.
In unzähligen einzelnen Nachbildungen war der Krieg
in seinen verschiedenen Erscheinungsformen aufs an-
schaulichste dargestellt. Da sah man gesegnete Fluren
der Verwüstung anheimfallen , ganze Haufen von
Feinden tot dahinsinken, andere fliehen, wieder andere
in Gefangenschaft geraten ; riesige Mauern unter den
Stössen der Maschinen zusammen brechen; starke
Festungen einnehmen , Ringmauern volkreicher Städte
ersteigen, das Heer ins Innere derselben eindringen und
alles mit Mord erfüllen; die flehenden Geberden der
Wehrlosen; Feuerbrände in Heiligtümer geschleudert;
Häuser, die über ihren Bewohnern einstürzten ; endlich
nach so vielen Zerstörungs- und Trauerscenen Wasser-
ströme, die sich nicht über angebautes Erdreich oder
zur Erquickung für Menschen und Tiere, sondern über
ein noch allenthalben brennendes Land ergossen — denn
alle diese Leiden hatten die Juden durch den von ihnen
begonnenen Krieg sich zugezogen. Die künstlerische
Ausführung und grossartige Pracht dieser Darstellungen
führten die kriegerischen Ereignisse den damit Un-
bekannten so vor Augen, als wenn sie selbst dabei ge-
wesen wären. Jedem Schaugerüst war der Befehls-
haber der eroberten Stadt in dem Aufzug, wie man ihn
gefangen genommen hatte, beigegeben. Alsdann folgten
auch Schiffe in beträchtlicher Anzahl. Massenhaft
wurden nunmehr die Beutestücke vorbeigetragen, unter
denen besonders diejenigen Aufsehen erregten, die man
Go gle
Siebentes Buch, 5. Kapitel.
6S7
im Tempel zu Jerusalem genommen hatte: ein goldener
Tisch im Gewicht von mehreren Talenten, und ein
gleichfalls goldener Leuchter, 1 aber von ganz anderer
Gestalt, wie die sonst bei uns gebräuchlichen. Denn
mitten aus dem Fussgestell erhob sich ein säulenartiger
Schaft, von dem dünne, je in Form eines Dreizacks
gegeneinander gestellte Äste ausliefen ; an jedem der
Ausläufer befand sich oben eine eherne Lampe, also
sieben im ganzen, um die Heiligkeit dieser Zahl bei den
Juden anzudeuten. Das Gesetz der Juden 2 war das
Beutestück, welches zuletzt zur Schau getragen wurde.
Hierauf kamen noch eine Anzahl Männer mit Bildsäulen
der Siegesgöttin, letztere sämtlich aus Gold und Elfen-
bein verfertigt. Endlich ritt dann Vespasianus selbst
einher; Titus folgte ihm, und Domitianus ritt ihm zur
Seite in prachtvollem Schmuck auf herrlichem Rosse.
6. Das Ziel des Festzuges war der Tempel des
Jupiter Capitolinus, wo man halt machte. Es ist näm-
lich eine alte Sitte, dort zu warten, bis ein Bote den
Tod des feindlichen Heerführers meldet. Dies war Si-
mon, des Gioras Sohn, der mit den anderen Gefangenen
im Triumph aufgeführt worden war. Jetzt wurde ihm
ein Strick umgeworfen und er auf eine Höhe über dem
Forum geschleppt, während seine Führer ihn zugleich
geisselten. An dieser Stelle werden nach römischem
Gesetz die verurteilten Verbrecher hingerichtet. Als nun
sein Tod verkündet ward , erhob sich ein allgemeines
Jubelgeschrei, und es begannen die Opfer, die unter den
vorgeschriebenen Gebeten glücklich zu Ende geführt
wurden, worauf die Imperatoren in den Palast zurück-
kehrten. Einige der Festteilnehmer zogen sie alsdann
selbst zur Tafel; für die übrige Menge aber waren zu
1 S. das Relief des Titusbogens zu Rom (Abbildung bei Fäh,
Geschichte der bildenden Künste; Neumann, die JStiftshütte in Wort
und Bild, u. a.).
2 Wahrscheinlich eine Thorarolle, wie man aus dem Ende dieses
Kapitels schliessen möchte , und nicht etwa eine goldene Tafel mit
den zehn Geboten (s. auch Anm. 2 zu V, 5,5).
638
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Hause üppige Mahlzeiten bereitet. Denn diesen Tag
feierte die Stadt Rom als Dankfest für den siegreichen
Feldzug, als das Ende der inneren Wirren und als den
Anfang einer, wie man hoffte, glücklichen Zukunft.
7. Nach dem Triumph und der völligen Beruhigung
des Reiches beschloss Vespasianus, der Friedensgöttin
einen Tempel zu erbaueD, und vollendete in sehr kurzer
Zeit ein Werk, das alle menschlichen Erwartungen über-
traf. Er verwendete nämlich zu dem Bau nicht bloss
die ungeheuren Mittel, die ihm sein eigener Reichtum
an die Hand gab, sondern schmückte ihn auch mit
älteren Meisterwerken der Malerei und Bildhauerkunst.
In diesem Heiligtum sollte ja alles gesammelt und nieder-
gelegt werden, zu dessen Besichtigung im einzelnen man
sonst die ganze Welt hätte durchreisen müssen. Hierhin
liess er auch die goldenen Prachtstücke aus dem Tempel
zu Jerusalem bringen, weil diese Gegenstände in seinen
Augen besonders wertvoll waren. Das Gesetz der Juden
dagegen und die purpurnen Vorhänge des Allerheiligsten
befahl er in seinen Palast zu schaffen und dort sorg-
fältig aufzubewahren.
Sechstes Kapitel.
Eroberung von Machaerus durch Lucilius Bassus.
1. Unterdessen war Lucilius Bassus mit einem Heere,
das er von Cerealis Vitellianus übernommen hatte, als
Legat nach Judaea gesandt worden, hatte das Kastell
Herodium samt der Besatzung zur Übergabe gezwungen
und zog nun die ganze, zum grossen Teil in kleinere
Heerhaufen zersplitterte Streitmacht sowie die zehnte
Legion 1 an sich, um damit gegen Machaerus 2 zu
1 Die als Besatzungstruppe in Judaea zurückgeblieben war
(s. VII, 1,2).
- Die Festung Machaerus ist besonders dadurch bekannt, dass
Jonnncs der Täufer daselbst hingerichtet wurde (s. J. A. XVIII, 5, 2).
Go gle
Siebentes Buch, 6. Kapitel.
639
marschieren. Es war nämlich durchaus notwendig, diese
Festung zu zerstören, da sie sonst ihrer Stärke wegen
eine Menge Juden zum Abfall gereizt haben wurde, zu-
mal schon die natürliche Beschaffenheit des Platzes ge-
eignet war, einer Besatzung festes Vertrauen, den An-
greifern aber Furcht und Zagen einzuflössen. Denn die
natürliche Befestigung an sich wird durch einen felsigen
Hügel gebildet, der zu beträchtlicher Höhe ansteigt und
schon deshalb sich schwer einnehmen lässt; auch hat
die Natur selbst dafür gesorgt, dass er so gut wie gar
nicht zugänglich ist. Er ist nämlich auf allen Seiten
von unabsehbar tiefen Schluchten umgeben, die man
nicht einmal leicht durchqueren , geschweige denn mit
Erde ausfüllen kann. Hat doch der westliche Thal-
einschnitt, der bis zum Asphaltsee reicht, eine Längen-
ausdehnung von sechzig Stadien, und dazu wird gerade
nach dieser Seite hin Machaerus von der höchsten Berg-
kuppe überragt. Die Schluchten im Norden und Süden
stehen zwar an Grösse der erstgenannten nach, machen
aber gleichfalls einen Angriff auf die Festung unmöglich,
und was den östlichen Einschnitt betrifft, so schliesst er
bei einer Tiefe von nicht weniger als hundert Ellen sich
sogleich wieder mit einem Machaerus gegenüberliegenden
Höhenzug.
2. Der jüdische König Alexander war der erste, der
die günstige Lage dieser Örtlichkeit erkannte und eine
Festung daselbst errichtete, die jedoch später von
Gabinius im Kriege mit Aristobulus geschleift wurde.
Als Herodes König geworden war, schien ihm der Platz
mehr als jeder andere besonderer Sorgfalt und möglichst
starker Befestigung wert, hauptsächlich wegen der Nach-
barschaft der Araber, gegen deren Land hin die Festung
einen günstig gelegenen Punkt bildet. Demzufolge um-
gab er einen weiten Raum mit Mauern und Türmen und
gründete daselbst eine Stadt, die man erst passieren
musste, um in die eigentliche Burg zu gelangen. Gleich-
wohl versah er auch noch den oberen Gipfel selbst
ringsum mit einer Mauer und errichtete in deren Ecken
Go gle
640
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Türme von je hundertsechzig Ellen Höhe. Mitten in
dem also befestigten Raum erbaute er dann einen
Palast mit weitläufigen und prunkvollen Gemächern;
auch legte er an den geeignetsten Stellen eine Reihe
von Cisternen an, um das Wasser aufzufangen und die
Umgebung reichlich damit zu versorgen, und suchte so,
als wolle er sich mit der Natur in einen Wettstreit ein-
lassen, die Uneinnehmbarkeit, die sie dem Platze
verliehen, durch künstliche Befestigungen noch zu über-
bieten. Ferner versah er den Ort mit einer Menge von
Geschossen und Kriegsmaschinen und bestrebte sich
überhaupt, die Bewohner in jeder Beziehung so aus-
zurüsten, dass sie selbst der langwierigsten Belagerung
trotzen könnten.
3. Im Innern des Palastes wuchs einstmals eine Raute
von erstaunlicher Grösse, denn sie gab einem Feigen-
baum an Höhe und Umfang des Stammes nichts nach. 1
Es hiess, sie stehe seit Herodes’ Zeiten, und sie wäre
vielleicht noch lange dort geblieben, hätten nicht die
Juden, als sie die Festung besetzten, den Baum um-
gehauen. Ferner giebt es in dem Thale, das im Norden
an die Stadt stösst, einen Ort, der Baaras heisst und
eine Wurzel gleichen Namens erzeugt. 2 Diese Wurzel
hat eine flammrote Farbe und schiesst zur Abendzeit
Strahlen von sich. Nähert man sich ihr und will man
sie anfassen, so ist es schwer, sie festzuhalten, da sie
sich fortbewegt und nicht eher stehen bleibt, als bis
man den Urin oder das monatliche Blut eines Weibes
auf sie giesst. Aber selbst dann zieht die Berührung
den sicheren Tod nach sich, wenn man die Wurzel nicht
so trägt, dass sie von der Hand herabhängt. Man kann
sie übrigens auch auf eine andere, ungefährliche Weise
gewinnen, und zwar so: Nachdem man sie ringsum durch
1 Die Raute wird gemeiniglich bis D 4 , der Feigenbaum bis
10 Meter hoch. Obige Angabe ist demnach wohl übertrieben.
2 Vielleicht ist Alraunwurzel (Mandragora officinalis) gemeint.
Das Folgende ist freilich nichts weiter wie Fabel.
Siebentes Buch, 6. Kapitel.
641
Graben dergestalt gelockert hat, dass nur noch ein
kleiner Teil der Wurzel in der Erde steckt, bindet man
einen Hund daran. Wenn nun das Tier dem, der es
angebunden, schnell zu folgen strebt, wird sie leicht
vollends herausgezogen. Der Hund aber stirbt auf der
Stelle, gleichsam als stellvertretendes Opfer für den, der
das Gewächs nehmen wollte. Jetzt hat übrigens der, in
dessen Hand sie gerät, nichts mehr zu befürchten. Trotz
der grossen Gefahr beim Einsammeln der Wurzel wird
sie, um einer besonderen Eigenschaft willen, eifrig gesucht.
Die sogenannten Dämonen nämlich, das heisst die
Geister böser Menschen, welche in die Lebenden hinein-
fahren und alle, denen nicht geholfen wird, töten,
werden durch jene Wurzel sogleich vertrieben, selbst
wenn man sie nur in die Nähe der Kranken bringt.
An diesem Ort fliessen auch mehrere warme Quellen
von ganz verschiedenartigem Geschmack: die einen sind
bitter, andere fast ganz süss. Weiter unten in der
Ebene aber befinden sich zahlreiche Quellen kalten
Wassers dicht beieinander, und noch merkwürdiger ist
folgende Erscheinung: In der Nähe erblickt man eine
Höhle von eben nicht bedeutender Tiefe, die durch
einen überhängenden Felsen gedeckt ist. Oberhalb
dieses Felsens ragen, nur wenig voneinander entfernt,
zwei Erhöhungen wie weibliche Brüste hervor, und es
entströmt der einen eine ganz kalte, der anderen eine
sehr heisse Quelle; beide gemischt geben ein überaus
angenehmes, heilkräftiges, besonders nervenstärkendes
Bad. Ausserdem hat der Ort auch Schwefel- und
Alaungruben.
4. Nachdem Bassus das Kastell von allen Seiten be-
sichtigt hatte, beschloss er, durch Ausfüllung der öst-
lichen Thalschlucht sich einen Zugang zu demselben zu
verschaffen, und ging auch sogleich ans Werk, um bald-
möglichst Wälle aufwerfen und sich mittels derselben
die Belagerungsarbeiten erleichtern zu können. Die
eingeschlossenen Juden trennten sich nun von den
Fremden und zwangen dieselben, weil sie in ihnen ohne-
Josephus, Jüdischer Krieg. 41
642
Josepbus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
hin nur Gesindel erblickten, unten in der Stadt zu
bleiben und hier den ersten feindlichen Anprall aus-
zuhalten; das höher gelegene Kastell aber besetzten sie
selbst, einmal weil es stark befestigt war, und dann
auch aus Vorsorge für ihre eigene Rettung: sie hofften
nämlich begnadigt zu werden, wenn sie den Römern die
Burg übergäben. Zunächst jedoch wollten sie den Ver-
such machen, die Belagerung überhaupt zu vereiteln.
Tag für Tag unternahmen sie deshalb kühne Ausfälle,
bei denen sie mit den Römern, wo diese ihnen entgegen-
traten , handgemein wurden und ihrerseits zwar viele
Leute verloren , aber doch auch den Römern keinen ge-
ringen Schaden zufügten. Was die einen oder anderen
zum Sieg führte, war jedesmal die Ausnutzung einer
günstigen Gelegenheit: die Juden behielten die Ober-
hand, wenn sie die Römer überrumpelten, diese dagegen,
wenn sie von ihren Wällen aus den Angriff rechtzeitig
bemerkt hatten und ihn in dichtgeschlossenen Reihen
erwarteten. Mit solchen Plänkeleien sollte indes die
Belagerung ihr Ende nicht erreichen; vielmehr wurden
die Juden durch einen Zufall ganz unversehens zur
Übergabe des Kastells gezwungen. Unter den Belagerten
nämlich befand sich ein äusserst verwegener und tapferer
Jüngling mit Namen Eleazar. Er hatte sich bei den
Ausfällen stets hervorgethan , indem er die Menge an-
feuerte, sich in den Kampf zu stürzen und die Römer
an den Schanzarbeiten zu hindern ; auch hatte er in den
einzelnen Scharmützeln den Gegnern empfindliche Ver-
luste beigebracht, seinen Kameraden, die sich mit ihm
hinauswagten, den Angriff leicht gemacht und dann
wieder ihnen den Rücken gedeckt, indem er als der letzte
den Kampfplatz verliess. Eines Tages nun war das
Gefecht bereits entschieden, und beiderseits hatte man
den Rückzug angetreten — da blieb Eleazar, um die
Feinde zu verhöhnen und weil er glaubte, es werde
keiner von ihnen den Kampf wieder aufnehmen,
draussen vor dem Thore stehen und fing mit den auf
der Mauer befindlichen Juden ein Gespräch an, in
Siebentes Bach, 6. Kapitel.
643
welches er sich ganz vertiefte. Diesen günstigen Augen-
blick erspähte ein im römischen Heere dienender
Aegyptier Namens Rufus, lief, ehe man sich dessen
versah, plötzlich herzu, hob den in voller Rüstung da-
stehenden Jüngling auf und trug ihn, während
die Zuschauer der Schrecken lähmte, ins Lager
der Römer. Dort gab der Feldherr Befehl , ihn
nackt auszuziehen und möglichst vor den Augen der
Stadtbewohner zu geissein. Aufs tiefste erschütterte die
Juden das Leiden des Jünglings; die ganze Stadt
jammerte und wehklagte mit einer Heftigkeit, die
eigentlich zu dem Unglück des einen Mannes in keinem
Verhältnis stand. Als Bassus dies merkte, benutzte
er die Stimmung der Belagerten zu einer Kriegslist; er
suchte nämlich ihr Mitleid derart zu steigern, dass sie,
um den Mann zu retten, die Festung übergeben möchten,
und dieser Plan gelang ihm denn auch. Er liess also
ein Kreuz aufrichten , als sollte Eleazar sogleich daran
geschlagen werden. Kaum sahen dies die Juden in der
Festung, als sie noch schmerzlicher bewegt wurden und
unter Schluchzen ausriefen, solchen Jammer könne man
nicht ertragen. Obendrein flehte nun auch noch Eleazar
sie an, sie möchten ihn doch nicht die qualvollste aller
Todesarten erdulden lassen, vielmehr sich selbst dadurch
retten, dass sie der Kraft und dem Glück der Römer
nachgäben, zumal da sonst schon alles unterjocht sei.
Seine Vorstellungen brachen ihnen das Herz, und da
sich auch viele Einwohner der Festung aufs Bitten ver-
legten (Eleazar gehörte nämlich einer weitverzweigten
und zahlreichen Familie an), Hessen sie sich gegen ihre
eigentliche Gesinnung zum Mitleid bewegen und ordneten
unverzüglich eine Gesandtschaft ab, die wegen Übergabe
des Kastells unterhandeln und sich nur freien Abzug
und die Loslassung Eleazars ausbedingen sollte. Die
Römer und ihr Befehlshaber nahmen diesen Vorschlag
an. Als aber die zahlreichen Bewohner der unteren
Stadt von dem Sondervertrag der Juden hörten, be-
schlossen sie, in der Nacht heimlich davonzulaufen. Wie
41
644
Josepbu?, Geschichte des Jüdischen Krieges.
sie nun die Thore öffneten, kam durch die, welche den
Vergleich geschlossen hatten, dem Bassus Nachricht
darüber zu, sei es dass sie den Leuten ihre Rettung
missgönnten, sei es dass sie befürchteten, es möchte
ihnen selbst die Schuld für deren Entweichen auf-
gebürdet werden. Die tapfersten der Flüchtlinge
schlugen sich übrigens durch und entkamen; von denen
dagegen, die man noch im Innern der Stadt an traf,
wurden an siebzehnhundert Männer niedergemacht und
die Weiber nebst den Kindern in die Sklaverei verkauft.
Den Vertrag mit den Juden aber, die ihm die
Festung übergeben hatten, glaubte Bassus halten zu
müssen; er liess sie demnach abziehen und gab ihnen
den Eleazar frei.
5. Als er diesen Teil seiner Aufgabe erledigt hatte,
rückte er in Eilmärschen nach einer Waldschlucht mit
Namen Jardes, wo nach einer ihm zugegangenen Meldung
eine Menge bei der Belagerung von Jerusalem und
Machaerus entlaufener Juden sich gesammelt haben
sollte. In der That fand er bei seiner Ankunft die
Nachricht bestätigt Er umzingelte daher zunächst den
ganzen Ort mit seiner Reiterei, welche den Juden, die
sich etwa durchzuschlagen versuchen würden, die Flucht
unmöglich machen sollte; von dem Fussvolk aber liess
er den Wald, in den die Gegnei* sich geflüchtet hatten,
umhauen. Infolge dieses Vorgehens sahen sich die
Juden genötigt, eine verwegene That zu unternehmen,
da sie sich durch einen tollkühnen Kampf vielleicht
noch retten zu können hofften. Sie stürzten sich also
in Masse unter lautem Geschrei hervor und warfen
sich auf die sie umzingelnden Römer. Diese aber
wichen nicht um Haaresbreite, und der Kampf zog sich
bei der verzweifelten Kühnheit auf der einen und der
zähen Ausdauer auf der anderen Seite ziemlich in die
Länge. Sein Ende freilich gestaltete sich sehr ungleich :
von den Römern nämlich waren im ganzen nur zwölf
Mann gefallen und einige wenige verwundet; von den
Juden dagegen entkam keiner aus dem Treffen, vielmehr
Go gle
Siebentes Bucli, 7. Kapitel.
645
wurden sie, dreitausend an der Zahl, samt und sonders
niedergemacht, darunter auch ihr Anführer Judas, des
Ari Sohn, von dem ich oben erwähnte, dass er bei
der Belagerung Jerusalems eine jüdische Abteilung be-
fehligt und sich durch einen der unterirdischen Gänge
gerettet habe.
6. Um diese Zeit schickte Vespasianus an Bassus
und an Liberius Maximus, der damals Landpfleger war,
den schriftlichen Befehl , das gesamte Land der Juden
zu verkaufen. Eine neue Stadt nämlich wollte er da-
selbst nicht gründen; doch behielt er sich das Acker-
land als sein persönliches Eigentum vor. Nur acht-
hundert ausgedienten Soldaten wies er im Bezirk von
Ammaus, welches dreissig Stadien von Jerusalem ent-
fernt liegt, Ländereien an. Allen Juden aber, wo sie
auch wohnen mochten, legte er eine jährliche Kopfsteuer
von zwei Drachmen auf, die sie für das Kapitolium,
wie früher für den Tempel zu Jerusalem entrichten
sollten. So traurig stand es damals um die jüdische
Nation.
Siebentes Kapitel.
Niederlage des Königs Antiochus von Kommagene.
Die Alanen.
1. Schon waren vier Jahre seit der Thronbesteigung
des Vespasianus verflossen, da traf 1 den Kommagener-
könig Antiochus und dessen ganzes Haus ein schweres
Unglück 2 aus folgender Veranlassung. Caesennius
Paetus, der damalige Statthalter von Syrien, schrieb —
ob der Wahrheit gemäss oder aus Hass gegen Antiochus,
ist nicht mit Bestimmtheit ermittelt worden — nach
Rom, Antiochus und dessen Sohn Epiphanes gingen mit
i 72 n. Ohr.
- Josephus erwähnt diese Geschichte, weil das Herrscherhaus
von Kommagene — allerdings mit Ausnahme des Epiphanes \s. J. A.
XX, 7, 1) — sich zum jüdischen Glauben bekannte.
646 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
dem Gedanken um, von den Römern abzufallen, und
hätten zu diesem Zwecke bereits mit dem Partherkönig
ein Bündnis geschlossen ; man müsse sie deshalb über-
raschen, damit sie nicht etwa einen Vorsprung gewännen
und schliesslich noch das ganze römische Reich in
kriegerische Verwicklungen stürzten. Diese Anzeige
konnte Vespasianus, nachdem sie ihm einmal erstattet
war, natürlich nicht auf sich beruhen lassen, da die
Nachbarschaft der beiden Könige energischere Vor-
beugungsmassregeln erforderte, ßamosata nämlich, die
Hauptstadt von Kommagene, liegt am Euphrat, und
sie würde somit den Parthern, wenn diese etwas der-
artiges im Schilde führten, den Übergang recht leicht
gemacht und einen sicheren Zufluchtsort geboten haben.
Paetus fand also mit seiner Meldung Glauben und er-
hielt Vollmacht, die ihm zweckmässig scheinenden An-
ordnungen zu treffen. Er zögerte denn auch nicht,
sondern fiel plötzlich, ohne dass Antiochus und die
Seinen eine Ahnung davon hatten, mit der sechsten
Legion sowie einigen Kohorten und Reiterschwadronen
in Kommagene ein; es begleiteten ihn ausserdem die
Könige Aristobulus von Chalkidike und Soemus von
Emesa. Sie stiessen bei ihrem Vormarsch auf keinerlei
Widerstand; denn niemand von den Eingeborenen ge-
traute sich, die Hand zur Gegenwehr zu erheben. Als
nun Antiochus die unerfreuliche Kunde vernahm, dachte
er nicht im entferntesten daran, mit den Römern Krieg
zu führen, sondern beschloss, so wie er war, seinem
Königreich den Rücken zu kehren und sich mit Weib
und Kind heimlich davonzumachen; auf diese Weise
glaubte er sich in den Augen der Römer von jedem
etwa auf ihm lastenden Verdacht reinigen zu können.
Er zog also aus der Stadt nach einer hundertzwanzig
Stadien entfernten Ebene und lagerte sieb daselbst.
2. Paetus entsandte sogleich, eine Abteilung seiner
Truppen, um Samosata zu besetzen, was diese denn
auch wirklich thaten; er selbst brach unterdessen mit
dem Rest seines Heeres gegen Antiochus auf. Doch
Go gle
Siebentes Buch, 7. Kapitel.
647
der König liess sich auch durch die Zwangslage, in die
er jetzt geraten war, nicht bestimmen, etwas Kriegerisches
gegen die Römer zu unternehmen, sondern harrte, sein
Schicksal beklagend, der Dinge, die da kommen würden.
Seinen jugendlichen, kriegskundigen und durch Körper-
kraft hervorragenden Söhnen Epiphanes und Kallinikos
indes fiel es nicht ebenso leicht, sich dem Schicksal
widerstandslos zu beugen: vielmehr rüsteten sie, sich,
den Gegner zu empfangen. In einem heissen , vom
Morgen bis zum Abend währenden Gefecht bewiesen sie
ausgezeichnete persönliche Tapferkeit und zogen sich
bei einbrechender Nacht zurück, ohne besonderen Ver-
lust erlitten zu haben. Dem Antiochus aber schien es
selbst nach dieser so günstig verlaufenen Schlacht nicht
geraten, zu bleiben, weshalb er mit seiner Gattin und
seinen Töchtern nach Cilicien floh. Durch diesen Schritt
jedoch brach er den Mut seiner Soldaten, und da diese
der Meinung waren, er habe den Thron aufgegeben,
fielen sie von ihm ab und gingen zu den Römern über,
ohne aus ihrer verzweifelten Stimmung ein Hehl zu
machen. Epiphanes und seine Leute mussten sich des-
halb, ehe die sämtlichen Kampfgenossen sie verliessen,
vor dem Feinde zu retten suchen. Ganze zehn Reiter
folgten ihm nun über den Euphrat und begaben sich,
aus aller Gefahr erlöst, mit ihm zu dem Partherkönige
Vologeses, von dem sie nicht etwa als Flüchtlinge über
die Achsel angesehen, sondern, wie wenn sie noch in
ihrer früheren glücklichen Lage sich befanden, höchst
ehrenvoll behandelt wurden.
3. Als Antiochus nach Tarsus in Cilicien gekommen
war, liess Paetus ihn durch einen Centurio ergreifen
und sandte ihn gefesselt nach Rom. Vespasianus aber
duldete es nicht, dass der König in diesem Aufzug zu
ihm geführt würde, und wollte lieber die alte Freund-
schaft berücksichtigen, als ihm wegen der — übrigens
nicht bewiesenen — Empörung unversöhnlichen Groll
nach tragen. Er gab daher Befehl, ihm schon unterwegs
die Fesseln abzunehmen, und liess ihn unter Verschiebung
648
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
der Reise nach Rom in Lakedaemon bleiben; auch wies
er ihm so bedeutende Geldeinkünfte an, dass er nicht
bloss reichlich, sondern selbst königlich leben konnte.
Als Epiphanes und sein Bruder, die bis dahin das
Schlimmste für ihren Vater befürchtet hatten, dies er-
fuhren, fühlten sie sich von schwerer Sorgenlast befreit
und gaben sich der Hoffnung hin, nun auch für sich
selbst von Vespasianus Verzeihung zu erlangen, zumal
Vologeses ihretwegen nach Rom geschrieben hatte. Denn
wenn sie eB auch gewiss nicht schlecht hatten , so
konnten sie doch ausserhalb des römischen Reiches nicht
leben. In der That sicherte Vespasianus ihnen huld-
vollst Straflosigkeit zu, worauf sie sich nach Rom be-
gaben, und als nicht lange nachher auch ihr; Vater mit
ihnen zusammentraf, blieben sie daselbst und genossen
alle möglichen Ehrenbezeugungen.
4. Das Volk der Alanen, das, wenn ich mich recht,
entsinne, schon früher als ein in der Gegend des Tanais
und des Maeotischen Sees wohnender Skythenstamm von
mir erwähnt wurde, 1 fasste um diese Zeit den Plan, einen
Raubzug nach Medien und noch weiter hinaus zu unter-
nehmen, und unterhandelte deshalb mit dem König
der Hyrkaner; denn dieser ist Herr des Passes, den der
König Alexander mittels eiserner Thore verschliessbar
gemacht hatte. 2 Als nun der Hyrkanerkönig ihnen den
Durchzug gestattete, fielen sie in zahlreichen Horden
über die nichts ahnenden Meder her und plünderten’
das stark bevölkerte, an Nutzvieh aller Art reiche Land
völlig aus, ohne dass jemand ihnen Widerstand zu leisten
wagte. Der König des Landes, Pakorus, floh entsetzt
1 Wahrscheinlich hat Josephus hier das 16. Kapitel des zweiten
Buches im Sinne, wo im vierten Abschnitt von den Völkerschaften
am Pontus und am Maeotischen See, aber nicht ausdrücklich von
den Alanen die Rede ist. Was übrigens der Raubzug dieses Skythen-
stammes nach Medien mit der Geschichte des Jüdischen Krieges zu
thun hat, ist völlig unverständlich.
2 Gemeint sind die sogenannten „Kaspischen Pässe “ (s. Arrian,
Feldzüge Alexanders, I, 15).
Go gle
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
m
in unzugängliche Wildnisse und gab ihnen alles preis,
und nur mit Mühe gelang es ihm, durch Zahlung von
hundert Talenten seine Gattin und seine Kebsweiber,
die in Gefangenschaft geraten waren, wieder loszukaufen.
Da die Alanen so in aller Bequemlichkeit und ganz
ohne Schwertstreich ihre Raubsucht befriedigen konnten,
drangen sie, alles verwüstend, bis nach Armenien vor,
wo Teridates König war. Dieser rückte ihnen entgegen
und lieferte ihnen ein Treffen, wäre aber beinahe lebendig
gefangen worden. Ein Alane nämlich hatte aus der
Ferne eine Schlinge über ihn geworfen und würde ihn
fortgeschleppt haben, wenn es dem Könige nicht ge-
lungen wäre, den Strick noch zeitig mit dem Schwert
zu zerhauen und sich auf diese Weise zu retten. Durch
den Kampf noch wilder geworden , verheerten nun die
Barbaren das ganze Land und kehrten dann mit einer
Menge Gefangener und der übrigen Beute, die sie in
beiden Königreichen zusammengeraubt hatten, wieder
in ihre Heimat zurück.
Achtes Kapitel.
Silva belagert die Festung Masada. Eleazars Rede an
seine Untergebenen.
1. Nach dem Tode des Bassus übernahm Flavius
Silva das Amt eines Landpflegers von Judaea. 1 Er
fand das ganze Land unterjocht mit Ausnahme einer
einzigen Festung, die noch beim Abfall beharrte und
gegen die er nun mit allen aus der Umgegend zusammen-
gezogenen Truppen ausrückte. Diese Festung, Masada
geheissen, wurde von Sikariern besetzt gehalten, an deren
Spitze ein einflussreicher Mann Namens Eleazar stand, 2
ein Nachkomme jenes Judas, der, wie früher erwähnt, 3
1 7:J n. Chr.
- S. II, 17, 9 und IV, 7, 2.
* S. II, g, 1.
€50
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zu der Zeit, da Quirinius als Schätzungsbeamter nach
Judaea gesandt worden war, eine Menge Juden beredet
hatte, sich die Schätzung nicht gefallen zu lassen. Auch
jetzt hatten sich die Sikarier gegen alle verschworen,
die sich den Körnern fügen wollten , und behandelten
dieselben in jeder Beziehung als Feinde, indem sie ihnen
die Habe raubten und fortschleppten und die Häuser
in Brand steckten. Zwischen diesen Juden, meinten sie,
und den Fremden sei ja doch kein Unterschied, da sie
die so heiss umstrittene Freiheit verraten und ein-
gestandenermassen die römische Knechtschaft erwählt
hätten. Solche Reden waren aber nur der Deckmantel,
hinter dem sie ihre Grausamkeit und Habgier zu ver-
bergen trachteten, wie dies aus ihren Thaten deutlich
bervorging. Denn die anderen Juden hatten ja ihren
Abfall mitgeroacht und sich am Kampfe gegen die
Römer beteiligt, bis den Bethörten die Unthaten der
Sikarier noch drückender vorkamen wie das Joch der
Römer. Wies man nun den Sikariern die Grundlosig-
keit ihres Vorwandes nach , so setzten sie denen , die
ihnen mit Fug und Recht ihre Bosheit vorwarfen, nur
um so ärger zu. Um jene Zeit trieb überhaupt die
Ruchlosigkeit ihre üppigsten Blühen, sodass es keine
Schandthat gab, die damals nicht vollbracht worden
wäre, und hätte man allen Scharfsinn aufgewendet, um
neue zu erfinden, man würde wohl keine mehr entdeckt
haben. Das private wie öffentliche Leben krankte in
gleicher Weise an diesem Übel, und allenthalben setzte
man einen förmlichen Wetteifer darein, sich gegenseitig
in Freveln gegen Gott und Ungerechtigkeit gegen den
Nächsten zu überbieten. Die Gewalthaber drangsalierten
das gemeine Volk, und dieses hinwiederum suchte die
Mächtigen zu verderben; jene gelüstete es nach
tyrannischer Herrschaft, das Volk nach Gewaltthätig-
keit und Beraubung der Reichen. Die Zügellosigkeit
und das grausame Wüten gegen die eigenen Volks-
genossen aber war gerade von den Sikariern ausgegangen,
die den Verfolgten gegenüber keine Schmähung
Go gle
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
651
ungesprochen und keine That zu deren Verderben un-
versucht Hessen. Doch auch sie erschienen noch ge-
mässigt im Vergleich zu Joannes. Denn dieser mordete
nicht nur alle Bürger, die ihm gute und nützliche Rat-
schläge erteilten, und behandelte sie wie die schlimmsten
Feinde, sondern er stürzte auch sein Vaterland überhaupt
in namenloses Unheil, wie es nur von einem Menschen
ausgehen konnte , der schon die Ruchlosigkeit begangen
hatte, sich gegen Gott zu empören. Seinen Tisch näm-
lich sah man mit verbotenen Speisen besetzt, und die
altehrwürdigen Reinigungsvorschriften des Gesetzes be-
obachtete er nicht, sodass die Verletzung der Pflichten
gegen den Einzelnen wie gegen die Gesamtheit bei einem
Manne nicht wunder nehmen konnte, der so ganz in
wahnwitzige Gottlosigkeit versunken war. Und dann
Simon, des Gioras Sohn, verübte er nicht alle erdenk-
lichen Schändlichkeiten ? Oder gab es irgend eine
Misshandlung, die er nicht an freigeborenen Juden be-
gangen hätte, wiewohl er gerade ihnen seine Stellung
als Gewaltherrscher verdankte ? Ja, selbst freundschaft-
liche Beziehungen und Bande des Blutes, weit entfernt,
ihre Mordgier zu dämpfen , machten sie vielmehr von
Tag zu Tag noch verwegener Denn an Fremden sich
vergreifen, gehörte, wie sie meinten, nur zu den gewöhn-
lichen, landläufigen Schlechtigkeiten : eine recht glänzende
Rolle dagegen wollten sie durch grausames Wüten gegen
ihre nächsten Angehörigen spielen. Nun kam auch
noch die Raserei der Idumäer, die es dem wahnsinnigen
Treiben der Tyrannen gleichzuthun suchte. Diese
Schandbuben wagten es, die Hohepriester zu erdolchen,
damit ja keine Spur von Gottesfurcht mehr erhalten
bleibe; sie vernichteten auch vollends alles, was von
bürgerlicher Ordnung noch übrig war, und brachten in
jeder Hinsicht die ausgesprochenste Gesetzlosigkeit zur
Geltung — ein Zustand, in dem die Sippe der so-
genannten Zeloten gedieh, die diese ihre Bezeichnung
durch entsprechende Thaten als zutreffend erwiesen.
Denn jegliches Werk der Bosheit suchten sie nach-
652
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
zuahmen, und ihr Wetteifer erstreckte sich auf alles,
was die Geschichte nur irgend von früheren Unthaten
berichtet. Ihrer eigenen Vorstellung gemäss sollte frei-
lich der Name, den sie sich beilegten, auf den Wett-
eifer im Guten hindeuten, und man kann dieses sonder-
bare Benehmen nur so erklären, dass sie entweder —
unmenschlich wie sie waren — die von ihnen Miss-
handelten damit verhöhnen wollten, oder dass sie wirk-
lich die grössten Schlechtigkeiten für gute Werke
hielten. Darum fand aber auch jeder einzelne von
ihnen das verdiente Ende, indem Gott über sie alle die
gebührende Strafe verhängte: Qualen, wie die mensch-
liche Natur sie nur immer zu ertragen fähig ist, brachen
über sie herein , und auch das letzte aller Leiden , den
Tod, mussten sie unter den vielfältigsten Peinigungen
erdulden. Gleichwohl kann man sagen ; es widerfuhr
ihnen noch weniger, als sie ihren Frevelthaten gemäss
verdient hatten; eine völlige Vergeltung war ja nicht
möglich. Diejenigen aber, welche als Opfer ihrer Grau-
samkeit fielen, nach Gebühr zu beklagen , ist hier nicht
angebracht, und ich wende mich daher wieder zu dem
noch übrigen Teile meiner Erzählung.
2. Gegen Eleazar also und die Sikarier, die mit
ihm Masada besetzt hielten, rückte der römische Heer-
führer an der Spitze seiner Streitmacht heran. Die ganze
Umgegend unterwarf er ohne Mühe und legte in die
passendsten Orte derselben Besatzungstruppen; die
Festung selbst aber umgab er, damit den Belagerten
die Flucht erschwert würde, mit einer Ringmauer und
verteilte auf dieser die Wachtposten. Alsdann wählte
er einen mit Rücksicht auf die Belagerung besonders
zweckmässigen Lagerplatz , und zwar an dem Punkte,
wo die Felsen des Kastells den nahegelegenen Berg
berührten, obgleich eben dieser Ort die Herbeischaffung
des nötigen Proviantes sehr schwierig machte; denn es
mussten seitens der dazu beorderten Juden nicht nur die
festen Nahrungsmittel aus weiter Ferne und unter
grossen Strapazen herangebracht, sondern auch das
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
653
Trinkwasser ins Lager geleitet werden, da in der Nähe
des Platzes sich keine Quelle befand. Als nun Silva
auf diese Weise die nötigen Vorbereitungen getroffen
hatte, begann er mit den Belagerungsarbeiten, die
wegen der Festigkeit des Kastells die grösste Auf-
merksamkeit und Anstrengung erheischten. Die Burg
ist nämlich folgendermassen beschaffen:
3. Einen Felsen von nicht unbedeutendem Umfang
und beträchtlicher Höhe umgeben auf allen Seiten un-
absehbar tiefe, abschüssige und für Menschen wie Tiere
unbetretbare Schluchten, und nur an zwei Stellen ge-
stattet der Fels einen freilich immer noch schwierigen
Zugang von unten her. Der eine dieser Pfade erstreckt sich
vom Asphaltsee aus gegen Osten, der andere, leichter
zu begehende, gegen Westen. Den ersteren nennt man
um seiner Schmalheit und seiner vielfachen Windungen
willen den Schlangenpfad. Er bricht sich nämlich an
den Vorsprüngen des Abhanges, kehrt zu wiederholten
Malen gegen sich selbst zurück und zieht sich dann
wieder ein wenig in die Länge, sodass er nur langsam
dem Ziele sich nähert. Beschreitet man diesen Weg,
so muss man sich stets abwechselnd mit einem Fusse
fest anstemmen; denn gleitet man aus, so ist man un-
rettbar verloren, da zu beiden Seiten tiefe Schlünde
gähnen, deren furchtbarer Anblick auch den Beherztesten
zaghaft machen kann. Ist man nun auf diesem Pfade
dreissig Stadien weit hinaufgestiegen , so hat man den
Gipfel vor sich, der indes nicht etwa in eine schlanke
Spitze ausläuft, sondern oben eine breite Fläche bildet.
Auf ihr hatte zuerst der Hohepriester Jonathas 1 eine
Festung angelegt, die er Masada nannte. Später gab
der König Herodes sich viele Mühe, dieselbe in guten
Stand zu setzen. Er umzog nämlich den ganzen, sieben
Stadien im Umfang messenden Gipfel mit einer zwölf
Ellen hohen und acht Ellen breiten Ringmauer aus
weissen Quadern und errichtete auf ihr siebenunddreissig
1 Bruder des Judas Makkabaeus, regierte lüO — 143 v. Chr.
Go gle
JNIVE!
itt -Df califdTxNiä
654
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
je fünfzig Ellen hohe Türme, aus denen man in die
Wohnungen gelangen konnte, welche an die innere Seite
der Mauer in deren ganzer Länge angebaut waren. Die
eigentliche Gipfelfläche aber liess der König, weil sie
besonders fetten und jedes Ackerland in der Ebene an
Fruchtbarkeit übertreffenden Boden hatte, zum Anbau
frei, damit bei etwa eintretendem Mangel an Proviant-
zufuhr die Leute, die dem Kastell ihre Rettung an-
vertrauen würden, keine Not zu leiden brauchten. Auch
einen Königspalast erbaute er an dem westlichen Zu-
gang unterhalb der Gipfelmauer. Dieser Palast, dessen
Front gegen Norden sah, hatte überaus hohe und starke
Mauern sowie in den Ecken vier Türme von je sechzig
Ellen Höhe. Die innere Ausstattung seiner Säle, Hallen
und Bäder war mannigfaltig und prunkvoll, die Säulen
überall aus einem Stein , die Wände und Zimmerböden
mit Mosaik ausgelegt. Ferner hatte er an allen Stellen,
wo Wohnhäuser lagen, nämlich oben, bei dem Palast
und vor der Mauer, eine beträchtliche Anzahl grosser
Cisternen in den Felsen hauen lassen , um dadurch der
Besatzung einen ebenso reichen Wasservorrat zu ver-
schaffen, als sie sonst durch Quellen würde erhalten
haben. Vom Palast aus führte zur Gipfelhöhe ein in
Stein gehauener, von aussen unsichtbarer Weg. Aber
auch von den Pfaden, die man sah, konnte der Feind
nur sehr schwer Gebrauch machen. Der östliche näm-
lich ist wegen seiner oben geschilderten Beschaffenheit
nicht zu begehen; den westlichen aber hatte der König
an der engsten Stelle durch einen grossen Turm ge-
schützt, der nicht weniger wie tausend Ellen von der
eigentlichen Festung entfernt war, und den man weder
umgehen noch auch mit leichter Mühe nehmen konnte.
Selbst den friedlichen Besuchern des Kastells war da-
durch der Ein- und Ausgang erschwert. Auf diese
Weise also hatten sich Natur und Kunst vereinigt, um
die Festung gegen feindliche Angriffe sicher zu stellen.
4. Noch grössere Bewunderung musste die reiche
Fülle der im Innern aufgespeicherten Vorräte erregen
Siebentes Bnch, 8. Kapitel.
655
sowie die lange Zeitdauer, während der sie sich ge-
halten hatten. Es lag nämlich daselbst eine Unmasse
Getreide, die auf Jahre hinaus reichen konnte; des-
gleichen war ein bedeutender Vorrat von Wein, öl,
Datteln und allerlei Hülsenfrüchten in der Festung auf-
gehäuft. Als Eleazar mit seinen Sikariern sich des
Platzes durch List bemächtigt hatte, fand er alles noch
unverdorben und so frisch, als wäre es eben erst hinein-
gelegt worden — und doch war seit der Aufspeicherung
dieser Vorräte bis zur Eroberung des Kastells durch
die Römer fast ein Jahrhundert verstrichen. Aber auch
die Römer fanden den Rest der Früchte noch völlig
geniessbar. Als den wahren Grund dieser Dauerhaftig-
keit darf man wohl die Beschaffenheit der Luft an-
nehmen, die wegen der hohen Lage der Festung von
allen unreinen Dünsten, wie sie näher an der Erde vor-
zukommen pflegen, frei ist. Des weitern fand sich eine
Menge von Herodes dort aufgestapelter Waffen aller
Art vor, die für zehntausend Mann genügen konnten,
sowie unbearbeitetes Eisen, Erz und Blei. Diese ge-
waltigen Zurüstungen hatten übrigens ihre guten Gründe.
Soll doch Herodes die Festung als Zufluchtsort für sich
selbst in Aussicht genommen haben, da er eine doppelte
Gefahr argwöhnte: die eine von seiten des jüdischen
Volkes, von dem er befürchtete, es möchte ihn stürzen
und das frühere Königshaus wieder auf den Thron
bringen; die grössere und bedenklichere aber von seiten
der aegyptischen Königin Kleopatra. Letztere nämlich
machte aus ihrer Gesinnung kein Hehl, lag vielmehr
dem Antonius beständig an, er solle Herodes ermorden
lassen und ihr das Königreich Judaea schenken. In der
That musste man sich wundern, dass der bis zu
sklavischer Unterwerfung in sie verliebte Antonius ihrem
Begehren nicht bereits entsprochen hatte , zumal auf die
Verweigerung der Gefälligkeit ohnehin niemand sich
gefasst machte. Derartige Besorgnisse hatten den
Herodes zur Befestigung Masadas bewogen, und nun
traf es sich, dass er gerade in dieser Festung den
Go gle
656
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Körnern das letzte Stück Arbeit im Kriege gegen die
Juden hinterliess.
5. Als nun der römische Feldherr, wie schon erwähnt,
den ganzen Ort von aussen mit einer Kingmauer um-
geben und die sorgfältigsten Vorkehrungen getroffen
hatte, dass niemand von der Besatzung entrinne, liess
er die Belagerung ihren Anfang nehmen, obwohl er nur
eine einzige Stelle gefunden hatte, die sich zur Er-
richtung von Wällen eignete. Hinter dem Turme näm-
lich, der den von Westen in den Palast und zum
Gipfel führenden Weg beherrschte, befand sich eine
felsige Anhöhe von bedeutender Breite, die auch ziem-
lich weit vorsprang , dabei aber dreihundert Ellen tiefer
als Masada lag. Diese Anhöhe , die man den weissen
Felsen nannte , liess Silva jetzt besetzen und dann von
seinen Leuten Erde herbeischaffen. Alsbald erhob sich
infolge eifriger Arbeit der zahlreichen Mannschaft ein
fester Damm von hundert Ellen Höhe; noch aber schien
die Aufschüttung nicht fest und hoch genug, um den
Maschinen als Standort zu dienen, und es wurde daher
oben auf ihr noch ein fünfzig Ellen breiter nnd ebenso
hoher Oberbau aus grossen Stein blocken errichtet. Die
Maschinen selbst besassen eine ähnliche Einrichtung,
wie die früher von Vespasianus und dann auch von
Titus zu Belagerungszwecken erfundenen; ausserdem
aber wurde noch ein ganz mit Eisen beschlagener, sech-
zig Ellen hoher Turm aufgeführt, von dessen Brüstung
aus die Römer mit zahlreichen Skorpionen und Bailisten
die Verteidiger der Mauern zurück trieben und sie ver-
hinderten, auch nur den Kopf emporzurecken. Ferner
liess Silva einen gewaltigen Sturmbock anfertigen und
damit unausgesetzt gegen die Mauer stossen, und ob-
wohl dieselbe schier unzerstörbar war, gelang es ihm
doch endlich, Bresche in sie zu legen. Schnell aber
hatten die Sikarier drinnen eine zweite Mauer errichtet,
der selbst die Maschinen nichts mehr sollten an-
liaben können. Damit sie nämlich durch ihre Weich-
heit die Gewalt der Stösse abzuschwächen imstande sei,
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
657
gaben sie ihr folgende Einrichtung. Sie fügten grosse
Balken mit den Enden der Länge nach aneinander und
zwar so, dass zwei Reihen derselben in einem Abstand
von Mauerbreite nebeneinander hinliefen; den mittleren
Raum zwischen beiden Balkenlagen füllten sie dann mit
Erde aus. Damit aber bei weiterer Anhöhung dieses
Walles die Erde nicht nachgebe, verbanden sie die der
Länge nach liegenden Balken durch andere, die sie der
Quere nach anbrachten, sodass der ganze Bau Ähnlich-
keit mit einem Blockhause hatte. Von jetzt an wurden
die Stösse der Maschinen durch die weiche Masse, gegen
die sie erfolgten, unwirksam gemacht; ja, der Bau setzte
sich sogar durch die Erschütterung und ward infolge-
dessen nur noch fester. Als Silva dies bemerkte, glaubte
er die Schanze vielleicht eher durch Feuer zerstören zu
können und befahl deshalb den Soldaten, eine Menge
brennender Fackeln dagegen zu schleudern. Wirklich
fing denn auch die Mauer, die ja grösstenteils aus Holz
bestand, alsbald Feuer und loderte, infolge ihrer lockeren
Bauart bis zum Grund entzündet, in hellen Flammen
auf. Nun aber erhob sich beim Beginn des Brandes
ein Nordwind, der den Römern gefährlich wurde: er
blies die Flamme von der Festung weg und trieb sie
ihnen ins Gesicht. Fast verzweifelten sie deswegen an
dem Erfolge, da sie die Einäscherung ihrer Maschinen
befürchteten. Plötzlich jedoch drehte sich der Wind
wie durch göttliche Fügung, schlug gegen Süden um
und jagte, indem er zugleich stärker wehte, die Flammen
gegen die Mauer zurück, die schon von oben bis unten
brannte. Daran erkannten die Römer den Beistand der
Gottheit und kehrten nunmehr frohen Mutes ins Lager
zurück, entschlossen, am folgenden Tage zu stürmen.
Einstweilen Hessen sie die Nacht über alles sorgfältig
bewachen, damit niemand aus der Festung entweichen
könne.
6. An Flucht jedoch dachte Eleazar nicht im ent-
ferntesten, wie er dieselbe auch keinem anderen gestattet
haben würde; vielmehr stellte er sich, da er die Mauer
Joseph us, jüdischer Krieg. 4f
'■Go glc jNivrKsnT or cautoknia
658
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
vom Feuer zerstört sah und kein weiteres Mittel zur
Kettung oder Verteidigung ausfindig machen konnte, die
Behandlung vor Augen, welche die Weiber und Kinder
von den Römern erfahren würden, wenn sie in deren
Hände fielen, und kam so zu dem Entschluss, dass alle
in den Tod gehen müssten. Weil er nun, wie die Dinge
einmal standen, dies für das beste hielt, versammelte er
die starkmütigsten seiner Gefährten und suchte sie mit
folgenden Worten zur That zu entflammen: ,;Schon
lange sind wir, wackere Kameraden, entschlossen, weder
den Römern noch sonst jemand unterthan zu sein ausser
Gott allein, weil er der wahre und rechtmässige Gebieter
der Menschen ist; jetzt aber ist der Augenblick ge-
kommen, der uns mahnt, unsern hehren Entschluss
durch die That zu bekräftigen. Entehren wir uns also
nicht selbst dadurch, dass wir, die wir früher nicht ein-
mal eine ungefährliche Knechtschaft zu ertragen ver-
mochten, jetzt mit der Knechtschaft uns freiwillig die
schrecklichsten Qualen zuziehen, die uns sicher bevor-
stehen, wenn wir in die Hände der Römer fallen. Denn
wie wir die allerersten waren, die sich gegen ihr Joch
aufgelehnt haben, so sind wir auch die letzten, die noch
von ihnen bekämpft werden. Ich halte es für eine be-
sondere Gnade Gottes, dass er uns in den Stand setzt,
ehrenvoll als freie Leute unterzugehen, was anderen,
die unversehens überwältigt wurden, nicht vergönnt war.
Wir wissen ja schon zum voraus , dass wir morgen in
Feindeshand geraten werden ; aber noch haben wir die
freie Wahl, mit unsem Lieben eines edlen Todeß zu
sterben. Das können die Feinde nicht verhindern, so
gern sie uns auch lebendig in ihre Gewalt bekommen
möchten; anderseits aber sind wir auch nicht mehr im-
stande, sie im Kampfe zu besiegen. Gleich anfangs
vielleicht, als unsere freiheitlichen Bestrebungen auf so
grossen Widerstand bei unsern Landsleuten und auf
noch grösseren von seiten unserer Feinde stiessen,
hätten wir den Ratschluss Gottes mutmassen und er-
kennen sollen, dass er das einst ihm so teure Volk der
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
659
Juden dem Verderben geweiht habe. Denn wäre er
uns gnädig geblieben oder nur massig über uns erzürnt
gewesen, so würde er wohl dem Untergang so vieler
Menschen nicht ruhig zugeschaut und seine hochheilige
Stadt nicht dem Feuer und der Zerstörungswut unserer
Feinde preisgegeben haben. Und da getrauen wir uns
noch zu hoffen, es könnte uns gelingen, allein von dem
ganzen jüdischen Volke übrig zu bleiben und unsere
Freiheit zu retten, als hätten wir gegen Gott den Herrn
nicht gesündigt und an keinem Frevel uns beteiligt,
während wir doch darin die Lehrmeister der anderen
gewesen sind? Ihr seht also, wie Gott unsere eitlen Er-
wartungen Lügen straft, indem er eine Plage über uns
kommen lässt, die unsere Hoffnungen völlig zu Schanden
macht Denn was hat die Uneinnehmbarkeit dieser
Festung uns hinsichtlich unserer Rettung genützt? Und
hat nicht Gott selbst, obwohl wir einen reichen Vorrat
an Proviant, eine Menge Waffen und allen sonstigen
Bedarf in Überfluss besitzen, jede Hoffnung auf Rettung
uns benommen? Nicht der Zufall war es ja, der das
anfangs den Feinden zugewandte Feuer gegen die von
uns errichtete Mauer Umschlägen liess, sondern der Zorn
Gottes wegen der vielen Frevel, die wir in unserer
Raserei gegen die eignen Landsleute begangen haben.
Die Strafe dafür aber wollen wir nicht von unsern
Todfeinden, den Römern, sondern von Gott durch unsere
eigne Hand erleiden; denn sein Strafgericht ist das
mildere. Ungeschändet sollen unsere Weiber sterben,
frei von Sklavenketten unsere Kinder! Und sind sie
uns im Tode voran gegangen, so wollen wir selbst ein-
ander den Liebesdienst erweisen — dann wird der
Ruhm, die Freiheit hochgehalten zu haben, uns ein
ehrenvolles Leichenbegängnis ersetzen ! Zuvor aber
wollen wir unsere Kostbarkeiten und die ganze Burg
durch Feuer vernichten; denn ich bin sicher, dass die
Römer sich ärgern werden, wenn sie uns nicht lebend
fangen können und obendrein auch noch um die Beute
kommen. Nur die Nahrungsmittel wollen wir ihnen
660 Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
übrig lassen, damit sie nach unserm Tode zum Zeugnis
dienen , dass nicht der Hunger uns bezwang , sondern
dass wir, wie von Anfang an, so auch jetzt noch ent-
schlossen waren, den Tod der Knechtschaft vorzu-
ziehen/*
7. So sprach El eazar; aber es waren noch lange nicht
alle Anwesenden mit seinen Worten einverstanden.
Einige zwar gingen mit wahrem Eifer daran, seinen
Vorschlag ins Werk zu setzen; ja, sie zeigten sich bei-
nahe hocherfreut, weil sie einen solchen Tod für ehren-
voll hielten. Die weichherzigeren seiner Leute dagegen
ergriff Mitleid mit den Frauen und Kindern, und da
auch ihnen selbst der sichere Untergang vor Augen
stand, sahen sie einander unter Thränen an und gaben
dadurch ihre Abneigung gegen den Plan Eleazars zu
erkennen. Als nun dieser ihre verzagte Stimmung be-
merkte und sich nicht verhehlen konnte, dass ihr Mut
infolge jenes verzweifelten Ratschlages am zusammen-
brechen sei, beschlich ihn die Furcht, sie möchten durch
ihr Jammern und Weinen auch noch diejenigen rühren,
die seine Worte mutigen Herzens angehört hatten. Er
fuhr deshalb fort, sie zu ermuntern, und begann, während
seine Gestalt sich hoch aufrichtete und flammende Be-
geisterung ihn durchdrang, eine schwungvolle Rede über
die Unsterblichkeit der Seele, indem er mit erhobener
Stimme, den Blick fest auf die Weinenden gerichtet,
also sprach: „Wahrlich, gar sehr habe ich mich ge-
tauscht, indem ich wähnte, den Kampf für die Freiheit
in Gemeinschaft mit wackeren Männern zu bestehen,
die zu sterben entschlossen sind, wenn sie nicht mit
Ehren leben können. Leider aber habt ihr, was Tapfer-
keit und Mut anlangt, vor jedem beliebigen Alltags-
menschen nichts voraus, da ihr den Tod selbst dann
noch fürchtet, wenn er euch vom grössten Elend be-
freien soll, anstatt ihm unverzagt und, ohne dass es
einer Aufforderung dazu bedürfte, ins Auge zu schauen.
Ward uns doch stets von der ersten Regung unseres
Bewusstseins an nach altehrwürdiger Überlieferung die
Go gle
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
661
Lehre eingeprägt, die ja auch unsere Ahnen durch ihre
Thaten und Gesinnungen bekräftigten, dass nicht der
Tod, sondern das Leben für die Menschen ein Unglück
sei. Denn der Tod giebt den Seelen die Freiheit und
eröffnet ihnen den Zugang zu dem reinen Orte, der ihre
Heimat ist und wo kein Leid sie mehr treffen soll. So
lange sie aber noch an den sterblichen Leib gefesselt
und von seinen Gebrechen angesteckt sind, kann man
sie in Wahrheit als tot bezeichnen; denn die Verbindung
von Göttlichem mit Sterblichem ist etwas Unnatürliches.
Freilich vermag die Seele auch Grosses zu vollbringen,
während sie noch dem Körper innewohnt, indem sie ihn
eben zum empfindenden Werkzeug ihrer selbst macht,
unsichtbar ihn bewegend und über seine sterbliche Natur
durch bedeutende Thaten ihn hervorhebend. Aber erst
wenn sie, los von der sie zur Erde ziehenden lästigen
Schwere, ihre wahre Heimat erreicht hat, erst dann wird
sie einer seligen Wirksamkeit und allerseits ungehemmten
Kraft teilhaftig und führt, wie Gott selbst, ein ewiges,
dem menschlichen Auge unsichtbares Dasein. Aller-
dings kann sie auch, so lange sie noch im Körper sich
befindet, nicht geschaut werden: ungesehen kommt sie,
und niemand wird ihrer gewahr, wenn sie wiederum
geht, und wiewohl sie selbst ihrer Natur nach un-
veränderlich ist, wird sie doch die Ursache aller Ver-
änderungen des Körpers. Denn womit die Seele sich
verbindet, das lebt und gedeiht; wovon sie sich aber
trennt, das verwelkt und stirbt ab — so gross ist die
Fülle der in ihr wohnenden Unsterblichkeit Der deut-
lichste Beweis für das Gesagte sei euch der Schlaf, in
welchem die Seelen, ungestört vom Leibe, in sich selbst
zurückgezogen der süssesten Ruhe gemessen, mit Gott,
dem sie verwandt sind, verkehren, überall hinschweifen
und vieles Zukünftige weissagen. Wie sollte man also
den Tod furchten, wenn man die Ruhe im Schlafe liebt|?
Und wäre es nicht ein Zeichen von Thorheit, wenn
jemand die irdische Freiheit zu erringen suchte und
doch die ewige sich missgönnte? Wir sollten daher
Go gle
662
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
schon auf Grund der Erziehung, die wir genossen haben,
anderen ein Beispiel von Sterbensfreudigkeit geben.
Haben wir aber auch noch Vorbilder aus der Fremde
nötig, so lasst uns auf die Inder schauen, die Bich der
Übung der Weisheit befleissigen. Diese edlen Männer
ertragen das irdische Leben nur widerwillig als einen
Frondienst, den sie der Natur schulden, und freuen sich,
wenn die Seele aus den Banden des Körpers erlöst wird:
ohne dass ein Leid sie drückt oder quält, nur aus
Sehnsucht nach dem ewigen Leben, kündigen sie den
anderen an, dass sie gesonnen sind, von der Welt zu
scheiden. Niemand hindert sie daran, vielmehr preist
jedermann sie glücklich und giebt ihnen Aufträge an
verstorbene Verwandten mit — so fest und zuversicht-
lich glauben sie an eine Wiedervereinigung der Seelen.
Nachdem sie nun jene Aufträge entgegengenommen,
übergeben sie ihren Leib dem Feuer, um die Seelen
in möglichster Reinheit vom Körper zu trennen, und
sterben unter Lobgesängen. Ihre Lieben aber geleiten
sie mit leichterem Herzen zum Tode, als andere
Menschen ihre Mitbürger zu einer weiten Reise; sich
selbst beweinen sie, jene preisen sie selig, weil sie schon
in die Reihen der Unsterblichen aufgenommen sind.
Müssen wir uns nun nicht schämen, dass wir uns zu der
edlen Gesinnung der Inder nicht emporschwingen können
und durch unsere Zaghaftigkeit das Gesetz unserer
Väter, um das die ganze Welt uns beneidet, schmäh-
lich beschimpfen? Aber wenn man uns auch von jeher
das gerade Gegenteil gelehrt hätte, nämlich dass das
irdische Leben des Menschen höchstes Gut und der Tod
ein Unglück sei, so mahnt uns doch unsere gegen-
wärtige Lage, ihn wohlgemut zu ertragen, da der Wille
Gottes und die Notwendigkeit ihn gebieterisch verlangen.
Schon lange nämlich hat Gott, wie mir scheint, bezüg-
lich des gesamten Volkes der Juden diesen Ratschluss
gefasst: wir sollen das Leben verlieren, weil er uns nicht
mehr gnädig sein will. Euch selbst dürft ihr ja nicht
die Schuld beimessen, noch es den Römern als Verdienst
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
663
anrechnen, dass der Krieg gegen sie uns alle ins Ver-
derben gestürzt hat. Denn nicht durch ihre Kraft ist
solches geschehen, sondern eine höhere Macht hat es
gefügt, dass sie sich als Sieger betrachten können.
Waren es zum Beispiel vielleicht römische Waffen, durch
welche die Juden zu Caesarea ums Leben kamen? Nein,
sie dachten nicht im entferntesten an Abfall, und
während sie den Sabbat feierten, fiel der Pöbel von
Caesarea über sie her, metzelte sie samt Weibern und
Kindern nieder, ohne dem geringsten Widerstand zu be-
gegnen, und scheute sich dabei nicht einmal vor den
Körnern selber, welche nur die Abtrünnigen, das heisst
Leute unseres Schlages, für Feinde erklärt hatten. Doch
man wird einwenden, die Bewohner von Caesarea hätten
stets mit den Juden im Streit gelegen und, indem sie
eine günstige Gelegenheit benutzten, nur einen alten
Hass gestillt Nun denn, was sagen wir von den Juden
zu Skythopolis? Den Griechen zu Gefallen ergriffen sie
das Schwert gegen uns, anstatt mit uns, ihren Stammes-
genossen, die Römer zu bekämpfen. Aber was hatten
sie von dem Wohlwollen und der Freundlichkeit gegen
ihre griechischen Mitbürger? Mitsamt ihren Familien
wurden sie unbarmherzig hingeschlachtet; das war der
Dank für ihre Hilfe. Was sie uns wehren wollten, den
Griechen anzuthun, das geschah ihnen selbst, als hätte
es so kommen müssen. Doch es würde zu weit führen,
wollte ich alles im einzelnen hier Vorbringen : ihr
wisst ja, dass es keine Stadt in Syrien giebt, die
nicht ihre jüdischen Bewohner umgebracht hätte, wie-
wohl diese uns weit friedlicher gegenüberstanden als die
Römer. So haben, um nur einiges anzuführen, die Da-
mascener, ohne auch nur einen Schatten von Vorwand
erdichten zu können, ihre Stadt durch ein scheussliches
Blutbad befleckt, indem sie achtzehntausend Juden samt
deren Weibern und Kindern ermordeten. Ferner wurden
in Aegypten eine Unmenge Juden — sechzigtausend,
wie man hört — zu Tode gemartert. Allerdings haben
diese im fremden Lande, weil sie schutzlos ihren Feinden
664 J osephus, Geschichte des J üdischen Krieges.
preisgegeben waren, solch jammervollen Tod gefunden;
aber auch denen, die in ihrem eignen Lande gegen
die Römer Krieg führten und überall die beste Gewähr
für den Sieg gaben, ward dieser Sieg nicht zuteil.
Waffen, Mauern, uneinnehmbare Festungen und ein
Mut, der den Gefahren des Befreiungskampfes furchtlos
die Stirn bot, bestärkten das ganze Volk in seinem Vor-
haben, den Abfall zu wagen. Aber nachdem dies alles
nur kurze Zeit vorgehalten und uns mit hochfliegenden
Hoffnungen erfüllt hatte, stellte es sich in der Folge nur
als Ursache noch viel grösseren Unglücks dar. Eine
Festung nach der anderen wurde erobert und fiel den
Feinden in die Hände, als wären sie nur deshalb so
ausgerüstet gewesen, um den Sieg der Römer noch
glänzender zu gestalten, und nicht vielmehr um denen,
die sie erbaut hatten, zur Rettung zu verhelfen. Die in
der Schlacht Gefallenen waren noch glücklich zu preisen,
denn sie starben wenigstens mit dem Schwert in der
Hand und ohne die Freiheit zu verraten. Wer aber
wollte nicht die Menge derer bemitleiden, die in römische
Gefangenschaft gerieten? Und wer möchte nicht mit
Freuden in den Tod gehen, bevor ein gleiches Schicksal
ihn ereilt? Von diesen Unglücklichen starben die einen
auf der Folterbank, durch Feuer und Geisselhiebe zer-
martert; andere wurden, von wilden Tieren halb zerrissen,
lebendig zu einem zweiten Mahle für die Bestien auf-
bewahrt — zum Gespött und zur Kurzweil ihrer Peiniger.
Die Beklagenswertesten aber sind die, welche noch leben
und den heissersehnten Tod nicht finden können. Und
wo ist jene grosse Stadt, die Hauptstadt der jüdischen
Nation, die durch so viele Ringmauern befestigt, durch
so viele Burgen und gewaltige Türme geschützt war, die
Stadt, welche kaum die Masse des Kriegsgerätes fasste
und so viele Myriaden Männer in sich schloss, die für
sie stritten? Wo ist sie hingekommen, die Stadt, die
Gott der Herr gewürdigt hatte, in ihr zu wohnen? Vom
tiefsten Grunde aus ist sie zerstört, und als einziges
Denkzeichen von ihr blieb nur das Lager ihrer Ver-
Siebentes Buch, 8. Kapitel.
665
wüster übrig, das noch auf ihren Trümmern steht
Elende Greise liegen bei der Asche des Tempels, und
wenige Weiber, die für die schamlose Lust der Feinde
aufbewahrt sind. Denkt einer an das alles, wie mag er
da den Tag noch schauen wollen, selbst wenn er fortan
in Sicherheit leben könnte? Und wer ist der Vater-
landsfeind, wer die Memme und der Feigling, dem es
nicht leid thun würde, dass er auch nur bis heute hat
leben müssen ? Ach wären wir doch alle gestorben, bevor
wir die heilige Stadt von Feindeshand zerstören und den ge-
weihten Tempel so frevelhaft vernichten sahen! Freilich
wurden wir durch die gewiss nicht unedle Hoffnung hin-
gehalten, vielleicht noch einmal an dem Feind Hache dafür
nehmen zu können ; nun aber auch diese dahin ist und wir
einsam der Not gegenüberstehen, wollen wir nicht zögern,
mit Ehren zu sterben. Lasst uns Erbarmen haben mit
uns selbst, Erbarmen mit unsern Frauen und Kindern,
so lange es uns noch freisteht, solche Barmherzigkeit
zu üben. Denn zum Tode sind wir geboren, und zum
Tode haben wir auch unsere Kinder gezeugt: selbst die
Glücklichsten können ihm nicht entgehen; Misshandlung
aber und Sklaverei, und Zusehen müssen, wie Weiber
und Kinder zur Schändung geschleppt werden, das sind
keine Übel, welche etwa die Naturnotwendigkeit den
Menschen auferlegt, sondern es widerfahrt ihnen solches
nur um ihrer eignen Feigheit willen, weil sie nämlich,
obwohl sie es könnten, nicht sterben wollen, ehe sie dies
alles erleben. Wir dagegen sind im stolzen Vertrauen
auf unsere Manneskraft von den Römern abgefallen und
haben noch jüngst ihrer Aufforderung, uns zu ergeben,
kein Gehör geschenkt Wem sollte es da nicht ein-
leuchten, wie schwer ihre Rache uns treffen würde, wenn
sie uns lebend in ihre Gewalt bekämen ? Wehe alsdann
den Jünglingen, deren Körperstärke gar viele Martern
wird aushalten müssen! Wehe auch den Greisen, die
ihres hohen Alters wegen die Qualen nicht mehr er-
tragen können! Da wird der eine sein Weib zur
Schändung wegführen sehen, ein anderer die Stimme
Go gle
666
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Beines Kindes hören, wie es nach dem Vater jammert,
dem doch die Hände gebunden sind! Doch nein — so
lange diese Hände noch frei sind und das Schwert zu
halten vermögen, sollen sie uns den besten Dienst er-
weisen ! Ungeknechtet von den Feinden wollen wir
sterben, als freie Männer samt Weib und Kind aus dem
Leben scheiden. Das befehlen uns die Gesetze, das er-
flehen von uns unsere Frauen und Kinder; in die Not-
wendigkeit aber, diesen Schritt zu thun, hat uns Gott
versetzt, und das Gegenteil davon liegt im Wunsche
der Römer: sie fürchten, es möchte einer aus uns vor
dem Falle der Festung sterben. Eilen wir daher, ihnen
statt der erhofften Freude, die unsere Gefangennehmung
ihnen bereiten würde , den grausigen Anblick unserer
Leichen und das Staunen über unsere Kühnheit zu
hinterlassen !“
Neuntes Kapitel.
Die Verteidiger Masadas ermorden sich gegenseitig.
1. Als er nun noch mit seinen Ermahnungen fort-
fahren wollte, unterbrachen ihn alle, drängten, von
unaufhaltsamem Ungestüm ergriffen, zur That und rannten,
wie wenn ein böser Geist sie getrieben hätte, davon.
Einer suchte dem anderen zuvorzukommen, und jeder
glaubte sich dadurch besonders tapfer und entschlossen
zu zeigen, dass er sich nicht unter den Letzten Anden
liess — ein solch gieriges Verlangen hatte sich ihrer
bemächtigt, ihre Weiber und Kinder sowie sich selbst
untereinander zu morden. Auch erkaltete, wie man viel-
leicht hätte meinen können, dieser ihr Eifer nicht, als
sie zur Ausführung schritten, sondern sie beharrten bei
der unerbittlichen Gesinnung, die Eleazars Rede ihnen
eingeflösst hatte. Freilich erlitten ihre freund- und ver-
wandtschaftlichen Gefühle keine Einbusse; aber die Ver-
nunft, die ihnen sagte, dass sie so am besten für ihre
Siebentes Buch, 9. Kapitel.
667
Lieben sorgten, behielt die Oberhand. Bo setzten sie
denn, indem sie ihre Frauen liebevoll umarmten, ihre
Kinder herzten und unter Thränen die letzten Küsse auf
deren Lippen drückten, ihren Entschluss ins Werk, als
stände ihnen eine fremde Hand zu Gebot; ihren Trost
-aber fanden sie bei diesem notgedrungenen Morden in
dem Gedanken an die Misshandlungen, die ihre Ange-
hörigen erdulden müssten, wenn sie in Feindeshand fallen
würden. Schliesslich erwies sich keiner als zu schwach
für das grausige Werk, sondern alle machten ihre Lieben
der Reihe nach nieder. O der fürchterlichen Not, die es
den Unglücklichen noch als das kleinste Übel erscheinen
liess, mit eigener Hand ihre Frauen und Kinder hinzu-
schlachten! Unfähig, den Schmerz über ihre That zu
ertragen, und in dem Gefühl, dass sie ein Unrecht an
den Toten begehen würden, wenn sie dieselben auch nur
ein kleines Weilchen überlebten, schleppten sie alsdann
eiligst alles Wertvolle auf einen Haufen zusammen,
steckten es in Brand und wählten hierauf zehn ihrer
Genossen aus, welche die Mörder aller übrigen werden
sollten. Hingestreckt an der Seite seines Weibes und
seiner Kinder und die Arme über sie ausbreitend, bot
nun jeder von ihnen aufs bereitwilligste seine Kehle den
zehn dar, welche den traurigen Dienst vollzogen. Kaum
aber hatten die letzteren ohne Zittern und Zagen ihre
sämtlichen Gefährten Mann für Mann durchbohrt, als
sie durchs Los die gleiche Entscheidung bezüglich ihrer
selbst trafen: derjenige, auf den das Los fiel, sollte die
anderen neun und endlich auch sich selbst umbringen;
hegten sie doch alle das feste Vertrauen zueinander, dass
jeder von ihnen der Ausführung des Beschlusses in
thätiger wie leidender Hinsicht gleich freudig sich fügen
werde. So unterzogen sich denn die neun dem Tode
durchs Schwert; der eine aber, der zuletzt noch am
Leben war, besichtigte nur noch den Haufen der Da-
liegenden, ob nicht etwa bei dem grossen Gemetzel einer
übrig geblieben sei, der zum Sterben seiner Nachhilfe
bedürfe, und als er sie alle wirklich tot fand, legte er
668 Josephus, Oeschichte des Jüdischen Krieges.
Feuer an den Palast, durchbohrte dann sich selbst mit
kräftiger Faust und sank neben seinen Unglücksgefährten
nieder. Also starben sie in der Überzeugung, keine Seele
übrig gelassen zu haben, die in die Gewalt der Römer
geraten könnte. Eine bejahrte Frau jedoch sowie eine
Verwandte Eleazars, letztere ein an Verstand und Bil-
dung die meisten ihres Geschlechtes weit überagendes
Weib, hatten sich, während die Gedanken der anderen
von der Ermordung der Gefährten ganz in Anspruch ge-
nommen waren, heimlich nebst fünf Kindern in eine
unterirdische Trinkwasserleitung verkrochen. Die Zahl
der Toten, Weiber und Kinder mit eingerechnet, belief
sich auf neunhundertsechzig. Diese Schreckensthat ge-
schah am fünfzehnten des Monats Xanthikos. 1
2. Früh morgens nun setzten sich die Römer, die auf
bewaffneten Widerstand rechneten, in Bereitschaft, ver-
banden ihren Wall und die Mauer durch Fallbrücken
und betraten die Festung. Als sie jedoch keinen Feind
erblickten, sondern überall eine unheimliche Leere, im
Innern des Kastells Feuer, sonst aber tiefe Stille ge-
wahrten, konnten sie sich nicht denken, was geschehen
sei. Endlich stimmten sie, als sollten die Geschosse
eben abfliegen, den Schlachtruf an, um dadurch den
einen oder anderen von den Bewohnern hervorzulocken.
Dieses Geschrei vernahmen die Weiber, krochen sogleich
aus den unterirdischen Gängen heraus und berichteten
den Hergang mit allen seinen Einzelheiten; besonders
die eine der Frauen wusste alles , was gesprochen und
gethan worden war, aufs genaueste zu erzählen. Die
Römer indes schenkten ihr, weil sie die ungeheuerliche
That nicht glauben wollten, nur wenig Aufmerksamkeit,
sondern bahnten sich, indem sie den Brand zu löschen
versuchten, einen Weg durch die Flammen und drangen
in das Innere des Palastes ein. Als sie aber hier in
Wirklichkeit die Menge der Gemordeten entdeckten,
freuten sie sich nicht wie über den Untergang von
1 73 n. Chr.
Go gle
Siebentes Buch, 10. Kapitel.
669
Feinden, sondern zollten dem hochherzigen Entschluss
und der unerschütterlichen Todesverachtung so vieler bei
der That beteiligten Personen ihre volle Bewunderung.
Zehntes Kapitel.
Sikarier-Unruhen in Alexandria. Vespasianus lässt den
Oniastempel schliessen.
1. Als Masada auf diese Weise erobert war, liess
der römische Feldherr eine Besatzung in dem Kastell
zurück und zog mit seinen Truppen nach Caesarea ab.
Denn kein Feind war in Judaea übrig geblieben,
sondern das Land war nunmehr durch den langen Krieg
in seiner ganzen Ausdehnung völlig unteijocht Da-
gegen kamen jetzt viele der auswärtigen Juden, selbst
solche, die sehr weit von ihrem Stammland entfernt
wohnten, infolge des Aufstandes in eine missliche Lage.
So mussten beispielsweise kurz nach dem Falle Masadas
zu Alexandria in Aegypten eine Menge Juden das
Leben lassen. Diejenigen aus der Sikarierrotte nämlich,
denen die Flucht dorthin geglückt war, hatten nicht ge-
nug daran, dass sie mit heiler Haut davongekommen
waren, sondern suchten aufs neue Unruhen zu stiften,
indem sie viele von denen, die ihnen Aufnahme gewährt
hatten, beredeten, sich für die Freiheit zu erheben, die
Körner nicht für besser zu halten, als sich selbst, und
keinen Herrn anzuerkennen ausser Gott Als nun ein
Teil der vornehmeren Juden sich ihnen widersetzte,
räumten sie die einen aus dem Wege, den anderen aber
lagen sie mit ihren Aufwiegeleien jetzt erst recht an.
Angesichts dieses wahnwitzigen Treibens glaubten die
obersten Mitglieder des Rates es nicht mit ihrer Sicher-
heit vereinbaren zu können, wenn sie die Sikarier noch
länger gewähren liessen. Sie beriefen daher die ganze
Judenschaft zu einer Versammlung, deckten die An-
670
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Schläge der Verwegenen auf und schilderten sie als die
Urheber alles den Juden bislang zugestossenen Un-
glücks. Jetzt aber, fuhren sie fort, da den Sikariern
trotz der gelungenen Flucht keine Rettung winke (denn
sowie sie von den Römern erkannt seien, würden sie wohl
ihre baldige Hinrichtung zu gewärtigen haben), suchten
sie in ihr verdientes Schicksal auch noch diejenigen mit
hineinzuziehen, die sich niemals an ihren verbrecherischen
Umtrieben beteiligt hätten. Die Vorsteher ermahnten
darum das Volk, sich vor dem Unheil, das die Aufrührer
stiften wollten, in acht zu nehmen und durch Aus-
lieferung der Bösewichte sich den Römern gegenüber
zu rechtfertigen. In richtiger Erkenntnis der grossen
Gefahr, die ihnen drohte, nahmen sie sich denn auch
ausnahmslos diese Vorstellungen zu Herzen, stürzten
sich auf die Sikarier und machten sie dingfest. Sechs-
hundert derselben wurden so auf der Stelle gefangen
genommen; andere, die sich in das Innere Aegyptens
und besonders nach Theben geflüchtet hatten, wurden
bald darauf ergriffen und eingeliefert. Ihr Starrsinn
und ihre Tollheit oder Seelenstärke — wie man’s nennen
will — rief allgemeines Erstaunen wach. Denn alle
erdenklichen Martern und Verstümmelungen, die man
nur deshalb an ihrem Körper vollzog, damit sie den
römischen Imperator als ihren Gebieter anerkennen
sollten, vermochten nicht einen von ihnen zur Nach-
giebigkeit zu bewegen oder ihm das geforderte Bekennt-
nis abzuzwingen; vielmehr verharrten sie in ihrer durch
keine Not zu beugenden Gesinnung, als wenn ihr Leib
gegen Folterung und Flammenqualen völlig abgestumpft
wäre, ihre Seele aber sogar noch Freude darüber
empfände. Die grösste Verwunderung jedoch erregten
bei den Zuschauern die kleinen Knaben: denn auch
von ihnen war keiner dahin zu bringen, dass er den
Imperator seinen Herrn genannt hätte — so sehr
überwog ihre gewaltige Kühnheit die Schwäche ihres
Körpers.
2. Lupus, der damalige Statthalter zu Alexandria,
Siebentes Buch, 10. Kapitel.
671
berichtete schleunigst über diese Bewegung nach Rom,
worauf Vespasianus, der überzeugt war, dass die Em-
pörungssucht der Juden nie zur Ruhe kommen werde,
und zugleich befürchtete, sie möchten sich wieder zu
grösseren Scharen zusammenthun und dann auch andere
zum Abfall verleiten, dem Lupus befahl, den jüdischen
Tempel im sogenannten Distrikt des Onias zu zerstören.
Dieser Tempel liegt in Aegypten und verdankt seine
Erbauung wie seinen Namen folgender Veranlassung.
Onias, der Sohn des Simon, 1 einer der Hohepriester zu
Jerusalem, war vor Antiochus, dem König von Syrien,
als dieser die Juden mit Krieg überzog, nach Alexandria
geflohen. Hier fand er wegen seines Zerwürfnisses mit
Antiochus freundliche Aufnahme bei Ptolemaeus und
versprach diesem dafür, er werde das ganze jüdische
Volk auf seine Seite bringen, wenn der König seinen
Worten Gehör schenken wolle. Ptolemaeus sicherte ihm
thunlichste Unterstützung zu, und nun bat Onias um
die Erlaubnis, irgendwo in Aegypten einen Tempel er-
bauen und einen Gottesdienst nach der Sitte seiner
Väter einrichten zu dürfen. Dann nämlich, meinte er,
würden die Juden gegen Antiochus, den Verwüster des
Tempels zu Jerusalem, noch hartnäckiger kämpfen, gegen
Ptolemaeus aber desto grössere Anhänglichkeit an den
Tag legen und sich um der freien Religionsübung willen
massenhaft in seinem Lande ansiedeln.
3. Diesen Ausführungen pflichtete der König bei und
schenkte ihm einen Platz im Bezirke von Heliopolis,
hundertachtzig Stadien von Memphis entfernt. Hier
legte Onias zunächst Festungswerke an und erbaute als-
dann den Tempel, jedoch nicht nach dem Muster des zu
Jerusalem befindlichen, sondern in der Weise, dass er
mehr einer Burg glich, die, aus grossen Quadern be-
stehend, sich etwa sechzig Ellen hoch erhob. Dem
Altar dagegen gab er eine ähnliche Gestalt, wie sie der
in der Heimat auf wies, und schmückte auch den Tempel
1 Vergl. die 6. Anmerkung zu I, 1, 1 sowie J. A. XII, 1, 7.
672
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
mit ähnlichen Weihgeschenken. Nur bei dem Leuchter
machte er eine Ausnahme. Er liess nämlich keinen
stehenden Armleuchter verfertigen, sondern eine goldene
Lampe , von welcher Strahlen ausgingen, und hängte
dieselbe an einer goldenen Kette auf. 1 Das ganze
Heiligtum umgab er mit einer Backsteinmauer, die
massiv steinerne Thore hatte. Der König schenkte ihm
sodann noch ein weiteres ausgedehntes Grundstück, von
dessen Ertrag die Priester ihr reichliches Auskommen
haben und ausserdem die Aufwendungen für den Gottes-
dienst bestreiten sollten. 2 Onias aber hatte bei diesem
Beginnen keine lauteren Absichten, sondern liess sich
von seinem Hass gegen die Juden zu Jerusalem leiten,
denen er es nicht vergessen konnte , dass sie ihn
zur Flucht genötigt hatten; und nun glaubte er, durch
die Erbauung dieses Tempels eine Menge Juden von
dort weglocken zu können. Es gab übrigens auch eine
darauf bezügliche Weissagung, die schon vor mehr als
sechshundert Jahren ergangen war: der Prophet Esaias
nämlich hatte die Erbauung dieses Tempels in Aegypten
durch einen jüdischen Mann vorhergesagt 3 Auf die
angegebene Weise also war der Tempel entstanden.
4. Kaum hatte nun Lupus, der Befehlshaber von
Alexandria, den entsprechenden Bescheid aus Rom er-
halten, als er in dem geweihten Bezirk erschien und den
Tempel, aus dem er zuvor einige Weihgeschenke fort-
genommen hatte, abschloss. Bald darauf aber starb er,
und sein Nachfolger im Amte, Paulinus, nahm nicht
nur unter harten Drohungen gegen die Priester, falls sie
etwas verheimlichten, die sämtlichen Weihgeschenke aus
dem Tempel weg und verbot nicht nur den Andächtigen,
die heiligen Räume zu betreten, sondern verschloss auch
1 Ähnlich der bei den Juden im Mittelalter und fast bis in die
neueste Zeit gebräuchlichen sogen. Sabbatlampe.
2 Yergl. über den Oniastempel: Monatsschrift für Gesch. und
Wissensch. d. Judent., 1851—52, S. 273— 77; 1872, S. 150-55; Grätz,
Gesch. d. Juden III, S. 31 ff.
3 Josephus meint hier die Stelle Jesaias 19, 19.
Siebentes Bach, 11. Kapitel.
673
die Thore und machte den Tempel völlig unzugänglich,
sodass keine Spur von Gottesdienst an dem Orte mehr
übrig blieb. Von der Erbauung des Tempels bis zu
seiner Verschliessung waren dreihundertdreiund vierzig
Jahre 1 verflossen.
Elftes Kapitel.
Der Sikarier Jonathas in Kyrene. Schiasswort.
1. Der Wahnsinn der Sikarier steckte übrigens, wie
«ine Seuche, sogar Kyrene und dessen Nachbarstädte
an. Dorthin nämlich hatte sich ein äusserst verruchter
Mensch mit Namen Jonathas, seines Zeichens Weber,
geflüchtet, der eine beträchtliche Schar besitzloser Leute
an sich zog und sie in die Wüste führte, wo er ihnen
Wunder und Erscheinungen zu zeigen versprach. Sein
betrügerisches Treiben erregte nun zwar im allgemeinen
wenig Aufmerksamkeit; gleichwohl sahen die vornehmsten
Juden zu Kyrene sich veranlasst, seinen Auszug und
sein Vorhaben dem Statthalter des Pentapolitanischen
Libyen, Catullus, zu melden. Dieser sandte Reiterei
und Fussvolk aus, die den unbewaffneten Haufen
leicht überwältigten. Der grössere Teil fiel im Hand-
gemenge; einige jedoch wurden lebendig gefangen ge-
nommen und vor Catullus geführt. Der Anstifter des
ganzen Unternehmens, Jonathas, war allerdings für den
Augenblick entkommen: lange und sorgfältige Nach-
forschungen im ganzen Lande aber führten schliesslich
Joch zu seiner Verhaftung. Als er nun vor Catüllus
gebracht wurde, verstand er die Sache so zu drehen
und zu deuten, dass er selber straflos ausging; dagegen
gab er dem Statthalter Anlass zu den ungerechtesten
Handlungen, indem er lügenhafterweise die reicheren
Juden beschuldigte, sie hätten ihm zu seinem Anschlag
geraten.
1 Da Onias etwa im Jahre 170 v. Chr. nach Aegypten floh und
die Schliessung des Tempels 73 n. Chr. stattfand, wäre 243 die
richtige Zahl.
Josephus, Jüdischer Krieg. 43
'■GO glC JNIVLKSITY OT CALirOKNIA
674
Josephus, Oescbicbte des Jüdischen Krieges.
2. Catullus griff diese Verleumdungen begierig auf
und suchte der Sache durch hochtönende Worte eine
besondere Wichtigkeit beizulegen, damit es den Anschein
gewinne, als habe auch er eine Art von jüdischem Krieg
beendigt. Noch schlimmer aber war es, dass er, der für
seine Person jenem Geschwätz so leicht Glauben schenkte,
den Sikariern auch noch Unterricht im Verleumden gab.
So brachte Jonathas auf sein Geheiss i einen Juden
Namens Alexander, dem Catullus schon lange feind war
und seinen Hass bereits offen zu erkennen gegeben
hatte, zur Anzeige und verwickelte auch Alexanders
Gattin Berenike in die Beschuldigungen, worauf der
Statthalter zunächst diese beiden hinrichten und sodann
auch alle vermögenden Juden, dreitausend Mann auf
einmal, umbringen liess. Er glaubte das ungefährdet
thun zu können, weil er das Vermögen der Getöteten
zu den Einkünften des Imperators schlug. •
3. Damit aber nicht anderswo die Juden seine Un-
gerechtigkeiten an den Tag bringen möchten, dehnte er
sein Lügensystem 'noch weiter aus und beredete den
Jonathas sowie einige von dessen Mitgefangenen, die
angesehensten Juden in Alexandria und Born auf-
rührerischer Umtriebe zu bezichtigen. Unter denen, die
auf diese Weise heimtückisch verklagt wurden, befand
sich auch Josephus, der Verfasser des vorliegenden Ge-
schichtswerkes. Dem Catullus aber sollte sein hinter-
listiger Abschlag nicht 'gelingen. Denn*'als er, den
Jonathas und .'dessen Genossen y in Fesseln mit [sich
führenden der Meinung, es werde, weil die Verleum-
dungen in seinem Namen und durch ihn vorgebracht
waren, von jeder weiteren Untersuchung Abstand ge-
nommen werden, in Kom anlangte, liess Vespasianus,
dem die Sache verdächtig vorkam, den wirklichen That-
bestand genau erforschen und sprach, nachdem er sich
von der Grundlosigkeit der gegen jene Männer er-
hobenen Beschuldigungen überzeugt hatte, dieselben auf
Verwendung des Titus völlig frei. Über Jonathas hin-
Siebentes Buch, 11. Kapitel.
675
gegen verhängte er die verdiente Strafe: er wurde ge-
geisselt und dann lebendig verbrannt.
4. Der Milde der beiden Herrscher hatte Catullus
es für jetzt zu danken , dass er nicht härter als mit
einem Verweis bestraft wurde. Nicht lange nachher
aber befiel ihn eine verwickelte, unheilbare Krankheit,
und endlich fand er, nicht bloss am Leibe zermartert,
sondern von noch viel schlimmeren Seelenqualen heim-
gesucht, einen® schmerzhaften Tod. Schreckbilder ver-
folgten ihn unablässig, und ein über das anderemal
schrie er, er sehe die Schatten der von ihm Gemordeten
neben seinem Lager stehen; er vermochte sich dann
nicht mehr zu halten und sprang aus dem Bett, als
nahe man ihm mit Folter und Feuer. Mehr und mehr
nahm das Übel J zu: schliesslich faulten ihm die Ein-
geweide und fielen aus seinem Körper heraus, und so
starb er — ein Beispiel, so deutlich wie irgend ein
anderes, dass die göttliche Vorsehung den Bösewicht der
verdienten Strafe anheimfallen lässt.
B. Hiermit schliesse ich die Geschichte, welche ich
meinem Versprechen gemäss mit aller Sorgfalt für die-
jenigen geschrieben habe, die zu erfahren wünschten,
wie dieser Krieg der^ Römer gegen die Juden verlief.
Über die Art der Darstellung sei das Urteil den Lesern
anheimgestellt ; was die Richtigkeit der Thatsachen an-
langt, so habe ich, wie ich zuversichtlich behaupten
darf, auf diese in der ganzen Schrift mein einziges
Augenmerk gerichtet
Namenregister.
a Adida (in den J. A. Addida),
Stadt in Judaea, das heutige
Abila, Stadt in Peraea, zwölf östlich von Lydda gelegene
römische Meilen östlich von grosse Dorf el Chaditeh, IV, 9,1.
Gadara, die jetzige südlich vom Adoreos (Adoreon, Adora), Stadt
Hieromax liegende Trümmer- in Judaea, das heutige Dorf
stadt Abil mit prachtvollen Dura oder Döra im Distrikt
Ruinen, IV, 7, 6. Hebron, I, 2, 6 ; 8, 4.
Abram, des Tharrus Sohn, Stamm- Aegypten, II, 16, 4 ; IV, 1 0, 5.
vater der Israeliten, V, 9, 4. Aemilius Jucundus, Reiteroberst,
Absalom, Manaims Anhänger, II, 11,19,7.
17,9. Aethlopien (s. Kiepert, Lehrbuch
Achabarenfels , der, in Ober- der alten Geographie, S 204 ff),
galilaea, nach Robinson der 11,16,4.
heutige ’Akbarah, II, 20, 6. Agesilaos , König der Lakedae-
Achaja, die bekannte Landschaft monier, II, 16,4.
Altgriechenlands, 1,26,4; 111,1,3. Aggaeus, Prophet, VI, 4, 8.
Achiab, Herodes* des Grossen Agrippa der Grosse, Aristobuls
Vetter, 1, 33, 7 ; II, 4, 1 ; 5, 3. Sohn , Herodes’ des Grossen
Actinm, die flache, sandige Land- Enkel, 1,28,1; 11,9,6; 11, lff.
zunge und westliche Spitze Agrippa, Agrippas des Grossen
Acarnaniens, welche mit der Sohn, II, 12,8; 13, 2; 15,1;
gegenüberliegenden Spitze von 16, 3 ff. ; III, 4, 2 ; 9, 7 ; IV, 1,1;
Epirus die breite Mündung 1,3; 9, 2.
des Ambrakischen Meerbusens Agrippa, Marcus Vipsanius, des
bildet, 1, 20, 1 . Herodes Freund, 1, 20, 4 ; 21,1.
Adasa, Flecken in Judaea, nach Agrippias (Anthedon), Hafenstadt
Joseph Schwarz das heutige im Süden Palaestinas, zwanzig
zwischen Migdal und Askalon Stadien von Gaza, wahrschein-
liegende Dorf Dschora di al lieh das heutige Kefr-Hette,
Chadas, 1,1,6. 1,4,2; 8,4; 21,8; 11,18,1.
Adiabene, assyrische Landschaft, Akme, Sklavin der Gemahlin des
bildete in den ersten Christ- Augustus, I, 32, 6 ; 33, 7.
liehen Jahrhunderten ein Akra, Stadtteil von Jerusalem,
eigenes, von den Persern ab- 1,1,4; V, 4, 1; VI, 6, 3.
hängiges Königreich, II, 16, 4. Akrabatene, der Bezirk (die
Go gle
Namenregister.
677
Toparehie) von Akrabatta, II,
20,4; IV, 9, 4; 9,9.
Akrabatta, Stadt in Judaea, das
heutige Akrabeh, III, 3, 5
Alanen, die, skythisches oder
sarmatisches Volk am Asow-
schen Meere, VII, 7,4.
Albinns, Land pfleger von Judaea,
II, 14, 1.
Alexander Jannaeus, des Hyr-
kanus Sohn, I, 4, 1 ff.
Alexander, des Königs Aristo-
bulus Sohn, 1, 8, 4 ; 8, 7 ; 9, 2.
Alexander, Herodes’ des Grossen
Sohn, 1, 23, 1 ff.
Alexander, des Alexander und
der Glaphyra Sohn, 1,28,1.
Alexander, kyrenäischer Jude,
VII, 11,2.
Alexander, Räuber, 11,12,4.
Alexander, des Marcus Antonius
Freund, 1,20,3.
Alexander, der falsche , II, 7, 1 f.
Alexandra, des Aristobulus Gattin,
auch Salome genannt, 1,4,1.
Alexandra, des Alexander Jan-
naeus Gattin, I, 5, 1 ff.
Alexandra, des Königs Aristo-
bulus Tochter, 1,9,2.
Alexandria, die bekannte Hafen-
stadt in Aegypten, 11,16,4;
IV, 10, 5; ihre jüdischen Be-
wohner 11,18,7; VII, 10, 1.
Alcxandrium, Kastell in Judaea
(s. J.A. XIII, 16,4; XIV, 3, 4;
15, 4), vielleicht das heutige
Kefr Stüna (van de Velde),
1,6,4; 8,5; 16,3.
Alexas, Herodes’ des Grossen
Freund und Schwager, 1,28,6;
33,6; 33,8.
Alexas, tapferer Jude, VI, 1, 8 ; 2, 6.
Alpen, die, II, 16, 4.
Alurus. Dorf in Idumaea, jetzt
unbekannt. IV, 9, 6.
Amathus, Festung in Peraea,
jetzt Am&teh, drei Stunden
südlich von Pella an der Ost-
. seite des Jordan, 1,4,2; 8,4.
Ammans (Emmaus), Städtchen in
Judaea, das heutige Dorf
Amwäs (s. J. A.XIII, 1, 3; XIV,
11,2; XVII, 10, 9), 1,11,2; II,
5,1; VII, 6, 6.
Ammans, Städtchen mit heissen
Quellen , eine Viertelstunde
südlich von Tiberias (s. J. A.
XVIII, 2, 3), IV, 1,3.
Amygdalontelch, nach Sepp der
alte Hiskia- Teich zwischen
Zion und der Grabeskirche,
V, 11, 4.
Ananias, Hohepriester, 11,12,6;
17,6; 17,9.
Ananias, des Sadduk Sohn, II,
17, 10.
Ananias, Pharisäer, 11,21,7.
Ananias (zwei dieses Namens),
Zeloten, IV, 4,1.
Ananias, Hohepriester, V, 13, 1.
Ananus, des Hohepriesters Ana-
nias Sohn, II, 12, 6.
Ananus, Hohepriester, 11,20,3;
IV, 3, 9 ff. ; 4,3; 5,2.
Ananus, des Jonathas Sohn, II,
19, 5.
Ananus, des Bamados Sohn, V,
13,1; VI, 4, 2.
Annaeus, Bürger von Taricheae,
11,21,3.
Annius, Lucius, römischer Offi-
zier, IV, 9, 1.
Anthedon, s. Agrippias.
Antigonus, des Hyrkanus Sohn,
I, 2, 7 ; 3, 1
Antigonus, des Königs Aristo-
bulus Sonn, 1, 8, 6; 10, 3 ; 12, 2f. ;
13, lff.; 15,1; 15,5; 17,1;
17,51; 18, lff.
Antiochia, die Hauptstadt Syriens,
jetzt Antaki, 1, 21, 11 ; II, 18, 5;
VII, 3, 31; 5,2.
AntiochusIY., Epiphanes, I, l,lff.
Antiochus V., Eupator, 1, 1, 5.
Antiochus VII., Soter, 1, 2, 2 ; 2, 5.
Antiochus VIII., Grypus, 1,2,7.
Antiochus XII., des Antiochus
Grypus Sohn, 1,4,7.
Go gle
678
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Antiochus, König vonKommagene,
1,16,7.
Antiochus, König vonKommagene,
111,4,2; V, 11, 3; VII, 7,1 ff.
Antiochus Epiphaues, des Kom-
mageners Antiochus Sohn,
V, 11, 3 ; VII, 7, lf.
Antiochus , zu Antiochia an-
sässiger Jude, VII, 3,3 f.
Antiochusthal , ein Gebirgspass
östlich vom See Tibenas in
Gaulanitis (s. auch J. A. XIII,
15,3), 1,4,8.
Antipas (Herodes), Sohn Herodes ,
des Grossen und derMalthake,
I, 28,4; 32,7; 33,7; II, 2, 3ff ;
6,3; 9,1; 9,6.
Antipas, Verwandter des Königs
Agrippa, II, 17, 4.
Antipas, vornehmer Jude, IV, 3, 4.
Antipater, Vater Herodes’ des
Grossen, 1, 6, 2 ; 8, 1 ; 8, 9 ; 9, 3 f. ;
10, 3ff ; 11,2; 11,4.
Antipater, Sohn Herodes’ des
Grossen und der Doris, 1, 23, lf. ;
23,5; 24, lf.; 24,8; 26,2;
28,1; 29, 1 ff ; 30, 1 ff. ; 81, 5ff ;
32, 5 ; 33, 7.
Antipater, Samariter, I, 30, 5.
Antipater , Sohn der Salome,
II, 2, 5.
Antipatris, Stadt in Judaea, früher
Chabarzaba genannt (J. A. XIII,
15, 1), auch Kapharsaba (J. A.
XVI, 5, 2), heutige Lage un-
bekannt, 1, 4, 7 ; 21, 9 ; II, 19, 1 ;
19,9; IV, 8,1.
Antiphilus, Antipaters Freund,
1,30,5; 32,6.
Antonia, Burg zu Jerusalem,
1,3,3; 5,4; 21,1; 11,15,6;
16.5; 17, 7; V, 5, 8.
Antonius, Marcus, I, 8, 3 ; 12, 4 f. ;
14, 3f.; 16,4; 16,7; 18, 4f.;
19,1; 20,1.
Antonius, Stadtkommandant von
Askalon, III, 2,1 ff
Antonius Silo, römischer Offizier,
III, 10, 3.
Antonius , römischer Centurio,
111,7,35.
Antonius Primus, Präfekt von
Moesien, IV, 11,2 f.
Antonius Julianus, Marcus, Land-
pfleger von Judaea, VI, 4, 3.
Anuath Borkeos , Grenzort
zwischen Galilaea und Samaria,
nach Tuch das jetzige Dorf
Burkä , nicht weit südöstlich
von Beitin (Bethel), III, 3, 5.
Apamea, Stadt in Syrien, Haupt-
stadt der Landschaft Apamene
am Orontes, südlich von An-
tiochia, heute die prächtigen
Ruinen Kala at-el-Medik im
Paschalik Tarablüs , 1, 10, 10 ;
II, 18,5.
Apheks Turm, II, 19, 1.
Aphtha, Dorf in Judaea, heute
unbekannt, IV, 3,8.
Apollonia, Seestadt in Palaestina
zwischen Caesarea und Joppe
(Plinius , Naturgesch. V, 14),
jetzt ein verödetes Dorf Arsuf,
1,8,4.
Araber, die, 1, 19, 1 ff
Arbela, Dorf in Galilaea am See
Genezareth in der Nähe von
Magdala , ohne Zweifel das
heutige Irbid , in dessen Nähe
noch jetzt Höhlen an auf-
steigenden Bergwänden zu sehen
sind (vergl. Robinson, Palaestina
III, S. 497, 532 ff), 1,16,2.
ArchelaYs , Flecken in Judaea
nahe bei Jericho, jetzt el-Ba-
saliye, II, 9, 1.
Archelaus , König von Kappa-
docien, 1,23,4; 25, 1 ff ; 26,4;
27,2.
Archelaus, Sohn Herodes’ des
Grossen und der Malthake, I,
28, 4; 31,1; 33, 7; 33. 9 ; II, 1,1;
1,21; 2,1; 2,3ff ; 6,2; 7,3.
Archelaus , Parteigänger des
Simon Bargioras, VI, 4, 2.
Ardalas, einer der Aufständischen-
führer zu Jerusalem , VII, 7, 1.
Go gle
Namenregister.
679
Aretas, Araberkönig, 1, 4, 8 ; 6, 2 f
8 , 1 .
Aretas (früher Aeneas genannt),
Araberköni^, 1, 29, 3; II, 5, 1.
Arethusa, syrische Stadt zwischen
Epiphania und Emesa , jetzt
Rostan oder Restun, I, 7, 7.
Aristeus, vornehmer Jude, V, 13, 1.
Aristobnlus, des Hyrkanus Sohn,
1,2,7; 3, lff ; 3,6.
Aristobnlus', des Alexander Jan-
naeus Sohn , 1, 5, 2 f. ; 6, 1 f. ;
6, 4 ff. ; 7, 1; 7,7; 8, 6; 9,1.
Aristobnlus, Herodes’ des Grossen
Sohn, 1,23, lff.; 26,4; 27,2;
27,6; 28,2.
Aristobulus, Herodes’ des Grossen
Enkel, II, 11,6.
Aristobulus, Sohn von Agrippas
Bruder Herodes, II, 11, 6.
Aristobulus, König von Chalkidike,
VII, 7,1.
Artus, römischer Centurio, II, 4,3;
5,1.
Arkaea (in den J. A. Arke ge-
nannt) , phonicische Stadt am
Fusse des Libanon , heute
Ruinen in der Nähe des ara- j
bischen Dorfes Irkä, VII, 5, 1. j
Armenien, die bekannte asiatische |
Gebirgslandschaft, II, 11, 6; j
13,2; VII, 7, 4. j
Arpha , ein im Osten gelegener, !
jetzt noch unbekannter Grenz- i
ort des transjordanischen Ju-i
daea, III, 3, 5. !
Artabazes, König von Armenien, j
I, 19, 5. |
Artaxias, Sohn des Partherkönigs
Artabazes, I, 19, 5. " j
Arus, Flecken, wahrscheinlich in j
Samaria, II, 5, 1. |
Asamon , Berg in Galilaea , nach i
Sepp der heutige Dschebel .
Dschermak, II, 18, 11. I
Askalon, Stadt in Judaea, einst
eine der fünf Philisterhaupt-
städte, jetzt Askulan, 1,21, 11;
II, 6,3; 18,1; 18,5; III, 2, lff.
Asochaeus (Susak), König von
Aegypten, VI, 10.
Asochis , Stadt im Westen Gali-
laeas am See Tiberias, nach
Robinson (Neue Forschungen,
S. 142—144) das jetzige Kefr-
Menda, 1,4,2.
Asphaltsee, der (das tote Meer),
I, 33, 5 ; III, 10, 7. Beschrei-
bung IV, 8,4.
Assyrierlager, Teil von Jerusalem,
nordwestlich zwischen Golgo-
tha und dem Hügel der Jere-
miasgrotte gelegen , benannt
nach dem Standort, wo Sena-
cherib sein Lager aufgeschlagen
hatte, V, 7, 3; 12, 2.
Athener, die, !, 21, 11; 11,16,4.
Athenion, Heerführer im Dienste
der Kleopatra, 1, 19, 2.
Athrongaeus, Hirt, strebt nach
der Königskrone, II, 4, 3.
Atratinus , vornehmer Römer,
1, 14, 4.
Auranitls, Landschaft Palaestinas
jenseits des Jordan, jetzt Hau-
rän, 1,20,4; 11,6,3.
Azot, alte Philisterstadt, jetzt das
elende Dorf Esdud, 1, 7, 7 ; 8, 4 ;
IV, 3, 2.
B.
Baaras, ein Thal nördlich von
Machaerus, jetzt wahrscheinlich
das Thal Zerka Main, VII, 6, 3.
Baka, Dorf in Galilaea, jetzt un-
bekannt, III, 3, 1.
Bakchides , Befeh shaber von
Jerusalem unter Antiochus
Epiphanes, 1,1,2; 1,3.
Balanea, südlichste Küstenstadt
Syriens, jetzt Banias, 1,21, 12.
Barzapharnes,parthischer Satrap,
1,13, lff
Bassus , Caecilius , Mörder des
Statthalters Sextus Caesar,
I, 10,10; 11,1.
Bassos, Lucilius, Legat, VII, 6, lff.
Go gle
680
Josephufl, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Batanaea (Basan), der nördlichste
Teil des Ostjordanlandes , jetzt
el Botthin oder Ard el Bathenyeh,
1,20,4; 11,6,3.
Bathyllus , Antipaters Frei-
gelassener, 1,31,1.
Bedriacum, Flecken Oberitaliens
zwischen Verona und Cremona,
IV, 9, 7.
Beleusflnss , bei Tacitus (Histor.
V, 7) Belus, bei Plinius (Natur-
f esch. V, 17) Pagida genannt,
ochst wahrscheinlich der heu-
tige Nähr Zerka oder Kroko-
dimuss, II, 10,2.
Bemeselis (in den J. A. Bethome
genannt), Stadt Judaeas, heute
unbekannt, 1, 4, 6.
Berenike, Tochter Agrippas des
Grossen und der Kypros, II,
11,6; 15,1.
Berenike, Tochter der Salome,
1,28,1.
Berenike, Gattin des kyrenäischen
Juden Alexander, VII, 11.2.
Berenikianus, Sohn von Agrippas
d. Gr. Bruder Herodes, II,
11 , 6 .
Bersabe 9 Ort an der Grenze von
Ober- und N iedergalilaea , II,
20,6; 111,3,1.
Berytns. Stadt in Phoenicien,
jetzt Beirut, 1,21,11; 27,2;
VII, 8, 1.
Beslmoth , altamoritische Stadt
auf dem linken Jordanufer in
der Nähe des toten Meeres,
IV, 7, 6.
Betaris, Flecken in Idumaea,
jetzt unbekannt, IV, 8, 1.
Betharamathon, s. Amathus, mit
dem es identisch ist, II, 4, 2.
Betharamphtba« Stadt im Jordan-
thal , von Herodes Antipas
Julias (Livias) genannt, II, 9, 1.
Bethel, Stadt in Judaea, das
heutige Beitin, IV, 9, 8.
Bethennabris , Dorf in Peraea,
jetzt unbekannt, IV, 7, 4.
Bethezob , Dorf in Peraea , jetzt
unbekannt, VI, 3,4.
Bethleptephoron , Toparchie Ju-
daeas, IV, 8, 1.
Bethoron, Stadt in Samaria, das
heutige Beiturel-F6ka und B.-
Tachta (das obere und untere
B.), 11,12,2; 19,1; 19,8.
Bethslmoth, s. Besimoth.
Bethso, Teil von Jerusalem, V r
4,2.
Bethsnra, Stadt in Judaea, das
heutige Beit Sür, 1, 1, 5.
Bethzaeharia , Ort zwischen
Jerusalem und Bethsura, das
heutige Beit Zakärieh mit alten
Cisternen, Gräbern und sonstigen
Ruinen, 1,1,5.
Bezedel, Dorf Palaestinas in der
Nähe von Askalon, jetzt un-
bekannt, III, 2, 3.
Bezetha, Stadtteil von Jerusalem,
; II, 15,5; 19,4; V,4,2; 5,8.
Bithynien, asiatische Landschaft
(8. Kiepert, Lehrb. d. alten
Geogr. S. 99 f.), 11,16,4.
Borkaeus, Gesandter König
Agrippas des Jüngeren, II, 19,3.
Brlxellnm, Stadt in Gallia cis-
? adana am rechten Ufer de»
’adus (Po), jetzt Bresello oder
Brescello, IV, 9, 9.
Brundnsium , uralte Stadt Cala-
briens, jetzt Brindisi, 1, 14, 3.
Brutus, Jul. Caesars Mörder, I,
11 , 1 .
Byblus, uralte Stadt Phoeniciens
unweit des Meeres zwischen
Tripolis und Berytus , jetzt
Dschabla oder Dschubeil, I,
21 , 11 .
c.
Caecinna , Heerführer unter
Vitellius, dann unter Vespa-
sianus, IV, 9, 9; li,2f.
Caesar, Gajus Julius , 1, 8, 1 ;
9,8; 9,5; 10,3; 11,1.
Namenregister. ?
681
Caesar Octavianus (Augustus),
I, 12, 4; 14, 4; 20, 1 ff. ; 21,7;
23,3; 27,1; 32,7; 33, 1; 33,8;
II, 2, 2 ff. ; 6, 2 ff. ; 7, 2 f . ; 9,1.
Caesarea maritima, Küstenstadt
Palaestinas , Residenz der
römischen Landpfleger, heute
Kaisariye, ein elender Trümmer-
haufe, auf dem nur wenige
Araber wohnen, 1,2,5; 21,5;
II, 13, 7; 14, 4 f. ; 18,1; III,
9 1 • VII 3 1.
Caesarea Philipp!, Stadt Palae-
stinas an den Jordanquellen,
das alte Baal-Gad, heute das
Dorf B&ni&s, II, 9,1; 111,9,7;
VII, 2,1.
Capito, römischer Cen turio,1 1 , 1 4,7 .
Cassius, römischer Feldherr, I,
8,9; 11, 1 f. ; 11, 6f. ; 12, 2 ; 12, 4.
Catullus, Statthalter des Penta-
politanischen Libyen, VII, 11,1 ff.
Celadus, Freigelassener des Au-
gustus, 11,7,2.
Celer, Tribun, 11,12,7.
Cerealis, Sextus , Befehlshaber
unter Vespasianus, 111,7,32;
7,34; IV, 9, 9; VI, 2, 5; 4,3.
Cerealis, Petilius, Truppenführer
unter Vespasianus, VII, 4, 2.
Cestius Gallus, Statthalter von
Syrien, 11,14,3; 16,1; 18, 9 f.;
18,11; 19, 1 f. ; 19,41; 19,6ff.;
20, 1.
Chabulon, Grenzort Untergalilaeas
nahe bei Ptolemais, vielleicht
dasselbe wieZabulon (II, 18, 9),
heute das Dorf Kabul vier
Stunden südöstlich von St.
Jean d’Acre, 111,3,1. Vergl.
J. A. VIII, 5, 3; Leben des
Josephus 43.
Chageiras, tapferer Adiabener,
V, 11, 5.
Chalkis, syrische Stadt am Liba-
non, jetzt 'Andjar (arab. Ain
el Jurr), 11,11,5.
Chares, Anführer der Bewohner
von Gamala, IV, 1,4; 1,9.
Chebron, Stadt in Judaea, das
Hebron der heil. Schrift, von
den Arabern el-Challl (Freund
Gottes) genannt, IV, 9, 7 ; 9, 9.
Cilicien, I, 7, 7. Seine Bewohner
I, 4, 3.
Classicus, Germanenhäuptling,
VII, 4, 2.
Claudius, Tiberius , römischer
Caesar, II, 11, 1 ff.; 12,8.
Collega, Cnejus, Legat, VII, 3, 4.
Coponius,Landpfleger von Judaea,
II , 8 , 1 .
Cornelius, römischer Soldat, VI,
3, 2.
Crassns, römischer Feldherr, I,
8 , 8 .
Cremona, Stadt in Italien am
Nordufer des Po, IV, 11,3.
Cumanus, Landpfleger von Judaea,
II, 12,1 ff.
Cypern (Kürpo$), die bekannte
Insel im Mittelmeer, II, 7, 2.
Cyrus, Perserkönig, V,9, 4.
D.
Dabaritta, Levitenstadt auf der
Grenze der Stämme Zabulon
und Isachar am Nordende der
G rossen Kison-Ebene, jetzt das
)orf Debürijeh oder nach Reland
(Palaestina, S. 737) der Flecken
Dabei ra in der Gegend von
Diocaesarea am südlichen Fusse
des Tabor, II, 21, 3.
Dagon, Philistergott, V, 9, 4.
Daker, die, 11,16,4.
Dalmater, die, Bewohner des
g -ossen Landstriches, den die
riechen und Römer Illyrien
nannten, II, 16, 4.
Damaskus, die bekannte Stadt
in Syrien, 1,4,8; 21,11; II,
20,1; VII, 8, 7.
Daphne, Vorstadt von Antiocbia,
1 , 12 , 5 ; 17 , 3 .
Daphne, Gegend von Palaestina
nahe beim See Merom, IV, 1, 1.
Go gle
682
Josephas, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Darias, Heerführer im Dienste
Agrippas des Jüngeren, II, 17, 4.
Dekapolis, die Zehnstädte, zur
Zeit Christi ein zwar nicht
geographisch, wohl aber politisch
eine Einheit bildender Bund
autonomer, d. h. nur dem
römischen Statthalter in Syrien
unterstellter Städte mit über-
wiegend griechischer Bildung,
ausser Skythopolis alle im Ost-
jordanland gelegen. Sicher
gehörten zur Dekapolis : Skytho-
polis, Hippos, Pella, Gadara,
Philadelphia , Dion , Abila.
Plinius rechnet (V, 16) noch
Kanatha, Damaskus und
Raphanaea, Ptolemaeus Capi-
tolias hinzu — III, 9, 7.
Delilas, des M. Antonius Freund,
1 , 15 , 3 .
Delta, die bekannte Gegend
Unteraegyptens zwischen dem
kanopischen und dem pelu-
sischen Nilarm, II, 18, 8.
Demetrius III., Eukaerus, I,
4, 4 f.
Dldias, Quintus, Statthalter von
Syrien, 1,20,2.
Dikaearehia (Puteoli), Stadt in
Italien, II, 7, 1.
Diogenes , Alexanders Freund,
1 , 5 , 8 .
Diophantos, Sekretär Herodes*
des Grossen, 1, 26, 3.
Dolesos, angesehener Bewohner
von Gadara, IV, 7, 3.
Domitianus,des Vespasianus Sohn,
IV, 11,4; VII, 4, 2.
Domitius Sabinus, Tribun, III,
7,34; V, 8, 4.
Dora, Küstenstadt Phoeniciens,
1,2,2; 7,7; 21,5.
Doris, Herodes’ des Grossen
Gattin, 1,23, 1; 24,2; 30,4.
Drususturm, der, am Hafen zu
Caesarea gelegen, 1,21,6.
Dry mos, Eichwald am Fusse des
Karmel, 1, 13, 2.
E.
Ebutius, römischer Decurio, III,
7.3; IV, 1,5.
Ekdlppon (in den J. A. Aktipus
genannt), Seestadt Phoeniciens
in der Ebene von Akko, wahr-
scheinlich der heutige, süd-
westlich von Eleutheropolis ge-
legene Ort Kesäba, 1, 13, 4.
Elenzar, des Dinaeus Sohn, Räuber ,
II, 12, 4.
Eleazar, des Ananias Sohn, Be-
fehlshaber der Tempelwache,
11,17,2; 17,5; 17,9; 20,4.
Eleazar, Simons Sohn, 11,20,3;
IV, 4,1; V, 1, 2; 3,1; 6,1.
Eleazar, des Jairus Sohn, II, 17, 9.
Eleazar, des Samaeas Sohn, III,
7,21.
Eleazar, des Simon Gioras Ver-
trauter, IV, 9, 5.
Eleazar, des Simon Gioras Neffe,
VI, 4,1.
Eleazar, Führer der Sikarier zu
Masada, VII, 7,1; 8, 6ff. ; 9,1.
Elephantine, Stadt und Insel im
Nil, Syene gegenüber, unter-
halb des kleinen und letzten
Nilfalles , jetzt Dschefiret el
Sag oder Dschefiret Assuan,
IV, 10, 5.
Elaeusa, Insel an der Küste von
Cilicien, 1,23,4.
Elentherus, Grenzfluss zwischen
Syrien und Phoenicien, jetzt
Nähr el Kebir, 1, 18, 5.
Elissaeus, Prophet, IV, 8, 8.
Eithemas, arabischer Heerführer,
1, 19, 5.
Emesa, Stadt in Syrien, jetzt
Heins oder Höms, VII, 7, 1.
Engaddi, Stadt in Südpalaestina,
in der Wüste des Stammes
Juda am Ufer des toten Meeres,
jetzt r Ain Jidy, III, 3, 5; IV,' 7 ,2.
Eniachim, Name für die hohe-
priesterlichen Klassen, IV,
3,8.
jnivlrsity or c:
Go gle
JJPOUNI,
Namenregister.
683
Ephraim, Städtchen in Judaea,
f*das heutige Et-Taijibeh, IV, 9,9.
Erbsenhausen (epfißivO-tov ooto*)
• * Dorf bei Jerusalem, V, 12, 2.
EsaYas, Prophet, VII, 10,3.
Essener, die, II, 8, 2 ff.
Essenerthor, V, 4, 2.
Eurykles,Lakedaemonier,I, 26,lff.
Evarat us, Vertrauter von Herodes’
des Grossen Sohn Alexander,
I, 26, 5.
Ezechias, Räuberhauptmann, I,
10,5; 11,4,1.
Ezechias, Bruder des Hohe*
priesters Ananias, II, 17, 8.
Ezechias, des Chobar Sohn, V, 1, 2.
F.
Fabatus, Statthalter in Arabien,
1,29, 3.
Fabius, Statthalter zu Damaskus,
I, 12, 1 f.
Fabius, römischer Centurio, I, 7, 4.
Faustus, Cornelius, tapferer Römer,
U, 4.
Felix, Landpfleger von Judaea,
II, 12,8; 13, 3 ff.
Festus, Landpfleger von Judaea,
II, 14, 1.
Flavius Silva, Befehlshaber von
Judaea unter Vespasianus, VII,
8, 1 ff.
Florus, Gessius, Landpfleger von
Judaea, II, 14, 2 ff.; 15,lff ; 17,4;
19,4; 20,1.
Fontejus Agrlppa, Legat, VII, 4,3.
Frauentttrme,die(Yuvatx£?oL Truoyoi),
V, 2, 2.
Fronto, Liternius , römischer
Truppenfiihrer, VI, 4, 3 ; 9, 2.
Furius, römischer Centurio, I, 7, 4.
G.
Gaba, Stadt in Galilaea, die so-
genannte „Reiterstadt“, heute
unbekannt, III, 3, 1.
Gabaon, Stadt im Stamme Ben-
jamin (Gibeon = Hügelstadt),
das heutige el-Dschib, 2 1 ' 2
Stunden nordwestlich von Je-
rusalem, II, 19, 1 ; 19, 7.
Gabara, Stadt in Galilaea, heute
Kübarah, III, 7, 1.
Gabathsaul (Gabatha), Philister-
stadt, nach Robinson das heutige
Dorf Jebäta, nach Bädeker-
Socin das Dorf Djeb'a, V, 2, 1.
Gabinius, römischer Feldherr, I,
8, 2 ff.
Gadara, Hauptstadt von Peraea,
jetzt das kleine Dorf Um- oder
Om-Keis (Mkös), I, 4, 2 ; 7,7 ;
8,5; 11,6,3; 18,1; 18,5; III,
3,1; IV, 7, 3.
Gades (Gadeira), Stadt und Insel
in Hispania Baetica, das heutige
Cadix, II, 16, 4.
Gajus, des Agrippa Sohn, Adop-
tivsohn des Augustus, 11,2,4.
Gqius, römischer Truppenführer,
II, 5, 1.
Gajus Caligula, römischer Caesar,
II, 9, 5 f. ; 10,1.
Galaditis (Galaaditis), Landschaft
Palaestinas jenseits des Jordan,
I, 4,3; 11,3,3.
Galba, römischer Imperator, IV,
9,2; 9,9.
Galilaea, die bekannte Landschaft
Palaestinas, II, 6, 3; 15, 5 f. ;
20, 4 ff. ; 111,3,1.
Galiicanus, Tribun, III, 8, 1 .
Gallier, die, I, 33, 9; II, 16,4;
VII, 4, 2.
Gallus, Befehlshaber einer Legion,
II, 18,11.
Gallus, römischer Centurio, IV, 1,5.
Gamala, Stadt in Unter- Gau-
lanitis , wahrscheinlich das
heutige Kalat el Hösn , nach
anderen das heutige Chan el
Akaba, 1,4,8; 8,4; 11,20,6;
IV, 1, 1 f.
Garis, Dorf in der Nähe von
Sepphoris , heute noch un-
bekannt, III, 6, 3.
Go gle
684
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Garizin, der aus der heil. Schrift
(5. Mos. 27, 12) bekannte Berg
in Samaria, jetzt Djebel el Tor,
1 , 2 , 6 .
Garste, Stadt in Galilaea, jetzt
noch unbekannt, V, 1 1 , 5.
Gaul an a, Stadt in Batnnaea,
heutige Lage ungewiss ,1,4,4;
4, 8.
Gaulanitls, Landschaft Palästinas,
das heutige Dschölän, II, 20, 6;
111,3,1; 3,5; 10,10; IV, 1,1.
Gaza, Stadt in Judaea, eine der
alten fünf Philisterhauptstädte,
noch heute ein bedeutender
Handelsplatz , 1, 4, 2 ; 7, 7 ; II,
6,3; 18,1.
Gazara, Stadt in Samaria, heute
nur noch Ruinen zwischen el
Kulab und Ekron (Akir) bei
Tell-el-Djezer, 1, 2, 2.
Gema, dasselbe wie Ginaea (s.
dieses), 11,12,8.
Gennaththor, V, 4, 2.
Gennesar, der See Tiberias und
die an ihn grenzende Land-
schaft, II, 20, 6 ; 111,10,7.
Gerasa, Stadt in Galaditis, die
heutige in der Provinz Dschebel
f Adjlün gelegene Stadt Djerasch,
1, 4,8; 11,18, 1; 18,5; IV, 9,1.
Germanen, die, 1, 33, 9 ; II, 16, 4 ;
VII, 4, 2.
Ginnabris , nach Paret dasselbe
wie Ginaea , nach Böttger
identisch mit Sennabris (s.
dieses), indem ein Abschreiber
£ mit T verwechselte, IV, 8,2.
Ginaea , Dorf auf der Grenze
zwischen Samaria und der
Ebene Jezreel, II, 12, 3 ; III, 3,4.
Gischala, Stadt in Galilaea, das
heutige in der Provinz Szafed
östlich von Jotapata auf einer
Anhöhe gelegene Dorf el-
Dscbisch, 11,20,6; 21,2; IV,
2, Iff.
Gittha. ein Kastell Idumaeas,
vielleicht das heutige Jutteh
oder Gaddi südöstlich von He-
bron, 1,17,2.
Glaphyra, Tochter des Kappa-
docierkönigs Archelaus, 1, 24, 2f. ;
28, 1 f. ; 11,7,4.
Gophna , Stadt in Judaeä , das
heutige zwischen Nabulus
(Sichern) und Jerusalem gelegene
Dorf Djifna , 1,11,2; V, 2, 1 ;
VI , 2, 2. Die Toparchie Gophna
11,20,4; 111,3,5; IV, 9, 9.
Gorion, des Josephus Sohn, IV,
3,9; 6,1.
Gorion. des Nikodemus Sohn,
11,17,10.
Grapte « Verwandte des Königs
Izates von Adiabene, IV, 9, 11.
Gratns, jüdischer Anführer, II,
3,4; 4, 2 f. ; 5, 2.
Gyphthaens« tapferer Jude, VI,
1 , 8 ; 2 , 6 .
H.
Hmmlbal, karthagischer Feldherr,
11,16, 4.
Helenas Denkmal« bei Jerusalem
gelegen, V,2,2; 4,2.
Helenas Palast« in Jerusalem ge-
legen, V, 6, 1.
Heliopolis, Stadt in Unteraegypten,
heute nur noch Ruinen, 1,1,1;
VII, 10, 3.
Helix« Aufwiegler, 1, 12, 1.
Henloehen. die, asiatisches Volk
au der nordöstlichen Küste des
Pontus Euxinus, II, 16,4.
Herakleopolis« aegyptische Stadt,
im Delta gelegen, IV, 11,5.
Herodes der Grosse , 1,8,9 bis
33, 8.
Herodes« Herodes’ d. Gr. und
der Mariamne Sohn, 1,28,4;
29,2; 30,7.
Herodes , Her. d. Gr. und der
Kleopatra Sohn, I, 28, 4.
Herodes, Sohn des Aristobulus
und der Berenike , 1, 28, 1 ;
II, 11,5 f.
Go gle
[>\m\ KS-lffM CALI! C)l-lMl/\
Namenregister.
685
Herodes’ Grabmal, V, 12, 2.
Herodias, Tochter des Aristobulus
und der Bereoike, 1,28, 1; II,
9,6.
Herodium, Kastell an der Grenze
Arabiens, I, 21, 10.
Herodium, Kastell in Judaea,
der heutige Dschebel el Furei-
dis oder Ferdis (Berg des klei-
nen Paradieses), 1,13,8; III,
3,5; VII, 6, 1.
Hippene, der Bezirk (dieToparchie)
von Hippos, III, 3, 1.
Hippikusturm , der , V, 4, 3 ;
VII, 1,1.
Hippos, Stadt in Galilaea, heutige
Lage ungewiss, 11,6,3; 18,1;
18, 5.
Hyrkania, Landschaft in Asien,
im Norden und Westen vom
Kaspischen Meere und Medien,
im Osten von den Margianischen
Gebirgen, im Süden von Parthien
begrenzt, VII, 7, 4.
Hyrkanlum (Hyrkania), Kastell
in Palaestina , von Gabinius
zerstört, 1, 8, 2 ; 8, 5 ; 19, 1.
Hyrkanus, des Alexander Jannaeus
Sohn, 1,6, 1 ff. ; 7,6; 10, 3 f . ;
10, 6f.; 11,7 f; 13, 4f.; 13, 9;
13, 11; 22, 1.
Hyrkanus, Sohn des Herodes und
der Berenike, 11,11,6.
I. J.
Jakobus, des Sosas Sohn, IV,
4,2; 9,6; V, 6, 1; VI, 1,8;
2 , 6 ; 8,2
Jambllchus , Fürst auf dem
Libanon, 1,9,3.
Jamnia, Stadt in Judaea zwischen
Joppe und Asdod, heute nur
noch Trümmer , 1,2,2; 6,3,
. II, 9, 1 ; IV, 3, 2 ; 8, 1.
Jamnia, befestigtes Dorf in Ober-
galilaea, 11,6,8.
Jamnith , dasselbe wie Jamnia,
II, 20, 6.
Japha, Stadt in Galilaea, das
heutige Jafa, V 2 Stunde süd-
westlich von Nazareth, II, 20, 6;
III, 7,31.
Japyglsches Vorgebirge , jetzt
Cap Leuka oder Finisterre in
Calabrien, rechts am Eingang
in den Tarentinischen Meer-
busen, VII, 2, 1.
Jardas, Dorf am Südende Judaeas
gegen Arabien hin, heute un-
bekannt, III, 3, 5.
Jardes, Waldschlucht in Palae-
stina, VII, 6, 5.
Iberer, die, II, 16, 4.
Idumaea (s. Schenkel, Bibellexikon
II, S. 51 ff. ; Pauly, Realencyklop.
IV, S. 60 ff.), 11,6,3; 20,4;
III, 3,5; IV, 4 f. ; 6,1; 8,1;
9, 4ff. ; 9,10; V, 6, 1 ; VI, 8, 2;
VII, 8,1.
Jericho, das heutige Dorf er-Riha.
1,6,6; 8,5; 11,20, 4; 111,3,5;
IV, 8, 2 f. ; 9,1.
Jerusalem, genaue Beschreibung
Jesus (Josua), des Nave Sohn,
IV, 8, 3.
Jesus, des Sapphias Sohn, Hohe-
priester, II, 20, 4; 21. 3.
Jesus, Hohepriester, IV, 4, 3.
Jesus, des Gamalas Sohn, Hohe-
priester, IV, 3, 9.
Jesus , Räuberanführer , III, 9, 7 ;
10, 1 ; 10, 5.
Jesus, des Thebuthi Sohn, Priester,
VI, 8, 3.
Jesus, des Ananus Sohn, VI, 5, 3.
Illyrier, die, II, 16, 4.
Joaesdros, des Nomikos Sohn,
II, 21,7.
Joannes, Jude aus Caesarea, II,
14, 5 f.
Joannes, Essener, Kommandant
des Bezirkes Thamna, II, 20, 4.
III, 2, 1 ff
Joannes, des Ananias Sohn, Kom-
mandant der Bezirke Akrabatta
und Gophna, II, 20, 4.
Go gle
\,M\ usrfJ$$P (Mi o!n#V
686
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Joannes, „der Sohn der Gazelle“
(Jochanan ben Zebhi), IV, 3, 5.
Joannes, des Sosas Sohn, Idu-
mäeranfiihrer, IV, 4, 2 ; V, 6, 5 ;
8, 2.
Joannes ans Gischala, des Levi
Sohn, II, 20, 6 ; 21, 1 f. ; 21, 6 ff. :
IV. 2,1 ff ; 3,1; 3,13f.; 7,1;
9, 1 1 f . ; V, 1, 2f.; 1, 5 ; 3, 1 ; 6, 1 ;
6,4; 11,4; 13,6; VI, 1,3; 2,1;
2,3; 6, 1 ff. ; 8,4; 9,4.
Joannes 9 Grabmal, V, 6, 1.
Jonathas, des Mattathias Sohn,
1,2, 1.
Jonathas, jüdischer Kämpfer,
VI, 2, 10.
Jonathas, Sikarier, VII, 11,1 ff.
Joppe, Küstenstadt Judaeas, das
heutige Jaffa, 1, 2, 2 ; 4, 7 ; 7,7;
15,4; 11,6,3; 8,1; 18, 10; III,
9 2f.
Jordan, der, 1, 21, 3; III, 3, 1 ff. ;
10, 7 ; IV, 1, 1.
Joseph, Antipaters Sohn, 1, 13.8;
15,1; 16, 1; 17, lf.
Joseph, Herodes' d. Gr. Schwager,
1,22, 4 f.
Joseph, Herodes* d. Gr. Neffe,
1,28,4; 11,5,2.
Joseph, des Gorion Sohn, II, 20, 3.
Joseph, des Simon Sohn, II. 20, 4.
Joseph, Anführer der Gamalenser,
IV, 1,4; 1,9.
Joseph, Hohepriester, VI, 2. 2.
Josephus, des Dalaeus Sohn, VI, 5,1 .
Josephns, Flavius, II, 20, 4 ff;
21, 3 ff. ; 21, 7 ff. ; 111,4,1; 6,3;
7, 2 ff. ; 8, 1 ff. ; 8, 8 f. ; 9, 1 ; 9, 5 f. ;
IV, 10,7; V, 9, 8 f. ; 13,8; VI,
2,1 ff.-; 7,2; VII, 11,3.
Jotapata, Stadt in Galilaea, jetzt
Teil Djöfät , 11,20,6 ; 111,6,1;
7, 4 ff.; Lage der Stadt III, 7, 7.
lrenaeus, des Herodes Antipas
Sachwalter, II, 2, 3
Ismael, des Phabi Sohn, Hohe-
priester, VI, 2, 2.
Ister, der (die Donau), II, 16, 4 ;
VII, 4, 3. |
Itabyriumgebirge (der Tabor),
11,20,6; IV, 1.8.
Judaea, Beschreibung von, ni,
8, lff.
Judas Makkabaeus, 1, 1, 4ffJ *1”
Judas, Essener und Seher, I, 8, 5.
Judas, des Räubers Ezechias
Sohn, II, 4, 1.
Judas, des Sariphaeus Sohn, Ge-
setzeslehrer, I, 33, 3 f.
Judas der Galiltter (Gaulaniter),
II, 8, 1; 8,6.
Judas, des Jonathas Bruder, II,
21,7.
Judas, des Chelkias Sohn, V, 1, 2.
Judas, des Judas Sohn, V, 13, 2.
Judas, des Ari Sohn, VI, 1,8;
VII, 6, 5.
Judas, des Merton Sohn, VI, 1,8;
2,5.
Julia (Livia) , Gemahlin des
Caesars Augustus , I, 28, 6 ;
32,7; 33,8; 11,9,1.
Julianus, tapferer Bithynier, VI,
1 , 8 .
Julias (Livias), Stadt in Peraea,
11,9,1; IV, 7, 6.
Julias, Stadt in Galilaea am See
Tiberias, früher Bethsaida ge-
nannt, II, 9, 1 ; III, 10, 7.
Izates, Sohn des Adiabenerkönigs
Monobazus und der Helena,
VI, 6, 4.
K
Kallinikos , Sohn des Königs
Antiochus von Kommagene,
VII, 7, 2.
Kallirrhoe, heisse Quelle und
Badeort in Peraea, an der Ost-
seite des toten Meeres, jetzt
Zerka Main, I, 33, 5.
Kana, Dorf in Galilaea, das
heutige Käna el-Djelil, 1, 17, 5.
Kana, Dorf in Judaea, 1, 4, 7.
I Kanatha, Stadt in Gilead, das
| heutige Kunawät mit gewaltigen
1 Ruinen, 1, 19, 2.
Go gle
Namenregister,
687
Kantabrer, die, Volk in Spanien,
11.16.4.
Kapharabis , Städtchen in Idu-
maea, jetzt unbekannt, IV, 9, 9.
Kapharnaum, Quelle in Galilaea,
III, 10, 8.
Kapharekcho, Dorf in Unter-
galilaea, heute unbekannt, II,
20 , 6 .
Khphartobas, Dorf in Idumaea,
jetzt unbekannt, IV, 8, 1.
Kaphethra, Städtchen in Idumaea,
jetzt unbekannt, IV, 9, 9.
Kappadoclen, Provinz Kleinasiens,
IV, 11, 1; VII, 1,3; Bewohner
K, 16, 4.
Karmelgebirge, jetzt Jebel Mar
Elyas, II, 10, 2; III, 8, 1.
Karthager, die, II, 16, 4; VI, 6, 2.
Kasios , ein Sanddünengebirge
zwischen Arabien und Aegypten,
jetzt El Kas Kasaroun oder El
Katieh, IV, 11, 5.
Kastor, verschmitzter Jude, V,
7.4.
Kedasa (Kedesa, auch Kydyssa),
Stadt in Galilaea, heute Kedes,
II, 18, 1; IV, 2, 3 (hier als
tyrischer Grenzflecken be-
zeichnet).
Kedronthal, trennt Jerusalem vom
Oelberg, V, 2, 4; 4, 2; 6, 1;
VI, 3, 2.
Kelenderis, Stadt in Cilicien,
jetzt Kalandria oder Gulnar,
1.31.3.
Kendebaeus, Heerführer unter
Antiochus Soter, 1,2,2,
Kenedaeus, Verwandter des
Adiabenerkönigs Monobazus,
II, 19, 2.
Kleopatra, Königin von Aegypten,
I, 12, 5; 14, 2; 18, 4f.; 19, 1;
VII, 8,4.
Kleopatra, Herodes’ d. Gr. Gattin,
1.28.4.
Kolcher, die, asiatisches Volk,
11.16.4.
Koptos, aegyptische Stadt in
Oberthebais, V 4 Stunde östlich
vom Nil entfernt, jetzt Kebti
oder Keft, IV, 10, 5.
Korban, Tempelscbatz der Juden,
II, 9, 4.
Koreae, Stadt in Judaea, das
heutige Küriyüt, I, 6, 5 ; IV, 8, 1.
Korinthus, Araber. 1, 29, 3.
Korkyra (Kerkyra), jetzt Korfu,
Insel des Ionischen Meeres,
VII, 2,1.
Kos, Insel im Aegaeischen Meere,
jetzt Stanchio, Isola longa, I.
21 , 11 .
Kostobar, Verwandter König
Agrippas des Jüngeren, II, 17,4;
21 , 1 .
Kreta, die bekannte Insel des
Mittelmeeres , jetzt Kandia,
11,7,1.
Kydyssa, s. Kedasa.
Kypron, Antipaters Gattin, I, 8, 9,
Kypros, Herodes’ d. Gr. Tochter,
I, 24, 5.
Kypros, Tochter Phasaels und
der Salampsio, II, 11, 6.
Kypros, Kastell bei Jericho, I,
21,4; 11,18,6.
Kyrene, Stadt in Libyen, jetzt
Kavron, Kuren oder Grenneh
auf dem Plateau von Barka,
II, 16,4; VII, 11,1 ff.
L.
Lakedaemonier, die, II, 16, 4.
Laodikea, Stadt an 'der West-
küste Syriens, südlich vom Berge
Kasios, jetzt Lädikije, 1,21. 11.
Larcius Lepidus, Führer einer
Legion, VI, 4,3.
Levi, vornehmer Jude, IV, 3, 4.
Libanon, das bekannte Gebirge,
1,17,3; 111,3,5.
Liberalis, römischer Centurio,
VI, 4, 7.
Liberins Maximus, Landpfleger
von Judaea, VII, 6, 6.
Libya pentapolitana, so genannt
688
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
nach der Zahl seiner Haupt-
städte Kyrene, Berenike , Ten-
chira (Arsinoe), Ptolemais und
Apollonia, Landschaft an der
Nordküste Afrikas, VII, 11,1.
Lolliu8,römischerHeerführer,I,6,2.
Longinus, Tribun. 11,19.7.
Longinus, römischer Reiter, V,
7,3; VI, 3, 2.
Lucius, römischer Soldat, VI, 3, 2.
Lugdunum, Stadt in Gallien,
das heutige Lyon, 11,9,6.
Lupus, Statthalter in Alexandria,
VII, 10,2; 10,4.
Lydda (Diospolis), Stadt in Judaea,
Hauptstaat einer Toparchie,
das heutige Ludd oder Ludda,
unweit Jana an der Strasse von
Jerusalem nach Caesarea ge-
legen, 1,11,2; 15,6: 19,2; II,
12,6; 111,3,5; IV, 8, 1.
Lykier, die, kleinasiatisches Volk,
1,21,11; 11,16,4.
Lysanias, Sohn des Ptolemaeus
Mennaei, Tyrann von Chalkis,
I, 13,1; 20,4.
M.
Macedonier, die, II, 16, 4.
Machaeras, römischer Heerführer,
1, 16, 6.
Machaerus, Kastell an der Grenze
von Palaestina und Arabien,
jetzt Mkaur, 1,8,1; 8,5; II,
18,6; 111,3,3; VII, 6, 1 ; 6, 3 ff.
Maeotischer See , das heutige
Asowsche Meer, VII, 7,4
Malachias, tapferer Jude, VI, 1, 8.
Malchus, Araber, 111,4,2.
Malichus,arabischer König, 1, 14, l f.
Malichus, vornehmer Jude, I, 8, 3;
I I , 2 ff . ; 11, 7 f.
Malthake, Herodes’ des Grossen
Gattin, 1,28,4.
Manai’m, des Galiläers Judas
Sohn, II, 17, 8 f.
Manasses, Kommandant von
Peraea, 11,20,4.
Mannaeus, des Lazarus Sohn, V,
13,7.
Maria, jüdische Frau, tötet und
verzehrt ihr eigenes Kind, VI,
3.4.
Mariamne, Alexanders Tochter,
Herodes’ d. Gr. Gattin, 1, 12, 3 ;
17, 8.
Mariamne, des Hohepriestern
Simon Tochter, Herodes’ d. Gr.
Gattin, I, 28, 4 ; 30, 7.
Mariamne, Tochter des Aristo-
bulus und der Berenike, I, 28, 1.
Mariamne, Tochter Agrippas des
Grossen und der Kypros, II,
11 , 6 .
Mariamne, Gattin des Ethnarchen
Archelaus, II, 7, 4.
Mariamne, Turm zu Jerusalem,
II, 17,8 ; V, 4, 3 ; VII, 1, 1.
Marlon, Tyrann vonTyrus, 1, 12,2.
Marissa, Stadt in Judaea, die
heutige Trümmerstätte Maräsch,
1,7,7; 13,9.
Marmariden, die , afrikanisches
Volk, II, 16, 4.
Musada, Festung Judaeas am
toten Meer in der Nähe von
Engaddi, jetzt Sebbeh, I V, 7, 2;
9,3; VII, 8,1; 8, 3 ff. ; 9,1.
Mattathias, Vater des Judas
Makkabaeus, 1, 1, 3.
Matthias, des Margaloth Sohn,
Gesetzeslehrer, I, 33, 3f.
Matthias, Hohepriester, IV, 9, 11 ;
V. 13, 1; VI, 2, 2.
Matthias, des Flavius Josephus
Vater, Vorwort 1 ; V, 13, 1.
Mauren, die, afrikanisches Volk,
11.16.4.
Medaba, Stadt in Palaestina, jetzt
Mädeba, 1 / A Stunde südöstlich
von Hesb&n, I, 2, 6.
Medien, VII, 7, 4.
Megassar, tapferer Jude, V, 11,5.
Melr, des Beigas Sohn, Priester,
VI, 5,1.
Melamboreas, der sogenannte
schwarze Nordwind, III, 9, 3.
Go gle
Namenregister.
689
Melchlsedek, König von Solyma,
VI, 10.
Melitene , Landschaft im nörd-
lichen Teile von Kleinarmenien
mit der gleichnamigen Haupt-
stadt, dem heutigen Malathija
in Kurdistan, Ejalet Charput,
VII, 1,8.
Melos, Insel des Aegaeischen
Meeres, jetzt Milo, II, 7, 1.
Memnons Denkmal, II, 10, 2.
Memphis, aegyptische Stadt im
Delta , heute nur noch un-
bedeutende Trümmer, IV, 9, 7 ;
VII, 10, 3.
Meroth, Stadt in Nordpalaestina,
heutige Lage ungewiss, II, 20, 6 ;
111 , 8 , 1 .
Messala (M. Valerius Messala
Corvinus), berühmter Redner,
I, 12, 5.
Messala, römischer Senator, I,
14, 4.
Metellus, Quintus, Konsul, 1, 6, 2.
Metilius, Kommandant der rö-
mischen Besatzung von Jerusa-
lem, 11,7,10.
Mithradates, ein Parther, 1, 8 , 7.
Mithradates von Pergamon, I,
9 3f.
Moabitis (s. J. A.), IV, 8, 2.
Modeln (in den J. A. Modiim
genannt), Dorf in Judaea, 1, 1, 3.
Moesien (Mysia), Landschaft im
Nord westen Kleinasiens, IV,
10,6; 11,3; VII, 4, 3.
Monobazus, Verwandter des gleich-
namigen Königs von Adiabene,
II, 19, 2.
Monobazus 9 Palast, V, 6, 1.
Mncianns, Statthalter von Syrien,
IV, 1,5; 10, 5f.; 11, 1.
Murcus , Praetor von Syrien, I,
10, 10; 11, 1 ff.
N.
Nai’n, Dorf im südlichen Ost-
jordanland, nicht zu ver-
Jooephus, Jttdlacher Krieg.
Go gle
wechseln mit dem N. der heil.
Schrift, IV, 9,4 f.
Narb ata, Ort in Palaestina, jetzt
unbekannt , II, 14, 5 ; Bezirk
von N. II, 18, 10.
Nasamonen , die , afrikanisches
Volk (s. Herodot IV, 172;
Plinius, Hist, natur. IV, 5, 5;
V, 5, 5 ; VII, 2, 2), 11,16,4.
Neapolis, von den Eingeborenen
Mabortha genannt, die Stadt
Sichern in Samaria, IV, 8, 1.
Neapolitanus, römischer Tribun,
II, 16, 1 f.
Nero, römischer Caesar, II, 12, 8;
13,2; III, 1, lf. ; IV, 9, 2.
Netiras,tapfererGaliläer, III, 7, 21.
Niger, tapferer Jude, 11,19,2;
20, 4 ; III, 2, 1 ff. ; IV, 6, 1.
Nikanor, Tribun, III, 8, 2 ff
Nikanor, des Titus Freund, V,
6, 2.
Nikolaus von Damaskus, 1, 32, 3 ;
II, 2, 6 f . ; 6, 2.
Nikon, Name für einen Sturm-
bock, V, 7, 2.
Nikopolis, Stadt in Epirus, jetzt
Paleoprevyza, I, 21, 11.
Nikopolis, Stadt in Aegypten,
westlich vom eigentlichen Delta,
an dem von Alexandria nach
Kanopus führenden Kanal, jetzt
Kars oder Kiessera, IV, 11,5.
Nil, der bekannte Fluss Aegyptens,
III, 10,8; IV, 10, 5.
Noarus, Statthalter König
Agrippas d. Jüngeren, II, 18, 6.
Numider, die, afrikanisches Volk,
H, i6, 4.
Nymphidius, N^GrosFrciffGlsssGiicr«
IV, 9,1.
0 .
Obedas, arabischer König, 1, 4, 4.
Obodas, arabischer König, 1, 24, 6.
Octavias Säulenhalle, VII, 5, 4.
Oelberg, der, 11,13,5; V, 2, 3;
VI, 2, 8,
44
CNIVLRSITY OP CALIFORNIA
m
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
Olympias, Tochter HerodeB , d. Gr.
und der Malthake, 1, 28, 4.
Olympischen Spiele, die, 1, 21, 12.
Olympus, Herodes’ des Grossen
Freund, 1, 27, 1.
Onias, (auch Menelaus genannt),
Hohepriester, 1, 1, 1.
Onias, des Onias Sohn, Hohe-
priester , Erbauer des Onias-
tempels in Aegypten, 1,1,1;
VII, 9, 2f.
Ophellius , Phasaels Freund,
1, 13, 5.
Ophla, Anhöhe am südöstlichen
Teile des Tempelberges in der
Nähe des Kedronthales, II, 17, 9 ;
V, 4, 2 ; 6,1; VI, 6, 3.
Orsanes, vornehmer Parther, 1, 8,7.
Ostrakine, Ort in Unteraegypten
östlich vom Nil, an der Strasse
von Rhinokorura nach Pelusium,
jetzt Straki, IV, 11, 5.
Otho, römischer Imperator, IV,
9,2; 9,9.
p.
Pakorus, Sohn des Partherkönigs
Arades, 1,13; 16,6.
Pakorus, Sohn des Partherkönigs
Artabanus, VII, 7, 4.
Pallas, Herodes’ des Grossen
Gattin, 1, 28, 4.
Pallas, Bruder des Landpflegers
Felix, II, 12,8.
Paneas, Stadt in der Landschaft
Paneas, II, 9, 1.
Panlum, Berg in Paneas, wo die
Quellen des Jordan vermutet
wurden, I, 21, 3; III, 10, 7.
Pannonien, Land an der Donau,
IV, 10, 6; VII, 5, 3.
Pannychis, Herodes’ des Grossen
Kebsweib, 1, 25, 6.
Pappns, Heerführer im Dienste
des Antigon us, 1, 17, 5f.
Papyron, Ort in Arabien, I, 6, 3.
Parther, die, I, 13 ; 16, 6.
Paschafest, das, II, 1, 3.
Pastophorien, Nebengebäude des
Tempels zu Jerusalem, IV, 9, 12.
Paulinus, Tribun, III, 8, 1.
Paulinus, Statthalter in Alexan-
dria, VII, 10, 4.
Pedanius, Legat, 1,27,2.
Pedanlus , tapferer römischer
Soldat, VI, 2, 8.
Pella , Stadt an der Grenze
Peraeas gegen Norden, das
jetzige Tüoakat Fahil , 1, 4, 8 ;
6,5; 7,6; II, 18, 1; 111,3,3;
3, 5.
Pelusium, aegyptische Stadt an
der östlichen Nilmündung, I,
9,4; IV, 10,5.
Pentekoste , das Pfingst- oder
Erntedankfest, II, 3, 1.
Peraea , Landschaft Palaestinas
jenseits des Jordan (Beschrei-
bung 111,3,3), 11,6,3; 20,4;
IV, 7, 3 ff.
Pergamon, altberühmte Stadt in
Mysien , heute Bergamas in
Kleinasien im Ejalet Chadaren-
digiar, 1, 21, 11.
Peristereon, Fels bei Jerusalem,
V, 12, 2.
Petra (Arke), Hauptstad tArabiens,
I, 6, 2 ; 13, 8.
Petronius, Statthalter von Syrien,
II, 10, 1 ff ; 10, 5.
Phaedra, Herodes’ des Grossen
Gattin, 1,28,4.
Phalllon, Antipaters Bruder,
I, 6, 3.
Phannias, Samuels Sohn, Hohe-
priester, IV, 3, 8.
Pharan, Thalschlucht in Judaea
nahe beim toten Meer, IV, 9, 4.
Pharisäer, die, 11,8,14.
Pharos , das bekannte Inselchen
bei Alexandria, IV, 10, 5.
Phasaöl , Sohn des Idumäers
Antipater, I, 8, 9 ; 10, 4 ; 10, 9 ;
12, 1; 13, 4L; 13,10.
Phasa£l , Sohn Herodes’ des
Grossen und der Pallas, I,
28,4.
Go gle
Namenregister.
691
PhasaBl, des Pheroras Sohn, I,
24,5; 28,6.
Phasagl, der höchste von den
Türmen Jerusalems , 1, 21, 9 ;
11,3,2; 17,8; VII, 1,1.
Phasaölis, Stadt in Palaestina
nördlich von Jericho, das heutige
f Ain el Fasail, 1,21,9; 11,9,1.
Pheroras, Herodes' des Grossen
jüngster Bruder, 1,8,9; 16,3;
24,5; 25,1; 25, 3; 27, 2; 29, lf. ;
29,4; 30,6.
Phlala, kleiner Bergsee im nörd-
lichen Palaestina . hundert-
zwanzig Stadien nördlich von
Baneas , jetzt Birket el Rau
oder Rani, III, 10,7.
Philadelphia, Stadt in Peraea,
heute Ammän , II, 18, 1 ; III,
3, 3.
Philippio, des Ptolemaeus Men-
naei Sohn, 1, 9, 2.
Philippus, Sohn Herodes’ des
Grossen und der Kleopatra, I,
28,4; 31,1; 33,7; II, 6,1; 6, 3;
9, 1 ; III, 10, 7.
Philippus, Heerführer im Dienste
Agrippasdes Jüngeren, II, 17,4;
20 , 1 .
Philippus, tapferer Galiläer, III,
7,21.
Phineas, des Klusoth Sohn, IV,
4,2.
Phineas, Hüter des Tempel-
schatzes, VI, 8, 3.
Phoebus, Gesandter des Königs
Agrippa, II, 19, 3.
Pilatus, Pontius, Landpfleger von
Judaea, II, 9, 2 f . ; 9, 4.
Pisider, Söldner des Alexander
Jannaeus, 1, 4, 3.
Pltholaus, jüdischer Anführer,
I 8 3*89
Placidus, Tribun, III, 4, 1 ; 6, 1 ;
7,3; 7,34; IV, 1,8; 8,4.
Platana, Ort in Phoenicien, heute
unbekannt, 1,27,2.
Plinthine, westliche Grenzstadt
Unteraegyptens .ausserhalb des
Delta an dem nach ihr be-
nannten Sinus Plinthinetes
(jetzt Golfe des Arabes), IV,
10, 5.
Pompejus, römischer Feldherr,
I» 6, 4f. ; 7,1; 7,2f.; 7,6; 7,7;
9.1.
Pomponius, Quintus, Konsul, II,
11 . 1 .
Poplas, des Ethnarchen Archelaus
Freund, II, 2, 1.
Priscus, römischer Centurio, VI,
2 , 10 .
Psephinusturm , der, V, 2, 2;
4, 2f.
Ptolemaeus VIII. 9 Lathurus,
König von Aegypten, I, 4, 1.
Ptolemaeus XII., Auletes, König
von Aegypten, 1, 8, 7.
Ptolemaeus Mennaei, Tyrann von
Chalkis, 1,9,2.
Ptolemaeus, des Jamblichus Sohn,
1, 9, 3.
Ptolemaeus, des Judenfursten
Simon Schwiegersohn, 1,2, 3 f.
Ptolemaeus von Rhodus, Herodes'
des Grossen Freund , 1, 14, 3 ;
24,2; 33,8; 11,2, 1.
Ptolemaeus , Statthalter von
Galilaea unter Herodes, 1, 16, 5.
Ptolemaeus, Bruder des Nikolaus
von Damaskus, II, 2, 3.
Ptolemaeus, Verwalter König
Agrippas des Jüngeren , II,
21,3.
PtolemaYs (Ake), Stadt in
Phoenicien, jetzt St. Jean d’Acre
(bei den Arabern Akka), I, 5, 3 ;
13,1; 21,11; 11,18,1.
Pudens, römischer Soldat, VI,
2 , 10 .
Pythischer Tempel, 1,21,11.
Q.
Quadratus, Ummidius, Statthalter
von Syrien, II, 12, 5 f.
Quirlnius, gewesener Konsul,
Schätzungsoeamter, II, 8, 1.
Go gle
■ükivifi
692
Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges.
R.
Raphanaea, Stadt der syrischen
Provinz Kassiotis, westlich von
Epiphania und östlich von Arka
am nördlichen Ende des Liba-
non, nachRobinson die heutigen
Ruinen von Rafaniyeh, VII,
1,3; 5,1.
Raphia, Küstenstadt Palaestinas,
südwestlich von Gaza am An-
fang der Wüste, jetzt Bir-Refä,
I, 4,2; 8,4; IV, 11, 5.
Rhein, der, II, 16, 4.
Rhinokorura, Grenzstadt zwischen
Judaea und Aegypten , das
heutige el -'Arisch, 1, 14, 2 ; IV,
II, 5.
Rhodus, die ' bekannte Insel des
Aegaeischen Meeres , 1, 14, 3 ;
21 , 11 .
Rom, Hauptstadt Italiens , I,
21, 7; II, 6, 1 ; 7, 1 ff. ; VII, 5,4ff
Rubrius Gallus, römischer Heer-
führer, VII, 4, 3.
Rufus, jüdischer Anführer, II,
3,4; 5,2.
Rufus, römischer Soldat, VII,
6,4.
Ruma, Dorf in Galilaea, wieder-
S stunden in dem heutigen
ümeh auf einem niederen Teil
in der grossen Ebene el-Bettauf,
111,7,21.
s.
Saab, Dorf in Galilaea , das
heutige Kefr Sabt in der Nähe
von Tiberias, 111,7,21.
Sabbatfluss, der, nach Bädeker-
Socin jetzt Fuwär ed-Dör, nach
anderen Arka, VII, 5, 1.
Sabinas, Statthalter von Syrien,
11,2,2; 3, 1 ff ; 5,2.
Sabinas, Bruder des Vespasianus,
IV, 11,4.
Sabinas, tapferer Syrer, VI, 1,6.
Saddnctter, die, II, 8, 14.
Sallis, Städtchen in Idumaea,
jetzt noch unbekannt, 111,2,2.
Salome, Schwester Herodes’ des
Grossen, 1,8,9; 27; 29; 32,6;
33,6; 33,8; 11,2,2; 6,3; 9.1.
Salome, Tochter Herodes’ des
Grossen und derElpis, 1,28,4.
Samaea (Samega), Stadt am Süd-
ende des Sees Genezareth, das
heutige Dorf Semakh(Robinson) ,
1 , 2 , 6 .
Samarla, Landschaft Palaestinas,
Beschreibung 111,3,4.
Samaria, Stadt in Mittel palaestina,
heute das unbedeutende Dorf
Sebastiye, 1,8,4; 21,1.
Samos, Insel des Aegaeischen
Meeres, jetzt Samo, von den
Türken Susam Adassi genannt,
1 , 21 , 11 .
Samosata, HauptstadtvonKomma-
f ene, am westlichen Ufer des
luphrat, heute nur noch ein
Trümmerhaufe bei dem Flecken
Someisat, 1, 16, 7 ; VII, 7, 1.
Sampho , befestigter Flecken
Samarias, vielleicht das heutige
Dorf el-SÄviye, II, 5, 1.
Sappinius (Sappinas) , Herodes’
des Grossen Freund, 1, 14, 3.
Saramallas, reicher Syrer, 1, 13, 5.
Sariphaeus, Vater des Gesetzes-
lehrers Judas, 1,33,2.
Sarmaten, die, skythischer Volks-
stamm, VII, 4, 3.
Satuminus, Statthalter von Syrien ,
| 1,27,2; 28,1.
Saulus, Verwandter des Königs
Agrippa, II, 17, 4; 20, 1.
Saulus, Jude aus Skythopolis,
II, 18, 4.
Scaurus, römischer Feldherr, I,
6,3; 7,7; 8,1.
Scipio, Mörder Alexanders, des
Sohnes des Aristobulus, I, 9, 2.
Sebaste (Samaria) , I, 21, 1 ; II,
6,3; 8,1; 18,1.
Sebaste, Insel , früher Elaeusa
genannt (s. d.), 1,23,4.
Go gle
Namenregister.
693
Sebastos, Hafen von Caesarea,
1, 31, 3.
Sebonltis (Essebonitis), Landschaft
Palaestinas, zu Peraea gehörig,
einige Meilen östlich von der
Nordspitze des toten Meeres,
wo heute die Ruinen von Hes-
bän liegen, II, 18, 1.
Selamin, Dorf in Galilaea, nach
Robinson die heutige Trümmer-
stätte Khirbet Sellämeh. II, 20,6.
Seleukia, Stadt in Obergaulanitis
am See Merom, heutige Lage
noch nicht ermittelt, 11,20.6;
IV, 1, 1.
Semecbonitischer See (der See
Merom), III, 10,7; IV, 1,1.
Sennabris, Ort in Galilaea, dreissig
Stadien südlich von Tiberias,
heute die Ruinen Sinabri, III,
9,7.
Seph, Kastell in Obergalilaea,
wahrscheinlich das heutige Sa-
fed, 11,20, 6.
Sepphoris, Stadt in Galilaea, jetzt
ein ärmliches Dorf Sefüriye,
I, 8, 5; 16,2; 11,5,1; 18,11;
20,6; 111,2,4; 4,1. Herodes
Antipas gab der Stadt den
Namen Diocaesarea.
Sertorius, römischer Soldat, VI,
3,2.
Serviltus, Legat, 1, 8, 6.
Sextus Caesar, Statthalter von
Syrien, 1,10,5; 10,7; 10,10.
Sldon, phoenicische Stadt , das
heutige Saida, 1,13,1; 21,11;
II, 18,5.
Sigoph, Dorf in Galilaea, heute
unbekannt, II, 20, 6.
S Ikarier, Banditen, nach ihren
kleinen krummen Dolchen
(sicae) benannt, II, 13,3; IV,
7,2; VII, 7 und 9; 10,1; 11,1.
Sikim (Sichern), Stadt in Samaria
(s. auch Neapolls), das heutige
Nabulus, 1,4,4; IV, 8,1.
Silas, tapferer Babylonier, II,
19,2; III, 2,1 ff.
Sllbonitis, s. Sebonitis, III, 3, 2.
Silo, römischer Heerführer, I,
15,2; 15,6; 16,4.
Siloa, Quelle zu Jerusalem, II,
16,2; V, 4, lf. ; 6,1; 12,2.
Simon, des Mattathias Sohn, 1,21 ff.
Simon, Herodes’ des Grossen
Sklave, II, 4, 2.
Simon, Essener, 11,7,3.
Simon, des Gioras Sohn, II, 19, 2 ;
21,2; IV, 9, 3 ff. ; V, 1, 8 ; 6, lff. ;
II, 5; 13, lf.; VII, 2,1; 5,6;
8 , 1 .
Simon, des Ananias Sohn, II.
17,4.
Simon, des Saulus Sohn, II, 18, 4.
Simon, des Gamaliel Sohn, IV,
8,9.
Simon, des Kathlas Sohn, IV,
4,2; 4,4; V,6,l; VI, 2, 6.
Simon, des Ezron Sohn, V, 1, 2.
Simon, des Ari Sohn, V, 6, 1;
VI, 1,8; 2,6.
Simon, des Josias Sohn, VI, 2, 6.
Simon, des Jonathas Sohn, II,
21,7.
Sisenna, Legat, 1,8,6.
Sogmns, Araber, 1,29,3.
Sogmns, König von Emesa und
Tetrarch vom Libanon, II, 18, 9 ;
III, 4,2; VII, 7,1.
Sogane, Stadt in Obergaulanitis,
heutige Lage ungewiss , II,
20,6; IV, 1,1.
Somorrha, Nachbarstadt von Petra
in Arabien, heute unbekannt,
IV, 8, 2. Böttger vermutet auch
hier eine Verwechselung von
T und 2 durch einen Ab-
schreiber, sodass ropofl54 zu
lesen wäre.
Sophas, Ragueh Sohn, IV, 3, 4.
Sosius (Sossius), Statthalter von
Syrien, 1, 17,2; 18, lff; V, 9, 4;
VI, 10.
Stephanus, Diener des Caesars
Claudius, II, 12, 2.
Stratonstnrm (Caesarea maritima),
I, 3, 4f.
694
Josephtu, Geschichte des JQdischen Krieges.
Struthionteich. V, 11,4.
Syene , südliche Grenzstadt
Aegyptens gegen Aethiopien
am östlichen Ufer des Nil auf
einer Halbinsel, das heutige
Assuan (die Gegend ist reich
an rosenrotem Granit = Syenit),
IV, 10, 5.
Syllaeus , Araber, I, 24, 6 ; 29, 3.
Syrten, die (die grosse und
kleine), zwei tiefe Suchten des
libyschen Meeres an der Nord-
küste von Afrika, die grössere
(östliche) jetzt Golf von Sidra,
die kleinere Golf von Kabes,
II, 16, 4.
T.
TanaYs, Fluss im Skythenland,
der heutige Don, VII, 7, 4.
Tante, aegyptisches Städchen in
der Gegend der Nilmündungen
(8. Herodot 11,166), jetzt nur
noch Ruinen, IV, 11, 5.
Tarlcheae, Stadt in Galilaea am
See Tiberias, heute nur noch
Trümmer, 11,20, 6 ;i 21, 3 ff. ; III,
10,1; 10, 3 ff.; 10,10.
Tarsus, Hauptstadt von Cilicien,
jetzt Tersus oder Tarso im
Ejalet Adana, VII, 7, 3.
Taurer, die, Bewohner von
Chersonesus taurica (Krim),
rohes, Menschen opferndes See-
räubervolk, II, 16, 4.
Taiirus, Gebirge in Asien, II, 16, 4
Tempel za Jerusalem , genaue
Beschreibung V, 5.
Tempel bei Hellopolls (Onias-
tempel), VII, 9, 2 ; 9, 4.
Tephthaeus , tapferer Galiläer,
V, ll, 5.
Terentlus Rufns, römischer Be-
fehlshaber, VII, 2, 1.
Teron, Veteran, 1,27, 4; 27, 6.
Thamna, Stadt iu Judaea, nach
Robinson das heutige Tibneh,
1,11,2; II, 20, 4; III, 3, 5; IV, 8, 1.
Go gle
Theben , aegyptische Stadt , jetzt
Ruinen in den vier Flecken
Karnak , Luxor , Medinet Abu
und Gurnu, VII, 10, 1.
Thekoa , Stadt in Judaea, zwei
Stunden südlich von Bethlehem,
jetzt Takü'a, IV, 9, 5.
Thella, Dorf in Galilaea, vielleicht
der jetzige Ruinenhügel Thala,
2 l L Stunden von Kerawa (van
de Velde), III, 3, 1.
Theodoras, Sohn des Tyrannen
Zeno, I, 4, 2 f.
Theudlon , Schwager Herodes’
des Grossen, 1, 28, 1 ; 30, 5.
Thmuis , aegyptische Stadt, jetzt
die Ruinen Teil Tm&y oder
Tmayal Eradid südwestlich von
Mansurah, IV, 11, 5.
Thraker, die, Bewohner von
Thrakien, 1,83,9.
Threstt (Resa), Festung in Idu-
maea, heute unbekannt, 1, 13,8;
15, 4.
Tiberias, Stadt in Galilaea am
See Genezareth, jetzt Tabariye,
II, 9,1; 20,6; 21, 6f.; 21, 8 fF. ;
III, 9, 7 ff.
Tiberius Alexander, Landpfleger
von Judaea, später Statthalter
in Alexandria , dann Ober-
befehlshaber im Heere des Ti-
tus, 11,11,6; 18,7; IV, 10, 6;
V,l, 6; 5,4; 12,2; VI, 4, 3.
Tiberius Nero, römischer Caesar,
II, 9, 1.
Tigllllnus, Neros Freigelassener,
IV, 9, 2.
Tigranes, König von Armenien,
I, 5,3.
Tigranes, Sohn des Partherköuigs
Artabazes, I, 19, 5.
Tigranes, Sohn Alexanders und
der Glaphyra, 1,28,1.
Tiridates , König von Gross-
armenien, VII, 7, 4.
Tlt nsFla vius V espaslanus,1 11,1 ,2ff.
Titus Frngl, Anführer der fünf-
zehnten Legion, VI, 4,3.
w'NIVLKSITY OT CALirORNI,
Namenregister.
695
Toparchien, die, von Judaea, III,
3, 5.
Trachonitis , Landschaft Palae-
stina 8 Östlich vom Jordan, I,
20,4; 11,6,3.
Trajanns , römischer Offizier
(Vater des nachmaligen Im-
perators), III, 7, 81 ; 10, 3.
Tripolis, phoenicische Stadt mit
einem Seehafen, jetzt Tarabulus,
1 , 21 , 11 .
Tryphon, Barbier Herodes’ des
Grossen, 1, 27, 5 f.
Tyrannius Priscus, Tribun, II,
19. 4.
Tyropolonthal (Käsemacherthal),
trennte die Oberstadt Jerusalems
von der Unterstadt, V, 4, 1.
Tyrische Leiter (Promontorium
album), jetzt Ras en Naküra.
II, 10, 2.
Tyros, alte phoenicische Handels-
stadt, das heutige Sür, 1,12,2;
13,1; 21,11; 11,18,5.
v.
Valens, Heerführer unter Vitellius,
IV, 9, 9.
Valerianus. römischer Decurio,
III, 9,7.
Varro, Statthalter von Syrien, I,
20 . 4 .
Varus, Quintilius, Statthalter von
Syrien, I, 31, 5ff.; 11,2,2; 5, lff.
Ventidius, römischer Heerführer,
1,15,2; 16,6.
Vindex, Gallierhäuptling, IV, 8, 1.
Vitellins, Imperator, IV, 9, 2;
9,9; 10,1; 11, 2 ff. ; 11,4.
Vitellins, Germanenführer , V II,
4,2.
Vologeses, Sohn des Parther-
königs Artabanus III., VII,
5,2; 7,3.
Volumnius, Statthalter von Syrien,
1,27,1; 27,3. #
X.
Xaloth, Dorf in Galilaea, das
heutige Dorf Iksal (Ksal, Zal)
in der Ebene Esdrelon nahe
beim Tabor, III, 8, 1.
Xerxes, Perserkönig, II, 16, 4.
Xystos, Platz in Jerusalem, II,
16,8; V, 4, 2 ; VI, 3, 2; 6,2.
z.
Zabulon, Grenzstadt Galilaeas
gegen Ptolemais , heute un-
bekannt, II, 18, 9.
Zacharias, des Phalek Sohn, IV,
4,1.
Zacharias, des Baruch Sohn, IV,
5, 4.
Zeloten, die, IV, 3, 3 ff.
Zeno, mit dem Beinamen Kotylas,
Tyrann von Philadelphia, 1, 2, 4.
Zenodorus, 1,20,4; 11,6,3 (hier
Zeno genannt).
Zephyrium, Vorgebirge und
Städtchen in Cilicien, 1,23,4.
Zeugma, Stadt in der syrischen
Provinz Kyrrhestika, von Se-
leukus Nikator an einer über
den 'Euphrat geschlagenen
Schiffbrücke (daher der Name)
gegründet, heute(nach Reichardt)
Tscheschme, VII, 6, 2.
Zoar, arabische Stadt in der Nähe
des toten Meeres, heute noch
unbekannt (zu suchen ist sie
jedenfalls im Gör es Säfea).
IV, 8,4.
Berichtigung.
Seite 217, Anmerkung 3, lies 37 statt 36.