Skip to main content

Full text of "Flavius Josephus Werke: Altertümer, Krieg, Apion, Leben. Übersetzt von Heinrich Clementz"

See other formats


Des Flavius Josephus 

Jüdische Altertümer. 


Übersetzt 

und mit Einleitung und Anmerkungen versehen 

von 

Dr. Heinrich Clementz. 

* 

I. Band. 

Buch I bis X. 


Joaephus reruin judaAuhruiu 
teatis omaiurn optima«. 

(Aat. Paglua hei Havercauip.) 



Balle a. d. S. 
Verlag von Otto Hendel. 


Digitized by 


Go 


Original from 

ERSITY OF CALIFORNIA 




J>S1U, 

er (o 

v. \ 

ji*r jüdische Geschichtschreiber F 1 a v i u s 
j Josephus ist geboren zu Jerusalem im 
Jahre 37 n. Chr. unter der Regierung des * 
römischen Casars Gajus Caligula und unter 
dem Landpfleger Marcellus, nachdem Pontius Pilatus 
eben erst, im Jahre 36, abberufen worden war. Er war der 
Sohn des jüdischen Priesters Matthias und mütterlicher- 
seits mit dem Königsgeschlechte der Asmonäer verwandt. 

Die Juden der damaligen Zeit erzogen ihre Kinder in 
religiöser Hinsicht sehr gewissenhaft, und so wurde auch 
Josephus, der übrigens sehr begabt war, mit grosser Sorgfalt 
erzogen und zum Schriftgelehrten herangebildet. Mit 
Ausnahme einer Reise nach Rom (siehe unten) lebte er 
bis zu dem im Jahre 66 n. Chr. erfolgten Ausbruche des 
jüdischen Aufstandes gegen die Römer in Jerusalem als 
der Pharisäersekte angehöriger Priester. Schon als er 
kaum dem Knabenalter entwachsen war, zeigte sich sein 
freier Blick und sein hohes geistiges Streben darin, dass 
er sich nacheinander in die drei Sekten des damaligen 
Judentums, die der Pharisäer, Sadduzäer und Essener 

aufnehmen Hess, um nach Prüfung ihrer Grundsätze der 

i* 

^ rs\r> Original from 

Digitized by CjO OF CALIFORNIA 



Einleitung 



4 


Einleitung. 


nach seiner Ansicht besten Gemeinschaft beizutreten. 
Nachdem er dann noch drei Jahre bei dem Elinsiedler 
Banus zugebracht hatte, entschied er sich für die Phari- 
säer, denen er auch, soweit ersichtlich, bis zum Ende 
seines Lebens treu geblieben ist. 

In seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahre unter- 
nahm Josephus eine Reise nach Rom, wo er zu hoch- 
stehenden Personen in Beziehungen trat und namentlich 
auch Poppaea, der Gemahlin des Casars Nero, vorgestellt 
wurde. Bald nach seiner Rückkehr trat er dann die 
öffentliche Laufbahn in seinem Vaterlande an, und im 
* Jahre 67 n. Chr., ein Jahr nach Beginn des Aufstandes, 
ernannten ihn die Leiter desselben zijun Statthalter in 
Galilaea. Hier bewies er sich als tapferer Feldherr im 
Kampfe gegen die Römer, wurde aber nach dem Falle 
der Festung Jotapata, wo er sich mit Waffengefährten 
jn einer Cisterne verborgen hatte, ddra Vespasianus ver- 
raten. Dieser liess ihn in Fesseln legen, schenkte ihm 
jedoch das Leben, weil Josephus, mit schlauer Berechnung 
den Propheten spielend, ihm den Cäsarenthron verhiess. 
Ale Vespasianus zwei Jahre später wirklich auf den 
Thron gelangt war, erklärte er den Josephus für seinen 
Freigelassenen und beschenkte ihn reichlich. Um diese 
Zeit scheint Josephus seinem hohen Gönner zu Ehren 
dessen [Familiennamen Flavius angenommen zu haben. 
Von Alexandria aus begleitete er dann den Titus vor 
Jerusalem, wo er Zeuge der Belagerung seiner Vater- 
stadt wurde. Während derselben unternahm er es zu 
wiederholten Malen, seinen Landsleuten die Zwecklosig- 
keit ferneren Widerstandes vorzuhalten und sie zur Er- 


Go gle 




Einleitung. 


5 


gebung an die Römer aufzufordern, wurde aber von ihnen 
abgewiesen und für einen Verräter erklärt. 

Nach der Zerstörung Jerusalems begab sich Joseph us 
mit Titus nach Rom, wo er das römische Bürgerrecht, 
einen kaiserlichen Freitisch und grossen Landbesitz in 
Judaea erhielt. Als reicher Mann lebte er nunmehr seinen 
Studien, deren Ergebnisse in seinen Werken vorliegen. 

Das Jahr seines Todes ist unbekannt; im Jahre 93 
war er jedenfalls noch am Leben, doch scheint er die 
Regierungszeit des Trajanus (bis 117) nicht überlebt zu 
haben. 

Was nun die Eigenschaften, und zwar zunächst die 
persönlichen, unseres Schriftstellers anlangt, so steht 
fest, dass er infolge seiner hohen Begabung einen 
hervorragenden Platz nicht nur unter den ersten Männern 
seines Volkes überhaupt, sondern auch unter den eng- 
herzigen und hartköpfigen Angehörigen seiner Sekte 
einnimmt, denen er an Elastizität des Geistes weit über- 
legen war. So war er nicht minder ein schriftgelehrter 
Pharisäer, als überhaupt einer der gelehrtesten Männer 
seiner Zeit, und in der orientalischen wie griechischen 
Litteratur wohl bewandert. 

Einige sittliche Schwächen kann man bei Josephus 
nicht wegleugnen. Zunächst war er bis zur Eitelkeit 
selbstbewusst, sodass er zum Beispiel am Schlüsse seiner 
„Altertümer“ behauptet, ein Werk wie dieses habe weder 
ein anderer Jude, noch ein Nichtjude in solcher Voll- 
endung zustande zu bringen vermocht. Eine andere 
Schwäche ist seine egoistische Klugheit oder vielmehr 
Verschlagenheit, die ihn nicht nur von seinem Volke 


6 


Einleitung. 


zu den Römern übergehen läset, als dies für ihn vorteiU 
hafter erscheint , sondern die ihn auch geradezu zu 
betrügerischem Handeln verleitet. Beweis dessen ist sein 
Verhalten in der Cisterne zu Jotapata (siehe „Jüdischer 
Krieg," Buch III, Kapitel 8), wo er, den Trieb der Selbst- 
erhaltung über alle anderen Rücksichten setzend, offenbar 
die Lose betrügerischerweise so mischte , dass seine 
Gefährten vor ihm dem Tode verfielen, den sie der Über- 
einkunft gemäss nach der Reihenfolge der Lose er- 
leiden wollten, um nicht in die Hände der Römer zu 
geraten. Josephus verleugnete eben niemals den echten 
Pharisäer, der anderen, gern alle Lasten aufbürden 
möchte, die er selbst zu tragen sich scheut. 

Wenngleich man nun unter diesen Umständen unserem 
Schriftsteller ein besonders entwickeltes Nation algefuhl 
und opferwilligen Patriotismus zuzuerkennen nicht be- 
rechtigt ist, so muss doch immerhin zugegeben werden, 
dass er niemals seine Religion verleugnete und sich von 
kriechender Unterwürfigkeit gegen die römischen Cäsaren, 
die sein Volk in den Staub getreten hatten, frei hielt 
Er blieb vielmehr stets ein Freund seines Volkes und 
leistete ihm durch seine schriftstellerische Thätigkeit 
grosse Dienste, was um so höher anzuschlagen ist, als 
die Juden im allgemeinen im römischen Reiche ver- 
achtet und gehasst wurden. Allerdings verschweigt 
Josephus in seinen Werken manches, was bei den 
Heiden Anstoss hätte erregen können, manches auch 
deutet er um, aber er giebt keine der grossen Wahr- 
heiten seiner Religion preis. 

Als Schriftsteller steht Josephus grossartig da. Seine 



Einleitung. 


* 

Darstellung ist klar, lebendig und elegaiit, und er darf 
zu den besten nachklassischen griechischen Schriftstellern 
gerechnet werden. Allerdings bleibt er hinter der Ein- 
fachheit und Kraft biblischer Darstellung oft zurück, 
zum Teil infolge seines Bestrebens, es mit seinen heid- 
nischen Lesern nicht zu verderben, zum Teil aber auch 
infolge der oft in die Geschichtserzählung ein geflochtenen 
langen Gespräche und Reden, die offenbar nur den 
Zweck haben sollen, die Juden -in der Rhetorik den 
Griechen ebenbürtig erscheinen zu lassen. Klassisch 
vollendete Geschichtschreibung bietet Josephus besonders 
in den sechs letzten Büchern der „Altertümer,“ und dass 
er auch ein Meister in der Kleinmalerei ist, beweist er 
•durch seine exakten Schilderungen der Tempelgebäude, 
der hohepriesterlichen Gewänder und der heiligen Geräte. 
Besonders erwähnenswert erscheint mir in dieser Be- 
ziehung die äusserst sorgfältige Beschreibung der Hyo- 
scyamus- oder Bilsenkrautpflanze (III, 7, 6), die noch 
heute in jedem Lehrbuche der Botanik Platz finden 
könnte, sowie die Schilderung des goldenen, von Ptole- 
maeus Philadelphus den Juden für den Tempel ge- 
schenkten Tisches (XII, 2, 8 und 9). Orientalische 
Übertreibungen und specifische pharisäisch-philosophische 
Anschauungen finden sich übrigens nicht selten in 
Josephus’ Werken, aber er gilt doch im allgemeinen für 
durchaus glaubwürdig. 

Die Werke des Josephus sind folgende: 1. „Archäo- 
logie“ oder „Jüdische Altertümer“ (20 Bücher); 2. „Über 
den jüdischen Krieg“ (7 Bücher); 3. Seine Selbst- 
biographie; 4. „Über die Maccabäer oder über die 



8 


Einleitung. 


Herrschaft der Vernunft;“ 6. „Gegen Apion oder über 
das hohe Alter des jüdischen Volkes“ (2 Bücher). Am 
ßchlusee der „Altertümer“ bekundet Josephus seine Ab- 
sicht, vier Bücher von Gott und seinem Wesen sowie 
ein Werk über die Gesetze zu schreiben oder darüber, 
weshalb den Juden gewisse Handlungen erlaubt und 
andere verboten seien. Ob er dieses Vorhaben je ver- 
wirklicht hat, wissen wir nicht. 

Was nun sein . grösstes Werk, die vorliegenden 
„Jüdischen Altertümer“ betrifft, so sind dieselben zu- 
nächst von grosser Wichtigkeit für die jüdische Ge- 
schichte überhaupt. Sie ordnen nämlich den Inhalt des 
alten Testamentes in der Reihenfolge und in chrono- 
logischer Hinsicht, füllen Lücken in der Erzählung aus 
und erklären dunklere Stellen. Noch höher wird ihr 
Wert dadurch, dass sie für den Abschnitt der jüdischen 
Geschichte, der von der babylonischen Gefangenschaft 
bis über die ersten christlichen Jahrzehnte hinausreicht, 
so gut wie die einzige Quelle sind. Endlich bieten die 
„Altertümer“ auch Belege für geschichtliche Angaben 
der Evangelien wie der Apostelgeschichte und (im acht- 
zehnten Buche) das berühmte, freilich bezüglich seiner 
Echtheit auch vielumstrittene Zeugnis über die Person 
Jesu Christi, sowie interessante Nachrichten über Joannes 
den Täufer und Jakobus den Jüngeren. 

Die Neuherausgabe einer Übersetzung der „Jüdischen 
Altertümer“ bedarf wohl keiner besonderen Recht- 
fertigung. Ist das Werk doch ebenso ein echt volks- 
tümliches Geschichtsbuch, als ein unschätzbares Rüstzeug 
in der Hand des Historikers. Nicht zum wenigsten ist 



Einleitung. 


9 


für die Neuübersetzung die Erwägung massgebend ge- 
wesen, dass die Geschichte des heiligen Landes infolge 
der im vorigen Jahre stattgehabten Palästinareise unseres 
Kaisers Wilhelm II., sowie auch infolge der Vorliebe 
neuerer Dichter, ihre Stoffe aus der Herodianerzeit zu 
entnehmen (Lauff, Herodias, Hebbel, Herodes und 
Mariamne, Sudermann, Johannes) mehr als sonst in den 
Vordergrund des Interesses tritt. Wer die genannten 
Dichtungen recht verstehen will, kann einer genauen 
Darlegung der Verhältnisse am Hofe des Herodes, wie 
Josephus sie bietet* nicht entraten. 

Möge die vorliegende Ausgabe eine Anregung sein 
zu weiteren fruchtbringenden Studien über den Schrift- 
steller Josephus, zu dessen vollem Verständnis noch 
manches zi} thun übrig bleibt „Die Philologen sagt 
Paret, „pflegen ihn als einen der Theologie angehörigen 
Schriftsteller ^zu betrachten , die Theologen umgekehrt 
als einen solchen, der sie nicht direkt angehe. So kam 
es, dass er vernachlässigt und nicht so häufig zum 
Gegenstände von Spezialstudien gemacht wurde, wie er 
wohl verdienen würde. Wie zu seinen Lebzeiten, so 
hat er, kann man sagen, auch jetzt noch unter seiner 
Zwitterstellung zwischen Jerusalem und Rom zn leiden.“ 


Die Übersetzung habe ich angefertigt nach der Text- 
ausgabe von Dindorf (Paris, Didot 1866) unter ver- 
gleichsweiser Heranziehung der alten, aber sehr schönen 
kritischen Ausgabe von Havercamp (Amsterdam 1726). 
Die den einzelnen Büchern vorausgeschickten Inhalts- 



10 


Einleitung. 


Übersichten folgen der Dindorfschen Ausgabe, während 
die Überschriften der einzelnen Kapitel sich im all- 
gemeinen an die Kapitelüberschriften der Haver- 
camp’schen Ausgabe anfehnen (der Dindorfsche Text 
weist keine Kapitelüberschriften auf). Für den Gebrauch 
der Übersetzung glaube ich darauf hinweisen zu müssen, 
dass die einzelnen Nummern der Inhaltsübersichten 
nicht den Kapitelüberschriften entsprechen. 

Bei den Eigennamen habe ich die Schreibweise des 
Josephus durchgängig beibehalten und an den wenigen 
Stellen, wo die Namen allzusehr von der uns geläufigen 
biblischen Schreibweise abweichen , erklärende An- 
merkungen zugefügt. Dass die speciell römischen Namen 
in der lateinischen und nicht in der griechischen Form 
aufgeführt sind, versteht sich ja von selbst. 

Zum genussreichen Studium der Werke des Josephus, 
insbesondere der „Altertümer“ und des „Jüdischen 
Krieges,“ bedarf es auch einiger geographischen Hilfs- 
mittel, und zwar können zu diesem Zwecke schon alle 
guten Atlanten dienen, die Karten von Palästina zur 
Zeit der Einteilung in die zwölf Stämme und zur Zeit 
Christi enthalten. Gründlichere Belehrung bieten die 
besonderen Bibelatlanten, unter denen ich den von Riess 
(Freiburg, Herder) namentlich empfehlen möchte. Die 
Palästina -Karte des Andreeschen Handatlas weist 
den Vorzug auf, dass sie die neuen wie die alten Orts- 
bezeichnungen gleichzeitig bringt. Immerhin bleibt zu 
bedauern, dass nicht • ein specieller Atlas zu den 
Werken des Josephus seinen Bearbeiter gefunden hat, und 
es bedarf vielleicht nur dieser Anregung, um eine 



Einleitung. 


11 


geeignete Kraft zur Herausgabe eines solchen Atlas zu 
veranlassen. 

Weitere Hilfsmittel bei der Lektüre des Joseph us 
bieten gute Reise- und geographisch -geschichtliche Wer ke 
über Palästina, wie die von Bädeker-Socin, Robinson, 
v. Raumer und Schwarz. Nicht übergehen will ich 
endlich das mit grossem Fleisse bearbeitete „topo- 
graphisch-historische Lexikon zu den Schriften des 
Flavius Josephus“ von Gustav Böttger, dem auch die 
geographischen Bemerkungen des dieser Übersetzung 
beigefugten Namenregisters entstammen. Diese Be- 
merkungen sind von mir absichtlich in dem Register 
untergebracht worden, um den eigentlichen Text nicht 
zu sehr mit Anmerkungen zu überlasten. 

Die Zeichnungen zu den Illustrationen mit Ausnahme 
des Herodianischen Tempels sind von meinen) Neffen, 
dem Architekten Joseph Lauff zu Köln, nach meinen 
Angaben und unter teilweiser Anlehnung an Abbildungen 
des Neumannschen Werkes „die Stiftshütte,“ deren Be- 
nutzung der Verleger Friedrich Andreas Perthes zu 
Gotha mit dankenswerter Bereitwilligkeit gestattete, an- 
gefertigt worden. Massgebend war dabei hauptsächlich 
der Gesichtspunkt, dass die Bilder der Schilderung des 
Josephus möglichst getreu entsprechen müssten. Dem- 
zufolge ist z. B. beim Brandopferaltar das vielumstrittene 
„netzförmige Flechtwerk“ als Rost des Altares zwischen 
die Hörner desselben gelegt worden, da die klare Dar- 
stellung unseres Schriftstellers keine andere Deutung 
zulässt; ebenso sind die Cherubim auf der heiligen Lade, 
die Josephus „geflügelte Tiere“ nennt, unter Anlehnung 




12 


Einleitung. 


an die altassyrischen Kherubsgestalten als geflügelte 
Mischwesen von Mensch und Stier aufgefasst worden, 
wie das auch Neumann in dem citierten Werke ge- 
than hat. 

% 

Von den beiden Stammbäumen der Asmonäer und 
Herodianer hoffe ich, dass sie das Verständnis der be- 
treffenden Stellen des Werkes erheblich fördern werden; 
namentlich bei den etwas verwickelten Verhältnissen 
der Familie des Herodes ist eine solche geordnete Über- 
sicht kaum zu entbehren. 

Zum Schlüsse versichere ich, dass die Übersetzung 
durchaus wortgetreu und vollständig ist. Ob sie auch 
die dritte Bedingung einer guten Übersetzung erfüllt, 
nämlich möglichst wohllautend zu sein, das zu beurteilen, 
überlasse ich dem geneigten Leser. 

Brauweiler, im Juli 1899. 


Dr. Heinrich Clementz. 




Erstes Buch. 

Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 3833 Jahren. 

Inhalt. 

1. Vorwort, die Gründe für die Abfassung des Werkes enthaltend. 

2. Die Einrichtung der Welt und Anordnung der Elemente. 

3. Von der Nachkommenschaft Adams und den zehn Geschlechtern 

von ihm bis zur Sintflut. 

4. Von der Sintflut , und wie Noe mit seiner Familie in der Arche 

gerettet wurde und dann in der Ebene Sennaar wohnte. 

5. Wie der Turm, den seine Nachkommen Gott zum Trotz bauten, 

zusammenstürzte; wie Gott ihre Sprache verwirrte, und wie 
' der Ort, wo dieses geschah, Babylon genannt wurde. 

6. Wie Noes Nachkommen über die ganze Erde hin sich Wohn- 

sitze gründeten. 

7. Wie jedes der Völker von seinem Gründer den Namen erhielt. 

8. Wie unser Vorfahre Abram aus dem Lande der Chaldäer zog 

und die einst Chananaea , jetzt Judaea benannte Landschaft 
bewohnte. 

9. Wie Abram, als eine Hungersnot Chananaea bedrückte, nach 

Aegypten zog und, nachdem er eine Zeitlang dort sich auf- 
gehalten, wieder zurückkehrte. 

10. Niederlage der Sodomiter im Kampf gegen die Assyrier. 

11. Wie Abram die Assyrier angriff, die gefangenen Sodomiter 

befreite und die Beute, welche jene im Stich liessen , siegreich 
zurückbrachte. 

12. Wie Gott das Volk der Sodomiter, erzürnt über ihre Frevel- 

thaten, vernichtete. 

13. Von Ismael, dem Sohne Abrams, und seinen Nachkommen, den 

Arabern. 

14. Von Isaak, dem rechtmässigen Sohne Abrams. 

15. Von Sarra, der Gattin Abrams, und wie sie starb. 

16. Wie von der dem Abram vermählten Chetura das Geschlecht 

der Troglodyten abstammt. 

17. Vom Tode Abrams. 

18. Von Isaaks Söhnen Esau und Jakob, ihrer Geburt und Erziehung. 

19. Wie Jakob aus Furcht vor seinem Brüder nach Mesopotamien 

floh, dort ein Weib nahm, zwölf Söhne erzeugte und dann 
wieder nach Chananaea zurückkehrte. 

20. Der Tod Isaaks und seine Bestattung in Chebron. 


Go gle 



14 


Josephu»’ Jüdische Altertümer. 


Vorwort. 

1. Diejenigen, welche sich der Geschichtschreibung 
befleissigen, thun dies nicht aus ein und denselben, sondern 
aus vielfachen, meist unter sich verschiedenen Beweg- 
gründen. Denn einige gehen an diese Art Arbeit, um 
ihre ^Redegewandtheit leuchten zu lassen uhd dadurch 
berühmt zu werden, andere, um denen zu gefallen, ü-ber 
die sie schreiben. Freilich trauen sich diese letzteren 
oft mehr zu, als sie vermögen. Wieder andere treibt 
ein gewisser Zwang, die Ereignisse, deren Zeugen sie 
waren, schriftlich vor Vergessenheit zu bewahren; viele 
auch veranlasst die Erhabenheit wichtiger, im Dunkel 
verborgener Thatsachen, diese zum allgemeinen Besten 
zu erzählen. Von den genannten Beweggründen sind 
für mich die zwei letzten in Betracht gekommen. Denn 
den Krieg zu beschreiben, den wir Juden mit den Römern 
geführt haben, dazu war ich als Mitkämpfer gewissermassen 
gezwungen, um diejenigen zu widerlegen, welche in ihren 
Schriften Falsches darüber berichtet haben. 

2. Das vorliegende Werk dagegen nahm ich in Angriff, 
weil ich allen Griechen damit etwas Bedeutendes bieten 
zu können glaubte. Es wird nämlich unsere ganze Alter- 
tumskunde und die Verfassung unseres Staates enthalten, 
wie ich sie aus hebraeischen Schriften (ins Griechische) 
übertragen habe. Schon früher, als ich die Geschichte 
des Krieges schrieb, gedachte ich auch kundzugeben den 
Ursprung der Juden, ihre mannigfaltigen Schicksale, wie 
sie unter einem grossen Gesetzgeber die Verehrung Gottes 
und alle übrigen Tugenden kennen lernten, welche Kriege 
sie im Laufe der Zeiten geführt und wie sie endlich 
wider ihren Willen zum letzten Kriege gegen die Römer 
gedrängt wurden. Doch der zu grosse Umfang des 
Stoffes nötigte mich, die Geschicke der Juden vor dem 
Kriege mit den Römern von Anfang an bis zu diesem 
Zeitpunkte besonders zu beschreiben. Aber im Laufe 
der Zeit beschlich mich, da ich mich unterfangen, einen 
so gewaltigen Stoff in einer fremden, ungewohnten Sprache 


Erstes Buch, Vorwort. 


15 


wiederzugeben , oft eine gewisse Trägheit, wie es denen 
gewöhnlich ergeht, die allzu Schwieriges unternehmen. 
Indes ermunterten mich viele, das Werk fortzusetzen, 
in erster Reihe Epaphroditus, ein Mann, der allen 
Wissenschaften und besonders der Geschichte sehr zu- 
gethan war, zumal er selbst grosse Ereignisse und 
mancherlei Schicksale erlebt hatte, wobei er stets eine 
geistig hervorragende Natur und unerschütterte Wahr- 
heitsliebe offenbarter 1 Diesem hochherzigen Gönner aller 
nützlichen und ehrbaren Bestrebungen gegenüber schämte 
ich mich, den Anschein zu erwecken, als ob ich den 
Müssiggang fleissiger Arbeit vorzöge, und ich nahm 
daher alle meine Geisteskräfte zusammen. Dazu kam 
noch, dass ich immer und immer wieder erwog, wie gern 
unsere Vorfahren ihre Geschichte den Fremden mit- 
zuteilen geneigt waren, und wie manche Griechen vor 
Eifer brannten, unsere Schicksale kennen zu lernen. 

3. Ich erfuhr besonders, dass der König Ptole- 
maeus II., wie er überhaupt den Wissenschaften und 
dem Bibliothekwesen sehr zugethan war, danach ver- 
langte, unsere Gesetze und die Bestimmungen unserer 
Staatsverfassung ins Griechische übertragen zu sehen, 
und dass Eleazar, der an Tugend keinem unserer Hohe- 
priester nachstand, keinen Anstand nahm, dem Könige 
den Gebrauch derselben zu gestatten, den er doch ge- 
wiss verweigert haben würde, wenn e6 nicht bei uns alte 
Sitte gewesen wäre, Gutes und Anständiges vor niemand 
geheim zu halten. Daher glaubte ich, dass es auch mir 
wohl anstehe, die Grossmut unseres Hohepriestern nach- 
zuahmen, um so mehr, als ich überzeugt bin, dass auch 
heute gar viele es dem König an Wissbegierde gleich 
thun möchten. Doch hat der König nicht die ganze 
heilige Schrift erhalten können, sondern die, welche 
nach Alexandrien zum Zwecke der Interpretation ge- 
sandt worden waren, haben ihm nur die Gesetzbücher 
übergeben. Es sind aber noch ausserdem unzählige 
andere Dinge in den heiligen Schriften aufbewahrt, die 
die Geschichte von 5000 Jahren mit ihren merkwürdigen 



16 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

Ereignissen, ihrem wechselnden Kriegsglück, ihren herr- 
lichen Feldherrnleistungen und ihren vielen Staats- 
umwälzungen umfassen. Im allgemeinen kann man 
leicht aus dieser Geschichte entnehmen, dass denjenigen, 
die Gottes Willen befolgen und seine wohlgemeinten 
Gesetze zu übertreten sich scheuen, alles wider Erwarten 
zum besten gedeiht und der Lohn der Glückseligkeit 
Gottes winkt, dass hingegen die, welche von der treuen 
Beobachtung der Gesetze abweichen^das unüberwindlich 
finden, was sonst leicht erscheint, und das Gute, das sie 
zu thun unternehmen, in heillosse Verwirrung Um- 
schlagen sehen. 

Daher ermahne ich diejenigen, welche diese Bücher 
lesen wollen, ihren Sinn auf Gott zu richten und acht 
zu haben, wie unser Gesetzgeber die Natur Gottes ge- 
ziemend aufgefasst und ihm nur solche Thaten bei- 
gelegt hat, die seiner Macht würdig sind., und wie er 
sich ferngehalten von eitler Fabelei, obgleich doch das 
hohe Alter der Begebenheiten ihn leicht zur Erfindung 
irgend welcher Lügen hätte verleiten können. Denn er 
ist geboren vor 2000 Jahren, zu einer Zeit, in welche 
die Dichter nicht einmal den Ursprung ihrer Götter, 
geschweige denn Thaten oder Gesetze sterblicher 
Menschen zu verlegen gewagt haben. Alles dieses 
wird im Folgenden in gebührender Ordnung dargestellt 
werden, denn es ist mein fester Vorsatz, in der Dar- 
stellung weder etwas wegzulassen noch hinzuzufügen. 

4. Weil im übrigen alles der Weisheit des Gesetz- 
gebers Moyses zuzuschreiben ist, erscheint es mir not- 
wendig, einiges über ihn vorauszuschicken, damit es dem 
Leser nicht auffallend erscheine, dass, obgleich der 
Titel des Werkes Berichte von Gesetzen und Thaten 
verspricht, doch so vieles auf die Naturgeschichte Be- 
zügliche darin enthalten ist. Es ist daher notwendig zu 
wissen, dass jener Mann es für unumgänglich gehalten 
hat, dass derjenige, der sein eigenes Leben wohl ein- 
richten oder anderen Gesetze geben will, vornehmlich 
die Natur Gottes zu erkennen streben und durch innige 



Erstes Bach, Vorwort. 


17 


Betrachtung seiner Werke dem erhabenen Vorbilde aller 
nachzueifern und zu folgen versuchen müsse. Denn 
ohne diese Erkenntnis wird weder der Gesetzgeber 
selbst ein gutes Gemüt haben , noch werden seine 
Schriften das Gemüt der Leser zur Tugend hinlenken 
können, wenn diese nicht vor allem das erkannt haben, 
dass Gott, da er aller Herr uud Vater ist und alles 
sieht, denjenigen, die ihm gehorchen, ein glückseliges 
Leben verleiht, diejenigen aber, die vom Pfade der 
Tugend abweichen, im grössten Elend versinken lässt. 
Moyses hat daher, um seinen Mitbürgern diese Erkennt- 
nis beizubringen, nicht wie andere auf Satzung und 
Übereinkommen seine Gesetze aufgebaut, sondern er hat 
ihren Sinn auf Gott und die Betrachtung der Schöpfung 
hingelenkt und sie gelehrt, dass auf Erden wir Menschen 
das schönste Werk Gottes seien. Nachdem er sie so 
zuerst zur Keligiosität erzogen, überzeugte er sie leicht 
von allem übrigen. Andere Gesetzgeber hielten es mit 
Fabeln und dichteten ihren Göttern der Menschen 
schändliche Laster an; so gaben sie den Gottlosen hin- 
reichende Gründe zur Entschuldigung. Moyses hingegen 
zeigte, dass Gott die Tugend rein und unbefleckt besitze, 
und lehrte die Menschen mit aller Kraft dahin streben, 
dass sie ihrer teilhaftig würden. Gegen die aber, welche 
das nicht erkannten und nicht . glaubten, schritt er mit 
Strenge ein. 

Von diesem Gesichtspunkte aus wolle der Leser 
dieses mein Werk beurteilen. Wer so denkt, wird 
nichts darin Anden, was widersinnig oder der Majestät 
Gottes und seiner Liebe zu den Menschen unwürdig 
wäre. Denn alles ist in höchster Ordnung und natur- 
gemäss dargestellt: einiges nach dem Sinne des Gesetz- 
gebers nur an gedeutet, anderes nur allegorisch aus- 
gedrückt, endlich das klar und geordnet auseinandergesetzt, 
was eine volle Beleuchtung verdient. Freilich für die- 
jenigen, die die letzten Gründe der einzelnen Dinge er- 
forschen wollen, würde die Betrachtung zu ausgedehnt 
und zu philosophisch werden müssen, weshalb ich dies 

JoMphoa’ Jüdische Altertümer. 2 




18 


Josephe s’ Jüdische Altertümer. 


auf eine andere Zeit zu verschieben mir vornehme. Ge- 
währt mir Gott ein längeres Leben, so will ich nach 
Vollendung dieses Werkes auch noch an jene Arbeit 
herangehen. Nunmehr will ich mich zur eigentlichen 
Erzählung wenden. Einiges über die Erschaffung der 
Welt werde ich nach den Worten des Moyses voran- 
schicken. Dies fand ich in den heiligen Büchern auf- 
gezeichnet, und es verhält sich damit also, wie folgt 


Erstes Kapitel. 

Die Einrichtung der Welt und die Anordnung der Elemente. 

1. Im Anfänge erschuf Gott Himmel und Erde. Da 
diese aber noch dem Anblicke entzogen und in tiefer 
Finsternis verborgen war, während der Geist über ihr 
schwebte, befahl Gott, dass das Licht werde. Nach 
dessen Erschaffung betrachtete Gott die ganze Masse 
und schied das Licht von der Finsternis. Und die 
Finsternis nannte er Nacht, das Licht aber Tag, Morgen 
den Beginn des Lichtes, und Abend den Beginn der 
Ruhe. Und dieses war der erste Tag. Moyses aber 
nannte ihn einen Tag. Den Grund hierfür könnte ich 
schon jetzt angeben. Weil ich jedoch versprochen habe, 
die Gründe aller Dinge in einem besonderen Werke zu 
erörtern, werde ich es bis dahin verschieben. Sodann 
setzte Gott über das Ganze am zweiten Tage den 
Himmel, weil er ihn von dem übrigen getrennt für sich 
angebracht wissen wollte. Und er umgab ihn mit 
Krystall und machte ihn feucht und wasserreich, damit 
Regen entstehe zur Befruchtung des Bodens. Am dritten 
Tage erschuf er das Land und umgab es von allen 
Seiten mit Meer. An demselben Tage sind Pflanzen 
und Samen der Erde entsprossen. Am vierten Tage er- 
leuchtete er den Himmel mit Sonne, Mond und anderen 
Sternen ; allen wies er Bewegung und Bahn an, wodurch 
Zeit- und Witterungsverhältnisse entstanden. Am fünften 
Tage entsandte er die Fische und Vögel, jene in die 




Erstes Buch, 1. Kapitel. 


19 


Tiefe, diese durch die Lüfte. Zugleich paarte er sie* 
damit sie sich fortpflanzten, und ihr Geschlecht wachse 
und sich vermehre. Am sechsten Tage aber erschuf 
Gott die Vierfüssler, männliche und weibliche, und an 
diesem bildete er auch den Menschen. So ist nach 
Moyses die Welt mit allem, was auf ihr ist, in diesen 
sechs Tagen erschaffen worden. Am siebenten Tage 
aber habe Gott geruht und keine Arbeit verrichtet. 
Daher enthalten auch wir uns an diesem Tage der 
Arbeit und nennen ihn Sabbat, was in hebraeischer 
Sprache „Ruhe" bedeutet. 

2. Bevor nun Moyses nach dem siebenten Tage in 
der Schilderung fortfährt, beschreibt er die Erschaffung 
des Menschen wie folgt. Gott bildete den Menschen, 
indem er Staub von der Erde nahm und diesem Geist 
und Seele einhauchte. Und dieser Mensch hiess Adam, 
das heisst in hebraeischer Sprache „rot," weil er aus 
roter weicher Erde gemacht ist, die die jungfräuliche 
und wahre Erde darstellt. Gott führte alsdann dem 
Adam die einzelnen Tiergeschlechter zu und zeigte ihm 
Männchen und Weibchen; und Adam gab ihnen Namen, 
die sie heute noch haben. Da Gott aber sah, dass 
Adam der Gesellschaft und Gemeinschaft eines Weibes 
entbehrte (denn es war noch keines da) und sich über 
der anderen Lebewesen Gebaren verwunderte, nahm er 
ihm im Schlafe eine Rippe und bildete daraus ein 
Weib. Und als er sie ihm zuführte, erkannte Adam, 
dass sie aus ihm gemacht sei. Ein Weib heisst in 
hebraeischer Sprache Issa; sie aber wurde Eva genannt, 
das heisst „Mutter aller Lebendigen." 

3. Er erzählt dann weiter, Gott habe gegen Osten 
einen Garten gepflanzt, prangend in mancherlei Ge- 
wächsen. Unter diesen sei ein Baum des Lebens ge- 
wesen, und ein anderer der Erkenntnis des Guten und 
Bösen. In diesen Garten habe Gott den Adam mit 
seinem Weibe geführt und ihnen aufgetragen, die Ge- 
wächse zu pflegen. Bewässert aber wird dieser Garten 
von einem einzigen Flusse, der die ganze Landschaft 

2* 



20 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


umfliesst und sich in vier Arme teilt. Von diesen fliesst 
der Phison (das heisst „Menge") nach Indien und ins 
Meer; von den Griechen wird er Ganges genannt. Der 
Euphrat und der Tigris münden ins Rote Meer; ersterer 
heisst Phora (Zerstreuung oder Blume), letzterer Diglath 
(scharf und * eng). Der Geon endlich fliesst durch 
Ägypten und heisst: „von Osten her uns zuströmend"; 
die Griechen nennen ihn Nil. 

4. Gott gestattete also dem Adam und seinem 
Weibe, von den übrigen Gewächsen zu kosten, von dem 
Baume der Erkenntnis dagegen verbot er ihnen zu 
essen, indem er ihnen drohte, falls sie ihn berührten, 
werde es ihr Verderben sein. Da aber zu jener Zeit 
alle Tiere sich der Sprache bedienten, überredete die 
Schlange, die mit Adam und seinem Weibe vertraulich 
verkehrte und sie um ihr Glück beneidete, das sie im 
Gehorsam gegen Gott genossen, das Weib, dass es von 
dem Baume der Erkenntnis koste, wohl wissend, dass 
die beiden in ihr Unglück stürzten, sobald 6ie vom 
Pfade des Gehorsams abwichen. Sie stellte ihr nämlich 
vor, an diesem Baume hänge die Unterscheidung des 
Guten und Bösen, und wenn sie diese erlangt hätten, 
würden sie ein glückseliges Leben wie Gott geniessen. 
Und so verführte sie das Weib, Gottes Gebot zu miss- 
achten. Als Eva nun von. dem Baume gekostet und 
sich an der Speise ergötzt hatte, beredete sie auch den 
Adam, davon zu essen. Da aber erkannten sie, dass 
sie nackt seien, und voll Scham suchten sie nach Be- 
kleidung, denn jener Baum machte sie scharfsehend und 
klug. Sie verhüllten sich daher mit Feigenblättern und 
bedeckten ihre Scham, und sie kamen sich glücklicher 
vor, weil sie das gefunden, was sie früher entbehrt 
hatten. 

Da nun Gott in den Garten kam, verbarg sich Adam 
im Bewusstsein seiner Sünde, weil er doch früher ver- 
trauten Umgang mit ihm gepflogen hatte. Gott aber 
forschte verwundert nach der Ursache, weshalb er sich 
früher an seinem Umgänge erfreut habe, nun aber den- 



Erstes Buch, 1. Kapitel. 


21 


selben fliehe und fürchte. Und da Adam im Bewusst- 
sein der begangenen Übertretung nichts antwortete, 
sprach Gott: „Ich hatte über euch beschlossen, dass ihr 
ein glückliches, sorgenfreies Leben führen solltet, durch 
kein Leid beirrt und im Genüsse alles dessen, was euch 
durch meine Fürsorge zu Nutz und Frommen gereicht 
hätte, ohne jede Mühe und harte Arbeit, und dass 
schnelles Alter euch nicht beschieden sein, vielmehr 
euer Dasein sich lange hinziehen sollte. Nun aber 
hast du mein Gebot verachtet und meinen Willen über- 
treten, und kein Zeichen der Tugend ist es, dass du 
schweigst, sondern des bösen Gewissens.“ Da versuchte 
Adam seinen Fehltritt zu entschuldigen und bat Gott, 
ihm nicht zu zürnen. Sein Weib trage die Schuld und 
sie habe ihn zur Sünde verleitet. Das Weib seinerseits 
klagte die Schlange an. Da strafte Gott den Adam, 
weil er dem Rate des Weibes gefolgt sei, indem er ihm 
kundthat, die Erde werde ihnen fürder nicht mehr von 
selbst Frucht hervorbringen, sondern trotz mühevoller 
Arbeit werde sie ihnen nur einiges gewähren, anderes 
dagegen versagen. Die Eva aber strafte er mit Geburts- 
schmerzen , weil sie den Adam mit in da6 ihr von der 
Schlange bereitete Verderben verwickelt habe. Dann 
nahm er der Schlange die Sprache, erzürnt über ihr 
boshaftes Verhalten gegen Adam, und ihrer Zunge gab 
er Gift, erklärte sie für den Feind des Menschen- 
geschlechtes und verhiess ihr, dass ihr Kopf zerschlagen 
werden solle, teils weil in ihm der Menschen Verderben 
beruhe, teils weil sie so am leichtesten getötet werden 
könne. Endlich beraubte er sie der Füsse und hiess sie 
sich im Staube der Erde fortwälzen. Nachdem Gott 
diese Strafen verhängt hatte,, verwies er Adam und Eva 
an einen anderen Ort. 



22 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Zweites Kapitel. 

Von der Nachkommenschaft Adams und den zehn 
Geschlechtern von ihm bis zur Sintflut. 

1. Adam und Eva erzeugten zwei Söhne, von denen 
der ältere Kais, das ist „Besitzung“ hiess, der jüngere 
aber Abel, das ist „Trauer.“ Auch Töchter wurden 
ihnen geboren. Die Brüder nun hatten verschiedene 
Neigungen. Abel, der jüngere, pflegte die Gerechtigkeit, 
und da er Gott bei all seinem Thun gegenwärtig 
glaubte, lebte er tugendhaft als Hirt. Kais aber, in 
hohem Grade gottlos und nur auf Gewinn bedacht, 
pflügte zuerst die Erde und tötete seinen Bruder aus 
folgender Veranlassung. Da sie beide Gott opfern 
wollten, brachte Kais von den Früchten des Feldes und 
. der Bäume dar, Abel aber Milch und Erstgeburt der 
Herde. An diesem Opfer der freigebigen Natur nun 
hatte Gott mehr Gefallen als an dem, was der hab- 
gierige Mensch mit seiner Kraft hervorgebracht. Kais 
aber ergrimmte über diese Bevorzugung seines Bruders, 
tötete Abel und verbarg seinen Leichnam in dem Wahne, 
die That werde so geheim bleiben. Doch Gott erkannte 
den Frevel, kam zu Kais und forschte, wo sein Bruder 
sei, den er nun schon tagelang nicht gesehen, obgleich 
er doch früher immer mit ihm verkehrt habe. Kais 
aber, tückischen Gemütes und ausser stände, Gott zu 
antworten, behauptete, auch er sei in Ängsten über den 
Verbleib seines Bruders. Als nun Gott beharrlich in 
ihn drang, entgegnete er trotzig, er sei nicht der Hüter 
und Wächter seines Bruders, und dessen Angelegen- 
heiten kümmerten ihn nicht. Da beschuldigte Gott ihn 
offen des an Abel verübten Totschlages und sprach: 
„Ich wundere mich, dass du nicht wissen willst, was 
deinem Bruder zugestossen ist, da du ihn doch selbst 
getötet hast.“ Durch ein Opfer des Kais und sein 
Flehen um Verzeihung wurde nun Gott zwar bewogen, 
ihm die Strafe für den Totschlag zu erlassen, aber er 



Erstes Bach, 2. Kapitel. 


23 


verfluchte ihn und verkündete ihm, dass er seine Nach- 
kommen bis ins siebente Glied züchtigen wolle. Dann 
vertrieb er ihn samt seinem Weibe aus dem Lande. Da 
aber Kais die Befürchtung aussprach, er möchte beim 
Umherirren auf der Erde eine Beute wilder Tiere 
werden, hiess ihn Gott nichts dergleichen besorgen, denn 
es werde ihm kein Übel von wilden Tieren zustossen, 
und er werde furchtlos auf Erden wandern können. Je- 
doch drückte Gott ihm ein Zeichen auf, an dem er er- 
kannt werden könnte, und hiess ihn dann sich aus 
seinen Blicken wenden. 

2. Kais aber durchzog mit seinem Weibe viele 
Länder und kam endlich nach Naida, wo er zu wohnen 
beschloss und Kinder erzeugte. Übrigens liess er sich 
seine Strafe keineswegs zur Warnung dienen, sondern 
steigerte seine Bosheit mehr und mehr. Denn er ging 
jeder Art von Lüsten nach, wenn er sie auch nur durch 
Benachteiligung seiner Gefährten erreichen konnte. Sein 
Vermögen vermehrte er durch Raub und Gewalttätig- 
keit, verleitete seine Genossen zu Schwelgerei und 
Räuberei und unterrichtete sie in allen Schlechtigkeiten. 
Die bisherige Einfachheit der Lebensweise veränderte er 
durch Erfindung von Mass und Gewicht und verkehrte 
die Unschuld und Arglosigkeit des Wandels, sowie den 
Adel des Geistes in Verschlagenheit und Pfiffigkeit. Er 
war der erste, der der Feldmark Grenzen setzte, eine 
Stadt erbaute, sie mit Mauern befestigte und die Haus- 
genossen zwang, zusammen zu wohnen. Diese Stadt 
nannte er nach Anoch, seinem ältesten Sohne, Anocha. 
Anoch hatte einen Sohn Jared, und von diesem stammte 
Manuel , dessen Sohn Mathusala war. Der letztere 
zeugte den Lamech, der von zwei Weibern, der Sella 
und Ada, siebenundsiebzig Söhne hatte. Von diesen 
errichtete Jobei, der Sohn der Ada, Zelte und betrieb 
Viehzucht. Sein Bruder Jubal übte die Musik und er- 
fand das Psalter- und Harfenspiel. Thobel aber, ein 
Sohn des anderen Weibes, der an Körperkraft alle 
überragte, verlegte sich auf die Kriegskunst und ver- 




24 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


schaffte sich dadurch das, was körperlicher Lust dienen 
konnte. Auch erfand er die Schmiedekunst. Lamecb 
hatte auch eine Tochter, mit Namen Noema. Da er 
übrigens Sehergabe besass, konnte es ihm nicht entgehen, 
dass auch er dem Strafurteile aus dem Brudermorde des 
Kais unterworfen sei, woraus er auch seinen Weibern 
gegenüber kein Hehl machte. Des Kais Nachkommen- 
schaft aber wurde noch bei Lebzeiten Adams überaus 
frevelhaft; in der Schlechtigkeit folgte der eine dem 
anderen, und so wurde das Geschlecht immer ver- 
derbter. Zu Krieg und Bäubereien waren sie über die 
Massen geneigt, und war auch vielleicht einer zu Mord- 
thaten weniger fähig, so that er sich sicher um so mehr 
in sinnloser Verkehrtheit, Übermut und Ungerechtigkeit 
hervor. 

3. Nach Abels Ermordung und Kais’ Flucht hatte 
nun Adam (um auf diesen zurückzukommen) den sehn- 
lichen Wunsch, weitere Nachkommen zu erhalten, ob- 
gleich er schon zweihundertunddreissig Jahre alt war. 
Er lebte dann noch siebenhundert Jahre. Da es aber 
zu weit führen würde, von allen Söhnen Adams zu 
reden, so werde ich nur von Seth und seinen Nach- 
kommen erzählen. Seth zeichnete sich, als er zu den 
Jahren der Unterscheidung gekommen war, durch tugend- 
haftes Streben aus, und wie er selbst ein vortrefflicher 
Mann war, hinterliess er auch ebensolche Söhne. Sie 
alle lebten einträchtigen Gemütes und glücklich in 
einem und demselben Lande, ohne dass sie während ihres 
ganzen Lebens ein Unheil traf. Sie erfanden die Stern- 
kunde, und damit ihre Erfindungen nicht verloren gingen 
und vernichtet würden, ehe sie zu allgemeiner Kenntnis 
gelangten (denn Adam hatte den Untergang aller Dinge 
teils durch Feuer, teils durch heftige Überschwemmungen 
vorhergesagt), so errichteten sie zwei Säulen, die eine 
aus Ziegeln, die andere aus Stein, und schrieben das 
von ihnen Erfundene auf beiden ein, damit, wenn die 
Säule aus Ziegeln durch Wasserflut vernichtet werden 
sollte, die steinerne wenigstens noch erhalten bleibe und 




Erstes Buch, 3. Kapitel. 


25 


den Menschen ihre astronomischen Inschriften und zu- 
gleich auch die Thatsache kundthun könne, dass ausser 
ihr auch eine Ziegelsäule errichtet worden sei. Die 
steinerne Säule steht übrigens noch heute in Syrien. 


Drittes Kapitel. 

Von der Sintflut, und wie Noe mit seiner Familie in der Arche 
gerettet wurde und dann in der Ebene Sennaar wohnte. 

1. In diesem Zustande blieben die Nachkommen 
Seths sieben Geschlechter hindurch, verehrten Gott als 
den Herrn des Weltalls und lebten tugendhaft. Im 
Laufe der Zeit aber wandten sie sich von den Ge- 
bräuchen der Väter ab und dem Bösen zu, versagten 
Gott die schuldige Verehrung und übten Ungerechtig- 
keit gegen die Menschen. Und wie sie früher tugend- 
haften Wandel gepflegt, so warfen sie sich jetzt mit 
doppeltem Eifer auf Schlechtigkeit, wodurch sie Gottes 
Feindschaft sich zuzogen. Denn es verkehrten viele 
Engel Gottes mit Weibern und erzeugten ruchlose 
Söhne, die im Vertrauen auf ihre Kraft alles Gute ver- 
achteten und gleich den Giganten der Griechen in 
Frevelthaten sich auszeichneten. Noe, über ihr Treiben 
entrüstet, riet ihnen eindringlich zur Umkehr. Da er 
aber sah, dass sie ihm nicht gehorchten und ganz in 
Laster versunken waren, fürchtete er, mit Weib und 
Kind von ihnen getötet zu werden, und verliess deshalb 
das Land. 

2. Gott aber liebte den Noe wegen seiner Gerechtigkeit; 
jene anderen hingegen verdammte er nicht allein um 
ihrer Bosheit willen, sondern er beschloss auch, das 
ganze Menschengeschlecht zu vertilgen und ein anderes, 
sündenreines an seine Stelle zu setzen. Vorher noch 
kürzte er die Lebenszeit ab, die sich nicht mehr über 
hundertundzwanzig Jahre ausdehnen sollte. Dann 
überschwemmte er das feste Land mit Wasser, das 
alle Menschen zu Grunde richtete. Noe allein wurde 



26 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


gerettet, da Gott selbst ihm Mittel und Wege dazu 
offenbarte. Noe erbaute nämlich eine Arche mit vier 
Abteilungen, dreihundert Ellen lang, fünfzig Ellen breit 
und dreissig Ellen hoch. In diese ging er mit seinem 
Weibe, seinen Söhnen und deren Weibern und nahm 
das zum Lebensunterhalt Notwendige mit, ferner von 
allen Tieren je sieben Paare, damit sie nicht ausstürben. 
Die Arche aber hatte starke Wände und Fugen und 
ein kräftiges Dach, sodass sie dem Anprall der Wogen 
wohl widerstehen konnte. So wurde Noe mit den 
Seinigen errettet. Er war der zehnte von Adam an als 
Sohn des Lamech, dessen Vater Mathusala war. Dieser 
aber stammte von An och ab, dem Sohne des Jared. Des 
letztem Vater war Maluel, der nebst mehreren Schwestern 
von Kainas abstammte, dem Sohne des Enos. Enos 
aber war ein Sohn des Seth, welcher den Adam zum 
Vater hatte. 

3. Die Überschwemmung ereignete sich im sechs- 
hundertsten Lebensjahre Noes, im zweiten Monat, der 
von den Mazedoniern Dios, von den Hebräern aber 
Marsuane genannt wird; denn so wurde in Ägypten das 
Jahr eingeteilt. Moyses aber setzte für die Einrichtung 
der Festtage als ersten Monat den Nisan oder Xanthikos 
fest, weil er in diesem die Hebräer aus Ägypten geführt 
hatte. Auch bei allem auf den Gottesdienst Bezüglichen 
nahm er diesen Monat als Ausgangspunkt, wogegen er 
für Käufe und Verkäufe sowie die übrigen Einrichtungen 
die frühere Ordnung beibehielt. Nach Moyses begann 
die Überflutung am siebenundzwanzigsten des vor- 
genannten Monats. Von Adam an aber war eine Zeit 
von zweitausendsechshundertsechsundfünfzig Jahren ver- 
flossen; diese Zeit ist in den heiligen Büchern vermerkt, 
da man damals überhaupt sehr sorgfältig den Anfang 
und das Ende des Lebens berühmter Männer zu ver- 
zeichnen pflegte. 

4. Dem Adam nämlich wurde Seth geboren, als er 
zweihundertunddreissig Jahre alt war, und Adam lebte 
im ganzen neunhundertunddreissig Jahre. Seth aber 




Erstes Buch, 3. Kapitel. 


27 


zeugte im Alter von zweihundertundfunf Jahren den 
Enos, der, neunhundertundzwölf Jahre alt, seinem Sohne 
Kainas die Verwaltung übergab, den er in seinem 
hundertundneunzigsten Jahre gezeugt hatte. Enos aber 
lebte neunhundertundfünfzig Jahre und Kainas neun- 
hundertundzehn Jahre, nachdem ihm in seinem hundert- 
undsiebzigsten Lebensjahre Maluel geboren worden war. 
Maluel wurde achthundertfünfundneunzig Jahre alt 
und hinterliess den Jared, den er in seinem einhundert- 
fünfundsechzigsten Lebensjahre zeugte. Diesem folgte, 
als er neunhundertzweiundsechzig Jahre gelebt hatte, 
sein Sohn Anoch, geboren im einhundertzweiundsech- 
zigsten Lebensjahre seines Vaters. Anoch aber ging in 
seinem dreihundertfünfundsechzigsten Lebensjahre zu 
Gott ab, weshalb man über das Ende seines Lebens 
nichts verzeichnet findet. Mathusala, der dem Anoch in 
seinem einhundertfünfundsechzigsten Jahre geboren 
wurde, erhielt den Lamech in seinem einhundertsieben- 
undachtzigsten Jahre und übergab diesem die Herrschaft, 
als er sie selbst neunhundertneunundsechzig Jahre inne- 
gehabt hatte. Lamech herrschte siebenhundertsieben- 
undsiebzig Jahre, und es folgte ihm dann sein Sohn 
Noe, den er in seinem einhundertzweiund achtzigsten Jahre 
erhielt. Noe aber herrschte neunhundertfünzig Jahre. 
Alle diese Jahre zusammengenommen ergeben die oben 
genannte Summe. Niemand aber darf das Todesjahr 
dieser Männer erforschen wollen, denn ihr Leben er- 
streckte sich über Kinder und Kindeskinder hinaus, 
sondern man wolle bei der Zählung der Jahre nur 
darauf achten, wann sie geboren sind. 

5. Nachdem nun Gott die Menschen durch Zeichen 
gewarnt hatte, fing es an zu regnen, und es fiel an- 
haltend vierzig Tage lang so viel Wasser vom Himmel, 
dass dasselbe fünfzehn Ellen über der Erde stand. So 
fanden die meisten Menschen jeden Ausweg zur Rettung 
versperrt. Und erst hundertfünfzig Tage nach dem Auf- 
hören des Regens fing das W asser endlich am siebenten 
Tage des siebenten Monats an zu sinken. Als dann 




28 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


die Arche in Armenien auf dem Gipfel eines Berges 
stehen geblieben war, öffnete Noe dieselbe und schöpfte, 
da er einiges Land sah, daraus neue Hoffnung. Und 
da nach einigen Tagen das Wasser noch mehr gefallen 
war, liess er einen Raben fliegen. Denn er wünschte 
zu wissen, ob noch weiteres Land trocken geworden sei, 
damit er sich hinauswagen könne. Aber der Rabe 
kehrte, weil er noch alles vom Wasser bedeckt fand, zu 
Noe zurück. Dann liess Noe nach Verlauf von sieben 
Tagen eine Taube los, um den Zustand der Erde zu 
erforschen, und da diese mit schmutzigen Füssen und 
einem Ölzweige zurückkehrte, erkannte er, dass das 
Land vom Wasser frei sei. Und nachdem er dann noch 
sieben Tage gewartet, liess er die Tiere aus der Arche 
hinaus und folgte selbst mit den Seinen voll Dank 
gegen Gott. Diesen Ort nennen die Armenier Apo- 
baterion, das heisst „Ort des Ausganges,“ und man 
zeigt heute dort noch Reste der Arche. 

6. Der Sintflut und der Arche thun übrigens auch 
die Schriftsteller anderer Völker Erwähnung, so Berosus 
der Chaldäer, der ungefähr so von der Flut berichtet: 
„Es heisst, dass noch jetzt in Armenien auf dem 
Kordyäergebirge ein Teil jenes Fahrzeuges vorhanden 
sei, und dass manche Harz davon entnehmen, um sich 
desselben als Zaubermittels gegen drohende Übel zu 
bedienen.“ Ferner spricht davon Hieronymus der 
Ägyptier, der die Geschichte der Phoeniker geschrieben, 
ebenso Mnaseas und andere. Nikolaus von Damaskus 
sagt in seinem sechsundneunzigsten Buche also: „Ober- 
halb Minyas in Armenien liegt ein gewaltiger Berg, 
Baris genannt, auf den viele zur Zeit der grossen Flut 
geflohen sein sollen, wodurch sie gerettet wurden. Einer 
soll in einer Arche gefahren und auf dem Gipfel des 
Berges gelandet sein, und es sollen sich lange Zeit 
Überreste des Schiffsholzes dort erhalten haben. Viel- 
leicht ist das derselbe, von dem Moyses, der jüdische 
Gesetzgeber, berichtet hat.“ 

7. Noe aber besorgte, Gott möchte jedes Jahr zur 



Erstes Buch, 3. Kapitel. 


29 


Vertilgung der Menschen solche Wasserfluten schicken. 
Daher brachte er ein Brandopfer dar und flehte zu Gott, 
er möge die frühere Weltordnung wieder einführen und 
keine solche Flut, die allem Lebendigen den Untergang 
drohe, wieder zulassen, sondern er möge die Bösen be- 
strafen, der Guten aber sich erbarmen und sie vor so 
kläglichem Unheil bewahren. Denn diese seien noch 
unglücklicher als die Bösen, wenn sie nicht vor neuen 
Fluten sicher seien, einmal weil sie den Schrecken der 
früheren Überschwemmung erfahren hätten, dann aber 
auch, weil sie in der späteren Flut doch untergehen 
müssten. Er bat also Gott, sein Opfer mit gnädiger 
Huld anzunehmen und nicht wieder solchen Schrecken 
der Erde zu senden, damit sie dieselbe fleissig bebauen, 
Städte errichten und ein glückseliges Leben führen 
könnten. Auch möge er ihnen alles Gute, wie vor der 
Flut, wieder gewähren und ihnen, wie ihren Vorfahren, 
ein langes Leben verleihen. 

8. Als Noe diese Bitten ausgesprochen, verhiess ihm 
Gott deren Erfüllung, weil er ihn seiner Gerechtigkeit 
wegen liebte, indem er hinzufügte, nicht er habe die in 
der Flut Umgekommenen ins Verderben gestürzt, sondern 
sie hätten nur die Strafe für ihre Frevel erlitten. Denn 
er würde sie nicht ins Leben gerufen haben, wenn er 
sie später hätte zu Grunde richten wollen, da es besser sei, 
das Leben überhaupt nicht zu geben, als es später wieder 
zu vernichten. „Aber,“ sprach Gott, „weil sie mir durch 
ihre Sünden Bolche Schmach angethan, haben sie mich 
zu diesen Strafen herausgefordert. Übrigens will ich sie 
nicht mehr mit solcher Wucht züchtigen, um so mehr, 
da du für sie bittest. Darum, wenn ich wieder un- 
gewöhnliches Unwetter errege, braucht ihr der Regengüsse 
Gewalt nicht mehr zu fürchten, denn ich werde den Erdkreis 
nicht mehr überschwemmen. Ich befehle euch aber, euch 
der Vergiessung von Menschenblut zu enthalten und 
den Totschlag zu scheuen; wer aber solches thut, den 
sollt ihr bestrafen. Hingegen gestatte ich euch den 
Gebrauch aller Tiere zu eurem Vergnügen und nach 




30 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Belieben. Denn ich habe euch über alle Tiere gesetzt, 
die auf der Erde, im Wasser und in der Luft leben. 
Doch geniesset nicht mit dem Fleische zugleich das Blut, 
denn in ihm ist die Seele. Und zum Zeichen meiner 
Huld soll euch der Bogen dienen (das ist der Regen* 
bogen, denn dieser wird von den Juden für den [Streit-] 
Bogen Gottes gehalten).“ Nachdem Gott dies, verheissen 
und verkündet, verliess er den Noe. 

9. Noe nun lebte nach der Sintflut noch dreihundert- 
undfünfzig Jahre glücklich und starb dann im Alter 
von neunhundertundfünfzig Jahren. Niemand aber, der 
das heutige kurze Leben mit dem unserer Vorfahren 
vergleicht, möge die Berichte über dieselben für unwahr 
halten in dem Glauben, es müsse, da die Menschen jetzt 
nicht mehr so lange leben, auch ihnen kein so langes 
Leben beschieden gewesen sein. Denn jene Menschen 
waren Lieblinge Gottes, von ihm selbst direkt geschaffen, 
und sie bedienten sich auch einer zwecksmässigeren 
Nahrung. Übrigens gab ihnen Gott auch deshalb ein 
längeres Leben, damit sie eifriger die Tugend üben und 
ihre Erfindungen in der Sternkunde und Geometrie durch 
Gebrauch und Erfahrung mehr ausnützen könnten. Denn 
wenn sie nicht wenigstens sechshundert Jahro gelebt 
hätten, so hätten sie nichts Sicheres ermitteln können, 
da das sogenannte grosse Jahr aus so vielen Jahren 
besteht Ich beziehe mich ausserdem auf das Zeugnis 
griechischer und fremder Schriftsteller, so des ägyptischen 
Geschichtschreibers Manetho, des chaldaeischen Berosus, 
des Mochus, Hestiaeus und des Ägyptiers Hieronymus, 
die der Phoeniker Geschichte geschrieben haben und die 
mit mir überein stimmen. Hesiod, Hekataeus, Hellanikus, 
Akusilaus, Ephorus und Nikolaus berichten sogar, dass 
die Alten tausend Jahre gelebt hätten. Hierüber mag 
indessen jeder denkeu, wie es ihm gut scheint 




Erstes Buch, 4- Kapitel. 


31 


Viertes Kapitel. 

Vom babylonischen Turm und der Sprachenverwirrung. 

1. Noe hatte drei Söhne, Sem, Japheth und Ohamas, 
die hundert Jahre vor der grossen Flut geboren waren. 
Sie stiegen zuerst vom Gebirge in die Ebene hinab, 
beschlossen da zu wohnen und beredeten auch andere, 
di# aus Furcht vor der Flut die Ebenen mieden und 
ungern die Gebirge verliessen, ihnen vertrauensvoll zu 
folgen. Die Ebene, wo sie dieselben zuerst hinführten, 
heisst Sennaar. Obgleich nun Gott ihnen befahl, um 
der Vermehrung der Menschen willen sich in anderen 
Gegenden anzusiedeln, damit sie nicht unter einander in 
Streit gerieten und durch Bebauung grösserer Flächen 
reichere Ernten erzielten, gehorchten sie ihm in ihrem 
Unverstände nicht und gerieten ins Elend. Und als 
sich ihre Jugend sehr vermehrte, gab ihnen Gott wiederum 
den Rat, sie in Kolonien zu verpflanzen. Sie aber, im 
Glauben, den Genuss des Lebensglückes nicht Gottes 
Güte, sondern eigener Kraft zu verdanken, gehorchten 
Gott wiederum nicht. Ja, sie wähnten sogar, er wolle 
sie nur darum in andere Wohnsitze locken, um sie 
zerstreuen und leichter unterdrücken zu können. 

2. Zu dieser Verachtung und Verhöhnung Gottes 
verleitete sie Nebrod, der Enkel Chamas’, des Sohnes 
Noes, denn er war kühn, und seiner Hände Kraft gross. 
Dieser überredete sie zu dem Wahn, nicht von Gott komme 
ihr Glück, sondern ihre eigene Tüchtigkeit sei die Ursache 
ihres Wohlstandes. Und allmählich verkehrte er sein 
Benehmen in Tyrannei, weil er die Menschen um so eher 
von Gott abzuwenden gedachte, wenn sie der eigenen 
Kraft hartnäckig vertrauten. Er wolle, sagte er, sich an 
Gott rächen, falls er mit erneuter Flut die Erde bedränge, 
und er wolle einen Turm bauen, so hoch, dass die Wasser- 
flut ihn nicht übersteigen könne. So werde er für den 
Untergang seiner Vorfahren Vergeltung üben. 

3. Die Menge pflichtete den Absichten Nebrods bereit- 
willig bei, da sie es für Feigheit hielt, Gott noch zu 



32 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


gehorchen. Und so machten sie sich an die Erbauung 
des Turmes, der bei unverdrossener Arbeit und den vielen 
Arbeitskräften schnell in die Höhe wuchs. Da er aber 
sehr breit war, fiel seine Höhe minder auf. Gebaut wurde 
er au 3 Ziegeln, die mit heissem Harz zusammengekittet 
waren zum Schutze gegen das andrängende Wasser. 
Obgleich nun Gott ihr unsinniges Benehmen sah, wollte 
er sie doch nicht vertilgen, wiewohl sie durch Erinnerung 
an die Sintflut eigentlich auf bessere Gedanken hätten 
kommen müssen und also eine solche Strafe wohl ver- 
dienten, sondern er verwirrte ihre Sprache und entzweite 
sie so, dass der eine den anderen nicht verstehen konnte. 
Der Ort des Turmbaues aber wird wegen der Verwirrung 
der Sprache, die früher bei allen dieselbe war, Babylon 
genannt, denn auf Hebraeisch heisst Babel „Verwirrung." 
De6 Turmbaues und der Sprachen Verwirrung gedenkt auch 
Sibylla mit folgenden Worten: „Da alle Menschen eine 
und dieselbe Sprache redeten, begannen sie einen sehr 
hohen Turm zu bauen, als wollten sie auf ihm in den 
Himmel steigen. Die Götter aber erregten einen Sturm, 
der den Turm umstürzte, und gaben jedem eine besondere 
Sprache, woher die Stadt Babylon ihren Namen hat." 
Die Ebene Sennaar erwähnt Hestiaeus: „Die geretteten 
Priester kamen mit den Heiligtümern des Zeus Enyalios 
nach Sennaar in Babylonien." 


Fünftes Kapitel. 

Wie Noes Nachkommen über die ganze Erde hin 
sich Wohnsitze gründeten. 

Also zerstreuten sie sich der Verschiedenheit der 
Sprache halber. Die einen nahmen dieses Land in 
Besitz, die anderen jenes, wie Gott sie führte, so dass 
das ganze Festland, Binnenland sowohl wie Küste, von 
ihnen bevölkert wurde. Einige auch setzten auf Schiffen 
nach den Inseln über. Dabei behielten die Völker zum 
Teil die ihnen von ihren Gründern beigelegten Namen, 



Erstes Buch, 6. Kapitel. 


33 


zum Teil veränderten sie dieselben, zum Teil auch 
nahmen sie solche Namen an, die ihren Nachbarn 
geläufiger waren. Letzteres veranlassten besonders die 
Griechen, die, nachdem sie die Macht erlangt, ruhm- 
süchtig wie sie waren, anderen Völkern mit ihrer Staats- 
verfassung auch den Namen aufdrängten. 


Sechstes Kapitel. 

Wie die einzelnen Völker von ihren Gründern Namen 

erhielten. 

1. Noes Söhne hatten wieder Söhne, denen zu Ehren 
die Völker, sobald sie ein Land in Besitz genommen 
hatten, genannt wurden. Japheth, der Sohn Noes, hatte 
sieben Söhne, deren Landbesitz von den Bergen Taurus 
und Araanus in Asien bis zum Flusse* Tanais, in Europa 
bis nach Gadira reichte. Da diese Landstriche bis dahin 
unbewohnt waren, so gaben sie den dort sich nieder- 
lassenden Völkern ihre Namen. So hiessen die jetzigen 
Galater einst Gomarenser, da sie von Gomar stammten, 
und die jetzigen Skythen Magoger von ihrem Stamm- 
vater Magog. Von den anderen Söhnen Japheths, 
Jovanus und Mades, stammten ab: von letzterem die 
Madäer, die die Griechen Meder nennen, von ersterem 
die Ionier und Griechen. Den Thobelern, die heute 
Iberer genannt werden, gab Thobel den Namen, den 
Mosochenern, die jetzt Kappadozier heissen, Mosoch. 
Doch ist noch eine Spur des alten Namens erhalten, 
da ihre Stadt Mazaka an denselben erinnert Von 
ihrem Herrscher Thiras nannten sich die Thirer, die 
Thraker der Griechen. Das sind die von Japheth ab- 
stammenden Völkerschaften. 

Von den Söhnen des Gomar war Aschanaxes der 
Stammvater der Aschanaxer, die jetzt von den Griechen 
Rheginer genannt werden. Von Riphates stammten 
die Riphatäer, jetzt Paphlagoner, und von Thorgames 
die Thorgamäer, jetzt Phryger genannt. 

Josephus’ Jüdische Altertümer« 3 




34 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


Auch Jovanus hatte drei Söhne, Elysas, Stammvater 
der Elysäer, jetzigen Aeoler, Tharsus der Tharsenser, 
jetzigen Cilicier. Von letzterem hat ihre berühmte 
Hauptstadt Tarsus offenbar den Namen, wenn auch das 
Theta in Tau umgeändert ist. Chetimus endlich nahm 
die Insel Chetima, die heutige Cyprus, in Besitz, und es 
werden deshalb von den Hebräern alle Inseln und die 
meisten Küstenorte Chethim genannt. Zum Beweise 
dessen dient eine Stadt auf Cyprus, die zufällig ihren 
Namen noch bis heute bewahrt hat, denn sie heisst auf 
Griechisch Kition, was von Chetim nicht besonders ab- 
weicht. 

Übrigens möchte ich hier, bevor ich fortfahre, eine 
Bemerkung einschalten, die den Griechen vielleicht 
weniger bekannt ist. Die Namen sind nämlich zur Er- 
götzung der Leser von den Griechen ihrer zierlichen 
Sprache gemäss geändert worden, während die Unseren 
diese Formen nicht gebrauchen, vielmehr Form und 
Endung unverändert lassen. So heisst Noeos bei uns 
Noe, und es bleibt diese Form stets unverändert, 
i»» 2. Des Chamas Söhne nahmen das Land in Besitz,, 
welches sich von Syrien und den Bergen Amanus und 
Libanon bis ans Meer und den Ocean erstreckte. Doch 
sind deren Namen teils verloren gegangen, teils stark 
verändert und in andere verwandelt, sodass man sie 
schwerlich wiedererkennen kann, und nur wenige sind 
unversehrt erhalten. Von den vier Söhnen des Chamas 
hat die Zeit dem Chus nicht geschadet, denn noch jetzt 
werden die Aethioper, deren Herrscher er war, sowohl 
von sich selbst, als auch von allen Asiaten Chusäer ge- 
nannt. Auch die Mestr£er haben ihren Namen bewahrt, 
denn die Unseren nennen Aegypten Mestre und die 
Aegyptier Mesträer. Nach Libyen führte Phutes Kolo- 
nisten und nannte sie nach seinem Namen Phuter. Auch 
giebt es im Maurenlande einen Fluss dieses Namen s* 
den samt dem benachbarten Lande Phute auch viele 
griechische Geschichtschreiber erwähnen. Seinen jetzigen 
Namen hat Libyen von Libys, einem der Söhne des 



Erstes Buch, 6. Kapitel. 


35 


Mestraim; später werde ich die Ursache angeben, wes- 
halb es auch Afrika heisst. Chanaan endlich, der vierte 
Sohn des Chamas , bewohnte das jetzige Judaea und 
nannte es von sich Chananaea. Die Söhne des Chamas 
hatten wieder Söhne, und zwar hatte Chus deren sechs, 
von denen Sabas der Sabäer, Evilas der Eviläer (jetzt 
Gaetuler), Sabathes der Sabathener (griechisch Astabarer), 
Sabaktes der Sabaktener, Regmus endlich der Regmäer 
Stammvater war. Der letztere hatte zwei Söhne: 
Judadas, von dem die in West- Aethiopien wohnenden 
Judadäer, und Sabaeus, von dem die Sabäer abstammten. 
Nebrod, ebenfalls ein Sohn des Chus, blieb bei den 
Babyloniern und beherrschte diese, wie schon oben mit- 
geteilt wurde. Mestraim ferner hatte acht Söhne, die 
das Land von Gaza bis nach Aegypten in Besitz nahmen. 
Jedoch hat die Gegend nur den Namen des Philistin 
behalten, und die Griechen nennen einen Teil derselben 
Palaestina. Von den übrigen, Ludiim, Enemim, Labim 
(der allein Kolonisten nach Libyen führte und diesem 
Lande den Namen gab), Nedem, Phethrosim, Chesloem 
und Chephthorim, wissen wir ausser den Namen fast 
nichts. Denn im aethiopischen Kriege, von dem ich 
später erzählen werde, sind ihre Städte zerstört worden. 
Chanaan aber hatte folgende Söhne: Sidon, der eine 
Stadt seines Namens in Phoenizien erbaute, die auch die 
Griechen noch so nennen, Amathius, der Amathine be- 
wohnte, das noch heute steht und von seinen Bewohnern 
Amathe genannt wird, während die Mazedonier es nach 
einem der Nachfolger Alexanders Epiphania nennen, 
ferner Aradaeus, der die Insel Aradus bewohnte, und 
endlich Arukaeus, der die im Libanon gelegene Stadt 
Arke besass. Von den übrigen sieben ist ausser den 
Namen Chettaeus, Jebusaeus, Amorrhaeus, Gergesaeus, 
Eudaeus, Sinaeus, Samaraeus nichts in den heiligen 
Büchern zu finden, denn die Hebräer haben deren 
Städte zerstört. 

3. Als nun nach der Sintflut die Erde ihr früheres 
Aussehen wiedererlangt hatte, betrieb Noe den Ackerbau. 

3 * 




86 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


Auch pflanzte er Weinstöcke, las zur Zeit der Reife die 
Trauben, bereitete Wein und genoss davon, nachdem er 
vorher geopfert hatte. Da er aber berauscht wurde, fiel 
er in Schlaf und lag nackt und unwürdig da. Der 
jüngste Sohn, der ihn so sah, zeigte ihn spöttelnd seinen 
Brüdern; diese aber bedeckten des Vaters Scham. Als 
Noe das erfuhr, segnete er die anderen Söhne, die Nach- 
kommen des Chamas aber verfluchte er, obgleich er ihn 
selbst als nahen Blutsverwandten mit dem Fluche ver- 
schonte. Daher verfolgte die göttliche Rache Chanaans 
Nachkommen, wovon ich weiter unten noch reden 
werde. 

4. Sem, der dritte Sohn Noes, hatte fünf Söhne, die 
Asien bis zum Indischen Ocean vom Euphrat an be- 
wohnten. Elams Nachkommen waren die Elamäer, von 
denen die Perser stammen. Asuras aber erbaute die 
Stadt Ninus und unteijochte die Assyrier, die er nach 
seinem Namen nannte. Diese glänzten durch Kriegs- 
ruhm. Arphaxades gab denen, die jetzt Chaldäer 
heissen, den Namen. Von Aram stammen die Aramäer, 
von den Griechen Syrer genannt, von Lud die Luder, 
die jetzt Lyder heissen. Aram aber hatte wieder vier 
Söhne, von denen Usus Trachonitis und Damaskus 
gründete, welche zwischen Palaestina und Coelesyrien in 
der Mitte liegen. Ulus beherrschte Armenien, Gatherus 
die Baktrianer, Mesas die Mesanäer, in deren Land 
Spasini Charax liegt. Von Arphaxades stammte Sales, 
von diesem Heber, nach welchem die Juden anfangs 
Hebräer hiessen. Heber zeugte Juktas und Phalek. 
Letzterer hiess so, weil er zur Zeit der Verteilung der 
Wohnplätze geboren wurde, denn Phalek bedeutet bei 
den Hebräern „Verteilung.“ Juktas aber hatte folgende 
Söhne: Elmodad, Saleph, Azermoth, Eiraes, Edoram, 
Aezel, Deklas, Ebal, Abimael, Sabeus, Opheires, Evilates, 
Jobab. Diese wohnten bei dem indischen Flusse Ko- 
phene und in dem nahe dabei liegenden Arien. So viel 
von Sems Nachkommen. 

5. Ich komme jetzt zu den Hebräern. Von Phalek, 



Erstes Buch, 6. Kapitel. 


37 


dem Sohne Hebers, stammte Ragav, von diesem Serug, 
dessen Sohn Nachor, der Vater des Tharrus, war. Der 
letztere aber war der Vater Abrams, des zehnten nach 
Noe. Abram war im zweihundertzweiundneunzigsten 
Jahre nach der Sintflut geboren. Denn Tharrus zeugte 
in seinem siebzigsten Jahre den Abram, Nachor aber in 
seinem hundertzwanzigsten Jahre den Tharrus. Den 
Nachor wieder zeugte Serug in seinem hundertzweiund- 
dreissigsten Jahre, und Ragav erhielt den Serug, als er 
hundertdreissig Jahre alt war. In demselben Alter 
zeugte Phalek den Ragav, Heber aber, hundertvierund- 
dreissig Jahre alt, den Phalek, während Heber von 
Sales gezeugt wurde, als dieser hundertdreissig Jahre 
zählte. Den Sales zeugte Arphaxades in seinem hundert- 
fünf unddreissigsten Lebensjahre, und letzterer war zwölf 
Jahre nach der Sintflut geboren. Abram aber hatte 
zwei Brüder, Nachor und Aran. Letzterer hinterliess 
einen Sohn Lot sowie zwei Töchter, Sarra und Melcha, 
und starb zu Ur in Chaldaea, wo bis heute noch sein 
Grab gezeigt wird. Melcha nun wurde von Nachor, 
Sarra von Abram zum Weibe genommen. Da aber 
Tharrus sehr um Aran trauerte und deshalb des Aufent- 
haltes in Ghaldaea überdrüssig wurde, zogen sie alle zu- 
sammen nach Charra in Mesopotamien. Hier starb 
Tharrus und ward auch daselbst bestattet, nachdem er 
zweihundertfünf Jahre gelebt hatte. Allmählich nämlich 
verkürzte sich das Leben der Menschen mehr und mehr 
bis zur Geburt des Moyses. Von da an wurde dasselbe 
von Gott auf hundertzwanzig Jahre festgesetzt, welches 
Alter auch Moyses erreichte. Dem Naohor und der 
Melcha aber wurden acht Söhne geboren : Uxus, Bauxus, 
Kamuel, Chazad, Azav, Pheldas, Jadelphas und Bathuel. 
Das waren Nachors rechtmässige Söhne, denn Tabaeus, 
Gaamus, Tavaus und Machaus gebar ihm sein Kebsweib 
Ruma. Bathuel aber, einer von den rechtmässigen Söhnen, 
hatte eine Tochter Rebekka und einen Sohn Laban. 



88 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Siebentes Kapitel. 

Wie unser Stammvater Abram aus Chaldaea auszog 
und eine Zeitlang in Chananaea wohnte, welches jetzt 

Judaea heisst. 

1. Abram aber nahm seinen Neffen Lot, den Bruder 
seiner Gattin Sarra an Kindesstatt an, weil er wenig 
Hoffnung auf Nachkommenschaft hatte, und zog in 
seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahre auf Gottes Befehl 
aus Chaldaea nach Chananaea, das er selbst bewohnte 
und seinen Nachkommen hinterliess. Er besass einen 
scharfen Blick , grosse Überredungsgabe und selten 
irrende Urteilskraft, und da er auch tugendhaft war und 
im Ansehen eines weisen Mannes stand, beschloss er, 
die hergebrachten falschen Ansichten von Gott in 
richtige umzuwandeln. Daher erklärte er zunächst, dass 
es nur einen Gott gebe, den Schöpfer aller Dinge, und 
dass dieser alles, was zum Glücke diene, gewähre, 
während der Mensch aus eigener Kraft dies nicht er- 
langen könne. Das schloss er aus den Vorgängen auf 
dem Lande und dem Meere, an der Sonne und dem 
Monde, und aus den Veränderungen am Himmelsgewölbe. 
Denn, so sagte er, läge die Kraft in der Schöpfung 
selbst, so würde sie auch selbst für ihre Erhaltung 
sorgen. Dass dies aber nicht der Fall sei, liege auf der 
Hand. Deshalb trage sie auch nicht aus eigener Kraft 
zu unserem Nutzen bei, sondern sie sei abhängig von 
der Macht eines höheren Wesens, dem allein Dank und 
Ehre gebühre. Als nun darauf die Chaldäer und andere 
Bewohner Mesopotamiens den Aufruhr gegen ihn schürten, 
hielt er es für das beste, auszuwandern, und nahm mit 
Willen und Hilfe Gottes das Land Chananaea in Be- 
sitz. Dort angelangt, errichtete er einen Altar und 
opferte Gott. 

2. Auch Berosus erwähnt unsern Vater Abram, aller- 
dings ohne seinen Namen zu nennen, mit folgenden 
Worten: „Im zehnten Geschlechte nach der Sintflut gab 




Erstes Buch, 8. Kapitel. 


39 


es bei den Chaldäern einen gerechten und hervorragenden 
Mann, der in der Himmelskunde erfahren war.“ Heka- 
taeus aber gedenkt seiner nicht nur oberflächlich, 
sondern er hat ein ansehnliches Schriftstück über ihn 
hinterlassen. Nikolaus von Damaskus sagt im vierten 
Buche seiner Geschichte also: „Zu Damaskus regierte 
Abram, der mit einem Heere aus dem oberhalb Babylon 
gelegenen Lande der Chaldäer dorthin gekommen sein 
soll. Und nicht lange nachher wanderte er mit seinem 
Volke von dort wieder aus nach Chananaea, welches 
jetzt Judaea heisst und wo sich die Seinen stark ver- 
mehrten. Hiervon werde ich in einem anderen Buche 
erzählen.“ Abrams Name ist auch jetzt noch im Damas- 
zenerlande berühmt, und man zeigt dort ein Dorf, das 
nach ihm Abramsheim genannt wird. 


Achtes Kapitel. 

Wie Abram infolge einer Hungersnot in Chananaea nach 
Aegypten zog, dort eine Zeitlang sich aufhielt und dann 

zurückkehrte. 

1. Als aber eine Hungersnot über Chananaea 
hereingebrochen war und Abram von der Aegyptier 
Wohlstand hörte, begab er sich freudig dorthin, um von 
ihrem Überflüsse zu gemessen und die Meinung ihrer 
Priester über die Götter zti vernehmen. Wenn dieselben 
Besseres lehrten, wollte er ihnen folgen, andernfalls ver- 
suchen, sie eines besseren zu belehren. Da er nun auch 
die Sarra mitnahm und bei dem bekannten Hang der 
Aegyptier zu Ausschweifungen fürchtete, der König 
möchte ihn wegen der Schönheit seiner Gattin töten 
lassen, so erfand er die List, sich für ihren Bruder aus- 
zugeben und ermahnte Sarra, sich danach zu richten, da 
es in ihrem beiderseitigen Interesse liege. Als sie nun 
nach Aegypten gekommen, traf es sich, wie Abram ge- 
fürchtet; denn überallhin verbreitete sich der Ruf von 




40 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Sarras Schönheit Und so wurde der König Pharao, 
der, mit dem Gehörten nicht zufrieden, sie zu sehen 
heftig verlangte, von dem Wunsche erfüllt, sich ihrer zu 
bemächtigen. Gott aber vereitelte sein unreines Be- 
gehren, indem er pestartige Krankheit und Verwirrung 
über ihn verhängte. Und als er die Priester befragte, 
was er zur Abwendung des Unheils thun müsse, das 
Gott ihm geschickt, antworteten diese, er habe gegen 
die Gattin eines Fremdlings Gewalt brauchen wollen. 
Erschreckt hierüber erforschte er von Sarra, wer sie und 
ihr Begleiter seien, und da er den Sachverhalt vernahm, 
entschuldigte er sich bei Abram: er habe sie für seine 
Schwester, nicht für seine Gattin gehalten, und er habe 
nur seine Verwandtschaft gesucht, nicht ‘aber vorgehabt, 
ihr Unrecht zuzufügen. Dann beschenkte er ihn reich- 
lich und ermöglichte ihm den Umgang mit den ge- 
bildetsten Aegyptiern ; infolge davon verbreitete sich der 
Ruf seiner Tugend mehr und mehr. 

2. Da nämlich die Aegyptier verschiedene Gebräuche 
hatten, die sie sich gegenseitig verächtlich zu machen 
suchten, so hielt er mit den einzelnen Unterredungen 
ab, wies ihre Einwürfe zurück und zeigte, dass diese 
schal und gehaltlos seien. Deshalb wurde er von ihnen 
bewundert und für höchst weise gehalten, weil er mit 
scharfem Verstände und mächtiger Überzeugungsgabe 
ausgestattet sei. Er unterrichtete sie in der Arithmetik 
und der Sternkunde, Wissenschaften, die vor seiner An- 
kunft ihnen völlig fremd waren ; denn sie gelangten von 
den Chaldäern zu den Aegyptiern und von da zu den 
Griechen. 

3. Als nun Abram nach Chananaea zurückgekehrt 
war, teilte er das Land mit Lot, da unter ihren Hirten 
Streit wegen der Weideplätze entstanden war; dabei liess 
er dem Lot völlig freie Wahl. Er selbst nahm die von 
Lot verlassene Gegend nahe dem Gebirge ein und 
wohnte in der Stadt Chebron, die sieben Jahre älter ist 
als Tanis in Aegypten. Lot hingegen bewohnte die 
Ebene am Flusse Jordan nahe bei Sodom, welche 




Erstes Buch, 9- Kapitel. 


41 


damals noch gottesfürchtig war, jetzt aber infolge des 
göttlichen Zornes verschwunden ist Die Ursache hiervon 
werde ich an geeigneter Stelle darlegen. 


Neuntes Kapitel. 

Niederlage der Sodomiter im Kampf mit den Assyriern. 

Zur Zeit der Herrschaft der Assyrier in Asien blühte 
Sodom sehr; sein Reichtum vergrösserte sich mehr und 
mehr, und es wies eine zahlreiche Jugend auf. Die Sodo- 
miter wurden von fünf Königen beherrscht: Bailas, 
Barsas, Senabares, Symoborus und dem Könige der 
Balener, von denen jeder sein Gebiet hatte. Da über- 
zogen die Assyrier sie mit Krieg; mit einem in vier Ab- 
teilungen unter je einem Anführer geteilten Heere be- 
lagerten sie die Sodomiter, besiegten sie in einer Schlacht 
und legten den Königen Tribut auf. Nachdem die 
Sodomiter zwölf Jahre lang dienstbar gewesen waren 
und den auf erlegten Tribut entrichtet hatten, fielen sie 
ab, weshalb die Assyrier von neuem gegen sie zogen 
unter Führung des Amraphel, Ariuch, Chodollamor und 
Thadal. Diese plünderten ganz Syrien und rotteten das 
gewaltige Geschlecht aus. Dann kamen sie ins Land 
der Sodomiter und schlugen ihr Lager in einem „Harz- 
brunnen “ genannten Thale auf. Zu jener Zeit nämlich 
gab es dort viele Brunnen; doch jetzt befindet sich an 
der Stelle, wo einst Sodom stand, ein See, Asphaltsee 
genannt. Über diesen See werde ich noch weiter unten 
berichten. Als nun die Sodomiter mit den Assyriern in 
heisser Schlacht zusammen trafen, fielen eine Menge von 
ihnen, die übrigen aber wurden in die Gefangenschaft 
geführt, unter ihnen auch Lot, der den Sodomitem zu 
Hilfe geeilt war. 



42 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Zehntes Kapitel. 

Abram zieht gegen die Assyrier, bleibt Sieger und führt 
die gefangenen Sodomiter nebst der im Stich gelassenen 

Beute wieder zurück. 

1. Als Abram von ihrem Unglück hörte, beschloss 
er in Sorge um seinen Vetter Lot und voll Mitleid mit 
den Sodomitern, seinen Freunden und Nachbarn, diesen 
zu Hilfe zu kommen, und brach ungesäumt mit den 
Seinen auf. In der fünften Nacht ereilte er die Assyrier 
bei Danus, der. einen Quelle des Jordan, griff sie un- 
versehens an und tötete die einen in ihren Betten; die 
anderen, die noch nicht eingeschlafen waren und unfähig 
zum Kampfe umhertaumelten, schlug er in die Flucht. 
Dann verfolgte er sie und zwang sie am anderen Tage, 
sich in die Stadt Hoba im Damaszener-Gebiet zurück- 
zuziehen. Hierdurch bewies er, dass der Sieg nicht auf 
der Menge der Krieger, sondern auf ihrer Rüstigkeit und 
Tapferkeit beruhe. Denn mit dreihundertzwölf Mann 

4 der Seinen und mit drei Freunden hatte er ein so ge- 
waltiges Heer geschlagen. Und was von Feinden seiner 
Hand entgangen war, musste sich schmachbedeckt zu- 
rückziehen. 

2. Abram brachte nun die gefangenen Sodomiter 
und seinen Vetter Lot in Sicherheit und kehrte in 
Frieden heim. Und es kam ihm der König der Sodo- 
miter entgegen bis zu einem „Königsfeld" genannten Orte ; 
dort wurde er von Melchisedek, dem Könige von Solyma, 
empfangen. Melchisedek heisst der gerechte König, und 
das war er nach allgemeinem Urteil, weshalb er auch 
zum Priester Gottes bestellt wurde. Solyma ist das 
spätere Jerusalem. Dieser Melchisedek bewirtete die 
Krieger Abrams gebührend und gewährte ihnen alle 
Lebensbedürfnisse reichlich, und beim Mahle begann er 
den Abram zu loben und Gott zu danken , weil er die 
Feinde in seine Hand gegeben. Abram dagegen gab 
ihm von der Beute den Zehnten, den Melchisedek als 




Erstes Buch, 10. Kapitel. 


43 


Geschenk annahm. Als nun der König der Sodomiter 
den Abram hat, die Beute für sich zu behalten und ihm 
nur die befreiten Sodomiter auszuliefern, erklärte Abram, 
er könne diese Bedingung nicht annehmen; von der 
Beute wolle er nur das nehmen, was seine Leute zum 
Lebensunterhalt gebrauchten, wie auch ein Teil seinen 
befreundeten Mitkämpfern gebühre, nämlich dem Escholes, 
Enner und Mambres. 

3. Gott aber gefiel dieses tugendhafte Benehmen 
Abrams, und er versprach ihm Lohn für seine Ruhmes- 
thaten. Dieser aber meinte, wozu ihm der Lohn dienen 
solle, da er doch keine Nachkommen habe (bis dahin 
nämlich war er ohne Kinder). Da verhiess ihm Gott 
einen Sohn, und sein Geschlecht solle zahlreich werden 
wie die Sterne des Himmels. Und Abram brachte Gott 
ein Opfer nach seiner Vorschrift und nach folgender 
Weise: Er nahm ein dreijähriges Rind, eine dreijährige 
Ziege und einen dreijährigen Widder, auch eine Turtel- 
taube und eine andere Taube und zerteilte sie nach 
Vorschrift, doch die Vögel zerteilte er nicht. Als dann 
die Vögel, ehe der Altar errichtet war, nach dem Blute 
lüstern umherflogen, erscholl Gottes Stimme, die ver- 
kündete, seine Nachkommen würden vierhundert Jahre 
lang in Aegypten böse Nachbarn haben; dann aber 
würden sie nach schweren Leiden ihre Feinde über- 
winden , ausziehen und nach Besiegung der Chananäer 
deren Land und Städte in Besitz nehmen. 

4. Abram aber wohnte damals bei einer Eiche, die 
Ogyges genannt wurde; dieser Ort liegt in Chananaea, 
nicht weit von Chebron. Und da er darüber betrübt 
war, dass seine Gattin ihm noch keine Nachkommen 
geboren, flehte er demütig zu Gott, ihm einen Sohn zu 
schenken. Gott aber ermahnte ihn, zu hoffen: wie er 
ihn aus Mesopotamien glücklich herausgeführt habe, 
so werde er ihm auch Kinder gewähren. Sarra führte 
ihm auf Geheiss Gottes eine ihrer Mägde, Agar, eine 
Aegyptierin, zu, damit er von ihr Kinder erhielte. Als 
aber die Magd schwanger geworden war, trachtete sie 



44 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


nach der Herrschaft und verachtete die Sarra, als ob 
auf ihr Kind die Herrschaft übergehen würde. Da nun 
Abram sie der Sarra zur Bestrafung übergab, sann Agar 
auf Fluchtgelegenheit und bat Gott, dass er sich ihrer 
erbarme. Und als sie in der Wüste umherirrte, be- 
gegnete ihr ein Engel Gottes und befahl ihr, zu ihrem 
Herrn zurückzukehren: sie würde besser dran sein, 
wenn sie sich bescheiden aufführe; in der jetzigen 
schlimmen Lage sei sie nur deshalb, weil sie undankbar 
und anmassend gegen ihre Herrin gehandelt habe. 
Wenn sie gegen Gottes Willen weiter wandere, werde 
sie untergehen; wenn sie aber zurückkehre, werde sie 
einen Sohn gebären , der später über jenes Land 
herrschen solle. Diesen Ermahnungen folgte sie, kehrte 
zu ihrer Herrschaft zurück und erhielt deren Ver- 
zeihung. Nicht lange danach gebar sie den Ismael, 
das heisst „von Gott erhört,“ weil Gott ihr Gebet erhört 
hatte. 

5. Ismael wurde dem Abram in seinem sechsundacht- 
zigsten Lebensjahre geboren, und als er neunzig Jahre 
alt geworden, erschien ihm Gott, verhiess ihm einen 
Sohn von der Sarra und befahl ihm, diesen Isak zu 
nennen. Von ihm würden grosse Völker und Könige 
abstammen, die ganz Chananaea von Sidon bis nach 
Aegypten erobern würden. Er gebot ihm aber, sein Ge- 
schlecht nicht mit anderen zu vermischen; deshalb solle 
am achten Tage nach der Geburt die Beschneidung 
vollzogen werden. Den Grund für unsere Beschneidung 
werde ich übrigens anderwärts anführen. Auch über 
seines Sohnes Ismael Zukunft befragte Abram Gott; 
dieser antwortete, er werde lange leben und der Vater 
grosser Völker sein. Und Abram dankte Gott und liess 
sich sogleich mit den Seinen, darunter auch Ismael, be- 
schneiden. Letzterer war damals dreizehn, Abram selbst 
neunundneunzig Jahre alt. 


Go gle 



Erstes Buch, 11. Kapitel. 


45 


Elftes Kapitel. 

Wie Gott die Sodomiter ausrottete im Zorn über ihre 

Frevelthaten. 

1. Um diese Zeit wurden die Sodomiter durch ihren 
Reichtum stolz, gewaltthätig und religionslos; sie ge- 
dachten der Wohlthaten Gottes nicht mehr, übten keine 
Gastfreundschaft und missbrauchten den vertraulichen 
Umgang. Darob erzürnte Gott und beschloss, sie zu 
strafen und nicht nur ihre Stadt zu zerstören, sondern 
auch ihr Land zu verwüsten, sodass es fürder keine 
Pflanzen noch Früchte hervorbringen solle. 

2. Als nun Gott dieses beschlossen, sah Abram, an 
der Thür seines Hauses in Mambre sitzend, drei Engel, 
und im Glauben, sie seien Fremdlinge, stand er auf, 
begrüsste sie und bat sie, seine Gastfreundschaft an- 
zunehmen. Jene sagten zu, und er liess sogleich Brot 
aus Weizenmehl bereiten, ein Kalb schlachten, zu- 
bereiten und ihnen unter einer Eiche das Mahl her- 
richten. Sie thaten nun, als ob sie speisten, und 
fragten auch , wo seine Gattin Sarra sei. Und da er 
antwortete, sie sei drinnen, erklärten sie, sie würden 
nach einiger Zeit wiederkehren und sie dann als Mutter 
vorfinden. Sarra aber lachte darüber und meinte, dass 
sie doch wohl keine Kinder mehr gebären könne, da sie 
selbst schon neunzig und ihr Mann hundert Jahre alt 
sei. Da verstellten sie sich nicht länger und bekannten, 
dass sie Engel Gottes seien ; einer von ihnen sei gesandt, 
um ihm den Sohn zu verkündigen, die beiden anderen, 
um die Sodomiter auszurotten. 

3. Als Abram dies hörte, betrübte er sich über die 
Sodomiter, stand auf und bat Gott, doch mit den Gott- 
losen nicht zugleich die Gerechten und Guten zu ver- 
derben. Gott aber erwiderte ihm, unter den Sodomitern 
sei kein Guter mehr; wenn aber nur zehn unter ihnen 
wären, wolle er ihnen die Strafe für ihre Sünden nach- 
lassen. Da schwieg Abram. Und die Engel kamen 



46 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


nach Sodom, wo Lot sie bat, bei ihm einzukehren, denn 
er zeichnete sich durch Gastfreundschaft aus und wett- 
eiferte mit Abram in freundlichem Wesen. Als nun die 
Sodomiter sahen, dass so schöne Jünglinge bei Lot ein- 
kehrten, wollten sie ihnen sogleich Schande und Gewalt 
anthun. Doch Lot beschwor sie, sich zu mässigen und 
die Fremdlinge nicht zu beleidigen, sondern die Gast- 
freundschaft heilig zu halten; wenn sie sich nicht be- 
zwingen könnten, wolle er lieber seine Töchter an Stelle 
der Fremdlinge ihrer Lust opfern. Doch auch damit 
waren sie nicht zu beruhigen. 

4. Gott aber, durch ihr lasterhaftes Unterfangen er- 
zürnt, schlug sie mit Blindheit, sodass sie den Eingang 
in das Haus nicht linden konnten, und er weihte alle 
Sodomiter dem Verderben. Lot, dem Gott den Unter- 
gang der Sodomiter verkündete, entfernte sich mit seinem 
Weibe und seinen Töchtern, die beide noch Jungfrauen 
waren; denn ihre Verlobten verschmähten es, mitzugehen, 
indem sie Lots Mahnungen Thorheiten nannten. Da 
warf Gott Feuer in die Stadt und verbrannte sie mit 
den Einwohnern; auch das Land ringsum zerstörte er 
durch Feuer, wie ich es in der Geschichte des Jüdischen 
Krieges schon erzählt habe. Übrigens wurde Lots Weib, 
die beim Abzug nach der Stadt zurückblickte und ihren 
Untergang allzu neugierig anschaute, obgleich Gott dies 
ausdrücklich verboten hatte, in eine Salzsäule verwandelt. 
Diese Säule habe ich selbst gesehen, denn sie steht noch 
da. Lot aber gelangte mit seinen Töchtern an einen 
kleinen Ort, der vom Feuer verschont geblieben. Dieser 
Ort heisst noch jetzt Zohor, was im Hebraeischen „klein“ 
heisst. Dort lebte er eine Zeitlang, getrennt von den 
Menschen, kümmerlich und elend. 

5. Die Jungfrauen aber verkehrten in der Meinung, 
das ganze Menschengeschlecht sei vertilgt, mit ihrem 
Vater, ohne dass er etwas davon gewahrte, und zwar 
um dasselbe vor dem Untergang zu bewahren. Und so 
gebaren sie Söhne, die ältere den Moab, das heisst „vom 
Vater,“ die jüngere den Amman, das heisst „Sohn des 



Erstes Buch, 12. Kapitel. 


47 


Volkes.“ Von Moab stammen die Moabiter, die noch 
jetzt ein grosses Volk bilden, von Amman die Amma- 
niter; beide Völker bewohnen Coelesyrien. So ist Lot 
von den Sodomitern weggezogen. 


Zwölftes Kapitel. 

Von Abimelech ; ferner von Ismael , dem Sohne Abrams, 
und seinen Nachkommen, den Arabern. 

1. Abram aber wanderte nach Gerara, einer Stadt 
Palaestinas, indem er die Sarra für seine Schwester aus- 
gab, und zwar aus Furcht, wie er dies auch früher ge- 
than. Er fürchtete nämlich den Abimelech, den König 
der Bewohner dieses Ortes, der die Sarra liebte und vor 
Begierde brannte, sie zu schänden. Gott aber unter- 
drückte dieses schändliche Verlangen, indem er ihm 
eine schwere Krankheit schickte. Und da die Ärzte 
ihn schon aufgegeben hatten, wurde er durch ein Traum- 
gesicht ermahnt, dem Weibe des Fremdlings kein Un- 
recht zuzufügen. Als er sich nun besser fühlte, zeigte • 
er seinen Freunden an, dass Gott ihm diese Krankheit 
gesandt habe, um ihn vor der Verletzung des Gastrechts 
zu bewahren, denn das Weib sei nicht die Schwester 
des Fremdlings, sondern seine Gattin; und es sei ihm 
verheissen worden, er werde in Gottes Huld stehen, 
wenn er jenen von der Sorge um sein W eib befreie. Er 
beschied dann den Abram auf den Bat seiner Freunde 
zu sich und hiess ihn keine Besorgnis um Sarra haben, 
denn sie werde unbehelligt bleiben und unter Gottes 
Schutz ohne Unbill ihm wieder zugeführt werden. Bei 
Gott und dem reinen Gewissen des Weibes aber be- 
schwur er, er würde sie nie begehrt haben, wenn er 
gewusst, dass sie verheiratet gewesen sei; da er sie aber 
für seine Schwester gehalten habe, glaube er nichts Un- 
rechtes gethan zu haben. Abram möge ihm wohlgesinnt 
bleiben und Gottes Gnade für ihn erbitten. Wolle er 
nun bei ihm bleiben, so solle es ihm an nichts fehlen. 



48 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


wolle er aber wegziehen, so werde er ihn sicher geleiten 
lassen und ihn mit allem versehen, dessen er bedürfe. 
Darauf entgegn ete Abram: Was er über die Verwandt- 
schaft mit seinem Weibe gesagt, sei keineswegs erlogen, 
denn sie sei seines Bruders Tochter, und ohne diese 
Täuschung sei ihm die Wanderung zu unsicher er- 
schienen. Und wie er nicht die Krankheit des Königs 
verschuldet habe, so wolle er sich auch ferner dessen 
Wohlergehen angelegen sein lassen und gern bei ihm 
bleiben. Abimelech gab ihm darauf einen Teil seines 
Landes und Vermögens, und sie beschlossen, arglos mit- 
einander zu leben, was sie durch Schwur bei einem 
Brunnen bekräftigten, der Bersuba hiess. Wir können 
das mit „Brunnen des Bündnisses“ übersetzen. Diesen 
Namen hat der Brunnen noch heute. 

2. Nicht lange nachher gebar Sarra dem Abram 
einen Sohn, wie Gott verheissen hatte, und er nannte 
ihn Isak, das heisst „Gelächter,“ weil Sarra gelacht 
hatte, als Gott ihr den Sohn versprach, den sie in so 
hohem Alter nicht mehr erwartete. Am achten Tage 

■ wurde der Knabe sogleich beschnitten. Diesen Tag 
beobachten auch jetzt noch die Juden bei der Be- 
schneidung ihrer Kinder, die Araber aber thun es im 
dreizehnten Jahre, weil ihr Stammvater Ismael, der von 
dem Kebsweibe Abrams geboren wurde, in diesem Alter 
beschnitten worden ist. Davon will ich jetzt Näheres 
mitteilen. 

3. Sarra liebte anfangs den Ismael, den Sohn der 
Agar, mit derselben Zuneigung, als ob er ihr eigener 
Sohn gewesen sei. Als sie aber den Isak geboren, hielt 
sie es nicht für gut, den Ismael mit ihm zusammen zu 
erziehen, da dieser als der ältere nach dem Tode des 
Vaters ihm leicht Unrecht zufügen könne. Sie über- 
redete also den Abram, ihn mit seiner Mutter wegzu- 
bringen. Abram ging hierauf zunächst nicht gern ein, 
weil er es für hart hielt, den noch nicht erwachsenen 
Knaben und das aller Mittel bare Weib von sich zu 
stossen. Später jedoch, da auch Gott den Plan der 




Erstes Buch, 13. Kapitel. 


49 


Sarra billigte, übergab er das Kind, das den Weg noch 
nicht allein machen konnte, seiner Mutter, und hiess sie 
mit einem Wasserkrug und Brot gehen, wohin die Not 
✓sie treiben würde. Als ihr nun auf der Heise der 
Mundvorrat auszugehen begann , wurde sie besorgt 
und ängstlich. «Und da nun auch fast kein Wasser 
mehr vorhanden war, setzte sie den Knaben unter einen 
Tannenbaum und entfernte sich, damit er nicht in ihrer 
■Gegenwart seinen Geist aufgebe. Da kam ihr ein Engel 
Gottes entgegen und zeigte ihr eine nahe Quelle, indem 
er ihr befahl, den Knaben sorgsam zu pflegen, denn 
mit Ismaels Wohlergehen hänge ihr eigenes Glück zu- 
sammen. Darauf fasste sie wieder Mut, zumal sie bald 
Hirten traf, durch deren Sorgfalt und Güte sie aus 
ihrem Elend gerettet wurde. 

4. Als nun der Knabe erwachsen war, erhielt er 
•ein Weib aus Aegypten (woher auch seine Mutter 
stammte), die ihm zwölf Söhne gebar: Nabaioth, Kedar, 
Abdeel, Massam, Idumas, Masmas, Masses, Chodad,. 
Theman, Jetur, Naphaesus, Kedraas. Diese bewohnten 
•das ganze Land vom Euphrat bis zum Roten Meere, 
welches man Nabatena nennt. Sie haben dem Volk 
und den Stämmen der Araber ihre Namen gegeben, 
mit Rücksicht auf ihre eigene Tüchtigkeit sowohl als 
auf die Würde Abrams. 


Dreizehntes Kapitel. 

Von Isak, dem rechtmässigen Sohne Abrams. 

1. Isak wurde von seinem Vater über die Massen 
geliebt, sowohl weil er sein einziger (rechtmässiger) Sohn 
war, als auch weil er ihm von Gott an der Schwelle 
seines Alters geschenkt worden war. Diese Zuneigung 
und Liebe seiner Eltern vermehrte der Knabe selbst 
noch durch Übung jeglicher Tugend, Gehorsam gegen 
die Eltern und innige Gottesverehrung. Abram erblickte 
sein Glück darin, bei seinem Tode den Sohn sorgenfrei 

Josephus’ Jüdische Altertümer. ( 4 



50 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


— ^ 

zurücklas8en zu können, was ihm auch durch Gotte» 
Willen zu teil wurde. Gott aber wollte die Ergebenheit 
Abrams noch auf die Probe stellen; daher erschien er 
ihm, zählte ihm alle Wohlthaten auf, die er ihm er- 
wiesen, hielt ihm vor, wie er die Feinde in seine Hand, 
gegeben, wie seine Güte ihm zu seinem Glück den 
Sohn Isak geschenkt, und forderte von ihm, dass er 
ihm den Isak opfern solle. Und er befahl, ihn auf 
den Berg Moria zu führen, dort einen Altar zu errichten 
und den Isak als Brandopfer darzubringen. Denn so 
werde er seine Frömmigkeit beweisen können, wenn er 
das, was Gott angenehm und wohlgefällig sei, der Wohl- 
fahrt seines Sohnes vorziehe. 

2. Abram aber hielt es für Unrecht, Gott in irgend 
einer Sache ungehorsam zu sein, da man ihm vielmehr 
in jeder Beziehung als dem Geber des Lebens willfahren 
müsse. Doch verhehlte er der Gattin Gottes Befehl 
und dass er selbst seinen Sohn schlachten wolle. Ja 
nicht einmal einem seiner Knechte gab er sein Vor- 
haben kund, damit er nicht am Opferdienste gehindert 
würde, und so nahm er den Isak und zwei Knechte 
nebst einem Esel, der das zum Opfer Nötige trug,* und 
ging auf den Berg zu. Zwei Tage begleiteten ihn die 
Knechte, am dritten Tage aber, als er den Berg erblickte, 
liess er seine Begleitung in der Ebene zurück und kam 
mit dem Knaben allein auf den Berg, wo später der 
König David einen Tempel erbaute. Sie trugen aber 
alles, was zum Opfer gehörte, mit Ausnahme des Opfer- 
tieres. Als nun Isak, der fünfundzwanzig Jahre zählte, 
den Altar herrichtete und zugleich frug, was Abram 
denn opfern wolle, da doch kein Opfertier da sei, sagte 
dieser, ,Gott werde es ihnen gewähren, der den 
Menschen spenden könne, was ihnen fehle, und nehmen 
könne, was sie besässen, wenn sie auf ihn ihr Vertrauen 
setzten. Er werde ihnen also auch ein Opfertier geben, 
wenn er an seinem Opfer Gefallen habe. 

3. Nachdem nun der Altar errichtet, das Holz darauf 
gelegt und alles vorbereitet war, redete Abram seinen 



Erstes Buch, 13. Kapitel. 


51 


Sohn also an: „O Sohn, mit tausend Bitten habe ich 
deine Geburt von Gott erfleht und dich mit grösster 
Sorgfalt erzogen, seif du in dieses Leben eingetreten bist, 
und ich kannte kein grösseres Glück, als dich in deiner 
Manneskraft zu erblicken und dich bei meinem Tode als 
Erben meiner Herrschaft zu hinterlassen. Aber weil ich 
durch Gottes Willen dein Vater geworden bin, und er 
jetzt von mir fordert, deiner zu entsagen, so ertrage 
starkmütig deine eigene Opferung. Denn ich trete dich 
an Gott ab, da er dies zu seiner Ehre verlangt und stets 
mein gnädiger Helfer und Beschützer gewesen ist. Wie 
du nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gemäss ge- 
boren wurdest, so sollst du auch aus dem Leben scheiden 
auf besondere Weise, nämlich von deinem eigenen Vater 
Gott, dem Erzeuger aller Dinge, zum Opfer gebracht 
werden. Hat er dich doch für wert gehalten, dass du 
nicht durch Krankheit, Krieg oder ein anderes Unglück, 
wie es den Menschen zuzustossen pflegt, aus diesem 
Leben scheidest, sondern dass er deine Seele unter Gebet 
und feierlichem Opfer aufnehme und bei sich unter- 
bringe. Du wirst deshalb doch der Pfleger und Hüter 
meines Alters sein, w r ozu ich dich vornehmlich erzog, 
indem du dut-ch dein Verdienst Gott an deine Stelle 
setzest." 

4. Isak aber, edelmütig, da er von einem solchen 
Vater abstammte, nahm die Rede gutwillig auf und 
sprach : Er wäre nicht wert geboren zu sein, wenn er nicht 
dem folgen würde, was Gott und sein Vater über ihn 
beschlossen hätten, da es doch schon unrecht sei, den 
Gehorsam zu versagen, wenn sein Vater allein befehlen 
würde. Darauf trat er zum Altäre hin, um sich schlachten 
zu lassen. Und sicher würde dies auch geschehen sein, 
wenn Gott es nicht verhindert hätte. Denn er rief Abram 
beim Kamen und hiess ihn von der Tötung seines Sohnes 
abstehen. Er sei nicht begierig nach Menschenblut und 
habe auch den Tod Isaks nicht verlangt, um ihn dem 
Vater, dem er selbst ihn geschenkt, so grausam wieder 
zu nehmen, sondern er habe ihn nur erproben wollen, 

4* 




52 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ob er ihm auch gehorchen könne, wenn so Schreckliches 
von ihm verlangt würde. Da er aber nun seine Bereit- 
willigkeit und Frömmigkeit gesehen habe, so möge er 
sich an dem erfreuen, was er ihm geschenkt habe. Er 
werde ihn nicht im Stiche lassen, zumal er ihn immer 
seiner Fürsorge für würdig gehalten habe. Sein Sohn 
werde ein hohes Alter erreichen, und nach einem glück- 
lichen Leben werde er seinen wohlgeratenen und recht- 
mässigen Kindern eine bedeutende Herrschaft hinter- 
lassen. Auch versprach er ihm, sein Geschlecht solle 
sich zu vielen und reichen Völkerschaften ausbilden, die 
ihrer Stammväter und Urheber zu Stilen Zeiten gedenken 
würden. Und seine Nachkommen würden das Land 
Chananaea rühmlich erobern und ihres Glückes wegen 
von allen anderen beneidet werden. Als Gott so ge- 
sprochen hatte, führte er ihnen plötzlich einen Widder 
zum Opfer zu. Jene aber, die sich wider Erwarten ein- 
ander wiedergegeben sahen und der Verheissung so 
grossen Glückes teilhaftig geworden waren, umarmten 
sich gegenseitig, schlachteten das Opfertier und kehrten 
zu Sarra zurück. Und sie lebten glücklich, da Gott 
ihnen in allen ihren Unternehmungen gnädig half. 


Vierzehntes Kapitel. 

Vom Tode der Sarra, der Gattin Abrams. 

Nicht lange danach starb Sarra im Alter von ein- 
hundertsiebenundzwanzig Jahren und wurde in Chebron 
begraben. Zwar wollten die Chananäer von ihrem Ge- 
meindeland einen Begräbnisplatz hergeben, doch nahm 
Abram dieses Anerbieten nicht an und kaufte um vier- 
hundert Sekel 1 ein Stück Land von einem gewissen 
Ephraim aus Chebron. Hier haben sich Abram und 
seine Nachkommen Grabdenkmäler errichtet 


1 1 Sekel = 3,16 Mk. ungefähr; übrigens von seh wankendem Werte. 



Erstes Buch, 15. Kapitel. 


53 


Fünfzehntes Kapitel. 

Wie von der dem Abram vermählten Chetura das 
Geschlecht der Troglodyten abstammte. 

Hierauf heiratete Abram die Chetura, Von welcher 
ihm sechs mit grosser Körperkraft und scharfem Ver- 
stände begabte Söhne geboren wurden : Zambran, Jazar, 
Madan, Madian, Josubak und Su. Diese hatten wieder 
Kinder. Von Su stammten Sabathan und Dadan. 
Letzterer erzeugte den Latusim, Assuris und Luom; 
Madian den Ephas, Ophren, Anoch, Ebidas und Eldas. 
Alle diese Söhne und Enkel führte Abram in Kolonien, 
und sie nahmen das Land Troglodytis und das glück- 
liche Arabien bis zum Roten Meere ein. Ophren soll 
einen Zug nach Libyen unternommen und dieses erobert 
haben; seine Nachkommen hätten dort Wohnsitze ge- 
gründet und das Land nach ihm Afrika genannt. Hier- 
für berufe ich mich auf das Zeugnis des Alexander 
Polyhistor, der also sagt: „Der Seher Kleodemus, auch 
Malchus genannt, der die jüdische Geschichte wie der 
jüdische Gesetzgeber Movies geschrieben hat, erzählt, 
Abram habe mit der Chetura mehrere Söhne gezeugt.“ 
Er nennt auch von dreien die Namen: Apher, Suris 
und Japhra. Von Suris habe Assyrien den Namen, von 
Apher und Japhra die Stadt Aphra und das Land 
Afrika. Diese seien auch dem Herkules in seinem 
Kriege gegen Libyen und Antaeus zu Hilfe gekommen, 
und Herkules habe des Aphra Tochter geheiratet und 
mit ihr den Didor gezeugt Von letzterem stamme 
Sophones ab, von dem dieSophaker unter den Barbaren 
den Namen haben. 


Sechzehntes Kapitel. 

Wie Isak die Rebekka heiratete. 

1. Als Isak etwa vierzig Jahre alt war, beschloss 
Abram, ihm die Rebekka, seines Bruders Nachor Enkelin, 
zum Weibe zu geben, und schickte als Brautwerber 



54 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


seinen ältesten Knecht ab, nachdem er ihn unter strengem 
Eide verpflichtet hatte. Das geschah so: Sie legten ein- 
ander die Hände auf die Oberschenkel und riefen Gott 
zum Zeugen ihrer zukünftigen Handlungen an. Auch 
gab er ihm Geschenke für seine dortigen Freunde mit, 
die daselbst selten oder gar nicht vorhanden waren und 
deshalb besonders geschätzt wurden. Der Knecht aber 
brauchte zur Reise eine lange Zeit, da der Weg durch 
Mesopotamien im Winter wegen des vielen Kotes, im 
Sommer wegen Mangels an Wasser beschwerlich war. 
Auch machten Strassenräuber, denen der Reisende nur 
bei äusserster Vorsicht entgehen konnte, die Gegend un- 
sicher. Endlich kam er aber zur Stadt Charra. In 
deren Weichbild traf er mehrere Jungfrauen, die Wasser 
holen gingen, und er bat Gott, er möge ihn die Rebekka 
(wegen deren Werbung ihn Abram gesandt hatte) unter 
den Mädchen finden lassen, wenn die Schliessung der 
Ehe ihm wohlgefällig sei. Er möge ihn dieselbe daran 
erkennen lassen, dass sie ihm auf seine Bitten einen 
Trunk gewähre, während die anderen ihm denselben ver- 
weigern würden. 

2. In dieser Absicht näherte er sich dem Brunnen 
und bat die Jungfrauen, sie möchten ihm zu trinken 
geben. Als diese ihm aber die Bitte abschlugen, da sie 
das Wasser selbst brauchten, um es nach Hause zu 
tragen (denn das Wasser war mühsam zu schöpfen), 
tadelte eine von ihnen sie wegen ihrer Unfreündlichkeit 
gegen den Fremdling und fragte sie, was sie denn ihren 
Mitmenschen eigentlich mitteilen wollten, wenn sie nicht 
einmal Wasser hergäben. Und sie erfüllte freundlich 
seinen Wunsch. Daraus schöpfte jener gute Hoffnung; 
um sie aber noch besser kennen zu lernen , lobte er ihr 
gütiges Benehmen und dass sie sich nicht weigere, mit 
eigener Mühe Durstigen behilflich zu sein. Dann er- 
kundigte er sich nach ihren Eltern, wünschte ihnen 
Glück zu einer solchen Tochter und dass sie dieselbe mit 
einem rechtschaffenen Manne verloben möchten, auf dass 
sie ihm eheliche Kinder gebäre. Die Jungfrau aber ver- 



Erstes Buch, 16. Kapitel. 


55 


weigerte ihm die Antwort nicht, sondern that ihm auf 
«ein Verlangen ihre Herkunft kund. „Ich heisse Rebekka,“ 
sagte sie; „mein Vater war Bathuel, doch ist er schon 
tot, und mein Bruder Laban verwaltet mit meiner 
Mutter das Hauswesen und beschützt meine Jungfrau- 
schaft.“ Darüber freute sich der Knecht und schloss 
daraus, dass Gott offenbar auf der Reise sein Beschützer 
gewesen. Dann zog er ein Halsband hervor und andere 
Zierraten , mit denen Jungfrauen sich zu schmücken 
pflegen, und bot sie ihr an als Belohnung für den Trunk 
und als Zeichen seiner Hochachtung; es sei billig, dass 
sie so belohnt werde, da sie so viele Mädchen an Güte 
übertreffe. Zugleich bat er, bei den Ihrigen einkehren 
2 U dürfen, da die Nacht ihn an der Weiterreise hindern 
würde; auch führe er weibliche Putzgegenstände von 
hohem Werte bei sich, die er nirgends sicherer unter- 
bringen könne als bei Leuten, wie sie sei. Er fügte 
hinzu, dass er wohl auf die Menschenfreundlichkeit und 
Zugänglichkeit ihrer Mutter und ihres Bruders aus ihrem 
•eigenen schicklichen Benehmen schliessen dürfe; auch 
werde er ihnen nicht lästig fallen, vielmehr für die Be- 
herbergung zahlen und auf seine eigenen Kosten leben. 
Das Mädchen dankte ihm für seine gute Meinung von 
der Freundlichkeit ihrer Angehörigen; diese seien aber 
nicht geizig, wie er meine, denn er werde alles unent- 
geltlich erhalten. Doch wolle sie ihrem Bruder Laban 
erst Mitteilung machen, und wenn dieser Zusage, wolle 
sie ihn einführen. 

3. Als dieses geschehen und er als Gast eingeführt 
war, nahmen Labans Knechte seine Kamele zur Be- 
sorgung; ihn selbst aber führte Laban zu Tische. Und 
nach der Mahlzeit sprach er also zu Laban und seiner 
Mutter: „Abram ist der Sohn des Tharrus und euer 
Verwandter; denn Nachor, o edle Frau, der Grossvater 
deiner Kinder, ist Abrams Bruder und hatte denselben 
Vater und dieselbe Mutter. Dieser Abram schickt mich 
hierher, um für seinen rechtmässigen Sohn, den einzigen 
Erben seiner Güter, die Hand dieser Jungfrau zu be- 



56 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


gehren. Wohl hätte er aus den Weibern jenes Landes 
ein sehr reiches auswählen können; doch wollte er das 
nicht, sondern aus Verehrung für sein eigenes Geschlecht 
wünscht er aus diesem ein Weib für seinen Sohn. Dieses 
sein Vorhaben bitte ich zu begünstigen, denn durch 
Gottes gnädige Fügung habe ich sowohl eine glückliche 
Reise zurückgelegt als auch dieses Mädchen und euer 
Haus gefunden. Als ich nämlich in die Nähe der Stadt 
gekommen, sah ich mehrere Jungfrauen zum Brunnen 
gehen. Da flehte ich zu Gott, dass ich diese hier , treffen 
möchte, was denn auch geschah. Daher wollet auch ihr 
diese von Gott beschlossene Ehe gutheissen und den 
Abram, der mich mit so grosser Sorgfalt hierher ge- 
schickt, durch Überlassung der Tochter ehren.“ Da ihnen - 
nun der Antrag ehrenvoll und angenehm erschien und 
sie den Willen Gottes erkannten, so schickten sie die 
Tochter unter den erbetenen Bedingungen mit. Und 
Isak heiratete 6ie und wurde Herr über alle Güter, denn 
die Kinder der Chetura waren in Kolonien gezogen. 


Siebzehntes Kapitel. 

Von Abrams Tod. 

Nicht lange darauf starb auch Abram, ein JMann, 
der an Tugenden jeglicher Art hervorragte, und den Gott 
seiner ausgezeichneten Frömmigkeit wegen ganz besonders 
liebte. Er lebte einhundertfünfundsiebzig Jahre und 
wurde von seinen Söhnen Isak und Ismael in Chebron 
neben seiner Gattin Sarra bestattet. 


Achtzehntes Kapitel. 

Von Isaks Söhnen Esau und Jakob, ihrer Geburt 
und Erziehung. 

1. Nach Abrams Tode wurde Isaks Weib von ihm 
schwanger, und da ihr Leib auffallend stark wurde, 
ängstigte sich Isak und befragte Gott deswegen. Dieser 



Erstes Buch, 18. Kapitel. 


57 


antwortete, Rebekka werde ihm Zwillinge gebären, von 
denen gleichnamige Völker abstammen würden; der 
Kleinere werde den Grösseren übertreffen. Und bald 
darauf erhielt er, wie Gott vorhergesagt, Zwillinge, von 
denen der ältere von Kopf bis zu Füssen über die 
Massen rauh behaart war, während der jüngere die Ferse 
des vor ihm Geborenen mit deF Hand festhielt. Der 
Vater aber liebte den älteren, der wegen seiner starken 
Behaarung Esau hiess, während der jüngere, Jakob, von 
der Mutter bevorzugt wurde. 

2. Als nun eine Hungersnot im Lande wütete, be- 
schloss Lsak nach Aegypten zu ziehen; Gott aber befahl 
ihm, sich nach Gerara zu begeben. Der König Abime- 
lech nahm ihn wegen der gastfreundlichen Beziehungen, 
in denen er zu Abram gestanden hatte, mit grossem 
Wohlwollen auf; später aber änderte er sein Benehmen 
aus Neid darüber, dass Gott dem lsak so überaus gnädig 
war, und vertrieb ihn. lsak zog darauf an einen Ort, 
der nicht weit von Gerara lag und „Thal“ hiess. Als er 
nun hier einen Brunnen grub, überfielen ihn Hirten, um 
ihn daran zu hindern. Er aber wollte sich nicht in 
einen Kampf einlassen und räumte das .Feld. Dann 
begab er sich weiter fort und grub einen anderen Brunnen ; 
da aber andere Hirten des Abimelech wieder auf ihn 
eindrangen, ging er auch von da weg, um sicher leben 
zu können. Als ihm darauf der König gestattete, ohne 
jede weitere Behelligung einen Brunnen zu graben, that 
er dies und nannte den Brunnen Rooboth, das heisst 
„weiter Raum.“ Von den früher gegrabenen Brunnen 
nannte er den einen Eskon, das heisst „Brunnen des 
Kampfes,“ und den anderen Sitenna, dass heisst „Brunnen 
der Feindschaft.“ 

3. In der Folgezeit wuchs Isaks Macht durch die 
Grösse seines Reichtums, und Abimelech fürchtete, dass 
sie ihm gefährlich werden könne. Denn da sie früher 
gegen einander argwöhnisch gewesen, und lsak in heim- 
licher Feindschaft von ihm weggezogen war, glaubte er 
nicht, dass die ehemalige Freundschaft ihm viel nützen 




58 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


werde. Deshalb wollte er diese wieder erneuern und ging 1 
in Begleitung des Phikol, eines seiner Feldherren, zu 
Isak. Und als er von der Güte Isaks, der wegen der 
alten Freundschaft gern, verzieh, alles, was er wünschte, 
erlangt hatte, kehrte er nach Hause zurück. 

4. Esau, dem der Vater sehr günstig war, heiratete 
in seinem vierzigsten Jahre die Ada, Tochter Helons, 
und die Alibama, Tochter Esebeons, zweier in Chananaea 
sehr mächtigen Männer, und zwar auf eigene Faust, ohne 
mit seinem Vater sich zu beratschlagen. Denn dieser 
würde die Verbindung nicht gutgeheissen haben, da er 
keine Verwandtschaft mit den Einwohnern jenes Landes 
schliessen wollte. Um aber seinem Sohne nicht zu nahe zu 
treten, widersetzte er sich der Heirat nicht und beschloss 
zu schweigen. 

5. Als nun Isak alt geworden und erblindet war, rief 
er den Esau zu sich, beklagte sein Alter und dass seine 
Blindheit ihn hindere, den Gottesdienst zu verrichten, 
und befahl ihm, auf die Jagd zu gehen und ihm von 
dem erlegten Wilde ein Mahl zu bereiten. Nachdem er 
dieses verspeist, wolle er zu Gott flehen, dass er seinem 
Sohne im ganzen Leben Helfer und Beschützer sein 
möge; denn es sei ungewiss, ob er nicht bald sterben 
müsse, und da wolle er nicht aus dem Leben scheiden, 
ohne ihm Gottes Gnade erfleht zu haben. 

6. Darauf eilte Esau zur Jagd. Rebekka aber, die 
es für billig hielt, dass Gottes Segen über Jakob erfleht 
würde, befahl diesem ohne Vorwissen Isaks, Böckchen 
zu schlachten und davon ein Mahl zu bereiten. Jakob 
gehorchte der Mutter, und als das Mahl fertig war, band 
er sich ein Bocksfell um den Arm, damit der Vater ihn 
wegen der zottigen Haut für den Esau halten sollte 
(denn dadurch allein unterschied er sich von dem 
Zwillingsbruder, dem er sonst in allem glich). Doch 
war er sehr in Sorge, der Vater möchte, bevor er den 
Segen gesprochen, die arge List merken und den Segen 
in Fluch verwandeln. Als Jakob nun das Mahl dem 
Vater vorgesetzt, rief dieser ihn zu sich, da er die eigen-. 



Erstes Buch, 18. Kapitel. 


59 


tümliche Stimme vernatita. Jakob aber streckte den mit 
Bocksfell überzogenen Arm vor, und da Isak ihn rauh- 
behaart fand, rief er aus: „An Stimme bist du dem 
Jakob ähnlich, aber deiner Behaarung nach scheinst du 
mir Esau zu sein." Und nichts Böses ahnend, rief er 
nach dem Mahle Gott an und sprach: „O Herr von 
Ewigkeit her und aller Dinge Schöpfer, du hast meinem 
Vater eine Menge Glücksgüter verheissen und auch mich 
meines jetzigen Wohlstandes gewürdigt. Meinen Nach- 
kommen hast du versprochen , dass du ihnen Beschützer 
und Spender alles Guten sein wollest; das wollest du 
feierlich bestätigen und mich nicht verachten um meiner 
jetzigen Schwäche willen, in der ich mehr als je deiner 
Hilfe bedarf. Erhalte mir gnädig diesen meinen Sohn, 
bewahre ihn vor allem Übel, verleihe ihm ein glück- 
seliges Leben und den Besitz alles Guten, das du ihm 
gewähren kannst. Lass ihn von seinen Feinden ge- 
fürchtet, von seinen Freunden aber geehrt und geliebt 
werden." 

7. So betete er zu Gott, wie er glaubte, für den Esau. 
Nauru hatte er geendet, als Esau von der Jagd ankam. 
Nun merkte Isak den Betrug, schwieg aber still. Esau 
aber verlangte, in gleicher Weise gesegnet zu werden 
wie sein Bruder. Dies verweigerte der Vater, weil er 
alle Bitten auf Jakob vereinigt hatte. Weil aber Esau 
sich wegen der Täuschung grämte, wurde Isak von seinen 
Thränen bewegt und verhiess ihm, dass er auf der Jagd 
und im Gebrauch der Waffen und in anderen Werken 
sich auszeichnen werde, und dieser Ruhm werde ihm und 
seinen Nachkommen immer verbleiben; dem Bruder aber 
müsse er unterthänig sein. 

8. Jakob fürchtete übrigens, Esau werde sich an ihm 
rächen , weil er ihn um den Segen gebracht, und darum 
entzog ihn die Mutter dieser Gefahr , indem sie den 
Gatten überredete, er möge dem Jakob ein mesopotami- 
sches Weib aus seiner Verwandtschaft zur Ehe geben. 
Denn auch Esau hatte die Basemmatha, die Tochter 
Ismaels, wider den Willen des Vaters geheiratet. Isak 




60 \ Josephus' Jüdische Altertümer. 

aber war gegen die Chananäer nicht wohlgesinnt und 
hatte es ungern gesehen, dass Esau in verwandtschaftliche 
Beziehungen zu ihnen getreten war, die Basemmatha ge- 
heiratet hatte und sie mit solcher Innigkeit liebte. 


Neunzehntes Kapitel. 

Jakob flieht aus Furcht vor seinem Bruder nach 

Mesopotamien. 

1. Jakob wurde also von seiner Mutter nach Meso- 
potamien gesandt, um dort die Tochter seines Oheim» 
Laban zu heiraten, nachdem Isak seinem Weibe zu Ge- 
fallen seine Einwilligung gegeben hatte. Er zog durch 
Chananaea, wollte aber aus Hass gegen die Einwohner 
bei keinem derselben einkehren, sondern übernachtete 
unter freiem Himmel und ruhte mit dem Kopfe auf 
zusammengehäuften Steinen. Da sah er im Schlafe vor 
sich eine Erscheinung. Er wähnte eine Leiter zu sehen, 
die von der Erde bis zum Himmel reichte; auf derselben 
stiegen Wesen herab, die über menschliche Natur er- 
haben waren. Über der Leiter sah er deutlich Gott 
selbst, der ihn mit Namen rief und also sprach: „Jakob, 
da du einen so guten Vater hast, und dein Grossvater 
hervorragend in der Tugend war, sollst du dich um das 
Gegenwärtige nicht bekümmern , sondern Besseres er- 
hoffen. Denn unter meinem Schutz wird dir die Fülle 
des Guten zu teil werden. Auch Abram habe ich aus 
Mesopotamien hierhergeführt, da er von seinen Ver- 
wandten vertrieben war; deinen Vater habe ich glück- 
lich gemacht, und auch dein Los wird kein schlechteres 
sein. Darum ziehe nur gutes Mutes weiter und vertraue 
meiner Führung. Die Heirat, die du vorhast, wird glück- 
lich sich vollziehen, und du wirst gute Kinder erhalten. 
Die Menge deiner Nachkommen aber wird unzählig sein, 
und dein Geschlecht wird wachsen; ich werde ihm die 
Herrschaft dieses Landes geben, und die Nachkommen 
werden das ganze Land bevölkern und das Meer, soweit 
die Sonne es bescheint. Fürchte also keinerlei Gefahr 



Erstes Buch, 19. Kapitel. 


61 


und scheue keine Mühe, denn bei all deinen Handlungen 
werde ich deine Vorsehung und dein Schutz sein, sowohl 
jetzt als in Zukunft.“ 

2. Solches verkündete Gott dem Jakob. Dieser aber 
goss in seiner Freude über das, was er gesehen und ge- 
hört, öl auf die Steine, weil er auf ihnen die Verheissung 
.so grossen Glückes erlangt hatte. Dann gelobte er, er 
werde hier Gott opfern, wenn er gesund zurückkehre; 
auch werde er Gott den Zehnten von allem, was er sich 
-erworben, darbringen. Den Ort aber ehrte er mit dem 
Namen Bethel, das heisst „Gottes Haus.“ 

3. Von da marschierte er dann rüstig weiter nach 
Mesopotamien und gelangte nach Charra. Und als er 
im Weichbilde der Stadt Hirten, Jünglinge und Jung- 
frauen traf, die am Brunnen sassen, trat er zu ihnen 
und bat um einen Trunk. Dabei fragte er sie, ob sie 
seinen Verwandten, einen gewissen Laban, kannten, und 
ob er noch am Leben sei. Jene erwiderten, sie kannten 
ihn alle sehr wohl; seine Tochter weide mit ihnen die 
Herde, und sie wunderten sich, dass sie noch nicht da 
sei. Von ihr werde er alles erfahren, was er zu wissen 
wünsche. Während sie sich nun unterhielten, kam das 
Rädchen mit den Hirten, die mit ihr weggegangen waren ; 
und sie zeigten ihr den Jakob mit dem Bemerken, der 
.Fremdling sei gekommen, sich nach ihrem Vater zu. er- 
kundigen. Da freute sie sich kindisch über Jakobs An- 
kunft, frug ihn, wer und woher er sei und was ihn hier- 
her führe, und erbot sich, ihm in allem behilflich zu sein. 

4. Jakob aber ward weniger durch seine Verwandt- 
schaft mit ihr und durch ihr freundliches Wesen, als 
-durch Liebe zu dem Mädchen gefesselt, da er ihre herr- 
liche Gestalt bewunderte, eine Gestalt, wie sie wenige 
Weiber besassen, und er sprach: „Mich verbindet mit 
■dir und deinem Vater, wenn du Labans Tochter bist, 
■ein Band, das älter ist als du und ich; denn Abram, 
Aran und Nachor waren des Tharrus Söhne, und dein 
Grossvater Bathuel war der Sohn Nachors, mein Vater 
Isak aber ist der Sohn des Abram und der Sarra, der 



62 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Tochter Arans. Und noch näher hat uns einander ein 
Verwandtschaftsband jüngerer Zeit gebracht, denn meine 
Mutter Rebekka ist die Schwester deines Vaters Laban 
und hat mit ihm denselben Vater und dieselbe Mutter. 
Wir sind somit Geschwisterkinder. Nun aber komme 
ich hierher, um euch zu begrüssen und die alte Ver- 
wandtschaft zu erneuern.“ Da erinnerte sie sich (wie 
Kinder gewöhnlich thun) alles dessen, was sie früher von 
ihrem Vater über Rebekka gehört hatte, und da sie 
wohl wusste, wie gern ihre Eltern den Namen derselben 
hörten, x umarmte sie den Jakob unter Thränen, be- 
grüsste ihn und sprach: „Du machst meinem Vater und 
meiner Familie eine sehr grosse Freude, denn er hat 
deine Mutter nicht vergessen » und spricht oft von ihr, 
und er wird dich deshalb aufs höchste schätzen.“ Als- 
dann hiess sie ihn auf dem Fusse ihr zum Vater folgen, 
damit diesem nicht länger das Vergnügen, ihn zu sehen, 
entzogen werde. 

5. Laban aber erkannte ihn sogleich, und da Jakob, 
sich hier unter Freunden keinen Zwang auferlegte, be- 
reitete er ihm durch seine unerwartete Ankunft grosse 
Freude. Als aber einige Tage verflossen waren, sagte 
Laban, er freue sich über Jakobs Anwesenheit mehr, ajs 
er mit Worten sagen könne; doch wolle er wissen, wes- 
halb er seine betagten Eltern verlassen habe, die doch 
seiner Hilfe sehr bedürften, und hierher gekommen sei. 
Alle seine Wünsche werde er nach Kräften zu erfüllen 
suchen. Darauf erklärte ihm Jakob alles und sagte, 
Isak habe Zwillingssöhne, ihn und den Esau. Dieser 
trachte ihm nach dem Leben, weil er ihn um den väter- 
lichen Segen gebracht, den er (Jakob) durch der Mutter 
List empfangen habe, wodurch er jenem die ihm von 
Gott bestimmte Herrschaft zugleich mit dem Glücke, 
das der Vater ihm von Gott erfleht, entrissen habe. Dies 
und der Befehl seiner Mutter seien die Ursachen seiner 
Ankunft. „Wir haben zwar,“ fügte er hinzu, „fast über- 
all Verwandte, doch zog die Mutter euch als die nächsten 
vor. Dir also vertraue ich mich in meiner jetzigen 



Erstes Buch, 1 9. Kapitel. 


63 


Lage nächst Gott, der auf der Reise mein Beschützer 
war, ganz besonders an.“ 

6. Laban versprach ihm darauf seiner Eltern wegen 
alle Freundschaft, zumal aus Gefälligkeit gegen seine 
Mutter, die er durch Sorgfalt um ihn besonders beweisen 
zu können glaube. Er wolle ihm die Oberaufsicht über 
seine Herden übertragen, . und wenn er heimzukehren 
wünsche, wolle er ihn mit Geschenken und Ehren, die 
eines so nahen Verwandten würdig seien, ziehen lassen. 
Jakob freute sich darüber und sagte, er wolle dableiben 
und gern jede von ihm verlangte Arbeit auf sich nehmen ; 
an Lohnes statt aber verlange er die Rachel zur Ehe, 
die er besonders deshalb hochachte, weil er durch sie 
Zutritt zu ihm gefunden (die Liebe zu dem Mädchen 
gab ihm diese Worte ein). Laban, hierüber erfreut, 
sagte ihm seine Tochter zu, da er sich keinen besseren 
Schwiegersohn wünschen könne. Doch könne die Hoch- 
zeit erst stattfinden, wenn er noch eine Zeitlang bei ihm 
bleiben werde ; denn er wolle seine Tochter nicht gern 
nach Chananaea schicken, da es ihn gereue, seine 
Schwester dorthin verheiratet zu haben. Hiermit war - 
Jakob auch zufrieden, und sie kamen auf sieben Jahre 
Dienstzeit überein ; in dieser Zeit werde Laban die 
Tüchtigkeit seines Schwiegersohnes erproben und be- 
urteilen können, was er für ein Mann sei. Und als die 
festgesetzte Zeit verstrichen war, liess er das Hochzeits- 
mahl herrichten. In der Nacht aber hiess er seine ältere 
Tochter, die nicht so schön wie Rachel war, sich zu 
Jakob legen, der davon nichts merkte, sondern, von 
Weinrausch und Dunkelheit getäuscht, ihr beiMrohnte. 
Als er nun am Morgen den Betrug merkte, warf er dem 
Laban seine Treulosigkeit vor. Dieser entschuldigte sich* 
er habe nur gezwungen so gehandelt; denn nicht aus 
bösem Willen , sondern aus einem wichtigen Grunde 
habe er ihm die Lia zugelegt. Doch werde deshalb 
seiner Heirat mit Rachel nichts im Wege stehen, viel- 
mehr werde er sie ihm nach weiteren sieben Jahren 
geben, wenn er sie liebe. Jakob willigte ein, da er die 



64 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Rachel wirklich sehr liebte und nicht anders handeln 
zu können glaubte. Und als nun noch sieben Jahre um 
waren, erhielt er die Rachel zur Ehe. 

7. Jeder Tochter hatte der Vater eine Magd zugeteilt, 
der Lia die Zelpha und der Rachel die Balla, doch 
nicht als Sklavinnen, sondern nur als Untergebene. Lia 
nun ärgerte sich über des Gemahls Liebe zu Rachel und 
erwartete mehr geehrt zu werden, wenn sie ihm Kinder 
gebäre, weshalb sie Got^ inständig darum bat. Und als 
sie einen Knaben geboren hatte, und ihr Gatte ihr des- 
halb mehr gewogen wurde, nannte sie den Sohn Rubel, 
weil sie ihn durch Gottes Barmherzigkeit erhalten hatte; 
denn das bezeichnet der Name. Später gebar sie noch 
drei Söhne: Simeon, das heisst „von Gott erhört,“ Levis, 
das heisst „Befestiger der Verbindung,“ und Judas, das 
heisst „Danksagung.“ Da nun Rachel besorgte, sie 
möchte bei der Fruchtbarkeit ihrer Schwester in der 
Gunst ihres Gatten sinken, legte sie dem Jakob ihre 
Dienerin Balla zu. Diese gebar einen Sohn Dan, das 
heisst „Gottes Gericht,“ später den Nephthalim, das 
• heisst „durch keine List zu bekämpfen,“ weil seine Mutter 
durch List ihrer Schwester Fruchtbarkeit wett zu machen 
gesucht hatte. Dieselbe List gebrauchte aber auch Lia, 
indem auch sie ihre Dienerin dem Gatten zulegte. Von 
der Zelpha aber wurde Gad geboren, das heisst „zufällig/ 4 
später Äser, das heisst „glückbringend,“ weil das Glück 
der Lia durch ihn sich vermehrt hatte. Als nun einst 
Rubel, der Lia ältester Sohn, seiner Mutter Mandragora- 
Äpfel brachte, bat Rachel um einen Teil davon, weil es sie 
nach der Speise gelüstete. Lia jedoch verweigerte dies, 
indem sie meinte, Rachel könne doch zufrieden damit 
sein, ihr die Liebe des Gatten entrissen zu haben. 
Rachel versprach aber, um die Schwester zu beschwich- 
tigen, sie wolle zugeben, dass ihr Mann sich in der 
nächsten Nacht zu Lia lege, was diese dankend annahm. 
Jakob wohnte also der Lia bei, und sie gebar ihm wieder 
Söhne, den Isachar, das heisst „zur Belohnung geboren,“ 
den Zabulon, das heisst „Pfand des Wohlwollens,“ und 



Erstes Buch, 19. Kapitel. 


65 


«ine Tochter Dina. Später gebar auch Bachei noch 
einen Sohn Joseph, das heisst „Zuwachs zukünftiger 
Sache.“ 

8. 'Während dieser ganzen Zeit, zwanzig Jahre lang, 
weidete und besorgte Jakob dem Schwiegervater die 
Herden. Nach Ablauf dieser Zeit aber begehrte er, mit 
seinen Weibern nach der Heimat zurückkehren zu 
dürfen, und da sein Schwiegervater dies verweigerte, be- 
schloss er, es heimlich zu thun. Nachdem er die 
Weiber um ihre Meinung gefragt, und diese die Reise 
gebilligt, nahm Rachel die Götzenbilder, die man von 
alters her verehrte, und floh mit ihrer Schwester, ihren 
beiderseitigen Kindern, den Dienerinnen nebst ihren 
Kindern und der gesamten Habe. Jakob aber trieb 
die Hälfte des Viehes weg, ohne dass Laban dies 
merkte. Die Götzenbilder aber nahm Rachel mit, ob- 
gleich Jakob sie gelehrt hatte, ihre Verehrung zu ver- 
schmähen; sie wollte nämlich, wenn ihr Vater ihnen nach- 
setzte und sie ergriffe, zu ihnen wenigstens ihre Zuflucht 
nehmen, um seine Verzeihung zu erlangen. 

9. Laban, der die Flucht Jakobs und seiner Töchter 
erst am dritten Tage nachher erfuhr, setzte ihnen voll 
Zorn mit einer starken Schar nach und erreichte sie am 
siebenten Tage, als sie sich auf einem Hügel zur Ruhe 
gelegt hatten ; doch enthielt er sich wegen des baldigen 
Anbruches der Nacht des Angriffes. Gott aber erschien 
ihm im Schlafe und ermahnte ihn , dem Schwiegersohn 
und den Töchtern versöhnlich entgegen zu treten und 
nicht im Zorne gegen sie hart zu verfahren; vielmehr 
solle er mit Jakob ein Bündnis schliessen, denn er 
(Gott) werde mit Jakob streiten, wenn Laban sich mit 
ihm in Geringschätzung seiner kleinen Streitmacht in 
einen Kampf einlassen wolle. Auf diese Vorstellungen 
Gottes lud Laban am folgenden Tage den Jakob zu 
einer Unterredung, indem er ihm Kunde von seinem 
Traume gab. Und da Jakob vertrauensvoll zu ihm 
kam, machte er ihm Vorwürfe und schalt ihn: arm und 
hilfsbedürftig habe er ihn aufgenommen und ihm von 

JoMphos’ Jüdische Altertümer. 5 




66 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


seinem Überfluss reichlich gespendet. „Meine Töchter,“ 
sagte er, „gab ich dir zur Ehe und hoffte durch diese 
Verbindung deine Freundschaft mit mir zu befestigen» 
Du aber nahmst weder auf deine Mutter, noch auf 
unsere Verwandtschaft, noch auf deine Weiber und 
Kinder Rücksicht und behandeltest mich nicht anders,, 
denn als Feind. Mein Eigentum hast du mir geraubt^ 
meine Töchter zur Flucht aus der Heimat beschwätzt, 
die Heiligtümer, die meine Vorfahren und ich hoch ver- 
ehrten, mitgenommen und, was der Feind dem Feinde 
kaum anzuthun wagt, das hast du als mein Neffe, als 
der Gatte meiner Töchter und noch dazu als mein Gast- 
freund und Hausgenosse mir angethan.“ Darauf ent- 
gegnete Jakob, nicht ihm allein, sondern auch allen anderen 
habe Gott die Liebe zum Vaterlande eingepflanzt, und 
es sei billig, dass er nach so langer Zeit sich dorthin 
zurückbegebe. „Was aber den Vorwurf der Beraubung 
betrifft,“ sagte er, „so würdest du von einem anderen Richter 
wohl selbst wegen Ungerechtigkeit verurteilt werden. 
Denn du schuldest mir vielmehr Dank dafür, dass ich 
dein Vermögen bewahrte und vermehrte; wie willst du 
es also ungerecht finden , dass ich mir einen kleinen 
Teil davon mitnahm ? Und was deine Töchter anlangt, 
so wisse, dass sie nicht auf bösen Rat von mir hin mich 
begleitet haben, sondern aus Anhänglichkeit an den 
Gatten, wie es Eheweibern geziemt. Sie folgen also 
nicht so sehr mir, als ihren Kindern.“ So sprach Jakob, 
um zu beweisen, dass er ihm kein Unrecht gethan. 
Dann aber beschuldigte er den Laban selbst, dass er, 
der Bruder seiner Mutter und Vater seiner Weiber, ihn 
zwanzig Jahre lang durch harte Massnahmen gequält 
habe. Den Betrug bei der Hochzeit, obgleich er an 
sich schlimm gewesen, wolle er dennoch nicht so hoch 
anschlagen; viel schlimmer seien die Vorgänge nach der 
Hochzeit, von denen man kaum glauben sollte, dass er 
sie einem Freunde zugemutet hätte. • Laban hatte aller- 
dings den Jakob sehr unbillig behandelt; denn da er 
sah, dass Gott dessen Wünsche sämtlich begünstigte. 




Erstes Buch, 20. Kapitel. 


67 


versprach er ihm bald vön den weissen, bald von den 
schwarzen Schafen. Und als die dem Jakob zu- 
kommenden Schafe sehr an Zahl zugenommen hatten, 
hielt er jedesmal nicht Wort, sondern versprach sie ihm 
immer wieder für das nächste Jahr aus Neid über das 
Wachstum seines Vermögens. Immer tröstete er ihn mit 
Versprechungen, weil er hoffte, der Nachwuchs werde 
nicht so gross sein ; war dies dennoch der Fall, so betrog 
er ihn. 

10. Wegen der mitgenommenen Heiligtümer aber 
stellte Jakob ihm eine Untersuchung anheim. Als nun 
Laban eine solche vornehmen wollte, verbarg Rache), 
die davon gehört hatte, dieselben unter der Decke des 
Kamels, auf dem sie selbst ritt, und setzte sich darauf 
unter dem Vorgeben, dass sie ihre monatliche Reinigung 
habe. Darauf stand Laban von der weiteren Durch- 
forschung ab, denn er glaubte, dass seine Tochter sich 
in diesem Zustande den Götzenbildern nicht nahen 
würde. Dann schwur Laban dem Jakob, er werde des 
vorgekommenen Unrechtes ferner nicht gedenken, und 
dieser hingegen, er werde seine Töchter stets liebevoll 
behandeln. Dieses Bündnis schlossen sie auf einem 
Berge, wo sie eine Säule in Gestalt eines Altars er- 
richteten. Davon hat der Berg den Namen Galad und 
das Land den Namen Galadena erhalten. Alsdann 
hielten sie ein feierliches Mahl, und Laban kehrte nach 
Hause zurück. 


Zwanzigstes Kapitel. 

Jakobs und Esaus Zusammentreffen. 

1. Auf seinem Marsche nach Ghananaea hatte Jakob 
Erscheinungen, die ihm für die Zukunft gute Hoffnung 
einflössten; den Ort der Erscheinungen aber nannte er 
deshalb „Lager Gottes.“ Und da er erst die Gesinnung 
seines Bruders kennen lernen wollte, sandte er Kund- 
schafter voraus, denn er fürchtete ihn wegen des 
früheren Argwohnes. Diese beauftragte er, folgendes 

5 * 




68 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


dem Esau zu sagen : Jakob habe aus freien Stücken die 
Heimat verlassen, um mit dem erzürnten Bruder nicht 
zusammen wohnen zu müssen; und nun, da er glaube, 
nach so langer Zeit werde sich eine Versöhnung bewerk- 
stelligen lassen, mit Weib und Kind und mit einem 
durch Fleiss erworbenen Vermögen auf dem Heimweg 
begriffen, wolle er sich mit all seinen Kostbarkeiten ihm 
ergeben. Denn er halte es für sein höchstes Glück, mit 
dem Bruder teilen zu können, was Gott ihm beschert 
habe. Esau war hierüber erfreut und eilte dem Bruder 
mit vierhundert Bewaffneten entgegen. Als Jakob aber 
vernahm, dass er mit so vielen Bewaffneten ihm ent- 
gegenkomme, erschrak er sehr; doch setzte er seine 
Hoffnung auf Gott und traf Vorkehrungen für seine 
und der Seinen Sicherheit, wenn jene feindliche Ab- 
sichten haben sollten. Zu diesem Zweck teilte er die 
Seinigen und liess die einen voranziehen und die 
anderen nachfolgen, damit die vordersten, wenn sie durch 
Esaus Angriff bedrängt würden, sicli auf die Nachhut 
zurückziehen könnten. Nachdem er seine Leute so ge- 
ordnet hatte, sandte er einige mit Geschenken zu seinem 
Bruder. Diese bestanden in Rindvieh und allerlei Vier- 
füssern, die dem Empfänger wegen ihrer Seltenheit von 
grossem Wert waren. Die Abgesandten hiess Jakob in 
Abständen marschieren, damit sie ununterbrochen an- 
kämen und so eine grosse Zahl vortäuschten. Da es 
nun wahrscheinlich war, dass die Geschenke den Zorn 
Esaus besänftigen würden , wenn er überhaupt noch 
zürne, befahl er den Abgesandten, ihn recht freund- 
lich anzureden. 

2. Nachdem unter diesen Anordnungen der Tag ver- 
strichen, setzte sich gegen die Nacht hin der Zug in 
Bewegung. Als aber die Leute den Giessbach Jabakchus 
überschritten hatten, blieb Jakob etwas zurück und 
stiess auf ein Gesicht, gegen welches er ankämpfte und 
Sieger blieb. Dieses redete ihn darauf an und ermahnte 
ihn, er solle nicht glauben, gegen etwas Kleines ge- 
kämpf zu haben, sondern er habe einen Engel Gottes 



Erstes Buch, 21. Kapitel. 


69 


besiegt. Das sei ihm ein Vorzeichen grossen Glückes, 
und sein Geschlecht werde nich} erlöschen, noch ein 
Sterblicher es überwinden. Auch befahl ihm der Engel, 
er solle sich von jetzt an Israel nennen, das heisst in 
hebraeischer Sprache „Bekämpfer des Engels Gottes.“ 
Und er verkündete ihm dies auf sein Verlangen; denn 
als Jakob merkte, dass ein Engel Gottes ihm erschienen 
sei, bat er ihn, ihm sein zukünftiges Geschick zu ent- 
hüllen. Dann verschwand die Erscheinung. Jakob aber 
freute sich über das Gehörte und nannte den Ort Pha~ 
nuel, das heisst „Gottes Angesicht.“ Weil er aber beim 
Bingen einen Schmerz in seiner Hüftsehne empfunden 
hatte, enthielt er sich von da an der Verspeisung dieses 
Körperteiles, und auch uns ist seinetwegen nicht erlaubt, 
davon zu gemessen. 

3. Als nun Jakob erkannte, dass sein Bruder in der 
Nähe sei, hiess er die Weiber zur Seite treten und mit 
ihrem Gefolge von ferne dem Kampf der Männer zu- 
schauen, wenn Esau denselben beginnen sollte. Er 
selbst aber flehte den nichts Böses denkenden Bruder, 
als er ihm nahe kam, um Gnade an. Dieser begrüsste 
ihn und fragte ihn nach seinen Weibern und Kindern, 
und da er alles vernommen, wollte er sie selbst zum 
Vater führen. Jakob aber schützte Ermüdung seines 
Viehes vor; deshalb kehrte Esau zurück nach Sair, wo 
er wohnte. Dieser Ort wurde „Zottig“ genannt von der 
rauhen Behaarung Esaus. 


Einundzwanzigstes Kapitel. 

Die Schändung der Dina. 

1. Jakob kam darauf nach Skenae, wie der Ort noch 
heute heisst, und von da nach Sikim 1 im Lande der 
Ohananäer. Und da die Sikimiten diesen Tag festlich 
begingen, ging Dina, Jakobs einzige Tochter, zur Stadt, 


1 Sichern. 




70 


Josephus’ Jüdische. Altertümer. 


um sich den Schmuck der Frauen dieser Gegend an- 
zusehen. Da erblickt» sie Sychem , des Königs Emmor 
Sohn, raubte und schändete sie, und von Liebe zu ihr 
ergriffen bat er seinen Vater, ihm das Mädchen zur Ehe 
zu geben. Dieser willfahrte ihm, ging zu Jakob und 
ersuchte ihn, seinem Sohne Sychem die Dina zur recht- 
mässigen Ehe zu geben. Jakob aber, der weder nein 
sagen wollte wegen der hohen Würde des Antragstellers, 
noch auch seine Tochter einem Fremdling verjnählen 
mochte, erbat sich Bedenkzeit, und der König entfernte 
sich in der Hoffnung, Jakob werde in die Vermählung 
einwilligen. Alsdann teilte Jakob seinen Söhnen die 
ihrer Schwester widerfahrene Beleidigung und den An- 
trag Emmors mit und hiess sie überlegen, was zu thun 
sei. Die meisten von ihnen schwiegen, ungewiss über 
das, was man unternehmen solle. Simeon und Levis 
aber, die rechten Brüder des Mädchens, einigten sich 
über folgendes Vorgehen. Als die Sikimiten ein Fest 
feierten und sich beim Mahle vergnügten, überfielen sie 
zuerst die Wächter und machten dieselben im Schlafe 
nieder; dann drangen sie in die Stadt, töteten alle 
Männer, auch den König und seinen Sohn, und ver- 
schonten nur die Weiber. Und als sie dies, ohne Vor- 
wissen ihres Vaters, vollführt hatten, brachten sie ihre 
Schwester wieder zurück. 

2. Jakob war erschüttert über dies Beginnen und 
zürnte deshalb seinen Söhnen. Gott aber erschien ihm, 
hiess ihn wohlgemut sein und nach Reinigung der Zelte 
ihm diejenigen Opfer darbringen, die er ihm auf der 
Reise nach Mesopotamien nach der Traumerscheinung 
gelobt hatte. Als er nun die Seinen durch ein Sühn- 
opfer gereinigt, stiess er auf die Götzenbilder Labans, 
die Rachel ohne sein Vorwissen mitgenommen hatte, und 
er vergrub sie bei Sikim unter einer Eiche. Dann zog 
er von da weg und opferte bei Bethel, wo er die Traura- 
erscheinung gesehen hatte, als er nach Mesopotamien 
reiste. • 

Als er auch von hier fort- und nach Ephratana ge- 


Go gle 



L 


Erstes Buch, 22. Kapitel. 


71 


zogen war, starb ihm die Rachel infolge einer Geburt, 
und er bestattete sie. Ihr allein von seinen Verwandten 
wurde die Ehre der Beisetzung in Chebron nicht zu 
teil. Jakob trauerte sehr um sie und nannte den Sohn, 
Jen sie geboren, Benjamin, weil die Mutter durch ihn 
so gelitten hatte. Jakob hatte also im ganzen zwölf 
Söhne und eine Tochter. Von den Söhnen waren acht 
rechtmässige, sechs von der Lia und zwei von der 
Rachel; vier stammten von den Mägden, von jeder zwei. 
Ihre Namen habe ich bereits oben erwähnt. 


Z weiundz wan zigstes Kapitel. 

Isaks Tod und seine Bestattung in Chebron. 

Von da kam Jakob nach Chebron in Chananaea, 
wo Isak wohnte. Hier lebten sie nicht lange zusammen 
(Rebekka hatte Jakob schon nicht mehr lebend an- 
getroffen), denn Isak starb bald darauf und wurde von 
seinen Söhnen in Chebron beigesetzt, wo auch die Grab- 
stätten seiner Vorfahren sich befanden. Isak war ein 
Liebling Gottes ,, der ihn nach Abrams Tode seiner be- 
sonderen Fürsorge gewürdigt hatte. Er erreichte ein 
hohes Alter, denn er starb, nachdem er hundertfünfund- 
achtzig Jahre, reich an Tugend, gelebt hatte. 




Zweites Buch. 

.Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 220 Jahren.; 

Inhalt. 

1. Wie Isaks Söhne Esau und Jakob das Land, wo sie wohnten, 

teilten, und wie Esau Idumaea, Jakob aber Chananaea erhielt. 

2. Wie Jakobs Sohn Joseph wegen der Träume, die ihm sein zu- 

künftiges Glück verkündeten , von seinen Brüdern gehasst 
wurde. 

3. Wie Joseph, von seinen Brüdern aus Hass nach Aegypten ver- 

kauft , dort sehr berühmt wurde , und wie seine Brüder in 
seine Hand gegeben wurden. 

4. Wie Jakob mit seinem ganzen Stamme einer Hungersnot wegen 

zu Joseph auswanderte. 

5. Von der vierhundertjährigen Bedrückung der Hebräer in 

Aegypten. 

6. Wie Moyses geboren und erzogen wurde. 

7. Wie die Hebräer unter Moyses’ Führung aus Aegypten auszogen, 

und wie das Meer sich teilte und ihnen auf der Flucht vor 
den Aegyptiern einen Durchgang bot. 


Erstes Kapitel. 

Wie Isaks Söhne Esau und Jakob das Land , wo sie 
wohnten, teilten, und wie Esau Idumaea, Jakob aber 

Chananaea erhielt. 

1. Nach Isaks Tode hielten seine Söhne das über- 
kommene Land nicht zusammen , sondern teilten es 
unter sich. Esau überliess die Stadt Chebron seinem 
Bruder und wohnte in Sai'r. Er beherrschte Idumaea, 
welches von ihm den Namen hat. Denn er führte den 
Beinamen Edom, den er aus folgender Ursache erhalten 
hatte. In seiner Jugend kam er einst erschöpft und 



Zweites Buch, 2. Kapitel. 


73 


hungrig von der Jagd nach Hause und traf seinen 
Bruder, wie er sich ein Linsengericht bereitete, das von 
roter Farbe war. Voll Verlangen nach dieser Speise 
fragte er ihn, ob er ihm davon raitgeben wolle. Jakob 
betrog nun seinen Bruder, indem er sich dessen Hunger 
zu Nutzen machte, und beredete ihn, ihm für das 
Linsengericht das Recht der Erstgeburt zu überlassen. 
Esau, von Hunger gedrängt, ging darauf ein und be- 
kräftigte es mit einem. Eide. Wegen der roten Farbe 
jener Speise nun wurde er von seinen Altersgenossen 
zum Spotte Edom genannt, das heisst im Hebraeischen 
„rot.“ Deshalb heisst denn auch jene Gegend so; die 
Griechen aber nennen sie mit dem besser klingenden 
Namen Idumaea. 

2. Esau zeugte fünf Söhne, nämlich Jaus, Jeglom 
und Kore mit seinem Weibe Olibama, Eliphaz mit der 
Ada, und Raguel mit der Basemmatha. Eliphaz hatte 
fünf rechtmässige Sohne : Theman, Oman, Sophar, Gotam 
und Kenez, sowie einen unehelichen, Amalek, mit seinem 
Keb9 weibe Thamnaa. Diese bewohnten Idumaea, auch 
Gobolitis genannt, und Amalekitis, das von Amalek den 
Namen hat. Idumaea aber erstreckte sich einst weithin, 
und es wurde das ganze Land mit diesem Namen be- 
zeichnet, während später die einzelnen Teile die ihnen 
von ihren ersten Bewohnern beigelegten Namen be- 
hielten. 


Zweites Kapitel. 

Wie Jakobs Sohn Joseph wegen der Träume , die ihm 
sein zukünftiges Glück verkündeten, von seinen Brüdern 

beneidet wurde. 

1. Jakob aber erlangte ein so grosses Glück, wie 
kaum ein anderer Mensch. Denn er übertraf einerseits 
die Bewohner jenes Landes durch seinen Reichtum, 
andererseits war er aber auch geachtet und berühmt 
wegen der Tugenden seiner Kinder, die zu Handarbeiten 
.geschickt,' im Ertragen von Strapazen geübt und mit 




74 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

scharfem Verstände begabt waren. Zudem trug der 
Himmel selbst so grosse Sorge um sein Wohlergehen, 
dass sogar aus Widerwärtigkeiten ihm reiches Glück 
erblühte. Auch war es ihm und seinen Söhnen be- 
schieden, unseren Vorfahren den Weg zum Auszuge aus 
Aegypten zu bahnen, und zwar aus folgender Ver- 
anlassung. Jakob liebte den Joseph, den ihm die Rachel, 
geboren, sowohl seiner körperlichen Schönheit, als auch 
seiner geistigen Fähigkeiten wegen (er war allen seinen 
Brüdern an Klugheit überlegen) mehr als die anderen 
Kinder. Diese Zuneigung seines Vaters aber häufte auf 
Joseph den Hass und Neid seiner Brüder, und es wuchs 
derselbe noch mehr durch seine glückverheissenden 
Träume, die er dem Vater und den Brüdern mitteilte. 
Es liegt ja in der menschlichen Natur , auf das Glück 
selbst der nächsten Verwandten eifersüchtig zu sein. 
Die Erscheinungen aber, die Joseph im Schlafe hatte, 
waren folgende. 

2. Als er einmal mit seinen Brüdern vom Vater zur 
Erntezeit zum Einsammeln von Getreide hinausgeschickt 
worden war, sah er eine Erscheinung, die weit abwich 
von dem, was man gewöhnlich zu träumen pflegt. Beim 
Erwachen nun erzählte er den Traum seinen Brüdern, 
damit sie ihn erklären möchten. Es habe ihm in der 
vergangenen Nacht geschienen, als ob seine eigene 
Weizengarbe an dem Ort, wohin er sie gestellt, un- 
beweglich feststehe, ihre Garben aber zu der seinigen 
hinkämen und dieselbe verehrten, wie Diener ihren 
Herrn zu verehren pflegten. Jene aber erkannten, 
dass der Traum ihm Glück und Macht verkünde, und 
dass sie ihm unterthan sein würden. Doch sagten sie es 
dem Joseph nicht und thaten, als wenn ihnen die Aus- 
legung des Traumes unbekannt sei. Im stillen aber 
hofften sie, dass ihre Befürchtung sich nicht erfüllen 
möchte, während ihr Hass nur noch um so grösser und 
nachhaltiger wurde. 

3. Darauf sandte Gott, dem ihr Neid zuwider war, 
dem Joseph einen anderen, noch wunderbareren Traum. 


Go gle 



Zweites Buch, 2. Kapitel. 


75 


Ks schien ihm nämlich, als ob die Sonne mit dem Monde 
und den übrigen Gestirnen auf die Erde herabstiege 
und ihn aubete. Diesen Traum erzählte er dem Vater 
In Gegenwart seiner Brüder, ohne etwas Böses zu ahnen, 
und bat ihn, ihm denselben auszulegen. Jakob aber 
freute sich über den Traum, da er in ihm eine Vorher- 
verkündigung der N Zukunft seines Sohnes erkannte, und 
frohlockte über die ihm in Aussicht gestellte Macht. 
Dann erklärte er den glückverh eissenden Traum dahin, 
dass nach GottesaFügung eine Zeit kommen werde, da 
Joseph bei seinen Eltern und Brüdern in höchster Ver- 
ehrung stehen werde. Der Mond und die Sonne be- 
deuteten Vater und Mutter, weil der Mond allem Er- 
schaffenen Wachstum und Nahrung, die Sonne aber 
Gestalt und Kraft verleihe. Die Sterne bedeuteten 
seine Brüder, weil auch sie wie die Sterne elf an der 
Zahl seien und von den Eltern, wie die Sterne von 
Sonne und Mond, ihre Kraft erhielten. 

4. So deutete Jakob den Traum nicht ohne feinen 
Witz, die Brüder aber Waren über ihn nichts weniger 
als erfreut. Und sie wurden sehr gereizt gegen Joseph, 
gleich als sei es ein Fremdling, dem das im Traume 
verkündete Glück erblühen werde, und nicht ihr eigener 
Bruder, mit dem sie doch wahrscheinlich all das Gute 
zusammen gemessen würden, wie sie auch von gleicher 
Abkunft mit ihm war^n. Deshalb beschlossen sie, ihn 
zu töten. Und als sie diesen Entschluss gefasst hatten, 
geschah es, dass sie nach beendigter Ernte nach Sikim 
zogen, wo es fette und bequeme Weideplätze giebt, und 
hier ihre Herden hüteten, ohne dass sie dem Vater 
davon Mitteilung gemacht hätten. Da nun der Vater 
keine Kenntnis von ihrem Verbleib hatte, und auch 
keiner von den Hirten zu ihm kam, der ihm etwas 
Sicheres von ihnen hätte melden können, wurde er sehr 
betrübt und sandte bekümmerten Herzens den Joseph 
zu den Herden, damit er sich nach seinen Brüdern er- 
kundige und ihm Nachricht über sie bringe. 




76 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Drittes Kapitel. 

Wie Joseph aus Hass von seinen Brüdern nach Aegypten 

verkauft wurde. 

1. Die Brüder freuten sich, als sie den Joseph kommen 
sahen, jedoch nicht wie über die Ankunft eines nahen 
Verwandten und Boten ihres Vaters, sondern wie über 
die eines Feindes, den Gott in ihre Gewalt gegeben - 
Um nun die günstige Gelegenheit nic^t entschlüpfen zu 
lassen, schickten sie sich sogleich an, ihn umzubringen ^ 
Als aber Rubel, der älteste von ihnen, sah, was sie thun 
wollten, und dass sie eines Sinnes waren, versuchte er 
ihren Frevelmut zu zügeln, indem er ihnen zeigte, welch 
gewagtes und schändliches Beginnen sie vorhätten ^ 
Denn wenn es vor Gott und den Menschen schon ein 
Greuel sei, einen fremden Menschen zu töten, um wie 
viel frevelhafter sei es dann , die Schuld des Bruder- 
mordes auf sich laden zu wollen, zumal das Unglück 
rückwirkend auch den Vater treffen und die Mutter in 
trostlose Verlassenheit stürzen würde. Sie sollten sich 
daher hüten, eine so unnatürliche That zu begehen, und 
von ihrem verwegenen Unternehmen abstehen. Sie 
möchten doch bedenken, was sie selbst leiden würden,, 
wenn ihnen ihr bester Sohn entrissen werden sollte. 
Auch sollten sie Gott fürchten, der ihren Anschlag- 
gegen das Leben des Bruders durchschaue. Wenn sie 
von der That Abstand nähmen, werde Gott sie um ihrer 
Reue und Sinnesänderung willen lieben. Beständen sie 
hingegen auf der Ausführung ihres Vorhabens, so werde 
er sie gewiss mit den erdenklichsten Strafen belegen, 
weil sie seine allgegenwärtige Vorsehung beleidigt, vor 
der nichts verborgen bleibe, möge es nun in der Einsam- 
keit oder im Gewühl der Städte geschehen. Denn wn 
immer der Mensch sei, da sei auch Gott gegenwärtig. 
Auch würde, wenn sie die That wagten, ihr eigenes Ge- 
wissen sie verfolgen; diesem aber könne niemand ent- 
fliehen, sei es gut oder böse wie das ihrige, wenn sie den 




Zweites Buch, 3. Kapitel. 


77 


^Brudermord begingen. Überdem fügte er noch hinzu, 
wie unrecht es sei, selbst einen nichtswürdigen Bruder 
2 U töten, und dass man auch an Freunden sich nicht 
räche, wenn man sich von ihnen beleidigt glaube. Sie 
.aber wollten den Joseph umbringen, obgleich er ihnen 
nicht das geringste Bose zugefügt habe und sein zartes 
Alter vielmehr ihr Mitleid, ihre Fürsorge und ihren 
Schutz verlange. Vermehrt werde übrigens die Schlechtig- 
keit der That noch durch den Beweggrund, der sie dazu 
^treibe, und das sei nur der Neid über das zukünftige 
<xlück Josephs, das sie doch mitgeniessen würden, da sie 
in engster Gemeinschaft mit ihm lebten. Denn sie müssten 
bedenken; dass das, was Gott dem Joseph beschere, 
auch ihnen zu gute kommen werde. Der Zorn des Him- 
mels werde also schwer auf ihnen lasten, wenn sie den 
löteten, den Gott eines solchen Glückes gewürdigt habe. 
Auch beraubten sie Gott selbst dessen, den er mit Glücks- 
gütern uberhäufen wolle. 

2. Durch diese und andere Vorhaltungen und Bitten 
versuchte Rubel sie vom Brudermorde abzu sch recken. 
Da er aber sah, dass sie um nichts versöhnlicher ge- 
worden waren, vielmehr es mit dem Morde eilig zu haben 
schienen, suchte er sie wenigstens zu einer milderen Todes- 
art zu bestimmen. Denn da sie seiner flehentlichen 
Bitte, die Tötung zu unterlassen, nicht nachkämen, 
vielmehr darauf beständen, ihn aus dem Wege zu räumen, 
so würden sie wenigstens eine leichtere Bünde begehen, 
wenn sie seinem Rate folgten. Ihren Zweck würden sie 
ja so auch erreichen, aber auf eine andere, weniger ge- 
hässige Weise. Er beschwor sie nämlich, nicht selbst 
Hand an ihren Bruder zu legen, sondern ihn in die 
nächste Oisterne zu werfen und dort sterben zu lassen; 
so würden sie den Vorteil haben, ihre Hände nicht zu 
beflecken. Als sie hierzu ihre Zustimmung gaben, führte t 
Rubel den Knaben weg, band ihn an ein Seil und liess 
ihn langsam in eine Cisterne hinab, die hinreichend 
trocken war. Dann entfernte er sich und suchte sich 
einen passenden Weideplatz. 



78 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


3. Judas aber, auch einer von Jakobs Söhnen, er- 
blickte arabische Kaufleute vom Stamme Ismaels, welche 
Gewürze und syrische Waren aus Galad nach Aegypten 
brachten. Nach Rubels Weggang nun riet er seinen 
Brüdern, den Joseph au6 der Cisterne zu ziehen und ihn 
den Arabern zu verkaufen. Wenn ihn dann auch weit 
weg bei Fremden der Tod ereilen sollte, so würden sie 
sich wenigstens von der Schuld des Mordes frei halten. 
Dieser Vorschlag gefiel ihnen, und sie zogen daher den 
Joseph aus der Cisterne heraus und verkauften ihn um 
zwanzig Minen 1 den Kaufleuten ; er war damals 17 Jahre 
alt. Rubel aber kam in der Nacht zur Cisterne, da er 
den Joseph ohne Vorwissen der Brüder retten wollte. 
Als er nun auf sein Rufen keine Antwort erhielt, ver- 
mutete er, die Brüder hätten ihn nach seinem Weggangs 
getötet, und machte ihnen deshalb Vorwürfe. Diese aber 
erzählten ihm den wahren Hergang, worauf er zu trauern 
aufhörte. 

4. Sobald nun die Brüder solches gegen Joseph be- 
werkstelligt hatten, überlegten sie, was zu thun sei, um 
den Verdacht des Vaters abzulenken. Und sie kamen- 
darauf, das Unterkleid, welches Joseph getragen, als er 
zu ihnen kam , und .das sie ihfio ausgezogen, als sie ihn 
in die Cisterne hinabliessen, mit Bocksblut zu bespritzen* 
es dem Vater zu bringen und ihm zu zeigen, damit er 
glaube, sein Sohn sei von wilden Tieren zerrissen worden. 
Also thaten sie auch, begaben sich zu dem alten Vater, 
dem schon etwas über seinen Sohn zu Ohren gekommen 
war, und sagten ihm, sie hätten den Joseph nicht ge- 
sehen, wüssten auch nicht, was ihm zugestossen sei. Doch 
hätten sie dieses blutbefleckte und zerfetzte Kleid ge- 
funden, woraus sie geschlossen hätten, er sei von wilden 
Tieren angefallen worden und habe so den Tod ge- 
funden, wenn dies das Kleid sei, in welchem er von 
Hause sich entfernt habe. Jakob aber, der noch leise 


1 1 Mine (Mna), griechische Silbermünze, = 100 attischen Drach- 
men = 78,6 Mark. 


Go gle 



Zweites Buch, 4. Kapitel. 7& 

gehofft hatte, der Knabe sei vielleicht irgendwohin ge- 
fangen weggeführt worden, gab nun diesen Gedanken 
auf, hielt das Kleid für ein sicheres Zeichen seines Todes 
(denn er erkannte, dass es dasselbe sei, in welchem er 
den Joseph zu seinen Brüdern geschickt hatte) und be- 
trauerte ihn , als wenn er wirklich umgekommen sei. 
Und er stellte sich so an, als ob er sein einziger Sohn 
gewesen sei, und wollte von dem Tröste der anderen 
Söhne nichts wissen. Denn er war überzeugt, dass 
Joseph, noch ehe er mit seinen Brüdern gesprochen, von 
wilden Tieren zerrissen worden sei. So sass er da, mit 
einem Sacke bekleidet und von Schmerz gebeugt, ver- 
schmähte den Trost seiner Söhne und Hess selbst aus 
Erschöpfung von der Trauer nicht ab. 


Viertes Kapitel. 

Josephs ausgezeichnete Selbstbeherrschung. 

1. Den Joseph kaufte von den Händlern ein Aegyp- 
tier Petephres, 1 der Küchenmeister des Königs Pharao, 
und hielt ihn hoch in Ehren. Denn er liess ihn in den 
freien Künsten unterrichten, gab ihm bessere Nahrung, 
als bei Dienern üblich war, und machte ihn zum Vor« 
steher seines Hauses. Joseph nahm das alles an, ohne 
von seiner gewohnten Tugend abzuweichen ; vielmehr be- 
wies er, dass Klugheit^ die grössten Schwierigkeiten des 
Lebens überwinden könne, wofern sie nur rein und un- 
befleckt und nicht bloss den augenblicklichen günstigen 
Verhältnissen angepasst sei. 

2. Es war nämlich seines Herrn Weib wegen seiner 
Schönheit und Geschicklichkeit von Liebe zu ihm ent- 
brannt, und sie glaubte, sie werde, wenn sie ihm dies 
mitteile, ihn leicht zu sündigem Umgang verlocken 
können, ja er werde es als ein Glück betrachten, dass 
seine Herrin solches von ihm verlange; denn sie dachte 


1 Potiphar. 


Go gle 



60 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


nur an seinen gegenwärtigen Stand eines Knechtes, nicht 
aber an seine guten Sitten, die trotz des veränderten 
Standes dieselben geblieben waren. Als sie aber ihr 
heftiges Verlangen ihm verriet und ihm den Beischlaf 
antrug, wies er ihr Begehren zurück und hielt es für un- 
recht, dass sie ihm eine Gunst gewähren wolle, welche 
über den, der ihn gekauft hatte und ihn in so hohen 
Ehren hielt, nur Schmach und Schande bringen würde. 
Dann ermahnte er sie, ihre Begierde zu zügeln, und nahm 
ihr die Hoffnung, als ob er je ihr willfahren würde; 
denn so, meinte er, werde sie eher von ihrem ungestümen 
Verlangen abstehen. Auch habe er sich fest vorgenommen, 
eher das Äusserste zu erdulden, als ihr zu Willen zu sein. 
Denn wenn es sich auch für den Knecht nicht zieme, 
der Herrin sich zu widersetzen, so glaube er doch für 
seinen Ungehorsam gegen ihren Befehl hinreichende 
Entschuldigung zu haben. Da sie aber solchen Wider- 
stand nicht ' erwartet hatte, wurde ihre Liebe nur noch 
heftiger, und weil ihre schlechte Begierde sie dazu trieb, 
beschloss sie, ihn ein zweites Mal zu bestürmen. 

3. Als nämlich ein öffentliches Fest bevorstand, dessen 
Besuch auch für die Frauen Sitte war, schützte sie bei 
ihrem Gatten Krankheit vor, um ihr Verlangen an 
Joseph wieder stellen zu können, wenn Ruhe und Stille 
im Hause herrsche. Als sie das erreicht hatte, bestürmte 
sie ihn mit noch einschmeichelnderen Worten als früher: 
Es sei besser gewesen, wenn er früher ihrem Verlangen 
willfahrt und keinen Widerstand geleistet hätte, teils aus 
Ehrfurcht vor ihr, teils wegen der Heftigkeit ihrer Liebe, 
die sie, die Herrin, veranlasst habe, sich unter ihre Würde 
zu erniedrigen. Doch könne er durch kluges, entgegen- 
kommendes Benehmen seine Unterlassung wieder gut 
machen. Wenn er eine zweite Bitte ihrerseits erwartet 
habe, so thue sie das jetzt, und zwar inständiger als zu- 
vor. Sie habe Krankheit vorgeschützt und seine Gesell- 
schaft dem rauschenden Feste vorgezogen. Habe er aber 
ihren früheren Worten misstraut und ihnen deshalb nicht 
nachgegeben, so könne er jetzt daraus, dass sie auf ihrem 



Zweites Buch, 4. Kapitel. 


81 


früheren Verlangen bestehe, leicht entnehmen, dass sie 
keine böse Absicht habe. Deshalb könne er sowohl das 
gegenwärtige Glück, das ihm schon winke, geniessen, 
wenn er ihr Verlangen erfülle, als auch auf noch 
grösseres hoffen. Dagegen aber könne er sich auf ihren 
Hass und ihre Rache gefasst machen, wenn er ihre Bitte 
zurückweise und lieber seine Keuschheit bewahren, als 
seiner Herrin zu Willen sein wolle. Die Keuschheit 
werde ihm übrigens wenig nützen, denn sie brauche nur 
die Anklage gegen ihn vorzubringen und ihrem Manne 
vorzulügen, sie sei von ihm angegriffen worden, und 
Petephres werde doch : ihren Worten mehr Glauben 
schenken als den seinigen, und wenn sie noch so sehr 
den Schein der Wahrheit an sich trügen. 

4. So beschwor ihn das Weib unter Thränen; doch 
liess er sich weder aus Mitgefühl noch aus Furcht von 
seiner Keuschheit ab bringen, sondern er widerstand ihren 
Bitten wie ihren Drohungen und verabscheute das Böse. 
Denn lieber wollte er bitteres Leid ertragen , als augen- 
blickliches Wohlbehagen geniessen und dem Weibe zu- 
liebe etwas begehen, das ihm, dessen war er sich be- 
wusst, von Rechts wegen den Tod zuziehen musste. Auch 
ermahnte er sie, ihrer ehelichen Verbindung und Pflichten 
zu gedenken und beschwor sie, darauf mehr Rücksicht 
zu nehmen als auf die Befriedigung einer augenblick- 
lichen Lust Denn dieser würden Reue und Schmerz 
folgen, die die Sünde nicht ungeschehen machen könnten ; 
zudem werde sie in beständiger Furcht vor Ertappung 
schweben und es als einzige Wohlthat betrachten, wenn 
der Frevel geheim bliebe. Mit ihrem Gatten dagegen 
könne sie ohne Gefahr verkehren und habe dann auch 
noch die Zuversicht eines guten Gewissens vor Gott und 
den Menschen. Auch werde sie, wenn sie ihre Reinheit 
bewahre, eher das Recht der Herrin ihm gegenüber ver- 
treten können, als wenn die Scham über sein Mitwissen 
um ihre Sünde sie darin beschränke. Denn es sei besser, 
den rechten Weg offen zu wandeln, als im geheimen zu 
sündigen. 

J oeephu»’ Jüdische Altertümer. 6 


Go gle 




82 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


5. Durch diese und ähnliche Vorstellungen versuchte 
er die heftige Begierde des Weibes zu zügeln und sie 
von ihrer verkehrten Leidenschaft zu vernünftigem Nach- 
denken hinüberzulenken. Sie aber bestand nur um so 
fester auf ihrem . Begehren , und da sie daran ver- 
zweifelte, ihn mit Worten sich geneigt machen zu können, 
legte sie Hand an ihn und versuchte ihn mit Gewalt 
zu zwingen. Joseph aber floh entrüstet, und indem er 
das Kleid, an welchem sie ihn gefasst, zurückliess, stürmte 
er aus ihrem Schlafgemach hinaus. Da sie aber be- 
fürchtete, er möchte ihrem Gatten von der Sache Mit- 
teilung machen, hielt sie, schmerzlich ergriffen wegen 
ihrer schmachvollen Niederlage, es für geraten, den 
Joseph bei Petephres falsch anzuklagen und so Rache 
für die ihr widerfahrene Beleidigung zu nehmen. Denn 
sie hielt es für klug und ihr als Frau wohl anstehend, 
ihm mit der Beschuldigung zuvorzukommen. Und 60 
sass sie betrübt und verwirrt da und heuchelte Schmerz, 
als ob ihre Schamhaftigkeit verletzt worden sei, während 
sie in Wirklichkeit doch nur aufgebracht darüber war, 
dass ihre Begierde nicht gestillt worden war. Als nun 
ihr Gatte heimkehrte und sich über ihren Anblick ent- 
setzte, fing sie auf seine Frage nach dem Grunde ihrer 
Betrübnis an, den Joseph zu beschuldigen und sprach: 
„Du verdienst zu sterben, o Gemahl, wenn du den nichts- 
würdigen Knecht, der dein Ehebett entehren wollte, nicht 
mit gebührender Strafe belegst. Denn uneingedenk des 
Zustandes, in dem er unser Haus betrat, und unein- 
gedenk der Wohlthaten, die du ihm erzeigtest, hat er, 
statt Dankbarkeit gegen uns zu beweisen, tückischer- 
weise dein Ehelager zu entweihen versucht, und dazu 
noch an einem Festtage in schlauer Berechnung deiner 
Abwesenheit. Die Bescheidenheit, welche er früher zur 
Schau trug, legte er sich nur aus Furcht vor dir auf, 
und nicht etwa, weil er wirklich rechtschaffenen Gemütes 
war. So ist es aber gekommen, weil er wider Verdienst 
und Erwarten zu Ehren gelangt war; infolgedessen hielt 
er es für billig, dass er, dessen treuer Verwaltung du 




Zweites Buch, 5. Kapitel. 


83 


alle deine Güter an vertraut und den du über deine 
älteren Diener gesetzt hättest, sich nun auch an deiner 
Gattin vergreifen dürfe.“ Nach diesen Worten zeigte sie 
ihm das Kleid, gleich als wenn er es zurückgelassen 
hätte, als er ihr Gewalt anthuen wollte. Petephres aber, 
der weder den Thränen und Worten seiner Gattin, noch 
dem Augenschein misstraute und sie überdies sehr liebte, 
stand von weiterer Untersuchung des Sachverhaltes ab, 
lobte sein Weib ob ihrer Schamhaftigkeit und liess den 
Joseph, den er nun für nichtswürdig hielt, ins Gefängnis 
werfen. Von seiner Gattin dagegen dachte er nur Gutes, 
weil er ihre Züchtigkeit und Keuschheit erprobt habe. 


Fünftes Kapitel. 

Was Joseph im Gefängnisse begegnete, und wie er zu 
hohen' Ehren gelangte. 

1. Joseph stellte nun sein ganzes Geschick Gott an- 
heim und verschmähte sowohl seine Verteidigung als 
auch eine genaue Darstellung des Sachverhaltes, viel- 
mehr trug er schweigend seine Ketten und vertraute 
Gott, der die wahre Ursache seines Unglückes kenne 
und mächtiger sei als die, welche ihn ins Gefängnis ge- 
worfen. Und bald erfuhr er auch Gottes Vorsehung an 
sich. Denn der Kerkermeister nahm ihm mit Rücksicht 
auf seinen Fleiss, seine Zuverlässigkeit und seine schöne 
Körpergestalt die Fesseln ab und machte ihm hierdurch 
wie auch durch die Gestattung besserer Kost sein Unglück 
leichter und erträglicher. Unter den Gefangenen nun, 
die, von gleichem Elend gebeugt, sich in den kurzen 
Erholungspausen nach schwerer Arbeit über die Gründe 
ihrer Verurteilung zu unterhalten pflegten, befand sich 
auch ein Mundschenk des Königs, der diesem sehr lieb 
gewesen, aber im Zorne von ihm ins Gefängnis geworfen 
worden war. Und da er mit Joseph dieselben Fesseln 
trug, wurde er vertrauter mit ihm und erzählte ihm (er 
hatte erkannt, dass dieser die übrigen Gefangenen an 




84 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Scharfsinn übertraf) einen Traum mit der Bitte, ihm den- 
selben zu deuten, wenn man ihm eine Bedeutung bei- 
legen könne. Er beklagte dabei sehr, dass ihm ausser 
dem vom Könige über ihn verhängten Elende auch noch 
die Träume solche Beunruhigung brächten. 

2. Er erzählte ihm also, er habe im Traum drei Reb- 
zweige gesehen, an denen grosse und ausgereifte Wein- 
trauben hingen ; diese habe er in einen Becher aus- 
gepresst, den der König in der Hand hielt, dann habe 
er den Most durchgeseiht und ihn dem Könige zum 
Trinken gereicht, der ihn gnädig angenommen habe. Diesen 
Traum, sagte er, habe er gesehen, und er bat Joseph, ihm 
die Deutung desselben mitzuteilen, wenn er dazu die 
Einsicht besitze. Joseph aber hiess ihn gutes Mutes 
sein, denn in drei Tagen könne er seine Befreiung aus 
dem Kerker erwarten, und der König werde seine Dienste 
wieder begehren und ihn dazu wieder berufen. Die 
Frucht des Weinstockes nämlich sei durch Gottes Frei- 
gebigkeit den Menschen zu ihrem Nutzen gegeben worden, 
da sie ihm selbst geopfert werde und da sie Freund- 
schaft und Vertrauen unter den Menschen vermittele, 
Feindschaft löse, Verwirrung und Trauer zerstreue und 
grosses Vergnügen bereite. „Du sagst nun, du habest 
mit deinen Händen aus drei Weintrauben den Saft ge- 
presst, und der König habe ihn angenommen. So wisse 
also, dass du einen guten Traum gehabt hast, der dir 
zeigt, dass du in so viel Tagen, als es Weintrauben 
waren, aus denen du Wein gepresst im Traume, aus 
deinem Elend wirst erlöst werden. Wenn du nun die 
Wahrheit dieser Deutung erprobt haben wirst, so er- 
innere dich meiner, der dir dieses Glück verkündet hat, 
und siehe nicht auf uns, die du hier im Kerker zurück- 
lässt, verächtlich herab, wenn du die Freiheit wieder- 
erlangt hast und das Glück findest, das ich dir vorher- 
gesagt habe. Denn nicht durch meine Schuld bin ich 
in Banden geworfen worden, sondern wegen meiner Tugend 
und Sittsamkeit erleide ich die Strafe von Verbrechern, 
da ich dem, der mich hierher gebracht hat, nicht aus 




Zweites Buch, 5. Kapitel. 


85 


schnöder Lust Schande anthuen wollte." Über eine solche 
Traumdeutung freute sich natürlich der Mundschenk und 
harrte nun des Erfolges. 

3. Noch ein anderer Diener des Königs, der oberste 
der Bäcker nämlich, war zugleich mit dem Mundschenk 
eingekerkert worden. Da nun auch er einen Traum ge- 
habt und die günstige Auslegung vernommen hatte, die 
Joseph dem Traume des Mundschenken gab, fragte er 
ihn hoffnungsvoll, was sein eigener Traum bedeute, den 
er in der verflossenen Nacht gehabt. Dieser aber war 
folgender: „Es schien mir," sagte er, „ich trüge auf 
meinem Kopfe drei Körbe, davon zwei mit Broten ge- 
füllt, der dritte aber mit Zukost und anderen Ess- 
waren, wie sie dem Könige bereitet werden. Da kamen 
Vögel angeflogen und verschlangen alles, und obwohl 
ich sie zu vertreiben suchte, konnte ich sie nicht ab- 
schrecken." Und der Bäcker erwartete eine ähnlich 
günstige Auslegung, wie sie dem Mundschenk zu teil 
geworden. Joseph aber dachte über den Traum eifrig 
nach und verkündete ihm dann, er möchte ihm gern eine 
freudigere Deutung geben, als in dem Traume versteckt 
liege. Er habe nämlich nur noch zwei Tage zu leben 
(denn das bedeuteten die Körbe), am dritten aber werde 
er gekreuzigt und eine Speise der Vögel werden, und er 
werde nichts dagegen vermögen. Und beiden geschah, 
wie Joseph vorhergesagt hatte. Denn als an dem er- 
wähnten Tage der König seinen Geburtstag feierte, liess 
er den obersten der Bäcker kreuzigen, den Mundschenk 
aber entliess er aus dem Kerker und setzte ihn in sein 
früheres Amt ein. 

4. Als nun Joseph zwei Jahre im Gefängnis zuge- 
bracht und von dem Mundschenk trotz der günstigen 
Prophezeiung keine Hilfe erlangt hatte, erlöste Gott 
selbst ihn aus seinen Banden auf folgende Weise. Pharao 
hatte in einer Nacht zwei Träume und zu jedem eine be- 
sondere Deutung erhalten; die Deutung hatte er ver- 
gessen, während er sich der Träume noch entsann. Da 
er nun über die Träume bekümmert war (sie schienen 



86 


Josephus* Jüdische Altertümer. 


ihm nämlich Trauriges zu verkünden), berief er früh- 
morgens die weisesten der Aegyptier und verlangte von 
ihnen die Auslegung der Träume. Und als diese in 
ihren Meinungen schwankten, wurde der König um so 
mehr beunruhigt. Der Mundschenk aber erinnerte sich, 
da er' den König wegen der Träume in Unruhe sah, des 
Joseph und seiner Geschicklichkeit im Traumdeuten. Er 
ging also zum König und erzählte ihm von Joseph, von 
dem Traum, den er ihm gedeutet, dass der Ausgang ge- 
nau der Deutung entprochen habe, und dass an dem- 
selben Tage der oberste der Bäcker gekreuzigt worden 
sei, ebenfalls genau nach Josephs Deutung. Der letztere 
sei von dem Küchenmeister Petephres gefangen gesetzt 
worden , dessen Knecht er gewesen sei. Er sei ein 
Hebräer und von angesehenem Geschlecht. Diesen 
möge der König zu sich bescheiden, wenn anders er 
nicht wegen seiner gegenwärtigen üblen Lage darauf 
verzichten wolle, und er werde dann von ihm erfahren, 
was die Träume bedeuteten. Da befahl der König, dass 
Joseph ihm vorgeführt werde ; und diejenigen, denen dies 
oblag, kleideten und schmückten ihn nach des Königs 
Befehl und führten ihn demselben vor. 

5. Der König aber nahm ihn bei der Hand und 
sprach: „O Jüngling, mein Diener hat mir Beweise von 
deiner Tugend und Einsicht gegeben ; also gewähre auch 
mir die Gefälligkeit, die du ihm erwiesen hast, und ver- 
künde mir die Deutung der Träume, die ich gehabt. Doch 
will ich, dass du nichts verschweigst, auch darfst du mir 
nicht mit schmeichlerischer, auf Gunst und Wohlgefallen 
gerichteter Rede dienen, wenn auch das Antlitz der Wahr- 
heit etwas erschrecklicher sein sollte. Also es träumte 
mir, ich wandelte längs eines Flusses dahin und sähe 
sieben wohlgenährte und durch Grösse ausgezeichnete 
Kühe aus dem Flusse kommen und auf einen Sumpf 
zugehen, sowie sieben andere sehr magere und hässliche 
Kühe aus dem Sumpfe steigen und jenen entgegengehen. 
Die mageren Kühe aber verschlangen die sieben fetten 
und grossen Kühe, ohne dass sie dadurch Zunahmen; 



Zweites Buch, 5. Kapitel. 


87 


vielmehr blieben sie elend und ausgehungert. Nach diesem 
Traume wachte ich beunruhigt auf und überlegte, was 
das Bild wohl bedeuten könne. Darüber schlief ich 
wieder ein und hatte nun einen zweiten noch wunder- 
bareren Traum, der mich noch mehr erschreckte und ver- 
wirrte. Ich meinte nämlich sieben Ähren zu sehen, die 
aus einer Wurzel sprossten und voll schwerer und reifer 
Körner waren, daneben aber auch sieben andere, arm- 
selige, trockene und schmächtige Ähren, welche sich zu 
den schönen hinneigten, um sie aufzuzehren, worüber ich 
mich sehr erschreckte.“ 

6. Darauf antwortete Joseph und sprach: „Dein 
Traum, o König, ist zwar scheinbar ein doppelter, be- 
zeichnet jedoch in Wirklichkeit einen und denselben 
Vorgang. Denn was die Kühe betrifft (sie sind, neben- 
bei bemerkt, zum Pflügen bestimmt), die von den mageren 
verschlungen, und die Ähren, die von den schlechteren 
verzehrt werden, so verkünden sie für Aegypten ebenso 
viele Jahre des Hungers und der Unfruchtbarkeit» als Jahre 
des Überflusses vorangegangen sind, und dass der Über- 
fluss der letzteren von der Unfruchtbarkeit der folgenden 
verzehrt werden wird. Und es wird die Not so gross 
werden, dass es schwer sein wird, ihr abzuhelfen, was 
ich daraus schliesse, dass die mageren Kühe, nachdem 
sie die fetten verschlungen, doch nicht satt werden 
konnten. Gott sagt aber sicherlich den Menschen die 
Zukunft voraus, nicht um sie zu erschrecken oder zu be- 
trüben, sondern damit sie in kluger Vorsicht sich Er- 
leichterung verschaffen können, wenn die vorherver- 
kündeten Ereignisse eihtreten. Wenn du daher den Er- 
trag der vorhergehenden Jahre aufspeicherst und weise 
verteilst, so werden die Aegyptier die nachfolgende 
Hungersnot nicht merken.“ 

7. Der König aber bewunderte Josephs Weisheit und 
Klugheit, und er fragte ihn, wie denn zur Zeit des Über- 
flusses für die Zukunft gesorgt werden könnet um die 
Unfruchtbarkeit erträglicher zu machen. Darauf ant- 
wortete Joseph mit dem Rat, er solle mit der Ernte 




88 


Josephus* Jüdische Altertümer. 


möglichst sparsam umgehen und den Aegyptiern nicht 
gestatten, den Überfluss zu verschwenden, sondern ihnen 
befehlen, denselben für die Zeit der Not aufzubewahren. 
Auch ermahnte er ihn, er möge das Getreide von den 
Ackersleuten in Empfang nehmen, es in Scheunen bergen 
und jedem nur so viel verabfolgen lassen, als er zum 
Lebensunterhalt brauche. Pharao bewunderte den Jo- 
seph sowohl seiner Traumauslegung als des guten Rates 
wegen, den er gegeben, und betraute ihn selbst mit der 
Anordnung; er solle alles so machen, wie er es für das 
Volk der Aegyptier und den König für erspriesslich 
halte, denn als der Urheber des guten Rates sei er auch 
der geeignetste Mann, ihn auszuführen. Joseph erhielt 
also vom Könige die Befugnis, dessen Siegel zu ge- 
brauchen und Purpur zu tragen. Im Wagen fuhr er 
durch ganz Aegypten, sammelte von den Landleuten das 
Getreide und teilte jedem nur so viel davon zu, als er 
zur Saat und Nahrung gebrauchte. Doch verriet er nie- 
mand den Grund, warum er so verfuhr. 


Sechstes Kapitel. 

Wie Joseph in Aegypten berühmt wurde und die Brüder 

in seine Gewalt bekam. 

1. Joseph war damals dreissig Jahre alt und wurde 
vom König mit allen erdenklichen Ehren überhäuft. 
Wegen seiner staunenswerten Weisheit gab er ihm den 
Beinamen Psothomphanech , das heisst „Entdecker ver- 
borgener Dinge.“ Auch ging Joseph eine sehr ehren- 
volle eheliche Verbindung ein. Denn unter Vermittlung 
des Königs heiratete er die Aseneth, die jungfräuliche 
Tochter des Petephras, eines Priesters in Heliopolis. Von 
dieser erhielt er noch vor der Hungersnot zwei Söhne, 
deren ältester Manasses hiess. Dieser Name bedeutet 
„vergessen,“ weil er sein früheres widriges Schicksal ver- 
gass, als er in glückliche Verhältnisse kam. Der jüngere 
Sohn hiess Ephraim, das heisst „wiedereingesetzt,“ weil 




Zweites Buch, 6. Kapitel. 


89 


er in die Freiheit seiner Vorfahren wieder eingesetzt 
worden war. Als nun Aegypten die sieben glücklichen 
Jahre, wie sie Joseph in der Traumdeutung vorherver- 
kündet, hinter sich hatte, brach im achten Jahre die 
Hungersnot herein. Und da man sich für dieselbe 
schlecht vorgesehen hatte, strömte alles in grosser Not 
zum königlichen Palast. Der König liess den Joseph 
kommen, der das Getreide an wies und sich in Wahrheit 
als Erretter des Volkes zeigte. Und nicht allein den 
Einwohnern dieser Gegend öffnete er sein Haus, sondern 
er war auch bereit, den Auswärtigen Getreide zu ver- 
kaufen. Denn er hielt es für billig, dass alle ärmeren 
Menschen von denen, die im Überfluss lebten, unterstützt 
würden, da sie ja doch alle miteinander verwandt iseien. 

2. Weil nun auch Chananaea sehr unter der Hungers- 
not litt (die Plage hatte nämlich das ganze Land ringsum 
ergriffen), schickte Jakob, der vernommen hatte, dass 
auch Auswärtige den dortigen Markt besuchen dürften, 
alle seine Böhne nach Aegypten, um Getreide ein- 
zukaufen. Nur den Benjamin, Josephs leiblichen Bruder, 
den Sohn der Kachel , behielt er bei sich. Als diese 
nun nach Aegypten gekommen waren, baten sie den 
Joseph, auch ihnen den Ankauf von Getreide zu ge- 
statten. Denn nichts geschah ohne Josephs Willen, und 
es nutzte nichts, dem König Verehrung zu erweisen, 
wenn man sie nicht vorher dem Joseph erwiesen hatte. 
Dieser erkannte in ihnen seine Brüder, die aber ihrer- 
seits an ihn nicht im entferntesten dachten; denn als 
er von ihnen getrennt wurde, war er noch jung, und 
jetzt war er schon zu einem Alter gelangt, in dem sich 
seine Gesichtszüge so verändert hatten, dass sie ihn 
nicht zu erkennen vermochten, zumal sie nicht ahnen 
konnten, dass er zu so hoher Würde erhoben worden sei. 
Und Joseph dachte sie auf die Probe zu stellen und ihre 
Gesinnung zu erforschen. Denn er schlug ihnen das 
Getreide ab und sagte, sie seien nur gekommen, um zu 
spionieren; aus verschiedenen Gegenden seien sie zu- 
sammengetroffen und gäben nun vor, Verwandte zu sein. 



90 


Josephtu’ Jüdische Altertümer. 


Es sei nicht denkbar, dass ein Privatmann so viele und 
so wohlgestaltete Söhne erziehen könne, , da Königen 
kaum ein solches Glück zu teil werde. So sprach er 
aber nur, um etwas Sicheres über seinen Vater zu er- 
fahren, wie es ihm gehe und was er erlebt habe, seit er 
(Joseph) von ihm weggegangen war; auch hätte er gern 
gehört, wie es mit Benjamin stehe, denn er fürchtete, 
sie hätten auch diesen Bruder, ebenso wie ihn selbst, aus 
dem Wege geräumt. 

3. Die Brüder wurden hierdurch beunruhigt und er- 
schreckt, denn sie sahen sich von grosser Gefahr bedroht 
und dachten nicht im geringsten an ihren Bruder. Sowie 
sie sich aber etwas gefasst hatten, ergriff’ Rubel als der 
älteste das Wort und entgegnete also: „Wir sind weder 
hierher gekommen, um jemand unrecht zu thun, noch um 
dem Könige Schaden zuzufügen, sondern nur um Hilfe 
für unser eigenes Leid zu erlangen, und wir hoffen bei 
eurer Menschenfreundlichkeit Zuflucht zu finden in der 
Not, die über unser Vaterland hereingebrochen ist. 
Denn wir haben vernommen, dass ihr nicht bloss euren 
eigenen Leuten, sondern auch Auswärtigen Getreide ver- 
kauft, und dass ihr allen helfen wollt, die der Hilfe 
bedürfen. Dass wir aber Brüder sind und Blutsverwandte, 
geht schon daraus hervor , dass wir an Gestalt einander 
in hohem Grade ähnlich sind. Unser Vater ist Jakob, 
ein Hebräer, dem wir zu zwölf Söhnen von vier Frauen 
geboren wurden. So lange wir nun alle noch am Leben 
waren, waren wir glücklich ; seitdem aber unser Bruder 
Joseph umgekommen ist, hat sich unsere Lage mehr 
und mehr verschlimmert. Denn der Vater trauert be- 
ständig um ihn und auch wir beklagen das Unglück 
seines Todes und das Leid dfes alten Vaters gar sehr. 
Und nun kommen wir hierher, um Lebensmittel zu 
kaufen, und haben unseren jüngsten Bruder Benjamin 
zur Pflege des Vaters und zur Verwaltung des Haus- 
wesens daheim gelassen. Um die Wahrheit unserer 
Worte zu erproben, kannst du Boten in unsere Heimat 
schicken und dich erkundigen lassen.“ 




Zweites Buch, 6. Kapitel. 


91 


4. Mit diesen Worten versuchte Rubel dem Joseph 
eine günstigere Meinung von ihnen beizubringen. Joseph 
aber liess, da er gehört, dass Jakob noch am Leben und 
Benjamin nicht umgekommen sei, seine Brüder in Ge- 
wahrsam bringen, als wolle er sie bei Gelegenheit einem 
Verhör unterziehen. Am dritten Tage jedoch liess er 
sie vor sich führen und sprach zu ihnen: „Da ihr be- 
hauptet, ihr wäret nicht gekommen, um dem König zu 
schaden, und ihr wäret Brüder und stammtet von dem 
Vater ab, den ihr genannt, so könnt ihr mir die 
Wahrheit dieser Behauptung dadurch beweisen, dass ihr 
einen von euch bei mir zurücklasst, dem kein Leid 
widerfahren soll; ihr anderen aber bringt das Getreide 
eurem Vater und kehrt dann hierher zurück mit dem 
Bruder, den ihr eurer Angabe gemäss zu Hause gelassen 
habt. Daran werde ich erkennen, ob ihr mich nicht 
belogen habt.“ Darüber gerieten sie in ein noch 
schlimmeres Leid ; sie vergossen Thränen und beklagten 
heftig Josephs Schicksal, als ob ihnen wegen des an 
ihm begangenen Unrechtes diese Drangsal von Gott als 
Strafe geschickt worden sei. Rubel aber hielt ihnen 
eindringlich vor, dass ihre Reue dem Joseph doch nichts 
mehr nützen könne, und er beschwor sie, alle Leiden 
9 tarkmütig zu ertragen, da sie von Gott als Strafe für 
das an ihrem Bruder verübte Unrecht ihnen geschickt seien. 
Also sprachen sie zu einander in dem Glauben, Joseph 
verstehe ihre Sprache nicht. Auf Rubels Vorstellungen 
hin aber ergriff sie Trauer und Reue, weil sie eineThat 
verübt, für die Gott sie gerechterweise büssen lasse. 
Da nun Joseph sie in solcher Not sah, weinte er sehr; 
weil er aber nicht wollte, dass sie dies sähen, entfernte 
er sich eine kleine Weile von ihnen. Dann kam er 
zurück, hielt den Simeon als Bürgen für die Wiederkehr 
seiner Brüder fest und hiess die anderen nach Hause 
ziehen, sobald sie Getreide auf dem Markt eingekauft 
hätten. Einem Knechte aber befahl er, . er solle das 
Geld, das sie zum Ankauf des Getreides mitgebracht 




92 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


hatten, heimlich wieder in ihre Säcke legen, und dieser 
vollzog den Befehl. 

5. Als Jakobs Söhne nun nach Chananaea gelangten, 
erzählten sie dem Vater, was sich in Aegypten mit 
ihnen zugetragen habe. Sie seien für Spione gehalten 
worden, und ihrer Angabe, sie seien Brüder und hätten 
den elften beim Vater zurückgelassen, sei kein Glaube 
beigemessen worden. Den Simeon aber hätten sie dem 
Landpfleger als Bürgen stellen müssen, bis Benjamin 
selbst dorthin kommen und’ die Wahrheit ihrer Aussagen 
beweisen würde. Sie baten also ihren Vater, er möge 
ohne Angst den Bruder ihnen mitgeben. Jakob aber 
war mit ihrem Beginnen unzufrieden und ärgerlich 
darüber, dass Simeon in Aegypten festgehalten worden 
war; für Thorheit erklärte er es, den Benjamin auch 
noch dahin bringen zu wollen. Und selbst als Rubel 
ihm für diesen seine beiden Söhne als Pfand bot, die 
er töten könne, wenn dem Benjamin auf der Reise etwas 
zustosse, liess er sich nicht dazu bewegen. Bei dieser 
üblen Lage wurden sie ängstlich und unruhig; noch, 
mehr aber verwirrte sie der Umstand, dass sie das Geld 
in ihren Säcken versteckt fanden. Als nun später der 
mitgebrachte Weizen verbraucht war und die Hungers- 
not immer drückender wurde, gab Jakob nach und ent- 
schloss sich, den Benjamin mit seinen Brüdern zu 
schicken , weil sie nicht nach Aegypten zurückkehren 
konnten, ohne ihn mitzubringen. Denn da die Hungers- 
not von Tag zu Tag heftiger wütete, und die Söhne ihn 
inständig baten, blieb ihm nichts anderes zu thun übrig. 
Namentlich sprach Judas, der von Natur heftig war, 
eindringlich mit dem Vater: Er brauche sich nicht um 
ihren Bruder zu quälen und zu ängstigen, denn ohne 
den Willen Gottes könne ihm nichts zustossen; übrigens 
könne das, was ihm bestimmt sei, ihn auch zu Hause 
treffen. Er möge sie doch nicht dem offenbaren Unter- 
gang überantworten und ihnen nicht aus thörichter 
Angst um seinen Sohn die notwendigen Lebensmittel 
vorenthalten, die ihnen Pharao gewähren wolle. Auch 




Zweites Buch, 6- Kapitel. 


93 


müsse er das Wohlergehen Simeons bedenken und dürfe 
nicht zulassen, dass dieser vielleicht umkommen werde 
dadurch, dass er Benjamins Reise verweigere. Er möge 
also seinen Sohn Gott befehlen, denn er selbst werde 
ihn entweder wohlbehalten wieder nach Hause bringen, 
oder zugleich mit ihm zugrunde gehen. Hierauf gab 
Jakob endlich nach und überliess ihnen den Benjamin. 
Auch gab er ihnen den doppelten Preis für Getreide 
mit sowie für Joseph Geschenke aus den Produkten 
Chananaeas: Balsam, Myrrhenharz, Terebinthen und 
Honig. Darauf vergossen sowohl der Vater als die 
scheidenden Söhne bittere Thränen: denn jener war in 
Sorge, ob er seine Söhne noch einmal wohlbehalten 
Wiedersehen würde; die Söhne aber fürchteten, sie möchten 
den ‘Vater nicht mehr wiederfinden, da er vielleicht der 
Trauer um ihre Abwesenheit erliegen könnte. In dieser 
Bekümmernis brachten sie einen ganzen Tag zu. Dann 
begaben sich die Söhne auf den Weg nach Aegypten 
und suchten ihren Schmerz mit der Hoffnung auf eine 
bessere Zukunft zu lindern; der Greis aber blieb tief- 
gebeugt zu Hause. 

6. In Aegypten angekommen, wurden sie gleich zu 
Joseph geführt Sie hatten aber nicht geringe Furcht, 
es möchten ihnen Vorwürfe wegen des Getreidepreises 
gemacht werden, gleich als hätten sie denselben be- 
trügerischerweise wieder mitgenommen. Daher ent- 
schuldigten sie sich bei Josephs Hausverwalter mit den 
Worten, sie hätten das Geld zu Hause in ihren Säcken 
gefunden und es jetzt wieder mit zurückgebracht. Als 
dieser aber entgegnete, er verstehe nicht, wovon sie 
redeten, verschwand ihre Angst. Simeon ward nun aus 
dem Gefängnis entlassen und gesellte sich seinen 
Brüdern bei. Unterdessen kam auch Joseph vom Dienste 
beim König zurück, und sie überreichten ihm die Ge- 
schenke. Als er sich nun erkundigte, wie sich ihr 
Vater befinde, sagten sie, sie hätten ihn wohlbehalten 
an getroffen. Dann fragte er, da er den Benjamin er- 
kannt hatte, ob das ihr jüngster Bruder sei. Und da* 



94 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sie ihm diese Frage bejahten, sprach er: Gott lenkt 
alles, und er fing vor Bewegung an zu weinen und ent- 
fernte sich, damit seine Brüder dies nicht merkten. 
Alsdann lud er sie zu Tische, und sie setzten sich in 
derselben Reihenfolge wie zu Hause. Joseph behandelte 
sie alle freundlich, den Benjamin aber ehrte er mehr als 
die anderen Tischgenossen und liess ihm von den 
Speisen doppelt so viel geben als den Brüdern. 

7. Als sie sich nun nach der Mahlzeit zum Schlafe 
niederlegten, befahl er dem Verwalter, er solle ihnen 
das Getreide zumessen und den Preis dafür wieder heim- 
lich in die Säcke legen, in Benjamins Gepäck aber solle 
er seinen silbernen Becher verstecken, aus dem er zu 
trinken pflegte. Auf diese Weise wollte er seine Brüder 
erproben, ob sie ihrem Bruder beistehen würden, wenn 
er, wegen Diebstahls angehalten, in Gefahr schwebe, 
oder ob sie ihn im Stiche lassen und, als wenn die Übel- 
that sie selbst nichts anginge, zu ihrem Vater zurück- 
kehren würden. Der Verwalter vollzog den Befehl, und 
ohne Ahnung von alledem zogen die Söhne Jakobs 
bei Tagesanbruch mit Simeon ab, doppelt erfreut, einmal, 
weil sie den Simeon wieder bei sich hatten, dann aber 
auch, weil sie den Benjamin wieder mit nach Hause 
brachten, getreu dem ihrem Vater gegebenen Versprechen. 
Da umringten 6ie auf einmal Reiter, die den Diener bei 
sich führten, welcher den Becher in Benjamins Gepäck 
gethan hatte. Erschreckt ob des plötzlichen Angriffes, 
fragten sie nach der Ursache, warum sie so überfallen 
würden, da sie noch kurz zuvor von Joseph ehrenvoll 
seien bewirtet worden. Jene entgegneten , sie seien 
nichtswürdige Menschen, da sie ohne Erkenntlichkeit 
für die gastliche, freigebige und freundliche Aufnahme, 
die Joseph ihnen habe angedeihen lassen, sich nicht 
gescheut hätten, Unrecht zu begehen und den Becher 
mitzunehmen, aus dem er ihnen wohlwollend zugetrunken. 
Für unrechtmässigen Gewinn hätten sie Josephs Freund- 
schaft verscherzt und sich selbst in die Gefahr begeben, 
ertappt zu werden. Doch würden sie dafür büssen 




Zweites Buch, 6. Kapitel. 


95 


müssen; denn vor Gott könne es nicht verborgen 
bleiben, dass sie mit dem geraubten Gut entflohen seien, 
wenn es ihnen auch gelungen sei, den Knecht zu be- 
trügen. .Und nun fragten sie auch noch, weshalb die 
Reiter da seien, da sie doch wohl wüssten, dass sie bald 
ihre Strafe erhalten würden. Mit diesen und noch 
mehreren Worten schalt sie der Diener aus. Sie aber 
hielten , da ihnen ein Betrug ferngelegen hatte , seine 
Worte für Scherz und verwunderten sich darüber, dass 
er so leichtfertig ihnen eine solche Handlung nach- 
zusagen wage, da sie doch den Preis für das Getreide, 
den sie in ihren Säcken gefunden , nicht behalten, 
sondern wieder mitgebracht hätten, obgleich niemand 
darum gewusst habe. Sie seien also weit entfernt davon 
gewesen, etwas Böses zu thun. Doch wollten sie, anstatt 
einfach zu leugnen, sich lieber einer Durchsuchung 
unterziehen, und sie wollten gern jede Strafe erleiden, 
wenn einer von ihnen des Diebstahls überführt würde. 
Denn da sie sich keines Verbrechens bewusst waren, 
hatten sie Mut und glaubten ihrer Sache ganz sicher 
zu sein. Die Reiter nahmen die vorgeschlagene Unter- 
suchung an, doch sagten sie, derjenige müsse allein die 
Strafe erleiden , der des Diebstahls überführt würde. 
Darauf schritten sie zur Untersuchung, und nachdem 
sie das Gepäck der anderen in Ordnung gefunden, 
kamen sie endlich zu dem des Benjamin, wohl wissend, 
dass in seinem Sacke der Becher versteckt sei. Doch 
wollten sie sich den Anschein geben , als ob sie mit 
aller Gewissenhaftigkeit zu Werke gegangen seien. Die 
anderen aber waren, da sie selbst von ihrer Sorge be- 
freit waren, nur wegen Benjamins noch etwas be- 
kümmert. Voller Hoffnung indes, man werde auch ihm 
nichts nach weisen können, warfen sie ihren Verfolgern 
schon freimütig vor, diese seien schuld daran, dass sie 
nicht bereits einen guten Teil ihrer Reise hinter sich 
hätten. Als aber bei der Durchsuchung des Gepäckes 
Benjamins der Becher sich fand, fingen sie an zu 
jammern und zu klagen, zerrissen ihre Kleider und 




96 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


beweinten nicht nur ihren Bruder, weil er bald die Strafe 
für den Diebstahl zu erleiden hätte, sondern auch ihr 
eigenes Schicksal, weil sie das dem Vater bezüglich 
Benjamins gegebene Versprechen nun nicht halten 
könnten. Vermehrt wurde ihr Leid noch dadurch, dass, 
als sie schon allem Unheil entronnen zu sein wähnten, , 
widriges Geschick sie noch in dieses Unglück gestürzt 
habe. Und sie bekannten sich als Urheber nicht nur 
des Unglückes ihres Bruders, sondern auch der Trauer 
ihres Vaters, den sie wider seinen Willen veranlasst 
hatten, den Knaben mit ihnen zu schicken. 

8. Die Reiter ergriffen darauf den Benjamin und 
führten ihn zu Joseph zurück; die anderen Brüder aber 
folgten ihnen. Da nun Joseph den Benjamin gefangen 
genommen und die Brüder in Trauer um ihn versunken 
sah, sprach er zu ihnen: „Was denkt ihr, ihr Nichts- 
würdigen, von meiner Menschenfreundlichkeit und von 
Gottes Vorsehung, da ihr solches gegen euren Wohl- 
thäter und Gastfreund verüben konntet?“ Sie aber er- 
boten sich, die Strafe für Benjamin zu erleiden, riefen 
eich auch ins Gedächtnis zurück, wie frevelhaft sie gegen 
Joseph gehandelt, und priesen ihn glücklich, dass er 
(wenn er gestorben sei) den Mühsalen des Lebens ent- 
rückt sei. Sei er aber noch am Leben, so erlitten sie 
jetzt die Strafe , die Gott ihnen für ihre Frevelthat auf- 
erlegt; und sie nannten sich des Vaters Unheil und 
Verderben, weil sie zu seinem Leid um Joseph noch 
die Trauer um Benjamin hinzugefügt hätten. Besonders 
heftige Vorwürfe machte ihnen Rubel. Joseph aber er- 
klärte, er wolle die anderen ziehen lassen,* da sie ja 
nichts verbrochen hätten, und mit der Bestrafung des 
Knaben allein zufrieden sein. Denn es sei nicht weise 
gehandelt, diesen den Unschuldigen zu Gefallen frei zu 
lassen, noch sie zugleich mit dem offenkundigen Dieb 
zu bestrafen. Alsdann versprach er ihnen beim Abzug 
sicheres Geleit. Sie waren hierüber bestürzt und vor 
Schmerz sprachlos. Judas aber, der den Vater be- 
schwätzt hatte, den Knaben mit ihnen ziehen zu lassen, 



Zweites Buch, 6. Kapitel. 


97 


und der überhaupt entschiedenen und thatkräftigen 
Charakters war, entschloss sich, für das Wohlergehen 
des Bruders der Gefahr zu trotzen, und sprach : „Unrecht 
haben wir gegen dich , o Landpfleger , begangen und 
Strafe verdient, der wir uns alle unterziehen wollen, 
obgleich nur der jüngste die Schuld trägt. Eigentlich 
müssten wir seinetwegen an unserer Rettung verzweifeln, 
aber doch lässt uns deine Güte noch einige Hoffnung 
hegen und eröffnet uns Aussicht auf Befreiung aus der 
Gefahr. Sieh daher nicht uns an noch die That, die 
wir verbrochen, sondern lass walten deine Herzensgüte 
und Tugend. Den Zorn aber, von dem kleinliche 
Menschen sich in allen Lebenslagen so leicht hinreissen 
lassen, weise ab von dir, lasse dich nicht von ihm über- 
winden und überantworte nicht die dem Verderben, die 
um ihr Heil nicht selbst Sorge tragen können, dasselbe 
von dir vielmehr flehentlich erbitten. Denn nicht zum 
erstenmal zeigst du dich freigebig gegen uns, sondern du 
hast uns, als wir zu dir kamen, um Getreide zu kaufen, 
dazu Gelegenheit gegeben und uns so viel davon über- 
lassen, als nötig war, um unsere Familie vor dem 
Hungertode zu bewahren. Es ist aber kein Unterschied, 
ob du dich der Darbenden annimmst und sie vor dem 
Untergang bewahrst, oder ob du die von Strafe frei- 
sprichst, von denen die Menschen glauben, dass sie 
gefehlt haben, und die sie um der Wohlthätigkeit willen 
beneiden, welche du ihnen erzeigst. Es ist ganz dieselbe 
Gnade, wenngleich sie in verschiedener Weise erzeigt 
wird. Erhalte also die, welche du bis jetzt gespeist 
hast, und rette uns das Leben, w r ie du uns vor dem 
Hungertode bewahrt hast. Es ist ebenso gross und be- 
wunderungswürdig, uns das Leben zu schenken, als es 
durch Freigebigkeit vor dem Untergange zu bewahren. 
Ich halte dafür, dass Gott dir nur den Weg zur Ver- 
mehrung deines Ruhmes hat zeigen wollen, als er uns 
in dieses Unglück stürzen liess, damit du nämlich eben- 
soviel Ruhm erlangest durch Vergebung des Unrechtes, 
das wir dir zugefügt, wie du schon erworben hast durch 

Jotephas’ Jüdische Altertümer. 7 




98 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


menschenfreundliche Unterstützung derer, die aus anderen 
Gründen deiner Hilfe bedurften. Denn es ist etwas 
Grosses, denen zu helfen, die in Not sind; doch noch 
viel grösser und herrlicher ist es, die zu begnadigen, die 
sich durch Frevel Strafe zugezogen haben. Und wenn 
es schon zu grossem Lobe gereicht, kleinere Vergehen 
zu verzeihen , so reicht es doch fast an Gott selbst 
heran, den Zorn zu bezähmen und denjenigen zu ver- 
zeihen, die uns beleidigt und so das Leben verwirkt 
haben. Hätten wir nicht einen Vater, der sich um 
Josephs Tod abhärmt und der sich so schwer um den 
Verlust seiner Kinder grämt, so hätte ich nicht so viele 
Worte um unser Leben verloren, wenn ich es nicht in 
Ansehung deiner Güte gethan hätte, der du es für er- 
haben hältst, denen das Leben zu schenken, die nach 
ihrem Tode niemand beweinen würde; vielmehr hätten 
wir mit Gleichmut die Strafe erlitten, die du über uns 
verhängen würdest. Jetzt aber, da wir nicht mit uns 
selbst Mitleid haben , obzwar wir noch jung sind und 
noch wenig von des Lebens Genüssen gekostet haben, 
sondern vielmehr mit unseres Vaters Greisenalter, bitten 
wir dich inständig und flehentlich, du wollest uns das 
Leben schenken, das wir durch unsere Übelthat gegen 
dich verwirkt haben. Denn unser Vater ist nicht 
schlecht und hat auch uns nicht so erzogen, sondern er 
ist ein rechtschaffener und ehrbarer Mann, der ein 
solches Geschick nicht verdient hat und jetzt wegen 
unserer langen Abwesenheit von Kummer und Sorgen 
gequält wird. Wenn er aber von unserem Tode und 
dessen Ursache Kunde erhielte, so würde er um so eher 
wünschen , aus dem Leben scheiden zu können ; 
er würde sich verzehren in Trauer, und unsere 
Schmach würde seinen Tod beschleunigen und überdies 
ihn in Trostlosigkeit sterben lassen, da er doch jetzt 
schon, noch ehe er Nachricht über uns erhalten, fast 
von Sinnen ist. Bedenke dies doch, und wenn auch 
unsere That deinen Zorn erregt hat, so lass dem Vater 
zulieb Gnade walten und dein Mitleid mit ihm grösser 



Zweites Buch, 6. Kapitel. 


99 


sein, als unsere Ruchlosigkeit. Habe Rücksicht auf sein 
Greisenalter ; er würde, wenn wir umkämen, in Ver- 
lassenheit leben und sterben. Denn indem du so 
handelst, ehrst du auch deinen eigenen Vater und dich 
selbst, und mit Freuden wirst du seinen Namen tragen. 
Dazu verleihe dir seine Gnade Gott, der Vater aller; 
denn auch ihm wirst du mit solcher liebevollen Ge- 
sinnung Ehre erweisen, wenn du nämlich Mitleid hast 
mit unserem Vater und bedenkest, was er durch den 
Verlust seiner Kinder leiden würde. Bei dir steht es 
daher, uns das Leben, das Gott uns gegeben hat, und 
das du uns jetzt nehmen kannst, wiederum zu schenken 
und so an Güte sein Ebenbild zu werden, so viel du 
das vermagst. Schön ist es, eine so grosse Macht zu 
anderer Nutzen und nicht zu ihrem Schaden zu 
gebrauchen und, wenn man andere verderben kann 
und das Recht dazu hat, dieses nicht auszuüben, 
gleich als wäre es nicht vorhanden, sondern seine 
Gewalt nur zum Heile anderer zu verwenden. Und 
je mehr Menschen man beglückt, desto grösseren Ruhm 
erwirbt man sich selbst. Du kannst uns jetzt alle 
retten, wenn du unserem Bruder verzeihst, was er gegen 
dich gefrevelt. Denn auch uns wird es nicht mehr 
möglich sein zu leben, wenn er die Todesstrafe erleidet, 
da wir ohne ihn nicht zum Vater zurückkehren dürfen. 
Darum verhänge über uns dieselbe Strafe, gleich als ob 
wir Genossen seines Verbrechens wären; denn wir wollen 
dasselbe Schicksal erleiden , das unserem Bruder bevor- 
steht. Es ist uns lieber, mit ihm verurteilt zu werden 
und zu sterben, als dass wir nach seinem Tode uns in 
Trauer aufreiben. Ich will nicht davon reden, dass er 
noch jung, und sein Verstand noch nicht ausgebildet, 
und dass es deshalb nach menschlicher Sitte schicklich 
ist, ihm eher Verzeihung zu gewähren. Vielmehr will 
ich das alles deiner Beurteilung anheimstellen und zum 
Schluss meiner Rede kommen, damit, wenn du uns ver- 
urteilst, es meine eigene Schuld sei, dass ich nicht alles 
gesagt habe , was deinen Zorn gegen uns mildern 




100 ' 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


könnte, dass hingegen, wenn du uns lossprichst, du das 
Bewusstsein habest, dies in deiner Güte und Milde ge- 
than zu haben. Denn dann schenkst du uns nicht nur 
das Leben, sondern erweisest uns auch die Gnade, uns 
für besser zu halten, als wir sind, und bist mehr auf 
unser Wohl bedacht als wir selbst. Hast du also be- 
schlossen, ihn zu töten, 30 lass mich für ihn die Todes- 
strafe erleiden und sende ihn dem Vater zu. .Willst du 
ihn aber lieber der Knechtschaft überantworten, so bin 
ich selbst noch tauglicher als er zu deinem Dienste. 
Zu beiden Strafen bin ich, wie du siebst, geeignet und 
bereit.“ Hierauf warf sich Judas, der freudigen Herzens 
für das Wohlergehen seines Bruders leiden wollte, 
Joseph zu Füssen und versuchte so dessen Zorn zu be- 
sänftigen und zu beschwichtigen. Ebenso thaten auch 
die anderen Brüder und erboten sich unter Thränen, für 
Benjamin zu sterben. 

9 . Joseph aber wurde von Mitleid überwältigt und 
konnte sich nicht länger zornig stellen. Und er befahl 
den Anwesenden, sich zu entfernen, damit er ohne 
Zeugen sich seinen Brüdern zu erkennen geben könne. 
Als nun alle sich zurückgezogen hatten, gab er sich 
seinen Brüdern zu erkennen und sprach: „Eure liebe- 
volle Gesinnung, gegen unseren Bruder muss ich loben, 
und ich sehe, dass ihr doch ein besseres Gemüt habt, 
als ich nach dem erwarten konnte, was ihr einst gegen 
mich ins Werk gesetzt habt. Denn ich habe alles, was 
ihr hier an euch erfahren habt, nur deshalb an geordnet, 
um eure brüderliche Liebe auf die Probe zu stellen. 
Ich glaube auch, dass ihr von Natur nicht bösartig 
gegen mich gesinnt w^ret, sondern ich schreibe alles 
dem Willen Gottes zu, der uns den Genuss der gegen- 
wärtigen Güter gestattet und den der zukünftigen nicht 
vorenthalten wird, wenn er fortfährt, uns gnädig zu sein. 
Da ich n\in auch erfahren habe, dass der Vater gegen 
meine Erwartung noch wohlbehalten ist, und dass ihr 
euren Bruder so sehr liebt, so will ich weiterhin dessen, 
was ihr an mir gesündigt, nicht mehr gedenken. Auch 




Zweites Buch, 6. Kapitel. 


101 


will ich euch deswegen keinen Hass nachtragen, viel- 
mehr euch Dank abstatten, weil ihr mit mir die Ursache 
gewesen seid, dass Gott so gnädig für uns sorgte. Und 
so wünsciie ich, dass auch ihr das Geschehene vergesst. 
Freut euch, dass eure damaligen bösen Anschläge zum 
Guten gediehen sind, und betrübt euch nicht darüber, dass 
ihr etwas gethan, dessen ihr euch schämen müsst. Auch 
lasst es euch nicht schmerzen, dass ihr so übel mit mir 
verfahren seid, da eure Absicht ja nicht verwirklicht 
worden ist. Freut euch vielmehr, dass Gott es so ge- 
lenkt hat, und nun zieht hin und verkündet es dem 
Vater, damit er nicht länger von Sorge um euch gequält 
werde und er so vielleicht eher sterbe, als ich ihn wieder- 
gesehen und ihn zum Teilhaber aller dieser meiner Güter 
gemacht habe. Nehmt also den Vater, eure Weiber und 
Kinder und eure ganze Verwandtschaft und wandert 
hierher. Denn es ziemt sich nicht, dass die, die mir die 
liebsten sind, sich an meinem Glücke nicht erfreuen 
sollten, zumal da die Hungersnot noch fünf Jahre an- 
halten wird.“ Nach diesen Worten umarmte Joseph seine 
Brüder. Diese aber brachen in Thränen und Klagen 
aus, indem sie dea Bösen gedachten, das sie gegen 
ihn verübt; denn sie hatten noch immer Angst, hinter 
dem freundlichen Gebaren ihres Bruders möchte sich 
die verdiente Strafe verbergen. Darauf wurde ein Mahl 
hergerichtet. Und auch der König freute sich über die 
Ankunft der Brüder Josephs gar sehr, und er stellte 
sich an, als ob ihm selbst etwas Gutes zu teil geworden 
sei. Dann schenkte er ihnen Wagen, mit Getreide hoch 
beladen, und Gold und Silber für ihren Vater. Und 
nachdem sie auch von Joseph noch viele Geschenke, 
teils für ihren Vater, teils für sich, am meisten aber 
für Benjamin erhalten hatten, zogen sie nach Hause. 




102 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Siebentes Kapitel. 

Wie Jakob infolge der Hungersnot mit seiner ganzen 
Familie zu seinem Sohne Joseph zog. 

1. Als nun Jakob von seinen Söhnen bei der Rück- 
kehr hörte, dass Joseph, den er schon als tot betrauert 
hatte, nicht nur noch am Leben sei, sondern dass er auch 
in Glanz und Glück lebe, zugleich mit dem König 
Aegypten regiere und fast die ganze Verwaltung unter 
sich habe, zweifelte er um so weniger an der Wahrheit 
der Nachricht, als er der Herrlichkeit Gottes und seiner 
Güte gedachte, die nur eine Zeitlang sich nicht zu 
offenbaren schien. Und sogleich machte er sich auf den 
Weg und eilte zu Joseph. ■ 

2. Nachdem er zum Brunnen des Bündnisses ge- 
kommen, opferte er Gott; denn er besorgte, seine Söhne 
möchten aus Aegypten seiner Fruchtbarkeit wegen nicht 
mehr wegziehen wollen, und ihre Nachkommen möchten 
nicht mehr nach Chananaea zurückkehren , das doch 
nach Gottes Verheissung in ihrem Besitz verbleiben 
sollte. Weiterhin fürchtete er, sein Geschlecht möchte, 
da er die Reise nach Aegypten ohne den Rat Gottes 
angetreten, irgend ein schweres Unglück treffen, oder er 
werde aus dem Leben scheiden müssen, ehe er den 
Joseph wiedergesehen hätte. Über diesen Gedanken 
schlief er ein. 

3. Im Traume aber erschien ihm Gott, rief ihn zwei- 
mal beim Namen und sprach auf seine Frage, wer er 
sei, also zu ihm: „Es ist nicht denkbar, dass du, Jakob, 
den Gott nicht kennen solltest, der deinen Vätern und 
dir stets getreulich beigestanden hat. Denn als dein 
Vater beabsichtigte, dir die Herrschaft zu entziehen, 
habe ich sie dir erhalten. Unter meinem Schutze bist 
du allein nach Mesopotamien gereist, hast dort gut ge- 
heiratet, und reich an Kindern und Vermögen bist du 
von dort zurückgekehrt. Meine Vorsehung erhielt dir 
alle deine Nachkommen unversehrt und erhob den 




Zweites Bach, 7. Kapitel. 


103 


Joseph, den du schon verloren glaubtest, zum glück- 
lichen Herrn von Aegypten, der sich nicht viel vom 
König unterscheidet. Und nun komme ich und will dein 
Führer auf diesem deinem Wege sein, und ich ver- 
kündige dir, dass du in Josephs Armen sterben wirst, 
dass dein Geschlecht viele Jahrhunderte hindurch gross 
und berühmt sein wird, und dass ich es in das Land 
zurückführen werde, welches ich ihm verheissen habe.“ 
4. Durch diesen Traum wurde Jakob mit Vertrauen 
erfüllt und zog nun um so williger mit seinen Kindern 
und Kindeskindern nach Aegypten , die im ganzen 
siebzig an der Zahl waren. Ihre Namen wollte ich 
zuerst nicht anführen, da sie schwierig auszusprechen 
sind ; indes glaubte ich dies doch thun zu müssen , um 
diejenigen zu widerlegen, die behaupten, vyir stammten 
nicht aus Mesopotamien, sondern aus Aegypten. Jakob 
also hatte zwölf Söhne, von denen Joseph aus- 
geschieden werden kann, da er schon erwähnt ist. Von 
den anderen Söhnen hatte Rubel vier Söhne: Anoch, 
Phallus, Assaron und Charmis; Simeon sechs: Jamuel, 
Jamin, Jaod, Jachin, Soar und Saul; Levis drei: Gersom, 
Kaath, Marari; Judas ebenfalls drei: Sales, Phares und 
Zaras, und ausserdem zwei Enkel vom Phares: Esron 
und Amyr. Isachar hatte vier Söhne: Thulas, Phuas, 
Jasub und Samaron; Zabulon drei: Sarad, Elon und 
Jalel. Diese stammten nebst der Dina von der Lia, 
zusammen dreiunddreissig. Rachel hatte zwei Söhne. 
Von diesen hatte Joseph wieder zwei Söhne, Manasses 
und Ephraim, der andere, Benjamin, deren zehn: Bolosor, 
Bachar, Asabel, Gera, Naeman, Jes, Ros, Momphis, 
Optai's und Arad. Diese vierzehn machen mit den vor- 
her genannten zusammen siebenundvierzig aus. Das 
waren Jakobs rechtmässige Kinder. Von Balla, Rachels 
Dienerin, wurden ihm geboren Dan und Nephthali, von 
Jenen der letztere vier Söhne hatte: Jesei, Gunis, 
Issares und Sellim, Dan aber nur einen: Usis. Diese 
zu der obigen Zahl zugezählt giebt vierundfünfzig. Von 
der Zelpha , Lias Dienerin , stammten Gad und Äser. 




104 


Joseph us ’ Jüdische Altertümer. 


Gad führte sieben Söhne mit sich: Sophonias , Augis, 
Sunis, Azabon, Aeris, Eroedes und Arielas; Äser aber 
eine Tochter Sara und sechs Söhne: Jomnes, Isus, Isuis, 
Baris, Abar und Melchiel. Diese sechzehn [den ge- 
nannten vierundfünfzig zugezählt ergeben die oben an- 
gegebene Zahl, bei der Jakob selbst nicht mit- 
gezählt ist. 

5. Als nun Joseph von seines Vaters Ankunft Kunde 
erhalten (Judas war nämlich vorausgeeilt, um ihm die- 
selbe zu melden), ging er ihm entgegen und traf ihn bei 
der Stadt der Heroen. Vor allzu grosser Freude wäre 
da Jakob beinahe gestorben. Joseph aber erfrischte ihn 
wieder; obgleich auch er sich vor Freude kaum halten 
konnte, hatte sie ihn doch nicht so ergriffen wie den 
Vater. Dann hiess Joseph seinen Vater langsam nach- 
kommen ; er selbst aber eilte mit fünf seiner Brüder zum 
König und meldete ihm, dass Jakob mit seiner ganzen 
Familie angekommen sei. Dieser nahm die Nachricht 
freudig auf und erkundigte sich bei Joseph, welche 
Lebensweise sie vornehmlich führten, damit er ihnen zur 
Fortsetzung derselben behilflich sein könne. Joseph 
entgegnete, sie seien vortreffliche Hirten, ausserdem aber 
verständen sie keinen anderen Beruf. So wollte er ver- 
hüten, dass sie von einander getrennt würden. Sie 
sollten vielmehr zusammen wohnen und für den Vater 
sorgen und nicht zu viel Verkehr mit den Aegyptiern 
pflegen, wie es geschehen wäre, wenn sie mit ihnen 
dieselbe Lebensweise geführt hätten. Denn den Aegyptiern 
war es verboten, Herden zu weiden. 

6. Da nun Jakob zum König kam, ihn begrüsste 
und ihm Glück zu seiner Regierung wünschte, fragte ihn 
Pharao, wie alt er sei. Und als Jakob antwortete: 
hundertunddreissig Jahre, bewunderte ihn der König ob 
seines hohen Alters. Jakob aber fügte hinzu, er habe 
das Alter seiner Vorfahren noch nicht erreicht. Alsdann 
wies Pharao ihm und seinen Söhnen Heliopolis als 
Wohnsitz an, wo auch die Hirten des Königs Weide- 
plätze hatten. 




Zweites Buch, 7. Kapitel. 


105 


7. Die Hungersnot aber nahm von Tag zu Tag zu 
und wurde für die Aegyptier immer drückender. Denn 
es fehlte die Bewässerung des Landes, da der Nil nicht 
aus den Ufern trat, und auch Gott keinen Regen sandte. 
Das Volk aber hatte keine Vorsorge für die Zukunft 
getroffen, da es sie nicht voraussehen konnte, und 
Joseph liess Getreide nur gegen bares Geld verabfolgen. 
Als nun das Geld zu mangeln anfing, bezahlte man mit 
Vieh und Sklaven, und wer Äcker hatte, gab diese für 
Getreide hin. So gelangte aller Grundbesitz in das 
Eigentum des Königs, und der eine musste hierhin, der 
andere dorthin ziehen, damit der König um so sicherer 
und unbehelligter das Eigentumsrecht an Grund und 
Boden behielt. Nur den Priestern verblieb ihr Besitz. 
Die grosse Not führte schliesslich dazu, dass man nicht 
nur den Leib, sondern auch die Seele verkaufte und so 
gezwungen war, auf unsittliche Weise sein Leben zu 
fristen. Als aber endlich die Hungersnot nachliess, der 
Fluss das Land wieder überschwemmte, und dieses wieder 
reichlich Frucht erzeugte, begab sich Joseph zu jeder 
Gemeinde, rief das Volk zusammen und gab das Land, 
das dem Könige abgetreten worden war, und von dem 
er allein die Nutzniessung hatte, den früheren Eigen- 
tümern zurück. Diese ermahnte er, wohl zu bedenken, 
dass das Land von Rechts wegen Eigentum des Königs 
sei; sie sollten sich also dessen Bebauung nicht dadurch 
verdriessen lassen, dass sie fortan den fünften Teil des 
Ertrages an den König abliefern müssten. Sie aber 
freuten sich, so unverhofft wieder in den Besitz ihres 
Ackerlandes gekommen zu sein, und verpflichteten sich 
zur strengen Beobachtung dieses Befehls. Hierdurch 
wuchs sowohl das Ansehen Josephs bei den Aegyptiern, 
als auch die Anhänglichkeit der Unterthanen an den 
König in hohem Grade. Dieser Gebrauch, den fünften 
Teil des Ertrages abzuliefern, blieb auch unter den 
folgenden Königen unverändert bestehen. 




106 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


* 


Achtes Kapitel. 

Vom Hinscheiden Jakobs und Josephs. 

1. Als Jakob siebzehn Jahre in Aegypten gelebt 
hatte, erkrankte er und starb in Gegenwart seiner Söhne, 
nachdem er ihnen zuvor noch alles Gute gewünscht und 
in prophetischer Weise verkündet hatte, dass ihre Nach- 
kommen das Land Chananaea bewohnen würden, wie es 
auch später wirklich geschehen ist. Dem Joseph aber 
erteilte er besonderes Lob, weil er nicht nur das Unrecht 
verziehen, das seine Brüder ihm zugefügt, sondern ihnen 
nur noch desto mehr Güte erwiesen habe, indem er sie 
mit Wohlthaten überhäufte, die sie nicht vergelten 
konnten. Deshalb befahl er seinen Söhnen, sie sollten 
die Söhne Josephs, Ephraim und Manasses, in ihre Zahl 
aufnehmen und das Land Chananaea mit ihnen teilen, 
wovon später die Rede sein wird. Dann verlangte er 
noch, in Chebron begraben zu werden. Und er starb 
im Alter von hundertsiebenundvierzig Jahren. Niemand 
seiner Vorfahren übertraf ihn an Frömmigkeit, und für 
seine ausgezeichneten Verdienste war ihm der gebührende 
Xohn zu teil geworden. Joseph brachte mit Einwilligung 
des Königs den Leichnam seines Vaters nach Chebron 
und bestattete ihn dort mit aller Pracht. Als aber 
seine Brüder sich weigerten, mit ihm nach Aegypten 
zurückzukehren (sie fürchteten nämlich, er werde nach 
des Vaters Tode sich an ihnen für das begangene Un- 
recht rächen, weil niemand mehr da sei, dem er mit der 
ihnen erzeigten Freundlichkeit einen Gefallen erweisen 
könne), bat er sie, die Furcht und das Misstrauen gegen 
ihn abzulegen. Sie gingen nun auch wieder mit ihm, 
und er beschenkte sie mit grossem Landbesitz und 
liess nicht nach, ihnen sein ganzes Wohlwollen zuzu- 
wenden. 

2. Als Joseph aber hundertzehn Jahre alt war, starb 
er auch selbst. Er war mit hervorragenden Eigen- 
schaften begabt, lenkte und leitete alles mit grosser 




Zweites Buch, 9. Kapitel. 


107 


Weisheit und machte von seiner angesehenen Stellung 
nur guten und verständigen Gebrauch. Diese Eigen- 
schaften bewirkten sein grosses Glück bei den Aegyptiem, 
obwohl er ein Fremdling und den Ränken und . der 
schimpflichen Behandlung ausgesetzt gewesen war, deren 
wir oben Erwähnung gethan. Auch seine Brüder 
starben in Aegypten, nachdem sie glücklich gelebt. Ihre 
Gebeine brachten ihre Kinder und Kindeskinder später 
nach Chebron und setzten sie hier bei. Josephs Gebeine 
aber nahmen die Hebräer erst dann nach Chananaea 
mit, als sie aus Aegypten auszogen; denn hierzu hatte 
sie Joseph eidlich verpflichtet. Welche Geschicke nun 
die einzelnen Nachkommen zu bestehen hatten, und unter 
welchen Mühseligkeiten es ihnen gelang, Chananaea in 
Besitz zu nehmen, werde ich später erzählen, nachdem 
ich die Veranlassung erörtert habe, weshalb sie Aegypten 
verliessen. 


Neuntes Kapitel. 

Bedrückung der Hebräer. Moyses* Geburt und Erziehung. 

1. Die Aegyptier aber waren genusssüchtig und träge, 
hingen an sinnlichem Vergnügen und jagten nach Ge- 
winn. Daher beneideten sie die Hebräer um ihres 
Glückes willen und wurden feindselig gegen sie gesinnt. 
Da sie nämlich bemerkten, wie sehr die Israeliten sich 
vermehrteii und wie sie durch Fleiss und Tüchtigkeit 
zu grossem Reichtum gelangten, befürchteten sie, die- 
selben möchten ihre Macht zum Verderben der Aegyptier 
an wenden. Und da auch das Andenken an Josephs 
Wohlthaten mit der Zeit verblasste, und die Regierung 
an eine andere Dynastie übergegangen war, wurden die 
Israeliten misshandelt und zu allerlei schweren Arbeiten 
herangezogen. Man befahl ihnen , den Fluss in viele 
Bäche abzuleiten, Mauern um die Städte zu ziehen und 
Dämme zu errichten, damit das Wasser nicht aus den 
Ufern treten und Sümpfe bilden könne. Auch er- 



108 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


schöpften sie die Unseren durch den Bau von Pyramiden 
und zwangen sie, mancherlei Künste zu erlernen und 
sich an schwere Arbeit zu gewöhnen. Dieses Schicksal 
ertrugen sie volle vierhundert Jahre, und es schien 
beiderseitig ein Wetteifer zu entstehen, in welchem die 
Aegyptier die Israeliten durch übermässige Arbeit zu 
Grunde richten, diese hingegen darthun wollten, dass 
ihnen keine Anstrengung zu gross sei. 

2. Während sich die Unseren mit solchen Arbeiten 
befassen mussten, ereignete sich etwas, das bei den 
Aegyptiern den Wunsch, uns zu vertilgen, noch reger 
machte.' Einer von ihren Schriftkundigen (denn diese 
waren in der Vorhersagung der Zukunft bewandert) 
weissagte dem König, es werde um jene Zeit aus 
hebraeischem Blute ein Knabe geboren werden, der, 
wenn er erwachsen sei, die Herrschaft der Aegyptier ver- 
nichten, die Israeliten hingegen mächtig machen werde. An 
Tugend werde er besonders hervorragen, und sein An- 
denken werde ein ruhmvolles sein. Durch diesen Spruch 
wurde der König erschreckt, und er befahl, alle israeliti- 
schen Knaben gleich nach der Geburt in den Fluss zu 
werfen und zu töten. Die aegyptischen Geburtshelferinnen 
sollten genau erforschen, wann die hebraeischen Weiber 
niederkommen würden, und die Geburt sorgsam über- 
wachen. Und nur aegyptische Geburtshelferinnen sollten 
bei Hebräerinnen Dienste thun, weil nur von diesen 
eine strenge Befolgung des Gebotes zu erwarten war. 
Diejenigen aber, die dieses Gebot überträten und ihre 
neugeborenen Kinder zu verbergen wagten, sollten mit 
ihrer ganzen Familie den Tod erleiden. Den Hebräern 
erschien das Gebot grausam, nicht nur, weil sie ihre 
Kinder verlieren und noch selbst Henkersdienste an 
ihnen verrichten sollten, sondern auch, weil sie daran 
dachten, dass nach der Tötung ihrer Kinder auch sie 
selbst nicht lange mehr leben würden, da sie von Un- 
glück und Trübsal würden niedergebeugt werden, und 
dass so ihr Geschlecht von Grund aus vernichtet werden 
würde. Sie waren also in einer trostlosen Lage. Aber 



Zweites Buch, 9. Kapitel. 


109 


gegen Gottes Ratschluss kann man nicht 'ankämpfen, 
wenn man auch tausend Listen dagegen ersinnt. Denn 
der Knabe, vor dem jener Schriftkundige gewarnt hatte, 
wurde den Nachstellungen des Königs zum Trotz heim- 
lich erzogen, und alles, was er von ihm vorhergesagt 
hatte, bewahrheitete sich. Der Hergang war folgender. 

3. Amaram, ein vornehmer Jude, war um sein Volk 
besorgt, da keine männliche Jugend mehr nachwuchs, 
und auch in Bezug auf sich selbst war er äusserst be- 
ängstigt, denn seine Gattin war schwanger. Und er rief 
Gott an und flehte zu ihm , er möge sich doch des 
Schicksals derjenigen erbarmen, die ihn bisher so treu 
verehrt hätten, und sie aus ihrer gegenwärtigen Not be- 
freien, indem er den Aegyptiern die Hoffnung auf gänz- 
liche Vernichtung der Israeliten raube. Gott erbarmte 
sich seiner, erhörte sein Gebet, erschien ihm im Schlafe 
und ermahnte ihn, an der Zukunft nicht zu verzweifeln. 
Er erinnere sich der Frömmigkeit der Israeliten und 
werde sie dafür geziemend belohnen, da er doch auch 
ihren Vorfahren gnädig gewesen sei und sie aus einer 
geringen Anzahl zu einem grossen Volke habe an wachsen 
lassen. Denn Abram sei allein von Mesopotamien nach 
Ghananaea gezogen und glücklich gewesen; auch habe 
seine Gattin, die vorher unfruchtbar gewesen, später 
seinem Wunsche gemäss noch Kinder geboren, und dem 
Ismael und dessen Nachkommen habe er Arabien, den 
Söhnen der Chetura Troglodytis, dem Isak aber Chana- 
naea hinterlassen. „Und wenn ihr nicht,“ fuhr Gott 
fort, „gottlosen und undankbaren Gemütes seid, so müsst 
ihr euch erinnern, was für Kriegsthaten er unter meinem 
Schutze verrichtet hat. Jakob ist wegen des grossen 
Glückes, in dem er selbst gelebt und das er seinen 
Kindern und Enkeln hinterlassen, bei den auswärtigen 
Völkerschaften zu grosser Berühmtheit gelangt. Mit 
siebzig Angehörigen im ganzen kam er nach Aegypten, 
und ihr seid schon auf mehr als sechshunderttausend 
angewachsen. Jetzt aber, das merke dir, bin ich für 
euer Wohlergehen und deinen Ruhm besorgt. Denn jener 




110 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Knabe, dessen Geburt die Aegyptier so fürchten, dass 
sie die israelitischen Kinder alle töten wollen, wird dir 
geboren werden. Er wird denen verborgen bleiben, die 
ihm nachstellen, auf wunderbare Weise wird er erzogen 
werden und das Volk der Hebräer aus aegyptischer 
Knechtschaft befreien. Und sein Andenken wird in 
alle Zeiten fortdauem nicht nur bei den Hebräern, 
sondern auch bei den Fremden. Diese Gnade will ich 
dir und deinen Nachkommen erweisen. Auch wird er 
einen Bruder haben, der den Ruhm gemessen wird, mit 
seinen Nachkommen mein Priestertum zu versehen bis 
in ewige Zeiten.“ 

4. Nachdem ihm dies im Traume kund geworden, er- 
wachte Amaram und erzählte den Vorfall seiner Gattin 
Joachebed. Doch fürchteten sie sich sehr wegen dessen, 
was ihnen im Traum war verkündigt worden. Denn sie 
waren nicht nur wegen des Knaben besorgt, sondern 
auch wegen der Grösse des ihm bevorstehenden Glückes. 
Einen Beweis für die Wahrheit der Prophezeiung bot 
aber schon die Niederkunft der Frau; denn diese erfolgte 
leicht und ohne heftige Geburtswehen und blieb auch den 
Spähern verborgen. Drei Monate lang zogen sie den Knaben 
heimlich zu Hause auf. Dann aber fürchtete Amaram 
doch, die Sache könne entdeckt werden, und der König 
in seinem Zorne ihn mitsamt seinem Söhnchen umbringen 
lassen, und es möchte so die Verheissung Gottes zu 
nichte werden. Deshalb entschloss er sich, lieber das 
Heil des Knaben dem Willen Gottes anheimzugeben, als 
ihn noch länger im Versteck zu behalten. Denn so 
drohe nicht nur dem heimlich auferzogenen Knaben,' 
sondern auch ihm selbst die grösste Gefahr. Gott da- 
gegen habe es in der Hand, für dessen Sicherheit zu 
sorgen und so seine .Verheissung zu verwirklichen. Als 
sie dieses beschlossen, verfertigten sie ein Körbchen aus 
Papyrusbast, einer Wiege ähnlich und so gross, dass es 
den Knaben bequem aufnehmen konnte. Dann dichteten 
sie dasselbe gehörig mit Harz (denn dieses lässt Wasser 
nicht eindringen), legten den Knaben hinein, setzten ihn 




Zweites Buch, 9. Kapitel. 


111 


im Flusse aus und befahlen ihn der Obhut Gottes. Das 
Körbchen schwamm leicht auf dem Wasser, und Mari- 
amme , die Schwester des Knaben, ging auf Geheiss der 
Mutter am Ufer entlang, um zu beobachten, wohin das 
Körbchen getrieben würde. Und jetzt bewies Gott, dass 
menschliche Klugheit nichts vermag, sondern dass er 
alles nach seinem Willen zum besten wenden kann, und 
dass diejenigen, die zu ihrer Sicherheit anderen Ver- 
derben bereiten wollen, auch bei grösster Beharrlichkeit 
nicht zum Ziele gelangen, dass hingegen diejenigen, die 
nach Gottes geheimem Ratschluss verloren zu sein 
scheinen, wider Erwarten gerettet und mitten aus der 
Drangsal zum Glücke geleitet werden können. So wird 
auch aus dem Schicksal dieses Knaben Gottes Allmacht 
kund und offenbar. 

5. Der König hatte eine Tochter mit Namen Ther- 
muthis. Als diese am Ufer des Flusses lustwandelte, 
sah sie ein Körbchen auf dem Wasser schwimmen und 
befahl einem Schwimmkundigen, ihr dasselbe zu holen. 
Als dieser den Befehl vollzogen, und sie den Knaben 
in dem Körbchen erblickte, freute sie sich sehr ob seiner 
Grösse und Schönheit. Denn mit so grosser Huld be- 
schirmte Gott den Moyses, dass er sogar von denen er- 
nährt und erzogen werden musste, die aus Furcht vor 
seiner Geburt den grausamen Befehl erlassen hatten, 
alle hebraeischen Knaben zu töten. Darauf liess Ther- 
muthis ein Weib herbeiholen, die den Knaben säugen 
sollte. Als aber das Kind weder von dieser, noch von 
anderen Ammen, die man eine nach der anderen herbei- 
geholt, Nahrung annehmen wollte» da erschien Mariamme, 
die scheinbar unabsichtlich herzugekommen war, um zu 
sehen, was es gebe, und sagte : „Es nützt nichts, o Königs- 
tochter, dass du diesem Knaben Ammen giebst, die nicht 
eines Stammes mit ihm sind. Willst du aber eine 
hebraeische Amme holen lassen, so würde er wohl von 
dieser, als einer Stammesgenossin, sogleich die Brust 
nehmen.“ Da dies der Königstochter einleuchtete, hiess 
sie Mariamme selbst gehen und eine Amme herbeiholen. 




112 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Diese führte den Auftrag aus und kam mit ihrer eigenen 
Mutter zurück, die sonst niemand von Angesicht bekannt 
war. Und weil der Knabe von ihr willig die Brust 
nahm und sich innig an sie schmiegte, so bat die Königs- 
tochter sie, denselben aufzuziehen und zu ernähren. 

6. Darauf gab sie ihm, weil er im Flusse ausgesetzt 
worden war, hiervon den Namen, denn die Aegyptier 
nennen Wasser „Mo“, „yses“ aber diejenigen, die man dem 
Wasser entreisst. Aus diesen beiden Worten ist der 
Name Moyses zusammengesetzt. Moyses aber übertraf 
zweifellos an Seelengrösse und Fähigkeit zur Ertragung 
von Beschwerden alle anderen Hebräer, wie Gott ver- 
heissen hatte. Von Abram an war er der siebente, denn 
er war ein Sohn des Amaram, des Sohnes des Kaath, 
dessen Vater Levis ein Sohn Jakobs war, der von Isak 
stammte. Isak aber war ein Sohn Abrams. Das Alter 
des Knaben aber blieb hinter seinem Verstände und 
seiner Klugheit zurück, denn er war an Weisheit und 
Ausbildung des Geistes so entwickelt, dass er einem vor- 
gerückteren Alter Ehre gemacht hätte. Und was er in 
der Jugend that, liess die Hoffnung berechtigt erscheinen, 
er werde später noch grösseres vollbringen. Als er drei 
Jahre alt war, verlieh Gott ihm einen hohen, schlanken 
Wuchs und eine so grosse Schönheit, dass niemand, 
wenn er auch noch so unempfänglich für äussere Vor- 
züge war, ihn anschauen konnte, ohne von seiner Gestalt 
entzückt zu sein. Und oft geschah es, dass jemand, der 
ihm begegnete, seine Geschäfte vergass und, in bewundern- 
dem Anschauen versunken, stehen blieb. Denn seine 
kindliche Anmut, verbunden mit der Einfachheit seines 
Wesens, fesselte die Zuschauer so, dass sie sich kaum 
von ihm trennen konnten. 

7. Da er nun voti so herrlicher Gestalt und hoher 
Begabung war, nahm Thermuthis, weil sie ohne recht- 
mässige Nachkommen war, ihn an Kindesstatt an. Und 
als sie ihn einst zu ihrem Vater brachte, sprach sie den 
Wunsch aus, ihn zu ihrem Erben einzusetzen, falls Gott 
ihr keinen anderen Sohn schenken ; würde, und fügte 




Zweites Buch, 9. Kapitel. 


113 


hinzu: „Diesen Knaben mit seiner göttlichen Gestalt und 
seinem edlen Gemüte habe ich auferzogen, und da ich 
ihn auf wunderbare Weise aus dem gütigen Flusse er- 
halten habe, so habe ich beschlossen, ihn zu meinem 
Sohne und zum Nachfolger in deiner Herrscherwürde zu 
machen.“ Mit diesen Worten legte sie den Knaben in 
die Arme ihres Vaters. Dieser nahm ihn, drückte ihn an 
seine Brust und setzte ihm, um seiner Tochter gefällig 
zu sein, aus Scherz seine Königskrone auf. Moyses aber 
warf sie zur Erde, rollte sie kindisch umher und trat sie 
mit Füssen. Das schien böse Vorbedeutung für die 
Königswürde zu sein. Jener Schriftkundige aber, der 
aus seiner Geburt den Untergang der aegyptischen Herr- 
schaft ge weissagt hatte, hatte kaum den Vorgang be- 
merkt, als er herzueilte, um den Knaben zu töten, indem 
er voll Schrecken ausrief: „Das ist? der Knabe, o König 
durch dessen Tötung wir unsere Sicherheit nach Gottes 
Verkündigung erlangen werden. Denn ein Zeichen für 
die Wahrheit der Prophezeiung ist es, dass er deine 
Königs würde verspottet und deine Krone mit Füssen 
tritt. Lass ihn daher töten und befreie so die Aegyptier 
von der Furcht vor ihm, den Hebräern aber nimm die 
Hoffnung, die sie auf ihn 6etzen.“ Thermuthis aber kam 
ihm zuvor und verbarg den Knaben, und auch der König 
zögerte, ihn umzubringen, weil Gott, der um das Leben 
des Moyses Sorge trug, ihm dies eingegeben hatte. 
Moyses wurde auf das sorgfältigste erzogen, und die 
Hebräer setzten alle ihre Hoffnung auf ihn; den Aegyp- 
tiern dagegen war seine Erziehung nicht nach dem Sinn. 
Da aber der König ihm durch Adoption verwandt war 
und deshalb vor seiner Tötung zurückscheute, und auch 
sonst sich niemand fand, der den Aegyptiern zu Gefallen 
infolge jener Weissagung sich dazu hergegeben hätte, so 
unterblieb dieselbe. 


Joaephua 1 Jüdische Altertümer. 


8 




114 


Josephu’ Jüdische Altertümer. 


Zehntes Kapitel. 

Wie Moyses gegen die Aethiopier Krieg führte. 

1. Als nun Moyses auf diese Weise geboren, erzogen 
und gross geworden war, zeigte er bei einer besonderen 
Gelegenheit, dass Tapferkeit ihm in hohem Grade eigen 
war, und dass er der Mann sei, um die Aegyptier zu 
unterdrücken, die geknechteten Hebräer aber aufzurichten. 
Die Aethiopier nämlich, die den Aegyptiern benachbart 
waren, waren in deren Land eingefallen und hatten ge* 
raubt und geplündert. Die Aegyptier, darüber erzürnt,, 
beschlossen, ihre Schmach zu rächen und rüsteten ein 
Heer gegen sie aus. Jedoch wurden sie geschlagen; ein 
Teil von ihnen fiel in der Schlacht, der andere zog sich 
in schmählicher Flucht nach Hause zurück. Die Aethio- 
pier, die es für ein Zeichen von Feigheit hielten, wenn 
sie nicht ganz Aegypten sich unterjochten, setzten den 
Fliehenden nach und verwüsteten das Land weithin ; und 
da sie reiche Beute machten, konnten sie es nicht unter- 
lassen, von Tag zu Tag aufs neue anzugreifen. Weil sie 
nun die nächsten Gegenden durchstreift hatten , ohne 
dass sich ihnen jemand zur Wehre setzte, rückten sie bis 
nach Memphis und ans Meer vor, und keine Stadt konnte 
ihren Ansturm aushalten. In dieser Bedrängnis nahmen 
die Aegyptier zu Orakeln und Weissagungen ihre Zu- 
flucht. Und da ihnen Gott den Rat gab, sie sollten 
einen Hebräer zu Hilfe rufen, verlangte der König von 
seiner Tochter den Moyses, um ihn zum Befehlshaber 
seiner Truppen zu machen. Diese willigte ein, nachdem 
er ihr eidlich versprochen hatte, nichts zu Moyses* Ver- 
derben ins Werk zu setzen. Denn sie hielt dafür, dass 
sie dem Lande damit eine Wohlthat erweise, für die ihr 
Dank gebühre, und warf den Priestern vor, dass sie sich 
jetzt nicht schämten, dessen Hilfe zu begehren, den wie 
einen Feind zu töten sie früher geraten hatten. 

2. Moyses aber unternahm, da Thermuthis ebenso wie 
der König ihn darum baten, bereitwillig den Kriegszug, 
worüber die beiderseitigen Schriftkundigen sich sehr freuten. 




Zweites Buch, 10. Kapitel. 


115 


die der Aegyptier, weil sie Gelegenheit zu finden hofften, 
den Moyses nach Überwindung der Aethiopier mit List 
aus dem Wege zu räumen, die der Hebräer aber, weil 
sie unter Führung des siegreichen Moyses aus der Knecht- 
schaft der Aegyptier sich frei zu machen gedachten. 
Moyses nun wollte die Feinde überfallen, ehe sie von 
seiner Ankunft Kunde erhielten, und führte daher seine 
Truppen nicht am Ufer des Flusses entlang, sondern 
mehr durch das Innere des Landes dem Feinde entgegen. 
Hierbei zeigte er seine bewundernswerte Weisheit. Da 
nämlich der Weg wegen der Menge der Schlangen sehr 
schwer zu passieren war (denn dieser Landstrich erzeugt 
dieselben in übergrosser Zahl, darunter auch einige Arten, 
die sich sonst nirgendwo finden und die sich durch ihre 
Schädlichkeit und ihren ungewohnten Anblick sehr von 
den anderen unterscheiden, ja sogar geflügelte, die nicht 
nur auf der Erde verborgen schaden, sondern auch aus 
der Höhe oft plötzlich Unheil bringen), ersann er, um 
das Heer sicher und ungefährdet weiterführen zu ‘können, 
folgenden wunderbaren Plan. Er liess Geflechte aus 
Papyrusbast in Gestalt von Kästchen anfertigen und 
führte dieselben, mit Ibissen gefüllt, bei sich. Denn die 
Schlangen fürchten diese Tiere sehr und fliehen vor 
ihnen, da sie von ihnen ebenso wie von Hirschen ver- 
schlungen werden. Die Ibisse sind übrigens nur wild 
gegen Schlangen, sonst aber zahm und gutmütig. Doch 
will ich mich nicht weiter darüber verbreiten , . da die 
Griechen den Ibis wohl kennen. Da nun das Heer in 
die Gegend kam, die von Schlangen wimmelte, liess er 
die Ibisse auf sie los, die mit Wut über sie herfielen und 
sie unschädlich machten. So vollendete er unangefochten 
seinen Marsch, überfiel unversehens die Aethiopier, schlug 
sie und nahm ihnen die Hoffnung auf die Eroberung 
Aegyptens. Auch griff er ihre Städte an, zerstörte die- 
selben und richtete unter den Aethiopiem ein grosses 
Blutbad an. Nach diesen glänzenden Kriegsthaten des 
Moyses schreckte das Heer der Aegyptier vor keiner 
Anstrengung mehr zurück, sodass schliesslich den 




116 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Aethiopiern nur die Wahl zwischen Gefangenschaft und 
gänzlicher Vernichtung blieb. Zuletzt wurden sie nach 
Saba, der Königsstadt Aethiopiens, zurückgedrängt, die 
später Kambyses nach seiner Schwester Meroe nannte, 
und hier belagert. Dieser Platz war aber fast unein- 
nehmbar, da der Nil rings um ihn floss, und auch noch 
andere Flüsse, Astapus und Astabora, den Angriff er- 
schwerten. So bildete die Stadt gleichsam eine Insel; 
ausser dem Schutz, den die Flüsse gewährten, hatte sie 
auch eine starke Ringmauer, und zudem noch grosse 
Dämme hinter der Mauer zur Abhaltung von Über- 
schwemmungen , die der Stadt beim Anschwellen der 
Flüsse drohen. Das alles machte dem Feind, auch 
wenn er die Flüsse überschritten hatte, die Einnahme der 
Stadt sehr schwierig. Während nun Moyses darüber ver- 
stimmt war, dass sein Heer hier müssig liege (denn der 
Feind wagte keinen Kampf), begab sich folgendes. Der 
König der Aethiopier hatte eine Tochter namens Tharbis. 
Diese sah, wie Moyses sein Heer an die Stadtmauer 
führte und selbst tapfer kämpfte, und wunderte sich 
über das, was er schon ausgedacht und in Angriff ge- 
nommen hatte, wie er nämlich nicht nur den Aegyptiern, 
die an ihrer Befreiung schon verzweifelten, dieselbe 
glücklich verschafft, sondern auch die Aethiopier, die be- 
reits ruhmreiche Thaten verrichtet, in die äusserste Enge 
getrieben hatte; und sie wurde von heftiger Liebe zu 
ihm ergriffen. Und da ihre Neigung von Tag zu Tag 
grösser wurde, schickte sie ihre vertrautesten Diener zu 
ihm und liess ihm die Ehe anbieten. Moyses ging hier- 
auf ein unter der Bedingung, dass ihm die Stadt über- 
geben würde. Und als er einen Eid darauf geleistet, 
dass er sie zur Ehe nehmen und daBS er nach Übergabe 
der Stadt an dem Vertrage festhalten wolle, schritt man 
vom Worte zur That. Darauf dankte er Gott für die 
Besiegung der Aethiopier, feierte seine Hochzeit und 
führte das Heer der Aegyptier in die Heimat zurück. 


Go gle 



Zweites Buch, 11. Kapitel. 


117 


Elftes Kapitel. 

Wie Moyses aus Aegypten floh und nach Madian kam. 

1. Statt aber dem Moyses für ihre Errettung zu 
danken, verlegten sich die Aegyptier eifrig darauf, Ränke 
gegen ihn zu schmieden. Denn man argwöhnte, er werde 
infolge seines Kriegsglückes übermütig werden und den 
Aegyptiem neuen Schaden ersinnen, und drang deshalb 
in den König, ihn töten zu lassen. Dieser aber hatte 
auch schon dasselbe überlegt, teils aus Neid über Moyses* 
glücklichen Feldzug, teils aus Furcht, von ihm gestürzt 
zu werden. Und da er auch noch von den Schrift- 
kundigen aufgereizt wurde, brannte er vor Verlangen, 
ihn umbringen zu lassen. Als aber Moyses von diesen 
Plänen hörte, suchte er sich zu verbergen, und da die 
Wege durch * Wächter besetzt waren , nahm er seine 
Flucht durch die Wüste; an diese Möglichkeit hatten 
seine Feinde nicht gedacht. Und obgleich er hier 
Mangel an Nahrung litt, so ertrug er denselben doch ge- 
duldig und starkmütig. Endlich kam er zur Stadt 
Madian, die am Gestade des Roten Meeres lag und von 
einem der Söhne Abrams und der Chetura ihren Namen 
hatte. Hier ruhte er, von seinen Mühen erschöpft, zur 
Mittagszeit an einem Brunnen nicht weit von der Stadt 
aus, als er infolge der Gebräuche des Landes Gelegen- 
heit fand, seine Tugend offenkundig zu machen und sich 
den Weg zur Verbesserung seiner Lage zu bahnen. 

2. Da nämlich in jener Gegend Wassermangel herrschte, 
gaben sich die Hirten Mühe, zuerst die Brunnen in Be- 
schlag zu nehmen, damit nicht, wenn sie von anderen 
geleert wären, ihr Vieh des Wassers entbehre. Zu dem 
Brunnen kamen nun sieben Schwestern, Töchter des 
Priesters Raguel und noch Jungfrauen, deren Vater von 
den Bewohnern der Gegend hochgeehrt wurde. Sie hüteten 
die Herden ihres Vaters, denn nach alter Sitte der 
Troglodyten mussten auch Weiber diesen Dienst ver- 
richten. Als sie nun, bevor die anderen kamen, hin- 
reichend Wasser für ihr Vieh in die dazu verfertigten 



118 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Mulden aus dem Brunnen geschöpft hatten, wollten die 
Hirten, die etwas später anlangten, sie vertreiben und 
das Wasser für sich in Beschlag nehmen. Moyses aber, 
der es für unwürdig hielt, das Unrecht, das den Jung- 
frauen angethan wurde, ruhig geschehen zu lassen und 
zuzugeben, dass die rohe Gewalt der Männer mehr gelte 
als das gute Recht der Jungfrauen, leistete den Hirten 
Widerstand und half den Mädchen, wie es sich geziemte. 
Jene bedankten sich für die Hilfe, und als sie zu ihrem 
Vater kamen, berichteten sie jhm von der schlechten 
Handlung der Hirten und dem Beistand, den ihnen der 
Fremdling geleistet. Darauf baten sie den Vater, die 
Wohlthat nicht un belohnt lassen zu wollen. Raguel 
aber lobte ihre dankbare Gesinnung gegen ihren Wohl- 
thäter und hiess sie den Moyses zu ihm geleiten, damit 
er ihm den Gefallen .vergelten könne. Als dieser an- 
gelangt war, teilte er ihm mit, was seine Töchter ihm 
von seiner bereitwilligen Hilfe erzählt hatten, bewunderte 
sein edles Verhalten und sagte ihm, er habe diese Wohl- 
that keinem Undankbaren erwiesen. Vielmehr werde er 
ihm nicht [nur mit gleichem, sondern mit noch viel 
grösserem Danke vergelten. Und einige Zeit nachher 
nahm er ihn an Kindesstatt an und gab ihm eine von 
seinen Töchtern zur Ehe. Ausserdem machte er ihn 
zum Hüter und Herrn seiner Viehherden, in welchen 
damals der ganze Reichtum der Barbaren bestand. 


Zwölftes Kapitel. 

Von der brennenden Brombeerstaude und dem Stabe 

des Moyses. 

1. Da nun Moyses von Jothor (das war der Beiname 
Raguels) solche Wohlthaten erfahren, blieb er bei ihm 
und hütete seine Herde. Als er nun einst wieder das 
Vieh weidete, kam er zum Berge Sinai, der der höchste 
von allen Bergen der Gegend war und die schönsten 
Weideplätze darbot. Denn er war reich an guten Gräsern 
und vorher nie abgeweidet worden, weil man allgemein 



Zweites Buch, 12. Kapitel. 


119 


glaubte, hier wohne Gott selbst, und fromme Scheu den 
Hirten verbot, ihn zu besteigen. Dort bot sich ihm ein 
wunderbares Ereignis dar. Feuer nämlich ergriff einen 
Brombeerstrauch', und die Flamme liess die Blätter und 
Blüten, wie auch die fruchttragenden Zweige unversehrt, 
obgleich sie hell und stark leuchtete. Von dieser ihm 
neuen und wunderbaren Erscheinung ward Moyses be- 
troffen ; noch mehr aber erstaunte er, als aus dem Feuer 
«ine Stimme ertönte, die ihn beim Namen nannte und 
ihm seine Verwegenheit vorwarf, da er sich nicht ge- 
scheut, diesen heiligen und noch von keinem Menschen 
bisher berührten Ort zu betreten, auch ihm den 
Bat gab, sich so weit als möglich von der Flamme zu 
entfernen und sich an dieser Erscheinung genügen zu 
lassen, die zu sehen er wegen seiner und seiner Vor- 
fahren Tugend gewürdigt worden sei, und über die er 
nicht weiter neugierig nachforschen solle. Ferner ver- 
kündete ihm die Stimme, wie grosse Ehre und wie grossen 
Buhm er bei den Menschen durch Gottes Vorsehung und 
Hilfe erlangen werde, und sie hiess ihn vertrauensvoll 
sich nach Aegypten wenden. Dort werde er der Führer 
des hebraeischen Volkes werden und seine Stammes- 
genossen von der grausamen Tyrannei der Aegyptier 
erlösen. „Denn dein Volk,“ fuhr die Stimme fort, „wird 
jenes glückliche Land bewohnen, das Abram, euer 
Stammvater, dereinst besessen hat, und alle Güter ge- 
niessen, und du sollst es durch deine Weisheit dorthin 
führen.“ Und nachdem er die Hebräer aus Aegypten 
geführt, solle er daselbst ihm ein Dankopfer darbringen. 
Da erkannte Moyses, dass Gottes Stimme aus dem Feuer 
zu ihm gesprochen habe. 

2. Moyses aber, von Staunen ergriffen über das, was 
er gesehen, und noch mehr über das, was er gehört, 
sprach zu Gott: „Deiner Macht, o Herr, die ich selbst 
verehre, und die, wie ich weiss, meinen Vorfahren hilf- 
reich und gnädig gewesen ist, zu misstrauen, halte ich 
für die grösste Thorheit, die ich begehen könnte. Ich 
sehe aber nicht ein, wie ich , ein einfacher Mensch und 



120 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ohne jede Gewalt, meine Stammesgenossen überreden 
könnte, das Land, das sie jetzt bewohnen, zu verlassen 
und mir zu folgen, wohin ich sie auch führen möge. 
Wenn ich sie aber auch dazu überreden könnte, wüsste 
ich nicht, wie ich den Pharao dahin zu bringen vermöchte, 
dass er die Hebräer ziehen Hesse, durch deren Mühe 
und Arbeit der Wohlstand der Aegyptier sich mehrt.“ 

3. Gott aber riet ihm, wohlgemut zu sein, da er ihm 
beistehen werde. Wo er der Worte bedürfe, werde er ihm 
Überredungsgabe verleihen, Kraft aber, wo er Thaten 
brauche. Und zur Bekräftigung seiner Verheissung 
hiess er ihn seinen Stab auf die Erde werfen. Als er 
das gethan , ward daraus eine Schlange, die auf dem 
Boden kroch, sich in Windungen wickelte und ihren 
Kopf erhob, als wenn sie ihre Verfolger bedrohen 
wollte; und darauf wurde sie wieder zum Stabe. Danach 
gebot er ihm, die rechte Hand in seinen Busen zu 
stecken. Und als er das gethan und sie hervorzog, war 
sie weiss und an Farbe dem Kalk ähnlich, worauf sie 
ihr früheres Aussehen wiedererhielt. Auch wurde ihm 
befohlen, Wasser in der Nähe zu schöpfen und es auf 
den Boden zu giessen, und es bekam Blutfarbe. Als 
nun Moyses sich hierüber verwunderte, ermahnte ihn 
Gott, er solle Mut fassen und versichert sein, dass er 
ihm ein mächtiger Helfer sein werde , und zur Be- 
kräftigung solle er sich bei allen derselben Wunder 
bedienen, damit er sie überzeuge, dass er von Gott ge- 
sandt sei und seine Befehle vollziehe. „Thu also, wie 
ich dir geheissen, begieb dich ohne jeden Verzug nach 
Aegypten und eile Tag und Nacht hindurch, damit du 
keine Zeit verlierst und die harte Knechtschaft der 
Hebräer nicht in die Länge ziehst.“ 

4. Moyses aber zweifelte nicht weiter an Gottes Ver- 
heissungen, da er der Augen- und Ohrenzeuge so vieler 
Wunderzeichen geworden war, und er bat Gott, 
ihm dieselbe Kraft, wenn es not thue, auch in Aegypten 
zu verleihen und ihm ferner die Kenntnis seines Namens 
nicht vorzuenthalten, sondern ihm dieselbe zu gewähren. 


Zweites Buch, 1 3. Kapitel 


121 


da er ihn doch auch seines Anblickes und seiner 
Stimme gewürdigt habe. Da verkündete ihm Gott 
seinen Namen , der früher noch keinem Menschen war 
kundgethan worden. Diesen Namen 1 aber darf ich 
nicht aussprechen. Moyses erhielt also die Macht, 
solche Wunderthaten zu verrichten, so viele ihrer und 
so oft sie erforderlich seien. Durch alle diese Zeichen 
ward er noch mehr überzeugt von der Wahrheit dessen, 
was er aus dem brennenden Brombeerstrauche ver- 
nommen, und er glaubte, dass Gott ihm ein gnädiger 
Helfer sein werde. Auch hoffte er, seine Stammes- 
genos8en befreien und den Aegyptiern Unheil anthun 
zu können. 


Dreizehntes Kapitel. 

Moyses und Aaron ziehen in Aegypten ein und gehen 

zum König. 

1. Da nun Moyses erfahren hatte, das6 Pharao, 2 der 
König der Aegyptier, der damals regierte, als er ge- 
flohen war, gestorben sei, erbat er sich von Raguel die 
Erlaubnis, [zum Besten seiner Stammesgenossen nach 
Aegypten ziehen zu dürfen, und er nahm sein Weib 
Sepphora, die Tochter Raguels, und die Söhne, die sie 
ihm geboren, Gersus und Eleazar, und begab sich auf 
die Reise. Von diesen beiden Namen bedeutet Gersus 
im Hebraeischen : „in ein fremdes Land gekommen," und 
Eleazar : „unter dem Beistände des Gottes seiner, Väter den 
Aegyptiern entflohen." Nachdem sie sich nun der Grenze 
genähert, begegnete ihm auf Gottes Geheiss sein Bruder 
Aaron, dem er sofort mitteilte, was ihm auf dem Berge 
begegnet war und was Gott ihm aufgetragen hatte. Als 
sie aber weiterzogen, kamen ihnen die vornehmsten der 
Hebräer entgegen, die von ihrer Ankunft Nachricht er- 


1 Jehoval). 

2 Nach Hommel, Geschichte des alten Morgenlandes, 
war dieser Pharao kein anderer als Ramses 11. 



122 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


halten hatten ; und da sie seinen Worten keinen Glauben 
schenken wollten, führte Moyses ihnen die Wunder- 
zeichen vor Augen. Und sie wurden von Verwunderung 
ob des Geschehenen ergriffen , fassten Mut und gaben 
sich der frohen Hoffnung hin, Gott werde für ihre 
Sicherheit sorgen. 

2. Als er so die Hebräer sich willfährig gemacht, die 
sich ganz ihm anzuvertrauen versprachen, da sie ein leb- 
haftes Verlangen nach Befreiung trugen, ging Moyses 
zum König, der jüngst die Regierung angetreten hatte, 1 
und erinnerte ihn daran, wie nützlich er sich den 
Aegyptiern erwiesen habe, als ihre Äcker von den 
Aethiopiern verwüstet, und sie diesen zum Gespött ge- 
worden seien, und wie er die Beschwerden des Kriegs- 
dienstes für sie ertragen habe, als wären sie seine 
eigenen Angehörigen gewesen. Dann zeigte er ihm, dass 
er sich der höchsten Gefahr ihretwegen unterzogen habe, 
wofür sie ihm noch nicht einmal Dank gewusst hätten. 
Auch teilte er ihm mit, was ihm auf dem Berge Sinai 
begegnet, wie Gott zu ihm geredet und zur Bestätigung 
seines Befehles vor seinen Augen Wunder vollbracht 
habe, und er beschwor ihn, an seine Sendung zu glauben 
und dem Willen Gottes sich nicht zu widersetzen. 

3. Als aber der König ihn verlachte, gab Moyses ihm 
eine Probe von den Wundern, die er auf Sinai erblickt 
hatte. Der König jedoch erzürnt^ und schalt ihn einen 
Frevler, der .einst der aegyptischen Knechtschaft ent- 
flohen, jetzt aber mit Betrug und Bosheit zurückgekehrt 
sei, um durch Blendwerk und magische Künste das 
Volk in Erstaunen zu setzen. Nach diesen Worten 
hiess er seine Priester dieselben Wunderthaten voll- 
bringen ; denn auch die Aegyptier verständen diese 
Künste, und Moyses besitze nicht allein göttliche Kraft, 
da er doch seine Gaukeleien nur vorführe, um das rohe 
und ungebildete Volk zum Glauben an ihn zu verleiten 
und es zu täuschen. Und da sie ihre Stäbe zu Boden 


1 Mer-en-Ptah, Sohn Ramses des Zweiten. 



Zweites Buch, 13. Kapitel. 


123 


warfen, wurden auch diese zu Schlangen. Moyses aber 
wurde davon nicht im geringsten betroffen und sprach: 
„Ich verachte zwar die Weisheit der Aegyptier nicht, 
aber ich behaupte, dass meine Werke ihre magischen 
Künste ebenso übertreffen, als Gottes Werke die der 
Menschen. Und ich will beweisen, dass meine Werke 
keine Gaukeleien sind und kein Betrug, sondern dass 
sie durch Gottes Einfluss und Kraft geschehen.“ Nach 
diesen Worten warf er seinen Stab zur Erde und hiess 
ihn sich in eine Schlange verwandeln. Derselbe ge- 
horchte dem Befehl, griff die Stäbe der Aegyptier, die 
dem Auge in der Gestalt von Schlangen erschienen, 
«inen nach dem anderen an und verschlang sie sämtlich. 
Dann erhielt er wieder seine frühere Gestalt, und Moyses 
hob ihn auf. 

4. Der König aber wurde hierdurch um nichts mehr 
gerührt, sondern geriet in Zorn und sagte, er werde mit 
seiner Geschicklichkeit und Schlauheit doch nichts gegen 
die Aegyptier ausrichten. Und er befahl dem Aufseher 
der Hebräer, er solle ihnen keine Erholung von den 
Arbeiten mehr bewilligen , sie vielmehr mit noch 
schwereren Arbeiten als früher belasten und zum Ge- 
horsam zwingen. Dieser gewährte ihnen also fürder keine 
Spreu mehr zur Verfertigung von Ziegelsteinen wie 
früher, sondern am Tage quälte er sie mit den 
drückendsten Arbeiten und zwang sie dann des Nachts 
auch noch, die Spreu zu sammeln. Und als so ihre 
Plackereien sich verdoppelten, zürnten sie dem Moyses, 
weil er die Schuld trage, dass sich ihre Arbeit und ihr 
Elend vermehrt habe. Er aber wich weder den 
Drohungen des Königs, noch den Klagen und Vorwürfen 
der Hebräer , sondern er blieb festen Gemütes und 
scheute keine Mühe, um den Seinigen die Freiheit 
wiederzugeben. Und so ging er wieder zum König, um 
ihn zu überreden, die Hebräer auf den Berg Sinai zu 
entlassen, wo sie Gott nach dessen Vorschrift opfern 
wollten. Gottes Willen aber solle er keinen Widerstand 
entgegensetzen, sondern sein Wohlwollen allem anderen 




124 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


vorziehen und ihnen den Abzug gestatten, damit er 
nicht dereinst seine Hartnäckigkeit sich vorzuwerfen 
habe, wenn er das erdulden müsse, was dem zu ge- 
schehen pflege, der Gottes Befehle missachte. Denn 
auf diejenigen, die Gottes Zorn sich zuzögen, ströme von 
allen Seiten Unglück heran, da weder der Himmel, noch: 
die Erde, noch ihre eigene Nachkommenschaft ihnen 
wohlgesinnt seien, vielmehr überall Hass und Feindschaft 
auf sie lauere. Und alle diese Übel würden über die 
Aegyptier verhängt werden, während das Volk der 
Hebräer trotz ihrem Widerstande dennoch den Auszug 
aus ihrem Lande bewerkstelligen werde. 


Vierzehntes Kapitel. 

Von den zehn Plagen, die Aegypten heimsuchten. 

1. Da aber der König des Moyses Worte verachtete 
und auf seine Mahnungen nicht im mindesten hörte, 
befielen schwere Übel Aegypten, die ich einzeln auf- 
zählen werde, teils weil nie einem Volke ähnliches zu- 
gestossen ist, teils weil Gott dadurch die Wahrheit 
dessen, was Moyses verkündet hatte, erweisen wollte, 
und endlich auch, weil es den Menschen von Nutzen 
sein kann, sie kennen zu lernen. Dann werden sie um 
so eher sich der Beleidigung der göttlichen Majestät ent- 
halten und Gottes Zorn nicht durch Ungerechtigkeit 
reizen. Zunächst also färbte sich das Wasser des Stromes 
blutrot, sodass es zum Trinken untauglich wurde; eine 
andere Wasserquelle aber war nicht da. Das Wasser 
hatte jedoch nicht nur eine blutrote Farbe, sondern ver- 
ursachte auch denen, die es trinken wollten, Schmerzen 
und heftige Qual. So erschien es aber nur den 
Aegyptiern, den Hebräern dagegen süss und trinkbar 
und seiner Natur nach nicht verändert. Durch dieses 
Wunderzeichen wurde der König sehr in Angst versetzt, 
und da er wegen der Aegyptier besorgt war, gestattete 
er den Hebräern den Abzug. Kaum hatte die Plage indes 



Zweites Buch, 14. Kapitel. 


125 


nachgelassen, so änderte er seine Gesinnung und nahm 
<iie Erlaubnis zurück. 

2. Gott aber schickte, da der König sich so undank- 
bar bewies und nach der Befreiung von dem Unglück 
keine bessere Einsicht bekam, den Aegyptiern eine 
andere Plage. Eine ungeheure Menge Frösche ver- 
wüstete ihr Land, und auch der Fluss wimmelte von 
ihnen, sodass die, welche Wasser schöpfen wollten, nur 
solches erhielten, das mit dem Blute dieser Tiere, die zu 
tausenden darin untergingen und verfaulten, verunreinigt 
und besudelt war. Auch war das ganze Land der 
Aegyptier mit stinkendem Schlamm bedeckt, da die 
Frösche in Menge zu Grunde gingen. Verwirrung aber 
brachten sie in das häusliche Leben, denn sie fanden 
sich in Speisen und Getränken und hüpften in den 
Betten umher. Der Geruch von den schnell dahin- 
sterbenden Tieren endlich verpestete die Luft. Da nun 
die Aegyptier von diesen Plagen sehr gequält wurden, 
hiess der König den Moyses mit den Hebräern abziehen. . 
Sofort, nachdem er dies befohlen, verschwand die Menge 
der Frösche, und Land wie Fluss kehrten in ihren 
früheren Zustand wieder zurück. Sobald aber das Land 
von der Plage frei war, vergass Pharao die Ursache 
derselben und hielt die Hebräer fest. Und grade als ob 
er noch viel Unheil hätte erfahren wollen, verhinderte 
er den Moyses und sein Volk am Wegzug, den er ihnen 
vorher mehr aus Furcht als aus gutem Willen gestattet 
hatte. 

3. Da strafte Gott seine Arglist mit einer neuen 
Plage. Eine unzählige Menge von Läusen entstand aus 
den Leibern der Aegyptier, welche davon hart bedrängt 
wurden, da sie weder durch Baden noch durch Sadben 
mit Arzneien umzubringen waren. Der König aber, be- 
stürzt und in Furcht, sein Volk möchte zu Grunde 
gehen und dazu noch auf eine so schmähliche Weise, kam 
halb zu besserer Einsicht. Er gab nämlich den Hebräern 
die Erlaubnis zum Abzüge ; kaum aber war er etwas zur 
Buhe gekommen, als er auch gleich wieder forderte, dass 




126 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


die Weiber und Kinder als Geiseln zurückgelassen werden 
müssten. Dadurch reizte er Gott noch mehr, da er 
glaubte, seine Vorsehung hintergehen zu können, als ob 
Moyses und nicht Gott die Aegyptier wegen der Hebräer 
strafe. Und Gott erfüllte das Land mit mancherlei und 
vielgestaltigen Tieren, dergleichen niemand früher ge- 
sehen. Diese bereiteten vielen Menschen den Untergang, 
sodass das Land unbebaut und wüst dalag. Und was 
dem Verderben auf diesem Wege entging, erlag einer 
Krankheit, von der die Menschen befallen wurden. 

4. Als aber Pharao dem Willen Gottes nicht ge- 
horchen und zwar die Weiber mit den Männern abziehen 
lassen, die Kinder dagegen zurückhalten wollte, unter- 
liess Gott nicht, seine Bosheit mit mannigfaltigen und 
noch schwereren Übeln als vorhin zu züchtigen. Denn 
er liess die Leiber der Aegyptier sich mit ekelhaften 
Blattergeschwüren bedecken, welche die Eingeweide in 
langsamem Schwund verzehrten ; so kam ein grosser Teil 

• der Aegyptier um. Und da auch nach dieser Plage der 
König nicht zur Einsicht kam , liess Gott- einen Hagel 
vom Himmel fallen, wie er früher nie in Aegypten« gefallen 
war und wie er anderswo zur Winterzeit nicht fällt, ja 
sogar noch stärker, als er in den nördlichen Ländern 
gegen den Frühling hin vorkommt. Dadurch wurden 
die Feldfrüchte zerschlagen, und was vom Hagel noch 
verschont blieb, frassen Heuschrecken auf, so dass den 
Aegyptiern keine Hoffnung auf Ernte blieb. 

5. Jedem nun, der nicht gottlos und unverständig 
zugleich war, würden die genannten Plagen genügt haben, 
um ihn zur Einsicht und Überlegung zu bringen. Pharao 
aber widerstand Gott nicht so sehr aus Unverstand als 
aus Bosheit, obgleich er die Ursache des Übels wohl er- 
kannte, und verschloss sich hartnäckig jeder besseren 
Einsicht. Daher befahl er wohl dem Moyses, er solle 
mit Weibern und Kindern abziehen, jedoch sollten die 
Hebräer all ihr Besitztum den Aegyptiern überlassen, 
die durch so viele Plagen alles verloren hatten. Als nun 
Moyses geltend machte, das sei eine unbillige Forderung, 



Zweites Buch, 14. Kapitel. 


12? 


weil sie ihre Habe brauchten, um Gott davon ein Opfer 
darzubringen, und über dem vielen Wortwechsel die 
Zeit verstrich, wurden die Aegyptier plötzlich von einer 
dichten Finsternis umhüllt, sodass sie nicht sehen und 
auch wegen der Schwere der Luft nicht atmen konnten. 
Und so starben viele in dem dichten Nebel elend da- 
hin. Nach drei Tagen und ebenso vielen Nächten 
lichtete sich endlich die Finsternis, und es zerstreute 
sich der Nebel. Da aber Pharao nt>ch immer zögerte, 
den Hebräern freien Abzug zu gestatten, ging Moyses 
zu ihm und sprach also: „Wie lange gedenkst du noch dem 
Willen Gottes zu widerstreben ? Denn er selbst befiehlt dir, 
die Hebräer ziehen zu lassen, und ihr werdet nicht eher 
von den Plagen befreit werden, bis du das gestattest.“ 
Der König aber, erzürnt über diese Sprache, drohte, ihm 
den Kopf vom Rumpfe trennen zu lassen, wenn er noch 
einmal komme und ihn mit der Sache belästige.' Moyses 
entgegn ete ihm, er wolle keine Worte mehr deswegen 
verlieren; es werde aber noch dahin kommen, dass er 
mit den vornehmsten der Aegyptier die Hebräer an- 
flehen werde, so bald als möglich abzuziehen. Und nach 
diesen Worten entfernte er sich. 

6. Gott aber gedachte noch mit einer Plage die 
Aegyptier zu bedrängen, um sie zur Entlassung der 
Hebräer zu zwingen. Er befahl daher dem Moyses, dem 
Volke zu verkündigen, sie sollten das Opfer bereit halten 
und sich rüsten vom zehnten des Monats Xanthikos 
(der so bei den Mazedoniern, bei den Aegyptiern aber 
Pharmuthi und bei den Hebräern Nisan heisst) bis zum 
vierzehnten. Alsdann solle er selbst die Hebräer weg- 
führen, und sie sollten all ihre Habe mitnehmen. Und 
äls Moyses die Hebräer zum Auszug vorbereitet hatte, 
ordnete er sie nach Stämmen und hielt sie an einem 
Orte beisammen. In der Frühe des vierzehnten Tages 
brachten sie, zum Auszug gerüstet, ein Opfer dar, nahmen 
darauf Hyssop-Büschel , besprengten ihre Häuser mit 
Opferblut und reinigten sie so. Und nachdem sie ge- 
speist hatten, verbrannten sie die Fleischreste, als wollten 



128 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sie gleich ausziehen. Daher stammt unsere Sitte, dass 
wir auch heute noch so opfern an einem Feste, welches wir 
Pascha nennen, das heisst „Übergang,“ weil an jenem 
Abend Gott an den Hebräern vorüberging, den Aegyp- 
tiera aber die Pest sandte. Denn in dieser Nacht ging 
alle Erstgeburt der Aegyptier zu Grunde, sodass sehr 
viele, die in der Nähe des königlichen Palastes wohnten, 
zusammenliefen und dem Pharao rieten, er solle die 
Hebräer entlassen. 

So liess sie denn endlich der König mit Moyses ab- 
ziehen in der Hoffnung, es werde nach ihrem Wegzug 
aus dem Lande das letztere von Plagen befreit sein. Und 
sogar Geschenke gab man den Hebräern, teils damit sie 
um so schneller ausziehen möchten, teils auch aus nach* 
barlicher Gefälligkeit. 


Fünfzehntes Kapitel. 

Wie die Hebräer unter Moyses’ Führung Aegypten 

verliessen. 

1. So zogen die Hebräer aus; die Aegyptier aber 
weinten, denn es reute sie, dass sie die Hebräer so 
schlecht behandelt hatten. Diese nahmen ihren Weg 
durch Latopolis, das damals Wüste war und wo später 
zur Zeit, als Kambyses Aegypten verwüstete, Babylon 
erbaut wurde. Und da sie schnell marschierten, kürzten 
sie die Wege ab und gelangten schon am dritten Tage 
nach Belsephon am Roten Meere. Die Gegend aber war 
wüst und öde, sodass sie von Früchten nicht leben 
konnten; sie mussten daher mit Brot ihr Leben fristen, 
das sie aus Mehl leicht geknetet und dann an schwachem 
Feuer gebacken hatten. Davon lebten sie bis zum 
dreissigsten Tage, denn länger reichte das nicht aus, 
was sie aus Aegypten mitgenommen hatten, und um da- 
von leben zu können, mussten sie sparsam damit um- 
gehen und durften nicht bis zur Sättigung davon ge- 
messen. Zum Andenken an diese Not feiern wir acht 



Zweites Buch, 15. Kapitel. 


12» 


Tage hindurch das Fest der ungesäuerten Brote. Und 
die Menge der aus Aegypten Auswandernden war so 
gross einschliesslich der Weiber und Kinder, dass man 
sie kaum zählen konnte; an streitbaren Männern waren 
sechshunderttausend vorhanden. 

2. Sie verliessen aber Aegypten im Monat Xanthikos 
um die Zeit des Vollmondes am fünfzehnten Tage, im 
vierhundertdreissigsten Jahre nach der Ankunft unseres 
Vaters Abram in Chananaea und im zweihundertfünf- 
zehnten nach dem Zuge Jakobs gen Aegypten. Moyses 
war damals SO Jahre alt, und sein Bruder Aaron war 
drei Jahre älter. Und sie führten mit sich die Gebeine 
Josephs, wie dieser seinen Söhnen befohlen hatte. 

3. Die Aegyptier aber reute es bald, die Hebräer 
ziehen gelassen zu haben, und da der König unwillig 
war, weil er glaubte, die Plagen seien nur den Zaube- 
reien des Moyses zuzuschreiben, beschloss er ihnen nach- 
zusetzen. Die Aegyptier griffen daher sogleich zu den 
Waffen und ihrer sonstigen Kriegsausrüstung und ver- 
folgten die Hebräer, um sie wieder in die Knechtschaft 
zu führen, falls sie ihrer habhaft werden könnten. Man, 
glaubte, sie würden nicht weiter Gott anflehen, nachdem 
ihnen der Auszug geglückt war, und da sie wehrlos und 
vom Marsche ermattet seien , hoffte man sie leicht über- 
winden zu können. Die Aegyptier fragten* nun jeden, 
der ihnen begegnete, wo die Hebräer hingezogen seien; 
und verfolgten sie in Eilmärschen , obgleich der Weg 
schon für gewöhnliche Wanderer, geschweige denn für 
ein Kriegsheer, recht beschwerlich war. Moyses aber 
hatte die Hebräer deshalb diesen Weg nehmen lassen^ 
damit die Aegyptier, falls sie der Auszug der Hebräer 
gereuen sollte, und sie ihnen mit Heeresmacht nachr 
setzten, die Strafe für ihre Bosheit und für die Verr 
letzung des Vertrages Anden sollten ; dann aber wollte er 
auch vor den Palaestinem sicher sein, die noch einen 
alten Groll gegen die Hebräer hatten, und deren Land 
an Aegypten grenzte. Darum führte er das Volk nicht 
geradeswegs auf Palaestina zu, sondern wollte lieber 

JcMcphua' JUdieohe Altertümer. 9 



180 


JowpW Jüdisch« Altertümer. 


durch die Wüste auf grossen Umwegen, wenn auch unter 
Mühen und Beschwerden, Chananaea zu erreichen suchen» 
Hierzu kam noch der Befehl Gottes, der geboten hatten 
das Volk solle zum Berge Sinai geführt werden und 
ihm dort opfern. Als nun die Aegyptier die Hebräer 
eingeholt hatten, rüsteten sie sich zum Kampfe, schlossen . 
die Hebräer mit grosser Macht ein und trieben sie in 
die Enge. Denn sie hatten sechshundert Wagen, funfeig- 
tausend Reiter und zweihunderttausend Fusssoldaten; auch 
hatten sie alle Wege besetzt, auf denen die Hebräer 
ihnen hätten entkommen können. So hielten sie die- 
selben zwischen unzugänglichen Abhängen und dem 
Meere eingeschlossen. Denn au letzteres grenzt ein 
steiles und unwegsames Gebirge, das jeden Ausweg ab- 
schneidet. Zwischen diesem und dem Meere sassen also 
die Hebräer fest, und den einzigen Ausweg in die Ebene 
hätten die Aegyptier durch ein hier angelegtes Lager 
versperrt. 

4. Da nun die Hebräer einerseits aus Mangel an 
Lebensmitteln keiner Belagerung standhalten, anderer- 
seits aber auch keinen Ausweg zur Flucht entdecken 
konnten, und da ihnen, selbst wenn sie hätten kämpfen 
trollen, die Waffen dazu fehlten, so blieb ihnen, wollten 
sie nicht zu Grunde gehen, keine andere Hoffnung, als 
sich den ifegyptiern auf Gnade oder Ungnade zu er- 
geben. Dem Moyses aber machten sie Vorwürfe, da sie 
die Wunder, welche Gott zum Zwecke ihrer Befreiung 
gewirkt hatte, bereits vergessen hatten. Ja, sie gingen so 
Weit, dass sie den Propheten, der sie zum Aüsharren er- 
mahnte und ihnen ihre Errettung in Aussicht stellte, 
steinigen und sich wieder in die Gewalt der Aegyptier 
begeben wollten. Die Weiber und Kinder aber jammerten 
und wehklagten, da sie den sicheren Tod vor Augen 
sahen; denn ringsum waren sie von Bergen, Meer und 
Feinden eingeschlossen, und kein Rettungsweg war zu 
entdecken. 

5. Obwohl nun die Menge gegen ihn aufgebracht 
War, liess Moyses doch nicht im mindesten von der 




Zweites Buch, 16. Kapitel. 


131 


Fürsorge für dieselbe ab. Vielmehr vertraute er auf 
Gott, er werde, wie er sonst seinem Versprechen gemäss 
für ihre Erlösung gesorgt, so auch jetzt sie nicht ihren 
Feinden überantworten, die sie entweder wieder in die 
Knechtschaft schleppen oder töten würden. Daher be* 
gab er sich in ihre Mitte und sprach zu ihnen: „Es wäre 
schon unbillig, wenn ihr Menschen , die bis jetzt eure 
Angelegenheiten gut verwaltet haben, misstrauen würdet, 
gleich als ob sie in Zukunft dazu weniger geeignet 
wären ; um wie viel thörichter wäre es da, an Gottes 
Vorsehung zu verzweifeln, der euch alles gewährt hat» 
was er euch durch mich zu eurem Heile und in Hin- 
sicht eurer Erlösung aus der Knechtschaft gegen alle 
eure Erwartung verheissen hat. Vielmehr geziemt es 
euch, in eurer jetzigen Notlage auf Gottes Hilfe za 
bauen. Denn nur deshalb hat er eure Einschliessung in 
diesen Engpass zugelassen, um euch gegen eurer Feinde 
Erwarten aus dieser Gefahr zu erlösen und euch da» 
durch seine Allmacht und besondere Fürsorge zu be- 
weisen., j Gott erzeigt nämlich denen, auf die er mit 
Wohlgefallen sieht, nicht nur in kleinen Angelegen* 
heiten seine Hilfe, sondern erst recht dann, wenn die 
Menschen jedwede Hoffnung auf Besserung ihrer Lage 
aufgegeben haben. Vertraut daher fest auf einen solchen 
Helfer, der aus Kleinem Grosses zu erzeugen und auch 
die Kraft solcher gewaltigen Heeresmassen zu schwächen 
vermag, mit denen mich die Aegyptier schrecken. Wollet 
auch nicht verzweifeln, weil euch durch Meer und Berge 
die Flucht abgeschnitten ist; denn wenn Gott will» 
werden die Berge in Ebenen und das Meer in trockenes 
Land verwandelt werden." 


Sechzehntes Kapitel. 

Wie das Meer sich vpr den Hebräern teilte und ihnen 
die Flucht vor den Aegyptiero ermöglichte. 

. 1. Nach diesen Worten führte er sie im Angesichte 
der Aegyptier ans Meer. .Diese konnten nämlich die 




132 


Josephtu’ Jüdische Altertümer. 


Hebräer erblicken, hielten es aber, da sie Von der Ver- 
folgung ermüdet waren, für ratsam, den Kampf auf den 
kommenden Tag zu verschieben. Und alB nun Mooses 
das Gestade erreicht hätte, ergriff er seinen Stab und 
flehte zu Gott um Schutz und Hilfe mit diesen Worten : 
„Du weisst, o Herr, dass wir vergeblich zu menschlicher 
Kraft und Überlegung unsere Zuflucht nehmen, um der 
gegenwärtigen Not zu entgehen. In deiner Macht aber 
liegt es, deinem Volke, das in Gehorsam gegen deinen 
Willen aus Aegypten auszog, Erlösung zu gewähren. 
Daher nehmen wir, hoffnungslos und ratlos wie wir sind, 
zu dir allein unsere Zuflucht und flehen dich an. Angst- 
voll erwarten unsere Herzen das Eingreifen deiner Vor- 
sehung, damit wir den Händen der wutentbrannten 
Aegyptier entrissen werden. Doch komme schnell und 
zeige uns deine Macht; flösse dem Volke, das aus Ver- 
zweiflung zusammen zubrechen droht, Mut ein und richte 
wieder auf seine Hoffnung und sein Vertrauen auf Er- 
lösung. Du vermagst unsere Not zu beseitigen — denn 
dein ist das Meer, und dein sind die Berge, die uns um- 
schliessen. Willst du, so thun sie sich auf, und das 
Meer verwandelt sich in trockenes Land. Ja, durch die 
Luft können wir fliegen und so entkommen, wenn deine 
Allmaoht uns also erretten will.“ 

2. Nach diesem Gebete zu Gott schlug Moyses mit 
seinem Stabe aufs Meer. Dieses aber gab dem Schlage 
nach, wich zurück und liess das Land trocken, um den 
Hebräern die Flucht zu ermöglichen. Daran erkannte 
Moyses Gottes Gegenwart, und da er sah, dass das Meer 
von seinem Grunde gewichen war, schritt er zuerst hin- 
ein und hiess die Hebräer ihm folgen auf dem Pfade, 
den Gott ihnen gebahnte Dann ermahnte er sie in der 
Freude über die Gefahr, in welche die nachsetzenden Feinde 
zu stürzen drohten, sie sollten Gott danken, der ihnen 
einen so unverhofften Weg zur Rettung geöffnet habe. 

3. Als die Hebräer nun im Vertrauen aüf Gottes 
Gegenwart ohne Zögern nacheilten, glaubten die Aegyp- 
tier, sie seien von Sinnen, da sie offenbar ihrem Ver» 




Zweit«* Bach, 16. Kapitel. \ 


13S 

derben entgegenliefen. Doch als sie sahen, dass die 
Hebräer wohlbehalten weiter vonrückten, ohne Schwierig- 
keiten und Hindernisse anzutreffen, begannen sie ihnen 
zu folgen, als ob auch vor ihnen das Meer ruhig zurück- 
weichen würde; ihre Reiterei schickten sie dabei voraus. 
Indes sie sich aber ihre Waffen angelegt und damit 
Zeit verloren hatten, waren die Hebräer schon wohl- 
behalten am jenseitigen Ufer angelangt. Dadurch wurden 
die Aegyptier noch mehr angestachelt zur V erf olgung, in dem 
Glauben, dass auch ihnen nichts Übles widerfahren würde. 
Sie hatten aber ausser acht gelassen, dass der Weg nur für 
die Hebräer, nicht aber für andere geschaffen worden, 
und dass er zur Erlösung der Gefährdeten, nicht aber 
für die bestimmt war, die ihn zum Verderben anderer 
benutzen wollten. . Als daher das gesamte Heer der 
Aegyptier den Weg betreten hatte, strömte plötzlich das 
Meer wieder zusammen und begrub, von Sturm gepeitscht, 
mit gewaltigem Andrang die Aegyptier in seinen Fluten. 
Zugleich stürzten Regengüsse vom Himmel, und grause 
Donnerschläge wechselten mit zuckenden Blitzen; kurz, 
was Gottes Zorn den Menschen, zu schicken pflegt, schien 
hier vereinigt zu sein, denn auch dichte Finsternis und 
Nacht gesellte sich hinzu. So gingen die Aegyptier 
sämtlich unter, und es blieb noch nicht einmal einer 
übrig, der die Botschaft von dem Unglück hätte nach 
Hause bringen können. 

4. Die Hebräer aber konnten sich vor Freude über 
ihre unverhoffte Errettung und die Vernichtung ihrer 
Feinde kaum halten, und sie glaubten nun einer festen 
und gesicherten Zukunft entgegenzugehen, da Gott sie 
so offenbar beschützt hatte. Und weil sie selbst der Ge- 
fahr so wunderbar entronnen waren, ihre Feinde aber 
von einem Strafgericht ereilt sahen, wie es seit Menschen- 
gedenken nicht dagewesen, verbrachten sie die Nacht 
mit Gesang und in freudigem Jubel. Moyses selbst ver- 
fasste zur Ehre Gottes ein Lied in sechsfüssigen Versen, 
das Gottes Lob besang und ihm für seine Wohlthaten 
dankte. 




134 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


5. Alles dies habe ich aufgezeichnet, wie ich es in 
den heiligen Büchern geschrieben fand. Niemand aber 
möge sich darüber verwundern und es für unglaublich 
halten, dass die damaligen Menschen, die in Schlechtig- 
keiten noch nicht so bewandert waren, einen Weg zu 
ihrer Errettung, sei es nach Gottes Willen oder von 
selbst, durch das Meer gefunden haben sollen. Denn es 
ist noch nicht so lange Zeit verstrichen, da auch vor 
dem Heere Alexanders, des Königs von Mazedonien, das 
Pamphylische Meer zurückwich und ihm, da es keinen 
anderen Weg zu Gebote hatte, einen solchen eröffnete. 
Gott bediente sich nämlich seiner Hilfe, um die Herrschaft 
der Perser zu stürzen. Das bezeugen alle, welche die 
Kriegsthaten Alexanders beschrieben haben. Doch möge 
hierüber jeder denken, wie ihm beliebt. 

6. Als nun am folgenden Tage die sturmbewegten 
Meereswogen die Waffen der Aegyptier ans Gestade ge- 
worfen hatten, liess Moyses, der darin ein Zeichen der 
Vorsehung Gottes erblickte , dieselben sammeln und 
rüstete mit ihnen die Hebräer aus, damit diesen von jetzt 
an die Wehr nicht fehle. Alsdann führte er sie zum 
Berge Sinai, um dort Gott zu opfern und ihm für die 
Errettung des Volkes zu danken, wie derselbe ihm früher 
befohlen hatte. 




Drittes Buch. 


Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 2 Jahren. 


Inhalt. 

1. Wie Moyses das Volk in beschwerlichen Märschen zum Berge 

Sinai führt«. 

2. Wie die Ainalekiter und die benachbarten Völker die Hebräer 

mit Krieg fiberziehen, von ihnen aber besiegt .werden und einen 
grossen Teil ihres Heeres verlieren. 

3. Wie Moyses seinen Schwiegervater Jothor, der zu ihm an den 

Berg Sinai kommt, freudig empfängt. 

4. Wie dieser ihm riet, das Volk zu teilen und Befehlshaber über 

je tausend and je hundert Mann u. s.w. zu setzen, und wie 
Moyses diesem Bat folgte. , 

■5. Wie Moyses auf den Berg Sinai stieg, von ßott Gesetze erhielt 
und diese den Hebräern gab. 

6. Von der Hütte, die Moyses Gott errichtete und weihte, damit 

sie in der Wüste die Stelle des Tempels vertrete. 

7. Von der Kleiduug der Priester und des Hohepriester» ; vom 

Priestertum Aarons, den verschiedenen Reinigung»- und Opfer* 
Cererr onien ; von den Festen und der Anordnung der einzelnen 
Tage, und von anderen Gesetzen. 

3. Wie Moyses anfbrach und das Volk an die Grenzen Chananaeas 
führte, und wie er Kundschafter schickte zur Erforschung dm 
Landes und der Grösse der Städte. 

9 . Diese kehren nach vierzig Tagen zurück und preisen die 
Macht der Chananäer gegenüber ihren eigenen geringen 
Streitkräften; das Volk, hierdurch entmutigt, will den Moyses 
steinigen und wieder in die Knechtschaft nach Aegypten zu- 
rfickkehren. 

10. Moyses, darüber aufgebracht, verkündet, Gott werde dem Volb 
während der vierzig Jahre, die es in der Wüste verbringen 
solle, zürnen, und die Israeliten würden weder nach Aegypten 
zurückkehren, nach Chananaea in Besitz nehmen. 



186 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


Erstes Kapitel. 

Wie Moyses das Volk in beschwerlichen Märschen 
zum Berge Sinai führte. 

1. Obgleich nun den Hebräern auf diese Weise eine 
unverhoffte Erlösung zu teil geworden war, schlug sie 
doch auf dem Marsch nach dem Berge Sinai der Um- 
stand nieder, dass die Gegend sehr öde war und grossen 
Mangel an fester Nahrung wie auch an Wasser auf wies, 
sodass sie nicht einmal genügendes Futter für das Vieh, 
geschweige denn Lebensmittel für die Menschen bot. 
Sie war nämlich ganz trocken und hatte nicht die ge- 
ringste Feuchtigkeit, um Früchte hervorbringen zu t 
können. Durch eine solche Gegend mussten sie nun 
wandern, da sie keinen anderen Weg benutzen konnten. 
Wasser hatten sie zwar auf Befehl ihres Führers an den 
Orten , die sie durchzogen hatten , mitgenommen ; als 
dieses aber verbraucht war, mussten sie, um Wasser zu 
bekommen, Brunnen anlegen, und diese Arbeit war sehr 
tpühsam wegen der Härte des Erdreiches. Und hatten 
sie dann endlich Wasser gefunden, so war es bitter und 
ungeniessbar, und dazu noch nicht einmal hinreichend. 
Als sie so weiter marschierten, kamen sie eines Tages 
gegen Abend an einen Ort mit Namen Mar, der so hiess 
wegen des schlechten Wassers; denn Bitterkeit heisst 
im Hebraeischen Mar. Und da sie durch die langen 
Märsche, wie auch durch den Mangel an Nahrung, sehr 
erschöpft waren (es mangelten ihnen nämlich damals 
jegliche Lebensmittel), so blieben sie hier eine Zeitlang. 
Denn es befand sich dort ein Brunnen, und wenn der- 
selbe auch nicht für eine so grosse Menge Menschen 
genügen konnte, so trösteten sie sich doch schon damit, 
ihn wenigstens gefunden zu haben, da sie von Kund- 
schaftern vernommen hatten, sie würden bei ihrem 
Weitermarsch gar nichts mehr antreffen. Doch war daa 
Wasser des Brunnens bitter und nicht nur für Menschen, 
sondern selbst für das Vieh ungeniessbar. 



Drittes Bach, 1 . Kapitel. 


137 


2. Als nun Moyses sah, dass' das Volk mutlos wurde, 
und er es mit den Worten nicht mehr trösten konnte 
(denn er hatte nicht bloss ein Heer von Männern vor 
sich, das der Macht der Verhältnisse tapfer hätte trotzen 
können, sondern ein Schwarm von Kindern und Weibern, 
die zu schwach waren, um sich vernünftigen Vor- 
stellungen fügen zu können, übertäubte alle Regungen 
von Starkmut), geriet er in eine üble Lage, da er die 
Not, die alle litten, so empfand, als hätte er sie allein 
zu ertragen. Denn sie wandten sich an keinen anderen 
als an ihn, und baten ihn flehentlich, die Mütter für 
ihre Kinder und die Männer für ihre Weiber, er möge 
sich ihrer annehmen und ihnen einen Weg zu ihrer 
Errettung zeigen. Daher richtete Moyses sein Gebet zu 
Gott und flehte ihn an, er möge dem Wassermangel 
abhelfen und das bittere Wasser in trinkbares ver- 
wandeln. Und als Gott ihm die Erhörung seiner Bitte 
zugesagt, nahm er ein Stück Holz, das gerade vor ihm 
lag, spaltete es der Länge nach, warf es in den Brunnen 
und gab den Hebräern kund, Gott habe sein Gebet er- 
hört und ihm verheissen, er werde ihnen Wasser nach 
Wunsch gewähren, wenn sie nur seine Befehle schnell 
und bereitwillig vollziehen wollten. Auf ihre Frage aber, 
was sie thun müssten, um das Wasser trinkbar zu 
machen, befahl er, die stärksten Männer sollten Wasser 
aus dem Brunnen schöpfen, und wenn dann der 
grösste Teil des Wassers entfernt sei, werde das übrige 
trinkbar sein. Jene unterzogen sich der Arbeit, und so 
wurde das Wasser, durch die starke Bewegung gereinigt, 
bald geniessbar. 

3. Von da zogen sie weiter und kamen nach Elis, 
das von weitem wegeil der Palmen, die dort standen, 
sehr schön aussah, in der Nähe aber sich ebenfalls als 
unwirtlich erwies. Denn es waren höchstens siebzig 
Palmbäume, die dazu noch schlecht gewachsen und 
wegen des Wassermangels sehr niedrig waren. Ferner 
war die ganze Gegend trocken und sandig ; die Quellen 
aber, zwölf an der Zahl, boten wenig Wasser dar, denn 




138 


Josephua’ Jüdische Altertümer. 


sie hatten keinen starken. Sprudel und spendeten auch 
nicht einmal immer Wasser. Und auch, wenn man im 
Sande grub, fand sich niohts vor; waren es aber wirk« 
lieh einmal wenige Tropfen, so waren sie so trüb, dass 
sie als Trink wasser nicht verwendet werden konnten. 
Dazu waren auch, die Bäume wegen Mangel an Wasser, 
das sie hätte anregen und erquicken können, zu schwach, 
um Früchte zn tragen. Infolgedessen machten die 
Hebräer ihrem Führer Vorwürfe und massen ihm die 
Schuld an ihrem Elend und ihrer Not bei. Denn sie 
hatten in den dreissig Tagen, die seit Beginn der Reise 
verflossen waren, alle mitgeführten Lebensmittel auf« 
gezehrt, und da sie nun niohts zur Stillung ihres 
Hungers vorfanden, waren sie nahe daran, ganz zu ver- 
zweifeln. Und nur mit dem Gedanken an ihr gegen- 
wärtiges Elend beschäftigt, vergassen sie alles, was Gott 
und des Moyses Tapferkeit und Weisheit ihnen bis jetzt 
hatten zu teil werden lassen, und wurden so heftig gegen 
ihren Führer aufgebracht, dass sie ihn steinigen wollten, 
gleich als sei er der Urheber ihres Unglücks. 

4. Als nun die Menge so heftig gegen ihn erregt 
war, trat Moyses im Vertrauen auf Gottes Hilfe und im 
Bewusstsein, dass er stets nur das Wohl seiner Stammes- 
genossen im Auge gehabt habe, mitten unter sie, ob- 
gleich sie heftig lärmten und Steine gegen ihn erhoben 
hatten. Und weil er von imponierender Erscheinung 
war und die Gabe besass, durch natürliche Beredsam- 
keit auf VolksmaB8en einzuwirken, versuchte “er ihren 
Zorn zu besänftigen. Er beschwor sie, über dem gegen- 
wärtigen Ungemach nicht die früheren] Wohlthaten 
Gottes zu vergessen und, obgleich sie jetzt Mangel 
litten, der reichen Gaben zu gedenken, mit denen ev 
wider ihre Erwartung sie überhäuft habe. Sie sollten 
fest vertrauen, dass Gott sie aus ihrer jetzigen {ver- 
zweifelten Lage befreien werde, der sicher dieses Un- 
glück nur deshalb über sie verhängt habe,! um ihre 
Tugend und Standhaftigkeit zu erproben und zu sehen, 
ob sie seiner früheren Wunderthaten noch gedächten 



Dritte« Bach, 1. Kapitel. 


139 


oder dieselben in ihrer Not vergessen hätten. Doch es 
zeige sich ja klar, dass sie Ungemach standhaft zu er- 
tragen nicht vermöchten, noch auch der früher er- 
worbenen Verdienste eingedenk seien, da sie Gott und 
seinen Willen, dem zufolge sie Aegypten verlassen 
hätten, jetzt so geringschätzten und selbst seinen Diener 
mit so unversöhnlichem Hass verfolgten, der ihnen doch 
bei Verkündigung dessen, was Gott ihm aufgetragen, 
nie die Unwahrheit gesagt habe. Alsdann zählte er ihnen 
im einzelnen auf, wie schwer die Aegyptier geschlagen 
worden seien, weil sie gegen Gottes Befehl sie hätten 
zurückhalten wollen; wie ein und dasselbe Wasser den 
Aegyptiern blutig und ungeniessbar, ihnen dagegen süss 
und trinkbar erschienen sei; wie das Meer vor ihnen 
zurückgewichen sei und ihnen einen Weg freigemacht 
habe zu ihrer Errettung, während ihre Feinde elend 
umkamen; wie Gott ihnen Waffen im Überfluss ver- 
schafft habe, da sie wehrlos gewesen, und wie er sie aus 
anderen schweren Gefahren unerwartet errettet habe. 
Sie sollten daher an seiner mächtigen Vorsehung nicht 
verzweifeln, sondern in Geduld das weitere ab warten 
und bedenken, dass seine Hilfe nie zu spät komme, 
wenn sie auch nicht sofort erscheine, nachdem ihnen 
etwas Hartes zugestossen sei. Auch, sollten sie wohl er- 
wägen, dass Gott nicht deshalb zögere, weil er sie ver- 
gessen habe, sondern um ihre Standhaftigkeit auf die 
Probe zu stellen und ihre Liebe zur Freiheit, sowie um 
zu erforschen, ob sie lieber für ihre Freiheit Hunger 
' und Durst leiden oder aber lieber Sklavendienste thun 
wollten gleich den Tieren, die von ihren Herren zu 
deren Dienst und Nutzen gemästet werden. Endlich sei 
er nicht um sein eigenes Wohl besorgt, denn für ihn 
sei es kein Unglück, wenn er ungerechterweise sterbe; 
vielmehr liege ihm ihr Wohlergehen am Herzen, da sie, 
wenn sie ihn steinigten, in Wahrheit Verächter Gottes 
sein würden. 

5. Auf diese Weise gelang es ihm, sie zu beruhigen, 
Bodass sie von seiner Steinigung Abstand nahmen und 


140 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


über ihren Anschlag Reue empfanden. Da er aber sah, 
dass sie, wenn auch nicht ohne ihr eigenes Verschulden, 
wirklich in grosser Not sich befanden, so beschloss er, 
sich im Gebete an Gott zu wenden. Und er bestieg eine 
Anhöhe und betete zu Gott (bei dem allein all ihr Heil 
sei), er möge doch dem Volk Hilfe und Erlösung aus 
seiner grossen Drangsal gewähren und ihm verzeihen, 
was es unter dem Drucke seines Elendes verbrochen 
habe, ßei doch der Mensch von Natur aus geneigt, im 
Unglück zaghaft und widerspenstig zu werden. Darauf 
verhiess ihm Gott, er werde sich ihrer annehmen und 
ihnen die erbetene Hilfe gewähren. Als Moyses dies 
vernommen hatte, stieg er wieder zum Volk herab, das 
ihn ob der Verheissungen Gottes erfreut sah, und dessen 
Trauer sich darum rasch in Freude verwandelte. Und 
Moyses trat in ihre Mitte und verkündete ihnen, er 
bringe ihnen von Gott Erlösung aus ihrer Drangsal. 
Nicht lange danach kam eine grosse Menge Wachteln 
(diese Vogelgattung lebt vorzugsweise am Arabischen 
Meerbusen) über das Meer angeflogen, die, da sie müde 
vom langen Flug waren und überhaupt mehr als andere 
Vögel sich der Erde zu nähern wagen, sich bei den 
Hebräern nieder] iessen. Diese fingen sie mit den 

Händen, betrachteten sie gleichsam als Nahrung, die 
Gott selbst ihnen bereitet habe, und machten damit ihrer 
Not ein Ende. Moyses aber wandte sich zu Gott und 
dankte ihm, dass er seiner Verheissung gemäss ihnen 
so schnell geholfen habe. 

6. Bald schickte ihnen Gott nach dieser ersten Speise 
noch eine andere. Denn als Moyses seine Hände zum 
Gebet erhob , fiel Tau , und da derselbe an seinen 
Händen hängen blieb, vermutete er, Gott habe auch 
damit ihnen eine Speise beschert, und freute sich sehr 
darüber. Weil er aber sah, dass das Volk die Substanz 
irrigerweise für Schnee hielt, wie er im Winter zu 
fallen pflegt, belehrte er sie, das vom Himmel Ge- 
fallene sei kein Tau, wie sie meinten, sondern eine 
Speise zu ihrer Ernährung und Erhaltung. Und 




Drittes Buch, 1. Kapitel. 


141 


nachdem er selbst davon gekostet batte, hiess er sie 
gleichfalls sich überzeugen, und sie folgten seinem Bei- 
spiele und freuten sich der Speise, denn sie schmeckte 
angenehm und süss wie Honig. An Aussehen aber glich 
sie dem Gewürz Bdellium und an Grösse der einzelnen 
Körner dem Koriandersamen. »Sie wurde nun eifrig ge- 
sammelt, und jeder musste täglich ein Assaron (ein be- 
stimmtes Mass) davon auf lesen; denn auf diese Weise 
werde es ihnen an Nahrung nicht mangeln. Es geschah 
das aus Vorsicht, damit nicht die Stärkeren, die mehr 
zu sammeln vermochten, den Schwächeren das Ein- 
sammeln ihrer Nahrung erschweren konnten. Diejenigen 
aber, welche über das vorgeschriebene Mass hinaus- 
gingen, hatten davon doch keinen Nutzen. Denn sie 
fanden nicht mehr als ein Assaron, und was für den 
folgenden Tag aufgespart wurde, war ungenlessbar, da 
es dann bitter und voll von Würmern war. Es war 
eine göttliche und unbegreifliche Speise, denn wer davon 
genoss, konnte jede andere Nahrung entbehren.. Noch 
bis auf den heutigen Tag fällt in jener ganzen Gegend 
diese Substanz nieder, wie sie Gott damals dem Moyses 
zu Gefallen als Nahrung bescherte. Diese Speise nennen 
die Hebräer Manna, denn in unserer Sprache ist „man" 
die Fragepartikel, wenn wir fragen wollen: „was ist 
das?“ Die Hebräer aber freuten sich dessen, was vom 
Himmel fiel, gar sehr, denn sie genossen diese Speise 
vierzig Jahre lang, also in der ganzen Zeit, da sie in der 
Wüste lebten. 

7. Nachdem sie nun von da weitergezogen und nach 
Kaphidin gekommen waren, litten sie argen Durst, 
weil sie an den vorhergehenden Tagen nur sehr ver- 
einzelte Quellen an getroffen hatten. Und da sie sahen, 
dass das ganze Land überhaupt trocken und wasserarm 
war, und sie wieder in Not geraten würden, murrten sie 
aufs neue gegen Moyses. Dieser aber entzog sich für 
kurze Zeit dem Ungestüm des Volkes und wandte sich 
zu Gott, den er flehentlich bat, er möge, wie er früher 
ihnen Speise verschafft habe, so auch jetzt den Trank 




142 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihnen nicht versagen; denn wenn ihnen dieser fehle, 
werde ihnen die Speise allein nicht viel nützen« Gott 
aber zögerte in seiner Güte nicht, sondern versprach 
dem Moyses, es werde sich ihnen eine wasserreiche 
Quelle zeigen, wo sie dieselbe am wenigsten erwarteten. 
Dann hiess er ihn mit ’ seinem Stab auf den Felsen 
schlagen, den er zunächst erblicken werde; sie würden 
dann soviel Wasser erhalten, als sie wünschten, auch 
solle es ihnen ohne alle Mühe und Arbeit zufliessen v 
Als Moyses dies von Gott vernommen hatte, kehrte er 
zum Volke zurück, das in gespannter Erwartung seiner 
harrte; denn es hatte schon von einer Anhöhe aus nach 
ihm ausgespäht, als er beschleunigten Schrittes vom 
Berge herabstieg. Und als er ankam, verkündete er 
ihnen, Gott wolle sie auch aus dieser Not erlösen und 
ihnen unverhoffte Hilfe senden; denn es werde Wasser 
aus einem Felsen hervorquillen. Sie aber erstaunten 
hierüber, als wenn sie, von Durst und den Beschwerden 
des Marsches erschöpft, nun auch noch einen Felsen 
anhauen müssten. Und als nun Moyses mit seinem 
Stab auf den Felsen schlug, der sich sogleich öffnete 
und reichlich klares Wasser hervorsprudeln liess, ge- 
rieten sie ob der Neuheit der Erscheinung in solches 
Erstaunen, dass schon vom blossen Anschauen ihr Durst 
gestillt wurde. Darauf tranken sie und fanden das 
Wasser lieblich und süss, ein wahres Geschenk Gottes. 
Und sie bewunderten den Moyses, den Gott so sehr 
ehrte; Gott aber brachten sie für seine grosse Fürsorge 
Opfer dar. Die heilige Schrift aber, die im Tempel 
auf bewahrt wird, erklärt uns, Gott habe dem Moyses 
vörherverkündigt, dass er auf diese Weise dem Felsen 
Wasser entströmen lassen werde. 




Drittes Buch, 2. Kapitel. 


148 


Zweites Kapitel. 

Wie die Amalekiter und die benachbarten Völker die 
Hebräer mit Krieg überziehen, von ihnen aber besiegt 
werden und einen grossen Teil ihres Heeres verlieren. 

1. Als nun der Ruf der Hebräer sich weit und breit 
ausdehnte, und das Gerede über sie mehr und mehr zu* 
nahm, befiel die Eingeborenen eine grosse Furcht, und 
sie schickten Boten hin und her und ermunterten ein* 
ander, ihre Streitkräfte zu vereinigen und auf die gänz- 
liche Ausrottung jenes Volkes hinzuarbeiten. Am 
meisten rieten hierzu die Bewohner von Gobolitis und 
Petra, welche Amalekiter hiessen und die kriegerischten 
von den benachbarten Völkerschaften waren. Deren 
Könige reizten durch Boten ihr eigenes Volk sowohl, 
als auch die ringsum wohnenden Völker zum Kriege 
gegen die Hebräer auf, indem sie Vorgaben, diese seien 
ein Heer von Fremdlingen, die der Knechtschaft 
der Aegyptier entronnen seien und nun kämen, um 
ihnen den Untergang zu bereiten. „Wir dürfen sie,“ hiess 
es, „keineswegs verachten, sondern müssen sie, was das 
Sicherste und Klügste ist, bevor sie an Macht wachsen, 
sich ausbreiten und, durch unser Zögern kühn gemacht, 
uns zuerst mit Krieg überziehen, unterdrücken und für 
das, was sie in der Wüste getrieben, sie züchtigen, ehe 
sie an unsere Städte und unseren Reichtum ihre Hand 
legen. Denn es ist viel vernünftiger, der Feinde Macht 
zu stürzen, sobald sie zu wachsen beginnt, als später 
ihren Fortschritt hemmen zu wollen, wenn sie schon er- 
starkt ist. Im letzteren Falle stehen wir da, als ob wir 
dem Feinde wegen seiner grossen Macht grollten, 
während wir im ersteren Falle ihm jede Gelegenheit 
zu Anschlägen gegen uns von vornherein abschneiden.“ 
So reizten sich die Völkerschaften gegenseitig durch 
Boten auf, und endlieh ward beschlossen, die Hebräer 
mit Krieg zu überziehen. 

2. Moyses aber, der solche Feindseligkeit nicht er» 



144 


Joseph u»’ Jüdische Altertümer. 


wartet hatte, geriet durch die Rüstungen der Eingeborenen 
in grosse Verlegenheit Und als es nun zum Kampfe 
kommen und das Kriegsglück versucht werden sollte, 
bemächtigte sich grosse Verwirrung der Hebräer, denn 
sie sollten, obgleich nicht hinreichend vorbereitet, mit 
pinem gut geleiteten und gerüsteten Heere streiten. 
Moyses aber sprach ihneil Trost zu und ermahnte sie, 
auf Gottes Hilfe zu vertrauen und wohlgemut zu sein« 
Er, der ihnen zur Freiheit verholfen, werde ihnen auch 
den Sieg über ihre Feinde verleihen, die ihnen jene 
wieder rauben wollten. Sie sollten erwägen, dass ihr 
Heer doch nicht so klein und schwach sei, auch an 
Waffen, Geld, Lebensmitteln und allem anderen, was 
zur Kriegführung nötig sei, keinen Mangel habe, weil 
sie der Hilfe Gottes sicher seien. Der Feinde Heer da- 
gegen sei klein, schlecht bewaffnet und schwach, und 
Gott werde nicht zulassen, dass sie von solchen Männern 
überwunden würden. Auch sollten sie sich ins Gedächt- 
nis rufen, wie mächtig der Helfer sei, dessen Beistand 
sie in so vielen und noch weit schlimmeren Gefahren 
kennen gelernt hätten. Denn hier hätten sie nur mit 
Menschen zu kämpfen, früher dagegen seien Hunger 
und Durst, Berg und Meer ihre viel gefährlicheren 
Gegner gewesen, und auch die hätten sie doch mit Gottes 
gnädiger Hilfe vollständig überwunden. Sie sollten da- 
her freudigen Herzens in den Kampf ziehen, denn reiche 
Beute winke ihnen nach Besiegung ihrer Feinde. 

4. So feuerte Moyses den Mut des Heeres an. Als- 
dann berief er die Stammeshäupter und die Edelsten 
des Volkes, erst einzeln, danach alle zusammen, zu sich 
und ermahnte die jüngeren, den Befehlen der älteren 
zu gehorchen , die letzteren aber, dem Führer des Heeres 
den schuldigen Gehorsam nicht zu versagen. So er- 
warteten sie denn gestählten Mutes und in der Hoffnung 
auf endliche Erlösung aus ihrer schlimmen Lage den 
Kampf und baten den Moyses, sie gradeswegs und un- 
verzüglich gegen den Feind zu führen, damit ihr Eifer 
nicht erkalte. Moyses wählte nun aus der ganzen Menge 



Drittes Buch, 2. Kapitel. 


145 


die streitbarsten Männer aus und stellte sie unter den 
Befehl des Jesus, 1 Sohnes des Nave, aus dem Stamme 
Ephraim, eines tapferen und abgehärteten Mannes, der 
im Denken und Reden energisch war, sich durch treue 
Verehrung Gottes auszeichnete (Moyses selbst hatte ihn» 
hierin unterwiesen) und bei den Hebräern in hohen 
Ehren stand. Dem schwächeren Teil 'der Bewaffneten 
aber übertrug er ausser der Borge für das Wasser den 
Schutz der Frauen und Kinder sowie des Lagers im all- 
gemeinen. Und die ganze Nacht hindurch rüsteten sie 
sich, setzten ihre Waffen in Stand und harrten ihrer 
Anführer, damit sie, sobald Moyses das Zeichen geben 
würde, sogleich in den Kampf ziehen könnten. Auch 
Moyses brachte die Nacht schlaflos zu und gab dem 
Jesus genaue Anweisung zur Aufstellung des Heeres. 
Bei Tagesanbruch aber ermahnte er ihn, er möge im 
Treffen die Hoffnung rechtfertigen, die man auf ihn 
setze, und sich durch seine Kriegsthaten die Achtung 
seines Heeres zu erwerben suchen. Ebenso ermahnte er 
jeden einzelnen aus den Besten der Hebräer und ent- 
flammte dann auch die ganze Streitmacht zur Tapfer- 
keit. Und nachdem er das Heer also angefeuert und 
vorbereitet hatte, stieg er auf einen Berg und befahl das- 
selbe Gott und dem Jesus. 

4. Die feindlichen Heere trafen nun zusammen, und 
es kam zum Handgemenge. Auf beiden Seiten wurde 
wacker gestritten, und einer feuerte den andern an. So 
lange nun Moyses seine Hände ausgestreckt hielt, waren 
die Hebräer den Amalekitern überlegen. Als er aber 
wegen grosser Ermüdung seine Hände nicht länger aus- 
gestreckt halten konnte (sobald er sie nämlich sinken 
liess, hatten die Feinde die Oberhand), hiess er seinen 
Bruder Aaron und seinen Schwager Orus, den Mann 
seiner Schwester Mariamme, sich neben ihn stellen und 
seine Hände unterstützen; und sie sollten hiermit nicht 
nachlassen. So kam es, dass die Hebräer die Amalekiter 


1 Josua. 

Josephus’ Jüdische Altertümer. 10 


Go gle 



146 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


vollständig schlugen, und sie würden dieselben gänzlich 
aufgerieben haben, wenn die hereinbrechende Nacht sie 
daran nicht gehindert hätte. Unsere Vorfahren aber 
hatten einen glänzenden und erfolgreichen Sieg erfochten, 
«denn abgesehen von der gänzlichen Niederwerfung ihrer 
Feinde jagten sie auch den ringsum wohnenden Völker- 
schaften grossen Schrecken ein und gewannen dazu 
noch, gleichsam als Lohn für ihre Anstrengung, eine 
sehr reiche Beute. Denn in dem Lager der Feinde 
fanden sie nach dessen Einnahme ungeheure Schätze, 
die sowohl für den allgemeinen als für den privaten 
Gebrauch verwendbar waren und ihnen bei ihrer grossen 
Not sehr zu statten kamen. Die Vorteile dieses Kampfes 
traten aber nicht allein in der Gegenwart zu Tage, 
sondern Hessen sich auch für die Zukunft erwarten. 
Denn abgesehen davon, dass sie die Feinde unter ihre 
Botmässigkeit brachten, beugten sie auch deren Mut und 
flössten durch den herrlichen Sieg über die Amalekiter 
auch den umliegenden Völkern gewaltigen Schrecken 
ein. Zudem vermehrten sie ihren Reichtum. Denn der 
Feind hatte eine Menge Gold- und Silbergeschirr, eherne 
Gefasse zum Küchengebrauch , geprägtes Gold - und 
Silbergeld, Gewebe, kunstvolle Waffen und andere 
Kunst- und Ausrüstungsgegenstände, ausserdem viel 
Vieh und allerhand Gerät, das ein Heer auf dem 
Marsche zu gebrauchen pflegt, zurückgelassen. Die 
Hebräer aber wurden sich auch infolge des Sieges ihrer 
Tapferkeit mehr bewusst und vertrauten mehr als bisher 
ihren Kräften und ihrer Ausdauer im Ertragen von 
Mühen. Ja, sie waren überzeugt, dass niemand mehr 
ihnen widerstehen könne. Einen so grossartigen Erfolg 
hatte dieser Kampf gezeitigt. 

5. Am folgenden Tage liess Moyses den gefallenen 
Feinden die Rüstungen ausziehen, die Waffen, welche die 
Flüchtigen von sich geworfen, sammeln und verteilte an 
die, welche sich besonders hervorgethan, Belohnungen. Den 
Jesus aber lobte er vor versammeltem Kriegsheere, das 
Zeuge seiner herrlichen Thaten gewesen war. Von den 



Drittes Buch, 3. Kapitel. 


147 


Hebräern war niemand im Kampfe gefallen, von den 
Amalekitern dagegen so viele, dass sie kaum zu zählen 
waren. Um nun Gott das schuldige Dankopfer dar- 
zubringen, errichtete Moyses einen Altar und rief Gott 
den Siegreichen an. Dann verkündete er, die Amale- 
kiter müssten gänzlich vertilgt werden, weil sie die 
Hebräer ohne Veranlassung mit den Waffen angegriffen 
hätten und dazu noch in der Wüste, wo sie ohnehin in 
grosser Drangsal lebten. Zum Schlüsse gab er dem ge- 
samten Heere ein Freudenmahl. Das war also der erste 
Krieg, den die Hebräer nach dem Auszug aus Aegypten 
gegen herausfordernde Feinde geführt haben. Nachdem 
nun das festliche Mahl, mit dem die Hebräer den Sieg 
feierten, zu Ende gegangen, liess Moyses sie einige Tage 
sich erholen und ruhen; dann aber führte er sie in ge- 
ordnetem Zuge weiter. Und da er eine grosse Zahl 
Schwerbewaffneter hatte, kam er nur langsam vorwärts 
und gelangte erst im dritten Monat nach dem Auszug 
aus Aegypten zum Berge Sinai, wo, wie ich früher er- 
wähnt habe, das Wunderzeichen an der Brombeerstaude 
und andere Erscheinungen ihm begegnet waren. 


Drittes Kapitel. 

Wie Moyses seinen Schwiegervater Raguel (Jothor), 
der zu ihm an den Berg Sinai kommt, freudig empfängt. 

Als Raguel, der Schwiegervater des Moyses, von 
dessen Kriegsthaten Kunde erhalten, machte er sich auf, 
um ihm Glück zu wünschen. Moyses, seine Gattin 
Sepphora und seine Söhne nahmen ihn freundlich auf 
und waren über seine Ankunft sehr erfreut Und 
nachdem Moyses Gott ein Opfer dargebracht, bereitete 
er dem Volke ein Freudenmahl nicht weit von jener 
Brombeerstaude , welche vom Feuer verschont geblieben 
war. Die Menge liess sich, nach Stämmen geordnet, an 
der Tafel nieder. Aaron aber und Raguel sangen mit 
den Ihrigen Gott Loblieder als dem Urheber und 

10* 



148 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


Spender ihres Glückes und ihrer Freiheit, und auch 
priesen alle ihren Führer, weil durch seine Tapferkeit 
alles sich ihnen nach Wunsch gestaltet habe. Endlich 
erteilte Raguel in seiner Danksagung an Moyses dem 
Volke viele Lobeserhebungen, den Moyses aber feierte 
er ganz besonders, weil er für seiner Freunde Errettung 
so grosse Tapferkeit in Beschwerden und Gefahren be- 
wiesen habe. 


Viertes Kapitel. 

Wie Raguel dem Moyses riet, das Volk zu teilen und 
Befehlshaber über je tausend und je hundert Mann u. s. w. 
zu setzen, und wie Moyses diesem Rat folgte. 

1. Am anderen Tage bemerkte Kaguel , dass Moyses 
mit Geschäften zu sehr überlastet sei. Denn er 
schlichtete alle Streitigkeiten, so oft dies begehrt wurde ; 
alle wandten sich an ihn, da sie kein Recht erlangen 
zu können meinten, wenn Moyses nicht Schiedsrichter 
sei. Und auch diejenigen, die bei dem Spruch verloren, 
nahmen dies nicht übel, weil sie die Entscheidung als 
nach strengem Recht gefallt anerkannten. Doch schwieg 
Raguel zunächst dazu, weil er niemand hindern wollte, 
den Schiedsspruch des erlauchten Führers einzuholen. 
Als aber die Menge sich entfernt hatte, nahm er ihn mit 
sich und gab ihm, als sie allein waren, seine Meinung 
kund in betreff dessen, was zu geschehen habe. Er riet 
ihm nämlich, die unerheblichen Sachen anderen zu über- 
lassen, selbst aber nur die wichtigeren Geschäfte zu er- 
ledigen und so. für das allgemeine Wohl zu sorgen. 
Denn es würden sich doch gewiss noch viele Hebräer 
finden, die zur Rechtsprechung geeignet wären; für das 
Wohl so vieler Tausenden aber zu sorgen, verstehe 
niemand als Moyses oder ein ihm Gleichstehender. „Da 
du,“ sagte er, „wohl weiset, wie hoch du über den 
anderen stehst und wie viel du im Dienste Gottes für 
ihre Sicherheit und ihr Gedeihen gethan hast, so lass sie 




Drittes Buch, 4. Kapitel. 


149 


die Entscheidung ihrer Händel anderen übertragen. Du 
aber widme dich nur dem Dienste Gottes, und du wirst 
auf diese Weise nicht weniger zum Heile und Besten 
des Volkes leisten. Befolge also meinen Rat hinsicht- 
lich der Verwaltung, lass das Heer sorgfältig schätzen 
und teile es in Abteilungen von je zehntausend, dann 
weiter in solche von je tausend, fünfhundert, hundert, 
fünfzig, dreissig, zwanzig und zehn Mann. Über die 
einzelnen Abteilungen aber setze Vorgesetzte, die aus 
ihnen ausgewählt sind und nach der Zahl ihrer Unter- 
gebenen genannt werden. Diejenigen, die beim Volke 
als tugendhafte und gerechte Männer gelten, sollen in 
Streitsachen Recht sprechen und wichtigere Sachen zur 
Entscheidung derjenigen bringen, die an Würde höher 
stehen. Wird aber auch diesen die Urteilsfällung zu 
schwer, so sollen sie die Sache an dich verweisen. So 
wird dem Volke sein Recht, und du kannst in eifrigem 
Dienste Gottes Wohlwollen noch mehr auf dasselbe 
herabrufen.“ 

3. Moyses liess sich diesen RatRaguels gern gefallen 
und ordnete alsbald alles so an. Doch nahm er die 
Erfindung der Einrichtung keineswegs für sich in An- 
spruch, vielmehr gab er dem Volke den Urheber der- 
selben kund. Auch in seinen Büchern gedenkt er aus- 
drücklich des Raguel als des Erfinders der vorgenannten 
Einrichtung; denn er hielt es für wohlgethan, die 
grossen Verdienste anderer gebührend ins Licht zu 
setzen, deren Anerkennung und Hervorhebung zudem 
rühmlich sei. Hieraus kann man schliessen, wie gross 
die Uneigennützigkeit des Moyses war, wovon ich auch 
an anderen Stellen dieser Schrift gelegentlich berichten 
werde. 




150 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Fünftes Kapitel. 

Wie Moyses auf den Berg Sinai stieg, von Gott Gesetze 
erhielt und sie den Hebräern gab. 

1. Moyses aber berief das Volk zusammen und sagte 
ihm, er werde auf den Berg Sinai sich begeben, dort 
mit Gott verkehren und ihnen seine Aussprüche über- 
bringen. Und er befahl ihnen, das Lager bei dem 
Berge Sinai aufzuschlagen , damit sie Gott so nahe als 
möglich seien. Nach diesen Worten stieg er auf den 
Berg Sinai, welcher der höchste Berg jener Gegend und 
wegen seiner Höhe und steilen Abhänge nicht bloss 
unwegsam ist, sondern auch kaum ohne Ermüdung der 
Augen betrachtet werden kann. Nach allgemein ver- 
breiteter Sage wohnte hier Gott, und deshalb flösse der 
Berg Schrecken ein und sei noch nie bestiegen worden. 
Dem Befehle des Moyses zufolge schlugen nun die 
Hebräer ihr Lager am Fusse des Berges auf und waren 
froh und wohlgemut, da sie hofften, Moyses werde mit 
herrlichen Verheissungen von Gott zurückkehren. Und 
in Erwartung seiner Rückkehr hielten sie Freuden- 
mahle, beobachteten Reinigungsvorschriften, die Moyses 
ihnen gegeben, und enthielten sich nach seinem Befehle 
drei Tage hindurch des Umganges mit den Weibern. 
Zu Gott aber flehten sie, er möge den Moyses gnädig 
aufnehmen und ihm solche Gaben verleihen, die ihr 
Dasein glücklicher machen könnten. Auch nahmen 
sie reichlichere Nahrung zu sich und schmückten und 
putzten sich nebst ihren Weibern und Kindeipi. 

2. So verbrachten sie zwei Tage in festlicher 
Schmauserei. Am dritten Tage aber vor Sonnenaufgang 
überzog das ganze Lager der Hebräer eine Wolke, wie 
sie eine solche nie erblickt hatten, und erfüllte den 
ganzen Raum, wo ihre Zelte standen. Und während im 
übrigen der Himmel heiter war, erhob sich plötzlich 
heftiger Sturm, reichlicher Regen stürzte vom Himmel, 
und schauerliche Blitze, gefolgt von heftigen Donner- 
ßchlägen, verkündeten die Gegenwart Gottes, der in seiner 




Drittes Buch, 5. Kapitel. 


151 


Huld nahe war und des Moyses Begehren entgegennahm. 
Doch mag das jeder Leser aufnehmen, wie ihm beliebt; 
ich glaube nur das mitteilen zu müssen, was in den 
heiligen Büchern geschrieben steht. Als nun die 
. Hebräer dieses sahen und das schreckliche Getöse ver- 
nahmen, ergriff sie Zittern und Angst, denn sie waren 
an solche Ereignisse nicht gewöhnt, und das Gerücht, 
Gott besuche häufig den Berg, erfüllte ihre Gemüter mit 
grossem Zagen. Sie hielten sich darum niedergeschlagen 
und bekümmert in ihren Zelten und fürchteten, Gott 
habe in seinem Zorn den Moyses vernichtet, und das 
Gleiche werde auch ihnen geschehen. 

3. Als sich die Hebräer nun so ängstigten, erschien 
plötzlich Moyses bei ihnen, fröhlich und erhaben an- 
zuschauen. Und wie- sie ihn erblickten, schwand ihre 
Furcht, und Hoffnung erfüllte sie, zumal da der Himmel 
sich auf heiterte und das Unwetter sich verzog, als 
Moyses angekommen war. Dieser berief das Volk zu- 
sammen, um Gottes Befehle zu vernehmen. Und als es 
sich versammelt hatte, betrat er einen hervorragenden 
Ort, von wo seine Stimme allen vernehmlich war, und 
verkündete folgendes: „Gott hat mich, o Hebräer, mit 
demselben Wohlwollen aufgenommen wie früher, und er 
ist selbst jetzt in eurer Mitte gegenwärtig, um euch 
Mittel und Wege zu einem glücklichen Leben und einer 
guten Staatsverfassung zu zeigen. Deshalb beschwöre 
ich euch bei ihm und seinen herrlichen Werken, meine 
Worte nicht zu verachten, indem ihr nur auf meine 
Person Rücksicht nehmt und darauf, dass nur eines 
Menschen Zunge also zu euch spricht. Erwägt vielmehr 
die Erhabenheit der Worte, und ihr werdet daran die 
Majestät dessen erkennen , der sie ausgedacht und sich 
herabgelassen hat, zu unserem Besten mit mir zu reden. 
Denn nicht Moyses, der Sohn des Amaram und der 
Joachebed, giebt euch diese Gebote, sondern der, der 
durch seine Allmacht zum Zwecke eurer Errettung das 
Wasser des Nil blutig gemacht und den Übermut der 
Aegyptier durch mancherlei Plagen gedemütigt hat; der 




152 


Josepbus’ Jüdisch« Altertümer. 


euch einen Weg durch das Meer bereitete; der euch 
Speise vom Himmel sandte, als ihr hungrig, und reich- 
liches Wasser aus dem Felsen sprudeln liess, als ihr 
durstig wäret; von dem Adam empfangen hat, was Erde 
und Meer erzeugt; der den Noe aus der Sintflut er- 
rettete und dem umherirrenden Abram das Land Chana- 
naea schenkte; durch den Isak seinen Eltern noch in 
deren hohem Alter geboren wurde; der den Jakob mit 
zwölf tugendhaften Söhnen beschenkte und dem Joseph 
die Herrschaft über die Aegyptier verlieh — er giebt 
euch durch mich diese Gebote. Diese sollen euch heilig 
sein und teurer als eure Weiber und Kinder. Wenn ihr 
sie beobachtet, werdet ihr glücklich sein, das Land wird 
euch Früchte tragen, das Meer von Stürmen nicht er- 
regt werden ; eure Kinder werden -euch glücklich geboren 
werden, und ihr werdet euren Feinden ein Schrecken 
sein. Ich habe Gott gesehen und seine unsterbliche 
Stimme gehört: so sehr liegt ihm euer Geschlecht und 
dessen Erhaltung am Herzen.“ 

4. Nachdem er so gesprochen, führte er das Volk mit 
Weibern und Kindern heran, damit sie selbst von Gott 
vernähmen, was sie zu thun hätten, und damit nicht die 
Glaubhaftigkeit der Worte dadurch Schaden litte, dass 
sie nur von menschlicher Zunge verkündigt und so ihr 
Ansehen beeinträchtigt würde. Und es drang die Stimme 
aus der Höhe zu aller Ohren , sodass jeder die einzelnen 
Gebote deutlich vernehmen konnte, die Moyses auf zwei 
Tafeln aufgezeichnet hinterlassen hat. Doch ist es nicht 
notwendig, dass ich dieselben Wort für Wort wieder- 
gebe, weshalb ich nur ihren Sinn hier darlegen will. 

5. Das erste Gebot lehrt uns, dass nur ein Gott ist, 
und dass er allein zu verehren sei; das zweite schreibt 
vor, dass man keines Tieres Bild anbeten darf; das 
dritte, dass man bei Gott nicht leichtfertig schwören 
darf; das vierte, dass man jeden siebenten. Tag heilig 
halten und an ihm von aller Arbeit ruhen soll; das 
fünfte, dass man die Eltern ehren soll ; das sechste, dass 
man nicht töten soll; das siebente, dass man nicht ehe- 



Drittes Buch, 5. Kapitel. 


153 


brechen soll; das achte, dass man nicht stehlen soll; 
das neunte, dass man kein falsches Zeugnis ablegen 
soll; das zehnte, dass man kein fremdes Eigentum be- 
gehren soll. 

6. Als nun das Volk von Gott selbst das vernommen 
hatte, was Moyses ihm schon mitgeteilt hatte, empfand 
es eine grosse Freude und zerstreute sich wieder. In den 
folgenden Tagen aber kamen sie oft zu seinem Zelte 
und begehrten, dass er ihnen die von Gott gegebenen 
Gesetze verkünden möchte. Moyses willfahrte ihnen 
und schrieb ihnen vor, wa6 sie in jeder Lebenslage zu 
thun hätten ; hiervon werde ich an geeigneter Stelle noch 
sprechen. Den grössten Teil der Gesetze aber werde 
ich mir für ein anderes Werk aufsparen, worin ich diese 
gesondert behandeln werde. 

7. Unter diesen Umständen ging Moyses wiederum 
auf den Berg Sinai, nachdem er den Hebräern seine Ab- 
sicht mitgeteilt hatte; und sie sahen ihn den Berg be- 
steigen. Und da er hier lange verweilte (er war vierzig 
Tage abwesend), fürchteten die Hebräer, es möchte ihm 
ein Unglück zugestossen sein; von allen Übeln aber, 
die sie schon erduldet, würde sie keines so hart getroffen 
haben, als wenn sie hätten überzeugt sein müssen, Moyses 
sei gestorben. Man äusserte verschiedene Vermutungen. 
Die einen glaubten, er sei von wilden Tieren zerrissen 
worden; zu diesen gehörten meist diejenigen, die ihn 
hassten. Die anderen meinten , er sei zu Gott heim- 
gegangen. Die Klügeren aber, denen keine von beiden 
Ansichten gefiel, hielten es wohl für möglich,' dass er 
von wilden Tieren zerrissen worden , und sogar seiner 
Tugend wegen für wahrscheinlich, dass Gott ihn zu sich 
genommen habe, waren aber doch über sein Geschick 
nicht in Sorge. Dagegen waren sie ihrer selbst wegen 
in grosser Trauer darüber, dass sie einen Führer und 
Ratgeber verloren haben sollten, wie sie ihn niemals 
wieder zu bekommen hoffen konnten. Und wenn sie 
auch die Erwartung hegen konnten, es sei ihm nichts 
Übles widerfahren, so konnten sie sich doch nicht ent- 




154 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


halten, betrübt und traurig zu sein. Mit Rücksicht auf 
Moyses’ Befehl aber, dass sie hier bleiben sollten, wagten 
sie auch nicht weiterzuziehen. 

8. Als nun bereits vierzig Tage und Nächte ver- 
strichen waren, erschien endlich Moyses, ohne irgend eine 
Nahrung zu sich genommen zu haben. Bei seinem An- 
blick ergriff Freude das ganze Heer, zumal er ihnen 
auseinandersetzte, wie sehr Gott um ihr Wohlergehen be- 
sorgt sei. Gott habe ihm, sagte er, gezeigt, wie sie ihre 
Verfassung einzurichten hätten, um gut und glücklich 
zu leben. Auch verlange Gott, sie sollten ihm eine 
Hütte bauen, in die er herabsteigen wolle, so oft es ihn 
verlange, bei ihnen zu sein. Die Hütte sollten sie auch 
auf ihren Zügen mit sich führen , sodass es fürder nicht 
nötig sein werde, den Berg Sinai zu besteigen; vielmehr 
werde Gott selbst zu ihnen kommen, um ihre Gebete zu 
erhören. Und es sollte die Hütte so * gross und von 
solcher Gestalt werden, wie Gott selbst es ihm vor- 
geschrieben; sie sollten sich also ungesäumt ans Werk 
machen. Nach diesen Worten zeigte er ihnen die beiden 
Tafeln, auf denen die zehn Gebote geschrieben standen, 
fünf auf jeder. Die Schrift aber war von Gottes Hand 
geschrieben. 


Sechstes Kapitel. 

Von der Hütte, die Moyses Gott in der Wüste erbaute und 
weihte, damit sie die Stelle des Tempels vertrete. 

1. Die Hebräer, erfreut über das, was sie gesehen 
und von Moyses gehört hatten, Hessen es an Fleiss und 
Eifer nicht fehlen und trugen herbei Silber, Gold und 
Erz, Holz von bester Qualität, das der Fäulnis nicht so 
leicht unterlag, Ziegen- und Schaffelle in blau, scharlach- 
rot, weiss und purpur gefärbt, Wollstoffe von denselben 
Farben, Byssusleinwand, Edelsteine, die man in Gold 
gefasst als Schmuck zu tragen pflegt, endlich allerlei 
Räucherwerk. Aus solchen Stoffen erbaute man die 
Hütte, die sich in nichts von einem tragbaren Tempel 




Drittes Buch, 6. Kapitel. 


155 


unterschied. Als alle in regem Wetteifer, viele auch 
über ihr Vermögen hinaus beigesteuert hatten, bestimmte 
Moyses auf Befehl Gottes Baumeister zu dem Werke, 
die besten, die das Volk selbst ausgewählt hätte, wenn 
ihm die Wahl überlassen worden wäre. Ihre Namen, die 
in den heiligen Büchern aufgeschrieben stehen, waren 
Beseleel, Sohn des Urus aus dem Stamme Judas und 
Enkel der Mariamme, der Schwester des Moyses, und 
Eliab, Sohn des Isamach, aus dem Stamme Dan. Das 
Volk aber unterstützte das Unternehmen mit solchem 
Eifer, dass Moyses ihnen Einhalt thun musste und ver- 
kündigen liess, es seien nach Ansicht der Baumeister 
keine weiteren Beiträge mehr nötig. So begann also 
der Bau der Hütte. Moyses gab die einzelnen Masse 
an, wie Gott sie ihm mitgeteilt hatte, sowie die Grösse 
und Menge der zum Opferdienste erforderlichen Geräte. 
Auch die Frauen wetteiferten miteinander in der An- 
fertigung priesterlicher Gewänder und anderer Gegen- 
stände, die zum Schmuck der Hütte und zum Gottes- 
dienst bestimmt waren. 

2. Als nun alles in Bereitschaft war, Gold, Silber, 
Erz und Gewebe, verkündete Moyses einen Festtag und 
ordnete an, dass jeder nach Kräften ein Opfer bringen 
solle. Darauf begann der Bau der Hütte. Zuerst mass 
er den Vorhof ab, fünfzig Ellen breit, hundert Ellen 
lang, und richtete eherne Pfeiler auf, fünf Ellen hoch, 
zwanzig Ellen in der Längsseite und zehn in der 
Breitseite messend; jeder der Pfeiler trug Ringe. Die 
Pfeilerkapitelle waren von Silber, die Fussgestelle von 
Gold und zugespitzt wie Lanzenspitzen ; der in der Erde 
befestigte Teil der Pfeiler aber war von Erz. Durch 
die Ringe waren Seile gezogen, die am Anfänge an 
eherne' Nägel von der Länge einer Elle festgebunden 
waren, über die einzelnen Pfeiler liefen und in den Erd- 
boden befestigt wurden, um die Hütte gegen den Ansturm 
der Winde ?u sichern. An drei Seiten umgab diesen 
Raum ein Vorhang von feinstem Byssusleinen , der von 
den Pfeilerkapitellen bis zum Fussgestelle herabfloss 


156 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und sich scheinbar von einer Wand nicht unterschied. 
An der vierten Seite aber, der Vorderseite des ganzen 
Baues, der fünfzig Ellen mass, befand sich das Thor 
von zwanzig Ellen Öffnung, an dessen beiden Seiten 
Doppelpfeiler nach Art eines Einganges standen. Diese 
waren ganz mit geglättetem Silber überzogen ausser den 
Füssen, die von Erz waren. An jeder Seite des Ein- 
ganges aber standen drei Pfeiler, die in die hölzernen 
Thorhalter fest eingelassen waren, und an denen das Ge- 
webe aus Byssusleinwand herabgeführt war. Über das 
Thor, welches zwanzig Ellen in der Breite mass und fünf 
Ellen in der Höhe, war ein Vorhang aus Purpur und 
scharlachrotem Zeug mit blauem Stoff und Byssus durch- 
webt ausgebreitet, der mancherlei Stickerei, jedoch mit 
Ausschluss von Tiergestalten, trug. Innerhalb des Thores 
stand ein ehernes Wasserbecken mit einem Sockel von 
demselben Stoff, aus dem die Priester ihre Hände wuschen 
und ihre Füsse übergossen. So war die Einfriedigung 
des Vorhofes ausgestattet. 

3. Die Hütte selbst stellte er in dessen Mitte nach 
Osten gewendet, damit die aufgehende Sonne ihre 
Strahlen darauf sende. Ihre Länge betrug dreissig, 
ihre Breite zehn Ellen; eine der Seitenwände sah nach 
Süden, die andere nach Norden, und die Rückwand nach 
Westen. Sie erhob sich zu derselben Höhe, wie sie breit 
war. An beiden Seiten hatte sie je zwanzig Bretter, viereckig 
geschnitten, eineinhalb Ellen breit und vier Finger dick. 
Von aussen sowohl wie von innen waren sie mit golde- 
nen Platten beschlagen. An den einzelnen Brettern be- 
fanden sich je zwei Zapfen an den Fussenden, die von 
Silber waren und in entsprechende Löcher, passten. Die 
Westwand aber hatte sechs Bretter, welche alle anein- 
ander passten und fest verbunden waren, sodass man 
die Fugen nicht bemerkte und das Ganze eine einzige 
Wand zu bilden schien. Von innen und aussen war sie 
mit Goldblech überzogen. Die beiden Seitenwände hatten, 
wie gesagt, je zwanzig Bretter, jedes eineinhalb Ellen breit 
und vier Finger dick, sodass damit die dreissig Ellen aus- 




Drittes Buch, 6. Kapitel. 


157 


gefüllt waren. An der Hinterwand, die aus sechs 
Brettern von zusammen neun Ellen bestand, fügte man 
noch zwei Bretter von je einer halben Elle hinzu, welche 
die Ecken einnahmen und wie die grossen Bretter aus- 
gestattet waren. Die einzelnen Bretter aber hatten gol- 
dene Ringe, die nach vorn herausragten und in genauer 
Ordnung einander entsprachen. Durch die Ringe gingen 
vergoldete Riegel, jeder fünf Ellen lang, die die Bretter 
zusammenhielten, indem immer der eine mit dem anderen 
durch kunstgerechte Schraubenwirbel verbunden war. 
An der Hinterwand aber ging durch alle Bretter eine 
einzige Stange, in welche auch die Riegel der Seiten wände 
eingriffen, sodass alles fest miteinander verbunden war. 
Auf diese Weise war dafür gesorgt, dass die Hütte gegen 
die Gewalt der Winde oder irgend einen anderen An- 
prall gesichert war und unbeweglich feststand. 

4. Im Inneren war die Hütte der Länge nach in drei 
Teile geteilt. Zehn Ellen vom Ende ab standen, wenig 
voneinander entfernt, vier Säulen, in derselben Aus- 
stattung und von demselben Stoff wie die anderen und 
auf ähnlichen Fussgestellen ruhend. Der hinter diesen 
Säulen befindliche Raum war das Allerheiligste ; der übrige 
Raum der Hütte war den Priestern zugänglich. Diese 
Einteilung der Hütte sollte gleichsam das ganze Welt- 
all darstellen. Denn das hinter den vier Säulen liegende 
Drittel, welches auch die Priester nicht betreten durften, 
war ein Bild des Himmels. Der zwanzig Ellen lange 
Raum, der nur den Priestern zugänglich war, war gleich- 
sam Land und Meer, welches den Menschen freigegeben 
ist. Vorn aber am Eingang standen fünf Säulen auf 
ehernen Fussgestellen. Die Hütte bedeckte man mit 
Teppichen, die aus Byssus, Purpur, blauen und scharlach- 
roten Stoffen zusammengewirkt waren. Der erste Teppich 
mass zehn Ellen im Geviert und ruhte auf den Säulen, 
welche, quer durch die Hütte angeordnet, das Aller- 
heiligste abgetrennt hielten, das jedem Anblick entzogen 
war. Die ganze Hütte hiess das Heilige, der durch die 
vier Säulen abgeschlossene Raum das Allerheilig6te. 




158 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Der Vorhang des letzteren war schön verziert mit aller- 
lei Blumen, welche der Erde entspriessen, und mit allem 
anderen durch webt, was zum Schmucke dienen kann, 
mit Ausnahme von Tiergestalten. Der andere Teppich 
aber, dem ersten an Grösse, Webart und Farbe ähnlich, 
bedeckte die fünf Säulen am Eingang; am oberen Ende 
jeder Säule mit Bingen befestigt, hing er nur bis zur 
Mitte der Säulen herab. Der übrige Raum war den 
Priestern zugänglich. Vor ihm war ein Vorhang von 
Linnen in gleicher Grösse ausgebreitet, der durch 
Schnüre auseinander gezogen werden konnte, welche durch 
Ringe liefen , sodass man ihn schliessen und öffnen 
konnte. Im letzteren Falle gestattete er den Einblick 
ins Heiligtum, wie es an Festtagen zu geschehen pflegte. 
An anderen Tagen aber und besonders bei Regenwetter 
diente er als Decke für den buntfarbigen Vorhang. Da- 
her stammt der Gebrauch, auch an dem später erbauten 
Tempel die Eingänge mit leinenen Vorhängen zu ver- 
hüllen. Ausserdem gab es noch zehn Decken von vier 
Ellen Breite und achtundzwanzig Ellen Länge, welche 
durch goldene Haken und Ösen so verbunden werden 
konnten, dass sie einen einzigen Teppich zu bilden 
schienen. Diesen breitete man oben über die Hütte aus, 
sodass er beide Seitenwände und die Rückwand bedeckte 
und bis auf Fussbreite an die Erde herabreichte. Ferner 
hatte man noch elf weitere Teppiche, ebenso breit, aber 
länger als die vorhin erwähnten, denn sie massen dreissig 
Ellen. Sie waren aus Haaren gewebt, aber ebenso fein 
wie die von Wolle, und hingen am Eingang bis zur 
Erde herab. So bildeten sie eine Art Giebel, wozu 
namentlich der elfte Teppich verwendet wurde. Darüber 
waren wieder aus Häuten verfertigte Teppiche gezogen, 
welche ebenfalls buntfarbig waren und Schutz gegen 
Hitze und Regen gewähren sollten. Wer das Ganze von 
ferne sah, geriet in Erstaunen; denn die Farben schim- 
merten so herrlich, dass man den Himmel selbst zu sehen 
vermeinen konnte. Die aus Haaren und Häuten ver- 
fertigten Decken hingen wie ein Vorhang über die Thür 




Drittes Buch, 6. Kapitel. 


159 


der Hütte herunter und hielten Sonnenbrand und Regen 
ab. So war die Hütte beschaffen. 

5. Man verfertigte ferner eine Lade aus starkem und 
faulnisfrefem Holze, um sie Gott zu weihen. Diese Holz- 
art heisst in unserer Muttersprache Eron. Die Lade 
war folgendermassen eingerichtet Sie' war fünf Spannen 
lang und drei Spannen hoch und breit. Von innen und 
aussen war sie ganz mit Gold bekleidet, sodass man 
das Holz nirgends sehen konnte. Der Deckel aber war 
kunstvoll aus goldenen Platten zusammengefügt und so 
befestigt, dass er nirgends Vorstand und überall gleich- 
massig pafe§te. An den beiden Längsseiten trug die Lade 
zwei goldene Ringe, die durch das ganze Holz gingen. 
Durch diese Ringe waren vergoldete Stangen gezogen, 
sodass die Lade, so oft dies erforderlich war, von einem 
zum anderen Ort getragen werden konnte. Denn man 
fuhr sie nicht auf Wagen, sondern die Priester trugen 
sie. Auf ihrem Deckel waren zwei Bilder angebracht, 
von den Hebräern Cherubim genannt, das sind geflügelte 
Tiere, wie sie nie ein Sterblicher lebendig gesehen 
hatte. Moyses sagte, er habe sie am Throne Gottes dar- 
gestellt gesehen. }In diese Lade legte er die beiden 
Tafeln, auf denen die zehn Gebote geschrieben standen, 
fünf auf jeder Tafel und zwei und ein halbes auf jeder 
Seite. Die Lade selbst aber setzte er ins Allerheiligste. 

6. In das den Priestern zugängliche Heiligtum setzte 
er einen Tisch ähnlich dem delphischen, der zwei Ellen 
lang, eine Elle breit und drei Spannen hoch war. Seine 
Füsse waren von unten auf zur Hälfte fein ausgearbeitet, 
wie die Dorier sie zu ihren Betten verwenden. Der 
obere Teil aber nach der Platte zu war vierkantig. Die 
Platte selbst war an jeder Seite etwa in einer Breite von 
vier Fingern ausgekehlt und rings von einer oben und 
unten vorstehenden Leiste umgeben. An jedem Fuss 
befand sich ein Ring dicht unter der Platte; durch die 
Ringe waren Stangen von kostbarem Holz gezogen, die 
mit Gold überkleidet waren und nicht fortgenommen 
werden konnten. Denn an der Stelle, wo die Ringe an 



160 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


dem Tisch sassen, war eine Aushöhlung, und die Stangen 
gingen nicht ganz durch, sondern endeten in zwei Spitzen, 
von denen die eine in die vorstehende Tischplatte, die 
andere in den Fuss eingelassen war. An diesen Stangen 
wurde der Tisch getragen. Auf den Tisch, der im 
Heiligtum gegen Norden nicht weit vom Allerheiligsten 
stand, wurden zwölf ungesäuerte Brote gelegt und zwar 
in zwei Reihen zu je sechs Broten; die Brote waren be- 
reitet aus zwei Assaron vom reinsten Mehl (ein Assaron 
sind sieben attische Kotylen x ). Auf die Brote setzte man 
zwei goldene Schalen voll Weihrauch. Nach sieben Tagen 
wurden an dem Feste, das wir Sabbat nennen, andere 
Brote aufgelegt Den Grund dieses Gebrauches werde 
ich an anderem Orte mitteilen. 

7. Dem Tische gegenüber nahe der südlichen Wand 
stand ein Leuchter von eitel Gold, hundert Minen 1 2 
schwer (was bei den Hebräern Kinchar, bei den Griechen 
Talent bedeutet). Er war aus kleinen Kugeln, Lilien, 
Granatäpfeln und Kelchen, im ganzen siebzig an der Zahl, 
aus einem einzigen Fuss heraus in die Höhe gearbeitet 
und teilte sich in so viele Arme, als Planeten sind ein- 
schliesslich der Sonne. Er ging nämlich in sieben Spitzen 
aus, die in gleichen Abständen von einander sich be- 
fanden und in einer Reihe standen. Auf denselben 
leuchteten sieben Lampen, ebenfalls so viele als Pla- 
neten sind, und sie sahen gegen Osten und Süden, da 
der Leuchter schräg stand. 

8. In der Mitte zwischen dem Leuchter und dem 
Tische stand ein Rauchaltar, wie die früher erwähnten 
Geräte aus nicht faulendem Holz und mit einer starken 
Platte überzogen, eine Elle im Gevierte breit und zwei 
Ellen hoch. Auf ihm befand sich ein kleiner Kessel, 
der ringsum einen goldenen Kranz trug; der Altar aber 
war mit Ringen und Stangen versehen, an denen er von 


1 Kotyle, zweihenkeliges Wassergefäss der alten Griechen; wie 
viel es enthielt, ist unbekannt. 

* Mine als Gewicht =* 436 Gramm. 




Drittes Buch, 7. Kapitel. 


161 


den Priestern getragen werden konnte. Vor der Thür der 
Hütte stand ein eherner Altar, dessen Untersatz von 
Holz war. Derselbe war auf jeder Seite fünf Ellen lang, 
ebenso viele Ellen breit und drei Ellen hoch, mit ehernen 
Platten überzogen und wie der goldene Altar verziert. 
Den Herd des Altars bildete ein netzförmiges Flecht- 
werk, und da der Untersatz nicht* unter dem ganzen 
Altar herging, fielen die glühenden Kohlen durch dieses 
Flechtwerk zur Erde nieder. Dem Altar gegenüber 
standen noch Schalen, Pfannen, Rauchfässer und Becken, 
alle von Gold; alle übrigen gottesdienstlichen Geräte 
waren von Erz. .Also war die Hütte mit ihrem Zubehör 
eingerichtet. 


Siebentes Kapitel. 

Von der Kleidung der Priester und des Hohepriesters. 

1. Es wurden nun Gewänder t für die Priester ange- 
fertigt, sowohl für alle anderen, die Chanaeae heissen, 
als auch für den Hohepriester, den man* Anarabeches, 
das heisst „Oberster Priester“ nennt. Die Kleidung der 
gewöhnlichen Priester war folgende: Wenn der Priester 
zum heiligen Dienste schreitet, gereinigt nach den Vor- 
schriften des Gesetzes, so zieht er zuerst das Menna- 
chasen an, das heisst so viel als „Leibschurz.“ Es ist nämlich 
ein Schurz 5 aus,, feinem Byseusgewebe, der um die ßcham- 
gegend gelegt wird, und in den man wie in Beinkleider 
hineintritt Es reicht von der Mitte des Körpers bis zu 
■den Hüften und wird hier mit besonderen Bändern fest- 
geknüpft. 

2. Darüber zieht ■ er einen leinenen Leibrock an aus 
doppeltem Byssusgeflecht Chetomene genannt, das heisst 
„Leiiien“, denn wir nennen den Flachs Chethon. Dieses 
Kleidungsstück ist ein Unterkleid, das bis zu den 
Knöcheln reicht, dem Körper fest anliegt und enge 
Ärmel hat. Unter den Achseln wird es umgürtet von 
«inem vier Finger breiten Bande, das von sehr feinem 

Joaephua’ Jüdische Altertümer. 11 




162 


Josephas’ Jüdische Altertümer. 


Gewebe ist und der Schlangenhaut ähnlich sieht. Io 
dasselbe sind Blumen aus Purpur, Scharlach, Hyacinth 
und Byssus eingewebt; der Einschlag aber ist nur voo 
Byssus. Von der Brustgegend an, um welche es einige- 
mal geschlungen und geknüpft ist, wallt es herab bis 
zu den Knöcheln, so lange der Priester noch nicht mit 
dem heiligen Dienst beschäftigt ist; denn er trägt es 
gleichsam als Schmuck. Sobald er aber opfern und den 
Altardienst versehen muss, wirft er es, um nicht von 
ihm behindert zu sein, über seine linke Schulter. Dieses 
Band nennt Moyses Abaneth ; wir aber nennen es nach 
den Babyloniern Emian , denn so heisst es bei diesen. 
Der Leibrock hat nirgends einen Busen, aber am Hals 
eine weite Öffnung, und er wird mit Schnüren, welche 
vorn und hinten vom Saum herunterhängen, über beiden 
Schultern befestigt. Er wird Massabazanes genannt. 

3. Auf dem Kopfe trägt der Priester einen runden 
Turban, der nicht das ganze Haupt, sondern etwas mehr 
als die Hälfte davon bedeckt. Er heisst Masnaemphthes, da 
er wie ein Kranz aussieht und aus Leinen nach Art einer 
dicken Binde zusammen gedreht ist. Auch wird er am 
Bande oft gefaltet und gesteppt. Über diesen Kopfbund 
wird ein Tuch befestigt, das bis zur Stirn herabhängt; 
es verbirgt die Nähte und das Unschöne der Binde und 
liegt dicht am Kopfe an. Auch wird es gut befestigt, 
damit es nicht während des Opferdienstes zufällig herab- 
gleitet. Das ist die Kleidung der gewöhnlichen Priester. 

4. Der Hohepriester ist auf dieselbe Weise geschmückt, 
insofern als von den genannten Kleidungsstücken keines 
bei ihm fehlt. Darüber aber zieht er einen Rock aus 
Hyacinth an, der ein lang herabwallendes Gewand ist 
und in unserer Sprache Meeir heisst. Er wird von einem 
Gürtel umgeben, der dieselben Farben wie das oben er- 
wähnte Band zeigt, aber noch dazu mit Gold gestickt 
ist. Am unteren Saum des Bockes hängen Fransen, die 
wie Granatäpfel aussehen und zwischen denen goldene 
Glöckchen sehr zierlich angebracht sind, sodass zwischen 
je zwei Glöckchen ein Granatapfel und zwischen je 




Drittes Buch, 7. Kapitel. 


163 


zwei Granatäpfeln ein Glöckchen hängt. Der Rock be- 
steht nicht aus zwei Stücken und hat also keine Nähte 
aiif den Schultern und in der Seite, sondern er ist aus 
einem einzigen Faden gewebt; am Halse aber hat er eine 
Öffnung nicht der Quere nach, sondern einen Schlitz 
der Länge nach, der von der Brust bis zum Rücken 
zwischen die Schulterblätter reicht und von einer Borte 
eingefasst ist, damit man das Unschöne des Schlitzes 
nicht sieht. Ebenso ist die Öffnung des Rockes an den 
Stellen, wo die Hände herauskommen. 

5. Über diese ^leider zieht er noch ein drittes an, 
Ephud genannt, dem griechischen Schultermantel ähn- 
lich, das so beschaffen ist: Es wird in der Länge einer 
Elle aus verschiedenfarbigen Stoffen und Gold zusammen- 
gewirkt, reicht bis zur Mitte der Brust, ist mit Ärmeln 
versehen und hat die Gestalt eines Unterkleides. Die 
Lücke, welche dieses Kleidungsstück lässt, ist von einem 
handbreiten Latz ausgefüllt, der in denselben Farben 
und Gold wie das Ephud gewebt ist. Dieser heisst 
Essenes, was im Griechischen Logion, das ist „Orakel“, 
bedeutet, und füllt genau die leere Stelle am Ephud 
vorn auf der Brust aus. Dem Ephud ist er durch 
goldene Ringe an jeder Ecke angeheftet, denen gleiche 
Ringe am Ephud entsprechen; zur Verbindung der 
Ringe untereinander dient ein hyacinthenes Band. Da- 
mit übrigens an den Ringen keine freie Stelle durch- 
scheine, sind dieselben mit hyacinthenen Streifen unter- 
legt. Dieser Schultermantel wird auf den Schultern von 
zwei Sardonyxen festgehalten , welche an jeder Seite 
einen goldenen Ansafe haben , damit sie als Agraffe 
dienen können. In diese Steine sind mit hebraeischen 
Buchstaben die Namen der Söhne Jakobs eingraviert, 
sechs auf jedem Steine, und die Namen der älteren auf 
der rechten Schulter. Auch der Brustlatz ist mit zwölf 
grossen und prächtigen Edelsteinen geschmückt, einem 
so kostbaren Schmuck wie die wenigsten Menschen ihn 
besitzen können. Diese Steine sind zu je drei in vier 
Reihen fest in den Stoff eingewebt; überdies sind sie 

ii* 



164 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


in Gold gefasst, welches spiralig mit dem Gewebe genau 
verbunden ist, damit sie nicht herausfallen können. In 
der ersten Beihe stehen ein Sardonyx, ein Topas und 
ein Smaragd; in der zweiten ein Granat, Jaspis und 
Saphir; in der dritten ein Zirkon, Amethyst und Achat; 
in der vierten ein Chrysolith, Onyx und Beryll. Auf 
jedem Stein steht der Name eines der Söhne Jakobs 
eingraviert, die wir für die Stammväter der einzelnen 
Stämme halten, in der Ordnung, in der sie der Zeit nach 
geboren sind. Da aber die Goldringelchen zu schwach 
sind, um das Gewicht der Edelsteine zu tragen, so fügte 
man noch zwei grössere oben an dem Brustlatz hinzu, 
in welche kunstvolle Ketten eingreifen, die oben auf 
der Schulter durch goldene Spangen von durchbrochener 
Arbeit zusammengehalten werden. Die Enden dieser 
Ketten laufen über den Rücken und greifen in einen 
Ring am Saume des Ephud, wodurch der Brustlatz un- 
beweglich festgehalten wird. An den Brustlatz schliesst 
sich ein Gürtel, in den erwähnten Farben und in Gold 
gestickt, der rund um den Leib geht, auf der Nahtstelle 
in eine Schleife verschlungen ist und dann frei herab- 
fällt An seinen beiden Enden sind Fransen angebracht, 
die von goldenen Röhrchen umschlossen sind. 

6. Der Kopfbund des Hohepriesters gleicht dem der 
übrigen Priester; über demselben : trägt er aber noch 
einen anderen, der aus Hyacinth verfertigt ist. Die 
Stirn umgiebt eine goldene dreifache Krone, aus welcher 
goldene Knospen hervorragen, ähnlich denen, die an dem 
bei uns Sacchar, bei den pflanzenkundigen Griechen 
Hyoscyamus genannten Kraute sitzen. Für diejenigen, 
die diese Pflanze wohl oft gesehen, ihre Beschaffenheit 
aber nicht behalten haben, weil sie ihren Namen nicht 
kennen, ferner für diejenigen, die ihren Namen wühl 
kennen, sie aber noch nicht gesehen haben, will ich eine 
Beschreibung derselben beifügen. Die Pflanze wird oft 
über drei Spannen hoch, hat eine Wurzel wie eine Rübe 
{wenigstens kann sie hiermit am besten verglichen werden) 
und Blätter wie die des Senfes. Aus ihren Zweigen 


Go gle 




Drittes Buch, 7. Kapitel. 


165 


entspringen Knospen, die fest an diesen sitzen und von 
einer Haut umschlossen sind, welche sie ahlegen, sobald 
die Frucht hervorkömmfc Die Knospe hat die Grösse 
eines Gelenkdndes vom kleinen Finger und gleicht 
einem Becher, was ich für diejenigen, die keine Kennt- 
nis davon haben, noch näher erklären will. Die Knospe 
ist nämlich unten wie eine Halbkugel gestaltet und 
rundet sich schon vom Stengel aus, dann verengert sie 
sich allmählich und wird hübsch ausgehöhlt; hierauf er- 
weitert sie sich wieder und hat Einkerbungen in den 
Lippen , wie sie die Mitte eines Granatapfels aufweist. 
Dazu kommt noch eine Hülle, welche genau wie eine 
gedrechselte Halbkugel aussieht, in die Einkerbungen 
eingeschlossen ist, die ich oben erwähnt habe, und end- 
lich in dornige und gespitzte Zacken ausläuft. Unter 
dieser Hülle der ganzen Knospe verbirgt sich die Frucht, 
die dem Samen der Pflanze Sideritis sehr ähnlich ist. 
Die Blüte ist den knisternden Blättern des Mohns ver- 
gleichbar. Dieser Pflanze also ist die Krone nach- 
gebildet, die Schläfen und Hinterhaupt de&Hohepriesters 
umgiebt; vorn an der Stirn nämlich hat sie keine Knos- 
pen, sondern eine goldene Platte, auf der in heiligen 
Schriftzeichen der Name Gottes eingraviert steht. Das 
war der Ornat des Hohepriesters. 

7. Es ist wunderlich, dass unser Volk fortwährend ge- 
hässig angegriffen wird, als ob wir die Gottheit', die 
unsere Feinde feierlich verehren, mit geringerer Ver- 
ehrung behandelten. Denn wenn jemand' den Bau der 
Hütte, die priesterlichen Gewänderjind die gottesdienst- 
lichen Geräte betrachtet, wird er gewiss die Überzeugung 
gewinnen, dass unser Gesetzgeber ein gottgesandter Mann 
gewesen ißt, und dass uns ganz mit Ünrecht der Vor- 
wurf der Gottlosigkeit gemacht wir(J. Und wer vor- 
urteilsfrei und mit Überlegung nachdenkt, wird finden, 
dass jeder unserer gottesdienstlichen Gegenstände im 
Weltall seinesgleichen hat. Denn die 30 Ellen lange 
Hütte ist in drei Abteilungen geteilt, von denen die 
zwei den Priestern zugänglichen das Land und das Meer 




166 


Josepbus' Jüdische Altertümer. 


vorstellen, das allen Menschen freigegeben ist. Die dritte 
Abteilung dagegen, die Gott allein Vorbehalten ist, be- 
deutet den Himmel, der den Menschen unzugänglich, ist. 
Die zwölf Brote aber, die auf dem Tische liegen, ent- 
sprechen den zwölf Monaten des Jahres. Der aus siebzig 
Teilen bestehende Leuchter bedeutet die Zeichen, durch 
welche die Planeten gehen , und seine sieben Lampen 
die Planeten selbst. Die aus vier Stoffen gewebten Vor- 
hänge bezeichnen die Natur der Elemente; der Byssus 
nämlich entspricht der Erde, aus der der Flachs hervor- 
wächst, der Purpur dem Meer, das vom Blut der Fische 
gefärbt ist, der Hyacinth der Luft, und der Scharlach 
dem Feuer. Ebenso bedeutet das Gewand des Hohe- 
priesters, weil es von Leinen ist, die Erde, "der Hyacinth 
aber den Himmel. Die Granatäpfel bedeuten den Blitz, 
der Schall der Glocken den Donner. Das Ephud, das 
aus vier Stoffen gewebt ist und unter dem Auge Gottes 
steht, zeigt die ganze Natur an, und das ihm beigewirkte 
Gold bedeutet nach meinem Dafürhalten den Lichtglanz, 
der alles überstrahlt. Der Brustlatz in der Mitte des 
Ephuds entspricht gleichfalls der Erde,, die in der Mitte 
der Welt gelegen ist, der Gürtel aber dem Ocean, der 
die ganze Erde umfiiesst. Sonne und Mond bedeuten 
die beiden Sardonyxe auf den Schultern, die hier das 
Gewand des Hohepriesters «zusammenheften. Die zwölf 
Edelsteine aber kann man^mit den zwölf Monaten ver- 
gleichen, oder auch den zwölf Sternbildern in dem Kreise, 
den die Griechen Zodiakus nennen. Der Kopfbund end- 
lich* scheint? mir ein Bild des Himmels zu sein, da{er 
von Hyacinth ist (er* könnte sonst den Namen Gottes 
nicht an sich tragen), und eine leuchtende goldene Krone 
sich an ihm befindet, entsprechend dem Glanze, der Gott 
umgiebt. Diese Erklärungenf mögen vorläufig genügen; 
später werde ich noch auf vieles zurückkommen, das ge- 
eignet ist, die Weisheit unseres Gesetzgebers zu beleuchten. 



Drittes Buch} 8. Kapitel! 


187 


* 


Achtes Kapitel. 

Vom Priestertum Aarons. 

1. Als nun die Hütte vollendet war, erschien Gott, 
bevor die Weihgeschenke geheiligt wurden, dem Moyses 
und befahl ihm, das Priestertum seinem Bruder Aaron 
zu übertragen, der wegen seiner Tugend dieser Ehre am 
meisten würdig sei. Darauf berief Moyses das Volk zu- 
sammen und stellte ihm die Tugend und Herzensgüte 
Aarons sowie die Gefahren vor, die er schon für ihr Heil 
bestanden habe. Und da alle dem beipflichteten und 
seinen grossen Eifer anerkannten, fuhr Moyses also fort: 
„Ihr Männer von Israel, vollendet ist nun das Werk 
nach unseren besten Kräften und zu Gottes Wohlgefallen. 
Da jedoch die Hütte Gottes Wohnung sein soll, so 
müssen wir uns vor allem nach einem Priester umsehen, 
der den Opferdienst versehen und Gebete für uns dar- 
bringen soll. Wenn ich die Entscheidung zu treffen 
hätte, so würde ich mich selbst dieser Ehre nicht für 
unwert halten, da uns die Liebe zu uns selbst von Natur 
aus eingepflanzt ist, und ich mir auch bewusst bin, was 
ich für euer Wohl schon gelitten habe. Nun aber hat 
Gott den Aaron dieser Ehre wert erachtet und ihn zum 
Priestertum berufen, da er niemand von euch kennt, der 
sich hierzu mehr eignete. Dieser wird jalso das gott- 
geweihte Kleid tragen, die Sorge für den; Altar und den 
Opferdienst übernehmen und Gebete für (euch zu Gott 
senden, der sie bereitwillig erhören wird teils um seiner 
Fürsorge willen, die er für uns trägt, teils weil er sie 
gern von dem entgegen nehmen wird, den er selbst sich 
erwählt hat.“ Den Hebräern gefiel diese Bede, und 
sie stimmten der Wahl, die Gott getroffen, zu. Denn 
Aaron verdiente diese Würde am ehesten von allen 
sowohl seiner Abstammung wegen, als auch um seiner 
Prophetengabe und der Tugenden seines Bruders willen. 
Zu jener Zeit hatte er vier Söhne: Nabad, Abiu, Eleazar 
und Ithamar. 



168 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


2. Wa 8 nun von den Mitteln zum Bau der Hütte 
noch übrig war, hiess Moyses zu Decken für die Hütte 
selbst, den Leuchter, den Rauchaltar und die übrigen 
Geräte verwenden, damit diese auf der Reise von Regen 
und Staub verschont blieben. Darauf berief er das 
Volk wiederum zusammen und befahl, dass jeder einen 
halben Sekel 1 beisteuern solle. Der Sekel ist eine 
hebraeische Münze, die so viel gilt als vier attische 
Drachmen. Diesem Befehl kamen sie pünktlich nach, 
und es entrichteten die Steuer sechshundertfünftausend- 
fünfhundertundfünfzig Personen, nämlich die Frei- 
geborenen vom zwanzigsten bis zum fünfzigsten Jahre. 
Alles, was zusammengebracht wurde, wurde zum Besten 
der Hütte verwendet. 

3. Hierauf weihte Moyses die Hütte und die Priester, 
indem er sie folgen dermassen der Reinigung unterwarf. 
Er Hess fünfhundert Sekel 2 3 ausgelesene Myrrhe und 
ebensoviel Iris, halb so viel Zimmet und Kalmus (eben- 
falls eine Art Gewürz) zerschneiden und zerstossen, 
damit ein Hin Olivenöl (Hin ist ein hebraeisches Mass 
gleich zwei attischen Choe) mischen ,] es nach Art der 
Salbenbereiter abkochen und eine wohlriechende Salbe 
daraus verfertigen. Damit salbte Moyses die Priester 
selbst und die ganze Hütte und weihte sie. so. Auch 
anderes kostbares Räucherweifk trug man herbei, um es. 
auf dem goldenen Rauch altar verdunsten zu lassen 
Doch will ich mich über dessen Beschaffenheit nicht 
weiter auslassen, um den Leser nicht zu ermüden. 
Zweimal täglich, vor Sonnenaufgang und gegen Sonnen- 
untergang, sollte man räuchern, Jund das gereinigte öl 
in den Lampen sollte man nicht ausgehen lassen. Drei 
von den Lampen brannten den ganzen Tag auf dem 
heiligen Leuchter zu Gottes Ehre, diel übrigen wurden 
gegen Abend angezündet. 


1 1 Sekel = ungefähr 3,16 Mnrk = vier attischen Drachmen 

k 79 Pfennige. 

3 Sekel war ausser Münze auch Gewicht. 



Drittes Bach, 8. Kapitel. 


169 


4. Als nun alles besorgt und vollendet war, ernteten 
die Baumeister Beseleel und Eliab grosses Lob. Denn 
sie hatten nicht nur frühere Erfindungen in verbesserter 
Form angewendet, sondern auch selbst manches in 
geistreicher Weise erdacht und ausgefübrt, was sonst 
unbekannt war. Beseleel aber galt als der tüchtigste 
von beiden. Zum Bau wurde im ganzen eine Zeit von 
sieben Monaten gebraucht, und damit war das erste 
Jahr seit dem Auszug aus Aegypten zu Ende. Und im 
Anfang des zweiten Jahres, im Monat Xanthikos der 
Macedonier, den die Hebräer Nisan nennen , wurde zur 
Zeit des Neumondes die Hütte nebst allen von mir er- 
wähnten Geräten geweiht. 

5. Gott aber zeigte sein Wohlgefallen an dem Werk 
der Hebräer, indem er sich in die Hütte niederliess und 
sie würdigte, seine WohnBtätte zu sein. So hatten die 
Hebräer reiche Genugthuung für ihre Arbeit Seine 
Anwesenheit aber gab Gott auf folgende Weise kund. 
Bei sonst hellem und heiterem Himmel lagerte sich bloss 
über die Hütte ein Nebel, der zwar nicht so dicht war, 
wie man ihn im Winter wahrnahm, aber auch nicht 
so leicht und fein, dass man hindurchsehen konnte. Aus 
dem Nebel fiel ein lieblicher Tau als Wahrzeichen der 
Anwesenheit Gottes für alle die, die nach ihr verlangten 
und daran glaubten. 

6. Nachdem nun Mbyses den Künstlern, die den Bau 
so zierlich hergestellt, würdige Belohnungen gegeben 
hatte, schlachtete er im Vorhof der Hütte nach Gottes 
Vorschrift einen Stier, einen Widder und einen Bock 
als Sühnopfer. Über die einzelnen Ceremonien des 
Opferdienstes und darüber, welche Opfertiere man ganz 
verbrennen musste und von welchen man einen Teil ge- 
messen durfte, werde ich reden, sobald ich über die 
Opfer überhaupt mich verbreiten werde. Hierauf 
besprengte er mit dem Blute der Opfertiere die Kleidung 
Aarons, ihn selbst und seine Söhne , reinigte sie mit 
Brunnenwasser und salbte sie mit öl, auf dass sie Gott 
geheiligt würden. So behandelte er sieben Tage lang 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


. 170' 


sie selbst und ihre Kleider, und ebenso weihte er die 
Hütte und ihre Gerate mit der oben erwähnten Salbe 
aus Raucherwerk und mit dem Blute der Stiere, Widder 
und Böcke, die jeden Tag geschlachtet wurden. Am 
achten Tage aber sagte er dem Volke einen Festtag an 
und gebot, dass jeder nach seinem Vermögen opfern 
solle. Und sie befolgten das Gebot und suchten in 
regem Wetteifer einander in den Opfergaben zu über- 
treten. Als nun die Opfertiere auf den Altar gelegt 
waren, entstand auf diesem plötzlich von selbst’ Feuer, 
und eine Flamme ähnlich dem Zucken des Blitzes ver- 
zehrte alles, was auf dem Altar lag. 

7. Gleich nach diesem Wunder traf den Aaron ein 
grosses Unglück, welches ihn als Mensch und als Vater 
gleich schmerzlich berührte, das er aber dennoch tapfer 
ertrug, da er starkmütig und von dem Glauben durch- 
drungen war, es sei nicht ohne den Willen Gottes ge- 
schehen. Seine beiden ältesten Söhne nämlich, Nabad 
und Abiu, brachten zum Altar Räucherwerk, welches 
Moyses verboten hatte, denn sie hatten sich desselben 

. schon früher bedient. Da • schlug plötzlich Feuer gegen 
sie, welches ihnen Brust und Angesicht verbrannte und 
von niemand gelöscht werden konnte. Und so starben 
sie den Feuertod. Moyses aber befahl ihrem Vater und 
ihren Brüdern, sie sollten die Leichen aus dem Lager 
tragen und. sie prächtig bestatten. Das ganze Volk nun 
betrauerte sie und war über ihren Tod sehr verstimmt; 
den Brüdern aber und dem Vater gebot Moyses, von der 
Trauer Abstand zu nehmen und die Ehre Gottes ihrer 
Betrübnis überzuordnen. Denn Aaron trug schon das 
Iheilige Gewand. 

8. Moyses aber wies alle Ehren zurück, die das 
Volk ihm erweisen wollte, und widmete sich ausschliess- 
lich dem Dienste Gottes. Auch stieg er nicht mehr auf 
den Berg Sinai, sondern ging in die Hütte, wenn er 
Gott um Rat fragen wollte. Er benahm sich wie ein 
einfacher Mann und wollte auch in allem dem Volk 
gleichen und sich nur dadurch von anderen 1 unter- 




Drittes Buch, 8* Kapitel. 


171 


scheiden, dass er unablässig für des Volkes Wohlfahrt 
sorgte. Ausserdem gab er dem Volke Lebensregeln und 
Gesetze, durch deren Beobachtung es Gottes Wohl- 
gefallen bewahren und ein sündenfreies Leben führen 
könne. Gott selbst gab dazu dem Moyses den Auftrag. 
Nunmehr will ich mich zur Wiedergabe dieser Lebens- 
regeln und Gesetze wenden. 

9. Zuerst jedoch will ich noch einiges auf die 
priesterliche Kleidung Bezügliche erwähnen, das ich 
früher übergangen habe. Denn Gott wollte jede Ge- 
legenheit zu Betrug mit Prophezeiungen und Gaukeleien 
unmöglich machen, falls jemand sich verleiten lassen 
sollte, das ihm von Gott. verliehene Ansehen zu miss- 
brauchen. Die Entscheidung nämlich darüber, ob er 
beim Opfer zugegen sein wolle oder nicht, behielt Gott 
sich selbst vor, und es sollte dies nicht nur den 
Hebräern , sondern auch etwa zufällig anwesenden 
Fremdlingen mitgeteilt werden. War nun Gott beim 
Opfer zugegen, so leuchteten die Steine, die, wie oben 
gesagt, der Hohepriester auf der Schulter trug (bekannt- 
lich waren es Sardonyxe, über deren Natur ich wohl 
nichts zu bemerken brauche, da sie allgemein bekannt 
sind), hell auf; namentlich der auf der rechten Schulter 
befindliche, der eine Spange bildete, schimmerte blitz- 
artig, obgleich er doch vorher keinen Glanz gezeigt 
hatte. Diese Erscheinung wird gewiss bei allen Be- 
wunderung erregen, die nicht, aufgeblasen von ihrer 
eigenen Weisheit, alle Religion verachten. Doch noch 
weit wunderbarer ist das, was ich jetzt berichten will. 
Denn durch die zwölf Steine, die der Hohepriester auf 
dem Brustlatz angenäht trug, verkündete Gott den 
Hebräern, wenn sie in den Krieg ziehen wollten, den 
Sieg. Ehe nämlich das Heer sich in Bewegung setzte, 
leuchteten sie in solchem Glanze, dass das ganze Volk 
klar erkannte, Gott werde ihm Beistand leisten. Des- 
halb nennen auch die Griechen, die unsere . feierlichen 
Gebräuche verehren, den Brustlatz Logion, das heisst 
„Orakel;“ das Wunder selbst können sie nämlich nicht 




172 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ableugnen. Es hörten aber die Steine des Brustlatzes 
und der Sardonyx auf zu leuchten etwa zweihundert 
Jahre vor Abfassung dieses Werkes, als Gott die Über- 
tretungen seiner Gesetze ahnden zu müssen glaubte.. 
Hierüber mich zu verbreiten, werde ich später passendere 
Gelegenheit finden. Jetzt aber will ich in der eben ab- 
gebrochenen Schilderung fortfahren. 

10. Als die Hütte eingeweiht und alles, was die 
Priester betraf, gehörig eingerichtet war, glaubte das 
Volk, Gott werde jetzt mit ihm in demselben Zelte 
wohnen, und schickte eicb an, ihn durch Opfer zu ehren 
und mit Lobgesängen zu feiern, als wenn es nun, von 
allem Übel befreit, auf eine bessere Zukunft hoffen 
dürfte. Sowohl zu Hause als öffentlich brachte man in 
den einzelnen Stämmen Gott Opfer dar; die Stammes- 
oberhäupter aber thaten sich zu je zweien zusammen 
und stifteten einen Wagen mit zwei Ochsen (man hatte 
also im ganzen sechs Wagen), um die Hütte auf" 
der Reise raitzufahren. Dazu gab auch jeder noch 
eine Schale, ein Becken und einen Weihrauchkasten. 
Letzterer hatte einen Wert von zehn Dareiken 1 und 
war mit RäucherWerk gefüllt. Das Becken und die 
Schale aber waren von Silber und wogen zusammen 
zweihundert Sekel, von denen auf die Schale siebzig^ 
kamen ; sie waren voll Weizenmehl, das mit Öl gemischt 
war, wie man es am Altar zum Opfer gebrauchte- 
Ausserdem opferte jeder ein Kalb, einen Widder und 
ein einjähriges Lamm als Brandopfer, und einen Ziegen- 
bock als Sühnopfer. Auch brachte jedes der Stammes- 
oberhäupter noch andere Opfer dar, welche man Ver- 
söhnungsopfer nannte , nämlich an jedem Tage zwei 
Ochsen und fünf Widder nebst einjährigen Lämmern 
und Böcken. So opferten sie zwölf Tage lang, jeden 
Tag einer. Möyses aber stieg nicht mehr auf den Sinai, 
sondern er ging in die Hütte und empfing dort von 
Gott Anweisungen in betreff dessen, was zu thun sei, oder 

1 Dareikos (altpersisehe Goldmünze) = 23,50 Mark. 




Drittes Buch, 9. Kapitel. 


173 


■ -U 

in Bezug auf die Gesetzgebung. Diese Anordnungen 
beobachtete das Volk durch alle Zeiten treu und fromm, 
"weil es wusste, dass sie nicht die Erzeugnisse mensch- 
licher Weisheit seien, sondern von Gott selbst her- 
etammten. Und man wagte weder im Frieden aus 
Üppigkeit, noch im Kriege aus »Not eines dieser Gebote 
2 u übertreten. Doch will ich mich hierüber nicht weiter 
auslassen, weil ich vorhabe, in einem anderen Werke 
über die Gesetze zu schreiben. 


Neuntes Kapitel. 

Von den Opfern. 

1. Jetzt will ich einiger Gesetze gedenken, die über 
üie Reinigung und über die Opfer erlassen sind , weil 
ich soeben von Opfern gesprochen habe. Es giebt zwei 
Arten von Opfern., Die eine wird für Privatpersonen, 
-die andere für das gesamte Volk dargebracht, und jede 
Art wird auch auf eine besondere Weise verrichtet Das 
-eine nämlich wird vom Feuer ganz verzehrt, und dieses 
nennt man Brandopfer; das andere wird zum Zwecke 
<ler Danksagung dargebracht und von den Opfernden 
bei einem Mahle verspeist. Zunächst will ich vom 
Brandopfer sprechen. Will eine Privatperson ein Brand- 
opfer darbringen, so schlachtet sie einen Ochsen, ein 
Lamm und einen Bock, von denen die beiden letzteren 
einjährig sein müssen; die Ochsen können auch älter 
«ein. Alles,, was zum Brandopfer bestimmt ist, muss 
männlichen Geschlechts sein. Nach Schlachtung der 
Opfertiere sprengen die Priester das Blut rings um den 
Altar, dann reinigen sie dieselben, zerschneiden sie, be- 
atreuen sie- mit Salz und legen sie auf den Altar, fügen 
Holz hinzu und zünden es an. Dann legen sie die ge- 
reinigten Füsse und Eingeweide der Opfertiere zu dem 
übrigen hinzu, um es zusammen zu verbrennen. Die 
Häute kommen den Priestern zu. Auf diese Weise 
werden Brandopfer dargebracht. 



174 


Josephns' Jüdische Altertümer. 


2. Will man ein Dankopfer bringen, so schlachtet 
man Tiere von derselben Gattung, aber unversehrte und 
mehr als ein Jahr alte, männliche sowohl wie weibliche. 
Nachdem die Tiere getötet sind, besprengt man mit dem 
Blute den Altar, dann legt man die Nieren, das Netz, 
alles Fett sowie die Leber und den Schwanz des Lammes 
auf den Altar. Die Brust und den rechten Schenkel 
erhalten die Priester, das übrige Fleisch aber wird in 
zwei Tagen verzehrt Was dann noch übrig ist, wird 
verbrannt. 

3. In gleicher Weise wie mit den Dankopfern wird 
auch mit den Sühnopfern verfahren. Wer aber wegen 
Armut grössere Opfertiere nicht beschaffen konnte, 
opferte ein Paar Tauben oder ein Paar Turteltauben; 
die eine davon brachte man Gott als Brandopfer, die 
andere aber gab man den Priestern zur Speise. Von 
der Opferung dieser Tiere werde ich eingehender 
sprechen, wenn ich über die Opfer überhaupt mich ver- 
breiten werde. Wer nun aus Unwissenheit gesündigt 
hatte, opferte ein Lamm und eine Ziege von gleichem 
Alter. Mit dem Blute besprengte der Priester den Altar, 
jedoch nicht wie bei den oben erwähnten Opfern den 
ganzen Altar, sondern nur die Ecken desselben; die 
Nieren samt dem übrigen Fett und der Leber legte er 
auf den Altar. Die Priester behielten die Häute und 
das Fleisch für sich und verzehrten das letztere noch 
an demselben Tage an der Opferstätte, denn das Gesetz 
gestattet die Aufbewahrung für den folgenden Tag nicht. 
Wer aber wissentlich sündigt, ohne dass jemand ihn 
dessen überführen kann, opfert nach der Vorschrift des 
Gesetzes einen Widder, dessen Fleisch die Priester noch 
an demselben Tage im Tempel verzehren sollen. Die 
Stammesoberhäupter opfern, wenn sie für ihre Sünden 
Sühne leisten wollen, ebenso wie Private, nur mit 
dem Unterschied, dass sie einen Stier und einen Bock 
al6 Opfertiere stellen. 

4. Ferner schreibt das Gesetz vor, dass man bei den 
privaten wie den öffentlichen Opfern vom reinsten Mehl 



Drittes Buch, 10. Kapitel. 


175 


verwende, und zwar zu einem Lamm ein Assaron, zu 
einem Widder zwei und zu einem Stier drei Assaron. 
X>ieses wird mit öl gemischt und so auf dem Altar 
dargebracht. Denn auch öl wird geopfert, und zwar 
zu einem Ochsen ein halbes Hin, zu einem Widder ein 
Drittel und zu einem Lamm ein Viertel dieses Masses. 
Hin ist ein altes hebraeisches Mass, welches gleich ist 
zwei attischen Choe. In demselben Masse wie das öl 
wird auch Wein verwendet, den man um den Altar 
herum ausgiesst. Wer aber kein Opfertier darbringt, 
sondern seinem Gelübde gemäss Weizenmehl, legt eine 
Hand voll der Erstlinge desselben auf den Altar; das 
ührige behalten die Priester zu ihrem Genuss, indem sie 
es entweder in öl kochen oder Brot daraus backen. 
Was aber der Priester selbst auf den Altar bringt, muss 
alles verbrannt werden. Das Gesetz verbietet auch, ein 
Junges zugleich mit seiner Mutter an demselben Tage zu 
opfern, und ferner überhaupt die Opferung von Tieren, 
die noch keine acht Tage alt sind. Es wurden auch 
noch andere Opfer dargebracht für die Vertreibung einer 
Krankheit oder aus anderen Gründen, bei denen Opfer- 
güsse und Opfertiere verwendet wurden. Erhielten von 
diesen Opfern die Priester einen Teil, so durften sie 
hiervon nichts für den folgenden Tag übrig lassen. 


Zehntes Kapitel. 

Fortsetzung der Vorschriften über die Opfer. Von den 
Bestimmungen über die Festtage. 

1. Das Gesetz gebietet ferner, au6 öffentlichen Mitteln 
täglich morgens und abends ein einjähriges Lamm zu 
opfern; am siebenten Tage aber, der Sabbat genannt 
wird, schlachtet man in gleicher Weise zwei Lämmer. 
Zur Feier des Neumondes schlachtet man ausser den 
täglichen Opfern noch zwei Ochsen nebst sieben ein- 
jährigen Lämmern und einem Widder, sowie einen 




176 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


Bock als Sühnopfer, wenn man sich unwissentlich ver- 
sündigt hat. 

2. Im siebenten Monat, den die Macedonier Hyper- 
beretaios nennen, bringt man ausser den genannten 
Tieren noch einen Stier, einen Widder und sieben 
Lämmer dar, sowie auch noch einen Bock als Sühn- 
opfer. 

3. Am zehnten Tage desselben Monats nach dem 
Neumonde fastet man bis zum Abend und opfert einen 
Stier, einen Widder uad sieben Lämmer, und ausserdem 
einen Bock als Sühnopfer. Dazu bringt man noch zwei 
Böcke heran, von denen man den einen lebendig über 
die Grenzen in die Wüste entsendet zur Austilgung der 
Sünden des ganzen Volkes, deu anderen aber an einen 
reinen Ort ausserhalb der Stadt bringt und ihn dort 
mit seiner Haut gänzlich verbrennt, ohne ihn irgendwie 
zu reinigen. Damit zugleich verbrennt man einen Stier, 
den nicht das Volk, sondern der Priester auf seine 
eigenen Kosten stellt. Nachdem dieser Stier und der 
Bock geschlachtet sind , bringt der Priester ihr Blut in 
das Innere des Heiligtums und besprengt mit dem darein 
getauchten Finger siebenmal das Dach und ebenso oft 
den Boden, desgleichen das Äussere des Heiligtums und 
den goldenen Altar. Das übrige Blut trägt er in den 
Vorhof und sprengt es rings um den grossen Altar. 
Nachdem legt man die Extremitäten des Stieres und 
des Bockes, die Nieren, das Fett und die Leber auf 
den Altar; der Priester aber fügt noch aus seinen 
Mitteln einen Widder hinzu und opfert das Ganze als 
Brandopfer. 

4. Am fünfzehnten Tage desselben Monats, da es 
schon auf den Winter angeht, sollte jeder einzelne in 
den Stämmen nach Moyses’ Befehl ein Zelt errichten, 
um sich vor der Winterkälte schützen zu können. Und 
wenn sie in ihr Vaterland kämen, sollten sie in der 
Stadt sich versammeln, die sie des Tempels wegen als 
die Hauptstadt betrachten müssten, und hier acht Tage 
lang ein Fest feiern, Brandopfer und Friedopfer Gott 


Drittes Buch, 10. Kapitel. 


177 


darbringen und Büschel von Myrten-, Weiden-,- Palmen- 
und Pfirsichzweigen in den Händen tragen. Am ersten . 
Tag sollten sie Brandopfer darbringen von dreizehn 
Ochsen, vierzehn Lämmern und zwei Widdern, auch einen . 
Bock als Sühnopfer hinzufügen. An den folgenden Tagen 
sollten sie ebenso viele Lämmer und Widder und einen . 
Bock schlachten. Von der Zahl der Ochsen aber sollten 
aie an jedem Tage einen abziehen , bis man auf die 
Zahl sieben käme. Am achten«Tage aber sollten sie . 
von aller Arbeit ruhen und Gott (wie oben bereits ge- 
sagt) ein Kalb, einen Widder, sieben Lämmer und einen 
Bock als Sühnopfer darbringen. Und so feiern die 
Hebräer nach väterlicher Sitte und Einrichtung dieses 
Fest, indem sie Hütten erbauen. 1 

5. Auch gab er ein Gesetz darüber, dass man jähr- 
lich im Monat Xanthikos, den wir Nisan nennen und . 
mit dem wir das Jahr beginnen lassen, am vierzehnten 
Tage nach dem Neumond, wenn die Sonne im Widder 
steht (denn in diesem Monat sind wir aus der aegyp - 1 
tischen Knechtschaft befreit worden) , dasselbe Opfer . 
darbringe, das wir, wie ich schon erzählt, beim Auszug 
aus Aegypten dargebracht haben. Dieses Fest, das wir 
Pascha nennen , feiern wir gemeinsam und lassen von 
den Opfertieren nichts für den folgenden Tag übrig 
Am fünfzehnten Tage folgt dann dem Pascha das sieben- 
tägige Fest der ungesäuerten Brote, an welchem man 
ungesäuertes Brot geniesst und täglich zwei Stiere, einen 
Widder und sieben Lämmer opfert. Dies sind Brand- 
opfer , denen man noch einen Bock als Sühnopfer 
und zur täglichen Speise der Priester hinzufügt Am 
zweiten Tage des Festes der ungesäuerten Brote (es ist 
dies der sechzehnte Tag) verzehrt man einen Teil der 
neuen Ernte, die bis dahin niemand berührt hat, und 
indem man es für billig hält, Gott, den Spender dieser 
Gaben, zuerst damit zu ehren, bringt man ihm die Erst- 
linge der Gerste dar, und zwar auf folgende Weise. ( 


1 Lacbhüttenfest. 

Joeephus' Jüdische Altertümer. 


18 




178 


Josephus’ Jüdisch« Altertümer. 


Man dörrt ein Gebund Gerstenähren, zerstösst sie, reinigt 
site von Kleien und bringt ein Assaron davon zun® 
Altäre Gottes. Dann legt man eine Handvoll davon 
auf den Altar und überlässt das übrige den Priestern. 
Von da an ist es jedem gestattet, mit der Ernte zu be- 
ginnen. Mit den Erstlingen der Früchte opfert man 
Gott auch ein Lamm als Brandopfer. 

6. Sieben Wochen nach Beendigung dieses Festes,, 
also nach neun und vierzig Tagen, an dem Feste, das die 
Hebräer Asartha nennen, das heisst Pentekoste (der 
fünfzigste Tag), opfert man Gott Brot, das aus zwei 
Assaron gesäuerten Weizenmehls gebacken ist, und dazu 
zwei Lämmer. Und was Gott geopfert wird , wird nur 
zur Priestermahlzeit verwendet, und es darf nichts davon 
für den folgenden Tag übrig bleiben. Auch opfert man 
als Brandopfer drei Kälber, zwei Widder und vierzehn 
Lämmer, und als Sühnopfer zwei Böcke. Überhaupt 
wird kein Fest gefeiert, an dem man nicht Brandopfer 
darbringen und sich aller Arbeit enthalten müsste; an 
allen Festen ist vielmehr beides nach Vorschrift des 
Gesetzes geboten , sowie die Abhaltung eines Mahles 
nach dem Opfer. 

7. Aus öffentlichen Mitteln wird weiterhin un- 
gesäuertes Brot geliefert, zu dessen Bereitung vierund- 
zwanzig Assaron Mehl genommen werden. Aus je zwei 
Assaron Mehl wird ein Brot gebacken am Vorabende 
des Sabbat; am Morgen des Sabbat aber werden die 
Brote auf den heiligen Tisch gelegt, je sechs und sechs 
einander gegenüber. Dann werden zwei goldene Schalen 
voll Weihrauch dazu gegeben, und so bleiben sie liegen 
bis zum nächsten Sabbat, wo sie gegen andere aus- 
gewechselt und den Priestern zur Speise überlassen 
werden. Der Weihrauch aber wird in heiligem Feuer 
verbrannt und durch neuen ersetzt. Aus seinen eigenen 
Mitteln opfert der Priester täglich ein Assaron Mehl, 
das mit Ol zusammengeknetet und leicht angebacken 
wird. Davon wirft er die eine Hälfte morgens, die 
andere abends ins Feuer. Hiervon will ich später ein- 



Drittes Buch, 11. Kapitel. 


17!) 


gehender sprechen; für jetzt mag es bei dem Gesagten 
sein Bewenden haben. 


Elfte s Kap itel. 

Von den Reinigungen. 

1. Moyses sonderte den Stamm der Leviten von der 
Gemeinschaft deB Volkes ab und bestimmte ihn zum 
heiligen Dienst. Er reinigte sie mit Quellwasser und 
durch Opfer, welche bei solchen Gelegenheiten Gott dar- 
gebracht zu werden pflegen. Und der Fürsorge der 
Leviten vertraute er an die Hütte, die heiligen Geräte 
und die Decken der Hütte, und er befahl ihnen, den 
Priestern nach deren Vorschrift zu dienen. Denn sie 
waren Gott geweiht. 

2. Auch unterschied Moyses, welche Tiere man essen 
dürfe und welche nicht. Hierüber will ich jedoch bei 
späterer Gelegenheit mich verbreiten , desgleichen auch 
über die Gründe, warum er diese Vorschriften gab. Den 
Genuss des Blutes aller Tiere verbot er, weil er glaubte, 
dass in ihm die Seele und der Geist enthalten sei. 
Weiterhin untersagte er den Genuss krepierten Viehes, 
auch des Netzes und Fettes der Ziege, des Schafes und 
des Kindes. 

3. Die Aussätzigen und an Samenfluss Leidenden 
schloss er aus der Gemeinschaft der anderen aus; des- 
gleichen durften auch die Weiber während ihrer monat- 
lichen Reinigung nur abgesondert wohnen bis zum 
siebenten Tag; alsdann galten sie wieder als rein und 
durften wieder mit anderen verkehren. Auch wer ein 
Leichenbegängnis besorgt hatte, musste ebenso lange 
dem Verkehr mit anderen fembleiben. Hatte jemand 
über diese Anzahl Tage hinaus die Verunreinigung, so 
musste er der Vorschrift gemäss zwei weibliche Lämmer 
opfern und eins davon verbrennen, das andere aber den 
Priestern geben. In gleicher Weise mussten die opfern, 
die am Samenfluss litten. Derjenige, der im Schlafe 
den Samen verloren, wurde durch Waschung in kaltem 

12 * 




180 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


W asBer wieder rein, wie auch der, der seinem Weibe 
rechtmässig beigewohnt hatte. Die Aussätzigen aber 
sonderte Moyses für immer von der Gemeinschaft der 
Gesunden ab, da sie mit niemand Umgang haben dürften 
und sich in nichts von Toten unterschieden. Wenn aber 
jemand durch Gebet von Gott die Befreiung von dieser 
Krankheit erlangte und sein gesundes Aussehen wieder 
erhielt, so dankte er Gott: durch Opfer, wovon ich später 
reden werde. 

4. Daher machen sich diejenigen lächerlich, welche 
behaupten, Moyses sei selbst mit dem Aussatz behaftet 
gewesen und deshalb aus Aegypten geflohen, und auch 
die Hebräer hätten am Aussatz gelitten, und er hätte sie. 
darum, nachdem sie aus Aegypten ausgewiesen, nach 
Ohananaea geführt. Denn wenn es sich so verhielte, 
würde doch Moyses sicher nicht zu seiner eigenen 
Schande ein solches Gesetz gegeben haben, da er doch 
sogar Widerspruch erhoben haben würde, falls ein 
anderer es erlassen hätte. Sehr viele andere Völker, 
unter denen sich Aussätzige befinden, lassen diese sogar 
zu Ehrenstellen gelangen, und, weit entfernt, sie mit 
schmachvoller Verbaunung zu quälen, übertragen sie 
ihnen sogar hohe Stellen in der Militär- und Civil- 
verwaltung und gestatteten ihnen , heilige Orte und 
Tempel zu betreten. Es würde also den Moyses, wenn 
er wirklich an diesem Übel gelitten hätte, nichts ge- 
hindert haben, bessere Bestimmungen für die Aussätzigen 
zu treffen und sie nicht schmachvoller Verlassenheit zu 
überantworten. Somit ist es klar, dass nur der Neid ein 
solches Gerede verschuldet haben kann. Moyses war 
ebenso wie seine Volksgenossen vom Aussatz rein, und 
er hat den mit dieser Krankheit Behafteten nur mit 
Bück sicht auf die Ehre Gottes derartige Bestimmungen 
vorgeschrieben. Übrigens möge jeder hierüber denken, 
wie ihm beliebt. 

5. Moyses verbot auch den Wöchnerinnen, den 
Tempel zu betreten oder etwas Geheiligtes zu berühren, 
und zwar bis zum vierzigsten Tage , wenn sie einen . 




Drittes Buch, 1 1 . Kapitel. 


181 


Knaben geboren, dagegen doppelt so lange, wenn sie 
ein Mädchen zur Welt gebracht hatten. Überdies 
mussten sie, wenn sie nach Ablauf der genannten Zeit 
den Tempel betraten, ein Opfer mitbringen, das die 
Priester Gott darbrachten. 

6. Hatte jemand sein Weib im Verdacht des Ehe- 
bruchs, so brachte er ein Assaron Gerstenmehl herbei 
und| legte eine Hand voll davon auf den Altar Gottes, 
während das übrige den Priestern als Speise zukam. 
Einer der Priester stellte darauf das Weib an das Thor, 
iwelches gegen den Tempel hin sieht, zog ihr den 
Schleier vom Haupte, schrieb den Namen Gottes auf 
ein Stück Haut und hiess sie schwören , dass sie ihrem 
Gatten keinen Schimpf angethan, und dass, wenn sie 
die Schamhaftigkeit verletzt hätte, ihr rechtes Bein ver- 
renkt werden und ihr Unterleib auf sch wellen solle, 
sodass sie sterben müsse; dass aber, wenn ihr Gatte aus 
allzugrosser Liebe und daraus entstehender Eifersucht 
auf den falschen Verdacht gekommen sei, sie im zehnten 
Monat nachher einen Sohn gebären werde. Nach 
Leistung dieses Eides löschte der Priester den Namen 
Gottes' auf der Haut aus und drückte ihn in eine Schale 
aus. Dann nahm er Staub vom Tempel, wo er dieeen 
gerade traf, streute ihn in die Schale und gab den In- 
halt derselben dem Weibe zu trinken. War nun das 
Weib ungerecht angeklagt worden, so wurde sie 
schwanger und gebar zu rechter Zeit einen Sohn. Hatte 
sie dagegen den Ehebruch wirklich begangen und den 
Gott geleisteten Eid falsch’ geschworen, so verrenkte 
sich ihr Bein, ihr Leib schwoll von Wasser an, und sie 
starb eines schmachvollen Todes. Das sind die Vor- 
schriften, die Moyses seinem Volke in betreff der Opfer 
und Peinigungen gegeben hat. Diesen hat er noch 
folgende Gesetze hinzugefügt. 


Go gle 




182 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


Zwölftes Kapitel. 

Verschiedene andere Gesetze. 

1. Den Ehebruch verbot Moyses überhaupt, da er es 
für wichtig hielt, dass die Männer die richtige Ansicht 
von der Ehe hätten, und da er glaubte, dass von der 
rechtmässigen Erzeugung der Kinder das Wohl der 
Familie wie auch des ganzen Staates abhänge. Auch 
verbot das Gesetz es als grösste Schändlichkeit, dass 
man mit seiner Mutter, mit seiner Stiefmutter, seiner 
Tante, seinen Schwestern oder seiner Söhne Frauen 
sich fleischlich verginge; denn Moyses hielt das für 
einen verabscheuungswürdigen Frevel. Ferner verbot 
er, mit einem Weibe zu verkehren, das seine monatliche 
Reinigung habe, oder gar sich mit Tieren abzugeben, 
oder in verkehrter fleischlicher Lust mit Angehörigen 
seines eigenen Geschlechts zu sündigen. Auf die Über- 
tretung dieser Vorschriften setzte er die Todesstrafe. 

2. Den Priestern machte Moyses doppelte Reinheit 
zur Pflicht. Denn ausser der Befolgung der vorstehenden 
Bestimmungen gab er ihnen auch auf, keine Weiber zu 
heiraten, die sich früher preisgegeben hatten. Ferner 
durften sie keine Sklavin oder Kriegsgefangene ehe- 
lichen, oder solche Weiber, die von der Führung einer 
Schenke oder eines öffentlichen Gasthauses gelebt hatten, 
oder die von ihren (früheren Ehemännern £um [irgend 
einer Ursache willen verstossen worden waren. Der 
Hohepriester aber durfte auch keine Witwe zur Ehe 
nehmen, was den anderen Priestern gestattet war, viel- 
mehr nur eine Jungfrau, die er bei sich zu behalten 
verpflichtet war. Ferner durfte der Hohepriester sich 
keiner Leiche nähern, wogegen es den übrigen Priestern 
erlaubt war, ihren verstorbenen Brüdern, Eltern und 
Kindern zu nahen. Die Priester mussten auch körper- 
lich rein und frei von jedem Gebrechen sein. Litt aber 
ein Priester an einem körperlichen Fehler, so erhielt er 
zwar von den Opfern seinen Anteil wie die übrigen, 
aber dem Altar zu nahen oder das Heiligtum zu 




Drittes Bach, 12. Kapitel. 


183 


betreten, war ihm untersagt. Und nicht nur beim 
Opferdienst sollten die Priester rein sein, sondern auch 
eich bemühen, immerfort einen untadelhaften Wandel 
zu zeigen. Deshalb mussten auch die, welche das heilige 
Oewand trugen, nicht nur von aller Schuld frei, keusch 
und enthaltsam sein, sondern sich auch, so lange sie 
im heiligen Dienst thätig waren, des Weines enthalten. 
Auch das zur Opferung bestimmte Vieh musste unver- 
sehrt und fehlerfrei sein. 

3. Diese Gesetze gab Moyses, damit sie noch bei 
seinen Lebzeiten beobachtet würden; doch gab er auch 
einige Vorschriften in der Wüste, die für später gelten 
sollten, wenn die Hebräer Chananaea in Besitz ge- 
nommen hätten. In jedem siebenten Jahr sollte auch 
der Acker ruhen und weder gepflügt noch bebaut werden, 
wie auch das Volk an jedem siebenten Tag ausruhte. 
Was die Erde aber in diesem Jahr von selbst trüge, 
sollte gemeinsames Eigentum sein und sowohl Fremden 
als Einheimischen zugute kommen, und es sollte davon 
nichts aufbewahrt werden. Ähnliches sollte nach sieben 
Jahreswochen, das heisst im fünfzigsten Jahr geschehen. 
Dieses fünfzigste Jahr nennen die Hebräer Jobei, und 
in ihm wurde den Schuldnern die Schuld erlassen und 
die Knechte in Freiheit gesetzt, die wegen Übertretung 
irgend eines Gesetzes die Todesstrafeiverdient hatten, 
aber als Stammesgenossen anstatt mit dem Tode, mit 
Knechtschaft bestraft worden waren. |Auch sollten die 
Äcker den früheren Besitzern wiedergegeben werden; 
hierbei wurde verfahren wie folgt. Wenn Jobei nahe 
war (dieses Wort bedeutet „Freiheit“), kamen der Ver- 
käufer und der Käufer eines Grundstückes /zusammen 
und schätzten die Früchte und die für den Acker ge- 
machten Aufwendungen ab. War der Fruchtertrag 
grösser als die Kosten, so nahm der Verkäufer den 
Acker ohne weiteres an sich; überwogen dagegen die 
Kosten den Ertrag, so wurde dem Käufer sein Schaden 
vergütet, und dieser gab den Acker zurück. Waren aber 
Ertrag und Kosten gleich, so gehörte der Acker ebenfalls 



‘ 184 


Josephus’ Jüdisch« Altertümer. 


ohne "weiteres wieder dem früheren Besitzer. Dasselbe 
1 Hecht galt hinsichtlich der in Dörfern gelegenen Häuser, 
Während bezüglich der in Städten verkauften Häuser 
anders bestimmt wurde. Denn wenn innerhalb Jahres- 
frist der Kaufpreis dem Ankäufer wiedergegeben wurde, 
musste dieser das Haus wieder abtreten; war dagegen 
ein volles Jahr verstrichen, so behielt der Käufer das 
Recht des Besitzes. Diese Gesetze empfing Moyseö Von 
Gott zu der Zeit, da das Volk am Berge Sinai lagerte, 
und er übergab sie den Hebräern schriftlich aufgezeichnet. 

4. Da nun Moyses alles auf die Gesetzgebung Be- 
zügliche wohlgeordnet glaubte , richtete er sein Augen- 
merk auf das Heer, weil er schon damals daran dachte, 
das Kriegswesen zu ordnen. Er befahl daher allen 
Stammeshäuptern mit Ausnahme des Stammes Levis (die 
Leviten sollten als zum Dienste Gottes Geweihte von 
allen anderen Lasten frei sein), eine genaue Zählung 
aller vorzunehmen, die im kriegstüchtigen Alter standen. 
Bei dieser Heereszählung ergaben sich sechshundertdrei- 
tausendsechshundertundfünfzig streitbare Männer, welche 
ein Alter von zwanzig bis fünfzig Jahren aufwiesen. An 
Stelle des Levis nahm Moyses unter die Zahl der Ober- 
häupter den Mahasses, den Sohn Josephs, und an Josephs 
Stelle den Ephraim auf. Denn Jakob hatte, wie ich 
oben erwähnte,* von Joseph verlangt, dass er seine Söhne 
als Jakobs Söhne betrachten solle. 

6. Beim Errichten des Lagers setzten die Hebräer 
nun die Hütte in die Mitte, sodass auf jeder Seite die 
Zelte dreier Stämme zu stehen kamen, zwischen denen 
Wege sich hinzogen. Auch ein Markt wurde eingerichtet. 
Und die Waren geordnet. Hier hatten auch alle Arten 
von Handwerkern ihre Werkstätten, sodass das Lager 
den Eindruck einer j hin- und herwandernden Stadt 
machte. Die der Hütte zunächst gelegenen Zelte be- 
wohnten die Priester; diesen zunächst wohnten die Le- 
viten, die im ganzen und ' unter Einrechnung aller 

* Knaben, die wenigstens dreissig Tage alt waren, dreiund- 

• zwanzigtausendachthundertachtzig zählten. So lange nun 



Drittes Buch, 13. Kapitel. 


18ö 


die Wolke über der Hütte lagerte, so lange blieben sie 
an demselben Orte im Glauben, dass Gott bei ihnen an- 
wesend sei. Bewegte sich aber die Wolke weiter, so 
zogen sie auch selbst weiter fort. 

6. Moyses erdachte auch eine Signaltrompete, die er 
von Silber und in folgender Gestalt anfertigen liess. 
Sie war fast eine Elle lang und ihre Röhre war eng, 
etwas dicker als eine Flöte. Das Mundstück war so 
gross, dass es den Atem des Bläsers bequem aufnehmen 
konnte, und sie endigte wie eine Posaune in Glocken- 
form. In hebraeischer Sprache heisst sie Asosra. Solcher 
Trompeten wurden zwei angefertigt, die eine, um das 
Volk zur Versammlung zu rufen, die andere, um die 
Stammesoberhäupter zur Ratsversammlung einzuladen. 
Die letztere wurde von einem Priester geblasen. Wurden 
beide Trompeten zugleich geblasen , so musste das ge- 
samte Volk Zusammenkommen. Sollte nun die Hütte 
fortbewegt werden, so verfuhr man also. Sobald die 
Trompete zum erstenmal ertönte, erhoben sich die, welche 
gegen Osten lagerten ; erscholl sie zum zweiten Male, 
so setzten sich die in Bewegung, die gegen Süden 
lagerten. Darauf wurde dann die Hütte abgebrochen 
und in der Mitte getragen, sodass sechs Stämme ihr 
vöranzogen und sechs ihr nachfolgten. Die Leviten aber 
umgaben alle die Hütte. Das dritte Zeichen der Trom- 
pete galt denen, die gegen Westen, und das vierte denen, 
die gegen Norden lagerten. Dieser Trompeten bediente 
man sich auch, um die Opfer anzukündigen, sowohl am 
Sabbat als an den übrigen Tagen. Damals wurde auch 
zum erstenmal nach dem Auszug aus'; Aegypten das 
Opferfest Pascha in der Wüste gefeiert. 


Dreizehntes Kapitel. 

Das Volk murrt gegen Moyses und wird dafür bestraft. 

Nicht lange danach brach man vom Berge Sinai auf 
und kam nach einigen Zwischen Stationen, von denen ich 



186 J OMuhus’ J ttdische Altertümer. 

« * 

spater berichten werde, zu einem Ort mit Namen Eser- 
moth. Hier fing das Volk wiederum an, sich zu empören 
und dem Moyses die Übel vorzuwerfen, die es auf dem 
bisherigen Marsche zu erdulden gehabt hatte. Sie hätten 
auf seinen Rat eine sehr fruchtbare Gegend verlassen, 
und anstatt glücklich zu sein, wie er ihnen versprochen, 
irrten sie jetzt im Elende umher, litten unter Wasser- 
mangel und würden auch wohl von Hunger aufgerieben 
werden, wenn sie das Manna nicht hätten. Als sie den 
Mann so schmähten und lästerten, ermahnte sie einer 
aus dem Volke, sie möchten doch dessen eingedenk sein, 
was Moyses für das allgemeine Wohl geleistet hätte, und 
an Gottes mächtiger Hilfe nicht verzweifeln. Doch 
wurde dadurch die Menge noch mehr erregt und lärmte 
nur noch wilder gegen Moyses. Als dieser sie nun in 
solcher Verzweiflung sah, versprach er, um ihnen wieder 
Mut zu machen, er werde ihnen eine Menge Fleisch ver- 
schaffen nicht nur für einen, sondern für mehrere Tage, 
obgleich sie so schändlich gegen ihn verführen. Und 
da sie ihm nicht glauben wollten, und einer ihn fragte, 
woher er denn für so viele tausend Menschen Fleisch 
nehmen wolle, antwortete er: „Gott und ich werden, 
trotzdem ihr so schlecht von uns redet, dennoch nicht 
ablassen, für euch zu sorgen, und ihr werdet sogleich 
den Beweis davon sehen.“ Kaum hatte er dies gesprochen, 
da wurde plötzlich das Lager von allen Seiten mit 
Wachteln erfüllt, die die Hebräer sogleich sammelten. 
Gott aber strafte sie bald darauf wegen ihrer frechen 
Schmähungen, denn viele von ihnen gingen zu Grunde. 
Daher nennt man diesen Ort bis heute noch Kabrothaba, 
das heisst „Grabhügel der Leidenschaft.“ 



Drittes Bach, 14. Kapitel. 


187 


Vierzehntes Kapitel. 

Moyses schickt Kundschafter aus, die nach ihrer Rück- 
kehr aus Chananaea durch ihre Nachrichten das Volk 

verzagt machen. 

1. Von da führte Moyses sie an einen Ort, der „Eng- 
pass" genannt wird, nicht weit von den Grenzen Chana- 
naeas entfernt lag und unwirtlich war. Hier berief er 
•das Volk zusammen, trat mitten unter sie und sprach: 
„Gott hat uns zwei Güter zu schenken versprochen, näm- 
lich die Freiheit und den Besitz eines glücklichen Landes. 
Das eine besitzt ihr durch seine Güte schon, und das 
andere werdet ihr bald erhalten. Denn schon befinden 
wir uns an den Grenzen Chananaeas, und kein König, 
keine Stadt und keine Volksmenge kann uns hindern, 
in dieses Land einzudringen. Rüsten wir uns daher zu 
tapferem Vorgehen, denn nicht ohne harten Kampf gegen 
kriegerische Völker werden wir dasselbe einnehmen 
können. Senden wir also Kundschafter aus, um die 
Fruchtbarkeit des Landes und die Macht seiner Ein- 
wohner zu erforschen. Vor allem aber lasst uns ein- 
trächtig sein und Gott, unseren Beistand und Helfer, in 
Ehren halten/* 

2. Auf diese Worte entgegnete das Volk mit Lob 
und Beifall, und man wählte zwölf Kundschafter aus 
den würdigsten Männern aus, aus jedem Stamme einen. 
Diese durchforschten das ganze Land Chananaea von 
seiner Grenze gegen Aegypten an bis zur Stadt Amathe 
und zum Berge Libanon, und nachdem sie die Eigen- 
schaften des Landes und seiner Bewohner ausgekund- 
schaftet hatten, kehrten sie nach vierzig Tagen zurück. 
Und sie brachten Früchte des Landes mit und flössten 
durch deren Pracht und durch ihre Berichte von dem 
Reichtum des Landes dem Volke Mut zum Kriege ein. 
Andererseits aber erschreckten sie es wieder dadurch, 
dass sie di^ Eroberung des Landes als schwierig dar- 
stellten, indem sie von seinen breiten und tiefen Flüssen 




. 188 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


berichteten, die man nicht überschreiten könne, von 
seinen steilen und unersteiglichen Bergen und von seinen 
nicht bloss an Mauern , sondern auch an Befestigungs- 
werken äusserst starken Städten. In Chebron, meldeten 
sie, hätten sie dazu noch ein Riesen volk angetroffen. 
Auf diese Weise llössten die Kundschafter, die wohl ge- 
merkt hatten, dass in Chananaea die Schwierigkeiten 
bedeutend grösser seien als alle , die ihnen seit dem 
Auszug aus Aegypten begegnet waren, und die hierüber 
auch selbst sehr 1 mutlos waren , eine gleich verzagte 
Stimmung ihren Volksgenossen ein. 

3. Als diese solche Reden vernahmen, verzweifelten 
sie wirklich an der Möglichkeit, jenes Land erobern zu 
können, und sie gingen aus der Versammlung heim und 
beklagten mit den Weibern und Kindern ihr Schick- 
sal, gleich als ob Gott ihnen seine Hilfe wohl verheissen r 
aber in Wirklichkeit niemals • geleistet hätte. Auch 
gehalten sie wieder über Moyses und seinen Bruder Aaron, 
den Hohepriester, und brachten die Nacht in Aufregung 
und mit Vorwürfen gegen beide hin. Am Morgen 
aber versammelten sie sich wieder und verstiegen sich 
zu dem Vorhaben, den Moyses und Aaron zu steinigen 
iind wieder nach Aegypten zurückzukehren. 

4. Da traten von den Kundschaftern Jesus, der Sohn 
Naves aus dem Stamme Ephraim, und Chaleb aus dem 
Stamme Judas plötzlich in ihre Mitte, suchten die Menge 
zu beruhigen und beschworen sie, Mut zu fassen, Gott 
keiner Lüge zu zeihen und denen nicht zu glauben, die 
durch eitle Reden über die Macht der Chananäer sie zu 
erschrecken suchten. Vielmehr sollten sie denen folgen, 
die sie zum Glück und zum Besitze jener Güter führen 
wollten. Denn weder die hohen Berge noch die tiefen 
Flüsse würden ihnen Schwierigkeiten machen, wenn sie 
tapfer das Land angriffen, zumal da Gott ihnen bei- 
stehen und in der Sohlacht für sie . kämpfen werde, 
„Ziehen wir also," sagten sie, „wacker und ohne Angst 
vor Misserfolg gegen den Feind, und vertrauen wir der 
•'Führung Gottes, der uns den Weg zum Siege weisen 



Drittes Bach, 15. Kapitell 


18» 


■wird.“ Mit solchen Reden suchten m eie die -‘ Aufregung 
des Volkes zu besänftigen. Moyses und Aaron aber, 
warfen sich zur Erde und flehten demütig zu Gott nicht ; 
für ihr eigenes Wohlergehen, sondern) dass er das Volk.: 
-erleuchten und es in seiner gegenwärtigen Verwirrung, 
und schlimmen Lage starken und trösten möge. Da er? 
schien sogleich die Wolke und liess sich auf die Hütte 
nieder als Zeichen der Anwesenheit Gottes. 


Fünfzehntes Kapitel. 

KAoyses verkündigt den Hebräern', Gott werde siel üi seinem 
Zorn vierzig Jahre in der Wüste lassen. 

1. Moyses ging hierauf vertrauensvoll zum Volke 
und verkündete ihm, Gott sei über ihr schmachvolles 
Benehmen erzürnt und werde sie dafür strafen, jedoch 
nicht so schwer, als sie für ihre Sünden verdienten, 
sondern wie wohlwollende Väter ihre Kinder zu strafen 
pflegten. Denn als er in das Heiligtum eingetreten sei 
und weinend Gott gebeten habe, das Verderben vom 
Volke abzuwenden, habe Gott ihn daran erinnert, wie 
undankbar sie sich für seine vielen Wohlthaten be- 
nommen hätten, und dass sie jetzt wieder, durch die 
Ängstlichkeit und Feigheit der Kundschafter irre geführt, 
deren Worten mehr Glauben beigemessen hätten als , 
seinen Verheissungen. Doch wolle er sie deswegen 
nicht alle dem Untergang weihen, auch nicht ihr Ge- 
schlecht gänzlich vertilgen, das er allen übrigen Sterb- 
lichen vorgezogen habe; aber er werde sie nicht in den 
Besitz des Landes der Chananäer gelangen und sie 
dessen Reichtum und Überfluss nicht gemessen lassen, 
vielmehr sollten sie zur Strafe für ihre Sünden vierzig 
-Jahre lang ohne festen Wohnsitz in der Wüste umher- 
irren. Dagegen wolle er das Land ihren Kindern über- 
geben und diese zu Herren über alle die reichen Güter 
machen, deren Besitz ihre Väter durch Leichtsinn ver- 
scherzt hätten. 


190 


Josephus’, Jüdische Altertümer. 


2. Als Moyses dies auf Befehl Gottes verkündigt 
hatte, beklagte das Volk sein Unglück sehr und bat 
den Moyses, er möge bei Gott Fürbitte für sie einlegen, 
dass er sie von dem unstäten Leben in der Wüste er- 
löse und ihnen feste Wohnsitze an weise. Moyses aber 
entgegnete ihnen , Gott werde sich also nicht versuchen 
lassen, denn er entrüste sich nicht grundlos oder nach 
Menschenart, sondern er habe das Urteil in seinem 
weisen Ratschluss gefallt. Man möge sich aber nicht 
darüber wundern und es für unglaublich halten, dass 
dieser eine Mann (Moyses) so viele tausend erregte 
Menschen besänftigen und sie zur Ruhe und Vernunft 
bringen konnte. Denn Gott selbst stand ihm bei und 
verlieh ihm die Gabe, durch Reden auf die Menge ein- 
zuwirken und sie zu bekehren. Auch hatte ja das Volk 
schon so oft in seinem Ungehorsam die Erfahrung ge- 
macht, wie wenig ihm seine Widerspenstigkeit von 
Nutzen war, durch die es sein Unglück selbst ver- 
schuldete. 

3. Übrigens wurde Moyses nicht bloss zu seiner Zeit 
bewundert wegen seiner seltenen Tugend und wegen der 
ihm eigentümlichen Gabe, seinen Worten Glauben zu 
verschaffen, sondern auch heute noch giebt es keinen 
Hebräer, der nicht seine Gesetze befolgte, selbst wenn 
er sich unbeobachtet wüsste, gleich als sei Moyses selbst 
noch gegenwärtig, um die Ungehorsamen zu strafen. 
Auch noch manches andere liefert den Beweis dafür, 
dass Moyses ein / übermenschliches Ansehen besessen 
habe. Zum Beispiel konnten gewisse jenseits des 
Euphrat wohnende Menschen, die aus Verehrung für 
unseren Tempel oft gefahrvolle und kostspielige Reisen 
von vier Monaten Dauer unternahmen, um Gott zu 
opfern, dennoch keinen Anteil an den Opfern erlangen, 
da Moyses ihnen dies untersagte, weil sie mit unseren 
väterlichen Sitten und Gewohnheiten nicht vertraut 
waren. Einige von ihnen mussten Weggehen, ohne ge- 
opfert zu haben, andere, ehe die Opfer vollbracht waren ; 
ja, die meisten kamen nicht einmal bis zum Tempel. 




Drittes Buch, 15. Kapitel. 


191 


Sie alle wollten aber doch lieber den Gesetzen und Ein- 
richtungen des Moyses sich fügen, als ihrem eigenen 
Willen gehorchen ; und dabei hatten sie nicht zu 
fürchten, dass jemand sie daran hindern würde, vielmehr 
trieb sie nur ihr eigenes Gewissen dazu an. So haben 
die Gesetze, die Moyses von Gott erhalten hat, ihm ein 
übermenschliches Ansehen verschafft. Daher kam es, 
dass, als kurz vor dem Ausbruch des von uns mit den 
Römern geführten Krieges unter dem Kaiser Claudius 
und dem Hohepriestertum Ismaels eine Hungersnot über 
unser Land herein brach und ein Assaron Getreide vier 
Drachmen kostete, sich der Fall ereignete, dass, als am 
Fest der ungesäuerten Brote siebzig Kor (das sind ein- 
unddreissig sicilische oder einund vierzig attische Scheffel 1 ) 
Mehl geopfert wurden, trotz der Hungersnot kein Priester 
es wagte, auch nur ein Krümchen davon zu essen. Dazu 
bewog sie doch offenbar nur die Achtung vor dem Ge- 
setze und die Furcht vor dem Zorn Gottes, den er auch 
über verborgene Sünden zu verhängen pflegt. Deshalb 
ist es nicht zu verwundern, dass Moyses so Grosses ge- 
leistet h^jt, da seine Schriften noch heute eine solche 
Kraft und so hohes Ansehen besitzen, dass sogar unsere 
Feinde zugeben, Gott selbst habe uns unsere Lebens- 
regeln durch Vermittlung des Moyses gegeben. Doch 
mag hiervon jeder halten, was ihm gutdünkt. 


1 1 attischer Scheffel (medimnus) = 6 modii = 52,5 Liter. 



s 


Viertes Buch. 

: Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 38 Jahren. 

Inhalt. 

1. Die Hebräer greifen wider Moyses’ Willen die Chananäer an und 

werden geschlagen. 

2. Die Empörung Kores’ und seines Anhanges gegen Moyses und 

dessen Bruder wegen des Priestertums. 

3. Wie die Urheber der Empörung nach dem Willen Gottes ver- 

tilgt wurden, und wie Aaron und seine Söhne das Priestertum 
behielten. 

4- Schicksale der Hebräer in der Wüste während 38 Jahren. 

5. Wie Moyses die Könige der Amorrhäer Secho und Og besiegte, 

ihr Heer vernichtete und ihr Land unter swei und einen halben 
Stamm der Hebräer verteilte. 

6. Von dem Seher Balam. 

7. Wie die Hebräer mit den Madianitern kämpfen und si^ besiegen. 
3. Weitere Gesetze des Moyses und sein Tod. 


Ejrstes Kapitel. 

Die Hebräer greifen wider Moyses* Willen die Chananäer 
an und werden geschlagen. 

1. Für die Hebräer war das Leben in der Wüste so 
hart und mühselig, dass sie es trotz des Verbotes Gottes 
wagen wollten, mit den Chananäern zu kämpfen. Denn 
•den Ermahnungen des Moyses, sich ruhig zu verhalten, 
wollten sie nicht gehorchen, sondern sie glaubten auch 
ohne seine Zustimmung ihre Feinde überwinden zu 
können. Daher fingen sie an ihn zu beschuldigen und 
zu verdächtigen, er wolle sie um jeden Preis in ihrer 
Not hinhalten, damit sie immer auf seine Hilfe ange- 


Go gle 



Viertes Buch, 1. Kapitel. 


193 


wiesen seien. Und sie schickten sich zum Kriege mit 
den Chananäern an, indem sie sich einredeten, Gott ge- 
währe ihnen nicht so sehr um Moyses’ willen seine Hilfe, 
als vielmehr mit Rücksicht auf ihre Vorfahren, die er 
seiner besonderen Fürsorge gewürdigt habe, und er werde, 
wie er ihnen um deren Tugend willen früher zur Frei- 
heit verholfen habe, so auch jetzt ihnen beistehen, wenn 
sie sich wacker hielten. Ja, sie meinten sogar, sie seien 
allein mächtig genug, um jene Völkerschaften niederzu- 
werfen, auch wenn Moyses Gott von ihnen abwendig 
machen wolle. Überhaupt könne es ihnen nur dienlich 
sein, wenn sie sich auf 6ich selbst verliessen. Und wenn 
sie sich auch Glück dazu wünschen müssten, dass sie 
der aegyptischen Sklaverei entronnen seien, so brauchten 
sie deshalb doch nicht die Herrschsucht des Moyses zu 
ertragen oder nur nach seinem Willen zu leben, als 
wenn Gott aus besonderem Wohlwollen ihm allein seine 
Absichten in betreff unseres Schicksals kundgethan hätte, 
und alff ob wir nicht alle vom Stamme Abrams wären, 
Gott vielmehr ihn allein gelehrt hätte, alles Zukünftige im 
voraus zu erkennen. Darum handelten sie nur ver- 
ständig, wenn sie die Überhebung des Moyses verachteten 
und im Vertrauen auf Gott das Land, das er ihnen 
verheissen, in Besitz zu nehmen trachteten, und wenn 
sie nicht weiter sich um Moyses kümmerten, der unter 
dem Vorwände des Befehles Gottes sie daran hindern 
wolle. Daher rüsteten sie sich, um ihrer gegenwärtigen 
Not, die ihnen wegen der Wüste nur noch drückender 
vorkam, ein Ende zu machen, zum Angriff auf die 
Ohananäer, indem sie sich unter Gottes Führung und 
Schutz stellten, ohne auf die Zustimmung und den Bei- 
stand ihres Gesetzgebers zu warten. 

2. Nachdem sie diesen Beschluss, wie sie meinten, zu 
ihrem Besten gefasst hatten, zogen sie gegen die Feinde. 
Diese aber gerieten weder über den ungestümen Angriff, 
noch über die grosse Zahl der Hebräer in Schrecken, 
sondern empfingen sie tapfer, sodass viele von den He- 
bräern fielen, die übrigen aber in wilder Unordnung, 

Josepbus* Jüdische Altertümer. 13 




194 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

vom Feinde verfolgt, sich schimpflich zur Flucht wandten 
und ins Lager zurück eilten. Da nun die Sache gegen 
ihre Erwartung so schlimm verlaufen wa^, sank ihnen der 
Mut, und sie hofften nichts Gutes mehr; denn sie glaubten, 
das Unglück sei ihnen von Gott geschickt, weil sie ohne 
seine Zustimmung in den Kampf gezogen seien. 

8. Moyses aber sah ihre grosse Niedergeschlagenheit 
infolge des unglücklichen Treffens, und da er fürchtete, 
der Feind möchte durch seinen Sieg übermütig werden 
und, nach weiteren Erfolgen gierig, zum Angriff über- 
gehen, hielt er es für das Beste, weiter von Chananaea 
weg mit dem Heere in die Wüste zu rücken. Das Volk 
aber vertraute sich wieder willig seiner Führung an, denn 
es sah ein, dass es ohne ihn kein Glück habe. Und sie 
brachen auf und zogen weiter in die Wüste hinein, denn 
Moyses glaubte, dass sie hier eher ruhig bleiben und 
nur dann sich mit den Chananäem in einen Kampf ein- 
lassen würden, wenn Gott ihnen eine günstige Gelegen- 
heit dazu zeigen sollte. 


Zweites Kapitel. 

Die Empörung des Kores und seines Anhanges wider 
Moyses und dessen Bruder wegen des Priestertums. 

1. Wie es aber bei einem grossen Heere besonder» 
nach Niederlagen vorzukommen pflegt, dass die einzelnen 
eigensinnig und. widerspenstig werden, so geschah es 
jetzt bei den Juden. Denn sie zählten sechshundert- 
tausend Streiter, eine Menge, die kaum bei glücklichem 
Lauf der Dinge in den Grenzen der Pflicht gehalten 
werden konnte, um wie viel weniger also in ihrer da- 
maligen Notlage. Daher waren sie zornig auf sich selbst 
wie auf ihren Führer, und es brach eine solche Em- 
pörung unter ihnen aus, wie uns keine ähnliche weder 
bei den Griechen noch bei den Barbaren bekannt ge- 
worden ist. Hierbei gerieten sie alle in die äusserste 
Lebensgefahr, und sie wären alle umgekommen, wenn 




Viertes Buch, 2. Kapitel. 


195 


Moyses sie nicht, uneingedenk des Unrechtes, das sie an 
ihm mit der Steinigung verüben wollten, gerettet hätte. 
Auch Gott verliess sie nicht so gänzlich, dass sie das 
Unglück nicht hätten überstehen können, sondern ob- 
gleich sie sich gegen ihren Gesetzgeber und gegen die 
Gebote, welche er ihnen durch denselben gegeben, frech 
vergangen hatten, entriss er sie dennoch dem Verderben, 
welches die Empörung sicher über sie gebracht hätte, 
wenn er nicht um ihre Errettung besorgt gewesen wäre. 
Diese Empörung nun und was Moyses nach ihrer Unter- 
drückung an ordnete, will ich jetzt erzählen, nachdem 
ich vorher die Ursache, aus der sie entstand, darge- 
legt habe. 

2. Kores, ein durch Abkunft und Reichtum hervor- 
ragender Hebräer, gewandt im Reden und erfahren in 
der Behandlung des niederen Volkes, sah neidisch auf 
die hohe Würde des Moyses (er war mit ihm aus dem- 
selben Stamme und ihm verwandt) und ärgerte sich dar- 
über. Denn er hielt sich selbst dieser hohen Stellung 
für würdiger, da er reicher sei als Moyses und von Her- 
kunft nicht geringer. Deshalb beklagte er sich bei den 
Leviten (das waren seine Stammesgenossen) und nament- 
lich bei seinen Verwandten über Moyses. Es sei un- 
recht, meinte er, dass Moyses immer mehr Ruhm zu er- 
langen suche und zwar durch verwerfliche Mittel, und 
dass er stets sich stelle, als ob Gott ihm besonders 
gnädig sei. Seinem Bruder Aaron habe er in gesetzwidriger 
Weise das Priestertum übertragen, nicht nach gemein- 
samem Volksbeschluss, sondern nach seinem eigenen 
Gutdünken. Ganz nach Art der Tyrannen vergebe er 
die Ehrenstellen nach seinem Belieben. Schlimmer noch 
als offene Gewalt sei aber die heimliche Verübung des 
Unrechtes, denn sie treffe den Menschen nicht nur gegen 
seinen Willen, sondern auch ahnungslos. Wer sich 
nämlich bewusst sei, würdig der Erlangung von Ehren- 
stellen zu sein, suche sie durch Überredung zu erhalten, 
nicht aber durch Anwendung von Gewalt zu erzwingen. 
Wer aber auf geradem Wege nicht dazu kommen könne, 

13 * 




196 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


enthalte sich zwar, um den Schein des Guten zu wahren, 
der Gewalt, wende aber Hinterlist an, um zu seinem 
Zweck zu gelangen. Im Interesse des Volkes liege es, 
solche Menschen zur Verantwortung zu ziehen, weil sie 
im Verborgenen ihr Unwesen trieben, und nicht zuzu- 
lassen, dass ihre Macht sich mehre, da sie dann später 
als offene Feinde sich entpuppen würden. „Denn welchen 
Grund,“ fuhr er fort, „kann Moyses dafür beibringen, 
dass er dem Aaron und dessen Söhnen das Priestertum 
übertragen hat? Wenn Gott diese Ehre einem aus dem 
Stamme Levis zugedacht hat, so musste er mich von 
Hechts wegen vorziehen, da ich an Abkunft dem Moyses 
gleich, an Reichtum und Alter ihm dagegen überlegen 
bin. Wenn sie aber dem ältesten Stamme gebührt, so 
muss sie nach Recht und Gerechtigkeit dem Stamme 
Rubel zufallen und zwar dem Datham, Abiram und 
Phalaus. Denn diese sind aus dem Stamme die ältesten 
und die reichsten.“ 

3. Indem Kores so sprach, wollte er den Schein er- 
wecken, als habe er nur das allgemeine Wohl im Auge. 
In Wahrheit aber wollte er das Volk dahin bringen, 
ihm selbst die Ehrenstelle des Hohepriesters zu über- 
tragen. Seine boshafte, aber wohldurchdachte Rede hielt 
er zunächst an seine Stammesgenossen. Allmählich aber 
verbreitete sich das Gesagte weiter, und da jeder, der es 
vernahm, irgend eine Schmähung gegen Aaron hinzu- 
fügte, so waren die Beschuldigungen bald dem ganzen Heere 
bekannt. Der Mitverschworenen des Kores aber waren zwei- 
hundertfünfzig, alles vornehme Männer, die dahin arbeite- 
ten, den Aaron aus derPriesterwürde zu verdrängen und den 
Moyses mit Schande zu bedecken. Die Empörung er- 
griff nun das ganze Volk. Man wollte den Moyses 
steinigen und rottete sich mit grossem Aufruhr und Lärm 
zusammen. Und vor der Hütte Gottes schrien sie ins- 
gesamt, man müsse den Tyrannen, der unter dem Vor- 
wände göttlichen Auftrages einen so grausamen Druck 
ausübe, umbringen und das Volk von seinem Joche be- 
freien. Wenn Gott sich einen Priester hätte erwählen 



Viertes Buch, 2. Kapitel. 


197 


wollen, hätte er einem würdigen Manne diese Ehren- 
stelle übertragen, und nicht einem, der von vielen über- 
troffen würde. Und wenn er sie dem Aaron hätte ver- 
leihen wollen, würde er dies durch Volksbeschluss ge- 
than und nicht seinem Bruder allein die Entscheidung 
überlassen haben. 

4. Obwohl nun Moyses die Schmähungen des Kores 
schon lange gemerkt und die Erregung des Volkes w r ahr- 
genommen hatte, fürchtete er sich nicht, sondern begab 
sich im Vertrauen auf seine bisherige gute Verwaltung 
und im Bewusstsein, dass sein Bruder durch Gottes Rat- 
schluss und nicht durch Gunst zur Priesterwürde gelangt 
sei, mitten unter die Menge. Doch redete er nicht zum 
Volke, obwohl er in hohem Masse die natürliche Gabe 
besass, auf dasselbe einzuwirken, sondern er wandte sich 
nur an Kores, erhob seine Stimme, so laut "er konnte, 
und sprach: „Kores, sowohl du als auch jeder von diesen 
hier (dabei zeigte er auf die zweihundertfünfzig) scheint 
mir der Ehre des Priestertums würdig zu sein, und ich 
möchte auch niemand aus dem Volke von dieser Würde 
fernhalten, wenn er euch auch an Reichtum und anderen 
Vorzügen nachstände. Dem Aaron aber habe ich die 
Priesterwürde nicht wegen seines Reichtums übertragen, 
denn du besitzest grösseren Reichtum als wir beide; auch 
nicht wegen seiner vornehmen Abkunft, denn hierin hat 
Gott uns gleichgestellt, da wir denselben Stammvater 
haben. Auch hat mich nicht brüderliche Liebe dazu 
verleitet, dem Aaron das zu geben, was auch ein anderer 
für sich beanspruchen könnte. Denn hätte ich die Ehren- 
stelle vergeben, ohne auf Gott und das Gesetz Rücksicht 
zu nehmen, so hätte ich mich selbst doch nicht über- 
gangen und einem anderen die Gunst erwiesen, da ich 
mir selbst näher stehe als meinem Bruder. Zudem wäre 
es nicht schlau von mir gewesen, mich durch eine un- 
gerechte Handlungsweise in Gefahr zu stürzen, um einem 
anderen dadurch Glück zu verschaffen. Aber ich bin 
nicht der, der euch unrecht thun könnte, und Gott 
würde es auch nicht zugelassen haben, dass ich ihn so 




198 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


verachtet hätte, und dass ihr über seinen Willen im un- 
klaren geblieben wäret. Er hat sich vielmehr seinen 
Priester selbst auserwählt und dadurch jeder Verant- 
wortung in der Sache mich entbunden. Obgleich nun 
Aaron nicht durch meine Gunst, sondern nach Gottes 
Ratschluss die Prresterwürde erhalten hat, so will er der- 
selben doch entsagen, um sie denen zu überlassen, die 
darüber zu entscheiden haben, und er will sie nur dann 
weiter behalten, wenn die Schiedsrichter sich für ihn er- 
klären. Übrigens behält er sich aber sein gutes Recht 
vor, dass er ebenso gut wie andere sich darum bewerben 
darf. Denn es ist ihm weit lieber, euch nicht in diesem 
Aufruhr zu sehen, als jene Würde zu besitzen, obwohl 
er mit eurer Zustimmung zu dem Amte gelangt ist. Es 
ist ja billig von uns, anzuerkennen, dass wir das, was 
Gott uns verliehen, auch eurer Zustimmung zu verdanken 
haben. Auch wäre es ein Zeichen von Gottlosigkeit, eine 
Ehrenstelle zurückzuweisen, die Gott selbst uns über- 
tragen will; ja, .es wäre unvernünftig, sie nicht anzu- 
nehmen, wenn Gott sie uns für alle Zeiten verleihen und 
uns in ihrem Besitz sicherstellen will. Darum mag er 
jetzt von neuem darüber entscheiden, wer für euch ihm 
Opfer darbringen und den Gottesdienst versehen soll. 
Denn es wäre doch unbegreiflich, wenn Kores in seinem 
ehrgeizigen Streben nach dieser Würde Gott das Recht 
absprechen wollte, zu dem Amte zu berufen, wen er will. 
Darum lasset jetzt davon ab, wegen dieser Sache Em- 
pörung und Unruhe zu erregen. Morgen aber seid ihr 
alle, die ihr euch um die Priesterwürde bewerben wollt, 
zur Stelle, und jeder bringe von Hause eine Rauchpfanne, 
Räucherwerk und Feuer mit. Und auch du, Kores, über- 
lasse die Entscheidung Gott allein und warte sein Ur- 
teil in dieser Sache ab; halte dich nicht für mächtiger 
als Gott, tritt vielmehr demütig heran, damit es sich 
ausweise, ob dir die Ehren stelle zuzuerkennen sei. Doch 
auch Aaron, so halte ich es für billig, muss zu dieser 
Wahl zugelassen werden, da er von derselben Herkunft 
ist, und man ihm aus seiner bisherigen Verwaltung der 




Viertes Buch, 8. Kapitel. 


199 


Hohepriesterstelle nicht den mindesten Vorwurf machen 
kann. Wenn ihr euch dann versammelt habt, so bringet 
ein Rauchopfer dar, indem ihr Weihrauch verbrennt, 
und zwar im Angesichte des Volkes. Wessen Opfer als- 
dann Gott am meisten gefällt, der soll von euch zum 
Priesteramte bestimmt werden. Man kann ihm so wenig- 
stens nicht mehr vorwerfen, er habe von seinem Bruder 
aus Gunst die Würde erhalten.“ 


Drittes Kapitel. 

Wie die Anstifter der Empörung nach dem Willen 

Gottes vertilgt werden , und wie Aaron und seine 
Söhne die Priesterwürde behalten. 

1. Als Moyses so geredet hatte, hörte die Menge auf 
zu lärmen und den Moyses zu verdächtigen. Ja, sie 
lobten sogar seine Worte und pflichteten ihnen bei, 
denn sie schienen das Beste des Volkes zu wollen. Dar- 
auf ging die Versammlung auseinander. Sobald aber 
der nächste Tag graute, kam man in grosser Anzahl zu- 
sammen , um dem Opfer beizuwohnen und die Ent- 
scheidung in betreff der Priesterwürde zu erwarten. Die 
Versammlung war sehr unruhig, denn das Volk war auf 
den Ausgang gespannt. Einige hätten ihr Vergnügen 
daran gehabt, wenn Moyses auf schlechten Handlungen 
ertappt worden wäre; die Vernünftigeren jedoch wünschten 
endlich von der Unruhe und dem Verdruss befreit zu 
werden. Denn sie fürchteten, dass bei ständigem Zu- 
nehmen des Aufruhrs schliesslich alle Bande der Ord- 
nung gelöst werden könnten. Das gemeine Volk ist ja von 
Natur aus dazu geneigt, der Obrigkeit zu widersprechen, 
sich von jedem unbedeutenden Redner umstimmen zu 
lassen und dann Unruhe nnd Lärm anzustiften. Moyses 
schickte nun Boten zu Abiram und Datham mit dem 
Befehl, sie sollten der Verabredung gemäss kommen und 
den Ausgang der Entscheidung durch das Opfer ab warten. 
Diese aber antworteten, sie würden nicht erscheinen und 


Go gle 



200 


Joseph ns’ Jüdische Altertümer. 


es auch nicht länger dulden, dass Moyses’ Einfluss, den 
er doch nur durch Hinterlist erlangt habe, noch mehr 
zunehme. Als Moyses diese Antwort vernommen, hiess 
er die Vertreter des Volkes ihm folgen und begab sich 
zu Datham und seinem Anhang, ohne die geringste 
Furcht vor den übermütigen und halsstarrigen Menschen 
zu haben. Diese folgten ihm auch sogleich nach. Als 
nun Datham und sein Anhang hörten, Moyses komme 
mit den Vornehmsten des Volkes zu ihnen, gingen sie 
samt Weibern und Kindern aus ihren Wohnungen und 
stellten sich bei der Hütte auf, gespannt darauf, was 
Moyses beginnen würde. Dicht umgeben waren sie von 
ihren Knechten, die ihnen Hilfe leisten sollten, falls 
Moyses Gewalttaten beabsichtige. 

2. Als Moyses nun in ihre Nähe gelangt war, erhob 
er seine Hände gen Himmel und rief mit lauter Stimme, 
sodass alle ihn hören konnten: „Herr des Himmels und 
der Erde und des Meeres, du bist der glaubwürdigste 
Zeuge meiner Thaten , und dass ich nichts ohne deinen 
Willen vollbracht habe. Du, der du mir in allen meinen 
Unternehmungen beigestanden und dich der Hebräer in 
ihren Nöten immer erbarmt hast, hilf mir auch jetzt und 
erhöre mein Gebet. Vor dir sind weder unsere Werke 
noch unsere Gedanken verborgen. Würdige dich also, 
die Wahrheit zu offenbaren und die Undankbarkeit 
dieser Menschen gegen mich zu erweisen. Alles, was 
sich vor meiner Geburt ereignet hat, weisst du am besten, 
nicht vom Hörensagen, sondern weil du allgegenwärtig 
bist, und nichts vor deinem Auge verborgen bleibt. Sei 
auch mein Zeuge in der jetzigen Angelegenheit, deren 
wahren Sachverhalt jene Menschen wohl kennen, den 
sie aber trotzdem zu verdächtigen suchen. Ich führte 
ein ruhiges Leben, das ich deinem Willen, meiner eigenen 
Tugend und dem Wohlwollen meines Schwiegervaters 
Raguel verdankte; aber ich entsagte diesem Glück und 
unterzog mich für das Volk allen Mühseligkeiten. Und 
wie früher für ihre Befreiung, so habe ich jetzt für ihr 
Wohlergehen die grössten Plackereien ertragen und jeder 



Viertes Buch, 3. Kapitel. 


201 


Gefahr mich gern ausgesetzt. Weil ich nun jetzt in 
den Verdacht der Bösartigkeit gekommen bin gerade bei 
den Menschen-, die meiner Mühe und Sorge ihr Leben 
und ihre Sicherheit verdanken, so hilf du mir, der du 
dich mir im Feuer auf dem Berge Sinai gezeigt und 
mich gewürdigt hast, dort deine Stimme zu vernehmen 
und deine Wunderzeichen zu schauen. Der du mich 
nach Aegypten gesandt hast, um dem Volke deinen Rat- 
schluss zu verkündigen; der du der Aegyptier Glück ge- 
beugt, uns aus ihrer harten Knechtschaft befreit und des 
Pharao Macht mir unterworfen hast ; der du uns, da wir 
unkundig des Weges waren, das Meer in Land ver- 
wandeltest und das zurückgedrängte Meer zum Verderben 
der Aegyptier wieder anschwellen liessest; der du den 
Wehrlosen Waffen verschafftest, schlechtes Wasser in 
trinkbares verwandeltest und in unserer äussersten Not 
uns Quellen aus dem Felsen sprudeln liessest; der du 
uns Nahrung übers Meer zuführtest, da wir auf dem 
Lande der Speise entbehrten ; der du uns eine Speise 
vom Himmel sandtest, von der man bis dahin nichts ge- 
sehen noch gehört ; der du uns den Gedanken an Gesetz- 
gebung einflösstest und uns den Weg zur richtigen Ver- 
waltung des Gemeinwesens zeigtest: komm, o Herr aller 
Dinge, und sei mein Richter und unparteiischer Zeuge, 
dass ich von keinem der Hebräer Geschenke angenommen, 
um Recht und Gerechtigkeit zu verdrehen, und dass ich 
nie den Armen, wenn er im Rechte war, dem reichen 
Gegner habe unterliegen lassen, noch meine Macht zum 
Schaden des Gemeinwesens missbraucht habe. Und doch 
hat man mich jetzt verdächtigt, ohne dass ich mir der 
geringsten Schuld bewusst wäre, ich hätte nicht auf deinen 
Befehl, sondern nach meiner Gunst dem Aaron die 
Priesterwürde übertragen. Deshalb zeige jetzt, dass du 
alles durch deine Vorsehung lenkst und regierst, und 
dass nichts grundlos und von selbst, sondern nach deinem 
Willen zu seinem Endzweck gelangt. Beweise, dass du 
für diejenigen sorgst, die den Hebräern beistehen, und 
strafe den Abiram und Datham, die dir Sinnlosigkeit 




202 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


vorwerfen, als willfahrtest du meinen Bänken. Mache 
an ihnen kund dein Strafgericht, die in ihrem Unver- 
stand deinen Ruhm beeinträchtigen, und lasse sie auf 
ungewöhnliche Weise untergeben, damit sie Schrecklicheres 
erfahren, als gemeinhin den Menschen bei ihrem Tode 
zuzustossen pflegt Darum lass die Erde sich öffnen, 
auf der sie stehen, und sie mit ihren Angehörigen und 
ihrem Besitztum verschlingen. Denn das wird allen ein 
Beweis deiner Macht, denen aber, die übel von dir 
denken, ein warnendes Beispiel sein; ich dagegen werde 
als treuer Diener und Vollzieher deiner Befehle erwiesen 
werden. Habe ich aber wirklich die Schandthat voll- 
bracht, deren jene mich zeihen, so bewahre sie ungestraft 
vor allem Übel und lass das Verderben, das ich ihnen 
gönne, auf mich zurückfallen. Und hast du den be- 
straft, der an deinem Volke unrecht thun wollte, so 
festige Frieden und Eintracht unter ihnen für alle Zeit, 
erhalte das Volk in der Befolgung deiner Gebote, ver- 
leihe ihm ein gesichertes Leben und lass es an der 
Strafe, die die Frevler trifft, nicht teil haben. Denn 
du weisst, dass es ungerecht wäre, wenn alle Israeliten 
die Strafe jener Nichts würdigen miterleiden müssten.“ 

3. Als Moyses dies unter Thränen gesprochen hatte, 
erbebte plötzlich die Erde, und es entstand ein Wogen 
wie das des Meeres, wenn seine Fluten von der Stürme 
Gewalt erregt werden, und alle entsetzten sich. Und 
unter gewaltigem Geräusch und Krachen senkte sich bei 
den Zelten der Aufrührer der Boden und verschlang sie 
samt allem, was ihnen teuer war. Ihre Vertilgung aber 
ging so schnell vor sich, dass niemand es wahrnehmen 
konnte, und da die Erde sich sogleich wieder schloss 
und ebnete, konnte man von dem, was sich zugetragen, 
auch nicht die leiseste Spur mehr bemerken. So wurden 
die Empörer dahingerafft, ein warnendes Beispiel der 
Allmacht Gottes. Doch möchte man sie nicht allein 
wegen des Unglückes beklagen, das sie traf und das 
gewiss an sich schon Mitleid verdient, sondern auch des- 
halb, weil ihre Verwandten sich noch über ihr Schick- 




Viertes Buch, 8. Kapitel. 208 

sal freuten. Sie vergassen gleichsam, dass Bande der 
Verwandtschaft sie mit den Empörern vereinigt hatten, 
und billigten erfreut das Strafgericht Gottes ; und in dem 
Glauben, mit Datham und seinem Anhänge sei eine Pest- 
beule des Gemeinwesens zu Grunde gegangen, empfanden 
sie über deren Tod keinen Schmerz. 

4. Moyses rief alsdann diejenigen zusammen, die sich 
um die Priesterwürde bewarben, damit festgestellt werde, 
wer, nachdem sein Opfer Gott am meisten wohlgefällig 
gewesen sei, zum Priestertum berufen würde. Und als 
nun 250 Männer hervortraten, die sowohl wegen dör 
Tugenden ihrer Väter als auch wegen ihrer eigenen 
beim Volke in hohen Ehren standen, erschienen auch 
Aaron und Kores, und alle verbrannten vor der Hütte 
das Räucherwerk, das sie mitgebracht hatten. Da ent- 
stand plötzlich ein mächtiges Feuer, wie es von Menschen- 
händen entzündet noch niemand gesehen hatte, und wie 
es weder aus unterirdischen Gluten hervorbricht noch 
von selbst in Wäldern entsteht, die von der Stürme Ge- 
walt ergriffen werden, sondern wie es nur Gottes Geheiss 
entzünden kann , gewaltig und hellleuchtend. Davon 
wurden alle zweihundertfünfzig Männer samt dem Kores 
dahingerafft, sodass nicht die Spur von ihren Leibern 
übrig blieb. Aaron allein blieb vom Feuer verschont, 
weil Gott dasselbe erzeugt hatte, um die zu vertilgen, 
die es verdient hatten. Nachdem sie so zu Grunde ge- 
gangen, wollte Moyses dieses Strafgericht ewigem An- 
denken überliefern und späteren Nachkommen ein Zeichen 
davon hinterlassen. Er befahl daher dem Eleazar, dem 
Sohne Aarons, die Rauchpfannen der Gerichteten am 
ehernen Altäre niederzulegen , damit kommende Ge- 
schlechter erkennen möchten, was mit denen geschehen sei, 
die Gottes Allmacht hintergehen zu können gewähnt 
hatten. Aaron aber verwaltete das Ehrenamt mit seinen 
Söhnen weiter, nachdem es allen kund geworden, dass er 
nicht durch die Gunst des Moyses, sondern nach dem 
Urteil Gottes dasselbe zu Recht besitze. 



204 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


Viertes Kapitel. 

Schicksale der Hebräer in der Wüste während 38 Jahren. 

1. Dennoch legte sich die Empörung nicht völlig, 
wuchs vielmehr bald wieder und ward heftiger als zu- 
vor. Und die Ursache, die. das Übel von Tag zu Tag 
verschlimmerte, machte es wahrscheinlich, dass es so bald 
nicht aufhören, sondern noch lange Zeit andauern werde. 
Obgleich man sich nämlich überzeugt haben musste, dass 
nichts ohne den Willen Gottes geschehe, glaubte man 
doch, Gott thue das alles nur dem Moyses zu Gefallen. 
Ihm allein legten sie die Schuld dafür bei, dass Gottes 
Zorn an jenen so schrecklich gewaltet habe. Gott sei 
auch nicht so sehr durch ihre Vergehen beleidigt, als 
vielmehr von Moyses aufgereizt worden. Und jene seien 
wegen keiner anderen Sünde vertilgt worden, als weil 
sie Gottes Verehrung und Dienst sich eifrig hätten an- 
gelegen sein lassen. Moyses habe durch den Tod so 
vieler vornehmen Männer das Volk strafen wollen, da- 
mit er niemals mehr zur Verantwortung gezogen werden 
könne, und damit sein Bruder im Besitze der Priester- 
würde gesichert sei. Denn von jetzt ab werde niemand 
mehr so grosses Verlangen danach tragen, da andere 
dadurch in ihr Verderben gestürzt seien. Obendrein 
wühlten auch die Verwandten der Gerichteten eifrig im 
Volke, um die Anmassung des Moyses in die gebührenden 
Grenzen zurück zu weisen; denn das schien ihre eigene 
Wohlfahrt und Sicherheit zu fordern. 

2. Moyses aber, der schon lange die steigende Er- 
regung des Volkes bemerkt hatte, befürchtete, es möchte 
von neuem ein Aufruhr ausbrechen, und grosses Unheil 
entstehen. Daher berief er das Volk zur Versammlung 
und hörte ihre Vorwürfe ruhig an, ohne etwas zu seiner 
Entschuldigung vorzubringen, um sie nicht noch mehr 
zu reizen. Alsdann befahl er den Stammesoberhäuptern, 
Stäbe herbeizubringen, auf denen die Namen der ein- 
zelnen Stämme verzeichnet seien. Denn der solle die 
Priesterwürde erhalten, auf dessen Stab Gott ein Zeichen 




Viertes Buch, 4. Kapitel. 


205 


erscheinen lassen würde. Dieser Vorschlag fand Zu- 
stimmung, und man brachte die Stäbe herbei; Aaron 
aber hatte auf seinem Stabe den Stamm Levis ver- 
zeichnet. Moyses nahm nun die Stabe und legte sie in 
der Hütte Gottes nieder. Am folgenden Tage aber holte 
er sie wieder hervor, und sie konnten leicht wieder- 
erkannt werden, da sie sowohl von den Oberhäuptern 
als auch vom Volke gekennzeichnet worden waren. Die 
anderen Stäbe hatten nun genau das Aussehen bei- 
behalten, welches sie gehabt, als Moyses sie empfing; an 
Aarons Stab hingegen sah man Zweige, Sprossen und 
reife Früchte, nämlich Mandeln, denn aus diesem Holze 
war der Stab verfertigt. Erstaunt ob der Neuheit 
der Erscheinung, Hessen sie nun von dem Hasse ab, den 
sie vielleicht ebensosehr gegen Aaron als gegen Moyses 
gehegt hatten, bewunderten Gottes Urteil und stimmten 
seinem Beschlüsse bei. Und so erkannte man gern an, 
dass Aaron mit Recht die Priester würde zustehe. Aaron 
wurde nun, nachdem Gott ihn dreimal erwählt und 
durch Zeichen beglaubigt hatte, dauernd in seine Würde 
eingesetzt, und der Aufruhr auf diese Weise beendigt, 
nachdem er lange gewährt hatte. 

3. Da der Stamm Levis, weil er zum Dienste Gottes 
bestimmt war, vom Kriegsdienste befreit war, so befahl 
Moyses, damit derselbe nicht aus Not oder wegen der 
Sorge für den Lebensunterhalt den heiligen Dienst ver- 
nachlässige, die Hebräer sollten, sobald sie nach Gottes 
Willen das Land Chananaea in Besitz genommen, den 
Leviten achtundvierzig schöne und grosse Städte nebst 
dem Ackerlande bis zweitausend Ellen von der Stadt- 
mauer im Umkreise zuteilen. Ausserdem schrieb er dem 
Volke vor, den Leviten und Priestern den Zehnten des 
jährlichen Ernteertrages zu entrichten. Dies war das 
Einkommen, welches dieser Stamm vom Volke erhielt. Was 
davon den Priestern allein zukam, glaube ich besonders 
aufführen zu müssen. 

4. Von den achtund vierzig Städten mussten ihnen 
die Leviten dreizehn einräumen , und ausserdem von 



206 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


dem Zehnten, den sie jährlich vom Volke erhielten, 
wieder den Zehnten an sie abtreten. Weiterhin be- 
stimmte Moyses, das Volk solle die Erstlinge aller 
Früchte, die die Erde hervorbringt, Gott darbringen; 
und von den vierfüssigen Tieren, die zum Opfer be- 
stimmt waren, sollten sie die männliche Erstgeburt den 
Priestern zum Opfer bringen, damit sie dieselbe mit 
ihren Familien in der heiligen Stadt verzehrten. Für 
die Tiere aber, deren Verspeisung das Gesetz verbot* 
mussten deren Besitzer einen und einen halben Sekel 
entrichten. Für die menschlichen Erstlinge waren fünf 
Sekel zu zahlen. Auch gebührten den Priestern die 
Erstlinge der Schafschur, und wenn Weizen gemahlen 
oder Brot gebacken wurde, so erhielten sie davon einen 
Kuchen. Diejenigen, welche sich einem Gelöbnis gemäss 
Gott weihen (die Naziräer, welche ihr Haar wachsen 
lassen und sich des Weingenusses enthalten), geben, 
wenn sie ihr Haar scheren, dieses den Priestern zum 
Opfer. Ferner müssen diejenigen, die sich Korban 
nennen (das heisst im Hebraeischen „Geschenk an 
Gott“), wenn sie von dem Dienst, zu dem sie sich ver- 
pflichtet haben, entbunden sein wollen, den Priestern 
Geld geben, und zwar ein Weib dreissig und ein Mann 
fünfzig Sekel. Wer aber dazu zu arm ist, dem können 
die Priester nach Gutdünken die Abgabe erlassen. Wenn 
jemand zu Hause zu einem Gastmahl, nicht zum Gottes- 
dienste, einen Ochsen oder ein Schaf schlachtet, muss 
er den Priestern die Kaldaunen, ein Stück von der 
Brust und die rechte Schulter 'darbringen. So verschaffte 
Moyses den Priestern ein reichliches Einkommen, wozu 
noch das hinzukam, was ihnen von den für das Volk 
dargebrachten Sühnopfern gebührte, wie ich es im 
vorigen Buche beschrieben habe. Von allen diesen Ab- 
gaben mussten die Priester aber auch ihren Hausgenossen, 
Töchtern und Weibern etwas zuteilen mit Ausnahme 
der Opfertiere von den Sühnopfern, die nur die männ- 
lichen Mitglieder der Priesterfamilie an demselben Tage 
im Tempel verzehren durften. 



Viertes Buch, 4. Kapitel. 


207 


5. Als Moyses nach der Unterdrückung des Aufruhrs 
diese Vorschriften gegeben hatte, brach er mit dem 
ganzen Heere auf und kam an die Grenze von Idumaea. 
Er schickte darauf Gesandte zum König der Idumäer 
und liess um freien Durchzug durch sein Land bitten, 
indem er jede Verantwortung dafür übernahm, dass ihm 
kein Unrecht noch Schaden zugefügt werden würde. 
Auch liess er um die Erlaubnis zum Einkauf von 
Lebensmitteln ersuchen; er wolle sogar das Wasser be- 
zahlen, wenn der König es verlange. Dieser aber schlug 
das Ersuchen der Gesandten rundweg ab und verweigerte 
ihnen nicht nur den Durchmarsch, sondern zog sogar 
mit einem Heere dem Moyses entgegen t um ihn, wenn 
er den Einmarsch mit Gewalt erzwingen wollte, daran 
zu hindern. Deshalb führte Moyses, dem auf seine An- 
frage Gott den Rat gegeben hatte, sich nicht auf einen 
Kampf einzulassen, das Heer zurück und nahm auf 
Umwegen den Marsch durch die Wüste. 

6. Um diese Zeit starb auch Mariamme, die Schwester 
des Moyses, im vierzigsten Jahre nach dem Auszug aus 
Aegypten, im Neumond des Monats Xanthikos. Sie 
wurde mit grosser Pracht auf öffentliche Kosten auf 
einem Berge, der Sin genannt wird, begraben, und als 
das Volk dreissig Tage um sie getrauert hatte, reinigte 
Moyses es auf folgende Weise. Der Hohepriester führte 
ein tadelloses rotes Rind, das noch nicht zum Pflügen 
und Ackerbau ins Joch gespannt worden war, etwas 
vom Lager entfernt an einen ganz reinen Ort, schlachtete 
es und besprengte mit seinem Blute siebenmal die Hütte 
Gottes. Dann verbrannte er das ganze Rind, wie es 
dalag, mit Haut und Eingeweiden, und warf CedernhSlz 
sowie Hyssop und scharlachrote Wolle ins Feuer. Die 
ganze Asche sammelte ein reiner Mann und legte sie an 
einen ganz reinen Ort. Diejenigen, welche durch einen 
Toten verunreinigt waren , streuten etwas von dieser 
Asche mittels eines Hyssopzweiges in eine Quelle, gaben 
dann eine Kleinigkeit von derselben Asche in Wasser 
und besprengten sich damit am dritten und am 



208 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


siebenten Tage, worauf sie für rein galten. Diesen. Ge- 
brauch schrieb Moyses ihnen auch für die Zukunft vor, 
wenn sie in das verheissene Land gelangt seien. 

7. Nachdem das Heer so von der Leichentrauer um 
seine Schwester gereinigt war, führte Moyses es nebst 
dem ganzen Tross durch die Wüste und Arabien weiter. 
Als man nun zu einem Orte gelangt war, den die 
Araber für ihre Hauptstadt ansehen, einstmals Arke, 
jetzt aber Petra genannt, bestieg Aaron einen 
Höhenzug, der die Stadt umgab, da Moyses ihm 
verkündet hatte, dass er bald sterben werde. Und 
im Angesichte des ganzen Heeres (denn der Berg war 
abschüssig) zog . er sein hohepriesterliches Gewand aus 
und übergab es seinem Sohne Eleazar, dem wegen 
seines Alters zunächst die Priesterwürde zukam. Als- 
dann verschied er im Angesichte des Volkes, in dem- 
selben Jahre, da auch seine Schwester gestorben war, und 
im Alter von hundertdreiundzwanzig Jahren. Sein 
Todestag fiel auf den Anfang des Monats in den Neu- 
mond; der Monat aber heisst bei den Athenern Heka- 
tombaion, bei den Macedoniern Loos und bei den 
Hebräern Abba. 


Fünftes Kapitel. 

Wie Moyses die Könige der Amorrhäer Sichon und Og 
besiegte, ihr Heer vernichtete und ihr Land unter zwei und 
einen halben Stamm der Hebräer verteilte. 

1. Als die Trauerzeit von dreissig Tagen verstrichen 
war, zog Moyses mit dem Heere weiter und schlug das 
Läger am Flusse Arnon auf, welcher von den Bergen 
Arabiens entspringt, die ganze Wüste durchströmt und 
in den See Asphaltis 1 mündet. Er trennt das Land 
Moabitis vom Lande Amoritis. Die Gegend dort war 
sehr fruchtbar und konnte eine grosse Menge Menschen 
ernähren. Von hier schickte Moyses Gesandte an 


1 Das tote Meer. 




Viertes Bach, 5. Kapitel. 


209 


Sichon, den Beherrscher dieses Landes, und liess um 
freien Durchzug durch das Land bitten unter der Ver- 
sicherung, dass weder ihm, noch dem Ackerlande, noch 
seinen Unterthanen ein Schaden entstehen solle. Auch 
beabsichtigten sie Lebensmittel zu kaufen, sodass sie 
noch Vorteil von ihnen haben würden, zumal sie sogar 
■das Wasser bezahlen wollten. Sichon aber verweigerte 
den Durchzug, bewaffnete in Eile alle seine Truppen 
und rüstete sich, die Hebräer am Übergang über den 
Arnon zu hindern. 

2. Als Moyses die feindliche Gesinnung des Amor- 
rhäers merkte, glaubte er diese verächtliche Behandlung 
nicht leiden zu dürfen, und um die Hebräer aus ihrer 
Unthätigkeit aufzurütteln und sie vor dem Mangel zu 
bewahren, der sie früher zu dem Aufruhr verleitet hatte, 
fragte er Gott um Rat, ob er ihn angreifen dürfe. Und 
da Gott nicht nur den Krieg gestattete, sondern auch 
einen siegreichen Ausgang versprach , so rüstete er sich 
vertrauensvoll zum Kampfe und feuerte die Streiter an, 
indem er sie beschwor, jetzt ihre Kampfbegier zu stillen, 
da Gott ihnen die Erlaubnis dazu erteilt habe. ;j Diese 
■ergriffen auch sogleich die Waffen und eilten zum 
Kampf. Als sie nun heftig einherstürmten, war der 
Amorrhäer seiner selbst nicht mehr mächtig, sondern 
orschrak beim Anblick der Hebräer, und auch sein Heer, 
welches vorher Tapferkeit zur Schau getragen, ergriff 
mächtige Furcht. Daher hielten sie dem ersten Ansturm 
nicht stand, sondern wandten sich zur Flucht, wodurch 
sie sich eher als durch Kampf retten zu können 
glaubten. Sie vertrauten nämlich ihren festen Städten, 
die ihnen indes nichts nutzten. Denn als die Hebräer ' 
sie weichen sahen, drängten sie un verweilt nach, ver- 
wirrten ihre Reihen und verbreiteten Schrecken unter 
ihnen. Jene zogen sich darauf in die Städte zurück. 
Die Hebräer aber Hessen in der Verfolgung nicht nach 
und legten statt der früheren Schwäche eine bedeutende 
Ausdauer an den Tag. Und da sie vortreffliche 
Schleuderer und im Kampfe mit Wurfgeschossen sehr 

JoM-phu* 1 J üdisehe Altertümer. 1 4 



210 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


erfahren waren, auch wegen ihrer leichten Rüstung eine 
besondere Beweglichkeit besasseif, so holten sie die 
Feinde bald ein und töteten die, welche sie wegen Veiterer 
Entfernung nicht gefangen nehmen konnten , mit 
Schleudern und Wurfspeeren. So richteten sie ein 
grosses Blutbad an. Die Fliehenden aber litten sehr an 
ihren Wunden, und es peinigte sie der Durst noch mehr 
als der Feind, da es gerade im Sommer war. Und als 
sie nun nach einem Trunk lechzend dem Flusse zueilten,, 
wurden sie haufenweise von den Hebräern umzingelt 
und mit Wurfspeeren und Pfeilen sämtlich nieder- 
gemacht. Der König Sichon fiel ebenfalls. Die 
Hebräer plünderten die Gefallenen und machten reiche 
Beute; dazu gewährte ihnen auch das Land Überfluss 
an Lebensmitteln, weil noch eine Menge Getreide auf 
den Äckern stand. Die Soldaten streiften ohne alle 
Furcht umher, nahmen die, welche sich feindlich verhielten, 
gefangen, und sammelten Lebensmittel ein. Niemand 
trat ihnen dabei in den Weg, zumal da alle Tapferen 
gefallen waren. Diese Niederlage erlitten die Amorrhäer, 
weil sie weder klug überlegten noch tapfer kämpften. 
Die Hebräer aber nahmen ihr Land in Besitz. Dieses 
liegt zwischen drei Flüssen und gleicht einer Insel: 
denn der Amon begrenzt es g6gen Süden, und gegen 
Norden der Jabach, der sich in den Jordan ergiesst und 
damit seinen Namen verliert. Die dritte Seite des 
Landes, gegen Westen, grenzt an den Jordan. 

3. Während sich dies ereignete, rüstete Og, der König 
von Galad und Gaulanitis, sich zum Kriege gegen die 
Israeliten und rückte in Eile an der Spitze eines Heeres 
heran, um seinem Freunde und Verbündeten Sichon zu 
Hilfe zu kommen. Und obgleich er erfuhr, dass dieser 
schon gefallen sei, beschloss er nichtsdestoweniger mit 
den Hebräern zu kämpfen; denn er zweifelte nicht an 
seinem Siege und wollte auch ihre Tapferkeit erproben. 
In dieser Erwartung ward er jedoch sehr getäuscht: er 
selbst fiel, und sein ganzes Heer wurde aufgerieben. 
Moyses überschritt darauf den Jabach, durchzog das 




Viertes Buch, 6. Kapitel. 


211 


Königreich des Og, zerstörte die Städte und tötete die 
Einwohner, welche alle übrigen Völker jener Gegend 
wegen der Fruchtbarkeit ihres Bodens und ihrer grossen 
Besitzungen an Reichtum übertrafen. Der König Og 
war ein grosser und schöner Mann, wie es wenige giebt ; 
auch war er so tapfer, dass seine herrlichen Thaten dem 
hohen Wüchse seiner Gestalt und seinem schönen 
Äusseren entsprachen. Von seiner Kraft und Grösse 
konnte man sich eine Vorstellung machen nach dem 
Bette, welches in der ammanitischen Königsstadt Rabath 
erbeutet wurde. Dasselbe war von Eisen und mass in 
der Breite vier und in der Lange ^neun Ellen. Durch 
seinen Fall standen die Sachen für die Hebräer nicht 
nur augenblicklich günstig, sondern sein Tod gab auch 
die besten Hoffnungen für die Zukunft. Denn sie 
nahmen sechzig vortrefflich befestigte Städte, welche 
unter seiner Herrschaft gestanden hatten, ein und 
machten sowohl im allgemeinen als auch jeder einzelne 
für sich grosse Beute. 


Sechstes Kapitel. 

Von dem Seher Balam. 

1. Moyses führte nun das Heer nach dem Jordan zu 
und schlug das Lager in der grossen Ebene bei 
Jericho auf. Diese Stadt ist sehr reich, und es wachsen 
dort besonders viele Palmen und Balsamstauden. Die 
Israeliten aber waren so übermütig geworden, dass sie 
vor Kampfbegier brannten. Daher schickte Moyses, 
nachdem er einige Tage lang Gott Dankopfer dar- 
gebracht und das Volk mit Gastmahlen bewirtet hatte, 
einen Teil seiner Truppen, um c^s Land der Madianiter 
zu plündern und zu verwüsten und ihre Städte zu er- 
obern. Die Ursache dieses Krieges war folgende. 

2. Als Balak, der König der Moabiter, der zu den 
Madianitern in einem alten Freundschafts- und Bundes- 
genossenverhältnis stand, die Macht der Israeliten so 

14 * 



212 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sehr anwachsen sah, geriet er auch in Sorge um sein 
eigenes Königreich, da es ihm unbekannt war, dass die 
Israeliten einem Gebote Gottes zufolge verpflichtet waren, 
nach der Besitzergreifung Chananaeas kein anderes Land 
mehr zu erobern. Er beschloss also mit mehr Eile als 
Überlegung, sie mit List anzugreifen. Denn offen mit 
ihnen zu kämpfen, hielt er, da sie durch ihre Erfolge 
noch mehr als durch ihr Unglück gewitzigt waren, nicht 
für ratsam. Er wollte nur, so viel er dies vermochte, 
verhüten, dass sie noch mächtiger würden, und in 
dieser Absicht schickte er Gesandte an die Madianiter. 
Und da am Euphrat ein gewisser Balam lebte, der ein 
berühmter Seher war und mit ihnen in Freundschaft 
verkehrte, so sandten die Madianiter ausser den Boten 
Balaks auch einige ihrer angesehensten Männer zu dem 
Seher, um ihn zu ersuchen, er möge die Israeliten ver- 
fluchen. Dieser empfing die Gesandten sehr höflich, 
und nachdem er sie bewirtet hatte, fragte er Gott um 
Kat, ob er dem Verlangen der Madianiter nachgeben 
solle. Als aber Gott ihm davon abriet, begab er sich 
wieder zu den Gesandten und erklärte ihnen, er bedaure, 
ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können, denn Gott, 
dem er seine Berühmtheit im Wahrsagen und Prophe- 
zeien verdanke, gestatte dies nicht. Das Heer nämlich, 
das sie verflucht wissen wollten , sei Gott besonders 
teuer. Er riet ihnen daher, sie möchten sich zu den 
Israeliten begeben und von der Feindschaft gegen die- 
selben abstehen. Mit diesen Worten entliess er die Ge- 
sandten. 

3. Die Madianiter aber schickten bald, da Balak sie 
darum bestürmte und ihnen glänzende Versprechungen 
machte, aufs neue eine Gesandtschaft zu Balam, der, 
um ihrer Bitte willfahren zu können, Gott nochmals um 
Rat anging. Über diese abermalige Versuchung erzürnt, 
befahl Gott ihm, den Gesandten ihre Bitte nicht ab- 
zuschlagen. Und da er niöht ahnte, dass Gott ihm dies 
nicht im Ernste befohlen hatte, reiste er sogleich mit 
den Boten ab. Unterwegs aber begegnete ihm an einer 



Viertes Bach, 6. Kapitel. 


213 


engen, von beiden Seiten durch Einfriedigungen be- 
grenzten Stelle ein Engel Gottes, und die Eselin, auf 
welcher Balam ritt, wich, als ob sie den Geist Gottes 
gemerkt hätte, gegen die eine Einfriedigung aus, un- 
geachtet der Schläge, die ihr Balam versetzte, der sich 
an der Wand durch Anstossen den Fuss verletzt hatte. 
Als aber der Engel nicht wich, und Balam die Eselin 
wiederum heftig schlug, fiel diese zu Boden, fing auf 
Geheiss Gottes mit menschlicher Stimme an zu reden 
und schalt den Balam ob seiner Ungerechtigkeit: Ob- 
gleich er über ihre bisherigen Dienste sich doch nicht zu 
beklagen habe, misshandle er sie jetzt mit Schlägen und 
sehe nicht ein, dass Gott ihn daran hindern wolle, denen 
zu Willen zu sein, zu denen er sich begebe. Balam 
stand erstaunt und verwirrt da über die menschliche 
Stimme der Eselin ; noch mehr aber erschrak er, als er 
auf einmal den Engel erblickte, der auch seinerseits ihm 
Vorwürfe darüber machte, dass er die Eselin geschlagen 
habe. Denn das Tier trage keine Schuld, er selbst viel- 
mehr wolle ihn daran hindern, gegen den Willen Gottes 
diese Reise zu machen. Balam wollte nun umkehren; 
Gott aber hiess ihn seinen Weg fortsetzen, nur müsse er 
dem Balak das verkünden, was er (Gott) ihm eingeben 
werde. 

4. Nachdem Gott ihm dies befohlen, kam er zu 
Balak. Dieser empfing ihn ehrenvoll, und Balam ver- 
langte alsdann, auf einen Berg geführt zu werden, von 
wo er das Lager der Hebräer überschauen könne. Der 
König war sogleich dazu bereit und führte den Seher 
mit königlichem Geleit auf einen hochragenden Berg, 
der vom Lager der Hebräer sechzig Stadien 1 entfernt 
war. Als Balam dieses erblickt hatte, trug er dem 
König auf, sieben Altäre errichten und ebenso viele 
Stiere und Widder herbeibringen zu lassen. Der König 
that das sogleich, und nun brachte Balam ein Brandopfer 
dar, um zu erforschen, ob die Israeliten die Flucht er- 


1 1 Stadion — 185 Meter. 



214 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

1 

greifen würden. Darauf begann er* also zu sprechen : 
„O glückliches Volk, dem Gott unermesslichen Reichtum 
verliehen und dem er in allem seine Leitung und Hilfe 
versprochen hat! Sicher giebt es auf Erden kein Volk, 
das euch an Tugend und Eifer für alles Gute und Ehr- 
bare gleichsteht oder auch nur nahekommt, und alles 
das werdet ihr euren Kindern hinterlassen, die noch, 
glücklicher sein werden als ihre Väter. Denn Gott ist 
euch allein von allen Menschen gnädig und spendet 
euch mit vollen Händen; deshalb seid ihr die Glück- 
lichsten von allen, die die Sonne bescheint. Ihr werdet 
das Land besitzen, das er euch verheissen, es wird euren 
Nachkommen für alle Zeiten verbleiben, und ihr Name 
wird mit seinem Ruhm den Erdkreis und das Meer er- 
füllen; ja, jeder Teil der Erde wird euren Nachkommen 
zum Wohnsitz dienen. Wundere dich nicht hierüber, o 
glückliches Heer, da du von einem Stammvater ent- 
sprossen und zu einem so mächtigen Volke heran- 
gewachsen bist. Zwar ist eure Zahl jetzt noch nicht so 
gross, da das Land Chananaea euch aufnehmen wird ; 
doch wisset, dass in Zukunft der Erdkreis euch gerade 
genug sein wird, dass ihr zahlreicher sein werdet als die 
Sterne des Himmels, und dass Inseln wie Festland euch 
zu Wohnstätten dienen werden. Aber mögt ihr auch 
noch so zahlreich werden, Gott wird doch nicht auf- 
hören, euch im Frieden jeglichen Überfluss, im Kriege 
aber Sieg und Herrlichkeit zu verleihen. Die Feinde 
werden vor Verlangen brennen , mit euch zu kämpfen, 
und in ihrem Übermut euch zum Kriege reizen. Doch 
nicht mehr werden sie siegreich heimkehren, wie sie 
gewöhnt sind, noch Weib und Kinder damit erfreuen. 
Mit solcher Tapferkeit hat Gott euch beglückt, der die 
Hohen erniedrigt und die Armseligen erhöht.“ 

5. So prophezeite der Seher, sich selbst entrückt und 
erfüllt vom Geiste Gottes. Balak aber ärgerte sich und 
warf ihm vor, er verletze den Vertrag, da er doch so 
reiche Geschenke von den Verbündeten erhalten habe. 
Er sei gekommen, um die Feinde zu verfluchen, und 



Viertes Buch, 6. Kapitel. 


215 


jetzt lobe er sie sogar und preise sie als die Glück- 
lichsten der Sterblichen. Balam aber entgegnete: „O 
Balak, erwäge doch wohl, ob es bei uns steht, was wir 
sagen oder verschweigen wollen, wenn der Geist Gottes 
uns ergreift! Denn dann redet Er durch uns, was Er 
will, ohne dass wir etwas davon wissen. Ich weiss wohl 
sehr gut, um welcher Ursache willen ihr und die 
Madianiter mich habt rufen lassen, und ich hatte auch 
im Sinn, in allem deinem Wunsche zu entsprechen. Aber 
ich musste Gott mehr gehorchen als euch, denen ich 
«inen Gefallen erweisen wollte. Denn ohnmächtig sind 
«die, die etwa aus sich selbst den Menschen die Zukunft 
Vorhersagen wollen; sie verkünden nicht das, was Gott 
ihnen eingegeben, sondern widersetzen sich seinem Willen. 
Sobald aber unser Herz vom göttlichen Hauche bewert 
wird, verkünden wir nicht mehr unsere eigenen Ge- 
danken. Ich beabsichtigte nicht, dieses Heer zu loben 
«der das Gute aufzuzählen, das Gott ihren Nachkommen 
zugedacht hat; Gott selbst indes, der ihnen gnädig ist, 
ihr Leben beglückt und ihren Kuhm unsterblich macht, 
hat mir diese Worte eingegeben, die ich nach seinem 
Willen verkündete. Da es mir aber sehr am Herzen 
liegt, dir und den Madianitern mich gefällig erzeigen zu 
können und euer Begehren nicht abzuschlagen, so lass 
andere Altäre errichten, und dann wollen wir wieder 
«pfern und versuchen, ob wir Gott dazu bewegen 
können, dass er mir erlaubt» dieses Volk zu verfluchen." 
Balak ging hierauf ein; als Gott aber auch jetzt nicht 
gestattete, dass Balam den Israeliten fluche, fiel dieser 
auf sein Angesicht nieder und verkündete die Schicksale, 
die den Königen und den berühmtesten Städten, wovon 
ein Teil noch gar nicht bewohnt war, bevorstanden, 
sowie auch das, was in den vergangenen Jahrhunderten 
bis auf unsere Tage den Menschen zu Lande und zu 
Wasser zugestossen ist. Und weil alles nach seinen 
Prophezeiungen eingetroffen ist, so lässt sich auch 
schliessen, dass künftig seine Weissagungen sich erfüllen 
werden. 



216 


Josephus* Jüdische Altertümer. 


6. Balak aber zürnte , dass die Israeliten nicht ver- 
flucht worden waren , und entliess den Balam ohne 
Ehrenbezeugungen. Als dieser nun im Begriff war, ab- 
zureisen und den Euphrat zu überschreiten, rief er den 
Balak und die Obersten der Madianiter zu sich und 
sprach zu ihnen : „O Balak und ihr anwesenden 
Madianiter, ich muss mich selbst gegen Gottes Willen 
euch gefällig erzeigen. Das Volk der Hebräer wird 
zwar niemals gänzlich vernichtet werden, weder durch 
Krieg und Krankheit, noch durch Mangel an Lebens- 
mitteln oder andere unvorhergesehene Unfälle. Denn 
Gottes Fürsorge bewahrt sie vor allem Übel und lässt 
ihnen kein Unheil zustossen, das sie vernichten würde. 
Für kurze Zeit allerdings werden sie Leid und Ungemach 
erdulden, das sie schwer drücken und beugen wird; 
dann jedoch werden sie wieder erstarken und diejenigen 
in Schrecken jagen, die ihnen Schaden zugefügt haben. 
Wollt ihr sie aber für einige Zeit überwältigen, so 
werdet ihr dies erreichen, wenn ihr folgenden Rat be- 
herzigt. Nehmt die schönsten eurer Töchter, die geeignet 
sind, durch ihren Liebreiz die Leidenschaft heftig za 
entflammen, lasst sie ihren herrlichsten Schmuck an- 
legen, schickt sie in die Nähe des Lagers der Hebräer 
und traget ihnen auf, sie sollten sich den Jünglingen, 
die sie begehren, ohne Sprödigkeit hingeben. Sobald sie 
dieselben aber im Netze der Sinnlichkeit gefangen sähen, 
sollten sie sich stellen, als wollten sie fliehen. Wenn 
die Jünglinge sie dann bäten, zu bleiben, so sollten sie 
nicht eher nachgeben, bis sie dieselben überredet hätten, 
mit Hintansetzung ihrer väterlichen Gesetze und der 
Verehrung Gottes, der ihnen diese Gebote gegeben, die 
Götter der Madianiter und Moabiter zu verehren. So 
würden sie sich den Zorn Gottes zuziehen. Nach diesem 
Vorschläge reiste er ab. 

7. Die Madianiter befolgten seinen Rat und schickten 
ihre Töchter zu den Hebräern. Die hebraeischen Jüng- 
linge Hessen sich auch wirklich von deren Schönheit 
fesseln, knüpften ein Gespräch mit ihnen an und Baten 



Viertes Buch, 6. Kapitel. 


217 


sie eindringlich, ihnen den Genuss ihrer Schönheit 
und das Vergnügen vertraulichen Umganges zu ge- 
statten. Die Mädchen hörten das gern und willfahrten 
ihnen. Als sie nun die Jünglinge in Liebe verstrickt 
hatten und sie in heftiger Leidenschaft entbrannt sahen, 
schickten sie sich an, wegzugehen. Diese aber gerieten 
darob in grosse Trauer und beschworen sie mit flehent- 
lichen Bitten, sie nicht zu verlassen, sondern bei ihnen 
zu bleiben, ihre Gattinnen zu werden und Hab und 
Gut mit ihnen zu teilen. Diese Anerbietungen be- 
kräftigten sie mit einem Eidschwur, riefen Gott zum 
Zeugen ihres Versprechens an und suchten durch 
Thränen und alle möglichen Mittel die Mädchen zum 
Mitleid zu bewegen. Als diese nun merkten, dass die 
Jünglinge von Leidenschaft überwältigt und gefesselt 
seien, fingen sie an, also zu ihnen zu reden: 

8. „Wir haben, ihr werten Jünglinge, Haus und 
Heimat, besitzen grossen Reichtum und entbehren nicht 
der Liebe und Zuneigung unserer Eltern und Ver- 
wandten. Wir sind also nicht zu euch gekommen, weil 
wir an irgend etwas Mangel leiden, oder weil wir aus 
unserem Umgang mit euch Gcfwinn ziehen wollen — sondern 
weil wir- euch für gute und rechtschaffene Männer halten, 
haben wir eure Gastfreundschaft gesucht und eurem 
Verlangen nachgegeben. Und da ihr nun sagt, dass ihr 
uns sehr lieb habt, und euch von Trauer ergriffen zeigt, 
weil wir Weggehen wollen, so wollen wir eure Bitten er- 
füllen und gern eure rechtmässigen Gattinnen werden, 
wenn ihr uns den Beweis eurer Liebe gegeben habt, der 
allein uns zufriedenstellen kann. Denn wir befürchten 
sonst, ihr möchtet uns, nachdem ihr unseres Umganges 
überdrüssig geworden, mit Schimpf und Schande wieder 
zu unseren Eltern zurückschicken. Verzeiht uns daher, 
wenn wir uns vor dieser Möglichkeit schützen wollen.“ 
Als nun die Jünglinge versprachen, ihnen jede ge- 
wünschte Bürgschaft zu bieten, da sie ihnen bei der 
Grösse ihrer Liebe nichts abschlagen konnten, fuhren 
die Mädchen also fort: „Weil ihr uns nun willfährig 




218 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


seid, eure Sitten und Lebensweise aber von den unseren 
so sehr verschieden sind, dass ihr sogar besondere 
Speisen und Getränke geniesst, so ist es notwendig, dass 
ihr, wenn ihr mit uns Zusammenleben wollt, auch unsere 
Götter verehrt. Denn nichts kann uns ein so zuver- 
lässiges Zeichen eurer Liehe für jetzt und für die Zu- 
kunft sein, als wenn ihr mit uns dieselben Götter an- 
betet. Niemand kann euch auch daraus einen Vorwurf 
machen, dass ihr die Götter des Landes verehret, in welches 
ihr zu kommen gesonnen seid, zumal da unsere Götter 
bei allen Völkern in Ehren stehen, euer Gott dagegen bei 
keinem anderen Volke als bei euch. Ihr müsst also dieselbe 
Art der Gottesverehrung annehmen, die alle haben, oder 
euch ein anderes Land suchen, wo ihr nach euren 
eigenen Gesetzen leben könnt.“ 

9. Den sterblich verliebten Jünglingen gefiel diese 
Bede, sodass sie den Mädchen in allem nachgaben und 
ihre heimischen Gesetze übertraten. Und da sie nun 
an viele Götter glaubten, opferten sie ihnen auch nach 
der Sitte jener Völker, genossen fremdartige Speisen und 
thaten den Weibern alles zu Gefallen, was den Vor- 
schriften des Gesetzes zuwiderlief. Bereits hatte sich 
die Frechheit der Jünglinge weiter im Heere verbreitet, 
sodass eine Empörung drohte, schlimmer als die frühere, 
und Gefahr vorlag, dass die väterlichen Einrichtungen 
völlig in Vergessenheit gerieten. Denn nachdem die 
Jugend einmal Geschmack an den fremden Sitten ge- 
funden, hing sie daran mit heissem Verlangen, und 
selbst die Besseren des Volkes, die sich tugendhafter 
Vorfahren rühmen konnten, wurden von dem Übel er- 
griffen und dazu verleitet. 

10. Auch Zambrias, das Oberhaupt des Stammes 
Simeon, lebte mit einer Madianiterin Chosbia, einer 
Tochter des Sur, die aus dem Königsgeschlechte jenes 
Volkes stammte, und verachtete ihr zuliebe die Gebote 
des Moyses , opferte nicht mehr nach seiner heimischen 
Sitte und nahm schliesslich sogar die Fremde zur Ehe. 
Bei dieser schlimmen Sachlage besorgte Moyses, es 




Viertes Buch, 6. Kapitel. 


219 


möchte noch viel Ärgeres daraus folgen, und berief des- 
halb das Volk zur Versammlung. Doch klagte er 
niemand mit Namen an, weil er diejenigen nicht zur Ver- 
zweiflung treiben wollte, die erst noch im geheimen 
fehlten und der Besserung zugänglich waren. Er warf 
ihnen vor, ihre Thaten seien für sie selbst wie für ihre 
Vorfahren höchst schimpflich, da sie der Wollust nach- 
hingen, anstatt Gott zu dienen und nach seinen Geboten 
zu leben. Sie sollten, wenn sie ihr Bestes im Auge 
hätten, ihren Frevel bereuen und ihre Stärke nicht in 
<ler Verachtung der Gesetze, sondern in der Bezähmung 
ihrer schlechten Begierden suchen. Zudem sei es ja 
widersinnig, dass sie, die in der Wüste so enthaltsam 
gewesen, jetzt, da sie im Überfluss lebten, durch Aus- 
schweifung und Verschwendung zu Grunde gehen sollten. 
Durch solche Reden suchte er die Jugend zu bessern und 
ihnen Reue über ihre Fehler ein zuflössen. 

11. Da aber erhob sich Zambrias und sprach: 
„Hebe du selbst, Moyses, nach deinen Gesetzen, für die 
du so sehr eiferst und die du durch die Macht der Ge- 
wohnheit befestigt hast. Wäre dem nicht so, so hättest 
du selbst Bchon oft dafür gebüsst und gelernt, dass du 
nicht ungestraft die Hebräer betrügen kannst. Ich 
wenigstens werde mich deinen tyrannischen Vorschriften 
nicht fügen. Bis jetzt hast du nichts anderes erstrebt, 
;als unter dem Vorwände göttlicher Gesetzgebung uns zu 
knechten, dir aber durch allerlei Ränke die Herrschaft 
zu sichern. Du hast uns dasjenige geraubt, was einem 
freien und freiheitsliebenden Volke eigen ist, das keinen 
Herrn über sich erkennt. Wahrlich, mehr als die 
Aegyptier bedrängt uns der Mann, der das, was wir aus 
freien Stücken thun würden, unter den Zwang von Ge- 
setzen stellen und danach bestrafen will. Viel eher 
verdienst du selbst Strafe dafür, dass du das verwirfst, 
was alle anderen gutheissen, und dass du im Gegensatz 
zur Meinung aller übrigen auf deiner eigenen Meinung 
hartnäckig bestehst. Was ich gethan, halte ich nicht für 
unrecht, und ich scheue mich auch nicht, es öffentlich 




220 


Josephus* Jüdische Altertümer. 


zu bekennen. Ich habe, wie du sagst, ein fremdes Weib 
zur Ehe genommen; nimm dies Geständnis von mir an 
als von einem freien Manne, der nicht nötig hat, etwa» 
zu verheimlichen. Ich opfere auch, was du für Frevel 
hältst, den Göttern: denn ich meine, es sei billig, da so 
viele Wege zur Wahrheit führen, nicht tyrannischerweise 
auf einen allein seine ganze Hoffnung zu setzen. Es 
giebt niemand, der sich rühmen könnte, mehr Urteils* 
kraft bezüglich dessen zu haben, was mich allein an- 
geht, als ich selber.“ 

12. Als Zambrias so über seine und der anderen 
Vergehungen geredet hatte, verhielt sich das Volk ruhig 
und erwartete in ängstlicher Spannung, was kommen 
sollte. Der Gesetzgeber aber schien sich in keinen 
weiteren Streit einlassen zu wollen, um den frechen 
Menschen nicht noch mehr zu reizen. Moyses fürchtete 
nämlich, es möchten noch viele seinen verwegenen 
Worten folgen und das Volk zum Aufruhr drängen. 
Und so ging denn die Versammlung auseinander. Viel- 
leicht würde aber doch das Übel noch gewachsen sein,, 
wenn Zambrias nicht bald darauf gestorben wäre. Das 
ging so zu. Phinees, der unter der Jugend sowohl durch 
andere Vorzüge als besonders auch durch die Würde 
seines Vaters hervorragte (er war nämlich ein Sohn 
des Hohepriesters Eleazar und ein Enkel von Moyses r 
Bruder), empfand heftigen Unwillen über das Treiben 
des Zambrias und suchte durch sein Eingreifen zu ver- 
hüten, dass dessen Frechheit und Zügellosigkeit noch 
weiter sich vermehre, was sicher der Fall sein musste, 
wenn niemand ihn zur Verantwortung zog. Dieser 
Phinees besass eine solche Beharrlichkeit und hervor- 
ragende Körperkraft, dass er von einem gefährlichen 
Unternehmen, welches er sich vorgenommen hatte, nicht 
eher Abstand nahm, als bis er es vollständig und mit 
Erfolg durchgeführt hatte. Er drang also in das Zelt 
des Zambrias ein, durchstach ihn und die Chosbia mit 
der Lanze und tötete sie so. Und alle Jünglinge, die 
etwas auf Tugend und Ehre hielten, folgten dem 



Viertes Bach, 6. Kapitel. 


22/ 


wackeren Beispiele des Phinees und räumten die, die 
desselben Vergehens wie Zambrias schuldig waren, aus 
dem Wege. So kamen viele um, welche die Gesetze 
übertreten hatten ; die übrigen dagegen wurden von einer 
pestartigen Krankheit dahingerafft, die Gott ihnen 
schickte. In gleicher Weise starben auch ihre Ver- 
wandten, die, anstatt sie von ihrem frevelhaften Be- 
ginnen abzuhalten, sie sogar noch dazu angereizt und 
so dieselbe Schuld auf sich geladen hatten. Im ganzen 
erlitten den Tod nicht weniger als vierundzwanzigtausend 
Menschen. 

13. Das war auch die Ursache, die den erzürnten 
Moyses veranlasst« , ein Heer zur gänzlichen Ver- 
nichtung der Madianiter auszusenden. Ehe ich jedoch 
-von diesem Zuge spreche, will ich zunächst da, wo ich 
abgebrochen habe, in der Erzählung fortfahren. Denn 
ich halte es für angebracht, die Uneigennützigkeit 
unseres Gesetzgebers in dieser Angelegenheit nicht un- 
gerühmt zu lassen. Balam nämlich, den die Madianiter 
herbeigerufen hatten, um die Hebräer zu verfluchen, war 
zwar durch Gottes Fügung daran gehindert worden. 
Immerhin aber hatte er doch den Feinden einen Rat 
gegeben, durch dessen Befolgung diese erreicht hatten, 
•dass beinahe das ganze hebraeische Volk dem Glauben 
seiner Väter entfremdet und zu falschen religiösen Vor- 
stellungen verleitet worden wäre. Trotzdem hat Moyses 
Balams Weissagungen seinen eigenen Schriften einverleibt 
und ihn so einer grossen Ehre gewürdigt, obwohl es ihm 
leicht gewesen wäre, allen Ruhm davon sich selbst an- 
zueignen, zumal da kein Zeuge vorhanden war, der ihn 
der Fälschung hätte überweisen können. So hat er für 
Balam Zeugnis gegeben und durch seine Schriften das 
Andenken an ihn erhalten. Doch mag jeder diese Sache 
betrachten, wie er will. 




222 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


Siebentes Kapitel. 

Wie die Hebräer mit den Madianitern kämpfen und sie 

besiegen. 

• 

1. Aus dem vorerwähnten Grunde sandte also Moyse» 
ein Heer von zwölftau^end Mann nach dem Gebiete der 
Madianiter. Zusammengesetzt war das Heer aus An- 
gehörigen aller Stamme, und es stand unter dem Ober-v 
befehl des Phinees, von dem ich oben erwähnte, dass er 
die Gesetze der Hebräer in Schutz genommen und derk 
Zambrias , der sie übertreten, zur Strafe getötet habe. 
Sobald die Madianiter Kunde erhielten, dass ein Heer 
gegen eie im Anmarsch sei und sich bereits in der 
Nähe befinde, sammelten sie ihre Truppen und besetzten 
die Zugänge zu ihrem Gebiet, w r o 6ie den Einmarsch der 
Feinde erwarteten. Alsbald entbrannte der Kampf, und 
es fiel eine fast unzählbare Menge der Madianiter nebst 
allen ihren fünf Königen : Oe, Sur, Robe, Ur und Rekem,. 
von welch letzterem die Hauptstadt Arabiens ihren. 
Namen hat. Sie heisst nämlich nach dem arabischen. 
König, der sie gegründet, Arekema, während die Griechen 
sie Petra nennen. Nachdem die Feinde in die Flucht 
geschlagen und zerstreut waren, plünderten die Hebräer 
ihr Land, machten reiche Beute und töteten die Be- 
wohner, Männer wie Frauen. Nur die Jungfrauen ver- 
schonten sie, wie Moyses dem Phinees befohlen hatte. 
Dieser kehrte mit dem Heere, das keinen Verlust er- 
litten hatte, zurück und brachte als Beute mit zweiund- 
fünfzigtausend Rinder, sechshundertfünfundsiebzigtausend 
Schafe und sechzigtausend Esel, ferner eine ungeheure 
Menge goldener und silberner Gefässe, die man zum 
häuslichen Gebrauch benutzte; denn die Madianiter 
lebten wegen ihren grossen Reichtums sehr luxuriös. 
Die Zahl der mitgeführten Jungfrauen betrug ungefähr 
zweiunddreissigtausend. Moyses verteilte nun die Beute 
und gab den fünfzigsten Teil davon dem Eleazar und 
den Priestern, ein zweites Fünfzigstel den Leviten, und 
den Rest verteilte er unter das Volk. Darauf lebten 



Viertes Buch, 7. Kapitel. 


22a 


sie in grossem Glück, da sie durch ihre Tapferkeit sich 
Reichtum gesammelt hatten, und keine Trauer noch 
irgend ein Missgeschick trübte ihnen den Genuss des- 
selben. 

2. Da nun Moyses bereits in vorgerücktem Alter stand, 
bestimmte er den Jesus zum Nachfolger in seinem 
Propheten- und Führeramte. Gott selbst nämlich hatte 
ihm befohlen, diesem die Leitung des Ganzen zu über- 
tragen. Jesus aber war in allem , was sich auf die 
Religion und die Verwaltung bezog, sehr bewandert, da 
Moyses ihn selbst darin unterrichtet hatte. 

3. Um diese Zeit stellten die beiden Stämme Gad 
und Rubel sowie der halbe Stamm Manasses, da sie 
reich an Vieh und anderem Besitz waren, gemeinsam an 
Moyses das Ersuchen, ihnen das eroberte Land Amoritis 
ungelöst zu überlassen, weil es ausgezeichnete Weide- 
plätze auf wies. Moyses aber hatte sie im Verdacht, sie 
fürchteten sich vor dem Kampfe mit den Ohananäern 
und wollten deshalb die Sorge für ihre Herden vor 
schützen. Und er nannte sie Feiglinge, die für ihre 
Zaghaftigkeit nur einen gelegenen Vorwand erfunden 
hätten. Sie wollten ein faules und weichliches Leben 
führen, während die übrigen alles Ungemach ertragen 
müssten, um in das ersehnte Land zu kommen; auch 
wollten sie nicht an den weiteren Kämpfen teilnehmen, 
um das Land, das Gott ihnen nach dem Übergang über 
den Jordan verheissen habe, erobern und die Feinde 
daraus verdrängen zu helfen. Als sie nun' sahen, dass 
ihr Führer so erregt und mit gutem Giunde über ihr 
Begehren aufgebracht sei, entschuldigten sie sich: Nicht 
aus Furcht vor Gefahren, noch aus Weichlichkeit hätten 
sie die Bitte an ihn gerichtet, sondern nur, damit sie 
ihre Beute an einem sicheren und bequemen Ort bergen 
und dann um so unbesorgter in den Krieg ziehen könnten. 
Sie seien bereit, nachdem er ihnen Städte zur Unter- 
bringung ihrer Weiber und Kinder sowie ihrer beweg- 
lichen Habe eingeräumt hätte, mit dem übrigen Heere 
weiterzuziehen. Moyses, dem diese Sprache gefiel, berief 



224 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


den Hohepriester Eleazar nebst dem Jesus und den. 
übrigen Behörden zu sich und überliess in ihrer Gegen- 
wart den Bittstellern das Land Amoritis unter der Be- 
dingung, dass sie den verwandten Stämmen Hilfe leisten 
müssten, bis die Chananäer besiegt seien. Nachdem sie 
unter dieser Bedingung den Besitz des Landes angetreten 
und die Städte mit starken Werken befestigt hatten, 
brachten sie in dieselben ihre Weiber, Kinder und alles 
übrige, was ihnen auf dem Marsch lästig sein konnte. 

4. Zehn Städte des Landes bestimmte Moyses als 
einen Teil der achtundvierzig Priesterstädte, und drei 
hiervon machte er zu Asylen, wohin diejenigen Mörder 
sich flüchten konnten, die die That ohne Absicht voll- 
bracht hatten. Die Zeit des Asylrechtes sollte mit dem 
Tode des Hohepriesters zu Ende gehen, unter dessen 
Pontifikat der des Mordes Schuldige sich davongemacht 
hatte. Nach diesem Zeitpunkt durfte er nach Hause zurück- 
kehren. Bis dahin sollten die Verwandten des Getöteten 
das Recht haben, den Mörder umzubringen, wenn sie 
ihn ausserhalb der Stadtgrenzen anträfen ; ausserdem 
aber war dies niemand erlaubt. Die Asylstädte waren: 
Bosora an der Grenze Arabiens, Ariman im Lande Galad 
und Gaulana in Batanaea. Nach der Eroberung von 
Gbananaea sollten noch weitere drei Levitenstädte zu 
den Asylstädten hinzukommen. 

5. Als einst die Vornehmsten des Stammes Manasses 
zu Moyses kamen, ihm anzeigten, dass ein hervorragender 
JPamilien vater aus ihrem Stamme, Holophantes mit Namen, 
gestorben sei, ohne männliche Erben zu hinterlassen, 
und ihn fragten, ob den Töchtern der Nachlass gehöre, 
entgegnete er: „Wenn sie jemand von den Stammes- 
genossen heiraten, so sollen sie ihr Erbteil in diese Ehe 
mitbringen; wählen sie aber einen Gatten auB einem 
anderen Stamme, so soll das Erbteil beijn väterlichen 
Stamme verbleiben.“ Durch diese Bestimmung setzte er 
fest, dass eines jeden Erbteil stets bei seinem Stamme 
zu verbleiben habe. 


Go gle 



Viertes Buch, 8. Kapitel. 


225 


Achtes Kapitel. 

Weitere Gesetze des Moyses und sein Tod. 

1. Da nun seit dem Auszuge aus Aegypten vierzig 
Jahre weniger dreissig Tagen verflossen waren, berief 
Moyses das gesamte Volk am Jordan zusammen und 
zwar an einer Stelle, wo jetzt die Stadt Abila liegt und 
wo damals viele Palmenwälder sich befanden, und hielt 
folgende Ansprache: 

2. „Mitkämpfer und langjährige Leidensgefährten! Da 
ich ein Alter von einhundertzwanzig Jahren erreicht habe, 
und es Gott gefällt, mich aus diesem Leben abzurufen, und 
da also Gottes Wille selbst mich hindert, bei euren Unter- 
nehmungen jenseits des Jordan euer Führer und Helfer 1 
zu sein, so halte ich es für recht, noch einmal all 
meinen Eifer für euer Glück zusammenzunehmen und 
euch zu zeigen, wie ihr beständig dieses Glück geniessen 
könnt, auf dass mein Andenken bei euch, wenn ihr' in 
den Besitz desselben gelangt seid, ein dauerndes sein 
möge. Gern will ich aus dem Leben scheiden, wenn 
ich euch den Weg gewiesen habe, wie ihr selbst glück- 
lich sein und euren Nachkommen den ewigen Besitz 
dieses Glückes hinterlassen könnt. Ich verdiene jetzt 
euer besonderes Vertrauen, einmal weil ich früher stets 
für euer Wohl gesorgt habe, sodann auch, weil die Seele, 
die im Begriffe steht, vom Körper sich zu lösen, mit allen 
Tugenden in engere Verbindung tritt. O Söhne Israels, 
die Ursache alles Glückes ist der huldreiche Gott; er 
allein kann es den Würdigen geben und den Unwürdigen 
nehmen. Und wenn ihr euch so betraget, wie er selbst 
will und wie ich, der ich seinen Sinn erkenne, euch 
rate, so werdet ihr niemals unglücklich sein, und der 
Besitz eurer gegenwärtigen Güter wird euch gesichert 
bleiben, die künftigen aber werdet ihr schneller erlangen. 
Nur ist es erforderlich, dass ihr stets den Willen Gottes 
befolget. Haltet eure jetzigen Gesetze hoch und fallt 
niemals von eurer jetzigen Frömmigkeit zu anderen Ge- 
brauchen ab. Wenn ihr das thut, werdet ihr die tapfer- 

Jowphiu' jüdische Altertümer. 15 




226 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


8ten Streiter sein und unbesiegbar euren Feinden gegen- 
über. Denn wenn Gott euch hilft, könnt ihr alle anderen 
verachten. Grosse Belohnungen harren eurer Tugend, 
wenn ihr sie durch euer ganzes Leben hindurch übt. 
Denn sie ist das erhabenste und erste aller Güter und 
verschafft euch den reichlichen Besitz aller übrigen. 
Und wenn ihr sie untereinander übt, so wird sie euer 
Leben sehr glücklich machen, und ihr werdet mehr Lob 
als andere Völker davontragen, bei euren Nachkommen 
aber wird euer Ruhm ein dauerhafter sein. Alles dies 
könnt ihr erlangen, wenn ihr gehorsam seid, die Ge- 
setze, die Gott euch durch mich gegeben, bewahrt und 
deren Verständnis bei euch fördert. Ich scheide von 
euch, erfreut über euer Glück, und ich empfehle euch 
einen ehrbaren Lebenswandel und eine gesunde Staats- 
verfassung, und wünsche euch tugendhafte Führer, die 
euer Wohl im Auge haben. Gott, der euch bisher ge- 
leitet, und nach dessen Willen ich euch nützlich ge- 
wesen bin, wird euch seine Fürsorge nicht entziehen, 
sondern für euch besorgt sein, so lange ihr in eurem 
Tugendeifer verharrt und ihn als Schutzherrn anerkennt. 
Die besten Ratschläge, durch deren Befolgung ihr euer 
Glück begründen könnt, werden euch erteilen der Hohe- 
priester Eleazar, Jesus, die Obersten und Vorsteher der 
Stämme. Folget ihnen willigen Herzens und bedenkt, 
dass alle, welche wohl zu gehorchen verstehen, auch der- 
einst befehlen können, wenn sie zur Herrschaft gelangt 
sind. Erwäget auch, dass der Gehorsam die beste Frei- 
heit ist Bis jetzt habt ihr eure Freiheit darin erblickt, 
dass ihr eure Wohlthäter schmähtet; wenn ihr künftig 
euch davor hütet, werden eure Sachen besser stehen. 
Gefallt euch also künftig nicht mehr im Unwillen über 
eure Führer, wir ihr ihn gegen mich so oft gezeigt habt, 
denn ihr mögt es wissen, dass mein Leben öfter von 
euch als von Feinden gefährdet war. Ich erinnere euch 
daran nicht, um euch Vorwürfe zu machen; denn da ich 
früher nicht darüber aufgebracht war, ziemt mir dies 
noch weniger jetzt im Angesichte des Todes. Vielmehr 



Viertes Bach, 8. Kapitel. 


227 


f 


will ich euch nur für die Zukunft warnen, dass ihr euren 
Vorgesetzten kein Unrecht mehr thut, wenn ihr nach 
Überschreitung des Jordan und nach der Einnahme von 
Chananaea zu Macht und Reichtum gelangt seid. Denn 
lasst ihr euch vom Reichtum zum Übermut und zur Ver- 
achtung der Tugend verleiten, so werdet ihr auch das 
Wohlwollen Gottes verlieren. Habt ihr aber Gott zum 
Feind, so werdet ihr euren Feinden unterliegen und das 
Land, das ihr in Besitz genommen, schmachvoll wieder 
verlieren; ihr werdet dann über den Erdkreis zerstreut 
werden und zu Lande wie zu Wasser dienstbar sein. 
Ist aber dieses Leid erst über euch gekommen, so wird 
eure Reue wegen der Übertretung der Gebote Gottes un- 
nütz sein. Wollt ihr nun all euren Besitz behalten, so 
lasset von euren Feinden, wenn ihr sie besiegt habt, 
keinen am Leben, sondern haltet es für nützlich, sie 
sämtlich umzubringen, damit ihr nicht, wenn ihr sie 
leben lasset, Geschmack an ihren Sitten und Gebräuchen 
findet und eure väterlichen Einrichtungen verachtet. 
Ausserdem rate ich euch, auch ihre Altäre, Haine und 
Tempel, so viele sie deren besitzen mögen, zu zerstören 
und das* Andenken daran, mit Feuer auszulöschen. Denn 
nur so werdet ihr euren eigenen Besitz gesichert erhalten. 
Damit aber eure Natur nicht aus Unkenntnis des Guten 
ins Schlechte ausarte, habe ich euch die Gesetze und die 
Verfassung eures Staates unter Gottes Beistand aufge- 
zeichnet, Wenn ihr sie treu bewahret, werdet ihr die 
glücklichsten Menschen sein.“ 

3. Nachdem er so gesprochen, übergab er ihnen ein 
Buch, in welchem die Gesetze und die Staatsverfassung auf- 
geschrieben waren. Sie aber jammerten und konnten 
sich nicht darein schicken, ihren Führer verlieren zu 
müssen. Denn sie gedachten der Gefahren und Müh- 
sale, denen er für ihr Wohlergehen sich unterzogen, 
und befürchteten, dass sie nie wieder einen ähnlichen 
Führer bekommen würden; auch glaubten sie, dass Gott 
nun weniger für sie sorgen werde, da er nur des Moyses 
Bitten für sie so gnädig erhört habe. Deshalb empfanden 

15 • 




228 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sie bittere Reue über das, was sie in der Wüste durch 
Zorneseifer gesündigt hatten, und das ganze Volk brach 
in Thränen aus und war so in Schmerz aufgelöst, dass 
es mit Worten sich nicht trösten lies». Moyses aber ver- 
suchte sie zu beruhigen, und indem er sie von dem Ge- 
danken abzulenken trachtete, als sei er beklagenswert, er- 
mahnte er sie nochmals, treu an ihrer Staatsverfassung 
festzuhalten. Darauf ging das Volk auseinander. 

4. Bevor ich aber zur Erzählung der weiteren Er- 
eignisse übergehe, will ich noch einiges über unsere 
Staatsverfassung erwähnen, die Moyses mit seiner Tüchtig- 
keit und Weisheit eingerichtet hat, damit der Leser 
hieraus entnehmen könne, wie unsere Zustände früher 
gewesen sind. Alles habe ich so aufgeschrieben, wie 
Moyses es hinterlassen hat, und alle unnötigen Aus- 
schmückungen weggelassen, auch nichts hinzugefügt, was 
Moyses nicht eingerichtet hätte. Das einzige, was an 
meiner Darstellung neu ist, ist eine bessere Anordnung 
der einzelnen Bestimmungen ; denn Moyses hat dieselben 
zerstreut aufgezeichnet, so wie sie Gott ihm gerade mit- 
geteilt hatte. Ich halte es aber für wichtig, dies be- 
sonders vorauszuschicken , damit meine Volksgenossen, 
die diese Schrift lesen, nicht etwa auf den Verdacht 
kommen, als sei ich von Moyses abgewichen. Bei der 
nun folgenden Aufzählung der einzelnen Gesetze will 
ich jedoch nur diejenigen erwähnen, die sich auf die 
Verfassung unseres Staates beziehen. Die übrigen Ge- 
setze dagegen, die Moyses uns hinterlassen hat, will ich 
mir für ein anderes Werk auf sparen, das ich über unsere 
Gebräuche und deren Ursachen zu schreiben gedenke 
und das ich, so Gott will, nach Vollendung des vor- 
liegenden Werkes verfassen werde. 

5. Sobald ihr das Land der Chananäer erobert habt, 
in Müsse seinen Reichtum geniesst und an den Bau von 
Städten denkt, so befolget diese Vorschriften, damit ihr 
Gott wohlgefällig seid und euer Glück zu einem dauer- 
haften macht. Eine Stadt soll die heilige sein und an 
der schönsten und vortrefflichsten Stelle Chananaeas er- 




Viertes Buch, 8. Kapitel. 


229 


baut werden, die Gott sich selbst durch eine Prophe- 
zeiung auswählen wird. In dieser Stadt soll sich ein 
Tempel befinden und ein Altar, der nicht aus behauenen, 
sondern aus einzeln zusammengelesenen Steinen errichtet 
werden soll, die schön übertüncht und von glänzendem 
Anblick sind. Zu dem Altar sollen keine Stufen, 
sondern bergansteigende Erde führen. In keiner 
anderen Stadt soll ein Altar oder ein Tempel sein, denn 
Gott ist einzig, und einzig das Geschlecht der Hebräer. 

6. Wer Gott lästert, soll gesteinigt, einen Tag lang auf- 
gehängt und dann ehrlos und schimpflich begraben werden. 

7. Dreimal im Jahre sollen die Hebräer von allen 
Gegenden des Landes in der Tempelstadt Zusammen- 
kommen, um Gott für die empfangenen Wohlthaten zu 
danken und ihn um künftige zu bitten, sodann auch um 
durch engeren Verkehr und gemeinschaftliche Mahlzeiten 
die gegenseitige Freundschaft zu pflegen. Denn es sei 
schicklich, dass diejenigen, die ein und demselben Volks- 
stamm angehörten und nach denselben Gesetzen lebten, 
einander persönlich bekannt seien. Das werde aber 
durch solche Zusammenkünfte sehr erleichtert, da man, 
wenn man sich gesehen und gesprochen, einander ein- 
gedenk bleibe, während man, wenn man nicht in Verkehr 
und Verbindung trete, sich einander völlig fremd bleibe. 

8. Ausser dem Zehnten, den ihr den Priestern und 
Leviten abgeben müsst, sollt ihr noch einen besonderen 
Zehnten im Heimatlande verkaufen und den Erlös da- 
von zu Gastmahlen und Opfern in der heiligen Stadt 
verwenden. Denn es ist billig, dass man den Ertrag des 
Landes, welches man durch Gottes Güte erhalten hat, zu 
seiner Ehre gebrauche. 

9. Von Unzuchtslohn sollen «keine Opfer dargebracht 
werden, denn Gott hat an dem durch Sünden Erworbenen 
keine Freude; auch kann es nichts Verwerflicheres geben 
als die Schändung des Leibes. In gleicher Weise soll 
man auch von dem Lohne, den man für Belegen durch einen 
Jagd- oder Schäferhund verdient hat, Gott nicht opfern. 

10. Niemand soll die Götter schmähen, an die fremde 




230 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Völker glauben; auch ist die Beraubung fremder Heilig' 
tümer und die Wegnahme von Weihgeschenken irgend 
eines Götzenbildes verboten. 

11. Niemand von euch soll ein aus Wolle und Leinen 
gewebtes Kleid tragen, denn das ist den Priestern allein 
Vorbehalten. 

12. Wenn das Volk zu dem alle sieben Jahre statt- 
findenden Opfer am Feste der Lauben in der heiligen 
Stadt versammelt ist, soll der Hohepriester von einer 
hohen Tribüne aus, wo er deutlich gehört werden kann, 
dem ganzen Volke die Gesetze vorlesen, und weder 
Weiber noch Kinder noch selbst Sklaven sollen davon 
ausgeschlossen werden. Es ziemt sich nämlich, dass die 
Gesetze in aller Herz und Gedächtnis fest eingeprägt 
seien. Denn dann werden die Menschen nicht sündigen, 
wenn sie keine Unkenntnis des Gesetzes vorschützen 
können, und auch werden die Gesetze nachhaltigeren 
Eindruck auf die Sünder machen, da sie ihnen ihre 
Strafen verkündigen, zumal durch wiederholtes Anhören 
der Vorschriften diese sich so fest einprägen, dass sie 
immer ihnen gegenwärtig sind und sie vor Übertretung 
und dem daraus ihnen erwachsenden Schaden warnen. 
Die hauptsächlichen Gesetze aber sollen auch die Knaben 
lernen, denn das ist der schönste Lehrgegenstand und 
die Grundlage ihres Lebensglückes. 

13. Zweimal am Tage, beim Morgengrauen und beim 
Schlafengehen, sollen alle dankbaren Herzens der Wohl- 
thaten gedenken, die Gott den aus der Knechtschaft der 
Aegyptier Befreiten erwiesen hat. Denn natürliche Über- 
legung fordert von uns, dass wir Gott für vergangene 
Wohlthaten danken und ihn zu zukünftigen geneigt 
machen. An seine Thür soll man die vornehmsten 
Wohlthaten Gottes schreiben, und an seinen Armen soll 
jeder offenkundig zeigen, was Gottes Macht und Güte 
verkündet: an Stirn und Armen soll jeder sie einge- 
schrieben tragen, damit allerwärts Gottes Fürsorge für 
die Menschen zu Tage trete. 

14. In jeder Stadt sollen sieben an Tugend und Eifer 




Viertes Buch, 8- Kapitel. 


231 


.für die Gerechtigkeit hervorragende Männer die Vorsteher 
sein, und jedem Vorstande sollen zwei Diener aus dem 
Stamme Levis zugeteilt werden. Diejenigen, denen in 
den einzelnen Städten die Rechtsprechung obliegt, sollen 
in höchster Ehre gehalten werden, und man soll in ihrer 
Gegenwart weder schimpfen noch sich sonst ungebühr- 
lich benehmen. Denn ehrfurchtsvolle Scheu vor denen, 
die in hohen Würden stehen, hält auch von der Ver- 
achtung Gottes ab. Die Richter aber sollen die Macht 
haben, unanfechtbare Urteije zu erlassen, es sei denn, 
dass man ihnen beweisen könnte, sie hätten sich durch 
Geld bestechen lassen, das Recht zu fälschen, oder dass 
man aus irgend einer anderen Ursache ihr Urteil als 
unzutreffend zu beweisen imstande wäre. Denn sie 
sollen ihr Urteil nicht mit Rücksicht auf Gewinn oder 
nach dem Ansehen der Person fällen, sondern Gerechtig- 
keit allein soll ihr Wahrspruch sein. Ist das nicht der Fall, 
so wird Gott selbst verachtet und denen untergeordnet, zu 
deren Gunsten aus Furcht vqr ihrer Machtstellung das Ur- 
teil gefallt wird. Gerechtigkeit nämlich ist die Macht Gottes; 
wer daher denen, die in Würden stehen, willfährig ist, der 
hält sie für mächtiger als Gott selbst. Wissen aber die Richter 
über eine ihnen vorgelegte Sache nicht zu entscheiden (was 
im menschlichen Leben nicht so selten vorkommt), so sollen 
sie die ganze Angelegenheit vor den Hohepriester, den 
Propheten und die Ältesten in der heiligen Stadt bringen, 
die dann darüber zu befinden haben. 

15 . Ein einziger Zeuge soll nicht gelten, sondern es 
«ollen deren drei oder wenigstens zwei sein, deren Wahr- 
heitsliebe durch ihren Lebenswandel verbürgt wird. 
Auch soll das Zeugnis der Weiber nicht zulässig sein 
wegen der ihrem Geschlechte eigenen Leichtfertigkeit 
und Dreistigkeit. Ferner sollen Sklaven kein Zeugnis 
ablegen wegen ihrer unedlen Gesinnung; denn es ist 
wahrscheinlich, dass sie aus Gewinnsucht oder aus Furcht 
falsch schwören. Wenn jemand des falschen Zeugnisses 
überwiesen ist, so soll er dieselbe Strafe erleiden, die 
den getroffen hätte, gegen welchen er zu zeugen hatte. 




232 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


16. Wenn irgendwo ein Totschlag verübt worden ist, 
man den Thäter aber nicht ermitteln kann, und auch 
keiner im Verdacht steht, den Totschlag aus Hass be- 
gangen zu haben, so soll der Thäter mit allem Fleiss 
gesucht und auf die Anzeige desselben eine Belohnung 
gesetzt werden. Macht aber niemand eine Anzeige, so 
sollen die Vorsteher der der Mordstelle zunächst ge- 
legenen Städte nebst den Ältesten Zusammenkommen 
und die Entfernung von dem Orte, wo der Erschlagene 
liegt, bis an die einzelnen Städte messen. Die Vorsteher 
der zunächst gelegenen Stadt sollen dann eine junge 
Kuh kaufen, sie in ein Thal und an einen weder ge- 
pflügten noch gesäeten Ort bringen und sie schlachten. 
Alsdann sollen die Priester, Leviten und Ältesten der 
Stadt Wasser nehmen, ihre Hände über dem Kopf der 
Kuh waschen und verkünden, dass ihre Hände rein von 
dem Morde seien, und dass sie ihn weder selbst verübt 
hätten noch jemand dazu behilflich gewesen seien. fAuch 
sollen sie Gott anflehen, dass er ihnen gnädig sein und 
künftig keine so schreckliche That in ihrem Lande 
mehr geschehen lassen wolle. 

17. Die beste Herrschaft und Regierungsweise ist di^, 
welche die Edelsten des Volkes ausüben. Ihr sollt also 
keine andere Staatsverfassung begehren, sondern mit der- 
jenigen zufrieden sein, in der ihr nur die Gesetze über 
euch habt und nach Vorschrift derselben all euer Thun 
einrichtet. Als alleiniger Herrscher soll euch Gott ge- 
nügen. Sollte euch aber das Verlangen nach einem 
Könige ankommen, so soll derselbe mit euch stamm- 
verwandt sein und sich stets die Gerechtigkeit und alle 
anderen Tugenden angelegen sein lassen. Er soll den 
Gesetzen und Gott den Vorrang in der Weisheit ein- 
räumen und nichts ohne des Hohepriesters und der 
Ältesten Rat unternehmen. Er soll auch nicht viele 
Weiber haben, noch sich an Geldreichtum und grossem 
Pferdebesitz ergötzen, wodurch er leicht die Gesetze als 
überflüssig zu betrachten und zu verachten verleitet 
werden könnte. Wenn er aber etwas derartiges beab- 




Viertes Buch, 8. Kapitel. 


233 


sichtigt, so sollt ihr ihn hindern, mächtiger zu werden, 
als es euren Interessen frommt. 

13. Ihr sollt weder in eurem eigenen Lande, noch in 
den Ländern derjenigen Fremden, mit denen ihr in 
Frieden lebt, die Grenzsteine verschieben, dieselben viel- 
mehr als von Gott selbst gesetzte Marken unverändert 
bestehen lassen, weil aus der Sucht, die Grenzen zu er- 
weitern, nur Krieg und Aufruhr entsteht Und wer 
Grenzsteine verrückt, der ist auch nicht weit mehr da- 
von entfernt, die Gesetze zu übertreten. 

19. Wer das Land bepflanzt, der soll, falls die 
Pflanzungen vor vier Jahren Früchte tragen, davon 
weder die Erstlinge zum Opfer bringen noch sie zu 
seinem eigenen Lebensunterhalt verwenden. Denn die 
Früchte sind zur Unzeit gewachsen, und unzeitig Er- 
zeugtes eignet sich weder für Gott noch für den Ge- 
brauch des Besitzers. Im vierten Jahre aber soll er den 
gesamten Ertrag einemten (denn dann sind die Früchte 
zeitig), ihn in die heilige Stadt bringen und nebst dem 
Zehnten der anderen Früchte mit seinen Freunden, den 
Waisen und Witwen verzehren. Im fünften Jahre steht 
ihm dann das Hecht zu, die Früchte in Besitz zu 
nehmen. 

20. Ein Grundstück, das mit Weinstöcken bepflanzt 
ist, soll nicht anderweitig besäet werden; denn es ist 
genug, dass es den Weinstock ernährt, und es soll da- 
her vom Pfluge verschont bleiben. Das Land soll mit 
Ochsen gepflügt werden , und es soll kein anderes Tier 
mit ihnen an dasselbe Joch gespannt werden, sondern 
das Pflügen soll durch einerlei Tiere geschehen. Der 
Same soll rein und ungemischt sein, und es sollen nicht 
zwei oder drei Arten Samen zusammengesäet werden; 
denn die Natur hasst Ungleichartiges. Man soll auch 
nicht zwei Tiere sich begatten lassen, die nicht von der- 
selben Art sind; denn es ist zu befürchten, dass diese 
Entehrung der Art ein schlechtes Beispiel für die 
Menschen werden könnte. Gewöhnlich nimmt ja Grosses 
von Unscheinbarem und Kleinem seinen Ursprung. Es 



234 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


soll daher auch nichts gestattet sein, durch dessen Nach- 
ahmung eine Änderung in der Staatsverfassung bewirkt 
werden könnte. Das ist der Grund, weshalb das Gesetz 
auch die gewöhnlichsten Dinge berücksichtigt; denn es 
wollte verhüten, dass etwas an ihm getadelt werden 
möchte. 

21. Diejenigen, die die Frucht mähen und sammeln, 
sollen nicht alles einheimsen, sondern auch einige Garben 
für die Armen liegen lassen, damit diesen die unver- 
hoffte Gabe zur Nahrung diene. Ebenso soll man auch 
bei der Weinlese einige Trauben den Armen überlassen, 
desgleichen an den Olbäumen etwas hängen lassen, da- 
mit sie es sich einsammeln, da sie eigene Ernte nicht 
haben. Denn von dem sorgfältigsten Einernten der 
Früchte haben die Eigentümer nicht so viel Nutzen, als 
ihnen der Dank der Armen einbringt. Auch wird Gott 
das Land fruchtbarer machen , wenn die Besitzer des- 
selben nicht nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, 
sondern auch für die Ernährung anderer Menschen sorgen. 
— Den Ochsen, die auf der Tenne dreschen, soll man 
das Maul nicht verbinden. Denn es ist nicht billig, 
diejenigen, die sich bei der Erzeugung der Früchte mit 
abmühen, vom Mitgenuss derselben abzuhalten. Auch 
den Wanderern soll man nicht verbieten, von den reifen 
Früchten zu gemessen, sondern man soll ihnen erlauben, 
sich davon zu sättigen, als wäre es ihr Eigentum, seien 
es nun Einheimische oder Fremde. : Ja, die Besitzer 
sollen sich freuen, dass sie ihnen den Mitgenuss zu ge- 
statten in der Lage sind. Doch dürfen die Wanderer 
nichts mitnehmen. Bei der Weinlese soll man denen, 
die des Weges kommen, nicht verwehren, von den Trauben 
zu essen, wenn man sie zur Kelter bringt Denn es ist 
unbillig, das Gute, das uns nach dem Willen Gottes 
zum Lebensunterhalt beschert ist, denjenigen zu miss- 
gönnen, die davon mitgeniessen wollen, zumal da die 
Zeit der Reife nach Gottes Fügung schnell vorübergeht. 
Sollten sich nun einige scheuen, die Früchte anzurühren, 
so sollt ihr sie, falls sie Israeliten, also eure Mitbürger 




Vierte« Buch, 8. Kapitel. 


235 


und wie ihr gewissermassen auch Herren des Landes 
sind, zum Zugreifen aufmuntern. Sind es aber Leute, 
die anderswoher gekommen sind, so sollt ihr sie bitten, 
die Früchte als ein Gastgeschenk zu betrachten, das 
Gott ihnen zu rechter Zeit gewähre. Denn was man aus 
Güte einem anderen zu* nehmen erlaubt, darf man nicht 
für verloren ansehen, da Gott uns die Fülle der Güter 
beschert nicht nur, damit wir sie selbst gemessen, 
sondern auch, damit wir anderen davon reichlich mit* 
geben. Gott will nämlich dadurch, dass die Israeliten 
von ihrem Überfluss anderen mitteilen, seine Güte und 
Freigebigkeit gegen das israelitische Volk anderen ganz 
besonders kundmachen. Wer gegen diese Gebote handelt, 
soll öffentlich neununddreissig Stockprügel erhalten und 
selbst als freier Mann diese schimpfliche Strafe erleiden, 
weil er aus Gewinnsucht sich in seiner Würde vergeben hat. 
Es geziemt euch, da ihr in Aegypten und in der Wüste 
so grosse Not gelitten habt, dass ihr nun auch für die- 
jenigen sorgt, die Bich in ähnlicher Lage befinden, und 
dass ihr vom Überfluss, den ihr der Barmherzigkeit und 
Güte Gottes verdankt, in gleicher Gesinnung den Armen 
mitspendet. 

22. Ausser den beiden Zehnten, welche ihr jährlich 
abgeben sollt, und zwar einen für die Leviten, den 
anderen zu Gastmahlen, soll in jedem dritten Jahre 
noch ein dritter entrichtet werden, und zwar für die 
Verteilung an Witwen und Waisen. Die Erstlinge aller 
reifen Früchte soll man zum Tempel bringen, dort Gott 
für deren Wachstum in dem Lande, das er geschenkt 
hat, danken, die vorgeschriebenen Opfer darbringen und 
die Erstlinge dann den Priestern schenken. Hat nun 
jemand das gethan und den Zehnten von allem sowohl 
für die Leviten als auch für die Gastmahle nebst den 
Erstlingen entrichtet, und will er dann wieder nach 
Hause gehen, so soll er sich gegenüber dem Tempel hin- 
stellen und Gott Dank sagen dafür, dass er die Hebräer 
von der Bedrückung durch die Aegyptier erlöst und ihnen 
ein reiches und fruchtbares Land geschenkt hat. Dann 




286 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


aber soll er versichern, dass er nach dem Gesetze des 
Moyses den Zehnten enrichtet habe, und Gott bitten, 
dass er ihm immer gütig und gnädig und allen 
Hebräern stets hilfreich sich erweisen, und dass er 
ihnen das Gute, welches er ihnen beschert, erhalten sowie 
auch nach seinem Wohlgefallen* vermehren möge. 

23. Sobald die Jünglinge das heiratsfähige Alter er- 
reicht haben, mögen sie freie Jungfrauen, die von ehr- 
baren Eltern abstammen, zur Ehe nehmen. Wer aber 
keine Jungfrau heiraten will, der soll sich auch mit 
keinem Weibe verbinden, die mit einem anderen lebt 
und von ihm entehrt worden ist, damit er ihrem früheren 
Gatten nicht zunahe trete. Freie sollen auch keine 
Sklavinnen heiraten , wenngleich sie dieselben lieben ; 
denn das Schickliche muss die Begierde zurückdrängen, 
und sie vergeben sich auch so weniger an ihrer Würde. 
Ferner soll man keine öffentliche Dirne heiraten, deren 
eheliche Opfer Gott wegen der Schändung ihres Leibes 
nicht annehmen würde. Denn nur dann wird der Geist 
der Kinder frei, edel und tugendhaft, wenn sie nicht 
einer so schimpflichen Verbindung oder der Ehe mit 
einem unfreien Weibe entstammen. Wenn aber jemand 
ein Mädchen, > das ihm als Jungfrau verlobt worden ist, 
später nicht als solche erkennt, so soll er Klage gegen 
sie führen und für seine Behauptung den Beweis er- 
bringen. Des Mädchens Sache soll ihr Vater, Bruder 
oder sonst nächster Verwandter führen. Wenn nun für 
Recht erkannt wird, dass sie nicht gefehlt habe, soll das 
Mädchen bei ihrem Ankläger wohnen, und er nicht das 
Recht haben, sie zu entlassen, wenn er nicht wichtige 
und unwiderlegliche Gründe hierfür beibringen kann. 
Dafür aber, dass er sie frevelhaft und unbesonnen ver- 
leumdet hat, soll er zur Strafe neununddreissig Hiebe 
erhalten und dem Vater des Mädchens fünfzig Sekel 
zahlen. Wird jedoch das Mädchen als geschändet erkannt, 
so soll sie, wenn sie aus dem gemeinen Volke stammt, 
durch Steinwürfe getötet werden, weil sie ihre Jung- 
fräulichkeit nicht bis zur rechtmässigen Ehe bewahrt 



Viertes Buch, 8. Kapital. 


237 


hat; ist sie aber aus priesterlichem Geschlecht, so soll 
sie lebendig verbrannt werden. — Wenn jemand zwei 
Weiber hat und der einen wegen ihrer Liebe, ihrer 
Schönheit oder aus einer anderen Ursache mehr Ehre 
und Güte erzeigt als der anderen, und wenn der Sohn, 
den er mit dem geliebten Weib erzeugt hat, obgleich er 
jünger ist als der Sohn der anderen, doch wegen der 
grosseren Zuneigung des Vaters zu seiner Mutter das 
Recht der Erstgeburt erstrebt, um einen doppelten An- 
teil vom väterlichen Vermögen zu erhalten (denn das 
ist im Gesetz bestimmt), so soll ihm das nicht erlaubt 
sein. Denn es ist unbillig, dass der ältere, weil seine 
Mutter weniger gilt, um das betrogen werde, was ihm 
nach seines Vaters Versicherung zusteht. — Hat jemand 
eine einem anderen verlobte Jungfrau geschändet, so soll 
er, falls er sie zur Einwilligung in die Verführung be- 
schwätzt hat, mit ihr sterben. Denn beide sind schlecht, 
er, weil er die Jungfrau verführt hat,, sich freiwillig 
einer solchen Schändlichkeit hinzugeben und diese dem 
anständigen ehelichen Verkehr vorzuziehen, sie aber, 
weil sie sich hat verleiten lassen, aus böser Lust oder 
Gewinnsucht Unzucht zu treiben. Hat er ihr aber Ge- 
walt angethan, ohne dass jemand ihr hatte zu Hilfe 
kommen können, so soll er allein sterben. — Wer eine 
noch nicht verlobte Jungfrau schändet, soll sie heiraten. 
Will aber ihr Vater sie ihm nicht zur Ehe geben, so 
soll er als Strafe für sein Unrecht fünfzig Sekel zahlen. 
— Wer sich aber von seiner Gattin aus irgend einem 
Grunde (solcher Gründe hat man viele) scheiden lassen 
will, soll ihr schriftlich versichern, dass er weiterhin mit 
ihr keine Gemeinschaft mehr haben wolle. So erlangt 
sie das Recht, mit einem anderen Manne zu leben; bevor 
aber die Versicherung erfolgt ist, ist es ihr nicht erlaubt. 
Wenn sie sich aber auch bei diesem Mann schlecht 
steht, oder es stirbt dieser und der frühere Gatte will 
sie wieder ehelichen , so soll es ihr nicht gestattet sein, 
zu ihm. zurückzukehren. — Wenn ein Mann stirbt, ohne 
Kinder zu hinterlassen, so soll sein Bruder die Witwe 


288 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


heiraten und dem Sohn, den er mit ihr erzeugt, den 
Namen de» Verstorbenen beilegen und ihn erziehen; 
dieser tritt dann später das Erbe des ersten Mannes an. 
So wird es gehalten zum Nutzen des Staates, da so die 
Familien nicht aussterben, das Vermögen in der Ver- 
wandtschaft bleibt, und die Lage der Frau durch Heirat 
mit dem nächsten Verwandten des verstorbenen Gatten 
erleichtert wird. Will der Bruder sie aber nicht heiraten, 
so soll die Frau vor den versammelten Ältesten ver- 
sichern, sie wolle gern in der Familie bleiben und Kinder 
mit ihm erzeugen; er aber wolle sie nicht ehelichen und 
so das Andenken seines verstorbenen Bruders schmähen. 
Wenn dann die Ältesten ihn fragen, warum er die Ehe 
nicht eingehen wolle, und er dann irgend einen Grund, 
sei er nun gewichtig oder nicht, vorbringt, so soll 
folgendermassen verfahren werden. Das Weib soll dem 
Bruder ihres Mannes die Schuhe ausziehen und ihm ins 
Angesicht speien und dabei ausrufen, er sei dieser 
Schmach würdig, weil er das Andenken an den Ver- 
storbenen verunehrt habe. Dann soll er aus der Ver- 
sammlung der Ältesten sich entfernen und für alle Zeit 
mit Schimpf bedeckt sein; sie aber kann dann heiraten, 
wen sie will. — Wenn jemand eine Jungfrau oder auch 
eine verheiratete Frau, die kriegsgefangen ist, zur Ehe 
nehmen will, so soll ihm nicht eher gestattet sein ihr 
beizuwohnen, als bis sie ihr Haar geschoren, ein Trauer- 
gewand angelegt und ihre Verwandten und Freunde, die 
im Kampfe gefallen sind, beweint hat Und erst wenn 
so der Trauer um jene Genüge geleistet ist, soll sie sich 
zum Hochzeitsmahle rüsten. Denn es ist anständig und 
gerecht, dass derjenige, der ein Weib heiraten und 
Kinder mit ihr zeugen will, Rücksicht auf sie nimmt 
und ihre Wünsche erfüllt, anstatt nur seiner Lust zu 
fröhnen. Wenn nun dreissig Trauertage um sind (denn 
so viele Tage genügen einem verständigen Menschen zur 
Beweinung seiner Lieben), darf die Hochzeit stattfinden. 
Wenn aber der Mann nach Stillung seiner Begierde sich 
weigert, sie zum Weibe zu haben, so soll ihm nicht 




Viertes Bach, 8. Kapitel. 


239 


gestattet sein, sie zu seiner Sklavin zu machen, sondern 
sie soll nach freiem Willen gehen können, wohin 
sie will. 

24. Einen Jüngling, der seine Eltern verachtet, ihnen 
die^ schuldige Ehrenbezeugung verweigert oder sie mit 
Absicht schmäht und lästert, sollen die Eltern zunächst 
mit Worten strafen (denn sie sind die geeignetsten 
Richter) etwa so: Sie hätten sich nicht geheiratet des 
Vergnügens wegen oder um durch Vereinigung ihres 
beiderseitigen Vermögens ihren Besitz zu vergrössern, 
sondern um Kinder zu bekommen, die sie im Alter er- 
nähren und mit dem Notwendigen versehen sollten. 
„Wir haben dich,“ so werden sie etwa sagen, „mit 
Freude erwartet, dich unter grösstem Dank gegen Gott 
sorgfältig erzogen und nichts verabsäumt, was zu deiner 
Wohlfahrt und zu deiner Bildung nützlich war. Wenn 
nun auch jungen Leuten leicht schon etwas nachgesehen 
werden kann, so ist es doch genug damit, dass du uns 
die gebührende Ehre versagt hast. Sei also vernünftig 
und bedenke, dass auch Gott an den Vergehen gegen 
die Eltern kein Wohlgefallen hat, da er selbst der Vater 
des ganzen Menschengeschlechtes ist und in denen, mit 
welchen er den Namen teilt, beleidigt wird, wenn die 
Kinder ihnen nicht die schuldige Ehrenbezeugung er- 
weisen. Dazu straft auch das Gesetz unerbittlich solche 
Vergehen, und wir hoffen nicht, dass du dich dieser Ge- 
fahr aussetzen willst“ Wenn nun hierdurch der Jüngling 
von seinem schlechten Treiben abgehalten wird, so sollen 
sie ihm weitere Vorwürfe ersparen, da er nur aus Un- 
verstand so handelte. Denn so erweist sich die Milde 
des Gesetzgebers, und es wird den Eltern Freude bereitet, 
wenn sie ihren Sohn oder ihre Tochter nicht weiter zu 
strafen brauchen. Wenn aber ihre Ermahnungen und ihre 
Besserungsversuche nichts fruchten, die Kinder vielmehr 
durch fortgesetzten Widerstand gegen ihre Eltern die 
Gesetze sich zu unversöhnlichen Feinden machen, so 
sollen die Eltern das missratene Kind aus der Stadt 
führen und es dort vom Volke steinigen lassen. Einen 


240 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ganzen Tag soll dann der Frevler zum warnenden 
Beispiel für alle liegen bleiben und in der folgenden 
Nacht begraben werden. So sollen auch die bestraft 
werden, die nach dem Gesetz um irgend welcher Ur- 
sache willen zum Tode verurteilt worden sind. Be- 

# 

graben aber soll man auch die Feinde, und niemand 
soll nach erlittener Strafe unbegraben liegen bleiben. 

25. Keinem Hebräer ist es gestattet, Speise oder 
Trank gegen Zinsen zu geben ; denn es ist nicht gerecht, 
den Besitz seines Stammesgenossen als Gewinn an sich 
zu ziehen. Vielmehr soll man seiner Not aufhelfen und 
seinen Dank sowie die Vergeltung, die Gott der 
Barmherzigkeit gewährt, als hinreichenden Gewinn an- 
sehen. 

26. Wer aber Geld oder Früchte, seien es trockene 
oder feuchte, entliehen hat, der soll, wenn seine Verhält- 
nisse sich durch Gottes Güte bessern, das Entliehene 
den Gläubigern bereitwillig zurückerstatten, um es bei 
ihnen gleichsam in Gewahrsam zu geben und es von 
ihnen wieder zu bekommen , wenn er dessen bedarf. 
Wenn aber die Schuldner hinsichtlich der Rückgabe 
lässig sind, so soll es nicht gestattet sein, ohne vorher- 
gehendes Urteil in ihre Wohnung einzudringen und 
Pfandgegenstände wegzunehmen. Der Gläubiger soll 
vielmehr vor der Thür stehen bleiben, und der 
Schuldner ihm das Pfand herausbringen, ohne sich ihm 
zu widersetzen, da er unter dem Schutze des Gesetzes 
zu ihm kommt. Ist der Pfandgeber bemittelt, so darf 
der Gläubiger das Pfand behalten, bis das Entliehene 
erstattet ist; ist er aber arm, so soll der Gläubiger ihm 
das Pfand vor Sonnenuntergang zurückgeben, besonders 
wenn es ein Kleid ist, das er während des Schlafes 
braucht. Denn auch Gott ist seiner Natur nach barm- 
herzig gegen die Armen. Die Mühle aber und was 
dazu gehört, soll man nicht als Pfand nehmen, damit 
der Arme nicht verhindert wird, sich seine Nahrung 
zuzubereiten, und so in noch grössere Not gerät. 

27. Auf Diebstahl steht die Todesstrafe. Wer Gold 



Viertes Buch, 8. Kapitel. 


24! 


oder Silber gestohlen hat, soll das Doppelte davon 
zurückerstatten. Wenn jemand einen Dieb tötet, so soll 
•er frei von Strafe sein , auch wenn er ihn nur beim 
Einbrechen ertappt hat. Wer Vieh gestohlen hat, soll 
das Vierfache davon ersetzen, hat er aber einen Ochsen 
gestohlen, das Fünffache. Wer die Strafe nicht bezahlen 
kann, soll der Sklave dessen sein, dem er dieselbe 
schuldet. 

28. Wer seinem Stammesgenossen verkauft wird, soll 
ihm sechs Jahre dienen, im siebenten aber freigelassen 
werden. Hat er jedoch mit der Sklavin des Käufers einen 
Sohn gezeugt und '•will er ihm wegen seiner Güte und 
Menschenfreundlichkeit freiwillig noch länger dienen, so 
soll er im Jahre Jobei (das ist im fünfzigsten Jahre) 
mit Weib und Kind in Freiheit gesetzt werden. 

29. Wenn jemand Gold oder Silber auf der Strasse 
findet, so soll er den Ort, wo er es gefunden, durch den 
Ausrufer verkünden lassen, den Eigentümer ausfindig 
machen und ihm das Gefundene wieder zustellen; denn 
er soll es nicht für recht halten, Nutzen aus dem Ver- 
lust eines anderen zu ziehen. Ebenso soll man auch 
das Vieh, das man in der Wüste umherirrend antrifft 
und dessen Besitzer man nicht gleich ermitteln kann, 
in Verwahr nehmen und Gott zum Zeugen dafür an- 
rufen, dass man fremdes Gut nicht unterschlagen wolle. 

30. Wenn man Vieh antrifft, das vor Ermattung zu- 
sammengebrochen oder im Unwetter in den Strassen kot 
gefallen ist, so soll man an ihm nicht vorübergehen, 
sondern ihm zu Hilfe kommen und so handeln, als ob 
man sein eigenes Vieh rettete. 

31. Die des Weges Unkundigen soll man zurecht- 
weisen und sie weder verspotten noch zulassen, dass 
ihnen aus ihrem Irrtum ein Schaden erwächst. 

32. Einen Stummen oder einen Tauben soll man 
nicht schmähen. 

33. Wer einen anderen im Streit ohne Waffen zu 
Tode verwundet, soll sogleich die Todesstrafe erleiden. 
Wenn aber der Verwundete nach Hause geschafft wird 

JosephuB 9 Jüdische Altertümer* 16 



242 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und erst nach mehrtägigem Krankenlager stirbt, soll der 
Thäter ohne Strafe davonkommen. Wird er wieder heil 
und hat er vielen Aufwand durch seine Krankheit ge- 
habt, so soll der Thäter ihm alles bezahlen, was er für 
' sein Krankenlager und für die Ärzte ausgegeben hat. — 
Wer eine schwangere Frau mit dem Fusse tritt, sodasa 
eine Fehlgeburt erfolgt, soll vom Richter mit Geldstrafe 
belegt werden, weil die Fehlgeburt verschuldet, dass ein 
Mensch weniger zur Welt kommt; auch dem Gatten 
der Frau soll er eine Geldbusse entrichten. Stirbt die 
Frau aber von dem Fusstritt, so soll der Thäter mit 
dem Tode bestraft werden, denn das Gesetz gebietet: 
Leben um Leben. 

34. Kein Israelit soll Gift besitzen, sei es todbringend 
oder sonst schädlich. Wird er im Besitze desselben er- 
tappt, so soll er die Todesstrafe erleiden, also dasselbe,, 
das die erlitten hätten, denen das Gift zugedacht war. 

• 85. Wer einen anderen verstümmelt hat, soll dasselbe 
Glied verlieren, dessen er den anderen beraubte, es sei 
denn, dass der Verstümmelte sich mit Geldentschädigung 
zufrieden giebt. Denn das Gesetz giebt dem Geschädigten 
das Recht, seinen Schaden selbst abzuschäfken und sich 
hiermit zufrieden zu geben, wenn er kein strengeres Ein- 
schreiten wünscht. 

36. Wer einen stössigen Ochsen besitzt, soll ihn 
schlachten. Hat der Ochs jemand auf der Tenne zu 
Tode gestossen, so soll er zu Tode gesteinigt, und sein 
Fleisch nicht verzehrt werden. Wird nachgewiesen, das» 
sein Herr um seine Unart gewusst, ihn aber dennoch 
nicht besser in Obacht genommen hat, so soll dieser 
selbst des Todes sterben, weil er Schuld trägt, dass sein 
Ochs einen Menschen getötet hat. Hat der Ochs einen 
Sklaven oder eine Magd getötet, so soll er gesteinigt 
werden; der Besitzer aber muss an den Herrn des Ge- 
töteten dreissig Sekel zahlen. Hat ein Ochs einen 
anderen Ochsen zu Tode gestossen, so sollen beid£ ver- 
kauft werden, den Erlös aber sollen die Besitzer unter 
aich teilen. 



Viertes Buch, 8. Kapitel. 


243 


37. Wer einen «Brunnen oder sonst einen Wasser- 
behälter gräbt, soll ihn sorgfältig mit Brettern zudecken y 
nicht um jemand zu verhindern, Wasser daraus zu ent- 
nehmen, sondern damit niemand hineinfalle. Wenn 
aber in eine solche Grube Vieh hineinfallt und zu 
Grunde geht, so soll der Besitzer der Grube dem Herrn 
des Viehes den Wert desselben ersetzen. Auch sollen 
die Brunnen mit einer wandartigen Einfriedigung ver- 
sehen sein, dass niemand hineinfallt. 

38. Wer etwas zum Aufbewahren annimmt, soll es 
wie eine heilige und göttliche Sache in Obacht nehmen,, 
und niemand, sei es Mann oder Weib, soll denjenigen, 
der ihm etwas anvertraut hat, darum betrügen, wenn er 
auch eine Menge Geld dadurch gewinnen und sicher 
sein kann, dass niemand ihn zu überführen imstande 
ist. Denn jeder soll rechtlich handeln, sein Gewissen und 
besonders Gott scheuen, vor dem kein Böser verborgen 
bleibt, damit er sich das Zeugnis geben kann, nur 
Thaten vollbracht zu haben, die das Lob seiner Mit- 
menschen verdienen. Wenn jemand, der etwas zum 
Aufbewahren angenommen hat, dieses ohne seine Schuld 
verliert, so soll er vor sieben Richter hintreten und bei 
Gott schwören, dass er es nicht absichtlich und durch 
seine Schuld verloren, auch nichts davon für sich selbst 
verwendet habe. Alsdann soll er freigesprochen werden. 
Hat er aber das mindeste von dem Anvertrauten zu 
seinem Nutzen veruntreut und verloren, so soll er ver- 
urteilt werden, auch alles übrige zurückzuerstatten. In 
gleicher Weise soll es auch mit dem Arbeitslohn ge- 
halten werden. Dem armen Manne soll man seinen 
Lohn nicht vorenthalten, sondern bedenken, dass Gott 
ihm keinerlei eigenen Besitz beschert hat. Auch soll 
man die Auszahlung des Arbeitslohnes nicht ver- 
schieben, sondern sie noch am selben Tage bewirken; 
denn Gott will nicht, dass der Arbeiter den Ertrag seiner 
Arbeit entbehre. 

39. Kinder sollen für die Schuld ihrer Eltern nicht 
büssen, vielmehr verdienen sie, wenn sie selbst brav 

i« # 




244 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sind, mehr Mitleid als Hass dafür, dass sie von so gott- 
losen Eltern abstammen. Aber auch soll die Sünde der 
Kinder nicht den Eltern zur Last gelegt werden, da 
junge Leute aus Überdruss am Lernen sich vieles er- 
lauben, was gegen die Vorschriften verstösst. 

40. Man scheue und fliehe den Umgang der Ver- 
schnittenen, denen die Manneskraft und Zeugungsfahig- 
keit fehlt, die Gott den Menschen zur Mehrung ihres 
Geschlechtes verliehen hat. Sie sollen verstossen werden, 
als ob sie die Kinder gemordet hätten, noch ehe diese 
geboren sind, und weil sie sich der Zeugungsfahigkeit 
beraubt haben. Weibisch wie ihr Körper ist auch ihre 
Seele. Verworfen soll auch sein, was das Aussehen 
einer Missgeburt hat. Überhaupt soll man weder Menschen 
noch Tiere verschneiden. 

41. Das soll nun im Frieden die Verfassung eures 
Staates sein, und der gnädige Gott wird ihn in Ehren 
halten und vor Aufruhr bewahren. Möge nie die £eit 
kommen, da eines dieser Gesetze verändert oder ins 
Gegenteil verkehrt wird. Da es aber natürlich ist, dass 
das Menschengeschlecht, sei es ohne oder mit seinem 
Willen, in Verwirrung und Gefahren geraten kann, so 
will ich auch für diesen Fall einiges anordnen, damit ihr 
wisst, was ihr Zweckmässiges thun müsst, wenn es nötig 
ist, und euch nicht erst danach umzusehen braucht, 
wenn ihr unvermutet in Gefahr geratet. Gebe Gott, 
dass ihr das Land, das er euch als Lohn für eure Mühen 
und Tugenden schenkt, in Ruhe und Frieden bebauen 
möget, und dass sein Besitz euch weder durch feindliche 
Einfalle, noch durch innere Unruhen verkümmert werde. 
Möget ihr auch nichts thun, was dem Sinne eurer Väter 
widerspricht, damit ihr deren Gesetze nicht einbüsst, 
sondern stets nach den Vorschriften lebt, die Gott euch 
als gut und bewährt übergeben hat. Wenn aber euch 
oder eure späteren Nachkommen das Los trifft, Krieg 
führen zu müssen, so möge derselbe ausserhalb eures 
Landes sich abspielen. Auch sollt ihr, ehe ihr in den 
Krieg eintretet, Gesandte und Herolde an eure Feinde 




Viertes Buch, 8. Kapitel. 


245 


schicken. Denn es geziemt sich, dass ihr, ehe ihr zu 
den Waffen greift, euren Feinden zuvor erklärt, ihr 
möchtet, obgleich ihr ein grosses Heer, Reiterei und 
Waffen und vor allem den gnädigen Gott als Beschützer 
hättet, dennoch nicht gern zu einem Kriege euch ge- 
zwungen sehen, noch ihnen wider ihren Willen ihr Hab 
und Gut rauben. Geben sie dann nach, so ziemt es sich, 
dass ihr mit ihnen Frieden haltet. Wollen sie aber im 
Vertrauen auf ihre Stärke mit euch kämpfen, so führt 
euer Heer gegen sie und wählt Gott zu eurem obersten 
und einen tüchtigen Mann zu eurem zweiten Feldherrn. 
Denn viele Befehlshaber schaden gar oft, zumal wenn 
rasches Handeln erforderlich ist. Das Heer soll rein 
und aus den stärksten und mutigsten Männern aus- 
gewählt sein. Furchtsame dagegen sollen zurückgewiesen 
werden, damit sie nicht, wenn es zur Entscheidung 
kommt, durch ihre Flucht den Feinden Vorteil bereiten. 
Diejenigen, welche ein Haus gebaut haben, das sie noch 
kein Jahr bewohnen, sowie die, die gesäet und noch 
nicht geerntet haben, ferner die Verlobten oder jung 
Verheirateten sollen zu Hause bleiben, damit sie nicht 
vor Sehnsucht nach dem, was sie zurückgelassen, ihr 
Leben schonen und sich feige benehmen. 

42. Ist da6 Lager errichtet, so hütet euch vor grausamen 
und gottlosen Handlungen. Bei der Belagerung einer 
Stadt sollt ihr, wenn ihr Mangel an Holz zu Bollwerken 
habt, keine fruchtbaren Bäume abhauen, sondern sie ver- 
schonen und bedenken, dass sie zum Nutzen der Menschen 
geschaffen sind und dass sie, wenn sie reden könnten, 
sich beschweren würden, dass sie unverdient misshandelt 
würden, da sie keine Veranlassung zu dem Kriege ge- 
geben hätten, und dass sie, wenn es ihnen möglich wäre, 
fortwandem und in ein anderes Land ziehen würden. 
Habt ihr eine Schlacht gewonnen, so tötet die, die gegen 
euch gekämpft haben, die übrigen aber machet euch 
tributpflichtig mit Ausnahme der Chananäer, die ihr 
gänzlich vertilgen sollt. 

43. Seht euch besonders im Kriege vor, dass nicht 



246 


Josephus’ Jüdische Alter tümer. 


«in Weib Manneskleider oder ein Mann Weiberkleider 
trage. 

44. Das ist die Verfassung, die Moyses hinterliess. 
Die Gesetze dagegen hat er vierzig Jahre früher gegeben; 
von ihnen will ich in einem anderen Werke sprechen. — 
An den folgenden Tagen (er redete unermüdlich) über- 
gab er dem Volke die glückbringenden Gebetsformeln 
und die Verwünschungen gegen diejenigen, welche den 
Gesetzen zuwiderhandeln würden. Hierauf las er ihnen 
ein Lied in sechsfüssigen Versen vor, das er in einem 
heiligen Buche aufgezeichnet hinterlassen hat. Dasselbe 
enthält eine Weissagung der Zukunft, nach welcher 
alles eingetroffen ist und noch eintrifft. Diese heiligen 
Bücher übergab er den Priestern, desgleichen auch die 
Lade, in welcher er die auf zwei Tafeln geschriebenen 
zehn Gebofe niederlegte, und die heilige Hütte. Das 
Volk ermähnte er, nach der Eroberung und Besitz- 
ergreifung Chananaeas das ihm von den Amalekitern 
zugefügte Unrecht nicht zu vergessen, sondern gegen sie 
zu Felde zu ziehen und, das Leid, das sie ihnen in der 
Wüste angethan, zu rächen. Sobald sie das Land 
Chananaea in Besitz genommen und die ganze Einwohner- 
schaft, wie es sich gebühre, vernichtet hätten, sollten sie 
einen Altar errichten gegen Sonnenaufgang, nicht weit 
von der Stadt der Sikimiter zwischen zwei Bergen, von 
denen der zur Rechten Garizin, der zur Linken Gibal 
heisse. Das Volk solle sich zu je sechs Stämmen auf 
den beiden Bergen samt den Priestern und Leviten auf- 
stellen. Dann sollten zunächst die, die auf dem Berge 
Garizin ständen, denjenigen Glück und Segen wünschen, 
die Gott eifrig dienten, die Gesetze beobachteten und 
den Vorschriften des Moyses nicht zuwiderhandelten. 
Die sechs anderen Stämme sollten ihnen beipflichten 
und ebenso, wenn sie die Segenswünsche aussprächen, 
die ersteren ihnen zustimmen. . Darauf sollten sie die 
Gesetzesübertreter verwünschen, und was die einen aus- 
sprächen, sollten die anderen jedesmal billigen. Diese 
Segenswünsche und Fluchworte schrieb Moyses auf, da- 



Viertes Buch, 8. Kapitel. 


247 


mit ' sie stets im Gedächtnis blieben. Auch liess er sie 
im Angesichte seines Todes auf beide Seiten des Altares 
schreiben. Dann gebot er dem Volke, vor diesem Altar 
stehend Brandopfer darzubringen, nach diesem Tage aber 
kein anderes Opfer mehr auf ihn zu legen; denn das 
sei nicht gestattet Diese Vorschriften gab Moyses, und 
das Hebräervolk hat sie später getreulich befolgt. 

45. Am folgenden Tage berief Moyses das Volk mit 
Weibern, Kindern und Sklaven zusammen und liess 
sie schwören, die Gesetze zu beobachten und in eifriger 
Erfüllung des göttlichen Willen sie nicht zu übertreten, 
weder aus Rücksicht auf Verwandtschaften, noch aus 
Furcht, noch weil sie irgend einen anderen Grund für 
wichtiger hielten als die treue Beobachtung der Gebote. 
Und sollte irgend ein Verwandter oder irgend eine Stadt 
die Verfassung ihres Staates zu verwirren und zu lösen 
wagen, so sollten sie samt und sonders sich dagegen 
wehren. Hätten sie dann die Feinde überwunden, so 
sollten sie dieselben gänzlich ausrotten und keine Spur 
von den übermütigen Frevlern übrig lassen. Seien sie 
aber nicht mächtig genug, um die Strafe zu vollstrecken, 
so sollten sie wenigstens zeigen, dass die Übelthat gegen 
ihren Willen geschehen sei. Und das Volk leistete den 
Schwur. 

46. Moyses lehrte sie auch, wie sie Gott wohlgefällige 
Opfer darbringen, wie sie zum Kriege ausziehen und wie 
sie aus den Edelsteinen ein Zeichen entnehmen sollten, 
wovon ich oben Erwähnung gethan habe. Auch Jesus 
prophezeite noch in Gegenwart des Moyses, erwog alles, 
was er für die Wohlfahrt des Volkes im Frieden wie 
im Kriege, für die Gesetzgebung und die Staats Verfassung 
thun müsse, und verkündete ihnen nach Gottes Ein- 
gebung, sie würden, wenn sie die Gottesverehrung ver- 
nachlässigten, allerlei Ungemach erleiden. Ihr Land 
würde sich mit Feinden füllen, ihre Städte zerstört, ihr 
Tempel verbrannt werden, und sie selbst in die Sklaverei 
von Menschen geraten, die kein Mitleid mit ihrem Un- 
glück empfänden. Zu spät würden sie dann Reue fühlen. 



248 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Doch werde Gott, der sie erschaffen, ihren Nachkommen 
Städte und den Tempel wiedergeben. Dieser Verlust 
werde sich aber nicht nur einmal, sondern oft ereignen. 

47. Darauf ermahnte Moyses den Jesus, Krieg gegen 
die Chananäer zu führen, da Gott ihm in allen seinen 
Unternehmungen beistehen werde. Dann segnete er das 
ganze Volk und sprach: „Da ich nun zu unseren Vätern 
gehe, und Gott mirl diesen Tag als Sterbetag bestimmt 
hat, so sage ich ihm, weil ich noch lebe und bei euch 
bin, Dank dafür, dass er euch nicht nur von Leiden be- 
freit, sondern auch manches Gute euch geschenkt hat, 
ferner dafür, dass er mich in allen meinen Mühen und 
Sorgen, die ich um die Verbesserung eurer Lage gehabt 
habe, unterstützt und sich uns in allem gnädig er- 
wiesen hat. Er war es, der uns in allen Unternehmungen 
vorangegangen ist und ihnen einen glücklichen Ausgang 
gegeben hat, denn ich war nur sein Stellvertreter und 
Diener bei Zuteilung der Wohlthaten, die er euch er- 
zeigte. Darum halte ich es für billig, die Allmacht 
Gottes, der auch in Zukunft sich euer annehmen wird, 
vor meinem Scheiden gebührend zu loben. Denn ich 
fühle mich verpflichtet, ihm auch meinerseits den schuldi- 
gen Dank abzustatten, dann aber euch ans Herz zu 
legen, wie sehr ihr ihn ehren und lieben und die Ge- 
setze als das herrlichste Geschenk von allem, was er 
euch verliehen und in seiner Huld auch weiterhin be- 
scheren wird, in Obacht halten müsst. Bedenket auch, 
wie unwillig schon ein menschlicher Gesetzgeber ist, 
wenn seine Gesetze übertreten und verachtet werden; 
um wie viel weniger werdet ihr da den Zorn Gottes auf 
euch ziehen wollen, mit dem er die Missachtung seiner 
eigenen Gebote ahndet.“ 

48. Als Moyses am Ende seines Lebens so gesprochen 
und jedem Stamme unter Segenswünschen sein künftiges 
Schicksal geweissagt hatte, brach das Volk in Thränen 
aus. Die Weiber schlugen an ihre Brust im Schmerze 
über seinen bevorstehenden Tod, und sogar die Kinder, 
welche um so mehr jammerten, je schwächer sie in der 



Viertes Buch, 8. Kapitel. 


24£ 

Unterdrückung ihres Kummers waren, zeigten, dass sie 
seine Tugenden und die Grösse seiner Thaten besser 
erkannten, als ihr Alter hätte erwarten lassen sollen. 
Alt und Jung schien sich in Schmerzensausbrüchen ein- 
ander überbieten zu wollen. Die einen beklagten die 
Zukunft, da sie wohl wussten, welchen Führer und Vor- 
steher sie an Moyses verloren ; die anderen trauerten um 
ihn, weil er scheiden müsse, noch ehe sie seine Tüchtig- 
keit recht erkannt hätten. Die Grösse der Trauer und 
des Jammers des Volkes lässt sich am besten daraus 
entnehmen, was dem Gesetzgeber selbst begegnete. Ob- 
gleich er nämlich in seinem ganzen Leben überzeugt 
gewesen war, man dürfe sich wegen seines bevorstehenden 
Todes nicht abhärmen, da man ihn nach dem Willen 
Gottes und den Gesetzen der Natur erleiden müsse, so 
presste ihm doch das Wehklagen des Volkes Thränen 
aus. Als er sich nun wegbegab nach dem Orte, wo er 
dem Anblick entrückt werden sollte, folgten ihm alle 
weinend nach. Moyses aber winkte den weiter Entfernten 
mit der Hand, dass sie ruhig stehen bleiben sollten. Die 
ihm näher Stehenden hingegen ermahnte er, sie sollten 
ihm nicht dadurch, dass sie ihm folgten, den Abschied 
noch mehr erschweren. Hierin glaubten sie ihm will- 
fahren zu müssen und hielten sich deshalb weinend zu- 
rück, damit er nach seinem Willen aus dem Leben 
scheiden könne, und nur die Ältesten, der Hohepriester 
Eleazar und der Heerführer Jesus begleiteten ihn. Als 
er nun auf dem Berge Abar angekommen war (dieser 
Berg ragt in der Gegend von Jericho empor, und man 
hat von ihm einen herrlichen und weiten Ausblick auf 
das Land Chananaea), entliess er die Ältesten. Darauf 
umarmte er den Eleazar und den Jesus, und während 
er noch mit ihnen sprach, liess sich plötzlich eine Wolke 
auf ihn herab, und er entschwand in ein Thal. In den 
heiligen Büchern aber hat er geschrieben, er sei ge- 
storben, aus Furcht, man möchte sagen, er sei wegen 
seiner hervorragenden Tugenden zu Gott hinüber- 
gegangen. 



250 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


49. Er lebte im ganzen einhundertzwanzig Jahre, wo- 
von er den dritten Teil weniger einen Monat Führer des 
Volkes gewesen ist. Er starb im letzten Monate des 
Jahres, der bei den Macedoniern Dystros, bei uns Adar 
heisst, zur Zeit des Neumondes. An Geistesschärfe über- 
traf er alle Menschen, die je gelebt haben, und geschickt 
im Erdenken von Plänen, besass ec auch eine wunder- 
bare volkstümliche Beredsamkeit. Seine Stimmungen 
beherrschte er in solchem Grade, dass sie in ihm gar 
nicht vorhanden zu sein schienen, und dass er ihre 
Namen mehr deshalb, weil er sie bei anderen Menschen 
sah, als von sich selbst her zu kennen schien. Er war 
ein vorzüglicher Feldherr und ein Seher, wie kaum ein 
zweiter, sodass, wenn er redete, man Gott selbst sprechen 
zu hören vermeinte. Das Volk beweinte ihn dreissig 
Tage lang, und eine so ungeheure Trauer hat die Hebräer 
nie wieder ergriffen, als damals, da Moyses starb. Und 
es vermissten ihn nicht nur diejenigen, die persönlich 
mit ihm verkehrt hatten, sondern auch alle, die seine 
Gesetze kennen lernten, weil sie aus ihnen auf die hervor- 
ragende Grösse seiner Tugend schliessen konnten. So 
viel sei über den Tod des Moyses gesagt. 



Fünftes Bueh. 

Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 476 Jahren. 

Inhalt. 

Wie Jesus, der Feldherr der Hebräer, die Chananäer bekriegte, 
sie ausrottete und ihr Land unter die Stämme verloste. 

"2. Wie nach dem Tode des Feldherrn die Israeliten ihre väterlichen 
Gesetze übertraten und deshalb in grosses Unglück gerieten, 
und wie nach einer Empörung der ganze Stamm Benjamin bis 
auf sechshundert Mann zu Grunde ging. 

3. Wie Gott sie nach dieser Drangsal wegen ihrer Missethaten in 

die Knechtschaft der Assyrier geraten liess. 

4. Wie Hothniel, der Sohn des Kenez, der von den Griechen und 

Phoenikern Richter genannt wird und vierzig Jahre regierte, 
ihnen die Freiheit wieder errang. . 

-6. Wie unser Volk in die Knechtschaft der Moabiter geriet und 
durch Ehud, der achtzig Jahre regierte, befreit wurde. 

-6. Wie sie hierauf zwanzig Jahre lang unter der Botmässigkeit der 
Chananäer standen uud von Barak und Debora befreit wurden, 
die vierzig Jahre regierten. 

7. Wie die Amalekiter die Israeliten bekriegten, sie unterwarfen 
und ihr Land sieben Jahre lang bedrückten. 

5. Wie Gedeon sie von den Amalekitern befreite und vierzig Jahre 

regierte. 

9. Wie viele seiner Nachfolger mit den umwohnenden Völker«' 
schäften langwierige Kriege führten. 

10. Von der Stärke Samsons, und wie er die Palaestiner 1 bedrängte. 

11. Wie die Söhne des Priesters Eli von den Palaestinern in der 

Schlacht getötet wurden. 

12. Wie ihr Vater, als er dieses Unglück vernahm, vom Sessel 

stürzte und den Tod fand. 

IS. Wie die Palaestiner in diesem Kriege die Hebräer besiegten und 
deren heilige Lade wegführten. 


1 Philister. 



252 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


Erstes Kapitel. 



Wie Jesus, der Feldherr der Hebräer, die Chananäer bekriegte,. 


sie ausrottete und ihr Land unter die Stämme verloste. 

1. Als nun Moyses, wie gesagt, den Menschen ent- 
rückt war, und die gebührenden Trauerfeierlichkeiten für 
ihn stattgefunden hatten, verkündete Jesus dem Volke, 
es solle sich zum Kriegszug rüsten. Zugleich schickte 
er Kundschafter in das Gebiet Jerichos, um die Starke 
und die Gesinnung seiner Bewohner zu erforschen. 
Darauf stellte er das Heer in Schlachtordnung auf, um 
rechtzeitig den Jordan überschreiten zu können, und be- 
rief zu sich die Häupter der Stämme Rubel, Gad und 
Manasses (denn der Hälfte dieses Stammes war das 
Land Amoraea, der siebente Teil von Chananaea, ein- 
geräumt worden). Er erinnerte sie an das, wa6 eie den» 
Moyses versprochen, und beschwor sie, dass sie aus 
Dank gegen diesen, der bis zum Ende seines Lebens für 
sie gesorgt habe, wie auch um des allgemeinen Besten» 
willen ihre Versprechungen bereitwillig einlösen möchten. 
Und da sie ihm Folge leisteten, zog er mit fünfzig- 
tausend Bewaffneten von Abila sechzig Stadien weit an 
den Jordan. 

2. Als hier das Lager aufgeschlagen war, kamen 
auch sogleich die Kundschafter, welche alles bei den 
Chananäern erforscht hatten. Da sie nämlich anfangs 
dort nicht erkannt wurden, konnten sie ohne Furcht 
deren ganze Stadt durchspähen und in Erfahrung 
bringen, wo die Mauern am stärksten und wo sie 
schwächer waren, auch welche Thore wohl am ehesten 
dem Heere einzudringen gestatten würden. Diejenigen 
aber, die ihnen zufällig begegneten, achteten nicht 
darauf, dass sie alles so genau betrachteten, in der 
Meinung, sie wollten nur nach Art der Fremden die 
Stadt aus Neugier besichtigen; dass sie das in feind- 
licher Absicht thaten, ahnten sie nicht im mindesten. 
Gegen Abend kehrten die Kundschafter in eine Herberge 



Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


253 


nahe bei der Stadtmauer ein, wo sie auch schon vorher 
ihr Mahl eingenommen hatten. Und als sie nun über 
ihre Heimkehr zu beraten anfingen, wurde dem König 
beim Mahle angezeigt, es seien Leute aus dem Lager der 
Hebräer gekommen, um die Stadt auszuspionieren; sie 
«eien bei der Rachab eingekehrt und suchten sich hier 
möglichst verborgen zu halten. Darauf schickte der 
König sogleich Häscher ab, um sie festzunehmen; denn 
er wollte durch Anwendung der Folter von ihnen er- 
fahren, in welcher Absicht sie gekommen seien. Sobald 
aber Rachab von der Ankunft der Häscher erfuhr (sie 
trocknete gerade Flachsbündel auf dem Dache), verbarg 
sie die Kundschafter unter dem Flachs und sagte den 
Boten des Königs, es hätten zwar einige unbekannte 
Oäste bei ihr gespeist, sie hätten sich indes vor Sonnen- 
untergang entfernt. Wenn man sie aber im Verdacht 
habe, dass sie der Stadt oder dem Könige Schaden hätten 
zufügen wollen, so werde man sie wohl ohne Mühe ein- 
holen kpnnen, wenn man sie verfolge. Die Häscher 
Hessen sich von dem Weibe täuschen und dachten an 
nichts Arges, sodass sie nicht einmal die Herberge unter- 
suchten, sondern sich auf die Suche nach den Spionen 
begaben auf den Wegen, die zum Flusse führten, und 
die jene wahrscheinlich bei ihrer Flucht benutzt hatten. 
Da sie aber nicht die Spur von ihnen fanden, Hessen sie 
von weiterer Verfolgung ab. Als sich nun der Tumult 
gelegt hatte, holte Rachab die Versteckten herunter und 
erklärte ihnen, in wie grosser Gef ahr sie sich ihretwegen 
befunden habe. Wenn sie nämlich wären ertappt 
worden, so wäre sie der Rache des Königs nicht ent- 
gangen, vielmehr mit ihrem ganzen Hause getötet 
worden. Sie möchten also dessen eingedenk bleiben 
und . ihr für die jetzige Errettung später Dank wissen, 
wenn sie in den Besitz von Chananaea gelangt seien. 
Sie versprachen ihr auch, sich dankbar erweisen zu 
wollen, und schwuren ihr, sie wollten sie und ihre 
Familie verschonen, wenn sie nach der Eroberung der 
Stadt alle übrigen Einwohner umbringen würden, wie es 



254 


Josephuä’ Jüdische Altertümer. 


ihnen von Gott vorgeschrieben sei. Zugleich rieten sie 
ihr, sie solle, sobald sie die Einnahme der Stadt be- 
merke, ihr Hab und Gut und alle ihre Verwandten in 
ihre Herberge einschliessen und ein purpurrotes Band 
vor ihre Thür hängen, damit der Feldherr ihr Haus 
kenne und es verschone. Denn sie würden ihm sagen, 
das sei das Haus, in welchem sie gerettet worden seien. 
Sollte aber einer ihrer Angehörigen in der Schlacht 
fallen, so möge 9ie es ihnen nicht zur Last legen ; denn 
sie würden Gott, bei dem sie geschworen, bitten, sie vor 
dem Bruch ihres eidlichen Gelöbnisses zu bewahren. 
Nachdem sie dieses Versprechen geleistet, zogen sie ab, 
indem sie sich an einem Seile von der Stadtmauer 
herunterliessen. Und sie kehrten wohlbehalten zu den 
Ihrigen zurück, denen sie alles erzählten, was ihnen in 
der Stadt begegnet war. Darauf machte Jesus den Hohe- 
priester Eleazar und die Ältesten mit dem Eide bekannt, 
den die Kundschafter der Bachab geschworen hatten, 
und diese billigten ihn. 

3. Der Feldherr aber war in grosser Sorge wegen des 
Überganges über den Fluss, denn er war sehr an- 
geschwollen und hatte keine Brücken, und hätte man 
eine solche darüber schlagen wollen, so würde der Feind 
sie wohl daran gehindert haben ; Schiffe aber waren auch 
keine vorhandeu. Da aber verhiess ihnen Gott, er 
werde den Fluss abschwellen lassen, sodass sie ihn über- 
schreiten könnten. Deshalb führte Jesus nach zwei Tagen 
das Heer und das ganze Volk in folgender Ordnung 
hinüber. Voran gingen die Priester mit der heiligen 
Lade, dann folgten die Leviten, welche die Hütte und 
die zum Opferdienst bestimmten Geräte trugen. Hinter 
den Leviten zog dann das ganze Volk nach Stämmen, 
die Weiber und Kinder in der Mitte, damit sie nicht 
von der Strömung fortgerissen würden. Da nun die 
Priester zuerst hineinschritten und das Flussbett passier- 
bar fanden, weil das Wasser nicht tief war und der 
Kies, den der langsamer strömende Fluss nicht mit Ge- 
walt fortriss, ihnen festen Boden gewährte, so setzten 


Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


255 


auch alle anderen mutig über. Denn sie sahen, dass 
der Fluss sich so verhielt, wie Gott ihnen vorhergesagt 
hatte. Die Priester aber blieben in der Mitte des 
Flusses stehen, bis die ganze Menge hinüber war und 
sich in Sicherheit befand. Dann erst schritten auch sie 
ans Gestade und überliessen den Fluss wieder seiner 
Strömung. Sobald aber alle Hebräer hinüber waren,, 
schwoll der Fluss sogleich wieder an und erlangte 
seine frühere Höhe. 

4. Die Hebräer zogen darauf fünfzig Stadien weiter 
und schlugen das Lager zehn Stadien von Jericho ent- 
fernt auf. . Jesus aber baute aus den Steinen, die die 
einzelnen Stammesoberhäupter auf sein Geheiss im 
Flussbett aufgehoben hatten, einen Altar zum Andenken 
an das Zurückweichen des Flusses und opferte darauf. 
Hier feierte man auch das Paschafest, weil man jetzt 
alles in Überfluss besass, woran man früher Mangel ge- 
litten hatte. Denn da die Saaten der Chananäer reif 
waren, mähte man dieselben ab, und auch sonst machte 
man Beute. Das Manna aber, das sie vierzig Jahre 
lang genossen hatten, ging ihnen damals aus. 

5. Obgleich nun die Israeliten alles weit und breit 
verwüsteten , rührten sich die Chananäer nicht, sondern 
hielten sich hinter ihren Mauern. Jesus beschloss daher, 
sie zu belagern. Und am ersten Tage des Festes trugen 
die Priester die rings von bewaffneter Mannschaft um- 
gebene Lade unter dem Schall von sieben Hörnern um 
die Mauern der Stadt, indem sie das Volk zur Tapfer- 
keit anspomten; die Ältesten aber folgten hintendrein. 
Alsdann kehrten sie ins Lager zurück , ohne etwas 
anderes gethan zu haben, als die Hörner zu blasen. 
Als sie das sechs Tage nacheinander gethan hatten, ver- 
sammelte Jesus am siebenten Tage das Heer und das 
ganze Volk und verkündete ihnen die frohe Nachricht, 
dass die Stadt fallen werde, denn Gott werde noch an dem 
nämlichen Tage die Stadtmauern von selbst, ohne jede 
Anstrengung von seiten der Belagerer, Zusammenstürzen 
lassen. Zugleich befahl er ihnen, sie sollten alle, die 



256 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sie festnähmen, mit dem Schwerte umbringen, und sie 
sollten sich weder von Ermüdung hoch von Mitleid und 
Milde bewegen lassen, Schonung zu üben. Auch sollten 
sie die Feinde nicht aus Gier nach Beute entschlüpfen 
lassen, sondern alles Lebendige niedermachen und nichts 
zu ihrem eigenen Nutzen verwenden. Was sie von 
Gold und Silber vorfänden, sollten sie zusammenhäufen, 
um es als Erstlinge von der Beute der zuerst eroberten 
Stadt Gott darzubringen aus Freude über ihr Glück. 
Nur die Rachab und deren Verwandte sollten sie in 
Sicherheit bringen wegen des Eides, durch den die 
Kundschafter sich ihr verpflichtet hätten. 

6. Nach diesen Worten stellte Jesus das Heer in 
Schlachtordnung und führte es auf die Stadt an. Und 
man zog wieder rings um die Mauer unter Vorantritt der 
Lade und der Priester, die mit Hörnerschall das Heer 
zum Sturm anfeuerten. Als sie so siebenmal die Stadt 
umkreist hatten, standen sie ein wenig still, und plötz- 
lich stürzten die Stadtmauern ein, ohne dass die Hebräer 
Sturmgeräte oder irgend eine andere Gewalt gebraucht 
hätten. 

7. Die Hebräer drangen darauf in die Stadt ein und 
töteten alle Bewohner derselben, denn diese waren über 
den plötzlichen Einsturz der Mauern entsetzt und 
dachten nicht daran, Widerstand zu leisten. Und so 
wurden sie teils auf den Strassen, teils in den Häusern 
niedergemacht, und nichts wurde verschont bis auf die 
Weiber und Kinder. Und die ganze Stadt war mit 
Leichen gefüllt, da keiner lebend entkommen war. 
Darauf legten die Hebräer Feuer an und zerstörten die 
Stadt und alles ringsum. Die Rachab aber nebst den 
Ihrigen, die sich in die Herberge geflüchtet hatten, ent- 
rissen die Kundschafter der Gefahr. Und Jesus liess 
sie zu sich führen und dankte ihr dafür, dass sie die 
Kundschafter gerettet habe, versprach ihr auch für ihre 
gute That den gebührenden Lohn. Bald danach be- 
schenkte er sie mit Ackerland und liess ihr auch sonst 
alle Ehren anthun. 




Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


257 


8. Was in der Stadt vom Feuer verschont geblieben 
•war, liess Jesus von Grund aus zerstören. Auch ver- 
fluchte er alle, die etwa die zerstörte Stadt wieder auf- 
bauen wollten; der, welcher den ersten Stein zur neuen 
Stadtmauer legen würde, sollte seinen Erstgeborenen ver- 
lieren und, wenn er sie vollende, auch noch seinen 
jüngsten Sohn däzu. Diesen Fluch hat Gott später 
in Erfüllung gehen lassen, wie ich gelegentlich zeigen 
•werde. 

9. Bei der Zerstörung der Stadt wurde eine ungeheure 
Menge Silber, Gold und Erz aufgehäuft, da niemand den 
Befehl zu übertreten oder etwas zu seinem Vorteil zu 
verwenden sich getraute. Diese Beute übergab Jesus 
-den Priestern, die sie als besonderen Schatz aufbewahren 
sollten. So verhielt es sich mit der Zerstörung von 
Jericho. 

10. Ein gewisser Achar, Sohn des Zebedias aus dem 
Stamme Judas, hatte einen Königsmantel gefunden, der 
ganz mit Gold durchwirkt war und an Goldmasse zwei- 
hundert Sekel wog. Und da er dachte, es sei unbillig, 
dass er das, was er nach so grossen Gefahren als seinen 
Gewinn einheimsen könne, zu seinem Nachteil Gott 
opfern müsse, der dessen doch auch nicht bedürfe, 
machte er in seinem Zelte eine tiefe Grube und vergrub 
den Mantel in dem Wahn, er könne ihn so vor Gott 
ebenso wie vor seinen Gefährten verbergen. 

11. Der Ort, wo Jesus das Lager errichtet hatte, 
hiees Galgala, das ist „Freiheit.“ Denn nach Über- 
schreitung des Flusses hielt man sich von aller Mühsal, 
die man in Aegypten und in der Wüste erlitten hatte, 
befreit. 

12. Wenige Tage nach dem Falle Jerichos schickte 
Jesus nach der Stadt Anna, die oberhalb Jericho lag, drei- 
tausend Bewaffnete, welche mit den Annitern handgemein 
wurden , indes fliehen mussten und sechsunddreissig 
Mann verloren. Als die Israeliten das erfuhren, wurden 
sie sehr traurig und beklommen, nicht so sehr wegen 
des Verlustes ihrer Angehörigen, denn diese waren 

Joeephus ’ Jüdische Altertümer. 17 



258 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


tapfere und hochachtbare Männer, als vielmehr aus Ver- 
zweiflung. Denn sie hatten schon geglaubt^ sie würden 
sich des Landes bemächtigen, ohne Verluste zu erleiden, 
da Gott ihnen dies verheissen habe; und nun sahen 
sie wider Erwarten, dass die Feinde sogar siegen 
konnten. Daher legten sie Säcke an, trauerten und 
weinten den ganzen Tag und dachten nicht einmal 
daran, etwas zu essen — so schwer hatte sie der Unfall 
niedergebeugt. 

13. Als Jesus das Heer so niedergeschlagen und in 
Verzweiflung sah, wandte er sich vertrauensvoll zu 
Gott und betete: „Nicht aus Verwegenheit und Toll* 
kühnheit haben wir uns zur Eroberung dieses Landes 
mit Waffengewalt angeschickt, sondern dein Diener 
Moyses hat uns dazu ermuntert, da du unter Wunder- 
zeichen verheissen hattest, du würdest uns den Besitz 
dieses Landes verschaffen und unser Heer stets die 
Feinde besiegen lassen. Einiges ist ja auch nach deiner 
Verheissung bereits eingetroffen. Nun aber erleiden wir 
unerwartet eine Niederlage und büssen einen Teil 
unserer Mannschaft ein, weshalb wir an deinen Ver- 
heissungen und den Versprechungen des Moyses fast 
verzweifeln und in grosser Betrübnis uns befinden. Und 
da unser erster Versuch so ungünstig ausgefallen ist, 
blicken wir mit banger Besorgnis in die Zukunft. Du 
aber, o Herr, der du unserem Unglück Hilfe bringen 
kannst, nimm hinweg von uns alle Trauer und die 
bangen Sorgen wegen der Zukunft, und verleihe uns 
den Sieg.“ 

14. So flehte Jesus zu Gott, auf sein Angesicht hin- 
gesunken. Gott aber antwortete ihm, er solle aufstehen 
und das Heer von der Schuld reinigen, mit der es sich 
befleckt habe, da es an gottgeweihten Gegenständen 
Diebstahl verübte. Eben deshalb hätten sie die Nieder- 
lage erlitten, und sie würden über ihre Feinde wieder 
siegen, sobald sie den Gottesräuber ermittelt und bestraft 
hätten. Das verkündete Jesus dem Volke, berief den 
Hohepriester Eleazar und die Oberhäupter zu sich unä 



Fünftes Buch, 1 . Kapitel. 


259 


liess über die einzelnen Stämme das Los werfen. Und 
da das Los den Stamm Jndas als denjenigen auswies, 
dem derThäter angehöre, so wurde über dessen einzelne 
Familien das Los geworfen, und die Familie des Achar 
ermittelt. Alsdann wurde Mann für Mann ausgeforscht, 
und man überführte den Achar, der, als er sah, dass er 
die That nicht leugnen könne und dass Gottes Gericht 
ihn schwer getroffen habe, den Diebstahl eingestand und 
das Gestohlene hervorholte. Er wurde alsdann sogleich 
mit dem Tode bestraft und in der Nacht schimpflich 
begraben, wie es mit den öffentlich Hingerichteten zu 
geschehen pflegt. 

15. Darauf führte Jesus das Heer nach Anna, 
richtete in der Nacht Hinterhalte um die Stadt herum 
ein und griff mit Tagesanbruch die Feinde an. Als diese 
nun, durch ihren jüngst errungenen Sieg tollkühn ge- 
macht, stürmisch gegen die Hebräer anrannten, lockte 
er sie durch verstellte Flucht weit von der Stadt weg, 
sodass sie in dem Glauben, sie verfolgten die Hebräer, 
schon ihres Sieges gewiss waren. Dann aber wandten 
sich plötzlich die Hebräer, und zugleich wurden die im 
Hinterhalt Liegenden durch verabredete Zeichen zum 
Kampfe aufgefordert. Und sie drangen in die Stadt ein, 
während die Bürger auf den Mauern standen und die- 
jenigen beobachteten, die aus der Stadt ausgerückt 
waren. Darauf nahmen sie die Stadt und machten alles 
nieder, was ihnen entgegenkam, während Jesus sich auf 
die Feinde warf, ihre Reihen auflöste und sie in die 
Flucht schlug. Weil diese nun die Stadt noch für unbesetzt 
hielten, wollten sie sich hierhin zurückziehen. Als sie 
aber sahen, dass der Feind sich schon daselbst festgesetzt 
und die Stadt mit den Weibern und Kindern der Ver- 
nichtung durch Feuer preisgegeben hatte, zerstreuten sie 
sich in völliger Verwirrung über das Land und konnten 
vereinzelt nicht den geringsten Widerstand mehr leisten. 
Nachdem die Anniter also geschlagen waren, fiel eine 
grosse Menge Weiber, Kinder und Sklaven in die 
Hände der Israeliten. Ausserdem erbeuteten sie viel 



260 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


Gepäck, Vieh und bares Geld, denn die Gegend war 
reich. Alles dieses verteilte ‘Jesus in Galgala unter die 
Kämpfer. 

16. Als die Gabaoniter, die nahe bei Jerusalem 
wohnten, voh dem Schicksal der Städte Jericho und 
Anna hörten, fürchteten sie auch grosse Gefahr für sich 
selbst. Doch verschmähten sie es, den Jesus anzuflehen, 
da sie bei ihm doch nichts ausrichten zu können 
glaubten, weil er sich augenscheinlich die gänzliche Ver- 
nichtung der Chananäer vorgenommen hatte. Dagegen 
luden sie die Kepheriter und Kariathiarimiter, ihre Nach- 
baren, zum Abschluss eines Bündnisses ein, indem sie 
ihnen vorstellten, dass auch sie in derselben Gefahr 
schwebten. Als diese hiermit einverstanden waren, 
schickten sie Gesandte an Jesus ab, die sie unter ihren 
Mitbürgern als die zu diesem Dienste Tauglichsten er- 
mittelt hatten, und liessen ihm ein Bündnis antragen. 
Die Gesandten hielten es aber für gefährlich, sich als 
Chananäer zu bekennen, und glaubten besser zu fahren, 
wenn sie vorgäben , sie hätten mit den Chananäern 
nichts zu schaffen, sondern lebten weit von ihnen ent- 
fernt. Sie sagten also, sie seien zu ihm gekommen im 
Vertrauen auf seine Tugend und hätten eine mehrtägige 
Reise zurückgelegt, wofür ihre Kleider den Beweis er- 
brächten. Denn sie hätten diese bei der Abreise neu 
angezogen, doch seien sie über der langen Wanderung 
verschlissen. Sie hatten aber absichtlich zerrissene 
Kleider angelegt, um ihren Worten mehr Glauben zu 
verschaffen. So traten sie also in die Versammlung der 
Israeliten und erklärten, sie seien von den Gabaonitern und 
den nächsten Städten, die aber noch weit von da ent- 
fernt lägen, geschickt, um nach ihren väterlichen Ge- 
bräuchen mit ihnen Frieden und Freundschaft zu 
schliessen. Denn da sie wüssten, dass Gottes Freigebig- 
keit und Gnade ihnen das Land Chananaea geschenkt 
habe, so wünschten sie ihnen dazu viel Glück und be- 
gehrten sehr, von ihnen in die Zahl ihrer Bürger auf- 
genornmen zu werden. Und indem sie so sprachen. 



Fünftes Buch, 1 . Kapitel. 


261 


wiesen sie auf die Kennzeichen ihrer langen Reise hin 
und baten die Hebräer, mit ihnen ein freundschaftliches 
Bündnis zu schliessen. Jesus nun glaubte ihnen, dass 
sie keine Chananäer seien, und schloss Freundschaft mit 
ihnen, und auch der Hohepriester und die Ältesten 
schwuren ihnen, dass sie sie als Freunde und Bundes- 
genossen behandeln und nichts Feindliches gegen sie er- 
sinnen wollten. Dieser eidlichen Versicherung trat auch 
das ganze Volk bei. Als jene nun durch List ihre Ab- 
sicht erreicht hatten, kehrten sie zu den Ihrigen zurück. 
Jesus erfuhr jedoch später, als er mit dem Heere in den 
gebirgigen Teil von Chananaea kam, dass die Gabao- 
niter nicht weit von Jerusalem wohnten und zu den 
Ohananäern gehörten. Er beschied daher ihre Vorsteher 
zu sich und beschuldigte sie des Betruges. Diese aber 
gaben vor, sie hätten keine andere Möglichkeit ihrer 
Errettung gesehen und nur notgedrungen dazu ihre Zu- 
flucht genommen. Jesus berief also den Hohepriester 
Eleazar und die Ältesten zusammen und legte ihnen die 
Sache zur Entscheidung vor. Diese waren der Meinung, 
man solle sie zu öfferitlichen Diensten verwenden; den 
eidlich mit ihnen abgeschlossenen Vertrag aber dürfe 
man nicht verletzen. So fanden die Gabaoniter in der 
ihnen drohenden Gefahr Schutz und Hilfe. 

17. Über diesen Abfall der Gabaoniter war der König 
von Jerusalem sehr unwillig und ging deshalb die 
Könige der nächsten Städte um Beistand an, um die 
Gabaoniter zu bekriegen. Da diese aber merkten, dass 
die Könige jener Städte (es waren ihrer vier) den 
Jerusalemern halfen und in der Nähe ihrer Stadt bei 
einer Quelle ihr Lager aufgeschlagen hatten , riefen sie 
den Jesus zu Hilfe. Denn ihre Sache stand damals so, 
dass sie von jenen nur Verderben zu erwarten hatten, 
von denen aber, €Ue gegen die Chananäer einen Ver- 
nichtungskrieg führten, wegen des mit ihnen geschlossenen 
Bündnisses ihre Rettung hoffen konnten. Jesus eilte 
ihnen auch sogleich mit dem Heere zu Hilfe, marschierte 
Tag und Nacht und griff die Feinde, als sie sich zur 




262 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Belagerung anschickten, eines Morgens früh an, schlug 
sie in die Flucht und verfolgte sie in eine abschüssige 
Gegend hinein, die Bethora heisst. Und er erkannte, 
dass Gott selbst ihm zu Hilfe gekommen sei, an dem 
augenscheinlichen Beweise, dass es donnerte und blitzte 
und ein ungewöhnlich heftiger Hagel fiel. Dazu kam 
noch, dass der Tag sich verlängerte, damit die Hebräer 
nicht durch die Nacht an der Verfolgung gehindert 
wären. So kam es, dass Jesus bei Makkeda die Könige, 
die sich in einer Höhle versteckt hatten, ergriff und 
tötete. Dass aber der Tag sich damals wirklich ver- 
längerte und über die gewöhnliche Dauer hinaus sich 
ausdehnte, erhellt aus den heiligen Schriften, die im 
Archiv des Tempels aufbewahrt werden. 

18. Als so die Könige, die die Gabaoniter bekriegen 
wollten, geschlagen waren, kehrte Jesus in das Gebirge 
Ghananaeas zurück, lieferte hier noch eine grosse 
Schlacht und zog sich mit reicher Beute in das Lager 
von Galgala zurück. Wie aber nun der Ruf von der Tapfer- 
keit der Hebräer zu den benachbarten Völkerschaften 
gelangte, und diese von der Menge der von jenen 
Niedergemachten hörten, entsetzten sie sich. Und es 
nahmen die Könige, die am Gebirge Libanon wohnten 
und selbst zu den Chananäern gehörten, die in der 
Ebene wohnenden Chananäer und die Palaestiner zu Hilfe 
und schlugen ihr Lager bei Berotha, einer Stadt des 
oberen Galilaea, nicht weit von Kedesa, das eben- 
falls in Galilaea liegt, auf. Ihr ganzes Heer bestand aus 
dreihunderttausend Fusssoldaten, zehntausend Reitern 
und zwanzigtausend Wagen. Von dieser Menge der 
Feinde wurden Jesus und die Israeliten sehr erschreckt 
und verloren vor Furcht allen Mut. Gott aber schalt 
sie, dass sie so zaghaft seien und so wenig auf seine 
Macht und Hilfe vertrauten, verhiefc ihnen Sieg über 
die Feinde und befahl ihnen, sie sollten deren Pferden 
die Kniesehnen durchschneiden und ihre Wagen ver- 
brennen. Aus diesen Verheissungen schöpfte Jesus 
wieder Mut und zog gegen die Feinde, erreichte sie am 



Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


268 


fünften Tage und kämpfte gegen sie in heisser Schlacht, 
sodass ein fast unglaubliches Blutbad entstand. Endlich 
blieb er Sieger, zerstreute die Feinde, setzte ihnen in 
langer Verfolgung nach und vernichtete fast ihr ganzes 
Heer; die Könige selbst fielen alle. Und da keine 
Menschen mehr niederzumachen waren, tötete er auch 
die Rosse und verbrannte die Wagen. Darauf durchzog 
er das ganze Land, ohne auf irgend einen Widerstand 
zu stossen, belagerte und nahm die Städte und tötete, 
was ihm in die Hände fiel. 

19. So war das fünfte Jahr bereits verflossen, und 
alle Chananäer waren vertilgt bis auf diejenigen, die 
sich hinter feste Mauern geflüchtet hatten. Um diese 
Zeit zog Jesus von Galgala weg und schlug die heilige 
Hütte bei der Stadt Silo auf; denn dieser Ort schien 
ihm wegen seiner Lieblichkeit besonders dazu geeignet, 
bis die Verhältnisse den Israeliten gestatten würden, 
einen Tempel zu hauen. Von da rückte er mit dem ge- 
samten Volke nach Sikim und errichtete hier nach dem 
Befehle des Moyses einen Altar. Dann teilte er das Heer 
und stellte die eine Hälfte auf dem Berge Garizin, die 
andere mit den Priestern und Leviten auf dem Berge 
Oibal auf, wo sich auch der Altar befindet. Und als 
man hier geopfert, die Wünsche ausgesprochen und sie 
auf dem Altäre auf geschrieben hatte, kehrte man nach 
Silo zurück. 

20. Da nun Jesus schon alt geworden war und ein- 
sah, dass die Städte der Chananäer schwer zu erobern 
seien, einmal wegen der natürlichen Festigkeit der Orte, 
wo sie lagen, dann aber auch weil sie so starke 
Festungsmauern hatten, dass die Feinde sich nicht an 
die Belagerung wagten, da sie auf die Eroberung doch 
nicht- hoffen konnten (die Chananäer hatten nämlich, 
als sie merkten, dass die Israeliten Aegypten verlassen 
hätten, um sie auszurotten, die ganze Zeit auf die Be- 
festigung ihrer Städte verwendet), liess er das Volk 
nach Silo Zusammenkommen. Und als sie in Menge 
herbeigeströmt waren, hielt er ihnen vor, welches Glück 



264 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


sie bisher gehabt, welche herrlichen Thaten sie vollbracht 
hätten unter dem Schutze Gottes und der Beobachtung 
der Gesetze, und wie sie einunddreissig Könige, die mit 
ihnen zu kämpfen gewagt, überwunden und deren Heer, 
das im Vertrauen auf seine Stärke mit ihnen gerungen, 
so gänzlich vernichtet hätten, dass nicht einer ihres 
Geschlechtes übrig geblieben sei. Weil nun von den 
Städten einige gefallen seien, andere aber wegen der 
Stärke ihrer Befestigungen und des festen Vertrauens 
der Bewohner auf dieselben eine lange und hartnäckige 
Belagerung erforderten, halte er dafür, dass man die- 
jenigen, die aus der Gegend jenseits des Jordan mit 
ihnen in den Krieg gezogen seien und als Verwandte 
gemeinsamer Gefahr mit ihnen sich unterzogen hätten, 
unter Dankesbezeugung für ihre Hilfe nach Hause ent- 
lasse. Alsdann solle man aus jedem der Stämme 
einzelne wegen ihrer ausgezeichneten Tugend hervor- 
ragende Männer auswählen, die das Land ehrlich und 
ohne Arglist abzumessen und dann die Grösse desselben 
wahrheitsgemäss zu berichten hätten. 

21. Als dieser Vorschlag die Zustimmung des Volkes 
fand, schickte Jesus sogleich Männer ab, um das Land 
zu messen, und !gab ihnen einige [erfahrene Geometer 
mit, die als Sachverständige [die Richtigkeit der 
Messungen bestätigen könnten. Auch trug er ihnen auf, 
dass sie das fruchtbare und das minder fruchtbare Land 
besonders abmessen sollten. Das LandfChananaea ist 
nämlich so beschaffen, dass es wohl grosse Felder hat, 
die, wenn sie Jauch an sich sehr geeignet [sind, Frucht 
zu tragen und sogar als sehr fruchtbar gelten können, 
doch im Vergleich mit den Äckern um Jericho oder 
Jerusalem nichts ausmachen. Denn obgleich diese nur 
klein und dazu noch meistenteils gebirgig sind, so stehen 
sie doch an Fruchtbarkeit und Schönheit hinter keinem 
anderen Lande zurück. Deshalb glaubte auch Jesus, 
dass die Verteilung mehr nach dem Werte als nach 
dem Masse stattfinden müsse, da oft ein einziger Acker 
besser sei als tausend andere. Es wurden also zehn 



Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


265 


Männer abgeschickt, welche das Land durchzogen und 
es abschätzten. Im siebenten Monat kehrten sie zu 
Jesus nach der Stadt Silo zurück, wo die heilige Hütte 
damals stand. 

22. Darauf verteilte Jesus unter Zuziehung des Eleazar, 
der Ältesten und der Stammeshäupter das Land unter 
neun Stämme und den halben Stamm Manasses, sodass 
jeder Stamm einen seiner Grösse entsprechenden Teil 
des Ackerlandes erhielt. Als man nun loste, erhielt der 
Stamm Judas das ganze obere Judaea, welches sich 
einerseits bis Jerusalem, andererseits der Breite nach 
bis zum Sodomitischen See erstreckte. In diesem Lose 
befanden sich die Städte Askalon und Gaza. Dem 
Stamme Simeon, der der zweite war, fiel der Teil von 
Idumaea zu, der von Aegypten und Arabien begrenzt 
wird. Der Stamm Benjamin erhielt das Land, das 
sich der Länge nach vom Jordan bis zum Meer und der 
Breite nach von Jerusalem bis Bethel hinzog. Dieser 
Teil war der schmälste, hatte aber den besten Boden, 
denn er enthielt die Städte Jericho und Jerusalem. Dem 
Stamme Ephraim fiel das Land zu, welche sich der 
Länge nach vom Jordan bis nach Gadar und der Breite 
nach von Bethel bis zur grossen Ebene 1 erstreckte. Der 
halbe Stamm Manasses bewohnte das Land vom 
Jordan bis zur Stadt Dora, das sich in der Breite bis 
Bethsana, dem jetzigen Skythopolis, erstreckte. Der 
Stamm Isachar erhielt seinen Teil der Länge nach 
vom Berge Karmel bis zum Flusse, und der Breite nach 
bis zum Berge Itabyrius. Dem Stamme Zabulon fiel 
das Land zu, welches bis zum See Gennesaritis, dem Berge . 
Karmel und dem Meere reicht. Die Gegend, die hinter 
dem Karmel liegt und sich nach Sidon hin erstreckt, 
wegen ihrer Beschaffenheit „das Thal“ genannt, erhielt der 
Stamm Äser. In diesem Teile liegt die Stadt Arke, 
die auch Ekdipus heisst. Dem Stamme Nephthali fiel 


1 Die vom Dorfe Ginnaea bis zum toten Meere reichte. Vergl. 
Jüd. Krieg IV, 8, 2. 




266 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


der Teil zu, der im Osten an die Stadt Damaskus und 
das obere Galilaea heranreicht bis zum Gebirge Libanon 
und den von diesem entspringenden Quellen des Jordan, 
welche die Nordgrenze der benachbarten Stadt Arke be- 
rühren. Der Stamm Dan endlich erhielt das ganze 
Thal, das nach Westen zu liegt und an Azot und Dora 
grenzt, und zu dem auch Jamnia und Getta von Akaron 
an bis zu dem Berge gehört, wo der Stamm Judas be- 
ginnt. 

23. Also hat Jesus das Gebiet der sechs Völker- 
schaften, die nach den Söhnen des Ohananaeus genannt 
sind, verteilt und es den neunundeinhalb Stämmen ge- 
geben. Denn Amoraea, das ebenfalls von einem der 
Söhne des Ohananaeus den Namen hat, hatte schon 
früher Moyses unter zweiundeinenhalben Stamm verteilt, 
wie ich dies oben erwähnt habe. Das Land aber um 
Sidon herum und das, welches sich bis zu den Arukäern, 
Amathäern und Arideern erstreckt, war noch nicht ver- 
teilt worden. 

24. Da aber Jesus wegen seines hohen Alters nicht 
mehr alles ausführen könnte, was er beabsichtigte, und 
seinen Nachfolgern im Oberbefehl wenig an der all- 
gemeinen Wohlfahrt zu liegen schien, so befahl er, jeder 
Stamm solle in dem Gebiet, das ihm durchs Los zu- 
gefallen war, die Ohananäer gänzlich ausrotten. Denn 
Moyses habe schon vorhergesagt, dass davon ihre eigene 
Sicherheit sowie die Aufrechterhaltung der väterlichen 
Gesetze abhängig sei, und das müsse auch allen ein- 
leuchten. Weiter befahl er, dass man den Leviten 
achtunddreissig Städte einräumen solle; zehn hatten sie 
ja schon in Amöraea erhalten. Davon bestimmte er 
drei zu Asylen für Flüchtlinge (denn er liess sich sehr 
angelegen sein, dass keine von den Anordnungen des 
Moyses unausgeführt bliebe), nämlich Chebron im Stamme 
Judas, Sikim im Stamme Ephraim und Kedesa im 
Stamme Nephthali, im oberen Galilaea. Ausserdem ver- 
teilte er auch den Rest der Beute, deren man eine un- 
begrenzte Menge gemacht hatte, . an die Israeliten. 



Fünftes Buch, 1 . Kapitel. 


267 


Hierdurch stieg sowohl der öffentliche als auch der 
private Reichtum, denn es gab eine gewaltige Menge 
von Gold, Kleidern und anderen Gerätschaften, dazu 
so viel Vieh, dass man es kaum zählen konnte. 

25. Darauf berief Jesus das Heer zusammen und hielt 
an die fünfzigtausend Bewaffneten, die jenseits des Jordan 
neben Amoraea wohnten und mit ihnen in den Krieg 
gezogen waren, folgende Ansprache : „Da Gott, der Vater 
und Herr des Hebräervolkes, uns dieses Land in Besitz 
gegeben und die Beibehaltung dieses Besitzes zugesichert 
hat, wozu ihr uns auf Gottes Befehl eure willkommene 
Hilfe bereitwillig geleistet habt, so ist es billig, weil wir 
jetzt keine Anstrengungen mehr zu überwinden haben, 
•dass wir euch nunmehr Ruhe gönnen und euren guten 
Willen nicht ferner in Anspruch nehmen. Sollten wir 
euer bei drohenden Gefahren wieder bedürfen, so hoffen 
wir, dass ihr bereit sein und uns später ebenso willig 
helfen werdet, trotz der vielen Mühen, die ihr bis jetzt 
erlitten habt. Wir sagen euch Dank dafür, dass ihr 
gemeinsam mit uns allen Drangsalen getrotzt habt, und 
werden euch auch in Zukunft dankbar bleiben. Denn 
es liegt in unserer Natur, unserer Freunde stets zu ge- 
denken und uns daran zu erinnern, was wir mit eurer 
Hilfe erreicht haben, und dass ihr, um uns beizustehen, 
euer eigenes Wohl hintangesetzt und euch abgemüht 
habt, um das erreichen zu helfen, was Gottes Güte uns 
gewährte und wovon ja auch ihr euren Anteil erhalten 
habt. Denn aus unseren gemeinsamen Anstrengungen 
ist euch grosser Reichtum zugefallen, viele Beute an 
Gold und Silber nehmt ihr mit euch und, was noch 
mehr wert ist, ihr habt euch besonderen Anspruch auf 
unser Wohlwollen erworben, das wir jederzeit durch 
Leistung von Gegendiensten zu hethätigen bereit sind. 
Auch habt ihr alle Vorschriften des Moyses bis ins 
kleinste befolgt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass 
er nicht mehr unter den Lebenden weilt, und auch da- 
für habt ihr unseren herzlichen Dank verdient. Ziehet 
daher fröhlich nach Hause und denket besonders 



268 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


daran, dass unsere gegenseitige Freundschaft eine unbe- 
grenzte ist; glaubet auch nicht, dass wir deshalb, weil 
der Fluss uns trennt, weniger Hebräer wären als ihr* 
Denn wir alle stammen von Abram ab, mögen wir nun 
an diesem oder jenem Ufer wohnen, und ein und der- 
selbe Gott hat eure wie unsere Vorfahren ins Leben ge- 
rufen. Seine Verehrung müsst ihr deshalb ebenso fleissig 
pflegen wie wir, auch die Verfassung, die er durch 
Moyses eingerichtet hat, treu beobachten. Wenn ihr da» 
thut und standhaft dabei bleibt, wird Gott euch stets 
ein gnädiger Beschützer sein. Fallt ihr aber zu den 
Sitten und Gebräuchen anderer Völker ab, so wird er 
sich von eurem Geschlechte ab wenden." Als er so ge- 
sprochen, grösste er zuerst jeden Obersten, darauf die 
ganze Volksmenge und entfernte sich dann; das Volk 
aber gab ihnen weinend das Geleit, bis sie, beiderseits 
traurig gestimmt, von einander schieden. 

26. Als nun die Stämme Kübel und Gad und was 
vom Stamme Manasses ihnen gefolgt war, den Fluss 
überschritten hatten, errichteten sie am Ufer des Jordan 
einen Altar zum ewigen Gedenkzeichen ihrer Freund- 
schaft mit den jenseitigen Bewohnern. Sobald aber die 
auf der anderen Seite des Jordan wohnenden Israeliten 
gehört hatten, diejenigen, die von ihnen geschieden* 
hätten einen Altar gebaut, griffen sie aus Unkenntnis 
der Absicht, die jene dazu veranlasst hatte, und im 
Glauben, dies sei geschehen, um einen neuen Gottes- 
dienst und fremde Götter einzuführen, zu den Waffen, um 
nach Überschreitung des Flusses die Erbauer des Altars 
zu verfolgen und sie für die Verletzung der heimischen 
Gebräuche zu bestrafen. Denn sie hielten dafür, dass 
man mehr auf den Willen Gottes und seine Verehrung 
als auf Verwandtschaft und die Stellung deijenigen 
Rücksicht nehmen müsse, die sich des Frevels schuldig 
gemacht hätten. Und so rüsteten sie sich in ihrem 
Zorn zum Kampfe. Jesus aber, der Hohepriester Eleazar 
und die Ältesten suchten sie davon abzuhalten und be- 
redeten sie, dass sie zuerst in Güte zu erfahren suchen 




Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


269 


möchten, in welchem Sinne jene den Altar gebaut hätten, 
und erst wenn sie die böse Absicht festgestellt hätten, 
sollten sie mit den Waffen einschreiten. Daraufhin 
schickten sie Phinees, den Sohn des Eleazar, und 
zehn andere bei den Hebräern sehr angesehene Männer 
als Gesandte ab, um nachzuforschen, was die anderen 
mit der Errichtung des Altars am Flussufer beabsichtigt 
hätten. Als diese nun den Fluss überschritten hatten 
und bei ihnen angelangt waren, berief man sogleich eine 
Versammlung, in deren Mitte Phinees trat und also 
sprach: „Euer Vergehen ist zwar zu gross, als dass man 
os bloss mit Worten ahnden könnte. Trotzdem haben 
wir nicht gleich zu den Waffen greifen wollen, vielmehr 
mit Rücksicht auf unsere Verwandtschaft und im Ver- 
trauen darauf, dass ihr vielleicht durch gute Worte euch 
zu vernünftigem Handeln bereden lasst, diese Botschaft 
zu euch unternommen. Wir möchten nämlich nicht gern 
ohne Grund euch angreifen, wenn ihr den Altar in 
frommer Absicht gebaut habt ; andererseits aber sind 
wir auch gesonnen, euch streng zu bestrafen, wenn die 
Anschuldigung gegen euch auf Wahrheit beruht. Wir 
konnten in der That fast nicht glauben, dass ihr, die 
ihr doch Gottes Willen kennt und die Gesetze, die er 
euch gegeben, gehört habt, k^um dass ihr von uns weg- 
gegangen wäret und euch der Heimat zugewandt hattet, 
schon solltet vergessen haben, was ihr der Fürsorge 
Gottes verdankt, und dass ihr die heilige Hütte, die 
Lade und den heimischen Altar hättet verlassen, fremde 
Götter einführen und die schändlichen Gebräuche der 
Ohananäer annehmen wollen. Doch wollen wir euch 
nichts Böses nachtragen, wenn ihr in euch geht, keine 
weitere Thorheit begeht, die heimischen Gesetze wieder 
achtet und sie im Gedächtnis behaltet. Besteht ihr da- 
gegen auf eurem schlechten Vorhaben, so werden wir 
um unserer Gesetze willen keine Mühe scheuen, sondern 
über den Fluss ziehen und zum Schutze Gottes und 
seiner Gebote keinen Unterschied zwischen euch und 
den Chananäern machen, euch also wie jene vernichten. 



270 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Hütet euch zu glauben, ihr wäret, da ihr den Fluss über- 
schritten, nun auch Gottes Botmässigkeit entgangen. 
Denn überall steht ihr in seiner Gewalt, und auf keinen 
Fall könnt ihr seiner % Allmacht und. seinem Strafgerichte 
entrinnen. Glaubt ihr aber, ihr könntet in diesem eurem 
Lande eure gute Gesinnung nicht beibehalten, so steht 
es euch ja frei, das Land abermals zu teilen und es 
wieder zu verlassen, so gute Viehweiden es auch dar- 
bieten mag. Jedenfalls thätet ihr wohl daran, wenn ihr 
Vernunft an nähmt und von neuen Vergehungen ab- 
ständet. Bei euren Weibern und Kindern beschwören 
wir euch, nötigt uns nicht den Kampf auf. Und nun 
beratschlagt und thut so, als ob von dieser Beratung 
euer und eurer Lieben Wohlergehen abhinge. Bedenket 
auch , dass es besser . ist, sich vernünftiger Überredung 
zu fügen, als des Krieges Ungemach zu erproben." 

27. Als Phinees so geredet hatte, fingen die Vorsteher 
der Versammlung und das ganze Volk an, die gegen 
sie erhobenen Beschuldigungen zurückzu weisen. Sie 
hätten den Altar weder errichtet, um von ihren Ver- 
wandten sich zu trennen, noch um Neuerungen einzu- 
führen. Sie erkännten vielmehr nur einen einzigen Gott 
an, den alle Hebräer gemeinsam verehrten, und wüssten, 
dass man nur auf einem 4-ltare Gott opfern dürfe, näm- 
lich dem ehernen Altäre vor der heiligen Hütte. „Den 
Altar aber," sagten sie. „den wir jetzt erbaut haben, und 
der einen solchen Verdacht bei euch wachgerufen hat, 
haben wir nicht zum Zwecke der Gottesverehrung er- 
richtet, sondern damit er ein ewiges Wahrzeichen unser 
beiderseitigen Verwandtschaft sei. Er sollte, statt uns, 
wie ihr argwöhntet, zur Übertretung der Gebote zu ver- 
führen, uns vielmehr den rechten Anlass geben, stets 
im wahren Glauben und in den Gebräuchen unserer 
Väter zu verharren. Gott selbst sei unser Zeuge, dass 
wir nur in dioger Absicht den Altar errichtet haben. 
Denket also künftig besser von uns und legt uns kein 
Vergehen bei, wegen dessen alle Nachkommen Abrams, 
die von den überkommenen Einrichtungen abwichen 



Fünftes Buch, 1. Kapitel. 


271 


und Neuerungen einführten , die Todesstrafe verdient 
haben.“ 

28. Wegen dieser vernünftigen Sprache lobte sie 
Phinees sehr. Darauf kehrte er zu Jesus zurück und 
erzählte dem Volke, was sich zugetragen. Diese freuten 
sich, dass sie nicht in den Krieg zu ziehen und das 
Blut ihrer Verwandten zu vergiessen brauchten, und 
brachten Gott Dankopfer dar. Jesus entliess sodann das 
Volk und begab sich nach Sikim. Zwanzig Jahre später, 
als er in hohem Greisenalter stand, berief er aus den 
einzelnen Städten die Angesehensten, die Behörden und 
die Ältesten nebst allen aus dem Volke, die er bequem 
zusammenbringen konnte, zu sich. Und als sie ver- 
sammelt waren, rief er ihnen die Wohlthaten Gottes ins 
Gedächtnis, deren sie gar viele erfahren hätten, da sie 
aus Niedrigkeit zu solchem Ruhm und solcher Macht 
gelangt seien. Dann ermahnte er sie, dem Willen Gottes, 
der ihnen stets gnädig gewesen, zu folgen, denn nur 
durch Frömmigkeit würden sie sich Gottes Wohlwollen 
auch für die Zukunft bewahren. Er sei im Begriff, aus 
dem Leben zu scheiden, und' es stehe ihm deshalb zu, 
ihnen solche Ermahnungen zu erteilen. Dass sie dieser 
Ermahnungen stets eingedenk bleiben möchten, darum 
bitte er sie noch ganz besonders. 

29. Nachdem er so zu den Anwesenden gesprochen 
hatte, starb er im Alter von einhundertzehn Jahren. 
Hiervon 'hatte er vierzig Jahre mit Moyses zusammen- 
gelebt, von dem er viel Nützliches gelernt, und nach 
dessen Tod er fünfundzwanzig Jahre lang den Ober- 
befehl innegehabt hatte. Er war ein Mann, dem es 
weder an Einsicht noch an der nötigen Beredsamkeit 
fehlte, um seine Gedanken dem Volke klar zu machen; 
vielmehr besass er beides in hohem Masse. In gefahr- 
vollen Unternehmungen tapfer und starkmütig, war er 
im Frieden ein geschickter Ratgeber und von allzeit 
erprobter Tüchtigkeit. Begraben wurde er in der Stadt 
Thamna im Stamme Ephraim. Um dieselbe Zeit starb 
auch der Hohepriester Eleazar und hinterliess die 



272 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Würd4 seinem Sohne Phinees. Sein Grabdenkmal steht 
in der Stadt Gabatha. 


Zweites Kapitel. 

Wie nach dem Tode des Feldherm die Israeliten die 
väterlichen Gesetze übertraten und deshalb in grosses 
Unglück gerieten, und wie nach einer Empörung der 
ganze Stamm Benjamin bis auf sechshundert Mann 

zu Grunde ging, 

1. Nach dem Tode dieser beiden Männer weissagte 

Phinees nach dem Willen Gottes, bei der Vernichtung 
des Chananäervolkes solle der Stamm Judas den Ober- 
befehl erhalten. Denn es lag dem Volke daran, zu er- 
fahren, was Gott für das beste hielt. Und dieser Stamm 
nahm noch zu sich den Stamm Simeon unter der Be- 
dingung, dass, nachdem er die tributpflichtigen Feinde 
aus dem Gebiete des Stammes Judas habe vertilgen 
helfen, dieser auch dem Stamme Simeon dabei helfen 
solle. / 

2. Die Chananäer aber, deren Macht sich damals 
wieder gehoben hatte , erwarteten mit einem grossen 
Heere die Israeliten bei der Stadt Bezek. Den Ober- 
befehl führte Adonibezek, König der Bezeker (dieser 
Name heisst „Herr der Bezeker,“ denn Adoni heisst in 
der hebraeischen Sprache „Herr“), und sie hofften die 
Israeliten um so eher besiegen zu können, weil Jesus ge- 
storben war. Mit ihnen trafen nun die beiden genannten 
Stämme zusammen und kämpften tapfer, töteten mehr 
als zehntausend Mann von ihnen, schlugen die anderen 
in die Flucht, verfolgten sie und nahmen den König 
Adonibezek gefangen. Als der letztere von ihnen ver- 
stümmelt worden war, sprach er: „Gott lässt nichts un- 
bestraft, denn ich muss jetzt dasselbe erleiden, was ich 
früher zweiundsiebzig Königen anzuthün mich nicht ge- 
scheut habe.“ Man brachte ihn zwar noch lebend nach 
Jerusalem, doch erlag er bald seinem Leiden und wurde 



Fünftes Buch, 2. Kapitel. 


273 


dort begraben. Darauf durchzogen sie das Land, um 
die Städte zu erobern. Und nachdem sie viele derselben 
eingenommen hatten, griffen sie auch Jerusalem an, be- 
setzten den unteren Teil der Stadt und töteten alle, die 
hier wohnten. Die Eroberung des oberen Teiles da- 
gegen mussten sie seiner starken Mauern und seiner 
natürlichen Festigkeit wegen aufgeben. 

3. Danach brachen sie wieder auf und zogen nach 
Chebron, nahmen es ein und töteten alle Bewohner. 
Hier hatte sich noch ein Riesengeschlecht erhalten, das 
durch Körpergrösse und Gestalt von anderen Menschen 
sich unterschied, von erstaunlichem Aussehen war und 
«ine erschreckliche Stimme besass. Ihre Gebeine werden 
noch heute gezeigt und sind so gross, dass es schwer 
fällt, sie für menschliche Gebeine zu halten. Diese Stadt 
ßchenkte man nebst zweitausend Ellen Ackerland als 
Zeichen besonderen Vorzuges den Leviten, das übrige 
Land aber erhielt nach dem Befehle des Moyses Chaleb, 
-einer der Kundschafter, die er nach Chananaea geschickt 
hatte. Auch den Nachkommen des Madianiters Jothor, 
des Schwiegervaters des Moyses, räumte man ein Land 
als Wohnsitz ein. Denn . sie hatten ihr Vaterland 
verlassen und waren den Israeliten durch die Wüste 
gefolgt. 

4. Die Stämme Judas und Simeon hatten alle Städte 
im Gebirgslande Chananaeas genommen, in der Ebene 
aber und an der Meeresküste nur Askalon und Azot. 
-Gaza dagegen und Akkaron entgingen ihnen, denn da 
deren Bewohner Wagen in Menge hatten und in der 
Ebene wohnten, griffen sie die Belagerer an und brachten 
ihnen empfindliche Verluste bei. Darauf legten diese 
Stämme, nachdem sie sich durch Beute sehr bereichert 
hatten, die Waffen nieder. 

5. Die Benjamiter begnügten sich damit, den Ein- 
wohnern von Jerusalem, das in ihrem Lose lag, Abgaben 
aufzulegen, und so erfreuten sie sich beide der Ruhe. 
Die einen wurden von den Kriegsbeschwerden, die 
anderen aus ihren Gefahren befreit, und beide ver- 

Josephus 1 Jüdische Altertümer. 18 



274 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


legten sich nun auf den Ackerbau. Dem Beispiele 
der Benjamiter folgten die übrigen Stämme, begnügten 
sich mit Tributleistung und Hessen die Chananäer in 
Frieden. 

6. Der Stamm Ephraim hatte ein Heer gegön Bethel 
geschickt, richtete aber trotz langwieriger und mühe- 
voller Belagerung nichts aus. Obgleich sie nun über 
die Verzögerung sich sehr ärgerten, Hessen sie doch von 
der Belagerung nicht ab. Endlich ergriffen sie einen 
Bürger, der der Stadt Proviant zuführte; diesem ver-» 
sprachen sie, sie wollten ihn nebst den Seinigen nach 
Einnahme der Stadt verschonen, wenn er ihnen dieselbe 
verriete. Hierauf ging der Mann ein und schwur ihnen 
eidlich, er werde ihnen Bethel überliefern. So wurde 
die Stadt verraten und eingenommen, und alle ihre Be- 
wohner wurden getötet, der Verräter dagegen mit den 
Seinen am Leben gelassen. 

7. Hierauf standen die Israeliten vom Kriege ab 
oder befassten sich wenigstens nicht viel mit ihm; da- 
gegen verlegten sie sich eifrig auf Ackerbau und Vieh- 
wirtschaft. Und da sie hieraus reichen Gewinn zogen, 
lebten sie in Schwelgerei und Wollust, verachteten 
Zucht und Ehrbarkeit und übertraten Gesetze wie Ver- 
fassungsbestimmungen. Hierüber erzürnte Gott und 
tadelte sie zuerst in einem Orakelspruch, dass sie gegen 
seinen Willen die Chananäer verschont hätten; denn 
diese würden ihnen zu gelegener Zeit ihre Milde nur 
mit Grausamkeit vergelten. Diese Ermahnung Gotte» . 
aber nahmen die Israeliten nicht nur mit Widerwillen, 
auf, sondern waren auch dem Kriege gänzlich abgeneigt, 
einmal weil sie von den Chananäern viele Vorteile 
hatten, dann aber auch, weil sie infolge ihres weichlichen 
Lebens zur Kriegführung zu träge geworden waren. 
Auch die Vornehmen fingen an verderbt zu werden, und 
es wurden weder Älteste erwählt noch andere obrigkeit- 
liche Personen, wie das Gesetz es vorschrieb. Man be- 
schäftigte sich lediglich mit Ackerbau und jagte nur 
noch nach Gewinn. Bei dieser Ungebundenheit und 



Fünfte» Buch, 2. Kapitei. 


275 


Leichtfertigkeit der Lebensweise entstand eine schwere 
Zerrüttung, und es kam endlich sogar zum Bürgerkriege 
aus folgender näheren Veranlassung. 

8. Ein Mann aus dem Stande der Leviten, der im 
Stamme Ephraim wohnte, hatte ein Weib aus Bethleem, 
das zum Stamme Judas gehörte, geheiratet. Da dieser 
seine Gattin um ihrer Schönheit willen heftig liebte, sie 
ihm aber nicht die gleiche Zuneigung entgegenbrachte, 
vielmehr sich ihm von Tag zu Tag desto mehr ent- 
fremdete, je grösser seine Liebe zu ihr wurde, kam es 
schliesslich zu täglichen Streitigkeiten zwischen ihnen, 
infolge deren das Weib im vierten Monat von ihrem 
Manne sich trennte und zu ihren Eltern zurückkehrte. 
Das ertrug der Mann in seiner grossen Liebe nicht und 
folgte ihr zu seinen Schwiegereltern nach, die die Streitig- 
keiten schlichteten und eine Versöhnung zwischen den 
Ehegatten zustande brachten. Vier Tage hatte der Mann 
sich dort aufgehalten und freundlichste Aufnahme bei 
seinen Schwiegereltern gefunden. Am fünften Tage aber 
wollte er nach Hause zurückkehren und begab sich 
gegen Mittag weg; die Eltern jedoch Hessen die Tochter 
ungern ziehen und hielten sie daher bis gegen Abend 
hin. Auf der Reise begleitete sie ein einziger Diener, 
und dasWeib ritt auf einem Esel. Als sie nun dreissig 
Stadien zurückgelegt hatten und in die Nähe Jerusalems 
gekommen waren , riet der Diener zur Einkehr , damit 
sie nicht in der Nacht gefahrvollen Zufällen ausgesetzt 
seien, zumal da sich Feinde in der Nähe aufhielten, und 
die Nacht selbst eine friedliche Gegend unsicher und 
verdächtig mache. Dem Levit aber missfiel dieser Vor- 
schlag, weil er in fremdem Lande nicht gern einkehrte 
(in Jerusalem wohnten Chananäer). Er hielt es vielmehr 
für besser, noch zwanzig Stadien weiter zu reisen, da sie 
dann zu einer israelitischen Stadt kommen würden. Und 
da diese Meinung Beifall fand, zogen sie weiter und ge- 
langten nach Gaba im Stamme Benjamin, als die Sonne 
bereits untergegangen war. Zu dieser späten Stunde 
befand sich aber niemand mehr auf dem Markte, der 




276 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihnen ein Nachtlager angeboten hätte. Zuletzt begegnete 
ihnen jedoch ein alter Mann vom Stamme. Ephraim, 
aber wohnhaft zu Gaba, der eben vom Felde heimkehrte. 
Dieser fragte ihn, wer er sei, woher er komme und wes- 
halb er noch so spät ein Nachtmahl suche. Und da 
der Levit ihm entgegnete, er führe sein Weib wieder 
nach Hause, die ihre Eltern besucht habe, und er wohne 
im Stamme Ephraim, bat sie der Greis, weil auch er in 
demselben Stamme gewohnt habe und ihnen so zufällig 
als Verwandter begegnet sei, sie möchten bei ihm ein- 
kehren. Einige Gabaenerjünglinge aber, die das Weib 
auf dem Markte gesehen und seine Schönheit bewundert 
hatten, hatten kaum bemerkt, dass sie bei dem Greise 
eingekehrt sei, als sie ohne Scheu vor das Haus zogen. 
Der Greis bat sic, sie möchten doch Weggehen und keine 
Gewaltthat verüben; doch sie verlangten, er solle ihnen 
nur das fremde Weib ausliefern, dann hätten sie mit 
ihm nichts mehr zu schaffen. Und da er ihnen vor- 
stellte, sie sei seine Verwandte und eine Levitin, und 
sie möchten doch keine solche Schandthat begehen und 
aus Wollust die Gesetze verletzen, schlugen sie Recht 
und Gerechtigkeit in den Wind und verhöhnten ihn 
noch dazu; ja sie drohten ihm mit dem Tode, wenn er 
ihrer Lust noch weiter Hindernisse bereite. Nun geriet 
der Greis in grosse Not, und da er seinen Güsten eine 
solche Schmach nicht anthun lassen wollte, bot er ihnen, 
an, ihnen seine eigene Tochter preiszugeben ; denn ihre 
Sünde würde geringer sein, wenn sie an dieser ihre Lust 
ausliessen, als wenn sie das Gastrecht also verletzten. 
So glaubte er seinerseits alles gethan zu haben, um von 
seinen Gästen die Beleidigung abzuwehren. Als sie aber 
von ihrem Verlangen nicht abliessen, vielmehr noch 
heftiger und ungestümer die Auslieferung begehrten, bat 
er sie kniefällig, doch von ihrem ungerechten Vorhaben 
abzustehen. Sie aber, wahnsinnig vor Wollust» wandten 
Gewalt an und schleppten das Weib mit sich nach 
Hause, schändeten sie und trieben die ganze Nacht ihre 
Kurzweil mit ihr, und erst gegen Morgen Hessen sie sie 




Fünftes Buch, 2. Kapitel. 


277 


weg. Das Weib kehrte, schwer betrübt über die ihr 
widerfahrene Unbill, wieder nach der Herberge zurück; 
aber vor Schmerz und Scham wagte sie nicht, ihrem 
Manne unter die Augen zu treten, denn sie wusste, wie 
schwer er unter dem Geschehenen leiden würde. Plötz- 
lich’ fiel sie zur Erde und gab ihren Geist auf. Ihr Gatte 
aber dachte, sie sei nur in tiefen Schlaf gefallen, und 
wollte sie, da er nichts Schlimmes argwöhnte, auf wecken 
und sie trösten, weil er wusste, dass sie sich den schänd- 
lichen Menschen nicht freiwillig hin gegeben habe, viel- 
mehr von ihnen mit Gewalt entführt worden sei. Als 
er aber merkte, dass sie tot sei, fasste er sich, soweit 
ihm dies die Entsetzlichkeit des Unglückes gestattete, 
lud sein totes Weib auf den Esel und nahm es mit 
sich nach Hause. Dort zerschnitt er sie in zwölf 
Stücke und schickte jedem Stamme eins davon zu, 
wobei er zu gleich die Ursache ihres Todes und die 
unerhörte Gewaltthat, die man an ihr verübt, mitteilen 
liess. 

9. Diese aber wurden durch den grässlichen Anblick 
der Körperteile und durch die Nachricht von der Schand- 
that gewaltig erschüttert, da sie dergleichen nie gehört 
hatten, und von gerechtem Zorn getrieben, kamen sie 
bei Silo vor der Hütte zusammen, wo sie sogleich zu den 
Waffen zu greifen und die Gabaoniter mit Krieg zu über- 
ziehen beschlossen. Dem widersetzten sich jedoch die 
Ältesten und erklärten es für unzulässig, so ohne weiteres 
die Stammesgenossen zu bekriegen, bevor man den Streit 
mit Worten zu schlichten versucht habe. Das Gesetz 
gestatte ja noch nicht einmal, gegen Fremde wegen be- 
gangenen Unrechtes in den Krieg zu ziehen, bevor man 
eine Gesandtschaft zu ihnen geschickt und versucht 
habe, sie auf andere Weise zur Besinnung zu bringen. 
Es sei daher billig , dass man nach Vorschrift des Ge- 
setzes - Gesandte an die Gabaener schicke, die die Be- 
strafung der Frevler zu verlangen hätten. Wenn man 
ihnen dann die Thäter ausliefere, so solle man mit 
deren Bestrafung zufrieden sein ; stiessen sie aber auf 



278 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Widerstand, so müsse man sie bekriegen. Demgemäss 
schickte man Gesandte zu den Gabaenern, liess die 
Jünglinge wegen der an dem Weibe begangenen Frevel- 
that anklagen und die Forderung stellen, dass sie für 
ihre scheussliche That mit dem Tode bestraft werden 
müssten. Die Gabaener aber wollten die Jünglinge 
nicht ausliefern und glaubten, es sei schmachvoll für 
sie, aus Furcht vor Krieg fremdem Befehl zu gehorchen, 
da sie keinem Volke weder an Rüstung noch an Truppen- 
zahl noch an Tapferkeit nachständen. Und wirklich 
rüsteten sie sich mit anderen Stammesgenossen eifrig 
zum Kriege, denn diese trugen denselben Übermut zur 
Schau und gedachten ihre Angreifer empfindlich zu 
schlagen. 

10. Sobald den Israeliten gemeldet wurde, was die 
Gabaener beabsichtigten, schwuren sie, sie würden keinem 
Benjamiter eine ihrer Töchter zur Ehe geben und sie 
mit Krieg überziehen ; denn sie zürnten ihnen noch 
heftiger als unsere Vorfahren den Chananäern. Und 
sogleich zogen sie mit einem Heere von vierhundert- 
tausend Bewaffneten gegen Gaba. Die Benjamiter da- 
gegen zählten fünfundzwanzigtausendsechshundert Mann, 
darunter fünfhundert Mann, die mit der linken Hand 
ausgezeichnet schleudern konnten. Bei Gaba kam es 
zum Treffen, in welchem die Benjamiter die Israeliten in 
die Flucht schlugen, und zweiyindzwanzigtausend Mann 
von den letzteren fielen; es wären ihrer vielleicht noch 
mehr umgekommen, wenn die Nacht nicht dem Kampfe 
ein Ende gemacht hätte. Darauf zogen die Benjamiter 
frohlockend in ihre Stadt ein, die Israeliten dagegen 
waren ihrer Niederlage wegen mutlos und bezogen wieder 
ihr Lager. Am folgenden Tage wurde wieder gestritten, 
und die Benjamiter- siegten abermals: von den Israeliten 
fielen achtzehntausend Mann, die übrigen aber flohen in 
feiger Furcht zum Lager. Als sie dann nach der nahe 
gelegenen Stadt Bethel gekommen waren, fasteten sie 
am folgenden Tage und Hessen durch den Hohepriester 
Phinees Gott bitten, er möge ihnen nicht weiter zürnen, 




Fünftes Buch, 2. Kapitel. 279 

sich an der zweimaligen Niederlage genügen lassen .und 
ihnen Starke Und Sieg über ihre Feinde verleihen. 
Gott verhiess ihnen denn auch das Erbetene durch 
den Phinees. 

11. Hierauf teilten sie ihr Heer in zwei Teile, von 
denen der eine in der Nacht sich in einen Hinter- 
halt bei der Stadt legte, der andere dagegen mit den 
Benjamitern an band. Als nun die Benjamiter auf sie 
eindrangen * zogen sie sich zurück, während die Benja- 
miter sie verfolgten. Immer weiter wichen die Hebräer 
und lockten so allmählich alle aus der Stadt heraus, 
sodass die Jünglinge sowohl wie die wegen ihrer Kampf- 
unfahigkeit in der Stadt zurückgelassenen Greise zu- 
sammen hervorstürmten, um den Feind zu erdrücken. 
Als sie sich nun weit genug von der Stadt entfernt 
hatten, machten die Hebräer halt, wandten sich und 
rückten in Schlachtordnung, und zugleich gaben sie den 
im Hinterhalt Aufgestellten das verabredete Zeichen, 
worauf diese sofort hervorbrachen und den Feind mit 
grossem Geschrei* angriffen. Sobald die Benjamiter 
merkten, dass sie überlistet seien, waren sie ratlos vor 
Verwirrung, sodass sie sich in ein tiefes Thal drängen 
Hessen. Hier wurden sie mit Wurfgeschossen über- 
schüttet und kamen alle bis auf sechshundert Mann um, 
die dichtgeschlossen mitten durch den Feind durch- 
brachen und sich auf den benachbarten Bergen fest- 
setzten, wo sie eine Zeitlang blieben. Alle übrigen da- 
gegen, gegen fünfundzwanzigtausend Mann, fielen durchs 
Schwert. Hierauf steckten die Israeliten Gaba in Brand 
und brachten sogar die Weiber und Knaben um; ebenso 
Verfuhren sie mit den anderen Städten der Benjamiter. 
Und sie waren dergestalt ergrimmt, dass sie zwölftausend 
auserlesene Streiter nach Jabison, einer Stadt in 
Galaditis schickten, weil sie ihnen keine Hilfe gegen 
die Benjamiter gewährt hatte, und J sie von Grund aus 
zerstören Hessen. Zugleich Hessen sie die sämtlichen 
streitbaren Männer nebst den Weibern und Kindern 
darin umbringen und nur vierhundert Jungfrauen ver- 



280 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


schonen. So weit aber hatten sie sich in ihrem Zorn 
hinreissen lassen, weil sie ausser der der Frau des Leviten 
zugefügten Schandthat auch noch den Verlust so vieler 
Kämpfer zu beklagen hatten. 

12. Später jedoch reute es sie sehr, dass sie die 
Benjamiter so hart mitgenommen hatten, und obgleich 
sie deren Strafe für wohlverdient an sahen, da sie gegen 
Gottes heilige Gesetze gefrevelt hätten, fasteten sie und 
schickten Gesandte ab, um jene sechshundert, die auf 
einen Felsen in der Wüste mit Namen Rhoa geflohen 
waren , zurückzurufen. Die Gesandten . beklagten nicht 
nur das traurige Schicksal der Geflohenen, sondern auch 
ihr eigenes, da sie so viele Blutsverwandten verloren 
hätten, und redeten ihnen zu, sie möchten ihr Unglück 
mit Gleichmut ertragen und sich wieder in ihre Heimat 
begeben, damit nicht, wie es zu befürchten sei, der 
ganze Stamm Benjamin zu Grunde gehe. Sie wollten 
ihnen auch, sagten sie zu ihrer Beruhigung, das ganze 
Land ihres Stammes und so viel von der Beute ein- 
räumen, als sie fortschaffen könnten. Die Benjamiter, 
welche einsahen, dass sie für ihre Frevel das Strafgericht 
Gottes auf sich gezogen hatten, folgten ihnen und kehrten 
in ihr Heimatland zurück. Die Israeliten aber gaben 
ihnen die vierhundert jabitischen Jungfrauen zu Weibern 
und überlegten, wie sie auch den anderen zweihundert 
Benjamitern Frauen verschaffen könnten behufs Erzielung 
von Nachkommenschaft. Denn da sie vor dem Beginn 
des Krieges einen Eid geschworen hatten, keiner solle 
seine Tochter einem Benjamiter zur Ehe geben, glaubten 
einige, man brauche diesen Eid nicht zu halten, weil 
sie ihn im Zorn und nicht mit der nötigen Überlegung 
geleistet hätten, und man werde Gottes Unwillen gewiss 
nicht auf sich laden, wenn man den äusserst gefährdeten 
Stamm vor dem gänzlichen Untergang bewahre; auch 
sei ein Meineid nur dann schädlich und gefährlich, wenn 
man ihn böswillig begehe, und nicht, wenn die Not ihn 
gebieterisch fordere. Die Ältesten dagegen äusserten 
sich sehr streng über den Meineid und verwarfen ihn, 




Fünftes Buch, 2. Kapitel. 


28* 


unter allen Umständen. Da erklärte jemand, er wisse, 
wie man die Benjamiter mit Weibern versorgen und 
dabei doch den Eid halten könne , nämlich folgender- 
massen: „Wenn wir dreimal im Jahr bei Silo zusammen- 
kommen, nehmen wir unsere Weiber und Töchter dorthin 
mit. Nun könnten ja die Benjamiter die letzteren ent- 
fuhren und zur Ehe nehmen, ohne dass wir sie dazu 
anreizen, noch sie daran verhindern. Wenn dann die 
Väter der geraubten Töchter sich hierüber beklagen und 
Strafe dafür verlangen, so könnten wir ihnen ja sagen, 
sie seien selbst schuld daran, weil sie ihre Töchter nicht 
besser bewacht hätten, und man dürfe auch jetzt nicht 
mehr dem Zorn gegen die Benjamiter nachgeben, da 
man ihn schon früher sattsam an ihnen gekühlt habe." 
Dieser Vorschlag ward beifällig aufgenommenj und man 
beschloss, den Benjamitern Gelegenheit zu geben, sich 
Weiber rauben zu können. Als daher das Fest bevor- 
stand, lauerten jene zweihundert in Gruppen von zwei 
und drei Mann den Jungfrauen , die zur Feier kamen, 
vor der Stadt auf,, indem sie sich in Weinbergen und 
anderen passendenVerstecken aufstellten. Und während 
nun die Mädchen ahnungslos und ohne besonderen 
Schutz ihr Spiel trieben, brachen die Männer plötzlich 
hervor, zerstreuten sie und fingen sie auf. Auf diese 
Weise kamen sie zu Weibern; sie verlegten sich als- 
dann auf den Ackerbau und gaben 'sich Muhe, ihren 
früheren Wohlstand wieder zu erlangen. So wurde der 
Stamm Benjamin, der seinem gänzlichen Aussterben 
nahe war, durch das verständige Benehmen der Israeliten 
hiervor bewahrt. Und in* kurzer Zeit blühte -er wieder 
auf und wuchs rasch an Volkszahl und Reichtum. So 
endete dieser Krieg. 



282 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Drittes Kapitel. 

Wie die Israeliten zuchtlos wurden und in die Knechtschaft 
der Assyrier gerieten , aber durch Sothniel wieder daraus 

befreit wurden. 

» 

1. Ein ähnliches Missgeschick traf auch den Stamm 
Dan, der aus folgender Ursache ins Unglück geriet. 
Als die Israeliten sich vom Kriege abgewandt hatten 
und sich nur auf den Ackerbau verlegten, fingen die 
Chananäer, denen sie deshalb verächtlich geworden 
waren, an, Truppen zu sammeln, nicht weil sie von den 
Israeliten neue Angriffe befürchteten i sondern weil sie 
hofften, sie würden nach Niederwerfung der Hebräer in 
ihren Städten grössere Sicherheit gemessen. Deshalb 
rüsteten sie ihre Kampfwagen, zogen ihr Heer zusammen 
und brachten die Städte Askalon und Akkaron im 
Stamme Judas auf ihre Seite, desgleichen viele andere 
Städte, die in der Ebene lagen. Darauf nötigten sie die 
Daniter, ins Gebirge zu fliehen, und Hessen ihnen in der 
Ebene keinen Fleck übrig, wo sie ihren Fuss hinsetzen 
konnten. Da nun die Daniter zu schwach waren, um 
einen Kampf einzugehen, und auch kein hinreichendes 
Ackerland besassen, so schickten sie fünf Männer in die 
Gegend am Meere, um zu Kolonien geeignete Land- 
strecken auszusuchen. Als diese unweit des Libanon 
und der Quellen des kleinen Jordan in der grossen 
Ebene bei Sidon eine Tagereise zurückgelegt hatten, 
fanden sie gutes und fruchtbares Land und be- 
nachrichtigten hiervon die Ihrigen, welche alsbald mit 
einem Heere dahinzogen und die nach einem der Söhne 
Jakobs und ihrem Stamme benannte Stadt Dana 
gründeten. 

2. Die Macht der Israeliten sank nun immer mehr, 
weil sie sich der Arbeit entwöhnten und den Gottesdienst 
vernachlässigten. Denn nachdem sie einmal von Zucht 
und Anstand abgekommen waren, thaten sie alles, was 
ihnen beliebte. So kam es, dass sie bald mit denselben 



Fünftes Buch, 8. Kapitel. 


283 


Lastern vertraut wurden, welche bei den Chananäern 

einheimisch waren. Deshalb zürnte ihnen Gott, sodass 

1 1 

sie den Wohlstand, den sie unter unsäglichen Mühen 

sich verschafft hatten, durch ihre Üppigkeit wieder ein- 
büssten.. Und als Chusarthes, König der Assyrier, sie 
mit Krieg überzog, hatten sie in den Schlachten grosse 
Verluste; auch wurden viele nach harter Belagerung 
der Städte gefangen genommen. Andere ergaben sich 
dem Könige aus Angst; sie mussten einen fast un- 
erschwinglicher! Tribut zahlen und acht Jahre lang alle 
mögliche Schmach erdulden. Nach Ablauf dieser Zeit 
aber wurden sie auf folgende Weise von ihrer Drangsal 
erlöst. 

3. Ein Mann aus dem Stamme Judas, mit Namen 
Hothniel, Sohn des Kenez, ein thatkräftiger und stark - 
mütiger Mann, erhielt durch eine Verkündigung Gottes 
die Aufforderung, er solle nicht zulassen, dass die 
Israeliten weiterhin also bedrängt würden, sondern 6ie 
zu befreien suchen. Dieser fand darauf mit vieler Mühe 
einige wenige Kampfgenossen: denn es waren nur 
wenige, die sich des gegenwärtigen Zustandes schämten 
und sich nach Besserung ihrer Lage sehnten. Nun 
machte er zunächst die Besatzung nieder, die Chusarthes 
in die Stadt gelegt hatte, und da er in seinem ersten 
Unternehmen so glücklich war, vermehrte sich bald die 
Zahl seiner Mitkämpfer. Bald darauf lieferte er den 
Assyriern ein Treffen, schlug sie sämtlich in die Flucht 
und zwang sie, über den Euphrat zu gehen. Nachdem 
Hothniel so eine glänzende Probe seiner Tapferkeit ge- 
geben, erhielt er vom Volke als Belohnung den Ober- 
befehl und den Auftrag, ihnen als Richter vorzustehen. 
Er starb nach einer Regierung von vierzig Jahren. 


Go gle 



284 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Viertes Kapitel. 

Wie unser Volk in die Knechtschaft der Moabiter geriet 
und von Ehud befreit ward. 

1. Als nach seinem Tode die Macht der Israeliten 
wieder zu verfallen begann, da niemand das Volk 
regierte, und sie wieder in heftige Bedrängnis gerieten, 
weil sie weder Gott die schuldige Ehre noch den Ge- 
setzen Gehorsam erwiesen, griff sie der Moabiterkönig 
Eglon, der sie wegen ihrer zerrütteten Stäatsverhältnisse 
geringschätzte, an und schlug sie in mehreren Treffen. 
Und als er diejenigen, die noch Widerstand leisteten, 
völlig unterjocht hatte, legte er dem Volke einen 
schweren Tribut auf. Seinen Königssitz errichtete er in 
Jericho; das Volk aber quälte er auf alle mögliche 
Weise und liess es achtzehn Jahre lang im grössten 
Elend schmachten. Endlich erbarmte sich Gott der 
Not der Israeliten, erhörte ihre flehentlichen Bitten und 
befreite sie vom Joche der Moabiter. Das geschah 
folgendermassen : 

2. Ein Jüngling aus dem Stamme Benjamin mit 
Namen Ehud, Sohn des Geras, der ebenso mutig als von 
gewaltiger Körperstärke war (besonders geschickt war er 
mit der linken Hand, in der auch fast seine ganze Stärke 
beruhte), wohnte in Jericho und verkehrte in der Um- 
gebung des Königs Eglon , bei dem er durch Dienst- 
leistungen sich besonders einzuschmeicheln wusste, wes- 
halb er auch bei den Höflingen sehr beliebt war. Als 
dieser einst in Begleitung zweier Diener dem Könige 
Geschenke brachte, verbarg er unter seinem Kleide am 
rechten Schenkel einen Dolch und trat also zum König. 
Es war aber im Sommer und um die Mittagszeit, da die 
Wächter teils wegen der Hitze, teils wegen der Mittags- 
mahlzeit ihren Dienst nur lässig zu versehen pflegten. 
Als nun der Jüngling dem Könige die Geschenke über- 
reicht hatte (dieser ruhte auf einem Pfühl, der der 
Sommerzeit entsprechend in einer Laube stand), begann 
er mit ihm ein Gespräch. Sie waren jetzt beide allein, 



Fünftes Bach, 4. Kapitel. 


285 


weil der König, um mit Ehud zu reden, die Diener weg- 
geschickt hatte. Und da der König auf dem Pfühle sass, 
und Ehud fürchtete, er möchte ihn nicht richtig treffen und 
ihm nur eine ungefährliche Wunde beib ringen, bewog 
er ihn zum Aufstehen, indem er ihm sagte, er müsse 
ihm auf Gottes Befehl einen Traum erzählen. Als nun 
der König vor Freude über die zu erwartende Traum- 
erzählung von seinem Lager aufsprang, stiess ihm Ehud 
den Dolch ins Herz und liess ihn in der Wunde 
stecken. Dann eilte er hinaus und schloss die Thür 
hinter sich zu. Die Diener aber glaubten, der König 
sei in Schlaf gefallen, und überliessen sich daher selbst 
der Ruhe. 

3. Ehud benachrichtigte sogleich die Bewohner 
Jerichos von dem Geschehenen und ermahnte sie, sich 
zu ihrer Befreiung anzuschicken. Diese nahmen die 
Nachricht freudig auf, eilten zu den. Waffen und 
schickten Boten durch das ganze Land, die unter dem 
Schall von Widderhörnern das Ereignis bekannt machen 
sollten. Denn das war die althergebrachte Art, das 
Volk zusammenzurufen. Die Diener des Eglon erfuhren 
lange nicht, was geschehen war. Als aber der Abend 
herankam, fürchteten sie doch, es möchte ihm etwas Un- 
gewöhnliches zugestossen sein, und begaben sich in sein 
Gemach. Und da sie ihn tot vorfanden, waren sie völlig 
ratlos. Bevor aber die Besatzung sich versammeln 
konnte, wurde sie von den Israeliten in grosser An- 
zahl überfallen: einige wurden auf der Stelle getötet, 
andere, deren mehr als zehntausend waren, wandten sich 
zur Flucht, um in das Land der Moabiter zu entkommen. 
Die Israeliten aber besetzten die Furt des Jordan, wo 
der Übergang sich bewerkstelligen liess, verfolgten 
sie und machten sie nieder, sodass nicht einer ihren 
Händen entkam. So wurden die Hebräer aus der 
moabitischen Knechtschaft befreit. Ehud aber ward 
mit dem Oberbefehl über das ganze Volk betraut und 
starb, nachdem er diesen achtzig Jahre lang innegehabt 
hatte. Er war, auch abgesehen von der erwähnten, 




286 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


herrlichen That, ein alles Lobes würdiger Mann. Nach 
ihm wurde Banagar , der Sohn des Anath, zum Ober- 
befehlshaber gewählt, starb aber schon im ersten Jahre 
seiner Regierung. 


Fünftes Kapitel. 

Wie die Israeliten von den Chananäem in harter Knecht- 
schaft bedrückt und von Barak und Debora daraus 

befreit wurden. 

1. Kaum aber waren die Israeliten, die aus dem bis- 
herigen Unglück keine Lehre zogen und weder Gott 
verehrten noch den Gesetzen gehorchten, aus der 
moabitischen Knechtschaft befreit, als sie von Jabin, 
dem König der Chananäer, unterjocht wurden. Dieser 
brach nämlich von der Stadt Asor, welche oberhalb des 
Semechonitischen Sees liegt, mit einem Heere von 
dreihunderttausend Fusssoldaten , zehntausend Reitern 
und dreitausend Wagen auf. Der Befehlshaber dieses 
Heeres, Sisares, der beim Könige in hoher Gunst stand, 
griff mit demselben die Israeliten an und brachte ihnen 
eine schwere Niederlage bei, sodass sie tributpflichtig 
wurden. 

2. Diese Herrschaft trugen sie zwanzig Jahre hin- 
durch, und noch immer hatten sie durch ihr Unglück 
nichts gelernt. Deshalb wollte sie Gott um ihrer Frechheit 
und Undankbarkeit willen noch länger strafen. Als sie 
aber endlich zur Einsicht kamen, dass das Unheil nur 
die Folge ihrer Missachtung der Gesetze sei, wandten 
sie sich an eine Seherin mit Namen Debora (dieser 
Name bedeutet im Hebraeischen „Biene“), sie möge zu 
Gott flehen, dass er sich ihres Loses erbarmen und sie 
nicht gänzlich von den Chananäern vernichten lassen 
wolle. Und Gott verhiess ihnen Erlösung und be- 
stellte ihnen als Führer den Barak aus dem Stamme 
Nephthali. Barak bedeutet in hebraeischer Sprache 
„Blitz.“ 

8. Debora beschied nun den Barak zu sich und trug ihm 




Fünftes Buch, 5. Kapitel. 


287 


auf, ein Heer von zehntausend auserlesenen Jünglingen 
gegen den Feind zu führen, denn diese Zahl werde ge- 
nügen, weil Gott also verkündigt und ihnen damit den 
Sieg verheissen habe. Da aber Barak erklärte, er werde 
das Heer nicht führen, wenn sie nicht den Oberbefehl 
mit ihm teile, sprach sie. unwillig: „Du willst einem 
Weibe von der Ehre mitteilen, die Gott dir verliehen 
hat; doch lehne ich dieselbe nicht ab.“ Als sie nun 
zehntausend Mann gesammelt hatten, schlugen sie das 
Lager beim Berge Itabyrium auf. Sisares zog ihnen auf 
Befehl des Königs entgegen und lagerte sich nicht weit 
vom Feinde. Da aber die Israeliten und Barak sich 
über die Menge der Feinde entsetzten und schon an 
Rückzug dachten, hielt Debora sie an und befahl ihnen, 
noch am selben Tage den Kampf zu beginnen: denn 
unter Gottes Hilfe und Beistand würden sie siegen. 

4. Also begann die Schlacht. Wie nun die Heere 
aufeinander gestossen waren, erhob sich ein gewaltiger 
Sturm, und es fiel Platzregen und Hagel. Der Wind 
aber trieb den Chananäern den Regen ins Gesicht und 
umhüllte ihre Augen mit Finsternis, sodass sie weder 
von Wurfspeeren noch von Schleudern Gebrauch machen 
konnten; die Schwerbewaffneten aber vermochten vor 
Erstarrung ihre Schwerter nicht zu halten. Die Israeliten 
dagegen traf der Sturm auf dem Rücken und belästigte 
sie daher weniger; ja sie wurden dadurch noch mutiger, 
weil sie darin die Hilfe Gottes erkannten. So stürzten 
sie sich mitten unter die Feinde und bereiteten ihnen eine 
gewaltige Niederlage. Einige wurden von den Israeliten 
erschlagen, andere dagegen fielen, von ihrer eigenen 
Reiterei erschreckt, zu Boden, gerieten unter die Wagen 
und fanden so den Tod. Als Sisares die Seinen sich 
zur Flucht wenden sah, sprang er von seinem Wagen 
und geriet auf der Flucht zu dem Weibe des Kenes 
namens Iale, die ihn auf sein Verlangen, ihn bei sich 
zu verbergen, aufnahm und ihm, als er zu trinken be- 
gehrte, verdorbene Milch reichte. Als er diese gierig 
getrunken hatte, fiel er in einen tiefen Schlaf. Iale 




288 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


aber trieb ihm mit einem wuchtigen Schlage einen 
eisernen Nagel durch beide Schläfen und nagelte ihn so 
am Boden an. Und als kurz darauf Baraks Soldaten 
kamen, zeigte sie ihnen den am Boden angenagelten 
Feind. So kam der Sieg selbst, wie Debora geweissagt 
hatte, auf Rechnung eines Weibes. Barak aber zog mit 
4em Heere nach Asor, stiess auf den König Jabin, der 
ihm entgegenzog, tötete ihn und zerstörte die Stadt von 
Grund aus. Er regierte die Israeliten vierzig Jahre 
lang. 


Sechstes Kapitel. 

Wie die Israeliten von den Madianitem und anderen Völkern 
unterjocht und von Gedeon befreit wurden. 

1. Als aber Barak und Debora fast zur selben Zeit 
gestorben waren, überzogen die Madianiter, welche die 
Amalekiter und Araber zu Hilfe gerufen hatten, die 
Israeliten mit Krieg, schlugen sie, verbrannten ihre 
Feldfrüchte und schleppten reiche Beute davon. Als sie 
das sieben Jahre lang getrieben hatten, verliessen die 
Israeliten die Ebenen und zogen sich ins Gebirge, gruben 
hier unterirdische Gänge und Höhlen und versteckten 
darin alles, was den Händen der Feinde noch entgangen 
war. Denn die Madianiter machten stets im Sommer 
Kriegszüge, liessen die Israeliten im Winter das Feld 
bebauen und verwüsteten dann, was diese mit vieler 
Mühe zuwege gebracht hatten. So entstand aus Mangel 
an Lebensmitteln Hungersnot, weshalb sie sich mit der 
Bitte an Gott wandten, ihnen doch helfen zu wollen. 

2. Einst trug Gedeon, der Sohn des Joas, einer der 
wenigen aus dem Stamme Manasses, einige Garben Ge* 
treide nach Hause, um sie heimlich in der Kelter zu 
dreschen, denn er fürchtete sich der Feinde wegen, dies 
Öffentlich auf der Tenne 1 zu thun. Da sah er eine 


1 Die Tenne befindet sich im Morgenland auf freiem Felde. 



Fünfte» Buch, 6. Kapitel. Ö89 

Erscheinung in Gestalt eines Jünglings, der sich glückselig 
und Gottes Liebling nannte. Gedeon entgegnete ihm, 
-es sei wohl ein grosser Beweis von Gottes Güte, dass er die 
Kelter anstatt der Tenne gebrauchen müsse. Der Jüng- 
ling aber hiess ihn gutes Mutes sein und sagte ihm, er 
solle es unternehmen, dem Volke die Freiheit wieder zu er- 
ringen. Gedeon aber antwortete, das sei unmöglich, 
denn sein Stamm sei zu gering an Zahl und er selbst 
noch zu jung, um an so etwas auch nur’ denken zu 
können. Gott aber verhiess ihm, er werde ihm das, was 
ihm mangele, ersetzen und den Israeliten den Sieg ver- 
leihen, wenn Gedeon sie nur führen wolle. 

3. Diesen Vorgang erzählte Gedeon einigen anderen 
Jünglingen und fand Glauben bei ihnen. Und in kurzer 
Zeit war ein Heer von zehntausend Mann gerüstet Gott 
aber erschien dem Gedeon im Traum und sprach zu 
ihm, die Menschen seien so geartet, dass sie sich selbst 
zu sehr liebten und andere, die besonders tugendhaft 
seien, hassten, sodass sie nicht gern zugäben, sie hätten 
einen Sieg Gott zu verdanken, ihn vielmehr sich selbst 
und einem grossen wohlausgerüsteten Heere zuschrieben. 
Damit sie nun erführen, dass der Sieg nur von gött- 
licher Hilfe abhänge, solle er das Heer, wenn die Hitze 
am grössten sei, an den Fluss führen, und diejenigen, 
die niederknieten und so tränken, solle er für tapfere 
Männer halten, die aber, die es mit Zögern und unruhig 
thun würden, solle er als furchtsam ansehen. Als nun 
Gedeon, dem Befehle Gottes gehorchend, diesen Versuch 
machte, fanden sich dreihundert Männer, die das Wasser 
furchtsam und mit Zittern an den Mund brachten. Da 
befahl ihm Gott, mit diesen dreihundert solle er den 
Feind angreifen. Sie schlugen also das Lager am 
Jordan auf, den sie am folgenden Tage überschreiten 
wollten. 

4. Als nun Gedeon in grosser Furcht sich befand, 
da Gott ibm geboten hatte, die Feinde in der Nacht 
anzugreifen, wollte Gott ihm alle Angst benehmen und 
befahl ihm daher, er solle mit einem von den Kriegern 

Jo*cphu»’ J UdUche Altertümer. 19 



29 0 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


nahe an die Zelte der Madianiter sich heranschleichen ; 
dort werde er bald Mut und Vertrauen gewinnen. 
Gedeon ging, getreu dem Befehl, und nahm seinen 
Diener Phara mit sich. Als er nun in die Nähe eine» 
der Zelte gelangt war, sah er darin einige Krieger, welche 
wachten, und hörte, wie einer von ihnen seinem Zeitgenossen 
einen Traum erzählte, den er genau vernehmen konnte. 
Damit verhielt es sich so. Jener hatte gemeint, einen 
Gerstenkuchen zu erblicken, der so schlecht war, dass er 
kaum genossen werden konnte. Dieser Kuchen rollte 
durch das Lager und stiess des Königs und aller Krieger 
Zelte um. Der andere sagte, der Traum bedeute den 
Untergang des ganzen Heeres, indem er zugleich er- 
örterte, worauf sich diese Beine Deutung stütze. „Die 
Gerste,“ sagte er, „ist zweifellos die verächtlichste von den 
Körnerfrüchten. Die Israeliten aber sind auch jetzt die 
schlechteste von allen asiatischen Völkerschaften und 
daher mit der Gerste zu vergleichen. Diejenigen nun, 
die unter den Israeliten die grösste Tapferkeit beweisen, 
sind Gedeon und seine Krieger. Da du aber sagst, du 
habest gesehen, dass der Kuchen .unsere Zelte umstiess, 
so fürchte ich, dass Gott dem Gedeon den Sieg über 
uns verleihen wird.“ 

5. Als Gedeon diesen Traum vernommen, fasste er 
Mut und Vertrauen und erzählte denselben auch den 
Seinigen; hierrauf befahl er ihnen, zu den Waffen zu 
greifen. Diese rüsteten sich sogleich zur Ausführung 
des Befehls, da auch sie durch die Traumerzählung Mut 
bekommen hatten, und Gedeon teilte nun seine Truppen in 
drei Abteilungen, jede zu hundert Mann, und führte sie 
um die vierte Nachtwache gegen den Feind. Sie alle 
trugen leere Krüge und in diesen brennende Fackeln, 
damit ihr Anmarsch von den Feinden nicht bemerkt 
würde; in der rechten Hand aber hielten sie Widderhörner, 
deren sie sich anstelle der Posaunen bedienten. Das Lager 
der Feinde bedeckte einen grossen Kaum, denn sie hatten 
eine grosse Zahl Kamele, und sie lagen nach Völker- 
schaften geordnet ringsum im Kreise. Den Hebräern 



Fünftes Buch, 6. Kapitel. 


291 


war nun befohlen worden, sie sollten, sobald sie nicht 
mehr weit vom Feinde entfernt wären, auf ein gegebenes 
Zeichen in die Hörner stossen, die Krüge zerbrechen und 
unter grossem Geschrei mit den Fackeln gegen die 
Feinde rennen. Sie würden dann den Sieg davontragen, 
den Gott dem Gedeon verleihen wolle. Die Krieger be- 
folgten den Befehl pünktlich; die Feinde aber erwachten 
aus dem Schlaf und gerieten in die grösste Verwirrung 
und Bestürzung, denn es war noch Nacht, wie Gott es 
gewollt hatte. Doch wurden ihrer nur wenige von den 
Israeliten getötet, da die meisten ihren eigenen Kampf- 
genossen erlagen wegen der grossen Verschiedenheit der 
Sprache, welche unter ihnen herrschte und die Ver- 
wirrung nur noch steigerte. Einmal aber in Verwirrung, 
hielten sie alle, die ihnen begegneten, für Feinde und 
machten sie nieder. So entstand ein grosses Blutbad. 
Sobald nun die Israeliten von diesem Siege Gedeons 
gehört hatten, griffen auch sie zu den Waffen, verfolgten 
die fliehenden Feinde und erreichten sie in einer thal- 
artigen, von wildströmenden Giessbächen umflossenen 
Gegend, in der sie nicht vor- noch rückwärts konnten. 
Und sie machten alle nieder samt den beiden Königen 
Oreb und Zeb. Als nun die anderen Feldherren den 
übrigen Teil des Heeres, gegen achtzehntausend Mann, 
weiterführten und in ziemlicher Entfernung von den 
Israeliten ihr Lager aufschlugen, verfolgte sie Gedeon, 
der trotz seiner Anstrengungen noch nicht ermüdet war, 
mit dem ganzen Heere, machte sie alle nieder und nahm 
die beiden noch übrigen Führer Zebes und Salmanas 
gefangen. In dieser Schlacht fielen von den Madianitern 
und den ihnen zu Hilfe geeilten Arabern gegen hundert- 
zwanzigtausend Mann, und eine reiche Beute an Gold, 
Silber, Geweben, Kamelen und anderem Vieh fiel in 
die Hände der Sieger. Gedeon aber tötete, als er in 
seine Heimat Ephran zurückkehrte, auch noch die Könige 
der Moabiter. 

6. Übrigens war der Stamm Ephraim sehr ärgerlich 
über Gedeons Kriegsglück und beschloss daher, ihn mit 



292 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


Krieg zu überziehen unter dem Vorwand, er habe die 
Feinde angegriffen , ohne sich mit ihnen vorher darüber 
zu verständigen. Gedeon aber, ein bescheidener und 
edler Mann, antwortete ihnen, er habe den Feind nicht 
aus eigenem Antriebe, sondern auf Gottes Geheiss an- 
gegriffen, und dann komme ja auch der Sieg ihnen 
ebenso sehr zu statten als denen, die ihn errungen hätten. 
Mit diesen Worten besänftigte er ihren Zorn und erwarb 
sich dadurch ein noch grösseres Verdienst als durch 
seine Kriegsthaten, denn er verhütete auf diese Weise den 
Bürgerkrieg. Übrigens büsste jener Stamm später noch 
für seine Frechheit, wie ich zu gelegener Zeit berichten 
werde. 

7. Gedeon wollte hierauf die Regierung niederlegen, 
doch drängte man ihn, sie noch vierzig Jahre zu be- 
halten. Er fungierte als Richter und entschied alle 
Streitigkeiten, die man vor ihn brachte, und alle seine 
Aussprüche wurden als unanfechtbar anerkannt. Als 
er im hohen Greisenalter gestorben war, bestattete man 
ihn in seiner Heimat bei Ephran. 


Siebentes Kapitel. 

Wie von Gedeons Nachfolgern viele mit den umliegenden 
Völkerschaften langwierige Kriege führten. 

1. Gedeon hatte siebzig eheliche Söhne, denn er be- 
sass viele Eheweiber; ausserdem hatte er einen unehe- 
lichen Sohn Abimelech von seinem Kebsweibe Drama. 
Dieser zog nach seines Vaters Tode zu den Verwandten 
seiner Mutter nach Sikim (dort war sie zu Hause), er- 
hielt von ihnen, die sich in Schlechtigkeiten hervor- 
thaten, Geld, kehrte mit ihnen in sein Vaterhaus 
zurück und tötete hier alle seine Brüder bis auf 
Joatham, der ihm glücklich durch die Flucht entkam. 
Abimelech führte dann eine tyrannische Herrschaft, 
hielt das für gesetzmässig, was ihm zu thun beliebte, 



Fünftes Buch, 7. Kapitel. 


293 


und verfolgte hartnäckig alle Verfechter der guten 
Sache. 

2. Als einst in Sikim ein Festtag war, und alles 
Volk dahin zusammenströmte, stieg sein Bruder Joatham, 
der, wie oben erwähnt, geflohen war, auf den Gipfel des 
Berges Garizin, der sich über Sikim erhebt, und rief 
mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme, man möge 
still sein und auf seine Worte hören. Als Ruhe ein- 
getreten war, fing er an zu erzählen: „Einst, als die 
Bäume noch menschliche Stimmen hatten, kamen sie 
zusammen und baten den Feigenbaum, dass er über sie 
herrschen möge. Da dieser aber die Ehre zurückwies, 
weil er sich mit der Ehre begnügen wolle, die ihm seine 
Früchte brächten — kein anderer Baum nämlich vermöge 
solche zu erzeugen — , standen die Bäume gleichwohl von 
ihrem Vorhaben, einen aus ihnen zum Herrscher zu 
wählen, nicht ab und beschlossen deshalb, dem Weinstock 
die Würde anzubieten. Der aber schlug die Wahl mit 
denselben Worten wie der Feigenbaum aus, und als 
auch der Ölbaum in gleicher Weise sich weigerte, 
forderten die Bäume den Dornstrauch, dessen Holz sich 
vorzüglich als Brennholz eignet, auf, die Herrschaft zu 
übernehmen. Dieser sagte auch zu und versprach, die- 
selbe eifrig zu führen. Sie sollten, sagte er, in seinem 
Schatten ruhen; wofern sie ihm aber Verderben bereiten 
wollten, werde er Feuer auf sie werfen und sie zu 
Grunde richten." „Das habe ich euch," fuhr Joatham 
fort, „nun nicht etwa als Scherz erzählt, sondern darum, 
weil ihr, die ihr von Gedeon so viele Wohlthaten er- 
halten habt, es ruhig geschehen lasst, dass Abimelech 

a die Herrschaft inne hat, und weil ihr euch mitschuldig 
an seinen brudermörderischen Thaten gemacht habt, da 
sich doch seine Sinnesart in nichts vom Feuer unter- 
scheidet.“ Als er so geredet, floh er wieder und ver- 
barg sich aus Furcht vor Abimelech drei Jahre lang im 
Gebirge. 

3. Nicht lange nach dem Fest bereuten die Sikimiter, 
dass sie die Ermordung der Söhne Gedeons hatten 



294 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


geschehen lassen, und vertrieben den Abimelech aus der 
Stadt und dem Stamme. Dieser sann aber mit den 
Seinigen auf Rache. Als daher die Zeit der Ernte 
herankam, fürchteten sie sich des Abimelech wegen, aufs 
Feld zu gehen. Da aber um diese Zeit gerade ein 
Stammeshäuptling Gaal mit seinen Verwandten und 
einer Schar von Bewaffneten bei ihnen weilte, baten sie 
ihn während der Ernte um seinen Schutz. Als dieser 
sich hierzu bereit erklärte, zogen sie mit ihm und 
seinen Kriegern aufs Feld , ernteten in Ruhe ihre 
Früchte, hielten darauf ein Gastmahl und scheuten sich 
nicht, den Abimelech offen zu schmähen; die Truppen- 
führer aber legten Hinterhalte um die Stadt, fingen 
viele von Abimelechs Kriegern auf und töteten sie. 

4. Ein gewisser Zebul aber, einer von den Vor- 
nehmsten der Sikimiter und Freund des Abimelech, liess 
diesem durch Boten sagen, wie Gaal das Volk gegen 
ihn auf hetze, und riet ihm zugleich, er solle sich vor 
der Stadt auf die Lauer legen. Gaal werde sich wohl 
von ihm (Zebul) beschwätzen lassen, gegen ihn aus- 
zurücken, und so werde er ihn in seine Gewalt be- 
kommen und Rache nehmen können. Wenn dies 
geschehen sei, verspreche er ihm, dass das Volk sich 
wieder mit ihm aussöhnen werde. Abimelech legte sich 
mit den Seinigen in den Hinterhalt, Gaal aber hielt 
sich sorglos in der Vorstadt auf, und bei ihm war Zebul. 
Als nun Gaäl Bewaffnete auf sich zukommen sah, rief 
er dem Zebul zu, es zögen Krieger auf sie an. Der aber 
entgegnete, das seien nur Schatten von Felsen. Als sie 
aber noch näher kamen, und man sie deutlich erkennen 
konnte, rief Gaal, das seien keine Schatten, sondern be- 
waffnete Männer. Da erwiderte ihm Zebul: „Hast du 
dem Abimelech nicht Feigheit vorgeworfen? Warum 
zeigst du also nicht, dass du ein Mann bist, und 
kämpfst mit ihm?“ Gaal, hierüber bestürzt, liess sich 
mit Abimelech in ein Handgemenge ein, und es fielen 
einige von den Seinigen. Darauf zog er sich mit den 
übrigen in die Stadt zurück. Inzwischen suchte Zebul 



Fünftes Buch, 7. Kapitel. 


295 


in der Stadt dahin zu wirken, dass man den Gaal ver- 
treiben möchte, indem er ihn beschuldigte, er habe sich 
im Kampf mit den Kriegern des Abimelech zaghaft und 
feige benommen. Da übrigens Abimelech erfahren 
hatte, die Sikimiter würden wieder zur Ernte aufs Feld 
gehen, legte er sich vor der Stadt in den Hinterhalt. Und 
als sie aus der Stadt heraus waren, liess er den dritten 
Teil seines Heeres die Thore besetzen, um den Bürgern 
den Rückweg abzuschneiden ; die übrigen aber zerstreuten 
die Sikimiter, verfolgten sie und machten sie allenthalben 
nieder. Die Stadt ergab sich ohne Belagerung, und 
Abimelech zerstörte sie, machte sie dem Erdboden gleich, 
streute Salz auf ihre Trümmer und zog dann in ge- 
schlossenem Zuge weiter. So kamen alle Sikimiter ums 
Leben. Diejenigen aber, die der 'Gefahr entronnen 
waren und sich in der Umgegend zerstreut hatten, 
scharten sich zusammen, setzten sich auf einem unzu- 
gänglichen Felsen fest und nahmen noch die Errichtung 
einer Mauer rings um denselben in Angriff. Als aber 
Abimelech von diesem Vorhaben Kunde erhielt, kam er 
ihnen zuvor und führte alle seine Truppen dahin, nahm 
selbst ein Bündel dürres Holz, befahl seinem Heer, ein 
Gleiches zu thun und liess den ganzen Ort damit um- 
geben. Und als er so in kurzer Zeit rings um den 
Felsen Holz aufgehäuft hatte, warf er Feuer und leicht 
brennbare Stoffe hinein und erregte einen gewaltigen 
Brand. Niemand aber von denen, die auf den Felsen 
geflüchtet waren, entkam, sondern alle fünfzehnhundert 
Männer kamen nebst Weibern und Kindern um, und 
von den übrigen ebenfalls eine grosse Anzahl. Ein so 
schreckliches Unglück traf die Sikimiter, und es wäre 
die Trauer darüber wohl noch grösser gewesen, wenn sie 
es nicht als Strafe für das Böse angesehen hätten, das sie 
einem so hochverdienten Manne wie Gedeon zugefügt 
hatten. 

5. Abimelech aber, der durch die Vernichtung der 
Sikimiter den Israeliten gewaltigen Schrecken ein- 
gejagt hatte, machte kein Hehl daraus, dass er noch 


Go gle 



296 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Grösseres beabsichtige und nicht eher in seiner Gewalt- 
tätigkeit nachlassen werde, bis er sie sämtlich der Ver- 
nichtung preisgegeben habe. Er zog daher gegen 
Theben und nahm die Stadt in plötzlichem Ansturm. 
Weil aber daselbst ein starker Turm sich befand, in den 
alles Volk geflüchtet war, wollte er auch diesen an- 
greifen. In dem Augenblick jedoch, da er mit Ungestüm 
gegen dessen Thor anrannte, warf ihm ein Weib ein Stück 
von einer Mühle 1 auf den Kopf. Abimelech stürzte zu 
Boden und flehte seinen Waffen träger an, ihn vollends 
zu töten, damit man nicht sagen könne, er sei von einem 
Weibe umgebracht worden. Dieser vollzog den Befehl, 
und so erlitt Abimelech die Strafe für den Brudermord 
und für seine Frevelthaten gegen die Sikimiter, wie sie 
Joatham ihm vorhergesagt hatte. Nach dem Tode 
Abimelechs zerstreuten sich seine Krieger und kehrten 
in ihre Heimat zurück. 

6. Danach übernahm die Regierung der Israeliten 
Jaires aus Galad vom Stamme Manasses, ein im all- 
gemeinen und auch besonders noch deshalb glücklicher 
Mann, weil er dreissig tapfere Söhne hatte, die aus- 
gezeichnete Reiter waren und in den galadenischen 
Städten die Posten von Präfekten bekleideten. Jalres 
starb nach zweiundzwanzigjähriger Regierung in hohem 
Alter und ward begraben in der galadenischen Stadt 
Kamon. 

7. Hierauf gerieten die Hebräer wieder in Verfall 
und verachteten Gottes Gesetze. Daher blickten die 
Ammaniter und Palaestiner mit Geringschätzung auf sie 
und verwüsteten ihr Land mit einem grossen Heere. 
Und nachdem sie die Gegenden jenseits des Jordan be- 
setzt hatten, schickten sie sich an, über den Fluss zu 
gehen und auch noch das übrige Land zu erobern. Die 
Hebräer aber fingen an, durch ihr Missgeschick klug zu 
werden, opferten Gott und baten ihn unter heissem 


1 Gemeint ist hier eine der steinernen Handmühlen , die di» 
Israeliten beim Mahlen des Getreides gebrauchten. 



Fünftes Bach, 7. Kapitel. 


297 


Flehen, er möge von seinem Zorn ablassen, seine Strenge 
mildern und ihre Bitten gnädig erhören. Gott liess sich 
denn auch erweichen und versprach ihnen Hilfe. 

8. Als nun die Ammaniter in das galadenische Gebiet 
eingefallen waren, zogen ihnen die Bewohner des Landes 
nach dem Gebirge zu entgegen, jedoch ohne Führer. Es 
lebte aber damals ein gewisser Jephthes, der einem alten 
edlen Geschlechte entstammte und auf eigene Kosten ein 
Heer unterhielt. An diesen wandten sich die Hebräer 
und baten ihn um Hilfe, versprachen ihm auch, sie 
wollten sich dafür seiner Herrschaft unterwerfen, so 
lange er lebe. Er schlug ihnen indes ihre Bitte ab und 
warf ihnen vor, sie hätten auch ihm keine Hilfe ge- 
leistet, als er von seinen Brüdern das offenbarste Unrecht 
zu erdulden gehabt habe. Weil er nämlich nicht ihr 
leiblicher Bruder war, sondern von einem fremden Weib 
stammte, das ihr Vater aus grosser Liebe bei sich auf- 
genommen batte, hatten sie ihn schmählich aus dem 
Hause vertrieben. Und seitdem wohnte er in Galad 
und nahm alle, die ihm zuliefen, in seinen Sold. End- 
lich liess er sich aber doch durch ihre Bitten erweichen, 
und nachdem sie ihm eidlich zugesagt hatten, sie wollten 
sich seiner lebenslänglichen Oberherrschaft unterwerfen, 
machte er seine Mannschaft kampffähig. 

9. Als Jephthes schleunigst alles Notwendige besorgt 
batte, legte er seine Streitmacht in die Stadt Masphath 
und schickte an den König der Ammaniter Gesandte, 
die sich über dessen Raubzüge beschweren sollten. Dieser 
aber ordnete seinerseits Gesandte ab und warf den Israeliten 
ihren Auszug aus Aegypten vor, forderte auch, sie sollten 
das Land Amoraea räumen, das früher seinen Vorfahren 
gehört habe. Jephthes jedoch liess ihm sagen, er be- 
schuldige die Israeliten ohne Grund, dass ihre Vorfahren 
Amoraea in Besitz genommen hätten; er müsse ihnen 
vielmehr dafür danken, dass sie das Land der Amma- 
niter verschont hätten, denn Moyses habe es in seiner 
Gewalt gehabt, auch dieses zu nehmen. Da der König 
aber verlange, die Israeliten sollten das Land aufgeben, 




298 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


das sie nun schon über dreihundert Jahre durch Gottes 
Güte besässen, so möge er sich merken, dass sie es fest 
behaupten und es auf einen Kampf ankommen lassen 
wollten. 

10. Nach diesen Worten entliess er die Gesandten, 
bat Gott um Verleihung des Sieges und gelobte, er 
werde, wenn er wohlbehalten zurückkehre, das erste, das 
ihm begegne, Gott opfern. Dann traf er mit den Feinden 
zusammen, besiegte sie, tötete viele und verfolgte die übrigen 
bis zur Stadt Maliath. Darauf drang er in das Gebiet 
der Ammaniter ein, zerstörte viele Städte, machte glän- 
zende Beute und befreite sein Volk von der Knecht- 
schaft, in der es achtzehn Jahre lang geschmachtet hatte. 
Als er dann aber nach Hause kam, stiess ihm ein Un- 
glück zu, das zu seinem glücklichen Feldzuge gar nicht 
passte: denn es begegnete ihm zuerst seine einzige 
jungfräuliche Tochter. In der Grösse seines Schmerzes 
stöhnte er schwer auf und schalt seine Tochter, dass sie 
solche Eile gehabt, ihm entgegenzugehen: jetzt nämlich 
müsse er sie seinem Gelöbnis zufolge Gott opfern. Sie 
aber vernahm ihr bevorstehendes Schicksal mit Freuden, 
da sie für den Sieg ihres Vaters und die Freiheit ihres 
Volkes gern ihr Leben hingeben wollte. Sie erbat sich 
nur noch eine Frist von zwei Monaten, um mit ihren 
Mitbürgern ihre Jugend zu beweinen, dann sei sie bereit, 
das Gelöbnis zu erfüllen. Er bewilligte ihr diese Frist, 
und als sie um war, brachte er seine Tochter als Brand- 
opfer dar. Doch handelte er damit weder im Sinne des 
Gesetzes, noch nach dem Willen Gottes; auch dachte er 
nicht an die Zukunft noch daran , was diejenigen 
über die That denken würden, die davon Kunde 
erhielten. 

11. Der Stamm Ephraim aber drohte ihm hierauf 
mit Krieg, weil er sie von dem Feldzuge gegen die 
Ammaniter ausgeschlossen und Beute wie Kriegsruhm 
für sich allein behalten habe. Er aber entgegnete 
ihnen, es sei ihnen doch nicht unbekannt gewesen, dass 
ihre Blutsverwandten in Kriegsgefahr geschwebt hätten; 



Fünftes Buch, 7. Kapitel. 


299 


auch seien sie nicht zur Hilfeleistung gekommen, ob* 
gleich man sie darum ersucht habe, und sie hätten doch 
eigentlich . ungebeten sogleich herbeieilen müssen. Dann 
gab er ihnen zu erwägen, wie unrecht sie handelten, da 
sie ihre Freunde angreifen wollten, obgleich sie mit den 
Feinden zu kämpfen nicht gewagt hätten. Endlich 
drohte er ihnen, er werde sie, sofern sie nicht zur Ver- 
nunft kommen wollten, nach dem Willen Gottes energisch 
bestrafen. Da er jedoch mit Worten nichts bei ihnen 
ausrichtete, zog er sein Heer aus Galad an sich, mar- 
schierte gegen sie und brachte ihnen eine grosse Nieder- 
lage bei. Dann verfolgte er die Flüchtigen, Hess die 
Furt des Jordan besetzen und tötete zweiundvierzig- 
tausend von ihnen. 

12. Er starb nach einer Regierung von sechs Jahren 
und ward begraben in seiner Heimat Sebe, einer Stadt 
im Galadenerlande. 

13. Nach dem Tode Jephthes’ erhielt die Regierung 
Apsan aus dem Stamme Judas und der Stadt Bethleem, 
Er hatte sechzig Kinder, dreissig Söhne und ebenso viele 
Töchter, die bei seinem Tode alle noch am Leben und 
alle verheiratet waren. Etwas Erwähnenswertes hat er 
in seiner siebenjährigen Regierungszeit nicht geleistet. 
Er starb in hohem Alter und ward in seiner Vaterstadt 
begraben. 

14. Nach dem Tode Apsans regierte Eleon aus dem 
Stamme Zabulon zehn Jahre lang; auch er hat in dieser 
Zeit nichts Bemerkenswertes geleistet. 

15. Von seinem Nachfolger Abdon, dem Sohne des 
Hellel aus dem Stamme Ephraim, der aus der Stadt 
«der Pharathoniter gebürtig war, weiss man auch nichts 
anderes, als dass er gute Kinder hatte. Denn da er in 
einer Zeit der Ruhe und des Friedens lebte, hatte er 
keine Gelegenheit zu glänzenden Kriegsthaten. Er hatte 
•vierzig Söhne und von diesen dreissig Enkel ; mit ihnen, 
<iie alle siebzig vortreffliche Reiter waren, pflegte er sich 
in Reiterkünsten zu üben. Sie waren alle noch am 




300 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Leben, als er in hohem Alter starb. Er wurde mit 
grosser Pracht in Pbarathon beigesetzt. 


Achtes Kapitel. 

Von Samsons Tapferkeit, und welches Leid er den 
Palaestinem zufügte. 

1. Nach Abdons Tod besiegten die Palaestiner die 
Israeliten und erhoben vierzig Jahre lang Tribut von 
ihnen. Aus dieser harten Bedrängnis wurden sie 
folgendermassen befreit. 

2. Ein gewisser Manoch, ein vornehmer Daniter und 
ohne Frage der Bedeutendste in seinem Vaterlande, be- 
sa8s ein ausserordentlich schönes Weib, die alle ihre 
Altersgenossinnen an Statur übertraf. Er hatte jedoch 
von ihr keine Kinder, worüber er sich sehr grämte, wes- 
halb er oft mit ihr aus der Stadt hinausging und Gott 
bat, er möge ihnen doch eheliche Kinder bescheren. 
Da er nun in seine Frau sterblich verliebt war, wurde 
er auch von heftiger Eifersucht geplagt. Als die Frau 
einst allein zu Hause war, erschien ihr ein Engel Gottes- 
in Gestalt eines schlanken und schönen Jünglings und 
brachte ihr die frohe Nachricht, sie werde durch Gotte» 
Fürsorge einen schönen und starken Sohn gebären, der r 
sobald er seine Manneskraft erlangt habe, die Palaestiner 
niederwerfen werde. Zugleich ermahnte er eie, dem 
Knaben nicht das Haar zu schneiden und ihn an kein 
anderes Getränk als Wasser zu gewöhnen, da Gott es 
so wolle. Nach diesen Worten verschwand er, wie er 
nach Gottes Willen gekommen war. 

3. Als ihr Mann zurückkehrte, erzählte sie ihm, was 
sie von dem Engel vernommen hatte, auch beschrieb sie 
ihha seine Schönheit und seinen schlanken Wuchs, sodass 
er ob dieser Lobrede eifersüchtig wurde und Verdacht 
gegen sie zu schöpfen begann. Da sie nun ihren Mann 
von diesem widersinnigen Kummer befreien wollte, bat 




Fünftes Buch, 8. Kapitel. 


301 


sie Gott flehentlich, er möge doch den Engel noch ein- 
mal senden, damit auch ihr Mann ihn sehen könne. 
•Gott gewährte die Bitte gnädig, und so erschien ihnen 
•der Engel, als sie vor der Stadt sich ergingen; doch 
kam er gerade, als ihr Mann sie eben etwas verlassen 
Latte. Sie bat ihn nun, er möge doch ein wenig ver- 
weilen, bis sie ihren Mann herbeigeholt habe. Und da 
•er zusagte, rief sie den Manoch herbei. Als dieser den 
Engel erblickt hatte, konnte er immer noch seihen Ver- 
pacht nicht loswerden; deshalb bat er ihn, er möge 
Auch ihm das mitteilen, was er seiner Frau verkündigt 
habe. Und da der Engel ihm entgegnete, es müsse ihm 
.genügen, dass er es seiner Gattin allein verkündet habe, 
wünschte Manoch zu wissen, wer er sei, damit er nach 
Per Geburt des Sohnes ihm seinen Dank abstatten und 
ihm etwas zum Geschenk machen könne. Der Engel 
Aber antwortete, er bedürfe nichts dergleichen, und er 
habe ihm auch die frohe Botschaft von der Geburt eines 
Sohnes nicht etwa deshalb gebracht, um von ihm be- 
schenkt zu werden. Nun beschwor ihn Manoch , er möge 
Poch noch etwas verweilen, damit er ihn bewirten könne. 
Auch das schlug der Engel zuerst ab, gab aber dann 
nach und blieb. Manoch schlachtete darauf sogleich 
«inen Bock und befahl seiner Gattin, ihn gehörig zuzu- 
bereiten. Als nun alles fertig war, hiess der Engel ihn 
Pas Brot und Fleisch ohne die Gefasse auf einen Fels 
setzen, und nachdem das geschehen, berührte er mit 
einem Stabe, den er bei sich trug, das Fleisch. Und so- 
gleich brach Feuer aus und verzehrte das Fleisch samt 
Pem" Brote; der Engel aber fuhr auf dem Rauche wie 
Auf einem Wagen vor ihren Augen gen Himmel. Da 
•erschrak Manoch gewaltig und befürchtete Gefahr, weil 
sie Gott gesehen hätten. Das Weib aber hiess ihn sich 
•ermannen: denn dass sie Gott geschaut, werde ihnen nur 
zum Segen gereichen. 

4. Das Weib aber wurde schwanger und beobachtete 
Alles, was ihr vorgeschrieben worden war. Und der 
Knabe, den sie gebar, w urde Samson genannt, das heisst 



302 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


„der Tapfere.“ Er wuchs schnell heran , und da er 
massig lebte und das Haar nicht scheren liess, schien 
er ein Prophet werden zu sollen. 

5. Als nun Samson einst mit seinen Eltern nach 
Thamna, einer Stadt der Palaestiner, zu einem Feste 
ging, wurde er dort von Liebe zu einer Jungfrau des 
Landes ergriffen und bat seine Eltern, ihm das Mädchen 
zur Ehe zu geben. Diese schlugen ihm zunächst seine 
Bitte ab,* weil das Mädchen nicht aus ihrem Geschlechte 
stammte ; da aber Gott zum Nutzen der Hebräer diese Hei' 
rat ersonnen hatte, erreichte Samson endlich die Erfüllung 
seines Wunsches. Da er nun öfters die Eltern des Mäd- 
chens besuchte, geschah es, dass er einst unterwegs einem 
Löwen begegnete, und obwohl er waffenlos war, nahm 
er es doch mit ihm auf, erdrosselte ihn mit blossen 
Händen und warf ihn neben dem Wege in eine Schlucht, 

6. Ein anderes Mal, als er zu dem Mädchen ging, 
traf er einen Bienenschwarm, der in dem Brustkasten 
des Löwen Zellen gebaut hatte. Davon nahm er drei 
Scheiben Honig und schenkte sie nebst anderen Gegen- 
ständen, die er bei sich trug, dem Mädchen. Als er nun 
Hochzeit feierte, gaben ihm die Thamniter, die er alle 
zum Mahle geladen hatte, dreissig kräftige Jünglinge bei, 
dem Scheine nach als Zechgenossen , in Wirklichkeit 
aber, um ihn zu bewachen, dass er keine Tollkühnheit 
begehe. Da sie nun stark gezecht hatten und anfingen, 
lustig zu werden , wie das bei solchen Festlichkeiten 
üblich ist, sprach Samson: „Wohlan, wenn ihr mir das 
Rätsel, das ich euch jetzt gebe, in sieben Tagen löst, 
so sollt ihr als Belohnung jeder ein Stück Leinen und. 
ein Kleid von mir erhalten.“ Die Jünglinge, die gleich- 
zeitig gern sich witzig gezeigt hätten und auch nach 
dem Preise lüstern waren, forderten ihn auf, das Rätsel 
kundzugeben. Das that er mit diesen Worten: „Etwas, 
das alles verschlingt, giebt liebliche Speise von sich, 
wenn es auch selbst nichts weniger als lieblich ist.“ 
Drei Tage lang dachten sie über das Rätsel nach, konnten 
aber seine Lösung nicht finden und baten deshalb die 




Fünftes Buch, 8. Kapitel. 


303 


Braut, sie solle von Samson die Bedeutung zu erforschen 
suchen; ja sie drohten ihr, sie würden sie ins Feuer 
werfen, wenn sie es nicht thäte. Als nun die Braut den 
Samson bat, ihr die Lösung mitzuteilen, wollte dieser 
anfangs nicht; da sie aber heftiger in ihn drang und 
unter Thränen ihm vorwarf, jetzt habe sie den Beweis, 
dass er sie nicht liebe, weil er ihr die Losung vorenthalte, 
erklärte er ihr, wie er den Löwen erwürgt, die Bienen in 
seiner Brust gefunden und ihr drei Honigscheiben da- 
von mitgebracht habe. So offenbarte er ihr die Lösung, 
ohne etwas dabei zu argwöhnen; sie aber verriet die- 
selbe sogleich den Jünglingen. Als diese nun am 
siebenten Tage, an dem sie die Lösung haben mussten, 
vor Sonnenuntergang zusammenkamen, sagten sie zu 
Samson: „Es giebt nichts, das weniger lieblich wäre als 
ein Löwe, und nichts Lieblicheres als Honig.“ Samson 
aber fügte hinzu: „Und nichts Hinterlistigeres als ein 
Weib, das euch meine Worte hinterbracht hat“ Doch 
gab er ihnen, was er versprochen hatte, denn er hatte 
einige Askaloniter, die auch zu den Palaestinern ge- 
hören, auf dem Wege ausgeraubt Dann ging er von 
der Hochzeit weg. Die Jungfrau aber, die ihn wegen 
seines Zornes verächtlich behandelte, heiratete einen 
seiner Freunde, welcher der Vermittler der ersten Ver- 
bindung gewesen war. 

V. Samson, den diese Schmach sehr kränkte, beschloss, 
sich an dem Weibe und allen Palaestinern zu rächen. 
Und da gerade Sommer war, und die Früchte der Ernte 
entgegenreiften, fing er dreihundert Füchse, band bren- 
nende Fackeln an ihre Schwänze, jagte sie in die Äcker 
der Palaestiner und verdarb so deren ganze Ernte. Als 
diese erfuhren, dass Samson der Anstifter des Streiches 
sei, schickten sie, da sie wussten, was ihn dazu bewogen 
hatte, einige Vornehme nach Thamna und Hessen sein 
früheres Weib und deren Angehörige als Urheber des 
Unglückes verbrennen. 

8. Nachdem nun Samson viele Palaestiner in der 
Ebene umgebracht hatte, hauste er auf dem Aeta, einem 



304 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


im Stamme Judas gelegenen starken Felsen. Die Palaestiner 
aber zogen deshalb mit einem Heere gegen den Stamm. 
Und als die Stammesgenossen geltend machten, dass sie 
unverdient für Samsons Frevel mitbüssen müssten, zu- 
mal sie doch ihren Tribut pünktlich entrichtet hätten, 
erhielten sie zur Antwort: wenn sie für unschuldig gelten 
wollten, sollten sie den Samson ausliefern. Um nun 
von Weiterungen verschont zu sein, zogen sie mit drei- 
tausend Bewaffneten zu dem Felsen, beklagten sich bei 
Samson wegen der Frevel, welche er gegen die Palaestiner 
verübt, die hierfür das ganze Hebräervolk vernichten 
könnten, und erklärten ihm, sie seien gekommen, um 
ihn festzunehmen und den Palaestinern auszuliefern; 
■er solle sich also dem gutwillig unterziehen. Er liess 
sie darauf schwören, dass sie weiter nichts gegen ihn im 
Schilde führten, als ihn auszuliefern ; dann stieg er vom 
Felsen herab und gab sich in die Hände seiner Stammes- 
genossen, die ihn mit zwei Stricken banden und ihn den 
Palaestinern zuführten. Als sie nun an einen Ort ge- 
kommen waren, der noch heute von der herrlichen That, 
■die Samson dort vollbrachte, „Kinnlade" genannt wird, 
damals aber keinen besonderen Namen hatte, kamen 
ihnen die Palaestiner, die nicht weit davon ihr Lager 
hatten, mit fröhlichem Jubel entgegen, als wenn nun 
ihre Wünsche ganz erfüllt wären. Samson aber zerriss 
die Stricke, ergriff die Kinnlade eines Esels, die* gerade 
zu seinen Füssen lag, stürzte sich auf die Feinde und 
schlug mit der Kinnlade ungefähr tausend von ihnen 
tot; die anderen wandten sich entsetzt zur Flucht. 

9. Samson aber wurde durch diese That übermütiger 
als billig, und schrieb dieselbe nicht der Hilfe Gottes, 
sondern seiner eigenen Kraft zu. Auch rühmte er sich, 
dass er die Feinde zum Teil erschlagen, zum Teil in 
die Flucht getrieben habe. Als er aber darauf von hef- 
tigem Durst geplagt wurde, erkannte er, dass alle mensch- 
liche Kraft schwach sei, und Gott allein alles vermöge, 
und bat ihn flehentlich, er möge ihm wegen seiner 
Reden nicht zürnen und ihn nicht in die Gewalt seiner 



Fünftes Buch, 8. Kapitel. 


,305 


IFeinde geben, vielmehr ihn aus der gegenwärtigen Not 
"befreien. Gott erhörte sein Gebet und liess eine süsse 
und wasserreiche Quelle aus einem Felsen entspringen. 
4§amson nannte diesen Ort „Kinnlade,“ und so heisst er 
noch heute. 

10. Nach diesem Kampfe verachtete Samson die 
Palaestiner, ging nach Gaza und kehrte dort in einer 
Herberge ein. Als das die Vornehmen der Gazäer er- 
fuhren, besetzten sie den Platz vor dem Thore mit 
Wachen, damit er ihnen nicht entwischen könne. Samson 
aber, der ihre Absicht wohl gemerkt hatte, stürzte sich 
wütend auf das Thor, hob es samt Pfosten, Querbalken 
und dem ganzen hölzernen Zubehör auf und trug es 
auf seinen Schultern nach einem Berge, der in der Nähe 
von Chebron liegt. 

11. Später aber fiel er von den Gebräuchen seiner 
Väter ab, führte ein schlechtes Leben und äffte die Ge- 
wohnheiten fremder Völker nach, was gewöhnlich der 
Anfang alles Übels ist Er liebte eine Buhldirne Namens 
Dalila und lebte mit ihr. An diese machten sich nun die 
Vorsteher der Palaestiner heran und suchten sie durch 
grosse Versprechungen zu beschwätzen, dass sie von 
Samson erforschen möge, was die Ursache seiner ge- 
waltigen Stärke sei, die ihn unüberwindlich mache. Sie 
ging darauf ein, und als Samson einst bei ihr zechte 
und ihren vertrauten Umgang genoss, bewunderte sie 
seine Heldenthaten und suchte zu erfahren, warum er 
-eine so grosse Stärke besitze. Samson aber, der seines 
Geistes noch mächtig war, setzte List gegen List 
und sagte, wenn mau ihn mit Rebzweigen binde, die 
sich noch biegen Hessen, so werde er schwächer als alle 
anderen sein. Mit dieser Antwort war sie zufrieden, 
und nachdem sie die Vorsteher der Palaestiner ver- 
ständigt hatte, versteckte sie einige Krieger bei sich. 
Als nun Samson berauscht und in Schlaf gefallen war, 
band sie ihn mit den Rebzweigen, so fest sie konnte; 
dann weckte sie ihn und schrie ihm zu, die Feinde be- 
drohten ihn. Er aber zerriss die Rebzweigenfesseln und 

Josephus' Jüdische Altertümer. 20 




306 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

rüstete sich zur Wehr, falls man ihn an greifen wolle. 
Da er nun häufig mit dem Weibe verkehrte, beklagte 
sie sich einst, dass er so misstrauisch sei und ihr nicht 
sagen wolle, was sie so gern wissen möchte, gerade als 
ob sie das nicht geheim zu halten verstehe, dessen Aus- 
plauderung ihm schaden könne. Samson aber täuschte 
sie wiederum, indem er ihr sagte, wenn er mit sieben 
Stricken gefesselt werde, so werde seine Kraft von ihm 
weichen. Als das wieder keinen Erfolg gehabt hatte, er- 
klärte er ihr das dritte Mal, man müsse ihm seine Haare 
flechten. Und da auch das sich als trügerisch erwies, 
bestürmte sie ihn noch heftiger mit Bitten, sodass sich 
Samson endlich (es war ihm nämlich bestimmt, dass er 
in sein Unglück geraten sollte), um die Gunst der 
Dalila wiederzuerlangen, bereden liess und ihr kundthat : 
„Gott selbst, durch dessen Fürsorge ich geboren bin, hat 
befohlen, dass mein Haar wachsen gelassen und nicht 
geschoren werde. So lange solle ich meine Kräfte be- 
halten und sie sogar noch vermehren, als ich meine 
Haare wachsen lassen und erhalten würde.“ Als sie se 
endlich den wahren Grund erfahren hatte, schnitt sie 
ihm heimlich das Haar ab und überlieferte ihn seinen 
Feinden, denen er jetzt ohnmächtig preisgegeben war. 
Diese blendeten ihn und Hessen ihn gefesselt wegführen. 

12. Im Laufe der Zeit aber wuchs ihm das Haar 
wieder, und als die Palaestiner einst ein öffentliches 
Fest begingen, und ihre Vorsteher und Vornehmsten in 
einem Hause, dessen Dach von zwei Säulen getragen 
wurde, schmausten, Hessen sie den Samson holen, um 
beim Zechgelage mit ihm ihren Spott zu treiben. Dieser 
aber, der es für das schlimmste aller Übel hielt, dass 
er so zum Gespötte dienen musste und sich nicht rächen 
konnte, sagte dem Knaben, der ihn an der Hand führte, 
er solle ihn an die Säulen leiten, da er ermüdet sei und 
etwas ausruhen wolle. Kaum war er dort angelangt, 
als er sich mit aller Kraft auf die Säulen warf, sie um- 
stürzte und das ganze Haus wanken machte. So fanden 
dreitausend Menschen , die unter dem einstürzenden 



307 


Fünftes Buch, 9. Kapitel. 

Hause begraben wurden, und Samson mit ihnen den 
Tod. Samson herrschte zwanzig Jahre lang über die 
Israeliten. Bewundernswert ist er wegen seiner Tapfer- 
keit und Stärke, wegen des Starkmutes, mit dem er den 
Tod erlitt, und weil er bis zum letzten Atemzuge seine 
Feinde hasste. Dass er sich von einem Weibe überlisten 
liess, ist auf Rechnung der menschlichen Natur zu setzen, 
die leicht der Sünde unterliegt. Jedenfalls muss man 
ihm das Zeugnis geben, dass er im übrigen ein aus- 
gezeichneter und tugendhafter Mann war. Seine Ver- 
wandten bestatteten ihn bei den Vorfahren in seiner 
Vaterstadt Sariasa. 


Neuntes Kapitel. 

Wie unter der Regierung des Hohepriesters Eli Boaz 

die Ruth heiratete. 

1. Nach dem Tode Samsons regierte die Israeliten 
der Hohepriester Eli. Um diese Zeit entstand eine 
Hungersnot im Lande, infolge deren Elimelech, der aus 
Bethleem im Stamme Judas war und das Unglück nicht 
länger ertragen konnte, mit seinem Weibe Naamis und 
deren Söhnen Chellion und Malion • in das Land der 
Moabiter auswanderte. Und da es ihm hier nach seinem 
Sinne ging, gab er seinen Söhnen moabitische Weiber 
zur Ehe, dem Chellion die Orpha und dem Mallon die 
Ruth. Nach zehn Jahren starben Elimelech und seine 
beiden Söhne kurz nacheinander, und Naamis, hierüber 
sehr betrübt, konnte ihre Vereinsamung und den Verlust 
ihrer Lieben, um deretwillen sie ihr Vaterland verlassen 
hatte, kaum ertragen, weshalb sie wieder in ihre Heimat 
zog. Denn sie hatte auch vernommen, dass dort wieder 
alles geordnet und im Wohlstand sei. Ihre Schwieger- 
töchter aber wollten sich nicht von ihr trennen, und ob- 
gleich sie ihnen .von der Mitreise abriet, Hessen sie sich 
doch nicht überreden. Da sie nun noch mehr in sie 
drangen, wünschte sie ihnen eine glücklichere Ehe, als 



808 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sie mit ihren ersten Männern gehabt, und alles sonstige 
Oute, beschwor sie aber unter Auseinandersetzung ihrer 
Verhältnisse, sie möchten hier bleiben und ihr Vaterland 
nicht verlassen, um ihr in ungewisse Zukunft nachzu- 
folgen. Darauf blieb Orpha zurück; Ruth aber liess 
sich nicht bereden, sondern zog mit ihr fort und wollte 
jedes Schicksal mit ihr teilen. 

2. Als nun Ruth mit ihrer Schwiegermutter nach 
Bethleem kam, wurden sie von Boaz, einem Verwandten 
des Elimelech, gastfreundlich aufgenommen. Naamis 
aber meinte, als sie von den Mitbürgern bei ihrem 
Namen genannt wurde, mit mehr Recht könne man sie 
Mara nennen, denn in hebraeischer Sprache bedeutet 
Naamis „Glück,“ Mara aber „Schmerz.“ Zur Erntezeit 
nun ging Ruth mit Erlaubnis ihrer Schwiegermutter zum 
Ährenlesen aufs Feld, damit sie etwas zum Leben hätten, 
und es traf sich, dass sie auf das Grundstück des Boaz 
kam. Als bald darauf auch Boaz anlangte und die 
Ruth erblickte, erkundigte er sich ihretwegen bei seinem 
Verwalter, der ihm alles erzählte, was er über sie ver- 
nommen hatte. Da umarmte Boaz sie liebreich und 
wünschte ihr sowohl aus Zuneigung gegen ihre Schwieger- 
mutter, als auch in der Erinnerung an deren Sohn, mit 
dem sie verheiratet gewesen war, alles Gute. Auch litt 
er nicht, dass sie sich noch mit dem Auflesen von Ähren, 
abgeben sollte, sondern erlaubte ihr, sich so viel abzu- 
mähen, als sie könnte, und es mitzunehmen ; seinem Ver- 
walter aber befahl er, er solle ihr nichts in den Weg 
legen und ihr Speise und Trank mit den übrigen 
Schnittern gewähren. Die Mehlspeise nun, die Ruth von 
ihm erhielt, bewahrte sie für ihre Schwiegermutter auf 
und brachte sie ihr abends mit den Ähren, ebenso wie 
auch Naamis einen Teil des Essens, das die Nachbarn 
ihr in fürsorglicher Wohlthätigkeit gebracht hatten, für 
Ruth aufbewahrt hatte. Ruth erzählte nun ihrer 
Schwiegermutter alles, was Boaz ihr gesagt hatte, und 
daNaamis ihr mitteilte, er sei ihr Verwandter und werde 
aus Frömmigkeit vielleicht für sie sorgen, ging sie auch 




Fünftes Buch) 9. Kapitel. 


309 


an den folgenden Tagen mit den Mägden des Boaz auf 
das Feld zum Ährenlesen. 

3. Einige Tage nachher, als die Gerste schon aus- 
gedroschen war, kam auch Boaz wieder auf das Feld 
und schlief auf seiner Tenne. Als Naamis das hörte, 
hatte sie den Einfall, Ruth solle sich zu ihm legen; 
denn sie glaubte, es werde für sie von Nutzen sein, 
wenn er mit Ruth sich unterhielte. Sie schickte also die 
Ruth hin, damit sie zu seinen Füssen sich schlafen lege. 
Ruth, die es als ihre Pflicht ansah, keinem Befehl ihrer 
Schwiegermutter zu widersprechen, begab sich nach der 
Tenne, und Boaz merkte zunächst ihre Anwesenheit 
nicht, da er fest schlief. Mitten in der Nacht aber er- 
wachte er, und da er merkte, dass ein Weib bei ihm 
schlief, fragte er sie, wer sie sei. Und als sie ihren 
Namen nannte und um Verzeihung bat, da sie nur als 
seine Dienerin hier liege, schwieg er. Morgens früh 
aber, ehe noch das Gesinde sich zur Arbeit erhoben 
hatte, weckte er sie, hiess sie so viel Gerste mitnehmen, 
als sie tragen könne, und damit zu ihrer Schwieger- 
mutter gehen, bevor jemand erfahre, dass sie dort ge- 
legen habe. Denn die Klugheit gebiete, sich vor Ver- 
leumdung zu hüten, zumal sie sich nichts hätten zu 
schulden kommen lassen. „Über die ganze Angelegen- 
heit aber,“ sägte er, „bestimme ich folgendes. Zunächst 
muss ich denjenigen, der dir näher verwandt ist als ich, 
fragen, ob er dich heiraten will. Will er das, so folgst 
du ihm, im anderen Falle werde ich dich zu meiner 
rechtmässigen Gattin machen.“ 

4. Als Ruth diese Worte ihrer Schwiegermutter mit- 
teilte, war diese wohlgemut in der Hoffnung, Boaz 
werde sich ihrer annehmen. Um Mittag kam Boaz in 
die Stadt, liess die Ältesten zusammentreten und die 
Ruth nebst ihrem nächsten Verwandten herbeirufen. Als 
der letztere gekommen war, fragte ihn Boaz : „Willst du 
das Erbe des Elimelech und seiner Söhne in Besitz 
nehmen?“ Und da dieser ja sagte, weil es ihm als Ver- 
wandten von Rechts wegen zustehe, fuhr Boaz fort : „Du 



310 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


musst aber das Gesetz nicht nur zur Hälfte erfüllen, 
sondern alles thun, was es vorschreibt. Dieses Weib 
nämlich ist die Witwe des Mallon, die du nach dem Gesetz 
heiraten musst, wenn du das Erbe antreten willst.“ Jener 
aber überliess nun dem Boaz, der ja den Verstorbenen 
ebenfalls verwandt sei, Weib und Erbe, weil er selbst 
schon JYau und Kinder habe. Boaz rief also die Ältesten 
zu Zeugen an und befahl dem Weibe, sie solle heran- 
treten, dem anderen den Schuh ausziehen und ihm ins 
Angesicht speien. Nachdem das geschehen, nahm Boaz 
die Ruth zur Ehe, und nach Jahresfrist bekam er von 
ihr einen Sohn. Diesen zog Naamis auf und nannte 
ihn auf den Rat der anderen Weiber Obed, weil sie ihn 
zur Pflege ihres Greisenalters grosszog ; denn Obed heisst 
in hebraeischer Sprache „Diener.“ Von Obed stammte 
Jesse, der Vater Davids, der als König regierte und 
seinen Nachkommen bis ins einundzwanzigste Geschlecht 
die Herrschaft hinterliess. Dies glaubte ich von Ruth 
erzählen zu müssen, um daran Gottes Allmacht zu zeigen, 
dem es leicht ist, auch niedrige Menschen zur höchsten 
Würde zu erheben, wie er das mit David that, der von 
unbedeutenden Ahnen abstammte. 


Zehntes Kapitel. 

Von der Geburt des Propheten Samuel, und wie er den 
Tod der Söhne Elis vorhersagte. 

1. Die Hebräer aber fingen bald, da ihre Verhältnisse 
sich wieder verschlechterten , einen Krieg mit den 
Palaestinern an. aus folgender Ursache. Der Hohepriester 
Eli hatte zwei Söhne, Ophnis und Phinees. Diese waren 
ebenso gewaltthätig gegen die Menschen als pflicht- 
vergessen gegen Gott und schreckten vor keiner Nichts- 
würdigkeit zurück. Einiges nahmen sie weg, weil sie es 
gewissermassen als Ehrengeschenk in Anspruch nahmen, 
anderes stahlen sie geradezu, und die Weiber, die der 
Gottes Verehrung halber das Heiligtum besuchten, schän- 




Fünftes Buch, 10. Kapitel. 


311 


deten sie teils mit Gewalt, teils nachdem sie dieselben 
durch Geschenke verführt hatten. So unterschied sich 
ihre ganze Lebensweise in nichts von der eines Tyrannen 
Der Vater zürnte ihnen deshalb sehr und erwartete be- 
ständig, Gott werde sich wegen ihrer Frevelthaten an 
ihnen rächen, und auch das Volk grollte ihnen heftig. 
Als nun Gott den zukünftigen Untergang der beiden 
sowohl dem Eli wie dem Propheten Samuel, der damals 
noch ein Knabe war, kundgethan hatte, trauerte der 
Vater auch öffentlich um sie. 

2. Ich will hier einiges über den Propheten ein- 
schalten, ehe ich in der Erzählung von den Söhnen Elis 
fortfahre. Alkan, ein mittelmässig begüterter Levit vom 
Stamme Ephraim, der in der Stadt Armatha wohnte, 
hatte zwei Weiber, Anna und Phenanna. Von der letz- 
teren hatte er Kinder, von der ersteren aber nicht; doch 
hörte er deshalb nicht auf, sie zu lieben. Als nun Alkan 
einst mit seinen Weibern nach Silo gekommen war, um 
dort zu opfern (hier stand ja bekanntlich Gottes Hütte), 
teilte er beim Mahle Fleischstücke an seine Weiber und • 
Kinder aus. Und da Anna die Kinder des anderen 
Weibes rings um ihre Mutter sitzen sah, brach sie in 
Thränen aus und beklagte ihre Unfruchtbarkeit. Dabei 
ergriff sie eine so grosse Traurigkeit, dass ihr Mann sie 
nicht zu trösten vermochte. In ihrem Schmerz ging sie 
zur Hütte und bat Gott kniefällig, er möge ihr doch 
Kinder schenken und sie Mutter werden lassen, wobei 
sie Versprach , sie wolle ihren ersten Sohn dem Dienste 
Gottes weihen; auch solle er eine von der der anderen 
Familienmitglieder verschiedene Lebensweise führen. 
Als sie nun so lange im Gebet verharrte, hielt sie der 
Hohepriester Eli, der vor der Hütte sass, für betrunken 
und hiess sie Weggehen. Sie aber entgegnete ihm, sie 
habe nur Wasser getrunken und betrübe sich sehr 
darüber, dass sie kinderlos sei, weshalb sie auch zu 
Gott gebetet habe. Da tröstete er sie und sagte ihr, 
sie solle wohlgemut sein, denn Gott werde ihr einen 
Sohn schenken. 




312 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


3. Darauf kehrte sie voller Hoffnung zu ihrem Gatten 
zurück und nahm fröhlich am Mahle teil. Als sie dann 
in ihre Heimat kamen , wurde sie bald schwanger und 
gebar nach Ablauf der entsprechenden Zeit einen Sohn, 
den sie Samuel, das heisst „von Gott erbeten“ nannten. 
Alsdann begaben sie sich abermals zur Hütte, um Gott 
für die Geburt des Sohnes Dankopfer darzubringen und 
den Zehnten zu entrichten. Die Mutter aber erinnerte 
sich des Gelübdes, das sie in betreff ihres Sohnes ge- 
than hatte, und übergab ihn daher dem Eli, damit er 
Gott als zukünftiger Prophet geweiht werde. Deshalb 
liess er auch sein Haar lang wachsen und trank nichts 
ausser Wasser, und er wurde bei der Hütte, wo er blieb, 
erzogen. Alkan erhielt danach von der Anna noch 
andere Söhne und drei Töchter. 

4. Kaum hatte Samuel sein zwölftes Jahr zurückgelegt, 
da fing er auch schon an zu prophezeien. Als er einst 
schlief, rief ihn Gott beim Namen. Er aber ging zum 
Hohepriester in der Meinung, dieser habe ihn gerufen ; 
der Hohepriester dagegen erklärte, er habe ihn nicht 
gerufen. Also that Gott dreimal. Da ging dem Eli ein 
Licht auf, und er sprach zu ihm: „Samuel, jetzt wie vor- 
hin habe ich geschwiegen ; Gott aber ist es, der dich ruft. 
Wohlan, thu ihm also kund, dass du da bist.“ Als er 
nun Gott wieder rufen hörte, bat er, er möge ihm seinen 
Willen verkünden, denn er sei zu jedem Dienste bereit, 
den Gott von ihm verlange. Darauf sprach Gott zu 
ihm: „Weil du da bist, so wisse, dass den Israeliten ein 
Unglück droht, das man weder aussprechen noch glauben 
möchte. Denn Elis Söhne werden an einem und dem- 
selben Tage sterben, und die Hohepriesterwürde wird auf 
die Familie Eleazars übergehen. Eli hat eben seine 
Söhne mehr geliebt als meinen Dienst, und das gewiss 
nicht zu ihrem Nutzen.“ Da Samuel nun dem Eli nicht 
den Schmerz anthun wollte, ihm die Verkündigung 
Gottes mitzuteilen, nötigte Eli den Propheten unter 
einem Eidschwur dazu und war nun nicht mehr in 
Ungewissheit über den Untergang seiner Söhne. Samuels 



Fünftes Buch, 1 1 . Kapitel. 


31 £ 


Ruhm aber wuchs mehr und mehr , da . keine seiner 
Prophezeiungen sich als trügerisch erwies. 


Elftes Kap itel. 

Schicksale der Söhne Elis, der heiligen Lade und des Volkes. 

Elis beklagenswerter Tod. 

1. Um diese Zeit überzogen die Palaestiner das Volk 
der Israeliten mit Krieg und schlugen ihr Lager bei der 
Stadt Apheka auf. Die Israeliten waren des Angriffs 
gewärtig, und so sti essen die beiderseitigen Heere am 
folgenden Tage zusammen. Den Sieg aber trugen die 
Palaestiner davon, und es fielen von den Hebräern 
gegen viertausend, während der Rest ins Lager zurück- 
getrieben wurde. 

2. In dieser grossen Bedrängnis schickten die Hebräer 
zu den Ältesten und dem Hohepriester und Hessen 
bitten, die Lade Gottes möchte zu ihnen gebracht werden, 
damit sie durch deren Gegenwart die Feinde bewältigen 
könnten. Sie dachten jedoch nicht daran, dass der, welcher 
ihr Unglück beschlossen hatte, mächtiger sei als die 
Lade, die ja nur um seinetwillen verehrt werden musste. 
Die Lade erschien, und mit ihr die beiden Söhne des 
Eli, denen der Vater befohlen hatte, ihm nie wieder 
unter die Augen zu treten, wenn die Lade genommen 
werden sollte, und sie dann noch nicht des Lebens über- 
drüssig seien. Phinees versah damals schon den priester- 
lichen Dienst, da der Vater seines eigenen hohen Alters 
wegen ihm denselben übertragen hatte. Die Hebräer 
schöpften nun neuen Mut und hofften bei Anwesenheit 
der Lade der Feinde Herr zu werden; der Palaestiner 
dagegen bemächtigte sich Furcht und Bestürzung, da sie 
in der Lade einen besonderen Schutz für die Israeliten 
erblickten. Die Sache nahm jedoch eine ganz andere 
Wendung, als man beiderseits erwartet hatte. Denn als 
es zur Schlacht kam, verblieb der Sieg, den die 
Hebräer erhofft hatten, bei den Palaestinern , wogegen 



314 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


die Niederlage, welche diese befürchtet hatten, die 
Hebräer traf, die nun einsahen, dass sie vergeblich ihr 
Heil auf die Lade gesetzt hatten. Die Schlacht hatte 
nämlich kaum begonnen, als sie sich zur Flucht 
wandten. Sie erlitten einen Verlust von fast dreissig- 
tausend Mann , unter denen auch des Hohepriesters 
Söhne sich befanden. Die Lade aber geriet in die Ge- 
walt der Feinde. 

3. Als die Nachricht von dieser Niederlage und der 
Wegnahme der Lade nach Silo gelangte, wohin sie ein 
Jüngling aus dem Stamme Benjamin, der am Treffen 
teilgenommen, überbrachte, ward die ganze Stadt mit 
Trauer erfüllt. Und als der Hohepriester Eli, der grade 
an einem der beiden Thore auf einem hochstehenden 
Sessel sass, den Lärm vernahm, ahnte er gleich, dass 
den Seinigen ein Unglück zugestossen sei. Er beschied 
daher den Jüngling zu sich und hörte von ihm den 
Ausgang des Treffens. Als er nun den Tod seiner 
Söhne und die Niederlage des Heeres vernahm, empfand 
er hierüber keinen so grossen Schmerz, da Gott es ihm 
vorausgesagt und er somit gewusst hatte, dass es so 
kommen würde. Dagegen verursachte ihm die Nachricht, 
dass die Lade in die Hände der Feinde geraten sei, da er 
dergleichen nicht erwartet hatte, so entsetzlichen Schmerz, 
dass er vom Sessel herabstürzte und den Geist aufgab. 
Er starb im achtundneunzigsten Lebensjahre und im 
vierzigsten seiner Regierung. 

4. An demselben Tage starb auch die Gattin des 
Phinees, welche das Unglück, das ihren Mann getroffen, 
nicht zu überleben vermochte. Vorher gebar sie (sie 
war nämlich hochschwanger, als sie die Nachricht vom 
Tode ihres Mannes erhielt) einen siebenmonatlichen 
Knaben, dem sie, da er lebensfähig zu sein schien, den 
Namen Jochab ( 'gab wegen der Schande, die das Heer 
erlitten hatte; denn Jochab bedeutet „Schande.“ 

5. Eli war der erste Hohepriester aus der Familie 
Ithamars, des zweiten Sohnes des Aaron. Denn vorher 
war die Würde beim Hause Eleazars, wo sie immer vom 



Fünftes Buch, 11. Kapitel. 


315 


Yater auf den Sohn überging. Eleazar nämlich über- 
gab sie seinem Sohne Phinees, dieser seinem Sohne 
Abiezer, von dem sie dessen Sohn Buzi erhielt. Dieser 
vererbte sie wieder seinem Sohne Ozis, von welchem sie 
Eli erhielt, den ich im Vorstehenden erwähnte. Dessen 
Stamm behielt das Hohepriestertum bis zu den Zeiten 
des Königs Solomon; alsdann ging es wieder auf die 
Nachkommen Eleazars über. 



Sechstes Buch. 

Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 32 Jahren. 

Inhalt. 

1. Unglück der Palaestiner infolge des göttlichen Zornes wegen der 

Wegnahme der Lade. Wie sie dieselbe den Hebräern zurück- 
sandten. 

2. Kriegszug der Palaestiner gegen die Hebräer. Sieg der Hebräer 

unter Führung des Propheten Samuel. 

3. Wie Samuel seines hohen Alters wegen die Verwaltung seinen 

Söhnen anvertraute. 

4. Wie das Volk^ erzürnt über deren schlechte Amtsführung, einen 

König verlangte. 

5. Samuel entrüstet sich darüber, bezeichnet aber auf Gottes Befehl 

einen König mit Namen Saul. 

6. Saul führt gegen die Ammaniter Krieg, schlägt und plündert sie. 

7. Wie die Palaestiner wiederum die Hebräer angriifen, aber von 

ihnen geschlagen wurden. 

8. Sauls Krieg mit den Ammanitern und sein Sieg. 

9. Wie Saul die Befehle des Propheten missachtete, und Samuel 

deshalb auf Befehl Gottes heimlich einen anderen König mit 
Namen David erwählte. 

10. Wie die Palaestiner einen neuen Kriegszug gegen die Hebräer 

unter Sauls Regierung ins Werk setzten. 

11. Davids Zweikampf mit Goliath, dem Tapfersten der Palaestiner. 

Goliaths Fall und Niederlage der Palaestiner. 

12. Wie Saul in Bewunderung von Davids Tapferkeit diesem seine 

Tochter zur Ehe gab. 

13. Wie später der König, der gegen David Verdacht schöpfte, ihm 

nach dem Leben trachtete. 

14. Wie David einigemal durch Saul in Lebensgefahr geriet , aber 

unverletzt entfloh, dann zweimal den Saul in seine Gewalt 
bekam, ihn aber verschonte. 

15. Niederlage der Hebräer im Kriege mit den Palaestinern. Saul 

und seine Söhne fallen auf dem Schlachtfelde. 



Sechstes Buch, 1 . Kapitel. 


317 


Erstes Kapitel. 

Unglück der Palaestiner und ihres Landes infolge des göttlichen 
.Zornes wegen der Wegnahme der Lade. Wie sie dieselbe 
den Hebräern zurücksandten. 

1. Als die Palaestiner die heilige Lade der Hebräer 
weggenommen hatten, wie dies im Vorstehenden be- 
schrieben ist, brachten sie dieselbe in die Stadt Azot und 
stellten sie wie eine Art Beutestück neben ihren Gott 
Dagon. Als sie aber am anderen Tage sämtlich beim 
Morgengrauen in den Tempel kamen, um ihren Gott 
anzubeten, fanden sie ihn von dem Gestell, auf welchem 
<er bisher gestanden, herabgestürzt und am Boden liegend; 
so hatte er sich vor der Lade gedemütigt. Sie waren 
hierüber sehr ärgerlich und setzten den Gott wieder auf 
das Gestell. Da sie aber, so oft sie zu Dagon gingen, 
ihn gewissermassen in Anbetung vor der Lade auf der 
Erde fanden, gerieten sie in Angst und Bestürzung. 
Gleichzeitig sandte Gott der Stadt Azot und dem ganzen 
Lande schwere Verwüstung und Krankheiten. Die 
Menschen starben an heftigen Unterleibsqualen ; sie litten 
schwer und endeten schrecklich, da ihnen vor dem Tode 
infolge der Krankheit die Eingeweide verfaulten und 
aus dem Körper herausfielen. Das Land aber ver- 
wüsteten Mäuse, die zahllos auftraten und weder Halm 
noch Frucht verschonten. Als so die Azotier von grosser 
Drangsal heimgesucht wurden, und das Elend ins Uner- 
trägliche gestiegen war, erkannten sie, dass an all dem 
Unheil nur die Lade Gottes schuld sei, und dass ihr 
Sieg und die Wegnahme der Lade ihnen teuer zu stehen 
komme. Sie schickten deshalb zu den Askalonitern und 
liessen sie bitten, die Lade bei sich aufzunehmen. Diesen 
kam die Bitte gelegen, weshalb sie dieselbe gern be- 
willigten. Als sie aber die Lade bei sich hatten, kam 
auch über sie dasselbe Unheil, das mit der Lade von 
den Azotiern fortgezogen zu sein schien. Die Askalo- 
niter gaben deshalb die Lade wieder weiter; doch blieb 




318 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sie nirgends lange, denn mit ihr kamen auch die 
Krankheiten, und dann schickte man sie schleunigst zur 
nächsten Stadt weiter. Also wanderte die Lade durch 
fünf Palaestinerstädte und forderte gewissermassen von 
jeder derselben ihren Tribut dafür, dass sie zu 
ihnen kam. 

2. Nun aber sannen sowohl diejenigen, die von dem 
Strafgericht fast aufgerieben worden waren, als auch die, 
welche nur davon gehört hatten und durch das Beispiel 
der anderen davor gewarnt waren, die Gegenwart der 
Lade zu so teurem Preise zu erkaufen, auf Mittel und 
Wege, sich derselben zu entledigen. Es kamen daher die 
Vorsteher der fünf Städte Gitta, Akkaron, Askalon r 
Gaza und Azot zusammen und beratschlagten, was zu 
thun sei. Einige meinten, man solle die Lade den 
Hebräern zurückschicken, da es offenbar sei, dass Gott 
selbst aus Rache für deren Niederlage über sie und 
ihre Städte so schwere Drangsal verhängt habe. Andere 
aber hielten dies für unzweckmässig, da die Ursache des 
Unheils nicht an der Lade liege. Denn diese habe gar 
keine so grosse Macht, und wenn Gott etwas an ihr ge- 
legen wäre, hätte er sie doch nicht in die Hände fremder 
Menschen geraten lassen. Sie empfahlen daher, man solle 
sich ruhig halten, die Leiden mit Gleichmut ertragen 
und deren Ursachen in der Natur suchen, die in den 
Leibern, der Erde, den Pflanzen und allem Vergäng- 
lichen in gewissem Zeitwechsel derartige Veränderungen 
bewirke. Über die vorgenannten Meinungen trug aber 
den Sieg davon der Rat derjenigen Männer, die von 
allzeit erprobter Einsicht und Klugheit waren und auch 
jetzt zur Entscheidung des Streites am geeignetsten er- 
schienen. Diese hielten dafür, man solle die Lade nicht 
ohne weiteres zurücksenden, sie aber auch nicht be- 
halten; vielmehr solle man für jede Stadt eine goldene 
Bildsäule verfertigen und sie Gott weihen dafür, dass er 
die Bürger errettet und ihr Leben erhalten habe, al6 sie 
von Übeln bedrängt worden seien, denen sie nicht zu 
widerstehen vermocht hätten. Dann solle man ebenso 



Sechste» Buch, 1. Kapitel. 


319 


viele goldene Mäuse giessen, ähnlich denen, welche die 
Felder verheert und verwüstet hätten. Die Bildsäulen 
und die Mäuse solle man in einen Behälter verschliessen, 
sie auf die Lade legen und für das Gänze einen neuen 
Wagen anfertigen lassen. Vor diesen solle man dann 
Kühe spannen, die gekalbt hätten, ihre Kälber aber zu 
Hause verwahren und verschliessen, damit sie den 
Kühen nicht nachliefen und sie behinderten, und damit 
die Kühe, von Verlangen nach ihnen getrieben, mög- 
lichst schnell wieder nach Hause eilten. Die Kühe, die 
den Wagen mit der Lade zogen, solle man an einen 
Scheideweg führen und sie dann ziehen lassen, wohin 
sie wollten. Wenn sie nun auf die Hebräer an gingen, 
solle man daraus ersehen, dass die Lade an den Drang- 
salen schuld sei; nähmen sie aber den entgegengesetzten 
Weg, so solle man daraus schliessen, dass sie keine 
Macht habe, solchen Schaden zu stiften, und alsdann 
sie wieder zurückführen. 

3. Diesen Hat hielt man für weise und gut und setzte 
ihn sogleich ins Werk. Und nachdem man alles in be- 
sagter Weise ausgeführt hatte, leitete man das Gefährt 
an den Scheideweg, überliess es dort sich selbst und zog 
sich nach Hause zurück. Die Kühe aber gingen gerades 
Wegs weiter, als ob sie geführt würden, und hinterdrein 
folgten die Vorsteher der Palaestiner, um zu erforschen, 
wo die Kühe Halt machen und wo sie sich hinwenden 
würden. Bei einem Dorfe nun im Stamme Judas, mit Namen 
Bethsama, blieben die Kühe, obwohl noch ein schönes 
und grosses Feld vor ihnen lag, stehen und hielten den 
Wagen an. Das war für die Bewohner des Dorfes ein 
freudiges Schauspiel. Denn da es gerade im Sommer war, 
und alle sich der Ernte wegen auf dem Felde aufhielten, 
Hessen sie, sobald sie die Lade gewahrten, ihre Arbeit 
ruhen und kamen sogleich voller Freude zu dem Wagen 
gelaufen. Dann hoben sie die Lade samt dem Kasten, ' 
der die Bildsäulen und die Mäuse enthielt, vom Wagen 
und stellten sie auf einen im Felde liegenden Felsblock. 
Und nachdem sie Gott feierlich geopfert und ge- 




320 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


schmaust hatten, brachten sie den Wagen nebst den 
Kühen als Opfer dar. Als dies die Vorsteher der 
Palaestiner sahen, wandten sie sich und kehrten nach 
Hause zurück. 

4. Der Zorn Gottes traf aber auch die Bethsamiter, 
und es wurden ihrer siebzig vom Blitze erschlagen, weil 
sie unwürdig gewesen, die Lade zu berühren, und dies 
dennoch gethan hatten, obgleich sie keine Priester waren. 
Die so Getöteten wurden von allen Einwohnern des Dorfes 
beweint; man trug um sie dieselbe Trauer, wie man 
sie um diejenigen zu tragen pflegt, die von gottgesandtem 
Strafgericht ereilt werden, und ein jeder beklagte seine um- 
gekommenen Angehörigen. Aus diesem Grunde hielten 
sie sich für unwürdig, die Lade länger bei sich zu be- 
halten, und schickten deshalb Boten an den gemeinsamen 
Bat der Hebräer mit der Meldung, die Palaestiner hätten 
die heilige Lade zurückgegeben. Sobald die Hebräer 
das erfuhren, brachten sie die Lade nach Kariathiarim, 
einer Stadt nahe bei Bethsama, wo sie sie im Hause 
des Leviten Aminadab, der wegen seiner Gerechtigkeit 
und Gottesfurcht hohes Ansehen genoss, aufstellten; 
denn der Ort, wo ein gerechter Mann wohne, sei Gott 
angenehm. Dessen Söhne besorgten auch den Dienst 
bei der Lade, und zwar zwanzig Jahre lang; denn so 
lange blieb dieselbe in Kariathiarim, nachdem sie bei 
den Palaestinern vier Monate gewesen war. 


Zweites Kapitel. 

Kriegszug der Palaestiner gegen die Hebräer. Sieg der 
Hebräer unter Führung des Propheten Samuel. 

1. Als nun das ganze Volk während der Zeit, da die 
Lade in Kariathiarim stand, dem Gebet und Opfer 
fleissig oblag und viel Frömmigkeit und Eifer im Gottes- 
dienste bewies, hielt der Prophet Samuel es für an- 
gebracht, von der Freiheit und deren Nutzen zu 
reden. Er wandte sich deshalb an die Israeliten mit 


Sechstes Buch, 2. Kapitel. 


321 


eindrucksvollen und überzeugenden Worten und sprach: 
„0 ihr Männer, die ihr zwar an den Palaestinern noch 
hartnäckige Feinde habt, aber Gottes Gnade und Freund- 
schaft wieder anfangt zu geniessen, ihr müsst die Frei- 
heit nicht nur erstreben, sondern auch das thun, wodurch 
ihr sie erringen könnt. Ihr dürft nicht daran denken, 
von fremder Herrschaft befreit zu werden, wenn ihr 
fortfahrt, das zu begehen, was euch zu Sklaven herunter- 
drückt. Pflegt also die Gerechtigkeit, tragt Sorge,, die 
Verruchtheit aus euren Herzen zu verbannen, wendet 
euch mit ganzem Gemüt zu Gott und verharrt in seiner 
Verehrung. Wenn ihr das thut, wird euch Gutes in 
Fülle Zuströmen, ihr werdet frei werden von der Knecht- 
schaft und eure Feinde euch unterjochen, was ihr sonst 
weder mit Waffen, noch durch Körperstärke, noch mit 
grosser Heeresmacht erreichen könnt. Denn nicht 
solchen Mitteln hat Gott den Erfolg verheissen, sondern 
der Frömmigkeit und Gerechtigkeit. Ich verspreche 
euch, dass diese Verheissungen in Erfüllung gehen 
werden.“ Diesen Worten spendete das Volk Beifall, 
nahm die Ermahnungen mit Freuden auf und erklärte 
sich bereit, das zu thun, was Gott wohlgefällig sei. 
Samuel rief sie darauf in die Stadt Masphath zusammen. 
Dieser Name bedeutet in hebraeischer Sprache „etwas 
weit Sichtbares.“ Daselbst schöpften sie Wasser und 
gossen es Gott zu Ehren aus, fasteten einen ganzen Tag 
und beteten. 

2. Diese Zusammenkunft blieb den Palaestinern 
nicht verborgen, und als sie davon Kunde erhalten, 
überfielen sie mit grosser Truppenmacht die Hebräer in 
der Hoffnung, sie ahnungslos und unvorbereitet anzu- 
treffen. Hierüber gerieten die Hebräer in Bestürzung, 
Aufregung und Schrecken, und sie liefen zu Samuel und 
sprachen zu ihm : „Im Andenken an die neuliche Nieder- 
lage sind unsere Gemüter voll Schrecken und Ver- 
wirrung. Deshalb möchten wir uns gern ruhig ver- 
halten, um die Feinde nicht noch mehr zu reizen. 
Denn ganz wehr- und waffenlos treffen sie uns hier an, 

Joaephus* jüdische Altertümer. 2 1 




322 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


die wir unter deiner Führung nur zu Gebet, Opfer und 
Gelöbnis hier zusammengekommen sind. Wir wissen 
also keine andere Zuflucht als zu dir und zu Gott, den 
du bitten wollest, er möge uns aus den Händen der 
Palaestiner befreien“ Samuel hiess sie ganz beruhigt 
sein und versprach ihnen Gottes Beistand. Dann nahm 
er ein säugendes Lamm, brachte es für das Volk zum Opfer 
dar und bat Gott, er möge sie in der Schlacht vor der 
Macht der Palaestiner schützen und sie nicht wiederum 
ins Unglück stürzen lassen. Und Gott erhörte ihre 
Bitten, nahm das Opfer gnädig an und verhiess ihnen 
Sieg und Vermehrung ihrer Kraft. Als nun das Opfer- 
tier noch auf dem Altäre lag und noch nicht ganz ver- 
brannt war, rückten die feindlichen Truppen aus ihrem 
Lager und rüsteten sich zum Kampf in der sicheren 
Hoffnung auf Sieg, da sie die Juden völlig machtlos 
wähnten, weil sie weder Waffen hätten noch sonst auf 
den Kampf vorbereitet seien. Die Sache nahm aber 
einen ganz anderen Ausgang, als man vorausgesehen 
hatte. Denn zunächst liess Gott unter den Palaestinern 
die Erde erbeben und erschütterte dieselbe so heftig, dass sie 
keinen sicheren Schritt thun konnten, sondern hin und 
her schwankten und hier und da in neugebildete Erd- 
spalten versanken. Dann erschreckte er sie durch 
heftige Donnerschläge und so schrecklich auf sie 
zuckende Blitze, dass es schien, als ob ihre Gesichter 
verbrannt würden, sodass sie die Waffen wegwarfen und 
flohen. Samuel stürzte sich mit dem ganzen Volke auf 
die Fliehenden, tötete viele und verfolgte die übrigen 
bis zu einem Ort, der Korraea heisst. Hier richtete er 
als Wahrzeichen des Sieges und der Flucht der Feinde 
einen Felsblock auf, den er „den Starken“ nannte zum 
Zeichen, dass Gott ihnen Stärke gegen ihre Feinde ver- 
liehen hatte. 

3. Nach dieser Niederlage wollten die Palaestiner 
keinen Krieg mehr mit den Israeliten führen, sondern 
in furchtsamem Gedenken dessen, was ihnen zugestossen, 
Ruhe halten. Das Vertrauen aber, das früher die 



Sechstes Bach, 3. Kapitel. 


323 


Palaestiner beseelt hatte, war nach dem Siege auf 
die Israeliten übergegangen. Deshalb zog Samuel mit 
grosser Truppenmacht gegen sie, brachte ihnen eine 
schwere Niederlage bei und demütigte ihren Stolz 
vollends. Auch nahm er ihnen das Land weg, das sie 
früher den Juden im Kriege geraubt hatten, und das 
sich von Gitta weithin bis nach Akkaron erstreckte. 
Die übrigen Chananäer aber pflegten in dieser Zeit mit 
den Israeliten Frieden und Freundschaft. 


Drittes Kapitel. 

Wie Samuel seines hohen Alters wegen die Verwaltung 
seinen Söhnen anvertraute, und wie das Volk, erzürnt über 
deren schlechte Amtsführung, einen König begehrte. 

1. Darauf teilte Samuel das Volk zweckmässig ein 
und wies jedem Teil eine Stadt an, wo die Zusammen- 
künfte zur Schlichtung von Streitigkeiten stattfinden 
sollten. Er selbst aber besuchte zweimal im Jahre die 
Städte, hielt darin Gericht und übte lange Zeit eine 
weise Rechtspflege. 

2. Als er aber alt und gebrechlich geworden war, 
sodass er die gewohnten Amtsverrichtungen nicht mehr 
besorgen konnte, übertrug er die Regierung und die 
Sorge für des Staates Wohl seinen Söhnen, von denen 
der ältere Joel, der jüngere Abia hiess. Der eine von ihnen 
sollte zu Bethel, der andere aber zu Barsube residieren 
und Recht sprechen, und jedem war eine Hälfte des Volkes 
zur Regierung zugeteilt. Sie boten aber ein augenfälliges 
Beispiel dafür, dass nicht alle Kinder ihren Eltern 
an Charakter gleich sind, sondern dass schlechte Eltern 
oft gute und brave, gute Eltern aber oft missratene 
Kinder haben. Der letztere Fall traf bei ihnen zu. 
Denn sie wichen von dem Edelsinn und Eifer des Vaters 
für alles Gute ab und gingen den entgegengesetzten 
Weg, verkehrten aus Sucht nach Geschenken und Ge- 



324 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


winn das Recht und handelten bei ihren Urteilen nicht 
der Wahrheit gemäss, sondern zu ihrem eigenen Vorteil. 
Sie waren der Schwelgerei und Wollust ergeben und 
widersetzten sich sowohl dem Willen Gottes als der 
Autorität des Propheten, ihres Vaters, der so viele Mühe 
darauf verwendet hatte, im Volke den Sinn für Gerechtig- 
keit zu pflegen. 

3. Als das Volk sah, dass die Söhne des Propheten 
durch ihre Frevel die frühere gute Ordnung in6 Wanken 
brachten, ward es unwillig und strömte in hellen Haufen 
zu Samuel, der damals in Armatha wohnte, berichtete 
ihm die Unthaten seiner Söhne und bat ihn, da er 
selbst wegen seines hohen Alters die Geschäfte nicht 
mehr führen könne, ihnen einen König auszuwählen, der 
sie lenken und regieren und die Palaestiner wegen ihrer 
Ungebühr zur Verantwortung ziehen könne. Diese 
Reden beunruhigten und ängstigten den Samuel sehr, 
da er bei seiner angeborenen Gerechtigkeitsliebe gegen 
die Königsherrschaft eingenommen war. Vielmehr hatte 
er eine besondere Vorliebe für die Herrschaft der Vor- 
nehmsten, die die Völker glücklich und und fast göttlich 
zu machen imstande sei. Daher machte ihn das An- 
sinnen des Volkes so sorgenvoll und ängstlich, dass er 
Speise und Nachtruhe vergass und sich ganze Nächte 
mit Gedanken über den Stand der Dinge plagte. 

4. In dieser verzweifelten Lage erschien ihm Gott 
und tröstete ihn mit folgenden Worten: „Du musst über 
das Begehren des Volkes nicht ärgerlich sein, denn 
nicht dich, vielmehr auch mich selbst haben sie als 
ihren Herrscher gar oft nicht anerkennen wollen, und 
zwar schon von dem Tage an, da sie aus Aegypten aus- 
zogen. In kurzer Zeit werden sie darüber schwere Reue 
empfinden, durch die freilich das Geschehene nicht un- 
geschehen gemacht werden kann. Aber sie werden es 
doch bitter beklagen, dass sie mich verachtet und sich 
ebensowohl gegen meine Ratschlüsse als gegen dich, 
ihren Propheten, so undankbar bewiesen haben. Ich 
will nun, dass du ihnen einen König erwählst, den ich 



Sechstes Buch, 3. Kapitel. 


825 


dir zeigen werde. Setze ihnen jedoch zuvor die Un- 
bilden auseinander, die sie unter Königen zu erdulden 
haben werden, und mache sie darauf aufmerksam, in 
welche Veränderung sie sich kopflos stürzen .wollen.“ 

5. Als Samuel das vernommen, rief er bei Tages- 
anbruch die Juden zusammen und erklärte sich bereit, 
ihnen einen König zu erwählen. Doch müsse er ihnen 
auch kundthun, wie es ihnen unter Königen ergehen 
würde, und von welchen Schicksalen sie würden heim- 
gesucht werden. „Wisset denn,“ fuhr er fort, „der König 
wird euch zunächst eure Söhne nehmen und die einen 
zu Wagenlenkern, die anderen aber zu Reitknechten 
und Trabanten machen , wieder andere zu Läufern, 
Obersten und Hauptleuten. Auch zu Handwerkern, 
Waffenschmieden, Wagenbauern und Werkzeugfabrikanten, 
Feldarbeitern, Verwaltern und Winzern wird er sie sich 
heranziehen. Überhaupt giebt es nichts, was sie nicht 
auf seinen Befehl nach Art der Lohndiener zu thun 
haben werden. Ferner wird er eure Töchter zu Salben- 
bereiterinnen, Köchinnen und Bäckerinnen machen und 
ihnen überhaupt alle Arbeiten auferlegen, denen sich 
sonst notgedrungen nur Sklavinnen aus Furcht vor 
Schlägen und Quälereien unterziehen. Dann wird er 
euch auch eure Besitzungen nehmen und sie seinen Ver- 
schnittenen und Säckelmeistern geben, eure Viehherden 
aber an diesen und jenen verteilen. Um es kurz zu 
machen, ihr werdet mit euren Angehörigen nichts anderes 
sein, als Diener und Sklaven des Königs. Und wenn 
ihr das alles erdulden müsst, dann werdet ihr vielleicht 
dieser meiner Worte gedenken und Gott reumütig bitten, 
dass er sich euer erbarmen und euch von euren 
Königen wieder befreien möge. Er aber wird euch nicht 
erhören, euch vielmehr euch selbst überlassen und euch 
dafür büssen lassen, was ihr in eurem Unverstände euch 
gewünscht habt.“ 

6. Aber die Menge war für die Vorhersagungen taub 
und bestand fest auf ihrer vorgefassten Meinung, die 
übrigens schon eingewurzelt war. Und wie sie sich von 


Go gle 



326 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihrem Vorhaben nicht abbringen Hessen, so kümmerten 
sie sich auch um Samuels Worte nicht, forderten vielmehr 
hartnäckig einen König, indem sie wegen ihrer Zukunft 
sich nicht im mindesten besorgt zeigten. Denn um sich 
an ihren Feinden rächen zu können, bedürften sie eines 
Königs, der mit ihnen in den Krieg ziehe. Es sei doch 
nichts Widersinniges, dass, da die benachbarten Völker 
Könige hätten, sie auch einen solchen haben wollten. 
Als nun Samuel, sah, dass alle seine Ermahnungen und 
Warnungen nichts fruchteten, und dass sie fest bei ihrer 
Meinung beharrten, sagte er: „Geht jetzt wieder nach 
Hause, und sobald ich von Gott vernommen habe, wen 
er euch zum Könige bestimmt, werde ich euch wieder 
rufen lassen.“ 


Viertes Kapitel. 

Saul wird auf Geheiss Gottes zum König erwählt. 

1. Es war aber ein Mann aus dem Stamme Benjamin 
von edler Herkunft und guten Sitten, mit Kamen Kis. 
Dieser hatte einen Sohn, der von hervorragender Gestalt, 
schlankem und herrlichem Wuchs und, was noch er- 
wähnenswerter ist, von grossem Mut und glänzenden 
Geistesanlagen war. Der Sohn hiess Saul. Eines Tages 
nun waren dem Kis einige seiner schönsten Eselinnen 
von der Weide abhanden gekommen (er hatte nämlich 
unter seinem sonstigen Besitztum einen besonders reichen 
Bestand an Eseln), und er schickte deshalb seinen Sohn 
mit einem Knechte aus, um dieselben zu suchen. Nach- 
dem der Sohn den väterlichen Stamm auf der Suche 
nach den Eselinnen durchforscht hatte, wandte er sich 
zu anderen Stämmen , suchte aber auch hier vergebens 
und beschloss daher, nach Hause zurückzukehren, damit 
sich sein Vater keine Unruhe um seinen Verbleib mache. 
Da er nun in die Nähe der Stadt Armatha kam, und 
sein Knecht ihn darauf aufmerksam machte, es wohne 
hier ein echter Prophet, von dem man erfahren könne, 



Sechstes Buch, 4. Kapitel. 


327 


wo die Eselinnen geblieben seien, sagte er, er habe 
nichts, was er dem Propheten dafür bezahlen könne, da 
der Verzehr auf der Reise seine Mittel erschöpft habe. 
Der Knecht entgegnete darauf, er habe noch den vierten 
Teil eines Sekels, den man dem Propheten geben könne; 
sie wussten nämlich nicht, dass der Prophet keine Be- 
lohnung annahm. Als sie sich darauf zu den Propheten 
begaben, trafen sie am Stadtthor einige Mädchen, die 
"Wasser holen gingen, und fragten diese, wo der Prophet 
wohne. Die Mädchen zeigten ihnen das Haus, bemerkten 
aber, sie müssten sich beeilen, wenn sie den Propheten 
noch antreffen wollten, ehe er zu Tische gehe; er habe 
nämlich gerade viele Gäste zu Tisch geladen und pflege 
vor den Eingeladenen Platz zu nehmen. Samuel aber 
hatte um einer bestimmten Ursache willen mehrere zu Tisch 
geladen. Da er nämlich täglich zu Gott flehte, er möge 
ihm den künftigen König bezeichnen, verhiess ihm Gott 
am vorhergehenden Tage, er werde es ihm morgen kund- 
thun und ihm um diese Zeit einen Jüngling aus dem 
Stamme Benjamin senden. Samuel sass daher an diesem 
Tage auf dem Dache seines Hauses und erwartete des 
Jünglings Ankunft. Sobald aber die bestimmte Zeit da 
war, stieg er hinunter und begab sich zu Tisch. Er traf 
nun den Saul vor der Hausthür, und da gab ihm Gott ein, 
das sei der, der des Volkes König werden solle. Saul 
trat auf Samuel zu, grösste ihn und fragte, wo der Pro- 
phet wohne, denn er sei fremd hier. Samuel antwortete 
ihm, er sei es selbst, führte ihn zu Tisch und sagte ihm, 
um die Eselinnen, die er suche, stehe es gut; er 
selbst aber werde die höchste Würde erlangen. Da sprach 
Saul: „Das übersteigt alle meine Erwartung, o Herr, 
und mein Stamm ist viel zu gering, als dass aus ihm 
Könige hervorgehen sollten; auch ist meine Familie un- 
ansehnlicher als alle übrigen. Du treibst wohl deinen 
Scherz mit mir, da du mir von grösseren Dingen redest, 
als ich je erreichen kann." Der Prophet aber geleitete 
ihn zu Tische und setzte ihn und seinen Knecht über 
alle anderen Geladenen, die im ganzen siebzig an der 



828 


Jose plius’ Jüdische Altertümer. 


Zahl waren; auch befahl er seinen Dienern, dem Saul 
eine königliche Portion vorzusetzen. Als nun die Zeit 
der Nachtruhe herankam, gingen die anderen Gäste nach 
Hause, Saul aber blieb mit seinem Knecht bei dem 
Propheten über Nacht. 

2. Am frühen Morgen weckte Samuel den Saul auf 
und gab ihm das Geleit auf den Weg. Sobald sie aber 
aus der Stadt heraus waren, hiess er den Knecht voran- 
gehen ; Saul dagegen bat er stehen zu bleiben, da er ihm 
etwas ohne Zeugen zu sagen habe. Als Saul nun seinen 
Knecht vorausgeschickt hatte, zog der Prophet ein Ge- 
fäss hervor, goss öl auf das Haupt des Jünglings, küsste 
ihn und sprach: „Sei König nach dem Willen Gottes, 
bekämpfe die Palaestiner und räche die Hebräer. Was 
ich dir jetzt ankündige, soll dir ein Wahrzeichen da- 
von sein. Wenn du von hier weggehst, wirst i|u auf 
dem Wege drei Männern begegnen, die nach Bethel 
wandern, um Gott dort anzubeten. Der erste von ihnen 
wird drei Brote tragen, der zweite einen Bock, und der 
dritte einen Schlauch mit Wein. Sie werden dich be- 
grüssen und freundlich anreden und dir zwei Brote geben ; 
die sollst du annehmen. Wenn du dann weiter zum 
Grabe der Rachel kommst, wirst du wieder einen Mann 
treffen, der dir verkündigen wird, wo du die Eselinnen 
finden kannst. Dann kommst du nach Gabatha, wo du 
eine grosse Anzahl Propheten antreffen wirst, und du 
wirst selbst vom göttlichen Geiste ergriffen werden und 
weissagen, sodass alle, die es hören, staunen und fragen 
werden: Wie ist denn der Sohn des Kis zu solchem 
Glücke gekommen? Wenn du diese Zeichen siehst, so 
erkenne daran, dass Gott dir beisteht, und dann gehe 
und begrüsse deinen Vater und deine übrigen Ver- 
wandten. Wenn ich dich nun bescheide, kommst du 
nach Galgala, damit wir Gott für seine Hilfe Fried- 
opfer darbringen.“ Als er dies gesagt und verkündigt 
hatte, entliess er den Jüngling. Dem Saul aber be- 
gegnete alles so, wie Samuel es vorhergesagt hatte. 

3. Als er nun nach Hause kam, und sein Verwandter 



Sechstes Buch, 4. Kapitel. 


329 


Abener, den er vor allen anderen liebte, ihn fragte, wie 
die Reise verlaufen sei und was sie auf derselben erlebt 
hätten, verhehlte er ihm nichts, auch nicht, dass er den 
Propheten Samuel besucht und dass dieser ihm gesagt 
habe, die Eselinnen seien gut aufgehoben. Von dem 
Königtum aber und was sich darauf bezog, schwieg er, 
da er glaubte, es möchte Neid erregen und werde doch 
keinem Glauben finden. Und obgleich jener ihm sehr 
befreundet war, und er ihn von seinen Verwandten 
am meisten liebte, hielt er es doch nicht für sicher und 
klug, es ihm mitzuteilen. Zweifellos überlegte er näm- 
lich, dass die menschliche Natur nun einmal so beschaffen 
6ei, dass selbst der beste Freund und Verwandte nicht 
immer Wohlwollen an den Tag lege, und dass, sobald 
Gott jemand reichliches Glück verleihe, selbst die Ge- 
sinnung der Edelsten in Übelwollen und Neid umzu- 
schlagen pflege. 

4. Hierauf berief Samuel das Volk in die Stadt 
Masphath und sprach auf Geheiss Gottes, wie er sagte, 
also zu ihm : „Ich habe euch die Freiheit verschafft und 
euch eure Feinde unterjocht, und doch wisst ihr mir für 
diese Wohlthaten wenig Dank, da ihr sogar Gott das 
Recht, euch zu regieren, absprecht und nicht einseht, 
dass sich unter seiner Regierung am besten leben lässt; 
denn Gott ist der beste Herrscher. Trotzdem wollt ihr 
lieber einen König haben, der euch wie das Vieh unter- 
jochen, ganz nach seiner Willkür und den Eingebungen 
seiner Leidenschaften über euch herrschen und seine 
Macht zügellos gebrauchen wird. Keineswegs wird er 
aber das Menschengeschlecht beschützen und erhalten 
wie Gott, der es geschaffen hat. Weil ihr aber einmal 
so wollt und Gott einen solchen Schimpf anthut, so teilt 
euch nach Stämmen und Familien und werfet dann 
das Los.“ 

5. Da die Hebräer das thaten, traf das Los den 
Stamm Benjamin. Als man dann weiterging nach Fa- 
milien, fiel das Los auf die Familie Matris, und als 
man dann noch nach einzelnen Männern loste, wurde 



330 


Josephus’ Jüdische Attertiimer. 


König: Sahl, der Sohn desKis. Sobald Saul dies erfuhr, 
verbarg er sich, um nicht den Schein zu erwecken, als 
ob er begierig nach der Königswürde sei. Denn er 
zeigte eine so grosse Mässigung und Bescheidenheit, dass 
er weit entfernt war, sich der neuen Würde zu rühmen, 
ja dass er sogar sich vor denen verbarg, über die er 
herrschen sollte, und sich von ihnen mühsam suchen 
liess, während die meisten Menschen schon dann» wenn 
ihnen ein kleines Glück zu teil wird, sich kaum vor 
Freude halten können und sich den Blicken aller zeigen 
müssen. Da sich nun Saul nirgends sehen liess und 
das Volk deshalb in Sorge und Unruhe geriet, bat der 
Prophet Gott, er möge ihm doch kundthun, wo Saul sei 
und den Jüngling allen sichtbar machen. Als er darauf 
von Gott Sauls Versteck erfahren hatte, liess er ihn 
holen und stellte ihn mitten unter das Volk. Und Saul 
ragte weit über alle anderen hinaus und bot eine wirk- 
lich königliche Erscheinung dar. 

6. Darauf sprach der Prophet: „Diesen Jüngling hat 
euch Gott zum Könige gegeben ; seht, wie er über alle 
hervorragt und sich als wahren König zeigt.“ Da jubelte 
das Volk: es lebe der König! Der Prophet aber, der 
alle künftigen Ereignisse aufgeschrieben hatte, las diese 
Aufzeichnungen dem Volke in Gegenwart des Königs 
vor und legte dann das Buch in die Hütte Gottes, da- 
mit es für alle Zeiten zum Zeugnis diene, dass er das 
alles vorhergesagt habe. Darauf entliess er das Volk 
nach Hause, er selbst indes kehrte in seine Vaterstadt 
Armatha zurück. Saul aber zog wieder in seine Heimat 
Gabatha und ward von vielen Gutgesinnten begleitet, 
die ihm die dem Könige gebührenden Ehrenbezeugungen 
erwiesen; anderseits gab es aber auch manche, die ihn 
verachteten, die übrigen verhöhnten, ihm keine Ge- 
schenke brachten und in Wort wie That kein 
Hehl daraus machten, dass Saul auf ihren Beifall nicht 
rechnen könne. 




Sechstes Buch, 5. Kapitel. 


331 


Fünftes Kapitel. 

Saul führt Krieg gegen die Ammaniter, schlägt und 
plündert sie. Nochmalige Bestätigung Sauls als König. 

1. Ungefähr einen Monat nachher befestigte Saul 
sein Ansehen durch einen Krieg, den er mit Naases, 
dem Könige der Ammaniter, führte. Dieser hatte einen 
Kriegszug gegen die jenseits des Jordan wohnenden Juden 
unternommen und sie hart bedrängt, da er nicht nur 
ihre Städte eingenommen, sondern auch den mit Gewalt 
Unteijochten durch eine schlaue und listige That es un- 
möglich gemacht hatte, sich seiner Botmässigkeit wieder 
zu entziehen, falls sie dies je gelüsten sollte. Er liess 
nämlich denen, die sich ihm auf Gnade und Ungnade 
ergeben hatten oder kriegsgefangen in seine Gewalt ge- 
langt waren, das rechte Auge ausstechen in der Ab- 
sicht, sie zum Kriege untauglich zu machen, da das 
linke Auge ja durch den Schild verdeckt wurde. Als 
der König der Ammaniter so gegen die Juden jenseits 
des Jordan gewütet hatte, führte er sein Heer auch 
wider die Galadener. Bei deren Hauptstadt Jabis schlug 
er sein Lager auf und liess den Einwohnern durch Ge- 
sandte die drohende Verkündigung zugehen, sie sollten 
sich ihm entweder ergeben und eich das rechte Auge 
ausstechen lassen, oder sie hätten eine Belagerung und 
vollständige Zerstörung ihrer Städte zu gewärtigen; sie 
hätten also die Wahl, ob sie ein Glied ihres Körpers 
verlieren oder vollends zu Grunde gehen wollten. Die 
Galadener gerieten darob in grossen Schrecken und 
wagten auf beides keine Antwort zu geben, ob sie sich 
freiwillig ergeben oder lieber das Kriegsglück versuchen 
wollten. Sie baten deshalb um einen siebentägigen 
Waffenstillstand, um ihre Stammesgenossen um Hilfe 
angehen zu können. Gewährten diese die Hilfe, so 
wollten sie den Krieg versuchen, im anderen Falle aber 
sich ergeben auf Gnade und Ungnade. 

2. Naases, der die Galadener samt ihrer Antwort ver- 
achtete, bewilligte ihnen den Waffenstillstand und liess 




332 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihnen sagen , sie möchten nur zu Hilfe rufen , wen sie 
wollten. Daher Hessen die Galadener an alle Städte 
der Israeliten die Botschaft ausrichten, in welche Not 
sie durch die Drohungen des Naases geraten seien, und 
alle Israeliten weinten und trauerten, als sie von dem 
Unglück der Jabisener erfuhren, und Hessen vor Furcht 
alles Hegen und stehen. Und als die Boten auch in 
die Stadt des Königs Saul kamen und die gefahrvolle 
Lage der Jabisener meldeten, wurde deren Bevölkerung 
von gleichem Schmerze ergriffen , und sie empfanden 
grosse Trauer über das Elend ihrer Brüder. Da nun 
Saul von der Feldarbeit nach der Stadt zurückkam, 
seine Mitbürger in Thränen aufgelöst fand und auf seine 
Frage erfuhr, was die Gesandten gemeldet und was ihnen 
so grossen Kummer verursache, kam göttliche Erleuch- 
tung über ihn. Er schickte die Jabisener zurück und 
versprach ihnen, er werde ihnen am dritten Tage zu 
Hilfe kommen und die Feinde vor Tagesanbruch zu 
Boden schlagen, sodass die aufgehende Sonne sie selbst als 
Befreite und Sieger begrüssen werde. Nur einige von den 
Boten hiess er bleiben, um ihm als Wegweiser zu dienen. 

3. Weil nun Saul das Volk zum Kriege gegen die 
Ammaniter durch Furcht vor körperlichem Schaden an- 
reizen und es so schnell wie möglich zusammenbringen 
wollte, Hess er seinen Ochsen die Sehnen durchsch neiden 
und drohen, so werde er alle die behandeln lassen, die 
nicht am folgenden Tage mit ihren Waffen am Jordan 
erscheinen und ihm und dem Propheten Samuel folgen 
würden. Aus Furcht vor der angedrohten Strafe kamen 
die Bewaffneten massenweise heran und wurden in der 
Stadt Bala gezählt, wobei sich ohne den Stamm Judas, 
der allein siebzigtausend zählte, gegen siebenhundert- 
tausend Mann ergaben. Darauf überschritt Saul den 
Jordan, marschierte die ganze Nacht zehn Schoinen 1 


1 Aegyptisches Wegemass. Nach Herodot II, 5 beträgt ein 
Schoinos sechzig Stadien ; obige Angabe ist demnach wohl über- 
trieben. 



Sechstes Buch, 5. Kapitel. 


333 


weit und kam vor Sonnenaufgang an seinem Ziele an. 
Er teilte dann das ganze Heer in drei Abteilungen und 
griff den nichts ahnenden Feind von allen Seiten an ; 
und es fiel in der Schlacht eine grosse Menge der Feinde, 
unter ihnen auch der König Naases selbst. Diese herr- 
liche Kriegsthat vermehrte Sauls Ruhm bei allen Israe- 
liten, die über ihn voll des Lobes und der Bewunderung 
waren. Selbst die, die ihn früher verachtet hatten, 
änderten ihre Ansicht, ehrten ihn und hielten ihn für 
den besten von allen. Denn Saul war nicht damit zu- 
frieden, die Jabisener gerettet zu haben, sondern er fiel 
auch ins Land der Ammaniter ein, verheerte und ver- 
wüstete es, machte reiche Beute und kehrte ruhmbedeckt 
nach Hause zurück. Diese glücklichen Erfolge freuten 
das Volk sehr, und es war stolz darauf, einen solchen 
König zu haben. Gegen die aber, die ihn früher nicht 
für fähig gehalten hatten, ihr Land zu schützen, erhob 
sich lautes Geschrei, und man wollte sie dafür zur Strafe 
ziehen, schmähte sie auch, wie das Volk zu thun pflegt, 
wenn das Glück es übermütig macht gegen die, die 
seine Urheber verachtet haben. Saul lobte ihren Eifer 
und ihre gute Gesinnung gegen ihn, schwur aber hoch 
und teuer, dass kein Stammesgenosse an diesem Tage 
die Todesstrafe erleiden solle. Denn es sei widersinnig, 
einen von Gott verliehenen Sieg dadurch zu beflecken, 
dass man an seinen Stammesgenossen blutigen Mord 
begehe. Vielmehr gezieme es sich, dass sie den Tag in 
gegenseitiger Liebe und mit Freuden mahlen feierten. 

4. Da nun Samuel verkündigte, es bedürfe einer 
nochmaligen Einsetzung und Bestätigung Sauls als König, 
versammelten sich alle in der Stadt Galgala, wie Samuel 
befohlen hatte. Hier salbte er im Angesichte des Volkes 
nochmals den Saul mit heiligem öl und legte ihm den 
Königstitel bei. So wurde der Staat der Hebräer in 
ein Königreich verwandelt. Denn unter Moyses und 
seinem Schüler Jesus, der das Heer führte, war die Re- 
gierung in den Händen der Vornehmsten. Nach dem 
Tode des Jesus aber entbehrte das Volk achtzehn Jahre 


834 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


lang eines Oberhauptes. Darauf kehrte es wieder zu 
der früheren Regierungsform zurück , sodass die oberste 
Entscheidung jedesmal dem anvertraut wurde, der sich 
im Kriege durch Tapferkeit besonders ausgezeichnet 
hatte. Deshalb nennt man die ganze Zeitperiode, in der 
diese Regierungsform üblich war, die der Richter. 

5. In einer darauf folgenden Versammlung sprach 
der Prophet zu den Hebräern: „Ich beschwöre euch bei 
dem allmächtigen Gott, der die beiden grossen Brüder 
Moyses und Aaron erschaffen und eure Väter aus der 
Knechtschaft der Aegyptier erlöst hat, ihr wollet mir 
ohne Scheu und Furcht und ohne irgend einem anderen 
Gefühle nachzugeben, sagen, ob ich irgend etwas Schlechtes 
und Ungerechtes gethan habe, sei es aus Gewinnsucht 
oder Rechthaberei oder aus Gefälligkeit gegen andere. 
Könnt ihr mich beschuldigen, dass ich jemand sein Kalb 
oder Schaf oder sonst dergleichen genommen habe, ob- 
wohl man doch von Schuld frei ist, wenn man solches 
zum notwendigen Lebensunterhalt nimmt, oder dass ich 
jemandes Zugtier zu meiner Arbeitsverrichtung gebraucht 
und ihn dadurch betrübt habe? Wisst ihr dergleichen, 
so sagt es hier, in Gegenwart eures Königs, frei heraus." 
Sie aber riefen, er habe derartiges nie gethan, sondern 
immer gerecht und gewissenhaft dem Volke vorge- 
standen. 

6. Als nun alle dem Samuel ein so glänzendes Zeug- 
nis erteilten, fuhr er fort: „Da ihr also zugebt, dass ihr 
mir nichts Böses vorwerfen könnt, nun wohl, so will ich 
euch auch frei heraussagen, wie sehr ihr euch dadurch 
gegen Gott verfehlt habt, dass ihr einen König begehrtet. 
Ihr müsst euch doch noch erinnern, dass euer Vorfahre 
Jakob mit nur siebzig Personen unseres Stammes infolge 
einer Hungersnot nach Aegypten gezogen ist. Als sich 
hier sein Geschlecht bis auf viele Tausende vermehrt 
hatte und von den Aegyptiern in harter und schmach- 
voller Knechtschaft gehalten wurde, hat Gott auf das 
Flehen eurer Väter ohne einen König das Volk von 
dieser Not befreit und ihm die Brüder Moyses und 




Sechstes Buch, 5. Kapitel. 


335 


-Azaron gesandt, die euch in dieses Land geführt haben, 
welches ihr jetzt besitzt. Aber trotz dieser Wohlthaten 
Gottes habt ihr Frömmigkeit und Gottesdienst vernach- 
lässigt Nichtsdestoweniger hat er euch abermals aus 
der Gewalt eurer Feinde erlöst. Denn zuerst hat er 
euch den Sieg über die Assyrier verliehen, dann über 
die Ammaniter und Moabiter, und zuletzt über die 
l?alaestiner. Und das alles habt ihr nicht unter einem 
Könige, sondern unter Führung Jephthes’ und Gedeons 
vollbracht. Was für eine Thorheit hat euch also er- 
griffen, dass ihr euch der Herrschaft Gottes entzieht und 
euch einem Könige unterwerft? Doch habe ich euch, 
da ihr nicht anders wolltet, den König erwählt, den Gott 
bezeichnete. Damit es euch aber offenbar wird, dass 
Gott euch zürnt, weil ihr die Herrschaft eines Königs 
gewünscht habt, so will ich es bewirken, dass Gott durch 
ein untrügliches Zeichen dies kundthue. Denn ich 
werde Gott bitten, euch jetzt mitten im Sommer ein Un- 
wetter zu senden, wie es noch niemand in dieser Gegend 
erlebt hat.“ Kaum hatte Samuel dies zum Volke ge- 
redet, so bekräftigte Gott alle seine Worte durch ein so 
fürchterliches Gewitter mit Hagelschlag, dass sie von Angst 
und Entsetzen ergriffen bekannten, sie hätten aus Un- 
verstand gefrevelt. Und sie baten den Propheten, 
er möge als gütiger und milder Vater Gottes Gnade für 
sie erflehen, damit er ihnen diese Sünde, durch die sie 
so viel Schande und Unheil erzeugt hätten, verzeihe. 
Samuel versprach ihnen, er werde Gottes Verzeihung für 
sie erbitten, ermahnte sie aber auch, dass sie sich eines 
gerechten und guten Wandels befleissigen und stets ge- 
denken sollten, in welches Unglück sie durch Ab weichen 
vom Wege der Tugend geraten seien. Auch sollten 
sie sich erinnern der Wunder, die Gott gewirkt, und 
der Gesetze, die Moyses ihnen gegeben habe, wenn 
ihnen ihr Wohlergehen und ihres Königs Glück am 
Herzen liege. Wenn sie aber seine Ermahnungen miss- 
achteten, würden sie samt ihrem Könige schwer von 
Gott heimgesucht werden. Hierauf entliess Samuel die 



336 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Hebräer nach Hause, nachdem er den Saul aber- 
mals als König bestätigt hatte. 


Sechstes Kapitel. 

Wie die Palaestiner wiederum die Hebräer angriffen, 
aber geschlagen wurden. 

1. Saul wählte nun aus dem Volke gegen dreitausend 
Mann aus, bestimmte davon zweitausend zu seiner Leib- 
garde und residierte in Bethel ; den Rest der Mann- 
schaft überl iess er seinem Sohne Jonathas als Leibwache 
und sandte ihn nach Gaba. Er selbst unternahm die 
Erstürmung eines Lagers der Palaestiner, das nicht weit 
von Galgala entfernt war. Denn die Palaestiner, welche 
Gaba bewohnten, hatten die Juden unterworfen, sie ihrer 
Waffen beraubt und in ihre Festungen Besatzungen ge- 
legt, ihnen auch für die Folge die Fabrikation von 
eisernen Gegenständen verboten. Infolge dieses Verbots 
mussten die Ackerer, wenn sie neuer Geräte bedurften, 
als Pflugschar, Hacke und anderer landwirtschaftlichen 
Werkzeuge, dieselben bei den Palaestinern anfertigen 
lassen. Als nun die Palaestiner von der Zerstörung 
ihres Lagers Kunde erhielten, ergrimmten sie gewaltig 
und rüsteten sich, um die ihnen zugefügte Unbill zu 
rächen, zum Kriege gegen die Juden. Ihr Heer bestand 
aus dreihunderftausend Fusssoldaten , dreissigtausend 
Wagen und sechstausend Reitern, und sie schlugen ihr 
Lager bei Machma auf. Als der König Saul das ver- 
nahm, zog er nach Galgala, sandte Herolde im ganzen 
Lande umher und rief das Volk zum Schutze seiner 
Freiheit und zum Kriege gegen die Palaestiner auf, in- 
dem er deren Macht als geringfügig und verächtlich 
hinstellen liess, sodass die Juden nicht das mindeste 
Bedenken zu tragen brauchten, den Kampf mit ihnen aufzu- 
nehmen. Als aber Sauls Truppen die gewaltige Menge 
der Palaestiner erblickten, wurden sie sehr bestürzt. Ein 
Teil von ihnen verbarg sich in Höhlen und unterirdischen 



Sechstes Buch, 6. Kapitel. 


337 


Oängen, die meisten aber flüchteten in das Land jen- 
seits des Jordan, das den Stämmen Gad und Rubel 
gehörte. 

2. Saul aber schickte Boten zu dem Propheten und 
beschied ihn zu sich, um mit ihm wegen des Krieges und 
über sonstige Angelegenheiten Rat zu pflegen. Samuel 
liess sagen, er möge ihn erwarten und Opfer bereit 
halten; nach sechs Tagen werde er zu ihm kommen, 
am siebenten Tage Opfer darbringen, und alsdann 
sollten sie mit dem Feinde kämpfen. Saul wartete nun 
zwar, bis der Prophet kam, wie dieser befohlen hatte; doch 
kam er seinem Befehle nicht in jeder Beziehung nach. 
Denn als er merkte, dass der Prophet sich verzögerte, und 
dass seine Streiter anfingen, sich zu zerstreuen, brachte 
er selbst das Opfer auf dem Altäre dar. Als er dann 
von Samuels Ankunft hörte, ging er ihm entgegen. 
Dieser warf ihm vor, er habe nicht recht daran gethan, 
seinem Befehle zuwiderzuhandeln und seine Ankunft 
nicht abzuwarten; verwegen sei Sauls Unterfangen ge- 
wesen, selbst das Opfer darzubringen, weil er allein von 
Gott dazu bestimmt sei, Gebete und Opfer für das Volk 
abzuhalten. Saul entschuldigte sich darauf und sagte, 
er habe ja so viele Tage zugewartet, als Samuel vorge- 
schrieben, und nur die Not habe ihn dazu verleitet, das 
Opfer darzubringen, da sein Heer aus Furcht vor dem 
bei Machma lagernden Feinde angefangen habe, sich zu 
zerstreuen, der Feind selbst aber im Begriffe gewesen sei, 
nach Galgala aufzubrechen. Samuel aber entgegnete 
ihm: „Wenn du mir verständig gefolgt und nicht durch 
deine unnötige Eile die Befehle Gottes, die er dir durch 
mich gab, übertreten hättest, so hättest sowohl du als 
deine Nachkommen die Herrschaft länger behalten.“ 
Hierauf ging Samuel, ärgerlich über das Vorgefallene, 
nach Hause; Saul aber begab sich mit nur sechshundert 
Mann und seinem Sohne Jonathas nach der Stadt Gabaon. 
Von seinen Leuten hatte der grösste Teil noch nicht einmal 
Waffen, da in* dieser Gegend weder Eisen noch Waffen- 
schmiede zu finden waren ; denn wie oben gesagt, hatten. 

Josepbua’ Jüdische Altertümer. 22 




338 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


die Palaestiner dies verboten. Die Palaestiner teilten 
sodann ihr Heer in drei Abteilungen, brachen auf eben- 
sovielen Wegen in das Gebiet der Hebräer ein und ver- 
wüsteten es* während Saul und sein Sohn Jonathaa 
ruhig Zusehen und die Verheerung des Landes zulassen 
mussten, da sie ja nur 600 Mann hatten. Als nun Saul 
nebst seinem Sohne und dem Hohepriester Achias, einem 
Nachkommen des Hohepriesters Eli, auf einem Hügel 
sass und die Verwüstung des Landes sah, wurden sie 
heftig erschüttert, und Sauls Sohn beschloss, mit seinem 
Waffenträger sich heimlich in das Lager der Feinde zu 
schleichen und dort Lärm und Schrecken su erregen. 
Und da der Waffenträger gelobte, ihm überallhin zu 
folgen, wenn es ihm auch das Leben kosten sollte, 
stieg er mit ihm von dem Hügel herab und nahm den 
Weg auf die Feinde zu. Deren Lager aber lag in einer 
abschüssigen Gegend, die in drei hochragende Bergspitzen 
auslief und rings von Klippen umgeben war, sodass sie 
den Anblick einer durch Bollwerke geschützten Festung 
bot. Man hatte daher auch keinen sonderlichen Wert 
auf Bewachung gelegt, da die Beschaffenheit der Gegend 
so fest erschien, dass wohl niemand sich getraute, ihr zu 
nahen, geschweige denn sie zuersteigen. Als die beiden nun 
an das Lager herangekommeh waren , ermahnte Jonathas 
seinen Waffenträger, er möge gutes Muts sein, und fuhr 
dann fort; „Wir wollen uns jetzt an die Feinde heran- 
machen; wenn sie, sobald sie uns erblickt haben, uns zu 
ihnen heraufsteigen heissen, so kannst du daraus ein 
Anzeichen unseres Sieges erkennen, schweigen sie jedoch 
still und rufen uns nicht, so wollen wir wieder ura- 
kehren “ Als sie dann bei Tagesanbruch sich dem feind- 
lichen Lager noch mehr näherten, und die Palaestiner 
sie gewahr wurden, sprachen diese zu einander: „Die 
Hebräer kriechen aus ihren Höhlen und Schlupfwinkeln 
hervor!“ Den Jonathas aber und seinen Waffenträger 
redeten sie also an: „Kommt, steigt zu uns herauf, da- 
mit ihr für eure Tollkühnheit die verdiente Strafe em- 
pfangt.“ Sobald Sauls Sohn den Ruf vernommen hatte. 



Sechstes Bucbj 6. Kapitel. 


339 


erkannte er darin freudigen Herzens ein Siegeszeichen 
und schritt von dem Orte, wo die Feinde sie erblickt 
hatten, weiter bis zu einem Felsen, an den man seiner 
Festigkeit wegen keine Wache gelegt hatte. Hier klommen 
sie mit vieler Mühe bergan, überwanden glücklich die 
natürlichen Schwierigkeiten des Ortes und drangen auf 
die Feinde ein, überfielen sie im Schlafe und töteten 
ihrer gegen zwanzig. Die übrigen aber waren derart 
verwirrt und bestürzt, dass einige ihre Waifen weg warfen 
und flohen, die meisten hingegen wiedereinander fochten, 
da sie aus vielerlei Völkerschaften zusammengelesen 
waren und sich daher gegenseitig nicht kannten, viel- 
mehr einander für Feinde hielten; davon, dass nur zwei 
Hebräer sie angegriffen hatten, hatten sie keine Ahnung. 
So töteten sie sich teils gegenseitig mit den Waffen, 
teils stürzten sie einander von den Felsklippen herab. 

3. Als nun die Kundschafter Sauls diesem die Nach- 
richt brachten , im Lager der Palaestiner gehe alles 
drunter und drüber, forschte er nach, ob jemand von den 
Seinen sich entfernt habe. Nachdem er dann vernommen, 
sein Sohn werde nebst dessen Waffenträger vermisst, 
befahl er dem Hohepriester, sein priesterliches Gewand 
anzulegen und ihm die Zukunft zu weissagen. Er erhielt 
zur Antwort, er werde die Feinde .besiegen, und sogleich 
zog er gegen die Palaestiner und griff sie an, als sie in 
ihrer Verwirrung noch immer gegeneinander kämpften. 
Auf die Nachricht von Sauls Sieg stiessen auch die- 
jenigen wieder zu ihm, die sich vorher in Erdgängen und 
Höhlen versteckt hatten. Als sein Heer so auf zehn- 
tausend Hebräer angewachsen war, verfolgte er die Feinde, 
die sich in der ganzen Gegend umher zerstreut hatten. 
Sei es nun aber aus Freude über den unverhofften Sieg 
(denn die, denen ein so grosses Glück zu teil wird, pflegen 
jeder vernünftigen Überlegung bar zu sein), sei es aus 
Unverstand, genug, Saul beging einen schweren Fehler 
und eine tadelnswerte Thorheit. Denn in der Absicht, 
sich an den Palaestinern zu rächen und sie gebührend 
zu bestrafen, verfluchte und verwünschte er jeden Hebräer, 




Joaephus’ Jüdische Altertümer. 


S40 


der Speise zu sich nehmen und von der Tötung der Feinde 
ablas8en wurde, bevor die Nacht die weitere Verfolgung 
unmöglich mache. Als Saul dies verkündigt hatte, kamen 
die Hebräer in einen dichten, bienenreichen Wald, der 
zum Stamme Ephraim gehörte. Jonathas aber, der von 
dem Fluche seines Vaters und der Zustimmung des 
Volkes dazu nichts gehört hatte, presste den Honig aus 
einer Scheibe und verzehrte ihn. Inzwischen erfuhr er, 
dass sein Vater unter schweren Verwünschungen ver- 
boten hatte, vor Sonnenuntergang Speise anzurühren, 
und hörte nun zwar auf zu essen, missbilligte aber das 
Verbot seines Vaters: denn die Hebräer würden, wenn 
sie sich durch etwas Speise erfrischt hätten, mit grösserer 
Ausdauer und Behendigkeit die Verfolgung fortsetzen 
und viel mehr Feinde töten und gefangen nehmen. 

4. Nachdem nun viele Tausende von den Palaestinern 
umgebracht waren, machten sich die Hebräer gegen 
Abend an die Plünderung des Lagers derselben und 
nahmen viele Beute und besonders viel Vieh weg. Das 
Vieh schlachteten sie und verzehrten es mi^amt dem 
Blute. Dem Könige aber wurde von seinen Schreibern 
gemeldet, dass die Krieger sich beim Opfer gegen Gott 
versündigten, weil sie, ehe das Blut gänzlich vom Fleische 
entfernt und so das Fleisch gereinigt war, davon ge- 
nossen hätten. Da befahl Saul, einen grossen Felsblock 
heranzuwälzen und das Vieh darauf zu schlachten, aber 
unter keinen Umständen Fleisch und Blut zusammen zu 
geniessen, weil das Gott höchst missfällig sei. Als nun 
alles Volk diesem Befehl des Königs gemäss gethan, er- 
richtete Saul an dieser Stelle einen Altar und brachte 
Gott auf demselben ein vollständiges Opfer dar. Das 
war der erste Altar, den Saul erbaute. 

5. In der Absicht, sogleich nach dem Lager der 
Feinde aufzubrechen und dasselbe vollends zu zerstören, 
bevor es tage, berief der König, zumal da sich auch das 
Volk dessen nicht weigerte, vielmehr eine grosse Bereit- 
willigkeit zur Vollziehung seiner Befehle bekundete, den 
Hohepriester Achitob und hiess ihn nachforschen, ob 



Sechstes Buch, 6. Kapitel. 


841 


Gott erlauben würde, dass sie zum feindlichen Lager 
- zögen und alle noch darin Befindlichen niedermachten 
Der Hohepriester aber gab zur Antwort, Gott wolle sich 
hierüber nicht aussprechen , worauf Saul ausrief : „Gott 
hat gewiss seinen guten Grund dafür, dass er uns die 
Antwort verweigert, obgleich er uns früher über alles 
Bescheid erteilte, selbst wenn wir ihn nicht fragten. 
Irgend eine geheime Sünde unsererseits ist die Ursache 
dieses Schweigens. Bei Gott selbst schwöre ich, das» 
ich den Frevler töten werde, und sollte es auch mein 
Sohn Jonathas sein. Auf diese Weise hoffe* ich Gott 
zu versöhnen. Mein eigen Fleisch und Blut werde ich 
dafür bestrafen, gerade als ob es ein mir völlig Fremder 
wäre.“ Da das ganze Volk hierzu seine Zustimmung 
äusserte, stellte Saul dasselbe an einem Orte zusammen ; 
er selbst indes trat mit seinem Sohne auf die andere 
Seite und warf das Los, um den Schuldigen zu ermitteln. 
Das Los aber traf den Jonathas. Da nun der Vater 
ihn fragte, was er verbrochen habe und welcher gott- 
losen That er sich bewusst sei, erwiderte dieser: „Vater, 
nichts anderes habe ich gethan, als dass ich gestern bei 
der Verfolgung des Feindes Honig gegessen habe, da, 
ich von dem Fluch und der Verwünschung nichts wusste.“ 
Da schwur Saul, er werde ihn töten und sich nicht 
durch Verwandtschaft und natürliche Zuneigung be- 
stimmen lassen, seinen Eid zu brechen. Jonathas zeigte 
sich durch die Androhung des Todes nicht im mindesten 
erschreckt, sondern trat mitten unter das Volk und 
sprach mutig und frei: „Ich bitte dich nicht, Vater, 
meiner zu schonen, denn süss ist mir der Tod, den ich 
um deiner Gottesfurcht willen und nach einem so glän- 
zenden Siege erleiden soll. Den grössten Trost finde ich 
darin, dass ich die Hebräer als Sieger über die Pa- 
laestiner zurücklasse.“ Durch diese Worte wurde das 
ganze Volk schmerzlich bewegt und bejammerte sein 
trauriges Schicksal, schwur auch, es werde nicht zugeben 
das Jonathas, der doch der Urheber ihres Sieges sei, 
sterben solle. So befreite ihn das Volk von dem Fluche 



342 


Josepbus* Jüdische Altertümer. 


des Vaters und betete für den Jüngling zu Gott, dass 
er ihm seine Sünde verzeihen möge. 

- 6. Darauf kehrte Saul heim in seine Stadt, nachdem 
gegen sechzigtausend Feinde umgebracht waren. Er 
regierte dortselbst glücklich, bekriegte die benachbarten 
Völkerschaften und unteijochte die Ammaniter, Moabiter, 
Palaestiner, Idumäer und Amalekiter, sowie auch den 
König von Soba. Saul hatte drei Söhne, Jonathas, Jesus 
und Melchis, und zwei Töchter, Merob und Michal. 
Sein Heerführer war Abener, der Sohn seines Oheims 
Nerus. Dieser Nerus nämlich und Kis, der Vater Sauls, 
waren Brüder und Söhne des Abiel. Saul besass eine 
grosse Menge Streitwagen und eine zahlreiche Reiterei, 
weshalb er in jedem Kriege Sieger blieb. Unter ihm 
brachten es die Hebräer zu grossem Wohlstand und 
Glück und wurden mächtiger als alle anderen Völker. 
Seine Leibwache bildete er aus den grössten und 
ecbönstgewachsenen Jünglingen. 


Siebentes Kapitel. 

Saul bekriegt die Amalekiter und unterjocht sie. 

1. Darauf kam Samuel zu Saul und sagte ihm, er 
sei von Gott gesandt, um ihn zu ermahnen, dass, da 
Gott ihn vor allen anderen zum König erwählt habe, 
es nun auch billig sei, dass er Gott gehorche und nach 
seinem Willen lebe; dehn wie Saul über Völker regiere, 
so sei Gott Herr über ihn und über alles Erschaffene. 
Gott habe also zu ihm geredet: „Weil die Amalekiter 
den Hebräern in der Wüste seit ihrem Auszug aus 
Aegypten bis zu ihrem Einzug in dieses Land viele Un- 
bilden zugefügt haben, so befehle ich, dass du sie mit 
Krieg überziehst und nach errungenem Siege keinen von 
ihnen am' Leben lässt, sondern sie alle samt Weib 
und Kind vernichtest und sie so zur Bestrafung heran- 
ziehst für das Böse, das sie deinen Vorfahren zufügten. 
Selbst das Gross- und Kleinvieh sollst du nicht ver- 


Sechstes Buch, 7. Kapitel. 


348 


schonen, noch es zu deinem Nutzen verwenden, sondern 
alles Gott opfern; und den Namen Amalek sollst du, 
wie Moyses es vorgeschrieben , vom Erdboden ver- 
tilgen.“ 

2. Saul versprach, dem Befehl Folge zu leisten, und 
glaubte, seinen Gehorsam gegen Gott nicht nur dadurch 
beweisen zu müssen, dass er überhaupt ein Heer gegen 
die Palaestiner führe, sondern noch mehr dadurch, dass 
er dies mit der grössten Pünktlichkeit und Schnelligkeit 
thue. Er berief deshalb seine gesamten Truppen zu- 
sammen, musterte sie in Galgala und fand vierhundert- 
tausend Mann ohne den Stamm Judas, der allein schon 
dreissigtausend Mann stark war. Mit diesem Heere fiel 
er in das Gebiet der Amalekiter ein und stellte auch 
eine starke Truppen macht in einem Hinterhalt am 
Flusse auf, um die Feinde nicht nur in offener Schlacht 
zu bedrängen , sondern sie auch unerwartet auf den 
Strassen anzugreifen, zu umzingeln und niederznmachen. 
Als der Kampf kaum begonnen hatte, wandten die 
Feinde sich schon zur Flucht; Saul aber verfolgte sie 
und tötete sie sämtlich. Und da das Unternehmen, wie 
Gott vorhergesägt, so glücklich verlief, griff er auch die 
Städte der Amalekiter an und brachte sie teils durch 
Kriegslist, teils durch Anlegen von Minen und Auf- 
werfen von Belagerungswerken, teils durch Aushungern 
und auf andere Weise zu Fall und in seine Gewalt. 
Dann ging er dazu über, Weiber und Kinder nieder- 
zumetzeln, und er glaubte damit nichts Grausames oder 
Unmenschliches zu begehen, einerseits weil es Feinde 
waren, andererseits weil er es auf Gottes Befehl that, 
dem er den Gehorsam nicht verweigern dürfe. Den 
König der Amalekiter, Agag, nahm er gefangen, liess 
ihn jedoch wegen seiner Schönheit und seines stolzen 
Wuchses am Leben. Hiermit handelte er indes nicht 
nach dem Willen Gottes, vielmehr folgte er nur seiner 
persönlichen Milde und gab zur Unzeit und zu seinem 
eigenen Schaden dem Mitleid nach. Denn Gott hasste 
das Volk der Amalekiter derart, dass er nicht einmal 



344 


Josephus* Jüdische Altertümer. 


die Kinder verschont wissen wollte, mit denen man doch 
sonst grösseres Mitleid zu haben pflegt. Saul aber liess 
sogar ihren König, der der Urheber so vieler Leiden 
der Hebräer war, am Leben und verachtete den Befehl 
Gottes, indem er sich durch die körperliche Schönheit 
des Feindes dazu verleiten liess. Und in gleicher Weise 
wie er sündigte auch das Volk, denn es verschonte das 
Gross- und Kleinvieh und raubte dasselbe, obgleich doch 
Gott befohlen hatte, nichts davon am Leben zu lassen. 
Überdies nahm das Volk auch noch andere Gegenstände 
und Reich tümer fort und vernichtete nur das, was kaum 
einen Wert hatte. 

3. Als nun Saul sämtliche Völkerschaften, die von 
Pelusium in Aegypten bis ans Rote Meer wohnten, 
unteijocht hatte, verwüstete er das feindliche Land und 
verschonte nur das Volk. der Sikimiter, die mitten im 
Gebiet der Madianiter wohnten. Ihnen hatte er vor 
Beginn des Krieges durch Boten sagen lassen, sie sollten 
auswandern, damit sie nicht das Schicksal der Amale- 
kiter teilen müssten. Denn er wollte ihrer schonen, weil 
sie ihm durch Raguel , den Schwiegervater des Moyses, 
verwandt waren. 

4. Hierauf zog Saul voll Freude über seine Erfolge 
nach Hause zurück, gerade als ob er nichts von dem 
ausser acht gelassen, was ihm der Prophet befohlen 
hatte, als er sich zum Kriege gegen die Amalekiter 
rüstete, sondern als ob er nach dem Siege über die 
Feinde alles genau nach Vorschrift ausgeführt hätte. 
Gott aber missfiel es sehr, dass der König der Amale- 
kiter verschont worden war und dass das Volk gegen 
seinen Befehl das Vieh als Beute fortgetrieben hatte. 
Denn er hielt es für sündhaft, dass, da sie durch seine 
Hilfe die Feinde besiegt und unterjocht hatten , sie ihn 
verachteten und geringschätzten und ihn nicht einmal 
wie einen menschlichen König behandelten. Er ver- 
kündete daher dem Propheten Samuel, es reue ihn, 
den Saul zum König gemacht zu haben, da dieser seine 
Befehle nicht befolge, sondern thue, was ihm beliebe. 




Sechstes Buch, 7. Kapitel. 


345 


Als Samuel das vernahm, erschrak er sehr und flehte 
die ganze Nacht hindurch zu Gott, er möge dem Saul 
verzeihen und ihm nicht länger zürnen. Aber wie sehr 
auch der Prophet bat: Gott verweigerte dem Saul die 
Verzeihung, denn er hielt es für unzweckmässig, die 
Sünden auf die Fürbitte des Samuel hin nachzulassen, 
da diesen durch nichts mehr Vorschub geleistet werde 
als durch eine zu grosse Nachsicht von seiten derer, 
gegen die sie begangen würden. In dem Ruhme nämlich, 
den der Verzeihende durch seine Milde und Güte sich 
erwirbt, pflegt er nicht zu beachten, dass er dadurch der 
Sünde noch sogar Vorschub leistet. Da also Gott dem 
Propheten die Erfüllung seiner Bitte verweigerte, und es 
feststand, dass er seinen Entschluss nicht ändern werde, 
begab sich Samuel frühmorgens zu Saul, der sich 

damals in Galgala befand. Sobald der König ihn er- 
blickte, eilte er ihm entgegen, begrÜ86te ihn und sprach: 
„Ich danke Gott, der mir den Sieg verliehen, und 
ich habe alles gethan, was er befohlen hat.“ Samuel 
aber entgegnete ihm: „Wie kommt es denn, dasB ich im 
Lager das Geschrei von Gross- und Kleinvieh höre?“ 
Der König sagte darauf, das Volk habe dasselbe zum 
Opfern auf bewahrt; das Volk der Amalekiter dagegen 
sei nach dem Befehle Gottes vollständig ausgerottet, und 
es sei niemand am Leben gelassen worden als der 

König, den er gefangen mit sich geführt habe. Was 
mit ihm geschehen solle, das wolle er jetzt mit dem 
Propheten überlegen. Da entgegnete der Prophet, Gott 
habe nicht so sehr Wohlgefallen an Opfern als an guten 
und gerechten Menschen. „Das sind aber,“ fuhr er fort, 
„diejenigen, die seinem Willen und Befehl Folge leisten, 
und die nur das für wohlgethan halten, was Gott ihnen 
zu thun geboten hat. Denn wisse, man verachtet Gott 
nicht dadurch, dass man nicht opfert, sondern dadurch, 
dass man gegen ihn ungehorsam ist. Von denjenigen 

aber die ihm nicht gehorchen, nimmt Gott keine Ver- 

ehrung wohlgefällig an, wenn sie auch viele und herr- 
liche Opfer und die ausgesuchtesten Weihgeschenke 



346 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


von Gold und Silber ihm darbringen. Vielmehr wendet 
er eich von ihnen ab und hält die Opfer nicht für Be- 
weise ihrer Frömmigkeit, sondern ihrer Schlechtigkeit. 
An denjenigen dagegen, die seiner Gebote und Ver- 
kündigungen gedenken und lieber den Tod erleiden, als 
etwas davon übertreten wollen, hat er seine Freude und 
verlangt von ihnen nicht einmal ein Opfer. Wenn sie 
aber trotzdem ihm Opfer darbringen, so hat er an dem 
geringen Opfer des Armen mehr Wohlgefallen als an 
den glänzenden Opferspenden des Reichen. Erkenne 
daraus, dass Gott schwer über dich zürnt, denn du hast 
seine Gebote verachtet und übertreten. Wie kannst du 
glauben, Gott sehe wohlgefällig auf dein Opfer, das du 
von demjenigen bereitet hast, was er zur Vernichtung 
bestimmte? Es müsste denn sein, du hieltest Gott 
opfern und vernichten für ein und dasselbe. Deshalb 
hast du zu erwarten, dass er dir deine königliche Ge- 
walt wieder entreissen wird, durch welche du stolz und 
übermütig geworden bist und die du wider den 
Geber missbraucht hast.“ Saul aber bekannte darauf, 
dass er unrecht gehandelt, und leugnete seine Sünde 
nicht ab. Doch habe er dem Befehl des Propheten nur 
aus Furcht zuwidergehandelt, da das Kriegsvolk, nach 
Beute und Plünderung lüstern , sich nicht habe be- 
zwingen lassen. Er bat daher um Verzeihung und 
gütige Nachsicht, versprach auch, künftighin nicht mehr 
zu sündigen, und ersuchte den Propheten, er möge zu- 
rückkehren und Gott Friedopfer darbringen. Samuel 
aber wusste, dass es für Saul keine Hoffnung mehr auf 
Versöhnung mit Gott gab, und schickte sich an, nach 
Hause zu gehen. 

5. Saul jedoch wollte den Samuel zum Bleiben bewegen 
und ergriff ihn beim Mantel, und da Samuel sich mit 
Gewalt losmachte, um fortzukommen, zerriss ihm sein Kleid. 
Der Prophet aber sagte zu Saul, so solle auch sein König- 
reich von ihm gerissen und einem guten und gerechten 
Manne übertragen werden. Denn Gott beharre fest bei 
seinen Entschliessungen , und seiner Allmacht sei es 



Sechstes Buch, 8. Khpitel. 


347 


nicht eigen, gleich wie ein gebrechlicher Mensch seine 
Meinung zu ändern oder von ihr abzuweichen. Da be- 
kannte Saul, dass er gefehlt habe; weil er aber da 8 
Geschehene nun einmal nicht ungeschehen machen 
konnte, bat er den Propheten, er möge ihm wenigstens 
die Ehre erzeigen, vor allem Volke ‘Gott für ihn an- 
zurufen. Dazu war Samuel bereit, und so ging er mit 
ihm davon, um zu Gott zu flehen. Hierauf führte man 
Agag, den König der Amalekiter, vor ihn. Als 
dieser die Sprache darauf brachte, wie bitter der Tod 
sei, erwiderte ihm der Prophet: „Wie du vielen 
hebraeiachen Müttern , deren Söhne du getötet hast, 
Kummer und Trauer bereitetest, so sollst du auch deiner 
eigenen Mutter Schmerz anthun, indem sie von deinem 
Tode Kunde erhalten wird." Und sogleich liess er ihn 
in Galgala hinrichten; er selbst aber kehrte nach Ar- 
matha zurück. 


Achtes Kapitel. 

Samuel salbt heimlich auf Gottes Befehl den David 

zum Könige. 

1. Saul aber sah ein, welches Leid er über sich ge- 
bracht, da er sich Gott zum Feinde gemacht hatte, und 
begab sich nach seiner Residenz Gaba (der Name be- 
deutet „Hügel“), kam auch nach diesem Tage dem Pro- 
pheten nicht wieder zu Gesicht. Und da Samuel über 
sein trauriges Los Schmerz empfand, befahl ihm Gott, 
damit er diese Bekümmernis fahren lasse, er solle 
heiliges öl nehmen, sich in die Stadt Bethleem zu Jesse, 
dem* Sohne des Obed, begeben und von dessen Söhnen 
denjenigen zum König salben, den er ihm bezeichnen 
werde. Weil Samuel aber befürchtete, Saul möchte das 
erfahren und ihm deshalb heimlich oder durch offene Ge- 
walt Verderben bereiten, verhiess ihm Gott für die Reise 
seinen Schutz, und so begab er sich auf den Weg nach 
der genannten Stadt. Dort begrüssten ihn alle und 




348 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


fragen ihn nach dem Grande seiner Ankunft. Er aber 
entgegnete, er sei gekommen, um Gott zu opfern. 
Nachdem er nun den Gottesdienst verrichtet hatte, lud 
er den Jesse mit seinen Söhnen zum Opfermahle ein, 
und da er den ältesten Sohn betrachtete, der gross und 
schön war, glaubte er aus seiner herrlichen Gestalt 
schliessen zu müssen, das sei der zukünftige König. 
Doch täuschte er sich hierin; denn als er Gott fragte, 
ob er den Jüngling, den er bewundert und des König- 
tums wert gehalten habe, salben solle, antwortete Gott 
ihm, seine und der Menschen Urteile seien nicht die- 
selben. „Du,“ sagte er, „siehst nur auf die herrliche 
Gestalt des Jünglings und hältst ihn deshalb für ge- 
eignet zur Königswürde. Ich aber verleihe diese Würde 
nicht als ein Geschenk für körperliche Schönheit, sondern 
für Vorzüge des Geistes, und ich verlange einen Mann, 
der mit Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Gehor- 
sam und allen anderen Tugenden geschmückt ist, in 
welchen die Schönheit der Seele besteht.“ Als Gott so 
geredet, hiess Samuel den Jesse seine Söhne herbeiführen. 
Dieser liess darauf fünf Söhne eintreten , die der Reihe 
nach (der älteste, Eliab, war schon da) hiessen: Ami- 
nadab, Samal, Nathanael, Rael und Asam. Als der 
Prophet sie sah und wahrnahm, dass sie an Gestalt dem 
ältesten Sohne nicht nachstanden, fragte er Gott* 
welchen von diesen er zum König erwählen solle. Und 
da er zur Antwort erhielt, keinen von ihnen, fragte er 
den Jesse, ob er noch mehr Söhne habe. Dieser sagte,, 
er habe noch einen mit Namen David, der ein Hirt sei 
und jetzt gerade die Herde weide. Da befahl der 
Prophet, ihn zu rufen, weil sie mit dem Mahle nicht be- 
ginnen dürften, bevor er zur Stelle sei. Wie nun David 
kam, stellte er sich als einen blonden, schönen Jüngling 
mit lebhaftem Blicke dar. Dieser ist es, dachte Samuel 
bei sich, den Gott zum Könige hestimmt hat, setzte sich 
zu Tisch und zunächst neben sich den David, danach 
auch den Jesse und seine übrigen Söhne. Hierauf 
nahm er vor den Augen Davids öl, salbte ihn damit 



Sechstes Buch, 8. Kapitel. 


349 


und raunte ihm heimlich ins Ohr, Gott habe ihn zum 
König erwählt, und die Salbung sei das Zeichen dafür. 
Auch ermahnte -er ihn, er solle die Gerechtigkeit pflegen 
und den Geboten Gottes gehorchen : dann werde er lange 
regieren, und sein Haus werde glänzend und berühmt 
sein. Er werde die Palaestiner besiegen und alle Völker, 
mit denen er Krieg führe, auch werde er glänzenden 
Kriegsruhm erwerben und ihn seinen Nachkommen 
hinterlassen. 

2. Darauf entfernte sich Samuel, und der Geist 
Gottes verliess den Saul und ging auf David über, 
sodass er anfing zu weissagen. Den Saul aber plagten 
allerhand Unruhen und böse Geister, die ihn ersticken 
und erwürgen wollten. Hiergegen wussten die Ärzte 
keinen besseren Rat, als dass man einen erfahrenen 
Sänger und Harfenspieler suchen müsse, der, sobald den 
Saul sein Übel befalle und die bösen Geister ihn heim- 
suchten, sich zu seinen Häupten hinstellen, Harfe spielen 
und Lieder singen solle. Saul befahl nun, man solle 
sich sogleich nach einem solchen Menschen umsehen. 
Und da einer der Anwesenden bemerkte, er habe zu 
Bethleem den Sohn des Jesse gesehen, der zwar noch 
jung, aber wohlgestaltet und schön sei und ausser 
sonstigen vorzüglichen Eigenschaften auch die Kunst 
besitze, Harfe zu spielen und Lieder zu singen, zudem 
sich im Kriegswesen auszeichne, sandte Saul Boten an 
Jesse und befahl, dass David von der Weide geholt und 
zu ihm geführt werde; denn er wolle ihn sehen, da das 
Gerücht ihm so vieles von seiner herrlichen Gestalt und 
Schönheit gemeldet habe. Jesse schickte darauf seinen 
Sohn und gab ihm auch Geschenke mit, die er dem 
Saul ijberbringen sollte. Als Saul ihn sah, war er 
hocherfreut, machte den David zu seinem Waffenträger 
und hielt ihn in hohen Ehren. Sobald nun Saul auf- 
geregt und von den bösen Geistern behelligt wurde, 
sang David, der sein einziger Arzt war, Lieder und 
spielte die Harfe, wodurch er den Saul wieder zu sich 
brachte. Saul schickte daher zu Jesse und bat, er möge 




8 50 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


den David bei ihm lassen, da dessen Anblick einen wunder- 
baren Einfluss auf ihn ausübe. Dieser glaubte dem 
Saul nicht widersprechen zu dürfen und gestattete so- 
mit, dass David bei ihm blieb. 


Neuntes Kapitel. 

Wie die Palaestiner aufs neue einen Kriegszug gegen die 
Hebräer unternahmen, aber geschlagen wurden. Davids 

Zweikampf mit Goliath. 

1. Bald danach brachten die Palaestiner abermals 
eine grosse Truppenmacht zusammen und überzogen die 
Israeliten mit Krieg. Ihr Lager schlugen sie zwischen 
Sachus und Azeka auf. Saul führte sein Heer gegen 
sie, setzte sich mit demselben auf einem Berge fest und 
zwang die Palaestiner, ihr Lager zu verlassen und ein 
neues auf einem Berge ihm gegenüber zu beziehen. 
So trennte die beiderseitigen Heere ein Thal, das sich 
zwischen den Bergen hinzog, auf welchen sie lagerten. 
Da stieg aus dem Lager der Palaestiner einer herab mit 
Namen Goliath, aus der Stadt Gitta stammend, ein Mann 
von riesiger Statur, denn er war vier Ellen und eine 
Spanne hoch. Seine Waffenrüstung entsprach seiner 
Körpergrösse , denn sein Brustharnisch wog fünftausend 
Sekel; sein Helm aber und seine ehernen Beinschienen 
waren so gross, dass sie seine kolossalen Glieder gerade 
bedeckten. Einen sehr schweren Speer trug er nicht in 
der rechten Hand, sondern auf seiner Schulter; seine 
Lanze wog sechshundert Sekel, und es folgten ihm noch 
viele Waffenträger. Dieser stellte sich zwischen die 
beiden Heere, schrie mit lauter Stimme und rief dem 
Saul und den Hebräern zu: „Ich will euch von des 
Kampfes Not und Gefahr erlösen. Denn wozu ist es 
nötig, dass unsere Heere aufeinander treffen und sich 
bekämpfen? Stellt mir vielmehr einen von euch, dass 
er mit mir einen Zweikampf bestehe. Dann soll, um 
den Krieg zu beendigen, gelten, dass dasjenige Volk, 



Sechstes Buch, 9. Kapitel. 


351 


dessen Kämpfer unterliegt, dem anderen dienstbar sein 
muss. Denn es ist besser und erspriesslicher , dass 
einer allein , als dass alle die Gefahr bestehen.“ Nach 
diesen Worten kehrte er in sein Lager zurück. Am 
folgenden Tage aber kam er wieder hervor und sprach 
dasselbe, und so forderte er vierzig Tage lang den 
Gegner heraus. Saul und sein Heer gerieten darob in 
grossen Schrecken und rüsteten sich zur Schlacht, doch 
keine von beiden Parteien wollte den Gegner zuerst an- 
greifen. 

2. Beim Beginne dieses Krieges hatte Saul den 
David zu Jesse zurückgeschickt und sich mit den drei 
anderen Söhnen desselben begnügt, die er zum gefahr- 
' vollen Kriegsdienst gesandt hatte. David aber hütete 
nun wieder die Herden seines Vaters. Nicht lange 
danach schickte ihn sein Vater v in das Lager der 
Hebräer, um seinen Brüdern Proviant zu bringeu und 
nachzufragen , wie es ihnen gehe. Als nun Goliath 
wieder hervortrat, die Hebräer herausforderte und 
schmähte, dass keiner den Mut habe, mit ihm zu streiten, 
geriet David, der gerade den Brüdern die Aufträge 
ihres Vaters mitteilte und vernahm, wie der Palaestiner 
schimpfte und sich breit machte , in hellen Zorn und 
erklärte seinen Brüdern, er sei bereit, den Zweikampf 
anzunehmen. Sein ältester Bruder Eliab aber schalt 
ihn, dass er eine seinem Alter so wenig ziemende Toll- 
kühnheit zur Schau trage und dass er noch nicht zu 
wissen scheine, was sich passe; er solle sich zu seinen 
Herden und nach Hause scheren. Aus Scheu vor seinem 
Bruder ging David weg, erzählte aber einigen anderen 
Kriegern, er wolle es mit dem frechen Palaestiner auf- 
nehmen. Diese hinterbrachten sein Anerbieten dem 
Saul, der ihn sogleich zu sich beschied und ihn fragte, 
was er zu sagen wünsche. Da sprach David : „0 König, 
lass dich nicht erschrecken und entmutigen; ich will 
den Übermut des Feindes bezwingen, und wenn ich mit 
ihm kämpfe, werde ich ihn trotz seiner Grosse und Stärke 
schon unterkriegen. Dann soll er allen zum Spott 




352 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

dienen; dein Heer aber soll allen Ruhm davontragen, 
wenn er nicht von einem kriegsgewandten und erfahrenen 
Manne, sondern von einem, der ein Knabe zu sein scheint 
und es seinem Alter nach in der That auch ist, um- 
gebracht wird.“ 

3. Saul bewunderte nun zwar Davids Mut und Kühnheit, 
traute ihm aber seiner Jugend wegen nicht und meinte, 
er sei doch zu schwach, um mit einem kampfgewohnten 
Manne zu streiten. David aber entgegnete ihm: „Mein 
Versprechen leiste ich im Vertrauen auf Gott, dessen 
Hilfe ich auch sonst schon erfahren habe. Denn als 
einst ein Löwe meine Herde anfiel und ein Lamm ge- 
raubt hatte, bin ich ihm nachgeeilt, habe ihn ergriffen 
und das Lamm ihm aus dem Rachen gerissen, und da 
er sich gegen mich auf bäumte, packte ich ihn beim 
Schwanz, schlug ihn zu Boden und tötete ihn. Ebenso 
bin ich einmal gegen einen Bären verfahren. Jenen 
Feind schätze ich aber immerhin geringer, als eine 

solche Bestie. Gott wird ihn in meine Hände geben, 
weil er unser Heer schmäht und unseren Gott lästert.“ 

4. Da bat Saul zu Gott, er möge dem Jüngling zu 
seinem kühnen Unternehmen Erfolg verleihen, und hiess 
ihn sich zum Kampfe rüsten. Dann legte er ihm seinen 
Helm und seinen Panzer an und umgürtete ihn mit 
seinem Schwerte; darauf entliess er ihn. David aber trug 
an der Rüstung sehr schwer, denn er war nicht daran 
gewöhnt, und er sprach: „Das, o König, sei dein 
Waffenschmuck, der du ihn zu tragen verstehst. Mir 
aber, deinem Knecht, gestatte zu kämpfen, wie ich es 
will.“ Hierauf entledigte er sich der Rüstung, nahm 
einen Stock, that fünf Steine aus dem Bach in seine 
Hirtentasche, fasste in die rechte Hand eine Schleuder 
und ging auf Goliath an. Als dieser ihn so daher- 
kommen sah, verlachte und verspottete er ihn, da er 
zum Kampf nicht mit Waffen komme, wie sie zwischen 
Männern üblich seien, sondern mit solchen, deren man 
sich gegen Hunde zu bedienen pflege. Ob er ihn denn 
für einen Hund und nicht für einen Menschen halte? 




Sechstes Büch, 9. Kapitel. 


353 


David entgegnete darauf, er halte ihn noch für viel 
schlechter als einen Hund. Da geriet Goliath in 
heftigen Zorn, schleuderte greuliche Fluch worte gegen 
David und schwur bei Gottes Namen, er wolle sein 
Fleisch den Tieren des Landes und den Vögeln der 
Duft zur Speise geben. David erwiderte ihm: „Du 
kommst mit Schwert und Spiess und Panzer daher, 
meine Waffenrüstung dagegen ist Gott, der dich und 
euer ganzes Heer durch unserer Hände Kraft verderben 
wird. Denn noch heute werde ich dir dein Haupt ab- 
schlagen und deinen Körper den Hunden vorwerfen, 
die deinesgleichen sind; und allen wird es kund werden, 
dass Gott der Schutz der Hebräer ist, und seine Fürsorge 
unsere Waffe und unsere Stärke. Nichts vermag eine 
andere Rüstung und Kraft, wenn Gott unser Beginnen 
nicht segnet." Der Palaestiner, der vom Gewicht seiner 
Rüstung sehr behindert wurde, ging dem David lang- 
samen Schrittes entgegen, verlachte ihn und höhnte, er 
werde den waffenlosen Knirps ohne Mühe beiseite 
schaffen. 

5. Der Jüngling aber schritt seinem Feinde unter 
dem unsichtbaren Schutze Gottes entgegen, nahm aus 
seiner Hirtentasche einen von den Steinen hervor und 
steckte ihn in seine Schleuder. Dann schleuderte er 
ihn gegen Goliath und traf diesen damit so heftig an der 
Stirn, dass er bis ins Gehirn eindrang. Den Goliath aber 
befiel Schwindel, und er stürzte auf sein Angesicht zu 
Boden. Da lief David eilends herzu, stellte sich auf 
den darniederliegenden Feind, zog dessen Schwert hervor, 
da er selbst kein solches hatte, und hieb ihm das Haupt 
ab. Nach seinem Falle ergriffen die Palaestiner, da 
auch sie damit überwunden waren, die Flucht. Denn als sie 
sahen, dass ihr ansehnlichster Mann niedergestreckt war, 
verzweifelten sie am glücklichen Ausgange und hielten 
nicht mehr stand, gedachten vielmehr in schimpflicher 
Flucht ihr Heil zu suchen. Saul aber und das ganze 
Heer der Hebräer erhoben ein gewaltiges Geschrei, 
stürzten sich auf die Feinde, töteten viele derselben und 

Josephus 1 Jüdische Altertümer. 23 



354 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


verfolgten die übrigen bis in das Gebiet von Gitta, 
und bis zu den Thoren Askalons. Es fielen von den 
Palaestinem gegen dreissigtausend , und mehr als die 
doppelte Anzahl wurden verwundet. Darauf wandte 
«ich Saul wieder zurück nach dem feindlichen Lager, 
zerstörte seine Befestigungen und steckte es in Brand. 
Das Haupt des Goliath aber trug David in sein Zelt, 
und sein Schwert weihte er Gott. 


Zehntes Kapitel. 

Saul beneidet den David ob seines Kriegsruhms. Er giebt 
ihm seine Tochter zur Ehe. 

1. Die Weiber aber schürten Sauls Neid und Hass 
gegen David. Als nämlich das Kriegsheer im Triumph 
einzog, ging ihm das ganze Volk mit Cymbeln, Pauken 
und aller Art Freudenbezeugung und Gesang entgegen. 
Die Weiber riefen, Saul habe viele tausend Palaestiner 
erschlagen, die Jungfrauen dagegen, David habe zehn- 
tausend umgebracht. Als der König hörte, dass man 
ihm weniger Lob zolle wie dem Jüngling, dem man die 
Erschlagenen zu Zehntausenden zuschreibe, überlegte er, 
•dass dem David nach dieser glorreichen Lobpreisung 
eigentlich nichts mehr fehle als die Königswürde, und 
er fing an, ihn zu fürchten und zu beargwöhnen. Er 
entfernte ihn daher von seinem früheren Amte, weil es 
ihm schien, dass er als Waffenträger sich in seiner all- 
zugrossen Nähe befinde, und machte ihn zum Kriegs- 
obersten. Zwar war diese Stelle noch besser als die 
frühere, aber, wie es Saul schien, sicherer für ihn 
selbst, den König. Denn er gedachte ihn den Ge- 
fahren des Krieges auszusetzen, damit er desto eher 
umkäme. 

2. David aber genoss auf Schritt und Tritt des gött- 
lichen Schutzes, und alles schlug zu seinem Glücke aus, 
sodass ihn nicht allein das Volk seiner hervorragenden 
Tapferkeit wegen besonders schätzte , sondern auch 




Sechstes Buch, 10. Kapitel. 


355 


Sauls jungfräuliche Tochter in Liebe zu ihm entbrannte. 
Ihre Neigung stieg so mächtig, dass sie sie zuletzt nicht 
mehr verbergen konnte, und die Kunde davon ihrem 
"Vater zu Ohren kam. Dieser erblickte darin eine will- 
kommene Gelegenheit, dem David Verderben zu bereiten, 
und sagte denen, die ihm von der Liebe seiner Tochter 
berichtet hatten, er wolle dem David gern seine Tochter zur 
Ehe geben; denn er hoffte, das werde die Ursache 
seines Unterganges sein. „Ich gelobe,“ sagte er, „dass 
ich dem David meine Tochter zur Ehe geben will, wenn 
er mir sechshundert Köpfe meiner Feinde bringt Da 
ihm eine so herrliche Belohnung winkt, und er den 
Ruhm aus einem so gefährlichen und fast unglaublichen 
Unternehmen gern davon tragen wird, so wird er sich 
ungesäumt ans Werk geben. Dann aber wird er von 
den Palaestinern getötet werden und ich meine Ab- 
sichten aufs schönste erreicht haben. Denn ich werde 
ihn dann los werden, ohne selbst Hand an ihn legen 
zu müssen.“ Er befahl also seinen Dienern, Davids 
Gesinnung in Bezug auf die Ehe mit seiner Tochter zu 
erforschen. Diese stellten dem David vor, wie gern ihn 
der König und das gesamte Volk habe, und dass der 
erstere ihm sogar seine Tochter zur Ehe geben wolle. 
Er aber entgegnete: „Haltet ihr es denn für etwas Ge- 
ringes, Schwiegersohn des Königs zu werden? Mir 
scheint das nicht der Fall zu sein, zumal ich ein ein- 
facher Mensch ohne Ruhm und Ehre bin.“ Als die 
Diener diese Antwort dem Saul meldeten, sagte er: 
„Verkündet ihm, ich begehre von ihm weder Geld noch 
Heiratsgut, denn das hiesse seine Tochter verkaufen, 
nicht aber aussteuem; ich begehre vielmehr nur einen 
Schwiegersohn, der sich durch Tapferkeit und andere 
Tugenden auszeichnet, wie er sie besitzt. Ich verlange 
deshalb von ihm für die Heirat meiner Tochter weder 
Gold noch Silber, das er aus dem Vermögen seines 
Vaters mir zubringen müsste, sondern nur Rache an 
den Palaestinern und sechshundert Köpfe von ihnen. 
Kein herrlicheres und köstlicheres Geschenk als dieses 




356 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


kann mir gemacht werden, und es wäre auch meiner 
Tochter viel angenehmer wie das gebräuchliche Heirats- 
gut, wenn sie sich mit einem Manne verheiraten könnte, 
der einen so herrlichen Beweis seines Sieges über die 
Feinde beibrächte.“ 

3. Als David das vernahm, freute er sich sehr, da er 
glaubte, der König wolle wirklich in ein so nahes Ver- 
wandtschaftsverhältnis zu ihm treten. Und ohne erst 
zu überlegen, ob er die ihm gestellte Bedingung auch 
erfüllen könne oder nicht, ging er sogleich mit seinen 
Waffen geführten dem Feinde entgegen und machte sich 
an das Werk, das er als Heiratsbedingung zu leisten 
hatte. Da ihm nun Gott alles leicht und möglich 
machte, tötete er wirklich eine Menge Feinde, hieb sechs- 
hundert von ihnen die Köpfe ab, brachte sie dem Könige 
u'nd verlangte dafür von ihm dem Vertrage gemäss die 
Hand seiner Tochter. Weil nun Saul keinen Vorwand 
hatte, sein gegebenes Versprechen nicht einzulösen, und 
es für schimpflich hielt, als Lügner zu erscheinen oder 
als ob er hinterlistiger weise die Heirat versprochen 
habe, um den David durch ein so schweres Unter- 
nehmen in Lebensgefahr zu bringen, gab er ihm seine 
Tochter Michal zur Ehe. 


Elftes Kapitel. 

Saul trachtet dem David nach dem Leben. 

Jonathas’ Treue. 

1. Saul aber beruhigte sich hierbei nicht lange. Denn 
da er sah, dass David sowohl bei Gott als beim Volke 
beliebt war, konnte er sich der Befürchtung nicht ent- 
halten , er möchte ihn um Königsthron und Leben 
bringen, wahrlich grosse Güter, davon auch nur eines zu 
verlieren schon ein grosses Unglück ist Er gab deshalb 
seinem Sohne Jonathas und den Treuesten seiner Diener 
den Auftrag, ihn aus dem Wege zu räumen. Jonathas 



Sechstes Buch, 11. Kapitel. 


357 


wunderte sich, dass sein Vater so sehr seine Gesinnung 
in betreff Davids geändert habe, dass er ihn nicht allein,, 
obgleich er ihn früher so wohlwollend behandelt, leicht 
verletzen, sondern ihn sogar töten wolle. Da er nun 
den Jüngling liebte und wegen seiner Tugenden hoch 
achtete, verriet er ihm das geheime Vorhaben seines 
Vaters und riet ihm, sich vorzusehen und sich am 
folgenden Tage nicht blicken zu lassen. Er wolle unter- 
des zu seinem Vater gehen unter dem Vorwände, ihn zu 
begrüssen, und die Gelegenheit benutzen, um von David 
zu reden. Erfahre er dann die Ursache seiner üblen 
Gesinnung, so wolle er ihm dieselbe als geringfügig hin- 
stellen und ihm sagen, man dürfe um einer solchen 
Kleinigkeit willen einen Mann, der sich um das Volk 
und den König so grosse Verdienste erworben , nicht 
umbringen; vielmehr müsse man ihm, wenn er auch 
noch so schwer gefehlt habe, billigerweise Verzeihung 
gewähren. Alsdann werde er ihn von seines Vaters 
Gesinnung in Kenntnis setzen. David folgte diesem 
guten Rat und hielt sich vom Könige fern. 

2. Am folgenden Tage ging Jonathas zu seinem 
Vater, und da er ihn heiter und gut aufgelegt an traf,, 
fing er also mit ihm über David zu reden an: „Was für 
eine grosse oder kleine Sünde hat doch David nach 
deiner Meinung gegen dich begangen, dass du den 
Mann töten lassen willst, der dir selbst so viel Gutes 
gethan und den Palaestinern solche Niederlagen bei- 
gebracht hat, der ferner das Volk der Hebräer von der 
Schmach und dem Spotte, dem es vierzig Tage lang 
preisgegeben war, befreit hat, da er allein von allen 
mit dem herausfordernden Feinde den Zweikampf zu 
bestehen wagte, und der die ihm aufgegebene Zahl 
Feindesköpfe beigebracht und dafür meine Schwester 
geheiratet hat, sodass sein Tod für uns jetzt um so be- 
trübender sein würde, nicht bloss wegen seiner Tugenden, 
sondern auch wegen seiner nahen Verwandtschaft mit 
uns? Durch seinen Tod erleidet auch deine Tochter 
grosses Unrecht, da sie schon Witwe wird, noch ehe sie 


Go gle 



358 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Kinder aus der ehelichen Gemeinschaft erhalten hat. Das 
erwäge bei dir, lass dich zur Milde stimmen und füge 
dem kein Leid zu, der uns allen die grosse Wohlthat 
erwiesen hat, dass er dich heilte, die bösen Geister, die 
dich bedrängten, vertrieb und deiner Seele die Kühe 
wiedergab, und der auch dazu noch unsere Feinde zur 
Verantwortung gezogen hat. Es würde dir schlecht an- 
stehen, wolltest du das alles vergessen." Durch diese 
Worte wurde Saul besänftigt und versicherte seinem 
Sohne unter Eid, er werde dem David kein Leid zu- 
fügen. Seinen Zorn und seine Furcht nämlich hatte die 
gerechte Verteidigung durch Jonathas beseitigt Der letztere 
liess hierauf den David zu sich kommen, teilte ihm die 
veränderte Gesinnung seines Vaters mit und führte ihn 
selbst zu ihm hin. Und David blieb beim Könige wie 
zuvor. 

3. Als darauf die Palaestiner wieder ihre Truppen 
gegen die Hebräer führten, ward bavid von Saul an 
der Spitze eines Heeres geschickt, um sie zu bekämpfen. 
Er brachte ihnen eine gewaltige Niederlage bei und 
kehrte siegreich zum Könige zurück. Doch Saul empfing 
ihn nicht so, wie er nach solchem Kriegsglück erwartet 
hatte, vielmehr verbitterten ihn seine Erfolge, als ob 
durch dieselben seine Königsherrschaft gefährdet würde. 
Und da er einmal wieder von bösen Geistern geplagt 
und beunruhigt wurde, beschied er den David in da6 
Gemach, wo er lag, und hiess ihn, während er selbst 
einen Speer in der Hand hielt, die Harfe schlagen und 
dazu singen. Als nun David seinem Befehle nachkam, 
schleuderte er den Speer nach ihm. Dieser aber wich 
dem Wurfe, da er ihn bemerkt hatte, aus, floh in sein 
Haus und blieb dort den ganzen Tag. 

4. Des Nachts schickte der König Wächter, um ihn 
zu bewachen, dass er nicht heimlich entfliehen und sich 
verbergen möchte, denn er wollte ihn vor Gericht stellen 
und die Todesstrafe über ihn verhängen lassen. Als 
aber Michal, Davids Gattin und des Königs Tochter, 
ihres Vaters Absicht merkte, ging sie, zwischen Furcht 



Sechstes Buch, 1 1 , Kapitel. 


359 


und Hoffnung schwebend und auch um sich selbst be- 
sorgt, da sie ohne David nicht leben konnte, zu ihrem 
Nfanne und sprach zu ihm: „Hüte dich, dass die auf- 
gehende Bonne dich hier nicht mehr antreffe, sonst wird 
sie dich fürder nicht bescheinen. Fliehe im Dunkel der 
Nacht, und möge Gott dir dasselbe verlängern. Denn 
wisse, dass, wenn du ergriffen wirst, der Vater dich um- 
bringen lassen wird.“ Darauf Hess sie ihn durchs 
Fenster hinab und rettete ihn so aus der Gefahr. Dann 
machte sie das Bett zurecht, als wenn es für einen 
Beranken bestimmt sei, und legte unter die Decke die 
Leber einer Ziege. Als nun bei Tagesanbruch ihr Vater 
nach David schickte, sagte sie, er sei die ganze Nacht 
unruhig gewesen, zeigte den Anwesenden das zugedeckte 
Bett und machte sie, da die Leber durch ihre Zuckungen 
die Decke bewegte, leicht glauben, David liege dar* 
unter und atme schwer. Die Diener hinterbrachten dem 
Saul, dass David in der Nacht krank geworden sei; 
trotzdem befahl er, ihn herbeizuschaffen, möge er 
auch noch so krank sein, denn er wolle ihn umbringen. 
Sie kehrten also wieder um, und da sie das Bett auf- 
deckten und den von Davids Gattin angezettelten Betrug 
wahrnahmen, brachten sie dem Könige darüber Nach- 
richt. Dieser machte seiner Tochter Vorwürfe darüber, 
dass sie einen Feind gerettet, ihren Vater aber betrogen 
habe. Da erdachte sie sich folgende glaubwürdige Ent- 
schuldigung. Sie sagte, David habe sie mit dem Tode 
bedroht, und so habe die Furcht sie veranlasst, sich um 
seine Errettung zu bemühen. Es gebühre ihr dafür 
Nachsicht, da sie es nur aus Not und nicht freiwillig 
gethan habe. „Ich glaube auch nicht,“ fügte sie hinzu, 
„dass dir ebenso viel an dem Tode deines Feindes als 
an meiner Errettung liegen sollte.“ Saul verzieh darauf 
seiner Tochter; David aber begab sich auf der Flucht 
nach Arroatha zum Propheten Samuel, erzählte ihm die 
Nachstellungen des Königs und dass, nicht viel gefehlt 
hätte, so wäre er von ihm mit dem Speere durchbohrt 
worden, obgleich er doch niemals etwas Böses gegen ihn 




860 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


an gestiftet, sich auch vor dem Feinde nie feige benommen, 
vielmehr mit Gottes Hilfe stets glücklich gekämpft 
habe. Aber eben das war die Ursache des Hasses, den 
Saul gegen David hegte. 

5. Als der Prophet vernommen hatte, wie ungerecht 
der König gegen David verfuhr, verliess er Armatha 
und hegab sich mit David nach Gabatha, wo er mit ihm 
sich eine Zeitlang aufhielt. Sobald aber Saul davon 
Kunde erhielt, schickte er Diener dorthin mit dem Be- 
fehle, den David zu ergreifen und zu ihm zu führen. 
Diese aber gerieten nach ihrer Ankunft in eine Propheten- 
versammlung, wurden vom Geiste Gottes erfüllt und 
fingen an zu weissagen. Darauf schickte Saul andere 
Diener, um den David festzunehmen, und als diesen das- 
selbe begegnete, schickte er wieder andere. Und da auch 
diese weissagten, geriet er in Zorn und eilte selbst dort- 
hin. Er war aber nicht mehr weit von dem Orte ent- 
fernt, als Samuel ihn erblickte und auch ihn zum Pro- 
pheten machte. Als nun Saul zu ihm kam, ward er 
heftig vom Geiste bewegt, sodass er seiner selbst nicht mehr 
mächtig war. Er zog seine Kleider aus und lag so den 
ganzen Tag und die Nacht hindurch auf dem Boden 
hingestreckt vor den Augen Samuels und Davids. 

6. Von da ging David zu Jonathas, dem Sohne Sauls, 
erzählte auch ihm von den Nachstellungen seines Vaters 
und dass Saul ihm eifrigst nach dem Leben trachte, ob- 
wohl er ihm doch nie ein Unrecht oder Leid zuge- 
fügt habe. Dieser aber bat ihn, er möge weder seinem 
eigenen Verdachte, noch den Verleumdungen anderer 
nachgeben, sondern nur ihm vertrauen. Denn sein Vater 
habe durchaus keine derartigen Absichten gegen ihn ; 
er würde es dann doch gewiss auch ihm mitgeteilt haben, 
da er alles nur in ihrem beiderseitigen Einvernehmen 
thue. David aber schwur, es verhalte sich doch so, 
und bat ihn , er möge davon überzeugt sein und lieber 
an seine Errettung denken, statt die Wahrheit seiner 
Worte anzuzweifeln und erst dann daran zu glauben, 
wenn er sehen oder hören werde, dass er schon umge- 




Sechstes Buch, 1 1 . Kapitel. 


361 


bracht sei. Er fügte hinzu, sein Vater wolle ihm wohl 
deshalb nichts davon mitteilen, weil ihm ihre freund- 
schaftliche Zuneigung nicht unbekannt sei. 

7. Jonathas, dem so die Wahrheit über Sauls Ab- 
sichten beigebracht wurde, betrübte sich darüber sehr 
und fragte den David, ob er etwas für ihn thun könne. 
David erwiderte: „Ich weiss, dass du mir gern alles zu 
Gefallen thust. Morgen ist Neumond, und ich pflege 
an diesem Tage mit dem Könige zu speisen. Hältst du 
es nun für ratsam, so will ich mich aus der Stadt be- 
geben und mich auf dem Lande verbergen. Fragt dann 
der König nach mir, so sage ihm, ich sei mit deiner 
Erlaubnis nach meiner Vaterstadt Bethleem gegangen, 
weil dort mein Stamm ein hohes Fest feiert. Wenn er 
dann, wie man seinen Freunden beim Antritt einer Reise 
zu thun pflegt, mir glückliche Reise wünscht, so kannst 
du daraus schliessen, dass er keine bösen und feindlichen 
Absichten gegen mich hat. Antwortet er aber anders, 
so magst du daraus entnehmen, dass er etwas gegen 
mich im Schilde führt. Dann wirst du mir die Ge- 
sinnung deines Vaters kundthun, und zwar einesteils 
aus Barmherzigkeit, andernteils wegen der Freundschaft, 
die ich dir, und die du als Herr mir, deinem Knechte, 
erwiesen hast. Glaubst du aber, ich hätte irgend etwas 
Böses begangen , so komm deinem Vater zuvor und töte 
mich selbst.“ 

8. Jonathas, den die letzten Worte in Bestürzung 
versetzten, versprach ihm, alle seine Wünsche zu erfüllen 
und, wenn der Vater sich hart und gehässig über ihn 
auslassen würde, ihm dies mitzuteilen. Und damit er 
ihm um so mehr vertraue, führte er ihn hinaus ins Freie 
und bekräftigte hier unter einem Eidschwur, dass er 
nichts unversucht lassen wolle, was David zum Vorteil 
dienen könne. Er sprach : „Diesen Gott, von dem du 
weiset, dass er gross und allgegenwärtig ist und dass er 
meine Gedanken kennt, noch ehe ich sie ausgesprochen 
habe, rufe ich zum Zeugen de6 Bundes an, den ich mit 
dir schliesse, und dass ich nicht unterlassen werde, die 




362 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

Gesinnung meines Vaters gegen dich auf jede Art zu er- 
forschen, bis ich erfahre, ob irgend eine böse Absicht in 
seinem Herzen schlummert, auch dass ich dich davon in 
Kenntnis setzen werde, sei er nun gegen dich wohl- oder 
übelgesinnt. Gott weiss auch, dass ich stets zu ihm für 
dich um seine Gnade flehe. Wie er jetzt mit dir ist, so 
wird er dich auch in Zukunft nicht verlassen und dir 
auch dann den Sieg verleihen, wenn mein Vater und 
selbst ich gegen dich sein sollten. Du aber gedenke 
dieses meines Schwurs, und wenn ich sterben sollte, so 
nimm dich meiner Kinder an und vergilt ihnen, was 
du mir schuldest/* Als er diesen Schwur geleistet, hiess 
er den David sich an einen versteckten Ort auf dem 
Felde begeben, wo Jonathas seine Leibesübungen vor- 
zunehmen pflegte. Sobald er seines Vaters Gesinnung 
kenne, werde er dorthin nur in Begleitung eines Knaben 
kommen. „Wenn ich nun,“ fuhr er fort, „drei Wurf- 
speere zur Zielscheibe entsende und dem Knaben befehle, 
dass er sie holen solle (sie werden nämlich gerade vor 
ihm liegen), so kannst du es für sicher halten, dass du 
von meinem Vater nichts zu befürchten hast. Hörst du 
mich aber gerade das Gegenteil sagen, so hast du auch 
das Gegenteil vom Könige zu erwarten. Auf alle Fälle 
werde ich für deine Sicherheit sorgen , sodass dir kein 
Leid widerfahren wird. Kommen dann bessere Zeiten, 
so sei dessen eingedenk und lass dir die Sorge für meine 
Kinder angelegen sein.“ Als David diese Versicherungen 
von Jonathas erhalten hatte, ging er nach dem verab- 
redeten Orte. 

9. Am folgenden Tage, da gerade Neumond war, be- 
gab sich Saul, nachdem er die gewohnte Reinigung vor- 
genommen hatte, zum Mahle. Und da zu seiner. Rechten 
Jonathas , zu seiner Linken aber sein Feldherr Abener 
Platz genommen, und er den Platz Davids leer fand, 
schwieg er zunächst, weil er vermutete, dieser sei noch 
nicht rein vom Umgang mit seinem Weibe. Als er 
aber auch am Tage nach dem Neumond noch nicht zur 
Stelle war, fragte Saul seinen Sohn Jonathas, warum 




Sechstes Buch, 11. Kapitel. 


363 


der Sohn Jesses sowohl gestern als auch heute dem 
Mahle fern geblieben sei. Dieser antwortete, er sei einer 
Verabredung gemäss und mit seiner Erlaubnis in seine 
Vaterstadt gegangen, wo sein Stamm ein Fest feiere, 
und er habe auch ihn zum Opfer eingeladen. „Und 
wenn du mir dies erlaubst,“ fuhr er. fort, „mochte ich zu 
ihm reisen, denn du kennst meine grosse Liebe zu ihm.“ 
Da nun sollte Jonathas kennen lernen, w r ie feindselig 
sein Vater gegen David gesinnt war. Denn Saul brauste 
in seinem Zorne auf, schimpfte über ihn, nannte ihn 
einen Sohn von Flüchtlingen und seinen Feind und 
sagte, er sei ein Genosse und Helfershelfer Davids; er 
scheue weder ihn noch seine Mutter, da er eine solche 
Gesinnung hege, und wolle nicht einsehen, dass, so 
lange David lebe, die Königsherrschaft ihnen nicht 
sicher sei. Darum solle er ihn herbeiholen lassen, da- 
mit er seine Strafe erleide. Als aber Jonathas fragte, 
was er denn verbrochen habe, dass Saul so erbittert 
gegen ihn sei, liess dieser seinen Zorn nicht nur mehr 
in Worten und Schimpfreden aus, sondern ergriff einen 
Speer und drang auf Jonathas ein, um ihn zu töten. 
Er vollführte nun zwar diese That nicht, da seine 
Freunde ihn daran hinderten; aber seinem Sohne konnte 
es nicht mehr zweifelhaft sein , dass er den David mit 
grimmigem Hasse verfolge und ihn umzubringen beab- 
sichtige; habe er doch beinahe um Davids willen seinen 
Sohn mit eigener Hand getötet. 

10. Hierauf schlich sich Jonathas von der Tafel weg, 
da er vor Leid keine Speise mehr anrühren konnte. 
Die Nacht brachte er schlaflos und mit Weinen zu, weil 
nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr geschwebt, son- 
dern auch weil für David der Tod unabwendbar er- 
schien. In der Frühe aber ging er vor die Stadt aufs 
Feld, dem Scheine nach, um sich dort zu üben, in Wahr- 
heit jedoch, um seinem Freunde mitzuteilen, wie der 
Vater gegen ihn gesinnt sei. Und als er alles nach 
Verabredung gethan hatte, schickte er den ihn beglei 1 
tenden Knaben in die Stadt zurück; er selbst aber be- 



864 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


gab sich zu David , um mit ihm allein zu sprechen. 
David hatte ihn kaum erblickt, als er ihm zu Füssen 
fiel und ihn den Retter seines Lebens nannte. Jonathas 
aber hiess ihn aufstehen, und sie umarmten sich beide, 
küssten sich lange und unter Schluchzen und beklagten 
ihre Jugend, den Hass, der ihre Freundschaft verfolge, 
und ihre zukünftige Trennung, die ihnen nichts anderes 
als der Tod selbst zu sein schien. Endlich ermannten 
sie sich von ihrer Trauer, schwuren sich gegenseitig, 
dass sie einander gedenken wollten und trennten sich 
sodann. 


Zwölftes Kapitel. 

David kommt auf der Flucht zu Achimelech, dann 
zu den Königen der Palaestiner und Moabiter. Saul 
bringt den Achimelech nebst seinen Verwandten um. 

i 

1. Auf der Flucht vor dem Könige, der ihm den 
Untergang an gedroht hatte, kam David in die Stadt 
Naba zu dem Priester Achimelech. Dieser verwunderte 
sich sehr, als er ihn so ohne Freund und Diener kommen 
sah und fragte ihn, weshalb er niemand mitgebracht 
habe. David entgegn ete, der König habe ihm einen ge- 
heimen Auftrag erteilt, zu dessen Ausführung er keines 
Begleiters bedürfe; doch habe er seinen Dienern befohlen, 
dort mit ihm zusammenzutreffen. Weiterhin bat er ihn 
um etwas Proviant, durch dessen Gewährung er ihm einen 
Freundschaftsdienst erweisen und das Geschäft unter- 
stützen werde. Als ihm dieser verabfolgt worden war, 
ersuchte er auch noch um ein Schwert oder einen Speer, 
die gerade zur Hand seien. Zufällig nun war auch ein 
Diener Sauls zugegen, ein Syrer Namens Doek, der des 
Königs Maultiere hütete. Der Hohepriester erwiderte 
übrigens, er besitze keine Waffen ausser dem Schwerte 
des Goliath, das er nach der Tötung des Palaestiners 
Gott geweiht habe. 



Sechstes Buch, 1 2. Kapitel. 


365 


2. Dieses Schwert nahm David an sich und floh aus 
dem Gebiete der Hebräer in die Palaestinerstadt Gitta, 
wo der König Anchus regierte. Die Diener des Königs 
aber erkannten ihn und meldeten ihrem Herrn, David 
sei da, der so viele tausend Palaestiner umgebracht habe. 
Da nun David fürchtete, er möchte hier in dieselbe Ge- 
fahr geraten, der er bei Saul entflohen war, und es möchte 
sein Leben nicht sicher sein, gebärdete er sich wie wahn- 
sinnig, schäumte mit dem Munde und stellte sich an wie 
ein Verrückter, um den König der Gittenser glauben zu 
machen, er leide an einer solchen Krankheit. Dieser 
geriet in Zorn darüber, dass seine Diener einen geistes- 
kranken Menschen ihm zuführten, und befahl ihnen, Da- 
vid so rasch wie möglich hinauszuwerfen. 

3. So entkam David aus Gitta und begab sich weiter 
in den Stamm Judas, hielt sich hier in einer Höhle 
nahe bei der Stadt Adullama auf und schickte zu seinen 
Brüdern, um ihnen sagen zu lassen, wo er sich befinde. 
Diese begaben sich mit ihrer ganzen Verwandtschaft zu 
ihm, und auch viele andere, die Not litten oder sich vor 
dem Könige Saul fürchteten, strömten bei ihm zusammen 
und erboten sich zu jedem Dienste, den er von ihnen 
verlangen würde. Es waren dies gegen vierhundert Mann. 
David fasste nun wieder Vertrauen, weil seine Anhänger 
sich mehrten und Hilfe ihm zu teil wurde, verliess diesen 
Ort und begab sich zum Könige der Moabiter, den er 
bat, er möge seine Eltern in das Land aufnehmen und 
ihnen Schutz gewähren, bis er über sein zukünftiges 
Geschick im reinen sei. Der König erfüllte ihm diese 
Bitte und hielt die Eltern Davids, so lange sie bei ihm 
weilten, in hohen Ehren. 

4. David selbst verliess auf Befehl des Propheten 
die Wüste und wohnte im Stamme Judas, wo er in der 
Stadt Sara sich aufhielt. Als Saul gehört hatte, David sei 
mit einem grossen Gefolge gesehen worden, geriet er in 
Furcht und Bestürzung. Denn da er Davids Tapfer- 
keit und Selbstbewusstsein kannte, argwöhnte er, es 
möchte ihm etwas von seiner Seite zustossen, das ihn 




366 


Joseplius* Jüdische Altertümer. 


in Trauer und Kummer bringen würde. Er versammelte 
daher seine Freunde, seine Heerführer und den ganzen 
Stamm, aus dem er war, auf dem Berge, wo er seinen 
Königssitz hatte, setzte sich an eine Stelle, die Arura 
hiesB, und sprach, umgeben von seinen Höflingen und 
seiner Leibwache, also zu ihnen: „Ich weiss wohl, ihr 
Stammesgenossen, dass ihr euch meiner Wohlthaten noch 
erinnert, als ich euch zu Herren von Ländereien ge- 
macht und euch zu Amt und Würden gebracht habe. 
Ich frage euch nun, ob ihr noch mehr und grössere Ge- 
schenke von dem Sohne des Jesse erwartet, denn ich 
habe erfahren, dass ihr alle zu ihm hinneigt, da selbst 
mein Sohn Jonathas eifrig für ihn wühlt und euch ihm 
günstig stimmen will. Auch ist es mir nicht unbekannt, 
dass er mit David unter Eidschwur ein Bündnis ge- 
schlossen hat, und dass er mit Rat und That die An- 
schläge unterstützt, die gegen mich im Werke sind. 
Doch ihr kümmert euch nicht darum, sondern wartet 
ruhig ab, was weiter geschehen wird.“ Als der König 
geendet hatte und niemand von den Anwesenden das 
Wort ergriff, sagte der Syrer Doek, der Hüter der könig- 
lichen Maultiere, er habe gesehen, wie David in die 
Stadt Naba zum Hohepriester Achimelech gekommen 
sei, sich von ihm die Zukunft habe verkünden lassen 
und Proviant, das Schwert des Goliath sowie sicheres 

Geleit bis an sein Reiseziel erhalten habe. 

\ 

5. Saul Hess darauf den Hohepriester und dessen 
ganze Familie zu sich kommen und sprach zu ihm: 
„Was hast du Übles von mir zu leiden gehabt, dass du 
den Sohn des Jesse, der nach meiner Königswürde strebt, 
bei dir aufnahmst und ihn mit Mundvorrat und Waffen 
versorgtest? Es war dir doch nicht unbekannt, dass er 
vor mir geflohen ist und mein Haus hasst !“ Der Hohe- 
priester leugnete das Geschehene nicht ab, sondern be- 
kannte offen, dass er dem David behilflich gewesen 
sei; doch habe er das nicht diesem, sondern ihm, dem 
Könige, zu Gefallen gethan. „Ich habe nämlich,“ sagte 
er, „nicht gewusst, dass er dein Feind sei, vielmehr ihn 



Sechstes Buch, 12. Kapitel. 


367 


für deinen treuesten Diener und, was noch mehr heissen 
will, für deinen Schwiegersohn und Verwandten gehalten. 
Denn diese Ehre pflegt man doch nicht seinen Feinden 
zu erzeigen, sondern solchen, denen man sein Wohlwollen 
bekunden will. Geweissagt habe ich ihm aber jetzt nicht 
zum erstenmal, sondern auch früher schon öfters und 
an anderen Orten. Und da er angab, er sei von dir 
mit einem eiligen Geschäfte beauftragt worden, so glaubte 
ich, wenn ich ihm sein Begehren abschlug, mehr dir als 
ihm mich ungefällig zu erzeigen. Du brauchst also 
nicht übel von mir zu denken , noch, wenn du von An- 
schlägen Davids hörst, meine Freundlichkeit gegen ihn 
zu verdächtigen. Denn deinem Freunde, Schwiegersohn 
und Kriegsobersten habe ich dieselbe erwiesen, nicht 
aber deinem Feinde.“ 

6. Saul liess sich indes durch diese Worte des Hohe- 
priesters nicht überreden, sondern seine Furcht war so 
stark, dass er selbst gerechte Entschuldigungen nicht 
glauben wollte. Er befahl daher den Bewaffneten, die 
ihn umgaben, jenen samtseinen Verwandten umzubringen. 
Da diese aber nicht wagten > an den Hohepriester Hand 
zu legen, und sich mehr scheuten, Gott zu beleidigen, 
als dem Könige den Gehorsam zu versagen, befahl er 
dem Syrer Doek, den Mord zu vollziehen. Dieser nahm 
noch andere Verbrecher zu sich und tötete den Achi- 
melech und dessen Verwandtschaft, im ganzen 
dreihundertfünfundachtzig Personen. Alsdann schickte 
Saul Häscher nach der Priesterstadt Naba, liess alle 
Einwohner einschliesslich der Fraüen und Kinder, sowie 
Leute von jedem Alter umbringen und die Stadt durch 
Feuer zerstören. Nur einer von Achimelechs Söhnen 
mit Namen Abiathar blieb am Leben. So erfüllte sich, 
was Gott dem Hohepriester Eli verkündet hatte, dass 
nämlich wegen der Frevelthaten seiner beiden Söhne 
seine ganze Nachkommenschaft untergehen werde. 

7. An dieser grausamen That des Königs Saul, der 
ein ganzes Priestergeschlecht mit dem Schwerte um- 
bringen liess und weder Kind noch Greis verschonte. 




368 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und der auch die Stadt, welche Gott zur Heimat und Heran- 
bildung von Priestern und Propheten bestimmt hatte, 
von Grund aus zerstören liess, kann man so recht der 
Menschen wahre Natur erkennen. Denn so lange sie sich 
im Privatleben befinden und mit Glücksgütern nicht ge- 
segnet sind, sind sie gut und bescheiden, weil sie ihrem 
Naturtrieb nicht folgen können und nicht nach Willkür 
zu schalten wagen. Auch verlegen sie sich dann mit 
allem Eifer auf die Förderung der Gerechtigkeit, da sie 
überzeugt sind, dass Gott an allem Anteil nimmt, was 
die Menschen thun, und dass er nicht nur gegenwärtige 
Werke, sondern auch schon lange vorher die Gedanken 
durchschaut, aus denen diese entstehen. Sobald sie da- 
gegen zu Macht und Würde gelangt sind, legen sie alle 
ihre Sitten und Gebräuche, wie der Schauspieler die 
Maske, ab und kehren Waghalsigkeit, Übermut und Ver- 
achtung aller göttlichen und menschlichen Einrichtungen 
hervor. Und obwohl es ihnen dann am besten anstände, 
sich der Frömmigkeit und Gerechtigkeit zu befleissigen, 
da ihre Gedanken und Werke der allgemeinen Auf- 
merksamkeit ausgesetzt sind, benehmen sie sich in allen 
Stücken so übermütig, als ob Gott sie nicht mehr sehe 
oder sogar sich vor ihrer Macht ängstige. Und wenn sie 
dann auf irgend ein Gerücht hin etwas fürchten oder 
hassen oder auch, wenn es ihnen so passt, unvernünftig 
lieben, so meinen sie, das sei erprobt, wahr und Gott 
wie den Menschen wohlgefällig. An die Zukunft aber 
denken sie nicht und ehren zunächst die, die für sie schwere 
Mühen bestanden haben, später aber beneiden sie die- 
selben. Ja, wenn sie jemand zu einer hohen Würde 
verholfen haben, nehmen sie ihm diese nicht nur 
später wieder, sondern trachten ihm auch wegen der- 
selben nach dem Leben, und das infolge bösartiger und 
verleumderischer Anschuldigungen, die so ungeheuerlich 
sind, dass man sie kaum glauben mag. Strafwürdige 
Vergehen aber ahnden sie nicht, wüten vielmehr ohne 
jede Untersuchung und blos auf Verleumdungen und 
falsche Anschuldigungen hin nicht etwa gegen die, bei 




Sechstes Buch, IS. Kapitel. 


369 


welchen es erforderlich ist, sondern gegen wen sie eben 
können, sogar durch Verhängung der Todesstrafe. Alles 
das hat Saul, der Sohn des Kis, der zuerst die 
Hebräer als König regierte, nachdem die Herrschaft der 
"Vornehmsten und die Regierungsform der Richter ab- 
geschafft waren, uns klar bewiesen, da er dreihundert 
Priester und Propheten wegen seines Verdachtes gegen 
den Achimelech töten, die Stadt derselben von Grund 
aus zerstören liess und das Heiligtum Gottes seiner 
Priester und Propheten beraubte, auch nicht einmal ihre 
Heimatstadt verschonte, wo nach ihnen andere hätten 
ausgebildet werden können. 

8. Abiathar, der Sohn des Achimelech, der allein von 
dem Priesterstamme übrig blieb, floh zu David und 
meldete ihm das Unglück, das die Seinen betroffen, ins- 
besondere auch den Tod seines Vaters. Dieser sagte 
ihm, er habe, nachdem er den Doek gesehen, gewusst, 
dass ihnen so etwas zustossen würde; denn es sei ihm 
gleich der Verdacht aufgestiegen, dieser würde den Hohe- 
priester beim Könige anschwärzen. Sich selbst aber 
klagte er darüber an, dass er indirekt ein so grosses 
Unglück verschuldet habe. Dann forderte er den Abi- 
athar. auf , bei ihm zu bleiben, da er nirgendwo anders 
sich so gut verborgen halten könne. 


Dreizehntes Kapitel. 

Wie David den Saul zweimal verschonte, obwohl er ihn 
vernichten konnte. Samuels und Nabals Tod. 

1. Um diese Zeit erbot sich David, als er vernommen 
hatte, die Palaestiner seien in das Land der Killaner 
eingefallen und hätten dasselbe verwüstet, ein Heer 
gegen sie zu führen, wofern Gott, den er durch den Pro- 
pheten um Rat fragen liess, ihm den Sieg verheissen 
würde. Und da Gott den Sieg wirklich in Aussicht 
stellte, griff er mit seiner Streitmacht die Palaestiner an, 

Josephus’ Jüdische Altertümer. 24 



370 


Josephua’ Jüdische Altertümer. 


bereitete ihnen eine gewaltige Niederlage, machte grosse 
Beute und verblieb dann bei den Killanem, bis sie ihr 
Getreide von der Tenne nach Hause gebracht hatten. 
Sein Aufenthalt daselbst aber wurde dem Saul hinter- 
bracht. Denn dass sein Unternehmen einen so glück- 
lichen Erfolg gehabt, konnte nicht bloss in dem Lande, 
wo dasselbe stattgefunden, bekannt sein; vielmehr ver- 
breitete sich der Ruf davon weithin und kam so auch 
dem Könige zu Ohren. Saul freute sich sehr, als er 
hörte, dass David in Killa sei, da er glaiibte, Gott habe 
ihn in seine Gewalt gegeben, weil er ihn in eine mit 
Mauern, Thoren und Riegeln wohlverwahrte Stadt ein- 
geschlossen habe. Er befahl daher dem gesamten Kriegs- 
volke, Killa anzugreifen, den David gefangen zu nehmen 
und ihn umzubringen. Als aber David von Gott ver- 
nahm, die Killaner würden ihn, wenn er bei ihnen bleibe, 
dem Saul ausliefern, flüchtete er sich mit vierhundert 
Männern aus der Stadt und begab sich in eine Wüste 
oberhalb Engedain. Nachdem nun Saul vernommen, 
dass David den Kilian ern entschlüpft sei, stellte er 
den Kriegszug gegen ihn ein. 

2. David gelangte von da zu einem Orte im Lande 
der Ziphener mit Namen Kaina („die Neue"), wo Sauls 
Sohn Jonathas ihn besuchte und begrüsste. Er ermahnte 
ihn, gutes Muts zu sein, von der Zukunft das Beste zu 
hoffen und sich durch die gegenwärtigen Übel nicht 
wankend machen zu lassen. Denn er werde König 
sein und die gesamte Truppenmacht der Hebräer unter 
seinem Oberbefehl haben ; so erhabene Dinge pflege 
man aber nicht ohne grosse Anstrengungen zu erringen. 
Darauf schwur er ihm nochmals, er werde die Treue 
und Freundschaft, die zwischen ihnen bestehe, in Zu- 
kunft pflegen, und rief Gott zum Zeugen des Fluches 
an, den er sich selbst androhte für den Fall, dass er 
ihr Bündnis verletzen würde. Und nachdem er ihn so 
getröstet und von Furcht und Kummer befreit hatte, 
verliess er ihn und begab sich wieder nach Hause. Die 
Ziphener aber Hessen dem Saul, um sich seiner Gunst 




Sechstes Buch, 13. Kapitel. 


S71 


zu versichern, melden, dass David sich bei ihnen auf- 
halte, und dass sie ihn ausliefern wollten, falls er sich 
zu ihnen bemühen wolle. Denn wenn man den Engpass 
von Ziphene besetze, könne er nicht entwischen. Der 
König lohte ihren Eifer, versprach ihnen für die Anzeige 
seinen Dank, den er ihnen in kurzem erstatten werde, 
und schickte Häscher ab, um den David aufzusuchen; 
er selbst wolle ihnen bald nachfolgen. Diese beeilten 
sich, den David vor der Ankunft des Königs festzu- 
nehmen, da sie sich ein Anrecht auf seine Dankbarkeit 
nicht nur durch die Anzeige sichern wollten, sondern 
auch dadurch, dass sie den David in seine Hände 
lieferten. Obgleich sie jedoch ihren Eifer für Saul be- 
weisen und ihm sich besonders gefällig erzeigen wollten, 
indem sie den Liebling Gottes dem Tode zu überant- 
worten und ihn dem Könige auszuliefern versprachen, 
schlug ihr boshaftes Vorhaben dennoch fehl. Als nämlich 
David von dem hinterlistigen Anschläge der Ziphener 
und der Ankunft des Königs Kunde erhalten hatte, ver- 
liess er durch den Engpass die Gegend und floh auf 
einen hohen Felsen in der Wüste Maon. 

3. Saul aber eilte dem David nach, und da er unter- 
wegs hörte, David sei glücklich durch den Engpass ent- 
wischt, begab er sich auf die andere Seite des Felsens. 
Da aber rief ihn, als er nahe daran war, den David ge- 
fangen zu nehmen, das Gerücht ab, die Palaestiner 
hätten wiederum einen Einfall in das Gebiet der Hebräer 
unternommen. Er marschierte also wieder zurück und 
gegen dieselben, denn er hielt es für besser, deren Frech- 
heit zu strafen, als das Land ihrer Gewalt zu überlassen, 
während er einem persönlichen Feind nachjage. 

4. So wurde David unverhofft aus der Gefahr 
befreit und begab sich wieder in die Schluchten von 
Engedain. Nachdem die Palaestiner nun vertrieben 
waren, erhielt Saul die Nachricht, David halte sich im 

* Gebiete der Engedainer auf. Und sogleich begab er sich 
mit einer auserlesenen Schar von dreitausend Bewaffneten 
dorthin. Als er nicht mehr weit von dem Orte entfernt 

24 * 




372 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


war, erblickte er nahe bei der Strasse eine tiefe Hohle 
von grosser Länge und Breite, in der sich zufällig David 
mit vierhundert Mann verborgen hielt. Und da er 
gerade ein Bedürfnis zu verrichten hatte, trat er allein 
in die Höhle ein. Einer von Davids Begleitern aber 
hatte ihn erblickt und meldete dem David, jetzt biete 
ihm Gott eine Gelegenheit, sich an seinem Feinde zu 
rächen; er solle dem Saul den Kopf abschlagen und- 
sich so von seinem ruhelosen Umherirren und seiner 
Not befreien. David erhob sich darauf, schnitt aber dem 
Saul nur einen Zipfel des Gewandes ab, welches er trug; 
denn sogleich erfasste ihn Reue, und er meinte, es sei 
ungerecht, seinen Herrn zu töten, zumal denjenigen, den 
Gott zur Königswürde erhoben habe. Wenn derselbe 
gegen ihn auch übelgesinnt sei , so sei es doch ein 
Frevel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Als nun 
Saul wieder aus der Höhle hervortrat, eilte David ihm 
nach und rief ihm zu, er möge ihn doch anhören. Der 
König blickte zurück, und David fiel auf sein Angesicht 
nieder, wie es bei Ehrenbezeugungen Sitte war, und sprach: 
„O König, es steht dir schlecht an, böswilligen und ge- 
haltlosen Verleumdungen dein Ohr zu leihen und zuzu- 
lassen, dass diejenigen verdächtigt werden, denen du als 
deinen wahren Freunden Glauben schenken kannst 
Denn Reden täuschen sehr leicht, während man aus den 
Werken die wahre Gesinnung erkennt Worte können 
wahr und falsch sein, Thaten allein offenbaren die Seele, 
wie sie ist. Aus meinen Thaten aber kannst du entnehmen, 
wie gut ich es mit dir und deiner Familie meine, und 
dass diejenigen dies nicht thun, die mir Thaten zur Last 
legen, welche ich weder ausdenken noch vollführen kann, 
obgleich du fortfährst, gegen mich erbittert zu sein, und 
Tag und Nacht auf nichts anderes sinnst, als wie du 
mich ums Leben bringen könntest. Das ist ungerecht 
von dir. Wie kannst du in einem solchen Irrtum be- 
fangen sein, als ob ich dich umbringen wollte? Und* 
wie kannst du so gegen Gott freveln, dass du mich 
töten willst, da ich mich heute an dir rächen konnte 




Sechstes Buch, 13. Kapitel. 


378 


und dich dennoch verschonte? Denn hätte ich dein 
Verderben gewollt, so würdest du mir nicht entschlüpft 
sein, und wie ich dir einen Zipfel deines Gewandes ab- 
schnitt, hätte ich dir auch ebenso leicht das Haupt ab- 
echlagen können.“ Zur Bestätigung seiner Aussage 
zeigte hier David den Tuchlappen vor. „Ich habe mich 
aber,“ fuhr er dann fort, „gerechter Rache gegen dich 
enthalten; du dagegen scheust dich nicht, mich mit un- 
versöhnlichem Hass zu verfolgen. Möge Gott zwischen 
uns entscheiden und unseren Wandel prüfen.“ Da ent- 
setzte sich Saul darüber, dass er einer so grossen Gefahr 
entgangen war, und indem er vor Davids Bescheidenheit 
und Edelmut verstummte, seufzte er auf. Das Gleiche 
that David, und Saul hob nun an zu sprechen: „Ich 
habe viel mehr Grund zu seufzen als du; denn du hast 
mir nur Gutes erwiesen, ich aber habe dir nur Übles 
zugefügt. Heute hast du gezeigt, dass in dir die Ge- 
rechtigkeit unserer Vorfahren fortlebt, die ihre in der Wüste 
gefangenen Feinde grossmütig am Leben Hessen. Hieraus 
erkenne ich, dass Gott dir die Königswürde bestimmt 
hat, und dass du über alle Hebräer herrschen wirst. 
Schwöre mir daher, du wollest dann mein Geschlecht 
verschonen und nicht im Hinblick auf meine Un- 
gerechtigkeit meine Kinder dem Verderben weihen, viel- 
mehr mein Haus unter deinen besonderen Schutz 
nehmen.“ David leistete denn auch den verlangten Schwur 
und liess den Saul heimkehren, er selbst aber zog sich 
in die Schluchten des Mastheron-Gebirges zurück. 

5. Um diese Zeit schied der Prophet Samuel aus dem 
Leben. Die grosse Verehrung, welche er bei den Hebräern 
genoss, zeigte sich besonders darin, dass man lange um 
ihn trauerte und jammerte, und dass man seine 
Bestattung und die Leichenceremonien mit grosser Feier- 
lichkeit vollzog. Die Beisetzung fand in seiner Vater- 
stadt Armatha statt, und man beweinte ihn nicht wie in 
öffentlicher Trauer, sondern gerade so, als ob jeder 
einzelne den Verlust erlitten hätte. Von Natur war er 
mit einem besonderen Gerechtigkeitssinne begabt, und 




374 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Gott liebte ihn. Er war nach dem Tode des Hohe- 
priester Eli zwölf Jahre lang alleiniger Vorsteher des 
Volkes gewesen und zugleich mit Saul noch achtzehn 
Jahre lang. 

6. Damals lebte ein reicher, aus der Stadt Emma 
gebürtiger Ziphener, der eine Herde von dreitausend 
Schafen und tausend Ziegen auf der Weide hatte. David 
hatte den Seinigen strengstens anbefohlen, diese Herden 
mit Sorgfalt zu behandeln, und sie sollten sich weder 
aus Habgier, noch aus Not, noch weil sie in der Wüste 
unentdeckt zu bleiben hofften, verleiten lassen, etwas 
davon wegzunehmen. Vielmehr sollten sie letzteres als 
einen Frevel gegen Gott betrachten. Diese Anweisungen 
gab er in der Hoffnung, sich dadurch einem guten und 
rechtschaffenen Manne gefällig erweisen zu können. 
Nabal indes (so hiess der Mann) war im Gegenteil ein 
hartherziger und übelberedeter Mensch, der sein Leben 
in Bosheit verbrachte, aber ein gutes, verständiges und 
dabei schön gestaltetes Weib hatte. Zu diesem Nabal 
schickte David um die Zeit der Schafschur zehn der 
Seinigen, liess ihm seinen Gruss entbieten und zugleich 
den Wunsch aussprechen, er möge noch viele Jahre 
dieses Segens sich erfreuen. Dann liess er ihn bitten, 
Nabal möge ihnen von seinem Überfluss etwas mitgeben, 
zumal er von den Hirten vernommen habe, dass die 
Seinigen, obgleich sie* sich nun schon lange in der 
Wüste aufhielten, ihm keinen Schaden zugefügt, viel- 
mehr seine Hirten und Herden stets beschützt hätten. 
Es werde ihn auch später nicht reuen, dass, er dem 
David etwas mitgeteilt habe. Nabal aber nahm die 
Boten unfreundlich und mürrisch auf. Er fragte sie näm- 
lich, wer David eigentlich sei. Und da er vernahm, jener 
sei ein Sohn des Jesse, entgegnete er: „So eitel denken 
also die von sich, die ihren Herren entlaufen sind und 
sich nun ungebührlich und hochmütig benehmen." Als 
das dem David gemeldet wurde, geriet er in Aufregung, 
hiess vierhundert Bewaffnete ihm folgen, während er 
zweihundert zur Bewachung der Bagage zurückliess 



Sechstes Buch, IS. Kapitel. 


375 


(denn er hatte schon eine Schar von sechshundert Mann 
um sich), und rückte gegen Nabal aus, indem er schwur, 
er werde noch in derselben Nacht Nabals Haus und all 
sein Eigentum zerstören. David nämlich war nicht bloss 
deshalb über ihn erbittert, weil er sich so undankbar ge- 
zeigt, obgleich sie ihm mit grosser Freundlichkeit ent- 
gegengekommen waren, sondern auch darum, weil er sie 
noch obendrein geschmäht, obwohl sie ihm nichts Böses 
zugefügt hatten. 

7. Einer der Hirten Nabals aber erzählte seiner 
Herrin, dass David von ihrem Gatten einen Gefallen 
begehrt habe, von ihm indes mit Schmähreden beleidigt 
worden sei, obgleich doch David seine Herde beschützt 
und sich so besonders gütig gegen ihn gezeigt habe; das 
könne aber ihrem Herrn von Nachteil sein. Als Abigaea 
(so hiess die Frau) dies erfuhr, liess sie ihre Esel 
satteln und mit allerlei Geschenken beladen und begab 
sich, ohne ihrem Manne, der sinnlos betrunken war, ein 
Wort davon zu sagen, auf den Weg zu David. In 
einem Engpass begegnete ihr dieser, der mit vierhundert 
Bewaffneten sich auf dem Marsche gegen Nabal befand. 
Das Weib war seiner kaum ansichtig geworden, als 6ie 
von ihrem Esel herabsprang, auf ihr Angesicht fiel und 
ihn flehentlich bat, er möge doch der Worte Nabals 
nicht mehr gedenken, denn dieser sei thatsächlich so 
unvernünftig, wie sein Name besage (in hebraeischer 
Sprache bedeutet Nabal „Thorheit“). Sie selbst aber 
entschuldigte sich damit, sie habe keinen seiner Boten 
gesehen. „Daher bitte ich dich/ 4 fuhr sie fort, „mir zu 
verzeihen und Gott dafür zu danken, dass er dich ab- 
hält, deine Hände mit Menschenblut zu beflecken. Denn 
jener wird seiner Strafe doch nicht entgehen, wenn auch 
du dich vom Morde rein hältst; und zwar wird er 
seine Strafe von denen erhalten , die dir übel wollen. 
Auch wird das Unglück, das seiner harrt, auf 
die Häupter deiner Feinde zurückfallen. Darum bitte 
ich dich , nimm diese Geschenke wohlgefällig an und 
lass deinen Zorn gegen meinen Gatten und sein 




376 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Haus fahren. Denn es geziemt dir wohl, Langmut und 
Menschenfreundlichkeit zu üben, da du zur Königswürde 
bestimmt bist.“ David nahm die Geschenke an und 
sprach: „Gottes Gnade hat es gefügt, o Weib, dass du 
mir heute begegnetest, sonst würdest du den morgigen 
Tag nicht erlebt haben. Denn ich hatte geschworen, 
noch in dieser Nacht das Haus Nabals zu zerstören und 
niemand von der Familie des boshaften und undank- 
baren Menschen am Leben zu lassen. So bist du mir 
also durch Gottes Fürsorge so rechtzeitig begegnet, dass 
du meinen Zorn noch beschwichtigen konntest. Wenn aber 
Nabal auch jetzt durch dich seiner Strafe entgangen 
ist, so wird er derselben künftig doch verfallen; denn 
seine Bosheit wird ihn bei anderer Gelegenheit schon 
ins Verderben stürzen.“ 

8. Nach diesen Worten liess er das Weib wieder 
heimkehren. Dort fand sie ihren Mann in zahlreicher 
Gesellschaft schmausend, und da er schwer vom Weine 
war, wollte sie ihm das Vorgefallene nicht gleich mit- 
teilen. Am folgenden Tage aber, als er wieder nüchtern 
war, setzte sie ihm alles auseinander und erschütterte 
ihn dadurch so gewaltig, dass seine Kraft dahinschwand 
und sein Körper dem eines Toten glich. Er lebte da- 
nach nur noch zehn Tage. Als nun David von seinem 
Tod Kunde erhielt, meinte er, dass Gott ihn mit Recht 
so gestraft habe, denn Nabal sei durch seine eigene Bos- 
heit umgekommen, ohne dass er selbst nötig gehabt habe, 
seine Hände mit Blut zu beflecken. Er schöpfte daraus 
auch die Lehre, dass alle Bösen von Gott gezüchtigt 
würden, und dass dieser sich um jeden Menschen be- 
kümmere und Gute sowohl wie Böse ganz nach Verdienst 
behandele. Bald darauf liess er das Weib des Nabal zu 
sich kommen, um sie zur Ehe zu nehmen. Diese hielt 
sich zwar einer solchen Ehre für unwürdig; ja sie ver- 
diene nicht, auch nur seine Füsse zu berühren. Dennoch 
kam sie in aller Unterwürfigkeit. Und David nahm sie 
zur Ehe wegen ihrer Bescheidenheit, Ehrbarkeit und 
schönen Gestalt. Vorher hatte David noch eine andere 




Sechstes Buch, 13. Kapitel. 


377 


Gattin genommen, die aus der Stadt Abisar stammte; 
die Michal aber, König Sauls Tochter, welche gleichfalls 
mit David vermählt war, hatte ihr Vater an Pheltias, den 
Sohn des Lis aus der Stadt Gethla, verheiratet. 

9. Nicht lange danach meldeten einige Ziphener dem 
Könige, dass David wieder in ihrem Gebiet sich auf- 
halte, und dass Saul, wenn er kommen wolle, ihn leicht 
gefangen nehmen könne. Saul zog darauf mit drei- 
tausend Mann dorthin und schlug mit Anbruch der 
Nacht sein Lager bei dem Orte Sekela auf. Als aber 
David vernahm, der König ziehe gegen ihn heran, 
sandte er Kundschafter aus, die ihm melden sollten, bis 
wohin Saul schon vorgedrungen sei. Und da er hörte, 
dieser lagere bei Sekela, brach er heimlich des Nachts 
in Begleitung des Abisa, des Sohnes seiner Schwester 
Sarvia, sowie des Chettäers Achimelech auf und schlich 
sich zu Sauls Lager. Während nun Saul nebst dem 
ganzen Kriegsvolke und seinem Heerführer Abener im 
Schlafe lag, schritt er in des Königs Zelt, welches an dem 
daneben aufgesteckten Speer kenntlich war. Doch wagte 
er weder selbst Hand an den König zu legen, noch er- 
laubte er das dem Abisa, der ein besonderes Verlangen 
danach bezeigte. Er hielt ihm vielmehr vor, es sei ein 
schweres Vergehen, den von Gott eingesetzten König zu 
töten, wie schlecht dieser auch sein möge; denn zu be- 
stimmter Zeit werde er seine Strafe von dem erhalten, 
der ihm die Herrschaft verliehen habe. Damit man 
aber merken könne, dass er in der Lage gewesen sei, 
den König zu töten, sich aber dennoch dessen enthalten 
habe, nahm er den Speer und die Wasserflasche, welche 
zufällig neben dem Lager stand, und schlich, ohne 
dass ihn einer bemerkt hätte, weil alle im Schlaf lagen, 
wieder aus dem Lager hinaus, nachdem er alles aus- 
geführt hatte, was er unter dem Schutze der Dunkelheit 
gegen die Kriegsleute des Königs geplant hatte. Dann 
überschritt er einen Bach und stieg auf den Gipfel 
eines Berges, von wo man ihn leichter vernehmen 
konnte. Von hier aus schrie er den Kriegern Sauls und 



878 


Joseph us’ J&dische Altert&mer. 


dem Heerführer Abener laut zu und weckte sie so aus 
dem Schlafe. Und als der Heerführer dies vernahm 
und fragte, wer ihn beim Namen gerufen habe, ant- 
wortete ihm David: „Ich, des Jesse Sohn, der sich vor 
euch hat flüchten müssen. Aber wie kommt es, dass 
du, ein so gewaltiger und beim König in hohen Ehren 
stehender Mann, so nachlässig deinen Herrn bewachst, 
und dass du lieber schläfst, als für sein Heil zu sorgen]? 
Ihr habt den Tod verdient, weil ihr nicht gemerkt 
habt, dass einige von uns in das Lager bis zum 
Könige und seiner Umgebung eingedrungen sind. Sieh 
einmal nach, wo des Königs Speer und seine Wasser- 
flasche sind, und dann wirst du erkennen, was im 
Lager Schlimmes vorgegangen , von euch aber nicht 
bemerkt worden ist." Saul erkannte Davids Stimme, 
und da er einsah, dass er infolge der Nachlässigkeit 
seiner Wächter in Davids Gewalt gewesen, aber dennoch 
verschont geblieben sei, obgleich jener ihn mit vollem 
Recht hätte töten können, stattete er ihm seinen Dank 
ab und ermahnte ihn, er möge doch wieder Vertrauen 
zu ihm haben und nichts Böses mehr von ihm be- 
fürchten, sondern nach Hause zurückkehren. Denn er 
sei jetzt überzeugt, dass er sich selbst nicht so liebe, wie 
er von ihm geliebt werde, da er ihn so oft schon be- 
schützt und ihm Wohlthaten erwiesen habe, obgleich er 
von ihm verfolgt worden sei. Auch habe David ihm zu 
wiederholten malen das Leben gerettet, obgleich er ihn 
von seinen Freunden und Verwandten weg in die Ver- 
bannung getrieben und in die tiefste Bekümmernis 
versetzt habe. David hiess sodann den Saul jemand 
schicken, um seinen Speer nebst der Wasserflasche ab- 
zuholen, und fügte hinzu: „Gott wird einen jeden 
von uns nach seiner Gesinnung und den daraus ent- 
springenden Thaten richten, denn ihm ist es wohl- 
bekannt, dass ich dich heute töten konnte, es aber nicht 
gethan habe.“ 

10. Als Saul so zum zweitenmale den Händen Davids 
entgangen war, kehrte er in seine Königs- und Vater- 




Sechstes Buch, 13. Kapitel. 


879 


Stadt zurück. David aber fürchete, Saul möchte noch 
immer trachten, ihn zu ergreifen, wenn er weiter dort 
verweile, und hielt es daher für geraten, sich nach dem 
Lande der Palaestiner zu begeben. Er zog also mit den 
sechshundert Mann, die er bei sich hatte, zu Anchus, 
dem Könige von Gitta, einer der fünf Palaestiner- 
städte. Anchus nahm ihn und seine Begleiter 
freundlich auf und wies ihnen Wohnungen an, und so 
lebte David zu Gitta nebst seinen beiden Gattinnen 
Achina und Abigaea. Saul, der dies erfuhr, nahm 
davon Abstand, Kriegsleute gegen ihn zu senden, denn 
er war durch die zweimalige Gefahr gewitzigt; hätte doch 
nicht viel gefehlt, dass er selbst in die Hände dessen 
geraten wäre, den er gefangen nehmen wollte. Dem 
David aber gefiel der Aufenthalt in Gitta nicht. Er bat 
deshalb den König, dieser möge ihm, wie er ihn freund- 
lich aufgenommen, jetzt einen ländlichen Ort zum Wohn- 
sitz an weisen, denn er fürchte, durch längeren Aufenthalt 
in der Stadt ihm beschwerlich und lästig zu werden. 
Darauf überliess ihm Anchus ein Dorf mit Kamen 
Sekela, welches David so liebgewann, dass er später, als 
er zur Königswürde gelangt war, es als Privatbesitzung 
besonders pflegte; und ebenso thaten auch seine Nach- 
kommen. Hierüber werde ich mich noch an anderer 
Stelle verbreiten. David verweilte in Sekela vier Monate 
und zwanzig Tage. Während dieser Zeit unternahm er 
heimlich gegen die benachbarten Serriter und Amale- 
kiter Kriegszüge , verwüstete deren Land und machte 
reiche Beute an Zugvieh und Kamelen. Die Menschen 
dagegen verschonte er aus Furcht, es möchte dem Könige 
Anchus angezeigt werden, wenn er sie umgebracht hätte ; 
auch schickte er diesem immer einen Teil der Beute als 
Geschenk zu. Fragte ihn aber der König, welchen 
Feinden er die Beute abgejagt habe, so antwortete er: 
„Den Juden, die gegen Süden und in der Ebene wohnen.“ 
Das glaubte ihm denn auch Anchus, weil er hoffte, David 
werde nun ein Feind seines Volkes bleiben, ihm selbst aber 



380 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


während seines ganzen Lebens dienstbar sein und in 
seinem Lande wohnen. 


Vierzehntes Kapitel. 

Saul bittet, da Gott seinen Rat verweigert, eine Bauch- 
rednerin , ihm die Seele Samuels heraufzubeschwören. 
Niederlage der Hebräer. Saul fällt nebst seinen Söhnen 

in der Schlacht. 

1. Um diese Zeit beschlossen die Palaestiner einen 
neuen Feldzug gegen die Israeliten, und da sie ringsum 
zu ihren Bundesgenossen geschickt hatten, um dieselben 
nach Renga zu bescheiden, von wo aus der gemeinsame 
Vorstoßs gegen die Hebräer erfolgen sollte, bat der 
König der Gitteneer, Anchuß, auch den David, ihm mit 
seiner Mannschaft gegen die Hebräer Hilfe zu leisten. 
David erklärte sich hierzu bereit und sagte, dies sei für 
ihn eine Gelegenheit, seinen Dank für die Wohlthaten, 
die man ihm erwiesen, und für die genossene Gast- 
freundschaft zu erstatten. Um aber seine Bereitwillig- 
keit noch zu steigern, versprach ihm der König, er wolle 
ihn, wenn er siege und der Krieg nach seinem Wunsch 
ausfalle, in seine Leibwache einreihen. 

2. Saul hatte die Wahrsager, Bauchredner und alle, 
die sich mit dergleichen Künsten befassten, aus dem 
Lande gejagt, ausgenommen die Propheten. Als er nun 
erfuhr, dass die Palaestiner im Anmarsch seien und 
nahe bei der Stadt Suna in der Ebene ihr Lager errichtet 
hätten, eilte er ihnen mit seinen Truppen entgegen. 
Nachdem er aber züm Berge Gelboe gekommen war und 
sich dem Feinde gegenüber gelagert hatte, ward er in 
nicht geringen Schrecken versetzt, als er sah, dass der- 
selbe ihm an Zahl und Kräften weit überlegen war. Er 
bat deshalb Gott durch die Propheten um Auskunft 
über den Erfolg des Kampfes. Als aber Gott ihm 
nicht antwortete, geriet er in noch grössere Bestürzung 
und verlor allen Mut, weil er sein Unglück voraussah 




Sechstes Buch, 1 4. Kapitel. 


381 


falls Gott ihm nicht beistehen würde. Er befahl deshalb, 
man solle eine Bauchrednerin aufsuchen, die die Seelen 
der Verstorbenen beschwören könne, damit er von ihr 
erführe, ob seine Sache gut stehe. Die Sippe der 
Bauchredner nämlich bringt die Seelen der Verstorbenen 
herauf und weissagt durch dieselben denen, welche es 
begehren, die Zukunft. Einer der Seinigen meldete ihm 
nun, ein derartiges Weib befinde sich in Endor, und 
nun begab er sich in Verkleidung und ohne Vorwissen 
aller anderen mit nur zweien seiner vertrautesten Diener 
bei Nacht dorthin und bat das Weib, sie möge 
ihm wahrsagen und die Seele dessen herauf beschwören, 
den er ihr nennen werde. Da sie ihm aber seine 
Bitte abschlug und sagte, sie fürchte sich vor dem 
König, der die Wahrsager aus seinem Reiche vertrieben 
habe, und es sei von ihm nicht menschenfreundlich ge- 
handelt, sie hinterlistigerweise zu der verbotenen That 
zu verlocken, die ihr, wenn sie dabei ertappt würde, die 
Todesstrafe zuziehen könne, schwur er ihr, er werde es 
niemand wissen lassen und ihre Prophezeiung niemand 
kundthun, sodass sie nicht im mindesten Gefahr laufen 
würde. Nachdem er ihr durch diesen Eidschwur alle 
Furcht benommen hatte, befahl er ihr, die Seele Samuels 
heraufzubeschwören, und obgleich sie nicht wusste, wer 
Samuel sei, rief sie ihn aus der Unterwelt herauf. Sobald 
sie ihn aber erblickt hatte , erschrak sie vor dem 
gewaltigen und in gottähnlicher Majestät erscheinenden 
Manne, und voll Entsetzen fragte sie: „Bist du nicht 
der König Saul?“ Samuel nämlich hatte ihr dies ein- 
gegeben. Als Saul dies bejahte und sie fragte, weshalb 
sie so erschrocken sei, antwortete sie, sie sehe einen 
Mann von göttlicher Gestalt der Erde entsteigen. Und 
da er ihr weiter zu sagen befahl, wie jener aussehe und 
in welchem Alter er sei, entgegnete sie, er sei ein Greis 
von vornehmer Gestalt und mit einem Priestergewand 
bekleidet. Daraus erkannte Saul, dass es Samuel war, 
und er fiel zur Erde, um ihn zu begrüssen und ihm die 
schuldige Verehrung zu bezeugen. Als nun die Seele 



382 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Samuels fragte, weshalb er sie aus ihrer Ruhe aufgestört 
und aus der Unterwelt herauf beschworen habe, klagte 
Saul, er habe das nur aus Not gethan: denn gewaltige 
Feinde bedrängten ihn, und Gott habe ihn verlassen 
und wolle ihm weder durch die Propheten noch durch 
Traumerscheinungen die Zukunft kundthun. Deshalb 
habe er zu Samuel seine Zuflucht genommen, weil dieser 
auch früher für ihn gesorgt habe. Samuel aber, welcher 
wusste, dass Sauls Lebensende bevorstehe, sagte, es sei 
überflüssig, von ihm die Zukunft erfahren zu wollen, da 
Saul von Gott schon verlassen sei. „Vernimm aber,“ 
fuhr er fort, „dass dem David die Königswürde vom 
Schicksal bestimmt ist, und dass er den Krieg glücklich 
beendigen wird. Du dagegen wirst, wie ich dir auch schon 
bei Lebzeiten verkündigt habe, Herrschaft und Leben 
zugleich verlieren, weil du im Kriege gegen die Amale- 
kiter Gott nicht gehorsam gewesen bist und seine Ge- 
bote übertreten hast. Wisse darum, dass dein Heer in 
die Hände der Feinde geraten wird, und dass du morgen 
mit deinen Söhnen in der Schlacht fallen und bei mir 
sein wirst.“ 

3. Als Saul dies vernahm, verstummte er vor Be- 
trübnis und fiel ohnmächtig zur Erde, sei es aus Schmerz 
über die Prophezeiung, sei es vor Mattigkeit, weil er den 
ganzen vorhergehenden Tag und die Nacht hindurch keine 
Speise zu sich genommen hatte. Nachdem er dann mit 
Mühe wieder zu sich gebracht war, drang das Weib in 
ihn, er solle etwas Nahrung nehmen, und begehrte als 
Lohn für ihre verwegene Prophezeiung, die sie ihm trotz 
des Verbotes kundgethan, nichts weiter, als dass er 
sich zu Tische setzen, sich mit Speise erquicken und 
dann gestärkt zu seinem Heere zurückkehren möchte. 
Da er sich aber dessen weigerte und vor Betrübnis 
nichts anrührte, bat sie ihn noch inständiger, sodass er 
endlich nachgab. Als Weib aber, die von ihrer Hände 
Arbeit lebte, besass sie nur ein einziges Kalb, das sie 
mit grosser Sorgfalt aufgezogen hatte; dieses schlachtete 
sie, bereitete das Fleisch zu und setzte es dem Saul und 



Sechstes Buch, 14. Kapitel. 


383 


seinen Dienern vor. Saul kehrte darauf, da es noch 
Nacht war, ins Lager zurück. 

4. Es geziemt sich, die willige Freundlichkeit dieses 
Weibes lobend hervorzuheben. Denn obgleich ihr die 
Ausübung ihrer Kunst, durch die ihre Lage sich be- 
deutend verbessert haben würde, vom Könige verboten 
worden war und sie ihn früher nie gesehen hatte, 
gedachte sie doch des ihr zugefügten Unrechtes nicht, 
verachtete ihn auch nicht wie einen fremden und un- 
bekannten Mann, sondern hatte Mitleid mit ihm, 
tröstete ihn, ermahnte ihn, die lang entbehrte Speise zu 
sich zu nehmen, und teilte ihm alles, was sie in ihrer 
Armut besass, reichlich und gern mit. Und hierfür er- 
wartete sie nicht den geringsten Lohn noch zukünftigen 
Dank, da sie ja wusste, dass Saul sterben müsse. Die 
Menschen sind allerdings von Natur so geartet, dass 
sie erst dann anderen Gutes erzeigen wollen, wenn sie 
selbst ^vorher irgend einen Vorteil von ihnen erlangt 
haben. Schön ist es deshalb, dem Beispiele dieses Weibes 
nachzueifern, alle Notleidenden zu unterstützen und 
nichts für vortrefflicher, dem Menschen geziemender 
und Gott wohlgefälliger zu halten. Hiermit genug von 
diesem Weibe. Jetzt aber will ich noch einiges er- 
wähnen, was Städten, Völkern und Geschlechtern nütz- 
lich und allen Guten angenehm sein kann, weil alle da- 
durch angeregt werden, die Tugend zu pflegen und sich 
so ein ewiges Gedenken zu sichern, ferner weil dadurch 
auch den Königen der Völker und den Vorstehern 
der Städte ein grosser Eifer für herrliche Thaten 
eingeflös8t und sie zugleich angeregt werden, den 
Gefahren und Drangsalen zu trotzen und selbst den 
Tod fürs Vaterland nicht zu scheuen. Veranlassung zu 
dieser Erwägung giebt mir der Hebräerkönig Saul. 
Denn obwohl er infolge der Weissagung des Propheten 
seinen Tod voraussah, wollte er ihm doch nicht ent- 
fliehen oder aus Liebe zum Leben sein Heer dem Feinde 
preisgeben und so seine Königswürde entehren, sondern 
er setzte sich mit seinem ganzen Hause mutig der Ge- 



384 


Josephus* Jüdische Altertümer. 


fahr aus und hielt es für ruhmvoll, zugleich mit seinen 
Söhnen im Kampfe für sein Volk zu unterliegen. Denn 
er wollte lieber, dass seine Söhne heldenmütig den Tod 
suchten, als dass er sie in Ungewissheit über ihr 
zukünftiges Schicksal zurücklassen müsse. Statt Erben 
und Nachkommen zog er es eben vor, Ruhm und ein 
immerwährendes Gedenken zu hinterlassen. Saul scheint 
mir deshalb ein gerechter, tapferer und kluger Mann 
gewesen zu sein, und wer ihm ähnlich ist, kann auf all- 
gemeine Anerkennung rechnen. Ferner scheint es mir 
nicht recht gethan, dass diejenigen, welche mit der Aus- 
sicht auf Sieg und glückliche Heimkehr in den Krieg 
ziehen, von den Geschichtschreibern, die ihrer Erwähnung 
thun, tapfer genannt werden, wenn sie auch herrliche 
Thaten vollbracht haben. Zwar gebührt auch ihnen ihr 
Lob; aber tapfer, unternehmend und Verächter von 
Gefahren könnfen nur die genannt werden , die dem 
Saul nacheifern. Denn es ist sicherlich kein Zeichen 
tapferen Gemütes , sich aufs ungewisse hin in den 
Krieg stürzen , wenn man auch glänzende Thaten 
da^in vollbringt. Vielmehr halte ich den für wahrhaft 
tapfer, der, obgleich er im Kriege kein Glück zu er- 
warten hat, sondern voraussieht, dass er seinem Tode 
entgegengeht, dennoch ohne Furcht und Schrecken 
sich der Gefahr aussetzt. Das hat Saul gethan und 
dadurch gezeigt, dass alle, welche nach ewigem 
Ruhm streben, ebenso handeln müssen, besonders 
aber die Könige, welche wegen der Erhabenheit ihrer 
Stellung ihren Untergebenen nicht nur nichts Böses, 
sondern ungewöhnlich Gutes erweisen sollen. Von Saul 
und seiner hervorragenden Tapferkeit könnte ich noch 
mehr sagen, doch möge das Erwähnte genügen. Und 
damit es nicht den Anschein habe, als beabsichtige ich, 
ihn über Gebühr zu loben, will ich jetzt in meiner 
eigentlichen Erzählung fortfahren. 

5. Als die Palaestiner, wie oben erwähnt, ihr Lager 
auf geschlagen und ihre Truppen nach Völkern und Ge- 
schlechtern gemustert hatten, rückte zuletzt mit seinem 



Sechstes Buch) 14. Kapitel. 


385 


Heere der König Anchus an, dessen Streitmacht David 
mit seiner Schar von sechshundert Kriegern sich bei- 
gesellte. Als die Heerführer der Palaestiner ihn er- 
blickten, fragten sie den König, woher die Hebräer 
kämen, und wer sie gerufen habe. Dieser erwiderte, das 
sei David, der vor seinem Herrn Saul geflohen sei und 
nun aus Dankbarkeit für die ihm erwiesene Gastfreund- 
schaft und aus Rache gegen Saul ihnen Hilfe leisten 
wolle. Die Führer aber tadelten ihn , dass er einen 
feindlich gesinnten Mann zu Hilfe nehme, und rieten 
ihm, David zu entlassen, damit er keinen Schaden ver- 
ursache. Indem er nämlich ihre Kräfte schwäche, werde 
ihm Gelegenheit geboten, sich mit seinem Herrn wieder 
zu versöhnen. Deshalb sollten sie sich wohl vorsehen 
und den David mit den sechshundert Mann wieder in 
seinen Wohnort zurückschicken. Denn das sei jener 
David, den die Jungfrauen wegen der Tötung von Zehn- 
tausenden der Palaestiner besungen hätten. Als der 
König der Gittenser das vernahm und die Ansicht als 
zutreffend anerkennen musste, liess er den David zu 
sich kommen und sprach zu ihm : „Ich habe zwar deinen 
Eifer und deine Treue erprobt und dich deshalb 
auch als Bundesgenossen angenommen. Aber die Heer- 
führer denken nicht ebenso von dir. Begieb dich daher 
sogleich wieder an den Ort, den ich dir geschenkt habe, 
und denke deswegen nicht schlecht von mir. Beschütze 
dort mein Land, damit die Feinde nicht in dasselbe ein- 
fallen können ; denn auch so erweisest du dich als 
Bundesgenossen David gehorchte dem Befehle des 
Königs von Gitta und zog sich wieder nach Sekela zu- 
rück. In der Zeit aber, da er den Ort verlassen 
batte, um den Palaestinern Hilfe zu bringen, hatten die 
Amalekiter einen Einfall gemacht und Sekela mit Ge- 
walt eingenommen, es in Brand gesteckt und viele Beute 
aus diesem Orte wie aus dem übrigen Gebiete der Pa- 
laestiner weggeschleppt; darauf waren sie wieder heim- 
gezogen. 

6. Als David vernahm, dass Sekela verheert und ge- 

Joscphus 1 Jüdische Altertümer. 25 



386 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


plündert sei, und dass man seine beiden Gattinnen nebst 
den Weibern und Kindern seiner Krieger in Gefangen- 
schaft geschleppt habe, zerriss er sogleich seine Kleider 
und weinte und jammerte so lange und heftig, bis die 
Thränen ihm ausgingeih Ja, er lief sogar Gefahr, von 
seinen Leuten, die sich vor Gram über die Gefangen- 
schaft ihrer Weiber und Kinder nicht mehr zu halten 
wussten, zu Tode gesteinigt zu werden. Nachdem aber 
David sich von seinem Schmerz etwas erholt hatte,, 
richtete er sein Gemüt zu Gott, liess den Hohepriester 
Abiathar sein priesterliches Gewand anlegen und Gott 
fragen, ob er ihm, wenn er die Amalekiter verfolge, die 
Gnade gewähren wolle, sie zu schlagen, die Weiber und 
Kinder zu befreien und an den Feinden Rache zu nehmen. 
Und da der Hohepriester befahl, man solle den Feinden 
nachsetzen, brach David sogleich mit seinen sechshundert 
Mann auf und kam bis zum Bache Basel, wo er einen 
Aegyptier antraf, der sich verirrt hatte und von Not 
und Hunger erschöpft war, da er drei Tage und Nächte 
hindurch keine Nahrung zu sich genommen hatte. David 
liess ihm Speise und Trank reichen, und nachdem er 
sich erholt hatte, fragte er ihn, wer und woher er sei. 
Dieser entgegnete, er sei von Geburt Aegyptier und von 
seinem Herrn im Stich gelassen worden, da er wegen. 
Krankheit nicht weiter gekonnt habe. Er habe zu denen 
gehört, die Sekela und andere Orte Judaeas in Brand 
gesteckt und geplündert hätten. David benutzte nun 
den Mann als Wegweiser, verfolgte die Amalekiter 
und traf sie an, als sie sorglos auf dem Boden lagen, 
schmausten, sich betranken und sich der Beute und 
ihres Raubes erfreuten. Unversehens griff David sie an 
und machte viele von ihnen nieder; denn da sie waffen- 
los waren und an den Überfall nicht im entferntesten 
dachten, vielmehr sich nur mit Trinken und Essen be- 
schäftigten, konnten sie leicht überwältigt werden. Einige 
wurden bei der Mahlzeit niedergemacht, sodass Speise 
und Trank mit ihrem Blute besudelt wurde ; andere 
wurden getötet, als sie sich gerade einander zutranken. 




Sechstes Buch, 14. Kapitel. 


387 


wieder andere, als sie vom Weinrausche in Schlaf ge- 
fallen waren. Diejenigen aber, die ihre Rüstung noch 
anlegen konnten und sich zur Wehr setzten, wurden 
ebenso leicht umgebracht. Dieses Blutbad dauerte 
vom Morgen bis zum Abend, sodass nicht mehr als vier- 
hundert Amalekiter am Leben blieben, die sich auf ihre 
ICamele setzten und so entflohen. Alles aber, was die 
Feinde geraubt, nahm ihnen David wieder ab, auch 
seine und seiner Krieger Gattinnen. Als nun die Schar 
wieder umkehrte und an den Ort kam, wo sie die zwei- 
hundert Mann zur Bewachung der Bagage zurückgelassen 
hatte, weigerten sich die vierhundert, die Beute und den 
übrigen Raub mit ihnen zu teilen, weil sie zu feige ge- 
wesen seien, den Feind mit zu verfolgen; sie meinten, 
diese müssten schon zufrieden damit sein, dass sie ihre 
Weiber und Kinder wiedererhalten hätten. Diese Mei- 
nung tadelte aber David als ungerecht; denn da Gott 
ihnen dazu verholfen habe, sich an ihren Feinden zu 
rächen und ihre ganze Habe wiederzuerlangen, so sei es 
billig, dass alle Krieger gleichmässig an der Beute An- 
teil bekämen, zumal da die anderen ja das Gepäck zu be- 
wachen gehabt hätten. Seit dieser Zeit galt das Gesetz, 
dass diejenigen, welche die Bagage bewachten, denselben 
Anteil von der Beute erhielten, wie die, welche in den 
Kampf gezogen waren. Als nun David nach Sekela 
gekommen war, schickte er allen Verwandten und 
Freunden vom Stamme Judas einen Teil von der Beute 
zu. So verhielt es sich mit der Plünderung von Sekela 
und der Niedermetzelung der Amalekiter. 

7. Als nun die Palaestiner mit den Hebräern zu- 
sammenstiessen, blieben sie nach heisser Schlacht Sieger 
und machten viele Hebräer nieder. Der König Saul 
und seine Söhne stritten tapfer und mit grosser Aus- 
dauer und suchten ihren Ruhm nur darin, unverzagt zu 
kämpfen und schön zu sterben. Sie durchbrachen die 
feindliche Schlachtlinie und richteten unter den Pa- 
laestinern ein gewaltiges Blutbad an, doch erlagen sie 
endlich der Übermacht. Sauls Söhne w T aren Jonathas, 

25 # 




388 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Aminadab und Melchis. Als diese gefallen waren, 
wandten sich die Hebräer zur Flucht, und da der Feind 
ihnen auf dem Fuss folgte, gerieten sie in unbeschreib- 
liche Verwirrung, und es kamen viele von ihnen ums 
Leben, Auch Saul floh mit einer Schar der Seinigen; 
die Palaestiner aber sandten ihnen Bogenschützen und 
Schleuderer nach, die eine Menge von ihnen töteten. 
Saul selbst, der so wacker gekämpft und so viele Wunden 
erhalten hatte, dass er sich nicht mehr aufrecht halten 
konnte, auch zu schwach war, um sich selbst zu töten, 
befahl seinem Waffenträger, ihn mit dem Schwerte zu 
durchbohren, damit er nicht lebend in die Hände seiner 
Feinde gerate. Der Waffenträger indes konnte es nicht 
über sich bringen, seinen Herrn zu töten, sodass Saul 
schliesslich selbst sein Schwert zog, dessen Spitze gegen 
sich richtete und sich hineinstürzte. Weil er aber nicht 
mehr soviel Kraft besass, um sich das Schwert vollends 
in den Leib zu stossen und sich zu durchstechen, wandte 
er sich um, und da zufällig ein Jüngling in der Nähe 
stand, fragte er ihn, wer er sei. Als er nun hörte, er sei 
Amalekiter, bat er ihn, ihm den erwünschten Tod 
zu geben, den er mit eigener Hand sich nicht mehr 
geben könne. Dieser erfüllte Sauls Wunsch, zog ihm 
dann seine goldenen Armspangen vom Arm und vom 
Haupte die Königskrone und entfloh. Als aber der 
Waffenträger sah, dass Saul tot sei, brachte er sich 
selbst ums Leben. Keinem von der Leibwache des 
Königs gelang es, zu entkommen, sondern sie fielen alle 
auf dem Berge Gelboe. Sobald die Hebräer, die im Thale 
jenseits des Jordan wohnten, und die, die ihre Städte 
in der Ebene hatten, hörten, Saul, seine Söhne und sein 
ganzes Heer seien gefallen, verliessen sie ihre Städte 
und zogen sich in die festesten derselben zurück. In 
den verlassenen Städten aber siedelten sich die Pa- 
laestiner an. 

8. Als die Palaestiner am folgenden Tage die ge- 
fallenen Feinde beraubten, stiessen sie auf die Leiber 
Sauls und seiner Söhne, denen sie, nachdem sie die- 



Sechstes Buch, 14. Kapitel. 


389 


selben ausgezogen, die Köpfe abschlugen. Dann schickten 
sie im ganzen Lande Boten herum mit der Nachricht, die 
Feinde seien in der Schlacht gefallen. Die erbeuteten 
Rüstungen hingen sie im Tempel der Astarte als Weih- 
geschenke auf, die Leiber aber schlugen sie vor den 
Mauern der Stadt Bethsana, die jetzt Skythopolis heisst, 
ans Kreuz. Als aber die Einwohner von Jabis im Lande 
der Galaditer vernahmen, den Leibern des Saul und 
seiner Söhne seien die Köpfe abgeschlagen worden, 
hielten sie es für unwürdig, sie un beerdigt liegen zu 
lassen. Deshalb brachen die tapfersten und ver- 
wegensten Männer, deren diese Stadt viele zählte, auf 
und marschierten die ganze Nacht hindurch bis nach 
Bethsana. Dort machten sie sich an die Stadtmauern 
heran, holten die Leiber Sauls und seiner Söhne her- 
unter und trugen sie nach Jabis, ohne dass die Feinde 
sie daran hinderten, sei es weil sie dies nicht wagten, sei 
es, weil sie dazu nicht imstande waren. Darauf be- 
statteten die Jabisener unter Wehklagen die Leiber am 
schönsten Orte dieser Gegend ,« der Arura heisst, und 
sieben Tage lang beweinten sie dieselben mit ihren 
Weibern und Kindern, zerschlugen sich die Brust und 
trauerten um den König und seine Söhne so tief, dass 
sie weder Speise noch Trank zu sich nahmen. 

9. Das war das Ende des Saul, ganz wie Samuel es 
vorhergesagt hatte, weil er die Gebote Gottes hinsicht- 
lich der Amalekiter übertreten, den Hohepriester Achi- 
melech nebst dessen ganzer Verwandtschaft getötet und 
die Priesterstadt zerstört hatte. Er regierte bei Lebzeiten 
Samuels achtzehn und nach dessen Ableben noch weitere 
zweiundzwanzig Jahre, und er schied auf die angegebene 
Weise aus dem Leben. 


Go gle 




Siebentes Buch. 

Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 40 Jahren. 

Inhalt. 

1. Wie David in der Stadt Chebron über einen Stamm, Sauls Sohn 

aber über die anderen Stämme herrschte. 

2. Wie nach dessen Ermordung David die Alleinherrschaft zufiel. 

3. Wie David Jerusalem belagerte und einnahm, die Chananäer 

daraus vertrieb und es den Juden zum Bewohnen einrfiumte. 

4. Wie David von den Palaestinern mit Krieg üborzogen wurde, 

dieselben aber bei Jerusalem besiegte. 

5. Freundschaftsbündnis zwischen Hiram, dem Könige von Tyrus, 

und David. 

6« Wie David Kriegszüge gegen die benachbarten Völkerschaften 
unternahm, sie unterwarf und tributpflichtig machte. 

7. David kämpft mit den Damascenern und schlägt sie. 

8. David bekriogt die Mesopotamier und besiegt sie. 

9. Wie Davids Hausgenossen einen Aufstand erregten, und wie er, 

von seinem Sohne vertrieben, in das Land jenseits des Jordan 
floh. 

10. Wie Abesalom seinen Vater David bekriegte, aber mit seinem 

Heere umkam. 

11. Wie David sein Königreich wiedererhielt und glücklich lebte. 
12« Wie er noch bei Lebzeiten seinen Sohn Solomon zum König er- 

nannte. 

13» David stirbt und hinterlässt seinem Sohne ein Menge Silber, 
Oold und Edelsteine zum Bau des Tempels. 


Erstes Kapitel. 

Wie David in der Stadt Chebron über einen Stamm, 
Sauls Sohn aber über die anderen Stämme herrschte. 

Abeners Tod. 

1. Es traf sich nun, dass die erwähnte Schlacht gerade 
an demselben Tage geschlagen wurde, da David als 
Sieger über die Amalekiter nach Sekela zurückkehrte. 
Am dritten Tage nachher fand sich bei ihm der Mann 



Siebentes Buch, 1. Kapitel. 


391 


ein, der den Saul getötet hatte und aus der Schlacht 
entflohen war. Dieser zerriss seine Kleider, streute Asche 
auf sein Haupt und fiel vor David nieder. Und als 
David ihn fragte, woher er komme, sagte er, aus der 
Schlacht, die die Israeliten gegen die Palaestiner ge- 
schlagen und die einen so traurigen Ausgang genommen 
habe, da viele tausend Hebräer gefallen und auch der 
König Saul sowie dessen Söhne umgekommen seien. Er 
versicherte ferner, er habe, als die Hebräer in die Flucht 
geschlagen worden seien, den zu Tod verwundeten 
König getroffen und ihm, da er in Gefahr gewesen 
sei, von den Feinden gefangen zu werden, auf seine 
Bitte den Todesstoss gegeben. Denn obgleich Saul sich in 
sein Schwert gestürzt habe, sei er doch infolge seiner 
vielen Wunden zu schwach gewesen, um sich selbst zu 
töten. Darauf zeigte er als Wahrzeichen vom Tode 
Sauls dessen goldene Armspangen und Krone, die 
er ihm nach dem Tode abgenommen habe, um sie David 
zu überbringen. Als nun David diese offenbaren An- 
zeichen sah und nicht mehr an Sauls Tod zweifeln 
konnte, zerriss er seine Kleider und brachte den ganzen 
Tag in Gesellschaft seiner Freunde mit Wehklagen 
und Weinen hin. Besonders heftig erschütterte ihn der 
Tod des Jonathas, der sein treuester Freund und sein 
Lebensretter gewesen war. Jetzt zeigte sich auch so 
recht der Edelmut Davids und seine gute Gesinnung 
gegen Saul, da er nicht nur tief ergriffen war von seinem 
Tode, obgleich er durch ihn so oft in Lebensgefahr ge- 
schwebt hatte, sondern auch noch denjenigen mit dem Tode 
bestrafte, der ihn umgebracht hätte. „Denn,“ sagte er zu 
diesem, „du hast dich selbst verraten, den König getötet 
zu haben.“ Und da er hörte, jener sei von Geburt Amale- 
kiter, liess er ihn hinrichten. Alsdann dichtete er Toten- 
klagen und Trauergesänge zu Ehren Sauls und Jona- 
thas’, die sich noch bis heute erhalten haben. 

2. Nachdem er nun dem Könige die gebührende 
Leichenfeier gehalten, und die Trauerzeit beendet war, 
fragte er Gott durch einen Propheten um Rat, in welcher 




392 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


von den Städten des Stammes Judas er wohnen solle. 
Und da ihm die Antwort erteilt wurde, Gott weise ihm 
Chebron an, verliess er Sekela und begab sich dorthin 
mit seinen beiden Weibern und seiner Kriegerschar. 
Hierauf zog der ganze Stamm Judas zu ihm hin und 
erwählte ihn zum Könige. Als er dann vernommen hatte, 
die Jabisener im Lande der Gäladiter hätten den Saul 
und seine Söhne bestattet, schickte er Boten zu ihnen, 
liess ihre herrliche That loben und gutheissen und ihnen 
versprechen, er werde ihnen für diese ihre Pietät gegen 
die Verstorbenen Dank wissen; zugleich liess er ihnen 
kundthun, dass der Stamm Judas ihn zum Könige er- 
wählt habe. 

3. Als nun Sauls Heerführer Abener, der Sohn des 
Nerus, ein regsamer und wohlgesinnter Mann, hörte, dass 
das Saul samt Jonathas und noch zwei anderen Söhnen 
gefallen sei, kehrte er schnell ins Lager zurück, be- 
mächtigte sich des noch am Leben gebliebenen Sohnes 
des Königs, Jebost, und entführte ihn über den Jordan, 
wo er ihn zum Könige über alle Israeliten, mit Aus- 
nahme des Stamme Judas, ausrief. Als Königssitz be- 
stimmte er ihm den Ort, der in der Landessprache Ma- 
nalis, in griechischer Sprache aber Parembolai, das 
heisst „Lager,“ genannt wird. Von hier brach dann 
Abener mit einem auserlesenen Heere auf, um den 
Stamm Judas anzugreifen aus Zorn darüber, dass dieser 
den David zum Könige gewählt hatte. Joab, der Sohn 
Sarvias, der. Schwester Sauls, und des Suri, zog ihm mit 
seinen Brüdern Abessa und Asael und dem gesamten 
Heere Davids entgegen, traf ihn bei einer Quelle nahe 
der Stadt Gabaon und rüstete sich zur Schlacht. Da 
jedoch Abener geäussert hatte, er sei begierig zu erfahren, 
welche von beiden Parteien, die besten Kämpfer besitze, 
so kam man überein, dass zwölf Mann von jeder Seite zum 
Kampfe an treten sollten. Diese begaben sich also in den 
Raum zwischen den beiden Heeren , schleuderten ihre 
Speere widereinander, zückten die Schwerter, ergriffen 
sich gegenseitig beim Kopfe und stiessen sich ein- 



Siebentes Buch) 1; Kapitel. 


393 


ander die Klingen in Seiten und Eingeweide, bis sie 
alle gleichwie auf Verabredung tot hinsanken. Als sie 
nun gefallen waren, trafen auch die Heere selbst zusammen 
und bekämpften sich mit Aufbietung aller Kräfte, 
bis endlich die Krieger Abeners unterlagen und 
ihr Heil in der Flucht suchten. Joab setzte ihnen 
nach und ermahnte die Seinigen, den Feinden auf dem 
Fusse zu folgen und nicht nachzulassen, bis sie alle 
niedergemacht seien. Auch seine Brüder kämpften aus- 
dauernd, und besonders that sich der jüngste von ihnen, 
Asaöl, hervor, der durch seine Schnelligkeit berühmt 
war, denn er übertraf nicht nur die Menschen in aus- 
dauerndem Laufe, sondern soll sogar Pferde im Rennen 
überholt haben. Dieser jagte dem Abener mit äusserster 
Anstrengung und geradeswegs nach, ohne nach rechts 
oder links auszu weichen. Abener aber wandte sich um 
und trachtete seinen Angriff abzulenken, indem er ihn er- 
suchte, er möge doch von der Verfolgung abstehen und sich 
begnügen, einem der Krieger die Rüstung abzunehmen. Als 
aber Asael hierauf nicht eingehen wollte, bat er ihn, er möge 
an sich halten und ihm nicht weiter nachsetzen, damit 
er nicht gezwungen sei, ihn zu töten, was sein Bruder 
ihm nie verzeihen würde. Da Asael indes sich durch 
diese Worte nicht von der Verfolgung abhalten liess, 
hielt Abener seinen Speer hinter sich und durchbohrte 
ihn derart, dass er sogleich tot hinstürzte. Als mm die- 
jenigen, die mit ihm den Abener verfolgt hatten, zu der 
Stelle kamen, wo Asael lag, machten sie bei seiner 
Leiche halt und Hessen von der weiteren Ver- 
folgung ab. Joab aber und sein Bruder Abessa, die 
gegen Abener wegen der Tödung Asaels heftig erbittert 
waren, ritten an der Leiche vorbei und verfolgten den 
Abener mit unermüdlichem Eifer, bis sie gegen Sonnen- 
untergang an einen Ort Ammata kamen. Hier erstiegen 
sie eine Anhöhe, wo Joab mit dem Stamme Benjamin 
stehen blieb und Abener nebst den Seinigen erblickte. 
Dann erhob er seine Stimme und rief: Es zieme sich doch 
nicht für Angehörige desselben Volkes, einander in den 


094 


Joseplms' Jüdische Altertümer. 


Haaren zu liegen. Sein Bruder Asael sei an seinem 
Tode selbst schuld, da er sich nicht habe überreden 
lassen, die Verfolgung aufzugeben, weshalb er von 
Abener durchbohrt worden sei. Abessa pflichtete diesen 
Worten bei, liess die Seinigen durch Trompetensignale 
zurückrufen und so die weitere Verfolgung einstellen. 
Joab selbst hielt sich die ganze Nacht hindurch in 
seinem Lager; Abener aber setzte seinen Marsch fort, 
überschritt den Jordan und gelangte wieder zum Lager 
Jebosts, des Sohnes Sauls. Am folgenden Tage liess 
Joab die Körper der Gefallenen aufsuchen und bestatten. 
Es waren gefallen vom Heere Abeners dreihundertsechzig 
Mann, von Davids Leuten dagegen nur neunzehn ohne 
Asael, dessen Leiche Joab und Abessa nach Bethleem 
brachten und im Grabe seiner Väter beisetzten, worauf 
sie nach Chebron zu David zurückkehrten. Seit dieser 
Zeit breitete sich innere Zwietracht unter den He- 
bräern aus und dauerte noch lange fort. Davids Macht 
aber wuchs immer mehr und trotzte allen Gefahren, 
während die Macht der Söhne Sauls und ihres Anhanges 
von Tag zu Tag abnahm. 

4. Um diese Zeit wurden dem David sechs Söhne 
von ebenso vielen Weibern geboren, von denen der älteste, 
Amnon, von der Achima stammte, der zweite, Daniel, 
von derAbigaea, der dritte, Abesalora, von derMachma, 
der Tochter des Gessirerkönigs Tholomaeus, der vierte, 
Adonias, von derAggitha, der fünfte, Saphatias, von der 
Abitaal, der sechste endlich, Gethraamas, von der Aegla. 
Darauf entstand ein Bürgerkrieg, indem die Heere der 
beiden Könige häufig zusammen stiessen. Nun aber brachte 
Abener, der Befehlshaber des Heeres der Söhne Sauls, der 
ein verständiger Mann war und grossen Einfluss beim 
Volke besass, es dahin, dass eine Zeitlang alles auf 
Jebosts Seite trat und ihm Treue gelobte. Als jedoch 
Abener später des verbotenen Umganges mit dem Kebs- 
weibe Sauls, Raesphaj, der Tochter Sibaths, beschuldigt 
und deshalb von Jebost mit Vorwürfen überhäuft wurde, 
geriet er iu Zorn und Erbitterung darüber, dass er so 



Siebentes Buch, 1 . Kapitel. 


395 


'wenig Dank von dem einernte , dessen Interesse er mit 
allen Kräften, gewahrt habe, und er drohte ihm, er 
werde die Königsherrschaft dem David zuwenden und es 
offenkundig machen, dass Jebost nicht durch seine eigene 
[Klugheit und Tapferkeit über das Gebiet jenseit des 
«Jordan die Herrschaft erlangt habe, sondern durch seine 
(Abeners) Kriegstüchtigkeit und Treue. Und wirklich 
schickte er auch nach Chebron zu David Boten und 
liess ihn bitten, er möge ihm das eidliche Versprechen 
geben, ihn als Freund und Genossen zu behandeln, da 
er das Volk veranlassen werde, von Sauls Sohn ab- 
zufallen und ihn als den König aller Israeliten an- 
zuerkennen. Darauf schloss David mit ihm ein Bündnis — 
denn Abeners Antrag war ihm sehr angenehm — , verlangte 
aber als Zeichen seiner Treue, dass er ihm wieder zu 
seiner Gattin Michal verhelfe, die er sich mit Lebens- 
gefahr erkauft und für die er ihrem Vater Saul sechs- 
hundert Palaestinerköpfe gebracht habe. Abener schickte 
ihm darauf auch die Michal zu, nachdem er sie dem 
Pheltias, der sie damals besass, abgenommen hatte, 
wobei ihm Jebost behilflich war. Denn diesem hatte 
David geschrieben , er wolle sein Weib wieder haben, 
da er ein gutes Recht auf sie habe. Abener berief nun 
die Ältesten des Volkes, die Hauptleute und die Obersten 
zusammen und sprach zu ihnen: „Ihr habt zwar schon 
früher die Absicht gehabt, von Jebost abzufallen und zu 
David überzugehen, doch habe ich euch bisher daran 
gehindert. Jetzt aber gebe ich euch anheim, zu gehen, 
wohin ihr wollt; denn ich habe erfahren, dass Gott, als 
er durch den Propheten Samuel den David zum König 
aller Hebräer erwählte, vorausgesagt hat, er werde die 
Palaestiner bestrafen und sie unterjochen.“ Als die 
Ältesten und die Heerführer vernahmen, dass Abener 
jetzt derselben Gesinnung sei, die sie früher gehabt, 
gingen sie sogleich zu David über. Danach versammelte 
Abener den Stamm Benjamin, aus dem Jebosts An- 
hänger sich zusammen setzten, und redete zu ihm in der- 
selben Weise; und da er merkte, dass sie ebenfalls 




396 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


seiner Meinung beitraten, begab er sich mit zwanzig 
seiner Genossen zu David, um persönlich von ihm den 
Eidschwur entgegenzunehmen (denn was man selbst thut, 
ist sicherer, als was man durch andere thun lässt), dann 
aber auch, um ihm die Rede mitzuteilen, die er den 
Heerführern und dem ganzen Stamme Benjamin gehalten 
habe. Und als David ihn freundlich aufgenommen und 
einige Tage reichlich und glänzend bewirtet hatte, 
bat Abener ihn, er möge ihn entlassen, damit er das 
Heer ihm zuführe und ihm den Oberbefehl über das- 
selbe vor seinen Augen übergebe. 

5. Als Abener von David entlassen worden war und 
sich nach Chebron begeben hatte, kam Joab, Davids 
Heerführer. Und da er vernahm, dass Abener bei David 
gewesen sei, alles wegen des Oberbefehls geordnet und 
sich kurz vorher entfernt habe, besorgteer, dieser möchte 
künftig bei David die erste Stelle einnehmen, da er ihm 
die Herrschaft versorgt habe und übrigens mit scharfem 
Verstand begabt sei, und er selbst möchte dagegen in 
den Schatten treten und den Oberbefehl über das Heer 
verlieren. Er fasste deshalb einen schändlichen und 
hinterlistigen Plan. Zuerst nämlich verleumdete er ihn 
beim Könige nnd riet diesem, er möge sich vor Abener 
hüten und seinen Versprechungen keinen Glauben bei- 
messen: denn er strebe nur dahin, dem Sohne Sauls die 
Herrschaft zuzuwenden. Mit betrügerischen und hinter- 
listigen Gedanken sei er zum Könige gekommen und 
hoffnungsvoll vqn ihm weggegangen , nachdem er 
seine Ränke schlau ins Werk gesetzt habe. Als aber 
diese Worte auf David nicht] den geringsten Eindruck 
machten, beschloss er, energischer vorzugehen und den 
Abener umzubringen. Zu dem Zwecke sandte er Boten ab, 
denen er auftrug, sie sollten den Abener, wenn sie ihn 
träfen, im Namen Davids zurückrufen, als ob dieser noch 
etwas mit ihm zu verhandeln habe , was ihm bei seiner 
Anwesenheit entfallen sei. Als Abener diesen Befehl 
von den Boten, die ihn in dem Orte Besira, zwanzig 
Stadien von Chebron entfernt, angetroffen hatten, ver- 



Siebentes Buch, 1. Kapitel. 


397 


nahm, kehrte er sofort zurück, ohne etwas Böses zu 
ahnen. Joab begegnete ihm am Thore, empfing ihn 
freundlich, stellte sich an, als ob er sein bester Freund 
wäre (wie es denn öfter zu geschehen pflegt, dass die, die 
etwas Schlechtes im Sinne haben, ein freundliches Wesen 
heucheln, damit kein Verdacht sich rege, als beabsich- 
tigten sie etwas anderes), lockte ihn von den Seinigen 
weg, wie wenn er allein mit ihm zu reden hätte, an einen 
einsamen Ort, wo ausser ihnen nur sein Bruder Abessa 
anwesend war, und durchbohrte ihn mit gezücktem 
Schwert. So wurde Abener hinterlistigerweise von Joab 
umgebracht, der angeblich seinen Bruder Asael rächen 
wollte, welchen Abener in der Schlacht bei Chebron getötet 
hatte, als er ihm nachsetzte, in Wahrheit aber nur be- 
fürchtete, er selbst möchte den Oberbefehl über das Heer 
und des Königs Gunst verlieren, Abener dagegen die erste 
Stelle bei David einnehmen. Hieraus kann man er- 
kennen , welcher verwegenen Handlungen Menschen 
fähig sind, die um jeden Preis in die Höhe kommen 
und niemand weichen wollen. Denn um ihre Absichten 
zu erreichen, häufen sie unzählige Übelthaten, und in 
der Angst, etwas verlieren zu müssen, schrecken sie 
auch vor Verbrechen nicht zurück. Sie halten es näm- 
lich für weniger schlimm, überhaupt keine Macht zu er- 
langen, als derselben wieder entsagen zu müssen, wenn 
sie daran gewöhnt sind. Deshalb wagen sie selbst das 
Entsetzlichste, wenn sie nur in ihrer Stellung sich be- 
haupten können. Dieses Wenige mag hierüber ge- 
nügen. 

6. Als David vernahm, Abener sei umgebracht, 
wurde er von Schmerz ergriffen, erhob seine 
Rechte zu Gott und bezeugte öffentlich mit lauter 
Stimme, er habe um Abeners Ermordung nichts gewusst, 
und die That sei nicht mit seinem Willen geschehen. 
Den Mörder aber verfluchte er und schwur, seine ganze 
Familie dem Tode zu weihen. Denn er war in Sorge, 
es möchte scheinen, als habe er den Abener wider sein 
demselben gegebenes eidliches Versprechen um bringen 




398 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


lassen. Dem Volke befahl er, den Abener zu beweinen 
und zu betrauern, die Kleider zu zerreissen, sich mit 
Säcken zu bekleiden, der Bahre voranzuschreiten und 
ein feierliches Leichenbegängnis abzuhalten. Der König 
selbst folgte mit den Ältesten und Vornehmsten und 
bezeugte durch Weinen und Wehklagen, wie lieb er 
den Abener im Leben gehabt und wie sehr er ihn jetzt 
betrauere, und dass er ohne seinen Willen getötet 
worden sei. Und als er ihn zu Chebron glänzend be- 
stattet und Totenklagen verfasst hatte, trat er selbst 
zuerst an das Grab und wehklagte, und das ganze Völk 
stimmte mit ihm ein. Ja, Abeners Tod drückte ihn 
dermassen nieder, dass er, obgleich seine Freunde in ihn 
drangen, keine Nahrung zu sich nahm und schwur, er 
werde bis Sonnenuntergang nichts geniessen. Dieses Be- 
nehmen gewann ihm aller Herzen; denn diejenigen, die 
den Abener zärtlich liebten, billigten die dem Ver- 
storbenen erwiesenen Ehrenbezeugungen, und dass David 
ihn wie einen Freund und Verwandten eines glänzenden 
Leichenbegängnisses wert gehalten habe. Auch das 
ganze Volk freute sich über seine gütige und liebevolle 
Gesinnung, und jeder einzelne glaubte, der König werde 
auch ihm mit gleicher Herzensgüte entgegenkommen, 
wie er sie jetzt gegen den verstorbenen Abener beweise. 
So machte sich also David sehr beliebt und verwandte 
die grösste Mühe darauf, den Verdacht nicht auf kommen 
zu lassen, als habe er um Abeners Ermordung vorher 
gewusst. Auch hielt er an das Volk eine Ansprache 
folgenden Inhalts: „Gewaltiger Schmerz hat mich er- 
griffen um den Tod dieses vortrefflichen Mannes, und 
auch ihr, Hebräer, werdet grossen Nachteil durch den 
Verlust desjenigen erleiden, der euch mit klugem Rat 
und tapferer Hand beim Ausbruch eines Krieges hatte 
schützen und retten können. Gott aber, der All- 
gewaltige, wird ihn nicht ungerächt lassen. Dass ich zu 
schwach bin, um gegen Joab und Abessa, die Söhne der 
Sarvia, vorzugehen, werdet ihr wohl wissen; Gott aber 




Siebentes Buch, 2. Kapitel. 


399 


wird über ihre Frevelthat die gebührende Strafe ver 
hängen.“ Also schied Abener aus dem Leben. 


Zweites Kapitel. 

Jebosts hinterlistige Ermordung. David wird 
König aller Israeliten. 

1. Als Jebost von Abeners Tod Kunde erhielt, be- 
trübte er sich sehr über den Untergang eines so nahen 
Verwandten, der ihm zur Königswürde verholfen hatte. 
Übrigens blieb er auch selbst nicht mehr lange am 
Leben, sondern wurde hinterlistigerweise von Hieremmons 
Söhnen Banaothas und Thannus ermordet Denn da 
diese Benjamiter und von vornehmem Stande waren, 
dachten sie, David werde sie reich beschenken und 
ihnen Feldherrnstellen oder andere hohe Ämter über- 
tragen, wenn sie den Jebost umbrächten. Als sie nun 
eines Tages den Jebost zur Mittagszeit in seinem Schlaf- 
gemach ruhend allein antrafen, da seine Leibwache 
gerade nicht zur Stelle und die Pförtnerin vor Ermüdung 
und Hitze in Schlaf gefallen war, traten sie in das Ge- 
mach, wo Sauls Sohn schlief, und töteten ihn. Darauf 
schlugen sie ihm das Haupt ab und reisten den ganzen 
Tag und die Nacht hindurch in grosser Eile, um ihren 
Verfolgern zu entkommen, bis nach Chebron, wo sie 
Davids Dank und einen sicheren Aufenthalt zu erlangen 
gedachten. Als sie nun dem David das Haupt zeigten 
und sich seinem Wohlwollen empfahlen, weil sie seinen 
Feind und Nebenbuhler aus dem Wege geräumt hätten, 
zeigte sich David durchaus nicht erfreut, wie sie gehofft 
hatten, sondern sprach zu ihnen: „Ihr verbrecherischen 
Menschen, mit dem Tode sollt ihr mir büssen! Ihr 
wisst doch wohl, wie ich den belohnt habe, der Saul 
getötet und mir seine goldene Krone gebracht hat, ob- 
gleich er doch sogar durch die Tötung dem Saul einen 
besonderen Gefallen erwiesen zu haben glaubte, da er 
ihn so vor der Gefangenschaft bewahrte. Oder habt ihr 




400 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


vielleicht gedacht, ich hätte mich verändert und sei nicht 
mehr derselbe, dass ich an solchen Übelthätern Gefallen 
haben und ihnen noch dafür danken sollte, dass sie 
ihren Herrn , der ihnen nie ein Unrecht zugefügt, viel- 
mehr nur Liebe und Güte erwiesen hat, auf seinem 
Lager umbrachten ? Darum sollt ihr die Todes- 
strafe erleiden, nicht nur wegen eurer Frevelthat, sondern 
auch, weil ihr so thöricht wart, zu glauben, ich würde 
über seinen Untergang Freude empfinde^. Denn nicht 
tiefer hättet ihr in meiner Achtung sinken können, als 
dadurch, dass ihr so von mir dachtet.“ Hierauf befahl er, 
sie mit allen erdenklichen Martern zu Tode zu peinigen; 
Jebosts Haupt aber liess er mit allen Ehren in Abeners 
Grab beisetzen. 

2. Nachdem das geschehen war, kamen die Vor- 
nehmsten der Hebräer samt den Kriegsobersten und 
Heerführern bei David in Chebron zusammen und ergaben 
sich ihm, indem sie ihn an die gute Gesinnung erinnerten, 
die sie schon bei Sauls Lebzeiten ihm entgegen gebracht, 
und an die Ehrenbezeugung, die sie ihm als Kriegs- 
obersten erwiesen hatten. Auch wiesen sie darauf hin, 
dass er von Gott durch den Propheten Samuel zum 
König erwählt und diese Würde auch seinen Nach- 
kommen zugesagt worden sei, sowie dass Gott ihn allein 
dazu ausersehen habe, die Palaestiner zu unterwerfen 
und das Land der Hebräer von deren Joch zu befreien. 
David lobte ihren Eifer, ermahnte sie, auch fernerhin 
dabei zu verbleiben, was sie nicht gereuen würde, und 
entliess sie, nachdem er sie glänzend bewirtet hatte, 
damit sie ihm auch das ganze übrige Volk zuführten. 
Es kamen darauf zusammen aus dem Stamme Judas 
gegen sechstausendachthundert Streiter, die alle mit 
Schild und Speer bewaffnet waren und früher dem Sohne 
Sauls angehangen hatten, weil der Stamm Judas gegen 
ihren Willen den David zum Könige gewählt hatte. 
Weiterhin aus dem Stamme Simeon siebentausendein- 
hundert Mann, aus dem Stamme Levis viertausendsieben- 
hundert samt ihrem Führer Jodam, an die sich der 



Siebentes Buch, 3. Kapitel. 


401 


Hohepriester Sadok mit zweiundzwanzig ihm verwandten 
Anführern anschloss. Ferner aus dem Stamme Benjamin 
viertausend Mann; denn dieser Stamm war bisher noch 
unschlüssig geblieben in der Erwartung, es werde einer 
von Sauls Geschlecht zur Herrschaft gelangen. Sodann 
aus dem Stamme Ephraim zwanzigtausendachthundert 
der mächtigsten und hervorragendsten Männer, aus dem 
halben Stamme Manasses achtzehntausend der Besten, 
aus dem Stamme Isachar zweihundert Wahrsager und 
zwanzigtausend Bewaffnete, aus dem Stamme Zabulon 
fünfzigtausend auserlesene Kämpfer (dieser Stamm ging 
allein ganz zu, David über und trug’ dieselbe Rüstung 
wie der Stamm Gad), aus dem Stamme Nephthali tausend 
ausgezeichnete Männer und Anführer, mit Schild und 
Lanze bewaffnet, denen eine ungezählte Volksmenge 
aus ihrem Stamme folgte; aus dem Stamme Dan sieben- 
undzwanzigtausendsechshundert Auserlesene, aus dem 
Stamme Äser vierzigtausend, endlich aus den beiden 
jenseits des Jordan wohnenden Stämmen und der anderen 
Hälfte des Stammes Manasses hundertzwanzigtausend, 
die mit Schild , Speer , Helm und Schwert bewaffnet 
waren. Auch die übrigen Stämme führten Schwerter. 
Diese ganze Menge also strömte nach Chebron zu David 
mit einem grossen Vorrat an Getreide, Wein und 
sonstigen Lebensmitteln, und alle wählten einstimmig 
David zum König. Nachdem nun das Volk drei Tage 
lang in Chebron Festmahle gehalten, brach David mit 
der gesamten Kriegsmacht auf und zog nach Jerusalem. 


Drittes Kapitel. 

Wie David Jerusalem belagerte und einnahm, 
die Chananäer daraus vertrieb und die Stadt den Juden 

einräumte. 

1. Die Jebusäer aber, welche die Stadt bewohnten 
und von den Chananäem abstammten, verschlossen dem 
David die Thore und setzten dem Könige zum Spott die 

Josephus’ Jüdische Altertümer. S6 




402 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Blinden, Lahmen und sonstigen Krüppel auf die Mauer, 
indem sie ausriefen, diese Krüppel seien genügend, ihn 
am Eindringen zu hindern. So verächtlich benahmen 
sie sich, weil sie auf die Stärke ihrer Befestigungen 
pochten. David geriet hierüber in Zorn und begann 
Jerusalem mit Aufbietung aller Kräfte zu belagern, um 
durch eine schnelle Eroberung seine Macht zu beweisen 
und anderen Furcht einzujagen, die gerade so wie die 
Jebusäer gegen ihn gesinnt seien. Es gelang ihm auch, 
die untere Stadt einzunehmen. Weil aber die Burg noch 
Widerstand leistete, beschloss der König, seine Krieger 
noch mehr durch in Aussicht gestellte Belohnungen zur 
Tapferkeit anzuspornen, und versprach, denjenigen zum 
Oberbefehlshaber über das ganze Heer zu machen, der 
zuerst über die steilen Abhänge hinweg in die Burg 
eindringen werde. Da ergriff alle ein reger Wetteifer, 
und sie scheuten aus Begierde nach der versprochenen 
Befehlshaberstelle keine Mühe. Allen zuvor aber kam 
Joab, der Sohn der Sarvia, der die Burg zuerst eretieg 
und dem Könige zurief, er solle ihm nun auch den ver- 
heissenen Oberbefehl geben. 

2. David warf darauf die Jebusäer aus der Burg, 
setzte Jerusalem, das er jetzt Davidsstadt nannte, wieder 
in Stand und residierte hier während seiner ganzen 
Regierungszeit. Die Zeit aber, während welcher er zu 
Chebron über den Stamm Judas geherrscht hatte, be- 
trug sieben Jahre und sechs Monate. Nachdem er nun 
seinen Königssitz in Jerusalem errichtet hatte, wurde 
seine Lage von Tag zu Tag glänzender, da Gott dafür 
sorgte, dass seine Macht sich vermehrte und wuchs. 
Auch schickte Hiram, der König der Tyrier, Gesandte 
zu ihm und schloss Bundesgenossenschaft und Freund- 
schaft mit ihm. Zugleich sandte er ihm Geschenke, be- 
sonders Cedernholz, zu, und Baumeister, Bildhauer und 
andere Künstler stellte er ihm zur Verfügung, damit sie 
ihm in Jerusalem einen Königspalast errichteten. David 
umgab dann die untere Stadt und die Burg zusammen 
mit einer Mauer, bildete so aus beiden Teilen ein Ganze» 



Siebentes Buch, 4. Kapitel. 403 

und setzte den Joab als Stadtkommandant ein. David 
hat also zuerst die Jebusäer aus Jerusalem vertrieben 
und die Stadt nach seinem Namen genannt; denn zur 
Zeit unseres Stammvaters hiess sie Solyma. Nach ver- 
einzelter Meinung hat auch Homer diese Stadt Solyma 
genannt, denn er nannte den Tempel nach hebraeischer 
Weise Solyma, was so viel wie „Sicherheit“ bedeutet. Seit 
der Zeit aber, da der Feldherr Jesus ein Heer gegen die 
Chananäer führte und nach deren Niederwerfung das 
Hand unter die Hebräer verteilte, bis dahin, wo David, 
was bisher niemand fertig gebracht hatte, die Chananäer 
aus Jerusalem verjagte und die Stadt eroberte, sind im 
ganzen fünfhundertfünfzehn Jahre verflossen. 

3. Ich muss hier noch, von einem gewissen Oronnas 
sprechen, einem reichen Jebusäer, den David bei der 
Hinnahme von Jerusalem nicht töten liess, und zwar 
wegen seiner guten Gesinnung gegen die Hebräer und 
besonders wegen seines freundlichen Benehmens gegen 
den König selbst, wovon ich später an geeigneter Stelle 
noch weiter berichten will. — David nahm nun ausser 
den Weibern, die er schon hatte, noch andere Gattinnen 
und Kebs weiber und zeugte mit ihnen noch elf Söhne, 
deren Namen hiessen: Amnus, Emnus, Eban, Nathan, 
Solomon, Jebar, Elien, Phalna, Ennaphen, Jenae, Eli- 
phale, und eine Tochter Thamar. Von den Söhnen 
stammten neun von rechtmässigen Gattinnen, die beiden 
letztgenannten aber von Kebsweibern. Thamar hatte 
dieselbe Mutter wie Abesalom. 


Viertes Kapitel. 

David besiegt die Palaestiner, lässt die Lade Gottes nach 
Jerusalem bringen und plant den Tempelbau. 

1. Als die Palaestiner vernahmen, dass David von 
den Hebräern zum König gewählt worden war, führten 
sie ein Heer gegen ihn nach Jerusalem, besetzten das 
sogenannte „Thal der Riesen,“ welches nicht weit von 

26 * 




404 


Joseplius’ Jüdische Altertümer. 


der Stadt entfernt liegt, und schlugen daselbst ihr Lager 
auf. Der König der Juden aber, der nichts ohne Gottes 
Befehl und Verkündigung zu unternehmen sich getraute, 
befahl dem Hohepriester, Gottes Willen und seine Ver- 
kündigung über den Ausgang des Treffens einzuholen. 
Und da ihm Sieg verheissen wurde, rückte er gegen 
die Palaestiner aus und griff dieselben unversehens von 
hinten an, tötete einen Teil von ihnen und schlug die 
anderen in die Flucht. Fs möge aber niemand glauben, 
das Heer der Palaestiner sei klein gewesen, noch den Schluss 
ziehen, .sie hätten sich feige und furchtsam benommen, 
weil sie so schnell erlagen und nichts Erwähnenswertes 
leisteten. Vielmehr möge man sich vergegenwärtigen, 
dass ganz Syrien und Phoenicien ausser vielen anderen 
kriegerischen Völkerschaften ihnen Hilfe geleistet und 
am Kriege teilgenommen hatte. Das allein war auch 
der Grund, weshalb sie nach so vielen Niederlagen und 
dem Verluste vieler tausend Streiter den Krieg gegen 
die Hebräer mit noch grösseren Kräften erneuern 
konnten. Obgleich sie daher bei dem erwähnten Kampfe 
so grosses Unglück hatte, brachten sie ein noch drei- 
mal grösseres Heer gegen David zusammen und schlugen 
ihr Lager wieder an derselben Stelle auf. Da liess der 
König der Israeliten abermals Gott befragen, welchen 
Ausgang der Kampf haben würde. Der Hohepriester 
aber ermahnte ihn, er solle in dem sogenannten Wald 
der Trauer unweit des Lagers der Feinde sein Heer 
beisammen halten und es nicht eher in Marsch setzen 
und den Kampf beginnen, bis der Wald in Bewegung 
gerate, ohne dass der Wind wehe. Sobald nun der Wald 
anfing zu rauschen, und die von Gott bestimmte Zeit da 
war, rückte David zu dem schon vorbereiteten und nicht 
mehr zweifelhaften Siege aus. Die feindlichen Schlacht- 
reihen hielten seinem Andrang nicht stand, sondern 
ergriffen beim ersten Zusammenstoss die Flucht. Es 
kam zu einem furchtbaren Gemetzel, und die Verfolgung 
dehnte sich bis zur Stadt Gazara, der äussersten Grenze 
des Landes, aus. Darauf plünderte David das feindliche 



Siebentes Buch, 4. Kapitel. 


405 


Lager, wo er reiche Schätze vorfand, und vernichtete die 
Götzenbilder. * 

2. Nachdem dieser Krieg so glücklich verlaufen, be- 
schloss David nach Einholung des Rates der Heerführer 
und Kriegsobersten, aus dem ganzen Lande die Blüte 
der Jugend nebst den Priestern und Leviten zusammen- 
zurufen, mit ihnen nach der Stadt Kariathiarim zu 
ziehen und die Lade Gottes von da nach Jerusalem 
überzuführen , wo sie aufgestellt und durch Opfer und 
andere Gott wohlgefällige Handlungen verehrt werden 
sollte. Denn hätte man das unter Sauls Regierung ge- 
than, so würde man von Unglück verschont geblieben 
sein. Als sich daher alles Volk, wie befohlen, ver- 
sammelt hatte, begab sich der König mit ihm zur Lade. 
Die Priester trugen sie aus dem Hause des Aminadab 
heraus, stellten sie auf einen neuen Wagen, spannten 
die Ochsen vor und Hessen diese von den Brüdern und 
Söhnen Aminadabs führen. Der König nebst dem 
ganzen Volke ging voraus, Gott preisend und allerlei 
Lobgesänge anstimmend, und so geleiteten sie unter 
dem Klange von mancherlei Instrumenten, Saitenspiel, 
Tanz und Gesang, sowie unter dem Schalle von Hörnern 
und Cymbeln die Lade nach Jerusalem. Als sie nun 
bis zur sogenannten „Tenne des Chidon“ gekommen 
waren, bestrafte Gott in seinem Zorne den Ozas mit 
dem Tode. Denn da die Ochsen zufällig etwas abwichen 
und die Lade infolgedessen sich zur Seite neigte, griff 
Ozas mit der Hand nach ihr, um sie festzuhalten. Weil 
er nun die Lade berührt hatte , ohne Priester zu sein, 
liess ihn Gott sogleich sterben, worüber der König und 
das Volk in grosse Betrübnis gerieten. Der Ort aber, 
wo Ozas starb, heisst noch heute „Schlag des Ozas.“ 
Da nun David befürchtete, es möchte ihm dasselbe wie 
dem Ozas widerfahren, wenn er die Lade in die Stadt 
und in sein Haus aufnähme, da doch Ozas nur die 
Hand nach ihr ausgestreckt und deshalb schon 
habe sterben müssen, wollte er sie nicht in die Stadt 
bringen, sondern wandte sich einem Acker zu, der einem 




406 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


gerechten Leviten Namens Obedam gehörte, und setzte 
bei ihm die Lade nieder. Hier bjieb sie drei volle 
Monate und bescherte dem Hause des Obedam Reichtum 
und Segen. Als David aber vernahm, dass Obedam so 
wohlhabend geworden sei, dass er, obwohl früher arm, jetzt 
im Überfluss lebe, und dass alle ihn glücklich priesen, 
die sein reiches Haus sahen oder davon hörten, fasste 
er Mut und nahm die Lade zu sich in der Meinung, dass 
sie auch ihm reichen Segen bringen werde. Priester 
trugen dieselbe, und sieben vom König dazu bestellte 
Chöre schritten ihr voran. David selbst aber schlug die 
Harfe und klatschte in die Hände, sodass sein Weib 
Michal, die Tochter Sauls, als sie ihn sich so aufführen 
sah, ihren Spott an ihm ausliess. Als man nun die 
Lade in die Stadt gebracht und in der Hütte auf- 
gestellt hatte, die David ihr errichtet, brachte er unter 
grossem Aufwand Friedopfer dar und bewirtete das ganze 
Volk, indem er unter die Männer wie unter die Weiber 
und Kinder Brote, geröstete Ölkuchen und Stücke vom 
Opferfleisch verteilte. Darauf liess er das Volk wieder 
nach Hause ziehen, und auch er selbst begab sich in 
seinen Palast. 

3. Dort trat ihm sein Weib Michal, Sauls Tochter, 
entgegen, wünschte ihm Glück und bat, dass Gott ihm 
alles gewähren möge, was er in seiner Huld zu spenden 
vermöge. Doch tadelte sie ihn, dass er, der grosse 
König, so unziemlich getanzt und sich beim Tanzen vor 
den Augen seiner Knechte und Mägde entblösst habe. 
Er aber sagte, er brauche sich dessen nicht zu schämen, 
was Gott wohlgefällig sei, der ihn ihrem Vater und 
allen anderen vorgezogen habe, und er werde auch 
künftig nooh öfter spielen und tanzen, ohne sich darum 
zu kümmern, ob das ihr oder ihren Mägden unanständig 
erscheine. Diese Michal war von David nie schwanger 
geworden; später aber, als ihr Vater Saul sie einem 
anderen Manne vermählt hatte, dem David sie bekannt- 
lich wieder entriss, gebar sie fünf Kinder, von denen 
später noch die Rede sein wird. 



Siebentes Buch, 4. Kapitel, 


407 


4. Als nun der König sah, dass unter Gottes Für- 
sorge seine Lage von Tag zu Tag glücklicher wurde, 
hielt er es für sündhaft, dass er selbst in einem grossen, 
künstlerisch geschmückten Palaste aus Cedernholz 
wohnen, die Lade Gottes aber in einer Hütte stehen 
lassen sollte. Er beschloss daher nach dem Gebotenes 
Moyses, Gott einen Tempel zu bauen. Und da er dieser- 
halb den Rat des Propheten Nathan ein holte, und dieser 
ihn in seinem Vorhaben bestärkte, weil Gott ihm stets 
hilfreich sich erzeigen werde, wurde sein Verlangen, den 
Tempel zu bauen, noch mächtiger. In der Nacht aber 
erschien Gott dem Nathan und hiess ihn dem David 
verkündigen, sein guter Wille und sein Eifer gefalle 
ihm zwar, zumal da niemand vor ihm an die Er- 
bauung eines Tempels gedacht habe; doch könne er 
ihm den Tempelbau nicht gestatten, da er viele Kriege 
geführt und seine Hände mit Feindesblut befleckt habe. 
Nachdem er aber in hohem Alter zu seinen Vätern ge- 
gangen sein werde, solle der Tempel von dem seiner 
Söhne, der nach ihm regieren werde und Solomon heisse, 
erbaut werden. Für Solomon werde er wie für seinen 
Sohn sorgen und die .Herrschaft seinen Nachkommen 
erhalten. Sollte er aber in irgend einer Sache sündigen, 
so werde er das nur durch Krankheiten und Unfrucht- 
barkeit des Bodens ahnden. Als David dies von dem 
Propheten vernahm, freute er sich sehr, weil er jetzt 
wusste, dass die Herrschaft seinen Nachkommen ver- 
bleiben und sein Geschlecht herrlich und berühmt 
werden würde. Und er begab sich zur Lade, fiel auf 
sein Angesicht und (betete, um Gott zu danken für alle 
Wohlthaten, die er ihm schon erwiesen dadurch, dass er 
ihn aus dem niedrigen Stande eines Hirten zu solchem 
Ruhm und solcher Macht erhoben , dann auch für 
das Gute, das er seinen Nachkommen verheissen habe, 
endlich dafür, dass er um die Hebräer und ihre Freiheit 
stets so besorgt gewesen sei. Nachdem er also gebetet 
und Gott ein Loblied gesungen hatte, entfernte er sich 
aus der Hütte. 




408 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Fünftes Kapitel. 

David unterwirft die Palaestiner und Moabiter, die Könige 
von Sophene, Damaskus und Syrien und die Idumäer, 
schliesst ein Bündnis mit dem Könige von Amathe und 
findet Gelegenheit, der Freundschaft des Jonathas dankbar 

sich zu erinnern. 

1. Kurze Zeit darauf erwog David bei sich, dass er 
die Palaestiner notwendig bekämpfen müsse und nicht 
in Ruhe und Unthätigkeit feiern dürfe, damit er nach 
Gottes Befehl seinen Nachkommen das Reich in Frieden 
hinterlassen könne. Deshalb rief er wiederum sein Heer 
zusammen und verkündete ihm, es solle sich zum Kriege 
rüsten; und als alles in Ordnung war, verliess er 
Jerusalem und marschierte gegen die Palaestiner. Diese 
schlug er, nahm ihn einen grossen Teil ihres Landes, 
den er dem Gebiete der Hebräer ein verleibte, und wandte 
sich dann gegen die Moabiter. Deren Heer rieb er zu 
zwei Teilen gänzlich auf, den Rest aber brachte er unter 
seine Botmässigkeit und legte ihm einen jährlichen 
Tribut auf. Alsdann führte . er sein Heer gegen 
Adrazar, den Sohn des Araus und König von Sophene, 
traf mit ihm am Flusse Euphrat zusammen und tötete 
von dessen Truppen zwanzigtausend Mann Fussvolk und 
siebentausend Reiter. Auch nahm er ihm tausend 
Wagen ab, von denen er hundert für sich auf bewahrte, 
während er den Rest verbrennen liess. 

2. Als Adad , der König von Damaskus und Syrien, 
gehört hatte, dass David den Adrazar bekriege, eilte er 
diesem als Freund mit einer starken Mannschaft zu Hilfe. 
Am Euphrat traf auch er mit David zusammen, doch 
verlor er wider Erwarten einen grossen Teil seines 
Heeres; denn es fielen von seinen Leuten zwanzigtausend 
Mann unter den Schwertern der Hebräer, alle übrigen 
aber flohen. Diesen König erwähnt auch Nikolaus im 
vierten Buche seiner Geschichten mrit folgenden Worten : 
„Lange Zeit nachher herrschte über Damaskus und 



Siebentes Buch, 5. Kapitel. 


409 


Syrien mit Ausnahme von Phoenicien ein mächtiger 
eingeborener Fürst mit Namen Adad. Dieser liess sich 
in einen Krieg mit David , dem Könige der Juden, ein, 
kämpfte mit ihm in vielen Schlachten und unterlag zu- 
letzt am Euphrat, er, der stärkste und tapferste aller 
Könige.“ Dann berichtet er auch von seinen Nach- 
kommen, dass nach seinem Tode immer einer vom 
anderen mit der Herrschaft auch den Namen erhalten 
habe, in folgenden Worten: „Als er gestorben war, 
herrschten seine Nachkommen bis ins zehnte Geschlecht, 
indem jeder von seinem Vater mit der Herrschaft zu- 
gleich auch den Namen erhielt, wie es bei den Ptole- 
mäern in Aegypten der Fall war. Der dritte von ihnen, 
der an Macht sehr eingebüsst hatte, wollte den Besitz 
seines Grossvaters mit Gewalt wiederherstellen und ver- 
wüstete das Land, das jetzt Samaritis genannt wird.“ 
Hierin weicht er auch nicht von der Wahrheit ab; denn 
das ist derselbe Adad, der zur Zeit, als Achab König 
der Israeliten war, in Samaria einfiel, wovon an geeigneter 
Stelle die Rede sein wird. 

3. Als nun David Damaskus und das übrige Syrien 
ganz in seine Gewalt gebracht* Besatzungen in das Land 
gelegt und den Bewohnern eine Abgabe auferlegt hatte, 
kehrte er nach Hause zurück und weihte zu Jerusalem 
Gott die goldenen Köcher und Rüstungen, mit denen 
Adads Trabanten versehen gewesen waren. Diese hat 
später Susak, der König der Aegyptier, nachdem er 
Davids Enkel Roboam überwunden hatte, nebst vielen 
anderen Schätzen aus Jerusalem weggebracht, wovon an 
passender Stelle Näheres berichtet werden wird. — Da 
nun Gott alle Unternehmungen des Hebräerkönigs be- 
günstigte und allen seinen Kriegen ein glückliches Ende 
verlieh , führte David sein Heer auch noch gegen die 
schönsten Städte Adrazars, Bettaea und Machon, und 
eroberte und plünderte dieselben. In ihnen fand er eine 
Menge Gold und Silber, ausserdem auch eine Art Erz, 
die man für kostbarer als Gold hielt. Daraus liess Solo- 
mon später das grosse Becken, welches Meer genannt wird, 




410 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und andere herrliche Geräte anfertigen, mit denen er den 
Tempel Gottes zierte. 

4. Als der König von Amathe von der Niederlage 
Adrazars hörte, fürchtete er für sich selbst und beschloss 
daher, mit David, ehe dieser ihn angreifen würde, 
ein Freundschaftsbündnis einzugehen. Zu dem Zwecke 
schickte er seinen Sohn Adoram zu ihm, welcher ihm in 
seinem Namen zur Niederwerfung Adrazars, der auch 
sein Feind gewesen sei, Glück wünschen und das Bünd- 
nis mit ihm schliessen sollte. Auch übersandte er als 
Geschenke goldene, silberne und eherne Gefässe von 
alter Arbeit. David ging das Bündnis mit Thaenus (so 
hiess der König von Amathe) ein, nahm seine Ge- 
schenke an und entliess seinen Sohn, wie es ihrer 
beiderseitigen Würde entsprach, mit allen Ehren. Die 
Geschenke aber sowie das übrige Gold und Silber, das 
von den unterjochten Städten und Völkerschaften 
stammte, weihte er Gott. Dieser nun verlieh nicht nur 
dem David selbst in allen Kämpfen den Sieg, sondern 
auch dem Abessa, dem Bruder Joabs, den David mit 
einem Heere nach Idumaea schickte: denn es blieben von 
den Idumäern achtzehntausend Mann in der Schlacht. 
Hierauf versah der König das ganze Land Idumaea 
mit Besatzungen und legte den Idumäern Grund- und 
Kopfsteuer auf. — David war aber von Natur gerecht 
und fällte seine Urteilssprüche unparteiisch. Sein 
oberster Heerführer war Joab , zum Geheimkämmerer 
ernannte er den Josaphat, den Sohn des Achilus, und 
den Sadok machte er mit Abiathar, der ihm befreundet 
war, zu Hohepriestern. Sadok stammte aus dem Hause 
des Phinees. Zu seinem Schreiber erwählte er den Sisas, 
und dem Banajas, dem Sohne des Joadas, übertrug er 
den Oberbefehl über seine Trabanten. Des letzteren älteste 
Söhne ernannte er zu seinen Leibwächtern und vertraute 
ihnen seinen direkten Schutz an. 

5. David erinnerte sich auch des Bündnisses, das er 
mit Sauls Sohn Jonathas geschlossen, sowie des eidlich 
beschworenen Treuegelöbnisses und der Freundschaft, 




Siebentes Buch, 5. Kapitel. 


411 


clie er ihm erzeigt hatte. Denn zu seinen übrigen Tugen- 
den kam auch die noch hinzu, dass er sich stets deren 
erinnerte, die ihm Gutes gethan. Er befahl daher, man 
solle sorgfältig nachforschen, ob noch jemand von Jonathas’ 
"Verwandten am Leben sei, dem er den Dank für die 
ehemals genossene Freundschaft abtragen könne. Und 
da ihm einer von Sauls Freigelassenen zugeführt wurde, 
der wissen konnte, ob noch jemand von Jonathas’ Ge- 
schlecht am Leben war, fragte er ihn diesbezüglich aus. 
Darauf entgegnete der Mann, es sei noch ein Sohn von 
ihm mit Namen Memphibost am Leben, der an den 
Füssen gelähmt sei. Denn als seine Amme die Nachricht 
erhalten habe, des Knaben Vater und Grossvater seien 
in der Schlacht gefallen, sei sie mit ihm eilig geflohen. 
Auf der Flucht sei er ihr dann von der Schulter ge- 
fallen und habe sich die Füsse verletzt. Als nun David 
erfahren hatte, wo derselbe sich befinde und bei wem er 
erzogen werde, schickte er in die Stadt Labatha zu einem 
gewissen Machir und liess ihn zu sich rufen. Memphi- 
bost kam darauf zum Könige, fiel vor ihm nieder und 
erwies ihm die üblichen Ehrenbezeugungen. David aber 
hiess ihn wohlgemut sein und das Beste von ihm er- 
warten. Dann schenkte er ihm sein väterliches Haus 
und alles j was seinem Grossvater Saul früher gehört 
hatte. Auch hiess er ihn täglich an seinem Tische er- 
scheinen und nur ja keinen Tag wegbleiben. Und da 
der Knabe dem Könige für die freundlichen Worte und 
die Geschenke gedankt hatte, liess dieser den Sibas rufen 
und sagte ihm, er habe dem Knaben sein väterliches 
Haus und allen Besitz Sauls geschenkt. Dann befahl 
er ihm, dessen Landbesitz zu verwalten und den ganzen 
Ertrag davon nach Jerusalem zu bringen. Und jeden 
Tag zog er den Memphibost zu Tische und gab ihm den 
Sibas und dessen Söhne, fünfzehn an der Zahl, sowie 
dessen Knechte, im ganzen zwanzig, bei. Nachdem 
der König das alles angeordnet hatte, entfernte sich 
Sibas nach Erweisung der Ehrenbezeugungen und mit 
der Versicherung, alles getreulich ausführen zu wollen. 




412 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Der Sohn des Jonathas aber wohnte von da ab zu 
Jerusalem, speiste an der königlichen Tafel und wurde 
mit aller Aufmerksamkeit behandelt, als ob er des 
Königs eigener Sohn sei. Er zeugte später auch selbst 
einen Sohn mit Namen Michas. 


Sechstes Kapitel. 

Der Krieg gegen die Ammaniter und sein glücklicher 

Ausgang. 

1 . So ehrte David die Hinterbliebenen Sauls und 
Jonathas’. Da um diese Zeit Naases, der König der 
Ammaniter, der dem David befreundet war, starb und 
sein Sohn ihm in der Regierung folgte, schickte David 
Gesandte zu diesem, liess ihm sein Beileid ausspreehen 
und ihn ermahnen, er möge über den Tod seines Vaters 
nicht zu sehr trauern und sich der Fortdauer der Freund- 
schaft, die zwischen ihm und seinem Vater gewaltet, ver- 
sichert halten. Die Vornehmen der Ammaniter aber 
nahmen diese Ankündigung nicht im Sinne Davids, viel- 
mehr mit boshaftem Gemüte auf und sagten dem Könige, 
David wolle unter dem Scheine der Freundschaft Spione 
schicken, die das Land und seine Streitkräftq auskund- 
schaften sollten. Zugleich gaben sie ihm den Rat, er 
möge sich vorsehen und nicht leichtgläubig den Ver- 
sicherungen Davids trauen, damit er vor folgenschwerem 
Unglück bewahrt bleibe. Naases legte auf diese "Worte 
der Vornehmen mehr Gewicht, als recht war, und miss- 
handelte die Gesandten Davids. Er liess ihnen nämlich 
den halben Bart [scheren und die Kleider zur Hälfte 
aufschneiden und schickte sie mit dieser aus Thaten 
statt aus Worten bestehenden Antwort zurück. Hier- 
über erzürnte der König der Israeliten gewaltig und er- 
klärte, er werde dieses schmachvolle Unrecht nicht 60 
ohne weiteres hinnehmen, sondern die Ammaniter mit 
Krieg überziehen und ihren König für den an seinen 
Gesandten verübten Frevel züchtigen. Da nun des 



Siebentes Buch, 6. Kapitel. 


413 


Königs Freunde und Heerführer einsahen, dass sie das 
Bündnis gebrochen und Strafe zu gewärtigen hatten, 
rüsteten sie sich eilig zum Kriege, schickten zu Syrus, 
dem Könige der Mesopotamiter und boten ihm eintausend 
Talente 1 an, wenn er ihnen Hilfe leisten wolle. Auch 
mit Subas schlossen sie ein Bündnis. Diese Könige 
hatten zwanzigtausend Mann Fussvolk. Dazu mieteten 
sie sich noch den König der Amalekiter und einen 
vierten Namens Istob, die noch zwölftausend Bewaffnete 
zuführten. 

2. Den David aber erschreckte diese Waffenbrüder- 
schaft und die grosse Streitmacht der Ammaniter nicht. 
"Vielmehr vertraute er auf Gott, weil er einen gerechten 
Krieg zur Bestrafung ihm zugefügter Unbilden zu unter- 
nehmen im Begriffe stand, und schickte seinen Feld- 
herrn Joab sogleich mit dem ganzen Heere gegen den 
Feind. Joab schlug bei Kabatha, der Hauptstadt der 
Ammaniter, sein Lager auf. Die Feinde rückten darauf 
aus der Stadt heraus, stellten jedoch nicht gemeinschaft- 
lich, sondern jeder für sich ihre Schlachtlinie auf; denn 
die Hilfstruppen standen im offenen Felde, die Streit- 
macht der Ammaniter dagegen dicht vor den Thoren 
gegenüber den Hebräern. Joab, der dies überschaute, 
machte sich seinen Plan Zurecht, wählte die Tapfersten 
aus und stellte sie dem Syrus und den übrigen ver- 
bündeten Königen entgegen. Den Rest des Heeres über- 
gab er seinem Bruder Abessa und hiess ihn seine Truppen 
gegen die Ammaniter führen, indem er ihm den Rat 
gab, er solle, wenn er sähe, dass die Syrer zu mächtig 
seien, ihm zu Hilfe kommen; dasselbe wolle auch er 
thun, wenn er sähe, dass Abessa zu hart von den Am- 
manitern bedrängt werde. Dann beschwor er seinen 
Bruder, er möge alles tapfer und mit der Behendigkeit 
zur Ausführung bringen, die das Zeichen ehrliebender 
Streiter sei; er selbst griff dann die Syrer an. Als diese 


1 Ein Talent 4710 Mark, auch Gewicht = 26,2 Kilo- 
gramm. 




414 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


eine Zeitlang hartnäckigen Widerstand geleistet hatten, 
machte Joab einen grossen Teil von ihnen nieder, die 
übrigen aber trieb er in die Flucht. Sobald die Ammaniter 
das sahen, Hessen sie sich aus Furcht vor Abessa und 
seinem Heere gar nicht auf den Kampf ein, sondern 
folgten dem Beispiele ihrer Bundesgenossen und flohen 
in die Stadt. Nachdem Joab so die Feinde geschlagen 
und in die Flucht gejagt hatte, kehrte er in glänzendem 
Aufzuge nach Jerusalem zum Könige zurück. 

3. Trotz dieser Niederlage wollten aber die Amma- 
niter noch keine Ruhe halten, sondern schickten Ge- 
sandte an Chalamas, den König der jenseits des Euphrat 
wohnenden Syrer, und erkauften sich um Geld dessen 
Bundesgenossenschaft. Dieser hatte achtzigtausend Mann 
Fussvolk und zehntausend Reiter unter Anführung des 
Feldherrn Sabek. Da nun der König der Hebräer er- 
fuhr, die Ammaniter hätten aufs neue eine so gewaltige 
Streitmacht gegen ihn gesammelt, beschloss er, nicht 
mehr seine Feldherrn gegen 6ie zu schicken, sondern 
zog selbst mit seinem ganzen Heere über den Jordan 
ihnen entgegen, lieferte ihnen eine Schlacht und be- 
siegte sie gänzlich. Es fielen von den Feinden gegen 
vierzigtausend Mann Fussvolk und siebentausend Reiter, 
und Sabek, der Heerführer des Königs Chalamas, wurde 
tödlich verwundet. Infolge dieses glücklichen Ausganges 
der Schlacht ergaben sich die Mesopotamiter dem David 
und sandten ihm Geschenke. Da aber der Winter im 
Anzuge war, kehrte David nach Jerusalem zurück. Mit 
Frühjahrsanfang schickte er dann seinen Heerführer 
Joab noch einmal gegen die Ammaniter. Dieser fiel in 
das Gebiet der Ammaniter ein, verwüstete ihre Äcker 
und trieb sie selbst in ihre Hauptstadt Rabatha zu- 
sammen, die er dann belagerte. 




Siebentes Buch, 7. Kapitel. 


415 


Siebentes Kapitel. 

David entbrennt in Liebe zu Beersabe, bereitet ihrem 

Gatten Urias den Tod und wird von Nathan zur Reue 

gebracht. 

1. Um diese Zeit fiel David, der von Natur ein ge- 
rechter und frommer Mann war und die väterlichen Ge- 
setze streng beobachtete, in eine schwere Sünde. Als er näm- 
lich eines Tages vom Dache seines Königspalastes, auf 
dem er gegen Abend zu wandeln pflegte, sich umschaute, 
bemerkte er ein sehr schönes Weib mit Namen Beer- 
sabe, die sich in ihrem Hause in frischem Wasser badete. 
Von ihrer Schönheit wurde er derart gefesselt, dass er 
seine Begierde nicht zu bezähmen vermochte, sondern 
sie zu sich kommen liess und mit ihr sündigte. Da nun 
das Weib schwanger wurde, schickte sie zum Könige 
und liess ihn bitten, er möge doch dafür sorgen, dass 
das Vergehen verborgen bleibe; denn da sie einen Ehe- 
bruch begangen, war, sie nach dem väterlichen Gesetze 
dem Tode verfallen. David liess däher den Gatten des 
Weibes, der Joabs Waffenträger war, von der Belage- 
rung Rabathas herbeirufen; der Mann hiess Urias. Als 
er nun kam, fragte David ihn, wie es mit dem Heere 
und der Belagerung stehe. Er antwortete, es gehe alles 
nach Wunsch. Hierauf liess David ihm von seinem 
Mahle ein Gericht auftragen und hiess ihn dann sich 
zu seiner Gattin begeben und bei ihr ruhen. Urias that 
das aber nicht, sondern schlief bei den Waffenträgern 
des Königs. Als der König das vernahm, fragte er ihn, 
weshalb er sich nicht nach Hause begeben habe, zumal 
er so lange von seinem Weibe weggewesen sei, wie denn 
doch in der Regel sich die Menschen nach Hause sehnten, 
wenn sie lange in der Fremde gewesen. Urias entgegnete, er 
halte es nicht für schicklich, bei seinem Weibe sich zu 
ergötzen, während seine Kampfgenossen und sein Feld- 
herr in Feindesland im Lager schlafen müssten. Da- 
rauf befahl ihm der König, noch diesen Tag bei ihm zu 




416 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


bleiben, am anderen Tage werde er ihn dann wieder zu 
seinem Feldherrn schicken. Urias ward alsdann von 
David zum Mahle geladen und berauschte sich dabei, 
weil der König ihm absichtlich häufig zutrank. Nichts- 
destoweniger schlief er aber auch diese Nacht wieder 
vor des Königs Thür und trug nach seinem Weibe kein 
Verlangen. Hierüber ward der König unwillig und be- 
auftragte den Joab brieflich, er solle den Urias bestrafen, 
denn er habe gefehlt, gab ihm auch die Art und Weise 
an, wie er ihn bestrafen solle, damit es nicht offenkundig 
würde, dass der König selbst die Bestrafung befohlen 
habe. Er solle ihn nämlich da gegen den Feind stellen, 
wo dieser am gefährlichsten andränge, und ihn von den 
übrigen Kämpfern trennen; denn sobald die Schlacht 
begonnen habe, sollten die Kampfgenossen sich von ihm 
fortbegeben. Dieses Schreiben schloss der König mit 
seinem eigenen Siegel und übergab es dem Urias, damit 
er es dem Joab bringe. Als Joab den Brief erhielt und 
den Willen des Königs daraus ersah, stellte er den 
Urias an den Ort, wo, wie er wusste, der Feind am 
heftigsten angreifen- würde. Auch gab er ihm einige 
tapfere Krieger bei und sagte ihnen, er werde, wenn 
sie irgendwo die Mauer untergraben hätten, sodass man 
in die Stadt eindringen könne, ihnen mit dem ganzen 
Heer zu Hilfe kommen. Den Urias aber bat er, er möge, 
da er ein wackerer Streiter sei und deshalb beim Könige 
und seinen Kampfgenossen in hoher Achtung stehe, sich 
die grossen Beschwerden nicht verdriessen lassen und 
sich willig darein fügen. Und da Urias eifrig Hand 
anlegte, gab Joab seinen Mitkämpfern heimlich ein 
Zeichen und sagte ihnen, sie sollten, sobald sie den 
Feind hervorbrechen sähen, sich zurückziehen und den 
Urias im* Stich lassen. Sowie nun die Hebräer sich der 
Stadt näherten, besorgten die Ammaniter, die Feinde 
möchten an der Stelle, wo Urias stand, rasch die Mauer 
ersteigen; sie Hessen deshalb ihre tapfersten Kämpfer 
dort anrücken, öffneten das Thor und machten mit 
grossem Ungestüm einen Ausfall. Als dies die Kampf- 



Siebentes Buch, 7. Kapitel. 


417 


genossen des Urias sahen, zogen sie sicli dem Befehle 
Joabs gemäss zurück. Urias dagegen schämte sich, zu 
fliehen und seinen Posten zu verlassen, hielt deshalb den 
Feinden wacker stand und tötete ihrer viele; endlich 
jedoch wurde er umzingelt und niedergeraacht, und mit 
ihm fielen auch einige seiner Genossen. 

2. Hierauf schickte Joab Boten an den König, um 
ihm mitzuteilen, er habe sich Mühe gegeben, die Stadt 
schnell einzunehmen; als er aber die Mauer habe er- 
steigen wollen, seifler mit Yerlust ziemlich beträchtlicher 
Mannschaft zum Rückzug gezwungen worden. Den Boten 
trug er dann noch auf, sie sollten, wenn sie den König 
bei dieser Nachricht In Zorn geraten sähen, ihm den Tod 
des Urias melden. Als nun der König die Nachricht 
erhielt, ward er sehr unwillig und bemerkte, sie hätten 
sehr unklug gehandelt, da sie versucht hätten, die 
Mauern zu erstürmen; vielmehr hätten sie dieselben 
unterminieren und versuchen sollen, die Stadt mit List 
zu nehmen. Ein Beispiel hätten sie sich da an Abi- 
melech, dem Sohne des Gedeon, nehmen können, der, 
als er den Turm von Theben mit Gewalt habe erstürmen 
wollen, von einem alten Weib mit einem Steine ge- 
tötet worden sei und, obgleich er ein so tapferer Held 
gewesen, bei dem schwierigen Beginnen schmachvoll 
sein Leben verloren habe. Daran hätten sie denken 
und nicht so nahe an die Stadtmauern herangehen sollen. 
Denn es sei vorteilhaft, sich frühere Kriegsthaten ins 
Gedächtnis zurückzurufen, seien dieselben nun glücklich 
oder unglücklich verlaufen, um daraus entnehmen zu 
können, was man thun oder lassen müsse. Als der Bote 
nun aber dem ergrimmten Könige den Tod des Urias 
meldete, liess dieser sogleich von seinem Zorn ab und 
befahl dem Boten, er solle zurückkehren und dem Joab 
melden, es sei etwas Menschliches, was dem Urias zuge- 
stossen sei, und die Natur des Krieges bringe es nun 
einmal mit sich, dass das Glück bald der einen , bald 
der anderen Partei günstig sei. Künftig möge er aber 
bei der Belagerung sorgfältiger verfahren und nichts 

Josephus* Jüdische Altertümer. 27 




418 


Josepbus* Jüdische Altertümer. 


ausser acht lassen, sondern Wälle aufwerfen, die Stadt 
mit Belagerungsmaschinen berennen und in seine Gewalt 
bringen, sodann aber dieselbe von Grund aus zerstören 
und ihre Bewohner ohne Ausnahme umbringen. Mit 
diesem Befehl des Königs begab sich der Bote eilig zu 
Joab zurück. Beersabe aber, des Urias Weib, trauerte 
und weinte einige Tage um ihren Mann, als sie seinen 
Tod vernommen hatte. Nach Ablauf der Trauerzeit 
nahm sie der König zum Weibe und erhielt von ihr 
einen Sohn. 

3. Diese Ehe fand aber nicht den Beifall Gottes, 
sondern er zürnte dem David, erschien dem Propheten 
Nathan im Traume und klagte den König schwer an. 
Nathan jedoch, der ein höflicher und verständiger Mann 
war, überlegte bei sich, dass die Könige, wenn 6ie zürnen, 
mehr ihrer Leidenschaft als der Gerechtigkeit zu folgen 
pflegen, und beschloss daher, die Drohungen Gottes mit 
Stillschweigen zu übergehen und dafür andere nützliche 
Ermahnungen an David zu richten, wodurch dieser sich 
vielleicht veranlasst fühlen würde, seine wahre Gesinnung 
zu offenbaren. „Zwei Männer,“ sagte er, „wohnten in 
einer und derselben Stadt; der eine von ihnen war 
reich und besass viele Schaf- und Rinderherden, der 
andere aber war arm und nannte nur ein einziges 
Schäfchen sein eigen. Dieses zog er mit seinen Kindern 
auf, genoss mit ihm dieselbe Speise und liebte es wie 
eine Tochter. Als nun zu dem Reichen ein Gastfreund 
kam, wollte er zum Mahle keines von seinen eigenen 
Schafen schlachten, sondern liess dem Armen sein Schäf- 
chen wegnehmen, bereitete es zu und setzte es seinem 
Gaste vor.“ Diese Rede betrübte den König sehr ; er 
nannte den Mann, der solches thun könne, einen Ver- 
brecher und sagte, es sei gerecht, dass er das Schäfiphen 
vierfach bezahle und dann noch mit dem Tode bestraft 
werde. Nathan aber entgegnete ihm, er selbst sei der, 
der diese Strafe verdient habe, und er habe sich selbst 
das Urteil gesprochen, weil er eine so ungeheure Schand- 
that zu begehen gewagt habe. Dann stellte er ihm den 



Siebentes Buch, 7. Kapitel. 


419 


Zorn Gottes vor Augen , des Gottes, der ihn zum König 
aller Hebräer und zum Beherrscher so vieler und mäch- 
tiger Völkerschaften gemacht, ihn einst aus den Händen 
Sauls befreit und ihm rechtmässige Ehefrauen gegeben 
habe. Nichtsdestoweniger habe er ihn jetzt verachtet 
und beleidigt, da er ein fremdes Weib zur Ehe genommen 
und ihren Gatten hinterlistiger Weise von Feindeshand 
habe töten lassen. Dafür werde er von Gott schwer 
bestraft werden: seine eigenen Weiber würden von einem 
seiner Söhne geschändet und ihm selbst von diesem 
Sohne nach dem Leben getrachtet werden, und so werde 
er für den heimlich begangenen Frevel öffentliche Strafe 
erleiden. Auch werde der Knabe, den das Weib ihm 
geboren, in kurzer Zeit sterben. David geriet hierüber 
in Schrecken und Bestürzung und bekannte unter Thränen 
und Wehklagen seine Sünde gegen Gott, denn er war 
an sich ein frommer, unbescholtener und reiner Mann, 
der ausser dem Vergehen mit des Urias Weib sich 
nichts hatte zu schulden kommen lassen. Deshalb er- 
barmte sich Gott seiner, nahm ihn in Gnaden wieder 
auf und versprach, ihm Königreich und Leben erhalten 
zu wollen; denn wegen seiner Reue wolle er ihm nicht 
weiter zürnen. Als Nathan so dem König sein künf- 
tiges Geschick verkündigt hatte, kehrte er nach Hause 
zurück. 

4. Den Knaben aber, den das Weib des Urias dem 
David geboten hatte, suchte Gott mit schwerer Krank- 
heit heim. Hierüber betrübte sich David so sehr, dass 
er trotz der dringenden Bitten seiner Hausgenossen 
sieben Tage lang keine Nahrung zu sich nahm, vielmehr 
ein schwarzes Gewand anlegte, in einem Sacke sich zur 
Erde warf und Gott inständig um des Knaben Heilung 
anflehte; denn er hatte dessen Mutter sehr lieh. Als 
aber der Knabe am siebenten Tage gestorben war, 
scheuten sich die Diener des Königs, ihm dies mitzu- 
teilen ; denn sie besorgten, er möchte, wenn er es erführe, 
noch weniger auf Nahrung und Körperpflege achten, zu- 
mal er schon über die Krankheit sich so sehr gegrämt habe. 

27 * 



420 


Josephus’ J iidiscbe Altertümer. 


Da nun der König merkte, dass seine Hausgenossen 
sehr verstört waren und sich anstellten, als ob sie ihm 
etwas verheimlichen wollten, schloss er daraus, dass der 
Knabe gestorben sei. Darauf liess er einen seiner Diener 
zu sich kommen, und als er von ihm die Wahrheit er- 
fahren hatte, erhob er sich sogleich, badete, legte ein 
weisses Kleid an und begab sich zur Hütte Gottes. Dann 
befahl er, ihm ein Mahl aufzutragen. Dieses veränderte 
und unerwartete Benehmen setzte seine Verwandten und 
Diener in Erstaunen; denn da er während der Krank- 
heit des Knaben nichts dergleichen gethan hatte, fing 
er auf einmal nach seinem Tode damit an. Sie fragten 
ihn deshalb nach der Ursache dieses seines Benehmens, 
nachdem sie vorher hierzu von ihm die Erlaubnis er- 
wirkt hatten. Er antwortete ihnen, sie schienen ihm 
6ehr unverständig zu sein; denn so lange der Knabe 
noch gelebt und er noch Hoffnung auf seine Heilung 
gehabt habe, habe er alles Erforderliche gethan in dem 
Glauben, Gott dadurch versöhnen zu können. Da er 
nun aber gestorben sei, sei nutzlose Trauer nicht mehr 
vonnöten. Als der König so gesprochen, lobten alle 
seine Weisheit und Klugheit. Beersabe ward hierauf 
wieder von ihm schwanger und nannte den Sohn, 
den sie gebar, auf Anraten des Propheten Nathan 
Solomon. 

5. Unterdessen setzte Joab den Ammanitern mit 
der Belagerung sehr zu und schnitt ihnen das 
Wasser und die übrigen Lebensmittel ab, sodass 
sie unter Hunger wie Durst gewaltig litten. Ihre 
Hoffnung beruhte schliesslich noch auf einem ein- 
zigen kleinen Brunnen, mit dessen Wasser sie nach Lage 
der Sache sehr sparsam umgingen. Joab benachrichtigte 
hiervon brieflich den König und bat ihn, zur Ein- 
nahme der Stadt herüberzukommen, damit ihm selbst die 
Ehre des Sieges zu teil würde. Der König lobte seine 
treue und selbstlose Gesinnung, machte sich mit allen 
ihm zur Verfügung stehenden Truppen auf, nahm die 
Stadt Rabatha im Sturm und gab sie dem Kriegsvolk 



Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


421 


zur Plünderung preis. Für sich selbst nahm er die 
Krone des Ammaniterkönigs, welche ein Talent Gold 
wog und in der Mitte einen kostbaren Sardonyxstein 
hatte. Diese Krone trug David von da an mit Vorliebe. 
Ausserdem fand er noch viele andere kostbare und 
glänzende Beutestücke in der Stadt vor. Die Männer 
liess er alsdann unter vielen Qualen umbringen. Ebenso 
streng verfuhr er gegen die anderen Ammaniterstädte, 
welche er eroberte. 


Achtes Kapitel. 

Abesalom tötet den Amnon, weil dieser seine leib- 
liche Schwester geschändet; er wird deshalb flüchtig, 
später aber von David zurückgerufen. 

1. Als der König nach Jerusalem zurückgekehrt war, 
stiess seinem Hause folgendes Unglück zu. Er hatte 
eine jungfräuliche Tochter mit Namen Thamar, die die 
leibliche Schwester Abesaloms war und an Schönheit 
selbst die wohlgestaltetsten Weiber übertraf. Zu dieser 
entbrannte in Liebe Amnon, der älteste von Davids 
Söhnen, und da er sich, weil sie noch Jungfrau war 
und sorgfältig bewacht wurde, ihrer nicht bemächtigen 
konnte, wurde er tieftraurig, magerte vor Gram ab und 
verlor seine blühende Farbe. Als sein Verwandter und 
Freund Jonathas, der ein kluger und geistreicher Mann 
war, ihn so leiden sah und täglich wahrnahm, das.s er 
an körperlichem Wohlbefinden einbüsste, fragte er ihn 
eines Tages nach der Ursache davon und fügte hinzu, 
er glaube, es sei leidenschaftliche Liebe daran schuld. 
Als Amnon das bejahte und ihm mitteilte, er liebe seine 
Schwester, gab Jonathas ihm Mittel und Wege an, wie 
er zur Erfüllung seines Wunsches gelangen könne. Er 
riet ihm nämlich, er solle sich krank stellen, und wenn 
sein Vater ihn dann besuchen komme, solle er ihn bitten, 
ihm die Schwester zur Pflege zu schicken, da er 
hoffe, dadurch besser zu werden und schneller zu genesen. 


Go gle 



422 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Amnon legte sich also zu Bett und schützte Krankheit 
vor, wie Jonathas ihm geraten hatte. Und als sein 
Vater ihn besuchte und sich nach seinem Befinden er- 
kundigte , bat er ihn , er möge ihm seine Schwester 
schicken,* was dieser sogleich gewährte. Die Schwester 
kam nun, und Amnon ersuchte sie, ihm Kuchen zu 
backen, weil er diese lieber esse, wenn sie von ihr zu- 
bereitet seien. Sie mengte darauf vor seinen Augen den 
Teig, formte Kuchen daraus, buk sie und bot sie ihm 
an. Doch wollte er sie noch nicht essen, sondern befahl 
zunächst seinen Dienern, sie sollten sich alle aus dem 
Schlafgemach entfernen, denn er wolle ruhen und von 
Getöse und Lärm verschont sein. Als diese dem Befehl 
nachgekommen waren, bat er seine Schwester, sie möge 
ihm die Speise in sein Gemach bringen. Da nun das 
Mädchen ihm die Bitte erfüllte, ergriff er sie und suchte 
sie zu überreden, dass sie sich ihm hingebe. Das Mädchen 
aber schrie laut auf und sprach: „Thue mir doch, o 
Bruder, keine Gewalt an und begehe keine solche Schand- 
that, wodurch du die Gesetze übertreten würdest und 
deren du dich schämen müsstest. Stehe ab von der 
Befriedigung deiner Begierde, woraus unserer Familie 
nur Schimpf und Schande erwachsen würde.“ Sie gab 
ihm dann noch den Rat, er solle über die Angelegenheit 
mit dem Vater reden, der ihm seinen Wunsch wohl er- 
füllen würde. Das sagte sie aber, um für den Augen- 
blick seine begehrliche Leidenschaft zu dämpfen. Amnon 
jedoch hörte nicht auf sie, sondern that ihr, von Lust und 
Liebe entbrannt, Gewalt an. Nach begangener That 
aber fuhr er seine Schwester sogleich hart an und 
hiess sie unter Schimpfworten sich erheben und sich 
fortmachen. Als sie sich nun beklagte, er beleidige sie 
noch mehr, weil er sie, nachdem er sie geschändet, 
nicht einmal bis zur Nacht bei sich behalten wolle, 
sondern sie am hellen Tage fortgehen heisse, damit ihre 
Schande offenkundig werde, liess er sie durch einen 
Diener vor die Thür werfen. Über dieses Unrecht und 
die an ihr verübte Gewaltthat wurde Thamar von Schmerz 


Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


423 


ergriffen, zerriss ihr Gewand (die Jungfrauen trugen 
nach alter Sitte mit langen Ärmeln versehene und bis 
auf die Knöchel reichende Gewänder, die alle Blosse be- 
deckten), streute Asche auf ihr Haupt, ging mitten 
durch die Stadt und schrie und jammerte über die ihr 
zugefügte Unbill. Da begegnete ihr zufällig ihr Bruder 
Abesalom und fragte sie, was ihr Übles widerfahren sei, 
dass sie sich so aufführe. Und als sie ihm das ihr an- 
gethane Unrecht erzählte, tröstete er sie, ermahnte sie, 
ruhig zu sein, ihren Schmerz zu raässigen und es nicht 
für eine Schmach zu halten, dass sie von ihrem Bruder 
geschändet worden sei. Sie liess sich auch beruhigen, 
hörte auf zu jammern und ihre Schande im Volke 
weiter zu verbreiten, und blieb dann ziemlich lange 
zurückgezogen bei ihrem Bruder Abesalom. 

2. Als ihr Vater David diese Sache erfuhr, ward er 
sehr zornig. Weil er indes den Amnon als seinen ältesten 
Sohn sehr liebte, wollte er ihm nicht wehe thun. Abe- 
salom aber hasste ihn gewaltig und erspähte im geheimen 
eine Gelegenheit, um ihn für seine Schandthat zur Ver- 
antwortung zu ziehen. Als nun schon zwei Jahre seit 
dem Vorfall verflossen waren, und Abesalom im Begriff 
war, nach der Stadt Belsephon im Stamme Ephraim 
sich zur Schafschur zu begeben, lud er den Vater und 
die Brüder bei sich zu Gast. Der Vater aber ent- 
schuldigte sich damit, er wolle ihm keine Mühe ver- 
ursachen, worauf Abesalom ihn bat, er möge dann doch 
wenigstens seine Brüder zu ihm schicken. Als diese nun 
kamen, befahl er seinen Dienern, sie sollten, sobald sie 
sähen, dass Amnon vor Trunkenheit in Schlaf gefallen 
sei, sich nicht scheuen, ihn auf seine Verantwortung hin 
zu töten. 

3. Sowie dieser Befehl vollzogen war, bemächtigte sich 
der anderen Brüder gewaltiger Schrecken, und um sich 
selbst besorgt, stiegen sie rasch zu Pferde und ritten zu 
ihrem Vater. Es war ihnen aber jemand vorausgeeilt 
und hatte dem David gemeldet, alle seine Söhne seien 
von Abesalom umgebracht worden. Als David vernahm. 




424 


JL 


Josephua’ Jüdische Altertümer. 


er habe auf einmal alle Söhne verloren und das noch 
durch ein Verbrechen ihres Bruders, ergriff ihn. heftiger 
Schmerz, welcher sich noch steigerte im Gedanken an den, 
der ihm als Urheber des Mordes war gemeldet worden. 
Und ohne die Sache näher zu untersuchen oder genauere 
Nachrichten abzu warten, wie dies doch bei einer so 
schrecklichen und fast unglaublichen Frevelthat am Platz 
gewesen wäre, zerriss er sein Gewand, warf sich zur 
Erde und betrauerte alle seine Söhne, die Gemordeten 
sowohl wie den Mörder. Jonathas aber, der Sohn seines 
Bruders Satnas, bat ihn, er möge sich doch in seiner 
Trauer mässigen und nicht glauben, alle seine Söhne 
seien umgebracht, da kein Grund vorhanden sei, das zu 
befürchten. In betreff des Amnon aber möge er eine 
Nachforschung anstellen lassen, denn es sei wahrschein- 
lich, dass Abesalom wegen der Schändung der Thamar 
es unternommen habe, ihn zu töten. Unterdes ver- 
nahmen sie auf einmal Pferdegetrappel und sahen einen 
Schwarm Reiter ankommen ; es waren des Königs Söhne, 
die vom Gastmahl aufgestanden und entflohen waren. 
Da sie nun weinten, ging ihnen der Vater traurig ent- 
gegen, obgleich er wider Erwarten diejenigen lebend er- 
blickte, die man ihm schon tot gemeldet hatte, und alle 
brachen in Jammern und Schluchzen aus, die Brüder um 
ihren Bruder, der König um seinen ermordeten Sohn. 
Abesalom floh darauf nach Gethsura zum Beherrscher 
dieses Landes, der sein Grossvater mütterlicherseits war, 
und hielt sich bei ihm drei volle Jahre auf. 

4. Eines Tages aber kam es David in den Sinn , zu 
seinem Sohne Abesalom zu schicken und ihn zu sich 
kommen zu lassen, nicht um ihn zu bestrafen, sondern 
um ihn wieder bei sich zu haben; denn mit der Zeit 
hatte Davids Zorn sich gelegt. Sein Feldherr Joab be- 
stärkte ihn in diesem Vorhaben noch mehr. Denn auf 
seine Veranlassung ging eine alte Frau im Trauer- 
gewande zum König und teilte diesem mit, ihre beiden 
Söhne seien auf dem Felde in Streit geraten, und da nie- 
mand zugegen gewesen, der ihn geschlichtet hätte, sei 


Siebentes Buch, 8. Kapitel. 


• 425 


er schliesslich in Thätlichkeiten ausgeartet, und der eine 
vom anderen getötet worden. Hierauf bat sie ihn, er 
möge doch, da die Verwandten dem Mörder nach dem 
Leben trachteten, ihr die Stütze des Alters erhalten 
und zu seiner Rettung beitragen, indem er diejenigen 
einschüchtere, die ihm nachstellten. Denn diese würden 
sich durch nichts anderes als durch die Furcht vor ihm 
von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Als nun der 
König ihrer Bitte Gewährung zugesagt hatte, bedankte 
sie sich und fuhr dann fort: „Ich freue mich über deine 
Güte, mit der du dich meines Alters und meiner Verlassen- 
heit erbarmt hast. Doch damit ich deinen leutseligen 
Versprechungen um so sicherer trauen kann, so nimm 
zunächst deinen eigenen Sohn wieder in Gnaden auf 
und lass ab von deinem Zorn gegen ihn. Denn wie 
könnte ich wohl davon überzeugt sein, dass du mir 
wirklich gnädig sein willst, wenn dir dein eigener Sohn 
wegen der gleichen Übelthat noch verhasst ist? Es wäre 
ja auch unvernünftig gehandelt, wenn ein Sohn wider 
unseren Willen umgekommen ist, nun auch noch zu 
wünschen, dass der andere denselben Weg gehe.“ Der 
König vermutete sogleich, dass Joab in seiner Liebe zu 
Abesalom das Weib angestiftet habe, und als er auf Be- 
fragen von dem Mütterchen vernahm, dass die Sache 
sich so verhielt, liess er den Joab zu sich rufen 
und sagte ihm, er habe seine Absicht erreicht und solle 
ihm den Abesalom wieder zuführen ; denn er zürne 
ihm nicht mehr, sondern habe allen Unwillen gegen ihn 
fahren lassen. Joab dankte darauf dem Könige, dessen 
Worte ihn mit Freude erfüllt hatten, eilte sogleich nach 
Gethsura und führte den Abesalom nach Jerusalem 
zurück. 

5. Als der König vernahm, sein Sohn sei im Anzuge, 
sandte er ihm einen Boten entgegen und liess ihm sein 
Haus einräumen; doch 6ei der König noch nicht so 
gegen ihn gesinnt, dass er seinen Anblick schon ertragen 
könne. Abesalom kam ihm daher seinem Befehl ge- 
mäss nicht vor die Augen, hielt sich vielmehr zu Hause 



Josephus’ Jüdische Altertümer. 


426 * 


und begnügte sich mit den Liebesbezeugungen , die ihm 
die Seinigen erwiesen. Doch that weder der Gram, noch 
der Mangel an Pflege, die dem Sohne eines Königs ge- 
bührt, seiner Schönheit Abbruch,' vielmehr übertraf er 
an Anmut und schlankem Wüchse alle anderen und 
sogar diejenigen, die in Freuden ihr Leben zubrachten. 
Sein Haupthaar war so dicht, dass man es in acht 
Tagen kaum scheren konnte, und wog zweihundert 
Sekel, die gleich fünf Minen sind. Zwei Jahre lang 
wohnte er zu Jerusalem und wurde Vater dreier Söhne 
und einer Tochter, welch letztere von hervorragender 
Schönheit war und später Roboam, den Sohn Solo- 
mons, heiratete, dem sie einen Sohn namens Abias ge- 
bar. Eines Tages nun schickte Abesalom zu Joab und 
liess ihn bitten, er möge doch seinen Vater vollends 
versöhnen und ihm die Erlaubnis verschaffen, dass er 
ihn wieder sehen und mit ihm sprechen dürfe. Da aber 
Joab dies nicht that, schickte er einige von seinen Leuten 
und liess dessen Acker, der an den seinigen anstiess, in 
Brand setzen. Als Joab von dieser Frevelthat Kunde 
erhielt, ging er zu Abesalom, beklagte sich bei ihm dar- 
über und fragte ihn, weshalb er das gethan habe. Abe- 
salom entgegnete: „Ich habe diese List ersonnen, um 
dich zu mir zu bringen, weil du den Auftrag, den ich dir 
in betreff der Aussöhnung mit meinem Vater gab, nicht 
beachtet hast. Da du nun persönlich anwesend bist, 
bitte und beschwöre ich dich, meinen Vater versöhnlich 
zu stimmen. Denn wenn mein Vater in seinem Zorn be- 
harrt, bin ich wahrlich noch übler dran als in der Ver- 
bannung.“ Joab liess sich hierdurch bereden, erbarmte 
sich seiner Not und verwandte sich für ihn beim Könige. 
Diesem redete er so eindringlich zu, dass er bewegt 
wurde und seinen Sohn zu sich beschied. Abesalom 
warf sich vor ihm nieder und bat ihn um Verzeihung 
für seine Vergehen; der König aber richtete ihn auf 
und versprach ihm, der Vergangenheit nicht mehr zu 
gedenken. 


Go gle 



Siebentes Buch, 9. Kapitel. 


427 


Neuntes Kapitel. 

Abesalom empört sich gegen seinen Vater. 

David flieht vor ihm. 

1. Als nun Abesalom seine Absicht beim Könige er- 
reicht hatte, schaffte er sich in kurzer Zeit viele Pferde 
und Wagen sowie fünfzig bewaffnete Trabanten an. Jeden 
Morgen ging er zum Königspalaste, knüpfte mit Leuten, 
die in Rechtshändeln unterlegen waren, freundliche Ge- 
spräche an, sagte ihnen, das komme daher, weil sein 
Vater nur unerfahrene Ratgeber habe, die ihm vielleicht 
bei der Fällung des Urteils eine falsche Meinung bei- 
gebracht hätten, und versicherte ihnen, er würde, falls 
er nur die Macht dazu hätte, ihnen schon zu ihrem 
Rechte verhelfen. Hierdurch erwarb er sich allgemeine 
Gunst und gewann sich das gesamte Volk. Als er nun 
glaubte, auf das- Volk rechnen zu können, ging er 
vier Jahre nach der Aussöhnung mit seinem Vater zu 
diesem und bat ihn, er möge ihm gestatten, nach 
Chebron zu gehen, um dort Gott das Opfer darzubringen, 
das er ihm in der Verbannung gelobt habe. David ge- 
währte ihm die Bitte, und Abesalom schickte nun 
überallhin Boten und brachte eine ungeheure Volks- 
menge zusammen; dann brach er von da auf. 

2. Unter dieser Volksmenge befanden sich auch ein 
Ratgeber Davids, der Gelmonäer Achitophel, und zwei- 
hundert Männer aus Jerusalem, die jedoch von dem 
ganzen Plane nichts wussten, sondern nur unter dem 
Vorwände der Darbringung eines Opfers zugezogen 
worden waren. Durch allerlei Listen und Kunstgriffe 
brachte es nun Abesalom dahin, dass er von allen zum 
König ausgerufen wurde. Als David hiervon Kenntnis 
erhielt, ergriff ihn Furcht ob der Verwegenheit und 
Bosheit seines Sohnes, und zugleich verwunderte er sich, 
dass jener so schnell die Verzeihung, die er ihm für seine 
früheren Frevelthaten gewährt, vergessen hatte, ja dass 
er - sogar noch Schlimmeres plante , nämlich ihm die 



428 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


von Gott verliehene Herrschaft zu entreissen und ihm 
nach dem Leben zu trachten. Er beschloss daher, über 
den Jordan zu fliehen, rief seine vertrautesten Freunde 
zusammen, gab alles dem Ratschlüsse Gottes anheim 
und ging, indem er seine zehn Kebsweiber zur Be- 
wachung des Palastes zurückliess, von Jerusalem weg nebst 
einer beträchtlichen Menge Volkes, die ihm bereitwillig 
folgte, sowie mit der Leibwache von sechshundert Mann, 
die auch auf der früheren Flucht zu Lebzeiten Sauls 
seine Begleiter gewesen waren. Den Hohepriestern Abi- 
athar und Sadok dagegen, die ihn mit allen Leviten 
und der Lade begleiten wollten, riet er, zu Hause 
zu bleiben, da Gott ihn, auch wenn er die heilige 
Lade nicht bei sich führe, doch aus allen Gefahren be- 
freien werde. Doch trug er ihnen auf, sie sollten ihn 
von allen Vorfällen heimlich in Kenntnis setzen. Als 
besonders getreue Diener erwiesen sich ihm die Söhne 
der Hohepriester, Achimas, der Sohn Sadoks, und Jona- 
thas, der Sohn Abiathars. Auch der Gittäer Ethi zog 
gegen Davids Willen mit ihm, und er konnte ihn 
nicht bereden, zu bleiben, woraus David dessen 
besondere Anhänglichkeit ersah. Als ef nun mit 
blossen Füssen den ölberg erstieg, und alle seine Be- 
gleiter in heftiges Weinen ausbrachen, wurde ihm ge- 
meldet, dass auch Achitophel bei Abesalom sich befinde 
und zu ihm halte. Dadurch wurde sein Gram noch 
vermehrt, und er bat zu Gott, dieser möge Abesaloms Ge- 
müt dem Achitophel entfremden ; denn er fürchtete, 
letzterer, der ein kluger und scharfblickender Mann war, 
möchte durch seine Ratschläge besonderen Einfluss auf 
Abesalom gewinnen. Als man* nun den Gipfel des 
Berges erreicht hatte, schaute David nach der Stadt 
zurück und flehte, wie wenn er sein Königreich schon 
verloren hätte, unter heissen Thränen zu Gott. Darauf 
begegnete ihm ein treuer Freund mit Namen Chusi, und 
als David sah, dass er seine Kleider zerrissen, Asche 
auf sein Haupt gestreut hatte und über die Wendung von 
Davids Geschick jammerte, tröstete er ihn und bat ihn, 



Siebentes Buch, 9. Kapitel. 


429 


von seiner Trauer abzulassen. Dann ersuchte er ihn, er 
möge sich zu Abesalom begeben, sich stellen, als ob er 
dessen Partei ergriffen hätte, und seine geheimen Pläne 
ausforschen, zugleich auch den bösen Ratschlägen Achi- 
tophels entgegenwirken. Denn wenn Chusi bei ihm 
bleibe, könne er ihm nicht so nützlich sein, als wenn er 
sich in der Nähe Abesaloms befinde. Dieser gab denn 
auch dem Könige nach, verliess ihn und begab sich nach 
Jerusalem, wohin bald darauf auch Abesalom kam. 

3. Als David etwas weiter gewandert war, begegnete 
ihm Sibas, der Verwalter des Memphibost, den dieser 
geschickt hatte, um nach dem Landgut zu sehen, welches er 
als Sohn des Jonathas von David zum Geschenk er- 
halten hatte. Er führte zwei Esel bei sich, die mit 
Lebensmitteln beladen waren, und bat den David, sich 
davon zu nehmen, was er nötig habe. Als dieser ihn 
fragte, wo er denn den Memphibost zurückgelassen habe, 
und zur Antwort erhielt, in Jerusalem, wo er bei der 
allgemeinen Verwirrung vom Volke in Erinnerung an 
die Verdienste Sauls zum König gewählt zu werden hoffe, 
geriet er in Zorn und schenkte alles, was er früher dem 
Memphibost vermacht hatte, dem Sibas. Denn er hielt 
ihn für viel würdiger, diese Geschenke zu besitzen, als 
den Memphibost. Sibas empfand darüber herzliche 
Freude. 

4. Als nun David an einen Ort kam, der Bauris 
hiess, begegnete ihm ein Verwandter Sauls mit Namen 
Semei, ein Sohn des Geras, der ihn mit Steinen warf 
und Schimpf worte gegen ihn ausstiess. Und obgleich 
den König seine Freunde umringten und ihn beschützten, 
liess Semei von seinen Schmähungen nicht ab, nannte 
ihn einen blutdürstigen Menschen und den Urheber 
alles Übels und hiess ihn, da er unrein und fluchwürdig 
sei, das Land verlassen. Er danke Gott dafür, dass 
dieser dem David die Herrschaft abgenommen habe und 
ihn durch seinen eigenen Sohn für die Sünden bestrafen 
lasse, welche er gegen den Herrn begangen habe. Als nun 
hierüber alle in Erbitterung gerieten und Abessa den 



430 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Seme'i umbringen wollte, hielt David ihn zurück und 
sprach: „Fern sei es von uns, dass wir dem gegenwärtigen 
Unglück noch ein neues hinzufügen. Denn keine Scheu 
noch Sorgg habe ich darüber, dass dieser Mensch wie ein 
wütender Hund gegen mich geifert, sondern ich gebe es 
Gott anheim, der seine Wut gegen mich zuliess. Ich 
wundere mich auch gar nicht darüber, dass ich solches 
von ihm leiden muss, da ich sogar von meinem eigenen 
gottlosen Sohne verfolgt werde. Aber Gott wird uns 
vielleicht Barmherzigkeit erzeigen und unsere Feinde 
uns unterthan machen." Darauf setzte er seinen Weg 
fort, ohne sich weiter um Semei zu kümmern, der auf 
die andere Seite des Berges lief und wacker schimpfte. 
Als David aber bis zum Jordan gekommen war, liess er 
die Seinen, die vom Marsche ermüdet waren, sich er- 
quicken. 

5. Sobald Abesalom sich mit seinem Ratgeber Achi- 
tophel und in Begleitung des gesamten Volkes in Jeru- 
salem eingefunden hatte, kam auch Davids Freund zu 
ihnen. Er fiel vor Abesalom nieder und wünschte ihm 
eine lange Regierung. Dieser sprach also zu ihm : 
„Warum hast du doch, da du früher zu den besten 
Freunden meines Vaters gehörtest und sein Vertrauter 
warst, ihn jetzt auf einmal verlassen und bist zu mir 
übergegangen?“ Chusi antwortete ihm hierauf klug und 
verständig und sagte: „Ich folge stets Gott und dem ge- 
samten Volke. Da ich nun sehe, o Herr, dass diese 
beiden auf deiner Seite sind, muss auch ich wohl zu dir 
halten: denn von Gott hast du die Königsherrechaft 
erhalten. Und wenn du mich in die Zahl deiner Freunde 
aufnimmst, will ich dir dieselbe Treue beweisen, die ich, 
wie du weisst, auch deinem Vater bewiesen habe. Doch 
geziemt es sich ja nicht, über den gegenwärtigen Zu- 
stand der Dinge unwillig zu sein. Denn die Königs- 
würde ist auf keine andere Familie übergegangen, viel- 
mehr in derselben Familie geblieben und nur vom Vater 
auf den Sohn übertragen.“ Mit diesen Worten fand er 
Glauben, und Abesalom legte den Verdacht, den er 



Siebentes Buch, 9. Kapitel. 


431 


gefasst hatte, ab. Er berief darauf den Achitopbel 
zu sich und überlegte mit ihm, was jetzt weiter zu 
thun sei. Dieser riet ihm, er solle mit den Kebsweibern 
seines Vaters vertrauten Umgang pflegen. Daraus 
werde das Volk entnehmen, dass er niemals mit seinem 
Vater sich wieder aussöhnen wolle, und es werde dann 
mit grösserer Bereitwilligkeit ihm gegen denselben 
Kriegsdienste leisten. Bisher nämlich habe man sich 
immer noch gescheut, offen gegen David Partei zu er- 
greifen, da man eine Aussöhnung zwischen ihm und. 
Abesalom erwartet habe. Diesen Rat befolgte Abesalom 
und liess durch seinen Diener vor den Augen des 
Volkes über dem Königspalaste ein Zelt errichten, in 
welchem er mit den Kebsweibern seines Vaters Unzucht 
trieb. Also ward die Weissagung Nathans erfüllt, dass 
den David sein eigener Sohn verunglimpfen werde. 

6. Als Abesalom so den Rat Achitophels befolgt 
hatte, ersuchte er diesen um weitere Vorschläge in be- 
treff der Kriegführung gegen seinen Vater. Achitophel 
verlangte darauf zehntausend auserlesene Kämpfer: mit 
diesen wolle er den David umbringen und seine An- 
hänger, die den Kampf überlebten, gefangen nehmen. Denn 
erst dann werde Abesaloms Regierung fest und sicher stehen, 
wenn David aus dem Wege geräumt sei. Dieser Vor- 
schlag gefiel dem Abesalom ; doch liess er auch noch 
Chusi, den Freund Davids (so nannte er ihn immer 
noch) kommen, teilte ihm den Vorschlag des Achitophel 
mit und fragte ihn, was er davon halte. Dieser sah wohl 
ein, dass, wenn Achitophels Plan ausgeführt würde, 
David in Gefahr geraten müsse, gefangen und getötet 
zu werden, und er gab sich deshalb Mühe, Abesalom 
von der entgegengesetzten Meinung zu überzeugen. „Du 
kennst wohl,“ sagte er, „o König, die Tapferkeit deines 
Vaters und seiner jetzigen Begleiter; du weisst, dass er 
viele Kriege geführt hat und stets Sieger geblieben ist. 
Geübt in Erfindung von Kriegslisten und im stände, den 
Ränken der Feinde zuvorzukommen, hält er sich jetzt 
wahrscheinlich in seinem Lager auf. Bei Nacht aber 



432 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


wird er die Semigen verlassen und sich in einem Thal 
verstecken oder auf einem Felsen sich in einen Hinter- 
halt legen. Und wenn die Unseren angreifen, werden 
die Seinigen zunächst sich ein wenig zurückziehen, bald 
aber im Hinblick auf die Nähe ihres Königs kühner 
werden und sich zum Widerstand rüsten. Sobald dann 
der Kampf im Gange ist, wird dein Vater unvermutet 
hervorbrechen und den Seinigen Mut, den Unseren 
aber Furcht und Entsetzen einflössen. Erwäge daher 
auch meinen Kat, und wenn du ihn für gut hältst, so 
lass den Rat Achitophels fahren. Schicke Boten im 
ganzen Lande der Hebräer umher und rufe sie zum 
Kriegszug gegen deinen Vater auf. Hast du nun alle 
Truppen beisammen, so soll der Krieg unter deinem 
eigenen Oberbefehl, nicht unter dem eines anderen ge- 
führt werden. Es ist dann mit Sicherheit zu erwarten, 
dass du deinen Vater leicht überwinden wirst, da du 
ihn im offenen Felde triffst und er nur eine kleine 
Schar um sich hat, dir dagegen viele tausend Kämpfer 
zu Gebote stehen, die sehnlichst verlangen, ihren Eifer 
und ihre Bereitwilligkeit für dich zu beweisen. Würde 
sich aber dein Vater in feste Mauern ein6chliessen und 
einer Belagerung standzuhalten versuchen, so würden wir 
die Stadt mit Belagerungsmaschinen und durch Unter- 
grabung leicht einnehmen.“ Dieser Vorschlag gefiel 
dem Abesalom mehr als der des Achitophel. Dass aber 
Chusis Rat als der bessere angenommen wurde, war eine 
besondere Fügung Gottes. 

7. Chusi ging darauf eilig zu den Hohepriestern Sadok 
und Abiathar, setzte ihnen Achitophels Rat und seinen 
eigenen auseinander und teilte ihnen mit, dass letzterer 
die Billigung Abesaloms gefunden habe. Dann be- 
fahl er ihnen, den David davon in Kenntnis zu 
setzen und ihn zu ermahnen, dass er ohne Verzug den 
Jordan überschreite, damit nicht sein Sohn inzwischen 
wieder anderen Sinnes werde und ihn verfolge und er- 
greife, bevor er sich in Sicherheit gebracht habe. Die 
Hohepriester hatten aber schon vorher Sorge dafür ge- 


Siebentes Buch, 9. Kapitel. 


433 


getragen, ihre Söhne ausserhalb der Stadt zu verbergen, 
damit sie dem David über das, was sich ereignete, Bericht 
erstatten könnten. Zu diesen schickten sie also jetzt eine 
treue Magd, welche ihnen den Entschluss Abesaloms 
mitteilen sollte, und Hessen ihnen befehlen, davon eiligst 
David zu benachrichtigen. Jene zögerten auch nicht 
im mindesten, sondern bewährten sich als treue und er- 
gebene Diener und begaben sich sogleich auf den Weg, 
da sie einsahen, dass die grösstmögliche Schnelligkeit 
hier geboten sei. Als sie nun zwei Stadien von der 
Stadt entfernt waren, wurden sie zufällig von einigen 
Reitern gesehen, die dem Abesalom Anzeige erstatteten. 
Dieser gab sofort Befehl, sie gefangen zu nehmen. 
Als die Söhne der Hohepriester das gewahr wurden, 
bogen sie vom Wege ab, begaben sich in ein nahe bei 
Jerusalem gelegenes Dorf, das Bachures hiess, und baten 
ein dort wohnendes Weib, ihnen ein sicheres Versteck 
zu gewähren. Das Weib liess sie darauf an einem Seile 
in einen Brunnen hinab und deckte dessen Öffnung mit 
Wolle zu. Als nun die Verfolger ankamen und sie 
fragten, ob sie die beiden nicht gesehen habe, bejahte 
eie dies. Sie hätten bei ihr ein wenig ausgeruht und 
seien dann weitergeeilt; wenn sie ihnen sogleich nach- 
setzten, würden sie sie vielleicht noch einholen. Die 
Reiter verfolgten sie auch sogleich, kehrten aber, als sie 
die beiden nicht fanden, wieder um. Als das Weib sah, 
dass sie den Rückweg angetreten hatten, und somit für 
die Jünglinge keine Gefahr mehr zu besorgen war, zog 
sie dieselben wieder aus dem Brunnen herauf und hiess 
sie weiterziehen. Sie eilten dann sogleich zu David 
und meldeten ihm alles genau, was Abesalom be- 
schlossen hatte. David aber gab sofort den Seinigen 
Befehl , ohne Säumen noch in der Nacht über den 
Jordan zu setzen. 

8. Als nun Achitophel sah, dass sein Rat verworfen 
sei, bestieg er ein Maultier, ritt in seine Vaterstadt 
Gelmon, rief dort alle seine Verwandten zusammen und 
setzte ihnen auseinander, was er dem Abesalom geraten 

J osephus' 1 J üdische Altert U mer. 28 



4 34 


Josephus’ Jüdisch© Altertümer. 


hatte, und dass dieser seinen Rat nicht befolgt habe, 
weshalb er seinem sicheren Verderben entgegengehe. 
Denn David werde ihn besiegen und in seine Königs- 
herrschaft wieder eingesetzt werden. Es sei daher besser, 
meinte er, mutig und freiwillig aus dem Leben zu 
scheiden, als dem David, gegen welchen er Abesalom 
unterstützt habe, sich zu ergeben und die Todesstrafe zu 
erleiden. Nach diesen Worten begab er sich in das 
Innere seines Hauses und erhängte sich. Seine Ver- 
wandten aber nahmen den Leichnam aus der Schlinge 
und begruben ihn. — David setzte nun, wie gesagt, über 
den Jordan und kam nach Parembolai, einer schönen und 
wohlbefestigten Stadt. Alle Vornehmen dieser Gegend 
nahmen ihn freundlich auf, teils aus Mitleid mit dem 
Flüchtling, teils aus Achtung vor seinem früheren Glück. 
Es waren dies der Galaditer Berzelaeus, Siphar, der Be- 
herrscher von Ammanitis, und Machir, der Fürst von 
Galaditis. Diese versahen den David und die Seinigen 
mit allen notwendigen Lebensmitteln aufs reichlichste, 
besorgten ihnen Betten, Brot und Wein, schenkten ihnen 
eine grosse Menge Vieh und gewährten ihnen alles, waa 
den Erschöpften zur Erquickung dienlich war. 


Zehntes Kapitel. 

Abesaloms Tod. 

1. Unterdessen brachte Abesalom gegen seinen Vater 
David ein grosses Heer von Hebräern zusammen, über- 
schritt den Jordan und stellte sich bei Parembolai im 
Galaditerlande auf. An Stelle des Joab, seines Ver- 
wandten, ernannte er den Amessas zum Oberbefehls- 
haber. Der Vater des Amessas nämlich war Jetharsas, 
und seine Mutter Abigaea; die letztere aber und Sarvia, 
die Mutter des Joab, waren Davids Schwestern. David, 
der bei der Zählung seiner Truppen viertausend Mann 
vorfand, beschloss, den Angriff Abesaloms nicht ab- 
zuwarten, sondern setzte Oberste und Hauptleute über 




Siebentes Buch, 10. Kapitel. 


435 


das Heer und teilte es in drei Abteilungen, eine unter 
Joab, die zweite unter dessen Bruder Abessa, und die 
dritte unter seinem vertrauten Freund, dem Gittäer Etbi. 
Als er nun auch selbst mit in den Kampf ziehen wollte, 
rieten ihm seine Freunde in vernünftiger Erwägung 
davon ab. Denn wenn sie mit ihm besiegt würden, sei 
alle Hoffnung für sie verloren; werde aber nur ein Teil 
des Heeres geschlagen, so könnten sie sich mit dem Rest 
zu ihm zurückziehen und neue Kräfte sammeln. Ja, die 
Feinde würden dann auch vermuten, er verfüge noch 
über ein anderes Heer. Dieser Rat schien dem David 
einzuleuchten, und er beschloss deshalb, bei Parembolai zu 
bleiben. Als er aber seine Freunde und Heerführer in 
den Kampf entsandte, ermahnte er sie, sich wacker und 
treu zu halten und der Wohlthaten zu gedenken, die er 
ihnen schon erwiesen habe. Auch bat er sie, sie möchten, 
wenn ihnen der Sieg zu teil würde, doch den Abesalom 
verschonen, denn dessen Tod würde ihn zur Verzweiflung 
und zum Selbstmorde treiben. Dann wünschte er ihnen 
einen glänzenden Sieg und entliess das Heer. 

2. Als nun Joab sein Heer in einer grossen, hinten 
von Wald begrenzten Ebene aufgestellt hatte, führte 
Abesalom seine Truppen ihm entgegen, und es erfolgte 
der Zusammenstoss. Auf beiden Seiten wurde tapfer 
und mit grosser Erbitterung gestritten. Denn Davids 
Krieger scheuten weder Gefahren noch Hindernisse, um 
ihm wieder zur Herrschaft zu verhelfen; die Gegner 
aber setzten alles daran, um den Abesalom zu halten, 
damit er nicht in seines Vaters Hände falle und von 
ihm zur Verantwortung gezogen werde. Auch mochte 
man auf dieser Seite, da man an Zahl überlegen war, sich 
nicht von dem Häuflein der Krieger Joabs und seiner 
Heerführer überwinden lassen; denn das schien ihnen 
höchst schmachvoll zu sein. Davids Kriegsleute dagegen 
glaubten eine Ehre darein setzen zu müssen, so viele 
Tausende zu besiegen. Und so wurde beiderseits mit 
Anspannung aller Kräfte gekämpft. Zuletzt errangen 
Davids Streiter den Sieg, da sie körperlich kräftig und 




436 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


in der Kriegskunst sehr erfahren waren. Sie setzten 
darauf den fliehenden Feinden durch Schluchten und 
über Abhänge nach und nahmen einige gefangen, die 
meisten dagegen töteten sie, sodass auf der Flucht eine 
grössere Zahl als im Kampfe das Leben liess. An 
diesem Tage fielen gegen zwanzigtausend Mann. Alle 
Krieger Davids aber drangen mit grossem Ungestüm 
auf Abesalom ein, der wegen seines schönen und stolzen 
Wuchses leicht kenntlich war. Dieser hatte grosse 
Angst, lebend in die Hände seiner Feinde zu geraten; 
er bestieg deshalb ein königliches Maultier und jagte 
davon. Und als er nun in rascher Flucht dahinsprengte 
(er war sehr behend und geschickt im Reiten), ver- 
wickelte sich sein Haupthaar in einem knorrigen, gross- 
ästigen Baum, sodass er, da das Maultier weiter rannte, 
als ob sein Herr noch auf ihm sitze, in den Zweigen 
hängen blieb und von seinen Feinden umzingelt wurde. 
Einer der Krieger, der ihn hier hängen sah, meldete 
dies dem Joab. Da nun der Feldherr sagte, er würde 
ihm fünfzig Sekel gegeben haben, wenn er den Abesalom 
durchbohrt hätte, entgegnete der Krieger : „Und hättest 
du mir tausend Sekel geboten, nie hätte ich das dem 
Sohne meines Herrn gethan, zumal da dieser uns alle 
gebeten hat, des Jünglings zu schonen.“ Joab aber be- 
fahl ihm, er solle ihm die Stelle zeigen, wo Abesalom 
hänge; dann ging er hin, durchstach ihm das Herz mit 
einem Speer und tötete ihn so. Joabs Waffenträger, die 
im Kreise herumstanden, rissen darauf die Leiche vom 
Baum herunter, warfen sie in einen tiefen und finstern 
Abgrund und wälzten Steine hinein, bis er gänzlich 
angefüllt war und die Gestalt und Grösse eines 
Grabhügels bekam. Alsdann liess Joab zum Rück- 
züge blasen und hinderte die Krieger aus Mitgefühl 
für seine ihm verwandten Gegner an weiterem Blut- 
vergiessen. 

3. Abesalom aber hatte sich im sogenannten Königs- 
thal, zwei Stadien von Jerusalem entfernt, eine mar- 
morene Säule errichten lassen, die er seine Handschrift 



Siebentes Bach, 10. Kapitel. 


437 


nannte. Denn, sagte er, wenn auch seine Kinder alle zu 
Grunde gingen, werde doch auf dieser Säule sein Name 
stehen bleiben. Er hatte nämlich drei Kinder, zwei 
Söhne und eine Tochter Namens Thamar, die ich schon 
oben erwähnt habe. Diese heiratete später Davids Enkel 
Roboäm und gebar einen Sohn Abias, der nachmals auch 
zur Herrschaft gelangte, wovon im folgenden mehr. Nach 
Abesaloms Tode zerstreuten sich seine Anhänger und 
kehrten wieder in ihre Heimat zurück. 

4. Achimas, der Sohn des Hohepriesters Sadok, begab 
sich darauf zu Joab und bat ihn, er möge ihm gestatten, 
dem David den errungenen Sieg zu melden und ihm 
mitzuteilen, dass mit Gottes Hilfe alles glücklich ab- 
gelaufen sei» Joab verweigerte aber die Erlaubnis und 
sagte, er habe doch immer dem König nur fröhliche 
Nachrichten überbracht, und jetzt wolle er ihm melden, 
dass sein Sohn umgekommen sei? Er bat ihn also zu 
bleiben und gab statt seiner dem Chusi den Auftrag, 
dem König alles zu berichten , wie er es mit eigenen 
Augen geschaut habe. Da aber Achimas aufs neue in 
ihn drang, ihn mit der Botschaft zu betrauen (er wolle 
ihm nur den Sieg verkünden, den Tod seines Sohnes da- 
gegen verschweigen), erlaubte er ihm endlich, sich zu 
David zu begeben. Weil nun Achimas abgekürzte Wege 
machte, die ihm allein bekannt waren, kam er dem 
Chusi zuvor. David sass unter dem Thore und wartete 
auf einen Boten, der aus der Schlacht käme und ihm 
Nachricht über deren Ausgang brächte. Da sah einer 
der Wächter den Achimas daherrennen, konnte ihn 
aber noch nicht erkennen und meldete deshalb dem David, 
er sehe jemand kommen. Der König entgegnete ihm, 
er wünsche sehr, eine gute Nachricht zu vernehmen. 
Gleich darauf sah der Wächter einen zweiten Boten 
kommen und that dies ebenfalls dem Könige zu wissen. 
Und da der König den soeben ausgesprochenen Wunsch 
wiederholte, meldete ihm der Wächter, der inzwischen 
den ersten Boten erkannt hatte, es sei Achimas, der 
Sohn des Hohepriesters. David war hierüber erfreut und 


Go gle 




438 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


äusserte, dieser bringe gewiss gute Nachrichten, die 
seinen Erwartungen in betreff der Schlacht ent- 
sprächen. 

5. Kaum hatte der König dies gesagt, als auch 
Achimas schon eintraf, vor dem Könige niederfiel und 
ihm auf seine Frage Sieg und Herrschaft verkündigte. 
Als der König nun auch nach seinem Sohne sich er- 
kundigte, entgegnete Achimas, er habe sich gleich, nach- 
dem die Feinde sich zur Flucht gewandt, eiligst auf den 
Weg begeben, doch habe er gehört, wie die Krieger den 
Abesalom mit grossem Geschrei verfolgt hätten. Ausser- 
dem habe er nichts erfahren können, weil Joab ihn zur 
Eile angetrieben habe, damit David die Nachricht von 
dem Siege möglichst bald erhalte. Unterdessen kam 
auch Chusi an, fiel vor dem Könige nieder und meldete 
ihm den Sieg. Als David auch ihn darauf nach Abe- 
salom fragte, erwiderte er: „Möge es allen deinen Feinden 
so ergehen wie dem Abesalom.“ Bei dieser Nach- 
richt hörte die Freude des Königs und seiner Umgebung 
über den errungenen Sieg sogleich auf, und der König 
stieg auf den höchstgelegenen Punkt der Stadt, beweinte 
seinen Sohn, zerschlug sich die Brust, zerraufte sein 
Haar und schrie in höchster Betrübnis: „O mein Sohn, 
hätte ich doch den Tod mit dir gefunden!“ Denn wie 
David überhaupt die Seinigen sehr liebte, so empfand er 
besonders ein inniges Mitgefühl für Abesalom. Als nun 
Joab und die Krieger vernahmen, der König trauere so 
sehr um seinen Sohn, schämten sie sich, im Triumphe 
in die Stadt einzuziehen , sondern rückten tiefbetrübt 
und unter Thränen ein, gleich als ob 6ie eine Niederlage 
erlitten hätten. Und da Joab den König mit verhülltem 
Antlitz und um seinen Sohn heftig jammern sah, trat 
er zu ihm, tröstete ihn und sprach: „O Herr, durch ein, 
solches Benehmen beschimpfest du dich selbst, denn die- 
jenigen, die dich lieben und für dich allen Gefahren 
trotzen, ja dich selbst und deine Familie scheinst du 
zu hassen, deine Feinde aber willst du lieben und 
nach denen Verlangen tragen, die den wohlverdienten 


Siebentes Buch, 11. Kapitel. 


439 


Tod erlitten haben. Hätte Abesalom gesiegt und die 
Herrschaft erlangt, so hätte er wohl von uns keinen am 
Heben gelassen, sondern uns alle, von dir und deiner 
.Familie angefangen, auf die erbärmlichste Weise um- 
.gebracht. Dann aber hätten unsere Feinde uns nicht 
beweint, sondern sich gefreut und diejenigen noch be- 
straft, denen unser Unglück zu Herzen ging. Du dagegen 
schämst dich nicht, dich so aufzuführen wegen eines 
Menschen, der dein Feind war und, obgleich dein 
Sohn, doch so gottlos gegen dich gehandelt hat. Da- 
rum lass deine Trauer fahren und zeige dich deinen 
Kriegern, um ihnen für ihre Tapferkeit und den er- 
rungenen Sieg zu danken. Denn wenn du so fortfährst, 
werde ich noch heute das Volk bereden, von dir ab- 
zufallen und die Königs würde einem anderen zu über- 
tragen, und dann wird deine Trauer erst recht bitter 
sein.“ Durch diese Worte lenkte Joab den König von 
seiner Betrübnis ab und brachte ihn dahin, dass er über 
seine Lage nachdachte. David änderte hierauf seine äussere 
Erscheinung, sodass er sich dem Volke zeigen konnte. 
Dann begab er sich zum Thore, und das Volk kam auf 
die Kunde davon herbeigeeilt, um ihn zu begrüssen. 


Elftes Kapitel. 

David wird von allen, Stämmen wieder als König anerkannt. 

Empörung des Sabaeus. 

1. Als nun die Hebräer, die dem Abesalom an- 
gehangen hatten und aus der Schlacht entkommen 
waren, in ihre Heimat zurückkehrten, schickten sie 
Boten in allen Städten herum und erinnerten deren Be- 
wohner daran, wie David sie mit so vielen Wohlthaten 
überhäuft und ihnen durch viele und schwere Kriege 
zur Freiheit verholfen habe, bedauerten es sehr, ihn aus 
seinem Königreich vertrieben und einem anderen die 
Herrschaft übertragen zu haben, und forderten sie auf, 




440 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


sie sollten, nachdem Abesalom umgekommen sei, den 
David flehentlich bitten, daäs er seinem Zorn entsage, ihnen 
sein Wohlwollen wieder zu wende und die Regierung 
mit derselben Sorgfalt wie früher wieder führe. Mit 
diesen Bitten kamen nun zahlreiche Boten zu David, 
der auch seinerseits durch die Hohepriester Sadok und 
Abiathar den Vorstehern des Stammes Judas vorstellen 
liess, wie schimpflich es für sie sein würde, wenn andere 
Stämme eher als sie den David wieder zum Könige 
wählten, da er ihr Stammesgenosse und Blutsverwandter 
sei. Auch liess er dem Feldherrn Amessas sagen, wes- 
halb er, da er doch sein Schwestersohn sei, das Volk 
nicht dazu berede, ihn wieder als König anzuerkennen? 
Er dürfe von ihm nicht nur erwarten, dass er ihm ver- 
zeihe , was ja schon geschehen sei , sondern auch , dass 
er ihn zum Oberbefehlshaber des Heeres machen werde, 
wie er es unter Abesalom gewesen sei. Die Hohepriester 
redeten alsdann mit den Vorstehern des Stammes Judas 
und brachten auch den Amessas dahin, sich dem Könige 
zu unterwerfen. Dieser bewog darauf seinen Stamm, 
sogleich an David Gesandte zu schicken und ihn zu 
bitten, er möge doch die Regierung wieder übernehmen. 
Dasselbe thaten auf Anraten Amessas 7 dann auch alle 
übrigen Israeliten. 

2. Als die Gesandten bei David gewesen waren, be- 
gab er sich nach Jerusalem. Der Stamm Judas aber 
zog vor allen anderen dem Könige bis zum Jordan ent- 
gegen, zugleich auch Seme'i, der Sohn des Geras, mit 
tausend Mann aus dem Stamme Benjamin, und Sibas, 
der Freigelassene Sauls, mit seinen fünfzehn Söhnen 
und zwanzig Knechten. Diese schlugen mit dem Stamme 
Judas eine Brücke über den Jordan, damit David und 
die Seinen ohne Mühe übersetzen könnten. Als nun 
David zum Jordan gekommen war, begrüsste ihn zuerst 
der Stamm Judas; dann stieg Seme'i auf die Brücke, 
fiel dem Könige zu Füssen und bat, ihm die Fehler, 
die er gegen ihn begangen, zu verzeihen, nicht streng 
gegen ihn einzuschreiten und die wiedergewonnene 




Siebentes Buch» 1 1 . Kapitel. 


441 


Herrschaft nicht gleich mit Bestrafungen zu beginnen. 
Vielmehr möge David bedenken, dass er seine Verirrungen 
bereue und ihm zuerst entgegengeeilt sei. Als er nun 
so flehte und des Königs Mitleid zu erwecken suchte, 
warf Abessa, Joabs Bruder, ein: „Wie solltest du den 
Tod nicht erleiden, da du den geschmäht hast, den Gott 
zur Herrschaft berief?“ David aber wandte sich zu 
ihm und sprach: „Wollt ihr denn, Söhne der Sarvia, 
euch nicht ruhig verhalten? Erregt uns doch nicht 
wieder neuen Aufruhr, nachdem der alte kaum unter- 
drückt. ist. Ihr wisst doch wohl, dass ich heute meine 
Regierung wieder antrete; deshalb schwöre ich, dass ich 
allen , die gegen mich gefrevelt haben , ihre Strafe er- 
lassen und ihrer Vergehungen nicht mehr gedenken 
will. Du, Semei', sei also getrost und fürchte nicht, dass 
du die Todesstrafe erleiden müsstest.“ Semei' fiel darauf 
dem Könige zu Füssen und dankte ihm; dann begab er 
sich weiter. 

3. Darauf begegnete dem David auch Sauls Enkel 
Memphibost in schmutzigem Gewand und mit langem, 
vernachlässigtem Haupthaar. Denn er hatte seit der 
Flucht des Königs aus Trauer weder sein Haar scheren 
lassen noch sein Kleid gereinigt, da er des Königs Miss- 
geschick »so schwer beklagte, als ob es sein eigenes ge- 
wesen wäre. Ausserdem hatte ihn auch sein Verwalter 
Sibas beim Könige falsch angeklagt. Sobald er den 
König begrüsst und ihm die schuldige Ehrenbezeugung 
erwiesen hatte, fragte ihn David, weshalb er nicht 
mit ihm ausgezogen sei und an seiner Flucht Anteil ge- 
nommen habe. Memphibost entgegnete, daran sei Sibas 
schuld. „Denn dieser,“ sagte er, „hat trotz meines Be- 
fehls, alles zur Reise zu rüsten, dies nicht gethan und 
meine Worte in den Wind geschlagen, als ob ich sein 
Sklave wäre. Hätte ich nun gesunde Füsse gehabt, so 
wäre ich dir gewiss gefolgt. Aber er war noch nicht 
einmal damit zufrieden, die Bezeugung meiner Treue 
gegen dich zu vereiteln, sondern er hat mich auch noch 
obendrein geschmäht und verleumdet. Ich weiss jedoch, 



442 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


dass deine Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe, die den 
Beifall Gottes hat, solche Verleumdungen nicht dulden 
wird. Denn du hast von seiten meines Grossvaters noch 
weit Schlimmeres erfahren und wärest berechtigt ge- 
wesen, unsere ganze Familie dem Untergang zu weihen; 
und doch hast du dich freundlich und gütig bewiesen 
und all des Unrechtes nicht mehr gedacht gerade dann, 
als es in deiner Macht stand, dich dafür zu rächen. Ja, 
du hast mich unter .deine Freunde aufgenommen und 
mich an deinem Tische gespeist, sodass ich an Ehre hinter 
keinem deiner nahen Verwandten zurückstand.“ Als er \ 
so gesprochen, wollte der König weder den Memphibost 
noch den Sibas zur Verantwortung ziehen, sondern ent- 
gegnete, er habe, da ersterer ihm mit Sibas nicht entgegen- 
gekommen sei, diesem alle seine Güter geschenkt; doch 
wolle er ihm die Hälfte davon wieder zustellen und ihm 
Verzeihung gewähren. Memphibost aber erklärte: „Sibas 
mag alles für sich behalten; mir genügt es, dass du 
deine Königsherrschaft wiedererlangt hast.“ 

4. Den Galaditer Berzelaeus, einen vornehmen und 
freundlichen Mann, der ihm während seines Aufent- 
haltes bei Parembolai viel Gutes erwiesen und ihm bis 
zum Jordan das Geleit gegeben hatte, bat David, mit 
ihm nach Jerusalem zu ziehen, wo er ihm in seinem 
Alter eine ehrenvolle Behandlung zu teil werden lassen 
und für ihn wie für einen Vater sorgen wolle. Berzelaeus 
aber lehnte das Anerbieten ab, da er sich nach seinem alten 
Wohnsitz und nach den Seinigen sehne; auch sei er 
nicht mehr in dem Alter, in dem man an Vergnügungen 
Gefallen habe, da er schon das achtzigste Jahr erreicht 
habe. Vielmehr denke er nur noch an Tod und Grab, 
weshalb er den König bitte, er möge ihn, wenn er ihm 
etwas Gutes erweisen wolle, nach Hause ziehen lassen. 
Denn er habe als alter Mann keinen Sinn mehr für die 
Freuden der Tafel; auch sei er so schwerhörig, dass er 
Flöten- und andere Instrumentalmusik, an der die Um- 
gebung eines Königs sich ergötze, nicht mehr zu 
würdigen verstehe. Da er nun so inständig bat, sagte der 


Siebentes Buch, 11. Kapitel. 


443 


König: „So will ich dich denn ziehen lassen, doch über- 
lasse rnir dafür deinen Sohn Achiman , damit ich ihm 
deine Güte vergelten kann.“ Darauf überliess Berzelaeus 
seinen Sohn dem Könige, verbeugte sich vor ihm, 
wünschte ihm alles Gute und kehrte nach Hause zurück. 
David aber kam alsdann nach Galgala, und schon hatte 
er die Hälfte des gesamten Volkes und den Stamm 
Judas bei sich. 

5. Zu Galgala kamen die Vornehmen des Landes 
mit einer grossen Menge Volkes zu ihm und beklagten 
sich über den Stamm Judas, dass dieser heimlich sich 
zum Könige begeben habe, obgleich sie doch alle einmütig 
ihm hätten entgegen ziehen sollen. Die Vorsteher des 
Stammes Judas baten sie indes, ihnen das nicht übel 
zu nehmen. Denn da sie des Königs Stammesgenossen 
seien, seien sie aus liebevoller Anhänglichkeit den anderen 
vorausgeeilt, nicht aber in der Hoffnung, Geschenke zu 
erhalten, sodass alle übrigen deswegen keinen Grund 
zur Beschwerde hätten. Durch diese Worte Hessen sich 
jedoch die Vorsteher der anderen Stämme nicht be- 
schwichtigen, sondern entgegneten: „Wir finden es 
wunderlich, ihr Brüder, dass ihr den König euren 
alleinigen Verwandten nennt. Denn da Gott ihm die 
Herrschaft über uns alle verliehen hat, sind wir ihm 
doch auch wohl alle verwandt Weil nun das ganze 
übrige Volk elf Teile, ihr aber nur einen Teil ausmacht, 
und wir zudem auch älter sind als ihr, so habt ihr un- 
recht daran gethan, heimlich und ohne unser Vorwissen 
den König zu empfangen.“ 

6. Als nun die Führer der Stämme in dieser Weise 
miteinander im Wortstreit lagen, stürzte sich ein gott- 
loser und aufrührerischer Mensch mit Namen Sabaeus, 
der Sohn des Bochorias aus dem Stamme Benjamin, 
mitten unter das Volk und schrie mit lauter Stimme: 
„Niemand von uns hat teil an David, dem Sohne des 
Jesse!“ Nach diesen Worten blies er in ein Horn und 
verkündete dem König den Krieg. Da fielen alle von 
David ab und folgten dem Sabaeus, und nur der Stamm 


Go gle 



444 


Joaephus’ Jüdische Altertümer. 


Judas blieb dem ersteren treu und führte ihn nach 
Jerusalem in den Königspalast. David aber liess die 
Kebsweiber, mit denen sein Sohn Abesalom Unzucht 
getrieben hatte, in ein anderes Haus schaffen und gab 
Befehl, sie mit allem Notwendigen zu versehen ; er selbst 
jedoch ging nicht mehr zu ihnen. Alsdann ernannte er 
den Amessas zum Oberbefehlshaber, gab ihm den Posten, 
den Joab innegehabt hatte, und befahl ihm, so viele 
Truppen als möglich aus dem Stamme Judas zusammen- 
zubringen und nach drei Tagen sich wieder bei ihm 
einzufinden, damit er ihm den Oberbefehl über das ganze 
Heer übergeben und ihn gegen den Sohn des Bochorias 
ins Feld schicken könne. Als nun Amessas das Sammeln 
der Truppen in die Länge zog, und der König erfuhr, 
er sei nicht zur rechten Zeit eingetroffen, sprach er am 
dritten Tage zu Joab: „Es ist nicht geraten, dem 
Sabaeus so lange Frist zu geben, denn er könnte sonst 
leicht seine Truppen vermehren und uns dann noch 
mehr zu schaffen machen als Abesalom. Säume daher 
nicht, sondern nimm die jetzt zu Gebote stehenden 
Krieger und die Schar der Sechshundert samt deinem 
Bruder Abessa und suche den Feind auf. Sobald du 
dann auf ihn stössest, lieferst du ihm eine Schlacht 
Beeile dich aber, ihm zuvorzukommen, damit er nicht 
die befestigten Städte in seine Gewalt bringt und uns 
harte Kämpfe verursacht.“ 

7. Joab nahm sich vor, nicht zu zögern, sondern 
hiess seinen Bruder, die Sechshundert und was in Jeru- 
salem an brauchbarer Mannschaft war, ihm folgen und 
zog dem Sabaeus nach. Und als er nach Gabaon, einem 
vierzig Stadien von Jerusalem entfernten Dorfe, ge- 
kommen war, traf er den Amessas an der Spitze eines 
grossen Heeres. Joab, der mit Schwert und Panzer be- 
waffnet war, liess, als Amessas sich ihm zur Begrüssung 
näherte, sein Schwert absichtlich aus der Scheide fallen, 
bückte sich dann, um es aufzuheben und ergriff den 
nichts ahnenden Amessas, als wollte er ihn küssen, beim 
Barte; dann aber stiess er ihm plötzlich das Schwert in 



Siebentes Buch, 12. Kapitel. 


445 


den Leib und tötete ihn. Diese schändliche und hinter- 
listige That beging Joab, weil er den guten, braven und 
ihm noch ,dazu verwandten Jüngling um die Feldherrn- 
stelle, die ihm des Königs Gunst verliehen hatte, be- 
neidete. Aus demselben Grunde hatte er früher auch 
den Abener getötet, wofür er wenigstens die scheinbare 
Entschuldigung hatte vorschützen können, er habe damit 
seinen Bruder Asael rächen wollen. Für den Mord 
des Araessas aber konnte er einen derartigen Vorwand 
nicht beibringen. Darauf setzte er dem Sabaeus nach 
und liess einen Mann bei der- Leiche des Amessas zu- 
rück, dem er befahl, vor dem ganzen Heere auszurufen, 
Amessas habe den Tod , den er erlitten , verdient ; die- 
jenigen aber, die dem Könige treu geblieben, sollten dem 
Joab, dem der Oberbefehl übertragen sei, und seinem 
Bruder Abessa folgen. Weil aber der Körper gerade am 
Wege lag, und die ganze Volksmenge sich zu ihm hin- 
drängte und sich nach Art des Pöbels verwunderte, 
nahm ihn der Wächter von da fort, trug ihn auf einen 
abseits gelegenen Acker und deckte ihn mit einem 
Mantel zu. Hierauf folgten alle dem Joab nach. Dieser 
suchte nun den Sabaeus im ganzen israelitischen Lande 
auf, bis er endlich erfuhr, er habe sich in die befestigte 
Stadt Abelmachea zurückgezogen. Deshalb zog er dort- 
hin, belagerte die Stadt, umgab sie mit einem Walle 
und befahl seinen Kriegern, die Mauern zu untergraben 
und zu zerstören. Gegen die Bürger dieser Stadt hegte 
er übrigens noch einen besonderen Groll, weil sie ihn 
früher nicht aufgenommen hatten. 

8. Es war aber in der Stadt eine rechtschaffene und 
kluge Frau, die, als sie ihre Vaterstadt in der höchsten 
Gefahr schweben sah, auf die Mauer stieg und den Joab 
durch seine Krieger um eine Unterredung bitten liess. 
Als nun Joab zu ihr hingetreten war, begann sie 
folgendermassen zu sprechen: „Gott hat die Könige und 
Heerführer eingesetzt, um die Feinde der Israeliten ab- 
zuwehren und den Frieden im Volke zu erhalten. Du 
aber unterstehst dich, eine der besten Städte der Israe- 



446 


N Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


liten, die nichts verbrochen hat, zu erobern und zu ver- 
wüsten.“ Joab entgegnete ihr, davor wolle ihn Gott 
gnädig behüten, denn er beabsichtige nicht, auch nur 
einen vom Volke umzubringen, geschweige denn eine so 
grosse Stadt zu zerstören. Sobald ihm vielmehr Sabaeus, des 
Bochorias Sohn, der sich gegen den König empört habe, 
zur Bestrafung ausgeliefert sei , werde er von der Be- 
lagerung Abstand nehmen und sein Heer zurückziehen. 
Hierauf bat die Frau den Joab, er möge ein wenig ver- 
ziehen, denn sogleich werde das Haupt des Aufrührers 
über die Mauer geworfen werden. Dann stieg sie zu 
den Bürgern hinab und spracl^ zu ihnen: „Wollt ihr 
schlechten Menschen denn samt euren Weibern und 
Kindern wegen dieses gottlosen und unbekannten Auf- 
rührers eines elenden Todes sterben und ihn statt 
Davids, der euch so viele Wohlthaten erwiesen hat, zum 
Könige ausrufen? Und glaubt ihr etwa, eine einzige 
Stadt könne einem so gewaltigen und mächtigen Heere 
Widerstand leisten?“ Auf diese Vorstellungen hin 
hieben die Bürger dem Sabaeus den Kopf ab und 
warfen ihn den Kriegern Joabs zu. Alsdann liess der 
Feldherr zum Rückzug blasen, hob die Belagerung auf, 
kehrte nach Jerusalem zurück und wurde aufs neue zum 
Oberbefehlshaber des ganzen Heeres ernannt Den 
Banajas aber machte der König zum Befehlshaber der 
Leibwache und der Sechshundert, den Adoram zum 
Steuerdirektor, Sabathes und Achilaus zu Geheim - 
kämmerern, den Susas zum Schreiber, Sadok und 
Abiathar wieder zu Hohepriestern. 


Zwölftes Kapitel. 

Die Hebräer werden von einer Hungersnot beimgesucht. 
Davids Kriege gegen die Palaestiner. Seine Helden. 

1. Als in der Folge eine Hungersnot das Land 
heimsuchte, flehte David zu Gott, er möge sich des 
Volkes erbarmen und ihnen die Ursache des Elendes 




Siebentes Buch, 12. Kapitel. 


447 


und die Mittel zu seiner Abwehr kundthun. Die Pro- 
pheten antworteten, Gott verlange, dass die Gabaoniter 
gerächt würden, die der König Saul hinterlistiger weise 
wider Recht und Gerechtigkeit umgebracht habe unter 
Verletzung des Eides, den einst der Feldherr Jesus und 
die Ältesten geschworen hätten. Wenn nun der König 
den Gabaonitern erlaube, nach Gutdünken ihre ermordeten 
Mitbürger zu rachen, so wollte Gott sich mit dem Volke 
wieder aussöhnen und es von der Hungersnot befreien. 
Als David so durch die Propheten den Willen Gottes 
kennen gelernt hatte, beschied er die Gabaoniter zu sich 
und fragte sie, was sie wünschten. Und da sie sieben 
Personen vom Geschlechte Sauls zur Bestrafung ver- 
langten, übergab ihnen der König dieselben mit der Be- 
dingung, dass sie den Memphibost, den Sohn des 
Jonathas, verschonten. Die Gabaoniter bestraften 
hierauf die Ausgelieferten nach ihrem Gutdünken. Als- 
dann liess Gott sogleich regnen, befreite das Land von 
der Dürre und machte es fruchtbar, sodass das Gebiet 
der Hebräer wieder Überfluss an Lebensmitteln hatte. — 
Kurze Zeit darauf griff David die Palaestiner an und 
schlug sie in die Flucht. Als nun der König bei der 
Verfolgung ermüdete und allein zurückblieb, sah ihn 
einer der Feinde Namens Akmon, der Sohn des Araphas, 
der aus einem Riesengeschlecht stammte. Er führte 
eine Lanze, deren Griff dreihundert Sekel wog, und trug 
einen Kettenpanzer und ein Schwert. Dieser wandte 
sich auf der Flucht um, drang auf David ein und ge- 
dachte ihn sicher zu töten, da der König vor Müdigkeit 
ganz erschöpft war. Abessa aber, Joabs Bruder, erschien 
plötzlich, beschirmte den zu Boden liegenden König und 
durchbohrte den Feind. Das Volk aber ward unwillig, als 
es hörte, in welcher Lebensgefahr David geschwebt habe, 
und die Vorsteher beschworen den König, er möge doch 
künftig nicht mehr mit in die Schlacht ziehen , damit 
nicht, wenn ihm bei seiner Tapferkeit und Kampfbegier 
etwas zustosse, das Volk der Wohlthaten verlustig gehe, 


Go gle 




448 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


die er ihm erwiesen habe und in Zukunft noch erweisen 
würde. / 

2. Als der König nun gewahrte, dass die Pa- 
laestiner bei der Stadt Gazara versammelt seien, 
schickte er ein Heer gegen sie. In diesem Kampfe 
zeichnete sich ganz besonders aus Sobakches der 
Chettäer, einer der tapfersten von Davids Kriegern; 
denn er tötete viele Feinde, die sich ihrer Abstammung 
von den Riesen rühmten und auf ihre Tapferkeit sich 
nicht wenig zu gute thaten, und verschaffte dadurch 
den Hebräern den Sieg. Nach dieser Niederlage aber 
begannen die Palaestiner den Krieg aufs neue, und 
David sandte wiederum ein Heer gegen sie aus. In 
diesem Feldzuge that sich besonders hervor Nephanus, 
ein Verwandter des Königs. Er bestand nämlich einen 
Zweikampf mit dem tapfersten Streiter der Palaestiner, 
tötete diesen und trieb die anderen in die Flucht, wobei 
viele umkamen. Kurz darauf schlugen die Palaestiner 
ihr Lager bei Gitta auf, einer nicht weit von der Grenze 
des Hebräerlandes gelegenen Stadt. Sie hatten damals 
einen Kämpfer, der sechs Ellen gross war und mehr 
Finger und Zehen hatte als gewöhnliche Menschen. 
Mit diesem stritt Jonathas, der Sohn des Samas, tötete 
ihn, trug dadurch viel zum Siege der Hebräer bei und 
erwarb sich auf diese Weise grossen Ruhm. Denn auch 
dieser Palaestine brüstete sich, von Kiesen abzustammen. 
Von da an Hessen die Palaestiner die Israeliten in 
Frieden. 

3. Als nun David nach allen diesen Kriegen und 
Gefahren sich des tiefsten Friedens erfreute, verfasste er 
zu Ehren Gottes Lieder und Gesänge von verschiedener 
Versart, sowohl dreigliederige als fünfgliederige. Auch 
liess er eine Reihe von Musikinstrumenten anfertigen 
und lehrte die Leviten, wie sie darauf zum Lobe Gottes 
an Sabbaten und anderen Festtagen spielen und dazu 
singen sollten. Diese Instrumente waren folgender- 
masseij eingerichtet. Die Kinyra war mit zehn Saiten 
bespannt und wurde mit einem Stäbchen geschlagen 




Siebentes Buch, 12. Kapitel. 


449 


(also eine Art Zither); die Nabla hatte zwölf Stimmen 
und wurde mit den Fingern gespielt (etwa eine Harfe); 
die Cymbeln endlich waren von Erz und gross und breit 
(Schlag becken). So viel möge über diese Sachen ge- 
nügen, damit man sich wenigstens in etwa eine Vor- 
stellung davon machen kann. 

4. Alle «Männer in der nächsten Umgebung des 
Königs waren von erprobter Tapferkeit. Unter ihnen 
aber waren wegen ihrer Heldenthaten wieder ganz be- 
sonders berühmt achtunddreissig, von denen ich hier nur 
fünf erwähnen will, da man von ihnen auf die Tapfer- 
keit der übrigen einen Rückschluss machen kann. Sie 
besassen eine solche Stärke, dass sie ganze Länder und 
Völkerschaften bekämpfen konnten. Da war zunächst 
Jessaemus, der Sohn des Achemaeus, der sich oft mitten 
in die feindlichen Schlachtreihen stürzte und nicht eher 
nachliess, als bis er neunhundert getötet hatte. Ferner 
Eleazar, der Sohn des Dodias, der mit dem Könige in 
Arasa war. Dieser hielt, als einst die Israeliten vor der 
Überzahl der Feinde wichen, allein stand und erlegte 
so viele Feinde, dass ihm vor lauter Blut das Schwert 
an der rechten Hand kleben blieb. Die Israeliten stiegen 
darauf, als sie die Palaestiner fliehen sahen, von den 
Bergen herab, verfolgten sie und errangen einen 
glänzenden und wunderbaren Sieg, indem Eleazar un- 
aufhörlich Feinde niedermachte, das Kriegsvolk aber ihm 
nachfolgte und die Erschlagenen plünderte. Der dritte 
war Kesabaeus, der Sohn des Ilus. Dieser hielt in dem 
Treffen mit den Palaestinern, welches bei dem „Kinnlade" 
genannten Orte stattfand, als die Hebräer aus Furcht 
vor der Übermacht flohen, allein aus und machte einen 
Teil der Feinde nieder, den anderen Teil aber verfolgte 
er, da sein ungestümer Andrang jeden Widerstand un- 
möglich machte. Das sind die Heldenthaten dieser drei 
Männer, denen sich noch folgende anschliesst. Als einst 
der König zu Jerusalem weilte und unerwartet ein Heer 
der Palaestiner ins Land einfiel, stieg David, wie oben 
erwähnt, auf die Burg, um Gott wegen des Krieges zu 

Joeephus* Jüdische Altertümer. SP 



450 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


befragen. Das Lager der Feinde aber stand in dem 
Thale, welches sich bis zur Stadt Bethleem erstreckt,, 
die zwanzig Stadien von Jerusalem entfernt liegt. Da 
sprach der König zu seiner Umgebung: „Wir haben 
doch so gutes Wasser in meinem Lande , besonders in 
dem Brunnen vor dem Thore von Bethleem. Wenn 
jemand mir daraus Wasser brächte, würde er mir einen 
grösseren Gefallen thun, als wenn er mir grosse Schätze 
gäbe.“ Als jene drei Männer das vernahmen, brachen 
sie sogleich auf, drangen mitten durch das feindliche 
Lager, kamen nach Bethleem, schöpften Wasser aua 
dem Brunnen und kehrten damit durch das Lager 
wieder zurück. Die Palaestiner, erstaunt über solche 
Kühnheit, Hessen sie gewähren und wagten nichts gegen 
sie zu unternehmen, obgleich die Wackeren in so kleiner 
Zahl waren. Als sie nun das Wasser gebracht hatten,, 
wollte der König nicht davon trinken, weil es mit so 
grosser Lebensgefahr geholt worden sei. Jedoch goss er 
es Gott zu Ehren aus und dankte ihm für die Errettung 
jener Männer aus der Lebensgefahr. Zu erwähnen ist- 
dann viertens noch Abessa, der Bruder Joabs, der an 
einem Tage sechshundert Feinde erschlug, und als fünfter 
Banajas, aus priesterlichem Geschlecht, der von zwei 
berühmten Moabitern herausgefordert wurde, sie aber 
beide durch seine Tapferkeit überwand. Ein andermal 
forderte ihn ein Aegyptier von ungeheurer Grösse heraus,, 
und obwohl Banajas unbewaffnet war, entwand er dem 
Aegyptier seinen Speer und tötete ihn damit. An dies& 
Helden thaten lässt sich noch eine anreihen, die, wenn 
man die Kühnheit beachtet, mit der sie ausgeführt 
wurde, den anderen mindestens gleichzustellen ist. Ala 
nämlich Gott der Erde Schnee gesandt hatte, stürzte 
zufällig ein Löwe in einen Brunnen, und da die Öffnung 
des Brunnens eng und mit Schnee bedeckt war, geriet 
der Löwe in Gefahr, umzukommen, und fing fürchterlich 
zu brüllen an. Banajas, der zufällig des Weges kam 
und das Tier schreien hörte, ging zu der Stelle,, 
woher das Gebrüll kam, stieg in den Brunnen und 




Siebentes Buch, 13. Kapitel. 


451 


tötete den Löwen mit einem Stocke, den er in der Hand 
trug. Ebensolche Helden waren auch die anderen drei- 
unddreissig. 


Dreizehntes Kapitel. 

Gott schickt als Strafe für eine von David veranstaltete 
Volkszählung eine Krankheit, die der König durch Opfer 

wieder abwendet. 

1. Der König David wollte nun wissen, wie zahlreich 
sein Volk sei, und uneingedenk der Vorschrift des 
Moyses, dass, wenn das Volk gezählt würde, für jeden 
Kopf ein halber Sekel dargebracht werden sollte, befahl 
er seinem Heerführer Joab, das Land zu bereisen und 
das gesamte Volk zu zählen. Dieser meinte zwar, eine 
solche Zählung sei unnötig, doch konnte er den König 
hiervon nicht überzeugen und erhielt den Befehl, un- 
gesäumt abzureisen. Joab nahm daher die Vorsteher 
der Stämme sowie eine Anzahl Schreiber zu sich, durch- 
zog das Land der Israeliten, zählte das Volk und kehrte 
nach Ablauf von neun Monaten und zwanzig Tagen 
nach Jerusalem zum Könige zurück, dem er die Zahl des 
ganzen Volkes angab, jedoch mit Ausnahme der Stämme 
Benjamin und Levis, die er noch nicht gezählt hatte. 
Den König aber reute jetzt die Zählung, weil er sich 
damit gegen Gott versündigt hatte. Es zählten aber 
die Israeliten neunhunderttausend kriegsdienstfähige 
Männer, von denen der Stamm Judas allein vierhundert- 
tausend stellte. 

2. Als nun die Seher dem David verkündeten , Gott 
zürne ihm gwaltig, bat er den Herrn kniefällig, er möge 
ihm gnädig sein und ihm seine Schuld verzeihen. Da 
sandte Gott den Seher Gad zu ihm und liess ihn wählen, 
ob er in seinem Lande sieben Jahre lang Hungersnot 
haben wolle, oder ob er einen dreimonatlichen Krieg 
wünsche, oder endlich, ob er eine dreitägige Pest vor- 
ziehe, die im Volke wüten und es gleichsam mit Gott 

29 * 



452 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


streiten lassen würde. David geriet in qualvolle Ver- 
legenheit und Bestürzung, dass er unter so schweren 
Übeln eine Wahl treffen sollte. Als aber der Seher er- 
klärte, es sei notwendig, dass er dies thue, und ihm be- 
fahl, sogleich Antwort zu geben, da er dieselbe Gott 
melden müsse, überlegte der König, dass, wenn er 
Hungersnot wähle, es scheinen könnte, als ob er das 
zum Nachteil seiner Untergebenen gethan hätte, da er 
selbst einen grossen Getreidevorrat besass und also nicht 
in Verlegenheit kommen konnte, während das Volk 
schwer getroffen worden wäre. Würde er aber die drei- 
monatliche Kriegszeit wählen, so sei wohl der Vorwurf 
zu erwarten, er habe den Krieg gewählt, weil er selbst 
von tapferen Männern beschützt werde, feste Plätze zur 
Verfügung habe und somit nichts zu befürchten brauche. 
Er zog deshalb das Übel vor, das den König wie seine 
Unterthanen in gleicher Weise heimsuchen würde, und 
vor dem alle die gleiche Angst haben müssten, und 
meinte, es sei besser, in Gottes Hände als in die der 
Feinde zu fallen. 

3. Der Seher brachte diese Antwort des Königs zu 
Gott hin, der dann Pest und Tod über die Hebräer 
kommen liess. Doch starben nicht alle in gleicher 
Weise, sodass es schwer war, die Krankheit zu erkennen. 
Das Übel war wohl dasselbe, aber es trat in verschieden- 
artigen Symptomen auf, sodass niemand dagegen Rat 
schaffen konnte. Einer erlag nach dem anderen, und 
die sich unbemerkt ein schleichende Krankheit führte 
schnell zum Tode. Die einen gaben plötzlich unter 
heftigen , quälenden Schmerzen den Geist auf, andere 
magerten so entsetzlich ab, dass sie von der Krankheit 
fast ganz verzehrt wurden und sozusagen nichts von ihnen 
übrig blieb, was man hätte begraben können. Wieder 
anderen wurde es plötzlich finster vor den Augen, und 
unter heftigem Aufschreien erstickten sie. Einige auch, 
die ihre toten Hausgenossen bestatten wollten, starben 
dahin, noch ehe die Beerdigung zu Ende war. Als die 
Pest so von der Morgenfrühe bis zur Mittagszeit ge- 



Siebentes Buch, 1 3. Kapitel. 


453 


wütet hatte, waren schon siebzigtausend Menschen dahin- 
gerafft. Hierauf streckte der Engel seine Hand über 
Jerusalem aus, damit auch da das Übel seinen Einzug 
halte. Nun zog 15 der König einen Sack an, warf sich 
zur Erde und bat und beschwor Gott, er möge doch der 
Pest Einhalt thun und sich an den schon Dahingerafften 
genügen lassen. Und da| er seine Augen erhob und 
einen Engel erblickte, der mit gezücktem Schwerte über 
Jerusalem schwebte, rief er zu Gott, er als der Hirt 
habe diese Strafe verdient, die Herden aber verdienten 
gerettet zu werden, da sie nichts verbrochen hätten. 
Dann bat er flehentlich, der Zorn Gottes möge ihn und 
sein Haus treffen, das Volk dagegen verschonen. 

4. Da erhörte Gott sein Gebet und that der Seuche 
Einhalt, schickte aber zugleich den Seher Gad zu ihm 
und liess ihm befehlen, er solle alsbald zur Tenne des 
Jebusäers Oronnas eraporsteigen , dort einen Altar er- 
bauen und Gott opfern. Sobald David den Befehl er- 
halten, eilte er sogleich an~ den bezeichneten Ort. 
Oronnas, der gerade mit Dreschen beschäftigt war, ging, 
als er den König mit allen seinen Söhnen auf sich zu- 
kommen sah , ihm entgegen. Er war seiner Ab- 
stammung nach Jebusäer und Davids guter Freund, 
weshalb dieser ihm auch nach der Zerstörung der Stadt 
kein Leid anthat, wie ich oben erzählt habe. Als nun 
Oronnas* fragte, weshalb der Herr zu seinem Knechte 
komme, antwortete David, er wolle ihm die Tenne ab- 
kaufen, um darauf einen Altar zu errichten und Gott 
Opfer darzubringen. Oronnas aber sagte, er wolle ihm 
Tenne, Pflug und Ochsen zum Brandopfer überlassen, 
wenn es Gott nur gefalle, das Opfer anzunehmen. Der 
König entgegnete ihm, er liebe ihn wegen seiner hoch- 
herzigen und frommen Gesinnung und sage ihm Dank 
für sein Anerbieten; doch bat er ihn, ihm das alles für 
einen bestimmten Preis zu verkaufen, denn es gezieme 
sich [nicht, Opfer ohne besondere Auslagen darzubringen. 
Als Oronnas dann bemerkte, er sei mit allem zufrieden, 
kaufte ihm der König die Tenne für fünfzig Sekel ab, 



454 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 




erbaute einen Altar darauf und brachte Brand- und 
Friedopfer dar, wodurch Gott versöhnt wurde und seine 
Huld ihm wieder zu wandte. Es traf sich aber, dass das 
gerade dieselbe Stelle war, an die einst Abram seinen 
Sohn Isak geführt hatte, um ihn Gott zu opfern , und 
wo ihm, als er sich zur Tötung des Knaben anschickte, 
plötzlich der Widder erschien, den er dann statt seines 
Sohnes opferte, wie ich früher ausführlich berichtet habe. 
Da nun David sah, dass Gott sein Gebet erhört und 
sein Opfer wohlgefällig angenommen hatte, beschloss er, 
diesen Ort „Altar des ganzen Volkes" zu nennen und 
Gott daselbst einen Tempel zu erbauen. Diesen Namen 
legte er aber dem Orte mit Rücksicht auf dessen zu- 
künftige Bestimmung bei. Denn Gott verkündigte ihm 
durch einen Seher, sein Sohn, der ihm in der Regierung 
folgen solle, werde an dieser Stelle einen Tempel er- 
bauen. 


Vierzehntes Kapitel. 

David trifft Vorbereitungen zum Tempelbau. 
Fruchtloser Versuch des Adonias, sich zum König aufzuwerfen. 

Solomon wird als König anerkannt. 

1. Nachdem dem Könige die Prophezeiung verkündigt 
worden war, liess er die Anwohner abzählen, deren sich 
hundertachtzigtausend vorfanden. Von diesen bestimmte 
er achtzigtauseud Mann zu Steinmetzen , den Rest aber 
zum Zusammentragen von Steinen, und dreitausendfünf- 
hundert Aufseher setzte er über die Arbeiter. Auch 
sammelte er zu dem Werke eine grosse Menge Eisen 
und Erz sowie einen grossen Vorrat erstaunlich hoch- 
gewachsener Cedern, welche die Tyrier und Sidonier ihm 
geschickt hatten. Denn er hatte sie brieflich gebeten, 
ihm das Holz zu liefern. Seinen Freunden teilte er mit, 
er treffe diese Vorbereitungen, um seinem Sohn und 
Nachfolger das Material zum Tempelbau bereits an- 
gesammelt hinterlassen zu können. Dann brauche 




Siebentes Buch, 14. Kapitel. 


455 


dieser, da er noch jung sei und wenig Erfahrung in 
betreff dieser Angelegenheit habe, dasselbe nicht erst zu 
sammeln und könne das Werk rascher vollenden. 

2. Hierauf liess David seinen Sohn Solomon rufen 
und trug ihm auf, Gott einen Tempel zu bauen, sobald 
«r zur Regierung gelangt sei. Er selbst, sagte er, habe 
das schon vorgehabt, doch habe Gott ihn daran ver- 
hindert, weil er von dem im Kriege vergossenen Blut 
verunreinigt sei. Aber er habe ihm verkündigt, sein 
jüngster Sohn Solomon werde ihm den Tempel erbauen; 
für ihn werde er wie ein Vater sorgen und unter seiner 
Regierung dem Lande der Hebräer Glück und Wohl- 
stand und, was das Wichtigste von allem sei, Frieden 
und Ruhe vor inneren wie äusseren Feinden ge- 
währen. „Du aber,“ sprach er weiter, „den Gott schon 
vor der Geburt zum König bestimmt hat, gieb dir alle 
Mühe, dass du dich seiner Fürsorge würdig zeigest, 
Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Seelengrösse beweisest 
und seine Gebote wie auch die von Moyses gegebenen 
Gesetze sowohl selbst treu beobachtest, als auch andere 
sie nicht übertreten lässt. Sorge* auch auf jede erdenk- 
liche Weise dafür, dass der Tempel, den Gott unter 
deiner Regierung errichtet wissen will, vollendet werde, 
und lass dich weder durch die Grösse, noch durch die 
Schwierigkeit der Ausführung des Werkes abschrecken. 
Denn ich werde dir vor meinem Tode noch alles dazu 
Notwendige beschaffen. Wisse, dass ich schon zehn- 
tausend Talente Gold und hunderttausend Talente 
Silber gesammelt habe. Auch eine Masse Eisen und 
Erz, Steine und Holz habe ich zusammengebracht. 
Ferner stehen dir tausende von Steinmetzen zur Ver- 
fügung, und wenn dir noch etwas fehlen sollte), kannst 
du es leicht ergänzen. Vollendest du das Werk, so 
wirst du Gott wohlgefällig sein und dich seines Schutzes 
erfreuen.“ Hierauf ermahnte David auch die Vorsteher 
des Volkes, seinen Sohn beim Bau zu unterstützen und, 
frei von jeder Drangsal, dem Gottesdienst eifrig ob- 
zuliegen. Dafür würden sie langen Friedens und einer 




456 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


glücklichen Regierung sich erfreuen, wie Gott sie frommen 
und gerechten Menschen zu verleihen pflege. Wenn aber 
der Tempel vollendet sei, sollten sie die Lade und 
die heiligen Geräte darin aufstellen, für die schon 
lange ein Tempel hätte da sein müssen. Das wäre auch 
sicher geschehen, wenn unsere Vorfahren nicht die Ge- 
bote Gottes missachtet hätten, der befohlen habe, ihm 
einen Tempel zu errichten, sobald sie das Land in Besitz 
genommen hätten. Solche Ermahnungen richtete David 
an die Vorsteher und an seinen Sohn. 

3. Da nun David schon hochbetagt und sein Körper 
so kalt war, dass man ihn selbst mit vielen Kleidern 
nicht erwärmen konnte, schlugen die Ärzte nach ge- 
pflogener Beratung vor, man solle eine besonders schöne 
Jungfrau im Lande suchen und sie beim Könige schlafen 
lassen; das sei das beste Mittel gegen die Kälte, weil das 
Mädchen ihn wärmen werde. Man fand dann in der 
Stadt ein hervorragend schönes Weib mit Namen Abisake, 
welche nun beim Könige ruhte und ihn erwärmte; jedoch 
vollzog er mit ihr nicht den Beischlaf, da er hierzu seines 
Alters wegen zu schwach war. Von dieser Jungfrau 
wird noch weiter unten die Rede sein.' 

4. Adonias aber, der vierte Sohn des David, der von 
der Aegitha geboren war, ein schöner und stolzer Jüngling 
und an Gesinnung dem Abesalom gleich, trug sich mit 
der Hoffnung, König zu werden, und sagte seinen Freunden, 
er müsse die Herrschaft innehaben. Er verschaffte sich 
dann eine grosse Anzahl Wagen und Pferde, sowie fünfzig 
Vorläufer. Obgleich nun sein Vater dies bemerkte, 
tadelte er ihn weder deshalb , noch fragte er ihn über- 
haupt nach dem Zwecke seines Beginnens. Auf seiten 
des Adonias standen der Feldherr Joab und der Hohe- 
priester Abiathar, wider ihn waren der Hohepriester 
Sadok, der Seher Nathan, Banajas, der Befehlshaber der 
Leibwache. Semei's, Davids Freund, sowie die Schar der 
Tapferen. Adonias liess nun ausserhalb der Stadt bei 
einer im königlichen Garten befindlichen Quelle ein 
Gastmahl herrichten und lud dazu alle seine Brüder mit 




Siebentes Buch, 14. Kapitel. 


457 


Ausnahme des Solomon, sowie den Feldherrn Joab, den 
Abiathar und die Vorsteher des Stammes Judas ein, die 
denn auch alle erschienen. Den Hohepriester Sadok 
dagegen, den Seher Nathan, den Befehlshaber Banajas, 
sowie alle, die zu der anderen Partei hielten, hatte er 
nicht eingeladen. Darauf teilte Nathan der Beersabe, 
der Mutter Solomons, mit, dass Adonias sich aufführe, 
als sei er schon König, ohne dass David darum wisse. 
Dann riet er ihr, sie solle sich zu ihrem und ihres 
Sohnes Solomon Besten allein zu David begeben und 
ihn davon in Kenntnis setzen, dass, obwohl er eidlich 
versichert habe, Solomon werde sein Nachfolger, dennoch 
Adonias bereits zur Herrschaft gelangt sei. Während 
eie dies mit dem Könige bespreche, werde er auch selbst 
sich dort einfinden und ihie Worte bestätigen. Beersabe 
folgte dem Rate Nathans und begab sich zum Könige; 
und als sie sich verneigt und die Erlaubnis zu sprechen 
erhalten hatte, erzählte sie alles so, wie der Seher es ihr 
an geraten hatte, wie nämlich Adonias ein Gastmahl ge- 
geben und dazu den Feldherrn Joab, den Hohepriester 
Abiathar und die Söhne und Freunde des Königs mit 
Ausnahme Solomons eingeladen habe. Dann wies sie 
darauf hin, wie das ganze Volk gespannt sei, wen er 
zum Könige bestimmt habe, und bat ihn flehentlich, 
doch erwägen zu wollen, dass Adonias, wenn er nach 
seinem Tode zur Regierung gekommen sei, sie selbst 
und ihren Sohn Solomon umbringen lassen werde.' 

5. Während das Weib diese Unterredung mit dem 
Könige hatte, meldeten die königlichen Kämmerer dem 
David, dass Nathan ihn sprechen wolle. Und da der 
König ihn vorzulassen befahl, trat Nathan ein und 
fragte ihn, ob er heute den Adonias zum Könige ernannt 
und ihm die Regierung übertragen habe. Denn dieser 
habe ein glänzendes Mahl gegeben und alle Söhne des 
Königs mit Ausnahme Solomons und den Feldherrn 
Joab dazu eingeladen, die augenblicklich unter fröh- 
lichem Jauchzen und Scherzen beim Mahle sässen und 
ihm eine lange Regierung wünschten. Doch habe er 



458 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihn, den Hohepriester Sadok und den Befehlshaber der 
Leibwache, Banajas, nicht eingeladen. Es gezieme sich 
aber, dass allgemein bekannt werde, ob das alles mit 
Davids Einwilligung vor sich gehe. Nachdem Nathan 
also gesprochen, liess der König die Beersabe, die bei 
der Ankunft des Sehers den Saal verlassen hatte, wieder 
rufen und sprach zu ihr, als sie vor ihm stand: „Ich 
schwöre bei Gott dem Allerhöchsten, dass dein Sohn 
Solomon bestimmt zur Regierung kommen wird, wie ich 
dies auch schon geschworen habe, und dass er noch 
heute auf meinem Throne sitzen soll.“ Das Weib ver- 
beugte sich darauf vor dem Könige und wünschte ihm 
ein langes Leben ; David aber liess den Hohepriester 
Sadok und den Befehlshaber der Leibwache, Banajas, 
rufen und befahl ihnen, sie sollten unter Geleit des 
Sehers Nathan und aller Krieger, die sich augenblicklich 
bei Hofe befanden, seinen Sohn Solomon auf ein könig- 
liches Maultier setzen, ihn vor die Stadt zur Quelle 
Geon führen, ihn dort mit heiligem Oel salben und ihn zum 
Könige ausrufen. Die letztere Verrichtung trug er dem 
Hohepriester Sadok und dem Seher Nathan auf; die 
übrigen dagegen sollten den Solomon mitten durch die 
Stadt geleiten und unter Hörnerschall ausrufen : „Lang 
lebe der König Solomon!“ Dann werde es dem Volke 
kund werden, dass sein Vater ihn zum Könige ernannt 
habe. Dem Solomon aber gab er Weisungen in betreff 
seiner Regierung und legte ihm ans Herz, dem Volke 
der Hebräer und dem Stamme Judas ein milder und 
gerechter Herrscher zu werden. Banajas sprach darauf 
den Glückwunsch aus und rief Gottes Segen über So- 
lomon herab. Alsdann setzte man ihn auf ein Maul- 
tier, geleitete ihn aus der Stadt zu der Quelle, salbte 
ihn mit Oel, führte ihn unter Glückwunschbezeugungen 
wieder zur Stadt und in den königlichen Palast zurück 
und setzte ihn auf den Thron seines Vaters. Dann 
beging das Volk den Tag festlich mit Freudenmahlen 
und ergötzte sich an Musik und Tanz, sodass vom Schalle 
der Instrumente Erde und Himmel ringsum erdröhnten. 



Siebentes Buch, 14. Kapitel. 


459 


6. Da aber Adonias und seine Gäste das Jauchzen 
vernahmen, gerieten sie in Bestürzung, und der Feldherr 
Joab erklärte gleich, dieses fröhliche Musizieren gefalle 
ihm nicht. Sobald nun das Mahl angerichtet war und 
niemand davon kosten wollte, vielmehr alle in tiefem 
Sinnen dasassen, kam auf einmal Jonathas, der Sohn 
des Hohepriesters Ahiathar, daher. Adonias sah den 
Jüngling gern und nannte ihn den Bringer froher Bot- 
schaft. Als dieser aber erzählte, was sich mit Solomon 
nach Davids Willen zugetragen hatte, standen Adonias 
und seine Gäste eiligst vom Mahle auf und flohen nach 
Hause. Adonias, der wegen seines Vergehens in grosser 
Angst war, wandte sich flehentlich zu Gott, indem er 
die vorstehenden Hörner des Altars ergriff. Als Solomon 
vernahm, dass Adonias zu Gott gefleht habe und ihn 
bitten lasse, er möge das Vorgefallene vergessen und 
ihm kein Leid zufügen, gewährte er ihm in seiner Milde 
und Güte Verzeihung und Straflosigkeit, ermahnte ihn 
aber auch, dass er, wofern er künftig wieder über solchen 
Anschlägen ertappt würde, zur gebührenden Strafe werde 
gezogen werden. Darauf liess er ihn aus seiner ge- 
beugten Stellung aufrichten und hiess ihn , nachdem 
Adonias ihm die schuldige Ehrenbezeugung erwiesen, 
ohne Furcht nach Hause gehen, nachdem er ihm noch 
besonders eingeschärft hatte, in Zukunft sich gut zu 
führen, was ihm nur von Vorteil sein könne. 

7. Weil nun David die Absicht hatte, seinen Sohn 
zum Könige des gesamten Volkes ausrufen zu lassen, 
berief er nach Jerusalem alle Vorsteher nebst den 
Priestern und Leviten, bei deren Zählung sich achtund- 
dreissigtausend Mann ergaben, die im Alter von dreissig 
bis fünfzig Jahren standen. Von diesen bestimmte der 
König dreiundzwanzigtausend zu Aufsehern beim Tempel- 
bau, sechstausend zu Richtern und Schreibern, viertausend 
zu Pförtnern am Hause Gottes und ebensoviele zu Chor- 
sängern und zum Spielen der Musikinstrumente beim 
Gottesdienst. Alsdann teilte er sie in Familien ein, 
sonderte die Priester von den übrigen Stämmen ab und 




460 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


fand von ihnen vierundzwanzig Familien vor, sechzehn 
aus dem Hause Eleazars und acht aus dem Hause 
Ithamars. Nach seiner Anordnung sollte eine Familie 
jedesmal acht Tage lang, von Sabbat zu Sabbat, den 
Gottesdienst versehen. Alle Familien warfen dann in 
Gegenwart Davids, der Hohepriester Sadok und Abiathar 
und aller Vorsteher das Los, und die Familie, deren 
Los zuerst heraussprang, wurde auch zuerst notiert, hierauf 
so weiter bis zur vierundzwanzigsten Familie. Diese 
Einteilung hat sich bis heute erhalten. Ebenso teilte 
er den Stamm Levis in vierundzwanzig Klassen ein und 
übertrug ihnen durch das Los, wie den Priestern, ihren 
achttägigen Dienst. Eine besondere Ehrung liess er den 
Nachkommen des Moyses zu teil werden. Er machte 
sie nämlich zu Wächtern über den Schatz Gottes und 
die Weihgeschenke, die von Königen dargebracht waren. 
Dann ordnete er noch an, dass alle Leviten und Priester 
Tag und Nacht beständig Gottesdienst halten sollten, 
wie Moyses ihnen dies schon vorgeschrieben hatte. 

8. Hierauf teilte er auch das Heer in zwölf Ab- 
teilungen und setzte über die einzelnen Abteilungen An- 
führer, Hauptleute und Oberste. Jede Abteilung zählte 
vierundzwanzigtausend Mann, die mit ihren Hauptleuten 
und Obersten je dreissigTage lang, vom ersten bis zum 
letzten Tage des Monats, beim Könige Solomon Dienst 
thun sollten. Ferner setzte er noch über jede Ab- 
teilung besonders gute und gerechte Männer und er- 
nannte auch Zahlmeister, Dorf- und Landverwalter, sowie 
Beamte für das Viehzuchtwesen, die einzeln aufzuführen 
ich nicht für notwendig halte. 

9. Nachdem er so alles bis ins kleinste angeordnet 
hatte, versammelte er die Behörden der Hebräer, die 
Stammeshäupter, Heerführer und alle, die königliche 
oder sonstige Ämter innehatten , betrat eine erhöhte 
Rednerbühne und sprach also zum Volke: „Brüder und 
Volksgenossen, ich will euch nicht in Unkenntnis darüber 
lassen, dass ich vorhatte, Gott einen Tempel zu erbauen, 
und dass ich dazu bereits eine Menge Gold und hundert- 



Siebentes Buch, 1 4. Kapitel. 


461 


tausend Talente Silber gesammelt habe. Gott aber hat 
mir durch den Seher Nathan den Bau untersagt, da ich 
viele Kriege für euch geführt und meine Hände mit 
Feindesblut befleckt habe. Der Herr wollte vielmehr, dass 
mein Sohn und Nachfolger den Tempel errichten sollte. 
Da ihr nun wisst, dass Judas allein von den zwölf 
Söhnen unseres Vorfahren Jakob zum Könige bestimmt 
war, und dass ich meinen sechs übrigen Brüdern vor- 
gezogen worden bin und von Gott die Königswürde er- 
halten habe, ohne dass einer von ihnen darüber un- 
zufrieden war, so bitte und beschwöre ich auch meine 
Söhne, keinen Aufstand deshalb zu erregen, weil Solomon 
die Herrschaft erhielt, vielmehr anzuerkennen, dass Gott 
ihn erwählt hat, und ihn demgemäss bereitwillig als 
ihren Herrn zu betrachten. Denn es ist nicht schwer, 
wenn Gott es so will, selbst einem fremden Herrn zu 
dienen ; um wie viel mehr muss man sich Glück wünschen, 
wenn der eigene Bruder eine so hohe Stellung erlangt, 
da man dann ja an seinem Glücke teilnimmt. Ich für 
meine Person wünsche, dass Gpttes Verheissungen sich 
erfüllen, und dass das Glück, welches Gott unter der 
Regierung Solomons dem Lande verleihen will , sich 
überall ausdehnen und ewig dauern möge. Alles aber 
wird sich so gestalten und einen glücklichen Ausgang 
nehmen, wenn du, mein Sohn, dich fromm und gerecht 
erweisest und die heimischen Gesetze schützest und ver- 
teidigst. Handelst du ihnen aber entgegen, so hast du 
nur Unheil zu erwarten.“ 

10. Mit diesen Worten schloss der König seine Rede. 
Dann übergab er vor aller Augen dem Solomon den 
Plan zum Tempelbau, der das Fundament, die Zahl, 
Höhe und Breite der oberen und unteren Gemächer, 
weiterhin auch das Gewicht der goldenen und silbernen 
Geräte* enthielt. Ferner ermahnte er ihn, auf das Werk 
die grösste Sorgfalt zu verwenden; die Vorsteher aber 
und den Stamm Levis bat er, sie möchten seinem Sohne, 
da er noch jung sei, hilfreich zur Hand gehen, zumal 
Gott selbst ihn zum Tempelbau und zur Regierung aus- 




462 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ersehen habe. Dann zeigte er ihnen, dass der Bau nicht 
allzu schwierig und mühsam sein werde, da er schon 
viele Talente Gold und Silber, ferner Bauholz, sowie 
eine Menge Smaragde und sonstige kostbare Steine aller 
Art zusammen gebracht und ausserdem auch schon für 
eine hinreichende Anzahl von Steinmetzen gesorgt habe. 
Dazu werde er aus seinen königlichen Einkünften zwei- 
hundert und ausserdem noch dreitausend Talente reinen 
Goldes zum Heiligtum, sowie zum Wagen Gottes die 
Cherubim, die auf der heiligen Lade angebracht würden 
und diese bedeckten, spenden. Als nun David seine 
Rede beendet hatte, steuerten die Stammesoberhäupter, 
Priester und Leviten mit grosser Bereitwilligkeit und 
reichlich zum Tempelbau bei und versprachen noch viele 
und kostbare Gaben für später. Sie verpflichteten sich 
nämlich noch zu liefern : fünftausend Talente und zehn- 
tausend Stater 1 Gold, zehntausend Talente Silber und 
viele tausend Talente Eisen. Und wenn jemand einen 
kostbaren Stein besass, so brachte er ihn und legte ihn 
zum Schatze, dessen Hut dem Ialus, einem Nachkommen 
des Moyses, anvertraut war. 

11. Hierüber freute sich das ganze Volk, und da 
David sah, wie die Vorsteher, die Priester und alle 
anderen in regem Wetteifer zum Werke beitrugen, fing 
er an mit lauter Stimme Gott zu loben und nannte ihn 
den Vater und Schöpfer der ganzen Welt und den Voll- 
bringer aller göttlichen und menschlichen Werke, der 
ihm die Regierung über die Hebräer und die Fürsorge 
für dieselben und das ihm anvertraute Königreich über- 
tragen habe. Dann wünschte er dem gesamten Volke 
alles Gute und seinem Sohne Solomon einen redlichen, 
unbefleckten und mit allen Tugenden ausgestatteten 
Sinn. Darauf hiess er das Volk in seine Lobgesänge 
einstimmen. Und alles fiel zur Erde nieder, betete Gott 
an und dankte dem David für die Wohlthaten, die er 
während seiner Regierung dem Volke erwiesen hatte. 


1 1 Stater = 15,7 bis 16,8 Mark. 



Siebentes Bach, 15. Kapitel. 


468 


Am folgenden Tage opferte man Gott tausend Kälber, 
eben so viele Widder und Lämmer als Brandopfer und 
tausende von Tieren als Friedopfer, und der König wie 
das Volk vergnügten sich bei festlichen Schmausereien. 
Solomon aber wurde aufs neue mit öl gesalbt und zum 
Könige erwählt, und Sadok zum Priester für das ganze 
Volk bestimmt. Dann führte das Volk den Solomon 
zum Königspalaste , setzte ihn auf den Thron seines 
Vaters und gehorchte ihm seit diesem Tage willig. 


Fünfzehntes Kapitel. 

Letzte Worte Davids an Solomon und sein Tod. 

1. Als nicht lange danach David aus Altersschwäche 
in eine Krankheit fiel und seinen Tod herannahen fühlte, 
beschied er den Solomon zu sich und sprach also zu 
ihm: „Ich stehe jetzt im Begriff, mein Sohn, von der 
Welt zu scheiden und zu meinen Vätern zu gehen, und 
betrete jenen Weg, den alle betreten müssen, die jetzt 
leben und die nach mir sein werden, und auf dem nie- 
mand zurückkehren kann, um sich nach den Vorfällen 
dieses Lebens zu erkundigen. Da ich nun noch am 
Leben bin, mein Tod aber nahe bevorsteht, erinnere ich 
dich noch einmal an das, was ich dir schon früher ge- 
sagt habe, dass du nämlich gerecht seiest gegen deine 
Unterthanen und treu gegen Gott, der dir die Herrschaft 
verliehen hat, und dass du seine Gebote und Gesetze, 
die er uns durch Moyses gegeben, nicht übertretest, möge 
dich dazu nun Menschenfurcht, Schmeichelei oder irgend 
eine andere Begierde oder Leidenschaft verlocken. Denn 
wenn du Gottes Gebote nicht hältst, entfremdest du dir 
auch seine Güte und Fürsorge. Wenn du dich aber so 
beträgst, wie es sich geziemt und ich von dir verlange, 
so wird die Königswürde bei unserer Familie verbleiben, 
und kein anderes Haus wie das unsere für alle Zeit 
über die Hebräer herrschen. Gedenke auch der Bosheit 
des Feldherrn Joab, der aus schnödem Neid zwei gute 
und gerechte Heerführer, Abener, den Sohn des Nerus, 




464 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und Amessas, den Sohn des Jethranas, umgebracht hat 
Räche deren Tod nach deinem Gutdünken, denn da 
Joab mir zu mächtig war, habe ich ihn nicht zur Ver- 
antwortung ziehen können. Ich empfehle dir besonders 
die Kinder des Galaditers Berzelaeus, denen du um 
meinetwillen alle Ehre und Fürsorge erzeigen sollst 
Denn so vergelten wir ihnen die Wohlthaten, die ihr 
Vater mir erwiesen hat, als ich flüchtig war. Den 
Benjamiter Seme! aber, den Sohn des Geras, der mich 
auf der Flucht nach Parembolai schmähte und nachher 
mir bis zum Jordan entgegenzog, wo ich ihm das Leben 
schenkte, bestrafe, sobald sich ein gerechter Grund dafür 
findet 

^2. Als David seinem Sohne dies alles in betreff der 
Regierung sowie hinsichtlich seiner Freunde und Feinde 
auseinandergesetzt hatte, schied er aus dem Leben im 
Alter von siebzig Jahren, nachdem er zu Chebron über 
den Stamm Judas sieben Jahre und sechs Monate, und 
zu Jerusalem über das ganze Land dreiunddreissig Jahre 
lang geherrscht hatte. Er war ein vortrefflicher Mann 
und mit allen Tugenden ausgestattet, die ein König be- 
sitzen muss, dem das Wohl eines so grossen Volkes an- 
vertraut ist. Denn er übertraf alle anderen an Tapfer- 
keit, und wenn er Kriege für sein Volk führte, setzte 
er sich stets zuerst den Gefahren aus und feuerte seine 
Krieger durch Ausdauer in Beschwerden und durch 
heldenmütiges Kämpfen zur Vollbringung glänzender 
Kriegsthaten an, nicht aber durch Befehlen, wie es die 
Art der Herren ist. Zugleich durchdrang er mit scharfem 
Blick die gegenwärtigen wie die zukünftigen Verhält- 
nisse, und war bescheiden, mild und gütig gegen Unglück- 
liche, gerecht und menschenfreundlich gegen alle. So 
besass er alle Eigenschaften, die einen König zieren, 
und missbrauchte nie seine Gewalt, mit alleiniger Aus- 
nahme des Vergehens mit dem Weibe des Urias. 
Ausserdem hinterliess er einen so gewaltigen Reichtum, 
wie ihn nie ein anderer König der Hebräer sowohl wie 
der übrigen Völkerschaften hinterlassen hat. 



Siebentes Buch, 15. Kapitel. 


465 


3. Sein Sohn Solomon bestattete ihn zu Jerusalem 
mit grossem Gepränge und legte ausserdem, dass er die 
anderen Gebräuche beobachtete, welche bei der Be- 
stattung von Königen üblich sind, auch noch ungeheure 
Schätze in das Grab, deren Grösse man aus folgenden 
Thatsachen leicht ermessen kann. Als dreizehnhundert 
Jahre später der Hohepriester Hyrkanus von Antiochus, 
der den Beinamen Eusebes hatte und ein Sohn des 
Demetrius war, belagert wurde und ihn durch Zahlung 
einer Geldsumme veranlassen wollte, von der Belagerung 
abzustehen und sein Heer zurückzuziehen, öffnete er, da 
ihm sonst keine Mittel zur Verfügung standen, eine 
Kammer von Davids Grabdenkmal, nahm dreitausend 
Talente heraus und gab einen Teil davon dem Antiochus, 
wodurch er sich von der Belagerung loskaufte, wie ich 
an anderer Stelle berichtet habe. Nach t ihm öffnete 
viele Jahre später der König Herodes eine andere 
Kammer des Grabes und entnahm ihr grosse Schätze. 
Zu den Behältern aber, welche die Überreste der Könige 
enthielten, gelangte keiner von beiden; denn diese waren 
so geschickt in der Erde verborgen, dass man, wenn 
man in das Grabmal eintrat, nichts davon gewahr wurde. 
Soviel möge hierüber für jetzt genügen. 


JoeephuB* Jüdische Altertümer. 


30 


Go gle 



Achtes Buch 


Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 163 Jahren. 

Inhalt. 

1. Wie Solomon die Regierung antrat und seine Feinde tötete. 

2. Von seiner Weisheit, seiner Erfahrung und seinem Reichtum. 

3. Wie er Gott zu Jerusalem einen Tempel erbaute. 

4. W T ie nach Solomons Tod das Volk von seinem Sohne 

Roboam abfiel und zehn St&mme den Jeroboam zum 
Könige wählten , während nur zwei Stämme dem Roboam 
treu blieben. 

5. Wie Susak. der König der Aegyptier, ein Heer gegen Jerusalem 

führte, die Stadt eroberte und deren Schätze nach Aegypten 
mitnahm. 

6. Kriegszug des Königs Jeroboam gegen Abias, den Sohn des 

Roboam. Seine Niederlage. 

7. Wie ein gewisser Basanes Jeroboams Geschlecht vertilgte und 

zur Herrschaft gelangte. 

8. Kriegszug der Aethiopen gegen die Jerusalemer unter der Re* 

gierung Asanes’, des Sohnes des Abias. Untergang des Heeres 
der Aethiopen. 

9. Wie nach Ausrottung des Geschlechtes des Basanes Zamares und 

dann dessen Sohn Achab die Israeliten regierten. 

10. Wie Adad, der König von Damaskus und Syrien, zweimal gegen 

Achab zu Felde zog und geschlagen wurde. k 

11. Die Ammaniter und Moabiter überziehen Josaphat, den König 

von Jerusalem, mit Krieg und werden besiegt. 

12. Wie Achab gegen die Syrer zu Felde zog, eine Niederlage er- 

litt und selbst fiel. 



Achtes Buch, 1 . Kapitel. 


467 


Erstes Kapitel. 

Wie Solomon die Regierung antrat und seine Feinde 

tötete. 

1. Im vorhergehenden Buche habe ich erzählt von 
David und seinen Tugenden, wie viel Gutes er seinen 
Volksgenossen erwies, welche glänzenden Kriegsthaten 
er vollbrachte und wie er danach in hohem Alter starb. 
Sein Sohn Solomon, den er noch bei Lebzeiten nach dem 
Willen Gottes zum Herrscher des Volkes gemacht hatte, 
war noch jung, als er zur Regierung kam. Bei seiner 
Thronbesteigung wünschte ihm das gesamte Volk, wie 
das beim Regierungsantritt eines neuen Königs zu ge- 
schehen pflegt, alles Glück, eine gesegnete Regierung 
und ein langes Leben. 

2. Adonias aber, der schon bei Lebzeiten seines Vaters 
nach der Herrschaft gestrebt hatte, begab sich jetzt zu 
Beersabe, grüsste sie ehrerbietig und stellte ihr auf die 
Frage, was er von ihr begehre, und nachdem sie sich 
bereit erklärt, ihm seinen Wunsch zu erfüllen, fol- 
gendes vor. Sie wisse doeh wohl, dass seinem Alter 
gemäss und nach dem Willen des Volkes die Regierung 
eigentlich ihm zukomme. Da dieselbe aber nach Gottes 
Willen an ihren Sohn Solomon übergegangen sei, so 
wolle er sich ihm gern unterordnen und den gegen- 
wärtigen Zustand der Dinge anerkennen. Er bitte sie 
nur, sich bei seinem Bruder dafür zu verwenden, dass 
er ihm die Abisake, die bei seinem Vater geschlafen 
habe, zur Ehe gebe. Der Vater habe ja seines hohen 
Alters wegen keinen vertraulichen Umgang mit ihr 
gehabt, sodass sie noch Jungfrau sei. Beersabe ver- 
sprach, sich um die Heirat Mühe zu geben; der König 
werde auch gewiss gern seinem Bruder den Gefallen 
thun, zumal wenn sie ihn darum bäte. Adonias ent- 
fernte sich darauf voll Hoffnung auf das Zustande- 
kommen der ehelichen Verbindung, Solomons Mutter 
aber begab sich gerades wegs zu ihrem Sohne, um mit 

30 * 




468 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihm über die Angelegenheit zu sprechen. Ihr Sohn kam 
ihr entgegen, umarmte sie liebevoll, führte sie in den 
Saal, wo der Königsthron stand, setzte sich darauf und 
liess seiner Mutter einen Platz zu seiner Rechten an- 
weisen. Als Beersabe sich gesetzt hatte, sprach sie : 
„Gewähre mir das eine, um das ich dich bitte, und 
kränke mich nicht durch eine Weigerung.“ Solomon 
bat sie, über ihn zu verfügen, da es ihm wohl anstehe, 
seiner Mutter nichts abzuschlagen. Ja, er tadelte sie 
sogar, dass sie nicht mit voller Zuversicht auf Erfüllung 
ihrer Bitte zu ihm rede, sondern überhaupt habe be- 
fürchten können, er würde ihr dieselbe verweigern. Darauf 
bat sie ihn denn, er möge die Jungfrau Abisake seinem 
Bruder Adonias zur Ehe geben. 

3. Der König aber geriet über dieses Ansinnen in 
heftigen Zorn und entliess seine Mutter, indem er ihr 
bemerkte, Adonias führe andere Dinge im Schilde, und 
er wundere sich, dass sie nicht verlange, er solle ihm 
als dem älteren auch noch die Herrschaft abtreten, zumal 
er so mächtige Freunde wie den Feldherrn Joab und 
den Hohepriester Abiathar habe. Und sogleich beschied 
er den Befehlshaber der Leibwache, Banajas, zu sich 
und trug ihm auf, seinen Bruder Adonias umzubringen. 
Dann liess er den Hohepriester Abiathar kommen und 
sprach zu ihm: „Vom Tode zwar retten dich die Müh- 
sale, die du mit meinem Vater erduldet, und die heilige 
Lade, die du in Gemeinschaft mit ihm nach Jerusalem 
überführt hast. Weil du aber ein eifriger Anhänger des 
Adonias bist, so bestrafe ich dich damit, dass du dich 
hier nicht mehr aufhalten, noch mir unter die Augen 
kommen darfst, sondern du sollst dich in deine Heimat 
begeben, dich ländlicher Arbeit widmen und dieses Leben 
bis zu deinem Tode führen: denn in deinem Amte 
kannst du länger nicht bleiben.“ Um dieser Ursache 
willen verlor das Haus Ithamars die Hohepriesterwürde, 
wie Gott dem Eli, dem Grossvater Abiathars, vorher- 
gesagt hatte, und es ging dieselbe an Sadok aus dem 
Geschlechte des Phinees über. Bis zu der Zeit aber, da 



Achtes Buch, 1. Kapitel. 


469 


die bohepriesterliche Würde an Ithamars Haus gelangte 
und bei ihm verblieb, lebten aus dem Geschlechte des 
Phinees folgende Männer ohne die Priesterwürde: Bok- 
kias, der Sohn des Hobepriesters Joseph, dann des 
Bokkias Sohn Joatham, des Joatbam Sohn Maraiotb, 
dessen Sohn Arophaeus und des Arophaeus Sohn Achitob . 
Des Achitob Sohn aber war Sadok, der unter Davids 
Regierung Hohepriester wurde. 

4. Als der Feldherr Joab den Tod des Adonias erfuhr, 
geriet er in grosse Angst, denn er war ihm wohlgesinnter 
als dem Könige Solomon. Und da er argwöhnte, es 
möchte auch ihm diese Gesinnung Gefahr bringen, floh 
er zum Altar in der Meinung, er werde dort wegen des 
Königs Frömmigkeit in Sicherheit sein. Sobald aber 
dem Könige Joabs Absicht gemeldet worden war, schickte 
er den Banajas zu ihm und befahl diesem, ihn vom 
Altäre wegzuführen, damit er vor Gericht seine Sache 
vertrete. Joab jedoch erklärte, er werde das Heiligtum 
nicht verlassen und wolle lieber hier als irgendwo anders 
sterben. Als Banajas diese Antwort Joabs dem Könige 
meldete, befahl ihm Solomon, dem Joab seinem Ver- 
langen gemäss dort das Haupt abzuschlagen und ihn 
so für die Ermordung der beiden Feldherrn zu be- 
strafen. Den Körper solle er dann bestatten lassen. 
Auf diese Weise werde die Schuld an seinem ganzen 
Geschlechte haften, während der König selbst und sein 
Vater für den Tod Joabs nicht verantwortlich gemacht 
werden könnten. Banajas vollzog diesen Befehl und 
wurde dann selbst zum Oberfeldherrn ernannt; Sadok 
aber ward alleiniger Hohepriester, nachdem Abiathar 
dieser Würde verlustig erklärt war. 

5. Darauf liess der König auch den Semei rufen und 
befahl ihm, sich zu Jerusalem ein Haus zu bauen, dort 
beständig zu wohnen und den Bach Kedron nicht zu 
überschreiten. Falls er diesem Befehl nicht Folge leiste, 
werde er mit dem Tode 1 bestraft werden. Er bedrohte 
ihn aber nicht nur, sondern zwang ihn auch, sich unter 
einem Eid zur Beachtung der Vorschrift zu verpflichten. 




470 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Semei versprach denn auch unter einem Schwur, den 
Befehl streng zu befolgen, verliess seine Heimatstadt 
und siedelte nach Jerusalem über. Als er nun drei 
Jahre später vernahm, es seien ihm zwei Sklaven ent- 
laufen und nach Gitta geflohen, machte er sich auf, um 
sie zurückzuholen. Der König, der über diese Miss- 
achtung seines Befehles und noch mehr über die Ver- 
letzung des Eides sehr unwillig wurde, beschied den 
Semei zu sich und sprach zu ihm : „Hast du nicht ge- 
schworen, mich nicht zu verlassen und nie aus dieser 
Stadt in eine andere zu gehen? Diesen Eidbruch sollst 
du büssen und zugleich damit auch die Schmähungen, 
die du gegen meinen Vater auf der Flucht dir hast zu 
schulden kommen lassen, du verbrecherischer Mensch! 
Du sollst wissen, dass es den Bösen nichts nützt, wenn 
sie nicht auf der Stelle ihre Strafe erleiden, und dass 
sie allezeit, auch wenn sie sich sicher wähnen, derselben 
gewärtig sein können.“ Banajas brachte darauf auch 
den ‘Semei um. 


Zweites Kapitel. 

Von Solomons Weib, seiner Weisheit und seinem Reichtum. 

Er erhält von Hiram Material zum Tempelbau. 

1. Als Solomon so durch Beseitigung seiner Feinde 
seine Herrschaft befestigt hatte, nahm er eine Tochter 
Pharaos, des Königs der Aegyptier, zur Ehe. Darauf 
erweiterte und verstärkte er die Befestigungen Jerusalems 
und herrschte von nun an in tiefstem Frieden. Das 
Ungestüm seiner Jugend hinderte ihn nicht, Gerechtig- 
keit zu pflegen, die Gesetze zu beobachten und das im 
Gedächtnis zu behalten, was sein Vater sterbend ihm 
aufgetragen hatte. Vielmehr benahm er sich wie ein 
Mann von reiferem Alter und geschärftem Verstände 
und durchdrang alle Verhältnisse mit hervorragender 
Urteilskraft. Auch beschloss ei* nach Chebron zu ziehen 
und dort auf dem von Moyses errichteten ehernen Altar Gott 
zu opfern, und brachte tausend Brandopfer daselbst dar. 



Achtes Bach, 2. Kapitel. 


471 


Hiermit hatte er Gott eine grosse und wohlgefällige 
Ehrenbezeugung erwiesen. Denn in der folgenden Nacht 
erschien ihm der Herr im Schlafe und hiess ihn für 
diese Frömmigkeit eine Belohnung verlangen. Da erbat 
sich Solomon von Gott das Schönste und Beste, das er 
auch am liebsten verleiht, und das den Menschen am 
nützlichsten ist. Er verlangte nämlich nicht Gold oder 
Silber oder irgend welchen anderen Reichtum, wie ihn sich 
sonst wohl ein junger Mann gewünscht haben würde (denn 
das halten die meisten allein für schätzenswert und für Ge- 
schenke Gottes), sondern er sagte: „Gieb mir, o Herr, 
einen scharfen Verstand und ein klares Urteil, damit 
ich dem Volke Wahrheit und Gerechtigkeit verkünde, 
wenn ich zu Gericht sitze.“ Über diese Bitte freute sich 
Gott so sehr, dass er ihm auch alles übrige, was er sich 
nicht gewünscht, verhiess, Reichtum, Ruhm, Sieg über 
die Feinde und vor allem Weisheit und Erfahrung, wie 
sie nie weder ein König noch ein anderer Mensch be- 
sessen habe. Auch versprach er ihm, er werde seinen 
Nachkommen die Königsherrschaft erhalten, wenn er 
in Gerechtigkeit und Gehorsam verharre und seinem 
Vater in allen Tugenden ähnlich werde. Als Solomon 
dies von Gott vernommen, erhob er sich sogleich von 
seinem Lager, betete Gott an und kehrte nach Jerusalem 
zurück, wo er vor der heiligen Hütte viele Opfer dar- 
brachte und alle die Seinigen bewirtete. 

2. In diesen Tagen brachte man einen schwierigen 
Rechtsfall vor ihn, dessen Entscheidung fast unmöglich 
erschien. Ich halte es für nötig, diese Sache kurz aus- 
einanderzusetzen, damit die Leser die Schwierigkeit der 
Entscheidung begreifen und, falls sie in eine ähnliche 
Lage kommen sollten, an dem Scharfsinne des Königs 
sich ein Beispiel nehmen können, wie sie selbst in 
Streitigkeiten zu entscheiden haben. Es kamen nämlich 
zum Könige zwei ßuhldirnen, von denen die eine Un- 
recht erlitten zu haben behauptete und also sprach: 
„Ich wohne, o König, mit diesem Weibe hier in einem 
Gemach. Es traf sich nun, dass wir beide an demselben 




472 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Tage und zur selben Stunde einen Knaben gebaren. Am 
dritten Tage aber erdrückte diese im Schlafe ihren eigenen 
Knaben, nahm mir dann heimlich aus meinem Schosse 
den meinigen fort, zog ihn [zu sich herüber und legte 
mir, während ich noch schlief, das tote Kind in meine 
Arme. Als ich nun am Morgen mein Kind nähren 
wollte, fand ich nicht mein eigenes, sondern das tote 
Kind dieses Weibes bei mir liegen. Dass die Sache 
sich wirklich so verhielt, habe ich durch genaue Forschung 
ermittelt. Ich forderte deshalb mein Kind zurück, und da 
ich es nicht erhielt, habe ich zu deiner Hilfe, o Herr, meine 
Zuflucht genommen. Denn weil wir allein waren und 
sie keine Furcht hat, dass jemand sie überführen könnte, 
leugnet sie hartnäckig und frech.“ Als sie so gesprochen, 
fragte der König das andere Weib, ob sie etwas dagegen 
einzuwenden habe. Diese leugnete die That und be- 
hauptete, ihr eigenes Kind lebe, das ihrer Gegnerin aber 
sei umgekommen. Da wusste nun niemand Rat, und 
alle zerbrachen sich den Kopf wie über ein Rätsel. Der 
König allein fand die Lösung. Er befahl sowohl das 
lebende wie das tote Kind zu holen, rief einen von der 

9 y 

Leibwache heran und hiess ihn beide Kinder mit dem 
Schwerte in zwei Teile teilen und jeder der beiden 
Mütter die Hälfte von dem einen wie dem andern Kinde 
geben. Ob dieser Entscheidung des Königs konnten 
die sämtlichen Anwesenden ein stilles Lächeln nicht 
unterdrücken, da sie ihn für kindisch hielten. Die wirk- 
liche Mutter aber schrie laut, man solle das doch nicht 
thun und lieber ihr eigenes Kind dem anderen Weibe 
geben ; sie sei zufrieden, wenn es am Leben bleibe und 
sie es erblicken könne, möge auch die andere es be- 
sitzen. Die andere Mutter dagegen war mit der Teilung 
sogleich einverstanden, da sie der wirklichen Mutter gern 
den grausamen Schmerz gegönnt hätte. Da sprach 
der König, der aus den Worten beider ihre wahre Ge- 
sinnung erkannte, der Mutter, die geschrien hatte, das 
lebende Kind zu, da es in Wahrheit ihr eigenes sei; die 
andere aber bestrafte er für ihre Bosheit, weil sie, nach- 




Achtes Buch, 2. Kapitel. 


473 


dem sie ihr eigenes Kind umgebracht, nun auch noch 
an dem Tode des Kindes der Genossin ihre Freude 
haben wolle. Diese Entscheidung war dem Volke ein 
augenfälliger Beweis für die Weisheit und den Scharf- 
sinn seines Königs, und von da an hörten sie auf ihn 
wie auf einen, der mit göttlicher Einsicht begabt ist. 

3. In der Militär- und Civilverwaltung ernannte der 
König folgende Beamte : Dem Bezirke Ephraim stand 
Ure8 vor, dem Bezirke Bethleem Dioklerus. Die Gegend 
von Dora und die ganze Küste hatte Abinadab unter 
sich, der eine Tochter Solomons heiratete. Die grosse 
Ebene, 1 sowie das Land bis zum Jordan unterstand dem 
Banajas, dem Sohne des Achilus. Die Provinzen Gala- 
ditis und Gaulanitis bis zum Libanon, in denen sechzig 
grosse und wohlbefestigte Städte lagen, verwaltete Ga- 
bares. Achinadab, der ebenfalls eine Tochter Solomons 
Namens Basima zur Ehe hatte, verwaltete ganz Galilaea 
bis nach Sidon hin, ferner Banakates die Küste in der 
Gegend von Arke und Saphates die Gebirgsgegenden 
des Itabyrius und Karmel sowie Galilaea bis zum Jordan. 
Über dieses ganze Gebiet ward wieder ein besonderer 
Statthalter gesetzt. Dem Semeis wurde dann noch der Be- 
zirk des Stammes Benjamin und dem Gabares das Land 
jenseits des Jordan unterstellt, und ihnen wieder ein be- 
sonderer Statthalter übergeordnet. Wunderbar wuchs 
nun der Wohlstand der Hebräer und besonders des 
Stammes Judas. Da sie nämlich im Frieden lebten, 
von Kriegen und inneren Unruhen verschont blieben 
und dabei die ihnen höchst willkommene Freiheit in 
vollen Zügen genossen, verlegte sich jeder mit Eifer 
darauf, seinen Besitz zu vermehren und wertvoller zu 
machen. 

4. Der König hatte aber auch noch andere Statt- 
halter, die im Gebiete der Syrer und der übrigen 
Fremden vom Euphrat bis nach Aegypten die Regierung 
innehatten und ihm den Tribut ein zogen. Diese lieferten 

1 Auf der Grenze von Galilaea und Samaria (vergl. Jüd. 
Krieg III, 4, 1). 



474 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


täglich für die Hofhaltung des Königs und seinen Tisch 
dreissig Koren 1 Weizenmehl, sechzig Koren anderes 
Mehl, zehn Mastochsen und zwanzig Weideochsen sowie 
hundert gemästete Schafe. Dies alles wurde noch ausser 
Wildbret, Hirschen, Büffeln, Geflügel und fischen tag- 
täglich dem Könige von den fremden Völkern geliefert 
Weiterhin besass Solomon eine so grosse Zahl Wagen, 
dass er vierzigtausend Krippen für Gespannpferde 
brauchte. Ausserdem hielt er zwölf tausend Reitpferde, 
von denen die Hälfte zu Jerusalem in der Nähe des 
Königs sich befand, die andere Hälfte dagegen in den 
königlichen Schlössern zerstreut untergebracht war. Der- 
selbe Aufseher, der die königliche Speisekammer ver- 
waltete, hatte auch die Aufsicht über die Pferde und 
übte dieselbe dort aus, wo der König sich jedesmal 
befand. 

5. Infolge der Weisheit und Einsicht, die Solomon 
von Gott erhielt, überragte er alle Menschen, die vor 
ihm gelebt hatten, und selbst die Aegyptier, die doch 
besonders weise sein sollen, erreichte der König nicht 
bloss an scharfem Verstand, sondern übertraf sie noch 
darin. Auch diejenigen, die um jene Zeit bei den 
Hebräern einen besonderen Ruf von Weisheit erlangt 
hatten, und deren Namen Ethan, Aeman, Chalkeus und 
Dardan, Söhne des Emaon, ich nicht übergehen zu dürfen 
glaube, liess er weit hinter sich. Er verfasste eintausend- 
undfünf Bücher Gedichte und Gesänge, sowie dreitausend 
Gleichnisse und Sprüche. Denn über jeden Baum vom 
Hyssop bis zur Ceder dichtete er eine Parabel, des- 
gleichen auch über die Zugtiere und alle übrigen Tiere 
der Erde sowohl im Wasser wie in der Luft. Auch 
kannte er deren Naturgeschichte genau und wusste über 
alles in philosophischer Weise zu sprechen; ebenso war 
er über die Eigenschaften aller anderen Dinge unter- 
richtet. Gott lehrte ihn auch die Kunst, böse Geister 


1 1 Kor = 10 Bad, 1 Bad = 6 Hin, 1 Hin = 12 Lop, 
1 Log = dom Inhalte von 6 Eierschalen. 



Achtes Buch, 2. Kapitel. 


475 


zum Nutzen und Heile der Menschen zu bannen. Er 
verfasste nämlich Sprüche zur Heilung von Krankheiten 
und Beschwörungsformeln, mit deren Hilfe man die 
Geister also bändigen und vertreiben kann, dass sie nie 
mehr zurückkehren. Diese Heilkunst gilt auch jetzt 
noch viel bei uns. Ich habe zum Beispiel gesehen, wie 
einer der Unseren, Eleazar mit Namen, in Gegenwart des 
V espasianus, seiner Söhne, der Obersten und der übrigen 
Krieger die von bösen Geistern Besessenen davon be- 
freite. Die Heilung geschah in folgender Weise. Er 
hielt unter die Nase des Besessenen einen Bing, in dem 
eine von den Wurzeln eingeschlossen war, welche Solo- 
mon angegeben hatte, liess den Kranken daran riechen 
und zog so den bösen Geist durch die Nase heraus. 
Der Besessene fiel sogleich zusammen, und Eleazar be- 
schwor dann den Geist, indem er den Namen Solomons 
und die von ihm verfassten Sprüche hersagte, nie mehr 
in den Menschen zurückzukehren. Um aber den An- 
wesenden zu beweisen, dass er wirklich solche Gewalt 
besitze, stellte Eleazar nicht weit davon einen mit Wasser 
gefüllten Becher oder ein Becken auf und befahl dem 
bösen Geiste, beim Ausfahren aus dem Menschen dieses 
umzustossen und so die Zuschauer davon zu überzeugen, 
dass er den Menschen verlassen habe. Das geschah 
auch in der That, und so wurde Solomons Weisheit und 
Einsicht kund. Ich habe hierüber sprechen zu müssen 
geglaubt, damit allgemein bekannt werde, wie gewaltig 
der Geist des Königs und wie wohlgefällig er Gott war, 
und damit niemand unter der Sonne des Königs aus- 
gezeichnete Tugend verborgen bleibe. 

6. Als Hiram , der König der Tyrier, die Thron- 
besteigung Solomons vernahm, freute er sich, da er 
Davids Freund gewesen war, und liess dem Solomon 
durch eine Gesandtschaft seine Glückwünsche darbringen. 
Darauf sandte ihm Solomon einen Brief folgenden In- 
halts. „Solomon an den König Hiram. Wie du weisst, 
wollte mein Vater Gott einen Tempel bauen, wurde aber 
durch unausgesetzte Kriegszüge daran gehindert. Denn 




476 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


er Hess nicht eher vom Kriege ab, als bis er alle 
seine Feinde tributpflichtig gemacht hatte. Ich dagegen 
danke Gott für den Frieden, dessen ich mich erfreue, 
und da ich ausserdem die Müsse dazu habe, will ich 
Gott den Tempel erbauen, wie er dies meinem Vater 
schon vorausgesagt hat. Deshalb bitte ich dich, meinen 
Boten einige Männer auf den Libanon mitzugeben, um 
Baumstämme zu fällen. Denn auf das Fällen von 
Bäumen verstehen sich die Sidonier besser als unsere 
Landsleute. Ich werde den Holzarbeitern jeden Lohn 
bewilligen, den du bestimmst.“ 

7. Als Hiram, dem der Auftrag viele Freude be- 
reitete, diesen Brief gelesen hatte , schrieb er dem Solo- 
mon zurück wie folgt: „König Hiram an den König 
Solomon. Gott gebührt Lob dafür, dass er das Reich 
deines Vaters dir, einem so weisen und tugendhaften 
Manne, übertragen hat Gern werde ich dir alles zu 
Gefallen thun, was du von mir begehrst. Ich werde 
dafür sorgen, dass meine Leute Cedern und Gypressen 
in grosser Zahl und von besonderer Grösse fallen, sie 
ans Meer schaffen und an irgend einen Küstenort deines 
Gebietes zu Schiffe hinbringen. Von dort mögen dann 
die Deinigen sie nach Jerusalem holen. Du kannst uns 
dafür Getreide liefern, an welchem wir Mangel haben, 
da wir eine Insel bewohnen.“ 

8. Noch heute giebt es Abschriften dieser Briefe nicht 
nur in unseren Büchern, sondern auch bei den Tyriern. 
Will also jemand sich davon überzeugen, so braucht er 
nur die Archivvorsteher in Tyrus anzugehen und wird 
finden, dass die dortigen Schriftstücke mit den hier 
wiedergegebenen überein stimmen. Dies erwähne ich 
bloss, um meine Leser davon zu überzeugen, dass ich 
nichts als die Wahrheit zu schreiben beabsichtige und 
nicht durch Berichten von Wahrscheinlichkeiten, die auf 
Täuschung oder Ergötzung der Leser hinauslaufen, mich 
der Kritik entziehen will, dass ich aber auch nicht ohne 
weiteres Glauben beanspruche oder, wenn ich von wahr- 
heitsliebender Geschichtschreibung abgewichen bin, un- 




Achtes Buch, 2. Kapitel. 


477 


getadelt bleiben will. Ich bitte vielmehr ausdrücklich 
darum, dass niemand meine Berichte gutheisse, wenn ich 
sie nicht durch bestimmte Beweise stützen kann. 

9. Solomon lobte beim Empfange des Briefes Hirams 
dessen willige Freundlichkeit sehr und beschloss, ihm 
aus Erkenntlichkeit jährlich zwanzigtausend Koren 
Weizen und eben so viele Bad öl (ein Bad enthält zwei- 
undsiebzig Sextarien 1 ) und Wein zu schicken. Hierdurch 
wurde die Freundschaft zwischen Solomon und Hiram 
immer mehr befestigt, und sie schwuren sich ewige Treue. 
Solomon legte nun dem Volke die Gestellung von 
dreissigtausend Arbeitern auf, denen er ihren Dienst durch 
weise Einteilung desselben sehr erleichterte. Es sollten 
nämlich zehntausend von ihnen einen Monat lang auf 
dem Libanon Holz fällen, dann aber nach Hause zu- 
rückkehren und sich zwei Monate lang ausruhen, 
während welcher Zeit die übrigen zwanzigtausend ihre 
Arbeit ableisteten, bis dann im vierten Monat wieder 
die ersten an die Reihe kamen. Die gesamten Arbeiter 
beaufsichtigte Adoram. Von den Anwohnern, die David 
zu dem Werke bestimmt hatte, wurden siebzigtausend 
als Träger von Steinen und anderen Baumaterialien, 
und achtzigtausend als Steinmetzen beschäftigt, über 
welche dreitausefiddreihundert Aufseher gesetzt waren. 
Sie sollten nun zunächst für die Fundamente des Tempels 
gewaltige Felsblöcke behauen, sie im Gebirge anein- 
ander passen und dann erst in die Stadt schaffen. Diese 
Arbeit verrichteten aber nicht nur einheimische Arbeiter, 
sondern auch die Werkleute, welche Hiram geschickt 
hatte. 


1 Ein Sextarius = 1 j. J Liter. 




478 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Drittes Kapitel. 

Der Tempelbau. 

1. Solomon begann den Tempelbau im vierten Jabre 
seiner Regierung, im zweiten Monate, den die Mazedonier 
Artemisios t die Hebräer aber Iar nennen , fünfhundert- 
zweiundneunzig Jahre nach dem Auszug auä Aegypten, 
tausendzwanzig Jahre nach der Übersiedelung Abrams 
aus Mesopotamien nach Chananaea, vierzehnhundert- 
vierzig Jahre nach der Sintflut und dreitausendein- 
hundertundzwei Jahre nach der Erschaffung Adams. Zu 
der Zeit, als der Tempelbau ins Werk gesetzt wurde, 
herrschte Hiram schon im elften Jahre über Tyrus, und 
seit der Gründung von Tyrus waren damals zweihundert- 
vierzig Jahre verflossen. 

2. Zunächst wurden nun in beträchtlicher Tiefe die 
Fundamente des Tempels aus festem, dem Zahn der 
Zeit trotzenden Steinmaterial gelegt und zwar so, dass 
sie mit der Erde gleichsam eine Masse und dadurch 
eine sichere Unterlage für den ganzen Bau bildeten, die 
bei ihrer grossen Stärke nicht nur den gewaltigen 
Koloss an sich, sondern auch die vielerlei Zieraten 
tragen konnte. Denn die letzteren sollten kein ge- 
ringeres Gewicht haben als der Rohbau an sich, dem 
übrigens bei all seiner Pracht und Zierlichkeit eine be- 
deutende Höhe und Ausdehnung zugedacht war. Bis 
zur Decke wurde der Bau aus weissem Marmor auf- 
geführt, und zwar in einer Höhe von sechzig, einer 
Länge von sechzig und einer Breite von zwanzig Ellen. 1 
Darüber erhob sich noch ein Aufbau von gleichen 
Dimensionen, sodass die ganze Höhe des Tempels 
hundertzwanzig Ellen betrug. Er war gegen Osten ge- 
richtet Die Vorhalle mass, der Breite des eigentlichen 
Gebäudes entsprechend, in der Länge zwanzig, in der 
Breite zehn und in der Höhe hundertzwanzig Ellen. 


1 Eine jüdische Elle = 0,525 Meter. 




Achtes Buch, 3. Kapitel. 


479 


Hings um den Tempel wurden dreissig kleinere Gebäude 
errichtet, welche denselben ausserhalb umschlossen und 
bestimmt waren’, durch ihre grosse Zahl und dadurch, 
dass sie dicht aneinander stiessen, den eigentlichen 
Tempelbau zusammenzuhalten. Sie standen miteinander 
durch Thüren in Verbindung, und jedes von ihnen mass 
in der Länge wie in der Breite fünf und in der Höhe 
zwanzig Ellen. Über diesen Gebäuden wurden noch 
zwei Stockwerke in denselben Massen aufgeführt, 
sodass das Ganze die Höhe des unteren Stockwerkes 
des Tempels erreichte ; das obere Stockwerk dagegen war 
nicht von solchen Gebäuden umgeben. Das Dach be- 
stand aus Cedernholz. Jedes der kleinen Gebäude hatte 
sein eigenes Dach, welches mit den Dächern der benach- 
barten Gebäude nicht zusammenhing, und ausserdem war 
das Ganze von einem gemeinsamen * Dache geschützt, 
das aus besonders langen, von einer bis zur anderen 
Seite reichenden Balken zusammengefügt war, sodass 
die Mittel wände von diesen Balken zusammengehalten 
und dadurch noch besser befestigt wurden. Die Decke 
unter den Dachbalken bestand aus demselben Material 
und war getäfelt und mit ciseliertem Gold bekleidet. 
Die Wände aber wurden mit Platten aus Cedernholz 
versehen und vergoldet, sodass der ganze Tempel innen 
in hellem Glanze erstrahlte, und die Augen der Ein- 
tretenden durch den überall aufleuchtenden Gold- 
schimmer geblendet wurden. Der ganze Tempel war 
sehr kunstvoll aus geglättetenSteinen erbaut, die in den 
Fugen so genau aneinander passten, dass man weder 
die Spuren eines Hammers noch irgend eines anderen 
Werkzeuges daran wahrnehmen konnte. Dadurch erschien 
der ganze Bau wie aus einem Guss, und es machte den 
Eindruck, als ob er mehr aus sich selbst als infolge der 
Anwendung von Werkzeugen sich ineinander füge. Den 
Aufstieg aus dem unteren in das obere Stockwerk be- 
wirkte man durch Anlegung einer in die Dicke der 
Mauer eingelassenen Wendeltreppe. Denn das obere 
Stockwerk hatte nicht, wie das untere, ein grosses, nach 



480 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Osten gerichtetes Thor, sondern war durch kleine 
Thürchen von den Seiten aus zugänglich. Endlich 
wurde der Tempel innen wie aussen mit Stangen aus 
Oedernholz versehen, die von dicken Ketten zusammen- 
gehalten wurden und dem Ganzen noch mehr Festigkeit 
gaben. 

3. Das Innere des Tempels teilte der König in zwei 
Räume, von denen die hintere Abteilung das Allerheiligste 
darstellte. Diese Abteilung war zwanzig Ellen lang; 
den vorderen, vierzig Ellen messenden Raum aber be- 
stimmte er zum Heiligtum. In der Wand, welche die 
beiden Abteilungen trennte, brachte er eine Thür aus 
Cedernholz an, die reich mit Gold und Reliefarbeit ver- 
ziert und vor der ein aus Hyacinth, Purpur, Scharlach 
sowie dem zartesten und weissesten Byssus gewirkter 
Vorhang befestigt war. In dem Allerheiligsten, das 
zwanzig Ellen im Quadrat mass, wurden zwei Cherubim 
aufgestellt, die von gediegenem Golde waren, fünf Ellen 
in der Höhe massen und je zwei fünf Ellen weit aus- 
gespannte Flügel hatten. Sie standen nahe bei einander, 
weil sie mit ihren äusseren Flügeln bis an die nördliche 
beziehungsweise südliche Wand des Allerheiligsten 
reichten, mit den beiden inneren Flügeln aber sich be- 
rührten und die in der Mitte stehende heilige Lade be- 
deckten. Diese beiden Cherubim waren von unaus- 
sprechlicher und unfassbarer Schönheit. Auch der 
Fussboden des Tempels war mit Goldplatten belegt. 
Das Thor des Tempels endlich entsprach der Höhe der 
Tempelwand und . war zwanzig Ellen breit ; es war 
gleichfalls mit Gold verziert. Überhaupt fand sich 
Goldbekleidung aussen wie innen am Tempel reichlich 
angebracht. Vor dem Thore wurde ein ähnlicher Vor- 
hang wie im Innern befestigt, während die Thür der 
Vorhalle nichts dergleichen aufwies. 

4. Solomon liess sich darauf aus Tyrus vom Könige 
Hiram einen Künstler Namens Cheiramos schicken, der 
mütterlicherseits mit dem Stamme Nephthali verwandt 
war und den Urias, einen Mann israelitischer Abkunft, 




Achtes Buch, S. Kapitel. 


481 


zum Vater hatte. Dieser war ein tüchtiger Kunst- 
handwerker und besonders geschickt in Gold-, Silber- 
und Erzarbeit. Auf Geheiss des Königs verfertigte 
er alle in sein Fach einschlagende Zieraten des 
Tempels. Für den Tempeieingang stellte er zwei eherne 
Säulen her, die vier Finger dick, achtzig Ellen hoch 
waren und achtzehn Finger, Umfang hatten. Auf jeder 
Säule brachte er ein gegossenes Kopfstück in Gestalt 
einer Lilie an, welches fünf Ellen hoch und von einem 
Flechtwerk eherner Palmen umgeben war, an dem zwei- 
hundert Granatäpfel in zwei Reihen herabhingen. Von 
diesen Säulen wurde die eine Jachis genannt und an 
der rechten Seite des Einganges, die andere, die den 
Namen Boaz erhielt, an der linken Seite aufgestellt. 

5. Darauf goss man das eherne Meer in Gestalt einer 
Halbkugel. Den Namen „ehernes Meer“ erhielt es von 
dem Verfertiger seiner Grösse wegen, denn es war ein 
Becken von zehn Ellen Durchmesser und hatte eine 
Wandstärke von der Breite einer Hand. Das Wasch- 
becken ruhte auf einem zehnmal gewundenen Untersatz, 
der eine Elle im Durchmesser hatte und von zwölf 
Rindern umgeben war. Diese blickten nach den vier 
Himmelsgegenden, drei nach jeder Seite, und wandten 
ihre Hinterteile nach innen, sodass die Halbkugel auch 
rings auf diesen ruhte. Das Meer enthielt dreitausend 
Bad. 

6. Alsdann wurden zehn eherne, vierseitige Untersätze 
für die Waschbecken verfertigt, jeder fünf Ellen lang, 
vier breit und sechs hoch. Sie wurden in ciselierter 
Arbeit folgendermassen zusammengesetzt. In den Ecken 
eines Vierecks stellte man vier Säulchen auf, in welche 
die Seiten der Untersätze gleichmässig eingelassen 
wurden. Diese Seiten waren in drei Felder geteilt, deren 
jedes eine besondere Erhöhung hatte; auf den letzteren 
befanden sich in Reliefarbeit ein Löwe, ein Stier und 
ein Adler. Die Säulchen zeigten wie die Seiten ciselierte 
Arbeit. Das Ganze ruhte auf vier Rädern, die ebenfalls 
gegossen waren und anderthalb Ellen Durchmesser 

Joeephua’ J Udlsche Altertümer. 3 1 




482 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 



hatten. Es war zum verwundern, wie schön gerundet 
die Felgen der Räder waren und wie sie sich ebenso- 
wohl den Seiten der Untersätze als den Speichen 
genau anpassten. An den vier oberen Ecken befanden 
sich Träger in Form von ausgestreckten Händen, auf 
denen ein bis zum Grund des Waschbeckens reichender 
gewundener Aufsatz ruhte. Das Becken selbst stützte 
sich auf Löwentatzen und Adlerklauen , welche an die 
Träger so angefügt waren, dass alles nur ein Guss zu 
sein schien. Zwischen den Tierklauen befanden sich 
ciselierte Palmen. Das war die Beschaffenheit der 
Untersätze, zu denen man dann auch die zehn runden, 
ehernen Waschbecken anfertigte, jedes zu vierzig Choe, 
vier Ellen hoch und von ebendemselben Durchmesser 
des oberen Umfanges. Diese Waschbecken stellte man 
auf die Untersätze, die man Mechonoth nannte, und 
brachte fünf davon auf der linken, nördlichen Seite des 
Tempels und fünf auf der rechten, südlichen, unter, alle 
aber mit der Richtung nach Osten. Auf der rechten 
Seite wurde auch das eherne Meer aufgestellt, und so- 
dann alle Becken mit Wasser gefüllt. Das eherne 
Meer war bestimmt für die Reinigung der Hände und 
Füsse der Priester, bevor sie zum Altäre stiegen; die 
anderen Waschbecken aber dienten dazu, die Eingeweide 
und Füsse der zum Brandopfer benutzten Tiere zu 
säubern. 

7. Dann wurde auch der eherne Brandopferaltar her- 
gestellt, zwanzig Ellen lang und breit und zehn Ellen 
hoch ; ferner alle dazu gehörigen ehernen Geräte, Hand- 
becken, Schaufeln, Zangen und Haken, sämtlich so schön 
aus Erz gearbeitet, dass sie wie Gold glänzten. Weiter- 
hin liess der König eine Menge Tische aufstellen, 
darunter einen grossen aus Gold, der die Brote Gottes 
tragen sollte, und ausserdem eine ungeheure Menge 
anderer in verschiedenen Formen, auf welche man die 
Krüge und Schalen stellte, zwanzigtausend von Gold 
und vierzigtausend von Silber. Dazu kamen nach 
Moyses’ Vorschrift eine Menge Leuchter, von denen einer 





Achtes Buch, 3. Kapitel. 488 

im Tempel selbst aufgestellt wurde, wo er nach dem 
Gesetze tagsüber brennen sollte und an der Südseite 
seinen Platz fand, während der Tisch mit den Broten 
ihm gegenüber auf die Nordseite zu stehen kam. Mitten 
zwischen ihnen stand der goldene Altar. Das alles ent- 
hielt der vordere Kaum von vierzig Ellen, der sich vor 
dem Vorhang des Allerheiligsten befand. In letzterem 
dagegen befand sich nur die heilige Lade. 

8. Damit waren aber die Geräte nicht erschöpft, denn 
es kamen noch hinzu achtzigtausend Weinkrüge, zehn- 
tausend goldene und zwanzigtausend silberne Becher, 
ferner achtzigtausend goldene und doppelt so viele silberne 
Schüsseln, um das Weizenmehl darin zum Altar zu 
bringen, dann sechzigtausend goldene und doppelt so 
viele silberne Gefässe, in denen das Mehl mit öl ge- 
mischt wurde. Ferner zwanzigtausend goldene und 
doppelt so viele silberne Masse, ähnlich denen, die bei 
Moyses Hin und Assaron heissen; dann zwanzigtausend 
Weihrauchkästchen von Gold, um darin Räucherwerk 
in den Tempel zu bringen, und fünfzigtausend andere 
Gefässe, um darin Feuer von dem grossen Altar zu dem 
innerhalb des Tempels befindlichen kleinen zu über- 
tragen. Priesterkleider zum Gebrauch der Hohepriester 
wurden tausend angefertigt nebst Schultermänteln, 
Brustlatz und Edelsteinen. Das Stirnband aber, auf 
welches Moyses den Namen Gottes geschrieben hatte, 
war nur in einem Exemplar vorhanden, das sich auch 
bis zum heutigen Tag erhalten hat. Die Gewänder für 
die Priester wurden aus Byssus verfertigt nebst zehn- 
tausend purpurnen Gürteln, zweihunderttausend Posaunen 
nach Moyses’ Vorschrift, zweihunderttausend Byssus- 
gewändern für die Chorsänger aus den Leviten ; endlich 
zur Begleitung der Gesänge noch vierzigtausend Musik- 
instrumente, welche Nabla und Kinyra hiessen und aus 
Elektrum 1 hergestellt waren. 


1 Elektrum ist nach Plinius 33,80 ein dem Bernstein an Farbe 
ähnliches Metall, bestehend aus vier Teilen Gold und einem Teil Silber. 

31 * 



434 ' 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


9. Das alles liess Solomon aufs reichhaltigste und 
prächtigste herrichten und scheute keinen Aufwand, um 
den Tempel auszustatten, sondern bewies die grösste 
Freigebigkeit zur Ehre Gottes. Alsdann umgab er 
auch noch den Tempel ringsum mit einer Mauer , die 
in unserer Sprache Geision, in der griechischen aber 
Thrinkos heisst, und zwar in einer Höhe von drei Ellen, 
um dem Volke den Eintritt in den Tempel zu wehren 
und ihn den Priestern allein frei zu lassen. Ausser- 
halb dieser Mauer errichtete er ein besonderes Heilig- 
tum von viereckiger Gestalt mit grossen und weiten 
Hallen, die gewaltige Thoröffnungen, je eine nach den 
vier Himmelsgegenden gerichtet, auf wiesen; die Thor- 
flügel aber waren vergoldet. In dieses Heiligtum durfte 
jeder aus dem Volke eintreten, wofern er nur rein war 
und die Gesetzes Vorschriften beobachtete. Es lässt sich 
aber nicht beschreiben, wie wundervoll dieses äussere 
Heiligtum ausgestattet war. Grosse Schluchten, in die 
man wegen ihrer ungeheuren Tiefe kaum hineinzuschauen 
wagte, liess der König durch Erdanschüttungen aus- 
füllen und machte sie, obgleich ihre Tiefe bis zu vier- 
hundert Ellen betrug, der Ebene des Berggipfels gleich, 
auf dem der Tempel stand. Diesen Raum umgab er 
mit doppelten Hallen, die auf Säulen aus den an dieser 
Stelle gebrochenen Steinen ruhten und getäfelte Be- 
dachungen aus Cedernholz erhielten. Alle Thore dieses 
Heiligtums liess der König aus Silber verfertigen. 


Viertes Kapitel. 

Wie Solomon die heilige Lade in. den Tempel überführte 

J 

und Gott öffentlich durch Gebet und Opfer dankte. 

1. Diese Prachtgebäude nebst der inneren Ausstattung 
stellte der König Solomon in einem Zeitraum von sieben 
Jahren her und bewies damit nicht bloss seinen un- 
geheuren Reichtum, sondern auch seinen regen Eifer, da 
er das, was eigentlich ein ganzes Menschenalter erfordert 



Achtes Buch, 4. Kapitel. 


485 


hätte, während der im Vergleich zur Grösse des Tempels 
so kurzen Zeit vollendete. Darauf schrieb er an die 
Führer und Ältesten der Hebräer und beschied das ge- 
samte Volk nach Jerusalem, damit es den Tempel be- 
suche und der Überführung der Lade Gottes beiwohne. 
Nachdem dies allgemein bekannt geworden, kamen alle 
dort zusammen im siebenten Monat, der bei uns Thisri, 
bei den Macedoniern aber Hyperberetaios heisst, und in 
den auch das hohe und heilige hebraeische Fest der 
Lauben fällt. Alsdann übertrug man die Lade samt 
der von Moyses dafür errichteten Hütte und allen 
gottesdienstlichen Geräten nach dem Tempel. Voran 
schritten der König und das gesamte Volk, ihre Opfer- 
tiere mjt sich führend, sowie die Leviten, die den Weg 
mit Trankopfern und dem Blute zahlreicher Opfertiere 
besprengten und eine unermessliche Menge Räucherwerk 
verbrannten, sodass die Luft ringsum davon erfüllt ward 
und der süsse Duft sich weithin verbreitete und Kunde 
davon gab, Gott sei auf dem Wege und ziehe (um bei 
einem menschlichen Bilde zu bleiben) in das ihm er- 
baute und geweihte Haus. Auch hörten sie nicht auf, 
Hymnen und Chorgesänge erschallen zu lassen , bis sie 
den Tempel erreicht hatten. Als die heilige Lade nun 
in das Allerheiligste gebracht werden sollte, trat das 
ganze Volk zur Seite, und nur die Priester, die sie ge- 
tragen hatten, setzten sie zwischen die beiden Cherubim. 
Diese berührten sich mit den Enden ihrer Flügel und 
waren vom Künstler so geformt, dass sie die Lade 
gleichsam überschatteten und ein Kuppeldach über ihr 
bildeten. Die Lade enthielt aber nichts weiter als die 
beiden steinernen Tafeln, auf denen die zehn von Gott 
dem Moyses auf dem Berge Sinai gegebenen Gebote 
eingeschrieben waren. Der Leuchter, der goldene Tisch 
und der goldene Altar wurden im Tempel vor dem 
Allerheiligsten an derselben Stelle aufgestellt, die sie 
auch in der Hütte eingenommen hatten, und es wurden 
alsdann sogleich die täglichen Opfer aufgelegt. Der 
eherne Altar aber erhielt seinen Platz vor dem Tempel 



486 


Josephus’ Jüdisch© Altertümer. 


dem Eingang gegenüber, sodass man bei geöffneter Thüi 
ihn, die heiligen Handlungen und die Pracht der Opfer 
sehen konnte. Alles übrige Gerat stellte man insgesamt 
im Inneren des Tempels auf. 

2. Sowie nun die Priester alles um die Lade her 
geordnet und das Heiligtum verlassen hatten, senkte 
sich plötzlich eine dichte Wolke, jedoch nicht rauh und 
regenschwer wie zur Winterszeit, sondern weich und lieb- 
lich, auf den Tempel hernieder und umhüllte die Augen 
der Priester mit Finsternis, sodass einer den anderen 
nicht wahrnehmen konnte. In allen Gemütern aber 
regte sich der Gedanke, Gott sei in den Tempel herab- 
gestiegen und habe sich denselben zur Wohnstätte gewählt. 
Und während alle dies bei sich erwogen, erhob sich der 
König Solomon von seinem Sitze und richtete Worte an 
Gott, die er der göttlichen Natur angemessen und für 
sich selbst schicklich erachtete. „Du hast zwar,“ sagte 
er, „o Herr, ein ewiges Haus, das du dir aus Himmel, 
Luft, Erde und Meer selbst geschaffen, und das du er- 
füllst, ohne davon eingeschlossen zu werden. Indes 
habe ich doch deinem Namen diesen Tempel errichtet, 
damit wir aus ihm unsere Gebete und Opfer zu dir 
emporsenden und versichert sein können, dass du hier 
zugegen bist und die Deinigen nicht verlässt. Denn 
wenn du alles siehst und alles hörst, so wirst du, da 
du jetzt unter uns wohnst, uns allen deine Fürsorge 
schenken und jedem, der zu dir fleht, Tag und Nacht 
deine Gegenwart beweisen.“ Nachdem er so zu Gott 
weihevoll gesprochen, wandte er sich an das Volk und 
wies es auf Gottes Allmacht und Güte hin, wie er seinem 
Vater David alles Zukünftige vorhergesagt, wovon schon 
sehr vieles sich erfüllt habe und das übrige sich noch 
erfüllen werde, und wie er besonders ihn als denjenigen 
vorherbezeichnet habe, der nach seines Vaters Tod den 
Tempel ihm erbauen werde, nachdem er König geworden 
sei. Weil sich das alles so wunderbar erfüllt, sollten 
sie Gott preisen und an nichts verzweifeln, was er ihnen 


Achtes Buch, 4. Kapitel. 


487 


zu ihrem Heile verheissen habe, da sie an dem, was sie 
gesehen, ihren Glauben stärken könnten. 

3. Als der König so zum Volke geredet, wandte er 
sich wieder nach dem Tempel hin, streckte seine Rechte 
über das Volk aus und sprach: „Unmöglich können die 
Menschen mit Werken Gott für die erhaltenen Wohl- 
thaten danken, denn die Gottheit bedarf nichts und ist 
zu erhaben, als dass ihr damit vergolten werden könnte. 
Du hast uns aber, o Herr, über die anderen Geschöpfe 
gesetzt, und es ziemt uns daher, deine Majestät zu loben 
und dir für alles zu danken, was du meinem Hause und 
dem Volke der Hebräer erwiesen hast. Denn womit 
könnten wir besser deinen Zorn besänftigen und deine 
Gnade und Güte über uns erflehen, als mit dem Worte, 
das wir aus der Luft entnehmen und durch die Luft 
wieder zu dir hinsenden? Für dieses Geschenk gebührt 
dir besonderer Dank, imgleiohen auch dafür, dass du 
meinen Vater aus niedrigem Stande zu so grossem Ruhm 
hast gelangen lassen , und dass du an mir bis zum 
heutigen Tage alle deine Verheissungen erfüllt hast. 
Ich bitte dich, dass du mir auch fernerhin alles ver- 
leihest, was du denen zu gewähren pflegst, die du be- 
sonders beglücken willst, und dass du unser Geschlecht 
für alle Zeiten erhalten wollest, wie du dies meinem 
Vater David sowohl im Leben als bei seinem Hin- 
scheiden verheissen hast. Solches gewähre uns gnädig 
und verleihe meinen Nachkommen einen tugendhaften 
Wandel, der dir wohlgefällig ist. Dann aber bitte ich 
dich auch noch, du wollest deinen Geist in diesen Tempel 
senden, damit du uns wahrhaft gegenwärtig seist. Und 
wenn auch das ganze Weltall dich nicht fassen kann, 
geschweige denn dieser Tempel, so flehe ich dennoch zu 
dir, du wollest ihn vor feindlicher Verwüstung bewahren 
und ihn als dein besonderes Eigentum in deinen Schutz 
nehmen. Sollte aber das Volk sich einmal gegen dich 
verfehlen und deshalb mit Hungersnot, ansteckenden 
Krankheiten oder anderen Plagen bestraft werden, so er- 
höre es, wenn es in diesen Tempel flieht und zu dir um 



488 


JosephuV Jüdische Altertümer. 


Rettung fleht, und erweise deine Gegenwart, indem du 
dich seiner erbarmst und es von seiner Drangsal er- 
lösest. Aber nicht nur den Hebräern wollest du dich 
also gnädig erweisen, wenn sie in Sünden gefallen sind, 
sondern auch, wenn jemand anderswoher und selbst von 
den äussersten Gegenden des Erdkreises sich dir nahen 
sollte, um deine Hilfe zu begehren, so erhöre seine Bitte. 
Denn so wird es allen offenbar werden, dass du selbst 
diesen Tempel bei uns errichtet wissen wolltest, dass 
wir aber deshalb Fremden gegenüber nicht feindselig 
und gehässig aufzutreten beabsichtigen, sondern allen 
deinen Schutz und den Genuss deiner reichen Freigebig- 
keit gönnen.“ 

4. Nach diesen Worten warf sich der König zur 
Erde nieder und verharrte eine Weile in Anbetung. 
Dann erhob er sich und liess die Opfer zum Altäre 
bringen. Als nun die Brandopfer auf dem Altar lagen, 
erkannte er an einem augenfälligen Zeichen, dass Gott 
das Opfer mit Wohlgefallen annehme. Denn es fiel 
Feuer vom Himmel, ergriff vor aller Augen das Opfer 
und verzehrte es. Das Volk schloss aus dieser untrüg- 
lichen Erscheinung, dass Gott damit seine Bereitwillig- 
keit, im Tempel zu wohnen, zum Ausdruck gebracht 
habe, und es fiel zur Erde und betete an. Der 
König aber begann Gott zu preisen und hiess das Volk 
in den Lobgesang einstimmen, indem ,er ihnen vorstellte, 
dass sie nun Gottes Wohlwollen erkannt hätten und 
ihn bitten möchten, er wolle alle ihre Wünsche erfüllen, 
sie rein und sündenlos erhalten und ihnen die Gnade 
erzeigen, sie in Gerechtigkeit, Gottesfurcht und treuer 
Beobachtung der von ihm dem Moyses gegebenen Ge- 
bote zu stärken. So würden sie glückseliger sein, als 
die andern Sterblichen. Zugleich beschwor er sie, doch 
besonders daran zu denken, dass sie das ihnen jetzt zu 
teil gewordene Glück nun auch erhalten und vermehren 
müssten, und dass es nicht genug sei, dasselbe durch 
Gottesfurcht und Gerechtigkeit erworben zu haben, sondern 
dass es auch ihre angelegentliche Sorge sein müsse, es 



Achtes Buch, 4. Kapitel. 


489 


dauerhaft zu machen. Denn es sei für die Menschen 
nicht so schwer, sich einen Besitz zu erwerben, als das 
Erworbene zu behaupten und sich durch keine Sünde 
desselben unwürdig zu machen. 

5. Nachdem der König diese Ermahnungen an das 
Volk gerichtet hatte, entliess er dasselbe. Zuvor jedoch 
brachte er noch für sich und alle Hebräer zwanzigtausend 
Kälber und einhundertzwanzigtausend Schafe als Opfer 
dar. Damals wurde der Tempel zuerst mit dem Blute 
der Opfertiere benetzt, und alle Hebräer nebst Weibern 
und Kindern darin bewirtet. Alsdann beging der König 
mit dem Volke vor dem Tempel vierzehn Tage lang in 
grosser Pracht und Herrlichkeit und unter Freuden- 
mahlen das Fest Skenopegia (Laubhüttenfest). 

G. Als sie nun der Festesfreude und den Pflichten 
gegen Gott genug gethan, kehrten sie alle, nachdem sie 
sich vom Könige verabschiedet hatten , nach Hause 
zurück voll Dankesbezeugungen gegen Solomon, der 
ihnen mit so vieler Mühe ein so herrliches Bauwerk 
errichtet, und unter heissen Gebeten zu Gott, dass er 
ihnen ihren König noch lange erhalten möge. Auf dem 
Heimwege frohlockten sie, sangen Gott Loblieder und 
legten so die Reise zurück, ohne deren Beschwerden 
sonderlich zu empfinden. Und auch die, welche die Lade 
in den Tempel gebracht und dabei Gelegenheit gehabt 
hatten, seine hervorragende Schönheit auch im Innern 
zu bewundern und an den grossen Opfern und Fest- 
lichkeiten teilzunehmen, kehrten ein jeder in seine Stadt 
zurück. Der König aber hatte in der Nacht einen Traum, 
der ihm kundthat, Gott habe sein Gebet erhört und 
wolle den Tempel in seinen Schutz nehmen und be- 
ständig darin wohnen , wenn Solomons Nachkommen 
und das ganze Volk sich der Gerechtigkeit befleissigten. 
Insbesondere wolle er ihn selbst, wenn er den Er- 
mahnungen seines Vaters folge, zum Gipfel des Glückes 
und der Macht führen, und aus seinem Hause sowie 
dem Stamme Judas stets den Beherrscher des Landes 
erwählen. Wenn er aber von den Gesetzen abfalle und 




490 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


sie vergesse, oder sogar sich zur Verehrung fremder 
.Götter verleiten lasse, so werde er ihn vertilgen und 
weder von seinem Geschlechte eine Spur übrig lassen, 
noch das Volk der Israeliten vor Unheil bewahren. Mit 
Krieg und unsäglicher Drangsal werde er sie dann be- 
strafen, sie aus dem Lande, das er ihren Vätern ge- 
geben , vertreiben und fremder Gefangenschaft über- 
antworten. Den Tempel aber werde er dann von den 
Feinden in Brand stecken und plündern und die 
Stadt von deren Händen zerstören lassen. Das Leid, 
das sie dann treffe, solle weithin zur Kenntnis der 
Völker gelangen und so entsetzlich sein, dass man es 
kaum für möglich halten werde. Wenn diese dann, von 
Bestürzung ergriffen, nach der Ursache forschten, wes- 
halb Gott den Hebräern so sehr zürne, die er früher in 
Glück und Wohlstand versetzt habe, so sollten sie aus dem 
Geständnis der Überlebenden die Antwort entnehmen : 
Zur Strafe für ihre Sünden und die Übertretung der 
Gesetze ihrer Väter. Dass Gott also zu Solomon im 
Traume geredet habe, wird durch die heiligen Bücher 
bekräftigt. 


Fünftes Kapitel. 

Wie Solomon sich einen herrlichen Palast erbaute und 
die ihm von Hiram gestellten Rätselfragen löste. 

1. Nach der Erbauung des Tempels, die, wie gesagt, 
in sieben Jahren vollendet wurde, schritt Solomon zum 
Bau eines Königspalastes, den er in kaum dreizehn 
Jahren fertig stellte. Immerhin ging der Bau desselben 
langsamer voran als der des Tempels. Denn der Tempel, 
der in einem in Anbetracht seiner gewaltigen Grösse 
fast unglaublichen Zeitraum erbaut wurde, verdankte 
seine Vollendung in dieser Frist nur der Hilfe Gottes, 
für den er errichtet wurde. Zum Königspalast aber 
waren die Baumaterialien nicht so lange vorher und 
nicht so eifrig gesammelt worden, und übrigens ver- 
zögerte sich seine Erbauung auch ebendeswegen , weil 



Achtes Buch, 5. Kapitel. 


491 


er eine Wohnung nur für Könige und nicht für Gott 
werden sollte. Gleichwohl war auch er ein Prachtbau 
und entsprach dem Wohlstand des Volkes wie seines 
Königs. Ich halte es deshalb für notwendig, seine ganze 
Anordnung und Einrichtung zu beschreiben, damit meine 
zukünftigen Leser sich eine Vorstellung davon machen 
können. 

2. Der Hauptteil des Palastes war geräumig und 
prächtig und ruhte auf einer grossen Anzahl Säulen. 
Er war bestimmt, bei Gerichtsverhandlungen das Volk 
aufzunehmen' und musste also einen beträchtlichen 
Raum aufweisen. Daher betrug seine Länge einhundert, 
seine Breite fünfzig und seine Höhe dreissig Ellen. Die 
Säulen, auf denen er ruhte, waren vierkantig und ganz 
aus Cedernholz, die Decke in korinthischem Stil gehalten, 
und die gleichmässig angebrachten Thüren mit drei- 
felderigen Thürflügeln dienten ihm ebensowohl zur Zierde 
als zum Schutze. An diesen Haupttheil schloss sich 
seiner ganzen Breite nach ein zweites Gebäude an, das 
viereckig und dreissig Ellen breit war. Dieses hatte an 
der entgegengesetzten Seite einen auf starken Säulen 
ruhenden Anbau, in welchem sich ein prächtiger Thron 
befand, auf dem der König Platz nahm, wenn er Gericht 
hielt. Daran reihte sich wieder ein anderes Gebäude, 
das zur Wohnung der Königin bestimmt war, alsdann 
noch weitere Räume zur Unterhaltung und Erholung 
nach vollbrachtem Tagewerk, sämtlich mit Cedernholz 
getäfelt. Alles wurde aus zehnelligen Quadern erbaut, 
die Wände aber wurden mit kostbaren behauenen Steinen 
bekleidet, wie man sie zum Schmuck von Tempeln und 
zur Ausstattung königlicher Paläste in der Erde auf- 
sucht, die durch deren Herausgabe gewissermassen sich 
selbst ehrt. Die Aussenseite des Gebäudes wies eine 
prachtvolle dreireihige Säulenanordnung auf, über welcher 
eine vierte Abteilung mit wunderbar kunstvollen Skulp- 
turen versehen war, Bäume und Strauchwerk darstellend, 
von denen schattige Zweige herabhingen, welche die Steine 
verbargen. Diese Skulpturen waren so überaus fein 



492 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


gearbeitet, dass sie jeden Augenblick sich bewegen zu 
wollen schienen. Der Rest der Wandfläche bis zum 
Dache war in verschiedenen Farben gemalt. Ausserdem 
errichtete der König noch andere Gebäude zu Vergnügungs- 
zwecken und weitläufige Hallen, darunter auch einen 
Speisesaal, der von Gold und anderem Zierwerk strotzte, 
und in dem alles Gerät, welches zu Tafelzwecken diente, 
aus Gold verfertigt war. Es ist überhaupt schwierig, 
die Grösse und Mannigfaltigkeit der Königsburg zu 
beschreiben oder anzugeben, wie viele grösseren und 
kleineren Gemächer und wie viele unterirdische Räume 
sie hatte, oder die Pracht der Parkanlagen auseinander- 
zusetzen, die zugleich das Auge ergötzten und kühlen 
Schatten spendeten. Kurz, der ganze Bau bestand nur 
aus weissem Marmor, Cedernholz, Gold und Silber, und 
Decken wie Wände waren mit in Gold gefassten Steinen 
ebenso geschmückt wie der Tempel Gottes. Dann liess 
sich der König noch aus Elfenbein einen Thron an- 
fertigen, der ungemein gross und mit sechs Stufen versehen 
war. Auf jeder Stufe standen zu beiden Seiten zwei 
Löwen und ebenso viele oben am Throne. Den Sitz 
bildeten Hände, und die Lehnen boten die Gestalt eines 
halben Stieres dar, der nach rückwärts schaute. Alles 
war in Gold gefasst. 

3. Sämtliche Bauwerke vollendete Solomon in zwanzig 
Jahren. Er hatte dazu von Hiram, dem Könige der Tyrier, 
eine Menge Gold, Silber, Cedern- und Kiefernholz er- 
halten. Dafür lohnte er diesem mit reichen Geschenken 
und sandte ihm jährlich Getreide, Wein und Oel, woran 
Hiram, wie oben bemerkt, als Inselbewohner Mangel 
litt. Dazu schenkte er ihm auch noch zwanzig galilaeische, 
nahe der Grenze von Tyrus gelegene Städte. Als aber 
Hiram diese besucht und besichtigt hatte, missfiel ihm 
das Geschenk, und er liess deshalb dem Solomon sagen, 
er brauche die Städte nicht. Seit dieser Zeit hiessen die 
Städte das Land Chabalon, das heisst in phoenicischer 
Sprache „etwas, was nicht recht gefällt“. Der Tyrier- 
könig sandte auch dem Solomon spitzfindige Rätsel und 


Achtes Buch, 5. Kapitel. 


493 


liess ihn bitten, ihm dieselben zu lösen und ihren Sinn 
zu erklären. Das war nun für Solomon, der einen sehr 
scharfen Verstand besass, eine Kleinigkeit, und nachdem 
er die Lösungen gefunden und ihre Bedeutung dargelegt 
hatte, teilte er sie dem Hiram mit. Dieser beiden Könige 
gedenkt auch Menander, der die Geschichte der Tyrier 
aus dem Phoenicischen ins Griechische übersetzt hat, mit 
folgenden Worten : „Nach Abibalos’ Tode folgte ihm in 
der Regierung sein Sohn Hiram, der vierunddreissig Jahre 
regierte und ein Alter von dreiund fünfzig Jahren erreichte. 
Dieser warf den sogenannten weiten Damm auf, errichtete 
im Tempel des Zeus eine goldene Säule und liess auf 
dem Berge Libanon Holz zur Bedachung von Tempeln 
unter seiner persönlichen Aufsicht fallen. Die alten 
Heiligtümer liess er niederreissen und dem Herakles 
wie der Astarte neue Tempel bauen, von denen der Tempel 
des Herakles im Monat Peritios errichtet wurde. Er 
überzog auch die Jykäer mit Krieg, weil sie den Tribut 
nicht bezahlten, unterwarf sie von neuem und kehrte 
dann wieder heim, ln dieser Zeit lebte ein jüngerer 
Sohn des Abdemon, der schwierige Fragen zu lösen 
verstand, welche Solomon, der König von Jerusalem, ihm 
aufgab.“ Auch Dios erwähnt ihrer mit folgenden Worten: 
„Nach Abibalos’ Tode regierte dessen Sohn Hiram, der 
am östlichen Teile der Stadt einen Damm aufwarf und 
die Stadt erweiterte, indem er den Tempel des Olympi- 
schen Zeus, der abseits lag, in die Stadt einbezog. Zu 
dem Zweck füllte er den zwischen Stadt und Tempel 
gelegenen Raum mit Erde aus. Den Tempel versah er 
überdies mit goldenen Weihgeschenken. Er stieg danach 
auf den Libanon und liess dort Holz zur Erbauung von 
Tempeln fällen. Solomon , der damals in Jerusalem 
regierte, sandte Rätselfragen an Hiram und bat sich 
von ihm ebensolche aus. Wer sie nicht lösen konnte, 
musste dem anderen Strafe bezahlen. Hiram nun 
konnte die Rätsel nicht lösen und zahlte eine hohe Geld- 
strafe. Später aber liess er dieselben von einem Tyrier 
Abdemon lösen und legte zugleich dem Solomon andere 



494 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Rätsel vor, die nun dieser nicht lösen konnte, wofür er 
dann auch seinerseits eine bedeutende Geldstrafe be- 
zahlen musste." Dies der Bericht des Dios. 


Sechstes Kapitel. 

Wie Solomon Jerusalem befestigte, grosse Städte grün- 
dete, gegen die Chananäer zu Felde zog und den Besuch 
der Königin von Aegypten und Aethiopien empfing. 

1. Weil nun der König sah, dass die Mauern von 
Jerusalem keine Türme hatten, und er der Meinung 
war, dass ein solcher Zustand sich mit der Würde der 
Stadt nicht vertrage, ging er sogleich ans Werk und 
baute hohe Türme auf die Mauer. Weiterhin gründete 
er auch Städte, die zu den stärksten des Landes gezählt 
Werden konnten, zunächst Asor, Magedo und Gazara, das 
im Gebiet der Palaestiner lag. Diese letztere Stadt hatte 
Pharao, der König der Aegyptier, belagert und erstürmt 
und nach Ermordung ihrer Bewohner dem Erdboden 
gleichgemacht, dann aber seiner an Solomon verheirateten 
Tochter geschenkt. Aus diesem Grunde nun und weil 
sie von Natur fest war und bei Kriegen gute Dienste 
zu leisten versprach, baute der König sie wieder auf. 
Nicht weit davon erbaute er ebenfalls zwei Städte, 
Betchora und Baloth, sodann auch noch andere, die 
durch ihre milde Luft, ihre gesunde Lage und ihren 
Reichtum an Quellen sich zur Erholung und zu Kur- 
zwecken eigneten. Hierauf unterwarf er sich die Wüste 
oberhalb Syrien und gründete auch dort eine grosse Stadt, 
die von Syrien zwei, vom Euphrat eine und von dem 
mächtigen Babylon sechs Tagereisen entfernt lag. Der 
Grund, weshalb diese Stadt so weit von den bewohnten 
Teilen Syriens entfernt angelegt wurde, war der, dass es 
südlich von ihr kein Wasser gab, und nur an dieser 
Stelle sich Quellen und Cisternen befanden. Diese Stadt, 
die übrigens mit festen Mauern umgeben wurde, nannte 



Achtes Buch, 6. Kapitel. 


495 


der König Thadamor, wie eie auch noch heute bei den 
Syrern heisst. Die Griechen dagegen nennen sie Palmyra. 

2. Mit diesen Angelegenheiten beschäftigte sich der 
König Solomon. Weil nun wohl mancher begierig sein 
dürfte, zu erfahren, weshalb alle Könige der Aegyptier 
von Minaios an, der noch viele Jahre vor unserem Stamm- 
vater Abram Memphis gründete, bis auf Solomon, also 
während eines Zeitraumes von dreizehnhundert Jahren, 
von einem Könige, der später regierte, den Namen Pharao 
erhalten haben, erachte ich es für passend, darüber 
Aufklärung zu schaffen und den wahren Grund dieses 
Namens darzulegen. Pharao heisst nämlich im Aegypti- 
schen „König“. Ich glaube nun, dass die Könige in 
ihrer Jugend andere Namen hatten, bei ihrer Thron- 
besteigung aber alle den einen Namen sich beilegten, 
den ihre Landessprache ihnen für ihre Würde gab. So 
nannten sich auch die Könige zu Alexandria, die vorher 
andere Namen gehabt, seit ihrer Thronbesteigung 
nach dem ersten von ihnen Ptolemaios. Auch die römi- 
schen Herrscher, die bei ihrer Geburt andere Namen 
erhalten haben, nennen sich mit dem einen gemeinschaft- 
lichen Namen Caesar, den ihre Stellung und Würde ihnen 
verleiht. Den väterlichen Namen legen sie alsdann ganz 
ab. Das halte ich auch für die Ursache, weshalb Herodot 
von Halikarn assos nach Minaios, dem Gründer von 
Memphis, noch von dreihundertdreissig Königen 1 spricht, 
ohne ihre Namen zu nennen ; sie hiessen eben alle 
Pharao. Sobald aber eine Königin zur Regierung gelangt, 
nennt er ihren Namen Nikaule, 2 offenbar weil alle 
Könige denselben Namen führten, den aber ein Weib 
sich nicht beilegen konnte, weshalb er die Königin mit 
ihrem Eigennamen nennen musste. Ich habe auch in 
unseren Archiven gefunden, dass nach dem Pharao, der 
Solomons Schwiegervater war, kein König der Aegyptier 
mehr so genannt wird, und dass die vorhin erwähnte 


1 Vergl. Herodot II, 100. 

9 Bei Herodot (II, 100) heisst die Königin Nitokris, 



496 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Königin als die Herrscherin von Aegypten und Aethiopieu 
bezeichnet wird, die den Solomon besuchte. Von ihr 
werde ich gleich näheres bringen; das Vorstehende habe 
ich nur als Beweis dafür angeführt, wie manchmal die 
Schriften der Aegyptier mit den unseren übereinstimmen. 

3. Solomon wandte sich nun zunächst gegen die auf- 
sässigen Ohananäer, die auf dem Libanon bis zur Stadt 
Amathe hin wohnten, unterwarf sie und legte ihnen als 
Tribut auf, ihm Knechtesarbeiten zu leisten und jährlich 
eine gewisse Zahl Leute zur Bestellung seiner Äcker zu 
überlassen. Von den Hebräern nämlich diente damals 
niemand als Knecht, und da ihnen Gott so viele 
Völkerschaften unterthan gemacht, hatten sie das ja auch 
nicht nötig, konnten vielmehr die Unterjochten dazu 
zwingen. Sie thaten deshalb Waffendienst und zogen 
lieber mit Wagen und Rossen zu Felde, als dass sie 
zu Knechtesdiensten Neigung verspürten. Über die 
Ohananäer nun, die Solomon mit sich nahm, setzte er 
fünfhundertfünfzig Aufseher, denen die gesamte Sorge 
für dieselben oblag, und die ihnen namentlich jene 
Fertigkeiten beibringen mussten, deren sie im Dienste 
des Königs bedurften. 

4. Alsdann liess der König im aegyptischen Meer- 
busen viele Schiffe erbauen , und zwar in einem am 
Roten Meere gelegenen Orte mit Namen Gasiongabel, 
nicht weit von der Stadt Aelana entfernt, die jetzt 
Berenike genannt wird. Denn dieser ganze Landstrich 
gehörte damals den Juden. Auch für den Bau dieser 
Flotte erhielt er von der Freigebigkeit Hirams, des 
Königs der Tyrier, reichliche Unterstützung. Hiram 
sandte ihm nämlich eine Anzahl Steuermänner und 
kundige Seefahrer. Diese hiess Solomon mit seinen 
eigenen Beamten nach Sophira in Indien, dem heutigen 
sogenannten Goldlande, fahren und ihm von dort Gold 
holen. Sie sammelten davon gegen vierhundert Talente, 
worauf sie wieder zum Könige heimkehrten. 

5. Die Beherrscherin von Aegypten und Aethiopien, 
die nach Weisheit dürstete und auch im übrigen vor- 




Achtes Buch, 6. Kapitel. 


497 


treffliche Eigenschaften besass, hatte so viel von Solomons 
Weisheit und Tugenden gehört, dass sie vor Verlangen 
brannte, ihn persönlich zu sehen. Denn sie wollte aus 
eigener Erfahrung seine Vorzüge kennen lernen und 
sich nicht mit dem blossen Gerücht begnügen, dessen 
Glaubwürdigkeit immer vom Berichterstatter abhängt 
und oft sehr zweifelhaft ist. Sie beschloss daher, sich 
zu Solomon zu begeben, um seine Weisheit auf die 
Probe zu stellen und ihm schwierige Fragen zur Ent- 
scheidung vorzulegen, und kam mit grosser Pracht und 
glänzendem Aufwand nach Jerusalem. In ihrem Gefolge 
hatte sie Kamele, die mit Gold, verschiedenen Spezereien 
und kostbaren Edelsteinen reich beladen waren. Der 
König empfing sie mit besonderer Freundlichkeit und 
löste die ihm vorgelegten spitzfindigen Fragen infolge 
seines scharfen Verstandes schneller als man glaubte. 
Die Königin geriet in Erstaunen, da sie merkte, dass 
seine Weisheit nicht nur ihre eigene übertraf, sondern 
auch noch grösser war, als das Gerücht sie bezeichnet 
hatte. Besonders aber erregte der Königspalast wegen 
seiner Schönheit, Grösse und der kunstvollen Anordnung 
der einzelnen Gebäude ihre Bewunderung: denn auch 
hierin prägte sich des Königs Weisheit aus. Namentlich 
ein Gebäude, das „Wald des Libanon“ hiess, sowie die 
Pracht der täglichen Mahlzeiten, der Reichtum an Möbeln, 
die Kleidung der Dienerschaft und ihre Geschicklichkeit 
Hessen sie aus dem Staunen nicht herauskommen. Auch 
die täglichen Opfer und die heiligen Handlungen der 
Priester und Leviten nahmen ihre Aufmerksamkeit in 
Anspruch. Sie musste sich gestehen, dass das, was sie 
sah, sie so wunderbar ergriff, dass sie sich vor Staunen 
kaum zu halten wusste, und sie erklärte daher dem 
Könige, dass ihre Erwartungen weit übertroffen worden 
seien. „Alles, o König,“ sagte sie, „was das Gerücht zu 
uns trägt, erregt Zweifel in uns. Von dem aber, was 
du besitzest, deiner Weisheit und Einsicht und deinen 
königlichen Schätzen, hat der Ruf nichts Unwahres be- 
richtet, sondern ist vielmehr weit hinter der Wirklichkeit 

J oecphiu' J üdiecbe Altertümer. SS 




498 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


zurückgeblieben, was mir jetzt klar wird, da ich dein 
Glück vor Augen habe. Die Sage konnte wohl unßer 
Ohr ergötzen, uns aber keinen Begriff von der Wirklich- 
keit beibringen. War schon das, was ich gehört hatte, 
wunderbar und kaum glaublich, so erreicht es doch bei 
weitem nicht das, was ich jetzt vor mir sehe. Wahrlich, 
das Volk der Hebräer und deine Diener und Freunde 
sind glücklich zu preisen, da sie täglich dein Angesicht 
schauen und deine Weisheit hören. Gott sei gelobt, der 
dieses Land und Volk so sehr liebt, dass er dich zum 
Könige darüber gemacht hat.“ 

6. Darauf dankte sie dem Könige für die freundliche 
Aufnahme mit Worten und Geschenken. Sie gab ihm 
zwanzig Talente Gold sowie eine ungeheure Menge von 
Gewürzen und kostbaren Edelsteinen ; auch soll sie ihm 
die ersten Pflanzen des Opobalsams , der jetzt noch in 
unserem Lande wächst, geschenkt haben. Solomon 
machte ihr darauf Gegengeschenke , wie sie ihrem 
Wunsche entsprachen. Er versagte ihr nichts, sondern 
bewies sich ihr gegenüber in wahrhaft königlicher Weise 
hochherzig und freigebig. Nachdem sie so gegenseitig 
ihre Geschenke ausgetauscht hatten, begab sich die 
Königin von Aegypten und Aethiopien auf den 
Heimweg. 


Siebentes Kapitel. 

Solomons Reichtum. Br versinkt in Üppigkeit. Gott erregt 
Ader und Jeroboam gegen ihn. Solomons Tod. 

1. Um diese Zeit erhielt der König aus dem so- 
genannten Goldlande kostbare Steine und Kiefernholz. 
Das Holz verwandte er zu Geländern im Tempel und 
im Königspalast, sodann auch zur Herstellung musika- 
lischer Instrumente, welche die Leviten zur Begleitung 
ihrer Lobgesänge brauchten. Alles aber, was ihm zuging, 
war weit schöner und prächtiger als das, was wir jetzt 
besitzen. Niemand wird zum Beispiel glauben, dass das 
Kiefernholz von damals dem, welches jetzt mit diesem 


Achtes Buch, 7. Kapitel. 


499 


Namen belegt wird, sowenig ähnlich war, dass die Ver- 
käufer jene Bezeichnung für eine Holzart gebrauchten, 
um die Käufer besonders anzulocken. Denn es war dem 
Feigenholz ähnlich, aber weit weisser und glänzender. 
Ich glaubte dies erwähnen zu müssen, damit kein Zweifel 
entstehe über die wahre Natur des Kiefernholzes, dessen 
sich der König bediente. 

2. An Gold wurden dem Könige jährlich sechshundert- 
undsechzig Talente geliefert, ohne dasjenige mitzurechnen, 
was er von Händlern kaufte und was die Könige und Häupt- 
linge Arabiens ihm als Geschenk sandten. Aus dem 
Golde liess er zweihundert Schilde machen, von denen 
jeder sechshundert * Sekel wog , und noch dreihundert 
kleinere Schilde, deren einzelne ein Gewicht von drei 
Minen Gold hatten. Diese Schilde liess er in dem Ge- 
bäude, welches „Wald des Libanon“ genannt wurde, auf- 
hängen. Sodann liess er auch kunstvolle Becher, die 
bei Gelagen verwendet wurden, aus Gold und Edelsteinen 
anfertigen. Desgleichen waren alle übrigen Geräte von 
Gold, denn Silber galt so wenig, dass niemand etwas 
dafür verkaufen wollte oder kaufen konnte. Im so- 
genannten Tarsischen Meere hatte der König eine grosse 
Anzahl Schiffe, die zu den entlegensten Völkern Waren 
aller Art bringen und dafür Gold, Silber, Elfenbein, 
aethiopische Sklaven und Affen eintauschen mussten. 
Zu einer einzigen Reise brauchten diese Schiffe drei 
Jahre. 

3. Der Ruf von Solomons Vorzügen und von seiner 
Weisheit hatte sich so sehr ausgebreitet, dass allenthalben 
die Könige, denen die Berichte über ihn unglaublich 
vorkamen, vor Verlangen brannten, ihn zu sehen, und 
durch grosse Geschenke ihm ihre Aufmerksamkeit be- 
wiesen. Sie sandten ihm goldene und silberne Gefässe, 
Purpurkleider, mancherlei Spezereien, Pferde und Wagen, 
ferner Maultiere zum Lasttragen, mit denen man ihrer 
Stärke und Schönheit wegen dem Könige Vergnügen zu 
bereiten gedachte. Dadurch vermehrte sich die Zahl 
seiner Wagen, die bis dahin tausend betrug, um vier- 

32 * 



500 Josephus’ Jüdische Altertümer. 

hundert, und die der Pferde, deren er schon zwanzig- 
tausend besass, um zweitausend. Die Pferde waren so 
edel und schnell , dass sie ihresgleichen suchten , und 
eine nicht geringere Zierde boten die mitgesandten Be- 
reiter dar, die in voller Jugendblüte standen, herrlich 
anzuschauen und von hervorragendem Wüchse waren. 
Sie trugen langes Haupthaar, waren in Gewänder von 
tyrischem Purpur gekleidet und puderten ihr Haar täglich 
mit Goldstaub, sodass ihre Häupter erglänzten, wenn die 
Sonnenstrahlen sich in dem Golde brachen. Der König 
versah sie mit Bogen und anderen Waffen und begab 
sich in ihrer Begleitung täglich bei Sonnenaufgang aus 
der Stadt, er selbst in weissem Gewahde und den Wagen 
lenkend. Das Ziel der Fahrt war ein zwei Schoinen von 
Jerusalem entfernter Ort, der Etham hiess und reich an 
schönen Gartenanlagen und Quellen war. 

4. Wie nun Solomon allen Angelegenheiten seine 
Sorgfalt zuwandte und besonders auf Schönheit achtete, 
so liess er auch die Instandsetzung der Wege sich an- 
gelegen sein und alle Strassen, die nach der Königs- 
stadt Jerusalem führten, mit schwarzen Steinen *) pflastern, 
einmal um dieselben den Reisenden bequem zu machen, 
dann aber auch, um seinen Reichtum und seine Pracht- 
liebe zu zeigen. Seine Wagen teilte er ab und stellte 
in einzelnen Städten eine bestimmte Zahl davon auf, 
während er nur wenige bei sich behielt Diese Städte 
nannte er Wagenstädte. Silber brachte der König soviel 
nach Jerusalem, als wenn es Gestein gewesen wäre, und 
die Felder Judaeas bepflanzte er mit Cedern, die man 
dort bis dahin nicht kannte, und mit Sykomoren. Von 
ägyptischen Händlern kaufte er Wagen mit zwei Pferden 
für sechshundert Drachmen Silber und schickte diese 
den Königen in Syrien und jenseits des Euphrat. 

5. Als Solomon so der berühmteste und Gott wohl- 
gefälligste König geworden war und an Weisheit und 
Reichtum alle früheren Herrscher der Hebräer übertraf, 


1 Basalt aus der Arnongegend. 




Achtes Bach, 7. Kapitel. 


501 


fing er an, von den Gebräuchen und Satzungen seines 
Vaters abzufallen, und so entsprach sein Ende nicht 
seinem Leben. Denn er gab sich unmässig den Weibern 
hin, und schliesslich genügten ihm die einheimischen 
Frauen nicht mehr, sondern er verband sich auch mit 
fremden, Sidonierinnen , Tyrierinnen, Ammaniterinnen 
und Idumäerinnen, und übertrat so die Gesetze des 
Moyses, der alle Ehen mit Ausländerinnen untersagt 
hatte. Gleichzeitig fing er auch an, aus Liebe zu diesen 
Frauen deren Götzendienst zu treiben. Denn eben des- 
halb hatte der Gesetzgeber das Eingehen von Ehen mit 
fremden Weibern verboten, damit die Hebräer nicht 
deren Gebräuche und Götzenverehrung annähmen und 
von ihren eigenen Gesetzen und der Verehrung Gottes 
abfielen. Darauf achtete aber Solomon in seinem wilden 
Vergnügungstaumel nicht. Weil er nun ausser der Tochter. 
Pharaos nicht weniger als siebzig Gattinnen und dazu 
noch dreihundert Kebsweiber hatte, geriet er in eine 
derartige Abhängigkeit von ihnen, dass er ihre Gebräuche 
annahm und, um ihnen Beweise seiner Zuneigung und 
Liebe zu geben, ihren heimatlichen Sitten sich an- 
zubequemen für nötig hielt. Und da er auch schon im 
Alter vorgerückt war, und seine Urteilskraft zu schwach 
wurde, als dass er sich die Einrichtungen seines Volkes 
wieder ins Gedächtnis- hätte zurückrufen können, ver- 
nachlässigte er Gott noch mehr und ergab sich ganz 
dem Götzendienste seiner fremden Weiber. Auch früher 
hatte er ja schon gesündigt und gegen die Gesetzes- 
vorschriften verstossen , als er die ehernen Bilder von 
Rindern als Untersatz für das eherne Meer und die 
Löwen für seinen Thron hatte anfertigen lassen: denn 
deren Herstellung war nicht erlaubt. Obgleich er nun 
das schöne Tugend beispiel und den Ruhm seines Vaters, 
den dieser als Lohn für seine Frömmigkeit hinterlassen, 
vor Augen hatte, und obgleich ihn Gott zweimal in 
einer Traumerscheinung ermahnte, in den Fussstapfen 
seines Vaters zu wandeln, wich er doch von dem Pfade 
der Tugend ab und starb infolgedessen eines rühmlosen 




502 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Todes. Es erschien auch ein von Gott gesandter Seher, 
der ihm verkündigte, dass seine Frevel offenkundig ge- 
worden seien, und er sich seiner Thaten nicht lange 
mehr erfreuen werde. Zwar solle ihm die Herrschaft 
nicht bei Lebzeiten entrissen ‘ werden , da Gott seinem 
Vater David verheissen habe, ihn zu seinem Nachfolger 
zu machen. Nach seinem Tode dagegen solle die Strafe 
seinen Sohn treffen, und wenn auch nicht gerade das 
ganze Volk ihm würde untreu werden, so sollten doch 
zehn Stämme an einen seiner Knechte fallen und nur 
zwei Stämme einem Enkel Davids verbleiben um seines 
Grossvaters willen, den Gott geliebt habe, und um der 
Stadt Jerusalem willen, wo er einen Tempel habe be- 
sitzen wollen. 

6. Als Solomon dies vernommen, ergriff ihn Schmerz 
• und Bestürzung, da all sein Glück zu nichte zu werden 
drohte. Kurze Zeit nach der Verkündigung des Sehers 
erweckte ihm Gott einen Gegner mit Namen Ader, der 
aus folgender Ursache die Feindseligkeiten begann. Er 
war noch jung, von Geburt Idumäer und aus könig- 
lichem Geblüt. Als nun Davids Feldherr Joab Idumaea 
unterjocht und in einem Zeitraum von sechs Monaten 
alle waffenfähigen Männer umgebracht hatte, floh Ader 
zu Pharao, dem Könige von Aegypten. Dieser nahm 
ihn freundlich auf, schenkte ihm ein Haus und Acker- 
land und gewann ihn, als er erwachsen war, so lieb, 
dass er ihm die Schwester seiner Gattin, Thaphine mit 
Namen, zur Ehe gab und den Sohn, den diese ihm ge- 
bar, mit den königlichen Kindern erziehen liess. Als 
aber Ader vernahm, dass David gestorben und Joab 
getötet worden sei, begab er sich zum König und bat 
ihn, er möge ihm die Rückkehr in sein Vaterland ge- 
statten. Pharao fragte ihn darauf, ob er bei ihm 
vielleicht Mangel gelitten habe, oder ob ihm sonst ein 
Unrecht widerfahren sei, dass er ihn zu verlassen 
wünsche. Alsdann setzte er ihm mit wiederholten 
Bitten zu, sodass Ader sich entschloss, zu bleiben. Zu 
der Zeit aber, als Solomons Glück infolge seiner Sünden 



Achtes Buch, 7. Kapitel. 


503 


und des göttlichen Zornes zu wanken begann, kehrte 
Ader endlich mit Pharaos Erlaubnis nach Idumaea zu- 
rück. Doch versuchte er vergeblich, dieses Land zum 
Abfall von Solomon zu bewegen; denn es hatte starke 
Besatzungen, die solche Anschläge schnell unterdrückt 
haben würden. Deshalb ging er nach Syrien. Dort 
traf er einen gewissen Raazar, der seinem Herrn, dem 
König Adrazar von Sophene, entlaufen war und als 
Räuber das Land unsicher machte. Mit diesem verband 
er sich, zog mit einer Schar von Räubern weiter, besetzte 
einen Teil Syriens und liess sich zum Könige ausrufen. 
Dann fiel er noch bei Lebzeiten Solomons in das Ge- 
biet der Israeliten ein, verwüstete und plünderte das 
Land und bereitete so den Hebräern schweres Unheil. 

7. Obendrein erhob sich auch gegen Solomon noch 
ein Landsmann, Jeroboam, der Sohn des Nabataeus, der 
gemäss einer ihm früher kundgegebenen Prophezeiung 
die Hoffnung hegte, selbst König zu werden. Schon 
als Knabe verlor er seinen Vater und wurde von seiner 
Mutter allein erzogen. Durch seine tapfere und edle Ge- 
sinnung hatte er die Aufmerksamkeit Solomons auf sich 
gelenkt, • der ihm bei der Befestigung Jerusalems den 
Bau der Mauer übertrug. Dieses Amt verwaltete er so 
gut, dass der König ihn lobte und ihn zum Befehls- 
haber im Stamme Joseph ernannte. Um die Zeit nun, 
von der wir reden, begegnete dem Jeroboam vor den 
Thoren von Jerusalem ein Seher aus der Stadt Silo, mit 
Namen Achias. Dieser begrüsste ihn, führte ihn abseits 
vom Wege auf einen Acker, w T o sie allein waren, zerriss 
seinen Mantel in zwölf Stücke, hiess Jeroboam zehn 
davon nehmen und sprach: „So wird Gott das Reich 
Solomons zerreissen und seinem Sohne gemäss der Ver- 
heissung, die er David gegeben, zwei Stämme, dir 
aber die anderen zehn Stämme geben, weil Solomon 
schwer gegen ihn gefrevelt und sich ganz den Weibern 
und deren Götzen ergeben hat. Da dir nun die Ur- 
sache bekannt ist, weshalb Gott sich von Solomon 
abgewandt hat, so übe Gerechtigkeit und beobachte 



504 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


das Gesetz, weil dir um deiner Frömmigkeit willen die 
hohe Wörde bestimmt ist, die David innegehabt.“ 

8. Jeroboam, der von Natur heissblütig und ehr- 
geizig war, konnte sich infolge dieser Prophezeiung nicht 
mehr ruhig halten. Sobald er die Befehlshaberstelle er- 
langt hatte, gedachte er der Worte des Achias, begann 
das Volk von Solomon abwendig zu machen und be- 
redete es, ihm selbst die Herrschaft zu übertragen. Als 
Solomon von dieser seiner Absicht Kenntnis erhielt, 
suchte er seiner habhaft zu werden, um ihn zu töten. 
Jeroboam aber, dem dies rechtzeitig gemeldet wurde, floh 
zum aegyptischen König Susak und blieb hier bis zu 
Solomons Tode, sodass er vor seinen Nachstellungen ge- 
sichert war. Solomon aber starb im hohen Alter von 
vierundneunzig Jahren nach achtzigjähriger Regierung 
und wurde zu Jerusalem beigesetzt. Er war der glück- 
lichste, reichste und weiseste aller Könige, und nur der 
eine Schatten ruht auf seinem Namen, dass er noch im 
Alter sich von seinen Weibern verführen liess und 
gegen Gott frevelte. Über diese Sünde und das Leid, 
welches daraus den Hebräern erwuchs, werde ich noch 
an anderer Stelle Gelegenheit finden zu reden. 


Achtes Kapitel. 

Wie nach Solomons Tod das Volk von seinem Sohne 
Roboam abfiel, und wie zehn Stämme den Jeroboam zum 

König erwählten. 

1 . Als nach Solomons Tod Roboam, den ihm die Amma- 
niterin Nooma geboren hatte, ihm in der Regierung ge- 
folgt war, sandten die Stammesoberhäupter sogleich Boten 
nach Aegypten, um den Jeroboam zurückzurufen. Dieser 
begab sich darauf nach Sikim, wohin auch Roboam kam, 
weil er sich den dort versammelten Israeliten als König 
vorstellen wollte. Die Oherhäupter und Jeroboam baten ihn 
nun, er möge ihnen ihre Knechtschaft etwas erleichtern 
und sich milder erweisen als sein Vater, der sie schwer 



Achtes Buch, 8. Kapitel. 


505 


bedrückt habe. Dann würden eie ihm auch ergebener sein 
und ihm lieber dienen, wenn er eie gnädig behandle, 
als wenn er ihnen Furcht einflösse. Roboam aber sagte, 
er wolle ihnen nach drei Tagen Antwort geben, und 
erregte schon dadurch Argwohn, dass er nicht sogleich 
ihren Bitten Gehör gab. Sie glaubten nämlich, dass 
besonders in der Jugend der Sinn der Menschen zur 
Güte und Milde geneigt sei. Doch schien ihnen immer- 
hin noch eine Hoffnung darin zu liegen, dass er ver- 
sprochen habe, die Sache zu überlegen, und nicht gleich 
eine abschlägige Antwort erteilte. 

2. Roboam liess hierauf die Freunde seines Vaters 
kommen und beriet mit ihuen, welche Antwort er dem 
Volke geben solle. Diese rieten ihm, wie das von wohl- 
wollenden und mit des Volkes Gesinnung vertrauten 
Männern nicht anders zu erwarten war, er solle das 
Volk freundlich und mild anreden und sich herablassend 
benehmen; denn so werde er das Volk für sich ge- 
winnen, weil naturgemäss die Unterthanen nichts so 
gern sähen, als wenn die Herrscher sich ihnen gütig er- 
wiesen und sich ihnen fast gleichstellten. Diesen nütz- 
lichen und, wenn auch nicht für immer, so doch beim 
Regierungsantritt beherzigenswerten Rat wies Roboam 
indes zurück; denn Gott fügte es, dass er seinen Vor- 
teil verkannte. Er liess vielmehr die Jünglinge rufen, 
die mit ihm aufgewachsen waren, setzte ihnen ausein- 
ander, was die Greise ihm geraten hatten, und hiess sie 
nun auch ihre Ansicht äussern. Diese, die bei ihrer 
Jugend und dem Ratschlüsse Gottes nicht anders 
konnten, rieten ihm, dem Volke zu antworten, sein 
kleiner Finger sei dicker als seines Vaters Rumpf. 
Hätten sie von Solomon harte Behandlung erfahren, so 
würden sie von ihm eine noch viel härtere erdulden 
müssen. Habe jener sie mit Peitschen gezüchtigt, so werde 
er sie mit Skorpionen quälen. Dieser Rat gefiel dem 
Könige, und da er eine solche Antwort der Würde des 
Herrschers angemessen erachtete, nahm er, als das Volk 
sich am dritten Tage voll Verlangen, die Entscheidung 



506 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


des Königs zu hören, und in der Hoffnung, dieselbe 
werde günstig ausfallen, versammelt hatte, keine Rück- 
sicht auf den Rat der älteren Freunde und erteilte den 
Bescheid im Sinne der Jünglinge. Das geschah aber 
nach Gottes Willen, da die Weissagung des Achias 
sich erfüllen sollte. 

3. Roboams Worte trafen alle wie ein Schwerthieb, 
und sie standen zunächst wie versteinert da, als sollten 
sie auf die Probe gestellt werden. Dann aber ent- 
rüsteten sie sich, und riefen wie aus einem Munde aus, 
sie wollten von jetzt ab mit David und seinen Nach- 
kommen nichts mehr zu thun haben, und nur den 
Tempel wollten sie ihm lassen, weil sein Vater denselben 
erbaut habe. Sie gerieten so sehr in Erbitterung und 
Zorn, dass sie den Steuerverwalter Adoram, den der 
König zu ihnen geschickt hatte, um sie zu besänftigen 
und ihnen Verzeihung anzukündigen, wenn sie vielleicht 
nur in jugendlichem Wagemut so gehandelt hätten, gar 
nicht zu Wort kommen Hessen, sondern ihn mit Stein- 
würfen töteten. Als Roboam das sah und befürchtete, 
sie möchten auch ihn wie seinen Diener zu steinigen 
versuchen, bestieg er eilig seinen Wagen und floh nach 
Jerusalem. Die Stämme Judas und Benjamin nun er- 
wählten ihn darauf zu ihrem Herrscher, das ganze übrige 
Volk aber trennte sich von Davids Geschlecht und rief 
Jeroboam zum König aus. Roboam versammelte alsdann 
die beiden ihm treu gebliebenen Stämme und stellte aus 
ihnen ein Heer von hundertachtzigtausend auserlesenen 
Streitern zusammen, mit dem er gegen Jeroboam und 
dessen Volk zu Felde ziehen und sie unterwerfen wollte. 
Doch wurde er hieran von Gott durch einen Seher ver- 
hindert, der ihm sagen Hess, es sei frevelhaft, dass er 
seine eigenen Stammesgenossen mit Krieg überziehen 
wolle, zumal der Abfall des Volkes nach dem Willen 
Gottes erfolgt sei. Daraufhin unterliess er auch den 
Ausmarsch. Ich werde nun zunächst von den Thaten 
des Königs Jeroboam reden und dann erst von denen 



Achtes Buch, 8. Kapitel. 


507 


des Königs Roboam, damit in der Geschichtserzählung 
die notwendige Ordnung gewahrt werde. 

4. Jeroboam also baute sich einen Königspalast in 
in der Stadt Sikim und nahm daselbst seinen Wohnsitz. 
Einen zweiten Palast liess er in der Stadt Phanuel er- 
richten. Da nun in kurzem das Fest der Laubhütten 
bevorstand, überlegte er bei sich, das Volk würde 
vielleicht, wenn es nach Jerusalem zöge, um dort Gott 
anzubeten und das Fest zu feiern, anderen Sinnes 
werden und, angelockt von der Pracht des Tempels und 
des Gottesdienstes , von ihm abfallen und sich dem 
früheren König wieder zu wen den. Das, dachte er, würde 
ihn in Lebensgefahr bringen, und er ersann deshalb 
folgenden Plan. Er liess zwei goldene Kälber anfertigen 
und denselben zwei Tempel erbauen, den einen in 
Bethel, den anderen in Dan, das bei den Quellen des 
kleinen Jordan liegt. In jedem dieser Tempel stellte er 
eioes der Kälber auf, liess die zehn Stämme Zusammen- 
kommen und hielt an sie folgende Ansprache: „Ihr 
Stammesgenossen, ihr wisst alle, wie ich glaube, dass 
Gott allgegenwärtig ist, und dass es keinen Ort giebt, 
wo er sich besonders auf hielte, sondern dass er überall 
die Bitten seiner Kinder erhört. Deshalb will ich euch 
nicht dazu drängen, 'dass ihr der Gottesverehrung wegen 
den weiten Weg nach der feindlichen Stadt Jerusalem 
zurücklegt. Den Tempel daselbst hat doch nur ein 
Mensch gemacht; in gleicher Weise habe ich zwei 
goldene Kälber an Gottes statt anfertigen lassen und 
eins davon in Bethel, das andere in Dan aufgestellt, 
damit jeder von euch zu dem ihm am nächsten ge- 
legenen Ort sich begeben und Gott verehren kann. 
Einige von euch werde ich zu Priestern und Leviten 
machen, sodass ihr den Stamm Levis und die Nach- 
kommen Aarons nicht mehr nötig habt. Wer also gern 
Priester werden möchte, opfere Gott ein Kalb und einen 
Widder, was ja auch der erste Priester Aaron gethan 
haben soll.“ Mit diesen Worten betrog er das Volk 
und veranlasste es, von der Religion seiner Väter ab- 




508 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


zufallen und das Gesetz zu übertreten. Das war für die 
Hebräer die Quelle grossen Unglücks und die Ursache, 
weshalb sie von fremden Völkern unteijocht und in die 
Gefangenschaft geschleppt wurden. Doch hiervon wird 
später noch die Rede sein. 

5. Im siebenten Monat nun, als das Fest bevorstand, 
wollte er dasselbe in Bethel begehen, wie die beiden 
anderen Stämme es in Jerusalem feierten; er errichtete 
daher vor dem Kalbe einen Altar und stieg selbst als 
Hohepriester mit seinen Priestern zu demselben hinan. 
In dem Augenblick aber, als er die Opfer im Angesicht 
des Volkes auf den Altar legen wollte, trat ein Seher 
mit Namen Jadon, den Gott aus Jerusalem gesandt 
hatte, auf, stellte sich mitten unter das Volk und sprach, 
zum Altäre gewandt und dem König leicht vernehmlich, 
also: „Gott verkündet durch mich, dass ein Mann aus 
Davids Geschlecht mit Namen Josias kommen wird, der 
auf dir die falschen Priester opfern und die Gebeine 
dieser Aufwiegler, Betrüger und Gottlosen verbrennen 
soll. Und damit das Volk hier glaubt, dass dies ge- 
schehen werde, will ich euch ein Zeichen verkündigen. 
Dieser Altar wird zerbersten, und das Fett der Opfer- 
tiere von ihm zu Boden fliessen.“ Über diese Worte 
des Sehers geriet Jeroboam in Zorn, streckte seine 
Hand gegen ihn aus und befahl, ihn zu ergreifen. Da 
sank die ausgestreckte Hand plötzlich herab und wurde 
wie totenslarr, sodass Jeroboam sie nicht mehr erheben 
konnte. Alsdann zerbarst der Altar, und alles auf ihm 
Befindliche fiel zur Erde, wie der Seher vorhergesagt 
hatte. Der König erkannte nun, dass der Mann die 
Wahrheit gesprochen und auf göttliche Eingebung hin 
prophezeit habe; er bat ihn daher, er möge zu Gott 
flehen, dass sein Arm wieder belebt werde. Der Seher 
entsprach seinem Wunsch und bat zu Gott, und da der 
Arm darauf sogleich wieder gesund wurde, lud Jeroboam 
voll Freude den Seher zum Mahle ein. Jadon aber ent- 
gegnete, er dürfe sein Haus nicht betreten, noch Speise 
und Trank in dieser Stadt zu sich nehmen, weil Gott ihm 



Achtes Buch, 9. Kapitel. 


609 


dies verboten habe. Ja, er dürfe nicht einmal auf dem 
Wege, den er gekommen, zurückkehren, sondern müsse 
einen anderen einschlagen. Da bewunderte ihn der 
König wegen seiner Genügsamkeit, über sich selbst 
abfer geriet er in Angst, weil er nach dem, was vor- 
gefallen, Unheil befürchtete. 


Neuntes Kapitel. 

Wie Jadon um seines Ungehorsams willen von einem 
Löwen zerrissen wurde , und wie ein falscher Prophet den 
König von Gott abwendig machte. 

In der Stadt befand sich aber ein gottloser Greis 
und falscher Prophet, den Jeroboam in hohen Ehren 
hielt, weil er ihm nur Angenehmes sagte und ihn damit 
bethörte. Dieser Mann war damals ans Bett gefesselt, 
weil seine Körperkräfte infolge des Alters nachgelassen 
hatten. Als ihm aber seine Söhne von dem Seher aus 
Jerusalem erzählten und von den Wunderzeichen im 
Tempel und der geheilten Hand Jeroboams, befürchtete 
er, der Fremde möchte sein Ansehen beim Könige 
schmälern oder ihn gar verdrängen, und befahl daher 
seinen Söhnen, ihm sogleich seinen Esel zu satteln, weil 
er eine Reise machen wolle. Diese befolgten den Befehl 
alsbald, und so bestieg er den Esel und zog dem Seher 
nach. Er traf ihn, wie er unter einer hohen und 
schattigen Eiche ausruhte, und machte ihm Vorwürfe, 
dass er nicht bei ihm eingekehrt sei und seine Gast- 
freundschaft in Anspruch genommen habe. Als darauf 
Jadon ein warf, es sei ihm von Gott verboten gewesen, 
von einem Bewohner der Stadt etwas anzunehmen, sprach 
der falsche Prophet zu ihm: „Gott hat dir aber sicher 
nicht verboten, bei mir zu speisen, denn auch ich bin 
ein Seher und verehre ihn wie du, und er hat mich jetzt 
zu dir gesandt, dass ich dich als Gast mit mir nehme/* 
Jadon glaubte dem Lügner und kehrte um. Als sie nun 
beim Mahle sassen und sich mit Gesprächen unterhielten, 



510 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


erschien Gott dem Jadon und verkündigte ihm, er werde 
für seinen Ungehorsam Strafe erleiden ; denn es werde 
ihm ein Löwe begegnen und ihn zerreissen, und so solle 
er nicht im Grabe seiner Vorfahren ruhen. Hierin kann 
man Gottes Fügung erkennen, der es zuliess, dass Jero- 
boam Jadons Worten infolge falscher Auslegung der- 
selben keinen Glauben schenkte. Als Jadon nun auf 
dem Heimweg nach Jerusalem sich befand, begegnete 
ihm ein Löwe, der ihn von seinem Reittier riss und 
tötete. Dem Esel that er jedoch nichts zuleide , legte 
sich vielmehr neben ihn und bewachte ihn und den 
Leichnam des Sehers, bis einige Vorübergehenden es 
sahen, in die Stadt gingen und es dem falschen Seher 
anzeigten. Dieser liess durch seine Söhne den Leichnam 
in die Stadt holen und bestattete ihn sehr ehrenvoll. 
Dann aber befahl er seinen Söhnen, sie sollten ihn nach 
seinem Tode in demselben Grabe beisetzen, und fügte 
hinzu, es sei alles wahr, was Jadon in betreff der Stadt, 
des Altars, der Priester und der falschen Propheten 
geweissagt habe. Wenn er aber nach seinem Tode bei 
Jadon bestattet werde, würden seine Gebeine unbehelligt 
bleiben, weil man sie von denen Jadons nicht werde unter- 
scheiden können. Als er so dem Seher die letzten 
Ehren erwiesen und seinen Söhnen den Auftrag erteilt 
hatte, begab er sich, boshaft und gottlos wie er war, zu 
Jeroboam und sprach zu ihm: „Wie konntest du dich 
durch die Worte jenes Thoren so verwirren lassen ?“ 
Als der König ihm darauf erzählte, was mit dem Altar 
und mit seiner Hand sich ereignet habe, und den Jadon 
einen wahrhaft grossen und göttlichen Propheten nannte, 
fing er in verschmitzter und boshafter Weise an, diese 
Meinung zu erschüttern und die Wahrheit des Ge- 
schehenen durch Zweifel herabzusetzen. Er versuchte 
nämlich, dem Könige einzureden, sein Arm sei vor 
Müdigkeit erstarrt, weil er die Opfer damit getragen habe; 
darauf habe er ein wenig ausgeruht, und so sei der Arm 
wieder in Ordnung gekommen. Der Altar aber sei des- 
halb zusammengebrochen, weil er noch frisch erbaut und 



Achtes Buch, 10. Kapitel. 


511 


mit so vielen und grossen Opferstücken belastet ge- 
wesen sei. Dann erzählte er ihm, wie den Verkündiger 
dieser angeblichen Wunderzeichen ein Löwe zerrissen 
habe. Das beweise doch, dass er kein wirklicher 
Seher gewesen sei. Mit diesen Reden beschwatzte er 
auch wirklich den König und trieb ihn, nachdem er 
ihn immer mehr von Gott und der Gerechtigkeit ab- 
gewendet hatte, schliesslich zu allen Schlechtigkeiten an. 
So gross war Jeroboams Bosheit und Vermessenheit 
gegen Gott, dass er Tag für Tag nur darauf sann, wie 
er immer wieder neue Frevelthaten vollbringen könne. 
Das mag für jetzt von Jeroboam genügen: 


Zehntes Kapitel. 

Von Roboam und seiner Bestrafung durch Susak. 

1. Roboam, der Sohn Solomons, der, wie gesagt, über 
zwei Stämme die Herrschaft führte, baute oder befestigte 
folgende Städte: Bethleem, Etame, Thekoa, Bethsura, 
Socho, Odollam, Ipan, Marissa, Zipha, Adoraim, Lachis, 
Azeka, Saraim, Elom und Chebron, alle im Stamme 
Judas gelegen. Auch im Stamme Benjamin erbaute er 
grosse Städte, befestigte sie, legte Besatzungen unter be- 
sonderen Befehlshabern hinein und versah sie reichlich 
mit Getreide, Wein, öl und allen anderen notwendigen 
Lebensmitteln, sowie mit Schilden und Speeren für 
Tausende von Kriegern. In Jerusalem versammelten sich 
um ihn die Priester und Leviten aus dem ganzen Lande 
der Israeliten samt denen aus. dem Volke, die noch gut 
und gerecht waren. Diese verliessen ihre Wohnsitze, 
um Gott nach der Sitte ihrer Väter in Jerusalem zu 
verehren, und verabscheuten die Kälberanbetung Jero- 
boams. So vermehrten sie drei Jahre lang die Macht 
Roboams. Dieser heiratete, nachdem er schon früher 
eine Verwandte zur Ehe genommen und mit ihr drei 
Kinder gezeugt hatte, noch eine andere Verwandte mit 
Namen Machane, eine Tochter der Thamar, welche den 




512 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Abesalom zum Vater hatte. Von dieser letzteren erhielt 
er einen Sohn Abias. Auch von anderen Gattinnen 
hatte er noch mehrere Kinder, doch liebte er die 
Machane am meisten. Im ganzen hatte er achtzehn 
rechtmässige Gattinnen und dreissig Kebsweiber, von 
denen er zusammen achtundzwanzig Söhne und sechzig 
Töchter erhielt. Zu seinem Nachfolger ernannte er 
Abias, den Sohn der Machane, und vertraute ihm seine 
Schätze und die festesten Plätze an. 

2. Ich glaube, dass gar oft den Menschen ihr Glück 
und Wohlstand zur Ursache von Schlechtigkeit und 
Bosheit wird. So wandte sich auch Roboam, als er seine 
Macht wachsen sah, zu Freveln und Verbrechen jeder 
Art, vergass den Dienst und die Verehrung Gottes und 
verleitete seine Unterthanen, dasselbe zu thun. Es 
pflegen ja leider mit den Sitten der Herrscher auch die 
der Untergebenen zu entarten, und die letzteren folgen 
meist den Lastern der Fürsten, um nicht durch ihr 
gutes Betragen deren Ruchlosigkeit anzuschuldigen. 
Anders können sie ja nicht den Schein wahren, als ob 
sie die Thaten der Fürsten billigten. So erging es auch 
Roboams Unterthanen, die, als er die Gesetze frevent- 
lich übertrat, sich bemühten, durch ungerechten Lebens- 
wandel der Gesinnung des Königs ihre Anerkennung 
zu zollen. Gott aber schickte den AegyptierkÖnig 
Susak, um den Roboam zu bestrafen. Herodot hat irr- 
tümlicherweise dessen Thaten dem Könige Sesostris bei- 
gelegt. Susak also zog im fünften Jahre der Regierung 
Roboams mit einem gewaltigen Heere gegen ihn zu 
Felde. Es folgten ihm nämlich zwölfhundert Wagen, 
sechzigtausend Reiter und vierhunderttausend Mann Fuss- 
volk, von denen die meisten Libyer und Aetbiopen 
waren. Mit diesen fiel er in das Land der Hebräer ein, 
nahm die festesten Städte Roboams ohne Schwertstreich, 
legte Besatzungen in dieselben und zog dann auch vor 
Jerusalem. 

3. Als nun Roboam und sein Volk in der Stadt von 
Susaks Heer eingeschlossen waren, wandten sie sich 




Achtes Bach, 10. Kapitel. 


513 


wieder flehentlich an Gott, er möge ihnen Sieg und 
Kettung verleihen, konnten ihn aber nicht dazu be- 
wegen. Vielmehr verkündete ihnen der Prophet Samaeas, 
Gott wolle sich von ihnen wenden, wie sie sich auch von 
ihm und seinem Dienste abgewandt hätten. Als sie 
dies hörten, entsank ihnen der Mut, und hilflos wie sie 
waren, fingen sie an einzugestehen, dass Gott sie mit 
Kecht verschmähe, weil sie gegen ihn Tgefrevelt und 
seine Gebote und Satzungen übertreten hätten. Da nun 
Gott sie so zerknirscht und reumütig sah, verkündete 
er dem Seher, er werde sie nicht verderben, sie aber den 
Aegyptiern unterjochen, damit sie erprobten, ob es 
leichter sei, einem Menschen zu dienen, oder Gott. Susak 
nahm also auch Jerusalem ohne Schwertstreich ein, weil 
Roboam ihm aus Furcht die Thore öffnete. Doch blieb 
er dem Vertrage nicht treu, sondern plünderte den 
Tempel, raubte die Schatzkammer Gottes wie des 
Königs aus, schleppte eine unermessliche Menge Gold 
und Silber mit sich und liess so gut wie nichts zurück. 
Auch die goldenen grossen und kleinen Schilde, die 
Solomon hatte anfertigen lassen, nahm er mit, im- 
gleichen die goldenen Köcher, die David dem Könige von 
Sophene genommen und Gott geweiht hatte. Darauf 
kehrte er nach Hause zurück. Diesen Kriegszug erwähnt 
auch Herodot aus Halikarnassos, der sich nur im Namen 
irrt und erzählt, der König] habe ausser vielen anderen 
Völkern auch das palaestinische Syrien unterjocht und 
zwar ohne Schwertstreich. Er meint damit offenbar die 
Unterwerfung unseres Volkes durch den Aegyptier. 
Auch berichtet er, der König habe in dem Lande der 
also Unterjochten Säulen mit Darstellungen weiblicher 
Schamteile 1 zurückgelassen, und es sei unser König 
Roboam gewesen, der ihm ohne Kampf die Stadt über- 
geben habe. Ferner sagt er, die Aethiopen hätten von 
den Aegyptiern die Beschneidung 2 gelernt; „denn auch 


1 Als Zeichen der Feigheit (vergl. Herodot II, 102 und 106). 
* Vergl. Herodot II, 104. 

Joaephas’ Jüdische Altertümer. 33 




514 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


die Phoeniker,“ fügt er hinzu, „und die in Palaestina 
wohnenden Syrer haben dieselbe nach ihrer Angabe von 
den Aegyptiern überkommen.“ Bekannt ist aber, dass 
in Palaestina keine Syrer sich der Beschneidung be- 
dienen, als wir. Doch mag jeder hierüber denken, wie 
er will. >- 

4. Nach Susaks Abzug verabfolgte Roboam der 
königlichen Leibwache statt der goldenen Schilde eine 
gleiche Anzahl eherner, die er hatte anfertigen lassen. 
Da es ihm nun nicht beschieden war, in Kriegszügen 
und glänzenden Thaten sich auszuzeichnen, so regierte 
er zwar in aller Ruhe, doch unter beständiger Furcht 
vor Jeroboam, mit dem er in Feindschaft lebte. Er 
starb im Alter von siebenundfünfzig Jahren, von denen 
siebzehn auf seine Regierung kamen. Stolz und unver- 
nünftig wie er war, hatte er nur deshalb einen so grossen 
Teil seines Reiches eingebüsst, weil er den Rat der 
Freunde seines Vaters nicht befolgte. Bestattet wurde 
er zu Jerusalem im königlichen Grabmal. Ihm folgte 
sein Sohn Abias im achtzehnten Jahre der Herr- 
schaft Jeroboams über die zehn Stämme. Es erübrigt 
jetzt noch, dass ich auch von Jeroboams Ende berichte. 
Dieser fuhr fort, Gott zu beleidigen, errichtete auf hohen 
Bergen einen neuen Altar nach dem anderen und er- 
nannte neue Priester aus dem Volke. 


Elftes Kapitel. 

Tod des Sohnes Jeroboams. Abias besiegt den Jeroboam 
und stirbt bald darauf. Sein Nachfolger Asanus. Tod 
Jeroboams und seines Sohnes Nadab. 

1. Kurz nachher aber liess Gott für seine Frevel- 
thaten die verdiente Strafe über «ein Haupt und sein 
ganzes Geschlecht kommen. In dieser Zeit nämlich er- 
krankte Jeroboams Sohn Obimes, und er befahl deswegen 
seiner Gattin, sie solle ihre königliche Kleidung ablegen 
und in gewöhnlichem Gewände sich zum Seher Achiaa 



Achtes Buch, 11. Kapitel. 


515 


begeben, der eine wunderbare Sicherheit darin besitze, 
die Zukunft vorherzusagen , da er ihm seine Erwählung 
zum König prophezeit habe. Sobald sie zu ihm käme, 
sollte sie sich fremd stellen und ihn fragen, ob ihr Sohn 
wieder genesen würde. Die Königin ging darauf, wie 
ihr Gatte ihr befohlen hatte, in Verkleidung nach Silo, 
wo Achias wohnte. Als sie nun im Begriffe war, sein 
Haus zu betreten, erschien dem Seher, der vor Alter er- 
blindet war, Gott und offenbarte ihm, dass Jeroboams 
Gattin ihn besuchen komme, und was er auf ihre Frage 
antworten solle. Die Königin gab sich nun für eine 
fremde Frau der niederen Stände aus. Der Seher aber 
rief ihr zu; „Tritt ein, Jeroboams Weib, weshalb ver- 
stellst du dich? Gott, vor dem nichts verborgen bleibt, 
hat mir in einer Erscheinung deine Ankunft verkündigt 
und mir vorgeschrieben, was ich dir sagen soll.“ Als sie 
darauf sich zur Rückkehr anschickte, hiess er sie ihrem 
Gatten folgendes mitteilen: „Ich habe dich aus kleinen 
und niedrigen Verhältnissen zu hoher Stellung erhoben, 
von Davids Haus die Herrschaft genommen und sie dir 
gegeben. Du aber hast dessen nicht gedacht, meinen 
Dienst vernachlässigt und dir Götter aus Gold gemacht, 
um sie zu verehren. Darum will ich dich vernichten 
samt deinem ganzen Geschlecht, und es den Hunden 
und Vögeln zur Speise überantworten. Einen König 
will ich mir über die Israeliten erwählen, der niemand 
aus Jeroboams Geschlecht am Leben lassen wird. An 
dieser Strafe soll auch das Volk Anteil haben, denn ich 
werde es aus dem gelobten Lande vertreiben und in die 
Gegend jenseits des Euphrat verbannen, weil es sich zum 
Genossen der Frevel seines Herrschers gemacht und die 
von ihm verfertigten Götter angebetet hat, ohne meines 
Dienstes zu gedenken. Du aber, Weib, geh eilig zu 
deinem Gatten, um ihm dies zu melden. Du wirst deinen 
Sohn als Leiche vorfinden, denn sowie du den Fuss in 
die Stadt setzest, wird er sterben. Das ganze Volk wird 
wehklagend seinem Sarge folgen, denn an ihm allein 
aus Jeroboams Geschlecht ist Gutes erfunden worden.“ 




516 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Über diese Prophezeiung entsetzte sich die Königin, und 
untröstlich über den bevorstehenden Tod ihres Sohnes 
stürzte sie hinweg und legte den Weg unter Jammern 
und Wehklagen zurück. Von unsäglichem Leid gequält, 
beschleunigte sie ihre Schritte, obgleich sie ihren Sohn 
so nur noch eher als Leiche sehen sollte ; doch glaubte 
sie ihrem Gatten die Eile schuldig zu sein. Bei ihrer 
Ankunft fand sie ihren Sohn tot vor, wie der Seher ihr 
vorausgesagt hatte, und erzählte dem Könige alles. 

2. Jeroboam aber kümmerte sich nicht darum, sondern 
hielt eine grosse Aushebung ab, um ein Heer zusammen- 
zubringen zum Kriege gegen Abias, den Sohn Roboams, 
der seinem Vater in der Regierung gefolgt war, und den 
er seiner Jugend wegen als Gegner nicht sonderlich an- 
schlug. Abias aber geriet über die Nachricht von dem 
Anmarsch Jeroboams keineswegs in Schrecken, sondern 
zog mit einem für sein Alter ungewöhnlichen und dem 
Feinde unerwarteten Mut ein Heer aus den beiden 
Stämmen zusammen und rückte dem Jeroboam bis zu 
einem Orte, der Semaron heisst, entgegen. Hier schlug 
er in dessen Nähe ein Lager auf und rüstete sich zum 
Kampfe. Er hatte vierhunderttausend Streiter, Jeroboams 
Heer dagegen war doppelt so gross. Als nun die Heere 
bereits in Schlachtordnung standen, bestieg Abias eine 
Anhöhe und gab mit der Hand ein Zeichen, Jeroboam 
und das Volk möchten ihn anhören. Und da Stille ein- 
getreten war, fing er also an zu reden: „Es ist euch 
wohl bekannt, dass Gott den David und seinen Nach- 
kommen die Herrschaft für alle Zeiten verliehen hat. 
Deshalb wundere ich mich, dass ihr meinen Vater ver- 
lassen , euch seinem Knechte Jeroboam anschliessen 
konntet* und jetzt mit ihm in den Krieg gezogen seid, 
um den anzugreifen, den Gott zum Herrscher erwählt 
hat, und ihm seinen Besitz zu entreissen. Den grössten 
Teil des Reiches hat ja Jeroboam inne, doch wird er 
sich dessen nicht lange mehr erfreuen. Vielmehr wird 
Gott ihn für seine vielen Frevelthaten wie auch dafür 
bestrafen, dass er euch zu denselben verführt hat. Mein 



Achtes Buch, 1 1. Kapitel. 


517 


Vater hat euch kein Unrecht gethan, und bloss deshalb 
habt ihr euch von ihm losgesagt, weil er schlechtem 
Rate folgend euch in der Versammlung nichts An- 
genehmes sagte. Ihn habt ihr wegen seines angeblichen 
Zornes verlassen, in Wahrheit aber seid ihr von Gott 
und seinen Geboten abgewichen. Es wäre daher billig, 
wenn ihr der harten Worte des noch jungen und un- 
erfahrenen Roboam nicht mehr gedenken, vielmehr an 
Solomon und seine Wohlthaten euch erinnern wolltet. 
Denn der Väter Verdienst tilgt die Fehler ihrer Nach- 
kommen. Daran habt ihr aber nicht gedacht, noch 
denkt ihr jetzt daran, sondern rückt in gewaltiger Masse 
gegen uns aus. Wovon erwartet ihr denn eigentlich den 
Sieg? Vielleicht von euren goldenen Kälbern und den 
hochragenden Altären, die nicht Zeichen eurer Frömmig- 
keit, sondern eurer Gottlosigkeit sind? Oder macht 
euch eure überlegene Zahl Hoffnung auf den Sieg? 
Doch nichts vermag bei einem Heere die Zahl, wenn 
der Krieg in Bosheit und Frevelmut angefangen wird. 
Denn auf Gerechtigkeit und Frömmigkeit allein beruht 
die sichere Siegeshoffnung. Diese aber ist auf unserer 
Seite, die wir von Anfang an die Gesetze beobachtet 
und Gott verehrt haben, ihn, der nicht von Menschen- 
händen aus vergänglichem Stoffe gemacht ist und der 
sich nicht von einem frevelhaften Könige täuschen lässt, 
sondern der durch sich selbst ist und den Anfang und 
das Ende aller Dinge bildet. Daher ermahne ich euch, 
Vernunft anzunehmen und vom Kriege abzustehen. 
Denkt an die Satzungen eurer Väter und erinnert euch 
daran, was euch zur Grösse eures Glückes erhoben hat.“ 
3. So sprach Abias zum Volke. Während er aber 
noch redete, sandte Jeroboam heimlich aus seinem Lager 
eine Abteilung^ Krieger, die auf Schleichwegen den 
Abias umzingeln sollten. Als dieser nun plötzlich von 
Feinden umgeben war, entsank seinen Kriegern aller 
Mut. Abias aber ermunterte sie und riet ihnen, auf 
Gott zu vertrauen, den die Feinde nicht einschliessen 
könnten. Da beteten alle einstimmig zu Gott um Hilfe» 




518 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und während die Priester in die Posaune stiessen, 
stürzten sie mit lautem Geschrei auf die Feinde los. 
Diesen nahm Gott den Mut und liess sie dem Heere des 
Abias unterliegen. Und es entstand unter ihnen ein 
solches Blutbad, wie es nie in einem Kriege, weder bei 
den Griechen noch bei den Barbaren, yorgekommen ist, 
sodass Abias’ Krieger einen herrlichen und wunderbaren 
Sieg erfochten. Sie töteten fünfhunderttausend Feinde; 
dann erstürmten und plünderten sie die festesten Städte 
derselben und eroberten Bethel und Isana nebst deren 
Gebiet. Nach dieser Niederlage konnte Jeroboam sich 
nicht mehr auf raffen, so lange Abias am Leben blieb. 
Doch starb dieser bald nach dem Siege und wurde zu 
Jerusalem im Grabe seiner Vorfahren beigesetzt. Er 
hinterliess zweiundzwanzig Söhne und sechzehn Töchter 
die er von vierzehn Gattinnen erhalten hatte. In der 
Regierung folgten ihm sein Sohn Asanus und dessen 
Mutter Machaja, da ersterer noch jung war. Während 
der Regierung des Asanus erfreute sich dann das Land 
der Israeliten eines zehnjährigen Friedens. 

4. So viel mag über Abias, den Sohn Roboams und 
Enkel Solomons, genügen. Jeroboam, der König der 
zehn Stämme, starb nach einer Regierung von zweiund- 
zwanzig Jahren, und es folgte ihm sein Sohn Nadab, als 
Asanus bereits zwei Jahre König war. Jeroboams Sohn 
regierte zwei Jahre und war seinem Vater an Ruchlosig- 
keit und Gottlosigkeit vollkommen ebenbürtig. In den 
beiden Jahren seiner Regierung führte er Krieg gegen 
die Stadt Gabatho im Gebiete der Palaestiner und be- 
lagerte dieselbe. Hierbei kam er infolge der Nach- 
stellungen eines seiner Freunde mit Namen Basanes, 
Sohnes des Machelus, um. Dieser riss nach Nadahs 
Tod die Herrschaft an sich und vertilgte Jeroboams 
ganzes Geschlecht Dabei ging Gottes Weissagung in 
Erfüllung; denn einige von Jeroboams Verwandten, die 
in der Stadt gefallen waren, wurden von Hunden zer- 
rissen und verschlungen, andere, die auf dem Lande er- 
schlagen wurden, fielen den Vögeln zum Opfer. So 



Achtes Buch, 12. Kapitel. 


519 


erlitt Jeroboams Haus die wohlverdiente Strafe für seine 
Gottlosigkeit und seine Frevelthaten. 


Zwölftes Kapitel. 

Der Aethiopenkönig Zaraeus wird von Asanus besiegt. 

Asanus ruft gegen Basanes den König von Damaskus zu 

Hilfe. Ausrottung des Geschlechtes des Basanes. Zamares. 

Achab. 

1. Asanus, der König zu Jerusalem, war ein Mann 
von vortrefflichen Eigenschaften. Vor allem war er 
gottesfürchtig , und bei all seinem Thun und Denken 
hatte er nur Gott und die Beobachtung des Gesetzes im 
Auge. Seinem Reiche war er ein wohlwollender Herrscher, 
und er scheute sich auch nicht, wo es nötig war, das 
Schlechte auszurotten und alles Unreine zu beseitigen. 
Sein Heer bestand aus dreihunderttausend Kriegern vom 
Stamme Judas, die Schild und Lanze führten, und 
zweihundertfünfzigtausend Schildträgern und Bogen- 
schützen vom Stamme Benjamin. Als seine Regierung 
zehn Jahre gewährt hatte, zog Zaraeus, der König von 
Aethiopien, mit grosser Heeresmacht gegen ihn zu Felde. 
Dieser führte neunhunderttausend Mann Fussvolk, 
hunderttausend Reiter und dreihundert Wagen mit sich. 
Als er bis zur Stadt Maresa im Stamme Judas vor- 
gerückt war, warf sich Asanus ihm entgegen, stellte in 
einem Thale, welches Saphtha heisst, nicht weit von der 
Stadt sein Heer in Schlachtordnung auf und bat, als 
er di^e grosse Menge der Aethiopen erblickte, mit er- 
hobener Stimme zu Gott, er möge die vielen tausend 
Feinde in seine Hand geben. „Auf nichts anderes,“ 
sagte er, „setze ich mein Vertrauen, als auf dich, o 
Herr, durch den wenige über viele und Schwache über 
Starke die Oberhand gewinnen können. Mit deiner 
Hilfe hoffe ich über Zaraeus zu siegen.“ 

2. Als Asanus so flehte, gab ihm Gott ein Zeichen 
des Sieges, worauf er wacker die Aethiopen angriff, eine 




520 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Menge von ihnen tötete, die übrigen in die Flucht schlug 
und sie bis in die Gegend von Gerara verfolgte. Endlich 
waren die Hebräer des Mordens müde und wandten sich 
nunmehr zur Plünderung der Stadt Gerara und des 
feindlichen Lagers. Dabei fiel eine Menge Gold, Silber, 
Kamele, Zug- und Weidevieh in ihre Hände. Nach 
diesem glänzenden, mit Gottes Hilfe errungenen Siege 
zog Asanus an der Spitze seines Heeres wieder nach 
Jerusalem zurück. Nicht weit von der Stadt begegnete 
ihnen ein Seher, Azarias mit Namen. Dieser bat sie, 
ein wenig zu verziehen, und sprach also zu ihnen : 
„Diesen Sieg hat euch Gott gegeben, weil ihr euch stets 
gerecht und fromm bewiesen habt und in allen Dingen 
seinem Willen gehorsam gewesen seid. Fahrt ihr so 
fort, so wird Gott immer die Feinde in eure Hand 
geben und euch ein glückliches Leben verleihen. Fallt 
ihr aber von wahrer Gott es Verehrung ab, so wird das 
gerade Gegenteil euch treffen, und es wird die Zeit 
kommen, da kein wahrer Prophet und kein gerechter 
Priester mehr im Volke zu finden sein wird. Auch 
eure Städte werden dann verwüstet werden, und eure 
Volksgenossen als Fremdlinge auf dem ganzen Erd- 
kreise umherirren. Befleissigt euch also, Jda es noch 
Zeit ist, der Gottesfurcht und bringt euch nicht selbst 
um das Wohlwollen Gottes.“ Über diese Worte freute 
sich der König wie das Volk, und alle versicherten ihre 
Bereitwilligkeit, an Recht und Gerechtigkeit festzuhalten. 
Auch stellte der König im ganzen Lande besondere 
Männer an, die auf sorgfältige Beobachtung des Gesetzes 
sehen sollten. 

3. So stand es mit Asanus, dem Könige der beiden 
Stämme. Nunmehr wende ich mich wieder zu Basanes, 
dem Könige der übrigen Stämme, der Jeroboams Sohn 
Nadab getötet und die Herrschaft an sich gerissen hatte. 
Er residierte in der Stadt Tharsa und regierte vierund- 
zwanzig Jahre, war aber noch gottloser und verruchter 
als Jeroboam und dessen Sohn, bedrückte das Volk und 
schmähte Gott. Der Herr sandte ihm deshalb den Seher 



Achtes Bach, 12. Kapitel. 


521 


Jehü und liess ihm verkündigen: „Dein ganzes Geschlecht 
will ich vertilgen und dieselben Plagen über dich ver- 
hängen, wie sie über Jeroboams Haus gekommen sind. 
Denn obwohl du durch meine Gnade König geworden 
bist, hast du derselben nicht durch eine fromme und 
gerechte Regierung entsprochen , was sowohl mir an- 
genehm, als auch dir erspriesslich gewesen wäre. Viel- 
mehr hast du Jeroboams Bosheit nachgeahmt, dessen 
Geist in dir fortlebt. Da du ihm also gleich geworden 
bist, soll auch gleiche Strafe dich treffen." Obwohl nun 
Basanes erfahren hatte, welches Leid ihn und sein 
Geschlecht für seine Schandthaten treffen würde, liess 
er doch von seinem Lebenswandel nicht ab, wodurch er 
vielleicht noch Verzeihung von Gott erlangt haben würde. 
Hartnäckig vielmehr, wie der Fleissige dem Preise, strebte 
Basanes trotz der Verkündigung des Sehers dem Unter- 
gänge seines Geschlechtes entgegen, als sei das etwas 
Gutes, und häufte, als kämpfe er um die Wette in der 
Ruchlosigkeit, täglich neue Frevel zu den anderen. Zu- 
letzt griff er auch noch mit einem Heere die nicht un- 
ansehnliche Stadt Armathon, vierzig Stadien von Jeru- 
salem entfernt, an, nahm sie ein und befestigte sie in 
der Absicht, dort eine Besatzung hinzulegen, die durch 
feindliche Einfälle das Reich des Asanus beunruhigen 
sollte. 

4. Über dieses Unternehmen seines Feindes geriet 
Asanus in Furcht, und da er bedachte, wie viel Schaden 
die Besatzung Armathons seinem Lande zufügen könnte, 
schickte er Gesandte mit Geschenken in Gold und Silber 
an den König von Damaskus, um dessen Bundesgenossen- 
schaft zu erbitten und ihn daran zu erinnern, welche 
Freundschaft schon zwischen ihren Vätern bestanden 
habe. Dieser nahm die Geschenke an und schloss gern 
das begehrte Bündnis ab; dem Basanes aber kündigte 
er die Freundschaft und schickte Truppen in dessen 
Gebiet, um es zu beunruhigen. So wurden die Städte 
Ahion, Dana, Abellane und viele andere teils ein- 
geäschert, teils geplündert. Als der König das vernahm, 



522 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


gab er die Befestigung von Armathon auf und zog in 
Eile zurück, um seinen bedrängten Unterthanen Hilfe 
zu bringen. Von dem Material, das er zur Befestigung 
Armathons bestimmt hatte, erbaute Asanus in derselben 
Gegend zwei feste Plätze, Gaba und Maspha. Basanes 
aber war es nicht mehr vergönnt, gegen Asanus zu 
Felde zu ziehen; denn es ereilte ihn der Tod, und er 
ward in Tharsa begraben. In der Regierung folgte 
ihm alsdann seine Sohn Eianus, der schon zwei Jahre 
nachher von Zamares, dem Befehlshaber seiner halben 
Reiterei, umgebracht wurde. Denn als Eianus einst bei 
seinem Verwalter Orsa speiste, und keiner von seinen 
Feldherren oder von der Leibwache ihm zu Hilfe 
kommen konnte, da sie sämtlich bei der Belagerung 
von Gabatha, einer Stadt der Palaestiner, beschäftigt 
waren, beredete Zamares einige von seinen Reitern, ihn 
zu überfallen. 

5. Nach der Ermordung des Eianus riss Zamares die 
Herrschaft an sich und liess nach Jehus Prophezeiung 
das Geschlecht des Basanes vollständig ausrotten, das auf 
dieselbe Weise umkam, wie ich von Jeroboams Geschlecht 
berichtet habe. Als das Heer, welches vor Gabatha 
lag, hörte, was dem Könige zugestossen sei, und dass 
Zamares, sein Mörder, sich der Herrschaft bemächtigt 
habe, rief es seinen Führer Amarinus 1 zum Könige aus. 
Dieser brach sogleich von Gabatha auf, zog zur könig- 
lichen Residenz Tharsa und eroberte die Stadt im Sturm. 
Zamares zog sich darauf in das Innere seines Palastes 
zurück, legte Feuer an denselben und verbrannte mit 
ihm, nachdem er nur sieben Tage regiert hatte. Das 
Volk der Israeliten aber teilte sich, und es wählte der 
eine Teil den Thamnaeus, der andere den Amarinus zum 
Könige. Der letztere beliielt die Oberhand und wurde, 
nachdem Thamnaeus umgekommen war, König über das 
gesamte Volk. Er trat seine Regierung im dreissigsten 
Jahre der Herrschaft des Asanus an und behielt sie 


1 Omri. 




Achtes Bach, 13. Kapitel. 


523 * 


zwölf Jahre lang, von denen er sechs Jahre in Tharsa 
und sechs in Semareon, welches die Griechen Samaria 
nennen, residierte. Er selbst nannte die Stadt Semareon 
nach einem gewissen Semar, der ihm den Berg verkauft 
hatte, auf welchem sie erbaut war. Zwischen ihm und 
den früheren Königen bestand nur der eine Unter- 
schied, dass er noch ruchloser war als jene. Alle hatten 
sie übrigens das Bestreben, das Volk durch fortwährende 
Verübung von Frevelthaten Gott zu entfremden. Des- 
halb liess auch der Herr einen von ihnen durch den 
anderen umbringen und ihre Geschlechter zu Grunde 
gehen. Amarinus starb in Samaria, und es folgte ihm 
sein Sohn Achab. 

6. Aus dem Gesagten kann man so recht erkennen, 
wie sehr Gott sich um die menschlichen Angelegen- 
heiten kümmert und wie er die Guten liebt, die Bösen 
aber hasst und vernichtet. Die Könige der Israeliten 
nämlich gingen wegen ihrer Frevelthaten samt ihrem 
Geschlechte zum grössten Teil einer durch den anderen 
zu Grunde. Asanus aber, der König von Jerusalem 
und den zwei Stämmen, erreichte wegen seiner 
Frömmigkeit und Gerechtigkeit ein hohes Alter und 
starb nach einundvierzigjähriger Regierung eines seligen 
Todes. Nach seinem Ableben übernahm die* Herrschaft 
sein Sohn Josaphat, den ihm die Abida geboren hatte. 
Diesen hielten alle wegen seiner Tugend und Frömmig- 
keit für den würdigen Nachfolger seines Vorfahren 
David. Doch hiervon später. 


Dreizehntes Kapitel. 

Achabs und Jezabels Gottlosigkeit. Der Prophet Elias. 

Nabuths Schicksal. 

1. Achab residierte in Samaria und herrschte zwei- 
undzwanzig Jahre lang. Auch er unterschied sich in 
nichts von seinen Vorgängern als darin, dass er allen 
möglichen Schändlichkeiten ergeben war. Alle ihre 




‘524 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Verbrechen und Frevelthaten ahmte er nach, besonders 
aber Jeroboams Ruchlosigkeit: denn er betete nicht nur 
dessen goldene Kälber an, sondern ersann auch noch 
andere Greuel. Zur Ehe nahm er die Tochter des 
Königs Ithobal von Tyrus und Sidon, die Jezabel hiess, 
und von der er die Verehrung ihrer heimischen Götter 
lernte. Sie war ein verwegenes und unruhiges Weib und 
ging in ihrer Frechheit und in ihrem Hochmut so weit, 
dass sie sogar dem Götzen, den die Tyrier Bel nennen, 
einen Tempel erbaute. Diesen umgab sie mit einem 
Hain von allerlei Bäumen und setzte ihrem Gott Priester 
und falsche Propheten ein. Auch der König hatte solches 
Gelichter um sich und übertraf überhaupt alle seine 
Vorgänger an Gottlosigkeit und Frevelmut. 

2. Da kam ein Seher des allmächtigen Gottes aus 
Thesbona, einer Stadt im Galaditerlande, zu Achab und 
verkündete ihm, Gott werde in den folgenden Jahren 
weder Regen noch Tau zur Erde senden, bis er selbst 
sich wieder einfinden werde. Das bekräftigte er mit 
einem Eide und zog sich dann nach dem Norden des 
Landes zurück, wo er an einem Bache wohnte, der ihn 
mit Trinkwasser versorgte, während seine Speise ihm 
von Raben gebracht wurde. Als kurz darauf aber auch 
dieser Bach* austrocknete, begab er sich auf Gottes 
Geheiss zur Stadt Sarephtha, die unweit Tyrus und Sidon 
in der Mitte zwischen beiden Städten lag. Dort sollte 
er eine Witwe finden, die ihn mit Nahrung versehen 
würde. Als er nun dem Stadtthor sich näherte, erblickte 
er eine Frau, die mit Holzsammeln beschäftigt war. Und 
da Gott ihm offenbarte, das sei die Frau, die ihm 
Speise geben würde, ging er auf sie zu und bat sie 
unter freundlichem Gruss, ihm etwas Wasser zum trinken 
zu geben. Sie ging sogleich weg, um es zu holen, 
worauf er sie zurückrief und sie auch ein Brot mit- 
bringen hiess. Als sie aber hoch und teuer schwur, sie 
habe nichts im Hause, als etwas Mehl und öl, und habe 
sich ein wenig Holz zusammengesucht, um sich und 
ihrem Sohne einen Kuchen zu backen und dann Hungers 



Achtes Buch, 13. Kapitel. 


525 


zu sterben, da sie sonst nichts mehr besitze, sprach er 
zu ihr: „Geh nach Hause und sei gutes Muts. Bereite 
mir ein wenig Speise und bringe sie her. Denn ich 
sage dir, dein Mehlgefäss und dein Ölkrug werden nicht 
leer werden, bis Gott wieder Regen schickt." Als der 
Prophet so gesprochen, begab 6ie sich nach Hause und 
tliat, wie er befohlen hatte. Und von da an hatte sie 
so viel, dass sie nicht nur sich und ihren Sohn, sondern 
auch noch den Propheten ernähren konnte, und keiner 
von ihnen litt Mangel, bis die Dürre nachliess. Dieser 
Trockenheit gedenkt auch Men ander, der in der Ge- 
schichte des tyrischen Königs Ithobal also sagt: „Unter 
seiner Regierung herrschte eine grosse Dürre, die vom 
Monat Hyperberetaios des einen Jahres bis zum selben 
Monat des nächsten Jahres dauerte. Als er dann zu 
den Göttern beten liess, entstanden heftige Gewitter. 
Er gründete die Städte Botrys in Phoenicien und Auza 
in Libyen.“ Damit meint Menander die Dürre unter 
Achab, da um diese Zeit Ithobal über die Tyrier 
herrschte. 

3. Als nun der Sohn der eben genannten Frau, die 
den Propheten mit Speise versorgte, in eine Krankheit 
fiel und infolge davon den Geist aufgab, wehklagte sie, 
schlug sich mit den Fäusten und stiess schmerzliche 
Jammerlaute aus, indem sie die Schuld an dem Unglücke 
der Ankunft des Sehers zuschrieb, der sie wegen ihrer 
Sünden angeklagt habe, sodass ihr Sohn habe sterben 
müssen. Er aber hiess sie getrost sein und ihm den 
Sohn übergeben, den er ihr lebend wiedergeben werde. 
Darauf trug er ihn in das Gemach, das ihm zur 
Wohnung diente, legte ihn auf sein Lager und rief zu 
Gott, das sei doch eine unverdiente Vergeltung dafür, 
dass die Frau ihn aufgenommen und verpflegt habe. Als- 
dann bat er, Gott möge dem Knaben das Leben wieder- 
geben. Da erbarmte sich der Herr des traurigen Loses 
der Mutter, und um zu beweisen, dass er den Seher nicht 
zu ihrem Unheil gesandt habe, erwies er sich dem 
letzteren gefällig und erweckte den Knaben wider alles 




526 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Erwarten zum Leben. Die glückliche Mutter bedankte 
sich bei dem Propheten und rief aus, nun habe sie klar 
erkannt, dass Gott durch ihn rede. 

4. Kurz danach begab sich der Prophet auf Gottes 
Geheiss wieder zum Könige Achab, um ihm den bevor- 
stehenden Regen zu verkünden. Die Hungersnot hatte 
unterdessen im ganzen Lande gewütet, und nicht nur 
die Menschen litten Mangel, sondern auch die Pferde 
und anderes Vieh, da die Weiden infolge der Dürre 
keine Nahrung darboten. Da rief der König seinen 
Verwalter Obedias zu sich und befahl ihm, an den 
Quellen und Bächen nach Gras zu suchen. Finde er 
welches, so solle er es abmähen lassen und dem Vieh 
verfüttern. Ferner sandte er im ganzen Lande Boten 
umher, die den Propheten Elias suchen sollten, und da 
sie ihn nicht fänden, befahl er dem Obedias, ihn zu be- 
gleiten. Und so zogen sie aus, Obedias auf dem einen, 
der König auf dem anderen Wege. Obedias aber hatte 
einst, als die Königin Jezabel die Seher umbringen 
liess, deren hundert in unterirdischen Höhlen verborgen 
und sie mit Brot und Wasser versorgt. Als er sich 
nun vom Könige getrennt hatte , begegnete ihm der 
Seher Elias, und nachdem er von ihm erfahren, wer er 
sei, fiel er vor ihm nieder. Der Prophet aber hiess ihn 
zum Könige gehen und dort melden, Elias werde bald 
erscheinen. Darauf entgegnete Obedias: „Was habe ich 
denn gegen dich verbrochen, dass du mich zu dem 
schickst, der das ganze Land durchsuchen liess, um dich 
zu töten? Weisst du denn nicht, dass es keinen Ort 
giebt, wohin er nicht Boten gesandt hat, um dich zu 
ergreifen und ihm zuzuführen? Nun fürchte ich, dass 
du dich unter Gottes Hilfe von hier entfernen willst 
Da ich vom Könige geschickt bin, dich zu suchen, so 
muss ich, wenn ich dich nicht ausfindig machen kann, 
den Tod erleiden. Ich bitte dich also, mich zu retten 
und daran zu denken, dass ich die hundert Seher vor 
dem Untergang bewahrt habe und sie noch jetzt heimlich 
mit Speise versorge." Der Prophet aber ermahnte ihn, 




Achtes Buch, 13. Kapitel. 


527 


ohne alle Furcht zum Könige zu gehen, und versprach 
ihm eidlich, dass er noch an diesem Tage sicher vor 
Achab erscheinen werde. 

5. Als Obedias dem Achab den Aufenthaltsort des 
Elias angezeigt hatte, zog Achab ihm entgegen und 
fragte ihn zornig, ob er es sei, der dem hebraeischen 
Volke die Hungersnot beschert habe. Dieser aber ent- 
gegnete ohne alle Beschönigung: „Du selbst mitsamt 
deinem Geschlechte hast all das Unheil verschuldet, 
weil du fremde Götter ins Land gebracht und sie ver- 
ehrt, deinen eigenen Gott aber, der der wahre Gott ist, 
verlassen und verachtet hast. Jetzt gehe hin und ver- 
sammle das ganze Volk auf dem Berge Karmel, auch 
deine und deines Weibes Seher, wie viele es auch sein 
mögen , sowie die Priester deiner heiligen Haine , im 
ganzen gegen vierhundert." Als nun auf des Königs 
Geheiss alle auf dem genannten Berge sich versammelt 
hatten, trat der Prophet Elias mitten unter sie und 
sprach: „Wie lange wollt ihr euch noch der wahren 
Einsicht verschliessen ? Haltet ihr den Gott eurer Väter 
für den wahren und alleinigen Gott, so folget ihm und 
seinen Geboten; achtet ihr ihn aber für nichts und 
glaubt ihr, dass den fremden Göttern eure Verehrung 
gebühre, so gebt euch diesen hin." Als das Volk hierauf 
nichts erwiderte, schlug Elias vor, er wolle, um die 
Macht der fremden Götter und ihres eigenen Gottes zu 
erproben, obgleich er nur allein dastehe, die anderen 
aber zu vierhundert seien, einen Ochsen nehmen, ihn 
schlachten und auf einen Holzstoss legen, ohne den- 
selben anzuzünden. Die anderen sollten dann das 
nämliche thun und ihre Götter anrufen, dass sie das 
Holz entzünden möchten. Aus dem Erfolge werde man 
den wahren Gott erkennen. Da dieser Vorschlag 
allgemeine Zustimmung fand, hiess Elias die anderen 
Seher zuerst den Ochsen opfern und ihre Götter an- 
rufen. Als sie aber trotz Gebet, Anrufung und Opfer 
nichts erreichten, rief ihnen Elias spöttisch zu, sie 
müssten ihre Götter lauter rufen, da sie vielleicht ver- 


528 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


reist seien oder schliefen. Sie fuhren dann bis zum 
Mittag mit ihren Bemühungen fort und zerfleischten 
sich nach ihrer Sitte mit Schwertern und Spiessen. Da 
schickte Elias sich ebenfalls an, sein Opfer darzubringen, 
hiess die anderen zurücktreten und bat das Volk, näher 
heranzukommen und acht zu geben, dass er nicht 
heimlich Feuer an das Holz lege. Hierauf nahm er 
zwölf Steine, der Zahl der Stämme entsprechend, er- 
baute aus ihnen einen Altar und grub rings um den- 
selben einen tiefen Graben. Dann legte er die Holz- 
stücke auf den Altar und liess vier Gefässe, die mit 
Quellwasser gefüllt waren, über denselben ausgiessen, 
sodass das Wasser ringsum herabfloss und den Graben 
füllte. Nach diesen Vorbereitungen flehte er zu Gott 
und bat, er möge dem verblendeten Volke seine Macht 
zeigen. Und siehe, plötzlich fiel Feuer vom Himmel, 
senkte sich vor den Augen des Volkes auf den Altar 
und verzehrte das Opfer nebst dem Wasser, sodass der 
Platz trocken wurde. 

6. Bei diesem Anblick fielen die Israeliten zur Erde 
nieder und beteten den einen Gott an, den sie den 
einzigen, wahren und höchsten Gott nannten, während 
sie alle anderen als thörichte und leere Einbildungen 
der Menschen bezeichneten. Auf Elias’ Befehl ergriffen 
sie sodann die falschen Propheten und töteten sie. Den 
König aber ermahnte Elias, er solle sich nach Hause 
zum Mahl begeben und übrigens ohne Sorge sein, denn 
in kurzem werde er sehen, dass Gott der Erde Regen 
sende. Achab entfernte sich darauf; Elias aber stieg 
auf den Gipfel des Karmel, setzte sich dort nieder, 
beugte sein Haupt bis zum Knie und befahl seinem 
Diener, sich auf eine hochragende Felsspitze zu begeben, 
aufs Meer hinauszuspähen und ihm Mitteilung zu 
machen, sobald er eine Wolke sich erheben sähe. Denn 
bis dahin war der Himmel noch rein und heiter. Der 
Diener ging und kehrte mehrmals mit der Nachricht 
zurück, er habe noch nichts gesehen; beim siebenten- 
mal aber meldete er, er habe etwas Schwarzes am 


Achtes Buch, IS. Kapitel. 


529 


Himmel erblickt, aber nicht grösser als eines Menschen 
JFussspur. Daraufhin schickte Elias zu Achab und liess 
ihm sagen, er möge eilends zur Stadt fahren, bevor des 
Himmels Schleusen sich öffneten. Der König begab 
sich alsdann {nach Jesraela. Gleich darauf verfinsterte 
sich der Himmel und überzog sich mit Wolken, und es 
erhob sich ein gewaltiger Sturm mit Platzregen. Der 
Prophet aber folgte unter dem Schutze Gottes dem 
"Wagen des Königs bis nach Jesraela. 

7. Als nun Achabs Gattin Jezabel erfuhr, welche 
Wunder Elias vollbracht und dass er ihre Seher habe 
töten lassen, erzürnte sie gewaltig und liess ihm drohen, 
sie werde ihn ebenso umbringen lassen , wie er ihre 
Seher umgebracht habe. Aus Schrecken hierüber floh 
Elias in eine Stadt mit Namen Bersubee, die an der 
äussersten Grenze des Stammes Judas nahe bei Idumaea 
liegt. Hier liess er seinen Diener zurück und begab 
sich allein in die Wüste. Dann verlangte er nach 
seinem Tode, da er nicht besser als seine Väter sei und 
nach deren Heimgang keine Freude mehr am Leben 
habe. Darauf legte er sich unter einen Baum und 
schlief ein. Doch weckte ihn bald etwas Unsichtbares 
auf, und als er sich erhob, fand er an seiner Seite 
Wasser und Brot stehen, womit er sich erquickte. Als- 
dann setzte er seinen Weg fort und kam zum Berge 
Sinai, wo Moyses von Gott die Gebote erhalten haben 
soll. Dort fand er eine tiefe Höhle, die er betrat und 
zu seinem Aufenthaltsort wählte. Plötzlich fragte ihn 
eine Stimme, von der er nicht wusste, woher sie kam, 
warum er die Stadt verlassen und sich hierher begeben 
habe. Er antwortete: Weil er die Seher der fremden 
Götter getötet und das Volk davon überzeugt habe, 
dass es nur einen Gott gebe, den sie von Anfang an 
verehrt hätten, und weil des Königs Gattin ihm deshalb 
nach dem Leben trachte. Darauf befahl ihm die 
Stimme, ins Freie zu treten, dann werde er erfahren, 
was er zu thun habe. Als er nun mit Tagesanbruch 
aus der Höhle herausging, fühlte er die Erde erbeben 

Joeephus’ Jüdische Altertümer. 34 



530 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und sah einen hellen Feuerglanz. Darauf wurde es 

wieder ruhig, und er vernahm Gottes Stimme, der ihn 

ermahnte , nichts zu befürchten , denn keiner seiner 

Feinde werde etwas über ihn vermögen. Er solle jetzt 

in sein Heim zurückkehren und zum König über sein 

Volk Jehu, den Sohn des Nemessaeus, zum König der 

damascenischen Svrer aber den Azael ausrufen. Statt 

* 

seiner selbst aber solle er den Elissaeus aus Abela zum 
Propheten ernennen. Das gottlose Volk werde dann 
teils durch Jehu, teils durch Azael umkommen. Elias 
kehrte nun in das Land der Hebräer zurück, und da 
er Elissaeus, den Sohn des Saphatus, antraf, wie er in 
Gemeinschaft mit einigen anderen zwölf Joch Ochsen 
am Pfluge lenkte, trat er auf ihn zu und warf ihm sein 
eigenes Gewand über. Sogleich fing Elissaeus an zu 
weissagen, verliess seine Ochsen und folgte dem Elias 
nach. Doch bat er noch um die Erlaubnis, von seinen 
Eltern Abschied nehmen zu dürfen; und als ihm dies 
gewährt wurde und er seinen Eltern Lebewohl gesagt 
hatte, ging er mit Elias und blieb während dessen 
Lebenszeit sein Schüler und Diener. 

8. Ein gewisser Nabuth, gebürtig aus Izara, hatte 
einen Acker, der an des Königs Besitzungen anstiess. 
Der letztere liess ihn nun ersuchen, ihm für einen be- 
liebigen Preis dieses an seinen Besitz grenzende Acker- 
stück abzutreten, da er damit sein Gut abrunden wolle. 
Wenn er aber kein Geld haben wolle, könne er 
auch einen beliebigen anderen Acker des Königs sich 
dafür aussuchen. Nabuth jedoch weigerte sich, darauf 
einzugehen, und erklärte, er wolle sein ererbtes Land 
selbst bebauen. Da nun der König sein Verlangen 
nicht erfüllt sah und dies für eine ihm angethane 
Schmach hielt, ärgerte er sich sehr und nahm weder 
Speise noch Trank zu sich. Jezabel fragte ihn, weshalb 
er so niedergeschlagen sei, dass er weder Bäder noch 
Mahlzeiten nehmen wolle. Der König erzählte ihr 
darauf, wie widerspenstig sich Nabuth benehme, und 
wie er trotz seines freundlichen Anerbietens, mit dem er 



Achtes Buch, 13. Kapitel. 


531 


sich beinahe unter seine Würde erniedrigt habe, ver- 
höhnt werde, da sein Wunsch nicht erfüllt worden sei. 
Jezabel aber ermunterte ihn, er solle sich dies nicht 
anfechten lassen, vielmehr seine Verstimmung ablegen 
und sich wieder seinen täglichen Beschäftigungen zu- 
wenden. Sie werde schon dafür sorgen, dass Nabuth 
seine Strafe erhalte. Und sogleich schrieb sie in Achabs 
Namen an die Vorsteher der Israeliten, sie sollten einen 
Fasttag anberaumen, eine Volksversammlung berufen 
und dem Nabuth den Vorsitz darin einräumen, da er 
aus edlem Geschlechte sei. Dann sollten sie drei ver- 
worfene Menschen anstiften, gegen ihn Zeugnis ab- 
zulegen, er habe Gott und den König gelästert, und 
alsbald ihn steinigen und so aus dem Wege räumen. 
Nabuth wurde auch wirklich, wie die Königin verlangt 
hatte, falsch angeklagt, Gott und den König gelästert 
zu haben, und das Volk tötete ihn mit Steinwürfen. 
Als Jezabel diese Nachricht erhielt, ging sie zum König 
und hiess ihn Nabuths Weinberg nunmehr umsonst in 
Besitz nehmen. Hierüber war Achab sehr erfreut, sprang 
von seinem Lager auf und ging hin, um Nabuths Wein- 
berg zu besichtigen. Gott aber sandte in seinem Zorn 
dorthin auch den Seher Elias, der den Achab fragen 
sollte, weshalb er den rechtmässigen Besitzer des Grund- 
stückes habe töten lassen und sich selbst ungesetz- 
mässigerweise dasselbe aneignen wolle. Als Elias nun 
erschien, fragte ihn der König, was er ihm zu verkünden 
habe, da er wohl die Schmach empfand, bei der Sünde 
selbst von dem Seher betroffen worden zu sein. Elias 
erwiderte ihm: Auf derselben Stelle, wo Nabuths 
Leichnam von Hunden verschlungen worden sei, solle 
auch das Blut des Königs und seiner Gattin vergossen 
und sein ganzes Geschlecht umgebracht werden, weil er 
den ungeheuren Frevel begangen babe , dem Gesetze 
zum Hohn einen Bürger zu töten. Da wurde Achab 
von Reueschmerz ergriffen, legte einen Sack an, ging 
mit blossen Füssen umher, fastete und bekannte seine 
Sünden. Und Gott liess sich versöhnen und verkündete 


34 * 




532 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihm durch den Seher, er wolle bei seinen Lebzeiten die 
Strafe nicht über sein Geschlecht kommen lassen, weil 
er seine Vergehen bereue, sondern erst unter dem Sohne 
Achabs seine Drohungen erfüllen. 


Vierzehntes Kapitel. 

Wie Adad, der König von Damaskus und Syrien, zweimal 
gegen Achab zu Felde zog und besiegt wurde. 

1. Als es mit Achab so stand, zog Adad, der König 
der Syrer und Damascener, alle Streitkräfte seines 
Landes zusammen, nahm sich zweiunddreissig kleine 
Fürsten aus dem Gebiete jenseits des Euphrat zu 
Bundesgenossen und marschierte gegen Achab. Dieser, 
der ihm an Heeresmacht nicht gewachsen war, wagte 
keine offene Feldschlacht, sondern drängte alle Be- 
wohner des Landes in die festesten Städte und blieb 
selbst in Samaria, das ausserordentlich stark befestigt 
war und uneinnehmbar erschien. Der König von Syrien 
aber schloss mit seinem ganzen Heere Samaria ein und 
belagerte die Stadt An Achab sandte er alsdann einen 
Herold und verlangte von ihm, er solle zunächst seine 
Gesandten empfangen , die ihm seinen Willen kund- 
machen würden. Als der König der Israeliten sich 
hierzu bereit erklärt hatte, erschienen die Gesandten 
und forderten, dass Achabs Schätze sowie seine Kinder 
und Frauen Eigentum Adads werden müssten. Sei er 
hiermit einverstanden und gestatte er dem Adad, alles 
zu nehmen, was ihm beliebe, so wolle dieser sein Heer 
zurückziehen und die Stadt von der Belagerung befreien. 
Darauf liess Achab durch die Gesandten dem Adad 
mitteilen, er* und alle die Seinigen seien Adads Eigen- 
tum. Als die Gesandten dies ihrem Herrn berichtet 
hatten, schickte er nochmals zu Achab und liess fordern, 
er solle, falls es ihm mit der Übergabe Ernst sei, am 
folgenden Tage Adads Krieger in die Stadt einlassen, 
die den Königspalast und die Häuser seiner Freunde 
und Verwandten durchsuchen, alles Kostbare mitnehmen 



Achtes Buch, 14. Kapitel. 


533 


und das, was ihnen nicht gefalle, dalassen würden. 
"Über diese zweite Botschaft des Königs der Syrer ent- 
rüstet, berief Achab das Volk zusammen und sprach: 
„Ich bin bereit, um eurer Rettung und um des Friedens 
willen meine Weiber und Kinder dem Feinde aus- 
zuliefern und auf meinen ganzen Besitz zu verzichten. 
Das liess ja der Syrer durch die erste Gesandtschaft 
fordern. Jetzt aber will er auch noch seine Knechte 
schicken, alle Häuser durchsuchen und nichts Wertvolles 
in unseren Händen lassen. Damit will er offenbar sich 
eine Ursache zum Kriege schaffen, indem er überlegt, 
dass ich wohl euretwegen gern mein Eigentum hingeben, 
es aber lieber zum Kriege kommen lassen werde, als 
dass euch etwas Schimpfliches widerfährt. Doch will 
ich thun, was euch gefällt.“ Das Volk sprach sich 
darauf gegen jede Nachgiebigkeit aus und beschloss, 
sich zum Kriege zu rüsten. Achab entliess deshalb die 
Gesandten mit dem Bescheid , das erste Verlangen wolle 
er um der Sicherheit seines Volkes willen erfüllen, von 
einer Befriedigung der zweiten Forderung dagegen könne 
keine Rede sein. 

2. Auf diese Nachricht hin geriet Adad in Wut 
und sandte zum drittenmal Boten an Achab mit der 
Drohung, er werde einen Wall um die Stadt auf werfen 
lassen, der noch höher sei als ihre Mauern, dip er 
übrigens lächerlich klein finde, und es brauche dazu 
jeder seiner Krieger nur eine Handvoll Erde herbei- 
zutragen. Achab entgegnete, das Prahlen mit den 
Waffen bringe noch keinen Ruhm , sondern nur das 
siegreiche Bestehen des Kampfes. Mit dieser Antwort 
kehrten die Gesandten zurück und trafen den König, 
wie er gerade mit den zweiunddreissig Fürsten speiste. 
Adad befahl darauf sogleich, die Stadt mit Wällen und 
Schanzen zu umgeben und nichts auf die Belagerung 
Bezügliche ausser acht zu lassen. Während dieser Zu- 
rüstungen geriet Achab und das gesamte Volk in grosse 
Angst. Bald jedoch fassten sie jvieder Mut, da ein 
Seher auftrat, der verkündete, Gott wolle die gewaltige 



534 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Masse der Feinde in ihre Hand geben. Und da der 
König fragte, durch wen er den Sieg erringen werde, 
entgegnete der Seher, durch die Söhne der Heerführer, 
doch müsse der König sie anführen, da sie noch un- 
erfahren seien. Demzufolge liess er die Söhne der 
Führer, im ganzen zweihundertzweiunddreissig, rufen, 
und da er erfahren hatte, der Syrer schwelge eben in 
den Freuden der Tafel, liess er die Thore öffnen und 
sandte die Jünglinge hinaus. Als dies dem Adad durch 
Kundschafter gemeldet worden war, schickte er den 
Jünglingen eine Abteilung Krieger entgegen mit dem 
Befehl, dieselben, wenn sie den Kampf versuchten, ge- 
fesselt zu ihm zu führen ; kämen sie aber in friedlicher 
Absicht, so sollten auch seine Leute sich ruhig ver- 
halten. Inzwischen hielt Achab das ganze Heer in der 
Stadt zum Ausfall bereit. Die Söhne der Führer nun 
wurden mit der Abteilung Krieger handgemein, töteten 
eine grosse Anzahl von ihnen und verfolgten die übrigen 
bis~ zum Lager. Als der König der Israeliten diesen 
Vorteil wahrnahm, liess er seine gesamten Truppen aus- 
rücken, die die Syrer unversehens angriffen, schlugen 
und zerstreuten. Denn da die Syrer keinen Ausfall er- 
wartet hatten, traf sie der Angriff wehrlos und berauscht, 
sodass sie unter Zurücklassung ihrer Rüstungen aus dem 
Lager entflohen, und selbst der König nur dank der 
Schnelligkeit seines Pferdes entkam. Achab verfolgte 
die Syrer noch lange und machte viele von ihnen 
nieder; dann plünderte er das Lager, welches einen 
grossen Reichtum an Gold, Silber, Wagen und Pferden 
auf wies, und kehrte nach der Stadt zurück. Der Seher 
aber ermahnte ihn, sein Heer gerüstet zu halten, da der 
König der Syrer im nächsten Jahre abermals gegen ihn 
zu Felde ziehen werde. 

3. Sobald Adad mit den Resten seines Heeres in 
Sicherheit war, pflog er mit seinen Freunden Rat, wie 
er die Israeliten wieder angreifen könne. Diese waren 
der Meinung, man solle nicht mehr im Gebirge mit 
ihnen kämpfen, weil ihr Gott dort besonders mächtig 


Achtes Buch, 14. Kapitel. 


535 


sei. Aus diesem Grunde seien sie auch jetzt von ihnen 
besiegt worden, während sie bei einer Schlacht in der 
Ebene sicher die Oberhand behalten würden. Weiterhin 
rieten sie ihm, die Fürsten, die er zu Bundesgenossen 
hatte, in ihre Heimat zu entlassen, deren Truppen aber 
bei sich zu behalten und seine Satrapen an die Stelle 
der Fürsten zu setzen. Auch solle er, um den Verlust 
zu decken, den er erlitten, Truppen, Wagen und Pferde 
in deren Land ausheben lassen. Dieser Kat gefiel dem 
Adad , und so traf er ungesäumt die nötigen Zu- 
rüstungen. 

4. Beim Beginn des Frühlings zog er dann mit 
seiner Streitmacht gegen die Israeliten nnd schlug bei 
der Stadt Apheka in einer weiten Ebene sein Lager auf. 
Achab marschierte ihm mit seinen Truppen entgegen 
und lagerte sich ihm gegenüber; doch war sein Heer, 
im Vergleich zu dem des Feindes nur klein. Und 
wiederum erschien der Seher bei Achab und verkündete 
ihm, Gott werde ihm den Sieg verleihen, da er den 
Syrern beweisen wolle, dass seine Macht in der Ebene 
nicht geringer als im Gebirge sei. Sieben Tage lang 
blieben die beiderseitigen Heere nun ruhig einander 
gegenüber liegen. Als aber am letzten dieser Tage der 
Feind beim Morgengrauen sein Heer in Schlachtordnung 
aufstellte, rüstete sich auch Achab zum Kampfe, und es 
gelang ihm, in heisser Schlacht den Feind zu werfen 
und bei der Verfolgung noch viele von dessen Leuten 
zu töten. Auch kam ein grosser Teil von ihnen dadurch 
um, dass sie teils unter die Räder der Wagen gerieten, 
teils von ihren eigenen Kampfgenossen umgebracht 
wurden, und nur wenigen war es möglich, sich nach 
Apheka zu retten, das in ihrem Besitz war. Doch 
kamen auch diese, siebenundzwanzigtausend an der 
Zahl, noch um, indem sie von den einstürzenden 
Festungsmauern erschlagen wurden. Im Treffen selbst 
waren hunderttausend Mann gefallen. Adad floh mit 
einigen seiner vertrautesten Freunde und verbarg sich 
in einem unterirdischen Gelasse. Seine Gefährten teilten 




536 


Joseplius’ Jüdische Altertümer. 


ihm nun mit, die Könige der Israeliten seien freundlich 
und milde, sodass sie hofften, von Achab ihre Be- 
gnadigung zu erlangen, wenn sie ihn feierlich darum 
bäten. Der König gab seine Einwilligung, worauf sie 
Säcke anlegten, dünne Stricke um ihr Haupt wanden 
(das ist ein alter Gebrauch bei den Syrern, wenn sie 
Bitten Vorbringen wollen) und sich zu Achab begaben. 
Hier baten sie um Schonung des Lebens ihres 
Königs, wofür sie Achab ewig dankbar zu sein ver- 
sprachen. Dieser wünschte ihnen Glück dazu, dass dem 
Adad in der Schlacht nichts widerfahren sei, und ver- 
sprach ihm alle Ehre und Freundlichkeit angedeihen 
lassen zu wollen , gerade wie wenn er sein Bruder sei. 
Als sie darauf noch die eidliche Zusage erhalten hatten, 
es werde ihrem Könige kein Haar gekrümmt werden, 
holten sie denselben aus seinem Versteck hervor und 
geleiteten ihn auf einem Wagen zu Achab. Adad warf 
sich ihm zu Füssen; Achab aber reichte ihm die Hand, 
liess ihn seinen Wagen wieder besteigen, küsste ihn und 
hiess ihn wohlgemut und ohne Furcht sein. Adad 
dankte ihm und versprach, zeitlebens seiner Güte ein- 
gedenk bleiben zu wollen. Die israelitischen Städte, 
die seine Vorgänger erobert hätten, wolle er zurückgeben, 
und Damaskus werde Achab stets ebenso offenstehen, 
wie Samaria seinen Vätern. Darauf besiegelten sie ihre 
Freundschaft mit einem Eidschwur, und Achab entliess 
den Adad mit reichen Geschenken. Das war der Aus- 
gang des Krieges, den Adad, der König der Syrer, gegen 
Achab und die Israeliten führte. 

5. Es kam aber ein Seher mit Namen Michaeas zu 
einem Israeliten und befahl ihm, er solle ihm das Haupt 
zerfleischen, weil das Gottes Wille sei. Als dieser aber 
sich dessen weigerte, verkündete ihm der Seher, er werde 
von einem Löwen zerrissen werden, weil er Gott nicht 
gehorcht habe. Das traf auch wirklich ein, und der 
Seher begab sich sodann zu einem anderen mit dem- 
selben Begehren. Als dieser ihn nun verwundet hatte, 
verband sich Michaeas den Kopf, ging zum Könige und 



Achtes Buch, 15. Kapitel. 


537 


sagte ihm, er habe unter ihm gestritten und von einem 
Obersten einen Gefangenen zur Bewachung erhalten. 
Da dieser ihm aber entsprungen sei, fürchte er, von dem 
Obersten mit dem Tode bestraft zu werden, was ihm 
für den Fall, dass der Gefangene entweiche, angedroht 
worden sei. Achab entgegnete , damit geschehe ihm 
nur recht; der Seher aber nahm die Binde vom Kopf 
und gab sich zu erkennen. Er hatte diese List an- 
gewendet, um den König mit seinen eigenen Worten 
zu fangen. Demgemäss sprach er: „Weil du Adad, der 
Gott gelästert, ungestraft hast entkommen lassen, so 
wird Gott dich strafen und dich durch Adads Hand, 
dein Volk aber durch sein Heer umkommen lassen “ 
Da übermannte den Achab der Zorn, und er befahl, den 
Seher ins Gefängnis zu werfen. Gleichwohl aber ward 
er durch Michaeas’ Worte tief erschüttert und begab 
sich in seinen Palast. 


Fünfzehntes Kapitel. 

Von Josaphat, dem Könige zu Jerusalem. Wie Achab im 
Kampfe gegen die Syrer fiel. 

1. Ich wende mich nunmehr wieder zu Josaphat, dem 
Könige in Jerusalem. Dieser dehhte seine Macht aus 
und legte Besatzungen nicht nur in die Städte der von 
ihm unterjochten Völker, sondern auch in diejenigen 
Städte des Stammes Ephraim, welche sein Grossvater 
Abias weggenommen hatte, als Jeroboam über die zehn 
Stämme herrschte. Der Herr erzeigte sich ihm gnädig und 
hilfreich, weil er ein gerechter und frommer Mann war 
und täglich nur darauf sann, wie er Gottes Wohlgefallen 
erlangen könne. Alle ringsum wohnenden Könige be- 
zeugten ihm durch Geschenke ihre Verehrung, sodass 
er sich grossen Reichtum und glänzenden Ruhm er- 
warb. 

2. Im dritten Jahre seiner Regierung liess er die 
Vorsteher des Landes nebst den Priestern zusammen- 




538 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


rufen und befahl ihnen, im Lande umherzuziehen und 
alle seine Unterthanen im Gesetze des Moyses zu 
unterrichten, damit sie dasselbe befolgen lernten und Gott 
eifrig verehrten. Darüber freute sich das ganze Volk so 
sehr, dass sie auf nichts mehr bedacht waren und nichts 
so sehr liebgewannen als die Beobachtung der Gesetze. 
Josaphats Nachbarn fuhren fort, ihn zu achten, und 
hielten Frieden mit ihm. Die Palaestiner entrichteten 
ihm einen bestimmten Tribut, und die Araber lieferten 
ihm jährlich dreihundertsechzig Lämmer und ebenso viele 
Böcke. Er legte auch grosse und wohlbefestigte Städte 
an und hielt sein Heer und seine Kriegsrüstung stets in 
Ordnung. Seine Truppen bestanden in dreihundert- 
tausend Schwerbewaffneten aus dem Stamme Judas 
unter Führung des Ednaeus und weiteren zweihundert- 
tausend unter Joannes, der auch noch zweihunderttausend 
Bogenschützen aus dem Stamme Benjamin befehligte. 
Ein dritter Anführer mit Namen Ochobatus hatte 
hundertachtzigtausend Schwerbewaffnete unter sich, und 
dazu kamen noch die Besatzungen der festen Plätze. 

3. Seinem Sohne Joram vermählte er die Gotholia, 
die Tochter Achabs, des Königs der zehn Stämme. Als 
er kurz darauf sich nach Samaria begab, nahm ihn 
Achab freundlich auf, bewirtete seine Begleitmannschaft 
glänzend mit Brot, Wein und Fleisch und bat den 
Josaphat zuletzt, er möge sich mit ihm gegen den 
Syrerkönig verbünden, um die Stadt Aramatba im 
Galadenerlande zurückzuerobern, die der Vater de6 
Syrers seinem eigenen Vater weggenommen hatte. 
Josaphat sagte ihm die Hilfe mit einem gleich grossen 
Heere, wie das seinige sei, zu und liess seine Truppen 
von Jerusalem nach Samaria entbieten. Darauf zogen 
die beiden Könige aus der Stadt und nahmen jeder auf 
einem Throne Platz, um ihren Kriegern den Sold aus- 
zahlen zu lassen. Unterdessen befahl Josaphat, die 
Propheten zu rufen und sie zu befragen, ob der Feldzug 
gegen den Syrer um diese Zeit ratsam sei. Denn Achab 
hatte schon drei Jahre mit dem Syrer in Frieden und 



Achtes Buch, 15. Kapitel. 


539 


Freundschaft gelebt, seitdem er ihn aus der Gefangen- 
schaft entlassen hatte. 

4. Achab berief darauf seine Seher, etwa vierhundert 
an der Zahl, und hiess sie Gott befragen, ob er ihm, 
wenn er gegen Adad zu Felde ziehe, den Sieg verleihen 
und die Stadt, um deretwillen er den Krieg unternehme, 
ihm überliefern wolle. Als diese ihm nun rieten, den 
Kriegszug zu unternehmen, da er den Syrer wie früher 
besiegen und gefangen nehmen werde, argwöhnte 
Josaphat, es möchten falsche Seher sein und fragte den 
Achab, ob nicht ein anderer Prophet Gottes da sei, von 
dem sie etwas Sicheres über die Zukunft erfahren 
könnten. Achab entgegn ete, es sei wohl noch einer da, 
der aber sei ihm verhasst, weil er ihm prophezeit habe, 
er werde vom Könige der Syrer überwunden und getötet 
werden. Deshalb habe er ihn ins Gefängnis werfen 
lassen. Er heisse Michaeas und sei des Jemblaeus Sohn. 
Als nun Josaphat darauf bestand, dass er vorgeführt 
werde, schickte Achab einen Verschnittenen, um den 
Michaeas zu holen. Dieser teilte unterwegs dem Pro- 
pheten mit, dass alle anderen Seher dem Könige den 
Sieg vorhergesagt hätten. Michaeas aber gab zur Ant- 
wort, er dürfe Gott keine Lügen andichten und werde 
dem König nur das verkünden, was Gott ihm eingebe. 
Als er nun zu Achab kam, und dieser ihn bei Gott be- 
schwor, ihm die Wahrheit zu sagen, liess er sich also 
vernehmen: „Gott hat mir die Israeliten auf der Flucht 
gezeigt, verfolgt von den Syrern und im Gebirge zer- 
streut wie Herden, die ihren Hirten verloren haben.“ 
Dann fügte er hinzu, Gott habe ihm verkündigt, Achab 
werde in der Schlacht fallen, die anderen aber würden 
unversehrt entkommen. Nach diesen Worten des 
Michaeas sprach Achab zu Josaphat: „Habe ich dir 
nicht gesagt, wie übel dieser Mensch gegen mich gesinnt 
ist, und wie er mir immer Widerwärtiges prophezeit?“ 
Michaeas aber entgegnete: „Auf Gottes Worte muss man 
immer hören. Die falschen Seher treiben dich in den 
Krieg mit der Hoffnung auf Sieg, während du doch 



540 


Josephus’ Jüdisch« Altertümer. 


umkommen wirst.“ Der König geriet hierüber in Angst 
und Unruhe; Sedekias aber, einer von den falschen 
Propheten, trat heran und ermahnte ihn, auf Michaeas 
nicht zu achten, denn dieser sage die Unwahrheit. Zum 
Beweise führte er den Propheten Elias an, der jeden- 
falls besser die Zukunft habe Vorhersagen können als 
Michaeas. „Dieser,“ sagte er, „hat dir ge weissagt, 
die Hunde würden in Nabuths Weinberg bei der 
Stadt Izara dein Blut lecken, wie sie auch Nabuths 
Blut geleckt hätten, weil auf deine Veranlassung das 
Volk den Nabuth zu Tode gesteinigt habe. Es ist also 
klar, dass Michaeas lügt, da er entgegen dem besseren 
Propheten sich nicht scheut, zu behaupten, du werdest 
in drei Tagen sterben. Nun aber soll es offenkundig 
werden, ob er ein wirklicher Seher ist und Gottes Geist 
in sich hat. Ist dies der Fall, so mag er. wenn ich ihn 
jetzt mit meiner Hand schlage, diese Hand erstarren 
lassen, wie Jadon die rechte Hand des Königs Jeroboam 
erstarren liess, als dieser ihn ergreifen lassen wollte. 
Davon hast du doch wohl schon gehört.“ Als er nun 
den Michaeas schlug und ihm nichts darauf widerfuhr, 
liess Achab seine Furcht fahren und beschloss, sogleich 
gegen den Syrer zu ziehen. Er unterlag, wie ich glaube, 
seinem Verhängnis, das dem falschen Seher mehr 
Glaubwürdigkeit als dem wahren verlieh, damit sein 
Geschick sich unverzüglich erfülle. Sedekias aber ver- 
fertigte sich eiserne Hörner und erklärte dem Achab, 
Gott habe ihm verkündigt, er werde damit Syrien ver- 
nichten. Michaeas prophezeite darauf, Sedekias werde 
nach einigen Tagen von Gemach zu Gemach fliehen 
und ein Versteck suchen, um der Strafe für seine falsche 
Weissagung zu entgehen. Der König aber gebot, ihn 
zu Achamon, dem Befehlshaber der Stadt, zu führen, 
der ihn ins Gefängnis werfen und ihm nur Brot und 
Wasser verabfolgen lassen solle. 

5. Achab und Josaphat brachen also mit ihren 
Heeren auf und zogen nach Aramatha im Galaditer- 
lande. Sobald der König der Syrer hiervon Kunde 



Achte« Buch, 15. Kapitel. 


541 


erhielt, marschierte er ihnen entgegen und schlug 
unweit Aramatha sein Lager auf. Achab und Josaphat 
aber kamen überein, ersterer solle sein königliches Ge- 
wand ablegen, Josaphat aber mit Achabs Gewand in 
die Schlacht ziehen, um so die Prophezeiung des 
Michaeas zu nichte zu machen. Aber das Verhängnis 
traf den Achab auch ohne seine Königsabzeichen. Adad 
liess nämlich den Kriegern durch ihre Obersten be- 
fehlen, sie sollten keinen anderen töten, als den König 
der Israeliten. Als die Schlacht nun begonnen hatte 
und die Syrer den Josaphat vor der Schlachtreihe stehen 
sahen, hielten sie ihn für Achab, drangen auf ihn ein 
und umzingelten ihn. Doch merkten sie bald ihren 
Irrtum und wandten sich anderswohin. Obwohl nun das 
Treffen vom Morgen bis zum Abend währte und die 
Syrer im Vorteil waren, töteten sie doch nach dem Be- 
fehle ihres Königs niemand und suchten nur den Achab, 
konnten ihn aber nicht finden. Endlich schleuderte ein 
Trabant des Königs Adad mit Namen Aman aufs ge- 
ratewohl seinen Speer gegen die Feinde und traf den 
König durch den Panzer hindurch in die Lunge. Achab 
suchte das Unglück, das ihn betroffen, dem Heere zu 
verheimlichen, um es nicht zur Flucht zu veranlassen. 
Er befahl daher seinem Wagenlenker, den Wagen zu 
wenden und ihn aus dem Schlachtgetümmel zu führen, 
weil er schwer verwundet sei. Und obgleich er heftig 
litt, blieb er doch bis Sonnenuntergang auf dem Wagen. 
Dann aber verlor er die Besinnung und starb. 

6. Mit Anbruch der Nacht zog das syrische Heer 
sich ins Lager zurück. Als aber ein Herold verkündigt 
hatte, Achab sei tot, wurde der Rückzug nach Hause 
angetreten. Achabs Leichnam brachte man nach 
Samaria und bestattete ihn hier. Als nun sein Wagen, 
der mit dem Blute des Königs bespritzt war, in einer 
Quelle bei Izara gereinigt wurde, ging des Elias Pro- 
phezeiung in Erfüllung: denn die Hunde kamen herzu 
und leckten das Blut auf. Für die Folgezeit blieb es 
Sitte, dass in dieser Quelle die Dirnen badeten. Der 




542 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Ort, wo Achab aus dem Leben schied, hiess Ramathon, 
wie Michaeas dies vorhergesagt hatte. Da sich also an 
Achab die Weissagungen zweier Propheten erfüllt haben, 
so müssen wir daran die Grösse Gottes erkennen und 
ihn stets verehren und anbeten. Auch können wir 
daraus lernen, dass wir nie Gunst und Eigenwillen der 
Wahrheit vorziehen dürfen, und dass die Prophezeiung 
und die Kenntnis der Zukunft die nützlichste Einrichtung 
ist, weil wir dadurch den Willen Gottes erfahren und 
vor dem gewarnt werden, was uns Schaden bringen 
kann. Aus dem Geschicke des Königs aber können 
wir auf die Macht des Verhängnisses schliessen, dem 
man, auch wenn man es im voraus kennt, nicht zu ent- 
gehen vermag, das vielmehr die Gemüter der Menschen 
nur deshalb mit trügerischer Hoffnung umschmeichelt, 
um sie dahin zu locken, wo es sie treffen kann . 1 So 
scheint auch Achab von seinem Verhängnis getäuscht 
worden zu sein und dadurch sein Leben eingebüsst zu 
haben, da er der Verkündigung seines Unterganges nicht 
traute, vielmehr denen Glauben schenkte, die ihm seinem 
Wunsche gemäss weissagten. In der Regierung folgte 
ihm sein Sohn Ochozias. 


1 Lehre der Pharisäer. 




Neuntes Buch. 

Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 150 Jahren. 

Inhalt. 

1. "Wie Joram, Achabs Sohn, die Moabiter angriff und besiegte. 

2. Wie der mit ihm gleichnamige König zu Jerusalem, Joram, die 

Herrschaft über das ganze Reich erlangte und seine Brüder 
sowie die Freunde seines Vaters töten Hess. 

3. Wie Idumaea von ihm abfiel und die Araber ihn angriffen, und 

wie sein ganzes Heer nebst allen seinen Söhnen mit Aus- 
nahme eines einzigen, der noch ein Kind war, umkam. Wie 
er selbst ein gottloses Leben führte und eines elenden Todes 
starb. 

4. Kriegszug des Königs von Syrien und Damaskus gegen Joram, 

den König der Israeliten. Wie Joram in Samaria belagert 
ward, aber wider Erwarten der Gefahr entging. 

5. Wie Joram samt seinem ganzen Geschlechte und Ochozias, 

dem Könige zu Jerusalem, vom Reiteroberst Jehu umgebracht 
wurde. 

6. Wie nach seinem Tode über die Israeliten Jehu herrschte, der 

zu Samaria residierte , und dann dessen Söhne bis ins vieTte 
Geschlecht. 

7. Wie ein Weib Namens Gotholia fünf Jahre lang in Jerusalem 

regierte, und wie der Hohepriester Jodaus sie umbringen liess 
und Joas, den Sohn des Ochozias, als König einsetzte. 

8. Kriegszag fies damascenischen Königs Azael gegen die Israe- 

liten. Wie er ihrem Lande und der Stadt Samaria grossen 
Schaden zufügte, kurz darauf nach Jerusalem zog, sich von 
dessen König eine grosse Geldsumme zahlen liess und dann 
nach Damaskus zurückkehrte. 

9. Wie Amasias, der König zu Jerusalem, einen Feldzug gegen 

die Idumäer und Amalekiter unternahm und sie besiegte. 

10. Wie derselbe den König der Israeliten, Joas, mit Krieg überzog, 
von diesem aber in einem Treffen gefangen genommen und 
erst nach Erlegung einer grossen Geldsumme wieder in sein 
Reich entlassen wurde. Wie sein Sohn Ozias die benachbarten 
Völkerschaften unterjochte. 



544 


J osephus’ J üdische Altertümer. 


11. Jeroboam, König der Israeliten, unternimmt einen Feldzug nach 

Syrien und trfigt den Sieg davon. 

12. Wie der König der Assyrier mit einem Heere gegen S&maria 

zog, vom Könige Phakeas eine grosse Geldsumme erpresste 
und dann wieder in sein Gebiet zur&ckkehrte. 

IS. Wie Arases, König der Damascener, ein Heer gegen Jerusalem 
führte und den König Achaz so in die Enge trieb, dass dieser 
reiche Geschenke an den König der Assyrier sandte und ihn 
dadurch bewog, Damaskus zu belagern. 

14. Wie der König der Assyrier Damaskus eroberte, dessen König 

umbrachte, das Volk nach Medien wegführte und dafür andere 
Völkerschaften in Damaskus ansiedelte. 

15. Wie Salmanasar, der König von Assyrien, Samaria angriff , die 

Stadt nach fünfjähriger Belagerung einnahm und den König 
Oseas töten liess. Wie er darauf die zehn Stämme der Israe- 
liten nach Medien wegführte und in deren Land aus Persien 
das Volk der Chuthäer einwandern liess, welche die Griechen 
Samariter nennen. 


Erstes Kapitel. 

Weiteres von Josaphat. Wie er Richter einsetzte und mit 
Gottes Hilfe seine Feinde besiegte. 

1. Als der König Josaphat von dem Kriegszug gegen 
den Syrerkönig Adad, in welchem er dem Könige der 
Israeliten Achab Hilfe geleistet hatte, nach Jerusalem 
zurückkehrte, ging ihm der Prophet Jehu entgegen und 
machte ihm Vorwürfe darüber, dass er mit dem gott- 
losen und verruchten Achab ein Bündnis eingegangen 
sei. Gott habe das ungern gesehen, ihn aber dennoch, 
obgleich er sich verfehlt, den Händen der Feinde ent- 
rissen, weil er guten und gottesfürchtigen Gemütes sei. 
Daraufhin dankte der König dem Herrn und brachte ihm 
Opfer dar. Alsdann begann er sein ganzes Reich zu 
bereisen und unterwies das Volk in den Gesetzen, die 
Gott durch Moyses gegeben, sowie in der Verehrung 
Gottes. Ferner setzte er in jeder seiner Städte Richter 
ein und ermahnte sie, bei der Urteilsfällung nur von 
der Gerechtigkeit sich leiten zu lassen und weder auf 
Geschenke, noch auf die hohe Stellung derjenigen Rück- 
sicht zu nehmen, die durch Reichtum oder edle Abkunft 




Neuntes Buch, 1 . Kapitel. 


545 


sich auszeichneten. Vielmehr sollten sie nur nach den 
Grundsätzen der Billigkeit urteilen und bedenken, dass 
Gott alles wahrnehme, wenn es auch im Verborgenen 
geschehe. Als er dies in jeder Stadt der beiden Stamme 
verkündigt hatte, kehrte er nach Jerusalem zurück und 
wählte auch hier aus den Priestern, Leviten und Vor- 
nehmen des Volkes Richter aus , die er ermahnte, bei 
allen ihren Urteilen genau und gerecht zu Werke zu 
gehen. Wenn aber schwierige Rechtsfragen aus anderen 
Städten ihnen zur Entscheidung vorgelegt würden, 
sollten sie noch mehr Fleiss auf ein gerechtes Urteil 
verwenden , da es angemessen sei , dass die gerechtesten 
Urteile in der Stadt gefallt würden , wo der Tempel 
Gottes stehe und der König seinen Wohnsitz habe. Zu 
Vorsitzenden dieses Gerichtskollegiums ernannte er den 
Priester Amasias und den Zabadias, beide aus dem 
Stamme Judas. So wurde alles vom Könige geordnet. 

2. Um diese Zeit überzogen ihn die Moabiter und 
Ammaniter nebst einer grossen Schar Araber mit Krieg 
und schlugen ihr Lager bei der dreihundert Stadien von 
Jerusalem am See Asphaltis gelegenen Stadt Engaddi 
auf, wo schöne Palmen und Opobalsamstauden wuchsen. 
Da nun Josaphat hörte, die Feinde seien über den See 
gegangen und bereits in sein Land eingefallen, erschrak 
er sehr, versammelte das Volk von Jerusalem im Vor- 
hofe des Tempels, stellte sich dem Giebel des Tempels 
gegenüber und flehte zu Gott, er möge ihm Kraft und 
Stärke verleihen , um die Feinde abwehren zu können. 
So hätten ihn ja auch die Erbauer dieses Tempels an- 
gefleht, dass er die Stadt beschützen und alle, die sie 
Anzugreifen wagten, Zurückschlagen möge. Jetzt griffen 
seine Feinde ihn in der Absicht an, ihn aus dem Besitz 
des Landes zu verdrängen, das Gott selbst ihm an- 
gewiesen habe. So bat er selbst und das gesamte Volk 
mit Weibern und Kindern unter Wehklagen zu Gott. 
Da trat ein Seher, Jaziel mit Namen, mitten unter das 
Volk, erhob seine Stimme und sprach zum Könige und 
dem Volke, Gott habe ihr Gebet erhört und werde selbst 

Josephus’ J ildische Altertümer. 35 



546 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


mit ihren Feinden kämpfen. Dem Könige befahl er 
alsdann, er solle am folgenden Tage mit seinem Heere 
dem Feinde entgegenziehen. An einem Abhang zwischen 
Jerusalem und Engaddi, „der Gipfel“ genannt, würde 
er die Feinde an treffen. Doch solle er sich nichtsogieich 
mit ihnen auf einen Kampf einlassen, vielmehr still- 
halten und abwarten, wie Gott mit ihnen streiten werde. 
Als der Seher so geredet, beugte sich der König mit 
dem Volke zur Erde, dankte Gott und betete ihn an; 
darauf sangen die Leviten unter Musikbegleitung Gott 
dem Herrn Loblieder. 

3. Mit Tagesanbruch zog der König in die Wüste, 
die unterhalb der Stadt Thekoa lag, und sprach zum 
Volke, man müsse den Worten des Sehers Glauben 
schenken und dürfe nicht zum Kampfe schreiten, sondern 
müsse im ersten Gliede die Priester mit den Posaunen 
so wie die Leviten und Sänger aufstellen, um Gott zu 
danken, als wenn er das Land schon vom Feinde be- 
freit hätte. Dieser Rat gefiel allseitig, und man setzte 
ihn sogleich ins Werk. Gott aber flösste den Amma- 
nitern Furcht und Entsetzen ein, und indem sie einer 
den anderen für Feinde hielten, töteten sie sich gegen- 
seitig, sodass auch nicht ein Mann von dem gewaltigen 
Heere mit dem Leben davonkam. Als nun Josaphat 
den Blick nach dem Thale wandte, wo das feindliche 
Lager stand, und dasselbe ganz mit Leichen bedeckt 
sah, freute er sich über die unerwartete Hilfe Gottes, 
der ihnen ohne alle Anstrengung ihrerseits den Sieg 
verliehen hatte, und gestattete seinen Kriegern, daa 
feindliche Lager und die Leiber der Gefallenen zu 
plündern. Nachdem aber das Kriegsvolk drei Tage 
lang Beute gesammelt hatte, war es ganz erschöpft: sn 
gross war die Menge der Getöteten. Am vierten Tage 
versammelte sich alsdann das ganze Volk in einer 
Schlucht und pries Gottes Macht und Hilfe, weshalb 
dieser Ort „Thal der Danksagung“ genannt wurde. 

4. Als nun der König das Heer wieder nach Jeru- 
salem geführt hatte, beging man eine Reihe von Feier- 




Neuntes Buch, 2. Kapitel. 


547 


tagen unter Opfern und Schmausereien. Die Nachricht 
von dieser Niederlage der Feinde gelangte übrigens 
auch zu den auswärtige!! Völkerschaften, die alle von 
Furcht vor Josaphat erfüllt wurden, da sie erkannt 
hatten, dass Gott sein beständiger Helfer sei. Von 
dieser Zeit an führte Josaphat ein ruhmreiches Leben, 
das er nur seiner Gerechtigkeit und Frömmigkeit ver- 
dankte. Er hielt auch Freundschaft mit Achabs Sohn, 
dem Könige der Israeliten, und schloss mit ihm ein 
Bündnis dahin, dass sie Schiffe ausrüsteten, die zum 
Pontus und den Handelsplätzen Thrakiens fahren sollten. 
Da aber die Fahrzeuge zu gross waren und deshalb zu 
Grunde gingen, stand er von der Erbauung weiterer 
Schiffe ab. 


Zweites Kapitel. 

Von Ochozias, dem Könige der Israeliten. 

Weiteres von dem Propheten Elias. 

1. Über die Israeliten herrschte Achabs Sohn Ochozias, 
der in Samaria residierte. Er war ein gottloser Mann 
und in allem seinen Eltern gleich wie dem Jeroboam, 
der zuerst die Schandthat begangen hatte, das Volk zu 
verführen. Im zweiten Jahre seiner Regierung fiel der 
König der Moabiter von ihm ab und verweigerte die 
weitere Tributzahlung. Eines Tages stieg Ochozias vom 
Söller seines Hauses herab und fiel auf der Treppe, und 
da er infolgedessen krank ward, schickte er zur Göttin 
Muska in Akkaron, um sich bei ihr wegen seiner 
Heilung Rat zu holen. Der Gott der Hebräer aber 
erschien dem Seher Elias und befahl ihm, den Boten 
entgegenzugehen und sie zu fragen, ob die Israeliten 
denn keinen Gott hätten , dass ihr König zu einem 
fremden Gott schicke, um ihn bezüglich seiner Heilung 
zu befragen. Dann solle er ihnen gebieten , zurück- 
zukehren und dem Könige zu melden , dass er von 
seiner Krankheit nicht mehr genesen werde. Elias that, 
wie ihm befohlen war, und die Boten begaben sich, 

35 * 


Go gle 



548 


Joaephus' Jüdische Altertümer. 


nachdem sie des Sehers Bescheid erhalten hatten, wieder 
zum Könige. Als dieser sich über ihre schnelle Rück- 
kehr wunderte und sie nach dem Grunde derselben 
fragte, erwiderten sie, es sei ihnen ein Mann begegnet, 
der ihnen befohlen habe, nicht weiter zu reisen, sondern 
umzukehren und im Aufträge des Gottes der Israeliten 
dem Könige zu verkündigen, seine Krankheit werde 
sich verschlimmern. Und da der König ihnen befahl, 
den Mann näher zu beschreiben, erzählten sie, es sei 
ein rauhbeb aarter, mit Fellen umgürteter Mann gewesen. 
Daraus schloss der König, dass sie Elias gesehen, und 
schickte einen Obersten mit fünfzig Mann ab, um ihn 
zu ergreifen und zu ihm zu führen. Als nun der Oberste 
ihn auf dem Gipfel eines Berges sitzen sah, befahl er 
ihm, herabzusteigen und mit zum Könige zu kommen 
— denn das sei des Königs Anordnung — , und wenn 
Elias nicht gutwillig mitgehe, müsse er Gewalt brauchen. 
Elias entgegnete ihm, er wolle beten, dass Feuer vom 
Himmel falle und ihn mit seinen Kriegern vernichte; 
daran werde er erkennen, dass er einen wahren Pro- 
pheten vor sich habe. Elias betete nun, und sogleich 
fiel Feuer vom Himmel und verzehrte den Obersten 
samt seinen Leuten. Als der König das vernahm, geriet 
er in Zorn und sandte einen anderen Obersten mit 
ebenso vielen Kriegern ab. Dieser drohte gleichfalls dem 
Seher, er werde ihn mit Gewalt wegführen, wenn er nicht 
gutwillig herabsteige, worauf Elias wieder Feuer vom 
Himmel herabflehte, das jenen ebenso wie den anderen 
Obersten dahinraffte. Der König aber sandte noch einen 
dritten Obersten gegen Elias aus. Dieser war ein kluger 
und sanfter Mann, und als er zu dem Berge kam, wo 
Elias sich aufhielt, umschmeichelte er ihn freundlich 
und sagte, der Prophet wisse doch wohl, dass er nur 
ungern dem Befehle des Königs gefolgt sei und dass er 
nicht wie die anderen Obersten willig, sondern not- 
gedrungen zu ihm komme. Darauf bat er ihn, er möge 
sich doch seiner und seiner Leute erbarmen und herab- 
steigen, um mit ihnen zum Könige zu gehen. Durch 




Neuntes Buch, 3. Kapitel. 


549 


diese freundlichen Worte und das höfliche Benehmen 
des Mannes liess sich Elias denn auch bewegen, hinab- 
zusteigen und sich ihm als Begleiter anzuschliessen. Als 
er nun zum Könige gekommen war, weissagte er ihm 
und verkündete ihm auf Gottes Geheiss: „Weil du Gott 
verachtet hast, als wenn er kein Gott sei und dir über 
deine Genesung nichts verkündigen könne, sondern zu 
der Göttin in Akkaron geschickt hast, |um von ihr den 
Ausgang deiner Krankheit zu erfahren, so sollst du 
wissen, dass du an der Krankheit sterben wirst." 

2. Kurz darauf starb er auch, wie Elias vorausgesagt 
hatte, und da er keine Kinder hinterliess, folgte ihm in 
der Regierung sein Bruder Joram. Dieser Joram, der 
an Schlechtigkeit seinem Vater Achab nicht nachstand, 
regierte zwölf Jahre in Lasterhaftigkeit und Gottlosig- 
keit; denn er verliess den Dienst des wahren Gottes 
und verehrte fremde Götter, wenn er auch sonst ein 
strebsamer und thatkraftiger Herrscher war. Um diese 
Zeit wurde Elias den Augen der Menschen entrückt, 
und es weiss niemand bis auf den heutigen Tag, welches 
sein Ende gewesen sei. Doch liess er seinen Schüler 
ElissaeuB zurück, von dem schon oben die Rede war. 
Übrigens steht sowohl von Elias als auch von Enoch, 
der vor der Sintflut lebte, in den heiligen Büchern ge- 
schrieben, dass sie verschwunden seien, ohne dass jemand 
über ihren Tod etwas habe erfahren können. 


Drittes Kapitel. 

Wie Joram und Josaphat gegen die Moabiter zu Felde zogen. 
Wunderthaten des Elissaeus. Josaphats Tod. 

1. Als Joram die Regierung übernommen hatte, be- 
schloss er, den König der Moabiter, Misan, zu bekriegen, 
weil derselbe, wie schon oben erwähnt, von seinem 
Bruder abgefallen war und den Tribut von zweihundert- 
tausend ungeschorenen Schafen nicht mehr entrichten 
wollte. Er versammelte daher sein Kriegsvolk und liess 




550 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


den Josaphat bitten, dieser möge, da er schon seines 
Vaters Freund gewesen sei, mit ihm ein Bündnis ein- 
gehen zur Züchtigung der abgefallenen Moabiter. 
Josaphat versprach, nicht nur selbst Hilfe leisten, sondern 
auch den König der Idumäer, der ihm verpflichtet sei, 
mit zu dem Bündnis heranziehen zu wollen. Als Joram 
diese Zusage von Josaphat erhalten hatte, zog er mit 
seiner Streitmacht nach Jerusalem, wo er glänzend auf- 
genommen wurde. Die drei Könige beschlossen nun, 
durch die Wüste von Idumaea dem Feinde entgegen- 
zurücken, da er sie auf diesem Wege nicht erwarten 
würde. Als sie aber sieben Tage umhergezogen waren, 
litten sie, weil die Wegweiser den richtigen Weg ver- 
fehlt hatten, an grossem Wassermangel, sodass sie alle 
in Angst und Bekümmernis schwebten und Joram weh- 
klagend zu Gott rief, ob sie etwas gegen ihn verbrochen 
hätten, dass er die drei Könige ohne Schwertstreich dem 
Moabiter in die Hand geben wolle. Josaphat, der ein 
gerechter Mann war, tröstete und ermutigte ihn und 
hiess ihn im Lager Umfrage halten, ob nicht ein heiliger 
Prophet ihnen gefolgt sei, durch den sie Gott um Rat 
fragen könnten, was sie zu thun hätten. Und da ihnen 
ein königlicher Diener meldete, er habe Elissaeus, den 
Schüler des Elias und Sohn des Saphatus, bemerkt, be- 
gaben sich die drei Könige auf den Rat Josaphats zu 
dessen Zelt, das ausserhalb des Lagers stand, und be- 
fragten ihn über die künftigen Schicksale des Heeres. 
Ganz besonders begehrte Joram Auskunft Elissaeus 
bemerkte ihm, er möge ihn doch nicht mit solchen 
Fragen belästigen, sondern zu den Sehern seines Vaters 
und seiner Mutter gehen, weil das ja die wahren Pro- 
pheten seien. Joram aber bestürmte ihn noch mehr mit 
Bitten , dass er ihnen weissage und Rettung verschaffe. 
Elissaeus schwur darauf bei Gott, er würde ihnen keine 
Antwort geben, wenn er es nicht dem Josaphat, der ein 
frommer und gerechter Mann sei, zu Gefallen thäte. 
Als man sodann jemand herbeigerufen hatte, der die 
Zither zu spielen verstand (das hatte der Seher gewünscht), 



Neuntes Buch, 3. Kapitel. 


551 


wurde Elissaeus während des Spiels vom Geiste Gottes 
ergriffen und befahl den Königen, im Bette des Baches 
viele Gräben anzulegen. Diese würden sie, ohne dass 
eine Wolke sichtbar würde oder ein Wind sich erhöbe 
oder Regen fiele, bald mit Wasser gefüllt sehen, sodass 
Kriegsvolk und Vieh den Durst löschen könnten. „Und 
nicht nur dies,“ fügte er hinzu, „werdet ihr von Gott 
erlangen, sondern ihr werdet auch mit seiner Hilfe den 
Sieg über eure Feinde davontragen, die schönsten und 
festesten Städte der Moabiter einnehmen, ihre Frucht- 
bäume abhauen, ihr Land verwüsten und ihre Quellen 
und Flüsse verstopfen.“ 

2. Als der Seher so gesprochen , füllte sich am 
nächsten Tage vor Sonnenaufgang der Bach reichlich 
mit Wasser, da Gott es drei Tagereisen weiter in 
Idumaea gewaltig hatte regnen lassen, sodass Menschen 
wie Vieh Wasser im Überfluss vorfanden. Sobald nun 
die Moabiter vernahmen, dass drei Könige gegen sie 
heranzögen und durch die Wüste ihren Weg nähmen, 
brachte ihr König sogleich seine Streitmacht zusammen 
und liess das Lager auf einer Anhöhe errichten, damit 
die Feinde nicht unbemerkt ins Land einfielen. Als sie 
aber bei Sonnenaufgang den Bach erblickten , der nicht 
weit vom Lande Moabitis floss, und an seinem Wasser 
eine blutrote Farbe wahrnahmen (das kam aber nur von 
den Sonnenstrahlen her), liessen sie sich zu dem Glauben 
verleiten, die Feinde hätten sich vor Dur6t gegenseitig 
selbst umgebracht, und das Wasser sei von ihrem Blute 
gerötet. In diesem Wahne baten sie den König, er 
möge sie zur Plünderung der erschlagenen Feinde aus- 
senden, und da der König ihren Wunsch erfüllte, zogen 
sie alle zum Lager ihrer totgeglaubt en Feinde, als wenn 
dort die Beute gleichsam ihrer harre. In dieser Hoffnung 
sahen sie sich indes gewaltig getäuscht. Denn die 
Feinde stürzten von allen Seiten auf sie los, töteten 
einen Teil von ihnen und jagten die übrigen aus- 
einander, die sich dann eilends in ihr Land zurück- 
zogen. Darauf drangen die Könige in das Land der 




552 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Moabiter ein, zerstörten die Städte, verwüsteten die Felder 
und bewarfen die letzteren mit einer Menge von Steinen, 
die sie aus den Bächen holten. Ferner hieben sie ihnen 
die besten Fruchtbäume ab, verstopften die Quellen, 
schleiften die Mauern der Städte und belagerten den 
König in einer Festung, in die sie ihn hineingetrieben 
hatten. Als dieser sich so hart bedrängt sah, machte 
er mit siebenhundert Mann einen Ausfall und sprengte 
zu Pferde durch das feindliche Lager nach der Seite 
hin, wo er die wenigsten Wachen vermutete. Doch ge- 
lang es ihm nicht, zu entkommen, da er auf einen gut 
besetzten Posten stiess. Deshalb zog er sich wieder 
nach der Stadt zurück und griff in seiner Not und Ver- 
zweiflung zu einem heroischen Mittel. Er führte nämlich 
seinen ältesten Sohn, der sein Nachfolger werden sollte, 
auf die Stadtmauer, wo die Feinde ihn erblicken konnten, 
und brachte ihn der Gottheit als Brandopfer dar. Als 
die Könige das sahen, wurden sie von Mitleid bewegt, 
erbarmten sich seiner Not, hoben die Belagerung auf 
und zogen in ihre Heimat zurück. Josaphat lebte als- 
dann zu Jerusalem im Frieden und starb nicht lange 
nach diesem Kriegszuge im sechzigsten Jahre seines 
Lebens und im fünfundzwanzigsten seiner Regierung. 
Er wurde zu Jerusalem mit grosser Pracht beigesetzt, 
denn er war in allen seinen Werken ein eifriger Nach- 
folger Davids gewesen. 


Viertes Kapitel. 

Joram, Josaphats Nachfolger. Wie der mit ihm gleich- 
namige König der Israeliten Krieg gegen die Syrer führte. 

Fernere Wunderthaten des Elissaeus. 

1. Josaphat hinterliess viele Söhne, deren ältesten, 
Joram, er zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Den- 
selben Namen führte auch der König der Israeliten, der 
Jorams Oheim mütterlicherseits und ein Sohn des Achab 
war. Als nun der König der Israeliten aus Moabitis 




Neuntes Buch, 4. Kapitel. 


553 


nach Samaria zurückkehrte, befand sich in seiner Um- 
gebung auch der Prophet Elissaeus, dessen grosse und 
erwähnenswerte Thaten ich jetzt erzählen will, wie sie 
aus den heiligen Büchern zu meiner Kenntnis ge- 
kommen sind. 

2. Wie es dort heisst, kam eines Tages die Gattin 
des Obedias, der Achabs Verwalter war, zu Elissaeus 
und sprach zu ihm, er wisse doch noch, dass ihr Gatte 
die von Jezabel, dem Weibe des Achab, verfolgten 
Seher gerettet habe. Hundert Seher, sagte sie, habe er 
verborgen und sie nur dadurch am Leben erhalten 
können, dass er sich Geld geborgt habe. Jetzt nun, 
nach dem Tode ihres Gatten, drohten ihr die Gläubiger, 
sie samt ihren Kindern als Sklaven zu verkaufen. Sie 
bitte ihn daher, er wolle sich im Andenken an ihres 
Mannes Edelmut ihrer erbarmen und ihr helfen. Als 
der Seher sie darauf fragte, was sie zu Hause habe, 
entgegnete sie, sie habe nichts als ein klein wenig öl 
in einem Kruge. Elissaeus hiess sie nun nach Hause 
gehen, sich viele leere Gefässe von ihren Nachbarn 
borgen und bei verschlossener Hausthür in alle etwas 
öl giessen. Gott werde dann die sämtlichen Gefässe 
voll machen. Das Weib that also, liess sich durch ihre 
Kinder die Gefässe holen und zeigte, als alle gefüllt 
waren, dies dem Seher an. Elissaeus aber gab ihr den 
Rat, sie solle das öl verkaufen und mit dem Erlös 
ihre Gläubiger befriedigen. Es werde ihr dann immer 
noch so viel übrig bleiben, um sich und ihre Kinder 
davon am Leben erhalten zu können. So tilgte der 
Prophet die Schuld des Weibes und befreite sie von 
dem Drängen ihrer Gläubiger. 

3. Weiterhin warnte Elissaeus einst rechtzeitig den 
Joram, er solle sich vor einem Orte hüten, wo die Syrer 
Leute versteckt hätten, um ihn zu ermorden. Der König 
folgte dem Seher und unterliess die schon vorbereitete 
Jagd. Als aber Adad seinen Anschlag vereitelt sah, 
argwöhnte er, seine eigenen Leute hätten dem Joram 
denselben verraten. Er ward daher zornig und liess 



554 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


die Leute zu sich kommen, warf ihnen vor, .sie hätten 
seine Geheimnisse verraten, und bedrohte sie mit dem 
Tode, weil sie dem Feinde das offenbart hätten, was 
ihnen allein an vertraut war. Einer der Anwesenden 
aber stellte ihm vor, er solle sie doch nicht in dem 
falschen Verdacht haben, als hätten sie seinem Feinde 
den Anschlag verraten; vielmehr möge er wissen, dass 
es der Seher Elissaeus sei , der alle seine Pläne dem 
Feinde mitteile. Der König liess darauf sogleich nach- 
forschen, in welcher Stadt Elissaeus sich aufhalte. Und 
da ihm gemeldet ward, er befinde sich in Dothaim, 
schickte er eine grosse Schar Reiter mit Wagen nach 
der Stadt, um den Elissaeus gefangen zu nehmen. Diese 
schlossen die Stadt ringsum ein. Als nun am Morgen 
der Diener des Sehers erfuhr, dass die Feinde seinen 
Herrn gefangen nehmen wollten, lief er unter Angst- 
geschrei zu ihm und teilte ihm die Sache mit. Der 
Prophet aber hiess seinen Diener gutes Mutes sein und 
flehte vertrauensvoll zu Gott, er möge, um seinen Diener 
zu stärken und zu trösten, seine Macht und Gegenwart 
kundthun. Gott erhörte denn auch die Bitte des Sehers 
und liess den Diener seinen Herrn von vielen Reitern 
und Wagen umgeben erblicken, sodass er alle Furcht 
ablegte und angesichts einer so grossen Schutzmacht 
wieder Mut fasste. Alsdann bat Elissaeus zu Gott, er 
möge die Augen der Feinde blenden und sie mit 
Finsternis schlagen, sodass sie ihn nicht zu erkennen 
imstande wären. Und da er auch dies von Gott erlangt 
hatte, begab er sich mitten unter die Feinde und fragte 
sie, wen sie suchten. Sie erwiderten ihm, den Elissaeus, 
worauf er ihnen versprach, denselben auszuliefern, wenn 
sie ihm in die Stadt folgen wollten , wo er sich auf halte. 
Weil nun ihr Auge und Herz von Gott mit Blindheit 
geschlagen war, folgten sie dem Seher sogleich. Elissaeus 
aber führte sie nach Samaria und befahl dem Könige 
Joram, die Thore schliessen und die Syrer von seinen 
Kriegern umzingeln zu lassen. Dann bat er, Gott möge 
ihnen jetzt die Augen wieder öffnen und die Finsternis 




Neuntes Buch, 4. Kapitel. 


555 


von ihnen hinwegnehmen. Voll Schrecken erkannten 
sie darauf, dass sie sich mitten unter ihren Feinden 
befanden. Als nun die Syrer, wie man sich leicht 
Henken kann , über das wunderbare und unerwartete 
Ereignis in Bestürzung und Verwirrung gerieten, und 
der König den Seher fragte, ob er sie niedermachen 
lassen solle, wehrte sich Elissaeus dagegen. Denn man 
dürfe, sagte er, nur die kriegsgefangen en Feinde töten; 
diese aber hätten ja seinem Lande keinen Schaden zu- 
gefügt, sondern seien wider ihren Willen von Gott 
hierher geleitet worden. Er gab daher den Rat, man 
solle sie gastfreundlich bewirten und sie dann unbe- 
schädigt wieder ziehen lassen. Joram befolgte den Rat 
des Sehers, bewirtete die Syrer glänzend und schickte 
sie dann zu ihrem Könige Adad zurück. 

4. Als sie nun daheim angelangt waren und ihre 
Erlebnisse berichtet hatten, erstaunte Adad über das 
Wunder, aus dem er ebensowohl die Allmacht und 
Gegenwart des Gottes der Israeliten, als auch den offen- 
baren Schutz, den er dem Seher hatte angedeihen lassen, 
erkannte. Er beschloss deshalb aus Furcht vor Elissaeus, 
nichts mehr im geheimen gegen den König der Israe- 
liten zu unternehmen. Vielmehr wollte er ihn nun 
offen bekämpfen , da er an Stärke und Zahl seiner 
Truppen dem Feinde überlegen zu sein glaubte. Er 
brachte deshalb ein grosses Heer zusammen, mit dem er 
gegen Joram zu Felde zog. Dieser aber glaubte nicht 
stark genug zu sein, um dem Syrer Widerstand leisten 
zu können, und schloss sich in Samaria ein, auf dessen 
starke Befestigungen er vertraute. Adad dachte nun 
die Stadt, wenn er sie nicht mit Belagerungsmaschinen 
zu Fall bringen könne, wenigstens durch Aushungern 
in seine Gewalt zu bekommen, und zog mit seinem 
Heere dorthin, um sie zu belagern. Es entstand aber 
unter den Belagerten eine derartige Hungersnot, dass 
ein Eselskopf achtzig Sesterzien 1 und ein Sextarius 


1 1 Sesterz = 15,9 Pfennige. 




556 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Taubenmist, der die Stelle des Salzes vertreten musste, 
fünf Sesterzien kostete. Bei diesem Stand der Dinge 
fürchtete der König sehr, es möchte sich jemand vom 
Hunger dazu verleiten lassen, die Stadt den Feinden 
zu verraten. Er besuchte daher täglich die Stadtmauern, 
revidierte die Wachen, ob sie nicht jemand bei sich 
verborgen hielten, und wandte die grösste Sorgfalt an, 
einen derartigen Gedanken oder dessen Ausführung im 
Keime zu ersticken. Bei einem solchen Rundgang rief 
eines Tages ein Weib dem Könige zu: „Erbarme dich 
meiner, o Herr!“ Der König, der der Meinung war, 
das Weib begehre Speise von ihm, ward zornig, ver- 
wünschte sie im Namen Gottes und sagte, er habe 
weder Tennen noch Keltern, aus denen er ihr etwas 
spenden könne. Sie aber entgegnete, sie begehre nichts 
dergleichen von ihm, sondern verlange nur, dass er den 
Streit schlichten solle, den sie mit einem anderen Weibe 
habe. Da nun der König ihr befahl, ihm die Sache 
vorzutragen, erklärte sie ihm, sie sei mit einem ihr be- 
nachbarten und befreundeten Weibe übereingekommen, 
weil, sie die Hungersnot nicht mehr hätten ertragen 
können, ihre beiden Knäbchen zu schlachten und damit 
einige Tage ihr Leben zu fristen. Sie selbst habe zuerst 
ihr Kind geschlachtet, das sie zusammen am Tage 
vorher gegessen hätten. Die andere aber wolle nun 
den Vertrag nicht halten und habe ihren Knaben ver- 
steckt Als der König das hörte, ergriff ihn heftiger 
Schmerz. Er zerriss sein Gewand, schrie laut auf und 
ergrimmte gewaltig über den Seher Elissaeus, den er 
umbringen lassen wollte, weil er Gott nicht um Abwehr 
der Drangsal gebeten habe. Sogleich schickte er auch 
jemand fort, der ihm den Kopf abschlagen sollte. Der 
Mann beeilte sich, dem Befehl nachzukommen. Elissaeus 
aber wusste um des Königs Zorn, sass zu Hause bei 
seinen Schülern und teilte ihnen mit, Joram, eines 
Mörders Sohn, habe jemand geschickt, um ihn ent- 
haupten zu lassen. Sobald er nun käme, um den Be- 
fehl zu vollziehen, sollten sie die Thür versperren und 


Neuntes Buch, 4. Kapitel. 


557 


ihm den Eingang wehren; denn bald nach ihm werde 
der König mit veränderter Gesinnung ebenfalls kommen. 
Die Schüler thaten, wie ihnen befohlen war. Den Joram 
aber reute gar bald sein Zorn gegen den Seher, und da 
er befürchtete, derselbe möchte von seinem Knechte um- 
gebracht werden, den er hierzu abgeschickt hatte, machte 
er sich eilends auf, um den Mord zu vefhindern und 
den Seher zu retten. Als er nun zu dem Propheten kam, 
beklagte er sich bei ihm darüber, dass er ihnen in der 
gegenwärtigen Not keine Hilfe von Gott erflehe, viel- 
mehr ruhig zusehe, wie sie so hart bedrängt würden. 
Elissaeus versprach ihm darauf, dass am folgenden Tage 
um dieselbe Stunde, in der der König zu ihm gekommen 
sei, ein grosser Überfluss an Nahrungsmitteln eintreten 
solle, sodass man auf dem Markte zwei Saton Gerste 
für einen Sekel und ein Saton Weizenmehl ebenfalls 
für einen Sekel werde kaufen können. Hierüber 
empfanden der König und seine Begleiter grosse Freude, 
denn sie zweifelten nicht an der Wahrheit der Pro- 
phezeiung, da sie schon früher die Wahrheit von 
Elissaeus’ Weissagungen erfahren hatten. Sie ertrugen 
deshalb die Not dieses Tages leichter in der Hoffnung 
auf den kommenden Tag. Der Befehlshaber des dritten 
Teiles des Heeres aber, der dem Könige befreundet war, 
und auf den dieser sich damals gerade stützte, sprach 
zu dem Seher: „Was du da sprichst, ist unglaublich, 
und so unmöglich es ist, dass Gott Gerste und Weizen- 
mehl vom Himmel herabfallen lässt, so unmöglich ist 
auch die Erfüllung deiner Verkündigung.“ Der Prophet 
entgegnete ihm : „Du sollst mit eigenen Augen erkennen, 
dass dies wirklich so eintreffen wird. Doch wirst du 
selbst daran keinen Teil haben.“ 

5. Die Weissagung des Elissaeus aber ging auf 
folgende Weise in Erfüllung. Es war in Samaria durch 
Gesetz bestimmt, dass die mit dem Aussatz Behafteten 
ausserhalb der Stadt wohnen mussten. Damals wohnten . 
nun aus diesem Grunde vier Männer vor den Thoren, 
die, da ihnen bei der herrschenden Hungersnot niemand 




558 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Speise brachte und sie auch die Stadt nicht betreten 
durften, der Meinung waren, es sei besser, wenn sie sich 
den Feinden preisgäben, als an dem Orte, wo sie sich 
aufhielten, vor Hunger umzukommen. Sie dachten, die 
siegreichen Feinde würden ihrer schonen; müssten sie 
aber dennoch ihr Leben lassen, so würden sie wenigstens 
ehrenvoll sterben. Als sie diesen Entschluss gefasst 
hatten, begaben sie sich zur Nachtzeit ins feindliche 
Lager. Gott aber erschreckte und verwirrte die Syrer 
und liess in ihren Ohren Pferdegetrappel und Waffen- 
geklirr ertönen, als wenn ein Heer im Anrücken be- 
griffen sei, sodass sie je länger je mehr in diesem Wahne 
bestärkt wurden. Dadurch gerieten sie so in Aufregung, 
dass sie ihr Lager verliessen, zu Adad liefen und ihm 
meldeten, Joram, der König der Israeliten, komme mit 
geworbenen Hilfstruppen sowie mit dem Könige von 
Aegypten und dem Könige der Inseln heran, um über sie 
herzufallen. Sie hätten deutlich das Geräusch des an- 
rückenden Heeres gehört. Dieser Nachricht schenkte 
Adad um so eher Glauben, als auch in seinen Ohren 
das verdächtige Geräusch ertönte. Und so ergriff alles 
in wilder Verwirrung die Flucht unter Zurücklassung 
der Pferde, der Lasttiere und ungeheurer Schätze. Als 
nun die erwähnten Aussätzigen zum syrischen Lager 
kamen, bemerkten sie darin eine grosse Ruhe und Stille. 
Sie gingen hierauf in das Lager hinein , betraten eines 
der Zelte, da sie vor dem Eingänge desselben niemand 
bemerkten, erquickten sich mit Speise und Trank, 
nahmen dann viele Kleider und eine Menge Gold weg 
und verbargen den Raub ausserhalb des Lagers. Dann 
betraten sie ein anderes Zelt und trugen auch aus 
diesem fort, was sie darin vorfanden. Als sie nun auch 
noch zum dritten- und viertenmal dasselbe gethan und 
niemand gesehen hatten, schlossen sie daraus, dass die 
Feinde abgezogen seien, und machten sich Vorwürfe, 
• dass sie nicht dem Joram und ihren Mitbürgern davon 
Anzeige erstattet hätten. Sie. liefen deshalb sogleich 
bis vor die Stadtmauer Samarias und riefen den Wachen 



Neuntes Bach, 4. Kapitel. 


559 


zu, was sich mit den Feinden zugetragen habe. Diese 
gaben die Nachricht weiter an die Wächter des Königs. 
Als Joram von diesen die Meldung erhalten hatte, be- 
ßchied er seine Freunde und die Anführer zu sich und 
sagte ihnen, hinter dem Abzug des Königs der Syrer 
scheine sich eine List zu verbergen. Denn da derselbe 
daran verzweifle, sie durch Hunger zu bezwingen, wolle 
er sie wahrscheinlich durch diese verstellte Flucht ins 
Lager locken und sie dann plötzlich überfallen, um so 
die Stadt ohne Kampf einzunehmen. Darum ermahne 
er sie, die Stadt auch weiterhin zu bewachen und sie 
nicht im Vertrauen auf den Abzug des Feindes zu ver- 
lassen. Da erklärte einer der Anwesenden, er billige den 
weisen Rat des Königs, doch schlage er vor, dass man 
zwei Reiter zur Erforschung der Gegend bis zum Jordan 
hin aussenden solle. Würden diese vom Feinde hinter- 
listigerweise abgefangen, so könne das Heer darin eine 
Warnung vor dem gleichen Schicksal erblicken ; die 
beiden Reiter aber möge man dann den übrigen bei- 
zählen, welche die Hungersnot dahingerafft habe. Der 
König, dem dieser Vorschlag gefiel, sandte sogleich die 
beiden Reiter ab. Diese zogen über eine von Feinden ' 
gänzlich leere Strasse, die aber mit einer Menge Proviant 
und Waffen bedeckt war, weil die Fliehenden sich der- 
selben entledigt hatten, um ungehinderter vorwärts zu 
kommen. Als der König das vernahm, liess er das 
Heer zum feindlichen Lager ziehen und es plündern. 
Die Beute aber war nicht schlecht oder gering, sondern 
bestand in einer Menge Gold, Silber und Herden von 
allerlei Vieh, ferner in Gerste und anderem Getreide, 
von dem sie einen so grossen Vorrat fanden, wie sie 
ihn sich nicht hatten träumen lassen. Auf diese Weise 
wurden sie nicht nur ihrer Not enthoben, sondern 
erlangten auch einen solchen Überfluss, dass zwei 
Saton Gerste um einen Sekel und ein Saton 

Weizenmehl gleichfalls um einen Sekel verkauft 
wurden, genau wie Elissaeus vorhergesagt hatte. Ein 
Saton enthielt ein und einen halben römischen 




560 


Josephns’ Jüdische Altertümer. 


Scheffel. 1 An all diesem Überfluss jedoch hatte der 
Befehlshaber des dritten Teiles des Heeres keinen An- 
teil. Denn da er vom Könige an das Thor gestellt 
worden war, um dem allzu starken Andrang der Menge 
zu wehren , damit nicht einer den anderen erdrücke, 
wurde er selbst erdrückt und gab den Geist auf, wie 
Elissaeus ihm prophezeit hatte, als er den Überfluss 
weissagte, den der Befehlshaber für unmöglich hielt. 

6. Als nun Adad, der König der Syrer, unversehrt 
zu Damaskus anlangte und erkannte, dass nicht der 
Einfall der Feinde in sein Lager, sondern Gott selbst 
ihm und seinem Heere den Schrecken eingeflösst habe, 
grämte er sich darüber, dass Gott sein Feind sei, und 
verfiel in Schwermut. Um diese Zeit kam Elissaeus 
aus seiner Heimat nach Damaskus, und da der König 
dies vernahm, schickte er ihm einen seiner treuesten 
Diener mit Geschenken entgegen, um ihn zu befragen, 
ob er von seiner Krankheit genesen würde. Der Diener, 
Azael mit Namen, zog also mit vierzig Kamelen, welche 
die herrlichsten Schätze von Damaskus und das Beste 
aus dem Besitze des Königs trugen, dem Elissaeus ent- 
• gegen, begrüsste ihn freundlich und sagte ihm, der 
König Adad habe ihn gesandt, um dem Propheten Ge- 
schenke zu bringen und ihn über die Krankheit des 
Königs zu befragen. Der Seher verkündete hierauf dem 
Azael, sein Herr werde bald sterben, bat ihn aber, dem 
Könige dies nicht mitzuteilen. Der Diener ward über 
diese Auskunft schmerzlich bewegt. Elissaeus aber fing 
an zu weinen, weil er das Unglück voraussah, von dem 
das Volk nach Adads Tod würde betroffen werden. 
Als nun Azael ihn fragte, weshalb er so betrübt sei, 
entgegnete Elissaeus: „Ich weine, weil mir das Elend 
des israelitischen Volkes zu Herzen geht, das von dir 
über dasselbe wird verhängt werden. Denn du wirst 
die Besten von ihnen umbringen, ihre festen Städte ein- 
äschern, ihre Kinder am Felsen zerschmettern und ihre 


1 Ein römischer Scheffel (Modius) = 8,7 5 Liter. 



Neuntes Buch, 5. Kapitel. 


561 


schwangeren Weiber in Stücke hauen.“ Da aber Azaöl 
ihn fragte, woher er eine solche Macht erlangen würde, 
antwortete der Seher, Gott habe ihm verkündigt, dass 
Azael König von Syrien werden solle. Azael kehrte 
darauf zum Könige zurück und brachte ihm die Nach- 
richt, mit seiner Krankheit werde es besser gehen. Am 
folgenden Tage aber warf er ein feuchtes Netz über 
ihn, erwürgte ihn damit und riss die Herrschaft an sich. 
Azael war übrigens ein thatkräftiger Mann und erwarb 
sich die Liebe der Syrer und des Volkes von Damaskus. 
Wie Adad wird auch er noch heute vom syrischen 
Volke göttlich verehrt, das sich der Wohlthätigkeit jener 
Könige und der herrlichen Tempelbauten, womit sie 
Damaskus verschönert haben, dankbar erinnert. Noch 
täglich veranstaltet das Volk zu ihrer Ehre glänzende 
Aufzüge und rühmt sich ihres hohen Alters, ohne zu 
wissen, dass sie einer jüngeren Zeit angehören und erst 
vor kaum eintausendeinhundert Jahren regiert haben. 
Als nun Joram, der König der Israeliten, vom Tode 
Adads Kunde erhielt, atmete er von der Furcht und 
dem Schrecken, den jener ihm eingeflösst hatte, auf und 
freute sich der Segnungen des Friedens. 


Fünftes Kapitel. 

Von der Ruchlosigkeit Jorams, des Königs zu Jerusalem. 

Seine Strafe und sein Ende. 

1. Joram, der König zu Jerusalem, der, wie bereits 
oben erwähnt, mit dem Könige der Israeliten denselben 
Namen führte, begann seine Regierung mit der Er- 
mordung seiner Brüder und der Freunde seines Vaters, 
die ebenfalls fürstlichen Standes waren. Hierdurch be- 
wies er genugsam seine Schlechtigkeit, wie er überhaupt 
den Königen der Israeliten , die zuerst von den väter- 
lichen Sitten der Hebräer und der Verehrung Gottes 
abgewichen waren, nichts nachgab. Zu allen Schänd- 
lichkeiten und besonders zur Verehrung fremder Götter 

Joeepbus’ Jüdische Altertümer. 30 



562 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


trieb ihn sein Weib Gotholia, die Tochter Achabs. Ob- 
gleich aber Joram von Tag zu Tag neue Gottlosigkeiten 
zum Verderben der heimischen Religion ersann, wollte 
doch Gott wegen des Bündnisses, das er mit David ge- 
schlossen hatte, sein Geschlecht nicht zu Grunde richten. 
Da um diese Zeit die Idumäer von ihm abfielen , ihren 
früheren König, der seinem Vater verpflichtet gewesen 
war, töteten und sich einen König nach ihrem Gut- 
dünken wählten, fiel Joram mit der Reiterei, die ihm 
damals zu Gebote stand, und einer Anzahl Wagen zur 
Nachtzeit in Idumaea ein und vernichtete diejenigen, 
die seinem Reiche zunächst wohnten, vermochte jedoch 
nicht weiter vorzudringen. So nützte ihm der ganze 
Feldzug nichts, vielmehr fielen alle anderen Völker- 
schaften nun auch von ihm ab, und zunächst die, 
welche das Land Labina bewohnten, ln seinem Wahn- 
sinn aber ging er so weit, dass er das Volk auf die 
Gipfel der Berge trieb und es zwang, dort fremde 
Götter anzubeten. 

2. Während er diese Schändlichkeiten trieb und das 
Andenken an die Satzungen der Väter gänzlich aus- 
tilgte, wurde ihm ein Brief des Propheten Elissaeus 
überbracht, der ihm verkündigte, Gott werde ihn schwer 
züchtigen, weil er die Sitten der Väter verachtet, die 
Sünden der Israelitenkönige angenommen und den 
Stamm Judas samt den Einwohnern von Jerusalem ge- 
zwungen habe, den Dienst des wahren Gottes zu ver- 
lassen und Götzen zu verehren, wie dies auch Achab 
mit den Israeliten gethan, ferner weil er seine Brüder 
und andere gute und gerechte Männer umgebracht habe. 
Auch die Art der Strafe, die über ihn ergehen würde, 
bezeichnete der Brief des Sehers. Sein Volk werde zu 
Grunde gehen, seine Weiber und Kinder umkommen, 
und er selbst von einer langwierigen, schmerzlichen 
Krankheit betroffen werden, infolge deren seine Ein- 
geweide auf grässliche Weise verfaulen und aus seinem 
Leibe fallen würden. All sein Elend werde er selbst 
ansehen müssen, durch keine Kunst davon befreit 



Neuntes Buch, 6. Kapitel. 


568 


werden können und so seinen Geist aufgeben. Dies 
meldete der Brief des Propheten Elissaeus. 

3. Nicht lange danach fiel ein Heer der nahe bei 
Aethiopien wohnenden Araber und der Palaestiner in 
Jorams Reich ein, plünderte das Land und den Königs- 
palast und tötete seine Söhne und Weiber. Nur ein 
einziger von seinen Söhnen, mit Namen Ochozias, ent- 
kam den Händen der Feinde. Nach diesem Unglück 
wurde der König von der Krankheit befallen, die ihm 
der Seher vorhergesagt hatte. Sein Leib wurde von 
den heftigsten Schmerzen gequält, und er sah, wie seine 
eigenen Eingeweide von ihm abgingen; alsdann starb 
er eines elenden Todes. Sein Leichnam wurde sogar 
noeh vom Volke beschimpft. Denn da man, wie ich 
glaube, in Erwägung zog, dass dem kein königliches 
Leichenbegängnis zustehe, der, vom Zorne Gottes ge- 
troffen, den Geist aufgegeben habe, so setzte man ihn 
weder im Grabe seiner Väter bei, noch hielt man ihn 
einer anderen Ehrenbezeugung für. würdig, bestattete 
ihn vielmehr wie einen gewöhnlichen Mann. Er hatte 
vierzig Jahre gelebt und acht Jahre regiert. Das Volk 
von Jerusalem aber übertrug die Königswürde seinem 
Sohne Ochozias. 


Sechstes Kapitel. 

Wie Jehu zum Könige gesalbt wurde , Joram und Ochozias 
tötete und die Gottlosen bestrafte. 

1. Joram, der König der Israeliten, machte sich nach 
dem Tode Adads Hoffnung, die Stadt Aramatha im 
Galaditerlande den Syrern entreissen zu können, und 
zog deshalb mit einem grossen Heere dorthin. Bei der 
Belagerung der Stadt wurde er von einem Syrer durch 
einen Pfeilschuss verwundet, jedoch nicht tödlich, und 
zog sich daher in die Stadt Jesraela zurück, um hier 
die Wunde heilen zu lassen. Das Heer aber liess er 
unter dem Befehle Jehus, des Sohnes des Nemessus, bei 
Aramatha zurück, das übrigens schon erobert war. Er 

36 * 



Josephus’ Jüdische Altertümer. 


T»64 


hatte sich vorgenoraraen, die Syrer wieder anzugreifen, 
sobald seine Wunde geheilt sein würde. Inzwischen 
sandte der Seher Elissaeus einen seiner Schüler mit 
heiligem Öle nach Aramatha, um den Jehu zum Könige 
zu salben und ihm mitzuteilen, dass Gott selbst ihm 
diese Würde zugedacht habe. Ausser anderen Aufträgen 
gab er ihm auch den, er solle von dort wie ein Flücht- 
ling wieder abreisen, sodass sein Weggang von niemand 
bemerkt werde. Als der Schüler nun zur Stadt kam, 
traf er den Jehu mitten unter seinen Heerführern 
sitzend an, wie Elissaeus vorhergesagt hatte. Er ging 
auf ihn zu und teilte ihm mit, er wolle mit ihm über 
eine besondere Angelegenheit sprechen. Jehu stand auf 
und folgte ihm in ein Gemach, wo der Jüngling das 
Öl hervorholte, es auf Jehus Haupt goss und sprach, 
Gott erwähle ihn zum Könige, damit er Achabs Ge- 
schlecht ausrotte und das Blut der Seher räche , die 
Jezabel ungerechterweise uragebracht habe, und damit, 
wie das Geschlecht Jeroboams, des Sohnes des.Nabataeus 
und derBaasa, wegen seiner Gottlosigkeit untergegangen 
sei, also auch von Achabs Geschlecht keiner am Leben 
bleibe. Nach diesen Worten stürzte er eilig aus dem 
Gemache fort, damit er von niemand gesehen würde. 

2. Jehu verliess hierauf das Haus und kehrte wieder 
auf seinen Platz bei den Heerführern zurück. Und da 
diese ihn bestürmten, er möge ihnen mitteilen, zu 
welchem Zweck der Jüngling ihn besucht habe, und be- 
merkten , derselbe müsse wohl von Sinnen sein, er- 
widerte er: „Ihr habt ganz recht; denn er hat allerdings 
ganz unsinnige Worte geredet." Als sie nun noch mehr 
in ihn drangen und näheres zu erfahren wünschten, 
erklärte er ihnen, der J üngling habe ihm mitgeteilt, dass 
ihm von Gott die Herrschaft über das Volk verliehen 
worden sei. Kaum hatte er das gesagt, als sie ihre 
Kleider auszogen, sie unter ihm ausbreiteten, in die 
Hörner stiessen und den Jehu zum Könige ausriefen. 
Jehu versammelte nun die Truppen und beabsichtigte 
gegen Joram nach Jesraela zu ziehen, wo dieser, wie 



Neuntes Buch, 6. Kapitel. 


565 


oben erwähnt, die bei der Belagerung von Aramatha 
■erhaltene Wunde heilen liess. Dorthin hatte sich auch 
Ochozias, der König zu Jerusalem , aus verwandtschaft- 
lichen Rücksichten begeben (er war, wie vorhin bemerkt, 
Jorams Neffe), um sich zu erkundigen, wie es mit seiner 
Wunde stehe. Da nun Jehu den Joram und seine Um- 
gebung unversehens überfallen wollte, befahl er seinen 
Kriegern, streng darauf zu achten, dass niemand aus 
der Stadt entweiche, der seine Absicht dem Joram ver- 
raten könne. Hieraus werde er ihre gute Gesinnung 
erkennen und beurteilen können, ob sie ihn in ehrlicher 
Absicht zum Könige ausgerufen hätten. 

3. Die Krieger nahmen den Befehl mit Freuden auf 
und bewachten die Wege, damit niemand heimlich 
nach Jesraela gelange und den Plan Jehus dort ver- 
rate. Jehu beorderte alsdann eine auserlesene Reiter- 
schar, bestieg seinen Wagen und fuhr auf Jesraela zu. 
Als er sich der Stadt näherte, erblickte ihn der Wächter, 
der vom Könige Joram angestellt war, um die Ein- 
tretenden zu beobachten, samt seiner Reiterschar und 
meldete dem Joram, es ziehe Reiterei heran. Dieser 
sandte sogleich einen Reiter aus, um zu erforschen, wer 
die Ankömmlinge seien. Als der Reiter zu Jehu ge- 
kommen war, fragte er ihn, wie sich das Heer befinde, 
da der König hierüber Nachricht haben wolle. Jehu 
hie88 ihn deswegen unbesorgt sein und ihm folgen. Als 
der Wächter dies bemerkt hatte, meldete er dem Joram, 
der Reiter habe sich der Schar angeschlossen und komme 
mit ihr angeritten. Einen zweiten Boten des Königs 
hiess Jehu dasselbe thun, und der Wächter zeigte auch 
dies dem Könige an, der darauf selbst mit dem bei ihm 
zu Besuch weilenden Könige Ochozias von Jerusalem 
seinen Wagen bestieg und dem Jehu entgegenfuhr. 
Joram traf den Jehu, der mit seiner Schar in ge- 
schlossenem Zuge langsam vorrückte, auf dem Grund- 
stücke des Nabuth und fragte ihn, ob bei seinem Heere 
alles wohl sei. Da aber Jehu bittere Schmähungen 
gegen ihn ausstiess und ihn den Sohn einer Giftmischerin 




566 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und Buhldirne nannte, fürchtete Joram, Jehu möchte 
nichts Gutes Vorhaben, wandte so schnell wie möglich 
seinen Wagen und fuhr davon, indem er zu Ochoziaa 
sagte, sie seien in eine Falle geraten. Jehu aber spannte 
seinen Bogen und schoss den Joram mit einem Pfeile 
mitten durch die Brust, sodass er in die Knie sank und 
seinen Geist aufgab. Dann befahl Jehu dem Badakrus, 
einem Befehlshaber über den dritten Teil seines Heeres, 
Jorams Leichnam auf Nabuths Acker zu werfen, wobei 
er an die Weissagung des Elias erinnerte, der dem 
Achab, dem Vater Jorams, nach der Ermordung des 
Nabuth prophezeit hatte, er werde einst samt seinem 
Geschlechte auf demselben Acker umkommen. Diese 
Weissagung, fügte er hinzu, habe er, da er hinter Achab 
im Wagen gesessen habe, aus dem Munde des Sehers 
selbst gehört. Als nun Joram gefallen war, bog Ocho* 
zias in grosser Angst um sein eigenes Leben mit dem 
Wagen in einen anderen Weg ein und dachte dadurch 
dem Jehu zu entkommen. Der aber holte ihn an einem 
Hügel ein und verwundete ihn mit einem Pfeile. Ocho- 
zias verliess darauf sogleich den Wagen, bestieg ein 
Pferd und floh vor Jehu nach Magedo, wo er bald 
nachher an seiner Wunde starb. Von den Seinigen 
ward sein Leichnam nach Jerusalem gebracht und dort 
begraben. Seine Regierung hatte nur ein Jahr gewährt, 
und an Schlechtigkeit hatte er seinen Vater noch über- 
troflen. 

4. Als nun Jehu nach Jesraela gekommen war, stellte 
sich Jezabel in vollem Schmucke auf einen Turm und 
rief ihm zu: „Welch ein herrlicher Diener ist doch der, 
der seinen Herrn tötet!“ Jehu blickte zu ihr auf und 
fragte sie, wer sie sei. Dann hiess er sie herabsteigen, 
und als sie sich dessen weigerte, befahl er einigen Ver- 
schnittenen, sie von dem Turme hinabzustürzen. Diese 
vollzogen den Befehl, und Jezabel bespritzte im Falle 
die Mauer mit ihrem Blute; ihr Körper aber ward von 
den Hufen der Rosse zu Tode gestampft. Darauf begab 
sich Jehu zum Königspalaste und stärkte sich und seine 



Neuntes Buch, 6. Kapitel. 


567 


.Freunde, da sie vom Marsche ermüdet waren, mit einem 
Mahle und anderen Erfrischungen. Seinen Dienern aber, 
welche die Jezabel umgebracht hatten, befahl er, sie mit 
allen Ehren zu bestatten, da sie aus königlichem Ge- 
blüte war. Diese gingen hin, um dem Befehl gemäss 
•die Beerdigung vorzunehmen, fanden aber von dem 
Körper nichts mehr vor als die Extremitäten , da alles 
übrige von den Hunden verschlungen worden war. Als 
Jehu dies vernahm, bewunderte er die Weissagung des 
Elias, der vorherverkündigt hatte, dass Jezabel auf 
diese Weise zu Jesraela umkommen werde. 

* 5. Achab hatte siebzig Söhne hinterlassen, die zu 
Samaria erzogen wurden. Dorthin schrieb nun Jehu 
zwei Briefe, einen an die Erzieher der Söhne, den 
anderen an die Vorsteher der Samariter, worin er sie 
ermähnte, sie sollten, da sie eine grosse Menge Wagen, 
Pferde, Waffen, Kriegsvolk und befestigte Städte hätten, 
den stärksten von Achabs Söhnen zum König ausrufen 
und alsdann den Tod ihres Herrn rächen. Mit diesen 
Schreiben aber wollte Jehu die Gesinnung der Samariter 
auf die Probe stellen. Als nun die Vorsteher und Er- 
zieher die Briefe gelesen hatten, ergriff sie gewaltige 
Angst. Sie erwogen nämlich, dass sie gegen den, der 
zwei so mächtige Könige überwunden habe, nichts 
würden ausrichten können, und schrieben ihm daher zu- 
rück, sie wollten ihn selbst zu ihrem Herrscher erwählen 
und alle seine Befehle vollziehen. Darauf gebot ihnen 
Jehu in einem weiteren Briefe, sie sollten Achabs 
Söhnen die Köpfe abschlagen und ihm dieselben zu- 
senden. Die Vorsteher teilten dieses Schreiben den Er- 
ziehern^der Söhne mit, die den Befehl pünktlich aus- 
führten, die Köpfe der Söhne Achabs in geflochtene 
Körbe packten und sie nach Jesraela schickten. Jehu, 
der gerade mit seinen Freunden speiste, als ihm die 
Ankunft der Köpfe gemeldet wurde, befahl, dieselben 
in zwei Haufen zu beiden Seiten des Stadtthores auf- 
zuschichten. Als das geschehen war, ging er in der 
Morgenfrühe hin, um die Köpfe zu besichtigen, und 



568 Josephus* Jüdische Altertümer. 

sprach zu den Anwesenden, er habe zwar das Heer 
gegen seinen Herrn geführt und ihn getötet, aber diese 
da habe er nicht umgebracht. Er wollte ihnen hiermit 
klar machen , dass das Geschlecht Achabs nach dem 
Ratschlüsse Gottes vom Verderben ereilt worden sei, 
wie dies auch Elias prophezeit hatte. Darauf liess er 
auch noch alle Verwandten Achabs, die in Jesraela auf- 
zufinden waren, töten, und begab sich dann nach 
Samaria. Auf dem Wege dorthin traf er Blutsverwandte 
des Ochozias, des Königs zu Jerusalem, und fragte sie, 
wohin die Reise gehe. Und da sie antworteten, sie 
wollten den Joram und ihren König Ochozias, von 
deren Tod sie noch nichts wussten, besuchen, liess Jehu 
auch sie ergreifen und umbringen, im ganzen zweiund- 
vierzig Menschen. 

6. Hierauf begegnete ihm ein edler und gerechter 
Mann und alter Freund von ihm , mit Namen Jonadab, 
der ihn begrüsste und lobte, weil er alles nach Gottes 
Willen vollbracht und das Geschlecht Achabs Ais- 
gerottet habe. Jehu bat ihn, auf seinen Wagen zu 
steigen und ihn nach Samaria zu begleiten. Dort wolle 
er ihm zeigen, dass er keinen Gottlosen verschonen, 
sondern sowohl die falschen Seher und Priester, als auch 
alle anderen, die das Volk von der Verehrung des all- 
mächtigen Gottes ab- und der Anbetung fremder Götter 
zugewandt hätten, mit dem Tode bestrafen werde. Denn 
es sei ein herrliches und für einen gerechten Mann an- 
genehmes Schauspiel, die Übelthäter bestrafen zu sehen, 
Jonadab entsprach der Bitte des Königs und fuhr mit 
ihm nach Samaria. Dort liess Jehu alle Verwandten 
Achabs aufspüren und umbringen. Damit abe#keiner 
von den falschen Sehern und Götzen priestern Achabs 
der Todesstrafe entgehe, bediente er sich zu ihrer Er- 
greifung folgender List. Er berief das Volk zu einer 
Versammlung und verkündete ihm, er wolle doppelt so 
viele Götter verehren, als Achab eingeführt habe. Sie 
möchten also Sorge tragen, dass die Priester, Propheten 
und Verehrer dieser Götter sich bei ihm einfänden. 



Neuntes Buch, 6. Kapitel. 


569 


Denn er beabsichtige, den Göttern Achabs zahlreiche 
und prächtige Opfer ' darzubringen. Wer von den 
Priestern des Baal (so hiess der Gott Achabs) sich 
nicht einfinde, solle mit dem Tode bestraft werden. Als 
er nun den Tag, an welchem die Opfer dargebracht 
werden sollten, bestimmt hatte, Hess er aus dem ganzen 
Lande der Israeliten die Priester Baals herbeiholen und 
alle mit Kleidern versehen. Sodann ging er mit seinem 
Freunde Jonadab in den Tempel und liess sorgfältig 
darauf achten, dass kein Fremder sich unter den 
Priestern befinde ; denn er wolle nicht, dass ein Fremd- 
ling ihren Opfern beiwohne. Da diese ihm nun mit- 
teilten, dass kein Fremder anwesend sei, und sie den 
Gottesdienst begonnen hätten , liess er die Thore des 
Tempels durch achtzig seiner treuesten Krieger besetzen 
und befahl ihnen , die falschen Seher umzubringen und 
so die Verachtung des Gottesdienstes der Väter zu 
rächen. Sie hafteten ihm übrigens mit ihrem Kopfe 
dafür, dass niemand aus dem Tempel entweiche. Die 
Krieger töteten hierauf alle Götzenpriester, äscherten 
den Tempel Baals ein und befreiten so Samaria von 
dem Götzendienst. Baal war der Gott der Tyrier, und 
Achab hatte seinem Schwiegervater Ithobal, dem Könige 
der Tyrier und Sidonier, zu Gefallen ihm in Samaria 
einen Tempel erbaut, Seher bestellt und einen Gottes- 
dienst eingerichtet. Nach Entfernung dieses Götzen er- 
laubte übrigens Jehu den Israeliten immer noch, die 
goldenen Kälber zu verehren. Weil er aber wenigstens 
das Gute vollbracht hatte, dass er die Gottlosen ge- 
bührend bestrafte, verkündigte ihm Gott durch einen 
Seher, dass seine Nachkommen bis ins vierte Glied über 
die Israeliten herrschen würden. 



•570 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Siebentes Kapitel. 

Wie Gotholia nach sechsjähriger Regierung umgebracht 
wurde, und wie der Hohepriester Jodaus den Sohn des 
Ochozias als König einsetzte. 

3. Als Gotholia, die Tochter Achabs, von dem Unter- 
gang ihres Sohnes Ochozias, ihres Bruders Joram und 
des königlichen Geschlechtes Kunde erhalten hatte, bot 
sie alles auf, um Davids Haus völlig zu vertilgen, damit 
keiner davon künftig zur Herrschaft gelangen könne. 
Ihrer Ansicht nach hatte sie diese Absicht auch erreicht 
Doch blieb einer von Ochozias’ Söhnen am Leben, der 
auf folgende Weise gerettet wurde. Ochozias hatte eine 
rechte Schwester mit Namen Josabeth, die mit dem 
Hohepriester Jodaus verheiratet war. Als diese in den 
Königspalast kam und den Joas (so hiess das ein Jahr 
alte Knäbchen) mit seiner Amme unter den Leichen der 
Ermordeten verborgen fand, nahm sie beide mit in ihr 
Schlafgemach und zog in Gemeinschaft mit ihrem 
Gatten Jodaus den Knaben heimlich im Tempel sechs 
Jahre lang auf, während welcher Zeit Gotholia über 
Jerusalem und die beiden Stämme herrschte. 

2. Im siebenten Jahre machte Jodaus fünf Haupt- 
leuten von der Sache Mitteilung und beredete sie, mit- 
zuwirken, dass Gotholia beseitigt und die Königsherr- 
schaft dem Knaben übertragen würde. Und um ihrer 
Hilfe desto sicherer zu sein, verpflichtete er sie unter 
einem Eidschwur und gab sich dann der Hoffnung hin, 
dass sein Anschlag gegen Gotholia gelingen werde. Die 
Männer nun, welche der Hohepriester Jodaus als Helfer 
gewonnen hatte, bereisten das ganze Land, versammelten 
die Priester, Leviten und Vorsteher der Stämme und 
nahmen sie mit sich nach Jerusalem zum Hohepriester. 
Dieser verlangte einen Eid von ihnen, dass sie das Ge- 
heimnis, welches sie vernehmen würden, ganz für sich 
behalten wollten, da Verschwiegenheit und entschlossenes 
Handeln in gleicher Weise vonnöten sei. Als er nach 



Neuntes Buch, 7. Kapitel. 


5 71 


Leistung des Eides es für hinreichend gefahrlos hielt, 
ihnen den Plan mitzuteilen, führte er ihnen den Knaben 
aus Davids Geschlecht vor, den er erzog, und sprach zu 
ihnen: „Dieser soll euer König sein, da er von dein 
Hause abstammt, dem, wie ihr wisst, Gott die Herrschaft 
für alle Zeiten verheissen hat. Ich rate euch daher, 
dass der dritte Teil von euch sich im Tempel zum 
Schutze des Königs auf stelle, während der vierte Teil 
am Tempelthore und an dem in dessen Nähe befind- 
lichen offenen Eingang zum Königspalast Wache hält. 
Der Rest soll unbewaffnet im Tempel sich aufhalten, 
und ihr sollt niemand den Eintritt in den Tempel ge- 
statten, falls er bewaffnet ist, er gehöre denn zu den 
Priestern.“ Ausserdem befahl er, dass ein Teil der 
Priester und Leviten nach Art von Trabanten den König 
mit gezogenen Schwertern umringen und jeden, der es 
wage, bewaffnet in den Tempel einzutreten, sofort nieder- 
machen und lediglich dem Schutze des Königs ihre 
Aufmerksamkeit widmen sollten. Diesem Rate des 
Hohepriesters pflichteten alle bei und schritten dann 
auch sofort zur That. Jodaus öffnete die Waffenkammer, 
deren Einrichtung im Tempel von David angeordnet 
worden war, und verteilte an die Hauptleute, Priester 
und Leviten die dort Vorgefundenen Speere, Köcher und 
sonstigen Waffen. Die Bewaffneten stellte er dann in 
geschlossener Schar um den Tempel auf, damit sie allen 
den Eingang wehrten , denen derselbe nicht verstattet 
war. Darauf führte man den Knaben in die Mitte und 
setzte ihm die Königskrone auf, während Jodaus ihn mit 
heiligem Öl salbte und zum Könige ausrief. Das Volk 
erhob ein Freud engeschrei, klatschte Beifall und brach 
in den Ruf aus: „Es lebe der König!“ 

3. Als Gotholia den plötzlichen Lärm und das 
Freudengeschrei vernahm, geriet sie in Verwirrung und 
stürzte mit ihrer Leibwache zum Königspalast hinaus. 
Und da sie zum Tempel kam, liessen die Priester sie 
selbst zwar passieren, ihrem bewaffneten Gefolge dagegen 
wehrten die um den Tempel aufgestellten Wächter nach 



572 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


dem Befehle des Hohepriesters den Eingang. Gotholia 
hatte kaum den auf einer Erhöhung stehenden und die 
König8krone tragenden Knaben erblickt, als sie ihr Ge- 
wand zerriss, ein grosses Geschrei erhob und Befehl gab, 
den Knaben zu töten, der ihr die Herrschaft zu ent- 
reissen trachte. Jodaus aber rief die Hauptleute herbei 
und befahl ihnen, die Gotholia in das Thal Kedron zu 
führen .und dort zu töten: denn er wollte nicht, dass 
man das ruchlose Weib im Tempel umbringe und so 
das Heiligtum verunreinige. Dann fügte er noch hinzu, 
man solle auch jeden töten, der ihr Hilfe zu bringen 
suche. Die Hauptleute ergriffen darauf die Gotholia, 
führten sie zum sogenannten königlichen Maultierthore 
und brachten sie daselbst um. 

4. Als auf diese Weise der Anschlag gegen Gotholia 
gelungen war, versammelte Jodaus das Volk und die 
Truppen im Tempel und liess sie schwören , dem König 
ergeben bleiben und sein wie seines Reiches Wohl 
fördern und schützen zu wollen. Auch dem Könige nahm 
er einen Eid ab, dass er Gott ehren und die Gesetze 
des Moyses nicht übertreten werde. Hierauf drang man 
in den Baalstempel ein, den Gotholia und ihr Gatte 
Joram dem wahren Gotte zur Schmach und dem Achab 
zu Ehren erbaut hatten, und zerstörte denselben völlig; 
den Maathas aber, der damals den priesterlichen Dienst 
versah, tötete man. Die Besorgung und Bewachung des 
Tempels übertrug Jodaus nach Davids Anordnung den 
Priestern und Leviten und befahl ihnen, täglich zweimal 
die gewöhnlichen Brandopfer darzubringen und nach der 
Vorschrift des Gesetzes das Raucher werk zu entzünden. 
Einige Leviten ernannte er zu Thorwächtern des 
Tempels, damit kein Unreiner sich in denselben ein- 
schleichen könne. 

5. Nachdem er diese Anordnungen getroffen, geleitete 
er mit den Hauptleuten, den Heerführern und dem ge- 
samten Volke den Joas aus dem Tempel nach dem 
Königspalast. Als man ihn hier auf den Thron gesetzt 
hatte, erhoben alle ein Freudengeschrei, und man beging 




Neuntes Bucli, 8. Kapitel. 


578 


einige Tage festlich unter Abhaltung von Schmausereien. 
In der Stadt aber entstand wegen des Todes der 
Gotholia nicht die geringste Aufregung. Als Joas die 
Regierung antrat, stand er im siebenten Lebensjahre. 
Seine Mutter hiess Sabia und stammte aus Bersabee. 
So lange nun der Hohepriester Jodaus lebte, beobachtete 
der König die Gesetze und war eifrig in der Verehrung 
Gottes. Als er das entsprechende Alter erreicht hatte, 
heiratete er zwei Weiber, die, ihm der Hohepriester an- 
traute, und erhielt von beiden sowohl Söhne als Töchter. 
Soviel über den König Joas, wie er den Nachstellungen 
der Gotholia entging und die Königswürde erlangte. 


Achtes Kapitel. 

Jchu stirbt, und es folgt ihm in der Regierung Joaz. 
Joas, der König zu Jerusalem, lebt anfangs in Gottesfurcht, 
wird aber später ruchlos und lässt den Zacharias steinigen. 

Joaz’ Sohn Joas. 

1. Der Syrerkönig Azael aber überzog die Israeliten 
und ihren König Jehu mit Krieg, verwüstete die Land- 
striche, welche jenseits des Jordan gegen Osten lagen 
und von den Stammen Rubel, Gad und Manasses be- 
wohnt waren, sowie auch die Landschaften Galaditis 
und Batanaea, plünderte und verbrannte die Städte und 
tötete alles, was ihm in die Hände fiel. Jehu vermochte 
seinem Wüten nicht Einhalt zu thun, starb vielmehr als 
Verächter Gottes und seiner Gebote nach siebenund- 
zwanzigjähriger Regierung. Er ward in Samaria be- 
graben , und es folgte ihm in der Regierung sein Sohn 
Joaz. 

2. Joas dagegen, der König zu Jerusalem, wollte den 
Tempel Gottes wiederherstellen und berief deshalb den 
Hohepriester Jodaus zu sich, dem er den Befehl erteilte, 
durch das ganze Land Priester und Leviten zu senden 
und von ihnen für jeden Kopf der Bevölkerung einen 
halben Sekel Silber zur Wiederherstellung des unter 




574 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Jorara, Gotholia und deren Nachkommen in Verfall 
geratenen Tempels erheben zu lassen. Der Hohepriester 
indes kam dem Befehle nicht nach, weil er wusste, dass 
doch niemand etwas beisteuern würde. Im dreiund- 
zwanzigsten Jahre seiner Regierung aber liess der König 
den Hohepriester und die Leviten zu sich kommen 
und machte ihnen Vorwürfe darüber, dass sie seinen 
Befehl nicht vollzogen hätten. Und da er ihnen zu- 
gleich dringend ans Herz legte, in Zukunft mehr für 
die Wiederherstellung des Tempels besorgt zu sein, er- 
sann der Hohepriester ein Mittel zum Zwecke der Ein- 
sammlung von Geldspenden, dem das Volk gern bei- 
pflicbtete. Er liess nämlich einen hölzernen Kasten 
anfertigen, der an allen Seiten verschlossen war und 
nur eine einzige lochförmige Öffnung hatte. Diesen 
Opferstock liess er im Tempel neben dem Altäre auf- 
stellen und gebot, dass jeder zur Wiederherstellung des 
Tempels Geld durch das Loch hinein werfen solle, und 
zwar so viel als ihm beliebe. Damit war das Volk ein- 
verstanden und steuerte in regem Wetteifer eine Menge 
Gold- und Silbergeld bei. Der Schreiber und der die Kasse 
führende Priester leerten den Kasten , zählten seinen 
Inhalt in Gegenwart des Königs und stellten ihn dann 
wieder an seinen Platz. So verfuhr man Tag für Tag. 
Als nun genug beigetragen zu sein schien, verwendete 
der Hohepriester Jodaus in Gemeinschaft mit dem König 
die Mittel zur Bezahlung von Steinmetzen und Bau- 
meistern und zur Anschaffung einer Menge schönen 
Bauholzes. Nach Vollendung der Wiederherstellungs- 
arbeiten verwendete man das noch übrige Gold- und Silber- 
geld zur Beschaffung von Bechern, Schalen, Krügen und 
anderen Gefässen und brachte täglich herrliche Opfer dar. 
Dieser Eifer hielt an, so lange Jodaus am Leben blieb. 

3. Nach seinem Tode aber (er erreichte ein Alter von 
hundertdreissig Jahren, war ein hervorragend frommer 
und gerechter Mann und wurde, weil er dem Geschlechte 
Davids die Herrschaft erhalten hatte, in der Königsgruft 
beigesetzt) vernachlässigte der König Joas den Gottes- 




Neuntes Buch, 8. Kapitel. 


575 


dienst, und auch die Vorsteher des Volkes wandelten 
wie er schlechte Wege, übertraten die Gebote und 
schalteten ganz nach Gutdünken. Über diese Entartung 
erzürnt, sandte Gott Propheten, die ihnen ihre Frevel 
Vorhalten und sie von ihrem lasterhaften Lebenswandel 
bekehren sollten. Aber sie waren derart auf ihre gott- 
lose Gesinnung versessen, dass sie weder durch da» 
Unglück, von dem ihre Vorfahren sowie deren ganze» 
Geschlecht wegen der Verachtung der Gebote heim- 
gesucht worden waren, noch durch die früheren Weis- 
sagungen der Propheten zur Busse bekehrt wurden und 
zu ihrem früheren rechtschaffenen Wandel nicht mehr 
zurückkehren wollten. Ja, der König liess sogar den 
Zacharias, den Sohn des Hohepriesters Jodaus, unein- 
gedenk der Wohlthaten seines Vaters, im Tempel zu 
Tode steinigen, weil er, vom Geiste Gottes erfüllt, in 
öffentlicher Versammlung König und Volk zur Umkehr 
ermahnt und ihnen für den Fall, dass sie ihm nicht 
folgten, schwere Strafen angedroht hatte. Sterbend rief 
Zacharias Gott zum Zeugen und Racher seines bitteren 
und gewaltsamen Todes an, den er für seinen guten 
Willen und für die Verdienste seines Vaters erleiden 
müsse. 

4. Nicht lange nachher traf den König die verdiente 
Strafe. Denn Azael, der König der Syrer, fiel in sein 
Land ein, zerstörte und plünderte Gitta und zog dann 
gegen Jerusalem. Darüber erschrak Joas sehr, und nun 
beraubte er den Schatz Gottes und der Könige, nahm 
die Weihgeschenke aus dem Tempel und sandte alle» 
dies dem Syrer, den er dadurch von der Belagerung ab- 
halten wollte. Durch den ungeheuren Preis liess sich 
Azael auch wirklich bewegen, seine Truppen von Jeru- 
salem zurückzuziehen. Joas aber fiel bald danach in eine 
schwere Krankheit und wurde von den Freunden de» 
Zacharias, die dessen Tod rächen wollten, überfallen und 
umgebracht. Man begrub ihn zwar in Jerusalem, setzte 
ihn jedoch seiner Gottlosigkeit wegen nicht in der 
Königsgruft bei. Er erreichte ein Alter von sieben- 




576 


Jo&ephas’ Jüdische Altertümer. 


undvierzig Jahren. In der Regierung folgte ihm sein 
Sohn Amasias. 

5. Im einundzwanzigsten Jahre der Regierung des 
Joas übernahm Joaz, der Sohn des Jehu, die Herrschaft 
über die Israeliten in Samaria und regierte siebzehn 
Jahre lang. Doch folgte er durchaus nicht der guten 
Gesinnung seines Vaters , sondern ergab sich denselben 
Lastern wie die früheren Könige, die Gott verachtet 
hatten. Ihn überwand der Syrerkönig und rieb seine zahl- 
reichen Truppen dergestalt auf, dass ihm nur noch zehn- 
tausend Mann Fussvolk und fünfzig Reiter übrig blieben ; 
auch nahm er ihm viele grosse Städte weg. Dieses Un- 
heil widerfuhr aber dem Volke der Israeliten nach einer 
Prophezeiung des Elissaeus, die dieser verkündigt hatte, 
als er auch dem Azael weissagte, er werde seinen Herrn 
töten und die Herrschaft über die Syrer und Damascener 
an sich reissen. In dieser grossen Not nahm Joaz seine 
Zuflucht zum Gebet und flehte zu Gott, er möge ihn 
nicht in die Gewalt Azaels geraten lassen. Gott aber, 
dem Reue lieber ist als Tugend, und der sich oft an 
der blossen Drohung genügen lässt, wollte ihn nicht 
gänzlich zu Grunde richten und befreite ihn von der 
Kriegsgefahr, sodass das Land sich aufs neue des Friedens 
erfreute und seinen früheren Wohlstand wiedererlangte. 

6. Als Joaz gestorben war, folgte ihm sein Sohn Joas 
im siebenunddreissigsten Jahre der Herrschaft des Königs 
Joas zu Jerusalem und regierte sechzehn Jahre lang die 
Israeliten zu Samaria. Er war ein rechtschaffener Mann 
und das gerade Gegenteil seines Vaters. Um diese Zeit 
fiel der hochbetagte Seher Elissaeus in eine Krankheit, 
und der König der Israeliten besuchte ihn. Als dieser 
den Greis sterbend antraf, begann er zu weinen uqd zu 
wehklagen und nannte ihn seinen Vater und Beschützer. 
Denn ihm verdanke er es, dass er gegen seine Feinde 
keiner Waffen bedurft, sondern nach Elissaeus’ Weis- 
sagungen den Sieg über dieselben ohne Kampf davon- 
getragen habe. Und jetzt wolle der Prophet aus dem 
Leben scheiden und ihn der Gewalt der Syrer und 


Neuntes Buch, 8. Kapitel. 


577 


anderer Feinde preisgeben, sodass sein Leben nicht mehr 
sicher sein würde und es besser wäre, wenn er jetzt 
gleich mit ihm stürbe. Elissaeus tröstete den König in 
seinem Schmerz; dann hiess er ihn einen Bogen herbei- 
holen und spannen, und als der König den Bogen 
schussfertig hatte, legte der Seher seine Hände auf des 
Königs Hände und befahl ihm zu schiessen. Der König 
schoss drei Pfeile ab und hörte dann auf; Elissaeus 
aber sprach zu ihm : „Hättest du noch mehr Pfeile ab- 
geschossen, so würdest du das Reich der Syrer von 
Grund aus zerstört haben. Weil du dich aber mit drei 
Pfeilen begnügt hast, so wirst du die Syrer in ebenso vielen 
Schlachten besiegen und ihnen das Land wieder ent- 
reissen, das sie deinem Vater geraubt haben.“ Darauf 
verliess ihn der König; der Seher aber starb bald nach- 
her. Er war ein überaus gerechter Mann und stand in 
Gottes höchster Gunst. Das bezeugen die fast unglaub- 
lichen Wunderthaten, die er auf Gottes Antrieb ver- 
richtete, und deren Andenken noch heute bei den 
Hebräern fortlebt. Er wurde aufs prächtigste bestattet, 
wie es einem Gott so wohlgefälligen Manne zukam. Um 
diese Zeit geschah es, dass ein Mensch von Räubern 
getötet und in das Grab des Elissaeus geworfen wurde. 
Als nun der Tote den Leib des Propheten berührte, 
ward er wieder lebendig. So viel vom Seher Elissaeus, 
seinen Weissagungen und der göttlichen Kraft, die er 
selbst nach seinem Tode noch bewies. 

7. Nach dem Tode des Syrerkönigs Azael ging die 
Herrschaft auf seinen Sohn Adad über. Diesen überzog 
Joas, der König der Israeliten, mit Krieg, besiegte ihn 
dreimal und entriss ihm das ganze Land mit allen seinen 
Städten und Dörfern wieder, welches sein Vater Azael 
dem Reiche der Israeliten geraubt hatte, wie dies von 
Elissaeus vorhergesagt worden war. Als nun auch Joas 
gestorben war, wurde er zu Samaria begraben, und es 
folgte ihm in der Regierung sein Sohn Jeroboam. 


Joeepbua’ JUdlaebe Altertümer. 


37 



576 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Neuntes Kapitel. 

Amasias besiegt die Idumäer, Gabaliter und Amalekiter. 

Sein Kriegszug gegen Joas uud seine Niederlage. Nach 
seiner Ermordung besteigt Ozias den Thron. 

1. Im zweiten Jahre der Regierung des Israeliten- 
königs Joas übernahm Amasias, der Sohn der Jodad, 
einer Bürgerin von Jerusalem, die Herrschaft über den 
Stamm Judas. Schon als Jüngling zeigte er einen 
wunderbaren Gerechtigkeitssinn. Gleich nach seinem 
Regierungsantritt beschloss er, seinen Vater Joas zu 
rächen, liess deshalb die, welche Hand an ihn gelegt 
hatten, festnehmen und bestrafte sie mit dem Tode. 
Doch verschonte er ihre Kinder, getreu dem Gesetze 
des Moyses, der es für unbillig hielt, die Kinder für 
die Schuld ihrer Eltern büssen zu lassen. Hierauf hielt 
er in den Stämmen Judas und Benjamin eine Musterung 
der jungen Leute ab, die beinahe zwanzig Jahre alt 
oder nicht viel älter waren, und hob deren dreihundert- 
tausend aus; auch setzte er Hauptleute über sie. Ausser- 
dem schickte er zum Könige der Israeliten und mietete 
von ihm noch hunderttausend Mann für hundert Talente 
Silber. Denn er hatte beschlossen , die Amalekiter, 
Idumäer und Gabaliter mit Krieg zu überziehen. Als 
er sich nun mit seinem Heere eben in Bewegung setzen 
wollte,' ermahnte ihn ein Seher, die israelitischen Truppen 
zu entlassen. Denn diese seien gottloses Volk, und 
er werde nach Gottes Verkündigung eine Niederlage 
erleiden, wenn er sich ihrer Hilfe bediene. Dagegen 
werde er die Feinde überwinden, wenn er im Vertrauen 
auf Gottes Hilfe den Kampf mit seinen eigenen Truppen 
bestehe. Da aber der König hierüber unwillig ward, 
weil er den Israeliten den Lohn schon gezahlt hatte, 
ermahnte ihn der Prophet , er solle sich dem Willen 
Gottes unterwerfen, denn dieser würde seine Geldmittel 
schon wieder vermehren. Der König entliess darauf die 
Israeliten mit der Bemerkung, er wolle ihnen den Lohn 
schenken, den sie schon empfangen hätten, und zog mit 



Neuntes Buch, 9. Kapitel. 


57 » 


seinen eigenen Trappen gegen die genannten Völker- 
schaften zu Felde. In einer grossen Schlaoht überwand 
er sie, tötete zehntausend von ihnen und nahm ebenso 
viele lebendig gefangen, die er auf den grossen Felsen, 
welcher in Arabien liegt, führen jind von diesem hinab- 
stürzen liess. Er erbeutete in diesem Kampfe eine 
grosse Menge von Kostbarkeiten. Während aberAmasias 
jenen Kriegszug ausführte, fielen die Israeliten, die er 
entlassen hatte, und die hierüber erbittert waren, da sie 
glaubten, Amasiashabe sie aus Verachtung fortgeschickt, 
in sein Gebiet ein, drangen bis Bethsemera vor, ver- 
wüsteten das Land , raubten viel Vieh und töteten drei- 
tausend Menschen. 

2. Amasias wurde übrigens durch den glücklich er- 
rungenen Bieg hochmütig und fing an, Gott) der doch 
der Urheber desselben war, zu vernachlässigen nnd sich 
der Verehrung derjenigen Götter hinzugeben, die er aus 
dem Lande der Amalekiter mitgebracht hatte. Es kam 
aber zu ihm ein Prophet) der ihm erklärte, er wundere 
sich, dass er die für Götter halte, die ihren Verehrern 
nicht helfen und sie nicht aus seinen Händen hätten 
befreien können, vielmehr den grössten Teil ihres Heeres 
hätten zu Grunde gehen und sich selbst in Gefangen- 
schaft geraten lassen. Denn die Götter seien doch 
gerade so nach Jerusalem geführt worden, als ob sie 
kriegsgefangene Feinde gewesen wären. Hierüber er- 
zürnte der König, hiess den Seher schweigen und drohte 
ihm die Todesstrafe an , wenn er sich um Sachen 
kümmere , die ihn • nichts angingen. Der Seher ent- 
gegnete , er werde ruhig sein , aber Gott werde die 
Neuerungen des Königs nicht ungestraft lassen. Amasias, 
der sich in seinem Glücke nicht zu mässigen verstand 
(denn obwohl er dasselbe von Gott erlangt hatte, scheute 
er sich doch nicht, ihn zu schmähen) und auf sich 
selbst sehr eingebildet war, schrieb nun an Joas, den 
König der Israeliten, er solle sich mit seinem ganzen 
Volke ihm unterwerfen, wie das auch unter seinen Vor- 
fahren David und Solomon der Fall gewesen sei. Wolle 

81 * 



580 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


er das aber nicht thun, so möge er wissen, dass der 
Krieg das entscheidende Wort zu sprechen habe. Joas 
schrieb ihm darauf folgendes zurück: „Der König Joas 
an den König Amasias. Auf dem Berge Libanon stand 
eine grosse Cypresse 4 ind dabei eine Brombeer Staude. 
Die Staude schickte zur Cypresse und stellte an sie das 
Ansinnen, ihre Tochter dem Sohn der Staude zur Ehe 
zu geben. Inzwischen aber ging ein wildes Tier vorbei, 
welches die Staude zertrat. Das soll dir zum Beispiel 
dienen, damit du nicht allzu Grosses erstrebst und in 
dem Übermute, in den dich der Sieg über die Amalekiter 
versetzt hat, nicht dich und dein Beich in Gefahr 
bringst.“ 

3. Als Amasias diese Antwort las, ward seine Lust 
zum Kriege noch mehr entfacht. Gott trieb ihn, wie 
ich glaube, selbst dazu an, damit er für seine Sünden 
bestraft würde. Als er aber gegen Joas ausgerückt war 
und sich anschickte, den Kampf zu beginnen, ergriff 
Furcht und Verwirrung, wie Gott in seinem Zorn sie 
zu schicken pflegt, das Heer des Amasias, sodass es 
sich zur Flucht wandte, noch ehe es mit dem Feinde 
handgemein geworden war. Amasias aber wurde, da 
die Seinigen sich in ihrem Entsetzen zerstreuten und ihn 
im Stich Hessen, vom Feinde gefangen genommen, und 
Joas drohte ihm , er werde ihn töten lassen , wenn er 
nicht die Einwohner von Jerusalem dazu berede, ihm 
die Thore zu öffnen und ihn mit seinem Heere in die 
Stadt aufzunehmen. Amasias sah sich in seiner Not ge- 
zwungen, dieses Verlangen zu erfüllen, und bewog dem- 
gemäss die Einwohner von Jerusalem, den Joas ein- 
rücken zu lassen. Dieser liess einen vierhundert Ellen 
langen Teil der Stadtmauer schleifen und fuhr durch 
die Bresche in Jerusalem hinein, indem er den Amasias 
gefangen vor sich herführen liess. So brachte er Jeru- 
salem in seine Gewalt, raubte den Schatz Gottes und 
plünderte alles, was von Gold und Silber in des Amasias 
Königspalast sich vorfand. Jetzt erst setzte er den 
Amasias in Freiheit und kehrte nach Samaria zurück. 




-Neuntes Buch, 10. Kapitel. 


581 


Dieses Unglück traf Jerusalem im vierzehnten Jahre 
der Regierung des Amasias. Bald darauf trachteten 
dem Könige seine eigenen Freunde nach dem Leben, 
sodass er sich gezwungen sah, nachLachis zu entfliehen. 
Hier aber wurde er von den Leuten, die jene ihm nach- 
gesandt hatten, getötet. Sein Leichnam ward nach 
Jerusalem zurückgebracht und hier mit königlichen 
Ehren beigesetzt Einen solchen Tod fand er wegen 
seines Übermutes und seiner Widersetzlichkeit gegen 
Gott, nachdem er vierundfünfzig Jahre gelebt und neun- 
undzwanzig Jahre regiert hatte. Es folgte ihm sein 
Sohn Ozias. 


Zehntes Kapitel. 

Von Jeroboam, .dem Könige der Israeliten, und dem 
Propheten Jonas. Wie nach Jeroboams Tod sein Sohn 
Zacharias die Regierung übernahm. Wie Ozias , der 
König zu Jerusalem, die benachbarten Völkerschaften 
unterwarf, und was ihm widerfuhr, als er Gott ein 
Rauchopfer darbringen wollte. 

1. Im fünfzehnten Jahre der Regierung des Amasias 
trat Jeroboam, der Sohn des Joas, die Herrschaft über 
die Israeliten an und behielt sie vierzig Jahre lang. 
Dieser König war ein Verächter Gottes und der Gesetze, 
denn er verehrte Götzenbilder und verlegte sich auf 
widersinnige, fremde Gebräuche, wodurch er über das 
Volk der Israeliten grosses Unheil brachte. Es ver- 
kündigte ihm aber der Seher Jonas, er werde, wenn er 
mit den Syrern Krieg führe, deren Macht erschüttern 
und die Grenzen seines Reiches nach Norden bis zur 
Stadt Amathus und nach Süden bis zum See Asphaltis 
erweitern. Das waren nämlich früher die Grenzen 
Chananaeas, wie es der Feldherr Jesus abgemessen hatte. 
Jeroboam unternahm daraufhin gegen die Syrer einen 
Kriegszug und brachte ihr ganzes Land unter seine 
Botmässigkeit, wie der Seher Jonas ihm vorhergesagt 
hatte. 



582 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


2. Da ich mir aber vorgenommen habe, eine genaue 
Geschichte unseres Volkes zu schreiben, halte ich es 
für notwendig, alles zu erwähnen, was ich in den Büchern 
der Hebräer über diesen Seher aufgezeichnet gefunden 
habe. Gott hatte ihm nämlich befohlen, in das Reich 
des Ninus zu reisen, sich in die Stadt (Ninive) zu be- 
geben und dort zu verkündigen, der König werde binnen 
kurzem seine Herrschaft verlieren. Doch er fürchtete 
sich und begab sich nicht dahin, sondern floh vor Gott 
in die Stadt Joppe, bestieg hier ein Schiff und wollte 
nach Tarsus in Cilicien fahren. Plötzlich aber entstand 
ein heftiger Sturm, und das Schiff drohte unterzugehen. 
Die Schiffer samt dem Steuermann und dem Kapitän 
gelobten Gott, sie wollten ihm ihre Dankbarkeit er- 
weisen, wenn er sie aus der Gefahr errette. Jonas aber 
that nichts dergleichen, sondern blieb im Schiffe ver- 
borgen liegen. Als nun die Wellen stets höher schlugen 
und der Sturm das Meer immer heftiger aufwühlte, arg- 
wöhnten die Schiffer, wie dies wohl vorkommt, es sei 
jemand von den Passagieren schuld an dem Sturm, 
und sie beschlossen daher, das Los zu werfen, um den 
Schuldigen zu ermitteln. Das Los aber traf den Seher, 
und als sie ihn fragten, woher er sei und was er vor- 
habe, antwortete er, er sei seiner Herkunft nach Hebräer 
und ein Prophet Gottes. Dann gab er ihnen den Rat, 
sie möchten, wenn sie der gegenwärtigen Gefahr entrinnen 
wollten, ihn ins Meer werfen; denn er sei die Ursache, 
weshalb der Sturm so heftig wüte. Die Leute wollten 
sich anfangs hierzu nicht verstehen, weil sie es für un- 
recht hielten, einen fremden Menschen, der ihnen sein 
Leben anvertraut hatte, dem offenbaren Untergänge 
preiszugeben. Da aber die Not immer grösser wurde 
und das Schiff zu versinken drohte, Hessen sie sich 
endlich teils auf Drängen des Sehers, teils aus Furcht 
vor dem Untergang© dazu bestimmen, ihn ins Meer zu 
werfen. Der Sturm legte sich nun sogleich. Jonas aber 
soll von einem Fische verschlungen und von diesem 
nach drei Tagen und ebenso vielen Nächten an das 




Neuntes Buch, 10.. Kapitel. 


588 


Gestade des Pontus Euxinus ausgespien worden sein, 
ohne irgend einen Schaden erlitten zu haben. Nachdem 
«r hierauf Gott um Verzeihung seiner Sünden gebeten, 
ging er zur Stadt Ninive, stellte sich hier an einem 
Orte auf, wo alle ihn hören konnten, und verkündigte 
den Bewohnern der Stadt, dass sie alsbald die Herr- 
schaft über Asien verlieren würden. Dann begab er 
sich nach Hause zurück. Diese Erzählung habe ich so 
berichtet, wie ich sie in den Büchern vorfand. 

3. Als Jeroboam sein Leben im höchsten Glücke 
zugebracht und vierzig Jahre regiert hatte, ward er zu 
seinen Vätern versammelt und in Samaria begraben. 
Auf dem Throne folgte ihm sein Sohn Zacharias. Im 
vierzehnten Jahre der Regierung des Jeroboam trat 
Ozias, der Sohn des Amasias, die Herrschaft über die 
beiden Stämme zu Jerusalem an. Seine Mutter, mit 
Namen Achiala, war eine Bürgerin von Jerusalem. Er 
selbst war von Natur edel, gerecht, hochherzig, vor- 
sichtig und thatkräftig. Nachdem er gegen die Palaestiner 
zu Felde gezogen war, nahm er deren Städte Gitta und 
Jamnia ein und schleifte die Mauern derselben. Darauf 
griff er die Araber an, die nahe bei Aegypten wohnen, 
baute eine Stadt am Roten Meere und legte eine Be- 
satzung hinein. Dann unterjochte er die Ammaniter, 
legte ihnen einen bestimmten Tribut auf und brachte 
das ganze Land bis zu den Grenzen Aegyptens, unter 
seine Botmässigkeit. Hierauf wandte er seine Sorgfalt 
<ler Stadt Jerusalem zu. Was von der Stadtmauer, sei 
«s von Alters wegen, sei es infolge der Sorglosigkeit 
früherer Könige zusammengestürzt war, baute er von 
neuem auf. Auch den Teil der Mauer, den der König 
der Israeliten , als er mit seinem gefangenen Vater 
Amasias den Einzug in die Stadt hielt, hatte schleifen 
lassen, setzte er wieder in stand. Ausserdem errichtete er 
viele Türme in Höhe von hundertfünfzig Ellen. Ferner 
umgab er die in der Wüste gelegenen Stationen mit 
Festungswerken und legte viele Wasserleitungen an. 
Er besass eine ungeheure Menge Zug- und anderes 



584 


Josephns’ Jüdische Altertümer. 


Vieh, da das Land sehr gute Weideplätze aufwies. Und 
weil er den Ackerbau liebte, wendete er diesem seine 
Sorgfalt zu und bepflanzte das Land mit Gewächsen 
jeglicher Art. Er hielt ein Heer auserlesener Krieger, 
das dreihundertsiebzigtausend Mann zählte, über welche 
zweitausend Hauptleute und Oberste von hervorragender 
Tapferkeit und gewaltiger Körperstärke gesetzt waren. 
Das ganze Heer teilte er in kleinere Abteilungen ein und 
versah diese mit Waffen, indem er jedem Krieger ein 
Schwert, einen ehernen Schild und Panzer, Bogen und 
Schleuder gab. Ausserdem liess er viele Maschinen an- 
fertigen, die bei der Belagerung von Städten Verwendung 
Anden sollten, desgleichen Vorrichtungen, mit denen 
man Steine und sonstige Geschosse werfen konnte, end- 
lich eiserne Sturmhaken und andere Geräte dieser Art. 

4. Da er nun solche Einrichtungen und Vor- 
bereitungen traf, ward sein Sinn hochmütig, und auf- 
gebläht durch vergänglichen Reichtum, verachtete er das 
Unsterbliche und Ewige, die Frömmigkeit gegen Gott 
und die Beobachtung der Gesetze. Schliesslich stürzte 
er von der Höhe seines Glückes herab und 'fiel in die- 
selben Laster, denen sein Vater ergeben gewesen war, 
und zu welchen diesen ebenfalls der Glanz seines Glückes 
und seiner Macht verleitet hatte, weil er darin keine 
Mässigung kannte. Als nämlich einst ein Fest gefeiert 
wurde, an dem das ganze Volk teilnahm, zog Ozias 
Priesterkleider an und begab sich in den Tempel, um 
auf dem goldenen Altäre Gott ein Rauchopfer dar- 
zubringen. Der Hohepriester Azarias, dem achtzig 
Priester zur Seite standen, suchte ihn daran zu hindern, 
da es ihm nicht gestattet sei zu opfern, dies vielmehr 
allein den Nachkommen Aarons zustehe, und alle 
Priester riefen ihm zu, er solle sich aus dem Tempel 
entfernen und Gottes Gebote nicht übertreten. Ozias 
aber geriet in Zorn und drohte ihnen mit dem Tode, 
wenn sie sich nicht ruhig verhielten. Da erbebte die 
Erde, der Tempel spaltete sich, und es brach aus ihm 
ein glänzendes Sonnenlicht hervor, das auf des Königs 



Neuntes Buch, 11. Kapitel. 


585 


Antlitz fiel; und sogleich ergriff ihn der Aussatz. Vor 
der Stadt aber öffnete sich an dem Orte , der Eroge ge- 
nannt wird, der Berg, und die eine Hälfte desselben, 
die gegen Westen lag, wälzte sich vier Stadien weit 
gegen den östlichen Teil des Berges, sodass die Wege 
und die Gärten des Königs verschüttet wurden. Als die 
Priester bemerkten, dass das Angesicht des Königs vom 
Aussatz ergriffen war, verkündeten sie ihm sein Un- 
glück und befahlen ihm, die Stadt zu verlassen, da er 
unrein sei. Der König, voll Scham und Trauer über 
sein Leiden , gehorchte dem Befehl und erduldete so 
die Strafe für seinen Frevel gegen Gott Er lebte eine 
Zeitlang ausserhalb der Stadt als Privatmann, während 
sein Sohn Jotham die Regierung führte. Darauf starb 
er vor Gram und Kummer über seine Sünden, nachdem 
er achtundsechzig Jahre gelebt und zweiundfünfzig Jahre 
regiert hatte. Er wurde in seinem Garten allein für 
sich bestattet. 


Elftes Kapitel. 

Zacharias, Sellum, Manaem, Phakeas, Sohn des Manaem, 
und Phakeas, Sohn der Romelia, Könige der Israeliten. 
Jotham, Sohn des Ozias, König zu Jerusalem. Nahums 
Prophezeiung über die Assyrier. 

1. Zacharias wurde, nachdem er sechs Monate über 
die Israeliten geherrscht hatte, hinterlistigerweise von 
seinem Freunde Sellum, dem Sohne des Jabes, um- 
gebracht, der ihm nun in der Regierung folgte, dieselbe 
jedoch nur dreissig Tage lang innehatte. Denn als 
der Heerführer Manaem, der damals in der Stadt 
Tharsa sich auf hielt, von der Ermordung des Zacharias 
Nachricht erhalten hatte, brach er mit seinem ganzen 
Heere auf und marschierte nach Samaria, tötete den 
Sellum in einem Treffen und warf sich selbst zum Könige 
auf, worauf er nach Tharsa zurück kehrte. Da aber die 
Einwohner der Stadt ihm die Thore verschlossen und 


Go gle 



586 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


ihn als König nicht anerkennen wollten, beschloss er 
sich an ihnen zu rächen und verwüstete das ganze Land 
ringsum , nahm die Stadt ein und brachte aus Ärger 
über die ihm zugefügte Schmach sämtliche Einwohner 
einschliesslich der Kinder mit einer Grausamkeit ohne- 
gleichen ums Leben. Er wütete nämlich gegen seine 
eigenen Landsleute mit einer Härte, die nicht einmal zu 
verzeihen gewesen wäre, wenn er sie gegen auswärtige, 
im Krieg unterworfene Feinde verübt hätte. Und wie 
Manaem seine Regierung angetreten, so führte er sie 
zehn Jahre lang mit höchster Grausamkeit weiter. Als 
er aber von dem Assyrierkönige Phullus mit Krieg über- 
zogen wurde, lieBS er sich mit ihm auf keinen Kampf 
ein, sondern beendete den Krieg dadurch, dass er den 
Phullus durch Zahlung von tausend Talenten Silber 
zum Rückzug veranlasste. Diese Summe musste jedoch 
das Volk auf bringen, indem für jeden Kopf fünfzig 
Drachmen an Steuer erhoben wurden. Kurz darauf 
starb er und wurde zu Samaria begraben. In der Re- 
gierung folgte ihm sein Sohn Phakeas, der ihm an 
Grausamkeit nichts nachgab und nur zwei Jahre 
herrschte. Er wurde mit seinen Freunden von einem ge- 
wissen Obersten Phakeas, dem Sohne der Romelia, bei 
einem Gastmahl überfallen und umgebracht. Aber 
auch dieser Phakeas, der zwanzig Jahre lang regierte, 
war gottlos und grausam. Unter seiner Regierung über- 
zog der Assyrierkönig Theglaphalassar die Israeliten mit 
Krieg, unterwarf sich das ganze Land Galaditis , das 
Gebiet jenseits des Jordan , das benachbarte Galilaea, 
ferner Kydisa und Azora, und führte die Bewohner mit 
sich in die Gefangenschaft nach seinem Reiche. So viel 
von diesem Könige der Assyrier. 

2. Jotham, der Sohn des Ozias, herrschte zu Jerusalem 
über den Stamm Judas. Seine Mutter war eine Jeru- 
salemerin und hiess Jerasa. Dieser König besass alle 
Tugenden und war ebenso fromm gegen Gott, als gerecht 
gegen die Menschen. Auch dem Staats wesen wandte er 
seine Sorgfalt zu. Alles, was einer Instandsetzung oder 



Neuntes Buch, 1 1. Kapitel. 


587 


Ausschmückung bedurfte, liess er wiederherstellen. Am 
Tempel liess er eine Säulenhalle und neue Thore er- 
richten, besserte die teilweise eingestürzten Festungswerke 
der Stadt aus und verstärkte sie durch hohe und feste 
Türme. Auch was sonst, in seinem Reiche sich in ver- 
nachlässigtem Zustande befand, stellte er mit vieler 
Sorgfalt wieder her. Gegen die Amman iter unternahm 
er einen Kriegszug, besiegte sie und legte ihnen einen 
Jahrestribut von hundert Talenten Silber, zehntausend 
Koren Weizen und ebenso viel Gerste auf. Seine Macht- 
stellung stärkte er so sehr, dass er seinen Feinden 
Achtung abzwang und die Seinigen zu Glück und Wohl- 
stand brachte. 

3. Um diese Zeit lebte ein Prophet Namens Nahum, 
der über den Untergang der Assyrier und der Stadt 
Ninive folgende Prophezeiung aussprach: „Ninive wird 
sein wie ein Fischteich, der von Winden bewegt wird, 
sodass sein ganzes Volk verwirrt und, hin- und her- 
getrieben, zur Flucht sich wenden wird. Und der eine 
wird zum anderen sagen: Stehet still und haltet ein und 
ergreifet das Gold und das Silber. Aber es wird nie- 
mand sein, der sich dazu bereden lässt. Denn alle 
wollen lieber ihr Leben als Hab und Gut retten. Dann 
wird auf ihnen lasten schwerer Hader, Trauer und Weh- 
klage, uüd ihre Glieder werden wanken und ihr Antlitz 
vor Furcht erbleichen. Wo aber wird alsdann sein die 
Höhle der Löwen und die Mutter der jungen Löwen? 
Also spricht Gott zu dir, Ninive: Ich will dich von 
Grund aus zerstören, und nicht mehr sollen Löwen aus 
dir hervorgehen,* um über die Welt zu herrschen!“ Noch 
vieles andere verkündigte dieser Seher über das Schick- 
sal Ninives, das ich jedoch hier nicht erwähnen will, um 
den Leser nicht zu ermüden. Alle diese Weissagungen 
über Ninive sind hundertfünfzehn Jahre später in Er- 
füllung gegangen. So viel mag hiervon genügen. 


Go gle 




588 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


* Zwölftes Kapitel. 

Wie Arases, der Syrerkönig , und Phakeas, der König 
der Israeliten, Achaz, den Nachfolger Jothains, Angriffen, 
und wie dieser den Assyrierkönig Theglaphalassar als 
Bundesgenossen zu Hilfe rief. Der letztere verwüstet 
Syrien und führt die Damascener nach Medien fort. 

Achaz’ Tod. 

1. Jothara starb, nachdem er einundvierzig Jahre ge- 
lebt und sechzehn Jahre regiert hatte, und wurde in 
der Königsgruft beigesetzt. In der Regierung folgte ihm 
sein Sohn Achaz, der, was Gottlosigkeit und Übertretung 
der Gesetze betraf, den Königen der Israeliten nach- 
ahmte, in Jerusalem Altäre errichtete, auf diesen den 
Götzen opferte und sogar nach dem Gebrauche der 
Chananäer seinen eigenen Sohn als Brandopfer dar- 
brachte. Während er nun diese und andere dergleichen 
Scbändlichkeiten trieb, überzogen ihn der Syrerkönig 
Arases und der Israelitenkönig Phakeas, die einander 
Freunde und Bundesgenossen waren, mit Krieg, schlossen 
ihn in Jerusalem ein und belagerten ihn lange. Doch 
konnten sie gegen die stark befestigte Stadt nichts aus- 
richten. Dagegen nahm der Syrerkönig die Stadt Ailath 
am Roten Meere ein, tötete deren Bewohner und siedelte 
Syrer in ihr an. Und nachdem er sowohl die Juden, 
welche die Besatzung der Stadt gebildet hatten, als auch 
die, welche in der Umgegend wohnten, niedergemacht 
hatte, kehrte er mit reicher Beute nach Damaskus zu- 
rück. Als aber der König zu Jerusalem die Heimkehr 
der Syrer vernommen hatte, zog er, weil er sich dem 
Könige der Israeliten gewachsen glaubte, gegen diesen 
zu Felde, wurde jedoch von ihm besiegt, da er wegen 
seiner Frevelthaten den Zorn Gottes auf sich ge- 
laden hatte. Die Israeliten machten hundertzwanzig- 
tausend Juden nieder, und ihr Anführer Zacharis tötete 
Amasias, den Sohn des Achaz, im Handgemenge; 
den Reichskanzler Erikas aber und Elkas, den Befehls- 
haber des Stammes Judas, nahm er gefangen. Ausserdem 


Go gle 




Neuntes Buch, 12. Kapitel. 


589 


führten die Israeliten die Weiber und Kinder aus dem 
Stamme Benjamin als Gefangene fort und zogen sich 
dann mit reicher Beute nach Samaria zurück. 

2. Vor den Mauern der Stadt aber begegnete dem 
Heere der Prophet Obedas und rief ihm zu, diesen Sieg 
hätten sie nicht durch ihre eigene Tapferkeit erlangt, 
sondern deshalb, weil Gott über den König Achaz er- 
zürnt gewesen sei. Dann warf er ihnen vor, dass sie 
an dem Sieg allein sich nicht hätten genügen lassen, 
sondern auch noch ihre Blutsverwandten aus den 
Stämmen Judas und Benjamin als Gefangene mit- 
geschleppt hätten, und gab ihnen den Rat, dieselben 
unversehrt wieder heimziehen zu lassen. Wenn sie aber 
seinem Rat nicht folgten, hätten sie von Gott Strafe zu 
erwarten. Darauf versammelte sich das Volk der 
Israeliten, um hierüber zu beraten. Und es erhob sich 
ein Mann mit Namen Barachias, der grosses Ansehen 
genoss, nebst drei anderen, und sprach also: „Wir 
glauben den Bürgern nicht gestatten zu dürfen, diese 
Gefangenen in die Stadt mitzunehmen, damit wir nicht 
samt und sonders von Gott ins Verderben gestürzt 
werden. Denn unsere Sünden gegen Gott sind wahrlich 
an sich schon gross genug, wie unsere Propheten sagen, 
weshalb wir uns wohl hüten müssen, noch neue dazu 
zu begehen." Als die Krieger dies hörten, stellten sie 
ihnen anheim, nach ihrem Gutdünken zu verfahren. 
Darauf lösten die genannten Männer den Gefangenen 
die Fesseln, erquickten sie, versahen sie mit Wegzehrung 
und schickten sie, ohne dass ihnen ein Leid angethan 
worden wäre, nach Hause zurück. Bis Jericho, das 
nicht weit von Jerusalem liegt, gaben sie ihnen 
sogar noch das Geleit und kehrten dann nach Samaria 
heim. 

3. Als der König Achaz diese Niederlage von den 
Israeliten erlitten hatte, schickte er Gesandte an den 
Assyrierkönig Theglaphalassar und liess ihn gegen die 
Zusage einer grossen Geldsumme um ein Bündnis gegen 
die Israeliten, Syrer und Damascener bitten. Dieser 



590 


Josephas’ Jüdische Altertümer. 


eilte denn auch sogleich dem Achaz zu Hilfe, zog gegen 
die Syrer, verwüstete deren Land, eroberte Damaskus 
und tötete den König Arases* Die Damascener aber 
führte er in das obere Medien fort und verpflanzte dafür 
assyrische Völkerschaften als Kolonisten nach Damaskus. 
Alsdann verwüstete und plünderte er auch das Land 
der Israeliten und schleppte viele von ihnen in die 
Gefangenschaft. Achaz aber nahm, was an Gold und 
Silber im Königsschatze und im Tempel sich vorfand, 
sowie die kostbarsten Weihgeschenke, ging damit nach 
Damaskus und übergab alles vertragsgemäss dem Könige 
der Assyrier, stattete ihm für seine Hilfe Dank ab und 
kehrte dann wieder nach Jerusalem zurück. Es war 
aber dieser König so thöricht und gedankenlos und so 
wenig auf seinen Vorteil bedacht, dass er, obgleich die 
Syrer ihn bekriegt hatten, dennoch von der Verehrung 
ihrer Götter nicht abliess, sondern fortfuhr, denselben 
zu dienen, als wenn er durch ihre Hilfe den Sieg 
davontragen würde. Als er aber wiederum besiegt 
wurde, fing er an, die Götter der Assyrier zu verehren, 
sodass es den Anschein hatte, als wolle er allen übrigen 
Göttern lieber dienen wie dem wahren Gotte seiner 
Väter, der in seinem Zorn diese Niederlage über ihn 
verhängt hatte. Ja, er ging in der Verachtung Gottes 
so weit, dass er den Tempel schloss, die Darbringung 
von Opfern untersagte und die Weihgeschenke aus dem 
Tempel raubte. Nach dieser Lästerung Gottes starb er 
im Alter von sechsunddreissig und nach einer Regierung 
von sechzehn Jahren und hinterliess als Nachfolger 
seinen Sohn Ezekias. 




Neuntes Buch, 18. Kapitel. 


591 


Dreizehntes Kapitel. 

Wie Pbakeas infolge der Nachstellungen des Oseas umkam, 
und wie dieser gleich nachher von Salmanasar unterjocht 
wurde. Ezekias, Sohn des Achaz, und seine gottesfürchtige 

Regierung. 

1. Um diese Zeit ereilte auch den Israelitenkönig 
Phakeas sein Geschick , da er von seinem Freunde 
Oseas umgebracht wurde. Dieser führte alsdann neun 
Jahre lang die Regierung, war aber lasterhaft und ein 
Verächter Gottes. Gegen ihn zog der Assyrierkönig 
Salmanasar zu Felde, und da er Gottes Gunst und 
Schutz nicht mehr besass , besiegte Salmanasar ihn, 
machte ihn sich unterthan und legte ihm einen be- 
stimmten Tribut auf. Im vierten Jahre der Regierung 
des Oseas bestieg zu Jerusalem Ezekias, der Sohn des 
Achaz und der aus Jerusalem gebürtigen Abia, den 
Thron. Dieser war von Natur edel, gerecht und gottes- 
fürchtig. Denn vom Beginne seiner Regierung an hielt 
er nichts für notwendiger und ihm wie seinen Unter- 
thanen erspriesslicher , als die Verehrung Gottes. Des- 
halb berief er das Volk, die Priester und die Leviten 
zusammen und sprach zu ihnen: „Ihr wisst wohl, das» 
ihr wegen der Sünden meines Vaters, der gegen Gottes 
Ehre frevelte, von vielen und schweren Drangsalen 
heimgesucht worden seid, weil ihr euch von ihm zum 
Götzendienst habt verleiten lassen. Da ihr nun die 
Folgen der Sünde erfahren habt, so ermahne ich euch, 
davon abzulassen und euch von eurem alten Schmutze 
zu reinigen. Und euch besonders, ihr Priester und 
Leviten, lege ich ans Herz, dass ihr den Tempel wieder 
öffnet und ihn durch feierliche Reinigungs- und Sühn- 
opfer in seinen alten ehrwürdigen Zustand versetzt. 
Dann wird Gott mit seinem Zorne einhalten und uns 
wieder gnädig sein.“ 

2. Auf diese Ermahnung des Königs öffneten die 
Priester den Tempel, reinigten die heiligen Geräte, ent- 
fernten allen Schmutz und legten feierliche Opfer auf 




■592 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


den Altar. Der König aber sandte Boten durchs ganze 
Land und berief das Volk nach Jerusalem zur Feier 
des Festes der ungesäuerten Brote, das wegen der Gott- 
losigkeit der früheren Könige lange nicht gehalten 
worden war. Sogar zu den Israeliten schickte er und 
liess sie ermahnen, ihre jetzige Lebensweise zu verlassen 
und zur Verehrung des wahren Gottes zurückzukehren. 
Er wolle ihnen gern erlauben , nach Jerusalem zu 
kommen, um hier das Fest der ungesäuerten Brote zu 
feiern und an den festlichen Veranstaltungen der 
Seinigen teilzunehmen. Diese Ermahnungen liess er 
aber nicht deshalb an sie ergehen, weil er sie zwingen 
wollte, seinem Machtspruch zu gehorchen, sondern um 
ihres eigenen Nutzens willen, indem sie dadurch ihr Glück 
begründen könnten. Die Israeliten jedoch leisteten der 
Einladung des Königs keine Folge und verlachten 
obendrein seine Gesandten als Thoren. Auch die Seher, 
die ihnen gut rieten und grosses Unheil verkündeten, 
wenn sie nicht bald zur Verehrung des wahren Gottes 
zurückkehrten, verhöhnten sie und brachten sie zuletzt 
sogar ums Leben. Und hiermit nicht zufrieden, stürzten 
sie sich in noch grössere Laster und liessen nicht 
•eher davon ab, als bis Gott sie zur Strafe für ihre 
Frevelthaten in die Gewalt ihrer Feinde geraten liess, 
worüber ich später noch ausführlich berichten werde. 
Nur aus den Stämmen Manasses, Zabulon und Isachar 
folgten viele den Ermahnungen der Propheten und 
kehrten zu gottesfürchtigem Wandel zurück. Alle diese 
begaben sich zu Ezekias nach Jerusalem, um dort Gott 
anzubeten. 

3. Als nun die Menge in Jerusalem zusammengeströrat 
war, ging der König mit den Vorstehern und dem ge- 
samten Volke in den Tempel und opferte für sich 
sieben Stiere und ebenso viele Widder, desgleichen sieben 
Lämmer und ebenso viele Böcke. Und nachdem er mit 
den Stammeshäuptern die Hände auf die Köpfe der 
Opfertiere gelegt hatte , liess er dieselhen von den 
Priestern als Opfer darbringen. Diese schlachteten die 



Neuntes Bach, 18. Kapitel. 


593 


Tiere und verbrannten sie als Ganzopfer. Die Leviten 
aber standen mit ihren Musikinstrumenten im Kreise, 
sangen Loblieder und spielten dazu, wie David dies ge- 
lehrt hatte, und die übrigen Priester begleiteten die 
Sänger mit dem Schalle der Posaunen. Hierauf fiel der 
.König samt dem Volke zur Erde nieder und betete 
Gott an. Dann liess er noch siebzig Ochsen , hundert 
Widder und' zweihundert Lämmer schlachten, und dem 
Volke schenkte er zum Mahle sechshundert Ochsen und 
dreitausend Stück anderes Vieh. Die Priester aber voll- 
zogen alles genau nach der Vorschrift des Gesetzes. 
Alsdann speiste der König mit dem Volke in Jubel 
und Freude und dankte Gott. Als nun das Fest der 
ungesäuerten Brote gekommen war, brachte man die 
Pascha-Opfer dar und versah auch an den sieben auf- 
einanderfolgenden Tagen den vorgeschriebenen Opfer- 
dienst. Und der König schenkte dem Volke noch zu 
den von ihm dargebrachten Opfern zweitausend Stiere 
und siebentausend Stück sonstiges Vieh. Dasselbe thaten 
auch die Stammeshäupter, die dem Volke tausend Stiere 
und tausendvierzig Stück anderes Vieh schenkten. Mit 
solcher Pracht wurde das Paschafest gefeiert, weil es 
von Solomons Zeit an nicht mehr so glänzend begangen 
worden war. Als nun die ganze Festfeier zu Ende war, 
gingen sie aus der Stadt und reinigten das ganze Land 
ringsum. Auch säuberten sie die Stadt von dem 
Schmutze des Götzendienstes. Der König befahl darauf, 
dass nach der Vorschrift des Gesetzes die täglichen 
Opfer auf seine Kosten dargebracht werden sollten, und 
bestimmte, dass das Volk den Priestern und Leviten 
den Zehnten und die Erstlinge der Früchte zu entrichten 
habe, damit sie für den Gottesdienst sorgen und für ihn 
«Hein leben könnten. Deshalb brachte das Volk den 
Priestern und Leviten Früchte aller Art. Der König 
aber liess zu ihrer Aufbewahrung Vorratskammern und 
Speicher errichten, aus denen dann die einzelnen Priester 
und Leviten sowie deren Weiber und Kinder ihren Be- 
darf bezogen. Also wurde wieder ganz die frühere Art 

Joeepbas’ J tidtecbe Altertümer. 38 



594 


Josephu»’ Jüdische Altertümer. 


der Gottesverehrung eingeführt. — Darauf überzog der 
König die Palaestiner mit Krieg, besiegte sie und er- 
oberte alle ihre Städte von Gaza bis nach Gitta. Der 
Assyrierkönig aber schickte Gesandte zu ihm und drohte 
ihm die Zerstörung seines Reiches an, wenn er ihm 
nicht den Tribut entrichte, den sein Vater bezahlt habe. 
Ezekias Hess sich indes durch diese Drohungen nicht 
einschüchtern, sondern vertraute auf seine Gottesfurcht 
und auf den ßeher’l Esäias, dessen Weissagungen ihm 
die Zukunft klar vor Augen legten. Das mag vorläufig 
über diesen König genügen. 


Vierzehntes Kapitel. 

Wie Salmanasar Samaria eroberte , die zehn Stämme 
nach Medien fortführte und Chuthäer in ihrem Lande 

ansiedelte. 

1. Als Salmanasar, der König der Assyrier, ver- 
nommen hatte, der Israelitenkönig habe insgeheim eine 
Gesandtschaft an Soas, den König der Aegyptier, ge- 
schickt, um mit diesem ein Bündnis gegen ihn zu 
schliessen, ergrimmte er und zog im siebenten Jahre der 
Regierung des Oseas gegen Samaria. Der König aber 
verweigerte ihm den Einzug in die Stadt, und so be- 
lagerte Salmanasar sie drei Jahre lang und eroberte sie 
dann im neunten Jahre der Regierung des Oseas und 
im siebenten Jahre der Regierung des Ezekias, des 
Königs zu Jerusalem. Er vernichtete darauf die Herr- 
schaft der Israeliten völlig und führte das ganze Volk 
nach Medien und Persien weg. Auch den König Oseas 
nahm er gefangen. Alsdann verpflanzte er andere 
Völkerschaften aus der Gegend Chutba, die von einem 
Flusse in Persien ihren Namen hat, nach Samaria und 
dem Lande der Israeliten. So wanderten also die zehn 
Stämme aus Judaea aus, neunhundertsiebenundvierzig 
Jahre nach der Eroberung dieses Landes durch ihre 
Vorfahren, die auB Aegypten ausgezogen waren, und 



Neuntes Buch, 14. Kapitel. 


595 


achthundert Jahre nach der Herrschaft des Jesus. Seit 
ihrem Abfall von Davids Enkel Roboam und dem Über- 
gange der Herrschaft an Jeroboam waren zweihundert- 
vierzig Jahre, sieben Monate und sieben Tage verflossen . 
Dieses Geschick traf die Israeliten, weil sie die Gesetze 
übertraten und den Sehern nicht folgten, die ihnen das- 
selbe für den Fall prophezeit hatten, dass sie von ihrem 
gottlosen Wandel nicht abliessen. Der Anfang des 
Unheils war der Aufruhr, in welchem sie von Roboam, 
dem Enkel Davids, abfielen und dessen Knecht Jeroboam 
zum Könige erwählten, der sie durch seine Lasterhaftig- 
keit und .sein schlechtes Beispiel verführte und ihnen 
den Zorn Gottes zuzog. Auch er hat bekanntlich dafür 
die gebührende Strafe erlitten. 

2. Der Assyrierkönig griff auch Syrien und Phoenicien 
an, und sein Name findet sich daher auch in den Ge- 
schichtsbüchern der Tyrier verzeichnet. Als er gegen 
Tyrus zu Felde zog, herrschte über diese Stadt Elulaeus. 
Auch Menander, der die Geschichtsbücher der Tyrier 
ins Griechische übersetzt hat, bezeugt dies mit folgenden 
Worten: „Elulaeus, von den Tyriern Pyas genannt, 
regierte sechsunddreissig Jahre. Dieser brachte die 
Kittäer, welche von ihm abgefallen waren, wieder unter 
seine Botmässigkeit. Gegen diese zog auch der König 
der Assyrier mit einem Heere und bekriegte ganz 
Phoenicien. Alsdann schloss er mit allen Frieden und 
kehrte wieder heim. Es fielen aber von der Herrschaft 
der Tyrier Sidon, Ake, das alte Tyrus 1 und viele andere 
Städte ab und ergaben sich dem Könige der Assyrier. 
Und da die Tyrier sich ihm nicht unterwerfen wollten, 
überzog der König sie abermals mit Krieg, nachdem er 
von den Phoenikern sechzig ausgerüstete Schiffe und 
achthundert Ruderknechte erhalten hatte. Diesen fuhren 
die Tyrier mit nur zwölf Schiffen entgegen, zerstreuten 
die Fahrzeuge der Feinde und machten gegen fünf- 
hundert Gefangene. Wegen dieser Heldenthat wurden 


1 Im Gegensatz zu Nen- oder Inseltyrus (s. Namenregister). 

38 * 


Go gle 




596 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


die Tyrier sehr berühmt. Als aber der König der 
Assyrier zurückkehrte , stellte er an die Flüsse und 
Wasserleitungen Wächter, die den Tyriern das Wasser- 
schöpfen verwehren sollten. Das ertrugen die Tyrier 
fünf Jahre lang und entnahmen während dieser Zeit ihr 
Wasser den Brunnen, die sie selbst gegraben hatten.“ 
Das sind die Aufzeichnungen, die sich in den Jahrbüchern 
der Tyrier über den Assyrierkönig Salmanasar vorfinden. 

3. Als aber die Ohuthäer (so genannt von dem Lande 
Chutha in Persien, wo auch ein Fluss desselben Namens 
sich befindet) nach Samaria übergesiedelt waren und 
ihre Götter mitgebracht hatten (sie bestanden aus fünf 
Völkerschaften, von denen jede ihren besonderen Gott 
verehrte), erregten sie den Zorn des allmächtigen Gottes. 
Infolgedessen brach bei ihnen die Pest aus, an der sie 
zahlreich dahinstarben, und gegen die es kein Heilmittel 
gab. Da wurden sie durch eine Weissagung ermahnt, 
sie sollten sich zur Verehrung des allmächtigen Gottes 
bekehren, dann werde das Übel weichen. Sie schickten 
daher Gesandte zum Könige der Assyrier und liessen 
ihn bitten, er möge ihnen von den gefangenen Priestern 
der Israeliten einige zusenden. Als das geschehen und 
sie in dem Dienste Gottes unterrichtet waren, fingen sie 
an, ihn eifrig zu verehren, worauf die Pest auch bald 
verschwand. Diesen Gebräuchen sind die Chuthäer (so 
heissen sie im Hebräischen, während die Griechen sie 
Samariter nennen) in der Folge stets treu geblieben. 
Übrigens nennen sie sich, sobald sie sehen, dass es den 
Juden gut geht, deren Verwandte, da sie von Joseph 
abstammten und also gleichen Ursprung mit ihnen 
hätten. Bemerken sie indes, dass es den Juden schlecht 
geht, so behaupten sie, sie hätten zu ihnen keinerlei 
Beziehungen, weder freundschaftliche noch verwandt- 
schaftliche, sondern sie seien Ausländer und stammten 
von einem fremden Geschlechte ab. Doch es wird sich 
später noch Gelegenheit finden, hiervon ausführlicher zu 
sprechen. 



Zehntes Bueh. 

Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 182 JahreD, 

6 Monaten und 10 Tagen. 

Inhalt. 

1. Kriegszug des Assyrierkönigs Senacherib gegen Jerusalem und 

Belagerung des Königs Ezekias. 

2. Wie das Heer der Assyrier in einer Nacht von der Pest dahin- 

gerafft wurde, und wie ihr König nach der Heimkehr den 
Nachstellungen seiner Söhne erlag. 

3. Wie Ezekias , nachdem er die übrige Zeit in Frieden gelebt 

hatte, starb, und Mapasses ihm in der Regierung folgte. 

4. Wie die Könige der Chaldäer und Babylonier den Manasses 

angriffen, ihn besiegten, als Gefangenen nach Babylon weg- 
führten , hier lange Zeit festbielten und darauf wieder in 
sein Reich entliessen. 

5. Wie dem Aegyptierkönig Nechao, da er gegen die Babylonier 

zu Felde zog und durch Judaea marschierte, der König 
Josias entgegentrat und mit ihm kämpfte , aber in der 
Schlacht verwundet wurde und, nach Jerusalem gebracht, 
dort starb, und wie die Bewohner von Jerusalem seinen Sohn 
Joaz zum Könige erwählten. 

6. Wie Nechao, nachdem er dem Babylonierkönige am Euphrat ein 

Treffen geliefert, auf dem Rückmarsch nach Aegypten Jeru- 
salem angriff, Joaz nach Aegypten wegführte und dessen 
Bruder Joakim zum Könige in Jerusalem machte. 

7. Kriegszug des Babylonierkönigs Nabuchodonosor gegen Syrien. 

Wie er, nachdem er das ganze Land bis zu den Grenzen 
Aegyptens unterjocht hatte, nach Jerusalem zog und den 
König Joakim zwang, mit ihm ein Freundschaftsbündnis zu 
schliessen. 

8. Wie Joakim nach dem Abzüge des Babyloniers sich wieder an 

die Aegyptier anschloss, und wie Nabuchodonosor ihn angriff, 
die Stadt belagerte, sie zur Uebergabe zwang, den Joakim 
töten liess und dessen Sohn Joachim zum Könige ernannte. 
Wie er alsdann nach Empfang einer grossen Geldsumme 
sogleich nach Syrien zog. 



598 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


9. Wie den Nabuchodonosor die Ernennung Joachims zum Könige 
reute , und wie er darauf gegen Jerusalem zog und sich 
des Joachim sowie seiner Mutter und seiner Freunde be- 
mächtigte. 

10. Wie der Babylonier viele Gefangene machte, die Weihgeschenke 

aus dem Tempel raubte und nach Babylon zurückkehrte, 
nachdem er Sedekias, den Oheim des Joachim, zum Könige 
in Jerusalem eingesetzt hatte. 

11. Wie er auf die Nachricht, dass auch dieser mit den Aegyptiern 

Freundschaft und Bündnis zu schlie 9 sen beabsichtige, Jeru- 
salem angriff, es eroberte, den Tempel verbrannte und die 
Bewohner von Jerusalem samt dem Sedekias nach Babylon 
schleppte. 

12. Wie Nabuchodonosor starb und seinen Sohn als Nachfolger 

hinterliess, und wie die Herrschaft der Assyrier von dem 
Perserkönige Cyrus zerstört wurde. Was den Juden in dieser 
Zeit von den Babyloniern widerfuhr. 


Erstes Kapitel. 

Wie Senacherib gegen Ezekias zu Felde zog, und wie 
Rapsakes, während Senacherib sich gegen die Aegyptier 
wandte, den Ezekias bedrohte, den der Prophet Esaias 
ermutigte. Wie Senacherib unverrichteter Sache aus 
Aegypten nach Jerusalem und von da in seine Heimat 
zurückkehrte. Sein Ende. 

1. Als Ezekias, der König der beiden Stämme, schon 
im vierzehnten Jahre regierte, überzog ihn der Assyrier- 
könig Senacherib mit Krieg und eroberte sämtliche 
Städte der Stämme Judas und Benjamin. Da er sich 
nun auch anschickte, gegen Jerusalem zu marschieren, 
ordnete Ezekias Gesandte an ihn ah und liess ihm 
sagen, er wolle sich ihm unterwerfen uud ihm einen 
Tribut entrichten. Senacherib nahm das Anerbieten des 
Königs an, beschloss den Krieg aufzugeben und ver- 
sprach abzuziehen, wenn Ezekias ihm dreihundert 
Talente Silber und dreissig Talente Gold zahle, indem 
er zugleich eidlich versicherte, er wolle keinen weiteren 
Schaden anrichten. Im Vertrauen hierauf leerte Ezekias 
die Schatzkammer und übersandte das Geld in dem 
Glauben, er werde nun von seinem Feinde und jedem 



Zehntes Buch, 1. Kapitel. 


599 


weiteren Kampf um seine Herrschaft befreit bleiben.; 
Sobald indes der Assyrier das Geld erhalten hatte, 
kümmerte er sich nicht mehr um seine Versprechungen 
und liess, während er selbst gegen die Aegyptier und 
Aethiopen zog, seinen Feldberrn Rapsakes mit zwei 
anderen Heerführern Namens Tharata und Anacharis 
und einem grossen Heere zurück, um Jerusalem zu 
zerstören. 

2. Sobald diese vor Jerusalem ihr Lager aufge- 
schlagen hatten, sandten sie einen Boten an Ezekias 
und Hessen ihn um eine Unterredung ersuchen. Doch 
begab sich der König aus Furcht nicht selbst vor ’s 
Thor, sondern sandte drei seiner vertrautesten Freunde : 
den Reichskanzler Eliakim nebst seinen Kämmerern 
Sobnaeus und Joach. Als diese vor den assyrischen 
Feldherren erschienen waren, hiess Rapsakes sie um- 
kehren und dem Könige melden, der mächtige König 
Senacherib lasse ihn fragen, worauf er denn vertraue, 
dass er ihn nicht als Herrn anerkennen und sein Heer 
nicht in die Stadt einlassen wolle, wie er ihm befohlen 
habe. Ob er denn vielleicht in der Hoffnung auf die 
Hilfe der Aegyptier solchen Mut gewonnen habe? 
Wenn er darauf warte, so möge er wissen, dass er sehr 
thöricht handle und einem Menschen gleiche, der sich 
auf ein zerbrochenes Rohr stützen wolle und dadurch 
nicht bloss zu Fall komme, sondern sich auch noch die 
Hand verletze. Der König möge bedenken, dass er in 
diesen Krieg nach dem Willen Gottes gezogen sei, der 
ihn beauftragt ;habe, das Reich der Israeliten zu zer- 
stören und des Ezekias Volk zu vernichten. Da Rap- 
sakes sich bei dieser Rede der hebraeischen Sprache be- 
diente, deren er kundig war, geriet Eliakim in Furcht, 
seine Begleiter möchten ihn verstehen und darüber er- 
schrecken , und bat ihn daher, in syrischer Sprache 
weiter zu reden. Der Feldherr aber fuhr, als er Eliakims 
Furcht bemerkte, mit desto lauterer und schärferer 
Stimme in hebraeischer Sprache fort und sagte: „Nach- 
dem nun alle unseres Königs Befehl vernommen haben, 




eoo 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


sollen alle sich zu ihrem eigenen Besten uns unter- 
werfen. Denn es ist offenbar, dass sowohl ihr als euer 
König das Volk nur mit leeren Hoffnungen hinhaltet 
und es zum Widerstande anreizt. Wenn ihr aber Mut 
habt und unsere Truppen zurüokschlagen zu können 
glaubt, so bin ich bereit, euch zweitausend Pferde zu 
eurem Gebrauch zu überlassen, zu denen ihr dann eben- 
so viele Reiter liefern möget, um eure Kräfte zu zeigen. 
Aber ihr könnt keine Reiter stellen, weil ihr keine habt 
Was zögert ihr also, euch den Stärkeren zu übergeben, 
die euch selbst wider euren Willen gefangen nehmen 
können? Eine freiwillige Übergabe wird immerhin für 
euch sicherer sein, als dass ihr euch mit Gewalt unter- 
werfen lasst, was euch nur Gefahren und Leid bringen 
wird.“ 

3. Da nun sowohl die Gesandten als das Volk diese 
laut gesprochenen Worte des Feldherrn gehört hatten, 
hinterbrachten sie dieselben dem Ezekias. Dieser legte 
sein königliches Gewand ab, ihüllte sich in Lumpen, 
fiel nach väterlicher Sitte auf sein Angesicht nieder und 
flehte demütig zu Gott, er möge ihm jetzt, da er an 
anderer Hilfe verzweifeln müsse, seinen Beistand nicht 
versagen. Dann sandte er einige seiner Freunde in 
Begleitung von Priestern zu dem Seher Esaias und liess 
ihn bitten, zu Gott zu flehen und für ihrer aller Rettung 
ein Opfer darzubringen, damit der Herr die Hoffnung der 
Feinde zu nichte mache und sich des Volkes erbarme. 
Der Seher that also und sprach auf Gottes Befehl dem 
Könige und seinen Freunden Mut ein, indem er ihnen 
verkündigte, die Feinde würden ohne Kampf besiegt 
werden, mit Schimpf und Schande abziehen und ihren 
j etzigen Übermut ablegen . müssen. Denn Gott werde 
dafür Sorge tragen, dass sie ihren Untergang fänden. 
Auch dem Assyrierkönig Senacherib solle sein Feldzug 
gegen Aegypten misslingen, und er auf dem Rückwege 
durchs Schwert umkommen. 

4. Um dieselbe Zeit schrieb auch der Assyrierkönig 
an Ezekias einen Brief, in welchem er ihn einen Thoren 



Zehntes Buch, 1. Kapitel. 


601 


nannte, da er seiner Botmässigkeit entgehen zu können 
vermeine, eines Herrschers, der schon so viele und 
mächtige Völkerschaften unterjocht habe. Dann drohte 
er ihm und den Seinigen Gefangenschaft und Tod an, 
falls sie nicht die Thore öffneten und sein Heer frei- 
willig in Jerusalem aufnähmen. Trotz dieses Briefes 
war Ezekias wohlgemut, da er sein Vertrauen auf Gott 
gesetzt hatte. Er faltete daher das Schreiben zusammen 
und legte es im Tempel nieder. Als er nun wiederum 
flehte, Gott möge sich der Stadt und des Volkes an- 
nehmen, verkündete ihm der Seher Esaias, sein Gebet 
sei erhört worden. Der Assyrier werde die Belagerung 
aufheben und ihn in Zukunft nicht mehr belästigen. 
Das Volk aber werde in Frieden sein Land bebauen und 
ohne Furcht seine Geschäfte besorgen können. Kurz 
darauf kehrte der Assyrierkönig, dem es in Aegypten 
schlecht ergangen war, unverrichteter Sache wieder heim, 
und zwar aus folgender Ursache. Bei der Belagerung 
von Pelusium brauchte er eine sehr lange Zeit. Als er 
nun den Wall, den er der Mauer gegenüber errichtete, 
bis zu gehöriger Höhe aufgeführt hatte und im Begriffe 
stand, zum Sturm zu schreiten, hörte er, der König der 
Aethiopen, Tharsikes , der mit grosser Heeresmacht den 
Aegyptiern zu Hilfe kommen wolle, habe beschlossen, 
durch die Wüste zu marschieren und in das Land der 
Assyrier einzubrechen. Hierdurch wurde Senacherib 
derart in Bestürzung versetzt, dass er, wie gesagt, un- 
verrichteter Sache abzog und Pelusium freigab. Von 
diesem Könige Senacherib erzählt auch Herodot im 
zweiten Buche seiner Geschichte, er sei gegen den König 
der Aegyptier, der ein Priester des Hephaistos gewesen, 
gezogen und habe Pelusium belagert, die Belagerung 
aber aus folgendem Grunde aufgehoben. Der Priester 
der Aegyptier habe zu Gott gefleht, und dieser habe 
seine Bitte erhört und den Arabern eine schwere 
Drangsal geschicktT' Doch irrt Herodot, da er ihn 
nicht den König der Assyrier, sondern der Araber 




602 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


nennt. 1 Eine Menge von Mäusen, fährt er fort, habe 
in einer einzigen Nacht die Bogen und anderen Waffen 
der Assyrier zernagt, weshalb der König, da er nun 
keine Waffen mehr hatte, sein Heer von Pelusium habe 
zurückziehen müssen. So stellt Herodot die Sache dar. 
Auch Berosus, der chaldaeische Geschichtschreiber, thut 
des Königs Senacherib Erwähnung und erzählt von ihm, 
er habe über die Assyrier geherrscht und ganz Asien 
und Aegypten mit Krieg überzogen. 

5. Als nun Senacherib von dem Zuge gegen Aegypten 
nach Jerusalem zurückkehrte, fand er, dass die unter 
Bapsakes zurückgelassenen Truppen schwer an der Pest- 
litten. In der ersten Nacht, da er gemeinsam mit diesen 
Truppen die Belagerung weiterführte, tötete die Seuche 
in seinem Heere hundertfunfundachtzigtausend Mann 
samt ihren Führern und Hauptleuten. Dieser Schlag 
versetzte ihn in Trauer und Angst, und da er be- 
fürchtete, sein ganzes Heer möchte dahingerafft werden, 
floh er mit dem Rest seiner Truppen in sein Reich und 
nach der Stadt zurück, welche Stadt des Ninus (Ninive) 
heisst. Doch nur kurze Zeit blieb er noch am Leben, 
denn seine ältesten Söhne Adramelech und Sarasar 
brachten ihn in seinem eigenen Tempel, der Araska 
genannt wurde, um. Wegen dieses Vatermordes wurden 
die beiden von ihren Mitbürgern aus der Stadt gejagt 
und flohen nach Armenien. Den Thron Senacheribs 
aber bestieg Assarachoddas. Das war der Ausgang des 
Feldzuges der Assyrier gegen Jerusalem. 


Zweites Kapitel. 

Wie Ezekias erkrankte und von Gott Genesuug und 
Verlängerung seines Lebens erlangte. 

1. Ezekias, der so unerwartet von seinem Schrecken 
befreit worden war, brachte mit dem gesamten Volke 

1 Herodot sagt 11, 141 : König der Assyrier und Araber, 



Zehntes Buch, 2. Kapitel. 


603 


Gott Dankopfer dar. Denn er wusste wohl, dass keine 
andere Ursache die Feinde zum Abzüge von Jerusalem 
veranlasst hatte, als die Hilfe, welche Gott ihm ge- 
sandt hatte. Und so lag er eifrig dem Dienste Gottes 
ob. Nicht lange nachher aber fiel er in eine schwere 
Krankheit, an deren Heilung die Ärzte verzweifelten, 
sodass auch der Kranke selbst und seine Freunde die 
Hoffnung aufgaben. Zu der Krankheit gesellte sich 
noch eine tiefe Schwermut, weil der König daran dachte, 
dass er kinderlos sei und sein Haus ohne Erben und 
den Thron ohne Nachfolger lassen müsse. Über diesen 
Gedanken ganz besonders traurig, flehte er zu Gott, er 
möge ihm das Leben verlängern, bis er Nachkommen 
habe, und ihn nicht anders denn als Vater seinen Geist 
aufgeben lassen. Der Herr erbarmte sieb denn auch seiner 
und gewährte ihm die Bitte, da er seinen Tod nicht 
deshalb beklagte, weil er seine Herrschaft damit ver- 
lieren, sondern nur deshalb, weil er keinen Nachfolger 
hinterlassen würde. Gott liess ihm also durch den 
Propheten Esaias verkündigen, nach drei Tagen werde 
seine Krankheit weichen, und er werde nach seiner Ge- 
nesung noch fünfzehn Jahre leben und Kinder erzeugen. 
Als der Seher ihm dies verkündigt hatte, misstraute der 
König angesichts der Schwere seiner Krankheit und 
wegen der Unwahrscheinlichkeit der Verheissung seinen 
Worten und verlangte von Esaias ein Wunderzeichen 
zur Beglaubigung seiner Prophezeiung und göttlichen 
Sendung. Denn alles, was uns ohne unser Verh offen 
angekündigt wird, erlangt ja durch solche Beweise seine 
Glaubwürdigkeit. Als der Seher ihn nun fragte, was 
für ein Zeichen er haben wolle, verlangte Ezekias, die 
Sonne, deren Schatten schon zehn Grad an der Uhr 
durchlaufen habe, solle wieder zurückkehren, sodass der 
Schatten den Weg noch einmal machen müsse. Der 
Seher bat Gott, er möge dem Könige dieses Zeichen 
gewähren, worauf Ezekias auch sogleich sein Verlangen 
erfüllt sah. Alsdann wich auch die Krankheit, und er 
begab sich zum Tempel, betete Gott an und dankte ihm . 



604 


Josephns' Jüdische Altertümer. 


2. Um diese Zeit wurde die Herrschaft der Assyrier 
von den Medern zerstört, worüber ich an anderer Stelle 
noch berichten werde. Der König der Babylonier aber, 
Baladas, schickte Gesandte mit Geschenken an Ezekias 
und liess ihn um Freund- und Bundesgenossenschaft 
bitten. Der König nahm die Gesandten freundlich auf, 
bewirtete sie glänzend, zeigte ihnen seine Schätze und 
sein Zeughaus sowie seinen Reichtum an Edelsteinen 
und Gold, und entliess sie mit Geschenken für Baladas. 
Da kam der Seher Esaias zu ihm und fragte ihn, woher 
die Gesandten gewesen seien. Der König entgegnete, 
6ie seien vom Könige der Babylonier gekommen, und 
er habe ihnen alles gezeigt, damit sie sich eine Vor- 
stellung von seinem Reichtum und seiner Macht bilden 
und dem Könige davon Mitteilung machen könnten. 
Der Seher aber sprach darauf: „Wisse, dass in kurzer 
Zeit dieser Reichtum nach Babylon wird geschleppt 
werden , und dass man deine Nachkommen zu Ver- 
schnittenen machen wird, die dem Könige von Babylon 
als Sklaven dienen werden. Denn dies hat mir Gott 
verkündigt.“ Hierüber ward Ezekias sehr betrübt und 
sagte, er möchte wohl sein Volk von solchem Unheil 
verschont wissen. Da aber Gottes Ratschlüsse unab- 
änderlich seien, bat er, es möchte ihm wenigstens während 
seines Lebens Friede beschert sein. Auch Berosus er- 
wähnt den Babvloiiierkönig Baladas. Der Seher Esaias 
aber, der nach seinem Bekenntnis von Gottes Geist er- 
füllt und im höchsten Grade wahrheitsliebend war, hinter- 
liees im Bewusstsein, dass er auch nicht die kleinste 
Unwahrheit gesagt, alle seine Prophezeiungen in schrift- 
lichen Aufzeichnungen, damit spätere Geschlechter sie 
nach ihrem Erfolge beurteilen könnten. Ausser ihm 
thaten das auch noch zwölf andere Propheten, und was 
bei uns Gutes oder Böses geschieht, trifft alles nach 
ihrer Vorher Verkündigung ein. Doch ich werde später 
noch von jedem einzelnen derselben reden. 




Zehntes Buch, 3. Kapitel. 


605 


Drittes Kapitel. 

Bzekias’ Nachfolger Manasses kehrt in der Gefangenschaft 
zum wahren Gott zurück und wird wieder in seine 

Herrschaft eingesetzt. 

1. Als Ezekias die vorhin gemeldete Frist gelebt 
und sich des Friedens erfreut hatte, starb er im Alter 
von vierundfünfzig Jahren und nach neunundzwanzig- 
jähriger Regierung. Sein Nachfolger Manasses, den er 
mit der Jerusalemerin Achiba gezeugt hatte, trat nicht 
in die Fussstapfen seines Vaters, sondern schlug den 
entgegengesetzten Weg ein, da er alle Arten von Frevel 
verübte und nichts Schändliches unversucht Hess. Er 
ahmte die Laster der Israeliten nach, um deretwillen 
diese von Gott vernichtet wurden, und wagte sogar den 
Tempel Gottes, die Stadt und das ganze Land zu be- 
flecken. Er ging nämlich in seiner Gottesverachtung 
so weit, dass er alle Gerechten unter den Hebräern 
umbringen liess und nicht einmal die Seher verschonte, 
sondern auch von ihnen täglich einige töten liess, sodass 
zu Jerusalem das Blut in Strömen floss. Hierüber er- 
zürnt, sandte Gott Propheten an den König und das 
Volk und liess ihnen dieselbe Drangsal androhen, die 
auch über ihre Brüder, die Israeliten, gekommen war. 
Sie aber hörten nicht auf diese Ermahnungen, durch 
deren Befolgung sie hätten erreichen können, dass sie 
vor allem Übel bewahrt blieben. Erst mit der Erfüllung 
der Verheissungen erfuhren sie, dass dieselben der 
Wahrheit entsprachen. 

2. Weil sie nämlich bei diesem Lebenswandel be- 
harrten, liess sie Gott von dem Könige der Babylonier 
und Chaldäer mit Krieg überziehen. Dieser liess ein 
Heer in Judaea einrücken und das Land verwüsten, 
den König Manasses aber mit List gefangen nehmen 
und wegführen, damit er ihn nach seinem Gutdünken 
bestrafen könne. Da erkannte Manasses die Grösse 
seines Unglücks und sah ein , dass er allein der 



606 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Schuldige sei. Er flehte daher, Gott möge das Herz 
seines Feindes zu Güte und Mitleid stimmen. Diese 
Bitte erhörte Gott, und so wurde Manasses von dem 
Könige der Babylonier wieder in Freiheit gesetzt und 
konnte in sein Reich zurückkehren. Als er nach Jeru- 
salem gekommen war, bestrebte er sich, selbst da6 An- 
denken an seine früheren Vergehungen, die er von 
Herzen bereute, auszutilgen, weil er nun gottesfürchtig 
bleiben wollte. Er weihte den Tempel wieder, reinigte 
die Stadt und war nur darauf bedacht, wie er Gott für 
seine Rettung danken und sich seine Gnade für die 
ganze Lebenszeit erhalten könne. Auch das Volk hiess 
er in Gottesfurcht wandeln , da es eingesehen habe, 
welches Unheil ihm beinahe infolge seiner Frevel zu- 
gestoBsen wäre. Er stellte ferner den Altar wieder her 
und liess die von Moyses vorgeschriebenen gesetzlichen 
Opfer darbringen. Als er so die rechte Gottesverehrung 
wieder eingerichtet hatte, dachte er auch an die Sicher- 
heit Jerusalems, indem er die alten Mauern wieder- 
herstellen und neue aufluhren liess, dazu auch hohe 
Türme errichtete und die Befestigungs werke ausserhalb 
der Stadt mit allen notwendigen Lebensmitteln und 
anderem Bedarf reichlich versah. So verbrachte er den 
Rest seines Lebens in solcher Gottesfurcht, dass er von 
der Zeit an , da er Gott zu verehren begann , für einen 
höchst glückseligen und musterhaften Mann gehalten 
wurde. Er starb im Alter von siebenundsechzig Jahren 
nach fünfundfünfzigjähriger Regierung. Bestattet wurde 
er in seinen eigenen Gärten, und die Königswürde ging 
auf seinen Sohn Arnos über, der von der Emalsema 
aus der Stadt Jabata geboren war. 




Zehntes Buch, 4. Kapitel. 


607 


Viertes Kapitel. 

Von Amos’ und Josias' Regierung, und von der 

Seherin Olda. 

1. Amos ahmte die Frevel nach, die|sein Vater in der 
Jugend begangen hatte, und wurde bald von seinen 
Dienern im eigenen Hause umgebracht, nachdem er nur 
vierundzwanzig Jahre gelebt und zwei Jahre regiert 
hatte. Das Volk schritt gegen seine Mörder ein , be- 
stattete den Amos neben seinem Vater und übertrug 
die Herrschaft seinem - Sohne Josias, der erst acht Jahre 
zählte, und dessen Mutter die Jedis aus der Stadt 
Boskethi war. Er war edlen Gemütes, von Natur zur 
Tugend geneigt und nahm sich in allen Dingen den 
König David zum Muster und Beispiel. Schon in 
seinem zwölften Lebensjahre legte er einen besonderen 
Beweis seiner Frömmigkeit und Gerechtigkeit ab. Denn 
er bekehrte den Sinn des Volkes und veranlasste es, 
sich von den Götzen, die gar keine Götter seien, ab- 
und dem wahren Gotte wieder zuzuwenden. Und nach- 
dem er die von seinen Vorgängern eingeführten Ge- 
bräuche einer Durchsicht unterzogen, schied er alles 
Mangelhafte, welches daran haftete, aus und benahm 
sich dabei, als sei er schon ein älterer und verständiger 
Mann. Was er aber für gut befand, behielt er bei und 
richtete sich danach. Bei diesem Verfahren folgte er 
indes nicht nur seiner eigenen Einsicht und Weisheit, 
sondern {hörte auch auf den Bat und die Vorschläge 
älterer Männer. Und es gelang ihm in der Besorgung 
des Staatswesens wie des Gottesdienstes alles aufs beste, 
weil er die schlechten Einrichtungen seiner Vorgänger 
nicht nur nicht aufrecht erhielt, sondern dieselben sogar 
völlig aus der Erinnerung tilgte. Denn er ging selbst 
in der Stadt und im ganzen Lande umher, liess die den 
fremden Göttern geweihten Haine zerstören, ihre Altäre 
umwerfen und die ihnen von seinen Vorgängern ge- 
stifteten Weihgeschenke unter verächtlichem Spott ent- 
fernen. Auf diese Weise bekehrte er das Volk zur 



608 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Verehrung des wahren Gottes und liess auf seinem 
Altäre wieder Speise- und Brandopfer darbringen. Er 
ernannte auch Richter und Aufseher, die einen jeden zu 
überwachen und Recht und Gerechtigkeit zu pflegen 
hatten , sollte auch ihr Leben dabei in Gefahr geraten. 
Weiterhin sandte er Boten durch sein ganzes Reich und 
liess verkündigen , es solle jeder nach seinem guten 
Willen und Vermögen Gold und Silber zur Wieder- 
herstellung des Tempels beitragen, Und als nun die 
.Mittel eingegangen waren, übertrug er die Sorge für 
den Tempel und die zu seiner Ausbesserung notwendigen 
Veranstaltungen dem Stadtoberhaupte Amasias , dem 
Schreiber Saphanes, dem Protokollführer Joatas und 
dem Hohepriester Eliakias. Diese Hessen unverweilt 
Baumeister und alles zur Wiederherstellung Erforderliche 
kommen und gingen sogleich ans Werk. So erhob sich 
denn bald der wiederhergestellte Tempel als Wahrzeichen 
der Frömmigkeit des Königs. 

2. Unterdessen hatte der König sein achtzehntes 
Lebensjahr erreicht, und er liess nun dem Hohepriester 
Eliakias den Auftrag erteilen, aus den übriggebliebenen 
Mitteln Becher, Schalen und Schüsseln zum Gottes- 
dienste anzufertigen und alles Gold und Silber, das 
sich noch im Tempelschatz befinde, gleichfalls zur Her- 
stellung dieser Geräte zu verwenden. Als nun der 
Hohepriester Eliakias das Gold hervorholte , stiess er 
zufällig auf die im Tempel niedergelegten heiligen 
Bücher des Moyses 1 und übergab sie dem Schreiber 
Saphanes. Dieser las sie durch und begab sich dann 
zum Könige, um ihm zu melden, dass alle seine Befehle 
vollzogen seien , worauf er ihm auch die Bücher des 
Moyses vorlas. Der König aber hatte deren Inhalt 
kaum vernommen, als er sein Gewand zerriss, den 
Hohepriester Eliakias zu sich beschied und den Schreiber 
selbst nebst einigen seiner vertrautesten Freunde zu der 
Seherin Olda, der Gattin des rühmlich bekannten und 


1 Das fünft« Buch Moysea’ (Deuteronomium). 



Zehntes Buch. 4. Kapitel. 


609 


edlen Mannes Sallum, schickte. Ihr liess er sagen, sie 
möge Gott zu versöhnen und gnädig zu stimmen suchen, 
da zu befurchten stehe, das Volk werde wegen der 
Sünden, die seine Vorfahren gegen die Gesetze des 
Moyses begangen , aus seiner Heimat vertrieben werden 
und in der Fremde ein armseliges, bejammernswertes 
Dasein fristen müssen. Als die Seherin von den Ab- 
gesandten den Auftrag des Königs vernommen hatte, 
hiess sie dieselben wieder umkehren und dem Könige 
melden, Gott habe bereits seinen Entschluss in betreff 
des Volkes gefasst, und es könne derselbe durch Bitten 
nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das Volk 
solle aus seinem Lande vertrieben werden und aller 
seiner Besitzungen verlustig gehen, weil es die Gebote 
übertreten und in so langer Zeit keine Reue bewiesen 
habe, obgleich die Propheten es zur Umkehr ermahnt 
und ihm die Strafe für seine Frevelthaten vorhergesagt 
hätten. Damit das Volk nun einsehe, das6 er der wahre 
Gott sei, und seine Propheten nichts Unwahres ver- 
kündigt hätten, werde er das Strafgericht über das Volk 
verhängen, es jedoch um der Gerechtigkeit des Königs 
willen noch hinausschieben und erst dann vollziehen, 
wenn Josias aus dem Leben geschieden sei. 

3. Diese Verkündigung der Seherin berichteten die 
Abgesandten dem Könige, der darauf von nah und fern 
die Priester und Leviten sowie die Männer jeglichen 
Alters nach Jerusalem entbieten liess. Und als alle 
sich versammelt hatten, liess er ihnen zunächst die 
heiligen Bücher vorlesen, betrat alsdann eine Tribüne 
mitten unter dem Volke und liess es schwören, Gott 
verehren und die Gesetze treu beobachten zu wollen. 
Alle gelobten dies bereitwillig und versprachen, den 
Ratschlägen des Königs Folge zu leisten. Darauf 
brachten sie Opfer dar und flehten zu Gott, er möge 
ihnen seine Gnade und Barmherzigkeit erzeigen. Dem 
Hohepriester aber befahl der König, alle Geräte, die 
beim Götzendienste Verwendung gefunden hätten und 
vielleicht von seinen Vorgängern her* noch im Tempel 

Joeephus’ Jüdische Altertümer. 39 



610 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


vorhanden seien, hinauszuschaffen. Und da sich noch 
viele derartige Geräte fanden, wurde alles zusammen- 
gehäuft, verbrannt und die Asche zerstreut. Die Götzen- 
priester aber, welche nicht aus Aarons Geschlecht waren, 
wurden umgebracht. 

4. Als der König dies zu Jerusalem ins Werk ge- 
setzt hatte, reiste er auch im Lande umher, liess alles, 
was Jeroboam zur Ehre fremder Götter hatte errichten 
lassen, zerstören und die Gebeine der falschen Propheten 
auf dem Altäre, den Jeroboam erbaut hatte, verbrennen. 
Das hatte ja der Seher Achias dem ganzen Volke vor- 
hergesagt, als er beim Opfer Jeroboams sich an das 
Volk wandte, wie er auch verkündigt hatte, ein Nach- 
komme Davids mit Namen Josias werde das vollbringen, 
was ich oben erwähnt habe. So erfüllte sich seine 
Weissagung nach Verlauf von dreihunderteinundsechzig 
Jahren. 

5. Darauf begab sich der König Josias auch zu den- 
jenigen Israeliten, welche von den Assyriern nicht in 
Gefangenschaft und Sklaverei geschleppt worden waren, 
und riet ihnen, von ihrem gottlosen Lebenswandel und 
der Verehrung fremder Götter abzulassen, dem all- 
mächtigen Gott ihrer Väter dagegen zu dienen und treu 
zu bleiben. Er liess sogar die Häuser, Dörfer und 
Städte durchsuchen, weil er argwöhnte, es möchte noch 
hier und da ein Götzenbild versteckt sein. Alsdann 
sorgte er auch dafür, dass die Wagen des Sonnengottes, 
welche am Tempeleingange standen und von seinen 
Vorgängern beschafft worden waren, sowie alle anderen 
Gegenstände, denen göttliche Verehrung gezollt worden 
war, aus dem Wege geräumt wurden. Als er auf diese 
Weise das ganze Land gesäubert hatte, berief er das 
gesamte Volk nach Jerusalem und beging das Fest der 
ungesäuerten Brote, das auch Pascha genannt wird. 
Dem Volke aber schenkte er die Pascha-Opfer, dreissig- 
tausend Böcke und Baugende Lämmer, sowie dreitausend 
Ochsen zum Brandopfer. Ferner erhielten die Priester 
von den Vornehmsten unter ihnen als Paschageschenk 




Zehntes Buch, 5. Kapitel. 


611 


zweitausendsechshundert Lämmer , und ebenfalls die 
Leviten von ihren Vorgesetzten fünftausend Lämmer 
und fünfhundert Ochsen. Und da ein so reicher Vor- 
rat an Opfertieren ihnen zu Gebote stand, brachten sie 
die Opfer genau nach dem Gesetze des Moyses dar, und 
alle Priester waren vollauf mit ihrem Dienste beschäftigt. 
Ein solches Paschafest hatten die Hebräer seit den 
Zeiten des Propheten Samuel nicht mehr gefeiert; alles 
vollzog sich streng nach der Vorschrift des Gesetzes 
und unter Beobachtung der alten Gebräuche. In der 
Folgezeit lebte Josias in Frieden und genoss den Ruf 
eines reichen und mächtigen Fürsten. Von seinem 
Lebensende berichtet das folgende Kapitel. 


Fünftes Kapitel. 

Wie Josias dem Nechao entgegentrat, verwundet wurde 
und starb. Wie Nechao den König Joachaz nach 
Aegypten wegführte und die Herrschaft dem Joakim 
übertrug. Von Jeremias und Jezekiel. 

1. Nechao, der König der Aegyptier, hob ein Heer 
aus und zog auf den Euphrat zu, um die Meder und 
Babylonier zu bekriegen, die das Reich der Assyrier 
zerstört hatten. Er trachtete nämlich danach, ganz 
Asien unter seine Herrschaft zu bringen. Als er nun 
bis zur Stadt Mende, die im Gebiete des Josias lag, 
gekommen war, wollte ihm dieser mit Heeresmacht den 
Durchzug durch sein Land verwehren. Nechao aber 
schickte einen Herold zu ihm und liess ihm sagen, er 
wolle nicht gegen ihn zu Felde ziehen, sondern an den 
Euphrat marschieren. Josias möge sich aber wohl hüten, 
ihn durch Erschwerung seines Marsches zum Kampfe 
zu reizen. Hierum kümmerte sich indes Josias nicht, 
beschloss vielmehr, ihm den Durchzug durch sein Land 
mit allen Kräften zu verwehren. Wie mir scheint, trieb 
ihn sein Verhängnis dazu, diese Gelegenheit zu seinem 
Untergange zu ergreifen. Denn als er sein Heer zur 



612 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Schlacht aufstellte und auf seinem Wagen von einem 
Flügel zum anderen fuhr, traf ihn der Pfeilschuss eines 
Aegyptiers und machte seinem Kriegseifer ein Ende. 
Und da die Wunde ihn sehr schmerzte, befahl er, zum 
Rückzuge zu blasen, und fuhr sogleich nach Jerusalem. 
Dort starb er infolge seiner Verwundung und wurde in 
der Gruft seiner Väter mit grosser Pracht bestattet, 
nachdem er neununddreissig Jahre gelebt und ein und- 
dreissig Jahre regiert hatte. Das Volk trauerte sehr 
um ihn und weinte und wehklagte viele Tage lang. 
Der Seher Jeremias verfasste aus diesem Anlass einen 
Trauergesang, der heute noch vorhanden ist Dieser 
Prophet weissagte auch das Unglück, das der Stadt 
be Vorstand, und hat sogar über deren Zerstörung, die 
in unseren Tagen sich ereignete, sowie über die Er- 
oberung von Babylon schriftliche Prophezeiungen hinter- 
lassen. Doch war er nicht der einzige, der dies dem 
Volke vorhersagte, vielmehr hat auch der Prophet Jezekiel 
zwei Bücher darüber geschrieben und uns hinterlassen. 
Diese beiden Seher waren aus priesterlichem Geschlechte. 
Jeremias verweilte zu Jerusalem vom dreizehnten Jahre 
der Regierung des Königs Josias an bis zur Zerstörung 
des Tempels und der Stadt. Über seine Schicksale 
werde ich noch später reden. 

2. Als nun Josias, wie gemeldet, gestorben war, 
folgte ihm in der Regierung sein Sohn Joachaz, der 
schon dreiundzwanzig Jahre alt und dessen Mutter die 
Amitala aus der Stadt Lobana war. Er war ruchlos 
und lasterhaft. Als der König der Aegyptier aus dem 
Kampfe heimkehrte, beschied er den Joachaz zu sich 
in die syrische Stadt Amatha, liess ihn in Fesseln 
werfen und übertrug die Herrschaft seinem älteren 
Bruder Eliakim, dessen Namen er in Joakim umänderte. 
Dem Lande aber legte er einen Tribut von hundert 
Talenten Silber und einem Talent Gold auf, die Joakim 
auch entrichtete. Den Joachaz hingegen nahm er mit 
nach Aegypten, wo derselbe auch gestorben ist. Er 
hatte nur drei Monate und zehn Tage regiert. Joakims 



Zehntes Buch, 6. Kapitel. 


618 


Mutter hie88 Zabuda und stammte aus Abuma. Er 
selbst war übrigens von Natur ungerecht, gewalt- 
tätig und weder fromm gegen Gott, noch gütig gegen 
die Menschen. 


Sechstes Kapitel. 

Wie Nabuchodonosor den König der Aegyptier überwand, 
die Juden bekriegte , den Joakim tötete und dessen Sohn 
Joachim zum Könige ernannte. 

1. Im vierten Jahre der Regierung Joakims trat die 
Herrschaft über die Babylonier ein gewisser Nabucho- 
donosor an, der alsbald mit Heeresmacht gegen die 
Stadt Charchamesa am Euphrat aufbrach in der Ab- 
sicht, den Aegyptierkönig Nechao zu bekriegen, der 
damals ganz Syrien in seiner Gewalt hatte. Als aber 
Nechao von dem Plane des Babyloniers und seinem 
Kriegszug Kunde erhielt, blieb auch er nicht müssig, 
sondern rückte mit grosser Streitmacht an den Euphrat, 
um den Nabuchodonosor von weiterem Vordringen ab- 
zuhalten. In der Schlacht aber wurde er geschlagen 
und verlor viele Tausende der Seinigen. Der Babylonier 
überschritt nun den Euphrat und brachte ganz Syrien 
bis nach Pelusium, jedoch mit Ausnahme von Judaea, 
in seine Gewalt. Im vierten Jahre seiner Herrschaft 
aber, welches das achte von Joakims Regierungsjahren 
war, überzog Nabuchodonosor, der ein grosses Heer 
hatte, auch die Juden mit Krieg und forderte von 
Joakim die Zahlung eines Tributs, widrigenfalls er die 
Feindseligkeiten beginnen würde. Durch diese Drohung 
geängstigt, erkaufte sich Joakim den Frieden mit 
Geld und zahlte den ihm auferlegten Tribut drei 
Jahre lang. 

2. Als er aber im dritten Jahre hörte, die Aegyptier 
bereiteten den Krieg gegen den Babylonier vor, leistete 
er den Tribut nicht mehr. Doch hatte er sich in seiner 
Hoffnung getauscht, denn die Aegyptier wagten e6 nicht, 
den Kriegszug zu unternehmen. Auch der Seher 




614 


Josephn9' Jüdische Altertümer. 


Jeremias hatte das Volk Tag für Tag ermahnt, sich 
nicht mit trügerischen Hoffnungen auf die Aegyptier 
abzugeben; die Stadt werde jedenfalls von dem Könige 
der Babylonier zerstört werden, und der König Joakim 
in seine Gewalt geraten. Seine Worte aber erzielten 
keine Wirkung, weil niemand gerettet werden sollte. 
Und Volk wie Vornehme, weit entfernt, sich um seine 
Weissagung zu kümmern , wurden vielmehr unwillig 
darüber und beschuldigten den Seher, er prophezeie nur 
Unheil, zogen ihn vor Gericht und forderten seine Be- 
strafung. Die meisten Richter waren derselben auch 
nicht abgeneigt , und nur die ältesten unter ihnen 
sprachen ihn frei, da sie verständigen Sinnes waren, 
und entliessen ihn aus dem Gerichtssaale, veranlassten 
auch, dass ihm nichts Böses zugefugt wurde. Sie wiesen 
nämlich darauf hin, dass Jeremias ja nicht der einzige 
sei, der der Stadt ein solches Schicksal Vorhersage. 
Michaeas vielmehr und viele andere vor ihm hätten 
schon dasselbe prophezeit, und doch hätten die damaligen 
Könige den Sehern dafür nichts Böses zugefügt, sondern 
alle Ehre erwiesen, die ihnen als Propheten zugestanden 
habe. Es gelang ihnen auch, mit diesen Worten das 
Volk zu besänftigen, sodass es den Jeremias von der 
ihm zugedachten Strafe lossprach. Dieser schrieb nun 
alle seine Weissagungen auf und las das Buch im 
neunten Monate des fünften Jahres der Regierung 
Joakims dem Volke vor, als es fastete und im Tempel 
versammelt war. In dem Buche aber waren alle Schick- 
sale, die der Stadt, dem Tempel und dem Volke bevon- 
standen, enthalten. Als die Vornehmen das hörten, 
liessen sie ihm das Buch abnehmen und befahlen ihm 
und seinem Schreiber Baruch , sich zu entfernen und 
ihren Aufenthaltsort nicht bekannt zu machen. Das 
Buch aber brachten sie dem Könige. Dieser gebot in 
Gegenwart seiner Freunde dem Schreiber, das Buch zu 
nehmen und es vorzulesen. Als er aber hörte, was 
darin geschrieben stand, geriet er in Zorn, zerriss das 
Buch und warf es ins Feuer. Zugleich befahl er, 



Zehntes Buch, 7. Kapitel. 


615 


Jeremias und Baruch aufzusuchen und sie zu ihm zu 
führen, damit sie ihre Strafe erhielten. Doch diese 
waren seinem Zorne schon entflohen. 

3. Als aber kurze Zeit darauf der König der Baby* 
Ionier heranrückte , beschlich den Joakira doch infolge 
der Weissagungen des Sehers eine derartige Furcht, 
dass er den König aufnahm in der Hoffnung, es werde 
ihm nichts Übles widerfahren. Und so verschloss er 
weder die Thore vor ihm, noch rüstete er sich zum 
Widerstand. Der Babylonier aber kümmerte sich nicht 
um sein gegebenes Wort, als er in die Stadt eingerückt 
war, sondern liess die stärksten und wohlgestaltetsten 
Jünglinge von Jerusalem samt dem Könige Joakim um- 
bringen. Den letzteren befahl er darauf vor die Mauern 
zu werfen und verbot, ihn zu beerdigen; zum Könige 
der Stadt und des Landes aber ernannte er dessen 
Sohn Joachim. Alsdann führte er die Vornehmsten des 
Volkes, gegen dreitausend an der Zahl, mit sich in die 
Gefangenschaft nach Babylon. Unter diesen befand 
»ich auch der Seher Jezekiel, der damals noch ein 
Knabe war. So endete der König Joakim, nachdem er 
sechsunddreissig Jahre gelebt und elf Jahre regiert 
hatte. Sein Nachfolger Joachim, dessen Mutter eine 
Bürgerin von Jerusalem war und Nosta hiess, regierte 
drei Monate und zehn Tage. 


Siebentes Kapitel. 

Oer Babylonier bereut die Ernennung Joachims zum Könige, 
führt ihn nach Babylon weg und übergiebt die Herrschaft 
dem Sedekias. Dieser schliesst sich an die Aegyptier an, 
die aber von dem Babylonier geschlagen werden. 
Schicksale des Jeremias. 

1. Den König der Babylonier aber reute es alsbald, 
dass er dem Joachim die Königswürde übertragen hatte. 
Er glaubte nämlich, dieser würde aus Rache für die 
Ermordung seines Vaters das Land von ihm abwendig 




616 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


machen. Deshalb sandte er ein Heer aus, um den 
Joachim in Jerusalem zu belagern. Joachim aber, der 
von Natur gütig und gerecht war, konnte es nicht an- 
sehen, dass die Stadt um seinetwillen in Gefahr 
schwebte, und übergab darum seine Mutter und seine 
übrigen Verwandten den von dem Babylonier geschickten 
Heerführern als Geiseln, nachdem diese ihm eidlich 
versichert hatten, dass weder die Stadt noch die Geiseln 
etwas zu leiden haben würden. Aber der Eid wurde 
noch nicht ein Jahr lang gehalten, denn der Babylonier- 
könig selbst brach ihn, indem er seinen Heerführern 
brieflich anbefahl, die in der Stadt befindlichen jungen 
Leute und Handwerker, zehntausendachthundertzweiund- 
dreissig an der Zahl, zu fesseln und als Gefangene ihm 
zuzuführen, desgleichen auch den Joachim selbst nebst 
seiner Mutter und seinen Freunden. Alle diese Ge- 
fangenen liess er streng bewachen. Zum Könige aber 
ernannte er den Oheim des Joachim, Sedekias, nachdem 
er ihn eidlich verpflichtet hatte, das Land in Babylons 
Botmässigkeit zu halten, keine Umwälzung zu planen 
und nicht mit den Aegyptiern in Verbindung zu treten. 

2. Als Sedekias die Regierung übernahm, war er 
einundzwanzig Jahre alt. Er war der leibliche Bruder 
des Joakim und ein Verächter von Recht und Zucht. 
Auch die in seiner Umgebung befindlichen erwachsenen 
Männer waren gottlos, und selbst das gemeine Volk 
verübte Schlechtigkeiten nach seinem Gutdünken. Des- 
halb begab sich der Prophet Jeremias zum Könige, 
wehklagte und gebot ihm, von seiner Gottlosigkeit und 
Gesetzesübertretung abzulassen und die Gerechtigkeit 
zu pflegen. Er möge weder auf die Vornehmen, unter 
denen es die grössten Übelthäter gebe, hören, noch den 
falschen und lügnerischen Sehern glauben, dass der 
Babylonier die Stadt nicht noch einmal belagern oder 
die Aegyptier gegen letzteren zu Felde ziehen und ihn 
überwinden würden. Denn das sei alles Lüge und 
werde nie in Erfüllung gehen. Sedekias sah wohl ein, 
dass der Prophet recht habe, und dass seine Worte, die 



Zehntes Buch, 7. Kepitel. 


617 


auf Wahrheit beruhten, nur zu seinem, des Königs, 
Nutzen gesprochen seien. Aber seine Freunde brachten 
ihn wieder aut' andere Gedanken, indem sie die Worte 
des Sehers in ihrem Sinne auslegten. Auch Jezekiel 
weissagte zu Babylon das dem Volke drohende Unglück, 
schrieb seine Verkündigungen auf nnd sandte sie nach 
Jerusalem. Sedekias aber glaubte nun keinem der 
beiden Propheten mehr, und zwar aus folgender Ursache. 
Die Seher stimmten wohl darin überein, dass die Stadt 
erobert und Sedekias gefangen werden würde.; < Jezekiel 
aber prophezeite dann weiter, Sedekias werde Babylon 
nicht sehen, während Jeremias behauptete, der Baby* 
lonierkönig werde ihn gefesselt dorthin Bchleppen. Weil 
sie nun in letzterem Punkte nicht übereinstimmten, 
wollte er auch das übrige, das in den Prophezeiungen 
der beiden Seher gleichlautete, nicht für wahr halten 
und misstraute ihnen daher. Gleichwohl ging alles in 
Erfüllung, was sie vorhergesagt hatten, wie ich an 
anderer Stelle darthun werde. 

3. Nachdem Sedekias das Bündnis mit den Baby* 
Ioniern acht Jahre lang gehalten hatte, fiel er von ihnen 
ab und schloss sich an die Aegyptier an in der Hoff- 
nung, gemeinsam mit ihnen die Babylonier ausrotten 
zu können. Sobald dies der König der Babylonier er- 
fuhr, zog er gegen ihn zu Felde, verwüstete sein Land, 
nahm die festen Plätze ein und schickte sich an, 
Jerusalem selbst zu belagern. Als nun der Aegyptier 
hörte, in welcher schlimmen Lage sein Bundesgenosse 
Sedekias sei, eilte er mit einem grossen Heere nach 
Judaea, um Jerusalem zu entsetzen. Daraufhin liess 
der Babylonier von Jerusalem ab , zog gegen die 
Aegyptier und lieferte ihnen eine Schlacht, trieb sie 
in die Flucht und verjagte sie aus ganz Syrien. Sobald 
nun [der Babylonierkönig von Jerusalem weggezogen 
war, bemühten sich die falschen Seher, den Sedekias 
zu bethören, indem sie ihm verkündeten, der Babylonier 
werde jweder von neuem ihn und sein Volk bekriegen, 
noch sie aus ihrem Lande nach Babylon wegführen. 



618 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Vielmehr würden die Gefangenen mit allen Tempel- 
geräthen zurückkehren, die der Babylonierkönig aus dem 
Heiligtum geraubt habe. Jeremias aber trat mitten 
unter sie und verkündete das gerade Gegenteil, indem er 
der Wahrheit gemäss prophezeite : „ Ihr handelt sehr 
übel und betrügt den König, da das Bündnis mit den 
Aegyptiern ihm keinen Vorteil bringen wird. Denn 
der Babylonier wird sie schlagen, dann gegen Jerusalem 
rücken, das Volk belagern und durch Hunger aufreiben, 
die Überlebenden gefangen wegführen, ihr Hab und 
Gut rauben, den Tempel plündern und in Brand stecken 
und die Stadt von Grund aus zerstören. Wir aber 
werden ihm und seinen Nachkommen siebzig Jahre lang 
als Sklaven dienen. Nach Ablauf dieser Zeit werden 
uns aus ihrer Knechtschaft die Perser und Meder be- 
freien, die der Herrschaft der Babylonier ein Ende 
machen werden. Sie werden uns in dieses Land zurück- 
kehren lassen, und wir werden den Tempel wieder auf- 
bauen und Jerusalem wiederherstellen.“ Diesen Worten 
des Jeremias glaubten die meisten ; die Vornehmen aber 
und die ruchlosen Menschen verhöhnten ihn, als wäre 
er nicht bei Verstand. Als er sich nun wieder in seine 
Vaterstadt Anathoth, die zwanzig Stadien von Jerusalem 
entfernt lag, begeben wollte, begegnete ihm einer der 
Vorsteher, schlug ihn und warf ihm vor, er wolle zu 
den Babyloniern überlaufen. Der Seher wies diese Be- 
schuldigung zurück und sagte, er beabsichtige nur in seine 
Heimat zurückzukehren. Der andere aber ergriff ihn, 
führte ihn vor die Behörde und überantwortete ihn dem 
Gerichte, das ihn mit allen erdenklichen Folterqualen 
belegte und ins Gefängnis werfen liess. Hier musste 
er geraume Zeit zubringen und grosses Unrecht er- 
dulden. 

4. Im neunten Jahre der Regierung des Sedekias 
aber, und zwar am zehnten Tage des zehnten Monats, 
rückte der Babylonierkönig mit seinen Truppen aber- 
mals gegen Jerusalem, setzte sich vor der Stadt fest 
und belagerte sie achtzehn Monate lang unter An- 



Zehntes Bach, 7. Kapitel. 


619 


Spannung aller Kräfte. Zugleich wurde Jerusalem von 
Hungersnot und Pest bedrängt, den beiden grössten 
Übeln, welche eine belagerte Stadt treffen können. Diese 
Plagen wüteten in grauenhafter Weise. Inzwischen 
schwieg auch der Seher Jeremias nicht, obwohl er im 
Gefängnis schmachtete , sondern ermahnte mit lauter 
Stimme das Volk, es solle die Thore öffnen und den 
Babylonier einlassen. Wenn sie das thäten, würden sie 
alle gerettet werden, im anderen Falle aber umkommen. 
Er verkündigte, dass jeder, der in der Stadt bleibe, 
entweder vom Hunger öden vom Schwert der Feinde 
werde dahingerafft werden, und nur, wer zum Feinde 
fliehe, könne dem Tode entgehen. Die Vornehmen aber 
hörten auch jetzt, da sie in höchster Lebensgefahr 
schwebten, nicht auf seine Worte, sondern hinter brachten 
sie voll Zorn dem Könige und verklagten den Seher 
als einen Thoren, der ihnen den Mut nehme und durch 
Unglücksprophezeiungen den Eifer und das Vertrauen 
des Volkes zu lähmen suche. Denn dieses sei bereit, 
für König und Vaterland jede Gefahr zu bestehen, 
während der Seher es beharrlich ermahne, zum Feinde 
überzugehen, da die Stadt doch eingenommen und zer- 
stört werden würde. 

5. Der König war nun freilich, da er von Natur 
gütig und gerecht war, nicht dazu zu bringen, dass er 
selbst gegen den Seher einschritt. Um sich aber in der 
jetzigen schlimmen Zeit nicht mit den Vornehmen zu 
verfeinden, überliess er ihnen den Jeremias, um mit 
ihm nach Gutdünken zu verfahren. Sobald sie diese 
Erlaubnis vom Könige erhalten hatten, drangen sie in 
das Gefängnis ein, ergriffen ihn, führten ihn hinaus 
und liessen ihn mit Stricken in eine Kotgrube hinab, 
um ihn darin ersticken zu lassen. Jeremias sank so 
tief in den Schlamm, dass nur seine Augen und seine 
Nasenöffnung noch über demselben sich befanden, und 
schwebte also in grosser Lebensgefahr. Inzwischen 
aber berichtete ein Diener des Königs, der Aethiope 
von Geburt war und beim Könige damals in hoher 




620 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Gunst stand, diesem das schändliche Beginnen seiner 
Freunde und der Vornehmen, die den Seher auf grau- 
samere Weise um bringen wollten , als ihm dies im Ge- 
fängnis würde begegnet sein. Sowie der König das ver- 
nahm, reute es ihn, den Seher in die Gewalt der Vor- 
nehmen gegeben zu haben, und er befahl dem Aethiopen, 
dreissig königliche Diener nebst Stricken und allem 
anderen, was er zur Kettung des Sehers brauche, mit- 
zunehmen und den Jeremias so schnell wie möglich aus 
der Grube herauszuziehen. Der Aethiope that so, zog 
den Seher aus dem Schlamm heraus und liess ihn frei 

6. Darauf beschied der König ihn heimlich zu sich 
und fragte ihn, ob er ihm von Gott etwas zu sagen 
habe und ihm irgend eine Hilfe in Aussicht stellen 
könne. Jeremias entgegnete ihm: „Wohl habe ich dir 
etwas zu sagen, aber du wirst mir nicht glauben, wie 
auch die anderen meinen Verkündigungen kein Gehör 
geschenkt, sondern mich wie einen Verbrecher haben 
umbringen wollen. Wo sind jetzt die, welche euch vor- 
gelogen haben, der Babylonier werde den Krieg gegen 
euqh nicht zum zweitenmal aufnehmen? Ich meinerseits 
fürchte mich, dir die Wahrheit zu sagen, da du mich 
dann wohl zum Tode verurteilen wirst.“ Als aber der 
König ihm eidlich versichert hatte, er werde ihn weder 
zum Tode verurteilen noch den Vornehmen ausliefern, 
fasste der Seher Mut und riet ihm, die Stadt den Baby- 
loniern zu übergeben. Er fügte hinzu, auf Gottes An- 
trieb erteile er ihm diese Ermahnung, wenn er der 
drohenden Gefahr entgehen und weder die Stadt dem 
Erdboden gleichmachen, noch den Tempel in Flammen 
aufgehen lassen wolle. Andernfalls werde er selbst die 
Schuld tragen, dass solches Unheil über ihn wie über 
seine Unterthanen komme. Der König entgegnete, er 
wolle seinem Rate folgen, da das in seinem Interesse 
liege. Doch fürchte er, von denen, die aus seinem 
Volke zu den Babyloniern übergingen, beim feindlichen 
Könige fälschlich angeklagt zu werden und dann den 





Zehntes Buch, 8. Kapitel. 


621 


Tod erleiden zu müssen. Der Prophet aber hiess ihn 
Mut fassen und bat ihn, nicht so unbegründete Angst 
zu haben. Denn wenn er den Babyloniern die Stadt 
übergebe, werde weder ihm noch seinen Frauen und 
Kindern ein Leids geschehen, und auch der Tempel 
werde unversehrt bleiben. Hierauf entliess der König 
den Jeremias, indem er ihm noch anbefahl, niemand 
von seinem Vorhaben Mitteilung zu machen und auch 
den Vornehmen, wenn sie von seiner Berufung zum 
Könige hörten und ihn über die Unterredung aus- 
forschen wollten, nichts davon zu sagen. Er solle viel- 
mehr die Ausrede gebrauchen, er habe den König nur 
gebeten , ihn mit Kerker und Banden zu verschonen. 
Damit fertigte Jeremias auch wirklich die Neugierigen 
ab, die zu ihm kamen und ihn fragten, was er mit dem 
Könige über sie beratschlagt habe. 


Achtes Kapitel. 

Wie der Babylonier Jerusalem einnahm , den Tempel 
einäscherte und die Bewohner samt dem Sedekias nach 
Babylon schleppte. Aufzählung der Hohepriester zur 

Zeit der Könige. 

1. Unterdessen setzte der Babylonier die Belagerung 
von Jerusalem unter Aufbietung aller Kräfte und mit 
grosser Zähigkeit fort. Er errichtete Türme auf hohen 
Wällen und trieb von ihnen aus alles, was sich den 
Mauern näherte , zurück. Ausserdem warf er ringsum 
noch eine Menge von Erdwerken auf, die an Höhe den 
Mauern gleichkamen. Aber auch die Belagerten wehrten 
sich hartnäckig und tapfer und Hessen sich weder durch 
Hungersnot noch durch Pest einschüchtern, sondern ob- 
wohl sie von diesen Plagen hart bedrängt wurden, er- 
trugen sie doch die Schrecken des Krieges mit Ausdauer 
und trotzten den Belagerungsmaschinen der Feinde, 
indem sie allenthalben auch ihrerseits solche errichteten. 
So entstand ein Wetteifer in Thatkraft und Klugheit 




622 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


zwischen den Babyloniern und den Jerusalemern, indem 
die einen alles daran setzten, die Stadt in ihre Gewalt 
zu bekommen, die anderen aber ihr Heil darin suchten, 
unverdrossen neue Gegenwerke gegen die Belagerungs- 
Vorrichtungen der Feinde zu bauen. Das ging so acht- 
zehn Monate lang weiter, bis die Mehrzahl der Be- 
lagerten dem Hunger und den feindlichen Geschossen 
erlegen war. 

2. Endlich fiel die Stadt am neunten Tage des 
vierten Monats, im elften Jahre der Regierung des 
Sedekias. Den Sturm leiteten die babylonischen Heer- 
führer, denen Nabuchodonosor die weitere Belagerung 
an vertraut hatte; denn er selbst hielt sich in der Stadt 
Reblatha auf. Die Namen dieser Heerführer, die 
vielleicht jemand kennen lernen möchte, waren Nergelear, 
Aremmantus, Semegar, Nabosaris und Echarampsaris. 
Als die Stadt gegen Mitternacht in den Händen des 
Feindes war, drangen die Anführer in den Tempel ein. 
Auf die Nachricht davon floh der König Sedekias mit 
seinen Weibern, Kindern, Heerführern und Freunden 
durch enge und steile Schluchten aus der Stadt in die 
Wüste. Einige Überläufer aber meldeten dies den 
Babyloniern, die beim Morgengrauen zu seiner Ver- 
folgung ausrückten und ihn bei Jericho einholten und 
umzingelten. Als nun die Freunde und Heerführer, die 
mit Sedekias geflohen waren, die Feinde heranziehen 
sahen, verliessen sie ihn, zerstreuten sich hierhin und 
dorthin und waren nur auf ihre eigene Rettung bedacht. 
Darauf wurde der König mit den wenigen, die bei ihm 
aushielten, gefangen genommen und nebst seinen Frauen 
und Kindern zum babylonischen Könige geführt. 
Nabuchodonosor schalt ihn einen Frevler und Vertrags- 
brüchigen, da er sein Versprechen, das Land in der 
v Botmässigkeit der Babylonier zu erhalten, nicht erfüllt 
habe. Auch warf er ihm Undankbarkeit vor; denn 
Sedekias habe die Herrschaft doch nur von ihm, der 
dieselbe dem Joachim entrissen habe, erhalten, und nun 
habe er seine Macht zum Nachteil seines Wohl- 



Zehntes Buch, 8. Kapitel. 


623 


thäters missbraucht. „Aber der grosse Gott,“ fügte er 
hinzu, „dem dein Wandel zuwider ist, hat dich jetzt in 
meine Hand gegeben.“ Nachdem er also den Sedekias 
gescholten, befahl er, dessen Söhne und Freunde sogleich 
im Angesichte des Königs und der übrigen Gefangenen 
zu töten. Den Sedekias selbst aber liess er blenden 
und in Ketten nach Babylon führen. So erfüllten sich 
die Weissagungen des Jeremias und des Jezekiel. Denn 
nach des Jeremias Verkündigung wurde er gefangen 
vor den Babylonier geführt und unterredete sich per- 
sönlich mit ihm; Babylon aber sah er, obwohl er dort- 
hin geschleppt wurde, nicht, weil er geblendet war, 
genau wie Jezekiel dies vorausgesagt hatte. 

3. Vorstehendes habe ich erzählt, um Gottes Wesen 
denjenigen klar zu machen, die es noch nicht kennen. 
Denn er lässt alles zwar auf mannigfaltige Weise, aber 
doch in der festgesetzten Zeit und Ordnung genau nach 
seiner Vorherverkündigung eintreffen. Wir erkennen 
aber daraus auch die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit 
der Menschen, infolge deren sie die Zukunft nicht 
voraussehen können und blindlings in ihr Verderben 
stürzen, ohne dass es ihnen möglich wäre, der Gefahr 
zu entrinnen. 

4. So endeten die Könige aus Davids Geschlecht, 
im ganzen einundzwanzig an der Zahl, die zusammen 
fünfhundertvierzehn Jahre, sechs Monate und zehn Tage 
regierten. Der erste König, Saul, der nicht aus diesem 
Geschlechte war, hatte zwanzig Jahre lang geherrscht. 

5. Der Babylonier sandte darauf seinen Feldherrn 
Nabuzardanes nach Jerusalem mit dem Aufträge, den 
Tempel zu plündern, das Heiligtum und den Königs- 
palast einzuäschern , die Stadt dem Erdboden gleich zu 
machen und das Volk nach Babylonien wegzuführen. 
Nabuzardanes kam also im elften Jahre der Regierung 
des Sedekias nach Jerusalem, plünderte den Tempel 
und raubte die goldenen und silbernen Geräte Gottes, 
das grosse von Salomon geweihte Waschbecken, die 
ehernen Säulen mit ihren Kapitellen , die goldenen 




€24 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Tische und die Leuchter. Nachdem er das alles aus 
dem Tempel entfernt hatte, steckte er denselben in 
Brand, am ersten Tage des fünften Monats, im elften 
Regierungsjahre des Sedekias und im achtzehnten des 
Nabuchodonosor. Alsdann legte er auch den Feuer- 
brand an den Königspalast und zerstörte die Stadt. 
Der Tempel ward ein geäschert vierhundertsiebzig Jahre, 
sechs Monate und zehn Tage nach seiner Erbauung, 
eintausendzweiundsechzig Jahre, sechs Monate und zehn 
Tage nach dem Auszug aus Aegypten, eintausendneun- 
hundertsiebenundfünfzig Jahre , sechs Monate und zehn 
Tage nach der Sintflut, und dreitausendfünfhundert- 
dreizehn Jahre , sechs Monate und zehn Tage nach der 
Erschaffung Adams. Als der babylonische Heerführer 
so Jerusalem von Grund auf zerstört und das Volk 
weggeführt hatte, wurden auch der Hohepriester Sareas, 
dessen Stellvertreter Sophonias, die drei fürstlichen 
Tempel Wächter, der die Leibwache befehligende Ver- 
schnittene, ferner sieben von Sedekias’ Freunden, dessen 
Schreiber und sechzig andere Führer gefangen ge- 
nommen und zugleich mit den geraubten Tempelgeräten 
zum Könige nach Reblatha, einer Stadt Syriens , ge- 
bracht. Dieser liess den Hohepriester und die Führer 
enthaupten , die übrigen Gefangenen aber samt dem 
Sedekias führte er selbst nach Babylon. Ausserdem 
schleppte er mit sich den Hohepriester Josadok, den 
Sohn des obersten Hohepriesters Sareas, der, wie er- 
wähnt, bei Reblatha in Syrien getötet worden war. 

6. Nachdem ich mich so über das Geschlecht der 
Könige, ihre persönlichen Eigenschaften und die Zahl 
ihrer Lebens- und Regierungsjahre verbreitet habe, halte 
ich es nunmehr auch für notwendig, die Namen der 
Hohepriester anzuführen. Der erste Hohepriester in 
dem von Solomon erbauten Tempel war Sadok. Ihm 
folgte in der Würde sein Sohn Achimas, diesem Azarias, 
alsdann Joram, darauf Isus, von dem die Würde auf 
Axioram überging. Dann kamen der Reihe nach 
Phideas, Sudeas, Juel, Jotham, Urias, Nerias, Odeaa, 



Zehntes Buch, 9. Kapitel. 


625 


Sallum, Elikias, Sareas, und endlich Josadok, der nach 
Babylon in die Gefangenschaft geschleppt wurde. Dabei 
erbte immer der Sohn vom Vater die Hohepriester- 
würde. 

7. Als Nabuchodonosor nach Babylon zurückgekehrt 
war, hielt er dort den Sedekias während seines ganzen 
Lebens in Gewahrsam. Nach seinem Tode aber liess 
er ihn mit grosser Pracht bestatten. Die aus dem 
Tempel zu Jerusalem geraubten Gegenstände weihte er 
seinen eigenen Göttern, siedelte das Volk im • baby- 
lonischen Lande an und liess dann den Hohepriester 
seiner Fesseln entledigen. 


Neuntes Kapitel. 

Wie Nabuzardanes zum Vorsteher der zurückgebliebenen 
Juden den Godolias ernennt, der von Ismael getötet wird. 
Wie Joannes den Ismael zur Flucht nötigt und mit dem 
Volke nach Aegypten zieht. Nabuchodonosor aber rückt 
gegen die Aegyptier aus und führt die dort befindlichen 
Juden gefangen nach Babylon. 

1. Als Nabuzardanes das Volk der Juden in die 
Gefangenschaft führte, liess er die Armen sowie die 
Überläufer in ihrer Heimat zurück und ernannte zu 
ihrem Vorsteher Godolias, den Sohn des edlen Juden 
Aikam, einen gerechten, und braven Mann. Er befahl 
ihnen, das Land zu beackern und dem Könige einen 
bestimmten Tribut von dem Ertrage zu entrichten. Den 
Seher Jeremias aber beschied er aus dem Gefängnis Z4 
sich und suchte ihn zu überreden, mit ihm nach Babylon 
zu ziehen. Denn der König habe angeordnet, es solle 
ihm jeder Wunsch erfüllt werden. Wolle er aber nicht 
mitgehen, so möge er ihm sagen, wo er zu wohnen ge- 
denke, damit er dies dem Könige brieflich melden könne. 
Der Seher aber wollte ihm weder folgen noch irgendwo 
anders seinen Wohnsitz nehmen, sondern begnügte sich 
damit, bei den Trümmern seiner Heimatstadt und ihren 

Joeephu*’ Jüdische Altertümer. 40 




626 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


armseligen Überresten zu bleiben. Als der Feldherr 
diesen seinen Wunsch erfuhr, befahl er dem Godolias, 
für ihn zu sorgen und ihm alles zu gewähren , was er 
verlange. Dann bedachte er den Seher mit reichen 
Geschenken und gestattete ihm zu gehen, wohin er 
wolle. Jeremias nahm nun seinen Wohnsitz in der 
Stadt Masphath und bat den Nabuzardanes, auch seinen 
Schüler Baruch freizulassen , den Sohn des Nerus , der 
aus einem vornehmen Hause stammte und in der 
hebräischen Sprache besonders bewandert war. 

2. Als Nabuzardanes diese Einrichtungen getröden 
hatte, kehrte er nach Babylon zurück. Sobald nun die- 
jenigen, die während der Belagerung aus Jerusalem 
entflohen waren und im ganzen Lande zerstreut lebten, 
vernahmen, die Babylonier seien abgezogen und hätten 
nur wenige Juden zur Bebauung des Landes zurück- 
gelassen, kamen sie von allen Seiten in Masphath bei 
Godolias zusammen. Ihre Anführer waren Joannes, 
Sohn des Kareas, Jezanias, Sareas und andere. Ferner 
war da noch Ismael , aus königlichem Geschlechte, 
übrigens aber ein gottloser und verruchter Mensch, der 
während der Belagerung von Jerusalem zu Baalis, dem 
Könige der Ammaniter, geflohen war und bei diesem 
bis jetzt gewohnt hatte. Allen diesen riet Godolias, bei 
ihm zu bleiben und jede Furcht vor den Babyloniern 
fahren zu lassen; denn wenn sie das Land bebauen 
wollten, werde sie kein Leid treffen. Dies versicherte 
er ihnen eidlich und fügte hinzu, sie möchten ihn als 
ihren Beschützer ansehen, der ihnen gern zu Hilfe 
kommen wolle, wenn sie bedrängt würden. Dann gab 
er ihnen den Rat, sie sollten in einer beliebigen Stadt 
ihren Wohnsitz nehmen, diese wieder aufbauen und 
Ackerbau treiben. Auch sollten sie sich zeitig mit Ge- 
treide, Wein und Öl versehen, damit sie im Winter 
keinen Mangel litten. Alsdann entliess er sie in die 
gewählten Wohnsitze. 

3. Als nun zu den benachbarten Völkern Judaeas 
das Gerücht drang, Godolias habe alle zurück gekehrten 



Zehntes Buch, 9. Kapitel. 


627 


Flüchtlinge mit grosser Menschenfreundlichkeit auf- 
genommen und ihnen gegen Entrichtung eines Tributes 
für den Babylonier Ackerland zum Bebauen angewiesen, 
strömten auch von ihnen viele zu Godolias und be- 
ackerten das Land. Joannes und die übrigen Führer 
aber, die des Godolias friedliche Regierung sowie seine 
Güte und Menschenfreundlichkeit sahen , liebten . ihn 
sehr und teilten ihm deshalb mit, Baalis, der Amma- 
niterkönig, wolle den Ismael senden, um ihn heimlich 
und mit List aus dem Wege zu räumen, diesen selbst 
aber zum Herrscher über die Israeliten machen, da er 
aus königlichem Geschlecht stamme. Diesen Nach- 
stellungen könne Godolias entgehen, wenn er ihnen ge- 
statte, den Ismael insgeheim zu töten. Denn sie 
fürchteten, dass, wenn es Ismael gelänge, ihn um- 
zubringen, die Reste des israelitischen Volkes völlig zu 
Grunde gehen würden. Godolias aber entgegnete ihnen, 
er könne nicht daran glauben, dass ein Mensch, den er 
mit Wohlthaten überhäuft [habe, solche Nachstellungen 
gegen ihn plane. Es sei nicht möglich, dass jemand, 
der in seiner Notlage von ihm alle mögliche Unter- 
stützung erhalten habe, so undankbar gegen seinen 
Wohlthäter handle und ihm nach dem Leben trachte, 
während er es sich schon zur Sünde anrechnen würde, 
den Ismael vor Anschlägen, die andere gegen ihn be- 
absichtigten, nicht behütet zu haben. Aber wenn auch 
ihre Vermutungen begründet wären, so wolle er doch 
lieber von Ismaels Hand getötet werden , als einen 
Menschen umbringen, der zu ihm seine Zuflucht ge- 
nommen und sein Heil gewissermassen ihm als Ver- 
walter desselben anvertraut habe. 

4. Als nun Joannes und die übrigen Führer den 
Godolias nicht zu überreden vermochten , gingen sie 
weg. Dreissig Tage darauf kam Ismael mit noch zehn 
anderen Männern nach Masphath zu Godolias, der sie 
glänzend bewirtete, bei dem Mahle aber betrunken 
wurde. Als nun Ismael bemerkte, dass der Weinrausch 
den Gastgeber unbeholfen und schläfrig gemacht hatte, 

40 * 



628 


Joseph us’ Jüdische Altertümer. 


erhob er sich plötzlich mit seinen Freunden vom Tische 
und brachte den Godolias samt seinen Gästen um. 
Dann eilte er, obgleich es Nacht war, hinaus und lieas 
alle in der Stadt befindlichen Juden sowie die von den 
Babyloniern dort zurückgelassene Besatzung nieder- 
machen. Am folgenden Tage kamen achtzig Männer aus 
dem Lande mit Geschenken für Godolias an, ohne von 
dessen Ermordung etwas zu wissen. Als Ismael sie er- 
blickt hatte, hiess er sie in des Godolias Haus eintreten. 
Dann liess er die Thore schl issen und die Männer er- 
schlagen, ihre Leichen aber, um sie dem Anblick zu 
entziehen, in eine tiefe Grube werfen. Und nur diejenigen 
von diesen achtzig wurden gerettet, die um Schonung 
ihres Lebens gebeten hatten, um ihm die auf ihrem 
Acker versteckten Geräte, Kleider und Getreidevorräte 
ausliefern zu können. Unter dieser Bedingung liess sie 
Ismael am Lehen. Das Volk von Masphath aber nebst 
Weibern und Kindern, unter denen sich auch des 
Sedekias Töchter befanden, die der babylonische Feld- 
herr Nabuzardanes bei Godolias zurückgelassen hatte, 
schleppte er gefangen mit sich fort. Dann kehrte er 
zum Könige der Ammaniter zurück. 

5. Joannes und die bei ihm versammelten Führer 
hatten kaum vernommen, welche Schandthaten Ismael 
in Masphath verübt hatte, als sie im höchsten Zorn ihre 
Streitkräfte sammelten , gegen Ismael ausrückten und 
ihn an einer bei Chebron befindlichen Quelle trafen. 
Sobald Ismaels Gefangene den Joannes und die übrigen 
Führer erblickten, wurden sie freudig- bewegt in der 
Hoffnung, es nahe ihnen Hilfe. Sie verliessen daher 
den Ismael und schlossen sich an Joannes an. Ismael 
aber entfloh mit acht Begleitern zum Könige der Amma- 
niter. Joannes nahm nun alle auf, die er den Händen 
Ismaels entrissen hatte, auch die Verschnittenen, die 
Weiber und die Kinder, und kam bis nach Mandra, wo 
er an diesem Tage verweilte. Hierauf beschlossen sie, 
sogleich nach Aegypten zu ziehen, da sie fürchteten, die 
Babylonier möchten sie, wenn sie im Lande blieben, aus 



Zehntes Buch, 9. Kapitel. 


629 


Zorn über die Ermordung ihres Statthalters Godolias 
umbringen. 

6. Als sie diesen Entschluss gefasst hatten, begaben 
sich Joannes, des Kareas Sohn, und seine Begleiter zum 
Propheten Jeremias und ersuchten ihn, zu Gott zu flehen, 
dass er ihnen bei ihrer Ratlosigkeit einen Ausweg zeigen 
möge, indem sie sich eidlich verpflichteten, des Jeremias 
Worten Folge zu leisten. Jeremias versprach ihnen denn 
auch, sich für sie zu verwenden, und nach zehn Tagen 
erschien ihm Gott und befahl ihm, dem Joannes, den 
übrigen Führern und dem Volke zu verkündigen, er 
werde sie, wenn sie im Lande blieben, beschützen und 
sie nicht in die Gewalt der gefürchteten Babylonier ge- 
raten lassen. Zögen sie aber nach Aegypten, so werde 
er ihnen zürnen und ihnen dieselben Plagen senden, 
die ihre Väter bekanntlich heimgesucht hätten. Als der 
Seher diese Ermahnung Gottes dem Joannes und dem 
Volke verkündet hatte, glaubte man ihm nicht und be- 
hauptete, er befehle ihnen nicht im Aufträge Gottes, 
zu bleiben, sondern er wolle seinem Schüler Baruch 
einen Gefallen erweisen und erdichte Glottes Befehl, dass 
sie nicht wegziehen sollten, nur deshalb, damit sie von 
den Babyloniern niedergemacht würden. Demgemäss 
befolgte weder das Volk noch Joannes den von dem 
Propheten verkündeten Rat Gottes, sondern sie zogen 
nach Aegypten und nahmen Jeremias und Baruch 
mit sich. 

7. Als sie dort angelangt waren, offenbarte Gott dem 
Jeremias, dass der Babylonierkönig im Begriff stehe, 
gegen Aegypten zu Felde zu ziehen, und hiess ihn dem 
Volke verkünden, Aegypten werde unterjocht und ein 
Teil von ihnen niedergemacht, der andere Teil aber ge- 
fangen nach Babylon geschleppt werden. So geschah 
es auch in der That. Denn im fünften Jahre nach der 
Zerstörung Jerusalems, welches das dreiundzwanzigste 
seiner Regierung war, rückte Nabuchodonosor mit 
Heeresmacht in Coelesyrien ein, eroberte es und überzog 
dann die Ammaniter und Moabiter mit Krieg. Nach 



630 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


Unterjochung dieser Völkerschaften griff er Aegypten 
an, tötete den damaligen König}, setzte einen anderen 
an seine Stelle und führte alle daselbst befindlichen 
Juden wiederum nach Babylon fort. So traf also die 
Hebräer zweimal das Unglück, über den Euphrat weg* 
geschleppt zu werden. Denn die zehn Stamme kamen 
unter Oseas in die Gewalt der Assyrier, und was nach 
dem Falle Jerusalems von den zwei Stammen noch übrig 
geblieben war, führte N abuchodonosor , der König der 
Babylonier und Chaldäer, in die Gefangenschaft. Sal- 
manasar, der die Israeliten aus ihren Wohnsitzen ver- 
trieb, siedelte dort das Volk der Chuthäer an, die früher 
das Innere von Persien und Medien bewohnt hatten 
und von dem Lande, in welches sie verpflanzt wurden, 
den Namen Samariter erhielten. Der König der Baby- 
lonier aber, der die beiden Stamme wegführte, siedelte 
in deren Land kein anderes Volk an, sodass ganz 
Judaea mit Jerusalem und dem Tempel siebzig Jahre 
lang verödet blieb. Zwischen der Gefangennehmung der 
Israeliten und der Wegführung der beiden Stämme nach 
Babylon verflossen hundertdreissig Jahre, sechs Monate 
und zehn Tage. 


Zehntes Kapitel. 

Daniel in Babylon. 

1. Der Babylonierkönig Nabuchodonosor wählte nun 
die edelsten Knaben der Juden und die Verwandten 
des Königs Sedekias, die sich durch Körperkraft und 
Schönheit auszeichneten, aus und übergab sie besonderen 
Lehrern zur Erziehung. Einige von ihnen liess er ver- 
schneiden, wie das gewöhnlich mit der Jugend der 
unterworfenen Völkerschaften geschah, gewährte ihnen 
Speise von seinem eigenen Tische und liess sie die 
Landesgebräuche und die chaldaeischen Schriften stu- 
dieren. Diese brachten es in den Wissenschaften, in 
denen sie unterrichtet wurden, zu hohen Kenntnissen, 




Zehntos Buch, 10. Kapitel. 


631 


und es waren unter ihnen aus dem Gesehlechte des 
Sedekias besonders vier überaus wohlgestaltete und reich - 
begabte Jünglinge mit Namen Daniel, Ananias, Misael 
und Azarias. Der Babylonier aber änderte ihre Namen 
um und nannte den Daniel Baltasar, den Ananias 
Sedraches, den Misael Misaches und den Azarias 
Abdenago. Wegen ihrer ausgezeichneten geistigen Be- 
fähigung, ihrer fleissigen Studien und ihrer Fortschritte 
in den Wissenschaften hielt der König sie in hohen 
.Ehren und liebte sie sehr. 

2. Dem Daniel erschien es nun gut, mit seinen 
Freunden eine härtere Lebensweise zu führen und sich 
vom königlichen Tische fernzuhalten , wie auch alle 
tierische Kost zu verschmähen. Er begab sich daher zu 
Aschanes, einem Verschnittenen, der mit ihrer Ver- 
sorgung betraut war, und begehrte von ihm, er solle die 
für sie von der königlichen Tafel bestimmten Speisen 
für sich behalten, ihnen aber nur Hülsenfrüchte und 
Datteln oder andere Pflanzenkost verabfolgen. * Denn 
nur nach solcher Nahrung stehe ihr Verlangen, während 
sie die andere verschmähten. Der Verschnittene erklärte 
sich hierzu bereit, doch drückte er seine Besorgnis 
darüber aus, der König möchte, wenn ihm ihre Mager- 
keit und ihr verändertes Wesen auffalle, da sich not- 
wendigerweise ihre Körperhaltung und ihre Gesichtsfarbe 
namentlich im Vergleich mit den anderen gut genährten 
Knaben als verändert herausstellen müsse, ihn deshalb 
zur Verantwortung und Strafe ziehen. Als sie nun den 
Aschanes in so grosser Furcht schweben sahen, beredeten 
sie ihn, er möge ihnen zehn Tage zur Probe die ge- 
wünschte Nahrung verabfolgen , und wenn dann ihr 
Aussehen sich nicht verschlechtere, solle er ihnen die- 
selbe Speise weiterhin reichen; sehe er sie hingegen ab- 
magern oder sonst hinter den anderen zurückstehen , so 
könne er ja zu der früheren Kost zurückkehren. Da 
aber infolge der einfacheren Nahrung ihr Körper nicht 
nur nicht abmagerte, sondern sogar gesunder und fetter 
erschien, konnte man glauben, sie lebten üppig und 



632 


Josephus* Jüdische Altertümer. 


schwelgerisch. Aschanes hatte nun keine Angst mehr 
und verwandte die vom Könige für die Jünglinge be- 
stimmten Speisen für sich selbst, während er ihnen die 
oben erwähnte Kost zukommen liess. So erhielten sie 
nicht nur ihren Geist frisch und zu wissenschaftlicher 
Thätigkeit geeignet, sondern kräftigten auch ihren 
Körper zu harten Strapazen, da sie ihren Geist nicht 
durch mannigfaltige Nahrung beschwerten und ab- 
stumpften, noch ihren Körper dadurch verweichlichten. 
Auf diese Weise ward es ihnen leicht, sich die gesamte 
Bildung der Hebräer wie der Chaldäer anzueignen. 
Daniel insbesondere zeichnete sich vor den anderen in 
weiser Deutung der Träume aus, und es war diese Gabe 
offenbar ein Geschenk Gottes. 

8. Zwei Jahre nach der Verwüstung Aegyptens 
hatte der König Nabuchodonosor einen wunderbaren 
Traum, dessen Bedeutung ihm von Gott noch im Schlafe 
erklärt worden war, die er aber beim Erwachen wieder 
vergessen hatte. Er liess daher sogleich die chaldaeischen 
Mager und Wahrsager kommen und erzählte ihnen, er 
habe einen Traum gehabt. Da er denselben aber ver- 
gessen habe, sollten sie ihm den Traum sowie dessen 
Deutung mitteilen. Sie entgegneten , das sei wohl 
keinem Menschen möglich; könne er ihnen aber den 
Traum mitteilen, so würden sie die Deutung dazu finden. 
Da drohte ihnen der König mit der Todesstrafe, weil 
sie seinem Befehle nicht nachkommen könnten. Als 
Daniel gehört hatte, der König habe alle seine Weisen 
umzubringen befohlen, begab er sich, weil er auch für 
sich und seine Freunde fürchtete, zu Ariochus, dem 
Befehlshaber der königlichen Trabanten, und bat diesen 
um Auskunft, weshalb der König die Hinrichtung aller 
Mager und Wahrsager befohlen habe. Als er darauf 
zur Antwort erhielt, der König sei erzürnt, weil dieselben 
einen ihm entfallenen Traum ihm nicht wieder hätten 
in Erinnerung bringen können, bat er den Ariochus, 
vom Könige nur eine Nacht Aufschub für die Mager zu 
erwirken. Denn er hege die Hoffnung, durch Gebet zu 




Zehntes Buch, 10. Kapitel. 


633 


Gott Auskunft über den Traum zu erhalten. Ariochus 
meldete dem Könige das Begehren Daniels, und dieser 
liess denn auch die Hinrichtung der Mager verschieben, 
bis er über das Versprechen Daniels Gewissheit habe. 
Der Jüngling zog sich alsdann mit seinen Freunden 
in seine Wohnung zurück und flehte die ganze Nacht 
hindurch zu Gott, er möge ihm den Traum erklären und 
die chaldaeischen Mager, mit denen sie ja auch selbst 
umkommen müssten, vor dem Zorne des Königs retten, 
indem er ihm den Traum offenbare, den der König in 
der vergangenen Nacht gehabt habe, und der diesem 
entfallen sei. Gott, der Mitleid mit den Gefährdeten 
hatte, und dem Daniels Frömmigkeit wohlgefiel, teilte 
ihm darauf den Traum und seine Auslegung mit. 
Daniel erhob sich voll Freude, teilte seineu Mitbrüdern 
die Sache mit, befreite sie, die schon am Leben ver- 
zweifelten und mit Todesgedanken erfüllt waren, vom 
Schrecken und flösste ihnen neue Hoffnung ein. Hierauf 
dankten sie Gott dafür, dass er sich ihrer Jugend er- 
barmt habe, und Daniel begab sich bei Tagesanbruch 
zu Ariochus mit der Bitte, ihn zum Könige zu führen, 
weil er diesem den Traum sagen könne, den er in der 
vorvergangenen Nacht geträumt habe. 

4. Als Daniel beim Könige Einlass erlangt hatte, bat 
er zunächst, er möge ihn nicht für weiser halten als die 
chaldaeischen Mager, weil er ihm den Traum verkünden 
werde, den die anderen nicht hätten finden können. 
„Denn,“ fuhr er fort, „nicht meine Erfahrung oder mein 
grösserer Scharfsinn hat das bewirkt, sondern Gott hat 
sich unserer Not erbarmt und mir auf meine Bitte um 
mein und meiner Stammesgenossen Leben den Traum 
und seine Auslegung kundgethan. Nicht so sehr mein 
eigenes Leid um unsere Verurteilung zum Tode hat 
mich beunruhigt, als vielmehr die Furcht um deinen 
Ruhm, den du durch die Verurteilung guter und ehren- 
hafter Männer schmälern wolltest, nachdem du etwas 
von ihnen verlangt hattest, das nicht menschlicher Scharf- 
sinn, sondern nur Gottes Weisheit allein ermitteln konnte. 



634 Joseph us’ Jüdische Altertümer. 

Als du in Gedanken darüber versunken warst, wer 
nach dir den Erdkreis beherrschen solle, und auf deinem 
Bette lagst, wollte Gott dir alle zukünftigen Herrscher 
zeigen und sandte dir deshalb folgenden Traum. Du 
glaubtest eine ungeheure Bildsäule vor dir zu sehen, 
deren Kopf von Gold, Schultern und Arme von Silber, 
Bauch und Oberschenkel von Erz, Unterschenkel und 
Füsse von Eisen waren. Darauf sahst du einen un- 
geheuren Felsblock sich vom Berge hemiederwälzen und 
auf die Bildsäule fallen, sie umwerfen, zermalmen und 
keinen Teil von ihr unversehrt lassen. Und das Gold, 
Silber, Eisen und Erz wurde in Staub verwandelt, feiner 
denn Mehl, von einem heftigen Winde ergriffen und zer- 
streut. Der Fels aber wuchs so sehr, dass er die ganze 
Erde zu bedecken schien. Das ist der Traum, den du 
sahst. Vernimm nun auch seine Auslegung. Der goldene 
Kopf bist du selbst und die babylonischen Könige, die 
vor dir auf dem Throne gesessen haben. Die Schultern 
und Arme zeigen dir an, dass deine Herrschaft von zwei 
Königen wird zerstört werden. Deren Reich wird ein 
anderer zerstören, der in Erz gehüllt von Westen kommt. 
Seine Macht aber wird wieder eine andere Macht ver- 
nichten, die dem Eisen gleicht und der Natur des Eisens 
entsprechend dauernd herrschen wird. Denn Eisen ist 
stärker als Gold und Silber und Erz.“ Auch über den 
Felsblock gab Daniel Aufschluss, doch darf ich darüber 
nicht reden, weil ich Vergangenes, nicht aber Zukünftiges 
aufzeichnen will. Wer aber aus Liebe zur Wahrheit 
nicht die Mühe scheut, etwas eingehender nachzuforschen , 
um über die ungewisse Zukunft sich zu unterrichten, 
der lese das Buch Daniel durch, das er in unseren 
heiligen Schriften finden wird. 

5. Als der König Nabuchodonosor das vernommen 
und die Bedeutung seines Traumes erkannt hatte, ward 
er vom Staunen über Daniels Scharfsinn ergriffen , fiel 
auf sein Angesicht nieder, verehrte ihn, wie man die 
Gottheit anzu beten pflegt, und hiess ihm wie einem Gott 
Opfer darbringen. Und hiermit noch nicht zufrieden, 



Zehntes Buch, 10. Kapitel. 


685 


legte er ihm den Namen seines Gottes bei und setzte 
ihn nebst seinen Freunden zu Vorstehern des ganzen 
Reiches ein. Die letzteren aber gerieten durch fremden 
Neid in Gefahr, weil sie den König in folgender Weise 
beleidigten. Der König liess eine goldene Bildsäule von 
sechzig Ellen Höhe und sechs Ellen Breite anfertigen 
und sie in der grossen Ebene von Babylon aufrichten. 
Als er sie nun feierlich weihen wollte, berief er die 
Vornehmen aus seinem ganzen Reiche zusammen und 
befahl ihnen, sobald sie den Schall der Posaune ver- 
nähmen, niederzufallen und die Bildsäule zu verehren. 
Die das aber nicht thäten, sollten in einen brennenden 
Ofen geworfen werden. Als nun beim Schalle der 
Posaune alle die Bildsäule verehrten, sollen Daniels 
Freunde das nicht gethan haben, da sie die Gesetze 
ihrer Väter nicht übertreten wollten. Auf offener That 
ertappt, wurden sie alsdann ins Feuer geworfen, aber 
durch Gottes Fürsorge gerettet, sodass sie wider Er- 
warten dem Tode entgingen. Das Feuer that ihnen 
nichts zu Leide und verschonte sie, als ob es gemerkt 
hätte, dass reine Menschen in seine Flammen gestürzt 
worden waren. Und solange die Jünglinge in dem 
Feuer verweilten, schien es zu schwach zu sein, um 
brennen zu können, weil Gott ihre Körper so beschützte, 
dass das Feuer ihnen keinen Schaden zu thun ver- 
mochte. Dadurch wurden sie als gerechte und Gott 
wohlgefällige Männer erwiesen und erlangten des Königs 
Gunst wieder, sodass sie in der Folgezeit stets bei ihm 
in hohem Ansehen standen. 

6. Nicht lange danach hatte der König einen anderen 
Traum, der ihm anzeigte, er werde den Thron verlieren 
und unter wilden Thieren leben, nach siebenjährigem 
Aufenthalt in der Wüste aber seine Herrschaft wieder- 
erlangen. Er berief darauf wiederum die Mager zusammen 
und befragte sie um die Deutung des Traumes. Keiner 
aber konnte die Auslegung geben ausser Daniel, und 
was er vorher sagte, traf auch wirklich ein. Denn 
Nabuchodonosor lebte die erwähnte Zeit in der Wüste, 



636 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und niemand wagte während der sieben Jahre sich der 
Herrschaft zu bemächtigen. Als er dann endlich bat, Gott 
möge ihm sein Reich wiedergeben, erhielt er dasselbe 
auch zurück. Niemand aber möge es mir verdenken, 
dass ich alle diese Einzelheiten genau berichte, wie ich 
sie in den alten Schriften gefunden habe. Denn schon 
zu Anfang dieses Gescb ich ts Werkes habe ich allen, die 
daran etwas zu bemängeln oder zu tadeln für gut finden , 
versichert, dass ich nur die Bücher der Hebräer ins 
Griechische übertragen will, und versprochen, bei der 
Erzählung der Begebenheiten weder etwas zuzufügen 
noch zu verschweigen. 


Elftes Kapitel. 

Von Nabuchodonosors Nachfolgern, und wie ihr Reich 
von den Persern zerstört wurde. Daniel in Medien. 

Seine Weissagungen. 

1. Als der König Nabuchodonosor dreiundvierzig Jahre 
regiert hatte, schied er aus dem Lieben. Er war ein that- 
kräftiger Mann gewesen und hatte seine Vorgänger an 
Glück übertroffen. Seiner Thaten gedenkt auch Berosus 
im dritten Buche seiner chaldaeischen Geschichte mit fol- 
genden Worten: „Al6 Nabuchodonosor der Vater gehört 
hatte, der von ihm über Aegypten, Coelesyrien und 
Phoenicien gesetzte Statthalter sei abgefallen, übertrug er, 
weil er selbst den Strapazen nicht mehr gewachsen war, 
seinem noch jungen Sohne Nabuchodonosor den Ober- 
befehl über einen Teil des Heeres und sandte ihn zur 
Bekämpfung des abgefallenen Statthalters aus. Nabucho- 
donosor besiegte diesen in einer Schlacht und brachte 
dadurch die genannten Länder wieder unter seine Bot- 
mässigkeit. Um diese Zeit fiel Nabuchodonosor der Vater 
in eine Krankheit und starb zu Babylon nach einund- 
zwanzigjähriger Regierung. Als Nabuchodonosor bald 
darauf den Tod seines Vaters vernahm, ordnete er die 
Angelegenheiten Aegyptens und der übrigen Länder, 



Zehntes Buch, 11. Kapitel. 


687 


bestimmte näheres über die jüdischen, phoenicischen, 
syrischen und aegyptischen Gefangenen, befahl einigen 
seiner Freunde, mit den Schwerbewaffneten und dem 
Tross nach Babylon zu marschieren, und begab sich selbst 
mit nur kleinem Gefolge durch die Wüste nach Babylon 
Nachdem er nun von seinem Reiche, das der mächtigste 
Fürst der Chaldäer für ihn verwaltet hatte, Besitz er- 
griffen, siedelte er die Kriegsgefangenen nach deren An- 
kunft in den dazu geeignetesten Landstrichen Babyloniens 
an, bedachte aus der Beute den Tempel des Bel und 
anderer Götter reichlich und fügte zu der alten Stadt 
Babylon einen neuen Stadtteil hinzu; auch verhütete er 
die etwa von zukünftigen Belagerern der Stadt geplante 
Ableitung des Flusses dadurch, dass er nicht nur die 
innere, sondern auch die äussere Stadt mit je drei Mauern 
aus gebrannten Ziegeln umgab. Als er so Babylon be- 
festigt und mit prächtigen Thoren versehen hatte, erbaute 
er einen mit der Königsburg seines Vaters zusammen- 
hängenden Palast, dessen Höhe und glanzvolle Aus- 
stattung zu beschreiben ich mir wohl ersparen kann. 
Doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass er trotz seiner 
gewaltigen Ausdehnung schon in , fünfzehn Tagen voll- 
endet war. Bei diesem Palaste liess er aus Steinen An- 
höhen errichten, denen er die Gestalt von Bergen geben 
und die er mit allerlei Bäumen bepflanzen liess. Ferner 
legte er einen sogenannten hängenden Garten an, weil 
seine Gattin, die aus Medien stammte, danach verlangte, 
da das bei ihr zu Hause üblich war.“ Auch Megasthenes 
spricht im dritten Buche seiner Indischen Geschichten 
von diesen Ereignissen und sucht dadurch zu beweisen, 
dass dieser König an Tapferkeit und Heldenthaten den 
Herakles weit übertroffen habe. Er habe auch, so be- 
richtet Megasthenes weiter, einen grossen Teil von Libyen 
und Iberien verwüstet Desgleichen erwähnt auch Diokles 
im zweiten Buche seiner Persischen Geschichten diesen 
König, und Philostratus sagt sowohl in seiner Indischen 
als in seiner Phoenicischen Geschichte, er habe dreizehn 
Jahre lang Tyrus belagert, als Ithobal daselbst König 




1 


638 


Josephus' Jüdische Altertümer. 


war. Das sind die Angaben der Historiker über diesen 
König. 

2. Nach Nabuchodonosors Tode übernahm die Re- 
gierung sein Sohn Abilamarodach , der den Joachim so- 
gleich aus dem Gefängnis entliess, ihn unter die Zahl 
seiner vertrauten Freunde aufnahm, reich beschenkte 
und vor den übrigen in Babylon befindlichen Fürsten 
auszeichnete. Denn sein Vater hatte ja den Joachim 
schlecht behandelt, als dieser sich nebst seinen Weibern, 
Kindern und allen übrigen Verwandten ihm freiwillig 
übergeben hatte, um seine Vaterstadt vor der Zerstörung 
zu bewahren. Als Abilamarodach nach achtzehnjähriger 
Regierung starb, ging die Herrschaft auf seinen Sohn 
Niglisar über, der dieselbe vierzig Jahre lang bis zu 
seinem Tode innehatte. Nach ihm bestieg den Thron 
sein Sohn Labosordach, der nur neun Monate regierte. 
Alsdann folgte Baltasar, der von den Babyloniern Nabo- 
andel genannt wird. Diesen bekriegten Cyrus, der Perser- 
könig, und Darius, der Mederkönig, und während er 
von ihnen in Babylon belagert wurde, sah er ein merk- 
würdiges Wunderzeichen. Als er nämlich eines Tages 
mit seinen Kebsweibern und Freunden in einem ge- 
räumigen Saale unter grossem Aufwand an silbernem 
Tafelgeschirr, wie es bei königlichen Gastmahlen üblich 
ist, zu Tische lag, Hess er aus dem Tempel die heiligen 
Gefasse holen, welche Nabuchodonosor zu Jerusalem ge- 
raubt, aber nicht gebraucht, sondern im Tempel seines 
Gottes aufgestellt hatte. Er beging nun den Frevel, 
diese Gefässe unter Lästerungen der Gottheit beim Zechen 
verwenden zu lassen. Da sah er plötzlich aus der Wand 
eine Menschenhand hervorkommen, die einige Worte auf 
die Wandbekleidung schrieb. Entsetzt über diese Er- 
scheinung, berief er die Mager, Chaldäer und was an 
Traumdeutern und Zeichenerklärern in Babylon sich 
auf hielt, zusammen, damit sie ihm die Schrift erklärten. 
Als aber die Mager nichts davon enträtseln oder ver- 
stehen konnten , geriet der König über diesen unerwarteten 
Vorfall in Angst und Betrübnis und liess im ganzen 



Zehntes Buch, 11. Kapitel. 


639 


Lande bekannt machen, er wolle dem, der die Schrift 
lesen und deuten könne, gestatten, eine goldene Hals- 
kette und ein Purpurkleid wie die Könige der Chaldäer 
zu tragen, auch ihn zum Herrscher des dritten Teiles 
seines Reiches machen. Auf diese Verkündigung hin 
liefen die Mager noch mehr zusammen und suchten um 
die Wette die Schrift zu deuten, konnten aber nicht da- 
hinter kommen. Als nun des Königs Grossmutter be- 
merkte, dass er sich wegen dieser Angelegenheit so sehr 
quälte, sprach sie ihm Mut zu und sagte ihm, es sei da 
ein Gefangener aus Judaea mit Namen Daniel, den 
Nabuchodonosor nach der Zerstörung Jerusalems mit- 
gebracht habe. Dieser Daniel besitze eine seltene Weis- 
heit und Erfahrung in der Entwirrung schwieriger Fragen, 
die sonst nur Gott selbst kenne, und habe auch den 
König Nabuchodonosor über Dinge aufgeklärt, die kein 
anderer ihm habe enträtseln können. Diesen solle er 
also kommen lassen, ihn über die Schrift befragen, ihm 
Mitteilung von der Ratlosigkeit der anderen Deuter 
machen und ihn darüber sich aussprechen lassen, ob 
Gott damit etwas Schlimmes habe verkünden wollen. 

3. Als Baltasar dies vernahm, liess er den Daniel 
rufen und sprach zu ihm, er habe von seiner Weisheit 
gehört und erfahren, dass er vom Geiste Gottes erfüllt 
sei und dass er allein das zu ergründen vermöge, was 
andere nicht erklären könnten. Dann bat er ihn, er 
möge ihm die Schrift lesen und ihren Sinn deuten. Da- 
für wolle er ihm das Recht verleihen, Purpur und eine 
goldene Halskette zu tragen und über den dritten Teil 
seines Reiches zu herrschen; das solle die ehrenvolle 
Belohnung für seine Weisheit sein, sodass alle, die ihn 
sähen, ihn für einen berühmten Mann halten und neu- 
gierig nach der Ursache fragen würden, die ihm eine 
solche Auszeichnung verschafft habe. Daniel indes er- 
suchte ihn, seine Geschenke für sich zu behalten, denn 
Weisheit und die Gabe, zu wahrsagen, könne man nicht 
um Kostbarkeiten erkaufen, sondern sie werde denen, 
die ihrer bedürften, umsonst zu teil. Die Schrift aber 



640 


Josepbus’ Jüdische Altertümer. 


wolle er ihm jetzt erklären. Sie bedeute, dass sein 
Lebensende bevorstehe, weil er, obgleich er das Beispiel 
seines Vorfahren vor Augen gehabt, der für die Ver- 
höhnung der Gottheit bestraft worden sei, noch immer 
nicht gelernt habe, Frömmigkeit zu pflegen, vielmehr 
stets nur auf vergängliche Macht sich stütze. Während 
Nabuchodonosor, der wegen seiner Gottlosigkeit unter 
wilden Tieren habe leben müssen, auf vieles Bitten und 
Flehen Barmherzigkeit erlangt und in die mensch- 
liche Gesellschaft und in sein Reich habe zurückkehren 
dürfen, dafür aber auch während seines ganzen Lebens 
den allmächtigen und allgütigen Gott gepriesen habe, 
habe Baltasar dagegen seiner nicht gedacht, vielmehr 
ihn gelästert und die heiligen Gefässe des Tempels mit 
seinen Buhldirnen entweiht. Gott verkündige ihm daher 
in seinem Zorn, welches Ende er nehmen werde. Denn 
die Schrift bedeute folgendes: Mane, in griechischer 
Sprache Arithmos (Zahl), dass Gott die Tage seines 
Lebens und seiner Herrschaft gezählt habe, und nur 
noch eine kleine Frist ihm beschieden sei; Thekel, im 
Griechischen Stathmos (Gewicht), dass Gott die Dauer 
seiner Herrschaft gewogen habe und ihm kundthue, 
dass dieselbe sich zum Niedergange neige; Phares. auf 
Griechisch Kathmos (Bruchstück), dass Gott sein Reich 
zerstören und es unter die Meder und Perser teilen 
werde. 1 

4. Als Daniel so dem Könige die Bedeutung der 
Schrift an der Wand erklärt hatte, befiel den Baltasar, 
wie leicht erklärlich, ob der Verkündigung seines Un- 
glückes schwere Trübsal. Doch enthielt er dem Daniel 
die versprochene Belohnung nicht vor, sondern löste sein 
Wort ein, da er bedachte, dass sein Scfiicksal nur ihm 
selbst und seinem Verhängnis, nicht aber dem Ver- 
kündiger desselben zuzuschreiben sei, und dass der Pro- 
phet ein guter und gerechter Mann sein müsse, wenn 


1 Eine andere interessante Erklärung siehe bei Hommel. Gesell, 
d. alten Morgenlandes, S. 162. 



Zehntes Buch, 11. Kapitel. 


641 


auch seine Weissagungen nur Unheil in Aussicht stellten. 
Nicht lange darauf wurde er auch wirklich gefangen ge- 
nommen und die Stadt erobert, da der Perserkönig Cyrus 
gegen ihn zu Felde zog. Baltasar nämlich ist es, unter 
dessen Regierung Babylon fiel, nachdem er siebzehn 
Jahre lang geherrscht hatte. Also endeten die Nach- 
kommen des Königs Nabuchodonosor. Darius, der in 
Gemeinschaft mit seinem Verwandten Cyrus das baby- 
lonische Reich vernichtete, war zweiundsechzig Jahre alt, 
als Babylon fiel. Er war der Sohn des Astyages und 
wird von den Griechen mit einem anderen Namen ge- 
nannt. Dieser nahm den Seher Daniel mit sich nach 
Medien in seine’ Residenz und ehrte ihn dadurch, 
dass er ihn seiner nächsten Umgebung beigesellte. 
Auch verlieh er ihm den Rang eines der drei Ober- 
Satrapen , welche er über die dreihundertundsechzig 
Satrapien seines Reiches gesetzt hatte. 

5. Als nun Daniel bei Darius in so hohen Ehren 
und in solchem Ansehen stand und wegen seiner pro- 
phetischen Gabe das grösste Vertrauen des Königs ge- 
noss, blieb er auch^vom Neide nicht verschont. Denn 
es pflegt ja deijenige missgünstig angesehen zu werden, 
der die anderen in des Königs Umgebung an ehrenvoller 
Stellung überragt. Obgleich aber die Höflinge sich über 
seinen Einfluss beim Könige ärgerten und eine Gelegen- 
heit zu Verleumdung und falscher Anschuldigung zu 
erhaschen suchten, wusste er ihnen doch jeden Vorwand 
dazu abzuschneiden. Denn da er über Geldgier erhaben 
und ein Verächter von Geschenken war — selbst von 
solchen, die anzunehmen sich wohl schickte — , bot er 
seinen Gegnern auch nicht den kleinsten Anlass zum 
Tadel. Weil sie nun nichts fanden, was sie dem Könige 
hätten hinterbringen können, um den Daniel zu ver- 
kleinern, ersannen sie ein anderes Mittel, um ihn aus 
dem Wege zu räumen. Sie sahen nämlich den Daniel 
dreimal am Tage zu Gott beten, und das gedachten sie 
zu seinem Verderben auszunutzen. Demgemäss begaben 
sie sich zu Darius und teilten ihm mit, seine Satrapen 

Josephus 1 Jüdische Altertümer. 41 



642 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


und Statthalter hielten dafür, das9 man dem Volke vor- 
schreiben müsse, binnen einer Frist von dreissig Tagen 
dürfe niemand weder den König noch die Götter um 
irgend etwas bitten. Wer aber gegen diesen Befehl ver- 
stosse, der solle in die Löwengrube geworfen werden und 
dort seinen Tod finden. 

6. Der König, der nicht im entferntesten daran 
dachte, dass dahinter ein Anschlag gegen Daniel sicli 
verbergen könne, billigte den Vorschlag und versprach, 
ein feierliches Edikt zu erlassen, um dem Volke den 
Beschluss der Satrapen kundzumachen. Während nun 
alle anderen sich hüteten, diesen Befehl zu übertreten, 
kümmerte sich Daniel nicht darum, sondern warf sich 
seiner Gewohnheit gemäss vor Gott öffentlich nieder, 
um ihn anzubeten. Jetzt glaubten die Satrapen endlich 
eine Gelegenheit zum Sturze Daniels gefunden zu haben ; 
sie eilten daher zum Könige und klagten, Daniel allein 
wage es, sein Gebot zu verachten, während alle anderen 
das Flehen zu den Göttern unterliessen. Doch trieb sie 
zu dieser Anklage nicht ihr Eifer für den König, sondern 
nur der Neid und die Missgunst gegen Daniel. Da sie 
aber befürchteten, Darius möchte in seiner grossen Vor- 
liebe für Daniel diesem die Übertretung des Gebotes 
nachsehen, verlangten sie mit aller Strenge, er solle nun 
nach der Vorschrift des Ediktes in die Löwengrube ge- 
worfen werden. Darius war voller Hoffnung, Gott werde 
den Daniel beschützen und dafür sorgen, dass die Bestien 
ihm kein Leid zufügten ; er ermunterte ihn deshalb, sein 
Geschick mit Gleichmut zu ertragen. Als nun Daniel 
in die Höhle geworfen worden war, versiegelte der König 
den an ihrem Eingang befindlichen Stein und entfernte 
sich. Die ganze Nacht aber brachte er ohne Nahrung 
und Schlaf zu und ängstigte sich um Daniel gar sehr. 
Beim Morgengrauen erhob er sich und eilte zu der Höhle, 
und da er das Siegel unverletzt fand, liess er den Stein 
entfernen und rief mit lauter Stimme: Daniel, um sich 
zu vergewissern, ob er noch am Leben sei. Als dieser 
des Königs Stimme hörte, entgegnete er, er sei gänzlich 


Zehntes Buch, 1 1. Kapitel. 


648 


:«Ite ; 
g Ts. 
•Uer : 
feil) r. 
d~n : 


r-[.y 

h} 


ir • 


unverletzt, worauf der König ihn sogleich aus der Höhle 
ziehen liess. Obgleich nun seine Feinde sahen, dass 
ihm nichts zugestossen war, wollten sie doch nicht ein- 
gestehen, dass er seine Bettung der Fürsorge Gottes ver- 
danke, sondern meinten, die Löwen hätten ihm nur des- 
halb nichts gethan, weil sie satt gewesen seien. Da be- 
fahl der König, der ihre Bosheit durchschaute, den 
Löwen soviel Fleisch vorzuwerfen, dass sie davon ge- 
sättigt würden, und dann Daniels Feinde in die Höhle 
zu stossen, damit es sich herausstelle, ob auch sie von 
den Löwen, wenn diese keinen Hunger mehr hätten, 
verschont blieben. Als nun die Satrapen den Bestien 
vorgeworfen waren , erkannte Darius die wunderbare 
Kettung Daniels. Denn die Löwen verschonten keinen 
einzigen, sondern zerrissen sie alle, als wenn sie noch 
hungrig und nach Nahrung begierig wären. Da sie aber 
vorher vollständig mit Fleisch waren gesättigt worden, 
trieb sie, wie ich glaube, nicht der Hunger dazu, die 
Satrapen anzugreifen, sondern die Bosheit dieser Männer, 
die nach Gottes Willen auch den Tieren bekannt 
wurde, damit sie die Strafe dafür vollzögen. 

7. Als so die Feinde Daniels umgekommen waren, 
liess der König Darius im ganzen Lande verkünden, 
man solle den Gott verherrlichen, den Daniel anbete, 
denn er sei der wahre und allmächtige Gott. Den Daniel 
aber hielt er nach wie vor in hohen Ehren und machte 
ihn zu seinem ersten Freunde. Als Daniel so den 
Gipfel seines Kubmes erstiegen hatte, erbaute er, der 
besondere Liebling Gottes, in der medischen Stadt Ek- 
batana einen prachtvollen und wunderbar anzuschauen- 
den Turm, der noch heute steht. Wer ihn sieht, könnte 
glauben, er sei erst jüngst erbaut worden, so wohlerhalten 
und frisch bietet er sich dem Auge dar, ohne vom Zahne 
der Zeit gelitten zu haben. In diesem Turm wurden 
die Könige der Meder, Perser und Parther bestattet, und 
die Obhut über ihn ist noch heute einem jüdischen 
Priester anvertraut. Es geziemt sich, diese wunderbaren 
Ereignisse aus dem Leben Daniels hier mitzuteilen; 

41 * 



644 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


denn alles gedieh ihm, wie einem der grössten Propheten, 
zu unerhofftem Glücke, und er genoss nicht nur während 
seines Lebens die höchste Ehre und Auszeichnung beim 
Könige wie beim Volke, sondern hinterliess auch nach 
seinem Tode ein unsterbliches* Andenken. Die von ihm 
verfassten Schriften werden noch heute bei uns gelesen 
und beweisen, dass Daniel im Verkehr mit Gott ge- 
standen hat. Denn er sagt nicht bloss, wie andere Seher, 
die zukünftigen Ereignisse voraus, sondern bestimmt auch 
die Zeit, wann sie eintreffen werden. Und während die 
anderen Seher Unglückspropheten und deshalb bei König 
und Volk verhasst waren, war Daniel ein Verkündiger 
des Glückes, sodass er durch die glänzenden Bilder, die 
er von der Zukunft entwarf, allgemeine Beliebtheit er- 
langte. Weil aber seine Weissagungen sich so bestimmt 
erfüllten, wurde er vom Volke nicht nur zu den Wahr- 
sagern, sondern auch zu den Gottgesandten gerechnet. 
Aus seinen Schriften kann man seine Weissagungen in 
unveränderter und glaubhafter Gestalt entnehmen. Er 
sagt nämlich, er habe sich einst zufällig in Susa, der 
Hauptstadt Persiens, befunden und sich mit seinen 
Freunden in die Ebene begeben, als plötzlich die Erde 
geschwankt habe und gewaltig erschüttert worden sei, 
sodass seine Freunde geflohen seien und ihn im Stiche 
gelassen hätten. Er sei dann auf sein Angesicht zu 
Boden gefallen und habe die Hände ausgebreitet; da 
habe ihn jemand berührt und ihm befohlen, aufzustehen 
und zu sehen, was dem Volke in Zukunft bevorstehe. 
Als er sich darauf erhoben habe, sei ihm ein Widder 
von bedeutender Grösse erschienen, aus dessen Kopf eine 
grosse Anzahl Hörner hervorsprossten, und zuletzt ein 
besonders grosses. Darauf habe er seine Augen gegen 
Sonnenuntergang gerichtet und einen Bock durch die 
Luft schweben sehen, der sich auf den Widder gestürzt, 
ihn zweimal mit seinen Hörnern durchbohrt, dann zu 
Boden geworfen und zertreten habe. Bald habe er auch 
gesehen, dass aus der Stirn des Bockes ein gewaltiges 
Horn hervorgewachsen sei, das sich in vier nach den 



Zehntes Buch, 11. Kapitel. 


645 


vier Himmelsgegenden gerichtete Hörner geteilt habe. 
Aus diesen sei dann noch ein kleineres Horn hervor- 
gewachsen, das sich vergrössert habe. Gott habe ihm 
alsdann, indem er auf dieses Horn zeigte, erklärt, das- 
selbe werde sein Volk bekriegen, die Hauptstadt er- 
obern, den Gottesdienst zu nichte machen und die Opfer 
für die Dauer von eintausendzweihundertsechsundfünfzig 
Tagen unterbrechen. Das alles, sagt Daniel, habe er in 
der Ebene von Susa gesehen, und Gott habe ihm darauf 
auch die Erscheinung erklärt. Der Widder bedeute das 
Reich der Meder und Perser, die Hörner die zukünftigen 
Herrscher. Das jüngste Horn aber bezeichne den letzten 
König, der alle anderen an Macht und Ruhm übertreffen 
werde. Der Bock bedeute, dass aus den Griechen ein 
Herrscher erstehen werde, der in zweimaliger Schlacht 
den Perser überwinden und dessen ganzes Reich in Be- 
sitz nehmen werde. Das grosse Horn auf der Stirne des 
Bockes bezeichne den ersten König, die vier nach seiner 
Zerstörung hervorsprossenden und gegen die vier Welt- 
gegenden sehenden Hörner aber den Tod des ersten 
Königs und die Teilung des Reiches unter seine Nach- 
folger, die weder Kinder noch sonstige Verwandte von 
ihm sein und viele Jahre lang die Herrschaft über den 
Erdkreis ausüben würden. Aus ihrer Mitte werde sich 
endlich ein König erheben, der das Volk der Juden und 
ihre Gesetze vernichten, die Staatsverfassung aufheben, 
den Tempel plündern und drei Jahre lang die Dar- 
bringung der Opfer verhindern werde. Und wirklich ist 
das alles unter Antiochus Epiphanes über unser Volk 
hereingebrochen, wie Daniel es vorausgesehen und viele 
Jahre vorher schon aufgezeichnet hatte. Ebenso schrieb 
Daniel auch über die Herrschaft der Römer, die unser 
Volk gewaltig bedrücken würden. Alle diese Weis- 
sagungen hinterliess der Prophet schriftlich auf Gottes 
Geheiss, damit die, welche sie lesen und ihre Erfüllung 
beobachten würden, den Daniel ob der grossen Ehre be- 
wunderten, deren Gott ihn gewürdigt habe, imgleichen 
auch, um die Epikuräer ihres grossen Irrtums zu über- 



646 


Josephus’ Jüdische Altertümer. 


führen, die da glauben, es walte im Leben keine Vor- 
sehung, Gott kümmere sich nicht um die menschlichen 
Angelegenheiten, und es werde das Weltall nicht von 
einem durch sich selbst glückseligen, unsterblichen und 
alles überdauernden Wesen regiert, sondern erhalte sich 
ohne Lenker und Beschützer aus eigener Kraft. Wer 
so nach Ansicht der Epikuräer des Führers entbehrte, 
müsste ja wie ein Schiff ohne Steuermann und wie ein 
Wagen ohne Lenker in seinem unbesonnenen Laufe zum 
Wanken gebracht werden, zusammen brechen und unter- 
gehen. Mit Rücksicht auf die Prophezeiungen Daniels 
scheinen mir also diejenigen sich weit von der Wahrheit 
zu entfernen, die da meinen, Gott kümmere sich nicht 
um das Treiben der Menschen. Denn wir würden seine 
Weissagungen nicht in Erfüllung gehen sehen, wenn 
alles in der Welt nur vom blinden Zufall regiert würde. 
Wa6 mich angeht, so habe ich das alles auf gezeichnet, 
wie ich es in den Schriften gelesen habe. Will aber 
jemand eine andere Meinung darüber haben, so soll sie 
ihm meinerseits unbenommen sein. 





Qi^ißftotfkß bet (Befamt ; &xtüvatut. 


Qmmimntl gtattt, 
ftritif ber reiueu *ö er nun ft. 

§erau3gegeben bon Dr. Äarl Gorlänber. 

9)lit Einleitung unb ©adjregifter. 

©ebeftet 3 9R., Seinenbanb 3,25 9)7., ©efcf)enfbanb 3,60 9J7. 


gUrttyur $d}*p*ttJr*u*r, 

£ie Söeft a($ 9SMHe unb ^BorfteHung» 

3tbei Gänbe. 

©ebeftet 3 9)7., in elegantem Seinenbanb mit Stotfänitt 3,50 9)7., . 
in imit. ^albfran^batib 5 9)?. 


^arerga unb ^araftpoutena» 

kleine pt)irofo^f»ifrf)e ©d)riften. 
gtoei Gönbe. 

©ebcftet 3 9J7., in elegantem Seinenbanb mit Stotfdjnitt 3,50 9J7. 
in imit. £albfran$banb 5 9)7. 



ober 


2lu$ beit £ageit be$ 9Jteffia$. 
9t o m an 

ton 

Pall* tt. 

Seinenbb. 2 9J7., Driginalbb. 3 9». 



Itjpdta 

ober 

9teue getnbe mit altem ®efi#t. 
9toman 

non 

l&tyatlt# gtfttg*l*q* 

Seinenbb. 1,75 9J7., Driginalbb. 3 SR. 


gas ^lenmberlteb üts Pfaffen Jampreiftt, 

3»n neul)odjbeutf<ber Übertragung itebft Einleitung unb Kommentar 
bon 9tid|. <£b. Öttttuttttt. 

©ebeftet 1,75 9)?., Seinenbanb 2 9)7. 


föfaxaz iFg wer, *-%*$*> 

91 uS bem <Scf)tt)ebijcben. 

gn Seinenbanb 50 $f., in eleg. Driginalbanb mit ©olbfcönitt 1,20 9)7. 

2)a3 ölteftc fvan^öfticbe Epo3. Überfejjt bon Dr. ©. ©djmilinSf p. 

3>n Seinenbanb 75 ißf. 

frtttfdj* golkBlteber unb Pijtifen. 

Gearbeitet unb überlebt bon Giftor Hott SUttbreiattoff« 

Sn Seinenbanb 50 ißf. 




Otto Hendel Verlag, Halle S. 


|M| T*r unb JMatr ^urel, 

eine Vergleichung ton griebrid) ©rdnert! 

©rofi = Dltob. 9Kit beit 9?ilbniffen ftaifer ^tiebricf)8 uub SJiarc SfurelS. 
GJefjeftet 2 Iflarf, gebunben 3!Kart. 

Publikationen 

der 

Historischen Commission der Provinz Sachsen. 


Tlie Historische Commission der Provinz Sachsen ist eine gelehrte» 
bei Umgestaltung der Provinzialverwaltung im Jahre 1876 ins 
Leben gerufene und mit Mitteln ausgestattete Körperschaft, bestehend 
aus namhaften Geschichts- und Altertumsforschern der Provinz; sie 
hat die Aufgabe, alles Wertvolle auf geschichtlichem Gebiete, sei 
es nun Vorgeschichtliches, Urkundliches, Kunstgeschichtliches etc.» 
vornehmlich der Provinz und ihrer Nebengebiete, zu sammeln, zu 
sichten und der Nachwelt zu überliefern. — Zur Zeit sind es drei 
grössere Publikationen, welche in Angriff genommen sind und mit 
regem Eifer fortgeführt werden: 

a) Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 

mit der Abteilung Wüstungen , in Bänden erscheinend/ 

b) Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler 

der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, in starken 
Heften, unter Zugrundelegung der Einteilung der Provinz in 
landrätliche Kreise. 

c) Vorgeschichtliche Altertümer der Provinz Sachsen und an- 

grenzender Gebiete, in Folio -Heften. 

Ausser diesen grösseren Veröffentlichungen lässt die Commission 
unter dem Titel „Neujahrsblätter“ alljährlich eine kleinere Schrift 
erscheinen , welche einen geschichtlichen Vorgang oder Stoff be- 
handelt, der zu der Provinz Sachsen in Beziehung steht, wie denn 
auch Ereignisse der Gegenwart, Gedenktage etc. für sie Veranlassung 
geben, grössere oder kleinere Fest- und Gedenk-Schrißen erscheinen 
zu lassen. 

Ein vollständiges Verzeichnis der Publikationen versendet 
die Verlagshandlnng anf Verlangen portofrei.! 

An Gelegenheitsschriften liess die Historische Commission 
bisher erscheinen: 

Opel, Prof. Dr., Die Vereinigung des Herzogtums Magde- 
burg mit Kurbrandenburg. Festschrift zur Erinnerung an die 
• zweihundertjährige Vereinigung, gr. 8.Q 3 M. 

Köstlin, Julius, Martin Dutber , der deutsobe Reformator. 
22. Aufl. Mit dem Bilde Luthers in Lichtdruck nach einer Zeich- 
nung von Schnorr von Carolsfeld. gr. 8.1 |i geh. 1 M., geb. 2M. 
Zur Erinnerung än Heinrich Otto. Gedächtnisschrift. Mit 12 
in den Text gedruckten Abbildungen, gr. 8. geh. 1,50 M % 

Opel, Prof. Dr. Julius, Christian Thomas. Kleine deutsche 
Schriften. Festschrift zur zweihundertjfihrigen Jubelfeier der 
Universität Halle -Wittenberg, gr. 8. 1894. 3M. 

Danehl, Prof. Dr. Gustav, Julius Bohmldt. Lebensbild. Mit 
Porträt, gr. 8. geh. 1,50 M. 




Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA