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Karl Marx
über die menschliche und
kapitalistische Wirtschaft
Eine neue Darstellung seiner Lehre
von
Dr. Georg von Charasoff
Mottet
,. . . Wm ihm vorgeworfen wird
dees er, um die „Menscben'* unbeltflmmtrt
bei Betrechtung der kapitalisüschen Pro-
duktion nur die Entwicklung der Pto>
duktivkrifte im Auge hat — mit welohm
Opfern an Menschen und Kapitalwerten
immer erkauft — ist gerade das Be-
deutende an ihm."
(Marx aber Ricardo, Kapital, lux
S. 241-2.)
Erschienen bei Hans Bondy
Berlin 1909
Meinen lieben Kindern Alex, Arthur und Helene
194374
Vorwort
Dieses Buch ist allmählich aus Vortragen ent-
standen, die ich im Laufe der letzten drei Jahre zu
halten Gelegenheit hatte. Es bildet gleichsam eine
Einführung in eine Reihe von nationalökonomischen
Studien, die ich demnächst zu veröffentlichen beab-
sichtige, und die in ihrer Gesamtheit ein vollständiges
Urteil über den Marxismus enthalten sollen.
Mit diesem Werke lege ich dem Publikum zunächst
eine kurze Darstellung der Marxschen Lehre vor. Eine
solche meiner Marx -Kritik voranzuschicken, schien
mir schon aus dem einfachen Grunde geboten, weil
das Marxsche ökonomische System, trotz der so um-
fangreichen Literatur, die seinem Studium gewidmet
wird, bis auf den heutigen Tag noch vielfach missver-
standen und durch willkürliche Auslegungen verun-
staltet bleibt, so dass man genötigt ist, falls man es
gewissenhaft kritisieren will, den Boden für diese
Kritik erst durch eine selbständige Untersuchung vor-
zubereiten. Schon vor zwanzig Jahren haben die
Vertreter der nationalökonomischen Wissenschaft in
der Person der Herren Zuckerkandl und v. Böhm-
Bawerk die seltsame Meinung ausgesprochen, dass
Marx seine Lehre in einer absichtlich unklaren, dia-
lektisch zugespitzten Form vorgetragen habe, und erst
neulich wieder ist dieses Urteil von einem Berliner
Universitätsprofessor aufs neue wiederholt und gegen
Marx ins Feld geführt worden, indem dieser erklärte,
Marx habe sich in der Rolle feines Mephisto gefallen,
und mit spitzfindig erklügelten Sophismen die ge-
lehrte Welt plagen und aus der Fassung bringen
wollen. Kann die Kritik ihre Bedrängnis und ihr
Unvermögen, einen Denker richtig zu begreifen und
zu würdigen, deutlicher verraten, als indem sie den
Vorwurf gegen Marx erhebt, er schreibe nur, um seine
Gedanken zu verheimlichen und seine Mitmenschen
zum besten zu halten?
Gewiss hat der Kampf der politischen Leiden-
schaften das Verständnis für Marx viel mehr er-
schwert, als seine Dialektik unseligen Angedenkens,
und sicherlich wird aus demselben Grunde auch
diese Darstellung vielfach missverstanden und ange-
feindet werden. Um dem nach Kräften vorzubeugen,
erkläre ich hiermit im voraus, dass mein Buch ausser-
halb jeder politischen Parteimeinung steht und
ausschliesslich dem wissenschaftlichen Interesse
dienen will.
Um die Darstellung nicht unnötig in die Länge
zu ziehen, habe ich viele Punkte in ihr nicht berück-
sichtigt, die ja ohnedies schon längst zum wissen-
schaftlichen Gemeingut geworden sind, so z. B. den
Begriff der Mehrwertsrate und der organischen Zu-
sammensetzung der Kapitale. Der Leser, der auch in
diesen Fragen eine gründliche Orientierung nötig hat,
darf sich hierin etwa an das Werkchen Kautskys:
„Karl Marx' ökonomische Lehren'' halten, sicherlich
eine der besten und populärsten Darstellungen des
Marxschen „Kapital**, aber wohlgemerkt, nur im Um-
fange des ersten Bandes; doch muss ich ausdrücklich
erwähnen, dass der Verfasser in der Begründung des
Wertgesetzes auf einem wesentlich anderen Stand-
punkte steht als ich.
Ich weiss wohl, wie undankbar die Aufgabe ist,
die ich mir mit meinem Buche gestellt habe* Ich
furchte, man wird bei mir nur die längst bekannten
Sätze eines grossen Denkers finden und den neuen
Zusammenhang nicht beachten wollen, in dem diese
schon verklungenen Sätze hier wieder erscheinen und
einen neuen Sinn gewinnen. Weil aus dem Bilde
nur die vertrauten Züge des Mannes hervorblicken,
wird man in dem Gemälde kein Kunstwerk, sondern
nur eine plumpe Photographie sehen wollen. So
urteilt nun einmal die Menge. Doch hege ich die be-
scheidene Hoffnung, es werde dem Fachmann nicht
entgehen, dass mehr als sklavische Nachäfferei dazu
gehört, um das Porträt eines Charakterkopfes treu,
doch zugleich mit dem ihm allein eigentümlichen
Ausdruck nachzuzeichnen. Der Kenner wird bei der
Betrachtung der vollkommenen Harmonie der Züge
nicht allein die Schönheit des Originals bewundern,
sondern auch ein Wort der Anerkennung für den
Künstler finden, der diese Züge schuf, und sie fest ins
Auge zu fassen und in einer veredelten Form wieder-
zuspi^eln sich bemühte.
Zum Schluss ist es mir eine angenehme Pflicht,
meinem Freunde Herrn Dr. Otto Buek für seinen
Rat und Beistand während der Abfassung dieses Buches
und für manche Anregung, die ich aus den Unter-
haltungen mit ihm schöpfte, meinen herzlichsten Dank
auszusprechen.
Zürich, den 12. Oktober 1908.
Der Verfasser.
INHALT.
I. Teil: Die Logik des Wertgesetzes.
Seite
Kap. 1. Das wirtschaftliche Prinzip .... 1
„ 2. Das Wertgesetz 9
„ 3. Die Natur des Profits 16
9, 4. Der Unterschied zwischen utopischem
und wissenschaftlichem Sozialismus 23
„ 5. Widersprüche der kapitalistischen
Produktionsweise 32
IL Teil: Die Dialektik des Wertgesetzes.
Kap. 6. Der „Widerspruch" zwischen dem
L und 3. Bande des „Kapital". . . 46
7. Die Marx'sche Preislehre 52
8. Warum die Kritiker die Marx'sche
Preislehre nicht verstehen .... 60
Anhang zu Kapitel 8 67
9. Der Fall der Profitrate 69
„ 10. Die allgemeine Krise 79
Schlusskapitel: Karl Marx an seine bürger-
lichen Gegner 88
Nachwort 100
9»
n
I. Buch:
Das Wertgesetz.
Erster Teil.
Die Logik des Wertgesetzes.
(Nach dem ersten Bande des „Kapital'')
Kapitel L
Das wirtschafüiehe Prinzip.
Indem Marx den Grundgedanken seiner materialisti-
schen Geschichtsauffassung formulierte: — die Produk-
tion bilde die Basis der gesellschaftlichen Kultur —
gründete er damit keineswegs eine neue Schule in der
Nationalökonomie, sondern brachte dieser nur ihre
eigene immanente Idee zum Bewusstsein, die schon
vor ihm in der historischen Entwicklung dieser Wissen-
schaft zu immer schärferer Betonung gelangt war und
auch heute noch fortfährt, der systematischen Forschung
die Richtung zu weisen. In der Tat lehrten schon
die Merkantilisten, dass der Reichtum die Grundlage
des nationalen Lebens sei, und die Tragweite dieser
Behauptung darf nicht unterschätzt werden, auch wenn
man mit A. Smith annimmt, es wurde dabei unter
Reichtum lediglich die Handelsbilanz oder eine Geld-
summe verstanden.
Wenn wir jedoch zur wissenschaftlich ausgebauten
Lehre der Physiokraten und weiter zum Begründer
der klassischen Ökonomie, A. Smith, übergehen, so
Ohar asof f , Karl Marx. 1
— 2 —
finden wir hier den Gedanken schon mit vollem und
klarem Bewusstsein ausgesprochen: der Reichtum be-
stehe in den sachlichen Gütern, die sich zur Befriedigung
menschlicher Bedürfnisse eignen, und der gesamte
Volkswohlstand hänge in letzter Instanz nur von der
Fähigkeit ab, solche Güter zu vermehren und rationell zu
verwenden. Die wilden Mongolen, behauptet A. Smith,
nach deren Ansicht der Reichtum in Vieh bestand, sind
der Wahrheit viel näher gewesen, als jene spanischen
Eroberer, welche ganze Stämme von Rothäuten mit
Hab und Gut ihrer unsinnigen Geldgier geopfert
haben. Es gibt nach Smith noch eine andere Bilanz,
welche sich von der Geldbilanz grundsätzlich
unterscheidet und unvermeidlich zur Prosperität oder
zum Ruin des Volkes führt, je nachdem sie günstig
oder ungünstig ausfällt — das ist die Bilanz zwischen
dem jährlichen Produkte und seinem Verbrauch,
zwischen der Produktion eines Landes und seinem
Konsume. Jenes Land ist somit das reichste,
welches am besten zu produzieren und über das
Produzierte zu verfügen versteht; und ist es das
reichste, so schreitet es auch in jeder nur denkbaren
Richtung am raschesten fort. Vergleicht man damit die
gangbarsten Definitionen der materialistischen
Geschichtsauffassung, so überzeugt man sich leicht,
dass sie fast wörtlich mit den Ausführungen Smiths
übereinstimmen.*)
Der soziale Fortschritt wird somit an der gestei-
gerten Produktion der Gegenstände menschlichen Be-
darfs gemessen — und zwar bei als konstant gedachter
Anzahl Arbeitsstunden. Man denke sich zwei Länder
mit gleicher Bevölkerungsziffer und mit durchschnitt-
lich gleichen Naturbedingungen. Man nehme ferner
*) „Die moterialistisclie Anschaatmg der G^diichte geht
von dem Satze aus, dass die Prodnktioii, imd nächst der
- 3 —
an, dass in beiden Ländern täglich gleich lange und
intensiv gearbeitet wird. Dann muss jenes Land für
kultivierter anerkannt werden, in welchem] jährlich
mehr Güter in den menschlichen Konsum übergehen
oder übergehen können. Wie aber diese Güter verteilt
werden — ob ein einziger Herrscher sich die meisten von
ihnen aneignet, oder ob alle gleichmässig an der Kon-
sumtion teilnehmen — , das ist für den Begriff des Fort-
schrittes unwesentlich, oder es ergiebt sich vielmehr, wie
wir weiter sehen werden, schon von selbst aus dem
postulierten Hauptsatze. A. Smith richtet seine ganze
Aufmerksamkeit auf den Ertrag des gesamten gesell-
schaftlichen Kapitals, ohne sich darum zu kümmern,
ob dieser unter die verschiedenen Individuen »gerecht**
verteilt sei, und Marx geht noch weiter in dieser
Richtung, indem er mit vollem Bewusstsein die Frage
über die gerechte Verteilung aus seiner Theorie aus-
schliesst. Denn erkenne man gleichzeitig zwei ver-
schiedene Ideale an — das materielle der gesteigerten
Produktion und das ideel le der gerechten Verteilung —,
so erschwere man sich eine einheitliche Erkenntnis
der sozialen Geschehnisse. Heutzutage werden bedeu-
tend mehr Güter produziert, als im Mittelalter — folg-
lich habe die Menschheit mit dem Kapitalismus eine
höhere Entwicklungsstufe erreicht, als zu Zeiten des
Feudalismus. Wolle man jedoch auch die Frage der
gerechten Verteilung beachten und erkenne man z. B.
an, dass die Gerechtigkeit im „Rechte auf den vollen
Arbeitsertrag" bestehe, so könnte man daraus folgern,
dass die Menschheit nicht vorwärts, sondern rückwärts
geschritten sei, denn der miitelalterliche Geselle erhielt
vielleicht einen grösseren Anteil an dem Ertrage seiner
Arbeit im Vergleiche mit dem modernen Proletarier.
Produktion der Austauscli ihrer Produkte, die Grundlage aller
Gesellschaftsordnung ist" etc. Anti Düring, 3te Aufl., S. 286.
- 4 —
Sollen wir auf Grund dessen auf die heutige Technik
verzichten und die Rückehr zum Handwerk predigen?
Gewiss nicht — antwortet uns Marx, indem er eine
Idee entwickelt, welche schon der klassischen Schule
eigen war: die Frage über die Gerechtigkeit ist immer-
hin eine unklare und strittige, während alle sofort
mitdemPrinzipedes ökonomischen Fortschrittes einver-
standen sind. Darum ist auch die Tendenz zur Auf-
rechterhaltung abgelebter Wirtschaftsformen im Namen
einer nebelhaften Gerechtigkeit unbedingt reaktionär;
hinter all jenen Phrasen von der guten alten Zeit, als
noch jedem der volle Ertrag seiner Arbeit gesichert
war, verbirgt sich durchaus nicht ein entwickeltes
ethisches Gefühl, sondern ein für den Volkswohlstand
überaus gefahrlicher Versuch, „das Rad der Geschichte
zurückzudrehen**, — und zwar im Interesse nicht der
ganzen Gesellschaft, sondern einiger kleinbürgerlichen
Klassen, welche sich fürchten, ihr ehemaliges Gewicht
und ihre Bedeutung mit der technischen Entwicklung
einzubüssen.
Es gibt somit nach Marx wohl nur eine einzige
und nicht zwei, einander widersprechende De-
finitionen des gesellschaftlichen Fortschrittes. Der
Fortschritt wird durch die Anzahl Güter gemessen,
welche auf jeden arbeitenden Menschen kommen —
doch nur im Prozesse der Produktion und nicht in
dem der Verteilung. Ein jeder soll eine möglichst
grosse Anzahl Gegenstände herstellen, — das ist klar
und unbestritten; ob er sie aber alle als sein Eigentum
festhalten soll — ist eine andere Frage, die freilich
auch gelöst werden muss, jedoch auf Grund desselben
Prinzips der wachsenden Produktion und nicht auf
Grund eines neuen, speziell zu diesem Behufe erfundenen
„Gerechtigkeitsprinzips''. Das ist die Stellung desMarxis**
muszum Verteilungsproblem, welche auch in dem Namen
desSystems inmaterialistische Geschichtsauffassung-
— 5 —
deutlich zutage tritt; einstweilen brauchen wir uns
nicht mehr darüber zu verbreiten. Weitere Einzel-
heiten werden uns im Laufe unserer Darstellung von
selbst klar werden.
Wenn auf jede Arbeitsstunde eine wachsende
Masse von Produkten kommen soll, so soll umgekehrt
die Produktion eines und desselben Gutes eine immer
geringere Spanne Arbeitszeit beanspruchen. Aber wie
ist diese auf einen jeden Gegenstand kommende Ar*
beitszeit zu berechnen, deren Verminderung, nach dem
Vorhergegangenen, nicht allein den technischen, son-
dern überhaupt den ganzen gesellschaftlichen Fort-
schritt misst? Das wäre sehr leicht, wenn man alle
Gegenstände mit blossen Händen aus den in der Natur
fertig daliegenden Materialien produzierte. Wenn das
Korn z. B. überall von selbst wüchse, und wir gewusst
hätten, dass ein jeder Arbeiter imstande sei, jährlich
1000 Brote daraus zu verfertigen, so wäre ersichtlich)
dass ein jedes Brot der Gesellschaft im Durchschnitt
Viooo Arbeitsjahr kosten würde. Doch ist der Sach-
verhalt bei einer jeden einigermassen entwickelten Pro-
duktion ein viel komplizierterer. Erstens enthalten
schon die zu bearbeitenden Materialien ein bestimmtes
Quantum menschlicher Arbeit; zweitens aber bedient
sich der sie verarbeitende Arbeiter gewisser Produk-
tionsinstrumente, welche sich im Arbeitsprozesse ab-
nutzen und somit ihrerseits das resultierende Quantum
Arbeit erhöhen, welches das Produkt der Gesellschaft
kostet.
Es erscheint demnach geboten, über zweierlei Ar-
beit Buch zu führen: erstens, über die tote, oder die
in Materialien und Werkzeugen vergegenständlichte
Arbeit; diese wird bei Marx mit c bezeichnet und
trägt noch den später zu erläuternden Namen „kon-
stantes Kapital**; und zweitens über die lebendige
Arbeit jener Menschen, die das Produkt mit Hilfe der
- 6 —
toten Arbeit erzeugen; diese Arbeit wollen wir mit a
bezeichnen. Die Summe c + a beider Arbeitsarten,
die bei der Produktion eines Gegenstandes verausgabt
werden, bestimmt die wirklichen Arbeitskosten des
Produktionsprozesses, und die Aufgabe der Technik
besteht darin, die Produktionsmethoden in der Rich-
tung des kleinstmöglichen Betrages dieser Summe
c + a zu vervollkommnen. Denn wenn der Posten a
zwar reduziert wird, dafür aber der Posten c so be-
deutend anschwillt, dass die Gesamtsumme die frühere
bleibt, so kann augenscheinlich von keinem technischen
Fortschritt die Rede sein. Was an der definitiven Be-
arbeitung der Materialien gewonnen wurde, wird genau
aufgewogen durch die Notwendigkeit, mehr Arbeit auf
die vorausgehende Beschafiung der Materialien oder
Werkzeuge auszugeben, und der gesellschaftliche Kon-
sum wird bei der gleichbleibenden Jahresarbeit
schliesslich nicht im mindesten gehoben.
Nehmen wir ein fantastisches Beispiel, um die
Rolle der toten und der lebendigen Arbeit zu illustrieren.
100 Mass Korn werden jährlich ausgesät und 200 ge-
erntet. Der jährliche Ueberschuss von 100 Mass stellt
einen Arbeitsaufwand gleich 1 Jahre dar. Aber man
hätte diesen Ueberschuss nicht ohne die in der Aus-
saat verkörperte tote Arbeit gleichwie aus dem Nichts
erschaffen können; diese tote Arbeit ist auch gleich
1 Jahre. Somit wurden 2 Jahre Arbeit ausgegeben:
1 Jahr tote und 1 Jahr lebendige Arbeit. Und 2 Jahre
Arbeit wurden auch in den 200 Mass der Ernte zurück-
erhalten, — davon 1 Jahr in Gestalt von 100 Mass für
die nächste Aussaat zurückgelegt, und 100 in den Konsum
geworfen. Das Endresultat ist, als ob die 100 Mass
Aussaat in dem Speicher liegen geblieben und die
überschüssigen 100 aus der lebendigen Arbeit allein
entstanden wären. Aber der Sachverhalt ist, strenge
genommen, doch ein anderer. In jedem Korn der
Ernte ist zur Hälfte tote, zur Hälfte lebendige Arbeit
enthalten, denn jedes Korn ist gleichmässig das Pro-
dukt der toten wie der lebendigen Arbeit. Somit geht
das halbe Produkt beider Arbeitsarten in den Konsum
über, und ebenso wird auch für die nächste Aussaat das
halbe Produkt der toten und der lebendigen Arbeit
zurückgelegt. Nur die Hälfte der lebendigen Arbeit hat
an der Erzeugung der zu konsumierenden 100 Mass
Korn teilgenommen; die andere Hälfte wurde durch
die Reproduktion von 100 Mass Aussaat absorbiert.
Was für dieses erfundene Beispiel gilt, das gilt
auch für jeden nur denkbaren Fall der menschlichen
Wirtschaft. Der Ai*beitsaufwand, der in dem zu kon-
sumierenden Ueberschusse verkörpert ist, ist immer
gleich dem jährlichen Aufwände an lebendiger Arbeit,
doch nur der Grösse, nicht dem Ursprung nach. Nicht
die ganze lebendige Arbeit und nicht die lebendige
Arbeit allein ist in diesem Ueberschusse vergegen-
ständlicht. Ein bestimmter Teil der vergegenständ-
lichten Arbeit rührt von den Materialien und den
Werkzeugen her, welche bei der Erzeugung des Ueber-
Schusses aufgezehrt und nicht in diesem, sondern in
vergangenen Jahren hergestellt wurden; und ein diesem
Teile genau gleicher Teil der lebendigen Arbeit wurde
auch auf die Reproduktion dieser Materialien und Werk-
zeuge verausgabt und wird seinerseits erst im nächsten
Jahre auf den zu konsumierenden Ueberschuss über-
tragen.*)
*) Pas stehende Wasser eines Sees mag die tote, in den
Produktionsmitteln anfgespeicherte Arbeit symbolisch darstellen;
das hineinfliessende Wasser eines Flusses die lebendige, endlich
das jährlich ans dem See abfliessende Wasser die in den Gegen-
ständen des menschlichen Bedarfes verkörperte Arbeit. Das
Wasser fliesst in gleichen Mengen ein nnd ans; doch ist
darum das ausfliessende Wasser nicht mit dem einfliessenden
dientisch.
— 8 -
Die Folge davon ist, dass nicht die lebendige Arbeit
allein Quelle des ganzen Reichtums ist, und dass auch
die vielumstrittene Forderung des vollen Arbeitsertrages
auf einer falschen Auffassung des Arbeitsprozesses be-
ruht. Marx spricht das besonders klar und bündig in
seiner Kritik des Gothaer Programms gegen Lassalle
aus. Der Arbeiter allein ohne die durch die vergangene
Arbeit erzeugtes Produktionsmittel (geschweige denn
ohne die Natur selbst) könne nichts ausrichten. Darum
dürfe er auch nicht von dem Ertrage seiner Arbeit
reden; und daher fange andererseits die echt mensch-
liche Wirtschaft — der Sozialismus — erst von jenem
Augenblicke an, wo die Arbeiterklasse die Produktions-
mittel in ihren Besitz nehme und der lebendige
Mensch mit diesen „künstlichen Organen** seines
Körpers ein harmonisches Ganzes bilde. Wenn Marx
überall darauf besteht, dass die auf verschiedene Güter
verausgabten Arbeitsquanten abgezählt werden müssen,
so meint er es somit nicht in jenem nUtopischen*" Sinne,
dass die Arbeit die Quelle alles Reichtums sei und
dem Arbeiter daher (?) das ganze Produkt zukomme,
nicht um das Einkommen eines jeden Arbeiters nach
der von ihm geleisteten Arbeit zu bestimmen, sondern
weil der wirtschaftliche Fortschritt, unabhängig da-
von, wer das Recht auf den „Arbeitsertrag" hat, in
der Entwicklung der Produktivität der menschlichen
Arbeit, in der Verminderung der Arbeitsaufwände, in
der Erhöhung des von jedem Menschen in einer Zeit-
einheit hergestellten Quantums wirtschaftlicher Güter
bestehe und in nichts anderem bestehen könne.
Diese Definition des technischen Fortschritts
nimmt Marx von den Klassikern der Nationalökonomie
in seine Theorie hinüber; dagegen lehnt er ausdrück-
lich den Satz A. Smith^s von der „Arbeit als Quelle
des Reichtums** ab, und nicht allein, weil er ihm
utopisch zu sein scheint. Nach Marx' Auffassung ist
— 9 —
dieser Satz schlimmer als utopisch: er ist eine Kriegs-
list der bürgerlichen Oekonomie, die dem Arbeiter
schmeicheln und ihm versichern will, dass er schon
jetzt in der kapitalistischen Gesellschaft, den Pro-
duktionsmitteln entfremdet, bloss von der Arbeit seiner
Hände leben und alles produzieren könne, und dass
daher seine Knechtung nicht in der Trennung seiner
lebendigen Kraft von der toten Arbeit wurzelt, sondern
in irgendwelchen allgemeinen, mit dem Eigentum an
Produktionsmitteln in keiner Weise im Zusammen,
hang stehenden ^ewigen^^ Gesetzen der menschlichen
Wirtschaft. Trotz der Versicherungen einiger Marx-
kritiker, die überall bei Marx eine verkappte Forde-
rung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag zu fijideh
wissen, war Marx der bewussteste, .folgerichtigste und
erbittertste Gegner dieses, nach'Hhm, vermeintlichen,
ja sogar trügerischen *fte^htes. ..
Kapitel IL
Das Wertgesetz.
Wenn eine Wirtschaft technisch fortschreiten soll,
muss sie mit der menschlichen Arbeit haushalten.
Nun aber beruhen die historischen individualistisch
organisierten Wirtschaften scheinbar auf Ersparung
von Geld, nicht von Arbeit. Die Produzenten suchen
die Produktion in. erster Linie zu ver wohlfeilem, sie
wählen die Produktionsweisen, welche ihnen am
wenigsten Geld kosten; sie erreichen hierbei, wie die
Erfahrung lehrt, im allgemeinen auch die Entwick-
lung der Produktivität der menschlichen Arbeit, —
aber wie sie zu diesem Endresultat kommen, bleibt
— 10 —
ihnen selbst verborgen, denn sie rechnen eben in Geld,
nicht in Arbeit.
Die Produzenten sind mit den Merkantilisten der
naiven Ansicht, dass der technische Fortschritt in
Geldersparnis, der Reichtum im Besitze von Geld-
summen bestehe. Oder vielmehr drückten die Mer-
kantilisten in ihrem Satze von der Handelsbilanz
nur die landläufige Meinung der wissenschaftlich un-
gebildeten Produzenten und Kaufleute aus, nach
welcher alles auf das Geld, nicht auf die reellen Güter
ankommt. Nun hat die klassische Schule jene grund-
legende Wahrheit enthüllt, dass der wahre Reichtum
„nicht in Gold oder Silber, sondern im reellen Ein-
kommen des Landes^^ bestehe. Daraus musste mit
Notwendigkeit auch jener Satz gefolgert werden: nicht
time is money („die Zeit ist Geld"), wie es die Handels-
leute zu behaupten pflegen, sondern umgekehrt: money
is time — „das Geld ist Zeit", nämlich die Arbeits-
zeit, oder mit anderen Worten: in einer vollkommenen
Wirtschaft müssen die Produktionskosten stets in
Arbeitszeit und nicht in Gold- oder Silbermengen be-
rechnet werden; denn — die Arbeit ist jenes ursprüng-
liche Geld, womit Menschen alles bei der Natur er-
kaufen, wie A. Smith sich trefflich ausdrückt.
Was aber das Gold oder das Silber anbetrifft, so er-
klärt schon A. Smith sie für Waren gleich allen anderen,
die eben nur deswegen geschätzt werden, weil sie Ar-
beit in sich enthalten, durch Arbeit erzeugt und ver-
mehrt werden. In gewissen Fabrikgegenden Englands
— berichtet Smith — kaufen die Arbeiter, welche
Nägel produzieren, alle Gegenstände, die sie brauchen,
bei Kleinkrämern, indem sie diese nicht mit Münzen,
sondern mit Nägeln bezahlen: das Rrot kostet so und
so viel Nägel, ebenso auch Salz und Seife. Es soll
demnach einleuchten, dass auch Gold oder Silber ihre
— 11 —
Rolle als Tauschgeld eben demselben Umstände ver-
danken, Produkte der menschlichen Arbeit zu sein,
verbunden mit ihren natürlichen Eigenschaften der
Teilbarkeit, Dauerhaftigkeit und des kleinen Gewichtes.
Besitzt ein Land kein Gold oder Silber, ist es dagegen
reich an anderen Arbeitsprodukten, so kann es diese,
wenn nötig, gegen Gold oder Silber umtauschen, ebenso
wie ein Land, das keine Weinberge besitzt, seine
Weine aus dem Auslande kommen lässt; und es ist
ebenso töricht zu behaupten, der Reichtum bestehe in
Geld, als zu behaupten, er bestehe ausschliesslich in
Weinen. Weiter folgt daraus, dass nicht der Handel
am einträglichsten ist, welcher dem Lande mehr Geld
zuführt, sondern ein solcher, bei welchem nicht um-
sonst Arbeit weggegeben wird; — oder dass die rich-
tige Handelsbilanz keine Geld-, sondern eine Arbeits-
bilanz sein müsse.
Diese Folgerung aus dem der ganzen National-
ökonomie zugrunde liegenden Sparprinzipe ist es eben,
die unter dem Namen des so oft missverstandenen
Wertgesetzes sich durch die Werke A. Smith%
D. Ricardo's und K. Marx^ hindurchzieht. Soll eine
Wirtschaft des technischen Fortschritts fähig sein, so
müssen in ihr jedesmal die Geldpreise die in den
Waren verkörperte Arbeit messen — das ist ja das
Wertgesetz. Sind die Geldpreise den in den Waren
verkörperten Arbeitsmengen proportional, kosten ge-
rade jene Waren mehr, die auch schwieriger zu pro-
duzieren sind, so werden die Produzenten, indem sie
die Waren in Geld zu verbilligen suchen, notwendig
auch die Produktion in der Richtung der gesteigerten
Produktivität der menschlichen Arbeit entwickeln.
Wenn Smith oder Ricardo behaupten, das Wertgesetz
herrsche auf dem Markte, oder die Waren werden
nach den in ihnen steckenden Arbeitsmengen ausge-
tauscht, so sagen sie also mit anderen Worten, dass
— 12 —
die gesellschaftliche Produktion, obscbon von Indivi-
duen geleitet, die nach ihrem eigenen Geldnutzen
trachten, doch in richtigen Bahnen sich fortbewegt
Es ist wichtig, auf die psychologische Seite des
Wertgesetzes näher einzugehen. Es wird vorausgesetzt
eine individualistische Geldwirtschaft, in welcher
die Produzenten nichts von dem wissenschaftlichen
Arbeitsprinzip wissen und in ihrer wirtschaftlichen
Tätigkeit durch eigenen ptTSÖnlichen Vorteil, nicht
durch Erwägungen über die gesellschaftliche Nützlich-
keit des technischen Fortschritts bestimmt und ge-
leitet werden. Wenn jedoch ihr Streben zur tech-
nischen Entwicklung geführt hat, so ist dies nicht
anders zu erklären, als dass „hinter ihrem Rücken"
(Marx) das Wertgesetz, wie „eine unsichtbare Hand"
(Smith) die Preise geregelt hatte. Denn wenn die
Preise mit den Werten nichts gemein haben, und
ein Produzent eine Produktionsweise durch eine
andere ersetzt, die ihm weniger Geld kostet, — wie
können wir behaupten, dass es ein Fortschritt für die
Gesellschaft war? Vielleicht ist die billigere Produk-
tionsmethode auch die schwerere, d. h. vielleicht
kostet sie mehr Arbeit, obwohl sie weniger Geld
kostet? Das kann nur dann nie eintreten, wenn das
Billigere jedesmal auch das Leichtere ist, d. h. wenn
das Wertgesetz die Preise bestimmt.
Die Gesellschaft als Ganzes verlangt die Reduktion
der Arbeitskosten. In diesem Verlangen offenbart
sich der Wille der menschlichen Gattung zur Macht
über die Natur, die Menschheit soll „ihre Ketten ver-
lieren und die ganze Welt erobern". „Es gilt, die
Welt umzuändern", und zwar mit dem kleinsten
möglichen Aufwand „von menschlichen Muskeln,
Nerven und Hirn". Die Arbeit der Naturbezwingung
soll von den Schultern der Menschheit auf die Natur
selbst abgewälzt werden, es soll an Stelle des lebendigen
— 13 -
menschlichen ein toter Organismus der Maschinerie
treten, welcher, nach den von den Menschen erkannten
Naturgesetzen konstruiert, durch den leisesten Stoss
der menschlichen Hand in Bewegung gesetzt, die
ganze materielle Kultur gleichwie von selbst zu
erschaffen imstande sei. Dies ist die Aufgabe der
Technik. Erst auf diese Weise wird es der Mensch-
heit möglich, sich von der Gewalt der elementaren
Naturkräfte zu befreien, ihrer Herr zu werden, anstatt
sich ihnen zu unterwerfen. „Das Reich der Freiheit
kann nur auf dem Boden der Notwendigkeit auf-
blühen, die Verkürzung der Arbeitszeit ist die erste
und unumgängliche Bedingung dazu''.
Nun aber „besteht, — wie Hegel sagte — die List
der Vernunft darin, dass sie zu ihrem Zwecke die
menschlichen Leidenschaften wirken lässt". Der ver-
nünftige Wille der Gesellschaft zur Macht über die
tote Materie bestimmt den unvernünftigen Willen des
Individuums zum Geldreichtum, unterwirft ihn seinem
Zwecke, indem die Geldpreise auf dem Markte nach
den verausgabten Arbeitsmengen sich richten, ohne
dass das einzelne Individuum etwas davon zu ahnen
brauchte. „Eine unsichtbare Hand führt das In-
dividuum zu einem Zwecke, den es sich nicht ge-
steckt hat" — was schon A. Smith wusste. Der ge-
sellschaftliche Fortschritt besteht in der Ersparung
der menschlichen Arbeit; der persönliche Vorteil
scheint in Ersparung von Geld zu bestehen. Bestimmt
der gesellschaftliche Wille die individuellen Triebe
— und sonst kann keine Gesellschaft, somit auch
kein Individuum gedeihen — , so bestimmt das Wert-
gesetz die Preise, denn Arbeit ist für die Gesellsch aft,
Geld für das Individuum „das Mass aller Dinge'^
Das ist der Gedanke, der dem Wertgesetze zu-
grunde liegt. Das Wertgesetz ist somit der Mechanis-
mus, der das Individuum der gesellschaftlichen
— 14 —
Kontrolle unterwirft und die individuelle Psychologie
unter die gesellschaftliche Vernunft zwingt. Die Ge-
sellschaft verlangt, dass die Arbeitskosten gespart
werden; dieses kommt dem Individuum in der psycho-
logischen Form zu Bewusstsein, dass es einen jeden
Gegenstand nach der in ihm verkörperten Arbeitszeit
schätzen solle. Diese wird von dem Individuum als
eine Eigenschaft des Gegenstandes gedacht, nach
welcher der Gegenstand einen Wert bekommt, so und
so viel wert ist. Indem der Besitzer einer Ware sie
nach ihrem Werte schätzt, schätzt er nicht die Arbeit
deren Verminderung den gesellschaftlichen Fortschritt
bedeutet, sondern die Ware selbst, weil es ihm in
seinem eigenen Interesse zu liegen scheint. Das ist
„der Fetischismus der Warenform" nach dem be-
kannten Ausdrucke von K. Marx, das ist das charak-
teristische der Wertschätzung.
Nicht die freie, auf gegenseitigem Einverständnis
beruhende Einsicht der Individuen in das Grund-
prinzip der Oekonomie regelt also die gesellschaftliche
Produktion, wie das in der sozialistischen Gemeinde
der Fall sein würde, sondern die Oszillationen und
Schwankungen der Geldpreise auf dem Markte, die in
sich alle Aenderungen in den Produktionsweisen ge-
treu abbilden/)
*) „Die Nutzeffekte der verschiedenen Gebrauchsgegenstände,
abgewogen untereinander und gegenüber den zu ihrer Her-
stellung nötigen Arbeitsmengen,' werden (im socialistischen
Staate) den Plan schliesslich bestimmen. Die Leute machen
alles sehr einfach ab, ohne Dazwischenkunft des vielberühmten
„Wertes»«, (Anti Düring, S. 336). — Hierzu macht noch Engels
folgende bemerkennswerte Anmerkung: „Dass obige Abwägung
von Nutzeffekt und Arbeitsaufwand bei der Entscheidung über
Produktion alles ist, was in einer kommunistischen G-esellschaft
von Wertbegriff des politischen Oekonomie übrig bleibt, hatte
ich schon 1844 ausgesprochen. Die wissenschaftliche Begründung
— 15 —
Dabei wird jedoch vorausgesetzt, dass der Markt
unter der gesellschaftlichen Kontrolle steht. Befindet
er sich unter dem ausschliesslichen Einflüsse einiger
Individuen, die dank ihrer Monopolstellung gegen-
über allen übrigen Mitgliedern der Gesellschaft die
Preise nach ihrem eigenen Dafürhalten festsetzen können,
so herrscht natürlich kein Wertgesetz auf dem Markte
und die Entwicklung der Technik ist der Gesellschaft
durchaus nicht garantiert* Anstatt die Produktions-
weise zu vervollkommnen, wird der Monopolist seine
Geldgier einfach durch willkürliche Preiserhöhungen
befriedigen können. Ja, es kann in seinem Interesse
liegen, den rellen Reichtum in der Gesellschaft nicht
zu vermehren, sondern zu zerstören, wenn es ihm nur
seine Monopolstellung sichert, wie es (nach Fourier) die
Kornhändler tun, die einen Teil ihres Kornes ver-
nichten und dann der Bevölkerung enorme Preise
aufzwingen, indem sie den von ihnen selbst künstlich
erzeugten Kornmangel ausnützen/"") Somit muss der
Markt unter der gesellschaftlichen Kontrolle stehen,
und dieses wird nach der Ansicht der klassischen
Schule durch die freie Konkurrenz erreicht. Wenn
alle Geldbesitzer ein gleiches Recht haben, an der gesell-
schaftlichen Produktion teilzunehmen, so kann keiner
von ihnen den anderen seine eigenen Bedingungen
vorschreiben, es scheint, dass unter dieser Bedingung
sich niemand auf Kosten anderer bereichern könne.
dieses Satzes ist aber, wie man sieht, erst durch Marx „Kapital*'
möglich geworden/' Hier spricht Engels sehr klar den
Gedanken aas, dass in der Wertrechnnng das Sparprinzip für
die bürgerliche Gesellschaft gegeben ist, nnd trotzdem können
die meisten Marxkritiker das BUtsel des Wertgesetzes bis anf
den heutigen Tag nicht entziffern.
**) A. Smith berichtet über die Verwüstungen, welche die
Holländer in ihren Kolonien anstifteten, nur um die Preise
auf die Kolonialprodukte in die Höhe zu treiben.
— 16 --
jedermann müsse danach trachten, einen Vorsprung
durch verbesserte Produktionsbedingungen zu gewinnen.
Diese Auffassung der freien Konkurrenz, welche
bei den Klassikern den Abschluss ihrer gegen den
Merkantilismus und das Protektionssystem gerichteten
Kritik bildet, dient ihrerseits zum Ausgangspunkt für
den kritischen Ansturm gegen den Kapitalismus,
welchen Marx unternommen hat. Indem Marx zu-
nächst die Postulate der klassischen Schule ohne wei-
teres zugibt, sucht er durch ihre weitere logische Ent-
wicklung nachzuweisen, dass ihnen ein unlösbarer
Widerspruch anhaftet, und dass das freie kapitalistische
Produktionssystem keineswegs das letzte Wort der ge-
sellschaftlichen Vollkommenheit bedeutet, sondern,
ebenso wie es vormals mit dem Protektionssystem der
Feudalzeiten aufräumte, einst von einer noch höheren
Wirtschaftsform — dem Sozialismus — abgelöst
werden wird. Diesen Nachweis in seinen Hauptzügen
wiederzugeben, wird unsere nä^chste Aufgabe sein.
Kapitel III.
Die Natur des Profites.
Wir haben soeben die Hauptpostulate der klassi-
schen Schule kennen gelernt. Die Gesellschaft über-
lässt die Entwicklung der Produktivität den Individuen,
und zwar den Besitzern grosser Geldsummen, oder den
Kapitalisten, und sorgt nur dafür, dass der Markt frei
ist. Dann stellen sich auf dem Markte die den Werten
gleichen Preise ein, und das Privatinteresse der Kapi-
talisten führt bei dieser Voraussetzung direkt zu der
Befriedigung des gesellschaftlichen Willens. „Ein jedes
— 17 —
Individuum sucht sein Kapital mit dem grössten
Nutzen zu verwenden — lesen wir bei Smith, — zwar
verfolgt es dabei seinen eigenen Vorteil, doch wird es
zugleich auf eine natürliche oder vielmehr notwendige
Weise dazu gezwungen, die Beschäftigung vorzuziehen,
welche auch für die Gesellschaft die vorteilhafteste ist.**
Das System der «natürlichen Freiheit'', welches die
klassische Schule predigte, darf somit als ein Contrat
Social, als ein Vertrag zwischen dem Individuum und
der Gesellschaft aufgefasst werden. Das erstere über-
nimmt die Entwicklung der Technik, die Hebung des
Volkswohlstandes durch stetige Verbesserungen der
Produktion, wofür ihm die Gesellschaft ihrerseits eine
Befriedigung seines Geldinteresses gewährt oder gleich-
sam eine Prämie in Aussicht stellt. Diese Prämie
welche Profit heisst, erhält der Kapitalist jährlich in
der Form eines Zuwachses auf das von ihm vorge-
schossene Geldkapital, und zwar pflegt der Profit im
Durchschnitt um so grösser zu sein, je grösser das
vorgeschossene Kapital ist, so dass er in einem über-
all gleichen (oder nahezu gleichen) Verhältnisse zum
Kapital steht.
In Bezug auf den Profit bemerkt A. Smith aus-
drücklich, dass er nicht den Lohn für die Arbeit des
Kapitalisten bildet: denn der Kapitalist kann die Be-
aufsichtigung seines Unternehmens einem Direktor
überlassen, dessen Gehalt dann den Lohn für die Be-
aufsichtigungsarbeit genau ausdrückt; und dennoch
wird der jetzt offenbar keine Arbeit leistende Kapita-
list auch weiter einen seinem Kapital proportionalen
Profit einstreichen. Der Profit ist somit kein Arbeits-
lohn, vielmehr ist er als eine Art Prämie aufzufassen,
durch welche die Gesellschaft den Kapitalisten zur
bestmöglichen Verwendung des Kapitals anspornt. So
ist die Lehre der klassischen Schule über den Profit
zu verstehen, und an diese Lehre knüpft Marx mit seiner
Charasoff, Karl Marx. 9
— 18 —
Kritik unmittelbar an, indem er die Frage aufwirft —
woher denn der Profit kommen mag? Es sind
doch nach der Arbeitstheorie die Auslagen allemal
dem Ertrage gleich, ein Gewinn über die Auslagen
hinaus lässt sich, wenn in Arbeit gerechnet wird, nicht
erzielen. „Dies ist der Fundamentalsatz . . . und der
ist unumstösslich für den Oekonomen von Fach."
Wohlverstanden — hiermit wird nicht etwa die
Existenz eines materiellen Ueberschusses über die
materiellen oder sachlichen Auslagen der Pro-
duktion in Zweifel gezogen. Es wird damit nur die
Tatsache festgestellt, dass, wenn wir in Arbeit rechnen,
die Zahl, welche die Auslagen angibt, genau dieselbe ist,
wie die, welche den Rohertrag bezeichnet. Denn neben
den materiellen Auslagen figuriert in der Arbeits-
theorie noch ein wichtiger Posten — die lebendige
Arbeit. Und der durch den Ueberschuss vermehrte
Wert des Bruttogewinnes wird durch diesen Posten
genau aufgewogen. Es sind 100 Mass Korn ausgesät
und 200 geerntet; der materielle Ueberschuss ist gleich
100 Mass. Rechnen wir aber in Arbeit, so gestaltet
sich die Rechnung folgendermassen:
Auslagen: Roheinkommen :
1 Jahr tote Arbeit
(« 100 Mass Aussaat) 200 Mass Ernte =
1 Jahr lebendige Arbeit 2 Jahre Arbeit
Summa: 2 Jahre Arbeit.
[Zieht man von dem Werte des Roheinkommens
den Wert der materiellen Auslagen ab, so erhält man,
wie wir es schon im Kap. I gesehen haben, den Wert
des Reineinkommens gleich dem Quantum veraus-
gabter lebendiger Arbeit, woraus jedoch, wie wir
gleichfalls wissen, durchaus nicht folgt, dass der Ur-
sprung des Reineinkommens in der lebendigen Arbeit
allein zu suchen ist.]
- 19 -
Auf diese Eigentümlichkeit der Arbeitstbeorie
kann man nicht aufmerksam genug sein. Alle Miss-
verständnisse der Marxkritiker rühren eben von der
Nichtbeachtung jenes einfachen Umstandes her, dass
es in Arbeit gerechnet keinen Profit im Sinne der
arithmetischen Differenz zwischen Rohgewinn und
Auslasen geben icann.
Und das ist die notwendige Konsequenz des wirt-
schaftlichen Prinzips. Dieses besteht ja darin, dass
man das Reineinkommen nicht absolut, sondern im
Verhältnis zu der dabei betätigten lebendigen Arbeit
zu erhöhen habe. Wird der Ueberschuss auf Kosten
einer grösseren Betätigung lebendiger Arbeit erhöht,
so ist darin kein technischer Fortschritt zu erblicken.
Bei jeder noch so rohen Technik, könnte man viel-
leicht den Betrag verdoppeln, wenn man zweimal so-
viel arbeiten wollte. Der Fortschritt besteht aber
nicht in einem solchen Schwitzsystem, sondern darin,
einen doppelt so grossen Reinertrag zu erzielen, ohne
zu Ueberstunden seine Zuflucht zu nehmen. Darum
muss die Gesellschaft auf die Verausgabung der
lebendigen Arbeit achten und in ihrem Ausgaben-
entwurf einen Posten für die lebendige Arbeit ein-
stellen. Und darum kann es auch keinen in Zahlen angeb-
baren Profit geben. Der Zweck der Wirtschaft ist nicht,
grössere Zahlen zu erzielen, sondern die Wirtschaft
muss auf den reellen, in materiellen Gütern bestehenden
Reichtum gerichtet werden. In Arbeit gemessen, wird
der Reinertrag immer dieselbe Grösse haben, nämlich
gleich der verausgabten lebendigen Arbeit sein. Nun ist
die Aufgabe, diesen Zahlenwert nicht zu vermehren,
sondern auf die grösstmögliche Anzahl materieller Güter
zu verteilen, so dass der Wert eines jeden Gutes so
niedrig wie nur möglich ausfallt. Zu diesem Zwecke
ist auch die ganze Arbeitsrechnung da.
Betrachten wir nach diesen theoretischen Aus-
2*
ÜNIVERSITY
CF
— 20 —
einandersetzungen die kapitalistische Wirtschaft, wie
sie existiert und bei den Klassikern theoretischen^ rörte-
rungen unterworfen wird, so springt sofort in die Augen,
dass sie der Theorie aufs grellste widerspricht, denn
es gibt hier jedesmal, in Geld gerechnet, prin-
zipiell einen Ueberschuss des Roheinkommens über
die Auslagen, der Profit heisst, und auf dessen Er-
höhung, nicht Abschaffung, alle Wünsche der Privat-
unternehmer ausgehen. Woher stammt nun dieser
Profit — wohlverstanden, nicht sein materielles Sub-
strat, nicht jene Güter, in welchen er sich verkörpert,
sondern die Zahl durch welche er gemessen wird?
Darauf gibt uns Marx folgende Antwort, die er aus
einer Systematisierung der Ansichten Smiths und
Ricardos ableitet.
Betrachten wir die Bücher, welche ein Privat-
unternehmer oder Kapitalist (wie ihn Marx im
1. Bande des „Kapital'' nennt) über seine Ausgaben
führt, so finden wir darin alle materiellen Posten ver-
treten, jedoch statt der lebendigen Arbeit einen in der
Theorie gar nicht vorgesehenen Posten, der Arbeits-
lohn heisst. Dieser Posten ist kleiner als die lebendige
Arbeit, welche er ersetzt, und die Differenz zwischen
der lebendigen Arbeit und dem Arbeitslohn ist eben
das, was Profit genannt wird. Vorausgesetzt, dass
1 Mass Weizen 1 Geldeinheit kostet, und dass die
Arbeiter, welche 100 Mass aussäen und 200 ernten,
50 Geldeinheiten als Lohn empfangen, — sieht die
Buchführung des über die Arbeiter kommandierenden
Kapitalisten folgendermassen aus:
Ausgaben: Roheinkommen:
Aussaat . 100 Geldeinheiten 200 Quarter Weizen
Arbeitslohn 50 „ ä 1 Geldeinheit pro
Quarter;
Summa . 150 Geldeinheiten 200 Geldeinheiten*)
•) Siehe Kap. I, 181.
— 21 —
Somit steht das Roheinkommen über den Gesamt-
ausgaben, und die Differenz, welche gleich 200—150=50
ist, bildet den Profit des Kapitalisten. Wäre der
Arbeitslohn gleich 100 gewesen, so hätte es keinen
Profit gegeben. Mit dem erhaltenen Arbeitslohn
können die Arbeiter nur 50 Mass Weizen kaufen, d.h.,
nicht alles, was über die Aussaat hinaus produziert
worden ist, doch genug, um ihr Leben fristen zu
können, und in diesem Unstande, welcher seinerseits
seine Erklärung in der Entwicklung der Produktivität
der Arbeit findet, wurzelt auch der Ursprung des kapi-
talistischen Profites.
In der Tat ist die kapitalistische Wirtschaftsepoche
erstens durch eine so hohe Entwicklung der Produk-
tivität charakterisiert, dass ein verhältnismässig nur
geringer Teil des jährlichen Reinertrages die not-
wendigsten Bedürfnisse eines Menschen, als Arbeiters
zu befriedigen imstande ist, der übrige Teil dagegen
der arbeitenden Bevölkerung vorenthalten werden und
in der Luxuskonsumtion der oberen Zehntausend auf-
gehen kann, ohne dass die Arbeiter dadurch aufhören
arbeitsfähig und arbeitswillig zu sein."")
Andererseits aber besteht das Eigentümliche der
kapitalistischen Ordnung darin, dass der Arbeiter ein
freier Lohnarbeiter ist, der auf dem Markte als Ver-
käufer seiner Arbeitsfähigkeit oder seiner Arbeitskraft
auftritt und dieselbe dem Kapitalisten als eine Ware
feilbietet. Nun herrscht aber auf dem Markte das
Wertgesetz für sämtliche Waren, somit auch für die
Arbeitskraft, und der Arbeiter erhält dafür auf Grund
dieses Gesetzes genau so viel, wieviel Arbeit seine
Arbeitskraft kostet, oder wieviel Arbeit für die Re-
•) Wir setzen hier die sogenannte »^einfache Reproduktion"
voraus und abstrahieren einstweilen von der Tatsache der
Akkumulation.
~ 22 —
Produktion seiner Arbeitsfähigkeit jährlich ausgegeben
werden muss. Mit anderen Worten, der Lohn des
Arbeiters ist gleich dem Werte derjenigen Konsum-
tionsartikel, die zur Befriedigung seiner notwendigen
Bedürfnisse dienen. Ist dieser Wert etwa gleich 7
Stunden täglich, und arbeitet der Arbeiter täglich 12
Stunden, so entspringt daraus für den Kapitalisten bei
dem Kaufe der Arbeitskraft ein Profit gleich 5 Stunden,
denn er lässt den Arbeiter für 7 Stunden Arbeits-
lohn volle 12 Stunden arbeiten.
Allgemein gesprochen: die lebendige Arbeit a zer-
fällt in zwei Teile — in den Teil v, der den Arbeitlohn,
darstell die notwendige Arbeit oder und in den Teil m,
oder die Mehrarbeit; und der Wert eines Gutes, d. h*
die Zahl c + a kann demnach auch in der Form
c + V + ni dargestellt werden, denn a ist = v + m.
Zu diesem Werte wird das Gut auf dem Markte ver-
kauft. Die Auslagen des Kapitalisten aber, die er auf
demselben Markte bestreitet, sind c + v, .d. h.
gleich den materiellen Auslagen c und dem Lohne v;
was m anbetrifft, so erscheint die Mehrarbeit für den
Unternehmer nicht als Auslage, sondern als Profit.
Demnach ist, nach der Arbeitstheorie, der Profit
nichts als der Ausdruck der Inkongruenz zwischen der
gesellschaftlichen und individuellen Auffassung der
Produktionskosten. Die gesellschaftliche Auffassung
ist die, dass die Kosten gleich der gesamten aus-
gegebenen Arbeit, gleich c + v + m sind, und nach
dieser richtigen Auffassung kann es keinen Profit
geben. Die falsche individualistische Auffassung sub-
summiert c + v allein unter den Begriff der Produk-
tionskosten, m dagegen wird nicht als Ausgabe, sondern
als Profit, als numerischer Ueberschuss des Roh-
einkommens über die Ausgaben aufgefasst. Was die
Kapitalisten ihren Profit nennen, ist somit nichts als
ein Rechenfehler, den sie jedesmal begehen und
— 23 —
kraft ihrer Klassenstellung auch begehen müssen.
Die ganze kapitalistische Wirtshaft, die
prinzipiell auf diesem Fehler basiert, erweist
sich als widerspruchsvoll und grundfalsch.
Ihre Bilanz ist keine Arbeitsbilanz — denn sonst
wäre der Profit gleich Null. Sie geht vor allem auf
Vermehrung nicht des reellen sachlichen, sondern des
imaginären Geldreichtums aus.
Kapitel IV.
Der Untersehied zwischen utopischem und
wlssenschafülehem Sozialismus.
Der Satz von Marx, dass der Profit nichts anderes,
als Mehrwert ist, bleibt, nach unserer tiefsten Ueber«
Zeugung, bis auf den Tag aufs gröbste missverstanden.
Man erblickt darin nur eine sentimentaleRedensart eines
moralisch entrüsteten Menschen, anstatt zu begreifen,
dass es die Warnung eines Nationalökonomen ist, die
an den Verstand, nicht an das Herz appelliert. Man
will in Marx einen utopischen Sozialisten sehen, ob-
wohl es immer sein Bestreben gewesen ist, als wissen-
schaftlicher Sozialist aufzutreten.
Man verstehe recht gut den Grundunterschied, um
welchen es sich handelt. Es gibt zwei Möglichkeiten,
die gegebene Wirtschaft, sage, den Kapitalismus, zu
kritisieren. Die eine geht von der Analyse der kapi-
talistischen Verteilung aus und sucht ihre Ungerech-
tigkeit nachzuweisen, indem sie den Profit als ein
„arbeitsloses Einkommen'^ brandmarkt. Dies war das
Vorgehen der von Engels so genannten „utopischen"
Sozialisten. Die andere Möglichkeit aber, die Marx
- 24 —
ausgewählt hat, und für welche Engels den Namen
„wissenschaftlicher Sozialismus^^ in Anspruch nimmt,
besteht darin, alle Fragen der Verteilung, als irrelevant,
einfach zu ignorieren und die ganze Aufmerksamkeit
auf die kapitalistische Produktionsweise zu kon-
zentrieren. Stelle sich dabei heraus, dass die Pro-
duktionsweise keine ideelle ist, so folge daraus der
Nachweis für die Vergänglichkeit der kapitalistischen
Gesellschaft, sowie die Erklärung all ihrer Missstände
im Gebiete der Verteilung.
Diese Eigentümlichkeit des Marxismus entgeht nun
leider und auf eine schwer erklärliche Weise den
meisten von seinen Kritikern, sowie diese an die Ana-
lyse des Wertgesetzes herantreten. Man ist überein-
gekommen, das Wertgesetz und die Lehre vom Mehr-
wert als einen Ausdruck des utopischen „Rechtes auf
den vollen Arbeitsertrag^^ zu behandeln, und indem
man mit scheinbarem Erfolge dieses Recht einer ver-
nichtenden Kritik unterwirft, entzieht man sich jeder
Möglichkeit, den in der Tat von Marx gegen den
Kapitalismus erhobenen Vorwurf zu begreifen, ge-
schweige denn zu erledigen.
Das Sonderbarste ist dabei, dass die meisten
Kritiker dem Prinzip der Produktivität der mensch-
lichen Arbeit im vollen Masse oder mit nur unbe-
deutenden Modifikationen huldigen*),dennoch aber über-
zeugt sind, es könne sich die Produktivität von selbst
*) Ausserdem laufen gewisse Erwiderungen der Kritik gegen
das Prinzip der Erspanmg menschlicher Arbeit auf ein direktes
Missverständnis hinaus. So z. B. behaupten v. Böhm Bawerk
und H. Dietzel, auch der Boden müsse gespart werden, auch
er habe einen Wert. Hiermit ist nach ihrer Ansicht die Auf-
gabe der menschlichen Technik, nicht ailein den B«inertrag,
der auf den arbeitenden Menschen, sondern auch den, der auf
jede Filicheneinheit kommt, zu erhöhen. Und zu welchem
Zwecke? Offenbar damit Menschen der gegebeuen Bodenfiäche
- 25 -
bei jeden Preisen entwickeln, und es sei darum über-
haupt unnötig, irgendwie das Wertgesetz vorauszu-
setzen. So behauptet v. Böhm Bawerk, das Wertge-
setz, welclies er im Sinne des Rechtes auf den vollen
Arbeitsertrag versteht, sei „ein Märchen, erzählt der leicht-
gläubigen Menge von einem grossen Manne'S und zu
gleicher Zeit antwortet derselbe v. Böhm Bawerk auf
die Frage, wie sich der technische Fortschritt voll-
ziehe, folgendermassen, indem er sich auf das Beispiel
des Steinklopfens beruft: „unsere weiche, nachgiebige
Hand kann den Widerstand des festen Felsens nicht
überwinden; aber ein Hammer kann es, und es ist
uns, zu unserem Glücke, leichter, erst diesen Hammer
zu produzieren und dann den Felsen zu bearbeiten"»
Sehr wohll Nur merkt v. Böhm Bawerk nicht,
dass wir, zu unserem Unglück, in einer Gesellschaft
leben, wo der Begriff der Billigkeit über den Begriff
„leicht" die Herrschaft führt. Es ist wohl leichter,
erst den Hammer herzustellen und dann Steine zu
klopfen; warum aber der Hammer auch weniger kostet
durch ihre Arbeit so viel wie möglich, abgewinnen können.
Um diesen Zweck zu erreichen, braucht man jedoch dem Boden
keinesweg seinen Wert beizulegen und diesen den Produktions-
kosten zuzurechnen. Man rechne ausschlieeslich in Arbeit, so
wird sich in der Regel schon von selbst jene Produktionsweise
als die vorteilhafteste erweisen, die die kleinste Bodenfläche in
Anspruch nimmt. Selbstverständlich ist hier von dem jung-
fräulichen Boden und von der gesellschaftlich notwendi-
gen Arbeit die Bicde. Die Arbeit der Boden Verbesserung ver-
leiht dem Boden einen Wert; ebenso kann ein jungfräuliches
Stück Land einen Wert haben, wenn es der Güte nach einem
schon bebauten Lande gleichkommt; wie etwa ein ohne jede
Arbeit gefundener Goldklumpen einen Wert hat, gesellschaftlich
notwendige Arbeit in sich enthält. Dies alles sind aber keines-
wegs Einwände gegen die Arbeitstheorie, sondern direkte Fol-
gerungen aus ihr.
- 26 -
als blosse Arbeitshände, ist jedoch nicht so auf den
ersten Bück klar; und kostete er mehr, so hätten es
die Kapitalisten allemal vorgezogen, ohne den Hammer
auszukommen, auch wenn dabei die Arbeitshände
bluteten. Dann aber hätte es keinen technischen Fort-
schritt gegeben. Wollen wir jedoch in einer auf Geld-
rechnung basierenden Wirtschaftsordnung vom tech-
nischen Fortschritt sprechen, so müssen wir einen
solchen Zusammenhang zwischen dem Preise und dem
Werte des Hammers voraussetzen, nach welchem der
Hammer billig ist, wenn er die Arbeit „erleichtert"
— will sagen, sparen hilft — , und das ist ja das Wert-
gesetz. Hält nun v. Böhm Bawerk einen solchen Zu-
sammenhang für ein Märchen, so soll auch er uns
keine Märchen über „leicht" und „schwer" erzählen
von einer Gesellschaft, die nur den Gegensatz von
billig und teuer gelten lässt, — auch keine Märchen über
den technischen Fortschritt, den uns „die tagtägliche
Erfahrung in allen Industriezweigen" so deutlich
offenbare.
Ein anderer bedeutender Nationalökonom und ehe-
maliger Marxist, Tugan Baranowsky, will auch im
Wertgesetze nur „die verschleierte Forderung des vollen
Arbeitsertrages" sehen. Was aber den Profit anbetrifft,
so könne man die Tatsache seiner Existenz ohne jede
Mehrwerttheorie erklären, wenn man beachtet, dass
die Masse von Eisen, Korn, Kohle und dergleichen,
über welche die Gesellschaft verfügt, im Produktions-
prozesse zunimmt und einen Ueberschuss liefert.
Wie man sieht, verwechselt Tugan Baranowsky
erstens den Ueberschuss, d. h. eine Menge materieller
Güter, mit dem Profit oder einer Zahl. Zweitens
aber scheint T. B. überzeugt zu sein, dass der Ueber-
schuss immer da sein müsse, auch wenn die Wirt-
schaft durch falsche ökonomische Erwägungen ge-
leitet wird: denn er setzt von den Preisen voraus,
— 27 —
dass sie von den Werten gar nicht abhängen und
einfach durch ,,Sitte und Tradition^^ normiert werden.
Die Tradition mag das leichte teuerer bewerten als
das schwere, und dadurch die Gesellschaft zur Erhal-
tung, ja zur Einführung rückständiger Produktions-
methoden verleiten, — einen Ueberschuss wird es nach
Herrn Tugan Baranowskys Meinung immer geben.
Drittens aber merkt Tugan Baranowsky nicht, dass es
nicht genügt, einen Ueberschuss zu erzielen, vielmehr
soll der aliquote Teil des Ueberschusses, derauf jeden
Arbeiter kommt, wachsen. Und nachdem Herr Tugan
Baranowsky so viele Ungereimtheiten zusammenzu-
reimen gewusst und einen Beweis erbracht hat, wie gut
er die Lehre Marxens darüber, dass „Sitte und Tra-
dition^^ durch das Produktionsprinzip bestimmt werden,
versteht, räumt er Marx gnädig ein, in dem Wertge-
setze stecke allerdings der richtige Gedanke, dass die
menschliche Arbeit auch in einer kapitalistischen Ge-
sellschaft die „absoluten Kosten'' darstelle, mit welchen
die Wissenschaft allein zu rechnen habe.
Was für Früchte kann eine solche Marx-Kritik
zeitigen? Gewiss nur unreife, wenn man nicht einmal
begreift, was zu kritisieren ist. Man muss doch erst
verstehen, was uns Marx mit der Lehre vom Mehrwert
sagen will. Zu diesem Zwecke erinnere man sich an
jenen Hauptsatz der klassischen Schule, nach dem der
Profit einen Ansporn für das Individuum bildet, die
gesellschaftliche Produktion zu vervollkommnen und
den „Volkswohlstand" zu heben. Gegen diese These
ist die Lehre vom Mehrwert gerichtet, nicht gegen die
Gerechtigkeitsflausen der vulgären Oekonomie. Marx
will nicht die Ungerechtigkeit, sondern die Schäd-
lichkeit des Profites für die Produktion nach-
weisen. Ohne den Profit kann es allerdings keine
individuelle Wirtschaft geben. Aber der Profit ist ein
Fehler, ein Widerspruch gegen die Idee des techni-
~ 28 -
sehen Fortschrittes, und ohne diesen Fehler zu be-
gehen kann das Individuum nicht wirtschaften. Daraus
der Schluss, das Individuum könne nicht gut wirt-
schaften, die Gesellschaft werde es mit der Zeit ein-
sehen und die Produktion selbst in ihre eigenen
Hände übernehmen müssen, auf die Gefahr hin, an
dem Rückschritt der Technik zugrunde zu gehen.
Aus dem Kapitalismus muss sich der Sozialismus ent-
wickeln — so verlangt es das Streben der Gesellschaft
zum Fortschritt — nicht auf dem Wege der Gerechtig-
keit, sondern auf dem der Technik — das und nichts
anderes wollte Marx mit seiner Lehre von dem Mehr-
werte sagen.
Es ist nur die Anwendung der allgemeinen, dem
ökonomischen Materialismus zugrunde liegenden
Idee auf den speziellen Fall der heutigen Wirtschaft :
Die allgemeine Idee besteht ja darin, dass die Technik,
die Anpassung des Menschen an die Natur, die Basis
des gesamten sozialen Lebens ist, die Gerechtigkeit
aber bloss eine oft verkehrte Abspiegelung der Pro-
duktionsverhältnisse in dem Bewusstsein der Pro-
duzenten. Wenn die Kritiker nicht imstande sind,
diese ihnen wohlbekannte Idee in der Wert- und
Mehrwertlehre wiederzuerkennen, so ist dies nur dadurch
zu erklären, dass sie mit einer vorgefassten Meinung
an den Gegenstand herantreten und darum auch allen
Worten, die sie bei Marx finden, einen verkehrten
Sinn unterlegen.
So insbesondere macht die Behauptung die Kritiker
irre, dass der Mehrwert nur von der lebendigen Arbeit
herrührt, und das tote Kapital keinen Mehrwert er-
zeugt. „Gewiss wollte Marx mit dieser Behauptung
eine „Ausbeutungstheorie^ begründen, nach welcher
der Profit aus der Uebervorteilung des Arbeiters bei
dem Lohnvertrage entspringt; er wollte sagen, der
Profit stamme nicht aus einer angeblich produktiven
- 29 -
Tätigkeit des Kapitalisten, die in der Leitung und Be-
aufsichtigung der toten Arbeit besteht, sondern er stelle
ein arbeitsloses Einkommen dar, das aus einem Ab-
züge an dem vollen Ertrage des Arbeiters herrührt."
So reflektieren fast alle Kritiker, ohne zu merken, dass
Marx ausführlich beweist, dass die Gegenstände, die
das materielle Substrat des Profits bilden, nicht durch
die lebendige Arbeit allein produziert worden sind —
was er gewiss zu beweisen unterlassen hätte, wenn er
an das Recht auf den vollen Ertrag der Arbeit
apellieren wollte.
Das sachliche Einkommen, welches der Kapitalist
aus seinem Profite zieht, ist nach Marx durchaus nicht
die Frucht der lebendigen Arbeit allein; doch stammt
der Profit ausschliesslich von der lebendigen Arbeit
her. Das will sagen, dass der Profit kein Abzug von
dem gerechten Lohne ist, wohl aber ein arithmetischer
Fehler, der aus der Substitution der lebendigen Arbeit
durch den Arbeitslohn entspringt. Der Profit ist ein
Rechenfehler — das ist im voraus klar, denn bei der
richtigen Buchführung muss die Bilanz gleich Null
sein. Nun aber wird dieser Fehler nicht bei der
Buchung materieller Posten der Produktion begangen,
denn alle diese Posten sind in der kapitalistischen
Rechnung in vollem Umfange vertreten. Er wird be-
gangen, wenn an Stelle der ganzen lebendigen Arbeit
nur der Arbeitslohn oder die notwendige Arbeit allein
als Ausgabe verzeichnet, die Mehrarbeit dagegen ver-
gessen wird. In diesem Sinne stammt der Profit
aus der lebendigen Arbeit und nicht aus dem toten
Kapital.
Wie das aus dem oben angeführten Zahlen*
beispiele klar hervorgeht, wurden 2 Jahre Arbeit aus-
gegeben und nur IVs Jahre gebucht. Die Ausgaben
betrugen 150 Geldeinheiten, das Roheinkommen 200.
Was dagegen die 50 Mass Korn anbetrifll, welche der
— 30 —
Kapitalist mit 50 Geldeinheiten, die seinen Profit
bilden, kaufen kann — so ist dieses Korn, wie jedes
andere, kein ausschliessliches Produkt der lebendigen
Arbeit.
Die Mehrarbeit ist ein Teil der lebendigen Arbeit,
das Mehrprodukt dagegen, welches die Kapitalisten
mit ihrem Profite kaufen, ist nicht das Produkt der
lebendigen Arbeit allein. Man kann das ausschliess-
liche Recht der Arbeiterklasse auf das Mehrprodukt
nicht beweisen, doch kann man mit mathematischer
Genauigkeit aufzeigen, dass die Mehrarbeit oder der
Profit ein Rechenfehler der kapitalistischen Buch-
führung über die Produktionskosten ist.
Hätte Marx das Wertgesetz im Sinne des Rechtes
auf den vollen Arbeitsertrag verstanden, so hätte er
sicher in dem Umstände, dass der Lohn unter der
Arbeitsleistung des Arbeiters steht, eine Verletzung des
Wertgesetzes gesehen, wie dies alle „utopischen*" Sozi-
alisten tun. Doch behauptet Marx im Gegenteil überall,
dass in der Dingung der Arbeitskraft zu einem solchen
Lohne kein Widerspruch gegen das Wertgesetz zu er-
blicken sei. Denn die Arbeitskraft als Ware kostet
eben nur die Arbeit, die in ihr verkörpert ist, und
nicht jene Arbeit, welche der Arbeiter mit ihrer Hilfe
in dem Produktionsprozesse aufwendet. Es lohnt sich,
bei dieser Argumentation Marx' etwas länger zu ver-
weilen, da sie uns seine Auffassung des Wertgesetzes
in ein helles Licht rückt und in hohem Masse hilft, die
weiter folgenden Ausführungen richtig zu begreifen.
Die Klassiker verstanden unter dem Wertgesetz
den Austausch der Waren zu ihrem Werte, und sie
sahen darin ein unfehlbares Mittel, die ganze bei der
Produktion verausgabte Arbeit zu messen und zu
sparen. Marx bemerkt darauf, dass dem nicht so ist,
dass die in Waren verkörperte Arbeit zwar in vollem
Umfange in Rechnung gezogen wird, dagegen die nicht
- 31 -
in Wertform erscheinende, noch nicht vergegenständ-
lichte lebendige Arbeit sich der Wertrechnung ent-
zieht. In dem Augenblick, vfo der Arbeiter auf dem
Markte als Verkäufer seiner Arbeitskraft auftritt, er-
hält er als seinen Lohn nur die Arbeit v, die in seiner
Ware — der Arbeitskraft verkörpert ist. Nachdem er
aber seine lebendige Arbeit in vollem Masse in den
von ihm verarbeiteten Waren vergegenständlicht hat,
haben diese einen Wertzuwachs v + m, bekommen,
der den Lohn v um die Grösse m der Mehrarbeit über-
steigt. Die Wertrechnung ergibt zwei verschiedene
Grössen: c + v vor und c + v + m nach dem Pro-
duktionsprozesse eben weil sie Wertrechnung ist, d. h.,
sich nur auf die in Waren vergegenständlichte Arbeit
bezieht und die lebendige, noch nicht verkörperte
Arbeit ausser Acht lässt. Der Kauf der Arbeitskraft
zu dem Werte, der unter den Arbeitsleistungen steht,
wiederspricht somit keineswegs der Wertrechnung,
ebenso die Erscheinung des Profites, oder des Mehr-
wertes, obwohl diese letztere mit der Arbeitsbilanz
nicht vereinbar ist.
Für die Klassiker war das Wertgesetz gleichbe-
deutend mit der Ersparung der gesamten menschlichen
Arbeit, doch nicht für Marx. Wenn die Klassiker
sagten, es herrsche das Wertgesetz auf dem Markte,
wollten sie dadurch das Rationelle der kapitalistischen
Wirtschaft zum Ausdruck bringen. Marx dagegen
versteht unter dem Wertgesetze jene Eigentümlichkeit
des Kapitalismus, dass nicht die Arbeit selbst, sondern
die Waren, die in ihnen verkörperte Arbeitszeit allein
geschätzt wird, die Arbeit dagegen, welche nicht in
Warenform erscheint, entzieht sich der kapitalistischen
Oekonomie und nimmt die Form nicht der Ausgaben,
sondern des Profites an.
Ohne die Ersparung an Arbeit kann die indivi-
dualistische Wirtschaft nicht existieren. Folglich muss
das Wertgesetz den Warentausch regulieren, — meinten
die Klassiker. Sehr wohl — antwortet hierauf Marx —
doch wird damit nur die Ersparung der Arbeit, die in
Warenform erscheint, erreicht. Mehr kann eine indi-
vidualistische Psychologie nicht fassen. Es gibt jedoch
noch Arbeit, die keine Ware ist. Diese kann der
individualistische Produzent nicht sparen, folglich ist
die individualistische Produktion eine unvollkommene,
folglich, sind ihre Tage vor dem Richterstuhl der
gesellschaftichen Vernuft gezählt.
Kapitel V.
Widerspruche der kapitalistischen Produktionswelse.
Das gesellschaftliche Interesse verlangt, dass die
ganze, auf die Herstellung eines Gutes zu veraus-
gabende Arbeit c + v + m reduziert werde, denn der
Gesellschaft kostet das Gut eben dieses Arbeitsquantum
c + V + m. Dem Kapitalisten kostet aber die Her-
stellung des Gutes nur c + v, und dieses Quantum
sucht er jedenfalls zu reduzieren. Die Mehrarbeit m
dagegen kostet dem Kapitalisten nichts; er hat sich
bei der Dingung der Arbeitskraft nicht verpflichtet,
sie zu bezahlen, sie ist für ihn unbezahlte Arbeit, und
als solche fühlt er sich nicht veranlasst, sie zu sparen.
Im Gegenteil, — - da diese unbezahlte Arbeit seinen
Profit bildet, sucht er sie jedenfalls zu erhöhen.*)
*) „Oekonomie der Arbeit bezweckt in der kapitalistischen
Produktion durchaus nicht Verkürzung des Arbeitstages. —
Die Entwicklang der Produktivkraft der Arbeit innerhalb der
kapitalistischen Produktion bezweckt, den Teil des Arbeitstages,
den der Arbeiter für sich selbst arbeitet, zu verkürzen, um
— 33 —
Nicht auf Vergrösserung der Menge [reeller Güter,
die auf jeden Arbeiter kommt, nicht auf Volkswohl-
stand ist somit die kapitalistische Produktion gerichtet,
sondern auf Erhöhung der Mehrarbeit, einer Zahl,
welche Profit heisst, — auf eine unsinnige Plusmacherei,
auf Erhöhung des Reichtums „in blendender Gold-
form". Merkantilismus ist der eigentliche Zweck der
kapitalistischen Wirtschaft, und diesem Zwecke wird
überall der Volkswohlstand „aufs Schamlosteste''
geopfert. Generationen werden zugrunde gerichtet,
ganze Heere von kleinen Kindern hingeschlachtet,
schwangere Frauen mit Ueberstunden überlastet,
hektische Männer mit dem Schwitzsystem zu Tode
geplagt — nur um die Mehrarbeit zu erhöhen, d. h.,
eine Zahl, die Profit heisst und die im Grunde auf
einen Rechenfehler hinausläuft/*)
Die Sache gestaltet sich folgendermassen. Der
Gesellschaft kostet das Gut c + v + m und soviel
zahlt sie auch dem Produzenten auf dem Markte dafür.
Dem Produzenten aber, d.h., dem Kapitalisten, kostet
das Gut c + V. Indem er durch den Verkauf mehr
zurückerhält, sieht er darin keineswegs den Beweis
seines fehlerhaften Begriffes von den Produktions-
grade dadnrcli den anderen Teil des Arbeitstages, den er für
den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern/' (285)
*♦) Die Sklaverei der Massen wird gepredigt, „um einige
rohe nnd halbgebildete Parvenüs zu „eminent Spinners", „ex*
ensive sansage makers'' und „influential shoe black dealers ^
zu machen. (373). „Der Heisshunger der Eabrikbesitzer nach
der Mehrarbeit verleitet sie zu solchen Grausamkeiten, die
kaum durch die Grausamkeiten überboten werden, welche die
Spanier bei der Eroberung von Amerika auf der Suche nach
Gold begingen" (204 Anm. 64, vrgl. mit den Worten Smith's
auf S. 1 dieses Buches), vrgL auch 232—233 u. s. w. — Die
eingeklammerten Nummern bezeichnen die Seitenzahlen des
I. Bandes des „Kapital"', IV. Aufl, 1880.
Charasoff, Karl Marx. 8
— 34 —
kosten, sondern er sieht in der Differenz zwischen dem
Marktpreise und seinen Produktionskosten = m einen
Preis für seine löbliche Produzententätigkeit, und nun
bemüht er sich aus allen Kräften, diesen Preis zu er-
höhen.
Er wählt von allen ihm zugänglichen Produktions-
methoden nicht die aus, bei welcher die ganze Summe
c + V + m am kleinsten ausfällt, sondern jene, bei
welcher der Teil c + v am kleinsten, der Teil m da-
gegen am grössten ist. Gelingt es ihm, den Arbeitslohn
zu verkürzen, so ist es in seinen Augen ein technischer
Fortschritt, denn sein Profit wächst; ebenso ist für
den Kapitalisten die Erhöhung der Produktion durch
Intensifikation der Arbeit oder die Verlängerung des
Arbeitstages bei gleichbleibendem Lohne immer zu
begrüssen. Die Gesellschaft gewinnt nichts dabei,
denn was sie an Ueberschuss gewinnt, verliert sie an
Ueberarbeit; die Warenwerte sinken nicht, nur die
Anzahl der Waren wächst, und auf eine jede Einheit
Arbeit kommt dieselbe Anzahl Gegenstände. Wohl
aber gewinnt dabei der Kapitalist, denn er erhält mehr
unbezahlte Arbeit oder mehr Profit auf jede Lohn-
einheit. Das ist ein unvermeidlicher Schaden des
kapi talistischen Lohnsystemes, eine unübersteigliche
„Schranke"*, an welche einmal angelangt, „die kapita-
listische Produktionsweise ihrem Wesen nach jede
rationelle Verbesserung ausschliesst'^ *) —
Herr v. Böhm-Bawerk, der in dem Wertgesetz ein
von einem grossen Manne erzähltes Märchen sieht, weiss
uns von dem „tagtäglichen technischen Fortschritt
in allen Industriezweigen^^ zu berichten. Der „grosse
Mann" erzählt uns aber statt dieses Märchens die
bittere Wahrheit: „Die Yankees haben Maschinen zum
Steinklopfen erfunden. Die Engländer wenden sie
*) K. I, 447.
— 35 —
nicht an, weil der „Elende" („wretsch" ist Kunstaus-
druck der englischen politischen Oekonomie für den
Agrikulturarbeiter), der diese Arbeit verrichtet, einen
so geringen Teil seiner Arbeit bezahlt erhält, dass
Maschinerie die Produktion für die Kapitalisten
verteuern würde". *)
Wo Arbeitsbände billig sind, brauchen die Kapi-
talisten nicht die Produktivität der Arbeit zu erhöhen,
um zum Profit zu kommen; sie pressen einfach der
Arbeiterbevölkerung so viel Mehrwert wie möglich ab.
Diese Tendenz des Kapitals, sich nicht durch die
technische Vervollkommnung der Produktion, sondern
an räuberischen Abzügen vom Arbeitslohn sich zu
bereichern, hat übrigens schon A. Smith erkannt, und
darum warnte er die Gesetzgeber vor den Kapitalisten
als vor „natürlichen Feinden des Volkswohlstandes",
Wir wollen sie an einem einfachen Beispiele illu-
strieren.
Gesetzt, eine Gemeinde freier Bauern wirtschaftete
so, dass ein jeder Bauer jährlich 100 Mass Korn
aussäte und 200 erntete, und man hätte den
Bauern vorgeschlagen, sich paarweise zu verbinden,
um zu zweit 100 Mass auszusäen und durch bessere
Bebauung des Feldes (da jetzt doppelt soviel Arbeits-
hände auf dieselbe Aussaat kommen) die Ernte auf
270 zu bringen, — so hätten die Bauern den klugen
Ratgeber sicher ausgelacht. Denn jetzt kommen auf
einen jeden — 100 Mass Reinertrag, nach der neuen
Arbeitsmethode dagegen nur 85. Die Arbeitskosten
hätten sich erhöht, statt zu fallen, der Wert des Kornes
wäre gestiegen.
*) K. I, 358 — vrgl. I, 236, Anm. 120: Der . . schottische
. . Schönredner Macaalay sagt: ,.Man höre heute nur von
Rückschritt und sehe nur Fortschritt." Was für Augen und
namentlich was für . . Ohren."
36
Gesetzt aber, die Bauern arbeiten unter dem Kom-
mando eines Kapitalisten und erhalten ein jeder
50 Mass Korn oder 50 Geldeinheiten als Arbeitslohn,
so wird der Kapitalist es sich anders überlegen. Jetzt
gibt er jährlich 150 Geldeinheiten aus und erhält da-
rauf einen Profit gleich 50, folglich 33 Vs auf je 100
Geldeinheiten. Die vorgeschlagene Produktionsweise
stellt ihm dagegen einen Profit gleich 70 auf das Kapital
200 (100 Aussaat und 100 Lohn für 2 Arbeiter) in
Aussicht, oder 35 auf 100 Geldeinheiten. Das wird der
Kapitalist unbedingt vorziehen; er wird die schlechtere
Produktionsweise einfuhren, da er von einem falschen
Produktionsbegriffe ausgeht. *) Demzufolge wird auch
der Wert des Kornes steigen; das kümmert jedoch
unseren Kapitalisten nicht im geringsten: er weiss
nichts davon, denn er rechnet nicht die ganze Arbeit
zu den Kosten der Produktion. Die Kapitalauslagen,
die er allein zu bezahlen braucht, reduzieren sich mit
der voi^eschlagenen Produktionsmethode, und das ist
für ihn der Beweis, dass er richtig gewählt hat.
Dass dafür die unbezahlte Arbeit gestiegen ist, ist von
seinem Standpunkte aus kein Nachteil, im Gegenteil
*) yDas Sparprinsip dorclLdringt als konstantes Element,
als natürliche Kategorie, alles vernünftige Handeln, — es ist
das generelle |,Vemnnftprinzip.'' — Es wird „an Mitteln gespart,
weil sie kosten, nnd nnr an solchen Mittein, weiche kosten.*^
(H. Dietzel, Theoretische Sozialökonomie, 1895, S. 177—178).
Ans diesen Prinzipien leitet Dietzel ab, dass es vorteilhafter
ist, 15000 anf 12000, als 6000 auf 5500 Mk. za verdienen. .Ln
ersten Eall ziehe ich ans der Kosteneinheit von 100 Mk. einen
Geldertrag von 125, im letzteren Fall nnr 109 Mark.** Anderer-
seits werden nach Dietzel alle Kosten anf Arbeit zurückgeführt
Wie können dann 15000 Mk. ans 12000 Mk. entstehen? Eben
ans der unbezahlten Arbeit, die nicht gespart -wird, weil sie
nichts kostet.
- 37 —
— es ist ein Vorteil, denn diese unbezahlte Arbeit
bildet eben seinen Profit, der jetzt gewachsen ist.
„Für das Kapital also gilt das Gesetz der gesteigerten
Produktivkraft der Arbeit nicht unbedingt. Für das
Kapital wird diese Produktivkraft gesteigert nicht,
wenn überhaupt an der lebendigen Arbeit, sondern
nur wenn an dem bezahlten Teil der lebendigen
Arbeit mehr erspart, als an vergangner Arbeit zu-
gesetzt wird . . . Hier fallt die kapitalistische Pro-
duktionsweise in einen neuen Widerspruch. Ihr his-
torischer Beruf ist die rücksichtslose, in geometrischer
Progressive vorangetriebene Entfaltung der Produkt
tivität der menschlichen Arbeit. Diesem Beruf wird
sie untreu, sobald sie, wie hier, der Entfaltung der
Produktivität hemmend entgegentritt. Sie beweist da-
mit aufs neue, dass sie altersschwach wird und sich
mehr und mehr überlebt**. *)
Die Produktivität der menschlichen Arbeit ent-
wickelt sich bei dem Kapitalismus, denn c + v wird
gespart; aber sie entwickelt sich nicht unbedingt, denn
m wird nicht gespart. Doch bleibt m Ausgabe, nicht
Profit für die Gesellschaft. Diese erhebt Protest gegen
die „abgeschmackte'' Rechnung der Kapitalisten, indem
sie in der Person des unterdrückten Arbeiters das
Haupt erhebt und um Reduktion der Arbeitsstunden
und Erhöhung des Arbeitslohnes, id est, um Ab-
schaffung des Profites den Klassenkampf entfacht.
Angenommen, in dem soeben angeführten Beispiele
hätten die Bauern es durchgesetzt, den Lohn von 50 auf
60 Mass Korn zu erhöhen, so hätte die erste Bebauungs-
*) III, 1,245. Durch die Um Wertung, die infolge der neueinge-
führten, schlechteren Produktionsmethode eintritt, kann unter Um-
ständen auch der bezahlte Teil des Warenwertes steigen, doch
würde das noch um so mehr zugunsten der Marx'schen These
sprechen.
— 38 —
weise dem Kapitalisten den Profit 40 auf 160, also
25 Vo, die zweite den Profit 50 auf 220, oder 23 Vo ein-
gebracht. Die zweite Methode hätte sich als die un-
produktivere herausgestellt, und der Kapitalist hätte
sie vermieden, statt sie einzuführen. Die Lohnerhöhung,
nicht die kapitalistische Konkurrenz, wie die Klassiker
es glaubten, zwingt also das kapitalistische Interesse
unter den gesellschaftlichen Willen, und darum ist
der Klassenkampf und die Einmischung dei Gesell-
schaft in die kapitalistische Wirtschaft eine Kultur-
notwendigkeit im Sinne der technischen Entwicklung.
„Man könnte eine ganze Geschichte der Erfindun-
gen seit 1830 schreiben, die bloss als Kriegsmittel des
Kapitals wider Arbeiteremeuten ins Leben traten" *).
„In einigen Zweigen der englichen Wollmanufaktur
ist während der letzten Jahre die Kinderarbeit
sehr vermindert, hier und da fast verdrängt
worden. Warum? — Der Fabrikakt ernötigte eine
doppelte Kinderreihe, von denen je eine 6, die andere
4 Stunden oder jede nur 5 Stunden arbeitete. Die Eltern
wollten aber die Half-times (Halbzeitler) nicht wohl-
feiler verkaufen, als früher die luU-times (VoUzeitler).
Daher Ersetzung der half-times durch Maschi-
nerie****). „Die masslose Verlängerung des Ar-
beitstages, welche die Maschinerie in der Hand des
Kapitals produziert, führt eine Reaktion der in ihrer
Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft herbei und
damit einen gesetzlich beschränkten Normalarbeitstag^
Dann aber wirft sich erst das Kapital „mit vollem
Bewusstsein und aller Macht auf die Produktion von
relativem Mehrwert durch beschleunigte Entwicklung
des Maschinensystems" ***).
*) K., I, 400—403.
**) K., I, 857.
**♦) K, I, 374.
„Mit der Notwendigkeit, 2jeit zu ökonomisieren, erzwang
- 39 ~
Man missversteht Marx, wenn man ihm die Lehre
zumutet, der Kapitalismus entwickle die Tecknik absolut
(wie Kautsky in „Ethik und Sozialismus'^ letzte Seite,
und alle übrigen Sozialisten und Kritiker*). Wir sehen
wie das zu verstehen ist. Erst durch den Klassenkampf
lenkt die technische Entwicklung in die richtige Bahn
ein. Der Kapitalist spart eben nicht die ganze lebendige
Arbeit, sondern nur den Lohn, nicht das menschliche
Leben selbst, sondern das, was das Leben auf dem
Markt kostet. Dies ist der Punkt, den die klassische
Oekonomie schlecht eingesehen hat, was aus der
Gleichsetzung des Arbeitslohnes mit dem Preise der
Arbeit selbst und nicht der Arbeitskraft besonders
klar hervortritt, eine Gleichsetzung, die vor allem
Ricardo eigentümlich ist.
Wie bekannt, nimmt Ricardo an, dass mit dem
Lohn die ganze Arbeit bezahlt wird. Den unbezahlten,
nicht in Warenform erscheinenden Teil wollte er nicht
beachten, d. h., in dem Sinne, als er seine Bedeutung
für die technische Entwicklung zu untersuchen vergass.
Und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Wir
müssen unseren Gedanken unverhohlen aussprechen.
Wenn die meisten Nationalökonomen den Sinn der
Werttheorie nicht begreifen können, wenn es ihnen
gar nicht einfallt, sich zu fragen, wie eigentlich die
Entwicklung der Produktivität innerhalb des Systems
der Geldwirtschaft sich vollzieht, so kommt dies eben
der Eabrikakt eine ^^dipping Maschine", deren Dämpfe den
Arbeiter niclit erreichen können".
^ ♦) Nach Kantfiky ist der Untergang des Kapitalismus
unvermeidlich, weil die Kapitalisten die Technik entwickeln,
und die Arbeiter nach höheren Löhnen trachten. — Richtiger
wäre zu sagen: „Weil die Kapitalisten die Technik nicht ent-
wickelt hätten, wenn die Arbeiter nicht nach höheren Löhnen
trachteten."
- 40 -
daher, weil sie das für keine Frage halten. Die Pro-
duktivität der Arbeit wird entwickelt — - nun, eben weil
der Kapitalist an dem Lohne spart. Dass der Lohn
aber nicht die ganze zu sparende Arbeit ist, das
sehen sie einfach nicht ein'*').
Warum denn aber geht die technische Entwicklung
in unserer Gesellschaft nur unter ununterbrochenen Kon-
flikten vor sich? Warum degenerieren ganze Distrikte
und werden ganze Generationen verstümmelt? Warum
kann man ohne Fabrikinspektoren, Gerichte, Strafen
nicht auskommen, wenn die Kapitalisten die ganze
Arbeit sparen? Wenn sie wirklich richtig rech-
nen, wozu dann all' diese immerwährenden Korrek-
turen, die Frauen- und Kinderschutz, diese Schiedsge-
richte und Komissionen? Und warum entwickelt sich
die Technik nur unter dem Drucke der Arbeiteror-
ganisationen?*"')
Woher anderseits diese Macht der Arbeiterorgani-
sationen, die Notwendigkeit, die Arbeiter zu den
gesetzgebenden Instanzen zuzulassen, mit dem Sozialis-
mus als mit dem Volksglauben rechnen zu müssen
und von der Vergesellschaftung der Arbeitsmittel in
gelehrten Büchern zu diskutieren? Es dreht sich doch
alles um den Hauptfehler der kapitalistischen Ordnung,
den Profit, oder Mehrwert, oder die unbezahlte, daher
auch ökonomisch nicht berücksichtigte Arbeit, um
das Menschenleben, welches kein Geld kostet und da-
*) Vrgl. liierzu K., I, 497—606. „Die klassische politische
Oekonomie stösst annähernd auf den wahren Sachverhalt, ohn^
ihn jedoch bewasst zu fonnnlieren. Sie kann das nicht,sO«
lange sie in ihrer bürgerlichen Haut steckt/^
**) „Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser
^ar akterisieren, als die Notwendigkeit, ihr dnrch Zwangs-
gesetz ^von Staats wegen die einfachsten Eeinlichkeits- und
GesondheitsYorrichtnngen auf zuherrschen ?" (447).
— 41 —
her ruhig vergeudet und vernichtet wirdi „Aus dem
Blut kleiner Kinder wird Seide gesponnen/^ „Die
Wohlfeilheit des in Ware verwandelten Menschen-
schweisses und Menschenblutes" bedingt die Wohl-
feilheit der Ware auf dem kapitalistischen Markte.
In Chicago ziehen es die Eisenbahngesellschaften
heute noch vor, Menschen zu verstümmeln und ihnen
kärgliche Pensionen auszuteilen, als den Verkehr
rationeller zu gestalten. Das letztere wurde nämlich
mehr Geld kosten. Das Verfahren ist nicht neu. „Ein
grosses Eisenbahnunglück hat hunderte von Passa-
gieren in die andere Welt expediert. Die Nachlässig-
keit der Eisenbahnarbeiter ist die Ursache des Un-
glücks. Sie erklären vor den Geschworenen . . . man
habe sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt.
Sie seien gewöhnliche Menschen und keine Cyklopen." . .
Das Gericht äussert im Anhang an das Urteil den
frommen Wunsch, „die Herren Kapitalmagnaten der
Eisenbahn möchten doch inZukunftverschwenderischer
im Ankauf der nötigen Anzahl von „Arbeitskräften" .
und „enthaltsamer" oder „entsagender** oder „sparsamer"
in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein".*)
(Fragen eines Kapitalisten.) „Glaubt ihr nicht, dass
auch die Minenbesitzer Verluste bei den Explosionen
haben?" — „Würde die Ventilation aller dieser
alten Werke nicht viel Kosten verursachen?" — (Ant-
wort eines Arbeiters:) „Ja, Unkosten möchten er-
wachsen, aber Menschenleben würden be-
schützt". **)
*) I, 215. (Vergl. dazu 226, Anm. 103: „Enthaltsamkeit,
Eotsagung und Sparsamkeit der Kapitab'sten in Veraus-
gabung ihres Geldes und ihre Timur-Tamerlansche
Verschwendung von Menschenleben.)
**) K. 1, 406 und 467. — „Unsere Einwürfe gegen die Nichtan-
— 42 —
Man versuche, alle diese Tatsachen anders zu er-
klären, ohne zum Wertgesetz und der Lehre von der
Mehrarbeit seine Zuflucht zu nehmen, dann erst hat
man Marx widerlegt. Bis dahin steht aber fest, dass
Menschenleben für das Kapital keine Unkosten sind,
denn das Kapital hält nur den Arbeitslohn für Un-
kosten, die Mehrarbeit dagegen nicht für die Unkosten
der Produktion, die zu vermindern wären, sondern
für den Profit, dessen Höhe, mag sie tausende Leben
kosten, den technischen Fortschritt des Kapitalismus
misst. „Was die Ware dem Kapitalisten kostet und
was die Produktion der Ware selbst kostet, sind aller-
dings zwei ganz verschiedene Grössen. Der aus Mehr-
wert bestehende Teil des Warenwertes kostet dem
Kapitalisten nichts, eben weil er dem Arbeiter unbe-
zahlte Arbeit kostet. Dajedoch auf Grundlage der kapi-
talistischen Produktionder Arbeiter selbst, nach seinem
Eintritt in den Produktionsprozess, ein Ingrediens des
in Funktion begriffenen und dem Kapitalisten zuge-
hörigen produktiven Kapitals bildet, der Kapitalist
also der wirkliche Warenproduzent ist, so erscheint
notwendig der Kostpreis der Ware für ihn als die
wirkliche Kost der Ware selbst. Nennen wir den
Kostpreis k, so verwandelt sich die Formel W=c+v+m
in die Formel k + m, oder Warenwert = Kostpreis +
Mehrwert.***).
„Die kapitalistische Produktion ist überhaupt, bei
aller Knauserei, durchaus verschwenderisch mit
dem Menschenmaterial**. **) „Die kapitalistische
Wendung von Jungen unter 18 Jahren zur Nachtarbeit würden
gemacht werden von wegen Vermehrung der Auslage,
aber dies ist auch dereinzigeG-rund. (Wie cynisch-naiv I) " (223).
♦) K., in, 2.
•♦) K, m, 61.
— 43 -
Produktion, wenn wir sie im einzelnen betrachten
und von dem Prozesse der Zirkulation und den lieber-
Wucherungen der Konkurrenz absehen, geht äusserst
sparsam um mit der verwirklichten, in Waren ver-
gegenständlichten Arbeit (c + v). Dagegen ist sie, weit
mehr als jede andere Produktionsweise, eine Vergeu-
derin von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine
Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern
auch von Nerven und Hirn." (III, 63.) „Es gehört
hierher die Unterdrückung aller Vorsichtsmassregeln
zur Sicherheit, Bequemlichkeit und Gesundheit der
Arbeiter. Ein grosser Teil der ScWachtbulletins, die
die Verwundeten und die Getöteten der industriellen
Armee aufzählen (siehe die alljährlichen Fabrikbe-
richte), stammt hierher. Ebenso Mangel an Raum,
Lüftung etc."'^)
„Im Prinzip ist der Anspruch auf Gesundheits-
schonung universell. Und im Interesse von Myriaden
Arbeiter und Arbeiterinnen, deren Leben jetzt ohne
Not verkümmert und verkürzt wird durch die unend-
lichen physischen Leiden, die ihre blosse Beschäfti-
gung erzeugt, wage ich die Hoffnung auszusprechen,
dass die sanitären Bedingungen der Arbeit ebenso
*) K, in, 64. — Ein Kapitalist, ein gewisser E.F.Sanderson,
sucht die Notwendigkeit der Nachtarbeit bei den Schmelzöfen auf
folgende Weise zn begründen: „Hält man sie im Gang, so
verwüstet man das Brennmaterial (statt dass jetzt das Leben
der Arbeiter verwüstet wird), und halt man sie nicht im G-ang,
so setzt das Zeitverluste im Wiederanlegen des Feuers und zur
Gewinnung des nötigen Hitzegrades (während der Verlust,
selbst Achtjähriger, an Schlaf zeit Gewinn von Arbeitszeit für
die Sandersonsippe) und die Oefen selbst würden vom Tem-
peraturwechsel leiden" (während dieselbigen Oefen nichts leiden
vom Tag- und Nachtwechsel der Arbeit).' (226.)
— 44 —
universell unter geeigneten gesetzlichen Schutz gestellt
werden."
So schrieb der Chef des englischen Gesundheits-
amtes im Jahre 1862 (III, 71 - 72). Diese Hoffnung
teilt mit ihm auch K. Marx. Ja, sie erreicht bei ihm
sogar die Stufe einer unumstösslichen Gewissheit. Die
Gesellschaft wird doch am Ende einsehen müssen,
dass die kapitalistische Wirtschaft, bei welcher Menschen-
leben geopfert werden, um eine Zahl, die Profit heisst,
zu erhöhen, keine wirklich menschliche Wirtschaft
ist. Glücklicherweise teilen nicht alle Bevölkerungs-
schichten diese unsinnige Auffassung der Produktion
des Profites willen mit den Kapitalisten. Die Arbeiter-
klasse, deren unbezahlte Arbeit den Profit bildet, strebt
instinktiv darnach, diesen Profit zu vernichten und
die kapitalistische Produktionsweise durch eine neue
zn ersetzen, die auf den reellen Reichtum, nicht auf
den imaginären Geldreichtum ausgeht. ^Unkosten
mögen erwachsen, aber Menschenleben würden ge-
schont. '^ Das ist die Losung der Arbeiterklasse, ihr
eigenstes Klasseninteresse. Von allen Gesellschafts-
klassen steht die Arbeiterklasse allein auf dem richti-
gen Standpunkte der Produktion für den Menschen,
sie allein ist imstande, den obersten Satz der ökono-
mischen Wissenschaft von der Ersparung der mensch-
lichen Arbeit zu erfassen und zu verwirklichen.
Darum gehört ihr auch die Zukunft. Die Gesellschaft
wird genötigt sein, die Leitung der Produktion aus
den Händen der Kapitalisten in die der Arbeiter zu
legen. Der Vertrag mit dem Individuum wird gelöst;
ein neuer sozialistischer Staat wird gegründet. Erst
dann wird jener Volkswohlstand aufblühen, von
welchem der Begründer der klassischen National-
Oekonomie (A. Smith), träumte und welchen die kurz-
sichtigen, von Geld geblendeten Kapitalisten niemals
herbeizuführen imstande sind.
— 45 —
Die Arbeiterklasse wird über die Kapitalistenklasse
siegen, nicht weil es die Moral verlangt, nicht weil
die heutige Verteilung eine ungerechte ist, sondern
weil die kapitalistische Produktion nicht mit der
ganzen menschlichen Arbeit haushält, und weil die
Arbeiterklasse die einzige Klasse ist, welche die
richtige Buchführung, die wissenschaftlich genaue
Arbeitsbilanz verwirklichen kann.
Zweiter Teil.
Die Dialektik des Wertgesetzes.
(Nach dem dritten Bande des „Kapital*'.)
Kapitel VI.
Der ^Widerspruch^ zwischen dem 1. und
3. Bande des ^KapitaF.
Wir haben nunmehr die ökonomischen Lehren von
K. Marx kennen gelernt, in dem Umfange, wie sie im
1. Bande des „Kapital" vorgetragen worden sind. Und
was hat die Kritik darauf bis auf den heutigen Tag
zu erwidern gewusst? Nicht mehr und nicht weniger
als dass — man höre und staune — das Wertgesetz
überhaupt nicht für die kapitalistische Wirtschaft
gelte. Marx habe es selber nur zu gut gewusst und
im 3. Bande die gesamten im 1. Bande gewonnenen
Resultate umgeworfen, indem er zugeben musste, dass
der kapitalistische Profit nicht aus der lebendigen
Arbeit allein, sondern aus dem gesamten vorge-
schlossenen Kapital herstamme.
Es ist überflüssig, den Leser besonders darauf
aufmerksam zu machen, dass diese Erwiderung auf
ein totales Missverständnis der Marxschen Mehrwerts-
lehre hinausläuft. Doch können wir nicht umhin, auf
- 47 -
die komische Seite dieses Missverständnisses hinzu-
deuten. Das Wertgesetz gelte nicht für die kapita-
listische Wirtschaft, oder mit anderen Worten, diese be-
ruhe durchaus nicht auf Ersparung der in Waren-
form vergegenständlichten menschlichen Arbeit — mit
diesem übereilten Argumente glaubt die Kritik Marx
schlagen zu können, ohne sich bewusst zu sein, dass
sie sich dabei noch sozialistischer gebärdet, als
ihr Gegner selbst. Denn Marx leugnet zwar, dass
der Kapitalismus sich die Sparung der ganzen
menschlichen Arbeit zur Aufgabe mache, wohl aber
räumt er ein, dass dieser in gewissem Sinne dennoch
mit der Arbeit haushalte — zwar nicht mit der ge-
samten, wenigstens aber mit der bezahlten, in Waren-
form erscheinenden Arbeit Hierauf weiss die Ge-
lehrtenwelt nichts besseres zu entgegnen, als dass die
Sache noch viel schlimmer stehe, dass die Preise auf
dem kapitalistischen Markte prinzipiell nichts mit
der Arbeit zu tun haben, — somit die kapitalistische
Produktion gar nicbt^ auf Ersparung der Arbeit be-
ruhe, — und dass dieses eben aus dem misslungenen
Beweise von Marx selbst sich ergebe, der das Gegen-
teil beweisen wollte.
Was ist der Grund dieses tragikomischen Miss-
verständnisses, welches schon mehr als 3 Jahrzehnte
dauert? Dieser Grund ist kein anderer, als die aller-
dings unbestrittene und von Marx im 3. Bande seines
„Kapital'' ausdrücklich zugestandene Tatsache, dass
die Durchschnittspreise auf dem kapitalistischen
Markte gewissermassen von den Werten abweichen.
Zwar beweist Marx, dass dieses keineswegs das von
ihm im ersten Bande begründete Hauptresultat wider-
ege, höchstens unbedeutend modifiziere; der Satz von
der Ersparung der bezahlten Arbeit allein bestehe
nach wie vor fort, — doch merken es die Kritiker
nicht, oder sie wollen es nicht merken. Sie sehen nur,
— 48 —
dass Marx selbst das Wertgesetz in seiner ursprüng-
lichen Fassung für die kapitalistische Wirtschs^ auf-
gibt, dass er somit, wie es üblich ist, sich auszudrücken^
— sich in Widersprüche verwickelt, so dass es nicht
einmal der Mühe wert ist, ihn ernstlich zu widerlegen.
Er habe sich selbst widerlegt, indem er im 3. Bande
ein ganz anderes Bild von dem Kapitalismus ent-
worfen habe, als im 1. Bande. „Der Widerspruch
zwischen dem 1. und 3. Bande des „Kapital^^ ist eine
stehende Phrase in allen Werken über den Marxismus
geworden, und indem die Kritiker diesen Wider-
spruch in den grellsten Farben auszumalen verstehen^
entheben sie sich jeder weiteren Pflicht, das zu be-
greifen, geschweige denn zu widerlegen, was Marx in
seinem 3. Bande sagen wollte. Es wird dem Leser
sofort klar, dass diese hier von uns gegen die Marx-
kritik erhobene Anklage wohl begründet ist, wie un-
wahrscheinlich dieses auch klingen möchte.
Unter der Voraussetzung, dass das Wertgesetz auf
dem Markte gilt, ergibt sich jener unumstössliche
Schluss, dass der Profit eines jeden Kapitalisten aus
der unbezahlten lebendigen Arbeit herrührt, und aus
diesem Grunde um so grösser sein muss, je mehr
lebendige Arbeit der Kapitalist beschäftigt. Ist der
durchschnittliche Lohn der Arbeitskraft gleich fünf
Stunden täglich, und der Arbeitstag gleich 10 Stunden,,
so fallen dem Kapitalisten von einem jeden von ihm
beschäftigten Arbeiter täglich 5 unbezahlte Stunden
zu, und je mehr Arbeiter, desto höher ist sein kapi-
talistischer Profit Was aber die von dem Kapitalisten
produktiv verausgabte tote Arbeit anbetrifil, so kann
aus ihr, wie gross sie auch sein mag, kein Profit ent-
springen, denn der Kapitalist verzeichnet sie richtig
und im vollen Umfange als Ausgabe des Produktions-
prozesses, er begeht dabei keinen Fehler, folglich
kann er auch zu keinem Profite kommen. Aus diesem
— 49 -
Grunde nennt Marx die tote Arbeit c constantes, den
Arbeitslohn v variables Kapital. Wenn der Kapitalist
die Ware, die ihm c + v gekostet hat, für ihren vollen
Wert c + V + m verkauft, so fliesst ihm die bei der
Anschaffung von Materialien und Werkzeugen ver-
ausgabte Summe c unverändert zurückt, die lebendige
Arbeit dagegen wird ihm voll mit der Summe v + m
rückvergütet, die den von ihm ausbezahlten Arbeits-
lohn V um die Grösse der verausgabten unbezahlten
Arbeit m übersteigt. Der in Arbeitslohn ausgelegte
Teil des Kapitals scheint mit jedem kapitalistischen
Umschlag anzuschwellen — daher der Name des
variablen Kapitals. So ist es in der Theorie; dem aber
scheint die kapitalistische Praxis zu widersprechen,
da in der Tat der kapitalistische Profit sich nach der
Grösse des gesamten Kapitals, und nicht allein nach dem
seines variablen Teiles richtet. Es gibt Produktiven
zweige, in welchen die tote Arbeit den grössten Teil der
Gesamtkosten ausmacht, und wiederum andere, in denen
die Produktionskosten vorwiegend durch die lebendige
Arbeit dargestellt werden, — doch ist in allen Pro-
duktionszweigen der Profit im Durchschnitt dem ge-
samten vorgeschossenen Kapital proportional.
Nehmen wir z. B. an, dass neben dem Ackerbau,
in welchem jährlich ein jeder Arbeiter 100 Mass Korn
aussäet und 200 erntet, es noch einen zweiten Zweig
der gesellschaftlichen Produktion gibt, wo das Korn
in Brot verarbeitet wird, und zwar gelinge es einem
jeden Arbeiter, jährlich 50 Mass Korn in Brotform zu
verwandeln. Setzen wir dann, wie früher, voraus,
dass jedes Mass Korn eine Geldeinheit kostet und der
jährliche Arbeitslohn gleich 50 Geldeinheiten ist, so
ergibt es sich nach der Werttheorie, dass die kapita-
listischen Ausgaben im Ackerbau gleich 150 auf einen
jeden beschäftigten Mann sind, das Produkt dagegen
200 Geldeinheiten kostet, somit der Profit gleich 80
Charasoff, Karl Marx. 4
— 50 —
auf das Kapital 150 ist Anderseits sind bei der
Brotproduktion die kapitalistischen Auslagen gleich
100 auf jeden Arbeiter und der Profit ebenfalls gleich
50; denn die jährliche Mehrarbeit eines jeden Arbei-
ters, ob er nun in der Brotproduktion oder im Acker-
bau beschäftigt wird, ist dieselbe, nämlich gleich
einem halben Jahre oder gleich 50 Geldeinheiten.
Die Mehrarbeit ist dieselbe, doch nicht das Kapital,
mit dessen Hilfe diese Mehrarbeit von dem Kapitalisten
angeeignet wird. Im Ackerbau ist dieses Kapital gleich
150, in der Brotproduktion nur gleich 100 Geldein-
heiten.
Wenn aber die kapitalistische Konkurrenz eine
vollkommen freie ist — und das wurde doch von den
Klassikern der Nationalökonomie vorausgesetzt — , so
ist der soeben geschilderte Sachverhalt einfach un-
möglich. Kein Kapitalist wird freiwillig den Acker-
bau betreiben, wo er, um einen Profit gleich 50 zu
erzielen, ein Kapital gleich 150 vorschiessen muss,
wenn er dasselbe Resultat in der Brotproduktion schon
mit einem Kapitale gleich 100 erzielen kann. Alle
werden sich auf die Brotproduktion werfen und den
Ackerbau meiden, solange es nur geht. Die Folge
davon wird eine Unterproduktion des Kornes sein,
welche ihrerseits die Brotproduktion verunmöglichen
wird, und es gibt keinen anderen Ausweg aus allen
diesen ökonomischen Missständen, als das Wertgesetz
auf dem Markte aufzuheben und solche Preise auf
Korn und Brot zur Geltung zu bringen, die zwar nicht
mehr den Werten dieser Waren gleichen, wohl aber
den Kapitalisten in beiden Produktionszweigen den-
selben Profit auf je 100 vorgeschossene Geldeinheiten
oder dieselbe Profitrate sichern.
Eine gleichmässige Verteilung der Kapitale unter
die verschiedensten Produktionszweige verlangt somit
gebieterisch, dass die Profitrate überall dieselbe ist,
— 51 —
dass gleiche Kapitale auch gleiche Profite abwerfen,
unabhängig davon, wie gross ihre Teile sind, die auf
Ankauf der toten und Dingung der lebendigen Arbeit
verwendet werden. Eine jede Kapitaleinheit, ob sie
nun als konstantes oder als variables Kapital fungiert,
muss profitbringend sein, und zwar muss sie genau
den gleichen Profit ab weifen. Das widerspricht jedoch
dem Wertgesetze; folglich — reflektieren die Marx-
kritiker — kann das Wertgesetz auf dem kapitalisti-
schen Markte nicht herrschen; und so wie Marx das
Gesetz der gleichen Profitrate anerkennt — und das
tut er ausdrücklich im 3. Bande seines „Kapital" — *),
gibt er selbst das Wertgesetz mit allen seinen Konse-
quenzen auf, und seine ganze Theorie zerfallt in
Trümmer.
Das ist jedoch keineswegs die Ansicht von K. Marx
selbst gewesen. Zwar gibt Marx unumwunden die
Tatsache zu, dass die kapitalistischen Warenpreise von
dem Wertgesetze in seiner ursprünglichen Fassung
abweichen, doch behauptet er zu gleicher Zeit, das
Wertgesetz fahre fort, für den kapitalistischen Markt
zu gelten, in dem Sinne, dass nach wie vor nur die
bezahlte oder in Waren vergegenständlichte, in der
Wertform erscheinende Arbeit gespart, die Mehr-
arbeit dagegen, die bei der Dingung der Arbeitskraft
nicht in den Wert dieser Arbeitskraft eingeht und
von dem Kapitalisten nicht bezahlt zu werden braucht,
„aufs schamloseste'* vergeudet wird. Selbstver-
ständlich betrachtet Marx dabei diese dem Kapitalis-
mus eigentümliche Abweichung der Preise von den
Werten nicht als Widerlegung seiner Theorie, wie das
seine . leichtsinnigen Kritiker tun wollen, sondern im
Gegenteil, er erblickt darin ein neues Zeichen der
Un Vollkommenheit der kapitalistischen Produktions*
*) S. K. in, 127—128 und passim.
— 52 —
weise, eine Bürgschaft för ihr natürliches Ableben und
ihren unvermeidlichen Verfall. Wir wollen jedoch
mit den Schlüssen, die Marx aus seiner endgültig ent-
wickelten Theorie der kapitalistischen Produktion
zieht, nicht voraneilen, bevor vrir den Leser in diese
Theorie selbst eingeführt haben.
Kapitel VII.
Die Harxsehe Preislehre.
Im ersten Bande wurde vorausgesetzt, dass der
Markt von der Gesellschaft, die Produktion von den
Kapitalisten regiert wird. Die Gesellschaft ging, indem
sie die Preise bestimmte, von dem richtigen Kosten-
begriflf aus, — daher herrschte das Wertgesetz auf dem
Markte; anderseits aber huldigten die Kapitalisten,
indem sie die Produktion vervollkommneten, ihrer
eigenen verkehrten Anschauung, wonach nur c + v
die Produktionskasten, m dagegen den Profit bildet.
Nun aber war eine solche Voraussetzung eine willkür-
liche Abstraktion, denn in der Wirklichkeit regiert der
Kapitalismus auf dem Markte wie in der Werkstatt.
Daher findet eine Abweichung der Produktionspreise
von dem Wertgesetze statt. Der Sinn dieser Ab-
weichung besteht darin, dass die verkehrte Auffassung
der Produktionskosten seitens der Kapitalistenklasse
an Stelle der richtigen auf dem Markte Platz greift. Sie
lässt sich am besten verfolgen, wenn man von der
Voraussetzung ausgeht, das Wertgesetz habe ursprüng-
lich auf dem Markte geherrscht und sei mit der Zeit
durch das Gesetz der Proportionalität zwischen den
Kapitalen und den von ihnen abgeworfenen Profiten
allmählich verdrängt worden. Nach dem Wertgesetze
— 53 —
erhält der Kapitalist einen Profit gleich m auf das
Kapital c + v. Dabei stammt der Profit von dem
variablen Teile des Kapitals her, oder von dem Kaufe
der Arbeitskraft, durch welchen der Kapitalist zu der
Möglichkeit kommt, die ganze lebendige Arbeit v + m
produktiv zu konsumieren, — für einen Arbeitslohn, der
nur gleich v ist. Doch braucht der Kapitalist selbst
nichts davon zu wissen, und er weiss auch in der
Tat nichts davon. Ihm ist nur das eine klar: er hat
eine bestimmte Summe k = c + v ausgegeben und
eine grössere Summe k + m beim Verkaufe seiner
Ware zurückerhalten. Wieviel Geld er auf Materialien
und Werkzeuge, vieviel auf Arbeitslohn verausgabte,
interessiert ihn nicht und kann ihn nicht interessieren.
Das von ihm vorgeschossene Kapital k hört vom
kapitalistischen Standpunkte auf, in seinen konstanten
Teil c und in seinen veriablen Teil v zu zerfallen.
Dementsprechend erscheint der Profit m als ein Zu-
wachs der ganzen vorgeschossenen Summe k, und
zwar so, dass jeder Teil dieser Summe einen gleich-
massigen Zuwachs im kapitalistischen Zirkulations-
prozesse erhält, k Geldeinheiten wachsen um m Geld-
einheiten, folglich wächst eine jede Geldeinheit, ganz
unabhängig davon, ob sie auf Anschaffung von Mate-
rialien und Werkzeugen oder auf Dingung der Arbeits-
kraft ausgegeben wurde, um ^ Einheiten. Aus einer
jeden Einheit 1 werden 1 + ^, aus k Einheiten werden
k (1 + ^), — das soll die Ansicht des Kapitalisten sein,
der nur k zu den Produktionskosten rechnet und auf
dem Markte den vollen Wert k + m seiner Ware
von der Gesellschaft ausbezahlt erhält. Nach der An-
sicht des Kapitalisten rührt der von ihm eingestrichene
Mehrwert nicht von der menschlichen Arbeit her, die
er nicht bezahlt hat, und die doch in seiner Ware
— 54 —
steckt, sondern von irgend einer magischen Kraft, die
jeder von ihm vorgeschossenen Geldeinheit innewohnt
und ihr die Fähigkeit verleiht, im Zirkulations-
prozesse anzuschwellen, oder mit einem Zuwachse zu
ihrem Eigentümer zurückzukehren, der sie in die
Zirkulation geworfen hat. Dieser Zuwachs heisst Profit-
rate, und er ist ursprünglich gleich -^, d. h. er ist
gleich dem Mehrwert, der durch das Kapital dividiert,
oder gleichmässig auf das ganze Kapital verteilt ge-
dacht wird. Diesen Zuwachs, und zwar einen immer
grösseren Zuwachs auf eine jede Kapitaleinheit zu er-
halten, wird nunmehr der einzige Zweck der gesamten
kapitalistischen Wirtschaft.
Nun ist aber dieser Zuwachs, oder die Profitrate,
ursprünglich verschieden in verschiedenen Produktions-
zweigen, und zwar um so kleiner, je mehr tote Arbeit
c auf eine jede Lohneinheit in dem betreffenden Pro-
duktionszweige kommt. Denn eine jede vorgeschossene
Lohneinheit kehrt zu dem Kapitalisten mit gleichem
Quantum Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit behaftet
zurück. Wird aber diese Mehrarbeit gleichmässig auf
das ganze, und nicht allein auf das variable Kapital
verteilt, so erscheint der Quotient, oder die Profitrate
um so kleiner, je mehr tote Arbeit auf eine jede Lohn-
einheit kommt. Diese Tatsache, verbunden mit dem
Wunsche eines jeden Kapitalisten, eine möglichst
hohe Profitrate zu erzielen, muss notwendig dazu
führen, dass alle Kapitale sich auf die Produktions-
zweige mit der höchsten Profitrate werfen. Daraus
entsteht notwendig eine Ueberproduktion in diesen
Produktionzweigen, und die Preise ihrer Produkte
müssen unter ihren Wert sinken. Dagegen steigen die
Preise der Produkte in anderen Produktionszweigen,
so dass schliesslich die Preise zwar von den Werten
abweichen, jedoch überall eine und dieselbe mittlere
— 55 —
Profitrate p sich herausbildet. Sowie das geschehen ist
wird ein jeder Kapitalist, der ein Kapital gleich k vor
geschossen hat, sein Produkt zu dem Preise k (1 + p!
m '
verkaufen. Ist dabei die Profitrate ^ in seinem eigenen
Unternehmen höher als die mittlere Profitrate p, so
verkauft er seine Ware unter ihrem Werte; ist aber
^ kleiner als p, so verkauft er über dem Werte. Das
Wertgesetz wird in seiner ursprünglichen reinen Form
verletzt, doch beherrscht nun das Gesetz der
gleichen Profitrate, das aus der Konkurrenz der
Kapitale sich notwendigerweise entwickelt, unum-
schränkt den Markt. Das ist es, was Marx zu seiner
Wertlehre, wie er sie im I.Bande des „Kapital** dargestellt
hat, in dem 3. Bande hinzufügt, und darin erblicken
seine Kritiker einen unlösbaren Widerspruch, einen
Verzicht auf die ganze Werttheorie. — Sehen wir näher
zu, ob es denn wirklich so ist oder nicht.
Der Wert einer Ware ist gleich k + m oder
k (1 + ^ ), der Preis dagegen gleich k (1 + p), wo p
die mittlere Profitrate bedeutet. Der Faktor k bleibt,
der Faktor 1 + ^ dagegen wird durch den Faktor
1 + p ersetzt, der bald grösser, bald kleiner, als ^
und für alle Waren derselbe ist. Das ist ja alles, was
uns Marx im 3. Bande sagt, und es ist auch ganz klar,
was er damit sagen will.*)
Der Kapitalist sucht den Preis, nicht den Wert
der Ware zu reduzieren, und da p (die mittlere Profit-
rate) ihm als gegeben gilt, und es nicht von ihm ab-
hängt, die mittlere Profitrate abzuändern, so kann er
den Preis reduzieren, nur indem er k reduziert oder an
der bezahlten Arbeit spart. Zu diesem Zwecke
♦) S. z. B. K. ni, 144.
— 56 -
führt er eine neue Produktionsweise ein. Ist es eine
mit niedrigerer Profitrate -g-, so sinkt auch der Faktor
1+ Y"^^^^™^^^ ™** ^^ ^' ^- ^®^ Wert k (1 + -g-)
sinkt mit dem Preise k (1 + p). Ist dagegen die
Profitrate y" eine höhere geworden, so kann H--g-80
hoch steigen^ dass, obwohl k fallt,dasProduktk (1 + -g")
wächst, oder dass der Wert der Ware steigt indem
ihr Preis sinkt. Der erste Fall, der am häufigsten vor-
kommt, erklärt, wie die Technik in der kapitalistischen
Wirtschaft sich nach der wahren Richtung entwickeln
kann; aber er zeigt auch, dass es nur auf Kosten der
Profitrate ^ geschieht, wodurch das Gesetz der fallen-
den Profitrate vorbereitet wird (darüber später). Der
zweite Fall illustriert dagegen den Widerspruch
zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und
dem Gesetze der gesteigerten Produktivität menschlicher
Arbeit. Er tritt dann ein, wenn Arbeitshände so billig
werden, dass es dem Kapital vorteilhaft erscheint, die
Maschine durch den Menschen, statt umgekehrt
den Menschen durch die Maschine zu ersetzen.
Dabei steigt die unbezahlte Arbeit so enorm,
dass auch der Wert der Ware steigt, trotz der
Reduktion der bezahlten Arbeit, was den Kapitalisten
wenig berührt, denn er rechnet die Mehrarbeit nicht
zu den Kosten, und für ihn sinken die Kosten dort,
wo sie für die Gesellschaft steigen. — Nun fragen wir
den unparteiischen Leser, wo denn der vermeintliche
„Widerspruch zwischen dem 1. und 3. Bande** steckt?
Es ist ja vielmehr Wort für Wort dieselbe Lehre.
Und, was die Hauptsache ist, es ist die einzige mög-
liche Lehre, die sich auf Grund des Prinzips der Pro-
— 57 —
duktivität menschlicher Arbeit ergeben kann, •— wie
wir es gleich in allen Einzelheiten beweisen wollen.
Der Haupteinwand, den die Kritiker gegen die
Marxsche Profittheorie geltend machen, besteht darin,
dass der Profit dem ganzen Kapital, nicht seinem va-
riablen Teile proportional sei — folglich stamme er
nicht von der unbezahlten Arbeit her. Aber ehe man
von dem Gesetze der Verteilung des Profites spricht,
muss man erst die Frage beantworten, was der Profit
eigentlich sei.*) Und erkennt man das Prinzip der Pro-
duktivität der Arbeit an, so gibt es keine andere Ant-
wort auf diese Frage als die, dass der Profit ein
Fehler ist, der in der Lohnarbeit seinen Ur-
sprung habe. An Stelle der gesamten Ausgaben an
lebendiger Arbeit tritt ein kleinerer Posten, der Arbeits-
lohn heisst. Wäre das nicht der Fall gewesen, so
würde es keinen Profit geben können. Man denke
sich den Profit nach einem beliebigen Gesetze verteilt
und unterstelle, dass der Lohn allmählich steigt, —
so tritt sicher einmal der Moment ein, wo der ganze
Profit zu nichte wird. Die Arbeitskosten der Produk-
tion bleiben dabei immer dieselben, die kapitalisti-
schen Kosten aber wachsen stetig an und decken sich
mit den wirklichen Kosten erst, wenn der Profit gleich
Null wird. Ist umgekehrt der Profil nicht gleich Null,
so heisst dies, dass die kapitalistischen Kosten unter
den gesellschaftlichen stehen, oder dass der Arbeits-
*) Herr Prof. L. v. Brotkiewicz will eine selbständige
Bechnongsmethode in die Wissenschaft einführen, nach welcher
sich die Profitrate unabhängig von der Werttheorie „auf einen
korrekten mathematischen Ausdruck'' bringen lässt, zu gleicher
Zeit aber gibt er selbst zu, dass die Tatsache des Profites nur
auf Grund der Mehrwertlehre, die er „Abzugstheorie*' nennt,
erklärt werden kann. (S. seine Aufsätze: „Wertrechnung und
Preisrechnnng im Marxschen System" im Archiv für Sozial-
wissenschaft etc.)
— 58 —
lohn niedriger ist, als die Arbeitsmenge, die der leben-
dige Arbeiter im Prozesse der Produktion verausgabt,
— hiermit, dass die Produktion nach einem fehler-
haften Kostenprinzip sich entwickelt. Was ändert der
Umstand an der Sache, dass die Mehrarbeit propor-
tional nicht dem variablen, sondern dem gesamten
Kapital verteilt wird? Sie bleibt unter allen Umstän-
den Mehrarbeit, d. h. eine der Theorie widersprechende
Zahl, ein Rechenfehler, den der Kapitalismus, anstatt
zu beseitigen, zu erhöhen bestrebt ist Nach wie vor
wird dieser Erhöhung der Volkswohlstand geopfert.
Weiter wendet man gegen Marx ein, er habe im
ersten Bande seines „Kapital^ die Konkurrenz aus-
drücklich als Bedingung des Wertgesetzes vorausge-
setzt, im dritten dagegen gezeigt, dass eben die Kon-
kurrenz der Kapitale die Abweichungen von dem
Wertgesetze hervorruft — was auf einen inneren
Widerspruch hinauslaufe. Doch muss man bedenken,
dass Marx im 1. Bande von dem fertigen Begriffe der
Konkurrenz ausging, wie ihn die klassische Schule
ausgebildet hatte, die in der Konkurrenz eine Art ge-
sellschaftliche Kontrolle über die Kapitalisten erblickte
Im 3. Bande dagegen zeigte Marx, dass die kapitalisti-
sche Konkurrenz, weit entfernt, eine gesellschaftliche
Kontrolle zu sein und das Wertgesetz für eine jede
einzelne Ware durchzuführen, das Grundgesetz der
kapitalistischen, und nicht der menschlichen
Produktion zum Ausdruck bringe, nämlich das Gesetz
der gleichen Profitrate. Wenn das ein Widerspruch ist,
so ist es ein Widerspruch der klassischen Schule,
den Marx zur Anschauung bringt, und durchaus nicht
ein seiner eigenen Theorie immanenter Widerspruch,
wie seine Kritiker voreilig schliessen wollen.
Die Aufgabe war doch für Marx das Irrationelle
der kapitalistischen Konkurrenz aufzudecken. Ihrem
Wesen nach widerspricht die kapitalistische Konkur-
— 59 —
renz dem Wertgesetz, denn sie ist auf die Herstellung
einer gleichen Profitrate gerichtet, was nur dann er-
reicht werden kann, wenn einige Waren über, andere
unter ihrem Werte verkauft werden. Um diese Tat-
sache kritisch zu beleuchten, musste Marx zuerst vor-
aussetzen, dass das Wertgesetz auf dem Markte gilt,
und zugleich zeigen, dass dieses mit einer falschen
Definition der Produktionskosten seitens der Kapital-
listen notwendig verbunden ist. Erst wenn dieses
begriffen isi, wird es möglich, zu verstehen, wie prin-
zipiell unter oder über dem Werte verkauft werden
kann, obwohl der Wert die richtigen gesellschaftlichen
Produktionskosten für eine fertige Ware angibt.
Die Kapitalisten rechnen nämlich anders als die
Gesellschaft. Ein Kapitalist, in dessen Werkstatt das
Quantum k + m Arbeit verausgabt wurde, und der
nur k für Ausgaben hält, wird sich freuen, wenn er
seine Ware unter k + m, jedoch über k losschlägt.
Er realisiert dabei nicht die ganze, bei der Produktion
verausgabte Arbeit, er vollzieht eine vom gesellschaft-
lichen Standpunkte aus sehr unvorteilhafte und be-
denkliche Operation, und doch ist er zufrieden, weil
er mehr zurückerhält, als seine Kosten waren, weil
er nichts von der Mehrarbeit weiss, die unter seinem
Kommando ausgegeben wurde; die hat er doch nicht
bezahlt, die ist keine Kost für ihn. Hätte er sie
selbst ausgeben müssen, so würde er sie nicht ver-
gessen können, und er würde auch nicht bestrebt sein,
eine allgemeine Profitrate durch die Konkurrenz zu-
stande zu bringen, denn dann würde er einsehen, dass es
überhaupt keinen Profit gibt. Da er aber Kapitalist
ist, d. h. ein Leiter der Produktion, der andere
gegen Lohn arbeiten lässt, so weiss er von der Mehr-
arbeit nichts und begreift auch nicht, dass sie Ver-
ausgabung menschlicher Kraft ist, und fühlt sich ganz
wohl, wenn er seine Ware unter ihrem Werte, jedoch
60
über seinen Produktionskosten losschlägt und einen
Profit einsteckt. Dass dieser „Profif* nicht einmal
die ganze in seiner Werkstatt verausgabte Mehrarbeit
deckt, dass er, strenge gesprochen, einem Verluste
gleichkommt, kann ihn nicht interessieren, denn er
weiss nichts von der Mehrarbeit, von der unbezahlten
Arbeit, — eben weil er Kapitalist ist.
Kapitel VIII.
Warum die Kritiker die Marxsehe Preislehre
nicht verstehen.
Wir haben uns soeben überzeugt, dass Marx ganz
logisch gehandelt hat, wenn er zuerst das Wertgesetz
auf dem Markte postulierte, dann aber zu den Ab-
weichungen von dem Wertgesetze durch die Konkur-
renz überging. Es gibt eben keine Möglichkeit, das
Eigentümliche der kapitalistischen Konkurrenz zu be-
greifen, als indem man sich darüber Rechenschaft
ablegt, dass es eine Mehrarbeit, eine unbezahlte
Arbeit gibt, von welcher die Kapitalisten nichts wissen
und welche sie in der Produktion und bei der Preis-
bestimmung nicht berücksichtigen. Den besten Beweis
dafür liefern die Marxkritiker: da sie vom Wertgesetze
nichts wissen wollen, so sehen sie das Irrationelle der
kapitalistischen Konkurrenz nicht, und einige von
ihnen wollen sogar direkt auf ihr die Preislehre ba-
sieren. Sie wollen den kapitalistischen Verkehr stu-
dieren, ohne sich vorerst gefragt zu haben, ob die
Produktion auch rationell eingerichtet ist. „Es entspricht
übrigens — sagt Marx, der seine Kritiker wohl kannte
— - dem bürgerlichen Horizonte, in welchem das »Ge-
— 61 —
schäftchen« den ganzen Kopf einnimmt, nicht im
Charakter der Produktionsweise die Grundlage der ihr
entsprechenden Verkehrsweise zu sehen, sondern um-
gekehrt."*)
Dieses vorwiegende Interesse für die Verkehrsweise
ist in der Tat für die ganze Marxkritik charakteristisch
und verhängnisvoll. Das Verständnis für das Problem
der Produktivität geht ihr so gut wie ganz ab, und
sie erblickt in der Werttheorie einen Versuch, die
Preise auf einem konkreten kapitalistischen Markte
theoretisch abzuleiten, nicht aber, wie es Marx' eigent-
licher Gedanke war, ein Hilfsmittel zur anschaulichen
Darstellung des Irrationellen in der kapitalistischen
Oekonomie. Die Kritik tritt an die Werttheorie mit
der Forderung heran, ihr gleichsam eine unfehlbare
Preisliste für alle möglichen Konjunkturen des wirk-
lichen Marktes zu liefern; die Preisliste und die Kon-
junktur sind für sie die höchsten Begriffe der national-
ökonomischen Wirtschaft geworden, und da die Wert-
theorie nicht imstande ist, auf alle Details der Kon-
kurrenz mit einer praktischen Genauigkeit eine Ant-
wort zu geben, so verwerfen die Kritiker sie, obwohl
sie ihrerseits auch keine genauere Preislehre auszu-
bilden vermögen, ja sogar selbst gestehen, eine solche
peinlich genaue Preislehre sei infolge der Kompliziert-
heit des Gegenstandes eine Sache der Unmöglichkeit.
Was aber die andere, viel tiefere und einzig der
Beachtung einer Wissenschaft würdige Frage über die
Entwicklung der Produktivität der menschlichen Arbeit
anbetrifft, so begreifen die meisten Kritiker diese Frage
nicht einmal, darum können sie- auch die Antwort
nicht würdigen, welche die Marxsche Werttheorie auf
*) Kap. n, 88-89. — Was aber die Konkurren nicht
zeigt, das ist die Wertbestimmang die die Bewegung der
Produktion beherrscht (Kap. in, 188).
— 62 -^
diese Frage gibt. Das innere Wesen des Kapitalismus
besteht in der Ersparung der bezahlten toten und in
der Verschwendung der unbezahlten lebendigen Arbeit
— will Marx mit seiner Werttheorie sagen. Statt
diesen einfachen Gedanken erst zu verstehen und dann
— wenn es möglich ist — zu widerlegen, bemüht man
sich aus allen Kräften nachzuweisen, dass die kapi-
talistischen Preise sich nach einem ganz anderen, von
dem Begriffe der Arbeit unabhängigen Gesetze bilden,
dass Mai-x den Ursprung des Profites und das Eigen-
tümliche der kapitalistischen Konkurrenz falsch zur
Darstellung gebracht habe, und man übersieht dabei die
Hauptfrage, um die sich alles dreht — die Frage dar-
nach, was in einer vollkommenen menschlichen Wirt-
schaft gespart werden muss und was in der wirk-
lichen kapitalistischen gespart wird. Man klammert
sich an einen jeden zweideutigen Ausdruck, an eine
jede Stelle, die bei einer oberflächlichen Lektüre miss-
verstanden werden kann, um zu beweisen, dass Marx
sich überall selbst widerspricht oder dass seine Resul-
tate nicht unbedingt richtig sind und folglich falsch
sein müssen. Was die inneren Widersprüche der
Marxschen Theorie anbetrifft, so haben wir schon
gezeigt, dass sie in vollem Masse nur in der Einbil-
dung der Kritiker existieren. Jetzt bleibt uns noch
übrig, in kurzen Worten den letzten Einwand der
Kritik zu erwähnen und zu prüfen, nämlich, dass die
von Marx aufgestellte Formel für die kapitalistischen
Preise keine "genaue ist.
Wie wir wissen, ist nach der Marxschen Formel
der Produktionspreis einer Ware gleich k (1 -f- p),
oder gleich dem Werte des Kapitals multipliziert mit
1 plus die mittlere Profitrate. Nun machen alle
Kritiker darauf aufmerksam, dass Marx mit dieser
Formel das Wertgesetz für die einzelnen Waren auf-
hebt, anderseits aber dasselbe Wertgesetz für die
- 63 ~
Kapitale beibehält. Denn der Preis der Ware ist offen-
bar gleich dem Preise des Kapitals, multipliziert mit
1 + p, Marx aber nimmt statt des Preises den Wert
des Kapitals in seine Formel hinüber, was darauf
hinausläuft, dass der Preis des Kapitals gleich dem
Werte ist, oder dass das Wertgesetz fortfährt für die
Kapitale zu gelten.
Nun muss darauf erwidert werden, dass, was an
diesem Einwände richtig ist, nicht gerade von den
Kritikern entdeckt, sondern von Marx selbst aus-
gesprochen worden ist. Marx erkennt ohne Umstände
eine gewisse Ungenauigkeit seiner Formel an, doch fügt
er dabei hinzu, dass, da ein jedes Kapital eine Zu-
sammensetzung von verschiedenen Waren sei, und
für einige von diesen Waren der Preis über, für
andere unter dem Werte stehe, sich die Abweichungen
in der Summe gegenseitig aufheben, und der Preis
des Kapitals seinem Werte schliesslich gleichkomme.
Ein Irrtum ist stets möglich, — sagt Marx, „wenn
in einer Produktionssphäre der Kostpreis k der Ware
dem Wert der in ihrer Produktion verbrauchten Pro-
duktionsmittel gleichgesetzt wird'S „Jedoch löst sich
dieses (der Irrtum) stets dahin auf, dass, was in der
einen Ware zu viel, in der anderen zu wenig für
Mehrwert eingeht, und dass daher auch die Ab-
weichungen von Wert, die in den Produktionspreisen
der Waren stecken, sich gegeneinander aufheben.'*
Selbstverständlich meint Marx damit nicht, dass sie
sich vollständig aufheben; jedoch in einem Grade, der
nur einen unbedeutenden irrelevanten Fehler zurück-
lässt.
Es gibt überhaupt sehr wenig Aufgaben — und
nicht allein in der Nationalökonomie, sondern auch
in so in der genauen Wissenschaften, wie Physik
und Mechanik — , die ohne jeden Fehler auf-
gelöst werden können. Es kommt aber nicht auf den
— 64 —
Fehler, sondern auf seine Grösse an, — und diesen
Umstand haben die Kritiker unbegreiflicherweise
ausser Acht gelassen. Alle pochen auf den Fehler,
den Marx begangen hat; wie gross er aber ist, unter-
lassen sie alle nachzuprüfen.
Nach Ricardo fallen die Preise theoretisch mit
den Werten zusammen, und es existiert kein Wider-
spruch zwischen der kapitalistischen und rationellen
Produktionsweise. Nach Marx ist der Preisausdruck
gleich k (1 + p\ worin p die mittlere Profitrate
ist, — somit weichen die Produktionspreise von den
Werten ab, und nicht die gesamte, sondern nur die
im Kapital bezahlte Arbeit wird gespart. Dadurch
werden die Produktionspreise nur im ganzen richtig^
im Einzelnen ungenau angegeben. Das erkennt Marx
selbst an, und das wiederholen seine Kritiker. Es
bleibt jedoch die Frage zu lösen, wer der Wahrheit
näher gekommen ist, — Marx oder Ricardo. Ist die
kapitalistische Produktion eine rationelle in
dem Sinne, dass über die gesamte von der Ge-
sellschaft verausgabte Arbeit Buch geführt
wird, oder hält vielmehr der Kapitalist mit
der bezahlten Arbeit allein Haus?
Behaupten wir das erste, so können wir weder
begreifen, woher der Profit kommt, noch warum der
Kapitalist in der Verlängerung des Arbeitstages, in der
Intensifikation der Arbeit und anderen Abzügen am
menschlichen Leben einen technischen Fortschritt zu
erblicken geneigt ist. Setzen wir aber voraus, dass
der Kapitalist indem er das Kapital spart, nur die be-
zahlte Arbeit spart, die unbezahlte dagegen als Profit
ansieht, so werden uns alle Eigentümlichkeiten des
kapitalistischen Systems auf einmal klar. Folglich
hat Marx den Nagel auf den Kopf getroffen, folglich
kommt die Behauptung, der Preis sei gleich k (1 + p)^
~ 65 —
der Wahrheit näher, als die Behauptung, der Preis
sei genau gleich dem Werte k (1 + ^).
Dasselbe wird durch die mathematische Analyse
der Preisformel bestätigt, die wir bei Marx vorfinden.
Ein jedes Kapital ist nichts anderes, als eine Zusam-
mensetzung bestimmter Waren, wie Kohle, Maschinen,
Arbeitskraft und dergleichen. Einige von diesen
Waren werden über, andere unter ihrem Werte ver-
kauft, und in der Summe müssen sich die Abweichun-
gen der Preise von den Werten gewissermassen aus-
gleichen. Folglich begeht man, wenn man den Preis
eines Kapitales gleich seinem Werte setzt, einen viel
geringeren Fehler, als wenn man diese Gleichsetzung
für jede einzelne Ware durchführt, und folglich hat
Marx mit seiner Preisformel ohne jeden Zweifel mehr
recht, als die klassische Schule mit ihrer Behauptung,
dass die Preise der kapitalistischen Waren unmittel-
bar ihren Werten gleichkommen.
Dies alles steht fest und ist von Marx bewiesen.
Seine Kritiker scheinen damit unzufrieden zu sein
und verlangen eine noch genauere Preislehre. Nun
wohl, sie mögen eine solche ausbilden, sie mögen die
Preise noch genauer berechnen, als Marx es tat, —
dabei aber nicht den inneren Zusammenhang
zwischen dem Preise und der verausgabten
Arbeit aus den Augen verlieren, — den Zusam-
menhang, ohne dessen Anerkennung man schlechter-
dings nicht imstande ist zu begreifen, wie sich die
Produktivität der menschlichen Arbeit in der heutigen
Wirtschaft entwickelt.*) Finden die Kritiker einen
solchen genaueren Preisausdruck, so werden sie auf
dem Gebiete der Preislehre einen Vorsprung vor Marx
gewinnen. Doch schwerlich wird es ihnen gelingen.
*) Vrgl. hieran Kap. m, 8. 147.
OhArAtoff, Karl Marx.
dadurch den Satz umzuwerfen, dass der Kapitalismus
im ganzen auf Ersparung der bezahlten und Ver-
schwendung der unbezahlten Arbeit basiert. Und auf
diesen Satz kommt es Marx allein an. Die Aufgabe,
die Marx sich gestellt hat, ist diese: die kapitalistische
Produktionsweise zu definieren und der Kritik zu
unterwerfen. Was aber die Einzelheiten der Ver-
kehrsweise anbetrifft, so überliess er sie ruhig dem
Studium jener Gelehrten, die sich für den Verkehr
besonders warm interessieren, ohne ihn jedoch besser
ergründen zu können als Marx, dem er Nebensache
war. Denn vergessen wir es nicht: man wirft Marx
unaufhörlich die Ungenauigkeit seiner Preislehre vor,
doch bleibt auch hier alles auf seinem Fleck, und
wir haben bis jetzt keine Preislehre, die erwähnens-
werte und übersehbare Korrekturen in die Marxsche
Formel gebracht hätte. Den besten Beweis dafür
liefert ein eigentümlicher Einwand gegen Marx, den
man in der letzten Zeit immer häufiger zu hören be-
kommt. Man wendet nämlich gegen Marx ein, dass
es überhaupt unmöglich sei, ein so subjektives Ge-
bilde, wie der Preis es ist, in irgendwelche mathema-
ische Formel hineinzuzwängen. In diesem skepti-
schen Verhalten gegen das Preisproblem offenbart sich
am besten die Plattheit der modernen nationalökono-
mischen Weisheit: man hat allmählich die Frage
nach der Entwicklung der Produktivität, nach der
Produktionsweise, durch die Frage nach den Markt-
preisen, nach der Verkehrsweise, aus dem Horizonte
des wissenschaftlichen Interesses verdrängt, nur um
schliesslich einzugestehen, dass man auch diese nicht
zu lösen fähig ist.
Als Friedrich Engels im Jahre 1885, 9 Jahre
vor dem Erscheinen des 3. Bandes des „Kapital'',
der Marxkritik verkündete, in diesem Bande
weise Marx die Gültigkeit des Wertgesetzes für die
— 67 —
kapitalistische Produktion nach, trotz der Aus-
gleichung der Profitrate — haben alle darin eine Mysti-
fikation sehen wollen und sich ob dieser unerhörten
^Unverfrorenheit* empört. Und doch hatte Engels
mit seiner Behauptung vollständig recht. Natürlich
gibt Marx im dritten Bande das Wertgesetz als Preis-
gesetz auf, denn er gesteht unumwunden, dass der
Preis einer jeden einzelnen Ware nicht direkt ihrem
Werte gleichkomme, — was er übrigens schon an un-
zähligen Stellen seines ersten Bandes ausdrücklich
hervorhebt. Doch hat Marx wirklich bewiesen, dass
das Wertgesetz im ganzen die kapitalistische Produk-
tion beherrscht, dass es das Gesetz der kapitalistischen
Oekonomie ist. Nur die in der Wertform erschei-
nende Arbeit wird gespart, die Mehrarbeit dagegen
wird vergeudet. «Die kapitalistische Produktion ist
überhaupt, bei aller Knauserei, durchaus verschwen-
derisch mit dem Menschenmaterial." Das ist ja das
Wertgesetz, der Fetischismus der Waren weit, in
welcher die Ware höher geschätzt wird, als der leben-
dige Mensch. Le mort saisit le vif, der toten Arbeit
wird der Vorzug vor der liebendigen gegeben. Wert-
unkosten werden gespart, Menschenleben wird nicht
geschont. Statt die gesamte Arbeit zu den Unkosten
der Produktion zu zählen, spart man nur an Werten,
an der in Warenform vergegenständlichten Arbeit.
In diesem Sinne beherrscht die Wertrechnung nach
wie vor die kapitalistische Produktion.
Anhang zu Kapitel VIIL
Dass anf Grund des Wertgesetzes eine vollkommen genaae
Preislehre sich entwickeln läset, wird im 11. Buche ausführ-
lich zur Darstellung gebracht werden. Hier wollen wir für
die in der Mathematik bewanderten Leser nur kurz die
Resultate unserer weiteren Untersuchungen mitteilen. Ist der
6*
— 68 ~
Wert w der Ware gleich k + ni, und ist k' + m' der Wert
des Kapitels k, wobei also k' den Wert jenes Kapitales be-
deutet, welches bei der Herstellung von k verbraucht wurde
und welches wir „Kapital zweiter Ordnung '^ nennen wollen,
so folgt w = k' + na' + m, und wir werden zeigen, dass der
Preis des Kapitals zweiter Ordnung seinem Werte k' noch
näher kommt, als der Preis des Kapitales erster Ordnung
seinem Werte k. Setzen wir den Preis des Kapitales zweiter
Ordnung gleich seinem Werte k i, so begehen wir somit einen
noch geringeren Fehler. Daraus folgt für den Preis des
Kapitales erster Ordnung der Ausdruck k' (1 -j- p)» für den der
Ware der Ausdruck k' (1 -J- p) 2 Die Arbeit k' wird gespart,
die Arbeit m' + m. dagegen, die gleichfalls in den Wert der
Ware eingeht und unbezahlte Mehrarbeit darstellt, ent-
zieht sich der kapitalistischen Kostenrechnung.
80 kann man beliebig weit fortfahren. Fährt man z. B.
den Begriff eines Kapitales dritter Ordnung ein und setzt
k' = k" + m". folglich w = k" + m" + m' + m, so erhält man
einen noch genaueren Preisausdruck k" (1 -f- p) * uaw. Für die
mittlere Profitrate p ergibt sich zugleich eine Beihe von immer
genaueren Zahlenwerten:
m m' m"
k"» Y" k*» • • •
Das Gesetz der kapitalistischen Oekonomie besteht hier-
nach nur in der Ersparung jener Arbeit, die in den Kapitalen
n-ter Ordnung (bei genügend grossem n) vergegenständlicht
ist. Sind zwei Waren mit den Werten w und W auf dem
kapitalistischen Markte äquivalent, d. h. haben sie einen und
denselben Preis, so folgen daraus mit einer immer wachsenden
Genauigkeit die Gleichungen
w = W
k = K
k' = K'
k(n) = K(i»)
somit haben für zwei äquivalente Waren die Kapitale n-ter
Ordnung einen und denselben Wert. Wir werden jedoch noch
weiter beweisen, dass diese Kapitale k(]>) und KCn) voll"
kommen identisch sind, und dass somit die kapitalistische
Oekonomie in der Erparung eines Kapitales von ^nem ganz
bestimmten Typus, den wir Urtypns nennen, besteht. Ist K
ein Qrtypns, und M die zugleich mit ihm verausgabte Mehr-
arbeit, so ergibt sich erstens: dass das Mehrprodukt, welches
mit Hilfe des Kapitals K gewonnen wird, wiederum ein
ürtypus ist, und zweitens, dass die allgemeine Profitrate durch
die Formel p = -=r- vollkommen genau angegeben wird. Erst
i^
nachdem wir diese Sätze ausführlich bewiesen haben werden,
werden wir den sicheren Boden für die Kritik des Kapitalismus
und die Yergleichung des kapitalistischen Sparprinzipes mit
der y menschlichen** Oekonomie [gewinnen, die auf die Er-
sparung der gesamten verausgabten Arbeit ausgeht.
Kapitel IX.
Der Fall der Profitrate. Der wahre Wert
einer Ware ist k + m, die kapitalistischen Kosten
ihrer Produktion sind gleich k. So viel kostet die
Ware den Kapitalisten, der die in ihr steckende Mehr-
arbeit m nicht bezahlt hat und nicht zu den Kosteii
rechnet. Doch verkauft er sie nicht zu dem Selbst-
kostenpreis, sondern mit einem Aufschlag, der dem
Selbstkostenpreise proportional und gleich kp ist,
wenn p die mittlere Profitrate bedeutet. Auf eine
jede von ihm vorgeschossene Kapitaleinheit schlägt
der Kapitalist beim Verkaufe die Profitrate p auf und
veräussert die Ware, die ihm k gekostet hat, zum
Preise k (1 + p)* Ist die Profitrate p gegeben, so er-
hält der Kapitalist einen um so grösseren Profit, je
grösser das von ihm vorgeschossene Kapital war; und
ist das Kapital gegeben — je grösser die Profitrate ist
Mit einem kleineren Kapital kann ein grösserer Profit
erzielt werden, wenn die Profitrate entsprechend hoch
ist. So z. B. ist bei einer Profitrate = 25®/o der Profit
— 70 —
auf 100 Kapitaleinheiten gleich 25, bei einer Profit-
rate s= lOVo nur gleich 20 auf 200 Kapitaleinheiten.
Die kapitalistische Oekonomie besteht in der Er-
sparung der bezahlten Arbeit oder des Kapitals. Die
Aufgabe ist, bei einer möglichst kleinen Auslage an
Kapital so viel als möglich zu erzielen, mit andern
Worten die Profitrate zu erhöhen. Früher haben wir
vorausgesetzt, die kapitalistische Produktion gehe auf
die Gewinnung der Mehrarbeit oder des Profites aus;
das war ungenau und muss jetzt dahin korrigiert
werden, dass die Erhöhung der Profitrate, nicht
des Profites, der eigentliche Zweck der kapitalistischen
Wirtschaft ist.
Was ist nun diese zu erhöhende Profitrate? Dar-
auf gibt uns Marx die folgende Antwort. Die ausge-
glichene Profitrate ist gleich der gesamten in der
ganzen kapitalistischen Gesellschaft unbezahlt ge-
bliebenen Mehrarbeit M, dividiert durch das
ganze gesellschaftliche Kapital K. Diese Antwort,
obwohl mit einigen Ungenauigkeiten verknüpft (was
Marx selbst zugibt und was ihm die Kritiker nicht
müde werden, tausendmal vorzuhalten) trifft jedoch im
grossen und ganzen zu, und wir wollen sie hier ohne
weitere Analyse akzeptieren; so kommen wir zu der
Formel p s= ^, die uns das Interesse der gesamten
Kapitalistenklasse anschaulich zur Darstellung bringt.*)
Die Kapitalisten als Klasse sind bestrebt, das Ver-
hältnis der unbezahlten Arbeit M zu der bezahlten
Arbeit K zu erhöhen. 'Die Gesellschaft verlangt aber
das umgekehrte: je mehr Arbeit bezahlt wird und je
*) Der abeolnt genaue Aosdrack für die Profitrate soll im
2. Buch entwickelt werden. Im übrigen verweisen wir anf die
oben schon citierten verdienstvollen Arbeiten L. v. Bortkiewicz's,
auf welche wir im 2. Bande noch ausführlich zn sprechen
kommen werden.
— 71 —
weniger unbezahlt bleibt, desto näher fällt die kapita-
listische Auffassung der Produktionskosten mit der
gesellschaftlichen zusammen, desto vollkommener ist
die Produktion. Hiermit wird aufs neue gezeigt und
erwiesen, dass das kapitalistische Interesse sich in
einem direkten Gegensatze zum gesellschaftlichen be-
findet, während das Bestreben der Arbeiterklasse, die
Mehrarbeit durch Lohnerhöhungen und Verkürzung
des Arbeitstages abzuschaffen, der instinktive Ausdruck
des Willens eben der „in ihrer Wurzel bedrohten Ge-
sellschaft** ist.
Die Produktivität der menschlichen Arbeit ent-
wickelt sich, eine Produktionsweise wird durch die
andere verdrängt, und zwar, wie wir oben gesehen
haben, sinkt dabei gewöhnlich die Profitrate r-, wenn
die neue Produktionsweise eine wirklich bessere ist:
denn die Ersparung der menschlichen Arbeit kommt
zum Ausdruck in der Verdrängung der Menschen
durch die Maschine, oder der lebendigen Arbeit durch
die tote, folglich auch in der Abnahme der unbe-
zahlten Arbeit m, die von der lebendigen Arbeit her-
rührt, im Verhältnis zum bezahlten Teil k = c + v,
der zum grössten Teil aus toter Arbeit besteht. Sinkt
aber die Profitrate in jedem einzelnen Unternehmen,
so muss auch die mittlere Profitrate, die auf alle kapi-
talistischen Unternehmen gerechnet wird, notwendig
sinken.
Mit der Entwicklung der Produktivität, an welcher
der Kapitalismus, trotz seiner fehlerhaften oder, wie
Marx sie nennt, „abgeschmackten** Rechnung, dennoch
interessiert ist (denn er spart ja am Ende die be-
zahlte menschliche Arbeit), sinkt somit die mittlere
Profitrate, die das Interesse der Kapitalistenklasse aus-
drückt, und der gesellschaftliche Wille triumphiert
schliesslich über den individualistischen. Das Indi-
— 72 —
viduum erscheint am Ende als blosses Werkzeug der
gesellschaftlichen Vernunft. „Es verfolgt seinen Vor-
teil, doch wählt es dabei auf eine natürliche oder
vielmehr notwendige Weise das, was die Gesellschaft
am meisten benötigt;*' — - dies war die Lehre A. Smits.
Hierzu fügt nun Marx, dass das Individuum zwar
seinen Vorteil verfolgt, ihn aber doch nicht erreichen
kann, denn sein Vorteil ist eben das, was der Gesell-
schaft schadet. Durch den Vorteil angelockt, den ihm
die Gesellschaft scheinbar zugesichert hat, entwickelt
das Individuum die Produktivität der menschlichen
Arbeit — - und bekommt von der Gesellschaft gerade
das Gegenteil von dem, worauf es rechnete, eine
fallende Profitrate.
Hierauf beeilt sich die Kritik nach ihrer beliebten
Manier sofort einzuwenden, dass Marx sich selbst
widerspreche, denn die Entwicklung der Produktivität
bestehe eben in der Erhöhung des Ertrages bei redu-
zierten Produktionskosten nnd dergleichen mehr. Es
ist aber sehr leicht zu zeigen, dass hier wie überall
durchaus nicht Marx, sondern die Kritik selbst sich
in Widersprüche verwickelt, indem sie zwei grund-
sätzlich verschiedene Begriffe: die Produktivität der
Arbeit und die Produktivität des Kapitals mit einem
unverzeihlichen Leichtsinn verwechselt.
Die Produktivität der Arbeit besteht darin, dass
die Werte sinken, oder dass die gesamte auf ein Gut
zu verausgabende Arbeit c + v + m reduziert wird;
die Produktivität des Kapitals dagegen wird an der
Ersparung der bezahlten Arbeit c + v = k und Er-
höhung der Mehrarbeit m, somit an der Höhe der
Profitrate tt gemessen. Es sind das zwei grundver-
schiedene Dinge: der Wert k + m einer Ware kann
— 73 —
beständig sinken, dabei braucht doch das Verhältnis
-T- seiner beiden Komponenten durchaus nicht zu
wachsen, sondern es kann ebenso beständig und noch
schneller fallen. Es ist doch ganz klar, dass aus der
Abnahme einer Grösse (in unserem Falle der Wert-
grösse) unter keinen Umständen ein wachsendes Ver-
hältnis zwischen ihren zwei Summanden gefolgert
werden darf. Zwar sucht ein jeder Kapitalist den
Summanden k zu reduzieren; ob es ihm auch ge-
lingt, den anderen Summanden m zu erhöhen, ist
freilich eine weitere und zwar sehr heikle Frage.
Gelingt es einem Kapitalisten, seine Produktions-
kosten k herabzusetzen, so braucht er deswegen den
Kaufpreis seiner Ware nicht sofort zu reduzieren. Er
kann auch weiter zu dem alten Preis verkaufen oder
nur ganz unbedeutend unter den alten Preis herunter-
gehen, wenn er seine Konkurrenten unterbieten will.
Er erhält somit eine höhere Profitrate, doch nur so
lange er allein nach der neuen Produktionsweise pro-
duziert und zu den Preisen verkauft, welche auf dem
Markte schon früher Geltung hatten. Nun aber ver-
allgemeinert die Konkurrenz die neue, von ihm ein-
geführte Produktionsweise, die letztere wird die herr-
schende ; sie übt ihren Einfluss auf die Marktpreise
aus; diese sinken und der Kapitalist verliert seinen
bis dahin glücklich eingestrichenen Surplusprofit,
um dessentwillen er die neue Produktionsweise allein
einführte. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich,
dass nunmehr auch die mittlere Profitrate sinkt, und
der neue Profit, auf das Kapital gerechnet, sich noch
geringer erweist» als vordem.*)
Greifen wir zu dem uns bekannten Zahlenbeispiel.
Ein Mann sät 100 Maas Korn, zu einer Geldeinheit
das Mass, aus und erntet 200 bei einem Lohne, der
*) Siehe Kap. III, S. 247.
— 74 —
gleich 50 Geldeinheiten ist. Eine neue Produktions-
weise wird eingeführt, bei welcher ein jeder Mann
300 aussät und 450 erntet. Die Produktivität der
Arbeit ist gestiegen, denn der Reinertrag ist jetzt
150 statt wie früher 100 pro Kopf, doch ist die Profit-
en IQQ
rate von jq^ = 33^/0 auf gg^ = 29o/o gefallen. Es
kann auch weiter so gehen. Es werde noch eine
neue Produktionsweise eingeführt, bei welcher die
Aussat pro Mann gleich 800, die Ernte gleich 1000
Mass ist. Jetzt ist der Reinertrag gleich 200 auf jeden
Mann, das Korn ist, in Arbeit gerechnet, zweimal so
billig geworden, und die Profitrate noch weiter bis auf
200
— = 25Vo gefallen, usw^ usw.
Man könnte versucht sein, darauf zu erwidern,
dass dieses Beispiel ein völlig aus der Luft gegriffenes
ist, ja noch mehr, dass es den latsächlichen Produk-
tionsverhältnissen geradezu widerspricht, denn in der
Wirklichkeit wächst der Ertrag der Ernte bei gleich-
bleibender Aussaat. Doch bedenke man, dass es nur
mit Hilfe einer intensiveren Düngung, folglich eines
Kapitalopfers gelingt. Ausserdem handelt es sich
nicht um die Landwirtschaft allein, sondern um die
gesamte gesellschaftliche Produktion. Demgemäss
muss man unter dem Korne in dem oben angeführten
Beispiele nicht wirkliches Korn, sondern eine Zu-
sammensetzung von verschiedensten Elementen, wie
Kohle, Eisen, Leinwand etc. verstehen, die jährlich
produktiv knnsumiert (gleichsam ausgesät) und jähr-
lich in einer grösseren Menge reproduziert (oder
gleichsam geerntet) werden. Endlich beachte man
noch den Umstand, dass es ausser dem zirkulierenden
Kapital, welches seinen Wert auf die Ware vollstän-
dig überträgt, noch ein fixes Kapital gibt, das sich
nur teilweise abnützt und doch in vollem Umfange
— 75 -
in dem Nenner der Profitrate p = t? figuriert, wo-
durch diese um so kleiner erscheinen muss. Ein
Fabrikgebäude kostet z. B. 500000 M., von weichen
jährlich nur etwa 25000 durch Abnutzung in dem
Werte der im Gebäude hergestellten Ware wiederer-
scheinen. Der Fabrikbesitzer rechnet aber den jähr-
lichen Mehrwert, oder den Profit, auf sein ganzes
Kapital, wozu das ganze Gebäude mit dem Werte
von 500 000 M. gehört. Mögen die bezahlten Arbeits-
kosten k, die in den Wert des Produktes eingehen,
sinken, der unbezahlte Teil m ihres Wertes steigen,
die Profitrate kann dennoch fallen, denn sie ist eigent-
lich nicht gleich ^, sondern |-; , wo k' das gesamte,
zirkulierende sowie fixe Kapital bedeutet, und der
fixe Teil des Kapitales wächst enorm mit der Entwick-
lung der Produktivität.*)
Man vergleiche nur zwei Länder asiatischer und
europäischer Kultur. In Asien ist die Produktivität
der Arbeit sehr primitiv, der grösste Teil des Arbeits-
tages wird auf Reproduktion des Arbeiters selbst ver-
wendet; die Mehrarbeit ist somit viel geringer als in
Europa; und trotzdem steht die Profitrate dort höher.
Oder vielmehr nicht trotzdem, sondern gerade des-
wegen, weil die Produktivität der Arbeit eine so ge-
ringe ist. Der lebende Mensch ist noch durch keine
komplizierten Werkzeuge verdrängt, es gibt fast keine
tote Arbeit. Dagegen gibt es in Europa ein so unge-
heuer grosses Kapital, bestehend aus Fabrikgebäuden,
Maschinen, Eisenbahnen und dergleichen, dass hier
die Mehrarbeit, obwohl absolut viel grösser, auf dieses
*) Hiebe Kap. in, 243: „Dagegen ist es gerade das
Charakteristische der steigenden Produktion skraft der Arbeit,
dass der £xe Teil des constanten Kapitals eine sehr starke
Vermehrung erfährt etc."
— 76 -
Kapital gerechnet, in einer viel niedrigeren Profitrate
erscheint.*)
Wenn wir jedoch auf Grund dieser Erwägungen
Marx zugeben wollen, dass die Profitrate in der Tat
die Tendenz hat, beständig zu fallen, so fragt es sich
weiter, was damit bewiesen werden soll? Die Profit-
rate fällt, der absolute Profit wächst aber, und noch
schneller wächst das Kapital selbst. Weder die Ge-
sellschaft, noch die Kapitalistenklasse scheint deswegen
ärmer zu werden.
Früher besass ein Kapitalist 150 Geldeinheiten
und bezog 50 Geldeinheiten als Profit, mit welchen
er 50 Mass Korn kaufte. Jetzt ist das Korn zweimal
so billig geworden. Der Kapitalist besitzt 425 Geld-
einheiten, welche er für 800 Mass Aussaat und für 50
Lohn ausgibt und bezieht 150 Mass Korn oder 75 Geld-
einheiten als Profit. In Geld und in Korn gerechnet
ist er reicher geworden. Was mag es ihn kümmern,
dass er statt 33Vo nur 25% erhält? Lebt er deswegen
etwa schlechter als früher?
Gewiss — antwortet uns Marx — er könnte ein
viel reicheres Leben führen. Doch ist dies durchaus
nicht sein Zweck. Er will nichts anderes, als eine
grössere Profitrate haben, und zwar nicht, damit er als
Mensch besser leben, sondern damit er mehr akkumu-
lieren kann. Den grössten Teil des Mehrwertes, den
er einstreicht, verwendet der Kapitalist nicht auf die
Entwicklung seiner menschlichen Bedürfnisse, sondern
auf die Erweiterung seines Geschäftes. Der Mehrwert,
der durch das Kapital gewonnen wurde, hat im vor-
aus schon die Bestimmung, seinerseits Kapital zu
werden, um einen noch grösseren Mehrwert zu er-
*) „Die Careys, Bastiats und tuttl qoanti werden gerade
auf das Umgekehrte schliessen* (Kap. III, 129. Vergl. aoch.
S. 208 und passün).
— 77 —
zeugen. Und mit dem Fallen der Profitrate wird der
schönste Traum eines Kapitalisten zu nichte, so rasch
wie möglich zu akkumulieren. 50 Mass Korn sind
weniger als 150; der Kapitalist ist zwar reicher an
Korn geworden — doch ärmer an Kapital — in dem
Sinne, dass er früher sein Geschäft jedes Jahr um
33Vo, jetzt dagegen nur um 25Vo erweitern kann.*)
Hier einige Zitate, um diesen Gedanken Marxens
zu erläutern, da auch dieser ' Punkt von der Kritik
nicht genügend gewürdigt wird, wovon wir uns im
nächsten und letzten Kapitel noch näher überzeugen
werden.
„Die ökonomische Charaktermaske des Kapita-
listen hängt nur dadurch an einem Menschen fest,
dass sein Geld fortwährend als Kapital funktioniert.*^
(I, 529). „Den Baum wollarbeiten muss gesagt werden,
dass ihre Zufuhr zu gross ist; sie müsste vielleicht
um ein Drittel reduziert werden" (I, 537). „Es ist
die alte Geschichte: Abraham zeugte Isaak, Isaak
zeugte Jakob usw.*" (544). „Je mehr der Kapitalist
akkumuliert hat, desto mehr kann er akkumulieren*
(546). „Als Fanatiker der Verwertung des Wertes
zwingt er (der Kapitalist) rücksichtslos die Menschheit
zur Produktion um der Produktion willen" (555). Es
gilt ihm „sein Privatkonsum als ein Raub an der
Akkumulation seines Kapitals, wie in der italienischen
Buchhaltung Privatausgaben auf der Debetseite des
Kapitalisten gegen das Kapital figurieren* (556). „Der
Luxus geht in die Repräsentationskosten des Kapitals
ein" (557). „Akkumuliert, akkumuliertl Das ist
Moses und Propheten" (558). „Wenn der klassischen
Oekonomie der Proletarier nur als Maschine zur Pro-
duktion von Mehrarbeit, gilt ihr aber auch der Kapi-
•) Die Rate der Akkumulation f&Ut mit der Profitrate —
Kap. ni, 222-228, vergl. auch S. 229.
— 78 —
talist nur als Maschine zur Verwandlung dieses Mehr-
werts in Mehrkapital" (558—559).
Auf der kapitalistischen Basis ist , Abwesenheit
aller Akkumulation oder Reproduktion auf erweiterter
Stufenleiter eine befremdliche Annahme'* (II, 369).
„Denn der Kapitalismus ist schon in der Grundlage
aufgehoben durch die Voraussetzung, dass der Genuss
als treibendes Motiv wirkt, nicht die Bereicherung
selbst" (II, 92). „Wird endlich gesagt, dass die Kapi-
talisten ja selbst nur unter sich ihre Waren auszu-
tauschen und au&uessen haben, so wird der ganze
Charakter der kapitalistischen Produktion vergessen,
und vergessen, dass es sich um die Verwertung des
Kapitals handelt, nicht um seinen Verzehr" . . „Es
werden zu viel Arbeitsmittel und Lebensmittel produ-
ziert, um sie als Exploitationsmittel der Arbeiter zu
einer gewissen Rate des Profits fungieren zu lassen
(III, 239-240, vergl. I, 601—2). „Die Profitrate ist die
treibende Macht in der kapitalistischen Produktion,
und es wird nur produziert, was und so weit es mit
Profit produziert werden kann. Daher die Angst der
englischen Oekonomen über die Abnahme der Profit-
rate** (III, 241). «Man darf die kapitalistische Produk-
tion nie darstellen als das, was sie nicht ist, nämlich
als die Produktion, die zu ihrem unmittelbaren Zweck
den Genuss hat oder die Erzeugung von Genussmitteln
für den Kapitalisten. Man sehe dabei ganz ab von
ihrem specifischen Charakter, der sich in ihrer ganzen
inneren Kerngestalt darstellt'' (Kap. III, 225).
In dem Fallen der Profitrate offenbart sich nach
Marx der zweite fundamentale Widerspruch der
kapitalistischen Produktionsweise. Der erste Wider-
spruch ist der Profit selbst. Er ist mit einer Ver-
letzung des Arbeitsprinzipes verbunden, er ist der ob-
jektive Fehler der kapitalistischen Wirtschaftsord-
nung. Der zweite subjektive Widerspruch ist das
— 79 —
Fallen der Profitrate, wodurch der Kapitalismus seinen
eigenen Zweck verfehlt.*) Die kapitalistische Pro-
duktionsweise bewegt sich objektiv und subjektiv in
Widersprüchen: sie erfüllt den absoluten Zweck der
menschlichen Wirtschaft nicht — denn sie entwickelt
die Produktivität der Arbeit nicht, oder sie entwickelt
sie nur mangelhaft, als Mittel zur Erpressung der
Mehrarbeit; aber sie kann auch den selbstgesetzten
Zweck der Produktivität des Kapitals nicht erreichen,
denn die Profitrate fällt, während die Produktivität
der Arbeit hinter dem Rücken der Kapitalistenklasse
steigt. Indem der Kapitalismus die Produktivität der
Arbeit steigert, gräbt er sich selbst das Grab; steigert
er aber diese Produktivität der Arbeit nicht, so wird
er zur Fessel des gesellschaftlichen Fortschrittes, die
gesprengt werden muss und die gesprengt werden
wird. Der Kapitalismus muss unter allen Umständen
zugrunde gehen.*)
Kapitel X.
Die allgemeine Krise.
Die dialektische Entwicklung der Natur vollzieht
sich in Widersprüchen, die auftreten und wieder
aufgehoben werden. So haben wir gesehen, dass
der objektive Widerspruch der kapitalistischen
Produktion — der Profit — durch den Klassen-
kampf der Arbeiter gegen die Kapitalisten auf-
gehoben wird. Was nunmehr ihren subjektiven
*) „Die wahre Schranke der kapitalistischezi Produktion
ist das Kapital selbst etc. (Kap. HI, 281).
— 80 -
Widerspruch anbetrifft — das Fallen der Profitrate — ,
so hebt sich dieser Widerspruch in der Weise auf,
dass die Kapitalisten selbst jede Freude an der Pro-
duktion verlieren, die Produktion aufgeben und damit
eine allgemeine Krise herbeiführen.
Die Gesellschaft hat mit dem Individuum einen
Vertrag geschlossen und ihm für die Entwicklung der
Produktivität eine Prämie — den Profit — in Aussicht
gestellt. Mit der Zeit sieht aber die Gesellschaft ein,
dass beide Punkte des Vertrages einander wider-
sprechen. Der Profit kann mit der Entwickelung der
Produktivität nicht im Einklang stehen. Sowie die
Gesellschaft dies einsieht, sucht sie den sie schädigen-
den Vertrag zu lösen. Die Arbeiterklasse streikt gegen
die kapitalistische Produktionsweise. Dieser Streik
muss schliesslich gewonnen werden, da es sich um
die Sache des gesellschaftlichen Fortschrittes handelt,
um den Sieg des Menschen über die Natur, um die
wissenschaftliche Regelung des Produktionsprozesses.
Anderseits sieht aber auch das Individuum im
Liaufe der Entwicklung ein, dass es ihm nicht auf den
Profit selbst, sondern auf die Profitrate ankommt.
Die Gesellschaft mag ihm einen immer wachsenden
Profit zusichern — es verlangt eine steigende Profit-
r a t e. Diese kann es aber nicht von der Gesellschaft
erlangen, denn mit der Entwicklung der Produktivität
wird der Mensch durch die Maschine ersetzt, die tote
Arbeit schwillt im Verhältnis zur lebendigen an, und
die Profitrate sinkt beständig, anstatt zu steigen. Das
Individuum wird mit den Folgen des geschlossenen
Vertrages selbst unzufrieden. Es will nicht mehr
produzieren, es streikt gegen die Gesellschaft. In
diesem Streike muss es aber unterliegen, denn gegen
die Gesellschaft lässt sich's nicht streiken.
Das ist der leitende Gedanke der Marxschen
Krisentheorie. Da dieser letzte Punkt seiner Lehre
— 81 —
das Schicksal alles dessen teilt, was er gelehrt hat,
d. h., aufs gröbste missverstanden wurde, so wollen
wir noch einige Zeit dabei verweilen und Marx' An-
sicht einer kritischen Beleuchtung unterziehen, indem
wir sie mit den Konzeptionen anderer Nationalöko-
nomen vergleichen.
Dass die Erscheinung der Krisen etwas der kapi-
talistischen Produktion allein eigentümliches ist, haben
die Nationalökonomen schon längst erkannt und die
Sozialisten der verschiedensten Richtungen im Kampfe
für ihr Ideal auf manche Art zu betonen gewusst.
Die älteste sozialistische Krisentheorie ist ohne Zweifel
die, welche noch Rodbertus vertrat, und welche sich
bewusst an das Recht auf den vollen Arbeitsertrag
anlehnt. Der Arbeiter bekommt einen so niedrigen
Lohn, dass er damit nicht das ganze Produkt seiner
Arbeit zurückzukaufen imstande sei. Es werden mehr
Waren produziert, als die kauffähige Bevölkerung be-
zahlen könne — daher die Krise.
Die ganze Argumentation ist bis aufs äusserste
primitiv. Was der Arbeiter infolge seines niedrigen
Lohnes an Kaufiähigkeit verliert, das gewinnen ja jene
Bevölkerungsschichten, die sich seinen Mehrwert an-
eignen. Gewiss ist eine Krise unvermeidlich, wenn
lauter solche Waren hergestellt werden, die nur die
Arbeiterbevölkerung braucht, oder Gegenstände des
notwendigen Konsums. Dann aber ist die Krise keine
allgemeine, keine der kapitalistischen Produktion als
solcher eigentümliche, sondern wir haben bloss eine
partielle Krise vor uns, die in einer fehlerhaften Ver-
teilung der Kapitale ihre Erklärung findet. Die not-
wendigen Artikel sind überproduziert, dafür aber
findet eine Unterproduktion der Artikel statt, welche
die Mehrwertsbesitzer gerne gekauft hätten. So wie
die Kapitalisten ihren Fehler einsehen — und dazu
werden die mechanischen Preisverschiebungen sie
Charasoff , Karl Marx. 6
— 82 —
sicher führen — und statt der Gegenstande des ge-
meinen Bedarfs, die niemand kaufen kann oder will,
Waren zu produzieren anfangen, die sie selber
brauchen — , würde es keine Krisen mehr geben
können. Was aber brauchen die Kapitalisten selbst?
Wir haben gesehen, dass sie danach trachten, nicht
allein den notwendigen Konsum der Arbeitermassen,
sondern auch ihren eigenen Luxuskonsum einzu-
schränken. Die Kapitalisten produzieren überhaupt
nicht für menschliche Bedürfnisse. Dürfte man viel-
leicht in diesem Umstände den Ausgangspunkt für
eine wissenschaftliche Krisentheorie finden?
Das ist die Meinung der gegenwärtigen Marxjünger,
der Sozialdemokraten, geworden. Die Krise findet
nach ihnen ihre Erklärung in der Ueberproduktion,
nicht in der Unterkonsumption der Massen. Die Pro-
duktivität der Arbeit ist heutzutage so enorm ge-
stiegen, es werden so viele Waren produziert, dass
nicht die gesamte Nachfrage nach den Gegenständen
menschlichen Bedarfes seitens der Arbeiter- und der
Kapitalistenkla.sse dem über alle Massen wachsenden
Angebote Schritt halten könne. Der Kapitalismus
sterbe an der Plethora, an der Fettsucht; er ersticke
in seinem eigenen Fette.
Darauf hat aber neulich mit Recht Tugan Bara-
nowsky erwidert, dass auch eine solche Krise keine
allgemeine, sondern nur eine partielle ist. Zwar
schränken die Kapitalisten ihren Luxuskonsum ein,
dafür entwickelt sich aber in ihnen das Bedürfnis
nach der Akkumulation, nach neuen Kapitalen.
Richten sie die Produktion dementsprechend ein,
produzieren sie statt der Luxusartikel, an welchen sie
nicht interessiert sind, neue Produktionsmittel, die sie
begehren, so verschwindet sofort die Gefahr einer
Krise. Alles läuft somit nach T. Baranowskys An-
sicht auf eine fehlerhafte Verteilung der Kapitale hin-
- 83 —
aus, auf die Unfähigkeit der Kapitalisten, den Markt
zu übersehen und ihre Produktion dem Bedarfe ge-
nau anzupassen. Diese Unfähigkeit sei jedoch dem
Kapitalismus immanent, somit müsse es Krisen —
zwar nur partielle und keine allgemeinen — geben,
so lange der Kapitalismus existiere.
T. Baranowsky rät somit den Kapitalisten,
fortwährend zu akkumulieren, um einer Krise
aus dem Wege zu gehen. Der Rat ist gut, schade
nur, dass die Kapitalisten ihn schon lange vor
Herrn T. Baranowsky befolgt haben, und doch
gab es Krisen und wird es auch femer welche
geben müssen. Die Sache ist die, dass Herr
T. Baranowsky vergessen hat, den Kapitalisten noch
die entsprechend hohe Profitrate zuzusichern, denn sonst
hat ja die Akkumulation keinen Reiz mehr für sie!
Zwar ist Herr T. Baranowsky der Meinung, Marx habe
den Fall der Profitrate falsch begründet, an der Tat-
sache selbst zweifelt er jedoch keineswegs, er muss
daher die Kapitalisten für seltsame Käuze halten,
wenn er ihnen zumutet, aus reiner Liebe zur Ord-
nung zu akkumulieren, nur um eine Krise zu ver-
meiden, auch wenn sie nicht hoffen dürfen, einen
^.Lohn** in der Form einer hohen Profitrate für ihre
^Sparsamkeit** zu erhalten. Das verleiht ja eben, nach
Marx, den kapitalistischen Krisen den Charakter der
Allgemeinheit, dass die menschlichen Bedürfnisse
unterdrückt werden, um ein spezifisch kapitalistisches
Bedürfnis nach einer immer steigenden Profitrate,
oder progressiv intensiveren Akkumulation befriedigen
zu können. Dieses Bedürfnis kann aber nicht be-
friedigt werden, denn die Profitrate sinkt, während
zugleich die Produktivität der Arbeit, oder die Mög-
ichkeit, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, steigt.
Es werden entweder Gegenstände des notwendigen
Bedarfes, oder Luxusartikel, oder endlich neue Pro-
— 84 —
duktionsmittel produziert Und keine von diesen
Produkten werden gekauft. Von den notwendigen
Artikeln kann die Arbeiterschaft nur einen sehr ge-
ringen Teil kaufen, denn ihr Lohn ist zu niedrig.
Die Luxusartikel werden von der Kapitalisten Masse
nicht gekauft, weil diese „sparen", id est, — akkumu-
lieren will. Neue Produktionsmittel endlich finden
auch keinen Käufer, denn das einzige Interesse, welches
der Käufer an ihnen haben kann und hat, die Aus-
sicht auf eine hohe Profitrate, — schwindet und muss
mit der kapitalistischen Entwicklung immer mehr
schwinden. Die Krise wird allgemein, sie ist durch
keine Deplacements der Kapitale aus einem Produk-
tionszweig in den andern zu beseitigen, sie bricht
auf einmal in allen Produktionsbranchen ohne Aus-
nahme aus, sie ist a b s o 1 u t*)
Was aber die Unfähigkeit der Kapitalisten klasse
anbetrifft, eine proportionelle Verteilung der Kapitale
unter die verschiedenen Produktionszweige durchzu-
führen, so merkt T. Baranowsky nicht, dass sie eben
eine Folge der fallenden Profitrate ist. Denn wäre
die Profitrate eine hohe gewesen, etwa gleich 25 oder
gar 50^/0, so hätte ein jeder Kapitalist sein Kapital in
2—4 Jahre verdoppeln können und würde für den
Fall einer zufällig ungünstigen Konjunktur im vor-
aus gesichert sein. Nun aber fällt die Profitrate, sie
beträgt mit der Zeit kaum mehr als 10 oder 5Vo. Das
Kapital wächst langsam und die Gefahr einer Ueber-
produktion wird immer drohender. Die geringste
Reduktion des Preises vernichtet den ganzen Profit,
ja sie ist sogar mit Verlusten verbunden. Es entsteht
eine peinliche Spannung auf dem Markte, die Kapi-
talisten bieten alles auf, um eine höhere Profitrate zu
*) Vergi. Kap. TTT, 228: „üeberproduktion von Kapital,
nicht Ton einzelnen Waren etc.'^
— 85 —
erzielen. Die unwahrscheinlichste Börsennachricht,
die abenteuerlichste Konjunktur wird mit Freuden
begrüsst. Aktienschwindel, Börsenspiel greifen überall
um sich. Die Krise wird dadurch nur beschleunigt.*)
In der Jagd nach einer möglichst hohen Profit-
rate wandern die Kapitale aus den kultiviertesten
Landern in Länder mit unentwickelter Produktivität
der Arbeit aus, aus Europa nach den asiatischen
Kolonien. Die Unternehmer exportieren ihre Kapitale,
um auch in Asien die Produktivität der Arbeit zu er-
werben und — auch dort eine niedrige Profitrate zu
erzielen***)
Der Kreis ist geschlossen und wird mit jedem
Produktionscyklus, mit jedem Jahre, mit jedem Tage
enger. Einen friedlichen Ausweg aus diesem Ver-
derben gibt es nicht. So kann es aber nicht länger
gehen. Oder sollte etwa diese auffallende Erscheinung
der Ueberproduktion der Kapitale, „des unproduktiv
sich anhäufenden Reichtums^' auf dem einen gesell-
schaftlichen Pole noch länger dauern können, ver-
bunden mit der Arbeitslosigkeit und Hungersnot aut
dem andren? (III, 235) Kann die Gesellschaft noch länger
♦) Sinkt die Profitrate, so (entsteht) einerseits Anspan-
nung des Kapitals . . . andererseits Schwindel und allgemeine
Vergünstigang des Schwindels darch leidenschaftliche Versache
in neuen Prodoktionsmethoden, neuen Kapitalanlagen, neuen
Abenteuern, um sich irgend einen Extraprofit zu sichern, der von
allgemeinen Durchschnitt unabhängig ist und sich über ihn
erhebt (HI, 271) Hierzu sieh auf S. 234: „Weil die gesunkene
Profitrate und die Ueberproduktion von Kapital aus denselben
umständen entspringen, würde jetzt der Konkurrenz-
kampf entspringen. Weiter kommt in Betracht, HI,
222-223.
**) Wird Kapital ins Ausland geschickt, so geschieht es . .
weil es zu höherer Profitrate im Auslande beschäftigt werden
kann.
— 86 -
ruhig zusehen, wie die ganze Produktion lahmgelegt
wird; wie die Verbindung der toten Arbeit mit der leben-
digen, die sie dem Kapitalismus zur Aufgabe stellte und
deswegen auch zur Quelle des Profites für ihn machte^
sich in beständiger Auflösung befindet; wie der un-
sinnige Streik der Kapitalisten, der ihnen durch ihren
blinden Heisshunger nach einer hohen Profitrate zu-
diktiert wird, sich mit den Streiks und der Empörung
der Arbeiterklasse paart, die Arbeit und Brot sucht
und keines von beiden findet? Es muss doch schliess-
lich ein Ende geben, der Kapitalismus wird sich vor
dem gesellschaftlichen Willen beugen müssen. „Und
ist er nicht willig, so braucht sie Gewalf S
Die arbeitende Bevölkerung verlangt gebieterisch
nach Brot, um zu essen, nach Kohlen, um nicht zu erfrieren,
nach Häusern, um vor den Unbillen der Witterung ge^
schützt zu sein. Die menschlichen Bedürfnisse, die die
Grundlage einer jeden vernünftigen Wirtschaft sind,
kommen indiesemVerlangenzurGeltung. Und es gibtBrot
und Kohle und Gebäude in der Gesellschaft in Fülle. Uebri-
gens verlangt die Bevölkerung dies alles nicht umsonst,
sie ist bereit zu arbeiten, um alles, was sie braucht, zu
erringen; sie ist sogar damit einverstanden, mehr zu
arbeiten, als sie selbst nötig hat, und den Kapitalisten,
die nur geneigt wären, sie zu dingen, einen Mehrwert,
ein Stück unbezahlte Arbeit zu garantieren. Diese
aber, die das ganze in der Gesellschaft angehäufte
Brot, die ganze Kohle, alle Gebäude an sich gerissen
haben, geben den Arbeitern weder Brot noch selbst
Gelegenheit zur Arbeit, denn es wird ihnen nicht die
gewünschte Profitrate bringen, ihre „Sparsamkeit^^
wird nicht nach ihrem Gutdünken belohnt.*)
*) £b ist auf dieser widerspruchsvollen Basis dorchans kein
Widerspmcli, dass üebermass von Kapital vorhanden ist, mit
wachsendem Üebermass von Bevöllkemng, denn obgleich.
— 87 —
Dieser gesellschaftliche Gegensatz verschärft sich
mit jedem Tage und macht endlich eine gewaltsame
Lösung notwendig. Ein Kampf zweier Klassen bricht
aus, ein unerbittlicher Kampf zweier unversöhnlicher
Bewusstseine, zweier diametral entgegengesetzter An-
sichten über die gesellschaftliche Produktion. In
diesem Kampfe muss diejenige Klasse unterliegen,
die eine unsinnige Plüsmacherei zum Zwecke der
Produktion erhoben hat; jenes Bewusstsein, welches
die tote Arbeit über die lebendige stellt; jene Ansicht,
welche die Produktion um der Produktion willen
predigt, — der Kapitalismus. Dagegen wird die Klasse
den Sieg davontragen, welche die menschlichen Be-
dürfnisse vertritt; das Bewusstsein, welches den
Menschen selbst wertschätzt und nicht das Kapital;
die Ansicht, die in der Produktion nicht einen selbst-
genügsamen Zweck, sondern nur das Mittel sieht, den
Menschen aus dem Reiche der Natur in das Reich
der Kultur emporzuziehen — die arbeitende Klasse —
das Proletariat.
Die Proletarier haben nur ihre Ketten zu
verlieren und die ganze Welt zu gewinnen. —
Die Stunde der kapitalistischen Ordnung
schlägt. — Die Expropriateure werden expro-
priiert. — Mit dieser Umwälzung schliesst die
Vorgeschichte der Menschheit ab. — Dies ist
der Sprung der Menschheit aus dem Reiche
der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.
beide zusammengebracht, die Masse des produzierten Mehrwerts
sich steigern würde, steigert sich eben damit der Widerspruch
zwischen den Bedingungen, wenn dieser Mehrwert produciert,
und den Bedingungen, worin er realisiert wird (III 226; vrgl.
hierzu 240.)
— 88 —
SchlusskapiteL
Karl Marx an seine bftrgerlichen Gegner.
Ein hypothetischer Vortrag.
Meine Herren I Da ich voraussetzen muss, dass
die meisten von Ihnen zu den höheren bürgerlichen
Schichten gehören und nur hierher gekommen sind,
um einmal einen unverbesserlichen Revolutionär leib-
haftig vor sich zu sehen, der jeden anständigen
Menschen hasst und sich nur in der Gesellschaft
armer, zerlumpter Individuen wohl fühlt will; ich
mich Ihnen im Voraus als einen eifrigen Schüler
Ihrer eigenen, von Ihnen selbst zu wissenschaftlichen
Autoritäten proklamierten grossen Lehrmeister —
A. Smith und D. Ricardi — empfehlen, einen Mann,
der gleich Ihnen den Reichtum für das höchste Gut
hält, und in ihm die ganze Kultur erblickt. Ja, noch
mehr — ich bin, wie jeder gute Geschäftsmann, deren
es ja so viele unter Ihnen gibt, jeder Romantik, jeden
Mitleids und jeglicher Sentimentalität bar. Wenn ich
mir vornehme, vor Ihnen die These von dem grossen
Kulturwerte der Arbeiterbewegung zu verteidigen, so
kann ich eidlich bezeugen, dass ich es durchaus nicht
aus Mitleid mit dem Elende der Arbeiterklasse tue.
Ich kümmere mich überhaupt nicht um diese oder
jene Klasse, sondern nur um die Gesellschaft als
Ganzes, als Organismus; ich interessiere mich nicht
für die Klassenkultur, sondern nur für die gesamte
menschliche Kultur. Und diese besteht für mich
nicht im Reichtum der Arbeiterklasse allein, sondern
in dem des ganzen Landes, oder, richtiger gesprochen,
nicht im Reichtum selbst, sondern in der Fähigkeit,
ihn zu erringen.
Sie werden mir gewiss darauf erwidern, dass ich
somit die Kultur mit Ihren eigenen Augen betrachte.
und Sie daher in erster Linie selbst für Kultur-
menschen halten müsse, da Sie es so gut verstehen,
sich selbst Reichtümer zu erwerben und damit zu-
gleich das ganze Land zu bereichem. Welche Gründe
habe ich dann, in der Arbeiterbewegung eine Kultur-
kraft zu sehen? Die Arbeiter verstehen es ja nicht
einmal, ihren eigenen, geschweige denn den allge-
meinen Wohlstand herbeizuführen; nur eins verstehen
sie: stets und mit allem unzufrieden zu sein und jede
Arbeit zu hassen und zu meiden, obwohl sie zugleich
über die heiligen und unveräusserlichen Rechte der
Arbeit auf alle gesellschaftlichen Reichtümer gerne
ein kräftiges Wörtlein zu sagen lieben.
Darauf will ich Ihnen in aller Aufrichtigkeit be-
kennen, dass die Arbeiter in der Tat noch so unge-
bildet sind, dass sie eine unwissenschaftliche und
durch und durch utopische Sprache führen. Jedoch
ist das, was sie damit sagen wollen, trotzdem im
höchsten Grade vernünftig, sie können nur noch den
richtigen Ausdruck für ihre Klagen nicht finden. Und
darum will ich es versuchen, vor Ihnen ihr Für-
sprecher zu sein. Die Arbeiter werfen Ihnen Unge-
rechtigkeit vor — selbstverständlich ist das sehr naiv
und verdient keine weitere Beachtung, doch wollen
sie damit in der Tat etwas anderes sagen. Es handelt
sich hier gar nicht darum, ob Sie ungerecht sind,
sondern darum, dass Sie nicht so produzieren^
dass Sie dem nicht gerecht zu werden verstehen,
worin doch nach Ihrem eigenen Zugeständnis die
Kultur und der Fortschritt liegt.
Ich sehe — Sie sind betroffen und sehen mich
wie einen Verrückten an. Sie verständen nicht zu
produzieren? Aber ein jeder von Ihnen verdient doch
alljährlich Tausende und Abertausende. Vor Ihnen
glich die Welt einer unbevölkerten Wüste, die Sie im
Laufe weniger Jahre in einen Wald von Fabrik-
— 90 —
Schornsteinen verwandelt haben, aus denen Tag und
Nacht der Rauch zum Himmel aufsteigt. Sind nicht
Ihr Fleiss und Ihre Sparsamkeit die Grundlage der
ganzen modernen Produktion?
Sie haben recht, gewiss, doch nicht ganz recht.
Verständen Sie wirklich gar nichts von der Produktion,
so könnten Sie überhaupt nicht existieren und heute
hier vor mir sitzen. Ich wollte nur sagen, dass Sie nicht
richtig, dass Sie auf eine unvollkommene Weise
produzieren, — daher der Lärm, den die Arbeiter
gegen Sie erheben, daher der glühende Hass, von
welchem sie durchdrungen sind. Es gibt doch keinen
Rauch ohne Feuer.
Gegen einen guten Wirt ist kein Protest möglich.
Oder verstehen Sie mich noch immer nicht?
Nun wohl, dann will ich Ihnen meinen Gedanken noch
deutlicher auseinandersetzen. Soeben haben Sie in
Ihrer Erwiderung jenen Profit, den Sie beziehen, als
einen Beweis für Ihre produktive Tätigkeit erwähnt.
Doch scheint es mir, der ich bei Smith und Ricardo
in die Schule gegangen bin, dass Ihr Profit gerade im
Gegenteil Ihr Unvermögen, gut zu wirtschaften, an den
Tag legt, denn es gibt ja gar keinen Profit, — bei
einer richtigen Buchführung, meine ich. Wie Sie
wissen, muss alles in Arbeit gerechnet werden, dann
aber ist die verausgabte Arbeit stets der am Ende des
Produktionsprozesses vergegenständlichten gleich.
Woher also kommt jener Profit, dessen Höhe nach
Ihnen soeben noch den Massstab für Ihre wirtschaft-
liche Bedeutung bilden sollte ? Bitte, werden Sie nicht
nervös und verstehen Sie mich richtig. Ich will
durchaus nicht behaupten, dass Ihr Profit etwas Un-
gerechtes, von Rechts wegen der Arbeit und folglich
dem Arbeiter Zugehöriges sei. O nein, ich habe
Ihnen doch schon im voraus mitgeteilt, dass die Ge-
rechtigkeitsfrage für mich nicht existiert. Dazu bin
— Gl-
ich ein viel zu gründlicher Gelehrten Mich inter-
essiert nur dies eine, — woher dieser Profit stammt,
obwohl es nach der Theorie eigentlich überhaupt
keinen geben sollte. — Wieso, woher? — fragen Sie
mich — und Sie beziehen sich auf meinen Schüler
Herrn T. Baranowsky, der behauptet, das sei eine
müssige Frage, denn die Antwort darauf ergebe sich
ganz von selbst. Es wird eine bestimmte Menge von
Kohle, Eisen, Korn etc. vorgeschossen und eine
grössere Menge von diesen Stoffen zurückgewonnen.
Der Ueberschuss sei eben der Profit — das ist alles.
— Ich muss gestehen, dass Herr T. Baranowsky sich
allerdings für meinen Schüler ausgibt, ich gebe auch
zu, dass in der Tat ein Ueberschuss an Kohle, Eisen
and Korn vorhanden ist. Wenn Sie sich aber durch-
aus auf meine Schüler beziehen wollen, so gestatten
Sie mir auch, Ihnen solche Stellen aus ihren Schriften
anzuführen, wo sie mich wirklich verstanden und
nicht nur mi ssverstanden haben. Wie es Ihnen be-
kannt ist, gibt mir Herr T. Baranowsky unumwunden
zu, dass die absoluten Kosten für die Gesellschaft die
Arbeitskosten und nur diese sind. Wenn dem aber
so ist, so hätte er, ausser der vorgeschossenen Menge
von Kohle, Eisen und Korn, auch noch jenen Arbeits-
aufwand in Rechnung ziehen müssen, welchen der
Arbeiter verausgabt, indem er den vorgeschossenen
Stoff bearbeitete. Dann hätte er auch eingesehen,
dass jener Ueberschuss, den Sie Profit nennen, genau
diesem Arbeitsaufwand äquivalent ist, den er in Be-
tracht zu ziehen vergessen hat, und dass es somit
überhaupt keinen Ueberschuss über die Arbeitskosten
gebe. Ein Landmann sät 100 Mass Korn und erntet
200. Tatsächlich ist also ein Ueberschuss von 100 Mass
Korn vorhanden.
Warum aber die Ausgaben und den Ertrag in
Korn rechnen, wenn wir alle wissen, dass man nicht
— 92 —
in Korn, sondern in Arbeit rechnen muss? Warum
sagen wir nicht vielmehr in 100 Mass Aussaat ist ein
Jahr Arbeit verkörpert; und ebensoviel hat auch
der Landmann aufwenden müssen, um zu seiner Ernte
zu kommen — im ganzen also 2 Jahre Arbeit. Die
Ernte ist ihrerseits gleich 200 Mass Korn, in welchen
wiederum 2 Jahre Arbeit verkörpert sind. Wo bleibt
nun Ihr vielgepriesener Profit? Sie rechnen genau
wie Herr v. T. Baranowsky, und auf diesem Wege
kommen Sie auch zu Ihrem Profite I Anstatt in Arbeit
zu rechnen, rechnen Sie in Waren, in der in den
Waren verkörperten Arbeit allein, d. h. also in Waren-
werten. Da' aber die verkörperte Arbeit vor und
nach dem Produktionsprozesse zwei verschiedene
Grössen repräsentiert, so entsteht für Sie der Schein
eines Profites, eines Ueberschusses über die Produk-
tionskosten. Und da Sie nun einmal Herrn v. T. Bara-
nowsky zitieren wollen, so erlaube ich mir, Sie daran
zu erinnern, dass er ja selbst die Abgeschmacktheit
Ihrer Rechnungsweise sehr wohl anerkennt. Denn er
sagt: „Die absoluten Kosten sind durch die Arbeit und
durch diese allein repräsentiert. Zwar gehen die Kapi-
talisten von einem anderen, fehlerhaften Kostenbegriffe
aus, doch ziemt es sich für die objektive Wissen-
schaft nicht, siph den kapitalistischen Standpunkt zu
eigen zu machen, die Kapitalisten allein stellen noch
nicht die ganze Gesellschaft dar.*" Das seine eigenen
Worte, und dasselbe habe ich selbst schon etwas
früher in meinem „Kapital^^ nachgewiesen. Ausser
Ihnen, meine Herren, gibt es in der Gesellschaft noch
Arbeiter, und eben diese protestieren dagegen, dass
Sie ihren Arbeitsaufwand nicht voll zu den Produk-
tionskosten rechnen wollen. Nur können die Arbeiter
diesen ihren Protest nicht auch wissenschaftlich for-
mulieren.
Sie wenden mir ein, das sei alles falsch, denn
Ihre Preise richten sich nicht jedesmal nach der ver-
ausgabten Arbeit Aber, verehrte Freunde, wie auch
Ihre Preise gebildet sein mögen — die Tatsache bleibt
bestehen, dass Sie nur Waren, und folglich nur die
in diesen verkörperte Arbeit zu den Kosten rechnen.
Von der Arbeit dagegen, die am Anfang des Produk-
tionsprozesses noch nicht vergegenständlicht war, und
die schon im voraus im Ausgabenentwurfe hätte ver-
zeichnet werden sollen, von dieser Arbeit wissen Sie
nichts, bis sie sich in Warenform kristallisiert und
von dem Markt zu Ihnen als Profit zurückfliesst
Diese Tatsache steht für mich und, wie ich glaube
für jeden unbefangenen Beobachter vollkommen fest
Was aber die Spitzfindigkeiten der Preisbestimmung
in jedem einzelnen Falle anbetrifft, so ist es nicht
Sache meiner Wissenschaft, sich damit abzugeben.
Mein Blick war stets gerichtet auf die Produktion als
ein Ganzes.
Wie aber kann man ohne den Profit aus-
kommen? rufen Sie vielleicht verwundert aus. Wer
wird denn produzieren wollen, wenn er nicht auf
Profit rechnen darf 1 — Mir ist dieses Argument wohl
bekannt. Mit ihm hat man zu allen Zeiten die indi-
vidualistische Produktionsweise zu rechtfertigen ge-
sucht. Sie sagen: wozu sollen wir untersuchen, ob
der Profit gerecht oder ungerecht sei, wenn er einen
Ansporn für das Individuum bildet, ohne welchen
dieses in Trägheit und Gleichgültigkeit verfallen würde,
und ohne den folglich keine wohlgeordnete Gesell-
schaft denkbar ist? Und Sie haben vollkommen recht»
wenn Sie auf diese Art jene Utopisten abweisen wollen,
die den Profit als etwas ungerechtes verdammen.
Denn das klare und unwiderlegliche Produktions-
prinzip ist dem nebelhaften und nicht überzeugenden
Gerechtigkeitspostulate allemal vorzuziehen. Aber ich
rede doch nicht von der Ungerechtigkeit Ihre^ Ver-
— 94 —
teilungsprinzips, sondern eben von der Schädlichkeit
Ihrer Produktionsmethode. Ich weise Ihnen den Wider-
spruch nach» der zwischen der individualistischen Pro-
duktion und der Idee der Entwicklung der Produk-
tivität besteht, und folglich ist mein Schlussergebnis
jenem gerade entgegengesetzt, das Sie zu erwarten ge-
wöhnt sind. Das Individuum kann ohne den Profit
nicht produzieren, der Profit aber widerspricht einer
richtigen Produktion (nicht etwa einem „richtigen
Rechte"), — folglich muss die individualistische Pro-
duktionsweise abgeschafft werden.
Wer wird denn aber ohne Profit produzieren
wollen? Allerdings nicht Sie; Sie können es nicht.
Die Gesellschaft jedoch beansprucht keinen Profit
sogar umgekehrt: der Profit ist für die Gesellschaft
unvorteilhaft und sogar direkt schädlich, und
die Gesellschaft besitzt einen Antrieb für die Produk-
tion, der mit dem Profite nichts gemein hat Dieser
Antrieb ist — die Entwicklung der gesellschaft-
lichen Bedürfnisse, welche Sie ja gerade in den
arbeitenden Massen zu unterdrücken bestrebt sind,
um zu einem möglichst grossen Profite zu gelangen.
Sie werden mir darauf entgegnen, die Gesellschaft
sei ein ebenso abstrakter Begriff wie die Gerechtigkeit,
sie müsse doch ihre konkreten Repräsentanten haben,
welche letzteren keine anderen sein können, als eben
die Individuen. Wohlan denn, ich will nicht um
Worte streiten, wenn Sie mir zugeben wollen, dass es
auch solche Individuen gibt, welche kein Interesse daran
finden, einen Geldprofit zu erzielen, und nur die Be-
friedigung ihrer menschlichen Bedürfnisse erlangen
wollen. Solche Individuen gibt es, alle Arbeiter z.B. sind
solche Individuen. Sie werfen den Arbeitern nicht
ohne jeden Grund vor, dass diese unfähig zum Geld-
erwerb seien und nur davon träumen, in Vierspännern
zu fahren und Schildkrötensuppe aus goldenen Löffeln
— 95 —
zu schlürfen. Und in der Tat kämpfen die Arbeiter
auf alle mögliche Weise gegen Ihren Unternehmer*
profit und werden nicht müde, ihn durch ihr Streben
nach Lohnerhöhung und Verkürzung des Arbeitstages
im Prinzip zu zerstören. Jetzt sehen Sie wohl ein,
dass diese dunklen Massen, die Sie verachten und die
sie kaum noch für Menschen halten — zwar nicht
eine wissenschaftliche Sprache zu führen wissen (was
Sie übrigens mit Ihnen gemein haben)» dennoch aber
einen richtigeren Begriff von der Produktion besitzen,
als Sie. Diese Ma»»en bilden die Gesellschaft, welche
auch ohne Profit produzieren kann. Eben deswegen
halte ich die Bewegung, die sich in ihren Reihen zu
regen beginnt, für eine im höchsten Grade kulturelle
und fortschrittliche, die schon heute so manche Ge-
fahr von unserer Gesellschaft abwendet
Sie sind empört über die immer wachsende Be-
deutung der Arbeiterorganisationen und über jene
Streiks, die, um in Ihrem Jargon zu reden, den nor-
malen Lauf des öffentlichen Lebens bestandig stören.
Aber wissen Sie auch, was geschehen wäre, wenn es
Ihnen gelungen wäre, die Macht der Gewerkschaften zu
zerbrechen? Sie hätten aufgehört, die Produktions-
technik zu entwickeln, und überall die vollkommen-
sten Maschinen durch plumpe Menschenhände ersetzt;
Sie hätten sich selbst und das ganze Land ruiniert
Sie sind auf Ihre produktive Tätigkeit stolz. Ja,
Sie verstehen zu produzieren, doch nur, indem Sie die
Menschenkraft aufs unverschämteste vergeuden. Das
haben schon die ägyptischen Könige lange vor Ihnen
verstanden. Schlagen Sie doch in den statistischen
Tabellen nach, und Sie werden sich vergewissem, dass
die Anzahl von Menschen, welche Sie mit Ihrer Pro-
duktion verstümmeln, in einem fortschreitenden Ver-
hältnis wächst, vor welchem es selbst Ihren natür-
lichen Rechtsanwälten, den Universitätsprofessore«, zu
- 96 —
grauen beginnt. Anstatt in den Betrieben Schutzvor-
richtungen einzuführen, zermalmen Sie die Menschen
erbarmungslos, denn Sie schätzen einen Menschen
nicht nach jenem Abzug von seiner Lebenskraft, den
er der Produktion opfert, sondern nach den Groschen,
die Sie ihm ausbezahlen. Wenn Ihre Fehler noch
nicht mit aller Wucht auf die Schultern der Mensch-
heit herniederfallen, so nur deswegen, weil Ihre Hände
zum Glücke zu schwach sind, weil Sie genötigt sind,
zähneknirschend die Macht der Arbeiterklasse
anzuerkennen.
Wenn man Sie hören wollte, so wären die Arbeiter
nichts als Taugenichtse, die zu nichts besseren fähig
sind, als unter Ihrem Kommando zu schanzen. Aber
blicken Sie doch nur einmal um sich. Wie viel Sie
auch schimpfen und jammern mögen, -— das Leben
geht seinen ehernen Gang, und jene Menschen, die
Sie einen nichtsnutzigen Pöbel und Gesindel schelten,
ziehen immer mehr Macht an sich, sitzen schon neben
Ihnen in den Parlamenten, lernen es dort, Ihnen Ge-
setze zu diktieren und erklären Ihnen ganz ofiTen, dass
sie früher oder später die gesamte Produktion an
sich reissen werden.
Offenbar steht doch hinter diesen Menschen eine
unbeugsame Gewalt, und diese Gewalt liegt sicherlich
nicht in den Klagen über Ihre Ungerechtigkeit, sondern
in einem höheren Begriffie von der Produktion, der
diese Menschen beseelt. Mit jedem Tage denkt sich
die Arbeiterklasse immer tiefer in das Produktiuns-
problem hinein und beginnt schon in der jetzigen
Gesellschaft einen immer wachsenden Einfluss auf die
Produktion zu üben. Sie aber werden altersschwach
und ihre Tage sind gezählt. Sie haben Ihre Aufgabe
schon erfüllt, Ihre geschichtliche Mission ist vollendet.
Ihr historischer Beruf bestand ja eben darin, die in
Unwissenheit versunkenen Massen zur gesellschaft-
— 97 —
liehen Arbeit zu erziehen, überall Fabriken aufzu-
richten und Kohlenschächte ^für sie anzulegen, das
Interesse für die gesellschaftlichen Fragen in ihnen
wachzurufen und sie in den Strudel des politischen
Kampfes hineinzureissen. Sie haben Ihre Rolle als
Volksschulmeister gut gespielt; die Lektion war zwar
teuer, doch sie ist nicht ohne Frucht geblieben —
nun ist es Zeit für Sie, Ihren Abschied zu nehmen
und vom Schauplatz abzutreten. Doch leider
gibt es Gründe genug, zu erwarten, dass Sie nicht frei-
willig gehen werden, und ich fürchte, man wird Sie
mit Gewalt davonjagen müssen.
Ihr Todesurteil ist schon geschrieben und ~ mit
Ihrem eigenen Namenszug versehen. Wer es nicht
versteht, zu produzieren, der ist es auch nicht wert,
zu leben — dies ist Ihre eigene Moral, Ihr eigenes
Recht, Ihre eigene Praxis. Darin lag eben Ihre Macht,
so lange andere es nicht besser verstanden als Sie. Es
hat eine Zeit gegeben, wo Sie die Volksmassen expro-
priierten, indem sie ihnen die Handwerkzeuge nahmen,
und die nackten Hände an Ihre Fabriken ketteten.
Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die Gesellschaft in
der Person der Arbeiterklasse sich rüstet, Ihnen die
schon vergesellschafteten Produktionsmittel zu ent-
reissen, welche in Ihren Händen Ihnen zwar Ihren
vielgepriesenen Profit, doch der Gesellschaft noch nicht
den tausendsten Teil des möglichen Nutzens ein-
bringen.
Ich höre Stimmen des Protestes, man wirft mir
Unmenschlichkeit vor und beschuldigt mich, ich ent-
fache die Volksleidenschaften, man erinnert mich an
die Gesetze der Verfassung, die Mord und Raub ver-
bieten und mit Strafe bedrohen. Sie rufen mir zu,
es genüge noch nicht, zu zerstören, man müsse auch
aufbauen können. Sie verlangen von mir, ich solle
Ihnen beweisen, dass in jenem Zukunftsstaate, der auf
Cliarai«ff, Karl Man. 7
— 98 -
den Trümmern der heutigen Gesellschaft sich empor-
richten wird, die Menschen in der Tat ein besseres
Leben geniesen werden, als heute, dass dieser Staat
nicht einer ungeheuren Kaserne oder, was noch
schlimmer wäre, einem grossen Zuchthause gleichen
werde, wo entseelte Automaten nach einem Dekret
von oben vom frühen Tage bis zur späten Nacht eine
ihnen persönlich verhasste Arbeit verrichten müssen?
Nicht doch, meine verehrten Freunde, regen Sie
sich nicht unnütz auf. Ueberlassen Sie all diese
Phrasen ehrgeizigen Demagogen und beifallslüsternen
Agitatoren. Wir sind doch übereingekommen,
dass die schönsten Reden von Recht, Gerechtigkeit
und Humanität ja doch keinen Menschen überzeugen,
können. Wir sind davon ausgegangen, wozu sollen
wir am Ende unseres Zwiegesprächs wieder darauf
zurückkommen? Was verlangen Sie noch von mir
nachdem ich Ihnen doch nachgewiesen habe, dass die
Produktion der Zukunft eine weit höhere Form er-
reichen wird? Ich kann Ihnen doch unmöglich alle
Einzelheiten über die Organisation und den Ausbau
der Produktion in der sozialistischen Gesellschaft mit-
teilen, ich weiss nur das Eine: nämlich dieses, dass
man dort die ganze verausgabte menschliche Arbeit
zu den Produktionskosten rechnen wird. Dort werden
Soll und Haben sich immer gleich sein; ist das viel-
leicht noch nicht genug? Wenn Sie die Absicht haben,
mit irgendeiner Firma in geschäftliche Beziehungen
zu treten, so erkundigen Sie sich doch auch nicht
danach, wie sich ihre Untergebenen fühlen, ob sie nicht
vielleicht mit Arbeit überhäuft sind, ob sie ihre Pflicht
und Schuldigkeit mit Freuden tun oder dazu gezwungen
werden müssen.
Sie sehen sich bloss die Bilanz an — und Sie
haben recht Ich bitte Sie, diesen geschäftlichen
Standpunkt auch dann nicht aufzugeben, wenn Sie
sich vornehmen, über die küniftige sozialistische Ge-
sellschaft zu urteilen.
Diese Gesellschaft wird eine sehr solide Firma
sein, deren Bilanz allen Forderungen der von Ihren
eigenen Lehrmeistern ausgebauten ökonomischen
Wissenschaft genügen wird. Darum muss es im vor-
aus klar sein, dass die Angestellten dieser Firma mehr
mit ihr zufrieden sein werden, als mit irgend einer
der heute existierenden Unternehmungen. Hören Sie
doch auf, über die vermeintliche Sklaverei zu jammern,
mit welcher der Sozialismus die geplagte Menschheit
bedrohe. Es wird Ihnen ja doch nicht im mindesten
helfen. Sie wissen doch selbst: Sie mögen sich noch
so viel für das Privatleben Ihres Konkurrenten in-
teressieren, ihn herabziehen und verunglimpfen — er
wird Sie dennoch alle unterbieten, wenn er nur nach
einer besseren Methode produziert. Oder hat viel-
leicht die Angst vor dem unvermeidlichen Bankerott
Ihnen den Kopf so sehr verwirrt, dass Sie, nur um
Ihre letzte Stunde noch etwas hinauszuschieben, zu
einem jeden, selbst zu einem ofienkundig unbrauch-
baren Mittel greifen?
Nun wohl, dann wollen wir unser Zwiegespräch
lieber abbrechen. Es hat eine Zeit gegeben, wo Sie
nicht von Angst, sondern von Mut beseelt waren. Sie
schlössen Ihre Augen nicht vor der Zukunft, denn die
Zukunft gehörte Ihnen. Sie vertieften sich eifrig in
die Wissenschaft, denn die Wissenschaft versprach
Ihnen den Sieg. Die Zeiten haben sich geändert, Ihr
Lied ist aus, und es bleibt Ihnen nichts übrig, als die
Entwicklung der ökonomischen Wissenschaft, dem
jugendlichen Proletariat zu überlassen, und gleich
einem von Todesahnungen erfüllten Greise, Astrologie
zu studieren, um Ihren Untergang in dem Laufe der
Gestirne zu lesen.
100 —
Nachwort
Jede Produktion läuft auf eine Gütervermehrung
hinaus; eine Anzahl Güter wird in den Produktions-
prozess geworfen und eine grössere aus ihm zurück-
gewonnen. 100 Mass Korn werden ausgesät und 200
geerntet Was aber die Richtung anbetrifft, in welcher
die Produktion entwickelt werden muss, so gibt es
darüber, wie wir gesehen haben, zwei prinzipiell ver-
schiedene Ansichten.
Nach der einen Ansicht muss der Ueberschuss im
Verhältnis zu dem jährlichen Arbeitsaufwand, nach
der anderen im Verhältnis zu den jährlichen materi-
ellen Ausgaben der Produktion wachsen. Die erste
Ansicht, die in ihrer reinsten Form von Marx ver-
treten wird, misst den Grad der technischen Ent-
wicklung durch die gesamte menschliche Arbeit, die
auf jedes zu produzierende Gut kommt. Die zweite
Ansicht wird durch die kapitalistische Wirklichkeit
vertreten; für sie besteht die technische Vollkommen-
heit in der Erhöhung des materiellen Ueberschusses
im Verhältnis zu den materiellen Ausgaben, oder in
einer hohen Profitrate. Sie hält nach Marx nicht
mit der ganzen, sondern nur mit der vergegenständ-
lichten, in Warenform verkörperten Arbeit haus, für
sie ist das Wertgesetz der höchste Ausdruck des Spar-
prinzipes. Beide Ansichten fallen teilweise mitein-
ander zusammen, doch führen sie unter Umständen
zu einer entgegengesetzten Beurteilung der zu
wählenden Produktionsmethoden. Nach der Arbeits-
theorie ist die Methode vorteilhafter, bei welcher jähr-
— 101 —
lieh ein Mann 100 Mass Korn aussät und 200 erntet
als eine solche, bei welcher 2 Arbeiter 100 aussäen
und 270 ernten. Nach dem Wertgesetze, d. h., wenn
wir nur die vergegenständlichte Arbeit zu den
Kosten rechnen, erweist sich im Gegenteil die zweite
Methode als die vorteilhaftere, wenn der jährliche
Arbeitslohn gleich 50 Mass pro Arbeiter ist. Steigt
dagegen der Lohn von 50 bis auf 60, so kommen wir
auf Grund des Wertgesetzes zu demselben Resultate
wie an der Hand der Arbeitstheorie, und werden die
erste Produktionsmethode der zweiten vorziehen
müssen.
Welche Ansicht kommt nun der Wahrheit näher?
Dies ist die erste Frage, die von der Marxkritik ge-
löst werden muss, und die wir in den folgenden
Teilen unseres Werkes wirklich zu lösen versuchen
werden. Man beachte, dass wir in dem vorliegenden
Buche die Arbeitstheorie lediglich objektiv dargestellt,
nirgends aber einer kritischen Würdigung unterzogen
haben. Wir haben gezeigt, was Marx lehrte, und
haben nachgewiesen, dass seine Lehre von dem Satze
ausgeht, die ganze Arbeit müsse gespart werden, und
dass sie nirgends mit diesem Satze in Widerspruch gerät.
Erkennt man den Satz von der Ersparung der ganzen
Arbeit an, so muss man sich mit logischer Notwendig-
keit zu dem Marximus bekennen, wie er hier darge-
legt worden ist; dieser Beweis ist im Vorhergehenden
geführt worden. Ob man aber diesen obersten Satz
auch anerkennen muss, ist eine weitere Frage, die
wir einstweilen in der Schwebe lassen wollen, und zu
der wir erst in den folgenden Bänden Stellung nehmen
werden. Im Rahmen dieses Buches haben wir uns
mit der Rolle eines schlichten Marxinterpreten be-
gnügt, denn man kann eine Lehre erst kritisieren,
wenn man sie genau verstanden und widerspruchslos
zur Darstellung gebracht hat.
— 102 —
Hat Marx mit seinem obersten Satze recht, so ist
der Kapitalismus objektiv verurteilt. Nun kommt
aber noch der Satz von der fallenden Profitrate hin-
zu, welchen wir gleichfalls nur entwickelt, dessen
Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit wir angedeutet,
den wir aber hier weder bewiesen, noch widerlegt
haben. Ist dieser Satz seinerseits richtig, so wohnt
dem Kapitalismus auch ein subjektiver Wider-
spruch inne. Und umgekehrt — wenn der Satz von
der Ersparung der ganzen menschlichen Arbeit falsch
ist und die Profitrate noch dazu steigt, anstatt zu
fallen, — dann und nur dann ist der Kapitalismus
objektiv und subjektiv gerechtfertigt, und
die ganze Kritik, die Marx an ihm üben wollte, erweist
sich als unstatthaft.
Wie aber auch die Antwort auf Me beiden hier
präzisierten kritischen Fragen ausfallen möge, es bleibt
noch eine dritte höhere Frage zu lösen übrig, die uns
in der gesamten Weltanschauung von Karl Marx
vorliegt — die Frage über die Beziehung der Technik
zur Ethik. Worin ist die höchste Gesetzmässigkeit
des geschichtlichen Tuns zu suchen: in dem Verhält-
nis des Menschen zu der Natur oder in dem des
Menschen zum Menschen? Erst mit der Lösung
dieser höchsten Frage kann man sein Urteil über den
Marxismus abschliessen.
Hier ist noch eine wichtige Bemerkung am Platze.
Viele werfen Marx vor, sein System sei durch und
durch ethisch, trotz seiner wiederholten Beteuerun-
gen, er wolle mit der Ethik prinzipiell nichts zu tun
haben. Dieser Einwurf scheint uns indessen nicht
stichhaltig zu sein. Man kann zwar nicht bestreiten,
das6 in dem Marxismus mancher Satz enthalten ist,
den man ethisch zu nennen pflegt, und wie
könnte es anders sein, da Marx in der Tat von Men-
schen und von der menschlichen Wirtschaft han-
— 103 -
delt. Auch war es wirklich, soweit wir es beurteilen
können, niemals Marx' bewusstes Vorhaben, nur un-
moralische Lehren vorzutragen. Er hat sich bloss
das eine Ziel gesteckt: die menschliche Wirtschaft zu
studieren, und seine Widersacher werden erst dann
recht behalten, wenn sie ihm nachweisen — nicht
dass seine Sätze ethisch sind, sondern dass irgend-
einer von seinen Sätzen nur ethisch und nicht
zugleich nationalökonomisch ist.
Marx' Stellung zur Ethik ist diese: Es muss vor
allem eine Wissenschaft von der Produktion geben,
von dem Verhalten des Menschen zu der Natur. Diese
Wissenschaft bedarf eines Prinzipes, und dieses kann
nur die Ersparung der Arbeit sein. Will man das
Arbeitsprinzip nicht anerkennen, so hat man keine
Wissenschaft von dem Verhalten des Menschen
zu der Natur, von der Produktion und der
Wirtschaft. Das Arbeitsprinzip ist somit als Grund-
lage der ökonomischen Wissenschaft notwendig und
wird von Marx nur aus diesem Grunde, nicht aus
irgendwelchen rein ethischen Erwägungen gefordert.
Wird es aber zugestanden, so folgt aus ihm auch eine
ganz bestimmte ethische Lehre, im Sinne einer Nor-
mierung der menschlichen Beziehungen untereinander.
Doch ist diese ethische Lehre keine selbständige Dis-
ziplin, sie ist nur eine Anwendung des Arbeitzprinzipes
auf das gegenseitige Verhalten der Menschen; und
wenn ihr Inhalt gewissermassen mit dem anderer,
selbständig begründeter Lehren zusammenfällt, so ist
es deswegen keineswegs erlaubt, Mirx den Vorwurf
zu machen, er habe Ethik getrieben und sich doch
vor den Menschen und vor sich selbst den Anschein
gegeben, als interessiere er sich lediglich für die
Nationalökono mie.
Dass das Verhältnis des Menschen zur Natur ein
primäres, das Verhältnis des Menschen zum Menschen
— 104 -
ein abgeleitetes ist, das die Eigentumsverhältnisse
durch die Produktionsverhältnisse bestimmt sind,
dass die Ethik, das Recht, die Religion, kurz, alle
Ideologien einen Ueberbau über der Produktionsbasis
bilden, den Kampf des Menschen mit der Natur in
sich „abbilden** — und nicht umgekehrt der Kampf
des Menschen mit der Natur ein Abbild der Kämpfe
der Menschen gegen Menschen ist — , das und nichts
anderes ist ja gerade der Sinn des ökonomischen
Materialismus\
„Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten
des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produk-
tionsprozess seines Lebens und damit auch seiner
gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen
entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle
Religionsgeschichte, die von dieser materiellen Basis
abstrahiert, ist — unkritisch. Es ist in der Tat vie-
eichter, durch Analyse den irdischen Kern der relil
giösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt aus
den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre
verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztere ist
die einzig materialistische und daher wissenschaftliche
Methode.« (I, 336.)
Nach dieser Methode hat Marx eben das, was sonst
Ethik genannt wird, aus dem Produktionsprinzip ent-
wickelt, und nun will man darin einen Widerspruch,
ein verkapptes und verbotenes Spiel mit der abge-
wiesenen Ethik erblicken.
Dies sollten sich auch jene Kritiker überlegen, die
umgekehrt den Fehler des Marxismus in der Ver-
kennung der Ethik sehen. Aber was wird dadurch
gewonnen? — könnte ihnen Marx entgegnen. Ihr
predigt von der Ungerechtigkeit der Mehrarbeit, der
Ueberstunden, der Frauenknechtung usw. Nun gut,
ich habe nachgewiesen, dass all dieses Verstösse
gegen das Arbeitspinzip sind, die schon allein des-
— 105 —
wegen aus der Welt verschwinden müssen. Was
könnt Ihr noch neues hinzufügen? Nichts, gar nichts.
Nur, dass Ihr statt mit einem einzigen, mit zwei
Prinzipien operiert, — mit dem ökonomischen (denn
Ihr erkennt doch auch die Notwendigkeit einer Wissen-
schaft von der Produktion an) — und mit dem
„ethischen", das Ihr durchaus daneben beibehalten
wollt. Ist das wirklich so zweckmässig und erhaben?
Und damit sind wir an dem letzten Punkte angelangt,
den die Marxkritik zu erledigen haben wird. Wie
auch das Gesamturteil über den Marxismus ausfallen
möge — das Eine ist klar — dass man nicht mehr
zu der von Marx überwundenen Anschauung über
zwei selbständige Prinzipien des menschlichen Lebens
zurückkehren kann. Will man sich mit dem Marxis-
mus abfinden, so soll man nicht die Ethik gegen die
Technik ins Feld führen, sondern eine Wissenschaft
ausbauen, in der das, was man sonst Ethik und das,
was man Technik nennt, zu einer Disziplin ver-
schmelzen, — eine Wissenschaft, die zugleich das
Verhalten des Menschen zu der Natur und des Menschen
zu den Menschen zum Objekte ihres Studiums macht,
und uns in Einem Obersatze die Norm angibt, —
für den Kampf mit der Natur und den Frieden unter
den Menschen.
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Drack von J. 8. Pretu», Königl. Hoflieferant, Berlin S., Dresdenerstrasse 48.
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THX8 BOOK 18 PUB ON THE XJUIT DATE
8TAMPED BELOW
AN INITIAL FINE OF 25 CENTS
WILL BE ASSSSSKD POR FAILURE TO RKTURN
THIS BOOK ON THE DATE DUE. THE PENALTY
WILL INCREABB TO 80 CENTS ON THE POURTH
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OCT 31 1938
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