Skip to main content

Full text of "Karl Marx über die menschliche und kapitalistische Wirtschaft: Eine neue ..."

See other formats


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world's books discoverable online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover. 

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 

We also ask that you: 

+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 

About Google Book Search 

Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web 



at |http : //books . google . com/ 




über dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 



Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen. 



UC-HRLF 



I 



"T 



llUIUliliiHl 



y' ^ ,. 






Karl Marx 

über die menschliche und 
kapitalistische Wirtschaft 



Eine neue Darstellung seiner Lehre 



von 



Dr. Georg von Charasoff 




Mottet 

,. . . Wm ihm vorgeworfen wird 
dees er, um die „Menscben'* unbeltflmmtrt 
bei Betrechtung der kapitalisüschen Pro- 
duktion nur die Entwicklung der Pto> 
duktivkrifte im Auge hat — mit welohm 
Opfern an Menschen und Kapitalwerten 
immer erkauft — ist gerade das Be- 
deutende an ihm." 

(Marx aber Ricardo, Kapital, lux 
S. 241-2.) 




Erschienen bei Hans Bondy 
Berlin 1909 



Meinen lieben Kindern Alex, Arthur und Helene 



194374 



Vorwort 

Dieses Buch ist allmählich aus Vortragen ent- 
standen, die ich im Laufe der letzten drei Jahre zu 
halten Gelegenheit hatte. Es bildet gleichsam eine 
Einführung in eine Reihe von nationalökonomischen 
Studien, die ich demnächst zu veröffentlichen beab- 
sichtige, und die in ihrer Gesamtheit ein vollständiges 
Urteil über den Marxismus enthalten sollen. 

Mit diesem Werke lege ich dem Publikum zunächst 
eine kurze Darstellung der Marxschen Lehre vor. Eine 
solche meiner Marx -Kritik voranzuschicken, schien 
mir schon aus dem einfachen Grunde geboten, weil 
das Marxsche ökonomische System, trotz der so um- 
fangreichen Literatur, die seinem Studium gewidmet 
wird, bis auf den heutigen Tag noch vielfach missver- 
standen und durch willkürliche Auslegungen verun- 
staltet bleibt, so dass man genötigt ist, falls man es 
gewissenhaft kritisieren will, den Boden für diese 
Kritik erst durch eine selbständige Untersuchung vor- 
zubereiten. Schon vor zwanzig Jahren haben die 
Vertreter der nationalökonomischen Wissenschaft in 
der Person der Herren Zuckerkandl und v. Böhm- 
Bawerk die seltsame Meinung ausgesprochen, dass 
Marx seine Lehre in einer absichtlich unklaren, dia- 
lektisch zugespitzten Form vorgetragen habe, und erst 
neulich wieder ist dieses Urteil von einem Berliner 



Universitätsprofessor aufs neue wiederholt und gegen 
Marx ins Feld geführt worden, indem dieser erklärte, 
Marx habe sich in der Rolle feines Mephisto gefallen, 
und mit spitzfindig erklügelten Sophismen die ge- 
lehrte Welt plagen und aus der Fassung bringen 
wollen. Kann die Kritik ihre Bedrängnis und ihr 
Unvermögen, einen Denker richtig zu begreifen und 
zu würdigen, deutlicher verraten, als indem sie den 
Vorwurf gegen Marx erhebt, er schreibe nur, um seine 
Gedanken zu verheimlichen und seine Mitmenschen 
zum besten zu halten? 

Gewiss hat der Kampf der politischen Leiden- 
schaften das Verständnis für Marx viel mehr er- 
schwert, als seine Dialektik unseligen Angedenkens, 
und sicherlich wird aus demselben Grunde auch 
diese Darstellung vielfach missverstanden und ange- 
feindet werden. Um dem nach Kräften vorzubeugen, 
erkläre ich hiermit im voraus, dass mein Buch ausser- 
halb jeder politischen Parteimeinung steht und 
ausschliesslich dem wissenschaftlichen Interesse 
dienen will. 

Um die Darstellung nicht unnötig in die Länge 
zu ziehen, habe ich viele Punkte in ihr nicht berück- 
sichtigt, die ja ohnedies schon längst zum wissen- 
schaftlichen Gemeingut geworden sind, so z. B. den 
Begriff der Mehrwertsrate und der organischen Zu- 
sammensetzung der Kapitale. Der Leser, der auch in 
diesen Fragen eine gründliche Orientierung nötig hat, 
darf sich hierin etwa an das Werkchen Kautskys: 
„Karl Marx' ökonomische Lehren'' halten, sicherlich 
eine der besten und populärsten Darstellungen des 
Marxschen „Kapital**, aber wohlgemerkt, nur im Um- 
fange des ersten Bandes; doch muss ich ausdrücklich 
erwähnen, dass der Verfasser in der Begründung des 
Wertgesetzes auf einem wesentlich anderen Stand- 
punkte steht als ich. 



Ich weiss wohl, wie undankbar die Aufgabe ist, 
die ich mir mit meinem Buche gestellt habe* Ich 
furchte, man wird bei mir nur die längst bekannten 
Sätze eines grossen Denkers finden und den neuen 
Zusammenhang nicht beachten wollen, in dem diese 
schon verklungenen Sätze hier wieder erscheinen und 
einen neuen Sinn gewinnen. Weil aus dem Bilde 
nur die vertrauten Züge des Mannes hervorblicken, 
wird man in dem Gemälde kein Kunstwerk, sondern 
nur eine plumpe Photographie sehen wollen. So 
urteilt nun einmal die Menge. Doch hege ich die be- 
scheidene Hoffnung, es werde dem Fachmann nicht 
entgehen, dass mehr als sklavische Nachäfferei dazu 
gehört, um das Porträt eines Charakterkopfes treu, 
doch zugleich mit dem ihm allein eigentümlichen 
Ausdruck nachzuzeichnen. Der Kenner wird bei der 
Betrachtung der vollkommenen Harmonie der Züge 
nicht allein die Schönheit des Originals bewundern, 
sondern auch ein Wort der Anerkennung für den 
Künstler finden, der diese Züge schuf, und sie fest ins 
Auge zu fassen und in einer veredelten Form wieder- 
zuspi^eln sich bemühte. 

Zum Schluss ist es mir eine angenehme Pflicht, 
meinem Freunde Herrn Dr. Otto Buek für seinen 
Rat und Beistand während der Abfassung dieses Buches 
und für manche Anregung, die ich aus den Unter- 
haltungen mit ihm schöpfte, meinen herzlichsten Dank 
auszusprechen. 

Zürich, den 12. Oktober 1908. 

Der Verfasser. 



INHALT. 

I. Teil: Die Logik des Wertgesetzes. 

Seite 

Kap. 1. Das wirtschaftliche Prinzip .... 1 

„ 2. Das Wertgesetz 9 

„ 3. Die Natur des Profits 16 

9, 4. Der Unterschied zwischen utopischem 

und wissenschaftlichem Sozialismus 23 
„ 5. Widersprüche der kapitalistischen 

Produktionsweise 32 

IL Teil: Die Dialektik des Wertgesetzes. 

Kap. 6. Der „Widerspruch" zwischen dem 

L und 3. Bande des „Kapital". . . 46 

7. Die Marx'sche Preislehre 52 

8. Warum die Kritiker die Marx'sche 
Preislehre nicht verstehen .... 60 
Anhang zu Kapitel 8 67 

9. Der Fall der Profitrate 69 

„ 10. Die allgemeine Krise 79 

Schlusskapitel: Karl Marx an seine bürger- 
lichen Gegner 88 

Nachwort 100 



9» 



n 



I. Buch: 



Das Wertgesetz. 




Erster Teil. 

Die Logik des Wertgesetzes. 

(Nach dem ersten Bande des „Kapital'') 



Kapitel L 
Das wirtschafüiehe Prinzip. 

Indem Marx den Grundgedanken seiner materialisti- 
schen Geschichtsauffassung formulierte: — die Produk- 
tion bilde die Basis der gesellschaftlichen Kultur — 
gründete er damit keineswegs eine neue Schule in der 
Nationalökonomie, sondern brachte dieser nur ihre 
eigene immanente Idee zum Bewusstsein, die schon 
vor ihm in der historischen Entwicklung dieser Wissen- 
schaft zu immer schärferer Betonung gelangt war und 
auch heute noch fortfährt, der systematischen Forschung 
die Richtung zu weisen. In der Tat lehrten schon 
die Merkantilisten, dass der Reichtum die Grundlage 
des nationalen Lebens sei, und die Tragweite dieser 
Behauptung darf nicht unterschätzt werden, auch wenn 
man mit A. Smith annimmt, es wurde dabei unter 
Reichtum lediglich die Handelsbilanz oder eine Geld- 
summe verstanden. 

Wenn wir jedoch zur wissenschaftlich ausgebauten 
Lehre der Physiokraten und weiter zum Begründer 
der klassischen Ökonomie, A. Smith, übergehen, so 

Ohar asof f , Karl Marx. 1 



— 2 — 

finden wir hier den Gedanken schon mit vollem und 
klarem Bewusstsein ausgesprochen: der Reichtum be- 
stehe in den sachlichen Gütern, die sich zur Befriedigung 
menschlicher Bedürfnisse eignen, und der gesamte 
Volkswohlstand hänge in letzter Instanz nur von der 
Fähigkeit ab, solche Güter zu vermehren und rationell zu 
verwenden. Die wilden Mongolen, behauptet A. Smith, 
nach deren Ansicht der Reichtum in Vieh bestand, sind 
der Wahrheit viel näher gewesen, als jene spanischen 
Eroberer, welche ganze Stämme von Rothäuten mit 
Hab und Gut ihrer unsinnigen Geldgier geopfert 
haben. Es gibt nach Smith noch eine andere Bilanz, 
welche sich von der Geldbilanz grundsätzlich 
unterscheidet und unvermeidlich zur Prosperität oder 
zum Ruin des Volkes führt, je nachdem sie günstig 
oder ungünstig ausfällt — das ist die Bilanz zwischen 
dem jährlichen Produkte und seinem Verbrauch, 
zwischen der Produktion eines Landes und seinem 
Konsume. Jenes Land ist somit das reichste, 
welches am besten zu produzieren und über das 
Produzierte zu verfügen versteht; und ist es das 
reichste, so schreitet es auch in jeder nur denkbaren 
Richtung am raschesten fort. Vergleicht man damit die 
gangbarsten Definitionen der materialistischen 
Geschichtsauffassung, so überzeugt man sich leicht, 
dass sie fast wörtlich mit den Ausführungen Smiths 
übereinstimmen.*) 

Der soziale Fortschritt wird somit an der gestei- 
gerten Produktion der Gegenstände menschlichen Be- 
darfs gemessen — und zwar bei als konstant gedachter 
Anzahl Arbeitsstunden. Man denke sich zwei Länder 
mit gleicher Bevölkerungsziffer und mit durchschnitt- 
lich gleichen Naturbedingungen. Man nehme ferner 

*) „Die moterialistisclie Anschaatmg der G^diichte geht 
von dem Satze aus, dass die Prodnktioii, imd nächst der 



- 3 — 

an, dass in beiden Ländern täglich gleich lange und 
intensiv gearbeitet wird. Dann muss jenes Land für 
kultivierter anerkannt werden, in welchem] jährlich 
mehr Güter in den menschlichen Konsum übergehen 
oder übergehen können. Wie aber diese Güter verteilt 
werden — ob ein einziger Herrscher sich die meisten von 
ihnen aneignet, oder ob alle gleichmässig an der Kon- 
sumtion teilnehmen — , das ist für den Begriff des Fort- 
schrittes unwesentlich, oder es ergiebt sich vielmehr, wie 
wir weiter sehen werden, schon von selbst aus dem 
postulierten Hauptsatze. A. Smith richtet seine ganze 
Aufmerksamkeit auf den Ertrag des gesamten gesell- 
schaftlichen Kapitals, ohne sich darum zu kümmern, 
ob dieser unter die verschiedenen Individuen »gerecht** 
verteilt sei, und Marx geht noch weiter in dieser 
Richtung, indem er mit vollem Bewusstsein die Frage 
über die gerechte Verteilung aus seiner Theorie aus- 
schliesst. Denn erkenne man gleichzeitig zwei ver- 
schiedene Ideale an — das materielle der gesteigerten 
Produktion und das ideel le der gerechten Verteilung —, 
so erschwere man sich eine einheitliche Erkenntnis 
der sozialen Geschehnisse. Heutzutage werden bedeu- 
tend mehr Güter produziert, als im Mittelalter — folg- 
lich habe die Menschheit mit dem Kapitalismus eine 
höhere Entwicklungsstufe erreicht, als zu Zeiten des 
Feudalismus. Wolle man jedoch auch die Frage der 
gerechten Verteilung beachten und erkenne man z. B. 
an, dass die Gerechtigkeit im „Rechte auf den vollen 
Arbeitsertrag" bestehe, so könnte man daraus folgern, 
dass die Menschheit nicht vorwärts, sondern rückwärts 
geschritten sei, denn der miitelalterliche Geselle erhielt 
vielleicht einen grösseren Anteil an dem Ertrage seiner 
Arbeit im Vergleiche mit dem modernen Proletarier. 



Produktion der Austauscli ihrer Produkte, die Grundlage aller 
Gesellschaftsordnung ist" etc. Anti Düring, 3te Aufl., S. 286. 



- 4 — 

Sollen wir auf Grund dessen auf die heutige Technik 
verzichten und die Rückehr zum Handwerk predigen? 
Gewiss nicht — antwortet uns Marx, indem er eine 
Idee entwickelt, welche schon der klassischen Schule 
eigen war: die Frage über die Gerechtigkeit ist immer- 
hin eine unklare und strittige, während alle sofort 
mitdemPrinzipedes ökonomischen Fortschrittes einver- 
standen sind. Darum ist auch die Tendenz zur Auf- 
rechterhaltung abgelebter Wirtschaftsformen im Namen 
einer nebelhaften Gerechtigkeit unbedingt reaktionär; 
hinter all jenen Phrasen von der guten alten Zeit, als 
noch jedem der volle Ertrag seiner Arbeit gesichert 
war, verbirgt sich durchaus nicht ein entwickeltes 
ethisches Gefühl, sondern ein für den Volkswohlstand 
überaus gefahrlicher Versuch, „das Rad der Geschichte 
zurückzudrehen**, — und zwar im Interesse nicht der 
ganzen Gesellschaft, sondern einiger kleinbürgerlichen 
Klassen, welche sich fürchten, ihr ehemaliges Gewicht 
und ihre Bedeutung mit der technischen Entwicklung 
einzubüssen. 

Es gibt somit nach Marx wohl nur eine einzige 
und nicht zwei, einander widersprechende De- 
finitionen des gesellschaftlichen Fortschrittes. Der 
Fortschritt wird durch die Anzahl Güter gemessen, 
welche auf jeden arbeitenden Menschen kommen — 
doch nur im Prozesse der Produktion und nicht in 
dem der Verteilung. Ein jeder soll eine möglichst 
grosse Anzahl Gegenstände herstellen, — das ist klar 
und unbestritten; ob er sie aber alle als sein Eigentum 
festhalten soll — ist eine andere Frage, die freilich 
auch gelöst werden muss, jedoch auf Grund desselben 
Prinzips der wachsenden Produktion und nicht auf 
Grund eines neuen, speziell zu diesem Behufe erfundenen 
„Gerechtigkeitsprinzips''. Das ist die Stellung desMarxis** 
muszum Verteilungsproblem, welche auch in dem Namen 
desSystems inmaterialistische Geschichtsauffassung- 



— 5 — 

deutlich zutage tritt; einstweilen brauchen wir uns 
nicht mehr darüber zu verbreiten. Weitere Einzel- 
heiten werden uns im Laufe unserer Darstellung von 
selbst klar werden. 

Wenn auf jede Arbeitsstunde eine wachsende 
Masse von Produkten kommen soll, so soll umgekehrt 
die Produktion eines und desselben Gutes eine immer 
geringere Spanne Arbeitszeit beanspruchen. Aber wie 
ist diese auf einen jeden Gegenstand kommende Ar* 
beitszeit zu berechnen, deren Verminderung, nach dem 
Vorhergegangenen, nicht allein den technischen, son- 
dern überhaupt den ganzen gesellschaftlichen Fort- 
schritt misst? Das wäre sehr leicht, wenn man alle 
Gegenstände mit blossen Händen aus den in der Natur 
fertig daliegenden Materialien produzierte. Wenn das 
Korn z. B. überall von selbst wüchse, und wir gewusst 
hätten, dass ein jeder Arbeiter imstande sei, jährlich 
1000 Brote daraus zu verfertigen, so wäre ersichtlich) 
dass ein jedes Brot der Gesellschaft im Durchschnitt 
Viooo Arbeitsjahr kosten würde. Doch ist der Sach- 
verhalt bei einer jeden einigermassen entwickelten Pro- 
duktion ein viel komplizierterer. Erstens enthalten 
schon die zu bearbeitenden Materialien ein bestimmtes 
Quantum menschlicher Arbeit; zweitens aber bedient 
sich der sie verarbeitende Arbeiter gewisser Produk- 
tionsinstrumente, welche sich im Arbeitsprozesse ab- 
nutzen und somit ihrerseits das resultierende Quantum 
Arbeit erhöhen, welches das Produkt der Gesellschaft 
kostet. 

Es erscheint demnach geboten, über zweierlei Ar- 
beit Buch zu führen: erstens, über die tote, oder die 
in Materialien und Werkzeugen vergegenständlichte 
Arbeit; diese wird bei Marx mit c bezeichnet und 
trägt noch den später zu erläuternden Namen „kon- 
stantes Kapital**; und zweitens über die lebendige 
Arbeit jener Menschen, die das Produkt mit Hilfe der 



- 6 — 

toten Arbeit erzeugen; diese Arbeit wollen wir mit a 
bezeichnen. Die Summe c + a beider Arbeitsarten, 
die bei der Produktion eines Gegenstandes verausgabt 
werden, bestimmt die wirklichen Arbeitskosten des 
Produktionsprozesses, und die Aufgabe der Technik 
besteht darin, die Produktionsmethoden in der Rich- 
tung des kleinstmöglichen Betrages dieser Summe 
c + a zu vervollkommnen. Denn wenn der Posten a 
zwar reduziert wird, dafür aber der Posten c so be- 
deutend anschwillt, dass die Gesamtsumme die frühere 
bleibt, so kann augenscheinlich von keinem technischen 
Fortschritt die Rede sein. Was an der definitiven Be- 
arbeitung der Materialien gewonnen wurde, wird genau 
aufgewogen durch die Notwendigkeit, mehr Arbeit auf 
die vorausgehende Beschafiung der Materialien oder 
Werkzeuge auszugeben, und der gesellschaftliche Kon- 
sum wird bei der gleichbleibenden Jahresarbeit 
schliesslich nicht im mindesten gehoben. 

Nehmen wir ein fantastisches Beispiel, um die 
Rolle der toten und der lebendigen Arbeit zu illustrieren. 
100 Mass Korn werden jährlich ausgesät und 200 ge- 
erntet. Der jährliche Ueberschuss von 100 Mass stellt 
einen Arbeitsaufwand gleich 1 Jahre dar. Aber man 
hätte diesen Ueberschuss nicht ohne die in der Aus- 
saat verkörperte tote Arbeit gleichwie aus dem Nichts 
erschaffen können; diese tote Arbeit ist auch gleich 
1 Jahre. Somit wurden 2 Jahre Arbeit ausgegeben: 
1 Jahr tote und 1 Jahr lebendige Arbeit. Und 2 Jahre 
Arbeit wurden auch in den 200 Mass der Ernte zurück- 
erhalten, — davon 1 Jahr in Gestalt von 100 Mass für 
die nächste Aussaat zurückgelegt, und 100 in den Konsum 
geworfen. Das Endresultat ist, als ob die 100 Mass 
Aussaat in dem Speicher liegen geblieben und die 
überschüssigen 100 aus der lebendigen Arbeit allein 
entstanden wären. Aber der Sachverhalt ist, strenge 
genommen, doch ein anderer. In jedem Korn der 



Ernte ist zur Hälfte tote, zur Hälfte lebendige Arbeit 
enthalten, denn jedes Korn ist gleichmässig das Pro- 
dukt der toten wie der lebendigen Arbeit. Somit geht 
das halbe Produkt beider Arbeitsarten in den Konsum 
über, und ebenso wird auch für die nächste Aussaat das 
halbe Produkt der toten und der lebendigen Arbeit 
zurückgelegt. Nur die Hälfte der lebendigen Arbeit hat 
an der Erzeugung der zu konsumierenden 100 Mass 
Korn teilgenommen; die andere Hälfte wurde durch 
die Reproduktion von 100 Mass Aussaat absorbiert. 
Was für dieses erfundene Beispiel gilt, das gilt 
auch für jeden nur denkbaren Fall der menschlichen 
Wirtschaft. Der Ai*beitsaufwand, der in dem zu kon- 
sumierenden Ueberschusse verkörpert ist, ist immer 
gleich dem jährlichen Aufwände an lebendiger Arbeit, 
doch nur der Grösse, nicht dem Ursprung nach. Nicht 
die ganze lebendige Arbeit und nicht die lebendige 
Arbeit allein ist in diesem Ueberschusse vergegen- 
ständlicht. Ein bestimmter Teil der vergegenständ- 
lichten Arbeit rührt von den Materialien und den 
Werkzeugen her, welche bei der Erzeugung des Ueber- 
Schusses aufgezehrt und nicht in diesem, sondern in 
vergangenen Jahren hergestellt wurden; und ein diesem 
Teile genau gleicher Teil der lebendigen Arbeit wurde 
auch auf die Reproduktion dieser Materialien und Werk- 
zeuge verausgabt und wird seinerseits erst im nächsten 
Jahre auf den zu konsumierenden Ueberschuss über- 
tragen.*) 

*) Pas stehende Wasser eines Sees mag die tote, in den 
Produktionsmitteln anfgespeicherte Arbeit symbolisch darstellen; 
das hineinfliessende Wasser eines Flusses die lebendige, endlich 
das jährlich ans dem See abfliessende Wasser die in den Gegen- 
ständen des menschlichen Bedarfes verkörperte Arbeit. Das 
Wasser fliesst in gleichen Mengen ein nnd ans; doch ist 
darum das ausfliessende Wasser nicht mit dem einfliessenden 
dientisch. 



— 8 - 

Die Folge davon ist, dass nicht die lebendige Arbeit 
allein Quelle des ganzen Reichtums ist, und dass auch 
die vielumstrittene Forderung des vollen Arbeitsertrages 
auf einer falschen Auffassung des Arbeitsprozesses be- 
ruht. Marx spricht das besonders klar und bündig in 
seiner Kritik des Gothaer Programms gegen Lassalle 
aus. Der Arbeiter allein ohne die durch die vergangene 
Arbeit erzeugtes Produktionsmittel (geschweige denn 
ohne die Natur selbst) könne nichts ausrichten. Darum 
dürfe er auch nicht von dem Ertrage seiner Arbeit 
reden; und daher fange andererseits die echt mensch- 
liche Wirtschaft — der Sozialismus — erst von jenem 
Augenblicke an, wo die Arbeiterklasse die Produktions- 
mittel in ihren Besitz nehme und der lebendige 
Mensch mit diesen „künstlichen Organen** seines 
Körpers ein harmonisches Ganzes bilde. Wenn Marx 
überall darauf besteht, dass die auf verschiedene Güter 
verausgabten Arbeitsquanten abgezählt werden müssen, 
so meint er es somit nicht in jenem nUtopischen*" Sinne, 
dass die Arbeit die Quelle alles Reichtums sei und 
dem Arbeiter daher (?) das ganze Produkt zukomme, 
nicht um das Einkommen eines jeden Arbeiters nach 
der von ihm geleisteten Arbeit zu bestimmen, sondern 
weil der wirtschaftliche Fortschritt, unabhängig da- 
von, wer das Recht auf den „Arbeitsertrag" hat, in 
der Entwicklung der Produktivität der menschlichen 
Arbeit, in der Verminderung der Arbeitsaufwände, in 
der Erhöhung des von jedem Menschen in einer Zeit- 
einheit hergestellten Quantums wirtschaftlicher Güter 
bestehe und in nichts anderem bestehen könne. 

Diese Definition des technischen Fortschritts 
nimmt Marx von den Klassikern der Nationalökonomie 
in seine Theorie hinüber; dagegen lehnt er ausdrück- 
lich den Satz A. Smith^s von der „Arbeit als Quelle 
des Reichtums** ab, und nicht allein, weil er ihm 
utopisch zu sein scheint. Nach Marx' Auffassung ist 



— 9 — 

dieser Satz schlimmer als utopisch: er ist eine Kriegs- 
list der bürgerlichen Oekonomie, die dem Arbeiter 
schmeicheln und ihm versichern will, dass er schon 
jetzt in der kapitalistischen Gesellschaft, den Pro- 
duktionsmitteln entfremdet, bloss von der Arbeit seiner 
Hände leben und alles produzieren könne, und dass 
daher seine Knechtung nicht in der Trennung seiner 
lebendigen Kraft von der toten Arbeit wurzelt, sondern 
in irgendwelchen allgemeinen, mit dem Eigentum an 
Produktionsmitteln in keiner Weise im Zusammen, 
hang stehenden ^ewigen^^ Gesetzen der menschlichen 
Wirtschaft. Trotz der Versicherungen einiger Marx- 
kritiker, die überall bei Marx eine verkappte Forde- 
rung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag zu fijideh 
wissen, war Marx der bewussteste, .folgerichtigste und 
erbittertste Gegner dieses, nach'Hhm, vermeintlichen, 
ja sogar trügerischen *fte^htes. .. 



Kapitel IL 
Das Wertgesetz. 

Wenn eine Wirtschaft technisch fortschreiten soll, 
muss sie mit der menschlichen Arbeit haushalten. 
Nun aber beruhen die historischen individualistisch 
organisierten Wirtschaften scheinbar auf Ersparung 
von Geld, nicht von Arbeit. Die Produzenten suchen 
die Produktion in. erster Linie zu ver wohlfeilem, sie 
wählen die Produktionsweisen, welche ihnen am 
wenigsten Geld kosten; sie erreichen hierbei, wie die 
Erfahrung lehrt, im allgemeinen auch die Entwick- 
lung der Produktivität der menschlichen Arbeit, — 
aber wie sie zu diesem Endresultat kommen, bleibt 



— 10 — 

ihnen selbst verborgen, denn sie rechnen eben in Geld, 
nicht in Arbeit. 

Die Produzenten sind mit den Merkantilisten der 
naiven Ansicht, dass der technische Fortschritt in 
Geldersparnis, der Reichtum im Besitze von Geld- 
summen bestehe. Oder vielmehr drückten die Mer- 
kantilisten in ihrem Satze von der Handelsbilanz 
nur die landläufige Meinung der wissenschaftlich un- 
gebildeten Produzenten und Kaufleute aus, nach 
welcher alles auf das Geld, nicht auf die reellen Güter 
ankommt. Nun hat die klassische Schule jene grund- 
legende Wahrheit enthüllt, dass der wahre Reichtum 
„nicht in Gold oder Silber, sondern im reellen Ein- 
kommen des Landes^^ bestehe. Daraus musste mit 
Notwendigkeit auch jener Satz gefolgert werden: nicht 
time is money („die Zeit ist Geld"), wie es die Handels- 
leute zu behaupten pflegen, sondern umgekehrt: money 
is time — „das Geld ist Zeit", nämlich die Arbeits- 
zeit, oder mit anderen Worten: in einer vollkommenen 
Wirtschaft müssen die Produktionskosten stets in 
Arbeitszeit und nicht in Gold- oder Silbermengen be- 
rechnet werden; denn — die Arbeit ist jenes ursprüng- 
liche Geld, womit Menschen alles bei der Natur er- 
kaufen, wie A. Smith sich trefflich ausdrückt. 

Was aber das Gold oder das Silber anbetrifft, so er- 
klärt schon A. Smith sie für Waren gleich allen anderen, 
die eben nur deswegen geschätzt werden, weil sie Ar- 
beit in sich enthalten, durch Arbeit erzeugt und ver- 
mehrt werden. In gewissen Fabrikgegenden Englands 
— berichtet Smith — kaufen die Arbeiter, welche 
Nägel produzieren, alle Gegenstände, die sie brauchen, 
bei Kleinkrämern, indem sie diese nicht mit Münzen, 
sondern mit Nägeln bezahlen: das Rrot kostet so und 
so viel Nägel, ebenso auch Salz und Seife. Es soll 
demnach einleuchten, dass auch Gold oder Silber ihre 



— 11 — 

Rolle als Tauschgeld eben demselben Umstände ver- 
danken, Produkte der menschlichen Arbeit zu sein, 
verbunden mit ihren natürlichen Eigenschaften der 
Teilbarkeit, Dauerhaftigkeit und des kleinen Gewichtes. 
Besitzt ein Land kein Gold oder Silber, ist es dagegen 
reich an anderen Arbeitsprodukten, so kann es diese, 
wenn nötig, gegen Gold oder Silber umtauschen, ebenso 
wie ein Land, das keine Weinberge besitzt, seine 
Weine aus dem Auslande kommen lässt; und es ist 
ebenso töricht zu behaupten, der Reichtum bestehe in 
Geld, als zu behaupten, er bestehe ausschliesslich in 
Weinen. Weiter folgt daraus, dass nicht der Handel 
am einträglichsten ist, welcher dem Lande mehr Geld 
zuführt, sondern ein solcher, bei welchem nicht um- 
sonst Arbeit weggegeben wird; — oder dass die rich- 
tige Handelsbilanz keine Geld-, sondern eine Arbeits- 
bilanz sein müsse. 

Diese Folgerung aus dem der ganzen National- 
ökonomie zugrunde liegenden Sparprinzipe ist es eben, 
die unter dem Namen des so oft missverstandenen 
Wertgesetzes sich durch die Werke A. Smith% 
D. Ricardo's und K. Marx^ hindurchzieht. Soll eine 
Wirtschaft des technischen Fortschritts fähig sein, so 
müssen in ihr jedesmal die Geldpreise die in den 
Waren verkörperte Arbeit messen — das ist ja das 
Wertgesetz. Sind die Geldpreise den in den Waren 
verkörperten Arbeitsmengen proportional, kosten ge- 
rade jene Waren mehr, die auch schwieriger zu pro- 
duzieren sind, so werden die Produzenten, indem sie 
die Waren in Geld zu verbilligen suchen, notwendig 
auch die Produktion in der Richtung der gesteigerten 
Produktivität der menschlichen Arbeit entwickeln. 
Wenn Smith oder Ricardo behaupten, das Wertgesetz 
herrsche auf dem Markte, oder die Waren werden 
nach den in ihnen steckenden Arbeitsmengen ausge- 
tauscht, so sagen sie also mit anderen Worten, dass 



— 12 — 

die gesellschaftliche Produktion, obscbon von Indivi- 
duen geleitet, die nach ihrem eigenen Geldnutzen 
trachten, doch in richtigen Bahnen sich fortbewegt 

Es ist wichtig, auf die psychologische Seite des 
Wertgesetzes näher einzugehen. Es wird vorausgesetzt 
eine individualistische Geldwirtschaft, in welcher 
die Produzenten nichts von dem wissenschaftlichen 
Arbeitsprinzip wissen und in ihrer wirtschaftlichen 
Tätigkeit durch eigenen ptTSÖnlichen Vorteil, nicht 
durch Erwägungen über die gesellschaftliche Nützlich- 
keit des technischen Fortschritts bestimmt und ge- 
leitet werden. Wenn jedoch ihr Streben zur tech- 
nischen Entwicklung geführt hat, so ist dies nicht 
anders zu erklären, als dass „hinter ihrem Rücken" 
(Marx) das Wertgesetz, wie „eine unsichtbare Hand" 
(Smith) die Preise geregelt hatte. Denn wenn die 
Preise mit den Werten nichts gemein haben, und 
ein Produzent eine Produktionsweise durch eine 
andere ersetzt, die ihm weniger Geld kostet, — wie 
können wir behaupten, dass es ein Fortschritt für die 
Gesellschaft war? Vielleicht ist die billigere Produk- 
tionsmethode auch die schwerere, d. h. vielleicht 
kostet sie mehr Arbeit, obwohl sie weniger Geld 
kostet? Das kann nur dann nie eintreten, wenn das 
Billigere jedesmal auch das Leichtere ist, d. h. wenn 
das Wertgesetz die Preise bestimmt. 

Die Gesellschaft als Ganzes verlangt die Reduktion 
der Arbeitskosten. In diesem Verlangen offenbart 
sich der Wille der menschlichen Gattung zur Macht 
über die Natur, die Menschheit soll „ihre Ketten ver- 
lieren und die ganze Welt erobern". „Es gilt, die 
Welt umzuändern", und zwar mit dem kleinsten 
möglichen Aufwand „von menschlichen Muskeln, 
Nerven und Hirn". Die Arbeit der Naturbezwingung 
soll von den Schultern der Menschheit auf die Natur 
selbst abgewälzt werden, es soll an Stelle des lebendigen 



— 13 - 

menschlichen ein toter Organismus der Maschinerie 
treten, welcher, nach den von den Menschen erkannten 
Naturgesetzen konstruiert, durch den leisesten Stoss 
der menschlichen Hand in Bewegung gesetzt, die 
ganze materielle Kultur gleichwie von selbst zu 
erschaffen imstande sei. Dies ist die Aufgabe der 
Technik. Erst auf diese Weise wird es der Mensch- 
heit möglich, sich von der Gewalt der elementaren 
Naturkräfte zu befreien, ihrer Herr zu werden, anstatt 
sich ihnen zu unterwerfen. „Das Reich der Freiheit 
kann nur auf dem Boden der Notwendigkeit auf- 
blühen, die Verkürzung der Arbeitszeit ist die erste 
und unumgängliche Bedingung dazu''. 

Nun aber „besteht, — wie Hegel sagte — die List 
der Vernunft darin, dass sie zu ihrem Zwecke die 
menschlichen Leidenschaften wirken lässt". Der ver- 
nünftige Wille der Gesellschaft zur Macht über die 
tote Materie bestimmt den unvernünftigen Willen des 
Individuums zum Geldreichtum, unterwirft ihn seinem 
Zwecke, indem die Geldpreise auf dem Markte nach 
den verausgabten Arbeitsmengen sich richten, ohne 
dass das einzelne Individuum etwas davon zu ahnen 
brauchte. „Eine unsichtbare Hand führt das In- 
dividuum zu einem Zwecke, den es sich nicht ge- 
steckt hat" — was schon A. Smith wusste. Der ge- 
sellschaftliche Fortschritt besteht in der Ersparung 
der menschlichen Arbeit; der persönliche Vorteil 
scheint in Ersparung von Geld zu bestehen. Bestimmt 
der gesellschaftliche Wille die individuellen Triebe 
— und sonst kann keine Gesellschaft, somit auch 
kein Individuum gedeihen — , so bestimmt das Wert- 
gesetz die Preise, denn Arbeit ist für die Gesellsch aft, 
Geld für das Individuum „das Mass aller Dinge'^ 

Das ist der Gedanke, der dem Wertgesetze zu- 
grunde liegt. Das Wertgesetz ist somit der Mechanis- 
mus, der das Individuum der gesellschaftlichen 



— 14 — 

Kontrolle unterwirft und die individuelle Psychologie 
unter die gesellschaftliche Vernunft zwingt. Die Ge- 
sellschaft verlangt, dass die Arbeitskosten gespart 
werden; dieses kommt dem Individuum in der psycho- 
logischen Form zu Bewusstsein, dass es einen jeden 
Gegenstand nach der in ihm verkörperten Arbeitszeit 
schätzen solle. Diese wird von dem Individuum als 
eine Eigenschaft des Gegenstandes gedacht, nach 
welcher der Gegenstand einen Wert bekommt, so und 
so viel wert ist. Indem der Besitzer einer Ware sie 
nach ihrem Werte schätzt, schätzt er nicht die Arbeit 
deren Verminderung den gesellschaftlichen Fortschritt 
bedeutet, sondern die Ware selbst, weil es ihm in 
seinem eigenen Interesse zu liegen scheint. Das ist 
„der Fetischismus der Warenform" nach dem be- 
kannten Ausdrucke von K. Marx, das ist das charak- 
teristische der Wertschätzung. 

Nicht die freie, auf gegenseitigem Einverständnis 
beruhende Einsicht der Individuen in das Grund- 
prinzip der Oekonomie regelt also die gesellschaftliche 
Produktion, wie das in der sozialistischen Gemeinde 
der Fall sein würde, sondern die Oszillationen und 
Schwankungen der Geldpreise auf dem Markte, die in 
sich alle Aenderungen in den Produktionsweisen ge- 
treu abbilden/) 



*) „Die Nutzeffekte der verschiedenen Gebrauchsgegenstände, 
abgewogen untereinander und gegenüber den zu ihrer Her- 
stellung nötigen Arbeitsmengen,' werden (im socialistischen 
Staate) den Plan schliesslich bestimmen. Die Leute machen 
alles sehr einfach ab, ohne Dazwischenkunft des vielberühmten 
„Wertes»«, (Anti Düring, S. 336). — Hierzu macht noch Engels 
folgende bemerkennswerte Anmerkung: „Dass obige Abwägung 
von Nutzeffekt und Arbeitsaufwand bei der Entscheidung über 
Produktion alles ist, was in einer kommunistischen G-esellschaft 
von Wertbegriff des politischen Oekonomie übrig bleibt, hatte 
ich schon 1844 ausgesprochen. Die wissenschaftliche Begründung 



— 15 — 

Dabei wird jedoch vorausgesetzt, dass der Markt 
unter der gesellschaftlichen Kontrolle steht. Befindet 
er sich unter dem ausschliesslichen Einflüsse einiger 
Individuen, die dank ihrer Monopolstellung gegen- 
über allen übrigen Mitgliedern der Gesellschaft die 
Preise nach ihrem eigenen Dafürhalten festsetzen können, 
so herrscht natürlich kein Wertgesetz auf dem Markte 
und die Entwicklung der Technik ist der Gesellschaft 
durchaus nicht garantiert* Anstatt die Produktions- 
weise zu vervollkommnen, wird der Monopolist seine 
Geldgier einfach durch willkürliche Preiserhöhungen 
befriedigen können. Ja, es kann in seinem Interesse 
liegen, den rellen Reichtum in der Gesellschaft nicht 
zu vermehren, sondern zu zerstören, wenn es ihm nur 
seine Monopolstellung sichert, wie es (nach Fourier) die 
Kornhändler tun, die einen Teil ihres Kornes ver- 
nichten und dann der Bevölkerung enorme Preise 
aufzwingen, indem sie den von ihnen selbst künstlich 
erzeugten Kornmangel ausnützen/"") Somit muss der 
Markt unter der gesellschaftlichen Kontrolle stehen, 
und dieses wird nach der Ansicht der klassischen 
Schule durch die freie Konkurrenz erreicht. Wenn 
alle Geldbesitzer ein gleiches Recht haben, an der gesell- 
schaftlichen Produktion teilzunehmen, so kann keiner 
von ihnen den anderen seine eigenen Bedingungen 
vorschreiben, es scheint, dass unter dieser Bedingung 
sich niemand auf Kosten anderer bereichern könne. 



dieses Satzes ist aber, wie man sieht, erst durch Marx „Kapital*' 
möglich geworden/' Hier spricht Engels sehr klar den 
Gedanken aas, dass in der Wertrechnnng das Sparprinzip für 
die bürgerliche Gesellschaft gegeben ist, nnd trotzdem können 
die meisten Marxkritiker das BUtsel des Wertgesetzes bis anf 
den heutigen Tag nicht entziffern. 

**) A. Smith berichtet über die Verwüstungen, welche die 
Holländer in ihren Kolonien anstifteten, nur um die Preise 
auf die Kolonialprodukte in die Höhe zu treiben. 



— 16 -- 

jedermann müsse danach trachten, einen Vorsprung 
durch verbesserte Produktionsbedingungen zu gewinnen. 
Diese Auffassung der freien Konkurrenz, welche 
bei den Klassikern den Abschluss ihrer gegen den 
Merkantilismus und das Protektionssystem gerichteten 
Kritik bildet, dient ihrerseits zum Ausgangspunkt für 
den kritischen Ansturm gegen den Kapitalismus, 
welchen Marx unternommen hat. Indem Marx zu- 
nächst die Postulate der klassischen Schule ohne wei- 
teres zugibt, sucht er durch ihre weitere logische Ent- 
wicklung nachzuweisen, dass ihnen ein unlösbarer 
Widerspruch anhaftet, und dass das freie kapitalistische 
Produktionssystem keineswegs das letzte Wort der ge- 
sellschaftlichen Vollkommenheit bedeutet, sondern, 
ebenso wie es vormals mit dem Protektionssystem der 
Feudalzeiten aufräumte, einst von einer noch höheren 
Wirtschaftsform — dem Sozialismus — abgelöst 
werden wird. Diesen Nachweis in seinen Hauptzügen 
wiederzugeben, wird unsere nä^chste Aufgabe sein. 



Kapitel III. 
Die Natur des Profites. 

Wir haben soeben die Hauptpostulate der klassi- 
schen Schule kennen gelernt. Die Gesellschaft über- 
lässt die Entwicklung der Produktivität den Individuen, 
und zwar den Besitzern grosser Geldsummen, oder den 
Kapitalisten, und sorgt nur dafür, dass der Markt frei 
ist. Dann stellen sich auf dem Markte die den Werten 
gleichen Preise ein, und das Privatinteresse der Kapi- 
talisten führt bei dieser Voraussetzung direkt zu der 
Befriedigung des gesellschaftlichen Willens. „Ein jedes 



— 17 — 

Individuum sucht sein Kapital mit dem grössten 
Nutzen zu verwenden — lesen wir bei Smith, — zwar 
verfolgt es dabei seinen eigenen Vorteil, doch wird es 
zugleich auf eine natürliche oder vielmehr notwendige 
Weise dazu gezwungen, die Beschäftigung vorzuziehen, 
welche auch für die Gesellschaft die vorteilhafteste ist.** 

Das System der «natürlichen Freiheit'', welches die 
klassische Schule predigte, darf somit als ein Contrat 
Social, als ein Vertrag zwischen dem Individuum und 
der Gesellschaft aufgefasst werden. Das erstere über- 
nimmt die Entwicklung der Technik, die Hebung des 
Volkswohlstandes durch stetige Verbesserungen der 
Produktion, wofür ihm die Gesellschaft ihrerseits eine 
Befriedigung seines Geldinteresses gewährt oder gleich- 
sam eine Prämie in Aussicht stellt. Diese Prämie 
welche Profit heisst, erhält der Kapitalist jährlich in 
der Form eines Zuwachses auf das von ihm vorge- 
schossene Geldkapital, und zwar pflegt der Profit im 
Durchschnitt um so grösser zu sein, je grösser das 
vorgeschossene Kapital ist, so dass er in einem über- 
all gleichen (oder nahezu gleichen) Verhältnisse zum 
Kapital steht. 

In Bezug auf den Profit bemerkt A. Smith aus- 
drücklich, dass er nicht den Lohn für die Arbeit des 
Kapitalisten bildet: denn der Kapitalist kann die Be- 
aufsichtigung seines Unternehmens einem Direktor 
überlassen, dessen Gehalt dann den Lohn für die Be- 
aufsichtigungsarbeit genau ausdrückt; und dennoch 
wird der jetzt offenbar keine Arbeit leistende Kapita- 
list auch weiter einen seinem Kapital proportionalen 
Profit einstreichen. Der Profit ist somit kein Arbeits- 
lohn, vielmehr ist er als eine Art Prämie aufzufassen, 
durch welche die Gesellschaft den Kapitalisten zur 
bestmöglichen Verwendung des Kapitals anspornt. So 
ist die Lehre der klassischen Schule über den Profit 
zu verstehen, und an diese Lehre knüpft Marx mit seiner 

Charasoff, Karl Marx. 9 



— 18 — 

Kritik unmittelbar an, indem er die Frage aufwirft — 
woher denn der Profit kommen mag? Es sind 
doch nach der Arbeitstheorie die Auslagen allemal 
dem Ertrage gleich, ein Gewinn über die Auslagen 
hinaus lässt sich, wenn in Arbeit gerechnet wird, nicht 
erzielen. „Dies ist der Fundamentalsatz . . . und der 
ist unumstösslich für den Oekonomen von Fach." 

Wohlverstanden — hiermit wird nicht etwa die 
Existenz eines materiellen Ueberschusses über die 
materiellen oder sachlichen Auslagen der Pro- 
duktion in Zweifel gezogen. Es wird damit nur die 
Tatsache festgestellt, dass, wenn wir in Arbeit rechnen, 
die Zahl, welche die Auslagen angibt, genau dieselbe ist, 
wie die, welche den Rohertrag bezeichnet. Denn neben 
den materiellen Auslagen figuriert in der Arbeits- 
theorie noch ein wichtiger Posten — die lebendige 
Arbeit. Und der durch den Ueberschuss vermehrte 
Wert des Bruttogewinnes wird durch diesen Posten 
genau aufgewogen. Es sind 100 Mass Korn ausgesät 
und 200 geerntet; der materielle Ueberschuss ist gleich 
100 Mass. Rechnen wir aber in Arbeit, so gestaltet 
sich die Rechnung folgendermassen: 

Auslagen: Roheinkommen : 

1 Jahr tote Arbeit 

(« 100 Mass Aussaat) 200 Mass Ernte = 

1 Jahr lebendige Arbeit 2 Jahre Arbeit 

Summa: 2 Jahre Arbeit. 

[Zieht man von dem Werte des Roheinkommens 
den Wert der materiellen Auslagen ab, so erhält man, 
wie wir es schon im Kap. I gesehen haben, den Wert 
des Reineinkommens gleich dem Quantum veraus- 
gabter lebendiger Arbeit, woraus jedoch, wie wir 
gleichfalls wissen, durchaus nicht folgt, dass der Ur- 
sprung des Reineinkommens in der lebendigen Arbeit 
allein zu suchen ist.] 



- 19 - 

Auf diese Eigentümlichkeit der Arbeitstbeorie 
kann man nicht aufmerksam genug sein. Alle Miss- 
verständnisse der Marxkritiker rühren eben von der 
Nichtbeachtung jenes einfachen Umstandes her, dass 
es in Arbeit gerechnet keinen Profit im Sinne der 
arithmetischen Differenz zwischen Rohgewinn und 
Auslasen geben icann. 

Und das ist die notwendige Konsequenz des wirt- 
schaftlichen Prinzips. Dieses besteht ja darin, dass 
man das Reineinkommen nicht absolut, sondern im 
Verhältnis zu der dabei betätigten lebendigen Arbeit 
zu erhöhen habe. Wird der Ueberschuss auf Kosten 
einer grösseren Betätigung lebendiger Arbeit erhöht, 
so ist darin kein technischer Fortschritt zu erblicken. 
Bei jeder noch so rohen Technik, könnte man viel- 
leicht den Betrag verdoppeln, wenn man zweimal so- 
viel arbeiten wollte. Der Fortschritt besteht aber 
nicht in einem solchen Schwitzsystem, sondern darin, 
einen doppelt so grossen Reinertrag zu erzielen, ohne 
zu Ueberstunden seine Zuflucht zu nehmen. Darum 
muss die Gesellschaft auf die Verausgabung der 
lebendigen Arbeit achten und in ihrem Ausgaben- 
entwurf einen Posten für die lebendige Arbeit ein- 
stellen. Und darum kann es auch keinen in Zahlen angeb- 
baren Profit geben. Der Zweck der Wirtschaft ist nicht, 
grössere Zahlen zu erzielen, sondern die Wirtschaft 
muss auf den reellen, in materiellen Gütern bestehenden 
Reichtum gerichtet werden. In Arbeit gemessen, wird 
der Reinertrag immer dieselbe Grösse haben, nämlich 
gleich der verausgabten lebendigen Arbeit sein. Nun ist 
die Aufgabe, diesen Zahlenwert nicht zu vermehren, 
sondern auf die grösstmögliche Anzahl materieller Güter 
zu verteilen, so dass der Wert eines jeden Gutes so 
niedrig wie nur möglich ausfallt. Zu diesem Zwecke 
ist auch die ganze Arbeitsrechnung da. 

Betrachten wir nach diesen theoretischen Aus- 

2* 




ÜNIVERSITY 

CF 



— 20 — 

einandersetzungen die kapitalistische Wirtschaft, wie 
sie existiert und bei den Klassikern theoretischen^ rörte- 
rungen unterworfen wird, so springt sofort in die Augen, 
dass sie der Theorie aufs grellste widerspricht, denn 
es gibt hier jedesmal, in Geld gerechnet, prin- 
zipiell einen Ueberschuss des Roheinkommens über 
die Auslagen, der Profit heisst, und auf dessen Er- 
höhung, nicht Abschaffung, alle Wünsche der Privat- 
unternehmer ausgehen. Woher stammt nun dieser 
Profit — wohlverstanden, nicht sein materielles Sub- 
strat, nicht jene Güter, in welchen er sich verkörpert, 
sondern die Zahl durch welche er gemessen wird? 
Darauf gibt uns Marx folgende Antwort, die er aus 
einer Systematisierung der Ansichten Smiths und 
Ricardos ableitet. 

Betrachten wir die Bücher, welche ein Privat- 
unternehmer oder Kapitalist (wie ihn Marx im 
1. Bande des „Kapital'' nennt) über seine Ausgaben 
führt, so finden wir darin alle materiellen Posten ver- 
treten, jedoch statt der lebendigen Arbeit einen in der 
Theorie gar nicht vorgesehenen Posten, der Arbeits- 
lohn heisst. Dieser Posten ist kleiner als die lebendige 
Arbeit, welche er ersetzt, und die Differenz zwischen 
der lebendigen Arbeit und dem Arbeitslohn ist eben 
das, was Profit genannt wird. Vorausgesetzt, dass 
1 Mass Weizen 1 Geldeinheit kostet, und dass die 
Arbeiter, welche 100 Mass aussäen und 200 ernten, 
50 Geldeinheiten als Lohn empfangen, — sieht die 
Buchführung des über die Arbeiter kommandierenden 
Kapitalisten folgendermassen aus: 

Ausgaben: Roheinkommen: 

Aussaat . 100 Geldeinheiten 200 Quarter Weizen 
Arbeitslohn 50 „ ä 1 Geldeinheit pro 

Quarter; 



Summa . 150 Geldeinheiten 200 Geldeinheiten*) 

•) Siehe Kap. I, 181. 



— 21 — 

Somit steht das Roheinkommen über den Gesamt- 
ausgaben, und die Differenz, welche gleich 200—150=50 
ist, bildet den Profit des Kapitalisten. Wäre der 
Arbeitslohn gleich 100 gewesen, so hätte es keinen 
Profit gegeben. Mit dem erhaltenen Arbeitslohn 
können die Arbeiter nur 50 Mass Weizen kaufen, d.h., 
nicht alles, was über die Aussaat hinaus produziert 
worden ist, doch genug, um ihr Leben fristen zu 
können, und in diesem Unstande, welcher seinerseits 
seine Erklärung in der Entwicklung der Produktivität 
der Arbeit findet, wurzelt auch der Ursprung des kapi- 
talistischen Profites. 

In der Tat ist die kapitalistische Wirtschaftsepoche 
erstens durch eine so hohe Entwicklung der Produk- 
tivität charakterisiert, dass ein verhältnismässig nur 
geringer Teil des jährlichen Reinertrages die not- 
wendigsten Bedürfnisse eines Menschen, als Arbeiters 
zu befriedigen imstande ist, der übrige Teil dagegen 
der arbeitenden Bevölkerung vorenthalten werden und 
in der Luxuskonsumtion der oberen Zehntausend auf- 
gehen kann, ohne dass die Arbeiter dadurch aufhören 
arbeitsfähig und arbeitswillig zu sein."") 

Andererseits aber besteht das Eigentümliche der 
kapitalistischen Ordnung darin, dass der Arbeiter ein 
freier Lohnarbeiter ist, der auf dem Markte als Ver- 
käufer seiner Arbeitsfähigkeit oder seiner Arbeitskraft 
auftritt und dieselbe dem Kapitalisten als eine Ware 
feilbietet. Nun herrscht aber auf dem Markte das 
Wertgesetz für sämtliche Waren, somit auch für die 
Arbeitskraft, und der Arbeiter erhält dafür auf Grund 
dieses Gesetzes genau so viel, wieviel Arbeit seine 
Arbeitskraft kostet, oder wieviel Arbeit für die Re- 



•) Wir setzen hier die sogenannte »^einfache Reproduktion" 
voraus und abstrahieren einstweilen von der Tatsache der 
Akkumulation. 



~ 22 — 

Produktion seiner Arbeitsfähigkeit jährlich ausgegeben 
werden muss. Mit anderen Worten, der Lohn des 
Arbeiters ist gleich dem Werte derjenigen Konsum- 
tionsartikel, die zur Befriedigung seiner notwendigen 
Bedürfnisse dienen. Ist dieser Wert etwa gleich 7 
Stunden täglich, und arbeitet der Arbeiter täglich 12 
Stunden, so entspringt daraus für den Kapitalisten bei 
dem Kaufe der Arbeitskraft ein Profit gleich 5 Stunden, 
denn er lässt den Arbeiter für 7 Stunden Arbeits- 
lohn volle 12 Stunden arbeiten. 

Allgemein gesprochen: die lebendige Arbeit a zer- 
fällt in zwei Teile — in den Teil v, der den Arbeitlohn, 
darstell die notwendige Arbeit oder und in den Teil m, 
oder die Mehrarbeit; und der Wert eines Gutes, d. h* 
die Zahl c + a kann demnach auch in der Form 
c + V + ni dargestellt werden, denn a ist = v + m. 
Zu diesem Werte wird das Gut auf dem Markte ver- 
kauft. Die Auslagen des Kapitalisten aber, die er auf 
demselben Markte bestreitet, sind c + v, .d. h. 
gleich den materiellen Auslagen c und dem Lohne v; 
was m anbetrifft, so erscheint die Mehrarbeit für den 
Unternehmer nicht als Auslage, sondern als Profit. 

Demnach ist, nach der Arbeitstheorie, der Profit 
nichts als der Ausdruck der Inkongruenz zwischen der 
gesellschaftlichen und individuellen Auffassung der 
Produktionskosten. Die gesellschaftliche Auffassung 
ist die, dass die Kosten gleich der gesamten aus- 
gegebenen Arbeit, gleich c + v + m sind, und nach 
dieser richtigen Auffassung kann es keinen Profit 
geben. Die falsche individualistische Auffassung sub- 
summiert c + v allein unter den Begriff der Produk- 
tionskosten, m dagegen wird nicht als Ausgabe, sondern 
als Profit, als numerischer Ueberschuss des Roh- 
einkommens über die Ausgaben aufgefasst. Was die 
Kapitalisten ihren Profit nennen, ist somit nichts als 
ein Rechenfehler, den sie jedesmal begehen und 



— 23 — 

kraft ihrer Klassenstellung auch begehen müssen. 
Die ganze kapitalistische Wirtshaft, die 
prinzipiell auf diesem Fehler basiert, erweist 
sich als widerspruchsvoll und grundfalsch. 
Ihre Bilanz ist keine Arbeitsbilanz — denn sonst 
wäre der Profit gleich Null. Sie geht vor allem auf 
Vermehrung nicht des reellen sachlichen, sondern des 
imaginären Geldreichtums aus. 



Kapitel IV. 

Der Untersehied zwischen utopischem und 
wlssenschafülehem Sozialismus. 

Der Satz von Marx, dass der Profit nichts anderes, 
als Mehrwert ist, bleibt, nach unserer tiefsten Ueber« 
Zeugung, bis auf den Tag aufs gröbste missverstanden. 
Man erblickt darin nur eine sentimentaleRedensart eines 
moralisch entrüsteten Menschen, anstatt zu begreifen, 
dass es die Warnung eines Nationalökonomen ist, die 
an den Verstand, nicht an das Herz appelliert. Man 
will in Marx einen utopischen Sozialisten sehen, ob- 
wohl es immer sein Bestreben gewesen ist, als wissen- 
schaftlicher Sozialist aufzutreten. 

Man verstehe recht gut den Grundunterschied, um 
welchen es sich handelt. Es gibt zwei Möglichkeiten, 
die gegebene Wirtschaft, sage, den Kapitalismus, zu 
kritisieren. Die eine geht von der Analyse der kapi- 
talistischen Verteilung aus und sucht ihre Ungerech- 
tigkeit nachzuweisen, indem sie den Profit als ein 
„arbeitsloses Einkommen'^ brandmarkt. Dies war das 
Vorgehen der von Engels so genannten „utopischen" 
Sozialisten. Die andere Möglichkeit aber, die Marx 



- 24 — 

ausgewählt hat, und für welche Engels den Namen 
„wissenschaftlicher Sozialismus^^ in Anspruch nimmt, 
besteht darin, alle Fragen der Verteilung, als irrelevant, 
einfach zu ignorieren und die ganze Aufmerksamkeit 
auf die kapitalistische Produktionsweise zu kon- 
zentrieren. Stelle sich dabei heraus, dass die Pro- 
duktionsweise keine ideelle ist, so folge daraus der 
Nachweis für die Vergänglichkeit der kapitalistischen 
Gesellschaft, sowie die Erklärung all ihrer Missstände 
im Gebiete der Verteilung. 

Diese Eigentümlichkeit des Marxismus entgeht nun 
leider und auf eine schwer erklärliche Weise den 
meisten von seinen Kritikern, sowie diese an die Ana- 
lyse des Wertgesetzes herantreten. Man ist überein- 
gekommen, das Wertgesetz und die Lehre vom Mehr- 
wert als einen Ausdruck des utopischen „Rechtes auf 
den vollen Arbeitsertrag^^ zu behandeln, und indem 
man mit scheinbarem Erfolge dieses Recht einer ver- 
nichtenden Kritik unterwirft, entzieht man sich jeder 
Möglichkeit, den in der Tat von Marx gegen den 
Kapitalismus erhobenen Vorwurf zu begreifen, ge- 
schweige denn zu erledigen. 

Das Sonderbarste ist dabei, dass die meisten 
Kritiker dem Prinzip der Produktivität der mensch- 
lichen Arbeit im vollen Masse oder mit nur unbe- 
deutenden Modifikationen huldigen*),dennoch aber über- 
zeugt sind, es könne sich die Produktivität von selbst 



*) Ausserdem laufen gewisse Erwiderungen der Kritik gegen 
das Prinzip der Erspanmg menschlicher Arbeit auf ein direktes 
Missverständnis hinaus. So z. B. behaupten v. Böhm Bawerk 
und H. Dietzel, auch der Boden müsse gespart werden, auch 
er habe einen Wert. Hiermit ist nach ihrer Ansicht die Auf- 
gabe der menschlichen Technik, nicht ailein den B«inertrag, 
der auf den arbeitenden Menschen, sondern auch den, der auf 
jede Filicheneinheit kommt, zu erhöhen. Und zu welchem 
Zwecke? Offenbar damit Menschen der gegebeuen Bodenfiäche 



- 25 - 

bei jeden Preisen entwickeln, und es sei darum über- 
haupt unnötig, irgendwie das Wertgesetz vorauszu- 
setzen. So behauptet v. Böhm Bawerk, das Wertge- 
setz, welclies er im Sinne des Rechtes auf den vollen 
Arbeitsertrag versteht, sei „ein Märchen, erzählt der leicht- 
gläubigen Menge von einem grossen Manne'S und zu 
gleicher Zeit antwortet derselbe v. Böhm Bawerk auf 
die Frage, wie sich der technische Fortschritt voll- 
ziehe, folgendermassen, indem er sich auf das Beispiel 
des Steinklopfens beruft: „unsere weiche, nachgiebige 
Hand kann den Widerstand des festen Felsens nicht 
überwinden; aber ein Hammer kann es, und es ist 
uns, zu unserem Glücke, leichter, erst diesen Hammer 
zu produzieren und dann den Felsen zu bearbeiten"» 
Sehr wohll Nur merkt v. Böhm Bawerk nicht, 
dass wir, zu unserem Unglück, in einer Gesellschaft 
leben, wo der Begriff der Billigkeit über den Begriff 
„leicht" die Herrschaft führt. Es ist wohl leichter, 
erst den Hammer herzustellen und dann Steine zu 
klopfen; warum aber der Hammer auch weniger kostet 



durch ihre Arbeit so viel wie möglich, abgewinnen können. 
Um diesen Zweck zu erreichen, braucht man jedoch dem Boden 
keinesweg seinen Wert beizulegen und diesen den Produktions- 
kosten zuzurechnen. Man rechne ausschlieeslich in Arbeit, so 
wird sich in der Regel schon von selbst jene Produktionsweise 
als die vorteilhafteste erweisen, die die kleinste Bodenfläche in 
Anspruch nimmt. Selbstverständlich ist hier von dem jung- 
fräulichen Boden und von der gesellschaftlich notwendi- 
gen Arbeit die Bicde. Die Arbeit der Boden Verbesserung ver- 
leiht dem Boden einen Wert; ebenso kann ein jungfräuliches 
Stück Land einen Wert haben, wenn es der Güte nach einem 
schon bebauten Lande gleichkommt; wie etwa ein ohne jede 
Arbeit gefundener Goldklumpen einen Wert hat, gesellschaftlich 
notwendige Arbeit in sich enthält. Dies alles sind aber keines- 
wegs Einwände gegen die Arbeitstheorie, sondern direkte Fol- 
gerungen aus ihr. 



- 26 - 

als blosse Arbeitshände, ist jedoch nicht so auf den 
ersten Bück klar; und kostete er mehr, so hätten es 
die Kapitalisten allemal vorgezogen, ohne den Hammer 
auszukommen, auch wenn dabei die Arbeitshände 
bluteten. Dann aber hätte es keinen technischen Fort- 
schritt gegeben. Wollen wir jedoch in einer auf Geld- 
rechnung basierenden Wirtschaftsordnung vom tech- 
nischen Fortschritt sprechen, so müssen wir einen 
solchen Zusammenhang zwischen dem Preise und dem 
Werte des Hammers voraussetzen, nach welchem der 
Hammer billig ist, wenn er die Arbeit „erleichtert" 
— will sagen, sparen hilft — , und das ist ja das Wert- 
gesetz. Hält nun v. Böhm Bawerk einen solchen Zu- 
sammenhang für ein Märchen, so soll auch er uns 
keine Märchen über „leicht" und „schwer" erzählen 
von einer Gesellschaft, die nur den Gegensatz von 
billig und teuer gelten lässt, — auch keine Märchen über 
den technischen Fortschritt, den uns „die tagtägliche 
Erfahrung in allen Industriezweigen" so deutlich 
offenbare. 

Ein anderer bedeutender Nationalökonom und ehe- 
maliger Marxist, Tugan Baranowsky, will auch im 
Wertgesetze nur „die verschleierte Forderung des vollen 
Arbeitsertrages" sehen. Was aber den Profit anbetrifft, 
so könne man die Tatsache seiner Existenz ohne jede 
Mehrwerttheorie erklären, wenn man beachtet, dass 
die Masse von Eisen, Korn, Kohle und dergleichen, 
über welche die Gesellschaft verfügt, im Produktions- 
prozesse zunimmt und einen Ueberschuss liefert. 

Wie man sieht, verwechselt Tugan Baranowsky 
erstens den Ueberschuss, d. h. eine Menge materieller 
Güter, mit dem Profit oder einer Zahl. Zweitens 
aber scheint T. B. überzeugt zu sein, dass der Ueber- 
schuss immer da sein müsse, auch wenn die Wirt- 
schaft durch falsche ökonomische Erwägungen ge- 
leitet wird: denn er setzt von den Preisen voraus, 



— 27 — 

dass sie von den Werten gar nicht abhängen und 
einfach durch ,,Sitte und Tradition^^ normiert werden. 
Die Tradition mag das leichte teuerer bewerten als 
das schwere, und dadurch die Gesellschaft zur Erhal- 
tung, ja zur Einführung rückständiger Produktions- 
methoden verleiten, — einen Ueberschuss wird es nach 
Herrn Tugan Baranowskys Meinung immer geben. 
Drittens aber merkt Tugan Baranowsky nicht, dass es 
nicht genügt, einen Ueberschuss zu erzielen, vielmehr 
soll der aliquote Teil des Ueberschusses, derauf jeden 
Arbeiter kommt, wachsen. Und nachdem Herr Tugan 
Baranowsky so viele Ungereimtheiten zusammenzu- 
reimen gewusst und einen Beweis erbracht hat, wie gut 
er die Lehre Marxens darüber, dass „Sitte und Tra- 
dition^^ durch das Produktionsprinzip bestimmt werden, 
versteht, räumt er Marx gnädig ein, in dem Wertge- 
setze stecke allerdings der richtige Gedanke, dass die 
menschliche Arbeit auch in einer kapitalistischen Ge- 
sellschaft die „absoluten Kosten'' darstelle, mit welchen 
die Wissenschaft allein zu rechnen habe. 

Was für Früchte kann eine solche Marx-Kritik 
zeitigen? Gewiss nur unreife, wenn man nicht einmal 
begreift, was zu kritisieren ist. Man muss doch erst 
verstehen, was uns Marx mit der Lehre vom Mehrwert 
sagen will. Zu diesem Zwecke erinnere man sich an 
jenen Hauptsatz der klassischen Schule, nach dem der 
Profit einen Ansporn für das Individuum bildet, die 
gesellschaftliche Produktion zu vervollkommnen und 
den „Volkswohlstand" zu heben. Gegen diese These 
ist die Lehre vom Mehrwert gerichtet, nicht gegen die 
Gerechtigkeitsflausen der vulgären Oekonomie. Marx 
will nicht die Ungerechtigkeit, sondern die Schäd- 
lichkeit des Profites für die Produktion nach- 
weisen. Ohne den Profit kann es allerdings keine 
individuelle Wirtschaft geben. Aber der Profit ist ein 
Fehler, ein Widerspruch gegen die Idee des techni- 



~ 28 - 

sehen Fortschrittes, und ohne diesen Fehler zu be- 
gehen kann das Individuum nicht wirtschaften. Daraus 
der Schluss, das Individuum könne nicht gut wirt- 
schaften, die Gesellschaft werde es mit der Zeit ein- 
sehen und die Produktion selbst in ihre eigenen 
Hände übernehmen müssen, auf die Gefahr hin, an 
dem Rückschritt der Technik zugrunde zu gehen. 
Aus dem Kapitalismus muss sich der Sozialismus ent- 
wickeln — so verlangt es das Streben der Gesellschaft 
zum Fortschritt — nicht auf dem Wege der Gerechtig- 
keit, sondern auf dem der Technik — das und nichts 
anderes wollte Marx mit seiner Lehre von dem Mehr- 
werte sagen. 

Es ist nur die Anwendung der allgemeinen, dem 
ökonomischen Materialismus zugrunde liegenden 
Idee auf den speziellen Fall der heutigen Wirtschaft : 
Die allgemeine Idee besteht ja darin, dass die Technik, 
die Anpassung des Menschen an die Natur, die Basis 
des gesamten sozialen Lebens ist, die Gerechtigkeit 
aber bloss eine oft verkehrte Abspiegelung der Pro- 
duktionsverhältnisse in dem Bewusstsein der Pro- 
duzenten. Wenn die Kritiker nicht imstande sind, 
diese ihnen wohlbekannte Idee in der Wert- und 
Mehrwertlehre wiederzuerkennen, so ist dies nur dadurch 
zu erklären, dass sie mit einer vorgefassten Meinung 
an den Gegenstand herantreten und darum auch allen 
Worten, die sie bei Marx finden, einen verkehrten 
Sinn unterlegen. 

So insbesondere macht die Behauptung die Kritiker 
irre, dass der Mehrwert nur von der lebendigen Arbeit 
herrührt, und das tote Kapital keinen Mehrwert er- 
zeugt. „Gewiss wollte Marx mit dieser Behauptung 
eine „Ausbeutungstheorie^ begründen, nach welcher 
der Profit aus der Uebervorteilung des Arbeiters bei 
dem Lohnvertrage entspringt; er wollte sagen, der 
Profit stamme nicht aus einer angeblich produktiven 



- 29 - 

Tätigkeit des Kapitalisten, die in der Leitung und Be- 
aufsichtigung der toten Arbeit besteht, sondern er stelle 
ein arbeitsloses Einkommen dar, das aus einem Ab- 
züge an dem vollen Ertrage des Arbeiters herrührt." 
So reflektieren fast alle Kritiker, ohne zu merken, dass 
Marx ausführlich beweist, dass die Gegenstände, die 
das materielle Substrat des Profits bilden, nicht durch 
die lebendige Arbeit allein produziert worden sind — 
was er gewiss zu beweisen unterlassen hätte, wenn er 
an das Recht auf den vollen Ertrag der Arbeit 
apellieren wollte. 

Das sachliche Einkommen, welches der Kapitalist 
aus seinem Profite zieht, ist nach Marx durchaus nicht 
die Frucht der lebendigen Arbeit allein; doch stammt 
der Profit ausschliesslich von der lebendigen Arbeit 
her. Das will sagen, dass der Profit kein Abzug von 
dem gerechten Lohne ist, wohl aber ein arithmetischer 
Fehler, der aus der Substitution der lebendigen Arbeit 
durch den Arbeitslohn entspringt. Der Profit ist ein 
Rechenfehler — das ist im voraus klar, denn bei der 
richtigen Buchführung muss die Bilanz gleich Null 
sein. Nun aber wird dieser Fehler nicht bei der 
Buchung materieller Posten der Produktion begangen, 
denn alle diese Posten sind in der kapitalistischen 
Rechnung in vollem Umfange vertreten. Er wird be- 
gangen, wenn an Stelle der ganzen lebendigen Arbeit 
nur der Arbeitslohn oder die notwendige Arbeit allein 
als Ausgabe verzeichnet, die Mehrarbeit dagegen ver- 
gessen wird. In diesem Sinne stammt der Profit 
aus der lebendigen Arbeit und nicht aus dem toten 
Kapital. 

Wie das aus dem oben angeführten Zahlen* 
beispiele klar hervorgeht, wurden 2 Jahre Arbeit aus- 
gegeben und nur IVs Jahre gebucht. Die Ausgaben 
betrugen 150 Geldeinheiten, das Roheinkommen 200. 
Was dagegen die 50 Mass Korn anbetrifll, welche der 



— 30 — 

Kapitalist mit 50 Geldeinheiten, die seinen Profit 
bilden, kaufen kann — so ist dieses Korn, wie jedes 
andere, kein ausschliessliches Produkt der lebendigen 
Arbeit. 

Die Mehrarbeit ist ein Teil der lebendigen Arbeit, 
das Mehrprodukt dagegen, welches die Kapitalisten 
mit ihrem Profite kaufen, ist nicht das Produkt der 
lebendigen Arbeit allein. Man kann das ausschliess- 
liche Recht der Arbeiterklasse auf das Mehrprodukt 
nicht beweisen, doch kann man mit mathematischer 
Genauigkeit aufzeigen, dass die Mehrarbeit oder der 
Profit ein Rechenfehler der kapitalistischen Buch- 
führung über die Produktionskosten ist. 

Hätte Marx das Wertgesetz im Sinne des Rechtes 
auf den vollen Arbeitsertrag verstanden, so hätte er 
sicher in dem Umstände, dass der Lohn unter der 
Arbeitsleistung des Arbeiters steht, eine Verletzung des 
Wertgesetzes gesehen, wie dies alle „utopischen*" Sozi- 
alisten tun. Doch behauptet Marx im Gegenteil überall, 
dass in der Dingung der Arbeitskraft zu einem solchen 
Lohne kein Widerspruch gegen das Wertgesetz zu er- 
blicken sei. Denn die Arbeitskraft als Ware kostet 
eben nur die Arbeit, die in ihr verkörpert ist, und 
nicht jene Arbeit, welche der Arbeiter mit ihrer Hilfe 
in dem Produktionsprozesse aufwendet. Es lohnt sich, 
bei dieser Argumentation Marx' etwas länger zu ver- 
weilen, da sie uns seine Auffassung des Wertgesetzes 
in ein helles Licht rückt und in hohem Masse hilft, die 
weiter folgenden Ausführungen richtig zu begreifen. 

Die Klassiker verstanden unter dem Wertgesetz 
den Austausch der Waren zu ihrem Werte, und sie 
sahen darin ein unfehlbares Mittel, die ganze bei der 
Produktion verausgabte Arbeit zu messen und zu 
sparen. Marx bemerkt darauf, dass dem nicht so ist, 
dass die in Waren verkörperte Arbeit zwar in vollem 
Umfange in Rechnung gezogen wird, dagegen die nicht 



- 31 - 

in Wertform erscheinende, noch nicht vergegenständ- 
lichte lebendige Arbeit sich der Wertrechnung ent- 
zieht. In dem Augenblick, vfo der Arbeiter auf dem 
Markte als Verkäufer seiner Arbeitskraft auftritt, er- 
hält er als seinen Lohn nur die Arbeit v, die in seiner 
Ware — der Arbeitskraft verkörpert ist. Nachdem er 
aber seine lebendige Arbeit in vollem Masse in den 
von ihm verarbeiteten Waren vergegenständlicht hat, 
haben diese einen Wertzuwachs v + m, bekommen, 
der den Lohn v um die Grösse m der Mehrarbeit über- 
steigt. Die Wertrechnung ergibt zwei verschiedene 
Grössen: c + v vor und c + v + m nach dem Pro- 
duktionsprozesse eben weil sie Wertrechnung ist, d. h., 
sich nur auf die in Waren vergegenständlichte Arbeit 
bezieht und die lebendige, noch nicht verkörperte 
Arbeit ausser Acht lässt. Der Kauf der Arbeitskraft 
zu dem Werte, der unter den Arbeitsleistungen steht, 
wiederspricht somit keineswegs der Wertrechnung, 
ebenso die Erscheinung des Profites, oder des Mehr- 
wertes, obwohl diese letztere mit der Arbeitsbilanz 
nicht vereinbar ist. 

Für die Klassiker war das Wertgesetz gleichbe- 
deutend mit der Ersparung der gesamten menschlichen 
Arbeit, doch nicht für Marx. Wenn die Klassiker 
sagten, es herrsche das Wertgesetz auf dem Markte, 
wollten sie dadurch das Rationelle der kapitalistischen 
Wirtschaft zum Ausdruck bringen. Marx dagegen 
versteht unter dem Wertgesetze jene Eigentümlichkeit 
des Kapitalismus, dass nicht die Arbeit selbst, sondern 
die Waren, die in ihnen verkörperte Arbeitszeit allein 
geschätzt wird, die Arbeit dagegen, welche nicht in 
Warenform erscheint, entzieht sich der kapitalistischen 
Oekonomie und nimmt die Form nicht der Ausgaben, 
sondern des Profites an. 

Ohne die Ersparung an Arbeit kann die indivi- 
dualistische Wirtschaft nicht existieren. Folglich muss 



das Wertgesetz den Warentausch regulieren, — meinten 
die Klassiker. Sehr wohl — antwortet hierauf Marx — 
doch wird damit nur die Ersparung der Arbeit, die in 
Warenform erscheint, erreicht. Mehr kann eine indi- 
vidualistische Psychologie nicht fassen. Es gibt jedoch 
noch Arbeit, die keine Ware ist. Diese kann der 
individualistische Produzent nicht sparen, folglich ist 
die individualistische Produktion eine unvollkommene, 
folglich, sind ihre Tage vor dem Richterstuhl der 
gesellschaftichen Vernuft gezählt. 



Kapitel V. 

Widerspruche der kapitalistischen Produktionswelse. 

Das gesellschaftliche Interesse verlangt, dass die 
ganze, auf die Herstellung eines Gutes zu veraus- 
gabende Arbeit c + v + m reduziert werde, denn der 
Gesellschaft kostet das Gut eben dieses Arbeitsquantum 
c + V + m. Dem Kapitalisten kostet aber die Her- 
stellung des Gutes nur c + v, und dieses Quantum 
sucht er jedenfalls zu reduzieren. Die Mehrarbeit m 
dagegen kostet dem Kapitalisten nichts; er hat sich 
bei der Dingung der Arbeitskraft nicht verpflichtet, 
sie zu bezahlen, sie ist für ihn unbezahlte Arbeit, und 
als solche fühlt er sich nicht veranlasst, sie zu sparen. 
Im Gegenteil, — - da diese unbezahlte Arbeit seinen 
Profit bildet, sucht er sie jedenfalls zu erhöhen.*) 



*) „Oekonomie der Arbeit bezweckt in der kapitalistischen 
Produktion durchaus nicht Verkürzung des Arbeitstages. — 
Die Entwicklang der Produktivkraft der Arbeit innerhalb der 
kapitalistischen Produktion bezweckt, den Teil des Arbeitstages, 
den der Arbeiter für sich selbst arbeitet, zu verkürzen, um 



— 33 — 

Nicht auf Vergrösserung der Menge [reeller Güter, 
die auf jeden Arbeiter kommt, nicht auf Volkswohl- 
stand ist somit die kapitalistische Produktion gerichtet, 
sondern auf Erhöhung der Mehrarbeit, einer Zahl, 
welche Profit heisst, — auf eine unsinnige Plusmacherei, 
auf Erhöhung des Reichtums „in blendender Gold- 
form". Merkantilismus ist der eigentliche Zweck der 
kapitalistischen Wirtschaft, und diesem Zwecke wird 
überall der Volkswohlstand „aufs Schamlosteste'' 
geopfert. Generationen werden zugrunde gerichtet, 
ganze Heere von kleinen Kindern hingeschlachtet, 
schwangere Frauen mit Ueberstunden überlastet, 
hektische Männer mit dem Schwitzsystem zu Tode 
geplagt — nur um die Mehrarbeit zu erhöhen, d. h., 
eine Zahl, die Profit heisst und die im Grunde auf 
einen Rechenfehler hinausläuft/*) 

Die Sache gestaltet sich folgendermassen. Der 
Gesellschaft kostet das Gut c + v + m und soviel 
zahlt sie auch dem Produzenten auf dem Markte dafür. 
Dem Produzenten aber, d.h., dem Kapitalisten, kostet 
das Gut c + V. Indem er durch den Verkauf mehr 
zurückerhält, sieht er darin keineswegs den Beweis 
seines fehlerhaften Begriffes von den Produktions- 



grade dadnrcli den anderen Teil des Arbeitstages, den er für 
den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern/' (285) 
*♦) Die Sklaverei der Massen wird gepredigt, „um einige 
rohe nnd halbgebildete Parvenüs zu „eminent Spinners", „ex* 
ensive sansage makers'' und „influential shoe black dealers ^ 
zu machen. (373). „Der Heisshunger der Eabrikbesitzer nach 
der Mehrarbeit verleitet sie zu solchen Grausamkeiten, die 
kaum durch die Grausamkeiten überboten werden, welche die 
Spanier bei der Eroberung von Amerika auf der Suche nach 
Gold begingen" (204 Anm. 64, vrgl. mit den Worten Smith's 
auf S. 1 dieses Buches), vrgL auch 232—233 u. s. w. — Die 
eingeklammerten Nummern bezeichnen die Seitenzahlen des 
I. Bandes des „Kapital"', IV. Aufl, 1880. 

Charasoff, Karl Marx. 8 



— 34 — 

kosten, sondern er sieht in der Differenz zwischen dem 
Marktpreise und seinen Produktionskosten = m einen 
Preis für seine löbliche Produzententätigkeit, und nun 
bemüht er sich aus allen Kräften, diesen Preis zu er- 
höhen. 

Er wählt von allen ihm zugänglichen Produktions- 
methoden nicht die aus, bei welcher die ganze Summe 
c + V + m am kleinsten ausfällt, sondern jene, bei 
welcher der Teil c + v am kleinsten, der Teil m da- 
gegen am grössten ist. Gelingt es ihm, den Arbeitslohn 
zu verkürzen, so ist es in seinen Augen ein technischer 
Fortschritt, denn sein Profit wächst; ebenso ist für 
den Kapitalisten die Erhöhung der Produktion durch 
Intensifikation der Arbeit oder die Verlängerung des 
Arbeitstages bei gleichbleibendem Lohne immer zu 
begrüssen. Die Gesellschaft gewinnt nichts dabei, 
denn was sie an Ueberschuss gewinnt, verliert sie an 
Ueberarbeit; die Warenwerte sinken nicht, nur die 
Anzahl der Waren wächst, und auf eine jede Einheit 
Arbeit kommt dieselbe Anzahl Gegenstände. Wohl 
aber gewinnt dabei der Kapitalist, denn er erhält mehr 
unbezahlte Arbeit oder mehr Profit auf jede Lohn- 
einheit. Das ist ein unvermeidlicher Schaden des 
kapi talistischen Lohnsystemes, eine unübersteigliche 
„Schranke"*, an welche einmal angelangt, „die kapita- 
listische Produktionsweise ihrem Wesen nach jede 
rationelle Verbesserung ausschliesst'^ *) — 

Herr v. Böhm-Bawerk, der in dem Wertgesetz ein 
von einem grossen Manne erzähltes Märchen sieht, weiss 
uns von dem „tagtäglichen technischen Fortschritt 
in allen Industriezweigen^^ zu berichten. Der „grosse 
Mann" erzählt uns aber statt dieses Märchens die 
bittere Wahrheit: „Die Yankees haben Maschinen zum 
Steinklopfen erfunden. Die Engländer wenden sie 

*) K. I, 447. 



— 35 — 

nicht an, weil der „Elende" („wretsch" ist Kunstaus- 
druck der englischen politischen Oekonomie für den 
Agrikulturarbeiter), der diese Arbeit verrichtet, einen 
so geringen Teil seiner Arbeit bezahlt erhält, dass 
Maschinerie die Produktion für die Kapitalisten 
verteuern würde". *) 

Wo Arbeitsbände billig sind, brauchen die Kapi- 
talisten nicht die Produktivität der Arbeit zu erhöhen, 
um zum Profit zu kommen; sie pressen einfach der 
Arbeiterbevölkerung so viel Mehrwert wie möglich ab. 
Diese Tendenz des Kapitals, sich nicht durch die 
technische Vervollkommnung der Produktion, sondern 
an räuberischen Abzügen vom Arbeitslohn sich zu 
bereichern, hat übrigens schon A. Smith erkannt, und 
darum warnte er die Gesetzgeber vor den Kapitalisten 
als vor „natürlichen Feinden des Volkswohlstandes", 
Wir wollen sie an einem einfachen Beispiele illu- 
strieren. 

Gesetzt, eine Gemeinde freier Bauern wirtschaftete 
so, dass ein jeder Bauer jährlich 100 Mass Korn 
aussäte und 200 erntete, und man hätte den 
Bauern vorgeschlagen, sich paarweise zu verbinden, 
um zu zweit 100 Mass auszusäen und durch bessere 
Bebauung des Feldes (da jetzt doppelt soviel Arbeits- 
hände auf dieselbe Aussaat kommen) die Ernte auf 
270 zu bringen, — so hätten die Bauern den klugen 
Ratgeber sicher ausgelacht. Denn jetzt kommen auf 
einen jeden — 100 Mass Reinertrag, nach der neuen 
Arbeitsmethode dagegen nur 85. Die Arbeitskosten 
hätten sich erhöht, statt zu fallen, der Wert des Kornes 
wäre gestiegen. 



*) K. I, 358 — vrgl. I, 236, Anm. 120: Der . . schottische 
. . Schönredner Macaalay sagt: ,.Man höre heute nur von 
Rückschritt und sehe nur Fortschritt." Was für Augen und 
namentlich was für . . Ohren." 



36 



Gesetzt aber, die Bauern arbeiten unter dem Kom- 
mando eines Kapitalisten und erhalten ein jeder 
50 Mass Korn oder 50 Geldeinheiten als Arbeitslohn, 
so wird der Kapitalist es sich anders überlegen. Jetzt 
gibt er jährlich 150 Geldeinheiten aus und erhält da- 
rauf einen Profit gleich 50, folglich 33 Vs auf je 100 
Geldeinheiten. Die vorgeschlagene Produktionsweise 
stellt ihm dagegen einen Profit gleich 70 auf das Kapital 
200 (100 Aussaat und 100 Lohn für 2 Arbeiter) in 
Aussicht, oder 35 auf 100 Geldeinheiten. Das wird der 
Kapitalist unbedingt vorziehen; er wird die schlechtere 
Produktionsweise einfuhren, da er von einem falschen 
Produktionsbegriffe ausgeht. *) Demzufolge wird auch 
der Wert des Kornes steigen; das kümmert jedoch 
unseren Kapitalisten nicht im geringsten: er weiss 
nichts davon, denn er rechnet nicht die ganze Arbeit 
zu den Kosten der Produktion. Die Kapitalauslagen, 
die er allein zu bezahlen braucht, reduzieren sich mit 
der voi^eschlagenen Produktionsmethode, und das ist 
für ihn der Beweis, dass er richtig gewählt hat. 
Dass dafür die unbezahlte Arbeit gestiegen ist, ist von 
seinem Standpunkte aus kein Nachteil, im Gegenteil 



*) yDas Sparprinsip dorclLdringt als konstantes Element, 
als natürliche Kategorie, alles vernünftige Handeln, — es ist 
das generelle |,Vemnnftprinzip.'' — Es wird „an Mitteln gespart, 
weil sie kosten, nnd nnr an solchen Mittein, weiche kosten.*^ 
(H. Dietzel, Theoretische Sozialökonomie, 1895, S. 177—178). 
Ans diesen Prinzipien leitet Dietzel ab, dass es vorteilhafter 
ist, 15000 anf 12000, als 6000 auf 5500 Mk. za verdienen. .Ln 
ersten Eall ziehe ich ans der Kosteneinheit von 100 Mk. einen 
Geldertrag von 125, im letzteren Fall nnr 109 Mark.** Anderer- 
seits werden nach Dietzel alle Kosten anf Arbeit zurückgeführt 
Wie können dann 15000 Mk. ans 12000 Mk. entstehen? Eben 
ans der unbezahlten Arbeit, die nicht gespart -wird, weil sie 
nichts kostet. 



- 37 — 

— es ist ein Vorteil, denn diese unbezahlte Arbeit 
bildet eben seinen Profit, der jetzt gewachsen ist. 

„Für das Kapital also gilt das Gesetz der gesteigerten 
Produktivkraft der Arbeit nicht unbedingt. Für das 
Kapital wird diese Produktivkraft gesteigert nicht, 
wenn überhaupt an der lebendigen Arbeit, sondern 
nur wenn an dem bezahlten Teil der lebendigen 
Arbeit mehr erspart, als an vergangner Arbeit zu- 
gesetzt wird . . . Hier fallt die kapitalistische Pro- 
duktionsweise in einen neuen Widerspruch. Ihr his- 
torischer Beruf ist die rücksichtslose, in geometrischer 
Progressive vorangetriebene Entfaltung der Produkt 
tivität der menschlichen Arbeit. Diesem Beruf wird 
sie untreu, sobald sie, wie hier, der Entfaltung der 
Produktivität hemmend entgegentritt. Sie beweist da- 
mit aufs neue, dass sie altersschwach wird und sich 
mehr und mehr überlebt**. *) 

Die Produktivität der menschlichen Arbeit ent- 
wickelt sich bei dem Kapitalismus, denn c + v wird 
gespart; aber sie entwickelt sich nicht unbedingt, denn 
m wird nicht gespart. Doch bleibt m Ausgabe, nicht 
Profit für die Gesellschaft. Diese erhebt Protest gegen 
die „abgeschmackte'' Rechnung der Kapitalisten, indem 
sie in der Person des unterdrückten Arbeiters das 
Haupt erhebt und um Reduktion der Arbeitsstunden 
und Erhöhung des Arbeitslohnes, id est, um Ab- 
schaffung des Profites den Klassenkampf entfacht. 

Angenommen, in dem soeben angeführten Beispiele 
hätten die Bauern es durchgesetzt, den Lohn von 50 auf 
60 Mass Korn zu erhöhen, so hätte die erste Bebauungs- 



*) III, 1,245. Durch die Um Wertung, die infolge der neueinge- 
führten, schlechteren Produktionsmethode eintritt, kann unter Um- 
ständen auch der bezahlte Teil des Warenwertes steigen, doch 
würde das noch um so mehr zugunsten der Marx'schen These 
sprechen. 



— 38 — 

weise dem Kapitalisten den Profit 40 auf 160, also 
25 Vo, die zweite den Profit 50 auf 220, oder 23 Vo ein- 
gebracht. Die zweite Methode hätte sich als die un- 
produktivere herausgestellt, und der Kapitalist hätte 
sie vermieden, statt sie einzuführen. Die Lohnerhöhung, 
nicht die kapitalistische Konkurrenz, wie die Klassiker 
es glaubten, zwingt also das kapitalistische Interesse 
unter den gesellschaftlichen Willen, und darum ist 
der Klassenkampf und die Einmischung dei Gesell- 
schaft in die kapitalistische Wirtschaft eine Kultur- 
notwendigkeit im Sinne der technischen Entwicklung. 
„Man könnte eine ganze Geschichte der Erfindun- 
gen seit 1830 schreiben, die bloss als Kriegsmittel des 
Kapitals wider Arbeiteremeuten ins Leben traten" *). 
„In einigen Zweigen der englichen Wollmanufaktur 
ist während der letzten Jahre die Kinderarbeit 
sehr vermindert, hier und da fast verdrängt 
worden. Warum? — Der Fabrikakt ernötigte eine 
doppelte Kinderreihe, von denen je eine 6, die andere 
4 Stunden oder jede nur 5 Stunden arbeitete. Die Eltern 
wollten aber die Half-times (Halbzeitler) nicht wohl- 
feiler verkaufen, als früher die luU-times (VoUzeitler). 
Daher Ersetzung der half-times durch Maschi- 
nerie****). „Die masslose Verlängerung des Ar- 
beitstages, welche die Maschinerie in der Hand des 
Kapitals produziert, führt eine Reaktion der in ihrer 
Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft herbei und 
damit einen gesetzlich beschränkten Normalarbeitstag^ 
Dann aber wirft sich erst das Kapital „mit vollem 
Bewusstsein und aller Macht auf die Produktion von 
relativem Mehrwert durch beschleunigte Entwicklung 
des Maschinensystems" ***). 

*) K., I, 400—403. 
**) K., I, 857. 
**♦) K, I, 374. 
„Mit der Notwendigkeit, 2jeit zu ökonomisieren, erzwang 



- 39 ~ 

Man missversteht Marx, wenn man ihm die Lehre 
zumutet, der Kapitalismus entwickle die Tecknik absolut 
(wie Kautsky in „Ethik und Sozialismus'^ letzte Seite, 
und alle übrigen Sozialisten und Kritiker*). Wir sehen 
wie das zu verstehen ist. Erst durch den Klassenkampf 
lenkt die technische Entwicklung in die richtige Bahn 
ein. Der Kapitalist spart eben nicht die ganze lebendige 
Arbeit, sondern nur den Lohn, nicht das menschliche 
Leben selbst, sondern das, was das Leben auf dem 
Markt kostet. Dies ist der Punkt, den die klassische 
Oekonomie schlecht eingesehen hat, was aus der 
Gleichsetzung des Arbeitslohnes mit dem Preise der 
Arbeit selbst und nicht der Arbeitskraft besonders 
klar hervortritt, eine Gleichsetzung, die vor allem 
Ricardo eigentümlich ist. 

Wie bekannt, nimmt Ricardo an, dass mit dem 
Lohn die ganze Arbeit bezahlt wird. Den unbezahlten, 
nicht in Warenform erscheinenden Teil wollte er nicht 
beachten, d. h., in dem Sinne, als er seine Bedeutung 
für die technische Entwicklung zu untersuchen vergass. 
Und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Wir 
müssen unseren Gedanken unverhohlen aussprechen. 
Wenn die meisten Nationalökonomen den Sinn der 
Werttheorie nicht begreifen können, wenn es ihnen 
gar nicht einfallt, sich zu fragen, wie eigentlich die 
Entwicklung der Produktivität innerhalb des Systems 
der Geldwirtschaft sich vollzieht, so kommt dies eben 



der Eabrikakt eine ^^dipping Maschine", deren Dämpfe den 
Arbeiter niclit erreichen können". 

^ ♦) Nach Kantfiky ist der Untergang des Kapitalismus 
unvermeidlich, weil die Kapitalisten die Technik entwickeln, 
und die Arbeiter nach höheren Löhnen trachten. — Richtiger 
wäre zu sagen: „Weil die Kapitalisten die Technik nicht ent- 
wickelt hätten, wenn die Arbeiter nicht nach höheren Löhnen 
trachteten." 



- 40 - 

daher, weil sie das für keine Frage halten. Die Pro- 
duktivität der Arbeit wird entwickelt — - nun, eben weil 
der Kapitalist an dem Lohne spart. Dass der Lohn 
aber nicht die ganze zu sparende Arbeit ist, das 
sehen sie einfach nicht ein'*'). 

Warum denn aber geht die technische Entwicklung 
in unserer Gesellschaft nur unter ununterbrochenen Kon- 
flikten vor sich? Warum degenerieren ganze Distrikte 
und werden ganze Generationen verstümmelt? Warum 
kann man ohne Fabrikinspektoren, Gerichte, Strafen 
nicht auskommen, wenn die Kapitalisten die ganze 
Arbeit sparen? Wenn sie wirklich richtig rech- 
nen, wozu dann all' diese immerwährenden Korrek- 
turen, die Frauen- und Kinderschutz, diese Schiedsge- 
richte und Komissionen? Und warum entwickelt sich 
die Technik nur unter dem Drucke der Arbeiteror- 
ganisationen?*"') 

Woher anderseits diese Macht der Arbeiterorgani- 
sationen, die Notwendigkeit, die Arbeiter zu den 
gesetzgebenden Instanzen zuzulassen, mit dem Sozialis- 
mus als mit dem Volksglauben rechnen zu müssen 
und von der Vergesellschaftung der Arbeitsmittel in 
gelehrten Büchern zu diskutieren? Es dreht sich doch 
alles um den Hauptfehler der kapitalistischen Ordnung, 
den Profit, oder Mehrwert, oder die unbezahlte, daher 
auch ökonomisch nicht berücksichtigte Arbeit, um 
das Menschenleben, welches kein Geld kostet und da- 



*) Vrgl. liierzu K., I, 497—606. „Die klassische politische 
Oekonomie stösst annähernd auf den wahren Sachverhalt, ohn^ 
ihn jedoch bewasst zu fonnnlieren. Sie kann das nicht,sO« 
lange sie in ihrer bürgerlichen Haut steckt/^ 

**) „Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser 
^ar akterisieren, als die Notwendigkeit, ihr dnrch Zwangs- 
gesetz ^von Staats wegen die einfachsten Eeinlichkeits- und 
GesondheitsYorrichtnngen auf zuherrschen ?" (447). 



— 41 — 

her ruhig vergeudet und vernichtet wirdi „Aus dem 
Blut kleiner Kinder wird Seide gesponnen/^ „Die 
Wohlfeilheit des in Ware verwandelten Menschen- 
schweisses und Menschenblutes" bedingt die Wohl- 
feilheit der Ware auf dem kapitalistischen Markte. 

In Chicago ziehen es die Eisenbahngesellschaften 
heute noch vor, Menschen zu verstümmeln und ihnen 
kärgliche Pensionen auszuteilen, als den Verkehr 
rationeller zu gestalten. Das letztere wurde nämlich 
mehr Geld kosten. Das Verfahren ist nicht neu. „Ein 
grosses Eisenbahnunglück hat hunderte von Passa- 
gieren in die andere Welt expediert. Die Nachlässig- 
keit der Eisenbahnarbeiter ist die Ursache des Un- 
glücks. Sie erklären vor den Geschworenen . . . man 
habe sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt. 
Sie seien gewöhnliche Menschen und keine Cyklopen." . . 
Das Gericht äussert im Anhang an das Urteil den 
frommen Wunsch, „die Herren Kapitalmagnaten der 
Eisenbahn möchten doch inZukunftverschwenderischer 
im Ankauf der nötigen Anzahl von „Arbeitskräften" . 
und „enthaltsamer" oder „entsagender** oder „sparsamer" 
in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein".*) 

(Fragen eines Kapitalisten.) „Glaubt ihr nicht, dass 
auch die Minenbesitzer Verluste bei den Explosionen 
haben?" — „Würde die Ventilation aller dieser 
alten Werke nicht viel Kosten verursachen?" — (Ant- 
wort eines Arbeiters:) „Ja, Unkosten möchten er- 
wachsen, aber Menschenleben würden be- 
schützt". **) 



*) I, 215. (Vergl. dazu 226, Anm. 103: „Enthaltsamkeit, 
Eotsagung und Sparsamkeit der Kapitab'sten in Veraus- 
gabung ihres Geldes und ihre Timur-Tamerlansche 
Verschwendung von Menschenleben.) 

**) K. 1, 406 und 467. — „Unsere Einwürfe gegen die Nichtan- 



— 42 — 

Man versuche, alle diese Tatsachen anders zu er- 
klären, ohne zum Wertgesetz und der Lehre von der 
Mehrarbeit seine Zuflucht zu nehmen, dann erst hat 
man Marx widerlegt. Bis dahin steht aber fest, dass 
Menschenleben für das Kapital keine Unkosten sind, 
denn das Kapital hält nur den Arbeitslohn für Un- 
kosten, die Mehrarbeit dagegen nicht für die Unkosten 
der Produktion, die zu vermindern wären, sondern 
für den Profit, dessen Höhe, mag sie tausende Leben 
kosten, den technischen Fortschritt des Kapitalismus 
misst. „Was die Ware dem Kapitalisten kostet und 
was die Produktion der Ware selbst kostet, sind aller- 
dings zwei ganz verschiedene Grössen. Der aus Mehr- 
wert bestehende Teil des Warenwertes kostet dem 
Kapitalisten nichts, eben weil er dem Arbeiter unbe- 
zahlte Arbeit kostet. Dajedoch auf Grundlage der kapi- 
talistischen Produktionder Arbeiter selbst, nach seinem 
Eintritt in den Produktionsprozess, ein Ingrediens des 
in Funktion begriffenen und dem Kapitalisten zuge- 
hörigen produktiven Kapitals bildet, der Kapitalist 
also der wirkliche Warenproduzent ist, so erscheint 
notwendig der Kostpreis der Ware für ihn als die 
wirkliche Kost der Ware selbst. Nennen wir den 
Kostpreis k, so verwandelt sich die Formel W=c+v+m 
in die Formel k + m, oder Warenwert = Kostpreis + 
Mehrwert.***). 

„Die kapitalistische Produktion ist überhaupt, bei 
aller Knauserei, durchaus verschwenderisch mit 
dem Menschenmaterial**. **) „Die kapitalistische 



Wendung von Jungen unter 18 Jahren zur Nachtarbeit würden 
gemacht werden von wegen Vermehrung der Auslage, 
aber dies ist auch dereinzigeG-rund. (Wie cynisch-naiv I) " (223). 

♦) K., in, 2. 
•♦) K, m, 61. 



— 43 - 

Produktion, wenn wir sie im einzelnen betrachten 
und von dem Prozesse der Zirkulation und den lieber- 
Wucherungen der Konkurrenz absehen, geht äusserst 
sparsam um mit der verwirklichten, in Waren ver- 
gegenständlichten Arbeit (c + v). Dagegen ist sie, weit 
mehr als jede andere Produktionsweise, eine Vergeu- 
derin von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine 
Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern 
auch von Nerven und Hirn." (III, 63.) „Es gehört 
hierher die Unterdrückung aller Vorsichtsmassregeln 
zur Sicherheit, Bequemlichkeit und Gesundheit der 
Arbeiter. Ein grosser Teil der ScWachtbulletins, die 
die Verwundeten und die Getöteten der industriellen 
Armee aufzählen (siehe die alljährlichen Fabrikbe- 
richte), stammt hierher. Ebenso Mangel an Raum, 
Lüftung etc."'^) 

„Im Prinzip ist der Anspruch auf Gesundheits- 
schonung universell. Und im Interesse von Myriaden 
Arbeiter und Arbeiterinnen, deren Leben jetzt ohne 
Not verkümmert und verkürzt wird durch die unend- 
lichen physischen Leiden, die ihre blosse Beschäfti- 
gung erzeugt, wage ich die Hoffnung auszusprechen, 
dass die sanitären Bedingungen der Arbeit ebenso 



*) K, in, 64. — Ein Kapitalist, ein gewisser E.F.Sanderson, 
sucht die Notwendigkeit der Nachtarbeit bei den Schmelzöfen auf 
folgende Weise zn begründen: „Hält man sie im Gang, so 
verwüstet man das Brennmaterial (statt dass jetzt das Leben 
der Arbeiter verwüstet wird), und halt man sie nicht im G-ang, 
so setzt das Zeitverluste im Wiederanlegen des Feuers und zur 
Gewinnung des nötigen Hitzegrades (während der Verlust, 
selbst Achtjähriger, an Schlaf zeit Gewinn von Arbeitszeit für 
die Sandersonsippe) und die Oefen selbst würden vom Tem- 
peraturwechsel leiden" (während dieselbigen Oefen nichts leiden 
vom Tag- und Nachtwechsel der Arbeit).' (226.) 



— 44 — 

universell unter geeigneten gesetzlichen Schutz gestellt 
werden." 

So schrieb der Chef des englischen Gesundheits- 
amtes im Jahre 1862 (III, 71 - 72). Diese Hoffnung 
teilt mit ihm auch K. Marx. Ja, sie erreicht bei ihm 
sogar die Stufe einer unumstösslichen Gewissheit. Die 
Gesellschaft wird doch am Ende einsehen müssen, 
dass die kapitalistische Wirtschaft, bei welcher Menschen- 
leben geopfert werden, um eine Zahl, die Profit heisst, 
zu erhöhen, keine wirklich menschliche Wirtschaft 
ist. Glücklicherweise teilen nicht alle Bevölkerungs- 
schichten diese unsinnige Auffassung der Produktion 
des Profites willen mit den Kapitalisten. Die Arbeiter- 
klasse, deren unbezahlte Arbeit den Profit bildet, strebt 
instinktiv darnach, diesen Profit zu vernichten und 
die kapitalistische Produktionsweise durch eine neue 
zn ersetzen, die auf den reellen Reichtum, nicht auf 
den imaginären Geldreichtum ausgeht. ^Unkosten 
mögen erwachsen, aber Menschenleben würden ge- 
schont. '^ Das ist die Losung der Arbeiterklasse, ihr 
eigenstes Klasseninteresse. Von allen Gesellschafts- 
klassen steht die Arbeiterklasse allein auf dem richti- 
gen Standpunkte der Produktion für den Menschen, 
sie allein ist imstande, den obersten Satz der ökono- 
mischen Wissenschaft von der Ersparung der mensch- 
lichen Arbeit zu erfassen und zu verwirklichen. 
Darum gehört ihr auch die Zukunft. Die Gesellschaft 
wird genötigt sein, die Leitung der Produktion aus 
den Händen der Kapitalisten in die der Arbeiter zu 
legen. Der Vertrag mit dem Individuum wird gelöst; 
ein neuer sozialistischer Staat wird gegründet. Erst 
dann wird jener Volkswohlstand aufblühen, von 
welchem der Begründer der klassischen National- 
Oekonomie (A. Smith), träumte und welchen die kurz- 
sichtigen, von Geld geblendeten Kapitalisten niemals 
herbeizuführen imstande sind. 



— 45 — 

Die Arbeiterklasse wird über die Kapitalistenklasse 
siegen, nicht weil es die Moral verlangt, nicht weil 
die heutige Verteilung eine ungerechte ist, sondern 
weil die kapitalistische Produktion nicht mit der 
ganzen menschlichen Arbeit haushält, und weil die 
Arbeiterklasse die einzige Klasse ist, welche die 
richtige Buchführung, die wissenschaftlich genaue 
Arbeitsbilanz verwirklichen kann. 



Zweiter Teil. 

Die Dialektik des Wertgesetzes. 

(Nach dem dritten Bande des „Kapital*'.) 



Kapitel VI. 
Der ^Widerspruch^ zwischen dem 1. und 



3. Bande des ^KapitaF. 

Wir haben nunmehr die ökonomischen Lehren von 
K. Marx kennen gelernt, in dem Umfange, wie sie im 
1. Bande des „Kapital" vorgetragen worden sind. Und 
was hat die Kritik darauf bis auf den heutigen Tag 
zu erwidern gewusst? Nicht mehr und nicht weniger 
als dass — man höre und staune — das Wertgesetz 
überhaupt nicht für die kapitalistische Wirtschaft 
gelte. Marx habe es selber nur zu gut gewusst und 
im 3. Bande die gesamten im 1. Bande gewonnenen 
Resultate umgeworfen, indem er zugeben musste, dass 
der kapitalistische Profit nicht aus der lebendigen 
Arbeit allein, sondern aus dem gesamten vorge- 
schlossenen Kapital herstamme. 

Es ist überflüssig, den Leser besonders darauf 
aufmerksam zu machen, dass diese Erwiderung auf 
ein totales Missverständnis der Marxschen Mehrwerts- 
lehre hinausläuft. Doch können wir nicht umhin, auf 



- 47 - 

die komische Seite dieses Missverständnisses hinzu- 
deuten. Das Wertgesetz gelte nicht für die kapita- 
listische Wirtschaft, oder mit anderen Worten, diese be- 
ruhe durchaus nicht auf Ersparung der in Waren- 
form vergegenständlichten menschlichen Arbeit — mit 
diesem übereilten Argumente glaubt die Kritik Marx 
schlagen zu können, ohne sich bewusst zu sein, dass 
sie sich dabei noch sozialistischer gebärdet, als 
ihr Gegner selbst. Denn Marx leugnet zwar, dass 
der Kapitalismus sich die Sparung der ganzen 
menschlichen Arbeit zur Aufgabe mache, wohl aber 
räumt er ein, dass dieser in gewissem Sinne dennoch 
mit der Arbeit haushalte — zwar nicht mit der ge- 
samten, wenigstens aber mit der bezahlten, in Waren- 
form erscheinenden Arbeit Hierauf weiss die Ge- 
lehrtenwelt nichts besseres zu entgegnen, als dass die 
Sache noch viel schlimmer stehe, dass die Preise auf 
dem kapitalistischen Markte prinzipiell nichts mit 
der Arbeit zu tun haben, — somit die kapitalistische 
Produktion gar nicbt^ auf Ersparung der Arbeit be- 
ruhe, — und dass dieses eben aus dem misslungenen 
Beweise von Marx selbst sich ergebe, der das Gegen- 
teil beweisen wollte. 

Was ist der Grund dieses tragikomischen Miss- 
verständnisses, welches schon mehr als 3 Jahrzehnte 
dauert? Dieser Grund ist kein anderer, als die aller- 
dings unbestrittene und von Marx im 3. Bande seines 
„Kapital'' ausdrücklich zugestandene Tatsache, dass 
die Durchschnittspreise auf dem kapitalistischen 
Markte gewissermassen von den Werten abweichen. 
Zwar beweist Marx, dass dieses keineswegs das von 
ihm im ersten Bande begründete Hauptresultat wider- 
ege, höchstens unbedeutend modifiziere; der Satz von 
der Ersparung der bezahlten Arbeit allein bestehe 
nach wie vor fort, — doch merken es die Kritiker 
nicht, oder sie wollen es nicht merken. Sie sehen nur, 



— 48 — 

dass Marx selbst das Wertgesetz in seiner ursprüng- 
lichen Fassung für die kapitalistische Wirtschs^ auf- 
gibt, dass er somit, wie es üblich ist, sich auszudrücken^ 
— sich in Widersprüche verwickelt, so dass es nicht 
einmal der Mühe wert ist, ihn ernstlich zu widerlegen. 
Er habe sich selbst widerlegt, indem er im 3. Bande 
ein ganz anderes Bild von dem Kapitalismus ent- 
worfen habe, als im 1. Bande. „Der Widerspruch 
zwischen dem 1. und 3. Bande des „Kapital^^ ist eine 
stehende Phrase in allen Werken über den Marxismus 
geworden, und indem die Kritiker diesen Wider- 
spruch in den grellsten Farben auszumalen verstehen^ 
entheben sie sich jeder weiteren Pflicht, das zu be- 
greifen, geschweige denn zu widerlegen, was Marx in 
seinem 3. Bande sagen wollte. Es wird dem Leser 
sofort klar, dass diese hier von uns gegen die Marx- 
kritik erhobene Anklage wohl begründet ist, wie un- 
wahrscheinlich dieses auch klingen möchte. 

Unter der Voraussetzung, dass das Wertgesetz auf 
dem Markte gilt, ergibt sich jener unumstössliche 
Schluss, dass der Profit eines jeden Kapitalisten aus 
der unbezahlten lebendigen Arbeit herrührt, und aus 
diesem Grunde um so grösser sein muss, je mehr 
lebendige Arbeit der Kapitalist beschäftigt. Ist der 
durchschnittliche Lohn der Arbeitskraft gleich fünf 
Stunden täglich, und der Arbeitstag gleich 10 Stunden,, 
so fallen dem Kapitalisten von einem jeden von ihm 
beschäftigten Arbeiter täglich 5 unbezahlte Stunden 
zu, und je mehr Arbeiter, desto höher ist sein kapi- 
talistischer Profit Was aber die von dem Kapitalisten 
produktiv verausgabte tote Arbeit anbetrifil, so kann 
aus ihr, wie gross sie auch sein mag, kein Profit ent- 
springen, denn der Kapitalist verzeichnet sie richtig 
und im vollen Umfange als Ausgabe des Produktions- 
prozesses, er begeht dabei keinen Fehler, folglich 
kann er auch zu keinem Profite kommen. Aus diesem 



— 49 - 

Grunde nennt Marx die tote Arbeit c constantes, den 
Arbeitslohn v variables Kapital. Wenn der Kapitalist 
die Ware, die ihm c + v gekostet hat, für ihren vollen 
Wert c + V + m verkauft, so fliesst ihm die bei der 
Anschaffung von Materialien und Werkzeugen ver- 
ausgabte Summe c unverändert zurückt, die lebendige 
Arbeit dagegen wird ihm voll mit der Summe v + m 
rückvergütet, die den von ihm ausbezahlten Arbeits- 
lohn V um die Grösse der verausgabten unbezahlten 
Arbeit m übersteigt. Der in Arbeitslohn ausgelegte 
Teil des Kapitals scheint mit jedem kapitalistischen 
Umschlag anzuschwellen — daher der Name des 
variablen Kapitals. So ist es in der Theorie; dem aber 
scheint die kapitalistische Praxis zu widersprechen, 
da in der Tat der kapitalistische Profit sich nach der 
Grösse des gesamten Kapitals, und nicht allein nach dem 
seines variablen Teiles richtet. Es gibt Produktiven 
zweige, in welchen die tote Arbeit den grössten Teil der 
Gesamtkosten ausmacht, und wiederum andere, in denen 
die Produktionskosten vorwiegend durch die lebendige 
Arbeit dargestellt werden, — doch ist in allen Pro- 
duktionszweigen der Profit im Durchschnitt dem ge- 
samten vorgeschossenen Kapital proportional. 

Nehmen wir z. B. an, dass neben dem Ackerbau, 
in welchem jährlich ein jeder Arbeiter 100 Mass Korn 
aussäet und 200 erntet, es noch einen zweiten Zweig 
der gesellschaftlichen Produktion gibt, wo das Korn 
in Brot verarbeitet wird, und zwar gelinge es einem 
jeden Arbeiter, jährlich 50 Mass Korn in Brotform zu 
verwandeln. Setzen wir dann, wie früher, voraus, 
dass jedes Mass Korn eine Geldeinheit kostet und der 
jährliche Arbeitslohn gleich 50 Geldeinheiten ist, so 
ergibt es sich nach der Werttheorie, dass die kapita- 
listischen Ausgaben im Ackerbau gleich 150 auf einen 
jeden beschäftigten Mann sind, das Produkt dagegen 
200 Geldeinheiten kostet, somit der Profit gleich 80 

Charasoff, Karl Marx. 4 



— 50 — 

auf das Kapital 150 ist Anderseits sind bei der 
Brotproduktion die kapitalistischen Auslagen gleich 
100 auf jeden Arbeiter und der Profit ebenfalls gleich 
50; denn die jährliche Mehrarbeit eines jeden Arbei- 
ters, ob er nun in der Brotproduktion oder im Acker- 
bau beschäftigt wird, ist dieselbe, nämlich gleich 
einem halben Jahre oder gleich 50 Geldeinheiten. 
Die Mehrarbeit ist dieselbe, doch nicht das Kapital, 
mit dessen Hilfe diese Mehrarbeit von dem Kapitalisten 
angeeignet wird. Im Ackerbau ist dieses Kapital gleich 
150, in der Brotproduktion nur gleich 100 Geldein- 
heiten. 

Wenn aber die kapitalistische Konkurrenz eine 
vollkommen freie ist — und das wurde doch von den 
Klassikern der Nationalökonomie vorausgesetzt — , so 
ist der soeben geschilderte Sachverhalt einfach un- 
möglich. Kein Kapitalist wird freiwillig den Acker- 
bau betreiben, wo er, um einen Profit gleich 50 zu 
erzielen, ein Kapital gleich 150 vorschiessen muss, 
wenn er dasselbe Resultat in der Brotproduktion schon 
mit einem Kapitale gleich 100 erzielen kann. Alle 
werden sich auf die Brotproduktion werfen und den 
Ackerbau meiden, solange es nur geht. Die Folge 
davon wird eine Unterproduktion des Kornes sein, 
welche ihrerseits die Brotproduktion verunmöglichen 
wird, und es gibt keinen anderen Ausweg aus allen 
diesen ökonomischen Missständen, als das Wertgesetz 
auf dem Markte aufzuheben und solche Preise auf 
Korn und Brot zur Geltung zu bringen, die zwar nicht 
mehr den Werten dieser Waren gleichen, wohl aber 
den Kapitalisten in beiden Produktionszweigen den- 
selben Profit auf je 100 vorgeschossene Geldeinheiten 
oder dieselbe Profitrate sichern. 

Eine gleichmässige Verteilung der Kapitale unter 
die verschiedensten Produktionszweige verlangt somit 
gebieterisch, dass die Profitrate überall dieselbe ist, 



— 51 — 

dass gleiche Kapitale auch gleiche Profite abwerfen, 
unabhängig davon, wie gross ihre Teile sind, die auf 
Ankauf der toten und Dingung der lebendigen Arbeit 
verwendet werden. Eine jede Kapitaleinheit, ob sie 
nun als konstantes oder als variables Kapital fungiert, 
muss profitbringend sein, und zwar muss sie genau 
den gleichen Profit ab weifen. Das widerspricht jedoch 
dem Wertgesetze; folglich — reflektieren die Marx- 
kritiker — kann das Wertgesetz auf dem kapitalisti- 
schen Markte nicht herrschen; und so wie Marx das 
Gesetz der gleichen Profitrate anerkennt — und das 
tut er ausdrücklich im 3. Bande seines „Kapital" — *), 
gibt er selbst das Wertgesetz mit allen seinen Konse- 
quenzen auf, und seine ganze Theorie zerfallt in 
Trümmer. 

Das ist jedoch keineswegs die Ansicht von K. Marx 
selbst gewesen. Zwar gibt Marx unumwunden die 
Tatsache zu, dass die kapitalistischen Warenpreise von 
dem Wertgesetze in seiner ursprünglichen Fassung 
abweichen, doch behauptet er zu gleicher Zeit, das 
Wertgesetz fahre fort, für den kapitalistischen Markt 
zu gelten, in dem Sinne, dass nach wie vor nur die 
bezahlte oder in Waren vergegenständlichte, in der 
Wertform erscheinende Arbeit gespart, die Mehr- 
arbeit dagegen, die bei der Dingung der Arbeitskraft 
nicht in den Wert dieser Arbeitskraft eingeht und 
von dem Kapitalisten nicht bezahlt zu werden braucht, 
„aufs schamloseste'* vergeudet wird. Selbstver- 
ständlich betrachtet Marx dabei diese dem Kapitalis- 
mus eigentümliche Abweichung der Preise von den 
Werten nicht als Widerlegung seiner Theorie, wie das 
seine . leichtsinnigen Kritiker tun wollen, sondern im 
Gegenteil, er erblickt darin ein neues Zeichen der 
Un Vollkommenheit der kapitalistischen Produktions* 



*) S. K. in, 127—128 und passim. 



— 52 — 

weise, eine Bürgschaft för ihr natürliches Ableben und 
ihren unvermeidlichen Verfall. Wir wollen jedoch 
mit den Schlüssen, die Marx aus seiner endgültig ent- 
wickelten Theorie der kapitalistischen Produktion 
zieht, nicht voraneilen, bevor vrir den Leser in diese 
Theorie selbst eingeführt haben. 



Kapitel VII. 

Die Harxsehe Preislehre. 

Im ersten Bande wurde vorausgesetzt, dass der 
Markt von der Gesellschaft, die Produktion von den 
Kapitalisten regiert wird. Die Gesellschaft ging, indem 
sie die Preise bestimmte, von dem richtigen Kosten- 
begriflf aus, — daher herrschte das Wertgesetz auf dem 
Markte; anderseits aber huldigten die Kapitalisten, 
indem sie die Produktion vervollkommneten, ihrer 
eigenen verkehrten Anschauung, wonach nur c + v 
die Produktionskasten, m dagegen den Profit bildet. 
Nun aber war eine solche Voraussetzung eine willkür- 
liche Abstraktion, denn in der Wirklichkeit regiert der 
Kapitalismus auf dem Markte wie in der Werkstatt. 
Daher findet eine Abweichung der Produktionspreise 
von dem Wertgesetze statt. Der Sinn dieser Ab- 
weichung besteht darin, dass die verkehrte Auffassung 
der Produktionskosten seitens der Kapitalistenklasse 
an Stelle der richtigen auf dem Markte Platz greift. Sie 
lässt sich am besten verfolgen, wenn man von der 
Voraussetzung ausgeht, das Wertgesetz habe ursprüng- 
lich auf dem Markte geherrscht und sei mit der Zeit 
durch das Gesetz der Proportionalität zwischen den 
Kapitalen und den von ihnen abgeworfenen Profiten 
allmählich verdrängt worden. Nach dem Wertgesetze 




— 53 — 



erhält der Kapitalist einen Profit gleich m auf das 
Kapital c + v. Dabei stammt der Profit von dem 
variablen Teile des Kapitals her, oder von dem Kaufe 
der Arbeitskraft, durch welchen der Kapitalist zu der 
Möglichkeit kommt, die ganze lebendige Arbeit v + m 
produktiv zu konsumieren, — für einen Arbeitslohn, der 
nur gleich v ist. Doch braucht der Kapitalist selbst 
nichts davon zu wissen, und er weiss auch in der 
Tat nichts davon. Ihm ist nur das eine klar: er hat 
eine bestimmte Summe k = c + v ausgegeben und 
eine grössere Summe k + m beim Verkaufe seiner 
Ware zurückerhalten. Wieviel Geld er auf Materialien 
und Werkzeuge, vieviel auf Arbeitslohn verausgabte, 
interessiert ihn nicht und kann ihn nicht interessieren. 
Das von ihm vorgeschossene Kapital k hört vom 
kapitalistischen Standpunkte auf, in seinen konstanten 
Teil c und in seinen veriablen Teil v zu zerfallen. 
Dementsprechend erscheint der Profit m als ein Zu- 
wachs der ganzen vorgeschossenen Summe k, und 
zwar so, dass jeder Teil dieser Summe einen gleich- 
massigen Zuwachs im kapitalistischen Zirkulations- 
prozesse erhält, k Geldeinheiten wachsen um m Geld- 
einheiten, folglich wächst eine jede Geldeinheit, ganz 
unabhängig davon, ob sie auf Anschaffung von Mate- 
rialien und Werkzeugen oder auf Dingung der Arbeits- 
kraft ausgegeben wurde, um ^ Einheiten. Aus einer 

jeden Einheit 1 werden 1 + ^, aus k Einheiten werden 

k (1 + ^), — das soll die Ansicht des Kapitalisten sein, 

der nur k zu den Produktionskosten rechnet und auf 
dem Markte den vollen Wert k + m seiner Ware 
von der Gesellschaft ausbezahlt erhält. Nach der An- 
sicht des Kapitalisten rührt der von ihm eingestrichene 
Mehrwert nicht von der menschlichen Arbeit her, die 
er nicht bezahlt hat, und die doch in seiner Ware 



— 54 — 

steckt, sondern von irgend einer magischen Kraft, die 
jeder von ihm vorgeschossenen Geldeinheit innewohnt 
und ihr die Fähigkeit verleiht, im Zirkulations- 
prozesse anzuschwellen, oder mit einem Zuwachse zu 
ihrem Eigentümer zurückzukehren, der sie in die 
Zirkulation geworfen hat. Dieser Zuwachs heisst Profit- 
rate, und er ist ursprünglich gleich -^, d. h. er ist 
gleich dem Mehrwert, der durch das Kapital dividiert, 
oder gleichmässig auf das ganze Kapital verteilt ge- 
dacht wird. Diesen Zuwachs, und zwar einen immer 
grösseren Zuwachs auf eine jede Kapitaleinheit zu er- 
halten, wird nunmehr der einzige Zweck der gesamten 
kapitalistischen Wirtschaft. 

Nun ist aber dieser Zuwachs, oder die Profitrate, 
ursprünglich verschieden in verschiedenen Produktions- 
zweigen, und zwar um so kleiner, je mehr tote Arbeit 
c auf eine jede Lohneinheit in dem betreffenden Pro- 
duktionszweige kommt. Denn eine jede vorgeschossene 
Lohneinheit kehrt zu dem Kapitalisten mit gleichem 
Quantum Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit behaftet 
zurück. Wird aber diese Mehrarbeit gleichmässig auf 
das ganze, und nicht allein auf das variable Kapital 
verteilt, so erscheint der Quotient, oder die Profitrate 
um so kleiner, je mehr tote Arbeit auf eine jede Lohn- 
einheit kommt. Diese Tatsache, verbunden mit dem 
Wunsche eines jeden Kapitalisten, eine möglichst 
hohe Profitrate zu erzielen, muss notwendig dazu 
führen, dass alle Kapitale sich auf die Produktions- 
zweige mit der höchsten Profitrate werfen. Daraus 
entsteht notwendig eine Ueberproduktion in diesen 
Produktionzweigen, und die Preise ihrer Produkte 
müssen unter ihren Wert sinken. Dagegen steigen die 
Preise der Produkte in anderen Produktionszweigen, 
so dass schliesslich die Preise zwar von den Werten 
abweichen, jedoch überall eine und dieselbe mittlere 



— 55 — 

Profitrate p sich herausbildet. Sowie das geschehen ist 
wird ein jeder Kapitalist, der ein Kapital gleich k vor 
geschossen hat, sein Produkt zu dem Preise k (1 + p! 

m ' 

verkaufen. Ist dabei die Profitrate ^ in seinem eigenen 

Unternehmen höher als die mittlere Profitrate p, so 
verkauft er seine Ware unter ihrem Werte; ist aber 

^ kleiner als p, so verkauft er über dem Werte. Das 
Wertgesetz wird in seiner ursprünglichen reinen Form 
verletzt, doch beherrscht nun das Gesetz der 
gleichen Profitrate, das aus der Konkurrenz der 
Kapitale sich notwendigerweise entwickelt, unum- 
schränkt den Markt. Das ist es, was Marx zu seiner 
Wertlehre, wie er sie im I.Bande des „Kapital** dargestellt 
hat, in dem 3. Bande hinzufügt, und darin erblicken 
seine Kritiker einen unlösbaren Widerspruch, einen 
Verzicht auf die ganze Werttheorie. — Sehen wir näher 
zu, ob es denn wirklich so ist oder nicht. 

Der Wert einer Ware ist gleich k + m oder 

k (1 + ^ ), der Preis dagegen gleich k (1 + p), wo p 
die mittlere Profitrate bedeutet. Der Faktor k bleibt, 
der Faktor 1 + ^ dagegen wird durch den Faktor 

1 + p ersetzt, der bald grösser, bald kleiner, als ^ 
und für alle Waren derselbe ist. Das ist ja alles, was 
uns Marx im 3. Bande sagt, und es ist auch ganz klar, 
was er damit sagen will.*) 

Der Kapitalist sucht den Preis, nicht den Wert 
der Ware zu reduzieren, und da p (die mittlere Profit- 
rate) ihm als gegeben gilt, und es nicht von ihm ab- 
hängt, die mittlere Profitrate abzuändern, so kann er 
den Preis reduzieren, nur indem er k reduziert oder an 
der bezahlten Arbeit spart. Zu diesem Zwecke 



♦) S. z. B. K. ni, 144. 



— 56 - 



führt er eine neue Produktionsweise ein. Ist es eine 
mit niedrigerer Profitrate -g-, so sinkt auch der Faktor 

1+ Y"^^^^™^^^ ™** ^^ ^' ^- ^®^ Wert k (1 + -g-) 
sinkt mit dem Preise k (1 + p). Ist dagegen die 

Profitrate y" eine höhere geworden, so kann H--g-80 

hoch steigen^ dass, obwohl k fallt,dasProduktk (1 + -g") 

wächst, oder dass der Wert der Ware steigt indem 
ihr Preis sinkt. Der erste Fall, der am häufigsten vor- 
kommt, erklärt, wie die Technik in der kapitalistischen 
Wirtschaft sich nach der wahren Richtung entwickeln 
kann; aber er zeigt auch, dass es nur auf Kosten der 

Profitrate ^ geschieht, wodurch das Gesetz der fallen- 
den Profitrate vorbereitet wird (darüber später). Der 
zweite Fall illustriert dagegen den Widerspruch 
zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und 
dem Gesetze der gesteigerten Produktivität menschlicher 
Arbeit. Er tritt dann ein, wenn Arbeitshände so billig 
werden, dass es dem Kapital vorteilhaft erscheint, die 
Maschine durch den Menschen, statt umgekehrt 
den Menschen durch die Maschine zu ersetzen. 
Dabei steigt die unbezahlte Arbeit so enorm, 
dass auch der Wert der Ware steigt, trotz der 
Reduktion der bezahlten Arbeit, was den Kapitalisten 
wenig berührt, denn er rechnet die Mehrarbeit nicht 
zu den Kosten, und für ihn sinken die Kosten dort, 
wo sie für die Gesellschaft steigen. — Nun fragen wir 
den unparteiischen Leser, wo denn der vermeintliche 
„Widerspruch zwischen dem 1. und 3. Bande** steckt? 
Es ist ja vielmehr Wort für Wort dieselbe Lehre. 
Und, was die Hauptsache ist, es ist die einzige mög- 
liche Lehre, die sich auf Grund des Prinzips der Pro- 



— 57 — 

duktivität menschlicher Arbeit ergeben kann, •— wie 
wir es gleich in allen Einzelheiten beweisen wollen. 
Der Haupteinwand, den die Kritiker gegen die 
Marxsche Profittheorie geltend machen, besteht darin, 
dass der Profit dem ganzen Kapital, nicht seinem va- 
riablen Teile proportional sei — folglich stamme er 
nicht von der unbezahlten Arbeit her. Aber ehe man 
von dem Gesetze der Verteilung des Profites spricht, 
muss man erst die Frage beantworten, was der Profit 
eigentlich sei.*) Und erkennt man das Prinzip der Pro- 
duktivität der Arbeit an, so gibt es keine andere Ant- 
wort auf diese Frage als die, dass der Profit ein 
Fehler ist, der in der Lohnarbeit seinen Ur- 
sprung habe. An Stelle der gesamten Ausgaben an 
lebendiger Arbeit tritt ein kleinerer Posten, der Arbeits- 
lohn heisst. Wäre das nicht der Fall gewesen, so 
würde es keinen Profit geben können. Man denke 
sich den Profit nach einem beliebigen Gesetze verteilt 
und unterstelle, dass der Lohn allmählich steigt, — 
so tritt sicher einmal der Moment ein, wo der ganze 
Profit zu nichte wird. Die Arbeitskosten der Produk- 
tion bleiben dabei immer dieselben, die kapitalisti- 
schen Kosten aber wachsen stetig an und decken sich 
mit den wirklichen Kosten erst, wenn der Profit gleich 
Null wird. Ist umgekehrt der Profil nicht gleich Null, 
so heisst dies, dass die kapitalistischen Kosten unter 
den gesellschaftlichen stehen, oder dass der Arbeits- 



*) Herr Prof. L. v. Brotkiewicz will eine selbständige 
Bechnongsmethode in die Wissenschaft einführen, nach welcher 
sich die Profitrate unabhängig von der Werttheorie „auf einen 
korrekten mathematischen Ausdruck'' bringen lässt, zu gleicher 
Zeit aber gibt er selbst zu, dass die Tatsache des Profites nur 
auf Grund der Mehrwertlehre, die er „Abzugstheorie*' nennt, 
erklärt werden kann. (S. seine Aufsätze: „Wertrechnung und 
Preisrechnnng im Marxschen System" im Archiv für Sozial- 
wissenschaft etc.) 



— 58 — 

lohn niedriger ist, als die Arbeitsmenge, die der leben- 
dige Arbeiter im Prozesse der Produktion verausgabt, 
— hiermit, dass die Produktion nach einem fehler- 
haften Kostenprinzip sich entwickelt. Was ändert der 
Umstand an der Sache, dass die Mehrarbeit propor- 
tional nicht dem variablen, sondern dem gesamten 
Kapital verteilt wird? Sie bleibt unter allen Umstän- 
den Mehrarbeit, d. h. eine der Theorie widersprechende 
Zahl, ein Rechenfehler, den der Kapitalismus, anstatt 
zu beseitigen, zu erhöhen bestrebt ist Nach wie vor 
wird dieser Erhöhung der Volkswohlstand geopfert. 

Weiter wendet man gegen Marx ein, er habe im 
ersten Bande seines „Kapital^ die Konkurrenz aus- 
drücklich als Bedingung des Wertgesetzes vorausge- 
setzt, im dritten dagegen gezeigt, dass eben die Kon- 
kurrenz der Kapitale die Abweichungen von dem 
Wertgesetze hervorruft — was auf einen inneren 
Widerspruch hinauslaufe. Doch muss man bedenken, 
dass Marx im 1. Bande von dem fertigen Begriffe der 
Konkurrenz ausging, wie ihn die klassische Schule 
ausgebildet hatte, die in der Konkurrenz eine Art ge- 
sellschaftliche Kontrolle über die Kapitalisten erblickte 
Im 3. Bande dagegen zeigte Marx, dass die kapitalisti- 
sche Konkurrenz, weit entfernt, eine gesellschaftliche 
Kontrolle zu sein und das Wertgesetz für eine jede 
einzelne Ware durchzuführen, das Grundgesetz der 
kapitalistischen, und nicht der menschlichen 
Produktion zum Ausdruck bringe, nämlich das Gesetz 
der gleichen Profitrate. Wenn das ein Widerspruch ist, 
so ist es ein Widerspruch der klassischen Schule, 
den Marx zur Anschauung bringt, und durchaus nicht 
ein seiner eigenen Theorie immanenter Widerspruch, 
wie seine Kritiker voreilig schliessen wollen. 

Die Aufgabe war doch für Marx das Irrationelle 
der kapitalistischen Konkurrenz aufzudecken. Ihrem 
Wesen nach widerspricht die kapitalistische Konkur- 



— 59 — 

renz dem Wertgesetz, denn sie ist auf die Herstellung 
einer gleichen Profitrate gerichtet, was nur dann er- 
reicht werden kann, wenn einige Waren über, andere 
unter ihrem Werte verkauft werden. Um diese Tat- 
sache kritisch zu beleuchten, musste Marx zuerst vor- 
aussetzen, dass das Wertgesetz auf dem Markte gilt, 
und zugleich zeigen, dass dieses mit einer falschen 
Definition der Produktionskosten seitens der Kapital- 
listen notwendig verbunden ist. Erst wenn dieses 
begriffen isi, wird es möglich, zu verstehen, wie prin- 
zipiell unter oder über dem Werte verkauft werden 
kann, obwohl der Wert die richtigen gesellschaftlichen 
Produktionskosten für eine fertige Ware angibt. 

Die Kapitalisten rechnen nämlich anders als die 
Gesellschaft. Ein Kapitalist, in dessen Werkstatt das 
Quantum k + m Arbeit verausgabt wurde, und der 
nur k für Ausgaben hält, wird sich freuen, wenn er 
seine Ware unter k + m, jedoch über k losschlägt. 
Er realisiert dabei nicht die ganze, bei der Produktion 
verausgabte Arbeit, er vollzieht eine vom gesellschaft- 
lichen Standpunkte aus sehr unvorteilhafte und be- 
denkliche Operation, und doch ist er zufrieden, weil 
er mehr zurückerhält, als seine Kosten waren, weil 
er nichts von der Mehrarbeit weiss, die unter seinem 
Kommando ausgegeben wurde; die hat er doch nicht 
bezahlt, die ist keine Kost für ihn. Hätte er sie 
selbst ausgeben müssen, so würde er sie nicht ver- 
gessen können, und er würde auch nicht bestrebt sein, 
eine allgemeine Profitrate durch die Konkurrenz zu- 
stande zu bringen, denn dann würde er einsehen, dass es 
überhaupt keinen Profit gibt. Da er aber Kapitalist 
ist, d. h. ein Leiter der Produktion, der andere 
gegen Lohn arbeiten lässt, so weiss er von der Mehr- 
arbeit nichts und begreift auch nicht, dass sie Ver- 
ausgabung menschlicher Kraft ist, und fühlt sich ganz 
wohl, wenn er seine Ware unter ihrem Werte, jedoch 



60 



über seinen Produktionskosten losschlägt und einen 
Profit einsteckt. Dass dieser „Profif* nicht einmal 
die ganze in seiner Werkstatt verausgabte Mehrarbeit 
deckt, dass er, strenge gesprochen, einem Verluste 
gleichkommt, kann ihn nicht interessieren, denn er 
weiss nichts von der Mehrarbeit, von der unbezahlten 
Arbeit, — eben weil er Kapitalist ist. 



Kapitel VIII. 

Warum die Kritiker die Marxsehe Preislehre 
nicht verstehen. 

Wir haben uns soeben überzeugt, dass Marx ganz 
logisch gehandelt hat, wenn er zuerst das Wertgesetz 
auf dem Markte postulierte, dann aber zu den Ab- 
weichungen von dem Wertgesetze durch die Konkur- 
renz überging. Es gibt eben keine Möglichkeit, das 
Eigentümliche der kapitalistischen Konkurrenz zu be- 
greifen, als indem man sich darüber Rechenschaft 
ablegt, dass es eine Mehrarbeit, eine unbezahlte 
Arbeit gibt, von welcher die Kapitalisten nichts wissen 
und welche sie in der Produktion und bei der Preis- 
bestimmung nicht berücksichtigen. Den besten Beweis 
dafür liefern die Marxkritiker: da sie vom Wertgesetze 
nichts wissen wollen, so sehen sie das Irrationelle der 
kapitalistischen Konkurrenz nicht, und einige von 
ihnen wollen sogar direkt auf ihr die Preislehre ba- 
sieren. Sie wollen den kapitalistischen Verkehr stu- 
dieren, ohne sich vorerst gefragt zu haben, ob die 
Produktion auch rationell eingerichtet ist. „Es entspricht 
übrigens — sagt Marx, der seine Kritiker wohl kannte 
— - dem bürgerlichen Horizonte, in welchem das »Ge- 



— 61 — 

schäftchen« den ganzen Kopf einnimmt, nicht im 
Charakter der Produktionsweise die Grundlage der ihr 
entsprechenden Verkehrsweise zu sehen, sondern um- 
gekehrt."*) 

Dieses vorwiegende Interesse für die Verkehrsweise 
ist in der Tat für die ganze Marxkritik charakteristisch 
und verhängnisvoll. Das Verständnis für das Problem 
der Produktivität geht ihr so gut wie ganz ab, und 
sie erblickt in der Werttheorie einen Versuch, die 
Preise auf einem konkreten kapitalistischen Markte 
theoretisch abzuleiten, nicht aber, wie es Marx' eigent- 
licher Gedanke war, ein Hilfsmittel zur anschaulichen 
Darstellung des Irrationellen in der kapitalistischen 
Oekonomie. Die Kritik tritt an die Werttheorie mit 
der Forderung heran, ihr gleichsam eine unfehlbare 
Preisliste für alle möglichen Konjunkturen des wirk- 
lichen Marktes zu liefern; die Preisliste und die Kon- 
junktur sind für sie die höchsten Begriffe der national- 
ökonomischen Wirtschaft geworden, und da die Wert- 
theorie nicht imstande ist, auf alle Details der Kon- 
kurrenz mit einer praktischen Genauigkeit eine Ant- 
wort zu geben, so verwerfen die Kritiker sie, obwohl 
sie ihrerseits auch keine genauere Preislehre auszu- 
bilden vermögen, ja sogar selbst gestehen, eine solche 
peinlich genaue Preislehre sei infolge der Kompliziert- 
heit des Gegenstandes eine Sache der Unmöglichkeit. 

Was aber die andere, viel tiefere und einzig der 
Beachtung einer Wissenschaft würdige Frage über die 
Entwicklung der Produktivität der menschlichen Arbeit 
anbetrifft, so begreifen die meisten Kritiker diese Frage 
nicht einmal, darum können sie- auch die Antwort 
nicht würdigen, welche die Marxsche Werttheorie auf 



*) Kap. n, 88-89. — Was aber die Konkurren nicht 
zeigt, das ist die Wertbestimmang die die Bewegung der 
Produktion beherrscht (Kap. in, 188). 



— 62 -^ 

diese Frage gibt. Das innere Wesen des Kapitalismus 
besteht in der Ersparung der bezahlten toten und in 
der Verschwendung der unbezahlten lebendigen Arbeit 

— will Marx mit seiner Werttheorie sagen. Statt 
diesen einfachen Gedanken erst zu verstehen und dann 

— wenn es möglich ist — zu widerlegen, bemüht man 
sich aus allen Kräften nachzuweisen, dass die kapi- 
talistischen Preise sich nach einem ganz anderen, von 
dem Begriffe der Arbeit unabhängigen Gesetze bilden, 
dass Mai-x den Ursprung des Profites und das Eigen- 
tümliche der kapitalistischen Konkurrenz falsch zur 
Darstellung gebracht habe, und man übersieht dabei die 
Hauptfrage, um die sich alles dreht — die Frage dar- 
nach, was in einer vollkommenen menschlichen Wirt- 
schaft gespart werden muss und was in der wirk- 
lichen kapitalistischen gespart wird. Man klammert 
sich an einen jeden zweideutigen Ausdruck, an eine 
jede Stelle, die bei einer oberflächlichen Lektüre miss- 
verstanden werden kann, um zu beweisen, dass Marx 
sich überall selbst widerspricht oder dass seine Resul- 
tate nicht unbedingt richtig sind und folglich falsch 
sein müssen. Was die inneren Widersprüche der 
Marxschen Theorie anbetrifft, so haben wir schon 
gezeigt, dass sie in vollem Masse nur in der Einbil- 
dung der Kritiker existieren. Jetzt bleibt uns noch 
übrig, in kurzen Worten den letzten Einwand der 
Kritik zu erwähnen und zu prüfen, nämlich, dass die 
von Marx aufgestellte Formel für die kapitalistischen 
Preise keine "genaue ist. 

Wie wir wissen, ist nach der Marxschen Formel 
der Produktionspreis einer Ware gleich k (1 -f- p), 
oder gleich dem Werte des Kapitals multipliziert mit 
1 plus die mittlere Profitrate. Nun machen alle 
Kritiker darauf aufmerksam, dass Marx mit dieser 
Formel das Wertgesetz für die einzelnen Waren auf- 
hebt, anderseits aber dasselbe Wertgesetz für die 



- 63 ~ 

Kapitale beibehält. Denn der Preis der Ware ist offen- 
bar gleich dem Preise des Kapitals, multipliziert mit 
1 + p, Marx aber nimmt statt des Preises den Wert 
des Kapitals in seine Formel hinüber, was darauf 
hinausläuft, dass der Preis des Kapitals gleich dem 
Werte ist, oder dass das Wertgesetz fortfährt für die 
Kapitale zu gelten. 

Nun muss darauf erwidert werden, dass, was an 
diesem Einwände richtig ist, nicht gerade von den 
Kritikern entdeckt, sondern von Marx selbst aus- 
gesprochen worden ist. Marx erkennt ohne Umstände 
eine gewisse Ungenauigkeit seiner Formel an, doch fügt 
er dabei hinzu, dass, da ein jedes Kapital eine Zu- 
sammensetzung von verschiedenen Waren sei, und 
für einige von diesen Waren der Preis über, für 
andere unter dem Werte stehe, sich die Abweichungen 
in der Summe gegenseitig aufheben, und der Preis 
des Kapitals seinem Werte schliesslich gleichkomme. 

Ein Irrtum ist stets möglich, — sagt Marx, „wenn 
in einer Produktionssphäre der Kostpreis k der Ware 
dem Wert der in ihrer Produktion verbrauchten Pro- 
duktionsmittel gleichgesetzt wird'S „Jedoch löst sich 
dieses (der Irrtum) stets dahin auf, dass, was in der 
einen Ware zu viel, in der anderen zu wenig für 
Mehrwert eingeht, und dass daher auch die Ab- 
weichungen von Wert, die in den Produktionspreisen 
der Waren stecken, sich gegeneinander aufheben.'* 
Selbstverständlich meint Marx damit nicht, dass sie 
sich vollständig aufheben; jedoch in einem Grade, der 
nur einen unbedeutenden irrelevanten Fehler zurück- 
lässt. 

Es gibt überhaupt sehr wenig Aufgaben — und 
nicht allein in der Nationalökonomie, sondern auch 
in so in der genauen Wissenschaften, wie Physik 
und Mechanik — , die ohne jeden Fehler auf- 
gelöst werden können. Es kommt aber nicht auf den 



— 64 — 

Fehler, sondern auf seine Grösse an, — und diesen 
Umstand haben die Kritiker unbegreiflicherweise 
ausser Acht gelassen. Alle pochen auf den Fehler, 
den Marx begangen hat; wie gross er aber ist, unter- 
lassen sie alle nachzuprüfen. 

Nach Ricardo fallen die Preise theoretisch mit 
den Werten zusammen, und es existiert kein Wider- 
spruch zwischen der kapitalistischen und rationellen 
Produktionsweise. Nach Marx ist der Preisausdruck 
gleich k (1 + p\ worin p die mittlere Profitrate 
ist, — somit weichen die Produktionspreise von den 
Werten ab, und nicht die gesamte, sondern nur die 
im Kapital bezahlte Arbeit wird gespart. Dadurch 
werden die Produktionspreise nur im ganzen richtig^ 
im Einzelnen ungenau angegeben. Das erkennt Marx 
selbst an, und das wiederholen seine Kritiker. Es 
bleibt jedoch die Frage zu lösen, wer der Wahrheit 
näher gekommen ist, — Marx oder Ricardo. Ist die 
kapitalistische Produktion eine rationelle in 
dem Sinne, dass über die gesamte von der Ge- 
sellschaft verausgabte Arbeit Buch geführt 
wird, oder hält vielmehr der Kapitalist mit 
der bezahlten Arbeit allein Haus? 

Behaupten wir das erste, so können wir weder 
begreifen, woher der Profit kommt, noch warum der 
Kapitalist in der Verlängerung des Arbeitstages, in der 
Intensifikation der Arbeit und anderen Abzügen am 
menschlichen Leben einen technischen Fortschritt zu 
erblicken geneigt ist. Setzen wir aber voraus, dass 
der Kapitalist indem er das Kapital spart, nur die be- 
zahlte Arbeit spart, die unbezahlte dagegen als Profit 
ansieht, so werden uns alle Eigentümlichkeiten des 
kapitalistischen Systems auf einmal klar. Folglich 
hat Marx den Nagel auf den Kopf getroffen, folglich 
kommt die Behauptung, der Preis sei gleich k (1 + p)^ 



~ 65 — 

der Wahrheit näher, als die Behauptung, der Preis 
sei genau gleich dem Werte k (1 + ^). 

Dasselbe wird durch die mathematische Analyse 
der Preisformel bestätigt, die wir bei Marx vorfinden. 
Ein jedes Kapital ist nichts anderes, als eine Zusam- 
mensetzung bestimmter Waren, wie Kohle, Maschinen, 
Arbeitskraft und dergleichen. Einige von diesen 
Waren werden über, andere unter ihrem Werte ver- 
kauft, und in der Summe müssen sich die Abweichun- 
gen der Preise von den Werten gewissermassen aus- 
gleichen. Folglich begeht man, wenn man den Preis 
eines Kapitales gleich seinem Werte setzt, einen viel 
geringeren Fehler, als wenn man diese Gleichsetzung 
für jede einzelne Ware durchführt, und folglich hat 
Marx mit seiner Preisformel ohne jeden Zweifel mehr 
recht, als die klassische Schule mit ihrer Behauptung, 
dass die Preise der kapitalistischen Waren unmittel- 
bar ihren Werten gleichkommen. 

Dies alles steht fest und ist von Marx bewiesen. 
Seine Kritiker scheinen damit unzufrieden zu sein 
und verlangen eine noch genauere Preislehre. Nun 
wohl, sie mögen eine solche ausbilden, sie mögen die 
Preise noch genauer berechnen, als Marx es tat, — 
dabei aber nicht den inneren Zusammenhang 
zwischen dem Preise und der verausgabten 
Arbeit aus den Augen verlieren, — den Zusam- 
menhang, ohne dessen Anerkennung man schlechter- 
dings nicht imstande ist zu begreifen, wie sich die 
Produktivität der menschlichen Arbeit in der heutigen 
Wirtschaft entwickelt.*) Finden die Kritiker einen 
solchen genaueren Preisausdruck, so werden sie auf 
dem Gebiete der Preislehre einen Vorsprung vor Marx 
gewinnen. Doch schwerlich wird es ihnen gelingen. 



*) Vrgl. hieran Kap. m, 8. 147. 
OhArAtoff, Karl Marx. 



dadurch den Satz umzuwerfen, dass der Kapitalismus 
im ganzen auf Ersparung der bezahlten und Ver- 
schwendung der unbezahlten Arbeit basiert. Und auf 
diesen Satz kommt es Marx allein an. Die Aufgabe, 
die Marx sich gestellt hat, ist diese: die kapitalistische 
Produktionsweise zu definieren und der Kritik zu 
unterwerfen. Was aber die Einzelheiten der Ver- 
kehrsweise anbetrifft, so überliess er sie ruhig dem 
Studium jener Gelehrten, die sich für den Verkehr 
besonders warm interessieren, ohne ihn jedoch besser 
ergründen zu können als Marx, dem er Nebensache 
war. Denn vergessen wir es nicht: man wirft Marx 
unaufhörlich die Ungenauigkeit seiner Preislehre vor, 
doch bleibt auch hier alles auf seinem Fleck, und 
wir haben bis jetzt keine Preislehre, die erwähnens- 
werte und übersehbare Korrekturen in die Marxsche 
Formel gebracht hätte. Den besten Beweis dafür 
liefert ein eigentümlicher Einwand gegen Marx, den 
man in der letzten Zeit immer häufiger zu hören be- 
kommt. Man wendet nämlich gegen Marx ein, dass 
es überhaupt unmöglich sei, ein so subjektives Ge- 
bilde, wie der Preis es ist, in irgendwelche mathema- 
ische Formel hineinzuzwängen. In diesem skepti- 
schen Verhalten gegen das Preisproblem offenbart sich 
am besten die Plattheit der modernen nationalökono- 
mischen Weisheit: man hat allmählich die Frage 
nach der Entwicklung der Produktivität, nach der 
Produktionsweise, durch die Frage nach den Markt- 
preisen, nach der Verkehrsweise, aus dem Horizonte 
des wissenschaftlichen Interesses verdrängt, nur um 
schliesslich einzugestehen, dass man auch diese nicht 
zu lösen fähig ist. 

Als Friedrich Engels im Jahre 1885, 9 Jahre 
vor dem Erscheinen des 3. Bandes des „Kapital'', 
der Marxkritik verkündete, in diesem Bande 
weise Marx die Gültigkeit des Wertgesetzes für die 



— 67 — 

kapitalistische Produktion nach, trotz der Aus- 
gleichung der Profitrate — haben alle darin eine Mysti- 
fikation sehen wollen und sich ob dieser unerhörten 
^Unverfrorenheit* empört. Und doch hatte Engels 
mit seiner Behauptung vollständig recht. Natürlich 
gibt Marx im dritten Bande das Wertgesetz als Preis- 
gesetz auf, denn er gesteht unumwunden, dass der 
Preis einer jeden einzelnen Ware nicht direkt ihrem 
Werte gleichkomme, — was er übrigens schon an un- 
zähligen Stellen seines ersten Bandes ausdrücklich 
hervorhebt. Doch hat Marx wirklich bewiesen, dass 
das Wertgesetz im ganzen die kapitalistische Produk- 
tion beherrscht, dass es das Gesetz der kapitalistischen 
Oekonomie ist. Nur die in der Wertform erschei- 
nende Arbeit wird gespart, die Mehrarbeit dagegen 
wird vergeudet. «Die kapitalistische Produktion ist 
überhaupt, bei aller Knauserei, durchaus verschwen- 
derisch mit dem Menschenmaterial." Das ist ja das 
Wertgesetz, der Fetischismus der Waren weit, in 
welcher die Ware höher geschätzt wird, als der leben- 
dige Mensch. Le mort saisit le vif, der toten Arbeit 
wird der Vorzug vor der liebendigen gegeben. Wert- 
unkosten werden gespart, Menschenleben wird nicht 
geschont. Statt die gesamte Arbeit zu den Unkosten 
der Produktion zu zählen, spart man nur an Werten, 
an der in Warenform vergegenständlichten Arbeit. 
In diesem Sinne beherrscht die Wertrechnung nach 
wie vor die kapitalistische Produktion. 



Anhang zu Kapitel VIIL 

Dass anf Grund des Wertgesetzes eine vollkommen genaae 
Preislehre sich entwickeln läset, wird im 11. Buche ausführ- 
lich zur Darstellung gebracht werden. Hier wollen wir für 
die in der Mathematik bewanderten Leser nur kurz die 
Resultate unserer weiteren Untersuchungen mitteilen. Ist der 

6* 



— 68 ~ 

Wert w der Ware gleich k + ni, und ist k' + m' der Wert 
des Kapitels k, wobei also k' den Wert jenes Kapitales be- 
deutet, welches bei der Herstellung von k verbraucht wurde 
und welches wir „Kapital zweiter Ordnung '^ nennen wollen, 
so folgt w = k' + na' + m, und wir werden zeigen, dass der 
Preis des Kapitals zweiter Ordnung seinem Werte k' noch 
näher kommt, als der Preis des Kapitales erster Ordnung 
seinem Werte k. Setzen wir den Preis des Kapitales zweiter 
Ordnung gleich seinem Werte k i, so begehen wir somit einen 
noch geringeren Fehler. Daraus folgt für den Preis des 
Kapitales erster Ordnung der Ausdruck k' (1 -j- p)» für den der 
Ware der Ausdruck k' (1 -J- p) 2 Die Arbeit k' wird gespart, 
die Arbeit m' + m. dagegen, die gleichfalls in den Wert der 
Ware eingeht und unbezahlte Mehrarbeit darstellt, ent- 
zieht sich der kapitalistischen Kostenrechnung. 

80 kann man beliebig weit fortfahren. Fährt man z. B. 
den Begriff eines Kapitales dritter Ordnung ein und setzt 
k' = k" + m". folglich w = k" + m" + m' + m, so erhält man 
einen noch genaueren Preisausdruck k" (1 -f- p) * uaw. Für die 
mittlere Profitrate p ergibt sich zugleich eine Beihe von immer 
genaueren Zahlenwerten: 

m m' m" 

k"» Y" k*» • • • 

Das Gesetz der kapitalistischen Oekonomie besteht hier- 
nach nur in der Ersparung jener Arbeit, die in den Kapitalen 
n-ter Ordnung (bei genügend grossem n) vergegenständlicht 
ist. Sind zwei Waren mit den Werten w und W auf dem 
kapitalistischen Markte äquivalent, d. h. haben sie einen und 
denselben Preis, so folgen daraus mit einer immer wachsenden 
Genauigkeit die Gleichungen 

w = W 
k = K 
k' = K' 



k(n) = K(i») 
somit haben für zwei äquivalente Waren die Kapitale n-ter 
Ordnung einen und denselben Wert. Wir werden jedoch noch 
weiter beweisen, dass diese Kapitale k(]>) und KCn) voll" 
kommen identisch sind, und dass somit die kapitalistische 
Oekonomie in der Erparung eines Kapitales von ^nem ganz 



bestimmten Typus, den wir Urtypns nennen, besteht. Ist K 
ein Qrtypns, und M die zugleich mit ihm verausgabte Mehr- 
arbeit, so ergibt sich erstens: dass das Mehrprodukt, welches 
mit Hilfe des Kapitals K gewonnen wird, wiederum ein 
ürtypus ist, und zweitens, dass die allgemeine Profitrate durch 

die Formel p = -=r- vollkommen genau angegeben wird. Erst 
i^ 

nachdem wir diese Sätze ausführlich bewiesen haben werden, 
werden wir den sicheren Boden für die Kritik des Kapitalismus 
und die Yergleichung des kapitalistischen Sparprinzipes mit 
der y menschlichen** Oekonomie [gewinnen, die auf die Er- 
sparung der gesamten verausgabten Arbeit ausgeht. 



Kapitel IX. 



Der Fall der Profitrate. Der wahre Wert 
einer Ware ist k + m, die kapitalistischen Kosten 
ihrer Produktion sind gleich k. So viel kostet die 
Ware den Kapitalisten, der die in ihr steckende Mehr- 
arbeit m nicht bezahlt hat und nicht zu den Kosteii 
rechnet. Doch verkauft er sie nicht zu dem Selbst- 
kostenpreis, sondern mit einem Aufschlag, der dem 
Selbstkostenpreise proportional und gleich kp ist, 
wenn p die mittlere Profitrate bedeutet. Auf eine 
jede von ihm vorgeschossene Kapitaleinheit schlägt 
der Kapitalist beim Verkaufe die Profitrate p auf und 
veräussert die Ware, die ihm k gekostet hat, zum 
Preise k (1 + p)* Ist die Profitrate p gegeben, so er- 
hält der Kapitalist einen um so grösseren Profit, je 
grösser das von ihm vorgeschossene Kapital war; und 
ist das Kapital gegeben — je grösser die Profitrate ist 
Mit einem kleineren Kapital kann ein grösserer Profit 
erzielt werden, wenn die Profitrate entsprechend hoch 
ist. So z. B. ist bei einer Profitrate = 25®/o der Profit 



— 70 — 

auf 100 Kapitaleinheiten gleich 25, bei einer Profit- 
rate s= lOVo nur gleich 20 auf 200 Kapitaleinheiten. 

Die kapitalistische Oekonomie besteht in der Er- 
sparung der bezahlten Arbeit oder des Kapitals. Die 
Aufgabe ist, bei einer möglichst kleinen Auslage an 
Kapital so viel als möglich zu erzielen, mit andern 
Worten die Profitrate zu erhöhen. Früher haben wir 
vorausgesetzt, die kapitalistische Produktion gehe auf 
die Gewinnung der Mehrarbeit oder des Profites aus; 
das war ungenau und muss jetzt dahin korrigiert 
werden, dass die Erhöhung der Profitrate, nicht 
des Profites, der eigentliche Zweck der kapitalistischen 
Wirtschaft ist. 

Was ist nun diese zu erhöhende Profitrate? Dar- 
auf gibt uns Marx die folgende Antwort. Die ausge- 
glichene Profitrate ist gleich der gesamten in der 
ganzen kapitalistischen Gesellschaft unbezahlt ge- 
bliebenen Mehrarbeit M, dividiert durch das 
ganze gesellschaftliche Kapital K. Diese Antwort, 
obwohl mit einigen Ungenauigkeiten verknüpft (was 
Marx selbst zugibt und was ihm die Kritiker nicht 
müde werden, tausendmal vorzuhalten) trifft jedoch im 
grossen und ganzen zu, und wir wollen sie hier ohne 
weitere Analyse akzeptieren; so kommen wir zu der 

Formel p s= ^, die uns das Interesse der gesamten 

Kapitalistenklasse anschaulich zur Darstellung bringt.*) 
Die Kapitalisten als Klasse sind bestrebt, das Ver- 
hältnis der unbezahlten Arbeit M zu der bezahlten 
Arbeit K zu erhöhen. 'Die Gesellschaft verlangt aber 
das umgekehrte: je mehr Arbeit bezahlt wird und je 

*) Der abeolnt genaue Aosdrack für die Profitrate soll im 
2. Buch entwickelt werden. Im übrigen verweisen wir anf die 
oben schon citierten verdienstvollen Arbeiten L. v. Bortkiewicz's, 
auf welche wir im 2. Bande noch ausführlich zn sprechen 
kommen werden. 



— 71 — 

weniger unbezahlt bleibt, desto näher fällt die kapita- 
listische Auffassung der Produktionskosten mit der 
gesellschaftlichen zusammen, desto vollkommener ist 
die Produktion. Hiermit wird aufs neue gezeigt und 
erwiesen, dass das kapitalistische Interesse sich in 
einem direkten Gegensatze zum gesellschaftlichen be- 
findet, während das Bestreben der Arbeiterklasse, die 
Mehrarbeit durch Lohnerhöhungen und Verkürzung 
des Arbeitstages abzuschaffen, der instinktive Ausdruck 
des Willens eben der „in ihrer Wurzel bedrohten Ge- 
sellschaft** ist. 

Die Produktivität der menschlichen Arbeit ent- 
wickelt sich, eine Produktionsweise wird durch die 
andere verdrängt, und zwar, wie wir oben gesehen 

haben, sinkt dabei gewöhnlich die Profitrate r-, wenn 

die neue Produktionsweise eine wirklich bessere ist: 
denn die Ersparung der menschlichen Arbeit kommt 
zum Ausdruck in der Verdrängung der Menschen 
durch die Maschine, oder der lebendigen Arbeit durch 
die tote, folglich auch in der Abnahme der unbe- 
zahlten Arbeit m, die von der lebendigen Arbeit her- 
rührt, im Verhältnis zum bezahlten Teil k = c + v, 
der zum grössten Teil aus toter Arbeit besteht. Sinkt 
aber die Profitrate in jedem einzelnen Unternehmen, 
so muss auch die mittlere Profitrate, die auf alle kapi- 
talistischen Unternehmen gerechnet wird, notwendig 
sinken. 

Mit der Entwicklung der Produktivität, an welcher 
der Kapitalismus, trotz seiner fehlerhaften oder, wie 
Marx sie nennt, „abgeschmackten** Rechnung, dennoch 
interessiert ist (denn er spart ja am Ende die be- 
zahlte menschliche Arbeit), sinkt somit die mittlere 
Profitrate, die das Interesse der Kapitalistenklasse aus- 
drückt, und der gesellschaftliche Wille triumphiert 
schliesslich über den individualistischen. Das Indi- 



— 72 — 

viduum erscheint am Ende als blosses Werkzeug der 
gesellschaftlichen Vernunft. „Es verfolgt seinen Vor- 
teil, doch wählt es dabei auf eine natürliche oder 
vielmehr notwendige Weise das, was die Gesellschaft 
am meisten benötigt;*' — - dies war die Lehre A. Smits. 
Hierzu fügt nun Marx, dass das Individuum zwar 
seinen Vorteil verfolgt, ihn aber doch nicht erreichen 
kann, denn sein Vorteil ist eben das, was der Gesell- 
schaft schadet. Durch den Vorteil angelockt, den ihm 
die Gesellschaft scheinbar zugesichert hat, entwickelt 
das Individuum die Produktivität der menschlichen 
Arbeit — - und bekommt von der Gesellschaft gerade 
das Gegenteil von dem, worauf es rechnete, eine 
fallende Profitrate. 

Hierauf beeilt sich die Kritik nach ihrer beliebten 
Manier sofort einzuwenden, dass Marx sich selbst 
widerspreche, denn die Entwicklung der Produktivität 
bestehe eben in der Erhöhung des Ertrages bei redu- 
zierten Produktionskosten nnd dergleichen mehr. Es 
ist aber sehr leicht zu zeigen, dass hier wie überall 
durchaus nicht Marx, sondern die Kritik selbst sich 
in Widersprüche verwickelt, indem sie zwei grund- 
sätzlich verschiedene Begriffe: die Produktivität der 
Arbeit und die Produktivität des Kapitals mit einem 
unverzeihlichen Leichtsinn verwechselt. 

Die Produktivität der Arbeit besteht darin, dass 
die Werte sinken, oder dass die gesamte auf ein Gut 
zu verausgabende Arbeit c + v + m reduziert wird; 
die Produktivität des Kapitals dagegen wird an der 
Ersparung der bezahlten Arbeit c + v = k und Er- 
höhung der Mehrarbeit m, somit an der Höhe der 

Profitrate tt gemessen. Es sind das zwei grundver- 
schiedene Dinge: der Wert k + m einer Ware kann 



— 73 — 

beständig sinken, dabei braucht doch das Verhältnis 

-T- seiner beiden Komponenten durchaus nicht zu 

wachsen, sondern es kann ebenso beständig und noch 
schneller fallen. Es ist doch ganz klar, dass aus der 
Abnahme einer Grösse (in unserem Falle der Wert- 
grösse) unter keinen Umständen ein wachsendes Ver- 
hältnis zwischen ihren zwei Summanden gefolgert 
werden darf. Zwar sucht ein jeder Kapitalist den 
Summanden k zu reduzieren; ob es ihm auch ge- 
lingt, den anderen Summanden m zu erhöhen, ist 
freilich eine weitere und zwar sehr heikle Frage. 

Gelingt es einem Kapitalisten, seine Produktions- 
kosten k herabzusetzen, so braucht er deswegen den 
Kaufpreis seiner Ware nicht sofort zu reduzieren. Er 
kann auch weiter zu dem alten Preis verkaufen oder 
nur ganz unbedeutend unter den alten Preis herunter- 
gehen, wenn er seine Konkurrenten unterbieten will. 
Er erhält somit eine höhere Profitrate, doch nur so 
lange er allein nach der neuen Produktionsweise pro- 
duziert und zu den Preisen verkauft, welche auf dem 
Markte schon früher Geltung hatten. Nun aber ver- 
allgemeinert die Konkurrenz die neue, von ihm ein- 
geführte Produktionsweise, die letztere wird die herr- 
schende ; sie übt ihren Einfluss auf die Marktpreise 
aus; diese sinken und der Kapitalist verliert seinen 
bis dahin glücklich eingestrichenen Surplusprofit, 
um dessentwillen er die neue Produktionsweise allein 
einführte. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, 
dass nunmehr auch die mittlere Profitrate sinkt, und 
der neue Profit, auf das Kapital gerechnet, sich noch 
geringer erweist» als vordem.*) 

Greifen wir zu dem uns bekannten Zahlenbeispiel. 
Ein Mann sät 100 Maas Korn, zu einer Geldeinheit 
das Mass, aus und erntet 200 bei einem Lohne, der 

*) Siehe Kap. III, S. 247. 



— 74 — 

gleich 50 Geldeinheiten ist. Eine neue Produktions- 
weise wird eingeführt, bei welcher ein jeder Mann 
300 aussät und 450 erntet. Die Produktivität der 
Arbeit ist gestiegen, denn der Reinertrag ist jetzt 
150 statt wie früher 100 pro Kopf, doch ist die Profit- 
en IQQ 

rate von jq^ = 33^/0 auf gg^ = 29o/o gefallen. Es 

kann auch weiter so gehen. Es werde noch eine 

neue Produktionsweise eingeführt, bei welcher die 

Aussat pro Mann gleich 800, die Ernte gleich 1000 

Mass ist. Jetzt ist der Reinertrag gleich 200 auf jeden 

Mann, das Korn ist, in Arbeit gerechnet, zweimal so 

billig geworden, und die Profitrate noch weiter bis auf 

200 

— = 25Vo gefallen, usw^ usw. 

Man könnte versucht sein, darauf zu erwidern, 
dass dieses Beispiel ein völlig aus der Luft gegriffenes 
ist, ja noch mehr, dass es den latsächlichen Produk- 
tionsverhältnissen geradezu widerspricht, denn in der 
Wirklichkeit wächst der Ertrag der Ernte bei gleich- 
bleibender Aussaat. Doch bedenke man, dass es nur 
mit Hilfe einer intensiveren Düngung, folglich eines 
Kapitalopfers gelingt. Ausserdem handelt es sich 
nicht um die Landwirtschaft allein, sondern um die 
gesamte gesellschaftliche Produktion. Demgemäss 
muss man unter dem Korne in dem oben angeführten 
Beispiele nicht wirkliches Korn, sondern eine Zu- 
sammensetzung von verschiedensten Elementen, wie 
Kohle, Eisen, Leinwand etc. verstehen, die jährlich 
produktiv knnsumiert (gleichsam ausgesät) und jähr- 
lich in einer grösseren Menge reproduziert (oder 
gleichsam geerntet) werden. Endlich beachte man 
noch den Umstand, dass es ausser dem zirkulierenden 
Kapital, welches seinen Wert auf die Ware vollstän- 
dig überträgt, noch ein fixes Kapital gibt, das sich 
nur teilweise abnützt und doch in vollem Umfange 



— 75 - 

in dem Nenner der Profitrate p = t? figuriert, wo- 
durch diese um so kleiner erscheinen muss. Ein 
Fabrikgebäude kostet z. B. 500000 M., von weichen 
jährlich nur etwa 25000 durch Abnutzung in dem 
Werte der im Gebäude hergestellten Ware wiederer- 
scheinen. Der Fabrikbesitzer rechnet aber den jähr- 
lichen Mehrwert, oder den Profit, auf sein ganzes 
Kapital, wozu das ganze Gebäude mit dem Werte 
von 500 000 M. gehört. Mögen die bezahlten Arbeits- 
kosten k, die in den Wert des Produktes eingehen, 
sinken, der unbezahlte Teil m ihres Wertes steigen, 
die Profitrate kann dennoch fallen, denn sie ist eigent- 
lich nicht gleich ^, sondern |-; , wo k' das gesamte, 

zirkulierende sowie fixe Kapital bedeutet, und der 
fixe Teil des Kapitales wächst enorm mit der Entwick- 
lung der Produktivität.*) 

Man vergleiche nur zwei Länder asiatischer und 
europäischer Kultur. In Asien ist die Produktivität 
der Arbeit sehr primitiv, der grösste Teil des Arbeits- 
tages wird auf Reproduktion des Arbeiters selbst ver- 
wendet; die Mehrarbeit ist somit viel geringer als in 
Europa; und trotzdem steht die Profitrate dort höher. 
Oder vielmehr nicht trotzdem, sondern gerade des- 
wegen, weil die Produktivität der Arbeit eine so ge- 
ringe ist. Der lebende Mensch ist noch durch keine 
komplizierten Werkzeuge verdrängt, es gibt fast keine 
tote Arbeit. Dagegen gibt es in Europa ein so unge- 
heuer grosses Kapital, bestehend aus Fabrikgebäuden, 
Maschinen, Eisenbahnen und dergleichen, dass hier 
die Mehrarbeit, obwohl absolut viel grösser, auf dieses 

*) Hiebe Kap. in, 243: „Dagegen ist es gerade das 
Charakteristische der steigenden Produktion skraft der Arbeit, 
dass der £xe Teil des constanten Kapitals eine sehr starke 
Vermehrung erfährt etc." 



— 76 - 

Kapital gerechnet, in einer viel niedrigeren Profitrate 
erscheint.*) 

Wenn wir jedoch auf Grund dieser Erwägungen 
Marx zugeben wollen, dass die Profitrate in der Tat 
die Tendenz hat, beständig zu fallen, so fragt es sich 
weiter, was damit bewiesen werden soll? Die Profit- 
rate fällt, der absolute Profit wächst aber, und noch 
schneller wächst das Kapital selbst. Weder die Ge- 
sellschaft, noch die Kapitalistenklasse scheint deswegen 
ärmer zu werden. 

Früher besass ein Kapitalist 150 Geldeinheiten 
und bezog 50 Geldeinheiten als Profit, mit welchen 
er 50 Mass Korn kaufte. Jetzt ist das Korn zweimal 
so billig geworden. Der Kapitalist besitzt 425 Geld- 
einheiten, welche er für 800 Mass Aussaat und für 50 
Lohn ausgibt und bezieht 150 Mass Korn oder 75 Geld- 
einheiten als Profit. In Geld und in Korn gerechnet 
ist er reicher geworden. Was mag es ihn kümmern, 
dass er statt 33Vo nur 25% erhält? Lebt er deswegen 
etwa schlechter als früher? 

Gewiss — antwortet uns Marx — er könnte ein 
viel reicheres Leben führen. Doch ist dies durchaus 
nicht sein Zweck. Er will nichts anderes, als eine 
grössere Profitrate haben, und zwar nicht, damit er als 
Mensch besser leben, sondern damit er mehr akkumu- 
lieren kann. Den grössten Teil des Mehrwertes, den 
er einstreicht, verwendet der Kapitalist nicht auf die 
Entwicklung seiner menschlichen Bedürfnisse, sondern 
auf die Erweiterung seines Geschäftes. Der Mehrwert, 
der durch das Kapital gewonnen wurde, hat im vor- 
aus schon die Bestimmung, seinerseits Kapital zu 
werden, um einen noch grösseren Mehrwert zu er- 



*) „Die Careys, Bastiats und tuttl qoanti werden gerade 
auf das Umgekehrte schliessen* (Kap. III, 129. Vergl. aoch. 
S. 208 und passün). 



— 77 — 

zeugen. Und mit dem Fallen der Profitrate wird der 
schönste Traum eines Kapitalisten zu nichte, so rasch 
wie möglich zu akkumulieren. 50 Mass Korn sind 
weniger als 150; der Kapitalist ist zwar reicher an 
Korn geworden — doch ärmer an Kapital — in dem 
Sinne, dass er früher sein Geschäft jedes Jahr um 
33Vo, jetzt dagegen nur um 25Vo erweitern kann.*) 

Hier einige Zitate, um diesen Gedanken Marxens 
zu erläutern, da auch dieser ' Punkt von der Kritik 
nicht genügend gewürdigt wird, wovon wir uns im 
nächsten und letzten Kapitel noch näher überzeugen 
werden. 

„Die ökonomische Charaktermaske des Kapita- 
listen hängt nur dadurch an einem Menschen fest, 
dass sein Geld fortwährend als Kapital funktioniert.*^ 
(I, 529). „Den Baum wollarbeiten muss gesagt werden, 
dass ihre Zufuhr zu gross ist; sie müsste vielleicht 
um ein Drittel reduziert werden" (I, 537). „Es ist 
die alte Geschichte: Abraham zeugte Isaak, Isaak 
zeugte Jakob usw.*" (544). „Je mehr der Kapitalist 
akkumuliert hat, desto mehr kann er akkumulieren* 
(546). „Als Fanatiker der Verwertung des Wertes 
zwingt er (der Kapitalist) rücksichtslos die Menschheit 
zur Produktion um der Produktion willen" (555). Es 
gilt ihm „sein Privatkonsum als ein Raub an der 
Akkumulation seines Kapitals, wie in der italienischen 
Buchhaltung Privatausgaben auf der Debetseite des 
Kapitalisten gegen das Kapital figurieren* (556). „Der 
Luxus geht in die Repräsentationskosten des Kapitals 
ein" (557). „Akkumuliert, akkumuliertl Das ist 
Moses und Propheten" (558). „Wenn der klassischen 
Oekonomie der Proletarier nur als Maschine zur Pro- 
duktion von Mehrarbeit, gilt ihr aber auch der Kapi- 



•) Die Rate der Akkumulation f&Ut mit der Profitrate — 
Kap. ni, 222-228, vergl. auch S. 229. 



— 78 — 

talist nur als Maschine zur Verwandlung dieses Mehr- 
werts in Mehrkapital" (558—559). 

Auf der kapitalistischen Basis ist , Abwesenheit 
aller Akkumulation oder Reproduktion auf erweiterter 
Stufenleiter eine befremdliche Annahme'* (II, 369). 
„Denn der Kapitalismus ist schon in der Grundlage 
aufgehoben durch die Voraussetzung, dass der Genuss 
als treibendes Motiv wirkt, nicht die Bereicherung 
selbst" (II, 92). „Wird endlich gesagt, dass die Kapi- 
talisten ja selbst nur unter sich ihre Waren auszu- 
tauschen und au&uessen haben, so wird der ganze 
Charakter der kapitalistischen Produktion vergessen, 
und vergessen, dass es sich um die Verwertung des 
Kapitals handelt, nicht um seinen Verzehr" . . „Es 
werden zu viel Arbeitsmittel und Lebensmittel produ- 
ziert, um sie als Exploitationsmittel der Arbeiter zu 
einer gewissen Rate des Profits fungieren zu lassen 
(III, 239-240, vergl. I, 601—2). „Die Profitrate ist die 
treibende Macht in der kapitalistischen Produktion, 
und es wird nur produziert, was und so weit es mit 
Profit produziert werden kann. Daher die Angst der 
englischen Oekonomen über die Abnahme der Profit- 
rate** (III, 241). «Man darf die kapitalistische Produk- 
tion nie darstellen als das, was sie nicht ist, nämlich 
als die Produktion, die zu ihrem unmittelbaren Zweck 
den Genuss hat oder die Erzeugung von Genussmitteln 
für den Kapitalisten. Man sehe dabei ganz ab von 
ihrem specifischen Charakter, der sich in ihrer ganzen 
inneren Kerngestalt darstellt'' (Kap. III, 225). 

In dem Fallen der Profitrate offenbart sich nach 
Marx der zweite fundamentale Widerspruch der 
kapitalistischen Produktionsweise. Der erste Wider- 
spruch ist der Profit selbst. Er ist mit einer Ver- 
letzung des Arbeitsprinzipes verbunden, er ist der ob- 
jektive Fehler der kapitalistischen Wirtschaftsord- 
nung. Der zweite subjektive Widerspruch ist das 



— 79 — 

Fallen der Profitrate, wodurch der Kapitalismus seinen 
eigenen Zweck verfehlt.*) Die kapitalistische Pro- 
duktionsweise bewegt sich objektiv und subjektiv in 
Widersprüchen: sie erfüllt den absoluten Zweck der 
menschlichen Wirtschaft nicht — denn sie entwickelt 
die Produktivität der Arbeit nicht, oder sie entwickelt 
sie nur mangelhaft, als Mittel zur Erpressung der 
Mehrarbeit; aber sie kann auch den selbstgesetzten 
Zweck der Produktivität des Kapitals nicht erreichen, 
denn die Profitrate fällt, während die Produktivität 
der Arbeit hinter dem Rücken der Kapitalistenklasse 
steigt. Indem der Kapitalismus die Produktivität der 
Arbeit steigert, gräbt er sich selbst das Grab; steigert 
er aber diese Produktivität der Arbeit nicht, so wird 
er zur Fessel des gesellschaftlichen Fortschrittes, die 
gesprengt werden muss und die gesprengt werden 
wird. Der Kapitalismus muss unter allen Umständen 
zugrunde gehen.*) 



Kapitel X. 

Die allgemeine Krise. 

Die dialektische Entwicklung der Natur vollzieht 
sich in Widersprüchen, die auftreten und wieder 
aufgehoben werden. So haben wir gesehen, dass 
der objektive Widerspruch der kapitalistischen 
Produktion — der Profit — durch den Klassen- 
kampf der Arbeiter gegen die Kapitalisten auf- 
gehoben wird. Was nunmehr ihren subjektiven 



*) „Die wahre Schranke der kapitalistischezi Produktion 
ist das Kapital selbst etc. (Kap. HI, 281). 



— 80 - 

Widerspruch anbetrifft — das Fallen der Profitrate — , 
so hebt sich dieser Widerspruch in der Weise auf, 
dass die Kapitalisten selbst jede Freude an der Pro- 
duktion verlieren, die Produktion aufgeben und damit 
eine allgemeine Krise herbeiführen. 

Die Gesellschaft hat mit dem Individuum einen 
Vertrag geschlossen und ihm für die Entwicklung der 
Produktivität eine Prämie — den Profit — in Aussicht 
gestellt. Mit der Zeit sieht aber die Gesellschaft ein, 
dass beide Punkte des Vertrages einander wider- 
sprechen. Der Profit kann mit der Entwickelung der 
Produktivität nicht im Einklang stehen. Sowie die 
Gesellschaft dies einsieht, sucht sie den sie schädigen- 
den Vertrag zu lösen. Die Arbeiterklasse streikt gegen 
die kapitalistische Produktionsweise. Dieser Streik 
muss schliesslich gewonnen werden, da es sich um 
die Sache des gesellschaftlichen Fortschrittes handelt, 
um den Sieg des Menschen über die Natur, um die 
wissenschaftliche Regelung des Produktionsprozesses. 

Anderseits sieht aber auch das Individuum im 
Liaufe der Entwicklung ein, dass es ihm nicht auf den 
Profit selbst, sondern auf die Profitrate ankommt. 
Die Gesellschaft mag ihm einen immer wachsenden 
Profit zusichern — es verlangt eine steigende Profit- 
r a t e. Diese kann es aber nicht von der Gesellschaft 
erlangen, denn mit der Entwicklung der Produktivität 
wird der Mensch durch die Maschine ersetzt, die tote 
Arbeit schwillt im Verhältnis zur lebendigen an, und 
die Profitrate sinkt beständig, anstatt zu steigen. Das 
Individuum wird mit den Folgen des geschlossenen 
Vertrages selbst unzufrieden. Es will nicht mehr 
produzieren, es streikt gegen die Gesellschaft. In 
diesem Streike muss es aber unterliegen, denn gegen 
die Gesellschaft lässt sich's nicht streiken. 

Das ist der leitende Gedanke der Marxschen 
Krisentheorie. Da dieser letzte Punkt seiner Lehre 



— 81 — 

das Schicksal alles dessen teilt, was er gelehrt hat, 
d. h., aufs gröbste missverstanden wurde, so wollen 
wir noch einige Zeit dabei verweilen und Marx' An- 
sicht einer kritischen Beleuchtung unterziehen, indem 
wir sie mit den Konzeptionen anderer Nationalöko- 
nomen vergleichen. 

Dass die Erscheinung der Krisen etwas der kapi- 
talistischen Produktion allein eigentümliches ist, haben 
die Nationalökonomen schon längst erkannt und die 
Sozialisten der verschiedensten Richtungen im Kampfe 
für ihr Ideal auf manche Art zu betonen gewusst. 
Die älteste sozialistische Krisentheorie ist ohne Zweifel 
die, welche noch Rodbertus vertrat, und welche sich 
bewusst an das Recht auf den vollen Arbeitsertrag 
anlehnt. Der Arbeiter bekommt einen so niedrigen 
Lohn, dass er damit nicht das ganze Produkt seiner 
Arbeit zurückzukaufen imstande sei. Es werden mehr 
Waren produziert, als die kauffähige Bevölkerung be- 
zahlen könne — daher die Krise. 

Die ganze Argumentation ist bis aufs äusserste 
primitiv. Was der Arbeiter infolge seines niedrigen 
Lohnes an Kaufiähigkeit verliert, das gewinnen ja jene 
Bevölkerungsschichten, die sich seinen Mehrwert an- 
eignen. Gewiss ist eine Krise unvermeidlich, wenn 
lauter solche Waren hergestellt werden, die nur die 
Arbeiterbevölkerung braucht, oder Gegenstände des 
notwendigen Konsums. Dann aber ist die Krise keine 
allgemeine, keine der kapitalistischen Produktion als 
solcher eigentümliche, sondern wir haben bloss eine 
partielle Krise vor uns, die in einer fehlerhaften Ver- 
teilung der Kapitale ihre Erklärung findet. Die not- 
wendigen Artikel sind überproduziert, dafür aber 
findet eine Unterproduktion der Artikel statt, welche 
die Mehrwertsbesitzer gerne gekauft hätten. So wie 
die Kapitalisten ihren Fehler einsehen — und dazu 
werden die mechanischen Preisverschiebungen sie 

Charasoff , Karl Marx. 6 



— 82 — 

sicher führen — und statt der Gegenstande des ge- 
meinen Bedarfs, die niemand kaufen kann oder will, 
Waren zu produzieren anfangen, die sie selber 
brauchen — , würde es keine Krisen mehr geben 
können. Was aber brauchen die Kapitalisten selbst? 
Wir haben gesehen, dass sie danach trachten, nicht 
allein den notwendigen Konsum der Arbeitermassen, 
sondern auch ihren eigenen Luxuskonsum einzu- 
schränken. Die Kapitalisten produzieren überhaupt 
nicht für menschliche Bedürfnisse. Dürfte man viel- 
leicht in diesem Umstände den Ausgangspunkt für 
eine wissenschaftliche Krisentheorie finden? 

Das ist die Meinung der gegenwärtigen Marxjünger, 
der Sozialdemokraten, geworden. Die Krise findet 
nach ihnen ihre Erklärung in der Ueberproduktion, 
nicht in der Unterkonsumption der Massen. Die Pro- 
duktivität der Arbeit ist heutzutage so enorm ge- 
stiegen, es werden so viele Waren produziert, dass 
nicht die gesamte Nachfrage nach den Gegenständen 
menschlichen Bedarfes seitens der Arbeiter- und der 
Kapitalistenkla.sse dem über alle Massen wachsenden 
Angebote Schritt halten könne. Der Kapitalismus 
sterbe an der Plethora, an der Fettsucht; er ersticke 
in seinem eigenen Fette. 

Darauf hat aber neulich mit Recht Tugan Bara- 
nowsky erwidert, dass auch eine solche Krise keine 
allgemeine, sondern nur eine partielle ist. Zwar 
schränken die Kapitalisten ihren Luxuskonsum ein, 
dafür entwickelt sich aber in ihnen das Bedürfnis 
nach der Akkumulation, nach neuen Kapitalen. 
Richten sie die Produktion dementsprechend ein, 
produzieren sie statt der Luxusartikel, an welchen sie 
nicht interessiert sind, neue Produktionsmittel, die sie 
begehren, so verschwindet sofort die Gefahr einer 
Krise. Alles läuft somit nach T. Baranowskys An- 
sicht auf eine fehlerhafte Verteilung der Kapitale hin- 



- 83 — 

aus, auf die Unfähigkeit der Kapitalisten, den Markt 
zu übersehen und ihre Produktion dem Bedarfe ge- 
nau anzupassen. Diese Unfähigkeit sei jedoch dem 
Kapitalismus immanent, somit müsse es Krisen — 
zwar nur partielle und keine allgemeinen — geben, 
so lange der Kapitalismus existiere. 

T. Baranowsky rät somit den Kapitalisten, 
fortwährend zu akkumulieren, um einer Krise 
aus dem Wege zu gehen. Der Rat ist gut, schade 
nur, dass die Kapitalisten ihn schon lange vor 
Herrn T. Baranowsky befolgt haben, und doch 
gab es Krisen und wird es auch femer welche 
geben müssen. Die Sache ist die, dass Herr 
T. Baranowsky vergessen hat, den Kapitalisten noch 
die entsprechend hohe Profitrate zuzusichern, denn sonst 
hat ja die Akkumulation keinen Reiz mehr für sie! 
Zwar ist Herr T. Baranowsky der Meinung, Marx habe 
den Fall der Profitrate falsch begründet, an der Tat- 
sache selbst zweifelt er jedoch keineswegs, er muss 
daher die Kapitalisten für seltsame Käuze halten, 
wenn er ihnen zumutet, aus reiner Liebe zur Ord- 
nung zu akkumulieren, nur um eine Krise zu ver- 
meiden, auch wenn sie nicht hoffen dürfen, einen 
^.Lohn** in der Form einer hohen Profitrate für ihre 
^Sparsamkeit** zu erhalten. Das verleiht ja eben, nach 
Marx, den kapitalistischen Krisen den Charakter der 
Allgemeinheit, dass die menschlichen Bedürfnisse 
unterdrückt werden, um ein spezifisch kapitalistisches 
Bedürfnis nach einer immer steigenden Profitrate, 
oder progressiv intensiveren Akkumulation befriedigen 
zu können. Dieses Bedürfnis kann aber nicht be- 
friedigt werden, denn die Profitrate sinkt, während 
zugleich die Produktivität der Arbeit, oder die Mög- 
ichkeit, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, steigt. 

Es werden entweder Gegenstände des notwendigen 
Bedarfes, oder Luxusartikel, oder endlich neue Pro- 



— 84 — 

duktionsmittel produziert Und keine von diesen 
Produkten werden gekauft. Von den notwendigen 
Artikeln kann die Arbeiterschaft nur einen sehr ge- 
ringen Teil kaufen, denn ihr Lohn ist zu niedrig. 
Die Luxusartikel werden von der Kapitalisten Masse 
nicht gekauft, weil diese „sparen", id est, — akkumu- 
lieren will. Neue Produktionsmittel endlich finden 
auch keinen Käufer, denn das einzige Interesse, welches 
der Käufer an ihnen haben kann und hat, die Aus- 
sicht auf eine hohe Profitrate, — schwindet und muss 
mit der kapitalistischen Entwicklung immer mehr 
schwinden. Die Krise wird allgemein, sie ist durch 
keine Deplacements der Kapitale aus einem Produk- 
tionszweig in den andern zu beseitigen, sie bricht 
auf einmal in allen Produktionsbranchen ohne Aus- 
nahme aus, sie ist a b s o 1 u t*) 

Was aber die Unfähigkeit der Kapitalisten klasse 
anbetrifft, eine proportionelle Verteilung der Kapitale 
unter die verschiedenen Produktionszweige durchzu- 
führen, so merkt T. Baranowsky nicht, dass sie eben 
eine Folge der fallenden Profitrate ist. Denn wäre 
die Profitrate eine hohe gewesen, etwa gleich 25 oder 
gar 50^/0, so hätte ein jeder Kapitalist sein Kapital in 
2—4 Jahre verdoppeln können und würde für den 
Fall einer zufällig ungünstigen Konjunktur im vor- 
aus gesichert sein. Nun aber fällt die Profitrate, sie 
beträgt mit der Zeit kaum mehr als 10 oder 5Vo. Das 
Kapital wächst langsam und die Gefahr einer Ueber- 
produktion wird immer drohender. Die geringste 
Reduktion des Preises vernichtet den ganzen Profit, 
ja sie ist sogar mit Verlusten verbunden. Es entsteht 
eine peinliche Spannung auf dem Markte, die Kapi- 
talisten bieten alles auf, um eine höhere Profitrate zu 



*) Vergi. Kap. TTT, 228: „üeberproduktion von Kapital, 
nicht Ton einzelnen Waren etc.'^ 



— 85 — 

erzielen. Die unwahrscheinlichste Börsennachricht, 
die abenteuerlichste Konjunktur wird mit Freuden 
begrüsst. Aktienschwindel, Börsenspiel greifen überall 
um sich. Die Krise wird dadurch nur beschleunigt.*) 

In der Jagd nach einer möglichst hohen Profit- 
rate wandern die Kapitale aus den kultiviertesten 
Landern in Länder mit unentwickelter Produktivität 
der Arbeit aus, aus Europa nach den asiatischen 
Kolonien. Die Unternehmer exportieren ihre Kapitale, 
um auch in Asien die Produktivität der Arbeit zu er- 
werben und — auch dort eine niedrige Profitrate zu 
erzielen***) 

Der Kreis ist geschlossen und wird mit jedem 
Produktionscyklus, mit jedem Jahre, mit jedem Tage 
enger. Einen friedlichen Ausweg aus diesem Ver- 
derben gibt es nicht. So kann es aber nicht länger 
gehen. Oder sollte etwa diese auffallende Erscheinung 
der Ueberproduktion der Kapitale, „des unproduktiv 
sich anhäufenden Reichtums^' auf dem einen gesell- 
schaftlichen Pole noch länger dauern können, ver- 
bunden mit der Arbeitslosigkeit und Hungersnot aut 
dem andren? (III, 235) Kann die Gesellschaft noch länger 



♦) Sinkt die Profitrate, so (entsteht) einerseits Anspan- 
nung des Kapitals . . . andererseits Schwindel und allgemeine 
Vergünstigang des Schwindels darch leidenschaftliche Versache 
in neuen Prodoktionsmethoden, neuen Kapitalanlagen, neuen 
Abenteuern, um sich irgend einen Extraprofit zu sichern, der von 
allgemeinen Durchschnitt unabhängig ist und sich über ihn 
erhebt (HI, 271) Hierzu sieh auf S. 234: „Weil die gesunkene 
Profitrate und die Ueberproduktion von Kapital aus denselben 
umständen entspringen, würde jetzt der Konkurrenz- 
kampf entspringen. Weiter kommt in Betracht, HI, 
222-223. 

**) Wird Kapital ins Ausland geschickt, so geschieht es . . 
weil es zu höherer Profitrate im Auslande beschäftigt werden 
kann. 



— 86 - 

ruhig zusehen, wie die ganze Produktion lahmgelegt 
wird; wie die Verbindung der toten Arbeit mit der leben- 
digen, die sie dem Kapitalismus zur Aufgabe stellte und 
deswegen auch zur Quelle des Profites für ihn machte^ 
sich in beständiger Auflösung befindet; wie der un- 
sinnige Streik der Kapitalisten, der ihnen durch ihren 
blinden Heisshunger nach einer hohen Profitrate zu- 
diktiert wird, sich mit den Streiks und der Empörung 
der Arbeiterklasse paart, die Arbeit und Brot sucht 
und keines von beiden findet? Es muss doch schliess- 
lich ein Ende geben, der Kapitalismus wird sich vor 
dem gesellschaftlichen Willen beugen müssen. „Und 
ist er nicht willig, so braucht sie Gewalf S 

Die arbeitende Bevölkerung verlangt gebieterisch 
nach Brot, um zu essen, nach Kohlen, um nicht zu erfrieren, 
nach Häusern, um vor den Unbillen der Witterung ge^ 
schützt zu sein. Die menschlichen Bedürfnisse, die die 
Grundlage einer jeden vernünftigen Wirtschaft sind, 
kommen indiesemVerlangenzurGeltung. Und es gibtBrot 
und Kohle und Gebäude in der Gesellschaft in Fülle. Uebri- 
gens verlangt die Bevölkerung dies alles nicht umsonst, 
sie ist bereit zu arbeiten, um alles, was sie braucht, zu 
erringen; sie ist sogar damit einverstanden, mehr zu 
arbeiten, als sie selbst nötig hat, und den Kapitalisten, 
die nur geneigt wären, sie zu dingen, einen Mehrwert, 
ein Stück unbezahlte Arbeit zu garantieren. Diese 
aber, die das ganze in der Gesellschaft angehäufte 
Brot, die ganze Kohle, alle Gebäude an sich gerissen 
haben, geben den Arbeitern weder Brot noch selbst 
Gelegenheit zur Arbeit, denn es wird ihnen nicht die 
gewünschte Profitrate bringen, ihre „Sparsamkeit^^ 
wird nicht nach ihrem Gutdünken belohnt.*) 



*) £b ist auf dieser widerspruchsvollen Basis dorchans kein 
Widerspmcli, dass üebermass von Kapital vorhanden ist, mit 
wachsendem Üebermass von Bevöllkemng, denn obgleich. 



— 87 — 

Dieser gesellschaftliche Gegensatz verschärft sich 
mit jedem Tage und macht endlich eine gewaltsame 
Lösung notwendig. Ein Kampf zweier Klassen bricht 
aus, ein unerbittlicher Kampf zweier unversöhnlicher 
Bewusstseine, zweier diametral entgegengesetzter An- 
sichten über die gesellschaftliche Produktion. In 
diesem Kampfe muss diejenige Klasse unterliegen, 
die eine unsinnige Plüsmacherei zum Zwecke der 
Produktion erhoben hat; jenes Bewusstsein, welches 
die tote Arbeit über die lebendige stellt; jene Ansicht, 
welche die Produktion um der Produktion willen 
predigt, — der Kapitalismus. Dagegen wird die Klasse 
den Sieg davontragen, welche die menschlichen Be- 
dürfnisse vertritt; das Bewusstsein, welches den 
Menschen selbst wertschätzt und nicht das Kapital; 
die Ansicht, die in der Produktion nicht einen selbst- 
genügsamen Zweck, sondern nur das Mittel sieht, den 
Menschen aus dem Reiche der Natur in das Reich 
der Kultur emporzuziehen — die arbeitende Klasse — 
das Proletariat. 

Die Proletarier haben nur ihre Ketten zu 
verlieren und die ganze Welt zu gewinnen. — 
Die Stunde der kapitalistischen Ordnung 
schlägt. — Die Expropriateure werden expro- 
priiert. — Mit dieser Umwälzung schliesst die 
Vorgeschichte der Menschheit ab. — Dies ist 
der Sprung der Menschheit aus dem Reiche 
der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit. 



beide zusammengebracht, die Masse des produzierten Mehrwerts 
sich steigern würde, steigert sich eben damit der Widerspruch 
zwischen den Bedingungen, wenn dieser Mehrwert produciert, 
und den Bedingungen, worin er realisiert wird (III 226; vrgl. 
hierzu 240.) 



— 88 — 

SchlusskapiteL 

Karl Marx an seine bftrgerlichen Gegner. 

Ein hypothetischer Vortrag. 

Meine Herren I Da ich voraussetzen muss, dass 
die meisten von Ihnen zu den höheren bürgerlichen 
Schichten gehören und nur hierher gekommen sind, 
um einmal einen unverbesserlichen Revolutionär leib- 
haftig vor sich zu sehen, der jeden anständigen 
Menschen hasst und sich nur in der Gesellschaft 
armer, zerlumpter Individuen wohl fühlt will; ich 
mich Ihnen im Voraus als einen eifrigen Schüler 
Ihrer eigenen, von Ihnen selbst zu wissenschaftlichen 
Autoritäten proklamierten grossen Lehrmeister — 
A. Smith und D. Ricardi — empfehlen, einen Mann, 
der gleich Ihnen den Reichtum für das höchste Gut 
hält, und in ihm die ganze Kultur erblickt. Ja, noch 
mehr — ich bin, wie jeder gute Geschäftsmann, deren 
es ja so viele unter Ihnen gibt, jeder Romantik, jeden 
Mitleids und jeglicher Sentimentalität bar. Wenn ich 
mir vornehme, vor Ihnen die These von dem grossen 
Kulturwerte der Arbeiterbewegung zu verteidigen, so 
kann ich eidlich bezeugen, dass ich es durchaus nicht 
aus Mitleid mit dem Elende der Arbeiterklasse tue. 
Ich kümmere mich überhaupt nicht um diese oder 
jene Klasse, sondern nur um die Gesellschaft als 
Ganzes, als Organismus; ich interessiere mich nicht 
für die Klassenkultur, sondern nur für die gesamte 
menschliche Kultur. Und diese besteht für mich 
nicht im Reichtum der Arbeiterklasse allein, sondern 
in dem des ganzen Landes, oder, richtiger gesprochen, 
nicht im Reichtum selbst, sondern in der Fähigkeit, 
ihn zu erringen. 

Sie werden mir gewiss darauf erwidern, dass ich 
somit die Kultur mit Ihren eigenen Augen betrachte. 



und Sie daher in erster Linie selbst für Kultur- 
menschen halten müsse, da Sie es so gut verstehen, 
sich selbst Reichtümer zu erwerben und damit zu- 
gleich das ganze Land zu bereichem. Welche Gründe 
habe ich dann, in der Arbeiterbewegung eine Kultur- 
kraft zu sehen? Die Arbeiter verstehen es ja nicht 
einmal, ihren eigenen, geschweige denn den allge- 
meinen Wohlstand herbeizuführen; nur eins verstehen 
sie: stets und mit allem unzufrieden zu sein und jede 
Arbeit zu hassen und zu meiden, obwohl sie zugleich 
über die heiligen und unveräusserlichen Rechte der 
Arbeit auf alle gesellschaftlichen Reichtümer gerne 
ein kräftiges Wörtlein zu sagen lieben. 

Darauf will ich Ihnen in aller Aufrichtigkeit be- 
kennen, dass die Arbeiter in der Tat noch so unge- 
bildet sind, dass sie eine unwissenschaftliche und 
durch und durch utopische Sprache führen. Jedoch 
ist das, was sie damit sagen wollen, trotzdem im 
höchsten Grade vernünftig, sie können nur noch den 
richtigen Ausdruck für ihre Klagen nicht finden. Und 
darum will ich es versuchen, vor Ihnen ihr Für- 
sprecher zu sein. Die Arbeiter werfen Ihnen Unge- 
rechtigkeit vor — selbstverständlich ist das sehr naiv 
und verdient keine weitere Beachtung, doch wollen 
sie damit in der Tat etwas anderes sagen. Es handelt 
sich hier gar nicht darum, ob Sie ungerecht sind, 
sondern darum, dass Sie nicht so produzieren^ 
dass Sie dem nicht gerecht zu werden verstehen, 
worin doch nach Ihrem eigenen Zugeständnis die 
Kultur und der Fortschritt liegt. 

Ich sehe — Sie sind betroffen und sehen mich 
wie einen Verrückten an. Sie verständen nicht zu 
produzieren? Aber ein jeder von Ihnen verdient doch 
alljährlich Tausende und Abertausende. Vor Ihnen 
glich die Welt einer unbevölkerten Wüste, die Sie im 
Laufe weniger Jahre in einen Wald von Fabrik- 



— 90 — 

Schornsteinen verwandelt haben, aus denen Tag und 
Nacht der Rauch zum Himmel aufsteigt. Sind nicht 
Ihr Fleiss und Ihre Sparsamkeit die Grundlage der 
ganzen modernen Produktion? 

Sie haben recht, gewiss, doch nicht ganz recht. 
Verständen Sie wirklich gar nichts von der Produktion, 
so könnten Sie überhaupt nicht existieren und heute 
hier vor mir sitzen. Ich wollte nur sagen, dass Sie nicht 
richtig, dass Sie auf eine unvollkommene Weise 
produzieren, — daher der Lärm, den die Arbeiter 
gegen Sie erheben, daher der glühende Hass, von 
welchem sie durchdrungen sind. Es gibt doch keinen 
Rauch ohne Feuer. 

Gegen einen guten Wirt ist kein Protest möglich. 

Oder verstehen Sie mich noch immer nicht? 
Nun wohl, dann will ich Ihnen meinen Gedanken noch 
deutlicher auseinandersetzen. Soeben haben Sie in 
Ihrer Erwiderung jenen Profit, den Sie beziehen, als 
einen Beweis für Ihre produktive Tätigkeit erwähnt. 
Doch scheint es mir, der ich bei Smith und Ricardo 
in die Schule gegangen bin, dass Ihr Profit gerade im 
Gegenteil Ihr Unvermögen, gut zu wirtschaften, an den 
Tag legt, denn es gibt ja gar keinen Profit, — bei 
einer richtigen Buchführung, meine ich. Wie Sie 
wissen, muss alles in Arbeit gerechnet werden, dann 
aber ist die verausgabte Arbeit stets der am Ende des 
Produktionsprozesses vergegenständlichten gleich. 
Woher also kommt jener Profit, dessen Höhe nach 
Ihnen soeben noch den Massstab für Ihre wirtschaft- 
liche Bedeutung bilden sollte ? Bitte, werden Sie nicht 
nervös und verstehen Sie mich richtig. Ich will 
durchaus nicht behaupten, dass Ihr Profit etwas Un- 
gerechtes, von Rechts wegen der Arbeit und folglich 
dem Arbeiter Zugehöriges sei. O nein, ich habe 
Ihnen doch schon im voraus mitgeteilt, dass die Ge- 
rechtigkeitsfrage für mich nicht existiert. Dazu bin 



— Gl- 
ich ein viel zu gründlicher Gelehrten Mich inter- 
essiert nur dies eine, — woher dieser Profit stammt, 
obwohl es nach der Theorie eigentlich überhaupt 
keinen geben sollte. — Wieso, woher? — fragen Sie 
mich — und Sie beziehen sich auf meinen Schüler 
Herrn T. Baranowsky, der behauptet, das sei eine 
müssige Frage, denn die Antwort darauf ergebe sich 
ganz von selbst. Es wird eine bestimmte Menge von 
Kohle, Eisen, Korn etc. vorgeschossen und eine 
grössere Menge von diesen Stoffen zurückgewonnen. 
Der Ueberschuss sei eben der Profit — das ist alles. 
— Ich muss gestehen, dass Herr T. Baranowsky sich 
allerdings für meinen Schüler ausgibt, ich gebe auch 
zu, dass in der Tat ein Ueberschuss an Kohle, Eisen 
and Korn vorhanden ist. Wenn Sie sich aber durch- 
aus auf meine Schüler beziehen wollen, so gestatten 
Sie mir auch, Ihnen solche Stellen aus ihren Schriften 
anzuführen, wo sie mich wirklich verstanden und 
nicht nur mi ssverstanden haben. Wie es Ihnen be- 
kannt ist, gibt mir Herr T. Baranowsky unumwunden 
zu, dass die absoluten Kosten für die Gesellschaft die 
Arbeitskosten und nur diese sind. Wenn dem aber 
so ist, so hätte er, ausser der vorgeschossenen Menge 
von Kohle, Eisen und Korn, auch noch jenen Arbeits- 
aufwand in Rechnung ziehen müssen, welchen der 
Arbeiter verausgabt, indem er den vorgeschossenen 
Stoff bearbeitete. Dann hätte er auch eingesehen, 
dass jener Ueberschuss, den Sie Profit nennen, genau 
diesem Arbeitsaufwand äquivalent ist, den er in Be- 
tracht zu ziehen vergessen hat, und dass es somit 
überhaupt keinen Ueberschuss über die Arbeitskosten 
gebe. Ein Landmann sät 100 Mass Korn und erntet 
200. Tatsächlich ist also ein Ueberschuss von 100 Mass 
Korn vorhanden. 

Warum aber die Ausgaben und den Ertrag in 
Korn rechnen, wenn wir alle wissen, dass man nicht 



— 92 — 

in Korn, sondern in Arbeit rechnen muss? Warum 
sagen wir nicht vielmehr in 100 Mass Aussaat ist ein 
Jahr Arbeit verkörpert; und ebensoviel hat auch 
der Landmann aufwenden müssen, um zu seiner Ernte 
zu kommen — im ganzen also 2 Jahre Arbeit. Die 
Ernte ist ihrerseits gleich 200 Mass Korn, in welchen 
wiederum 2 Jahre Arbeit verkörpert sind. Wo bleibt 
nun Ihr vielgepriesener Profit? Sie rechnen genau 
wie Herr v. T. Baranowsky, und auf diesem Wege 
kommen Sie auch zu Ihrem Profite I Anstatt in Arbeit 
zu rechnen, rechnen Sie in Waren, in der in den 
Waren verkörperten Arbeit allein, d. h. also in Waren- 
werten. Da' aber die verkörperte Arbeit vor und 
nach dem Produktionsprozesse zwei verschiedene 
Grössen repräsentiert, so entsteht für Sie der Schein 
eines Profites, eines Ueberschusses über die Produk- 
tionskosten. Und da Sie nun einmal Herrn v. T. Bara- 
nowsky zitieren wollen, so erlaube ich mir, Sie daran 
zu erinnern, dass er ja selbst die Abgeschmacktheit 
Ihrer Rechnungsweise sehr wohl anerkennt. Denn er 
sagt: „Die absoluten Kosten sind durch die Arbeit und 
durch diese allein repräsentiert. Zwar gehen die Kapi- 
talisten von einem anderen, fehlerhaften Kostenbegriffe 
aus, doch ziemt es sich für die objektive Wissen- 
schaft nicht, siph den kapitalistischen Standpunkt zu 
eigen zu machen, die Kapitalisten allein stellen noch 
nicht die ganze Gesellschaft dar.*" Das seine eigenen 
Worte, und dasselbe habe ich selbst schon etwas 
früher in meinem „Kapital^^ nachgewiesen. Ausser 
Ihnen, meine Herren, gibt es in der Gesellschaft noch 
Arbeiter, und eben diese protestieren dagegen, dass 
Sie ihren Arbeitsaufwand nicht voll zu den Produk- 
tionskosten rechnen wollen. Nur können die Arbeiter 
diesen ihren Protest nicht auch wissenschaftlich for- 
mulieren. 

Sie wenden mir ein, das sei alles falsch, denn 



Ihre Preise richten sich nicht jedesmal nach der ver- 
ausgabten Arbeit Aber, verehrte Freunde, wie auch 
Ihre Preise gebildet sein mögen — die Tatsache bleibt 
bestehen, dass Sie nur Waren, und folglich nur die 
in diesen verkörperte Arbeit zu den Kosten rechnen. 
Von der Arbeit dagegen, die am Anfang des Produk- 
tionsprozesses noch nicht vergegenständlicht war, und 
die schon im voraus im Ausgabenentwurfe hätte ver- 
zeichnet werden sollen, von dieser Arbeit wissen Sie 
nichts, bis sie sich in Warenform kristallisiert und 
von dem Markt zu Ihnen als Profit zurückfliesst 
Diese Tatsache steht für mich und, wie ich glaube 
für jeden unbefangenen Beobachter vollkommen fest 
Was aber die Spitzfindigkeiten der Preisbestimmung 
in jedem einzelnen Falle anbetrifft, so ist es nicht 
Sache meiner Wissenschaft, sich damit abzugeben. 
Mein Blick war stets gerichtet auf die Produktion als 
ein Ganzes. 

Wie aber kann man ohne den Profit aus- 
kommen? rufen Sie vielleicht verwundert aus. Wer 
wird denn produzieren wollen, wenn er nicht auf 
Profit rechnen darf 1 — Mir ist dieses Argument wohl 
bekannt. Mit ihm hat man zu allen Zeiten die indi- 
vidualistische Produktionsweise zu rechtfertigen ge- 
sucht. Sie sagen: wozu sollen wir untersuchen, ob 
der Profit gerecht oder ungerecht sei, wenn er einen 
Ansporn für das Individuum bildet, ohne welchen 
dieses in Trägheit und Gleichgültigkeit verfallen würde, 
und ohne den folglich keine wohlgeordnete Gesell- 
schaft denkbar ist? Und Sie haben vollkommen recht» 
wenn Sie auf diese Art jene Utopisten abweisen wollen, 
die den Profit als etwas ungerechtes verdammen. 
Denn das klare und unwiderlegliche Produktions- 
prinzip ist dem nebelhaften und nicht überzeugenden 
Gerechtigkeitspostulate allemal vorzuziehen. Aber ich 
rede doch nicht von der Ungerechtigkeit Ihre^ Ver- 



— 94 — 

teilungsprinzips, sondern eben von der Schädlichkeit 
Ihrer Produktionsmethode. Ich weise Ihnen den Wider- 
spruch nach» der zwischen der individualistischen Pro- 
duktion und der Idee der Entwicklung der Produk- 
tivität besteht, und folglich ist mein Schlussergebnis 
jenem gerade entgegengesetzt, das Sie zu erwarten ge- 
wöhnt sind. Das Individuum kann ohne den Profit 
nicht produzieren, der Profit aber widerspricht einer 
richtigen Produktion (nicht etwa einem „richtigen 
Rechte"), — folglich muss die individualistische Pro- 
duktionsweise abgeschafft werden. 

Wer wird denn aber ohne Profit produzieren 
wollen? Allerdings nicht Sie; Sie können es nicht. 
Die Gesellschaft jedoch beansprucht keinen Profit 
sogar umgekehrt: der Profit ist für die Gesellschaft 
unvorteilhaft und sogar direkt schädlich, und 
die Gesellschaft besitzt einen Antrieb für die Produk- 
tion, der mit dem Profite nichts gemein hat Dieser 
Antrieb ist — die Entwicklung der gesellschaft- 
lichen Bedürfnisse, welche Sie ja gerade in den 
arbeitenden Massen zu unterdrücken bestrebt sind, 
um zu einem möglichst grossen Profite zu gelangen. 

Sie werden mir darauf entgegnen, die Gesellschaft 
sei ein ebenso abstrakter Begriff wie die Gerechtigkeit, 
sie müsse doch ihre konkreten Repräsentanten haben, 
welche letzteren keine anderen sein können, als eben 
die Individuen. Wohlan denn, ich will nicht um 
Worte streiten, wenn Sie mir zugeben wollen, dass es 
auch solche Individuen gibt, welche kein Interesse daran 
finden, einen Geldprofit zu erzielen, und nur die Be- 
friedigung ihrer menschlichen Bedürfnisse erlangen 
wollen. Solche Individuen gibt es, alle Arbeiter z.B. sind 
solche Individuen. Sie werfen den Arbeitern nicht 
ohne jeden Grund vor, dass diese unfähig zum Geld- 
erwerb seien und nur davon träumen, in Vierspännern 
zu fahren und Schildkrötensuppe aus goldenen Löffeln 



— 95 — 

zu schlürfen. Und in der Tat kämpfen die Arbeiter 
auf alle mögliche Weise gegen Ihren Unternehmer* 
profit und werden nicht müde, ihn durch ihr Streben 
nach Lohnerhöhung und Verkürzung des Arbeitstages 
im Prinzip zu zerstören. Jetzt sehen Sie wohl ein, 
dass diese dunklen Massen, die Sie verachten und die 
sie kaum noch für Menschen halten — zwar nicht 
eine wissenschaftliche Sprache zu führen wissen (was 
Sie übrigens mit Ihnen gemein haben)» dennoch aber 
einen richtigeren Begriff von der Produktion besitzen, 
als Sie. Diese Ma»»en bilden die Gesellschaft, welche 
auch ohne Profit produzieren kann. Eben deswegen 
halte ich die Bewegung, die sich in ihren Reihen zu 
regen beginnt, für eine im höchsten Grade kulturelle 
und fortschrittliche, die schon heute so manche Ge- 
fahr von unserer Gesellschaft abwendet 

Sie sind empört über die immer wachsende Be- 
deutung der Arbeiterorganisationen und über jene 
Streiks, die, um in Ihrem Jargon zu reden, den nor- 
malen Lauf des öffentlichen Lebens bestandig stören. 
Aber wissen Sie auch, was geschehen wäre, wenn es 
Ihnen gelungen wäre, die Macht der Gewerkschaften zu 
zerbrechen? Sie hätten aufgehört, die Produktions- 
technik zu entwickeln, und überall die vollkommen- 
sten Maschinen durch plumpe Menschenhände ersetzt; 
Sie hätten sich selbst und das ganze Land ruiniert 

Sie sind auf Ihre produktive Tätigkeit stolz. Ja, 
Sie verstehen zu produzieren, doch nur, indem Sie die 
Menschenkraft aufs unverschämteste vergeuden. Das 
haben schon die ägyptischen Könige lange vor Ihnen 
verstanden. Schlagen Sie doch in den statistischen 
Tabellen nach, und Sie werden sich vergewissem, dass 
die Anzahl von Menschen, welche Sie mit Ihrer Pro- 
duktion verstümmeln, in einem fortschreitenden Ver- 
hältnis wächst, vor welchem es selbst Ihren natür- 
lichen Rechtsanwälten, den Universitätsprofessore«, zu 



- 96 — 

grauen beginnt. Anstatt in den Betrieben Schutzvor- 
richtungen einzuführen, zermalmen Sie die Menschen 
erbarmungslos, denn Sie schätzen einen Menschen 
nicht nach jenem Abzug von seiner Lebenskraft, den 
er der Produktion opfert, sondern nach den Groschen, 
die Sie ihm ausbezahlen. Wenn Ihre Fehler noch 
nicht mit aller Wucht auf die Schultern der Mensch- 
heit herniederfallen, so nur deswegen, weil Ihre Hände 
zum Glücke zu schwach sind, weil Sie genötigt sind, 
zähneknirschend die Macht der Arbeiterklasse 
anzuerkennen. 

Wenn man Sie hören wollte, so wären die Arbeiter 
nichts als Taugenichtse, die zu nichts besseren fähig 
sind, als unter Ihrem Kommando zu schanzen. Aber 
blicken Sie doch nur einmal um sich. Wie viel Sie 
auch schimpfen und jammern mögen, -— das Leben 
geht seinen ehernen Gang, und jene Menschen, die 
Sie einen nichtsnutzigen Pöbel und Gesindel schelten, 
ziehen immer mehr Macht an sich, sitzen schon neben 
Ihnen in den Parlamenten, lernen es dort, Ihnen Ge- 
setze zu diktieren und erklären Ihnen ganz ofiTen, dass 
sie früher oder später die gesamte Produktion an 
sich reissen werden. 

Offenbar steht doch hinter diesen Menschen eine 
unbeugsame Gewalt, und diese Gewalt liegt sicherlich 
nicht in den Klagen über Ihre Ungerechtigkeit, sondern 
in einem höheren Begriffie von der Produktion, der 
diese Menschen beseelt. Mit jedem Tage denkt sich 
die Arbeiterklasse immer tiefer in das Produktiuns- 
problem hinein und beginnt schon in der jetzigen 
Gesellschaft einen immer wachsenden Einfluss auf die 
Produktion zu üben. Sie aber werden altersschwach 
und ihre Tage sind gezählt. Sie haben Ihre Aufgabe 
schon erfüllt, Ihre geschichtliche Mission ist vollendet. 
Ihr historischer Beruf bestand ja eben darin, die in 
Unwissenheit versunkenen Massen zur gesellschaft- 



— 97 — 

liehen Arbeit zu erziehen, überall Fabriken aufzu- 
richten und Kohlenschächte ^für sie anzulegen, das 
Interesse für die gesellschaftlichen Fragen in ihnen 
wachzurufen und sie in den Strudel des politischen 
Kampfes hineinzureissen. Sie haben Ihre Rolle als 
Volksschulmeister gut gespielt; die Lektion war zwar 
teuer, doch sie ist nicht ohne Frucht geblieben — 
nun ist es Zeit für Sie, Ihren Abschied zu nehmen 
und vom Schauplatz abzutreten. Doch leider 
gibt es Gründe genug, zu erwarten, dass Sie nicht frei- 
willig gehen werden, und ich fürchte, man wird Sie 
mit Gewalt davonjagen müssen. 

Ihr Todesurteil ist schon geschrieben und ~ mit 
Ihrem eigenen Namenszug versehen. Wer es nicht 
versteht, zu produzieren, der ist es auch nicht wert, 
zu leben — dies ist Ihre eigene Moral, Ihr eigenes 
Recht, Ihre eigene Praxis. Darin lag eben Ihre Macht, 
so lange andere es nicht besser verstanden als Sie. Es 
hat eine Zeit gegeben, wo Sie die Volksmassen expro- 
priierten, indem sie ihnen die Handwerkzeuge nahmen, 
und die nackten Hände an Ihre Fabriken ketteten. 
Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die Gesellschaft in 
der Person der Arbeiterklasse sich rüstet, Ihnen die 
schon vergesellschafteten Produktionsmittel zu ent- 
reissen, welche in Ihren Händen Ihnen zwar Ihren 
vielgepriesenen Profit, doch der Gesellschaft noch nicht 
den tausendsten Teil des möglichen Nutzens ein- 
bringen. 

Ich höre Stimmen des Protestes, man wirft mir 
Unmenschlichkeit vor und beschuldigt mich, ich ent- 
fache die Volksleidenschaften, man erinnert mich an 
die Gesetze der Verfassung, die Mord und Raub ver- 
bieten und mit Strafe bedrohen. Sie rufen mir zu, 
es genüge noch nicht, zu zerstören, man müsse auch 
aufbauen können. Sie verlangen von mir, ich solle 
Ihnen beweisen, dass in jenem Zukunftsstaate, der auf 

Cliarai«ff, Karl Man. 7 



— 98 - 

den Trümmern der heutigen Gesellschaft sich empor- 
richten wird, die Menschen in der Tat ein besseres 
Leben geniesen werden, als heute, dass dieser Staat 
nicht einer ungeheuren Kaserne oder, was noch 
schlimmer wäre, einem grossen Zuchthause gleichen 
werde, wo entseelte Automaten nach einem Dekret 
von oben vom frühen Tage bis zur späten Nacht eine 
ihnen persönlich verhasste Arbeit verrichten müssen? 

Nicht doch, meine verehrten Freunde, regen Sie 
sich nicht unnütz auf. Ueberlassen Sie all diese 
Phrasen ehrgeizigen Demagogen und beifallslüsternen 
Agitatoren. Wir sind doch übereingekommen, 
dass die schönsten Reden von Recht, Gerechtigkeit 
und Humanität ja doch keinen Menschen überzeugen, 
können. Wir sind davon ausgegangen, wozu sollen 
wir am Ende unseres Zwiegesprächs wieder darauf 
zurückkommen? Was verlangen Sie noch von mir 
nachdem ich Ihnen doch nachgewiesen habe, dass die 
Produktion der Zukunft eine weit höhere Form er- 
reichen wird? Ich kann Ihnen doch unmöglich alle 
Einzelheiten über die Organisation und den Ausbau 
der Produktion in der sozialistischen Gesellschaft mit- 
teilen, ich weiss nur das Eine: nämlich dieses, dass 
man dort die ganze verausgabte menschliche Arbeit 
zu den Produktionskosten rechnen wird. Dort werden 
Soll und Haben sich immer gleich sein; ist das viel- 
leicht noch nicht genug? Wenn Sie die Absicht haben, 
mit irgendeiner Firma in geschäftliche Beziehungen 
zu treten, so erkundigen Sie sich doch auch nicht 
danach, wie sich ihre Untergebenen fühlen, ob sie nicht 
vielleicht mit Arbeit überhäuft sind, ob sie ihre Pflicht 
und Schuldigkeit mit Freuden tun oder dazu gezwungen 
werden müssen. 

Sie sehen sich bloss die Bilanz an — und Sie 
haben recht Ich bitte Sie, diesen geschäftlichen 
Standpunkt auch dann nicht aufzugeben, wenn Sie 



sich vornehmen, über die küniftige sozialistische Ge- 
sellschaft zu urteilen. 

Diese Gesellschaft wird eine sehr solide Firma 
sein, deren Bilanz allen Forderungen der von Ihren 
eigenen Lehrmeistern ausgebauten ökonomischen 
Wissenschaft genügen wird. Darum muss es im vor- 
aus klar sein, dass die Angestellten dieser Firma mehr 
mit ihr zufrieden sein werden, als mit irgend einer 
der heute existierenden Unternehmungen. Hören Sie 
doch auf, über die vermeintliche Sklaverei zu jammern, 
mit welcher der Sozialismus die geplagte Menschheit 
bedrohe. Es wird Ihnen ja doch nicht im mindesten 
helfen. Sie wissen doch selbst: Sie mögen sich noch 
so viel für das Privatleben Ihres Konkurrenten in- 
teressieren, ihn herabziehen und verunglimpfen — er 
wird Sie dennoch alle unterbieten, wenn er nur nach 
einer besseren Methode produziert. Oder hat viel- 
leicht die Angst vor dem unvermeidlichen Bankerott 
Ihnen den Kopf so sehr verwirrt, dass Sie, nur um 
Ihre letzte Stunde noch etwas hinauszuschieben, zu 
einem jeden, selbst zu einem ofienkundig unbrauch- 
baren Mittel greifen? 

Nun wohl, dann wollen wir unser Zwiegespräch 
lieber abbrechen. Es hat eine Zeit gegeben, wo Sie 
nicht von Angst, sondern von Mut beseelt waren. Sie 
schlössen Ihre Augen nicht vor der Zukunft, denn die 
Zukunft gehörte Ihnen. Sie vertieften sich eifrig in 
die Wissenschaft, denn die Wissenschaft versprach 
Ihnen den Sieg. Die Zeiten haben sich geändert, Ihr 
Lied ist aus, und es bleibt Ihnen nichts übrig, als die 
Entwicklung der ökonomischen Wissenschaft, dem 
jugendlichen Proletariat zu überlassen, und gleich 
einem von Todesahnungen erfüllten Greise, Astrologie 
zu studieren, um Ihren Untergang in dem Laufe der 
Gestirne zu lesen. 



100 — 



Nachwort 

Jede Produktion läuft auf eine Gütervermehrung 
hinaus; eine Anzahl Güter wird in den Produktions- 
prozess geworfen und eine grössere aus ihm zurück- 
gewonnen. 100 Mass Korn werden ausgesät und 200 
geerntet Was aber die Richtung anbetrifft, in welcher 
die Produktion entwickelt werden muss, so gibt es 
darüber, wie wir gesehen haben, zwei prinzipiell ver- 
schiedene Ansichten. 

Nach der einen Ansicht muss der Ueberschuss im 
Verhältnis zu dem jährlichen Arbeitsaufwand, nach 
der anderen im Verhältnis zu den jährlichen materi- 
ellen Ausgaben der Produktion wachsen. Die erste 
Ansicht, die in ihrer reinsten Form von Marx ver- 
treten wird, misst den Grad der technischen Ent- 
wicklung durch die gesamte menschliche Arbeit, die 
auf jedes zu produzierende Gut kommt. Die zweite 
Ansicht wird durch die kapitalistische Wirklichkeit 
vertreten; für sie besteht die technische Vollkommen- 
heit in der Erhöhung des materiellen Ueberschusses 
im Verhältnis zu den materiellen Ausgaben, oder in 
einer hohen Profitrate. Sie hält nach Marx nicht 
mit der ganzen, sondern nur mit der vergegenständ- 
lichten, in Warenform verkörperten Arbeit haus, für 
sie ist das Wertgesetz der höchste Ausdruck des Spar- 
prinzipes. Beide Ansichten fallen teilweise mitein- 
ander zusammen, doch führen sie unter Umständen 
zu einer entgegengesetzten Beurteilung der zu 
wählenden Produktionsmethoden. Nach der Arbeits- 
theorie ist die Methode vorteilhafter, bei welcher jähr- 



— 101 — 

lieh ein Mann 100 Mass Korn aussät und 200 erntet 
als eine solche, bei welcher 2 Arbeiter 100 aussäen 
und 270 ernten. Nach dem Wertgesetze, d. h., wenn 
wir nur die vergegenständlichte Arbeit zu den 
Kosten rechnen, erweist sich im Gegenteil die zweite 
Methode als die vorteilhaftere, wenn der jährliche 
Arbeitslohn gleich 50 Mass pro Arbeiter ist. Steigt 
dagegen der Lohn von 50 bis auf 60, so kommen wir 
auf Grund des Wertgesetzes zu demselben Resultate 
wie an der Hand der Arbeitstheorie, und werden die 
erste Produktionsmethode der zweiten vorziehen 
müssen. 

Welche Ansicht kommt nun der Wahrheit näher? 
Dies ist die erste Frage, die von der Marxkritik ge- 
löst werden muss, und die wir in den folgenden 
Teilen unseres Werkes wirklich zu lösen versuchen 
werden. Man beachte, dass wir in dem vorliegenden 
Buche die Arbeitstheorie lediglich objektiv dargestellt, 
nirgends aber einer kritischen Würdigung unterzogen 
haben. Wir haben gezeigt, was Marx lehrte, und 
haben nachgewiesen, dass seine Lehre von dem Satze 
ausgeht, die ganze Arbeit müsse gespart werden, und 
dass sie nirgends mit diesem Satze in Widerspruch gerät. 
Erkennt man den Satz von der Ersparung der ganzen 
Arbeit an, so muss man sich mit logischer Notwendig- 
keit zu dem Marximus bekennen, wie er hier darge- 
legt worden ist; dieser Beweis ist im Vorhergehenden 
geführt worden. Ob man aber diesen obersten Satz 
auch anerkennen muss, ist eine weitere Frage, die 
wir einstweilen in der Schwebe lassen wollen, und zu 
der wir erst in den folgenden Bänden Stellung nehmen 
werden. Im Rahmen dieses Buches haben wir uns 
mit der Rolle eines schlichten Marxinterpreten be- 
gnügt, denn man kann eine Lehre erst kritisieren, 
wenn man sie genau verstanden und widerspruchslos 
zur Darstellung gebracht hat. 



— 102 — 

Hat Marx mit seinem obersten Satze recht, so ist 
der Kapitalismus objektiv verurteilt. Nun kommt 
aber noch der Satz von der fallenden Profitrate hin- 
zu, welchen wir gleichfalls nur entwickelt, dessen 
Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit wir angedeutet, 
den wir aber hier weder bewiesen, noch widerlegt 
haben. Ist dieser Satz seinerseits richtig, so wohnt 
dem Kapitalismus auch ein subjektiver Wider- 
spruch inne. Und umgekehrt — wenn der Satz von 
der Ersparung der ganzen menschlichen Arbeit falsch 
ist und die Profitrate noch dazu steigt, anstatt zu 
fallen, — dann und nur dann ist der Kapitalismus 
objektiv und subjektiv gerechtfertigt, und 
die ganze Kritik, die Marx an ihm üben wollte, erweist 
sich als unstatthaft. 

Wie aber auch die Antwort auf Me beiden hier 
präzisierten kritischen Fragen ausfallen möge, es bleibt 
noch eine dritte höhere Frage zu lösen übrig, die uns 
in der gesamten Weltanschauung von Karl Marx 
vorliegt — die Frage über die Beziehung der Technik 
zur Ethik. Worin ist die höchste Gesetzmässigkeit 
des geschichtlichen Tuns zu suchen: in dem Verhält- 
nis des Menschen zu der Natur oder in dem des 
Menschen zum Menschen? Erst mit der Lösung 
dieser höchsten Frage kann man sein Urteil über den 
Marxismus abschliessen. 

Hier ist noch eine wichtige Bemerkung am Platze. 
Viele werfen Marx vor, sein System sei durch und 
durch ethisch, trotz seiner wiederholten Beteuerun- 
gen, er wolle mit der Ethik prinzipiell nichts zu tun 
haben. Dieser Einwurf scheint uns indessen nicht 
stichhaltig zu sein. Man kann zwar nicht bestreiten, 
das6 in dem Marxismus mancher Satz enthalten ist, 
den man ethisch zu nennen pflegt, und wie 
könnte es anders sein, da Marx in der Tat von Men- 
schen und von der menschlichen Wirtschaft han- 



— 103 - 

delt. Auch war es wirklich, soweit wir es beurteilen 
können, niemals Marx' bewusstes Vorhaben, nur un- 
moralische Lehren vorzutragen. Er hat sich bloss 
das eine Ziel gesteckt: die menschliche Wirtschaft zu 
studieren, und seine Widersacher werden erst dann 
recht behalten, wenn sie ihm nachweisen — nicht 
dass seine Sätze ethisch sind, sondern dass irgend- 
einer von seinen Sätzen nur ethisch und nicht 
zugleich nationalökonomisch ist. 

Marx' Stellung zur Ethik ist diese: Es muss vor 
allem eine Wissenschaft von der Produktion geben, 
von dem Verhalten des Menschen zu der Natur. Diese 
Wissenschaft bedarf eines Prinzipes, und dieses kann 
nur die Ersparung der Arbeit sein. Will man das 
Arbeitsprinzip nicht anerkennen, so hat man keine 
Wissenschaft von dem Verhalten des Menschen 
zu der Natur, von der Produktion und der 
Wirtschaft. Das Arbeitsprinzip ist somit als Grund- 
lage der ökonomischen Wissenschaft notwendig und 
wird von Marx nur aus diesem Grunde, nicht aus 
irgendwelchen rein ethischen Erwägungen gefordert. 
Wird es aber zugestanden, so folgt aus ihm auch eine 
ganz bestimmte ethische Lehre, im Sinne einer Nor- 
mierung der menschlichen Beziehungen untereinander. 
Doch ist diese ethische Lehre keine selbständige Dis- 
ziplin, sie ist nur eine Anwendung des Arbeitzprinzipes 
auf das gegenseitige Verhalten der Menschen; und 
wenn ihr Inhalt gewissermassen mit dem anderer, 
selbständig begründeter Lehren zusammenfällt, so ist 
es deswegen keineswegs erlaubt, Mirx den Vorwurf 
zu machen, er habe Ethik getrieben und sich doch 
vor den Menschen und vor sich selbst den Anschein 
gegeben, als interessiere er sich lediglich für die 
Nationalökono mie. 

Dass das Verhältnis des Menschen zur Natur ein 
primäres, das Verhältnis des Menschen zum Menschen 



— 104 - 

ein abgeleitetes ist, das die Eigentumsverhältnisse 
durch die Produktionsverhältnisse bestimmt sind, 
dass die Ethik, das Recht, die Religion, kurz, alle 
Ideologien einen Ueberbau über der Produktionsbasis 
bilden, den Kampf des Menschen mit der Natur in 
sich „abbilden** — und nicht umgekehrt der Kampf 
des Menschen mit der Natur ein Abbild der Kämpfe 
der Menschen gegen Menschen ist — , das und nichts 
anderes ist ja gerade der Sinn des ökonomischen 
Materialismus\ 

„Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten 
des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produk- 
tionsprozess seines Lebens und damit auch seiner 
gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen 
entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle 
Religionsgeschichte, die von dieser materiellen Basis 
abstrahiert, ist — unkritisch. Es ist in der Tat vie- 
eichter, durch Analyse den irdischen Kern der relil 
giösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt aus 
den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre 
verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztere ist 
die einzig materialistische und daher wissenschaftliche 
Methode.« (I, 336.) 

Nach dieser Methode hat Marx eben das, was sonst 
Ethik genannt wird, aus dem Produktionsprinzip ent- 
wickelt, und nun will man darin einen Widerspruch, 
ein verkapptes und verbotenes Spiel mit der abge- 
wiesenen Ethik erblicken. 

Dies sollten sich auch jene Kritiker überlegen, die 
umgekehrt den Fehler des Marxismus in der Ver- 
kennung der Ethik sehen. Aber was wird dadurch 
gewonnen? — könnte ihnen Marx entgegnen. Ihr 
predigt von der Ungerechtigkeit der Mehrarbeit, der 
Ueberstunden, der Frauenknechtung usw. Nun gut, 
ich habe nachgewiesen, dass all dieses Verstösse 
gegen das Arbeitspinzip sind, die schon allein des- 



— 105 — 

wegen aus der Welt verschwinden müssen. Was 
könnt Ihr noch neues hinzufügen? Nichts, gar nichts. 
Nur, dass Ihr statt mit einem einzigen, mit zwei 
Prinzipien operiert, — mit dem ökonomischen (denn 
Ihr erkennt doch auch die Notwendigkeit einer Wissen- 
schaft von der Produktion an) — und mit dem 
„ethischen", das Ihr durchaus daneben beibehalten 
wollt. Ist das wirklich so zweckmässig und erhaben? 
Und damit sind wir an dem letzten Punkte angelangt, 
den die Marxkritik zu erledigen haben wird. Wie 
auch das Gesamturteil über den Marxismus ausfallen 
möge — das Eine ist klar — dass man nicht mehr 
zu der von Marx überwundenen Anschauung über 
zwei selbständige Prinzipien des menschlichen Lebens 
zurückkehren kann. Will man sich mit dem Marxis- 
mus abfinden, so soll man nicht die Ethik gegen die 
Technik ins Feld führen, sondern eine Wissenschaft 
ausbauen, in der das, was man sonst Ethik und das, 
was man Technik nennt, zu einer Disziplin ver- 
schmelzen, — eine Wissenschaft, die zugleich das 
Verhalten des Menschen zu der Natur und des Menschen 
zu den Menschen zum Objekte ihres Studiums macht, 
und uns in Einem Obersatze die Norm angibt, — 
für den Kampf mit der Natur und den Frieden unter 
den Menschen. 



.. Of^ THE 

UNIVERSITY 



Drack von J. 8. Pretu», Königl. Hoflieferant, Berlin S., Dresdenerstrasse 48. 



^ 



-VTH7"R"ROT -' 



THX8 BOOK 18 PUB ON THE XJUIT DATE 
8TAMPED BELOW 



AN INITIAL FINE OF 25 CENTS 

WILL BE ASSSSSKD POR FAILURE TO RKTURN 
THIS BOOK ON THE DATE DUE. THE PENALTY 
WILL INCREABB TO 80 CENTS ON THE POURTH 
DAY AND TO $t.OO ON THE SEVENTH DAY 
OVERDUB. 



^y 14. ifiifl 




-^ mj MWmQ 












ÜCT 15 193S 




OCT 31 1938 








MAR 22 1942 




^ 




ii//i /Zv^-^Uht 




i 

• 


































; 




LD 21-95m-7.'37 



YC 78728 



r 






dy 194374 
A76C4- ^ 




/^ 






"^i^ 



Im 



'Uy* 



Wk7' 



Mi 




.&il 



l-f^ ^■ 






^^X'^^ 



^>>i 



r^l